Problemorientiertes Wissensmanagement in der Automobilindustrie : Ein interdisziplinärer Ansatz 9783834911681, 3834911682, 9783834981073, 3834981079 [PDF]


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Problemorientiertes Wissensmanagement in der Automobilindustrie : Ein interdisziplinärer Ansatz
 9783834911681, 3834911682, 9783834981073, 3834981079 [PDF]

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Zitiervorschau

Volker Born Problemorientiertes Wissensmanagement in der Automobilindustrie

GABLER EDITION WISSENSCHAFT

Volker Born

Problemorientiertes Wissensmanagement in der Automobilindustrie Ein interdisziplinärer Ansatz

Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Fritz Klauser

GABLER EDITION WISSENSCHAFT

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Dissertation Universität Leipzig, 2008

1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Frauke Schindler / Viktoria Steiner Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-1168-1

Geleitwort Die Autos der Premiumklasse deutscher Hersteller genießen weltweit einen ausgezeichneten Ruf, was Sicherheit, Zuverlässigkeit, technische Ausstattung und Fahrkomfort betrifft. Angesichts der Innovationskraft und Flexibilität, die die Automobilindustrie seit vielen Jahren im globalen Wettbewerb unter Beweis stellt, ist man schnell geneigt, die Präzision der Fahrzeuge auch auf die betrieblichen Prozesse zu projizieren. Die genaue Analyse zeigt jedoch, dass der Arbeitsalltag in den Automobilwerken geprägt ist durch eine Reihe von Problemen, die so oder in ähnlicher Weise in den meisten komplexen Organisationen in Wirtschaft und Verwaltung zu finden sind. Der Autor des vorliegenden Bandes greift ein zentrales, für Unternehmen mit hohem Entscheidungsbedarf ökonomisch bedeutsames Problem analytisch und konstruktiv auf. Es geht darum, wie Entscheidungen in Gremien effektiv vorbereitet, sachkundig getroffen, nachhaltig dokumentiert und zweckmäßig kommuniziert sowie im Hinblick auf ihre Realisierung wirksam überwacht werden können. Im Mittelpunkt steht dabei das individuelle Denken und Handeln der Gremienmitglieder, deren Fähigkeit, Wissen zu konstruieren, dieses Wissen in Texten und Dokumenten zu kodifizieren, es zu kommunizieren und vor allem es bei der Lösung komplexer intransparenter Probleme im Team anzuwenden. Dabei verknüpft der Autor einerseits disziplinäre Sichtweisen vor allem der Psychologie, der Wirtschaftspädagogik, der Arbeits- und Betriebssoziologie und der Betriebswirtschaftslehre sowie der Linguistik und der Wirtschaftsinformatik. Andererseits schlägt er einen weiten wissenschaftlichen Handlungsbogen von der Dokumentenund Rollenanalyse, über Experteninterviews und teilnehmende Beobachtungen bis hin zu gezielten Interventionen in Form von Dokumentvorlagen und der Ausgestaltung von betriebsinternen Schulungsmaßnahmen. Die vorgestellten Arbeitsergebnisse zeichnen sich insbesondere durch eine unmittelbare Relevanz für die betriebliche Praxis der Gremienarbeit im BMW Werk Leipzig aus. Sie sind darüber hinaus geeignet, das Management von Wissen in anderen Organisationen theoriegeleitet weiter zu optimieren und die wissenschaftliche Diskussion darüber zu bereichern. Ich wünsche dem Buch eine weite Verbreitung, verbunden mit der Hoffnung auf eine weitere fruchtbare Zusammenarbeit zwischen der betrieblichen Praxis und der universitären Forschung. Prof. Dr. Fritz Klauser

V

Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand in den Jahren 2004 bis 2007 im Rahmen meiner Tätigkeit im Forschungsprojekt „Betriebliches Wissensmanagement bei der BMW AG“ im Werk Leipzig der BMW Group. Im September 2007 wurde sie an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Leipzig als Dissertation angenommen.

Eine wissenschaftliche Arbeit, die in enger Kooperation mit einem Unternehmen erarbeitet wird, steht in einem spannungsreichen Verhältnis zwischen Forschung und Praxis: Zielsetzungen, Methoden und Herangehensweisen erscheinen nicht immer kongruent. Mit der Arbeit soll am Beispiel des Managements von Wissen in der Automobilindustrie aufgezeigt werden, dass Theorie und Praxis voneinander lernen können und im Interesse sowohl der Lösung von Problemen im Unternehmen als auch im Interesse wissenschaftlichen Erkenntnisfortschrittes voneinander lernen sollten. Die Mitgestaltung des Wissensmanagements in Gremien des BMW Werks Leipzig bot mir die Möglichkeit das spannungsreiche Verhältnis zwischen Theorie und Praxis konstruktiv zu nutzen, theoretische Modelle und Ansätze kritisch zu prüfen, zu adaptieren und zur Optimierung der Prozesse und Abläufe in Gremien beizutragen.

Bei der Entstehung dieser Arbeit haben mir viele Unterstützer mit unterschiedlichen Beiträgen wichtige Hilfestellungen gegeben. Mein herzlicher Dank gilt Herrn Prof. Dr. Fritz Klauser, der mir die Möglichkeit bot, in dem Forschungsprojekt zu diesem wissenschaftlich interessanten und praxisrelevanten Thema zu arbeiten und der die Arbeit jederzeit kritisch begleitete. Ebenso danke ich Frau Prof. Dr. Bärbel Fürstenau nicht nur für die Übernahme des Zweitgutachtens sondern auch für die kooperative und unterstützende Zusammenarbeit im oben genannten Projekt. Erfahrungen zeigen, dass eine solche Zusammenarbeit im universitären Kontext nicht selbstverständlich ist. Frau Juniorprofessorin Dr. Karin Wirth und Frau Dipl.-Handelslehrerin Johanna Langfermann danke ich für die inhaltlichen Diskussionen und die konstruktive Kritik. Frau Dipl.-Handelslehrerin/Dipl.-Biologin

Mirjana

Matic-Strametz,

Frau

Diplom-

Übersetzerin Vera Glöckner und Herrn Dr. Reinhard Strametz danke ich für die kritische Durchsicht des Manuskripts.

VII

Bedanken möchte ich mich aber auch bei den verschiedenen Mitarbeitern des BMW Werks Leipzig, die mir mit großem Engagement und einer „ansteckenden“ Begeisterung für das Thema Wissensmanagement bei meiner empirischen Untersuchung im Werk geholfen bzw. mich umfassend unterstützt haben. Neben Frau Dipl.-Kauffrau Tanja Zeh und Frau Dipl.-Handelslehrerin Laureen Dix ist insbesondere Herr Dr.-Ing. Robert Füchsle zu nennen, der durchaus fordernd und kritisch dazu beitrug, den Blick für die Prozesse in den Gremien des Werks zu schärfen. Seinen konstruktiven Anregungen ist u. a. geschuldet, dass die im Rahmen der Arbeit entwickelten Lösungsansätze des Wissensmanagements in der Praxis der Gremienarbeit geprüft und implementiert wurden.

Volker Born

VIII

Inhaltsverzeichnis Geleitwort Vorwort

V VII

Inhaltsverzeichnis

IX

Abbildungsverzeichnis

XI

Tabellenverzeichnis 1 Einleitung 1.1 Ausgangssituation und Handlungsbedarf 1.2 Zielstellung 1.3 Aufbau der Arbeit 2 Problemlösen und Konstruktion von Wissen in Entscheidungsprozessen von Gremien

XIII 1 1 16 20 23

2.1 Kognitionspsychologische und pädagogische Perspektive 2.1.1 Prozessmodell der Stationen der Handlungsorganisation 2.1.2 Konstruktion von Wissen beim Problemlösen in Gremien 2.2 Problemlösen und Konstruktion von Wissen in der betriebswirtschaftlichen Entscheidungstheorie 2.2.1 Präskriptive Entscheidungstheorie 2.2.2 Deskriptive Entscheidungstheorie 2.3 Rollen und ihre Funktionen in Entscheidungsprozessen 3 Empirische Untersuchung und ausgewählte Ergebnisse

41 41 46 60 75

3.1 Gegenstand und Ziel der Untersuchung 3.2 Methodisches Konzept 3.2.1 Untersuchungsschritte und angewandte Methoden 3.2.2 Auswahl der Experten 3.3 Durchführung der Untersuchung 3.3.1 Ablaufmodell der Inhaltsanalyse 3.3.2 Bildung der Kategorien 3.4 Ausgewählte Ergebnisse der Untersuchung 3.4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse der Vorstudie 3.4.2 Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung 4 Weitergabe von Wissen in Entscheidungsprozessen von Gremien

75 76 76 79 81 81 83 86 86 91 97

4.1 Bedeutsamkeit der Weitergabe von Wissen 4.2 Weitergabe von Wissen mit Dokumenten 4.2.1 Management Summary 4.2.2 Präsentation 4.2.3 Persönliche Mitschriften 4.2.4 Liste offener Punkte

23 27 35

97 104 108 109 111 111

IX

4.2.5 Protokoll 4.3 Bewertung der Dokumente zur Weitergabe von Wissen 5 Lösungsansätze für die Weitergabe von Wissen

113 116 123

5.1

Gestaltung der Dokumente – Vorgehen, Gestaltungsrichtlinien und Strukturgrundlage 5.2 Umsetzung der Gestaltungsvorschläge 5.3 Bewertung der Gestaltungsvorschläge 5.3.1 Vorteile der Strukturgrundlage und der Strukturmuster 5.3.2 Akzeptanz der Strukturmuster 6 Entwicklung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Textproduktion

151

6.1 Didaktisches Konzept und Umsetzung 6.2 Lernerfolg 6.3 Pädagogische Konsequenzen 7 Schlussbetrachtung und Ausblick

151 168 170 173

8 Literatur

179

9 Anhang

201

9.1 9.2

X

Handreichung für Rollenträger in Gremien Beispielprotokoll

123 140 147 147 148

201 211

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1-1: Stationen der Handlungsorganisation Abbildung 1-2: Skizze zum Untersuchungsgegenstand der Arbeit

6 9

Abbildung 2-1: Komplexitätsbegriff nach Bronner (1993 sowie 1998)

52

Abbildung 2-2: Phasen eines Entscheidungsprozesses in Gremien

58

Abbildung 2-3: Rollen und ihre Funktionen innerhalb der Phasen eines Entscheidungsprozesses in Gremien

73

Abbildung 3-1: Gegenstand der Untersuchung und Untersuchungsschritte

77

Abbildung 3-2: Inhaltsanalytisches Ablaufmodell

82

Abbildung 4-1: Weitergabe von Wissen zwischen dem Themenbearbeiter und dem Themensteuerer

98

Abbildung 4-2: Weitergabe von Wissen zwischen dem Themenbearbeiter und den Entscheidern

99

Abbildung 4-3: Weitergabe von Wissen zwischen dem Themenbearbeiter und dem Moderator

99

Abbildung 4-4: Weitergabe von Wissen zwischen den Entscheidern

100

Abbildung 4-5: Weitergabe von Wissen an den Protokollanten

100

Abbildung 4-6: Weitergabe von Wissen zwischen dem Protokollanten und dem Moderator

101

Abbildung 4-7: Weitergabe von Wissen zwischen dem Themenbearbeiter und dem Themensteuerer/Entscheider

102

Abbildung 4-8: Produktion und Rezeption von Dokumenten in Entscheidungsprozessen von Gremien

105

Abbildung 4-9: Kommunikative Grundfunktionen einer Management Summary

109

Abbildung 4-10: Beispiel einer Management Summary (Ausschnitt)

109

Abbildung 4-11: Kommunikative Grundfunktionen einer Präsentation

110

Abbildung 4-12: Beispiel eines Präsentationsdokuments (Folie)

111

Abbildung 4-13: Kommunikative Grundfunktionen der Liste offener Punkte

112

Abbildung 4-14: Beispiel für das Dokument Liste offener Punkte (Ausschnitt)

113

Abbildung 4-15: Kommunikative Grundfunktionen eines Protokolls

114

Abbildung 4-16: Beispiel eines Protokolls (Ausschnitt)

115

Abbildung 4-17: Dokumente in Entscheidungsprozessen von Gremien

115

Abbildung 4-18: Ausschnitt aus einem Protokoll des Werkleitungskreises

116

Abbildung 4-19: Ausschnitt aus einem Sitzungsprotokoll des Leitungsgremiums des Fachbereichs TL-X

118

Abbildung 5-1: Vier Schritte eines Redaktionsprozesses

124

XI

Abbildung 5-2: Vernetzung der Rollenträger aufgrund bestehender Informationsbedarfe

127

Abbildung 5-3: Beispiel einer modular gestalteten Map

132

Abbildung 5-4: Strukturgrundlage für Gremiendokumente

134

Abbildung 5-5: Grundlagen der Gestaltung von Gremiendokumenten

138

Abbildung 5-6: Auszug aus einem Gestaltungsvorschlag für eine Management Summary-Map des Werkleitungskreises

140

Abbildung 5-7: Gestaltungsvorschlag für eine Protokoll-Map

143

Abbildung 5-8: Eingabemaske des Gremiensteuerungssystems

145

Abbildung 5-9: Gremiensteuerungssystem als Grundlage für die Textproduktion und Textrezeption

146

Abbildung 6-1: Aufgabenstellung zur Textbewertung

164

Abbildung 6-2: Präsentation der Merkmale zur Beurteilung der Textverständlichkeit

165

Abbildung 6-3: Aufgabenstellung zur Textbewertung und Bewertungsvorlage nach dem Hamburger Modell der Textverständlichkeit

166

XII

Tabellenverzeichnis Tabelle 2-1: Übersicht ausgewählter Verlaufsmodelle des Bearbeitens von Problemen in der deskriptiven Entscheidungstheorie

55

Tabelle 2-2: Übersicht der Rollenmerkmale (nach Jahnke, 2006, S. 56)

65

Tabelle 2-3: Analyse der Rollen in Entscheidungsprozessen von Gremien

68

Tabelle 2-4: Rollen in Entscheidungsprozessen von Gremien

72

Tabelle 3-1: Übersicht der Experten und Expertinnen aus dem BMW Werk Leipzig

81

Tabelle 3-2: Kategoriensystem der Vorstudie

85

Tabelle 3-3: Kategoriensystem der Interviews im BMW Werk Leipzig

86

Tabelle 4-1: Übersicht zur Weitergabe von Wissen in Gremien

102

Tabelle 4-2: Stationen der Handlungsorganisation und ihre Bearbeitung innerhalb der Entscheidungsprozessphasen

103

Tabelle 4-3: Informationen und Dokumentarten

120

Tabelle 5-1: Analyse der Informationsbedarfe

126

Tabelle 6-1: Ablaufplan der Schulung

162

Tabelle 6-2: Merkmale der Textverständlichkeit mit relevanten Textgestaltungsaspekt

167

XIII

1

Einleitung

1.1

Ausgangssituation und Handlungsbedarf

Die Organisation der Arbeit in volkswirtschaftlich bedeutsamen Industriezweigen wie z. B. der Automobilindustrie ist aktuell einer zunehmenden Wandlung unterworfen. Standen zu Beginn der 1990er Jahre noch Konzepte im Vordergrund, die mit den Schlagwörtern „Lean Production“ und „Lean Management“ verbunden waren (vgl. Womack et al., 1994) sind derzeit neue Standardisierungsbestrebungen zu verzeichnen (vgl. Institut für angewandte Arbeitswissenschaft, 2000; Baethge-Kinsky & Lullies, 2006). Ein Auslöser und zugleich Vorbild für die Entwicklung ist dabei der Automobilkonzern Toyota (vgl. Jürgens, 2006, S. 19 f.). In Anlehnung an das Toyota-Produktionssystem führen die deutschen Automobilkonzerne seit Ende der 1990er Jahre unternehmensspezifische Produktionssysteme bzw. -Modelle ein. Diese Systeme regeln verbindlich für alle Produktionsstätten eines Automobilunternehmens insbesondere die Arbeitsstrukturen, Prozesse, Produkte und deren Qualität. In diesem Kontext wurde in der BMW AG das Management-Prozess-Modell (MPM)1 entwickelt und zum Standard erhoben. Die Prozesse in den Produktionsstätten der BMW AG, z. B. im BMW Werk Leipzig2, werden in Management-Prozess-Modellen abgebildet sowie in Prozessplänen und Prozessblättern (z. B. Ablaufdiagramme, Prozesshandbücher, Checklisten, Tätigkeitsbeschreibungen) umfassend dokumentiert. Komplexe Herausforderungen wie z. B. Neuanläufe in der Produktion3 oder die Einführung neuer Produktionstechnologien, deren Abläufe nur wenig standardisierbar und nur bedingt in Produktionssystemen bzw. Prozessmodellen definiert bzw. darstellbar sind, machen eine quantitativ und qualitativ außerordentlich intensive Kooperation unterschiedlicher funktionaler Organisationseinheiten4 auf verschiedenen Hierarchieebenen erforderlich (vgl. Liebert & Blecher, 1998; Ritter, 2000). 1

Das MPM ist ein Managementsystem. Es definiert Strukturen und Verantwortlichkeiten zum Leiten und Lenken aller Abläufe im BMW Werk (vgl. BMW AG, 2005). 2 Die BMW AG errichtete von 2001 bis 2005 ein neues Produktionswerk mit einem Investitionsvolumen von ca. 1,3 Milliarden Euro in Leipzig. Im Frühjahr 2005 wurde in diesem derzeit viertgrößten Automobilwerk der BMW Group in Deutschland die Serienproduktion aufgenommen. Das Werksgelände umfasst eine Fläche von ca. 200 ha. Mittelfristig werden bis zu 5500 Mitarbeiter in den Kern- und Serviceprozessen beschäftigt sein. Das neue BMW Werk in Leipzig ist darauf ausgerichtet, unterschiedliche Modelle, wie die 3-er Limousine und die 1-er Reihe, gleichzeitig und nebeneinander zu produzieren. 3 So stellte die Aufnahme der Serienproduktion der BMW 1-er Reihe im Jahr 2007 nach dem Werkanalauf 2005 eine erneute Herausforderung an die Vorbereitung der einzelnen Montagefunktionen und die Bereitstellung von Produktionsmethoden und Ressourcen durch die Prozessplanung dar. 4 Funktionale Organisationseinheiten sind in einem Produktionswerk der BMW AG die Fachbereiche, die sich in die weiteren Einheiten Abteilung und Gruppe untergliedern. Das BMW Werk Leipzig setzt sich aus den Fachbereichen Logistik, Karosseriebau, Montage, Lackiererei, Qualitätsmanagement, Personalwesen und Controlling zusammen. Als weitere Organisationseinheit ist die Stabsstelle für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Mitarbeiterkommunikation

1

Funktionale Organisationseinheiten müssen insbesondere dann kooperieren, wenn bewährte Regeln und Verfahren der Management-Prozess-Modelle nicht ausreichen oder nicht geeignet sind, auftretende Fragestellungen zu bearbeiten bzw. Schwierigkeiten zu beseitigen (vgl. Wehner et al., 1996; Wehner et al., 2004). Nach Hacker (2005) erfordert die Kooperation eine gemeinsame Zielstellung, eine Ordnung des Zusammenwirkens und eine aufgabenbezogene Kommunikation der Vertreter der funktionalen Organisationseinheiten. Das kann in und über Gremien realisiert werden bzw. wird in der Praxis vielfach in und über Gremien realisiert. Gremien können entscheidend zur gelungenen Kooperation von funktionalen Organisationseinheiten im Wertschöpfungsprozess eines Automobilwerks beitragen. Sie beschließen unter anderem Ziele für künftiges Handeln sowie die Vorgehensweisen zur Zielerreichung, wie folgende Beispiele zeigen: x

Entscheidungen der Gremien definieren beispielsweise den Rahmen künftigen Handelns innerhalb der Organisation in Form von Prämissen. So stellt z. B. das Produktionsziel, 650 Fahrzeugeinheiten pro Tag herzustellen, eine zentrale Prämisse des Handelns der Führungskräfte und der Mitarbeiter dar. An dieser Prämisse haben sich die Entscheidungen aller in der Organisationshierarchie nachfolgenden Gremien auszurichten.

x

Gremien regeln grundsätzliche Fragen der Aufbau- und Ablauforganisation. So können sie die fachbereichsübergreifende Einrichtung neuer Projektgruppen anweisen, die z. B. mit der werkweiten Planung des Neuanlaufs der Serienproduktion der 1-er Reihe beauftragt werden.

x

Entscheidungen von Gremien sind in der Regel von mehreren Organisationseinheiten zu berücksichtigen bzw. umzusetzen. So sind grundlegende Qualitätsstandards, die der Werkleitungskreis im BMW Werk definiert, von allen Fachbereichen einzuhalten.5

x

Neben Entscheidungen, die sich auf Fragestellungen und Aufgaben des laufenden Produktionsprozesses beziehen (z. B. die Auswahl eines Lieferanten für Fahrzeugsitze oder die Festlegung des Umfangs der Zusammenarbeit mit einem

und Wissensmanagement zu zählen. Die Zusammenarbeit der Fachbereiche wird durch den Werkleitungskreis koordiniert. Der Werkleitungskreis trifft grundlegende sogenannte strategische Entscheidungen. Zur Definition des Begriffs „strategische Entscheidung“ siehe Eisenhardt & Zbaracki (1992) sowie Hungenberg (2004). 5 Im Rahmen dieser Arbeit wurden 73 in Gremienprotokollen dokumentierte Entscheidungen untersucht. 40 der untersuchten Entscheidungen entfallen auf den Werkleitungskreis. Entscheidungen des Werkleitungskreises wirken sich in 55 % aller Fälle auf alle sieben Fachbereiche sowie die Stabsstelle und in 25 % aller Fällen auf mindestens zwei und höchsten sechs der sieben Fachbereiche aus. Die im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Dokumente (vgl. Kapitel 4 und 5) und die Interviewtranskribte (vgl. Kapitel 3) liegen dem Autor vor.

2

Dienstleistungsunternehmen für Instandhaltungsarbeiten in der Montage), treffen Gremien auch Regelungen und definieren Standards, die den Rahmen für das Handeln in Entscheidungsprozessen nachgeordneter Gremien festlegen. So beinhaltet z. B. die Entscheidung des Werkleitungskreises die fixen Prozesskosten in den jeweiligen Fachbereichen des Werks um eine festgelegte Prozentzahl zu reduzieren sowohl einen Auftrag als auch eine inhaltliche Vorgabe für alle nachfolgenden Gremien. x

Entscheidungen in Gremien haben zumeist eine längerfristige Wirkung für das Werk bzw. ein Unternehmen. Diese Entscheidungen reichen über Regelungen zum operativen Tagesgeschäft hinaus.6

Gremien treffen Entscheidungen mit unterschiedlichem Komplexitäts- und Wirkungsgrad. Während (routinierte) Entscheidungsprozesse der Gremien zu gut strukturierten, transparenten und einfachen Sachverhalten7 bzw. Frage-, Problem- und Aufgabenstellungen in der Literatur hinlänglich beschrieben werden (vgl. Bronner, 1993; Dörner, 1987; Fisch & Wolf; 1990; Funke, 2003), besteht in Praxis und Forschung besonderes Erkenntnisinteresse an Entscheidungsprozessen zu komplexen, intransparenten Problemstellungen. Komplexe Probleme dieser Art sind durch zahlreiche Einflussfaktoren gekennzeichnet, die auf vielfache Weise miteinander verknüpft sind und sich dynamisch verändern können (Dörner, 2005; Fisch & Wolf, 1990; Funke, 2003). Die Kooperation in Gremien ist weitgehend definiert sowie formalisiert (vgl. BMW AG, 2000) und wird entlang eines Entscheidungsprozesses organisiert. Dieser Entscheidungsprozess ist in mehrere Phasen unterteilt: Entscheidung vorbereiten – Entscheidung treffen – Entscheidung dokumentieren – Entscheidung umsetzen. Die Gremienmitglieder nehmen unterschiedliche Funktion innerhalb der Phasen des Entscheidungsprozesses wahr. Sie erfüllen diese Funktionen sowohl auf der prozesssteuernden als auch auf der ausführenden Ebene. Auf der prozesssteuernden Ebene werden diejenigen Handlungen angewiesen und kontrolliert, die zur Durchführung eines Entscheidungsprozesses beitragen sollen (vgl. Bronner, 1993), z. B. die Vergabe eines Auftrags zur Bearbeitung eines zur Entscheidung anstehenden Problems in der Entscheidungsvorbereitungsphase. Auf der ausführenden Ebene werden die Handlungsanweisungen in konkrete Verrichtungen bzw. Tätigkeiten umgesetzt, z. B. die Sammlung von Informationen in der Ent6

Brauchlin & Heene (1995) sprechen in diesem Fall u. a. von einer strategischen Entscheidung. Einfache Sachverhalte sind dadurch charakterisiert, dass nur wenige Einflussgrößen zu berücksichtigen sind, die zudem kaum in einer Beziehung zueinander stehen (vgl. Gomez & Probst, 2004). Ein solcher Sachverhalt lässt sich durch die Erfahrung der Gremienmitglieder und bestehender elaborierter und erprobter Methoden und Verfahren bearbeiten. In der Literatur wird in diesem Fall von einer Aufgabe gesprochen (vgl. Dörner, 1987). Zur Abgrenzung der Begriffe Problem und Aufgabe siehe Kapitel 2.1.

7

3

scheidungsvorbereitungsphase. Die Gremienmitglieder übernehmen damit verschiedene Rollen innerhalb des Entscheidungsprozesses und leisten jeweils spezifische Beiträge zum Gelingen der Kooperation in Gremien. Nach Dahrendorf ist eine Rolle zu verstehen als „Bündel an Erwartungen, das sich in einer gegebenen Gesellschaft an das Verhalten der Träger von Positionen knüpft“ (Dahrendorf, 2006, S. 37). Rollen können anhand ihrer Position im sozialen System (z. B. die Stelle, die sie in einem Unternehmen nach Maßgabe der Stellenbeschreibung wahrnehmen), anhand ihrer Funktionen in der Organisation, ihrer Interaktionsbeziehungen zu anderen Rollen, so genannten Bezugsrollen, und den Erwartungen an das Verhalten beschrieben werden. Rollen werden in der Regel durch Diplom-Ingenieure mit Führungsverantwortung und zum Teil langjährigen Praxis-Erfahrungen in der Automobilbranche übernommen. Sie können als Experten8 im Hinblick auf produktionstechnische Sachverhalte bezeichnet werden und treffen in den Gremien die Entscheidungen (Entscheider). Ergänzt wird der Kreis der Experten durch Protokollanten, zumeist eine Teamassistenz mit einer kaufmännischen Ausbildung. Diese Personengruppen werden im Folgenden auch als Gremienmitglieder bezeichnet. Die Gremienmitglieder werden durch die Übernahme der jeweiligen Rolle zu Rollenträgern. In dieser Arbeit wird der Entscheidungsprozess verstanden als ein durch die Organisation definierter Rahmen für das Handeln der Rollenträger. Innerhalb der einzelnen Phasen des Entscheidungsprozesses können die folgenden Rollen und Funktionen unterschieden werden: x

Phase „Entscheidung vorbereiten“ o Rolle: Themenbearbeiter – Funktion: Vorbereitende Bearbeitung des Problems (ausführende Tätigkeit) o Rolle: Themensteuerer – Funktion: Themenbearbeiter anleiten (steuernde Tätigkeit)

x

Phase „Entscheidung treffen“ o Rolle: Entscheider9 – Funktion: Ergebnis der vorbereitenden Bearbeitung diskutieren und bewerten sowie Entscheidung zum Problem treffen und Umsetzung der Problemlösung anweisen (steuernde Tätigkeit)

8

Experten sind „Personen, die dauerhaft hervorragende Leistungen in einem Fachgebiet erbringen. Grundlage für die Leistungen ist eine spezifische Problemlösefähigkeit, die Experten besitzen und die sie auszeichnet gegenüber anderen Personen, die – um die Unterschiede zu den Experten kenntlich zu machen – als Novizen, Anfänger oder Neulinge bezeichnet werden“ (Klauser, 2003, S. 75). Vergleiche hierzu auch Reimann (1998). 9 Der Entscheider ist ein Gremienmitglied, das über die organisationale Befugnis zur Auswahl einer Lösungsalternative verfügt. Er übernimmt mit den weiteren Entscheidern die Verantwortung für die getroffene Entscheidung gegenüber der Organisation. Gremienmitglieder ohne Entscheidungsbefugnis sind der Protokollant, der Themenbearbeiter (temporäres Gremienmitglied) und geladene Besucher (z. B. unternehmensexterne Experten).

4

x

Phase „Entscheidung dokumentieren“ o Rolle: Protokollant – Funktion: Entscheidung - respektive die vereinbarte Problemlösung - dokumentieren (ausführende Tätigkeit)

x

Phase „Entscheidung umsetzen“ o Rolle: Themenbearbeiter – Funktion: gewählte Problemlösung zur Umsetzung veranlassen bzw. selbst umsetzen (ausführende Tätigkeit).

Die Erfüllung der jeweiligen Funktionen im Entscheidungsprozess setzt selbstorganisiertes und systematisches Handeln der Rollenträger voraus. Die Bearbeitung komplexer Probleme bzw. das Handeln in Problemlöseprozessen ist in der Denk- bzw. Kognitionspsychologie ausführlich untersucht (vgl. u. a. Berry & Broadbent, 1995; Dörner, 1987, 2005; Dörner et al. 1994; Frensch & Funke, 1995; Funke, 1992, 2001a, 2003, 2006; Seel, 2003; Wetzel, 1995). Bei der vollständigen Bearbeitung bzw. Lösung eines komplexen Problems durchlaufen die Rollenträger im Allgemeinen die folgenden Stationen der Handlungsorganisation (vgl. Dörner, 2005): Zielausarbeitung – Modellbildung – Prognose und Extrapolation – Planung von Aktionen, Entscheiden und Durchführen von Aktionen – Effektkontrolle und Revision der Handlungsstrategie.10 Eine Übersicht der einzelnen Handlungsstationen ist in Abbildung 1-1 dargestellt. Für eine detaillierte Erläuterung siehe Kapitel 2.1.1.

