Riemannsche Flächen [2 ed.] 364201710X, 9783642017100 [PDF]

Das vorliegende Buch beruht auf Vorlesungen und Seminaren für Studenten mittlerer und höherer Semester im Anschluß an ei

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German Pages 341 [353] Year 2009

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Table of contents :
Front Matter....Pages 1-10
Grundlagen....Pages 1-23
Tori und elliptische Funktionen....Pages 1-19
Fundamentalgruppen und Überlagerungen....Pages 1-25
Verzweigte Überlagerungen....Pages 1-25
Die J - und λ-Funktion....Pages 1-24
Algebraische Funktionen....Pages 1-16
Differentialformen und Integration....Pages 1-22
Divisoren und Abbildungen in projektive Räume....Pages 1-19
Ebene Kurven....Pages 1-20
Harmonische Funktionen....Pages 1-23
Uniformisierung. Dreiecksgruppen....Pages 1-21
Polyederflächen....Pages 1-18
Der Satz von Riemann-Roch....Pages 1-14
Der Periodentorus....Pages 1-19
Die deRhamsche Cohomologie....Pages 1-17
Die Riemannsche Thetafunktion....Pages 1-23
Back Matter....Pages 1-14
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Riemannsche Flächen [2 ed.]
 364201710X, 9783642017100 [PDF]

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Springer-Lehrbuch

Grundwissen Mathematik Ebbinghaus et al.: Zahlen Elstrodt: Maß- und Integrationstheorie Hämmerlin† /Hoffmann: Numerische Mathematik Koecher† : Lineare Algebra und analytische Geometrie Lamotke: Riemannsche Flächen Leutbecher: Zahlentheorie Remmert/Schumacher: Funktionentheorie 1 Remmert/Schumacher: Funktionentheorie 2 Walter: Analysis 1 Walter: Analysis 2 Herausgeber der Grundwissen-Bände im Springer-Lehrbuch-Programm sind: F. Hirzebruch, H. Kraft, K. Lamotke, R. Remmert, W. Walter

Klaus Lamotke

Riemannsche Fl¨achen Zweite, erg¨anzte und verbesserte Auflage

123

Prof. Dr. Klaus Lamotke Universit¨at zu K¨oln Mathematisches Institut Weyertal 86-90 50931 K¨oln Deutschland [email protected]

ISSN 0937-7433 ISBN 978-3-642-01710-0 e-ISBN 978-3-642-01711-7 DOI 10.1007/978-3-642-01711-7 Springer Dordrecht Heidelberg London New York Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet u¨ ber http://dnb.d-nb.de abrufbar. Mathematics Subject Classification (2000): 30Fxx, 32C15 c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2004, 2009  Dieses Werk ist urheberrechtlich gesch¨utzt. Die dadurch begr¨undeten Rechte, insbesondere die der ¨ Ubersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielf¨altigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielf¨altigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zul¨assig. Sie ist grunds¨atzlich verg¨utungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten w¨aren und daher von jedermann benutzt werden d¨urften. Cover design: WMXDesign GmbH Printed on acid-free paper Springer is part of Springer Science+Business Media (www.springer.com)

Vorwort

aus dem Vorwort zur 1. Auflage Riemanns Idee, die Funktionentheorie nicht auf den klassischen Fall ebener Definitionsgebiete zu beschr¨anken, sondern auf beliebige Fl¨achen auszudehnen, ist 150 Jahre alt und hat seither die Entwicklung der Mathematik stark beeinflußt. In dieser dem Grundwissen der Mathematik gewidmeten Lehrbuchreihe folgt daher auf die Darstellung der klassischen Funktionentheorie durch R. Remmert der vorliegende Band u ¨ber Riemannsche Fl¨achen. ¨ Große Teile des Stoffes wurden in Vorlesungen vorgetragen oder in Ubungen, Seminaren und Hausarbeiten von Studenten bearbeitet. Nur die Grundlagen der reellen Analysis und komplexen Funktionentheorie, der Algebra und der Allgemeinen Topologie werden als Vorkenntnisse vorausgesetzt. Die Stoffauswahl orientiert sich an den Ergebnissen, die Riemann, Weierstraß und ihre Nachfolger erreichten. Die Darstellung der allgemeinen Theorie wird h¨aufig unterbrochen, um spezielle Fl¨achen und ihre Funktionen zu betrachten. Die Riemannschen Fl¨achen haben zahlreiche Beziehungen zu mathematischen Nachbargebieten. Um sie zu erfassen, wird in den folgenden Kapiteln auch die Topologie kompakter Fl¨achen entwickelt, wird die Fundamentalgruppe ¨ mit ihrer Beziehung zur Uberlagerungstheorie behandelt, werden Garben, Homologie und Cohomologie definiert und werden Einf¨ uhrungen in die projektive Geometrie und die Potentialtheorie geboten. Viele mathematische Ideen, die manchmal bis in die Antike zur¨ uckreichen und sich im 19. Jahrhundert h¨aufen, durchziehen wie die F¨aden eines Kn¨auels die Entstehung und Entwicklung der Riemannschen Fl¨achen. Zahlreiche in den Text eingestreute historische Bemerkungen weisen bei passenden Gelegenheiten darauf hin. Das vorliegende Buch wurde vor zehn Jahren als gemeinsames Projekt von Reinhold Remmert und dem Autor begonnen. Erste Entw¨ urfe von Kapiteln mit vorwiegend analytischen Aspekten wurden von R. Remmert und solche mit topologischen Aspekten vom unterzeichnenden Autor verfaßt. Bei mehreren Aufenthalten im Mathematischen Forschungsinstitut Oberwolfach ¨ konnten wir uns in intensiven Gespr¨achen austauschen. Außere Umst¨ande f¨ uhrten dazu, daß die Herstellung der finalen Version allein dem unterzeichnenden Autor zufiel.

VI

Vorwort

Die Volkswagen-Stiftung erm¨oglichte im Rahmen des Programms Research ” in Pairs” die erw¨ahnten Aufenthalte in Oberwolfach. Frau A. Rother (K¨oln) schrieb mit großer Sorgfalt und Geduld die sich wandelnden Versionen des Textes. Ihnen allen, den Mitarbeitern des Springer-Verlages, welche das Projekt auch in kritischen Phasen wohlwollend unterst¨ utzten, und ganz besonders Reinhold Remmert, ohne den das Buch nicht begonnen und vollendet worden w¨are, gilt mein herzlicher Dank. K¨oln, im Mai 2004 Klaus Lamotke.

Vorwort zur zweiten Auflage Ein neues 15. Kapitel handelt von der De Rhamschen Cohomologie Riemannscher Fl¨achen. Dadurch beruht die Einf¨ uhrung der Thetafunktionen kompakter Fl¨achen im nunmehr 16. Kapitel auf Ergebnissen, die im vorliegenden Buch bewiesen und nicht nur zitiert werden. Ein neuer Paragraph 16.3 im letzten Kapitels ist den L¨osungen von SolitonGleichungen mit Hilfe dieser Theta-Funktionen gewidmet, die in den 1970-er Jahren von russischen Mathematikern gefunden wurden. Die Ausf¨ uhrungen zur Kleinschen Fl¨ache mit ihren 168 Automorphismen und ihrer Darstellung durch das Vierzehneck werden durch zus¨atzliche Aufgaben (5.8.7-8 und 11.7.9) und Beweise (in Paragraph 11.7) erg¨anzt. Kleinere u ¨ber den ganzen Text verstreute Verbesserungen beruhen zum Teil auf kritischen Hinweisen und Anregungen aufmerksamer Leser. Ihnen, besonders U. Witting danke ich herzlich. K¨oln, im April 2009 Klaus Lamotke. Hinweise zur Gliederung. Die 16 Kapitel sind in Paragraphen und diese in Abschnitte unterteilt. Zweistellige Hinweise beziehen sich auf ganze Paragraphen, z.B. 13.1, und dreistellige auf einzelne Abschnitte oder Aufgaben, z.B. 13.1.5 oder 13.7.6. Kleingedruckte Passagen enthalten historische Bemerkungen und Ausblicke, die Ausf¨ uhrung spezieller Beispiele und marginaler Bez¨ uge zum Haupttext sowie topologische Beweise, deren Methoden sonst nicht gebraucht werden.

Inhaltsverzeichnis

1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Riemannsche Fl¨achen und ihre Abbildungen . . . . . . . . . . . . . 1.2 Liftungs - und Quotientenprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Holomorphe Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ¨ 1.4 Endliche Abbildungen. Uberlagerungen .................. 1.5 Deckgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Meromorphe Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 2 7 11 14 17 20 22

2. Tori und elliptische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Elliptische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die ℘-Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Abelsches Theorem f¨ ur elliptische Funktionen . . . . . . . . . . . . 2.4 Die Entdeckung der elliptischen Funktionen . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Reduzierte Basen. Torusabbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Normale Abbildungen der Zahlenebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24 24 26 29 32 35 38 41

¨ 3. Fundamentalgruppe und Uberlagerungen ............... 3.1 Fundamentalgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Monodromie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ¨ 3.3 Holomorphe Uberlagerungen ........................... 3.4 Analytische Fortsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Abz¨ahlbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ¨ 3.6 Unverzweigte normale Uberlagerungen .................. ¨ 3.7 Konstruktion von Uberlagerungen ...................... 3.8 Die Fundamentalgruppe einer Vereinigung . . . . . . . . . . . . . . . 3.9 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43 43 47 52 53 55 58 60 62 66

¨ 4. Verzweigte Uberlagerungen ............................. 4.1 Orbitprojektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Endliche Automorphismengruppen der Zahlenkugel . . . . . . . 4.3 Diskontinuierliche Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Komplexe Mannigfaltigkeiten und Garben . . . . . . . . . . . . . . .

68 68 69 76 77

VIII

Inhaltsverzeichnis

4.5 4.6 4.7 4.8 4.9

Orbitfl¨achen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzweigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ¨ Verzweigte normale Uberlagerungen ..................... ¨ Universelle verzweigte Uberlagerungen ................... Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80 81 84 87 91

J - und λ-Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Modulgruppe und Modulbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reduktionstheorie bin¨arer Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die J-Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die λ-Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eigenschaften der λ-Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendungen der λ-Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Modulfl¨achen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93 93 97 99 103 106 109 112 115

6. Algebraische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ¨ 6.1 Funktionen auf endlichen Uberlagerungen ................ 6.2 Riemannsche Gebilde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Puiseux-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Minimalpolynome und Automorphismen . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Konsequenzen des Riemannschen Existenzsatzes . . . . . . . . . . 6.6 Funktionenk¨orper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.7 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

117 117 120 124 125 127 129 131

7. Differentialformen und Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Differentialformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Riemann-Hurwitzsche Formel. Automorphismen . . . . . . . . . . 7.3 Residuum. Invariante Formen. Spur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5 Die Abelsche Relation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6 Eine Charakterisierung der Tori . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.7 Homologie und Cohomologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.8 Logarithmische Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.9 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

133 134 137 140 143 145 147 149 151 153

8. Divisoren und Abbildungen in projektive R¨ aume . . . . . . . 8.1 Positive Divisoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Holomorphe Differentialformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Abbildungen in projektive R¨aume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Schnittdivisoren und Linearscharen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Multiplizit¨at. Schnittzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.6 Anzahl der Wendepunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.7 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

155 155 158 160 163 167 171 172

5. Die 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7 5.8

Inhaltsverzeichnis

IX

9. Ebene Kurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Projektive und affine Kurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Normalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Schnitt-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4 Singularit¨aten. Tangenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5 Die duale Kurve. Eine Formel von Clebsch . . . . . . . . . . . . . . . 9.6 Pl¨ uckersche Formeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.7 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

174 175 177 179 182 184 187 191

10. Harmonische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Die Poissonsche Integralformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Dirichletsches Randwertproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4 Subharmonische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5 Gelochte Fl¨achen. Abz¨ahlbarkeit der Topologie . . . . . . . . . . . 10.6 Greensche Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.7 Elementarpotentiale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.8 Der Abbildungssatz f¨ ur arme Fl¨achen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.9 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

194 195 198 201 203 205 208 210 213 215

11. Uniformisierung. Dreiecksgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Uniformisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Abelsche Fundamentalgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3 Der Satz von Poincar´e-Weyl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4 Dreiecksgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5 Dreiecksparkettierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.6 Das Kleinsche 14-Eck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.7 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

217 217 218 220 223 227 231 236

12. Polyederfl¨ achen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1 Fl¨achenkomplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Kombinatorische Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3 Fundamentalgruppe und Homologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4 Die Zerschneidung Riemannscher Fl¨achen . . . . . . . . . . . . . . . . 12.5 Riemannsche Periodenrelationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.6 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

238 238 243 246 249 251 254

13. Der 13.1 13.2 13.3 13.4

256 256 259 261 262

Satz von Riemann-Roch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beweis des Satzes von Riemann-Roch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die kanonische Abbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Darstellungen der Automorphismengruppe . . . . . . . . . . . . . . . Der Satz von Clifford . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

X

Inhaltsverzeichnis

13.5 Weierstraß-Punkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 13.6 Weitere Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 13.7 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 14. Der 14.1 14.2 14.3 14.4 14.5 14.6

Periodentorus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom Additionstheorem zum Periodentorus . . . . . . . . . . . . . . . Perioden. Abelsches Theorem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analytische Eigenschaften der Periodenabbildung . . . . . . . . . Symmetrische Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Linearscharen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

270 270 273 276 280 284 287

15. Die 15.1 15.2 15.3 15.4 15.5 15.6 15.7

de Rhamsche Cohomologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pfaffsche Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fl¨achenformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ringgebiete und Scheiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pfaffsche Formen auf kompakten Fl¨achen . . . . . . . . . . . . . . . . Hodge-Zerlegung und Periodenmatrix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normierte Differentialformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

289 290 292 294 297 300 302 304

16. Die 16.1 16.2 16.3 16.4 16.5 16.6 16.7

Riemannsche Thetafunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thetafunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Darstellung meromorpher Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionen mit exponentieller Singularit¨at . . . . . . . . . . . . . . . ¨ Uber das Verschwinden der Thetafunktionen . . . . . . . . . . . . . Der Torellische Satz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausblick: Abelsche Variet¨aten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

306 306 310 312 318 321 324 327

Literaturverzeichnis

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329

Namensverzeichnis

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Symbolverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342

2. Tori und elliptische Funktionen

Nach einer langen Vorgeschichte, die um 1650 mit Integralformeln f¨ ur die L¨ange eines Ellipsenbogens begann, wurden zu Beginn des 19. Jahrhunderts bei der Untersuchung solcher Integrale doppelt-periodische Funktionen entdeckt, welche Jacobi wegen ihrer Herkunft elliptisch nannte. Darunter versteht man auf C meromorphe Funktionen f , deren Werte sich bei den Translationen durch Elemente eines Gitters Ω wiederholen: f (z+ω) = f (z) f¨ ur alle z ∈ C und alle ω ∈ Ω . Die Theorie der elliptischen Funktionen geh¨ort zu den großen mathematischen Sch¨opfungen des 19. Jahrhunderts. Sie beeinflußte maßgeblich die gleichzeitige Entwicklung der allgemeinen Funktionentheorie und fand durch Weierstraß’ Vorlesungen eine bis heute g¨ ultige Gestalt. Eine elementare Darstellung, die keine Riemannsche Fl¨achen benutzt, enth¨alt Kapitel 5 in [FB].

2.1 Elliptische Funktionen Die elliptischen Funktionen zu einem Gitter Ω < C entsprechen umkehrbar eindeutig den meromorphen Funktionen auf dem Torus T := C/Ω . Dieses Wechselspiel erm¨oglicht elegante Schlußweisen, die bei Weierstraß und seinen Nachfolgern verp¨ont waren, da sie Riemannsche Fl¨achen ablehnten. Wie in 1.2.6 bezeichnet η : C → T die Torusprojektion. Sie ist eine normale, ¨ unverzweigte Uberlagerung, deren Deckgruppe D(η) aus allen Translationen C → C, z 7→ z + ω , f¨ ur ω ∈ Ω besteht. 2.1.1 Doppelt-periodische Funktionen. Eine Funktion in M(C) heißt Ω-periodisch, wenn f (z + ω) = f (z) f¨ ur alle z ∈ C und alle ω ∈ Ω gilt. Ohne das Gitter Ω zu nennen, spricht man auch von doppelt-periodischen Funktionen. Sie bilden einen Teilk¨orper MΩ (C) ⊂ M(C) . Mit f geh¨ort auch die Ableitung f ′ , ferner f (z + a) f¨ ur jedes a ∈ C und g ◦ f f¨ ur jede rationale Funktion g zu MΩ (C). Die Funktionen in MΩ (C) werden aus historischen Gr¨ unden, siehe 2.4, auch Ω-elliptisch oder kurz elliptisch genannt. Nach Satz 1.6.3 bildet die Liftung η ∗ : M(T ) → MΩ (C) , g 7→ g ◦ η , den K¨orper M(T ) isomorph auf MΩ (C) ab. Wenn f = g ◦ η ist, schreiben b eine endliche wir auch g = fˆ. F¨ ur nicht-konstante f ist fˆ : T → C ˆ ¨ Uberlagerung. Wir definieren den Grad grf := grf .

2.1 Elliptische Funktionen

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Satz. Jede nicht-konstante Ω-elliptische Funktion f hat einen Grad ≥ 2. b ein Isomorphismus. Denn sonst w¨are fˆ : C/Ω → C ¤

2.1.2 Funktionen vom Grad 2. Wenn eine Ω-elliptische Funktion f vom Grad 2 existiert, gibt es genau eine mit der Polstellenmenge Ω , deren Laurent-Reihe um 0 die Form z −2 + a2 z 2 + a4 z 4 + . . . hat. Diese Funktion wird nach Weierstraß mit ℘ bezeichnet. Ihre Existenz wird in 2.2 bewiesen. b ist surjektiv. Sie besitzt eine Nullstelle Beweis. Die Ableitung f ′ : C → C a . Dort hat f einen Windungspunkt. Durch Nachschalten einer M¨obiusTransformation erreichen wir f (a) = ∞ . Wir ersetzen f (z) durch f (z + a) . Wegen grf = 2 werden alle ω ∈ Ω zu doppelten Polstellen, und es gibt keine anderen Pole. Wir ersetzen f (z) durch f (z) + f (−z) . Dabei ¨andern sich die Pole nicht, und f wird eine gerade Funktion. Ihre Laurent-Reihe bei 0 hat die Gestalt a−2 z −2 + a0 + a2 z 2 + a4 z 4 + . . . mit a−2 6= 0 . Durch Subtraktion der Konstanten a0 und Division durch a−2 wird die gew¨ unschte Form erreicht.– Zur Eindeutigkeit: F¨ ur zwei Funktionen ℘ und ℘∗ hat ℘−℘∗ keine Pole, ist also konstant, und zwar = 0 . ¤ 2.1.3 Struktur des Funktionenk¨ orpers. Jede Funktion f ∈ MΩ (C) l¨ aßt sich eindeutig als f = u + v℘′ mit u, v ∈ C(℘) darstellen. Dabei ist f genau dann gerade, wenn v = 0 ist. Beweis. Sei f = u + w die eindeutige Darstellung als Summe einer geraden und einer ungeraden Funktion. Beide geh¨oren zu MΩ (C) . Die Ableitung ℘′ ist ungerade. Daher ist v := w/℘′ ∈ MΩ (C) gerade. F¨ ur jede gerade Funktion g ∈ MΩ (C) ist gˆ l¨angs der ℘-Fasern ˆ konstant. Nach 1.3.8 und 1.6.3 gibt es eine rationale Funktion R ∈ C(z) mit gˆ = R◦ ℘ˆ , d.h. g = R◦℘ , also g ∈ C(℘) . Mit g = u, v folgt die Behauptung. ¤ Folgerung. Die K¨ orpererweiterung von C(℘) zu MΩ (C) hat den Grad 2 . 2.1.4 Verzweigung und Differentialgleichung. F¨ ur jede Funktion b vier Win¨ f ∈ MΩ (C) vom Grade 2 hat die Uberlagerung fˆ : C/Ω → C ˆ b . Mit dungspunkte a1 , a2 , a3 , a4 mit verschiedenen Werten ej := f (aj ) ∈ C einer Konstanten c 6= 0 gilt (1) f ′2 = c(f − e1 )(f − e2 )(f − e3 )(f − e4 ), wenn e1 , e2 , e3 , e4 ∈ C , (2) f ′2 = c(f − e1 )(f − e2 )(f − e3 ), wenn e4 = ∞ . Beweis. Seien a1 , . . . , an die Windungspunkte. Wegen grf = 2 ist v(fˆ, aj ) = 2 , und alle Werte ej sind paarweise verschieden. Angenommen, kein ej ist ∞ . Dann hat fˆ zwei einfache ¡ ¢ Pole b1 6= b2 . Die von Null verschiedenen Werte des Hauptdivisors fb′ sind 1 bei a1 , . . . , an und −2 bei b1 , b2 . Da Hauptdivisoren den Grad Null haben, folgt n = 4 . Die beiden Funktionen (fb′ )2 und (fˆ − e1 ) · . . · (fˆ − e4 ) haben denselben Hauptdivisor. Daraus folgt ¨ (1). Ahnlich argumentiert man, wenn en = ∞ ist, und erh¨alt (2). ¤

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2. Tori und elliptische Funktionen

2.2 Die ℘-Funktion Die Existenz der ℘-Funktion beweisen wir P durch explizite Angabe ihrer Hauptteil-Reihe. Der naheliegende Ansatz ω∈Ω (z −ω)−2 f¨ uhrt nicht direkt zum Ziel, weil diese Reihe divergiert; man ben¨otigt konvergenzerzeugende Summanden. 2.2.1 Konstruktion. S¨amtliche Paare (ω1 , ω2 ) ∈ C2 , f¨ ur die Zω1 + Zω2 ein Gitter ist, bilden eine offene Menge D ⊂ C2 . (1) Zu jedem Kompaktum K in D existiert ein t > 0, so daß gilt |xω1 + yω2 |2 ≥ t(x2 + y 2 ) f¨ ur alle (x, y, ω1 , ω2 ) ∈ R2 × K . 2 Beweis. Die in (R \ (0, 0))×D stetige Funktion |xω1 + yω2 |2 /(x2 + y 2 ) hat auf S 1 × K ein Minimum t > 0 . Da sie homogen in x, y ist, folgt (1). ¤ P′ Wir bezeichnen mit die Summation u ¨ber alle Punkte ω 6= 0 des Gitters Ω = Zω1 + Zω2 . Grundlegend f¨ ur alles weitere ist folgendes Konvergenzlemma. Sei K ⊂ D kompakt und k > 1 reell. Dann gibt es eine Schranke M > 0 , so daß gilt: P′ −2k (2) |ω| < M f¨ ur alle (ω1 , ω2 ) ∈ K .

Beweis (nach [Wst] 5 , S. 117 ): Wegen x2 + y 2 ≥ |xy| folgt mit (1): |mω1 + nω2 |−2k ≤ t−k |mn|−k f¨ ur (ω1 , ω2 ) ∈ K und (m, n) ∈ Z2 \ {(0, 0)} . Die Reihe (2)Pwird also f¨ uP r alle (ω1 , ω2 ) ∈ K durch das Produkt konvergenter ∞ ∞ Reihen t−k ( 1 m−k ) · ( 1 n−k ) majorisiert. ¤

Konvergenzsatz. In C × D konvergiert folgende Reihe normal: ¶ X′ µ 1 1 1 − 2 . (3) ℘(z; ω1 , ω2 ) := 2 + z (z − ω)2 ω Beweis. Sei r > 0 und K kompakt in D . Die Menge der Paare m, n ∈ Z mit |mω1 + nω2 | < r + 1 f¨ ur alle (ω1 , ω2 ) ∈ K ist wegen (1) endlich. F¨ ur |z| ≤ r und |ω| ≥ r + 1 gilt: ¯ |2 − zω −1 | |z| 1 ¯¯ 3r(r + 1)2 1 ¯ = − ≤ . ¯ ¯ (z − ω)2 ω2 |1 − zω −1 |2 |ω|3 |ω|3 Nach (2) mit k := 23 konvergiert die Reihe also nach Fortlassen der endlich vielen Glieder mit |ω| < r + 1 normal in Er × K . ¤ Die durch (3) definierte Funktion heißt Weierstraßsche ℘-Funktion. Sie ist aufgrund der normalen Konvergenz meromorph in allen drei Variablen z, ω1 , ω2 im Bereich C×D ⊂ C3 . Da ℘(z; ω1 , ω2 ) neben z nur vom Gitter Ω abh¨angt, schreiben wir auch ℘(z; Ω) oder einfach ℘(z) bei festem Gitter.

2.2.2 Eigenschaften. Die Funktion ℘(z; Ω) ist gerade und Ω-periodisch vom Grad 2 . Alle Perioden von ℘ liegen in Ω . Es gilt ℘−1(∞) = Ω und (1)

℘(cz; cΩ) = c−2 ℘(z, Ω)

f¨ ur alle c ∈ C× .

2.2 Die ℘-Funktion

27

Die Ableitung ℘′ ist ungerade und Ω-periodisch vom Grad 3 . Sie lautet P (2) ℘′ (z; Ω) = −2 (z − ω)−3 . ω∈Ω

Beweis. Bis auf die Periodizit¨at von ℘(z) folgen alle Behauptungen aus 2.2.1(3), durch gliedweises Differenzieren. Die Ableitung ℘′ ist wegen (2) Ω-periodisch. Daher gilt ℘(z+ωj ) = ℘(z)+cj mit cj ∈ C f¨ ur die Gitterbasis ω1 , ω2 , insbesondere ℘(ωj /2) = ℘(−ωj /2)+cj . Da ωj /2 kein Pol ist und ℘ gerade ist, folgt cj = 0, d.h. ℘ ist Ω-periodisch. Wegen ℘−1 (∞) = Ω liegen alle Perioden in Ω. ¤ Nach dem Konvergenz-Lemma 2.2.1(2) sind alle Eisenstein-Reihen P′ −k (3) Gk := Gk (Ω) := ω , k = 3, 4 . . . absolut konvergent; f¨ ur ungerades k gilt Gk = 0. P∞ Wegen (1 − x)−2 = ν=1 νxν−1 erh¨alt man aus der ℘-Reihe 2.2.1(3) die Laurent-Entwicklung. F¨ ur alle z ∈ C× mit |z| < min {|ω| : ω ∈ Ω, ω 6= 0} gilt ∞ X 1 (2n − 1)G2n z 2n−2 . ¤ (4) ℘(z; Ω) = 2 + z n=2

¨ 2.2.3 Die Uberlagerung ℘ ˆ . Sei η : C → T := C/Ω die Torusprojektion zum Gitter Ω = Zω1 +Zω2 . Zu ℘(z) := ℘(z, Ω) ∈ MΩ (C) und der Ableitung ℘′ geh¨oren nach 2.1.1 ℘ˆ und ℘ˆ′ := (℘′ )ˆ in M(T ) .

b ist eine zweibl¨ ¨ Satz. Die Funktion ℘ˆ : T → C attrige Uberlagerung, deren Deckgruppe D(℘) ˆ aus der Identit¨ at und σ : T → T , σ(x) = −x, besteht. Die Windungspunkte von ℘ˆ sind die Fixpunkte von σ . Sie bilden die Untergruppe {x ∈ T : 2x = 0} < T mit den vier Elementen ¡ ¢ a1 := η( 21 ω1 ) , a2 := η( 21 ω2 ) , a3 := η 12 (ω1 + ω2 ) , a4 := η(0) . Sie liegen u ¨ber den vier paarweise verschiedenen Verzweigungspunkten ¡ ¢ e1 := ℘( 21 ω1 ) , e2 := ℘( 21 ω2 ) , e3 := ℘( 21 ω1 + ω2 ) , e4 := ℘(0) = ∞ . Beweis. Da ℘ gerade ist und den Grad 2 hat, ist ℘ˆ zweibl¨attrig und normal mit der Deckgruppe {id, σ} . Daher sind die Verzweigungspunkte von ℘ˆ genau die Fixpunkte von σ , d.h. die oben angegebenen Punkte aj . Wegen gr ℘ˆ = 2 k¨onnen verschiedene Windungspunkte nicht denselben ℘-Wert ˆ haben. Da Ω die Polstellenmenge von ℘ ist, folgt ℘(0) = ∞ . ¤ Die Halbperiodenwerte e1 , e2 , e3 ∈ C sind bis auf die Reihenfolge eindeutig durch das Gitter Ω bestimmt. 2.2.4 Differentialgleichungen. Die ℘-Funktion erf¨ ullt die beiden Differentialgleichungen (1) ℘′ 2 = 4(℘ − e1 )(℘ − e2 )(℘ − e3 ) , ′2 3 (2) ℘ = 4℘ − g2 ℘ − g3 mit g2 := 60 G4 , g3 := 140 G6 . Dabei sind e1 , e2 , e3 die Halbperiodenwerte und G4 , G6 die Werte der Eisenstein-Reihen 2.2.2(3).

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2. Tori und elliptische Funktionen

Beweis. (1) Die Funktionen (℘ˆ′ )2 und (℘ˆ − e1 )(℘ˆ − e2 )(℘ˆ − e3 ) haben denselben Hauptdivisor mit dem Tr¨ager {a1 , a2 , a3 , a4 } und den Werten 2 in a1 , a2 , a3 sowie −6 in a4 . Daher gilt ℘′ 2 = c(℘ − e1 )(℘ − e2 )(℘ − e3 ) mit einem Faktor c ∈ C× . Der Vergleich der Koeffizienten von z −6 in den Laurent-Entwicklungen ℘3 = z −6 + . . . und ℘′2 = 4z −6 + . . . gibt c = 4 . Zu (2). Aus der Laurent-Reihe 2.2.2(4) von ℘ folgt ℘′ (z) = −2 z −3 + 6 G4 z + 20 G6 z 3 + . . . und 9G4 4 24G4 1 ℘3 = 6 + 2 + 15G6 + . . . , ℘′ 2 = 6 − 2 − 80G6 + . . . z z z z P Daher ist ℘′ 2 − 4 ℘3 + 60 G4 ℘ = −140 G6 + n≥1 an z n . Die elliptische Funktion auf der rechten Seite hat keine Pole und ist also konstant. ¤ Aus (2) entsteht durch Differenzieren: (3) ℘′′ = 6℘2 − 12 g2 = 6℘2 − 30G4 .

2.2.5 Relationen zwischen g2 , g3 und e1 , e2 , e3 . Da ℘ nicht konstant ist, folgt aus beiden Differentialgleichungen die Polynom-Identit¨at (1) 4X 3 − g2 X − g3 = 4(X − e1 )(X − e2 )(X − e3 ) . Der Koeffizientenvergleich gibt: (2) e1 + e2 + e3 = 0 , e1 e2 + e2 e3 + e3 e1 = − 41 g2 , e1 e2 e3 = 14 g3 . Elementares Rechnen f¨ uhrt zur Diskriminantenformel (3) ∆(g2 , g3 ) := g23 − 27g32 = 16(e1 − e2 )2 (e2 − e3 )2 (e3 − e1 )2 6= 0 . Aus (2) und (3) folgt 3 2 2 2 (4) 2 g2 = (e1 − e2 ) + (e2 − e3 ) + (e3 − e1 ) . 2.2.6 Gitter-Invarianten. Wenn man in ℘′′ + 30G4 = 6℘2 die LaurentReihe der ℘-Funktion eintr¨agt, entsteht P 2n−4 + 30G4 = n≥2 (2n − 1)(2n − 2)(2n − 3)G2n z P P 2n−4 + 6 p,q≥2 (2p − 1)(2q − 1)G2p G2q z 2p+2q−4 . 12 n≥2 (2n − 1)G2n z Der Koeffizientenvergleich f¨ uhrt f¨ ur n ≥ 4 zur Rekursionsformel P (1) (n − 3)(2n + 1)(2n − 1)G2n = 3 · p,q≥2 (2p − 1)(2q − 1)G2p G2q . p+q=n

Mit ihr kann man aus G4 und G6 alle Koeffizienten G2n berechnen, z.B. 7G8 = 3G24 , 11G10 = 5G4 G6 , also G2n ∈ Q[ G4 , G6 ] = Q[ g2 , g3 ] f¨ ur n ≥ 2 . Wir nennen g2 = 60 G4 und g3 = 140 G6 Gitterinvarianten, siehe 2.2.4(2), und schreiben gj = gj (Ω) , um die Abh¨angigkeit vom Gitter zu betonen. (2) g2 (cΩ) = c−4 g2 (Ω) und g3 (cΩ) = c−6 g3 (Ω) f¨ ur c ∈ C× , ∗ ∗ (3) g2 (Ω) = g2 (Ω ) und g3 (Ω) = g3 (Ω ) ⇔ Ω = Ω ∗ . Beweis. Aus den Eisenstein-Reihen 2.2.2(3) f¨ ur Gk folgt (2). Wegen der Rekursion (1) f¨ ur die Laurent-Koeffizienten ist ℘ und damit Ω = ℘−1 (∞) durch g2 und g3 eindeutig bestimmt, wie in (3) behauptet wird. ¤

2.3 Abelsches Theorem f¨ ur elliptische Funktionen

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2.2.7 Jacobisches Problem. Folgende Aussagen sind a ¨quivalent: b ist der Verzweigungsort einer ellipti(1) Jede vierpunktige Menge M ⊂ C schen Funktion vom Grad zwei. (2) F¨ ur jedes Polynom P (w) dritten oder vierten Grades mit einfachen Nullstellen besitzt die Differentialgleichung w′ 2 = P (w) eine elliptische Funktion vom Grad 2 als L¨ osung. (3) Jede Differentialgleichung w′ 2 = 4w3 − a2 w − a3 mit a32 6= 27a23 besitzt eine ℘-Funktion als L¨ osung. Beweis. (1)⇒(2). Sei M die Nullstellenmenge von P ; f¨ ur gr P = 3 sei zus¨atzlich ∞ ∈ M . Es gibt eine elliptische Funktion f zweiten Grades mit dem Verzweigungsort M . Nach 2.1.4 gilt f ′2 = a2 P (f ) mit a ∈ C× . Dann ist f (z/a) eine gesuchte Funktion. (2)⇒(3). Wegen a32 6= 27a23 hat das Polynom 4w3 − a2 w − a3 drei einfache Nullstellen in C . Daher gibt es eine elliptische Funktion f zweiten Grades, welche die Differentialgleichung l¨ost. Sei a ein Pol von f , also o(f ′ , a) = o(f, a) − 1 . Wegen der Differentialgleichung folgt o(f, a) = −2 . Wir ersetzen f (z) durch f (z − a) . Dabei ¨andert sich die Differentialgleichung nicht, das Periodengitter Ω von f wird zur Polstellenmenge, und die Laurent-Enwicklung von f bei 0 beginnt mit z −2 . F¨ ur ℘ := ℘(−, Ω) hat b := f −℘ einen Grad ≤ 1 und ist daher konstant. Der Vergleich von (℘′ )2 = 4(℘ + b)3 − a2 (℘ + b) − a3 mit (℘′ )2 = 4℘3 − g2 ℘ − g3 gibt b = 0 und gj = aj . (3)⇒(1). Es gibt eine M¨obius-Transformation, die M auf eine Menge M ∗ = {e1 , e2 , e3 , ∞} mit e1 + e2 + e3 = 0 abbildet. Es gen¨ ugt, die Behauptung f¨ ur M ∗ zu beweisen. Die Koeffizienten des Polynoms 4w3 − a2 w − a3 := 4(w −e1 )(w −e2 )(w −e3 ) erf¨ ullen a32 6= 27a23 , weil seine Nullstellen paarweise verschieden sind. Die ℘-Funktion hat den Verzweigungsort M ∗ . ¤ Das Jacobische Problem f¨ ur elliptische Funktionen fragt, ob die Aussagen (1) -(3) zutreffen. Es hat f¨ ur die Entwicklung der Funktionentheorie im 19. Jahrhundert eine wichtige Rolle gespielt, siehe 2.4.3, 5.3.4 und 5.4.5 f¨ ur historische Bemerkungen. F¨ ur die Antwort ja“ gibt es heute viele Beweise, von ” denen wir drei in sp¨ateren Kapiteln ausf¨ uhren, siehe 5.3.4, 7.6.3 und 14.3.1.

2.3 Abelsches Theorem f¨ ur elliptische Funktionen Kein Torus T ist zur Zahlenkugel isomorph. Nach 1.6.5(4) muß daher jeder Hauptdivisor D auf T außer grD = 0 zus¨atzliche Bedingungen erf¨ ullen. Wir finden sie durch Integration u ¨ber den Rand des Parallelogramms in Figur 2.3.1 a.– Sei Ω ein Gitter. Sei η : C → C/Ω =: T die Projektion. 2.3.1 Parallelogramme. Jeder Punkt c ∈ C zusammen mit einer Basis ω1 , ω2 von Ω bestimmt das halb-offene Parallelogramm (Figur 2.3.1 a)

30

2. Tori und elliptische Funktionen

c+w 1+w 2

c+w 2

Fig. 2.3.1 a. Das Parallelogramm zur Gitterbasis ω1 , ω2 mit der Ecke c ist der Ausgangspunkt zur Herstellung eines Torus. Man muß beliebige Parallelogramme und nicht nur Rechtecke betrachten, um alle Tori mit ihren verschiedenen komplexen Strukturen zu erreichen.

c+w1 c

1 1

4 2

44

3

2

3

1 1

3 3 2

2

4

4 Fig. 2.3.1 b. Herstellung des Torus aus einem Rechteck durch Randverheftungen.

P := {c + t1 ω1 + t2 ω2 : t1 , t2 ∈ (0, 1]} .

Die Projektion η bildet P bijektiv auf T ab. Alle vier Ecken der abgeschlos¨brigen Randpunkte werden senen H¨ ulle P haben denselben Bildpunkt. Die u durch η paarweise identifiziert, η(c + tω1 ) = η(c + tω1 + ω2 ) und η(c + tω2 ) = η(c + ω1 + tω2 ) . Figur 2.3.1 b zeigt, wie bei einem rechteckigen Gitter der Torus C/Ω aus dem Rechteck P durch Randverheftungen entsteht.

2.3.2 Abelsche Relation. Sei g ∈ M(T ) eine Funktion mit den Nullstellen a1 , . . . , an und den Polstellen b1 , . . . , bn , wobei jede so oft notiert ist, wie ihre Vielfachheit angibt. In der abelschen Gruppe T gilt dann (1)

a1 + . . . + an = b1 + . . . + bn .

2.3 Abelsches Theorem f¨ ur elliptische Funktionen

31

Beweis (nach [HC], S. 159). Wir w¨ahlen ein Parallelogramm P ⊂ C gem¨aß 2.3.1, so daß der Rand ∂P die Null- und Polstellen von f := g ◦ η nicht trifft. Dann gibt es zu jedem aj und bj genau ein αj bzw. βj ∈ P mit η(αj ) = aj und η(βj ) = bj . Aus dem Residuensatz folgt Z X X f ′ (z) dz = 2πi( αj − βj ) , I := z f (z) ∂P siehe [Re 1], Abschnitt 13.2.1. Wegen der Periodizit¨at von f ist c+ω c+ω Z 1 ′ Z 2 ′ f (z) f (z) dz − ω2 dz ∈ 2πiΩ ; I = ω1 f (z) f (z) c

c

denn die Integralwerte liegen in 2πiZ . ¤ F¨ ur einen anderen Beweis ohne Integrale siehe Aufgabe 3.9.6.– Die Abelsche Relation wird in 7.5.3 zu Integralrelationen f¨ ur beliebige kompakte Fl¨achen verallgemeinert. Um jede Vorgabe von Null- und Polstellen, welche die Relation (1) erf¨ ullt, durch eine Funktion f ∈ M(T ) zu realisieren, benutzen wir folgende SigmaFunktion. 2.3.3 Q Die Sigma-Funktion zum Gitter Ω wird durch ein unendliches Pro′ dukt u ¨ber alle ω ∈ Ω \{0} definiert: ¡ ¢ Q′ Q′ (1) σ(z) := z (1 − z/ω) exp z/ω + 12 (z/ω)2 = z E(z/ω) mit (2) E(z) := (1 − z)exp (z + z 2 /2) . Satz. Das Produkt konvergiert auf C normal gegen eine ganze Funktion. Sie hat in den Punkten ω ∈ Ω einfache und außerhalb von Ω keine Nullstellen. P′ Beweis. Es gen¨ ugt, die normale Konvergenz der Reihe [E(z/ω) − 1] nachzuweisen. Diese folgt wegen der Absch¨atzung

(3) |E(z) − 1| ≤ |z|3 f¨ ur |z| ≤ 1 aus dem Konvergenzlemma in 2.2.1. Der Beweis zu (3) geht von der Ableitung E ′ (z) = −z 2 exp(z + z 2 /2) aus. Alle Koeffizienten in der Taylor-Reihe von exp(z + z 2 /2) sind positiv. Daher gilt P∞ P∞ E ′ (z) = − n=3 nbn z n−1 , also E(z) = 1 − n=3 bn z n mit bn ≥ 0 . P P F¨ ur |z| ≤ 1 folgt |1 − E(z)| ≤ |z|3 bn = |z|3 wegen 0 = E(1) = 1 − bn .

2.3.4 Die Zeta-Funktion ist die logarithmische Ableitung µ ¶ 1 1 z 1 X′ ′ + + . (1) ζ(z) := σ (z)/σ(z) = + z z − ω ω ω2 Diese Reihe konvergiert auf C normal. Durch gliedweises Differenzieren folgt (2) ℘(z) = −ζ ′ (z) .

Da die Ableitung von ζ(z + ω) − ζ(z) verschwindet, gilt (3) ζ(z + ω) = ζ(z) + h(ω) .

32

2. Tori und elliptische Funktionen

Dabei ist h : Ω → C ein additiver Homomorphismus. F¨ ur die SigmaFunktion folgt mit einer weiteren Abbildung k : Ω → C , welche kein Homomorphismus ist, die ¡ ¢ Periodenrelation σ(z+ω) = σ(z) · exp h(ω)z + k(ω) f¨ ur z ∈ C, ω ∈ Ω . Beweis. Die logarithmische Ableitung von σ(z + ω)/σ(z) hat den konstanten Wert = h(ω) . Daraus folgt die Behauptung. ¤ 2.3.5 Vorgabe der Null- und Polstellen. Es seien endlich viele Punkte a1 , . . . , aq ∈ C gegeben, deren Bilder η(a1 ), . . . , η(aq ) ∈ T paarweise verschieden sind. Jedem aj sei eine Ordnung nj ∈ Z, nj 6= 0 , zugeordnet. Es sei n1 + · · · + nq = 0 und ω := n1 a1 + · · · + nq aq ∈ Ω . Dann ist q σ(z + ω) Y σ(z − aj )nj f (z) := σ(z) j=1

eine Ω-elliptische Funktion mit den Ordnungen o(f, z) = nj f¨ ur z ∈ aj + Ω und o(f, z) = 0 f¨ ur z ∈ / {a1 , . . . , aq }+Ω . Beweis. Aus der Periodenrelation ur σ folgt f ∈ MΩ (C) . Der Vorfaktor ¡ ¢f¨ σ(z + ω)/σ(z) = exp h(ω)z + k(ω) hat keine Null- und Polstellen. ¤

2.3.6 Abelsches Theorem. Ein Divisor D auf dem Torus T ist genau dann ein Hauptdivisor, wenn gilt: P P grD := D(x) = 0 und D(x) · x = 0 . x∈T

x∈T

Beweis. Sei {b1 , . . . , bq } ⊂ T der Tr¨ager von D . Wir w¨ahlen je einen Punkt aj ∈ η −1 (bj ) und setzen nj := D(bj ) . Dann sind die Voraussetzungen in 2.3.5 erf¨ ullt. Die dort angegebene elliptische ¡ ¢ Funktion f bestimmt die Funktion fˆ ∈ M(T ) mit den Hauptdivisor fˆ = D . ¤ Das Abelsche Theorem l¨aßt sich nach einem umfangreichen Ausbau der Theorie auf beliebige kompakte Fl¨achen u ¨bertragen, siehe 14.2.4.

2.4 Die Entdeckung der elliptischen Funktionen Wir beschr¨ anken uns auf einige H¨ ohepunkte der Entdeckungsgeschichte. Eine ausf¨ uhrliche Darstellung findet man im Beitrag Elliptische Funktionen und Abelsche Integrale von C. Houzel zu [Di 1].

2.4.1 Elliptische Integrale. Mit der Darstellung von Kurvenl¨angen durch Integrale befaßten sich in der zweiten H¨ alfte des 17. Jahrhunderts viele Mathematiker. Dabei stieß man f¨ ur die Ellipse x2 /a2 + y 2 /b2 = 1 auf Zx r 2 b2 a − k 2 u2 du mit k2 = 1 − 2 (1) 2 2 a −u a 0

2.4 Die Entdeckung der elliptischen Funktionen

b °

(x,y) · x·

33

(x,y) ·

·

a

P

r °

·

Q

Fig. 2.4.1. Ellipse und Lemniskate. als L¨ ange des Bogens zwischen den Punkten (0, b) und (x, y) . Wallis (1655) und Newton (1669) kannten die Formel (1). Von ¨ ahnlichem Typ, aber etwas einfacher, ist das Integral f¨ ur die L¨ ange des Lemniskatenbogens, mit dem sich Jakob und Johann Bernoulli ab 1679 besch¨ aftigten: Die Lemniskate ist der geometrische Ort aller ande von denp Punkten √ Punkte in der (x, y)-Ebene, deren Abst¨ √ (−1/ 2, 0) und (1/ 2, 0) das konstante Produkt 1/2 haben. Mit r := x2 + y 2 wird die Lemniskate durch (2) 2x2 = r2 − r4 2y 2 = r2 + r4 in Parameterform dargestellt. Das ergibt f¨ ur die Bogenl¨ ange die Formel Zr du √ (3) L(r) = . 1 − u4 0

Man fand bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts noch eine ganze Reihe von Problemen aus der Geometrie und Mechanik, die auf Integrale vom Typ R (4) R(u, v)du f¨ uhren, wobei R eine rationale Funktion ist und v 2 = P (u) mit einem Polynom 3. oder 4. Grades gilt. Schon fr¨ uh erkannte man, daß solche Integrale nicht elementar berechnet werden k¨ onnen: Stammfunktionen des Integranden lassen sich nicht rational aus elementaren Funktionen zusammenzusetzen. Nach dem Prototyp (1) b¨ urgerte sich f¨ ur (4) der Name elliptische Integrale ein. Aufbauend auf Ergebnissen von Euler und Lagrange stellte Legendre 1793 eine Liste von grundlegenden elliptischen Integralen zusammen, aus denen alle anderen durch Transformationen gewonnen werden k¨ onnen. F¨ ur das Polynom P benutzte er dabei die Normalform (5) P (u) = (1 − c2 u2 )(1 ± k2 u2 ) , die auch in (1) auftritt, wenn man dort den Integranden als a2 − k 2 u 2 p (a2 − k2 u2 )(a2 − u2 ) schreibt.– Fagnanos (1716) Verdoppelung des Lemniskatenbogens, 4t2 (1 − t4 ) , (6) L(r) = 2L(t) f¨ ur r 2 = (1 + t4 )2 f¨ uhrte zu Fortschritten in einer anderen Richtung. Euler verallgemeinerte dieses Ergebnis 1753 zu einem Additionstheorem, siehe [Eu] XX, S. 58-79: p √ x 1 − y 4 + y 1 − x4 . (7) L(z) = L(x) + L(y) f¨ ur z = 1 + x2 y 2

34

2. Tori und elliptische Funktionen

2wi

°

w+ ° · ´ · ´ ° ´ · ´ · w°-

°

2w Fig. 2.4.2. Das Periodengitter Zω+ + Zω− des lemniskatischen Sinus. In dem von ω+ und ω− aufgespannte Quadrat sind die Nullstellen ◦ , die Polstellen • und die Windungspunkte × angegeben.

2.4.2 Lemniskatischer Sinus. C. F. Gauss befaßte sich seit Januar 1797 mit der Lemniskate und betrachtete den Abstand r (mit negativem Vorzeichen in der linken Halbebene) als Funktion der Bogenl¨ ange ϕ , also die Umkehrfunktion zu ϕ = L(r) . Er nannte sie lemniskatischen Sinus r = sl ϕ in Analogie zur Kreisfunktion Sinus. Offenbar ist sl eine (reelle) ungerade periodische Funktion mit Werten zwischen −1 und +1 . Die Periode ist die Gesamtl¨ ange der Lemniskate 4L(1) = 12 πΓ (1/4)2 ; Gauss berechnete sie bis zur 24ten Stelle hinter dem Komma.– Als Umkehrfunktion von L erf¨ ullt sl die Differentialgleichung (sl′ )2 = 1 − sl4 . Wenn man dies mit dem Eulerschen Additionstheorem kombiniert, erh¨ alt man das Additionstheorem slu · sl′ v + sl′ u · slv . (1) sl(u + v) = 1 + sl2 u · sl2 v In der Hoffnung, eine bemerkenswerte unendliche Reihe zu entdecken, berechnete Gauss die Taylor-Reihe von sl . Da der Weg durchs Komplexe Rechenvorteile versprach, setzte er sl(iy) := i · sly und definierte im Einklang mit (1) die erste doppelt-periodische meromorphe Funktion slx · sl′ y + i sl′ x · sly (2) sl(x + iy) := . 1 − sl2 x · sl2 y Man kann dies leicht verifizieren: Sei ω := 2L(1) . Da die reelle Funktion sl die Periode 2ω hat, ergeben sich bei der komplexen Funktion direkt die Perioden 2ω und 2ωi . In Wirklichkeit ist das Periodengitter Ω engmaschiger: Bereits ω± := (1 ± i)ω sind Perioden, also Ω = Zω+ + Zω− , siehe Figur 2.4.2. Mit den Cauchy-Riemannschen Differentialgleichungen pr¨ uft man nach, daß sl außerhalb der Nullstellen des Nenners von (2) holomorph ist. Die Nullstellenmenge ist {0, ω} + Ω , die Polstellenmenge {± 12 ω+ , ± 12 ω− } + Ω . Alle Null- und Polstellen sind einfach. Die Windungspunkte sind die Nullstellen der Ableitung sl′ . Sie liegen also dort, wo sl4 z = 1 ist. Das sind die Punkte {± 12 ω , ± 2i ω} + Ω . Alle Windungszahlen sind = 2, weil sl′′ = −2sl3 in den Windungspunkten 6= 0 ist. Der Verzweigungsort von sl ist µ4 = {±1, ±i} . Da es zwei einfache Polstellen modulo Ω gibt, hat sl den Grad 2. Diese Ergebnisse stehen bei Gauss zum Teil nur zwischen den Zeilen. Er berechnet die Taylor-Reihe von sl , stellt sl = P/Q als Quotienten ganzer Funktionen dar und berechnet f¨ ur P und Q die Taylorreihen sowie unendliche Produktdarstellungen. Er trug seine Entdeckungen am 19.03.1797 in sein Tagebuch ein, siehe [Ga] 10,1; no. 51, 60, 63. Zwei Jahre sp¨ ater (In der Zwischenzeit promoviert er mit einem Beweis

2.5 Reduzierte Basen. Torusabbildungen

35

des Fundamentalsatzes der Algebra) dehnte er seine Untersuchung auf allgemeinere elliptische Integrale Z dx p (3) (1 − x2 )(1 ± µ2 x2 ) aus, siehe [Ga] 3, S. 404 ff. Von allen Entdeckungen ver¨ offentlichte er nichts. Crelle bat ihn dreißig Jahre sp¨ ater um einen Beitrag u ¨ber elliptische Funktionen f¨ ur sein Journal. Gauss lehnte ab; mittlerweile habe Abel denselben Weg eingeschlagen und dieselben Ergebnisse scharfsinnig und elegant erzielt.

2.4.3 Von Abel bis Weierstraß. Abel und Jacobi studierten ab 1827 zun¨achst unabh¨ angig und bald in gegenseitiger Kenntnis voneinander das Integral 2.4.2(3) als Funktion der oberen Integrationsgrenze. Sie hatten wie Gauss die Idee, die Umkehrfunktion zu bilden und sie ins Komplexe fortzusetzen. Dabei entdeckten sie wieder wie Gauss dreißig Jahre zuvor, daß doppelt-periodische Funktionen entstehen. Jacobi nannte sie elliptische Funktionen, eine Bezeichnung, die sich trotz Legendres Protest durchsetzte. Die Umkehrung des Integrals 2.4.2(3) entspricht der L¨ osung der Differentialgleichung x′2 = (1 − x2 )(1 − µ2 x2 ) durch elliptische Funktionen. Jacobi gelang die L¨ osung nur f¨ ur reelle µ ∈ (−1, 1) , vgl. 5.4.5. Er konnte die Frage, ob alle komplexen µ 6∈ {0, ±1} zul¨ assig sind, nicht beantworten. In der Tat ist das L¨ osungsproblem zum Jacobischen Problem 2.2.7 ¨ aquivalent, siehe Aufgabe 2.7.4. Die direkte Untersuchung doppelt-periodischer Funktionen zu vorgegebenem Gitter und nicht als Umkehrung elliptischer Integrale begann mit Liouville (1844) und Eisenstein (1847). Liouville entdeckte, daß nicht-konstante doppelt-periodische Funktionen einen Grad ≥ 2 haben. Er gab solche Funktionen durch unendliche Reihen trigonometrischer Funktionen an. Die Konstruktionsidee f¨ uP r die ℘-Funktion −n stammt von Eisenstein. Er bewies die absolute Konvergenz von f¨ ur ω (z − ω) n > 2 und machte diese Reihe auch f¨ ur n = 2 durch eine passende Summationsvorschrift konvergent. Eisensteins Verdienste werden in [Wil 1] gew¨ urdigt. Weierstraß hat seine endg¨ ultige Theorie der elliptischen Funktionen nie publiziert. Die wesentlichen Teile diktierte er 1863. Andere trug er nur in Vorlesungen vor, siehe [Wst] 5. Er begann mit dem schwierigeren Teil, n¨ amlich die Differentialgleichung (x′ )2 = 4x3 − g2 x − g3 f¨ ur vorgegebene komplexe Zahlen g2 , g3 durch eine doppeltperiodische Funktion ℘ zu l¨ osen, deren Perioden erst gefunden werden m¨ ussen. Damit l¨ oste er das Jacobische Problem. Umgekehrt konstruierte er die ℘-Funktion zu vorgegebenen Perioden. Eine wichtige Rolle in seiner Darstellung spielen seine Funktionen σ(z) und ζ(z), die wir in 2.3.3-4 benutzten.

2.5 Reduzierte Basen. Torusabbildungen Mit der Exponentialfunktion, den Torusprojektionen C → C/Ω und den ℘-Funktionen lassen sich alle normalen Abbildungen C → X angeben, siehe 2.6. Daß es keine anderen M¨oglichkeiten gibt, liegt an einem Ergebnis u ¨ber lokal endliche Untergruppen der additiven Gruppe C , das im ersten Abschnitt bewiesen wird. Die weiteren Abschnitte behandeln die Darstellung von Torusabbildungen durch lineare Funktionen.

36

2. Tori und elliptische Funktionen

2.5.1 Reduzierte Basen. Jede additive, lokal endliche Untergruppe Ω 6= 0 von C ist unendlich zyklisch oder ein Gitter. Genauer gilt: Sei ω2 ∈ Ω \ {0} ein Element von minimalem Betrag. Aus Ω ⊂ R ω2 folgt Ω = Z ω2 .– Wenn Ω 6⊂ R ω2 ist, sei ω1 ∈ Ω \ R ω2 ein Element minimalen Betrages. Dann ist Ω = Z ω1 + Z ω2 , und f¨ ur τ := ω1 /ω2 ∈ H gilt (1)

Im τ > 0 , |τ | ≥ 1 , |Re τ | ≤

1 2

.

Beweis. Sei Ω ⊂ R ω2 . Dann gibt es zu jedem ω ∈ R ω2 ein ω ′ ∈ Z ω2 ⊂ Ω , so daß |ω − ω ′ | ≤ 21 |ω2 | ist. Im Falle ω ∈ Ω ist ω − ω ′ ∈ Ω , also ω = ω ′ ∈ Zω2 .– Wenn Ω 6⊂ R ω2 ist, liegt jeder Punkt ω ∈ C in einem Parallelogramm, dessen Ecken zu Z ω1 +Z ω2 geh¨oren und dessen Diagonalen die L¨angen |ω1 ±ω2 | haben. Daher gibt es ein ω ′ ∈ Z ω1 +Z ω2 , n¨amlich eine Ecke des Parallelogramms, so daß |ω −ω ′ | ≤ 21 |ω1 ±ω2 | < 21 |ω1 |+ 12 |ω2 | ≤ |ω1 | gilt. Weil ω1 und ω2 reell linear unabh¨angig sind, ist die zweite Ungleichung strikt. F¨ ur ω ∈ Ω folgt aus der Ungleichung ω − ω ′ ∈ Ω ∩ R ω2 = Z ω2 . Zu (1). Wegen |ω1 | ≥ |ω2 | ist |τ | ≥ 1 . Aus ω1 ± ω2 ∈ Ω \ R ω2 folgt |ω1 ± ω2 | ≥ |ω1 | , also |τ ± 1| ≥ |τ | ; das ist zu |Re τ | ≤ 12 ¨aquivalent. ¤ Jede Gitterbasis (ω1 , ω2 ) , deren Modul τ := ω1 /ω2 die Ungleichungen (1) erf¨ ullt, heißt reduziert. Durch (1) wird der Modulbereich beschrieben, siehe Figur 5.1.3. Er bildet einen Grundstein der Modultheorie (Kapitel 5), die u.a. eine L¨osung des Jacobischen Problems liefert. Zun¨achst interessiert nur die ¨ Folgerung. Bei jeder unverzweigten, normalen Uberlagerung η : C → X, die kein Isomorphismus ist, besteht die Deckgruppe D(η) aus Translationen z 7→ z + ω , wobei die Elemente ω eine unendlich zyklische Untergruppe oder ein Gitter Ω in der additiven Gruppe C bilden. Im ersten Fall ist X zu C× und im zweiten Fall zum Torus C/Ω isomorph. Beweis. Die Deckgruppe D(η) besteht aus Transformationen z 7→ az + b. Sie haben keine Fixpunkte, weil η unverzweigt ist. Daher ist stets a = 1 , und alle b bilden die additive, lokal endliche Untergruppe η −1(0) < C . Diese ist eine unendlich zyklische Gruppe Zω , oder ein Gitter Ω . Im ersten Fall induziert die Funktion C → C× , z 7→ exp(2πiz/ω) , und im zweiten Fall die TorusProjektion C → C/Ω einen Isomorphismus X → C× bzw. X → C/Ω . ¤ 2.5.2 Affine Torusabbildungen. Seien Ω und Ω ∗ zwei Gitter. Eine holomorphe Funktion f : C → C induziert genau dann eine holomorphe Abbildung ϕ : C/Ω → C/Ω ∗ , ϕ(z + Ω) := f (z)+Ω ∗ , wenn f (z) = az+b affin und aΩ < Ω ∗ ist. Genau dann, wenn aΩ = Ω ∗ gilt, ist ϕ biholomorph. Beweis. Ist f (z) = az + b und aΩ < Ω ∗ , so induziert f nach dem Faktorisierungssatz 1.3.8 die holomorphe Abbildung ϕ . Sie ist genau dann bijektiv, also biholomorph, wenn aΩ = Ω ∗ gilt. Umgekehrt induziere f ∈ O(C) eine holomorphe Abbildung ϕ . Dann gilt f (z+ω)−f (z) ∈ Ω ∗ f¨ ur jedes ω ∈ Ω . Weil f stetig und Ω ∗ lokal endlich ist, h¨angt die Differenz nur von ω und nicht von z ab. F¨ ur die Ableitung folgt

2.5 Reduzierte Basen. Torusabbildungen

37

f ′ (z + ω) = f ′ (z) ; d.h. f ′ ist Ω-periodisch und holomorph, also konstant. Daher ist f (z) = a z+b linear. Aus aω = f (z+ω)−f (z) ∈ Ω ∗ folgt aΩ < Ω ∗ . ¨ Der Beweis der letzten Behauptung ist eine Ubungsaufgabe. ¤ Wir nennen die durch f (z) = az + b induzierten Torusabbildungen ϕ affin. Aus dem Monodromiesatz wird folgen, daß jede holomorphe Torusabbildung affin ist, siehe 3.3.2. 2.5.3 Isomorphismen und Automorphismen. Zwei Gitter Ω und Ω ∗ heißen a ¨quivalent, wenn aΩ = Ω ∗ f¨ ur ein a ∈ C× gilt. Aus 2.5.2 folgt: (1) Die Tori C/Ω und C/Ω ∗ zu zwei a ¨quivalenten Gitter sind als Riemannsche Fl¨ achen isomorph. (2) Die affinen Automorphismen des Torus C/Ω sind genau die Abbildungen z + Ω 7→ az + b + Ω f¨ ur a, b ∈ C mit aΩ = Ω . ¤

Automorphismen der Form z +Ω 7→ z +b+Ω heißen Torustranslationen. Sie bilden eine abelsche Untergruppe von Aut(C/Ω), welche transitiv operiert. Die Translationen 6= id haben keine Fixpunkte. 2.5.4 Quadratische und hexagonale Gitter. Die Symmetriegruppe S(Ω) := {a ∈ C : aΩ = Ω} < C× eines Gitter Ω ist die Gruppe der Einheitswurzeln µ2 , µ4 oder µ6 . Beweis. Wir w¨ahlen 0 6= ω ∈ Ω von minimalem Betrag. Aus a ∈ S(Ω) folgt |aω| ≥ |ω| und |a−1 ω| ≥ |ω| , also |a| = 1 , d.h. S(Ω) < S 1 . Wenn ♯S(Ω) > 6 ist, gibt es zwei Elemente a 6= b in S(Ω) , so daß |a − b| < 1 ist. Dann w¨are 0 6= (a−b)ω ∈ Ω , aber |(a−b)ω| < |ω| . Das ist ein Widerspruch. Somit ist ♯S(Ω) ≤ 6 . Weil stets −1 ∈ S(Ω) ist, folgt die Behauptung. ¤ F¨ ur jedes Gitter gilt µ2 < S(Ω) . Wenn S(Ω) = µ4 ist, z.B. f¨ ur Ω = Z + Zi , heißt Ω quadratisch. Wenn S(Ω) = µ6 ist, z.B. f¨ ur Ωρ = Z + Zρ mit ρ = eπi/3 , heißt Ω hexagonal, siehe Figur 2.5.4.

·

·

·

·

·

·

·

·i

·

·

·

·

·

·

·

·

· 1 ·

·

·

·

·

·

·

· r

1

·

Fig. 2.5.4. Das quadratische Gitter Ωi und das hexagonale Gitter Ωρ .

38

2. Tori und elliptische Funktionen

Alle quadratischen Gitter sind paarweise ¨aquivalent. Dasselbe gilt f¨ ur die hexagonalen Gitter. Aus 2.2.6(2)-(3) folgt: Satz Das Gitter Ω ist genau dann hexagonal bzw. quadratisch, wenn g2 (Ω) = 0 bzw. g3 (Ω) = 0 . ¤ Bemerkung. Bei einem Kristall K ⊂ R3 ist K ∩ E f¨ ur jede affine Ebene E ⊂ R3 ein zweidimensionales Gitter oder leer. Wegen des letzten Ergebnisses hat K nur 2 - , 3 - , 4 - oder 6 -fache Symmetrieachsen. Man nennt dies die kristallographischen Beschr¨ ankungen.

2.5.5 Komplexe Multiplikation. Die (eventuell nicht umkehrbaren) affinen Selbstabbildungen ϕ : C/Ω → C/Ω werden gem¨aß 2.5.2 von den linearen Funktionen az + b induziert, f¨ ur die aΩ < Ω gilt. Der Unterring R(Ω) := {a ∈ C : aΩ < Ω} von C umfaßt Z . F¨ ur jedes c ∈ C× gilt R(cΩ) = R(Ω) . F¨ ur ¨aquivalente Gitter Ω, Ω ∗ folgt R(Ω) = R(Ω ∗ ) . Man nennt C/Ω einen Torus mit komplexer Multiplikation, wenn R(Ω) 6= Z .

Satz. Sei Ω = Zω1 + Zω2 und τ := ω1 /ω2 . Genau dann, wenn Q(τ ) ein imagin¨ ar quadratischer Zahlk¨ orper ist, gestattet der Torus C/Ω komplexe Multiplikationen. F¨ ur jedes a ∈ R(Ω) \ Z ist Q(a) = Q(τ ) , und es gilt a2 +pa+q mit p, q ∈ Z. Beweis. Aus τ 6∈ R folgt Q(τ ) 6⊂ R. Wenn [Q(τ ) : Q] = 2 ist, gibt es ganze Zahlen k, m, n , so daß kτ 2 = m + nτ . F¨ ur a := kτ folgt aΩ < Ω. Umgekehrt gilt f¨ ur jedes a ∈ R(Ω) (1) a ω1 = α ω1 + β ω2 und a ω2 = γ ω1 + δ ω2 mit α, β, γ, δ ∈ Z . Die zweite Gleichung ergibt a = γτ + δ ∈ Q(τ ). F¨ ur a 6∈ Z ist γ 6= 0, daher ¡ ¢ τ ∈ Q(a), also Q(a) = Q(τ ) . Wegen (1) ist a ein Eigenwert der Matrix αγ βδ und somit eine Wurzel ihres charakteristischen Polynoms z 2 − (α + δ)z + (αδ − βγ) . Aus a 6∈ Z folgt, daß Q(τ ) = Q(a) imagin¨ar quadratisch ist. ¤ F¨ ur quadratische bzw. hexagonale Gitter ist R(Ω) der Ring Z[i] bzw. Z[ρ]. Diese Ringe sind in ihren Quotientenk¨orpern ganz abgeschlossen. Die komplexe Multiplikation wurde von Abel entdeckt. Kronecker bemerkte die Beziehung zur Zahlentheorie. Die komplexe Multiplikation ist ein Gebiet, wo sich Funktionentheorie, Algebra und Zahlentheorie harmonisch erg¨anzen.

2.6 Normale Abbildungen der Zahlenebene ¨ Alle normalen Uberlagerungen C → X werden klassifiziert. Als Deckgruppen treten Symmetriegruppen von Ornamenten auf, die sich u ¨ber die Ebene periodisch ausbreiten.– Wir benutzen, daß Aut(C) aus allen linearen Funktionen z 7→ az + b mit a ∈ C× und b ∈ C besteht und identifizieren b ∈ C mit der Translation z 7→ z + b .– Sei µn := {a ∈ C : an = 1} f¨ ur n = 1, 2, . . . .

2.6 Normale Abbildungen der Zahlenebene

39

2.6.1 Kanonische Zerlegung. Sei G < Aut(C). Dann ist h : G → C× , (z 7→ az + b) 7→ a , ein Homomorphismus, dessen Kern GT aus allen Translationen in G besteht. Die Bildgruppe G× := h(G) < C× transformiert GT in sich, d.h. G× · GT = GT . Wir nennen (GT , G× ) die kanonische Zerlegung von G. Lemma. Wenn G die Deckgruppe einer normalen Abbildung η : C → X ist, gibt es f¨ ur (GT , G× ) h¨ ochstens folgende M¨ oglichkeiten: (1) (0, µn ) mit n = 1, 2, 3, · · · ; (2) (Z · b, µn ) mit b ∈ C× und n = 1, 2 ; (3) (Ω, µn ) mit einem Gitter Ω und n = 1, 2, 3, 4, 6 , wobei n = 4 nur bei quadratischen und n = 3, 6 nur bei hexagonalen Gittern m¨ oglich ist. Beweis. Die Bahn G(0) ist lokal endlich, also auch ihre Teilmenge GT . Nach 2.5.1 sind GT = 0 , = Z · b und = Ω die einzigen M¨oglichkeiten. Im Falle GT = 0 haben alle Elemente von G denselben Fixpunkt c . Denn wenn f, g ∈ G verschiedene Fixpunkte h¨atten, w¨are f gf −1 g −1 ∈ G eine Translation 6= id. Aus 1.5.3(3) folgt (1). Aus G× · Zb = Zb folgt (2). Aus G× · Ω = Ω und 2.5.4 folgt (3). ¤ 2.6.2 Punkt-, Band- und Fl¨ achengruppen. Die im Lemma angegebenen M¨oglichkeiten werden durch folgende Deckgruppen realisiert: (1) Punktgruppen Pn := {z 7→ cz : c ∈ µn } mit n = 1, 2, . . . ; (2) Bandgruppen B1 := {z 7→ z + q : q ∈ Z} , B2 := {z 7→ ±z + q : q ∈ Z} ; (3) Fl¨ achengruppen Fn (Ω) := {z 7→ cz + ω : c ∈ µn , ω ∈ Ω} mit n ∈ {1, 2, 3, 4, 6} ; bei n = 4 ist Ω quadratisch und bei n ∈ {3, 6} hexagonal. ¨ Die zugeh¨ origen Uberlagerungen lauten (1) (2) (3)

C → C , z 7→ z n , f¨ ur Pn ; C → C× , z 7→ exp(2πiz), f¨ ur B1 ; C → C , z 7→ cos(2πz), f¨ ur B2 ; η : C → C/Ω (Torusprojektion) f¨ ur F1 (Ω) ; b gem¨ ηn : C → C aß folgender Tabelle f¨ ur Fn (Ω) :

n 2 3 4 6 ηn ℘ ℘′ ℘2 ℘3

Die n¨achste Tabelle enth¨alt in der zweiten Zeile die Anzahl der Ausnahmebahnen und in der dritten Zeile die Windungszahlen ≥ 2 , d.h. die Ordnungen der Standgruppen l¨angs jeder Ausnahmebahn. In der letzten Zeile stehen noch einmal die Basisfl¨achen.

40

2. Tori und elliptische Funktionen

Pn B1 B2

F1

1 n

0 –

0 –

C C×

2 2,2

F2

F3

F4

F6

4 3 3 3 2,2,2,2 3,3,3 2,4,4 2,3,6 b b b b C C/Ω C C C C

2.6.3 Klassifikation. Jede Deckgruppe G < Aut(C) einer normalen Abbildung C → X ist zu einer Punktgruppe Pn , einer Bandgruppe B1 , B2 oder einer Fl¨ achengruppe Fn (Ω) konjugiert. Zwei Fl¨ achengruppen Fn (Ω) und Fm (Ω∗ ) sind genau dann konjugiert, wenn n = m ist und die Gitter a ¨quivalent sind. Sonst gibt es zwischen den Gruppen Pn , Bj , Fn (Ω) keine Konjugationsbeziehungen. Beweis. F¨ ur die kanonische Zerlegung von G bestehen die in Lemma 2.6.1 genannten M¨oglichkeiten. Durch Konjugation mit einer Translation erreicht man, daß 0 ein Punkt mit n-fach zyklischer Standgruppe wird. Im zweiten Fall (Z · b, µn ) konjugiert man noch mit der Homothetie z 7→ z/b , um b = 1 zu erreichen. Nach diesen Konjugationen wird G zu Pn , Bn bzw. Fn (Ω) . Wenn G = Fn (Ω) und G∗ = Fm (Ω∗ ) konjugiert sind, also gGg −1 = G∗ mit g(z) = az + b gilt, ist n = ♯G× = ♯G× ∗ = m und aΩ = Ω∗ . Umgekehrt u ¨berf¨ uhrt die Konjugation mit g(z) = az die Gruppe Fn (Ω) in Fn (aΩ). ¤ Die Band- und Fl¨achengruppen klassifizieren die Band- und Fl¨achenornamente ohne (Gleit-)Spiegelsymmetrien. Wenn man letztere ber¨ ucksichtigt, gibt es 17 (statt 5) doppelt-periodische Fl¨achenornamente mit wesentlich verschiedenen Symmetrien, siehe [Lam 2]. 2.6.4 Dreiecksparkettierungen. Es gibt nur drei Tripel (p, q, r) ganzer Zahlen mit 2 ≤ p ≤ q ≤ r und p1 + 1q + 1r = 1 , n¨amlich (3, 3, 3), (2, 4, 4) und (2, 3, 6). Zu jedem Tripel w¨ahlen wir ein Dreieck ∆ ⊂ C mit den Innenwinkeln π/p , π/q und π/r . Fortgesetzte Spiegelungen an den Seiten des Dreiecks erzeugen eine Parkettierung der Ebene C durch kongruente Bilder von ∆ . Die Teildreiecke der Parkettierung werden schachbrettartig schwarz und weiß gef¨arbt, siehe Figur 2.6.4. Diese Parkettierungen veranschaulichen die Fl¨achengruppen F3 , F4 , F6 . Denn es gilt der Satz. Die Parkettierung zu (p, q, r) wird einschließlich ihrer F¨ arbung durch eine Fl¨ achengruppe Fr (Ω) in sich transformiert. Beweis. Die Spiegelungen σa , σb und σc an den Seiten von ∆ ergeben drei Drehungen ρA = σb ◦ σc , ρB = σc ◦ σa und ρC = σa ◦ σb um die Ecken des Dreiecks ∆ , deren Drehwinkel 2π/p , 2π/q und 2π/r die doppelten Innenwinkel an den entsprechenden Ecken sind. Offenbar ist ρA ◦ ρB ◦ ρC = id. Diese Drehungen erzeugen die Fl¨achengruppe Fr (Ω) . Zum Beweis legt man C in den Ursprung. Dann wird die Drehgruppe µr durch ρC erzeugt. Die −r/p −r/q Zahlen r/p , r/q sind ganz, und ρA ◦ ρC , ρB ◦ ρC sind zwei Translationen, die Ω aufspannen. ¤

2.7 Aufgaben

41

Fig. 2.6.4. Dreiecksparkettierungen der Ebene der Typen (3,3,3), (2,4,4) und (2,3,6). Andere M¨ oglichkeiten gibt es nicht.

b und der hyperEntsprechende Dreiecksparkettierungen der Zahlenkugel C bolischen Ebene H werden in 4.2.7 -8 bzw. 11.5 gewonnen.

2.7 Aufgaben In den folgenden Aufgaben bezeichnet Ω ein Gitter in C , welches den elliptischen Funktionen sowie den Weierstraßschen Funktionen ℘ , σ , ζ zugrunde liegt. 1)

2)

Man zeige: Zu jeder elliptischen Funktion f vom Grade 2 gibt es ein a ∈ C b mit f (z) = A ◦ ℘(z + a) . und ein A ∈ Aut(C)

Betrachte in C2 mit den Koordinaten (u, v) die komplexe Gerade L mit der Gleichung v = mu + n . (i) Zeige: Es gibt h¨ ochstens drei Stellen xj ∈ C/Ω mit xj 6= 0 , so daß die Punkte Pj = (uj , vj ) mit den Koordinaten uj = ℘(x ˆ j ), vj = ℘ˆ′ (xj ) auf L liegen.– Im folgenden seien u1 , u2 , u3 paarweise verschieden. (ii) Zeige: (u − u1 )(u − u2 )(u − u3 ) = u3 − 41 m2 u2 + au + b , wobei a und b nicht weiter interessieren. (iii) Folgere x1 + x2 + x3 = 0 aus der Abelsche Relation, angewendet auf ℘ˆ′ − m℘ˆ − n . (iv) Gewinne aus (ii) und (iii) das Additionstheorem µ ¶2 1 ℘′ (z) − ℘′ (w) ℘(z + w) = − ℘(z) − ℘(w) . 4 ℘(z) − ℘(w) (v) Beweise die Verdopplungsformel µ ¶2 1 ℘′′ (z) − 2℘(z) ℘(2z) = 4 ℘′ (z) und stelle ihre rechte Seite als rationale Funktion von ℘(z) dar.

3)

Zeige: F¨ ur jede ganze Zahl n ist ℘(nz) eine rationale Funktion von ℘(z) .

4)

Zeige, daß folgende Aussage zu den Aussagen 2.2.7 des Jacobischen Problems ¨ aquivalent ist:

42

2. Tori und elliptische Funktionen Die Differentialgleichung w′ 2 = (1 − w2 )(1 − k2 w2 ) besitzt f¨ ur jede komplexe Konstante k 6= 0, 6= ±1 eine elliptische Funktion zweiten Grades als L¨ osung.

5)

Man begr¨ unde, daß die σ-Funktion ungerade ist. Verbessere ihre Periodenformel zu ur 12 ω ∈ Ω und − sonst. σ(z + ω) = ± exp[h(ω)(z + 21 ω)] · σ(z) , mit + f¨ Hinweis. lim σ(z + ω)/σ(z) f¨ ur z → −ω/2 .

6)

F¨ ur den Homomorphismus h in der Periodenformel der ζ-Funktion und ω, ω1 , ω2 ∈ Ω beweise man h(ω) = 2ζ(ω/2) sowie h(ω1 )ω2 − h(ω2 )ω1 ∈ 2πiZ . Dazu forme man σ(z + ω1 + ω2 ) in verschiedener Weise um.

7)

σ(z − w) · σ(z + w) σ(z)2 · σ(w)2 σ(2z) ℘′ (z) = − . σ(z)4 Folgere aus (7) f¨ ur die Halbperiodenwerte ek , daß ℘ − ek ein Quadrat in M(C) aber kein Quadrat in MΩ (C) ist.

8) 9)

Beweise:

℘(z) − ℘(w)

=



Finde zur ℘-Funktion des Gitters Zω + Zω ′ und e3 = ℘( 12 ω + 21 ω ′ ) eine elliptische Funktion f des Gitters Z(ω + ω ′ ) + Z(ω − ω ′ ) mit f 2 = ℘ − e3 . Bemerkung. F¨ ur die zahlentheoretisch interessante Reihenentwicklung von f siehe [HC] II. 2, 13 .

10) Folgere aus dem Abelschen Theorem: Zu jedem positiven Divisor D vom Grade ≥ 2 auf einem Torus T gibt es ein f ∈ M(T ) mit D(x) = max {0, o(f, x)} f¨ ur alle x ∈ T . 11) Beweise die letzte Behauptung in 2.5.2. 12) Ordne den lemniskatischen Sinus sl in die Klassifikation 2.6.3 der normalen ¨ Uberlagerungen C → X ein.

¨ 3. Fundamentalgruppen und Uberlagerungen

¨ Die topologische Theorie unverzweigter Uberlagerungen η : X → Y wird von der Fundamentalgruppe π(Y ) beherrscht. Nach ihrer Definition in 3.1 ¨ stellen wir in 3.2 ihre Beziehung zur Uberlagerungstheorie her, welche im Monodromiesatz gipfelt. Dieses nach heutigem Verst¨andnis rein topologische Ergebnis entstand historisch aus Problemen der analytischen Fortsetzung. Wir betrachten sie und andere funktionentheoretische Anwendungen in 3.3-5. Anschließend werden die topologischen Untersuchungen fortgesetzt, um weitere Ergebnisse zu erzielen, die in sp¨ateren Kapiteln f¨ ur Riemannsche Fl¨achen ¨ relevant werden.– Im vorliegenden Kapitel sind alle Uberlagerungen un¨ verzweigt. Im 4. Kapitel folgt das Studium verzweigter Uberlagerungen.

3.1 Fundamentalgruppen Wir entwickeln nach Jordan (1866) einen Kalk¨ ul der Homotopieklassen stetiger Wege und fassen ihn im Begriff der Fundamentalgruppe (Poincar´e, 1892/95) zusammen. 3.1.1 Homotope Wege. Eine stetige Abbildung w : [α, β] → X eines Intervalls [α, β] ⊂ R mit α < β in einen topologischen Raum X heißt Weg vom Anfangspunkt w(α) zum Endpunkt w(β) , siehe Figur 3.1.1 a. Man kann das Intervall [α, β] durch [0, 1] ersetzen, indem man linear ¡ ¢ umparametrisiert: Aus w wird w∗ : [0, 1] → X , w∗ (s) := w (1 − s)α + sβ . Man nennt X wegzusammenh¨ angend, wenn zu je zwei Punkten a, b ∈ X einen Weg von a nach b existiert. Jede Mannigfaltigkeit ist genau dann zusammenh¨angend, wenn sie wegzusammenh¨angend ist. Zwei Wege w0 , w1 : I := [0, 1] → X von a nach b heißen homotop (w0 ∼ w1 ) , wenn sie sich durch eine Schar von Zwischenwegen wt , 0 ≤ t ≤ 1 , ineinander deformieren lassen, siehe Figur 3.1.1 b. Damit ist gemeint: (1) Jeder Zwischenweg wt f¨ uhrt wie w0 und w1 von a nach b . (2) Die Abbildung h : I 2 := I ×I → X , h(s, t) = wt (s) , ist stetig. Man nennt h eine Homotopie von w0 nach w1 . Die Forderung (1) bedeutet h(0, t) = a und h(1, t) = b f¨ ur alle t ∈ I .

¨ 3. Fundamentalgruppen und Uberlagerungen

44

w1

®

®

·b

a ·

u ®

·a Fig. 3.1.1 a. Das Bild w([α, β]) eines Weges u von a nach b .

wt

· b

w0 Fig. 3.1.1 b. Eine Homotopie von w0 nach w1 mit den Zwischenwegen wt .

¨ (1) Die Homotopie ist eine Aquivalenzrelation. Beweis. Die Reflexivit¨at w ∼ w folgt aus der konstanten Homotopie h(s, t) := w(s) . Die Symmetrie beweist man, indem man die Homotopie h von w0 nach w1 zur Homotopie (s, t) 7→ h(s, 1 − t) von w1 nach w0 umdreht. F¨ ur die Transitivit¨at setzt man die Homotopien h1 von w0 nach w1 und h2 von w1 nach w2 zu folgender Homotopie stetig zusammen: ½ h1 (s, 2t) f¨ ur 0 ≤ t ≤ 21 (s, t) 7→ ¤ h2 (s, 2t − 1) f¨ ur 12 ≤ t ≤ 1. ¨ Die Aquivalenzklasse [w] des Weges w heißt Homotopieklasse.

Sei ϕ : I → I eine stetige Abbildung, so daß ϕ(0) = 0 und ϕ(1) = 1 ist. Aus dem Weg w : I → X entsteht der umparametrisierte Weg ¢w ◦ ϕ : I → X . ¡ Er ist zu w homotop verm¨oge h(s, t) = w tϕ(s) + (1 − t)s . (2) Bei jeder stetigen Abbildung η : X → Y haben zwei in X homotope Wege w0 und w1 die in Y homotopen Bildwege η ◦ w0 und η ◦ w1 . Denn die Homotopie h von w0 nach w1 ergibt die Homotopie η ◦ h von η ◦ w0 nach η ◦ w1 . ¤

3.1.2 Wegeprodukt. Wenn der Endpunkt des Weges u : I → X der Anfangspunkt des Weges v : I → X ist, definiert man den Produktweg ½ u(2s) f¨ ur 0 ≤ s ≤ 21 u · v : I → X , s 7→ v(2s − 1) f¨ ur 21 ≤ s ≤ 1 . Man beachte die Reihenfolge von links nach rechts: Erst wird u und dann v durchlaufen. Aus zwei Homotopien u0 ∼ u1 und v0 ∼ v1 folgt u0 · v0 ∼ u1 · v1 . Daher macht es Sinn, das Produkt [u] · [v] := [u · v] der Homotopieklassen zu definieren. Wenn sich f¨ ur drei Wege u, v, w die Produkte u · v und v · w bilden lassen, kann man auch (u·v)·w und u·(v·w) bilden. Diese beiden Wege gehen durch st¨ uckweise lineares Umparametrisieren auseinander hervor. Insbesondere sind sie homotop. Das Produkt von Homotopieklassen ist also assoziativ.

3.1 Fundamentalgruppen

45

3.1.3 Schleifen, nullhomotope Wege, inverse Wege. Ein Weg heißt geschlossen oder Schleife, wenn sein Anfangs- und Endpunkt zusammenfallen. Dieser Punkt heißt auch Basispunkt der Schleife. Eine Schleife, die zum konstanten Weg homotop ist, heißt nullhomotop. Wenn w ein Weg von a nach b ist und a ˆ den konstanten Weg a ˆ(t) := a bezeichnet, l¨aßt sich w in den Produktweg a ˆ ·w st¨ uckweise linear umparametrisieren. Entsprechendes gilt f¨ ur w · ˆb . F¨ ur jede bei a bzw. b nullhomotope Schleife u bzw. v ist daher [u] · [w] = [w] = [w] · [v]. Zu jedem Weg w : I → X von a nach b geh¨ort der inverse Weg w− : I → X, w− (s) := w(1 − s) von b nach a . Offenbar ist w− − = w . F¨ ur das Produkt gilt (u · v)− = v − · u− . Wenn w0 ∼ w1 homotop sind, gilt dasselbe f¨ ur die inversen Wege w0− ∼ w1− . Der Produktweg w · w− ist nullhomotop: Die Homotopie vom konstanten Weg nach w · w− l¨auft u ¨ber die Zwischenwege wt · wt− , wobei wt (s) := w(s t) ist.– Insgesamt gilt die Rechenregel: In einem Produkt von Homotopieklassen kann man Faktoren [w] mit nullhomotopen Schleifen w , insbesondere Faktoren [u]·[u− ] einf¨ ugen oder weglassen, ohne das Produkt zu a ¨ndern. ¤ 3.1.4 Verschiebung der Endpunkte. F¨ ur zwei Punkte a, b ∈ X bezeichnet π(X; a, b) die Menge der Homotopieklassen [u] aller Wege u von a nach b. Wie diese Menge von der Wahl der Endpunkte a, b abh¨angt, zeigt folgende ¨ Uberlegung: Angenommen, es ist je ein Weg v von a nach c und w von b nach d gegeben. Dann ist folgende Abbildung bijektiv: Φ : π(X; a, b) → π(X; c, d) , [u] 7→ [v − ] · [u] · [w] .

Wir nennen Φ Verschiebung der Endpunkte, siehe Fig. 3.1.4. Man beachte den Spezialfall a = b, v = w . Dann heißt Φw := Φ Verschiebung des Basispunktes l¨angs w.

w

®



®

·d u ¯

u a·

v

®

·c

· a

w ®

·c

Fig. 3.1.4. Verschiebung der Endpunkte. Die rechte Figur ist der Spezialfall v = w der linken.

3.1.5 Definition der Fundamentalgruppe. F¨ ur jeden wegzusammenh¨angenden Raum X mit einem Basispunkt a ∈ X setzen wir π(X, a) := π(X; a, a) . Aus den bisherigen Ergebnissen folgt der

¨ 3. Fundamentalgruppen und Uberlagerungen

46

Satz. Die Menge π(X, a) wird mit der Verkn¨ upfung [u]·[v] := [u·v] zu einer Gruppe. Das neutrale Element ist die Klasse der nullhomotopen Schleifen. Das inverse Element zu [w] ist die Klasse der inversen Schleife [w]−1 := [w− ]. Jede Verschiebung des Basispunktes l¨ angs eines Weges w von a nach c ist ein Isomorphismus ∼ = Φw : π(X, a) −→ π(X, c) , [u] 7→ [w− ] · [u] · [w] , der Gruppen, und zwar f¨ ur a = c ein innerer Automorphismus. ¤ Man nennt π(X, a) die Fundamentalgruppe von X mit dem Basispunkt a. Sie h¨angt bis auf Isomorphie nicht vom Basispunkt ab. Jede stetige Abbildung η : (X, a) → (Y, b) induziert den Homomorphismus (1) η∗ : π(X, a) → π(Y, b) , [w] 7→ [η ◦ w] , der Fundamentalgruppen. Offenbar gelten id∗ = id und (ϕ ◦ η)∗ = ϕ∗ ◦ η∗ f¨ ur eine weitere stetige Abbildung ϕ : (Y, b) → (Z, c). 3.1.6 Einfacher Zusammenhang. Ein wegweise zusammenh¨angender Raum X heißt einfach zusammenh¨ angend, wenn jede Menge π(X; a, b) aus genau einem Element besteht. Wegen der Verschiebung der Endpunkte h¨angt der Raum bereits dann einfach zusammen, wenn f¨ ur ein Punktepaar (a, b) die Menge π(X; a, b) nur ein Element hat. Insbesondere: (1) Genau dann, wenn π(X, a) die triviale Gruppe ist, h¨ angt X einfach zusammen. ¤ n (2) Jede sternf¨ ormige Menge X ⊂ R insbesondere C und alle Scheiben h¨ angen einfach zusammen. Beweis. Sei w eine Schleife, deren Basispunkt a ein Zentrum von X ist. Dann ist h(s, t) = tw(s) + (1 − t)a eine Homotopie vom konstanten Weg a ˆ nach w . Die Sternf¨ormigkeit wird gebraucht, damit h(I 2 ) ⊂ X ist. ¤

w3

·c 2 ·c1 w1

· c0

w2

c3· w4 c· 4

w5

· c5

Fig. 3.1.7. Der Weg w ist durch Kreisscheiben u ¨berdeckt. Er wird durch die Punkte cν = w(tν ) in f¨ unf Teilwege zerlegt, w = w1 · . . . · w5 , die jeweils ganz in einer Scheibe liegen.

3.1.7 Zerlegung in Teilwege. Sei w : I → X ein Weg und U eine offene ¨ Uberdeckung von X. Dann gibt es eine Zerlegung 0 = t0 < t1 . . . < tn = 1, so daß jede Teilkurve w([tν−1 , tν ]) in einem U aus U enthalten ist. ¨ Das folgt unmittelbar aus dem Lebesgueschen Uberdeckungslemma, siehe z.B. [Kel], p. 154. ¤

3.2 Monodromie

47

3.1.8 Vermeidung isolierter Punkte. Sei A ⊂ X eine lokal endliche Menge in einer Fl¨ ache. Zu jedem Weg w in X, dessen Anfangs- und Endpunkt nicht in A liegen, gibt es einen homotopen Weg v , der A nicht trifft. Beweis. Es gibt paarweise disjunkte Scheiben Ua , deren Zentren a die Punkte von A sind. Ganz X wird durch X \ A und alle Scheiben Ua u ¨berdeckt. Nach 3.1.7 ist w ein Produkt endlich vieler Teilwege wν , so daß jedes wν in X \A oder einer Scheibe Ua l¨auft. Wir k¨onnen annehmen, daß unmittelbar aufeinander folgende Teilwege nie in derselben Scheibe Ua liegen. Denn anderenfalls kann man sie zu einem Weg in Ua zusammenfassen. Kein Teilungspunkt liegt dann in A . Jeder Teilweg wν trifft h¨ochstens einen Punkt a ∈ A . Wenn dies eintritt, ersetzen wir wν durch einen anderen Weg vν in Ua mit gleichem Anfangs- und Endpunkt, der a nicht trifft. Weil Ua einfach zusammenh¨angt, ist vν zu wν homotop. Das Produkt der beibehaltenen und ersetzten Teilwege ist der Weg v . ¤ Folgerungen: (1) Mit X h¨ angt auch X\A zusammen. F¨ ur die Einbettung j : X \ A → X ist j∗ : π(X \ A, c) → π(X, c) epimorph. b h¨ (2) Die Zahlenkugel C angt einfach zusammen. ¤

3.2 Monodromie Gegeben seien zwei stetige Abbildungen η : X → Y und ϕ : Z → Y . Jede stetige Abbildung ϕˆ : Z → X , f¨ ur die ϕ = η ◦ ϕˆ gilt, heißt η-Liftung von ϕ. Wir fragen nach der Eindeutigkeit und Existenz von η-Liftungen einer vorgegebenen Abbildung ϕ , und bezeichnen diese Untersuchungen mit dem Schlagwort Monodromie, da ihre Ergebnisse, auf die Funktionentheorie angewendet, einen Beweis des Monodromieprinzips f¨ ur analytische Fortsetzungen ergeben, siehe 3.4.3. Die Liftungsergebnisse im vorliegenden Paragraphen beruhen teilweise auf subtilen Voraussetzungen, die von ¨alteren Funktionentheoretikern nicht immer beachtet wurden, siehe 3.4.4. Topologen haben genau untersucht, welche Voraussetzungen notwendig bzw. hinreichend sind, siehe z.B. [Mass], p.145. Wir begn¨ ugen uns mit hinreichenden Bedingungen, die f¨ ur Mannigfaltigkeiten stets erf¨ ullt sind. 3.2.1 Eindeutigkeit der Liftung. Sei η : X → Y eine lokal topologische Abbildung zwischen Hausdorffr¨ aumen. Wenn Z zusammenh¨ angt, sind zwei η-Liftungen ϕ0 , ϕ1 : Z → X derselben stetigen Abbildung ϕ : Z → Y gleich, sobald sie an einer Stelle c ∈ Z denselben Wert haben. Beweis. Die Koinzidenzmenge W = {z ∈ Z : ϕ0 (z) = ϕ1 (z)} ist abgeschlossen, weil X hausdorffsch ist, und offen, weil η lokal topologisch ist. Wegen c ∈ W folgt W = Z aus dem Zusammenhang . ¤

48

¨ 3. Fundamentalgruppen und Uberlagerungen

¨ 3.2.2 Uberlagerungen. Eine Abbildung η : X → Y zwischen Hausdorff¨ r¨aumen heißt (unverzweigte, topologische) Uberlagerung, wenn Y wegzusammenh¨angend ist und jeder Punkt in Y eine zusammenh¨angende Umgebung V besitzt, die in folgendem Sinne trivial u ¨berlagert wird, siehe Figur 1.4.5: (1) Das Urbild η −1 (V ) ist die Vereinigung offener Mengen Uj , und jedes Uj wird durch η hom¨ oomorph auf V abgebildet. Durch (1) wird die Forderung η ist lokal topologisch“ wesentlich versch¨arft. ” Wegen der Eindeutigkeit der Liftung gilt Uj ∩ Uk = ∅ oder Uj = Uk .– Jede −1 Umkehrung s := (η|Uj ) : V → Uj ֒→ X ist ein lokaler η -Schnitt, d.h. eine stetige Abbildung mit der Eigenschaft η ◦ s = idV .– Aus (1) folgt direkt: (2) F¨ ur jeden wegzusammenh¨ angenden Teilraum V ⊂ Y ist die Beschr¨ ankung ¨ ¨ η : η −1 (V ) → V einer Uberlagerung η : X → Y auch eine Uberlagerung. ¨ Die unverzweigten holomorphen Uberlagerungen zwischen Riemannschen Fl¨achen, die in 1.4.5 eingef¨ uhrt wurden, ordnen sich den gerade definierten ¨ topologischen Uberlagerungen unter. Dazu geh¨oren insbesondere (a) alle endlichen holomorphen Abbildungen ohne Verzweigungspunkte, z.B. die Potenzfunktionen η : C× → C× , z 7→ z n f¨ ur n = 1, 2, . . . , (b) die Exponentialfunktion η : C → C× , z 7→ ez , (c) die Torusprojektionen η : C → C/Ω aus 1.2.6. Eine lokal topologische Abbildung η : X → Y zwischen Hausdorffr¨aumen heißt unbegrenzt, wenn Y wegzusammenh¨angend ist und folgende, zueinander ¨aquivalente Voraussetzungen erf¨ ullt sind: (i) Zu jedem Weg v in Y und jedem Punkt a u ¨ber dem Anfangspunkt von v gibt es eine η-Liftung vˆ , die in a beginnt. (ii) Jeder Weg u : [0, s) → X ohne Endpunkt l¨ aßt sich stetig nach s fortsetzen, sobald dies f¨ ur v := η ◦ u gilt. ¨ Aquivalenzbeweis. (i) ⇒ (ii) ist klar; zu (ii) ⇒ (i) : Sei v : [0, 1] → Y und s = sup {t : v|[0, t] hat eine Lif tung, die in a beginnt} . Es gibt eine Liftung u : [0, s) → X von v|[0, s), so daß u(0) = a ist. Wegen (ii) kann u stetig nach s fortgesetzt werden. Wir zeigen, daß s = 1 ist: Man w¨ahlt einen Schnitt σ : (V, v(s)) → (X, u(s)) . Wenn s < 1 ist, gibt es ein t > s, so daß v([s, t]) ⊂ V . Dann wird u durch σ ◦ v|[s, t] zu einer Liftung von v|[0, t] fortgesetzt, die in a beginnt. Das widerspricht s = sup. ¤ ¨ Satz. Jede Uberlagerung ist unbegrenzt. Beweis Wir zeigen (ii). Es gibt eine Umgebung V von v(1) , die trivial u ¨berlagert wird. Man w¨ahlt ε < 1 so, daß v([ε, 1]) ⊂ V ist und w¨ahlt den Schnitt σ : V → X so, daß u(ε) ∈ σ(V ) ist. Dann wird u durch u(1) := σ ◦ v(1) stetig fortgesetzt, da u und σ ◦ v auf [ε, 1) nach 3.2.1 u ¨bereinstimmen. ¤

3.2 Monodromie

49

3.2.3 Liftungssatz f¨ ur Homotopien. Sei η : X → Y unbegrenzt. Zwei Wege u0 , u1 in X mit gleichem Anfangspunkt a sind homotop und haben insbesondere denselben Endpunkt, sobald ihre Bildwege vj := η ◦ uj in Y homotop sind. Beweis. Sei k : I 2 → Y eine Homotopie von v0 nach v1 . Alle Zwischenwege vt : I → X, vt (s) := k(s, t) , haben denselben Anfangspunkt b := η(a) und denselben Endpunkt c . Weil η unbegrenzt ist, l¨aßt sich jedes vt zu einem Weg vt liften, der in a beginnt. Wir definieren (1) h : I 2 → X, h(s, t) := ut (s), (2) α = sup{s : h ist auf [0, s] × I stetig} und zeigen nacheinander: (3) α > 0; (4) Zu jedem τ ∈ I gibt es Intervallumgebungen S von α und T von τ , so daß h auf S × T stetig ist; (5) h ist auf I 2 stetig; (6) h ist eine Homotopie von u0 nach u1 . Zu (3): Es gibt einen lokalen Schnitt σ : (V, b) → (X, a) . Wegen k({0} × I) = {b} gibt es ein ε > 0 mit k([0, ε] × I) ⊂ V . Wegen der Eindeutigkeit der Liftung folgt ut (s) = σ ◦ k(s, t) f¨ ur s ∈ [0, ε] und t ∈ I . Daher ist h = σ ◦ k auf [0, ε] × I stetig, also α ≥ ε > 0 .

T

t

b

a

S

Fig. 3.2.3. Zum Beweis der Stetigkeit der Homotopie h in einer Umgebung des Punktes (α, τ ) wird mittels der Eindeutigkeit der Wegeliftung h = σ ◦ k auf S × T gezeigt.

¡ ¢ ¡ ¢ Zu (4). Es gibt einen lokalen η-Schnitt σ : V, k(a, τ ) → X, h(a, τ ) . Man w¨ahlt S, T so, daß k(S × T ) ⊂ V . Wegen (3) gibt es ein β ∈ S mit β < α . Wir erreichen jeden Punkt (s, t) ∈ S × T ausgehend von (α, τ ) u ¨ber die Zwischenpunkte (β, τ ) und (β, t) , siehe Figur 3.2.3. Aus der Stetigkeit von h l¨angs S × τ , β × T und t × S folgt wegen der Eindeutigkeit der Liftung, ¨ daß sich die Ubereinstimmung von h und σ ◦ k bei (α, τ ) u ¨ber die beiden Zwischenpunkte auf die Stelle (s, t) u ¨bertr¨agt. Daher ist h = σ ◦ k auf S × T stetig. Zu (5). Nach (2) ist h auf [0, α) × I stetig. Die Rechtecke S × T gem¨aß (4) u ¨berdecken α × I . Daher ist h auch auf einer Umgebung W von α × I in I × I stetig. Somit ist h auf [0, α] × I stetig. Außerdem ist α = 1 . Denn sonst gibt es ein γ mit α < γ ≤ 1 und [α, γ]×I ⊂ W , so daß h auf [0, γ]×I stetig ist. Das widerspricht (2).

50

¨ 3. Fundamentalgruppen und Uberlagerungen

Zu (6). Wegen (1) und (5) muß nur noch gezeigt werden, daß h(1, t) ∈ η −1 (b) nicht von t abh¨angt. Weil alle η-Fasern lokal endlich sind, folgt dies aus der Stetigkeit in t . ¤ 3.2.4 Folgerungen. Sei η : X → Y unbegrenzt. (1) Jede η-Liftung einer nullhomotopen Schleife ist nullhomotop. (2) Sei X wegzusammenh¨ angend. Dann ist der Homomorphismus der Fundamentalgruppen η∗ : π(X, a) → π(Y, b) injektiv. (3) Sei Y eine einfach zusammenh¨ angende Mannigfaltigkeit. Dann ist X auch eine Mannigfaltigkeit, und η ist trivial, d.h. jede Komponente Z von X wird durch η hom¨ oomorph auf Y abgebildet. (4) Die punktierte Ebene C× und alle Tori h¨ angen nicht einfach zusammen. (5) Jede unbegrenzte Abbildung η : X → Y zwischen Mannigfaltigkeiten ist ¨ eine Uberlagerung. Beweise. (1) ist ein Spezialfall des Liftungssatzes 3.2.3.– (2) folgt aus (1).– Zu (3). Entscheidend ist die Injektivit¨at von η|Z . Alles u ¨brige folgt direkt. Sei η(x) = η(x′ ) . Es gibt einen Weg u in Z von x nach x′ . Sein Bild η ◦ u ist nullhomotop. Nach (1) ist u nullhomotop.– (4) folgt aus (3).– Zu (5). Jeder Punkt in Y besitzt eine einfach zusammenh¨angende Umgebung. Diese wird wegen (3) trivial u ¨berlagert. ¤ ¨ 3.2.5 Faktorisierung von Uberlagerungen. Seien η : X → Y und ϕ : Y → Z stetige, surjektive, offene Abbildungen zwischen Mannigfaltig¨ keiten. Genau dann, wenn ϕ ◦ η eine Uberlagerung ist, gilt dasselbe f¨ ur η und ϕ. Beweis. Wegen 3.2.4(5) gen¨ ugt es, die Unbegrenztheit nachzuweisen. Wir f¨ uhren nur den Schluß von ϕ ◦ η auf ϕ und η durch und u ¨berlassen die etwas leichtere Umkehrung dem Leser. Wenn eine offene Menge U ⊂ X durch ϕ ◦ η hom¨oomorph auf die offene Menge W ⊂ Z abgebildet wird, sind die Beschr¨ankungen η : U → η(U ) und ϕ : η(U ) → W bijektiv, also wegen der Offenheit Hom¨oomorphismen. Daher sind η und ϕ lokal topologisch. Aus der Unbegrenztheit von ϕ ◦ η folgert man diejenige von η und ϕ . ¤ 3.2.6 Monodromiesatz. Der Raum Z heißt lokal wegzusammenh¨ angend, wenn es eine Basis der Topologie gibt, die aus wegzusammenh¨angenden Mengen besteht. Mannigfaltigkeiten sind lokal wegzusammenh¨angend. Jeder zusammenh¨angende und lokal wegzusammenh¨angende Raum ist wegzusammenh¨angend. Satz. Die Abbildung η : (X, a) → (Y, b) zwischen wegzusammenh¨ angenden Hausdorffr¨ aumen sei unbegrenzt. Der Raum Z sei zusammenh¨ angend und lokal wegzusammenh¨ ¡ ¢ angend. Die Abbildung ϕ : (Z, c) → (Y, b) sei stetig. Wenn ϕ∗ π(Z, c) eine Untergruppe von η∗ (π(X, a)) ist, insbesondere wenn Z einfach zusammenh¨ angt, gibt es genau eine η-Liftung ϕˆ : (Z, c) → (X, a) von ϕ .

3.2 Monodromie

51

Beweis. Die Eindeutigkeit wurde in 3.2.1 bewiesen. Um ϕˆ zu konstruieren, w¨ahlt man zu jedem z ∈ Z einen Weg wz von c nach z und liftet ϕ ◦ wz zum Weg w ˆz in X , der in a beginnt. Wenn wz′ ein anderer Weg von c nach z ist, haben die Liftungen w ˆz und w ˆz′ denselben Endpunkt ϕ(z). ˆ Denn die Schleife wz′ · wz− repr¨asentiert das Element [wz′ · wz− ] ∈ π(Z, c) . Daher gibt es eine Schleife u in X von und nach a , so daß ϕ∗ [wz′ · wz− ] = η∗ [u] . Dann ist ϕ · wz′ zu (η ◦ u) · (ϕ ◦ wz ) homotop, und nach dem Homotopieliftungsˆz . Damit ist eine Abbildung satz 3.2.3 hat w ˆz′ denselben Endpunkt wie u · w ϕˆ : (Z, c) → (X, a) definiert, f¨ ur die η ◦ ϕˆ = ϕ gilt. Es bleibt zu zeigen, daß ϕˆ an jeder Stelle z0 stetig ist: Dazu w¨ahlt man einen lokalen Schnitt σ : (V, ϕ(z0 )) → (X, ϕ(z ˆ 0 )) . Es gibt eine wegzusammenh¨angende Umgebung W von z0 , so daß ϕ(W ) ⊂ V ist. Es gen¨ ugt ϕ|W ˆ = σ ◦ϕ|W zu zeigen: Man w¨ahlt zu jedem z ∈ W einen Weg vz in W von z0 nach z und bildet den Produktweg wz := wz0 · vz . Dann ist w ˆz = w ˆz0 · (σ ◦ ϕ ◦ vz ) . Insbesondere ist der Endpunkt ϕ(z) ˆ von w ˆz gleich dem Endpunkt σ ◦ϕ(z) von σ ◦ϕ◦vz . ¤ ¨ 3.2.7 Isomorphie. Zwei Uberlagerungen η0 : X0 → Y und η1 : X1 → Y derselben Mannigfaltigkeit Y heißen isomorph, wenn es einen Hom¨oomorphismus ϕ : X0 → X1 gibt, so daß η0 = η1 ◦ ϕ ist.

Satz. Wenn X angen und bei passend gew¨ ahlten Basispunk¡ ¢ 0 , X1¡ zusammenh¨ ¢ ten η∗ π(X0 ) = η∗ π(X1 ) ist, sind η0 und η1 isomorph. Beweis. Nach dem Monodromiesatz 3.2.6 gibt es stetige Abbildungen ϕ : (X0 , a0 ) → (X1 , aa ) und ψ : (X1 , a1 → (X0 , a0 ) mit η0 = η1 ◦ ϕ und η1 = η0 ◦ ψ . Wegen der Eindeutigkeit der Liftung (3.2.1) sind ϕ und ψ zueinander inverse Hom¨oomorphismen. ¤ ¨ ¨ 3.2.8 Universelle Uberlagerungen. Eine Uberlagerung η : X → Y heißt zusammenh¨ angend , wenn X und Y zusammenh¨angen. Sie heißt einfach zusammenh¨ angend , wenn dar¨ uber hinaus X einfach zusammenh¨angt. ¨ Eine zusammenh¨angende Uberlagerung ζ : Z → Y zwischen Mannigfaltigkeiten heißt universell, wenn sie folgende universelle Eigenschaft hat: Zu jedem c ∈ Z mit b := η(c) und zu jeder zusammenh¨ angenden ¨ ¨ Uberlagerung η : (X, a) → (Y, b) gibt es genau eine Uberlagerung ϕ : (Z, c) → (X, a) , so daß ζ = η ◦ ϕ ist. ¨ Die universelle Uberlagerung von Y ist bis auf Isomorphie eindeutig bestimmt. ¨ Satz. Jede einfach zusammenh¨ angende Uberlagerung ζ : Z → Y ist universell. Beweis. Nach dem Monodromiesatz 3.2.6 gibt es genau eine stetige Abbildung ¨ ϕ : (Z, c) → (X, a) mit ζ = η ◦ ϕ . Wegen 3.2.5 ist ϕ eine Uberlagerung. ¤

In 3.7.1-2 wird gezeigt, daß jede Mannigfaltigkeit Y eine einfach zusam¨ menh¨angende und damit universelle Uberlagerung ζ : Z → Y besitzt.

52

¨ 3. Fundamentalgruppen und Uberlagerungen

¨ ¨ 3.2.9 Normale Uberlagerungen. Analog zu 1.1.3 heißen bei einer Uberlagerung η : X → Y die Hom¨oomorphismen γ : X → X mit η ◦ γ = η (topologische) Deckabbildungen. Sie bilden die (topologische) Deckgruppe ¨ D(η) . Die Uberlagerung heißt normal , wenn sie zusammenh¨angt und zu je zwei Punkten x, x′ ∈ X mit η(x) = η(x′ ) eine stetige Abbildung γ : X → X mit γ(x) = x′ und η ◦ γ = η existiert. Nach 3.2.1 ist γ eindeutig bestimmt und geh¨ort zu D(η) . ¨ Hom¨ oomorphie-Kriterium. Wenn die Deckgruppen der normalen Uberlagerungen η1 : X → Y1 und η2 : X → Y2 gleich sind, gibt es einen Hom¨ oomorphismus ϕ : Y1 → Y2 mit ϕ ◦ η1 = η2 . ¨ Beweis. Die Uberlagerungen haben dieselben Fasern. Daher gibt es eine bijektive Abbildung ϕ mit ϕ ◦ η1 = η2 . Weil η1 und η2 lokal topologisch sind, ist ϕ ein Hom¨oomorphismus. ¤ ¨ (1) Jede universelle Uberlagerung ζ : Z → Y ist normal. (2) Bei der universellen Eigenschaft in 3.2.8 ist ϕ : Z → X ebenfalls universell. Die Deckgruppe D(ϕ) ist eine Untergruppe von D(ζ). ¤

¨ 3.3 Holomorphe Uberlagerungen Wir erg¨anzen die topologischen Resultate des Monodromiesatzes und seiner Konsequenzen um Holomorphieaussagen. ¨ 3.3.1 Liftung der Holomorphie. Sei η : X → Y eine topologische Uberlagerung der zusammenh¨angenden Riemannschen Fl¨ache Y . Nach dem Liftungsprinzip 1.2.1 gibt es auf X genau eine holomorphe Struktur, die η zu ¨ einer unverzweigten holomorphen Uberlagerung macht. Jede stetige Abbildung ϕ : Z → X einer weiteren Riemannschen Fl¨ache Z ist nach 1.3.7(1) holomorph, sobald η ◦ ϕ : Z → Y holomorph ist. ¨ Im holomorphen Fall ist bei der universellen Eigenschaft in 3.2.8 die Uberlagerung ϕ holomorph; alle topologischen Deckabbildungen sind biholomorph, und im Hom¨oomorphiekriterium 3.2.9 ist ϕ biholomorph. 3.3.2 Torusabbildungen. Jede holomorphe Abbildung ϕ : C/Ω → C/Ω ∗ zwischen Tori ist affin. Zwei Tori C/Ω und C/Ω ∗ sind genau dann als Riemannsche Fl¨ achen isomorph, wenn aΩ = Ω ∗ f¨ ur ein a ∈ C× gilt. Beweis: Seien η : C → C/Ω und η ∗ : C → C/Ω ∗ die Projektionen. Nach dem Monodromiesatz l¨aßt sich ϕ ◦ η zu einer holomorphen Funktion f : C → C liften, so daß η ∗ ◦f = ϕ ◦ η ist. Mit 2.5.2-3 folgt die Behauptung. ¤ ¨ 3.3.3 Uberlagerungen punktierter Scheiben. Jede unverzweigte zusam¨ ¨ menh¨ angende Uberlagerung η : X → E× ist zur universellen Uberlagerung × iz ¨ ζ : H → E , z 7→ e , oder zu einer n-bl¨ attrigen Uberlagerung ηn : E× → E× , n z 7→ z , mit n ∈ N>0 isomorph. Entsprechendes gilt f¨ ur C× statt E× .

3.4 Analytische Fortsetzung

53

Beweis. Nach 3.2.8 kann man faktorisieren: ζ = η ◦ ϕ mit ϕ : H → X. Andererseits ist ζ = ηn ◦ ϕn mit ϕn : H → E× , ϕn (z) = eiz/n . Sei ϕ0 := id. Die einzigen Untergruppen der Deckgruppe D(ζ) = {z 7→ z + 2πk : k ∈ Z} sind die Deckgruppen D(ϕn ) = {z 7→ z + 2πnk : k ∈ Z} f¨ ur n ∈ N . Daher gibt es ein n mit D(ϕn ) = D(ϕ). Nach 3.2.9 gibt es einen Isomorphismus ψ : X → E× f¨ ur n ≥ 1 bzw. X → H f¨ ur n = 0 mit ψ ◦ ϕ = ϕn . Dann gilt ηn ◦ ψ = η f¨ ur n ≥ 1 bzw. ζ ◦ ψ = η f¨ ur n = 0. ¤

3.4 Analytische Fortsetzung Die Grundlage der Weierstraßschen Funktionentheorie bilden die konvergenP ten Laurent-Reihen f (z) = ak (z − c)k mit endlichen Hauptteilen. Um f u ¨ber den Konvergenzkreis A dieser Reihe hinaus fortzusetzen, betrachtet Weierstraß Kreisketten, d.h. endliche Folgen von Kreisscheiben A = D0 , D1 , . . . , Dn mit Verbindungspunkten cj ∈ Dj−1 ∩ Dj f¨ ur j = 1, . . . , n ; siehe Figur 3.4.1. Eine Folge von Laurent-Reihen f = f0 , . . . , fn = g nennt er eine analytische Fortsetzung von f l¨angs der Kreiskette, wenn jedes fj auf Dj konvergiert und fj−1 an der Stelle cj dieselbe Reihenentwicklung wie fj hat.– Wir zeigen, wie sich nach [Wyl 1] die analytische Fortsetzung als ¨ Wege-Liftung in die Uberlagerungstheorie Riemannscher Fl¨achen einordnet.

D2 D1 ·c1 A=D0

· c2

c3·

D3 c4 · D4

Fig. 3.4.1. Eine auf dem Kreis A als Laurent-Reihe definierte Funktion wird l¨ angs einer Weierstraßschen Kreiskette analytisch fortgesetzt.

3.4.1 Funktionenkeime. Seien U und V Umgebungen desselben Punktes a einer Riemannschen Fl¨ache X . Zwei Funktionen f ∈ M(U ) und g ∈ M(V ) heißen a-¨ aquivalent, wenn sie auf einer Umgebung W ⊂ U ∩ V ¨ von a u ¨bereinstimmen. Die a-Aquivalenzklasse von f wird Keim von f bei a genannt und mit fa bezeichnet. Der Wert f (a) und die Ordnung o(f, a) h¨angen nur vom Keim ab. Wenn o(f, a) ≥ 0 ist, heißt der Keim fa holomorph. Die Addition und Multiplikation von Funktionen u ¨bertragen sich auf die Keime. Dadurch wird die Menge Ma aller Keime meromorpher Funktionen bei a zu einem K¨orper. Mit Oa ⊂ Ma wird der Teilring der holomorphen Keime bezeichnet. Die Keimbildung

54

¨ 3. Fundamentalgruppen und Uberlagerungen

M(U ) → Ma , f 7→ fa , ist ein Homomorphismus von C-Algebren. Wenn U zusammenh¨angt, ist er wegen des Identit¨atssatzes 1.3.4 injektiv.– F¨ Pur X n= C und a = 0 ist Ma der K¨orper aller konvergenten Laurentreihen an z mit endlichem Hauptteil. 3.4.2 Die Fl¨ ache der meromorphen Keime. Wir bilden die Menge ] Mx (1) M := x∈X

aller meromorphen Funktionenkeime an allen Stellen x einer zusammenh¨angenden Riemannschen Fl¨ache X . Die Projektion p : M → X ordnet jedem Keim die Stelle zu, an der er gebildet wird. Lemma. Es gibt auf M genau eine Topologie, so daß p lokal topologisch ist. Sie macht M zu einem Hausdorffraum. Beweis. Wir bilden f¨ ur jede offene Menge U ⊂ X und jedes f ∈ M(U ) die Basismenge (2) (U, f ) = {fx : x ∈ U } ⊂ M .

Zu jeden Keim κ ∈ (U, f ) ∩ (V, g) bei x ∈ U ∩ V gibt es eine Scheibe W ⊂ V ∩ U um x mit f |W = g|W =: h , also (3) κ ∈ (W, h) ⊂ (U, f ) ∩ (V, g) . Man nennt diejenigen Teilmengen von M offen, welche Vereinigungen von Basismengen sind. Die Axiome einer Topologie sind erf¨ ullt; denn der Durchschnitt zweier offener Mengen ist wegen (3) offen. Die Projektion p : M → X bildet jede Basismenge (U, f ) hom¨oomorph auf U ab und ist daher lokal topologisch. Zu zwei Keimen fa , gb an verschiedenen Stellen a 6= b gibt es disjunkte Umgebungen von a und von b . Ihre p-Urbilder sind disjunkte Umgebungen von fa und gb .– Wenn a = b ist, gibt es eine gemeinsame Scheibe (U, a) mit f, g ∈ M(U ) . Aus (3) und der Injektivit¨at der Keimbildung M(U ) → Mx f¨ ur jedes x ∈ U folgt f = g oder (U, f ) ∩ (U, g) = ∅ . Daher ist die Topologie hausdorffsch. ¤ Mit dem Liftungsprinzip 1.2.1 folgt unmittelbar der Satz. Der Raum M der meromorphen Keime auf X ist eine Riemannsche Fl¨ ache. Die Projektion p : M → X ist lokal biholomorph. ¤ 3.4.3 Auswertungsfunktion und analytische Fortsetzung. Die Ausb ordnet jedem Keim fx den Wert wertungsfunktion (Evaluation) e : M → C f (x) zu. Auf jeder Basismenge (U, f ) ist e = f ◦ p . Daher ist e meromorph und o(e, fx ) = o(f, x) .– Die holomorphen Funktionenkeime bilden die Teilmenge O := {κ ∈ M : o(e, κ) ≥ 0} . Die Differenz M \ O ist die lokal endliche Menge der Polstellen von e . Insbesondere ist O ⊂ M offen. Sei w : I → X ein Weg , und sei κ ein Keim bei a := w(0) . Wenn sich w zu einem Weg w ˆ in M liften l¨aßt, der in κ beginnt, sagt man: Der Keim w(1) ˆ geht aus κ durch analytische Fortsetzung l¨angs w hervor.

3.5 Abz¨ ahlbarkeit

55

F¨ ur festes κ bilden diese Keime w(1) ˆ eine Komponente Zκ von M. Sie wird genau dann durch p biholomorph auf X abgebildet, wenn κ der Keim einer auf ganz X meromorphen Funktion ist. Wenn die eingeschr¨ankte Projektion p : Zκ → X unbegrenzt und damit ¨ eine (unverzweigte) Uberlagerung ist, sagt man: Der Keim κ l¨aßt sich in X unbegrenzt fortsetzen. Aus dem Monodromiesatz folgt direkt das Monodromieprinzip der Funktionentheorie. Wenn X einfach zusammenh¨ angt und der Keim κ unbegrenzt fortgesetzt werden kann, ist κ der Keim einer auf ganz X meromorphen Funktion. ¤ 3.4.4 Historisches. Die ¨alteste Form des Monodromieprinzips steht in Weierstraß’ Vorlesung Einf¨ uhrung in die Theorie der analytischen Functionen, die er zw¨ olf mal von 1861/62 bis 1884/85 an der Berliner Universit¨ at hielt. Bei der Betrachtung der analytischen Fortsetzung beantwortet er 1868 die Frage nach ihrer Eindeutigkeit mit dem Satz: Wenn ein Teil der Ebene einfach begrenzt ist und ” man kann f¨ ur jeden Punkt derselben ein Functionenelement erhalten, so werden wir st¨ ats zu demselben gelangen, also die Funktion eindeutig sein“. Weierstraß und seine Sch¨ uler konnten diesen Satz nicht beweisen. Dies gelang erst, als H. Weyl erkannte, daß das Problem der Eindeutigkeit der analytischen Fortsetzung in seinem Kern topologisch ist und durch die Liftung einer Abbildung gel¨ ost wird, nachdem ¨ man zuvor s¨ amtliche Funktionenelemente zu Punkten einer Uberlagerungsfl¨ ache gemacht hat, siehe [Wyl], S. 52 ff. Das Wort Monodromie benutzt Weierstraß nicht. Riemann nennt den Wert einer Funktion ein¨ andrig oder monodrom, wenn dort keine Verzweigung stattfindet [Ri 4], S. 68. Der heute u ¨bliche Gebrauch des Wortes geht auf Weyl zur¨ uck. Er nennt das Monodromieprinzips der Funktionentheorie den Monodromiesatz [Wyl 1], S. 54. Im Anschluß daran wurde es u ¨blich, die dahinter stehenden topologischen Aussagen mit dem Schlagwort Monodromie zu belegen. Das Monodromieprinzip wurde selbst von erstrangigen Funktionentheoretikern nicht immer korrekt angewendet. So behauptet Carath´eodory, [Cy 1] Band I, S. 230, daß eine lokal biholomorphe Abbildung h : G → h(G) zwischen Gebieten in C global biholomorph sei, sobald h(G) einfach zusammenh¨ angt. Die globale Umkehrabbildung gewinnt er mit dem Monodromieprinzip aus dem Keim einer lokalen Umkehrung, ohne zu pr¨ ufen, ob dieser Keim unbegrenzt fortgesetzt werden kann. Diese Beweisl¨ ucke l¨ aßt sich nicht schließen, da die Behauptung falsch ist, wie die surjektive Abbildung C \ {±1} 7→ C, z 7→ 13 z 3 − z , zeigt.

3.5 Abz¨ ahlbarkeit Aus einem meromorphen Funktionenkeim k¨onnen an derselben Stelle h¨ochstens abz¨ ahlbar viele Keime durch analytische Fortsetzung entstehen. Hinter diesem Ergebnis steht ein Satz der Topologie. 3.5.1 Abz¨ ahlbare Topologie. Eine Menge U von offenen Mengen 6= ∅ eines Raumes X heißt Basis der Topologie, wenn jede offene Menge W ⊂ X eine Vereinigung von Mengen U ∈ U ist. Wenn es eine abz¨ahlbare Basis gibt,

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¨ 3. Fundamentalgruppen und Uberlagerungen

nennt man die Topologie abz¨ ahlbar. Alle Kugeln mit rationalen Radien, deren Zentren rationale Koordinaten haben, bilden eine abz¨ahlbare Basis des Rn . (1) Wenn abz¨ ahlbar viele Unterr¨ aume A1 , A2 , . . . vonS X abz¨ ahlbare Topologien haben, ist die Topologie der Vereinigung Aj abz¨ ahlbar. Wenn die Topologie von X abz¨ ahlbar ist, ist die Spurtopologie jeder Teilmenge A ⊂ X auch abz¨ ahlbar. ¤ In einer Mannigfaltigkeit X hat jede Koordinatenumgebung eine abz¨ahlbare Topologie, weil sie zu einer offenen Menge des Rn hom¨oomorph ist. Jede relativ kompakte Menge A ⊂ X hat eine abz¨ahlbare Topologie, weil sie durch endlich viele Koordinatenumgebungen u ¨berdeckt werden kann. (2) Jeder Raum mit abz¨ ahlbarer Topologie enth¨ alt eine abz¨ ahlbare, dichte Teilmenge. Beweis. Sei U eine abz¨ahlbare Basis. Man w¨ahlt aus jedem U ∈ U je einen Punkt. Die abz¨ahlbare Menge T dieser Punkte ist dicht. Denn jede offene Menge W 6= 0 umfaßt ein U ∈ U und trifft daher T . ¤

(3) Sei A ⊂ X ein Teilraum mit abz¨ ahlbarer Topologie in einer Mannigfaltigkeit X . Sei U ⊂ X offen. Dann wird A von h¨ ochstens abz¨ ahlbar vielen Komponenten von U getroffen. Beweis. Nach (2) gibt es eine abz¨ahlbare, dichte Teilmenge T ⊂ A . Man definiert die Abbildung ϕ : T ∩ U → {Komponenten von U , die A treffen } durch ϕ(x) := Komponente, in der x liegt. Jede Komponente von U ist offen. Wenn sie A trifft, dann auch T . Daher ist ϕ surjektiv. Weil T ∩ U abz¨ahlbar ist, folgt (3). ¤ (4) Jede lokal endliche Teilmenge S eines Raumes X mit abz¨ ahlbarer Topologie ist abz¨ ahlbar. Beweis. Sei U eine abz¨ahlbare Basis der Topologie. Zu jedem x ∈ S gibt es ein Ux ∈ U, so daß die Ux paarweise disjunkt sind. Die Abbildung S → U, x 7→ Ux , ist daher injektiv. ¤

3.5.2 Satz von Poincar´ e-Volterra. Sei η : X → Y eine stetige Abbildung von einer zusammenh¨ angenden Mannigfaltigkeit X in einen Hausdorffraum Y mit abz¨ ahlbarer Topologie. Wenn alle Fasern von η lokal endlich sind, ist die Topologie von X abz¨ ahlbar. Beweis. Sei V eine abz¨ahlbare Basis von Y , und sei U die Menge aller relativ kompakten Komponenten von η −1 (V ) f¨ ur V ∈ V. (a) U u ¨berdeckt X. (b) Wenn die Topologie von A ⊂ X abz¨ ahlbar ist, wird A von h¨ ochstens abz¨ ahlbar vielen U ∈ U getroffen. Zu (a). Sei x ∈ X und y = η(x). Weil f −1 (y) lokal endlich ist, gibt es eine relativ kompakte Umgebung W von x , so daß der kompakte Rand ∂W = W \ W die Faser η −1 (y) nicht trifft. Dann ist η(∂W ) kompakt, also ist Y \ η(∂W ) eine Umgebung von y . Es gibt ein V ∈ V , so daß

3.5 Abz¨ ahlbarkeit

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y ∈ V ⊂ Y \ η(∂W ) . Die Komponente U von η −1 (V ) , welche x enth¨alt, liegt in W . Daher ist U wie W relativ kompakt und folglich x ∈ U ∈ U . Zu (b). Sei V ∈ V . Nach 3.5.1(3) wird A von h¨ochstens abz¨ahlbar vielen Komponenten von f −1(V ) getroffen. Da V abz¨ahlbar ist, folgt (b). Wir w¨ahlen ein U0 ∈ U und definieren induktiv die offenen, nicht-leeren Mengen A1 ⊂ A2 ⊂ · · · ⊂ X sowie die Folge U0 ⊂ U1 ⊂ · · · ⊂ U durch S A0 = U0 , Ur = {U ∈ U : U ∩ Ar 6= ∅} , Ar+1 = Ar ∪ U ∈Ur U . Alle U ∈ U haben abz¨ahlbare Topologie, weil sie relativ kompakt sind. Wegen (b) folgt durch Induktion: Jedes Ar hat abz¨ahlbare Topologie, und Ur ist S∞ abz¨ahlbar. Somit ist A = r=0 Ar ⊂ X eine offene Menge mit abz¨ ahlbarer Topologie. Da X zusammenh¨angt, folgt X = A , wenn noch gezeigt wird: (c) A ist abgeschlossen in X . Zu (c). Zu jedem x ∈ A¯ gibt es nach (a) ein U ∈ U mit x ∈ U . Dann ist U ∩ A 6= ∅, also U ∩ Ar 6= ∅ f¨ ur große r . Das bedeutet U ∈ Ur , also x ∈ Ar+1 . ¤ 3.5.3 Anwendungen auf Riemannsche Fl¨ achen. (1) Sei η : X → Y eine nicht-konstante holomorphe Abbildung zwischen zusammenh¨ angenden Riemannschen Fl¨ achen. Wenn die Topologie von Y abz¨ ahlbar ist, gilt dasselbe f¨ ur X , und jede η-Faser ist abz¨ ahlbar. Beweis. Die erste Behauptung folgt aus 3.5.2, weil die η-Fasern lokal endlich sind (1.3.3). F¨ ur die zweite Behauptung benutzt man noch 3.5.1(4). ¤ b Der Spezialfall Y = C ergibt: (2) Wenn auf der zusammenh¨ angenden Riemannschen Fl¨ ache X eine nicht konstante meromorphe Funktion lebt, ist die Topologie von X abz¨ ahlbar.

Die Voraussetzung von (2) ist immer erf¨ ullt, siehe 10.7.2.– Weil die Projektion b p : M → C , siehe 3.4.2, nirgends konstant ist, gilt: (3) Jede Zusammenhangskomponente von M hat abz¨ ahlbare Topologie. ¤

Die Abz¨ahlbarkeit der p-Faser bedeutet in diesem Falle: b, (4) Die Menge aller meromorphen Funktionenkeime an einer Stelle a ∈ C die aus einem festen Keim durch analytische Fortsetzung hervorgehen, ist abz¨ ahlbar. ¤ 3.5.4 Historisches. Der Satz, den Poincar´e und Volterra 1888 unabh¨angig voneinander bewiesen, ist die letzte Aussage (4). Tats¨ achlich stammt das Ergebnis von G. Cantor, der es schon Jahre vorher Weierstraß mitgeteilt hatte. Der topologische Kern des Satzes von Poincar´e und Volterra in der Gestalt 3.5.2 wurde von Bourbaki [Bou], Chap. 1, 11.7, herausgearbeitet. Mehr zur Geschichte findet man in [Ul].

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¨ 3. Fundamentalgruppen und Uberlagerungen

¨ 3.6 Unverzweigte normale Uberlagerungen Wir erg¨anzen die Ergebnisse in 3.2.9 durch eine Beziehung der Deckgruppe ¨ einer normalen Uberlagerung zur Fundamentalgruppe ihrer Basis. ¨ Mit η : X → Y wird eine topologische Uberlagerung zwischen zusammenh¨angenden Mannigfaltigkeiten bezeichnet. 3.6.1 Normalit¨ atslemma. Wenn es f¨ ur einen Punkt a ∈ X zu jedem a′ ′ mit η(a ) = η(a) eine Deckabbildung g mit g(a) = a′ gibt, ist η ist normal. Beweis. F¨ ur x, x′ ∈ X gelte η(x) = η(x′ ) . Man verbindet x mit a durch einen Weg u . Es gibt einen Weg v u ¨ber η ◦ u , der in x′ beginnt. Er endet in ′ ′ einem Punkt a mit η(a ) = η(a) . F¨ ur die Deckabbildung g mit g(a) = a′ ′ gilt dann g(x) = x , da aus der Eindeutigkeit der Liftung g ◦u = v folgt. ¤ 3.6.2 Wechsel des Basispunktes. ¡Sei η(a)¢ = b . Wenn¡ a′ die¢ Faser η −1 (b) durchl¨ auft, erh¨ alt man mit η∗ π(X, a′ ) alle zu η∗ π(X, a) konjugierten Untergruppen von π(Y, b) . Beweis. Die η-Liftungen der Schleifen v in Y mit dem Basispunkt b , welche in a beginnen, sind genau die Wege u , die in Punkten a′ ∈ η −1 (b) enden. Mit den Verschiebungen Φu und Φv , siehe 3.1.5, ist das Diagramm kommutativ: Φu π(X, a) −→ π(X, a′ ) η∗ ↓ ↓ η∗ Φv π(Y, b) −→ π(Y, b) . ¡ ¢ ¡ ¢ ′ Es folgt η∗ π(X, a ) = [v]−1 · η∗ π(X, a) · [v] . ¤ ¡ ¢ Insbesondere dann ein Normalteiler, wenn ¡ ¢ ist ¡η∗ π(X, ¢a) ⊳ π(Y, b)′ genau η∗ π(X, a′ ) = η∗ π(X, a) f¨ ur alle a ∈ η −1 (b) gilt. Letzteres ist nach dem Monodromiesatz 3.2.6 zur Existenz einer Deckabbildung g mit g(a′ ) = a ¨aquivalent. Mit 3.6.1 folgt der ¨ Satz. ¡ Die ¢Uberlagerung η : (X, a) → (Y, b) ist genau dann normal, wenn η∗ π(X, a) ⊳ π(Y, b) ein Normalteiler ist. ¤ 3.6.3 Der Poincar´ esche Epimorphismus. Sei η : (X, a) → (Y, b) eine ¨ normale Uberlagerung. Es gibt genau einen Epimorphismus

(1) P : π(Y, b) → D(η) , so daß f¨ ur jede Schleife v mit dem Basispunkt b ihre in a beginnende ¡ ¢ Liftung u in P [v](a) endet. Der Kern von P ist die Bildgruppe η∗ π(X, a) . Genau dann, wenn P ein Isomorphismus ist, h¨ angt X einfach zusammen. Beweis. Man definiert g := P [v] als die Deckabbildung, deren Wert g(a) der Endpunkt von u ist. Nach dem Homotopie-Liftungssatz 3.2.3 h¨angt g nur von der Homotopieklasse [v] ∈ π(Y, b) ab, und P ist wohldefiniert. Dies ist die einzig m¨ogliche Definition von P .

¨ 3.6 Unverzweigte normale Uberlagerungen

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Homomorphie. F¨ ur j = 1, 2 seien vj zwei Schleifen und uj ihre Liftungen, die in a beginnen. Sei gj := P [vj ] und g := P [v1 · v2 ] . Dann ist u1 · (g1 ◦ u2 ) die Liftung von v1 ·v2 , die in a beginnt. Ihr Endpunkt g(a) ist der Endpunkt von g1 ◦ u2 , also der Punkt g1 ◦ g2 (a) . Surjektivit¨ at. Sei g ∈ D(η) . Man verbindet a mit g(a) durch einen Weg u . F¨ ur v = η ◦ u gilt P [v] = g . Kern. Genau dann, wenn P [v] ¡ ¢ = id ist, wird v zu einer Schleife u geliftet, d.h. [v] = η∗ [u] ∈ η∗ π(X, a) . Isomorphismus. Der Kern von P ist genau dann trivial, wenn X einfach zusammenh¨angt. Denn nach 3.2.4(2) ist η∗ injektiv. ¤ Wir nennen P den Poincar´eschen Epimorphismus. Er h¨angt von der Wahl des Basispunktes a ab und wird daher genauer mit Pa bezeichnet. Sei v ein Weg von a nach a′ in X . F¨ ur die Verschiebung Φw : π(Y, b) → π(Y, b′ ) l¨angs w = η ◦ v gilt Pa = Pa′ ◦ Φw . 3.6.4 Beispiele. Der Poincar´esche Epimorphismus erm¨oglicht die Berech¨ nung der Fundamentalgruppe π(Y, b) , wenn eine universelle Uberlagerung ζ : (Z, c) → (Y, b) und ihre Deckgruppe D(ζ) bekannt sind.

(1) Die Fundamentalgruppe π(C× , 1) ist unendlich zyklisch und wird von der Homotopieklasse des Weges u : [0, 2π] → C× , u(s) = exp(is) , erzeugt. Entsprechend ist π(E× ) unendlich zyklisch. (2) Die Fundamentalgruppe des Torus T = C/Ω zum Gitter Ω = Zω1 +Zω2 ist eine freie abelsche Gruppe vom Rang 2 . Die Homotopieklassen der Schleifen uj : [0, 1] → T , uj (t) = η(tωj ) , bilden eine Basis von π(T, a).

Beweis. Man benutzt bei (1) die Exponentialfunktion exp : C → C× und bei ¨ (2) die Torusprojektion η : (C, 0) → (T, a) als universelle Uberlagerungen. 3.6.5 Historisches. C. Jordan [Jo] stand 1866 mit seinem Kalk¨ul der Wege und ihrer Homotopien kurz vor der Definition der Fundamentalgruppe. Sogar die Einsicht, sich auf Schleifen zu beschr¨ anken, hatte er bereits. Es mag daher verwundern, warum er nicht die Fundamentalgruppe erfand. Aber Gruppen waren damals noch Substitutions- oder Transformationsgruppen und nicht Mengen mit einer Verkn¨ upfung f¨ ur je zwei Elemente. Es dauerte noch 26 Jahre, bis H. Poincar´e 1892 die Fundamentalgruppe in einer kurzen Note definierte. Dieser Note folgte 1895 eine ausf¨ uhrliche Abhandlung und 1904 eine Erg¨ anzung, siehe [Po] IV, p. 183 ff . Den Namen groupe fondamentale pr¨ agte er 1895. ¨ Zehn Jahre vorher hatte Poincar´e, teilweise im Wettstreit mit Klein, Uberlagerungen kompakter Riemannscher Fl¨ achen R vom Geschlecht ≥ 2 durch die obere Halbebene H untersucht. Die Deckgruppen nannte er Fuchs’sche Gruppen. Klein protestierte vergeblich: Fuchs hat hier keine Verdienste.“ [Klei 5], S. 374 ff. ” Nach der Definition der Fundamentalgruppe erinnerte Poincar´e an die Fuchs’schen Gruppen und stellte fest [Po] VI, S. 247: Ce groupe fuchsien ne sera, d’ailleurs, ” ´evidemment autre chose que le groupe fondamental g, r´elatif ` a la surface R consider´ee comme une vari´et´e ` a deux dimensions.“ Kurz gesagt: Die Fundamental¨ gruppe ist die Deckgruppe der universellen Uberlagerung.

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¨ 3. Fundamentalgruppen und Uberlagerungen

¨ 3.7 Konstruktion von Uberlagerungen Wir realisieren alle Untergruppen der π(Y ) einer Man¡ Fundamentalgruppe ¢ ¨ nigfaltigkeit Y als Bildgruppen η∗ π(X) zusammenh¨angender Uberlagerungen η : X → Y und verallgemeinern die Ergebnisse auf den unzusammenh¨angenden Fall. ¨ 3.7.1 Uberlagerungen zu vorgegebenen Untergruppen. Zu jeder Untergruppe H < π(Y, b) gibt es bis auf Isomorphie an¡ genau¢ eine zusammenh¨ ¨ gende Uberlagerung η : (X, a) → (Y, b) mit η∗ π(X, a) = H. Der Index von H in π(Y, b) ist die Bl¨ atterzahl von η . Beweis. Zur Isomorphie siehe 3.2.7.– Zur Existenz: Zwei Wege u und v, die in b beginnen, heißen H-¨ aquivalent, wenn sie denselben Endpunkt haben und die Homotopieklasse der Schleife u · v − in H liegt. Insbesondere sind zwei Schleifen mit dem Basispunkt b genau dann H-¨aquivalent, wenn ihre Homotopieklassen in derselben Restklasse modulo H liegen. Sei kl v die ¨ ¨ H-Aquivalenzklasse von v , sei X die Menge aller H-Aquivalenzklassen , und sei η : X → Y die Abbildung η(kl v) := Endpunkt von v. Sei U eine einfach zusammenh¨angende Umgebung des Endpunktes y von v. Wir lassen u alle Wege in U durchlaufen, die in y beginnen, und bilden die ¨ Menge Uv := {kl (v · u)} ⊂ X der H-Aquivalenzklassen der Produktwege, siehe Figur 3.7.1. Durch η wird Uv bijektiv auf U abgebildet.

v ·b

· y

U · u

¨ Fig. 3.7.1. In der Uberlagerungsfl¨ ache X ¨ besteht eine Umgebung der H-Aquivalenzklasse kl v aus allen Klassen kl(v · u) , wobei u ein Weg in U ist, der in y beginnt.

S¨amtliche Mengen Uv bilden die Basis einer Topologie auf X. Bez¨ uglich dieser Topologie ist η stetig und offen. Da U einfach zusammenh¨angt, wird U durch η −1 (U ) trivial u ¨berlagert. ¨ Der Basispunkt a ∈ X ist die H-Aquivalenzklasse kl b des konstanten Weges. Jeder Weg v in Y , der in b beginnt, hat genau einen η-Lift vˆ, der in a beginnt. Der Endpunkt von vˆ ist kl v ∈ X. Daher h¨angt X zusammen.– ¨ Aus den Aquivalenzen [v] ∈¡ η∗ π(X, ¢a) ⇔ vˆ ist eine Schleife ⇔ kl v = a = kl b ⇔ [v] ∈ H folgt η∗ π(X, a) = H.– Da die Nebenklassen von H in π(Y, b) umkehrbar eindeutig den Punkten der Faser η −1 (b) entsprechen, ist die Bl¨atterzahl von η der Index von H in π(Y, b). ¤

¨ 3.7 Konstruktion von Uberlagerungen

61

3.7.2 Folgerungen. (1) Zu jedem Epimorphismus h : π(Y, b) → G gibt es ¨ bis auf Isomorphie genau eine normale Uberlagerung η : (X, a) → (Y, b) mit der Deckgruppe G und dem Poincar´eschen Epimorphismus h. (2) Jede zusammenh¨ angende Mannigfaltigkeit Y wird durch eine einfach zusammenh¨ angende Mannigfaltigkeit Z u ¨berlagert. ¨ (3) Bei jeder universellen Uberlagerung X → Y h¨ angt X einfach zusammen. Beweis. (1) Man wendet 3.7.1 auf die Untergruppe H = Kern h an und ¨ erh¨alt wegen 3.6.2-3 die gew¨ unschte normale Uberlagerung.– (2) folgt aus (1), angewendet auf h = id .– (3) Nach (2) gibt es eine einfach zusammenh¨angende ¨ ¨ Uberlagerung. Nach 3.2.8 ist diese universell und daher zur Uberlagerung X → Y isomorph. ¤ 3.7.3 Historisches. Um die besonderen Eigenschaften einfach zusammenh¨angender Fl¨ achen auch f¨ ur nicht einfach zusammenh¨ angende Fl¨ achen nutzen zu k¨ onnen, zerlegte Riemann letztere durch Querschnitte in einfach zusammenh¨ angende St¨ ucke, siehe [Ri 2], Artikel 6. Hieran kn¨ upfte H. A. Schwarz dreißig Jahre sp¨ ater ¨ mit der Konstruktion einfach zusammenh¨ angender Uberlagerungen an. Er teilte seinen Gedankengang F. Klein m¨ undlich mit. Dieser beschrieb ihn am 14.5.1882 in einem Brief an H. Poincar´e folgendermaßen, [Klei 1], Band 3, S. 616 : Schwarz denkt sich die Riemannsche Fl¨ ache in geeigneter Weise zerschnitten, ” ¨ sodann unendlich-fach u ¨berdeckt und die verschiedenen Uberdeckungen in den Querschnitten so zusammengef¨ ugt, daß eine Gesamtfl¨ ache entsteht, welche der Gesamtheit der in der Ebene nebeneinander zu legenden Polygonen entspricht. Diese Gesamtfl¨ ache ist, sofern man von solchen Attributen bei unendlich ausgedehnten Fl¨ achen sprechen kann (was eben erl¨ autert werden muß), einfach zusammenh¨ angend, ... – Dieser Schwarzsche Gedankengang ist jedenfalls sehr sch¨ on.“ Poincar´e antwortete umgehend (18.5.1882): Les id´ees de M. Schwarz ont une port´ee ” bien plus grande.“

¨ ¨ 3.7.4 G -Uberlagerungen. Wir betrachten Uberlagerungen, bei denen nur noch Y zusammenh¨angt. Diese Verallgemeinerung wird in 3.8.2 ben¨otigt. ¨ Wir nennen η eine G-Uberlagerung, wenn G < D eine Untergruppe der Deckgruppe ist, so daß zu je zwei Punkten x, x′ mit η(x) = η(x′ ) genau ein ¨ g ∈ G mit g(x) = x′ existiert. Bei zusammenh¨angenden Uberlagerungen ist dies wegen der Eindeutigkeit der Liftung nur f¨ ur G = D m¨oglich. ¨ An die Stelle des Poincar´eschen Epi morphismus tritt bei G-Uberlagerungen η : (X, a) → (Y, b) der analog definierte Poincar´esche Homomorphismus P : π(Y, b) → G . Sei X0 die Komponente von X, in der a liegt. Dann ist die Beschr¨ankung ¨ von η eine normale Uberlagerung η0 : X0 → Y mit der Deckgruppe G0 := {g ∈ G : g(X0 ) = X0 } = P (π(Y, b)) < G. Insbesondere gilt: (1) Genau dann, wenn X zusammenh¨ angt, ist P surjektiv. ¤ ¨ Eindeutigkeitssatz. Zu zwei G-Uberlagerungen η : (X, a) → (Y, b) und η ′ : (X ′ , a′ ) → (Y, b) mit demselben Poincar´eschen Homomorphismus P : π(Y, b) → G gibt es genau einen Hom¨ oomorphismus ϕ : (X, a) → (X ′ , a′ ) ′ mit η ◦ ϕ = η und ϕ ◦ g = g ◦ ϕ f¨ ur alle g ∈ G.

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¨ 3. Fundamentalgruppen und Uberlagerungen

¨ Beweis. Die analog zu η0 gebildete normale Uberlagerung η0′ hat denselben Poincar´eschen Epimorphismus wie η0 und ist daher zu η0 isomorph: Es gibt genau einen Hom¨oomorphismus ϕ0 : (X0 , a) → (X0′ , a′ ) mit η0′ ◦ϕ0 = η0 und ϕ0 ◦g = g◦ϕ0 f¨ ur g ∈ G0 . Zu jeder Komponente X1 von X gibt es ein g ∈ G mit g(X0 ) = X1 . Wir definieren ϕ|X1 := g ◦ ϕ0 ◦ g −1 und u ¨berlassen dem Leser nachzupr¨ ufen: Die Definition h¨angt nicht von g ab und ergibt einen Hom¨oomorphismus ϕ : X → X ′ mit allen behaupteten Eigenschaften. ¤ ¨ 3.7.5 Existenz der G -Uberlagerungen. Bei einer zusammenh¨ angenden Mannigfaltigkeit Y ist jeder Homomorphismus h : π(Y, b) → G der ¨ Poincar´esche Homomorphismus einer G-Uberlagerung η : (X, a) → (Y, b). ¨ Beweis. Sei G0 := Bild h < G. Nach 3.7.2(1) gibt es eine normale Uberlagerung η0 : (X0 , a) → (Y, b) mit dem Poincar´eschen Epimorphismus h : π(Y, b) → G0 . Sei M ⊂ G eine Repr¨asentantenmenge f¨ ur die Restklassen von G modulo G0 . Dabei sei das Einselement 1 der Repr¨asentant f¨ ur G0 . Wir versehen M mit der diskreten Topologie, bilden X := M ×X0 mit dem ¨ Basispunkt (1, a) und die Uberlagerung η : X → Y , η(m, x) := η0 (x) f¨ ur m ∈ M und x ∈ X0 . Wir definieren den Monomorphismus G → D(η) durch g(m, x) := (m0 , g0 (x)), wobei m0 ∈ M und g0 ∈ G0 durch gm = m0 g0 ¨ eindeutig bestimmt werden. Dadurch wird η zu einer G-Uberlagerung mit dem Poincar´esche Homomorphismus h : π(Y, b) → G0 ֒→ G. ¤

3.8 Die Fundamentalgruppe einer Vereinigung Seifert (1931) und van Kampen (1934) fanden eine Methode, um die Fundamentalgruppe π(U ∪ V ) einer Vereinigung zu bestimmen, wenn man π(U ), π(V ) und π(U ∩ V ) kennt. Wir berechnen damit die Fundamentalgruppen der mehrfach punktierten Ebene (3.8.4) und der kompakten Fl¨achen (12.3.6).

C

a

b B

j y Dia. 1

C

A A

a j f

D

C

b D h G Dia. 2

y

B

a



b

g B

A





Dia. 3

3.8.1 Amalgierte Produkte. Das kommutative Diagramm 1 von Gruppen und Homomorphismen heißt amalgiertes Produkt, wenn es zu jeder Gruppe G und zu jedem Paar von Homomorphismen f : A → G und g : B → G, f¨ ur

3.8 Die Fundamentalgruppe einer Vereinigung

63

die f ◦ α = g ◦ β gilt, genau einen Homomorphismus h : D → G gibt, so daß f = h ◦ ϕ und g = h ◦ ψ ist, siehe Diagramm 2. Wenn das Diagramm 3 auch ein amalgiertes Produkt ist, gibt es genau einen Isomorphismus h : D → D′ , so daß ϕ′ = h ◦ ϕ und ψ ′ = h ◦ ψ gelten (Eindeutigkeit). Beispiel. Sei α : C → A ein Homomorphismus, und sei N der von α(C) in A erzeugte Normalteiler. Sei ϕ : A → A/N =: D die Projektion auf die Faktorgruppe. Mit B := {1} entsteht ein amalgiertes Produkt. 3.8.2 Satz von Seifert und van Kampen. Die Mannigfaltigkeit X sei die Vereinigung U ∪ V von zwei offenen, zusammenh¨ angenden Mengen, so daß auch U ∩ V zusammenh¨ angt. Das durch die Einbettungen induzierte Diagramm der Fundamentalgruppen mit einem Basispunkt a ∈ U ∩ V ist ein amalgiertes Produkt: α π(U ∩ V ) −→ π(U )   yϕ βy π(V )

ψ

−→ π(U ∪ V )

Beweis (nach Grothendieck, siehe [Go], S. 143 f). Es seien f : π(U ) → G und g : π(V ) → G zwei Homomorphismen, so daß f ◦ α = g ◦ β gilt. Es gen¨ ugt zu zeigen, daß genau ein Homomorphismus h : π(U ∪ V ) → G mit h ◦ ϕ = f und h ◦ ψ = g existiert. ¨ Nach 3.7.5 gibt es zwei G-Uberlagerungen η1 : (Z1 , c1 ) → (U, a) und η2 : (Z2 , c2 ) → (V, a) mit den Poincar´eschen Homomorphismen f bzw. g. ¨ Wegen f ◦ α = g ◦ β und der Eindeutigkeit der G-Uberlagerung sind η1 und η2 u ¨ber U ∩ V kanonisch isomorph. Mit dem eindeutig bestimmten Isomor¨ phismus werden η1 und η2 zu einer G-Uberlagerung η : (Z, c) → (U ∪ V, c) verschmolzen, so daß Z = Z1 ∪ Z2 und η|Zj = ηj ist. Der Poincar´esche Homomorphismus von η ist der gesuchte Homomorphismus h . Er ist eindeutig bestimmt. Wir erl¨ autern die Verschmelzung ausf¨ uhrlicher: Es gibt genau einen Hom¨ oomorphismus −1 −1 q : η1 (U ∩ V ) → η2 (U ∩ V ) mit q(c1 ) = c2 , η1 = η2 ◦q und q ◦γ = γ ◦q f¨ ur alle γ ∈ G . Auf Z1 ⊎Z2 wird durch ¨ z1 ∼ q(z1 ) f¨ ur z1 ∈ η1−1 (U ∩ V ) eine Aquivalenzrelation erzeugt. Sei Z die Menge ¨ der Aquivalenzklassen und p : Z1 ⊎ Z2 → Z die Projektion, die jedem z seine Klasse p(z) zuordnet. Wir identifizieren Zj mit p(Zj ) ⊂ Z durch die injektive Beschr¨ ankung p|Zj . Mit folgender Topologie wird Z zu einem Hausdorffraum: U ⊂ Z offen ⇔ u ∩ Zj ⊂ Zj offen f¨ ur j = 1, 2 . Insbesondere ist Zj ⊂ Z offen, und Z = Z1 ∪ Z2 ist eine Mannigfaltigkeit. ¨ Man definiert η : Z → U ∪ V durch η|Zj := ηj und verifiziert, daß η eine Uberlagerung ist. Wegen q ◦ γ = γ ◦ q f¨ ur γ ∈ G setzen sich die beiden Hom¨ oomorphismen γ : Z1 → Z1 und γ : Z2 → Z2 zu einem Hom¨ oomorphismus γ : Z → Z zusammen. Dadurch wird G zu einer Untergruppe von D(η) , die η zu ¨ einer G -Uberlagerung macht. Sei h ihr Poincar´escher Homomorphismus. Dann ist ¨ h◦ϕ der Poincar´esche Homomorphismus f der G -Uberlagerung η1 . Entsprechend folgt h ◦ ψ = g .