10

Im Rahmen dieser Arbeit werden unter dem Strategiebegriff mental repräsentierte Handlungspläne zum Steuern des eigenen Vorgehens beim Problemlösen bzw. bei der Konstruktion von Wissen verstanden (vgl. Friedrich & Mandl, 1992).

5

Abbildung 1-1: Stationen der Handlungsorganisation (Dörner, 2005, S. 67)

Diese Stationen der Handlungsorganisation bilden den (individuellen) Problemlöseprozess ab. Rollenträger in Gremien müssen in der Lage sein, beim Lösen von Problemen adäquate Denk- und Problemlösestrategien auszuwählen und anzuwenden. Beim systematischen Lösen eines komplexen Problems konstruiert jeder Rollenträger sowohl individuelles Wissen zum Gegenstand des Problems als auch zu den möglichen bzw. verwendeten Arbeits- bzw. Problemlösestrategien sowie zu deren Passfähigkeit.11 Große Teile dieses Wissen sind für die weiteren Rollenträger im Entscheidungsprozess eine grundlegende Voraussetzung dafür, die jeweiligen Funktionen im Entscheidungsprozess erfüllen zu können: So benötigt beispielsweise jeder Entscheider Informationen12 vom Themenbearbeiter, um eine Bewertung und Auswahl der Lösungsalternativen vornehmen zu können. Schriftlich fixiert wird das Wissen in jeweils unterschiedlichen Dokumenten (z. B. Management Summary, Protokoll, Liste offener Punkte). Die Do11 Im Rahmen dieser Arbeit wird unter dem individuellen bzw. dem personenbezogenen Wissen Faktenwissen und Strukturwissen verstanden. Das Faktenwissen setzt sich aus empirischen Sachverhalten zusammen, die nicht miteinander in Beziehung stehen (müssen). Das Strukturwissen lässt sich in das Begriffswissen (deklaratives Wissen), das Verfahrenswissen (prozedurales Wissen) und das Bedingungswissen bzw. strategische Wissen (konditionales Wissen) unterscheiden (vgl. Dubs, 1995a, 2006; Klauser, 2000a; Wuttke, 2005). So sammelt beispielsweise der Themenbearbeiter bei der Durchführung der entscheidungsvorbereitenden Aktivitäten Fakten zum Problem, er setzt diese Fakten in Beziehung zueinander (deklaratives Wissen) und wendet bei der Bewertung domänenspezifische Methoden und Regeln an. Zudem bringt er, je nach Ausmaß seiner Expertise, eigene Erfahrungen mit ein: „Das Problemlöseverhalten von Experten wird wesentlich häufiger von spezifischen Fakten und konkreten Erfahrungen als von generalisierten Wissensstrukturen geleitet“ (Klauser, 2003, S. 76). 12 Unter Informationen werden Daten vergegenständlicht durch Zeichen (z. B. Symbolzeichen oder ikonische Zeichen) im Kontext eines Problemzusammenhangs verstanden. Wissen ist dagegen auch kontext- aber zudem noch personengebunden. Im Rahmen dieser Arbeit werden Informationen als Grundlage zur Konstruktion von Wissen aufgefasst.

6

kumente enthalten Ergebnisse, die ein Rollenträger bei der individuellen Problembearbeitung erzielt hat. Im Falle des Themenbearbeiters ist dies u. a. Wissen zu Teilzielen der Problemlösung, zur Beziehung der Teilziele untereinander, zu möglichen Handlungsalternativen und zu Bewertungskriterien für die Auswahl einer Alternative. Die Dokumente sind Ausgangspunkt für die individuellen Problemlöseprozesse der anderen Rollenträger. Den Entscheidern dient beispielsweise die Management Summary als Ausgangspunkt für die Diskussion, Bewertung und Auswahl einer Lösungsvariante. Zugleich sind die Dokumente aber auch inhaltliche und strukturelle Grundlage für die Ausgestaltung der einzelnen Phasen des Entscheidungsprozesses und ihrer Abfolge. Aus dieser Sicht haben sie eine Vermittlungsfunktion für die Kooperation im Gremium: x

Phase „Entscheidung vorbereiten“ ¾ Dokumente: Management Summary und Präsentation (halten Ergebnisse der Phase „Entscheidung vorbereiten“ fest – dienen als Informationsgrundlage für die Phase „Entscheidung treffen“). ¾ Beide Dokumente werden durch den Themenbearbeiter erstellt. Es findet eine Textproduktion in der Regel auf der Grundlage eines (individuellen) Problemlöseprozesses statt. Die Entscheider rezipieren die Management Summary im Vorfeld einer Gremiensitzung. Alle Gremienmitglieder rezipieren die Präsentation, welche die Ergebnisse der Entscheidungsvorbereitung enthält.

x

Phase „Entscheidung treffen“ ¾ Dokumente: Persönliche Mitschriften der Gremienteilnehmer, Liste offener Punkte (fixieren Ergebnisse der Phase „Entscheidung treffen“ – dienen als Informationsgrundlage für die Phase „Entscheidung dokumentieren“ und „Entscheidung umsetzen“). ¾ Die Entscheider und der Protokollant fertigen persönliche Mitschriften sowie Listen offener Punkte an. Rezipiert werden die Dokumenttexte durch die Gremienmitglieder und den Protokollanten.

x

Phase „Entscheidung dokumentieren“ ¾ Dokument: Protokoll (fixiert Ergebnisse der Phase „Entscheidung dokumentieren“ – dient als Informationsgrundlage für die Phase „Entscheidung umsetzen“)

7

¾ Das Protokoll wird vom Protokollanten angefertigt. Die Gremienmitglieder und der mit der Umsetzung einer Problemlösung beauftragte Themenbearbeiter rezipieren den Protokolltext. x

Phase „Entscheidung umsetzen“ ¾ Dokumente: Checklisten, Prozessblätter, Kostenpläne, usw. (fixieren Ergebnissen der Phase „Entscheidung umsetzen“). ¾ Die Dokumente werden vom Themenbearbeiter erstellt. Innerhalb neuer Entscheidungsprozesse in einem Gremium können sie von weiteren Themenbearbeitern rezipiert werden. Zudem werden sie außerhalb von Gremien bei der Umsetzung der Entscheidung im Arbeitsprozess von Mitarbeitern des Themenbearbeiters rezipiert.

Darüber hinaus können die Dokumente, z. B. das Protokoll, eine Vermittlungsfunktion zwischen mehreren Gremien einnehmen. Von bereits erarbeiteten, eingesetzten und geprüften Lösungen kann ein weiteres Gremium profitieren, z. B. zu Beginn der Bearbeitung eines vergleichbaren Problems oder wenn es darum geht, nachfolgende Entscheidungen zu treffen, die auf den im jeweiligen Dokument kodifizierten Entscheidungen beruhen. Eine Übersicht des Untersuchungsgegenstandes stellt Abbildung 1-2 dar.

8

Gremienprozesse im Werk Fachbereich A

Fachbereich B

Gremien

B1

A1

B2

A2 A3

B3

Abbildung 1-2: Skizze zum Untersuchungsgegenstand der Arbeit

Der Entscheidungsprozess in einem Gremium wird in dieser Abbildung in den Zusammenhang zur Aufbauorganisation gestellt: Die Gremien sind hierarchisch gegliedert, Ergebnisse aus einem übergeordneten Gremium auf der Fachbereichsebene (in der Abbildung beispielsweise als Gremium 1 des Fachbereichs B bezeichnet) werden in Form von Informationen an ein untergeordnetes Gremium auf der Abteilungsebene (in der Abbildung beispielsweise als Gremium 2 des Fachbereichs B bezeichnet) weitergeleitet.13 Die organisationale Ebene ist gegliedert in die Phasen des Entscheidungsprozesses, die Rollen und die Funktionen, die die Rollenträger übernehmen. Die individuelle Ebene setzt sich aus den Stationen der Handlungsorganisation beim Problemlösen und der Konstruktion bzw. Weitergabe von Wissen bei der Textproduktion bzw. Textrezeption zusammen. Die Textrezeption bzw. die Textproduktion sind sowohl Ausgangs- als auch Endpunkt des individuellen Problemlösens. Dokumente sind als Instrumente den einzelnen Phasen- bzw. Phasenübergängen zugeordnet. Auf der Instrumentenebene ist festzuhalten, dass formell kein spezifisches Dokument durch die Organisation bestimmt ist,

13

Die dritte Ebene stellt die Gruppenebene in einem Werk dar.

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das der Weitergabe von Wissen zu erfolgreichen bzw. erprobten Problemlösungen aus einem Gremium in ein weiteres dient. Aus wissenschaftlichen Untersuchungen ist bekannt, dass Dokumente für und in Gremien vielfach unvollständig oder nur wenig zweckdienlich gestaltet sind und dass die Rollenträger nur eingeschränkt das Wissen aus ihren Problemlöseprozessen an andere Rollenträger in den Gremien weitergeben bzw. weitergeben können.14 Das hat vor allem folgende Ursachen: x

Rollenträger wenden unvollständige Problemlösestrategien an und/oder durchlaufen nicht alle Stationen der Handlungsorganisation bzw. begehen dabei spezifische Fehler.15 D. h. Rollenträger besitzen unter Umständen nicht die entsprechenden Problemlösefähigkeiten oder können diese nicht adäquat anwenden.

x

Rollenträger besitzen nicht die Fähigkeit, das konstruierte Wissen in umfassender und aussagekräftiger Form zu dokumentieren. Unter anderem antizipieren die Rollenträger bei der Textproduktion nicht in ausreichender Weise das jeweilige Vorwissen und die Rezeptionssituation derjenigen Rollenträger, die ihre Dokumente nutzen bzw. in Handlungen am Arbeitsplatz umsetzen müssen (vgl. Becker-Mrotzek, 2004; Reinmann-Rothmeier et al., 1995).16

x

Rollenträger besitzen als Nutzer der Dokumente nicht die Fähigkeit, Informationen aus den Dokumenten fachlich richtig, schnell und vollständig zu rezipieren (vgl. Christmann & Groeben, 1994; Groeben, 1982; Schnotz, 1994, 2002).17

Das erstgenannte Defizit ist auf Fehler in der Handlungsorganisation der Rollenträger zurückzuführen. Die beiden letztgenannten Defizite beruhen auf mangelhaften Fähigkeiten im Hinblick auf das Strukturieren von Dokumenten auf der Textmakroebene und auf das Verfassen von verständlichen Texten auf der Textmikroebene sowie auf mangelnde Fähigkeiten der Textrezeption. 14

Beispielsweise stellte ein Projektmanager des BMW Werks Leipzig bei der Auswertung von Protokollen fest, dass Entscheidungen, bei deren Beschluss er anwesend war, nicht in den Protokollen festgehalten waren: „Der Beschluss stand in den Köpfen, aber er wurde nicht einmal explizit ausgesprochen.“ (Interview, Hr. Wolf, 07.11.2003). Für die Ergebnisse aus der Analyse von Dokumenten in Entscheidungsprozessen siehe Kapitel 4.2 und 3.3. 15 Dörner (2005) spricht von generellen Fehlern beim Problemlösen, wenn nicht alle Stationen der Handlungsorganisation durchlaufen werden. Bei jeder Handlungsstation können zudem spezifische Fehler auftreten, wie z. B. eine mangelnde Dekomposition von Zielen oder die Bildung reduktiver Hypothesen. 16 Beim Handeln in Problemlöseprozessen werden Erfahrungen erworben. Erfahrungswissen enthält implizite Bestandteile, die zwar im Alltag automatisch benutzt werden, zu denen ein Rollenträger aber keinen bewussten Zugang hat (vgl. Fischer, 2000; Hacker, 2005; Büssing, Herbig & Ewert, 1999; Büssing & Herbig, 2003). Grundsätzlich geht man davon aus, dass implizites Wissen nur mit Explikationsmethoden erhoben werden kann, d. h. es muss in kodifiziertes explizites Wissen umgewandelt werden. Dabei wird es von seinem spezifischen Kontext gelöst und in eine sprachliche Form gebracht. Diese Aufgabe können viele Rollenträger nicht ausreichend erfüllen, denn selbst bei ausgeprägter Analyse- und Sprechfertigkeit gibt es einen Restanteil an Wissen, der sprachlich nur schwierig kommunizierbar ist (vgl. Neuweg, 1999). 17 Schwierigkeiten bei der Textrezeption aufgrund mangelnder Textverständlichkeit in Dokumenten des Projektes „Werkaufbau Leipzig“ beschreiben beispielsweise Fürstenau et al. (2005).

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Für die Praxis der Gremienarbeit hat das unter anderem die folgenden Auswirkungen: x

Absolvieren Rollenträger den Problemlöseprozess nicht komplett, können sie nur bedingt ein vollständiges mentales Modell vom bestehenden Problem konstruieren.18 In der Folge besteht die Gefahr, dass u. a. keine umfassende Zieldekomposition (Zerlegung des Globalziels in mehrere Teilziele) stattfindet und lediglich ein Teilausschnitt des komplexen Problems zur Kenntnis genommen bzw. bearbeitet wird.

x

Das Rezipieren von Informationen aus Dokumenten ist eine aktive und konstruktive Leistung des Rollenträgers, der das eigene Vorwissen, seine individuellen Ziele sowie seine Rezeptionsstrategie einbringt. Dies gilt es beim Erstellen eines Dokumentes zu berücksichtigen. Wird z. B. das Vorwissen der Nutzer der Dokumente nicht berücksichtigt, können daraus Verständnisschwierigkeiten beim Rezipienten sowie Fehlinterpretationen resultieren.

x

Das Verstehen von Dokumenttexten ist ein Prozess, bei dem u. a. individuelle Lese- bzw. Lernstrategien sowie Textverarbeitungsstrategien19 eines Rollenträgers zur Anwendung kommen. Wendet ein Rollenträger nur unzureichend Lesebzw. Lernstrategien an, indem er z. B. komplexe Textinformationen nicht auf das Wesentliche reduziert oder neue Informationen nicht in die bestehenden eigenen Wissensstrukturen integriert, konstruiert er unter Umständen eine unvollständige oder falsche mentale Repräsentation des Textes bzw. des zu Grunde liegenden Sachverhalts.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass mangelnde Fähigkeiten der Textproduktion eine rezipientengerechte Dokumentation von Wissen behindern. Zudem beeinträchtigen Schwierigkeiten bei der Textrezeption die Nutzung von Informationen. Dies kann negative Auswirkungen auf die Bearbeitung eines komplexen Problems in einem Gremium haben. Die Kooperation in Gremien kann dadurch ebenso beeinträchtigt werden wie die Entscheidungsfindung und die Qualität des Ergebnisses des Entscheidungsprozesses.

18

Jeder Schritt im Problemlöseprozess modifiziert das bisherige mentale Modell (vgl. Fürstenau, 1994, S. 53). Das mentale Modell stellt eine interne d. h. kognitive Repräsentation der Realität dar. Die Repräsentation durch mentale Modelle hat eine dynamische Struktur. Sie erweitert sich mit jeder kommunikativen Handlung (z. B. Diskussion, Lesen von Dokumenttexten). Für weitere Ausführungen zum Begriff des mentalen Modells siehe Kapitel 2.1.2. 19 Lern- und Lesestrategien sind mental repräsentierte Schemata oder Handlungspläne zur Steuerung des eigenen Lernverhaltens, respektive des Verhaltens beim Lernen aus Texten. Diese Handlungspläne setzen sich aus einzelnen Handlungssequenzen zusammen und sind situationsspezifisch abrufbar, wie z. B. Planung der Lesezeit und Leseumgebung, Formulierung von Fragen, die durch das Lesen des Textes beantwortet werden sollen (vgl. Reinmann-Rothmeier et al., 1995). Für eine grundlegende Taxonomie von Lernstrategien siehe Friedrich & Mandl (1997).

11

Die Frage nach der Ausgestaltung von Entscheidungsprozessen und nach der Unterstützung der Rollenträger durch den entsprechenden Einsatz von Dokumenten wird in Forschung und Praxis vor allem von der Betriebswirtschaftslehre bearbeitet. Zu nennen sind insbesondere x

die empirische bzw. deskriptive Entscheidungsforschung (vgl. Brauchlin & Heene, 1995; Bronner, 1999; Cohen et al., 1976; Eisenhardt & Zbaracki, 1993; Hauschildt et al., 1983; Kahle, 2001; March & Simon, 1976; Mintzberg, 1978; Quinn, 1980. Für einen Überblick siehe Pfeffer, 1981 und Staehle, 1999) sowie

x

die Ansätze zum Wissensmanagement, die sowohl in der Managementlehre als auch in der Wirtschaftsinformatik verortet sind (vgl. Bellmann, et al., 2002; Bodendorf, 2003; Bogaschewsky, 1999; Davenport & Prusak, 1998; Hansen et al., 1999; Krcmar, 2005; Nonaka & Konno, 1999; Nonaka & Takeuchi, 1997; North, 1999; Pawolowksy, 1998; Pawlowsky & Reinhardt, 2002; Probst, Raub & Romhardt, 1999; Reinhardt, 2002; Romhardt, 1998; Schindler, 2003).

Die deskriptive Entscheidungsforschung, die u. a. verhaltenstheoretische Modelle wie z. B. den Behaviorismus, in ihre Forschung integriert, untersucht das beobachtbare Verhalten von Rollenträgern in Entscheidungsprozessen.20 Das Forschungs- und Erkenntnisziel ist darauf ausgerichtet zu identifizieren und zu prognostizieren, wie sich Rollenträger bei unterschiedlichen Entscheidungen unter Berücksichtigung beschränkter Ressourcenkapazitäten verhalten. Die deskriptive Entscheidungsforschung stellt Methoden und Instrumente zur externen Verhaltensbeeinflussung mit dem Ziel bereit, den Beitrag verschiedener Rollenträger zum Entscheidungsprozess in Organisationen zu koordinieren. Maßgeblich für den verhaltenstheoretischen Forschungsansatz sind beobachtbare und eindeutig quantifizierbare Aspekte des Verhaltens.21 D. h. im Fokus des Forschungsinteresses steht der Erfolg des Verhaltens, respektive die „effiziente“ Problemlösung. Damit ist die deskriptive Entscheidungsforschung produktorientiert ausgerichtet. Bezugspunkt verhaltenstheoretischer Forschung ist die Gestaltung der Umwelt, um individuelles Verhalten zu beeinflussen: „Wissenschaft vom Verhalten geht [...] von der Umwelt des Individuums aus und fragt, wie diese Umwelt funktioniert, damit Individuen zu bestimmten Verhaltensweisen gelangen und diese Verhaltensweisen auf Dauer [steuern] können“ (Kron, 2001, S. 102). Im Zentrum der Forschung stehen externe, d. h. 20

Für eine ausführliche Darstellung der verhaltenstheoretischen Perspektive der Betriebswirtschaftslehre siehe Staehle (1999) sowie Franken (2004). 21 Nach Kron (2001, S. 99) lässt sich eine behavioristisch orientierte Verhaltenslehre am Wissenschaftsverständnis des Positivismus (es gilt nur das, was real beobachtbar und verifizierbar ist) und des Pragmatismus (es ist nur das gültig, was zu einem Erfolg führt) erläutern.

12

durch die Organisation bestimmbare Faktoren zur Beeinflussung, Steuerung und Stabilisierung von Verhalten.22 Die deskriptive Entscheidungsforschung betrachtet den Entscheidungsprozess als systematische Reihenfolge beliebig teilbarer – daher arbeitsteilig bearbeitbarer – Verrichtungen. Beim Lösen von Problemen in komplexen Entscheidungssituationen gilt es daher das individuelle Verhalten der Rollenträger durch die Organisation bzw. das Management zu steuern (vgl. Bronner, 1993). Aktuelle Beiträge zur Entscheidungsforschung verbinden verhaltenstheoretische Annahmen mit Ansätzen und Modellen der Kognitionspsychologie (vgl. Bartscher 1997): Kognitive Denkmuster bzw. -strukturen werden mit dem sichtbaren Verhalten von Rollenträgern in organisationalen Entscheidungsprozessen in Beziehung gesetzt. Begrenzte menschliche Rationalität und Informationsverarbeitungskapazität sowie das Vorhandensein unterschiedlicher Bedürfnisse und Motive werden als Bestimmungsfaktoren menschlichen Handelns verstanden, die Auswirkungen auf das Verhalten der Rollenträger im Entscheidungsprozess haben. Diese Bestimmungsfaktoren sind Einflussgrößen, die den Einsatz des Faktors Arbeit beim Entscheiden ein- bzw. beschränken. Die Ressourcenbeschränkung gilt es durch eine entsprechende Steuerung der Prozesse und durch Anleitung des Verhaltens der Rollenträger auszugleichen. Das Verhalten der Rollenträger wird als eine Steuerungsgröße im Entscheidungsprozess betrachtet. Mit den Bestimmungsfaktoren werden ansatzweise kognitionspsychologische Erkenntnisse (z. B. das Informationsverarbeitungsparadigma) in die betriebswirtschaftliche Entscheidungsforschung integriert (vgl. Bartscher, 1997, S. 92). Allerdings findet nur zum Teil eine Abkehr von behavioristischen Konzepten und dem Ausblenden interner Vorgänge im Subjekt statt. Individuelle Prozesse der Konstruktion von Wissen in Entscheidungsprozessen, respektive der Bearbeitung komplexer Probleme, werden nicht thematisiert, da sie nicht beobachtbar sind (vgl. Funke, 2003, S. 28). Roehl (2000) attestiert Teilen der betriebswirtschaftlichen Disziplin ein dem Behaviorismus entlehntes Verständnis von individuellem Verhalten bzw. Handeln und führt dieses Verständnis u. a. auf den in der Betriebswirtschaftslehre verwendeten Wissensbegriff zurück. So versteht z. B. Segler unter Wissen all das, „was der jeweilige Akteur zur Generierung von Aktion, Verhalten, Lösungen etc. verwendet, unabhängig von Rationalität oder Intentionalität der Wissenselemente“ (Segler, 1985, S. 138). Roehl bezeichnet den Wissensbegriff 22

Zur analytischen Erklärung der Wirkung von Einflussfaktoren wird u. a. das S-O-R Paradigma zu Grunde gelegt. Steuerung- und Kontrollinstrumente sind externe Reize (Stimuli=S). Diese Reize werden vom Individuum wahrgenommen. Sie erregen das autonome und motorische System (Organismus=O), dass u. a. durch die Eigenschaften Bedürfnisse, Werte, Erwartungen, Fähigkeiten, Qualifikation beschrieben wird. Durch das Aktivieren von z. B. Bedürfnissen und Fähigkeiten kommt es zum intendierten Verhalten, das zu einer beobachtbaren Reaktion (Response=R) führt (vgl. Staehle, 1999, S. 162 ff.).

13

in der betriebswirtschaftlich orientierten Literatur als durchaus „limitiert“: Daraus resultiert die „problematische Konsequenz einer [...] möglichen Renaissance eines behavioristischer Logik verpflichteten neoklassischen ökonomischen Kalküls“ (Roehl, 2000, S. 50).23 Der in der Betriebswirtschaftslehre verwendete Verhaltensbegriff unterscheidet sich von dem im Rahmen der Arbeit benutzten Handlungsbegriff, bei dem es u. a. um personeninterne Operationen respektive individuelle Denk- und Problemlöseverfahren geht. Aus einer systemtheoretischen Perspektive,24 die oft in der Managementlehre eingenommen wird, ist Wissen nicht nur eine Ressourcenbeschränkung sondern ein Instrument bzw. Medium zum Steuern von betrieblichen Entscheidungsprozessen (vgl. Roehl, 2000, S. 40 ff.). Wissen gilt es aufgrund zunehmender Spezialisierung in der Organisation zu erhalten und insbesondere zu vermehren. Es dient primär dem Erhalt der Selbststeuerungsfähigkeit der Organisation durch ihre Rollenträger und sekundär einer verbesserten Adaptionsfähigkeit bzgl. sich ständig verändernder Umweltzustände (vgl. Roehl, 2000, S. 42 f.). Sowohl der systemorientierten Betriebswirtschaftslehre als auch der gesamten Entscheidungsforschung liegt ein sogenannter Gegenstands- bzw. Produktcharakter des Verständnisses von Wissen zu Grunde. Wissen ist zum einen Steuerungsmedium und zum anderen Produkt der Leistungserstellung bzw. der Produktionsprozesse einer Organisation (vgl. Roehl, 2000, S. 67). Produkte und Maschinen eines Unternehmens werden als so genannte Wissensträger bezeichnet, in denen sich „gefrorenes Wissen“ materialisiert (vgl. Probst et al. 1999, S. 172). Wissen wird damit als ein vom Rollenträger unabhängiges Konstrukt – ein äußerer Gegenstand – beschrieben. Aus diesem Verständnis heraus ist Wissen nicht personengebunden und daher beliebig nutzbar und übertragbar. An dieser Stelle liegt eine unscharfe Verwendung des Wissensbegriffs in Teilen der Betriebswirtschaftslehre vor. Die Disziplin geht zwar in der Regel von der Personengebundenheit aus (vgl. Probst et al., 1999; Nonaka & Takeuchi, 1997; Schindler, 2003), schreibt aber dennoch Gegenständen den Besitz von Wissen zu. Wissen wird auch in der betriebswirtschaftlichen Praxis als Produkt der unternehmensinternen Leistungserstellungsprozesse interpretiert.

23

Heidelhoff fordert deshalb, dass die Betriebswirtschaftslehre den unmittelbaren Zusammenhang von Wissen und Handeln in Organisationen wiederentdecken muss (vgl. Heidelhoff, 1998, S. 83). 24 Die Systemtheorie hat sich aus verschiedenen Ansätzen und Modellen der Kypernetik, der Entscheidungstheorie, der Organisationstheorie, der Systemtechnik und der Synergetik entwickelt. Sie untersucht das Verhalten komplexer Systeme aus verschiedenen Perspektiven und betont Analogien zwischen den unterschiedlichen Systemen. Zur systemtheoretischen Ausrichtung der Betriebswirtschaftslehre, insbesondere der Entscheidungsforschung, siehe Staehle (1999, S. 140 f.).

14

Es ist festzuhalten, dass Wissen durchaus als eine zentrale Voraussetzung für das Handeln respektive für das Entscheiden von Rollenträgern in betrieblichen Entscheidungsprozessen angesehen wird. Dabei werden generell drei Wissensformen unterschieden: x

Wissen, das in Form von Werten und Normen im Bewusstsein der Rollenträger einer Organisation verankert ist und sich in Gestalt von Regeln, Prozessabläufen und Organisationsstrukturen in der Organisation manifestiert (kollektives Wissen);

x

Wissen, das an einen Rollenträger der Organisation gebunden ist und der Organisation nicht unmittelbar zur Verfügung steht (individuelles Wissen)25 sowie

x

Wissen, das extern verfügbar ist (Wissen der Stakeholder).26

Diese drei Wissenskategorien werden vielfach auch als Wissensbasis für das Entscheiden bezeichnet (vgl. Pautzke, 1989; Kirsch, 1990). Roehl (2000) kritisiert diese Perspektive als eine rein organisationsbezogene Interpretation von Wissen. Er schlägt vor, den Ausführungen von Cyert und March (1963) folgend, immer dann von wissensbasierten Entscheidungen zu sprechen, wenn im Rahmen des Entscheidungsprozesses eine „hinreichend problemadäquate Kommunikation“ (Roehl, 2000, S. 61) stattgefunden hat. Jedoch wird auch hier der Wissensbegriff auf einen austauschbaren Gegenstand bei der Kommunikation in Problemlöseprozessen reduziert: Aufzulösen sei das ungeklärte Verhältnis zwischen Wissen und Entscheidung durch die Gestaltung von problemadäquaten Regeln und Verfahren der Kommunikation.27 In Bezug auf den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist zusammenfassend hervorzuheben, dass in der betriebswirtschaftlichen Literatur x

Entscheiden als ein organisationaler Prozess verstanden wird, der auf das Lösen komplexer Probleme ausgerichtet ist,

x

der Entscheidungsprozess ein formaler Rahmen für das Problemlösen der Rollenträger darstellt,

x

das Lösen von Problemen ein ziel- bzw. ergebnisorientiertes Vorgehen von Rollenträgern impliziert,

25

Nonaka & Takeuchi (1997) sprechen an dieser Stelle auch vom impliziten Wissen. Probst et al. (1999, S. 165) sprechen an dieser Stelle vom Wissen der Stakeholder eines Unternehmens und verstehen darunter u. a. das Wissen der Lieferanten, das Wissen der Kunden, das Wissen öffentlicher Institutionen (z. B. Finanzamt, Arbeitsverwaltung). 27 Diesem Verständnis von der Beziehung zwischen Wissen und Entscheiden folgen auch die sozialpsychologischen Ansätze zu Fehlern und Gestaltungsmöglichkeiten der Kommunikation bei Entscheidungen in Gruppen. Hier sind insbesondere die Dissonanztheorie und das Groupthinking zu erwähnen, die in den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts Eingang in die verhaltenswissenschaftlich orientierte Entscheidungstheorie gefunden haben (vgl. Festinger, 1978; Janis, 1982. Für eine Übersicht siehe Schulz-Hardt, 1997. Für die Rezeption in der Betriebswirtschaftslehre siehe u. a. Kurz, 1984; Stumpf, 1992; Martin & Bartscher-Finzer, 2004). 26

15

x

von davon ausgegangen wird, das beim Lösen von Problemen ein individueller Informationsverarbeitungsprozess durchlaufen wird,

x

von einer begrenzten menschliche Rationalität in Form beschränkter individueller Informationsverarbeitungskapazitäten ausgegangen wird, die das Lösen von Problemen beeinträchtigt,

x

von der Position eingenommen wird, dass durch die externe Modifikation des Verhaltens der Rollenträger der Entscheidungsprozess gesteuert werden kann und

x

Wissen zum einen als von der Organisation zu steuernde Größe und zum anderen als Ergebnis aus Informationsverarbeitungsprozessen von Rollenträgern aufgefasst wird.