¨ 3. Fundamentalgruppen und Uberlagerungen

64

Zur Eindeutigkeit: Angenommen, es gibt zwei Homomorphismen h und h′ . Beide ¨ sind Poincar´esche Homomorphismen zu G-Uberlagerungen η bzw. η ′ von U ∪ V . ′ ′ ¨ Wegen h ◦ ϕ = h ◦ ϕ und h ◦ ψ = h ◦ ψ sind diese Uberlagerungen u ¨ber U und u ¨ber V isomorph. Damit sind η und η ′ u ¨ber U ∪ V isomorph und haben denselben Poincar´eschen Homomorphismus h = h′ . ¤

3.8.3 Freie Produkte und freie Gruppen. Man nennt das amalgierte Produkt des Diagramms 1 in 3.8.1 ein freies Produkt, wenn C = {1} trivial ist. In diesem Falle schreibt man D = A ∗ B und faßt, da ϕ und ψ injektiv sind, A und B als Untergruppen von A ∗ B auf. Im Satz von Seifert und van Kampen gilt (1) π(U ∪ V ) = π(U ) ∗ π(V ) , wenn U ∩ V einfach zusammenh¨ angt. Man sagt: Die Gruppe G wird von der Teilmenge M ⊂ G frei erzeugt, wenn sich jede Abbildung ϕ : M → H in eine Gruppe H zu genau einem Homomorphismus f : G → H fortsetzen l¨aßt. In diesem Fall heißt G freie Gruppe. F¨ ur ♯M = 1 ist G unendlich zyklisch. F¨ ur ♯M ≥ 2 ist G nicht abelsch, da es einen Epimorphismus G → S3 gibt: Man w¨ahlt zwei Elemente a 6= b in M und definiert ϕ(a) := (12), ϕ(b) := (23), ϕ(x) := (1) f¨ ur x ∈ M \{a, b} . Wenn zwei Gruppen G und H von gleichm¨achtigen Teilmengen M ⊂ G und N ⊂ H frei erzeugt werden, sind sie isomorph. Wenn die Gruppen G und H von M bzw. N frei erzeugt werden, wird das freie Produkt G ∗ H von der disjunkten Vereinigung M ⊎ N frei erzeugt. Satz. Die Fundamentalgruppe π(C \ {a1 , . . . , ar }) der r-fach punktierten Ebene wird von r Elementen frei erzeugt. Im n¨achsten Abschnitt wird ein genaueres Ergebnis bewiesen. 3.8.4 Punktierte Fl¨ achen. Sei A ⊂ X eine lokal endliche Menge in einer zusammenh¨angenden Fl¨ache. Sei U eine Scheibe um a ∈ A mit U ∩A = {a} , und sei v eine Schleife in U × := U \{a} . Jeder Weg u in X \ A der Gestalt u = w · v · w− wird a-Schleife genannt, siehe Fig. 3.8.4 a.

v

®

°a ·

w

®

U

·

Fig. 3.8.4 a. Eine einfache a - Schleife wvw− beginnt mit einem Weg w , der in einer punktierten Scheibe U um a endet. Daran schließt sich der Weg v an, welcher den Kreis um a einmal positiv durchl¨ auft. Dann kehrt die Schleife l¨ angs w− an ihren Ausgangspunkt zur¨ uck.

Die Schleife u heißt einfach, wenn es eine Karte h : (U, a) → (E, 0) gibt, so daß h ◦ v zu γ : [0, 1] → E× , γ(t) = h(v(0)) · exp(2πit) , homotop ist. Da π(E× ) von [γ] erzeugt wird, ist die Homotopieklasse jeder a-Schleife eine

3.8 Die Fundamentalgruppe einer Vereinigung

65

Potenz der Homotopieklasse einer einfachen a-Schleife. Wenn man den Basispunkt x0 l¨angs eines Weges in X \ A nach x1 verschiebt, gehen (einfache) a-Schleifen mit dem Basispunkt x0 in solche mit dem Basispunkt x1 u ¨ber. Insbesondere ist die Menge der Homotopieklassen aller (einfachen) a-Schleifen in π(X \A, x0 ) unter Konjugation invariant. Hier ist eine genauere Version des Satzes in 3.8.3, die in 4.7.4 bei verzweigten b ben¨otigt wird. ¨ Uberlagerungen von C

b paarweise verschieden, 1 ≤ r < ∞ . Zu jedem Satz. Seien a0 , . . . , ar ∈ C b \ {a0 , · · · , ar }) j = 0, . . . , r gibt es eine einfache aj -Schleife uj , so daß π(C von den Klassen [u1 ], . . . , [ur ] frei erzeugt wird und [u0 ] · . . . · [ur ] = 1 gilt. b erreichen wir a0 = ∞ und Beweis. Durch einen Automorphismus von C paarweise verschiedene Realteile der Punkte a1 , . . . , ar . Sei R ein achsenparalleles Rechteck, so daß A := {a1 , . . . , ar } im Innern von R liegt; sei x0 ein Basispunkt auf dem Rande ∂R . Sei u die Schleife von und nach x0 , welche ∂R einmal positiv durchl¨auft. Sei S = {z ∈ C : α < Re z < β} ein Streifen mit A ⊂ S ; dabei sind α = −∞ und β = ∞ zugelassen.

(1) In S \A gibt es zu jedem Punkt aj ∈ A eine einfache Schleife uj , so daß π(S \ A, x0 ) von [u1 ], · · · , [ur ] frei erzeugt wird und bei eventuell ge¨ anderter Reihenfolge [u1 ] · . . . · [ur ] = [u] gilt.

S+

u_ ¯

°

¬

x0 · w

am° °

R_

R+

°

ar°+1 °a m+1 °

¯

¬ ° a1

° a1

v

u+

¬

u

S_ Fig. 3.8.4 b. Die linke Figur zeigt den Induktionsbeginn und die rechte den Induktionsschluß des Beweises zu (1).

Wir beweisen (1) durch Induktion u ¨ber r . F¨ ur den Beginn bei r = 1 siehe die linke Figur 3.8.4 b: Eine radiale Homotopie vom Zentrum a1 aus zeigt: Der Weg u ist zur einfachen a1 -Schleife u1 = wvw− homotop, bei der w auf einem Strahl durch a1 liegt. Also gilt [u1 ] = [u] . Es gibt einen Hom¨oomorphismus (S, a1 ) → (C, 0) , der v in den Weg γ : [0, 1] → C, γ(t) := exp (2πit) , u ¨berf¨ uhrt. Die Gruppe π(C× ) wird durch [γ] frei erzeugt.

66

¨ 3. Fundamentalgruppen und Uberlagerungen

Daher wird π(S \{a1 }) durch [v] und nach Basispunktverschiebung durch [u1 ] frei erzeugt. Schluß von r auf r + 1 , siehe die rechte Figur 3.8.4 b: Wir u ¨berdecken S durch zwei u ¨berlappende Streifen S− und S+ , so daß S− ∩ S+ ∩ A = ∅ aber S− ∩ A 6= ∅ = 6 S+ ∩ A gilt. Wir zerlegen R in zwei Rechtecke R± ⊂ S± . Wir numerieren so, daß A+ := S+ ∩ A = {a1 , . . . , am } und A− := S− ∩ A = {am+1 , . . . , ar+1 } . Nach der Induktionsannahme gibt es einfache aj -Schleifen uj , so daß π(S+ \ A+ ) durch [u1 ], . . . , [um ] und π(S−\A− ) durch [um+1 ], . . . , [ur+1 ] frei erzeugt werden, wobei [u1 ]·. . .·[um ] = [u+ ] und [um+1 ] · . . . · [um+1 ] = [u− ] f¨ ur die Randwege der Teilrechtecke R± gelten. Da S− ∩ S+ keine L¨ocher enth¨alt und einfach zusammenh¨angt, folgt nach 3.8.3, daß π(S \A) = π(S \A+ ) ∗ π(S \ A− ) das freie Produkt ist und somit von [u1 ], . . . , [ur+1 ] frei erzeugt wird. Weil u zu r+ · r− homotop ist, gilt [u] = [u1 ] · . . . · [ur+1 ].

Die inverse Rechteckschleife u− ist eine einfache a0 -Schleife. Aus (1) folgt daher die Behauptung des Satzes mit einer Einschr¨ankung: Die Reihenfolge der Punkte a0 , . . . , ar ist im Produkt [uσ(0) ] · . . . · [uσ(r) ] = 1 permutiert. Aber mit x · y = xyx−1 · x l¨aßt sich die vorgegebene Reihenfolge herstellen. Denn mit [uj ] ist auch x · [uj ] · x−1 die Homotopieklasse einer einfachen aj -Schleife. ¤

3.9 Aufgaben 1)

Begr¨ unde, daß jeder Weg in einem Gebiet X ⊂ C zu einem Polygonzug, d.h. zu einem st¨ uckweise linearen Weg homotop ist.

2)

Beweise in Erg¨ anzung zu 3.1.2, daß das Produkt [u] · [v] := [u · v] wohldefiniert und assoziativ ist.

3)

(i) Seien u und v zwei st¨ uckweise stetig differenzierbare Wege in C× mit gleichem Anfangs- und gleichem Endpunkt. Benutze die Exponential× u ¨berlagerung, um R Die Wege u und v sind genau dann in C R zu zeigen: homotop, wenn u dz/z = v dz/z gilt. (ii) Beschreibe die Umlaufzahl ind(u, a) einer Schleife u in C \{a} durch die ¨ η -Liftung u b in einer unverzweigten Uberlagerung η : X → C\{a} .

4)

5)

(i) Begr¨ unde: Außer Isomorphismen gibt es keine holomorphen, unverzweigb → Y eine Riemannsche Fl¨ ¨ ten Uberlagerungen C ache Y . b (ii) Zeige: Jede holomorphe Abbildung C → Torus ist konstant.

Zeige: F¨ ur einen Torus T gibt es bis auf Isomorphie nur folgende zusammen¨ ¨ h¨ angende, unverzweigte, holomorphe Uberlagerungen: die universelle Uber¨ ¨ lagerung u : C → T , unendliche Uberlagerungen C× → T und endliche Uber¨ lagerungen durch Tori T ′ → T . Alle Uberlagerungen sind normal. Wie lauten ihre Deckgruppen?

3.9 Aufgaben

6)

67

Sei f eine nicht konstante meromorphe Funktion auf einem Torus T . Zeige: Die Abbildung X b → T, z 7→ v(f, x) · x , C x∈f −1 (z)

ist holomorph und daher konstant, siehe Aufgabe 4(ii). Folgere die Abelsche Relation 2.3.2 f¨ ur elliptische Funktionen. 7)

Sei X ⊂ C ein Gebiet, sei f eine Laurent-Reihe an der Stelle a ∈ X mit dem Keim fa ∈ M . Sei Z die Komponente von M , welche fa enth¨ alt. Zeige: ¨ Die Projektion p : Z → X ist genau dann eine Uberlagerung, wenn sich f l¨ angs jeder Kreiskette in X im Weierstraßschen Sinne analytisch fortsetzen l¨ aßt. Wenn dies der Fall ist und X einfach zusammenh¨ angt, gibt es genau eine meromorphe Funktion auf X , die bei a die Laurent-Entwicklung f hat.

8)

Sei f auf dem Gebiet X ⊂ C meromorph. Zeige: Wenn κ der Keim einer lokalen Stammfunktion von f ist, gilt dasselbe f¨ ur alle Keime, die in derselben Komponente Z von M liegen. Wenn das Residuum von f an allen Polstellen verschwindet, ist p : Z → X ¨ eine Uberlagerung. In diesem Falle gilt Z f (z)dz = e(ˆ u(1)) − e(ˆ u(0)) u

9)

f¨ ur jeden Integrationsweg u : [0, 1] → X , der die Pole von f meidet, seine Liftung u ˆ nach Z und die Auswertungsfunktion e . R R Folgere: Wenn u und v in X homotop sind, ist u f (z)dz = v f (z)dz . Sei S := {z ∈ C : |z| = 1} . Berechne die Fundamentalgruppe des punktierten Torus (S × S) \ {(1, 1)} . ¨ Hinweis: Sei S o = S \ {1} . Uberdecke den punktierten Torus durch S o × S o und S × S .

10) Sei X eine zusammenh¨ angende Fl¨ ache. Sei A ⊂ X lokal endlich, und sei u eine nullhomotope Schleife in X , die A nicht trifft. Zeige: Es gibt eine endliche Teilmenge A′ := {a1 , . . . , an } ⊂ A , so daß u in X \ (A \ A′ ) nullhomotop ist. Die Homotopieklasse [u] ∈ π(X \ A) liegt im Normalteiler, den die n Homotopieklassen einfacher aj -Schleifen erzeugen. Wie lautet beim punktierten Torus (Aufgabe 9) die Homotopieklasse einer einfachen (1, 1)-Schleife ? 11) Beweise: Jede von zwei Elementen erzeugte Gruppe ist die Deckgruppe einer ¨ unverzweigten, zusammenh¨ angenden Uberlagerung η : X → C×× . Beispiele: Die alternierende Gruppe A5 , erzeugt von (1 2)(4 5) und (2 3 4) ; jede symmetrische Gruppe Sn , erzeugt von (1 2) und (1 2 . . . n) .

¨ 4. Verzweigte Uberlagerungen

¨ In diesem Kapitel werden verzweigte Uberlagerungen η : X → Y zwischen Riemannschen Fl¨achen untersucht. Wir beginnen mit der Betrachtung von oben (4.1-4.5): Die Fl¨ache X und eine Untergruppe G < Aut(X) sind ¨ vorgegeben. Es sollen Uberlagerungen mit der Deckgruppe D(η) = G gefunb den werden. Diese Aufgabe l¨aßt sich f¨ ur endliche Untergruppen von Aut(C) durch rationale Funktionen l¨osen, siehe 4.2. Im allgemeinen Fall wird Y erst als topologischer Raum konstruiert (4.1) und dann mit garbentheoretischen Methoden zu einer Riemannschen Fl¨ache gemacht, siehe 4.4. Dabei spielt die Diskontinuit¨ at der Gruppe eine wichtige Rolle (4.3). Im zweiten Teil des Kapitels (ab 4.6) blicken wir von unten nach oben: Die Fl¨ache Y und eine lokal endliche Teilmenge B ⊂ Y sind vorgegeben. Durch die Untergruppen der Fundamentalgruppe π(Y \ B) sind nach 3.7.1 alle ¨ unverzweigten Uberlagerungen der punktierten Fl¨ache Y \ B bekannt. Diese ¨ werden durch zus¨atzliche Fasern u ¨ber B zu verzweigten Uberlagerungen der ganzen Fl¨ache Y fortgesetzt.

4.1 Orbitprojektionen Zu jeder Transformationsgruppe G eines topologischen Raumes X wird eine stetige Abbildung η : X → Y konstruiert, die G als Deckgruppe besitzt. Wir benutzen dazu die Begriffe und Bezeichnungen aus 1.5.1. 4.1.1 Quotientenprinzip. Eine surjektive, stetige und offene Abbildung η : X → Y , deren Fasern die G-Bahnen sind, heißt G-Orbitprojektion. Man nennt Y Orbitraum. Aus den Eigenschaften von η folgt direkt der Satz. Wenn die stetige Abbildung ζ : X → Z auf jeder η-Faser konstant ist, gibt es genau eine stetige Abbildung ϕ : Y → Z , so daß ζ = ϕ ◦ η gilt. Ist ζ auch eine G-Orbitprojektion, so ist ϕ ein Hom¨ oomorphismus. ¤ 4.1.2 Existenz der Orbitprojektion. Zu jeder Transformationsgruppe G von X existiert eine G-Orbitprojektion η : X → Y .

4.2 Endliche Automorphismengruppen der Zahlenkugel

69

Beweis. Sei Y die Menge der Orbiten. Dann ist η : X → Y , x 7→ G(x), surjektiv. Man nennt V ⊂ Y offen, wenn η −1 (V ) ⊂ X offen ist. Dadurch wird Y zu einem topologischen Raum und η zu einer stetigen Abbildung. Sie ist offen. Denn f¨ ur jede offene Menge U ⊂ X und jedes g ∈ G sind alle S Mengen g(U ) ⊂ X offen. Daher ist g∈G g(U ) = η −1 (η(U )) ⊂ X offen und damit auch η(U ) ⊂ Y . ¤ Der bis auf Hom¨oomorphie bestimmte Orbitraum wird auch mit X/G statt Y bezeichnet. Er kann selbst in scheinbar harmlosen Situationen pathologisch, z.B. nicht-hausdorffsch sein, siehe Aufgabe 4.9.3. 4.1.3 Holomorphe Orbitprojektionen. Ein Vergleich der Definitionen in 4.1.1 und 1.5.4 zeigt: Eine holomorphe Abbildung η zwischen zusammenh¨ angenden Riemannschen ¨ Fl¨ achen ist genau dann eine normale Uberlagerung, wenn sie eine D(η)Orbitprojektion ist. ¤ Im folgenden geht es darum, die topologische Orbitprojektion X → X/G zu einer holomorphen Abbildung zu machen, wenn G aus Automorphismen b. einer Riemannschen Fl¨ache X besteht. Wir beginnen mit X = C

4.2 Endliche Automorphismengruppen der Zahlenkugel Wir konstruieren zu jeder endlichen Untergruppe Standgruppen Gz eine rationale Orbitprojektion b bis sodann alle endlichen Gruppen G 1 genau die Punkte auf den Orbiten Σ1 , . . . , Σk sind, folgt Pk 2(N − 1) = ♯M = 1 sj (nj − 1). Division durch N = sj nj gibt k X 2 1 +k−2 . = (1) n N j=1 j

Wegen nj ≥ 2 ist die linke Seite von (1) nicht gr¨oßer als 21 k . Das ergibt k ≤ 3. Im Fall k = 2 f¨ uhrt (1) wegen 1/nj = sj /N zu s1 + s2 = 2 , also s1 = s2 = 1 . Der Orbit Σ1 besteht dann aus einem einzigen Punkt a , und G = Ga w¨are zyklisch. Es folgt k = 3 und 1 1 1 (2) + + > 1. n1 n2 n3 Wir numerieren so, daß 1 < n1 ≤ n2 ≤ n3 ist . Dann l¨aßt (2) nur die in der Tabelle angegebenen Tripel (n1 , n2 , n3 ) zu. Man erh¨alt N aus (1) und sj aus nj sj = N . Die von {g1 , g2 , g3 } erzeugte Untergruppe G′ besitzt drei Ausnahmeorbiten G′ (aj ) . Die Standgruppen G′aj = Gaj haben die Ordnungen nj . Da der Typ durch (n1 , n2 , n3 ) bestimmt ist, haben G und G′ denselben Typ und insbesondere dieselbe Ordnung. Daher ist G′ = G . Die Konjugiertheit von Gruppen desselben Typs wird aus der Eindeutigkeit ¨ universeller verzweigter Uberlagerungen am Ende von 4.8.3 folgen. ¤ Bemerkung. Die Gleichung (1) ist ein Spezialfall der Riemann-Hurwitzschen ¨ Formel 7.2.1(RH) f¨ ur gleichverzweigte Uberlagerungen. In den Abschnitten 4.2.4-5 werden alle laut der Tabelle m¨oglichen Typen als b realisiert. Untergruppen von Aut(C) 4.2.4 Diedergruppen. Die Automorphismen z 7→ ωz ±1 f¨ ur ω ∈ µq bilden b . Ihre Ausnahmebahnen sind µq , µ2q \ µq eine q-Diedergruppe Dq < Aut(C) und {0, ∞} .

Beweis. Ersichtlich ist Dq eine Gruppe mit den angegebenen Ausnahmebahnen. Nach der Tabelle kommt nur der q-Diedertyp infrage. ¤

4.2.5 Tetraeder-, Oktaeder- und Ikosaedergruppen. Um diese Grupb die Sympen zu realisieren, bilden wir zu jeder endlichen Menge T ⊂ C b metriegruppe Sym(T ) := {g ∈ Aut(C) : g(T ) = T } . F¨ ur ♯T ≥ 3 ist jedes g ∈ Sym(T ) durch g|T eindeutig bestimmt, und Sym(T ) ist daher endlich.

Satz. (i) F¨ ur T := µ3 ∪ {∞} ist Sym(T ) eine Tetraedergruppe.– (ii) F¨ ur T := µ4 ∪{0, ∞} ist Sym(T ) eine Oktaedergruppe.– (iii) F¨ ur ε := e2πi/5 und T := {εµ + εν : 0 ≤ µ < ν ≤ 4} ∪ {0, ∞} ist Sym(T ) eine Ikosaedergruppe. Beweis. Wir zeigen durch Angabe spezieller Automorphismen: Die Gruppe Sym(T ) ist nicht zyklisch. Die Menge T ist ein Orbit. Die Ordnung der Standgruppe eines Elementes von T wird von 3, 4 bzw. 5 geteilt. Nach der Tabelle kommt dann f¨ ur Sym(T ) nur der Tetra-, Okta- bzw. Ikosaedertyp infrage.– Die speziellen Automorphismen sind

72

¨ 4. Verzweigte Uberlagerungen

die Drehungen z 7→ ωz f¨ ur ω ∈ µ3 und die Doppeltransposition z 7→ (z + 2)/(z − 1) , welche 1 mit ∞ sowie e2πi/3 mit eπi/3 vertauscht; (ii) die Drehungen z 7→ ωz f¨ ur ω ∈ µ4 und der Automorphismus z 7→ (−z + i)/(z + i) , welcher 0, 1, i und gleichzeitig ∞, −1, −i zyklisch vertauscht; (iii) die Drehungen¡ z 7→ ωz f¨ ur ¢ω ¡∈ µ5 , z 7→ −1/z ¢ und g(z) := − z + ε + ε4 / (ε + ε4 )z + ε . Durch g werden 0, ε + ε4 , 1 + ε2 zyklisch vertauscht. Außer f¨ ur g pr¨ uft man m¨ uhelos, daß die angegebenen Automorphismen zu Sym(T ) geh¨oren. F¨ ur g enth¨alt Aufgabe 4.9.2 eine Anleitung. ¤

(i)

4.2.6 Unit¨ are M¨ obius-Transformationen. Durch die stereographische b wird die Gruppe SO(3) zu einer Untergruppe von Projektion π : S 2 → C b Aut(C) gemacht: Wir betrachten R3 als euklidischen Vektorraum p mit dem P3 inneren Produkt hx, yi := ν=1 xν yν und der Norm kxk := hx, xi . Wir versehen die Einheitssph¨are S 2 mit der induzierten Metrik und u ¨bertragen b . Dabei entsteht die chordale Metrik d mit sie durch π nach C 4|z − w|2 d(z, w)2 = f¨ ur z, w ∈ C , (1 + |z|2 )(1 + |w|2 ) 4 d(z, ∞)2 = und d(∞, ∞) = 0 . 1 + |z|2 Zum Beweis rechnet man mittels 1.1.2(1) nach: ¡ ¢2 d π(x), π(y) = 2(1 − hx, yi) = kx − yk2 f¨ ur x, y ∈ S 2 .

Die spezielle unit¨ are Gruppe SU(2) besteht aus allen komplexen Matrizen ¡ ¢ ¯ = d, b = −¯ c und ad − bc = 1 . Die entsprechenden M¨obiusA = ac db mit a Transformationen z 7→ A(z) = (az + b)/(cz + b) heißen unit¨ ar. Lemma. (a) a¢re M¨ obius-Transformation z 7→ A(z) ist eine Isome¡ Jede unit¨ trie, d.h. d A(z), A(w) = d(z, w) . b → C, b z 7→ z¯ mit ∞ = ∞ , ist eine Isometrie. (b) Die Konjugation C (c) Jede Isometrie hat die Gestalt z 7→ A(z) oder z 7→ A(¯ z ) mit A ∈ SU(2) . Beweis. (a) Wegen ad − bc = 1 ist A(z) − A(w) =

z−w . F¨ ur (cz + d)(cw + d)

|z|2 + 1 . Aus (1) folgt die Behauptung.– |cz + d|2 (b) ist trivial.– (c) Da es zu jeder Isometrie ϕ ein B ∈ SU(2) mit ϕ(∞) = B(∞) gibt, kann man ϕ(∞) = ∞ annehmen. Dann gilt |ϕ(z)| = |z| und weiter |ϕ(z) − ϕ(w)| = |z − w| . Daher gibt es ein ω ∈ C mit |ω| = 1 , so daß ϕ(z) = ωz oder = ω¯ z ist. ¤ A ∈ SU(2) gilt |A(z)|2 + 1 =

Satz. F¨ ur jedes T ∈ SO(3) ist ϕ := π◦T ◦π −1 eine unit¨ are M¨ obius-Transforb T 7→ ϕ , ist ein Monomorphismus. mation. Die Zuordnung SO(3) → Aut(C),

4.2 Endliche Automorphismengruppen der Zahlenkugel

73

Beweis. Da ϕ eine Isometrie ist, gibt es nach Lemma (c) ein A ∈ SU(2) mit ϕ(z) = A(z) oder = A(¯ z ) . Jedenfalls ist ϕ2 = ϕ ◦ ϕ eine M¨obiusTransformation. Da es zu jedem T ∈ SO(3) ein U ∈ SO(3) mit U 2 = T gibt, ist ϕ eine M¨obius-Transformation. ¤ 4.2.7 Dieder. Wir teilen die Sph¨are S 2 durch 2q Großkreise, die durch den Nord- und S¨ udpol laufen, in kongruente Sektoren und halbieren sie durch ¨ den Aquator. Dadurch wird S 2 in 4q kongruente sph¨arische Dreiecke zerlegt, die schachbrettartig abwechselnd schwarz und weiß gef¨arbt werden, siehe Figur 4.2.7. Die Innenwinkel dieser Dreiecke sind π/2 bei den Ecken auf ¨ dem Aquator sowie π/q beim Nord- und S¨ udpol. Diese Zerlegung heißt qDiederparkettierung.

Fig. 4.2.7. Die 3-Dieder-Parkettierung, Typ (2,2,3).

Die Untergruppe Dq < SO(3) aller Drehungen, welche die Parkettierung in sich transformieren, heißt orthogonale q-Diedergruppe. Die Achsen dieser Drehungen laufen durch den Nordpol und durch die in zyklischer Folge ¨ numerierten Ecken A0 , . . . , A2q = A0 auf dem Aquator. Die Drehungen um die Pol-Achse haben die ganzzahligen Vielfachen von 2π/q als Drehwinkel. Wir nennen diese Achse q-z¨ ahlig. Die Ak -Achsen sind zweiz¨ahlig. Somit hat b durch die stereograDq die Ordnung 2q . Wir identifizieren S 2 und C phische Projektion. Wegen Satz 4.2.6 wird Dq zu einer Untergruppe von b mit den Ausnahmeorbiten {Nordpol, S¨ Aut(C) udpol } , {A1 , A3 , . . . , A2q−1 } und {A2 , A4 , . . . , A2q } . Sie hat den q-Dieder-Typ.

4.2.8 Tetraeder, Oktaeder und Ikosaeder. Von den f¨ unf Platonischen K¨orpern Tetraeder, Oktaeder, Ikosaeder, W¨ urfel und Dodekaeder haben die drei ersten eine aus Dreiecken zusammengesetzte Oberfl¨ache. Wir betrachten je ein Exemplar dieser K¨orper, wobei das Zentrum im Ursprung und die Ecken auf der Einheitssph¨are S 2 liegen. Zu jedem K¨orper geh¨ort eine endliche Untergruppe G < SO(3) , welche aus allen Drehungen besteht, die ihn in sich transformieren. Die entsprechenden Drehachsen laufen durch die Ecken, die Kantenmitten und die Dreieckszentren. Jedes Seite der Oberfl¨ache wird in 6 Teildreiecke baryzentrisch zerlegt. Ihre Ecken sind die urspr¨ unglichen Ecken, Kantenmitten und Seitenzentren. Die

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¨ 4. Verzweigte Uberlagerungen

Fig. 4.2.8. Die linke Spalte zeigt von oben nach unten das Tetraeder, Oktaeder und Ikosaeder mit jeweils baryzentrisch unterteilten Seiten. Die rechte Spalte zeigt die entsprechenden Parkettierungen der Sph¨ are vom Typ (2, 3, 3) oben, (2, 3, 4) in der Mitte und (2, 3, 5) unten.

Teildreiecke werden schachbrettartig abwechselnd schwarz und weiß gef¨arbt, ¨ siehe die linken Figuren 4.2.8. An ihnen lassen sich die weiteren Uberlegungen anschaulich verfolgen. Die Achsen durch die K¨orperecken sind beim Tetraeder 3-z¨ahlig, beim Oktaeder 4-z¨ahlig und beim Ikosaeder 5-z¨ahlig, weil jeweils 3, 4 bzw. 5 Kanten in einer Ecke zusammenstoßen. Die Achsen durch die Kantenmitten und die

4.2 Endliche Automorphismengruppen der Zahlenkugel

75

Seitenzentren sind stets 2- bzw. 3-z¨ahlig. Die baryzentrische Unterteilung wird einschließlich ihrer F¨arbung durch G in sich transformiert. Die Kantenmitten liegen paarweise auf einer Achse. Beim Oktaeder und Ikosaeder gilt Entsprechendes f¨ ur die Ecken und f¨ ur die Seitenzentren. Beim Tetraeder l¨auft jede Achse durch eine Ecke gleichzeitig durch das Zentrum der gegen¨ uber liegenden Seite.– Die Elemente von G lassen sich abz¨ahlen: Tetraeder: Es gibt 4 Ecken, 6 Kanten und 4 Seiten. Zu den 4 Achsen durch die Ecken geh¨oren jeweils 2 und zu den 3 Achsen durch die Kantenmitten geh¨ort jeweils 1 Element von G\{id} . Hinzu kommt die Identit¨at. Die Gruppe hat also die Ordnung 4 · 2 + 3 · 1 + 1 = 12 . Oktaeder: Es gibt 6 Ecken, 12 Kanten und 8 Seiten und jeweils halb so viele Achsen. Die zum Tetraeder analoge Rechnung ergibt die Gruppenordnung 3 · 3 + 6 · 1 + 4 · 2 + 1 = 24 . Ikosaeder: Es gibt 12 Ecken, 30 Kanten und 20 Seiten. Die Gruppenordnung ist 6 · 4 + 15 · 1 + 10 · 2 + 1 = 60 . Wir projizieren die baryzentrisch unterteilte Oberfl¨ache jedes Platonischen K¨orpers vom Ursprung aus radial auf S 2 und erhalten eine schwarz-weiß gef¨arbte Dreiecksparkettierung der Sph¨are, welche durch G in sich transformiert wird; siehe die rechten Figuren 4.2.8. (Nach baryzentrischer Unterteilung und radialer Projektion ergibt der W¨ urfel bzw. das Dodekaeder dieselbe Parkettierung und Gruppe wie das Oktaeder bzw. Ikosaeder.) Jedes Teildreieck der Parkettierung ist sph¨arisch, d.h. seine Seiten liegen auf Großkreisen. Seine drei Ecken sind eine K¨orperecke, eine projizierte Kantenmitte und ein projiziertes Seitenzentrum. Seine Innenwinkel sind π/2 bei den Kantenmitten, π/3 bei den Seitenzentren und π/3 (Tetraeder), π/4 (Oktaeder) bzw. π/5 (Ikosaeder) bei den K¨orperecken. b durch die stereographische ProjekWie in 4.2.6 identifizieren wir S 2 mit C b . Sie hat drei Austion und machen so G zu einer Untergruppe von Aut(C) nahmeorbiten: die Menge der Ecken (das ist die in 4.2.5 angegebene Menge T ) , die Menge der projizierten Kantenmitten und die Menge der projizierten Seitenzentren. Der Typ der Gruppe G gem¨aß der Tabelle in 4.2.3 entspricht ihrem Platonischen K¨orper. 4.2.9 Historisches. Platon l¨aßt Timaios, einen fiktiven Pythagor¨aer, im gleichnamigen Dialog vier der f¨ unf regelm¨ aßigen K¨ orper beschreiben, indem er ihre begrenzenden Fl¨ achen aus Dreiecken baryzentrisch zusammensetzt. Bei den F¨ unfecken des Dodekaeders wurde ihm das offenbar zu kompliziert. Statt dessen schreibt er mythenbildend [Timaios, 55c]: Es war noch eine f¨ unfte Zusammensetzung u ¨brig; ” diese benutzte Gott f¨ ur das All, als er es ausmalte.“ Die Vollkommenheit der Sch¨ opfung, die Timaios im Dialog schildert, wird dadurch begr¨ undet, daß Gott die vier Elemente durch die vier sch¨ onsten K¨ orper gestaltet: Das Feuer wird aus Tetraedern, das Wasser aus Ikosaedern, die Erde aus W¨ urfeln und die Luft aus Oktaedern zusammengesetzt. Das 13. Buch der Elemente des Euklid enth¨ alt eine mathematische Beschreibung der regul¨ aren K¨ orper, die an Vollst¨ andigkeit und Genauigkeit Platons Darstellung weit u ¨bertrifft.

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¨ 4. Verzweigte Uberlagerungen

Die gruppentheoretische Beschreibung der Platonischen K¨ orper bis hin zur Klassifikation aller endlichen Untergruppen von SO(3) wurde durch kristallographische Ergebnisse von Hessel (1830), Bravais (1849) und andere angeregt. Sie fand durch Kleins Vorlesungen u ¨ber das Ikosaeder (1884), siehe [Klei 2], weite Verbreitung.

4.3 Diskontinuierliche Gruppen Wir betrachten nur lokal kompakte Hausdorffr¨ aume X und benutzen folgende Definition der Diskontinuit¨at, die auf Klein und Poincar´e zur¨ uckgeht, siehe [Klei 5] , S. 341, und [Po] II, p.1f, . 4.3.1 Diskontinuit¨ at. Eine Transformationsgruppe G von X heißt diskontinuierlich, wenn {g ∈ G : g(K) ∩ K 6= ∅} f¨ ur jedes Kompaktum K ⊂ X endlich ist. Dann ist jede Standgruppe Gx endlich und jede G-Bahn lokal endlich.– Endliche Transformationsgruppen sind diskontinuierlich. Bei kompakten R¨aumen X ist umgekehrt jede diskontinuierliche Transformationsgruppe endlich. Schließlich gilt der Satz. Der Orbitraum jeder diskontinuierlichen Transformationsgruppe G ist hausdorffsch. Beweis. Sei η : X → Y eine G-Orbitprojektion. Es gen¨ ugt, zu je zwei Punkten x, y ∈ X mit η(x) 6= η(y) Umgebungen U bzw. V anzugeben, so daß η(U ) ∩ η(V ) leer ist. Man beginnt mit einem Kompaktum K , so daß x, y innere Punkte von K sind. Die Menge M := {g ∈ G : g(K) ∩ K 6= ∅} ist endlich. Es gibt Umgebungen U von x und V von y , so daß g(U ) ∩ V = ∅ f¨ ur alle g ∈ M gilt. Man kann U ∪ V ⊂ K annehmen. Dann ist g(U ) ∩ V f¨ ur alle g ∈ G leer, weil sich g(K) und K f¨ ur g ∈ G \ M nicht treffen. Daraus folgt η(U ) ∩ η(V ) = ∅ . ¤ 4.3.2 Privilegierte Umgebungen. Sei G eine Transformationsgruppe von X . Eine Umgebung U von a ∈ X heißt privilegiert, wenn sie bez¨ uglich der Standgruppe Ga invariant ist und wenn f¨ ur jedes g ∈ G \ Ga der Durchschnitt U ∩ g(U ) leer ist. Durch Beschr¨ankung entsteht aus der G-Orbitprojektion η : X → Y die Ga -Orbitprojektion η|U : U → η(U ) .

Existenzsatz. Wenn G diskontinuierlich operiert, besitzt jeder Punkt a ∈ X eine privilegierte Umgebung. Beweis. Sei W eine Umgebung von a , deren H¨ ulle kompakt ist. Dann ist M := {g ∈ G : W ∩ g(W ) 6= ∅} endlich und Ga ⊂ M . Wenn es ein h ∈ M , ∈ / Ga gibt, w¨ahlt man zu a und b = h(a) disjunkte Umgebungen Va bzw. Vb und ersetzt W durch W∗ := W ∩ Va ∩ h−1 (Vb ) . Dann ist h ∈ / M∗ := {g ∈ G : W∗ ∩ g(W∗ ) 6= ∅} ⊂ M wegen W∗ ∩ h(W∗ ) ⊂ Va ∩ Vb = ∅ . Auf diese Weise verkleinert man die Umgebung W , bis nach endlich vielen Schritten G Ta = {g ∈ G : W ∩ g(W ) 6= ∅} erreicht ist. Dann ist der Durchschnitt ¤ g∈Ga g(W ) eine privilegierte Umgebung.

4.4 Komplexe Mannigfaltigkeiten und Garben

77

Die Existenz privilegierter Umgebungen garantiert nicht die Diskontinuit¨ at. Denn der Orbitraum ist eventuell nicht hausdorffsch, vgl. Aufgabe 4.9.3.

4.3.3 Freie Operation. Wenn G frei und diskontinuierlich auf X operiert, ¨ ist die Orbitprojektion η : X → X/G eine G-Uberlagerung gem¨ aß 3.7.4. Beweis. Nach 4.3.2 besitzt jeder Punkt in X eine privilegierte Umgebung U . Dann wird V := η(U ) trivial u ¨berlagert; denn η −1 (V ) = ∪g∈G g(U ) , und η bildet g(U ) hom¨oomorph auf V ab. Weil die G-Orbiten die η-Fasern ¨ sind, handelt es sich um eine G-Uberlagerung. ¤ 4.3.4 Holomorphe Deckgruppen. Die Deckgruppe D jeder offenen holomorphen Abbildung η : X → Y zwischen zusammenh¨ angenden Fl¨ achen ist diskontinuierlich. Beweis. Sei K ⊂ X kompakt. Angenommen {g ∈ D : g(K) ∩ K 6= ∅} ist unendlich. Dann gibt es Folgen gn in D sowie an und bn in K , so daß ¨ gn (an ) = bn ist; dabei sind alle gn paarweise verschieden. Nach Ubergang zu einer Teilfolge existieren a := lim an und b := lim bn in K . Wegen η(an ) = η(bn ) ist η(a) = η(b) =: c . Es gibt Scheiben (Ua , a), (Ub , b) und (V, c) , so daß die Beschr¨ankungen η : (Ua , a) → (V, c) und η : (Ub , b) → (V, c) Windungsabbildungen und Ua , Ub Komponenten von η −1 (V ) sind, siehe Satz 1.4.1. F¨ ur fast alle n ist an ∈ Ua und bn ∈ Ub , also gn (Ua ) ∩ Ub 6= ∅ , somit gn (Ua ) = Ub , insbesondere gn (a) = b . Aber {g ∈ D : g(a) = b} ist nach der Folgerung in 1.5.3 endlich. ¤

4.4 Komplexe Mannigfaltigkeiten und Garben Um bei einer Riemannschen Fl¨ache den Orbitraum einer diskontinuierlichen Automorphismengruppe zu einer Riemannschen Fl¨ache machen, eignen sich Garben zur Definition der holomorphen Struktur besser als Atlanten. Wir benutzen die Gelegenheit, um gleichzeitig Riemannsche Fl¨ achen zu ndimensionalen komplexen Mannigfaltigkeiten zu verallgemeinern. 4.4.1 Mannigfaltigkeiten. Wir betrachten den n-dimensionalen komplexen Zahlenraum Cn , dessen Punkte z = (z1 , . . . , zn ) n-Tupel komplexer Zahlen sind. Sei U ⊂ Cn offen. Eine Funktion f : U → C heißt holomorph, wenn f stetig und in jeder Variablen zk holomorph ist. Dazu P ¨aquivalent ist: In der Umgebung eines jeden Punktes a ∈ U l¨aßt sich f = cα (z − a)α als konvergente Potenzreihe darstellen. Dabei durchl¨auft α = (α1 , . . . , αn ) ∈ Nn alle n-fachen Multi-Indizes und (z − a)α := (z1 − a1 )α1 · · · (zn − an )αn . Mit |α| := α1 + . . . + αn wird die Ordnung von f bei a definiert: o(f, a) := min{|α| : cα 6= 0} .

78

¨ 4. Verzweigte Uberlagerungen

Die Definition der Riemannschen Fl¨achen in 1.1.1 l¨aßt sich zur Definition n-dimensionaler komplexer Mannigfaltigkeiten verallgemeinern, indem man C durch Cn ersetzt und als klassisch holomorphe Funktionen die gerade definierten holomorphen Funktionen mehrerer komplexer Ver¨anderlicher benutzt. Holomorphe Abbildungen werden analog zu 1.1.3 definiert. Man kann statt Cn den Rn und statt der holomorphen die k-mal stetig differenzierbaren Funktionen nehmen und erh¨ alt dann die Definition der C k -differenzierbaren Mannigfaltigkeiten. Dabei sind die F¨ alle k = ∞ (beliebig oft differenzierbar) und k = ω (reell-analytisch) eingeschlossen.

4.4.2 Garben. Eine (Funktionen-)Garbe F auf dem topologischen Raum X ordnet jeder offenen Menge U ⊂ X einen Ring F(U ) stetiger Funktionen U → C zu, welche alle konstanten Funktionen umfaßt und daher eine CAlgebra ist. Dabei wird folgendes Lokal-Global-Prinzip verlangt: F¨ ur jede Familie {Uj } von offenen Mengen gilt: S f ∈ F( Uj ) ⇔ ∀j f |Uj ∈ F(Uj ) . Beispiel. F(U ) =: C(U ) besteht aus allen stetigen Funktionen. Ein topologischer Raum X zusammen mit einer Garbe F wird geringter Raum (X, F) genannt. F¨ ur jede offene Menge U ⊂ X bezeichnet F|U die Einschr¨ankung von F auf die offenen Teilmengen von U . Statt (U, F|U ) schreiben wir auch (U, F) . Ein Morphismus ϕ : (X, F) → (Y, G) zwischen geringten R¨aumen ist eine stetige Abbildung ϕ : X → Y mit folgender Eigenschaft: ur jede offene ¡ ¢ F¨ Menge V ⊂ Y und jedes g ∈ G(V ) gilt g ◦ ϕ ∈ F ϕ−1 (V ) . Die Hintereinanderschaltung von Morphismen ist ein Morphismus. Unter einem Isomorphismus versteht man einen bijektiven Morphismus ϕ , dessen Umkehrung ϕ−1 auch ein Morphismus ist. Isomorphismen (X, F) → (X, F) heißen Automorphismen. Sie bilden mit der Hintereinanderschaltung als Verkn¨ upfung die Gruppe Aut(X, F) . 4.4.3 Die holomorphe Strukturgarbe O einer komplexen Mannigfaltigkeit X ordnet jeder offenen Menge U ⊂ X den Ring O(U ) aller holomorphen Funktionen U → C zu. Man schreibt auch OX statt O . F¨ ur komplexe Mannigfaltigkeiten X und Y sind die Morphismen (X, OX ) → (Y, OY ) genau die holomorphen Abbildungen. Satz. Ein geringter Hausdorffraum (X, F) ist genau dann eine n-dimensionale komplexe Mannigfaltigkeit, wenn er zu (Cn , O) lokal isomorph ist, d.h. wenn es zu jedem Punkt in X eine Umgebung U und eine offene Menge V ⊂ Cn gibt, so daß (U, F) und (V, O) isomorph sind. Beweis. Bei einer komplexen Mannigfaltigkeit ¡(X, F) ist ¢ jede holomorphe Karte (U, h) ein Isomorphismus h : (U, F) → h(U ), O . Wenn umgekehrt (X, F) zu (Cn , O) lokal isomorph ist, l¨aßt sich X durch offene Mengen Uj u ¨berdecken, zu denen Isomorphismen hj : (Ui , F) → (Vj , O) auf offene Mengen Vj ⊂ Cn geh¨oren. Dann ist {(Uj , hj )} ein holomorpher Atlas. ¤

4.4 Komplexe Mannigfaltigkeiten und Garben

79

4.4.4 Bildgarben. Sei (X, F) ein geringter Raum und η : X → Y eine surjektive stetige Abbildung auf einen topologischen Raum Y . Mit der Garbe C der stetigen Funktionen auf Y wird die Bildgarbe Fη auf Y durch ¡ ¢ Fη (V ) := {f ∈ C(V ) : f ◦ η ∈ F η −1 (V ) } f¨ ur jede offene Menge V ⊂ Y

definiert. Das Lokal-Global-Prinzip ist erf¨ ullt, und η : (X, F) → (Y, Fη ) ist ein Morphismus. (1) Bei jeder surjektiven offenen, holomorphen Abbildung η : X → Y zwischen Riemannschen Fl¨ achen ist die Bildgarbe (OX )η = OY die holomorphe Strukturgarbe. Denn die nicht triviale Inklusion (OX )η ⊂ OY folgt aus 1.3.7(2). ¤

Sei η : X → Y die Orbitprojektion einer diskontinuierlichen Gruppe G von Automorphismen des geringten Raumes (X, F) . Der Orbitraum Y ist hausdorffsch und tr¨agt die Bildgarbe Fη . Satz. Unter folgender Voraussetzung ist (Y, Fη ) eine n-dimensionale komplexe Mannigfaltigkeit: Zu jedem a ∈ X gibt es eine privilegierte Umgebung U und eine Ga -Orbitprojektion ϕ : U → V , so daß (V, Fϕ ) eine n-dimensionale komplexe Mannigfaltigkeit ist. Beweis. Die Beschr¨a¡nkung η|U¢ : U → η(U ) ist wie ϕ eine Ga -Orbitprojektion. Daher sind η(U ), Fη|U und (V, Fϕ ) isomorph. Um daraus mit Satz 4.4.3 die Behauptung zu folgern, gen¨ ugt es Fη |η(U ) = Fη|U , also Fη (W ) = Fη|U (W ) f¨ ur jede offene Menge W ⊂ η(U ) zu beweisen: Offenbar ist Fη (W ) ⊂ Fη|U (W ) . Umgekehrt sei f ∈ Fη|U (W ) . Dann gilt f ◦η|V ∈ F(V ) f¨ ur V := U ∩η −1 (W ) = (η|U )−1 (W ) . F¨ ur jedes g ∈ G ist die Beschr¨ankung g : (V, F|V ) → (g(V ), F|g(V )) ein Isomorphismus. Daher gilt f ◦ η|g(V ) ∈ F(g(V )) f¨ ur alle g ∈ G . Wegen¡ η −1 (W )¢ = ∪g g(V ) folgt nach dem Lokal-Global-Prinzip f ◦ η|η −1 (W ) ∈ F η −1 (W ) , also f ∈ Fη (W ) .

4.4.5 Freie holomorphe Operationen. Sei G eine diskontinuierliche Automorphismengruppe der komplexen Mannigfaltigkeit (X, O) , welche frei operiert. Sei η : X → Y die Orbitprojektion. Dann ist (Y, Oη ) eine komplexe Mannigfaltigkeit, und η ist lokal biholomorph. Beweis. Die Behauptung folgt aus Satz 4.4.4. Denn die Voraussetzung dieses Satzes ist erf¨ ullt, weil alle Standgruppen Ga trivial sind. ¤ 4.4.6 H¨ oher dimensionale Tori. Wir betrachten einen n-dimensionalen komplexen Vektorraum V . Mit einem Vektorraum-Isomorphismus V ∼ = Cn n u ¨bertr¨agt man die holomorphe Struktur von C nach V und macht V zu einer komplexen Mannigfaltigkeit, deren holomorphe Struktur nicht von der Wahl des Isomorphismus V ∼ = Cn abh¨angt. Sei ω1 , . . . , ω2n eine Basis des reellen Vektorraums V . Die additive Untergruppe Ω := Zω1 + . . . + Zω2n

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¨ 4. Verzweigte Uberlagerungen

heißt Gitter vom Rang 2n . Sie operiert durch z 7→ z + ω , f¨ ur z ∈ V , ω ∈ Ω holomorph, frei und diskontinuierlich auf V . Analog zu 1.2.6 stellen wir jedes P2n z ∈ V eindeutig als t ω mit reellen t dar. Die Torusprojektion j j=1 j j ¡ ¢ P η : V → T := S 1 × . . . × S 1 , tj ωj 7→ exp(2πit1 ), . . . , exp(2πitn ) , ist ein Epimorphismus der additiven Gruppen mit dem Kern Ω , also eine Ω-Orbitprojektion. Dann liefert 4.4.5 die Verallgemeinerung des Torussatzes 1.2.6 auf h¨ohere Dimensionen: Satz. Auf T gibt es genau eine holomorphe Struktur, so daß η eine unver¨ zweigte normale Uberlagerung mit der Deckgruppe D(η) = Ω ist. ¤ Die holomorphe Struktur des Torus T h¨angt vom Gitter Ω ab, siehe 3.3.2 f¨ ur n = 1 . F¨ ur n ≥ 2 gibt es krasse Unterschiede: Auf manchen Tori sind alle meromorphen Funktionen konstant. Andere, die sogenannten Abelschen Variet¨ aten, zu denen die Periodentori kompakter Fl¨achen geh¨oren (siehe 14.3.1 und 16.6), besitzen viele nicht-konstante meromorphe Funktionen.

4.5 Orbitfl¨ achen Bei einer Riemannschen Fl¨ache ist die Bildgarbe auf dem Orbitraum einer diskontinuierlichen Automorphismengruppe stets die holomorphe Strukturgarbe einer Fl¨ache. Zum Beweis ben¨otigen wir die 4.5.1 Linearisierung. Sei G eine diskontinuierliche Automorphismengruppe der zusammenh¨angenden Fl¨ache X . Nach 4.3.1 hat jede Standgruppe Ga von a ∈ X eine endliche Ordnung n . Die Ableitung Ga → C× , g 7→ g ′ (a) , ist ein Homomorphismus. Aus g n = id folgt g ′ (a) ∈ µn . Lemma. Es gibt eine privilegierte Umgebung U von a und eine Karte h : (U, a) → (E, 0) mit folgenden Eigenschaften: (1) h ◦ g(x) = g ′ (a) · h(x) f¨ ur g ∈ Ga und x ∈ U . (2) Die Ableitung Ga → µn , g 7→ g ′ (a) , ist ein Isomorphismus. (3) U → E , x 7→ h(x)n , ist eine Ga -Orbitprojektion. Ihre Bildgarbe Ohn ist die holomorphe Strukturgarbe OE .

Beweis. Nach 4.3.2 gibt es eine privilegierte Umgebung W von a . Man w¨ahlt eine Karte (S, k) mit T k(a) = 0 , S ⊂ W und ersetzt W durch die privilegierte Umgebung W = g∈Ga g(S) . Die Funktion 1 X k ◦ g(x) , h : (W, a) → (C, 0) , h(x) = n g ′ (a) g∈Ga

ist holomorph und erf¨ ullt (1) f¨ ur alle x ∈ W . Wegen (h ◦ k−1 )′ (0) = 1 wird eine kleinere Umgebung U von a durch h biholomorph auf eine Kreisscheibe Er vom Radius r abgebildet. Wir ersetzen h durch h/r und erreichen r = 1 . Dabei bleibt (1) erhalten und U ist privilegiert.

4.6 Verzweigungen

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Zu (2). Nach (1) gilt g ′ (a) = 1 ⇔ g = id . Wegen ♯Ga = ♯µn folgt (2).– Zu (3). Nach (1) und (2) sind die hn -Fasern die Ga -Bahnen. Zusammen mit 4.4.4(1) folgt (3). ¤ 4.5.2 Orbitprojektionen Riemannscher Fl¨ achen. Bei jeder diskontinuierlichen Automorphismengruppe einer zusammenh¨ angenden Riemannschen Fl¨ ache X ist der Orbitraum (Y, Oη ) mit der Bildgarbe der Orbitprojektion η : X → Y eine Riemannsche Fl¨ ache. Die Projektion η ist holomorph. Beweis. Die Behauptung folgt aus Satz 4.4.4. Denn seine Voraussetzung ist wegen dem gerade bewiesenen Linearisierungslemma erf¨ ullt. ¤

Der Satz reduziert das Studium der normalen Abbildungen X → Y auf die Beschreibung der diskontinuierlichen Untergruppen von Aut(X) . 4.5.3 Ausblick. Wenn eine Automorphismengruppe auf einer komplexen Mannigfaltigkeit der Dimension ≥ 2 diskontinuierlich aber nicht mehr frei operiert, ist der Orbitraum ein normaler komplexer Raum, aber im allgemeinen keine Mannigfaltigkeit, weil die nicht-trivialen Standgruppen Singularit¨aten hervorrufen k¨onnen. F¨ ur ein Beispiel siehe Aufgabe 4.9.7. Das Ergebnis von 4.5.2 bleibt g¨ ultig, wenn man statt Riemannscher Fl¨achen normale komplexe R¨aume betrachtet. Der Beweisgang l¨aßt sich u ¨bertragen, siehe [Cn] II, no. 43.

4.6 Verzweigungen ¨ Unverzweigte Uberlagerungen einer punktierten Fl¨ache lassen sich unter gewissen Voraussetzungen u ¨ber die L¨ocher hinweg fortsetzen, wenn man dort Verzweigungen zul¨aßt. Dieses wichtige Ergebnis wird in 4.6.2 bewiesen. Erste Anwendungen folgen im n¨achsten Paragraphen 4.7. Wir kl¨aren in den Abschnitten 4.6.3-6 Eindeutigkeitsfragen und behandeln Probleme beim Fak¨ torisieren bzw. Hintereinanderschalten verzweigter Uberlagerungen. Dadurch werden unter anderem Hindernisse auf dem Weg zu einer Theorie universeller ¨ verzweigter Uberlagerungen beseitigt, die in 4.8 entwickelt wird. ¨ Zwei eventuell verzweigte Uberlagerungen ηj : Xj → Y heißen isomorph, wenn es einen Isomorphismus ϕ : X1 → X2 mit η1 = η2 ◦ ϕ gibt; vergleiche 3.2.7 f¨ ur den unverzweigten Fall. Im folgenden bezeichnet B ⊂ Y eine lokal endliche Menge in einer Rie¨ ˆ → Y heißt Fortsetzung der mannschen Fl¨ache. Eine Uberlagerung ηˆ : X ¨ ˆ Uberlagerung η : X → Y \ B , wenn X = X \ η −1 (B) und η = ηˆ|X gelten. ¨ 4.6.1 Uberlagerungen der Kreisscheibe. Nach 3.3.3 ist jede zusam¨ menh¨angende unverzweigte Uberlagerung η : X → E× zur Exponential× u ¨berlagerung H → E , z 7→ exp(iz), oder zu einer Potenz¨ uberlagerung

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¨ 4. Verzweigte Uberlagerungen

E× → E× , z 7→ z n , f¨ ur ein n ∈ {1, 2, . . .} isomorph. Im zweiten Fall l¨aßt sich ¨ η zu einer verzweigten Uberlagerung von E fortsetzen. Im ersten Fall gibt es keine Fortsetzung. Denn durch sie w¨ urde eine kleine Scheibe Er elementar u ¨berlagert. F¨ ur jede Komponente U von η −1 (E× are die Beschr¨ankung r ) w¨ eine endliche Abbildung. Aber bei der Exponential¨ uberlagerung η : U → E× r ist η −1 (E× ) = U zusammenh¨ a ngend, und η|U hat unendlich viele Bl¨atter. r ¨ ¨ 4.6.2 Fortsetzung von Uberlagerungen. Die unverzweigte Uberlagerung ¨ ˆ → Y η : X → Y \ B l¨ aßt sich genau dann zu einer Uberlagerung ηˆ : X fortsetzen, wenn jeder Punkt b ∈ B Zentrum einer Scheibe V ist, so daß f¨ ur V × := V \ {b} und jede Komponente U von η −1 (V × ) die Beschr¨ ankung η : U → V × endlich ist. Insbesondere existiert die Fortsetzung f¨ ur jede endliche Abbildung η . Beweis. Die Endlichkeitsbedingung ist nach 4.6.1 notwendig. Wenn sie erf¨ ullt ist, wird eine Fortsetzung wie folgt konstruiert: Man w¨ahlt die Scheiben V so klein, daß sie paarweise disjunkt sind, und w¨ahlt Karten z : (V, b) → (E, 0) . Nach 3.3.3 gibt es zu jeder Komponente U von η −1 (V × ) einen Isomorphismus h : U → E× mit z ◦ η|U = hn . Der Exponent n h¨angt von U ab. ˆ := U ⊎ {aU } und Man erg¨anzt U durch einen zus¨atzlichen Punkt aU zu U ˆ , aU ) → (E, 0) . erg¨anzt h zur bijektiven Abbildung h : (U ˆ := X ⊎ A definiert man Sei A die Menge aller zus¨atzlichen Punkte. Auf X ˆ folgende Topologie: Eine Menge W ⊂ X heißt offen, wenn W ∩ X ⊂ X ˆ ) ⊂ E offen sind. offen ist und f¨ ur alle Komponenten U die Bilder h(W ∩ U ˆ ˆ Dadurch wird X zu einem Hausdorffraum, so daß A ⊂ X lokal endlich ist. ˆ → E zu Man erg¨anzt den holomorphen Atlas von X durch die Karten h : U ˆ ˆ einem holomorphen Atlas von X . Dadurch wird X zu einer Riemannschen Fl¨ache. ˆ → Y durch ηˆ|X = η und ηˆ(aU ) = b . Dabei ist b das Man definiert ηˆ : X Zentrum der Scheibe V , f¨ ur die U eine Komponente von η −1 (V × ) ist. Dann ˆ ˆ = hn eine holomorphe Winist die Beschr¨ankung ηˆ : U → E wegen z ◦ ηˆ|U −1 ˆ f¨ dungsabbildung. Da ηˆ (V ) die disjunkte Vereinigung der Scheiben U ur −1 × alle Komponenten U von η (V ) ist, wird V von ηˆ elementar u ¨berlagert. ˆ → Y eine Uberlagerung, ¨ Folglich ist ηˆ : X die η : X → Y \ B fortsetzt. ¤ Um die Eindeutigkeit der Fortsetzung zu zeigen, benutzen wir folgendes Lemma, das auch sonst (z.B. in 6.2.3 und 12.4.2) n¨ utzlich ist. 4.6.3 Fortsetzung stetiger Abbildungen. Der topologische Raum Z heißt an der Stelle c ∈ Z unzerlegbar, wenn es eine Umgebungsbasis {W } von c gibt, so daß W \ {c} stets zusammenh¨angt. Mannigfaltigkeiten der Dimension ≥ 2 sind u ¨berall unzerlegbar. ¨ Lemma. Sei η : X → Y eine Uberlagerung. Sei Z ein bei c ∈ Z unzerlegbarer Hausdorffraum. Dann l¨ aßt sich jede stetige Abbildung ϕ : Z \ {c} → X stetig nach c fortsetzen, sobald dies f¨ ur η ◦ ϕ gilt. Bei einer Riemannschen Fl¨ ache Z ist mit ϕ auch die Fortsetzung holomorph.

4.6 Verzweigungen

83

Beweis. Sei ψ die Fortsetzung von η ◦ ϕ . Sei V eine Scheibe um b := ψ(c) , welche elementar u ¨berlagert wird. Dann ist η −1(V ) die disjunkte Vereinigung von Scheiben Ua um die Faserpunkte a ∈ η −1 (b) , und jede Beschr¨ankung η : Ua → V ist eine Windungsabbildung. Es gibt eine Umgebung W von c , so daß ψ(W ) ⊂ V gilt und W \ {c} zusammenh¨angt. Dann gibt es genau ein a mit ϕ(W \ {c}) ⊂ Ua , und ϕ wird durch ϕ(c) := a stetig fortgesetzt. Die Holomorphie der Fortsetzung folgt aus dem Hebbarkeitssatz. ¤ ¨ Erste Folgerung (Eindeutigkeit). Zwei Uberlagerungen ηj : Xj → Y sind isomorph, sobald ihre Beschr¨ ankungen ηj′ : Xj \ ηj−1 (B) → Y \ B isomorph sind, j = 1, 2 . ¤ Daraus ergibt sich in Erg¨anzung zu 4.6.1 die ¨ Zweite Folgerung. Wenn die zusammenh¨ angende Uberlagerung einer Scheibe h¨ ochstens einen Verzweigungspunkt hat, handelt es sich um eine Windungsabbildung. ¤ ¨ Dritte Folgerung. Jede Uberlagerung η : X → Y hat dieselbe Deckgruppe wie ihre Beschr¨ ankung η ′ : X \ η −1 (B) → Y \ B . Wenn η ′ normal ist, gilt dasselbe f¨ ur η . Beweis. Nach dem Lemma l¨aßt sich jedes g ′ ∈ D(η ′ ) zu g : Y → Y eindeutig fortsetzen. Man verifiziert sodann g ∈ D(η) und die Normalit¨at von η . ¤ ¨ 4.6.4 Faktorisierung von Uberlagerungen. Seien η : X → Y und ϕ : Y → Z zwei holomorphe Abbildungen. Wenn η surjektiv und ζ := ϕ ◦ η ¨ ¨ eine Uberlagerung ist, sind η und ϕ ebenfalls Uberlagerungen. Beweis. Sei W ⊂ Z eine Scheibe, welche durch ζ elementar u ¨berlagert wird. Sei V ⊂ Y eine Komponente von ϕ−1 (W ) , und sei U ⊂ X eine Komponente von η −1 (V ) . Wegen η(X) = Y gen¨ ugt es zu zeigen, daß die Beschr¨ankungen η ′ : U → V und ϕ′ : V → W von η bzw. ϕ Windungsabbildungen sind. Nun ist U auch eine Komponente von ζ −1 (W ) . Daher ist ζ ′ := ϕ′ ◦ η ′ eine Windungsabbildung. Nach Satz 1.4.4(ii) folgt, daß η ′ und ϕ′ wie ζ ′ endliche ¨ Uberlagerungen sind. Wie ζ ′ ist ϕ′ h¨ochstens u ¨ber dem Zentrum c von W verzweigt. Nach der zweiten Folgerung in 4.6.3 ist ϕ′ : (V, b) → (W, c) eine Windungsabbildung. Die Beschr¨ankung η ′ ist h¨ochstens u ¨ber b verzweigt und somit auch eine Windungsabbildung. ¤ 4.6.5 Faktorisierung von Orbitprojektionen. Sei H eine diskontinuierliche Gruppe von Automorphismen der zusammenh¨angenden Fl¨ache X . Dann ist jede Untergruppe G < H diskontinuierlich. Seien η : X → Y und ζ : X → Z die holomorphen Orbitprojektionen zu G bzw. H .

¨ Satz. Es gibt eine Uberlagerung ϕ : Y → Z mit ζ = ϕ ◦ η . Wenn G ⊳ H eine Normalteiler ist, gibt es zu jedem h ∈ H genau ein k ∈ D(ϕ) mit η ◦ h = k ◦ η , und die Zuordnung H → D(ϕ) , h 7→ k , ist ein Epimorphismus ¨ mit dem Kern G . Die Uberlagerung ϕ ist dann normal.

84

¨ 4. Verzweigte Uberlagerungen

Beweis. L¨angs jeder η-Faser ist ζ konstant. Nach 1.3.8 gibt es daher genau eine holomorphe Abbildung ϕ : Y → Z mit ζ = ϕ ◦ η . Nach 4.6.4 ist ϕ eine ¨ Uberlagerung. Nun sei G ⊳ H ein Normalteiler. Dann ist f¨ ur jedes Element h ∈ H die Abbildung η◦h l¨angs jeder η-Faser konstant.Daher existiert genau eine holomorphe Abbildung k : Y → Y mit η ◦ h = k ◦ η . Die restlichen Behauptungen lassen sich nunmehr einfach verifizieren. ¤ ¨ 4.6.6 Hintereinanderschaltung von Uberlagerungen. Im allgemeinen ¨ ist die Hintereinanderschaltung zweier verzweigter Uberlagerungen keine ¨ Uberlagerung, siehe Aufgabe 4.9.10. Wir ben¨otigen aber folgenden Satz. Ist η : X → Y eine unverzweigte und ϕ : Y → Z eine eventuell ¨ ¨ verzweigte Uberlagerung, so ist ζ := ϕ ◦ η eine Uberlagerung. Beweis. Wir zeigen: Wenn eine Scheibe W ⊂ Z durch ϕ elementar u ¨berlagert wird, dann auch durch ζ : Sei U eine Komponente von ζ −1 (W ) . Es gen¨ ugt zu zeigen, daß die Beschr¨ankung ζ : U → W eine Windungsabbildung ist. Das Bild V := η(U ) ist eine Komponente von ϕ−1 (W ) . Daher ist ϕ : V → W eine Windungsabbildung. Insbesondere ist V eine Scheibe. Die ¨ unverzweigte Uberlagerung η : U → V ist somit ein Isomorphismus, und ζ : U → V ist wie ϕ : V → W eine Windungsabbildung. ¤

¨ 4.7 Verzweigte normale Uberlagerungen Sei Y eine zusammenh¨angende Fl¨ache, und sei B ⊂ Y lokal endlich. Wir ¨ untersuchen und konstruieren normale Uberlagerungen η : X → Y , die u ¨ber Y \ B unverzweigt sind. Sei D = D(η) die Deckgruppe. Wir benutzen Basispunkte y0 ∈ Y \ B und x0 ∈ X mit η(x0 ) = y0 . 4.7.1 Der Poincar´ esche Epimorphismus. Nach der ersten und dritten Folgerung in 4.6.3 ist η durch die Beschr¨ankung η ′ : X \ η −1(B) → Y \ B eindeutig bestimmt und hat dieselbe Deckgruppe D(η) = D(η ′ ) . Der¡ Poincar´esche ¢ Epimorphismus P : π(Y \ B) → D(η) hat den Kern η∗′ π X \ η −1 (B) , siehe 3.6.3. Aus 3.2.7 folgt der ¨ Isomorphiesatz. Zwei normale, u ¨ber Y \ B unverzweigte Uberlagerungen ηj : Xj → Y , j ∈ {0, 1} , deren Poincar´eschen Epimorphismen Pj denselben Kern haben, sind isomorph. Das ist genau dann der Fall, wenn es einen Isomorphismus α : D(η0 ) → D(η1 ) mit P1 = α ◦ P0 gibt. ¤ 4.7.2 Kanonische Erzeugende. Nach 1.5.4 ist jede Standgruppe Da zyklisch. Ihre Ordnung n := v(η, a) h¨angt nur von b = η(a) ab. Wir definieren das kanonisch erzeugende Element σa ∈ Da durch den Wert seiner Ableitung σa′ (a) := exp(2πi/n) . F¨ ur jedes f ∈ D gilt σf (a) = f ◦ σa ◦ f −1 .

¨ 4.7 Verzweigte normale Uberlagerungen

85

Satz. Sei b ∈ B. Die Werte P ([u]) der einfachen b-Schleifen u sind die kanonisch erzeugenden Elemente der Standgruppen σa ∈ Da f¨ ur a ∈ η −1(b) .

Beweis. Sei k : (V, b) → (E, 0) die Karte auf einer Scheibe V , die elementar u ¨berlagert wird. Dann ist η −1 (V ) = ⊎a∈η−1 (b) Ua eine disjunkte Vereinigung von Scheiben Ua , deren Zentren die Punkte a ∈ η −1 (b) sind. Alle Ua sind privilegierte Umgebungen ihrer Zentren. Jede Beschr¨ankung η : (Ua , a) → (V, b) ist eine Windungsabbildung. Es gibt Karten ha : (U, a) → (E, 0) mit k ◦ η = hna f¨ ur n = v(η, a) . Wir definieren den Weg v in V durch k ◦ v(t) = 12 exp(2πit) . Jede einfache b-Schleife hat bis auf Homotopie die Gestalt u = w · v · w− . Dabei ist w ein Weg in Y \ B von y0 nach y1 mit k(y1 ) = 12 , siehe Figur 3.8.4 a. Die η-Liftung w ˜ von w , die in x0 beginnt, endet in einem Punkt x1 , der in einer Scheibe Ua liegt. Alle Scheiben Ua werden durch passende Wahl von w erreicht. Der durch ha ◦ v˜(t) := ha (x1 ) · exp(2πit/n) bestimmte Weg v˜ in Ua ist die η-Liftung von v mit dem Anfangspunkt x1 . F¨ ur das Element g := P [u] ist g(x1 ) der Endpunkt von v˜ . Daher ist g(Ua ) ∩ Ua 6= ∅ , also g ∈ Ga und ha ◦ g = g ′ (a) · ha , weil Ua privilegiert ist, vgl 1.5.3. Wenn man die letzte Gleichung auf x1 anwendet, folgt g ′ (a) = exp(2πi/n) , also P [u] = σa . ¤

¨ 4.7.3 Konstruktion normaler Uberlagerungen. Sei h : π(Y \B) → G ein Gruppen-Epimorphismus, so daß f¨ ur jeden Punkt b ∈ B und jede b-Schleife u in Y \B das Element h([u]) eine endliche Ordnung hat. Dann ¨ gibt es eine normale, u ¨ber Y \ B unverzweigte Uberlagerung η : X → Y mit der Deckgruppe G und dem Poincar´eschen Epimorphismus h . ¨ Beweis. Nach 3.7.2(1) gibt es eine unverzweigte normale Uberlagerung η ′ : X ′ → Y \ B mit dem Poincar´eschen Epimorphismus h . Sie l¨aßt sich nach 4.6.2 zu η : X → Y fortsetzen. Denn jeder Punkt b ∈ B ist Zentrum einer Scheibe V mit V ∩ B = {b} . Sei V × := V \ {b} . F¨ ur jede Komponente U von η ′−1(V × ) ist η ′ : U → V × ist nach 3.3.3 eine Potenz- oder Exponential¨ uberlagerung. Letztere scheidet aus, weil h([u]) f¨ ur jede b-Schleife u endliche Ordnung hat. Somit ist die Voraussetzung der Endlichkeit von η ′ : U → V × in Satz 4.6.2 erf¨ ullt. ¤ b ¨ 4.7.4 Uberlagerungen der Zahlenkugel. Sei B = {b0 , b1 , . . . , br } ⊂ C, b \ B , so daß r ≥ 1 . Nach Satz 3.8.4 gibt es einfache bj -Schleifen uj in C b π(C \ B) von [u1 ], . . . , [ur ] frei erzeugt wird und [u0 ] · [u1 ] · . . . · [ur ] = 1 ist.

Satz. Jede Gruppe G , die von r+1 Elementen g0 , . . . , gr endlicher Ordnungen nj ≥ 2 erzeugt wird, wobei g0 · . . . · gr = 1 gilt, ist die Deckgruppe einer b mit dem Verzweigungsort B und den ¨ normalen Uberlagerung η: X → C Werten P ([uj ]) = gj des Poincar´eschen Epimorphismus P : π(X \ B) → G . ¨ ¨ Die Uberlagerung ist bis auf Isomorphie eindeutig bestimmt. Uber bj hat sie die Windungszahl nj .

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¨ 4. Verzweigte Uberlagerungen

¨ Beweis. Die Existenz der Uberlagerung folgt aus 4.7.3. Nach 4.7.1 ist sie bis auf Isomorphie eindeutig bestimmt. Die letzte Behauptung folgt aus 4.7.2. Historisches. Der Satz und sein Beweis stammen von Hurwitz (1893), siehe [Hur], Bd. 1, S. 405 ff. Er illustriert ihn f¨ ur r = 2 an der alternierenden Gruppe A5 und an der symmetrischen Gruppe Sn , vgl. die Aufgaben 3.9.11 und 4.9.14.

¨ 4.7.5 Endliche zyklische Uberlagerungen der Zahlenkugel. Sei n ≥ 2 b , r ≥ 1. und B := {b0 , b1 , . . . , br } ⊂ C b mit dem ¨ (1) Bei jeder n-bl¨ attrigen zyklischen Uberlagerung η : X → C Verzweigungsort B , deren Deckgruppe D von g erzeugt wird, haben l¨ angs jeder Faser η −1 (bj ) die Standgruppen dasselbe kanonisch erzeugende Element g mj . Dabei gilt (∗) 0 < mj < n , m0 + . . . + mr ≡ 0 mod n , ggT (m1 , . . . , mr , n) = 1 .

(2) Jede Vorgabe ganzer Zahlen (m0 , . . . , mr ) , die (∗) erf¨ ullt, wird durch eine b mit dem Verzweigungsort ¨ n-bl¨ attrige zyklische Uberlagerung η : X →C B realisiert.

(3) Zwei (r+1)-Tupel (m0 , . . . , mr ) und (m′0 , . . . , m′r ) geh¨ oren genau dann ¨ zu isomorphen Uberlagerungen, wenn f¨ ur eine Zahl k mit ggT(k, n) = 1 die r+1 Kongruenzen m′j ≡ k mj mod n bestehen.

b \ B , so daß Beweis. (1) Nach Satz 3.8.4 gibt es einfache bj -Schleifen uj in C b \ B) von [u1 ], . . . , [ur ] frei erzeugt wird und [u0 ] · [u1 ] · . . . · [ur ] = 1 ist. π(C ¨ F¨ ur den Poincar´eschen Epimorphismus P der Uberlagerung gilt P [uj ] = g mj mit 0 < mj < n , weil P [uj ] eine nicht triviale Standgruppe erzeugt. Aus [u0 ] · [u1 ] · . . . · [ur ] = 1 folgt m0 + . . . + mr ≡ 0 mod n . Weil D von P [u1 ], . . . , P [ur ] erzeugt wird, ist ggT (m1 , . . . , mr , n) = 1 . (2) folgt aus 4.7.4, angewendet auf gj := g mj . ¨ (3) Sei η ′ die Uberlagerung zu (m′0 , . . . , m′r ) mit der von g ′ erzeugten Deck′ ¨ gruppe D . Nach 4.7.1 ist sie genau dann zur Uberlagerung η isomorph, wenn es einen Isomorphismus α : D → D′ gibt, so daß α ◦ P der Poincar´esche Epimorphismus von η ′ ist. Das ist genau dann der Fall, wenn α(g) = g ′k f¨ ur eine ganze Zahl k mit ggT(k, n) = 1 gilt und ′ (g ′ )mj = α ◦ P [uj ] = α(g mj ) = (g ′ )kmj , also m′j ≡ k mj mod n ist. ¤ Beispiel. Wenn r = 2 ist, legen wir die Verzweigungspunkte nach 0, 1, ∞ und ordnen m0 , m1 , m∞ der Gr¨oße nach. Das gibt f¨ ur n = 7 genau zwei nicht kongruente M¨oglichkeiten (1,1,5) und (1,2,4), zu denen nicht isomor¨ phe Uberlagerungen geh¨oren. In 6.4.4 und 8.3.5 wird gezeigt, daß sogar die ¨ entsprechenden Uberlagerungsfl¨ achen nicht isomorph sind. b durch ¨ In 6.4.3 werden alle n-bl¨attrigen zyklischen Uberlagerungen von C n Nullstellengebilde von Polynomen w − p mit p ∈ C[z] beschrieben.

¨ 4.8 Universelle verzweigte Uberlagerungen

87

b ¨ 4.7.6 Zusammenh¨ angende zweibl¨ attrige Uberlagerungen von C sind zyklisch, siehe 1.5.5(2). Ihr Verzweigungsort B hat eine gerade Anzahl ♯ B ≥ 2 . Mit dieser Einschr¨ ankung kann er beliebig vorgegeben werden. Die ¨ Uberlagerung ist durch B bis auf Isomorphie eindeutig bestimmt. Auf diese Aussagen reduzieren sich die Ergebnisse des vorigen Abschnitts ¨ im Falle n = 2 . Alle Uberlagerungen mit ♯B = 2 werden durch rationale Funktionen vom Grade 2 realisiert. Die ℘-Funktion zum Gitter Ω mit den b ¨ Halbperiodenwerten e1 , e2 , e3 induziert die Uberlagerung ℘ˆ : C/Ω → C mit dem Verzweigungsort {e1 , e2 , e3 , ∞} . Nach L¨osung des Jacobischen Problems 2.2.7 kann man jede vierpunktige Menge als Verzweigungsort einer elliptischen Funktion vom Grade 2 realisieren. Daher nennt man diese ¨ Uberlagerungen elliptisch. Bei mehr als 4 Verzweigungspunkten heißen sie hyperelliptisch.

¨ 4.8 Universelle verzweigte Uberlagerungen ¨ Ergebnisse u ¨ber universelle Uberlagerungen werden vom unverzweigten auf den gleichverzweigten Fall u ¨bertragen. Wir betrachten nur zusammenh¨an¨ gende, holomorphe Uberlagerungen η : X → Y , bei denen die Windungszahlen ¨ l¨angs jeder Faser beschr¨ankt sind und nennen die Uberlagerung einfach zu¨ sammenh¨ angend , wenn ihre Uberlagerungsfl¨ ache einfach zusammenh¨angt. 4.8.1 Signaturen. Eine Funktion S : Y → N>0 heißt Signatur, wenn ihr Tr¨ ager {y ∈ Y : S(y) ≥ 2} lokal endlich ist. Die Signatur S1 teilt S , wenn an jeder Stelle y ∈ Y der Wert S1 (y) ein Teiler von S(y) ist. Zu ¨ jeder Uberlagerung η : X → Y bilden wir mit dem kleinsten gemeinsamen Vielfachen (kgV) l¨angs jeder Faser die Verzweigungssignatur Sη (y) := kgV{v(η, x) : x ∈ η −1 (y)} . Wenn η gleichverzweigt ist, gilt Sη (y) = v(η, x) , vergleiche 1.4.6.

b . Nach 4.7.4 ist jede Signatur auf C b mit mindestens Signaturen auf C drei Tr¨agerpunkten eine Verzweigungssignatur. Eine Signatur S mit zwei Tr¨agerpunkten a 6= b ist genau dann eine Verzweigungssignatur, wenn S(a) = S(b) gilt. Verzweigungssignaturen mit genau einem Tr¨agerpunkt gibt es nicht; denn in Analogie zur zweiten Folgerung in 4.6.3 gilt: b mit h¨ ¨ Zu jeder Uberlagerung η:X→C ochstens zwei Verzweigungspunkb , so daß α ◦ η zu einer ten gibt es einen Automorphismus α von C b → C, b z 7→ z n , mit n ∈ {1, 2, . . .} isomorph ist. Potenzabbildung C ¤

Wir kehren zum allgemeinen Fall zur¨ uck. Seien η : X → Y und ζ : Z → Y ¨ zwei Uberlagerungen. Wenn es eine holomorphe Abbildung γ : Z → X gibt, so daß ζ = η ◦ γ ist, sagen wir, daß η durch ζ dominiert wird.

88

¨ 4. Verzweigte Uberlagerungen

¨ Dann ist γ nach 4.6.4 auch eine Uberlagerung, und wegen der Produktformel f¨ ur Windungszahlen, siehe 1.3.1, teilt Sη die Signatur Sζ . Wir nen¨ ¨ nen die Uberlagerung ζ : Z → Y universell , wenn ζ alle Uberlagerungen η dominiert, f¨ ur die Sη ein Teiler von Sζ ist. ¨ Lemma. Die Uberlagerung η sei gleichverzweigt und einfach zusammenh¨ an¨ gend, die Uberlagerung ζ sei universell. Aus Sη = Sζ folgt, daß η und ζ isomorph sind. ¨ Beweis. Es gilt eine Uberlagerung γ mit ζ = η ◦ γ . Weil η gleichverzweigt ist, folgt aus Sη = Sζ , daß γ unverzweigt ist. Die Basisfl¨ache von γ ist ¨ die Uberlagerungsfl¨ ache von η und daher einfach zusammenh¨angend. Nach 3.2.4(3) ist γ ein Isomorphismus. ¤ 4.8.2 Existenzsatz. Zu jeder Signatur S mit dem Tr¨ ager B ⊂ Y gibt es ¨ eine normale, u ¨ber Y \ B unverzweigte Uberlagerung ζ : Z → Y , deren Poincar´escher Epimorphismus P : π(Y \ B) → D(ζ) die von {[u]S(b) : u einfache Schleife um b ∈ B} ¨ erzeugte Untergruppe H als Kern hat. F¨ ur jede Uberlagerung η von Y gilt: ζ dominiert η ⇔ Sη teilt S. Insbesondere ist Sζ ein Teiler von S , und ζ ist universell. Beweis. Die Teilmenge {[u] : u einfache Schleife um b ∈ B} ⊂ π(Y \ B) ist f¨ ur jedes b ∈ B unter Konjugationen invariant. Daher ist H ein Normalteiler. Die Existenz von ζ folgt aus 4.7.3 , angewendet auf den RestklassenEpimorphismus h¢ : π(Y \ B) → π(Y \ B)/H =: G , . Mit C := ζ −1 (B) gilt ¡ H = ζ∗ π(Z \ C) . F¨ ur jede einfache b-Schleife u hat P ([u]) die Ordnung Sζ (b) . Wegen ¨ P ([u])S(b) = 1 ist Sζ ein Teiler von S . Wenn ζ eine Uberlagerung η dominiert, ist Sη ein Teiler von Sζ , also auch von S . Umgekehrt sei Sη ein Teiler von S . Sei A := η −1 (B) . F¨ ur jedes b ∈ B sind die Windungszahlen v(η, x) f¨ ur x ∈ η −1(b) Teiler von S(b) . Dann gilt (∗) ζ∗ π(Z \ C) < η∗ π(X \ A) . Weil ζ∗ π(Z \C) von den Potenzen [u]S(b) der einfachen b-Schleifen u erzeugt wird, gen¨ ugt es zum Beweis von (∗) [u]S(b) ∈ η∗ π(X \ A) zu zeigen. Nach 4.7.2 ist P [u] das kanonisch erzeugende Element der Standgruppe Da eines Punktes a ∈ η −1 (b) . Nach 1.5.3(3) ist seine Ordnung ein Teiler von v(η, a) und damit von S(b) . Es folgt [u]S(b) ∈ Kern(P ) = η∗ π(X \ A) , siehe 3.6.3. Nach dem Monodromiesatz, dessen Voraussetzung wegen (∗) erf¨ ullt ist, l¨aßt sich ζ|(Z \ C) zu einer holomorphen Abbildung γ : Z \ C → X \ A liften, so daß ζ = η ◦γ gilt. Diese wird mit Lemma 4.6.3 zu γ : Z → X fortgesetzt. ¤

Bemerkung. Wenn S = Sη eine Verzweigungssignatur ist, folgt Sζ = S . Aber es bleibt noch offen, ob jede Signatur eine Verzweigungssignatur ist, siehe dazu 4.8.5.

¨ 4.8 Universelle verzweigte Uberlagerungen

89

¨ ¨ 4.8.3 Eigenschaften universeller Uberlagerungen. (a) Eine Uberlagerung ist genau dann universell, wenn sie gleichverzweigt ist und einfach zu¨ sammenh¨ angt.– (b) Universelle Uberlagerungen mit gleicher Verzweigungs¨ signatur sind isomorph.– (c) Universelle Uberlagerungen sind normal. ¨ Beweis. Zu jeder Uberlagerung η : X → Y erh¨alt man wegen 4.6.6 durch ¨ Vorschalten der unverzweigten universellen Uberlagerung Z → X eine ein¨ fach zusammenh¨angende Uberlagerung ζ : Z → Y mit gleicher Verzweigungssignatur Sζ = Sη . In vereinfachter Form besagt der Existenzsatz 4.8.2: Jede Verzweigungssig¨ natur ist die Verzweigungssignatur einer Uberlagerung, die gleichzeitig normal, insbesondere gleichverzweigt, und universell ist. Wenn man diese Ergebnisse mit dem Lemma 4.8.1 kombiniert, folgen die Behauptungen (a)-(c). ¤ ¨ Beispiele. Die normalen Uberlagerungen C → X aus 2.6.2 zu den Punkt- , Band- und Fl¨achengruppen sind universell und durch ihre Signaturen bis auf Isomorphie bestimmt. b→C b . Hierzu wurde in ¨ Dasselbe gilt f¨ ur die normalen Uberlagerungen η:C 4.2.3 gezeigt, daß es abgesehen vom zyklischen Fall genau drei Ausnahmeorbiten Σj von G = D(η) gibt. Nach einem Automorphismus der Basisfl¨ache b kann man η(Σ1 ) = 0, η(Σ2 ) = 1 und η(Σ3 ) = ∞ annehmen. Jedem Typ C der Klassifikationstabelle in 4.2.3 entspricht dann genau eine Signatur mit dem Tr¨ager {0, 1, ∞} . Da sie η bis auf Isomorphie bestimmt, ist G bis auf b bestimmt. Das war in 4.2.3 bereits behauptet, aber Konjugation in Aut(C) noch nicht bewiesen worden. 4.8.4 Universelle Liftung. Sei ζ : Z → X die unverzweigte universelle ¨ Uberlagerung. S¨amtliche h ∈ Aut(Z) , zu denen ein g ∈ Aut(X) mit g ◦ ζ = ζ ◦ h existiert, bilden den Normalisator N von D(ζ) in Aut(Z) . Der Automorphismus g ist durch h eindeutig bestimmt. (1) Die Zuordnung p : N → Aut(X) , p(h) := g , ist ein Epimorphismus mit dem Kern D(ζ) . Die Surjektivit¨at von p folgt aus dem Monodromiesatz. ¤ (2) F¨ ur jede Untergruppe G < Aut(X) ist ihre universelle Liftung ˆ := p−1 (G) < N genau dann diskontinuierlich, wenn G diskontinuG ierlich ist. ˆ diskontinuierlich ist, folgt dies aus 4.6.5. Wenn G diskontinuierlich Wenn G ¨ und damit die Deckgruppe einer normalen Uberlagerung η ist, gilt genauer: ¨ (3) Die Uberlagerung η ◦ ζ ist universell. Sie hat dieselbe Signatur wie η . ˆ. Ihre Deckgruppe ist D(η ◦ ζ) = G ˆ < D(η ◦ ζ) und verifiziert sodann, Zum Beweis von (3) zeigt man zun¨achst G ˆ -Orbit liegt. daß jede (η ◦ ζ) -Faser in einem G ¤

90

¨ 4. Verzweigte Uberlagerungen

Bemerkung. Der Riemannsche Abbildungssatz in 10.8.7 wird zeigen, daß Z b , C oder H isomorph ist. Die Automorphismen dieser drei Fl¨achen zu C ˆ wird haben die Gestalt z 7→ (az + b)/(cz + d) . Jede ¡universelle Liftung G ¢ daher durch eine Gruppe von (2 × 2) -Matrizen ac db beschrieben.

b isomorphen Fl¨ 4.8.5 Verzweigungssignaturen. Auf jeder nicht zu C ache ist jede Signatur eine Verzweigungssignatur. F¨ ur den Beweis wird der Uniformisierungssatz 11.1.1 benutzt.

Lemma. Sei S eine Signatur auf der zusammenh¨ angenden Fl¨ ache Y . Wenn ¨ es zu jedem b ∈ Y eine Uberlagerung η : X → Y gibt, deren Signatur Sη ein Teiler von S ist und den speziellen Wert Sη (b) = S(b) hat, ist S eine Verzweigungssignatur. ¨ Beweis. Sei ζ eine Uberlagerung zu S gem¨aß 4.8.2. Da Sζ ein Teiler von S ist, gen¨ ugt es zu zeigen, daß f¨ ur jede Stelle b der Wert Sζ (b) ein Vielfaches ¨ von S(b) ist. Die Uberlagerung η wird von ζ dominiert. Insbesondere ist Sζ (b) ein Vielfaches von Sη (b) = S(b) . ¤ Satz. Wenn die Fl¨ ache Y durch C oder E unverzweigt u ¨berlagert wird, ist jede Signatur S auf Y eine Verzweigungssignatur. Beweis. (1) Wegen des Lemmas gen¨ ugt es zu jedem b ∈ Y und jeder ganzen ¨ Zahl n ≥ 2 eine Uberlagerung η : X → Y anzugeben, welche nur u ¨ber b verzweigt, wobei Sη (b) = n ist. Der folgende Beweis f¨ ur den Fall E l¨aßt sich ¨ w¨ortlich auf den Fall C u ¨bertragen: Es gibt eine unverzweigte Uberlagerung ζ : (E, 0) → (Y, b) . Dann leistet η : (E, 0) → (Y, b), η(z) = ζ(z n ) , das Gew¨ unschte. ¤ b die einzige Fl¨ache, welche nicht Nach dem Uniformierungssatz 11.1.1 ist C durch C oder E unverzweigt u ¨berlagert wird. Daher folgt die am Anfang dieses Abschnitts aufgestellte Behauptung. Bemerkung. Jede Verzweigungssignatur auf einer kompakten Fl¨ ache ist sogar die ¨ Verzweigungssignatur einer endlichen normalen Uberlagerung. Dieses von Fenchel vermutete Ergebnis wurde 1951/52 durch Bundgaard/Nielsen [BuNi] und Fox [Fox] bewiesen.

4.8.6 Historisches. Spezialf¨alle der Ergebnisse in 4.7-8 gehen auf Klein und

¨ Poincar´e (um 1880) zur¨ uck. Erst 50 Jahre sp¨ ater wurden normale Uberlagerungen zu vorgegebener Signatur durch Fenchel und Nielsen systematisch untersucht. Bis zur vollst¨ andigen Publikation ihrer Ergebnisse vergingen weitere Jahrzehnte, siehe [Ran] (1958) und [FN] (2003). Eine Verallgemeinerung auf h¨ ohere Dimensionen findet man in [Nam 2]. Das Wort Signatur“ benutzen wir nach einem Vorschlag von S. Patterson. ”

4.9 Aufgaben

91

4.9 Aufgaben 1)

Gib zur Diedergruppe {z 7→ ωz ±1 : ω ∈ µq } eine Orbitprojektion explizit an. Diese Aufgabe wird in [Klei 2] auch f¨ ur die Tetraeder-, Oktaeder- und Ikosaedergruppe gel¨ ost.

2)

Sei ε := exp(2πi/5) und T := {εµ + εν : 0 ≤ µ < ν ≤ 4} ∪ {0, ∞} , siehe Teil (iii) des Beweises in 4.2.5. Zeige: r := ε + ε4 ∈ R>0 . Die zehn Punkte εµ + εν bilden die beiden F¨ unfecke {rεν : 0 ≤ ν ≤ 4} und −r−1 εν : 0 ≤ ν ≤ 4} . Der antiholomorphe Automorphismus s(z) := −1/¯ z vertauscht sie. F¨ ur g(z) := (−z + rε)/(rz + ε) gilt g ◦ s = s ◦ g , ferner g(r) = rε , g(rε) = 0 und g(rε2 ) = (1 − ε + ε2 − ε3 )/(1 + ε + 2ε2 + ε4 ) = 1 + ε3 g(rε3 ) = (1 − ε4 )/(1 + 2ε + 2ε3 ) = 1 + ε4 g(rε4 ) = (ε2 − ε3 )/(2ε + ε2 + 2ε4 ) = 1 + ε . Folgere: g ∈ Sym(T ) .

3)

Sei G die unendliche zyklische Gruppe der reell-analytischen Abbildungen C× → C× , x + iy 7→ 2n x + i2−n y f¨ ur n ∈ Z . Zeige: (i) Alle Standgruppen sind trivial. (ii) Jeder Punkt in C× besitzt eine privilegierte Umgebung. (iii) Sei η : C× → Y eine Orbitprojektion. Zeige, daß Y nicht hausdorffsch ist, weil η(1) 6= η(i) keine disjunkten Umgebungen besitzen.

4)

Bekanntlich ist R = {α + iβ : α, β ∈ Z} ein Euklidischer Unterring von C . Zeige: (i) Der Quotientenk¨ orper K von R liegt dicht in C . (ii) Zu je zwei teilerfremden Zahlen b, d ∈ R gibt es ein A ∈ SL2 (R) mit ¡ ¢ ¡ ¢ A 01 = db . (iii) K ∪ {∞} ist ein SL2 (R)-Orbit. b , auf dem SL2 (R) diskontinuierlich operiert. (iv) Es gibt kein Gebiet X ⊂ C Dieses Beispiel wurde 1884 von Picard angegeben.

5)

b : Wenn mindestens zwei Zeige f¨ ur Untergruppen G < Aut(C) bzw. Aut(C) bzw. drei Punkte auf lokal endlichen Orbiten liegen, ist G diskontinuierlich.

6)

Sei K = {(z, w) ∈ C2 : w2 = z 3 } . Zeige, daß h : C → K, h(t) = (t2 , t3 ) , ein Hom¨ oomorphismus ist. Definiere auf K die Garbe F durch F (U ∩ K) := {f |K : f ∈ O(U )} f¨ ur offene Mengen U ⊂ C2 . Begr¨ unde, daß h : (C, O) → (K, F ) ein Morphismus, aber kein Isomorphismus ist.

7)

Zeige f¨ ur die Untergruppe G := {(u, v) 7→ (αu, α−1 v) : α ∈ µq } < Aut (C2 ) : (i) Die nicht-leeren Fasern der Abbildung η : C2 → C3 , η(u, v) = (uq , v q , uv) , sind die G-Orbiten. (ii) η(C2 ) = {(x, y, z) ∈ C3 : z q = xy} ist ein G-Orbitraum. (iii) F¨ ur q ≥ 2 h¨ angt η(C2 ) \ {(0, 0, 0)} nicht einfach zusammen. Folgere: Bei einer diskontinuierlichen Automorphismengruppe einer komplexen Mannigfaltigkeit der Dimension n ≥ 2 ist der Orbitraum im allgemeinen keine Mannigfaltigkeit.

92

¨ 4. Verzweigte Uberlagerungen

8)

Sei X eine Riemannsche Fl¨ ache. Auf X 2 := X × X operiert die Gruppe S2 = {id, τ } durch τ (x1 , x2 ) = (x2 , x1 ) . Sei η : X 2 → X2 := X 2 /S2 die Orbitprojektion. Man nennt X2 das symmetrische Quadrat von X . Zeige: (a) F¨ ur X = E ist η(z1 , z2 ) = (z1 + z2 , z1 z2 ) eine S2 -Orbitprojektion η : E2 → V auf eine offene Menge V ⊂ C2 . (b) Die Bildgarbe Oη der holomorphen Strukturgarbe O auf E2 ist die holomorphe Strukturgarbe auf V . (Benutze, daß η : E2 \∆ → V \D nach Entfernen der Diagonale ∆ = {(z, z)} und der Diskriminantenmenge D = {(w1 , w2 ) : w12 = 4w2 } lokal biholomorph ist und jede auf einer offenen Menge U ⊂ V stetige Funktion auf ganz U holomorph ist, sobald sie auf U \ D holomorph ist.) (c) Folgere aus (a) und (b): F¨ ur jede Riemannsche Fl¨ ache (X, O) ist das symmetrische Quadrat (X2 , Oη ) mit der Bildgarbe Oη eine zweidimensionale komplexe Mannigfaltigkeit.– Siehe 14.4.5 f¨ ur eine Verallgemeinerung.

9)

b aus den AufZeige: Die anharmonische Gruppe Λ := Sym{0, 1, ∞} < Aut(C) gaben 1.7.10-11 hat die Ausnahmeorbiten

Σ1 = {0, 1, ∞} , Σ2 = {−1, 21 , 2} , Σ3 = {e±2πi/3 } . Bilde die rationale Λ-Orbitprojektion f gem¨ aß 4.2.1 mit A = Σ3 und B = Σ1 so, daß f (Σ2 ) = 1 ist und vergleiche das Ergebnis mit Aufgabe 1.7.10. Sei G < Λ die von z 7→ 1−z erzeugte Untergruppe, und sei g ihre rationale Orbitprojektion. Gib eine rationale Funktion h so an, daß f = h ◦ g ist, und begr¨ unde, daß h nicht normal ist.

¨ 10) Gewinne aus dem Nullstellengebilde von w2 − sin iz eine unverzweigte Uberla¨ gerung von C \ iZ , vgl. 1.2.4, und setze sie zur einer verzweigten Uberlagerung η : X → C fort. Begr¨ unde, daß der Verzweigungsort von exp ◦ η nicht lokal ¨ endlich ist. Daher ist exp ◦ η keine Uberlagerung, obwohl η und exp (sogar ¨ normale) Uberlagerungen sind. b mit drei ¨ 11) Beschreibe bis auf Isomorphie alle zyklischen Uberlagerungen von C Verzweigungspunkten, die 3, 4 bzw. 5 Bl¨ atter haben.

b mit ♯B ≥ 3 ist Verzweigungsort einer nor12) Zeige: Jede endliche Menge B ⊂ C b ¨ malen Uberlagerung von C , deren Deckgruppe eine Kleinsche Vierergruppe ¨ ist. Wo kommen solche Uberlagerungen f¨ ur ♯B = 3 in der Klassifikation 4.2.3 ¨ vor? Gib solche Uberlagerungen f¨ ur ♯B = 4 mit Hilfe elliptischer Funktionen an, wobei die L¨ osung des Jacobischen Problems 2.2.7 f¨ ur B unterstellt wird. 13) Deute die Bandgruppe B2 und die Fl¨ achengruppen Fn (Ω) aus 2.6.2 als universelle Liftungen endlicher Deckgruppen. 14) Die alternierende Gruppe A5 wird von (1 2)(3 4) und (2 5 4) erzeugt. Pr¨ ufe (1 2)(3 4) · (2 5 4) · (1 2 3 4 5) = (1) . b mit der Deckgruppe A5 , ¨ Zeige: Es gibt eine normale Uberlagerung von C deren Signatur aus drei Punkten mit den Werten 2, 3, 5 besteht. Folgere, daß die Ikosaedergruppe zu A5 isomorph ist.– Identifiziere in analoger Weise die Tetraedergruppe mit A4 und die Oktaedergruppe mit S4 .

5. Die J - und λ -Funktion

Nach der erfolgreichen Klassifikation aller diskontinuierlichen Untergruppen b in 4.2 erwartet der Leser vielleicht ein von Aut(C) in 2.6 und von Aut(C) ¨ahnliches Ergebnis f¨ ur die Halbebene H . Hier l¨aßt sich jedoch die Vielfalt aller M¨oglichkeiten mit den derzeit verf¨ ugbaren Methoden nicht u ¨berschauen. Wir betrachten zwei diskontinuierliche Untergruppen von Aut(H), die zum Vorbild f¨ ur die allgemeine Theorie wurden: die Modulgruppe Γ und die Hauptkongruenzgruppe Γ2 ⊳ Γ . Die im Titel genannten Funktionen sind Orbitprojektionen J : H → C bzw. λ : H → C×× := C \ {0, 1} dieser Gruppen. Zu ihrer Beschreibung werden Kenntnisse u ¨ber Gitter und ℘-Funktionen aus dem 2. Kapitel ben¨otigt. Die Gleichung J(H) = C l¨ost das Jacobische Problem aus 2.2.7.– Die λ ¨ Funktion ist eine unverzweigte Uberlagerung. Mit dem Monodromiesatz 3.2.6 erh¨alt man klassische Ergebnisse u ¨ber holomorphe Funktionen, die mindestens zwei komplexe Zahlen als Werte auslassen. Die Verallgemeinerung von Γ2 zu den Kongruenzgruppen Γn f¨ ur n = 2, 3, 4, ... und die Einf¨ uhrung der zugeh¨origen Modulfl¨achen Xn bieten am Schluß des Kapitels ein Beispiel aus den zahlreichen M¨oglichkeiten, die Untersuchung diskontinuierlicher Untergruppen von Aut(H) und ihrer Orbitfl¨achen weiterzuf¨ uhren.

5.1 Modulgruppe und Modulbereich Die Automorphismengruppe Aut(H) besteht aus allen reellen M¨obius-Transµ ¶ formationen aτ + b a b f¨ ur A = ∈ SL2 (R) , τ 7→ A(τ ) := c d cτ + d siehe z.B. [Re 1], Abschnitt 9.2.2. Alle Transformationen mit ganzzahligen Koeffizienten bilden die Modulgruppe . Wir untersuchen ihre Wirkung auf H mit Hilfe des Modulbereichs aus 2.5.1.

5.1.1 Die Modulgruppe Γ < Aut(H) besteht aus allen Transformationen A mit a, b, c, d ∈ Z . Folgende Elemente in Γ spielen eine besondere Rolle: 1 1 , S(z) := − , T (z) := z + 1 . (1) R(z) := − z+1 z

94

5. Die J- und λ -Funktion

Das Element R hat die Ordnung 3 und den Fixpunkt ω := exp(2πi/3) . Die Inversion S hat die Ordnung 2 und den Fixpunkt i . Die Translation T hat unendliche Ordnung und besitzt keine Fixpunkte. Es gilt R = S ◦ T . Jedem τ ∈ H wird das Gitter Ωτ := Zτ + Z zugeordnet. Bei einem beliebigen Gitter Ω = Zω1 + Zω2 kann man (nach eventuellem Tausch von ω1 und ω2 ) annehmen, daß der Modul τ := ω1 /ω2 ∈ H ist. Dann ist Ω = ω2 Ωτ zu Ωτ ¨aquivalent. Satz. (i) Die Gitter Ω := Zω1 + Zω2 und Ω ′ := Zω1′ + Zω2′ sind genau dann ¶ µ gleich, wenn a b ′ ′ ∈ SL2 (Z) ω1 = a ω1 + c ω2 , ω2 = b ω1 + d ω2 mit A = c d

gilt.– (ii) Sie sind genau dann a ¨quivalent, d.h. Ω ′ = u · Ω f¨ ur ein u ∈ C× , ′ wenn es ein A ∈ Γ mit τ = A(τ ) gibt. Beweis. (i) beweist man genauso wie in der Linearen Algebra den Satz vom Basiswechsel.– Zu (ii). Sei Ω ′ = u · Ω . Dann sind (ω1′ , ω2′ ) und (u ω1 , u ω2 ) zwei Basen dieses Gitters. Nach (i) gibt es ein A mit τ ′ = A(τ ) . Umgekehrt folgt aus τ ′ = A(τ ) , daß ω1∗ := a ω1 + c ω2 , ω2∗ := b ω1 + d ω2 eine Basis von Ω ist. F¨ ur sie gilt ω1∗ /ω2∗ = ω1′ /ω2′ , also Ω ′ = u Ω mit u := ω1′ /ω1∗ = ω2′ /ω2∗ .

5.1.2 Fundamentalbereiche. Eine Teilmenge D ⊂ X heißt Fundamentalbereich f¨ ur die Operation einer Gruppe G auf dem topologischen Raum X , wenn sie folgende Forderungen erf¨ ullt: ◦ ulle der Menge D◦ aller inneren Punkte. (1) D = D ist die abgeschlossene H¨ (2) Jeder G-Orbit trifft D . (3) F¨ ur jeden Punkt x ∈ D◦ ist G(x) ∩ D = {x} .

Ein u ¨bersichtlicher Fundamentalbereich erleichtert die geometrische Beschreibung der G-Orbitprojektion η : X → Y . Denn Y entsteht aus D durch Identifikationen l¨angs des Randes ∂D := D\D◦ . Mit D ist auch g(D) f¨ ur jedes g ∈ G ein Fundamentalbereich. Man erh¨alt die Parkettierung S (4) X = g∈G g(D) mit g(D◦ ) ∩ h(D◦ ) = ∅ f¨ ur g 6= h . Beispiel: F¨ ur die Operation eines Gitters Ω < C durch Translationen ist jedes der in 2.3.1 angegebenen abgeschlossenen Parallelogramme P¯ ein Fundamentalbereich. 5.1.3 Modulbereich und Ausnahmebahnen. Der Modulbereich (1) D := {τ ∈ H : |τ | ≥ 1 , |Re τ | ≤ 21 }

ist ein Fundamentalbereich f¨ ur die Modulgruppe Γ , siehe Figur 5.1.3. Zwei Punkte τ 6= τ ′ ∈ ∂D liegen genau dann im selben Γ -Orbit, wenn τ ′ = −¯ τ der Bildpunkt von τ bei der Spiegelung an der imagin¨ aren Achse ist. Die einzigen Ausnahmebahnen sind Γ (i) und Γ (ω). Die Standgruppen Γi und Γω werden von S bzw. R erzeugt und haben die Ordnungen 2 bzw. 3.

5.1 Modulgruppe und Modulbereich

D+

D_ w= e2ip/3·

-1



95

· i

·r = e

°

½

ip/3

Fig. 5.1.3.

1

Der Modulbereich D = D+ ∪ D− ist ein Fundamentalbereich der Modulgruppe. Er wird durch die imagin¨ are Achse in zwei H¨ alften D+ und D− geteilt.

Beweis. Nach 2.5.1(1) gibt es zu jedem τ ∈ H eine Basis ω1 , ω2 des Gitters Ωτ mit ω1 /ω2 ∈ D . Wegen Satz 5.1.1 gibt es ein A ∈ Γ mit A(τ ) = ω1 /ω2 ∈ D , d.h. jeder Γ -Orbit trifft D . Wir untersuchen, f¨ ur welche τ ∈ D und A ∈ Γ \ {id} das Bild τ ′ := A(τ ) ∈ D ist. Das liefert f¨ ur τ ′ 6= τ die paarweisen Identifikationen durch die Orbitprojektion und f¨ ur τ ′ = τ die Elemente 6= id der Standgruppe Γτ . Da jede Bahn D trifft, werden alle Ausnahmebahnen entdeckt. Sei also µ ¶ aτ + b a b mit ∈ SL2 (Z) . τ, τ ′ ∈ D , τ ′ = A(τ ) = c d cτ + d

Wir benutzen Im τ ′ = |cτ +d|−2 ·Im τ und k¨onnen c ≥ 0 sowie Im τ ′ ≥ Im τ , also |cτ + d| ≤ 1 annehmen. F¨ ur c = 0 ist τ ′ = τ + b mit b ∈ Z \ {0}. Dann liegen τ und τ ′ in gleicher H¨ohe auf verschiedenen senkrechten St¨ ucken des√Randes von D. F¨ ur c ≥ 1 ist |τ + d/c| ≤ 1/c. Andererseits ist 3/2 der minimale Abstand √ von D zu R , also |τ + d/c| ≥ 3/2. Es folgt c = 1, |τ + d| = 1, Im τ ′ = Im τ und |d| ≤ 1.– Der Fall d 6= 0 kann nur f¨ ur (τ, d) = (ω, 1) oder = (ρ, −1) eintreten, d.h. τ ist eine der beiden Ecken von D. Wegen Im τ ′ = Im τ ist dann τ ′ = τ dieselbe oder τ ′ = −¯ τ die andere Ecke, und aus τ ′ = τ = ω folgt A = R . Im Falle d = 0 ist |τ | = 1 und τ ′ = a − 1/τ = a− τ¯ , also a ∈ {0, ±1} . F¨ ur a = 0 ist A = S mit dem einzigen Fixpunkt i . F¨ ur a = ±1 ist (τ, a) = (ω, −1) oder = (ρ, 1) und τ = τ ′ . Aus τ ′ = τ = ω folgt A = R2 . Die Untersuchung beweist die Behauptung u ¨ber die Identifikation verschiedener Punkte τ 6= τ ′ in D . Sie zeigt ferner, daß i, ω und ρ = T (ω) die einzigen Punkte in D mit nicht trivialen Standgruppen sind: Γi = {id, S} und Γω = {id, R, R2 } . ¤ 5.1.4 Erzeugende Elemente. Die in 5.1.1(1) angegebenen Elemente S und T erzeugen die Modulgruppe Γ . Beweis. Jede Bahn Γ∗ (τ ) der von S und T erzeugten Untergruppe Γ∗ trifft den Modulbereich D . Denn f¨ ur jedes τ ′ = (aτ + b)/(cτ + d) ∈ Γ∗ (τ ) gilt ′ 2 Im τ / Im τ = |cτ + d| . Wegen cτ + d ∈ Ωτ gibt es ein τ1 ∈ Γ∗ (τ ) , so daß |cτ1 +d| minimal, also Im τ1 maximal auf Γ∗ (τ ) ist. Durch eine Translation T n erreicht man τ2 := T n (τ1 ) ∈ Γ∗ (τ ) mit |Re τ2 | ≤ 21 . Dann ist τ2 ∈ D,

96

5. Die J- und λ -Funktion

d.h. |τ2 | ≥ 1. Denn sonst h¨atte S(τ2 ) ∈ Γ∗ (τ ) einen Imagin¨arteil Im S(τ2 ) = (Im τ2 )/|τ2 |2 > Im τ2 = Im τ1 . Insbesondere gibt es zu jedem A ∈ Γ ein B ∈ Γ∗ mit B ◦ A(2i) ∈ D. Wegen Γ (2i) ∩ D = {2i} folgt B ◦ A(2i) = 2i , d.h. B ◦ A ∈ Γ2i = {id} , also A = B −1 ∈ Γ∗ . ¤ Im ersten Teil des Beweises wurde erneut, diesmal ohne Benutzung reduzierter Basen, gezeigt, daß jede Γ -Bahn in D eindringt. 5.1.5 Die Modulparkettierung. Der Modulbereich D = D+ ∪ D− wird in zwei H¨alften D± := {z ∈ D : ±Rez ≥ 0} zerlegt, siehe Figur 5.1.3 . Die Seiten von D− liegen auf den Geraden Re z = 0 , Re z = − 21 und dem Einheitskreis |z| = 1 . Die Spiegelungen r1 (z) := −¯ z , r2 (z) := −(¯ z + 1) , r3 (z) := 1/¯ z

an diesen Geraden und dem Kreis erzeugen die erweiterte Modulgruppe Γ ∗ . F¨ ur die Erzeugenden der Modulgruppe Γ gilt S = r3 ◦ r1 , T = r1 ◦ r2 . Daher ist Γ eine Untergruppe von Γ ∗ , genauer: Γ ⊳ Γ ∗ ist ein Normalteiler vom Index zwei. Ein Produkt der Erzeugenden r1 , r2 , r3 liegt genau dann in Γ , wenn die Anzahl der Faktoren gerade ist.

Wir fassen D− als Dreieck mit den Ecken ω = exp(2πi/3) , i und ∞ auf. Die Innenwinkel sind π/3, π/2 und 0. Da die Automorphismen h ∈ Γ ∗ winkeltreu sind, ist f¨ ur jedes h ∈ Γ ∗ das Bild h(D− ) ein Dreieck mit denselben Innenwinkeln π/3 , π/2 und 0 , dessen Seiten wie bei D− auf Strahlen oder Halbkreisen liegen, welche auf der reellen Achse senkrecht stehen. Die Ecken mit den Innenwinkeln 0 heißen Spitzen. Sie bilden den Γ -Orbit Γ (∞) = {∞} ∪ Q ⊂ ∂H . ¡a b¢ Beweis. F¨ ur A = c d ∈ SL2 (Z) ist A(∞) = ∞ bzw. = a/c ∈ Q , je nachdem, ob c = 0 oder 6= 0 ist. Umgekehrt gibt es zu jedem vollst¨andig gek¨ urzten Bruch a/c ∈ Q ganze Zahlen b, d, so daß ad − bc = 1 ist. F¨ ur die zugeh¨orige Matrix A folgt A(∞) = a/c . ¤ Die Darstellung der Halbebene S H = h∈Γ ∗ h(D− )

als Vereinigung aller Dreiecke h(D− ) nennt man die Modulparkettierung. Dabei wird das Dreieck h(D− ) weiß oder schwarz (punktiert) gef¨arbt, je nachdem ob h ∈ Γ oder ∈ / Γ ist, siehe die Figur 5.1.5. In jeder Spitze q treffen unendlich viele Dreiecke der Parkettierung aufeinander. F¨ ur q ∈ Q werden sie immer kleiner, d.h. jede Umgebung von q umfaßt alle bis auf endlich viele dieser Dreiecke. P. Gordan sagte: Da wohnen die ” D¨amonen“ , siehe [Klei 5], S. 47. 5.1.6 Historisches. Die sog. Modulfigur, die . . . Gauß zuerst hat, und mit ” der er Abel, Jacobi und den n¨ achstfolgenden Mathematikern u ¨berlegen bleibt, [ hat sich ] von Riemann ab zum bevorzugten Arbeitsmittel in der Theorie [ der

5.2 Reduktionstheorie bin¨ arer Formen

-1,5

-1

-0,5

0

0,5

1

97

1,5

Fig. 5.1.5. Die Modulparkettierung von H durch die Bilder h(D− ) des halben Modulbereichs D− f¨ ur h ∈ Γ ∗ . Die Dreiecke der Parkettierung sind weiß f¨ ur h ∈ Γ und sonst schwarz (punktiert). Modulfunktionen ] entwickelt“, sagt Klein in [Klei 5], S. 46. Eine zum Modulbereich ¨ aquivalente Menge wurde bereits 1773 von Lagrange zur Beschreibung der reduzierten quadratischen Formen angegeben, siehe 5.2.3. Ihre Bedeutung f¨ ur die Gittertheorie hat Gauß gekannt, siehe den n¨ achsten Abschnitt, aber in der ihm ” eigent¨ umlichen Vorsicht zur¨ uckgehalten“ , [ Klei 5], S. 38 . Erst 1877 gab Dedekind, [Ded] I, S.180, den Modulbereich explizit als Fundamentalbereich der Modulgruppe Γ an. Auch Klein, [Klei 1] III, S. 24, beschrieb ihn kurz darauf.

5.2 Reduktionstheorie bin¨ arer Formen Lagrange untersuchte 1773, welche ganzen Zahlen durch eine vorgegebene positiv definite quadratische Form Ax2 + 2Bxy + Cy 2 mit ganzzahligen Koeffizienten dargestellt werden, wenn man f¨ ur x und y ganze Zahlen einsetzt. Er entwickelte dazu eine Methode, solche Formen auf einfachere zu reduzieren, ohne dabei ihre Wertemenge f¨ ur ganze x und y zu ¨ andern, [Lag] III, p. 695-795. Gauß nahm die Reduktionstheorie in die Disquisitiones Arithmeticae (Nr. 171/2) auf, die 1801 erschienen, und brachte 1831 anl¨ aßlich einer Buchbesprechung, [Ga] III, S.186 ff., die Formen mit Gittern in Verbindung. Wir zeigen im folgenden, daß die Existenz reduzierter Gitterbasen dem Lagrangeschen Reduktionssatz f¨ ur Formen entspricht, ¨ und deuten die von Lagrange definierte Aquivalenz von Formen mittels der Bahnen der Modulgruppe. Zahlentheoretische Anwendungen bleiben außer Betracht; siehe hierzu [SO].

5.2.1. Grundbegriffe. Eine bin¨are quadratische Form (1) Q(x, y) = A x2 + 2B xy + C y 2 mit reellen Koeffizienten A, B, C und der Determinante ∆ := AC − B 2 ist genau dann positiv definit, wenn A und ∆ positiv sind. Im folgenden sind alle Formen positiv definit. Die Formen Q und Q′ heißen a ¨quivalent, wenn sie durch eine ganzzahlige Substitution auseinander hervorgehen: ¶ µ a c ∈ SL2 (Z) . (2) Q′ (x, y) = Q(a x + c y, b x + d y) mit c d

98

5. Die J- und λ -Funktion

¨ ¨ Die Aquivalenzklassen heißen Formenklassen. Aquivalente Formen haben dieselbe ¨ Determinante und dieselbe Wertemenge f¨ ur ganzzahlige x und y . Diese Aquivalenzdefinition stammt von Lagrange.

5.2.2. Formen und reelle Basen von C . Wir betrachten C als orientierten zweidimensionalen Euklidischen Vektorraum mit dem inneren Produkt hz, wi := Re z w ¯ . Jede Basis ω1 , ω2 mit τ := ω1 /ω2 ∈ H bestimmt die positiv definite Form Q(x, y) = |x ω1 + y ω2 |2 = A x2 + 2B xy + C y 2 mit (1) A = |ω1 |2 , B = hω1 , ω2 i = Re ω1 ω 2 , C = |ω2 |2 , ∆ := AC − B 2 = (Im ω1 ω 2 )2 . √ acheninhalt des von ω1 , ω2 aufgespannten Parallelogramms. Dabei ist ∆ der Fl¨ √ Jede positiv √ definite √ Form hat die Gestalt (1); man setze z.B. ω12 := A und ω2 := (B − i ∆)/ A . Offenbar ¨ andert sich die Form |x ω1 + y ω2 | nicht, wenn man die Basis dreht, d.h. ω2 , ω1 durch u ω2 , u ω1 mit u ∈ C und |u| = 1 ersetzt. Der Modul τ h¨ angt nur von der Form Q ab: Es gilt √ B+i ∆ A (2) τ = und |τ |2 = . C C Satz. Zu je zwei Zahlen ∆ ∈ R>0 und τ ∈ H gibt es genau eine Form Q mit der Determinante ∆ und dem Modul τ . √ unschte. Die Beweis. Die Form Q(x, y) := ( ∆/Im τ )| x τ + y|2 leistet das Gew¨ Eindeutigkeit folgt aus (2). ¤

5.2.3 Formen und Gitter. Jede R -Basis ω1 , ω2 von C mit τ := ω1 /ω2 ∈ H bestimmt außer der Form Q(x, y) := |x ω1 + y ω2 |2 das Gitter Ω := Zω1 + Zω2 . Nach Satz 5.1.1 (erste Aussage) spannt jede Basis von Ω ein Parallelogramm auf, dessen Inhalt die Determinante ∆ der Form Q ist.– Seien Q′ die Form und Ω ′ das Gitter zur Basis ω1′ , ω2′ .

¨ Aquivalenzsatz. Die Formen Q und Q′ sind genau dann a ¨quivalent, wenn die ′ Gitter Ω und Ω durch eine Drehung auseinander hervorgehen. Beweis. Sei u Ω ′ = Ω mit u ∈ S 1 . Dann ist u ω1 , u ω2 eine Basis von Ω , also ¡ ¢ u ω1′ = a ω1 + b ω2 , u ω2′ = c ω1 + d ω2 mit ac db ∈ SL2 (Z) . Daraus folgt, daß Q und Q′ ¨ aquivalent sind, n¨ amlich Q′ (x, y) = |xu ω1′ +yu ω2′ |2 = |x(a ω1 +b ω2 )+y(c ω1 +d ω2 )|2 = Q(ax+cy, bx+dy) . ¨ Umgekehrt folgt aus der Aquivalenz von Q und Q′ , daß ¡ ¢ ′ ′ 2 |x ω1 + y ω2 | = |x(a ω1 + b ω2 ) + y(c ω1 + d ω2 )|2 mit ac db ∈SL 2 (Z) gilt. Dann ist die reell-lineare Abbildung Φ : C → C , x ω1′ + y ω2′ 7→ x(a ω1 + b ω2 ) + y(c ω1 + d ω2 ) , eine Drehung mit Φ(Ω ′ ) = Ω . ¤

¨ 5.2.4 Aquivalente Formen und Modulbahnen. Zwei Formen Q und Q′ sind genau dann a ¨quivalent, wenn sie dieselbe Determinante haben und ihre Moduln τ, τ ′ auf derselben Bahn der Modulgruppe Γ liegen. Insbesondere wird jede Formenklasse durch die Moduln ihrer Elemente bijektiv auf eine Γ -Bahn abgebildet. Beweis. Wie in 5.2.3 sei Q(x, y) := |x ω1 + y ω2 |2 , Q′ (x, y) := |x ω1′ + y ω2′ |2 und Ω := Zω1 + Zω2 , Ω ′ := Zω1′ + Zω2′ . Nach Satz 5.1.1(ii) liegen τ = ω1 /ω2 und τ ′ = ω1′ /ω2′ genau dann auf derselben Γ -Bahn, wenn es ein u ∈ C× mit Ω = u Ω ′ gibt. Genau dann, wenn Q und Q′ dieselbe Determinante haben, ist |u| = 1 , und die Behauptung folgt aus 5.2.3. ¤

5.3 Die J-Funktion

99

5.2.5 Reduktion. Eine Form Q heißt reduziert, wenn ihr Modul τ im Modulbereich D der Figur 5.1.3 liegt. Lemma. Die Form Q(x, y) = A x2 + 2B xy + C y 2 ist genau dann reduziert, wenn 2|B| ≤ C ≤ A . √ Beweis. Aus τ = (B + i D)/C ∈ H folgt C ≥ 0 und: |Re τ | ≤ 21 ⇔ 2|B| < C . Aus |τ |2 = A/C und A > 0 folgt: |τ | ≥ 1 ⇔ C ≤ A . ¤

Reduktionssatz (Lagrange). Jede Form Q ist zu einer reduzierten Form Q′ a ¨quivalent. Beweis. Wie in 5.2.2 sei Q(x, y) = |x ω1 +y ω2 |2 . Das Gitter Ω = Zω1 +Zω2 besitzt nach 2.5.1(1) eine reduzierte Basis ω1′ , ω2′ . Nach 5.2.3 ist Q(x, y) zu Q′ (x, y) := |x ω1′ + y ω2′ |2 ¨ aquivalent. Der Modul ω1′ /ω2′ von Q′ liegt in D . ¤

Historisches. Lagrange definiert reduzierte Formen durch die Ungleichungen des Lemmas und beweist den Reduktionssatz direkt ohne Gitter und komplexe Zahlen, siehe auch [SO], S. 44 ff. Dedekind [Ded] I, S. 179 f., zeigt 1877, daß der Modulbereich D ein Γ -Fundamentalbereich ist, mit denselben Methoden [...], durch welche in der ” Theorie der bin¨ aren quadratischen Formen [...] bewiesen wird, daß jede Form einer reduzierten Form ¨ aquivalent ist.“ Hurwitz argumentiert 1881 in seiner Dissertation [Hur] 1, S. 2 ff. anschaulich geometrisch“ und bemerkt, daß hiermit auch ” ” eine u ¨beraus einfache Behandlungsweise der Reduktion der quadratischen Formen gegeben ist.“

5.2.6. Ganzzahlige Formen. Eine Formenklasse heißt ganzzahlig, wenn eine und damit alle Formen dieser Klasse ganze Zahlen als Koeffizienten haben. Endlichkeitssatz. Zu jeder Determinante ∆ gibt es h¨ ochstens endlich viele ganzzahlige Formenklassen. Beweis. Nach den Ungleichungen ur die Koeffizienten redup des Lemmas 5.2.5 gilt f¨ zierter Formen 2|B| ≤ C ≤ 2 ∆/3 . Bei festem ∆ sind nur endlich viele B, C und A = (∆ + B 2 )/C m¨ oglich. Mit dem Reduktionssatz folgt die Behauptung. ¤

5.3 Die J -Funktion Wir konstruieren die J -Funktion J : H → C als holomorphe Orbitprojektion der Modulgruppe Γ , ohne die a priori-Existenz solcher Projektionen (4.5.2) heranzuziehen. Die Surjektivit¨at J(H) = C ergibt die L¨osung des Jacobischen Problems 2.2.7. 5.3.1 Die Jot-Invariante eines Gitters Ω . Mit den Gitterinvarianten g2 = g2 (Ω) und g3 = g3 (Ω) aus 2.2.4-6 bilden wir die Jot-Invariante g3 (1) j(Ω) := 3 2 2 ∈ C . g2 − 27g3 Wegen 2.2.5(3) ist der Nenner 6= 0. Die hier auftretende rationale Funktion z3 f¨ ur (z, w) ∈ C2 mit z 3 − 27w2 6= 0 (2) h(z, w) = 3 z − 27w2

100

5. Die J- und λ -Funktion

hat folgende Eigenschaft: (3) h(a, b) = h(c, d) ⇔ c = u4 a und d = u6 b f¨ ur ein u ∈ C× . Beweis. Der Schluß von rechts nach links ist trivial. Umgekehrt folgt zun¨achst a3 d2 = c3 b2 . Falls h(a, b) 6= 0 , gilt ac 6= 0 , und es gibt ein u 6= 0 mit c = u4 a . Es folgt d = u6 b, wenn man u eventuell durch iu ersetzt. Falls h(a, b) = 0 , ist a = c = 0 . Jetzt folgt b d 6= 0 , und die Existenz von u 6= 0 ist trivial. ¤ ∗ ¨ Aquivalenzsatz. Zwei Gitter Ω und Ω sind genau dann a ¨quivalent, d.h. Ω ∗ = uΩ mit u ∈ C× , wenn j(Ω) = j(Ω ∗ ) ist. Beweis. Wegen (3) gilt j(Ω) = j(Ω ∗ ) genau dann, wenn g2 (Ω) = u4 g2 (Ω ∗ ) und g3 (Ω) = u6 g3 (Ω ∗ ) f¨ ur ein u ∈ C× gilt. Nach 2.2.6(2)-(3) bestehen diese Gleichungen genau dann, wenn Ω ∗ = uΩ ist. ¤ Mit 3.3.2 erh¨alt man als Folgerung. Zwei Tori C/Ω und C/Ω ∗ sind genau dann als Riemannsche Fl¨ achen isomorph, wenn j(Ω) = j(Ω ∗ ) gilt. ¤ 5.3.2 Invarianz und Holomorphie der J -Funktion. Wir definieren die J -Funktion J : H → C , J(τ ) := j(Ωτ ) , ¨ als Jot-Invariante des Gitter Ωτ := Zτ + Z . Aus dem Aquivalenzsatz in 5.3.1 zusammen mit Satz 5.1.1 folgt (1) J(τ ′ ) = J(τ ) ⇔ ∃ A ∈ Γ mit τ ′ = A(τ ) . ¤ Man nennt J eine Modulfunktion, weil zwei reelle Basen von C mit den Moduln τ und τ ′ genau dann ¨aquivalente Gitter aufspannen, wenn die Werte J(τ ) = J(τ ′ ) gleich sind.– F¨ ur jedes τ ∈ H werden die Gitterinvarianten P′ g2 (τ ) := g2 (Ωτ ) = 60 (m + nτ )−4 m,n P′ (2) (m + nτ )−6 g3 (τ ) := g3 (Ωτ ) = 140 m,n

durch normal konvergente Eisenstein-Reihen dargestellt, die u ¨ber alle (m, n) ∈ (Z × Z) \ {(0, 0)} summiert werden, vgl. 2.2.2(3) und 2.2.4(2). Daher sind die Funktionen g2 , g3 : H → C holomorph. Es folgt g3 ¤ (3) Die Funktion J = 3 2 2 : H → C ist holomorph. g2 − 27g3

Genau dann, wenn g3 (τ ) = 0 bzw. g2 (τ ) = 0 ist, gilt J(τ ) = 1 bzw. = 0 . Mit 2.5.4 folgt: (4) Das Gitter Ωτ ist genau dann quadratisch bzw. hexagonal, wenn J(τ ) = 1 bzw. = 0 ist. Insbesondere gilt J(i) = 1 und J(e2πi/3 ) = 0 . ¤

b . Wegen J(τ +1) = J(τ ) gibt es genau eine Funktion 5.3.3 Die Funktion J × ˆ ˆ J ∈ O(E ) , so daß J ◦ exp(2πiτ ) = J(τ ) f¨ ur alle τ ∈ H gilt. ˆ Satz. Die Funktion J l¨ aßt sich mit einem einfachen Pol nach 0 meromorph b und J(H) = J(E ˆ ˆ ×) = C . fortsetzen. Dann ist J(E) =C

5.3 Die J-Funktion

101

Beweis. F¨ ur H1 := {τ ∈ H : Im τ > 1} ist E× 2π = {exp(2πiτ ) : τ ∈ H1 } . × ˆ Die Beschr¨ankung J|E2π ist injektiv, weil zwei Punkte τ1 , τ2 ∈ H1 nur dann gleiche J-Werte haben, d.h. auf demselben Γ -Orbit liegen, wenn τ2 − τ1 ∈ Z ist. Aus der Injektivit¨at folgt, daß Jˆ bei 0 keine wesentliche Singularit¨at hat b fortgesetzt werden und somit zu einer meromorphen Funktion Jˆ : E → C kann, die bei 0 die Windungszahl 1 hat. F¨ ur jede Folge τn im Modulbereich D mit lim Imτn = ∞ ist lim J(τn ) = ˆ . Daher wird J|D durch J(∞) := J(0) ˆ J(0) stetig auf die kompakte H¨ ulle b fortgesetzt. Dann ist J(E) ¯ = D ∪ {∞} von D in C ˆ ¯ einerseits D = J(D) b . Da Jˆ auf E× ¯ kompakt, also J(E) ˆ wie E offen und andererseits wie D =C × ˆ ˆ ˆ 0) = 1 holomorph ist, folgt J(0) = ∞ und J(H) = J(E ) = C . Wegen v(J, ˆ hat J bei 0 einen einfachen Pol. ¤ Zusammenfassung. Die Funktion J : H → C ist eine holomorphe Orbitprojektion zur Modulgruppe Γ . Sie ist nur u ¨ber 0 und 1 verzweigt und hat dort die Windungszahlen 3 bzw. 2 . ¤ 5.3.4 L¨ osung des Jacobischen Problems. Um die Formulierung 2.2.7(3) dieses Problems zu beweisen, gen¨ ugt es, zu jedem Paar (a2 , a3 ) ∈ C2 mit 3 2 a2 6= 27a3 ein Gitter Ω mit den Invarianten gj (Ω) = aj zu finden: Wegen J(H) = C gibt es ein τ ∈ H, so daß j(Ωτ ) = a32 /(a32 − 27a23 ) ist. Hieraus folgt nach 5.3.1(3) a2 = u4 g2 (Ωτ ) und a3 = u6 g3 (Ωτ ) mit u ∈ C× . Wegen 2.2.6(2) ist dann Ω = uΩτ das gesuchte Gitter. ¤ Historisches. Hermite gab 1856 als Gitterinvariante 4g23 /g32 an, [Her] I, p. 359 f. Dedekind [Ded] I, S. 193, ersetzte sie durch die Jot-Invariante, welche er Valenz nannte. Er zeigte [ibid.], S. 183, daß sie alle komplexen Zahlen als Werte annimmt und (modern ausgedr¨ uckt) eine Γ -Orbitprojektion ist. Dies wurde zur selben Zeit auch von Klein [Klei 1] III, S. 15, entdeckt, dessen Bezeichnung J sich durchsetzte. Hurwitz [Hur] I, S. 588, bewies 1903 die Surjektivit¨ at J(H) = C mit dem Residuensatz durch Integration u ¨ber den Rand der Modulfigur D und l¨ oste damit das Jacobische Problem. Seine Bedeutung stellte er [ibid.], S. 594, noch einmal heraus: Es ist eine f¨ ur die Theorie der Funktion ℘(u) fundamentale Frage, ob die Perio” den ω1 , ω2 stets so gew¨ ahlt werden k¨ onnen, daß g2 und g3 vorgeschriebene Werte erhalten.“ Unser Beweis f¨ ur J(H) = C durch Kompaktifizierung des Modulbereichs und Fortsetzung der Funktion Jˆ stammt aus [Bor].– Zur urspr¨ unglichen Formulierung des Jacobischen Problems siehe 5.4.5.

5.3.5 Werteverhalten der J -Funktion. F¨ ur die komplexe Konjugation κ und jedes Element h ∈ Γ ∗ \ Γ gilt (1) κ ◦ J = J ◦ h. Wenn man in Figur 5.1.3 den Rand ∂D− des halben Modulbereichs von ∞ u ¨ber ω := exp(2πi/3) und i nach ∞ durchl¨ auft, so daß D− links liegt, sind die J-Werte der Randpunkte reell und wachsen streng monoton von −∞ u ¨ber J(ω) = 0 und J(i) = 1 nach +∞ . Durch J wird D− hom¨ oomorph auf H ∪ R abgebildet.

102

5. Die J- und λ -Funktion

Beweis. Den Reihenentwicklungen 5.3.2(2) f¨ ur die Gitterkonstanten entnimmt man: gj ◦ (−κ) = κ ◦ gj , also J ◦ (−κ) = κ ◦ J . Mit g := −κ ◦ h ∈ Γ und J ◦ g = J folgt (1). Nach 5.1.3 ist J|D− injektiv. Wegen (1) und J(−¯ τ ) = J(τ ) f¨ ur τ ∈ ∂D− ist J|∂D− reellwertig, stetig und injektiv, also streng monoton, und zwar bei der angegebenen Durchlaufung von ∂D− wachsend, da erst J(ω) = 0 und dann J(i) = 1 erreicht werden. Das Bild J(∂D− ) ist ein reelles Intervall. b f¨ Wegen lim J(τ ) = ∞ ∈ C ur Im τ → ∞ , vgl. 5.3.3, folgt J(∂D− ) = R. Da D− beim Durchlaufen des Randes links liegt, gilt dasselbe f¨ ur J(D− ) beim Durchlaufen der reellen Achse von −∞ nach +∞ , also J(D− ) ⊂ H ∪ R . Wegen J(D+ ∪ D− ) = C folgt J(D− ) = H ∪ R . ¤ Bei Ann¨aherung an den Rand R von H verh¨alt sich J sehr erratisch: (2) Wenn die offene Menge U ⊂ C die reelle Achse R trifft, nimmt J jede komplexe Zahl an unendlich vielen Stellen in U ∩ H als Wert an, und kann in keinen Punkt von R holomorph fortgesetzt werden. Beweis. Nach 5.1.5 enth¨alt U unendlich viele Bilder ∆ = g(D) des Modulbereichs durch Elemente g ∈ Γ , und f¨ ur jedes ∆ ist J(∆) = J(D) = C . ¤ Die J -Funktion geh¨ort geschichtlich zu den ersten Beispielen nicht-fortsetzP 2n barer Funktionen. Sie sind einfacher zu haben, z.B. als mit E als nz Holomorphiegebiet, vgl. [Re 1], Abschnitt 5.3.3-4. Doch gelten solche ad hoc konstruierte Funktionen als k¨ unstlich.

Da·

i

S(a) ·

r

w v1

R(a) · v 0



Re u0

1_ 2 ·

1´ u1

o

Fig. 5.3.6. Zwei einfache Schleifen u0 , u1 (rechtes Bild) und ihre J-Liftungen v0 , v1 (linkes Bild) bestimmen den Poincar´eschen Epimorphismus der J-Funktion.

5.3.6 Die Pr¨ asentation der Modulgruppe. Zun¨achst wird der Poincar´esche Epimorphismus P : π(C×× , 12 ) → Γ = D(J) der J-Funktion anhand von Figur 5.3.6 berechnet: F¨ ur die Homotopieklassen der Schleifen u0 , u1 in der rechten Figur 5.3.6 und f¨ ur die in 5.1.1(1) angegebenen Elemente R, S ∈ Γ gilt (1) P [u0 ] = R und P [u1 ] = S .

5.4 Die λ-Funktion

103

Beweis. Auf der unteren Seite des Moduldreiecks D− gibt es zwischen ω und i genau einen Punkt a mit J(a) = 21 . Wir verbinden ihn mit R(a) und S(a) durch zwei Wege v0 bzw. v1 , die in der linken Figur 5.3.6 angegeben sind. Nach 5.3.5 werden die weißen bzw. punktierten Moduldreiecke durch J auf die obere bzw. untere Halbebene hom¨oomorph abgebildet. Daher ist der Bildweg J ◦ vj zur einfachen j-Schleife uj in der rechten Figur homotop, j = 0, 1 . Gem¨aß der Definition des Poincar´eschen Epimorphismus folgt (1).

Pr¨ asentationssatz. Die Modulgruppe Γ wird von den Elementen R und S erzeugt. Die einzigen Relationen sind R3 = S 2 = id , d.h. Zu jeder Gruppe G , die zwei Elemente r, s mit r3 = s2 = 1 enth¨ alt, gibt es genau einen Homomorphismus h : Γ → G mit h(R) = r und h(S) = s . Beweis. Die Fundamentalgruppe π(C×× ) wird nach dem Satz in 3.8.4 von den Homotopieklassen [u0 ] und [u1 ] frei erzeugt. Daher gibt es genau einen Homomorphismus k : π(C×× ) → G mit k[u0 ] = r und k[u1 ] = s . Die ¨ Jot-Funktion J : H → C ist die universelle Uberlagerung, deren Verzweigungssignatur die Werte SJ (0) = 3 , SJ (1) = 2 und SJ (z) = 1 f¨ ur z ∈ C×× ×× hat. Nach 4.8.2 wird der Kern von P als Normalteiler in π(C ) von [u0 ]3 und [u1 ]2 erzeugt. Daher faktorisiert k u ¨ber P , d.h. es gibt genau einen Homomorphismus h : Γ → G mit k = h ◦ P . Er ist durch seine Werte h(R) und h(S) eindeutig bestimmt. Wegen (1) lauten sie h(R) = k[u0 ] = r und h(S) = k[u1 ] = s .

5.4 Die λ-Funktion Wir betrachten im folgenden die Hauptkongruenzgruppe Γ2 < Γ und gewinnen mittels der Halbperiodenwerte der ℘-Funktionen eine explizite Darstellung ihrer Orbitprojektion λ : H → C×× := C \ {0, 1}. 5.4.1 Die Hauptkongruenzgruppe Γ2 . Der Restklassen-Epimorphismus Z → F2 auf den K¨orper mit zwei Elementen induziert einen Epimorphismus SL2 (Z) → SL2 (F2 ) und daher wegen E ≡ −E mod 2 einen Epimorphismus Γ → SL2 (F2 ) . Sein Kern heißt Hauptkongruenzgruppe Γ2 . (1) Γ2 ⊳ Γ ist ein Normalteiler vom Index 6 . Die Elemente von Γ2 sind die Automorphismen H → H , µ ¶ µ ¶ µ ¶ aτ + b a b a b 1 0 mit ∈ SL2 (Z) und ≡ mod 2 . τ 7→ c d c d 0 1 cτ + d

Beweis. Es gen¨ ugt, ♯SL2 (F2 ) = 6 zu zeigen. Der Vektorraum (F2 )2 enth¨alt drei Vektoren 6= 0 , welche durch die Operation von SL2 (F2 ) permutiert werden. Alle Permutationen kommen vor, d.h. SL2 (F2 ) ist zur symmetrischen Gruppe S3 isomorph. ¤

104

5. Die J- und λ -Funktion

Satz. Die Orbitprojektion H → H/Γ2 ist eine holomorphe, unverzweigte ¨ Uberlagerung. Beweis. Da Γ diskontinuierlich auf H operiert, gilt dasselbe f¨ ur die Untergruppe Γ2 . Es gen¨ ugt zu zeigen, daß Γ2 frei operiert. Die Behauptung folgt dann wegen 4.4.5 oder 4.5.2.– Jede eventuell nicht-triviale Standgruppe (Γ2 )τ = Γτ ∩ Γ2 ist in Γ zu Γi ∩ Γ2 oder Γω ∩ Γ2 konjugiert. Die Elemente 6= id in Γi und Γω sind S und R, R2 . Sie geh¨oren nicht zu Γ2 . Daher ist (Γ2 )τ = {id}. ¤ 5.4.2 Definition der λ -Funktion. Faktorisierung von J . Die drei Halbperiodenwerte der ℘-Funktion (1) e1 (τ ) := ℘( 21 , Ωτ ) , e2 (τ ) := ℘( 12 τ, Ωτ ) , e3 (τ ) := ℘( 21 (τ + 1), Ωτ ) h¨angen nach dem Konvergenzsatz in 2.2.1 holomorph von τ ∈ H ab und sind nach 2.2.3 f¨ ur jedes τ paarweise verschieden. Daher ist folgende λ -Funktion holomorph: e3 − e2 (2) λ := : H → C×× := C \ {0, 1}. e1 − e2

Satz. Die J-Funktion faktorisiert u ¨ber λ ; genauer gilt 4 (z 2 − z + 1)3 p λ . (3) J : H −→ C×× −→ C mit p(z) := 27 z 2 (z − 1)2 Beweis. Mit e3 − e2 = (e1 − e2 )λ und e3 − e1 = (e1 − e2 ) · (λ − 1) folgt g23 − 27g32 = 16(e1 − e2 )6 λ2 (λ − 1) und g2 = 43 (e1 − e2 )2 (λ2 − λ + 1) aus den Relationen (3) und (4) in 2.2.5. Einsetzen in J = g23 /(g23 −27g32 ) gibt (3). ¤ Um λ als Γ2 -Orbitprojektion zu erkennen, ben¨otigen wir

¡ ¢ 5.4.3 Transformationsformeln. F¨ ur z ∈ C , τ ∈ H , A = ac db ∈ SL2 (Z) gilt ¡ ¢ ¡ ¢ (1) ℘ z, ΩA(τ ) = (cτ + d)2 ℘ (cτ + d)z, Ωτ . Beweis. Nach 2.2.2(1) ist ¡ ¢ ¡ ¢ ℘ z, ΩA(τ ) = (cτ + d)2 ℘ (cτ + d)z, (cτ + d)ΩA(τ ) ; und der Basiswechsel ergibt (cτ + d)ΩA(τ ) = Z(aτ + b) + Z(cτ + d) = Ωτ .

¤

F¨ ur die Funktionen ek aus 5.4.2(1) und die ℘-Funktion zum Gitter Ωτ folgt ¢ ¡ ¡ e1 A(τ )) = (cτ + d)2 ℘ 12 (cτ + d) , ¡ ¢ ¡ ¢ e2 A(τ ) = (cτ + d)2 ℘ 12 (aτ + b) (2) ¢ ¡ ¢ ¡ e3 A(τ ) = (cτ + d)2 ℘ 21 ((a + c)τ + b + d) . ¡ Insbesondere gilt ek A(τ )) = (cτ + d)2 ek (τ ) f¨ ur A ∈ Γ2 . Daraus erh¨alt man die Γ2 -Invarianz der λ -Funktion : (3)

λ ◦ A = λ f¨ ur A ∈ Γ2 , insbesondere λ(τ + 2) = λ(τ ) .

5.4 Die λ-Funktion

105

Die λ -Funktion ist nicht Γ -invariant. Denn f¨ ur die Erzeugenden S(τ ) = −1/τ und T (τ ) = τ + 1 von Γ gilt nach (2) e1 (−1/τ ) = τ 2 e2 (τ ) , e2 (−1/τ ) = τ 2 e1 (τ ) , e3 (−1/τ ) = τ 2 e3 (τ ) , e1 (τ + 1) = e1 (τ ) , e2 (τ + 1) = e3 (τ ) , e3 (τ + 1) = e2 (τ ) . Daraus erh¨alt man 1 λ , speziell λ(i) = , λ(1 + i) = −1 . (4) λ ◦ S = 1 − λ und λ ◦ T = λ−1 2

¨ 5.4.4 Uberlagerungssatz. Die λ -Funktion ist eine unverzweigte, univer¨ selle Uberlagerung λ : H → C×× mit der Deckgruppe Γ2 .

Beweis. Die Funktionen J und λ sind l¨angs der Γ2 -Bahnen konstant und faktorisieren daher u ¨ber die Γ2 -Orbitprojektion η : Es gibt holomorphe Abbildungen ψ und κ mit η

ψ

η

κ

J : H −→ H/Γ2 −→ C und λ : H −→ H/Γ2 −→ C×× . Da Γ2 ⊳ Γ ein Normalteiler vom Index 6 ist, handelt es sich bei ψ um eine ¨ 6-bl¨attrige normale Uberlagerung, siehe 4.6.5. Aus ψ ◦η = J = p◦λ = p◦κ◦η und der Surjektivit¨at von η folgt p ◦ κ = ψ . Wegen gr p = 6 = gr ψ ist κ ein Isomorphismus. ¤ 5.4.5 Historisches. Wegen 5.4.4 nimmt die λ-Funktion jede komplexe Zahl 6= 0, 6= 1 als Wert an. In den Beweis geht die Surjektivit¨ at der J-Funktion entscheidend ein. Umgekehrt folgt aus der Surjektivit¨ at von λ : H → C×× sofort die Surjektivit¨ at von J = p ◦ λ : H → C und damit die L¨ osung des Jacobischen Problems. Der Name Jacobisches Problem“ erinnert an eine Vorlesung von Jacobi, die er ” durch Borchardt w¨ ahrend dessen Studienzeit 1838 ausarbeiten ließ, siehe [Ja] 1, S. 499-536. Auf S. 520 ff. wird das Problem der Surjektivit¨ at von λ formuliert, und es wird bewiesen, daß alle reellen Zahlen zwischen 0 und 1 Werte von λ sind. Weierstraß kn¨ upfte hieran an und bewies 1883, daß alle komplexen Zahlen 6= 0, 6= 1 Werte von λ sind, siehe [Wst] 2, S. 257-309 .

5.4.6 Kleiner Satz von Picard ([Pi] 1, p. 19). Jede holomorphe Funktion f : C× → C , die zwei komplexe Zahlen als Werte ausl¨ aßt, ist konstant. Beweis. Indem wir f (z) durch af (ez ) + b ersetzen, erreichen wir f ∈ O(C) und f (C) ⊂ C×× durch passende Wahl von a ∈ C× und b ∈ C . Weil ¨ λ : H → C×× eine unverzweigte Uberlagerung ist und C einfach zusammenh¨angt, kann man f nach dem Monodromiesatz 3.2.6 (erg¨anzt durch 3.3.1) zur holomorphen Funktion f˜ : C → H liften, so daß f = λ ◦ f˜ ist. Wegen H ≈ E ist f˜ nach dem Liouvilleschen Satz konstant. ¤ b besteht aus alle Auto5.4.7 Die anharmonische Gruppe Λ < Aut(C) morphismen, die {0, 1, ∞} in sich transformieren, vgl. Aufgabe 1.7.10. Sie ist zur Permutationsgruppe S3 isomorph und hat die sechs Elemente (1)

z, 1 − z, 1/z, z/(z − 1), 1/(1 − z), (z − 1)/z .

106

5. Die J- und λ -Funktion

Satz. (a) Die rationale Funktion p aus 5.4.2(3) ist eine Λ -Orbitprojektion. ˆ mit dem Kern Γ2 , (b) Es gibt genau einen Epimorphismus Γ → Λ, A 7→ A, ˆ so daß λ ◦ A = A ◦ λ f¨ ur A ∈ Γ gilt. (c) F¨ ur die erzeugenden Elemente S(τ ) = −1/τ und T (τ ) = 1 + τ von Γ ˆ ist S(z) = 1 − z und Tˆ(z) = z/(z − 1) . Beweis. (a) Die Gruppe Λ wird von z 7→ 1 − z und z 7→ 1/z erzeugt. Wegen p(1 − z) = p(z) = p(1/z) ist Λ < D(p) und wegen ♯Λ = 6 = gr p sogar Λ = D(p) .– (b) folgt nach 4.5.3 aus der Faktorisierung J = p ◦ λ mit den Deckgruppen D(λ) ⊳ D(J) .– (c) folgt aus 5.4.3(4). ¤

Es gibt also sechs gleichberechtigte Lambda-Funktionen“ Aˆ ◦ λ mit Aˆ ∈ Λ . ” Sie unterscheiden sich von λ = (e3 − e2 )/(e1 − e2 ) durch die Permutationen der e1 , e2 , e3 .

5.5 Eigenschaften der λ-Funktion Wir geben einen Fundamentalbereich der Hauptkongruenzgruppe Γ2 an und setzen die λ -Funktion stetig in die Spitzen dieses Bereichs fort. Ferner berechnen wir die Fourier-Reihen der λ - und J -Funktion.

T -1

id

S

T -1S -1

T ST

-1

-1

T

id

TS

S ST -1

ST

0

TST

1

Fig. 5.5.1. Links: Ein Fundamentalbereich F f¨ ur die Hauptkongruenzgruppe Γ2 ist aus je sechs Bildern g(D± ) der beiden Moduldreiecke D± zusammengesetzt. Die angegebenen 2 × 6 Elemente g repr¨ asentieren zweimal die Restklassen von Γ mod Γ2 . Die rechte Figur zeigt das Bild von F unter dem Cayleyschen Isomorphismus H → E .

5.5.1 Ein Fundamentalbereich f¨ ur Γ2 . Wenn man aus jeder Restklasse von Γ mod Γ2 einen Repr¨ a sentanten g w¨ahlt, erh¨alt man den FunS damentalbereich F = g(D) f¨ ur Γ2 . Um F eine sch¨one Gestalt zu geben, modifizieren wir das Verfahren etwas: Wir teilen D = D+ ∪ D− in zwei H¨alften wie in Figur 5.1.3 und w¨ahlen f¨ ur D+ und D− teilweise verschiedene Repr¨asentanten, n¨amlich id, S, T −1 , T S, ST −1 , T −1 ST −1 f¨ ur

5.5 Eigenschaften der λ-Funktion

107

D+ und id, S, T, T −1 S, ST, T ST f¨ ur D− . Dann bekommt F die in der linken Figur 5.5.1 angegebene Gestalt. Die rechte Figur zeigt das Bild von F unter dem Cayleyschen Isomorphismus H → E , z 7→ (z − i)/(z + i) . ˆ . Weil λ die Periode 2 hat, gibt es genau eine auf 5.5.2 Die Funktion λ × ˆ mit λ(τ ) = λ(e ˆ πiτ ) . Wir vergleichen mit J(τ ) = E holomorphe Funktion λ 2πiτ ˆ J(e ) : Aus J = p ◦ λ folgt ˆ ˆ 2 ) = p ◦ λ(z) (1) J(z f¨ ur z ∈ E× . ˆ l¨ ˆ Satz. Die Funktion λ aßt sich durch λ(0) = 0 holomorph auf ganz E fortˆ setzen. Es gilt o(λ, 0) = 1 . ˆ : E× → C b ˆ 0) = −1 folgt aus (1): Die Abbildung λ Beweis. Wegen o(J, ˆ l¨aßt sich mit einem Wert x ∈ {0, 1, ∞} und der Windungszahl v(λ, 0) = 1 holomorph nach 0 fortsetzen. F¨ ur jede Folge τn in H mit lim Im τn = +∞ ˆ n ) . Mit hat die Folge exp(πiτn ) den Grenzwert 0 . Daher ist x = lim λ(τ τn + 1 statt τn folgt x = lim(λ ◦ T (τn )) , also x = x/(x − 1) wegen λ ◦ T = λ/(λ − 1) und somit x = 0 . ¤

5.5.3 Fortsetzung in die Spitzen. Der Fundamentalbereich F von Figur 5.5.1 wird durch Hinzunahme der Spitzen 0, ±1, ∞ zur kompakten H¨ ulle b abgeschlossenen. F¯ ⊂ C

Satz. Die Beschr¨ ankung λ : F → C×× l¨ aßt sich durch λ(∞) := 0, λ(0) := 1 b fortsetzen. und λ(±1) := ∞ zu einer stetigen Abbildung λ : F¯ → C ˆ Beweis. F¨ ur jede Folge τn ∈ F mit lim τn = ∞ gilt lim λ(τn ) = λ(0) =0 (Satz 5.5.2) . Nach Figur 5.5.1 gibt es zu jeder Folge σn ∈ F mit lim σn = 0 eine Folge τn ∈ F mit lim τn = ∞ und S(τn ) = σn . Wegen λ ◦ S = 1 − λ folgt lim λ(σn ) = 1 . Entsprechend gibt es zu jeder Folge σn ∈ F mit lim σn = 1 eine Folge τn ∈ F mit lim τn = ∞ und T ◦ S(τn ) = σn , also lim λ(σn ) = ∞ wegen λ ◦ T ◦ S = (λ − 1)/λ . Analog folgt λ(−1) = ∞ . ¤

ˆ iπτ ) heißt die Laurent5.5.4 Die Fourier-Reihe von λ . Wegen λ(τ ) = λ(e ˆ bei 0 die Fourier-Reihe von λ . Um sie zu berechnen, wird die DefiReihe von λ nition von λ u ¨ber e1 , e2 , e3 bis zur Reihenentwicklung 2.2.1(3) der ℘-Funktion zur¨ uckverfolgt. Satz. Die Fourier-Reihe der λ-Funktion hat die Gestalt ∞ X ˆ cn q n ) mit q := eπiτ ∈ E und cn ∈ Z . (1) λ(τ ) = λ(q) = 16(q + n=2

Beweis. Der Ausgangspunkt ist Reihe ¸ X· 1 1 − . ℘(w; Ωr ) − ℘(z; Ωr ) = (w − m − nτ )2 (z − m − nτ )2 m,n P −2 Die Summation u ¨ber m gibt wegen π 2 /sin2 πu = ∞ : −∞ (u − m) · ¸ ∞ X 1 1 ℘(w; Ωr ) − ℘(z; Ωr ) = π 2 − . sin2 (w − nτ )π sin2 (z − nτ )π n=−∞

108

5. Die J- und λ -Funktion

Mit z := 12 τ und w :=

e1 (τ ) − e2 (τ ) e3 (τ ) − e2 (τ )

1 2

bzw. w := 21 (1 + τ ) entsteht wegen sin( 12 π + u) = cos u : · ¸ ∞ P 1 1 − = π2 , 2 sin2 (n − 21 )πτ n=−∞ cos nπτ ¸ · ∞ 1 1 2 P − . = π 1 2 sin2 (n − 12 )πτ n=−∞ cos (n − 2 )πτ

Da cos2 und sin2 gerade Funktionen sind, ergibt sich: · µ ¸¶ ∞ P 1 1 2 e1 (τ ) − e2 (τ ) = π 1 + 2 , − 2 sin2 (n − 12 )πτ n=1 cos nπτ · ¸ ∞ P 1 1 . − e3 (τ ) − e2 (τ ) = 2π 2 2 2 (n − 1 )πτ cos sin (n − 21 )πτ n=1 2

Mit q = eπiτ ist cos−2 (kπτ ) = 4q 2k/(1+q 2k )2 , sin−2 (kπτ ) = −4q 2k/(1 − q 2k )2 . F¨ ur k = n bzw. = n− 12 folgt µ · ¸¶ ∞ X q 1 e1 − e2 = π 2 1 + 8 q 2n−1 + , (1 + q 2n )2 (1 − q 2n−1 )2 n=1 (2) ¸ · ∞ X 1 1 + . q 2n−1 e3 − e2 = 8π 2 (1 + q 2n−1 )2 (1 − q 2n−1 )2 n=1 Wegen |1/(1 ± q m )| ≥ 1 − rm f¨ ur |q| ≤ r < 1 konvergieren diese Reihen normal in E gegen dort holomorphe Funktionen. Ordnen nach Potenzen von q gibt ³ ´ ³ ´ P P n n e1 − e2 = π 2 1 + 8 ∞ , e3 − e2 = 16π 2 q + ∞ mit an , bn ∈ Z . 1 an q 2 bn q Mit λ = (e3 − e2 )/(e1 − e2 ) folgt (1).

¤

Da alle Fourier-Koeffizienten reell sind, gilt (3)

ur alle τ ∈ H und λ(τ ) ∈ R, falls Re τ ∈ Z . λ(−τ ) = λ(τ ) f¨

¤

ˆ ˆ 2 ) = p ◦ λ(z) 5.5.5 Die Fourier-Reihe von J . Aus J(z , siehe 5.5.2(1), und der Laurent-Reihe p(z) =

∞ ´ X 4 (z 2 − z + 1)3 4 −2 ³ un z n = z 1 − 2 2 2 27 z (1 − z ) 27 n=1

mit un ∈ Z

folgt die Laurent-Reihe (1)

∞ ´ ³ X ˆ dn h n J(h) = 12−3 h−1 + n=0

mit dn ∈ Z ,

welche mit h = e2πiτ zur Fourier-Reihe von J wird. Die ganzzahligen Koeffizienten der Fourier-Reihen von λ und J lassen zahlentheoretische Zusammenh¨ ange vermuten. Aber sie sind kompliziert, siehe [Leh]. Reihenund Produktentwicklungen der Gitterinvarianten g2 , g3 und der Diskriminante ∆ = g23 − 27g32 sind f¨ ur die Zahlentheorie besser geeignet, siehe [Se].

5.6 Anwendungen der λ-Funktion

109

5.6 Anwendungen der λ-Funktion Ergebnisse u ¨ber holomorphe Funktionen, die zwei komplexe Zahlen als Werte auslassen, werden wie der kleine Satz von Picard dadurch gewonnen, daß ¨ man den Monodromiesatz auf die Uberlagerung λ : H → C×× anwendet. Außerdem benutzen wir aus der elementaren Funktionentheorie: Schwarzsches Lemma f¨ ur E . Sei f : (E, 0) → (E, 0) holomorph. Dann gilt |f (z)| ≤ |z| und |f ′ (0)| ≤ 1 . Aus |f ′ (0)| = 1 oder |f (a)| = |a| f¨ ur ein a 6= 0 folgt f (z) = cz mit |c| = 1 . 5.6.1 Schwarzsches Lemma f¨ ur H . Wenn h : E → H holomorph ist, gilt 1 − |z| f¨ ur z ∈ E . (1) Im h(z) ≥ Im h(0) 1 + |z| Beweis. Sei b := h(0) . F¨ ur den Isomorphismus q : (E, 0) → (H, b), q(w) := (b − ¯bw)/(1 − w) gilt 1 − |w| 1 − |w|2 ≥ (Im b) · . Im q(w) = (Im b) · 2 |1 − w| 1 + |w| Nach dem Schwarzschen Lemma f¨ ur E ist |q −1◦ h(z)| ≤ |z| . Die Behauptung −1 folgt mit w := q ◦ h(z) . ¤

5.6.2 Konvergenz nach Ausnahmewerten. Sei fn : E → C×× eine Folge holomorpher Funktionen mit lim fn (0) = c ∈ {0, 1, ∞} . Dann konvergiert fn lokal gleichm¨ aßig nach c . b mit g(c) = 0 . Indem wir fn durch g ◦ fn Beweis. Es gibt ein g ∈ Aut(C) ersetzen, k¨onnen wir c = 0 annehmen. Zu jedem fn gibt es eine λ -Liftung hn : E → H , so daß an := hn (0) im Γ2 -Fundamentalbereich F der Figur 5.5.1 liegt. Dann gilt lim an = ∞ . Denn sonst g¨abe es eine Teilfolge anj , die im Kompaktum F = F ∪ {0, ±1, ∞} einen Grenzwert a 6= ∞ h¨atte. Weil urde lim fnj (0) = λ(a) 6= 0 folgen, siehe 5.5.3. λ|F stetig ist, w¨ Weil die Realteile von an beschr¨ankt sind, gilt lim Im an = ∞ , also ¡ ¢ lim exp πian = 0 . Wegen 5.6.1 ist 1−r Im hn (z) ≥ (Im an ) · f¨ ur |z| ≤ r < 1 . 1+r ¡ ¢ Somit konvergiert exp πihn (z) f¨ ur |z| ≤ r gleichm¨aßig nach 0 . Aus fn = ˆ ˆ λ ◦ hn = λ ◦ exp(πihn ) folgt, daß fn f¨ ur |z| ≤ r gleichm¨aßig nach λ(0) =0 konvergiert. ¤ 5.6.3 S¨ atze von Montel. Sei X ⊂ C ein Gebiet. Eine Folge von Funktionen fn : X → C heißt beschr¨ankt, wenn es eine Schranke M gibt, so daß |fn (z)| ≤ M f¨ ur alle n und alle z ∈ X gilt. Folgendes Ergebnis geh¨ort zur klassischen Funktionentheorie, vgl. [Re 2] , 7.1.1. Kleiner Satz von Montel ([Mo 1], p. 300, 1907). Jede beschr¨ ankte Folge holomorpher Funktionen X → C besitzt eine Teilfolge, die lokal gleichm¨ aßig gegen eine holomorphe Funktion X → C konvergiert.

110

5. Die J- und λ -Funktion

Montel selbst hat diesen Satz auf zusammenh¨angende Riemannsche Fl¨achen X u ¨bertragen und die Voraussetzung der Beschr¨anktheit dahin abgeschw¨acht, daß alle Funktionen der Folge dieselben zwei komplexen Zahlen nicht als Werte annehmen: Großer Satz von Montel ([Mo 2], p. 497, 1912). Jede Folge holomorpher Abbildungen fn : X → C×× besitzt eine Teilfolge, die lokal gleichm¨ aßig gegen b konvergiert. Wenn f einen Wert 0, 1 eine holomorphe Abbildung f : X → C oder ∞ annimmt, ist f konstant. Beweis. Es gen¨ ugt, den Satz f¨ ur X = E zu beweisen. Denn X kann durch abz¨ahlbar viele Scheiben Uk u ¨berdeckt werden, siehe 3.5.3(2). Wenn der Satz f¨ ur E gilt, gibt es zu jedem k und zu jeder Folge holomorpher Funktionen X → C×× eine Teilfolge, die auf Uk gegen eine holomorphe Funktion Uk → C×× oder eine Konstante 0, 1, ∞ kompakt konvergiert. Durch das Cantorsche Diagonalverfahren erh¨alt man eine Teilfolge, die auf allen Uk und damit auf ganz X lokal gleichm¨aßig konvergiert. Um den Satz f¨ ur X = E zu beweisen, w¨ahlt man zu jedem fn eine λ -Liftung hn : E → H so daß hn (0) im Γ2 -Fundamentalbereich F liegt. Wegen H ≈ E kann man den kleinen Satz von Montel anwenden: Durch den ¨ Ubergang zu einer Teilfolge erreicht man, daß hn lokal gleichm¨aßig gegen b konvergiert. Wenn h(E) ⊂ H ist, eine holomorphe Abbildung h : E → C folgt die lokal gleichm¨aßige Konvergenz der Teilfolge fn = λ ◦ hn gegen die holomorphe Funktion λ ◦ h : E → C×× .– Sei nun h(E) 6⊂ H. Dann ist h b und enthalten in H ∪ R ∪ {∞}, konstant. Denn sonst w¨are h(E) offen in C also h(E) ⊂ H. Der konstante Wert s von h liegt in R ∪ {∞}. Wegen hn (0) ∈ F ist s = lim hn (0) eine Spitze von F . Da sich λ|F stetig in die Spitzen fortsetzen l¨aßt, ist lim fn (0) = λ(s) ∈ {0, 1, ∞}. Nach 5.6.2 konvergiert dann fn lokal gleichm¨aßig nach λ(s) . ¤ 5.6.4 Großer Satz von Picard ([Pi] 1, p. 27, 1879). Sei (U, a) eine Scheibe. Wenn die Funktion f ∈ O(U \ {a}) in a eine wesentliche Singularit¨ at hat, nimmt sie jede komplexe Zahl, mit h¨ ochstens einer Ausnahme, unendlich oft als Wert an. Beweis. Es gen¨ ugt zu zeigen: Ist f : E× → C×× holomorph, so ist f oder 1/f bei 0 beschr¨ ankt. Wir bilden die Folge fn (z) = f (z/n) f¨ ur z ∈ E× . Nach dem großen Satz von Montel gibt es eine kompakt konvergente Teilfolge (fnk ), deren Limes holomorph oder konstant = ∞ ist. Im ersten Fall ist die Folge fnk l¨angs der Kreislinie |z| = 21 beschr¨ankt: Es gibt ein M > 0 mit |f (z/nk )| ≤ M ur |z| = (2nk )−1 . Nach dem f¨ ur |z| = 21 und alle k , also |f (z)| ≤ M f¨ −1 Maximumprinzip folgt |f (z)| ≤ M f¨ ur (2nk ) ≤ |z| ≤ (2n1 )−1 und alle k . Wegen lim nk = ∞ ist f bei 0 beschr¨ankt.– Im zweiten Fall limfnk = ∞ ist die Folge 1/fnk l¨angs |z| = 21 beschr¨ankt, und es folgt analog, daß 1/f bei 0 beschr¨ankt ist. ¤

5.6 Anwendungen der λ-Funktion

111

5.6.5 Der Landausche Radius. Die Funktion l : H → R , l(τ ) := 2|λ′ (τ )| · Im τ ¡ ¢ ist Γ2 -invariant. Denn wenn A ∈ Γ2 durch A = ac db ∈ SL2 (Z) bestimmt ist, gilt λ ◦ A = λ, A′ (τ ) = (cτ + d)−2 und ImA(τ ) = Imτ /|cτ + d|2 .– Daher gibt es genau eine Funktion L : C×× → R mit l = L ◦ λ , die wie l reell-analytisch und u ¨berall > 0 ist. Man nennt L(a) den Landauschen Radius an der Stelle a ∈ C×× .

Satz (Landau-Carath´ eodory). F¨ ur jede holomorphe Funktion f : E → C×× gilt ′ |f (0)| ≤ L(f (0)) . Beweis. Man w¨ ahlt eine λ-Liftung g : E → H von f . Sei b := g(0) und h : H → E , h(τ ) = (τ − b)/(τ − ¯b). Nach dem Schwarzschen Lemma ist |(h ◦ g)′ (0)| ≤ 1 . Daraus folgt die Behauptung. ¤ Da |(h ◦ g)′ (0)| = 1 nur f¨ ur eine Drehung h ◦ g m¨ oglich ist, gilt (1) |f ′ (0)| = L(f (0)) ⇔ f (z) = λ ◦ β −1 (cz) mit |c| = 1 . Wenn man die Definition von L durch die Werte L(0) = L(1) = −1 erg¨ anzt, kann man den Satz auch so aussprechen:

(2) Jede holomorphe Funktion f : {z ∈ C : |z − a| < r} → C nimmt den Wert 0 oder 1 an, sobald r|f ′ (a)| > L(f (a)) ist. ¤ Der Kleine Satz von Picard folgt aus (2): Wenn die nicht-konstante ganze Funktion g den Wert c ausl¨ aßt und w 6= c ist, wendet man (2) auf f := (g −c)/(w −c) an: An einer Stelle a ist f ′ (a) 6= 0 . Da r beliebig groß ist, nimmt f den Wert 1 an. ¤ Landau [Land] 2, S. 130 ff., hat 1904 die Existenz der Funktion L(z) als uner” wartete Tatsache“ dem Picardschen Satz hinzugef¨ ugt“ ; er hat lange mit der ” ” Publikation gez¨ ogert, da der Beweis richtig, aber der Satz zu unwahrscheinlich schien“ [Land] 4, S. 375, siehe auch [LG], S. 102. Der genaue Wert des Landauschen Radius wurde 1905 von Carath´eodory angegeben, siehe [Cy 2] 3, S. 6-9.

5.6.6 Der 1/16-Satz (Hurwitz-Carath´ eodory). Wenn die Potenzreihe f (z) = z + a2 z 2 + . . . auf E konvergiert und keine Nullstellen in E× hat, gilt E1/16 ⊂ f (E) . Der Radius 1/16 ist scharf : Ein Punkt a 6∈ f (E) mit |a| = 1/16 ˆ existiert genau dann, wenn f (z) = λ(cz) mit |c| = 1 gilt. ˆ ˆ Beweis. F¨ ur ε(τ ) = exp(πiτ ) gilt λ = λ ◦ ε und λ(q) = 16q + . . . , siehe 5.5.2 und −1 × 5.5.4. Sei a 6∈ f (E) . F¨ ur g := a f gilt g(E ) ⊂ C×× . Daher besitzt g ◦ ε : H → C×× eine λ-Liftung g˜ : H → H . ˆ . Sei s > 0 so klein, F¨ ur kleine r > 0 gibt es eine Umkehrfunktion h : Er → E zu λ daß g(Es ) ⊂ Er . Sei t > 0 so groß, daß ε(Ht ) ⊂ Es f¨ ur Ht := {τ : Im τ > t} . Es ˆ ◦ ε ◦ g˜ = g ◦ ε . Wenn man auf Ht einschr¨ gilt λ ankt, kann man h nachschalten. Es folgt ε ◦ g˜ = h ◦ g ◦ ε . Somit hat ε ◦ g˜|Ht die Periode 2 . Das gilt dann auf ganz H , und es gibt eine Faktorisierung v ◦ ε = ε ◦ g˜ mit einer holomorphen Funktion v : E× → E× . Wegen der Eindeutigkeit ist v = h ◦ g auf E× s . Man kann also v ˆ ergibt durch v(0) = 0 zu v : E → E holomorph fortsetzen. Nachschalten von λ −1 ˆ λ ◦ v = g zun¨ achst auf Es und dann auf ganz E . Daraus folgt a = g ′ (0) = ′ ′ ′ ′ ˆ λ (0) · v (0) = 16 v (0) . Nach dem Schwarzschen Lemma ist |v (0)| ≤ 1 , so daß |a| ≥ 1/16 folgt. Gleichheit besteht genau dann, wenn v eine Drehung um 0 ist, ˆ also g(z) = λ(cz) mit |c| = 1 gilt. ¤

112

5. Die J- und λ -Funktion

Der Satz wurde 1904 von Hurwitz, [Hur] 1, S. 602, Satz IV, mit der Schranke 1/58 statt 1/16 bewiesen. Carath´eodory zeigte 1907, [Cy 2] 3, S. 6-9, daß 1/16 die bestm¨ ogliche Schranke ist. Landau – mit seiner Liebe f¨ ur Weltkonstanten – bedauerte 1929 in [Land] 9, S. 78, daß er nicht die Carath´eodorysche Konstante ” C“ einf¨ uhren konnte, da Herr Carath´eodory festgestellt hat, daß sie schon einen ” anderen Namen, n¨ amlich 1/16 , hatte“.– Wenn man die Voraussetzung keine Null” stelle in E× “ zu f |E ist injektiv“ versch¨ arft , kann man 1/16 zu 1/4 verbessern ” (Koebes 1/4-Theorem), siehe [Ah 3], S. 29 und 85. Die Ergebnisse dieses Paragraphen lassen sich auch ohne die λ-Funktion u ¨ber den Satz von Bloch gewinnen, siehe z.B. [Re 2], Kap. 10.

5.7 Modulfl¨ achen Analog zur Hauptkongruenzgruppe Γ2 werden Kongruenzgruppen Γn f¨ ur alle nat¨ urlichen Zahlen n ≥ 2 betrachtet. Wie H/Γ2 ≈ C×× lassen sich die Orbitfl¨achen H/Γn durch endlich viele Punkte kompaktifizieren. Dadurch erh¨alt man die von F. Klein erfundenen Modulfl¨achen n-ter Stufe. 5.7.1 Kongruenzgruppen und Modulgruppen. Alle M¨obius -Transformationen µ ¶ µ ¶ µ ¶ az + b a b a b 1 0 mit ∈ SL2 (Z) und ≡ mod n z 7→ c d c d 0 1 cz + d bilden einen Normalteiler Γn ⊳ Γ von endlichem Index. Er heißt Kongruenzgruppe n-ter Stufe. Satz 5.4.1 und sein Beweis lassen sich von 2 auf alle n ≥ 2 u ¨bertragen:

(1) Die Γn -Orbitprojektion λn : H → Xn∗ := H/Γn ist eine unverzweigte ¨ holomorphe Uberlagerung. ¤ Die endliche Faktorgruppe Gn := Γ/Γn heißt Modulgruppe n-ter Stufe. Die Restklasse von A ∈ Γ wird mit An ∈ Gn bezeichnet. F¨ ur die Restklassen der in 5.1.1(1) angegebenen Elemente R, S, T gilt: (2) Die Ordnungen von Rn , Sn und Tn in Gn sind 3, 2 bzw. n. Es gilt Tn = Sn · Rn . Die Gruppe Gn wird von Rn und Sn erzeugt. ¤ Im allgemeinen sind Rn3 = Sn2 = (Sn Rn )n = 1 nicht die einzigen Relationen, siehe Aufgabe 5.8.4. ¨ 5.7.2 Modul-Uberlagerungen. Die Γ -Orbitprojektion J : H → C faktorisiert u ¨ber λn , ∗ ηn λn C. (1) J : H −→ Xn∗ −→ ¨ Dabei ist ηn∗ eine endliche normale Uberlagerung mit der Deckgruppe Gn , siehe 4.6.5. F¨ ur n = 2 handelt es sich um die Faktorisierung J = p ◦ λ von 5.4.2(3). Analog zu Satz 5.4.7(b) gilt (2) An ◦ λn = λn ◦ A f¨ ur A ∈ Γ .

5.7 Modulfl¨ achen

113

b fortsetzen, die ¨ Nach 4.6.2 l¨aßt sich ηn∗ zu einer Uberlagerung ηn : Xn → C bis auf Isomorphie eindeutig bestimmt ist. Man nennt ηn die Modul¨ uberlagerung und Xn die Modulfl¨ ache n-ter Stufe. Wegen der dritten Folgerung in 4.6.3 ist ηn normal und hat dieselbe endliche Deckgruppe Gn wie ηn∗ . Daher ist Xn kompakt. b ist u Satz. Die Modul¨ uberlagerung ηn : Xn → C ¨ber 0, 1 und ∞ mit den Windungszahlen 3, 2 bzw. n verzweigt und außerhalb dieser Stellen unverzweigt.

Beweis. Da ηn∗ wie J nur u ¨ber 0, 1 verzweigt ist und dort die Windungszahlen 3 bzw. 2 hat, gen¨ ugt es, die Windungszahl von ηn u ¨ber ∞ zu bestim¨ men: Die Uberlagerung ηn hat denselben Poincar´eschen Epimorphismus Pn wie ηn∗ , n¨amlich P gefolgt von dem Restklassen-Epimorphismus Γ → Gn , also Pn [u0 ] = Rn und Pn [u1 ] = Sn , vgl. 5.3.6(1). Die Produktschleife u−1 0 u1 ist zu einer einfachen ∞-Schleife u∞ homotop. Ihr Pn -Wert Rn−1 Sn = Tn−1 erzeugt nach 4.7.2 die Standgruppe eines Punktes in ηn−1 (∞) . Seine Ordnung n ist nach Satz 1.5.4 die Windungszahl von ηn u ¨ber ∞ . ¤ ¨ 5.7.3 Modul-Uberlagerungen der Stufen 2 bis 6. F¨ ur n = 2, 3, 4, 5 ist b→C b der anharmonidie Modul¨ uberlagerung ηn zur Orbitprojektion ϕn : C schen Gruppe, der Tetraeder-, Oktaeder- bzw. Ikosaedergruppe isomorph. Die universelle Liftung von G6 ist die Fl¨ achengruppe F6 (Ω) , und X6 ist ein hexagonaler Torus. b→C b ist universell, siehe 4.8.3(a). Sie hat Beweis. Die Orbitprojektion ϕn : C nach der Tabelle in 4.2.3 dieselbe Verzweigungssignatur wie ηn und domi¨ niert daher ηn : Es gibt eine unverzweigte Uberlagerung γ mit ϕn = ηn ◦ γ . b Fixpunkte haben, ist D(γ) = {id} . Die Da alle Automorphismen von C normale Abbildung γ ist somit ein Isomorphismus. b von F6 (Ω) , siehe die Tabelle in 2.6.2, Die Orbitprojektion ϕ6 = ℘3 : C → C hat dieselbe Verzweigungssignatur wie η6 . Da ϕ6 universell ist, gibt es eine ¨ unverzweigte Uberlagerung γ : C → X6 mit ϕ6 = η6 ◦ γ . Die Deckgruppe D(γ) < Ω ist eine Untergruppe. Da die 60◦ -Drehung z 7→ eπi/3 z zu F6 (Ω) geh¨ort und D(γ) ein Normalteiler ist, gilt eπi/3 a ∈ D(γ) f¨ ur jeden Vektor a ∈ D(γ) . Daher ist D(γ) ein hexagonales Gitter. ¤ 5.7.4 Die Ordnung der Modulgruppe Gn ist n3 Y (1 − p−2 ) , n ≥ 3 . (1) 2 p|n

Dabei l¨ auft das Produkt u ¨ber alle Primfaktoren p von n. F¨ ur Primzahlen n vereinfacht sich (1) zu (1∗ ) ♯Gn = 12 n(n2 − 1). Diese Ordnung wird ben¨otigt, um die Charakteristiken und Geschlechter der Modulfl¨achen Xn zu berechnen, siehe 7.1.5.

114

5. Die J- und λ -Funktion

Zum Beweis von (1) zeigt man: Der durch Reduktion modulo n bestimmte Gruppenhomomorphismus SL2 (Z) → SL2 (Z/nZ) ist surjektiv. Daher induziert der Isomorphismus SL2 (Z)/{±E} ∼ = Γ den Isomorphismus ∼ SL2 (Z/nZ)/{±E} = Γ/Γn = Gn . Man z¨ahlt sodann die Elemente von SL2 (Z/nZ). Wir f¨ uhren beides f¨ ur eine Primzahl n aus (Dann ist Z/nZ ein K¨orper) und verweisen f¨ ur den allgemeinen Fall auf [Hus], p. 210 f . ¡ ¯¢ Sei x ¯ ∈ Z/nZ die Restklasse von x ∈ Z. Zur Surjektivit¨ at: Sei A¯ = ac¯¯ db¯ ∈ SL2 (Z/nZ) gegeben. Wegen ad − bc ≡ 1(n) sind c, d und n teilerfremd. Seien etwa c und n teilerfremd. Dann gilt 1 = rc + sn mit r, s ∈ Z . Wir multiplizieren mit 1−d und erhalten 1 = (1−d)rc+d+kn mit k := (1−d)s . Daher sind c und d + kn teilerfremd.– Wir ersetzen d durch d + kn . Die Zahl (1 − ad + bc)/n ist ganz. Da c und d teilerfremd ¡ ¢sind, gilt ud − vc = b+nv (1− ad + bc)/n mit u, v ∈ Z . Dann ist A = a+nu ∈ SL2 (Z). c d ¡α β ¢ ahlen, betrachten wir zun¨achst γ = Um die Elemente γ δ ∈ SL2 (Z/nZ) zu z¨ −1 0. Dann ist δ = α . Es gibt n−1 M¨oglichkeiten f¨ ur α und n M¨oglichkeiten f¨ ur β. F¨ ur γ 6= 0 ist β = γ −1 (α δ − 1). Es gibt je n M¨oglichkeiten f¨ ur α, δ und n − 1 M¨oglichkeiten f¨ ur γ . Diese n2 (n − 1) Elemente von SL2 (Z/nZ) f¨ ur γ 6= 0 zusammen mit den n(n − 1) Elementen f¨ ur γ = 0 ergeben ♯SL2 (Z/nZ) = n(n2 − 1). ¤ 5.7.5 Modulformen. Historisches und Ausblick. Aus den Funktionen h ∈

M(Xn ) entstehen durch Vorschalten von λn : H → Xn∗ ֒→ Xn die Modulfunktionen n-ter Stufe. Die J- und λ-Funktion sind Beispiele f¨ ur n = 1 bzw. 2 , siehe auch die Aufgaben 5.8.5-6. In analoger Weise entstehen aus den q-Differentialformen (siehe die Definition in 7.1.2) auf Xn die Modulformen n-ter Stufe vom Gewicht q , zu denen f¨ ur n = 2 die Halbperiodenwerte e1 , e2 , e3 , die Gitter-Invarianten g2 , g3 und die Diskriminante ∆ geh¨ oren; siehe die Aufgaben 1, 13 und 14 in 7.9. Die Theorie der Modulformen wurde von F. Klein zun¨ achst an Beispielen entwickelt. Die Modulfl¨ ache X7 mit ihren 168 Automorphismen der Gruppe G7 spielte dabei eine wichtige Rolle, siehe dazu seine Abhandlung [Klei 1] III, S. 90-136, von 1878, seinen 40 Jahre sp¨ ater verfaßten Bericht in [Klei 5], S. 368 - 373, und Paragraph 11.6 im vorliegenden Buch. H. Poincar´e verallgemeinerte ab 1881 die Theorie der Modulformen zur Theorie automorpher Formen, indem er beliebige diskontinuierliche Untergruppen von Aut(H) betrachtete. Wenn diese Gruppen wie Γ und Γn arithmetisch definiert sind, f¨ uhren die automorphen Formen auf interessante zahlentheoretische Ergebnisse. Ihre Erforschung h¨ alt an. Zu den teils einf¨ uhrenden, teils ausf¨ uhrlichen Lehrb¨ uchern aus ¨ alterer und neuerer Zeit mit verschiedenen Schwerpunkten geh¨ oren [Bor], [Ford], Kap.V-VI in [FB], [Gu 1], [Hus], [Ka], [Klei 3], [Kob], [KK], [Miy], [Mu 3], [Se] und [Shi].

5.8 Aufgaben

115

5.8 Aufgaben 1)

Zeige: Keine Untergruppe von SL2 (Z) wird bei der Projektion: SL2 (Z) → Γ isomorph auf die Modulgruppe Γ abgebildet.

2)

Zeige: Eine holomorphe Funktion f : H → C ist genau dann eine Orbitprojektion der Modulgruppe, wenn X = C und f = aJ + b mit zwei komplexen Zahlen a 6= 0 und b gilt.

3)

Sei Ω ein hexagonales Gitter. Man gebe ein Untergitter Ω ′ < Ω so an, daß Ω ′ ein Normalteiler der Fl¨ achengruppe F6 (Ω) ist und die induzierte Operation der Faktorgruppe F6 (Ω)/Ω ′ auf dem Torus C/Ω ′ zur Operation der Modulgruppe G6 auf der Modulfl¨ ache X6 isomorph ist.– Siehe auch [Klei 3] I, S. 363 ff.

4)

Sei F die von zwei Elementen r, s frei erzeugte Gruppe. Definiere h : F → Gn (Modulgruppe) durch h(r) := Rn , h(s) := Sn (n ≥ 2, Bezeichnungen wie in 5.7.1). Zeige mit Hilfe des Poincar´eschen Epimorphismus der Modul¨ uberlagerung ηn : Der von r3 , s2 und (sr)n erzeugte Normalteiler N ⊳ F liegt im Kern von h . Genau dann, wenn die Modulfl¨ ache Xn einfach zusammenh¨ angt, ist N = Kern h . Das ist f¨ ur n ≤ 5 der Fall. F¨ ur n ≥ 6 hat N ⊳ Kern h unendlichen Index. Benutze f¨ ur n ≥ 7 , daß Xn durch H universell und unverzweigt u ¨berlagert wird (Beispiel in 11.4.1).

5)

¨ Verallgemeinere im Anschluß an 5.7.2 die Uberlegung aus 5.5.2 von 2 auf ˆn : beliebiges n ≥ 2 und zeige: Es gibt genau eine holomorphe Abbildung λ ˆ n ◦ exp(2πiτ /n) . F¨ ˆ n (z) . ˆ n ) = ηn ◦ λ E× → Xn∗ mit λn (τ ) = λ ur z ∈ E× gilt J(z ˆ n : E → Xn mit ηn λ ˆ n (0) = ∞ und Es gibt eine holomorphe Fortsetzung λ ˆ ˆ v(λn , 0) = 1. Die Stelle λn (0) ist Fixpunkt von Tn .

6)

(i) Sei g auf E× holomorph. Zeige: Genau dann, wenn f¨ ur Im τ → ∞ der b existiert, l¨ Grenzwert c := lim g ◦ exp(2πit) in C aßt sich g mit dem Wert g(0) := c meromorph auf ganz E fortsetzen. (ii) Sei f auf H meromorph und Γn -invariant, also f = h ◦ λn mit einer auf Xn∗ meromorphen Funktion h . Zeige: Genau dann, wenn f¨ ur Im τ → ∞ b existiert, l¨ der Grenzwert c := lim f (τ ) in C aßt sich h mit dem Wert ˆ n (0) fortsetzen. h(x) := c meromorph nach x := λ (iii) Folgere: Genau dann, wenn f¨ ur alle A ∈ Γ und f¨ ur Im τ → ∞ der Grenzb existiert, l¨ wert lim f ◦ A(τ ) in C aßt sich h auf ganz Xn meromorph fortsetzen.

7)

Zeige: Jede von ±E verschiedene Matrix A ∈ SL2 (Z/7 Z) ist in dieser Gruppe zu einer Matrix der Gestalt ¶ ¶ µ µ s 1 0 −1 oder −1 0 1 s konjugiert. Wenn zwei Matrizen A und B dieselbe Spur haben, ist A zu B oder B −1 konjugiert. Die Gruppe G7 := SL2 (Z/7 Z)/{±E} ist einfach, d.h. besitzt keine echten Normalteiler.

116 8)

5. Die J- und λ -Funktion Beweise f¨ ur die von ±E verschiedene Matrizen in SL2 (Z/7 Z) und die durch sie repr¨ asentierten Elemente in G7 die Angaben in der folgenden Tabelle.

Spur Ordnung ♯ Elemente ♯ Untergruppen ♯ Fixpunkte

0 ±1 ±2 ±3

2 3 21 56 21 28 4 2

7 48 8 3

4 42 21 0

Die Elemente fester Ordnung verteilen sich auf soviele Untergruppen, wie die vorletzte Zeile angibt. In der letzten Zeile steht die Anzahl der Fixpunkte, die ein Element der angegebenen Ordnung bei der Operation auf der Kleinschen Modulfl¨ ache X7 hat. Ein Horozykel bei r ∈ R besteht aus dem Punkt r und einer offenen Kreisscheibe in H , welche R bei r ber¨ uhrt. Ein Horozykel bei ∞ besteht aus ∞ und einer offenen Halbebene {z ∈ H : Im z > t} f¨ ur ein t ≥ 0 , siehe Fig. 5.8.9. 9)

Zeige: Folgende Umgebungsbasen bestimmen bestimmen auf H := H∪R∪{∞} b ist: Die eine Topologie, die feiner als die Spurtopologie der Einbettung H ⊂ C Basisumgebungen von z ∈ H sind die offenen Kreisscheiben in H mit dem Zentrum z ; die Basisumgebungen von r ∈ R ∪ {∞} sind die Horozykel bei r .

b = H ∪ Q ∪ {∞} , versehen mit der Horo10) Zeige im Anschluß an 5.7.2: (i) Auf H zykel-Topologie von Aufgabe 9, operiert die Modulgruppe Γ . Die Jot-Funktion b →C b stetig fortsetzen. l¨ aßt sich zur Γ -Orbitprojektion H (ii) F¨ ur jede Kongruenzgruppe Γn l¨ aßt sich λn : H → Xn∗ zur Γn -Orbitprob → Xn stetig fortsetzen. Wie verteilen sich die Punkte von Q ∪ {∞} jektion H auf die Γn -Orbiten?

Im

it · r

Re

Fig. 5.8.9 Horozykel bei r ∈ R und bei ∞.

°

Re

6. Algebraische Funktionen

Im Zentrum dieses Kapitels steht die Aufgabe, alle L¨osungen einer polynomialen Gleichung P (z, w) = 0 mit komplexen Koeffizienten durch analytische Funktionen w = f (z) zu einer algebraischen Funktion zusammenzufassen. Im Bericht [BN 2] von Brill und Noether aus dem Jahre 1894 heißt es dazu: Um f¨ ur die Functionszweige einer algebraischen Function einen geometri” schen Ort zu beschreiben, in welchem sie eindeutig verl¨auft, wird eine u ¨ber der imagin¨aren Ebene n-bl¨attrig ausgebreitete Riemannsche Fl¨ache ben¨otigt“. Wie selbstverst¨andlich erstreckt bereits Riemann die Ausbreitung auch u ¨ber b . Durch eine sorgf¨altige Beden unendlich fernen Punkt der Zahlenkugel C trachtung von Windungspunkten ber¨ ucksichtigt er die M¨oglichkeit, daß das Polynom P (z, w) f¨ ur gewisse Stellen z mehrfache Wurzeln besitzt. In 1.2.4 wurde ausgef¨ uhrt, wie man Riemanns Idee durch die Konstruktion eines Nullstellengebildes (X, η, f ) verwirklicht, solange weder Polstellen noch mehrfache Wurzeln auftreten. Mit den Resultaten aus 4.6 wird die Konstruktion des Gebildes (X, η, f ) nunmehr auf den allgemeinen Fall ausgedehnt. Zum vollst¨andigen Verst¨andnis von (X, η, f ) muß man gleichzeitig die Erb ֒→ M(X) , g 7→ g ◦ η , des K¨orpers der rationalen weiterung C(z) = M(C) Funktionen zum Ring der meromorphen Funktionen auf X studieren. Ohne Mehraufwand entwickeln wir im folgenden die Theorie f¨ ur beliebige b und Polynome P ∈ M(Y )[w] . zusammenh¨angende Fl¨achen Y statt C

¨ 6.1 Funktionen auf endlichen Uberlagerungen

¨ Sei η : X → Y eine n-bl¨attrige Uberlagerung zwischen Riemannschen Fl¨achen, wobei Y zusammenh¨angt und n < ∞ ist. Wir studieren die algebraischen Eigenschaften der Einbettung M(Y ) ֒→ M(X), g 7→ g ◦ η , des K¨orpers M(Y ) in den Ring M(X) . Wir schreiben kurz g statt g ◦ η . 6.1.1 Fortsetzung von Wurzeln. Sei b ∈ Y und c1 , ... , cm ∈ O(Y \{b}) . Die Funktion f ∈ O(X \η −1 (b)) nehme f¨ ur jedes y ∈ Y \{b} l¨ angs der Faser η −1 (y) genau die Wurzeln des Polynoms wm +c1 (y)wm−1 +...+cm (y) ∈ C[w] als Werte an. Sie l¨ aßt sich genau dann meromorph bzw. holomorph nach η −1 (b) fortsetzen, wenn sich jeder Koeffizient cj meromorph bzw. holomorph nach b fortsetzen l¨ aßt.

118

6. Algebraische Funktionen

Beweis. Genau dann, wenn es eine bei b holomorphe Funktion v gibt, so daß h := vf um η −1 (b) beschr¨ankt ist, l¨aßt sich f nach η −1(b) meromorph fortsetzen. Denn wenn sich f fortsetzen l¨aßt, erreicht man o(vf, x) ≥ 0 f¨ ur alle x ∈ η −1 (b) mit jeder Funktion v , deren Ordnung o(v, b) hinreichend groß ist. Wegen hm + c1 vhm−1 + ... + cm v m = 0 ist h nach 1.2.2 genau dann um η −1 (b) beschr¨ankt, wenn alle v j cj um b beschr¨ankt sind, d.h. wenn jedes cj meromorph nach b fortgesetzt werden kann. Eine durch v = 1 vereinfachte Version dieser Argumentation beweist den holomorphen Fall. ¤ 6.1.2 Charakteristisches Polynom. Sei f eine meromorphe Funktion auf X . Das η-Bild B ihrer Polstellenmenge ist lokal endlich in Y . Satz (Riemann in [Ri 3], Artikel 5). Es gibt genau ein Polynom (1) χ(y, w) = wn − s1 (y)wn−1 + . . . + (−1)n sn (y) ∈ M(Y )[w] , so daß f¨ ur jede Stelle y ∈ Y \ B gilt: Y [w − f (x)]v(η,x) . (2) χ(y, w) = −1 x∈η

(y)

Man nennt χ das charakteristische Polynom von f bez¨ uglich η . Beweis. Durch (2) sind die Werte sj (y) ∈ C f¨ ur y ∈ Y \ B eindeutig bestimmt. Zum Nachweis, daß sj auf Y meromorph ist, vergr¨oßern wir B zur weiterhin lokal endlichen Menge E ⊂ Y , indem wir die Verzweigungspunkte von η hinzuf¨ ugen. Jeder Punkt in Y \ E besitzt eine Umgebung V , so daß η −1 (V ) = ⊎ Uν die disjunkte Vereinigung von n offenen Mengen Uν ist, welche durch η biholomorph auf V abgebildet werden. Sei σν := (η|Uν )−1 : V → Uν . Durch (1) und (2) werden Funktionen sj : Y \ E → C eindeutig bestimmt. Sie sind nach Einschr¨ankung auf V die elementarsymmetrischen Kombinationen von f ◦ σ1 , . . . , f ◦ σn : s1 |V = f ◦ σ1 + . . . + f ◦ σn , . . . , sn |V = (f ◦ σ1 ) · . . . · (f ◦ σn ) . Daher sind sie holomorph und lassen sich gem¨aß 6.1.1 meromorph nach E fortsetzen. Die Gleichung (2) gilt zun¨achst f¨ ur y ∈ Y \ E . Durch stetige Fortsetzung bleibt sie auch f¨ ur y ∈ E \ B richtig. Denn sei Q(y, w) die rechte Seite von (2). Es gen¨ ugt, (∗) limy→b Q(y, w) = Q(b, w) f¨ ur b ∈ E \ B zu zeigen: Wir w¨ahlen eine elementar u ¨berlagerte Scheibe V um b . F¨ ur jede Komponente U von η −1 (V ) ist die Beschr¨ankung η : (U, a) → (V, b) eine Windungsabbildung. Sei m := v(η, a) . F¨ ur y ∈ V \ {b} sei η −1 (y) ∩ U = {x1 (y), . . . , xm (y)} . Sei QU (y, w) := [w − f (x1 (y))] · . . . · [w − f (xm (y))] . Wegen limy→b xj (y) = a ist limy→b QU (y, w) = [w − f (a)]m . Weil Q(y, w) das Produkt der QU (y, w) f¨ ur alle Komponenten U ist, folgt (∗) . ¤ Bei der Liftung η ∗ : M(Y ) ֒→ M(X) geht jedes Polynom P (y, w) ∈ M(Y )[w] in das Polynom P (η, w) ∈ M(X)[w] u ¨ber. Folgerungen: χ(η, f ) = 0 .– Wenn η normal ist, gilt Y (w − f ◦ α) . ¤ χ(η, w) = α∈D(η)

¨ 6.1 Funktionen auf endlichen Uberlagerungen

119

6.1.3 Algebraische Abh¨ angigkeit. Auf jeder kompakten, zusammenh¨ angenden Fl¨ ache X sind je zwei meromorphe Funktionen f, g algebraisch abh¨ angig: Es gibt ein irreduzibles Polynom P (z, w) ∈ C[z, w] mit P (g, f ) = 0 . b endlich, Beweis. Das ist trivial, wenn g konstant ist. Sonst ist g : X → C und f¨ ur das charakteristische Polynom χ(z, w) ∈ C(z)[w] von f bez¨ uglich g gilt χ(g, f ) = 0 . Alle Koeffizienten von χ sind Quotienten von Polynomen in C[z] . Die Multiplikation mit dem Hauptnenner gibt ein Polynom G(z, w) ∈ C [z, w] mit G(g, f ) = 0 . Es gibt einen irreduziblen Faktor P von G mit P (g, f ) = 0 . ¤ 6.1.4 Reduzierte Polynome. Diskriminanten. Wenn q = pn1 1 · . . . · pnr r die Primfaktorzerlegung einer Nichteinheit in einem faktoriellen Ring ist, heißt p1 · . . . · pr eine Reduktion von q . Im Falle n1 = ... = nr = 1 heißt q reduziert.– Sei K ein K¨orper der Charakteristik 0 . Jedes normierte Polynom P (w) ∈ K[w] zerf¨allt u ¨ber einem Erweiterungsk¨orper L in Linearfaktoren, P (w) = (w − λ1 ) · . . . · (w − λn ) . Die Diskriminante Y ∆ := (λj − λk )2 ∈ K j 0 und q teilerfremde ganze Zahlen. Dann ist (C, mit η(t) := tn und f (t) := tq ein n-bl¨attriges algebraisches Gebilde mit dem Minimalpolynom wn −z q ∈ C(z)[w] und der Ausnahmemenge E = {0, ∞}. b auf C oder E ist E = {0} die Ausnahmemenge. Bei Einschr¨ankung von C b η, f ) mit η(t) := 1−t2 und f (t) := t(1−t2 ) (2) Das algebraische Gebilde (C, hat zwei Bl¨atter und das Minimalpolynom w2 + z 3 − z 2 . Seine Ausnahmemenge ist E = {0, 1, ∞} . Bemerkung. Die Gleichung y n −xq = 0 , vgl. (1), beschreibt f¨ ur (n, q) = (2, 1) eine gew¨ohnliche und f¨ ur (n, q) = (2, 3) eine Neilesche Parabel in der reellen Ebene R2 , siehe Fig. 6.2.1 a. Entsprechend ist y 2 + x3 − x2 = 0 die Gleichung von Newtons parabola nodata [New 2], siehe Fig.6.2.1 b. Die drei Parabeln werden durch die in (1) und (2) angegebenen Funktionen x = η(t), y = f (t) mit t ∈ R parametrisiert. (3) Mit der ℘-Funktion zum Gitter Ω < C und ihrer Ableitung ℘′ entsteht das zweibl¨attrige algebraische Gebilde (C/Ω, ℘, ˆ ℘ˆ′ ) , vgl. 2.2.3. Sein Minimal2 3 polynom w − 4z + g2 z + g3 ∈ C[z, w] erh¨alt man aus der Differentialgleichung der ℘-Funktion ℘′2 = 4℘3 − g2 ℘ − g3 , siehe 2.2.4(2). 6.2.2 Nullstellengebilde. Wir beginnen den Existenzbeweis f¨ ur Riemannsche Gebilde zu vorgegebenem Minimalpolynom mit einem normierten, reduzierten Polynom P ∈ M(Y )[w] vom Grade n ≥ 1 , dessen Ausnahmemenge E = ∅ ist. Nach 1.2.4 ist

6.2 Riemannsche Gebilde

°

121

°

Fig. 6.2.1 a. links: Gew¨ ohnliche Parabel mit der Gleichung y 2 = x ; rechts: Neilesche Parabel mit der Gleichung y 2 = x3 .

° Fig. 6.2.1 b. Newtons parabola nodata mit der Gleichung y 2 = x2 − x3 .

M := {(y, w) ∈ Y ×C : P (y, w) = 0} eine Riemannsche Fl¨ache, π : M → Y, (y, w) 7→ y, eine unverzweigte, n-bl¨at¨ trige Uberlagerung und h : M → C, (y, w) 7→ w , eine holomorphe Funktion, f¨ ur die P (π, h) = 0 gilt. Da h auf jeder π-Faser injektiv ist, hat h nach Satz 6.1.5 das Minimalpolynom P . Also gilt: (1) Das Nullstellengebilde (M, π, h) ist ein Riemannsches Gebilde u ¨ber Y mit dem Minimalpolynom P . ¤ 6.2.3 Existenzsatz f¨ ur Riemannsche Gebilde. Jedes reduzierte, normierte Polynom P ∈ M(Y )[w] vom Grade n ≥ 1 ist das Minimalpolynom eines Riemannschen Gebildes (X, η, f ) u ¨ber Y . Beweis. Sei E ⊂ Y die Ausnahmemenge von P und (M, π, h) das Nullstellengebilde u ¨ber Y \E zu P |(Y \ E) ∈ M(Y \E)[w] . Nach 4.6.2 l¨aßt sich π ¨ zu einer Uberlagerung η : X → Y fortsetzen, deren Verzweigungspunkte in E liegen. Die Funktion h l¨aßt sich nach 6.1.1 zu einer Funktion f ∈ M(X) fortsetzen. Die Gleichung P (η, f ) = 0 gilt zun¨achst auf M . Sie bleibt auf X g¨ ultig, da X \ M lokal endlich ist. Daher ist P ein Vielfaches des Minimalpolynoms von f bez¨ uglich der Erweiterung η ∗ . F¨ ur b ∈ Y \ E ist f l¨angs

122

6. Algebraische Funktionen

η −1 (b) injektiv. Nach Satz 6.1.5 hat das Minimalpolynom den Grad n und stimmt daher mit P u ¨berein. ¤ 6.2.4 Universelle Eigenschaft. Sei (X, η, f ) ein Riemannsches Gebilde u ¨ber Y mit dem Minimalpolynom P . Sei ζ : Z → Y eine offene holomorphe Abbildung. F¨ ur g ∈ M(Z) gelte P (ζ, g) = 0 . Dann gibt es genau eine holomorphe Abbildung ϕ : Z → X , so daß ζ = η ◦ ϕ und g = f ◦ ϕ ist.

Beweis. Sei E die Ausnahmemenge von P . Zun¨achst sei E = ∅ und (X, η, f ) = (M, π, h) ein Nullstellengebilde. Dann ist ϕ := ζ × g : Z → Y × C die einzige Abbildung mit π ◦ ϕ = ζ und h ◦ ϕ = g. Wegen P (ζ, g) = 0 ist ϕ(Z) ⊂ M . Die Abbildung ϕ : Z → M ist holomorph, weil π lokal biholomorph und ζ holomorph ist. Wenn (Z, ζ, g) ein Riemannsches Gebilde mit dem Minimalpolynom P ist, bildet ϕ jede ζ-Faser bijektiv auf die entsprechende π-Faser ab. Dann ist ϕ : Z → M bijektiv, also ein Isomorphismus. Riemannsche Gebilde mit leerer Ausnahmemenge sind also zu Nullstellengebilden isomorph und haben die universelle Eigenschaft. Nun sei E 6= 0 . Wir bezeichnen die Beschr¨ankungen auf Y1 := Y \ E bzw. X1 := X \ η −1 (E) bzw. Z1 := Z \ ζ −1 (E) mit dem Index 1. Da die Ausnahmemenge des eingeschr¨ankten Gebildes (X1 , η1 , f1 ) leer ist, gibt es wegen der universellen Eigenschaft genau eine holomorphe Abbildung ϕ : Z1 → X1 mit ζ1 = η1 ◦ ϕ1 und g1 = f1 ◦ ϕ1 . Die Differenz Z \ Z1 ist lokal endlich, weil ζ offen ist. Nach Lemma 4.6.3 l¨aßt sich ϕ1 zu ϕ : Z → X holomorph fortsetzen. Die zun¨achst auf Z1 g¨ ultigen Gleichungen ζ = η◦ϕ und g = f ◦ϕ gelten wegen der Stetigkeit auf ganz Z . Sie legen ϕ eindeutig fest. ¤ Aus der universellen Eigenschaft folgt die Eindeutigkeit. Zwischen zwei Riemannschen Gebilden mit demselben Minimalpolynom existiert genau ein Isomorphismus. ¤ Wenn das Riemannsche Gebilde (X, η, f ) u ¨ber Y das Minimalpolynom P ¨ hat, sagt man: Das Gebilde (X, η, f ) , die Uberlagerung η : X → Y und die Fl¨ache X werden durch das Polynom P (bis auf Isomorphie) definiert. 6.2.5 Komplexe Kurven. Historisches. Man mag fragen, warum in 6.2.3

anstelle der abstrakten Fortsetzung von M zur Fl¨ ache X nicht die konkrete komb : P (y, w) = 0} gew¨ plexe Kurve N = {(y, w) ∈ Y × C ahlt wird. Aber abgesehen von den problematischen Polstellen y der Koeffizienten von P muß man bei jeder mehrfachen Nullstelle c von P (b, w) damit rechnen, daß N bei (b, c) eine Singularit¨ at hat, d.h. daß dieser Punkt keine Scheibenumgebung in N besitzt. Riemann beschreibt 1857 in [Ri 3], 6. Artikel, die Konstruktion des Gebildes (X, η, f ) durch Desingularisierung der Kurve N sehr sibyllinisch. Als Singularit¨ aten betrachtet er nur Doppelpunkte wie bei der Parabola nodata und ersetzt sie durch jeweils zwei Punkte, siehe auch Aufgabe 6.7.4. Alle anderen Singularit¨ aten sind f¨ ur ¨ ihn Grenzf¨ alle, die keine zus¨ atzlichen Uberlegungen erfordern. Weierstraß hingegen studiert in seinen Vorlesungen u ¨ber die Theorie der Abelschen Transzendenten, [Wst] 4, S. 13-45, die T¨ ucken der Singularit¨ aten sehr penibel.– Wir werden im 9. Kapitel die Desingularisierung von Kurven ausf¨ uhrlich betrachten.

6.2 Riemannsche Gebilde

123

¨ 6.2.6 Komponentenzerlegung. Jede n-bl¨attrige Uberlagerung η: X → Y zerf¨allt in endlich viele Komponenten η : X → Y ; j = 1, . . . , l . Dabei ist j j P 1≤l≤n= nj mit nj := gr ηj . Sei P das Minimalpolynom einer Funktion f ∈ M(X) . Das Minimalpolynom Pj von fj := f |Xj ist irreduzibel, da M(Xj ) ein K¨orper ist. Wegen P (ηj , fj ) = 0 wird P von Pj geteilt. Zerlegungssatz. Das Tripel (X, η, f ) ist genau dann ein Riemannsches Gebilde, wenn jede Komponente (Xj , ηj , fj ) ein Riemannsches Gebilde ist und das Minimalpolynom von f die Primzerlegung P = P1 · . . . · Pl hat. Beweis. Wenn ein Riemannsches Gebilde vorliegt, ist grf = n. Wir benutzen 6.1.5. Es gibt ein y ∈ Y , so daß f l¨angs η −1(y) genau n verschiedene Werte in C hat. Dann hat jedes fj l¨angs ηj−1(y) genau nj verschiedene Werte in C . Also ist grfj = nj . Die Polynome Pj sind paarweise verschieden, da sie an der Stelle y verschiedene Wurzeln haben. Daher ist P1 · . . . · Pl ein Teiler von P , und wegen desselben Grades gilt P = P1 · . . . · Pl . Die Umkehrung ist trivial. ¤ Folgerung. Genau dann, wenn das Minimalpolynom des Gebildes (X, η, f ) irreduzibel ist, h¨ angt X zusammen. ¤ Beispiel. Bei den drei Gebilden (X, η, f ) der Beispiele in 6.2.1 h¨angen die Fl¨achen X zusammen. Daher sind ihre Minimalpolynome irreduzibel. Struktursatz. Sei (X, η, f ) ein Riemannsches Gebilde. Dann ist M(X) = M(Y )[f ] eine einfache Erweiterung des K¨ orpers M(Y ) vom Grade n . Beweis. Offenbar ist M(Y )[f ] ein M(Y )-Untervektorraum von M(X) . Er ist zu M(Y )[w]/(P ) isomorph und hat daher die Dimension n = gr P . Andererseits ist M(X) = M(X1 ) ⊕ . . . ⊕ M(Xl ) die direkte Summe der K¨orper M(Xj ) . Somit gen¨ ugt es zu zeigen, daß jede Erweiterung M(Xj ) = M(Y )[fj ] einfach ist. Das folgt, da fj ein Element maximalen Grades in M(Xj ) ist, aus dem Lemma. Sei L ein algebraischer Erweiterungsk¨ orper des K¨ orpers K der Charakteristik 0 . Wenn es in L ein Element f maximalen Grades gibt, ist die Erweiterung einfach: L = K[f ]. Beweis. Wir zeigen g ∈ K[f ] f¨ ur jedes g ∈ L : Die Erweiterung K ⊂ K[f, g] ist endlich und wird daher von einem primitiven Element h £∈ K[f, g] ⊂ ¤ L erzeugt: K[f,£g] = K[h] , siehe z.B. [Bos], S. 114. Dann ist K[h] : K = ¤ gr h ≤ gr f = K[f ] : K , also g ∈ K[h] = K[f ] . ¤

124

6. Algebraische Funktionen

6.3 Puiseux-Theorie Wir untersuchen zusammenh¨angende Riemannsche Gebilde u ¨ber Scheiben und benutzen die Ergebnisse f¨ ur die lokale Beschreibung beliebiger Gebilde. 6.3.1 Puiseux-Gebilde sind zusammenh¨angende Riemannsche Gebilde (U, η, f ) u ¨ber einer Scheibe V , deren Ausnahmemenge nur aus ihrem Zentrum b besteht oder leer ist. Zum Beispiel ist (E, tn , tq ) f¨ ur teilerfremde n, q ein Puiseux-Gebilde u ¨ber E mit dem Minimalpolynom wn − z q . Satz. Die Projektion η : (U, a) → (V, b) ist eine Windungsabbildung. Zu jeder Karte z : (V, b) → (E, 0) gibt es eine Karte t : (U, a) → (E, 0) mit z ◦ η = tn f¨ ur n := gr η . Die Funktion f besitzt eine Laurent-Entwicklung X∞ (1) f= cν tν mit k = o(f, a) . ν=k

Wenn man die Wirkung der Gruppe µn auf E mittels t nach U u ¨bertr¨ agt, gilt f¨ ur das Minimalpolynom P Y (2) P (η, w) = (w − f ◦ α) . α∈µn

Beweis. Die erste Behauptung folgt aus der zweiten Folgerung in 4.6.3.– Da η normal ist und P mit dem charakteristischen Polynom u ¨bereinstimmt, gilt (2) wegen der Folgerung in 6.1.2. ¤ Man schreibt die Laurent-Entwicklung (1) auch mit gebrochenen Exponenten als mehrdeutige Funktion in z = tn und nennt dies die Puiseux-Entwicklung: X∞ (3) f˜(z) = cν z ν/n . ν=k

6.3.2 Lokale Gestalt Riemannscher Gebilde. Sei (X, η, f ) ein n-bl¨attriges Riemannsches Gebilde u ¨ber Y . Sei b ∈ Y , und sei z : (V, b) → (E, 0) eine Karte, deren Definitionsbereich V die Ausnahmemenge h¨ochstens in b trifft. Sei {a1 , . . . , ar } := η −1 (b) und U := η −1 (V ) . Aus der Komponentenzerlegung 6.2.6 und aus 6.3.1 folgt:

Die Komponenten (Uj , ηj , fj ) des eingeschr¨ ankten Gebildes (U, η|U, f |U ) u ¨ber V sind Puiseux-Gebilde. Dabei ist ηj : (Uj , aj ) → (V, b) eine nj -fache Windungsabbildung mit nj := v(η, aj ) . Es gilt n1 + . . . + nr = n . Es gibt Karten tj : (Uj , aj ) → (E, 0) mit z ◦ ηj = tj nj und Laurent-Entwicklungen X∞ (1) fj = cjν tj ν mit kj := o(fj , aj ) = o(f, aj ) . ν=kj

Das Minimalpolynom P von (U, η|U, f |U ) entsteht aus dem Minimalpolynom von (X, η, f ) durch Beschr¨ ankung der Koeffizienten auf V . Die Faktoren Pj seiner Primzerlegung P = P1 · . . . · Pr sind die Minimalpolynome der Puiseux-Gebilde (Uj , ηj , fj ) . F¨ ur sie gilt Y (2) Pj (η, w) = ( w − fj ◦ α) . α∈µnj

6.4 Minimalpolynome und Automorphismen

125

Die Gebilde (Uj , ηj , fj ) heißen Zweige von (X, η, f ) bei b . Beim Studium ebener Kurven spielen sie, insbesondere ihre Anzahl r und die Exponenten nj , kj , eine wichtige Rolle, siehe Kapitel 9. Um die Singularit¨aten dieser Kurven genauer zu untersuchen, werden auch die Puiseux-Entwicklungen der Zweige ben¨otigt, siehe 9.6 und Aufgabe 9.7.11. 6.3.3 Historisches. Isaac Newton erl¨auterte 1676 in zwei Briefen an Oldenburg, die f¨ ur Leibniz bestimmt waren, am Beispiel zweier Polynome dritten und sechsten Grades, wie man aus dem Minimalpolynom P ∈ M(E)[w] die Puiseux-Reihe berechnen kann, siehe [New 1] oder [BK], S. 495. Bei konstanten Koeffizienten handelt es sich um das bekannte Newtonsche Verfahren zur numerischen Nullstellenbestimmung. An Newton schließt sich Lagrange mit einer neuen Methode“ an, ” die er 1770 in Berlin ver¨ offentlichte, [Lag] III, p. 5-73 . Riemann beschrieb die lokale Gestalt eines Gebildes in [Ri 3], Artikel 6, und zitierte dabei Lagrange. Wahrscheinlich kannte er Puiseux’ Arbeit [Pu] nicht, die Riemanns Ausf¨ uhrungen zum Teil vorwegnimmt.

6.4 Minimalpolynome und Automorphismen Wir betrachten Riemannsche Gebilde (X, η, f ) u ¨ber Y , deren Minimalpolynome P (w) nur von einer festen Potenz wn abh¨angen oder noch spezieller rein sind, d.h. die Gestalt wn − p mit p ∈ M(Y ) haben. Wir gewinnen daraus Automorphismen von X und andere Eigenschaften der Gebilde. 6.4.1 Konstruktion von Automorphismen. Sei (X, η, f ) ein Riemannsches Gebilde, dessen Minimalpolynom P ∈ M(Y )[w] nur Potenzen von wn enth¨ alt. Es gibt genau einen Monomorphismus Φ : µn → D(η) mit (1) f ◦ Φ(ω) = ω · f f¨ ur ω ∈ µn .

Beweis. F¨ ur jedes ω ∈ µn haben die Gebilde (X, η, ωf ) und (X, η, f ) dasselbe Minimalpolynom. Nach der Eindeutigkeitsaussage in 6.2.4 gibt es genau ein Φ(ω) ∈ D(η) mit f ◦ Φ(ω) = ω · f . Wegen der Eindeutigkeit ist Φ : µn → D(η) ein Monomorphismus. ¤ 6.4.2 Reine Minimalpolynome. Sei P := wn − p das Minimalpolynom des Gebildes (X, η, f ) u ¨ber Y . Seine Ausnahmemenge E besteht aus den Null- und Polstellen von p . (1) Die Untergruppe Φ(µn ) < D(η) operiert transitiv auf jeder Faser, und η ist gleichverzweigt. Beweis. F¨ ur jedes y ∈ Y \ E operiert Φ(µn ) wegen 6.4.1(1) transitiv auf der Faser η −1 (y) . Wegen der lokalen Gestalt folgt die transitive Operation auf allen Fasern, und η ist dann gleichverzweigt. ¤ (2) Genau dann, wenn P irreduzibel ist, h¨ angt X zusammen. In diesem Falle ist η normal und hat die Deckgruppe D = Φ(µn ) .

126

6. Algebraische Funktionen

Beweis. Die erste Behauptung ist die Folgerung in 6.2.6. Aus n = ♯µn ≤ ♯D(η) ≤ gr η = n folgt mit 1.5.5 die zweite Behauptung. ¤

(3) F¨ ur jeden Punkt a ∈ X mit b := η(a) gilt n = ♯η −1 (b) · v(η, a) und o(p, b) = ♯η −1 (b) · o(f, a) . Beweis. Weil η nach (1) gleichverzweigt ist, gilt die erste Gleichung, und aus f n = p ◦ η folgt die zweite Gleichung. ¤

(4) Die Fl¨ ache X h¨ angt zusammen, wenn ggT{n, o(p, b) : b ∈ E} = 1 ist. Beweis. Nach (3) ist ♯η −1 (b) ein Teiler von o(p, b) . Da n = ♯η −1 (y) f¨ ur alle y ∈ / Y \ E gilt, ist ggT{♯η −1 (y) : y ∈ Y } = 1 . Nach 1.4.6 h¨angt X dann zusammen. ¤ Zu jedem b ∈ E gibt es eine Karte z : (V, b) → (E, 0) mit p|V = z q f¨ ur q := o(p, b) . Sei k := ggT(n, |q|) und r := n/k , s := q/k . ¨ (5) Uber V zerf¨ allt (X, η, f ) in k viele Zweige (Uε , η, f ) mit den Minimalpolynomen wr − εz s f¨ ur ε ∈ µk . Insbesondere ist k = ♯η −1 (b) . Das folgt nach 6.3.2 aus der Primzerlegung Q P |V = wn − z q = ε∈µk (wr − εz s ) . ¤ (6) Sei X zusammenh¨ angend. F¨ ur jedes a ∈¢ X mit b := η(a) wird die ¡ Standgruppe Da von Φ exp(2πi o(p, b)/n) kanonisch erzeugt. Beweis. Sei U die Komponente von η −1 (V ) , in der a liegt. Nach (5) gibt es ein ε ∈ µk , so daß U = Uε ist und (U, η|U, f |U ) das Minimalpolynom wr − εz s hat. Dann ist r = v(η, a) . Es gibt eine Karte t : (U, a) → (E, 0) mit z ◦ η|U = tr . Aus (f |U )r = ε(z ◦ η|U )s = ε(ts )r folgt f |U = δ ts mit δ r = ε . Das kanonisch erzeugende Element σ von Da hat nach 1.5.3 die Ableitung σ ′ (a) = exp(2πi/r) , und es gilt t ◦ σ = σ ′ (a) t . Daher ist (f¡|U ) ◦ σ¢ = δ ¡(t ◦ σ)s = δ σ¢′ (a)s t¡s = σ ′ (a)s f |U¢ . Wegen 6.4.1(1) folgt σ = Φ σ ′ (a)s = Φ exp(2πis/r) = Φ exp(2πiq/n) . ¤

¨ 6.4.3 Zyklische Uberlagerungen der Zahlenkugel. Seien e1 , . . . , er paarweise verschiedene komplexe Zahlen. Seien n, m1 , . . . , mr ganze Zahlen mit 0 < mj < n und ggT(n, m1 , . . . , mr ) = 1 . Aus 6.4.2 folgt der

Satz. Das Polynom (1) wn − (z − e1 )m1 · . . . · (z − er )mr ∈ C[z, w] b mit den Verzwei¨ definiert eine n-bl¨ attrige zyklische Uberlagerung η: X → C gungspunkten e1 , . . . , er , falls m1 + . . . + mr ≡ 0 mod n , und zus¨ atzlich ∞ , wenn dies nicht der Fall ist. Im zweiten Fall wird die ganze Zahl m0 durch 0 < m0 < n und m0 + m1 + · · · + mr ≡ 0 mod n festgelegt und e0 = ∞ gesetzt. Die Deckgruppe D wird durch ein Element σ erzeugt, so daß f¨ ur jedes a ∈ η −1 (ej ) die Standgruppe Da durch σ mj kanonisch erzeugt wird. ¤ Der Vergleich mit 4.7.5-6 zeigt: ¨ (∗) Alle zyklischen, insbesondere alle (hyper-)elliptischen Uberlagerungen der Zahlenkugel lassen sich auf diese Weise beschreiben. ¤

6.5 Konsequenzen des Riemannschen Existenzsatzes

127

¨ 6.4.4 Die Kleinsche Fl¨ ache. Jede siebenbl¨attrige normale Uberlagerung b mit drei Verzweigungspunkten 0, 1, ∞ wird bis auf Isomorphie η: X →C durch das Polynom w7 − z(z − 1) oder w7 − z 2 (z − 1) definiert. Das folgt aus 6.4.3, angewendet auf das Beispiel in 4.7.5. Die durch w7 −z 2 (z−1) definierte Fl¨ache X ist zur Modulfl¨ache X7 isomorph ist, die Klein ausf¨ uhrlich studierte, siehe 5.7.2, 7.2.3 und 11.6. Sie heißt daher Kleinsche Fl¨ ache. Die Ergebnisse aus 6.4.3, angewendet auf w7 − z 2 (z − 1) , ergeben den Satz. Das durch w7 − z 2 (z − 1) definierte algebraische Gebilde (X, η, f ) hat ¨ folgende Eigenschaften: Die Fl¨ ache X h¨ angt zusammen. Die Uberlagerung b η : X → C ist normal und hat 7 Bl¨ atter. Sie verzweigt u ¨ber 0, 1, ∞ . Die entsprechenden η-Fasern bestehen aus je einem Punkt a0 , a1 , a∞ mit der Windungszahl 7 . Die Ordnungen von f bei a0 , a1 , a∞ sind 2, 1, −3 . Sonst hat f weder Null- noch Polstellen. Wenn man ¡ ¢ das erzeugende Element σ von D(η) so w¨ ahlt, daß f ◦ σ = exp(2πi/7) ·f gilt, werden die Standgruppen bei a0 , a1 , a∞ von σ 2 , σ, σ 4 kanonisch erzeugt. ¤ Auch im Gebilde (X, η, f ) mit dem Minimalpolynom w7 − z(z − 1) ist η ¨ eine 7-bl¨attrige, zyklische Uberlagerung mit dem Verzweigungsort {0, 1, ∞} . Das Gebilde (X, f, η − 21 ) hat das Minimalpolynom w2 − z 7 − 14 . Daraus folgt: b ist eine hyperelliptische Uberlagerung. ¨ (∗) Die Funktion f : X → C ¤

In 8.3.5 wird gezeigt, daß die Kleinsche Fl¨ache nicht hyperelliptisch ist.

6.5 Konsequenzen des Riemannschen Existenzsatzes In 10.7.2 wird mit Methoden der Potentialtheorie ein fundamentales Ergebnis der Theorie Riemannscher Fl¨achen bewiesen: Riemannscher Existenzsatz. Zu je zwei Punkten a 6= b jeder Fl¨ ache X gibt es eine Funktion f ∈ M(X) mit f (a) = 0 und f (b) = 1 .

Wir f¨ uhren in diesem und im n¨achsten Paragraphen aus, welche Konsequenzen sich f¨ ur Riemannsche Gebilde ergeben. 6.5.1 Punktetrennung. Zu paarweise verschiedenen Punkten a1 , . . . , an der Fl¨ ache X und vorgegebenen Werten c1 , . . . , cn ∈ C gibt es eine Funktion f ∈ M(X) mit f (aj ) = cj f¨ ur j = 1, . . . , n . Beweis. Nach dem Existenzsatz gibt es zu jedem Paar j 6= k eine meromorpheQFunktion fjk auf X , mit fjk (aj ) = 1 und fP ur jk (ak ) = 0 . F¨ n n fj := k=1,k6=j fjk gilt dann fj (ak ) = δjk , und f = c f leistet j j j=1 das Gew¨ unschte. ¤ ¨ 6.5.2 Erg¨ anzung zu Riemannschen Gebilden. Jede endliche Uberlagerung η : X → Y l¨ aßt sich zu einem Riemannschen Gebilde (X, η, f ) erg¨ anzen.

128

6. Algebraische Funktionen

Beweis. Sei b ∈ Y ein Punkt außerhalb des Verzweigungsortes von η . Dann besteht η −1 (b) = {a1 , . . . , an } aus n := gr η verschiedenen Punkten. Nach 6.5.1 gibt es ein f ∈ M(X) mit f (aj ) = j f¨ ur j = 1, . . . , n . Mit Satz 6.1.5 folgt die Behauptung. ¤ 6.5.3 Erg¨ anzung zu algebraischen Gebilden. Jede kompakte Riemannsche Fl¨ ache X l¨ aßt sich zu einem algebraischen Gebilde (X, η, f ) erg¨ anzen. Beweis. Nach dem Existenzsatz gibt es eine nirgends konstante Funktion b eine endliche η ∈ M(X) . Wegen der Kompaktheit von X ist η : X → C ¨ Uberlagerung. Sie kann nach 6.5.2 zu einem algebraischen Gebilde erg¨anzt werden. ¤ ¨ 6.5.4 Ein Satz von Hurwitz. Jede zusammenh¨ angende, n-bl¨ attrige Uberlagerung η : X → Y , deren Deckgruppe einen Automorphismus α der Ordnung k < ∞ enth¨ alt, l¨ aßt sich durch ein Polynom P ∈ M(Y )[w] definieren, das nur Potenzen von wk enth¨ alt. F¨ ur k = n ist P ein reines Polynom. Beweis. Jede n-punktige Faser η −1 (b) = A1 ⊎ . . . ⊎ Ar ist die disjunkte Vereinigung von hαi-Bahnen Aj . Wir zeichnen in jeder einen Punkt aj aus. Nach 6.5.1 gibt es ein h ∈ M(X) mit h(aj ) = j f¨ ur j = 1, . . . , r und h(x) = 0 f¨ ur alle anderen Punkte x ∈ η −1 (b) . Mit ε := exp(2πi/k) bilden wir die Lagrangesche Resolvente f := h + ε−1 h ◦ α + . . . + ε−q+1 h ◦ αq−1 ∈ M(X) . Sie hat die Werte f ◦ αν (aj ) = εν j . Also ist f l¨angs η −1 (b) injektiv, und somit ist (X, η, f ) ein Riemannsches Gebilde u ¨ber Y . Da α : (X, η, f ) → (X, η, ε−1 f ) ein Isomorphismus der Gebilde ist, haben beide dasselbe Minimalpolynom P (z, w) = P (z, εw) . Es enth¨alt nur k-te Potenzen von w . ¤ Erste Folgerung. Jede kompakte, zusammenh¨ angende Fl¨ ache X , die einen Automorphismus α der Ordnung k < ∞ besitzt, l¨ aßt sich durch ein Polynom aus C[z, w] definieren, das nur Potenzen von wk enth¨ alt. Beweis. Sei π : X → Y die Orbitprojektion der von α erzeugten Gruppe. b . Dann ist ¨ Nach 6.5.3 gibt es eine endliche Uberlagerung ϕ : Y → C b eine endliche Uberlagerung ¨ η := ϕ ◦ π : X → C mit α ∈ D(η) , die nach dem Satz von Hurwitz durch ein Polynom in C(z)[w] definiert wird, das nur Potenzen von wk enth¨alt. Indem man mit dem Hauptnenner seiner Koeffizienten multipliziert, entsteht das gew¨ unschte Polynom. ¤ b ¨ Zweite Folgerung. Alle n-bl¨ attrigen zyklischen Uberlagerungen η:X→C lassen sich durch die in 6.4.3(1) angegebenen Polynome beschreiben. Beweis. Nach dem Satz von Hurwitz wird η durch ein reines Polynom wn −q definiert. Es gibt ein u ∈ C(z) mit q = un · p , so daß p ein Produkt von r Faktoren (z − ej )mj mit paarweise verschiedenen ej ∈ C und Exponenten 0 < mj < n ist. Dann wird η auch durch wn − p definiert. Da X zusammenh¨angt, also p irreduzibel ist, folgt ggT{n, m1 , . . . , mr ) = 1 .

6.6 Funktionenk¨ orper

129

Der Satz und sein Beweis stammen von Hurwitz (1887) [Hur] I, S. 241 und 246. Die Lagrangeschen Resolvente wird in der Algebra zur Untersuchung zyklischer K¨ orpererweiterungen benutzt, siehe z.B. [vdW], § 56.– Das Ergebnis der zweiten Folgerung wurde am Ende von 6.4.3 ohne Benutzung des Riemannschen Existenzsatzes gewonnen. Statt dessen wurden die topologisch begr¨ undeten Resultate des Abschnitts 4.7 eingesetzt.

6.6 Funktionenk¨ orper Die Untersuchungen in 6.1 und 6.2 lassen sich, wenn man den Riemann¨ ¨ schen Existenzsatz benutzt, zu einer Aquivalenz zwischen Uberlagerungen und K¨orpererweiterungen ausbauen. ¨ ¨ 6.6.1 Uberlagerungen und K¨ orpererweiterungen. Den folgenden Uberlegungen liegt eine feste zusammenh¨angende Riemannsche Fl¨ache Y und ihr Funktionenk¨orper K := M(Y ) zugrunde. Wir betrachten zwei Kategorien: ¨ I. Die Objekte sind alle endlichen, zusammenh¨angenden Uberlagerungen η: ′ ′ X → Y . F¨ ur zwei Objekte η und η : X → Y besteht die Morphismenmenge Hol(η, η ′ ) aus allen holomorphen Abbildungen ϕ : X → X ′ mit η = η ′ ◦ ϕ . II. Die Objekte sind alle endlichen Erweiterungsk¨orper L von K . F¨ ur zwei Objekte L und L′ besteht die Morphismenmenge Hom(L′ , L) aus allen K¨orpermonomorphismen h : L′ → L mit h|K = idK . Folgender kontravariante, d.h. die Richtung der Morphismen umkehrende, ¨ Funktor verbindet die erste mit der zweiten Kategorie: Jeder Uberlagerung ∗ η : X → Y wird die K¨orpererweiterung η : M(Y ) ֒→ M(X) , g 7→ g ◦ η , zugeordnet und jedem Morphismus ϕ ∈ Hol(η, η ′ ) der K¨orpermonomorphismus ϕ∗ : M(X ′ ) → M(X) , g 7→ g ◦ ϕ . Dieser Funktor stiftet eine Anti¨ Aquivalenz zwischen beiden Kategorien, genauer: ¡ ¢ (1) F : Hol(η, η ′ ) → Hom M(X ′ ), M(X) , ϕ 7→ ϕ∗ , ist bijektiv. ϕ biholomorph ⇔ ϕ∗ Isomorphismus . (2) Zu jedem endlichen Erweiterungsk¨ orper L von K gibt es eine endliche ¨ Uberlagerung η : X → Y , so daß η ∗ : K = M(Y ) ֒→ M(X) zur Erweiterung K ֒→ L isomorph ist. Beweis. Zu (1). Sei α ∈ Hom(M(X ′ ), M(X)) . Nach 6.5.2 gibt es ein Riemannsches Gebilde (X ′ , η ′ , f ′ ) u ¨ber Y . Sei P ∈ K[w] sein Minimalpolynom. Dann ist P (η, α(f ′ )) = 0 . Nach der universellen Eigenschaft 6.2.4 gibt es genau ein ϕ ∈ Hol(η, η ′ ) mit α(f ′ ) = f ′ ◦ ϕ . Wegen M(X ′ ) = K[f ] folgt α = ϕ∗ , d.h. F ist bijektiv.– Sei ϕ∗ ein Isomorphismus. Wie gerade gezeigt wurde, gibt es ein ψ ∈ Hol(η ′ , η) mit ψ ∗ = (ϕ∗ )−1 . Aus (ψ ◦ ϕ)∗ = id und (ϕ ◦ ψ)∗ = id folgt ϕ ◦ ψ = id und ψ ◦ ϕ = id wegen der Injektivit¨at von F . Die Umkehrung ist trivial.

130

6. Algebraische Funktionen

Zu (2). Es gibt ein a ∈ L mit L = K(a) . Nach 6.2.3 geh¨ort zum Minimal¨ polynom von a ein Riemannsches Gebilde (X, η, f ) , dessen Uberlagerung η die behauptete Eigenschaft hat. ¤ b . Dann gilt: Besonderes Interesse verdient der Fall Y = C (3) Die endlichen Erweiterungsk¨ orper des rationalen Funktionenk¨ orpers C(z) sind die Funktionenk¨ orper M(X) der kompakten zusammenh¨ angenden Riemannschen Fl¨ achen. ¤

6.6.2 Galois-Gruppen. F¨ ur η = η ′ ist Hol(η, η) = D(η) die Deckgruppe und Hom(M(X), M(X)) = Gal(η ∗ ) die Galois-Gruppe der K¨orpererweiterung η ∗ . In diesem Falle l¨aßt sich 6.6.1(1) erg¨anzen: (1) Die Bijektion F : D(η) → Gal(η ∗ ) ist ein Anti-Isomorphismus der Grup¨ pen. Die Uberlagerung η ist genau dann normal, wenn die Erweiterung η ∗ normal (= galoisch) ist. Beweis. Wegen (ϕ ◦ ψ)∗ = ψ ∗ ◦ ϕ∗ ist F ein Anti-Isomorphismus. Nach 1.5.5 ist η genau dann normal, wenn ♯D(η) = gr η gilt. Die K¨orpererweiterung η ∗ ist genau dann normal, wenn ♯(Gal(η ∗ ) = gr η ∗ gilt. Nach dem Struktursatz in 6.2.6 ist gr η ∗ = gr η . ¤ Satz Jede endliche Gruppe G ist die Galoisgruppe einer Erweiterung des K¨ orpers C(z) der rationalen Funktionen. Beweis. Es gibt endlich viele, von 1 verschiedene Elemente g0 , . . . , gr , welche G erzeugen und g0 · . . . · gr = 1 erf¨ ullen. Damit konstruiert man nach Satz b mit der Deckgruppe G . Die ¨ 4.7.4 eine normale Uberlagerung η:X→C K¨orpererweiterung η ∗ : C(z) ֒→ M(X) hat wegen (1) die Galoisgruppe G . 6.6.3 Isomorphe Funktionenk¨ orper. Zwei kompakte zusammenh¨ angende Riemannsche Fl¨ achen X und X ′ sind genau dann isomorph, wenn ihre Funktionenk¨ orper M(X) und M(X ′ ) als C-Algebren isomorph sind.

Beweis. Sei h : M(X) → M(X ′ ) ein Isomorphismus. F¨ ur η ∈ M(X)\C sind b und h(η) =: η ′ : X ′ → C b endliche Uberlagerungen. ¨ η: X → C Nach 6.6.1(1) gibt es einen Isomorphismus ϕ : X → X ′ mit ϕ∗ = h . ¤

Wenn X durch das irreduzible Polynom Q ∈ C[z, w] definiert wird, ist M(X) ist der Quotientenk¨orper des Restklassenrings C[z, w]/(Q) nach dem von Q erzeugten Hauptideal. Wenn man M(X ′ ) entsprechend darstellt, wird jeder Isomorphismus der C-Algebren M(X) ∼ = M(X ′ ) durch rationale ′ ′ ′ ′ Funktionen z = Z (z, w), w = W (z, w) und umgekehrt z = Z(z ′ , w′ ) , w = ¨ W (z ′ , w′ ) beschrieben und daher birationale Aquivalenz genannt. Riemann benutzt sie in [Ri 3], Artikel 12, um die Isomorphie X ≈ X ′ der Fl¨achen zu definieren: Er betrachtet als zu einer Klasse geh¨orend alle irreductib” len algebraischen Gleichungen zwischen ver¨anderlichen Gr¨ossen, welche sich durch rationale Substitutionen ineinander transformieren lassen.“

6.7 Aufgaben

131

In h¨oheren Dimensionen gibt es nicht isomorphe, kompakte algebraische Manb ×C b und nigfaltigkeiten mit isomorphen Funktionenk¨orpern, zum Beispiel C die projektive Ebene P2 . 6.6.4 Ausblick. Da jede endliche K¨orpererweiterung L u¨ber C(z) durch den Funktionenk¨ orper einer zusammenh¨ angenden Riemannschen Fl¨ ache X realisiert wird und diese durch L eindeutig bestimmt ist, liegt es nahe, die Fl¨ ache X allein aus dem K¨ orper L heraus zu konstruieren. Diese nicht mehr an die komplexen Zahlen gebundene Theorie algebraischer Funktionen und abstrakter Riemannscher Fl¨ achen geht auf Dedekind und Weber (1882, [Ded] 1, S. 238-350) zur¨ uck. Die Methoden geh¨ oren zur Bewertungstheorie, siehe z.B. [Lang].

6.7 Aufgaben

1)

Zeige: Die Reduktion des charakteristischen Polynoms aus 6.1.2 ist das Minimalpolynom aus 6.1.5.

2)

Mit der ℘-Funktion zum Gitter Ω < C wird nach 2.1.3 die K¨ orpererweiterung C(z) ֒→ MΩ (C), f 7→ f ◦ ℘ , gebildet. Wie lautet das Minimalpolynom von (1/℘′ ) + ℘2 ?

3)

Sei M die Fl¨ ache der meromorphen Funktionenkeime auf der zusammenh¨ angenden Fl¨ ache Y mit der Projektion p : M → Y und der Auswertungsfunktion e , siehe 3.4.2. Sei (X, η, f ) ein Riemannsches Gebilde mit dem irreduziblen Minimalpolynom P ∈ M(Y )[w] . Sei Z ⊂ M die Komponente des Keimes einer holomorphen Wurzel von P im Sinne von 1.2.3. Zeige: Es gibt genau eine holomorphe Einbettung ϕ : Z → X, so daß η ◦ϕ = p und f ◦ϕ = e gelten. Die Differenz X \ ϕ(Z) ist lokal endlich.

4)

Desingularisierung der Parabola nodata, vgl. 6.2.1(2) und 6.2.5. Sei N = {(z, w) ∈ C × C : w2 + z 3 − z 2 = 0} . Zeige: Der Doppelpunkt (0, 0) besitzt keine Scheibenumgebung in N , weil es eine zusammenh¨ angende Umgebung W von (0, 0) in N gibt, f¨ ur die W \ {(0, 0)} nicht mehr zusammenh¨ angt. Durch ξ : C → N , t 7→ (1 − t2 , t(1 − t2 ) wird N desingularisiert, genauer: ξ bildet C \ {±1} bijektiv auf N \ {(0, 0)} ab und ξ(±1) = (0, 0) .

5)

Bestimme das Puiseux-Gebilde (E, tm , f ) mit dem Minimalpolynom w6 − 5zw5 + (z 3 /a)w4 − 7a2 z 2 w2 + 6a3 z 3 + b2 z 4 ∈ M(E)[w] mit a 6= 0, d.h. bestimme m und den Anfang der Laurent-Entwicklung von f . Dieses Polynom ist eines der in 6.3.3 erw¨ ahnten Beispiele Newtons.

6)

Bestimme in dem algebraischen Gebilde (X, η, f ) mit dem Minimalpolynom w3 − (z 2 + 1)2 (z 3 − 1) die Windungspunkte und Windungszahlen von η und die Ordnungen von f .– L¨ ose dieselbe Aufgabe f¨ ur das Riemannsche Gebilde u ¨ber C mit dem Minimalpoynom wn − sin z .

132 7)

6. Algebraische Funktionen b werde durch P (z, w) = w3 − z(z − 1) definiert. ¨ Die Uberlagerung η:X→C Finde zu jedem Element β der anharmonischen Gruppe Λ ein α ∈ Aut(X) mit η ◦ α = β ◦ η . Entsteht dabei ein Monomorphismus Λ → Aut(X) ?

b eine (hyper-)elliptische Uberlagerung ¨ In den Aufgaben 8 und 9 sei η : X → C mit 2m + 2 ≥ 4 Verzweigungspunkten. 8)

Sei v(η, a) = 2 . Zeige: Die m¨ oglichen Grade meromorpher Funktionen auf X , die auf X \ {a} holomorph sind, bilden die Menge N \ {1, 3, . . . , 2m−1} .

9)

Zeige: Wenn h ∈ M(X) einen Grad ≤ m + 1 hat, faktorisiert h u ¨ber η . Hinweis: Betrachte die Null- und Polstellen von h − h ◦ σ , wobei σ ∈ D(η) die Involution ist.

10) Automorphismen (hyper-) elliptischer Fl¨ achen mit 1, 2, 3 und 4 Fixpunkten. (i) Sei (X, η, f ) das algebraische Gebilde zu w2 + z 2m+2 + 1 . Sei δ := exp(πi/[m + 1]) . Zeige: Der Automorphismus α von X mit η ◦ α = δη und f ◦ α = f hat zwei Fixpunkte, und α2 hat vier Fixpunkte. Hinweis: Benutze f /η m+1 f¨ ur die Suche nach Fixpunkten in η −1 (∞) . (ii) Sei (X, η, f ) das Gebilde zu w2 + z 2m+2 + z . Sei δ := exp(2πi/[2m + 1]) . Zeige: Der Automorphismus α von X mit η ◦ α = δη und f ◦ α = δ m+1 f hat drei Fixpunkte. Das Produkt α ◦ σ mit der Involution σ ∈ D(η) hat einen Fixpunkt. Bemerkung. Wenn X hyperelliptisch ist, hat jedes Element in Aut(X) \ D(η) h¨ ochstens vier Fixpunkte, siehe 8.3.6(2). 11) Sei (X, η, f ) das algebraische Gebilde zu wn + z n + 1 . Zeige: Zu δ, ε ∈ µn gibt es genau einen Automorphismus αδ,ε von X mit η ◦ αδ,ε = δη und f ◦ αδ,ε = εf . Ist µn × µn → Aut(X), (δ, ε) 7→ αδ,ε , ein Homomorphismus? Ist diese Abbildung injektiv und/oder surjektiv? Welche Fixpunkte hat αδ,ε ? Hinweis: Benutze f /η , um nach Fixpunkten in η −1 (∞) zu suchen. 12) Sei (X, η, f ) das algebraische Gebilde zu w7 − z 2 (z − 1) . Zeige: Die Kleinsche Fl¨ ache X besitzt einen Automorphismus β mit f2 1 und f ◦ β = − . η◦β =1− η η Zeige, daß β die Ordnung 3 hat und β ◦ α = α2 ◦ β f¨ ur jedes α ∈ D(η) gilt. Welche Ordnung hat die von α und β erzeugte Untergruppe hα, βi von Aut(X) ? Untersuche, ob hαi bzw. hβi ein Normalteiler von hα, βi ist.

¨ 13) Zeige: Jede verzweigte, zyklische Uberlagerung einer kompakten Fl¨ ache hat mindestens zwei Verzweigungspunkte. b durch t 7→ ± t, ± t−1 , vgl. 4.2.4 mit q = 2 . 14) Die Vierergruppe wirkt auf C Gib eine rationale Orbitprojektion η an und erg¨ anze sie zum algebraischen b η, f ) mit einem biquadratischen Minimalpolynom P . Gebilde (C,

7. Differentialformen und Integration

Um die Differentiation und Integration in die Theorie Riemannscher Fl¨achen zu u ¨bertragen, werden den Funktionen die Differentialformen gleichberechtigt zur Seite gestellt. Sie treten als Ableitungen meromorpher Funktionen und als Integranden der Wegintegrale auf. Zu jeder Differentialform 6= 0 geh¨ort ein Null- und Polstellendivisor. Diese Divisoren werden kanonischen Divisoren genannt. Auf kompakten Fl¨achen haben sie einen nur von der Fl¨ache abh¨angigen Grad, welcher, traditionell mit −1 multipliziert, die analytische Charakteristik der Fl¨ache genannt und mit χ bezeichnet wird. Eine Formel von Riemann und Hurwitz verkn¨ upft bei ¨ Uberlagerungen η : X → Y die Charakteristiken von X und Y mit dem Grad und den Windungszahlen von η . Hurwitz folgend demonstrieren wir die Schlagkraft dieser Formel durch Anwendungen auf Automorphismen. Die aus der klassischen Funktionentheorie bekannten Residuen werden in der Theorie Riemannscher Fl¨achen den isolierten Singularit¨aten der Differentialformen zugeordnet. Bei meromorphen Formen auf kompakten Fl¨achen ist die Summe aller Residuen gleich 0 . Dies spielt in den weiterf¨ uhrenden Untersuchungen dieser Fl¨achen eine wichtige Rolle. Integrale algebraischer Funktionen wurden bereits lange vor Riemann untersucht, blieben jedoch wegen ihrer Vieldeutigkeit umstritten, bis Riemann sie als Integrale u ¨ber Differentialformen l¨angs Wegen auf kompakten Fl¨achen deutete. Wir u ¨bernehmen seine Definition und beweisen durch Integration die Abelsche Relation f¨ ur Hauptdivisoren auf kompakten Fl¨achen sowie die Charakterisierung der Tori durch die Existenz einer Differentialform ohne Null- und Polstellen. Die Integration verkn¨ upft die topologische Gestalt jeder Riemannschen Fl¨ ache mit ihrer holomorphen Struktur. Um diese Beziehung systematisch auszubauen, vereinfachen wir die Fundamentalgruppe durch Abelsch-machen zur Homologie und interpretieren die Integration als Paarung Homologie × {Differentialformen} → C .

Sie entfaltet ihre volle Wirkung erst ab dem 10. Kapitel, wenn die Beweise der tiefliegenden S¨atze der Theorie Riemannscher Fl¨achen vorbereitet und durchgef¨ uhrt werden.

134

7. Differentialformen und Integration

7.1 Differentialformen Zun¨achst wird analysiert, wie die Ableitung einer meromorphen Funktion von der Wahl holomorpher Karten abh¨angt. Das Transformationsverhalten der Ableitungen beim Kartenwechsel dient als Vorbild f¨ ur die Definition der Differentialformen.– Wir bezeichnen mit A = {(Uα , zα )}, α ∈ A , den maximalen holomorphen Atlas der Riemannschen Fl¨ache X . 7.1.1 Ableitungen. Zu f ∈ M(Uα ) geh¨ort die Ableitung (1) df /dzα := (f ◦ zα−1 )′ ◦ zα ∈ M(Uα ) . F¨ ur jedes Paar (α, β) ∈ A2 ist die Ableitung des Kartenwechsels (2) dzα /dzβ auf Uα ∩ Uβ holomorph und nullstellenfrei. Aus der Kettenregel folgt die Transformationsformel f¨ ur Ableitungen bei einem Kartenwechsel: df dzβ df = · auf Uα ∩ Uβ . (3) dzα dzβ dzα Sie dient als Vorbild f¨ ur die Definition der

7.1.2 Differentialformen. Eine meromorphe Differentialform, kurz eine Form, ω = {ωα }α∈A auf X besteht aus Funktionen ωα ∈ M(Uα ) , welche die Transformationsregeln (1) ωα = ωβ · (dzβ /dzα ) auf Uα ∩ Uβ f¨ ur alle (α, β) ∈ A2 erf¨ ullen. Die Ableitung einer Funktion f ∈ M(X) ist die Form (2) df = {df /dzα } . Wenn ω = df ist, nennt man f eine Stammfunktion von ω . Genau dann, wenn f lokal konstant ist, gilt df = 0 , d.h. df /dzα = 0 f¨ ur alle α .– Zur Definition einer Differentialform ben¨otigt man nicht den maximalen Atlas A :

(3) Ist {(Uj , zj )} , j ∈ J ⊂ A , ein Atlas und {ωj }, j ∈ J , eine Familie von Funktionen ωj ∈ M(Uj ) , so daß (1) f¨ ur alle α, β ∈ J erf¨ ullt ist, so gibt es genau eine Form ω auf X , die auf (Uj , zj ) durch ωj gegeben wird. Beweis. Sei (Uα , zα ) ∈ A . Zu jedem Punkt a ∈ Uα bildet man Ja := {j ∈ J : a ∈ Uj } , definiert unabh¨angig von der Wahl von j ∈ Ja den Wert b und erh¨alt ωα ∈ M(Uα ) . Man verifiziert ωα (a) := ωj (a) · (dzj /dzα )(a) ∈ C (1) f¨ ur alle α, β ∈ A . ¤ Differentialformen lassen sich addieren und mit Funktionen f ∈ M(X) multiplizieren. Seien ω = {ωα }, ϕ = {ϕα } und f ∈ M(X) . Man definiert ω + ϕ := {ωα + ϕα } und f ω := {f |Uα · ωα } . Dadurch wird die Menge E(X) aller Formen auf einer zusammenh¨angenden Fl¨ache X zu einem Vektorraum u ¨ber dem K¨orper M(X) .

Satz. Der M(X)-Vektorraum E(X) ist eindimensional: Zu je zwei Formen ϕ 6= 0 und ω gibt es genau eine Funktion f ∈ M(X) mit ω = f ϕ .

7.1 Differentialformen

135

Beweis. Die Quotienten fα = ωα /ϕα setzen sich zur Funktion f zusammen.– Nach dem Riemannschen Existenzsatz existiert eine nicht-konstante Funktion f ∈ M(X) . Wegen df 6= 0 ist dim E(X) > 0 . ¤ Wir schreiben suggestiv f = ω/ϕ . Ist U ⊂ X offen, so existiert f¨ ur jedes ω ∈ E(X) die Einschr¨ankung ω|U . F¨ ur jede Karte (Uα , zα ) ist ω|Uα = ωα dzα .– Wenn X zusammenh¨angt, folgt aus ω|U = 0 f¨ ur eine offene Menge U 6= ∅ bereits ω = 0 . Wenn man die Formel (1) mit einem Exponenten q ∈ Z durch (1q ) ωα = ωβ · (dzβ /dzα )q ersetzt, nennt man ω = {ωα } eine q-Differentialform, speziell f¨ ur q = 2 eine quadratische Differentialform. Wir benutzen sie selten, z.B. in 8.5.6. 7.1.3 Ableitungsregeln. Mittels lokaler Karten lassen sich die Regeln aus b offen. der klassischen Funktionentheorie u ¨bertragen. Sei U ⊂ C F¨ ur f, g ∈ M(X) , f (X) ⊂ U und h ∈ M(U ) gelten: d(f + g) = df + dg , d(f · g) = f · dg + g · df , d(h ◦ f ) = (h′ ◦ f ) · df ¤ 7.1.4 Ordnung. Kanonische Divisoren. Analytische Charakteristik. ¨ Weil die Ubergangsfunktionen dzβ /dzα keine Null- und Polstellen haben, h¨angt bei jeder Differentialform ω = {ωα } die Ordnung (1) o(ω, x) := o(ωα , x) f¨ ur x ∈ Uα nicht von α ab. Man nennt x eine Nullstelle von ω , wenn o(ω, x) > 0 ist, und eine Polstelle, wenn o(ω, x) < 0 ist. Die Form ω heißt holomorph bei x , wenn o(ω, x) ≥ 0 ist. Wenn dies f¨ ur alle x ∈ U gilt, heißt ω holomorph auf U . Holomorphe Formen auf kompakten Fl¨achen werden in 8.2 genauer untersucht.– Wir entnehmen der lokalen, klassischen Funktionentheorie: ½ v(f, x) − 1 , wenn f (x) 6= ∞. (2) o(df, x) = o(f, x) − 1 , wenn f (x) = ∞. o(df, x) 6= −1 . Wenn ω auf einer Scheibe holomorph ist, besitzt ω dort eine Stammfunktion. F¨ ur jede meromorphe Form ω 6= 0 ist die Zuordnung (ω) : X → Z , x 7→ o(ω, x) , ein Divisor. F¨ ur f ∈ M(X) gilt (f ω) = (f ) + (ω) . Die Divisoren (ω) meromorpher Formen ω 6= 0 heißen kanonische Divisoren. Nach Satz 7.1.2 ist die Differenz kanonischer Divisoren ein Hauptdivisor. Auf jeder kompakten, zusammenh¨angenden Fl¨ache X haben alle kanonischen Divisoren K denselben Grad, da Hauptdivisoren den Grad 0 haben. Man nennt χ(X) := −grK die analytische Charakteristik von X . Sie stimmt mit der Euler-Poincar´eschen Charakteristik u ¨berein und ist durch χ = 2−2g mit dem topologischen Geschlecht g von X verbunden, siehe 12.4.1.

136

7. Differentialformen und Integration

7.1.5 Berechnungen der Charakteristik. Wir betrachten Beispiele kompakter Fl¨achen X , bei denen eine nicht-konstante Funktion f ∈ M(X) bekannt ist, und berechnen χ(X) mittels 7.1.4(2). b→C b hat keine Windungspunkte Zahlenkugel . Die identische Funktion z : C und einen einfachen Pol, also b = 2 , g(C) b =0. (1) χ(C)

b zweibl¨attrig mit 2 + 2m VerzweiHyperelliptische Fl¨ achen. Sei η : X → C gungspunkten, vgl. 4.7.6. Mit einer nachgeschalteten M¨obius-Transformation machen wir ∞ zum Verzweigungspunkt. Die Funktion η hat 1 + 2m Windungspunkte mit Werten 6= ∞ und Windungszahlen 2 sowie einen doppelten Pol, also (2) χ(X) = 2 − 2m , g(X) = m . Bei diesen Beispielen treten alle nat¨ urlichen Zahlen als Geschlechter auf. Jeder Torus X = C/Ω kommt mit η = ℘b und m = 1 (vier Windungspunkte) unter den letzten Beispielen vor, also (3) χ(C/Ω) = 0 , g(C/Ω) = 1 . b eine normale Uberlagerung, ¨ Allgemeiner sei η : X → C deren Grad eine Primzahl n ist. Dann gilt v(η, x) = n f¨ ur jeden Windungspunkt x , und η bildet die Menge der Windungspunkte bijektiv auf den Verzweigungsort B ab. Es gilt (4) χ(X) = 2n − (n − 1) · ♯B , g(X) = 12 (n − 1)(♯B − 2) . Beweis. Man kann ∞ ∈ B annehmen. Die Ableitung dη hat dann b − 1 Nullstellen und einen Pol. Alle Nullstellen haben die Ordnung n − 1 , und der Pol hat die Ordnung −n − 1 . ¤

Insbesondere haben die durch w7 − z 2 (z − 1) bestimmte Kleinsche Fl¨ ache und die durch w7 − z(z − 1) bestimmte hyperelliptische Fl¨ache beide das ¨ Geschlecht 3 , da f¨ ur die entsprechenden Uberlagerungen B = {0, 1, ∞} und n = 7 ist, siehe 6.4.4. b die Modul¨ Sei ηn : Xn → C uberlagerung (5.7.2). Sie verzweigt u ¨ber 0, 1, ∞ mit den Windungszahlen 3, 2, n . Ihr Grad ist die Ordnung dn := ♯Gn der Modulgruppe (5.7.4). Nach der Bahnengleichung 1.5.1(1) gibt es dn /3 Windungspunkte mit der Windungszahl 3 und dn /2 Windungspunkte mit der Windungszahl 2 , die keine Pole sind, sowie dn /n Pole mit der Ordnung −n . Daraus folgt ¶ µ ¶ µ 1 1 1 1 1 − dn , gn := g(Xn ) = 1 − − dn . (5) χn := χ(Xn ) = n 6 2 n 6 b Folgende Tabelle dieser Werte enth¨alt f¨ ur n ≤ 6 nichts Neues, da Xn ≈ C f¨ ur n ≤ 5 und X6 = hexagonaler Torus nach 5.7.3 schon bekannt sind. F¨ ur n = 7 erreicht d7 = 168 die maximale Ordnung der Automorphismengruppen von Fl¨achen des Geschlechtes 3 , siehe 7.2.5.

7.2 Riemann-Hurwitzsche Formel. Automorphismen

n 2 3

4

5

6

7

8

9

10

11

137

12

dn 6 12 24 60 72 168 192 324 360 660 576 χn 2 2 2 2 0 -4 -8 -18 -24 -50 -48 gn 0 0 0 0 1 3 5 10 13 26 25 7.1.6 Liftung der Differentialformen. Sei η : X → Y holomorph und offen. Jede Funktion f ∈ M(Y ) wird zu η ∗ f := f ◦ η ∈ M(X) geliftet. F¨ ur f, g ∈ M(Y ) gilt, wenn g ◦ η nirgends konstant ist, df d(f ◦ η) = ◦η . (1) d(g ◦ η) dg Beweis. Jeder Punkt in X hat eine Umgebung η −1 (V ) f¨ ur eine holomorphe Karte (V, h) von Y . Es gen¨ ugt, (1) auf η −1 (V ) zu beweisen: Es gibt Funktionen f1 , g1 ∈ M(h(V )) mit f = f1 ◦ h und g = g1 ◦ h . Nach 7.1.3 sind beide Seiten von (1) gleich (f1′ /g1′ ) ◦ h ◦ η . ¤ Zur Definition der Liftung η ∗ ω ∈ E(X) einer Differentialform ω ∈ E(Y ) benutzt man den maximalen Atlas {(Vj , hj )} f¨ ur Y , geht von den lokalen Darstellungen ω|Vj = ωj dhj aus und bildet die Differentialformen η ∗ (ωj dhj ) := (ωj ◦ η) · d(hj ◦ η) auf η −1 (Vj ) . Weil X durch {η −1 (Vj )} u ¨berdeckt wird, f¨ ugen sich diese Formen zu einer Differentialform η ∗ ω auf X zusammen: Wegen (1), angewendet auf f = hj und g = hk , gilt n¨amlich η ∗ (ωj dhj ) = η ∗ (ωk dhk ) auf η −1 (Vj ∩ Vk ) . F¨ ur Formen ω und Funktionen f auf Y verifiziert man die Liftungsregeln: (2) Die Liftung η ∗ : E(Y ) → E(X) ist C-linear und injektiv. Es gilt η ∗ (f ω) = (f ◦ η) · η ∗ ω , η ∗ (df ) = d(f ◦ η). ∗ ∗ (3) η1 (η ω) = (η ◦ η1 )∗ ω f¨ ur offene, holomorphe Abbildungen η1 : X1 → X. ¡ ¢ ∗ (4) o(η ω, x) = v(η, x) · o ω, η(x) + v(η, x) − 1 f¨ ur alle x ∈ X . (5) Sei a ∈ X . Eine Form ω mit isolierter Singularit¨ at in η(a) l¨ aßt sich meromorph nach η(a) fortsetzen, sobald η ∗ ω meromorph nach a fortgesetzt werden kann. ¤

7.2 Riemann-Hurwitzsche Formel. Automorphismen Die Riemann-Hurwitzsche Formel (RH) verkn¨ upft bei jeder holomorphen ¨ Uberlagerungen η : X → Y zwischen kompakten, zusammenh¨ angenden Fl¨achen die Charakteristiken von X und Y . Wir zeigen, wie sich diese Formel bei Automorphismen auswirkt, wenn man – unter Vorgriff auf sp¨atere Ergebnisse – zus¨atzlich den Einfluß des topologischen Geschlechtes auf die analytische Struktur der Fl¨achen ber¨ ucksichtigt.

138

7. Differentialformen und Integration

7.2.1 Geliftete Divisoren. Zu jedem Divisor D auf Y wird der geliftete Divisor η ∗D durch ¡ ¢ (1) η ∗D : X → Z , x 7→ v(η, x) · D η(x) , definiert. Er hat den Grad (2) gr (η ∗D) = gr η · grD . Zum Beweis summiert man zun¨achst u ¨ber alle Punkte x einer festen Faser η −1 (y) und dann u ¨ber alle y ∈ Y . ¤ F¨ ur den Hauptdivisor (f ) jeder Funktion f ∈ M(Y ) gilt wegen 1.6.3(2) (3) η ∗ (f ) = (f ◦ η) . F¨ ur Differentialformen ω ∈ E(Y ) kommt der Windungsdivisor (4) Wη : X → N , x 7→ v(η, x) − 1 , ins Spiel. Denn wegen 7.1.6 (4) ist (5) (η ∗ ω) = η ∗ (ω) + Wη , ∗ ∗ also gr(η ω) = gr(η (ω)) + gr Wη . Wegen (2) entsteht die Riemann-Hurwitzsche Formel (RH) χ(X) = gr η · χ(Y ) − v(η) mit der Verzweigungszahl X ¡ ¢ (6) v(η) := gr Wη = v(η, x) − 1 . x∈X

F¨ ur gleichverzweigte η mit der Verzweigungssignatur S ist X (7) v(η) = [1 − S(y)−1 ] , B = Verzweigungsort . y∈B

Wenn gr η eine Primzahl ist, vereinfacht sich (7) zu (8) v(η) = (gr η − 1) · ♯B .

b kannte Riemann bereits 1857 die Formel (RH), siehe Historisches. F¨ ur Y = C [Ri 3], Artikel 7. Hurwitz bewies sie im Jahre 1891 f¨ ur beliebiges Y mit topologischen Methoden, siehe [Hur] 1, S. 375 f., und zwei Jahre sp¨ ater wie oben durch Liftung von Differentialformen, [Hur] 1, S. 392.

7.2.2 Folgerungen. Wir benutzen in den n¨achsten Abschnitten das in 1.1.5 anschaulich eingef¨ uhrte topologische Geschlecht g ∈ N und nehmen zwei Ergebnisse vorweg: b isomorph, siehe 10.7.4. (a) Alle Fl¨ achen vom Geschlecht g = 0 sind zu C (b) Durch g ist die Charakteristik χ = 2 − 2g bestimmt, siehe 12.4.1. ¨ Wir betrachten n-bl¨attrige holomorphe Uberlagerungen η : X → Y zwischen kompakten, zusammenh¨angenden Fl¨achen der Geschlechter g bzw. γ . P (1) Die Verzweigungszahl v(η) := (v(η, x) − 1) ist gerade. b nur sich selbst u (2) Es gilt g ≥ γ. Insbesondere kann C ¨berlagern. (Satz von L¨ uroth) (3) Aus n ≥ 2 und g = γ ≥ 1 folgt, daß η unverzweigt und g = γ = 1 ist. b isomorph. Dann ist η unver(4) Sei X ein Torus, und sei Y nicht zu C zweigt, und Y ist auch zu einem Torus isomorph. (5) Aus γ ≥ 2 folgt n ≤ g − 1 und sogar n < g − 1 , wenn η verzweigt ist.

7.2 Riemann-Hurwitzsche Formel. Automorphismen

139

Beweis. Die Aussagen (1)-(3) und (5) sind direkte Konsequenzen von (RH). Zu (4): Es ist g = 1 . Wegen (3) ist γ = 1 und η unverzweigt. Mit der Torus¨ Projektion π : C → X entsteht die normale, unverzweigte Uberlagerung η ◦ π : C → Y . Nach der Folgerung in 2.5.1 ist Y zu einem Torus oder zu C× isomorph. Weil Y kompakt ist, scheidet C× aus. ¤ 7.2.3 Die Modulfl¨ ache X7 wird durch w7 − z 2 (z − 1) definiert. Beweis. Bei der Operation der Modulgruppe G7 auf X7 gibt es eine Standgruppe der Ordnung 7 . Sei η : X7 → Y die entsprechende Orbitprojektion, und sei r die Anzahl der Verzweigungspunkte. Nach der Tabelle in 7.1.5 hat X7 die Charakteristik −4 . Mit (RH) und 7.2.1(8) folgt −4 = 7(2 − 2γ) − 6r , b und den Verzweigungsalso r = 3 , γ = 0 . Man kann daher Y = C ort {0, 1, ∞} erreichen. Nach 6.4.4 wird η durch w7 − z(z − 1) oder das angegebene Polynom definiert. Im ersten Fall w¨are X7 hyperelliptisch. Das wird in 8.3.5 ausgeschlossen. ¤ ¨ 7.2.4 Gleichverzweigte Uberlagerungen. Sei η : X → Y gleichverzweigt und g ≥ 2 . (a) Es ist n ≤ 84(g − 1) .– (b) Aus n > 4(g − 1) folgt b .– (c) Wenn n = 84(g − 1) ist, gibt es genau drei Ausnahmefasern. Y ≈C L¨ angs ihnen hat η die Windungszahlen 2, 3 und 7 . Beweis. Sei χ die Charakteristik von X . Aus (RH) und 7.2.1(7) folgt: Pr −χ = 2g − 2 = nq mit q = 2γ − 2 + j=1 (1 − n−1 j )>0 . Dabei numeriert j die Ausnahmefasern so, daß nj die Windungszahl l¨angs der j-ten Faser ist und 2 ≤ n1 ≤ . . . ≤ nr gilt. Zun¨achst ist r = 0 zugelassen. F¨ ur γ ≥ 2 ist n ≤ g − 1 . F¨ ur γ = 1 ist r ≥ 1 , also q ≥ 21 , da anderenfalls 1 q ≤ 0 w¨are. Aus q ≥ 2 folgt n ≤ 4(g − 1) . Damit ist (b) bewiesen, und wir m¨ ussen (a) und (c) nur noch f¨ ur den Fall γ = 0 beweisen. Wegen q > 0 ist r ≥ 3 .– F¨ ur r = 3 ist 1/42 der minimale q-Wert > 0 , also n ≤ 84(g − 1) . Der minimale Wert q = 1/42 und damit n = 84(g − 1) wird genau dann erreicht, wenn (n1 , n2 , n3 ) = (2, 3, 7) ist.– F¨ ur r = 4 ist 1/6 der minimale q-Wert > 0. Er wird f¨ ur n1 = n2 = n3 = 2, n4 = 3 erreicht und ergibt n ≤ 12(g − 1) .– F¨ ur r ≥ 5 ist q ≥ 1/2 , also n ≤ 4(g − 1) . ¤

7.2.5 Endliche Automorphismengruppen. Jede endliche Untergruppe G der Automorphismengruppe einer Fl¨ ache X vom Geschlecht g ≥ 2 hat eine Ordnung n ≤ 84(g − 1) . F¨ ur n > 4(g − 1) ist die Orbitfl¨ ache X/G zur Zahlenkugel isomorph. Wenn n = 84(g − 1) ist, gibt es genau drei Ausnahmeorbiten. Ihre Standgruppen haben die Ordnungen 2, 3 bzw. 7 . Beweis. Man wendet 7.2.4 auf die Orbitprojektion η : X → X/G an. ¤ Der extreme Fall n = 84(g − 1) tritt mit g = 3, n = 168 bei der Operation der Modulgruppe G7 auf der Modulfl¨ache X7 ein, siehe die Tabelle in 7.1.5. Es gibt unendlich viele Beispiele, siehe [Ac], S.46 ff.– In 11.3.4 wird die Endlichkeit von Aut(X) f¨ ur g(X) ≥ 2 bewiesen.– Die Ergebnisse in 7.2.4-5 und ihre Beweise stammen von Hurwitz, [Hur] 1, S. 410 ff.

140

7. Differentialformen und Integration

7.2.6 Fixpunkte. Sei g ≥ 1 . Sei G < Aut(X) eine endliche Untergruppe. Sei |α| die Anzahl der Fixpunkte von α ∈ G∗ := G \ {id} . Dann hat die Projektion η : X → Y := X/G die Verzweigungszahl X (1) v(η) = |α| . ∗ α∈G

Beweis. Wir z¨ ahlen die Menge M := {(α, x) ∈ G∗ × X : α(x) = x} auf zwei Weisen P ab: (i) Zu jedem α geh¨ oren |α| viele Elemente (α, x) ∈ M . Daher ist ♯M = |α| . (ii) Jeder Punkt x hat eine Standgruppe der Ordnung v(η, oren daher Px) . Zu x geh¨ v(η, x) − 1 viele Elemente (α, x) ∈ M . Somit ist ♯M = [v(η, x) − 1] . ¤

Wenn G von einem Element α der Ordnung n erzeugt wird, gilt |α| ≤ |β| f¨ ur alle β ∈ G∗ , also v(η) ≥ (n − 1) · |α| . Aus (RH) 2g − 2 = n · (2γ − 2) + v(η) folgt die Absch¨ atzung: (2) |α| ≤ 2 − 2γ + 2(g − γ)/(n − 1) . Wenn n eine Primzahl ist, folgt aus (RH) und 7.2.1(8) (3) 2g − 2 = n · (2γ − 2) + (n − 1) · |α| . F¨ ur eine Involution (n = 2) ist r = 2g + 2 − 4γ ≤ 2g + 2 . Das Maximum r = 2g + 2 ¨ wird genau dann erreicht, wenn η eine (hyper-)elliptische Uberlagerung ist.

(4) F¨ ur beliebige Primzahlen n und g ≥ 2 gilt n ≤ 2g + 1 . F¨ ur n = 2g + 1 ist b und r = 3 . Die Uberlagerung b wird durch w2g+1 −z a (z −1)b ¨ Y ≈C η:X→C definiert. Dabei ist 0 < a, b < 2g + 1 , und 2g + 1 teilt a + b nicht. Beweis. F¨ ur γ ≥ 2 ist n ≤ g − 1 . F¨ ur γ = 1 ist r ≥ 1 wegen g ≥ 2 , also n ≤ 2g − 1 . F¨ ur γ = 0 ist r ≥ 3 wegen g ≥ 2 . Aus r ≥ 4 folgt n ≤ g + 1 . F¨ ur r = 3 ist n = 2g + 1 . Man transformiert den Verzweigungsort nach {0, 1, ∞} und erh¨ alt die letzte Behauptung aus 6.4.3. ¤ F¨ ur weitere Fixpunkt -Ergebnisse siehe 8.3.6(2) , 13.1.4(2) und 13.5.5. Wir verweisen außerdem auf [Hur] 1, XII und XXIII , auf [Ac] und auf [FK], Chap.V.

7.3 Residuum. Invariante Formen. Spur Das aus der klassischen Funktionentheorie bekannte Residuum wird auf Fl¨achen wegen seines Verhaltens beim Kartenwechsel f¨ ur Differentialformen ω ∈ E(X) und nicht f¨ ur Funktionen erkl¨art. Auf kompakten Fl¨achen ist bei jeder Form die Residuensumme = 0 . Wir beweisen dieses wichtige Ergebnis mit Hilfe der Spur von Differentialformen, welche auch zum Beweis der Abelschen Relation in 7.5 benutzt wird. Zur Definition der Spur brauchen wir invariante Differentialformen. 7.3.1 Definition des Residuums. Sei z : (U, a) → (E, 0) eine Karte der Fl¨ache X und ω eine auf U \ {a} holomorphe Form. Wir entnehmen der klassischen Funktionentheorie: Es gibt genau ein c ∈ C , so daß ω − c · dz/z eine Stammfunktion g auf U \ {a} besitzt. Satz. Das Residuum res(ω, a) := c h¨ angt nicht von der Karte z ab. Die Zuordnung ω 7→ res(ω, a) ist C-linear. Beweis. Sei ω = c · dz/z + dg . F¨ ur eine zweite Karte z1 mit z1 (a) = 0 ist h := z1 /z bei a holomorph und nullstellenfrei. Die Form dh/h besitzt eine Stammfunktion k . Mit ihr gilt ω − c dz1 /z1 = d(g − c k) . ¤

7.3 Residuum. Invariante Formen. Spur

141

In E(X) betrachtet man drei C -Untervektorr¨aume Ej (X) : E1 (X) := {ω ∈ E(X) : o(ω, x) ≥ 0 f¨ ur x ∈ X} , E2 (X) := {ω ∈ E(X) : res(ω, x) = 0 f¨ ur x ∈ X} , E3 (X) := {ω ∈ E(X) : o(ω, x) ≥ −1 f¨ ur x ∈ X} .

Die Elemente aus Ej (X) heißen Formen j-ter Gattung. Die Formen in E1 (X) heißen holomorph, siehe 7.1.4. Es gilt ω ∈ E2 (X) genau dann, wenn es um jedem Punkt eine Scheibe gibt, auf der ω eine Stammfunktion besitzt. 7.3.2 Transformationsformel. Sei η : X → Y holomorph und offen. ¡ ¢ (1) res(η ∗ ω, a) = v(η, a) · res ω, η(a) f¨ ur ω ∈ E(Y ) und a ∈ X . Beweis. Es gibt Karten z von X und w von Y mit z(a) = 0 und w ◦ η = z n f¨ ur ¡n := v(η, ¢ a) . Aus der lokalen Darstellung ω = c · dw/w + dg mit c = res ω, η(a) folgt η ∗ ω = c n · dz/z + d(g ◦ η) , also c n = res (η ∗ ω, a) . ¤

¨ 7.3.3 Invariante Differentialformen. Sei η : X → Y eine normale Uberlagerung mit der Deckgruppe D . Eine Form ω auf X heißt D -invariant, wenn g ∗ ω = ω f¨ ur alle g ∈ D gilt. Die Liftung η ∗ ϕ jeder Form ϕ auf Y ist D-invariant, und ϕ ist durch η ∗ ϕ eindeutig bestimmt, siehe 7.1.6(2). (1) Jede invariante Form ω ist die Liftung ω = η ∗ ϕ einer Form ϕ auf Y . Beweis. Sei B der Verzweigungsort. Jeder Punkt in Y \B besitzt eine trivial u ¨berlagerte Umgebung V : Es gibt eine Scheibe U ⊂ X mit U η −1 (V ) = g∈D g(U ) , so daß die Beschr¨ankung η : U → V biholomoph ist. Daher existiert ein ϕV ∈ E(V ) mit (η|U )∗ ϕV = ω|U . Wegen der Invarianz von ω ist η ∗ ϕV = ω|η −1 (V ) . Da η ∗ injektiv ist, gilt ϕV = ϕW auf V ∩ W f¨ ur je zwei trivial u ¨berlagerte Umgebungen V, W . Daher setzen sich alle ϕ zu einer Form V ¡ ¢ ϕ ∈ E(Y \ B) mit η ∗ ϕ = ω| X \ ϕ−1 (B) zusammen. Nach 7.1.6(5) l¨aßt sich ϕ meromorph nach B fortsetzen. ¤ Beispiel. Sei η : C → C/Ω eine Torusprojektion. Die Form dz ∈ E1 (C) ist translationsinvariant. Daher gibt es genau eine Form ω ∈ E1 (C/Ω) mit η ∗ ω = dz . Sie hat wie dz keine Nullstellen. Es ist E1 (C/Ω) = C · ω . Denn f¨ ur jede Form ϕ ∈ E1 (C/Ω) ist ϕ/ω ∈ O(C/Ω) = C . Da η ∗ injektiv ist, gilt (2) ω = d℘/ ˆ ℘ˆ′ . 7.3.4 Die Spur. Sei η : X → Y eine endliche Abbildung mit der P normale ∗ Deckgruppe D . F¨ ur jede Form ω ∈ E(X) ist ω D-invariant. Daher g∈D g P gibt es genau eine Form sp ω ∈ E(Y ) mit η ∗ (sp ω) = g ∗ ω . Die Definition der Spur sp ω l¨aßt sich auf alle endlichen Abbildungen ausdehnen: Satz. Zu jeder endlichen Abbildung η : X → Y gibt es genau eine lineare Abbildung spη : E(X) → E(Y ) mit folgenden Eigenschaften: (1) F¨ ur jedes Gebiet V ⊂¡ Y und die ankung η ′ : η −1 (V ) → V von η ¢ Beschr¨ −1 gilt (spη ω)|V = spη′ ω|η (V ) .

142

7. Differentialformen und Integration

(2) F¨ ur die disjunkte Vereinigung X = X1 ⊎ X2 zweier Fl¨ achen gilt spη = spη|X1 + spη|X2 . P (3) F¨ ur normale Abbildungen η gilt η ∗ (spη ω) = g∈D(η) g ∗ ω .

Eindeutigkeitsbeweis. Wegen der Injektivit¨at von η ∗ ist in (3) spη ω durch die rechte Seite eindeutig bestimmt. Weil Y durch elementar u ¨berlagerte Scheiben u ¨berdeckt wird, folgt aus (1)-(3) die Eindeutigkeit der Spur. Existenzbeweis. Zun¨achst sei η unverzweigt. F¨ ur jede trivial u ¨berlagerte Scheibe T ⊂ Y ist η −1 (T ) = S1 ⊎ . . . ⊎ Sn eine disjunkte Vereinigung von Scheiben, so daß die Beschr¨ankungen ην : Sν → T von η Isomorphismen sind. Es gibt daher eindeutig bestimmte Formen ϕν auf T mit ην∗ ϕν = ω|Sν . Wir bilden ϕT := ϕ1 + . . . + ϕn . F¨ ur je zwei trivial u ¨berlagerte Scheiben T1 und T2 stimmen ϕT1 und ϕT2 auf T1 ∩ T2 u ¨berein. Daher setzen sich die Formen ϕT zu einer Form spη ω auf Y zusammen. Man verifiziert die Eigenschaften (1)-(3). Wenn η den Verzweigungsort B ⊂ Y hat, ist spη′ ω f¨ ur die unverzweigte Beschr¨ankung η ′ : X \ η −1 (B) → Y \ B von η definiert. Um spη′ ω meromorph nach b ∈ B fortzusetzen, benutzen wir eine elementar u ¨berlagerte Scheibe V um b . Dann ist η −1 (V ) = U1 ⊎ . . . ⊎ Ur eine disjunkte Vereinigung von Scheiben, so daß die Beschr¨ankungen ηj : Uj → V von η Windungsabbildungen sind. Nach 7.3.3 gibt es genau eine Form ϕˆj auf V P ∗ mit ηj∗ ϕˆj = g ω , summiert u ¨ber g ∈ D(ηj ) . Aus (1)-(3) folgt, daß spη′ ω auf V \ {b} mit ϕˆ1 + . . . + ϕˆr u ¨bereinstimmt. ¤ 7.3.5 Das Residuum der Spur lautet res (sp ω, b) =

P

a∈η −1 (b)

res (ω, a) .

Beweis. Wegen 7.3.4(1)-(2) gen¨ ugt es, die Behauptung f¨ ur eine Windungsabbildung zu beweisen. Nach 7.3.2(1) und 7.3.4(3) ist dann v(η, a)·res(sp ω, b) = ¡ ¢ P ¤ res η ∗ (sp ω), a = g∈D(η) res (g ∗ ω, a) = v(η, a) · res(ω, a) . 7.3.6 Residuensumme. Wenn X kompakt ist, gilt P ur alle ω ∈ E(X) . x∈X res (ω, x) = 0 f¨

Beweis. Die Partialbruchzerlegung rationaler Funktionen zeigt: Jede Form b ist eine C-Linearkombination von Formen der Gestalt (z − a)n dz mit auf C a ∈ C , n ∈ Z ; sie hat daher die Residuensumme 0 . F¨ ur den allgemeinen Fall einer Form ω auf X bildet man zu einer nirgends konstanten meromorphen b die Spur sp ω und erh¨alt wegen 7.3.5 Funktion η : X → C P P ¤ 0 = z∈b res(sp ω, z) = x∈X res (ω, x) . C

Wenn man die Theorie meromorpher Formen in den Kalk¨ ul der C ∞ - Differentialformen einbettet, kann man die Aussage aus dem Satz von Stokes folgern, ohne die Spur zu benutzen, siehe Aufgabe 15.7.5.

7.4 Integration

143

7.4 Integration Wir definieren die Integration von Differentialformen zweiter Gattung l¨angs stetiger Wege auf zusammenh¨angenden Fl¨achen X mittels Stammfunktionen. Da letztere im allgemeinen nur auf einfach zusammenh¨angenden Fl¨achen ¨ vorhanden sind, muß man eine Uberdeckung durch Scheiben benutzen und den Integrationsweg entsprechend zerlegen oder, wie es im folgenden gemacht ¨ wird, die universelle Uberlagerung heranziehen. 7.4.1 Stammfunktionen. Wenn die Fl¨ ache X einfach zusammenh¨ angt, besitzt jede Form ω ∈ E2 (X) eine Stammfunktion. Beweis. Zun¨achst wird der einfache Zusammenhang nicht ben¨otigt. Wie in 3.4.2-3 sei M die Fl¨ache der Keime meromorpher Funktionen auf X , sei b die Auswertungsfunktion. p : M → X die Projektion und e : M → C Konstante Funktionen, ihre Keime und ihre Werte in C bezeichnen wir mit demselben Buchstaben. (1) Zu jeder Form ω ∈ E(X) bilden alle Keime, die durch lokale Stammfunktionen von ω repr¨ asentiert werden, eine offene und abgeschlossene Teilmenge Sω ⊂ M . Denn f¨ ur jede zusammenh¨angende Basismenge (U, f ) gem¨aß 3.4.2(2) gilt (U, f ) ∩ Sω = ∅ oder (U, f ) ⊂ Sω , und im zweiten Fall folgt aus dem Identit¨atsatz df = ω|U . (2) Die Auswertungsfunktion e|Sω ist eine Stammfunktion von (p∗ ω)|Sω . Denn auf (U, f ) ⊂ Sω gilt e = f ◦ p , also de = p∗ df = p∗ ω . (3) F¨ ur ω ∈ E2 (X) ist die Einschr¨ ankung p : Sω → X eine unverzweigte ¨ Uberlagerung. Denn jeder Punkt in X ist Zentrum einer Scheibe U , auf der eine Stammfunktion f von ω existiert. Daher ist p−1 (U )∩Sω die disjunkte Vereinigung der Basismengen (U, c + f ) f¨ ur c ∈ C . Wenn X einfach zusammenh¨angt, ist f¨ ur jede Komponente Zω von Sω die Beschr¨ankung p : Zω → X ein Isomorphismus. Aus (2) folgt dann die Behauptung des Satzes. ¤ 7.4.2 Definition des Integrals. Sei ω ∈ E2 (X) . F¨ ur jeden stetigen Weg u auf X , in Rdessen Anfangs- und Endpunkt keine Pole von ω liegen, wird das Integral u ω folgendermaßen definiert: Sei ζ : Z → X eine univer¨ selle Uberlagerung. Die geliftete Form ζ ∗ ω ∈ E2 (Z) besitzt nach 7.4.1 eine Stammfunktion f ∈ M (Z) . Man liftet u zu einem Weg v in Z . Im Anfangspunkt a und im Endpunkt b von v liegen keine Pole von f . Man Z definiert: ω := f (b) − f (a) . u

Wir zeigen, daß dieses Integral nur von ω und u abh¨angt: Sei ζ1 : Z1 → X ¨ eine weitere universelle Uberlagerung, sei f1 ∈ M(Z1 ) eine Stammfunktion

144

7. Differentialformen und Integration

von ζ1∗ ω und v1 ein Weg in Z1 von a1 nach b1 mit ζ1 ◦ v1 = u . Wegen ¨ der Eindeutigkeit der universellen Uberlagerung gibt es einen Isomorphismus ϕ : (Z1 , a1 ) → (Z , a) mit ζ1 = ζ ◦ ϕ . Wegen der Eindeutigkeit der Wegeliftung ist v = ϕ ◦ v1 , also ϕ(b1 ) = b . Die Funktion f ◦ ϕ ist auch eine Stammfunktion von ζ1∗ ω . Daher gibt es eine Konstante c ∈ C mit f ◦ ϕ = f1 + c . Es folgt f1 (b1 ) − f1 (a1 ) = f ◦ ϕ(b1 ) − f ◦ ϕ(a1 ) = f (b) − f (a) . ¤ 7.4.3 Integrationsregeln. Wir setzen voraus, daß im Anfangs- und Endpunkt der Integrationswege keine Pole der Integranden liegen. R (1) df = f (b)−f (a) f¨ ur f ∈ M(X) und jeden Weg u von a nach b . u R R (2) ω = u1 ω , wenn u0 und u1 homotop sind. u0 R R R (3) ω = u ω + v ω f¨ ur das Produkt zweier Wege. u·v R R R (4) (λ ω + λ2 ω2 ) = λ1 u ω1 + λ2 u ω2 f¨ ur λ1 , λ2 ∈ C . u 1 1 R ∗ R (5) η ω = η◦u ω f¨ ur jede holomorphe Abbildung η : X → Y , u jeden Weg u auf X und ω ∈ E2 (Y ) . Diese Regeln lassen sich anhand der Definition des Integrals leicht verifizieren: ¨ Bei (2) liftet man u0 und u1 zu Wegen auf der universellen Uberlagerung, die im selben Punkt beginnen. Wegen der Homotopie haben sie denselben Endpunkt. Bei (5) liefert der Monodromiesatz zu den universellen ¨ ˜ → X und ζY : Y˜ → Y eine Abbildung η˜ : X ˜ → Y˜ , Uberlagerungen ζX : X so daß ζY ◦ η˜ = η ◦ ζX ist. ¤ R 7.4.4 Perioden. Man nennt den Integralwert u ω eine Periode der Form ω ∈ E2 (X) , wenn u eine Schleife ist. Mit Per(ω) ⊂ C wird die Menge aller Perioden bezeichnet. Aus 7.4.3(2)-(3) folgt: (1) Wenn ω bei a ∈ X keinen Pol hat, ist Per(ω) das Bild des PeriodenR homomorphismus π(X, a) → C , [u] 7→ u ω . Insbesondere ist Per(ω) < C eine additive Untergruppe. ¤ Beispiel. Wie im Beispiel 7.3.3 sei η : C → C/Ω eine Torusprojektion und ω ∈ E1 (C/Ω) die durch η ∗ ω = dz bestimmte Form. F¨ ur sie ist Per (ω) = Ω . Denn die Schleifen in C/Ω von und nach 0 sind die Rη-Bilder der Wege v R in C von 0 zu den Punkten c ∈ Ω . Daher ist u ω = v dz = c ∈ Ω . Die Gruppe Per(ω) kann dicht in C liegen, siehe Aufgabe 7.9.8. Hieraus zog Jacobi voreilig die Konsequenz, Abelsche Integrale als absurd zu verwerfen, siehe 14.1.3.

¨ Sei ζ : (Z, c) → (X, a) die universelle Uberlagerung. F¨ ur den zugeh¨origen Poincar´eschen Isomorphismus P : π(X, a) → D(ζ) , jede Schleife u mit dem Basispunkt a und jede Stammfunktion f ∈ M(Z) von ζ ∗ ω gilt R (2) f ◦ P [u] = f + u ω . (3) Per(ω) = 0 ⇔ f ist D(ζ)-invariant ⇔ ω besitzt eine Stammfunktion in M(X) . (4) Ist X kompakt und ω ∈ E1(X) , so gilt Per(ω) = 0 ⇔ ω = 0 . ¤

7.5 Die Abelsche Relation

145

Bemerkung. Eine Funktion f ∈ M(Z) heißt additiv , wenn es zu jedem γ ∈ D(ζ) eine Konstante k(γ) ∈ C mit f ◦ γ = k(γ) + f gibt. Dann ist df D(ζ)-invariant, und nach 7.3.3 gibt es eine Form ω ∈ E2 (X) mit df = ζ ∗ ω . 7.4.5 Integralformel f¨ ur das Residuum. F¨ ur a ∈ X , ω ∈ E1 (X \{a}) und jede einfache a -Schleife u gilt Z 1 ω. (1) res(ω, a) = 2πi u Beweis. Nach 7.3.1 gibt es eine Karte z : (U, a) → (E, 0) und eine Funktion g ∈ O(U \ {a}) mit dg = ω − res(ω, a) · dz/z . Es gen¨ ugt, die Schleife u: R [0, 2π]R → U mit z ◦ u(t) = 12 exp(it) zu betrachten. F¨ ur sie gilt u dg = 0 und u dz/z = 2πi . ¤

7.4.6 Abelsche Integrale. Angeregt durch die in 2.4.1 geschilderten Beispiele betrachteten Abel und Jacobi Integrale Z (1) R(z, w)dz mit der Nebenbedingung P (z, w) = 0 .

f¨ ur normierte, irreduzible Polynome P (z, w) ∈ C(z)[w] und rationale Funktionen R(z, w) ∈ C(z, w) . Sie erzielten tief liegende, aber schwer zu deutende Ergebnisse, da eine klare Definition der Integrale fehlte. Wir pr¨azisieren (1) mit Hilfe des Riemannschen Gebildes (X, η, f ) von P (z, w) und deuten den Integranden in (1) als Differentialform R(η, f )d η auf X . F¨ ur jeden Weg u in X , der die Pole dieser Z Form meidet, Zist dann das Integral R(η, f )d η

R(z, w)dz :=

(2)

u

u

wohldefiniert. Wir nennen es ein Abelsches Integral. Die Mehrdeutigkeiten, welche Jacobi bemerkte, aber nicht durchschaute, treten auf, wenn man verschiedene Wege u zul¨aßt und nur ihre Endpunkte oder ihre Spur η ◦ u in b festh¨alt. Riemann erkannte die topologische Gestalt der Fl¨ache X als C Ursache der Mehrdeutigkeiten.

7.5 Die Abelsche Relation Die Abelsche Relation f¨ ur Hauptdivisoren auf Tori (2.3.2) ist ein Spezialfall eines f¨ ur alle kompakten Fl¨achen X g¨ ultigen Satzes u ¨ber die Integration holomorpher Differentialformen, der auch auf Abel zur¨ uckgeht. Zur Abk¨ urzung der Notation wird jeder Punkt P ∈ X mit dem Punktdivisor identifiziert, der bei P den Wert 1 und sonst den Wert 0 hat. Jeder Divisor D ist dann eine endliche Linearkombination Xr D= nj Pj j=1

von Punktdivisoren Pj mit Koeffizienten nj ∈ Z .– Wie hier werden Punkte, die auch als Punktdivisoren aufgefaßt werden, oft mit großen Buchstaben bezeichnet.– Zum Beweis der Abelschen Relation ben¨otigen wir die

146

7. Differentialformen und Integration

¨ 7.5.1 Integration der Spur. Sei η : X → Y eine n-bl¨ attrige Uberlagerung, und sei v ein Weg in Y , der h¨ ochstens in seinem Anfangs- und Endpunkt Verzweigungspunkte trifft. Der Weg v besitzt n Liftungen u1 , . . . , un in X . F¨ ur sie gilt Z n Z X ur ω ∈ E1 (X) . ω = sp ω f¨ (1) ν=1



v

Beweis. Es gen¨ ugt, (1) f¨ ur Wege v zu zeigen, die in elementar u ¨berlagerten Scheiben V liegen. Denn jeder Weg ist ein Produkt von Teilwegen mit dieser U Eigenschaft. Sei η −1 (V ) = Uj . Jede Beschr¨ankung ηj : Uj → V von η ist eine Windungsabbildung. Wir w¨ahlen zu jedem j eine ηj -Liftung wj von v . Die Menge {u1 , . . . , un } aller Liftungen von v besteht aus den Wegen g ◦ wj f¨ ur alle g ∈ D(ηj ) und alle j , also R R P P P P Pn R ∗ (2) j g∈D(ηj ) wj g (ω|Uj ) . j g∈D(ηj ) g◦wj ω = ν=1 uν ω = P P Nach 7.3.4 ist sp ω|V = ϕj , wobei ηj∗ ϕj = g∈D g ∗ (ω|Uj ) gilt. Daher kann man in (2) fortfahren mit R P R P R Pn R ∗ ¤ j v ϕj = v sp ω . j wj ηj ϕj = ν=1 uν ω =

7.5.2 Zykel. Eine Menge von Wegen {u1 , . . . , um } in X heißt Zykel, wenn jeder Punkt genauso oft als Anfangs- wie als Endpunkt dieser Wege auftritt. Dann gilt m Z X ω ∈ Per(ω) f¨ ur alle ω ∈ E1 (X) . (1) µ=1



Beweis durch Induktion u ¨ber m . F¨ ur m = 1 ist der einzige Weg eine Schleife. Schluß von m−1 auf m ≥ 2 : Wenn alle uµ Schleifen sind, gilt (1). Sonst gibt es zwei Wege uj und uk , so daß uk im Endpunkt von uj beginnt. Der Zykel {u1 , . . . , um } geht in einen Zykel von m − 1 Wegen u ¨ber, wenn man uj , uk durch den Produktweg uj uk ersetzt. Nach der Induktionsvoraussetzung folgt R R Pm Pm R ¤ µ=1,j6=µ6=k uµ ω ∈ Per(ω) . µ=1 uµ ω = uj uk ω +

7.5.3 Abelsche Relation f¨ ur Hauptdivisoren. Auf einer kompakten, zusammenh¨ a ngenden Fl¨ a che X seien n Wege uν von Pν nach Qν gegeben, P so daß (Pν − Qν ) = (f ) ein Hauptdivisor ist. Dann gilt n Z X ω ∈ Per(ω) f¨ ur alle ω ∈ E1 (X). (1) ν=1



b ist eine n-bl¨attrige Uberlagerung. ¨ Beweis. Die Funktion f : X → C Wir b w¨ahlen einen Weg w von 0 nach ∞ in C , der unterwegs keine Verzweigungspunkte trifft. Er besitzt n Liftungen v1 , . . . , vn in X , die so numeriert werden, daß vν in Pν beginnt. Es gibtPdann eine RPermutation σ , so R daß vν in Qσ(ν) endet. Nach 7.5.1(1) ist ω = w sp ω = 0 wegen v b = 0 . Die Wege u1 , . . . , un , v − , . . . , v −ν bilden einen Zykel. Nach sp ω ∈ E1 (C) n 1 R PR PR 7.5.2(1) ist ω = ( uν ω − vν ω) ∈ Per(ω) . ¤ uν

7.6 Eine Charakterisierung der Tori

147

Beispiel. Wie im Beispiel 7.4.4 sei η : C → C/Ω eine Torusprojektion und ω ∈ E1 (C/Ω) die durch η ∗ ω = dz bestimmte Form. F¨ ur X = C/Ω reduziert sich die abelsche Relation wegen E1 (C/Ω) = C · ω auf ur R die Gleichung (1) f¨ die spezielle Form ω . Zur Berechnung des Integrals uν ω liften wir uν zum Weg vRν in C . F¨ ur den Anfangspunkt Aν P und den Endpunkt Bν von vν gilt dann uν ω = Bν −Aν . Damit wird (1) zu (Bν −Aν ) ∈ Per(ω) = Ω . Das ist P P wegen η(Aν ) = Pν und η(Bν ) = Qν ¨aquivalent zu Pν = Qν in C/Ω . Die in 2.3.2 bewiesenen Abelsche Relation f¨ ur Tori ist also ein Spezialfall. F¨ Pur Tori wurde in 2.3.6 auch die Umkehrung bewiesen: Aus (1) folgt, daß (Pν − Qν ) ein Hauptdivisor ist. Wir zeigen in 14.2.4 , daß dies f¨ ur alle kompakten Fl¨achen gilt (Abelsches Theorem). Nachdem Abel die Umkehrung elliptischer Integrale durch doppelt-periodische Funktionen gelungen war, dehnte er seine Untersuchungen auf allgemeinere Integrale aus, die sp¨ ater seinen Namen bekamen. Im Oktober 1826 reichte er der Pariser Akademie ein fast 70 Seiten langes M´emoire, [Ab] XII, ein, das erst 1841 gedruckt wurde. Bedeutende Teilergebnisse, die auch die Relation (1) und das darauf aufbauende Additionstheorem 14.1.2 umfassen, ver¨ offentlichte er 1829 in u ¨berarbeiteter Form zus¨ atzlich in Crelles Journal.

7.6 Eine Charakterisierung der Tori Auf jedem Torus gibt es eine holomorphe Differentialform ohne Nullstellen, siehe das Beispiel in 7.3.3. Wir zeigen, daß alle kompakten, zusammenh¨angenden Fl¨achen mit dieser Eigenschaft, insbesondere alle elliptischen Fl¨achen, Tori sind. Daraus folgt eine zweite L¨osung des Jacobischen Problems. ¨ 7.6.1 Uberlagerung durch C . Wenn es auf der kompakten, zusammenh¨ angenden Fl¨ ache X eine holomorphe Differentialform ω ohne Nullstellen gibt, wird X durch C universell u ¨berlagert. ¨ Beweis. Sei ζ : Z → X die universelle Uberlagerung und f eine Stammfunktion von ζ ∗ ω . Da df = ζ ∗ ω wie ω holomorph ist und keine Nullstellen hat, ist f : Z → C lokal biholomorph. Wir behaupten, daß f ein Isomorphismus ist. Nach 3.2.4(3) gen¨ ugt dazu, daß f unbegrenzt ist: Jeder Weg v : [0, 1) → Z ohne Endpunkt l¨ aßt sich stetig nach 1 fortsetzen, sobald dies f¨ ur f v := f ◦ v : [0, 1) → C gilt. Man w¨ahlt eine Folge tn in [0, 1) , die monoton nach 1 konvergiert. Weil X kompakt ist, hat die Bildfolge an := ζv(tn ) einen H¨aufungspunkt a ∈ X . Es gibt eine holomorphe Karte h : (U, a) → (Er , 0) , so daß dh = ω|U ist. Es gibt einen Index k , so daß ak ∈ U ist und |h(ak )| < 13 r sowie |f v(t) − f v(1)| < 13 r f¨ ur alle tk ≤ t ≤ 1 gelten. Es gibt einen ζ-Schnitt σ : (U, ak ) → (Z, v(tk )) , und f σ := f ◦ σ ist eine Stammfunktion von ω|U . Daher ist f σ − h = ef σ(a) konstant, insbesondere |f v(tk ) − f σ(a)| = |h(ak )| < 31 r .

148

7. Differentialformen und Integration

Somit gilt f¨ ur alle tk ≤ t ≤ 1 die Absch¨atzung (1) |f v(t) − f σ(a)| ≤ |f v(t) − f v(1)| + |f v(1) − f v(tk )| + |f v(tk ) − f σ(a)| ≤ r .

Wegen f σ = f σ(a) + h wird die Scheibe σ(U ) durch f biholomorph auf die Kreisscheibe D ⊂ C mit dem Mittelpunkt f σ(a) und dem Radius r abgebildet. Die Absch¨atzung (1) bedeutet, daß der Weg f v f¨ ur tk ≤ t ≤ 1 in D verl¨auft. Es gibt daher eine f -Liftung u von f v|[tk , 1] in σ(U ) , die in v(tk ) beginnt. Wegen der Eindeutigkeit der Liftung ist u = v auf [tk , 1) , und folglich wird v durch v(1) := u(1) stetig fortgesetzt. ¤ 7.6.2 Charakterisierung der Tori. Jede kompakte, zusammenh¨ angende Fl¨ ache X , auf der es eine holomorphe Differentialform ohne Nullstellen gibt, ist zu einem Torus C/Ω isomorph. Insbesondere sind alle elliptischen Fl¨ achen Tori. Beweis. Nach 7.6.1 wird X durch C universell u ¨berlagert . Wegen der Folgerung in 2.5.1 ist X zu einem Torus isomorph. Jede elliptische Fl¨ache X tritt im Riemannschen Gebilde (X, η, f ) eines Polynoms w2 − (z − e1 )(z − e2 )(z − e3 ) mit paarweise verschiedenen ej auf. ¨ Die Uberlagerung η ist zweibl¨attrig und verzweigt u ¨ber {e1 , e2 , e3 , ∞} . Aus 2 f = (η −e1 )(η −e2 )(η −e3 ) folgt: Außerhalb der Windungspunkte haben d η und f weder Null- noch Polstellen. F¨ ur η(x) = ej gilt 2o(f, x) = v(η, x) = 2 und f¨ ur η(x) = ∞ ist 2o(f, x) = 3o(η, x) = −6 . Daher gilt nach 7.1.4(2) o(d η/f, x) = 0 f¨ ur alle x ∈ X , d.h. d η/f ist null- und polstellenfrei. ¤ b 7.6.3 Zweite L¨ osung des Jacobischen Problems. Jede Menge M ⊂ C von 4 Punkten ist Verzweigungsort einer elliptischen Funktion vom Grade 2. Beweis. Man kann M = {e1 , e2 , e3 , ∞} annehmen. Nach 7.6.2 definiert b ¨ w2 − (z − e1 )(z − e2 )(z − e3 ) eine zweibl¨attrige Uberlagerung η : C/Ω → C durch einen Torus. Durch Vorschalten der Torusprojektion u : C → C/Ω erh¨alt man die gew¨ unschte Funktion η ◦ u . ¤ 7.6.4 Ausblick. Auf jeder nicht-kompakten, zusammenh¨angenden Riemannschen Fl¨ ache X gibt es eine holomorphe Funktion f : X → C ohne Windungspunkte, d.h. df hat keine Nullstellen, siehe [GN]. Die Charakterisierung der Tori durch 7.6.2 l¨ aßt sich auf h¨ ohere Dimensionen verallgemeinern: Jede kompakte, zusammenh¨ angende, n-dimensionale K¨ ahlersche Mannigfaltigkeit ist zu einem Torus Cn/Ω isomorph, sobald n holomorphe Differentialformen existieren, die u ¨berall linear unabh¨ angig sind. Man kann den Beweis aus 7.6.1-2 u ¨bertragen. Zur weiterf¨ uhrende Lekt¨ ure wird [Ak] empfohlen.