Zudem kann festgehalten werden, dass innerhalb der betriebswirtschaftlichen Entscheidungstheorie das Verhältnis zwischen den zentralen Begriffen Wissen und Entscheidung als auch Problemlösen als nicht eindeutig geklärt gilt. Neuere Erkenntnisse der Kognitionspsychologie und der pädagogischen Psychologie zur Konstruktion von Wissen werden nur wenig bzw. nur fragmentarisch berücksichtigt. In der Pädagogik weitgehend überholt geltende Paradigmen des Behaviorismus (vgl. Kapitel 2.1.2) finden sich in Teilen der Betriebswirtschaftslehre nach wie vor als wissenschaftliche Grundlagen für Forschung. Dabei wird Wissen insbesondere als objektiver, transportierbarer Gegenstand betrachtet. Bei Problemlöseprozessen zur Anwendung kommende Denkund Problemlösestrategien und der Bezug zur individuellen Konstruktion von Wissen sind kaum Gegenstand betriebswirtschaftlicher Untersuchungen. Ähnliches gilt auch für weitere Paradigmen der lernpsychologischen Forschung: So kritisiert Staehle im Lichte der Konstruktivismusdebatte am betriebswirtschaftlichen Verständnis des Informationsverarbeitungsansatzes, dass dieser die Umwelt, in der Lernen stattfindet nicht ausreichend berücksichtigt und das Lernen „in aller Regel ein sozialer und nicht nur ein neurophysiologischer Prozess ist.“ (Staehle, 1999, S. 214). 1.2

Zielstellung

Sowohl die Betriebswirtschaftslehre als auch die Pädagogik setzen unterschiedliche Schwerpunkte bei der Unterstützung von individuellem Problemlösen in Entscheidungsprozessen und bei der Ausgestaltung von Lernprozessen bei der Problembearbeitung. Der betriebswirtschaftliche Leitgedanke besteht darin, betriebliche Prozesse aus einer organisationalen Perspektive nach Maßgabe ökonomischer Prinzipien auszugestal16

ten, die einen optimalen Faktoreinsatz gewährleisten sollen. Die Planung und Gestaltung von Entscheidungsprozessen wird in der betriebswirtschaftlichen Forschung und Praxis als eine Funktion der Steuerung von Produktionsfaktoren28 verstanden. Grundlegendes Paradigma des Faktoreinsatzes sind ökonomische Prinzipien. LehrLernprozesse primär nach der Maßgabe des optimalen Faktoreinsatzes zu initiieren und zu gestalten, wird in der pädagogischen Literatur allerdings als Einschränkung pädagogischen Handelns verstanden (vgl. Arnold, 1997). Ein zentraler Leitgedanke der Pädagogik respektive der Wirtschaftspädagogik besteht dagegen darin, diejenigen individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu fördern und auszubilden, die einen Rollenträger befähigen „bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“ (Weinert, 2001, S. 27 f.). Die Pädagogik x

ist in ihrem Forschungsinteresse an kognitiven, motivationalen, volitionalen und sozialen Bedingungen des Lernens und Lehrens orientiert;

x

untersucht individuelle Denk- und Problemlöseprozesse, die das Handeln unterstützen bzw. beim Lösen von Problemen angewandt werden und

x

stellt Modelle und Methoden bereit, um individuelle Lernprozesse auf curricularer und didaktisch-methodischer Ebene zu planen, zu gestalten und zu bewerten.

In der vorliegenden Arbeit wird davon ausgegangen, dass Rollenträger ihre Funktionen im Entscheidungsprozess nur umfassend und in hoher Qualität erfüllen können, wenn sie zum selbständigen Lösen komplexer Problemstellungen befähigt sind bzw. befähigt werden. Das Lösen von komplexen Problemen wird in der betriebswirtschaftlichen Entscheidungstheorie aus organisationaler Perspektive betrachtet. Daraus resultiert, dass Problemlöseprozesse arbeitsteilig realisierbar sind und als zeitliche Reihung einzelner zu verrichtender Tätigkeiten verstanden werden. Weitgehend außer Acht gelassen wird hierbei, dass der Problemlöseprozess in allererster Linie vor allem ein individueller und weniger ein organisationaler Prozess ist. Das Lösen komplexer Probleme erfordert kognitive Fähigkeiten, Denk- und Problemlösestrategien – d. h. der Rollenträger sollte in der Lage sein, von der Zieldefinition bis zur Effektkontrolle über alle Stationen der Handlungsorganisation hinweg bewusst denkend, planend und handelnd tätig zu wer28

Rollenträger in Entscheidungsprozessen werden unter dem Faktor „Arbeit“ subsumiert. Dabei wird in der betriebswirtschaftlichen Literatur zunehmend von einem vierten Faktor, dem „Wissen“, gesprochen, den es neben den Faktoren „Werkstoffe“ und „Betriebsmittel“ zu steuern gelte.

17

den. Erst die Bearbeitung aller Schritte eines Problemlöseprozesses ermöglicht die zielgerichtete Entwicklung eines mentalen Modells zum komplexen Problem (vgl. Fürstenau, 1994) und damit einen nachhaltigen Beitrag zum Entscheidungsprozess. Im Rahmen dieser Arbeit werden bei der Bewertung und der Ausgestaltung der organisationalen Planung, Steuerung und Leitung von Entscheidungsprozessen kognitionspsychologische Erkenntnisse der Problemlöseforschung zu Grunde gelegt. Von zentraler Bedeutung ist die These, dass der Entscheidungsprozess so ausgestaltet werden sollte, x

dass individuelle Problemlöseprozesse initiiert und gefördert werden,

x

dass der Austausch von Wissen in Form von Informationen den Aufbau eines mentalen Modells zum Problem ermöglicht, um

x

eine geeignete Problemlösung – das Produkt des Entscheidungsprozesses zu erzielen.

Innerhalb des arbeitsteilig organisierten Entscheidungsprozesses nehmen die Rollenträger nicht nur spezifische Funktionen wahr, die auf das Endergebnis, die Entscheidung, ausgerichtet sind. Zur Unterstützung der Funktionen im Entscheidungsprozess übernehmen die Rollenträger auch Funktionen bei der Weitergabe von Wissen in Form von Informationen. Sie erstellen Dokumente und Texte, um Denkprozesse anderer Rollenträger beim Problemlösen zu unterstützen. Zudem rezipieren sie Texte in Dokumenten mit dem Ziel, neues Wissen über ein Problem oder mögliche Lösungsalternativen zu erlangen. Der Erwerb von Fähigkeiten zur Textproduktion und Textrezeption (z. B. Schreibstrategie, Sequenzierung der Inhalte) kann den Rollenträger bei der Wissensweitergabe unterstützen. Fähigkeiten zur Textproduktion und Textrezeption scheinen daher geeignet zu sein, die Forderung Hackers (2005) nach einer aufgaben- bzw. problembezogenen Kommunikation als eine Voraussetzung für Kooperation in Gremien nachzukommen.

Die vorliegende Arbeit leistet einen Beitrag zu einer pädagogisch akzentuierten Analyse und Ausgestaltung betrieblicher Entscheidungsprozesse. Im Zentrum der Arbeit steht die Verknüpfung der Erkenntnisse der betriebswirtschaftlichen Entscheidungsforschung mit Ansätzen der Kognitions- bzw. der Pädagogischen Psychologie: Zur Beschreibung des individuellen Handelns in Gremien wird ein Modell eines organisationalen Entscheidungsprozesses entwickelt, das im Kern auf individuellen Problemlöseprozessen beruht. Individuelles Handeln in den Gremien erfolgt im Rahmen organisationaler Kontexte. Auf der Grundlage einer Rollenanalyse können zum einen die organisationalen 18

Funktionen der Rollenträger im Entscheidungsprozess erhoben und um pädagogisch akzentuierte Funktionen zur Ausgestaltung von Lernprozessen beim Problemlösen erweitert werden. Zum anderen können die Kommunikationsbeziehungen der Rollenträger erschlossen werden. Dabei stehen die individuelle Konstruktion von Wissen und das Problemlösen im Fokus der Betrachtung. Organisationale und personale Bedingungen der Gremienbildung und Gruppenprozesse beim Treffen einer Entscheidung, respektive der Diskussion im Rahmen der Auswahl von Lösungsalternativen, werden hingegen nicht thematisiert.29 Die Lerntheoretische Forschung stellt Modelle und Ansätze bereit, die geeignet sind, didaktisch akzentuierte Instrumente zur Unterstützung der Konstruktion von Wissen in Problemlöseprozessen betrieblicher Gremien zu erarbeiten (vgl. Edelmann, 2000; Fürstenau, 1994; Gerstenmaier & Mandl, 1995; Mandl & Gerstenmaier, 2000; Gräsel, 1997, Jonassen, 2004; Klauser, 1998a, 1998b, 2003). Insbesondere auf der Grundlage von Erkenntnissen der kognitiven Lernpsychologie werden Dokumente des Entscheidungsprozesses auf der Textmakroebene bewertet und didaktische Vorschläge für eine systematische Ausgestaltung z. B. in Form einer so genannten Strukturgrundlage entwickelt, die sich an den Stationen der Handlungsorganisation beim Lösen komplexer Probleme orientiert. Die vorliegende Arbeit grenzt sich damit von aktuellen betriebs- bzw. wirtschaftspädagogischen Beiträgen zum Wissensmanagement ab, die ausgehend von sogenannten Mega-Trends Anforderungen an und die Ausgestaltung von Lernen in Unternehmen zumeist auf einer organisationalen Ebene diskutieren (vgl. Friedrich, 2005; Lücke, 2005), jedoch nur eine spärliche curriculare bzw. didaktischmethodische Konkretisierung der Ausgestaltung von Lernen vornehmen.30

Zielstellung der vorliegenden Arbeit ist es zudem, den Rollenträgern in Entscheidungsprozessen eine wirkungsvolle Grundlage für die Planung und Durchführung von Kommunikationssituationen und die Dokumentation an die Hand zu geben, wirkungsvoll insofern, als dass sie darauf ausgerichtet ist, sowohl Informationen umfassend zu rezipieren und zu verarbeiten als auch individuell konstruiertes Wissen umfassend und verständlich weiterzugeben. Dabei geht es auch darum, betriebliche Prozesse durch eine unmittelbare Verknüpfung von Wissen und Handeln in Organisationen leistungsfähig

29

Für Forschungsergebnisse zu Potenzialen und Fehlern der Kommunikation in Gruppen beim Entscheiden siehe Janis (1982, 1989). 30 Für eine kritische Reflektion des Wissensmanagementbegriffs aus der Perspektive der Wirtschaftspädagogik siehe Huisinga & Lisop (S. 323 ff).

19

auszugestalten,31 das individuelle Handeln sowie damit verbundene Prozesse der Wissenskonstruktion von Rollenträgern in den Fokus betriebswirtschaftlicher Betrachtung zu rücken und die verschiedenen Sichtweisen der Pädagogik und der Betriebswirtschaftslehre miteinander zu verbinden. Mit der Arbeit soll zudem gezeigt werden, dass ein wirtschaftspädagogischer Ansatz, der eine betriebswirtschaftliche Fragestellung mittels kognitionspsychologischer und lerntheoretischer Modelle und Erkenntnisse bearbeitet, zu einer praxisorientierten Lösung betrieblicher Probleme beitragen kann. Als Bezugsrahmen der Erörterungen dient das Projekt „Betriebliches Wissensmanagement“, das der Lehrstuhl für Berufs- und Wirtschaftspädagogik der Universität Leipzig und der Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik der Technischen Universität Dresden gemeinsam mit dem BWM Werk in Leipzig bearbeiten.32 1.3

Aufbau der Arbeit

Die vorliegende Arbeit umfasst sieben Kapitel. Im ersten Kapitel wurden die Problemstellung und die Zielsetzung der Arbeit erläutert. Im zweiten Kapitel wird der Frage nach den organisationalen Rahmenbedingungen für das individuelle Handeln von Rollenträgern in Entscheidungsgremien nachgegangen. Dazu werden Ansätze der präskriptiven und deskriptiven Entscheidungstheorie unterschieden und daraufhin bewertet, ob und inwieweit sie das Vorgehen von Rollenträgern bei der Bearbeitung von Problemen beschreiben. Insbesondere wird erörtert, wie sich die organisationale Gestaltung des Entscheidungsprozesses auf die Konstruktion und Weitergabe von Wissen auswirkt und das Handeln der Rollenträger beim Problemlösen beeinflusst. Neben den organisationalen Voraussetzungen der Problembearbeitung in Gremien wird der Blick auf die individuellen Bedingungen für die Unterstützung der Konstruktion und der Weitergabe von Wissen gelenkt. Dazu werden die Rollenträger in Bezug auf die verschiedenen Phasen eines Entscheidungsprozesses mittels eines soziotechnischen Analyserasters der Rollentheorie analysiert und ihre Funktionen im Entscheidungsprozess erklärt.33 Mit der Rol-

31

Unter einer leistungsfähigen Ausgestaltung des Entscheidungsprozesses wird verstanden, dass individuelle Problemlöseprozesse durch didaktisch gestaltete Verfahren und Instrumente der Konstruktion von Wissen umfassend unterstützt werden, um das Zusammenwirken in Gremien zu fördern. 32 Der Lehrstuhl für Berufs- und Wirtschaftspädagogik der Universität Leipzig führt im Auftrag der BMW AG ein Projekt zum betrieblichen Wissensmanagement in Führungsgremien des Werk Leipzig durch. Die zitierten Untersuchungen fanden in diesem Rahmen statt. Das Projekt ist Teil einer umfangreichen Kooperation, an der auch der Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik der Technischen Universtität Dresden beteiligt ist. Für weitere Informationen zum Kooperationsprojekt siehe Fürstenau et al. (2005). 33 Unter den Phasen eines Entscheidungsprozesses ist die Aufteilung und Reihenfolge der Bearbeitungsschritte zu verstehen, die zu einer effizienten Entscheidung in Gremien führen. Es handelt sich dabei um eine organisationale

20

lenanalyse wird eine Verbindung zwischen den organisationalen Anforderungen an einen Rollenträger und seinen individuellen Funktionen im Entscheidungsprozess hergestellt. Das kognitionspsychologische Modell der „Stationen der Handlungsorganisation“ ermöglicht, Denkprozesse und die Konstruktion von Wissen beim Problemlösen zu beschreiben und in den Kontext der Organisation eines Entscheidungsprozesses zu stellen. Davon ausgehend wird anschließend konkretisiert, welches Wissen die jeweiligen Rollen benötigen und welche Anforderungen an die Weitergabe von Wissen in Form von Informationen zu erfüllen sind, damit die Rollen ihre Funktionen im Entscheidungsprozess erfüllen können. Im dritten Kapitel wird das methodische Konzept sowie das empirische Vorgehen der Untersuchung im Rahmen dieser Arbeit vorgestellt. Im Besonderen wird dargelegt, wie bei der Auswertung des Datenmaterials, das dieser Arbeit zu Grunde lag, vorgegangen worden ist. Im vierten Kapitel wird analysiert, ob in Gremien bestehende Verfahren zur Weitergabe von Wissen geeignet erscheinen, die individuelle Konstruktion mentaler Modelle zu unterstützen. Dazu werden insbesondere Gremiendokumente, wie z. B. die Management Summary oder das Protokoll als Instrumente zum Austausch von Informationen dargestellt. Darauf aufbauend werden die Potenziale der Dokumente zur Sicherung von Wissensbeständen aus Gremien als auch zur Unterstützung der Konstruktion neuen Wissens bewertet. Makrostrukturelle Defizite bei der textlichen Gestaltung dieser Dokumente sowie Mängel in der sprachlichen Verständlichkeit werden auf der Grundlage eines instruktionspsychologischen Ansatzes der Textverständlichkeitsforschung analysiert und Rückschlüsse auf die Qualität und Eignung der Dokumente als Instrument zur Steuerung des Handelns in Entscheidungsprozessen gezogen. Im fünften Kapitel wird eine Strukturgrundlage für die im Entscheidungsprozess von Werkgremien zum Einsatz kommenden Dokumente entwickelt. Zur didaktischen Gestaltung von Dokumenttexten auf der Makro- und Mikroebene wird die Eignung lernpsychologischer Ansätze der Dokumentengestaltung diskutiert, Strukturierungs- und Darstellungsregeln für Informationen werden entwickelt und für jedes Dokument wird ein Strukturmuster auf der Textmakroebene vorgestellt. Aufbauend auf kognitions- und instruktionspsychologischen Grundlagen der Textverständlichkeitsforschung werden Beispiele zur sprachlichen Gestaltung der Texte dargestellt. Die Dokumente sind zentra-

Sichtweise, da insbesondere der Lenkungs- und Leitungsbedarf zur Organisation der Arbeitsteilung in Entscheidungsprozessen betrachtet wird.

21

le Instrumente zur Weitergabe bereits konstruierten Wissens in einem Entscheidungsprozess und dienen als Ausgangspunkt für neue Denkprozesse beim Problemlösen. Im sechsten Kapitel wird ein didaktisches Schulungskonzept zum Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten der Textproduktion entwickelt. Das Schulungskonzept ist darauf ausgerichtet, dass die Rollenträger als Textproduzenten die Strukturmuster für Dokumente zielgerichtet zur Weitergabe von Wissen verwenden, Informationen auf der Textmikroebene rezipientengerecht formulieren und ihre Position und Funktionen im Entscheidungsprozess reflektieren und bewerten können. Die Schlussbetrachtung in Kapitel sieben beendet die vorliegende Untersuchung. Die Ergebnisse der Arbeit werden zusammengefasst und der weitere Forschungsbedarf skizziert. Dabei geht es insbesondere um den Bedarf einer weiterführenden Integration betriebswirtschaftlicher, psychologischer und pädagogischer Modelle und Ansätze im Kontext betrieblicher Prozesse, die nicht nur auf das Entscheiden in Gremien ausgerichtet sind.

22

2

Problemlösen und Konstruktion von Wissen in Entscheidungsprozessen von Gremien

2.1

Kognitionspsychologische und pädagogische Perspektive

In Gremien des BMW Werks Leipzig werden häufig schwierige, in der Literatur auch als komplex bezeichnete, Probleme bearbeitet. Diese Probleme stellen besondere kognitive Anforderungen an die Rollenträger. Im Rahmen dieser Arbeit nimmt die Untersuchung von Prozessen des Problemlösens und der Konstruktion von Wissen in Gremien eine zentrale Stellung ein. Umfassende Beiträge zur genannten Thematik liefert die kognitionspsychologische Problemlöseforschung.34 Im Folgenden werden die für den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit zentralen Begriffe und Modelle kurz dargestellt. Zu Beginn wird der Begriff „komplexes Problem“ charakterisiert. Anschließend wird das Modell der Stationen der Handlungsorganisation vorgestellt. Es scheint geeignet, das Vorgehen von Rollenträgern beim Lösen von komplexen Problemen umfassend zu beschreiben, denn es ist explizit auf kognitive Aspekte bei der Problembearbeitung ausgerichtet. Darauf aufbauend wird der Begriff „Wissen“ in das Konzept des Lösens komplexer Probleme eingeordnet und ausdifferenziert. Aus einer gemäßigt konstruktivistischen Perspektive wird folgend der Prozess der Konstruktion von Wissen beschrieben und es werden Anforderungen an dessen Ausgestaltung in Entscheidungsprozessen der Gremien dargestellt.

Nach der Definition von Duncker (1933) entsteht ein Problem, wenn ein Individuum ein Ziel hat und nicht weiß, wie es dieses Ziel erreichen kann. Damit ist ein zentraler Aspekt des Problemlösens angesprochen. Ein Problem setzt immer eine beabsichtigte Intention des Tuns bzw. des Handelns eines Rollenträgers voraus. Grundsätzlich kann ein Problem beschrieben werden durch einen gegebenen Anfangszustand, einen intendierten Ziel- bzw. Endzustand sowie Schwierigkeit bzw. Barrieren, die das unmittelbare Überführen des Anfangs- in den Endzustand vorübergehend erschweren (vgl. Lüer & Spada, 1990). In der Literatur zur Problemlöseforschung sind unterschiedliche Klassifikationsansätze für Probleme zu finden.35 Eine in der Forschung gebräuchliche Klassifizierung ist die 34

Auf das vielfältige Forschungsprogramm der Problemlöseforschung wird im Folgenden lediglich auszugsweise Bezug genommen, und zwar nur insoweit es für den Erkenntnisgang der Arbeit notwendig ist. Eine vollständige und systematische Darstellung der Problemlöseforschung ist für die Zielsetzung dieser Arbeit nicht erforderlich und würde zudem deren Rahmen sprengen. 35 Umfassende Klassifikationen von Problemen legten u. a. Arlin (1989), Dörner (1987) und Lüer & Spada (1990) vor, die sich nach Funke (2003) aber primär auf einfache Probleme beziehen. Ein einfaches Problem ist z. B. das

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Einteilung in gut und schlecht strukturierte Probleme. Nach Jonassen (1997, S. 68) sind gut strukturierte Probleme durch die folgenden Aspekte gekennzeichnet: „[Well structured problems] x

present all elements of the problem;

x

are presented […] as well-defined problems with a probable solution (the parameters of problem specified in problem statement);

x

engage the application of a limited number of rules and principles that are organized in a predictive and prescriptive arrangement with well-defined, constrained parameters;

x

involve concepts and rules that appear regular and well-structured in a domain of knowledge that also appears well-structured and predictable;

x

possess knowable, comprehensible solutions where the relationship between decision choices and all problem states is known or probabilistic (Wood, 1983), and

x

have a preferred, prescribed solution process.”

Schlecht strukturierte Probleme sind nach Jonassen (2000, S. 67) dagegen durch die folgenden Kennzeichen charakterisiert: „[Ill-structured problems] x

possess problem elements that are unknown or not known with any degree of confidence (Wood, 1983);

x

possess multiple solutions, solution paths, or no solutions at all (Kitchner, 1983);

x

possess multiple criteria for evaluating solutions, so there is uncertainty about which concepts, rules, and principles are necessary for the solution and how they are organized;

x

often require [individuals] to make judgements and express personal opinions or beliefs about the problem, so ill-structured problems are uniquely human interpersonal activities (Meacham & Emont, 1989).”

Nach dieser Klassifizierung sind Probleme, die im Rahmen dieser Arbeit betrachtet werden, vielfach schlecht strukturiert. Anhand des folgenden Beispiels aus dem BMW Werk Leipzig wird diese Aussage veranschaulicht: Im Werkleitungskreis (TL Kreis) wird das Problem diskutiert, dass die Kosten der Ausbildung im Werk zu hoch sind.36 Es steht eine Entscheidung darüber an, wie die fixen Prozesskosten der Ausbildung werkweit reduziert und in welcher Form die Ausbildungsprozesse in den Fachbereichen ef„Turm von Hanoi Problem“. Für weitere umfassende Klassifikationen von komplexen Problemen siehe u. a. Hussy (1984) sowie Funke (1992). 36 Quelle: TL Kreis Protokoll vom 29.10.2003.

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fektiver gestaltet werden können. Das zur Entscheidung anstehende Problem enthält Komponenten, wie z. B. den künftigen Personalbedarf der einzelnen Fachbereiche, mögliche Veränderungen in den Berufsbildern oder steigende Personalkosten aufgrund künftiger Tarifabschlüsse, die den Rollenträgern (insbesondere den Entscheidern) aktuell nicht bekannt sind (problem elements that are unknown, vgl. Jonassen, 2000). Zu diesem Problem existieren unterschiedliche Lösungsstrategien (possess multiple solutions, vgl. Jonassen, 2000), die sich durchaus widersprechen bzw. in Konflikt zueinander stehen können. So ist es möglich, die fixen Prozesskosten durch eine Verringerung der Betreuungszeit für die Auszubildenden durch den jeweiligen Meister zu senken. Eine Umsetzung innovativer didaktischer Konzepte, die zur Verbesserung der innerbetrieblichen Ausbildung beitragen können, erfordert dagegen einen erhöhten zeitlichen Aufwand durch den jeweiligen Meister und kann zu höheren Kosten führen. Die geschilderten Lösungsalternativen sind an Kriterien und Faktoren gebunden, die (scheinbar) nicht in einem direkten Zusammenhang zu den Lösungsalternativen stehen37 und die in ihrer Gesamtheit und Wechselwirkung den Rollenträgern nur bedingt vollständig klar bzw. präsent sind (possess multiple criteria for evaluating solutions, vgl. Jonassen, 2000). Das geschilderte Problem erfordert von den Rollenträgern im Werkleitungskreis kognitive Aktivität um sich ein Urteil über die geschilderten Aspekte zu bilden (make judgements, vgl. Jonassen, 2000). Das Merkmal der Problemstrukturierung ist nicht geeignet prozessbezogene Eigenschaften eines Problems (verursacht u. a. durch eine Veränderung der Eigenschaften im zeitlichen Verlauf der Bearbeitung) zu beschreiben (vgl. Funke, 2003). So erscheint es bei der Bearbeitung des geschilderten Problems sinnvoll, zu berücksichtigen, dass sich Komponenten wie z. B. der künftige Personalbedarf im Zeitablauf verändern können. Die dynamische Veränderung von Komponenten eines Problems (Prozessaspekt) können mit dem Konzept „Problemkomplexität“ modelliert werden. Dabei wird auf die Definition von Dörner (2005) zurückgegriffen, der Komplexität folgendermaßen beschreibt: „Die Existenz von vielen, voneinander abhängigen Merkmalen in einem Ausschnitt der Realität wollen wir als «Komplexität» bezeichnen. Die Komplexität ist also umso höher, je mehr Merkmale vorhanden sind und je mehr diese voneinander abhängig sind. Der Grad an Komplexität ergibt sich also aus dem Ausmaß, in dem verschiedene Aspekte eines Realitätsausschnittes und ihre Verbindungen beachtet werden müssen, 37

Kurzfristig betrachtet kann durch die Einführung innovativer didaktischer Konzepte der Betreuungsaufwand der Meister steigen. Auf mittlere Frist können effektiv gestaltete Lehr-Lern-Prozesse aber zu besseren Lern- und Prüfungsleistungen der Auszubildenden führen, wodurch eine Betreuung der Auszubildenden etwa bei der Prüfungsvorbereitung reduziert werden kann.

25

um eine Situation in dem jeweiligen Realitätsausschnitt zu erfassen und Handlungen zu planen“ (S. 60).38 Der Begriff der Komplexität von Problemen lässt sich über die Anzahl und Vernetztheit beteiligter Merkmale bzw. Komponenten beschreiben (vgl. Funke, 2006). Wird eine Komponente beeinflusst, hat das Auswirkungen auf weitere Komponenten. Komplexitätsmaße müssen also nicht nur die Komponenten eines Problems, sondern auch die Beziehungen zwischen den Komponenten berücksichtigen (vgl. Funke, 2006, S. 399). Die Beeinflussung einer Komponente hat „Fern- und Nebenwirkungen“.39 Die Vielzahl an Komponenten führt dazu, dass man „die Existenz solcher möglicher Nebenund Fernwirkungen leicht übersieht.“ (Dörner, 2005, S. 61). Vernetztheit charakterisiert vor allem strukturelle Aspekte eines Problems. Ein weiteres Merkmal komplexer Probleme ist die Intransparenz einzelner Komponenten oder Zusammenhänge. Nicht alle Komponenten, die das Problem charakterisieren, liegen den Rollenträgern zum Zeitpunkt der Problembearbeitung vor (z. B. sind Informationen nicht zugänglich oder aufgrund des Zeitdrucks nicht rechtzeitig erhältlich). Eine Entscheidung über die Auswahl einer Lösungsalternative ist dann unter Unsicherheit zu treffen (vgl. Funke, 2006). Der Entscheider „hat Entscheidungen hinsichtlich eines Systems zu fällen, dessen augenblickliche Merkmale er nur zum Teil, nur unklar, schemenhaft, verwaschen sehen kann – oder aber auch gar nicht“ (Dörner, 2005, S. 63 f.). Rollenträger haben im Prozess der Problembearbeitung die Aufgabe, permanent neue Informationen in bereits bestehendes Wissen zum Problem zu integrieren.40 Komplexe Probleme bzw. Problemsituationen sind zudem in der Regel durch Dynamik gekennzeichnet. Die Komponenten eines komplexen Problems entwickeln sich im Zeitverlauf, d. h. sie verändern sich während der Problembearbeitung, „sei es durch (exogenen) Eingriff der handelnden Person, sei es durch die dem Problem inhärenten (endogenen) Abhängigkeiten“ (Funke, 2006, S. 401). Dynamik kann die Rollenträger, insbesondere den Entscheider, unter Zeitdruck setzen.41 Aus der Dynamik eines Problems resultiert für die 38 Weitere Klassifkationsansätze legten u. a. Hussy (1984), Funke (1990) und Wagner (2001) vor. Hussy spricht von schwierigen Problemen und definiert den Schwierigkeitsgrad in Abhängigkeit von Personen- und Problemmerkmalen. Umfassender ist die Taxonomie komplexer Szenarien von Funke. Er unterscheidet drei zentrale Einflussbereiche, von denen die Komplexität eines Problems abhängig ist: Personen-, Situations-, und Aufgabenmerkmale. Die umfangreichste Taxonomie komplexer Problemszenarien legte Wagner vor. Er definiert anhand von 81 Einzelmerkmalen die Komplexität eines Problems. Im Gegensatz zu Dörner orientieren sich die genannten Ansätze zur Klassifikation von komplexen Problemen bzw. Problemsituationen an den Einflussfaktoren. 39 Siehe hierzu z. B. den o. g. Zielkonflikt zwischen der Reduktion fixer Prozesskosten der Ausbildung und der effektiveren Gestaltung der Ausbildungsprozesse. 40 Nach Funke (2006) kann insbesondere ein Feedback zum bisherigen Bearbeitungsstand für einen Rollenträger beim Lösen komplexer Probleme eine große Bedeutung haben. 41 Die Einhaltung eines vorgegebenen Kostenrahmens bei der Aufnahme der Serienproduktion der BMW 1-er Reihe ist ein komplexes Problem, dass durch eine hohe Dynamik wichtiger Komponenten gekennzeichnet ist. Die

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Problembearbeitung u. a. die Notwendigkeit, eine Sequenz voneinander abhängiger Entscheidungen in „Echtzeit“ zu treffen (vgl. Brehmer & Allard, 1991). Die dynamische Entwicklung von Komponenten eines Problems macht es notwendig, dass der Rollenträger während der Problembearbeitung die Komponenten permanent beobachtet. Das Merkmal Dynamik charakterisiert den prozessualen Aspekt eines Problems.42 Im oben geschilderten Beispiel aus dem TL Kreis sollen mehrere Ziele verfolgt werden. Zum einen sollen die fixen Prozesskosten reduziert und zum anderen sollen die Ausbildungsprozesse effizienter gestaltet werden. In einer solchen Situation kann von Polytelie gesprochen werden, d. h. es werden „mehrere, unter Umständen sogar sich wiedersprechende Ziele verfolgt“ (Funke, 1990, S. 96). Aufgrund der Polytelie sollten die Lösungsalternativen durch den Rollenträger (insbesondere den Entscheider) mehrdimensional bewertet werden.43 Es scheint ratsam zu prüfen, welche Auswirkungen Maßnahmen, die zur Kostensenkung beitragen, auf die Effizienz der Ausbildungsprozesse haben. D. h. es sind multiple oder gar gegenläufige Bewertungskriterien zu berücksichtigen (vgl. Funke, 2006). 2.1.1

Prozessmodell der Stationen der Handlungsorganisation

Die Reduktion der fixen Prozesskosten der Ausbildung sowie die effiziente Gestaltung der Ausbildungsprozesse stellen als komplexe Probleme besondere Anforderungen an das individuelle Vorgehen der Rollenträger bei der Problembearbeitung. So sind die o. g. Aspekte bzw. Komponenten der komplexen Problemstellung nur sehr vage beschrieben, die Ziele sind zum Teil unpräzise definiert und Teilziele im Gremium nicht unbedingt bekannt (z. B. bildungspolitische Ziele der BMW Group). Besondere kognitive Anforderungen werden an den Themenbearbeiter gestellt, der im Vorfeld der Gremiensitzung unter anderem Transparenz bzgl. der Ziele und der bedeutsamen Aspekte der Problemstellung herbeiführen muss. Dörner et al. (1994) untersuchten die Struktur intelligenten Verhaltens von Individuen in komplexen Problemsituationen, dabei wurden insbesondere interindividuelle Unterschiede beim Problemlösen fokussiert (vgl. auch Putz-Osterloh, 1981). Im Gegensatz zu experimentellen Untersuchungen der ProblemEntwicklung der Preise für Material und die Veränderung der Marktnachfrage sind nur zwei Komponenten, die sich permanent verändern und die durch Rollenträger im BMW Werk Leipzig intern nicht beeinflusst werden können. Im Gegensatz zu dynamischen Problemsituationen ist bei statischen Problemen (z. B. eine Schachspiel-Konfiguration) die Zeit kein bedeutsamer Faktor bei der Problembearbeitung. 42 Nach Funke (2001a) handelt es sich bei „Vernetztheit“ und „Dynamik“ um systeminhärente Merkmale. 43 Die Konkretisierung von Zielen ist eine wichtige Anforderung an die Rollenträger bei der Bearbeitung komplexer Probleme. Zusätzlich zu den beiden genannten Zielen können noch weitere Ziele, wie z. B. die bildungspolitischen Ziele des Werks bzw. der BMW Group oder die Verbesserung der durchschnittlichen Prüfungsleistung (IHKAbschlussprüfung) eines Ausbildungsjahrgangs bedeutsam sein. Bei der Konkretisierung von Zielen können u. a. sowohl Ziel- als auch Interessenskonflikte zwischen unterschiedlichen Rollenträgern in Gremien zu Tage treten.

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löseforschung, die in der Regel mit einfachen dynamischen Problemstellungen arbeiten (vgl. Berry & Broadbent, 1995), schlugen Dörner et al. einen alternativen Zugang zur Untersuchung des Verhaltens bzw. Handelns von Individuen vor: „Die Konstruktion komplexer alltäglicher Problemlösungen in Form simulierter Szenarien, mit denen Versuchspersonen unter kontrollierten Laborbedingungen zu interagieren hatten“ (Funke, 2006, S. 378).44 Funke (2003) bezeichnet die Forschungsrichtung von Dörner et al. als exploratives Vorgehen, da sie nicht von einfachen dynamischen Problemstellungen ausgeht. Die Individuen waren im Gegensatz zu einfachen Problemstellungen insbesondere mit den folgenden kognitiven Anforderungen bei der Problembearbeitung konfrontiert (vgl. Funke, 1990): x

Die Individuen sind aufgrund der Vernetztheit zwischen der großen Anzahl an Komponenten (Komplexität) dazu gezwungen, eine große Menge an Informationen zu strukturieren, zu reduzieren und die Nebenwirkungen zu antizipieren.

x

Die Individuen müssen aufgrund der Dynamik der Problemstellung Prognosen über die langfristige Entwicklung von Komponenten abgeben und die Auswahl einer Lösungsalternative unter Zeitdruck vornehmen.

x

Die Individuen müssen aufgrund der Intransparenz der Situation Informationen systematisch sammeln.

x

Die Individuen müssen aufgrund der Polytelie eine mehrdimensionale Bewertung der Informationen vornehmen und eine differenzierte Zielstruktur mit Regeln zur Konfliktlösung erstellen.

Die hier dargestellten kognitiven Anforderungen an die Individuen bei der Bearbeitung komplexer Probleme wurden von Dörner et al. (1994) in einem Modell zum Lösen komplexer Probleme aufgegriffen. Im Rahmen dieser Arbeit werden mit Hilfe des Modells kognitive Prozesse der Rollenträger bei der Problembearbeitung beschrieben. Dörner et al. unterteilen die Organisation der Problembearbeitung in mehrere Stationen, die jeweils spezifische kognitive Anforderungen an die Rollenträger stellen. In der Literatur wird daher auch von einer „kognitiven Handlungstheorie“ gesprochen (vgl. Strohschneider & Tisdale, 1987, S. 18). Das Modell der Stationen der Handlungsorganisation stützt sich nach Strohschneider und Tisdale (1987) auf zwei zentrale kognitionspsychologische Ansätze bzw. Theorien:

44

Die Lösung komplexer alltäglicher Probleme wurde in diesem Forschungsansatz in Form von Szenarien wie z. B. „Lohhausen“ (vgl. Dörner et al. 1994) oder „Moro“ (vgl. Dörner et al. 1986) simuliert.

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x

Dem Informationsverarbeitungsansatz, bei dem angenommen wird, dass Handeln „ein Prozess der Auseinandersetzung mit der Umwelt, der Nutzung und Umwandlung von Information im menschlichen Gehirn zum Zwecke der Befriedigung von Motiven und der Verfolgung von Zielen [ist]“ (Strohschneider & Tisdale, 1987, S. 19);

x

der klassischen Handlungstheorie, die annimmt, dass jede Handlung „aus einer Sequenz einzelner Handlungsteile oder Handlungsschritte auf verschiedenen Handlungsebenen, die hierarchisch ineinander verschachtelt sind [besteht]“ (ebd., S. 19).

Den Stationen der Handlungsorganisation liegt die Auffassung zu Grunde, dass Rollenträger beim Lösen von Problemen eine bestimmte Sequenz von Schritten, d. h. einzelne Handlungen durchlaufen.45 Die zentrale Annahme, dass verschiedene Handlungen in einer bestimmten Abfolge durchgeführt werden, hat nach Funke sowohl eine deskriptive als auch eine präskriptive Bedeutsamkeit: „In deskriptiver Hinsicht soll sie die tatsächlich ablaufenden Vorgänge beim Problemlösen beschreiben, präskriptiv ist sie insofern, als diese Abfolge zugleich als Vorschrift für „gutes“ Problemlösen dienen soll“ (Funke, 2003, S. 97).46 Die Stationen der Handlungsorganisation nach Dörner werden im Rahmen der Arbeit zum einen als Instrument zur Analyse der Bearbeitungsschritte der Rollenträger beim Lösen komplexer Probleme herangezogen (vgl. Kap. 2.3). Zum anderen dienen sie als Grundlage zur Konstruktion von Empfehlungen für ein optimiertes Vorgehen der Rollenträger bei der Weitergabe von Wissen in Entscheidungsprozessen. Im Folgenden wird das Modell der Stationen der Handlungsorganisation nach Dörner erläutert. Dabei soll deutlich werden, dass es nicht in jeder Problemsituation zweckmäßig ist, alle Stationen zu durchlaufen bzw. sequentiell zu bearbeiten. Zielausarbeitung Zu Beginn der Problembearbeitung erstellt der Rollenträger eine interne Repräsentation des Problems, in der Literatur auch als Problemraum bezeichnet (vgl. Newell & Simon, 1972).47 Der Problemraum lässt sich für ein bestimmtes Problem durch eine formale Problemanalyse ermitteln, bei der in der Regel Heurismen (Problemlösestrategien) angewandt werden, um die Zahl möglicher Lösungspfade einzuschränken (Dörner, 1987; 45

Mit der Erforschung menschlichen Handelns im Umgang mit komplexen Problemen beschäftigten sich eine Reihe von Psychologen (vgl. Fisch & Wolf, 1990). Im Rahmen dieser Forschungsarbeiten wurden u. a. mehrere Modelle des individuellen komplexen Problemlösens entwickelt (vgl. Hayes, 1989; Putz-Osterloh, 1983; Sell, 1991). In der Regel handelt es sich dabei um normative Vorgehensmodelle (vgl. Fürstenau, 1994 sowie Wetzel, 1995). 46 Der deskriptive Gehalt des Modells wird in der Literatur durchaus kontrovers diskutiert (vgl. Fürstenau, 1994). 47 Newell und Simon (1972) gehen davon aus, dass Problemlösen als Suche in einem Problemraum beschrieben werden kann.

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Lindsay & Norman, 1981, S. 417). Die Anwendung von Heurismen verkleinert den Problemraum und kann den Suchaufwand reduzieren. Dörner (1987) bezeichnet daher das Lösen komplexer Probleme auch als heuristische Suche im Problemraum. Ein erster Schritt zur Reduktion von Komplexität ist die Ausarbeitung von Zielen. Komplexe Probleme sind in der Regel durch einen offenen Zielzustand geprägt. Daher existieren bei Rollenträgern zu Beginn der Problembearbeitung selten exakte Vorstellungen über die Ziele. Nach Dörner kann es sich um sogenannte komparative Ziele handeln (z. B. „Der Ausbildungsprozess soll effektiver werden“).48 Komparative Ziele sind durch Allgemeinheit und Unklarheit gekennzeichnet. Allgemeine Ziele sind hinsichtlich der Komponenten bzw. der Eigenschaften, die das Ziel definieren nicht eindeutig beschrieben. Fehlen die Kriterien, aufgrund derer entschieden werden kann, ob das Ziel erreicht worden ist, kann von unklaren Zielen gesprochen werden. Das Ziel „Der Ausbildungsprozess soll effektiver werden“ ist ein Beispiel für ein allgemeines sowie ein unklares Ziel. Um Klarheit zu gewinnen, kann das Ziel durch den Rollenträger dekomponiert, d. h. in seine Bestandteile zerlegt werden. Dazu „ist es häufig notwendig, das vorhandene Wissen über den Realitätsbereich weiter zu strukturieren und zu vermehren“ (Fürstenau, 1994, S. 57).49 Um konkrete Hinweise zum Erreichen eines effektiveren Ausbildungsprozesses ableiten zu können, kann der Zielzustand „effektiv“ in seine einzelnen Komponenten zerlegt werden. Bei der Zieldekomposition bietet es sich an zu untersuchen, welche Merkmale einen effektiveren Ausbildungsprozess umfassend beschreiben. Beim Spezifizieren allgemeiner und der Dekomposition unklarer Ziele wird in der Regel sichtbar, dass nicht nur ein einziges sondern zumeist mehrere Ziele gleichzeitig anzustreben sind. Diese Teilziele sollten präzise formuliert werden, um letztlich das Ausgangsziel erreichen zu können. Oft sind einzelne Merkmale oder Zielkriterien untereinander vernetzt. Einzelne Teilziele können sich widersprechen (Zielkonflikt). Bei der Konkretisierung der Teilziele sollte ein möglicher Zielkonflikt durch den Rollenträger ausbalanciert und Regeln zur Konfliktbeseitigung erstellt werden. Als Ergebnis dieser Station der Handlungsorganisation erstellt der Rollenträger ein sogenanntes Zielmodell, das aus allen Zielkomponenten und ihren Beziehungen untereinander besteht.

48

Die Bezeichnung „komparatives Ziel“ leitet sich aus der häufigen Verwendung eines Komparativs bei unpräzisen Zielformulierungen ab. 49 Von Bedeutung ist an dieser Stelle das Wissen über die einzelnen Elemente, die Komponenten, und deren Beziehung zueinander. Dörner et al. (1994) sprechen an dieser Stelle auch vom Strukturwissen.

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Modellbildung und Informationssammlung Zur Festlegung, wie das Ziel bzw. die einzelnen Teilziele erreicht werden können, d. h. welche Maßnahmen beispielsweise zu einem effektiveren Ausbildungsprozess beitragen können, erscheint es notwendig, dass Rollenträger die Konsequenzen bzw. die Wirkungen möglicher Maßnahmen kennen: „Gerade aber für die Vorhersagbarkeit der Nebenund Fernwirkungen des Handelns [...], die ja mitbestimmen, ob und welche Entscheidungen von ihnen getroffen werden, ist es unerlässlich, sich ein möglichst genaues und getreues Bild des [Problems] zu machen“ (Detje, 1996, S. 82). Dazu bildet der Rollenträger ein mentales Modell des Realitätsbereichs „Ausbildungsprozess“. Das Modell setzt sich aus einzelnen Komponenten (z. B. „Ausbildungsinhalte“, „Ausbilder“, „fixe Prozesskosten“) und den Relationen zwischen den Komponenten (z. B. „Ausbilder vermitteln Ausbildungsinhalte“) zusammen. Die Identifikation der Relationen verlangt vom Rollenträger das Erkennen kausaler bzw. funktionaler Zusammenhänge zwischen beteiligten Komponenten.50 Mit diesem Modell ist ein gedankliches „Wirkgefüge der Komponenten“ (Detje, 1996, S. 82) des Ausbildungsprozesses geschaffen bzw. eine Struktur des Problems erstellt. Nach Dörner (2005) sollten zur Planung von konkreten Maßnahmen bzw. Lösungsalternativen durch den Rollenträger x

Kenntnisse über das Problem erworben werden,

x

der gegenwärtige Zustand des Problems (beschrieben durch die Merkmalsausprägungen der Komponenten) erkannt werden und

x

die Wirkungen von möglichen Eingriffen in das System abgeschätzt werden.51

Um sich ein Bild der komplexen Situation machen zu können, ist es angebracht vorliegende Informationen zu sichten und zumeist weitere Informationen zu beschaffen, „da50

Die Beziehung zwischen den einzelnen Komponenten ist in der Regel unterschiedlich präzise beschreibbar bzw. bekannt. Neben dem bloßen Erkennen eines Zusammenhangs kann die Richtung eines Zusammenhangs bekannt sein oder – noch präziser – der exakte Gewichtungsfaktor genannt werden (vgl. Detje, 1996). 51 Nach Dörner (2005) sind die folgenden Kenntnisse für einen Rollenträger hiflreich, um eine Modellbildung vornehmen zu können: x Kenntnis der Komponenten, die ein Problem beschreiben (z. B. sind u. a. die Komponenten „Qualität der Ausbildung“, „fixe Kosten der Ausbildung“, „variable Kosten der Ausbildung“ geeignet, den entsprechenden Realitätsbereich zu beschreiben, der bei der Entscheidung über die Reduzierung der Ausbildungskapazität bei gleichzeitiger Optimierung der Ausbildungsprozesse zu berücksichtigen ist), x Kenntnis der kausalen Beziehungen die zwischen den Komponenten bestehen (in welcher Beziehung stehen z. B. „Qualität der Ausbildung“ und „Fixkosten der Ausbildungsprozesse“ sowie „Bildungspolitische Ziele des Werks/der Group“ zueinander; welche Veränderungen ergeben sich im Gesamtsystem, wenn eine Komponente beeinflusst wird), x Kenntnis darüber, in welche Oberbegriffs- und Unterbegriffshierarchien eine bestimmte Komponente eingebettet ist (z. B. fixe Kosten der Ausbildung ist ein Unterbegriff zu Gesamtkosten der Ausbildung, die wiederum noch aus den variablen Kosten bestehen. Es reicht also nicht aus, nur die relativ einfach ermittelbaren Fixkosten zu berechnen, sondern die Gesamtkosten sollten durch die zusätzliche Berechnung der variablen Kosten berücksichtigt werden) sowie x Kenntnis darüber, zu welcher Teil-Ganzes-Hierarchie eine bestimmte Komponente gehört (die Fixkosten setzen sich aus mehreren Bestandteilen zusammen: z. B. Raumkosten für Azubi-Aufenthaltsräume, Abschreibung für Geräte, Werkzeuge).

31

mit ein Modell dieser Situation gebildet werden kann, vor dessen Hintergrund Eingriffe und Maßnahmen spezifiziert werden können“ (Funke, 2006, S. 411). Die Informationsbeschaffung sollte sich zielgeleitet auf die Bereiche beschränken, die mit dem verfolgten Ziel bzw. den Teilzielen korrespondieren.52 Um gesammelte Informationen nutzbar zu machen, sollten sie vom Rollenträger zu einem Gesamtbild integriert werden. Das Bilden eines Modells über den Realitätsbereich bzw. das Problem ist nicht nur eine vorbereitende Maßnahme für die nachfolgende Station der Handlungsorganisation. Die Modellbildung ist auch eine Voraussetzung für die sich permanent wiederholende Entscheidung, zu welchen Komponenten weitere Informationen zu sammeln sind bzw. zu welchem Zeitpunkt die Sammlung weiterer Informationen abgebrochen werden sollte. Prognose und Extrapolation Nachdem die Modellbildung zur Problemsituation erfolgt ist, können durch den Rollenträger Berechnungen oder Abschätzungen über zeitliche Entwicklungsverläufe (Prognosen) durchgeführt werden. Nach Funke (2006) ist eine Prognose über künftige Verläufe der Komponenten bzw. deren Ausprägungen aufgrund der Dynamik der Problemsituation erforderlich. Viele komplexe Probleme besitzen eine Eigendynamik, d. h. die Komponenten des Problems verändern sich, auch wenn die Rollenträger nicht eingreifen. Die Prognose von Verläufen komplexer Probleme gestaltet sich in der Regel äußerst schwierig. In der Realität liegen zumeist Entwicklungen vor die nicht linear sind und es einem Rollenträger daher erschweren von aktuellen Werten auf neue zu schließen (vgl. Dörner, 2005).53 Planung von Aktionen, Entscheidung und Durchführung der Aktionen Im bisherigen Verlauf der Problembearbeitung sind durch den Rollenträger das Ziel bzw. die Teilziele ausgearbeitet, relevante Informationen gesammelt, ein entsprechendes Modell gebildet und der Problemverlauf prognostiziert worden. Bevor nun konkrete

52 „Viele Menschen machen den Fehler, dass sie Informationen nicht problemgerichtet, sondern hypothesenbestätigend sammeln und dabei vereinfachende Heuristiken verwenden. Sie wollen nicht wissen, was der Fall ist, sondern sich bestätigen, dass sie eigentlich alles schon wissen. Sammlung von Informationen dient häufig nicht der Wissenserweiterung oder –überprüfung, sondern der Bestätigung dessen, was man zu wissen glaubt. Widersprechende Information wird dann entweder einfach nicht wahrgenommen oder aber um- oder weginterpretiert. Aus einer solchen Art der Informationssammlung kann sich nur ein verzerrtes Abbild der Realität ergeben.“ (Schaub, 2006, S. 453). 53 Aus ermittelten bzw. bereits bekannten Werten der Komponenten kann auf deren künftige Zustände geschlossen bzw. extrapoliert werden. So kann aus der Information, dass die Prozesskosten der Ausbildung aktuell 150.000,- Euro betragen noch keine Aussage über die künftige Entwicklung der Kosten getroffen werden. Erst durch die Kenntnis früherer Werte verschiedener Kostenarten ist es möglich die Frage zu beantworten, ob die Ausbildungskosten künftig steigen werden, und ob eine mögliche Steigerung linear oder exponentiell verlaufen wird. „Eine Hilfe für den Umgang mit nicht-linearen Zeitgestalten kann eine „Verräumlichung“ der zeitlichen Verläufe sein“ (Detje, 1996, S. 85). Dazu bieten sich Zustands-Zeit-Diagramme an, wie sie bei der Planung von Projektressourcen verwendet werden.

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Maßnahmen zum Erreichen des Ziels bzw. der Teilziele umgesetzt werden können, folgt die Planung einzelner Teilschritte bzw. Aktionen. Das Planen von Aktionen besteht vor allem darin, dass sich der Rollenträger die Konsequenzen dieser Aktionen vor Augen führt und prüft, ob und inwieweit die gewünschten Ziele durch die einzelnen Aktionen erreicht werden können (vgl. Dörner, 2005, S. 235). Das bedeutet, dass die einzelnen Aktionen geistig vollzogen und ihre möglichen Folgen vorweggenommen werden müssen. Daher wird in der Literatur vom internen Probehandeln gesprochen (vgl. Detje, 1996, S. 86; Dörner, 2006, S. 623). Um ein Ziel bzw. mehrere Teilziele in einer komplexen Problemsituation zu erreichen, sind in der Regel eine Vielzahl an Aktionen in einer sinnvollen Reihenfolge (Sequenz) anzuordnen. Eine Sequenz mehrerer Aktionen besteht mindestens aus den folgenden drei Teilaktionen: x

Bedingungsteil (Unter welchen Umständen ist eine geplante Sequenz von Aktionen durchführbar bzw. zielführend?),

x

Aktionsteil (Wie sind die geplanten Aktionen durchzuführen?) und

x

Ergebnisteil (Welche Konsequenzen ergeben sich aus den geplanten Aktionen?).

Bei der Planung von Aktionen sind oftmals eine Vielzahl an Lösungsalternativen zum Erreichen eines angestrebten Ziels in Betracht zu ziehen, d. h., dass ein bestimmter Suchraum nach mehreren Lösungen durchsucht wird (vgl. Dörner, 2005, S. 240). Der Suchraum entsteht, sobald der Rollenträger die bisher ermittelten Komponenten der Problemstellung (z. B. fixe Kosten der Ausbildung) mit den in der aktuellen Station der Handlungsorganisation geplanten Aktionen bzw. Handlungsmöglichkeiten (z. B. Reduktion der Betreuungszeiten, die ein Meister je Auszubildenden aufwendet) in Verbindung setzt. Nach Dörner (2005) gibt es verschiedene Verfahren (Heurismen),54 die dazu dienen, den Suchraum einzuengen bzw. ihn zu erweitern. Am Ende eines Planungsvorgangs steht die Entscheidung darüber, welche der geplanten Aktionen auszuwählen und umzusetzen sind. Die Auswahlentscheidung sollte systematisch, d. h. kriteriengeleitet vorgenommen werden. „Die angemessene, richtig durchgeführte Maßnahme ist oft der letzte Schritt zur Zielerreichung“ (Detje, 1996, S. 89). Effektkontrolle und Revision der Handlungsstrategie Im Anschluss an die Umsetzung der geplanten Aktionen erscheint eine Überprüfung der vermuteten Effekte bzw. das Erreichen definierter Ziele durch die Rollenträger sinnvoll. 54

Heurismen sind sogenannte „Findeverfahren“. Heurismen der Suchraumeinengung sind u. a. die Hill-climbingMethode, die Orientierung an Zwischenzielen sowie eine Kombination von Verfahren des Vorwärts- und Rückwärtsplanen. Zu den Heurismen der Suchraumerweiterung zählen z. B. das Brainstorming und die Analogiebildung.

33

So ist beispielsweise zu überprüfen, ob durch die umgesetzten Lösungsalternativen tatsächlich die fixen Prozesskosten gesenkt werden und gleichzeitig die Ausbildungsprozesse optimiert werden konnten. Fürstenau (1994, S. 61) verweist an dieser Stelle auf den folgenden Aspekt: „Insbesondere in Fällen, in denen die Folgen eigenen Tuns den Erwartungen entgegenlaufen, gewinnen Kontroll- und Reflexionsprozesse an Relevanz“. Im Rahmen der Effektkontrolle beurteilt der Rollenträger alle Stationen der Handlungsorganisation selbständig und unterzieht die Planungsstrategie, das Vorgehen bei der Zielausarbeitung, die Informationssammlung und -selektion, die Modellbildung, die Extrapolation und Handlungsdurchführung einer kritischen Bewertung. Probleme bei der Durchführung der einzelnen Stationen der Handlungsorganisation können erkannt und sollten daraufhin zielgerichtet behoben werden. Dazu kann es notwendig sein, dass der Rollenträger vereinzelt in frühere Stationen der Handlungsorganisation zurückkehrt und Anpassungen oder auch Veränderungen am bisher erstellten mentalen Modell vornimmt.55 So können beispielsweise durch eine Überbewertung des Ziels „Reduktion der fixen Prozesskosten der Ausbildung“ negative Effekte für das Ziel „Effektivere Gestaltung der Ausbildungsprozesse“ resultieren. Solche negativen Effekte können eintreten, wenn lediglich Lösungsalternativen umgesetzt werden, die ausschließlich der Kostensenkung dienen, ohne die Nebenwirkungen auf die Qualität der Ausbildungsprozesse ausreichend zu berücksichtigen. Werden Fehler erkannt, kann eine Anpassung bisheriger Entscheidungen erforderlich sein, aus der neue Aktionen bei der Problembearbeitung resultieren. Eine Anpassung der Planungs- und Entwicklungsarbeiten bei dem Lösen komplexer Probleme kann notwendig werden, wenn Fehler erkannt werden. Fehler können entweder aus der falschen Anwendung von Vorgehensstrategien, aber auch aus unkorrekten mentalen Modellen über die Realität resultieren. Zum anderen können sich Umweltzustände verändert haben, die es im Rahmen der Informationssammlung erforderlich machen, neue Verfahren der Informationsbeschaffung und Informationsbewertung zu berücksichtigen.56 Je nachdem welche Ursache dazu führte eines oder mehrere der angestrebten Ziele nicht zu erreichen, scheint es angebracht, die zu Grunde gelegten Informationen zu überprüfen, die verwendeten Bearbeitungsstrategien anzupassen bzw. das Realitätsmodell zu modifizieren.

55

Nach Detje (1996, S. 91) sollte eine Anpassung des Vorgehens in einzelnen Stationen der Handlungsorganisation mit einem gezielten Training bzw. Schulung der kognitiven Anforderungen verknüpft werden, die mit jeder Station verbunden sind. 56 Diese Erfordernis scheint auch für Gremien in einem Automobilwerk sinnvoll zu sein, da sich dynamisch entwickelnde Umweltzustände (Marktnachfrage, unternehmenspolitische Vorgaben des Gesamtunternehmens, Innovationen in der Produktionstechnologie) zu berücksichtigen sind.