7.7 Homologie und Cohomologie

149

7.7 Homologie und Cohomologie Beim Periodenhomomorphismus π(X, a) → C geht wie bei jedem Homomorphismus in eine abelsche Gruppe die eventuell nicht-kommutative Struktur der Fundamentalgruppe verloren. Dann k¨onnen wir π(X, a) von vorneherein durch Abelsch-machen zur Homologiegruppe H1 (X) vereinfachen. 7.7.1 Abelsch-machen. Sei G eine beliebige Gruppe. Alle Kommutatoren [a, b] := aba−1 b−1 der Elemente a, b, . . . ∈ G erzeugen die KommutatorUntergruppe [G, G] ⊳ G , die sogar ein Normalteiler ist. Die Faktorgruppe AG := G/[G, G] heißt abelsch gemachte Gruppe G . Der Restklassen-Epimorphismus A : G → AG hat folgende Universelle Eigenschaft. Jeder Homomorphismus h : G → H in eine abelsche Gruppe faktorisiert u ¨ber AG ; d.h. h bestimmt genau einen Homomorphismus Ah : AG → H , so daß h = (A h) ◦ A gilt. ¤ 7.7.2 Die Homologiegruppe. Die (erste) Homologiegruppe eines wegzusammenh¨angenden topologischen Raumes X ist die abelsch gemachte Fundamentalgruppe H1 (X) := Aπ(X, a) . Auf die Angabe des Basispunktes a kann verzichtet werden, weil Aπ(X, a) und Aπ(X, b) in kanonischer Weise isomorph sind: Die Verschiebung Φw : π(X, a) → π(X, b) l¨angs eines Weges w von a nach b induziert den Isomorphismus A Φw : Aπ(X, a) → Aπ(X, b) . Er h¨angt von der Wahl des Weges w nicht ab. Denn f¨ ur einen zweiten Weg v von a nach b ist Φ−1 v ◦ Φw die Konjugation mit [w·v − ] , die bei der abelsch gemachten Gruppe zur Identit¨at wird, so daß A Φv = A Φw gilt. Die Homologieklasse einer Schleife u wird mit kl u := A([u]) ∈ H1 (X) bezeichnet. Jede stetige Abbildung η : X → Y induziert den Homomorphismus η∗ : H1 (X) → H1 (Y ) , kl u 7→ kl (η ◦ u) . Wie in 3.1.5 gilt beim Hintereinanderschalten (ϕ ◦ η)∗ = ϕ∗ ◦ η∗ . Man nennt zwei Abbildungen η0 , η1 : X → Y homotop, wenn es eine stetige Abbildung h : X × [0, 1] → Y mit h(x, j) = ηj (x) f¨ ur x ∈ X und j = 0, 1 gibt. F¨ ur jede Schleife u von und nach a in X und den Weg w(t) := h(a, t) in Y sind die Wege η0 ◦ u und w · (η1 ◦ u) · w− homotop. Daher gilt (1) η0∗ = η1∗ : H1 (X) → H1 (Y ) . Beispiel. Sei A ⊂ X lokal endlich. F¨ ur jedes a ∈ A sind die Homotopieklassen aller einfachen a-Schleifen ua zueinander konjugiert in π(X \ A) . Somit ist die Homologieklasse kl ua ∈ H1 (X \ A) durch a allein bestimmt. b folgt aus Satz 3.8.4 durch Abelsch-Machen: F¨ ur X = C b \ {a0 , . . . , ar }) ist eine freie abelsche Gruppe mit Die Homologiegruppe H1 (C der Basis kl ua1 , . . . , kl uar . Es gilt kl ua0 + . . . + kl uar = 0 . ¤

150

7. Differentialformen und Integration

7.7.3 Integration u ¨ ber Homologieklassen. Sei X eine zusammenh¨angende Fl¨ache, und sei ω ∈ E2 (X) . Der Periodenhomomorphismus aus 7.4.4(1) bestimmt nach 7.7.1 den von a unabh¨angigen Homomorphismus R H1 (X) → C , kl u 7→ hkl u, ωi := u ω . Wir nennen die Paarung (1) H1 (X) × E2 (X) → C , (h, ω) 7→ hh, ωi , Integration u ¨ber Homologieklassen. Sie ist additiv im ersten und C-linear im zweiten Argument. 7.7.4 Cohomologie. Die (erste, komplexe) Cohomologie H 1 (X, C) eines Raumes X ist der C-Vektorraum aller Homomorphismen H1 (X) → C . F¨ ur jede zusammenh¨angende Riemannsche Fl¨ache X definieren wir mit der Integration u ¨ber Homologieklassen die C-lineare Abbildung Φ : E2 (X) → H 1 (X, C) , ω 7→ h−, ωi . Satz. Die mit Φ und der Ableitung d gebildete Sequenz d Φ (1) 0 → C ֒→ M(X) → E2 (X) → H 1 (X, C) ist exakt, d.h. es gilt Kern d = C und Bild d = Kern Φ . Bei kompaktem X ist Φ : E1 (X) → H 1 (X, C) injektiv. Beweis. Nach 7.1.2 ist Kern d = C . Wegen Kern Φ = {ω : Per(ω) = 0} gilt Kern = Bild d nach Satz 7.4.4. Wenn X kompakt ist, folgt aus df ∈ E1 (X) , daß f ∈ O(X) = C und somit df = 0 ist. ¤ Die exakte Sequenz (1) spielt im Beweis der Riemann-Rochschen Formel in 13.1.3 eine wichtige Rolle. Die Surjektivit¨ at von Φ : E2 (X) → H 1 (X, C) wird in 13.6.3 f¨ ur kompakte Fl¨ achen X gezeigt. F¨ ur offene Fl¨ achen X gilt sogar Φ(E1 (X)) = H 1 (X, C) , siehe z.B. [For], Abschnitt 26.1 .

Folgerung (Cauchyscher Integralsatz). Wenn H 1 (X, C) = 0 ist, besitzt jede Differentialform zweiter Gattung eine Stammfunktion. ¤ Die Voraussetzung ist sicher dann erf¨ ullt, wenn X homologisch einfach zusammenh¨ angt , d.h. wenn H1 (X) = 0 ist. Einfach zusammenh¨angende Fl¨achen sind offenbar homologisch einfach zusammenh¨angend. Nach dem Riemannschen Abbildungssatz 10.8.7 gilt auch die Umkehrung. Der Cauchysche Integralsatz war f¨ ur Riemann ein wichtiges Motiv, um den Begriff des einfachen Zusammenhangs einzuf¨ uhren. In [Ri 3], Artikel 2 der Einleitung, schreibt er: Es sei eine F¨ ache T gegeben und X, Y seien solche stetige Functio” nen des Orts in dieser Fl¨ ache, dass in ihr allenthalben Xdx + Y dy ein vollst¨ andiges Integral, also ∂Y ∂X − =0 ∂y ∂x ist. Bekanntlich ist dann R (Xdx + Y dy) , um einen Theil der Fl¨ ache . . . erstreckt, = 0 . . . . Das Integral R (Xdx + Y dy)

7.8 Logarithmische Ableitung

151

hat daher, zwischen zwei festen Punkten auf zwei verschiedenen Wegen erstreckt, denselben Werth, wenn diese beiden Wege zusammengenommen die ganze Begrenzung eines Theils der Fl¨ ache T bilden. Dies veranlaßt zu einer Unterscheidung der Fl¨ achen in einfach zusammenh¨ angende, in welchen jede geschlossene Curve einen Theil der Fl¨ ache vollst¨ andig begrenzt – wie z.B. einen Kreis –, und mehrfach zusammenh¨ angende, f¨ ur welche dies nicht stattfindet, – wie z.B. eine durch zwei concentrische Kreise begrenzte Ringfl¨ ache – .“

7.8 Logarithmische Ableitung F¨ ur die Riemannsche Theorie der Abelschen Integrale m¨ ussen die Ergebnisse von 7.4.1-4 durch eine Variante erg¨anzt werden, bei der an die Stelle der Ableitung df die logarithmische Ableitung df/f tritt. Sie wird im 10. Kapitel und sp¨ater gebraucht.– Sei X eine zusammenh¨ angende Fl¨ache. 7.8.1 Elementare Eigenschaften. Sei f ∈ M(X) \ {0} . Wenn auf dem Gebiet f (X) ⊂ C× eine Logarithmusfunktion definiert ist, gilt nach 7.1.3 df/f = d(log ◦ f ) .– Man u ¨bertr¨agt aus der klassischen Funktionentheorie f¨ ur f, g ∈ M(X) \ {0} die Ergebnisse df dg d(1/f ) df d(f · g) = + , insbesondere =− . (1) f ·g f g 1/f f × (2) dg/g = df/f ⇔ g = cf mit c ∈ C . ¤ Auch das folgende Ergebnis stammt aus der klassischen Theorie und wird mittels Karten auf Riemannsche Fl¨achen u ¨bertragen: (3) Die logarithmische Ableitung df/f hat einfache Pole in den Null- und Polstellen von f und ist sonst holomorph. F¨ ur die Residuen gilt res(df/f, a) = o(f, a) . ¤

(4) Wenn der Weg u von a nach b die Null- und Polstellen von f meidet, ÃZ ! ist df f (b) exp . = f f (a) u × Beweis. Sei v eineR exp-Liftung R des Weges f ◦ u in C . Dann gilt df /f = f ◦u dz/z = v(1) − v(0) . u

¤

(5) Wenn H 1(X, C) = 0 ist, gibt es zu jeder Funktion f ∈ O(X) ohne Nullstellen eine Funktion g ∈ O(X) mit f = exp ◦ g .

Beweis. Die holomorphe Form df/f besitzt nach dem Cauchyschen Integralsatz in 7.7.4 eine Stammfunktion g . Dann haben f und exp ◦ g nach 7.1.3 dieselbe logarithmische Ableitung. Also ist exp ◦ g = c·f mit c ∈ C× . Durch Addition einer Konstanten zu g erreicht man c = 1 . ¤

152

7. Differentialformen und Integration

¨ 7.8.2 Multiplikative Funktionen. Sei ζ : Z → X die universelle Uberlagerung. Eine Funktion f ∈ M(Z) heißt multiplikativ , wenn es zu jeder Deckabbildung γ ∈ D(ζ) eine Konstante k(γ) ∈ C× mit f ◦ γ = k(γ) · f gibt.

Satz. Wenn f multiplikativ ist, gibt es eine Form ω ∈ E3 (X) mit ζ ∗ ω = df /f . F¨ ur den Poincar´eschen Isomorphismus P : π(X) → D(ζ) gilt: Wenn die Schleife u die Pole von ω meidet, ist Z ´ ³ ω . k ◦ P [u] = exp u

Beweis. Die logarithmische Ableitung df /f ist D(ζ)-invariant und daher die Liftung ζ ∗ ω einer Form ω auf X . Wir liften u zu einem Weg v auf Z . Wenn v Rim Punkte cR beginnt, ist ¡ γ(c) mit ¢ γ := P [u] sein Endpunkt. Daher ist exp( u ω) = exp( v df /f ) = f ◦ γ(c) /f (c) = k(γ) . 7.8.3 Ganzzahlige Residuen. Wenn die Fl¨ ache X einfach zusammenh¨ angt, ist jede Form ω ∈ E3 (X) mit ganzzahligen Residuen eine logarithmische Ableitung. Beweis. Wir modifizieren die Argumentation in 7.4.1. Die Menge Lω ⊂ M aller Keime, die lokal durch meromorphe Funktionen f mit df/f = ω repr¨asentiert werden, ist offen und abgeschlossen in M . Die Auswertungsfunktion e|Lω hat die logarithmische Ableitung d(e|Lω )/(e|Lω ) = (p∗ ω)|Lω . ¨ Die Beschr¨ankung der Projektion p : M → X ist eine unverzweigte Uberlagerung p : Lω → X . Denn wegen der ganzzahligen Residuen gibt es zu jedem a ∈ X eine Karte z : (U, a) → (E, 0) , so daß ω|U = ndz/z + dh mit n ∈ Z und h ∈ O(U ) gilt. Daher ist ω|U die logarithmische Ableitung von f = z n eh . Dann ist p−1 (U ) ∩ Lω die disjunkte Vereinigung der Basismengen (U, cf ) f¨ ur c ∈ C× .– Die Behauptung folgt nunmehr analog zu 7.4.1. ¤ ¨ Folgerungen. Sei ζ : Z → X eine universelle Uberlagerung und ω ∈ E3 (X) eine Form mit ganzzahligen Residuen. Es gibt eine Funktion f ∈ M(Z) mit der logarithmischen Ableitung df /f = ζ ∗ ω . (1) F¨ ur Rjede nullhomotope Schleife u auf X , die die Pole von ω meidet, gilt u ω ∈ 2πiZ . (2) Die Funktion f ist multiplikativ. R (3) Genau dann, wenn u ω ∈ 2πiZ f¨ ur alle Schleifen auf X gilt, die die Pole von ω meiden, ist ω = dh/h die logarithmische Ableitung einer Funktion h ∈ M(X) . Beweis R zu (1). RJede ζ-Liftung von u ist eine Schleife v auf Z . Daher ist ur jede Deckabbildung γ ∈ D(ζ) haben exp u ω = exp v ζ ∗ ω = 1 .– Zu (2). F¨ f ◦ γ und f dieselbe logarithmische Ableitung ζ ∗ ω . Daher ist (f ◦ γ)/f konstant 6= 0 .– Zu (3). Nach dem Satz in 7.8.2 ist f eine D(ζ)-invariante Funktion, also f = h ◦ ζ und dh/h = ω . ¤

7.9 Aufgaben

153

7.9 Aufgaben 1)

¨ Ubertrage die Ergebnisse u ¨ber die Ordnung (7.1.4) und u ¨ber die Liftung (7.1.6) von Differentialformen auf q-Differentialformen. Zeige: (a) Das Produkt ϕ · ω := {ϕα · ωα } einer q-Differentialform ϕ = {ϕα } mit einer r-Differentialform ω = {ωα } ist eine (q + r)-Differentialform mit dem Divisor (ϕ · ω) = (ϕ) + (ω). (b) Ein Divisor D ist genau dann der Null- und Polstellendivisor einer q-Differentialform, wenn es einen kanonischen Divisor K und einen Hauptdivisor H mit D = qK + H gibt.

2)

Sei X durch das irreduzible Polynom wn − f (y) ∈ M(Y )[w] definiert. Dr¨ ucke die Charakteristik χ(X) durch n, χ(Y ) und die Ordnungen von f aus. Sind die durch w3 − (z 2 + 1)2 (z 3 − 1) , wn + z n + 1 ∈ C(z)[w] definierten Fl¨ achen zusammenh¨ angend? Welche Charakteristiken haben sie ?

3)

Sei η : X → Y die durch w2 = (z − e1 ) · . . . · (z − e2g+1 ) definierte (hyper-) b vom Grade g − 1 ¨ elliptische Uberlagerung. Zeige: F¨ ur jeden Divisor D auf C ist die Liftung η ∗ D ein kanonischer Divisor. Hinweis: Berechne den kanonischen Divisor (dz/w) .

4)

Welche Fl¨ achen vom Geschlecht 3 besitzen einen Automorphis mus der Ordnung 8 ?

5)

Sei X die durch w2 = P (z) := (z − e1 ) · . . . · (z − e2g+1 ) definierte Fl¨ ache. (a) Sei (z0 , w0 ) ∈ C2 und w02 = P (z0 ) . Bestimme die Pole mit ihren Ordnungen und Residuen f¨ ur folgende Differentialform 1 w + w0 dz . ω= 2 z − z0 w (b) Sei A P ⊂ X eine endliche Teilmenge und r : A → C eine Funktion mit r(a) = 0 . Konstruiere eine Form dritter Gattung auf X , die an jeder Stelle a ∈ A einem Pol mit dem Residuum r(a) hat und sonst holomorph ist. Benutze dazu die in (a) angegebenen Formen ω f¨ ur verschiedene (z0 , w0 ) .

6)

Sei (a) (b) (c)

7)

F¨ ur welche Exponenten n , q sind die Differentialformen z n dz/wq auf der durch w4 − z 4 + 1 definierten Fl¨ ache holomorph? Wo liegen die Nullstellen dieser Formen? Welche Ordnungen haben sie?

8)

Finde eine holomorphe Differentialform ω auf einer kompakten Fl¨ ache X , deren Perioden dicht in C liegen.

sp die Spur der endlichen Abbildung η : X → Y . Finde eine Formel f¨ ur sp(η ∗ ϕ) . Untersuche ob ω 7→ sp ω injektiv oder surjektiv ist. Berechne sp ω f¨ ur η(z) = z n und ω = z q dz .

154

7. Differentialformen und Integration Anleitung : Auf der durch w2 = z(z 2 − 1)(z 2 + 1) definierten Fl¨ ache X R ist ω = dz/w holomorph. W¨ ahle eine Schleife u mit r := u ω 6= 0 . Mit ρ = eπi/4 wird durch h(z) = ρ2 z und h(w) = ρw ein Automorphismus h von X definiert. Die IntegralwerteZ ω = ρn r hn ◦u

geh¨ oren zu Per(ω) . Die Zahlen r, ρr und ρ2 r sind u ¨ber Q linear unabh¨ angig. Folgere, daß Per(ω) dicht in C liegt. 9)

Deute den Integranden in der Formel 2.4.1(1) f¨ ur die L¨ ange des Ellipsenbogens als Differentialform auf einem Torus. Zu welcher Gattung geh¨ ort diese Form? Ist der Ellipsenumfang eine Periode der Form?

10) Sei η : C → C/Ω eine Torus¨ uberlagerung. Zeige: F¨ ur die durch 2.3.4(1) definierte Funktion ζ gilt dζ = η ∗ ϕ mit ϕ ∈ E2 (C/Ω) . Folgere: Die in 7.7.4 definierte Abbildung Φ : E2 (X) → H 1 (X, C) ist f¨ ur X = C/Ω surjektiv. 11) Sei X die durch w2 = (z − e1 ) · . . . · (z − e5 ) bestimmte hyperelliptische Fl¨ ache. Zeige: F¨ ur jedes Polynom Q(z) vom Grade ≤ 3 ist Q(z)dz/w eine Form zweiter Gattung, welche f¨ ur Q 6= 0 keine Stammfunktion besitzt. Folgere mit Satz 7.7.4, daß die Cohomologie H 1 (X, C) mindestens 4-dimensional ist. Verallgemeinere von 5 auf beliebige ungerade Zahlen ≥ 3 . 12) Wie in Aufgabe 3.9.10 sei A ⊂ X eine lokal endliche Teilmenge der Fl¨ ache X , und sei u eine auf X nullhomotope Schleife, die A nicht trifft. Zeige: Den Punkten a ∈ A lassen sich ganze Zahlen n(u, a) so zuordnen, daß nur endlich viele n(u, a) 6= 0 sind und f¨ ur jede auf X \ A holomorphe Differentialform ω folgende Residuenformel gilt: Z X n(u, a) res(ω, a) . ω = 2πi u

a∈A

13) Beweise f¨ ur die Lambda-Funktion und die Halbperiodenwerte der ℘-Funktion, siehe Paragraph 5.4, µ ¶ 2−z πi ∗ λ dz . e1 dτ = 3 z(z − 1) Gewinne entsprechende Formeln f¨ ur e2 und e3 .

Anleitung. Wenn f dτ eine Γ2 -invariante Differentialform ist, gilt f dτ = λ∗ ϕ ˆ ∗ ϕ = (πiq)−1 fˆ(q)dq . f¨ ur eine Form ϕ auf C×× , ferner f (τ ) = fˆ(eπiτ ) und λ ∗ Wende dieses Ergebnis auf ek dτ = λ ϕk an. Benutze die Reihenentwicklungen ˆ 0) = 1 nach Satz 5.5.2 sowie e1 + e2 + e3 = 0 , um die Singula5.5.4(2), o(λ, rit¨ at und das Residuum von ϕk bei 0 zu bestimmen. Transformiere ek und ϕk gem¨ aß 5.4.3 und 5.4.7, um die Singularit¨ aten bei 1 und ∞ zu erfassen. 14) Bestimme f¨ ur die Diskriminante ∆ aus 2.2.5(3) die Funktion f∆ so, daß ∆ (dτ )6 = λ∗ (f∆ (dz)6 ) f¨ ur die 6-Differentialformen gilt. Gewinne entsprechende Ergebnisse f¨ ur die Gitterinvarianten g2 und g3 .

8. Divisoren und Abbildungen in projektive R¨ aume

Bei der Untersuchung kompakter Fl¨achen X spielen positive Divisoren und ihre Zusammenfassung zu Linearscharen eine bedeutende Rolle. Den Linearscharen entsprechen Abbildungen X → Pn in projektive R¨aume. Dadurch werden kompakte Riemannsche Fl¨achen zu komplex-projektiven Kurven, welche mit Methoden der projektiven Geometrie untersucht werden k¨onnen. Diese Vorgehensweise hat eine F¨ ulle von Ergebnissen hervorgebracht, siehe [ACGH]. Das vorliegende Kapitel ist nur eine Einf¨ uhrung. Es wird durch ein genaueres Studium des ebenen Falles (n = 2) im 9. Kapitel erg¨anzt.

8.1 Positive Divisoren Wir betrachten die additive Gruppe Div(X) aller Divisoren auf einer kompakten, zusammenh¨ angenden Riemannschen Fl¨ache X , vergleiche 1.6.4 , und interessieren uns vorwiegend f¨ ur positive Divisoren D , die durch D(x) ≥ 0 f¨ ur alle x ∈ X definiert sind. Wir schreiben f¨ ur zwei Divisoren D ≥ E , wenn D − E positiv ist. Jeder Divisor D ist die Differenz D = D0 − D∞ zweier positiver Divisoren, n¨amlich D0 (x) := max {0, D(x)} und D∞ (x) := −min {0, D(x)} Bei einer Funktion f ∈ M(X)\{0} mit dem Hauptdivisor (f ) = (f )0 −(f )∞ heißt (f )0 der Null - und (f )∞ der Polstellendivisor. Ihr Grad gr(f )0 = b , siehe 1.6.2(3). gr(f )∞ = grf ist der Grad der Abbildung f : X → C

¨ 8.1.1 Lineare Aquivalenz. In Div(X) bilden die Hauptdivisoren (f ) wegen (f /g) = (f ) − (g) eine Untergruppe. Die Restklassen bez¨ uglich dieser Untergruppe heißen Divisorklassen. Beispielsweise bilden alle kanonischen Divisoren eine Klasse, welche kanonische Divisorklasse genannt wird. Zwei Divisoren heißen linear a ¨quivalent, wenn sie zur selben Divisorklasse geh¨oren; sie haben dann denselben Grad. Die Menge aller positiven Divisoren, die zum Divisor D linear ¨aquivalent sind, wird mit |D| bezeichnet. Im Falle gr D < 0 ist |D| = ∅ . Zur Beschreibung von |D| bildet man den komplexen Vektorraum (1) L(D) := {f ∈ M(X) : f = 0 oder D + (f ) ≥ 0} . Dann ist

156

8. Divisoren und Abbildungen in projektive R¨ aume

(2) |D| = {D + (f ) : f ∈ L(D) \ {0}} . Der Raum L(D) ist stets endlich dimensional, siehe 8.1.2. Wir nennen (3) l(D) := dim L(D) ¨ die Dimension des Divisors D . Aquivalente Divisoren haben dieselbe Dimension, da D − E = (h) den Isomorphismus (4) L(D) → L(E) , f 7→ h · f , bestimmt.– Bei jedem positiven Divisor D geh¨oren alle konstanten Funktionen zu L(D) , kurz: C ⊂ L(D) . Daher ist l(D) ≥ 1 . ¨ Sei η : X → Y eine Uberlagerung. F¨ ur jeden Divisor D ∈ Div(Y ) ist der Untervektorraum {f ◦η : f ∈ L(D)} ⊂ L(η ∗D) zu L(D) isomorph. Daher gilt (5) l(η ∗D) ≥ l(D) f¨ ur die Dimension gelifteter Divisoren. ¤

b sind wegen 1.6.5 (2) Divisoren gleichen Grades stets linear ¨aquivalent. Auf C Insbesondere sind alle Divisoren vom Grade −2 kanonisch. F¨ ur n ≥ 0 ist L(n · ∞) der Vektorraum aller Polynome vom Grade ≤ n . Daher gilt b. (6) l(D) = max {0, 1 + gr D} f¨ ur Divisoren D auf C ¤

Satz. Genau dann, wenn auf X ein Divisor D mit gr D ≤ d und l(D) ≥ 2 b vom Grade ≤ d . ¨ existiert, gibt es eine Uberlagerung η:X→C Beweis. Man darf D ≥ 0 annehmen. Die Bedingung l(D) ≥ 2 ist zur Existenz einer Funktion η ∈ L(D) \ C ¨aquivalent. F¨ ur sie gilt gr η = gr(η)∞ ≤ b eine Uberlagerung ¨ gr D ≤ d . Umgekehrt sei η : X → C vom Grade r ≤ d . Ihr Polstellendivisor D hat den Grad r . Wegen η ∈ L(D) \ C ist l(D) ≥ 2 .

8.1.2 Die Endlichkeit der Dimension l(D) beruht auf folgendem Lemma. Seien D, P ∈ Div(X) und P ≥ 0 . Dann ist L(D) ⊂ L(D + P ) ein Untervektorraum. Es gilt die Absch¨ atzung (1) l(D) ≤ l(D + P ) ≤ l(D) + gr P . Beweis durch Induktion u ¨ber gr P . F¨ ur den Induktionsschritt gen¨ ugt es, einen Punktdivisor P zu betrachten. Dann ist L(D) = {f ∈ L(D + P ) : o(f, P ) ≥ −D(P )} . Da f¨ ur alle f ∈ L(D + P ) ohnehin o(f, P ) ≥ −D(P ) − 1 gilt, existiert im Falle L(D) 6= L(D + P ) ein g ∈ L(D) mit o(g, P ) = −D(P ) − 1 . Zu jedem f ∈ L(D + P ) gibt es dann ein c ∈ C mit o(h − cg, P ) ≥ −D(P ) , also h − cg ∈ L(D) . Dann ist L(D + P ) = L(D) + C · g . ¤ Endlichkeitssatz. F¨ ur jeden Divisor D ∈ Div(X) ist l(D) endlich: Aus gr D < 0 folgt l(D) = 0 . F¨ ur Divisoren D vom Grade 0 ist l(D) = 1 oder = 0 je nachdem, ob D ein Hauptdivisor ist oder nicht. Aus gr D ≥ 1 folgt b isomorph, sobald es ein D ∈ Div(X) l(D) ≤ 1+gr D . Die Fl¨ ache X ist zu C mit l(D) = 1 + gr D ≥ 2 gibt. Beweis. Aus gr D < 0 folgt |D| = ∅ , also l(D) = 0 .– Sei gr D = 0 . Aus D = (f ) folgt 1/f ∈ L(D) , also l(D) > 0 . Umgekehrt folgt aus l(D) > 0 , daß D = (1/h) f¨ ur alle h ∈ L(D) \ {0} gilt. In diesem Falle ist l(D) = 1 . Denn je zwei Funktionen g, h ∈ L(D) \ {0} sind linear abh¨angig,

8.1 Positive Divisoren

157

da (g/h) = 0 , also g/h ∈ C× ist.– Wenn gr D > 0 ist, zerlegt man D = D0 + P , so daß gr D0 = 0 und P ≥ 0 ist. Aus dem Lemma folgt l(D) ≤ l(D0 ) + gr P ≤ 1 + gr D .– Im Falle l(D) = 1 + gr D ≥ 2 zerlegt man D = D1 + P , so daß gr D1 = 1 und P ≥ 0 ist. Wegen des Lemmas ist l(D1 ) + grP ≥ l(D) = 1 + gr D = 2 + grP , also l(D1 ) ≥ 2 . Nach Satz 8.1.1 b. gibt es einen Isomorphismus X ≈ C ¤

8.1.3 Die Charakteristik eines Divisors. Analog zu 8.1.1(1) bilden wir mit den Differentialformen ω anstelle der Funktionen zu jedem Divisor D den komplexen Vektorraum (1) L1 (D) = {ω ∈ E(X) : ω = 0 oder D + (ω) ≥ 0} . Jeder kanonische Divisor K = (ω) bestimmt den Isomorphismus (2) L(K + D) → L1 (D) , f 7→ f · ω . ¤ Wir definieren den Index i und die Charakteristik ch durch (3) i(D) := dim L1 (−D) = l(K − D) und ch(D) := l(D) − i(D) . Dann ist (4) ch(D) + ch(K − D) = 0 . ¤ Satz. F¨ ur jeden Divisor D und jeden positiven Divisor P gilt (5) ch(D + P ) ≤ ch(D) + gr P .

Beweis. Nach Lemma 8.1.2 ist l(D + P ) ≤ l(D) + gr P . Das entsprechende Ergebnis gilt f¨ ur K−D statt D . Wir beweisen (5) durch Induktion u ¨ber gr P und m¨ ussen f¨ ur den Induktionsschritt nur einen Punktdivisor P betrachten. Entweder gilt(5), oder wegen Lemma 8.1.2 ist l(D + P ) = l(D) + 1 und i(D) = i(D + P ) + 1 . Der zweite Fall ist unm¨oglich: Es g¨abe eine Funktion f ∈ L(D + P ) \ L(D) und eine Form ω ∈ L1 (−D) \ L1 (−D − P ) . Dann w¨are f ω bis auf einen einfachen Pol bei P holomorph und h¨atte daher im Widerspruch zu 7.3.6 eine Residuensumme 6= 0 . ¤ Die n¨achsten Abschnitte 8.1.4-5 enthalten Erg¨anzungen zu 8.1.2, welche erst im 13. Kapitel und sp¨ater eine Rolle spielen. 8.1.4 Dimensionsverminderung. Das Lemma in 8.1.2 l¨aßt sich mit E := D + P umformulieren: (1) l(E − P ) ≥ l(E) − gr P . Die extreme Dimensionsverminderung l(E − P ) = l(E) − gr P tritt fast immer ein. Um dies zu pr¨azisieren, machen wir die Menge Xn aller positiven Divisoren vom Grade n zu einem topologischen Raum: Die Abbildung p : X n := X × . . . × X → Xn , p(P1 , . . . , Pn ) := P1 + . . . + Pn , ist surjektiv. Wir versehen Xn mit der entsprechenden Quotiententopologie und nennen Xn das n-fache symmetrische Produkt der Fl¨ache X . Die Addition Xr × Xs → Xr+s , (A, B) 7→ A + B , ist stetig. Satz. F¨ ur jeden Divisor E und jede nat¨ urliche Zahl n > 0 liegen die positiven Divisoren P mit l(E − P ) = max{0 , l(E) − n} dicht in Xn .

158

8. Divisoren und Abbildungen in projektive R¨ aume

Wir beweisen die ¨aquivalente Aussage (∗) durch Induktion u ¨ber n : (∗) Seien U1 , . . . , Un nicht-leere, offene Mengen in X . Es gibt Punkte Pj ∈ Uj , so daß l(E − P1 − . . . − Pn ) = max{0 , l(E) − n} ist. F¨ ur den Induktionsschritt gen¨ ugt es, (∗) f¨ ur n = 1 und l(E) > 0 zu beweisen. Man w¨ahlt ein f ∈ L(E) \ {0} . Angenommen, f¨ ur Q ∈ X gilt l(E − Q) = l(E) , also L(E − Q) =¡L(E) . Dann ist f ∈ L(E − Q) , somit E + (f )0 ≥ ¢ (f )∞ + Q , also Q ∈ Tr E + (f )0 . Daher gilt l(E − P ) = l(E) − 1 f¨ ur alle P ∈ X außerhalb des endlichen Tr¨agers von E + (f )0 . ¤ 8.1.5 Freiheitsgrade. Seien 0 ≤ s ≤ n nat¨ urliche Zahlen, sei D ein Divisor vom Grade n , sei U ⊂ Xs offen und 6= ∅ . Dann sind (1) und (2) a ¨quivalent: (1) l(D) ≥ s + 1. (2) Zu jedem A ∈ U gibt es ein B ∈ Xn−s mit A + B ∈ |D| . Beweis. (1) ⇒ (2). Nach 8.1.4 ist l(D − A) ≥ l(D) − s ≥ 1 . Daher gibt es einen positiven Divisor B , welcher zu D − A linear ¨aquivalent ist. (2) ⇒ (1). Die Annahme r := l(D) ≤ s wird zum Widerspruch gef¨ uhrt: Es gibt ein Paar (S, T ) ∈ Xs−r × Xr mit S + T ∈ U . Wegen der Stetigkeit der Addition gibt es eine Umgebung V von T in Xr mit S + V ⊂ U . Nach Satz 8.1.4 existiert ein C ∈ V mit l(D − C) = 0 . Nach (2), angewendet auf A = S + C , gibt es ein B ∈ Xn−s mit S + C + B ∈ |D| . Daher sind D − C und S + B linear ¨aquivalent, insbesondere l(S + B) = l(D − C) = 0 . Da S und B positiv sind, ist aber l(S + B) ≥ 1 . ¤ Wenn (1) und (2) gelten, sagt man: |D| hat mindestens s Freiheitsgrade.

8.2 Holomorphe Differentialformen Wie in 8.1 werden nur kompakte Fl¨ achen X betrachtet. Bei ihnen spielt der C-Vektorraum E1 (X) aller holomorphen Differentialformen eine wichtige Rolle. Denn mittels E1 (X) werden in 8.3 kanonische Abbildungen von X in projektive R¨aume gewonnen, und E1 (X) ist im 14. Kapitel ein Grundstein f¨ ur die Konstruktion des Jacobischen Periodentorus J(X) .– Wir benutzen den in 8.1.3 bewiesenen Satz, um dim E1 (X) durch die analytische Charakteristik abzusch¨atzen und berechnen E1 (X) f¨ ur spezielle Fl¨achen X . 8.2.1 Das analytische Geschlecht. F¨ ur jeden kanonischen Divisor K gilt L1 (0) = E1 (X) ∼ = L(K) , siehe 8.1.3(1)-(2) . Man nennt (1) gan (X) := dim E1 (X) = l(K) das analytische Geschlecht von X . b gibt es keine holomorphen Formen 6= 0 , also ist gan (C) b = 0. Auf C Auf jedem Torus T gibt es eine Form ω ohne Null- und Polstellen. F¨ ur jedes ϕ ∈ E1 (T ) ist ϕ/ω ∈ O(T ) = C . Daher ist gan (T ) = 1 .

8.2 Holomorphe Differentialformen

159

Im allgemeinen besteht zwischen g := gan (X) und der analytischen Charakteristik χ := χ(X) folgende Ungleichung: Satz. Wenn g ≥ 1 ist, gilt 2g − 2 ≤ −χ , insbesondere χ ≤ 0. Beweis. Wegen g ≥ 1 gibt es eine holomorphe Form 6= 0 , also einen positiven kanonischen Divisor K . Die Behauptung folgt aus 8.1.3(5), angewendet auf D = 0 und P = K . ¤ Die Gleichung 2g−2 = −χ gilt f¨ ur die Zahlenkugel und alle Tori. Wir werden sie in den n¨achsten Abschnitten f¨ ur weitere Fl¨achen best¨atigen. In der Tat gilt sie f¨ ur alle kompakten Fl¨achen: In 12.4.1 wird χ = 2 − 2gtop f¨ ur das topologische Geschlecht gtop bewiesen. Die Gleichung gtop = gan ist der Spezialfall D = 0 der Formel von Riemann und Roch f¨ ur beliebige Divisoren D und kanonische Divisoren K : (RR) l(D) − l(K − D) = grD − gtop + 1 . Der Beweis von (RR) wird nach umfangreichen Vorarbeiten in 13.1.5 erreicht. 8.2.2 Holomorphe Formen auf hyperelliptischen Fl¨ achen. F¨ ur paarweise verschiedene e1 , . . . , e2m+1 ∈ C definiert das Polynom w2 − (z − e1 ) · . . . · (z − e2m+1 ) eine hyperelliptische Fl¨ache X . Mit der bei Abelschen Integralen u ¨blichen Schreibweise, siehe 7.4.6 , gilt ¾ ½ P (z) dz : P (z) ∈ C[z] , grP ≤ m − 1 , gan (X) = m . (1) E1 (X) = w

Beweis zu (1). Im Riemannschen Gebilde (X, η, f ) des Polynoms besteht η −1 (∞) aus einem Punkt a2m+2 . Aus den in 6.4.2(3) angegebenen Windungszahlen und Ordnungen folgt: Die Form dη/f ist bis auf eine (2m − 2)fache Nullstelle bei a2m+2 null- und polstellenfrei. F¨ ur jedes Polynom P (z) vom Grade r gilt o(P ◦ η, a2m+2 ) = −2r . An allen anderen Stellen ist P ◦ η ¡ ¢ holomorph. Daher sind die Formen (P ◦ η)/f dη f¨ ur grP ≤ m − 1 holomorph. Sie bilden einen m-dimensionalen Untervektorraum von E1 (X) . Andererseits folgt aus Satz 8.2.1 dim E1 (X) ≤ m , weil X nach 7.1.5(2) die analytische Charakteristik χ = 2 − 2m hat. ¤ 8.2.3 Holomorphe Formen auf der Kleinschen Fl¨ ache. Sei X die durch w7 − z 2 (z − 1) definierte Kleinsche Fl¨ ache. Die drei Formen (1) dz/w3 , z dz/w5 , z dz/w6 bilden eine Basis von E1 (X) , also ist gan (X) = 3.

Beweis. Die Windungszahlen von η und die Ordnungen von f im Riemannschen Gebilde (X, η, f ) sind im Satz 6.4.4 zusammengestellt. Man entnimmt ihnen, daß die angegebenen Formen holomorph sind. Offenbar sind sie linear unabh¨angig. Wegen χ(X) = −4 folgt dim E1 (X) ≤ 3 aus Satz 8.2.1. ¤

160

8. Divisoren und Abbildungen in projektive R¨ aume

8.3 Abbildungen in projektive R¨ aume b wird auf Die Kompaktifizierung der Zahlenebene C zur Zahlenkugel C h¨ohere Dimensionen verallgemeinert: Wir definieren die komplex projektiven R¨aume Pn als komplex n-dimensionale Mannigfaltigkeiten und betten Cn in Pn ein.– F¨ ur Riemannsche Fl¨achen X verallgemeinern wir die meromorphen b = P1 zu holomorphen Abbildungen X → Pn . Funktionen X → C 8.3.1 Projektive R¨ aume. Jeder endlich-dimensionale komplexe Vektorraum V ist zugleich ein Hausdorffraum. Seine Topologie ist dadurch charakterisiert, daß jeder Vektorraum-Isomorphismus V ∼ = Cn ein Hom¨oomorphismus ist. Wir setzen dim V ≥ 1 voraus und nennen die Menge P(V ) aller 1-dimensionalen Untervektorr¨aume den projektiven Raum zu V . Jeder Vektor v ∈ V \{0} spannt den 1-dimensionalen Untervektorraum [v] := C v auf. Wir versehen P(V ) mit der Quotiententopologie bez¨ uglich p : V \ {0} → P(V ) , p(v) = [v] . Wir schreiben Pn := P(Cn+1 ) . Jeder Isomorphismus F : V → Cn+1 der Vektorr¨aume bestimmt den Hom¨oomorphismus P(V ) → Pn , [v] 7→ [F (v)] . Man nennt P1 die projektive Gerade und P2 die projektive Ebene. Die Einbettung W ֒→ V jedes Untervektorraums W 6= 0 induziert die Einbettung P(W ) ֒→ P(V ) . Die abgeschlossene Teilmenge P(W ) ⊂ P(V ) heißt projektiver Unterraum. Wenn W die Codimension 1 hat, also der Kern einer Linearform L : V → C ist, nennt man P(W ) eine projektive Hyperebene. Man sagt auch: P(W ) wird durch L = 0 definiert, und schreibt P(W ) =: N (L) . F¨ ur diesen Fall gilt: Jedes a ∈ V \ W bestimmt den Hom¨oomorphismus ¡ ¢ (1) α : W → P(V )\N (L) , w 7→ [a + w] , mit α−1 ([v]) = L(a)/L(v) v − a . Insbesondere ist P(V ) \ N (L) wie W hausdorffsch. Daraus folgt: (2) Der projektive Raum P(V ) ist hausdorffsch. Beweis. Zu zwei Punkten [v], [v ′ ] ∈ P(V ) gibt es eine Linearform L mit L(v) 6= 0 6= L(v ′ ) , also [v], [v ′ ] ∈ P(V ) \ N (L). ¤ Wenn man V mit einer hermiteschen Norm versieht, ist die Einheitssph¨are S ⊂ V kompakt und zusammenh¨angend. Aus p(S) = P(V ) folgt: (3) Der projektive Raum P(V ) ist kompakt und zusammenh¨ angend. ¤ 8.3.2 Homogene Koordinaten. Atlas. Die Komponenten des Vektors z = (z0 , z1 , . . . , zn ) ∈ Cn+1 \ {0} heißen homogene Koordinaten des Punktes [z] ∈ Pn . Man schreibt [z] = (z0 : z1 : . . . : zn ) . Offenbar gilt (z0 : z1 : . . . : zn ) = (w0 : w1 : . . . : wn ) genau dann, wenn es ein u ∈ C× mit wj = uzj f¨ ur alle j gibt. Die Komplemente Uj := Pn \ Θj der Hyperebenen Θj := N (zj ) sind offen und u ¨berdecken f¨ ur j = 0, . . . , n den Pn . Jede Abbildung n αj : C → Uj , (z1 , . . . , zn ) 7→ (z1 : . . . : zj−1 : 1 : zj : . . . : zn )

8.3 Abbildungen in projektive R¨ aume

161

ist ein Hom¨oomorphismus. Die Umkehrabbildung hj := αj−1 ist eine topologische Karte des Pn : Uj → Cn , (z0 : . . . : zn ) 7→ (z0 /zj : . . . : zj−1 /zj , zj+1 /zj , . . . , zn /zj ) . Diese Karten bilden den holomorphen Atlas {(Uj , hj ) : j = 0, . . . , n} , der Pn zu einer komplexen Mannigfaltigkeit der Dimension n macht. F¨ ur n = 1 l¨aßt sich die Karte h0 : U0 → C durch h0 (0 : 1) := ∞ zu einer b fortsetzen. Durch sie wird die projektive biholomorphen Abbildung P1 → C 1 b Gerade P mit der Zahlenkugel C identifiziert.

8.3.3 Projektive Automorphismen. Jede Matrix A ∈ GLn+1 (C) bestimmt den projektiven Automorphismus Aˆ : Pn → Pn , [z] 7→ [A · z] . Dabei ist z beim Matrizenprodukt A · z ein Spaltenvektor. Projektive Automorphismen sind biholomorph. Sie bilden die Gruppe Aut(Pn ) . Die projektiven b sind die M¨obius-Transformationen. Automorphismen von P1 = C Wir nennen zwei Abbildungen ϕ, ψ : M → Pn einer Menge M projektiv a ¨quivalent, wenn ψ = Φ ◦ ϕ f¨ ur einen projektiven Automorphismus Φ gilt. Wir interessieren uns f¨ ur die projektiven Eigenschaften von ϕ ; das sind solche, die sich von ϕ auf alle projektiv ¨aquivalenten ψ vererben. 8.3.4 Abbildungen Riemannscher Fl¨ achen in den Pn . Eine Abbildung n ψ : X → P der Fl¨ache X ist genau dann holomorph, wenn es um jeden Punkt in X eine Scheibe U und Funktionen ϕj ∈ O(U ) ohne gemeinsame Nullstellen gibt, so daß f¨ ur alle ¡x ∈ U gilt: ¢ ϕ(x) = ϕ0 (x) : . . . : ϕn (x) . Wir nennen ϕ|U = (ϕ0 : . . . : ϕn ) eine gute (lokale) Darstellung. Zu jeder anderen guten Darstellung ϕ|U ∗ = (ϕ∗0 : . . . : ϕ∗n ) gibt es eine nullstellenfreie Funktion λ ∈ O(U ∩ U ∗ ) mit ϕ∗j = λ · ϕj f¨ ur j = 0, 1, . . . , n . n Die Abbildung ϕ : X → P der zusammenh¨angenden Fl¨ache X heißt nichtentartet, wenn es keine Hyperebene Θ mit ϕ(X) ⊂ Θ gibt. Dann ist ϕ−1 (Θ) ⊂ X f¨ ur jede Hyperebene Θ lokal endlich. Denn sei Θ = N (L) . Jeder Punkt in X liegt in einer Scheibe U mit einer guten Darstellung ϕ|U = (ϕ0 : . . . : ϕn ) . Dann hat L(ϕ0 , . . . , ϕn ) ∈ O(U ) die Nullstellenmenge U ∩ ϕ−1 (Θ) . Somit ist ϕ−1 (Θ) ⊂ X analytisch, und die Behauptung folgt mit Satz 1.3.4. ¤ Auf der zusammenh¨angenden Fl¨ache X seien n+1 meromorphe Funktionen f0 , . . . , fn gegeben, die nicht alle konstant = 0 sind. Wir nennen a ∈ X einen Ausnahmepunkt, wenn a gemeinsame Nullstelle aller fj oder Pol von mindestens einem fk ist. Die Ausnahmepunkte bilden eine lokal endliche Teilmenge A ⊂ X . ¡ ¢ Satz. Die Abbildung X \ A → Pn , x 7→ f0 (x) : . . . : fn (x) , l¨ aßt sich in eindeutiger Weise zu einer holomorphen Abbildung ϕ : X → Pn fortsetzen, welche mit ϕ =: (f0 : · · · : fn ) bezeichnet wird.

162

8. Divisoren und Abbildungen in projektive R¨ aume

Beweis. Zu jedem a ∈ A gibt es eine Karte z : (U, a) → (E, 0) , so daß U ∩ A = {a} ist. Mit d := min{o(fj , a)} erh¨alt man die gute Darstellung (z −d f0 : . . . : z −d fn ) f¨ ur die Fortsetzung von ϕ auf U . ¤ Wir ben¨otigen drei Erg¨anzungen. (1) Zwei holomorphe Abbildungen (f0 : . . . : fn ) , (g0 : . . . : gn ) : X → Pn sind genau dann gleich, wenn es eine Funktion λ ∈ M(X) gibt, so daß gj = λfj f¨ ur alle j gilt. ¤ n (2) Die Abbildung (f0 : . . . : fn ) : X → P ist genau dann nicht-entartet, wenn f0 , . . . , fn ∈ M(X) u ¨ber C linear unabh¨ angig sind. ¤ n (3) Sei ϕ : X → P holomorph, und sei ϕ(X) 6⊂ Θ0 := N (z0 ) . Dann gibt es eindeutig bestimmte Funktionen fj ∈ M(X) mit ϕ = (1 : f1 : . . . : fn ) . Beweis zu (3). Seien ϕ|U = (ϕ0 : ϕ1 : . . . : ϕn ) , ϕ|U ∗ = (ϕ∗0 : ϕ∗1 : . . . : ϕ∗n ) gute Darstellungen. F¨ ur jedes j ist ϕj /ϕ0 = ϕ∗j /ϕ∗0 ∈ M(U ∩ U ∗ ) . Folglich setzen sich die auf den Scheiben U definierten Quotienten ϕj /ϕ0 zu einer Funktion fj ∈ M(X) zusammen, so daß ϕ = (1 : f1 : . . . : fn ) ist. Die Eindeutigkeit folgt aus (1). ¤

Beispiele. b → Pn heißt rationale (4) Die Abbildung ρ := ρn := (1 : z : z 2 : . . . : z n ) : C Raumkurve vom Grade n. (5) Die Weierstraßsche ℘-Funktion zum Gitter Ω und ihre Ableitung ℘′ bestimmen die Abildung ϕ = (1 : ℘ˆ : ℘ˆ′ ) : C/Ω → P2 des Torus. Die Abbildungen (4) und (5) sind holomorph, nicht-entartet und injektiv, b auf ρn (C) b ⊂ Pn also wegen der Kompaktheit Hom¨oomorphismen von C 2 bzw. von C/Ω auf ϕ(C/Ω) ⊂ P . 8.3.5 Kanonische Abbildungen. Sei X eine kompakte, zusammenh¨angende Fl¨ache vom Geschlecht g ≥ 2. Zu jeder Basis ω0 , ω1 , . . . , ωg−1 von E1 (X) bildet man mit fj = ωj /ω0 ∈ M(X) die kanonische Abbildung κ := (ω0 : ω1 : . . . : ωg−1 ) := (1 : f1 : . . . : fg−1 ) : X → Pg−1 . Sie ist nicht-entartet. Wenn man eine andere Basis w¨ahlt, erh¨alt man die zu κ projektiv ¨aquivalente Abbildung Φ ◦ κ , wobei Φ ∈ Aut(Pg−1 ) durch den Basiswechsel bestimmt ist. Umgekehrt sind mit κ alle projektiv ¨aquivalenten Abbildungen Φ ◦ κ ebenfalls kanonisch. F¨ ur jeden Automorphismus α von X ist die Abbildung κ ◦ α = (α∗ ω0 : . . . : α∗ ωg−1 ) kanonisch und daher zu κ projektiv ¨aquivalent; siehe auch das Lemma in 13.3.1. b eine zweibl¨ ¨ Satz. Sei η : X → C attrige Uberlagerung, die u ¨ber ∞ verzweigt. b Mit der rationalen Raumkurve ρ : C → Pg−1 entsteht die kanonische Abbildung ρ ◦ η : X → Pg−1 . Sie ist nicht injektiv.

Beweis. Man erg¨anzt zum Riemannschen Gebilde (X, η, f ) mit dem Minimalpolynom w2 − (z − e1 ) · . . . · (z − e2g+1 ) , siehe 6.4.3. Nach 8.2.2 ist {η k dη/f : k = 0, . . . , g − 1} eine Basis von E1 (X) . Sie bestimmt die kanonische Abbildung (1 : η : . . . : η g−1 ) = ρ ◦ η . ¤

8.4 Schnittdivisoren und Linearscharen

163

Beispiel. Die Kleinsche Fl¨ ache ist durch das Polynom w7 −z 2 (z −1) definiert und besitzt die Basis zdz/w6 , zdz/w5 und dz/w3 von E1 (X) , siehe 8.2.3. Die entsprechende kanonische Abbildung ist injektiv, (1) κ = (zw−6 : zw−5 : w−3 ) = (z : zw : w3 ) : X → P2 . Folgerung. Die Kleinsche Fl¨ ache ist nicht hyperelliptisch. ¤ ¨ 8.3.6 Hyperelliptische Uberlagerungen. (1) Zu je zwei hyperelliptischen b b mit ϕ = γ ◦ η . ¨ Uberlagerungen η, ϕ : X → C gibt es genau ein γ ∈ Aut(C) Beweis. Durch zwei M¨obius-Transformationen α und β erreicht man, daß α◦η und β ◦ϕ u ¨ber ∞ verzweigen. Nach Satz 8.3.5 sind ρ◦α◦η und ρ◦β ◦ϕ kanonische Abbildungen und daher projektiv ¨aquivalent: Mit Φ ∈ Aut(Pg−1 ) gilt ρ ◦ β ◦ ϕ = Φ ◦ ρ ◦ α ◦ η . Weil Φ, ρ, α, β injektiv sind, haben η und ϕ dieselben Fasern. Die Behauptung folgt mit Satz 1.3.8. ¤ b ¨ Nach (1) haben alle hyperelliptischen Uberlagerungen X → C dieselbe Deckgruppe D < Aut(X) der Ordnung 2 . Ihr nicht triviales Element σ heißt hyperelliptische Involution. Die Fixpunkte von σ sind die 2g + 2 Winb. ¨ dungspunkte jeder hyperelliptischen Uberlagerung X→C (2) Die Involution σ liegt im Zentrum von Aut(X) .– Jedes Element in Aut(X) \ D hat h¨ ochstens vier Fixpunkte. b hyperelliptisch. F¨ Beweis. Sei η : X → C ur jedes α ∈ Aut(X) gilt id −1 6= α ◦ σ ◦ α ∈ D(η ◦ α) = D , also α−1 ◦ σ ◦ α = σ .– Nach (1) gibt es ein b mit η ◦ α = γ ◦ η . Wenn α mindestens 5 Fixpunkte besitzt, γ ∈ Aut(C) haben diese mindestens 3 verschiedene η-Bilder. Sie sind Fixpunkte von γ . Daher ist γ = id und somit α ∈ D . ¤ Aufgabe 6.7.10 enth¨alt Beispiele zu (2).

8.4 Schnittdivisoren und Linearscharen Wir betrachten nicht-entartete holomorphe Abbildungen ϕ : X → Pn kompakter, zusammenh¨angender Fl¨achen und definieren zu jeder Hyperebene Θ ⊂ Pn einen positiven Schnittdivisor (Θ)ϕ auf X . Diese Divisoren bilden die Schnittschar S(ϕ) . Wir ordnen Schnittscharen in die Theorie der Linearscharen ein. 8.4.1 Schnittzahlen und -divisoren. Die Schnittzahl von ϕ mit Θ an der Stelle x ∈ X wird folgendermaßen definiert: Man w¨ahlt eine Linearform L(z0 , . . . , zn ) := a0 z0 + . . . + an zn , so daß Θ := N (L) ist, sowie eine gute Darstellung ϕ|U = (ϕ0 : . . . : ϕn )¡auf einer Scheibe¢ U mit x ∈ U und nennt (1) (Θ)ϕ (x) := o L(ϕ0 , . . . , ϕn ), x ∈ N die Schnittzahl . Sie h¨angt nur von Θ, ϕ und x ab. Die Abbildung (Θ)ϕ : X → N, x 7→ (Θ)ϕ (x),

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8. Divisoren und Abbildungen in projektive R¨ aume

ist ein positiver Divisor mit dem Tr¨ager ϕ−1 (Θ) . Sie heißt Schnittdivisor von ϕ mit Θ . F¨ ur α ∈ Aut(X) gilt (Θ)ϕ◦α = (Θ)ϕ ◦ α . Sei ϕ = (f0 : . . . : fn ) mit fj ∈ M(X) . F¨ ur zwei Hyperebenen Θ0 und Θ1 mit den Gleichungen L0 = 0 bzw. L1 = 0 gilt (2) (Θ1 )ϕ = (Θ0 )ϕ + (f ) mit f := L1 (f0 , . . . , fn )/L0 (f0 , . . . , fn ) . ¤ Insbesondere sind alle Schnittdivisoren zu ϕ linear ¨aquivalent und haben daher denselben Grad. Er wird mit gr ϕ bezeichnet und Grad von ϕ genannt. (3) Aus (Θ1 )ϕ = (Θ0 )ϕ folgt Θ1 = Θ0 . Denn in (2) ist f eine Konstante c 6= 0 , also (L0 − cL1 )(f0 , . . . , fn ) = 0 , somit L0 = cL1 , weil ϕ nicht-entartet ist. ¤ Beispiel. Sei X die Kleinsche Fl¨ache mit η, f ∈ M(X) wie in 6.4.4 und der kanonischen Abbildung κ = (η : η f : f 3 ) gem¨aß 8.3.5(1). Die angegebene Darstellung von κ ist an allen Stellen 6= a0 , 6= a∞ gut. Gute Darstellungen bei a0 und a∞ lauten (η f −3 : η f −2 : 1) bzw. (f −1 : 1 : f 2 η −1 ) . Mit den in 6.4.4 angegebenen Ordnungen erh¨alt man f¨ ur Θ := N (z0 ) die Schnittzahlen (Θ)ϕ (x) = 0 f¨ ur x 6= a0 , 6= a∞ und (Θ)ϕ (a0 ) = 1, (Θ)ϕ (a∞ ) = 3 , also gr κ = 4 . 8.4.2 Die Schnittschar S(ϕ) ist die Menge aller Schnittdivisoren von ϕ . b die Beispielsweise bilden alle positiven Divisoren vom Grade n auf C n b Schnittschar S(ρn ) der rationalen Raumkurve ρn : C → P . Sei ϕ = (f0 : f1 : . . . : fn ) mit fj ∈ M(X) und f0 = 1 . Da ϕ nicht-entartet ist, spannen f0 , . . . , fn einen (n + 1)-dimensionalen komplexen Untervektorraum V ⊂ M(X) auf. Sei Θ0 = N (z0 ) . Nach 8.4.1(2) gilt P P (1) (Θ)ϕ = (Θ0 )ϕ + ( aj fj ) f¨ ur Θ = N ( aj zj ) und (2) S(ϕ) = {(Θ0 )ϕ + (f ) : f ∈ V \ {0}} . Satz. Zwei nicht-entartete, holomorphe Abbildungen ϕ, ψ : X → Pn sind genau dann projektiv a ¨quivalent, wenn sie dieselbe Schnittschar besitzen. Beweis. F¨ ur jeden Automorphismus Φ von Pn und jede Hyperebene Θ ⊂ Pn gilt (Φ(Θ))Φ◦ϕ = (Θ)ϕ . Daher haben ϕ und Φ ◦ ϕ dieselbe Schnittschar. Umgekehrt seien ϕ = (1 : f1 : . . . : fn ) und ψ = (1 : g1 : . . . : gn ) zwei Abbildungen X → Pn mit gleicher Schnittschar. F¨ ur die von 1 = f0 , f1 , . . . , fn und 1 = g0 , g1 , . . . , gn aufgespannten C-Untervektorr¨aume V bzw. W von M(X) gilt also {(Θ0 )ϕ + (f ) : f ∈ V \ {0}} = {(Θ0 )ψ + (g) : g ∈ W \ {0}} . Es gibt ein h ∈ V mit (Θ0 )ψ = (Θ0 )ϕ + (h). Dann ist W → V , g 7→ hg , ein Isomorphismus. Folglich ist hg0 , . . . , hgn eine Basis P von V , und es gibt eine Matrix A = (ajk ) ∈ GLn+1 (C) , so daß hgj = k ajk fk ist. Daher sind ψ = (hg0 : . . . : hgn ) und ϕ = (f0 : . . . : fn ) projektiv ¨aquivalent. ¤ Folgerung. F¨ ur jede M¨ obius-Transformation α sind die rationale Raumkurve ρn und ρn ◦ α projektiv a ¨quivalent. ¤

8.4 Schnittdivisoren und Linearscharen

165

8.4.3 Linearscharen. Wie in 8.1.1 betrachten wir zum Divisor D die Menge |D| und den Vektorraum L(D) . Die Abbildung (1a) L(D) \ {0} → |D| , f 7→ D + (f ) , induziert eine Bijektion (1b) PL(D) → |D| , ¡ ¢ welche die Struktur des l(D)−1 -dimensionalen projektiven Raumes PL(D) nach |D| u ¨bertr¨agt. Die u ¨bertragene Struktur h¨angt nur von |D| und nicht vom Divisor D ab. Denn f¨ ur jeden zu D ¨aquivalenten Divisor E ist der Isomorphismus L(D) → L(E) , f 7→ h · f , aus 8.1.1(4) mit der Projektion (1a) vertr¨aglich. Jeder projektive Unterraum von |D| heißt Linearschar auf X ; ganz |D| wird vollst¨ andige Linearschar genannt. Alle Divisoren derselben Linearschar sind linear ¨aquivalent und haben also denselben Grad. Eine n-dimensionale Linearschar von Divisoren des Grades d wird traditionell mit gdn bezeichnet. ¨ Sei η : X → Y eine endliche Uberlagerung. Aus jeder Linearschar gdn auf Y ∗ n entsteht die geliftete Linearschar η gd := {η ∗ D : D ∈ gdn } . Sie hat dieselbe Dimension n und den Grad d · gr η , siehe 7.2.1. b n aller positiven Divisoren vom Grade n auf C b ist eine (2) Die Menge C vollst¨ andige n-dimensionale Linearschar. ¤ (3) Alle positiven kanonischen Divisoren auf X bilden die kanonische Linearschar K . Sie ist vollst¨ andig. Das analytische Geschlecht g und die analytische Charakteristik χ bestimmen ihre Dimension g − 1 und ihren Grad −χ . ¤ Sei D ein Divisor vom Grade d . Die (n+1)-dimensionalen Untervektorr¨aume V ⊂ L(D) entsprechen umkehrbar eindeutig den Linearscharen gdn ⊂ |D| : (4) gdn := {D + (f ) : f ∈ V \ {0}} . (5) F¨ ur jede Linearschar gdn auf X gilt n ≤ d . Im Falle n = d gibt es b → X , so daß C b n = ϕ∗ g n ist. einen Isomorphismus ϕ : C n

Beweis zu (5). Nach 8.1.2 ist n + 1 = dim V ≤ l(D) ≤ d + 1 , wobei Gleichheit b → X gibt. Die geliftete nur eintritt, wenn es einen Isomorphismus ϕ : C b n . Wegen Schar ist ein n-dimensionaler projektiver Unterraum ϕ∗ gnn ⊂ C b dim Cn = n ist die Inklusion eine Gleichheit. ¤

Wenn man (4) mit der Beschreibung der Schnittscharen durch 8.4.2(1) vergleicht, folgt: (6) Die Schnittschar S(ϕ) jeder nicht-entarteten holomorphen Abbildung ϕ : X → Pn ist eine Linearschar gdn mit d = gr ϕ . ¤ Eventuell auftretende Basispunkte verhindern jedoch, daß umgekehrt jede Linearschar eine Schnittschar ist; siehe dazu den n¨achsten Abschnitt 8.4.4. b → P2 Beispiele. (a) Die Schnittschar der Neileschen Parabel (1 : z 2 : z 3 ) : C 2 ist eine g3 ⊂ S3 und daher nicht vollst¨andig.

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8. Divisoren und Abbildungen in projektive R¨ aume

(b) Sei ϕ : C/Ω → P2 die Toruseinbettung aus 8.3.4(5). Die Schnittzahl (Θ0 )ϕ (x) ist = 3 f¨ ur x = 0 und sonst = 0 . Somit ist S(ϕ) eine g32 ⊂ |D0 | . Da es nach (5) keine g33 auf C/Ω gibt, ist S(ϕ) = |(Θ0 )ϕ | vollst¨andig. (c) In 13.2.1(3) wird bewiesen: Die Schnittschar S(κ) jeder kanonischen Abbildung κ ist die kanonische Schar K .

b isomorph. Dann ist jede g 1 auf X die Schnittschar Satz. Sei X nicht zu C 2 b = P1 . ¨ einer zweibl¨ attrigen Uberlagerung X → C Beweis. Nach (4) gilt g21 = {D + (f ) : f ∈ V \ {0}} f¨ ur einen Divisor D ∈ g21 und einen zweidimensionalen Untervektorraum V ⊂ L(D) . Wir w¨ahlen eine Basis 1, η von V und behaupten S(η) = g21 . Nach 8.4.2(2) ist S(η) = {(Θ0 )η + (f ) : f ∈ V \ {0}}P. Daher gen¨ ugt es, (Θ P0 )η = D zu zeigen: Aus D+(η) ≥ 0 folgt 2 = gr D ≥ x∈η−1 (∞) D(x) ≥ − x∈η−1 (∞) o(η, x) = b . Somit ist gr η = 2 und D(x) = −o(η, x) gr η ≥ 2 , letzteres wegen X 6≈ C f¨ ur x ∈ η −1 (∞) , D(x) = 0 sonst. Der Schnittdivisor (Θ0 )η hat dieselben Werte. ¤ Wenn man diesen Satz mit 8.3.6(1) und Satz 8.4.2 kombiniert, folgt: Auf hyperelliptischen Fl¨ achen existiert genau eine g21 . Auf nicht - hyperelliptischen Fl¨ achen existiert keine g21 . Um f¨ ur jedes Paar (n, d) s¨ amtliche gdn auf X zu erfassen, macht man die Menge {gdn } zu einer algebraischen Variet¨ at und studiert sie mit Methoden der algebraischen Geometrie. Solche Untersuchungen wurden in den 1970-er Jahren intensiv durchgef¨ uhrt und in [ACGH] zusammenfassend dargestellt.

8.4.4 Basispunkte. Man nennt P ∈ X einen Basispunkt der Linearschar gdn , wenn D − P ≥ 0 f¨ ur alle D ∈ gdn gilt. (1) Ein Punkt P ∈ X ist genau dann Basispunkt der vollst¨ andigen Linearschar |D| , wenn l(D − P ) = l(D) ist. ¤ Satz. Eine Linearschar auf X ist genau dann eine Schnittschar, wenn sie keine Basispunkte hat. Beweis. Wenn P ein Basispunkt der Schnittschar S (ϕ) w¨are, m¨ ußte der Punkt ϕ(P ) auf jeder Hyperebene liegen. Das ist absurd. Umgekehrt sei gdn = {D + (f ) : f ∈ V \ {0}} eine Linearschar ohne Basispunkte gem¨aß 8.4.3(4) mit D ∈ gdn . Es gibt eine Basis 1 = f0 , f1 , . . . , fn von V . Dann ist gdn = S(ϕ) die Schnittschar der Abbildung ϕ := (1 : f1 : . . . : fn ) : X → Pn . Denn nach 8.4.2(2) ist S(ϕ) = {(Θ0 )ϕ + (f ) : f ∈ V \ {0}} . Es gen¨ ugt, D(x) = (Θ0 )ϕ (x) f¨ ur alle x ∈ X zu zeigen. Sei ϕ = (ϕ0 : . . . : ϕn ) eine gute Darstellung bei x . Dann ist (Θ0 )ϕ (x) = o(ϕ0 , x) und fj = ϕj /ϕ0 f¨ ur alle j . Es gibt ein l mit ϕl (x) 6= 0 . Daf¨ ur gilt 0 ≤ D(x) + o(fl , x) = D(x) − o(ϕ0 , x) . Weil x kein Basispunkt ist, gibt es andererseits ein k mit 0 = D(x) + o(fk , x) = D(x) + o(ϕk , x) − o(ϕ0 , x) ≥ D(x) − o(ϕ0 , x) . Also ist D(x) = o(ϕ0 , x) = (Θ0 )ϕ (x) . ¤

8.5 Multiplizit¨ at. Schnittzahlen

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8.5 Multiplizit¨ at. Schnittzahlen Wir betrachten nicht-entartete holomorphe Abbildungen ϕ : X → Pn von kompakten, zusammenh¨ angenden Fl¨achen. An jeder Stelle a ∈ X l¨aßt sich die Menge aller Schnittzahlen von ϕ mit den Hyperebenen in Pn zu einer Folge 0 = m0 < m1 < . . . < mn mit n + 1 Elementen ordnen. Ihr erstes Glied m1 heißt Multiplizit¨ at. Wir messen die Abweichung von der trivialen P Folge 0 < 1 < 2 < . . . durch das Gewicht τ (a) = (mj − j) .

8.5.1 Die Multiplizit¨ at. Man betrachtet alle Hyperebenen Θ ⊂ Pn , die ϕ(a) enthalten, und nennt das Minimum der entsprechenden Schnittzahlen (Θ)ϕ (a) dieMultiplizit¨ at m(ϕ, a) von ϕ bei a . Zu ihrer Berechnung benutzen wir auf einer Scheibe U um a eine gute Darstellung ϕ|U = (ϕ0 : ϕ1 : . . . : ϕn ) , bei der eine Komponente ϕk = 1 konstant ist. Weil ϕ nicht-entartet ist, sind alle anderen Komponenten nicht konstant. Dann ist (1) m(ϕ, a) = min {v(ϕj , a) : j 6= k} . Beweis : Sei d := min {v(ϕj , a)} . Wir entwickeln ϕj = aj + bj z d + . . . nach denPPotenzen einer Karte zP: (U, a) → (E, 0) . F¨ ur jede Hyperebene Θ = P P N ( cj zj ) durch ϕ(a) gilt cj aj = 0 . F¨ ur f = cj ϕj = ( cj bj )z d + . . . ist (Θ)ϕ (a) = o(f, a) ≥ d . Man kann Θ so w¨ahlen, Pdaß (Θ)ϕ (a) P = d ist; denn wegen ak = 1 , bk = 0 haben die Gleichungen cj aj = 0 , cj bj = 1 eine L¨osung (c0 , . . . , cn ) 6= 0 . ¤ Wir nennen a eine kritische Stelle von ϕ , wenn m(ϕ, a) ≥ 2 ist. Unkritische Stellen heißen regul¨ ar. Wegen (1) ist die Menge der kritischen Stellen endlich. Wenn es keine kritischen Stellen gibt, heißt ϕ Immersion. Injektive Immersionen werden auch holomorphe Einbettungen genannt. Letztere bilden X hom¨oomorph auf ϕ(X) ab, da X kompakt ist.

b → Pn , die Torus-Abbildung Beispiele. Alle rationalen Raumkurven ρ : C ′ 2 (1 : ℘ˆ : ℘ˆ ) : C/Ω → P und die kanonische Abbildung κ : X → P2 der Kleinschen Fl¨ ache sind Einbettungen vom Grade n , 3 bzw. 4 . b → P2 ist injektiv, aber wegen Die Neilesche Parabel ϕ = (1 : z 2 : z 3 ) : C m(ϕ, 0) = 2 keine Immersion. Das Bild ϕ(0) der kritischen Stelle erscheint in der reellen Figur 6.2.1 a (rechts) als Spitze. ¡ ¢ b → P2 ist eine Immersion, Die Parabola nodata ϕ = 1 : 1−z 2 : z(1−z 2 ) : C aber wegen des Doppelpunktes ϕ(1) = ϕ(−1) nicht injektiv, vgl. die reelle Figur 6.2.1 b. Satz. Eine vollst¨ andige Linearschar |D| ist die Schnittschar einer Einbettung, sobald l(D−B) = l(D)−2 f¨ ur alle positiven Divisoren B vom Grade 2 gilt. Beweis. F¨ ur jeden Punktdivisor P gilt l(D−P ) = l(D)−1. Daher ist |D| die Schnittschar einer Abbildung ϕ : X → Pn mit n = dim |D| , siehe 8.4.4.

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8. Divisoren und Abbildungen in projektive R¨ aume

Angenommen, ϕ ist nicht injektiv, also ϕ(P ) = ϕ(Q) f¨ ur zwei Punkte P 6= Q . Dann gilt f¨ ur jeden Divisor S ∈ |D| mit S(P ) > 0 auch S(Q) > 0 , also |D−P | = |S−P | ⊂ |S−P −Q| = |D−P −Q| , somit l(D)− 1 = l(D−P ) ≤ l(D − P − Q) = l(D)− 2 im Widerspruch zur Voraussetzung. Wenn ϕ eine kritische Stelle P bes¨aße, h¨atte jeder Divisor S ∈ |D| mit P ∈ Tr(S) dort den Wert S(P ) ≥ 2 , also |S − P | ⊂ |S − 2P | . Wie oben erh¨alt man, diesmal mit P = Q , einen Widerspruch zur Voraussetzung. ¤ 8.5.2 Die Folge der Schnittzahlen. Die Menge Mϕ (a) := {(Θ)ϕ (a)} der Schnittzahlen von ϕ bei a ∈ X mit den Hyperebenen Θ ⊂ Pn hat n + 1 Elemente. Es gibt genau eine Hyperebene mit maximaler Schnittzahl. Sei ϕ|U = (ϕ0 : . . . : ϕn ) eine gute Darstellung auf einer Scheibe um a . Der von ϕ0 , . . . , ϕn aufgespannte C-Untervektorraum T ⊂ O(U ) besitzt eine Basis ψ0 , . . . , ψn , so daß Mϕ (a) = {o(ψj , a) : j = 0, . . . , n} ist.

Der Beweis beruht auf einem elementaren Lemma. Sei T ⊂ O(E) ein C -Untervektorraum der Dimension n + 1 . Dann ist ♯ {o(f, 0) : f ∈ T \ {0}} = n + 1 . Bis auf einen konstanten Faktor gibt es genau ein h ∈ T \ {0} mit o(h, 0) = max {o(f, 0)} . Beweis des Lemmas durch Induktion u ¨ber n . Sei m0 := min {o(f, 0)} . Die Menge T1 := {f ∈ T : o(f, a) > m0 } ist ein Untervektorraum der Dimension ≤ n . Wenn man die Induktionsvoraussetzung darauf anwendet, folgt die Behauptung f¨ ur T . ¤ Beweis des Satzes. F¨ ur jede Stelle x ∈ U gilt (1) Mϕ (x) = {o(f, x) : f ∈ T \ {0}} . P Denn der Hyperebene Θ = N ( aj zj ) ⊂ Pn entspricht die Funktion f = P aj ϕj ∈ T , deren Ordnung o(f, x) = (Θ)ϕ (x) die Schnittzahl ist.– Aus (1) und dem Lemma folgt die Behauptung. ¤

Wir ordnen die Elemente von Mϕ (a) der Gr¨oße nach zur Schnittzahlenfolge (2) 0 = m0 < m(ϕ, a) = m1 < . . . < mn ≤ gr ϕ von ϕ bei a . F¨ ur jedes Φ ∈ Aut(Pn ) haben Φ ◦ ϕ und ϕ dieselbe Folge. ¨ F¨ ur jede endliche,¡ zusammenh¨ angende Uberlagerung η : Z → X gilt ¢ (Θ)ϕ◦η (c) = (Θ)ϕ η(c) · v(η, c) an jeder Stelle c ∈ Z . Daher hat ϕ ◦ η bei c ∈ η −1 (a) die Schnittzahlenfolge (3) m0 v(η, c) < m1 v(η, c) < . . . < mn v(η, c) . 8.5.3 Gewichte. Wendepunkte und Weierstraß -Punkte. Das Gewicht Xn Xn (1) τ (ϕ, a) := (mj − j) = mj − 12 n(n + 1) j=0

j=0

mißt, wie stark die Schnittzahlenfolge m0 , . . . , mn von ϕ bei a die triviale Folge 0, . . . , n u ¨bertrifft. Es ist ≥ 0 , und zwar genau dann = 0 , wenn die Schnittzahlenfolge trivial ist. Wenn τ (ϕ, a) ≥ 1 ist, heißt a Wendepunkt.

8.5 Multiplizit¨ at. Schnittzahlen

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b → Pn haben keine Wendepunkte. (2) Die rationalen Raumkurven ρn : C Denn wegen gr ρn = n ist jede Schnittzahlenfolge trivial. ¤

Da alle kanonischen Abbildungen κ : X → Pg−1 zueinander projektiv ¨aquivalent sind, haben sie an jeder Stelle a ∈ X dieselbe nur von X und a abh¨angige Folge m0 , m1 , . . . , mg−1 der Schnittzahlen. Nach Weierstraß nennt man kj := 1 + mj−1 die j-te L¨ ucke von X bei a , vgl. 13.5.1(a)-(b). Die Wendepunkte von κ heißen Weierstraß-Punkte von X .

Satz. Die Weierstraß-Punkte einer hyperelliptischen Fl¨ ache von Geschlecht ¨ g sind die 2g + 2 Windungspunkte ihrer hyperelliptischen Uberlagerung η. Jeder hat die ungeraden Zahlen 1, 3, . . . , 2g − 1 als L¨ uckenfolge und daher das Gewicht 21 g(g − 1) . Beweis. Nach Satz 8.3.5 ist κ = ρ◦η . Wegen (2) und 8.5.2(3) ist die Schnittzahlenfolge bei a ∈ X genau dann nicht trivial, wenn a ein Windungspunkt ¨ der zweibl¨attrigen Uberlagerung η ist. F¨ ur diese Punkte gilt mj = 2j . ¤

8.5.4 Wronskische Determinanten erm¨oglichen die Berechnung der Gewichte, ohne Schnittzahlen zu benutzen. Wir stellen zun¨achst grundlegende Eigenschaften dieser Determinanten zusammen. Sei V ⊂ C offen. Mit n + 1 Funktionen f0 , . . . , fn ∈ M(V ) und ihren Ableitungen bilden wir die Matrix (n)  f0 f0′ · · · f0 (n)  f ′  1 f1 · · · f1  [f0 , . . . , fn ] =  . .. ..   .. . .  fn

fn′

···

(n)

fn

und ihre Wronskische Determinante W (f0 , . . . , fn ) := det[f0 , . . . , fn ] ∈ M(V ) . F¨ ur jedes f ∈ M(V ) gilt (1) W (f f0 , . . . , f fn ) = f n+1 W (f0 , . . . , fn ) . Zum Beweis von (1) berechnet man die Ableitungen (f fj )(k) mit der Leibnizschen Formel und benutzt dann elementare Spaltenoperationen.– Aus (1) folgt die f¨ ur Induktionsbeweise n¨ utzliche Formel ¡ ¢ (2) W (f0 , . . . , fn ) = f0n+1 W (f1 /f0 )′ , . . . , (fn /f0 )′ . P Sei A = (ajk ) eine konstante (n + 1) × (n + 1) - Matrix und gj = k ajk fk . Dann ist [g0 , . . . , gn ] = A · [f0 , . . . , fn ] , also (3) W (g0 , . . . , gn ) = detA · W (f0 , . . . , fn ) . ¤ Mit (1) und (2) beweist man durch Induktion u ¨ber n die beiden folgenden Formeln: F¨ ur jede holomorphe Funktion h : V ′ → V gilt 1 (4) W (f0 ◦ h, . . . , fn ◦ h) = (h′ ) 2 n(n+1) · W (f0 , . . . , fn ) ◦ h . ¤ F¨ ur die Ordnungen mj = o(fj , a) bei a ∈ V gelte 0 ≤ m0 < m1 < . . . < mn . Dann ist n ¡ ¢ P (5) o W (f0 , . . . , fn ), a = (mj − j) . ¤ j=0

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8. Divisoren und Abbildungen in projektive R¨ aume

8.5.5 Bestimmung des Gewichtes. Sei (U, z) eine Karte von X und ϕ|U = (ϕ0 : . . . : ϕn ) eine gute Darstellung von ϕ . Dann gilt ¡ ¢ τ (ϕ, x) = o W (ϕ0 ◦ z −1 , . . . , ϕn ◦ z −1 ), z(x) f¨ ur x ∈ U . Beweis. Sei m0 < m1 < . . . < mn die Folge der Schnittzahlen von ϕ bei x. Der von ϕ0 , . . . , ϕn aufgespannte Vektorraum T besitzt nach 8.5.2 eine Basis (ψ0 , . . . , ψn ) mit o(ψj , x) = mj . Nach 8.5.4(5)P hat W (ψ0 ◦z −1 , . . . , ψn ◦z −1 ) bei z(x) die Ordnung τ (ϕ, x) . Wegen ψj = ajk ϕk mit (ajk ) ∈ GLn (C) hat W (ϕ0 ◦ z −1 , . . . , ϕn ◦ z −1 ) dieselbe Ordnung, siehe 8.5.4(3). ¤ Folgerung. Das Gewicht τ : X → N , x 7→ τ (ϕ, x) , ist ein positiver Divisor. Sein Tr¨ ager besteht aus den Wendepunkten von ϕ . ¤ Um gr τ zu bestimmen, benutzen wir 8.5.6 Verteilungen. Sei A = {(Uα , zα )} ein Atlas von X . Jedem Index α sei eine Funktion fα ∈ M(Uα ) mit endlich vielen Null- und Pol¨ stellen zugeordnet, so daß f¨ ur jedes Indexpaar (α, β) die Ubergangsfunktion hαβ := fα /fβ ∈ M(Uα ∩ Uβ ) weder Null- noch Polstellen hat. Dann heißt F = {fα } eine meromorphe Verteilung zu A . Beispielsweise ist jede ¨ q-Differentialform, siehe 7.1.2(1q ), eine Verteilung mit den Ubergangsfunktionen hαβ = (dzβ /dzα )q .– Zu Verteilung F geh¨ort der Divisor (1) (F )(x) := o(fα , x) f¨ ur x ∈ Uα . ¨ Wenn alle Ubergangsfunktionen hαβ = 1 sind, ist die Verteilung {fα } eine meromorphe Funktion, d.h. es gibt genau ein f ∈ M(X) mit fα = f |Uα . Mit der Multiplikation {fa } · {gα } := {fα · gα } bilden alle Verteilungen zum selben Atlas A eine kommutative Gruppe. Die Bildung des Divisors {Verteilungen zu A} → Div (X) , F 7→ (F ) , ist ein Homomorphismus. F¨ ur ¨ zwei Verteilungen F und G mit denselben Ubergangsfunktionen ist F · G−1 eine meromorphe Funktion. Daher sind ihre Divisoren (F ) und (G) linear ¨aquivalent und haben insbesondere denselben Grad.

Sei ϕ : X → Pn eine nicht-entartete holomorphe Abbildung. Jedem α sei eine gute Darstellung ϕ|Uα = (ϕα0 : . . . : ϕαn ) zugeordnet. F¨ ur jedes j ist ¨ Φj := {ϕαj } eine holomorphe Verteilung, deren Ubergangsfunktionen λαβ nicht von j abh¨angen. Der Divisor (Φj ) = (Θj )ϕ ist der Schnittdivisor von ϕ mit der Hyperebene Θj := N (zj ) . Die Wronskischen Determinanten (2) Wα := W (. . . , ϕαj ◦ zα−1 , . . .) ◦ zα . bilden eine Verteilung W := {Wα } . Ihr Divisor (W ) = τ ist nach 8.5.5 der ¨ Gewichtsdivisor von ϕ . Die Ubergangsfunktionen lauten: 1 n+1 n(n+1) 2 . (3) Wα /Wβ = λαβ (dzβ /dzα ) Beweis. In (2) setzen wir ϕαj = λαj · ϕβj und benutzen 8.5.4(2): −1 Wα = λn+1 αβ · W (. . . , ϕβj ◦ zα , . . .) ◦ zα .

Mit zα = (zα ◦ zβ−1 ) ◦ zβ und 8.5.4(4) folgt

8.6 Anzahl der Wendepunkte

171

¡ ¢ 12 n(n+1) −1 ′ · W (. . . , ϕβj ◦ zβ−1 , . . .) ◦ zβ . Wα = λn+1 αβ · (zβ ◦ zα ) ◦ zβ Wegen (zβ ◦ zα−1 )′ ◦ zβ = dzβ /dzα ist damit (3) erreicht.

¤

Satz. Sei D ein Schnittdivisor von ϕ , und sei K ein kanonischer Divisor. ¨quivalent. Der Gewichtsdivisor τ von ϕ ist zu (n+1)D+ 12 n(n+1)K linear a Insbesondere gilt (4) gr τ = (n + 1)gr ϕ − 21 n(n + 1)χ(X) . 1

Beweis. Sei ω ∈ E(X) . Die Verteilungen W und F := Φn+1 · ω 2 n(n+1) 0 ¨ haben wegen (3) dieselben Ubergangsfunktionen. Daher sind τ und (F ) = ¨ (n+1)(Θ0 )ϕ + 12 n(n+1)(ω) linear ¨aquivalent. Mit den linearen Aquivalenzen D ∼ (Θ0 )ϕ und K ∼ (ω) folgt die Behauptung. ¤

8.6 Anzahl der Wendepunkte Wie im letzten Abschnitt sei ϕ : X → Pn eine nicht-entartete holomorphe Abbildung einer Fl¨ache X vom analytischen Geschlecht g . Wir deuten den Grad gr τ ihres Gewichtsdivisors als gewichtete Anzahl der Wendepunkte von ϕ und gewinnen aus 8.5.6(4) Resultate u ¨ber die Anzahl solcher Punkte.– Nach 8.2.1 ist χ(X) ≤ 0 , falls g ≥ 1 ist. Damit folgt sofort die 8.6.1 Existenz von Wendepunkten. Wenn g ≥ 1 ist, besitzt jede Abbildung ϕ Wendepunkte. Insbesondere existieren auf jeder Fl¨ ache vom Geschlecht g ≥ 2 Weierstraß -Punkte. ¤ Um genauere Ergebnisse zu erzielen, benutzen wir zus¨atzlich folgende Resultate aus sp¨ateren Kapiteln, siehe 10.7.4, 12.4.1, 13.1.5 und 13.2.1: b . gr κ = −χ(X) = 2g − 2 . (∗) g=0 ⇒X≈C

8.6.2 Abbildungen ohne Wendepunkte. Die rationalen Raumkurven haben keine Wendepunkte, siehe 8.5.3(2). Umgekehrt gilt: b →X, Wenn ϕ keine Wendepunkte hat, gibt es einen Isomorphismus α : C so daß ϕ ◦ α eine rationale Raumkurve ist.

Beweis. Nach 8.5.6(4) und 8.6.1(∗) ist gr ϕ = n · (1 − g) , also gr ϕ = n und g = 0 . Mit 8.4.3(5) folgt die Behauptung. ¤ 8.6.3 Die gewichtete Anzahl der Weierstraß -Punkte auf jeder Fl¨ ache vom Geschlecht g ≥ 2 betr¨ agt (g − 1) · g · (g + 1) . Das folgt aus 8.5.6(4), angewendet auf die kanonische Abbildung ϕ = κ , indem man gem¨aß 8.6.1(∗) einsetzt. ¤

172

8. Divisoren und Abbildungen in projektive R¨ aume

8.6.4 Automorphismen und Weierstraß -Punkte. Jede kanonische Abbildung κ : X → Pg−1 geht durch Vorschalten von α ∈ Aut(X) in die projektiv ¨aquivalente kanonische Abbildung κ ◦ α u ¨ber. Daher haben alle Punkte einer jeden Aut(X)-Bahn dieselbe L¨ uckenfolge. Sobald die Bahn einen Weierstraß-Punkt enth¨alt, besteht sie aus lauter Weierstraß-Punkten. Satz. Wenn X eine Automorphismengruppe der Ordnung 84(g − 1) besitzt, hat X mindestens 12(g −1) Weierstraß -Punkte und ist nicht hyperelliptisch.

Beweis. Es gibt mindestens 12(g−1) Weierstraß-Punkte, da jeder Orbit nach 7.2.5 mindestens 12(g−1) Punkte hat. Wenn X hyperelliptisch w¨are, g¨abe es nach Satz 8.5.3 nur 2g + 2 , also zu wenig Weierstraß-Punkte. ¤ Folgerung. Die Modulfl¨ ache X7 (Kleinsche Fl¨ ache) hat 24 Weierstraß Punkte und ist nicht hyperelliptisch. Denn nach der Tabelle in 7.1.5 erf¨ ullt X7 die Voraussetzung des Satzes.

¤

8.6.5 Historisches. Die Definition der L¨uckenfolgen und Gewichte sowie eine Gewichtsformel gehen auf Vorlesungen von Weierstraß zur¨ uck, deren Inhalt er in einem Brief vom 3. Okt. 1875 an H. A. Schwarz mitteilte. Wir kommen auf den Anlaß des Briefes (Endlichkeit der Automorphismengruppen) in 11.3.5 zur¨ uck. Hurwitz ver¨ offentlichte 1893 eine Abhandlung [Hur] 1, S. 391 - 430 , welche die Weier¨ straßsche Theorie mit der kanonischen Abbildung verband. Seine Uberlegungen lassen sich f¨ ur beliebige Abbildungen in projektive R¨ aume verallgemeinern. Der Abschnitt 13.5 enth¨ alt Weierstraß’ urspr¨ ungliche Definition der L¨ ucken sowie weitere Ergebnisse u ¨ber Weierstraß -Punkte und ihre Gewichte.

8.7 Aufgaben Mit X, Y werden kompakte, zusammenh¨ angende Riemannsche Fl¨ achen bezeichnet. Alle Abbildungen sind holomorph. 1)

Sei D ein positiver Divisor auf X . Zeige: Zu jedem a ∈ X mit D(a) = 0 gibt es eine Basis f0 , . . . , fn von L(D) mit o(fj , a) ≥ j .

2)

Berechne die analytischen Geschlechter der Fl¨ achen, die in Aufgabe 7.9.2 angegeben wurden.

3)

Beweise die Formel von Riemann-Roch f¨ ur die Zahlenkugel und alle Tori.

4)

¨ Zeige: Bei jeder hyperelliptischen Uberlagerung η mit 6 Verzweigungspunkten sind die η-Fasern die Tr¨ ager der positiven kanonischen Divisoren.

5)

Beweise: Die Automorphismengruppen hyperelliptischer Fl¨ achen sind endlich.

6)

Zeige: Ein positiver Divisor D auf X ist genau dann der Polstellen-Divisor einer meromorphen Funktion, wenn die vollst¨ andige Linearschar |D| keine Basispunkte hat.

8.7 Aufgaben

173

7)

Der Basispunkt-Divisor B der Linearschar gdn wird durch B(x) = min{D(x) : D ∈ gdn } definiert. Zeige: Die Basispunkte von gdn bilden den Tr¨ ager von B . Die Menge h = {D − B : D ∈ gdn } ist eine Linearschar ohne Basispunkte. Die Abbildung gdn → h , D 7→ D − B , ist ein Isomorphismus zwischen projektiven R¨ aumen. Welchen Grad hat h ?

8)

Zeige: F¨ ur jeden Torus T und jedes n ≥ 2 gibt es nicht-entartete Abbildungen ϕ : T → Pn vom Grade n + 1 . Jede Abbildung dieser Art ist eine Einbettung. Sind solche Abbildungen paarweise projektiv ¨ aquivalent?

9)

Die durch w2 = (z − e1 ) · . . . · (z − e5 ) bestimmte hyperelliptische Fl¨ ache X wird durch ψ = (1 : z : w) : X → P2 holomorph abgebildet. Zeige: ψ ist nichtentartet und keine Einbettung. Die Schnittschar S(ψ) ist nicht vollst¨ andig. Welchen Grad hat ψ ? Finde ein f ∈ M(X) , so daß ϕ := (1 : z : w : f ) eine nicht-entartetete Abbildung mit vollst¨ andiger Schnittschar S (ϕ) ist. Ist ϕ eine Einbettung?

10) Sei m0 < m1 < . . . < mn die Folge der Schnittzahlen einer nicht-entarteten holomorphen Abbildung ϕ : X → Pn bei a ∈ X . Zeige: Der Durchschnitt Aj aller Hyperebenen Θ ⊂ Pn mit (Θ)ϕ (a) ≥ mj ist ein (j − 1)-dimensionaler projektiver Unterraum. Es gilt ∅ = A0 ⊂ {a} = A1 ⊂ . . . ⊂ An . Durch Nachschalten eines Automorphismus von Pn kann man Aj = {(z0 : . . . : zn ) : zj = . . . = zn = 0} erreichen. F¨ ur jede gute Darstellung ϕ = (ϕ0 : . . . : ϕn ) bei a gilt dann o(ϕj , a) = mj . 11) Sei η : X → Y nicht konstant und ϕ : Y → Pn nicht-entartet. Sei a ∈ X , seien τ bzw. τ ′ die Gewichte von ϕ bei η(a) bzw. von ϕ ◦ η bei a . Sei v = v(η, a) die Windungszahl. Beweise die Formel τ ′ = v · τ + (v − 1) · 21 n(n + 1) .

12) Bestimme die Wendepunkte und ihre Gewichte f¨ ur die Neilesche Parabel b → P2 . (1 : z 2 : z 3 ) und f¨ ur die Parabola nodata (1 : 1 − z 2 : z(1 − z 2 )) : C Bestimme auch die Wronkischen Determinanten auf C .

13) Wieviele Wendepunkte hat eine Toruseinbettung T → P2 vom Grade 3 ? Was sind ihre Gewichte? Beantworte dieselben Fragen f¨ ur die kanonische Einbettung der Kleinschen Fl¨ ache, siehe das Beispiel in 8.3.5.

9. Ebene Kurven

Die Kurventheorie begann mit der Untersuchung der Kegelschnitte durch Men¨achmus (4. Jh. v. Chr.) und Apollonius von Perga (ca. 225 v. Chr.). Nach Erfindung der analytischen Geometrie durch Descartes (1637) stellten sich die Kegelschnitte als Quadriken heraus: Sie werden durch polynomiale Gleichungen P (x, y) = 0 zweiten Grades definiert. Bei analytischer Betrachtungsweise bilden die Kubiken (Kurven dritten Grades) die n¨achste Klasse. Hier treten zus¨atzliche Ph¨anomene auf: Es gibt Wendepunkte und Singularit¨ aten wie den Doppelpunkt der Newtonschen parabola nodata oder die Spitze der Neileschen Parabel. Newton klassifizierte alle m¨oglichen Kubiken, [New 2] 2, p.137 ff., teilweise reproduziert in [BK], S. 113 ff. Um 1720 wurde vermutet, daß sich eine Kurve m-ter und eine Kurve n-ter Ordnung im allgemeinen in m·n Punkten schneiden. Das ließ sich erst vollst¨andig beweisen, nachdem zwei neue Ideen die Theorie bereichert hatten: die Erg¨anzung der affinen Ebene zur projektiven Ebene durch Poncelet (1822) und die Zulassung von Punkten mit komplexen Koordinaten durch Pl¨ ucker (1834). In der komplex projektiven Geometrie werden Kurven zu kompakten Gebilden der reellen Dimension 2. Die bereits seit dem 17. Jahrhundert benutzten Parametrisierungen (x(t), y(t)) ebener Kurven durch reelle Parameter t m¨ ussen durch Parametrisierungen ersetzt werden, deren Definitionsbereiche statt reeller Intervalle kompakte Fl¨achen sind. Solche Parametrisierungen kommen bereits in Riemanns Abhandlung u ¨ber Abelsche Funktionen (1857) implizit vor. Man nennt sie heute Normalisierungen; sie stehen im Mittelpunkt des vorliegenden Kapitels. Eine wichtige Rolle spielen numerische Invarianten f¨ ur die Singularit¨aten, welche sich mit dem Grad der Kurve zu einer Formel (Clebsch, 1864) f¨ ur das Geschlecht der normalisierenden Fl¨ache zusammensetzen. Wir berechnen diese Invarianten in einfachen F¨allen. In [BK] und [Wll] werden die Singularit¨aten und ihre Invarianten ausf¨ uhrlich behandelt.

9.1. Projektive und affine Kurven

175

9.1. Projektive und affine Kurven Projektive Kurven in P2 sind Nullstellenmengen homogener Polynome in drei Variablen z0 , z1 , z2 . Wir zerlegen sie in irreduzible Komponenten. Ferner erl¨autern wir, wie man affine Kurven in C2 , das sind Nullstellenmengen von Polynomen aus C[z, w] , durch Hinzunahme von endlich vielen Punkten zu projektiven Kurven in P2 erg¨anzt.– Im folgenden bezeichnen F und G nicht-konstante homogene Polynome in C[z0 , z1 , z2 ] . 9.1.1 Projektive Kurven. Die Nullstellenmenge C := N (F ) := {(z0 : z1 : z2 ) ∈ P2 : F (z0 , z1 , z2 ) = 0} heißt projektive, genauer ebene, projektiv algebraische Kurve. Sie ist nicht leer und kompakt. Es gilt N (F · G) = N (F ) ∪ N (G) . Jede Matrix A ∈ GL3 (C) transformiert F in das homogene Polynom F ◦A−1 ˆ desselben Grades. Dabei gilt N (F ◦ A−1 ) = A(C) f¨ ur den zugeh¨origen Aun ˆ tomorphismus A von P . Wir interessieren uns f¨ ur die projektiven Eigenˆ schaften, die sich von C auf alle ¨aquivalenten Kurven A(C) u ¨bertragen. Der Grad gr C der Kurve C ist der kleinste Grad, den ein homogenes Polynom F mit N (F ) = C haben kann. Er ist eine projektive Invariante. Kurven von Grade 1 sind projektive Geraden. Kurven vom Grade 2, 3, bzw. 4 heißen Quadriken, Kubiken bzw. Quartiken. (1) F¨ ur jede projektive Gerade Θ gilt Θ ⊂ C oder 1 ≤ ♯(Θ ∩ C) ≤ gr C . Beweis. Nach einem Automorphismus von P2 ist Θ = Θ0 := N (z0 ) . Sei F ein homogenes Polynom minimalen Grades n mit C = N (F ) . F¨ ur Θ0 6⊂ C hat F (0, z1 , z2 ) mindestens eine und h¨ochstens n Nullstellen (0 : a1 : a2 ) ∈ P2 . Sie bilden die Schnittmenge Θ0 ∩ C . ¤ (2) Projektiv algebraische Kurven C haben keine isolierten Punkte. Beweis. Sei c ∈ C . Man kann c = (1 : a : b) annehmen. Nach der Folgerung in 1.2.3 gibt es beliebig nahe bei (a, b) weitere Nullstellen von F (1, z, w) .

9.1.2 Reduzierte Polynome. Das Produkt F · G zweier Polynome ist genau dann homogen, wenn F und G homogen sind. Daher sind alle Primfaktoren eines homogenen Polynoms ebenfalls homogen, und die Reduktion (siehe 6.1.4) eines homogenen Polynoms bleibt homogen. Lemma. Ein reduziertes homogenes Polynom F teilt das homogene Polynom G in C [z0 , z1 , z2 ] , wenn N (F ) ⊂ N (G) ist.

Beweis. Es gen¨ ugt, das Lemma f¨ ur ein irreduzibles Polynom F zu beweisen. Wir k¨onnen F (0, 0, 1) 6= 0 annehmen. Im Ring C (z0 , z1 )[z2 ] ist F ein Teiler von G oder nicht. Im ersten Fall gilt M ·F = L·G mit M ∈ C[z0 , z1 , z2 ] und L ∈ C[z0 , z1 ] . Wegen F (0, 0, 1) 6= 0 ist F kein Teiler von L , also ein Teiler von G . Im zweiten Fall haben F und G im Hauptidealring C(z0 , z1 )[z2 ] den gr¨oßten gemeinsamen Teiler 1 = (L/R)·F +(M/R)·G mit R ∈ C[z0 , z1 ]

176

9. Ebene Kurven

und L, M ∈ C[z0 , z1 , z2 ] .. Also gilt R = L · F + M · G . Wir w¨ahlen a0 , a1 so daß R(a0 , a1 ) 6= 0 . Es gibt ein a2 , so daß F (a0 , a1 , a2 ) = 0 . Dann f¨ uhrt G(a0 , a1 , a2 ) = 0 zum Widerspruch. ¤ 9.1.3 Das Minimalpolynom. Zu jeder projektiven Kurve C gibt es bis auf einen Faktor c ∈ C× genau ein reduziertes Polynom F mit N (F ) = C . Ein Polynom F mit N (F ) = C hat genau dann den minimalen Grad gr F = gr C , wenn F reduziert ist. Beweis. Sei F ein reduziertes Polynom und G ein Polynom minimalen Grades mit N (F ) = N (G) = C . Aus dem letzten Lemma folgt F = c · G und damit die Behauptung. ¤ Das reduzierte Polynom F mit N (F ) = C heißt Minimalpolynom von C . 9.1.4 Irreduzible Komponenten. Eine projektive Kurve C heißt irreduzibel, wenn ihr Minimalpolynom irreduzibel ist. Satz. Sei F = F1 · . . . · Fr die Primfaktorzerlegung eines homogenen, reduzierten Polynoms. F¨ ur C := N (F ) und Cj := N (Fj ) gilt (1) C = C1 ∪ . . . ∪ Cr . Die irreduziblen Kurven Cj sind paarweise verschieden. Jede irreduzible Kurve D ⊂ C ist eine der Kurven Cj . Beweis. (1) ist trivial. Angenommen, Cj = Ck . Aus Lemma 9.1.2 folgt Fj = cFk mit c ∈ C× , also j = k wegen der Primfaktorzerlegung. Sei D := N (G) , wobei G irreduzibel ist. Nach Lemma 9.1.2 ist G ein Teiler von F . F¨ ur ein j gilt G = cFj mit c ∈ C× , also D = Cj . ¤ Man nennt die Kurven Cj die irreduziblen Komponenten von C . Sie sind nicht disjunkt, siehe 9.3. 9.1.5 Affine Kurven. Unter einer affinen Kurve K := N (P ) := {(z, w) ∈ C2 : P (z, w) = 0} versteht man die Nullstellenmenge eines Polynoms P (z, w) ∈ C[z, w] vom Grade n ≥ 1 . Zur Veranschaulichung benutzt man den reellen Teil K ∩ R2 , siehe z.B. die Figuren 6.2.1 a - b . Wir betten C2 ֒→ P2 , (z, w) 7→ (1 : z : w) , als affine Ebene in die projektive Ebene ein. Das Komplement P2 \ C2 = Θ0 := N (z0 ) heißt unendlich ferne Gerade. Der affine Teil K := C ∩ C2 der projektiven Kurve C 6= Θ0 ist eine affine Kurve. Aus C = N (F ) folgt K = N (P ) f¨ ur P (z, w) := F (1, z, w) . Die Menge C \ K = C ∩ Θ0 ist endlich oder = Θ0 . Jedes Polynom P (z, w) ∈ C[z, w] vom Grade n wird durch Pˆ (z0 , z1 , z2 ) := z0n P (z1 /z0 , z2 /z0 ) . zu einem homogenen Polynom Pˆ vom Grade n homogenisiert. Es gilt Pˆ (1, z, w) = P (z, w) , und z0 ist kein Faktor von Pˆ . Beispiel : Aus P (z, w) = w2 −4(z−e1 )(z−e2 )(z−e3 ) entsteht Pˆ (z0 , z1 , z2 ) = z0 z22 − 4(z1 − e1 z0 )(z1 − e2 z0 )(z1 − e3 z0 ) .

9.2 Normalisierung

177

Satz. (a) F¨ ur jede affine Kurve K = N (P ) ist der topologische Abschluß ¯ in P2 die projektive Kurve N (Pˆ ) . Der Durchschnitt K ¯ ∩ Θ0 ist endlich, K ¯. und K ist der affine Teil von K (b) Jede projektive Kurve C mit endlichem Durchschnitt C ∩ Θ0 ist der ¯ ihres affinen Teils K . topologische Abschluß C = K Beweis. (a) Sei C := N (Pˆ ) . Dann ist C ∩ Θ0 endlich, weil z0 kein Faktor von Pˆ ist. Wegen P (z, w) = Pˆ (1, z, w) ist K der affine Teil von C . Aus ¯ ⊂ C , weil C abgeschlossen ist. Da C \ K endlich ist und K ⊂ C folgt K ¯ =C. C keine isolierten Punkte hat, gilt sogar K (b) Sei C := N (F ) , und sei P (z, w) := F (1, z, w) . Dann ist K := N (P ) der affine Teil von C , und C ∩ Θ0 ist endlich. Durch Homogenisieren erh¨alt ¯ =C. man F = Pˆ zur¨ uck. Aus (a) folgt K Folgerung. Wenn die projektive Kurve C vom Grade n nicht durch den Punkt (0 : 0 : 1) l¨ auft, besitzt sie ein Minimalpolynom F , so daß P (z, w) := F (1, z, w) reduziert ist und folgende normierte Gestalt hat: (1) P (z, w) = wn + a1 (z)wn−1 + . . . + an (z) mit aν (z) ∈ C [z] und gr aν ≤ ν . Beweis. Wegen (0 : 0 : 1) ∈ / C kommt z2n in F vor. Nach Multiplikation × mit einem Faktor aus C folgt (1).– Wir reduzieren P zu P0 ; dann ist K := N (P0 ) der affine Teil von C := N (F ) . Nach dem Satz ist C = N (Pˆ0 ) . Daher ist gr P0 = gr Pˆ0 ≥ gr F = gr Pˆ0 . Somit ist P = P0 reduziert. ¤ ¨ Bemerkung. Durch Ubergang zu einer projektiv ¨aquivalenten Kurve kann man stets (0 : 0 : 1) ∈ / C erreichen.

9.2 Normalisierung Im allgemeinen haben projektive Kurven Singularit¨aten und sind daher keine Riemannschen Fl¨achen. Aber mit Hilfe der Theorie algebraischer Gebilde, siehe 6.2, lassen sich bei jeder Kurve die Singularit¨aten so aufl¨osen, daß eine Riemannsche Fl¨ache entsteht. 9.2.1 Definition und Existenz. Eine Normalisierung (X, ϕ) der projektiven Kurve C ⊂ P2 besteht aus einer kompakten Riemannschen Fl¨ache X und einer holomorphen Abbildung ϕ : X → P2 mit C = ϕ(X) , deren Fasern ϕ−1 (c) u ¨ber c ∈ C bis auf endlich viele Ausnahmen einpunktig sind. Lemma. Aus jedem algebraischen Gebilde (X, η, f ) mit einem normierten ¡ ¢ Minimalpolynom P ∈ C[z, w] entsteht die Normalisierung X, (1 : η : f ) der Kurve C := N (Pˆ ) zur Homogenisierung Pˆ von P . Beweis. Sei K der affine Teil von C . Die Ausnahmemenge E aller a ∈ C , f¨ ur die P (a, w) mehrfache Wurzeln hat, ist endlich. Dann sind auch A := η −1 (E ∪ {∞}) ⊂ X und S := {(a, b) ∈ K : a ∈ E} endlich. Die bijektive Abbildung η × f : X \ A → K \ S ist eine Beschr¨ankung von ϕ := (1 : η : f ) .

178

9. Ebene Kurven

Aus K \ S ⊂ ϕ(X) folgt durch Abschluß C ⊂ ϕ(X) . Wegen P (η, f ) = 0 ist ϕ(X) ⊂ C . F¨ ur alle c ∈ K \ S ist ϕ−1 (c) einpunktig. Das Komplement von K \ S in C ist endlich. ¤ Beispiel. Aus der parabola nodata, siehe Beispiel (2) in 6.2.1, entsteht die ¡ ¢ b → P2 der projektiven Kurve Normalisierung ϕ = 1 : 1 − t2 : t(1 − t2 ) : C C := N (Pˆ ) zu P (z, w) := w2 + z 3 − z 2 . Die ϕ-Faser u ¨ber (1 : 0 : 0) hat zwei Punkte. Alle anderen Fasern u ¨ber C sind einpunktig. Normalisierungsssatz. (1) Jede ebene projektive Kurve besitzt eine Normalisierung. (2) Jede kompakte zusammenh¨ angende Riemannsche Fl¨ ache X normalisiert eine irreduzible ebene projektive Kurve. Beweis. Die Folgerung in 9.1.5, der Existenzsatz 6.2.3 f¨ ur Riemannsche Gebilde und das Lemma ergeben (1).– Zu (2): Man erg¨anzt zum algebraischen Gebilde (X, η, f ) , siehe 6.5.3. Nach 6.1.3 gibt es ein irreduzibles Polynom P mit P (η, f ) = 0 . Man homogenisiert zu Pˆ . Die Kurve N (Pˆ ) wird durch (1 : η : f ) : X → P2 normalisiert. ¤ 9.2.2 Universelle Eigenschaft. Eindeutigkeit. Sei (X, ϕ) eine Normalisierung der Kurve C ⊂ P2 . Zu jeder nirgends konstanten holomorphen Abbildung ψ : Z → P2 einer Fl¨ ache Z mit ψ(Z) ⊂ C gibt es genau eine holomorphe Abbildung γ : Z → X , so daß ψ = ϕ ◦ γ gilt. Ist (Z, ψ) eine Normalisierung von C , so ist γ ein Isomorphismus, d.h. die Normalisierung ist bis auf Isomorphie eindeutig bestimmt. Beweis. Es gen¨ ugt die Behauptung f¨ ur eine Normalisierung ϕ = (1 : η : f ) zu beweisen, die aus einem algebraischen Gebilde (X, η, f ) entsteht. Es gibt Funktionen ζ, g ∈ M(Z) mit ψ = (1 : ζ : g) : Z → C ⊂ P2 . Aus ψ(Z) ⊂ C folgt P (ζ, g) = 0 . Nach der universellen Eigenschaft 6.2.4 gibt es genau eine holomorphe Abbildung γ : Z → X mit ζ = η ◦ γ und g = f ◦ γ .– Wenn (Z, ψ) auch eine Normalisierung ist, sind fast alle Fasern ϕ−1 (c) und ψ −1 (c) u ¨ber C einpunktig. Dann ist γ ein Isomorphismus. ¤ b bzw. zu einem Torus isomorph ist, nennt man die Kurve C Wenn X zu C rational bzw. elliptisch . 9.2.3 Abbildungssatz. Sei ψ : Z → P2 eine nicht-konstante holomorphe Abbildung einer kompakten, zusammenh¨ angenden Fl¨ ache Z . Dann ist ψ(Z) eine irreduzible projektive Kurve. Beweis. Wir schließen den trivialen Fall ψ(Z) = Θ0 aus und k¨onnen dann die Gestalt ψ = (1 : g : f ) mit f, g ∈ M(Z) annehmen. Nach 6.1.3 gibt es ein irreduzibles Polynom P , so daß P (g, f ) = 0 ist. Sei Pˆ die Homogenisierung von P . Dann ist C := N (Pˆ ) eine irreduzible Kurve. Sei (X, ϕ) ihre Normalisierung. Wegen ψ(Z) ⊂ C gibt es nach der universellen Eigenschaft 9.2.2 eine holomorphe Abbildung γ : Z → X mit ψ = ϕ ◦ γ . Da ψ nicht konstant ist, muß γ(Z) = X und folglich ψ(Z) = C sein. ¤

9.3 Schnitt-Theorie

179

Beispiele. Das Bild C der Torus-Einbettung ϕ = (1 : ℘ˆ : ℘ˆ′ ) : C/Ω → P2 ist eine Kubik: Aus der Differentialgleichung ℘′2 = 4℘3 − g2 ℘ − g3 entsteht die affinen Kurve N (w2 − 4z 3 + g2 z + g3 ) . Sie wird durch C projektiv abgeschlossen. Offenbar ist (C/Ω, ϕ) die Normalisierung von C . Die in 8.3.5(1) angegebene kanonische Einbettung der Kleinschen Fl¨ ache ϕ = (z : zw : −w3 ) : X → P2 ist die Normalisierung der irreduziblen Quartik C := N (z0 z13 + z1 z23 + z2 z03 ) . Denn wegen w7 = z 2 (z − 1) ist ϕ(X) ⊂ C , also ϕ(X) = C , weil ϕ(X) eine projektive Kurve und C irreduzibel ist. 9.2.4 Komponentenzerlegung. Sei (X, ϕ) eine Normalisierung von C . Die Zerlegung in Zusammenhangskomponenten X = X1 ⊎ . . . ⊎ Xr ergibt mit Cj := ϕ(Xj ) die Zerlegung C = C1 ∪ . . . ∪ Cr in irreduzible Komponenten. Beweis. Nach 9.2.3 ist C = ϕ(X) = C1 ∪. . .∪Cr eine Vereinigung irreduzibler Kurven Cj . Da fast alle ϕ - Fasern einpunktig sind, gilt Cj 6= Ck f¨ ur j 6= k . 9.2.5 Ausblick. Projektive Kurven sind spezielle reduzierte komplexe R¨aume, deren holomorphe Struktur garbentheoretisch beschrieben wird. Die Normalisierung ist ein Spezialfall eines allgemeinen Normalisierungssatzes f¨ ur komplexe R¨ aume. Bei normalen R¨ aumen hat die Singularit¨ atenmenge eine (komplexe) Codimension ≥ 2 und ist daher bei Kurven leer, siehe [GR], Sec. 6.5.3.– Der Abbildungssatz l¨ aßt sich erheblich verallgemeinern, siehe [Re 3] und [GR], p. 213: Bei jeder eigentlichen holomorphen Abbildung ϕ : X → Y zwischen komplexen R¨ aumen ist das Bild ϕ(X) eine analytische Menge in Y .

9.3 Schnitt-Theorie Kurven C, D ⊂ P2 ohne gemeinsame Komponenten schneiden sich in endlich vielen Punkten. Wir ordnen jedem Schnittpunkt eine positive Schnittzahl zu und zeigen, daß gr C · gr D die Summe der Schnittzahlen ist (Formel von B´ezout).– Wir bezeichnen mit X eine kompakte Riemannsche Fl¨ache und mit F, G ∈ C[z0 , z1 , z2 ] nicht-konstante homogene Polynome. 9.3.1 Divisoren homogener Polynome. Sei ϕ : X → P2 eine nirgends konstante, holomorphe Abbildung. Wir setzen voraus, daß die Kurve ϕ(X) weder mit N (F ) noch mit N (G) eine gemeinsame Komponente hat. Mit einer guten Darstellung ϕ = (ϕ0 ¡: ϕ1 : ϕ2 ) bei x ¢∈ X setzen wir (1) (F )ϕ (x) := o F (ϕ0 , ϕ1 , ϕ2 ), x ∈ N . Diese Ordnung h¨angt nicht von der Wahl der Darstellung ab. Somit ist (F )ϕ ein positiver Divisor auf X .– Es gilt (2) (F · G)ϕ = (F )ϕ + (G)ϕ . Wenn F und G denselben Grad haben, hat (F/G) ◦ ϕ ∈ M(X) den Hauptdivisor (F )ϕ − (G)ϕ . Daher ist (3) gr (F )ϕ = gr (G)ϕ .

180

9. Ebene Kurven

Jede Linearform L 6= 0 mit ϕ(X) 6⊂ N (L) bestimmt den nur von ϕ abh¨angigen Grad (4) gr ϕ := gr (L)ϕ , vgl. 8.4.1. Wenn (X, ϕ) eine projektive Gerade normalisiert, ist (4a) gr ϕ = 1 . Aus (2)-(4) folgt mit n := gr F und G = Ln : (5) gr(F )ϕ = gr F · gr ϕ . F¨ ur A ∈ GL3 (C) und den zugeh¨origen Automorphismus Aˆ von P2 gilt ¤ (6) (F )A◦ϕ = (F ◦ A)ϕ . ˆ 9.3.2 Schnittzahlen. Sei C ⊂ P2 eine Kurve, so daß C und N (F ) keine gemeinsame Komponente haben. Mit der Normalisierung (X, ϕ) von C definieren wir f¨ ur jeden Punkt c ∈ P2 die Schnittzahl X (F )ϕ (x) . (1) ic (C; F ) := −1 x∈ϕ

(c)

Sie hat folgende Eigenschaften: (2) ic (C; F ) = 0 ⇔ c 6∈ C ∩ N (F ) . (3) ic (Θ; L) = 1 , wenn f¨ ur die Gerade Θ und die Linearform L der Durchschnitt Θ ∩ N (L) = {c} ist. (4a) ic (C; F1 · F1 ) = ic (C; F1 ) + ic (C; F2 ) . (4b) ic (C1 ∪ C2 ; F ) = ic (C1 ; F ) + ic (C2 ; F ) f¨ ur zwei Kurven C1 , C2 ohne gemeinsame Komponenten. (5) ic (C; F + G) = ic (C; F ) , falls F und G denselben Grad haben und C ⊂ N (G) gilt. ˆ (6) iA(c) ( A(C); F ) = i (C; F ◦ A) f¨ ur A ∈ GL3 (C) . ¤ ˆ c Sei D ⊂ P2 eine Kurve mit dem Minimalpolynom G , welche mit C keine gemeinsame Komponente hat. F¨ ur jedes c ∈ P2 wird die Schnittzahl durch ic (C, D) := ic (C; G) definiert. Sie ist wegen (6) projektiv invariant. Aber ihre Definition ist unsymmetrisch, da f¨ ur C eine Normalisierung und f¨ ur D das Minimalpolynom benutzt werden. Um die Symmetrie zu beweisen, benutzen wir die 9.3.3 Resultante. Sei R ein Integrit¨atsring mit dem Quotientenk¨orper K . Zu je zwei normierten Polynomen P, Q ∈ R[w] gibt es eine endliche K¨orpererweiterung L von K , so daß P und Q u ¨ber L in Linearfaktoren zerfallen: m n Y Y (1) P (w) = (w − fµ ) und Q(w) = (w − gν ) mit fµ , gν ∈ L . µ=1

Die Resultante

r :=

ν=1

m Y n Y

(fµ − gν ) =

µ=1 ν=1

m Y

µ=1

Q(fµ ) =

n Y

ν=1

P (gν )

9.3 Schnitt-Theorie

181

liegt im Grundring R und ist unabh¨angig von der K¨orpererweiterung. Genau dann, wenn P und Q einen gemeinsamen Faktor haben, ist r 6= 0 . Siehe z.B [Bos], Abschnitt 4.4. Satz. Seien (X, η, f ) und (Z, ζ, g) Riemannsche Gebilde u ¨ber Y mit den Minimalpolynomen P bzw. Q . Wenn diese keinen gemeinsamen Faktor haben, hat ihre Resultante r ∈ M(Y ) bei b ∈ Y die Ordnung X X ¡ ¢ ¡ ¢ o P (ζ, g), z . o Q(η, f ), x = (2) o(r, b) = x∈η −1 (b)

z∈ζ −1 (b)

Beweis. Es gibt eine endliche K¨orpererweiterung L von M(Y ), so daß P und Q u ¨ber L zerfallen. Wegen 6.6.1(2) k¨onnen wir annehmen, daß die Erweiterung M(Y ) ֒→ L die Liftung σ ∗ : M(Y ) ֒→ M(S) einer endlichen, ¨ zusammenh¨angenden Uberlagerung σ : S → Y ist. Wegen P (σ, fµ ) = 0 l¨aßt sich σ = η ◦ ϕµ : S → X → Y so faktorisieren, daß fµ = f ◦ ϕµ ist, µ = 1, . . . , m . F¨ ur jedes c ∈ σ −1 (b) ist ¢ P ¡ o(r, b) · v(σ, c) = o(r ◦ σ, c) = µ o Q(σ, f ◦ ϕµ ), c ¡ ¢ P = µ o Q(η, f ), ϕµ (c) · v(ϕµ , c) . ¡ ¢ −1 Wir summieren u ¨ber c ∈ σ −1 (b) = ϕ−1 (b) : µ η ¡ ¢ P P P −1 o(r, b) · gr σ = µ x∈η −1 (b) (x) o Q(η, f ), x · v(ϕµ , c) c∈ηµ ¡ ¢ P P = x∈η −1 (b) o Q(η, f ), x . µ gr ϕµ P Wegen σ = η ◦ ϕµ und gr σ = µ gr ϕµ folgt die erste Gleichung in (2). Die Vertauschung von P und Q gibt die zweite Gleichung. ¤ 9.3.4 Symmetrie. Seien C und D projektive Kurven ohne gemeinsame Komponenten, so daß (0 : 0 : 1) ∈ / C ∪D . Dann besitzen C und D Minimalpolynome F bzw. G , so daß P (z, w) := F (1, z, w) und Q(z, w) := G(1, z, w) die in 9.1.5(1) angegebenen normierten Gestalten haben. Sie sind teilerfremd, und ihre Resultante r ∈ C[z] ist daher 6= 0 . Lemma. Sei c := (1 : 0 : 0) der einzige Schnittpunkt von C und D auf der Geraden N (z1 ) = 0 . Dann ist die Schnittzahl die Ordnung der Resultante: ic (C, D) = o(r, 0) . Insbesondere ist sie symmetrisch: ic (C, D) = ic (D, C) . Beweis. Es gen¨ ugt, die erste Behauptung zu beweisen. Die Symmetrie folgt, weil r beim Vertauschen von P und Q h¨ochstens das Vorzeichen wechselt. Sei (X, η, f ) das algebraische Gebilde zu P . Nach 9.3.3(2) gilt ¡ ¢ P o(r, 0) = x∈η−1 (0) o Q(η, f ), x .

Die Normalisierung ϕ = (1 : η : f ) von C ergibt ¡ ¢ (G)ϕ (x) = o Q(η, f ), x f¨ ur alle Stellen x ∈ X , wo η und f keine Pole haben. Das gilt insbesondere f¨ u¡r x ∈ η −1¢(0) . Es ist ϕ−1 (c) ⊂ η −1 (0) . Wegen N (z1 ) ∩ C ∩ D = {c} ist o Q(η, f ), x = 0 f¨ ur x ∈ η −1 (0) \ ϕ−1 (c) . Somit folgt P ¤ o(r, 0) = x∈ϕ−1 (c) (G)ϕ (x) =: ic (C; G) = ic (C, D) .

182

9. Ebene Kurven

Satz. Wenn zwei projektive Kurven C und D keine gemeinsamen Komponenten haben, gilt: ic (C, D) = ic (D, C) f¨ ur alle c ∈ P2 .

Beweis. Durch einen Automorphismus von P2 erreicht man, daß die Voraussetzungen des Lemmas erf¨ ullt sind. Da die Schnittzahl nach 9.3.2(6) projektiv invariant ist, folgt die Behauptung. ¤ 9.3.5 Grad der Normalisierung. Formel von B´ ezout. Wenn (X, ϕ) die projektive Kurve C normalisiert, ist (1) gr ϕ = gr C . Wenn die Kurven C und D keine gemeinsamen Komponenten haben, gilt die Formel von B´ezout: X ic (C, D) = gr C · gr D . (2) 2 c∈P

Beweis. Seien (X, ϕ) bzw. (Y, ψ) die Normalisierungen und F bzw. G die Minimalpolynome von C bzw. D . Wegen der Symmetrie gilt P P c∈P2 ic (C, D) = x∈X (G)ϕ (x) = gr (G)ϕ = gr ϕ · gr D = gr ψ · gr C. Wenn D eine Gerade ist, folgt (1) wegen gr ψ = 1 , siehe 9.3.1(4a). Im allgemeinen Fall folgt dann (2). ¤ Die Formel (2) wird traditionell nach B´ezout (1764) benannt. Sie taucht bereits 1720 bei Maclaurin auf. Auch Euler (1748) hat sich mit ihr besch¨ aftigt. F¨ ur ihre allgemeine G¨ ultigkeit war es n¨ otig, die affine zur projektiven Ebene zu vervollst¨ andigen (Poncelet, 1822) und Punkte mit komplexen Koordinaten zu ber¨ ucksichtigen (Pl¨ ucker, 1834).

9.4 Singularit¨ aten. Tangenten Jedem Punkt c einer projektiven Kurve C ⊂ P2 vom Grade n wird eine ganzzahlige Multiplizit¨ at mc ≥ 1 zugeordnet. Das f¨ uhrt zur Unterscheidung zwischen regul¨ aren (= glatten) Punkten mit mc = 1 und singul¨ aren Punkten mit mc ≥ 2 . Fast alle Punkte sind regul¨ar. Wir untersuchen die Singularit¨aten zun¨achst mittels des Minimalpolynoms F , dann mittels der Normalisierung (X, ϕ) und vergleichen die Ergebnisse. 9.4.1 Die Multiplizit¨ at mc des Punktes c ∈ C wird als Minimum der Schnittzahlen ic (C, Θ) zwischen C und den Geraden Θ durch c definiert. Offenbar ist mc eine projektive Invariante. Zu ihrer Berechnung k¨onnen wir c = (1 : 0 : 0) annehmen. Wir entwickeln P (z, w) := F (1, z, w) nach homogenen Polynomen Pj vom Grade j , P (z, w) = Pm (z, w) + Pm+1 (z, w) + . . . + Pn (z, w) mit Pm (z, w) 6= 0 . Wegen c ∈ C ist m ≥ 1 . Das Anfangspolynom l¨aßt sich eindeutig als Produkt Pm = L1 · . . . · Lm von Linearformen Lj darstellen. Die projektiven Abschl¨ usse Θj der affinen Geraden N (Lj ) heißen Tangenten an C in c .

9.4 Singularit¨ aten. Tangenten

183

Satz. Jede projektive Gerade Θ , welche C in c schneidet, hat eine Schnittzahl ic (C, Θ) ≥ m . Dabei gilt ic (C, Θ) > m genau dann, wenn Θ eine Tangente ist. Insbesondere ist m = mc die Multiplizit¨ at. Beweis. Jede Gerade Θ durch c wird durch t 7→ (1 : −b t : a t) normalisiert. Die Schnittzahl ic (C, Θ) ist die Ordnung von P (−b t, a t) an der Stelle t = 0 . Sie ist stets ≥ m , und zwar > m genau dann, wenn Pm (−b, a) = 0 , also az + bw ein Linearfaktor von Pm (z, w) und somit Θ eine Tangente ist. ¤ Folgerung. Genau dann, wenn alle partiellen Ableitungen Fν := ∂F/∂zν an der Stelle c verschwinden, ist C bei c singul¨ ar. Es gibt h¨ ochstens endlich viele Singularit¨ aten. Beweis. Wie oben k¨onnen wir c = (1 : P 0 : 0) und P (z, w) := F (1, z, w) annehmen. Wegen der Eulerschen Formel ν zν Fν = nF sind folgende Aussagen ¨aquivalent: Fν (1, 0, 0) = 0 f¨ ur ν = 0, 1, 2 ⇔ a := ∂P ∂z (0, 0) = 0 und ∂P b := ∂w (0, 0) = 0 ⇔ P1 (z, w) := az + bw = 0 ⇔ mc = m ≥ 2 . ¤

9.4.2 Tangenten. Jede nirgends konstante, holomorphe Abbildung ϕ : X → P2 besitzt an jeder Stelle a ∈ X drei Schnittzahlen mj , welche die Folge 0 = m0 < m1 < m2 ≤ gr ϕ bilden, siehe 8.5.2. (Man ersetze X durch die Komponente, in der a liegt, damit die Zusammenhangsvoraussetzung des Abschnitts 8.5 erf¨ ullt ist.) Dabei ist m(ϕ, a) := m1 die Multiplizit¨ at von ϕ bei a , vgl. 8.5.1. Die eindeutig bestimmte projektive Gerade Θ mit der maximalen Schnittzahl (Θ)ϕ (a) = m2 heißt Tangente von ϕ an der Stelle a und wird mit Ta ϕ bezeichnet. Man nennt k(ϕ, a) := m2 − m1 Vielfachheit der Tangente oder Klasse von ϕ bei a . Wenn k(ϕ, a) ≥ 2 ist , heißt a Wendepunkt und Ta ϕ Wendetangente. Die Schnittzahlen von ϕ mit einer projektiven Geraden Θ haben also die folgenden Werte:  , falls ϕ(a) 6∈ Θ 0 (1) (Θ)ϕ (a) = m(ϕ, a) , falls ϕ(a) ∈ Θ 6= Ta ϕ  m(ϕ, a) + k(ϕ, a) , falls Θ = Ta ϕ . 9.4.3 Schnitte von Kurven mit Geraden. Sei (X, ϕ) die Normalisierung der Kurve C ⊂ P2 . Aus 9.3.2(1) folgt f¨ ur jede Gerade Θ durch c ∈ C : P P ic (C, Θ) = m(ϕ, x) + k(ϕ, y) , (1) ¤ summiert u ¨ber x ∈ ϕ−1 (c) und y ∈ ϕ−1 (c) mit Ty ϕ = Θ . Der minimale Wert dieser Schnittzahlen ist nach 9.4.1 die Multiplizit¨at P (2) mc = m(ϕ, x), summiert u ¨ber x ∈ ϕ−1 (c) . ¤ Aus Satz 9.4.1 folgt: (3) Eine Gerade Θ ist genau dann eine Tangente an C in c , wenn es ein x ∈ ϕ−1 (c) mit Θ = Tx ϕ gibt. ¤

184

9. Ebene Kurven

9.5 Die duale Kurve. Eine Formel von Clebsch Jeder Kurve C ⊂ P2 wird nach Pl¨ ucker (1834) eine duale Kurve C ∗ ⊂ P2 zugeordnet, deren Punkte umkehrbar eindeutig den Tangenten an C entsprechen. Beide Kurven werden durch dieselbe Fl¨ache X normalisiert. Durch den Vergleich der Normalisierungen gewinnen wir f¨ ur jeden Punkt c ∈ C die Delta-Invariante δc , welche mißt, wie singul¨ar C bei c ist. Eine Formel von Clebsch (1864) dr¨ uckt das Geschlecht von X durch den Grad von C und die Summe der Multiplizit¨aten und Delta-Invarianten aller Punkte c ∈ C aus. 9.5.1 Dualit¨ at. Seien ϕ, ψ : X → P2 holomorphe Abbildungen der zusammenh¨angenden Fl¨ache X . Die Darstellungen ϕ = (f0 : f1 : f2 ) und ψ = (g0 : g1 : g2 ) mit Funktionen fj , gj ∈ M(X) heißen dual, wenn P P P (1a) fj gj = 0 , (1b) gj dfj = 0 , (1c) fj dgj = 0 gelten. Die Dualit¨at ist symmetrisch. Wenn (1a) gilt, sind (1b) und (1c) ¨aquivalent. Die Dualit¨at h¨angt nur von den Abbildungen ϕ, ψ ab. (2) Sei A ∈ GL3 (C) , und sei B die zu A−1 transponierte Matrix. Wenn ˆ ◦ ψ . Dabei sind A, ˆ B ˆ ϕ und ψ dual sind, gilt dasselbe f¨ ur Aˆ ◦ ϕ und B die induzierten Automorphismen von P2 . ¤ (3) Seien ϕ und ψ zueinander dual. Dann gilt: ϕ konstant ⇒ ψ entartet; ϕ entartet, aber nicht konstant ⇒ ψ konstant. Beweis. Die erste Behauptung folgt aus (1a). Zum Beweis der zweiten Behauptung gen¨ ugt es wegen (2) den Fall ϕ = (0 : 1 : f ) , df 6= 0 , zu betrachten. Dann ist ψ = (1 : 0 : 0) die einzige duale Abbildung. ¤ Existenz- und Eindeutigkeitssatz. Zu jeder nicht-entarteten Abbildung ϕ gibt es genau eine duale Abbildung ψ . Sie ist ebenfalls nicht-entartet. Beweis. Es eine Darstellung ϕ = (1 : f1 : f2 ) mit df1 6= 0 . Wenn es eine duale Abbildung ψ gibt, ist sie wegen (3) nicht-entartet und hat daher eine Darstellung ψ := (g0 : g1 : 1) . Die Existenz und Eindeutigkeit folgt aus (1a) und (1b): g0 = f1 df2 /df1 − f2 , g1 = −df2 /df1 . ¤ 9.5.2 Eigenschaften dualer Abbildungen. Sei ϕ∗ die duale Abbildung der nicht-entarteten Abbildung ϕ . Dann ist ϕ∗∗ = ϕ .– Sei x ∈ X . ∗ (1) Die homogenen Koordinaten Pvon ϕ (x) = (c0 : c1 : c2 ) sind die Koeffizienten in der Gleichung cj zj = 0 der Tangente Tx ϕ . (2) Multiplizit¨ at und Klasse werden vertauscht: m(ϕ∗ , x) = k(ϕ, x) , k(ϕ∗ , x) = m(ϕ, x). Beweis. Wegen 9.5.1(2) kann man ϕ(x) = (1 : 0 : 0) und Tx ϕ = N (z2 ) annehmen. Dann gibt es bei x gute Darstellungen ϕ = (1 : f1 : f2 ) mit o(f1 , x) = m(ϕ, x) sowie o(f2 , x) = m(ϕ, x) + k(ϕ, x) und ϕ∗ = (g0 : g1 : 1) . Aus 9.5.1(1b) folgt g1 df1 + df2 = 0 , also o(g1 , x) = k(ϕ, x) . Aus 9.5.1(1a) folgt g0 + g1 f1 + f2 = 0 , also o(g0 , x) ≥ o(g1 f1 , x) = m(ϕ, x) + k(ϕ, x) .

9.5 Die duale Kurve. Eine Formel von Clebsch

185

Daher gilt ϕ∗ (x) = (0 : 0 : 1) und damit (1).– Nach 8.5.1(1) ist m(ϕ∗ , x) = o(g1 , x) = k(ϕ, x) . Mit ϕ∗ statt ϕ folgt m(ϕ, x) = m(ϕ∗∗ , x) = k(ϕ∗ , x). ¤ 9.5.3 Die duale Kurve. Wenn (X, ϕ) die irreduzible Kurve C vom Grade n ≥ 2 normalisiert, h¨angt X zusammen, und nach 9.2.3 ist die duale Kurve C ∗ := ϕ∗ (X) ebenfalls irreduzibel. Ihr Grad k(C) := gr ϕ∗ wird Klasse von C genannt. Eine geometrische Deutung von k(C) enth¨alt Aufgabe 9.7.2. Satz. Die duale Kurve C ∗ wird durch die duale Abbildung ϕ∗ normalisiert. Es gilt C ∗∗ = C . Beweis. Sei (Y, ψ) die Normalisierung von C ∗ . Nach der universellen Eigenschaft 9.2.2 faktorisiert ϕ∗ = ψ ◦ γ u ¨ber eine holomorphe Abbildung γ : X → Y . Dualisieren ergibt ϕ = ϕ∗∗ = ψ ∗ ◦ γ . Da fast alle ϕ-Fasern einpunktig sind, ist gr γ = 1 .– Aus ϕ∗∗ = ϕ folgt C ∗∗ = C . ¤ 9.5.4 Die Delta-Invariante. Sei F das Minimalpolynom der irreduziblen Kurve C ⊂ P2 vom Grade n ≥ 2 . Die partiellen Ableitungen Fj := ∂F/∂zj , j = 0, 1, 2, sind homogene Polynome vom Grade n − 1 .

(1) Aus jeder Darstellung ϕ = (f0 : f1 : f2 ) : X → P2 der Normalisierung von C mit Funktionen fj ∈ M(X) erh¨ alt man die duale Abbildung ϕ∗ = (g0 : g1 : g2 ) : X → P2 mit gj := Fj (f0 , f1 , f2 ) ∈ M(X) . P P Beweis. Aus der Eulerschen Formel zj Fj = n ·P F folgt fj gj = 0 . Die Ableitung der Gleichung F (f0 , f1 , f2 ) = 0 ergibt gj dfj = 0 . ¤

F¨ ur jede gute Darstellung ϕ|U = (f0 : f1 : f2 ) sind die Funktionen gj auf U holomorph. Wir definieren die Delta-Invariante (2) δ(ϕ, x) = min {o(gj , x) : j = 0, 1, 2} ∈ N . Sie h¨angt nicht von der Wahl der Darstellung ab. Denn f¨ ur jede andere gute Darstellung ϕ = (h0 : h2 : h2 ) bei x gilt hj = λfj mit o(λ, x) = 0 und Fj (h0 , h1 , h2 ) = λn−1 gj .– Es gilt (3) δ(ϕ, x) ≥ 1 ⇔ x ist gemeinsame Nullstelle von g0 , g1 , g2 . ⇔ ϕ(x) ∈ N (F0 ) ∩ N (F1 ) ∩ N (F2 ) ⇔ C ist bei ϕ(x) singul¨ ar. ¤ P F¨ ur die Koeffizienten in der Gleichung cj zj = 0 der Tangente Tx ϕ gilt: (4) ck 6= 0 ⇔ o(gk , x) = δ(ϕ, x) . Beweis. F¨ ur eine gute Darstellung ϕ∗ |U = (h0 : h1 : h2 ) auf einer Umgebung von x ist cj = hj (x) . Es gibt ein λ ∈ O(U ) mit λ · hj = gj , also ck 6= 0 ⇔ o(hk , x) = min{o(hj , x)} ⇔ o(gk , x) = min{o(gj , x)} =: δ(ϕ, x) . ¤ Wir bilden mit der Multiplizit¨at m die Ny-Invariante (5) ν(ϕ, x) := δ(ϕ, x) − m(ϕ, x) + 1 . Sie ist = 0 , wenn C bei ϕ(x) glatt ist.

186

9. Ebene Kurven

9.5.5 Die polaren Differentialformen ω0 , ω1 , ω2 auf X werden folgendermaßen definiert: Sei (j, k, l) eine zyklische Permutation von (0, 1, 2) . Wir legen die Darstellung ϕ = (f0 : f1 : f2 ) der Normalisierung von C durch fj = 1 fest und definieren mit gj wie in 9.5.4(1) (1) ωj := dfk /gl = −dfl /gk . Dann gilt (2) ωk = fkn−3 ωj , ωl := fln−3 ωj . ¤ (3) Aus ϕ(x) ∈ / Θj folgt o(ωj , x) = −ν(ϕ, x) .

Beweis zu (3). Wegen ϕ(x) ∈ / Θj ist fµ (x) 6= ∞ f¨ ur µ = 0, 1, 2 . Sei vµ := v(fµ , x) und oµ := o(gµ , x) , also o(ωj , x) = vk − 1 − ol = vl − 1 − ok . Sei vk ≤ vl . Dann ist ok ≥ ol und oj ≥ ol , letzteres wegen gj = −gk fk − gl fl und o(fl , x) ≥ 0 . Somit ist δ(ϕ, x) = ol . Nach 8.5.1(1) ist vk = m(ϕ, x) . Daraus folgt die Behauptung f¨ ur vk ≤ vl . Durch Vertauschen von k und l erh¨alt man den Beweis f¨ ur den Fall vl ≤ vk . ¤ Satz. F¨ ur j = 0, 1, 2 gilt an jede Stelle x ∈ X o(ωj , x) = (n−3)(Θj )ϕ (x)−ν(ϕ, x) . Beweis. Wegen (3) muß nur der Fall ϕ(x) ∈ Θj betrachtet werden. Es gibt ein k mit ϕ(x) 6∈ Θk , also o(ωk , x) = −ν(ϕ, x) nach (3). Aus (2) folgt o(ωk , x) = (n − 3)o(fk , x) + o(ωj , x) . Eine gute Darstellung bei x lautet ϕ = (f0 /fk : f1 /fk : f2 /fk ) . Daher folgt mit (Θj )ϕ (x) = o(fj /fk , x) = o(1/fk , x) = −o(fk , x) die Behauptung. ¤ Folgerung. Glatte Kubiken sind elliptische Kurven.

Beweis. Wegen ν(ϕ, x) = 0 und n = 3 folgt aus dem Satz o(ω0 , x) = 0 f¨ ur alle x ∈ X . Nach 7.6.2 ist X ein Torus. ¤ Singul¨are Kubiken sind rationale Kurven (Aufgabe 9.7.1). Unsere rudiment¨ are Betrachtung polarer Differentialformen l¨ aßt nicht erkennen, P was solche Formen mit den polaren Kurven N ( aj Fj ) zu tun haben. F¨ ur eine ausf¨ uhrliche Behandlung siehe [BK], S. 845 -883.

9.5.6 Die Formel von Clebsch. Sei (X, ϕ) die Normalisierung einer irreduziblen Kurve C vom Grade n . Wir definieren f¨ ur c ∈ C die Invarianten P P (1) δc := δ(ϕ, x) und νc := ν(ϕ, x) , summiert u ¨ber x ∈ ϕ−1 (c) . Mit rc := ♯ϕ−1 (c) gilt wegen 9.4.3(2) ¤ (2) νc = δc − mc + rc . Wenn C bei c glatt ist, gilt νc = 0 .– Wir addieren die Ordnungsformel f¨ ur die polare Differentialform aus Satz 9.5.5 u ¨ber x ∈ X und erhalten f¨ ur die analytische Charakteristik die Formel von Clebsch : X ¤ νc . (3) −χ(X) = n(n − 3) − c∈C

Bei glatten Kurven ist −χ = n(n − 3) . Beispielsweise entsteht bei jeder Einbettung eines Torus wegen χ = 0 eine Kubik. Fl¨achen der Charakteristik −2 lassen sich nicht in P2 einbetten.

9.6 Pl¨ uckersche Formeln

187

Die Absch¨atzung des analytischen Geschlechts gan (X) gem¨aß Satz 8.2.1 zusammen mit (3) ergibt 1X 1 νc , (4) gan (X) ≤ (n − 1)(n − 2) − c∈C 2 2 mit Gleichheit, sobald χ = 2 − 2gan bewiesen ist (erste Folgerung in 13.1.5).

9.5.7 Glatte Quartiken C ⊂ P2 werden durch die kanonischen Abbildungen ϕ = (ω0 : ω1 : ω2 ) : X → P2 der nicht-hyperelliptischen Fl¨ achen X vom analytischen Geschlecht 3 normalisiert. Beweis. Sei ϕ = (1 : f1 : f2 ) : X → P2 die Normalisierung von C . Nach Satz 9.5.5 sind die polaren Differentialformen ω0 , ω1 = f1 ω0 , ω2 = f2 ω0 holomorph. Sie sind wie 1, f1 , f2 linear unabh¨angig und bilden wegen 9.5.6(4) eine Basis von E1 (X). Daher ist ϕ = (ω0 : ω1 : ω2 ) die kanonische Abbildung. Nach Satz 8.3.5 ist X nicht hyperelliptisch. ¤ P Durch ϕ identifiziert man X mit C¡. P Jede holomorphe Form ω = aj ωj ¢ aj zj . Alle Geraden in P2 haben 6= 0 bestimmt die Gerade Θω := N diese Gestalt. Die Schnittzahlen sind (1) ic (Θω , C) = o(ω, c) f¨ ur c ∈ C . Beweis. Wegen Satz 9.5.5 haben ω0 , ω1 , ω2 keine gemeinsame Nullstelle. Mit jeder Karte (U, z) und ωj = ϕj dz erh¨ alt man die gute Darstellung ϕ|U = P (ϕ0 : ϕ1 : ϕ2 ) . Dann ist ic (Θω , C) = o( aj ϕj , c) = o(ω, c) . ¤ Nach (1) liegen die Nullstellen jeder holomorphen Form ω 6= 0 auf Θω . Jede spezielle Lage von Θω zu C (Tangente, Wendetangente, Doppeltangente) ¡ ¢ l¨aßt sich durch die Ordnungen von ω charakterisieren Aufgabe 9.7.4(ii) .

9.6 Pl¨ uckersche Formeln Um die Formel von Clebsch auf Kurven mit Singularit¨aten anzuwenden, wird die Delta-Invariante genauer untersucht. Wir betrachten wie bisher eine irreduzible Kurve C ⊂ P2 vom Grade n ≥ 2 mit dem Minimalpolynom F und der Normalisierung (X, ϕ) . F¨ ur einen Punkt c ∈ C sei ϕ−1 (c) = {a1 , . . . , ar } . Sei mj := m(ϕ, aj ) und kj := k(ϕ, aj ) . 9.6.1 Die Zerlegung der Delta-Invarianten lautet Xr (1) δc = δjl . j,l=1

Dabei haben die Invarianten δjl ∈ N (keine Kronecker-Symbole) folgende Eigenschaften: (2) δjl ≥ mj ml f¨ ur j 6= l , und zwar δjl = mj ml genau dann, wenn die Tangenten Taj ϕ 6= Tal ϕ verschieden sind. (3) δjj ≥ (mj − 1)(mj + kj ) , und zwar δjj = (mj − 1)(mj + kj ) genau dann, wenn mj und kj teilerfremd sind.

188

9. Ebene Kurven

Beweis. Durch einen Automorphismus von P2 erreicht man c = (1 : 0 : 0) und (0 : 0 : 1) 6∈ C sowie Taj ϕ 6= N (z1 ) f¨ ur j = 1, . . . , r . Das reduzierte Polynom P (z, w) := F (1, z, w) hat die in 9.1.5(1) angegebene normierte Gestalt. Das algebraische Gebilde (X, η, f ) zu P ergibt die Normalisierung ϕ = (1 : η : f ) von C . Eine Scheibe V ⊂ C mit dem Zentrum 0 wird durch η elementar u ¨berlagert, η −1 (V ) = U1 ⊎ . . . ⊎ Ur+s . Dabei werden die Punkte von η −1 (0) = {a1 , . . . , ar , . . . , ar+s } so numeriert, daß {a1 , . . . , ar } = ϕ−1 (c) ⊂ η −1 (0) gilt. Durch die Beschr¨ankungen ηj := η|Uj und fj := f |Uj entstehen gute Darstellungen ϕ|Uj = (1 : ηj : fj ) mit o(ηj , aj ) = mj und o(fj , aj ) ≥ mj f¨ ur j = 1, . . . , r . Denn nach 8.5.1(1) ist mj das Minimum der Ordnungen von ηj und fj bei aj , und o(ηj , aj ) > mj wird durch Taj ϕ 6= N (z1 ) ausgeschlossen. Mit b ∈ C gilt Taj ϕ = N (z2 − bz1 )µ. Nach 9.5.4(4)¶ist ∂P (ηj , fj ), aj . (4) δ(ϕ, aj ) = o ∂w Nach Beschr¨ankung auf V zerf¨allt P |V = P1 · . . . · Pr · . . . · Pr+s in das Produkt der Minimalpolynome Pj ∈ O(V )[w] der Puiseux-Gebilde (Uj , ηj , fj ) . Wir fassen zum Restfaktor R = Pr+1 · . . . · Pr+s zusammen (mit R = 1 , falls s = 0) . Da Pj (ηj , fj ) die Nullfunktion ist, gilt r Y ∂P ∂Pj (5) (ηj , fj ) = (ηj , fj ) · Pl (ηj , fj ) · R(ηj , fj ) . ∂w ∂w l=1 , l6=j

Aus (4),(5) undµ R(η(aj ), f (aj ))¶6= 0 f¨ ur j = 1, . . . , r folgt (1) f¨ ur ∂Pj (ηj , fj ), aj , δlj := o(Pl (ηj , fj ), aj ) mit l 6= j . (6) δjj := o ∂w Zu (2). Wir entwickeln nach Potenzen von w − bz , Pm j (7) Pj (z, w) = (w − bz)mj + ν=1 cν (z)(w − bz)mj −ν mit Koeffizienten cν ∈ O(V ) , und setzen z = ηj ein: Pm j (w − bηj )mj + ν=1 (cν ◦ ηj )(w − bηj )mj −ν = Pj (ηj , w) = Q Q α∈D(ηj ) (w − bηj − [fj − bηj ] ◦ α). α∈D(ηj ) (w − fj ◦ α) = Der Koeffizientenvergleich zeigt, daß cν ◦ ηj das ν-te elementarsymmetrische Polynom zu {(fj − bηj ) ◦ α}α∈D(ηj ) ist und somit bei aj eine Ordnung ≥ ν(mj + kj ) > ν · mj hat. Daher ist o(cν , 0) > ν . Zur Berechnung von δjl = o(Pj (ηl , fl ), al ) f¨ ur l 6= j setzen wir z = ηl und w = fl in (7) ein: Pj (ηl , fl ) = (fl − bηl )mj + Σ . Aus o(fl − bηl , al ) ≥ ml und o(cν ◦ ηl , al ) > ν · ml folgt o(Σ, al ) > mj ml . Da o(fl − bηl , al ) > ml genau dann eintritt, wenn Tal ϕ = N (z2 − bz1 ) = Taj ϕ ist, folgt (2). Zu (3). F¨ ur den Rest des Beweises ist der Index j konstant. Wir lassen ihn weg: a := aj , η := ηj , f := Q fj , P := Pj , δ := δjj , m := mj , k := kj . aß 6.3.2(2) ergibt Die Darstellung P (η, w) = α∈D(η) (w − f ◦ α) gem¨ Q (∂P/∂w)(η, f ) = α∈D(η)\{id} (f − f ◦ α) , also P (8) δ = α∈D(η)\{id} o(f − f ◦ α, a) .

9.6 Pl¨ uckersche Formeln

189

Aus Ta ϕ = N (z2 − bz1 ) folgt wegen 9.4.2(1) o(f − b η, a) = m + k und somit o(f − f ◦ α, a) ≥ m + k f¨ ur α ∈ D(η) \ {id} . Mit (8) folgt δ ≥ (m − 1)(m + k) . Um zu untersuchen, wann diese Ungleichung strikt ist, benutzen wir bei a eine Karte t mit t(a) = 0 und η = tm . Sei D(η) → µm , α 7→ ωα , der Isomorphismus mit t ◦ α = ωα · t . Dann gilt f − bη = tm+k · f ∗ mit f ∗ (a) 6= 0 und f − f ◦ α = tm+k [f ∗ − ωαk · (f ∗ ◦ α)] wegen ωαm = 1 . Der Faktor [. . .] hat bei a den Wert (1 − ωαk ) · f ∗ (a) . Er ist genau dann = 0 , wenn die m-te Einheitswurzel ωα 6= 1 auch eine k-te Einheitswurzel ist, also m und k einen gemeinsamen Teiler ≥ 2 haben. ¤ 9.6.2 Folgerungen. (1) (2) (3) (4) (5)

δjj = 0 ⇔ mj = 1 ; δjj 6∈ {1, 2} ; δjj = 3 ⇔ mj = 2 , kj = 1. F¨ ur j 6= l : δjl ≥ 1 ; δjl = 1 ⇔ mj = ml = 1 und Taj ϕ 6= Tal ϕ . νc ≥ 0 . νc = 0 ⇔ C ist bei c regul¨ ar. νc 6= 1. F¨ ur νc = 2 gibt es genau zwei M¨ oglichkeiten: (a) rc = 2 , m1 = m2 = 1 , Ta1 ϕ 6= Ta2 ϕ , δc = 2 und (b) rc = 1 , m1 = 2 , k1 = 1 , δc = 3 .

¤

Man nennt c im Falle (5a) einen gew¨ ohnlichen Doppelpunkt und im Falle (5b) eine gew¨ ohnliche Spitze der Kurve C . Wenn es keine anderen Singularit¨aten gibt, heißt C eine Pl¨ uckersche Kurve. 9.6.3 Pl¨ uckersche Kurven. Wenn die Fl¨ ache X eine Pl¨ uckersche Kurve C vom Grade n mit d Doppelpunkten und s Spitzen normalisiert, hat sie das analytische Geschlecht g := 12 (n − 1)(n − 2) − (d + s) und die analytische Charakteristik χ = 2 − 2g. Beweis. Nach einer projektiven Transformation hat C keine Singularit¨aten auf der Geraden Θ0 := N (z0 ) . Wegen 9.5.6(4) gen¨ ugt es, in E1 (X) einen Untervektorraum der Dimension ≥ 21 (n − 1)(n − 2) − (d + s) anzugeben: Im 21 (n − 1)(n − 2)- dimensionalen Vektorraum V ⊂ C[z, w] der Polynome vom Grade ≤ n − 3 bilden s¨amtliche Polynome p mit p(c1 , c2 ) = 0 f¨ ur alle Singularit¨aten c = (1 : c1 : c2 ) einen Untervektorraum U der Dimension ≥ 21 (n−1)(n−2)−(d+s) . Denn jede der d+s Gleichungen p(c1 , c2 ) = 0 ist eine lineare Bedingung f¨ ur p und erniedrigt daher die Dimension um ≤ 1 . Sei ϕ = (1 : f1 : f2 ) die Normalisierung von C , und sei ω0 die polare Differentialform. Sei p˜ := p(f1 , f2 ) ∈ M(X) . Alle Formen der Gestalt p˜ ω0 mit p ∈ U bilden einen zu U isomorphen Vektorraum. Es gen¨ ugt zu zeigen, daß p˜ ω0 f¨ ur p ∈ U holomorph ist. Wegen Satz 9.5.5 ist dies ¨aquivalent zu (1) o(˜ p, x) + (n − 3)(Θ0 )ϕ (x) ≥ ν(ϕ, x) f¨ ur p ∈ U und x ∈ X . Wir zeigen zun¨achst: (2) o(˜ p, x) + (n − 3)(Θ0 )ϕ (x) ≥ 0 f¨ ur p ∈ V und x ∈ X . F¨ ur eine gute Darstellung ϕ = (ϕ0 : ϕ1 : ϕ2 ) bei x gilt p˜ = p(ϕ1 /ϕ0 , ϕ2 /ϕ0 ). Da ϕ1 , ϕ2 holomorph sind und gr p ≤ n−3 ist, folgt o(˜ p, x) ≥ (3−n)·o(ϕ0 , x) und damit (2) wegen (Θ0 )ϕ (x) = o(ϕ0 , x) .

190

9. Ebene Kurven

Aus (2) folgt (1), wenn C bei ϕ(x) glatt ist. Die Singularit¨aten ϕ(x) liegen nicht auf Θ0 . Daher ist (Θ0 )ϕ (x) = 0 . Nach 9.6.2(5) gilt ν(ϕ, x) = 1 bzw. = 2 f¨ ur gew¨ohnliche Doppelpunkte bzw. Spitzen c = ϕ(x) . Zum Beweis von (1) muß nur noch o(˜ p, x) ≥ 1 bzw. ≥ 2 f¨ ur Doppelpunkte bzw. Spitzen gezeigt werden: Aus p(c1 , c2 ) = 0 folgt p˜(x) = 0 , also o(˜ p, x) ≥ 1 . Wenn c eine Spitze ist, gilt min{v(f1 , x) , v(f2 , x)} = m(ϕ, x) = 2 . Wegen p(c1 , c2 ) = 0 ist dann o(˜ p, x) ≥ 2 . ¤

P νc statt d+s . Die Bemerkung. Der Satz gilt f¨ ur beliebige Kurven C ⊂ P2 mit 21 Argumentation f¨ ur Doppelpunkte und Spitzen wird durch folgendes Lemma ersetzt, dessen Beweis Methoden der Funktionentheorie mehrerer Variabler erfordert, siehe z.B. die Aufgabenserie in [ACGH], p. 57 ff. Lemma. Zu jeder Singularit¨ at c ∈ C gen¨ ugen 12 νc lineare Bedingungen an p ∈ V , um zu garantieren, daß o(e p, x) ≥ ν(ϕ, x) f¨ ur alle x ∈ ϕ−1 (c) gilt.

9.6.4 Klassenformel. Jede irreduzible Kurve C ⊂ P2 vom Grade n ≥ 2 hat die Klasse X δc . (1) k = n(n − 1) − c∈C

Beweis. Sei F das Minimalpolynom und (X, ϕ) die Normalisierung von C . Mit den partiellen Ableitungen FjP:= ∂F/∂zj und (a0 , a1 , a2 ) ∈ C3 \ {0} bilden wir aj Fj vom Grade n − 1 und den Divisor P das homogene Polynom D := ( aj Fj )ϕ vom Grade n(n − 1) auf X . Mit einer guten Darstellung ϕ|U = (ϕ0 , ϕ1 , ϕ2 ) und gj := Fj (ϕ0 , ϕ1 , ϕ2 ) gilt P (2) D(x) = o ( aj gj , x) f¨ ur x ∈ U . Nach 9.5.4(1) ist ϕ∗ |U = (g0 : g1 : g2 ) eine Darstellung der dualen Abbildung, die mit λ ∈ P O(U ) und ψj := gj /λ zur guten Darstellung (ψ0 : ψ1 : ψ2 ) wird. Sei Θ = N ( aj zj ) . Aus (2) entsteht P D(x) = o(λ, x) + o( aj ψj , x) = δ(ϕ, x) + (Θ)ϕ∗ (x) . Die Summation u ¨ber alle x ∈ X ergibt die Behauptung. ¤

Bei einer Pl¨ uckerschen Kurve mit d Doppelpunkten und s Spitzen bekommt die Klassenformel die 1834 von Pl¨ ucker [Pl¨ u], S. 298-301, angegebene Gestalt ¤ (3) k = n(n − 1) − 2d − 3s .

9.6.5 Wendepunktsformeln. P Wir benutzen die Klassenformel, um in der Formel 9.5.6(3) von Clebsch νc durch k zu ersetzen: P P (1) χ = 2n − k − c (mc − rc ) = 2n − k − x [m(ϕ, x) − 1] . Die entsprechende Formel f¨ ur die duale Kurve lautet P (2) χ = 2k − n − x [k(ϕ, x) − 1] . Denn die Charakteristik χ bleibt erhalten, w¨ahrend n und k sowie m(ϕ, x) und k(ϕ, x) vertauscht werden. Die mit Vielfachheiten berechnete Anzahl der Wendepunkte ist P (3) w := x [k(ϕ, x) − 1] ∈ N . Durch Gleichsetzen von (1) und (2) entsteht X die Wendepunktsformel (mc − rc ) . (4a) w = 3(k − n) + c

9.7 Aufgaben

191

P Wenn man k mittels der Klassenformel wieder durch δc ersetzt, bekommt die Wendepunktsformel die Gestalt X (4b) w = 3n(n − 2) − (3δc − mc + rc ) . c F¨ ur eine Pl¨ uckersche Kurve mit d Doppelpunkten und s Spitzen wird (4b) zu (4c) w = 3n(n − 2) − 6d − 8s . Auch diese Formel stammt von Pl¨ ucker [loc. cit.]. 9.6.6 Historisches. Poncelet entdeckte 1822 ein Dualit¨atsprinzip der zweidimensionalen projektiven Geometrie, gem¨ aß dem aus jedem Lehrsatz u ¨ ber Punkte, Geraden und Kegelschnitte (= Quadriken) durch Vertauschung von Punkten und Geraden ein dualer Lehrsatz entsteht. Pl¨ ucker u ¨bertrug 1834 dieses Prinzip auf Kurven C h¨ oheren Grades, indem er s¨ amtliche Tangenten an C als Punkte einer neuen dualen Kurve C ∗ deutete. Klein, der 1866-68 sein Sch¨ uler und physikalischer Assistent war, nennt die Formeln 9.6.4(3) und 9.6.5(4) von 1834 Pl¨ uckers Hauptleistung in der Theorie der algebraischen Kurven, siehe [Klei 5] , S. 124. Pl¨ ucker widmete sich von 1834 an 30 Jahre lang der Experimentalphysik (Kristallmagnetismus, elektrische Entladungen, Spektrallinien). Danach kehrte er zur Geometrie zur¨ uck, ohne allerdings die Ideen aus Riemanns inzwischen erschienener Abhandlung [Rie 3] u ¨ber Abelsche Funktionen ¨ (1857) in seine Uberlegungen einzubeziehen. Die Betrachtung polarer Differentialformen geht auf Abel , [Ab] XII, Artikel 2 ff., und Riemann, [Ri 3], Artikel 9, zur¨ uck. Riemann hat die Bedeutung seiner Fl¨ achen f¨ ur die algebraische Geometrie sehr wohl erkannt, aber nur am Beispiel ebener Quartiken in Vorlesungen eingehender erl¨ autert. Erst Clebsch brachte mit seiner viel mehr nach außen wirkenden Natur die Bearbeitung auf breiter Grundlage in Gang; vgl. [Klei 5], S. 296. Die Geschlechtsformel f¨ ur Pl¨ uckersche Kurven (Satz 9.6.3) bewies er 1864 mit Hilfe der Riemannschen Resultate u ¨ber Abelsche Funktionen, siehe [Cle]. Seine Sch¨ uler Brill und Noether entwickelten zehn Jahre sp¨ ater in [BN 1] eine algebraische Theorie, in deren Rahmen die Ergebnisse von Clebsch ohne R¨ uckgriff auf Abelsche Funktionen und transzendente Methoden begr¨ undet wurden. Dabei gelang es auch, den Einfluß beliebiger Singularit¨ aten auf das Geschlecht zu erfassen, siehe [Noe]. Mit der Abhandlung [Cle] begr¨ undete Clebsch eine damals neue, abstraktere Sichtweise in der Geometrie: Zwei Kurven werden als isomorph angesehen, wenn ihre normalisierenden Fl¨ achen isomorph sind. Die projektiven Eigenschaften der Kurven, z.B ihre Grade und Singularit¨ aten, k¨ onnen verschieden sein. Shafarevich schrieb 1983 zu Clebschs 150. Geburtstag, [Sha 2]: Diese Abhandlung kann als ” Zeugnis der Geburt der algebraischen Geometrie angesehen werden, als erster Schrei des Neugeborenen.“

9.7 Aufgaben Falls nichts anderes gesagt wird, bezeichnet (X, ϕ) die Normalisierung einer irreduziblen projektiven Kurve C ⊂ P2 vom Grade n ≥ 2 . 1)

b Sei ϕ = (f0 : f1 : f2 ) mit fj ∈ M(X) . Die Funktion η := f1 /f2 : X → C heißt Projektion mit dem Zentrum c := (1 : 0 : 0) . (i) Dr¨ ucke v(η, x) durch m(ϕ, x) und k(ϕ, x) aus. Folgere: gr η = n − mc . Wenn es einen Punkt c ∈ C mit mc = n − 1 gibt, ist C rational.

192

9. Ebene Kurven (ii) Zeige: Jede Normalisierung einer glatten Quadrik ist zu ϕ = (1 : z : z 2 ) : b → P2 projektiv ¨ C aquivalent. Singul¨ are Kubiken sind rational. Wenn es einen Punkt c ∈ C mit mc = n − 2 gibt, ist C rational, elliptisch oder hyperelliptisch. (iii) Vergleiche die Riemann-Hurwitzsche Formel f¨ ur η mit der Formel 9.5.6(3) von Clebsch f¨ ur C und der Formel 8.5.6(4) f¨ ur das Gewicht von ϕ .

2)

Zeige: Die Klasse von C ist die mit Vielfachheiten berechnete Anzahl der Tangenten, die durch einen festen Punkt außerhalb von C laufen. Die einzige selbstduale Kurve C = C ∗ ist C = N (z02 + z12 + z22 ) .

3)

Deute Wendetangenten und Mehrfachtangenten (= Tangenten mit ≥ 2 Ber¨ uhrungspunkten) von C als Singularit¨ aten der dualen Kurve C ∗ . Zeige: Eine glatte Kubik hat neun Wendetangenten und keine Mehrfachtangenten.

4)

Sei C eine glatte Quartik. (i) Zeige: Es gibt 24 gew¨ ohnliche Wendetangenten und 28 Doppeltangenten. Dabei wird jede Tangente Tx ϕ mit k(ϕ, x) = 3 als zwei gew¨ ohnliche Wendetangenten plus eine Doppeltangente gez¨ ahlt. Die 28 Doppeltangenten sind reell sichtbar, siehe z.B. [Fi], S. 9. (ii) Charakterisiere Tangenten, Wendetangenten und Doppeltangenten durch die entsprechenden holomorphen Differentialformen, vgl. 9.5.7. (iii) Zeige: F¨ ur jede Wendetangente Tx ϕ von C = N (z04 + z14 + z24 ) gilt k(ϕ, x) = 3 . Wieviele echte Doppeltangenten gibt es?

5)

Zeige: Hyperelliptische Fl¨ achen vom Geschlecht 3 lassen sich nicht glatt in P2 einbetten.

6)

Sei ϕ die Normalisierung einer glatten Kubik C , so daß ϕ(0) ein Wendepunkt ist. Durch ϕ wird die additive Gruppenstruktur des Torus auf C u ¨bertragen. Zeige: Je drei Punkte a, b, c der Kubik liegen genau dann auf einer Geraden Θ , wenn a + b + c = 0 ist, siehe Figur 9.7.6. Wenn zwei Punkte zusammenfallen, ist Θ die entsprechende Tangente. Genau dann, wenn 3c = 0 ist, ist c ein Wendepunkt. Es gibt neun Wendepunkte.

w a

c b

z

-c Fig. 9.7.6. Die kubische Kurve w2 = z 3 + 1 . Ihr unendlich ferner Punkt (0 : 1 : 0) wird als Nullelement gew¨ ahlt. Dann gilt a + b + c = 0 .

9.7 Aufgaben

193

Hinweis : Sei ϕ = (f0 : f1 : f2 ) . Sei Θ = N (L) , und sei N (L0 ) die Wendetangente durch ϕ(0) . Wende die Abelsche Relation 2.3.2 auf die Funktion L(f0 , f1 , f2 )/L0 (f0 , f1 , f2 ) an. Folgere: Wenn die Koeffizienten der Gleichung der Kubik und die Koordinaten von ϕ(0) in einem Teilk¨ orper k ⊂ C liegen, bilden alle Punkte der Kubik, deren Koordinaten in k liegen, eine Untergruppe.– F¨ ur k = Q kann diese Gruppe endlich oder unendlich sein. Eine Einf¨ uhrung in die daran anschließenden zahlentheoretischen Probleme findet man in [Bu], Kap.4, §2.4. 7)

Sei n ≥ 3 . Zeige: Zu jedem c ∈ C gibt es ein homogenes Polynom F zweiten Grades, so daß die Schnittzahl ic (C; F ) ≥ 5 ist. Man nennt c einen sextaktischen Punkt, wenn ic (C; F ) ≥ 6 erreicht werden kann. Zeige: Alle Singularit¨ aten und Wendepunkte sind sextaktisch. Die Anzahl der sextaktischen Punkte ist endlich. ¨ Beweise f¨ ur eine glatte Kubik (Aufgabe 6) die Aquivalenz der Aussagen: ϕ(x) ist sextaktisch. ⇔ 6x = 0 ⇔ Die Tangente Tx ϕ trifft die Kubik in einem Wendepunkt. Zeige: Der Punkt (2, 3) in Figur 9.7.6 ist sextaktisch.

8)

Zeige, daß die Polynome w2 −(1−z 2 )(1−µ2 z 2 ) f¨ ur µ ∈ C \{0, ±1} elliptische Kurven Cµ ⊂ P2 mit genau einer Singularit¨ at c definieren und jeder Torus eine solche Kurve normalisiert. Wie lauten die Invarianten rc , mc und δc ?

Das Studium der δ-Invarianten in 9.6.1 wird mit den Aufgaben 9)-11) fortgesetzt. 9) Beweise die Symmetrie δjk = δkj . 10) Wir betrachten 9.6.1(8) und lassen den konstanten Index j weg. Sei η = tm0 , und sei f = c1 tm1 + c2 tm2 + . . . die Puiseux-Entwicklung mit cν 6= 0 und m0 ≤ m1 < m2 < . . . . Sei Dν := ggT {m0 , . . . , mν−1 }. Zeige ([Mil], p. 92 f): (i) m0 = D1 ≥ D2 ≥ · · · ≥ Dk+1 = 1 nach endlich vielen Schritten, und Dν+1 teilt Dν . ³Q ´ P k (ii) δ := o id 6=α∈D(η) (f − f ◦ α), a = ν=1 mν (Dν − Dν+1 ). Hinweis : Sei Aν := {α ∈ D(η) : αDν = id aber αDν+1 6= id} . Dann ist ♯ Aν = Dν − Dν+1 und o(f − f ◦ α, a) = mν ⇔ α ∈ Aν . (iii) δ − m0 + 1 ist gerade. (iv) Folgere: F¨ ur jeden Punkt c ∈ C ist νc = δc − mc + rc gerade.

11) Man nennt c ∈ C einen gew¨ ohnlichen r-fachen Punkt , wenn die Faser ϕ−1 (c) der Normalisierung aus r Punkten a1 , . . . , ar mit m(ϕ, aj ) = 1 und paarweise verschiedenen Tangenten Taj ϕ besteht. Zeige: Dann ist δc = r(r − 1) .

10. Harmonische Funktionen

Ein Fundamentalproblem der Funktionentheorie auf Riemannschen Fl¨achen ist die Existenz nicht-konstanter meromorpher Funktionen. Nach dem Vorbild von Riemanns Dissertation (1851) werden zun¨achst reelle harmonische Funktionen konstruiert, die lokal Realteile holomorpher Funktionen sind. Dazu benutzte Riemann eine Methode der Potentialtheorie, die er als Dirichletsches Prinzip bezeichnete und nicht weiter begr¨ undete; siehe die historischen Bemerkungen in 10.3.4. Wir folgen statt dessen einem 1923 von Perron ersonnenen Verfahren. Es beginnt mit subharmonischen Funktionen. Sie sind noch nicht so starr wie harmonische Funktionen und lassen sich ¨ahnlich wie stetige Funktionen durch Zusammenst¨ uckeln“ an Vorgaben anpassen. Harmonische Funktionen ” auf Fl¨achen, die ein Kreisscheiben-Loch besitzen, werden als Suprema von Familien subharmonischer Funktionen gewonnen. Mit ihnen l¨aßt sich (als Nebenergebnis) die Abz¨ ahlbarkeit der Topologie f¨ ur jede zusammenh¨angende Riemannsche Fl¨ache beweisen. Wenn man das Scheibenloch zu einem Punkt a schrumpfen l¨aßt, entstehen Greensche Funktionen bzw. Elementarpotentiale n-ter Ordnung, die außerhalb von a harmonisch sind und in a eine vorgegebene Singularit¨at wie log |z| bzw. Re(z −n ) in 0 haben. Eine harmonische Funktion u mit isolierter Singularit¨at in a ist im allgemeinen nicht der Realteil einer außerhalb von a holomorphen Funktion, wie das Beispiel u(z) = log |z| mit a = 0 zeigt. Aber u hat eine meromorphe Differentialform d′ u als Ableitung“ (im Beispiel d′ log |z| = dz/z). ” Durch die Quotienten dieser Formen zu den Greenschen Funktionen bzw. Elementarpotentialen erh¨alt man genug meromorphe Funktionen, um den in 6.5 angek¨ undigten Riemannschen Existenzsatz zu beweisen. Die Ableitungen d′ u der Elementarpotentiale auf kompakten Fl¨achen bilden in 13.1.2 den Ausgangspunkt f¨ ur den Beweis des Satzes von Riemann-Roch. Schließlich l¨aßt sich ausgehend von den Greenschen Funktionen bzw. den Elementarpotentialen erster Ordnung der Abbildungssatz beweisen, den Riemann im 21. Artikel seiner Dissertation [Ri 2] aufstellte, aber nicht begr¨ undete: b , C oder E isomorph. Jede einfach zusammenh¨ angende Fl¨ ache ist zu C Die Ausf¨ uhrung der Existenzbeweise f¨ ur die Greenschen Funktionen und Elementarpotentiale sowie die darauf aufbauenden Beweise der Riemannschen S¨atze wurden durch Vorlesungen von Huber angeregt, siehe [Hub]. Mit X wird stets eine zusammenh¨ angende Riemannsche Fl¨ache bezeichnet.

10.1 Grundlagen

195

10.1 Grundlagen Harmonische Funktionen u : X → R sind lokal Realteile holomorpher Funktionen fU . Die Ableitungen dfU f¨ ugen sich zu einer global definierten holomorphen Differentialform d′ u zusammen. 10.1.1 Harmonische Funktionen und ihre Ableitungen. Eine Funktion u : X → R heißt harmonisch, wenn X durch Scheiben U u ¨berdeckt wird, zu denen Funktionen fU ∈ O(U ) existieren, so daß u|U = Re fU ist. Jede Funktion fU ist durch u bis auf die Addition einer rein imagin¨aren Konstanten eindeutig bestimmt und hat somit eine Ableitung dfU ∈ E1 (U ) , die nur von u|U abh¨angt. Alle dfU setzen sich zu einer Form d′ u ∈ E1 (X) so zusammen, daß (d′ u)|U = dfU gilt. Man nennt d′ u die holomorphe Ableitung. Alle in X harmonischen Funktionen bilden einen reellen Vektorraum H(X) . F¨ ur jede holomorphe Abbildung η : X → Y und jedes v ∈ H(Y ) geh¨ort v ◦η ¨ zu H(X) . Es gilt d′ (v ◦ η) = η ∗ (d′ v) . Mittels der universellen Uberlagerung ζ : Z → X beweist man f¨ ur jeden Weg γ in X von a nach b Z (1) Re d′ u = u(b) − u(a) . γ



Satz. Die Ableitung d : H(X) → E1 (X) ist R-linear; ihr Kern besteht aus den konstanten Funktionen, und ihr Bild besteht aus allen Formen in E1 (X) mit rein imagin¨ aren Perioden. Beweis. Die meisten Behauptungen lassen sich direkt verifizieren. Wir zeigen nur, wie man zu einer Form ω ∈ E1 (X) mit rein imagin¨aren Perioden eine Funktion u ∈ H(X) findet, so daß ω = d′ u ist: Auf der universellen ¨ Uberlagerung Z gibt es eine Funktion f ∈ O(Z) mit df = ζ ∗ ω . Wegen der rein imagin¨aren Perioden ist Ref l¨angs jeder ζ-Faser konstant. Daher gibt es eine Funktion u : X → R mit Ref = u ◦ ζ . F¨ ur sie gilt u ∈ H(X) und d′ u = ω . ¤ F¨ ur jedes Gebiet X ⊂ C besteht H(X) aus allen C 2 -Funktionen u , welche mit z = x + iy die Laplacesche Differentialgleichung ∆u := uxx + uyy = 0 erf¨ ullen. Zu u geh¨ort die Form d′ u = (ux − iuy )dz . Beispiel. log |z| ∈ H(C× ) hat die Ableitung d′ log |z| = dz/z . 10.1.2 Fundamentaleigenschaften holomorpher Funktionen vererben sich auf harmonische Funktionen: Offenheitssatz. Jede nicht konstante Funktion u ∈ H(X) ist eine offene Abbildung u : X → R mit lokal endlichen Fasern. Beweis. Jeder Punkt liegt in einer Scheibe U , so daß u|U = Ref f¨ ur ein f ∈ O(U ) gilt. Die Funktion f ist nach 1.3.3 offen und hat lokal endliche Fasern. Dasselbe gilt dann f¨ ur u|U = Ref und daher f¨ ur u auf ganz X . ¤ Mit dem Satz von Poicar´e-Volterra in 3.5.2 folgt die

196

10. Harmonische Funktionen

Abz¨ ahlbarkeit der Topologie. Wenn es eine nicht-konstante Funktion u ∈ H(X) gibt, ist die Topologie von X abz¨ ahlbar. ¤ Maximumprinzipien. (i) Hat u ∈ H(X) an einer Stelle a ∈ X ein lokales Maximum bzw. Minimum, so ist u konstant in X . Auf kompakten, zusammenh¨ angenden Fl¨ achen sind harmonische Funktionen konstant. ¯ . Sei ∂G := G ¯ \ G . Wenn (ii) Sei G ⊂ X ein Gebiet mit kompakter H¨ ulle G ¯ u auf G stetig und in G harmonisch aber nicht konstant ist, gilt min u(∂G) < u(x) < max u(∂G) f¨ ur alle x ∈ G . Beweis. (i) Es gibt offene Umgebungen von a mit nicht-offenen u-Bildern. ¯ < u(x) < max u(G) ¯ f¨ (ii) Wegen (i) gilt min u(G) ur alle x ∈ G . Daher ist ¯ ¯ min u(G) = min u(∂G) und max u(G) = max u(∂G) ¤

Folgerung. Sei X kompakt. Wenn alle Perioden von ω ∈ E1 (X) reell sind, ist ω = 0 . Denn nach Satz 10.1.1 gilt iω = d′ u f¨ ur eine Funktion u ∈ H(X) . Wegen (i) ist u konstant, also d′ u = 0 . ¤ Identit¨ atssatz. (i) Zwei Funktionen u, v ∈ H(X) , die in einer nicht-leeren offenen Menge U u ¨bereinstimmen, sind identisch. ¯ . Seien u, v stetig auf G ¯ (ii) Sei G ⊂ X ein Gebiet mit kompakter H¨ ulle G ¯ und harmonisch in G . Aus u|∂G = v|∂G folgt u = v in G . Beweis. (i) Die Funktion u − v ∈ H(X) ist auf U konstant = 0 und daher nach dem Offenheitssatz auf ganz X konstant = 0 .– (ii) Man wende das Maximumprinzip (ii) auf u − v an. ¤ 10.1.3 Harmonische Funktionen in Ringgebieten. Sei A := {z ∈ C : r < |z| < R} ein Ringgebiet um 0 , wobei 0 ≤ r < R ≤ ∞ . Satz. Jede Funktion u ∈ H(A) l¨ aßt sich als (1) u(z) = β0 log |z| + Ref (z) mit β0 ∈ R und f ∈ O(A) darstellen. Sie hat die Ableitung (2) d′ u = β0 dz/z + df . Die Funktion u l¨ aßt sich in eine normal konvergente reelle Fourier-Reihe entwickeln: F¨ ur r < t < R und ϕ ∈ R gilt ∞ ¡ ¢ P (αν tν +α−ν t−ν ) cos νϕ+(βν tν +β−ν t−ν ) sin νϕ u(teiϕ ) = α0 +β0 log t+ ν=1

Beweis. Jede Funktionen u ∈ H(A) hat eine Ableitung d′ u der Gestalt (2). Daraus folgt f¨ ur u die Gestalt (1). Durch den Realteil der LaurentP Entwicklung f = aν z ν erhalten wir die angegebene normal konvergente Fourier-Reihe. Bis auf β0 sind ihre Koeffizienten die Real- und Imagin¨arteile der Laurent-Koeffizienten: aν = αν − iβν . ¤ F¨ ur r < t < R folgen aus der Fourier-Reihe die Integralformeln: Z 2π 1 u(teiϕ ) dϕ = α0 + β0 log t (3a) a0,t := 2π 0

10.1 Grundlagen

(3b)

(3c)

aν,t

1 := π

bν,t :=

1 π

Z

Z



u(teiϕ ) cos νϕ dϕ = αν tν + α−ν t−ν

f¨ ur ν ≥ 1

u(teiϕ ) sin νϕ dϕ = βν tν + β−ν t−ν

f¨ ur ν ≥ 1 .

0

0

197



Erg¨ anzung: Wenn 0 < r < R < ∞ gilt und u auf A¯ stetig ist, kann man beide Radien t = r und = R in (3) einsetzen und nach den Fourier-Koeffizienten aufl¨osen. Das f¨ uhrt auf die in 10.7.6-7 ben¨otigten Formeln: a0,R − a0,r a0,r log R − a0,R log r , β0 = (4a) α0 = log R − log r log R − log r Rν aν,R − rν aν,r ν (4b) αν = , α−ν = r (aν,r − rν αν ) f¨ ur ν ≥ 1 R2ν − r2ν Rν bν,R − rν bν,r , β−ν = rν (bν,r − rν βν ) f¨ ur ν ≥ 1 . ¤ (4c) βν = R2ν − r2ν 10.1.4 Isolierte Singularit¨ aten. Sei z : (U, a) → (E, 0) eine Karte. Wir benutzen Satz 10.1.3 f¨ ur r = 0 . F¨ ur jede Funktion u ∈ H(U \ {a}) gilt d′ u = βdz/z + df mit β ∈ R und f ∈ O (U \ {a}) . Das Residuum β = res (d′ u, a) und der Typ der isolierten Singularit¨at von f in a h¨angen nicht von z ab. Wir nennen a einen n-fachen Pol von u , wenn β = 0 ist und f in a einen n-fachen Pol hat. Wenn β 6= 0 ist und f holomorph nach a fortsetzbar ist, nennen wir a eine logarithmische Singularit¨ at von u ; sie heißt normiert, wenn β = res (d′ u, a) = −1 ist. Das ist genau dann der Fall, wenn sich u + log |z| harmonisch nach a fortsetzen l¨aßt. Hebbarkeitssatz. Sei a ∈ X . Jede auf X \ {a} harmonische Funktion, die um a beschr¨ ankt ist, l¨ aßt sich nach a harmonisch fortsetzen. Beweis. F¨ ur eine Karte z : (U, a) → (E, 0) gilt u|(U \ {a}) = β log |z| + Re f mit β ∈ R und f ∈ O(U \ {a}) . Da u um a beschr¨ankt ist, folgt β = 0 aus 10.1.3(3a). Somit hat f um a einen beschr¨ankten Realteil und l¨aßt sich daher holomorph nach a fortsetzen. ¤ 10.1.5 Homologisch einfach zusammenh¨ angende Fl¨ achen. Sei E ⊂ X lokal endlich und H1 (X) = 0 . F¨ ur u ∈ H(X \ E) gilt: (i) Wenn alle Punkte von E Pole von u sind, gibt es ein f ∈ M(X) mit Re f = u auf X \ E . (ii) Wenn u in allen Punkten von E logarithmische Singularit¨ aten hat und die entsprechenden Residuen von d′ u ganzzahlig sind, gibt es ein f ∈ M(X) mit |f | = eu auf X \ E und o(f, x) = res (d′ u, x) f¨ ur x ∈ X . ′ Beweis. (i) Man kann d u zu einer Form zweiter Gattung auf X fortsetzen. Nach dem Cauchyschen Integralsatz in 7.7.4 gibt es ein f ∈ M(X) mit d′ u = df . Durch Addition einer reellen Konstanten erreicht man Ref |(X \ E) = u . (ii) Die Form d′ u l¨aßt sich zu einer Form dritter Gattung auf X fortsetzen, welche ganzzahlige Residuen hat. Nach 7.8.3(3) ist d′ u = df /f die logarithmische Ableitung einer Funktion f ∈ M(X) . Man w¨ahlt einen Basispunkt

198

10. Harmonische Funktionen

a ∈ X\E und zu jedem x ∈ X\E einen Weg γ in X\E von a nach x . Nach R 7.8.1(4) gilt exp γ d′ u = f (x)/f (a) , also exp[u(x) − u(a)] = |f (x)/f (a)| . Man bestimmt den bei f frei verf¨ ugbaren Faktor so, daß |f (a)| = exp u(a) ist und erh¨alt |f | = eu . ¤

10.2 Die Poissonsche Integralformel Der Cauchyschen Integralformel f¨ ur holomorphe Funktionen entspricht die Poissonsche Integralformel f¨ ur harmonische Funktionen. Die Rolle des Cauchy-Kerns 1/(ζ − z) u ¨bernimmt der Poisson-Kern ¶¸ · µ ζ +z 1 2 |ζ|2 − |z|2 , z, ζ ∈ C , z 6= ζ , = Re = Re ζ − P (z, ζ) := |ζ − z|2 ζ −z ζ −z ζ der sich in Polarkoordinaten so schreibt: R2 − r 2 P (reiϕ , Reiθ ) = 2 . R − 2Rr cos(θ − ϕ) + r2 ¨ Die Poissonsche Formel erm¨oglicht die Ubertragung der Konvergenzs¨atze von Weierstraß und Montel auf harmonische Funktionen (10.2.3-4). Wir erg¨anzen sie durch Harnacks Ergebnisse zur monotonen Konvergenz. Auf ihnen und ihrer Weiterentwicklung durch Perron beruhen die wichtigen Beitr¨age harmonischer Funktionen zur komplexen Funktionentheorie.

10.2.1 Cauchysche und Poisssonsche Integralformel. Wir zerlegen die Cauchysche Integralformel in Real- und Imagin¨arteil. Sei B = ER , R < ∞ . ¯ . F¨ Sei f holomorph um B ur z ∈ B gilt Z Z 2π dζ 1 1 P (z, Reiθ )f (Reiθ )dθ . P (z, ζ)f (ζ) = (1) f (z) = 2πi ∂B ζ 2π 0 Beweis. F¨ ur jeden Punkt w ∈ B ist f (z)/(R2 − wz) ¯ als Funktion von z ¯ . Daher gilt nach der Cauchyschen Integralformel holomorph um B Z f (z) 1 f (ζ) dζ = f¨ ur w, z ∈ B . R2 − wz ¯ 2πi ∂B R2 − wζ ¯ ζ −z Setzt man w := z und beachtet R2 − z¯ζ = ζ(ζ¯ − z¯) , so folgt (1). ¤ ¯ harmonische Funktion u der Realteil einer Nach Satz 10.1.1 ist jede um B holomorphen Funktion f . Daher folgt aus (1) die

10.2 Die Poissonsche Integralformel

Poissonsche Integralformel Z 2π 1 P (z, Reiθ )u(Reiθ )dθ (2) u(z) = 2π 0

199

f¨ ur z ∈ B .

Die Spezialf¨alle z = 0 bzw. u = 1 ergeben Z 2π 1 (3) u(0) = u(Reiθ )dθ (Mittelwertgleichung) , 2π 0 Z 2π 1 (4) P (z, Reiθ )dθ = 1 f¨ ur z ∈ B . 2π 0 10.2.2 Vorgabe von Randwerten. F¨ ur B wie in 10.2.1 und jede stetige Funktion f : ∂B → R ist Z 2π 1 (1) u(z) := P (z, Reiθ )f (Reiθ )dθ f¨ ur z ∈ B 2π 0 der Realteil der holomorphen Funktion Z2π iθ Z 1 dζ 1 Re + z ζ +z (2) h(z) := f (ζ) = f (Reiθ )dθ . 2π ∂B ζ − z ζ 2π Reiθ − z 0

Insbesondere ist u harmonisch in B . F¨ ur z mit |z| ≤ r < R gilt: Z 2π R+r 1 R+r |f (Reiθ )| dθ ≤ |f |∂B . (3) |u(z)| ≤ |h(z)| ≤ 2π R − r 0 R−r

Dabei ist |f |A := sup {|f (x)| : x ∈ A} .– (3) folgt aus |ζ + z|/|ζ − z| ≤ (R + r)/(R − r) f¨ ur |ζ| = R und |z| ≤ r . ¤ 10.2.3 Weierstraßscher Konvergenzsatz. (a) Jede kompakt konvergente Folge un ∈ H(X) hat eine Grenzfunktion u ∈ H(X) . ¯ , und sei un eine Folge (b) Sei G ⊂ X ein Gebiet mit kompakter H¨ ulle G ¯ stetiger Funktionen auf G , die in G harmonisch sind. Wenn un auf ∂G ¯ , und die auf G ¯ stetige Grenzgleichm¨ aßig konvergiert, gilt dasselbe auf G funktion ist in G harmonisch. Beweis. Es gen¨ ugt, (a) f¨ ur X = E zu beweisen. Sei 0 < R < 1 . Nach R 2π 10.2.1(2) gilt 1 P (z, Reiθ )un (Reiθ ) dθ un (z) = 2π 0

f¨ ur alle z ∈ B := ER . Da die Folge un |∂B gleichm¨aßig gegen u|∂B konvergiert, kann man Integration und Limes vertauschen: R 2π 1 u(z) = 2π P (z, Reiθ )u(Reiθ ) dθ f¨ ur z ∈ B . 0 Nach 10.2.2 ist dann u ∈ H(ER ) f¨ ur alle R ∈ (0, 1) , also u ∈ H(E) . Zu (b). Sei ε > 0 . Es gibt ein k ∈ N , so daß |um − un |∂G ≤ ε f¨ ur alle m, n ≥ k . Das Maximumprinzip gibt |um − un |G¯ ≤ ε f¨ ur alle m, n ≥ k . Die ¯. Folge un konvergiert daher gleichm¨aßig auf G ¤

200

10. Harmonische Funktionen

10.2.4 Satz von Montel. Jede lokal beschr¨ ankte Folge u1 , u2 , . . . in H(X) hat eine kompakt konvergente Teilfolge, deren Limes zu H(X) geh¨ ort. ¯ R . Dann existiert eine Beweis. Zun¨achst sei X eine Umgebung von E Schranke M mit |uν (z)| ≤ M f¨ ur |z| ≤ R und alle ν . Nach 10.2.2(3) gibt es Funktionen hν ∈ O(ER ) mit Re hν = uν |ER , so daß |hν (z)| ≤ M (R + r)/(R − r) f¨ ur |z| ≤ r < R und alle ν gilt. Die Folge hν ist somit lokal beschr¨ankt. Nach dem kleinen Satz von Montel, siehe 5.6.3, konvergiert eine Teilfolge der hν kompakt auf ER . Dasselbe gilt dann f¨ ur die Realteile. Die Fl¨ache X wird wegen der Abz¨ahlbarkeit der Topologie, siehe 10.1.2, durch abz¨ahlbar viele Scheiben B1 , B2 , . . . mit kompakten H¨ ullen u ¨berdeckt. ¯1 gleichm¨aßig. Von u1,ν gibt Eine Teilfolge u1,ν von uν konvergiert auf B ¯2 , also auch auf B1 ∪ B2 gleichm¨aßig es eine Teilfolge u2,ν , welche auf B konvergiert, usw. Die Diagonalfolge uν,ν konvergiert kompakt auf X . ¤ 10.2.5 Harnacksches Prinzip. Wir verlassen die Analogie zu den holomorphen Funktionen und betrachten nach Harnack [Harn], S. 62-68, die monotone Konvergenz harmonischer Funktionen.– Der Mathematiker Axel Harnack (1855-1888), ein Sch¨ uler von Felix Klein, war ein Bruder des sp¨ater geadelten Theologen Adolf von Harnack (1851-1930).– Der Ausgangspunkt ist die direkt aus der Mittelwertgleichung und 10.2.2(3) folgende Harnacksche Ungleichung. Sei 0 < r < R < 1 , sei u harmonisch in E und nie negativ. Dann gilt ¯r (1) u(z) ≤ u(0)(R + r)/(R − r) f¨ ur alle z ∈ E ¤ Harnackscher Konvergenzsatz. Sei un eine monoton wachsende Folge von Funktionen in H(E) . Wenn die Folge un (a) an einer Stelle a ∈ E beschr¨ ankt ist, konvergiert un kompakt gegen eine in E harmonische Funktion. Beweis. Ohne Beschr¨ankung der Allgemeinheit sei a = 0 . Wegen der Monotonie existiert lim un (0) ∈ R . Zu ε > 0 gibt es also ein N , so daß um (0) − un (0) ≤ ε f¨ ur m ≥ n ≥ N gilt. Mit (1) folgt, wenn 0 < r < R < 1 ¯ r . Da ist, 0 ≤ um (z) − un (z) ≤ ε(R + r)/(R − r) f¨ ur m ≥ n ≥ N und z ∈ E r ∈ (0, 1) beliebig ist, konvergiert die Folge un in E kompakt. Nach 10.2.3 ist ihre Grenzfunktion harmonisch in E . ¤ Harnacksches Prinzip. Es sei F eine nicht leere Menge von harmonischen Funktionen in E . Zu je zwei Funktionen u1 , u2 ∈ F gebe es eine Funktion u ∈ F mit u ≥ max{u1 , u2 } . Die obere Einh¨ ullende u ˜ mit u ˜(z) := sup{u(z) : u ∈ F}, ist harmonisch in E oder konstant ∞. Beweis. Sei a ∈ E und u ˜(a) < ∞ . Es gibt eine Folge von Funktionen un ∈ F mit lim un (a) = u ˜(a) . Wir w¨ahlen induktiv Funktionen u ˆn ∈ F , so daß u ˆ1 = u1 und u ˆn ≥ max{un , u ˆn−1 } . Dann gilt u ˆ1 ≤ u ˆ2 ≤ . . . in E und u ˆn (a) ≤ u ˜(a) . Nach dem Harnackschen Konvergenzsatz konvergiert u ˆn in E gegen eine harmonische Funktion u ˆ . Wegen un (a) ≤ u ˆn (a) gilt u ˆ(a) = u ˜(a) . Wir behaupten, daß u ˆ=u ˜ in ganz E gilt: Sei b ∈ E . Es gibt Funktionen

10.3 Dirichletsches Randwertproblem

201

vn ∈ F mit lim vn (b) = u ˜(b) . Wir w¨ahlen vˆn ∈ F so, daß vˆ1 = v1 und vˆn ≥ max {vn , vˆn−1 , u ˆn } . Wegen vˆn (a) ≤ u ˜(a) konvergiert die Folge vˆn in E kompakt gegen eine harmonische Funktion vˆ . Nach Wahl der vˆn gilt vˆ ≥ u ˆ in E und vˆ(a) = u ˜(a) , vˆ(b) = u ˜(b) . Die harmonische Funktion u ˆ − vˆ ≤ 0 nimmt also in a ein Maximum an. Mit dem Maximumsprinzip folgt u ˆ = vˆ in E , also u ˆ(b) = u ˜(b) . ¤

10.3 Dirichletsches Randwertproblem Sei f : ∂G → R auf dem Rande eines Gebietes G ⊂ X stetig. Die Aufgabe, ¯ stetigen und in G harmonischen Funktion fortzusetzen, f zu einer auf G heißt Dirichletsches Randwertproblem. Ausgehend von 10.2.2 l¨osen wir es f¨ ur Kreisscheiben und anschließend f¨ ur Ringgebiete. Sei B := ER und R < ∞ . 10.3.1 Satz von Schwarz (L¨ osung f¨ ur Kreisscheiben). Zu jeder ste¯ stetige und in B tigen Funktion f : ∂B → R gibt es genau eine auf B harmonische Funktion u mit u|∂B = f . Mit dem Poisson-Kern P gilt Z2π 1 P (z, Reiθ )f (Reiθ ) dθ f¨ ur z ∈ B . (1) u(z) = 2π 0

U z· B

g

°

·

a

2j ·z

Fig. 10.3.1 Die durch das Integral (1) definierte harmonische Funktion u auf B schließt sich in jedem Randpunkt a stetig an die gegebene Funktion f an.

Beweis. Die Eindeutigkeit von u folgt aus dem Identit¨atssatz (ii) in 10.1.2. ¯ → R auf B durch (1) und auf ∂B als f . Nach 10.2.2 Wir definieren u : B ist u|B harmonisch. Es bleibt zu zeigen (und das ist die crux), daß u an jeder Stelle a ∈ ∂B stetig ist. Folgendermaßen finden wir zu jedem ε > 0 eine Umgebung U von a , so daß |u(z) − f (a)| < ε f¨ ur z ∈ U ∩ B gilt, siehe Figur 10.3.1: In (1) k¨onnen wir R durch a ersetzen. Wegen 10.2.1(4) gilt ¡ ¢ R 2π 1 u(z) − f (a) = 2π P (z, aeiθ ) f (aeiθ ) − f (a) dθ . 0 Durch ein ϕ ∈ (0, π) zerlegen wir die rechte Seite in zwei Integrale v1 (z) f¨ ur −ϕ ≤ θ ≤ ϕ und v2 (z) f¨ ur ϕ ≤ θ ≤ 2π − ϕ . Wenn man ϕ klein genug macht, gilt |v1 (z)| < ε/2 f¨ ur alle z ∈ B . Zur Absch¨atzung von v2 (z) w¨ahlen ¯ den Bogen γ = {aeiθ : ϕ ≤ θ ≤ 2π − ϕ} nicht trifft. wir U so klein, daß U

202

10. Harmonische Funktionen

Es gibt dann ein d > 0 , so daß f¨ ur alle (z, ζ) ∈ (U ∩ B) × γ der Abstand |ζ − z| ≥ d ist und ¢ 2R 2R ¡ |a|2 − |z|2 |a| − |z| ≤ 2 |z − a| < P (z, ζ) = |ζ − z|2 d2 d gilt. Damit sch¨atzen wir das Integral v2 (z) ab: |v2 (z)| < 2R|z − a| · M/d2 mit M = max{|f (ζ) − f (a)| : ζ ∈ ∂B} . Wenn man U klein genug macht, folgt |v2 (z)| < ε/2 f¨ ur z ∈ U ∩ B . ¤ Unter dem Einfluß von Weierstraß und Heine legte Schwarz in [Sch] 2, S. 178 und 188, gr¨ oßten Wert auf einen genauen Stetigkeitsbeweis.– Es gibt kein entsprechendes Ergebnis f¨ ur holomorphe Funktionen: Eine stetige Funktion f : ∂E → C hat ¯ , die auf E holomorph ist. i.a. keine stetige Fortsetzung nach E

10.3.2 Trigonometrische Approximation. Zu jeder stetigen Funktion f : ∂E → R und zu jedem ε > 0 existiert ein Polynom p ∈ C[z] , so daß gilt: |f − Re p|∂E ≤ ε. Beweis. W¨ahlt man u zu f wie im Schwarzschen Satz, so gibt es ein t ∈ (0, 1) mit |f (ζ) − u(tζ)| ≤ ε/2 f¨ ur alle ζ ∈ ∂E (gleichm¨aßige Stetigkeit auf Kompakta). Es gibt ein h ∈ O(E) P mit u|E = Re h . Wegen der normalen KonverPn ∞ ν ν genz der Taylorreihe h(z) = 0 aν z ν in E gilt |h(tζ) − 0 aν tP ζ | ≤ ε/2 n f¨ ur alle ζ ∈ ∂E und große n . Die Behauptung folgt f¨ u¢r p(z) := 0 aν tν z ν ¡ wegen f (ζ) − Re p(ζ) = f (ζ) − u(tζ) + Re h(tζ) − p(ζ) f¨ ur alle ζ ∈ ∂E . ¤ Bemerkung. Wegen ζ = eiϕ = cos ϕ + i sin ϕ spricht man von trigonometrischer Approximation.

10.3.3 L¨ osung f¨ ur Ringgebiete. Seien 0 < r < R reelle Zahlen. (1) Zu zwei komplexen Polynomen p(z) und P (z) gibt es eine auf C× harmonische Funktion u mit u = Re p auf ∂Er und u = Re P auf ∂ER . Beweis. Zun¨achst sei p(z) = az n ein Monom 6= 0 und P (z) = 0 . Im Falle n = 0 leistet u(z) = α log |z| + β mit geeigneten reellen Zahlen α, β das n ¯ 2n −n Gew¨ unschte. Im Falle n ≥ 1 bildet ¡ man u(z) ¢ = Re(bz − bR z ) . Dann 2n ist u|∂ER = 0 , und mit b := a/ 1 − (R/r) erreicht man zus¨atzlich u = Re (az n ) l¨angs ∂Er . Ebenso folgt (1), wenn p(z) = 0 und P (z) = az n ist. Der allgemeine Fall ergibt sich durch Bildung endlicher Summen. ¤ Satz. Jede auf dem Rande ∂A des Ringgebietes A := {z ∈ C : r < |z| < R} stetige, R-wertige Funktion f l¨ aßt sich in eindeutiger Weise zu einer auf A¯ stetigen und in A harmonischen Funktion fortsetzen. Beweis. Zu jeder nat¨ urlichen Zahl n gibt es wegen der trigonometrischen Approximation 10.3.2 zwei komplexe Polynome pn und Pn mit (2) |f − pn |∂Rr < n−1 und |f − Pn |∂ER < n−1 . Nach (1) kann man in (2) beide Polynome durch eine Funktion un ∈ H(C× ) ersetzen. Dann konvergiert un |∂A gleichm¨aßig nach f . Nach 10.2.3 (b) konvergiert un auf A¯ gegen eine stetige Funktion u , die in A harmonisch ist. Der Identit¨atssatz (ii) in 10.1.2 zeigt die Eindeutigkeit. ¤

10.4 Subharmonische Funktionen

203

10.3.4 Historisches. Riemann lernte in Dirichlets Vorlesungen den um 1850 aktuellen Stand der Potentialtheorie kennen, welcher kurz zuvor durch Arbeiten von W. Thompson (Lord Kelvin) erreicht worden war. Durch Riemanns Vorbild werden noch heute potentialtheoretische Probleme und Methoden nach Dirichlet benannt, obwohl er nicht der Urheber sondern nur der Vermittler war. Das Dirichletsche Prinzip, welches Riemann zur L¨ osung der Randwertaufgabe heranzog, wird von uns nicht benutzt. Die berechtigte Kritik an diesem Prinzip, die schon zu Riemanns Lebzeiten laut wurde, erweckte seinerzeit Zweifel, ob die Riemannsche Funktionentheorie sicher begr¨ undet sei. Siehe dazu S. Hildebrandt, Bemerkung zum Dirichletschen Prinzip, in [Wyl 1].

10.4 Subharmonische Funktionen Der Weg zur Konstrukion harmonischer Funktionen mit vorgegebenen Singularit¨aten w¨are weniger m¨ uhsam, wenn mit je zwei harmonischen Funktionen u, v auch max(u, v) harmonisch w¨are. Subharmonische Funktionen haben diese Eigenschaft und erf¨ ullen wie die harmonischen das Maximumprinzip. Perron schlug daher 1923 vor, Familien subharmonischer Funktionen heranzuziehen, welche in Verallgemeinerung des Harnackschen Prinzips ebenfalls harmonische Suprema besitzen. 10.4.1 Definition. Elementare Eigenschaften. Eine stetige Funktion v : X → R heißt subharmonisch, wenn f¨ ur jedes Gebiet G ⊂ X und jede Funktion h ∈ H(G) gilt: Aus v|G ≤ h folgt v(x) < h(x) f¨ ur alle x ∈ G oder v|G = h . Die Subharmonizit¨at ist eine lokale Eigenschaft, d.h. v ist genau dann subharmonisch, wenn jeder Punkt eine Umgebung U besitzt, so daß v|U subharmonisch ist. Wir bezeichnen die Menge aller in X subharmonischen Funktionen mit S(X) . Das Maximumprinzip f¨ ur harmonische Funktionen gibt sofort H(X) ⊂ S(X) . F¨ ur v, v ∗ ∈ S(X) und reelle λ ≥ 0 gilt: v + v ∗ ∈ S(X) , λv ∈ S(X) . 10.4.2 Maximumprinzipien. (1) Wenn die subharmonische Funktion v an einer Stelle a ∈ X ein Maximum hat, ist sie konstant. ¯ . F¨ (2) Sei G ⊂ X ein Gebiet mit kompakter H¨ ulle G ur die stetigen Funk¯ tionen v, u : G → R gelte, daß v subharmonisch und u harmonisch in G ¯. ist. Aus v|∂G ≤ u|∂G folgt v ≤ u auf G Beweis zu (1). Man benutzt die Definition mit der konstanten harmonischen ¯ ihr Funktion v(a) . Zu (2). Die Differenz v − u nimmt an einer Stelle a ∈ G Maximum an. Wenn a ∈ ∂G ist, folgt die Behauptung sofort. Bei a ∈ G ist ¯ konstant, so daß sich v ≤ u wieder v − u nach (1) auf G , also auch auf G ¯ fortsetzt. von ∂G nach G ¤

204

10. Harmonische Funktionen

Wir besprechen eine Variante des Maximumprinzips f¨ ur nicht-kompakte Fl¨ achen X . Eine stetige Funktion f : X → R heißt l¨ angs des idealen Randes von X durch m ∈ R (nach oben) beschr¨ ankt, wenn es zu jedem ε > 0 ein Kompaktum K gibt, so daß f < m + ε außerhalb K gilt. Dann ist f auf ganz X durch m beschr¨ankt, oder f nimmt in X ein Maximum M > m an. Letzteres geht f¨ ur subharmonische Funktionen nicht, denn nach dem Maximumprinzip w¨are f = M konstant. Da X nicht kompakt ist, g¨abe es also zu jedem ε > 0 einen Punkt x ∈ X , wo M = f (x) < m + ε , was M > m widerspricht. Damit wurde bewiesen: Satz. Sei X nicht-kompakt. Wenn v ∈ S(X) l¨ angs des idealen Randes durch m ∈ R beschr¨ ankt ist, gilt v ≤ m auf ganz X . ¤ 10.4.3 Heftungsprinzip. Sind X1 , X2 offen in X , so bestimmen zwei stetige Funktionen vj : Xj → R die (im allgemeinen unstetige) Heftungsfunktion v := v1 ∨ v2 : X1 ∪ X2 → R durch v := vj auf Xj \ (X1 ∩ X2 ) und v := max (v1 , v2 ) auf X1 ∩ X2 . F¨ ur sie gilt v|Xj ≥ vj .

Satz. Jede stetige Heftung subharmonischer Funktionen ist subharmonisch. Insbesondere gilt max (v1 , v2 ) ∈ S(X) f¨ ur alle v1 , v2 ∈ S(X) . Beweis. Sei G ⊂ X1 ∪ X2 ein Gebiet und v|G ≤ h ∈ H(G) . An der Stelle a ∈ G sei v(a) = h(a) . F¨ ur j = 1 oder = 2 ist dann v(a) = vj (a) , und es gilt vj (x) ≤ v(x) ≤ h(x) f¨ ur x ∈ G ∩ Xj . Weil vj subharmonisch ist, folgt vj = h auf der Komponente G0 von G ∩ Xj , die a enth¨alt. Somit ist die abgeschlossene Menge A = {x ∈ G : v(x) = h(x)} offen, also = G . ¤ 10.4.4 Harmonische Majorisierung. Nach dem Satz von Schwarz gibt es ¯⊂X zu jeder auf X stetigen Funktion v und zu jeder kompakten Scheibe B genau eine auf X stetige Funktion HB v , die in B harmonisch ist und auf X \ B mit v u ¨bereinstimmt. Mit dem Maximumprinzip 10.4.2(2) folgt der ¯ ⊂ X gilt Satz. F¨ ur v, v ∗ ∈ S(X) und jede kompakten Scheibe B

(1) (2)

v ≤ HB v ∈ S(X) , max(HB v, HB v ) ≤ HB max(HB v, HB v ∗ ) = HB max(v, v ∗ ) . ∗

¤

10.4.5 Perronsche Familien. Eine nicht-leere Teilmenge P ⊂ S(X) heißt Perronsche Familie, wenn f¨ ur alle v, v ∗ ∈ P und jede kompakte Scheibe ∗ ¯ ⊂ X gilt: max (v, v ) ∈ P und HB v ∈ P . B

Perronsches Prinzip. Das Supremum u := sup {v : v ∈ P} jeder Perronschen Familie P ist harmonisch oder konstant ∞ . ¯ ⊂ X eine kompakte Scheibe. Aus v ≤ HB v ∈ P folgt: Beweis. Sei B u = sup {v : v ∈ P} ≤ sup{HB v : v ∈ P} ≤ sup {v : v ∈ P} . Somit ist u|B das Supremum der Familie {(HB v)|B : v ∈ P} . Sie enth¨alt wegen Satz 10.4.4 mit u1 , u2 eine harmonische Funktion u∗ ≥ max(u1 , u2 ) . Nach dem Harnackschen Prinzip in 10.2.5 ist u harmonisch in B oder konstant ∞ . Somit sind beide Mengen A := {x ∈ X : u ist harmonisch um x}

10.5 Gelochte Fl¨ achen. Abz¨ ahlbarkeit der Topologie

205

und Z := {x ∈ X : u(x) = ∞} offen in X . Da A ⊎ Z = X zusammenh¨angt, ist eine dieser Menge leer. ¤ Perron hat sein Prinzip 1923 zur L¨ osung des Dirichletschen Randwertproblems entwickelt. Zwei Jahre sp¨ ater wurde es in [RR] von Rad´ o und Riesz vereinfacht.

10.4.6 Beschr¨ ankte Perronsche Familien. Wichtige Beispiele sind: (1) {v ∈ S(X) : v ≤ −v0 } f¨ ur eine feste Funktion v0 ∈ S(X), (2) {v ∈ S(G) : lim supx→ξ v(x) ≤ λ} f¨ ur ein Gebiet G ⊂ X , einen Punkt ξ ∈ ∂G und eine Schranke λ ∈ R . Die Mengen in (1) und (2) sind leer oder Perronsche Familien zu X bzw. G ; in beiden F¨allen geh¨oren die Suprema zur Familie und sind daher harmonisch.

10.5 Gelochte Fl¨ achen. Abz¨ ahlbarkeit der Topologie ¯ ⊂ X eine kompakte Scheibe in einer Fl¨ache X . Wir l¨osen das Sei B ¯ und jede auf Dirichletsche Randwertproblem f¨ ur die gelochte Fl¨ache X \ B dem Rand ∂B des Loches stetige reelle Funktion. Eine einfache Folgerung ist die Abz¨ahlbarkeit der Topologie von X . Je nachdem, ob die L¨osung des ¯ eindeutig ist oder nicht, unterscheiden wir ab Randwertproblems f¨ ur X \ B 10.5.4 zwischen armen und reichen Fl¨achen. 10.5.1 Existenzsatz. Sei f : ∂B → [m, M ] surjektiv und stetig. Es gibt ¯ harmonisch ist eine stetige Funktion u : X \ B → [m, M ] , die in X \ B und u|∂B = f erf¨ ullt. Insbesondere gibt es auf jeder gelochten Fl¨ ache nichtkonstante, beschr¨ ankte harmonische Funktionen. Beweis. Es gibt eine Karte z : V → E und einen Radius r < 1 , so daß B = {x ∈ V : |z(x)| < r} gilt. Seien r < R < 1 und BR = {x ∈ V : |z(x)| < R} . ¯r erh¨alt Durch die L¨osung des Randwertproblems f¨ ur den Ring A = BR \ B man zwei auf X \ B stetige und in A harmonische Funktionen v1 , v2 mit v1 = v2 = f auf ∂B und v1 = m , v2 = M auf X \ BR . Die Funktionen v1 und −v2 sind Heftungen harmonischer Funktionen und ¯ subharmonisch. Die Menge daher auf X \ B ¯ : v ≤ v2 } P = {v ∈ S(X \ B) enth¨alt v1 und ist nach 10.4.6(1) eine Perronsche Familie. Daher ist u := ¯ und m ≤ v1 ≤ u ≤ v2 ≤ M . Wegen v1 = v2 = f l¨angs sup P ∈ H(X \ B) ∂B wird u durch u|∂B = f stetig nach ∂B fortgesetzt. ¤ 10.5.2 Abz¨ ahlbarkeit der Topologie. Jede zusammenh¨ angende Riemannsche Fl¨ ache X hat eine abz¨ ahlbare Topologie. ¯ eine kompakte Scheibe in X . Da es, wie gerade gezeigt wurde, Beweis. Sei B ¯ gibt, ist nach 10.1.2 die Topoloeine nicht-konstante Funktion u ∈ H(X \ B) ¯ gie von X \ B und damit auch die Topologie von ganz X abz¨ahlbar. ¤

206

10. Harmonische Funktionen

10.5.3 Historisches. Im Jahre 1913 postulierte H. Weyl in [Wyl 1] die Triangulierbarkeit Riemannscher Fl¨ achen, um die Anwendbarkeit der Exhaustions” methode“ zu gew¨ ahrleisten. Triangulierbare Fl¨ achen haben eine abz¨ ahlbare Topologie. Die Umkehrung gilt ebenfalls, der Beweis ist allerdings m¨ uhsam. Rad´ o [Rad 1] entdeckte 1923, daß die Existenz einer komplexen Struktur auf einer F¨ ache die Abz¨ ahlbarkeit ihrer Topologie zur Folge hat. Erst nachdem Pr¨ ufer seine eigene Vermutung, daß jede topologische Fl¨ ache triangulierbar sei, widerlegt hatte, ver¨ offentlichte Rad´ o den Beweis seines Satzes und das Pr¨ ufersche Beispiel einer zusammenh¨ angenden Fl¨ ache mit u ¨berabz¨ ahlbarer Topologie in [Rad 2]. Es war damals unbekannt, daß Hausdorff schon 1915 solche Fl¨ achen gefunden, aber nicht publiziert hatte. Eine vereinfachte Darstellung der Pr¨ uferschen Fl¨ ache und die ersten Beispiele von zusammenh¨ angenden komplexen Mannigfaltigkeiten der Dimension n ≥ 2 , deren Topologie nicht abz¨ ahlbar ist, enth¨ alt [CR].

10.5.4 Reiche und arme Fl¨ achen. Eine zusammenh¨angende Fl¨ache X heißt reich, wenn es auf X nicht-konstante subharmonische Funktionen gibt, die nach oben beschr¨ankt sind. Wenn jede nach oben beschr¨ankte subharmonische Funktion auf X konstant ist, heißt die Fl¨ache X arm. (1) Jedes beschr¨ ankte Gebiet in C ist wegen Re z reich. (2) Kompakte Fl¨ achen sind arm auf Grund des Maximumprinzips 10.4.2. Weitere Beispiele geben wir in den Folgerungen des n¨achsten Abschnitts. Die Unterscheidung zwischen reichen und armen Fl¨ achen ist seit Ahlfors’ Note [Ah 2] u ¨blich. Er nennt allerdings reiche Fl¨ achen hyperbolisch ; wir vermeiden diese Redeweise, da hyperbolisch“ u ¨blicherweise in einem anderen Sinne benutzt wird, ” vgl. 11.1.2.

¯ ⊂ X eine kompakte Scheibe. Der Exi10.5.5 Harmonische Maße. Sei B stenzsatz in 10.5.1 l¨aßt offen, ob f¨ ur die Randfunktion f = 0 andere L¨osungen des Dirichletschen Problems als u = 0 existieren. Wenn X reich ist, gibt es sie. Zu ihnen geh¨oren die harmonischen Maße. Das sind Funktionen in ¯ mit Werten im offenen Intervall (0, 1) , die sich durch Null stetig H(X \ B) ¯ nach B fortsetzen lassen. Die Fortsetzung entsteht durch Verheften von wB ¯ mit der Nullfunktion auf X und ist daher eine beschr¨ankte, auf X \ B nicht-konstante Funktion in S(X) , die auch mit wB bezeichnet wird. Es folgt: (1) Auf armen Fl¨ achen gibt es keine harmonischen Maße. ¤ Beispiel. Sei R > 1 . F¨ ur X = ER und B = E ist w(z) := log |z|/ log R ein harmonisches Maß. ¯ in einer reichen Fl¨ Satz. Zu jeder kompakten Scheibe B ache X existiert ein harmonisches Maß wB . Beweis. Wir bilden gem¨aß 10.4.6(2) die Perronsche Familie ¯ : v ≤ 1 , lim supx→ξ v(x) ≤ 0 ∀ ξ ∈ ∂B} . P(X, B) := {v ∈ S(X \ B) ∗ ¯ mit v ∗ (a) > 0. (2) Es gibt ein v ∈ P(X, B) und ein a ∈ X \ B

Beweis zu (2). Da X reich ist, gibt es eine nicht-konstante Funktion v ∈ ¯ < 0 , aber v(a) > −M an einer S(X) mit v < 0 . Dann ist −M := max v(B) ¯ Stelle a ∈ X \ B ; denn sonst w¨are v = −M . Man nimmt v ∗ := 1 + v/M .

10.5 Gelochte Fl¨ achen. Abz¨ ahlbarkeit der Topologie

207

F¨ ur das Supremum wB von P(X, B) gilt 0 ≤ wB ≤ 1 , und wegen (2) ist ¯ . Nach wB 6= 0 . Nach dem Perronschen Prinzip geh¨ort wB zu H(X \ B) dem Minimum- und Maximumprinzips kann wB die Werte 0 und 1 nicht annehmen, also ist 0 < wB < 1 . Aus wB ∈ P(X, B) folgt limx→ξ v(x) = 0 f¨ ur alle ξ ∈ ∂B . Somit ist wB ein harmonisches Maß. ¤ Folgerungen. (a) Ist Y reich und η : X → Y holomorph und offen, so ist X reich. Insbesondere ist jedes Gebiet X ⊂ Y reich. (b) Wenn X arm und A ⊂ X lokal endlich ist, bleibt X \ A arm. Insbesondere ist C arm. ¯ ⊂ η(X) . Dann Beweis. (a) Es gibt ein harmonisches Maß wB ∈ S(Y ) zu B entsteht wB ◦ η durch Verheften der harmonischen Funktion wB ◦ η auf ¯ mit der Nullfunktion auf X . Somit ist wB ◦ η ∈ S(X) . Wie wB X \ η −1 (B) ist wB ◦ η beschr¨ankt und nicht konstant. (b) Angenommen X \ A ist reich. Es gibt dann ein harmonisches Maß wB ∈ S(X \ A) . Zu jedem a ∈ A gibt es eine punktierte Umgebung U \ a , auf der wB harmonisch und beschr¨ankt ist. Daher kann wB harmonisch nach a fortgesetzt werden. Die f¨ ur alle a ∈ A durchgef¨ uhrte Fortsetzung ist ein harmonisches Maß wB ∈ S(X) . ¤ ¯ eine kom10.5.6 Scharfes Maximum- und Minimumprinzip. Sei B pakte Scheibe in der armen Fl¨ache X . Mit H(X \B) wird der R-Vektorraum ¯ harmonischen Funktionen bezeichnet. aller auf X \ B stetigen und in X \ B Scharfes Maximumprinzip. Jede nach oben beschr¨ ankte Funktion u ∈ H(X \ B) nimmt ihr Maximum auf ∂B an. ¯ durch v|B ¯ := Beweis. Sei M := |u|∂B . Dann wird max {u, M } ∈ S(X \ B) M stetig nach X fortgesetzt. Die Fortsetzung v ist nach oben beschr¨ankt und wegen des Heftungsprinzips subharmonisch auf X , also konstant = M . Aus M = max{u, M } folgt die Behauptung. ¤ Das scharfe Maximumprinzip f¨ ur −u ist ein scharfes Minimumprinzip f¨ ur u . Beide Prinzipien haben direkt zur Folge: (1) Jede beschr¨ ankte Funktion u ∈ H(X \ B) nimmt ihr Maximum und ihr Minimum auf ∂B an. (2) Zwei beschr¨ ankte Funktionen u, u∗ ∈ H(X\B) stimmen bereits dann auf X\ B u ¨berein, wenn sie auf ∂B u ¨bereinstimmen. ¤ Wenn man dieses Ergebnis mit dem Existenzsatz 10.5.1 kombiniert, folgt die eindeutige L¨osung des Dirichletschen Problems: (3) Jede auf ∂B stetige Funktion l¨ aßt sich eindeutig zu einer beschr¨ ankten Funktion in H (X \ B) fortsetzen. ¤ Schließlich liefert (1) eine Absch¨atzung f¨ ur holomorphe Funktionen: (4) Ist f in einer Umgebung von X \ B holomorph und beschr¨ ankt, so gilt |f |X\B ≤ |f |∂B . Beweis. Sei u := Re f , v := Im f . Mit (1) folgt

208

10. Harmonische Funktionen

|f |2X\B ≤ |u|2X\B + |v|2X\B = |u|2∂B + |v|2∂B ≤ 2|f |2∂B , √ √ also |f |X\B ≤ 2|f |∂B . Wegen |f n | = |f |n folgt ebenso |f |nX\B ≤ 2|f |n∂B f¨ ur alle n ∈ N . Mit n → ∞ ergibt sich die Behauptung. ¤

10.6 Greensche Funktionen Zu jedem Punkt a ∈ X einer reichen Fl¨ache konstruieren wir die Greensche Funktion ga , welche bis auf eine logarithmische Singularit¨at bei a harmonisch ist. Mit diesen Funktionen ga beweisen wir den in 6.5 angek¨ undigten Riemannschen Existenzsatz u ¨ber die Punktetrennung und den Riemannscher Abbildungssatz. ¨ Die entsprechenden Uberlegungen f¨ ur arme Fl¨achen folgen in den Paragraphen 10.7-8. Sie sind im Detail komplizierter. In den folgenden Abschnitten bezeichnen wir mit X eine reiche Fl¨ache und benutzen die kurze Schreibweise X \a := X \ {a} . 10.6.1 Definition und Existenz. Unter eine Greenschen Funktion ga verstehen wir eine auf X \ a harmonische, u ¨berall positive Funktion, die l¨angs des idealen Randes von X durch Null nach oben beschr¨ankt ist und bei a eine normierte logarithmische Singularit¨at besitzt, vgl. 10.1.4. In 10.6.4 beweisen wir das Existenztheorem. Zu jedem a ∈ X gibt es eine Greensche Funktion ga . 10.6.2 Punktetrennung. Zu je zwei Punkten a 6= b in X gibt es eine Funktion f ∈ M(X) mit f (a) 6= f (b) .

Beweis. Die Ableitung ωx := d′ gx ist bis auf einen einfachen Pol bei x holomorph. F¨ ur f := ωa /ωb ∈ M(X) gilt f (a) = ∞ , f (b) = 0 . ¤

10.6.3 Riemannscher Abbildungssatz. Jede homologisch einfach zusammenh¨ angende, reiche Fl¨ ache X ist zur Kreisscheibe E isomorph. Beweis. Zur Greenschen Funktion ga geh¨ort gem¨aß Satz 10.1.5(ii) eine Funktion f ∈ O(X) mit o(f, a) = 1 und |f | = exp[−ga ] auf X \ a . Wegen ga > 0 ist f (X) ⊂ E . Die Abbildung f : X → E ist endlich. Denn sei K ⊂ E kompakt. Es gibt ein r < 1 mit |z| < r f¨ ur alle z ∈ K . F¨ ur jedes x ∈ f −1 (K) folgt ga (x) ≥ − log r > 0 . Wegen der Beschr¨ankung l¨angs des idealen Randes gibt es ein Kompaktum A ⊂ X mit ga (x) < − log r f¨ ur x ∈ X \ A . Somit ist f −1 (K) ⊂ A , d.h. f −1 (K) ist kompakt. Nach 1.4.4 besitzt f einen Abbildungsgrad grf . Wegen f −1 (0) = {a} und v(f, a) = 1 ist grf = 1 , d.h. f : X → E ist ein Isomorphismus. ¤ Folgerung. Jedes Gebiet G ⊂ C , G 6= C , das homologisch einfach zusammenh¨ angt, ist zu E isomorph.

10.6 Greensche Funktionen

209

Beweis. Man kann G ⊂ C×× annehmen. Nach dem Monodromiesatz, ange¨ wendet auf die Uberlagerung λ : H → C× aus 5.4.4, ist G zu einem Gebiet in H ≈ E isomorph und somit reich, siehe 10.5.4(1). ¤ Diese Folgerung l¨aßt sich allein mit Methoden der klassischen Funktionentheorie beweisen, siehe z.B. [Re 2], Kap. 8, §2. 10.6.4 Existenzbeweis. Alle Funktionen v ∈ S (X \ a) mit den Eigenschaften (a) und (b) bilden eine Perronsche Familie Ga auf X \ a . (a) v + log |z| ist subharmonisch nach a fortsetzbar. (b) L¨ angs des idealen Randes von X ist 0 eine obere Schranke von v . Beispielsweise erh¨alt man durch Verheften der Nullfunktion auf X \ a mit − log |z| auf U \ a eine Funktion v0 ∈ Ga . F¨ ur (X, a) = (C, 0) w¨are ∞ das unbrauchbare Supremum dieser Familie. Aber bei reichen Fl¨achen k¨onnen wir ∞ ausschließen:

Sei 0 < r < 1 und Br := {x ∈ U : |z(x)| < r} . Wir bezeichnen mit Mr (v) bzw. mr (v) das Supremum bzw. Infimum einer Funktion v : ∂Br → R l¨angs des Randes ∂Br der Scheibe. Es gen¨ ugt ein r zu fixieren und zu beweisen, daß {Mr (v) : v ∈ Ga } nach oben beschr¨ankt ist: Sei w ein harmonisches Maß zu Br ⊂ X und r < R < 1 . Dann gilt log(R/r) =: α f¨ ur alle v ∈ Ga . (1) Mr (v) ≤ mR (w) Man beachte dabei, daß 0 < mR (w) < 1 ist und α nicht von v abh¨angt. ¯r subBeweis zu (1). F¨ ur jedes v ∈ Ga ist v − Mr (v) · (1 − w) auf X \ B harmonisch und l¨angs des idealen Randes dieses Gebietes (d.h. auf ∂Br und l¨angs des idealen Randes von X ) durch 0 nach oben beschr¨ankt. Daraus ¯r , insbesondere folgt wegen Satz 10.4.2 v < Mr (v) · (1 − w) auf X \ B MR (v) ≤ Mr (v) · [1 − mR (w)] . Hieraus folgt (1). Denn nach dem Maximumprinzip f¨ ur die auf U subharmonische Funktion v + log |z| ist Mr (v) + log r ≤ MR (v) + log R .

Wegen (1) hat die Familie Ga ein Supremum u ∈ H(X \ a) . F¨ ur alle v ∈ Ga ist Mr (v + log |z|) ≤ α + log r, also nach dem Maximumprinzip ¯r . v + log |z| ≤ α + log r auf B Es folgt u + log |z| ≤ α + log r auf Br \ a . Nach dem Hebbarkeitsatz in 10.1.4 l¨aßt sich u + log |z| harmonisch nach a fortsetzen. Schließlich folgt aus 0 ≤ v0 ≤ u und dem Minimumprinzip u > 0 . Daher ist ga := u eine Greensche Funktion zu a . ¤ 10.6.5 Historisches. Die Konstruktion der Greenschen Funktion ga mittels

einer Perronschen Familie und ihre Benutzung zum Beweis des Abbildungssatzes wurden von Ahlfors [Ah 1] vorgeschlagen. Die Benennung dieser Funktionen erinnert an George Green und seine bahnbrechende, 1828 ver¨ offentlichte, aber zun¨ achst kaum beachteten Schrift An Essay on the Application of Mathematical Analysis

210

10. Harmonische Funktionen

to the Theories of Electricity and Magnetism. Er benutzt in dieser Schrift harmonische Funktionen mit isolierten Singularit¨ aten, um das elektrostatische Potential punktf¨ ormiger Ladungen zu beschreiben.

10.7 Elementarpotentiale Auf armen Fl¨achen X gibt es keine Greenschen Funktionen, siehe Aufgabe 10.9.8. Ihre Rolle u ¨bernehmen Funktionen ha , welche an einer Stelle a ∈ X eine Singularit¨at vom Typ α log |z| + Re(z −n ) haben und sonst harmonisch sind. In g¨ unstigen F¨allen ist α = 0 , und ha wird dann Elementarpotential genannt. Wir beweisen in 10.7.5-7 folgenden 10.7.1 Existenzsatz. Zu n ∈ N>0 und jeder Karte z : (U, a) → (E, 0) gibt ˆ a ∈ H(X \ a) , die es zwei Konstanten α, α ˆ ∈ R und zwei Funktionen ha , h außerhalb jeder Umgebung von a beschr¨ ankt sind, so daß −n ˆa − α (1) ha − α log |z| − Re(z ) und h ˆ log |z| − Re (iz −n )

harmonisch nach a fortgesetzt werden k¨ onnen. ′ ′ˆ Die Ableitungen d ha bzw. d ha sind Differentialformen, welche bei a die Hauptteile (αz −1 − nz −n−1 )dz bzw. (ˆ αz −1 − i nz −n−1 )dz haben und auf X \ a holomorph sind. Wenn X kompakt ist, folgt α = α ˆ = 0 , weil die Residuensumme = 0 ist. Man nennt die Funktion v ∈ H(X \a) ein Elementarpotential n-ter Ordnung, wenn sie außerhalb jeder Umgebung von a beschr¨ankt ist und ein c ∈ C× existiert, so daß v − Re(c z −n ) harmonisch nach a fortgesetzt werden kann. ˆ a des Existenzsatzes sind Elementarpotentiale, Die Funktionen ha bzw. h ˆ a ein wenn α = 0 bzw. α ˆ = 0 ist. F¨ ur α 6= 0 oder α ˆ 6= 0 ist α ˆ ha − αh Elementarpotential mit c = α ˆ − iα . 10.7.2 Punktetrennung (Riemannscher Existenzsatz). Auf jeder Riemannschen Fl¨ ache X gibt es zu je zwei Punkten a 6= b eine meromorphe Funktion f mit f (a) 6= f (b) .

Dieses in 6.5 angek¨ undigte Ergebnis wurde in 10.6.2 mittels Greenscher Funktionen f¨ ur reiche Fl¨achen bewiesen. Der Beweis l¨aßt sich direkt auf arme Fl¨achen u ¨bertragen, indem man die Greensche Funktionen ga durch die Funktionen ha des Existenzsatzes 10.7.1 ersetzt. ¤

10.7 Elementarpotentiale

211

10.7.3 Differentialformen auf kompakten Fl¨ achen. Auf jeder kompakten Fl¨ ache X gibt es zu jeder Karte z : (U, a) → (E, 0) und jedem Hauptteil p = c1 z −1 + . . . + cn z −n eine Differentialform ω ∈ E2 (X) , die bei a den Hauptteil dp hat, auf X \ a holomorph ist und rein imagin¨ are Perioden besitzt. Beweis. Es gen¨ ugt, die Behauptung f¨ ur p = c z −n zu beweisen. Gem¨aß der Zerlegung c = γ1 +iγ2 in Real- und Imagin¨arteil bilden wir die Funktion v := ˆ a ∈ H(X \ a) mit den Funktionen ha und h ˆ a des Existenzsatzes γ1 ha + γ2 h 10.7.1. Da X kompakt ist, gilt 10.7.1(1) mit α = α ˆ = 0 . Daher l¨aßt sich die Differenz v − Re(c z −n ) harmonisch nach a fortsetzen. Die Ableitung ω := d′ v hat alle behaupteten Eigenschaften. ¤ 10.7.4 Charakterisierung der Zahlenkugel. Jede zusammenh¨ angende und homologisch einfach zusammenh¨ angende, kompakte Riemannsche Fl¨ ache X ist zur Zahlenkugel isomorph. Beweis. Nach 10.7.3 gibt es eine Differentialform ω , welche in einen Punkt a ∈ X einen doppelten Pol mit dem Residuum Null hat und sonst holomorph ist. Nach 7.7.4 besitzt ω eine Stammfunktion f , die bis auf einen einfachen b den Grad eins. Pol bei a holomorph ist. Dann hat f : X → C ¤

10.7.5 Beweisplan zum Existenzsatz. Der Beweis des Existenzsatzes 10.7.1, den wir [Hei 2] entnehmen, arbeitet nur mit harmonischen Funktionen in Ringgebieten. Wir beginnen mit einem Beweisplan, damit unter zahlrei¨ chen Absch¨atzungen der Uberblick erhalten bleibt und deutlich wird, wie sich dank des scharfen Maximumprinzips 10.5.6 die Konstruktion der Funktion ha und ihre Eigenschaften von einer punktierten Scheibe U \ a auf X \ a fortsetzen lassen. Sei z : (U, a) → (E3 , 0) eine Karte. F¨ ur 0 < r < 3 sei Ur := {x ∈ U : |z(x)| < r} . Die gesuchte Funktion ha hat idealerweise auf U die einfache Gestalt Re z −n . Nun gibt es nach 10.5.6(3) zu jedem 0 < s < 1 genau eine beschr¨ankte Funktion vs ∈ H(X \ Us ) mit den Randwerten vs (x) = Re[z(x)n ] f¨ ur x ∈ ∂Us , und es liegt nahe, ha als Limes der vs f¨ ur s → 0 zu gewinnen. Da vs nicht konstant ist, gilt dasselbe f¨ ur vs |∂U1 , d.h. die Bilder vs (∂U1 ) sind echte, kompakte Intervalle. Um auszuschließen, daß die Grenzfunktion konstant wird, ersetzen wir vs durch die Startfunktion us = bs vs +ds , wobei cs , ds ∈ R so gew¨ahlt sind, daß us (∂U1 ) = [−1, 1] ist. Die kompakte Konvergenz von (usk ) f¨ ur eine Nullfolge (sk ) und die Harmonizit¨at der Grenzfunktion u0 folgen aus dem Satz von Montel 10.2.4, sobald sicher gestellt ist, daß die Funktionen us auf jedem Kompaktum K ⊂ X \ a gleichm¨aßig beschr¨ankt sind. Man muß auch noch ber¨ ucksichtigen, daß K nur f¨ ur hinreichend kleine s im Definitionsbereich von us liegt: Es gibt ein ¯t . Dann ist us f¨ t ∈ (0, 1) mit K ⊂ X \ U ur 0 < s < t auf K definiert. Nach dem scharfen Maximumprinzip 10.5.6 gilt |us |K ≤ |us |∂Ut . Es gen¨ ugt daher eine von s unabh¨angige Schranke Mt ≥ |us |∂Ut f¨ ur 0 < s < t zu finden.

212

10. Harmonische Funktionen

Sie wird in 10.7.6 durch Absch¨atzung der Fourier-Koeffizienten von us im Ringgebiet As = U3 \ Us gewonnen. Die Koeffizienten h¨angen von s ab und gehen f¨ ur s → 0 in die FourierKoeffizienten der Grenzfunktion u0 u ¨ber. An ihnen lesen wir in 10.7.7 ab, daß u0 bei a bis auf einen Faktor 6= 0 die f¨ ur ha gew¨ unschte Gestalt hat. Wenn man in den Startfunktionen statt des Realteils den Imagin¨arteil ˆ a analog. vs (x) = Im[z(x)n ] w¨ahlt, folgt die Existenz von h 10.7.6 Absch¨ atzung der Fourier-Koeffizienten. Wir benutzen die Fourier-Reihe aus 10.1.3 f¨ ur u = us und r = 1, R = 2 . Wegen |us |∂U2 ≤ |us |∂U1 = 1 (scharfes Maximumprinzip) gelten f¨ ur die Integrale 10.1.3(3) die Absch¨atzungen |a0,1 | , |a0,2 | ≤ 1 und |aν,1 | , |aν,2 | , |bν,1 | , |bν,2 | ≤ 2 f¨ ur ν ≥ 1. Mit 10.1.3(4) folgt f¨ ur die Fourier-Koeffizienten von us : ur ν ≥ 1 ; |α−n | ≤ 4. (1) |α0 | ≤ 1 ; |β0 | ≤ log2 2 ; |αν | ≤ 22−ν , |βν | ≤ 22−ν f¨

Wegen us (x) = cs cos nϕ + ds f¨ ur z(x) = seiϕ folgt aus 10.1.3(3), angewendet auf t = s : F¨ ur ν ≥ 1 gilt αν sν + α−ν s−ν = 0 falls ν 6= n und βν sν + β−ν s−ν = 0 . Zusammen mit (1) folgt (2) |α−ν | ≤ 22−ν s2ν f¨ ur ν ≥ 1 , ν 6= n und |β−ν | ≤ 22−ν s2ν f¨ ur ν ≥ 1 . Die Fourier-Reihe in 10.1.3 f¨ ur u = us wird mit (1) und (2) f¨ ur t ∈ (s, 1) abgesch¨atzt: P∞ ¡ t ¢ν P∞ ³ 2 ´ν log t| + t4n + 8 ν=1 s2t |us |∂Ut ≤ 1 + 2|log ν=1 2 2 +8 ≤ 1+

2| log t| log 2

+ 16

P∞ ¡ t ¢ν ν=1

2

+

4 tn

=: Mt < ∞ .

Damit existiert die Grenzfunktion u0 = lim usk ∈ H(X \ a) f¨ ur eine Nullfolge sk bei lokal gleichm¨aßiger Konvergenz. 10.7.7 Eigenschaften der Grenzfunktion. Die f¨ ur alle 0 < s < t g¨ ultige Ungleichung |us |∂Ut ≤ Mt ergibt nach dem scharfen Maximumprinzip |us |X\Ut ≤ Mt und damit |u0 |X\Ut ≤ Mt , d.h. u0 ist außerhalb jeder Umgebung von a beschr¨ankt. Die Fourier-Koeffizienten und die Integrale 10.1.3(3) von u = us h¨angen von s ab und werden daher mit α0 (s), . . . , bν,t (s) bezeichnet. Wegen der lokal gleichm¨aßigen Konvergenz von u0 = lim usk gilt f¨ ur die Integrale limk→∞ aν,t (sk ) = aν,t (0) , limk→∞ bν,t (sk ) = bν,t (0) . Nach 10.1.3(4) mit r = 1, R = 2 folgt f¨ ur die Fourier-Koeffizienten: limk→∞ αν (sk ) = αν (0) , limk→∞ βν (sk ) = βν (0) , also wegen 10.7.6(2) α−ν (0) = 0 f¨ ur ν ≥ 1 , ν 6= n und β−ν (0) = 0 f¨ ur ν ≥ 1 . Das ergibt bei a die Gestalt u0 = β0 (0) log |z| + α−n (0) · Re z −n + f

10.8 Der Abbildungssatz f¨ ur arme Fl¨ achen

213

mit einer Funktion f , die auf einer Umgebung von a harmonisch ist. Wir zeigen α−n (0) 6= 0 : Anderenfalls w¨are u0 auf X \ a je nach dem Vorzeichen von β0 (0) nach oben oder unten beschr¨ankt. Jedenfalls m¨ ußte u0 konstant sein, da X \ a arm ist. Aber aus usk (∂U1 ) = [−1, 1] folgt u0 (∂U1 ) = [−1, 1] , d.h. u0 ist nicht konstant.– Die Funktion ha := u0 /α−n (0) hat alle im Existenzsatz 10.7.1 behaupteten Eigenschaften. ¤

10.8 Der Abbildungssatz f¨ ur arme Fl¨ achen Sei X eine homologisch einfach zusammenh¨angende, arme Fl¨ache. Wir gewinnen aus den Elementarpotentialen erster Ordnung eine injektive holob . Dann ist f (X) ⊂ C b ein homologisch einfach morphe Abbildung f : X → C b b \ {ein Punkt} zusammenh¨angendes, armes Gebiet, also f (X) = C oder = C wegen der Folgerung in 10.6.3. Der Beweis der Injektivit¨at ist viel aufwendiger als bei reichen Fl¨achen, da Elementarpotentiale nicht die einfache Durchschlagkraft der Greenschen Funktionen besitzen. 10.8.1 Normalfunktionen. Eine auf X \ a holomorphe Funktion fa heißt Normalfunktion zur Stelle a ∈ X , wenn sie in a einen einfachen Pol hat und |fa | außerhalb jeder Umgebung von a beschr¨ankt ist. Beispiele sind b und f∞ (z) = z auf C b. fa (z) = (z − a)−1 auf X = C oder C Wenn statt |fa | nur |Refa | beschr¨ankt ist, nennen wir fa eine schwache Normalfunktion. Der Realteil ha := Re fa ist dann ein Elementarpotential erster Ordnung. Da X homologisch einfach zusammenh¨angt, ist umgekehrt jedes Elementarpotential erster Ordnung ha der Realteil einer schwachen Normalfunktion fa , siehe Satz 10.1.5(i). Wegen 10.7.1 folgt ein Schwacher Existenzsatz. Zu jeder Stelle a ∈ X gibt es eine schwache Normalfunktion fa . ¤ Wir ben¨otigen jedoch Normalfunktionen, die nicht schwach sind. Denn nur f¨ ur sie gilt folgender 10.8.2 Eindeutigkeitssatz. Sei fa eine Normalfunktion. Die Menge aller Normalfunktionen zur Stelle a lautet {pfa + q : p ∈ C× , q ∈ C} . Beweis. Offenbar sind alle pfa + q Normalfunktionen zu a . Sei umgekehrt g eine Normalfunktion. Dann gibt es ein p ∈ C× , so daß h := pfa − g ∈ O(X) ist. Mit |fa | und |g| ist auch |h| außerhalb jeder Umgebung von a beschr¨ankt. Dann ist |h| auf ganz X beschr¨ankt und wegen der Armut von X ist h konstant. ¤ Auf einem eleganten Umweg, den Heins 1949 in [Hei 1] aufzeigte, l¨aßt sich zu jeder Stelle a aus einer schwachen Normalfunktionen eine Normalfunktion gewinnen, die nicht mehr schwach ist. Zun¨achst zeigt man die

214

10. Harmonische Funktionen

10.8.3 Dichtheit. Sei F eine schwache Normalfunktion zur Stelle a ∈ X . Es gibt eine Umgebung V von a , so daß fb := 1/[F (b) − F ] f¨ ur jedes b ∈ V \ a eine Normalfunktion ist. Beweis. Wegen o(F, a) = −1 gibt es eine Umgebung U ⊂ X von a , so daß F |U injektiv ist. Dann ist 0 < A := |ReF |X\U < ∞ . Wir verkeinern U zur b Umgebung V := {x ∈ U : |ReF | > 2A} von a . Die Funktion fb : U → C ist wie F |U injektiv. Sie hat bei b einen einfachen Pol. Zu jeder Umgebung W von b gibt es ein ǫ > 0 , so daß |fb (x)| ≤ ǫ f¨ ur alle x ∈ U \ W gilt. F¨ ur x ∈ X \ U ist |F (b) − F (x)| ≥ |Re[F (b) − F (x)]| ≥ |ReF (b)| − |ReF (x)| ≥ A , also |fb (x)| ≤ 1/A . Somit ist fb eine Normalfunktion. ¤ ¯ ⊂ X eine 10.8.4 Konvergenz normierter Normalfunktionen. Sei B kompakte Scheibe. Eine Normalfunktion zu a ∈ B heißt l¨ angs ∂B normiert, wenn |f |(∂B) = [1, 2] gilt. Dann ist |f |X\B = 2 wegen des scharfen Maximumprinzips 10.5.6. (1) Wenn es zu a ∈ B u ¨berhaupt eine Normalfunktion F gibt, dann auch eine l¨ angs ∂B normierte. Beweis. Da F |∂B nicht konstant ist, gibt es im kompakten Bild F (∂B) zwei Punkte b, c mit maximalem Abstand |c − b| > 0 . Nach 10.8.2 ist f := (c − b)−1 (F + b − 2c) eine normierte Normalfunktion zur selben Stelle a . ¤ Existenzsatz. Auf jeder homologisch einfach zusammenh¨ angenden, armen Fl¨ ache gibt es zu jeder Stelle eine Normalfunktion. Beweis. Nach dem schwachen Existenzsatz gibt es zu jeder Stelle a eine schwache Normalfunktion. Wegen der Dichtheit existiert eine Folge an mit Normalfunktionen fn zu den Stellen an , so daß lim an = a ist. Wir w¨ahlen eine Karte z : (U, a) → (E3 , 0) . Sei Br := {x ∈ U : |z(x)| < r} . Wegen (1) k¨onnen wir annehmen, daß alle Punkte an ∈ B := B1 liegen und die Funktionen fn l¨angs ∂B normiert sind. Die Behauptung folgt nunmehr aus (2) Die Folge fn besitzt ein Teilfolge, die kompakt gegen eine Normalfunktion f zur Stelle a konvergiert. Beweis zu (2). Die Funktionen gn := (z − zn )fn sind auf U holomorph und werden l¨angs ∂B2 wegen |fn |X\B = 2 durch |gn | ≤ 94 |fn | ≤ 29 abgesch¨atzt. Wegen des Maximumprinzips gilt die Absch¨atzung auch auf B2 . Nach dem kleinen Satz von Montel konvergiert eine Teilfolge, die wir wieder mit gn bezeichnen, auf B2 kompakt gegen eine Funktion g ∈ O(B2 ) . L¨angs ∂B ur Stellen x, y ∈ ∂B , wo gem¨aß der Normierung ist 43 |fn | ≤ |gn | ≤ 54 |fn | . F¨ |fn (x)| = 1 bzw. |fn (y)| = 2 wird, ist |gn (x)| ≤ 54 bzw. |gn (y)| ≥ 32 . Dasselbe gilt f¨ ur g = lim gn . Insbesondere ist |g| auf ∂B nicht konstant. Die Folge fn = gn /(z − zn ) konvergiert auf B2 \ a kompakt gegen g/z . L¨angs ∂B konvergiert fn gleichm¨aßig. Nach dem scharfen Maximumprinzip ist |fm −fn |X\B = |fm −fn |∂B . Daher konvergiert fn auf X \B gleichm¨aßig.

10.9 Aufgaben

215

Insgesamt konvergiert fn auf X\a lokal gleichm¨aßig gegen eine dort holomorphe Funktion f mit f |B2 = g/z . Die aus der Normierung folgende Gleichung |fn |X\B = 2 bleibt f¨ ur f g¨ ultig; also ist f außerhalb a beschr¨ankt. Wegen g ∈ O(B2 ) gilt o(f, a) ≥ −1 . W¨are a kein Pol von f , so w¨are f auf ganz X holomorph und beschr¨ankt, also konstant, weil X arm ist. Das geht nicht, da |g| auf ∂B nicht konstant ist. Also hat f in a einen einfachen Pol und ist eine Normalfunktion. ¤ 10.8.5 Transformation der Normalfunktionen. Sei fa eine Normalb, funktion. Zu jedem Punkt b ∈ X gibt es einen Automorphismus A von C so daß A ◦ fa eine Normalfunktion zu b ist. Beweis. Wegen der Dichtheit ist die Menge Ma aller Stellen x , zu denen Normalfunktionen der Gestalt A ◦ fa existieren, offen und nicht leer. Nach dem Existenzsatz gibt es zu jedem Punkt b der abgeschlossenen H¨ ulle von Ma eine Normalfunktion fb . Der Durchschnitt Ma ∩ Mb enth¨alt einen b , so daß A ◦ fa und B ◦ fb Punkt c . Es gibt Automorphismen A, B von C Normalfunktionen zu c sind. Wegen der Eindeutigkeit, siehe 10.8.2, gibt es b mit B ◦fb = C ◦A◦fa . Also ist b ∈ Ma . Damit ist Ma 6= ∅ , ein C ∈ Aut(C) offen, abgeschlossen und folglich = X . ¤ 10.8.6 Injektivit¨ at. Jede Normalfunktion fc ist injektiv und somit ein Isomorphismus der homologisch einfach zusammenh¨ angenden armen Fl¨ ache X b oder C b \ {ein Punkt} . auf C b , Beweis. Angenommen fc (a) = fc (b) . Nach 10.8.5 gibt es ein A ∈ Aut(C) so daß fb := A ◦ fc eine Normalfunktion zur Stelle b ist. Dann ist fb (a) = fb (b) = ∞ . Weil b der einzige Pol von fb ist, folgt a = b . ¤ Wir fassen mit dem Abbildungssatz 10.6.3 f¨ ur reiche Fl¨achen zusammen: 10.8.7 Riemannscher Abbildungssatz. Jede homologisch einfach zusamb , C oder E isomorph. menh¨ angende Riemannsche Fl¨ ache ist zu C ¤

10.9 Aufgaben 1)

Zeige: Die normale Konvergenz einer reellen Fourier-Reihe ∞ ³ ´ X u(teiϕ ) = α0 +β0 log t+ (αn tn +α−n t−n ) cos nϕ+(βn tn +β−n t−n ) sin nϕ n=1

setzt sich vom Rande ∂A eines Ringgebietes A = {z ∈ C : r < |z| < R} auf die abgeschlossene H¨ ulle A¯ fort. Die Reihe stellt eine auf A¯ stetige und in A harmonische Funktion dar. 2)

Seien r 6= R zwei Radien > 0 . Wie lautet eine auf C× harmonische Funktion u , die l¨ angs ∂ER verschwindet und l¨ angs ∂Er mit dem Realteil des komplexen Monoms az n u ¨bereinstimmt? Ist u eindeutig bestimmt?

216

10. Harmonische Funktionen

3)

Zum Poisson-Kern P (z, ζ) : Zeige f¨ ur den Diametralpunkt R exp iη zu R exp iθ bez¨ uglich z die Gleichung dη/dθ = P (z, R exp iθ) f¨ ur die Ableitung der Funktion η(θ) .

4)

Zeige: Eine auf einem Gebiet G ⊂ C stetige, reellwertige Funktion v ist genau dann subharmonisch, wenn f¨ ur jede Scheibe B = {z : |z − z0 | ≤ r} ⊂ G gilt: Z 2π 1 v(z0 + reiϕ ) dϕ . (1) v(z0 ) ≤ 2π 0

Wenn v subharmonisch ist und in (1) das Gleichheitszeichen steht, ist v im Innern von B harmonisch. 5)

Zeige: (i) Wenn v und −v subharmonisch sind, ist v harmonisch. (ii) F¨ ur jede holomorphe Funktion f ist |f | subharmonisch.

6)

Sei vn eine Folge subharmonischer Funktionen, welche nach v kompakt konvergiert. Zeige, daß v auch subharmonisch ist.

7)

Zeige: Eine auf einem Gebiet G ⊂ C reellwertige C 2 -Funktion v ist genau dann subharmonisch, wenn ∆v := vxx + vyy ≥ 0 ist. Anleitung : Wenn f bei z0 ein lokales Minimum hat, ist ∆f (z0 ) ≥ 0 . Folgere damit aus ∆v > 0 , daß v subharmonisch ist. Finde sodann eine Funktion u auf C mit ∆u = 1 und folgere mit Aufgabe 5, daß ∆v ≥ 0 gen¨ ugt, damit v subharmonisch ist. Benutze f¨ ur die Umkehrung: Aus ∆v(z0 ) < 0 folgt, daß −v bei z0 subharmonisch ist.

8)

¨ Zeige die Aquivalenz folgender Eigenschaften einer zusammenh¨ angenden Riemannschen Fl¨ ache: Reichtum, Existenz eines harmonischen Maßes, Existenz harmonischer Maße zu jeder Scheibe, Existenz einer Greenschen Funktion, Existenz Greenscher Funktionen zu jeder Stelle, Ung¨ ultigkeit des scharfen Maximum-Prinzips.

9)

Sei η : X → Y eine nicht-konstante holomorphe Abbildung zwischen reichen Fl¨ achen mit f (a) = b . Zeige, daß f¨ ur die Greenschen Funktionen v(η, a) · ga ≤ gb ◦ η gilt.

b alle Normalfunktionen an. Folgere, daß 10) Gib zu jeder Stelle a in C bzw. C jede schwache Normalfunktion auf einer einfach zusammenh¨ angenden, armen Fl¨ ache bereits eine richtige Normalfunktion ist.

11. Uniformisierung. Dreiecksgruppen

F¨ ur jedes Polynom P (z) dritten oder vierten Grades mit einfachen Nullstellen ist die durch w2 = P (z) definierte Riemannsche Fl¨ache ein Torus und wird daher durch C unverzweigt u ¨berlagert, siehe 7.6.1-2. Nachdem es Klein gelungen war, f¨ ur die durch w7 = z 2 (z − 1) definierte Modulfl¨ache X7 eine ¨ unverzweigte Uberlagerung E → X7 zu konstruieren und diese Konstruktion auf ¨ahnlich definierte Fl¨achen auszudehnen, vermutete er, daß alle durch Polynome definierte Fl¨achen, die nicht zur Zahlenkugel oder zu einem Torus isomorph sind, durch E unverzweigt u ¨berlagert werden. Auch Poincar´e war auf diese Vermutung gestoßen. Beide f¨ uhrten dar¨ uber in den Jahren 1881/82 einen intensiven Briefwechsel, den man in [Klei 1] 3, S. 587-621, findet. Zumindest Klein faßte die gleichzeitigen Bem¨ uhungen als Wettstreit auf, in dem er bis zur Ersch¨opfung k¨ampfte; siehe dazu seinen fast 40 Jahre sp¨ater verfaßten Bericht in [Klei 5], S. 379/80. Weder Klein noch Poincar´e gelang damals der angestrebte Beweis. Er wurde erst 1907 von Koebe und Poincar´e gefunden, siehe [Koe] und [Po 4] , p. 70-139. Sechs Jahre sp¨ater gab Hermann Weyl als H¨ohepunkt und Abschluß seines Buches [Wyl 1] der Theorie eine klare Form: b C oder E unverzweigt Jede Fl¨ache X l¨aßt sich uniformisieren, d.h. durch C, ¨ u ¨berlagern, indem man die universelle Uberlagerung u : Z → X bildet und auf Z den Riemannschen Abbildungssatz anwendet. Nach einigen unmittelbaren Anwendungen der Uniformisierung besprechen wir im zweiten Teil des Kapitels die Dreiecksgruppen, deren Studium Klein seinerzeit auf die Vermutung des allgemeinen Uniformisierungssatzes f¨ uhrte.

11.1 Uniformisierung ¨ Wenn man die Existenz der universellen Uberlagerung, siehe 3.7.2(2), mit dem Riemannschen Abbildungssatz kombiniert, folgt sofort der 11.1.1 Uniformisierungssatz. Jede zusammenh¨ angende Fl¨ ache wird durch b , C oder H unverzweigt u C ¨berlagert. ¤ b ¨ Man nennt jede unverzweigte Uberlagerung η : Z → X durch Z = C , C ¨ oder H (≈ E) eine Uniformisierung von X . Sie ist wie jede universelle Uberlagerung normal. Nach 3.6.3 ist die Fundamentalgruppe π(X) zur Deckgruppe D(η) isomorph. Letztere ist eine Untergruppe von Aut(Z) , welche frei und diskontinuierlich operiert. Umgekehrt ist jede freie und diskontinuierb , Aut(C) oder Aut(H) die Deckgruppe einer liche Untergruppe von Aut(C) Uniformisierung, siehe 4.4.5.

218

11. Uniformisierung. Dreiecksgruppen

b einen 11.1.2 Hyperbolische Fl¨ achen. Da jeder Automorphismus von C b → X ein Isomorphismus. Fixpunkt hat, ist jede Uniformisierung C Auch die M¨oglichkeiten f¨ ur Uniformisierungen η : C → X sind nach der Folgerung in 2.5.1 sehr beschr¨ankt: (1) η ist ein Isomorphismus; oder (2) es gibt einen Isomorphismus ϕ : X → C× mit ϕ ◦ η = exp ; oder (3) es gibt ein Gitter Ω ⊂ C und einen Isomorphismus ϕ : X → C/Ω , so daß ϕ ◦ η die Torusprojektion ist. ¤ Eine Riemannsche Fl¨ache heißt hyperbolisch, wenn sie durch H uniformisiert b C, C× oder einem Torus isomorph ist. wird, also nicht zu C,

11.1.3 Eindeutigkeit. Seien ηj : Zj → Xj mit j ∈ {0, 1} zwei Uniformisierungen durch Zj = C oder H . Genau dann, wenn X0 und X1 isomorph sind, ist Z0 = Z1 und D(η0 ) konjugiert zu D(η1 ) in Aut(Z0 ) . Beweis. Zu jedem Isomorphismus ϕ : X0 → X1 gibt es nach dem Monodromiesatz einen Isomorphismus α : Z0 → Z1 , so daß ϕ ◦ η0 = η1 ◦ α ist. Dann ist Z0 = Z1 , α ∈ Aut(Z0 ) , und es gilt αD(η0 )α−1 = D(η1 ) . Umgekehrt: Wenn Z0 = Z1 und αD(η0 )α−1 = D(η1 ) gelten, gibt es genau einen Isomorphismus ϕ : X0 → X1 mit ϕ ◦ η0 = η1 ◦ α . ¤

11.2 Abelsche Fundamentalgruppen Wir suchen nach abelschen Untergruppen von Aut(H), welche frei und diskontinuierlich operieren. Dank des Uniformisierungssatzes ergibt die Klassifikation dieser Gruppen die Klassifikation aller Fl¨achen mit abelschen Fundamentalgruppen. 11.2.1 Translationen und Homothetien. Eine M¨obiustransformation ist genau dann eine Translation 6= id , wenn ∞ der einzige Fixpunkt ist. Homothetien heißen diejenigen M¨obiustransformationen, welche 0 und ∞ als Fixpunkte haben. Sie bilden die zu C× isomorphe Gruppe {z 7→ cz : c ∈ C× } .

Lemma. Jede M¨ obiustransformation α , die mit einer Translation bzw. Homothetie γ 6= ±id vertauscht werden kann, ist selbst eine Translation bzw. Homothetie. Beweis. Wegen αγ = γα und γ(∞) = ∞ ist α(∞) ein Fixpunkt von γ . Falls γ eine Translation ist, folgt α(∞) = ∞ , und α ist eine Translation, wenn es keinen anderen Fixpunkt gibt. Wenn c ein weiterer Fixpunkt ist, gibt es drei verschiedene Fixpunkte ∞, c, γ(c) , also ist α = id . Wenn γ eine Homothetie ist, folgt α(0) = 0 , α(∞) = ∞ oder α(0) = ∞ , α(∞) = 0 . Im ersten Fall ist α eine Homothetie. Im zweite Fall w¨are 1/α(z) = a z eine Homothetie und die Vertauschung α ◦ γ = γ ◦ α mit γ(z) = c z erg¨abe c = ±1 . ¤

11.2 Abelsche Fundamentalgruppen

219

11.2.2 Die Automorphismen von H sind die M¨obius-Transformationen mit reellen Koeffizienten. Nach ihrem Fixpunkt-Verhalten unterscheidet man drei Typen: (1) Jeder elliptische Automorphismus hat einen Fixpunkt in H und einen dazu konjugiert komplexen Fixpunkt in −H . (2) Jeder hyperbolische Automorphismus hat zwei verschiedene Fixpunkte in R ∪ {∞} . (3) Jeder parabolische Automorphismus hat einen Fixpunkt in R ∪ {∞} . Jeder Typ bleibt bei den Konjugationen mit reellen M¨obius-Transformationen erhalten. Wir interessieren uns haupts¨achlich f¨ ur Transformationen ohne Fixpunkte in H , also f¨ ur hyperbolische und parabolische Automorphismen. (4) Jeder parabolische Automorphismus α ist in Aut(H) zu z 7→ z ± 1 konjugiert. Beweis. Durch Konjugation mit einer Transformation, welche den einzigen Fixpunkt von α nach ∞ legt, bekommt α die Gestalt α(z) = z + r mit 0 6= r ∈ R . Man konjugiert sodann mit z 7→ z/|r| . ¤ b Die beiden Translationen z 7→ z + 1 und z 7→ z − 1 sind zwar in Aut(C) aber nicht in Aut(H) zueinander konjugiert. (5) Jeder hyperbolische Automorphismus α ist in Aut(H) zu einer Homothetie z 7→ rz konjugiert, deren Dehnungsfaktor r > 1 durch α eindeutig bestimmt ist. Beweis. Durch Konjugation mit einer Transformation, welche die beiden Fixpunkte von α nach 0 und ∞ legt, bekommt α die Gestalt α(z) = rz mit r > 0 . Durch eine weitere Konjugation mit z 7→ −1/z geht α in z 7→ z/r u ¨ber. Man kann also r > 1 erreichen.– Zur Eindeutigkeit von r : Wenn z 7→ rz zu z 7→ sz konjugiert ist, gilt α(sz) = rα(z) f¨ ur die konjugierende Transformation α . Dann sind α(0) und α(∞) Fixpunkte von z 7→ rz , also α(0) = 0 , α(∞) = ∞ oder α(0) = ∞, α(∞) = 0 . Im ersten Fall ist α eine Homothetie, und folglich r = s . Im zweiten Fall ist α(z) = t/z mit t < 0 , und folglich r = 1/s . Letzteres ist unm¨oglich, wenn r und s beide > 1 sind. ¤ 11.2.3 Abelsche Deckgruppen. Jede nicht-triviale abelsche Untergruppe G < Aut(H) , welche frei und diskontinuierlich operiert, ist zu {z 7→ z + n : n ∈ Z} oder {z 7→ ens z : n ∈ Z} mit s > 0 konjugiert. Im zweiten Fall ist s durch G eindeutig bestimmt. Eine holomorphe Orbitprojektion lautet im ersten Fall (1) η : H → E× , η(z) = e2πiz , und im zweiten Fall η : H → {z ∈ E : |z| > r} , η(z) = eiq log z , (2) mit q = 2π/s und r = e−πq < 1. Dabei ist log z = log |z| + iϕ f¨ ur z = |z|eiϕ und 0 < ϕ < π .

220

11. Uniformisierung. Dreiecksgruppen

Beweis. Es gibt keine elliptischen Elemente in G . Erster Fall. Wenn es ein parabolisches Element α gibt, kann man nach einer Konjugation annehmen, daß α eine Translation ist, siehe 11.2.2(4). Weil G abelsch ist, folgt aus 11.2.1, daß alle Elemente von G Translationen sind, also G = {z 7→ z + b} , wobei b eine additive Untergruppe A von R durchl¨auft. Weil G diskontinuierlich operiert, gibt es ein kleinstes a > 0 in A , und G wird von z 7→ z + a erzeugt. Nach einer weiteren Konjugation wird a = 1 erreicht. Die Orbitprojektion (1) ist dann leicht zu verifizieren. Zweiter Fall. Wenn es ein hyperbolisches Element α ∈ G gibt, kann man nach einer Konjugation annehmen, daß α eine Homothetie ist, siehe 11.2.2(5). Weil G abelsch ist, folgt aus 11.2.1, daß alle Elemente von G Homothetien sind, also G = {z 7→ er z} ist, wobei r eine additive Untergruppe A von R durchl¨auft. Analog zum ersten Fall gibt es ein kleinstes s > 0 in A , und G wird von γ(z) = es z erzeugt. Wegen der Eindeutigkeit des Dehnungsfaktors ist s durch G eindeutig bestimmt. Man verifiziert sodann die angegebene Orbitprojektion (2). ¤ 11.2.4 Ausnahmefl¨ achen heißen die zusammenh¨angenden Riemannschen Fl¨achen mit abelschen Fundamentalgruppen. Dazu geh¨oren alle nicht-hyperb C, C× und die Tori. Dar¨ bolischen Fl¨achen, n¨amlich C, uber hinaus gilt der

Satz. Bis auf Isomorphie sind E, E× und die Ringgebiete Ar := {z ∈ C : 0 < r < |z| < 1} die einzigen hyperbolischen Ausnahmefl¨ achen. Die angegebenen Ringgebiete sind weder untereinander noch zu E× isomorph. Beweis. Sei η : H → X die Uniformisierung einer hyperbolischen Ausnahmefl¨ache. Die Deckgruppe D(η) < Aut(H) ist abelsch; denn sie ist zur Fundamentalgruppe π(X) isomorph. Aus 11.2.3 und der Eindeutigkeit gem¨aß 11.1.3 folgt die Behauptung. ¤

11.3 Der Satz von Poincar´ e -Weyl Dieser Satz charakterisiert die Ausnahmefl¨achen X dadurch, daß Aut(X) nicht diskontinuierlich ist. F¨ ur den Beweis ben¨otigen wir die Beschreibung der diskontinuierlichen Untergruppen von Aut(H) durch diskrete Matrizengruppen (11.3.1-2) und die universelle Liftung aus 4.8.4. 11.3.1 Beschr¨ ankte Matrizen. Sei ι : SL2 (R) → Aut(H) der Epimorphismus, welcher jeder Matrixµ A den ¶ Automorphismus A(z) zuordnet: az + b a b (1) A= , A(z) = . c d cz + d Um die Untergruppen G < SL2 (R) zu charakterisieren, deren Bild ι(G) < Aut(H) diskontinuierlich ist, ben¨otigen wir folgendes

11.3 Der Satz von Poincar´e -Weyl

221

Lemma. F¨ ur jedes Kompaktum K ⊂ H ist die Menge M := {A ∈ SL2 (R) : A(K) ∩ K 6= ∅} beschr¨ ankt im Zahlenraum R4 der 4-Tupel (a, b, c, d) . Beweis. Zu K gibt es eine reelle Schranke r > 0 , so daß gilt: (2) r−1 ≤ Im τ ≤ r und |τ | ≤ r f¨ ur alle τ ∈ K . Sei τ := s + it ∈ K , und sei A(τ ) ∈ K . Mit Im A(τ ) = |cτ + d|−2 Im τ und (2) ergibt sich: |cτ + d|2 ≤ r2 , |aτ + b| = |cτ + d| |A(τ )| ≤ r2 . Wegen |cτ + d|2 = (cs + d)2 + c2 t2 ist |c|t ≤ r und analog |a|t ≤ r2 . Mit t ≥ r−1 folgt: |c| ≤ r2 und |a| ≤ r3 . Wegen |τ | ≤ r folgt weiter |d| ≤ |cτ + d| + |c||τ | ≤ r + r3 , |b| ≤ |aτ + b| + |a||τ | ≤ r2 + r4 . Damit hat man Schranken f¨ ur a, b, c, d . ¤ 11.3.2 Diskrete Gruppen. Eine Untergruppe G < SL2 (R) heißt diskret, wenn die Einheitsmatrix E isoliert in G liegt: Es gibt eine Umgebung U von E in SL2 (R) ⊂ R4 , so daß U ∩ G = {E} ist.

(1) Diskrete Gruppen sind lokal endlich. Beweis. Angenommen, G trifft ein Kompaktum K ⊂ R4 unendlich oft. Es g¨abe eine Folge An in G ∩ K mit paarweise verschiedenen Gliedern, welche in K konvergiert. Dann konvergiert An A−1 2n nach E . Jede Umgebung U von E enth¨alt ein von E verschiedenes Element An A−1 ¤ 2n ∈ G . Satz. Folgende Aussagen u ¨ber eine Untergruppe G < SL2 (R) sind a ¨quivalent: (a) G operiert diskontinuierlich auf H . (b) Es gibt mindestens zwei verschiedene Punkte α, β ∈ H , die auf lokal endlichen G-Bahnen liegen. (c) G ist diskret in SL2 (R) . Beweis. (a) ⇒ (b) gilt, weil alle Bahnen lokal endlich sind. (b) ⇒ (c): Wenn G nicht diskret w¨are, g¨abe es eine Folge An in G \ {E} mit lim An = E . F¨ ur fast alle n gilt An (α) = α, An (β) = β , weil α und β isoliert in G(α) bzw. G(β) liegen. Da jeder Automorphismus von H mit zwei Fixpunkten die Identit¨at ist, folgt An = −E f¨ ur fast alle n im Widerspruch zu lim An = E . (c) ⇒ (a): F¨ ur jedes kompakte K ⊂ H ist M := {A ∈ G : A(K) ∩ K 6= ∅} nach Lemma 11.3.1 beschr¨ankt in R4 und daher wegen (1) sogar endlich. ¤ Die Folgerung (a) ⇒ (c) l¨ aßt sich mit denselben Methoden verallgemeinern: b Wenn eine Untergruppe G < SL2 (C) auf einer nicht-leeren Menge U ⊂ C diskontinuierlich operiert, ist G diskret. ¤ Die Vermutung, daß umgekehrt jede diskrete Untergruppe von SL2 (C) auf einem Gebiet in der Zahlenkugel diskontinuierlich operiert, hat Picard 1884 durch ein Beispiel widerlegt, siehe Aufgabe 11.7.7. Man kennt notwendige und hinreichende Bedingungen f¨ ur die Existenz solcher Diskontinuit¨ atsbereiche und kann diese genau beschreiben, siehe [Be], Sec. 5.3.

222

11. Uniformisierung. Dreiecksgruppen

11.3.3 Satz von Poincar´ e-Weyl. Eine zusammenh¨ angende Riemannsche Fl¨ ache X ist genau dann eine Ausnahmefl¨ ache, wenn ihre Automorphismengruppe nicht diskontinuierlich ist. Beweis. Es gen¨ ugt zu zeigen, daß jede hyperbolische Fl¨ache X , deren Automorphismengruppe Aut(X) nicht diskontinuierlich ist, eine abelsche Fundamentalgruppe π(X) hat. Wir benutzen die Uniformisierung η : H → X und die Normalisierung N der zu π(X) isomorphen Deckgruppe D := D(η) in Aut(H) . Nach 4.8.4(1)-(2) ist N nicht diskontinuierlich. Wir finden zun¨achst eine Folge fn ∈ N \ {id} , so daß f¨ ur jedes g ∈ D gilt: (∗) fn ◦ g = g ◦ fn f¨ ur fast alle n . Seien D′ , N ′ die Urbilder von D, N unter dem Epimorphismus ι : SL2 (R) → Aut(H) , vergleiche 11.3.1. Offenbar ist N ′ der Normalisator von D′ in SL2 (R) . Nach Satz 11.3.2 ist D′ diskret, aber N ′ nicht. Es gibt also eine Folge An in N ′ \ {±E} mit lim An = E . F¨ ur jedes B ∈ SL2 (R) gilt dann ′ −1 ′ ′ lim An BA−1 = B . Aus B ∈ D folgt A BA n n n ∈ D , und weil D diskret −1 ist, sogar An BAn = B f¨ ur fast alle n . Mit fn := ι(An ) folgt (∗) . Da D keine elliptischen Elemente enth¨alt, k¨onnen wir D gem¨aß 11.2.2 durch eine konjugierte Gruppe ersetzen, die eine Translation oder Homothetie h 6= id enth¨alt. Aus (∗) , angewendet auf g = h , folgt mit Lemma 11.2.1, daß fast alle fn Translationen bzw. Homothetien 6= id sind. Da (∗) f¨ ur jedes g ∈ D gilt, sind alle g ∈ D Translationen bzw. Homothetien. Jedenfalls ist D abelsch. ¤ 11.3.4 Kompakte Fl¨ achen. Jede kompakte, zusammenh¨ angende Riemannsche Fl¨ ache X , die nicht zur Zahlenkugel oder einem Torus isomorph ist, hat eine endliche Automorphismengruppe. Denn X ist keine Ausnahmefl¨ache. Somit ist Aut(X) diskontinuierlich und wegen der Kompaktheit sogar endlich. ¤ 11.3.5 Historisches. Das letzte Ergebnis u¨ber die Automorphismengruppen kompakter Fl¨ achen wird auch als Satz von Schwarz bezeichnet. Denn er bewies 1875 in [Sch] 2, S. 285-291: Eine algebraische Fl¨ ache, die durch eine Schaar abbilden” der Functionen auf sich selbst eindeutig, zusammenh¨ angend und in den kleinsten Theilen ¨ ahnlich abgebildet werden kann“ , hat das Geschlecht 0 oder 1 . Da die Schaar“ analytisch von einem Parameter abh¨ angt, zeigte Schwarz noch nicht, daß ” die Automorphismengruppe f¨ ur Fl¨ achen vom Geschlecht ≥ 2 endlich ist. Klein formulierte in seiner Schrift u ¨ber Riemann, [Klei 1] 3, S. 560, vage, daß Glei” chungen p > 1 niemals unendlich oft eindeutig in sich transformiert werden k¨ onnen“ . Er gab ein Plausibilit¨ atsargument und zitierte die Arbeit von Schwarz. In einem Brief an H. Poincar´e vom 3. April 1882 erw¨ ahnte Klein den Satz, [Klei 1] 3, S. 610. Darauf ver¨ offentlichte Poincar´e 1885 unter Bezug auf Kleins Brief den Beweis, welchem wir oben gefolgt sind, siehe [Po] 3, p. 4-31. Klein und Poincar´e wußten nicht, daß Weierstraß bereits in einem Brief vom 3. Oktober 1875 an Schwarz, [Wst] 2, S. 325-244, dessen Ergebnis kritisiert hatte, weil die Endlichkeit der Automorphismengruppe als sozusagen selbstverst¨ andliche ” Wahrheit“ aus der Theorie der Weierstraß-Punkte folgt, siehe hierzu 13.5.6. Dieser Brief wurde erst 1895 ver¨ offentlicht.

11.4 Dreiecksgruppen

223

Die Beweise von Schwarz und Weierstraß h¨ atten nicht vermuten lassen, daß die Kompaktheit (oder Algebraizit¨ at) der Fl¨ ache entbehrlich ist, wenn man nur die Diskontinuit¨ at der Automorphismengruppe zeigen will. Erst Weyl hob hervor, daß Poincar´es Beweis w¨ ortlich auch f¨ ur offene Fl¨ achen g¨ ultig“ bleibt. In dieser Form ” nahm er das Ergebnis und den Beweis in sein Buch [Wyl 1], S. 163, auf.

11.4 Dreiecksgruppen b und E , deren OrbitDiskontinuierliche Automorphismengruppen von C, C b projektionen die Zahlenkugel C mit drei Verzweigungspunkten u ¨berlagern, heißen Dreiecksgruppen, da sie sich durch schachbrettartige Parkettierungen b bzw. E veranschaulichen lassen, deren Felder dreieckig sind, siehe von C , C ¨ 2.6.4, 4.2.7-8 bzw. 11.5. Wir beginnen mit einem Uberblick u ¨ber alle m¨oglichen Dreiecksgruppen und schließen elementare Ergebnisse aus der Geometrie der Kreisverwandtschaften an, die ben¨otigt werden, um die Parkettierungen von E zu konstruieren. b C, E} . Eine 11.4.1 Definition. Eindeutigkeit und Existenz. Sei Z ∈ {C, Untergruppe G ⊂ Aut(Z) heißt Dreiecksgruppe, wenn es eine holomorphe b gibt, deren Verzweigungsort aus drei Punkten G-Orbitprojektion η : Z → C besteht. Nach 4.3.4 sind Dreiecksgruppen diskontinuierlich. Man kann annehmen, daß η u ¨ber 0, 1, ∞ mit den Windungszahlen p, q, r verzweigt ist, wobei 2 ≤ p ≤ q ≤ r gilt. Das Tripel (p, q, r) heißt Typ der Dreiecksgruppe. Es ist manchmal bequem, alle Tripel (q1 , q2 , q3 ) , die durch eine Permutation aus den festen Tripel (p, q, r) hervorgehen, als Typenbezeichnung derselben Dreiecksgruppe zuzulassen. Existenz und Eindeutigkeit. Jedes Tripel (p, q, r) ganzer Zahlen ≥ 2 ist b C, E} der Typ einer Dreiecksgruppe G . Durch (p, q, r) ist die Fl¨ ache Z ∈ {C, eindeutig bestimmt, und die Gruppe G ist bis auf Konjugation in Aut(Z) eindeutig bestimmt. Beweis. Wegen des Riemannschen Abbildungssatzes entsprechen die Dreiecksgruppen vom Typ (p, q, r) umkehrbar eindeutig den universellen verzweigten b , deren Signaturen die Werte S(0) = p , S(1) = q, ¨ Uberlagerungen η:Z→C S(∞) = r und S(z) = 1 f¨ ur z ∈ C×× haben. Die Behauptung folgt daher ¨ aus der Existenz und Eindeutigkeit solcher Uberlagerungen, siehe 4.8. ¤ b sind die endlichen, nicht-zyklischen UnDie Dreiecksgruppen G < Aut(C) b tergruppen von Aut(C) , welche in 4.2 klassifiziert wurden:

b r-Dieder Tetraeder Oktaeder Ikosaeder G < Aut(C) Typ 2, 2, r 2, 3, 3 2, 3, 4 2, 3, 5

Die Dreiecksgruppen G < Aut(C) traten in 2.6 als Fl¨achengruppen auf:

224

11. Uniformisierung. Dreiecksgruppen

G < Aut(C) F3 (Ω) F4 (Ω) F6 (Ω) Typ 3, 3, 3 2, 4, 4 2, 3, 6 Durch diese Beispiele wird jedes Tripel (p, q, r) mit p−1 + q −1 + r−1 > 1 b bzw. Aut(C) erfaßt. Die bzw. = 1 als Typ einer Dreiecksgruppe in Aut(C) b entsprechenden Parkettierungen von C und C , siehe 4.2.7-8 bzw. 2.6.4 , erkl¨aren die Bezeichnung Dreiecksgruppe“ . Nach der Klassifikation der ” b und C in 4.2.3 und diskontinuierlichen Automorphismengruppen von C 2.6.3 kommen unter ihnen keine Dreiecksgruppen der Typen (p, q, r) mit p−1 + q −1 + r−1 < 1 vor. Letztere sind also Untergruppen von Aut(E) . Die Konstruktion entsprechender Parkettierungen von E wird in den n¨achsten Abschnitten vorbereitet. Beispiel. Die Modulgruppe Gn ist die Deckgruppe der Modul¨ uberlagerung b , welche u ηn : Xn → C ¨ber 0, 1, ∞ mit den Windungszahlen 3, 2, n verzweigt ˆ n von Gn die Dreiecksist, siehe 5.7.1-2. Daher ist die universelle Liftung G gruppe vom Typ (3, 2, n) . b → C, b z 7→ eiα mit α ∈ R 11.4.2 Drehungen. Die Abbildungen ρ : C −1 b heißen αund alle zu ρ konjugierten Elemente gρg mit g ∈ Aut(C) ′ Drehungen. Sie haben zwei Fixpunkte A 6= A mit den Ableitungen e±iα . Eine Drehung geh¨ort genau dann zur Untergruppe Aut(C) , wenn ∞ ein Fixpunkt ist. Sie geh¨ort zu Aut(H) bzw. Aut(E) , wenn f¨ ur ihre Fixpunkte A′ = A¯ bzw. A′ = 1/A¯ gilt. F¨ ur Z ∈ {C, H, E} hat jede Drehung ρ in Aut(Z) genau einen Fixpunkt A ∈ Z . Zu jedem Paar (A, ω) ∈ Z × S 1 gibt es genau eine Drehung ρ ∈ Aut(Z) mit ρ′ (A) = ω . 11.4.3 Kreisverwandtschaften. Wir fassen C als euklidische Ebene auf, b einen f¨ ugen jeder Geraden l ⊂ C den Punkt ∞ zu und nennen l ∪ {∞} ⊂ C Kreis durch ∞ . Diese Kreise zusammen mit den euklidischen Kreisen in C b . sind dann genau die Teilmengen g(R ∪ {∞}) f¨ ur g ∈ Aut(C) Man erweitert die komplexe Konjugation z 7→ z¯ durch ∞ = ∞ zu einem b →C b . Die erweiterte Automorphismengruppe Aut∗ (C) b Hom¨oomorphismus C b besteht aus Aut(C) und den antiholomorphen M¨ obius-Transformationen b . Sie enth¨alt Aut(C) b als Normalteiler vom Index z 7→ g(¯ z ) mit g ∈ Aut(C) b sind Kreisverwandtschaften, d.h. sie zwei. S¨amtliche Elemente von Aut∗ (C) transformieren Kreise in Kreise. b Alle zu κ(z) := z¯ konjugierten Elemente σ = g −1 ◦ κ ◦ g mit g ∈ Aut∗ (C) heißen Spiegelungen. Der Spiegelkreis g(R ∪ {∞}) ist die Menge der Fixb ist Spiegelkreis genau einer Spiegelung. punkte von σ . Jeder Kreis in C b . S¨ Satz (siehe die linke Figur 11.4.3). Seien A 6= A′ ∈ C amtliche Drehun′ gen mit den Fixpunkten A, A zusammen mit allen Spiegelungen an Kreisen b . Dabei ist das Produrch A und A′ bilden eine Untergruppe von Aut∗ (C) dukt ρ := σ1◦σ2 der Spiegelungen an zwei Kreisen l1 und l2 , welche sich bei A unter dem Winkel α schneiden, eine Drehung ρ mit ρ′ (A) = e2α i .

11.4 Dreiecksgruppen

.A

.z

a

l1

225

l2

r (z)

. a a

.



° A=0 l2

l1

b . Das Produkt ρ der entsprechenden Fig. 11.4.3. Links: Zwei Spiegelkreise in C Spiegelungen ist eine 2α-Drehung mit den Fixpunkten A und A′ . Die rechte Figur zeigt den euklidischen Spezialfall A′ = ∞ .

Beweis. Man kann A = 0 , A′ = ∞ annehmen. Dann sind die Kreise durch A und A′ euklidische Geraden, und die Behauptung wird zu einem Ergebnis der elementaren Geometrie, siehe die rechte Figur 11.4.3. ¤ 11.4.4 Euklidische und hyperbolische Automorphismen. Im folgenden sei Z ∈ {C, H, E} . Die erweiterte Automorphismengruppe Aut∗ (Z) b , f¨ besteht aus allen Elementen g ∈ Aut∗ (C) ur die g(Z) = Z ist. Die Transformationen in Aut∗ (Z) \ Aut(Z) haben die Gestalt g ◦ τ . Dabei ist τ die Spiegelung an der imagin¨aren Achse und g ∈ Aut(Z) . Die Elemente von Aut∗ (C) transformieren euklidische Geraden in euklidische Geraden. Das entsprechende Ergebnis gilt f¨ ur Aut∗ (H) und Aut∗ (E) , wenn man die euklidischen durch hyperbolische Geraden ersetzt, die folgendermaßen definiert werden: Die Halbgeraden und Halbkreise in H , welche auf der reellen Achse senkrecht stehen, heißen hyperbolische Geraden in H , siehe die linke Figur 11.4.4. Die Durchmesser von E und die Kreisb¨ogen in E , welche auf dem Randkreis ∂E senkrecht stehen, heißen hyperbolische Geraden in E , siehe die rechte Figur 11.4.4. Der Cayleysche Isomorphismus H → E , z 7→ (z − i)/(z + i) , vgl. 1.1.3, transformiert hyperbolische Geraden in hyperbolische Geraden. Eine Spiegelung geh¨ort genau dann zu Aut∗ (C) bzw. Aut∗ (H) ∼ = Aut∗ (E) , wenn ihr Spiegelkreis eine euklidische bzw. eine hyperbolische Gerade ist. Die hyperbolische Ebene H ∼ aßt sich mit einer Metrik versehen, so daß = E l¨ Aut∗ (H) ∼ = Aut∗ (E) die Gruppe aller Isometrien ist.- Bis auf das Parallelenaxiom gelten alle Axiome der euklidischen Geometrie auch f¨ ur die hyperbolische Geometrie. Durch jeden Punkt außerhalb einer hyperbolischen Geraden l lassen sich unendlich viele hyperbolische Geraden ziehen, die l nicht treffen. Die Winkelsumme im Dreieck ist < π . Zwei Dreiecke sind bereits dann isomorph, wenn ihre Innenwinkel u ¨bereinstimmen.

226

11. Uniformisierung. Dreiecksgruppen

i

A3 A2

A1

A3 = 0

Re

1

A1 A2

Fig. 11.4.4. Hyperbolische Geraden und je ein hyperbolisches Dreieck mit den Ecken A1 , A2 , A3 in der Halbebene H (links) und im Einheitskreis E (rechts).

11.4.5 Hyperbolische Dreiecksgruppen. Sei ∆ ⊂ E ein hyperbolisches Dreieck mit den Ecken A1 , A2 , A3 und den Innenwinkeln αν bei Aν . Sei σν die Spiegelung an der Seite aν , die Aν gegen¨ uberliegt. F¨ ur drei hyperbolische Drehungen ρν um Aν sind folgende Aussagen a ¨quivalent: (1) ρν hat den Drehwinkel 2αν . (2) F¨ ur jede zyklische Permutation (λ, µ, ν) von (1, 2, 3) gilt ρν = σλ ◦ σµ . (3) ρ1 ◦ ρ2 ◦ ρ3 = id . Beweis. (1) ⇒ (2): Nach Satz 11.4.3 ist ρ := σλ ◦ σµ wie ρν eine hyperbolische Drehung mit dem Fixpunkt Aν und der Ableitung e2αν i . Wegen der Eindeutigkeit folgt ρ = ρν .– Aus (2) folgt (3) wegen (σν )2 = id .– (3) ⇒ (1): Nach Satz 11.4.3 sind s1 := σ3 ρ2 und s2 := ρ1 σ3 Spiegelungen an hyperbolischen Geraden k1 durch A2 bzw. k2 durch A1 . Wegen ρ1 ρ2 s1 s2 = s2 σ3 σ3 s1 s1 s2 = id = ρ1 ρ2 ρ3 ist s1 s2 = ρ3 . Daher schneiden sich k1 und k2 in A3 . Somit liegen die Seiten a1 auf k1 und a2 auf k2 . Es folgt s1 = σ1 , s2 = σ2 und somit (1). ¤

Die Untergruppe G∗ < Aut∗ (E) , welche die drei Spiegelungen σ1 , σ2 , σ3 erzeugen, heißt hyperbolische Dreiecksgruppe zu ∆ . Alle Elemente in G∗ , die als Produkte einer geraden Anzahl der erzeugenden Spiegelungen darstellbar sind, bilden den Durchschnitt G = G∗ ∩ Aut(E) . Er ist ein Normalteiler G ⊳ G∗ vom Index zwei. Im folgenden sollen die in 11.4.1 eingef¨ uhrten Dreiecksgruppen G < Aut(E) durch die Wahl geeigneter Dreiecke ∆ ⊂ E zu hyperbolischen Dreiecksgruppen G∗ erweitert werden. 11.4.6 Pr¨ asentation. In jeder Dreiecksgruppe G vom Typ (q1 , q2 , q3 ) gibt es drei Elemente ρν mit Fixpunkten Aν und Ableitungen ρ′ν (Aν ) = e2πi/qν , so daß G von ρ1 , ρ2 , ρ3 erzeugt wird und (1) ρq11 = ρq22 = ρq33 = ρ1 ◦ ρ2 ◦ ρ3 = id die einzigen Relationen sind.

11.5 Dreiecksparkettierungen

227

b ist die universelle Uberlagerung ¨ Beweis. Die G-Orbitprojektion η : Z → C mit drei Verzweigungspunkten bν ∈ {0, 1, ∞} und der Verzweigungssignatur S(bν ) = qν . In C×× := C \ {0, 1} gibt es einfache Schleifen vν um bν , so daß π(C×× ) von [v1 ], [v2 ] frei erzeugt wird und [v1 ] · [v2 ] · [v3 ] = 1 gilt. Mit dem Poincar´eschen Epimorphismus P : π(C×× ) → G bilden wir die Elemente ρν := P [vν ] . Sie erzeugen G und erf¨ ullen ρ1 ◦ ρ2 ◦ ρ3 = id . Nach 4.7.2 besitzt ρν := P [vν ] einen Fixpunkt Aν ∈ ϕ−1 (bν ) mit ρ′ν (Aν ) = e2πi/qν . Aus der Beschreibung des Kernes von P in 4.8.2 folgt, daß die Relationen (1) die einzigen sind. ¤ 11.4.7 Erweiterte Dreiecksgruppen. Zu jeder Dreiecksgruppe G in Aut(E) vom Typ (q1 , q2 , q3 ) gibt es ein hyperbolisches Dreieck ∆ ⊂ E mit den Innenwinkeln π/q1 , π/q2 , π/q3 , so daß G = G∗ ∩ Aut(E) f¨ ur die hyperbolische Dreiecksgruppe G∗ zu ∆ gilt. F¨ ur die G-Orbitprojektion b , welche u η:E→C ¨ber 0, 1 und ∞ mit den Windungszahlen q1 , q2 bzw. q3 verzweigt, und die komplexe Konjugation κ gilt (1) κ ◦ η = η ◦ g f¨ ur g ∈ G∗ \ G . Wir nennen ∆ ein Fundamentaldreieck und G∗ die Erweiterung der Dreiecksgruppe G . Beweis. Sei ν ∈ {1, 2, 3} . Nach 11.4.6 gibt es drei paarweise verschiedene Punkte Aν ∈ E , so daß G von den Drehungen ρν um Aν mit den Drehwinkeln 2π/qν erzeugt wird und ρ1 ◦ ρ2 ◦ ρ3 = id gilt. Wenn man 11.4.5 auf das hyperbolische Dreieck ∆ mit den Ecken A1 , A2 , A3 anwendet, folgt die erste Behauptung des Satzes. Zu (1). Es gen¨ ugt, κ ◦ η = η ◦ g f¨ ur die Spiegelungen g = σ an den Seiten von ∆ zu zeigen. Die Abbildung κ ◦ η ◦ σ ist wie η eine holomorphe Gb mit κ ◦ η ◦ σ = α ◦ η . An den Orbitprojektion. Daher gibt es ein α ∈ Aut(C) Ecken A1 , A2 , A3 haben κ ◦ η ◦ σ und η dieselben Werte 0, 1, ∞ . Letztere sind also Fixpunkte von α , und somit ist α = id . ¤

11.5 Dreiecksparkettierungen Zu jeder Dreiecksgruppe G < Aut(E) vom Typ (q1 , q2 , q3 ) wird eine Parkettierung von E durch hyperbolische Dreiecke konstruiert, die den Parkettieb ≈ S 2 durch euklidische bzw. sph¨arungen der Ebene C und der Sph¨are C rische Dreiecke entspricht, vgl. 2.6.4 und 4.2.7-8. Wir gehen von einem Fundamentaldreieck ∆ aus und u ¨bernehmen aus 11.4.5-7 die Bezeichnungen aν , Aν , σν und ρν f¨ ur die Seiten, Ecken, Spiegelungen und Drehungen. 11.5.1 Der Stern. Im folgenden sei (λ, µ, ν) eine zyklische Permutation von (1, 2, 3) . Offenbar ist ∆ ∩ σν (∆) = aν . Die Standgruppe Gν < G der Ecke Aν wird von der (π/qν )-Drehung ρν erzeugt. Die erweiterte Standgruppe

228

11. Uniformisierung. Dreiecksgruppen

. a 2 a1 D a3

Fig. 11.5.1. Der Stern S3 = ∪g∈G∗3 g(∆) mit dem Zentrum A3 = 0 f¨ ur qν = 3. Die Dreiecke g(∆) sind weiß f¨ ur g ∈ G3 und dunkel f¨ ur g ∈ G∗3 \ G3 .

G∗ν < G∗ von Aν enth¨alt die Spiegelungen σλ , σµ mit σλ ◦ σµ = ρν . Da Gν ⊳ G∗ν ein Normalteiler vom Index zwei ist, wird G∗ν von σλ und σµ erzeugt. Die Vereinigung Sν := ∪g∈G∗ν g(∆) ⊂ E

heißt Stern mit dem Zentrum Aν , siehe Figur 11.5.1. Er ist kompakt und hat den Rand ∂Sν := Sν \ Sν◦ = ∪g∈G∗ν g(aν ) . Ferner ist Aν ∈ Sν◦ , und es gilt ∆ ∩ g(∆) = {Aν } f¨ ur g ∈ G∗ν \ {id, σλ , σµ } . 11.5.2 Parkettierungssatz. Jeder G∗ -Orbit trifft das Fundamentaldreieck ∆ in genau einem Punkt. Jeder Punkt t ∈ ∆◦ hat die erweiterte Standgruppe G∗t = {id} . Wenn t ∈ aν keine Ecke ist, gilt G∗t = {id, σν } . Anschauliche Deutung: Ganz E ist die Vereinigung aller Dreiecke g(∆) f¨ ur g ∈ G∗ . Zwei verschiedene Dreiecke treffen sich l¨ angs einer gemeinsamen Seite oder in einer gemeinsamen Ecke oder gar nicht. Man f¨ arbe jedes Dreieck g(∆) schwarz bzw. weiß, je nachdem ob g 6∈ G oder ∈ G ist. Dreiecke mit gemeinsamer Seite haben dann wie die Felder auf dem Schachbrett verschiedene Farben. Beweis. Wir versehen G∗ mit der diskreten Topologie und erzeugen auf ¨ G∗ × ∆ durch (g ◦ σν , t) ∼ (g, t) f¨ ur t ∈ aν und ν = 1, 2, 3 eine Aqui¨ valenzrelation. Die Aquivalenzklasse [g, t] von (g, t) besteht f¨ ur t ∈ ∆◦ aus (g, t) allein. Sie besteht aus (g, t) und (g ◦ σν , t) , wenn t ∈ aν keine Ecke ist. F¨ ur t = Aν ist [g, Aν ] = {(g ◦ α, t) : α ∈ G∗ν } . ¨ Sei X die Menge der Aquivalenzklassen, versehen mit der Quotiententopologie bez¨ uglich G∗ × ∆ → X, (g, t) → [g, t] . Durch h[g, t] := [hg, t] operiert G∗ auf X . Die Abbildung ϕ : X → E , ϕ[g, t] := g(t) , ist stetig und mit den G∗ -Operationen vertr¨aglich. Jedes Dreieck [g, ∆] := {[g, t] : t ∈ ∆} wird durch ϕ hom¨oomorph auf g(∆) abgebildet. Aus der Theorie unverzweigter ¨ Uberlagerungen folgt sogar, daß ϕ : X → E ein Hom¨oomorphismus ist. Denn die in 3.2.4(3) genannten Voraussetzungen sind erf¨ ullt: (1) X h¨ angt wegweise zusammen. (2) η ist lokal topologisch. (3) η ist unbegrenzt, vergleiche 3.2.2.

11.5 Dreiecksparkettierungen

229

Zu (1). Zu jedem g ∈ G∗ gibt es eine endliche Folge id = g0 , .., gk , .., gn = g in G∗ mit gk−1 gk+1 ∈ {σ1 , σ2 , σ3 , } . Wegen [id, ∆] ∩ [σν , ∆] 6= ∅ ist [g0 , ∆], . . . , [gn , ∆] eine zusammenh¨angende Kette von Dreiecken, d.h. der Durchschnitt von je zwei aufeinanderfolgenden Dreiecken ist nicht leer. Daher kann [id, A1 ] mit jedem Punkt [g, t] durch einen Weg verbunden werden. Zu (2). Der Stern Σν := ∪g∈G∗ν [g, ∆] ⊂ X wird durch ϕ hom¨oomorph auf den Stern Sν := ∪g∈G∗ν g(∆) ⊂ E abgebildet, siehe Figur 11.5.1. Jeder Punkt in X liegt im Innern eines Sternes g(Σν ) f¨ ur g ∈ G∗ und ν ∈ {1, 2, 3} . Daher ist ϕ lokal topologisch. Zu (3). Jeder Weg u : [0, 1) → X ohne Endpunkt kann stetig nach 1 fortgesetzt werden, sobald dies f¨ ur ϕ ◦ u gilt: Denn K := {ϕ ◦ u(s) : s ∈ [0, 1]} und ∆ sind kompakt. Wie G operiert auch G∗ diskontinuierlich auf E . Daher ist M := {g ∈ G∗ : g(∆) ∩ K 6= ∅} endlich und L := ∪g∈M [g, ∆] ist kompakt. Wegen u(s) ∈ L f¨ ur 0 ≤ s < 1 ist ϕ ◦ u(1) ∈ ϕ(L) , d.h. ϕ ◦ u(1) = g(t) f¨ ur ein g ∈ M und ein t ∈ ∆ . Dann wird u durch den Wert u(1) := [g, t] stetig fortgesetzt. Da ϕ surjektiv ist, gibt es zu jedem z ∈ E ein Paar (g, t) ∈ G∗ × ∆ mit z = g(t) , d.h. jeder G∗ -Orbit trifft ∆ . Der Treffpunkt ist eindeutig. Denn aus t ∈ ∆ und g(t) ∈ ∆ folgt wegen der Injektivit¨at von ϕ , daß [id, g(t)] = [g, t] , also g(t) = t ist. Dieser Fall g(t) = t ⇔ (g, t) ∈ [id, t] zusammen mit der ¨ Beschreibung der Aquivalenzklassen ergibt die Standgruppen G∗t = {id} f¨ ur ◦ ∗ t ∈ ∆ bzw. Gt = {id, σν } , wenn t ∈ aν keine Ecke ist. Aus den soweit bewiesenen Ergebnissen und der Beschreibung der Sterne Sν im vorigen Abschnitt folgt die anschauliche Deutung der Parkettierung. ¤ 11.5.3 Orbitprojektion und Fundamentalbereich. Die Ergebnisse aus b werden erg¨anzt. 11.4.7 u ¨ber die G-Orbitprojektion η : E → C Satz. Durch η wird ∆ hom¨ oomorph auf H ∪ R ∪ {∞} abgebildet. Die Beschr¨ ankung η : ∆◦ → H ist biholomorph. L¨ angs des Randes ∂∆ sind die η-Werte reell und wachsen streng monoton von η(A3 ) = ∞ = −∞ u ¨ber η(A1 ) = 0 und η(A2 ) = 1 nach η(A3 ) = ∞ = +∞ . Beweis. Sei t ∈ ∆ . Aus der Beschreibung der Standgruppen G∗t und der Gleichung κ ◦ η = η ◦ g f¨ ur g ∈ G∗ \ G folgt t ∈ ∂∆ ⇔ η(t) ∈ R ∪ {∞} . Wenn man ∆ eventuell durch σ1 (∆) ersetzt, ist η(∆◦ ) ⊂ H . Es gilt sogar η(∆◦ ) = H . Denn sei t0 ∈ ∆◦ . Zu jedem z ∈ H gibt es in H einen Weg ¨ w von η(t0 ) nach z . Da die Uberlagerung η u ¨ber H unverzweigt ist, l¨aßt sich w zu einem Weg v in E liften, der in t0 beginnt. Er trifft den Rand ∂∆ nicht. Daher liegt sein Endpunkt in ∆◦ und hat den η-Wert z . Wie ∆ ist das Bild η(∆) kompakt und somit die abgeschlossene H¨ ulle H ∪ R ∪ {∞} b . Die Beschr¨ankung η|∆ ist injektiv, weil jeder G∗ -Orbit das von H in C Dreieck ∆ in genau einem Punkt trifft. Die Beschr¨ankung η : ∆◦ → H ist bijektiv und holomorph, also biholomorph. Wegen der bereits bekannten Werte η(A1 ) = 0 , η(A2 ) = 1 , η(A3 ) = ∞ folgt die letzte Behauptung u ¨ber die η-Werte l¨angs ∂∆ . ¤

230

11. Uniformisierung. Dreiecksgruppen

Folgerung. F¨ ur jede Spiegelung σν ist das Doppeldreieck ∆ ∪ σν (∆) ein Fundamentalbereich der G-Operation. ¤ Die Ergebnisse in 11.4.7 und 11.5.1-3 u ¨ber hyperbolische Dreiecksgruppen und die zugeh¨origen Parkettierungen von E lassen sich w¨ortlich auf euklidische bzw. sph¨arische Dreiecksgruppen und die entsprechenden Parkettierunb ≈ S2 u gen von C bzw. C ¨bertragen. Diese Parkettierungen wurden bereits in 2.6.4 bzw. 4.2.7-8 beschrieben. 11.5.4 Historisches. Die euklidischen und sph¨arischen Parkettierungen sind jahrtausende altes Kulturgut, vgl. 4.2.9. Eine hyperbolische Dreiecksparkettierung der Kreisscheibe wurde zum ersten Mal von H. A. Schwarz im Jahre 1871 angegeben, ¨ siehe [Sch] 2, S. 240. Sie hat den Typ (2,4,5). Der Ausgangspunkt seiner Uberlegungen war die hypergeometrische Differentialgleichung x(x − 1)y ′′ + (γ − α − β − 1)y ′ − αβy = 0 , die Euler 1769 eingef¨ uhrt und durch die hypergeometrische Reihe α(α + 1)β(β + 1) 2 αβ x+ x + ... y(x) = 1 + γ 1 · 2 · γ · (γ + 1) gel¨ ost hatte. Diese Differentialgleichung war seither von Gauss, Riemann und vielen anderen Mathematikern studiert worden. Schwarz verkn¨ upfte zwei linear un¡ ¢ abh¨ angige L¨ osungen y1 , y2 mit den Matrizen ab ∈ SL(2, C) gebrochen linear zu cd s = (ay1 +by2 )/(cy1 +dy2 ) und gewann f¨ ur s die Schwarzsche Differentialgleichung µ ′′ ¶2 ′′′ 2 s 1−λ 3 s 1 − µ2 λ2 + µ2 − ν 2 − 1 = − + − ′ ′ 2 2 s 2 s 2x 2(1 − x ) 2x(1 − x)

mit λ2 = (1−γ)2 , µ2 = (γ −α−β)2 und ν 2 = (α−β)2 . Er zeigte, daß sie f¨ ur reelle α, β, γ eine spezielle L¨ osung s besitzt, die H biholomorph auf das Innere eines Kreisbogen-Dreiecks ∆ mit den Innenwinkeln λπ , µπ, , νπ abbildet und zu einem Hom¨ omorphismus H ∪ R ∪ ∞ → ∆ fortgesetzt werden kann, der 0, 1, ∞ auf die Ecken abbildet. Jeder Spiegelung an einer Seite von ∆ entspricht eine analytische Fortsetzung von s in die untere Halbebene −H . Durch iterierte Spiegelungen l¨ aßt sich jede analytische Fortsetzung und damit wieder eine L¨ osung der Schwarzschen Differentialgleichung erreichen. Schwarz bemerkte, daß die gesamte analytische Fortsetzung besonders u ¨bersichtlich wird, wenn die iterierten Spiegelbilder von ∆ b parkettieren. Denn dann entsteht eine Funktion η : Ω → C b ein Gebiet Ω ⊂ C mit dem Verzweigungsort {0, 1, ∞} , so daß die Fortsetzungen von s die lokalen η-Schnitte, d.h. die Umkehrfunktionen s˜ mit η ◦ s˜ = id sind. Er illustrierte diese Bemerkung durch die erw¨ ahnte Zeichnung einer (2, 4, 5)-Parkettierung von Ω = E . W¨ ahrend Schwarz die Untersuchung hyperbolischer Parkettierungen nicht weiter verfolgte, begann F.Klein sein eigenes erfolgreiches Studium der sph¨ arischen Parkettierungen mit ihren funktionentheoretischen und algebraischen Implikationen auf hyperbolische Parkettierungen auszudehnen. Wegen der Modulfl¨ achen interessierten ihn besonders die Typen (3, 2, n) , die f¨ ur alle n ≥ 7 hyperbolisch sind. Dem einfachsten Fall (3, 2, 7) widmete er eine ausf¨ uhrliche Abhandlung, die seine ber¨ uhmte Darstellung der Modulfl¨ ache X7 durch ein 14-Eck enth¨ alt, siehe dazu den folgenden Paragraphen 11.6. Die Untersuchung der hypergeometrischen Differentialgleichung mit funktionentheoretischen Methoden wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts auf lineare Differentialgleichungen y (n) + p1 y (n−1) + . . . + pn y = 0

11.6 Das Kleinsche 14 -Eck

231

ausgedehnt, deren Koeffizienten pj rationale Funktionen sind. L. Fuchs, der wie Schwarz ein Sch¨ uler von Weierstraß war, versuchte durch Bedingungen an die Koeffizienten sicherzustellen, daß das L¨ osungsverhalten bei den Singularit¨ aten ebenso einfach wie bei der hypergeometrischen Gleichung bleibt. Seine Arbeiten veranlaßten H. Poincar´e, sich mit dem globalen Verhalten der L¨ osungen zu befassen, das er ¨ ahnlich wie Schwarz, aber zun¨ achst ohne Kenntnis von dessen Arbeit mit Abbildungen auf Kreisbogenpolygone verband. Er bewies ein Theorem u ¨ber die Parkettierung von E durch solche Polygone, siehe [Po] 2, p. 108-168, welches den Parkettierungssatz aus 11.5.2 verallgemeinert. Eine moderne Darstellung findet man in [Mask], vgl. auch [DR]. Wie Klein durch seine 14-Eck-Parkettierung kam auch Poincar´e auf die Vermutung des Uniformisierungstheorems, welches jedoch erst 25 Jahre sp¨ ater mit anderen Methoden bewiesen wurde. Die Automorphismengruppen seiner Parkettierungen nannte Poincar´e Fuchssche Gruppen . Er zeigte, wie man zu ihnen invariante Funktionen konstruieren kann. In der Korrespondenz zwischen Klein und ihm, die in der Einleitung des Kapitels erw¨ ahnt wurde, kam es u ¨ber die Bezeichnung Fuchssche Gruppen“ zum Streit, da nach Kleins Meinung Fuchs ” ” hier keine Verdienste hat“ . Poincar´e blieb bei seiner Bezeichnung und beendete den Streit mit den Goethe-Zitat: Name ist Schall und Rauch.“ ” F¨ ur die ausf¨ uhrliche Geschichte aller hier erw¨ ahnten Ideen von Euler bis Poincar´e wird [Gra] empfohlen. F¨ ur Parkettierungen durch Polygone mit mehr als drei Ecken und ihre Automorphismengruppen wird auf [Be] verwiesen. Ferner ist [Mag] wegen seiner zahlreichen Bilder empfehlenswert. Eine neuere Darstellung der Fuchsschen Gruppen findet man in [Ka].