34

2.1.2

Konstruktion von Wissen beim Problemlösen in Gremien

Im Rahmen der Stationen der Handlungsorganisation werden, wie bereits beschrieben, durch den Rollenträger umfangreiche kognitive Tätigkeiten vollzogen. Beim systematischen Lösen von komplexen Problemen wendet jeder Rollenträger bereits erworbenes Wissen an und konstruiert neues Wissen. An dieser Stelle ist festzuhalten, dass die Komplexität eines Problems keine objektive Größe ist, sondern auch vom bereits erworbenen Vorwissen (bzw. den bekannten Denk- und Problemlösestrategien) des Rollenträgers abhängt. Im Rahmen der Problembearbeitung werden z. B. Kenntnisse zu möglichen Zielen bzw. Teilzielen und deren Beziehung zueinander erworben. Von diesem Wissen können weitere Rollenträger im Entscheidungsprozess profitieren. Im Folgenden wird daher kurz erläutert, welches Wissen für das Lösen von komplexen Problemen bedeutsam sein kann. Von einer gemäßigt konstruktivistischen Perspektive aus wird dargelegt, wie Wissen beim Lösen von Problemen individuell konstruiert werden kann. Die Nützlichkeit von Wissen für das Lösen von komplexen Problemen stand keineswegs immer im Fokus der Problemlöseforschung. Durch die kritische Auseinandersetzung in der Psychologie mit den Paradigmen des Behaviorismus und der Wende hin zum Kognitivismus wurden psychische Vorgänge zunehmend als Informationsverarbeitungsprozesse dargestellt. Das Verhalten von Individuen beim Lösen von Problemen kann unter diesem Blickwinkel als „rational geplante Verarbeitung aufgefasst [werden], die bestimmten Strategien folgt und ständig auf ihre Funktionalität überprüft werden muss“ (Gruber, 1999, S. 48). In diesem Kontext ist der Ansatz des General-ProblemSolver (Newell, Shaw & Simon, 1960) bzw. die Theorie des Human Problem Solving (Newell & Simon, 1972) entstanden. Diese Autoren nahmen an, dass beim Lösen von Problemen generelle Problemlösestrategien zur Anwendung kommen, ohne die Bedeutung von Vorwissen zu thematisieren, d. h. beim Bearbeiten unterschiedlicher Probleme kann auf ein allgemein gültiges Vorgehen bzw. allgemein gültige Lösungsstrategien zurückgegriffen werden. Mit solch generellen Problemlösestrategien können jedoch nur wohl-strukturierte bzw. wenig komplexe Probleme gelöst werden (vgl. Funke, 2003). In den 1970er Jahren wurde in der Problemlöseforschung die Bedeutung des Wissens als Voraussetzung für entsprechende Informationsverarbeitungsprozesse beim Lösen komplexer Probleme in Betracht gezogen, jedoch nicht die Frage danach gestellt, welches Wissen für das Lösen von komplexen Problemen von Bedeutung ist (vgl. Funke 2003). Seit den 1980er Jahren widmet sich die Problemlöseforschung zunehmend den Denk35

und Lernprozessen57 und ihrem Zusammenhang mit dem Erwerb von Wissen beim Lösen komplexer Probleme und differenziert verschiedene Wissensarten (vlg. Anderson, 1983, 1989, 2001 sowie für eine Übersicht Funke, 2003).58 Insbesondere in der Expertiseforschung wird die Bedeutsamkeit von domänenspezifischem Wissen in Verbindung mit einem strategischen Vorgehen beim Lösen komplexer Probleme hervorgehoben (vgl. Gruber, 1999 sowie Reimann, 1998). Durchaus vergleichbar mit diesem Konzept spricht Fürstenau (1994, S. 51) von mentalen Modellen und Strategien der Problembearbeitung als zentrale Komponenten der Problemlösefähigkeit, d. h. neben dem deklarativen Wissen bzw. dem Begriffswissen ist auch das Strategiewissen für das effiziente Lösen von Problemen bedeutsam. Im Folgenden werden diese beiden Begriffe kurz erläutert und auf den Untersuchungsgegenstand der Arbeit bezogen. Mit dem Konzept des mentalen Modells leistete JohnsonLaired (1983) einen Beitrag zur Erklärung der menschlichen Wahrnehmung, Informationsverarbeitung und des Problemlösens. Mentale Modelle stellen eine Repräsentation von Wirklichkeit im menschlichen Gehirn dar. Sie entstehen, indem Rollenträger bei der Problembearbeitung eine interne Repräsentation der Problemsituation generieren (vgl. Funke, 1992, S. 19 sowie auch Lass & Lüer, 1990).59 Eine interne Repräsentation ist eine strukturierte Sammlung von Gedächtnisinhalten, die als ein modellhaftes individuell konstruiertes Abbild der Außenwelt angesehen werden kann: „Wichtig ist [...], dass der Aufbau interner Repräsentationen keineswegs eine bloße Abbildung der Außenwelt ist, sondern grundsätzlich eine aktive (Re-)Konstruktion derselben darstellt.

57

Dörner et al. (1999) formulieren zum Denken in realen Situationen: „Denken ist in der Realität immer eingebettet in eine bestimmte Situation, eingebettet in einen Handlungsablauf und muß sich diesem anpassen. Denken geschieht unter Zeitdruck, oft unter relativ extremen emotionalen Belastungen. Man denkt, weil man Angst hat vor den Folgen einer möglichen Entwicklung [...] man denkt nach, weil die gesamte Situation so komplex ist, daß man sie nicht durchschaut: Denken dient der Komplexitätsreduktion" (Dörner, Schaub und Strohschneider, 1999, S.198) 58 In der Problemlöseforschung existieren eine Vielzahl unterschiedlicher Konzepte der Klassifizierung von Wissen, das beim Lösen von komplexen Problemen entstehen kann bzw. zur Anwendung kommt. So unterscheidet z. B. Preußler (1998) zwischen Eingriffswissen und Strukturwissen. Unter Eingriffswissen versteht er die Kenntnis spezifischer Steuerungsprozeduren. Das Eingriffswissen liegt in der Regel in „Wenn-Dann-Beziehungen“ vor. Der Begriff des Steuerungwissens bezieht sich dagegen auf die Komponenten und deren kausales Wirkungsgefüge untereindander, wodurch ein Realitätsbereich beschrieben werden kann. Durchaus vergleichbar definierten Dörner et al. (1994) und Putz-Osterloh (1993) den Begriff des Strukturwissens, betrachtet Funke (1992) den Begriff differenzierter und unterscheidet Kluwe (1997) wiederum in Strukturwissen auf der einen Seite und Kontroll- bzw. Steuerungswissen auf der anderen Seite. 59 Mentale Modelle können durch die folgenden Eigenschaften beschrieben werden (vgl. Opwis & Lüer, 1996 sowie Opwis et al., 2006): x Wahrgenommene Informationen werden nicht additiv dem bereits repräsentiertem Wissen hinzugefügt, sondern durch das bereits vorhandene Wissen interpretiert und dieses Wissen durch die Interpretation erweitert. x Die innere Repräsentation von Wissen ist Ergebnis einer aktiven (Re-)Konstruktion, die im wesentlichen durch die Ziele des Individuums gesteuert wird. x Mentale Modelle beinhalten sowohl statische als auch dynamische Anteile. x Mentale Modelle stellen eine Abstraktion der Wirklichkeit dar. Für eine ausführliche Diskussion des Begriffes des mentalen Modells siehe Fürstenau (1994, S. 31 ff.).

36

Der Problemlöser konstruiert in Abhängigkeit von seinem Wissen, seinen Erwartungen und seinen Zielsetzungen [ein] mentales Modell eines Ausschnittes seiner Umgebung [...]. Seine Problemlöseaktivitäten können als eine Interpretation des Modells verstanden werden“ (Opwis & Lüer, 1996, S. 340 f.). Mentale Modelle entstehen somit beim Lösen von komplexen Problemen und stellen gleichzeitig als Vorwissen die kognitive Basis für den Umgang mit komplexen Problemen dar (vgl. Fürstenau, 1994, S. 53). Dabei wird anfänglich eine selektive Problemrepräsentation gebildet, die in der Regel durch Vorerfahrungen mit ähnlichen Problemen beeinflusst ist (vgl. Knoblich & Öllinger, 2006). Der Aufbau mentaler Modelle (die Nutzung von Vorwissen und die Verarbeitung bereitstehender Informationen) kann als eine zentrale Voraussetzung einer effizienten Problembearbeitung durch den Rollenträger bezeichnet werden (vgl. Opwis & Lüer, 1996). Dabei modifiziert jeder ausgeführte Schritt (z. B. Dekomposition des Globalziels, Selektion von Informationen) beim Problemlösen das bisher bestehende mentale Modell indem neues Wissen integriert wird. Fürstenau (1994) verweist an dieser Stelle auf eine mögliche wechselseitige Einflussnahme zwischen mentalen Modellen und Strategien des Problemlösens. Auf einen vergleichbaren Zusammenhang zwischen inhaltlichem Wissen und Verfahrenswissen wird auch in der Expertiseforschung hingewiesen (vgl. Gruber, 1999; Reimann, 1998). In der Wirtschaftspädagogik wird ein ähnlicher Bezug zwischen dem Begriffswissen und dem Verfahrenswissen angenommen (vgl. Achtenhagen, 1990; Dubs, 1995a; Klauser, 2000b, 2003; Metzger, 2002). Dubs (2006) formuliert diesen Zusammenhang wie folgt (und ordnet ihn in die aktuelle Kompetenzdebatte in der Wirtschaftspädagogik ein):60 „Andererseits sind in Verbindung mit dem [Begriffs-]Wissen Arbeitstechniken, Lernstrategien soziale und kommunikative Strategien aufzubauen sowie die Metakognition zu stärken (prozedurales Wissen) [...]. Dieses Zusammenspiel von deklarativem und prozeduralem Wissen einschließlich der metakognitiven Strategien ergänzt durch die Motivation und den Willen, bewusst etwas lernen zu wollen, führt zum Aufbau von [...] Kompetenzen [wie z. B. kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten, bestimmte Probleme lösen zu können]“ (S. 168). Eine weitere kognitive Voraussetzung für das Lösen komplexer Probleme ist das Wissen über Denk- Arbeits- und Problemlösestrategien. In der Denkpsychologie bzw. Problemlöseforschung existieren mehrere durchaus unterschiedliche Konzepte zur Beschreibung des Strategiebegriffs (vgl. Rollett, 2002 sowie Vollmeyer, Burns & Holyoak, 60

Dubs (2006) spricht zwar allgemein von Kompetenzen, weist aber auch darauf hin, dass sein Kompetenzbegriff der viel zitierten Definition von Weinert (2001) entspricht, die sich auf die Fähigkeiten und Fertigkeiten zum Lösen von Problemen bezieht.

37

1996). Ein oft verwendetes Beschreibungsmerkmal ist das der Domänen- bzw. Bereichsspezifität (vgl. Robertson, 2001).61 Allgemeine Denk- und Arbeitsstrategien sind dadurch gekennzeichnet, dass sie bei der Problembearbeitung hilfreich sein können, auch wenn kein domänenbezogenes Vorwissen vorhanden ist. Domänenspezifische Strategien sind solche, die bei bereichstypischen Problemen erfolgreich und daher häufig zur Anwendung kommen. Insbesondere „Experten verknüpfen die Denk- und Arbeitsstrategien ihrer Domäne mit allgemeinen Problemlösetechniken. Dadurch verfügen sie nicht nur über ein ausgeprägtes handlungsbezogenes deklaratives oder Begriffswissen (Wissen, was), sondern auch über umfangreiches prozedurales oder Verfahrenswissen (Wissen, wie) und vor allem über elaboriertes konditionales oder Bedingungswissen (Wissen, wann und wozu)“ (Klauser, 2003, S. 76).62 Im Rahmen dieser Arbeit wird in Anlehnung an Klauser das Strategiewissen als die Kenntnis sowie die Fähigkeit und die Fertigkeit zur Anwendung von domänenspezifischen Denk-, Arbeits- und Problemlösestrategien verstanden. Zusammenfassend gilt es festzuhalten, dass für das Lösen komplexer Probleme bereichsspezifisches Fakten- sowie Begriffswissen benötigt wird. Zudem setzt eine effiziente Bearbeitung eines komplexen Problems die Verwendung von strategischem Wissen voraus. Problemlösen und die Konstruktion von Wissen bzw. das Lernen sind miteinander verzahnt. Bereits Dewey (1933) verweist auf die Bedeutung des Lösens von Problemen für den Lernprozesse von Individuen. Ein Individuum trifft auf Hindernisse, die es erst durch Nachdenken und systematisches Problemlösen überwinden kann. „Das Lösen von Problemen ist als Handlung zu verstehen, die sich wieder auf das Denken auswirkt“ (Funke & Zumbach, 2006, S. 206). So setzt sich z. B. der Themenbearbeiter im Rahmen der Entscheidungsvorbereitung mit dem durch das Gremium vage beschriebenen Problem, die fixen Prozesskosten der Ausbildung zu reduzieren, auseinander. Bei der Bearbeitung des Problems muss der Themenbearbeiter dieses allgemeine Ziel in einzelne Komponenten zerlegen und deren Beziehungen untereinander feststellen. Bei diesem Bearbeitungsschritt bzw. Station der Handlungsorganisation konstruiert er u. a. Wissen zu den Teilzielen.

61

Robertson (2001) bezeichnet domänenspezifische Problemlösestrategien als „strong methods“ und domänenunspezifsche bzw. allgemeine Problemlösestrategien als „weak methods“. Der Übergang zwischen einer allgmeinen zu einer bereichsspezifischen Strategie ist allerdings fließend. Generell kann beim Einsatz von Strategien wie hill-climbing oder Vorwärtsplanung von einer allgemeinen Strategie gesprochen werden. Bewähren sich die genannten Strategien aber in bestimmten domänentypischen Problemsituationen, können sie, zumeist nach entsprechender Adaption, als domänenspezifisch bezeichnet werden. 62 Unterschiedliche Problemlöseleistungen von Rollenträgern können auf unterschiedliches Faktenwissen oder auch auf unterschiedliches Wissen zu Strategien zurückgeführt werden (vgl. Fürstenau, 1994).

38

In der Pädagogik kann seit Ende der 1980er Jahre ein Paradigmenwechsel vom traditionalen Kognitivismus zum gemäßigten Konstruktivismus beobachtet werden (vgl. u. a. Gerstenmaier & Mandl, 1995).63 Das Informationsverarbeitungsparadigma wird aus gemäßigt konstruktivistischer Perspektive nicht generell abgelehnt, sondern zur Erklärung von Prozessen der Konstruktion von Wissen als nicht ausreichend angesehen. Das konstruktivistische Verständnis von Lernen bzw. der Konstruktion von Wissen charakterisieren die folgenden zentralen Annahmen (vgl. Gräsel, 1997 sowie ReinmannRothmeier & Mandl, 2001): x

Lernen ist situations- und kontextgebunden,

x

Lernen ist ein aktiver, konstruktiver Prozess,

x

Lernen ist ein selbstgesteuerter Prozess sowie

x

Lernen impliziert soziales Aushandeln von Bedeutungen.

Diese Annahmen haben grundlegende Konsequenzen für die Unterstützung bzw. die Ausgestaltung von Prozessen der Konstruktion von Wissen (vgl. u. a. Achtenhagen, 2000; Dubs, 1995b; Klauser 1998a, 1998b, Klauser et al., 2002; Savery & Duffy 1995; zitiert in Zumbach, 2003): x

Aktivitäten, die auf die Konstruktion von Wissen gerichtet sind, sollten im Rahmen einer Problemsituation angesiedelt sein (die Konstruktion von Wissen kann dann zweckgebunden erfolgen).

x

Authentische Probleme können als Ausgangs- und Bezugspunkt der Konstruktion von Wissen fungieren. Die Komplexität der Problemstellung sollte der Realität angemessen sein.

x

Solche Probleme können als Grundlage zum selbstgesteuerten Planen, Durchführen und Kontrollieren des Prozesses der Konstruktion von Wissen dienen.

x

Der Lernprozess sollte so ausgestaltet sein, dass der Rollenträger aktiv und in Interaktion mit anderen Rollenträgern Wissen konstruiert. Dazu sollte der Rollenträger sowohl sein Vorgehen (z. B. die Verwendung der Problemlösestrategien) als auch sein neu erworbenes Wissen selbständig reflektieren, Hypothesen bilden und testen sowie im kommunikativen Austausch mit anderen Rollenträgern neue Perspektiven einnehmen.

Entscheidungsprozesse in Gremien bieten ein Potenzial, dass zur individuellen Konstruktion von Wissen bei der Bearbeitung komplexer Probleme durch den jeweiligen Rollenträger genutzt werden kann. Diese These wird im Folgenden anhand der oben 63

Für eine Übersicht der Paradigmen des Lehrens und Lernens siehe Dubs (1995a, S. 22 ff.).

39

dargestellten grundlegenden Konsequenzen für die Ausgestaltung von Prozessen der Konstruktion von Wissen kurz diskutiert. Ansätze des situierten Lernens betonen, dass Probleme ein hohes Maß an Authentizität besitzen sollen (vgl. u. a. Klauser, 2002). Authentizität kann erreicht werden, wenn die Ausgestaltung von Lernprozessen sich an einer tatsächlichen Bearbeitung von Problemlöseprozessen in der Automobilindustrie orientiert und reale Fälle verwendet werden (vgl. u. a. Klauser, 2002 sowie Klauser et al., 2002). Komplexe Probleme in Entscheidungsprozessen von Gremien können für die Initiierung von Prozessen der individuellen Konstruktion von Wissen nutzbar gemacht werden. Die individuelle Konstruktion von Wissen ist von den Einflüssen der Organisation, ihren Regeln, ihren Prozessabläufen aber auch ihren Werten, Normen und Kultur beeinflusst (vgl. Cognition and Technology Group at Vanderbilt, 1993). Wissen in einer Organisation stellt gemeinsames Wissen dar, d. h. Wissen wird von Individuen im Rahmen sozialer Transaktionen gemeinsam entwickelt und ausgetauscht (vgl. Resnick, 1991). Das Wissen und seine Bedeutung werden innerhalb des Entscheidungsprozesses in Gremien durch die beteiligten Rollenträger sozial ausgehandelt. Dabei müssen die Rollenträger oftmals ingenieurspezifisches und betriebswirtschaftliches Wissen integrieren und miteinander verknüpfen. Die Entscheider bilden u. a. mit dem Themenbearbeiter und dem Protokollanten eine Gemeinschaft, in der ein Austausch und die gemeinsame Konstruktion von Wissen stattfinden. Es gilt festzuhalten, dass zur Ausgestaltung von Prozessen des Problemlösens und der Wissenskonstruktion in betrieblichen Gremien insbesondere die folgenden Aspekte in Betracht gezogen werden sollten: x

Die individuelle Konstruktion des Wissens der Rollenträger beim Lösen von Problemen sollte innerhalb des Entscheidungsprozesses in Gremien unterstützt werden. Dieser Anforderung kann u. a. durch eine didaktische Gestaltung der Dokumente in Gremien entsprochen werden.

x

Die Konstruktion von Wissen sollte in realistische und für die Rollenträger relevante Kontexte eingebunden werden. Komplexe Probleme, wie z. B. die Reduktion der fixen Prozesskosten der Ausbildung, können als Ausgangspunkt für individuelle Bearbeitungsprozesse der Rollenträger angesehen und zur Initiierung von Prozessen der Konstruktion von Wissen genutzt werden. Eine didaktische Gestaltung der Dokumente kann sich daher an den Prozessen der Problembearbeitung orientieren.

40

x

Die Eigenverantwortung der Rollenträger bei der Bearbeitung von Problemen respektive der Konstruktion von Wissen sollte unterstützt werden. Die Anleitung der Rollenträger, die primär ausführende Tätigkeiten innerhalb des Entscheidungsprozesses wahrnehmen (z. B. der Themenbearbeiter), sollte durch die Organisation nicht zu kleinschrittig und den jeweiligen Funktionen im Entscheidungsprozess (z. B. vorbereitende Bearbeitung des Problems) entsprechend gestaltet sein.

x

Eine kommunikative Auseinandersetzung der Rollenträger untereinander sollte ermöglicht werden. Die Organisation sollte Anlässe initiieren und Instrumente verfügbar halten, die eine intensive Auseinandersetzung mit dem jeweiligen gegebenen Problem innerhalb eines Gremiums erfordern. So kann es unter anderem sinnvoll sein, den mit der Vorbereitung einer Entscheidung beauftragten Themenbearbeiter in die Diskussion und Auswahl einer Lösungsalternative in einer Gremiensitzung einzubeziehen.

x

Selbstgesteuerte und metakognitive Prozesse sollten gefördert werden. Diese Forderung schließt unter anderem die Rückmeldung von Leistungen bei der Problembearbeitung und der Wissenskonstruktion an den jeweiligen Rollenträger in Form eines Feedbacks ein. So kann innerhalb der Phase der Entscheidungsvorbereitung ein Feedback des Themensteuerers an den Themenbearbeiter zur Korrektur und künftigen Vermeidung von Fehlern in der Problembearbeitung beitragen und/oder den Themenbearbeiter in der korrekten Anwendung von Denk- und Problemlösestrategien bestärken.

2.2

Problemlösen und Konstruktion von Wissen in der betriebswirtschaftlichen Entscheidungstheorie

2.2.1

Präskriptive Entscheidungstheorie

Prozesse des Problemlösens haben im Rahmen dieser Arbeit eine zentrale Bedeutung für die individuelle Konstruktion von Wissen der Rollenträger in Entscheidungsprozessen. Im Folgenden wird daher betrachtet, in welchem Kontext das Lösen komplexer Probleme und die Konstruktion von Wissen in der betriebswirtschaftlichen Entscheidungstheorie diskutiert werden. Zentrale Begriffe wie komplexes Problem, Problemlösen, Entscheiden und Wissen werden aus betriebswirtschaftlicher Perspektive in den Untersuchungsgegenstand der Arbeit eingeordnet. Die verschiedenen betriebswirtschaftlichen Theorien der Entscheidungsforschung werden daraufhin untersucht, welche

41

Merkmale zur Beschreibung von Problemen herangezogen werden (um Anforderungen an die Problembearbeitung zu begründen), ob und inwieweit der in der betriebswirtschaftlichen Entscheidungsforschung verwendete Komplexitätsbegriff geeignet erscheint, die Anforderungen an Rollenträgern in Gremien umfassend zu beschreiben, welche Modelle zur Beschreibung des Vorgehens bei der Problembearbeitung existieren, ob und in welcher Form diese Vorgehensmodelle kognitive Tätigkeiten bei der Bearbeitung ausreichend beschreiben und Hinweise zum Vorgehen bei der Durchführung dieser Tätigkeiten zur Verfügung stellen, ob und inwieweit die Konstruktion von Wissen Berücksichtigung findet und welche instruktionalen Gestaltungsaspekte zur Unterstützung von Prozessen der Wissenskonstruktion beim Problemlösen zur Verfügung gestellt werden.

Als betriebswirtschaftliche Entscheidungstheorie werden logische und empirische Analysen des rationalen oder des intendierten Handelns der Entscheider beim Lösen von Problemen bezeichnet. Entscheidungstheoretische Analysen können nach Bamberg & Coenenberg (2006) auf die Gewinnung vorschreibender (normativer, präskriptiver) Aussagen oder auf das Erzeugen beschreibender (deskriptiver) Aussagen ausgerichtet sein. Je nach Zwecksetzung lassen sich dementsprechend die präskriptive und die deskriptive Entscheidungstheorie unterscheiden. Einführend werden kurz beide Forschungsrichtungen voneinander abgegrenzt und es wird dargelegt, warum im Folgenden insbesondere die deskriptive Forschungsrichtung für die Bearbeitung des Untersuchungsgegenstandes genutzt werden soll. Ziel der präskriptiven Entscheidungstheorie ist es zu beschreiben, wie Probleme durch rational hergeleitete Entscheidungsregeln eindeutig gelöst werden können. Entscheidungsregeln werden notwendig, wenn mindestens zwei Handlungsoptionen vorliegen. Die präskriptive Entscheidungstheorie konzentriert sich auf die Entscheidungslogik, d. h. eine mathematische Beschreibung von Verfahren einer rationalen Auswahl von Lösungsalternativen. Das Denken und Handeln des Rollenträgers respektive des Entscheiders64 orientiert sich ausschließlich an den Regeln der Logik (das Verhalten ist in sich konsistent und wiederspruchsfrei). Dieser ökonomisch rationalen, entscheidungslogischen Perspektive liegen die folgenden Annahmen zu Grunde (vgl. Brauchlin & Heene, 1995; Krüssel, 1996 sowie Reitmeyer, 2000): 64

In der betriebswirtschaftlichen Entscheidungstheorie wird oftmals lediglich die Rolle des Entscheiders aufgeführt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass in der Entscheidungsforschung eine Unterscheidung mehrerer am Problemlöseprozess beteiligter Rollen nicht vorgenommen wird.

42

x

Ein rationales Verhalten des Entscheiders wird vorausgesetzt. Der Entscheider agiert als „homo oeconomicus“.

x

Das zur Entscheidung stehende Problem ist bekannt und klar formuliert.

x

Es existiert ein eindeutiges Zielsystem, d. h. Ist-Zustand und Soll-Zustand können exakt durch den Entscheider formuliert werden.

x

Der Entscheider verfügt über ein vollständiges und konsistentes Präferenzsystem. Es existiert eine bestimmte Anzahl sich gegenseitig ausschließender Alternativen, die dem Entscheider vollständig bekannt sind. Über die Konsequenzen der einzelnen Alternativen besteht für den Entscheider Klarheit.

x

Es existiert ein Lösungsalgorithmus, der es dem Entscheider ermöglicht, eine eindeutige, widerspruchsfreie Rangordnung aller Alternativen aufzustellen, d. h. der Entscheider verfügt über alle zur Auswahl einer Alternative notwendigen Informationen.

x

Ziel des Entscheiders ist eine Maximierung seines Nutzens im Sinne einer Optimumbestimmung mittels mathematischer Ableitung.

x

Kontextfaktoren bzw. Umweltinformationen werden zur Komplexitätsreduktion vom Entscheider nur insoweit berücksichtigt, als dass sie quantitativ erfassbar sind.

x

Der Entscheider kann die Konsequenzen aller von ihm gewählten Alternativen überschauen und eindeutig bewerten.

Sind diese Annahmen erfüllt, wird in der präskriptiven Entscheidungstheorie von einem „gut strukturierten“ Problem gesprochen. Das bedeutet, das Problem kann nach dem Rationalprinzip gelöst werden. Bei gut strukturierten Problemen sind alle zur Lösung erforderlichen Informationen bereits zu Beginn des Problemlösens bekannt, das Problem lässt sich in einem quantitativen Modell abbilden und ein geeigneter Lösungsalgorithmus ist anwendbar. Unter dem Begriff „Entscheidung“ wird lediglich ein Akt der rationalen Wahl zwischen bereits vorliegenden Lösungsmöglichkeiten verstanden. Die Frage der (Aus-)Wahl wird dabei nicht weiter untersucht, da allein das Finden der einen Lösungsmöglichkeit interessiert. Schlecht strukturiert sind Probleme, bei denen mindestens eine der oben genannten Annahmen nicht erfüllt ist. Die präskriptive Entscheidungstheorie setzt aber immer „gut strukturierte“ Probleme voraus, geht von dem Axiom der Rationalität aus und entwickelt für die verschiedensten idealtypischen Problemsituationen Entscheidungsverfahren bzw. Lösungsmethoden. Sie verfolgt das Ziel, das Handeln der Entscheidungsträger zu verbessern. 43

Die präskriptive Entscheidungstheorie wurde hinreichend kritisch diskutiert. Eine Kritik der praktischen Anwendbarkeit der Regeln normativer Entscheidungstheorie nahmen aus betriebswirtschaftlicher Perspektive u. a. March & Simon (1976) bzw. Simon (1981) sowie aus kognitionspsychologischer Sichtweise Dörner et al. (1994, S. 54 ff.) und Opwis et al. (2006, S. 258 f.) vor. Die folgenden Ausführungen geben die zentralen Ergebnisse dieser Auseinandersetzung wieder: x

Die Rationalitätsannahme setzt eine vollständige Kenntnis aller zur Beurteilung einer Problemstellung und zur Auswahl einer Lösungsalternative notwendigen Informationen voraus. In der Regel stehen dem Entscheider nicht alle notwendigen Informationen zur Verfügung, berücksichtigt er oftmals nur einige aller potenziellen Alternativen und besitzt nur eine fragmentarische Kenntnis aller Konsequenzen einer Alternative. Zudem kann nicht immer davon ausgegangen werden, dass der Rollenträger die vorliegenden Informationen ausreichend rezipieren kann.

x

Es werden einfach strukturierte Probleme vorausgesetzt. In der betrieblichen Realität sind Entscheider oftmals mit komplexen und intransparenten Problemstellungen konfrontiert. Die Regeln und Methoden der präskriptiven Entscheidungstheorie sind daher auf solche Probleme nur in geringem Maße oder überhaupt nicht anwendbar.

x

Die präskriptive Entscheidungstheorie setzt statische Umweltzustände voraus. Zum Zeitpunkt der Auswahl einer Lösungsalternative verfügt der Entscheider aber immer nur über eine bedingt vollständige Liste aller Alternativen, ihrer Konsequenzen und der Wahrscheinlichkeiten des Eintritts der Konsequenzen. Informationen die erst nach der Auswahl einer Alternative verfügbar sind werden in der präskriptiven Entscheidungstheorie nicht berücksichtigt, eine Anpassung der Ziele (z. B. kann ein Feedback zu neuen Erkenntnissen führen) ist nicht explizit vorgesehen.

x

Die Gewinnmaximierung oder die Verlustminimierung werden in der Regel als Ziele eines Entscheiders angenommen. Die Tatsache, dass in der Realität ein Entscheider zumeist mehrere Ziele gleichzeitig verfolgt, und diese Ziele durchaus widersprüchlich sein können, findet keine Berücksichtigung. Die präskriptive Entscheidungstheorie nimmt von einem Zielsystem zumeist an, dass „es wiederspruchsfrei ist, nicht aber, dass es einen bestimmten Inhalt hat“ (Gäfgen, 1974, S. 27 zitiert in Dörner et al., 1994).

44

x

In der präskriptiven Entscheidungstheorie wird angenommen, dass Lösungsalternativen nur positive Konsequenzen bewirken. Unerwünschte Neben- und Langzeitwirkungen bleiben zumeist unberücksichtigt.

x

Zur Bestimmung des Nutzens einer Alternative werden oftmals monetäre Werte verwendet. Ziele der Entscheider die monetär bewertet werden können, sind in der Regel eindeutig benennbar und exakt bestimmbar. Streben Entscheider jedoch nicht monetär messbare Ziele an, müssen zumeist subjektive Bewertungsmuster zur Auswahl einer Lösungsalternative herangezogen werden, die in der Regel nicht exakt bestimmbare und konfliktäre Ziele implizieren.

x

Der Nutzen einer Alternative wird in komplexen Situationen von mehreren Entscheidern subjektiv eingeschätzt und daher oftmals unterschiedlich bewertet.

x

Der Einsatz normativer Regeln ist in komplexen Situationen zumeist aus „Kapazitäts- und Ökonomiegründen“ (Dörner et al., 1994, S. 69) nur eingeschränkt möglich.