11.6 Das Kleinsche 14 -Eck Zu F. Kleins sch¨onsten Arbeiten geh¨ort die 1878 ver¨offentlichte anschauliche Beschreibung der Modulfl¨ache X7 und ihrer 168 Automorphismen durch ein 14-Eck, das aus 2 mal 168 Dreiecken der Parkettierung von E zum Typ (3,2,7) zusammengesetzt ist, siehe [Klei 1], Bd. 3, S. 126 ff., und die daraus entnommene Figur 11.6.1. Wir folgen Kleins Gedankengang und begr¨ unden insbesondere seinen Sprung von der Dreiecksparkettierung des Typs (3,2,7) auf die Modulparkettierung der Figur 5.1.5, den Klein nicht erl¨auterte. b die Mo11.6.1 Die Parkettierung der Modulfl¨ ache. Sei ηn : Xn → C dul¨ uberlagerung, d.h. die Orbitprojektion der Modulgruppe Gn , vgl. 5.7.2. ¨ Durch Vorschalten der unverzweigten universellen Uberlagerung ζn entsteht f¨ ur n ≥ 7 die Orbitprojektion ζn ηn b η : E −→ Xn −→ C

einer Dreiecksgruppe G < Aut(E) vom Typ (3, 2, n) . Zu ihr geh¨ort eine Dreiecksparkettierung von E . Im n¨achsten Abschnitt 11.6.2 wird gezeigt, wie man 2 mal ♯Gn viele Dreiecke dieser Parkettierung ausw¨ahlen kann, so daß ihre Vereinigung K ein Fundamentalbereich der D(ζn )-Operation ist. F¨ ur n = 7 mit ♯G7 = 168 zeigt Figur 11.6.1 diesen 14-eckigen Fundamentalbereich. Durch die angegebenen paarweisen Identifikationen der 14 Seiten entsteht die durch Dreiecke parkettierte Modulfl¨ache X7 .

232

11. Uniformisierung. Dreiecksgruppen

7

6

8

5

4

9

10

3

11

2

12

1 13

0 9

13 4

0

11 2 8

10 5

3

8

10

3

5

9 0

13 4

7

1 6

12 7 12

6 1

11 2

Fig. 11.6.1. Das Kleinsche 14-Eck ist Teil einer Dreiecksparkettierung des Typs (3,2,7) von E . Durch richtungsumkehrende Identifikationen der Seiten 1 mit 6 , 3 mit 8 , 5 mit 10 , 7 mit 12 , 9 mit 0 , 11 mit 2 und 13 mit 4 entsteht die Modulfl¨ ache X7 . Wenn man die 14 Ecken beim Durchlaufen des Randes abwechselnd mit 0 und 1 bezeichnet, werden alle 0-Ecken zu einem und alle 1-Ecken zu einem anderen Punkt der Modulfl¨ ache identifiziert. Die Figuren rechts und links unten zeigen, wie die identifizierten Seiten in den einen bzw. anderen Punkt der Modulfl¨ ache einm¨ unden.

11.6 Das Kleinsche 14 -Eck

233

11.6.2 Fundamentalbereiche von Untergruppen. Wir erg¨anzen die Abschnitte 11.4.7 und 11.5.2. Die Dreiecksgruppe G < Aut(E) wird nach Wahl eines Fundamentaldreiecks ∆ zu G∗ erweitert. Lemma. Sei ζ : E → X die Orbitprojektion einer Untergruppe H 0 . Wir entfernen aus E die Faser η −1 (∞) , d.h. entfernen aus jedem Dreieck der (3, 2, n)-Parkettierung die Ecke mit dem Innenwinkel π/n . Die Beschr¨ ankung ζn∗ : E∗ := E \ η −1 (∞) → Xn∗ von ζn wird ¨ durch die universelle Uberlagerung λn : H → Xn∗ dominiert; beide haben dieselbe Verzweigungssignatur. Daher ist die dominierende Abbildung eine unverzweigte ¨ Uberlagerung ϕ : (H, P0 ) → (E∗ , Q0 ) mit λn = ζn∗ ◦ ϕ . Satz. Durch ϕ wird D− hom¨ oomorph auf ∆ \ {0} abgebildet. F¨ ur alle g ∈ Γ ∗ gilt ϕ ◦ g = h(g) ◦ ϕ . Beweis. Wir zeigen zun¨ achst ϕ(P ) ∈ ∆ f¨ ur alle P ∈ D− : Es gibt einen Weg p in D− von P0 nach P , der den Rand ∂D− h¨ ochstens im Endpunkt trifft. Dann ist η ◦ ϕ ◦ p = J ◦ p h¨ ochstens im Endpunkt reellwertig. Der Bildweg ϕ ◦ p beginnt in Q0 ∈ ∆◦ und trifft den Rand ∂∆ h¨ ochstens im Endpunkt. Daher liegt der ganze Weg ϕ ◦ p und insbesondere sein Endpunkt ϕ(P ) in ∆ . Mit den Hom¨ oomorphismen J : D− → H ∪ R und η : ∆ \ {0} → H ∪ R , vgl. 5.3.5 und 11.5.3, folgt die erste Behauptung.

234

11. Uniformisierung. Dreiecksgruppen

i w

Q

.

P -1 - 3 2 7

. -1 -2 3 7

0

Fig. 11.6.4. Links: Ein Sektor Σ des Kleinschen 14-Ecks nach Verschiebung seines Zentrums Q in den Ursprung. Die Zusammensetzung aus 24 kleinen Dreiecken der Parkettierung ist nur in einem Drittel des dreifach drehsymmetrischen Sektors eingezeichnet. Rechts: Das entsprechende Aggregat (Σ ′ , P ) von Dreiecken der Modulparkettierung, welches durch ϕ auf (Σ, Q) abgebildet wird. Es gen¨ ugt, die zweite Behauptung f¨ ur die drei Erzeugenden g = rν , d.h. die Gleichungen σν ◦ϕ◦rν = ϕ zu beweisen. Dabei kann man sich wegen des Identit¨ atssatzes ◦ auf D− beschr¨ anken. Die Werte der linken und der rechten Seite liegen dann in ∆◦ . Weil η|∆◦ injektiv ist, gen¨ ugt es, η ◦ σν ◦ ϕ ◦ rν = η ◦ ϕ zu zeigen. Das folgt aus η ◦ σν = κ ◦ η , η ◦ ϕ = J und J ◦ rν = κ ◦ J . ¤

11.6.4 Analyse des 14-Ecks. Das Kleinsche 14-Eck K (Figur 11.6.1) ist aus 14 Sektoren zusammengesetzt, die im Ursprung zusammenstoßen. Jeder Sektor ist ein großes hyperbolisches Dreieck mit drei gleichen Innenwinkeln π/7 , welches aus 24 kleinen Dreiecken der (3,2,7)-Parkettierung besteht. Aus dem Sektor Σ , der das Fundamentaldreieck ∆ enth¨ alt, entstehen die anderen Sektoren durch fortlaufende Spiegelungen an Geraden durch 0 . Die 24 Dreiecke von Σ verteilen sich auf 3 Vierecke, die durch Drehungen um das Zentrum Q von Σ auseinander hervorgehen. Wenn man Q , wie die linke Figur 11.6.4 zeigt, in den Ursprung verschiebt, f¨ allt die dreifache Drehsymmetrie sofort ins Auge. Die Zusammensetzung der drei Vierecke aus je acht Dreiecken der Parkettierung ist in der Figur nur in einem Viereck ausgef¨ uhrt. Klein benutzt die dreifache Drehsymmetrie von Σ mit dem Zentrum Q , um ein entsprechendes Aggregat“ Σ ′ von Moduldreiecken zu zeichnen, welches von der ” halben Modulfigur D− anstelle von ∆ ausgeht, siehe die rechte Figur 11.6.4. Das Drehzentrum von Σ ′ liegt bei P := ω/(−2ω + 1) mit ω = exp(2πi/3) . Die beiden Drehungen um P sind g(z) := (3z + 1)/(−7z − 2) und g 2 = g −1 . Durch sie erh¨ alt man aus den Spitzen 0 und ∞ die weiteren Spitzen − 27 , − 13 , − 73 , − 12 von

11.6 Das Kleinsche 14 -Eck

235

Σ ′ . Die dominierende Abbildung ϕ bildet P auf Q und Σ ′ hom¨ oomorph auf Σ ∗ := Σ ∩ E∗ ab. Um die Gewinnung der anderen Sektoren des 14-Ecks K aus Σ zu imitieren, vereinigt Klein Σ ′ mit dem Spiegelbild r(Σ ′ ) an der imagin¨ aren Achse und legt 7 Exemplare nebeneinander, d.h. er bildet mit T (z) = z + 1 das große Aggregat [6 Ω := T j (Σ ′ ∪ r(Σ ′ ) ) mit ϕ(Ω) = K ∩ E∗ . j=0

Dann ist λ7 (Ω) = ζ7∗ ◦ ϕ(Ω) = ζ7∗ (K ∩ E∗ ) , d.h. aus (1) λ7 (Ω) = X7∗ folgt nach topologischem Abschluß ζ7 (K) = X7 . Damit sind die Voraussetzungen des Lemmas in 11.6.2 f¨ ur H = D(ζ7 ) und das 14-Eck K erf¨ ullt, so daß Kleins Behauptung bewiesen ist: Das 14-Eck ist ein Fundamentalbereich der D(ζ7 )-Operation auf E . Beweis zu (1). Wir zeigen, daß Ω von jedem Γ7 -Orbit getroffen wird und benutzen dazu eine bereits in 5.1.4 angewendete Idee: Auf dem Orbit nimmt Im z einen maximalen Wert an. Die Stelle z , an der dies passiert, kann man, ohne den maximalen Wert zu ¨ andern, durch T 7n ∈ Γ7 so verschieben, daß − 21 ≤ Re z ≤ 6 + 12 ist. Dann ist z ∈ Ω , oder z liegt in einem der 56 offenen Halbkreise, deren Zentren und Radien in der folgenden Tabelle angegeben sind, j = 0, . . . , 6 .

Zentrum j ± 1 Radius 7

1 7



1 42

13 42



1 21

8 21



1 28

13 28

Aber die Lage von z in einem der Halbkreise widerspricht der Maximalit¨ at von 13 Im z . Wir zeigen dies am Beispiel des Halbkreises mit dem Zentrum 42 und dem 1 1 Radius 42 : Aus |z − 13 | < 42 folgt |42z − 13| < 1 . Es gibt ganze Zahlen a, b , so 42 ¶ µ daß die Matrix 7a + 1 7b U= 42 −13 ein Element in Γ7 bestimmt. Denn die einzige Bedingung det U = 1 ist ¨ aquivalent zu 13a + 42b = −2 . Da 13 und 42 teilerfremd sind, gibt es eine ganzzahliges L¨ osungspaar (a, b) , z.B. (16, −5) . Im Widerspruch zur Maximalit¨ at folgt Im z Im U (z) = > Im z . |42z − 13| F¨ ur die anderen Halbkreise der zweiten Spalte der Tabelle ersetzt man U durch 13 T j U T −j beim Zentrum j + 42 bzw. T j rU rT −j beim Zentrum j − 13 . Dabei ist 42 r die Spiegelung an der imagin¨ aren Achse.

11.6.5 Paarweise Zuordnung der 14 Seiten. Wir kompaktifizieren das grob und setzen ϕ|Ω ˆ ⊂C ße Aggregat Ω durch Hinzuf¨ ugen aller seiner Spitzen zu Ω ˆ = K das 14-Eck ohne L¨ stetig in die Spitzen fort. Dann ist ϕ(Ω) ocher. Der Rand ˆ besteht aus den Halbkreisb¨ von Ω ogen kj von j + 27 nach j + 31 , lj von j + 31 nach j + 37 , kj′ von j − 72 nach j − 31 , lj′ von j − 31 nach j − 37 f¨ ur j = 0, . . . , 6 und weiteren B¨ ogen und Strecken, die nicht mehr interessieren, weil sie durch ϕ ins Innere von K gelangen. Die Seite mit der Nummer 2j + 1 bzw. 2j in der Figur 11.6.1 ist das ϕ-Bild von kj ∪ lj bzw. kj′ ∪ lj′ . Die beiden Transformationen ¶ ¶ µ µ −55 21 113 −35 und V := U := −21 8 42 −13

236

11. Uniformisierung. Dreiecksgruppen

geh¨ oren zu Γ7 . F¨ ur sie gilt 2 U ( 7 ) = 3 − 27 , U ( 31 ) = 3 −

1 3

= V ( 13 ) , V ( 73 ) = 3 − k3′

3 7

; U V −1 ∈ D(ϕ) .

Daher bildet U den Bogen k0 auf und V den Bogen l0 auf l3′ jeweils richtungsumkehrend ab. Wenn man dieses Ergebnis mit ϕ auf das 14-Eck u ¨bertr¨ agt, folgt: Die Seite 1 wird durch h(U ) = h(V ) ∈ D(ζ7 ) richtungsumkehrend auf die Seite 6 abgebildet. Dementsprechend werden diese beiden Seiten bei der Abbildung ζ7 : K → X7 identifiziert. Analog zeigt man mit Uj := T j U T −j und Vj := T j V T −j die Identifikation der Seite 2j + 1 mit der Seite 2j + 6 mod 14 und best¨ atigt dadurch die Angaben in der Legende der Figur 11.6.1. Durch die Seitenidentifikationen entstehen aus den vierzehn Ecken von K zwei Punkte, so daß das ζ7 -Bild jeder Seite den einen mit dem anderen verbindet. ¤

11.7 Aufgaben 1)

2)

Sei X eine zusammenh¨ angende Fl¨ ache. Zeige: (i) Jede holomorphe Abbildung von X in eine hyperbolische Fl¨ ache ist konstant, wenn X nicht-hyperbolisch ist. (ii) Jede injektive holomorphe Abbildung f : C → X ist ein Isomorphismus; b isomorph, und X \ f (C) besteht aus einem Punkt. oder X ist zu C b → X gibt, ist X (iii) Wenn es eine nicht-konstante holomorphe Abbildung C zur Zahlenkugel isomorph (Satz von L¨ uroth, vgl. 7.2.2(2) ).

Finde in der Fundamentalgruppe einer Fl¨ ache die Elemente endlicher Ordnung.

3)

Welche Elemente in der Deckgruppe D(λ) der λ-Funktion sind parabolisch bzw. hyperbolisch?

4)

Zeige: Die einzigen zusammenh¨ angenden Riemannschen Fl¨ achen, welche nicht durch Ring-Gebiete unverzweigt u ¨berlagert werden k¨ onnen, sind die Ausnahmefl¨ achen, welche keine Ring-Gebiete sind.

5)

Zeige, daß jedes Ring-Gebiet zu Ar := {z ∈ C : r−1 < |z| < r} mit r > 1 isomorph ist. Wann sind zwei Ring-Gebiete dieser Gestalt zueinander isomorph? Bestimme Aut(Ar ) und alle nicht-trivialen Standgruppen.

6)

b : Wenn mindestens zwei Zeige f¨ ur Untergruppen G < Aut(C) bzw. < Aut (C) bzw. drei Punkte auf lokal endlichen Bahnen liegen, ist G diskontinuierlich.

7)

Der Gaußsche Zahlenring Z[i] := {α + βi : α, β ∈ Z} ist ein euklidischer Unterring von C . Zeige: SL2 (Z[i]) < SL2 (C) ist diskret. Der Quotientenk¨ orper K von Z[i] liegt dicht in C . Wenn b, d ∈ Z[i] teilerfremd sind, gibt es Zahlen ¡a b¢ b , auf dem a, c ∈ Z[i] , so daß c d ∈ SL2 (Z[i]) ist. Es gibt kein Gebiet in C SL2 (Z[i]) diskontinuierlich operiert.– Dieses Beispiel wurde 1884 von Picard angegeben.

11.7 Aufgaben

237

8)

Zeige: Eine M¨ obius-Transformation z → (az + b)/(cz + d) mit ad − bc = 1 ist genau dann eine Drehung 6= id , wenn die Spur a + d reell und ihr Betrag |a + d| < 2 ist. Welche Beziehung besteht zwischen dem Drehwinkel und der Spur?

9)

Wenn eine Spiegelung von E zur erweiterten Dreiecksgruppe vom Typ (3,2,7) geh¨ ort, heißt ihre Spiegelgerade Symmetrielinie der entsprechenden Dreiecks¨ parkettierung. Die Bilder dieser Symmetrielinien bei der universellen Uberlagerung ζ7 : E → X7 heißen (Symmetrie-)Achsen der Modulfl¨ ache X7 . Man begr¨ unde anhand des 14-Ecks (Fig. 11.6.1) und der Resultate u ¨ber G7 (Aufgabe 5.8.9) folgende von Klein in [Klei 1], Bd. 3, S. 129 f. angegebenen Ergebnisse. Dabei wird jeder Punkt P ∈ X7 mit der Ordnung seiner Standgruppe (G7 )P < G7 = Aut(X7 ) versehen: b ist genau dann reell Der Wert η7 (P ) der Modulprojektion η7 : X7 → C oder ∞ , wenn P auf einer Achse liegt.– Die Gruppe G7 operiert transitiv auf der Menge aller Achsen.– Die Mittelsenkrechte des 14-Ecks zusammen mit der Seite 2 in der Figur 11.6.1 repr¨ asentiert eine Achse von X7 .– Jede Achse enth¨ alt je 6 Punkte der Ordnungen 2 , 3 und 7 , siehe Fig. 11.7.9 .– Es gibt genau 28 Achsen.– Durch jeden Punkt der Ordnung 7 laufen 7 Achsen. Sie haben zwei weitere gemeinsame Punkte der Ordnung 7 . Diese drei Punkte haben dieselbe Standgruppe. Durch je zwei Punkte der Ordnung 7 mit verschiedenen Standgruppen l¨ auft genau eine Achse.– Durch jeden Punkt P der Ordnung 3 laufen 3 Achsen. Sie treffen sich in einem weiteren Punkt der Ordnung 3 , der dieselbe Standgruppe wie P hat.– Die 6 Punkte der Ordnung 2 auf einer Achse a haben paarweise dieselbe Standgruppe. Jedes Paar liegt auf genau einer weiteren Achse. Die Isotropiegruppe {g ∈ G7 : g(a) = a} der Achse a ist die Permutationsgruppe S3 der drei weiteren Achsen. Letztere haben zwei gemeinsame Punkte der Ordnung 3 mit gleicher Standgruppe. Indem man sie der Achse a zuordnet, erh¨ alt man eine Bijektion von der Menge aller Achsen auf die Menge aller Untergruppen der Ordnung 3 . 7

3 2

2 7

*

3

3

7 2

2 3

7

*3

7 2

2 7

3

Fig. 11.7.9. Die Reihenfolge der Punkte der Ordnungen 2, 3 und 7 beim Durchlaufen einer Achse. Die Punkte mit gleicher Standgruppe treten bei der Ordnung 7 abwechselnd auf. Bei der Ordnung 3 sind sie mit ∗ , △ bzw. ◦ gleich markiert. Bei der Ordnung 2 liegen sie diametral zueinander. Die Elemente der Isotropiegruppe entsprechen den drei Spiegelungen an den Durchmessern durch Punkte der Ordnung 2 und den drei Drehungen um Vielfache von 120◦ .

12. Polyederfl¨ achen

Um Integrale auf einer kompakten Fl¨ache X zu untersuchen, zerschnitt Riemann X in ein einfach zusammenh¨angendes ebenes Fl¨achenst¨ uck und gewann durch Integration l¨angs der Schnitte Periodenrelationen der Differentialformen, die f¨ ur ein tieferes Verst¨andnis der Abelschen Integrale eine wichtige Rolle spielen. Riemann ging davon aus, daß jede kompakte Fl¨ache in einer kanonischen Weise zerschnitten werden kann. F¨ ur den genauen Beweis entwickeln wir kombinatorische Methoden der Fl¨achentopologie. Aus der kanonischen Zerschneidung ergibt sich die topologische Klassifikation aller kompakten, zusammenh¨angenden Riemannschen Fl¨achen durch ihr Geschlecht g . Es bestimmt die analytische Charakteristik χ = 2 − 2g , und die Homologie H1 (X) ist eine freie abelsche Gruppe vom Rang 2g . Das vorliegende Kapitel enth¨alt alle notwendigen Begriffe und Ergebnisse aus der kombinatorischen Topologie im Normaldruck. Im Kleindruck abgesetzt sind die Beweise dieser Ergebnisse und einige historische Bemerkungen.

12.1 Fl¨ achenkomplexe Die Zerschneidung Riemannscher Fl¨achen in Polygone wird durch das umgekehrte Verfahren vorbereitet: Unter einen Fl¨ achenkomplex verstehen wir eine Menge von Polygonen zusammen mit einer Anleitung, wie man sie zu einer Fl¨ache zusammenf¨ ugt. 12.1.1 Topologische Polygone. Wenn der Rand ∂E der abgeschlossenen Kreisscheibe E durch n ≥ 2 Punkte in n B¨ogen unterteilt wird, spricht man von einem topologischen n-Eck. Die Teilungspunkte heißen Ecken, und die B¨ogen heißen Seiten. Man durchl¨auft ∂E gegen den Uhrzeigersinn und legt dadurch eine Reihenfolge der Seiten bis auf zyklische Vertauschung fest. Außerdem bekommt jede Seite a dabei eine Richtung und je eine Ecke als Anfangs- bzw. Endpunkt zugeteilt. Wenn man die Eckenzahl nicht betonen will, sagt man topologisches Polygon statt n-Eck. Hom¨oomorphe Bilder topologischer Polygone heißen ebenfalls topologische Polygone. Man schreibt ∂A = a1 a2 . . . an , um auszudr¨ ucken, daß im Rande des topologischen n-Ecks A die Seiten a1 , a2 , . . . , an zyklisch aufeinander folgen, siehe Figur 12.1.1.

12.1 Fl¨ achenkomplexe

a2 ·

¬

·

¬

¬

A

a1 ·

¬

a3

a4

239

·

Fig. 12.1.1. Ein topologisches Viereck A mit dem Rand ∂A = a1 a2 a3 a4 .

12.1.2 Fl¨ achenkomplexe. Wir bilden zu jeder Menge M die Menge der orientierten Objekte M × µ2 mit der Involution (a, ε) 7→ (a, ε)− := (a, −ε) f¨ ur a ∈ M und ε = ±1 . Wir identifizieren a ∈ M mit (a, 1) ∈ M × µ2 . Dann ist a− = (a, −1) . Ein Fl¨ achenkomplex K = (K0 , K1 , K2 , ∂, st) besteht aus drei endlichen Mengen Kj und zwei Operatoren ∂ (Rand ) und st (Stern). Die Elemente von K0 , K1 bzw. K2 heißen Ecken, Kanten, bzw. Polygone. Die orientierten Kanten, d.h. die Elemente von K1 × µ2 , heißen Seiten. Der Randoperator ∂ ordnet jedem Polygon A eine zyklische, d.h. eine endliche, bis auf zyklische Vertauschung eindeutig bestimmte Folge ∂A = a1 . . . an von Seiten zu. Analog ordnet der Sternoperator st jeder Ecke α eine zyklische Folge st α = (b1 , . . . , bm ) von Seiten zu. Dabei gelten die Axiome : (1) (2) (3) (4) (5)

Jeder Rand besteht aus mindestens zwei Seiten. Jeder Stern besteht aus mindestens einer Seite. Jede Seite kommt genau einmal in einem Rand vor. Jede Seite kommt genau einmal in einem Stern vor. F¨ ur jedes Seitenpaar (a, b) gilt: ∃ α ∈ K0 mit st α = (a, b, . . .) ⇔ ∃ A ∈ K2 mit ∂A = b− a . . . .

Das Polygon A wird n-Eck genannt, wenn sein Rand ∂A aus n Seiten besteht. Wenn die Seite a im Stern der Ecke α vorkommt, heißt α Anfangspunkt von a . Die Anzahl der Seiten in st α heißt Ordnung o(α) von α . Wir nennen e(K) := ♯K0 − ♯K1 + ♯K2 die Euler-Poincar´esche Charakteristik von K . Satz. Jeder Fl¨ achenkomplex ist durch sein Datum (K1 , K2 , ∂) eindeutig bestimmt. Letzteres kann unter Beachtung der Axiome (1) und (3) beliebig vorgegeben werden. Beweis. Man definiert durch (5), wann eine zyklische Folge von Seiten Stern genannt wird. Dann gelten (2) und (4). Man definiert sodann K0 als Menge der Sterne. ¤

240

12. Polyederfl¨ achen

b-

a

c c

a-

c-

A

B

b a

ba-

b

c-

Fig. 12.1.2. Ein Fl¨ achenkomplex mit einer Ecke, drei Kanten und zwei Polygonen. Das rechte Bild zeigt den Stern der einzigen Ecke.

Beispiel , siehe Figur 12.1.2: K0 = {α} , K1 = {a, b, c} , K2 = {A, B} mit ∂A = a− bc , ∂B = ab− c− ; st α = (b, a, c, b− , a− , c− ) . Beide Polygone sind Dreiecke. Die Ecke hat die Ordnung o(α) = 6 . Der Komplex hat die Charakteristik e(K) = 1 − 3 + 2 = 0 . 12.1.3 Realisierung. Der Fl¨achenkomplex K ist eine kombinatorische Vorschrift, um topologische Polygone zu einer Polyederfl¨ache zusammenzusetzen. Dazu w¨ahlen wir zu jedem n-Eck A ∈ K2 ein topologisches n-Eck A∗ . Gem¨aß dem Rand ∂A = a1 . . . an ordnen wir jeder Seite aj unter Wahrung der Reihenfolge eine Seite a∗j von A∗ zu. Zu jeder Kante a ∈ K1 w¨ahlen wir als Kantenheftung einen Hom¨oomorphismus ha : a∗ := (a+ )∗ → (a− )∗ , der die Richtung umkehrt. Wir bilden sodann die disjunkte Vereinigung K ∗ = ⊎A∗ u ¨ber alle A ∈ K2 und identifizieren f¨ ur jede Kante a den Punkt x ∈ a∗ mit − ∗ ha (x) ∈ (a ) . Der Identifikationsraum wird mit |K| und die Projektion mit ρ : K ∗ → |K|, ρ(t) = |t, A| f¨ ur t ∈ A∗ und A ∈ K2 , bezeichnet. Wir nennen |K| eine Polyederfl¨ ache und ρ eine Realisierung von K , siehe Figur 12.1.3.

ba

cA b

c

B a-

Fig. 12.1.3. Im Fl¨ achenkomplex der Figur 12.1.2 wird c mit c− identifiziert. (Anschließend werden a mit a− und b mit b− identifiziert, so daß wie in Figur 2.3.1 b ein Torus entsteht.)

Lemma. Die Polyederfl¨ ache |K| ist durch den Komplex K bis auf Hom¨ oomorphie eindeutig bestimmt. Man beachte im folgenden Beweis die Unterscheidung zwischen ∗ und ⋆ . Seien (K ∗ , ρ) und (K ⋆ , σ) zwei Realisierungen mit den Kantenheftungen ha bzw. ka . F¨ ur jede Kante a wird ein richtungstreuer Hom¨ oomorphismus fa : a∗ → a⋆ − −1 − ∗ gew¨ ahlt. Man definiert fa = ka fa ha : (a ) → (a− )⋆ . Die fa und fa− setzen sich f¨ ur jedes Polygon A zu einem Hom¨ oomorphismus ∂A∗ → ∂A⋆ der R¨ ander zusammen. Dieser wird zu einem Hom¨ oomorphismus fA : A∗ → A⋆ der

12.1 Fl¨ achenkomplexe

241

topologischen Polygone erweitert. Dadurch erh¨ alt man einen Hom¨ oomorphismus f : K ∗ → K ⋆ , welcher mit den Kantenheftungen ha , ka vertr¨ aglich ist und folglich einen Hom¨ oomorphismus der Polyederfl¨ achen induziert. ¤

Nach Wahl einer Realisierung ρ : K ∗ → |K| bezeichnen wir die topologischen Polygone und ihrer Seiten kurz mit A und aj statt A∗ und a∗j . Die Eckenmenge K0 wird mit einer Teilmenge von |K| identifiziert, also K0 ⊂ |K| : Sei a eine Seite von A ∈ K2 mit dem Anfangspunkt α ∈ K0 . Als Seite des topologischen Polygons A beginnt a in einer Ecke Q von A . Man identifiziert α ∈ K0 mit ρ(Q) ∈ |K| . Wegen Axiom (5) in 12.1.2 h¨angt ρ(Q) nicht von der Wahl der Seite a ab. F¨ ur jede ρ-Faser gibt es drei M¨oglichkeiten: (1) Sie besteht aus genau einem inneren Punkt eines Polygons A. (2) Sie besteht aus dem inneren Punkt x einer Polygonseite a und dem entsprechenden Punkt ha (x) ∈ a− . (3) Sie besteht aus endlich vielen Polygonecken. Satz. Die Polyederfl¨ ache |K| ist ein kompakter Hausdorffraum.

Beweis. Die Realisierung ρ : K ∗ → |K| ist eine abgeschlossene Abbildung. Denn ∗ f¨ ur jede abgeschlossene ³ ´Menge MS⊂ K ist ρ−1 ρ(M ) = M ∪ a∈K1 ha (M ∩ a) ∪ E mit E ⊂ K0 .

abgeschlossen in K ∗ , also auch ρ(M ) abgeschlossen in |K| . Nun seien x, y zwei verschiedene Punkte in |K| . Weil ρ endliche Fasern hat und K ∗ hausdorffsch ist, gibt es disjunkte Umgebungen U von ρ−1 (x) und V von ρ−1 (y) . Da ρ abgeschlossen ist, gibt es Umgebungen U ′ von x und V ′ von y mit ρ−1 (U ′ ) ⊂ U und ρ−1 (V ′ ) ⊂ V . Daraus folgt U ′ ∩ V ′ = ∅ . Die Fl¨ ache |K| = ρ(K ∗ ) ist kompakt, weil K ∗ eine endliche Vereinigung kompakter Polygone ist. ¤

12.1.4 Brezelfl¨ achen. Bei Fl¨achenkomplexen mit einem einzigen Polygon A gen¨ ugt es wegen Satz 12.1.2, den Rand ∂A anzugeben. In diesem Sinne sind folgende kanonische Komplexe Tg vom Geschlecht g zu verstehen. T0 : aa− − − − Tg : a1 b1 a− f¨ ur g = 1, 2, . . . . 1 b1 . . . ag bg ag bg Bei T0 gibt es zwei und sonst nur einen Ecke. Die Charakteristik lautet (1) e(Tg ) = 2 − 2g . Um die Polyederfl¨ache |T0 | konkret anzugeben, nehmen wir als topologisches Polygon A die kompakte Scheibe E , deren Rand durch die beiden Ecken ±1 in zwei Seiten a und a− unterteilt wird. Als Kantenheftung dient die b hom¨oomorph. komplexe Konjugation. Dann ist |T0 | zu C Um Tg f¨ ur g ≥ 1 zu realisieren, nehmen wir als topologisches Polygon A ein regelm¨aßiges 4g-Eck. Als Kantenheftungen dienen Isometrien, siehe Figur 2.3.1 b f¨ ur g = 1 (Torus) und Figur 12.1.4 f¨ ur g = 2 . Die Polyederfl¨ache |Tg | heißt Brezelfl¨ ache vom Geschlecht g .

242

12. Polyederfl¨ achen

4

3

5

2

2

5 1

6 6

1

8

7 8

7

4

5

7 2 7 5

5 1

1

6 2

6

2

2 5

7 7

3

3

1

6 8

3

4

1 3

3 6

Fig. 12.1.4. Herstellung der Brezelfl¨ ache vom Geschlecht 2 aus einem Achteck mit numerierten Seiten. Zu verheftende Seiten sind durch gebogene Doppelpfeile verbunden. Um die Notation des Textes auf die Figur zu u ¨bertragen, muß man die Seitennummern 1, 2, . . . , 8 durch a1 , b1 , . . . , b− ur 2 ersetzen. (Entsprechendes gilt f¨ Figur 2.3.1 b.)

Ein Fl¨achenkomplex K heißt zusammenh¨ angend, wenn die Polyederfl¨ache |K| zusammenh¨angt. Das ist genau dann der Fall, wenn sich K nicht als disjunkte Vereinigung von zwei nicht-leeren Fl¨achenkomplexen darstellen l¨aßt. 12.1.5 Klassifikationstheorem. Zu jedem zusammenh¨ angenden Fl¨ achenkomplex K gibt es einen kanonischen Fl¨ achenkomplex Tg mit gleicher Charakteristik wie K , so daß |K| und |Tg | hom¨ oomorph sind.

Der Beweis folgt im n¨achsten Paragraphen. Wegen e(K) = e(Tg ) = 2 − 2g ist das Geschlecht g durch K eindeutig bestimmt. Es nimmt alle ganzen Zahlen ≥ 0 als Werte an. Das Klassifikationstheorem wird in 12.3 durch die Berechnung der Fundamentalgruppe π(|Tg |) und Homologie H1 (|Tg |) erg¨anzt.

12.2 Kombinatorische Klassifikation

243

12.2 Kombinatorische Klassifikation ¨ Die kombinatorische Aquivalenz von Fl¨ achenkomplexen K wird durch Teilen von Kanten und Polygonen erkl¨ art. Dabei ¨ andert sich die Charakteristik nicht, und die Polyederfl¨ achen |K| bleiben hom¨ oomorph. Jeder zusammenh¨ angende Fl¨ achenkomplex ist zu einem kanonischen Komplex Tg kombinatorisch ¨ aquivalent.

a2-

®

®

a2

ha

Q· a1

· ®

®

a1-

Fig. 12.2.1. Die Teilung der Seite a wird durch die Kantenheftung ha auf die Seite a− u ¨bertragen.

12.2.1 Teilung einer Kante. Eine Kante a ∈ K1 wird dadurch geteilt, daß man sie durch zwei Kanten a1 , a2 ersetzt und gleichzeitig in den Polygonr¨ andern − a durch a1 a2 sowie a− durch a− 2 a1 (Reihenfolge!) ersetzt. Dabei kommt der Anfangspunkt von a2 als neue Ecke hinzu, und die Charakteristik ¨ andert sich nicht. In der Realisierung ρ : K ∗ → |K| teilt man die Seite a durch einen inneren Punkt Q in zwei Seiten a1 , a2 und u ¨bertr¨ agt mit der Kantenheftung ha diese Teilung auf die Seite a− , siehe Figur 12.2.1. Die Seitenheftungen ha1 und ha2 sind die Beschr¨ ankungen von ha . Daher ¨ andert sich die Polyederfl¨ ache |K| nicht. ¤

d

d -¯

A2 a5

· ·

a3

·

·

·

· ·

a3

A1

¯

·

a4

a2

a4 ·

·

a2

·

a5

a1

·

a1

Fig. 12.2.2. Teilung eines Polygons durch eine neue Kante d .

12.2.2 Teilung eines Polygons. Ein n-Eck A mit dem Rand ∂A = a1 . . . an wird durch eine neue Kante d geteilt, indem man A durch zwei neue Polygone A1 , A2 mit den R¨ andern ∂A1 = a1 . . . ar d , ∂A2 = d− ar+1 . . . an ersetzt. Die Charakteristik ¨ andert sich nicht. In der Realisierung ρ : K ∗ → |K| k¨ onnen wir annehmen, daß A eine Kreisscheibe mit den Seiten a1 , . . . , an und den Ecken Q0 , . . . , Qn−1 ist. Sie wird durch die Sekante d von Q0 nach Qr in zwei topologische Polygone A1 und A2 zerschnitten, siehe Figur 12.2.2. Die Heftungen aller alten Kanten bleiben erhalten. Als neue Heftung kommt hd = id hinzu. Daher ¨ andert sich die Realisierung |K| nicht. ¤

244

12. Polyederfl¨ achen

¨ 12.2.3 Kombinatorische Aquivalenz. Auf der Menge aller Fl¨ achenkomplexe werden die Relationen K → L und K ⇒ L dadurch definiert, daß L aus K durch Teilung einer Kante bzw. eines Polygons hervorgeht. Die durch → und ¨ ¨ ⇒ erzeugte Aquivalenzrelation heißt kombinatorische Aquivalenz. Kombinatorisch ¨ aquivalente Komplexe haben dieselbe Charakteristik und besitzen hom¨ oomorphe Polyederfl¨ achen. Das Klassifikationstheorems 12.1.5 folgt aus dem Klassifikationssatz. Jeder zusammenh¨ angende Fl¨ achenkomplex ist zu einem kanonischen Komplex Tg kombinatorisch a ¨quivalent. Dieser Satz wird in den Abschnitten 12.2.4-9 bewiesen.

12.2.4 Zusammenhang. Jeder zusammenh¨angende Komplex K ist zu einem Komplex a ¨quivalent, der nur ein Polygon besitzt. Beweis. Wenn K mindestens zwei Polygone besitzt, muß es wegen des Zusammenhangs eine Kante a geben, so daß a+ und a− zu verschiedenen Polygonen A1 und A2 geh¨ oren: ∂A1 = ua , ∂A2 = a− v mit nicht-leeren Seitenfolgen u, v . Man ersetzt A1 und A2 durch ein Polygon A mit dem Rand ∂A = uv und erh¨ alt einen ¨ aquivalenten Komplex, weil A1 und A2 durch Teilung des Polygons A entstehen. Man wiederholt dieses Verfahren, bis nur noch ein Polygon vorhanden ist. ¤

12.2.5 K¨ urzung. Im Rande eines Polygons treten die beiden Seiten a− und a genau dann unmittelbar hintereinander auf, wenn der Anfangspunkt von a die Ordnung eins hat. Von dieser Situation handelt das Lemma. Wenn im Rande eines n-Ecks A (n ≥ 4) die Seiten a und a− unmittelbar hintereinander auftreten, kann man a und a− streichen: Man erh¨ alt einen a ¨quivalenten Komplex, der gleich viele Polygone aber eine Kante und eine Ecke weniger besitzt. Beweis. Man hat ∂A = a− uva mit nicht-leeren Folgen u, v . Dann gilt: ∂A = a− u va ⇒ ∂A1 = a− ud = uda− , ∂A2 = d− va = ad− v ← ∂A1 = ub , ∂A2 = b− v ⇐ ∂B = uv. ¤

12.2.6 Erniedrigung der Ordnung. Vom Komplex K wird vorausgesetzt: Er enth¨ alt nur ein Polygon A . Es gibt wenigstens zwei Ecken. Die minimale Eckenordnung ist r ≥ 2 .– Dann gibt es einen a ¨quivalenten Komplex mit gleicher Anzahl von Ecken, Kanten und Polygonen, bei dem die minimale Ordnung ≤ r − 1 ist. Beweis. Es gibt eine Seite c , deren Anfangspunkt α die minimale Ordnung o(α) = r hat und deren Endpunkt (:= Anfangspunkt von c− ) β 6= α ist. Sei b der Vorg¨ anger von c in ∂A , also ∂A = bcu . Es ist b 6= c− , da sonst die minimale Ordnung 1 auftr¨ ate. Daher muß b− in der Seitenfolge u vorkommen, u = xb− y . Wir gehen zu einen ¨ aquivalenten Komplex u ¨ber ∂A = u bc ⇒ ∂A1 = ud = xb− yd = b− ydx , ∂A2 = d− bc = cd− b ⇐ ∂B = cd− ydx . Damit ist die Kante b verschwunden und die neue Kante d aufgetaucht. Die Seitenfolge y hat denselben Anfangs- und Endpunkt γ , welcher zun¨ achst auch An¨ fangspunkt von b ist und nach der Anderung Anfangspunkt von d wird. Erster Fall γ = α : Der Stern st α verliert zwei Seiten b, b− und gewinnt nur eine Seite d . Denn d− beginnt in β . Zweiter Fall γ 6= α : Der Stern st α verliert eine Seite b und gewinnt nichts, weil d den Anfangspunkt γ und d− den Anfangspunkt β hat. In beiden F¨ allen sinkt r = o(α) um 1 . ¤

12.2 Kombinatorische Klassifikation

245

12.2.7 Reduzierte Komplexe haben nur eine Ecke und ein Polygon. Alle Normalformen Tg außer T0 sind reduziert. Lemma. Jeder zusammenh¨ angende Fl¨ achenkomplex K ist zur Normalform T0 oder zu einem reduzierten Komplex a ¨quivalent. Beweis. Nach 12.2.4 k¨ onnen wir annehmen, daß K nur ein Polygon besitzt. Wenn K wenigstens zwei Ecken hat, erniedrigen wir mit 12.2.6 die minimale Ordnung, bis sie = 1 ist. Die Eckenzahl bleibt erhalten. Dann ist entweder T0 erreicht, oder man kann k¨ urzen (12.2.5). Dabei nimmt die Eckenzahl um eins ab. Wir wiederholen das Verfahren, bis T0 oder ein Komplex mit nur einer Ecke erreicht ist. ¤

b a-

b

b-

a u

a u

Fig. 12.2.8. Henkels.

Herstellung eines

12.2.8 Henkel. Man nennt die Seitenfolge aba− b− in einem Rande ∂A = aba− b− u einen Henkel. Denn die Verheftung von a mit a− und b mit b− macht aus dem Polygon A einen Henkel (= Torus mit einem Loch), wie Figur 12.2.8 zeigt. Lemma. Wenn der Rand eines Polygons die Gestalt ∂A = axbya− zb− w hat, wobei a, b Seiten und x, y, z, w (eventuell leere) Seitenfolgen sind, gibt es einen a ¨quivalenten Komplex, in dem a, b, a− , b− durch neue Seiten c, d, c− , d− und das Polygon A durch ein Polygon C mit dem Rande ∂C = cdc− d− yxwz ersetzt sind. Beweis durch Teilen und Zusammenf¨ ugen von Polygonen: ∂A = b− waxb ya− z ⇒ ∂A1 = b− waxbd = xbdb− wa , ∂A2 = d− ya− z = a− zd− y ⇐ ∂B = xbdb− wzd− y = b− wz d− yxbd ⇒ ∂C1 = b− wzc , ∂C2 = c− d− yxbd = dc− d− yxb ⇐ ∂C = dc− d− yxwzc = cdc− d− yxwz . Die Anzahl der Polygone und Kanten sowie die Charakteristik ¨ andern sich bei der Bildung eines Henkels nicht. Daher ist auch die Anzahl der Ecken dieselbe. Insbesondere bleibt ein reduzierter Komplex reduziert. ¤

12.2.9 Ende des Beweises. Jeder reduzierte Komplex ist zu einem kanonischen Komplex Tg a ¨quivalent. Beweis durch Induktion u ¨ber die Anzahl n der Kanten, die nicht in einem Henkel erfaßt sind: Bei n = 0 liegt eine Normalform vor. Schluß von n auf n + 1 : Es sei a eine Kante, die nicht in einem Henkel liegt, also ∂A = aua− v mit nicht-leeren Seitenfolgen u und v . Wir zeigen zun¨ achst: (1) Es gibt eine Seite b in u , deren Partner b− in v vorkommt. Beweis durch Widerspruch: Der Endpunkt α von a ist Anfangs- und Endpunkt der Seitenfolge u. Wenn u mit jeder Seite b auch ihren Partner b− enthielte, w¨ urden alle Seiten 6= a mit dem Endpunkt α zu u geh¨ oren. Weil a− nicht zu u geh¨ ort, h¨ atte a einen Anfangspunkt 6= α . Aber es gibt nur eine Ecke.

246

12. Polyederfl¨ achen

Wegen (1) lautet der Rand genauer ∂A = axbya− zb− w . Alle vorhandenen Henkel sind in x, y, z oder w enthalten. Nach dem letzten Lemma kann man einen weiteren Henkel bilden, ohne die vorhandenen zu zerst¨ oren und ohne die Eckenoder Kantenzahl zu erh¨ ohen. Die Anzahl der nicht in Henkeln erfaßten Kanten vermindert sich, und der Komplex bleibt reduziert. ¤

12.3 Fundamentalgruppe und Homologie F¨ ur jede zusammenh¨angende Polyederfl¨ache |K| werden die Fundamentalgruppe und die Homologie berechnet. Wegen des Klassifikationstheorems 12.1.5 gen¨ ugt es, die Brezelfl¨achen |Tg | f¨ ur g ≥ 1 zu betrachten. 12.3.1 R¨ uckkehrschnitte. Das einzige Polygon von Tg ist ein regelm¨aßiges − − − 4g-Eck A , dessen Seiten den Rand ∂A = a1 b1 a− 1 b1 . . . ag bg ag bg bilden. Alle Ecken von A werden durch die Realisierung ρ : A → |Tg | auf die einzige Ecke P ∈ |Tg | abgebildet, die im folgenden als Basispunkt dient. Wir bezeichnen mit aj : [0, 1] → A auch die lineare, richtungstreue Parametrisierung der Seite aj . Entsprechendes gilt f¨ ur bj . Dadurch erhalten wir 2g Schleifen ρ ◦ aj und ρ ◦ bj in |Tg | von und nach P . Sie heißen R¨ uckkehrschnitte. Ihre Homotopieklassen werden mit αj := [ρ ◦ aj ] und βj := [ρ ◦ bj ] ∈ π(|Tg |, P ) bezeichnet. Satz. Die Fundamentalgruppe π(|Tg |, P ) wird durch die 2g Erzeugenden α1 , β1 , . . . , αg , βg mit der einzigen Relation [α1 , β1 ]·. . .·[αg , βg ] = 1 (Produkt asentiert. der Kommutatoren [αj , βj ] := αj βj αj−1 βj−1 ) pr¨ Das bedeutet: Zu jeder Abbildung ϕ : {α1 , β1 , . . . , αg , βg } → G in eine Gruppe G , welche [ϕ(α1 ), ϕ(β1 )] · . . . · [ϕ(αg ), ϕ(βg )] = 1 erf¨ ullt, gibt es genau einen Homomorphismus f : π(|Tg |, P ) → G , welcher ϕ fortsetzt. Der ¨ Beweis folgt nach vorbereitenden Uberlegungen (12.3.4-5) in 12.3.6. 12.3.2 Homologie. Die im Satz 12.3.1 angegebene Relation ist trivial erf¨ ullt, wenn man zur Homologie u ¨bergeht, vgl. 7.7: Satz. Die Homologie H1 (|Tg |) ist die von den 2g Homologieklassen der R¨ uckkehrschnitte ρ◦a1 , ρ◦b1 , · · · , ρ◦ag , ρ◦bg frei erzeugte abelsche Gruppe. Daher sind Brezelfl¨ achen verschiedenen Geschlechtes nicht hom¨ oomorph. ¤ Mit dem Klassifikationstheorem 12.1.5 erh¨alt man die Folgerung. Die Homologie H1 (|K|) der Realisierung eines jeden zusammenh¨ angenden Fl¨ achenkomplexes K vom Geschlecht g ist eine freie abelsche Gruppe vom Rang 2g . Zwei zusammenh¨ angende Komplexe haben genau dann hom¨ oomorphe Realisierungen, wenn ihre Geschlechter gleich sind. ¤ Der Spezialfall g = 0 ist der Eulersche Polyedersatz. Jeder Fl¨ achenkomplex, dessen Realisierung zur Zahlenkugel hom¨ oomorph ist, hat die Charakteristik 2 . ¤

12.3 Fundamentalgruppe und Homologie

247

12.3.3 Historisches. Die kombinatorische Topologie entstand aus der Formel e − k + f = 2 f¨ ur die Anzahlen e der Ecken, k der Kanten und f der Seitenfl¨ achen eines Polyeders, die Euler in einem Brief vom 14.11.1750 an Goldbach mitteilte und sp¨ ater mit einem Beweis“ ver¨ offentlichte, [Eu] 1, Bd. 26, S. 71-108. Dieser und ” viele sp¨ atere Beweise waren unvollst¨ andig: Es fehlte eine genaue Definition der Polyeder, und man konnte nicht auf anschaulich plausible Argumente verzichten, deren strenge Begr¨ undung offen blieb. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden (nicht-konvexe) Polyeder entdeckt, bei denen die Eulersche Formel nicht gilt. S. L’Huilier , siehe [Ann. math. pures et appl. (Gergonne), vol. 3 (1812-13), S. 169-192], verallgemeinerte sie zu e − k + f = 2 − 2g , wenn die Oberfl¨ ache des Polyeders das Geschlecht g hat. Aber der Besch¨ aftigung mit solchen Kuriosit¨ aten fehlte zun¨ achst die Beziehung zu anderen Gebieten der Mathematik, die damals schon weiter entwickelt waren und ernster genommen wurden. Das ¨ anderte sich, nachdem Riemann in seiner Dissertation und der Abhandlung u ¨ber Abelsche Funktionen gezeigt hatte, welche Bedeutung das Studium der Geschlechter geschlossener Fl¨ achen f¨ ur die Kl¨ arung der von Abel und Jacobi hinterlassenen Probleme der Funktionentheorie hat. M¨ obius bewies, daß das Geschlecht die einzige topologische Invariante f¨ ur kompakte Fl¨ achen im dreidimensionalen Raum ist. Er verfaßte die entsprechende Abhandlung [M¨ o] 2, S. 435-471, mit 71 Jahren und reichte sie erfolglos f¨ ur den Grand Prix de Math´ematique der Pariser Akademie ein. In den folgenden Jahrzehnten wurden auch berandete und (f¨ ur die Funktionentheorie uninteressante) nicht-orientierbare Fl¨ achen wie das M¨ obius-Band in die Klassifikation einbezogen. Die von Poincar´e erfundene Fundamentalgruppe und Homologie kamen als Werkzeuge hinzu.

12.3.4 Deformationsretrakt. Ein topologischer Raum X l¨aßt sich auf den Teilraum A ⊂ X zusammenziehen, wenn es mit dem Intervall I := [0, 1] ⊂ R eine stetige Abbildung D : X × I → X gibt, so daß D(x, 0) = x und D(x, 1) ∈ A f¨ ur alle x ∈ X sowie D(a, t) = a f¨ ur alle a ∈ A und 0 ≤ t ≤ 1 gelten. Man nennt D eine Deformationsretraktion und A einen Deformationsretrakt von X . Beispielsweise l¨ aßt sich jede sternf¨ ormige Menge X ⊂ Rn auf ihr Zentrum {c} zusammenziehen, D(x, t) = tc + (1 − t)x . Die Einheitsph¨ are S n−1 ist Deforman tionsretrakt von R \ {0} wegen D(x, t) = (1 − t + t/|x|)x . Lemma. Wenn sich X auf A zusammenziehen l¨ aßt, gilt π(A) = π(X) f¨ ur die Fundamentalgruppen, genauer: Nach Wahl eines Basispunktes a ∈ A induziert die Einbettung j : A ֒→ X einen Isomorphismus j∗ : π(A, a) → π(X, a) . Beweis. Man definiert r : X → A, r(x) = D(x, 1) . Dann ist r ◦ j = id , und es folgt, daß j∗ monomorph ist. Zur Epimorphie: Jede Schleife u in X mit dem Basispunkt a ist zur Schleife r ◦ u in A homotop. ¤

Beispiel. Wie π(C× ) , siehe 3.6.4, ist π(S 1 ) die von γ := [u] mit u(s) := exp(is) f¨ ur 0 ≤ s ≤ 2π erzeugte unendlich zyklische Gruppe.

12.3.5 Die Ein-Punkt-Vereinigung von zwei topologischen R¨aumen (X, a) und (Y, b) mit Basispunkten entsteht dadurch, daß man in der disjunkten Vereini¨ gung X ⊎ Y durch a ∼ b eine Aquivalenzrelation erzeugt und den Quotientenraum ¨ X ∨ Y bildet, dessen Basispunkt die Aquivalenzklasse c = {a, b} ist. Man faßt X und Y als Teilr¨ aume von X ∨ Y auf.

248

12. Polyederfl¨ achen

Lemma. Wenn es Umgebungen U und V gibt, die sich auf a bzw. b zusammenziehen lassen, ist π(X ∨ Y, c) = π(X, a) ∗ π(Y, b) das freie Produkt. Beweis. Die Teilmengen X ′ = X ∨ V und Y ′ = U ∨ Y bilden eine offene ¨ Uberdeckung von X ∨ Y . Der Durchschnitt X ′ ∩ Y ′ = U ∨ V l¨ aßt sich auf c zusammenziehen. Nach dem Satz von Seifert und van Kampen ist π(X ∨ Y ) = π(X ′ ) ∗ π(Y ′ ) , siehe 3.8.3(1). Da X und Y Deformationsretrakte von X ′ bzw. Y ′ sind, ist π(X) = π(X ′ ) und π(Y ) = π(Y ′ ). ¤ Folgerung. Bei der Einpunkt-Vereinigung S1 ∨ . . . ∨ Sn von n Kreislinien wird π(S1 ∨ . . . ∨ Sn ) von den n Elementen γj ∈ π(Sj ) ∼ ¤ = Z frei erzeugt.

b1

-12 e is ¬

·

·

°

·

¬

b1

·

-12 ·

w

¬

a 1-

a2 ·

·

b2

·

a -2

a1

·1

b-2

Fig. 12.3.6. Die Schleife 21 eis (0 ≤ s ≤ 2π) wird l¨ angs w in die Schleife eis verschoben, welche der Reihe nach die 4g Seiten a1 , b1 , − . . . , a− auft (g = 2) . g , bg durchl¨

12.3.6 Berechnung der Fundamentalgruppe. Zum Beweis von Satz 12.3.1 benutzen wir als 4g-Eck A die Scheibe E mit den 4g-ten Einheitswurzeln als Ecken. Sie unterteilen den Rand ∂E in die 4g Seiten a1 , . . . , b− g , siehe Figur 12.3.6. ¨ Die beiden Mengen U = ρ(E) und V = |Tg |\{ρ(0)} bilden eine offene Uberdeckung von |Tg | . Durch ρ wird E hom¨ oomorph auf U und E× hom¨ oomorph auf U ∩ V abgebildet. Die Homotopieklasse der Schleife u(s) = ρ( 12 eis ), 0 ≤ s ≤ 2π , erzeugt die unendlich zyklische Fundamentalgruppe π(U ∩V, Q) mit Q := ρ( 21 ) . Nach dem Satz von Seifert und van Kampen (Beispiel in 3.8.1) gilt: (1) Die Einbettung V ֒→ |Tg | induziert einen Epimorphismus π(V, Q) → π(|Tg |, Q) , dessen Kern der von [u] erzeugte Normalteiler ist. Nach 12.3.4 folgt π(ρ(∂E)) = π(V ) wegen der Deformationsretraktion D : V × I → V , D(ρ(z), t) := ρ((1 − t + t/|z|) · z) von V auf ρ(∂E) . Da ρ(∂E) die Einpunkt-Vereinigung von 2g Kreislinien ist, die sich in der einzigen Ecke P treffen, wird π(ρ(∂E), P ) nach der Folgerung in 12.3.5 von α1 , β1 , . . . , αg , βg frei erzeugt. Sei w der lineare Weg von 12 nach 1 in E , siehe Figur 12.3.6. Bei der Verschiebung des Basispunktes Q l¨ angs ρ ◦ w nach P geht die Homotopieklasse [u] in [v] u ¨ber, wobei v(t) = ρ(eis ) mit 0 ≤ s ≤ 2π gilt. Der Weg eis durchl¨ auft der Reihe nach − alle Seiten a1 , b1 , . . . , a− g , bg des Randes ∂E . Daher gilt in π(ρ(∂E), P ) − − − [v] = [ρ ◦ a1 ][ρ ◦ b1 ][ρ ◦ a− 1 ][ρ ◦ b1 ] · . . . · [ρ ◦ ag ][ρ ◦ bg ][ρ ◦ ag ][ρ ◦ bg ]. Durch die Deformationsretraktion und die Verschiebung des Basispunktes geht (1) in die Aussage (2) u ¨ber, welche mit der Gleichung f¨ ur [v] den Satz 12.3.1 ergibt. (2) Durch ρ(∂E) ֒→ |Tg | wird ein Epimorphismus π(ρ(∂E), P ) → π(|Tg |, P ) induziert, dessen Kern der von [v] erzeugte Normalteiler ist. ¤

12.4 Die Zerschneidung Riemannscher Fl¨ achen

249

12.4 Die Zerschneidung Riemannscher Fl¨ achen Um die Ergebnisse der kombinatorischen Fl¨achentopologie zum Studium kompakter Riemannscher Fl¨achen einzusetzen, wird gezeigt, daß sie zu Polyederfl¨achen hom¨oomorph sind. 12.4.1 Zerschneidung in Polygone. Eine Zerschneidung (K, ρ) der Riemannschen Fl¨ache X besteht aus einem zusammenh¨angenden Fl¨achenkomplex K und einer stetigen Abbildung ρ : K ∗ → X , die einen Hom¨oomorphismus |K| → X induziert. Offenbar ist dann X kompakt und zusammenh¨angend. Bei einem kanonischen Fl¨achenkomplex K = Tg ist ∆ := K ∗ ein 4g-Eck. Wir nennen ρ : ∆ → X eine kanonische Zerschneidung. Satz. Jede kompakte, zusammenh¨ angende Riemannsche Fl¨ ache X l¨ aßt sich in einen Fl¨ achenkomplex K zerschneiden, dessen Euler-Poincar´esche Charakteristik e(K) = χ(X) die analytische Charakteristik von X ist. Dieser Satz wird in 12.4.2-4 bewiesen.– Mit dem Klassifikationstheorem 12.1.5 und der Homologieberechnung in 12.3.2 erhalten wir die Folgerung. Jede kompakte, zusammenh¨ angende Riemannsche Fl¨ ache X kann kanonisch zerschnitten werden und ist daher zu einer Brezelfl¨ ache |Tg | hom¨ oomorph. Das Geschlecht g ist dadurch charakterisiert, daß die Homologie H1 (X) eine freie abelsche Gruppe vom Rang 2g ist. F¨ ur die analytische b isomorph Charakteristik gilt χ(X) = 2 − 2g . Genau dann, wenn X zu C ist, gilt g = 0 . ¤ Die letzte Behauptung, welche aus 10.7.4 folgt, und χ = 2−2g wurden schon in 7.2.2-6 benutzt. Wir nennen g =: gtop (X) das topologische Geschlecht der Fl¨ache X und m¨ ussen es vorerst noch vom analytischen Geschlecht gan (X) := dim E1 (X) unterscheiden, das in 8.2.1 eingef¨ uhrt wurde. Aus Satz 8.2.1 folgt gan ≤ gtop . Der Satz von Riemann-Roch wird gan = gtop ergeben, siehe 13.1.5. ¨ 12.4.2 Verzweigte Uberlagerungen. Sei η : X → Y eine n-bl¨ attrige ver-

¨ zweigte Uberlagerung zwischen kompakten, zusammenh¨ angenden Riemannschen Fl¨ achen. Angenommen, Y l¨ aßt sich in einen Fl¨ achenkomplex L zerschneiden, so daß alle Verzweigungspunkte Ecken sind. Dann l¨ aßt sich X in einen Fl¨ achenkomplex K zerschneiden. F¨ ur die Euler-Poincar´eschen Charakteristiken gilt in Analogie zur Riemann-Hurwitzsche Formel P (1) e(K) = n·e(L) − x∈X [v(η, x) − 1] . Beweis. Sei σ : L∗ → Y die Zerschneidung. Mit dem induzierten Hom¨ oomorphismus identifizieren wir |L| = Y .– Sei A ∈ L2 . Zu jedem t ∈ Aˇ := A\{Ecken} und jedem x ∈ X mit η(x) = |t, A| geh¨ ort genau eine η-Liftung ϕ von σ|Aˇ mit ϕ(t) = x . Sie l¨ aßt sich nach 4.6.3 in die Ecken von A stetig fortsetzen. Die Paare (A, ϕ) sind die Polygone des Fl¨ achenkomplexes K . Seine Kanten sind die Paare (a, ψ) mit a ∈ L1 und einer η-Liftung ψ von σ|a . Daher ist ♯Kj = n · ♯Lj f¨ ur j = 1, 2 . Der Rand ∂(A, ϕ) entsteht aus dem Rand ∂A , indem man dort jede Seite a+ durch (a, ϕ|a)+ und jede Seite b− durch (b, ϕ ◦ hb )− ersetzt.

250

12. Polyederfl¨ achen

Die Punkte in (A, ϕ) werden als Paare (t, ϕ) mit t ∈ A notiert. Die Kantenheftung h(a,ψ) zu (a, ψ) ∈ K1 wird wie folgt definiert: Es gibt eindeutig bestimmte Polygone A, B ∈ L2 , so daß a+ und a− Seiten von A bzw. B sind. Es gibt eindeutig bestimmte Liftungen ϕ+ von σ|A bzw. ϕ− von σ|B , so daß ϕ+ |a = ψ = ϕ− ◦ ha ist. F¨ ur jedes t ∈ a ist (t, ϕ+ ) ∈ (A, ϕ+ ) sowie ha (t) ∈ a− ⊂ B . Man definiert h(a,ψ) (t, ϕ+ ) = (ha (t), ϕ− ) . Durch diese Kantenheftungen entsteht aus K ∗ = ⊎(A, ϕ) die Polyederfl¨ ache |K| mit der Projektion K ∗ → |K|, (t, ϕ) 7→ |t, ϕ| . Schließlich wird die stetige Abbildung p : K ∗ → X durch p(t, ϕ) = ϕ(t) definiert. Sie ist mit den Kantenheftungen vertr¨ aglich und induziert daher die stetige Abbildung r : |K| → X, |t, ϕ| 7→ ϕ(t) . F¨ ur (A, ϕ) ∈ K2 und t ∈ A ist η ◦ r|t, ϕ| = |t, A| . Daher gilt K0 = (η ◦ r)−1 (L0 ) f¨ ur die Eckenmenge. (2) Die Abbildung r : |K| → X ist surjektiv. Beweis zu (2): Sei x ∈ X und η(x) 6∈ L0 , also η(x) = |t, A| f¨ ur ein A ∈ L2 und ein t ∈ Aˇ . Da η u ¨ber Y \ L0 unverzweigt ist, gibt es eine η-Liftung ϕ von σ|A∗ mit ϕ(t) = x . Somit ist r|t, ϕ| = x , also X \ η −1 (L0 ) ⊂ Bild r . Da X die abgeschlossene H¨ ulle von X \ η −1 (L0 ) ist und |K| kompakt ist, folgt X ⊂ Bild r . (3) Wenn y ∈ Y \ L0 ist, gibt es zu jedem x ∈ η −1 (y) h¨ ochstens einen Punkt z ∈ |K| mit r(z) = x . Beweis zu (3): Es gibt ein A ∈ K2 und ein t ∈ Aˇ mit y = |t, A| . Das Paar (t, A) ist durch y eindeutig bestimmt, wenn t innerer Punkt von A∗ ist. Aus r(z) = x folgt η ◦ r(z) = y = |t, A| , also z = |t, ϕ| f¨ ur eine η-Liftung ϕ von σ|A . Diese ist durch x = r(z) = ϕ(t) eindeutig bestimmt. Wenn t kein innerer Punkt eines Polygons ist, gibt es genau eine Kante a ∈ L2 , so daß t innerer Punkt von a ist. Seien A und B die Polygone, welche a+ bzw. a− als Seiten haben. Dann ist y = |t, A| = |ha (t), B| , also z = |t, ϕ| oder = |ha (t), ψ| , wobei die η-Liftungen ϕ bzw. ψ von σ|A bzw. σ|B durch ϕ(t) = ψha (t) = x eindeutig bestimmt sind. Es folgt ϕ|a = ψha , also h(a,ϕ) (t, ϕ) = (ha (t), ψ) und somit |t, ϕ| = |ha (t), ψ| . ¤

Nach (2) und (3) ist die Beschr¨ ankung r′ : |K| \ (η ◦ r)−1 (L0 ) → X \ η −1 (L0 ) von r bijektiv. Sie ist wie r eigentlich, also ein Hom¨ oomorphismus. Wir zeigen: F¨ ur jedes x ∈ η −1 (L0 ) besteht r−1 (x) aus einem Punkt: Wir w¨ ahlen paarweise disjunkte Umgebungen Vz der Punkte z ∈ r−1 (x) so klein, daß z die einzige Ecke in Vz ist. Weil r abgeschlossen ist, gibt es eine Scheibenumgebung U von x in X , so daß r−1 (U ) ⊂ ⊎Vz . Die Menge U \ {x} ist die disjunkte Vereinigung der offenen Mengen r′ (Vz \ {z}) f¨ ur z ∈ r−1 (x) . Da U \ {x} zusammenh¨ angt, gibt es nur ein −1 z ∈ r (x) . Durch r wird η −1 (L0 ) bijektiv auf K0 ⊂ |K| = X abgebildet. Daher ist ♯K0 = P ur j = 1, 2 folgt (1). ¤ x∈L0 [v(η, x) − 1] . Zusammen mit ♯Kj = n · ♯Lj f¨

12.4.3 Beweis des Zerschneidungssatzes 12.4.1. Die Fl¨ache X l¨aßt sich

b verzweigt durch eine nicht-konstante meromorphe Funktion η der Zahlenkugel C u ¨berlagern. Sei n = gr η . Wir zeigen unten: b so in einen Fl¨ (1) Man kann C achenkomplex L zerschneiden, daß eine vorgegebene b nur aus Ecken besteht. endliche Menge B ⊂ C

Nach dem Eulerschen Polyedersatz in 12.3.2 ist e(L) = 2 . Wenn man B als Verzweigungsort von η w¨ ahlt, ist die Voraussetzung von 12.4.2 erf¨ ullt:P Man kann X in einen Fl¨ achenkomplex K zerschneiden, so daß e(K) = 2n − [v(η, x) − 1] ist. Rechts steht die analytische Charakteristik χ(X) . Das folgt aus der Riemannb wegen χ(C) b =2 . Hurwitzschen Formel 7.2.1(RH) f¨ ur η : X → C

12.5 Riemannsche Periodenrelationen

251

P

a1

·

a2

P

d Fig. 12.4.3 a. Ein innerer Kantenpunkt P wird neue Ecke.

·

Fig.12.4.3 b. Ein innerer Fl¨ achenpunkt P wird neue Ecke.

Beweis zu (1) durch Induktion u ¨ber ♯B . F¨ ur B = ∅ kann man jede Zerschneidung nehmen. Induktionsschritt: Bei einer Zerschneidung seien mit einer Ausnahme alle Punkte von B Ecken. Wenn der Ausnahmepunkt P innerer Punkt einer Kante a ist, teilt man diese durch P in zwei Kanten a1 , a2 , siehe Figur 12.4.3 a, und macht dadurch P zur Ecke eines neuen Komplexes L′ , der wie in 12.2.1 aus L durch Kantenteilung entsteht. Wenn P innerer Punkt eines Fl¨ achenst¨ ucks ist, teilt man es wie in 12.2.2 durch eine neue Kante d , auf der P liegt, und teilt anschließend diese Kante durch die neue Ecke P , siehe Figur 12.4.3 b. ¤

12.5 Riemannsche Periodenrelationen Sei η : Z → X eine Uniformisierung der Fl¨ache X vom Geschlecht g ≥ 1 . Mit einem topologischen 4g-Eck ∆ ⊂ Z wird X durch η|∆ kanonisch zerschnitten. Durch Integration l¨angs des Randes ∂∆ entstehen die Periodenrelationen aus [Ri 3], Artikel 19 -21, welche im 14.-16. Kapitel eine wichtige Rolle spielen werden. Um ∂∆ von Polen des Integranden fern zu halten, beginnen wir mit einem Ergebnis u ¨ber die 12.5.1 Allgemeine Lage. Zu jeder kanonischen Zerschneidung ρ : ∆ → X und jeder endliche Menge M ⊂ X gibt es einen zur Identit¨ at homotopen Hom¨ oomorphismus h : X → X , so daß (h◦ρ)(∂∆)∩M = ∅ . Die R¨ uckkehrschnitte der Zerschneidungen ρ und h ◦ ρ haben dieselben Homologieklassen. Beweis. Das Komplement X \ ρ(∂∆) liegt offen und dicht in X . Zu jedem c ∈ M gibt es eine topologische Karte zc : (Uc , c) → (E, 0) , so daß die Scheiben Uc paarweise disjunkt sind. Es gibt ein bc ∈ Uc \ ρ(∂∆) mit |zc (bc )| < 31 und einen zur Identit¨at homotopen Hom¨oomorphismus hc von E auf sich, ur so daß hc (t) = t f¨ ur |t| ≥ 21 gelten. Durch h(x) = x f¨ S hc (0) = zc (bc ) und −1 x 6∈ Ua und h|Uc = zc ◦ hc ◦ zc wird ein Hom¨oomorphismus h mit der gew¨ unschten Eigenschaft definiert. Die letzte Behauptung folgt, weil ρ und h ◦ ρ homotop sind, siehe 7.7.2(1). ¤

252

12. Polyederfl¨ achen

P2 P3

a1 ·

·

¬

¬b1

· P1

a1

¬

¬

b1

P4 ·

· P0 = P8

¬

¬

D

a2

¬

b2

¬

P5·

b2

· P6

a2

·P 7

Fig. 12.5.2. Ein kanonisches Polygon ∆ mit seinen Ecken und Seiten (g = 2).

12.5.2 Das kanonische Polygon. Sei ρ : ∆ → X eine kanonische Zerschneidung. Die Ecken und Seiten des topologischen 4g-Ecks ∆ werden so bezeichnet, wie es die Figur 12.5.2 f¨ ur g = 2 zeigt. Der Weg in ∆ , der die Seite c durchl¨auft, wird ebenfalls mit c bezeichnet. Wegen der Kantenheftung (siehe 12.1.3) ist ρ ◦ c′ = ρ ◦ c− = (ρ ◦ c)− der inverse Weg. Alle Ecken haben denselben Bildpunkt Q := ρ(Pj ) ∈ X . Die Homotopieklassen αj := [ρ ◦ aj ] , βj := [ρ ◦ bj ] erzeugen nach Satz 12.3.1 die Fundamentalgruppe π(X, Q) . Das Kommutatorenprodukt [α1 , β1 ]·. . .·[αg , βg ] = 1 ist die einzige Relation. Wir identifizieren π(X, Q) durch den Poincar´eschen Isomorphismus mit der Deckgruppe D := D(η) einer Uniformisierung η : (Z, P ) → (X, Q) . Sei ρ˜ : (∆, P0 ) → (Z, P ) die η-Liftung von ρ . Satz. Durch ρ˜ wird ∆ hom¨ oomorph auf ρ˜(∆) abgebildet. Dabei ist ρ˜(∆) ein Fundamentalbereich der Deckgruppe D(η) .

Beweis. Die Ecken ρ˜(Pj ) gehen aus P wie folgt hervor: ρ˜(P1 ) = α1 (P ) , ρ˜(P2 ) = α1 β1 (P ) , ρ˜(P3 ) = α1 β1 α1−1 (P ) , ρ˜(P4 ) = [α1 , β1 ](P ) , . . . . Da D(η) frei operiert und das Kommutatorenprodukt die einzige Relation ist, sind alle ρ˜(Pj ) paarweise verschieden. Zur Hom¨ oomorphie. Es gen¨ ugt zu zeigen, daß ρ˜ injektiv ist. Angenommen, ρ˜(x) = ρ˜(y) , also auch ρ(x) = ρ(y) . Ist x eine Ecke, so auch y und somit x = y . Wenn x keine Ecke ist, gilt x = y , oder es gibt zwei Seiten c, c′ , die wir als Wege auffassen, und ein t mit c− (t) = x sowie c′ (t) = y . Die Wege c− und c′ beginnen in verschiedenen Ecken. Daher haben ρ˜ ◦ c− und ρ˜ ◦ c′ verschiedene Anfangspunkte. Da sie Liftungen desselben Weges ρ◦c− = ρ◦c′ sind, ist ρ˜ ◦ c− (t) = ρ˜ ◦ c′ (t) unm¨oglich. ¡ ¢ Zum Fundamentalbereich. Wegen η ρ˜(∆) = ρ(∆) = X wird ρ˜(∆) von jedem D(η)-Orbit getroffen. Wenn f¨ ur zwei verschiedene Punkte x, y ∈ ∆ die Bilder ρ˜(x), ρ˜(y) ∈ ∆ im selben Orbit liegen, ist ρ(x) = ρ(y) , also x, y ∈ ∂∆ und somit ρ˜(x), ρ˜(y) ∈ ∂ ρ˜(∆) . ¤

12.5 Riemannsche Periodenrelationen

253

Wenn man ∆ durch ρ˜ mit ρ˜(∆) identifiziert, geht ρ in die Zerschneidung η|∆ u ¨ber. Wir nennen ∆ ⊂ Z ihr kanonisches Polygon. Unter Ber¨ ucksichtigung der allgemeinen Lage (12.5.1) erh¨alt man die Folgerung. Zu jeder kanonischen Zerschneidung ρ von X und jeder endlichen Menge M ⊂ X gibt es ein kanonisches Polygon ∆ ⊂ Z , so daß η(∂∆) ∩ M = ∅ ist und die R¨ uckkehrschnitte der Zerschneidungen ρ und η|∆ dieselben Homologieklassen haben. ¤ F¨ ur g ≥ 2 kann man ∆ ⊂ H als konvexes 4g-Eck in im Sinne der hyperbolischen Geometrie w¨ ahlen. Der Beweis ist aufwendig, siehe [FrK] 1, S. 285-315, und [Kee].

12.5.3 Residuenformel. Sei ψ ∈ E(Z) eine Form ohne Pole l¨ angs ∂∆ , so daß γ ∗ ψ = ψ f¨ ur alle γ ∈ [D, D] (Kommutator-Untergruppe) gilt. Dann ist Z g ³Z X X ¢´ ¡ ¡ ¢ res(ψ, z) = (1) 2πi ψ − βj∗ ψ + ψ − (αj−1 )∗ ψ . j=1

z∈∆

bj

aj

Beweis. Nach dem klassischen Residuensatz gilt ¢ R R R R P Pg ¡ R 2πi z∈∆ res(ψ, z) = ∂∆ ψ = j=1 aj ψ + a′ ψ + bj ψ + b′ ψ . j

j





Die beiden Wege a′j und aj haben dieselbe Spur η ◦ a′j = η ◦ aj . Der Anfangspunkt von aj wird durch den Weg aj · bj · a′j mit dem Anfangspunkt − von a′j verbunden. Daher gibt es ein zu βj konjugiertes Element βj′ mit − a′j = βj′ ◦ aj . Entsprechend gibt es ein zu αj konjugiertes Element αj′ R R R − −1 mit b′j = (αj′ ) ◦ bj . Daher ist a′ ψ = − aj (βj′ )∗ ψ = − aj (βj )∗ ψ und j R R R −1 ¤ ψ = − bj (αj′ )∗ ψ = − bj (αj−1 )∗ ψ . b′ j

Bemerkung. Aus (1) folgt erneut Residuensumme = 0“ , vgl. 7.3.6. ”

12.5.4 Periodenrelation. Sei ω ∈ E1 (X) , sei h ∈ O(Z) eine Stammfunktion von η ∗ ω , und sei ϕ ∈ E(X) ohne Pole auf η(∂∆) . Dann ist Z Z Z g ³Z ´ X X ϕ . ω· ϕ− (1) 2πi ω· res(h · η ∗ ϕ, z) = z∈∆

j=1

η◦aj

η◦bj

η◦bj

η◦aj

Beweis. F¨ urR jedes γ ∈ π(X) = D mit der Homologieklasse c ∈ H(X) ist h ◦ γ − h = c ω , vgl 7.4.4(2). Insbesondere gilt h ◦ γ = h R, wenn γ in [D, D] liegt, also c = 0 ist. F¨ ur ψ := h · η ∗ ϕ gilt ψ − γ ∗ ψ = c ω · η ∗ ϕ . Mit der Residuenformel folgt die Behauptung. ¤ Spezialf¨ alle. F¨ ur ϕ ∈ E3 (X) gilt auf der linken Seite von (1) ¡ ¢ (2) res(h · η ∗ ϕ, z) = h(z) · res ϕ, η(z) .

F¨ ur ϕ ∈ E1 (X) ist die linke Seite = 0 . Weitere Spezialf¨alle werden in 15.6 betrachtet.

254

12. Polyederfl¨ achen

12.6 Aufgaben

Deute Kleins Darstellung der Modulfl¨ ache X7 durch das 14-Eck von Figur 11.6.1 als Zerschneidung in einen Fl¨ achenkomplex mit einem Polygon A . Man gebe ∂A an, bestimme die Ecken und berechne die Charakteristik.

Fig. 12.6.3. M¨ obius’ Fl¨ achenzerlegung.

=

2)

=

Die Fl¨ ache X vom Geschlecht g ≥ 1 sei in einen Fl¨ achenkomplex K mit einem Polygon zerschnitten. Zeige: ♯K1 ≥ 2g ; ♯K1 = 2g ⇔ ♯K0 = 1 . Identifiziere im letzten Fall K1 mit einer Basis der Homologie H1 (X) .

=

1)

Fig. 12.6.4. Unionen, Binionen und Trinionen.

3)

Welches Geschlecht hat die Fl¨ ache der Figur 12.6.3 ? Die Figur stammt aus M¨ obius’ Abhandlung [M¨ o] 2, S. 435-471, die in 12.3.3 zitiert wurde.

4)

M¨ obius (loc. cit.) zerlegt jede geschlossene Fl¨ ache in Unionen, Binionen und Trinionen, siehe die Figuren 12.6.3 und 12.6.4. Begr¨ unde sein Ergebnis: Die Charakteristik ist die Anzahl der Unionen minus die Anzahl der Trinionen.

5)

Ein Fl¨ achenkomplex K heißt regul¨ ar vom Typ (p, q) , wenn alle Polygone dieselbe Seitenzahl p und alle Ecken dieselbe Ordnung q haben. Zeige: (i) Zu jedem regul¨ aren Komplex K vom Typ (p, q) gibt es einen dualen regul¨ aren Komplex L vom Typ (q, p) , so daß ♯K0 = ♯L2 , ♯K1 = ♯L1 und ♯K2 = ♯L0 , insbesondere e(K) = e(L) ist. b gibt es nur folgende Typen (ii) F¨ ur einen regul¨ aren Komplex K mit |K| ≈ C (p, q) mit p ≤ q : (2, q) f¨ ur q = 2, 3, . . . ; (3, 3) ; (3, 4) ; (3, 5) . Veranschauliche diese Komplexe und die dualen Komplexe. Welche Beziehung besteht zu den Platonischen K¨ orpern?

6)

Gewinne aus der Parkettierung des Kleinschen 14-Ecks (siehe Figur 11.6.1) eine Zerschneidung der Modulfl¨ ache X7 in einen regul¨ aren Fl¨ achenkomplex vom Typ (3, 7) . Wieviele Ecken, Kanten und Polygone hat er?

7)

b ein zweibl¨ ¨ Sei η : X → C attrige Uberlagerung mit den Verzweigungspunkten e1 , . . . , e4 .

12.6 Aufgaben

®

· e3

· e4

·

a® a -· ®

®

· e2

c

®

b

b-

®

®

b

· ·

c® c-

·

®

· e1

·

a

255

b Fig. 12.6.7. Eine lineare Zerschneidung der Zahlenkugel C.

b in einen Fl¨ (i) Zerschneide C achenkomplex L mit einem Polygon A gem¨ aß Figur 12.6.7 und gib dazu eine Zerschneidung von X an, wie sie in 12.4.2 benutzt wurde. ¨ Uber der Kante a von L liegen zwei Kanten a1 , a2 von K . Entsprechendes gilt f¨ ur b und c . Bezeichne mit a1 , a2 usw. auch die entsprechenden Wege in X . Zeige: − (ii) Die Produktwege u := a− 2 a1 und v := b1 b2 sind Schleifen, deren Homotopieklassen eine Basis der Fundamentalgruppe π(X) bilden.

8)

Durch das Polynom w2 − (z − e1 ) · . . . · (z − e4 ) bzw. w2 − (z − e1 ) · . . . · (z − e3 ) b definiert. Wenn ¨ f¨ ur e4 = ∞ wird eine 2-bl¨ attrige Uberlagerung η :X →C e1 < e2 < e3 reell sind und e4 = ∞ ist, kann man in Figur 12.6.7 l¨ angs der reellen Achse schneiden. Sei ω = dz/w . Zeige f¨ ur u, v wie in Aufgabe 7: Z Z e2 ³ ´− 1 2 dx ∈ R ω = −2 (x − e1 )(e2 − x)(e3 − x)

Z

u

v

ω = −2i

Z

e1 e3

e2

³

´− 1 2 dx ∈ R · i . (x − e1 )(e2 − x)(e3 − x)

Folgere: Wenn die vier Verzweigungspunke e1 , . . . , e4 auf einem Kreis oder einer Geraden (= Kreis durch ∞ ) liegen, ist X zu einem Torus C/Ω mit rechteckigem Gitter Ω isomorph. 9)

L¨ ose die zu 7) analoge Aufgabe f¨ ur die Zerschneidung gem¨ aß Figur 12.6.9.

10) L¨ ose die zu 7) analoge Aufgabe f¨ ur 6 statt 4 Verzweigungspunkte gem¨ aß Figur 12.6.10. Betrachte die Homologie statt der Fundamentalgruppe. · e3

·

¯

c

·

¯

a

·

·

·

· ·

e2

·

e1

b

¯

·

Fig. 12.6.9. Eine sternf¨ ormige Zerschneidung der Zahlenkugel.

Fig. 12.6.10. Eine Zerschneidung der Zahlenkugel mit 6 Verzweigungspunkten.

13. Der Satz von Riemann-Roch

In diesem Kapitel wird mit der Formel von Riemann-Roch (RR) ein H¨ohepunkt der Theorie kompakter Riemannscher Fl¨achen erreicht. Die Formel wurde bereits in 8.2.1 angek¨ undigt. Aber erst die analytischen Resultate des 10. Kapitels zusammen mit den topologischen des 12. Kapitels erm¨oglichen nunmehr den vollst¨andigen Beweis. Zahlreiche in fr¨ uheren Kapiteln erzielte Ergebnisse lassen sich mit (RR) verbessern und erg¨anzen. Mit X wird eine kompakte, zusammenh¨angende Riemannsche Fl¨ache vom topologischen Geschlecht g bezeichnet. Nach der Folgerung in 10.4.1 ist ihre Homologie H1 (X) eine freie abelsche Gruppe vom Rang 2g . Wir benutzen die Begriffe und Ergebnisse aus 8.1, insbesondere die jedem Divisor D zugeordneten Vektorr¨aume L(D) , L1 (D) und ihre Dimensionen l(D) := dim L(D) , i(D) := dim L1 (−D) .

13.1 Beweis des Satzes von Riemann-Roch Im 10.7.3 wurden aus Elementarpotentialen meromorphe Differentialformen mit einer einzigen Polstelle gewonnen. Diese Formen bilden wie in [Wyl 1] den Ausgangspunkt des Beweises. Wir f¨ uhren zun¨achst Hauptteilsysteme ein, um das Ergebnis aus 10.7.3 auf mehrere Polstellen zu allgemeinern. Es folgt der Beweis des Satzes von Riemann-Roch in zwei Etappen. 13.1.1 Hauptteilsysteme. Wir betrachten meromorphe Differentialformen ω , die in eventuell verschiedenen Umgebungen eines festen Punktes a ∈ X definiert sind, und erkl¨aren durch ω1 ∼ ω2 ⇔ o(ω1 − ω2 , a) ≥ 0 ¨ ¨ eine Aquivalenzrelation. Die Aquivalenzklassen heißen Hauptteile bei a . Sie bilden in naheliegender Weise einen komplexen Vektorraum. Jeder Hauptteil hat eine wohlbestimmte Polstellen -Vielfachheit und ein wohlbestimmtes Residuum: Sei z : (U, a) → (E, 0) eine Karte. Jede Form in E(U ) , die auf U \ {a} holomorph ist, hat die Gestalt ω = f dz mit einer Funktion f ∈ M(U ) , die sich in eine Laurent-Reihe nach Potenzen von z entwickeln l¨aßt. Der hω (a) von ω bei a ist durch den klassiPm Hauptteil −j schen Hauptteil c z dieser Reihe bestimmt. An ihm liest man die j j=1 Polstellen-Vielfachheit m (f¨ ur cm 6= 0) und das Residuum c1 ab.

13.1 Beweis des Satzes von Riemann-Roch

257

Ein Hauptteil-System h auf X ordnet jedem Punkt x ∈ X einen Hauptteil h(x) bei x zu, so daß der Tr¨ ager {x ∈ X : h(x) 6= 0} lokal endlich ist. Zu h geh¨ort der positive Divisor (h) , welcher jeder Stelle x ∈ X die PolstellenVielfachheit von h(x) zuordnet. Alle Hauptteilsysteme bilden einen komplexen Vektorraum. Zu jeder Stelle x ∈ X geh¨ort die lineare Funktion h 7→ res(h, x) := Residuum des Hauptteils h(x) . Systeme h mit res(h, x) = 0 f¨ ur alle x ∈ X heißen residuenfrei.– Durch Beschr¨ankung der PolstellenVielfachheiten erh¨alt man endlich-dimensionale R¨aume, genauer: Satz. Sei D ein positiver Divisor. Alle Hauptteilsysteme h mit (h) ≤ D bilden einen Vektorraum S(D) der Dimension grD . Der Untervektorraum S2 (D) der residuenfreien Systeme hat die Dimension grD − ♯Tr(D) . ¤

Jede Form ω ∈ E(X) bestimmt das Hauptteilsystem hω . Die Zuordnung E(X) → {Hauptteilsysteme} , ω 7→ hω , ist C-linear und hat den Kern E1 (X) . Wir fragen, welche Systeme durch Differentialformen realisiert werden, d.h. im Bilde dieser Zuordnung liegen. 13.1.2 Residuenfreie Systeme. Jedes residuenfreie Hauptteilsysstem wird durch eine Differentialform mit rein imagin¨ aren Perioden realisiert. Beweis. F¨ ur den Spezialfall, daß der Tr¨ager des Systems nur aus einem Punkt a besteht, entspricht die Behauptung dem Ergebnis 10.7.3. Da jedes residuenfreie Hauptteilsysstem eine endliche Summe dieser speziellen Systeme ist, folgt der allgemeine Fall. ¤ Bei Verzicht auf rein-imagin¨ are Perioden l¨ aßt sich jedes Hauptteilsystem mit der Residuensumme Null durch eine Differentialform realisieren, siehe 13.6.4.

13.1.3 Riemannsche Ungleichung. F¨ ur positive Divisoren D gilt (1) l(D) ≥ gr D − g + 1 . Beweis. Wir definieren D∗ durch D∗ (x) := 1 + D(x) f¨ ur x ∈ Tr(D) und D∗ (x) := 0 sonst. Dann gilt: Tr(D∗ ) = Tr(D) , grD∗ = grD + ♯Tr(D) , f ∈ L(D) ⇒ df ∈ L1 (D∗ ) . Wir definieren den C-Vektorraum R L10 (D) := {ω ∈ L1(D) ∩ E2 (X) : c ω = 0 f¨ ur alle c ∈ H1 (X)}. Nach dem Satz in 7.7.4 ist die Sequenz d 0 → C → L(D) → L10 (D∗ ) → 0

exakt. Insbesondere gilt l(D) = 1 + dim L10 (D∗ ) . Daher ist die Behauptung ¨aquivalent zu (2) dimL10 (D∗ ) ≥ grD∗ − ♯Tr(D∗ ) − g . Um an das Ergebnis des vorigen Abschnitts anzukn¨ upfen, definieren wir den reellen Untervektorraum der Formen mit Rimagin¨aren Perioden L1i (D∗ ) := {ω ∈ L1(D∗ ) ∩ E2 (X) : Re c ω = 0 f¨ ur alle c ∈ H1 (X)} . Nach 13.1.2 ist die Abbildung L1i (D∗ ) → S2 (D∗ ) , ω 7→ hω , R-linear und surjektiv; insbesondere gilt

258

13. Der Satz von Riemann-Roch

¡ ¢ dimR L1i (D∗ ) ≥ dimR S2 (D∗ ) = 2 gr D∗ − ♯Tr(D∗ ) . F¨ ur den Beweis von (2) gen¨ ugt es daher zu zeigen: (3) dimR L10 (D∗ ) ≥ dimR L1i (D∗ ) − 2g . Dazu definieren wir die R-lineare Abbildung R ur c ∈ H1 (X) . Φ : L1i (D∗ ) → H 1(X, R) durch Φ(ω)(c) := Im c ω f¨ 1 ∗ 1 Aus Kern(Φ) = L0 (D ) und dimR H (X, R) = 2g folgt (3). ¤ Historische Notiz. Riemann untersuchte 1857 in [Ri 3], Artikel 5, wieviele Parameter zur Festlegung einer Funktion auf einer Fl¨ ache von Geschlecht g frei verf¨ ugbar bleiben, wenn man an m vorgegebenen Stellen einfache Pole zul¨ aßt aber ausserhalb dieser Stellen Holomorphie verlangt. Die M¨ oglichkeit, daß mehrere einfache Pole zu einem mehrfachen Pol zusammenfallen, wird auch ber¨ ucksichtigt. Er begr¨ undete die Existenz solcher Funktionen mit dem Dirichletschen Prinzip und kam f¨ ur m ≥ g auf (mindestens) m − g + 1 frei verf¨ ugbare Parameter. Diese Urform der Ungleichung (1) geh¨ ort zu den Grundlagen, auf denen Riemann die Theorie Abelscher Funktionen aufbaute.

13.1.4 Folgerungen. F¨ ur gr D ≥ g + 1 folgt l(D) ≥ 2 , d.h. L(D) enth¨alt nicht-konstante Funktionen. Wir wenden dies auf einen (g +1)-fachen Punktdivisor an und erhalten: (1) Zu jedem Punkt a ∈ X gibt es eine auf X \ {a} holomorphe, nicht-konstante Funktion, die in a einen h¨ ochstens (g + 1)-fachen Pol hat. Insbesondere l¨ aßt sich X der Zahlenkugel mit ≤ g + 1 Bl¨ attern u ¨berlagern, und jede Fl¨ ache vom Geschlecht Null ist zur Zahlenkugel isomorph. ¤ (2) Jeder Automorphismus γ 6= id hat h¨ ochstens 2g + 2 Fixpunkte.

Beweis. Sei γ(a) 6= a . Nach (1) gibt es eine auf X \{a} holomorphe Funktion f , die bei a einen k-fachen Pol hat, wobei k ≤ g + 1 ist. Dann hat h := f − f ◦ γ bei a und γ −1 (a) je einen k-fachen Pol und ist sonst holomorph. Daher hat h h¨ochstens 2k verschiedene Nullstellen. Da die Fixpunkte von γ Nullstellen von h sind, folgt die Behauptung. ¤ Wenn die Fl¨ache hyperelliptisch ist, hat γ 6= id h¨ochstens vier Fixpunkte, siehe 8.3.6(2). (3) Jede Fl¨ ache X vom Geschlecht g = 1 ist zu einem Torus isomorph. Beweis. Wegen der Folgerung 11.3.4 aus dem Satz von Poincar´e-Weyl gen¨ ugt zu zeigen: Zu je zwei Punkten P 6= Q gibt es ein σ ∈ Aut(X) mit σ(P ) = Q . Nach der Riemannschen Ungleichung ist l(P + Q) ≥ 2 . Daher gibt es eine nicht-konstante Funktion f ∈ M(X), die außerhalb von P und Q holomorph ist und in P, Q h¨ochstens einfache Pole besitzt. Die beiden Pole b ein sind tats¨achlich vorhanden. Denn bei nur einem Pol w¨are f : X → C b ¨ Isomorphismus. Somit ist f : X → C eine zweibl¨attrige Uberlagerung mit f −1 (∞) = {P, Q} , und es gibt eine Deckabbildung σ mit σ(P ) = Q . ¤

13.2 Die kanonische Abbildung

259

13.1.5 Der Satz von Riemann und Roch. Die Riemannsche Ungleichung wurde 1865 von Roch [Ro] zu einer Gleichung verbessert, welche eine folgenreiche Reziprozit¨at zwischen Funktionen und Differentialformen herstellt. Wir benutzen Ergebnisse aus 8.1.3 und die Gleichheit der analytischen mit der topologischen Charakteristik, χ(X) = 2 − 2g , siehe 12.4.1.

Satz von Riemann-Roch. F¨ ur jeden Divisor D gilt (RR) ch(D) := l(D) − i(D) = gr D − g + 1 . Beweis. Sei K ein kanonischer Divisor. Wir w¨ahlen einen positiven Divisor P , so daß D+P ≥ 0 und gr(K −D−P ) < 0 , also nach dem Endlichkeitssatz in 8.1.2 L(K − D − P ) = 0 ist und somit ch(D + P ) = l(D + P ) ≥ gr D + gr P − g + 1 nach der Riemannschen Ungleichung gilt. Wir kombinieren mit 8.1.3 (5): (1) ch(D) ≥ gr D − g + 1 . Dieses Ergebnis f¨ ur K − D statt D ergibt wegen 8.1.3 (4) und gr K = −χ(X) = 2g − 2 die umgekehrte Ungleichung (2) −ch(D) = ch(K − D) ≥ −gr D + g − 1 . ¤ Wenn man (RR) auf den Nulldivisor anwendet, erh¨alt man die Erste Folgerung. Topologisches und analytisches Geschlecht sind gleich, g := gtop = gan . ¤ Daraus folgt erneut, daß jede Fl¨ache X vom Geschlecht g = 1 ein Torus ist, vgl. 13.1.4 (3). Denn wegen gan = 1 gibt es eine holomorphe Differentialform 6= 0 . Sie hat wegen χ(X) = 0 keine Nullstellen. Nach 7.6.2 ist X dann zu einem Torus isomorph. Zweite Folgerung. Jede Fl¨ ache X vom Geschlecht 2 ist hyperelliptisch. Beweis. Wegen der ersten Folgerung gibt es zwei linear unabh¨angige holomorphe Differentialformen ω1 und ω2 . Ihr Quotient f := ω1 /ω2 ∈ M(X) ist nicht konstant. Wegen (f )∞ ≤ (ω2 ) ist grf = gr(f )∞ ≤ gr(ω2 ) = 2g −2 = 2 , b kein Isomorphismus ist. also grf = 2 , da f : X → C ¤

13.2 Die kanonische Abbildung Mittels (RR) erg¨anzen wir die Ergebnisse aus 8.3.5 und 8.4.3(3) u ¨ber die kanonische Abbildung κ : X → Pg−1 und die kanonische Schar K einer Fl¨ache X vom Geschlecht g ≥ 2 . 13.2.1 Die kanonische Schar. (1) Jeder Punktdivisor P hat den Index i(P ) = g − 1 . (2) Die holomorphen Differentialformen haben keine gemeinsame Nullstelle, d.h. K hat keine Basispunkte. (3) Die Schnittschar S(κ) ist die kanonische Schar K ; insbesondere hat κ den Grad 2g − 2 .

260

13. Der Satz von Riemann-Roch

Beweis. Wegen l(P ) = 1 folgt (1) aus (RR).– Zu (2). Wenn P eine gemeinsame Nullstelle w¨are, m¨ ußte L1 (−P ) = E1 (X) , also i(P ) = g sein.– Zu (3). Mit einer Basis ω1 , . . . , ωg von E1 (X) gilt κ = (ω1 : . . . : ωg ) . F¨ ur jede Karte z : (U, x) → (E, 0) ist ωj |U = κj dz . Wegen (2) haben κ1 , . . . , κg ∈ O(U ) keine gemeinsame Nullstelle, d.h. κ|U = (κ1 : . . . : κg ) P ist eine gute Darstellung. Jede Hyperebene Θ ⊂ Pg−1 mit der Gleichung aj zj = 0 hat nach P P 8.4.1(1) die Schnittzahl (Θ)κ (x) ¡=Po( a¢j κj , x) = o( aj ωj , x) . Daher aj ωj . Daraus folgt S(κ) = K und ist (Θ)κ der kanonische Divisor gr κ = gr K = 2g − 2 . ¤ 13.2.2 Kanonische Einbettungen. Die kanonische Abbildung κ ist genau dann eine Einbettung, wenn X nicht-hyperelliptisch ist. Insbesondere sind alle Fl¨ achen vom Geschlecht 2 hyperelliptisch. Beweis. Wenn κ nicht injektiv ist, gibt es zwei Punkte P 6= Q mit κ(P ) = κ(Q) . Dann hat jede holomorphe Differentialform mit einer Nullstelle bei P auch eine Nullstelle bei Q , also L1 (−P ) ⊂ L1 (−P − Q) , und somit i(P ) ≤ i(P + Q) . Mit (RR) und 13.2.1(1) folgt l(P + Q) = i(P + Q) + 3 − g ≥ i(P ) + 3 − g = 2 . Wegen Satz 8.1.1 ist dann X hyperelliptisch. Wenn κ bei P eine kritische Stelle hat, folgt f¨ ur jede holomorphe Differentialform ω aus o(ω, P ) ≥ 1 bereits o(ω, P ) ≥ 2 , also L1 (−P ) ⊂ L1 (−2P ) . ¨ Die vorangehende Uberlegung, diesmal mit Q = P , zeigt wieder, daß X hyperelliptisch ist.– Nach Satz 8.3.5 ist die kanonische Abbildung hyperelliptischer Fl¨achen nicht injektiv. ¤ 13.2.3 Divisoren und Abbildungen vom Grade 2g −2. Hierunter fallen die kanonischen Divisoren und Abbildungen. Welche anderen M¨oglichkeiten gibt es? (1) F¨ ur jeden Divisor D vom Grad 2g − 2 ist l(D) = g − 1 oder = g . Im zweiten Fall ist D kanonisch. Beweis. Nach der Riemannschen Ungleichung ist l(D) ≥ g −1 . Angenommen l(D) ≥ g . Nach (RR) gilt dann l(K − D) ≥ 1 f¨ ur jeden kanonischen Divisor K . Wegen gr (K − D) = 0 ist K − D ein Hauptdivisor, und somit ist D wie K kanonisch. ¤ b ¨ (2) Sei η : X → C eine hyperelliptische Uberlagerung. F¨ ur jeden Divisor D b vom Grade g − 1 ist der geliftete Divisor η ∗D kanonisch. auf C Beweis. Nach 7.2.1 (2) ist gr(η ∗D) = 2g − 2 und nach 8.1.1 (5)-(6) l(η ∗D) ≥ l(D) = g . Wegen (1) ist η ∗D dann kanonisch. ¤ n (3) Sei ϕ : X → P eine nicht-entartete holomorphe Abbildung vom Grade 2g − 2 . Dann ist n ≤ g − 2, oder ϕ ist kanonisch. Beweis. F¨ ur jeden Schnittdivisor D von ϕ gilt n + 1 ≤ l(D) und grD = 2g − 2 . Nach (1) ist l(D) = g − 1 , also n ≤ g − 2 , oder D ist kanonisch. Daher kann n > g − 2 nur eintreten, wenn S(ϕ) = K ist. Aus K = S(κ) , siehe 13.2.1(3), folgt mit Satz 8.4.2, daß ϕ kanonisch ist. ¤

13.3 Darstellungen der Automorphismengruppe

261

13.3 Darstellungen der Automorphismengruppe Wir betrachten drei Darstellungen der Automorphismengruppe Aut(X) einer Fl¨ache vom Geschlecht g ≥ 2 und zeigen, daß sie treu, d.h. injektiv sind. 13.3.1 Projektive Darstellung. Sei κ : X → Pg−1 eine kanonische Abbildung. Lemma. Zu jedem α ∈ Aut(X) gibt es genau einen Automorphismus α ˆ von Pg−1 , so daß α ˆ ◦ κ = κ ◦ α gilt. Beweis. Da κ ◦ α ebenfalls eine kanonische Abbildung ist, folgt die Existenz von α ˆ wie in 8.3.5.– Zur Eindeutigkeit: Die Fixpunktmenge jedes Automorphismus Φ von Pg−1 ist eine disjunkte Vereinigung projektiver Unterr¨aume. Da κ(X) zusammenh¨angt und in keinem echten Unterraum liegt, folgt aus Φ ◦ κ = κ , daß Φ = id ist. ¤ Die projektive Darstellung Aut(X) → Aut(Pg−1 ), α 7→ α ˆ , ist ein Homomorphismus. Wenn man κ mit einem Automorphismus Φ von Pg−1 durch Φ ◦ κ ersetzt, geht die Darstellung α 7→ α ˆ in die konjugierte Darstellung α 7→ Φ ◦ α ˆ ◦ Φ−1 u ¨ber. Satz. Bei nicht-hyperelliptischen Fl¨ achen ist die projektive Darstellung injektiv. Bei hyperelliptischen Fl¨ achen besteht ihr Kern aus der hyperelliptischen Involution σ und der Identit¨ at. Beweis. Aus α ˆ = id folgt κ = κ ◦ α . Bei nicht-hyperelliptischen Fl¨achen ist κ injektiv (13.2.2), also α = id . Bei hyperelliptischen Fl¨achen ist κ = ρ ◦ η b gefolgt von der injektiven rationalen ¨ die 2-bl¨attrige Uberlagerung η: X → C g−1 b Raumkurve ρ : C → P , siehe 8.3.6. Aus κ = κ ◦ α folgt dann η = η ◦ α , also α ∈ D(η) = {id, σ} . ¤ 13.3.2 Lineare Darstellung. Zu jedem Automorphismus α ∈ Aut(X) geh¨ort der lineare Automorphismus α∗ : E1 (X) → E1 (X) , ω 7→ α∗ ω . ¡ ¢ Satz. Die Abbildung Aut(X) → Aut E1 (X) , α 7→ α∗ , ist ein Anti-Monomorphismus. F¨ ur jede hyperelliptische Involution σ gilt σ ∗ = −id . Beweis. Nur die Injektivit¨at muß gezeigt werden. Sei α∗ = id . Aus 13.3.1(1) folgt κ = κ ◦ α = α ˆ ◦ κ , also α ˆ = id , weil κ nicht entartet ist. Nach Satz 13.3.1 ist dann α = id oder α = σ . Aber σ ∗ = −id , wie man anhand der in 8.2.2 angegebenen Basis von E1 (X) nachpr¨ uft. ¤ Beispiel. Sei X die Kleinsche Fl¨ache im Riemannschen Gebilde (X, η, f ) mit dem Minimalpolynom w7 − z 2 (z − 1) . Sei ε7 = 1 aber ε 6= 1 . Die Gebilde (X, η, εf ) und (X, 1−1/η , −f 2 /η) haben dasselbe Minimalpolynom w7 − z 2 (z − 1) . Nach der universellen Eigenschaft 6.2.4 gibt es holomorphe Abbildungen α, β : X → X mit η ◦α = η und f ◦α = εf bzw. η ◦β = 1−1/η und f ◦β = −f 2 /η . Aus η ◦α = η bzw. η ◦β = 1−1/η folgt α, β ∈ Aut(X) .

262

13. Der Satz von Riemann-Roch

Die Elemente f −6 η dη , f −5 η dη , f −3 η dη der Basis von E1 (X) , siehe 8.2.3, werden durch α∗ mit ε , ε2 bzw. ε4 multipliziert und durch β ∗ zyklisch vertauscht.– Weitere Ergebnisse zur linearen Darstellung der Modulgruppe G7 = Aut(X) findet man in [Klei 1], Bd. 3, S. 91-108. 13.3.3 Homologische Darstellung. Nach 7.7.2 bestimmt jeder Automorphismus α der Fl¨ache X einen Automorphismus α∗ : H1 (X) → H1 (X) ihrer Homologie. ¡ ¢ Satz. Die homologische Darstellung Aut(X) → Aut H1 (X) , α 7→ α∗ , ist f¨ ur Fl¨ achen vom Geschlecht g ≥ 2 ein Monomorphismus. Insbesondere sind verschiedene Automorphismen nicht zueinander homotop. Beweis. Nur die Injektivit¨at muß gezeigt werden. Aus α∗ = id folgt f¨ ur jedes u ∈ H1 (X) und jedes ω ∈ E1 (X) , daß hu, ωi = hα∗ (u), ωi = hu, α∗ ωi ist, siehe 7.7.3 und 7.4.3(5). Da Φ nach Satz 7.7.4 injektiv ist, gilt ω = α∗ ω f¨ ur alle ω ∈ E1 (X) , also α = id wegen Satz 13.3.2. ¤

13.4 Der Satz von Clifford Die Absch¨atzung l(D) ≤ 1 + gr D aus 8.1.2 l¨aßt sich mit (RR) f¨ ur manche Divisoren D um den Faktor 1/2 verbessern. Dieses Ergebnis von Clifford wird in 13.5.3 auf Weierstraß-Punkte angewendet.– Wir betrachten Fl¨achen vom Geschlecht g ≥ 2 . Mit K wird ein kanonischer Divisor bezeichnet. 13.4.1 Summenformel. F¨ ur je zwei Divisoren D1 , D2 mit l(Dj ) > 0 gilt l(D1 ) + l(D2 ) ≤ 1 + l(D1 + D2 ) . Beweis. Angenommen, l(D1 + D2 ) ≤ l(D1 ) + l(D2 ) − 2 =: k . Nach Satz 8.1.4 gibt es einen Divisor E ≥ 0 vom Grade k , so daß l(D1+D2−E) = 0 ist. Wir zerlegen E = E1 + E2 in zwei positive Divisoren mit grEj = l(Dj ) − 1 . Nach 8.1.2(1) ist l(Dj − Ej ) ≥ 1 , d.h. es gibt einen zu Dj − Ej linear ¨aquivalenten positiven Divisor Cj . Dann ist C1 + C2 positiv und zu D1 + D2 − E linear ¨aquivalent im Widerspruch zu l(D1 + D2 − E) = 0 . ¤ 13.4.2 Triviale F¨ alle der Cliffordsche Ungleichung bzw. Gleichung (1) 2 l(D) ≤ 2 + gr D bzw. 2 l(D) = 2 + gr D . Wegen (RR) gelten Ungleichung bzw. Gleichung genau dann f¨ ur einen Divisor D , wenn sie f¨ ur K −D gelten.– F¨ ur gr D ≤ −3 und f¨ ur gr D ≥ 2g+1 gilt die Ungleichung nie.– F¨ ur alle Divisoren vom Grade −2 und vom Grade 2g trifft die Gleichung zu. Die Ungleichung ist auch f¨ ur gr D ∈ {−1, 0, 2g − 2, 2g − 1} erf¨ ullt.– Die Gleichung ist f¨ ur Divisoren ungeraden Grades nie erf¨ ullt. Sie gilt f¨ ur gr D = 0 genau dann, wenn D ein Hauptdivisor und f¨ ur gr D = 2g − 2 genau dann, wenn D ein kanonischer Divisor ist.

13.4 Der Satz von Clifford

263

13.4.3 Die Cliffordsche Ungleichung gilt genau dann f¨ ur den Divisor D , wenn −2 ≤ grD ≤ 2g ist. Beweis. Es gen¨ ugt, Divisoren D mit 1 ≤ gr D ≤ g − 1 zu betrachten. Der Fall l(D) = 0 ist trivial. F¨ ur l(D) > 0 gilt l(K − D) > 0 nach (RR). Nach 13.4.1 ist dann l(D) + l(K − D) ≤ 1 + l(K) = 1 + g . Wenn man hierzu (RR), d.h. l(D) − l(K − D) = gr D − g + 1 addiert, folgt die Behauptung. ¤ 13.4.4 Projektive Kurven. Sei ϕ : X → Pn eine nicht-entartete holomorphe Abbildung vom Grade d < 2n . Dann hat X ein Geschlecht g ≤ d − n . F¨ ur g = d − n ist ϕ eine Einbettung mit vollst¨ andiger Schnittschar. Beweis. Sei D ein Schnittdivisor von ϕ . Die Schnittschar gdn ist in |D| enthalten, also gilt n ≤ l(D) − 1 . Der Fall d ≤ 2g ist unm¨oglich. Denn dann w¨ urde die Cliffordsche Ungleichung n + 1 ≤ l(D) ≤ 1 + d/2 ergeben, was der Voraussetzung d < 2n widerspricht. Somit ist d > 2g , also i(D) = 0 und daher n + 1 ≤ l(D) = d − g + 1 nach (RR). Der Fall g = d − n tritt genau dann ein, wenn n = l(D) − 1 , also gdn = |D| vollst¨andig ist. Nach Satz 8.5.1 ist ϕ eine Einbettung, wenn l(D − B) = l(D) − 2 f¨ ur jeden positiven Divisor B vom Grade zwei gilt. Das ist hier erf¨ ullt. Denn gr(D −B) = d−2 > 2g −2 , also nach (RR) l(D − B) = d − 2 − g + 1 = l(D) − 2 . ¤ 13.4.5 Die strikte Ungleichung 2l(D) < 2 + grD gilt f¨ ur alle Divisoren D mit 1 ≤ gr D ≤ 2g − 3 auf nicht-hyperelliptischen Fl¨ achen. Beweis. Wenn ein Divisor D vom Grade 2 die Gleichung 2l(D) = 2 + grD erf¨ ullt, ist l(D) = 2 , und die Fl¨ache ist nach Satz 8.1.1 hyperelliptisch. Wir f¨ uhren den Fall 4 ≤ gr D ≤ g − 1 durch Induktion u ¨ber gr D darauf zur¨ uck. F¨ ur den Induktionschritt gen¨ ugt es zu zeigen: Wenn D die Gleichung (1) erf¨ ullt, gibt es auch einen Divisor D0 mit 2 ≤ gr D0 < gr D , der (1) erf¨ ullt. Wegen (1) und (RR) ist l(K − D) > 0. Es gibt also einen zu K − D linear ¨aquivalenten positiven Divisor D2 . Wir zeigen unten: (∗) Es gibt einen zu D linear a ¨quivalenten positiven Divisor D1 , so daß D0 := min {D1 , D2 } 6= 0 und 6= D1 ist. Dann ist gr D0 < gr D . Der Beweis von 2l(D0 ) = 2 + gr D0 beruht auf folgender exakter Sequenz: 0 → L(D0 ) → L(D1 ) ⊕ L(D2 ) → L(D1 + D2 − D0 ) . Dabei ist f0 7→ (f0 , f0 ) der erste und (f1 , f2 ) 7→ f1 − f2 der zweite Homomorphismus. Es folgt l(D) + l(K − D) ≤ l(D0 ) + l(K − D0 ) , also wegen (RR) 2l(D) − gr D ≤ 2l(D0 ) − gr D0 . Mit der Cliffordschen Gleichung f¨ ur D und der Ungleichung f¨ ur D0 ergibt sich 2 ≤ 2l(D0 ) − gr D0 ≤ 2 . Beweis zu (∗). Wir w¨ahlen zwei Punkte P ∈ Tr(D2 ) und Q ∈ X \ Tr (D2 ) . Wegen l(D) ≥ 3 ist L(D) ⊃ L(D − P − Q) 6= 0 . Dann gilt (∗) f¨ ur D1 := D + (f ) mit 0 6= f ∈ L(D − P − Q) . Denn wegen D1 (P ) > 0 und D2 (P ) > 0 ist D0 (P ) > 0 also D0 6= 0 ; und wegen D1 (Q) > 0 sowie D2 (Q) = 0 ist D0 (Q) = 0 , also D0 6= D1 . ¤

264

13. Der Satz von Riemann-Roch

b eine hyperelliptische 13.4.6 Die Cliffordsche Gleichung. Sei η : X → C ¨ Uberlagerung. F¨ ur einen Divisor D auf X vom Grade 2e mit 0 ≤ e ≤ g − 1 gilt 2l(D) = 2 + grD genau dann, wenn D zur Liftung η ∗E eines Divisors b linear a E auf C ¨quivalent ist. Beweis. Sei D = η ∗ E . Nach 7.2.1(2) ist gr D = 2 grE , und nach 8.1.1 (5)-(6) gilt l(D) ≥ l(E) = 1 + grE , also 2l(D) ≥ 2 + grD . Umgekehrt sei grD = 2e . b vom Grade g−1−e gelten gr(D+η ∗E1 ) = 2g−2 Mit einen Divisor E1 auf C ∗ und l(D + η E1 ) ≥ l(D) + l(η ∗E1 ) − 1 nach 13.4.1, also l(D + η ∗E1 ) ≥ g . b , so daß D + η ∗E1 zu Wegen 13.2.3 (1)-(2) gibt es einen Divisor E2 auf C ∗ ∗ η E2 , also D zu η (E2 − E1 ) linear ¨aquivalent ist. ¤ 13.4.7 Historisches. Ausblick. Die Quelle der Cliffordschen Ergebnisse ist der

Aufsatz On the classification of loci“ von 1878 in [Cli], no. XXXIII.– Ausgehend ” von der Abbildung |D| × |K − D | → |K| , (D1 , D2 ) 7→ D1 + D2 , lassen sich die Resultate auch mit Methoden der algebraischen Geometrie beweisen; siehe [Nam 1], [Nar] und [ACGH].

13.5 Weierstraß -Punkte Wir hatten in Paragraph 8.6 begonnen, unter Vorwegnahme von Konsequenzen der Riemann -Rochschen Formel Ergebnisse u ¨ber die Weierstraß -Punkte nicht -hyperelliptischer Fl¨achen zu gewinnen. Diese nunmehr vollst¨andig bewiesenen Ergebnisse werden im folgenden erg¨anzt. Der Ausgangspunkt ist eine auf (RR) beruhende 13.5.1 Charakterisierung der L¨ ucken. Folgende Aussagen u ¨ber einen Punkt P ∈ X und eine nat¨ urliche Zahl k ≥ 1 sind a ¨quivalent: (a) k ist eine L¨ ucke der kanonischen Abbildung bei P . (b) Es gibt keine auf X \{P } holomorphe Funktion mit einem k-fachen Pol bei P . (c) Es gibt eine holomorphe Differentialform ω mit einer (k − 1)-fachen Nullstelle bei ¡ ¢ P. (d) l (k − 1)P =¡ l(kP ). ¢ (e) i(kP ) + 1 = i (k − 1)P . ¨ Beweis. Die Aquivalenzen (b) ⇔ (d) und (c) ⇔ (e) folgen aus den Defini¨ tionen von l bzw. i . Die Aquivalenz (d) ⇔ (e) folgt aus (RR); (a) ⇔ (c) folgt aus S(κ) = K , siehe 13.2.1(3). ¤

Die Aussage (b) motiviert die von Weierstraß vorgeschlagene Bezeichnung L¨ ucke.

13.5 Weierstraß -Punkte

265

13.5.2 Folgerungen. (i) P ist genau dann ein Weierstraß-Punkt, wenn l(gP ) ≥ 2 ist. (ii) Jede Fl¨ ache vom Geschlecht g ≥ 2 l¨ aßt sich der Zahlenkugel mit h¨ ochstens g Bl¨ attern u ¨berlagern. (iii) Wenn k1 und k2 keine L¨ ucken bei P sind, ist k1 + k2 auch keine L¨ ucke bei P . Beweis. (i) P ist genau dann ein Weierstraß-Punkt, wenn eine der Zahlen 2, . . . , g keine L¨ ucke bei P ist, d.h. wenn in der Folge 1 = l(0) ≤ l(P ) ≤ l(2P ) ≤ . . . ≤ l(gP ) mindestens eine echte Ungleichung auftritt. (ii) Nach 8.6.1 gibt es einen Weierstraß-Punkt P . Wegen (i) existiert eine nicht konstante Funktion f ∈ L(gP ) . F¨ ur sie gilt gr f ≤ g . (iii) Es gibt zwei Funktionen fj , die bei P einen kj -fachen Pol haben und sonst holomorph sind. Dann hat f1 · f2 bei P einen (k1 + k2 )-fachen Pol und ist sonst holomorph. Folglich ist k1 + k2 keine L¨ ucke. ¤ 13.5.3 Absch¨ atzung der Gewichte. Bei nicht-hyperelliptischen Fl¨ achen von Geschlecht g hat jeder Punkt P ein Gewicht τ (P ) ≤ 1+ 21 (g −1)(g −2) . Beweis.¡ Sei 1 = k¢1 < . . . kg ≤ 2g − 1 die L¨ uckenfolge bei P . Aus 13.5.1(d) folgt l (k − 1)P = l(k P ) = k − j + 1 .Nach Clifford, siehe 13.4.5, gilt j j j ¡ ¢ ur 1 ≤ kj − 1 ≤ 2g − 3 , also kj < 2j − 1 , falls l (kj − 1)P < 1 + 12 (kj − 1) f¨ 2 ≤ kj ≤ 2g − 2 . Somit ist k1 = 1, k2 = 2, P kj ≤ 2j − 2 f¨ ur j = 3, . . . , g − 1 und kg ≤ 2g − 1 . Daraus folgt f¨ ur τ (P ) := (kj − j) die Behauptung. ¤ ¡ ¢ ¡ ¢ Bemerkungen. (1) Aus kg = 2g − 1 folgt l (2g − 2)P = l (2g − 1)P = g . Nach 13.2.3(1) ist dann (2g − 2)P ein kanonischer Divisor. Wenn man diesen Fall ausschließt, gilt τ (P ) ≤ 12 (g − 1)(g − 2) . (2) Bei hyperelliptischen Fl¨achen haben alle Weierstraß-Punkte dasselbe Gewicht 21 g(g − 1) , siehe Satz 8.5.3. Hurwitz benutzt in [Hur] 1, S. 398, zur Absch¨ atzung des Gewichtes die HalbgruppenEigenschaft 13.5.2(iii) der Nicht-L¨ ucken. Seine Ergebnisse sind schw¨ acher. Unser Beweis ist eine verbesserte Version von [GH], S. 275.

13.5.4 Anzahl der Weierstraß-Punkte. Hyperelliptische Fl¨achen haben 2g + 2 Weierstraß-Punkte, siehe Satz 8.5.3. F¨ ur die nicht gewichtete Anzahl n der Weierstraß-Punkte einer nichthyperelliptischen Fl¨ ache vom Geschlecht g gilt g 3 4 5 6 ≥ 7 n ≥ 12 15 18 20 2g + 7

.

Beweis. Da jeder Weierstraß-Punkt ein Gewicht ≤ w := 1 + 21 (g − 1)(g − 2) hat, gilt f¨ ur die in 8.6.3 bestimmte gewichtete Anzahl g 3 − g ≤ n · w , also 8(g − 3) g3 − g = 2g + 6 + . n≥ w g(g − 3) + 4 Da n ganzzahlig ist, folgen die Werte der Tabelle. ¤

266

13. Der Satz von Riemann-Roch

13.5.5 Fixpunkte. Wenn bei einem Automorphismus γ 6= id alle Weierstraß-Punkte Fixpunkte sind, ist γ = σ die hyperelliptische Involution. Beweis. Hyperelliptische Fl¨achen haben 2g + 2 ≥ 6 Weierstraß-Punkte. Nach 8.3.6(2) folgt γ = σ . Im nicht-hyperelliptischen Fall gibt es ≥ 2g + 6 Weierstraß-Punkte. Aber wegen 13.1.4(2) hat γ h¨ochstens 2g +2 Fixpunkte. 13.5.6 Endlichkeit der Automorphismengruppe. F¨ ur jede kompakte Fl¨ ache X vom Geschlecht g ≥ 2 ist die Automorphismengruppe Aut(X) endlich. Beweis. Sei W ⊂ X die endliche Menge der Weierstraß-Punkte, und sei S(W ) die Gruppe aller Permutationen von W . Da W unter jedem Automorphismus von X invariant bleibt, ist Φ : Aut X → S (W ) , γ 7→ γ|W , ein Homomorphismus. Nach dem letzten Ergebnis ist Φ f¨ ur nicht-hyperelliptische Fl¨achen injektiv und hat bei hyperelliptischen Fl¨achen einen Kern der Ordnung 2 . Da S(W ) endlich ist, gilt dasselbe f¨ ur Aut(X) . ¤ Wegen dieses Beweises nannte Weierstraß die Endlichkeit der Automorphismengruppe eine sozusagen selbstverst¨ andliche Wahrheit“ ; siehe auch 11.3.5. ”

13.6 Weitere Anwendungen handeln von projektiven Einbettungen kompakter Fl¨achen, von der Darstellung der Cohomologie durch Differentialformen und von der Realisierung vorgegebener Hauptteile durch Differentialformen bzw. Funktionen. 13.6.1 Projektive Einbettungen. Jede vollst¨ andige Linearschar S vom Grade n ≥ 2g + 1 ist die Schnittschar einer Einbettung X → Pn−g . Beweis. F¨ ur D ∈ S , jeden kanonischen Divisor K und jeden Divisor B vom Grade 2 ist gr(K − D − B) < 0 , also nach (RR) l(D − B) = n − g + 1− grB = l(D) − 2 . Mit Satz 8.5.1 folgt daraus die Behauptung. ¤

Mit Methoden der h¨ oher-dimensionalen, projektiv algebraischen Geometrie lassen sich stets eine Einbettung X ֒→ P3 und eine Abbildung ϕ : X → P2 erreichen, deren Bild ϕ(X) ⊂ P2 keine anderen Singularit¨ aten als gew¨ ohnliche Doppelpunkte hat; siehe [GH], S. 173 und 215, oder [Hart], S. 309 ff.

13.6.2 Allgemeine Divisoren. Nach der Riemannschen Ungleichung gilt l(D) ≥ max {1, n−g +1} f¨ ur positive Divisoren D vom Grade n > 0 . Wir nennen D einen allgemeinen Divisor, wenn l(D) = max {1, n−g+1} minimal ist. Aus Satz 8.1.4 mit E = K und (RR) folgt Satz. Im n-fachen symmetrischen Produkt Xn bilden die allgemeinen Divisoren eine offene und dichte Teilmenge. ¤

13.6 Weitere Anwendungen

267

13.6.3 Meromorphe Formen und Cohomologie. In der exakte Sequenz d

Φ

(1) 0 → C → M(X) −→ E2 (X) −→ H 1(X, C) des Satzes 7.7.4 gilt: (2) Bei kompakten Fl¨ achen X ist Φ epimorph. Beweis. Wie beim Beweis der Riemannschen Ungleichung in 13.1.3 bilden wir zu jedem positiven Divisor D den Divisor D∗ und den (gr D)-dimensionalen komplexen Vektorraum S2 (D∗ ) . Die Abbildung L1 (D∗ ) ∩ E2 (X) → S2 (D∗ ) , die jeder Form ω ihr Hauptteilsystem hω ¡zuordnet, ist nach ¢ 13.1.2 epimorph und hat den Kern E1 (X) . Daher ist dim L1 (D∗ ) ∩ E2 (X) = g + gr D . Aus (1) entsteht durch Einschr¨ankung die exakte Sequenz d

Φ

D 0 → C → L(D) −→ L1 (D∗ ) ∩ E2 (X) −→ H 1(X, C) . Daher ist rg ΦD = g + gr D − l(D) + 1 . Wenn man f¨ ur D einen allgemeinen Divisor vom Grade gr D ≥ g w¨ahlt, ist l(D) = gr D − g + 1 , siehe 13.6.2, also rg Φ ≥ rg ΦD = 2g = dim H 1(X, C) , d.h. Φ ist epimorph. ¤

Man kann diesen Satz und seinen Beweis als Methode interpretieren, um zu E1 (X) , aufgefaßt als Untervektoraum von H 1(X, C) , einen komplement¨aren Untervektorraum zu finden. Eine andere Methode benutzt die komplexe Konjugation, siehe die Hodge-Zerlegung in 15.5.1. 13.6.4 Hauptteile von Differentialformen. Der Beweis der RiemannRochschen Formel ging von der Realisierung aller residuenfreien Hauptteilsysteme durch Differentialformen zweiter Gattung aus, siehe 13.1.2. Wie dort schon angek¨ undigt wurde, kann man die Residuenfreiheit abschw¨achen. Satz. Ein Hauptteilsystem wird genau dann durch eine meromorphe Differentialform realisiert, wenn seine Residuensumme = 0 ist. Wenn zwei Formen dasselbe System realisieren, ist ihre Differenz holomorph. Beweis. Nach 7.3.6 ist Residuensumme = 0“ notwendig. Umgekehrt be” trachten wir zu einem beliebigen positiven Divisor D 6= 0 den Vektorraum S0 (D) aller Hauptteilsysteme h , die durch (h) ≤ D beschr¨ankt sind und die Residuensumme = 0 haben. Es gen¨ ugt zu zeigen: Die Abbildung h : L1 (D) → S0 (D) , welche jeder Form ω ihr Hauptteilsystem hω zuordnet, ist epimorph. Da Kern h = E1 (X) die Dimension g hat, folgt rg h = i(−D)−g . Nun ist l(−D) = 0 , also nach (RR) i(−D) = gr D + g − 1 und somit rg h = gr D − 1 = dim S0 (D) . Die zweite Behauptung folgt direkt aus der Definition der Hauptteilsysteme, siehe 13.1.1. ¤

268

13. Der Satz von Riemann-Roch

13.7 Aufgaben Alle Aufgaben handeln, wenn nichts anderes angegeben wird, von einer kompakten und zusammenh¨ angenden Riemannschen Fl¨ ache X , deren Geschlecht mit g bezeichnet wird. 1)

Zeige, daß folgende Aussage zum Satz von Riemann-Roch ¨ aquivalent ist: Wenn die Summe D + E zweier Divisoren ein kanonischer Divisor ist, gilt 2 l(D) − gr D = 2 l(E) − gr E .

2)

(i) Zeige: Zu jedem positiven Divisor D vom Grade ≥ g gibt es eine meromorphe Funktion f , deren Nullstellendivisor (f )0 ≥ D ist. Wann kann man (f )0 = D erreichen? (ii) Zeige: Zu jedem positiven Divisor E vom Grade ≤ g − 2 gibt es einen kanonischen Divisor K ≥ E .

3)

Zeige: Zu jedem Divisor vom Grade > 3(g − 1) gibt es einen kanonischen Divisor K ≤ D .

4)

(i) Zeige: Jeder positive Divisor D vom Grade 2g ist der Schnittdivisor einer nicht-entarteten, vollst¨ andigen Abbildung ϕ : X → Pd−1 . Bestimme d . (ii) Zeige: Entweder ist ϕ eine Einbettung, oder es gibt einen kanonischen Divisor K ≤ D .

5)

Sei g = 3 . Zeige: (i) Zu jedem P ∈ X bilden alle D ∈ X3 , f¨ ur die P + D kanonisch ist, eine vollst¨ andige, eindimensionale Linearschar. (ii) F¨ ur jedes D ∈ X3 ist dim|D| = 0 oder = 1 . Der zweite Fall tritt genau dann ein, wenn es (genau?) ein P ∈ X gibt, so daß P + D kanonisch ist.

6)

(i) Zeige: Jede projektive Einbettung einer Fl¨ ache vom Geschlecht 2 hat einen Grad ≥ 5 . Es gibt eine Einbettung vom Grade 5 in den P3 . (ii) Zeige f¨ ur Fl¨ achen vom Geschlecht 3 : Der kleinstm¨ ogliche Grad einer projektiven Einbettung ist 4 f¨ ur nicht-hyperelliptische und 6 f¨ ur hyperelliptische Fl¨ achen.

7)

Sei P1 , P2 , . . . eine Punktfolge auf der Fl¨ ache X vom Geschlecht g ≥ 2 . Bilde die Divisoren D0 = 0 , Dk = P1 + . . . + Pk . Zeige: (i) 1 = l(D0 ) ≤ l(D1 ) ≤ . . . ≤ l(D2g−1 ) = g. (ii) Bei jedem Schritt ist l(Dk ) = l(Dk−1 ) oder = l(Dk−1 ) + 1 . Im ersten Fall heißt k eine L¨ ucke der Folge Pj . (iii) Es gibt genau g L¨ ucken 1 = k1 < k2 < . . . < kg < 2g . (iv) Genau dann, wenn 2 keine L¨ ucke ist, ist {P1 , P2 } die Faser einer 2-bl¨ atb. ¨ trigen Uberlagerung η:X→C (v) kg = 2g − 1 ⇔ D2g−1 ist ein kanonischer Divisor. (vi) Die L¨ uckenfolge kann nicht mit . . . < 2g − 2 < 2g − 1 enden. Wenn sie mit . . . < 2g − 3 < 2g − 1 endet, ist X hyperelliptisch.

13.7 Aufgaben

269

8)

Zeige: Zeige im Anschluß an Aufgabe 7.9.1: Der Vektorraum E1n (X) der holomorphen n-Differentialformen hat f¨ ur n ≥ 2 die Dimension d := (2n − 1)(g − 1) . (ii) Gib f¨ ur die durch w2 − (z − e1 ) · . . . · (z − e2g+1 ) definierte hyperelliptische Fl¨ ache und n = 2 eine Basis dieses Vektorraums an. Benutze dazu Formen der Gestalt f (dz)2 /w . (iii) Benutze eine Basis von E1n (X) zur Definition der n-fach kanonischen Abbildung κn : X → Pd−1 . Welchen Grad hat sie? F¨ ur welche g und n ist κn eine Einbettung? (iv) Zeige: Der Gewichtsdivisor τn von κn hat den Grad g d2 . (Die Punkte seines Tr¨ agers heißen n-fache Weierstraß -Punkte. Mehr dazu findet man in [Ac], Chap. 6. Wegen der Bedeutung der n-fachen Differentialformen f¨ ur den Modulraum siehe [Mu 2], Lecture II.)

9)

Zeige: Die durch z 4 +w4 = 1 bestimmte Fl¨ ache besitzt 12 Weierstraß -Punkte. Jeder hat das Gewicht 2 .

(i)

10) Bestimme f¨ ur jeden Torus die homologische Darstellung seiner Automorphismengruppe. 11) F¨ ur die hyperelliptische Fl¨ ache X zum Polynom w2 − (z − e1 ) · . . . · (z − e2g+1 ) bilden die Differentialformen dz/w , zdz/w , . . . , z g−1 dz/w eine Basis von E1 (X) , siehe 8.2.2(1). Erg¨ anze sie gem¨ aß 13.6.3 durch explizit angegebene Formen zweiter Gattung zu einem System von 2g Formen, das eine Basis der Cohomologie H 1(X, C) repr¨ asentiert. 12) Sei η : C → C/Ω eine Torusprojektion. Mit der ℘-Funktion zum Gitter Ω und ihren Ableitungen definiert man folgende Differentialformen σ , ωk,a , ωb auf C/Ω , die durch ihre η-Liftungen bestimmt sind: η ∗ σ = dz , η ∗ ωk,a = ℘(k) (z − α)dz f¨ ur k ∈ N und α ∈ C mit η(α) = a , ′ ′ ℘ (z) + ℘ (β) 1 dz f¨ ur β ∈ C \ Ω mit η(β) = b . η ∗ ωb = 2 ℘(z) − ℘(β) Beweise folgende Realisierungen vorgegebener Hauptteilsyssteme durch die angegebenen Formen: (i) Endliche Linearkombinationen ω der Formen ωk,a realisieren alle residuenfreien Hauptteilsysteme. (ii) Wenn man σ hinzunimmt, kann man zus¨ atzlich Re Per(ω) = 0 erreichen. (iii) Endliche Linearkombinationen der Formen σ , ωk,a und ωb realisieren alle Hauptteilsysteme, deren Residuensummen null sind.

13) Beweise folgende geometrische Version von (RR) f¨ ur g ≥ 2 : Sei ϕ : X → Pg−1 die kanonische Abbildung. Definiere f¨ ur jeden positiven Divisor D den pro¯ ⊂ Pg−1 als Durchschnitt aller Hyperebenen Θ mit jektiven Unterraum D ¯ + dim|D| = grD − 1 . (Θ)ϕ ≥ D . Dann ist dimD Hinweise. In 8.4.1 wird (Θ)ϕ definiert. Wenn ϕ = (ω1 : . . . : ωg ) durch die Basis ω1 , . . . , ωg von P P E1 (X) beschrieben wird, ordnet man jeder Form ω= aj ωj die durch aj zj = 0 definierte Hyperebene Θω zu.

14. Der Periodentorus

Nach Abels fr¨ uhem Tod (1829) versuchte Jacobi die erfolgreiche Umkehrung elliptischer Integrale durch doppelt-periodische Funktionen auf Abelsche Integrale auszudehnen. Er entdeckte an Beispielen, daß f¨ ur das Geschlecht g die Abelschen Funktionen, d.h. die Umkehrfunktionen Abelscher Integrale von g komplexen Variablen abh¨angen und 2g-fach periodisch sind, also modern ausgedr¨ uckt einen komplex g-dimensionalen Torus als Definitionsbereich haben. Wir beginnen in 14.1 mit der Geschichte einiger Resultate von Euler, Abel und Jacobi, die zur Entdeckung“ der Periodentori durch Riemann f¨ uhrten. ” Die systematische Darstellung ab 14.2 folgt nicht dem historischen Ablauf sondern st¨ utzt sich von Anfang an auf die Homologie kompakter Fl¨achen. So werden in 14.2-3 die wesentlichen Ergebnisse erreicht, welche auf Abel und Jacobi zur¨ uckgehen. Nach der Einf¨ uhrung holomorpher Strukturen auf den symmetrischen Produkten Riemannscher Fl¨achen werden diese Ergebnisse in 14.5.2 mit dem Satz von Riemann-Roch zu einem Theorem u ¨ber Periodenabbildungen zusammengefaßt.

14.1 Vom Additionstheorem zum Periodentorus Wir stellen einige Resultate in moderner Formulierung vor, die von 1750 an erzielt wurden und wesentliche Impulse f¨ ur die Entwicklung mathematischer Ideen gaben, welche zum Periodengitter f¨ uhrten, das Riemann (1857) jeder kompakten Fl¨ache zuordnete. 14.1.1 Das Eulerschen Additionstheorem von 1753, welches wir in 2.4.1(7) zitierten, lautet qualitativ formuliert: Seien u1 und u2 zwei Wege mit gleichem Anfangspunkt P in der durch w2 = 1−z 4 definierten Riemannschen Fl¨ ache X . Dann gibt es einen dritten Weg u , der ebenfalls in P beginnt, so daß Z Z Z ω ω= ω+ (1) u1

u2

u

f¨ ur jede holomorphe Differentialform ω gilt.

14.1 Vom Additionstheorem zum Periodentorus

271

In dieser Form gilt das Theorem f¨ ur jede Fl¨ache X vom Geschlecht g = 1 . Denn es gibt eine Uniformisierung η : C → X mit η(0) = P . Man hebt u1 , u2 zu Wegen v1 , v2 in C hoch, die in 0 beginnen. Seien a1 , a2 ihre Endpunkte. Mit jedem Weg v von 0 nach a1 + a2 gilt (1) f¨ ur u := η ◦ v wegen η ∗ ω = c dz mit c ∈ C . ¤ 14.1.2 Das Abelsche Additionstheorem. Abel befaßte sich in seinem M´emoire von 1826, das wir in 7.5.3 erw¨ahnten, mit dem Problem, ein dem Eulerschen entsprechendes Additionstheorem f¨ ur holomorphe Differentialformen ω = R(z, w)dz zu gewinnen, wenn z und w durch eine beliebige irreduzible, polynomiale Gleichung F (z, w) = 0 verbunden sind. Er entdeckte, daß man bei beliebig vielen Summanden auf der linken Seite von 14.1.1(1) rechts eine Summe von g Integralen ben¨otigt, wobei g nur von F abh¨angt. In Riemanns Deutung ist g das Geschlecht der durch F (z, w) = 0 definierten Fl¨ache X , und das Abelsches Additionstheorem lautet: Auf einer Fl¨ ache X vom Geschlecht g ≥ 1 seien n Wege u1 , . . . , un gegeben, die im selben Punkt P beginnen. Dann gibt es g Wege v1 , . . . , vg , die ebenfalls in P beginnen, mit g Z n Z X X ω= ω f¨ ur alle ω ∈ E1 (X) . j=1

uj

k=1

vk

Beweis. Sei Qj der Endpunkt von uj . F¨ ur n ≤ g ist nichts zu beweisen. F¨ ur n > g folgt aus der Riemannschen Ungleichung P l( Qi − P ) ≥ n − 1 − g + 1 > 0 . Daher gibt es Punkte P1 , . . . , Pn−1 , so daß Q1 − P1 + . . . + Qn−1 − Pn−1 + Qn − P ein Hauptdivisor ist. Wir w¨ahlen Wege vj von P nach Pj . Nach der Abelschen Relation 7.5.3 gibt es eine Schleife v von P nach P mit R R R R R R ur ω ∈ E1 (X) . ω − v1 ω + . . . + un−1 ω − vn−1 ω + un ω = v ω f¨ u1 Pn R Pn−1 R Wenn man vn−1 durch v · vn−1 ersetzt, folgt j=1 uj ω = j=1 vj ω und damit der Induktionsschritt zum Beweis des Additionstheorems. ¤ Dieses Theorem, welches Abel 1829 kurz vor seinem Tode auf zwei Seiten zusammengefaßt auch in Crelles Journal ver¨ offentlichte, wurde seinerzeit sehr bewundert und mit dem gefl¨ ugelten Wort des Dichters Horaz [Ode III, 30] ein monumentum ” aere perennius“ genannt, vgl. [Bj], S. 123. F¨ ur eine ausf¨ uhrliche W¨ urdigung des M´emoires siehe [Sha 1], S. 416.

14.1.3 Die Umkehrung Abelscher Integrale. Jacobi befaßte sich in zwei Abhandlungen [Ja] II, Nr. 2 und 4, die 1832 und 1834/35 in Crelles Journal (Band 9 und 13) erschienen, mit der Umkehrung Abelscher Integrale: R Zun¨achst verwarf er die Umkehrung einzelner Integrale ω als absurd , da die Periodengruppe Per(ω) f¨ ur g ≥ 2 dicht in C liegt, siehe Aufgabe 7.9.8. Durch Abels Resultate angeregt schlug er statt dessen vor, g-fache Summen

272

14. Der Periodentorus

R z1

Rz ω + . . . + a g ω zu betrachten und zwar nicht nur f¨ ur eine, sondern f¨ ur alle holomorphen Differentialformen ω gleichzeitig. Er f¨ uhrte dies f¨ ur hyperelliptische Gleichungen w2 = p(z) mit einem Polynom p vom Grade 5 oder 6 n¨aher aus. Dann liegt das Geschlecht g = 2 vor. Dementsprechend sind zwei Summen mit je zwei Summanden zu betrachten: Z z2 Z z1 Z z2 Z z1 dz zdz zdz dz p p p p + = u1 , + = u2 . p(z) p(z) p(z) p(z) a a a a a

Die beiden Integranden bilden eine Basis des Vektorraums der holomorphen Differentialformen. Jacobi behauptet, daß die oberen Grenzen z1 und z2 ( genauer ihre symmetrischen Funktionen wie z1 + z2 , z1 z2 ) vierfach periodische Funktionen der beiden Variablen u1 , u2 seien. Er gibt an, wie man die Perioden aus den Nullstellen von p(z) berechnet und schl¨agt vor, die Umkehrfunktionen, welche er Abelsche Transzendenten nennt, durch Thetareihen in u1 , u2 darzustellen, siehe dazu das 16. Kapitel.

14.1.4 Abelsche Funktionen. Jacobis Ideen wurden von seinen Sch¨ ulern in Spezialf¨allen genauer ausgef¨ uhrt. Aber erst nach 25 Jahren gelang es Riemann, mit der Abhandlung [Ri 3] eine allgemeine Theorie Abelscher Funktionen ( so wurden mittlerweile die Abelschen Transzendenten genannt ) zu entwickeln. Als Grundlage w¨ahlt er bei einer Fl¨ache X vom Geschlecht g eine Basis R ω1 , . . . ,Rωg aller holomorphen Differentialformen und bildet die gur gemeinsame Integrationswege u . Anders Tupel ( u ω1 , . . . , u ωg ) ∈ Cg f¨ als Per(ω) < C liegt n³ R ´ o R ω , · · · , u ωg : u Schleife in X < Cg Ω := u 1

niemals dicht, sondern ist ein Gitter vom Rang 2g , welches das Periodengitter elliptischer Integrale (g = 1) verallgemeinert. Eine Basis von Ω beschreibt Riemann, indem er u die 2g R¨ uckkehrschnitte einer kanonischen Zerschneidung von X durchlaufen l¨aßt. Zu X geh¨oren als Abelsche Funktionen die Ω-periodischen meromorphen Funktionen auf Cg . Das Rechnen modulo Ω ersetzen wir durch die Bildung der Faktorgruppe Cg /Ω , die mit der von Cg induzierten topologischen und holomorphen Struktur zu einer kompakten Mannigfaltigkeit der komplexen Dimension g wird. Sie ist zum 2g-fachen Produkt S 1 ×. . .×S 1 der Kreislinie hom¨oomorph, vergleiche 4.4.6, und wird zur Erinnerung an Jacobis Verdienste Jacobischer Periodentorus J(X) der Fl¨ache X genannt.

14.2 Perioden. Abelsches Theorem

273

14.2 Perioden. Abelsches Theorem Im folgenden wird die Abelsche Relation 7.5.3 im umfassenderen Abelschen Theorem aufgehen, das ein notwendiges und hinreichendes Integralkriterium ¨ f¨ ur die lineare Aquivalenz von Divisoren angibt.– Mit X wird eine kompakte, zusammenh¨angende Fl¨ache vom Geschlecht g ≥ 1 bezeichnet. 14.2.1 Das Periodengitter. Die Integrationspaarung R (1) H1 (X) × E1 (X) → C , (a, ω) 7→ ha, ωi := a ω von 7.7.3 bestimmt den additiven Homomorphismus (2) ι : H1 (X) → E1 (X)∗ , ι(a)(ω) := ha, ωi f¨ ur ω ∈ E1 (X) , in den zu E1 (X) dualen komplexen Vektorraum E1 (X)∗ .

Satz. Durch ι wird H1 (X) als Gitter vom Rang 2g in E1 (X)∗ eingebettet.

Beweis. Sei a1 , . . . , a2g eine Basis der freien abelschen Gruppe H1 (X) . Alle additiven Homomorphismen H1 (X) → R bilden einen reellen Vektorraum H 1(X, R) der Dimension 2g . Nach der Folgerung in 10.1.2 ist E1 (X) → H 1 (X, R) , ω 7→ Im h−, ωi , injektiv, also ein reeller Isomorphismus wegen dimR E1 (X) = 2g . Somit gibt es eine R-Basis (ω1 , . . . , ω2g ) von E1 (X) , so daß Imhaj , ωk i = δjk ist. Daraus folgt: Die Elemente ι(a1 ), . . . , ι(a2g ) ∈ E1 (X)∗ sind R-linear unabh¨angig und spannen daher ein Gitter vom maximalen Rang 2g auf. ¤ 14.2.2 Abelsche Abbildung, Periodentorus und Periodenabbildung. Sei η : Z → X die Uniformisierung mit Z = C f¨ ur g = 1 und Z = H f¨ ur g ≥ 2 . Sei Q0 ∈ Z ein Basispunkt. Zu jedem ω ∈ E1 (X) geh¨ort genau eine Stammfunktion hω ∈ O(Z) von η ∗ ω mit dem Wert hω (Q0 ) = 0 . Wir definieren die Abelsche Abbildung (1) h : Z → E1 (X)∗ durch h(z)(ω) := hω (z) . F¨ ur jeden Weg v in Z von z1 nach z2 gilt Z Z ¡ ¢ (2) h(z2 ) − h(z1 ) (ω) = η ∗ ω = ω. v

η◦v

Wenn z1 und z2 in derselben η-Faser liegen, ist u := η ◦ v eine Schleife, und aus (2) folgt (3) h(z2 ) − h(z1 ) = kl u ∈ H1 (X) ⊂ E1 (X)∗ . Wir benutzen P0 = η(Q0 ) als Basispunkt in X und identifizieren die Deckgruppe D(η) = π(X, P0 ) mit der Fundamentalgruppe, siehe 3.6.3. Dadurch wird H1 (X) = AD(η) zur abelsch gemachten Deckgruppe, und (3) bedeutet (4) h ◦ γ = A(γ) + h f¨ ur alle γ ∈ D(η) . Wir bilden den Restklassen-Epimorphismus (5) p : E1 (X)∗ → J(X) := E1 (X)∗ /H1 (X) .

274

14. Der Periodentorus

Zun¨achst interessiert der Periodentorus J(X) nur als abelsche Gruppe. In 14.3 werden wir uns mit seiner topologischen und holomorphen Struktur besch¨aftigen. Wegen (3) induziert die Abelsche Abbildung h die Periodenabbildung µ , welche folgendes Diagramm kommutativ macht: h

Z −→ E1 (X)∗ η ↓ ↓p µ X −→ J(X) . Sie wird zum Periodenhomomorphismus P µ : Div(X) → J(X) , µ(D) := x∈X D(x)µ(x) ,

der Divisorengruppe Div(X) fortgesetzt. Alle Hauptdivisoren bilden eine Untergruppe DivH (X) < Div0 (X) := {D ∈ ¡ Div(X) ¢: gr D = 0} . Die Abelsche Relation 7.5.3 l¨aßt sich in der Formel µ DivH (X) = 0 zusammenfassen. Tats¨achlich werden die Hauptdivisoren D durch gr D = 0 und µ(D) = 0 charakterisiert, siehe 14.2.4. F¨ ur zwei Abelsche Abbildungen h und h′ zu verschiedenen Basispunkten ist w := h′ − h eine konstanter Vektor in E1 (X)∗ . F¨ ur die entsprechenden Periodenhomomorphismen folgt (µ′ − µ)(D) = gr D · p(w) , insbesondere µ′ (D) = µ(D) f¨ ur D ∈ Div0 (X) . 14.2.3 Die exakte Periodensequenz. Wir w¨ahlen eine kanonische Zerschneidung der Fl¨ache X mit den R¨ uckkehrschnitten a1 , b1 , . . . , ag , bg gem¨aß 12.4.1 und 12.3.1. Ihre Homologieklassen, die wir mit denselben Buchstaben bezeichnen, bilden eine Basis des Gitters H1 (X) < E1 (X)∗ . Lemma. Folgende Sequenz C-linearer Abbildungen ist exakt: κ ε mit (1) 0 → E1 (X) −→ C2g −→ E1 (X)∗ −→ 0 (2) ε(ω) := (ha1 , ωi, hb1 , ωi, . . . , hag , ωi, hbg , ωi) und Pg (3) κ(z1 , w1 , . . . , zg , wg ) := j=1 (wj aj − zj bj ).

Beweis. Wegen dim E1 (X) = dim E1 (X)∗ = g gen¨ ugt es zu zeigen, daß ε monomorph und κ epimorph ist sowie κ ◦ ε = 0 gilt. Aus ε(ω) = 0 folgt ω = 0 , siehe Satz 7.7.4. Nach Satz 14.2.1 bilden die Elemente a1 , . . . , bg eine reelle Basis von E1 (X)∗ . Daher ist κ surjektiv. Die letzte Behauptung κ ◦ ε = 0 ist ein Spezialfall der Periodenrelation 12.5.4. ¤

14.2.4 Abelsches Theorem. Die Gruppe DivH (X) aller Hauptdivisoren ist der Kern des Periodenhomomorphismus µ : Div0 (X) → J(X) . Wie Weyl [Wyl 1], S. 126, Fußnote, bemerkt, steht dieses Ergebnis in [Ri 3] zwischen ” den Zeilen“ und wurde explizit (aber ohne zureichenden Beweis) durch Clebsch in [Cle], S. 198, ausgesprochen. Obwohl Abel nur DivH (X) < Kern µ bewies, folgen wir Weyls Vorschlag und benennen das ganze Theorem nach Abel.

14.2 Perioden. Abelsches Theorem

275

Beweis. Sei D ∈ Div0 (X) . Nach 13.6.4 gibt es eine Form ϕ ∈ E3 (X) mit den Residuen res (ϕ, x) = D(x) f¨ ur x ∈ X . Sie ist durch D bis auf die Addition einer Form ω ∈ E1 (X) eindeutig bestimmt. Genau dann, wenn D = (f ) ein Hauptdivisor ist, kann man ϕ = df /f als logarithmische Ableitung w¨ahlen. Nach 7.8.3(3) ist letzteres genau dann der Fall, wenn alle Perioden von ϕ ganzzahlige Vielfache von 2πi sind. Somit reduziert sich das Abelsche Theorem auf die Aussage: (∗) Genau dann wenn µ(D) = 0 ist, gibt es ein ϕ ∈ E3 (X) mit res(ϕ, x) = D(x) f¨ ur x ∈ X und Per(ϕ) < 2πiZ . Zum Beweis von (∗) benutzen wir eine kanonische Zerschneidung, deren R¨ uckkehrschnitte a1 , b1 , . . . , ag , bg den Tr¨ager von D nicht treffen, siehe 12.5.1. Aus 14.2.2 folgt µ(D) = p(c) , wobei c ∈ E1 (X)∗ dadurch bestimmt ist, daß P (1) c(ω) = z∈∆ D(η(z)) · hω (z) f¨ ur ω ∈ E1 (X)

gilt. Summiert wird u ¨ber alle Punkte eines kanonischen Polygons ∆ ⊂ Z der Zerschneidung, vergleiche 12.5.2. Nach der Periodenrelation 12.5.4(1) gilt Pg (2) 2πi c(ω) = j=1 (haj , ωihbj , ϕi − haj , ϕihbj , ωi) f¨ ur ω ∈ E1 (X) . Wenn alle Perioden haj , ϕi und hbj , ϕi in 2πiZ liegen, ist c die entsprechende ganzzahlige Linearkombination von a1 , b1 , . . . , ag , bg , also c ∈ H1 (X) und damit µ(D) = p(c) = 0 . Damit ist die Abelsche Relation 7.5.3 erneut bewiesen.– PWenn umgekehrt µ(D) = 0 vorausgesetzt wird, ist c ∈ H1 (X) , also c = (βj aj − αj bj ) mit αj , βj ∈ Z. Aus (2) folgt ¢ Pg ¡ (3) j=1 (2πiβj − hbj , ϕi) aj − (2πiαj − haj , ϕi) bj = 0 .

Wegen der exakten Sequenz 14.2.3(1) liegt der Vektor (2πiα1 − ha1 , ϕi, 2πiβ1 − hbj , ϕi, . . . , 2πiαg − hag , ϕi, 2πiβg − hbg , ϕi) ∈ C2g im Kern von κ und somit im Bild von ε . Es gibt ein ω ∈ E1 (X) mit haj , ϕ + ωi = 2πiαj und hbj , ϕ + ωi = 2πiβj . Damit ist Per (ϕ + ωi < 2πiZ erreicht. Weil wir ϕ durch ϕ + ω ersetzen d¨ urfen, ist (∗) bewiesen. ¤

14.2.5 Linearscharen. Sei Xn ⊂ Div(X) die Menge aller positiven Divisoren vom Grade n ≥ 1 , vgl. 8.1.4. Sei µn : Xn → J(X) die Einschr¨ankung des Periodenhomomorphismus µ : Div(X) → J(X) . Satz. Die Faser der Periodenabbildung µn , welche den Divisor D enth¨ alt, ist die vollst¨ andige Linearschar |D| . Die Abbildung µ1 : X → J(X) ist injektiv. Denn f¨ ur jedes C ∈ Xn gilt µn (C) = µn (D) genau dann, wenn C − D ein Hauptdivisor ist (Abelsches Theorem), also C ∈ |D| ist. F¨ ur n = 1 folgt b w¨are . C = D , weil sonst X ≈ C ¤

Die Teilmengen Wn := µ(Xn ) ⊂ J(X) spielen eine wichtige Rolle, wenn man die Divisoren und Funktionen auf der Fl¨ache X anhand des Periodentorus J(X) studieren will. Man setzt Wn = ∅ , wenn n < 0 ist.

276

14. Der Periodentorus

14.2.6 Die Dimension der Divisoren. F¨ ur jeden Divisor D vom Grade n gilt: dim|D| ≥ s ⇔ µ(D) − Ws ⊂ Wn−s .

Beweis. Die rechte Seite ist ¨aquivalent zu: Zu jedem A ∈ Xs gibt es ein B ∈ Xn−s , so daß µ(D) = µ(A + B) ist. Nach dem Abelschen Theorem ist µ(D) = µ(A + B) zu A + B ∈ |D| ¨aquivalent. Mit dem Satz 8.1.5 u ¨ber die Freiheitsgrade folgt die Behauptung. ¤ Alle kanonischen Divisoren K ∈ X2g−2 haben denselben Periodenwert k := µ(K) . Da l(K) = g ist, folgt (1) k − Wg−1 = Wg−1 .

14.3 Analytische Eigenschaften der Periodenabbildung Um die Surjektivit¨at des Periodenhomomorphismus µ : Div(X) → J(X) zu beweisen, wird die topologische und analytische Struktur des Periodentorus J(X) ben¨otigt.– Wie bisher bezeichnet X eine kompakte zusammenh¨angende Fl¨ache vom Geschlecht g ≥ 1 . 14.3.1 Der Periodentorus als Mannigfaltigkeit. Durch die Wahl einer Basis ω1 , . . . , ωg von E1 (X) werden die C-Vektorr¨aume identifiziert: ¡ ¢ (1) E1 (X)∗ ∼ = Cg , c 7→ c(ω1 ), . . . , c(ωg ) .

Das Bild von H1 (X) in E1 (X)∗ ist das Gitter (2) Ω := {(ha, ω1 i, . . . , ha, ωg i) : a ∈ H1 (X)} < Cg . Wir versehen die Faktorgruppe Cg /Ω mit der Quotiententopologie und der holomorphen Quotientenstruktur bez¨ uglich der Restklassen-Projektion p : Cg → Cg /Ω . Da das Gitter Ω den maximalen Rang 2g hat (Satz 14.2.1), ist Cg /Ω ein Torus der komplexen Dimension g , siehe 4.4.6, und ¨ p wird zu einer unverzweigten, universellen holomorphen Uberlagerung mit der Deckgruppe D(p) = Ω ∼ = H1 (X) . Mit dem durch (1)-(2) induzierten Gruppenisomorphismus J(X) ∼ = Cg /Ω wird die topologische und holomorphe Struktur von Cg /Ω auf den Perio¨ dentorus J(X) u ¨bertragen. Die Ubertragung h¨angt nicht von der Basiswahl ω1 , . . . , ωg ab, da ein Basiswechsel sich nur als Vektorraum-Automorphismus von Cg auswirkt. Das kommutative Diagramm in 14.2.2 wird zu h

Z −→ Cg η ↓ ↓p µ X −→ J(X) . ¨ Dabei sind η und p universelle Uberlagerungen, und p ist außerdem ein Homomorphismus der additiven Gruppen mit dem Kern Ω . Die Komponenten von h = (h1 , . . . , hg ) sind die Stammfunktionen von η ∗ ωj , welche im Basispunkt Q0 ∈ Z den Wert Null haben. Insbesondere ist h und damit die

14.3 Analytische Eigenschaften der Periodenabbildung

277

Periodenabbildung µ holomorph. Da η und p lokal biholomorph sind, hat µ an jeder Stelle η(Q) denselben Rang wie h an der Stelle Q . Satz. Die Periodenabbildung µ : X → J(X) ist eine holomorphe Einbettung und daher f¨ ur g = 1 ein Isomorphismus. Beweis. Wegen 14.2.5 muß nur gezeigt werden, daß h u ¨berall den Rang 1 hat: Nach 13.2.1(2) hat an jeder Stelle z ∈ Z mindestens eine Differentialform η ∗ ωj keine Nullstelle. Dann hat die Komponente hj dort den Rang 1. ¤ Insbesondere folgt erneut und zwar unabh¨ angig von fr¨ uheren Beweisen, daß jede Fl¨ ache vom Geschlecht 1 zu einem Torus isomorph ist. 14.3.2 Der Rang der Periodenabbildung. Um den letzten Satz auf Divisoren zu verallgemeinern, betrachten wir das n-fache kartesische Produkt X n = X × . . . × X und die Summe der Periodenabbildungen µn : X n → J(X) , µn (x1 , . . . , xn ) := µ(x1 ) + . . . + µ(xn ) . Ranglemma. Wenn die Punkte P1 , . . . , Pn ∈ X paarweise verschieden sind, hat µn an der Stelle (P1 , . . . , Pn ) ∈ X n den Rang g − i(D) = 1+ n − l(D) , wobei D := P1 + . . . + Pn die Summe der Punktdivisoren ist. Wenn man das kartesische durch das symmetrische Produkt Xn ersetzt, kann die Voraussetzung paarweise verschieden“ entfallen, siehe 14.4.7. ” Beweis. Da die Punkte Pj paarweise verschieden sind, geh¨ort ω ∈ E1 (X) genau dann zum Untervektorraum L1 (−D) , wenn P1 , . . . , Pn Nullstellen von ω sind. Sei r = i(D) = dim L1 (−D) . Wir w¨ahlen eine Basis ω1 , . . . , ωr von L1 (−D) ⊂ E1 (X) , erg¨anzen sie durch ωr+1 , . . . , ωg zu einer Basis von E1 (X) und benutzen letztere, um E1 (X)∗ mit Cg zu identifizieren. Mit den Komponenten der Abelschen Abbildung h = (h1 , . . . , hg ) : Z → Cg definieren wir die Summenabbildung ¢ ¡P P hn : Z n → Cg , (z1 , . . . , zn ) 7→ j hg (zj ) . j h1 (zj ), . . . , Sie hat f¨ ur η(Qj ) = Pj bei Q := (Q1 , . . . , Qn ) denselben Rang wie µn bei P := (P1 , . . . , Pn ) . Um ihn zu bestimmen, bilden mit den Ableitungen η ∗ ωj = dhj = h′j dz bez¨ uglich der Koordinate z auf Z = H oder = C die Funktionalmatrix von hn   h′1 (z1 ) · · · h′1 (zn )  ..  M :=  ... .  h′g (z1 ) · · ·

h′g (zn )

und berechnen ihren Rang an der Stelle Q . Wegen ω1 , . . . , ωr ∈ L1 (−D) bestehen die ersten r Zeilen von M aus Nullen. Die u ¨brigen Zeilen sind linear unabh¨angig. Denn wenn eine Linearkombination dieser Zeilen die Nullzeile ergibt, ist die entsprechende Linearkombination von ωr+1 , . . . , ωg eine Differentialform mit den Nullstellen P1 , . . . , Pn und geh¨ort also zu L1 (−D) . Wegen der Basiserg¨anzung m¨ ussen alle Koeffizienten der Linearkombination = 0 sein. Somit hat M bei Q den Rang g − r . Aus (RR) folgt g − i(D) = 1 + n − l(D) . ¤

278

14. Der Periodentorus

14.3.3 Surjektivit¨ at. Der Periodenhomomorphismus µ : Div0 (X) → J(X) und die Periodenabbildungen µn : Xn → J(X) f¨ ur n ≥ g sind surjektiv. Beweis. Alle g-Tupel (P1 , . . . , Pg ) paarweise verschiedener Punkte Pj ∈ X , deren Divisoren D = P1 + . . . + Pg allgemein sind, bilden nach Satz 13.6.2 eine offene, nicht-leere (sogar dichte) Teilmenge U ⊂ X g . Wegen i(D) = 0 folgt mit dem Ranglemma, daß µg |U u ¨berall den maximalen Rang g hat. Daher ist µg (U ) ⊂ J(X) offen und 6= ∅ . Jedes w ∈ J(X) l¨aßt sich als w = q · (v1 − v0 ) mit q ∈ N und v0 , v1 ∈ µg (U ) darstellen. Es ¡ ¢ gibt also Divisoren D0 , D1 ∈ Xg , so daß w = µ(qD1 − qD0 ) ∈ µ Div0 (X) liegt. Zur Surjektivit¨at von µn f¨ ur n ≥ g : Wegen µ(P0 ) = 0 f¨ ur den Basispunkt P0 gen¨ ugt es, zu jedem D ∈ Div0 (X) eine Funktion f 6= 0 zu finden, so daß D + nP0 + (f ) ≥ 0 ist. Wegen (RR) ist l(D + nP0 ) ≥ n − g + 1 ≥ 1 . Daher enth¨alt L(D + nP0 ) Funktionen f 6= 0 . ¤ 14.3.4 Die Picardsche Gruppe der Fl¨ache X ist die Faktorgruppe Div0 (X)/Div ¡ H (X)¢. Das Abelsche Theorem 14.2.4 l¨aßt sich mit der Surjektivit¨at µ Div0 (X) = J(X) gem¨aß 14.3.3 zusammenfassen:

Theorem von Abel-Jacobi. Die Periodenabbildung induziert einen Isomorphismus Div0 (X)/DivH (X) → J(X) der abelschen Gruppen. ¤

14.3.5 Jacobischer Umkehrsatz. Sei Xg0 = {D ∈ Xg : dim |D| = 0} und Xg1 = {D ∈ Xg : dim |D| ≥ 1} , also Xg = Xg0 ⊎ Xg1 . Nach 13.6.2 liegt Xg0 dicht und offen in Xg ; aber f¨ ur g ≥ 2 ist Xg1 6= ∅ , weil f¨ ur jeden Weierstraß1 j j Punkt P der Divisor gP ∈ Xg ist. Sei Wg := µ(Xg ) und Wn := µ(Xn ) . Umkehrsatz. (1) Durch µ wird Xg0 bijektiv auf Wg0 abgebildet. (2) J(X) = Wg0 ⊎ Wg1 . 1 (3) Wg = {ε ∈ J(X) : ε − W1 ⊂ Wg−1 } . (4) Jeder Divisor S ∈ Xg0 hat den Tr¨ ager Tr(S) = {P ∈ X : µ(S − P ) ∈ Wg−1 } . Beweis. (1) folgt aus 14.2.5. Zu (2). Da µg surjektiv ist, gilt J(X) = Wg0 ∪ Wg1 . Wenn es zwei Divisoren Dj ∈ Xgj mit µ(D0 ) = µ(D1 ) g¨abe, w¨aren D0 und D1 linear ¨aquivalent. Insbesondere w¨are 1 = l(D0 ) = l(D1 ) ≥ 2 . Zu (3). Es gibt einen Divisor E ∈ Xg mit µ(E) = ε . Die Bedingung ε−W1 ⊂ Wg−1 ist nach 14.2.6 zu E ∈ Xg1 ¨aquivalent. Zu (4): Die Inklusion ⊂ ist trivial. Umgekehrt folgt aus µ(S − P ) ∈ Wg−1 , daß es einen Divisor B ∈ Xg−1 gibt, f¨ ur den µ(S) = µ(P + B) ist. Da µ|Xg0 injektiv ist, folgt S = P + B , also P ∈ Tr(S) . ¤

b isomorphe kanonische Schar K eine µ2 Beispiel. F¨ ur g = 2 ist die zu C Faser. Alle anderen Fasern sind einpunktig. Das symmetrische Produkt X2 entsteht also aus dem Torus J(X) , indem man einen Punkt zur Zahlenkugel aufbl¨ast“. ”

14.3 Analytische Eigenschaften der Periodenabbildung

279

14.3.6 Inklusionen von W -Mengen. F¨ ur 0 ≤ r ≤ g − 1 gilt \ (1) Wg−r−1 = {α ∈ J(X) : α + Wr ⊂ Wg−1 } = (−β + Wg−1 ). β∈Wr

Beweis. Die zweite Gleichung und die Inklusion Wg−r−1 ⊂ . . . sind trivial. Zum Beweis der umgekehrten Inklusion zeigen wir: Aus α + Wr ⊂ Wg−1 folgt α ∈ Wg−r−1 . Wir benutzen den Basispunkt P0 ∈ X mit µ(P0 ) = 0 . F¨ ur alle n ist 0 = µ(nP0 ) ∈ Wn . Daher ist α ∈ Wg−1 , d.h. es gibt ein A ∈ Xg−1 mit µ(A) = α . Die Behauptung α = µ(A − rP0 ) ∈ Wg−r−1 folgt, sobald l(A − rP0 ) ≥ 1 ist: Wir benutzen einen kanonischen Divisor K mit µ(K) = k und Wg−1 = k − Wg−1 , vgl. 14.2.6(1). Wegen α + Wr ⊂ Wg−1 gilt dann µ(K − A + rP0 ) − Wr ⊂ Wg−1 , also l(K − A + rP0 ) ≥ r + 1 nach 14.2.6 und somit l(A − rP0 ) ≥ 1 nach (RR). ¤ F¨ ur die Ausnahmemenge des Umkehrsatzes in 14.3.5 folgt (2) Wg1 = k − Wg−2 . Beweis. F¨ ur jedes ε ∈ J(X) gilt nach 14.2.6 und (1): ε ∈ Wg1 ⇔ ε − W1 ⊂ Wg−1 = k − Wg−1 ⇔ k − ε + W1 ⊂ Wg−1 ⇔ k − ε ∈ Wg−2 . ¤ Wegen (1) entsteht aus der Dimensionsabsch¨atzung 14.2.6 f¨ ur n = g − 1 die

Folgerung. F¨ ur jeden Divisor D ∈ Xg−1 ist dim|D| ≥ s a ¨quivalent zu: µ(D)+Ws −Ws ⊂ Wg−1 , d.h. µ(D)+x−y ∈ Wg−1 f¨ ur alle (x, y) ∈ W1 ×W1 . ¤

14.3.7 Durchschnitte und Vereinigungen von W -Mengen. Das n¨achste Ergebnis interessiert nur in 16.5.4 als Hilfsmittel f¨ ur den Beweis des Satzes von Torelli. Wir benutzen k wie in 14.2.6(1). F¨ ur 0 ≤ r ≤ g−2 , (x, y) ∈ W1 ×Wg−r−1 und Wr+1 6⊂ x−y +Wg−1 gilt ¡ ¢ (1) (x − y + Wg−1 ) ∩ Wr+1 = (x + Wr ) ∪ Wr+1 ∩ (k − y − Wg−2 ) .

Beweis. Sei x = µ(P ) f¨ ur P ∈ X , und sei y = µ(D) f¨ ur D ∈ Xg−r−1 . Dann ist P ∈ / Tr(D) . Denn sonst w¨are y − x ∈ Wg−r−2 , somit Wr+1 = x − y + y − x + Wr+1 ⊂ x − y + Wg−r−2 + Wr+1 ⊂ x − y + Wg−1 . Wir zeigen nun, daß bei (1) die linke in der rechten Seite enthalten ist: Sei u ∈ (x−y +Wg−1 )∩Wr+1 , also u = µ(P −D +D′ ) = µ(D′′ ) mit D′ ∈ Xg−1 ¨ und D′′ ∈ Xr+1 . Mit dem Abelschen Theorem folgt die lineare Aquivalenz ′ ′′ ′ ′′ P − D + D ∼ D . Wenn P − D + D = D ist, gilt P ∈ Tr(D′′ ) wegen P ∈ / Tr(D) , also D′′ = P + C mit C ∈ Xr . Es folgt u ∈ x + Wr . Wenn P + D′ 6= D + D′′ ist, enth¨alt |P + D′ | mindestens zwei Divisoren; also ist dim|P + D′ | ≥ 1 , d.h. P + D′ ∈ Xg1 , somit u + y = µ(P + D′ ) ∈ Wg1 = k − Wg−2 , vgl. 14.3.6(2). Zur Inklusion der rechten in der linken Seite von (1): Es ist x + Wr ⊂ Wr+1 , x + Wr = x − y + y + Wr ⊂ x − y + Wg−r−1 + Wr ⊂ x − y + Wg−1 und k−y−Wg−2 = k−x+(x−y)−Wg−2 ⊂ k+(x−y)−Wg−1 = x−y+Wg−1 . ¤

280

14. Der Periodentorus

14.4 Symmetrische Produkte Wir versehen das symmetrische Produkt Xn der kompakten, zusammenh¨angenden Riemannschen Fl¨ache X vom Geschlecht g ≥ 1 mit der Struktur einer komplexen Mannigfaltigkeit und berechnen f¨ ur jeden Divisor D ∈ Xn den Rang der Periodenabbildung µn : Xn → J(X) an der Stelle D . 14.4.1 Tangentialr¨ aume und -homomorphismen. Sei a ein Punkt der n-dimensionalen komplexen Mannigfaltigkeit M . Analog zu 3.4.1 definieren wir den Ring Oa := OM,a der holomorphen Funktionenkeime: Seien U und V zwei Umgebungen von a . Zwei Funktionen f ∈ O(U ) und g ∈ O(V ) heißen ¨aquivalent, wenn sie auf einer Umgebung W mit a ∈ W ⊂ U ∩ V u ¨bereinstimmen. Die Keime bilden eine C-Algebra Oa . Wir bezeichnen den durch f ∈ O(U ) bestimmten Keim ebenfalls mit f . Der Wert f (a) h¨angt nur vom Keim ab. Eine C-lineare Abbildung t : Oa → C mit der Produktregel t(f · g) = f (a) t(g) + g(a) t(f ) heißt Derivation. Wenn f bei a konstant ist, folgt t(f ) = 0 . Alle Derivationen bilden einen C-Vektorraum Ta (M ) , der Tangentialraum von M bei a genannt wird. Offenbar gilt Ta (U ) = Ta (M ) f¨ ur jede Umgebung U von a . Jede holomorphe Abbildung ϕ : (M, a) → (N, b) zwischen komplexen Mannigfaltigkeiten bestimmt die C-lineare Abbildung Ta (ϕ) : Ta (M ) → Tb (N ) , die durch Ta (ϕ)(t)(g) := t(g ◦ ϕ) definiert ist. ϕ

ψ

(1) F¨ ur (M, a) → (N, b) → (L, c) gilt Ta (ψ ◦ ϕ) = Tb (ψ) ◦ Ta (ϕ). ¤ Daher ist Ta (ϕ) ein Isomorphismus, sobald ϕ eine Umgebung von a biholomorph auf eine Umgebung von b abbildet. Sei z : (U, a) → (V, 0) ⊂ (Cn , 0) eine Karte mit den Komponentenfunktionen (z1 , . . . , zn ) . F¨ ur jeden Keim f ∈ OM,a sind die partiellen Ableitungen ∂f ∂f /∂zj := ∂zj (a) definiert.

Satz. Die Ableitungen ∂/∂zj : Oa → C f¨ ur j = 1, . . . , n bilden eine Basis des Tangentialraums Ta (M ) . Beweis. Offenbar gilt ∂/∂zj ∈ Ta (M ) . Wegen ∂zk /∂zj = δk j sind die Ableitungen ∂/∂z1 , . . . , ∂/∂zn linear unabh¨angig. Zur Berechnung einer Derivation t(f ) benutzt man die Taylor-Entwicklung ¢ ¡ ∂f P (a) + gj f = f (a) + j zj · ∂z j P ∂f mit Funktionen gj , f¨ ur die gj (a) = 0 ist. Dann folgt t(f ) = ∂zj (a) · t(zj ) , P ¤ also t = j t(zj )∂/∂zj .

Da die Tangentialr¨aume endlichdimensional sind, hat die Tangentialabbildung Ta (ϕ) einen Rang rg(ϕ, a) ∈ N . Er wird Rang von ϕ bei a genannt.

14.4.2 Symmetrische Funktionen. Die symmetrische Gruppe Sn operiert auf Cn durch Permutation der Koordinaten. Die elementarsymmetrischen Polynome σj (z1 , . . . , zn ) werden bekanntlich durch die Identit¨at

14.4 Symmetrische Produkte

281

(1) (x − z1 )(x − z2 ) · · · (x − zn ) = xn − σ1 xn−1 + σ2 xn−1 − . . . + (−1)n σn definiert. Mit den garbentheoretischen Begriffen aus 4.4 gilt der Satz. Die Polynome σj sind die Komponenten der Sn -Orbitprojektion (2) σ = (σ1 , . . . , σn ) : Cn → Cn . Die holomorphe Strukturgarbe O auf Cn und ihre Bildgarbe sind gleich, O = Oσ . Beweis. Nach dem Fundamentalsatz der Algebra ist σ surjektiv, und die σ-Fasern sind die Orbiten der Sn -Operation. Wegen der Folgerung in 1.2.3 ist σ offen, also eine topologische Sn -Orbitprojektion. Aus der Holomorphie von σ folgt O ⊂ Oσ . Zum Beweis von Oσ ⊂ O benutzen wir die Diskriminante ∆(w) des Polynoms xn Q − w1 xn−1 + w2 xn−2 − . . . + (−1)n wn . Sie wird durch ∆ ◦ σ(z) := D(z) := 1≤j n . Durch Induktion u ¨ber n folgt f¨ ur festes ν ≥ 1 (2) πν − πν−1 σ1 + πν−2 σ2 − . . . + (−1)ν−1 π1 σν−1 + (−1)ν νσν = 0 . F¨ ur den Induktionsschritt benutzt man die Formel σj (z1 , . . . , zn , zn+1 ) = σj (z1 , . . . , zn ) + zn+1 σj−1 (z1 , . . . , zn ) , die sich aus 14.4.2(1) durch Multiplikation mit x−zn+1 ergibt. Aus (2) gewinnt man durch Induktion u ¨ber ν Polynome ϕν (w1 , . . . , wν ) und ψν (w1 , . . . , wν ) , so daß πν = ϕν (σ1 , . . . , σν ) und σν = ψν (π1 , . . . , πν ) gelten. Sie sind die Komponenten der Abbildungen Φ := (ϕ1 , . . . , ϕn ) und Ψ := (ψ1 , . . . , ψn ) . ¤ 14.4.4 Symmetrische Produkte von Scheiben. Das n-fache kartesische Produkt X n = X ×. . .×X der Riemannschen Fl¨ache X ist eine n-dimensionale komplexe Mannigfaltigkeit. Die Abbildung p : X n → Xn , (P1 , . . . , Pn ) 7→ P1 + . . . + Pn , auf das n-fache symmetrische Produkt ist die Orbitprojektion zur Operation der symmetrischen Gruppe Sn durch Vertauschung der n Faktoren,

282

14. Der Periodentorus

vgl. 8.1.4. Nach Satz 4.3.1 ist Xn , versehen mit der Quotiententopologie, ein Hausdorff-Raum. Sei O die holomorphe Strukturgarbe auf X n . Ihre Bildgarbe macht (Xn , Op ) zu einer komplexen Mannigfaltigkeit. Zum Beweis dieser Behauptung wird zun¨achst der Spezialfall betrachtet, daß X = U eine Scheibe ist. Wir benutzen ein Karte, d.h. eine biholomorphe Abbildung z : (U, Q) → (E, 0) . Satz. Das symmetrische Produkt (Un , Op ) ist eine n-dimensionale komplexe Mannigfaltigkeit. F¨ ur ν = 1, . . . , n sind die Potenzsummen wν : Un → C , wν (P1 + . . . + Pn ) := z(P1 )ν + . . . + z(Pn )ν , die Komponenten einer biholomorphen Abbildung w = (w1 , . . . , wn ) : Un → V auf eine offene Menge V ⊂ Cn . Beweis. Nach 14.4.3 bleibt Satz 14.4.2 g¨ ultig, wenn man σ durch die Potenzsummen-Abbildung π ersetzt. Die Behauptung folgt aus dem so modifizierten Satz 14.4.2 dank des Isomorphismus z : U → E . ¤ Jede Funktion f ∈ O(U ) bestimmt die Summenfunktion f˜ ∈ O(Un ) , f˜(P1 + . . . + Pn ) := f (P1 ) + . . . + f (Pn ) . Lemma. Die Koeffizienten der Entwicklung f = a0 +a1 z +. . .+an z n +g mit o(g, Q) > n bestimmen den Wert f˜(nQ) = a0 und die partiellen Ableitungen ∂ f˜ (nQ) = aν f¨ ur ν = 1, . . . , n . ∂wν Beweis. Die Summenfunktion lautet f˜ = a0 + a1 w1 + . . . + an wn + g˜ . Jedes Monom c w1r1 · · · wnrn in der Reihenentwicklung von g˜ nach Potenzen von w1 , . . . , wn mit einem Koeffizienten c 6= 0 hat ein Gewicht r1 +2r2 +. . .+nrn ≥ o(g, Q) > n . Daher ist r1 + . . . + rn ≥ 2 und somit (∂˜ g /∂wν )(nQ) = 0 .

14.4.5 Die holomorphe Struktur symmetrischer Produkte. Wir beweisen den im vorigen Abschnitt angek¨ undigten Satz. F¨ ur jede Fl¨ ache X ist das symmetrische Produkt (Xn , Op ) eine ndimensionale komplexe Mannigfaltigkeit. Wir beweisen gleichzeitig folgende Beschreibung lokaler Koordinaten: Jeder Divisor D = n1 Q1 + . . . + nr Qr ∈ Xn ist eine Linearkombination paarweise verschiedener Punkte Qj ∈ X mit ganzzahligen Koeffizienten nj > 0 , wobei n = n1 + . . . + nr . Wir w¨ahlen holomorphe Karten (1) zj : (Uj , Qj ) → (E, 0) mit Uj ∩ Uk = ∅ f¨ ur j 6= k und bilden mit den symmetrischen Produkten (Uj )nj die Standardumgebung (2) W = (U1 )n1 × . . . × (Ur )nr = {E1 + . . . + Er : Ej ∈ (Uj )nj } von D in Xn . Nach Satz 14.4.4 geh¨oren zu zj die Potenzsummen wjν : (Uj )nj → C f¨ ur ν = 1, . . . , nj . Durch wjν (E1 + . . . + Er ) := wjν (Ej ) wird wjν zu einer Funktion W → C . Erg¨ anzung. Die Potenzsummen wjν : W → C f¨ ur ν = 1, . . . , nj und j = 1, . . . , r sind die Komponenten einer biholomorphen Abbildung w : W → V auf eine offene Menge V ⊂ Cn .

14.4 Symmetrische Produkte

283

Beweis. Nach Satz 4.4.4 gen¨ ugt es, einen Punkt R ∈ X n mit p(R) = D , eine privilegierte Umgebung U von R und f¨ ur die Standgruppe (Sn )R eine Orbitprojektion ϕ : U → W anzugeben, so daß mit der Bildgarbe der holomorphen Strukturgarbe O eine komplexe Mannigfaltigkeit (W, Oϕ ) entsteht: Man w¨ahlt R := (Q1 , . . . , Q1 ; . . . ; Qr , . . . , Qr ) , wobei Qj nj -mal auftritt. Die Standgruppe (Sn )R = Sn1 × . . . × Snr besteht aus den Permutationen, die jeden Faktor X nj von X n = X n1 × . . . × X nr in sich transformieren. Die Umgebung U := U1n1×. . .×Urnr von R ist privilegiert. Die Snj n Orbitprojektionen pj : Uj j → (Uj )nj setzen sich zur (Sn )R -Orbitprojektion ϕ = p1 × . . . × pr : U := U1n1 × . . . × Urnr → (U1 )n1 × . . . × (Ur )nr = W zusammen. Nach 14.4.4 ist (W, Oϕ ) eine komplexe Mannigfaltigkeit. Die Abbildung w : W → V ⊂ Cn , deren Komponenten die Potenzsummen wjν sind, ist biholomorph. ¤ 14.4.6 Der Cotangentialraum Ta∗ (M ) := Hom(Ta (M ), C) einer komplexen Mannigfaltigkeit ist der Dualraum ihres Tangentialraumes. F¨ ur das ∗ symmetrische Produkt Xn einer Fl¨ache X l¨aßt sich TD (Xn ) durch Differentialformen beschreiben, die auf einer Umgebung des Tr¨agers Tr(D) definiert sind. Wir benutzen dazu wie oben D = n1 Q1 +. . .+nr Qr , die Karten zj auf Uj und die Standardumgebung W . Jede Form ω ∈ E1 (U1 ∪ . . . ∪ Ur ) besitzt eindeutig bestimmte Stammfunktionen fj ∈ O(Uj ) mit fj (Qj ) = 0 . Wir bilden wie in 14.4.4 die Summenfunktionen f˜j ∈ O((Uj )nj ) und mit ihnen fω ∈ O(W ) , fω (E1 + . . . + Er ) := f˜1 (E1 ) + . . . + f˜r (Er ) . Aus dem Lemma am Ende von 14.4.4 folgt (1) t(fω ) = 0 f¨ ur alle t ∈ TD (Xn ) ⇔ o(ω, Qj ) ≥ nj f¨ ur j = 1, . . . , r . Zwei Formen ω, ω ′ ∈ E1 (U1 ∪ . . . ∪ Ur ) heißen D-¨ aquivalent, wenn alle Ord¨ nungen o(ω − ω ′ , Qj ) ≥ nj sind. Die Aquivalenzklassen [ω]D bilden einen ndimensionalen Vektorraum τD (X) . Die Paarung h[ω]D , ti := t(fω ) bestimmt einen Isomorphismus ∼ = ∗ (2) τD (X) −→ TD (Xn ) . Denn die Paarung ist nach (1) wohldefiniert und bestimmt einen Monomorphismus, der wegen dim τD (X) = n = dim T ∗ (Xn ) bijektiv ist. 14.4.7 Die R¨ ange der Periodenabbildung. Wenn man einen n-dimensionalen Vektorraum V als komplexe Mannigfaltigkeit betrachtet, wird der Dualraum V ∗ durch die Dualit¨atspaarung hλ, ti := t(λ) f¨ ur λ ∈ V ∗ und t ∈ Ta (V ) mit jedem Cotangentialraum Ta∗ (V ) identifiziert. Bei einem Torus V /Ω ist die Projektion p : (V, a) → (V /Ω, α) lokal biholomorph. Daher ist Ta (p) : Ta (V ) → Tα (V /Ω) ein Isomorphismus. Durch den dualen Isomorphismus wird Tα∗ (V /Ω) mit Ta∗ (V ) = V ∗ identifiziert. F¨ ur jede holomorphe Abbildung ϕ : (M, c) → (V /Ω, α) l¨aßt sich der zu Tc (ϕ) : Tc (M ) → Tα (V /Ω) duale Cotangentialhomomorphismus Tc∗ (ϕ) : V ∗ → Tc∗ (M ) durch folgende Dualit¨at definieren:

284

14. Der Periodentorus

hTc∗ (ϕ)(λ), ti := t(λ ◦ ϕ) ˜ f¨ ur λ ∈ V ∗ und t ∈ Tc (M ) . Dabei ist W eine Umgebung von c und ϕ˜ : W → V eine holomorphe Abbildung (Liftung) mit p ◦ ϕ˜ = ϕ|W . Wir berechnen diese Dualit¨at f¨ ur die n-fache Periodenabbildung ϕ = µn : Xn → J(X) . In diesem Fall ist V ∗ = E1 (X) , d.h. λ = ω ist eine holomorphe Differentialform auf X . F¨ ur die einfache Periodenabbildung µ = µ1 ist µ ˜ ◦ω eine lokale Stammfunktion von ω . F¨ ur µn und jeden Divisor D ∈ Xn folgt daraus µ ˜n ◦ ω = (˜ µn ◦ ω)(D) + fω mit der im vorigen Abschnitt definierten ∗ Summenfunktion fω . Der Cotangentialhomomorphismus TD (µn ) ist daher durch folgende Dualit¨at bestimmt: ∗ hTD (µn )(ω), ti := t(fω ) f¨ ur ω ∈ E1 (X) und t ∈ TD (Xn ) . Wenn man dieses Ergebnis mit der im vorigen Abschnitt gewonnenen Iden∗ tifizierung TD (Xn ) = τD (X) und der dort bewiesenen Dualit¨at h[ω]D , ti = t(fω ) kombiniert, folgt der Satz. Der Cotangentialhomomorphismus von µn : (Xn , D) → (J(X), α) ist ∗ E1 (X) = Tα∗ J(X) → TD Xn = τD (X) , ω 7→ [ω]D . Er hat den i(D)-dimensionalen Kern L1 (−D) , also den Rang g − i(D). ¤

14.5 Linearscharen Sei X eine kompakte, zusammenh¨angende Riemannsche Fl¨ache. In 8.4.3 wurde jede Linearschar auf X mit der Struktur eines projektiven Raumes versehen. Ein aufwendiger Beweis best¨atigt die naheliegende Vermutung: 14.5.1 Untermannigfaltigkeiten. Jede Linearschar L vom Grad n auf X ist mit ihrer Struktur als projektiver Raum eine Untermannigfaltigkeit des symmetrischen Produktes Xn . Beweis. Sei q = dim L . Zu jedem D ∈ L gibt es q + 1 linear unabh¨angige Funktionen 1, f1 , . . . , fq ∈ L(D) , so daß Pq → L , (t0 : t1 : . . . : tq ) 7→ D + (t0 + t1 f1 + . . . + tq fq ) ein Isomorphismus ist, siehe 8.4.3(4). Wir definieren zu t = (t1 , . . . , tq ) ∈ Cq die Funktion gt = 1 + t1 f1 + . . . + tq fq und den Divisor ϕ(t) := D + (gt ) . Er hat die Werte ϕ(t)(x) = D(x) + o(gt , x) . F¨ ur jede Umgebung T von 0 in Cq ist UT := {ϕ(t) : t ∈ T } eine Umgebung von D ∈ L . Die Komponenten tm sind holomorphe Koordinaten von L auf UT . Wir benutzen sie, um zu zeigen: Die Einbettung L ֒→ Xn ist bei D stetig, holomorph und hat an der Stelle D den maximalen Rang q . Zur Stetigkeit: Wir finden zu jeder Standardumgebung W von D in Xn eine Umgebung T mit UT ⊂ W : Wir benutzen wie in 14.4.5 die Darstellung D = P nj Qj , die Karten (Uj , zj ) von X und die zugeh¨orige Standardumgebung W = {E ∈ Xn : gr (E|Uj ) ≥ nj } . Sei Vj = {x ∈ Uj : |zj (x)| < 12 } . Die Behauptung UT ⊂ W folgt aus

14.5 Linearscharen

(1) F¨ ur alle t in einer Umgebung T von 0 ∈ Cq gilt

P

x∈Vj

285

ϕ(t)(x) = nj .

Beweis zu (1): Es gibt eine Scheibe T um 0 , so daß gt f¨ ur alle t ∈ T l¨angs der kompakten R¨ander ∂V1 ∪ . . . ∪ ∂Vr keine Nullstellen hat. Polstellen gibt es dort auch nicht, da diese im Tr¨ager {Q1 , . . . , Qr } von D liegen. Das Nullund Polstellen z¨ahlende Integral I X 1 dgt /gt o(gt , x) = 2πi ∂Vj x∈Vj

h¨angt wie sein Integrand stetig von P t ∈ T ab und nimmt nur P ganzzahlige P Werte an. Daher ist x∈Vj o(gt , x) = x∈Vj o(1, x) = 0 . Wegen x∈Vj D(x) = D(Qj ) = nj folgt (1). ¤ Zur Holomorphie: Da die Potenzsummen wjν holomorphe Koordinaten auf W sind, gen¨ ugt es, die Holomorphie von hjν := wjν ◦ ϕ zu beweisen. Aus den Definitionen von wjν und ϕ folgt: I X X 1 ν ν z ν dgt /gt . hjν (t) = ϕ(t)(x)zj (x) = o(gt , x)zj (x) = 2πi ∂Vj j x∈Vj

x∈Vj

Da der Integrand holomorph von t abh¨angt, ist hjν holomorph. Der Rang der Einbettung L ֒→ Xn an der Stelle D ist der Rang der Abbildung h mit den Komponenten hjν an der Stelle 0 ∈ Cq . Die partiellen Ableitungen werden unter dem Integral berechnet: I I ν 1 ∂hjν ν z dfm = − z ν−1 fm dz (0) = ∂tm 2πi ∂Vj j 2πi ∂Vj j (2) = −ν mal Koeffizient von z −ν in der Laurent-Entwicklung von fm an der Stelle Qj . Wenn die Funktionalmatrix von h an der Stelle t = 0 nicht den maximalen Rang q h¨atte, w¨are eine nicht triviale Linearkombination ihrer q Spalten die Nullspalte. Wegen (2) h¨atte die entsprechende Linearkombination von f1 , . . . , fq keine Pole und w¨are konstant. Das widerspricht der linearen Unabh¨angigkeit von 1, f1 , . . . , fq . ¤ 14.5.2 Vollst¨ andige Linearscharen. F¨ ur eine Fl¨ache X vom Geschlecht g ≥ 1 ist nach 14.2.5 ist die µn -Faser durch D ∈ Xn die vollst¨andige Linearschar |D| , also TD |D| ⊂ Kern(TD µn ) . Nach Satz 14.4.7 hat TD µn den Rang g − i(D) ; somit ist dim Kern(TD µn ) = n − g + i(D) . Wegen (RR) ist diese Dimension = l(D) − 1 = dim|D| , also TD |D| = Kern(TD µn ) . Das Abelsche Theorem (in der Gestalt des Satzes 14.2.5) vereinigt sich daher mit (RR) zum Theorem. Die Fasern der Periodenabbildung µn : Xn → J(X) sind die vollst¨ andigen Linearscharen |D| vom Grade n . An jeder Stelle D ∈ Xn ist TD |D| = Kern(TD (µn )) und rg(µn , D) = g − i(D) . ¤

286

14. Der Periodentorus

14.5.3 Analytische Mengen. Um die Untersuchung der Periodenabbildungen µn : Xn → J(X) u ¨ber die bisher dargestellten Ergebnisse hinaus fortzuf¨ uhren (siehe Kapitel 16), muß man die in 14.2.5 eingef¨ uhrten W -Mengen als analytische Mengen betrachten. Ohne die allgemeine Theorie analytischer Mengen von Grund auf zu entwickeln, stellen wir wesentliche Definitionen und Ergebnisse zusammen. Ausf¨ uhrliche Darstellungen findet man z.B. in [GH] und [GR]. Sei M eine komplexe Mannigfaltigkeit der Dimension n . Eine Teilmenge A ⊂ M heißt analytisch, wenn es zu jedem Punkt in M eine Umgebung U und Funktionen f1 , . . . , fq ∈ O(U ) gibt, so daß U ∩ A = {x ∈ U : f1 (x) = . . . = fq (x) = 0} . Ein Punkt von A heißt regul¨ ar, wenn er im Definitionsbereich einer holomorphen Karte (U, z) liegt, f¨ ur die U ∩ A = {x ∈ U : z1 (x) = . . . = zq (x) = 0} ist. Die nicht-regul¨aren Stellen heißen Singularit¨ aten. Die Menge R(A) aller regul¨aren Punkte liegt dicht und offen in A . Sie ist die disjunkte Vereinigung von abz¨ahlbar vielen zusammenh¨angenden Untermannigfaltigkeiten Yj , die verschiedene Dimensionen haben k¨onnen. Wenn R(A) zusammenh¨angt, heißt A irreduzibel. Der topologische Abschluß Aj von Yj in M ist eine irreduzible analytische Menge, und A = ∪Aj ist die eindeutig bestimmte Zerlegung in irreduzible Komponenten. Sie ist lokal endlich, also endlich, falls M kompakt ist. Man definiert dim Aj := dim Yj und dim A := max{dim Aj } sowie mindimA := min{dim Aj } . Sei B ⊂ A ein Paar analytischer Mengen: Wenn A irreduzibel ist, gilt dim B < dim A oder B = A . Wenn dim B < mindim A ist, liegt A \ B dicht in A . F¨ ur je zwei analytische Mengen A, B ⊂ M sind A ∩ B und A ∪ B ebenfalls analytisch. Dar¨ uber hinaus gilt: Jeder Durchschnitt von beliebig vielen analytischen Mengen ist wieder analytisch. Das kartesische Produkt A × A′ ⊂ M × M ′ von zwei analytischen Mengen A ⊂ M und A′ ⊂ M ′ ist analytisch. Es ist irreduzibel, wenn A und A′ irreduzibel sind. Die Dimensionen addieren sich. Sei ϕ : M → M ′ eine eigentliche, holomorphe Abbildung. F¨ ur jede analytische Menge A ⊂ M ist das Bild ϕ(A) ⊂ M ′ eine analytische Menge mit einer Dimension dim ϕ(A) ≤ dim A . Mit A ist auch ϕ(A) irreduzibel. Eine analytische Menge heißt Hyperfl¨ ache, wenn alle Komponenten die Dimension n − 1 haben. Eine Teilmenge A ⊂ M ist genau dann eine Hyperfl¨ache, wenn es zu jedem Punkt in M eine zusammenh¨angende Umgebung U gibt, so daß A ∩ U = {x ∈ U : f (x) = 0} durch eine von Null verschiedene Funktion f ∈ O(U ) beschrieben wird. Aus den zusammengestellten Ergebnissen folgt f¨ ur jede zusammenh¨angende kompakte Fl¨ache X : F¨ ur n ≤ g ist Wn := µn (Xn ) ⊂ J(X) eine irreduzible analytische Menge. Nach 13.6.2 wird die offene und dichte Teilmenge Xn0 ⊂ Xn der allgemeinen Divisoren durch µn biholomorph auf die ebenfalls offene und dichte Teilmenge Wn0 ⊂ Wn abgebildet. Daher ist dim Wn = n .

14.6 Aufgaben

287

Insbesondere ist Wg−1 ⊂ J(X) eine irreduzible Hyperfl¨ache. Aus dem Umkehrsatz 14.3.5 folgt f¨ ur die K¨orper der meromorphen Funktionen: Die Liftung M(J(X)) → M(Xg ) , f 7→ f ◦ µg , ist ein Isomorphismus. Das wurde f¨ ur Fl¨achen vom Geschlecht 2 im wesentlichen schon von Jacobi entdeckt, vgl. 14.1.3. Daher wird der Umkehrsatz nach ihm benannt. 14.5.4 Ausblick. Riemann beschreibt Wg−1 ⊂ J(X) als verschobene Nullstellen-

menge der Thetafunktion, siehe 16.2.2. Kempf [Kem 1] untersucht f¨ ur alle n ≤ g−1 die Singularit¨ aten α ∈ Wn und beschreibt ihre Tangentialkegel mit Hilfe der Divisoren in der Faser µ−1 ohepunkt der von n (α) . Seine Resultate bilden einen H¨ Brill und Noether begonnenen Untersuchung der Variet¨ aten spezieller Divisoren. Die in mehr als 100 Jahren angesammelten Ergebnisse dieser Theorie f¨ ullen ein eigenes Buch, siehe [ACGH].

14.6 Aufgaben 1)

Folgere das Abelsche Additionstheorem (14.1.2) aus der Surjektivit¨ at der Periodenabbildung µg (14.3.3).

2)

Sei η : Z → X mit Z ⊂ C die Uniformisierung der kompakten Fl¨ ache X . Zeige: Jeden holomorphe Abbildung ϕ : X → V /Ω l¨ aßt sich zu ϕ ˜:Z →V liften. Zu jedem λ ∈ V ∗ gibt es genau ein ω ∈ E1 (X) mit η ∗ ω = d(λ ◦ ϕ) ˜ . Die Abbildung V ∗ → E1 (X), λ 7→ ω, ist linear. Die dazu duale Abbildung induziert eine holomorphe Abbildung ϕ ˆ : J(X) → V /Ω . Sei µ : (X, Q) → (J(X), 0) die Periodenabbildung. Wenn ϕ(Q) = 0 ist, gilt ϕ = ϕ ˆ◦ µ.

3)

Fortsetzung der Aufgabe 2: Definiere mit der Koordinate t auf C an jeder Stelle a ∈ Z die Richtungsableitung (dϕ/dt)(a) ˜ ∈ V und zeige, daß sie bis auf einen Faktor in C× nur von η(a) abh¨ angt. Sei p : V \ {0} → P(V ) die Projektion auf den projektiven Raum. Zeige: Wenn ϕ u ¨berall den maxi′ malen Rang 1 hat, gibt es eine holomorphe Abbildung ϕ : X → P(V ) mit ³ ´ p (dϕ/dt)(a) ˜ = ϕ′ ◦ η(a) . F¨ ur ϕ = µ ist µ′ = κ die kanonische Abbildung.

4)

5)

Sei µ : X → J(X) die Periodenabbildung einer hyperelliptischen Fl¨ ache X . Der Basispunkt P0 mit µ(P0 ) = 0 sei ein Weierstraß-Punkt. Zeige: Ein Punkt P ∈ X ist genau dann ein Weierstraß-Punkt, wenn 2µ(P ) = 0 ∈ J(X) .

b n der Zahlenkugel ist zum proZeige: Das n -fache symmetrische Produkt C jektiven Raum Pn isomorph.

6)

Zeige: Bei jeder Fl¨ ache X vom Geschlecht g bilden die regul¨ aren Werte von µn : Xn → J(X) f¨ ur jedes n ≥ g eine dichte und offene Teilmenge U ⊂ J(X) . F¨ ur n ≥ 2g − 1 ist U = J(X) . Bestimme U f¨ ur n = 2g − 2 .

7)

Beweise die im Beispiel zu 14.3.5 aufgestellte Behauptung: Bei jeder Fl¨ ache X vom Geschlecht 2 hat die Periodenabbildung µ2 : X2 → J(X) genau eine zur Zahlenkugel isomorphe Faser. Alle anderen Fasern sind einpunktig.

8)

Deute das Ergebnis der Aufgabe 13.7.5 als Aussage u ¨ber die R¨ ange und Faserdimensionen der Periodenabbildung µ3 : X3 → J(X) .

288

9)

14. Der Periodentorus

Sei X eine Fl¨ ache vom Geschlecht 3. Zeige: (i) Die Periodenabbildung µ2 ist eine Einbettung, falls X nicht-hyperelliptisch ist. (ii) Im hyperelliptischen Fall bilden alle Divisoren P + σ(P ) f¨ ur P ∈ X und die hyperelliptische Involution σ eine eindimensionale µ2 -Faser F . Das Komplement X2 \ F wird durch µ2 eingebettet.

10) Untersuche die R¨ ange und Faserdimensionen der Periodenabbildungen µ4 f¨ ur Fl¨ achen vom Geschlecht 4. 11) Die Gleichung w2 = Q(z) mit einem Polynom f¨ unften Grades Q(z) definiert eine Fl¨ ache X vom Geschlecht 2. Man identifiziert C2 mit E1 (X)∗ , so daß die kanonische Basis von C2 zur Basis (zdz/w, −dz/w) von E1 (X) dual ist. Seien (x, t) die Koordinaten auf C2 ; sei p : C2 → J(X) die Projektion auf den Periodentorus. Die Umkehrabbildung der Periodenabbildung µ2 : X2 → J(X) l¨ aßt sich lokal als ζ 7→ P1 (ζ)+P2 (ζ) mit Pk (ζ) ∈ X beschreiben. Man beweise f¨ ur ihre Koordinatendarstellung zk (x, t) := z ◦ Pk ◦ p(x, t) , wk (x, t) := w ◦ Pk ◦ p(x, t) , k = 1, 2 , die Differentialgleichungen w1 ∂z2 w2 ∂z1 = , = , ∂x z1 − z2 ∂x z2 − z1

∂z1 z2 w1 = ∂t z1 − z2

,

∂z2 z1 w2 = . ∂t z2 − z1

12) Pr¨ azisiere und begr¨ unde die in 14.1.3 zitiere Behauptung von Jacobi: Die symmetrischen Funktionen von z1 , z2 sind vierfach periodische Funktionen von u1 , u2 . Benutze dazu den Isomorphismus µ∗g : M(J(X)) → M(Xg ) der Funktionenk¨ orper aus 14.5.3.

15. Die de Rhamsche Cohomologie

Riemanns Theorie der Abelschen Funktionen erreicht im zweiten Teil von [Ri 3] mit der Einf¨ uhrung der Thetafunktion einen H¨ohepunkt, siehe dazu das letzte Kapitel dieses Buches. Die Definition dieser Funktion f¨ ur eine kompakte Fl¨ache X vom Geschlecht g ≥ 1 beruht auf einer (g × g)-Periodenmatrix T , die Riemann aus den R¨ uckkehrschnitten a1 , .., ag , b1 , .., bg einer kanonischen Zerschneidung der Fl¨ache gewinnt: Es gibt genau eine R Basis ω1 , ..., ωg der holomorphen Differentialformen mit den a -Perioden aj ωk = δjk . Die R entsprechenden b -Perioden τjk := bj ωk sind die Elemente der Matrix T . Sie ist symmetrisch und hat einen positiv definiten Imagin¨arteil. Letzteres spielt f¨ ur die Konvergenz der Fourier-Reihe eine wichtige Rolle, durch die die Thetafunktion definiert wird, siehe 14.1.3 und 16.1.1. Um die den R¨ uckkehrschnitten angepaßte Basis ω1 , ..., ωg zu gewinnen, wird die Integrationstheorie erweitert: Als Integranden der Wegintegrale R ω werden statt holomorpher Formen allgemeiner Pfaffsche Formen ω u zugelassen, die nur C ∞ -differenzierbar sind und dadurch an topologische Vorgaben flexibel angepaßt werden k¨onnen. achenRR Zus¨atzlich werden werden Fl¨ uhrt. Je zwei Pfaffsche Forformen σ und ihre Fl¨achenintegrale X σ eingef¨ men ω und ϕ werden zu einer Fl¨achenform ω ∧ ϕ verkn¨ upft. Nach Riemann sind Fl¨achenintegrale und Wegeintegrale l¨angs der R¨ uckkehrschnitte durch Z ´ Z Z ZZ g ³Z X ϕ . ω− ω· ϕ· ϕ∧ω = X

j=1

aj

bj

aj

bj

miteinander verbunden. Diese Formel bildet den Schl¨ ussel, um die angepaßte Basis der holomorphen Formen zu finden. ´ Cartan verallgemeinerte die Pfaffschen Formen und Fl¨achenformen zu Elie einem Kalk¨ ul der Differentialformen auf beliebigen differenzierbaren Mannigfaltigkeiten. Er regte Georges deRham zu einer Dissertation an (Paris 1930, siehe [Rh]), in der die Cohomologie durch die Differentialformen der verschiedenen Stufen vollst¨andig beschrieben wird. F¨ ur kompakte Riemannscher Fl¨achen werden die Ergebnisse der de Rhamschen Theorie im vorliegenden Kapitel bewiesen. Sie sind bereits in Riemanns Abhandlung [Ri 3] u ¨ber Abelsche Funktionen mehr oder weniger explizit vorhanden.

290

15. Die de Rhamsche Cohomologie

15.1 Pfaffsche Formen Wir kn¨ upfen an die Definition der meromorphen Differentialformen in 7.1 an. Wie dort bezeichnet {(Uα , zα )} den maximalen holomorphen Atlas der Fl¨ache X . Wir zerlegen jede Karte zα := xα + iyα in ihren Real- und Imagin¨arteil. Dann ist z¯α := xα − iyα die konjugiert komplexe Karte. 15.1.1 Definition Pfaffscher Formen. Wir ersetzen in der Definition der meromorphen Differentialformen ω = {ωα } gem¨aß 7.1.2 die meromorphen Funktionen ωα durch Paare von C ∞ -Funktionen ωα , ωα′ : Uα → C und nennen ω := {(ωα , ωα′ )} eine Pfaffsche Form, wenn statt 7.1.2(1) die beiden Transformationsregeln (1)

ωα = ωβ · (dzβ /dzα ) und ωα′ = ωβ′ · (dzβ /dzα )

erf¨ ullt sind. Genau dann, wenn alle ωα holomorph und alle ωα′ = 0 sind, ist ω eine holomorphe Form, wie sie in 7.1.4 definiert wurde. Pfaffsche Formen lassen sich analog zu 7.1.2 addieren und mit C ∞ -Funktionen multiplizieren. Mit den lokalen partiellen Ableitungen ∂ 1³ ∂ ∂ ´ ∂ 1³ ∂ ∂ ´ (2) := −i und := +i ∂zα 2 ∂xα ∂yα ∂ z¯α 2 ∂xα ∂yα definiert man f¨ ur jede C ∞ -Funktion f : X → C die Ableitung (3) df := {(∂f /∂zα , ∂f /∂ z¯α )}

als Pfaffsche Form. Genau dann, wenn f holomorph ist, gilt ∂f /∂ z¯α = 0 f¨ ur alle α . In diesem Falle ist ∂f /∂zα = df /dzα , und df ist die in 7.1.2 definierte Ableitung.– Die Ableitungsregeln aus 7.1.3 (4)

d(f + g) = df + dg , d(f · g) = f · dg + g · df

gelten auch f¨ ur C ∞ -Funktionen f, g . F¨ ur jede holomorphe Karte (Uα , zα ) hat die Pfaffsche Form ω := {(ωα , ωα′ )} die lokale Darstellung (5)

ω|Uα = ωα dzα + ωα′ d¯ zα = (ωα + ωα′ )dxα + i(ωα − ωα′ )dyα .

Die Ableitung einer C ∞ -Funktion f hat die lokale Darstellung ∂f ∂f ∂f ∂f dzα + d¯ zα = dxα + dyα . (6) df |Uα = ∂zα ∂ z¯α ∂xα ∂yα

Sei η : X → Y eine offene holomorphe Abbildung, und sei ω eine Pfaffsche Form auf Y . Analog zu 7.1.6 gibt es genau eine Pfaffsche Form η ∗ ω auf X , so daß f¨ ur jede lokale Darstellung ω|U = a dx + b dy gilt: η ∗ ω|η −1 (U ) = (a ◦ η)d(x ◦ η) + (b ◦ η)d(y ◦ η) . Man nennt η ∗ ω die geliftete Form. Die Liftungsregeln 7.1.6(2)-(3) gelten analog f¨ ur C ∞ -Funktionen f und Pfaffsche Formen ω .

15.1 Pfaffsche Formen

291

15.1.2 Exakte und geschlossene Formen. Pfaffsche Formen der Gestalt ω = df heißen exakt; man nennt f eine Stammfunktion von ω . Die Form ω heißt geschlossen, wenn f¨ ur jede Scheibe U ⊂ X die Einschr¨ankung ω|U exakt ist. F¨ ur die Karte (U, z) mit z = x + iy ist die Form a dx + b dy genau dann exakt auf U , wenn ∂b/∂x − ∂a/∂y = 0 ist. Holomorphe Formen sind stets geschlossen. Alle geschlossenen Formen auf der Fl¨ache X bilden einen C-Vektorraum Z 1 (X) . Er umfaßt den Untervektorraum B 1 (X) aller exakten Formen. F¨ ur die am Ende des letzten Abschnitts definierte Liftung gilt η ∗ (B 1 (Y )) ⊂ B 1 (X) und η ∗ (Z 1 (Y )) ⊂ Z 1 (X) . Satz. Wenn die Fl¨ ache X einfach zusammenh¨ angt, ist jede geschlossene Pfaffsche Form ω exakt. Beweis. Wir modifizieren den Beweis aus 7.4.1. Auf jeder Scheibe U ⊂ X ist die Stammfunktion f von ω|U bis auf die Addition einer Konstanten c ∈ C eindeutig bestimmt. Analog zu 3.4.1 definieren wir an jeder Stelle x ∈ X die Keime fx der lokalen Stammfunktionen f und stellen fest, daß die Zuordnung f 7→ fx injektiv ist. Sei Σω die Menge aller Keime f¨ ur alle x ∈ X , und sei p : Σω → X, fx 7→ x, die Projektion. Zu jeder Stammfunktion f auf der Scheibe U bilden wir die Basismenge (U, f ) = {fx : x ∈ U } und machen wie in 3.4.2 Σω mittels der Basismengen zu einem Hausdorffraum. Die Projektion bildet (U, f ) hom¨oomorph auf U ab. Wegen p−1 (U ) = ⊎c∈C (U, f + c) ist ¨ p eine unverzweigte Uberlagerung. Wir liften die holomorphe Struktur von X nach Σω , so daß p lokal biholomorph wird. Wenn X einfach zusammenh¨angt, bildet p jede Komponente Σω′ von Σω biholomorph auf X ab. Die Auswertungsfunktion e : Σω → C , e(fx ) := f (x), ist eine Stammfunktion von p∗ ω . Durch den Isomorphismus p : Σω′ → X geht sie in eine Stammfunktion von ω auf X u ¨ber. ¤ 15.1.3 Integration geschlossener Pfaffscher Formen. Wegen des gerade bewiesenen Satzes l¨aßt sich die in 7.4.2 angegebene Definition der Integration holomorpher Formen l¨angs stetiger Wege direkt auf geschlossene Pfaffsche Formen u ¨bertragen. Die Integrationsregeln aus 7.4.3 bleiben f¨ ur geschlossene Pfaffsche Formen ω und C ∞ -Funktionen f g¨ ultig. 15.1.4 Konjugation. Zu jeder Pfaffschen Form ω = {(ωα , ωα′ )} geh¨ort die z = f¯d¯ z + g¯dz konjugiert komplexe Form ω ¯ := {( ωα′ , ωα )} , also f dz + gd¯ f¨ ur jede Karte (U, z) . Mit ω ist auch ω ¯ geschlossen. F¨ ur jeden Weg u ist R R ω ¯ = uω. u

15.1.5 Integration u ¨ ber RHomologieklassen. F¨ ur geschlossene Formen ω und Schleifen u h¨angt u ω wie in 7.7.3 nur von der Homologieklasse klu ∈ H1 (X) ab. Daher ist der Periodenhomomorphismus R (1) H1 (X) → C , klu 7→ u ω , wohldefiniert. Sein Bild ist eine additive Untergruppe Per(ω) < C . Sie heißt Periodengruppe von ω . Die geschlossene Form ω ist genau dann exakt, wenn Per(ω) = 0 ist, vgl.7.4.4(3).

292

15. Die de Rhamsche Cohomologie

Analog zu 7.7.3(1) definiert man die Integration u ¨ber Homologieklassen R 1 (2) H1 (X) × Z (X) → C , (kl u, ω) 7→ hkl u, ωi := u ω . Sie ist additiv im ersten und C-linear im zweiten Argument. Aus (2) entsteht wie in 7.7.4 die C-lineare Abbildung mit dem Kern B 1 (X) (3) Z 1 (X) → H 1 (X, C) , ω 7→ h−, ωi . Der Quotientenvektorraum 1 HDR (X, C) := Z 1 (X)/B 1 (X) heißt erste deRhamsche Cohomologie der Fl¨ache X . Die Abbildung (3) in1 duziert den Monomorphismus HDR (X, C) → H 1 (X, C) . Die Restklasse von 1 1 ω ∈ Z (X) modulo B (X) heißt Cohomologieklasse von ω und wird mit 1 kl ω ∈ HDR (X, C) ⊂ H 1 (X, C) bezeichnet. 1 Tats¨ achlich ist HDR (X, C) → H 1 (X, C) ein Isomorphismus. F¨ ur kompakte Fl¨ achen wird dies in 15.4.3 bewiesen. Wenn X eine offene Fl¨ ache ist, d. h. keine kompakten Komponenten hat, wird bereits E1 (X) ⊂ Z 1 (X) durch (2) surjektiv auf H 1 (X, C) abgebildet, siehe [For], Abschnitt 26.1, so daß auch hier ein Isomorphismus entsteht.

15.1.6 Historisches. Die Theorie der Pfaffschen Formen geht auf die Arbeit [Pf] von Johann Friedrich Pfaff (1765-1825) zur¨ uck, mit der er den Grundstein zum Kalk¨ ul der alternierenden Differentialformen legte, welcher mehr als 100 Jahre ´ Cartan seine endg¨ sp¨ ater durch E. ultige Fassung erhielt. Pfaff war von 1788 bis zu ihrer Schließung im Jahre 1810 Professor an der Universit¨ at Helmstedt und danach an der Universit¨ at Halle. Er war Gutachter der Dissertation, mit der C.F. Gauss 1799 in Helmstedt in absentia promovierte. Sp¨ ater lebte Gauss zeitweise in Pfaffs Haus.

15.2 Fl¨ achenformen In Riemanns Untersuchungen spielen neben den Wegintegralen auch Fl¨achenintegrale eine wichtige Rolle. Ihre Integranden heißen Fl¨ achenformen. Wie in 15.1 bezeichnet {(Uα , zα )} den maximalen Atlas der Fl¨ache X . 15.2.1 Fl¨ achenformen. Eine Fl¨ achenform σ = {σα } ist eine Menge von C ∞ -Funktionen σα : Uα → C , welche die Transformationsregel (1) σα = σβ · |dzβ /dzα |2 auf Uα ∩ Uβ

erf¨ ullen. Fl¨achenformen lassen sich addieren, σ + τ := {sα + τα } , und mit C ∞ -Funktionen multiplizieren, f σ := {f σα } . F¨ ur je zwei Pfaffsche Formen ω = {(ωα , ωα′ )} und ϕ = {(ϕα , ϕ′α )} ist ihr a ¨ußeres Produkt die Fl¨achenform ½ µ ¶¾ ω α ϕα (2) ω ∧ ϕ := det . ωα′ ϕ′α Es gelten die Rechenregeln

(3) ω ∧ ϕ = −ϕ ∧ ω , (ω1 + ω2 ) ∧ ϕ = ω1 ∧ ϕ + ω2 ∧ ϕ , (f ω) ∧ ϕ = f (ω ∧ ϕ)

15.2 Fl¨ achenformen

293

f¨ ur Pfaffsche Formen ω , ϕ und C ∞ -Funktionen f , insbesondere ω ∧ ω = 0 . Wenn ω und ϕ holomorph sind, ist ω ∧ ϕ = 0 . Jede Fl¨achenform σ = {σα } besitzt auf Uα die lokalen Darstellungen (4)

σ|Uα = σα dzα ∧ d¯ zα = −2iσα dxα ∧ dyα .

Die Ableitung der Pfaffschen Form ω = {(ωα , ωα′ )} ist definitionsgem¨aß die Fl¨achenform (5) dω := {∂ωα′ /∂zα − ∂ωα /∂ z¯α } . Genau dann, wenn ω geschlossen ist, gilt dω = 0 . Ferner gelten die Regeln

(6)

d(f ω) = df ∧ ω + f dω .

d(ω + ϕ) = dω + dϕ ,

15.2.2 Der Tr¨ ager einer Fl¨ achenform. Man nennt P ∈ X eine Nullstelle der Fl¨achenform σ = {σα } , wenn es ein α mit P ∈ Uα gibt, so daß σα (P ) = 0 ist. Dann gilt σβ (P ) = 0 f¨ ur alle β mit P ∈ Uβ . Die Nullstellenmenge ist abgeschlossen. Die abgeschlossene H¨ ulle ihres Komplementes heißt Tr¨ ager von σ und wird mit Tr(σ) bezeichnet. Analog definiert man die Nullstellen P der Pfaffschen Form ω = {(ωα , ωα′ )} durch ωα (P ) = ωα′ (P ) = 0 und den Tr¨ager Tr(α) . F¨ ur zwei Pfaffsche Formen ω, ϕ gilt Tr(ω ∧ ϕ) ⊂ Tr(ω) ∩ Tr(ϕ) . 15.2.3 Integration der Fl¨ achenformen. Jede Fl¨achenform auf einer offenen Menge U ⊂ C l¨aßt sich mit einer C ∞ -Funktion f : U → C als σ = f dz ∧ d¯ z = −2if dx ∧ dy darstellen. Wir setzen voraus, daß σ , also f einen kompakten Tr¨ager hat und definieren ZZ ZZ f (x, y)dxdy σ := −2i (1) U

U

als Doppelintegral im Sinne der Analysis. F¨ ur jede biholomorphe Abbildung Φ : V → U zwischen offenen Mengen in C gilt mit der Ableitung Φ′ die Transformationsformel ZZ ZZ (2) f dxdy = (f ◦ Φ)|Φ′ |2 dxdy . U

V

Nun sei (U, h) eine Karte der Fl¨ache X , und sei σ eine Fl¨achenform auf X , deren Tr¨ager K kompakt und in U enthalten ist. Dann gilt σ|U = ¯ . Dabei ist h(U ) ⊂ C offen und f : h(U ) → C eine C ∞ -Funk(f ◦ h)dh ∧ dh tion mit dem kompakten Tr¨ager h(K) . Man definiert ZZ ZZ (3) σ := −2i f dxdy . X

V

Wegen (2) h¨angt die rechte Seite nicht von der Wahl der Karte ab. Bei einer Fl¨achenform σ mit beliebigem kompakten Tr¨ager K ⊂ X benutzen wir eine Teilung der Eins auf K . Sie besteht aus endlich vielen C ∞ -Funktionen e1 , . . . , em : X → [0, 1] mit den beiden Eigenschaften: (i) Der Tr¨ager von ej ist kompakt und im Definitionsbereich Uj einer

294

15. Die de Rhamsche Cohomologie

Karte enthalten, j = 1, . . . , m ; (ii) e1 (P ) + . . . + em (P ) = 1 f¨ ur alle P ∈ K . ZZ Wir definieren m ZZ X σ := ej σ . X

X

j=1

Die rechte Seite macht Sinn, weil der Tr¨ager von ej σ kompakt ist und in Uj liegt. Sie h¨angt nicht von der Wahl der e1 , . . . , em ab. P Denn sei f1 , . . . , fn eine andere Teilung der Eins. Wegen Tr(e σ) ⊂ K und RR j RR Pm RR fk = 1 auf K ist Pn RR f e σ . Analog ist f σ = e σ = k j=1 X ej fk σ , also k=1 X k j X j RR RR P Pm Pn RR X Pm n ¤ k=1 X fk σ . j=1 k=1 X ej fk σ = j=1 X ej σ =

15.2.4 Positive Fl¨ achenformen. Die Fl¨achenform σ auf X heißt positiv , wenn f¨ ur jede Karte (U, z) mit z = x+iy in der Darstellung σ|U = f dx∧dy die Werte der Funktion f reell und ≥ 0 sind. Wenn außerdem der Tr¨ager von σ kompakt ist, folgt aus der Definition des Integrals ZZ ZZ (1) σ≥0 ; σ = 0 ⇔ σ = 0. X

X

F¨ ur jede holomorphe Form ω ∈ E1 (X) ist iω ∧ ω ¯ eine positive Fl¨achenform. Denn f¨ ur jede Karte (U, z) gilt ω|U = f dz mit einer holomorphen Funktion f , also ω ¯ |U = f¯d¯ z und ω ∧ ω ¯ = |f |2 dz ∧ d¯ z = −2i|f |2 dx ∧ dy . F¨ ur kompakte Fl¨achen X und ω ∈ E1 (X) folgt: ZZ ZZ ω∧ω ¯ =0 ⇔ ω∧ω ¯ = 0 ⇔ ω = 0. ω∧ω ¯≥0 ; (2) i X

X

15.2.5 Konjugation der Fl¨ achenformen. Zur Fl¨achenform σ = {σα } geh¨ort die konjugiert komplexe Fl¨ achenform σ ¯ := {−¯ σα } . F¨ ur jede lokale Darstellung σ|U = f dx∧dy folgt σ ¯ |U = f¯dx∧dy . Wenn der Tr¨ager kompakt ist, gilt daher ZZ ZZ

σ=

(1)

X

σ ¯.

X

Aus der Definition des ∧-Produktes Pfaffscher Formen folgt ω∧ϕ=ω ¯ ∧ ϕ¯ . (2)

15.3 Ringgebiete und Scheiben Das Studium der Differentialformen auf kompakten Fl¨achen wird durch das Studium auf Ringgebieten und Scheiben vorbereitet. Wir ben¨otigen R dazu neben den Wegintegralen geschlossener Formen auch das Integral |z|=R ω einer eventuell nicht geschlossenen Pfaffschen Form ω l¨angs der Kreislinie {z ∈ C : |z| = R} . Es wird f¨ ur ω = a(x, y)dx + b(x, y)dy durch Einsetzen der Polarkoordinaten x = R cos ϕ, y = R sin ϕ definiert:

15.3 Ringgebiete und Scheiben

Z

|z|=R

¡ ¢ a dx + b dy := R

Z

0

2π¡

295

¢ −a · cos ϕ + b · sin ϕ dϕ .

F¨ ur geschlossene Formen ist diese Definition zur Definition mittels einer ¨ Stammfunktion auf der universellen Uberlagerung ¨aquivalent. 15.3.1 Die Stokes’sche Formel. F¨ ur jede Pfaffsche Form ω , die auf einer Umgebung des kompakten Ringes K := {z ∈ C : ε ≤ |z| ≤ R} mit 0 < ε < R < ∞ definiert ist, gilt Z Z ZZ ω. ω− dω = (1) |z|=ε

|z|=R

K



Beweis. In Polarkoordinaten z = re hat ω die Gestalt ω := p dr + q dϕ mit Funktionen p, q von r und ϕ , die 2π-periodisch in ϕ sind. Mit den partiellen Ableitungen qr und pϕ gilt: d ω = (qr − pϕ )dr ∧ dϕ , also ¶ ¶ Z R µ Z 2π Z 2π µ Z R ZZ pϕ dϕ dr qr dr dϕ − dω = = weil

R 2π 0

ε

0

K

Z



0

0



q(ε, ϕ)dϕ ,

0

pϕ dϕ = p(r, 2π) − p(r, 0) = 0 ist. Daraus folgt die Behauptung. ¤

Aus (1) folgt mit limε→0 (2)

q(R, ϕ)dϕ −

ε

Z

ZZ

dω =

K

Z

ω

|z|=R

f¨ ur jede Pfaffsche Form ω , die auf einer Umgebung der kompakten Scheibe K := {z ∈ C : |z| ≤ R} definiert ist.

R RR Die Formeln (1) und (2) sind Spezialf¨ alle der Stokes’schen Formel K d ω = ∂K ω f¨ ur kompakte Fl¨ achen K mit st¨ uckweise glattem Rand ∂K . Sie l¨ aßt sich auf ndimensionale berandete Mannigfaltigkeiten verallgemeinern.

15.3.2 Das Integral der Ableitung. F¨ ur jede Pfaffsche Form ω auf einer Fl¨ache X mit kompaktem Tr¨ager K gilt ZZ dω = 0.

X

Beweis. Mit einer der RREins auf K finden wir Pfaffsche Formen RR Teilung P ω1 , . . . , ωn mit X d ω = d ωj , wobei jedes ωj einen kompakten j X Tr¨ager hat, der im Definitionsbereich einer Karte liegt. Es gen¨ ugt daher, die Behauptung f¨ ur X = C zu beweisen: Man w¨ahlt R > 0 so groß, daß |z| ≤ R f¨ ur alle z ∈ RK gilt. Mit der Stokes’schen Formel 15.3.1(2) folgt RR RR ¤ d ω = |z|≤R d ω = |z|=R ω = 0 , weil ω = 0 l¨angs |z| = R gilt. C

296

15. Die de Rhamsche Cohomologie 1

w eit

0

R -1

R1-1

1

R1

R

Fig. 15.3.3 a. Der Graph von h zur Konstruktion der radialen Anstiegsfunktion f (z) := h(|z|).

Fig. 15.3.3 b. Ein Anstiegsweg w kreuzt die Schleife t 7→ eit von links nach rechts.

15.3.3 Die duale Pfaffsche Form. Wir betrachten das Ringgebiet (1)

S = {z ∈ C : R−1 < |z| < R} mit

1 < R ≤ ∞.

Die Homotopieklasse a der Schleife [0, 2π] → S, t 7→ eit , erzeugt die unendlich zyklische Fundamentalgruppe π(S) . Wir identifizieren π(S) = H1 (S) mit der Homologie, siehe 7.7.2, und nennen a ∈ H1 (S) die kanonische Klasse von S . Beim Automorphismus S → S, z 7→ z −1 , geht a in −a u ¨ber. Wir w¨ahlen einen Radius R1 im offenen Intervall (1, R) und eine schwach monoton steigende C ∞ -Funktion h : (R−1 , R) → R mit den Werten h(r) = 0 f¨ ur r ≤ R1 −1 und h(r) = 1 f¨ ur r ≥ R1 , siehe Figur 15.3.3 a. Wir nennen f : S → R, f (z) := h(|z|), eine radiale Anstiegsfunktion. Ihre Ableitung α := df ist eine geschlossene Pfaffsche Form auf S , deren Tr¨ager im kompakten Ring K := {z ∈ S : R1 −1 ≤ |z| ≤ R1 } liegt. Mit der kanonischen Klasse a gilt f¨ ur jede geschlossene Pfaffsche Form ω Z ZZ (2) ω= α∧ω. a S RR RR Beweis. Der Tr¨ager von α ∧ ω liegt in K , also S α ∧ ω = K df ∧ ω = RR d(f ω) . Nach der Stokes’schen Formel 15.3.1(1) ist K RR R R R R d(f ω) = |z|=R1 f ω − |z|=R−1 f ω = |z|=R1 ω = a ω . ¤ K 1

Wegen (1) heißt α duale Pfaffsche Form zur Klasse a .– Jeder Weg w in S , dessen Anfangspunkt einen Betrag ≤ R1 −1 und dessen Endpunkt einen Betrag ≥ R1 hat, heißt Anstiegsweg zu f . F¨ ur die duale Form α = df gilt Z offenbar α = 1. (3) w

Wenn man in die Richtung des Durchlaufungssinns eines Weges blickt, der die kanonische Klasse a repr¨asentiert, kreuzt der Anstiegsweg w von links nach rechts, siehe Figur 15.3.3 b.

15.4 Pfaffsche Formen auf kompakten Fl¨ achen

297

15.4 Pfaffsche Formen auf kompakten Fl¨ achen Die kanonische Zerschneidung jeder kompakten Fl¨ache X zusammen mit den Ergebnissen aus 15.3 macht es m¨oglich, die Homologie H1 (X) vollst¨andig durch geschlossene Pfaffsche Formen zu beschreiben und durch die Definition von Schnittzahlen f¨ ur je zwei Homologieklassen zu erg¨anzen. 15.4.1 Kanonische B¨ ander und Ringgebiete. Die kompakte Fl¨ache X vom Geschlecht g ≥ 1 wird durch ein regelm¨aßiges 4g-Eck ∆ kanonisch zerschnitten, ρ : ∆ → X , vgl. 12.4.1. Wie die Figur 15.4.1a zeigt, werden parallel zu entsprechenden Seiten 2g lineare Wege a ˜1 , ˜b1 , . . . a ˜g , ˜bg in ∆ ˜ gew¨ahlt. Dann sind ρ◦˜ aj , ρ◦ bj Schleifen in X , welche die Homologieklassen aj := kl(ρ◦˜ aj ), bj := kl(ρ◦˜bj ) ∈ H1 (X) der R¨ uckkehrschnitte repr¨asentieren. Wie die Figur 15.4.1a weiter zeigt, w¨ahlen wir offene Parallelstreifen A˜j und ˜j zu den Wegen a B ˜j bzw. ˜bj in ∆ und nennen sie kanonische B¨ ander . ˜ ˜ Ihre Bilder Aj := ρ(Aj ) und Bj := ρ(Bj ) sind offen in X und heißen kanonische Ringgebiete. Die Fundamentalgruppen π(Aj ) und π(Bj ) sind unendlich zyklisch und werden von den Homotopieklassen der Wege ρ ◦ a ˜j bzw. ρ ◦ ˜bj erzeugt. Nach Satz 11.2.4 sind Aj und Bj zu Ringgebieten in C ˜j wird der Isomorphismus so gew¨ahlt, daß isomorph, siehe 15.3.3(1). F¨ ur B kl(ρ ◦ ˜bj ) in die kanonische Klasse u ¨bergeht.

.

~ b2 a~2

gj°r=0

~ b1

gj°r=1 r-1(Tr(bj))

.

a~1

.

Fig. 15.4.1 a. Die Wege a ˜j , ˜bj umge˜j . ben von kanonischen B¨ andern A˜j , B

. w

uj

vj

j

˜j wird vom Fig. 15.4.1 b. Das Band B Weg a ˜j = uj · vj · wj gekreuzt.

15.4.2 Kanonische Pfaffsche Formen. Wir w¨ahlen zu den Ringgebieten Bj radiale Anstiegsfunktionen gj : Bj → R , vgl. 15.3.3. Jede Ableitung dgj hat einen kompakten Tr¨ager und l¨aßt sich daher durch Null zu einer geschlossenen Pfaffschen Form βj auf ganz X fortsetzen. Nach 15.3.3(2) gilt Z ZZ (1) ω= βj ∧ ω . bj

X

298

15. Die de Rhamsche Cohomologie

f¨ ur jede geschlossene Form ω auf X . Daher heißt βj eine zu bj duale Pfaffsche Form. Der lineare Weg a ˜j = uj · vj · wj wird in drei Teilwege zerlegt, so daß ρ ◦ uj ˜j liegt, siehe Figur und ρ ◦ wj den Tr¨ager von βj nicht treffen und vj in B 15.4.1 b. Dann hat gj ◦ ρ im Anfangspunkt von vj den Wert 0 und im Endpunkt den Wert 1 oder umgekehrt. Indem man eventuell die Richtung von a ˜j umkehrt, erreicht den Wert Z 0 imZAnfangspunkt. Nach 15.3.3(3) ist βj = 1 .

βj =

(2)

ρ◦vj

aj

Zu den Ringebieten Aj bilden wir die kanonischen Klassen kl(ρ ◦ a ˜j ) und w¨ahlen Anstiegsfunktionen fj : Aj → R . Jede Ableitung dfj , deren Tr¨ager kompakt in Aj liegt, wird durch Null zu einer geschlossenen Pfaffschen Form αj auf X fortgesetzt. Entsprechend zu (1) gilt dann Z ZZ (3) ω= αj ∧ ω . aj

X

f¨ ur jede geschlossene Form ω auf X . Wegen (2) gilt insbesondere ZZ αj ∧ βj = 1 . X

˜j ⊂ ∆ , siehe Figur Man entnimmt der Lage der kanonischen B¨ander A˜j , B 15.4.1a, daß die kanonischen Ringgebiete weitgehend disjunkt sind: Aj ∩ Ak = Aj ∩ Bk = Bj ∩ Bk = ∅ f¨ ur j 6= k . Da die Tr¨ager der Formen αj in Aj und der Formen βj in Bj liegen, folgt aus 15.2.2 αj ∧ αk = αj ∧ βk = βj ∧ βk = 0 f¨ ur j 6= k . Da außerdem αj ∧ αj = βj ∧ βj = 0 ist, gilt insgesamt f¨ ur j, k ∈ {1, . . . , g} ZZ ZZ ZZ αj ∧ βk = δjk . βj ∧ βk = 0 , αj ∧ αk = (4) X

X

X

Wir nennen α1 , β1 , . . . , αg , βg kanonische Pfaffsche Formen der Fl¨ache X . 15.4.3 Der Satz von de Rham. Der in 15.1.5 definierte Monomorphismus 1 (1) HDR (X, C) → H 1 (X, C) ist ein Isomorphismus. Die Cohomologieklassen (2) klα1 , klβ1 , . . . , klαg , klβg 1 der kanonischen Pfaffschen Formen bilden eine Basis von HDR (X, C) . 1 Beweis. Wegen dimH (X, C) = 2g und der Injektivit¨at gen¨ ugt es zu zeigen, daß die in (2) genannten Klassen linear unabh¨ a ngig sind. Angenommen mit P ur eine C ∞ -Funktion f . Wegen rj , sj ∈ C gilt j (rj αjR + sj βj ) = df f¨ R ur k = 1, . . . , g . 15.4.2(1) -(2) folgt sk = ak df = 0 und −rk = bk df = 0 f¨

F¨ ur beliebige n-dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeiten X l¨ aßt sich mitq tels Differentialformen die de Rhamsche Cohomologie HDR (X, C) f¨ ur alle q ∈ N definieren. Sie ist zur simplizialen Cohomologie isomorph, siehe [DR 1].

15.4 Pfaffsche Formen auf kompakten Fl¨ achen

299

15.4.4 Schnittzahlen. Wegen 15.3.2 h¨angt f¨ ur zwei Formen ω, ϕ ∈ Z 1 (X) RR 1 (X, C) ab. Daher das Integral X ω∧ϕ nur von den Klassen kl ω, klϕ ∈ HDR wird durch ZZ 1 1 (1) HDR (X, C) × HDR (X, C) → C, (kl ω, klϕ) 7→ ω∧ϕ X

eine Bilinearform definiert. Wir bezeichnen im folgenden die Formen in 1 Z 1 (X) und ihre Cohomologieklassen in HDR (X, C) = H 1 (X, C) mit denselben griechischen Buchstaben. Die Bilinearform (1) hat wegen 15.4.2(4) bez¨ uglich der kanonischen Basis α1 , .., αg , β1 , .., βg von H 1 (X, C) die Matrix µ ¶ 0 E mit der (g × g)-Einheitsmatrix E . −E 0 Sie ist nicht-entartet: Zu jeder linearen RR Abbildung λ : H 1 (X, C) → C gibt 1 es genau ein ϕ ∈ H (X, C) mit λ(ω) = X ϕ ∧ ω f¨ ur alle ω ∈ H 1 (X, C) . Insbesondere gibt es zu jeder Homologieklasse c ∈ H1 (X) genau eine duale 1 Cohomologieklasse Z γ ∈ ZHZ (X, C) mit (2)

ω=

c

X

γ∧ω

f¨ ur alle ω ∈ H 1 (X, C) .

Nach 15.4.2 sind αj , βj zu den R¨ uckkehrschnitten aj , bj dual.

F¨ ur zwei Klassen c1 , c2 ∈ H1 (X) definiert man mit den dualen Klassen γ1 , γ2 ∈ H 1 (X, C) die Schnittzahl ZZ Z Z (3) s(c1 , c2 ) := γ1 ∧ γ2 = γ2 = − γ1 . X

c1

c2

Sie kann anschaulich gedeutet werden: Man repr¨ asentiert die Klassen c1 , c2 durch Schleifen gleichen Namens mit endlich vielen Kreuzungen. Man durchl¨ auft sodann c2 und z¨ ahlt dabei jede Kreuzung mit c1 von links nach rechts mit +1 bzw. von rechts nach links mit −1 . Dann ist s(c1 , c2 ) die Summe der Kreuzungen.

Die R¨ uckkehrschnitte haben wegen 15.4.2(4) die Schnittzahlen (4) s(aj , ak ) = s(bj , bk ) = 0 , s(aj , bk ) = δjk . Daher ist die durch die Schnittzahlen definierte Schnittform (5) s : H1 (X) × H1 (X) → Z schiefsymmetrisch und unimodular , d.h. Zu jedem Homomorphismus h : H1 (X) → Z existiert genau ein a ∈ H1 (X) , so daß h(c) = s(a, c) f¨ ur alle c ∈ H1 (X) gilt. Jede Basis a1 , . . . , ag , b1 , . . . , bg von H1 (X) mit den Schnittzahlen (4) heißt symplektisch. Mit solchen Basen gilt f¨ ur ϕ, ω ∈ Z 1 (X) , vgl. [Ri 3], §21: Z ZZ Z Z Z ´ g ³ X (6) ϕ∧ω = ϕ· ω− ω· ϕ . X

j=1

aj

bj

aj

bj

Beweis. Es gen¨ ugt, (6) zu verifizieren, wenn ϕ und ω die zu a1 , .., .., bg dualen Basiselemente α1 , .., .., βg von H 1 (X, C) durchlaufen. ¤

300

15. Die de Rhamsche Cohomologie

15.5 Hodge-Zerlegung und Periodenmatrix Wir erg¨anzen die in fr¨ uheren Kapiteln erzielten Ergebnisse u ¨ber die Beziehung zwischen der Homologie kompakter Fl¨achen und der Integration holomorpher Differentialformen durch die Hodge-Zerlegung und die Riemannsche Periodenmatrix . Sei X eine Fl¨ache vom Geschlecht g ≥ 1 . 15.5.1 Holomorphe und antiholomorphe Formen. Eine Pfaffsche Form ϕ heißt antiholomorph, wenn die konjugierte Form ϕ¯ holomorph ist. Die antiholomorphen Formen bilden den g-dimensionalen Vektorraum E¯1 (X) := {¯ ω : ω ∈ E1 (X)} . Alle holomorphen und antiholomorphen Formen sind geschlossen. Ihre Cohomologieklassen bilden die Untervektorr¨aume E 1(X) := {kl ω : ω ∈ E1 (X)} und E¯ 1(X) := {kl ω ¯ : ω ∈ E1 (X)} von H 1 (X, C) . Satz (Hodge-Zerlegung). Die Abbildungen (1) kl : E1 (X) → E 1 (X) und kl : E¯1 (X) → E¯1 (X) sind Isomorphismen. Die Cohomologie ist die direkte Summe (2) H 1 (X, C) = E 1 (X) ⊕ E¯1 (X) . Beweis. Zu (1): Sei ω ∈ E1 (X) . Aus kl ω = 0 folgt Per(ω) = 0 , also ω = 0 , vgl. 7.4.4(4). Aus kl ω ¯ = 0 folgt ebenfalls Per(ω) = 0 . Zu (2): Wegen dim H 1 (X, C) = 2g gen¨ ugt es E 1 (X) ∩ E¯1 (X) = 0 zu zeigen. 1 ¯ Sei ω ∈ E1 (X) und kl ω ∈ E (X) , also kl ω = kl ϕ¯ f¨ ur eine Form ϕ ∈ E1 (X) . R R ur alle c ∈ H1 (X) . Daher ist Per(ω + ϕ) ⊂ R , also Dann gilt c ω = c ϕ f¨ R R R ω + ϕ = 0 nach der Folgerung in 10.1.2. Dann ist c iω = i c ϕ = −i c ω , also Per(iω) ⊂ R und somit ω = 0 . ¤ Man nennt (2) die Hodge-Zerlegung, da es sich um den Spezialfall eines Zerlegungstheorems handelt, welches Hodge [Ho] f¨ ur die Cohomologie projektiver Mannigfaltigkeiten beliebiger Dimensionen bewies. Die G¨ ultigkeit dieser Zerlegung wurde auf kompakte K¨ ahlersche Mannigfaltigkeiten verallgemeinert und spielt in deren Theorie eine fundamentale Rolle, siehe z.B. [GH], S. 80-127.

15.5.2 Die Periodenmatrix ([Ri 3], §18-§21). Zu jeder jeder symplektischen Basis (a1 , . . . , ag ; b1 , . . . , bg ) der Homologie H1 (X) einer kompakten Fl¨ ache vom Geschlecht g ≥ 1 gibt es f¨ ur den Vektorraum E1 (X) der holomorphen R Differentialformen genau eine Basis ω1 , ..., ωg mit den a-Perioden aj ωk = R δjk . Die Matrix T der b-Perioden τjk := bj ωk dieser Basis ist symmetrisch und hat einen positiv definiten Imagin¨ arteil Im T = i (T¯ − T ) . 2

Beweis. Mit einer zun¨achst beliebigen Basis ω1 , . . . , ωg von E1 (X) bilden wir die (g × g)-Matrizen A, T und Q mit den Elementen Z Z ZZ i ωk , Qjk := ωk , τjk := ωj ∧ ω ¯k . Ajk := 2 bj aj X ¯ die konjugiert komWir bezeichnen mit tM die transponierte und mit M ¯. plexe Matrix zu M . Wegen 15.2.5(2) ist Q Hermitesch, d. h. t Q = Q

15.5 Hodge-Zerlegung und Periodenmatrix

301

RR RR Aus 15.4.4(6), angewendet auf 0 = X ωj ∧ ωk und −2iQjk = X ωj ∧ ω ¯k , folgt i ³t ¯ t ¯´ t AT − T A . (1) AT = t T A und Q = 2 P Wenn man 15.2.4(2) auf ω = zj ωj anwendet, folgt, daß Q positiv definit ist. Daher hat A den Rang g . Durch einen Wechsel der Basis ω1 , . . . , ωg macht man A = E zur Einheitsmatrix. ¤

Im 12 g(g+1)-dimensionalen Vektorraum aller symmetrischen (g×g) -Matrizen bilden die Matrizen T = (τjk ) , deren Imagin¨arteile Im T positiv definit sind, eine offene und konvexe Teilmenge Hg . Offenbar ist H1 = H die obere Halbebene. Man nennt Hg den Siegelschen Halbraum und seine Elemente Siegelsche Matrizen. Denn C. L. Siegel hat Hg in [Si 1] systematisch untersucht. Die Periodenmatrizen der kompakten Fl¨achen vom Geschlecht g bilden eine Teilmenge von Hg . Alle Elemente von H1 = H sind Periodenmatrizen. Aber f¨ ur g ≥ 2 bilden letztere eine echte Teilmenge, siehe 16.6.4-6. Zu jeder Matrix T ∈ Hg geh¨ort eine holomorphe Thetafunktion Cg → C, z 7→ ϑ(z, T ) , die g-fach periodisch ist: ϑ(z + n) = ϑ(z) f¨ ur n ∈ Zg . Wenn T die Periodenmatrix einer kompakten Fl¨ache ist, spielt die zugeh¨orige Thetafunktion seit Jacobi und Riemann eine wesentliche Rolle bei der Untersuchung der Abelschen Integrale, siehe dazu das 16. Kapitel. 15.5.3 Die symplektische Gruppe. Die Matrix der Schnittform s hat bez¨ uglich jeder symplektischen Basis (a1 , . . . , ag ; b1 , . . . , bg ) die Gestalt µ ¶ 0 E (1) J= , E = (g × g)-Einheitsmatrix. −E 0

Der Basiswechsel mittels der Matrix M ∈ GL2g (Z) transformiert die symplektische Basis (a1 , . . . , ag ; b1 , . . . , bg ) genau dann in eine symplektische Basis (a′1 , . . . , a′g ; b′1 , . . . , b′g ) , wenn t (2) M JM = J ist. Diese Matrizen M bilden die symplektische Gruppe Sp2g (Z) < GL2g (Z) . ¶ µ Wenn man C D M= A B in vier Bl¨ocke von (g × g)-Matrizen zerlegt, ist (2) ¨aquivalent zu (2′ )

t

AC , tBD symmetrisch und

t

CB − tAD = E .

Satz.¡Wenn ¢ die symplektische Basis ′(a1 , . . . ,′ ag′; b1 , . . . ′, bg ) durch die Matrix CD M = A B ∈ Sp2g (Z) in die Basis (a1 , . . . , ag ; b1 , . . . , bg ) transformiert wird, gilt f¨ ur die entsprechenden Periodenmatrizen T bzw. T ′ : Die Matrix C +DT ist invertierbar und (3) T ′ = M • T := (A + BT )(C + DT )−1 .

302

15. Die de Rhamsche Cohomologie

Beweis. Wir identifizieren E1 (X)∗ ∼ = Cg und fassen aj , bj , a′j , b′j als Spaltenvektoren in Cg auf. Dann ist bj = T aj und a′j = Caj + Dbj , also a′j = (C + DT )aj . Da (a1 , . . . , ag ) und (a′1 , . . . , a′g ) zwei Basen von Cg sind, ist C + DT invertierbar. Weiter gilt b′j = T ′ a′j und b′j = Aaj + Bbj , also b′j = (A + BT )aj und T ′ (C + DT )aj = T ′ a′j = b′j = (A + BT )aj , somit T ′ (C + DT ) = A + BT . ¤

15.6 Normierte Differentialformen Jedes Hauptteilsystem, dessen Residuensumme = 0 ist, wird durch eine meromorphe Differentialform realisiert, die bis auf die Addition einer holomorphen Form eindeutig bestimmt ist, siehe 13.6.4. Wenn man die meromorphe Form, wie unten erl¨autert wird, normiert, ist sie durch ihre Hauptteile v¨ollig eindeutig bestimmt, und ihre Periodenrelationen aus 12.5 bekommen eine einfache Gestalt. Im folgenden liegt eine kompakte Fl¨ache X vom Geschlecht g ≥ 1 zugrunde. Sei (a1 , . . . , ag ; b1 , . . . , bg ) eine symplektische Basis ihrer Homologie. Nach 15.5.2 ist (a1 , . . . , ag ) eine C-Basis von E1 (X)∗ . Sei (ω1 , . . . , ωg ) die dazu duale Basis von E1 (X) . 15.6.1 a - und b -Perioden. Eine meromorphe Differentialform ϕ auf X heißt a-normiert, wenn Z ϕ = 0 f¨ ur j = 1, . . . , g aj

gilt. F¨ ur jede meromorphe Form ψ ist X ck ωk ϕ := ψ − k R genau dann a-normiert, wenn ck = ak ψ f¨ ur k = 1, . . . , g gilt. Somit l¨aßt sich jede meromorphe Form eindeutig als Summe ϕ + ω einer a-normierten Form ϕ und einer holomorphen Form ω darstellen. Wenn die symplektische Basis aus R¨ uckkehrschnitten besteht, kann man die b-Perioden der a-normierten Formen ϕ durch Residuen ausdr¨ ucken: Dazu ¨ benutzen wir die universelle Uberlagerung η : Z → X und ein kanonisches Polygon ∆ ⊂ Z , so daß η(∂∆) die Pole von ϕ meidet, vgl. 12.5.1. Die Homologieklassen der entsprechenden R¨ uckkehrschnitte bilden eine symplektische Basis (a1 , . . . , ag ; b1 , . . . , bg ) , siehe 15.4.4(4). Die Periodenrelation 12.5.4(1) f¨ ur ω := ωk und die a-normierte Form ϕ gibt Z X (1) ϕ = 2πi res(hk · η ∗ ϕ, Q) . bk

Q∈∆

Dabei ist hk ∈ O(Z) eine Stammfunktion von η ∗ ωk . Wir berechnen die Residuen in (1) f¨ ur spezielle Formen zweiter und dritter Gattung:

15.6 Normierte Differentialformen

303

15.6.2 Differentialformen zweiter Gattung. Q ∈ X , und sei z eine PSei r Karte mit z(Q) = 0 . Zu jedem Hauptteil q = n=1 c−n z −n bei Q gibt es genau eine a-normierte Differentialform ϕq ∈ E2 (X) , die bei Q den Hauptteil dq hat und sonst holomorph ist. Wir definieren den Vektor Z g 1 X ϕq . uq,k ak ∈ E1∗ (X) mit uq,k := (1) Uq := 2πi bk k=1

und bemerken, daß stets (2) Uz−1 6= 0 . Denn aus Uz−1 = 0 w¨ urde Per(ϕz−1 ) = 0 folgen. Es g¨abe eine Stammfunkb , die bei Q den Hauptteil z −1 h¨atte und sonst holomorph, tion f : X → C also ein Isomorphismus w¨are. Das ist wegen g ≥ 1 unm¨oglich. ¤ ˜ ¨ Sei η : (Z, Q) → (X, Q) die universelle Uberlagerung. Dann ist ζ := z ◦ η ˜. eine Karte auf einer Scheibe um Q Satz. Die Reihenentwicklung der in 14.2.2 definierte Abelschen Abbildung ˜ → (E1 (X)∗ , 0) nach Potenzen der Karte ζ lautet: h : (Z, Q) X∞ ζ n Uz−n . (3) h=− n=1 n ˜ = 0 . Dann Beweis. SeiPhk ∈ O(Z) die Stammfunktion von η ∗ ωk mit hk (Q) P∞ g n ist h := die Reihenentwicklung. Das k=1 hk ak . Sei hk = n=0 cnk ζ ˜ ein innerer Punkt ist. Da kanonische Polygon ∆ wird so gew¨ahlt, daß Q ˜ holomorph ist, tritt in 15.6.1(1) nur ein Summand auf, hk · η ∗ ϕz−n auf ∆ \ Q R ∗ ˜ = res(hk dζ −n , Q) ˜ = −ncnk . Somit ist n¨amlich res(hk ·η ϕz−n , Q) ϕ −n = bk z ¤ −2πincnk . Nach der Definition von Uz−n durch (1) folgt (3). 15.6.3 Wesentliche Hauptteile. Die Zuordnung {Hauptteile bei Q} → E1 (X)∗ , q 7→ Uq , ist C-linear. Sei 1 = k1 < . . . < kg ≤ 2g − 1 die L¨ uckenfolge von X bei Q , vgl. 8.5.2-3. Die Hauptteile der Gestalt Xg tn z −kn q= n=1

heißen wesentlich. Sie bilden einen g-dimensionalen Vektorraum. Er wird durch q 7→ Uq isomorph auf E ∗1 (X) abgebildet. Denn aus Uq = 0 folgt, daß ϕq eine Stammfunktion fq ∈ M(X) besitzt, die auf X \ Q holomorph ist und bei Q den Hauptteil q hat. Wenn q 6= 0 ist, hat fq bei Q einen kn -fachen Pol. Das ist nach 13.5.1(a)-(b) unm¨oglich. 15.6.4 Differentialformen dritter Gattung. Aus 13.6.4 und 15.6.1 folgt: Zu je zwei verschiedenen Punkten P1 , P2 ∈ X gibt es genau eine a - normierte Differentialform ϕ , die bei P1 und P2 einfache Pole mit den Residuen +1 bzw. −1 hat und sonst holomorph ist. Sie Z Z hat die bk -Periode (1)

ϕ = 2πi

bk

ωk .

u

304

15. Die de Rhamsche Cohomologie

Dabei ist u ein beliebiger Weg von P2 nach P1 mit einer η-Liftung u ˜, deren Anfangs- und Endpunkt innere Punkte desselben kanonischen Polygons ∆ ⊂ Z sind. Beweis. Wir w¨ahlen das kanonische Polygon ∆ so, daß η(∂∆) die Punkte P1 , P2 meidet. Dann gibt es genau zwei innere Punkte Q1 , Q2 in ∆ mit η(Qj ) = Pj . In 15.6.1(1) wird nur u ¨ber Q1 und Q2 summiert. Die Berechnung der RResiduen ergibt ¡ ¢ R R ϕ = 2πi hk (Q1 ) − hk (Q2 ) = 2πi u˜ η ∗ ωk = 2πi u ωk . ¤ bk

15.7 Aufgaben 1)

′ )} die Pfaffschen Formen Man definiert f¨ ur jede Pfaffsche Form ω = {(ωα , ωα ′ ω10 := {(ωα , 0)} , ω01 := {(0, ωα )} , also ω = ω10 +ω01 , und den Sternoperator ∗(ω10 + ω01 ) := i(ω01 − ω10 ) . Zeige: ∗∗ ω = −ω ; ∗ω = ∗¯ ω ; ∗(f ω) = f¯ · (∗ω) f¨ ur C ∞ -Funktionen f .

2)

Die Form ω heißt harmonisch, wenn dω = d∗ω = 0 ist. Zeige: (a) Eine exakte Form df ist genau dann harmonisch, wenn Ref und Imf harmonische Funktionen im Sinne von 10.1.1 sind. (b) Die Form ω = ω10 + ω01 ist genau dann harmonisch, wenn ω10 und ω01 holomorph sind. (c) Wenn die Fl¨ ache X kompakt ist, enth¨ alt jede Cohomologieklasse in H 1 (X, C) genau eine harmonische Form.

3)

Die Fl¨ ache X sei kompakt. Zeige: (a) S¨ amtliche Pfaffschen Formen bilden einen unit¨ aren Vektorraum mit dem RR inneren Produkt hω, ϕi := X ω ∧ ∗ϕ .

(b) In Untervektorraum aller harmonischen Formen bilden die antiholomorphen Formen das orthogonale Komplement aller holomorphen Formen. (c) Eine geschlossene Pfaffsche Form ist genau dann exakt, wenn sie zu allen harmonischen Formen orthogonal ist.

4)

Die Pfaffsche Form ϕ heißt reell , wenn ϕ = ϕ ¯ ist. Man definiert f¨ ur jede ¯ ) und Pfaffsche Form ihren Real- und Imagin¨ arteil durch Re ω := 21 (ω + ω Im ω := − 2i (ω − ω ¯) . (a) Zeige: Jede reelle harmonische Form ϕ ist der Realteil einer holomorphen Form ω . Ist ω durch ϕ eindeutig bestimmt? Sei X eine kompakte Fl¨ ache vom Geschlecht g ≥ 1 . Zeige: (b) Aus jeder C-Basis ω1 , . . . , ωg des Vektorraums E1 (X) aller holomorphen Formen entsteht die R-Basis Re ω1 , Im ω1 , . . . , Re ωg , Im ωg des Vektorraums aller reellen harmonischen Formen auf X . (c) Jede Cohomologieklasse in H 1(X, R) := Hom(H1 (X), R) enth¨ alt genau eine reelle harmonische Form.

15.7 Aufgaben

305

5) Sei E := {P1 , . . . , Pn } ⊂ X eine endliche Teilmenge der kompakten Fl¨ ache X . Beweise nach folgender Skizze mittels Pfaffscher Formen und Fl¨ achenformen das Ergebnis aus 7.3.6: F¨ ur jede Form ω ∈ E1 (X \ E) gilt res(ω, P1 ) + . . . + res(ω, Pn ) = 0 . Skizze. Es gibt kompakte Scheiben Dj mit den Zentren Pj und eine C ∞ Funktion f : X → R , die außerhalb dieser Scheiben konstant = 1 ist und auf einer Umgebung jeder Stelle Pj konstant = 0 ist. Gewinne mit der Stokes’schen Formel 15.3.1 und der Integralformel 7.4.5 f¨ ur das Residuum die RR Behauptung aus Pn RR 0 = X d(f ω) = d(f ω) . j=1 D j

6) Man verfolge anschaulich, wie aus den kanonischen B¨ andern in Figur 15.4.1a bei den Seitenidentifikationen gem¨ aß Figur 12.1.4 die kanonischen B¨ ander in der Brezelfl¨ ache entstehen.

7)

Sei s die Schnittform der kompakten Fl¨ ache X , siehe 15.4.4. Zeige: F¨ ur jeden Automorphismus f : X → X gilt s(f∗ (a), f∗ (b)) = s(a, b) f¨ ur a, b ∈ H1 (X) . Folgere, daß f∗ jede sympektische Basis B von H1 (X) in eine symplektische Basis f∗ B transformiert. Wie h¨ angt die Matrix des Basiswechsels Mf ∈ Sp2g (Z) von der Wahl der Basis B ab? Zeige: Aut(X) → Sp2g (Z) , f 7→ Mf , ist ein Monomorphismus ist (Hinweis: 13.3.3). F¨ ur die durch B bestimmte Periodenmatrix T gilt Mf • T = T . Bemerkung. Wenn X viele Automorphismen besitzt, f¨ ur die Mf berechnet werden kann, l¨ aßt sich T mittels Mf • T = T explizit bestimmen, siehe [LB], Sec. 11.7 und Exercises (15)-(18) in Sec. 11.12.

8)

In 15.6.2 wurden f¨ ur jede Stelle Q ∈ X einer kompakten Fl¨ ache vom Geschlecht > 0 mittels einer Karte z die Vektoren Un := Uz−n ∈ E1 (X)∗ definiert. Zeige: Die von U1 , U2 , . . . aufgespannten Untervektorr¨ aume Vj := hU1 , . . . , Uj i h¨ angen nicht von z ab. Es gilt dimVj+1 = dimVj oder = 1 + dimVj . Unterscheide die beiden M¨ oglichkeiten durch die L¨ uckenfolge von X bei Q . Zeige: Wenn dimV2 = 1 bzw. dimV2 = dimV3 = 2 ist, kann man durch eine passende Wahl der Karte z erreichen, daß U2 = 0 bzw. U3 = 0 ist. Im ersten ¨ Fall ist Q ist Windungspunkt einer (hyper-) elliptischen Uberlagerung und im zweiten Fall dreifacher Pol einer auf X \ Q holomorphen Funktion. F¨ ur dimV2 = dimV3 = 1 ist X ein Torus.

16 Die Riemannsche Thetafunktion

Die Grundlage f¨ ur das Studium elliptischer Funktionen war im 2. Kapitel die Weierstraßsche ℘-Funktion. Jacobis ¨altere Methode, welche von der Theta P∞ Reihe exp πin(nτ + 2z) f¨ ur τ ∈ H und z ∈ C ausgeht, ist komn=−∞ plizierter. Aber sie erm¨oglicht auch einen Zugang zu den Abelschen Funktionen, welche nicht mehr elliptisch sind, wenn die zugeh¨orige Fl¨ache ein Geschlecht g > 1 hat. Wie bereits von Jacobi vorgeschlagen wurde, benutzt man dann eine Thetareihe in g Variablen. Diese Idee, welche sich bei Jacobi noch auf den hyperelliptischen Fall beschr¨ankte, griff Riemann auf und verwirklichte sie in der Weise, daß er jeder kompakten Fl¨ache X eine Thetafunktion zuordnete, aus der sich alle meromorphen Funktionen auf X gewinnen lassen. Diese Riemannsche Theorie der Thetafunktion steht im Mittelpunkt des Kapitels.

16.1 Thetafunktionen Zu jeder Siegelschen Matrix T ∈ Hg , vgl. 15.5.2, wird eine konvergente Thetareihe θ gebildet, die eine holomorphe Funktion Cg → C darstellt. Wir betrachten diese Funktionen insbesondere f¨ ur die Periodenmatrix T jeder kompakten Fl¨ache X vom Geschlecht g und verkn¨ upfen sie mit den Vektoren e ∈ E1 (X)∗ sowie der Abelschen Abbildung h : Z → E1 (X)∗ aus ¨ 14.2.2 zu Funktionen ϑe := θ ◦ (e + h) auf der universellen Uberlagerung Z von X . Diese holomorphen Primfunktionen ϑe sind die elementaren Bausteine, aus denen Riemann in [Ri 3] jede meromorphe Funktion auf X zusammensetzt. 16.1.1 Die Thetareihe. Wir definieren auf Cg × Hg die Thetareihe X (1) θ(z, T ) = exp(πihn, 2z + T ni) . g n∈Z

Summiert wird ¨ber alle g-Tupel n := (n1 , . . . , ng ) ganzer Zahlen. Dabei Pu g ist hz, wi := j=1 zj wj das Produkt der Vektoren z = (z1 , . . . , zg ) und w = (w1 , . . . , wg ) . Mit T n wird das Produkt der Matrix T mit der Spalte n bezeichnet. Satz. Die Reihe (1) konvergiert normal und stellt daher eine holomorphe Funktion auf Cg × Hg dar. Offenbar gilt θ(−z, T ) = θ(z, T ) .

16.1 Thetafunktionen

307

Beweis. Sei z = x + iy . Dann ist | exp πihn, 2z + T ni| = exp[−π( hn, 2yi + Imhn, T ni )] . Weil Im T positiv definit ist, gibt es eine Konstante c1 ≥ 0 , so daß Im hn, T ni ≤ c1 |n|2 := c1 (n21 + . . . + n2g ) . Zu jedem Kompaktum K gibt P es eine Konstante c0 ≥ 0 , so daß hn, yi ≤ c0 |n| 2 f¨ ur alle z ∈ K gilt. Daher ist n exp[−π(2c0 |n| + c1 |n| )] eine konvergente Majorante der Thetareihe f¨ ur alle z ∈ K . ¤ Bemerkung. Die Thetareihe erf¨ ullt die W¨ armeleitungsgleichung ∂θ ∂2θ = 2πi(1 + δjk ) , ∂zj ∂zk ∂τjk wie man durch gliedweises Differenzieren der Reihe (1) best¨ atigt.

16.1.2 Periodizit¨ atsformeln. Die Thetafunktion ist Zg -periodisch: (1) θ(z + n) = θ(z) f¨ ur z ∈ Cg und n ∈ Zg . Ferner gilt (2) θ(z + T n) = exp[−πihn, 2z + T ni] · θ(z) . P Beweis zu (2). Es ist θ(z+T n) = l exp[ πi h l , 2z+2T n+T l i] . Mit j = l+n gilt h l , 2z + 2T n + T l i = h j, 2z + T j i − h n, 2z + T n i , weil T symmetrisch ist. Durch Summation u ¨ber j ∈ Zg folgt (2). ¤ 16.1.3 Eindeutigkeit der Thetafunktion. Alle Funktionen f ∈ O(Cg ) , welche wie die Thetafunktion Zg -periodisch sind und (1) f (z + T n) = exp[−πihn, 2z + T ni] · f (z) f¨ ur n ∈ Zg erf¨ ullen, haben die Gestalt f (z) = c ϑ(z, T ) mit c ∈ C .

Beweis. Wegen der Zg -Periodizit¨at l¨aßt sich f als Fourier-Reihe f (z) = P l γ(l) exp[πihl, T li] exp[2πihl, zi] mit γ(l) ∈ C darstellen. Dann ist P f (z + T n) = l γ(l) exp[πihl, T li] exp[2πihl, T ni] exp[2πihl, zi] . Andererseits folgt aus (1) P f (z + T n) = l γ(l) exp[−πihn, T ni] exp[πihl, T li] exp[2πihl − n, zi] P = k γ(k + n) exp[πihk, T ki] exp[2πihk, T ni] exp[2πihk, zi] . Der Koeffizientenvergleich ergibt γ(k + n) = γ(k) , insbesondere γ(n) = γ(0) f¨ ur alle n ∈ Zg , d.h. f (z) = γ(0) · ϑ(z) . ¤ 16.1.4 Riemannsche Thetafunktionen. Sei X eine kompakte Fl¨ache vom Geschlecht g ≥ 1 . Jede symplektische Basis (a1 , . . . , ag ; b1 , . . . , bg ) der Homologie H1 (X) bestimmt nach 15.5.2 eine Periodenmatrix T ∈ Hg . Da die Vektoren a1 , . . . , ag eine Basis des Vektorraums E1 (X)∗ bilden, kann man die entsprechende Thetareihe als holomorphe Funktion E1 (X)∗ → C , ϑ(z) := θ(z1 , . . . , zg ; T ) f¨ ur z = z1 a1 + . . . + zg ag mit zj ∈ C auffassen. Man nennt sie eine Riemannsche Thetafunktion der Fl¨ache X .

308

16 Die Riemannsche Thetafunktion

Wir legen im folgenden eine feste kanonische Zerschneidung der Fl¨ache X zugrunde und benutzen die durch ihre R¨ uckkehrschnitte bestimmte symplektische Basis der Homologie, die entsprechende Periodenmatrix und die zugeh¨orige Riemannsche Thetafunktion. Die zu (a1 , . . . , ag ) duale Basis von E1 (X) wird mit (ω1 , . . . , ωg ) bezeichnet. Jede Homologieklasse c ∈ H1 (X) hat als Vektor in E1 (X)∗ die Gestalt R (1) c = c1 a1 + . . . + cg ag mit cj = c ωj und ist andererseits eine ganzzahlige Linearkombination Xg ¡ ¢ mj (c) aj + nj (c) bj . (2) c= j=1

Wir fassen die Komponenten zu Spaltenvektoren m(c) bzw. n(c) ∈ Zg zusammen. F¨ ur den Spaltenvektor c mit den Komponenten cj gilt dann (3) c = m(c) + T n(c) . Die Periodizit¨atsformel bekommt die Gestalt (4) ϑ(z + c) = exp[−πi hn(c) , 2z + T n(c)i ] · ϑ(z) , £ ¤ insbesondere ϑ(z + ak ) = ϑ(z) und ϑ(z + bk ) = exp − πi(2zk + τkk ) .

16.1.5 Primfunktionen. Sei P0 ∈ X der Basispunkt der Zerschneidung ¨ und η : (Z, Q0 ) → (X, P0 ) die universelle Uberlagerung. Ihre Deckgruppe D(η) = π(X) wird mit der Fundamentalgruppe identifiziert und abelsch gemacht, A : π(X) → H1 (X) . Die Stammfunktion hk ∈ O(Z) von η ∗ ωk wird durch hk (Q0 ) = 0 festgelegt. Dann ist h = h1 a1 + . . . + hg ag : Z → E1 (X)∗ die in 14.2.2 eingef¨ uhrte Abelsche Abbildung. F¨ ur jede Deckabbildung γ gilt h ◦ γ = h + A(γ) , siehe 14.2.2(4). Sei e ∈ E1 (X)∗ . Die holomorphen Funktionen ϑe := ϑ ◦ (e + h) : Z → C , welche nicht konstant = 0 sind, heißen Primfunktionen. Aus der Periodizit¨atsformel 16.1.4(4) folgt f¨ ur γ ∈ D(η) = π(X) mit A(γ) = c ∈ H1 (X) die

Transformationsformel: (1) ϑe ◦ γ = ϕe,c · ϑe mit ϕe,c = exp[−πi hn(c) , 2(e + h) + T n(c)i ] . Insbesondere gilt f¨ ur die Homotopieklassen αk und βk der R¨ uckkehrschnitte (2) ϑe ◦ αk = ϑe und ϑe ◦ βk = exp[−πi (2ek + 2hk + τkk )] · ϑe . F¨ ur die logarithmische Ableitung folgt aus (1) Xg (3) γ ∗ (d ϑe /ϑe ) = d ϑe /ϑe − 2πi nj (c) η ∗ ωj . j=1

16.1.6 Primdivisoren. Sei p : E1 (X)∗ → J(X) die Projektion auf den Periodentorus. Wegen der Transformationsformel h¨angt f¨ ur jede Primfunktion ϑe und jede Stelle Q ∈ Z die Ordnung o(ϑe , Q) ∈ N nur von ε := p(e) ∈ J(X) und P := η(Q) ab. Daher ist der positive Primdivisor Θε auf X durch Θε (P ) := o(ϑe , Q) wohldefiniert. Er hat den Grad gr Θε = g .

16.1 Thetafunktionen

309

Beweis. Nach der Folgerung in 12.5.2 gibt es in Z eine kanonisches Polygon ∆ , so daß Tr (Θε ) ∩ η(∂∆) = ∅ ist. Dann hat ψ := dϑe /ϑe keinen Pol auf dem Rande ∂∆ . Wegen 16.1.5(3) gilt γ ∗ ψ = ψ f¨ ur alle γ ∈ [D, D] sowie ψ − βj∗ ψ = 2πi η ∗ ωj und ψ − (αj−1 )∗ ψ = 0 . Wir wenden die Residuenformel P Pg R ¤ in 12.5.3 an: gr Θε = z∈∆ res (ψ, z) = j=1 aj ωj = g .

16.1.7 Die Riemannsche Konstante. F¨ ur die Periodenwerte der Primdivisoren ist κ := µ(Θε ) + ε ∈ J(X) eine von ε unabh¨ angige Konstante. Man nennt κ die Riemannsche Konstante. Sie h¨angt wie die zugrunde liegende Periodenmatrix von der kanonischen Zerschneidung der Fl¨ache X ab. Beweis. Wie im Beweis zu gr Θε = g wird die Residuenformel in 12.5.3 benutzt und zwar dieses Mal f¨ ur die Form ψ := hk dϑe /ϑe . F¨ ur γ ∈ D(η) mit A(γ) = c = c1 a1 + . . . + cg ag ∈ E1 (X)∗ ist X ψ − γ ∗ ψ = −ck dϑe /ϑe + 2πi(ck + hk ) nj (c)η ∗ ωj . j

Insbesondere gilt γ ∗ ψ = ψ f¨ ur γ ∈ [D, D] , ferner ψ − βj∗ ψ = −τjk dϑe /ϑe + 2πi(τjk + hk )η ∗ ωj und ψ − (αj−1 )∗ ψ = δjk dϑe /ϑe . Wir bezeichnen die Seiten von ∆ mit a ˜1 , ˜b1 , a ˜′1 , ˜b′1 , . . . , a ˜g , ˜bg , a ˜′g , ˜b′g . Die Residuenformel ergibt Z Z X dϑe dϑe 1 Xg τjk + + λk (1) o(ϑe , Q) hk (Q) = − j=1 Q∈∆ 2πi ϑ ˜ e a ˜j bk ϑe mit einer nur von der Zerschneidung abh¨angigen Konstanten λk .

Die Integrale in (1) werden wie folgt ausgewertet: Sei Aj der Anfangspunkt von a ˜j . Dann ist αj′ (Aj ) der Endpunkt, wobei αj′ zu αj konjugiert ist. ¢ ¡ R Mit 7.8.1(4) folgt exp a˜j dϑe /ϑe = ϑe αj′ (Aj ) /ϑe (Aj ) = 1 , letzteres weil ϑe ◦ αj′ = ϑe ◦ αj = ϑe ist, siehe 16.1.5(2). Daher gilt R (2) dϑe /ϑe = 2πi lj (e) mit lj (e) ∈ Z . a ˜j R F¨ ur den Anfangspunkt Bk von ˜bk folgt in analoger Weise exp ˜ dϑe /ϑe = bk

exp[−πi(2ek + 2hk (Bk ) + τkk )] , also R dϑe /ϑe = 2πi (−ek + mk (e)) + µk (3) ˜ bk mit mk (e) ∈ Z und einer nur von der Zerschneidung abh¨angigen Konstanten µk . Einsetzen von (2) und (3) in (1) ergibt P Pg Q∈∆ o(ϑe , Q) · hk (Q) = − j=1 τjk lj (e) − ek + mk (e) + λk + µk . Wir multiplizieren mit ak und summieren u ¨ber k = 1, . . . , g . Dabei entsteht die Vektorgleichung X Xg Xg ¡ ¢ o(ϑe , Q) · h(Q) = −e − mk (e) − λk − µk ak . lj (e)bj − Q∈∆

j=1

k=1

Mit p erh¨alt man ¡links P µ(Θε ) und¢ rechts −ε + κ mit der Riemannschen Konstanten κ := p angt wie λk , µk ∈ C nur von der k (λk + µk )ak . Sie h¨ Zerschneidung ab. ¤

310

16 Die Riemannsche Thetafunktion

16.2 Darstellung meromorpher Funktionen Sei η : Z → X die Uniformisierung der kompakten Fl¨ache X vom Geschlecht g ≥ 1 . F¨ ur jede Funktion f ∈ M(X) l¨ aßt sich f ◦ η als mehrfaches Produkt von Quotienten verschiedener Primfunktionen ϑe darstellen. Dieses Ergebnis bildet den kr¨onenden Abschluß in Riemanns Abhandlung [Ri 3] u ¨ber Abelsche Funktionen. Nach der Ver¨offentlichung bemerkte er eine L¨ ucke, weil er nicht bewiesen hatte, daß die in seiner Argumentation benutzten Funktionen ϑe tats¨achlich Primfunktionen und nicht etwa konstant = 0 sind. Daher verfaßte er die erg¨anzende Arbeit [Ri 5]. Wir benutzen die in 14.5.3 zusammengestellten Ergebnisse u ¨ber analytische Mengen, um Vektoren e ∈ E1 (X)∗ zu vermeiden, f¨ ur die ϑe konstant = 0 ist. 16.2.1 Schlechte Nullstellen. Die Nullstellen der Riemannschen Theta˜ ⊂ E1 (X)∗ ∼ funktion bilden eine Hyperfl¨ache N = C g . Wegen der Periodizit¨atsformel 16.1.4(4) geht sie bei Translationen um Gittervektoren in sich ˜ =N ˜ f¨ u ¨ber: c + N ur c ∈ H1 (X) . Bei der Projektion p : E1 (X)∗ → J(X) ˜ ) ⊂ J(X) , die auf den Periodentorus entsteht die Hyperfl¨ache N := p(N ebenfalls Nullstellenmenge der Thetafunktion genannt wird. Jeder Primdivisor hat den Tr¨ager (1) Tr(Θε ) = {P ∈ X : ε + µ(P ) ∈ N } . Sei Wn := µ(Xn ) ⊂ J(X) das Bild unter der Periodenabbildung µ , vgl. 14.2.5. Genau dann, wenn p(e) + W1 ⊂ N gilt, ist ϑe die Nullfunktion. Wir nennen diese Punkte p(e) die schlechten Nullstellen der Thetafunktion. Sie bilden die analytische Menge (2) N1 := {ε ∈ J(X) : ε + W1 ⊂ N } . Wegen µ(P0 ) = 0 ist N1 ⊂ N . Sie hat eine Dimension (3) dim N1 ≤ g − 2 . Beweis. Angenommen, es gibt eine (g − 1)-dimensionale irreduzible Komponente E von N1 . F¨ ur sie gilt E ⊂ E + W1 ⊂ N , also dim(E + W1 ) = g − 1 . Da E und W1 irreduzibel sind, gilt dasselbe f¨ ur E + W1 . Dann ist E = E + W1 , und durch Induktion folgt E = E + Wn f¨ ur alle n , insbesondere E = E + Wg = J(X) . Das ist unm¨oglich. ¤ 16.2.2 Riemanns Verschiebungsformel. Die Nullstellenmenge N h¨ angt bis auf eine Translation nicht von der kanonischen Zerschneidung der Fl¨ ache ab. Denn mit der Riemannschen Konstanten κ gilt die Formel (1) Wg−1 = κ − N = κ + N . Beweis. Sei P0 ∈ X der Basispunkt mit µ(P0 ) = 0 . F¨ ur jedes ε ∈ N \ N1 gilt ε + µ(P0 ) = ε ∈ N , also P0 ∈ Tr(Θε ) . Dann ist Θε − P0 ∈ Xg−1 und µ(Θε − P0 ) = κ − ε . Somit ist N \ N1 ⊂ κ − Wg−1 . Wegen dim N1 < g − 1 liegt N \ N1 dicht in N . Durch Abschluß folgt N ⊂ κ − Wg−1 . Links und rechts stehen Hyperfl¨achen, die rechte ist wie Xg−1 irreduzibel. Daher ist −N = N = κ − Wg−1 . ¤

16.2 Darstellung meromorpher Funktionen

311

Folgerung. F¨ ur die schlechten Nullstellen gilt N1 = −κ + Wg−2 . Beweis. F¨ ur jedes α ∈ J(X) gilt: α ∈ N1 ⇔ α + W1 ⊂ N = −κ + Wg−1 ⇔ α + κ + W1 ⊂ Wg−1 ⇔ α + κ ∈ Wg−2 , letzteres nach 14.3.6(1). ¤ 16.2.3 Satz von Lewittes (Theorem 11 in [Lew]). F¨ ur die Riemannsche Konstante κ und jeden kanonischen Divisor K gilt µ(K) = 2κ . Beweis. Nach der Verschiebungsformel ist Wg−1 = 2κ − Wg−1 . F¨ ur g = 1 folgt 2κ = 0 = µ(K) . F¨ ur g ≥ 2 gibt es wegen µ(X2g−2 ) = J(X) ein D ∈ X2g−2 mit µ(D) = 2κ . Dann ist µ(D) − Wg−1 ⊂ Wg−1 , also wegen 14.2.6 l(D) ≥ g . Nach 13.2.3(1) ist D dann kanonisch. ¤ Folgerung. Alle Primdivisoren haben die Dimension l(Θε ) = 1 . Denn sonst w¨are Θε ∈ Xg1 , also κ − ε = µ(Θε ) ∈ Wg1 = k − Wg−2 , siehe 14.3.6(2). Wegen k = 2κ und der Folgerung in 16.2.2 w¨are ε ∈ N1 . ¤ 16.2.4 Differenzen von Primdivisoren. Sei j = 1, 2 . Zu je zwei Punkten Qj ∈ Z gibt es Primfunktionen ϑej , so daß mit εj := p(ej ) gilt: e1 − e2 = h(Q2 ) − h(Q1 ) und Θε1 − Θε2 = η(Q1 ) − η(Q2 ) . Beweis. Sei Pj := η(Qj ) . Nach 16.2.1(3) hat die analytische Menge [µ(P1 ) + N1 ] ∪ [µ(P2 ) + N1 ] ⊂ J(X) eine Dimension ≤ g − 2 . Andererseits ist dim N = g − 1 . Daher gibt es einen Divisor D ∈ Xg−1 mit µ(D) 6∈ κ − µ(Pj ) − N1 . F¨ ur ihn ist dim|D| = 0 . Denn sonst w¨are dim|P1 + D| ≥ dim|D| ≥ 1 , also µ(P1 + D) ∈ Wg1 = k − Wg−2 , somit κ − µ(P1 + D) ∈ −κ + Wg−2 = N1 . Zu εj := κ − µ(D) − µ(Pj ) ∈ / N1 w¨ahlen wir e1 ∈ E1 (X)∗ , so daß p(e1 ) = ε1 ist, und definieren e2 := e1 + h(Q1 ) − h(Q2 ) . Dann ist p(e2 ) = ε2 . Wegen εj + µ(Pj ) = κ − µ(D) ∈ κ − Wg−1 = N ist Pj ∈ Tr(Θεj ) , siehe 16.2.1(1), also Θεj − Pj ∈ Xg−1 . Aus µ(Θεj − Pj ) = µ(D) und dim|D| = 0 folgt Θεj − Pj = D . Daher ist Θε1 − Θε2 = P1 − P2 . ¤ 16.2.5 Die Primzerlegung meromorpher Funktionen. Jeder Quotient ϑe /ϑe′ von Primfunktionen ist eine multiplikative Funktion, vgl. 7.8.2. Denn aus 16.1.5(1) folgt f¨ ur γ ∈ D(η) mit c := A(γ) ∈ H1 (X) (1)

(ϑe /ϑe′ ) ◦ γ = exp[2πihn(c), e′ − ei] · (ϑe /ϑe′ ) .

Theorem. Auf der Fl¨ ache X seien 2r Punkte P1 , . . . , P2r mit Pj 6= Pr+k f¨ ur alle j, k ∈ {1, . . . , r} gegeben, so daß Xr Xr µ(Pj+r ) µ(Pj ) = (2) j=1

j=1

ist. Es gibt eine Funktion f ∈ M(X) mit dem Hauptdivisor Xr (f ) = (Pj − Pj+r ) j=1 und Primfunktionen ϑej mit Yr (3) f ◦η = (ϑej /ϑer+j ) . j=1

312

16 Die Riemannsche Thetafunktion

In diesem Theorem werden mit ej verschiedene Vektoren in E1 (X)∗ und nicht wie fr¨ uher die Komponenten eines Vektors e bezeichnet. Die Realisierung vorgegebener Divisoren als Hauptdivisoren ist die schwierige Richtung des Abelschen Theorems 14.2.4. Es wird im folgenden neu bewiesen. Man nennt (3) eine Primzerlegung der Funktion f . Beweis. Wir w¨ahlen zu jedem Pj einen P Punkt Qj ∈ Z mit η(Qj ) = Pj . Die Voraussetzung (2) lautet dann j [h(Qj ) − h(Qr+j )] ∈ H1 (X) . Wenn man Q1 die Faser η −1 (P1 ) durchlaufen l¨aßt, durchl¨auft h(Q1 ) eine volle H1 (X)-Restklasse. Man kann daher P (4) j [h(Qj ) − h(Qr+j )] = 0 durch passende Wahl von Q1 erreichen. Nach 16.2.4 gibt es Primfunktionen ϑej , ϑer+j , so daß ej − er+j = h(Qj+r ) − h(Qj ) ist und Θεj − Θεj+r = Q Pj − Pj+r f¨ ur εk := p(ek ) gilt. F¨ ur das Produkt f˜ := j (ϑej /ϑer+j ) folgt f˜◦ γ = f˜ f¨ ur alle γ ∈ D(η) aus (1) und (4). ¡ Daher¢ gibt es eine Funktion f ∈ ˜, Q) = o f, η(Q) hat sie den Hauptdivisor M(X)Pmit f˜ = f ◦ η . Wegen o( f P (f ) = j (Θεj − Θεj+r ) = j (Pj − Pj+r ) . ¤

Jede Funktion f ∈ M(X) ist durch ihre Nullstellen P1 , . . . , Pr und Polstellen Pr+1 , . . . , P2r bis auf einen konstanten Faktor eindeutig bestimmt. Wegen der Abelschen Relation 7.5.3 ist die Bedingung (2) erf¨ ullt. Daher hat f bis auf einen konstanten Faktor eine Primzerlegung (3).

16.3 Funktionen mit exponentieller Singularit¨ at Anstatt mehrere Quotienten von je zwei Primfunktionen so miteinander ¨ zu multiplizieren, daß auf der universellen Uberlagerung Z der Fl¨ache X eine bei allen Deckabbildungen invariante Funktion entsteht, gen¨ ugt es einen Quotienten mit einem passend gew¨ahlten Exponentialfaktor zu multiplizieren. Allerdings muß man dabei an einer Stelle Q ∈ X eine wesentliche Singularit¨at vom exponentiellen Typ in Kauf nehmen. Diese Konstruktion geht f¨ ur Fl¨achen vom Geschlecht 2 auf Baker (1907 und 1928) zur¨ uck. Sie wurde von Akhiezer (1961) f¨ ur beliebige hyperelliptische Fl¨achen und schließlich von Krichever (1976) f¨ ur alle kompakten Fl¨achen verallgemeinert. Die dabei entstehenden Funktionen mit einer exponentiellen Singularit¨at werden nach Baker und Akhiezer benannt. Mit ihnen kann man (fast-) periodische L¨osungen f¨ ur nicht-lineare partielle Differentialgleichungen vom Korteweg - deVries’schen Typ (Soliton-Gleichungen) gewinnen. Wir schildern in diesem Paragraphen nur die Anf¨ange einer Theorie, die sich mit der Anwendung von Methoden der Algebraischen Geometrie auf nichtlineare Probleme der Mathematischen Physik befaßt. Mehr Informationen und Literaturangaben findet man in [BBEIM]. Im folgenden bezeichnet X eine kanonisch zerschnittene kompakte Fl¨ache vom Geschlecht g ≥ 1 und ϑ ihre Riemannsche Thetafunktion. Es werden

16.3 Funktionen mit exponentieller Singularit¨ at

313

˜ → ein Punkt Q ∈ X und eine Karte z mit z(Q) = 0 fixiert. Sei η : (Z, Q) ˜ . Die Abelsche (X, Q) eine Uniformisierung mit der Karte ζ := z ◦ η bei Q ˜ = 0 festgelegt. Abbildung h : Z → E1 (X)∗ wird durch h(Q)

Pr 16.3.1 Baker-Akhiezer-Funktionen. Sei q = n=1 c−n z −n ein Hauptteil bei Q . Nach 15.6.2 gibt es genau eine a-normierte Form ϕq ∈ E2 (X) , die bei Q den Hauptteil dq hat und sonst holomorph ist. Ihre Liftung η ∗ ϕq besitzt eine additive Stammfunktion fq ∈ M(Z) , die außerhalb der Faser η −1 (Q) holomorph und bis auf die Addition einer Konstanten eindeutig bestimmt ist. Letztere wird so festgelegt, daß in der Laurentreihe Xr c−n ζ −n + c1 ζ + . . . (1) fq = n=1

˜ das konstante Glied = 0 ist. bei Q Die Deckgruppe D(η) = π(X) wird von den Homotopieklassen αk , βk der R¨ uckkehrschnitte erzeugt. Nach 7.4.4(2) gilt R fq ◦ αk = fq und fq ◦ βk = uq,k + fq mit uq,k = bk ϕq . Die auf Z \ η −1 (Q) holomorphe und nullstellenfreie Funktion expfq ist multiplikativ: expfq ◦ αk = expfq und expfq ◦ βk = exp uq,k · expfq . Dieses Transformationsverhalten tritt auch bei Quotienten von Primfunktionen auf: Wir bilden wie in 15.6.2(1) den Vektor Pg Uq = (2πi)−1 k=1 uq,k ak ∈ E1 (X)∗ . Er h¨angt C-linear von q ab. Wir w¨ahlen e ∈ E1 (X)∗ so, daß ϑ(e) 6= 0 und ϑ(Uq + e) 6= 0 ist. Dann gilt nach 16.2.5(1) ¡ ¢ ϑ(Uq + e + h)/ϑ(e + h) ◦ αk = ϑ(Uq + e + h)/ϑ(e + h) und ¡ ¢ ϑ(Uq + e + h)/ϑ(e + h) ◦ βk = exp(−uq,k ) · ϑ(Uq + e + h)/ϑ(e + h). Daher gibt es eine f¨ ur P ∈ X \ Q meromorphe Funktion ψ(q; P ) , die durch (2) ψ(q; η) := exp fq · ϑ(Uq + e + h)/ϑ(e + h) . eindeutig bestimmt ist. Sie heißt Baker-Akhiezer-Funktion zum Hauptteil q . Sie hat den Nullstellendivisor (ψ)0 = Θp(Uq +e) . Ihr Polstellendivisor (ψ)∞ = Θp(e) h¨angt nicht vom Hauptteil q ab. 16.3.2 Die normierte Baker-Akhiezer-Funktion wird durch ϑ(e) ψ(q; P ) ϑ(Uq + e) definiert. F¨ ur sie l¨aßt sich exp(−q) ψ0 mit dem Wert 1 holomorph nach Q fortsetzen.

(1)

ψ0 (q; P ) :=

Eindeutigkeitslemma. Sei F eine meromorphe Funktion auf X \ Q mit den Ordnungen o(F, P ) ≥ −Θp(e) (P ) f¨ ur alle P ∈ X \ Q . Wenn sich exp(−q)F mit einem Wert v ∈ C holomorph nach Q fortsetzen l¨ aßt, gilt F (P ) = v · ψ0 (q; P ) f¨ ur alle P ∈ X \ Q .

314

16 Die Riemannsche Thetafunktion

Beweis. Der Quotient A := F/ψ0 l¨aßt sich mit dem Wert A(Q) = v zur Funktion A ∈ M(X) fortsetzen. Sie hat die Ordnungen o(A, Q) ≥ 0 und o(A, P ) = o(F, P ) − Θp(Uq +e) (P ) + Θp(e) (P ) ≥ −Θp(Uq +e) (P ) f¨ ur P 6= Q . Somit gilt A ∈ L(Θp(Uq +e) ) . Da L(Θp(Uq +e) ) nach der Folgerung in 16.2.3 eindimensional ist, folgt, daß A konstant = A(Q) = v ist. ¤ 16.3.3 Abh¨ angigkeit vom Hauptteil. Wir beschr¨anken uns im folgenden auf Hauptteile q = xz −1 + yz −2 + tz −3 mit (x, y, t) ∈ C3 und ϑ(Uq + e) 6= 0 . Die normierte Baker-Akhiezer-Funktion (1) ϕ(x, y, t; P ) := ψ0 (xz −1 + yz −2 + tz −3 ; P ) h¨angt holomorph von (x, y, t; P ) ab. Ihr Logarithmus l¨aßt sich bei Q in eine Laurentreihe (2) log ϕ = x z −1 + y z −2 + t z −3 + ξ1 z + ξ2 z 2 + . . . entwickeln, deren Koeffizienten ξj holomorphe Funktionen von (x, y, t) sind. Ausgehend von der logarithmische Ableitung (3) χ := ∂x log ϕ = z −1 + ξ1 x z + ξ2 x z 2 + . . . werden die h¨oheren Ableitungen berechnet: (4) ∂xn ϕ = χn ϕ mit χ1 = χ und χn+1 = (∂x + χ)χn , insbesondere (5) χ2 = ∂x χ + χ2 = z −2 + 2 ξ1 x + (ξ1 xx + 2 ξ2 x ) z + . . . , χ3 = ∂x2 χ + 3 χ ∂x χ + χ3 = z −3 + 3 ξ1 x z −1 + 3 (ξ1 xx + ξ2 x ) + . . . . Außerdem werden im n¨achsten Abschnitt die Ableitungen (6) ∂y ϕ = (z −2 + ξ1 y z + . . .) · ϕ und ∂t ϕ = (z −3 + ξ1 t z + . . .) · ϕ gebraucht. Die Hauptrolle spielt die Koeffizientenfunktion ξ1 x aus (3). 16.3.4 Die Kadomtsev-Petviashvilische (KP) Differentialgleichung. Die Funktion (1) u(x, y, t) := −2ξ1 x (x, y, t) erf¨ ullt die nicht-lineare partielle KP-Differentialgleichung ¡ ¢ (2) 3uyy = ∂x 4ut − ∂x (3u2 + uxx ) .

Beweis. Die Funktionen F1 := (∂x2 − ∂y ) ϕ und F2 := (∂x3 − 3 ξ1x ∂x − ∂t ) ϕ erf¨ ullen die Voraussetzungen des Eindeutigkeitslemmas in 16.3.2 mit den Werten v1 = 2 ξ1x bzw. v2 = 3(ξ1xx + ξ2x ) . Denn o(Fj , P ) ≥ −Θp(e) (P ) f¨ ur alle P ∈ X \ Q folgt, indem man ϕ in eine Laurentreihe nach Potenzen einer Karte w mit w(P ) = 0 entwickelt, und die Fortsetzung nach Q ergibt sich mit Hilfe der Ableitungen von ϕ , siehe 16.3.3(2)-(6). Somit ist Fj = vj ϕ (j = 1, 2) . F¨ ur die linearen Differentialoperatoren (3) L := ∂x2 + u und A := ∂x3 + 23 u ∂x + w mit u := −v1 und w := −v2 gilt (4) Lϕ = ∂y ϕ und Aϕ = ∂t ϕ .

16.3 Funktionen mit exponentieller Singularit¨ at

315

Es folgt ∂t Lϕ = ∂t ∂y ϕ = ∂y ∂t ϕ = ∂y Aϕ . Nun ist ∂t L = L ∂t +ut und ∂y A = A ∂y + 32 uy ∂x + wy . Somit gilt mit dem Kommutator [A, L] := A L − L A ¢ ¡ die Gleichung [A, L] + 32 uy ∂x + wy − ut ϕ = 0 . Aus der Definition (3) folgt [A, L] = [∂x3 , u] + 23 [u, ∂x2 ] ∂x + 23 u [∂x , u] + [w, ∂x2 ] ¡ ¢ = uxxx + 32 u ux − wxx + 23 uxx − 2 wx ∂x . Daher erf¨ ullt ϕ die gew¨ohnliche Differentialgleichung s · ∂x ϕ = r · ϕ , deren Koeffizienten (5) r := ut − wy − uxxx − 32 u ux + wxx und s := 32 uy + 23 uxx − 2wx nicht von P abh¨angen. Die Differentialgleichung ist zu s · ∂x log ϕ = r ¨aquivalent. Wenn man die Laurentreihe ∂x log ϕ = z −1 +ξ1 x z + . . . aus 16.3.3(3) einsetzt, folgt r = s = 0 . Wegen sx = sy = 0 gilt wxx = 43 (uxy + uxxx ) und wxy = 34 (uyy + uxxy ) . Durch Einsetzen in rx = 0 entsteht die KP-Gleichung f¨ ur u = −2 ξ1x . ¤

16.3.5 L¨ osungen der KP-Gleichung durch Thetafunktionen. Die L¨osung u = −2ξ1x der KP-Gleichung l¨aßt sich durch die Thetafunktion ausdr¨ ucken. Wir benutzen dazu die Vektoren Un := Uz−n ∈ E1∗ (X) zu den Hauptteilen z −n und erinnern an die Reihenentwicklung 15.6.2(3) der Abelschen Abbildung (1) −h = ζU1 + 21 ζ 2 U2 + 13 ζ 3 U3 + . . . . Satz (Krichever, 1976). Es gibt eine Konstante c1 ∈ C , so daß (2) u(x, y, t) = 2 ∂x2 log ϑ(x U1 + y U2 + t U3 + e) − 2 c1 f¨ ur alle Quadrupel (x, y, t; e) ∈ C3 × E1 (X)∗ eine L¨ osung der KP-Gleichung 16.3.4(2) ist. Beweis. Wie in 16.3.3 sei q := x z −1 + y z −2 + t z −3 . Wir gehen auf die Definition zur¨ uck, siehe 16.3.1(2) und 16.3.2(1), ϑ(e) ϑ(Uq + e + h) , ϕ(x, y, t ; η) = expfq ϑ(Uq + e) ϑ(e + h) ˜ , multiplizieren mit exp(−q ◦ η) und beschr¨anken uns auf eine Scheibe um Q entwickeln nach Potenzen von ζ . Dabei benutzen wir (1) und fq − q ◦ η = (c1 x + c2 y + c3 t) ζ + . . . mit Konstanten cj ∈ C , die nicht von x, y, t und e abh¨angen. Hier und im folgenden werden mit . . . Potenzreihen in ζ bezeichnet, deren konstante und lineare Glieder = 0 sind. Es folgt: (3) exp(−q ◦ η) · ϕ(x, y, t ; η) = ¡ ¢ ¡ ¢ ϑ(e) ϑ Uq + e − ζU1 + . . . exp (c1 x + c2 y + c3 t) ζ + . . . . ϑ(Uq + e) ϑ(e − ζU1 + . . .) Nach 16.3.3(2) ist log [exp(−q ◦ η) · ϕ(x, y, t; η)] = ξ1 ζ + . . . . Daher erh¨alt man ξ1 , indem man den Logarithmus der rechten Seite von (3) nach ζ ableitet und dann ζ = 0 setzt. Die mit . . . bezeichneten Terme entfallen:

316

16 Die Riemannsche Thetafunktion

ξ1 = c1 x + c2 y + c3 t + ∂ζ |ζ=0 log ϑ(Uq + e − ζU1 ) − ∂ζ |ζ=0 log ϑ(e − ζU1 ) .

Wegen Uq − ζ U1 = (x − ζ) U1 + y U2 + t U3 ist ∂ζ log ϑ(Uq + e − ζ U1 ) = −∂x log ϑ(Uq + e − ζ U1 ) und daher ξ1 = c1 x + c2 y + c3 t − ∂x log ϑ(Uq + e) − ∂ζ |ζ=0 log ϑ(e − ζ U1 ) .

Die Ableitung nach x ergibt ξ1 x = c1 −∂x2 log ϑ(Uq +e). Damit ist der Satz bewiesen, wenn ϑ(x U1 +y U2 +t U3 +e) 6= 0 6= ϑ(e) ist. Aus Stetigkeitsgr¨ unden kann diese Voraussetzung entfallen. ¤ Erg¨ anzende Bemerkungen. (a) Die additive Konstante 2c1 l¨aßt sich dadurch entfernen, daß man u(x, y, t) durch die Funktion u(x + 3c1 t , y , t) + 2c1 = 2 ∂x2 log ϑ(x U1 + y U2 + t [U3 + 3c1 U1 ] + e) ersetzt, die ebenfalls die KP-Gleichung erf¨ ullt. (b) Der Vektor U1 ist stets 6= 0 , siehe 15.6.2(2). (c) Der Fall U2 = 0 tritt dann und nur dann ein, wenn es eine hyperelliptib ∞) gibt. Er wird im n¨achsten Abschnitt ¨ sche Uberlagerung λ : (X, Q) → (C, genauer betrachtet. (d) Da die Basisvektoren a1 , . . . , ag Periodenvektoren der Thetafunktion sind, ist die im Satz angegebene L¨osung u der KP-Gleichung fast-periodisch und bei speziellen Lagen der Vektoren U1 , U2 , U3 sogar periodisch. 16.3.6 Die Korteweg - de Vries’sche (KdV) Differentialgleichung. Korteweg und De Vries stellten 1894/95 die Differentialgleichung (1) 4ut = ∂x (3u2 + uxx ) auf, um die Ausbreitung solit¨aren Wellen in einem Kanal mit rechteckigem Querschnitt mathematisch zu beschreiben. Die KP-Gleichung dehnt diese Beschreibung auf die Ausbreitung nicht-linearen Wellen in zwei Dimensionen aus. Die KdV-Gleichung hat außer den nicht-periodischen solit¨aren Wellen, f¨ ur die sie aufgestellt wurde, auch periodische L¨osungen, z.B. u(x, t) = 23 c − 2℘(x + c t + e) f¨ ur jede Weierstraßsche ℘-Funktion und beliebige Konstanten c, e . Das l¨aßt sich, weil ℘′′ − 6℘2 konstant ist, schnell verifizieren. Statt der Tori, welche dieser L¨osung zugrunde liegen, kann man hyperelliptische Fl¨achen heranziehen. Das wurde 1928 von Baker f¨ ur das Geschlecht 2 vorgeschlagen und 1974 von verschiedenen Autoren (Dubrovin, Novikov; Its, Mateev) f¨ ur beliebige hyperelliptische Fl¨achen ausgef¨ uhrt. Sie kn¨ upften dabei an Akhiezers Arbeit von 1961 an. Bakers Beitrag war in Vergessenheit geraten.

Nach Akhiezer betrachten wir folgende Situation: Die Fl¨ache X vom Geschlecht g > 1 ist hyperelliptisch, und bei Q ∈ X liegt ein Windungspunkt b mit dem Wert λ(Q) = ∞ . ¨ der zweibl¨attrige Uberlagerung λ : X → C −2 Die Karte z wird so gew¨ahlt, daß λ = z bei Q gilt. In dieser Situation kann man die Abh¨angigkeit der normierten Baker-Akhiezer-Funktion ϕ von y in einem Exponentialfaktor abspalten: Wegen des Eindeutigkeitslemmas in 16.3.2 ist

16.3 Funktionen mit exponentieller Singularit¨ at

317

¡ ¢ (2) ϕ(x, y, t; P ) = exp yλ(P ) · ϕ0 (x, t; P ) mit ϕ0 (x, t; P ) := ϕ(x, 0, t; P ) . F¨ ur die Laurentreihe 16.3.3(2) von log ϕ gilt dann z −2 = λ und (3) log ϕ0 = x z −1 + t z −3 + ξ1 z + ξ2 z 2 + . . . . Insbesondere h¨angen alle Koeffizienten ξj wie ϕ0 nicht von y ab. Das vereinfacht den Beweis in 16.3.4: Die Funktionen u und w h¨angen nicht von y ab. Daher ist 0 = r = ut − uxxx − 23 u ux + wxx und 0 = s = 32 uxx − 2 wx . Durch Einsetzen von 2 wxx = 23 uxxx in r = 0 folgt: (4) Die Funktion u(x, t) = −2ξ(x, t) erf¨ ullt die KdV-Gleichung (1). ¤ Die Darstellung von u in Satz 16.3.5 vereinfacht sich wegen U2 = 0 zu (5) u(x, t) = 2 ∂x2 log ϑ(x U1 + t U3 + e) − 2 c1 . Diese L¨osung der KdV-Gleichung stammt von Its und Mateev (1974). Sie wurde zwei Jahre sp¨ater von Krichever zur L¨osung der KP-Gleichung mittels beliebiger kompakter Fl¨achen verallgemeinert, die in den vorangehenden Abschnitten 16.3.4-5 vorgestellt wurde.