Die Schilderung der Beiträge der präskriptiven Entscheidungstheorie führt in die Entscheidungstheorie ein und dient dazu, ein grundlegendes Verständnis für den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit zu schaffen. Die präskriptive Entscheidungstheorie trägt nicht unmittelbar zur Beantwortung der Frage bei, wie schlecht strukturierte bzw. komplexe Probleme bearbeitet und gelöst werden können. Gründe dafür sind, dass die präskriptive Entscheidungstheorie zum einen vorrangig Methoden und Verfahren bereitstellt, die geeignet erscheinen gut strukturierte Probleme zu bearbeiten und zum anderen aufgrund der Rationalitätsannahme kognitive Aspekte, wie z. B. die Anwendung von Denk-, Arbeits- und Problemlösestrategien sowie die Konstruktion von Wissen beim Problemlösen nicht thematisiert. Im Folgenden wird die deskriptive Entscheidungstheorie näher betrachtet, die sich nicht primär damit beschäftigt, wie Entscheidungen „rational“ getroffen werden können. Im Gegensatz zur präskriptiven Entscheidungstheorie versucht sie zu beschreiben und zu erklären, wie Individuen und Gruppen in der Realität tatsächlich entscheiden und sich bei der Bearbeitung von Problemen verhalten (vgl. Laux, 2005 sowie Sieben & Schildbach, 1994). Das Verhalten der Entscheider innerhalb eines Entscheidungsprozesses wird zum Untersuchungsgegenstand (vgl. Krüssel, 1996). Die deskriptive Entscheidungstheorie geht von empirischen Beobachtungen aus und ist bemüht einen Zusammenhang zwischen dem tatsächlich stattfindenden Handeln von Entscheidungsträgern in Entscheidungsprozessen und dem zu beareitenden Problem herzustellen. 45

2.2.2

Deskriptive Entscheidungstheorie

Bereits in den Monographien „Administrative Behavior“ (1945) und „Organizations“ (1958) entwickelte Barnard eine Theorie des Problemlösens und Entscheidens, die auf der zentralen Annahme beruhte, dass Entscheider einer begrenzten Rationalität unterliegen. Dieses Konzept wurde von der Forschergruppe um R. M. Cyert, J. G. March und H. A. Simon am Massachusetts Institute of Technology aufgegriffen und eine erste umfassende Kritik der präskriptiven Entscheidungstheorie vorgelegt (vgl. Cyert & March, 1995; March, 1988; Simon, 1981). Die Arbeiten der genannten Autoren ebneten den Weg für eine verhaltenswissenschaftlich orientierte Entscheidungstheorie. Der präskriptiven Entscheidungstheorie wurde eine realitätsferne Betrachtungsweise unterstellt und daraus folgernd gefordert, beschränkten kognitiven Kapazitäten der Verarbeitung von Informationen durch den Entscheider Rechnung zu tragen (vgl. Staehle, 1999). Die verhaltenswissenschaftliche Entscheidungstheorie geht von der zentralen Annahme aus, dass der Entscheider zwar rationale Entscheidungen anstrebt, doch aufgrund eingeschränkter Informationsverarbeitungskapazitäten objektive Rationalität beim Lösen von Problemen in Entscheidungsprozessen65 nicht gegeben ist. Cyert, March und Simon stellten fest, dass Entscheider x

befriedigende Lösungen akzeptieren, die im Sinne einer „beschränkten Rationalität“ angestrebt werden und

x

bei einfach strukturierten Problemen auf bereits vorhandene „Programme“66 zurückgreifen, um Komplexität zu reduzieren.

Nach Simon kann Entscheidungstheorie bezeichnet werden als „die Theorie der beabsichtigten und beschränkten Rationalität – die Theorie des Verhaltens von Menschen, die befriedigende Lösungen anstreben, weil sie nicht den Verstand haben, zu maximieren“ (Simon, 1981, S. 30). In den folgenden Punkten genügt das tatsächliche Verhalten des Entscheiders nicht den Anforderungen objektiver Rationalität (vgl. Simon, 1981, S. 116 ff.): x

Rationalität impliziert ein vollständiges Wissen über die exakten Konsequenzen jeder einzelnen Wahlhandlung. Jedoch besitzt der Mensch immer nur lückenhafte Informationen bzw. unvollständiges Wissen, so dass eine vollständige Antizipation der Ergebnisse nur schwer möglich ist.

65 Innerhalb der Entscheidungsforschung werden die Begriffe Entscheidungsprozess und Problemlöseprozess unscharf verwendet und zumeist synonym gebraucht (vgl. Bartscher, 1997). 66 Programme sind bewährte Lösungsmuster, die in einer Organisation in Form von standardisierten Methoden und Instrumenten (z. B. Prozesshandbücher, Kalkulationsvorlagen) zur Bearbeitung von Problemen eingesetzt werden (vgl. Cyert & March, 1995; March & Simon, 1976; Simon, 1981).

46

x

Selbst wenn der Mensch in der Lage wäre alle Ergebnisse von Entscheidungen bereits im Vorfeld genau zu benennen, existiert noch immer die Schwierigkeit der Bewertung zukünftiger Ereignisse.

x

Dem Entscheider sind nicht, wie beim Konzept der Rationalität angenommen, alle Alternativen bekannt. Oft herrscht in der Realität nur eine begrenzte Auswahl an Lösungsalternativen.

Cyert, March und Simon betrachten im Gegensatz zur präskriptiven Entscheidungstheorie explizit das individuelle Verhalten der Entscheider. Nach March & Simon (1976) beruht das Verhalten des Entscheiders auf einem einfachen Modell der Realität, der Definition der Ausgangs- bzw. Problemsituation. Die Informationen, die in dieses Modell einfließen, sind dabei nicht objektiv, sondern subjektiv bestimmt, d.h. die Definition dieser Ausgangs- bzw. Problemsituation geht mit einer selektiven Wahrnehmung durch den Entscheider einher. Ausgangspunkt des Verhaltens des Entscheiders ist eine subjektiv wahrgenommene Situation (Stimuli).67 Der Organismus des Entscheiders selektiert und interpretiert die Stimuli aus der Umwelt. In der verhaltensorientierten Entscheidungstheorie werden zwei mögliche Reaktionsformen des Entscheiders in Abhängigkeit vom gegebenen Problem unterschieden (vgl. March & Simon, 1976, S. 131 ff.): x

Es liegt ein gut strukturiertes Problem vor, d. h. ein wahrgenommener Stimulus ist schon bekannt und der Entscheider kann daher auf ein bereits gespeichertes Reaktionsmuster (Ausführungsprogramm) zurückgreifen. Er wendet in diesem Fall Routinereaktionen (Programme) an.

x

Es liegt ein schlecht strukturiertes Problem vor. March & Simon sprechen dann von einer unbekannten, neuen Situation. Mit einem Stimulus ist in diesem Fall noch kein Ausführungsprogramm verknüpft. Die Situation wird daher erstmalig „definiert“ und es wird nach einer passenden Reaktionsform gesucht. Dies geschieht in der Regel durch den Vergleich mit anderen Stimuli, mit denen bereits ein Ausführungsprogramm verknüpft ist.68

Das Lösen von schlecht strukturierten Problemen wird als Entwickeln eines unbekannten Programms interpretiert.69 Auf der Grundlage der geschilderten Erkenntnisse wurde von March & Simon (1976) das Modell des „adaptiven Problemlösen“ konzipiert. Die-

67

March und Simon nehmen eine eindeutig behavioristische Position innerhalb der Entscheidungsforschung ein. Die Suche nach einem passenden Ausführungsprogramm kann in der Organisation institutionalisiert werden, indem u. a. Standarddokumente, wie z. B. Checklisten, erstellt werden, die von allen Organisationsmitgliedern in bestimmten Situationen immer wieder zu verwenden sind (vgl. Jansen, 2006, S. 6). 69 In der verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorie wird an Stelle von gut strukturierten bzw. schlecht strukturierten Problemen auch von programmierbaren bzw. nicht programmierbaren Problemen gesprochen. 68

47

ses Modell scheint geeignet, Entscheidungsprozesse auf einer organisationalen Ebene so zu konzipieren, dass die individuellen Rationalitätsbeschränkungen der Entscheider teilweise kompensiert werden können (vgl. Scholl, 2004, S. 542): x

Entscheidungsprozesse können arbeitsteilig so ausgestaltet werden, dass alle Entscheider nur überschaubare Teilprobleme bearbeiten müssen.

x

Mit zunehmender hierarchischer Stellung bzw. Position eines Entscheiders innerhalb der Organisation sollen bei der Bearbeitung eines Problems lediglich grundlegende Strukturen bzw. Hauptmerkmale eines Problems fokussiert werden.

x

Für gut strukturierte Probleme werden bereits erprobte und daher zumeist standardisierte Verfahren, Methoden und Instrumente, sogenannte Programme, verwendet. Diese bereits etablierten Programme können Entscheider bei der Bearbeitung von „einfachen“ Problemen entlasten.

x

Schlecht strukturierte Probleme sind durch Experten zu bearbeiten, die von der

x

Entscheider streben keine optimalen sondern befriedigende und umsetzbare Lö-

Organisation explizit mit dem Erstellen neuer Programme beauftragt werden.

sungen an, „dadurch verringert sich der Such- und Kalkulationsaufwand auf ein bewältigbares Maß“ (Scholl, 2004, S. 542). Im Modell des adaptiven Problemlösens wird innerhalb der Entscheidungsforschung erstmals eine Verbindung zwischen einer konsequenten Beachtung der Grenzen menschlicher Rationalität und einer „organisationalen Bewältigung“ schlecht strukturierter Probleme hergestellt. Eine von Nonaka und Takeuchi (1997) formulierte einfache Forderung zur Bearbeitung schlecht strukturierter Probleme lautet, „dass eine Organisation angesichts eines komplexen Umfelds die Informationsverteilung zwischen ihren Abteilungen möglichst gering halten sollte, um deren Informationslast zu reduzieren“ (S. 52).70 Nach Simon (1973) kann die individuelle Informationsverarbeitung der Rollenträger erleichtert werden, wenn die Organisation die Zu- bzw. Verteilung von Informationen entsprechend steuert. Die Organisation nimmt damit einen indirekten Einfluss auf die individuellen Informationsverarbeitungsprozesse der Entscheider, d. h. die Organisation hat lediglich dafür Sorge zu tragen, den individuellen Aufwand bei der Informationsverarbeitung so gering wie möglich zu halten. Entscheider konstruieren jedoch bei der Bearbeitung schlecht strukturierter Probleme auch neues Wissen, das noch nicht in etablierte Programme überführt wurde. Simon 70

Diese Forderung ist auf Simon (1973) zurückzuführen.

48

betont, dass eine Konstruktion neuen Wissens bei der Bearbeitung von Problemen gefördert werden kann, wenn die Organisation entsprechende Strukturen bereitstellt.71 Die formelle Einrichtung von Gremien als fachbereichsinterne Institutionen zur Bearbeitung, Diskussion und Entscheidung von komplexen Problemen kann als Bereitstellung einer entsprechenden organisationalen Struktur durch die Leitung des BMW Werks Leipzig interpretiert werden, die der Forderung von Simon entspricht. Es ist festzuhalten, dass durch den beschriebenen Ansatz von Cyert, March und Simon in der Entscheidungsforschung der Begriff des Problems differenzierter betrachtet wird. Die Unterscheidung in gut bzw. schlecht strukturierte Probleme fokussiert allerdings nur strukturelle Merkmale komplexer Probleme. Prozessuale Aspekte, die insbesondere durch das Merkmal „Dynamik“ beschrieben werden können, werden nicht berücksichtigt. In Anlehnung an Funke (2003) kann daher von einem statischen Verständnis des Begriffs „Problem“ gesprochen werden, das in der verhaltensorientierten Entscheidungstheorie vorherrscht. Im Gegensatz zur präskriptiven Entscheidungstheorie betrachten Cyert, March und Simon auch individuelle Aspekte des Lösens von Problemen. Dieser Betrachtungsweise liegt allerdings ein behavioristisches Verständnis menschlichen Verhaltens zu Grunde, die u. a. auf den folgenden Annahmen zum Umgang mit Wissen beruht (vgl. Dubs, 1995a, S. 22 f.): x

Wissen ist allgemein gültig, weist in der Regel eine hohe Stabilität aus und lässt sich gut strukturiert zwischen Individuen austauschen.

x

Wissen ist ein Abbild der Realität, so dass beim Austausch von Wissen dieses immer wieder im gleichen Sinn (objektiv) verstanden werden kann.

x

Aufgabe der Organisation ist es, die Individuen dabei zu unterstützen, die Inhalte des objektiven Wissens zu übernehmen. Der Fokus der Unterstützung liegt bei der Gestaltung des organisationalen Rahmens.

Es ist zudem festzuhalten, dass eine Betrachtung kognitiver Aspekte von Cyert, March und Simon nicht intendiert war. Insbesondere in der deutschsprachigen deskriptiven Entscheidungsforschung wurde der Beitrag von Cyert, March und Simon aufgegriffen und um eine Betrachtung individueller Informationsverarbeitungsprozesse erweitert. Durch die Betrachtung komplexer betriebswirtschaftlicher Problemstellungen und der Berücksichtigung von Schwierigkeiten der Komplexitätsreduktion für das Individuum

71

Nonaka & Takeuchie formulierten in Bezug auf die Erkenntnisse zum adaptiven Problemlösen die folgende Forderung: „Dieser Prozess [der Konstruktion neuen Wissens] erfordert nicht nur eine Strategie zur Eindämmung der Informationslast, sondern eine Entwicklung der Vielfalt, die vorhandene Denk- und Verhaltensstrukturen abträgt und neue schafft“ (Nonaka & Takeuchie, 1997, S. 52).

49

rückte die deskriptive Entscheidungstheorie zunehmend von den Rationalitätsannahmen ab, „welche Schwierigkeiten im Umgang mit Informationen nicht kennen“ (Brauchlin & Heene, 1995, S. 42), indem sie u. a. das Informationsverarbeitungsparadigma in ihre Forschungsmodelle integriert. Die Erweiterung der behavioristisch geprägten verhaltensorientierten Perspektive nach Cyert, March und Simon wurde insbesondere notwendig, da „die Konfrontation von Entscheidungsträgern mit komplexen Problemen [...] Ansprüche an ihre kognitiven Fähigkeiten [stellen], [und] derartigen Problemen nicht mit bereits vorstrukturierten Handlungsroutinen begegnet werden kann“ (Hering, 1986, S. 62). Im Folgenden werden ausgewählte Forschungsrichtungen der deskriptiven Entscheidungstheorie dargestellt, die sich im Besonderen mit der Erforschung von komplexen Problemen als Ausgangspunkt für die Beschreibung individuellen Verhaltens bei der Problembearbeitung sowie der organisationalen Ausgestaltung von Entscheidungsprozessen auseinandergesetzt haben. Nach Brauchlin und Heene (1995) entwickeln Rollenträger bzw. Entscheider im Rahmen der Informationsverarbeitung Modelle über das zu lösende Problem. Um Informationsverarbeitungsprozesse beim Lösen von Problemen zu beschreiben, wird innerhalb der deskriptiven Entscheidungstheorie von folgenden Positionen ausgegangen (vgl. Brauchlin & Heene, 1995 sowie Bronner, 1993 und 2001): x

In Abgrenzung zu Prämissen rationaler Entscheidungsfindung werden kognitive Aspekte wie z. B. die subjektive Wahrnehmung und die individuelle Verarbeitung von Informationen sowie affektive Aspekte wie Wertvorstellungen und Emotionen berücksichtigt. 72

x

Zur Beschreibung des Verhaltens von Individuen wird auf das Konzept des Problem- bzw. Suchraums von Newell und Simon Bezug genommen: „Im Modell bzw. anhand von Modellen vollzieht sich mithin die Suche nach Problemlösungen“ (Brauchlin & Heene, 1995, S. 28).

Die genannten kognitiven Aspekte werden aber immer in den Kontext der organisationalen Gestaltung von Entscheidungsprozessen gesetzt, d. h. kognitive und affektive Aspekte werden als gegebene Größen betrachtet. Diese gegebenen Größen sind durch die Organisation bei der Ausgestaltung von Entscheidungsprozessen zu berücksichtigen. Im Folgenden soll der Zusammenhang zwischen dem individuellen Informationsverarbeitungsprozess und dem organisationalen Gestaltungsrahmen von Entscheidungspro72

Bronner (1993) sowie Hering (1986) sprechen an dieser Stelle auch von sogenannten Personenmerkmalen. Dies ist ein aus der Kognitionspsychologie entlehnter Begriff. In der Kognitionspsychologie insbesondere in der Problemlöseforschung wird er zur Beschreibung kognitiver Eigenschaften bzw. Voraussetzungen beim Lösen von komplexen Problemen vewendet und wurde u. a. von Funke (1992) differenziert beschrieben.

50

zessen am Komplexitätsbegriff von Bronner (1993, 1997, 1998, 2001) veranschaulicht werden. Nach Bronner (1997, S. 82 f.) resultiert Komplexität zum einen aus einem gegebenen Problem und zum anderen aus dem daraus folgenden Prozess des Problemlösens. Ein Problem ist komplex, wenn es x

variablenreich ist, „d. h. es sind zahlreiche Alternativen, Informationen und Kriterien zu beachten“ (Bronner, 1997, S. 82);

x

innovativ ist, „d. h. es tritt erstmals oder gar einmalig auf; es fehlt somit an Erfahrung im Umgang mit diesem Problem“ (ebd., S. 82) und

x

vernetzt strukturiert ist, „d. h. eine spezifische Festlegung setzt bestimmte Maßnahmen voraus und/oder hat bestimmte Wirkungen zur Folge“ (ebd., S. 82).73

Ein Problemlöseprozess ist komplex, wenn der Prozess x

arbeitsteilig organisiert ist, „d. h. die Informationen und Lösungsansätze sind auf mehrere Beteiligte verteilt“ (ebd., S. 82);

x

dynamisch ist, „d. h. während seiner Bewältigung ändern sich wesentliche Problemparameter, etwa markt- oder urteilsbedingt“ (ebd., S. 82) und

x

kommunikativ zu handhaben ist, „d. h. eine Problemlösung muss durch Informationsaustausch und kann nur durch Überzeugungsleistung gefunden werden“ (ebd., S. 82).

Der Komplexitätsbegriff nach Bronner wird durch die folgende Abbildung veranschaulicht.

73

Einen vergleichbaren Komplexitätsbegriff legen Gomez und Probst (2004) zu Grunde.

51

Abbildung 2-1: Komplexitätsbegriff nach Bronner (1993 sowie 1998)

Die Definition eines Problems nach Bronner ist bezugnehmend auf das angeführte Merkmal „variablenreich“ und das implizit einbezogene Merkmal der „Vernetztheit“ mit dem Begriff des schlecht strukturierten Problems aus der Kognitionspsychologie vergleichbar. Mit dem Merkmal „innovativ“ wird auf die Bedeutung des individuellen Vorwissens zur Bearbeitung von Problemen jedoch nur implizit verwiesen.74 Im Gegensatz zu bisher dargestellten Ansätzen der deskriptiven Entscheidungsforschung bezieht Bronner prozessuale Aspekte in den Komplexitätsbegriff ein. Dabei fokussiert er durch die Merkmale „arbeitsteilig“ und „kommunikativ“ insbesondere organisationale Kriterien von Problemlöseprozessen: „Entscheidungen [sind] umso komplexer, je mehr Funktionsbereiche von der anstehenden Fragestellung sachlich betroffen sind und/oder am Entscheidungsprozess beteiligt werden. Dies ergibt sich aus der Notwendigkeit, verschiedene oft konfliktäre Argumente zu beachten und der Erfordernis einer inhaltlichen sowie prozeduralen Koordination des Problemlöseprozesses“ (Bronner, 1993, S. 721). Die genannten Merkmale zur Komplexitätsbeschreibung stellen kognitive Anforderungen an den Rollenträger dar und bestimmen in Verbindung mit „Merkmale[n] der Entscheidungsperson(en) [...] maßgeblich [...] den Verlauf und das Ergebnis des Entscheidungsprozesses“ (Bronner, 2001, S. 178). Als sogenannte Personenmerkmale unterscheidet Bronner (1993) vor allem kognitive (z. B. Fähigkeiten zur Wahrnehmung, Strukturierung und Bewertung von Informationen), motivationale (die Bereitschaft, gesetzte oder selbst gewählte Ziele zu erreichen) und interaktive (z. B. Kommunikationsfähigkeit). Alle Merkmale beeinflussen das Verhalten des Rollenträgers beim Problemlösen von der Wahrnehmung und Einschätzung 74

Bronner (2001) verweist an dieser Stelle auf die Gefahr, die Neuartigkeit einer Problemsituation nicht rechzeitig zu erkennen und infolgedessen in Routineverhalten zu verfallen.

52

des vorliegenden Problems über die Informationsverarbeitung bis zur letztendlichen Entscheidung (vgl. Bronner, 2001, S. 178). Innerhalb eines Entscheidungsprozesses resultiert beim Bearbeiten von komplexen Problemen für den einzelnen Rollenträger u. a. die Notwendigkeit eine große Menge an Informationen zu verarbeiten (vgl. Hering, 1986). In Abhängigkeit von den Problem- und Personenmerkmalen, die Bronner weitgehend als unveränderliche, d. h. durch die Organisation nicht beeinflussbare Gegebenheit ansieht (vgl. Bronner, 2001), ist es die zentrale Aufgabe der Organisation, Rahmenbedingungen zu gestalten, die geeignet erscheinen, Komplexität zu reduzieren und den Rollenträger innerhalb des Prozesses der Problembearbeitung zu unterstützen. Bronner (1993) formuliert diese Notwendigkeit folgendermaßen: „Der gesamte Prozess der Handhabung von Komplexität ist organisationsbedürftig“ (S. 736). Die Gestaltung organisationaler Rahmenbedingungen des Bearbeitungsprozesses schließt zum einen die folgenden Aspekte ein: x

Die Bereitstellung einer ausreichenden und dem gegebenen Problem qualitativ angemessenen Informationsmenge für die Rollenträger (vgl. Hering, 1986),

x

die Versorgung der Rollenträger mit entsprechenden Kommunikationsformen und -mittel (vgl. Bronner, 1997) und

x

die Beeinflussung bestehender Zeitrestriktionen75 (vgl. Bronner, 2001).

Zum anderen ergibt sich die Notwendigkeit, die Verlaufsform des Bearbeitungsprozesses durch die Organisation zu definieren und Lenkungsinstanzen und Lenkungsform76 festzulegen (Bronner, 1993, S. 736 ff.). In Bezug auf den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ergeben sich zur Definition von Lenkungsinstanzen nach Bronner (1993) insbesondere die folgenden Fragen: x

Wer ist für eine Problemlösung (das Treffen einer Entscheidung und die Umsetzung einer Lösungsalternative) innerhalb eines Gremiums zuständig bzw. verantwortlich?

x

Wer lenkt den Entscheidungsprozess in einem Gremium?

75

Nach Bronner (2001) sind Zeitrestriktionen zumeist fremdbestimmt. Sie können aber auch bei Problem- bzw. Aufwandsunterschätzung durch den Rollenträger selbst verursacht sein. Der daraus resultierende Zeitdruck kann das Problemlöseverhalten des Rollenträgers einschränken, was in einer „systematischen Minderleistung“ resultieren kann. 76 Ein Problemlöse- bzw. Entscheidungsprozess kann nach Bronner (1993, S. 738) durch die folgenden Lenkungsformen koordiniert werden: x Zielsteuerung (durch die Festlegung von Handlungszielen), x Funktionssteuerung (durch Handlungsanweisungen) und x Prozesssteuerung (durch ablauforganisatorische Definition der Zeitdauer, der Zeitfolge und der Zeitpunkte spezifischer Problemlöseaktivitäten).

53

x

Wie werden die Zuständigkeiten für die Bearbeitung einzelner Phasen des Entscheidungsprozesses (z. B. „Entscheidungsvorbereitung“, „Dokumentation der Entscheidung“, „Entscheidung umsetzen“) in einem Gremium durch die Organisation festgelegt?77

Durch den Aspekt der „Dynamik“ greift die deskriptive Entscheidungstheorie durchaus selbstkritisch ein Klassifikationsmerkmal der Kognitionspsychologie auf. Das Phänomen des Entscheidens wird nicht nur als statischer Akt der Auswahl einer Lösungsalternative interpretiert, sondern es wird die Problembearbeitung durch den Rollenträger als dynamisch verlaufender Prozess aufgefasst.78 Brauchlin & Heene (1995) formulieren diesen Sachverhalt folgendermaßen: „Aus Sicht der Psychologie muss die Annahme fallen gelassen werden, die Informationsverarbeitung erfolge schlagartig, ohne jeden Zeitaufwand. Dementsprechend sind in den verflossenen Jahrzehnten immer wieder Phasenschemata vorgeschlagen worden, welche dazu beitragen sollen Entscheidungsprozesse sinnvoll zu gliedern“ (S. 71). Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht über ausgewählte Verlaufsmodelle bzw. Phasenschemata des systematischen Bearbeitens von Problemen aus der deskriptiven Entscheidungstheorie wieder. Die einzelnen Spalten stellen unterschiedliche aufeinander folgende Phasen eines Prozessverlaufs dar.79

77

Nach Bronner sind Zuständigkeiten insbesondere bei neuen bzw. komplexen Problemen in der Regel nicht eindeutig einer bestimmten Instanz in der Organisation zugewiesen. 78 Laux & Liermann (2003) legen ein weit gefasstes Verständnis des Begriffs Entscheiden zu Grunde. Sie verstehen unter dem Begriff der Entscheidung nicht nur den eigentlichen Beschluss, sondern auch dessen Vorbereitung: „Eine „Entscheidung“ entspricht einem Problemöseprozess, in dessen Verlauf zunächst Vorentscheidungen getroffen werden und danach die (eigentliche) Entscheidung“ (S. 32). 79 Es handelt sich in der Übersicht um eine vereinfachte Beschreibung, da eine lineare Beziehung der Phasen, d. h. eine schrittweise Bearbeitung eines Problems wiedergegeben ist. Insbesondere das Phasenmodell von Irle beinhaltet aber auch die Möglichkeit von einer Phase in frühere Bearbeitungsphasen „zurückzuspringen“.

54

Irle (1971)

Pfohl (1989)

Reitmeyer (2000)

Kahle (2001)

Laux & Liermann (2003)

Identifizierung eines Problems

Problemstrukturierung

Wahrnehmung von Reizen

Anregung

Problemformulierung

Informationssuche

Lösungsfindung

Definition der Situation

Unorientiertheit

Präzisierung des Zielsystems

Produktion von alternativen Problemlösungen (Alternativen)

Optimierung

Informationsgewinnung

Orientierung

Erforschung einer Handlungsalternative

Vergleich und Bewertung der Alternativen

Implementierung

Distanzierung

Auswahl einer Handlungsalternative

Entschluss

Entscheidungen in der Realisationsphase

Auswahl einer Alternative (Entschluss)

Erarbeitung von Alternativen durch Informationsverarbeitung Bewertung der Alternativen durch Informationsbewertung

Anregung zur Ausführung

Entschlussakt

Ausführung/ Realisierung

Durchführung der Entscheidung

Kontrolle

Kontrolle Lernen aus der Entscheidung

Tabelle 2-1: Übersicht ausgewählter Verlaufsmodelle des Bearbeitens von Problemen in der deskriptiven Entscheidungstheorie

In den Modellen wird der Problemlöseprozess jeweils in mehrere Phasen aufgegliedert. Während Pfohl (1989) und Kahle (2001) nur vier bzw. fünf Phasen der Bearbeitung eines Problems unterscheiden, widmet sich Reitmeyer intensiv dem Umgang mit Informationen bei der Problembearbeitung. Irle (1971) legt einen Schwerpunkt auf die Tätigkeiten zum Erstellen, Auswählen und Durchführen von Alternativen. Festzuhalten ist, dass lediglich Reitmeyer und Irle eine Phase der Überprüfung aller Tätigkeiten in ihr Modell mit aufnehmen und damit eine Revision bisheriger Bearbeitungsschritte beim Problemlösen in Betracht ziehen. Allen Verlaufsmodellen ist gemeinsam, dass Problemlösen als ein individueller Bearbeitungsprozess dargestellt wird. Die Modelle beziehen sich teilweise explizit auf kognitionspsychologische Erkenntnisse zum Bearbeiten von

55

Problemen.80 Die Bearbeitung eines Problems wird als Informationsverarbeitungsprozess interpretiert. Der Rollenträger respektive der Entscheider wird als sogenannter „Informationsverarbeiter“ (vgl. Pfohl, 1989) definiert, der Problemlösestrategien des Analysierens, des Prognostizierens, des Ideenfindens, des Bewertens und des Schätzens/Messens anwendet. In den Modellen wird damit ein expliziter Bezug zum Informationsverarbeitungsparadigma der Kognitionspsychologie hergestellt. Dabei ist kritisch anzumerken, dass Denkprozesse bzw. kognitive Tätigkeiten des Rollenträgers beim Problemlösen, wie z. B. die Nutzung von Vorwissen, die Konstruktion mentaler Modelle oder die Kombination von domänenspezifischem Wissen mit domänenspezifischen Problemlösestrategien nicht explizit thematisiert werden. Vielmehr wird an behavioristischen Prinzipien zum menschlichen Problemlösen festgehalten, indem insbesondere das Reiz-Reaktions-Paradigma des Behaviorismus zur Erläuterung des Verhaltens des Rollenträgers beim Problemlösen herangezogen wird (vgl. Pfohl, 1989, S. 1582 f. sowie Reitmeyer, 2000).81 Es kann festgehalten werden, dass sich die deskriptive Entscheidungstheorie nicht an neueren Erkenntnissen der Denkpsychologie bzw. Problemlöseforschung orientiert. Insbesondere wird die Nützlichkeit von Wissen für das Lösen von Problemen nicht ausreichend thematisiert.82 Der Problemlöseprozess wird zwar als Sequenz individuell zu verrichtender Tätigkeiten interpretiert, die Informationsverarbeitungskapazität des Rollenträgers stellt dabei aus betriebswirtschaftlicher Perspektive eine Ressourcenbeschränkung dar. Die Entscheidungsforschung beachtet nicht explizit, dass beim Lösen von Problemen gleichzeitig sowohl domänenspezifisches Wissen als auch Kenntnisse über adäquate Problemlösestrategien erworben werden, die in Kombination miteinander wiederum Voraussetzung für die Bearbeitung weiterer Sequenzen im Problemlöseprozess sind. Maule (2001) kritisiert, dass in der Entscheidungsforschung lediglich die Relevanz und die Verarbeitung extern verfügbarer Informationen durch den Rollenträger Berücksichtigung finden und fordert, die Verwendung des Wissens der Rollenträger in stärkerem Maße zu beachten: „Most research on human judgement has involved presenting only external information, 80

Laux und Liermann (2003) schreiben zur Phase der Problemformulierung in Anlehnung an die Beiträge zum Problem- bzw. Suchraum von Newell und Simon folgendes: „Die Erkenntnis, dass sich eine bestimmte Situation unbefriedigend entwickelt, d. h. sich von einem angestrebten Sollzustand entfernt, und deshalb verbessert werden kann (oder muss), kann bereits routinemäßig zu einer (wenn auch nur vorläufigen) Problemformulierung führen. [In der Regel] erfordert die Problemformulierung einen langwierigen, kreativen Analyse- und Suchprozess“ (Laux & Liermann, 2003, S. 33). 81 An dieser Stelle kann von einem kognitiven Behaviorismus gesprochen werden, der am Grundsatz des Objektivismus orientiert ist und an Prinzipien des Behaviorismus festhält, sie jedoch um zentrale Erkenntnisse der Kognitionspsychologie erweitert. 82 So thematisiert zwar Bronner (1993) sogenannten Personenmerkmale wie z. B. kognitive und motivationale Eigenschaften, sieht diese Merkmale aber zu Beginn des Problemlöseprozess als gegeben und im Verlauf des Prozesses als nicht beeinflussbar an.