16.3.7 Die Potentialfunktion u . Wir setzen die Untersuchung der Funktion u f¨ ur den hyperelliptischen Spezialfall fort. Aus 16.3.6(2) folgt ∂y ϕ = λ ϕ . Wegen 16.3.4(4) gilt daher (1) Lϕ0 = λ ϕ0 f¨ ur L := ∂x2 + u . Die Potentialfunktion u des Differentialoperators L h¨ angt von x und dem Parameter t ab. Die Eigenwerte von L sind unabh¨ angig von t und werden durch die ¨ Uberlagerung λ : X \ Q → C beschrieben: Zu P ∈ X \ Q geh¨ ort der Eigenwert λ(P ) mit der von t abh¨ angigen Eigenfunktion x 7→ ϕ0 (x, t ; P ) . F¨ ur die weitere Untersuchung von u und ϕ bezeichnen wir die Verzweigungspunkte 6= ∞ von λ mit c0 , . . . , c2g . Dann ist (X, λ , ρ) ein algebraisches Gebilde mit ρ ∈ M(X) und ρ2 = (λ − c0 ) · . . . · (λ − c2g ) . Der Null- bzw. Polstellendivisor der Baker-Akhiezer-Funktion ϕ0 hat die Gestalt Θp(x U1 +t U3 +e) = P1 (x, t) + . . . + Pg (x, t) bzw. Θp(e) = Q1 + . . . + Qg . Die Polstellen Qj h¨ angen nicht von (x, t) ab. Satz. F¨ ur die Funktionen λj (x, t) := λ(Pj (x, t)) und ρk (x, t) := ρ(Pk (x, t)) gilt Xg X2g (2) λj , cn − 2 u = j=1 n=0 ÁY g ∂x λk = −2 ρk (3) (λk − λj ) , j=1,j6=k

(4)

1 u) ∂x λk 2

. ∂t λk = (λk + Q Beweis zu (2) . Wir bilden die λ-Polynome p0 (x, t; P ) := gj=1 [λ(P ) − λj (x, t)] und Qg p∞ (P ) := j=1 [λ(P ) − λ(Qj )] . Sei σ : X → X die Involution, welche die beiden Bl¨ atter von λ vertauscht. Neben ϕ+ := ϕ0 benutzen wir ϕ− := ϕ0 ◦ σ . Aus log ϕ0 = x z −1 + t z −3 + ξ1 z + ξ2 z 2 + . . . und z ◦ σ = −z folgt log(ϕ+ ϕ− ) = 2 (ξ2 z 2 + ξ4 z 4 + . . .) . Da ϕ+ ϕ− und p0 /p∞ dieselben Hauptdivisoren haben und sich mit demselben Wert 1 nach Q fortsetzen lassen, ist (5) ϕ+ ϕ− = p0 /p∞ . Sei χ+ := χ = ∂x log ϕ = ∂x log ϕ0 und χ− := χ ◦ σ . Aus der Laurentreihe 16.3.3(3) von χ folgt:

318

16 Die Riemannsche Thetafunktion

(6) χ+ − χ− = 2(z −1 + ξ1x + . . .) . Die Wronskische Determinante W := ϕ+ ∂x ϕ− − ϕ− ∂x ϕ+ = ϕ+ ϕ− (χ− − χ+ ) l¨ aßt sich daher zu einer Funktion in M(X) fortsetzen, die bei Q einen einfachen Pol mit dem Residuum −2 hat. Weitere Pole von W liegen h¨ ochstens an den Stellen Qk und σ(Qk ) . Wegen W ◦ σ = −W sind die 2g + 1 Windungspunkte 6= Q von λ Nullstellen von W . Daher hat W denselben Hauptdivisor wie ρ/p0 , also W = c ρ/p0 . Da ρ/p0 nach passender Wahl des Vorzeichens von ρ bei Q einen Pol mit dem Residuum 1 hat, ist der Faktor c = −2 . Somit gilt (7) W = −2 ρ/p∞ und χ+ − χ− = −W/(ϕ+ ϕ− ) = 2 ρ/p0 . Aus (6) folgt die Laurententwicklung 4 ρ2/p20 = (χ− −χ+ )2 = 4 w−1 (1+2 ξ1x w+. . .) nach Potenzen von w := z 2 , also Q Qg 2 1 + 2 ξ1x w + . . . = w 2g n=0 (λ − cn )/ j=1 (λ − λj ) .

Wenn man u = −2 ξ1x und λ = z −2 = w−1 ber¨ ucksichtigt, entsteht aus der letzten Q Qg Gleichung 2 1 − u w + . . . = 2g (1 − c w)/ n n=0 j=1 (1 − λj w) . Mit der logarithmischen Ableitung nach w an der Stelle w = 0 folgt (2). ¤ 2 2 Beweis zu (3) . Aus ∂x ϕ0 + u ϕ0 = λ ϕ0 folgt ∂x χ + χ = λ − u . Diese Gleichung gilt f¨ ur χ+ und χ− . Daher ist χ+ + χ− = −∂x log(χ+ − χ− ) = ∂x log p0 , letzteres wegen (7). Somit gilt χ± = ( 12 ∂x p0 ± ρ)/p0 . Wenn man χ− := ∂x ϕ− /ϕ− und p0 = ϕ+ ϕ− p∞ einsetzt, folgt 12 ∂x p0 − ρ = ϕ+ · ∂x ϕ− · p0 . Sei Pk eine Nullstelle 1 von ϕQ + . Da ∂x ϕ− und p0 dort keine Pole haben, ist 2 ∂x p0 (Pk ) = ρ(Pk ) . Wegen p0 = j (λ − λj ) f¨ uhrt die Berechnung der Ableitung auf (3). ¤

Beweis zu (4) . Wir erinnern an Aϕ = ∂t ϕ , siehe 16.3.4(4), und Lϕ = λ ϕ . Es folgt ∂t ϕ = (λ + 12 u) ∂x ϕ + (w − ux ) ϕ , also ∂t log ϕ = (λ + 21 u) ∂x log ϕ + w − ux . Diese Gleichung gilt auch f¨ ur ϕ± . Durch Subtraktion entsteht ∂t log ϕ+ − ∂t log ϕ− = (λ + 12 u) (χ+ − χ− ) . Dann ist ∂t (χ+ − χ− ) = ∂x [(λ + 12 u)(χ+ − χ− )] . Einsetzen 1 1 von χ+ − χ− = 2 ρ/p0 gem¨ aß (7) Q ergibt ∂t p0 = (λ + 2 u) ∂x p0 − 2 ux p0 . Wenn man die Ableitungen von p0 := j (λ − λj ) ausrechnet und die Stelle Pk einsetzt, folgt (4). ¤ Bemerkung. Die 2-Parameterfamilie Θp(xU1 +tU3 +e) auf dem symmetrischen Produkt Xg ist der Nullstellendivisor von ϕ0 . Sie geht wegen 16.1.7 bei der Periodenabbildung µg : Xg → J(X) in das p-Bild der linearen Familie Φ(x, t) := k −e−xU1 −tU3 auf E1 (X)∗ u ¨ber. Dabei ist κ = p(k) die Riemannsche Konstante. b g von λ den Andererseits u ¨berf¨ uhrt das g-fache symmetrische Produkt Xg → (C) b g . Dabei ˙ . . . +λ ˙ g (x, t) auf (C) Nullstellendivisor in die Familie Λ(x, t) := λ1 (x, t)+ b . Die partiellen Ableitun˙ die Summation der Punktdivisoren auf C bezeichnet + gen ∂x Λ, ∂t Λ werden durch das nicht-lineare Differentialgleichungssystem (3)-(4) ¨ beschrieben. Durch den Ubergang von Λ zu Φ wird dieses System in das lineare System ∂x Φ = −U1 , ∂t Φ = −U3 mit konstanten Koeffizienten transformiert.

¨ 16.4 Uber das Verschwinden der Thetafunktionen Wie in 16.1.4 wird E1 (X)∗ mit Cg identifiziert. Dann ur f ∈ O(E1 (X)∗ ) P ist f¨ g und jeden Multiindex α ∈ N der Ordnung |α| = αj die partielle Ableitung Dα f definiert. F¨ ur die Nullstellenordnung gilt: o(f, e) ≥ s ⇔ Dα f (e) = 0 f¨ ur alle α mit |α| < s .

¨ 16.4 Uber das Verschwinden der Thetafunktionen

319

Wir betrachten speziell die Riemannsche Thetafunktion ϑ und messen durch o(ϑ, e) , wie singul¨ar ihre Nullstellenmenge N ⊂ J(X) an der Stelle p(e) ist. Nach der Verschiebungsformel in 16.2.2 gilt κ + N = Wg−1 . Daher mißt o(ϑ, e) auch, wie singul¨ar Wg−1 bei α := κ + p(e) ist. Nun ist Wg−1 = µ(Xg−1 ) das Bild der glatten Mannigfaltigkeit Xg−1 aller positiven Divisoren vom Grade g − 1 unter der Periodenabbildung µg−1 . Sie hat an allen Stellen D mit µg−1 (D) = α denselben Rang g − 1 − dim|D| . Dabei ist die Linearschar |D| die Faser von µg−1 u ¨ber α . Somit bietet sich auch dim|D| oder l(D) = 1 + dim|D| als Maß f¨ ur die St¨arke der Singularit¨at von Wg−1 bei α an. Riemann (siehe [Ri 5]) bewies 1865 in seiner Abhandlung ¨ Uber das Verschwinden der Theta-Functionen“, daß beide Methoden zum ” selben Ergebnis f¨ uhren: l(D) = o(ϑ, e) . Der Beweis geht von der Folgerung in 14.3.6 aus: µ(D) + Ws−1 − Ws−1 ⊂ Wg−1 ⇔ l(D) ≥ s . Wir gewinnen in 16.4.1-2 das analoge Ergebnis p(e) + Ws−1 − Ws−1 ⊂ N ⇔ o(ϑ, e) ≥ s und schließen in 16.4.3 durch Vergleich den Beweis in wenigen Zeilen ab. 16.4.1 Erste Absch¨ atzung der Nullstellenordnung. Wie in 16.1.5 sei h = (h1 , . . . , hg ) : Z → Cg die Abelsche Abbildung. F¨ ur e ∈ E1 (X)∗ sei Her ∗ die Menge aller Funktionen f ∈ O(E1 (X) ) mit der Eigenschaft f (e+h(P1 )−h(Q1 )+· · ·+h(Pr )−h(Qr )) = 0 f¨ ur alle P1 , Q1 , . . . , Pr , Qr ∈ Z .

Lemma. F¨ ur f ∈ Her ist o(f, e) ≥ r + 1 . Beweis. Es gilt Her ⊂ Heq f¨ ur q ≤ r und f ∈ He0 ⇔ f (e) = 0 . Wir zeigen: 1 f¨ ur j = 1, . . . , g . (i) f ∈ He ⇒ ∂f /∂zj ∈ He0 (ii) f ∈ Her ⇒ ∂f /∂zj ∈ Her−1 f¨ ur j = 1, . . . , g . ¡ ¢ Zu (i): F¨ ur jedes Q ∈ Z¡ ist f e + h − h(Q) die Nullfunktion auf Z . Mit P P fj := ∂f /∂zj folgt fj e+h−h(Q))dhj = 0 , insbesondere fj (e)dhj = 0 . Da die Ableitungen dhj = η ∗ ωj linear unabh¨angig sind, gilt fj (e) = 0 f¨ ur alle j . Zu (ii): Aus f ∈ Her folgt f ∈ Hc1 f¨ ur alle P1 , Q1 , . . . , Pr−1 , Qr−1 ∈ Z und c := e+h(P1 )−h(Q1 )+. . .+h(Pr−1 )−h(Qr−1 )) . Nach (i) folgt ∂f /∂zj ∈ Hc0 . Wegen der Beliebigkeit von P1 , . . . , Qr−1 bedeutet dies ∂f /∂zj ∈ Her−1 . Aus (ii) folgt die Behauptung des Lemmas durch Induktion u ¨ber r . ¤ Folgerung. Wenn p(e) + Ws−1 − Ws−1 ⊂ N gilt, ist o(ϑ, e) ≥ s . Denn aus der Voraussetzung folgt ϑ ∈ Hes−1 . ¤ 16.4.2 Zweite Absch¨ atzung der Nullstellenordnung. Aus p(e) + Ws − Ws 6⊂ N folgt o(ϑ, e) ≤ s . Beweis. Es gibt Punkte A1 , B1 , . . . , As , Bs in Z , welche sich im folgenden Sinne in allgemeiner Lage befinden: Die Bildpunkte η(A1 ), . . . , η(Bs ) ∈ X sind paarweise verschieden, und es gilt ±p(e) + ph(A1 ) − ph(B1 ) + . . . + ph(As ) − ph(Bs ) 6∈ N .

320

16 Die Riemannsche Thetafunktion

Sei p(e) = ε . Mit der Abbildung m : Z s → E1 (X)∗ , m(P1 , . . . , Ps ) := e + h(P1 ) − h(A1 ) + . . . + h(Ps ) − h(As ) , und der Funktion σ := ϑ ◦ m auf Z s gilt o(ϑ, e) = o(ϑ, m(A)) ≤ o(σ, A) f¨ ur A = (A1 , . . . , As ) ∈ Z s . Also gen¨ ugt es, o(σ, A) ≤ s zu beweisen. Dazu definieren wir analog zu σ die Funktion τ mit Bj statt Aj . Wegen der allgemeinen Lage ist A keine Nullstelle von τ , also o(σ, A) = o(σ/τ, A) , und es gen¨ ugt o(σ/τ, A) ≤ s zu beweisen. Nach 16.2.4 gibt es ej , e′j ∈ E1 (X)∗ mit εj := p(ej ) , ε′j := p(e′j ) ∈ / N1 sowie (1) e′j − ej = h(Aj ) − h(Bj ) und Θεj − Θε′j = η(Aj ) − η(Bj ) . Qs Sei tj := ϑej /ϑe′j . Das Produkt G(P1 , . . . , Ps ) = j,k=1 tj (Pk ) ist eine Funktion auf Z s mit der Ordnung o(G, A) = s . Es gen¨ ugt zu zeigen, daß sich G und F := σ/τ nur durch einen konstanten Faktor unterscheiden. Dazu k¨onnen wir uns auf die offene und dichte Teilmenge aller (P1 , . . . , Ps ) ∈ Z s beschr¨anken, welche p(e) + ph(P1 ) − ph(A1 ) + . . . + ph(Ps ) − ph(As ) 6∈ N , p(e) + ph(P1 ) − ph(B1 ) + . . . + ph(Ps ) − ph(Bs ) 6∈ N erf¨ ullen. Da F und G symmetrische Funktionen von P1 , . . . , Ps sind, gen¨ ugt es zu zeigen, daß G/F als Funktion von P = P1 ∈ Z konstant ist, wenn man die Stellen P2 , . . . , Ps fixiert. In diesem Falle ist G bis auf einen konstanten Faktor 6= 0 die Funktion t := t1 · . . . · tr , und F ist der Quotient f = ϑa /ϑb der Primfunktionen zu a := e − h(A1 ) + h(P2 ) − h(A2 ) + . . . + h(Ps ) − h(As ) und b := e − h(B1 ) + h(P2 ) − h(B2 ) + . . . + h(Ps ) − h(Bs ) . Die Funktionen tj und f sind multiplikativ. F¨ ur die Homotopieklassen αk , βk der R¨ uckkehrschnitte gilt nach (1) und 16.2.5(1) £ ¡ ¢¤ tj ◦ αk = tj und tj ◦ βk = exp 2πi hk (Aj ) − hk (Bj ) ◦ tj , ¢¤ £ P ¡ f ◦ αk = f und f ◦ βk = exp 2πi j hk (Aj ) − hk (Bj ) ◦ f . Da die Deckgruppe D(η) von α1 , β1 . . . , αg , βg erzeugt wird, ist t/f eine D(η)-invariante Funktion, also t/f ur eine¢ Funktion u ∈ M(X) . ¡ u ◦ η f¨ ¡ ¢ P = Sie hat den Hauptdivisor (u) = j η(Aj ) − η(Bj ) − Θp(a) − Θp(b) . Wegen p(e) + Ws−1 − Ws−1 ⊂ N liegen die paarweise verschiedenen Punkte η(A1 ), . . . , η(As ) im Tr¨ager von Θp(a) , also Θp(a) = η(A1 ) + . . . + η(As ) + C mit C ∈ Xg−s . Entsprechend gilt Θp(b) = η(B1 ) + . . . + η(Bs ) + D f¨ ur einen Divisor D ∈ Xg−s . Somit ist D − C = (u) , d.h. u ∈ L(C) . Wegen l(C) ≤ l(Θp(a) ) = 1 sind u und somit t/f = u ◦ η konstant. ¤ 16.4.3 Riemanns Singularit¨ atentheorem. F¨ ur jede Nullstelle e von ϑ und jeden Divisor D ∈ Xg−1 mit µ(D) − κ = p(e) gibt die Dimension l(D) = o(ϑ, e) die Nullstellenordnung an. Beweis. Nach der Folgerung in 14.3.6 ist r := l(D) die gr¨oßte Zahl, f¨ ur welche µ(D) + Wr−1 − Wr−1 ⊂ Wg−1 ist. Nach den Ergebnissen der Abschnitte 16.4.1-2 ist s := o(ϑ, e) die gr¨oßte Zahl, f¨ ur welche p(e) + Ws−1 − Ws−1 ⊂ N ist. Wegen Wg−1 = κ + N folgt r = s aus µ(D) − κ = p(e) . ¤

16.5 Der Torellische Satz

321

16.5 Der Torellische Satz Riemanns Primzerlegung aller meromorphen Funktionen und sein Singularit¨atentheorem zeigen, daß jede Riemannsche Thetafunktion einer kompakten Fl¨ache X und somit die ihr zugrunde liegende Periodenmatrix T weitgehende Informationen u ¨ber die Funktionen und Divisoren auf X enth¨alt. Daher liegt die Vermutung nahe, daß X durch T bis auf Isomorphie bestimmt ist. Kurz nachdem H. Weyl mit seinem Buch [Wyl 1] der Idee der Riemannschen Fl¨ache eine weite Verbreitung bescherte, aber dabei die Thetafunktionen außen vor ließ, best¨atigte Torelli 1913/14 diese Vermutung in [To]. 16.5.1 Satz von Torelli. Wenn zwei kompakte Fl¨ achen X und Y eine gemeinsame Periodenmatrix T besitzen, sind sie isomorph. Der Beweis, der in den folgenden Abschnitten ausgef¨ uhrt wird, wurde 1963 von Martens [Mar] angegeben. In [ACGH] findet man auf Seite 245 ff. einen ¨ Beweis von Andreotti und auf Seite 261 einen Uberblick u ¨ber weitere Beweise. Sei E die (g ×g)-Einheitsmatrix, und sei Ω < Cg das von den 2g Spalten der Matrix (E, T ) aufgespannte Gitter. Wir benutzen J := Cg /Ω als gemeinsamen Periodentorus und die durch die Reihe 16.1.1(1) definierte Funktion θ(z, T ) als gemeinsame Riemannsche Thetafunktion der Fl¨achen X und Y . Sei N ⊂ J ihre Nullstellenmenge. Seien µ : Div(X) → J und ν : Div(Y ) → J die entsprechenden Periodenabbildungen; sei Vn := µ(Xn ) und Wn := ν(Yn ) . Nach der Riemannschen Verschiebungsformel gehen Vg−1 und Wg−1 aus N durch Translationen hervor. Daher gilt Wg−1 = β + Vg−1 f¨ ur ein β ∈ J . Nach dem Satz in 14.3.1 ist X zu V1 und Y zu W1 isomorph. Daher gen¨ ugt es zu zeigen: W1 = γ ± V1 f¨ ur eine Konstante γ ∈ J . Sei r ∈ {0, . . . , g − 2} der minimale Grad, f¨ ur den eine Konstante α ∈ J existiert, so daß V1 ⊂ α ± Wr+1 ist. Wir nehmen V1 ⊂ a + Wr+1 an. F¨ ur jedes x ∈ W1 ist M (x) := V1 ∩ (α + x + Wr ) endlich. Den sonst w¨are die analytische Menge M (x) = V1 , was der Minimalit¨at von r widerspricht. In den folgenden Abschnitten wird bewiesen: (∗) Tats¨ achlich besteht M (x) aus genau einem Punkt P (x) ∈ V1 . Wenn x ganz W1 durchl¨ auft, nehmen die Differenzen x − P (x) ∈ J nur endlich viele Werte an. Daher gibt es ein γ ∈ J , so daß x = γ + P (x) ∈ γ + V1 f¨ ur unendlich viele x ∈ W1 gilt. Dann ist W1 = γ + V1 . 16.5.2 Der Divisor S(x, y) . Zum Beweis von (∗) wird der Jacobische Umkehrsatz 14.3.5 f¨ ur die Periodenabbildung µ : Xg → J benutzt: Sei J \ (k − Vg−2 ) → Xg0 , ε 7→ Sε , die Umkehrabbildung zu µ , seien x ∈ W1 und y ∈ Wg−r−1 . F¨ ur ε = x−y+α+β+k ist der Divisor S(x, y) := Sε ∈ Xg0 genau dann definiert, wenn ε ∈ / k − Vg−2 ist. Wegen

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16 Die Riemannsche Thetafunktion

Vg−2 = {ε ∈ J : ε + V1 ⊂ Vg−1 = −β + Wg−1 } , vgl. 14.3.6(1), bilden die schlechten“ Paare (x, y) , f¨ ur welche ε ∈ k − Vg−2 ” ist, die Ausnahmemenge (1) Z := {(x, y) ∈ W1 × Wg−r−1 : V1 ⊂ x − y + α + Wg−1 } . F¨ ur die guten“ Paare (x, y) ∈ (W1 × Wg−r−1 ) \ Z hat der Divisor S(x, y) ” den Periodenwert (2) µ ◦ S(x, y) = ε = x − y + α + β + k und, wenn man X durch µ mit V1 identifiziert, den Tr¨ager ¡ ¢ (3) Tr S(x, y) = V1 ∩ (x − y + α + Wg−1 ) , vgl. 14.3.5(4). Wegen y ∈ Wg−r−1 ist x+Wr = x−y+y+Wr ⊂ x−y+Wg−1 , also M (x) ⊂ Tr(S(x, y)) . Allerdings darf (x, y) kein schlechtes Paar sein. Wir untersuchen daher zun¨achst die Ausnahmemenge Z , um auszuschließen, daß sie die Bildung der Divisoren S(x, y) zu stark einschr¨ankt. 16.5.3 Die Ausnahmemenge Z := {(x, y) ∈ W1 × Wg−r−1 : V1 ⊂ x − y + α + Wg−1 } . und ihre Fasern Z1 (y) := {x ∈ W1 : (x, y) ∈ Z} , Z2 (x) := {y ∈ Wg−r−1 : (x, y) ∈ Z} . sind analytische Mengen, vgl. 14.5.3. (1) F¨ ur jedes x ∈ W1 ist dim Z2 (x) < g−r−1 . Beweis. Da Wg−r−1 irreduzibel ist, gilt dim Z2 (x) < g−r−1 oder Z2 (x) = Wg−r−1 . Im zweiten Fall w¨are V1 ⊂ x−y+α + Wg−1 f¨ ur alle y ∈ Wg−r−1 , also nach 14.3.6 V1 ⊂ α+x + Wr im Widerspruch zur Minimalit¨at von r . (2) Die analytische Menge N (y) := V1 ∩ (α + k − y − Wg−2 ) ist genau dann = V1 , wenn Z1 (y) = W1 ist. Sonst ist N (y) endlich. Beweis. N (y) = V1 tritt genau dann ein, wenn V1 ⊂ α + k − y − Wg−2 gilt. Nach 14.3.6 ist dies zu V1 ⊂ α + k − y + x − Wg−1 = α − y + x + Wg−1 f¨ ur alle x ∈ W1 , also zu Z1 (y) = W1 ¨aquivalent. ¤

(3) Jedes x ∈ W1 l¨ aßt sich zu einem guten Paar (x, y) erg¨ anzen. Dann sind Z1 (y) und N (y) endliche Mengen. ¤

16.5.4 Der Tr¨ ager des Divisors S(x, y) . Der in 16.5.2 definierte Divisor S(x, y) hat den Tr¨ager ¡ ¢ (1) Tr S(x, y) = M (x) ∪ N (y) . Beweis. Es gilt Wr+1 6⊂ x − y + Wg−1 . Denn sonst w¨are V1 ⊂ α + Wr+1 ⊂ α + x − y + Wg−1 , also (x, y) ∈ Z . Mit dem ¡ Ergebnis von 14.3.7 folgt ¢ Wr+1 ∩ (x − y + Wg−1 ) = (x + Wr ) ∪ Wr+1 ∩ (k − y − Wg−2 ) und damit wegen V1 ⊂ a + ¡Wr+1 auch ¢ ¡ ¢ V1 ∩ (a + x − y + Wg−1 ) = V1 ∩ (a + x + Wr ) ∪ V1 ∩ (a + k − y − Wg−2 ) . Links steht der Tr¨ager von S(x, y) , siehe 16.5.2(3), und rechts M (x) ∪ N (y) .

16.5 Der Torellische Satz

323

16.5.5 Schluß des Beweises. Wir beginnen mit (1) F¨ ur jedes x ist M (x) nicht leer. Beweis. Wenn M (x0 ) leer ist, gilt dasselbe f¨ ur alle x in einer Umgebung U von x0 in W1 . Wir erg¨anzen zu einem guten Paar (x0 , y0 ) . Dann ist Z1 (y0 ) endlich, und wenn man U durch U \ Z1 (y0 ) ersetzt, ist S(x, y0 ) f¨ ur alle x ∈ U definiert. Die Tr¨ager dieser Divisoren liegen in der endlichen Menge N (y0 ) . Daher ist die Divisorenmenge {S(x, y0 ) : x ∈ U } endlich. Aber ihre Periodenwerte µ ◦ S(x, y0 ) bilden die unendliche Menge 2k + α + β − y0 + U , vgl. 16.5.2(2). (2) Es gibt keinen nur von x ∈ W1 abh¨ angigen Divisor D(x) ∈ X2 , so daß S(x, y) − D(x) ∈ Xg−2 f¨ ur alle y ∈ Wg−r−1 \ Z2 (x) gilt. Beweis. Wenn man S(x, y)−D(x) ∈ Xg−2 annimmt und darauf die Periodenabbildung µ anwendet, folgt δ(x)−y ∈ Vg−2 f¨ ur δ(x) := k+α+β−µ(D(x))+ x und alle y ∈ Wg−r−1 \ Z2 (x) , also Wg−r−1 \ Z2 (x) ⊂ δ(x)−Vg−2 . Wegen dim Z2 (x) < g−r−1 liegt Z2 (x) dicht in Wg−r−1 . Durch H¨ ullenbildung folgt δ(x) − Wg−r−1 ⊂ Vg−2 f¨ ur alle x ∈ W1 . Nach 14.3.6 gilt V1 ⊂ −z + Vg−1 f¨ ur alle z ∈ Wg−r−1 , also auch V1 ⊂ y − δ(x) + Vg−1 f¨ ur alle y ∈ Wg−r−1 . Wegen β + Vg−1 = Wg−1 = k − Wg−1 ist −β + k − δ(x) − V1 ⊂ −y + Wg−1 . Mit dem Durchschnitt u ¨ber alle y ∈ Wg−r−1 folgt −β + k − δ(x) − V1 ⊂ Wr im Widerspruch zur Minimalit¨at von r . ¤ (3) F¨ ur jedes x ∈ W1 besteht die Teilmenge M (x) ⊂ V1 aus genau einem Punkt P (x) . Beweis. Wenn man annimmt, daß es in M (x) ⊂ V1 zwei verschiedene Punkte P (x) und Q(x) gibt, liegen diese f¨ ur jedes y ∈ Wg−r−1 \ Z2 (x) im Tr¨ager von S(x, y) . Mit dem Divisor D(x) = P (x)+Q(x) entsteht ein Widerspruch zu (2). ¤ (4) Die Differenzen x − P (x) ∈ J nehmen f¨ ur alle x ∈ W1 nur endlich viele Werte an. Beweis. Wir w¨ahlen y0 so, daß Z1 (y0 ) und N (y0 ) endlich sind. F¨ ur jedes x ∈ W1 \ Z1 (y0 ) liegt P (x) im Tr¨ager von S(x, y0 ) . Daher ist S1 (x, y0 ) := S(x, y0 ) − P (x) ∈ Xg−1 und Tr(S1 (x, y0 )) ⊂ Tr(S(x, y0 )) = {P (x)} ∪ N (y0 ) . Dann ist P (x) ∈ Tr(S1 (x, y0 )) , oder dieser Tr¨ager ist in der endlichen Menge N (y0 ) enthalten. Im ersten Fall w¨are S(x, y0 ) − 2P (x) = S1 (x, y0 ) − P (x) ∈ Xg−2 im Widerspruch zu (2). Im zweiten Fall bilden die Divisoren S1 (x, y0 ) , also auch ihrer Periodenwerte µ ◦ S(x, y0 ) = k + α + β − y0 + x − P (x) f¨ ur alle x ∈ W1 \ Z1 (y0 ) eine endliche Menge. Daher nimmt x − P (x) f¨ ur alle x ∈ W1 \ Z1 (y0 ) nur endlich Werte an, und wenn man die Werte an den endlich vielen Stellen x ∈ Z1 (y0 ) hinzuf¨ ugt, folgt (4). ¤ Mit (3) und (4) ist der Beweis der Behauptung (∗) in 16.5.1 und damit der Beweis des Torellischen Satzes abgeschlossen. ¤

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16 Die Riemannsche Thetafunktion

16.6 Ausblick: Abelsche Variet¨ aten Wir wollen Beziehungen zwischen den Thetafunktionen, den Siegelschen Matrizen und den komplexen Tori betrachten, ohne uns sofort auf Periodenmatrizen und Periodentori kompakter Fl¨achen zu beschr¨anken. Vielmehr sollen diese erst sp¨ater in die allgemeine Theorie eingef¨ ugt werden. Beweise f¨ ur die im folgenden dargestellten Ergebnisse u ¨berschreiten durch ihren Umfang und die benutzten Methoden aus der h¨oher dimensionalen komplexen Analysis und Geometrie den Rahmen des vorliegenden Buches und werden durch Hinweise auf die weiterf¨ uhrende Literatur ersetzt. 16.6.1 Eine Definition Abelscher Variet¨ aten. Folgende Situation bildet den Ausgangspunkt: ein g-dimensionaler komplexer Vektorraum V mit einer Basis (a1 , . . . , ag ) und eine Siegelsche Matrix T ∈ Hg mit den Elementen τjk . Man bildet die Vektoren P g bj := k=1 τjk ak f¨ ur j = 1, . . . , g und das von (a1 , .., ag ; b1 , .., bg ) aufgespannte Gitter Ω < V . Es hat den maximalen Rang 2g . Daher ist der Quotient V /Ω ein kompakter komplex g-dimensionaler Torus. Tori, die auf diese Weise zustande kommen, heißen Abelsche Variet¨ aten, da sie historisch aus Abels Untersuchungen komplexer Integrale hervorgehen. Denn das Vorbild der Ausgangssituation ist offensichtlich der Dualraum V = E1 (X)∗ des Vektorraums der holomorphen Differentialformen auf einer kompakten Riemannsche Fl¨ache X vom Geschlecht g , das Homologiegitter Ω = H1 (X) < E1 (X)∗ = V , der Jacobische Periodentorus V /Ω = E1 (X)∗ /H1 (X) = J(X) , eine symplektische Basis (a1 , .., ag ; b1 , .., bg ) von H1 (X) und die zugeh¨orige Periodenmatrix T ∈ Hg . 16.6.2 Polarisierung. Die Schnittform auf der Homologie H1 (X) ist das Vorbild f¨ ur die alternierende Z-bilineare Polarisierung s : Ω × Ω → Z , die durch s(a , a ) = s(b , b ) = 0 und s(a , b ) = δ j

k

j

k

j

k

jk

definiert wird. Der Ausgangsbasis (a1 , .., ag ; b1 , .., bg ) werden alle Basen (a′1 , .., a′g ; b′1 , .., b′g ) von Ω gleichberechtigt zur Seite gestellt, f¨ ur welche die Matrix der Polarisierung die Gestalt µ ¶ 0 E J= , E = (g × g)-Einheitsmatrix , −E 0 hat. Die Ergebnisse aus 15.5.3 lassen sich dann mit wenigen zus¨atzlichen ¨ Uberlegungen vom Homologiegitter auf die hier betrachteten allgemeineren Gitter Ω u ¨bertragen. Wie in 16.1.4 wird f¨ ur jede sympektische Basis (a1 , .., ag ; b1 , .., bg ) von Ω die Thetafunktion V → C , ϑ(z) := θ(z1 , . . . , zg ; T ) f¨ ur z = z1 a1 + . . . + zg ag

16.6 Ausblick: Abelsche Variet¨ aten

325

durch die Thetareihe definiert, die zur Siegelschen Pg Matrix T = (τjk ) geh¨ort, deren Elemente die Komponenten von bj := k=1 τjk ak sind. Beim Wechsel der symplektischen Basen l¨aßt sich die Transformation der Siegelschen Matrizen durch die Formel 15.5.3(3) u ¨bersichtlich beschreiben. Aber die entsprechende Transformation den Thetafunktionen ist kompliziert. Wir geben nur ein qualitatives Ergebnis an: Seien ϑ und ϑ′ die Thetafunktionen zu zwei symplektischen Basen eines polarisierten Gitters Ω < V . Dann gibt es eine nullstellenfreie holomorphe Funktion ϕ : V → C und einen Vektor w ∈ V , so daß ϑ′ (z) = ϕ(z)ϑ(w + z) f¨ ur alle z ∈ V gilt. 16.6.3 Gewichtete Thetafunktionen. Projektive Einbettungen. Die Welt der Thetafunktionen wird reichhaltiger, wenn man die restriktive Periodizit¨atsbedingung 16.1.3(1) durch die Einf¨ uhrung von Gewichten lockert. Solche Gewichtungen wurden bereits in 19. Jahrhundert studiert, und man bemerkte bald eine beliebig große Menge von Relationen zwischen den gewichteten Thetafunktionen, so daß Frobenius 1893 in seiner Antrittsvorlesung bei der Berliner Akademie der Wissenschaften warnte [Frobenius, Ges. Abh. 2, S. 576]: Die Besch¨aftigung mit jenen Formelmassen scheint auf die mathe” matische Phantasie eine verdorrende Wirkung auszu¨ uben.“ S. Lefschetz, der von 1913-1924 mathematisch v¨ollig isoliert an der Universit¨at von Kansas lehrte, entging dieser Wirkung. Er betrachtet in [Lef] die Zg -periodischen holomorphen Funktionen f auf Cg , welche f¨ ur eine Matrix T ∈ Hg und ein Gewicht r ∈ N>0 statt 16.1.3(1) die Periodizit¨atsbedingung f (z + T n) = exp[−πirhn, 2z + T ni] · f (z) erf¨ ullen. Sie heißen Thetafunktionen vom Gewicht r und bilden einen komplexen Vektorraum Fr (T ) der Dimension q = rg . Beispielsweise entsteht aus der durch 16.1.1(1) definierten Thetareihe mit r Vektoren w1 , . . . , wr ∈ Cg , deren Summe w1 + . . . + wg = 0 ist, die Funktion (1) f (z) := θ(z + w1 ) · . . . · θ(z + wr ) vom Gewicht r . Sei Ω < Cg das von den Spalten der Matrix (E, T ) aufgespannte Gitter. F¨ ur r ≥ 2 haben die Funktionen f ∈ Fr (T ) wegen (1) keine gemeinsame Nullstelle, siehe auch Aufgabe 16.7.9. Daher bestimmt jede Basis (f1 , . . . , fq ) von Fr (T ) die holomorphe Abbildung¢ ¡ Φr : Cg /Ω → Pq−1 , z + Ω 7→ f1 (z) : . . . : fq (z) , der Abelschen Variet¨at in den projektiven Raum. Lefschetz zeigte: F¨ ur r ≥ 3 ist Φr eine holomorphe Einbettung. Und umgekehrt: Jeder kompakte komplexe Torus, der sich in einen projektiven Raum holomorph einbetten l¨ aßt, ist bis auf Isomorphie eine Abelsche Variet¨ at. Die Abelschen Variet¨aten sind also Objekte der projektiven, komplex algebraischen Geometrie. Sie wurden in diesem Rahmen von vielen Autoren ausf¨ uhrlich studiert, siehe dazu [Mum 1], [Mum 3], die umfangreiche Monographie [LB] sowie die Einf¨ uhrungen [Deb] oder [SD].

326

16 Die Riemannsche Thetafunktion

16.6.4 Periodenmatrizen sind irreduzibel. Die einfachsten Siegelschen Matrizen iE ∈ Hg sind f¨ ur g ≥ 2 keine Periodenmatrizen kompakter Fl¨achen. Denn die Periodenmatrix T jeder kompakten Fl¨ ache vom Geschlecht g ≥ 2 ist irreduzibel, d.h. sie kann nicht in zwei Bl¨ o cke µ ¶ T1 0 T = mit T1 6= 0 6= T2 0 T2 zerlegt werden. Beweis. Wenn T zerlegt ist, gilt entsprechendes f¨ ur Cg = Cg1 × Cg2 , f¨ ur g das Gitter Ω = Ω1 × Ω2 , den Torus C /Ω = (Cg1 /Ω1 ) × (Cg2 /Ω2 ) und die Thetareihe θ(z, T ) = θ(z1 , T1 ) · θ(z2 , T2 ) mit z = (z1 , z2 ) . Die Nullstellenmenge N ⊂ Cg /Ω von θ(−, T ) setzt sich dann folgendermaßen aus den Nullstellenmengen Nj ⊂ Cgi /Ωj von θ(−, Tj ) zusammen: N = N1 × (Cg2 /Ω2 ) ∪ (Cg1 /Ω1 ) × N2 . Insbesondere ist N reduzibel. Aber bei einer kompakten Fl¨ache ist Wg−1 und daher N = κ − Wg−1 irreduzibel. ¤ 16.6.5 Der Teichm¨ uller-Raum. Nicht jede irreduzible Siegelsche Matrix ist die Periodenmatrix einer kompakten Fl¨ache. Das wußte bereits Riemann. Denn in [Ri 3], Artikel 12, legt er jede Fl¨ache vom Geschlecht g ≥ 2 bis auf Isomorphie durch 3g −3 komplexe Parameter fest. F¨ ur g ≥ 4 ist das weniger als die Dimension g(g + 1)/2 des Siegelschen Halbraumes Hg .

Teichm¨ uller (siehe [Tei], insbesondere Nr. 20 und 29) hat in den 1930-er Jahren Riemanns Parameterz¨ahlung zu einer umfangreichen Theorie ausgebaut, die auf folgenden Ideen beruht: Jede Fl¨ache X vom Geschlecht g wird durch die Wahl einer symplektischen Basis (a1 , . . . , ag ; b1 , . . . , bg ) von H1 (X) markiert. Zwei markierte Fl¨achen (X; aj , bj ) und (X ′ ; a′j , b′j ) heißen isomorph, wenn es eine biholomorphe Abbildung f : X → X ′ mit a′j = f∗ (aj ) und b′j = f∗ (bj ) gibt. Man erh¨alt eine Abbildung von der Menge Tg aller Isomorphieklassen markierter Fl¨achen vom Geschlecht g in den Siegelschen Halbraum Hg , indem man jeder markierten Fl¨ache ihre Periodenmatrix zuordnet. Nach dem Torellischen Satz ist diese Abbildung fast injektiv: Wenn zwei markierte Fl¨achen (X; aj , bj ) und (X ′ ; a′j , b′j ) dieselbe Periodenmatrix T haben, gibt es eine biholomorphe Abbildung f : X → X ′ und eine Matrix M ∈ Sp2g (Z) mit M • T = T , welche die symplektische Ba¡ ¢ sis (a′j ; b′j ) in die symplektische Basis f∗ (aj ); f∗ (bj ) transformiert. Diese Matrizen M bilden eine endliche Untergruppe. Man kann T1 mit der Halbebene H identifizieren. Teichm¨ uller u ¨bertrug dies auf g ≥ 2 : Die Menge Tg l¨aßt sich als beschr¨anktes Gebiet in C3g−3 realisieren. Die Dimension des Teichm¨ uller-Raumes Tg ⊂ C3g−3 entspricht der Riemannschen Parameterz¨ahlung. Die Abbildung Tg → Hg ist holomorph. F¨ ur g = 2 ist ihr Rang u ¨berall maximal = 3 . F¨ ur g ≥ 3 ist ihr Rang genau in den Punkten maximal = 3g − 3 , die den nicht-hyperelliptischen Fl¨achen entsprechen. Genauere Ausf¨ uhrungen findet man z.B. in [IT], Chapter 6 und Appendix A.2.

16.7 Aufgaben

327

16.6.6 Charakterisierung der Periodenmatrizen. F¨ ur g = 2 , 3 liegen die Periodenmatrizen dicht in Hg . F¨ ur g ≥ 4 ist dimHg − dimTg = 12 (g − 2)(g − 3) > 0 . Die ersten Ergebnisse zur Charakterisierung der Periodenmatrizen f¨ ur g = 4 stammen von Schottky [Sky] (1888). Daher wird die Aufgabe, die Teilmenge der Periodenmatrizen in Hg zu beschreiben, das Schottkysche Problem genannt. Novikovs Vermutung, daß man Krichevers L¨osung der KP-Gleichung mittels Riemannscher Thetafunktionen, siehe 16.3.5 , zur Charakterisierung der Periodenmatrizen verwenden kann, wurde 1980-1986 durch die Arbeiten verschiedener Autoren (Dubrovin, Arbarello/De Concini u.a.) zun¨achst teilweise und schließlich durch Shiota vollst¨andig best¨atigt: Eine irreduzible Matrix T ∈ Hg ist genau dann die Periodenmatrix einer kompakten Fl¨ ache, wenn es drei Vektoren U1 6= 0 , U2 , U3 ∈ Cg gibt, so daß die mit der Thetareihe gebildete Funktion u(x, y, t) := 2 ∂x2 log θ(x U1 + y U2 + t U3 + e ; T ) f¨ ur jeden Vektor e ∈ Cg die KP-Gleichung erf¨ ullt. Der umfangreiche Beweis dieses Ergebnisses wird hier nicht ausgef¨ uhrt. Mehr Informationen und Literaturangaben sowie geometrische Deutungen findet man in den Artikeln von Arbarello/De Concini [A dC] und Taimanov [Ta].

16.7 Aufgaben Die Aufgaben 1) - 3) handeln von Thetafunktionen f¨ ur g = 1 : Bilde mit τ ∈ H = H1 das Gitter Ω = Z + Zτ ⊂ C und den Torus X = C/Ω mit der Projektion η : C → X . Identifiziere Ω < C mit H1 (X) < E1 (X)∗ . Sei θ := θ(−, τ ) die Thetareihe 16.1.1(1) f¨ ur g = 1 . 1) Zeige: Die Funktion θ∗ (z) := exp(−πiz) · θ(z + ([1 + τ ]/2) ist ungerade. Ihre Nullstellen liegen in den Gitterpunkten und sind einfach. Bestimme die Nullstellenmenge N ⊂ J(X) = X von θ und die Riemannsche Konstante κ . 2) F¨ ur die ur alle j, k P Punkte P a1 , . . . , an , b1 , . . . , bn ∈ C gelte η(aj ) 6= η(bk ) f¨ und aj = bj . Zeige:PEs gibt eine meromorphe Funktion f auf X mit dem Hauptdivisor (f ) = (η(aj ) − η(bj )) , so daß Yn θ∗ (z − aj ) . f ◦η = j=1 θ∗ (z − bj ) 3) Zeige: F¨ ur die Weierstraßsche σ -Funktion aus 2.3.3 gilt σ(z) = exp(c0 + c1 z + c2 z 2 ) θ∗ (z) mit Konstanten cj ∈ C . Hinweis. Die zweite logarithmische Ableitung (log θ∗ )′′ ist Ω-periodisch. Mit 2.1.2 kommt die ℘-Funktion ins Spiel. 4) Sei T ∈ Hg , sei θ(z) := θ(z, T ) die Thetareihe 16.1.1(1) und Ω das von den Spalten der Matrix (E, T ) aufgespannte Gitter. Zeige, daß folgende Methoden Ω-periodische meromorphe Funktionen f auf Cg und daher meromorphe Funktionen auf der Abelschen Variet¨ at Cg /Ω definieren:

328

16 Die Riemannsche Thetafunktion (1)

f=

n Y P θ(ej + z) g f¨ ur e1 , . . . , e2n ∈ Cg mit j (ej − en+j ) ∈ Z , θ(e n+j + z) j=1

∂ θ(a + z) log f¨ ur a, b ∈ Cg , ∂zj θ(b + z) ∂2 (3) f = log θ(z) . ∂zj ∂zk In (2) und (3) wird die partielle logarithmische Ableitung ∂(log h)/∂zj := (∂h/∂zj )/h benutzt. (2)

f=

5) Gib mittels Quotienten von Primfunktionen zu je zwei Punkten P 6= Q einer kompakten Fl¨ ache eine Differentialform an, die in P , Q einfache Pole mit den Residuen 1 bzw. −1 besitzt und sonst holomorph ist. 6) Zeige in Erg¨ anzung zum Riemannschen Singularit¨ atentheorem: Aus o(ϑ, e) ≥ 2 folgt, daß p(e) einen schlechte Nullstelle ist, vgl. 16.2.1. 7) Zeige: Der Null- und Polstellendivisor S(x, y, t) der normierten Baker-AkhiezerFunktion ϕ(x, y, t; P ) aus 16.3.3(1) hat den Periodenwert µ(S(x, y, t)) = p(xU1 + yU2 + tU3 ) ∈ J(X) . 8) Wie vereinfachen sich die KP-Differentialgleichung und ihre L¨ osung u(x, y, t) mittels der Thetafunktion ϑ(xU1 + yU2 + tU3 + e) gem¨ aß 16.3.5(2), wenn die Vektoren U1 , U2 , U3 linear abh¨ angig sind? Man beachte dabei die Spezialf¨ alle in Aufgabe 15.7.8. Wann tritt wie in 16.3.6 die KdV-Gleichung auf? Wann kann die L¨ osung u durch eine Weierstraßsche ℘-Funktion ausgedr¨ uckt werden? Wann erscheint die Boussinesq’sche Differentialgleichung 3uyy + (3u2 + uxx )xx = 0 ? 9) Zeige als Erg¨ anzung zu Abschnitt 16.6.3: (i) Jede Thetafunktion vom Gewicht r l¨ aßt sich in eineX Fourier-Reihe entwickeln: f (z) = γ(n) exp[(πi/r)hn, T ni] exp[2πihn, zi] . g n∈Z

Die Koeffizienten γ(n) ∈ C h¨ angen nur von der Restklasse n + rZg ab und sind sonst beliebig. Folgere: dim Fr (T ) = rg . (ii) F¨ ur die Thetafunktion θ vom Gewicht 1 und je r Vektoren w1 , . . . , wr ∈ Cg mit w1 + . . . + wr = 0 ist das Produkt z 7→ ϑ(z + w1 ) · . . . · ϑ(z + wr ) eine Thetafunktion vom Gewicht r . Folgere f¨ ur r ≥ 2 : Die Funktionen f ∈ Fr (T ) haben keine gemeinsame Nullstelle. ur jede (iii) Finde zu jedem Vektor w ∈ r1 Ω eine lineare Funktion l(z) , so daß f¨ Funktion f ∈ Fr (T ) auch z 7→ exp[l(z)]·f (z + w) zu Fr (T ) geh¨ ort.

1. Grundlagen

Bernhard Riemann wurde am 17.9.1826 als Sohn eines Predigers in Breselenz (heute Jameln-Breselenz in Niedersachsen) geboren. Nach dem Abitur in L¨ uneburg begann er Ostern 1846 in G¨ottingen mit dem Studium der Theologie, wechselte aber seinen Neigungen entsprechend nach einem Semester zur Mathematik und Physik. Schon in den Herbstferien 1847 entwickelte er Ideen f¨ ur eine neue Grundlage der komplexen Funktionentheorie. Nachdem er zum Wintersemester 1847/48 nach Berlin gegangen war, er¨orterte er seine Vorstellungen mit dem drei Jahre ¨alteren Eisenstein, der sich gerade habilitierte. Eisenstein scheint die Ideen nicht gebilligt zu haben. Er beharrte auf dem formalen Rechnen mit Reihen als Grundlage. Riemann fiel es schwer, seine Gedanken zu formulieren. Erst im November 1851 reichte er in G¨ottingen seine Dissertation [Ri 2] u ¨ber Grundlagen ” f¨ ur eine allgemeine Theorie der Functionen einer ver¨anderlichen complexen Gr¨oße“ ein. Gutachter war der bereits 74 Jahre alte Gauß. Er ging auf den Inhalt der Arbeit u ¨berhaupt nicht ein, lobte aber die gr¨ undlichen und tief ” eindringenden Studien des Verfassers in demjenigen Gebiete, welchem der zu behandelnde Gegenstand angeh¨ort“ ; siehe dazu [Re 2], S. 158 f. Seine h¨ochste Anerkennung teilte er Riemann m¨ undlich mit: Er bereite seit Jahren eine Schrift u ¨ber denselben Gegenstand vor. In den ersten vier Abschnitten der Dissertation stellt Riemann die CauchyRiemannschen Differentialgleichungen als Grundlage der komplexen Funktionentheorie vor. Der 5. Abschnitt beginnt: F¨ ur die folgenden Betrachtungen ” beschr¨anken wir die Ver¨anderlichkeit der Gr¨oßen x, y auf ein endliches Gebiet, indem wir als Ort des Punktes O nicht mehr die Ebene A selbst, sondern eine u ¨ber dieselbe ausgebreitete Fl¨ache T betrachten. Wir w¨ahlen diese Einkleidung, bei der unanst¨ossig sein wird, von aufeinander liegenden Fl¨achen zu reden, um die M¨oglichkeit offen zu lassen, dass der Ort des Punktes O u ¨ber denselben Theil der Ebene sich mehrfach erstrecke, setzen jedoch f¨ ur einen solchen Fall voraus, ... .“ Hier schließt eine l¨angere Er¨orterung an, in welcher Weise T u ¨ber A ausgebreitet ist. Im weiteren Verlauf der Dissertation bem¨ uht sich Riemann, die Neuartigkeit seiner Ideen herunterzuspielen und dem Leser klarzumachen, daß man auf der Fl¨ache T genauso einfach wie in der Zahlenebene eine Funktionentheorie aufbauen kann. Gauß meinte: ... der gr¨oßte Theil der ”

2

1. Grundlagen

Leser m¨ochte wohl in einigen Theilen noch eine gr¨oßere Durchsichtigkeit ¨ der Anordung w¨ unschen.“ Uber 100 Jahre sp¨ater schreibt Dieudonn´e [Di 2], p. 48: L’on voit Riemann, pr`esque syst´ematiquement, penser a ` cˆ ot´e (suivant ” l’expression de Hadamard), abordant chaque probl`eme d’une fa¸con `a laquelle aucun de ses pr´ed´esseurs n’avait song´e.“ In der Tat wurden Riemanns Ideen von seinen Zeitgenossen zwar bewundert, aber kaum angenommen. Erst durch Felix Kleins beredtes Eintreten wurden die Riemannschen Fl¨achen gegen Ende des 19. Jahrhunderts verbreitet anerkannt. Ein wichtiges Ereignis war Weyls Buch von 1913, in dem er die Riemannschen Fl¨achen von der Ausbreitung u ¨ber der Zahlenebene l¨oste und sie als Mutterboden ansah, auf dem die analytischen Funktionen wachsen und gedeihen k¨onnen, vergleiche [Wyl 1], S. VII. Welchen Nutzen eine Funktionentheorie auf nicht-ebenen Bereichen hat, erl¨autert Riemann in seiner Dissertation nicht. Dies wird erst in seiner großen Abhandlung Ueber die Theorie der Abel’schen Functionen [Ri 3] deutlich, die er sechs Jahre sp¨ater ver¨offentlichte : Dank seiner Fl¨achen gelingt es, die Schwierigkeiten zu u ¨berwinden, welche die Mehrdeutigkeit der algebraischen Funktionen ¨alteren Mathematikern bereitete, als sie versuchten, solche Funktionen zu integrieren, vgl. Kleins Bericht u ¨ber Jacobis Integrationsversuche, [Klei 5], S. 110 ff. Riemann erkennt als Ursache der Mehrdeutigkeit die topologische Gestalt der Fl¨ache. Daher spielt im vorliegenden Buch die Topologie eine wichtige Rolle. Wir setzen die Grundbegriffe der allgemeinen Topologie als bekannt voraus und beginnen die Entwicklung weiterer topologischer Methoden mit der Fundamentalgruppe im 3. Kapitel.

1.1 Riemannsche Fl¨ achen und ihre Abbildungen Zu den Grundbegriffen der Funktionentheorie geh¨ort die Holomorphie f¨ ur Funktionen f : U → C , deren Definitionsbereich U ⊂ C offen ist. Holomorph in diesem Sinne wird im folgenden als klassisch holomorph bezeichnet. Es war Riemanns Idee, statt der Ebene C auch andere Fl¨achen X zuzulassen und die Holomorphie f¨ ur Funktionen f : U → C zu erkl¨aren, deren Definitionsbereich U ⊂ X offen ist. So entstehen Riemannschen Fl¨achen. 1.1.1 Holomorphe Atlanten. Riemannsche Fl¨ achen. Ein holomorpher Atlas A = {(Ui , hi )} auf einem topologischen Raum X besteht aus einer ¨ Uberdeckung von X durch offene Mengen Ui ⊂ X und Hom¨oomorphismen hi : Ui → hi (Ui ) ⊂ C , die im folgenden Sinne holomorph vertr¨ aglich sind: Die Bilder hi (Ui ) sind offen in C , und f¨ ur jedes Paar i, j ist (1) hj ◦ h−1 : hi (Ui ∩ Uj ) → hj (Ui ∩ Uj ) i

klassisch biholomorph, siehe die Figur 1.1.1. Man nennt die Paare (Ui , hi ) Karten von A und die Abbildungen (1) Kartenwechsel.

1.1 Riemannsche Fl¨ achen und ihre Abbildungen

hi

Ui

3

hi(Ui) hj°hi-1

Uj

hj(Uj)

hj Fig. 1.1.1 Zwei Karten (Ui , hi ) , (Uj , hj ) und ihr Kartenwechsel hj ◦ h−1 i .

Sei U ⊂ X offen. Eine Funktion f : U → C heißt holomorph bez¨ uglich A , wenn f¨ ur jede Karte (Uj , hj ) ∈ A die Funktion hj (U ∩ Uj ) → C , z 7→ f ◦ h−1 j (z) , klassisch holomorph ist. Wenn U ⊂ Uk liegt, gen¨ ugt wegen der Biholomorphie der Kartenwechsel, daß f ◦ h−1 auf h (U ) klassisch holomorph ist. k k S¨amtliche Funktionen f : U → C , die bez¨ uglich A holomorph sind, bilden einen Ring O(U, A) . Er enth¨alt alle konstanten Funktionen und ist daher eine C-Algebra. Alle Funktionen f ∈ O(U, A) sind stetig. Genau dann, wenn f ∈ O(U, A) keine Nullstelle hat, geh¨ort 1/f zu O(U, A) . Zwei Atlanten A und B f¨ ur X heißen ¨aquivalent, wenn A ∪ B ein holomorpher Atlas ist, d.h. wenn f¨ ur je zwei Karten h aus A und k aus B der ¨ Kartenwechsel h ◦ k −1 biholomorph ist. Eine Aquivalenzklasse holomorpher Atlanten heißt holomorphe Struktur auf X . Die Vereinigung aller Atlanten einer holomorphen Struktur heißt maximaler Atlas. Wenn A und B ¨aquivalent sind, gilt O(U, A) = O(U, B) f¨ ur jede offene Menge U ⊂ X . Nach Festlegung einer holomorphen Struktur geh¨ort also zu jeder offenen Menge U ⊂ X die Algebra O(U ) := O(U, A) der holomorphen Funktionen. Dabei ist A irgendein Atlas der Struktur. Folgendes aus der klassischen Theorie, d.h. f¨ ur offene Mengen in C bekannte Ergebnis u ¨bertr¨agt sich nach Festlegung einer holomorphen Struktur auf offene Mengen in X . Lokal-Global-Prinzip. ur jede Familie {Vk } von offenen Mengen und S F¨ ihre Vereinigung V = Vk gilt: Eine Funktion f : V → C ist genau dann holomorph, wenn alle Beschr¨ ankungen f |Vk holomorph sind. ¤ Die fundamentale Definition lautet: Eine Riemannsche Fl¨ ache ist ein Hausdorffraum X zusammen mit einer holomorphen Struktur auf X .

Unter einer n-dimensionalen topologischen Mannigfaltigkeit versteht man einen Hausdorffraum X , der zum Rn lokal hom¨oomorph ist: Jeder Punkt in

4

1. Grundlagen

X besitzt eine Umgebung, die zu einer offenen Menge des Rn hom¨oomorph ist. Riemannsche Fl¨achen sind also zweidimensionale Mannigfaltigkeiten. Die Zahlenebene C ist eine Riemannsche Fl¨ache. Jede offene Teilmenge einer Riemannschen Fl¨ache ist selbst eine Riemannsche Fl¨ache. Folgende offene Teilmengen von C sind daher Riemannsche Fl¨achen: die Kreisscheiben Er := {z ∈ C : |z| < r} f¨ ur r > 0 , insbesondere die Einheitskreisscheibe E := E1 , die obere Halbebene H := {z ∈ C : Im z > 0} und die punktierte Ebene C× := C \ {0} .

Historisches. Atlanten finden sich in Kleins G¨ ottinger Vorlesungen des Wintersemesters 1891/92 u ¨ber Riemannsche Fl¨ achen, siehe [Klei 4], S. 26: Eine zweidimen” sionale, geschlossene, mit einem Bogenelement ds2 ausgestattete Mannigfaltigkeit [= kompakte Fl¨ ache mit einer Riemannschen Metrik], welche keine Doppelmannigfaltigkeit [d.h. orientierbar] ist, ist jedenfalls dann als Riemannsche Fl¨ ache zu brauchen, wenn man sie mit einer endlichen Zahl von Bereichen dachziegelartig u ¨berdecken kann, deren jeder eindeutig und konform auf eine schlichte Kreisscheibe abgebildet werden kann.“ Die Dachziegel¨ uberdeckungen sind holomorphe Atlanten. ¨ Der Ubergang zwischen Dachziegeln (Kartenwechsel) ist wegen der Konformit¨ at automatisch biholomorph. Atlanten mit unendlich vielen Karten sind f¨ ur Klein noch suspekt.– Weyl vergißt in [Wyl 1] das Hausdorffsche Trennungsaxiom zu fordern. Die Karten nennt er Ortsuniformisierende.

b := C ⊎ {∞} entsteht aus der 1.1.2 Die Riemannsche Zahlenkugel C Zahlenebene C , indem man einen unendlich fernen Punkt ∞ hinzuf¨ ugt und b mit folgender Definition zun¨achst zu einem Hausdorffraum macht: C b sind die offenen Mengen in C und die Mengen Die offenen Mengen in C (C \ K) ∪ {∞} , wobei K alle Kompakta in C durchl¨auft. Die Umgebungen von ∞ sind also die Komplemente der Kompakta in C . b besteht aus den zwei Karten (C, id) und (C b \ {0}, h) , Ein Atlas f¨ ur C wobei h(z) = 1/z f¨ ur z 6= ∞ und h(∞) = 0 ist. Der Kartenwechsel b zu h ◦ id−1 : C× → C× , z → 1/z , ist holomorph. Der Atlas macht C einer Riemannschen Fl¨ache, die zur Sph¨are S 2 := {(w, t) ∈ C × R : |w|2 + t2 = 1} hom¨oomorph ist. Denn die stereographische Projektion (Figur 1.1.2) b , π(w, t) := w/(1 − t) f¨ (1) π : S 2 → C ur t 6= 1 und π(0, 1) := ∞ , b wie ist bijektiv und stetig, also ein Hom¨oomorphismus. Insbesondere ist C 2 S kompakt und zusammenh¨angend. Wir geben die Umkehrabbildung π −1 explizit an: Sei N := (0, 1) ∈ S 2 der Nordpol. Die Gerade durch N und x = (w, t) 6= N besteht aus den Punkten sx + (1 − s)N = (sw, st + 1 − s) , s ∈ R . ¨ Sie schneidet die Aquatorebene {t = 0} in π(x) = (z, 0). Das trifft f¨ ur z = sw mit s := 1/(1 − t) zu. Aus |w|2 + t2 = |x|2 = 1 und w = (1 − t)z erh¨alt man nach kurzer Rechnung f¨ ur die Umkehrabbildung neben π −1 (∞) = N die Gleichungen

1.1 Riemannsche Fl¨ achen und ihre Abbildungen

5

t-Achse

x

w-Ebene

• • π (x)

Fig. 1.1.2. Die stereographische Projektion π : Man zieht eine Gerade durch den Nordpol und x ∈ S 2 . Sie trifft die komplexe w-Ebene in π(x) .

|z|2 − 1 2z |z|2 − 1 2z + N , d.h. w = , t = . |z|2 + 1 |z|2 + 1 |z|2 + 1 |z|2 + 1 b ist somit ein reell-analytischer Isomorphismus, Die Abbildung π : S 2 → C 2 der S \ {N } konform, d.h. winkel- und orientierungstreu, auf C abgebildet. π −1 (z) = x =

Riemann f¨ uhrte die Zahlenkugel im Wintersemester 1858/59 in seinen Vorlesungen u ¨ber die hypergeometrische Reihe, ein [Werke, 3. Aufl., S. 678/79]. In seinen Publikationen kommt sie nicht explizit vor. Die erste Ver¨ offentlichung, die (unter Berufung auf Riemanns Vorlesungen) die Zahlenkugel enth¨ alt, stammt von Neumann [Neu], S. VI und S. 131 ff., siehe auch [Klei 1] II, S. 256.

1.1.3 Holomorphe Abbildungen. Eine stetige Abbildung η : X → Y zwischen Riemannschen Fl¨achen heißt holomorph, wenn sie die holomorphen Funktionen in Y zu holomorphen Funktionen in X liftet: ur jede ¡ F¨ ¢ offene Menge V ⊂ Y und jede Funktion g ∈ O(V ) ist g ◦ η ∈ O η −1 (V ) . Das Lokal-Global-Prinzip gilt auch f¨ ur holomorphe Abbildungen. Jede Hintereinanderschaltung holomorpher Abbildungen ist holomorph. Die holomorphen Abbildungen X → C sind die auf X holomorphen Funktionen. Eine bijektive, holomorphe Abbildung η : X → Y , deren Umkehrabbildung η −1 : Y → X holomorph ist, heißt biholomorph oder Isomorphismus. Die Fl¨achen X und Y heißen dann isomorph, kurz X ≈ Y . F¨ ur jedes r > 0 gilt Er ≈ E . Eine Riemannsche Fl¨ache U heißt Scheibe (mit dem Zentrum a) , wenn es einen Isomorphismus η : U → E (mit η(a) = 0) gibt. Die obere Halbebene ist wegen der Cayleyschen Abbildung H → E , z 7→ (z − i)/(z + i) , eine Scheibe mit dem Zentrum i. Wir nennen η bei a ∈ X biholomorph, wenn a eine Umgebung U besitzt, so daß η(U ) ⊂ Y offen und die Beschr¨ankung η : U → η(U ) biholomorph ist. Wenn η bei jeder Stelle biholomorph ist, heißt η lokal biholomorph. Isomorphismen X → X heißen Automorphismen. Sie bilden mit der Hintereinanderschaltung als Verkn¨ upfung die Automorphismengruppe Aut(X) . Zu jeder holomorphen Abbildung η : X → Y geh¨ort die Deckgruppe D(η) := {g ∈ Aut(X) : η ◦ g = η} . Ihre Elemente heißen Deckabbildungen zu η .

6

1. Grundlagen

Beispiele. Die Exponentialabbildung exp : C → C× , z 7→ ez , ist lokal biholomorph. Die Translationen z 7→ z + 2πin, n ∈ Z , geh¨oren zu D(exp) .– Bei der Potenzabbildung ηn : E → E, z 7→ z n , f¨ ur n = 1, 2, . . . geh¨ort zu jeder n-ten Einheitswurzel ω die Deckabbildung z 7→ ωz . In beiden F¨allen gibt es keine anderen Deckabbildungen, also D(exp) ∼ = Z und D(ηn ) ∼ = µn := multiplikative Gruppe der n-ten Einheitswurzeln. 1.1.4 Meromorphe Funktionen. Eine Teilmenge A ⊂ X heißt lokal endlich, wenn in jedem Kompaktum K ⊂ X nur endlich viele Punkte von A liegen. Sei f : X \A → C holomorph, wobei A lokal endlich in X ist. F¨ ur jedes a ∈ A und jede Karte z : (U, a) → (E, 0) mit hinreichend kleinem Definitionsbereich U ist f auf P U \{a} holomorph und hat dort eine normal ∞ konvergente Laurent-Reihe f = j=−∞ cj z j . Genau dann, wenn ihr Hauptb stetig fortsetzen. Man teil endlich ist, l¨aßt sich f mit einem Wert f (a) ∈ C nennt diese Fortsetzung meromorph. Man definiert die Ordnung von f an der Stelle a als Minimum o(f, a) := min{j : cj 6= 0} und setzt o(f, a) = ∞ , wenn alle Koeffizienten cj = 0 sind. Die Ordnung h¨angt nicht von der Wahl der Karte z ab. Denn f¨ ur eine andere Karte w mit w(a) = 0 ist z = a1 w + a2 w2 + . . . eine konvergente Potenzreihe mit P a1 6= 0 . F¨ ur n := min{j : cj 6= 0} gilt dann f = cn z n + j>n cj z j = P cn an1 wn + k>n dk wk mit Koeffizienten dk ∈ C , wobei dn := cn an1 6= 0 ist. Wie in der klassischen Funktionentheorie gilt (1) o(f · g, a) = o(f, a) + o(g, a) und o(1/f , a) = −o(f, a) , letzteres, wenn f bei a nicht konstant = 0 ist. Falls o(f, a) < 0 , also f (a) = ∞ ist, heißt a ein Pol von f . Wenn sich f in alle Punkte a ∈ A meromorph fortsetzen l¨aßt, heißt die fortgesetzte Funktion meromorph. Die meromorphen Funktionen sind genau die holomorphen b , deren Polstellenmenge f −1 (∞) lokal endlich ist. Abbildungen f : X → C

Satz. Die Menge M(X) aller auf X meromorphen Funktionen ist ein Ring, welcher O(X) umfaßt. Wenn f ∈ M(X) eine lokal endliche Nullstellenmenge hat, geh¨ ort 1/f zu M(X) . ¤ 1.1.5 Lokale und globale Funktionentheorie. Jeder Punkt einer Riemannschen Fl¨ache ist Zentrum einer Scheibe, die in X offen ist. Daher lassen sich alle S¨atze der klassischen Funktionentheorie, die im Kleinen g¨ ultig sind, auf Riemannsche Fl¨achen u ¨bertragen. Interessant werden diese Fl¨achen erst dann, wenn man fragt, welche Auswirkungen ihre globale topologische Gestalt auf die Funktionentheorie hat. Auf kompakten, zusammenh¨angenden Fl¨achen sind alle holomorphen Funktionen konstant, siehe 1.3.5. F¨ ur eine reichhaltige Theorie muß man meromorphe Funktionen einbeziehen. Auf der Zahlenkugel sind diese genau die rationalen Funkionen, siehe 1.6.5.

1.2 Liftungs - und Quotientenprinzip

7

Fig. 1.1.5. Kompakte Fl¨ achen vom Geschlecht 0 (Sph¨ are), 1 (Torus), 2 und 3 (Brezelfl¨ achen).

Jede kompakte zusammenh¨angende Riemannsche Fl¨ache ist eine Brezelfl¨ ache. Solche Fl¨achen werden topologisch durch ihr Geschlecht g unterschieden, welches anschaulich die Anzahl der L¨ocher oder der Henkel angibt, siehe Figur 1.1.5. Kapitel 12 enth¨alt die genaue Darstellung. In einem Vortrag vor Gymnasiallehrern sagte Weyl, [Wyl 2] III, no. 95, S. 354 unten: Wie ein ” Sauerteig durchdringt die Geschlechtszahl die ganze Theorie der Funktionen auf einer Riemannschen Fl¨ache. Auf Schritt und Tritt begegnet man ihr, und ihre Rolle ist unmittelbar, ohne komplizierte Rechnungen, verst¨andlich von ihrer topologischen Bedeutung her.“ Bereits bei den Tori (g = 1) ist die Funktionentheorie reichhaltig (2. Kapitel). Je zwei Tori sind hom¨oomorph, aber als Riemannsche Fl¨achen i.a. nicht isomorph. Im 5. Kapitel betrachten wir ihre holomorphe Klassifikation. ¨ In den Kapiteln 3, 4 und 6 werden verschiedene Methoden (Uberlagerungen, Gruppenoperationen, L¨osungen algebraischer Gleichungen) entwickelt, um weitere Riemannsche Fl¨achen herzustellen. Vom 7. Kapitel an wird f¨ ur beliebige Fl¨achen systematisch untersucht, wie ihre topologische Gestalt die Funktionentheorie beeinflußt.

1.2 Liftungs - und Quotientenprinzip Bei gegebener Abbildung η : X → Y soll eine auf Y bzw. X vorhandene holomorphe Struktur nach X hochgehoben (Liftungsprinzip 1.2.1) bzw. nach Y abgesenkt (Quotientenprinzip 1.2.5) werden, so daß in beiden F¨allen η zu einer lokalen biholomorphen Abbildung zwischen Riemannschen Fl¨achen wird. Beide Prinzipien liefern neue Riemannsche Fl¨achen. 1.2.1 Das Liftungsprinzip geht auf Riemanns Dissertation [Ri 2], 5. Abschnitt, zur¨ uck, wo er eine Fl¨ache T u ¨ber der Ebene A ausbreitet und sodann holomorphe Funktionen definiert, deren Definitionsbereiche in T liegen.

8

1. Grundlagen

Eine Abbildung η : X → Y zwischen topologischen R¨aumen heißt lokal topologisch, wenn jeder Punkt in X eine Umgebung U besitzt, die durch η hom¨oomorph auf die offene Menge η(U ) ⊂ Y abgebildet wird.

Liftungsprinzip. Sei η : X → Y eine lokal topologische Abbildung von einem Hausdorffraum X in eine Riemannsche Fl¨ ache Y . Dann gibt es auf X genau eine holomorphe Struktur, so daß η lokal biholomorph wird. Beweis. Jeder Punkt in X liegt in einer offenen Menge Ui , welche durch η hom¨oomorph auf den Definitionsbereich einer holomorphen Karte (Vi , ki ) von Y abgebildet wird. Mit hi := ki ◦ η|Ui erh¨alt man den Atlas A = = kj ◦ ki−1 sind holomorph. {(Ui , hi )} f¨ ur X . Seine Kartenwechsel hj ◦ h−1 i Wenn man X mit der durch A bestimmten holomorphen Struktur versieht, wird η lokal biholomorph. Umgekehrt: F¨ ur jede holomorphe Struktur O auf X , welche η lokal biholomorph macht, sind die oben beschriebenen Karten (Ui , hi ) holomorph. Daher ist O eindeutig bestimmt. ¤ Das Liftungsprinzip wird benutzt, um Riemannsche Fl¨achen durch Polynome zu definieren. Die n¨achsten beiden Abschnitte dienen der Vorbereitung. 1.2.2 Absch¨ atzung der Wurzeln. Sei Q := wn +c1 wn−1 +. . .+cn ∈ C[w] . F¨ ur jede Wurzel u von Q gilt |u| ≤ 2 max{|cj |1/j : j = 1, . . . , n} . Wenn umgekehrt alle Wurzeln von Q durch R beschr¨ ankt sind, gibt es eine nur von R abh¨ angige Schranke M , so daß |cj | ≤ M f¨ ur j = 1, . . . , n gilt. Beweis. Sei r := max{|cj |1/j : j = 1, . . . , n} > 0. F¨ ur v := u/r ist dann rn + (c1 /r)v n−1 + . . . + (cn /rn = 0 , somit |v|n ≤ |v|n−1 + . . . + |v| + 1 . Im Falle |v| > 2 w¨are 1 ≤ |v|−1 + . . . + |v|−n < 2−1 + . . . + 2−n < 1 . Es folgt |v| ≤ 2 , also |u| ≤ 2 r .– Die umgekehrte Behauptung ist klar, da die Koeffizienten cj die elementarsymmetrischen Funktionen der Wurzeln von Q sind. ¤ 1.2.3 Holomorphie der Wurzeln. Wir betrachten ein normiertes Polynom (1) P (y, w) := wn + a1 (y)wn−1 + . . . + an−1 (y)w + an (y) , dessen Koeffizienten aν holomorphe Funktionen auf einer Riemannschen Fl¨ache Y sind. F¨ ur jeden Punkt (b, c) ∈ Y ×C bezeichnen wir mit k(b , c) ∈ N die Vielfachheit von c als Wurzel von P (b, w) ∈ C[w] . Satz. Sei b ∈ Y , und sei f holomorph um c ∈ C . Es gibt Scheiben V um b und W um c , so daß die endliche Summe X k(y, w)f (w) (2) F (y) := w∈W

holomorph von y ∈ V abh¨ angt. Beweis. Sei W eine Scheibe um c , so daß f holomorph in W und P (b, w) nullstellenfrei in W \ {c} ist. Es gibt eine Scheibe V um b , so daß P auf V × ∂W keine Nullstellen hat. Nach [Re 1], Abschnitt 13.2.1, l¨aßt sich F (y) f¨ ur y ∈ V als Integral darstellen, welches holomorph von y abh¨angt: Z 1 Pw (y, t) F (y) = f (t) dt mit Pw := ∂P/∂w . ¤ 2πi ∂W P (y, t)

1.2 Liftungs - und Quotientenprinzip

C

9

f

c X η b

Y

Fig. 1.2.4. Reelles Bild der Nullstellenmenge eines Polynoms 3. Grades mit einfachen Wurzeln.

Folgerung. Sei k := k(b, c) . Es gibt Scheiben V um b ∈ Y und W um c ∈ C , so daß f¨ ur jedes y ∈ V genau k mit Vielfachheiten gez¨ ahlte Wurzeln von P (y, w) in W liegen. F¨ ur k = 1 ist die Funktion g : V → W , die jedem y die einzige Wurzel g(y) ∈ W von P (y, w) zuordnet, holomorph. Beweis : F¨ ur die erste Behauptung wendet man den Satz auf f (w) := 1 an und f¨ ur die zweite auf f (w) := w . ¤ 1.2.4 Nullstellengebilde. Wir behalten die Bezeichnungen aus 1.2.3 bei und bilden, vgl. Figur 1.2.4, die Nullstellenmenge X := {(y, w) ∈ Y × C : P (y, w) = 0} mit den beiden stetigen Projektionen η : X → Y , (y, w) 7→ y , f : X → C , (y, w) 7→ w . Lemma. Die Projektion η : X → Y ist endlich, d.h. jede η-Faser ist endlich, und f¨ ur jedes Kompaktum K ⊂ Y ist η −1 (K) ⊂ X kompakt. Beweis. Jede η-Faser hat ≤ n Punkte. Wenn man die Koeffizientenfunktionen von P auf K beschr¨ankt, ist ihre Wertemenge beschr¨ankt. Aus 1.2.2 folgt: Die Funktion¡ f : η −1 (K) ¢ → C ist beschr¨ankt, d.h. es gibt ein Kompaktum L ⊂ C mit f η −1 (K) ⊂ L . Dann ist η −1 (K) ⊂ K × L kompakt. ¤

Satz. Wenn das Polynom P f¨ ur alle y ∈ Y einfache Wurzeln hat, gibt es auf X genau eine holomorphe Struktur, so daß η : X → Y lokal biholomorph und f : X → C holomorph ist. Jede Faser η −1(y) wird durch f bijektiv auf die Menge der n Wurzeln von P (y, w) abgebildet. Beweis. Sei (b, c) ∈ X . Wir wenden die Folgerung in 1.2.3 an. Es gibt Umgebungen V von b und W von c , so daß P (y, w) f¨ ur jedes y ∈ V genau eine Wurzel g(y) ∈ W besitzt. Diese h¨angt holomorph von y ab. Die Umgebung (V × W ) ∩ X von (b, c) wird durch η ¢hom¨oomorph auf V abgebildet. Die ¡ Umkehrabbildung lautet y 7→ y, g(y) .– Nach dem Liftungsprinzip 1.2.1 wird X zu einer Riemannschen Fl¨ache und η zu einer lokal biholomorphen Abbildung. Die Funktion f ist holomorph; denn in der Umgebung von (b, c) gilt f = g ◦ η . ¤ Wir nennen (X, η, f ) das Nullstellengebilde des Polynoms P .– In Paragraph 6.2 wird die Konstruktion solcher Gebilde unter Einbeziehung mehrfacher Wurzeln des Polynoms fortgesetzt.

10

1. Grundlagen

1.2.5 Quotientenprinzip. Sei η : X → Y eine lokal topologische Abbildung von einer Riemannschen Fl¨ ache X auf einen Hausdorffraum Y . Wenn es zu je zwei Punkten a und b aus X , die in derselben η-Faser liegen, Umgebungen U bzw. V und einen Isomorphismus ϕ : U → V mit ϕ(a) = b und η ◦ ϕ = η|U gibt, existiert auf Y genau eine holomorphe Struktur, so daß η lokal biholomorph ist. Beweis. Die Fl¨ache X besitzt einen holomorphen Atlas A = {(U, h)} , dessen Kartenbereiche U so klein sind, daß η : U → η(U ) ein Hom¨oomorphismus ist. Dann ist {(η(U ), h◦(η|U )−1 } ein holomorpher Atlas f¨ ur Y . Sind n¨amlich (U, h), (V, k) ∈ A und a ∈ U , b ∈ V mit η(a) = η(b) := c , so gibt es Umgebungen U ′ ⊂ U und V ′ ⊂ V von a bzw. b sowie eine biholomorphe Abbildung ϕ : U ′ → V ′ mit η ◦ ϕ = η|U ′ und ϕ(a) = b . Dann ist (η|V ′ )−1 ◦η|U ′ = ϕ|U ′ . In einer Umgebung von h ◦ (η|U )−1 (c) ist der Kartenwechsel k◦(η|V )−1 ◦(η|U )◦h−1 die biholomorphe Abbildung k ◦ ϕ ◦ h−1 . Da h ◦ (η|U )−1 und h biholomorph sind, ist η|U biholomorph, also η lokal biholomorph. Die Eindeutigkeit der holomorphen Struktur auf Y folgt direkt. 1.2.6 Komplexe Tori. Die Kreislinie S 1 = {z ∈ C : |z| = 1} ist eine Untergruppe der multiplikativen Gruppe C× aller komplexen Zahlen 6= 0 . Das kartesische Produkt S 1 × S 1 ist ein Torus, siehe Figur 1.1.5. Um ihn mit einer holomorphen Struktur zu versehen, bilden wir mit zwei reell linear unabh¨angigen Zahlen ω1 , ω2 ∈ C das Gitter Ω = Zω1 + Zω2 ⊂ C aller ganzzahligen Linearkombinationen n1 ω1 +n2 ω2 , siehe Figur 1.2.6. Jede komplexe Zahl l¨aßt sich eindeutig als z = t1 ω1 + t2 ω2 mit reellen tj darstellen. Folgende Torusprojektion ist ein Gruppenepimorphismus mit dem¢ Kern Ω : ¡ (1) η : C → S 1 × S 1 , t1 ω1 + t2 ω2 7→ exp(2πit1 ), exp(2πit2 ) .

ω

2



°

•ω

1

Fig. 1.2.6. Die Ecken der Parallelogramme bilden das Gitter Zω1 + Zω2 ⊂ C .

Satz. Der Torus S 1 ×S 1 besitzt genau eine holomorphe Struktur, so daß η lokal biholomorph ist. Die Deckgruppe D(η) besteht aus allen Translationen C → C, z 7→ z + ω , mit ω ∈ Ω .

Beweis. Jeder Punkt in C besitzt eine Umgebung U , so daß U ∩(ω +U ) = ∅ f¨ ur alle ω ∈ Ω, ω 6= 0 gilt. Das Bild η(U ) ⊂ S 1 × S 1 ist offen, und U wird durch η hom¨oomorph auf η(U ) abgebildet. Daher ist η lokal topologisch. Zu

1.3 Holomorphe Abbildungen

11

je zwei Punkten a, b in derselben η-Faser gibt es ein ω ∈ Ω mit b = a + ω . Die Isomorphismus-Bedingung in 1.2.5 wird durch U = V = C und die Abbildung ϕ(z) = z + ω erf¨ ullt.– Weil η ein Gruppenepimorphismus mit dem Kern Ω ist, besteht D(η) aus den Translationen z 7→ z + ω . ¤

Mit dem durch (1) induzierten Isomorphismus ηˆ : C/Ω → S 1 × S 1 der Gruppen wird die topologische und holomorphe Struktur von S 1×S 1 auf die Faktorgruppe C/Ω u ¨bertragen. Die u ¨bertragenen Strukturen h¨angen nur von Ω und nicht von der Wahl der Basis ω1 , ω2 ab, die zur Definition von η benutzt wurde. Denn mit der Restklassenprojektion p : C → C/Ω ¡ gilt: ¢ V ⊂ C/Ω offen ⇔ p−1 (V ) ⊂ C offen. f ∈ O(V ) ⇔ f ◦ p ∈ O p−1 (V ) . Somit ist C/Ω eine wohldefinierte kompakte Riemannsche Fl¨ache. Sie heißt (komplexer) Torus. Tori zu verschiedenen Gittern sind zwar hom¨oomorph, aber im allgemeinen als Riemannsche Fl¨achen nicht isomorph, siehe 3.3.2. Die Funktionentheorie der Tori ist Gegenstand des 2. Kapitels.

1.3 Holomorphe Abbildungen Holomorphe Abbildungen haben lokal dieselbe Gestalt wie E → E, z 7→ z n , f¨ ur n ∈ N . Dieses Ergebnis wird im folgenden pr¨azisiert, bewiesen und angewendet.– Mit W, X, Y und Z werden Riemannsche Fl¨achen bezeichnet. Wir benutzen bei stetigen Abbildungen folgende Notation und Terminologie: Wenn η : X → Y bei a ∈ X den Wert b = η(a) hat, schreiben wir η : (X, a) → (Y, b) . Wir nennen η bei a konstant, wenn η auf einer Umgebung von a konstant ist. Wenn η bei keiner Stelle konstant ist, heißt η nirgends konstant. Die Abbildung η heißt offen (abgeschlossen), wenn jede offene (abgeschlossene) Teilmenge A ⊂ X ein offenes (abgeschlossenes) Bild η(A) ⊂ Y hat. 1.3.1 Windungszahl. Sei η : (X, a) → (Y, b) holomorph. Mit einer Karte k : (V, b) → (E, 0) von Y wird die Windungszahl v(η, a) := o(k ◦ η, a) als Ordnung der Funktion k ◦ η auf η −1 (V ) an der Stelle a definiert. Analog zu 1.1.4 zeigt man durch Einsetzen von Potenzreihen in Potenzreihen, daß diese Definition nicht von der Wahl der Karte k abh¨angt. Die Windungszahlen k¨onnen die Werte 1, 2, . . . , ∞ annehmen. Die extremen Werte 1 bzw. ∞ treten genau dann auf, wenn η bei a lokal biholomorph bzw. konstant ist. Wenn man eine zweite holomorphe Abbildung ζ : (Y, b) → (Z, c) nachschaltet, multiplizieren sich die Windungszahlen: v(ζ ◦ η, a) = v(ζ, b) · v(η, a) . Auch dies beweist man durch Einsetzen von Potenzreihen in Potenzreihen. Die Punkte x ∈ X , wo v(η, x) ≥ 2 ist, heißen Windungspunkte und ihre Bilder η(x) ∈ Y Verzweigungspunkte von η . Der Verzweigungsort B ⊂ Y

12

1. Grundlagen

ist die Menge aller Verzweigungspunkte. Zum Beispiel ist πZ die Menge der Windungspunkte der Cosinusfunktion cos : C → C und {1, −1} ihr Verzweigungsort. 1.3.2 Lokale Normalform. Zu jeder holomorphen Funktion f : (X, a) → (C, 0) mit n := o(f, a) 6= ∞ , gibt es ein r > 0 und eine Karte h : (U, a) → (Er , 0) , so daß f |U = hn ist. Beweis. Sei z : (U, a) → (E, 0) eine Karte. Dann ist f |U eine Potenzreihe in z , welche mit der n-ten Potenz beginnt, also f |U = z n · g mit g ∈ O(U ) und g(a) 6= 0 . Nach Verkleinern von U kann man aus g die n-te Wurzel ziehen: Es gibt ein h ∈ O(U ) mit hn = f |U , und v(h, a) = 1 . Insbesondere ist h bei a biholomorph, d.h. eine verkleinerte Umgebung U wird durch h biholomorph auf eine Kreisscheibe Er abgebildet. ¤ Folgerung. Sei η : (X, a) → (Y, b) holomorph und v(η, a) 6= ∞ . F¨ ur jede hinreichend kleine Scheibe U um a gilt: η|U ist offen.– η −1 (b) ∩ U = {a} .– F¨ ur alle x ∈ U\{a} ist v(η, x) = 1 .– Genau dann, wenn η bei a biholomorph ist, gilt v(η, a) = 1 . Beweis. Man w¨ahlt eine Karte k : (V, b) → (E, 0) und benutzt die lokale Normalform f¨ ur f := k ◦ η auf η −1(V ) . ¤ Die Folgerung ergibt sofort den 1.3.3 Offenheitssatz. Jede nirgends konstante holomorphe Abbildung η : X → Y ist offen. Jede Faser und die Menge aller Windungspunkte ist lokal endlich. Wenn η injektiv ist, wird X biholomorph auf die offene Menge η(X) ⊂ Y abgebildet. Der Verzweigungsort ist i.a. nicht lokal endlich, siehe Aufgabe 4.9.10. 1.3.4 Analytische Mengen. Eine abgeschlossene Menge A ⊂ X heißt analytisch, wenn jeder Punkt in A eine Umgebung U besitzt, so daß U ∩ A die Nullstellenmenge N (f ) einer Funktion f ∈ O(U ) ist. Satz. Sei X zusammenh¨ angend, und sei A ⊂ X analytisch. Dann ist entweder A = X , oder A ist lokal endlich in X . Beweis. Die Menge M ⊂ X der H¨aufungspunkte von A ist abgeschlossen und liegt in A. Zu jedem a ∈ M gibt es eine Umgebung U ⊂ X und ein f ∈ O(U ) mit U ∩ A = N (f ) . Nach dem klassischen Identit¨atssatz ist a ein innerer Punkt von N (f ) . Daher ist M offen in X , also M = X , oder M = ∅ . Im ersten Fall ist A = X . Im zweiten Fall ist A lokal endlich. ¤ Folgerung (Identit¨ atssatz). Seien η, ϕ : X → Y zwei holomorphe Abbildungen. Wenn X zusammenh¨ angt und A := {x ∈ X : η(x) = ϕ(x)} einen H¨ aufungspunkt hat, ist η = ϕ . Insbesondere ist jede nicht-konstante holomorphe Abbildung η offen. Beweis. Die Menge A ist abgeschlossen. Jeder Punkt in A besitzt eine Umgebung U , so daß η(U ) und ϕ(U ) im Definitionsbereich einer Karte (V, h)

1.3 Holomorphe Abbildungen

13

von Y liegen. Wegen U ∩ A = N (k ◦ ϕ − k ◦ η) ist A ⊂ X analytisch, und die erste Behauptung folgt aus dem Satz.– Insbesondere ist jede nicht-konstante Abbildung nirgends konstant, also offen wegen 1.3.3. ¤ 1.3.5 Maximumprinzip. Sei X zusammenh¨ angend, und sei f : X → C holomorph. Wenn |f | oder Ref oder Imf an einer Stelle in X ein lokales Maximum hat, ist f konstant. Auf kompakten, zusammenh¨ angenden Fl¨ achen ist jede holomorphe Funktion konstant. Beweis. Wenn es ein lokales Maximum bei a gibt, kann f nicht offen sein, da keine Umgebung von f (a) in f (X) enthalten ist. Wegen der letzten Folgerung ist f dann konstant. ¤ 1.3.6 Hebbare Singularit¨ aten. Folgendes Ergebnis l¨aßt sich direkt aus der klassischen Funktionentheorie u ¨bertragen. Fortsetzungssatz. Jede Funktion f ∈ O(X \ {a}) , f¨ ur die |f | oder Ref oder Imf auf einer punktierten Umgebung U \ {a} beschr¨ ankt ist, l¨ aßt sich holomorph nach a fortsetzen. ¤ Folgerung (Hebbarkeitssatz). Sei η : X → Y eine stetige Abbildung zwischen Riemannschen Fl¨ achen, die außerhalb einer lokal endlichen Teilmenge A ⊂ X holomorph ist. Dann ist η auf ganz X holomorph. ¤ 1.3.7 Zwei Holomorphiekriterien. Die Hintereinanderschaltung holomorpher Abbildungen ist holomorph. Wir beweisen zwei Umkehrungen. (1) F¨ ur jede stetige Abbildung ϕ : W → X und jede offene holomorphe Abbildung η : X → Y gilt: Wenn η ◦ ϕ holomorph ist, dann auch ϕ . Beweis. Sei c ∈ W , ϕ(c) = : a und η(a) = : b . Wenn η◦ϕ bei c lokal konstant ist, gibt es eine Scheibe V um c mit ϕ(V ) ⊂ η −1 (b) . Da die Faser η −1 (b) lokal endlich ist, folgt ϕ(V ) ⊂ {a} . Somit ist ϕ bei c konstant und daher holomorph.– Wenn η ◦ ϕ bei c nicht lokal konstant ist, gen¨ ugt es wegen des Hebbarkeitssatzes, eine Umgebung V von c zu finden, so daß ϕ an jeder Stelle w ∈ V \ {c} holomorph ist: Nach den Folgerungen in 1.3.2 gibt es eine Umgebung U von a mit v(η, x) = 1 f¨ ur alle x ∈ U \ {a} , sowie eine Umgebung V von c , so daß ϕ(V ) ⊂ U und b 6∈ η ◦ ϕ(V \ {c}) ist. Dann gilt v(η, ϕ(w)) = 1 f¨ ur alle w ∈ V \ {c} . Daraus folgt, daß ϕ bei w holomorph ist. Denn auf einer Scheibe S um ϕ(w) ist η biholomorph, und auf ϕ−1 (S) ist dann ϕ = (η|S)−1 ◦ (η ◦ ϕ) holomorph. ¤ (2) F¨ ur jede surjektive, offene holomorphe Abbildung η : X → Y und jede stetige Abbildung ψ : Y → Z gilt: Wenn ψ ◦ η holomorph ist, dann auch ψ . Beweis. Die Menge A der Windungspunkte von η ist lokal endlich in X . Daher ist B := {y ∈ Y : η −1 (y) ⊂ A} lokal endlich in Y . Denn X l¨aßt sich durch offene Mengen U u ¨berdecken, f¨ ur die A ∩ U endlich ist. Dann wird Y durch die offenen Mengen η(U ) u ¨berdeckt, und jeder Durchschnitt B ∩ η(U ) ist endlich.– Wegen des Hebbarkeitssatzes gen¨ ugt es zu zeigen, daß ψ bei

14

1. Grundlagen

jeder Stelle y ∈ Y \ B holomorph ist. Es gibt ein x ∈ X\ A mit y = η(x) . Eine Umgebung U von x wird durch η biholomorph auf die Umgebung η(U ) von y abgebildet. Daher ist ψ|η(U ) = ψ ◦ η ◦ (η|U )−1 holomorph. ¤ 1.3.8 Faktorisierungssatz. Sei η : X → Y surjektiv, offen und holomorph. Sei ζ : X → Z holomorph und auf jeder η-Faser konstant. Dann faktorisiert ζ u ¨ber η , d.h. es gibt genau eine holomorphe Abbildung ψ : Y → Z , so daß ζ = ψ ◦ η ist. Wenn ζ und η dieselben Fasern haben, ist ψ ein Isomorphismus. Beweis. Die Existenz und Eindeutigkeit von ψ ist klar. F¨ ur jede offene Menge W ⊂ Z ist ζ −1 (W ) ⊂ X offen, also ψ −1 (W ) = η(ζ −1 (W )) ⊂ Y offen, weil η offen ist. Daher ist ψ stetig und wegen 1.3.7(2) holomorph. Bei gleichen Fasern ist ψ bijektiv, also nach dem Offenheitssatz ein Isomorphismus. ¤ Beispiel. Sei ζ : C → C eine 1-periodische holomorphe Funktion. Dann gibt es genau eine holomorphePFunktion ψ : C× → C , so daß ζ(z) = ∞ n ψ ◦ exp(2πiz) ist. Sei ψ(w) = die Laurent-Reihe. Dann ist n= −∞ an w P∞ ζ(z) = n=−∞ an exp(2πinz) die Fourier-Reihe.

¨ 1.4. Endliche Abbildungen. Uberlagerungen Aus Riemanns Beschreibung der Ausbreitung einer Fl¨ache u ¨ber der Zahlen¨ ebene in [Ri 2], Abschnitt 5, ist der Uberlagerungsbegriff entstanden. Um seine genaue Definition zu motivieren, beginnen wir mit Windungsabbildungen.– Mit X, Y und Z werden Riemannsche Fl¨achen bezeichnet. 1.4.1 Windungsabbildungen. Eine holomorphe Abbildung zwischen Scheiben η : (U, a) → (V, b) heißt Windungsabbildung, wenn es Isomorphismen h : (U, a) → (E, 0) und k : (V, b) → (E, 0) gibt, so daß k ◦ η = hn gilt, wobei die Windungszahl n := v(η, a) 6= ∞ ist: (U,a)  hy≈ (E, 0)

η

−−−→ z7→z n

(V,b)  ky≈

−−−→ (E, 0) .

Jede Faser u ¨ber V \ {b} hat genau n Punkte. Aus dem Lemma in 1.2.4, angewendet auf Y = E und P (y, w) = wn − y , folgt: (1) Windungsabbildungen sind endlich. ¤ Satz. Sei η : X → Y holomorph und offen. (i) Wenn durch Beschr¨ ankung von η eine Windungsabbildung U → V entsteht, ist U eine Komponente von η −1 (V ) . (ii) Zu jedem b ∈ Y und jeder endlichen Menge {a1 , . . . , am } ⊂ η −1 (b) gibt es Scheiben (V, b) und (U1 , a1 ), . . . , (Um , am ) , so daß jede Beschr¨ ankung ηj : (Uj , aj ) → (V, b) von η eine Windungsabbildung ist.

¨ 1.4. Endliche Abbildungen. Uberlagerungen

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Beweis. (i) Es gen¨ ugt zu zeigen, daß f¨ ur jedes Kompaktum K ⊂ η −1 (V ) der Durchschnitt K ∩ U kompakt ist. Denn dann ist U abgeschlossen in η −1 (V ) und somit eine Komponente. Das Bild L := η(K) ist kompakt. Dasselbe gilt f¨ ur (η|U )−1 (L) = η −1 (L) ∩ U , weil die Windungsabbildung η|U eigentlich ist. Dann ist auch K ∩ U = K ∩ η −1 (L) ∩ U kompakt. (ii) Es gen¨ ugt, den Spezialfall (Y, b) = (C, 0) zu betrachten. Sei nj := v(η, aj ) . Wegen der lokalen Normalform 1.3.2 gibt es Karten gj : (Wj , aj )√ → n n (Eρj , 0) , so daß η|Wj = gj j ist. Sei s := min{ρj j : j = 1, . . . , m} , rj := nj s und Uj := {x ∈ Wj : |gj (x)| < rj } . Dann ist jede Beschr¨ankung ηj : (Uj , aj ) → (Es , 0) eine Windungsabbildung. ¤

1.4.2 Eigentliche Abbildungen sind stetige Abbildungen, bei denen die Urbilder kompakter Mengen kompakt bleiben. Lemma. Jede eigentliche Abbildung η : X → Y ist abgeschlossen. Beweis. Sei A ⊂ X abgeschlossen. Wir finden zu jedem b ∈ Y \ η(A) eine Umgebung W , die η(A) nicht trifft: Es gibt eine Umgebung V von b mit kompakter H¨ u¢lle V¯ . Daher ist η −1 (¡V¯ ) ∩ A kompakt, also auch V¯ ∩ η(A) = ¡ −1 ¢ ¯ ¯ η η (V ) ∩ A . Dann ist W := V \ V ∩ η(A) die gesuchte Umgebung. ¤

1.4.3 Endliche Abbildungen. Zu jeder offenen holomorphen Abbildung η : X → Y mit endlichen Fasern definieren wir die Gradfunktion P Y → N , y 7→ gr (η, y) := x∈η−1 (y) v(η, x) .

Satz. Folgende Aussagen sind a ¨quivalent: (1) η ist endlich. (2) Die Gradfunktion ist lokal konstant. (3) Jeder Punkt b ∈ Y ist Zentrum einer Scheibe V , deren Urbild η −1 (V ) eine disjunkte, endliche Vereinigung von Scheiben Uj ist, f¨ ur welche die Beschr¨ ankungen von η Windungsabbildungen (Uj , aj ) → (V, b) sind. Beweis. Sei b ∈ Y und η −1 (b) = {a1 , . . . , am } . Wir w¨ahlen Scheiben V, U1 , . . . , Um gem¨aß Satz 1.4.1. Sei U := U1 ⊎ . . . ⊎ Um .– (1) ⇒ (3) . Es gen¨ ugt, U = η −1 (V ) zu zeigen. Sei A eine Komponente von η −1 (V ) . Dann ist η(A) ⊂ V offen und wegen des Lemmas abgeschlossen, also η(A) = V , insbesondere b ∈ η(A) , also aj ∈ A f¨ ur ein j und somit A = Uj ⊂ U . (2) ⇒ (3). Wir w¨ahlen die Scheibe V so klein, daß die Gradfunktion auf V konstant = gr(η, b) ist. Es gen¨ ugt wieder, U = η −1 (V ) zu zeigen. Wenn es ein x ∈ A, ∈ / U gibt, f¨ uhrt y := η(x) zum Widerspruch gr(η, b) = gr(η, y) ≥ v(η, x) + gr(η|U, y) ≥ 1 + gr(η, b) .– (3) ⇒ (2) ist trivial. (3) ⇒ (1). Da Windungsabbildungen eigentlich sind, siehe 1.4.1(1), hat jeder Punkt in Y eine Umgebung V , deren η -Urbild eine kompakte H¨ ulle besitzt. F¨ ur jedes Kompaktum L ⊂ Y wird daher η −1 (L) durch endlich viele Kompakta u ¨berdeckt und ist dann als abgeschlossene Teilmenge eines Kompaktums selbst kompakt. ¤

16

1. Grundlagen

Folgerung. Jede offene holomorphe Abbildung η : X → Y einer kompakten Fl¨ ache X ist endlich. ¤ 1.4.4 Abbildungsgrad. Jede endliche Abbildung η : X → Y mit zusammenh¨ angender Basis Y hat eine konstante Gradfunktion 6= 0 . Ihr Wert heißt Abbildungsgrad von η , kurz gr η . Endliche Abbildungen vom Grade n heißen n-bl¨ attrig. Genau dann, wenn η biholomorph ist, gilt gr η = 1 . Beispiele. (1) Die Abbildung η : X → Y im Nullstellengebilde (X, η, f ) eines Polynoms P ∈ O(Y )[w] vom Grade n , welches keine mehrfachen Nullstellen hat, ist n-bl¨attrig, vgl. 1.2.4.– (2) Jedes Polynom p ∈ C[z] vom Grade b → C b n wird durch p(∞) := ∞ zu einer n -bl¨attrigen Abbildung p : C fortgesetzt, vgl. 1.6.5.

Satz. Seien η : X → Y und ϕ : Y → Z zwei holomorphe Abbildungen. (i) Wenn η und ϕ endlich sind, ist auch ϕ ◦ η endlich. Wenn Y und Z außerdem zusammenh¨ angen, gilt gr(ϕ ◦ η) = gr ϕ · gr η . (ii) Wenn ζ := ϕ ◦ η endlich ist, gilt dasselbe f¨ ur η und, falls η surjektiv ist, auch f¨ ur ϕ . Beweis. (i) folgt aus der Produktformel f¨ ur Windungszahlen in 1.3.1. Zu (ii). Beweis f¨ ur η : F¨ ur jedes Kompaktum L ⊂ Y ist η −1 (L) abgeschlossen und im Kompaktum ζ −1 (ϕ(L)) enthalten, also selbst kompakt. Somit ist η eigentlich. Da ζ endliche Fasern hat, gilt dasselbe f¨ ur η .– Beweis f¨ ur ϕ : Aus η(X) = Y folgt erstens: Die ϕ-Fasern sind wie die ζ-Fasern endlich. Zweitens: F¨ ur jedes Kompaktum K ⊂ Z ist ϕ−1 (K) als abgeschlossene Teilmenge des Kompaktums η(ζ −1 (K)) ebenfalls kompakt. ¤

U1 U2 U3 η

V

¨ Fig. 1.4.5. Veranschaulichung der elementaren Uberlagerung von V als Plattenstapel. Die Platten Uj sind die Komponenten des Urbildes η −1 (V ) .

¨ 1.4.5 Uberlagerungen. Eine Abbildung η : X → Y zwischen Riemann¨ schen Fl¨achen heißt Uberlagerung, wenn jeder Punkt b ∈ Y eine Umgebung V besitzt, die folgendermaßen elementar u ¨berlagert wird (Figur 1.4.5): Das Urbild η −1 (V ) ist eine Vereinigung von Scheiben (U, a) , f¨ ur welche die Beschr¨ ankungen η : (U, a) → (V, b) Windungsabbildungen sind. ¨ Uberlagerungen sind offene, holomorphe Abbildungen. Die Scheiben U sind nach Satz 1.4.1(i) die Komponenten von η −1 (V ) . Das Bild η(X) ist abgeschlossen in Y . Daher ist η surjektiv, wenn Y zusammenh¨angt. Der

1.5 Deckgruppen

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¨ Verzweigungsort ist lokal endlich. Die Uberlagerung η heißt unverzweigt, wenn sie lokal biholomorph ist, also keine Verzweigungspunkte hat. F¨ ur jede Komponente Z von X und f¨ ur jede offene Menge W ⊂ Y bleiben ¨ die Beschr¨ankungen η : Z → Y bzw. η : η −1(W ) → W Uberlagerungen. ¨ Die Hintereinanderschaltung zweier Uberlagerungen ist im allgemeinen keine ¨ Uberlagerung, siehe Aufgabe 4.9.10.– Aus Satz 1.4.3 folgt: ¨ (∗) Jede endliche Abbildung ist eine Uberlagerung. ¤ ¨ Beispiele unendlich bl¨attriger Uberlagerungen folgen in 1.5.4. Zu ihnen geh¨ort die Exponentialfunktion exp : C → C× . ¨ 1.4.6 Gleichverzweigte Uberlagerungen η : X → Y haben l¨angs jeder Faser gleiche Windungszahlen. Die Funktion S : Y → N>0 , S(y) := v(η, x) f¨ ur η(x) = y, heißt Verzweigungssignatur. ¨ Beispiel. Die dreibl¨attrige Uberlagerung η : C → C, η(z) = z 3 − z 2 , ist nicht −1 gleichverzweigt, da l¨angs der Faser η (0) die Windungszahlen v(η, 0) = 2 und v(η, 1) = 1 verschieden sind. Zusammenhangskriterium. Wenn bei einer gleichverzweigten, endlichen ¨ Uberlagerung η : X → Y die Fl¨ ache Y zusammenh¨ angt und die Menge {♯η −1 (y) : y ∈ Y } teilerfremd ist, h¨ angt auch X zusammen.

Beweis. F¨ ur jedes y ∈ Y gilt gr η = S(y)· ♯η −1 (y) . Sei gr η = pt11 · . . . · ptrr die t Primzerlegung. Zu jedem pj gibt es ein y ∈ Y , so daß S(y) von pjj geteilt wird. Sei X∗ eine Komponente von X . Die Beschr¨ankung η∗ := η|X∗ hat t dieselbe Signatur S . Daher wird gr η∗ von allen Potenzen pjj geteilt. Somit ist gr η ein Teiler von gr η∗ . Es folgt X∗ = X . ¤

1.5 Deckgruppen Wir betrachten die Deckgruppen D von offenen holomorphen Abbildungen η : X → Y und ihre Standgruppen. Die besondere Aufmerksamkeit gilt den normalen Abbildungen η , bei denen D auf jeder Faser transitiv operiert. 1.5.1 Bahnen und Standgruppen. Jede Gruppe G von Hom¨oomorphismen γ : X → X eines topologischen Raumes heißt Transformationsgruppe von X . Man sagt auch: Die Gruppe G wirkt oder operiert auf X . Man definiert f¨ ur jeden Punkt x ∈ X die G-Bahn (oder den G-Orbit) G(x) := {γ(x) : γ ∈ G} ⊂ X und die Standgruppe (oder Isotropiegruppe)

Gx := {γ ∈ G : γ(x) = x} < G . F¨ ur je zwei Punkte auf derselben G-Bahn sind die Standgruppen konjugiert: Gγ(x) = γ · Gx · γ −1 . Je nachdem, ob Gx = {id} oder Gx 6= {id} ist, heißt

18

1. Grundlagen

G(x) Hauptorbit oder Ausnahmeorbit. Wenn es keine Ausnahmeorbiten gibt, sagt man: Die Gruppe G operiert frei. F¨ ur die Menge G/Gx der Restklassen induziert die Abbildung G → G(x), γ 7→ γ(x) , eine Bijektion G/Gx → G(x) . Wenn G endlich ist, folgt die Bahnengleichung (1) ♯ G = ♯ Gx · ♯ G(x) . 1.5.2 Die Ableitung. Sei Aut(X) die Automorphismengruppe einer Riemannschen Fl¨ache X . Sei h : (U, a) → (E, 0) eine Karte von X . Zu jedem γ ∈ Aut(X)a gibt es eine Umgebung V von a in U mit γ(V ) ⊂ U . Die holomorphe Funktion h ◦ γ ◦ h−1 : (h(V ), 0) → (E, 0) hat eine Ableitung (1) γ ′ (a) := (h ◦ γ ◦ h−1 )′ (0) 6= 0 , die nur von γ und a , nicht aber von (U, h) und V abh¨angt. (2) Die Ableitung Aut(X)a → C× , γ 7→ γ ′ (a) , ist ein Homomorphismus. (3) F¨ ur jedes ϕ ∈ Aut(X) gilt (ϕ ◦ γ ◦ ϕ−1 )′ (ϕ(a)) = γ ′ (a) .

¤

1.5.3 Standgruppen von Deckgruppen. Sei η : (X, a) → (Y, b) eine offene holomorphe Abbildung zwischen zusammenh¨angenden Fl¨achen mit der Deckgruppe D . Sei n := v(η, a) die Windungszahl. Nach Satz 1.4.1 gibt es Karten h : (U, a) → (E, 0) und k : (V, b) → (E, 0) mit η(U ) = V und k ◦ η = hn . F¨ ur solche privilegierten Karten gilt zus¨atzlich: (1) γ(U ) = U f¨ ur γ ∈ Da und γ(U ) ∩ U = ∅ f¨ ur γ ∈ D \ Da . ′ (2) h ◦ γ(x) = γ (a) · h(x) f¨ ur γ ∈ Da und x ∈ U (Linearisierung) . (3) Die Ableitung Da → µn , γ 7→ γ ′ (a), ist ein Monomorphismus in die multiplikative Gruppe der n-ten Einheitswurzeln. Beweis. Nach Satz 1.4.1(i) ist U eine Komponente von η −1 (V ) , die η −1 (b) nur in a trifft. F¨ ur jedes γ ∈ D ist γ(U ) auch eine Komponente von η −1 (V ) . Daraus folgt (1).– (2) Die Abbildung h ◦ γ ◦ h−1 ist ein Automorphismus von E mit dem Fixpunkt 0 , also nach dem Schwarzschen Lemma eine Drehung z 7→ ωz . Dabei ist ω = γ ′ (a) .– (3) Aus k ◦ η = hn , (1) und (2) folgt h(x)n = γ ′ (a)n · h(x)n f¨ ur jedes x ∈ U , also γ ′ (a) ∈ µn . Wenn γ ′ (a) = 1 ist, gilt γ|U = id wegen (2), also γ = id nach dem Identit¨atssatz . ¤ Folgerung. Jede Standgruppe Da ist zyklisch. Ihre Ordnung teilt die Windungszahl v(η, a) . ¤ 1.5.4 Normale Abbildungen. Eine surjektive, offene, holomorphe Abbildung η : X → Y zwischen zusammenh¨ angenden Fl¨achen heißt normal, wenn jede Faser ein Orbit der Deckgruppe D ist. Normale Abbildungen mit zyklischer Deckgruppe heißen zyklisch. Die Exponentialfunktion exp : C → C× , die Potenzen C → C, z 7→ z n , f¨ ur n ≥ 1 und alle Windungsabbildungen sind zyklisch. Die Torusprojektionen C → C/Ω von 1.2.6 ist normal, aber nicht zyklisch.

1.5 Deckgruppen

19

¨ Satz. Jede normale Abbildung η : X → Y ist eine gleichverzweigte Uberlagerung. Die Ableitungen sind Isomorphismen Da → µn , γ 7→ γ ′ (a) , f¨ ur n := v(η, a) . Beweis. Zu b ∈ Y w¨ahlen wir ein a ∈ η −1 (b) und Scheiben (U, a), (V, b) , so daß η : (U, a) → der ¢Normalit¨at ¡ S (V, b) eine Windungsabbildung ist. Wegen ist η −1 (V ) = γ∈D γ(U ) . Jede Beschr¨ankung η : γ(U ), γ(a) → (V, b) ist eine Windungsabbildung. Daher wird V elementar u ¨berlagert.– Wenn η(x1 ) = η(x2 ) ist, gibt es ein ϕ ∈ D mit ϕ(x1 ) = x2 . Dann ist v(η, x1 ) = v(η ◦ ϕ, x1 ) = v(η, x2 ) · v(ϕ, x1 ) = v(η, x2 ) . Die zweite Behauptung folgt aus 1.5.3(3), wenn wir zeigen, daß γ 7→ γ ′ (a) surjektiv ist. Seien h und k Karten wie in 1.5.2. Sei ω ∈ µn . Zu jedem x ∈ U gibt es ein x′ ∈ U mit h(x′ ) = ω · h(x) . Wegen k ◦ η = hn ist η(x′ ) = η(x) . Es gibt also ein γ ∈ D mit γ(x) = x′ . Daher ist γ(U )∩U 6= ∅ , also γ(U ) = U und somit γ ∈ Da . Aus 1.5.2(1) folgt γ ′ (a) = ω. ¤

¨ Folgerung. Eine normale Abbildung ist genau dann eine unverzweigte Uberlagerung, wenn ihre Deckgruppe frei operiert. ¤

¨ ¨ 1.5.5 Endliche normale Uberlagerungen. Bei jeder endlichen Uberlagerung η : X → Y zwischen zusammenh¨ angenden Fl¨ achen teilt die Ordnung ♯ D der Deckgruppe den Abbildungsgrad gr η . Genau dann, wenn η normal ist, gilt ♯ D = gr η . Beweis. Jede Faser ist eine disjunkte Vereinigung F = F1 ⊎ . . . ⊎ Fr von D-Bahnen. Wenn F keine Windungspunkte enth¨alt, gilt ♯ Fj = ♯ D f¨ ur alle j . Daher ist gr η = ♯ F = r ·♯ D .– Genau dann, wenn η normal ist, gilt r = 1 f¨ ur jedes F . Aus der Normalit¨at (r = 1) folgt also ♯ D = gr η .– Umgekehrt sei gr η = ♯ D . Sei kj die gemeinsame Ordnung der Standgruppen Dx f¨ ur x ∈ Fj . Nach der Bahnengleichung 1.5.1(1) ist k · ♯ F = ♯ D . Andererseits j j P P ist gr η = j x∈Fj v(η, x) und v(η, x) ≥ kj f¨ ur x ∈ Fj , letzteres nach der P ur Folgerung in 1.5.3. Daher ist gr η ≥ j kj · ♯ Fj = r · ♯ D , also r = 1 f¨ ♯ D = gr η . ¤ ¨ Folgerungen. (1) Jede endliche Uberlagerung vom Primzahlgrad mit einer Deckabbildung 6= id ist zyklisch. ¤ ¨ (2) Zweibl¨ attrige Uberlagerungen η : X → Y sind stets zyklisch. Beweis zu (2). Jede Faser η −1 (y) besteht aus ein oder zwei Punkten. Die Abbildung γ : X → X vertausche sie. Man pr¨ uft anhand einer elementar u ¨berlagerten Scheibe um y , daß γ holomorph ist. ¤ Die Untersuchung normaler Abbildungen wird in 3.6 und 4.7 fortgesetzt.

20

1. Grundlagen

1.6 Meromorphe Funktionen Die Existenz nirgends konstanter meromorpher Funktionen auf beliebigen Fl¨achen X liegt tief, siehe 10.7.2. Aber in vielen F¨allen sind solche Funktionen explizit bekannt. 1.6.1 Der Ring der meromorphen Funktionen. Wenn X zusammenh¨ angt, ist der Ring M(X) aller meromorphen Funktionen ein K¨ orper.

Beweis. Jede Funktion f 6= 0 hat nach dem Identit¨atssatz eine lokal endliche Nullstellenmenge. Nach Satz 1.1.4 geh¨ort dann 1/f zu M(X) . ¤ Fortsetzungssatz. Eine Funktion f ∈ M(X \ {a}) l¨ aßt sich genau dann meromorph nach a fortsetzen, wenn es eine bei a holomorphe Funktion v 6= 0 gibt, so daß vf um a beschr¨ ankt ist.

Beweis. Nach 1.3.6 l¨aßt sich vf zu einer bei a holomorphen Funktion h fortsetzen. Dann ist h/v die meromorphe Fortsetzung von f nach a . ¤ 1.6.2 Ordnungssumme. F¨ ur f ∈ M(X) und jede Stelle x ∈ X wurde in 1.1.4 die Ordnung o(f, x) definiert. Wenn man sie mit der Windungszahl v(f, x) gem¨aß 1.3.1 vergleicht, folgt aus o(f, x) = v(f, x) f¨ ur f (x) = 0 bzw. o(f, x) = −v(f, x) f¨ ur f (x) = ∞ und der Definition des Abbildungsgrades: Satz. Auf jeder kompakten Fl¨ ache X ist jede nirgends konstante meromorphe b mit ¨ Funktion f eine endliche Uberlagerung f :X→C P P (2) grf = x∈f −1 (0) o(f, x) = − x∈f −1 (∞) o(f, x) . Insbesondere gilt P ¤ (3) x∈X o(f, x) = 0 .

1.6.3 Liftung, K¨ orpererweiterung. Wenn η : X → Y offen und holomorph ist, entsteht aus jeder meromorphen Funktion g auf Y die geliftete meromorphe Funktion g ◦η auf X . Wenn Y zusammenh¨angt, ist die Liftung

(1) η ∗ : M(Y ) → M(X) , g 7→ g ◦ η , eine Erweiterung des K¨orpers M(Y ) zum Ring M(X) , d.h. wir k¨onnen M(Y ) ⊂ M(X) als Teilk¨orper auffassen.– Die Produktformel f¨ ur Windungszahlen in 1.3.1 ergibt ¡ ¢ (2) o(g ◦ η, x) = o g, η(x) · v(η, x) f¨ ur x ∈ X .

Wenn X zusammenh¨angt, ist M(X) auch ein K¨orper. Wir zeigen in 6.6.1, daß alle endlichen K¨orper-Erweiterungen M(Y ) ֒→ L Liftungen zu endli¨ chen Uberlagerungen X → Y sind.– Aus der Faktorisierung 1.3.8 folgt der

1.6 Meromorphe Funktionen

¨ Satz. Bei jeder normalen Uberlagerung η mit der Deckgruppe D ist ¡ ¢ ∗ (3) η M(Y ) = MD (X) := {f ∈ M(X) : f ◦ γ = f f¨ ur γ ∈ D} der Teilk¨ orper der D-invarianten Funktionen.

21

¤

1.6.4 Divisoren. Ein Divisor auf der Fl¨ache X ist eine Funktion D : X → Z , deren Tr¨ ager Tr(D) := {x ∈ X : D(x) 6= 0} lokal endlich ist. Bei kompakten Fl¨achen ist Tr(D) endlich. Man nennt dann P (1) gr D := D(x) x∈X

den Grad des Divisors. Zu jeder meromorphen Funktion f , die nirgends konstant Null ist, geh¨ort der Hauptdivisor (f ) mit (2) (f ) : X → Z , x 7→ o(f, x) . F¨ ur ihn gilt (3) (f · g) = (f ) + (g) und (1/f ) = −(f ) . ¤ (4) Wenn X kompakt ist, hat jeder Hauptdivisor den Grad Null. Wenn X außerdem zusammenh¨ angt, folgt aus (f ) = (g) , daß g = cf mit c ∈ C× gilt. Beweis. Die erste Aussage gilt wegen 1.6.2(3), die zweite folgt, weil f /g keine Null-und Polstellen hat und daher konstant ist. ¤

1.6.5 Rationale Funktionen. Jedes Polynom p ∈ C[z] ist eine meromorb . An jeder Stelle a ∈ C ist o(p, a) die phe Funktion auf der Zahlenkugel C Vielfachheit von a als Nullstelle von p . Der einzige Pol liegt in ∞ . Dort ist o(p, ∞) = −gr p der negative Polynomgrad. Daher stimmen Polynom- und Abbildungsgrad u ¨berein. Rationale Funktionen sind Quotienten f = p/q von Polynomen. Sie bilden b . F¨ den K¨orper C(z) ⊂ M(C) ur die Ordnungen gilt o(f, a) = o(p, a) − o(q, a) gem¨aß 1.6.2(2). (1) F¨ ur Polynome ohne gemeinsame Nullstelle ist gr (p/q) = max {gr p, gr q} . b vom Grade Null ist Hauptdivisor der rationalen (2) Jeder Divisor D auf C Q Funktion (z − a)D(a) . ¤ a∈C

b eine Insbesondere gibt es zu jeder meromorphen Funktion f 6= 0 auf C rationale Funktion h , so daß (f ) = (h) ist. Mit 1.6.4(4) folgt daraus: b sind genau die rationalen Funktio(3) Die meromorphen Funktionen auf C b = C(z). nen, kurz M(C) ¤

b isomorph ist, gibt es Divisoren (4) Wenn die kompakte Fl¨ ache X nicht zu C vom Grade Null, die keine Hauptdivisoren sind. Beweis zu (4). Seien a, b ∈ X und a 6= b . Wenn der Divisor D mit dem Tr¨ager {a, b} und den Werten D(a) = 1, D(b) = −1 ein Hauptdivisor (f ) b den Grad eins und w¨are also ein Isomorphismus. ¤ w¨are, h¨atte f : X → C

22

1. Grundlagen

b sind die rationalen 1.6.6 Die Automorphismen der Zahlenkugel C Funktionen vom Grade eins. Sie haben wegen 1.6.5(1) die Gestalt

(1) z 7→ (az + b)/(cz + d) mit ad − bc 6= 0 . ¤ Man nennt sie auch M¨ obius-Transformationen, siehe [M¨o] 2, S. 243 - 314. Die ¡ ¢ b , die jeder Matrix a b den Automorphismus Abbildung GL2 (C) → Aut(C) cd (1) zuordnet, ist ein Epimorphismus mit dem Kern ¡ ¢ { λ0 λ0 : λ ∈ C× } . b auf Matrizen mit der Determinante 1 Die Beschr¨ankung SL2 (C) → Aut C bleibt epimorph. Die Fixpunkte jeder M¨obiustransformation 6=id lassen sich durch L¨osung einer quadratischen Gleichung berechnen. Daraus folgt: b hat mindestens einen und h¨ (2) Jedes Element 6= id aus Aut(C) ochstens zwei Fixpunkte. Zwei M¨ obiustransformationen stimmen bereits dann u ¨berein, b gleiche Werte haben. wenn sie an drei verschiedenen Stellen in C ¤ b isomorph. Folgerung. Kein Torus C/Ω ist zu C Denn jedes a ∈ / Ω bestimmt den fixpunktfreien Automorphismus z + Ω → 7 a + z + Ω des Torus. ¤

b operiert dreifach transitiv: Zu je zwei Tripeln (a, b, c) (3) Die Gruppe Aut(C) ′ ′ ′ b gibt es genau eine und (a , b , c ) von jeweils drei verschiedenen Punkten in C ′ ′ M¨ obiustransformation f mit f (a) = a , f (b) = b , f (c) = c′ . Beweis. Wir k¨onnen a′ = 0, b′ = 1 und c′ = ∞ annehmen. Man setzt ½ g(z) − g(a) 1/(z − c) , c 6= ∞ . g(z) := und f (z) := z , c=∞ g(b) − g(a)

¤

1.7 Aufgaben 1)

2)

3) 4)

b die stereographische Projektion. Berechne f¨ Sei π : S 2 → C ur die Antipodenb→C b . Kann Abbildung A : S 2 → S 2 , x 7→ −x , die Abbildung π ◦ A ◦ π −1 : C b → Y geben, so daß die Fasern von η ◦ π es eine holomorphe Abbildung η : C genau die Paare antipodischer Punkte (x, −x) sind? b \ {a, b} , wobei a, b ∈ C verschieden sind. Zeige: Die NullstellenSei Y := C menge des Polynoms w2 − (z − a)(z − b) ∈ O(Y )[w] ist zu C× isomorph.– Hinweis: Transformiere a, b nach 0, ∞. b mit genau einem Fixpunkt haben unendZeige: Alle Automorphismen von C liche Ordnung.

Zeige, daß die endlichen holomorphen Abbildungen f : C → C genau die nicht konstanten Polynome sind.– Hinweis: Zeige zun¨ achst, daß sich f meromorph nach ∞ fortsetzen l¨ aßt.

1.7 Aufgaben

23

5)

Sei X zusammenh¨ angend und kompakt, seien f, g, f + g ∈ M(X) nicht konstant. Zeige: gr(f + g) ≤ gr f + gr g .

6)

b →C b vom Grade 2 hat genau zwei Zeige: Jede holomorphe Abbildung η : C Windungspunkte a, b . Man kann a = η(a) = 0 und b = η(b) = ∞ durch Vorund Nachschalten von Automorphismen erreichen. Wie lautet die rationale Funktion η in diesem Falle? Hinweis. Benutze die Deckgruppe D(η) .

7)

Zeige: F¨ ur z1 , . . . , zn ∈ E ist das Blaschke-Produkt n Y z − zν z 7→ 1 − z¯ν z ν=1 ¨ eine n-bl¨ attrige Uberlagerung E → E . Bestimme ihre Windungspunkte und ¨ den Verzweigungsort. Ist diese Uberlagerung normal ?

8)

Zeige: Die Sinusfunktion sin : C → C ist normal. Bestimme die Deckgruppe D(sin) und alle Standgruppen.– L¨ ose die entsprechende Aufgabe f¨ ur die Tangensfunktion .

9)

¨ (i) Gib eine gleichverzweigte Uberlagerung an, die nicht normal ist.– (ii) Warum b → Y biholomorph ? ist jede unverzweigte, normale Abbildung C

10) Zeige, daß die rationale Funktion 2 3 b→C b , η(z) := 4 (z − z + 1) , η:C 27 z 2 (z − 1)2 normal ist und ihre Deckgruppe Λ aus allen M¨ obius-Transformationen besteht, welche 0, 1, ∞ permutieren. Bestimme alle Standgruppen Da und den Verzweigungsort von η . b geh¨ 11) Zu jedem Quadrupel (e1 , e2 , e3 , e4 ) von Punkten ej ∈ C ort das Doppelverh¨ altnis e3 − e2 e3 − e4 b, : ∈C DV (e1 , e2 , e3 , e4 ) := e1 − e2 e1 − e4 falls mindestens drei der vier Punkte paarweise verschieden sind. Zeige: (i) F¨ ur jede M¨ obius-Transformation A gilt DV (A(e1 ), A(e2 ), A(e3 ), A(e4 )) = DV (e1 , e2 , e3 , e4 ) . b ist (ii) Zu drei paarweise verschiedenen Punkten a, b, c ∈ C b b C → C , z 7→ DV (a, b, c, z) , diejenige M¨ obius-Transformation, f¨ ur welche a 7→ 0, b 7→ 1, c 7→ ∞ gilt. (iii) Bei jeder Doppeltransposition der vier Punkte e1 , e2 , e3 , e4 ¨ andert sich das Doppelverh¨ altnis nicht. (iv) Sei DV (e1 , e2 , e3 , e4 ) = z. Wenn man e1 , e2 , e3 , e4 permutiert, erh¨ alt man als Doppelverh¨ altnisse die Werte g(z) f¨ ur alle g ∈ Λ , vgl. Aufgabe 10. Hinweis zu (iv): Es gen¨ ugt den Spezialfall e4 = ∞ ist Fixpunkt der Permu” tation“ zu betrachten. Wegen anharmonic ratio = Doppelverh¨ altnis nennen wir Λ die anharmonische Gruppe . b ¨ 12) Zeige: Bei einer zusammenh¨ angenden, n-bl¨ attrige Uberlagerung η: X → C hat jeder Automorphismus α ∈ Aut(X) \ D(η) h¨ ochstens 2n Fixpunkte. Hinweis. Vergleiche die Fixpunktmenge mit der Nullstellenmenge der Funktion h := η − η ◦ α ∈ M(X) und benutze das Ergebnis der Aufgabe 5).

Literaturverzeichnis

[Ab]

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Namensverzeichnis

Abel, Niels Henrik (1802 -1829) 35, 147, 271 Ahlfors, Lars Valerian (1907 -1996) 206, 210 Akhieser, Naum Ill’ich (1901 -1980) 312 Baker, Henry Frederick (1866 -1956) 312 Bernoulli, Jakob (1655 -1705) 33 Bernoulli, Johann (1667 -1748) 33 ´ B´ezout, Etienne (1730 -1783) 182 Carath´eodory, Constantin (1873 -1950) 55, 111 f Cauchy Augustin-Louis (1789 -1857) 1, 150 Clebsch, Alfred (1833 -1872) 174, 186, 191 Clifford, William Kingdon (1845 -1879) 264 Dedekind, Richard (1831 -1916) 97, 99, 101, 131 de Rham, Georges (1903 -1990) 289 Descartes, Ren´e (1596 -1650) 174 Dirichlet, Peter Gustav Lejeune (1805 -1859) 203 Eisenstein, Ferdinand (1823 -1852) 1, 27, 35 Euklid (lebte um 300 v.Chr.) 75 Euler, Leonhard (1707 -1783) 33, 247, 270 Fagnano del Toschi, Giulio Carlo (1682 -1766) 33 Fuchs, Lazarus (1833 -1902) 231 Gauß, Carl Friedrich (1777 -1855) 1, 34 f, 97 Green, George (1793 -1841) 210 Harnack, Axel (1855 -1888) 200 Hermite, Charles (1822 -1901) 101 Hodge, William (1903 -1975) 300 Hurwitz, Adolf (1859 -1919) 86, 99 101, 111 f, 128 f, 138, 172 Jacobi, Carl Gustav Jacobi (1804 -1851) 2, 29, 35, 105, 271 f, 306 Jordan, Camille (1838 -1922) 43, 59 Klein, Felix (1849 -1925) 2, 4, 59, 70, 76, 101, 114, 217, 222, 230 ff

Korteweg, Diederik (1848 -1941) 316 Koebe, Paul (1882 -1945) 217 Lagrange, Joseph-Louis (1736 -1813) 33, 97 ff, 125 Landau, Edmund (1877 -1938) 111 f Lefschetz, Solomon (1884 -1972) 325 Legendre, Adrien-Marie (1752 -1833) 33 Liouville, Joseph (1809 -1882) 35 M¨ obius, August Ferdinand (1790 -1868) 22, 247, 254 Montel, Paul (1876 -1975) 109 f, 200 Newton, Isaac (1643 -1727) 33, 121, 125, 131, 174 Pfaff, Johann Friedrich (1765 -1825) 292 Perron, Oskar (1880 -1975) 194, 204 ´ Picard, Emile (1856 -1941) 91, 105, 110, 221 Platon (428 -348 v. Chr.) 75 Pl¨ ucker, Julius (1801 -1886) 174, 191 Poincar´e, Henri (1854 -1912) 43, 57, 59, 61, 76, 114, 217, 222, 231 Poisson, Sim´eon-Denis (1781-1840) 198 f Poncelet, Jean-Victor (1788 -1867) 174, 191 Puiseux, Victor (1820 -1883) 124 f Rad´ o, Tibor (1895 -1965) 206 Riemann, Bernhard (1826 -1866) 1, 5, 55, 61, 117, 125, 138, 194, 258, 272, 289, 300, 306 Roch, Gustav (1839 -1866) 259 Schottky, Friedrich Hermann (1851 -1935) 327 Schwarz, Hermann Amandus (1843 -1921) 61, 201, 222, 230 Siegel, Carl Ludwig (1896 -1981) 301 Teichm¨ uller, Oswald (1913 -1943) 326 Thompson (Lord Kelvin), William (1824 -1907) 203 Weierstraß, Karl (1815 -1897) 24, 35, 53, 55, 105, 123, 172, 222, 264 ff Weyl, Hermann (1885 -1955) 2, 7, 55, 206, 217 Wronski (Ho¨en´e), Joseph (1778 -1853) 169 f

Sachverzeichnis

Abbildungsgrad 16, 164 Abbildungssatz (Riemann) 208, 215 Abel-Jacobi (Theorem) 278 Abelsche Abbildung 273, 303 Abelsche Funktion 272 Abelsche Relation 30, 146 Abelsches Integral 145, 271 f Abelsches Theorem 32, 274, 312 Abelsche Variet¨ at 324 abelsch machen 149 Ableitung 18, 134 f, 195, 290, 293 abz¨ ahlbare Topologie 55 f, 196, 205 Additionstheorem 33, 270 f additiv 145 affine Abbildung 36, 52 affine Kurve 176 f algebraisch abh¨ angig 119 algebraisches Gebilde 120 f, 128 allgemeine Lage 251 allgemeiner Divisor 266 amalgiertes Produkt 62 f analytische Charakteristik 135 f, 186 249 analytische Fortsetzung 53 ff analytische Menge 12, 286 analytisches Geschlecht 158 f, 259 anharmonische Gruppe 92, 105 f antiholomorph 224, 300 ¨ aquivalent (Gitter) 37, 100 arme Fl¨ ache 206, 210 ff Atlas 2 Ausnahmefl¨ ache 220 Ausnahmemenge 119 f Ausnahmeorbit 18 ¨ außeres Produkt 292 f Auswertungsfunktion 54 Automorphismus, Automorphismengruppe 5, 139 f, 172, 222, 258 261 f, 266 Bahn = Orbit 17 f Baker-Akhiezer-Funktion

313 ff

Basispunkt 45 f, 58, 166 B´ezout (Formel) 182 biholomorph 5 bin¨ are Form 97 ff Blatt 16 Bogenl¨ ange (Ellipse usw.) Brezelfl¨ ache 7, 241, 246

32 f

Cauchyscher Integralsatz 150 Cayleysche Abbildung 5 Charakteristik 135 f, 157, 186, 239, 249 charakteristisches Polynom 118 f Clebsch (Formel) 186 Clifford (Ungleichung, Gleichung) 262 ff Cohomologie 150, 292 Cotangentialraum 283 Darstellung (Automorphismengruppe) 261 f Deckabbildung, Deckgruppe 5, 18 f, 52, 58 f, 77, 84 ff, 130 Deformation 247 Delta-Invariante 185 ff, 193 de Rhamsche Cohomologie 292, 298 f Derivation 280 Dieder 70 ff, 223 Differentialform 134 ff, 259 f Differentialgleichung 25, 27, 314 ff Dimension eines Divisors 156 f, 257 ff, 276, 320 ff Dirichletsches Randwertproblem 201 ff diskontinuierlich 76, 221 diskrete Gruppe 221 Diskriminante 119 Divisor 21, 135, 145, 155 ff, 257 ff Dodekaeder 73 dominieren 87 f, 233 Doppelpunkt 189 Doppeltangente 192 doppelt periodisch 24 Doppelverh¨ altnis 23 Drehung 224

338

Sachverzeichnis

Dreieck, Dreiecksgruppe, Dreiecksparkettierung 40 f, 73 ff, 96, 227 ff dual 184 f, 296, 299 eigentliche Abbildung 15, 286 Einbettung 167, 325 einfach zusammenh¨ angend 46, 51, 61, 197, 215 Eisenstein-Reihe 27 Elementarpotential 210 ff elementar u ¨berlagert 16 Ellipse 32 f elliptisch 24, 87, 148, 178, 186, 219 endliche Abbildung 9, 15 erweiterte Dreiecksgruppe 227 f euklidisch 225 Existenzsatz (Punktetrennung) 127 210 Euler-Poincar´esche Charakteristik 239, 249 exakt 150, 291 Exponentialabbildung, -funktion 6 Faktorisierung 14, 50, 83 Fixpunkt 140, 258, 266 Fl¨ achenform 292 ff Fl¨ achengruppe 39, 223 f Fl¨ achenkomplex 239 ff, 249 Fortsetzung 13, 53 ff, 82, 117 Fourier-Reihe 14, 107 f, 196 frei (Operation) 18, 77, 79 frei erzeugt, freie Gruppe, freies Produkt 64 f Freiheitsgrad 158 Fundamentalbereich 94, 106, 229, 233 Fundamentalgruppe 45 f, 58 ff, 149, 246 Funktionenkeim 53 ff Funktionenk¨ orper 20 f, 25, 117 ff, 129 f ¨ G-Uberlagerung 61 f Galois-Gruppe 130 Garbe 78 f, 282 f Gattung (Differentialform) 141 gelifteter Divisor 138, 156 Gerade 160, 175, 225 geschlossen 291 Geschlecht 7, 135 f, 158 f, 187, 241, 249, 259 Gewicht 168 ff, 265 Gitter 10, 24, 79 f, 98, 273 f Gitterinvarianten 28, 100 glatt (= regul¨ ar) 182 gleichverzweigt 17, 138 f Grad 15 f, 19 ff, 24, 138, 175 f, 182

Greensche Funktion 208 f gute Darstellung 161 Halbebene 4 Halbperiode 27, 104 ff harmonische Funktion 195 ff harmonisches Maß 206 Harnack (Konvergenzsatz, Prinzip, Ungleichung) 200 f Hauptdivisor 21, 32, 274 Hauptkongruenzgruppe 103 f Hauptorbit 18 Hauptteil 211, 256 f, 267, 314 hebbar 13, 197 Heftung 204 Henkel 245 hexagonal 37, 100, 113 Hodge-Zerlegung 300 holomorphe Abbildung, Funktion 3, 5, 11 ff, 78 holomorphe Differentialform 135, 158 holomorphe Struktur 3, 78 homogene Koordinaten 160 homogenisieren 176 Homologie 149 ff, 246 ff, 273 homologisch einfach zusammenh¨ angend 150, 197, 215 Homothetie 218 homotop 43 f, 49, 262 Horozykel 116 hyperbolisch 218 f, 225 f Hyperebene 160, 167 hyperelliptisch 87, 136, 159, 163, 169, 259, 316 ff Hyperfl¨ ache 286 hypergeometrisch 230 idealer Rand 204 Identit¨ atssatz 12, 196 Ikosaeder 70 ff, 223 Immersion 167 Index (Divisor) 157 Integral, Integration 32 f, 143 ff, 150, 291 ff invariante Differentialform 141 inverser Weg 45 Involution 163 irreduzibel 119, 123, 176, 286, 326 isomorph (Riemannsche Fl¨ achen) 5, 130 ¨ isomorph (Uberlagerungen) 51, 84 Isotropiegruppe = Standgruppe 17 f, 84 f Jacobisches Problem (elliptische Funktionen) 29, 101, 148 Jot-Funktion, -Invariante 99 ff, 108

Sachverzeichnis kanonische Abbildung (Einbettung) 162 f, 187, 260 kanonische Pfaffsche Form 298 kanonischer Divisor, kanonische Schar 135, 155, 165, 259 f kanonischer Komplex 241 f kanonisch erzeugend 84 kanonisches Polygon 252 kanonische Zerschneidung 249, 251 ff 297 f Karte 2 Keim = Funktionenkeim 53 ff KdV-Differentialgleichung 316 Klasse (einer Kurve) 183, 190 Kleinsche Fl¨ ache (=Modulfl¨ ache X7 ) 114, 127, 136, 159, 163, 172, 179 f 263 f komplexe Kurve 122 f komplexe Multiplikation 38 komplexer Raum 179 Komponente 123, 176, 179 K¨ orpererweiterung 20, 25, 117 ff, 129 f konjugiert 291, 294 Kongruenzgruppe 103, 112 Kreisscheibe 4 KP -Differentialgleichung 314 f, 327 Kreisverwandschaft 224 Krichever (Satz von K.) 315 kritisch 167 Kubik 175, 186, 192 Kurve 122, 162, 175 ff, 263 Landauscher Radius 111 f Lambda (λ)-Funktion 104 ff Laplacesche Differentialgleichung 195 Laurent -Entwicklung, -Reihe 6, 14, 25, 27, 53, 124 Lemniskate, lemniskatischer Sinus 33 f Lewittes (Satz von) 311 Liftung 8, 20, 47 ff, 52, 89, 137 f linear ¨ aquivalent 155 Linearisierung 80 Linearschar 165, 275, 284 f logarithmische Ableitung 151 f logarithmische Singularit¨ at 197, 208 f lokal biholomorph 5 lokal endlich 6 lokal topologisch 8 lokal wegzusammenh¨ angend 50 lokale Normalform 12 Lokal-Global-Prinzip 3, 5, 78 L¨ ucke 169, 264 f, 303 L¨ uroth (Satz) 138

339

Majorisierung (harmonische M.) 204 Mannigfaltigkeit 3, 61, 77 ff, 283 Maximum (-Prinzip) 13, 196, 203 f, 207 meromorph 6, 20 Minimalpolynom 119 f, 123, 176 M¨ obius-Transformation 22, 72, 93, 218 Modul, Modulbereich, Modulparkettierung 36, 94 ff, 101, 233 Modulfl¨ ache, Modul¨ uberlagerung 112 f, 136 f, 139, 172, 231 Modulform, -funktion 100, 114 Modulgruppe 93 ff, 102, 112 ff, 224 Monodromie 50, 55 Montel (S¨ atze von) 109 f, 200 multiplikativ 152, 311 Multiplizit¨ at 167, 182 nicht-entartet 161 nirgends konstant 11 ¨ normal (Abbildung, Uberlagerung) 52, 58 f, 85, 118 Normalisierung 177 f normiert 197, 302 f nullhomotop 45 Nullstellendivisor 155 Nullstellengebilde 9, 121 Ny-Invariante 185 f, 189

18,

offene Abbildung 12 Oktaeder 70 ff, 223 operieren = wirken 17 Orbit = Bahn 17, 76 Orbitfl¨ ache (-raum, -projektion) 68 f, 81, 139, 229 Ordnung 6, 20, 77, 135, 239, 318 ff Parabel (Neilsche, nodata) 120 f, 165, 178 parabolisch 219 Parallelenaxiom 225 Parallelogramm 30 Parkettierung 40 f, 73 ff, 96, 228, 231 Periode, Periodengruppe 144, 253, 292, 300, 307 Periodenabbildung, -homomorphismus 274 ff Periodengitter 24, 34, 273 Periodenmatrix 300, 321, 326 Periodentorus 274, 276 Perron (Familie, Prinzip) 204 f Pfaffsche Form 290 Picard (Satz) 105, 110 Picardsche Gruppe 278 Platonischer K¨ orper 73 ff Pl¨ uckersche Kurve 189 ff

340

Sachverzeichnis

Poincar´escher Epi- (Homo-, Iso-) morphismus 58 f, 61, 84 Poincar´e-Volterra (Satz) 56 Poincar´e-Weyl (Satz) 222 Poissonsche Integralformel 198 f Pol 6, 197, 258 polare Differentialform 186 Polarisierung 324 f Polstellendivisor 155 Polyederfl¨ ache 240 ff, 246 ff Polyedersatz (Euler) 246 f Polygon 238 f positiv 155, 294 Potenzsumme 281 Pr¨ asentation 103, 226, 246 Primdivisor, Primfunktion 308 ff Primzerlegung 311 f privilegiert 18, 76 Produktweg 44 projektiver Automorphismus 161 projektiv ¨ aquivalent 161 projektive Eigenschaft 161 projektive Kurve 175 ff projektiver Raum (Gerade, Ebene) 160 f Puiseux-Theorie 124 f Punktdivisor 145 Punktetrennung 127, 208, 210 punktierte Fl¨ achen 64 f ℘-Funktion 26 ff, 104, 120, 162 quadratisches Gitter 37, 100 Quadrik 175 Quartik 175, 187, 192 Quotientenprinzip 10, 68 f Rand (Fl¨ achenkomplex) 239 Randwertproblem (Dirichlet) 201, 203 Rang (Periodenabbildung) 277, 284 rationale Funktionen 21 rationale (Raum-) Kurve 162, 169 Realisierung (Fl¨ achenkomplex) 240 Reduktion, reduziert 36, 99, 119, 175 regul¨ ar (siehe auch glatt) 167, 182 reiche Fl¨ ache 206, 208 f reines Polynom 125 f Residuum 140 ff, 152, 197, 253, 257 Resolvente 128 Resultante 180 f Riemann-Hurwitzsche Formel 138 Riemann-Roch (Formel = Satz) 259 Riemannsche Fl¨ ache (Definition) 3 Riemannsche Konstante 309 Riemannsches Gebilde 120 ff, 127 f

Riemannsche Thetafunktion 307 ff Riemannsche Ungleichung 257 Riemannscher Abbildungssatz 208, 215 Riemannscher Existenzsatz (Punktetrennung) 127, 208, 210 Ringgebiet 196, 202, 220, 296 f R¨ uckkehrschnitt 246, 297 f scharfes Maximumprinzip 207 Scheibe 5, 14, 52, 81 f schlechte Nullstelle 310 f Schleife 45, 64 f, 144, 149 Schnitt 48 Schnittdivisor, -schar, -zahl 163 f, 168 f, 180 ff, 299 Schnittform 299 f Schottkysches Problem 327 Schwarz (Satz) 201 Schwarzsche Differentialgleichung 230 Schwarzsches Lemma 109 Seifert/van Kampen (Satz) 63 sextaktisch 193 Siegelsche Matrix, Siegelscher Halbraum 301, 306 f Sigma-Funktion 31 Signatur 17, 87, 138 singul¨ ar, Singularit¨ at 13, 122, 182, 197 Singularit¨ atentheorem (Riemann) 320 Spiegelung 224 f Soliton-Gleichung 312 Spitze 96, 107, 189 Spur (Differentialform) 141 f, 146 Stammfunktion 134, 143, 291 Standgruppe 17 f, 70, 76, 80, 126, 139 stereographische Projektion 4 f, 72 Stern 227 f, 239 Stokes’sche Formel 295 Strukturgarbe 78 subharmonisch 203 ff Symmetrieachse (14-Eck) 237 Symmetriegruppe 71 symmetrische Funktion 280 f symmetrische Gruppe 280 f symmetrisches Produkt 157, 281 ff symplektisch 299 ff Tangente 182 f, 192 Tangentialraum 280 Teichm¨ uller-Raum 326 Tetraeder 70 ff, 223 Thetafunktion, Thetareihe 306 f, 325 topologisches Geschlecht 7, 135 f, 159, 249, 259 Torellischer Satz 321

Sachverzeichnis Torus 7, 10, 59, 79 f, 136, 138, 141, 144, 147 f, 179, 258, 325 Torus -Abbildung 36, 52 Torus-Projektion 10, 48, 80 Tr¨ ager 21, 293, 310 Transformationsgruppe 17 Translation 218 trigonometrische Approximation 202 ¨ Ubergangsfunktion 170 ¨ Uberlagerung 16 f, 48 ff, 58 ff, 81 ff, 117 ff, 129 f, 138 f, 249, 258 Umkehrsatz (Jacobi) 278 unbegrenzt 48 ff, 55 Uniformisierung 217 unit¨ ar 72 universell 51, 61, 87 ff, 122, 178 unverzweigt 17, 19, 48 Verschiebung 45, 310 f Verteilung 170 Verzweigung (Divisor, Punkt, Ort, Zahl) 11 f, 17, 81 f, 87 f, 138, 249 Vielfachheit (Tangente) 183 Vierzehneck (Klein) 231 f

vollst¨ andig (Linearschar)

341

165, 285 f

W-Menge 275, 279, 287 Weg, wegzusammenh¨ angend 43 f Weierstraß-Punkt 169, 172, 265 Weierstraßscher Konvergenzsatz 199 Wendepunkt, -tangente 168 f, 171 f, 183, 190 f wesentlicher Hauptteil 303 f Windung (Abbildung, Divisor, Punkt, Ort, Zahl) 11, 14, 124, 138 Wronskische Determinante 169 Wurzel 8, 117 f Zahlenebene 4, 38 ff, 64 Zahlenkugel 4, 21 f, 47, 69 ff, 85 f, 126, 149, 211 zerschneiden 249 Zeta-Funktion (Weierstraß) 31 Zusammenhangskriterium 17 ¨ zusammenh¨ angend (Uberlagerung) 51 Zweig 125 Zykel 146 ¨ zyklische Uberlagerung 18 f, 86, 126 ff

Symbolverzeichnis

Aut(X) Automorphismengruppe 5 AG abelsch gemachte Gruppe 149 C K¨ orper (Ebene) der komplexen Zahlen C× := C \ {0} punktierte Ebene 4 C×× := C \ {0, 1} 93 b Zahlenkugel 4 C D Deckgruppe 5 Div Gruppe der Divisoren 155 E := {z ∈ C : |z| < 1} Kreisscheibe 4 E× := E \ {0} punktierte Kreisscheibe e(K) Euler-Poincar´esche Charakteristik 239 E(X) Vektorraum der meromorphen Differentialformen auf X 134 Ej (X) j-te Gattung der Differential -formen auf X (j = 1, 2, 3) 141 gan , gtop analytisches, topologisches Geschlecht 158 f, 249 gr Grad 16, 21, 164, 175 H := {z ∈ C : Im z > 0} 4 H1 (X) Homologie von X 149 H 1 (X) Cohomologie von X 150 Hg Siegelscher Halbraum 301 i(D) := dim L1 (−D) Index 157 Im Imagin¨ arteil J(τ ) Jot-Funktion 100 ; Jˆ 100 J(X) Periodentorus 274 kl u Homologieklasse von u 149 L(D) 155 ; L1 (D) 157 l(D) := dim L(D) 156 M(X) Ring (K¨ orper) der meromorphen Funktionen auf X 6 O(X) Ring der holomorphen Funktionen auf X 3 o Ordnung 6, 135 Per Periodengruppe 144, 292 P(V ) , Pn projektiver Raum 160 ff ℘ ℘-Funktion 26 ; ℘ˆ 27 ; ℘ˆ′ := ℘b′

Re Realteil res Residuum 140 (RH) Riemann-Hurwitzsche Formel 138 (RR) Satz (Formel) von RiemannRoch 259 Sn symmetrische Gruppe 282 sp Spur 141 f Sym Symmetriegruppe 71 S 1 Kreislinie 10 ; S 2 Sph¨ are 4 Tr Tr¨ ager 21, 293 v(η, a) Windungszahl von η bei a 11 Wn := µn (Xn ) 275 Xn n-faches symmetrisches Produkt der Fl¨ ache X 157 Γ

Modulgruppe 93 ; Γn Kongruenzgruppe 112 θ Thetareihe 306 f ϑ Thetafunktion 307 ff; ϑe Primfunktion 308 ; Θε Primdivisor 308 ˆ 107 λ Lambda-Funktion 104; λ µ, µn Periodenabbildung 274-275 µn multiplikative Gruppe der n-ten Einheitswurzeln 6 ρ, ρn rationale Raumkurve 162 χ analytische Charakteristik 135 Ω Gitter 10, 79 ≈ isomorph (Riemannsche Fl¨ achen) 5 ∼ = isomorph (Gruppen) < Untergruppe ⊳ Normalteiler [..] Homotopieklasse 44 (..) Hauptdivisor 21 |D| vollst¨ andige Linearschar 155 ♯ Anzahl, M¨ achtigkeit A◦ Teilmenge der inneren Punkte 94