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so we have little understanding of how explanations of human judgement should be developed to take account of situations involving internal information [in especially using information and knowledge from memory]“ (S. 95). Zudem merkt Maule (2001) an, dass nicht nur eine singuläre Entscheidung in der Phase der Auswahl einer Handlungsalternative zu berücksichtigen ist, sondern Entscheidungen in unterschiedlichen Phasen beachtet werden sollten, die vielfach voneinander abhängig sind.83 Wie bereits dargestellt, nehmen die betriebswirtschaftliche Entscheidungstheorie und die kognitionspsychologische Problemlöseforschung vielfach Bezug aufeinander (vgl. u. a. Dörner et al., 1994; Fisch & Wolf, 1990). Eine Integration der Ansätze, Erkenntnisse und Vorgehensweisen erfolgt jedoch nur vereinzelt. So wird beispielsweise in der Problemlöseforschung das Entscheiden dem Problemlösen untergeordnet. Funke (2001) betrachtet das Entscheiden als ein Instrument bzw. eine Strategie des Problemlösen bzw. Handelns in Problemlöseprozessen: „Decision making from a Complex Problem Solving point of view is only one instrument among others for action regulation“ (S. 72). Die Entscheidungstheorie dagegen grenzt die Begriffe Entscheiden, Problemlösen, Entscheidungsprozess und Problemlöseprozess häufig unscharf ab und verwendet sie oftmals synonym. Viele Autoren kritisieren diese unpräzise Begriffsverwendung. Nach Harvey (2001) besteht „a lack of clarity about how judgement should be distinguished first from decision making and then from problem solving“ (S. 103). Maule (2001) stellt anschaulich den Unterschied zwischen Problemlöseforschung und Entscheidungstheorie dar, indem er bzgl. der Entscheidungsforschung auf den folgenden Aspekt hinweist: „problem solving is an important demand in the decision making process“ (S. 93). Für die Problemlöseforschung hält er fest, „that decision making [is] a vital part of the problem solving process“ (ebd. S. 93). Auf die mangelnde begriffliche Abstimmung Bezug nehmend fordert Funke (2003), die Entscheidungsforschung innerhalb der Problemlöseforschung stärker aufzuarbeiten und auf mögliche Integrationsaspekte hin zu untersuchen.84 In Bezug auf den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist festzuhalten, dass die Beiträge der betriebswirtschaftlichen Entscheidungsforschung von Bronner geeignet erscheinen, die organisationale Gestaltung des Bearbeitens von Problemen in Gremien zu 83

Harvey (2001) unterstreicht dieses Argument mit dem Hinweis: „Information collection is itself a decision“ (S. 112). 84 Nach Funke (2003) könnte die Problemlöseforschung insbesondere die folgenden beiden Aspekten der Entscheidungstheorie aufgreifen: Die Untersuchung des Problemlösens in realen Situationen und damit verbunden die Einbettung des Problemlösens in den organisationalen Kontext .

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beschreiben. Für eine eindeutige begriffliche Abgrenzung wird im Rahmen dieser Arbeit hierfür der Begriff des Entscheidungsprozesses verwendet. Der Entscheidungsprozess in Gremien des BMW Werks Leipzig gliedert sich, wie im ersten Kapitel schon erwähnt, in die Phasen „Entscheidung vorbereiten“, „Entscheidung treffen“, „Entscheidung dokumentieren“ und „Entscheidung umsetzen“. Eine unzureichende bzw. fehlerhafte Bearbeitung einzelner Phasen kann einen Rücksprung in eine vorherige Phase des Entscheidungsprozesses erforderlich machen. Die folgende Abbildung veranschaulicht nochmals die o. g. Phasen eines gremientypischen Entscheidungsprozesses.

Abbildung 2-2: Phasen eines Entscheidungsprozesses in Gremien

Diese Phasen sind (noch) nicht in Form von formalisierten Programmen (vgl. March & Simon, 1976) innerhalb der Werksorganisation definiert, können jedoch weitgehend in allen Gremien des Werks beobachtet werden.85 In Anlehnung an die in der Betriebswirtschaftslehre verwendeten Phasenmodelle beschreiben die einzelnen Phasen zu verrichtende Tätigkeiten mehrerer Rollenträger bei der Bearbeitung eines Problems, dass in einem Gremium zur Entscheidung ansteht. Die primäre betriebswirtschaftliche Funktion eines Gremiums ist die Wahrnehmung einer Entscheidungsbefugnis (vgl. BMW AG, 2000).86 In Abgrenzung zum kognitionspsychologischen Begriff des Problemlöseprozesses, der kognitive Tätigkeiten eines einzelnen Rollenträgers beinhaltet, werden die einzelnen Phasen eines Entscheidungsprozesses von mehreren Rollenträgern bearbeitet. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, den Entscheidungsprozess in Gremien organisational zu gestalten (vgl. Laux & Liermann, 2003). Eine organisationale Gestaltung erfolgt im BMW Werk u. a. durch eine Zuweisung von bestimmten Funktionen an die Rollenträger (vgl. Kapitel 2.3). Das Erfüllen der Funktionen der Rollenträger im Entscheidungsprozess wird durch die Organisation überprüft und durch Lenkungs- und Leitungsinstrumente wie z. B. Dokumente, Feedbackgespräche und formalisierte Sitzungsabläufe gesteuert. Bezugnehmend auf die

85

Die Phasen eines Entscheidungsprozesses in Gremien des BMW Werk in Leipzig wurden im Rahmen mehrere Interviews, Expertengesprächen, Hospitationen und Dokumentenanalysen erhoben. 86 Unter dem Begriff der Entscheidungsbefugnis ist entsprechend den Grundsätzen für Gremien (vgl. BMW AG, 2000) das Recht zu verstehen, für die Organisation (juristisch) verbindliche Entscheidungen treffen zu können.

58

Phasenmodelle von Irle (1971) und Reitmeyer (2000) kann angemerkt werden, dass in Gremien des BMW Werks nicht immer explizit eine Phase der Kontrolle des Entscheidungsprozesses insbesondere der erfolgten Umsetzung der Entscheidung in entsprechendem Maße berücksichtigt wird. In Interviews wurde von Seiten verschiedener Gremienmitglieder mehrfach auf das Potenzial einer Rückmeldung über Erfolge bzw. Fehler im Entscheidungsprozess verwiesen (vgl. Kap. 2.3). Die Interviewergebnisse legen die Überlegung nahe, Entscheidungsprozesse in Gremien werkweit verstärkt zu formalisieren, d. h. in ein sogenanntes Ausführungsprogramm (vgl. March & Simon, 1976) zu überführen. Die Beschreibung der organisationalen Ebene der Entscheidungsprozesse in Gremien im Rahmen dieser Arbeit kann als ein erster Beitrag hierzu verstanden werden. Abschließend kann festgestellt werden, dass die betriebswirtschaftliche Entscheidungsforschung nur am Rande auf die Frage eingeht, welche Informationen die jeweiligen Rollenträger im Entscheidungsprozess der Gremien benötigen und welche Bedeutung die Konstruktion von Wissen für das Lösen von komplexen Problemen hat. Weder die Entscheidungsforschung noch die Problemlöseforschung differenzieren Rollen, die an der Bearbeitung eines Problems in Entscheidungsprozessen von Gremien beteiligt sind.87 Die Entscheidungsforschung spricht in der Regel nur von einem Entscheider, der mit dem Bearbeiter des Problems gleichgesetzt wird. In der betriebswirtschaftlichen Entscheidungstheorie kann diese begriffliche Unschärfe darauf zurückgeführt werden, dass nicht nur die präskriptive sondern auch die deskriptive Forschungsrichtung vielfach primär den finalen Akt der Auswahl einer Lösungsalternative fokussiert. Im Folgenden wird daher am Beispiel des BMW Werks Leipzig herausgearbeitet, welche Rollen an Entscheidungsprozessen in Gremien beteiligt sind, welche Funktionen diese Rollen innerhalb der einzelnen Phasen des Entscheidungsprozesses der Gremien im Detail wahrnehmen sowie welche Erwartungen in Bezug auf die Weitergabe von Wissen von Rollenträgern an ihre Bezugsrollen in Gremien gestellt werden.

87

In Anlehnung an Methoden und Verfahren des Naturalistic Decision Making (vgl. Zsambok & Klein, 1997), einer noch recht jungen Subdisziplin der Entscheidungsforschung, kritisiert Funke (2001b sowie 2003), dass in der Problemlöseforschung zumeist nur das Problemlösen von Novizen in simulierten Laborexperimenten (wie z. B. beim Lohhausen-Versuch) nicht aber das von Experten in realen Situationen untersucht wurde: „The differences between Complex Problem Solving and Naturalistic Decision Making can be found in their focus of research. Whereas Naturalistic Decision Making is directed to decision making by experts within their domains of expertise, Complex Problem Solving has a focus on novices and their action regulation in general” (Funke, 2001b, S. 72).

59

2.3

Rollen und ihre Funktionen in Entscheidungsprozessen

Die Gremienmitglieder im BMW Werk Leipzig nehmen unterschiedliche Rollen innerhalb der Phasen des Entscheidungsprozesses wahr. Sie erfüllen diese Rollen sowohl auf der prozesssteuernden Ebene (z. B. Themensteuerer) als auch auf der ausführenden Ebene (z. B. Themenbearbeiter). Im Folgenden werden die Rollen in Entscheidungsprozessen von Gremien beschrieben. Zunächst wird in den Rollenbegriff eingeführt. Auf der Grundlage des Ansatzes zur Beschreibung von Rollen in Organisationen von Jahnke (2006) bzw. Herrmann, Jahnke & Loser (2003) werden die zentralen Rollen in Entscheidungsprozessen der Gremien anhand von vier Merkmalen identifiziert und den einzelnen Phasen des Entscheidungsprozesses zugeordnet. Dabei geht es auch darum, die Funktionen der Rollen darzustellen und ihre Beziehung untereinander zu beschreiben.88 Im Fokus der Betrachtung der soziologischen Rollentheorie steht das Agieren bzw. Handeln des Individuums d. h. des jeweiligen Rollenträgers. Die Rollentheorie zielt darauf ab, „Struktur und Genese sozialen Handelns als allgemeine (universale) oder als individuelle (partikulare) Phänomene zu erforschen und hinreichend zu erklären“ (Kron, 2001, S. 109). Die „Rolle“ erscheint als geeignetes Konzept, um zu verstehen, wie Rollenträger interagieren und in Organisationen gemeinsam handeln. Nach dem soziologischen Rollenmodell interagieren Akteure auf der Basis von sozialen Rollen und nehmen für einen bestimmten Zeitraum eine Rolle ein, um mit anderen in Interaktion treten zu können. Das Rollenkonzept kann hilfreich sein, um das Augenmerk auf die Prozesse zu lenken, in denen der Rollenträger Wissen konstruiert, so dass er zur Lösung von Problemen beitragen kann.89 Das Konzept der Rolle dient dazu, ein besseres Verständnis für das Verhalten und Handeln der Rollenträger in Entscheidungsprozessen zu erlangen und in diesem Kontext Fragen nach der Gestaltung von Prozessen der Wissenskonstruktion zu diskutieren. Der Begriff der Rolle hat eine lange Tradition in der Forschung und findet sich in seinen Anfängen u. a. in den Arbeiten von Mead (1934) als ein Vertreter des interaktionistischen (interpretativen) Rollenkonzeptes wieder (siehe auch Goffmann, 1974 sowie für eine kritische Weiterentwicklung Krappmann, 1971).90 Mead geht von der Annahme 88

Die Untersuchung der Rollen soll dazu beitragen, die jeweilige „Rolle im Zusammenhang von Person und Organisation“ (Auer-Hinziger & Sievers, 1991, S. 37) zu verstehen. 89 Die Rollentheorie findet auch in der Pädagogik vielfach Anwendung (vgl. Klauser, 1997). Für eine Rezeption der Rollentheorie in der Pädagogik siehe Kron (2001, S. 109 ff.). 90 Innerhalb der soziologischen Rollentheorie haben sich zwei grundlegende Forschungsrichtungen etabliert. Es kann zwischen einer interaktionistischen und einer strukturell-funktionalen Forschungslinie unterschieden werden.

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aus, dass im Interaktionsprozess zwischen dem Rollenträger und den Bezugsrollen die Rolle entwickelt bzw. ausgehandelt wird. Die Bezugsrollen äußern Erwartungen, die vom Rollenträger angenommen bzw. angeeignet oder abgewiesen werden. In diesem Prozess wird die Rolle im gegenseitigen Aushandeln gebildet. Die Rolle unterliegt dabei immer unterschiedlicher Interpretation. Der Rollenträger übernimmt auf der einen Seite seine Rolle (role taking), indem er die Handlungsanweisungen und Äußerungen seiner Bezugsrollen bzw. Interaktionspartner fortwährend interpretiert und seinem eigenen Handeln zu Grunde legt. Auf der anderen Seite gestaltet der Rollenträger seine Rolle aktiv mit (role making), indem er den Bezugsrollen aufzeigt, wie er die Rolle interpretiert. Vertreter einer strukturell-funktionalen Rollentheorie (vgl. u. a. Linton, 1936; Parsons, 1951; Dahrendorf, 2006) verbindet die Idee, dass Rollen aufgrund von normativen Erwartungen definiert werden (Bündel von Rollennormen). Der strukturell-funktionale Ansatz betrachtet die Rolle als präzise definierte Anforderungen, welche die Bezugsrollen an einen Rollenträger stellen. Unabhängig von dem die Rolle einnehmenden Rollenträger sind bei der Wahrnehmung einer Rolle bestimmte Funktionen innerhalb der Gesellschaft bzw. einer Organisation zu erfüllen (vgl. Parsons, 1973). Einerseits wird die Auswahl eines bestimmten Verhaltens des Rollenträgers in einer Situation gesteuert und andererseits dem Rollenträger Gelegenheit zum engagierten sozialen Handeln geben (vgl. Joas, 1991, S. 141). Die Vertreter dieser Perspektive legen u. a. die Annahme zu Grunde, dass der Rollenträger und die Bezugsrollen eine Rolle identisch interpretieren (vgl. Klauser, 1997, S. 68). Beide Ansätze versuchen die Verbindung von Individuum und Gesellschaft bzw. Person und Organisation zu erklären. Die Protagonisten der funktionalistischen Perspektive gehen davon aus, dass es objektive Strukturen gebe, die das Handeln eines Rollenträgers determinieren. Die Vertreter der interaktionistischen Sichtweise betonen dagegen die Rollenselbstgestaltung des Akteurs. Dies führte schon in den 1960er Jahren zu einer grundlegenden Kontroverse in der soziologischen Rollentheorie.91 Mittlerweile ist die Rolle als Grundbegriff der Soziologie etabliert. Eine ausführliche Darstellung und kritische Würdigung der Rollenansätze findet sich bei Joas (1991) sowie Miebach (2006). Als einen „Minimalkonsens der konkurrierenden Strö91

Krappmann grenzt den strukturell-funktionalen Rollenbegriff folgendermaßen vom interaktionistischen ab: „Dieser betont die Konformität mit vorgegebenen Normen, jener die gemeinsame Verständigung über eine Interpretation der Normen, die den Partnern die Möglichkeit gibt, kommunikatives Handeln jeweiligen Erwartungen entsprechend zu gestalten.“ (Krappmann, 1971, S. 99 zitiert nach Klauser, 1997, S. 69). An der strukturell-funktionalen Rollentheorie wird insbesondere kritisiert, dass sie das Verhältnis zwischen Rollenträger und Rolle vernachlässigt und nicht berücksichtigt, dass der Rollenträger seine Rolle mit den Bezugspersonen bzw. –gruppen zusammen in einem kommunikativen Prozess konstruiert.

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mungen“ (Joas, 1991, S. 146) lässt sich der Rollenbegriff als Muster bzw. Bündel von normativen Erwartungen definieren, die von den Bezugsrollen an das Verhalten bzw. Handeln eines Rollenträgers gestellt werden. Diese Verhaltenserwartungen üben einen Zwang auf das Individuum aus, indem der Gesellschaft bzw. Organisation Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, um die Erwartungen durchzusetzen.

Mit Hilfe des Rollenbegriffs wird im Folgenden die Beziehung zwischen Rollenträgern und deren Bezugsrollen im Entscheidungsprozess dargestellt.92 Die Rollen werden im Entscheidungsprozess einzelnen Phasen zugeordnet. Zur Untersuchung der Rollen in Entscheidungsprozessen von Gremien wird auf das Analyseraster von Jahnke (2006) bzw. Herrmann, Jahnke, Loser (2003) zurückgegriffen. Rollen können aufgrund des Analyserasters anhand der folgenden vier Merkmale beschrieben werden: x

Position: „Einer Rolle liegt eine Position [in einer Organisation] zu Grunde und eine damit verknüpfte Funktion bzw. Aufgaben. Der Positionsbegriff verweist ursprünglich auf die soziale Schicht in der Gesellschaft oder auf die HierarchieEbene in einem Unternehmen (z. B. Organigramm)“ (Jahnke, 2006, S. 55). 93 Eine Position ist durch die Organisation definiert und ihre Funktionen bzw. Aufgaben sind innerhalb der Organisation zumeist in formeller Form beschrieben.94 Die Position gibt das Verhältnis bzw. die Beziehung einer Rolle zu ihren Bezugsrollen wieder, wodurch die Struktur aller Rollen innerhalb einer Organisation widergespiegelt wird (statischer Strukturaspekt) (vgl. Illgen & Hollenbeck, 1991).95 Mit dem Positionsbegriff kann die Stellung einer Rolle innerhalb des organisationalen Entscheidungsprozesses von Gremien lokalisiert werden. Für die Bestimmung der Position ist es nach Jahnke (2006) notwendig die Bezugsrollen je Rolle festzustellen, d. h. die Beziehungen einer Rolle innerhalb des Entscheidungsprozesses zu erheben.

x

Funktion: Mit der Position sind bestimmte Funktionen bzw. Aufgaben verbunden. Funktionen resultieren aus Erwartungen der Bezugsrollen in einer Organi-

92

Für eine Anwendung der Rollentheorie zur Beschreibung organisationaler Zusammenhänge in Unternehmen siehe Kirchler (2005) sowie Robbins (2001). 93 Die Begriffe Position, Stelle (Job) bzw. Stellung werden in der Literatur häufig synonym verwendet (vgl. Illgen & Hollenbeck, 1991; Kirchler, 2005 sowie Robbins, 2001). 94 Die Ausübung der Rolle auf einer Position ist von den Erwartungen der Bezugsgruppe abhängig. 95 „Aus einer Position wird eine Rolle in Verbindung mit der Vielzahl von Erwartungen, spezifischen Sanktionsmustern (positiv und negativ), die an diese Position geknüpft werden und die beschreiben, wie ein Akteur die Position „richtig“ auszufüllen hat. Das bedeutet, dass durch die Rollen Handlungsmuster eingeschränkt werden, indem Positionsinhaber/innen bestimmte Handlungsalternativen durch die Organisationsstruktur und die damit verbundenen Ressourcen und Informationen zur Verfügung stehen“ (Jahnke, 2006, S. 54).

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sation. Sie sind zumeist in normativer Form externalisiert und dokumentieren Zuständigkeiten, Verantwortungsbereiche, Rechte und Pflichten, die eine Organisation in der Regel formalisiert an den Rollenträger richtet (z. B. durch Stellenbeschreibungen). Funktionen helfen die Zusammenarbeit in der Organisation (wie z. B. einem Gremium) zu koordinieren, „indem den Akteuren auf bestimmten Positionen Routinen an die Hand gegeben werden“ (Abraham & Büschges, 2004, S. 161). Die Übernahme von Funktionen in einem Entscheidungsprozess in Gremien kann zu einem regelmäßigen und vorhersagbaren Verhalten der Rollenträger führen, „dass die Voraussetzung für kontinuierlich planbare Interaktion ist und somit eine allgemeine soziale Orientierungsfunktion erfüllt“ (Jahnke, 2006, S. 54). Im Rahmen dieser Arbeit werden die Funktionen untersucht, die den Rollen im Entscheidungsprozess zugewiesen sind bzw. von ihnen übernommen werden. x

Erwartungen: Der Rollenbegriff umfasst mehr als nur die formale Beschreibung einer Position. Von den Bezugsrollen werden an eine Rolle auch nicht externalisierte Erwartungen gerichtet. Sie beinhalten neben den formalen Rechten und Pflichten eines Rollenträgers, über die in der Organisation in der Regel Transparenz herrscht, auch informelle Vorstellungen, Übereinkünfte und Abmachungen (vgl. Harrison, 1977). Informelle Erwartungen sind (noch) nicht durch die Organisation in formalisierter Art und Weise fixiert, d. h. aus diesen Erwartungen können sich Aufgaben bzw. Funktionen ergeben, die, insofern ein Rollenträger erwartungskonform handelt, schrittweise in eine formalisierte Form überführt werden können. Handelt ein Rollenträger erwartungskonform, kann von einer Rollenübernahme (role taking) gesprochen werden. Dieses Merkmal kann eine besondere Bedeutung zur Beschreibung von Rollen und ihren Funktionen in Entscheidungsprozessen des BMW Werks Leipzig erhalten, da die im Rahmen dieser Arbeit geschilderten Untersuchungen innerhalb der Phase des Werkaufbaus stattfanden. In diesem Zeitraum war die Arbeit in den Gremien des Werks dadurch gekennzeichnet, dass die Prozesse in Gremien noch wenig formalisiert waren und Funktionen innerhalb der Prozesse durch die Gremienmitglieder teilweise neu auszuhandeln und zu definieren waren. Zudem beabsichtigte die Werkleitung, im Vergleich zu bereits existierenden Produktionsstandorten der BMW Group, bewährte Organisationsschemata anzupassen bzw. neue Organisationsstrukturen im Werk zu implementieren. Bewährte Konzepte und Methoden 63

der Gremienarbeit aus den bereits bestehenden Werken der BMW Group waren bei der Übertragung auf die Gremienarbeit im Werk Leipzig durch die Gremienmitglieder kritisch zu reflektieren und anzupassen.96 Im Rahmen dieser Arbeit wird untersucht, welche Erwartungen an Rollen innerhalb eines Entscheidungsprozesses gestellt werden. Die Identifikation von Erwartungen ermöglicht es, festzustellen, auf welche Funktionen innerhalb des Entscheidungsprozesses der jeweilige Rollenträger sowie seine Bezugsrollen Wert legen. x

Interaktion: Die Rolle ist kein objektives und kein ausschließlich von der Organisation bzw. den Bezugsrollen definiertes Phänomen. Die Rolle wird in sozialer Interaktion zwischen dem Rollenträger und den Bezugsrollen ausgehandelt. Der Rollenträger hat die Möglichkeit, in einem bestimmten Rahmen auf die Rolle einzuwirken, sie aktiv auszufüllen bzw. zu gestalten (role making). 97 Der Rahmen innerhalb dessen der Rollenträger die Rolle interpretiert kann, wird von der Organisation definiert. In der Interaktion zwischen den Rollenträgern bilden sich Rollen bzw. werden Rollen zugewiesen. Voraussetzung für die Übernahme bzw. Zuweisung einer Rolle ist die Wiederholung bestimmter Handlungsmuster, auf die bei der gemeinsamen Interaktion immer wieder Bezug genommen werden kann (vgl. Herrmann et al., 2003, S. 88). Der Rollenträger setzt innerhalb des Aushandlungsprozesses seine Rollenfunktionen in konkretes Handeln um (Handlungsaspekt). An einem Beispiel soll die Entwicklung einer Rolle innerhalb der Interaktion der Teilnehmer in einem Gremium veranschaulicht werden. Die Rolle eines Moderators ist in den untersuchten Gremien in der Regel nicht formal installiert. Übernimmt ein Gremienteilnehmer zentrale Moderationsaufgaben, wie z. B. die Visualisierung von Diskussionsergebnissen oder die Strukturierung der Redebeiträge der Gremienteilnehmer in mehreren Gremiensitzungen, kann von einer Übernahme der Moderationsrolle gesprochen werden. Wird das Handeln des Rollenträgers bei der Moderation durch weitere Gremienteilnehmer akzeptiert bzw. unterstützt, findet innerhalb der Interaktion der Gremienteilnehmer eine Rollenentwicklung (role making) statt. Das Merkmal der Interaktion verweist auf die Zusammenarbeit der Rollenträger in der Organisation. Die Zusammenarbeit wird in der Regel durch die Kommunikation zwischen

96

Quelle: Interview mit Herrn Peters vom 17.10.2003. Die Namen der Interview- bzw. Gesprächspartner wurden im Rahmen der Arbeit anonymisiert. 97 Role making ist ein Begriff, der innerhalb der Beiträge zur interaktionistischen Rollentheorie von Turner (1958) geprägt wurde. Soziales Handeln ist nach Turner als ein Prozess zu verstehen, bei dem die beteiligten Individuen die Rollen zunächst vorläufig abstecken (Selbstdefinition) und dann wechselseitig im gemeinsamen Handeln festlegen (Ansprüche und Erwartungen in der Interaktion definieren).

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den Rollenträgern ausgestaltet (vgl. Jahnke, 2006). Das Merkmal der Interaktion scheint u. a. geeignet, den Blick auf die Weitergabe von Wissen in Form von (kodifizieren) Informationen innerhalb der Zusammenarbeit der Rollenträger in Entscheidungsprozessen zu lenken.

In der folgenden Tabelle sind die genannten vier Rollenmerkmale zusammenfassend dargestellt. Rollenmerkmale Position Funktion Erwartungen

Interaktionsprozess

Beschreibung Stellung eines Rollenträgers in einer Organisation in Relation zu anderen Rollen (Bezugsrollen) Zweck der Rolle – explizite Aufgaben zumeist formal beschrieben, z. B. in Form von Tätigkeitsbeschreibungen Vereinheitlichte Verhaltenserwartungen, die an die Inhaber/innen einer Position gerichtet sind (Kann-Muss-SollErwartungen) Nicht-explizite Form: informelle Erwartungen Umsetzung in konkretes Verhalten im Rahmen der Aushandlungsmöglichkeiten, die mit dem Sanktionsrahmen der Organisation zusammenhängen

Tabelle 2-2: Übersicht der Rollenmerkmale (nach Jahnke, 2006, S. 56)

Der Analyse und Beschreibung der Rollen in Entscheidungsprozessen des BMW Werks lagen die vier genannten Rollenmerkmale zu Grunde. Das Merkmal „Interaktion“ scheint im Rahmen dieser Arbeit geeignet, den dynamischen Charakter der Rollen und ihrer Beziehungen in Entscheidungsprozessen von Gremien hervorzuheben (vgl. Jahnke, 2006, S. 138).98 Der Austausch von Informationen zur Unterstützung der Wissenskonstruktion beim Bearbeiten von Problemen in Entscheidungsprozessen von Gremien soll transparent gemacht und veranschaulicht werden. Gegenstand der Untersuchung ist nicht die Gesamtorganisation des BMW Werk Leipzig, sondern es wird im Rahmen von Interviews, Expertengesprächen, Dokumentenanalysen und Arbeitsplatzbeobachtungen ein Ausschnitt des BMW Werk Leipzig betrachtet, der sich insbesondere auf die Funk-

98

Im gemeinsamen Handeln der Rollenträger in Entscheidungsprozessen entstehen bzw. entwickeln sich Rollen weiter. Die im Rahmen dieser Arbeit dargestellten Ausführungen zu den betreffenden Rollen entsprechen daher eher einem interaktionistischen Rollenverständnis. Im Zentrum der Betrachtung steht, wie die Interaktions- bzw. Kommunikationsbeziehungen ausgestaltet werden, d. h. welche Informationen von dem jeweiligen Rollenträger benötigt werden, um Wissen konstruieren zu können.

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tionen der Rollen, die Vorstellungen zu bzw. Erwartungen an die Rollenträger und die Notwendigkeit zum Austausch von Wissen in Entscheidungsprozessen bezieht.99

Die Rollen in Entscheidungsprozessen können auf formelle oder informelle Weise erworben bzw. entwickelt werden. Die Unterscheidung zwischen formell und informell erworbenen Rollen ermöglicht es, auf intransparente bzw. nicht eindeutig offenbarte Erwartungen im Entscheidungsprozess zu verweisen. Formell erworbene Rollen entstehen u. a. durch einen von der Organisation erteilten Auftrag (vgl. Jahnke, 2006, S. 66). Beispiele für formell erworbene Rollen sind der Themenbearbeiter, der Themensteuerer,100 der Entscheider und der Protokollant.101 Den Rollenträgern sind die Funktionen der jeweiligen Rolle in der Regel bekannt, da sie ihre jeweilige Rolle in Entscheidungsprozessen zumeist wiederholt eingenehmen.102 Informell erworbene Rollen entwickeln sich dagegen ohne formalen Auftrag flexibel im Interaktionsgeschehen innerhalb des Entscheidungsprozesses. Der Moderator ist ein Beispiel für eine zumeist informell erworbene Rolle.103 Informell erworbene Rollen sind im Gegensatz zu formell erworbenen in der Regel nur kurzzeitig beständig, d. h. ein Rollenträger nimmt eine informell erworbene Rolle nur für eine kurze Frist ein (vgl. Jahnke, 2006, S. 66). Aufgrund der kurzfristigen Übernahme einer Rolle, können weder Rollenträger noch die Bezugsrollen die Rolle im gegenseitigen Aushandeln umfassend entwickeln. Die Funktionen der genannten Rollen in Entscheidungsprozessen sind mit Ausnahme der Rolle des Entscheiders in der Regeln nicht schriftlich fixiert (vgl. BMW AG, 2000).104 Eine Folge kann sein, dass Erwartungen an eine Rolle existieren, die dem jeweiligen Rollenträger nicht in ausreichendem Maße transparent gemacht werden. Für Entscheidungsprozesse in Gremien kann festgehalten werden, dass über die Erwartungen zu einer informell er99

Dahrendorf (2006) betont, dass insbesondere Regeln und Normen Aufschluss über die Kategorie der sozialen Rolle geben können. Daher wurden auch Dokumente, wie z. B. Protokolle und Anleitungen zur Gremienarbeit, untersucht. Diese Dokumente enthalten Informationen über Erwartungen an die Rollenträger. 100 „Linton geht von der Annahme aus, dass [...] ein Individuum mehr als eine [Position in der Organisation] innehat“ (Miebach, 1991, S. 32). Die Rolle des Themensteuerers wird von einem Rollenträger in der Regel immer zeitgleich mit der Rolle des Entscheiders eingenommen. 101 Der Themensteuerer, der Entscheider, der Moderator und der Protokollant übernehmen innerhalb einer Gremiensitzung wichtige Funktionen und sind daher ständige Gremienmitglieder. Der Themenbearbeiter wird bei Bedarf in die Gremienarbeit eingebunden, er ist kein ständiges Gremienmitglied. 102 Es können trotzdem Erwartungen existieren, die Bezugsrollen an eine Rolle stellen, die über die formell fixierten Rollen hinausgehen. 103 Im Rahmen von Hospitationen konnte festgestellt werden, dass in einigen Gremien ein Moderator zum Sitzungsbeginn bestimmt wurde. Es konnten jedoch auch Gremien identifiziert werden, die auf die formelle Zuweisung der Moderatorenrolle verzichteten. Die Funktion der Moderation einer Gremiensitzung wurde dann „informell“ durch ein beliebiges Gremienmitglied kurzfristig übernommen. Die Funktionen eines Moderators waren in Gremien den jeweiligen Rollenträger jedoch nicht immer bewusst (vgl. Tabelle 2-3). 104 Es existieren nur wenige Dokumente die über alle Gremien des Werks hinweg verbindlich sind und in denen wichtige Tätigkeiten, die ein jeweiliger Rollenträger im Entscheidungsprozess erbringen sollte, systematisch aufgeführt werden.

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worbenen Rolle nur bedingt Transparenz besteht, d. h. die Funktionen der Rolle nur in geringem Maß definiert und formalisiert sind. Zumeist werden die Rollen den Rollenträgern durch (mündlichen) Auftrag zugewiesen (z. B. wird der Themenbearbeiter durch den Themensteuerer mit der Vorbereitung eines Entscheidungsgegenstandes beauftragt).105 Zentrale Ergebnisse der Rollenanalyse in Entscheidungsprozessen von Gremien sind in Tabelle 2-3 skizziert und werden im Folgenden kurz diskutiert.

105

Dieser Auftrag erteilt der Themensteuerer im Rahmen seiner hierarchischen Stellung innerhalb der Organisation.

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Tabelle 2-3: Analyse der Rollen in Entscheidungsprozessen von Gremien

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Interaktion der Rollen im Entscheidungsprozess

Erwartungen der Bezugsrollen im Entscheidungsprozess

Funktion im Entscheidungsprozess

Position (Bezugsrollen

Merkmal/Rolle Themenbearbeiter, Entscheider

Überwachung und Kontrolle der Problembearbeitung, Überwachung und Kontrolle der Umsetzung der ausgewählten Problemlösung Problembearbeitung bewerten und kontrollieren, Umsetzung der ausgewählten Lösungsalternative kontrollieren

Feedback an Themenbearbeiter (in der Phase "Entscheidung vorbereiten")

Vorbereitende Bearbeitung des Problems, Umsetzung der ausgewählten Problemlösung

Problemanalyse, Informationssuche, Problembearbeitung, Lösung erstellen, Informationen zur Problembearbeitung zur Verfügung stellen, beschlossene Lösungs-alternative umsetzen

Bericht an Themensteuerer (zum Stand und zur Qualität der Problembearbeitung - in der Phase "Entscheidung vorbereiten", Stand der Umsetzung der ausgewählten Problemlösung zum Ende der Phase "Entscheidung umsetzen"), Bericht an Entscheider mittels Management Summary und Präsentation (vor bzw. zu Beginn der Phase "Entscheidung treffen")

Themensteuerer

Themensteuerer, Entscheider, Moderator, Protokollant

Themenbearbeiter

Diskussion moderieren (Rederechte vergeben und zeitlich koordinieren, Redebeiträge zusammenfassen), Protokolldokument inhaltlich kontrollieren, auf zu protokollierende Diskussionsinhalte hinweisen, Hilfen bei der Formulierung des Protokolltextes geben Moderation (in der Phase "Entscheidung treffen"), Feedback an den Protokollanten (in der Phase "Entscheidung dokumentieren")

Feedback an Themenbearbeiter (in der Phase "Entscheidung treffen")

Gremiensitzung leiten

Themenbearbeiter, Entscheider, Protokollant

Moderator

Problembearbeitung bewerten

Entscheidung treffen (Lösungsvarianten diskutieren und umzusetzende Lösungsvariante auswählen)

Themenbearbeiter, Themensteuerer, Moderator, Protokollant

Entscheider

Protokoll für den Moderator und die Entscheider erstellen (Vorlage zur Kontrolle durch den Moderator - in der Phase "Entscheidung dokumentieren"; Annahme des Protokolls durch die Entscheider in der folgenden Gremiensitzung)

Inhalte der Gremiensitzung dokumentieren (sachlich richtig, ausführlich erfassen), fortlaufende Verwaltung der Sitzungsdokumentation, Informationen zu bereits getroffenen Entscheidungen suchen und bereitstellen

Problemlösungen dokumentieren

Moderator, Entscheider

Protokollant

Mit Hilfe des Merkmals Position können die Bezugsrollen jeder Rolle im Entscheidungsprozess von Gremien beschrieben werden. Legt man als Maßstab die Anzahl der Bezugsrollen im Entscheidungsprozess zu Grunde, dann kann festgehalten werden, dass der Themenbearbeiter neben dem Entscheider eine zentrale Position im Entscheidungsprozess einnimmt. Die primäre Aufgabe des Themenbearbeiters ist die Vorbereitung einer Entscheidung.106 Aus den Erwartungen der Bezugsrollen kann geschlossen werden, dass der Themenbearbeiter neben der Problembearbeitung auch das Wissen, dass er bei der Bearbeitung des Problems konstruiert, seinen Bezugsrollen bereitstellen sollte (vgl. Kapitel 4.1 sowie Kapitel 5.1). So benötigt z. B. der Themensteuerer schon im Vorfeld einer Gremiensitzung Informationen zum Stand der Problembearbeitung, um seine Funktion der Kontrolle und Steuerung der Problembearbeitung wahrnehmen zu können. Ist die Phase „Entscheidung vorbereiten“ abgeschlossen, benötigt der Entscheider Informationen zum „entscheidungsreif“ bearbeiteten Problem, um sich auf die Gremiensitzung thematisch vorzubereiten. Auf die gleichen Informationen muss der Moderator zugreifen können, um eine inhaltliche und zeitliche Planung der Gremiensitzung vornehmen zu können. Für den Protokollanten kann die Kenntnis bzw. das Wissen über zentrale Aspekte der Problembearbeitung hilfreich sein (z. B. Kriterien zur Bewertung der erstellten Lösungsalternativen). Das Wissen über zentrale Aspekte ermöglicht dem Protokollanten eine umfassendere Dokumentation aller relevanten Informationen zu einer Problemlösung.107 Im Rahmen der Interaktion zwischen dem Themenbearbeiter und weiteren Rollenträgern im Entscheidungsprozess erscheint es notwendig, dieses Wissen in Formen entsprechend aufbereiteter Informationen (z. B. als Management Summary oder als Präsentation) verfügbar zu machen. Die zentrale Funktion des Themensteuerers ist das Überwachen und Kontrollieren der Tätigkeiten und der Ergebnisse des Themenbearbeiters in den Phasen „Entscheidung vorbereiten“ und „Entscheidung umsetzen“. Der Themensteuerer nimmt innerhalb des Entscheidungsprozesses Tätigkeiten der Steuerung und Lenkung wahr. In Bezug auf diese Tätigkeiten entwickelt insbesondere der Themenbearbeiter Erwartungen an den 106 Der Themenbearbeiter hat keine Entscheidungsbefugnis. Der Themenbearbeiter wird „den Entscheidungsaufgaben der Instanzen [z. B. Gremien] als ausführende Hilfsstelle zugeordnet“ (Kosiol, 1962, S. 137 f.). 107 In mehreren Interviews wurde darauf hingewiesen, dass in Protokollen der „Hintergrund“ einer Entscheidung (z. B. Begründung für die Auswahl einer Lösungalternative, Kriterien die der Auswahl zu Grunde gelegt wurden) zumeist nicht schriftich fixiert wurde: „Das ist, denke ich, einer unserer Kernprobleme, dass wir zeitgetrieben die Erklärung des Hintergrundes vernachlässigen“ (Interviewauszug, Herr Peters, 17.10.2003). Die fehlende Dokumentation von wichtigen Aspekten zu einer Problemlösung kann u. a. auf die folgende Ursache zurück geführt werden: Wichtige „Hintergrundinformationen“, wie z. B. die Kriterien für die Bewertung einer Lösungsalternative sind in der Management Summary enthalten und den Entscheidern bereits im Vorfeld einer Sitzung bekannt. Werden die Auswahlkriterien während einer Gremiensitzung nicht alle explizit angesprochen bzw. benannt, erhält der Protokollant keine Kenntnis über diese Information. Folglich werden diese „Hintergrundinformationen“ nicht protokolliert.

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Themensteuerer. Der Themenbearbeiter erwartet seitens des Themensteuerers eine Unterstützung im Problembearbeitungsprozess, d. h. er benötigt eine Bewertung der erstellten Lösungsalternativen sowie der von ihm angewandten Arbeits- und Problemlösestrategien. In Form eines Feedbacks kann der Themensteuerer den Themenbearbeiter in seinen bisherigen Leistungen bestätigen, falsche Lösungen bzw. ineffizientes Vorgehen aufzeigen und Hinweise dazu geben, wie der Problembearbeitungsprozess anzupassen und eine korrekte Lösung zu erarbeiten ist (vgl. Bauer-Klebl, et al., 2001 sowie Klauser et al., 2003, S. 681 f.).108 Der Entscheider ist eine weitere zentrale Rolle im Entscheidungsprozess, der die Funktion wahrnimmt, eine Lösungsalternative auszuwählen, d. h. eine Entscheidung zu treffen.109 Die Rolle des Entscheiders wird im Gegensatz zu den anderen Rollen im Entscheidungsprozess von mehreren Rollenträgern gleichzeitig eingenommen. Die Entscheider diskutieren in der Phase „Entscheidung treffen“ (Gremiensitzung) die erstellten und präsentierten Lösungsalternativen. Sie wählen entweder eine (in der Sitzung angepasste) Alternative aus oder verweisen das bearbeitete Problem zurück in die Phase „Entscheidung vorbereiten“. Durch Hinweise bzw. Zielvorgaben zur (Anpassung der) Problembearbeitung an den Themenbearbeiter tragen die Entscheider auf der organisationalen Ebene in Form eines Feedbacks zur Steuerung des Entscheidungsprozesses bei. Dieses Feedback ist im Rahmen der Interaktion zwischen den genannten Rollen ein wichtiges Instrument zur Unterstützung der Verbesserung der individuellen Leistungen des Themenbearbeiters bei der Problembearbeitung. Der Moderator übernimmt in der Phase „Entscheidung treffen“ die Funktion der Sitzungs- bzw. Diskussionsleitung im Gremium (vgl. Gomez, 2004). Das zentrale Ziel dieser Funktion besteht darin, eine Entscheidung herbeizuführen (durch die Bewertung, Anpassung und Auswahl einer Lösungsalternative durch die Entscheider). Von den Entscheidern wurde u. a. die Erwartung an den Moderator gestellt, er solle die Diskussion der präsentierten Lösungsalternativen in Gremien strukturieren. Die Strukturierung der Diskussion schließt u. a. die Vergabe von Rederechten, die zeitliche Beschränkung von Redebeiträgen und die Zusammenfassung wichtiger verbal geäußerter Argumente durch den Moderator ein. Eine solche Strukturierung sollte darauf ausgerichtet sein, dass die Entscheider in einem angemessen Zeitrahmen alle relevanten Aspekte der Problembear108

Der Themensteuerer kann dem Themenstbearbeiter in Form eines Feedbackgespräches konkrete Hilfestellungen bei der Bearbeitung von Problemen anbieten. Sloane (2000, S. 107) bezeichnet das Feedbackgespräch als eine didaktische Betreuungsaufgabe einer Führungskraft innerhalb einer Organisation. Das Feedbackgespräch kann auf der organisationelen Ebene auch als Instrument zur Steuerung des Entscheidungsprozesses dienen. 109 Diese Rolle wird bei der Funktionsausführung insbesondere durch den oben beschriebenen Themenbearbeiter unterstützt.

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beitung (von der Zielausarbeitung bis zur möglichen Effektkontrolle) bewerten und eine Lösungsalternative zur Umsetzung bestimmen.110 Von Protokollanten wurde häufig die Erwartung an den Moderator geäußert, dieser solle während der Diskussion auf bedeutsame, d. h. auf zu protokollierende Diskussionsinhalte hinzuweisen, Hilfen bei der Formulierung des Textes in Protokollen geben sowie das fertig erstellte Protokoll inhaltlich kontrollieren. Diese Erwartungen sind als Reflex auf die fehlende Expertise des Protokollanten zu ingenieursspezifischen Problemstellungen zu interpretieren.111 Der Protokollant112 nimmt in der Phase „Entscheidung dokumentieren“ die Funktion wahr, die beschlossene Problemlösung bzw. wichtige Diskussionsinhalte schriftlich zu fixieren. Insbesondere die Entscheider erwarten vom Protokollanten, dass er die Sitzungsdokumentation verwaltet (eine Sammlung und systematische Verwahrung der Protokolle) und bei Bedarf Informationen zu bereits getroffenen Entscheidungen bzw. beschlossenen Lösungsalternativen sucht und den entsprechenden Rollenträgern im Vorfeld der Phase „Entscheidung treffen“ (vor bzw. während einer Gremiensitzung) bereit stellt. Die Rolle des Protokollanten gewinnt über die reine Protokollierungsfunktion innerhalb der Gremiensitzung an Bedeutung: Wird in einem Gremium eine Problemlösung diskutiert, die in Beziehung zu bereits beschlossenen Lösungsalternativen steht, benötigt der Entscheider weitere Informationen zu dieser damaligen Entscheidung. Im Vorfeld einer Gremiensitzung sollte der Protokollant Informationen zu dieser Entscheidung aus bereits bestehenden Protokollen zur Verfügung stellen. In der nachfolgenden Tabelle 2-4 werden die Rollen in Entscheidungsprozessen von Gremien zusammenfassend beschrieben und anhand eines Ankerbeispiels113 jeweils auszugsweise veranschaulicht.

110 Um diese Funktion erfüllen zu können, kann es hiflreich sein, dass der Moderator den Anlass, den Zweck und die Ziele der Sitzung kennt und in den Zusammenhang der bisher bearbeiteten Probleme bzw. schon gefällter Entsheidungen stellen kann. Folglich kann ein Experte geeignet sein, die Rolle eines Moderators in Gremiensitzungen wahrzunehmen. Im BMW Werk Leipzig wird dieser Erkenntnis entsprochen, indem der Moderator in der Regel aus den Trägern bzw. Inhabern der Rolle „Entscheider“ bestimmt wird. Insofern ein Rollenträger sowohl die Rolle des Moderators als auch die Rolle des Entscheiders wahrnimmt, kann es sinnvoll sein, dass der Moderator kenntlich macht, wann er zwischen den beiden Rollen jeweils wechselt. 111 Aus Interviews mit mehreren Protokollanten aus vier verschiedenen Fachbereichen des Werks konnte erhoben werden, dass eine systematische Zusammenarbeit bzw. Abstimmung zwischen dem Moderator und dem Protokollanten nur selten erfolgt. 112 In der Regel wird diese Rolle von einem sogenannten Teamassistenten, einer Verwaltungsfachkraft, übernommen, um die Experten bzw. Entscheider in Gremien zu entlasten. Trotzdem konnte in Einzelfällen in Gremien des Werks beobachtet werden, dass auch Rollenträger mit Entscheidungsbefugniss gleichzeitig die Rolle des Protokollanten übernommen haben. 113 Das Ankerbeispiel dient der Veranschaulichung der Rolle, kann aber nur in Auszügen eine Rolle beschreiben.

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Rolle

Beschreibung Experte114 aus einem Fachbereich des Werks, kein Gremienmitglied, ohne Entscheidungsbefugnis, zentrale Funktion: vorbereitende Bearbeitung eines Problems, formell sowie informell erworbene Rolle Experte aus einem Fachbereich des Werks, ständiges Gremienmitglied mit Entscheidungsbefugnis, zentrale Funktion: Prozesssteuerung durch Kontrolle der Problembearbeitung, formell erworbene Rolle

Themenbearbeiter

Themensteuerer

Entscheider

Experte aus einem Fachbereich des Werks, ständiges Gremienmitglied mit Entscheidungsbefugnis, zentrale Funktion: Prozesssteuerung durch Bewertung der Problembearbeitung, formell erworbene Rolle

Moderator

Experte aus einem Fachbereich des Werks, ständiges Gremienmitglied, mit Entscheidungsbefugnis, zentrale Funktion: Steuerung der Gremiensitzung, formell sowie informell erworbene Rolle Verwaltungskraft, kein ständiges Gremienmitglied, ohne Entscheidungsbefugnis, zentrale Funktion: Dokumentation, formell erworbene Rolle

Protokollant

Beispiel aus der Empirie (Ankerbeispiel) „Zur Vorbereitung der Vorstandssitzungen sind Vorlagen für die Beiträge aus dem Werk Leipzig zu erstellen. Sie dienen als Management Summary sowie als „briefing“ des Werkleiters zu dessen Vorbereitung auf die Vorstandssitzung.“115 “Also die Frage, die ich halt immer häufig habe, ist, wenn der [Themenbearbeiter] jetzt losarbeiten soll, weiß er dann wirklich was er tun muss. Weil, wir haben in der Regel eine Stunde Zeit, um uns auszutauschen, da sind wir aber noch lange nicht auf der Arbeitsebene. Da kriegen wir keine langen Erklärungen zustande. Nachher wenn ich arbeite, arbeite ich mit eigenen Stiefeln. Und diese Hürde probiere ich einfach durch diese Referenzdokumente zu erbringen.“116 „In der Struktur dieses Werkes, d. h. in dem Aufbau der Hardware beginnend, von der Nutzung der Flächen bis in die Struktur der Gebäude und der Anlagen hinein, ist ein ganz bestimmtes Webmuster drin. Wenn jemand, nichtwissend über dieses Webmuster, das Webmuster falsch weiterwebt, dann ist das hinterher irreversibel, oder wahnsinnig kostenintensiv. [...] Wir haben jetzt schon Elemente, wo einzelne aus dem Nichtwissen heraus Entscheidungen getroffen haben, die uns erst in sieben Jahren auf die Füße fallen werden. Wie kriegen wir das hin, dieses Wissen zu transportieren?“117 „Eine Strukturierung der Kommunikation in Gremien ist bisher nicht erfolgt, hilft aber dem Moderator Systematik und Klarheit in den Sitzungsverlauf zu bekommen.“118

„Also zum Beispiel, ich habe ja auch von Herrn Peters die Aufgabe gekriegt, mal aus allen Protokollen, die ich ja auch selbst geschrieben habe, mal zusammen zu stellen, was alles beschlossen wurde. Das steht da überhaupt nicht drin.“119

Tabelle 2-4: Rollen in Entscheidungsprozessen von Gremien

Die Rollenträger nehmen, wie beschrieben, innerhalb des Entscheidungsprozesses spezifische Funktionen wahr. Jede Phase des Entscheidungsprozesses wird in der Regel durch zwei unterschiedliche Rollenträger bearbeitet. In der Phase „Entscheidung vorbereiten“ leistet neben dem Themenbearbeiter (Bearbeitung eines Problems) auch der

114

Mit der Bezeichnung Experte werden im Rahmen dieser Arbeit Mitarbeiter des Werks beschrieben, die langjährige Erfahrungen und herrvorragende Leistungen in die bzw. bei der Bearbeitung ingenieursspezifischer Aufgaben- und Problemstellungen der Automobilbranche ein- bzw. erbringen. 115 Quelle: Interview mit Frau Hand vom 02.08.2004. 116 Quelle: Interview mit Herrn Wolf vom 06.11.2003. 117 Quelle: Interview mit Herrn Peters vom 17.10.2003. 118 Quelle: Expertengespräch mit Herrn Hofmann vom 08.10.2004. 119 Quelle: Interview mit Herrn Wolf vom 06.11.2003.

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Themensteuerer (Kontrolle der Problembearbeitung) einen Beitrag. Die Phase „Entscheidung treffen“ wird von den Entscheidern ausgestaltet. Der Moderator nimmt innerhalb dieser Phase sowie in der Phase „Entscheidung dokumentieren“ weitere Funktionen wahr. Der Protokollant trägt zur letztgenannten Phase bei, indem er für das Erstellen und Verwalten der Protokolle verantwortlich ist. In der Phase „Entscheidung umsetzen“ übernimmt auf der einen Seite der Themenbearbeiter die Realisierung einer Problemlösung und auf der anderen Seite der Themensteuerer eine Steuerungsfunktionen durch die Kontrolle der umgesetzten Lösung. In der folgenden Abbildung 2-3 werden die Rollen den Phasen des Entscheidungsprozesses zugeordnet. Zu jeder Rolle ist die jeweilige zentrale Funktion aufgeführt. Im Rahmen der einzelnen Phasen des Entscheidungsprozesses setzt das Erfüllen der jeweiligen Funktionen ein systematisches Vorgehen der Rollenträger beim Problemlösen (in Form individueller Problemlöseprozesse) voraus.

Abbildung 2-3: Rollen und ihre Funktionen innerhalb der Phasen eines Entscheidungsprozesses in Gremien

Abschließend kann festgehalten werden, dass jede der beschriebenen Rollen bzw. ihre Rollenträger neben ihren spezifischen Funktionen zum Gelingen des Entscheidungsprozesses weitere Funktionen wahrnehmen, die insbesondere der Weitergabe von Wissen in Form von Informationen dienen. Sie erstellen Dokumente und Texte mit dem Ziel, 73

Denkprozesse anderer Rollenträger beim (individuellen) Problemlösen zu unterstützen. Der umfassende Austausch von Wissen dient dazu, den jeweiligen Rollenträger bei der vollständigen Bearbeitung aller Schritte eines Problemlöseprozesses zu unterstützen. Es kann Jahnke (2006, S. 3 f.) beigepflichtet werden, die darauf verweist, dass die jeweils übernommene Rolle eine starke Auswirkung darauf hat, welches Wissen ein Rollenträger innerhalb des Entscheidungsprozesses auswählt und vermittelt. In Unkenntnis über Erwartungen, die von Bezugsrollen an einen Rollenträger gestellt werden, kann eine Weitergabe von Wissen unvollständig erfolgen oder ganz unterbleiben – es besteht die Gefahr, dass der jeweilige Rollenträger nicht alle zur Problembearbeitung notwendigen Informationen zur Verfügung gestellt bekommt. Führungskräfte, die in Gremien die Rolle des Entscheiders begleiten, betonen in Interviews und Expertengesprächen, dass die Verantwortung für die Dokumentation und Weitergabe von Wissen zu klären und explizit darzustellen ist – über notwendige Aufgaben und Funktionen bei der Weitergabe von Wissen bestünde bei den einzelnen Rollenträgern im Entscheidungsprozess nicht immer Klarheit.120 Im folgenden Kapitel werden das methodische Konzept und das empirische Vorgehen im Rahmen dieser Arbeit dargestellt.

120

Jahnke verweist in Bezug auf eine „rollengebundene“ Wissensvermittlung auf die folgenden Schwierigkeiten: „Den Studien von March und Olsen zufolge, ist eine wesentliche Barriere beim Wissensaustausch die Rollenabhängigkeit und Rollenbeschränkung der Akteure. Dies bedeutet, dass das Lernen und der Wissensaustausch von einzelnen Akteuren in Organisationen aus der Sicht ihrer eingenommenen Rollen geschieht. Wissensaneignungsund Wissensvermittlungsprozesse werden aus der Sicht der eingenommenen Rolle selektiert und beeinflussen somit den Wissensaustausch erheblich, da Akteure auf Basis ihrer eingenommen Rolle entscheiden, welches Wissen ausgetauscht wird und welches nicht relevant erscheint“ (Jahnke, 2006, S. 3).

74

3

Empirische Untersuchung und ausgewählte Ergebnisse

3.1

Gegenstand und Ziel der Untersuchung

In der vorliegenden Arbeit steht die Weitergabe von Wissen im Fokus der Betrachtung. Weitergabe von Wissen kann als Unterstützung der Rollenträger zur effektiven Ausführung ihrer jeweiligen Funktionen im Entscheidungsprozess aufgefasst werden (vgl. Kapitel 2). Methoden und Verfahren zur Weitergabe von Wissen sind für die Gremien des BMW Werks Leipzig lediglich in geringem Umfang formal definiert (vgl. BMW AG, 2000). Um die im Werk existierenden Verfahren und Methoden der Weitergabe von Wissen in Gremien analysieren und bewerten zu können, war es im Rahmen dieser Arbeit notwendig, in einem ersten Schritt diese Verfahren und Methoden zu erheben. Dabei ging es vor allem um die phasenübergreifende Weitergabe von Wissen der Rollenträger in Entscheidungsprozessen von Gremien, die auf der Grundlage von Dokumenten realisiert wird.121 Um Kriterien für die Beurteilung der Verfahren und Methoden formulieren zu können, galt es insbesondere die folgenden forschungsleitenden Fragestellungen zu klären: x

Welche Informationen werden von den Rollenträgern benötigt, um ihre Funktionen im Entscheidungsprozess (vgl. Kapitel 2) erfüllen zu können?

x

Welcher Rollenträger kann die benötigten Informationen zur Verfügung stellen?

x

Welche Dokumente werden genutzt, um Informationen schriftlich zu fixieren?

x

Welche Funktionen erfüllen die Dokumente im Rahmen des Entscheidungsprozesses?

x

Zu welchen Zeitpunkten bzw. in welchen Phasen des Entscheidungsprozesses werden die Dokumente eingesetzt?

x

Welche Richtlinien bzw. Vorgaben zur Ausgestaltung und zur Verwendung der Dokumente existieren in Gremien und werden auch genutzt?

121

Weitergabe von Wissen wird in dieser Arbeit vom Begriff der Wissenskommunikation, der von ReinmannRothmeier & Mandl (2000) in die Diskussion um das Wissensmanagement eingeführt wurde, abgegrenzt. Der Begriff der Wissenskommunikation umfasst individuelle und kollektive „Prozesse, die vom Informations- und Wissensaustausch über Informationsverteilung und Wissensvermittlung bis hin zur Ko-Konstruktion von Wissen in kleinen Gruppen reichen“ (Reinmann-Rothmeier & Mandl, 2000, S. 28). Der im Rahmen der Arbeit verwendete Begriff der Weitergabe fokussiert zwar auch den individuellen Umgang mit Wissen, bezieht sich aber auf die Aufbereitung des individuellen Wissens in Dokumentenform (Textproduktion) durch den Textproduzenten und die Verwendung der Dokumente (Textrezeption) zur (neuerlichen) Konstruktion von Wissen durch den Textrezipienten. Zum einen wird im Vergleich zum Begriff der Wissenskommunikation nur der Austausch von Wissen in Dokumentenform fokussiert, d. h. ein engeres Begriffsverständnis gewählt, indem die mündliche Weitergabe von Wissen nicht thematisiert wird. Zum anderen steht aber auch die (un-)mittelbare Verwendung der Dokumente im Vordergrund der Betrachtung, d. h. die Textproduktion ist nicht von der Textrezeption trennbar.

75

3.2

Methodisches Konzept

3.2.1

Untersuchungsschritte und angewandte Methoden

Für den vorliegenden Forschungskontext erschien es sinnvoll, eine Vorstudie durchzuführen. Damit wurde das Ziel verfolgt, Informationen zu gewinnen im Hinblick auf Mechanismen, Instrumente, Verfahren und Schwierigkeiten beim Wissensmanagement in einem Produktionsstandort der BMW Group, der mit dem BMW Werk in Leipzig in Bezug auf die Standortgröße (gemessen an der Mitarbeiterzahl und der Anzahl der Fachbereiche des Werks) vergleichbar war.122 Die Durchführung der Vorstudie erschien zweckmäßig, da im BMW Werk Leipzig bisher keine Projekte und Maßnahmen zum Wissensmanagement durchgeführt wurden und deshalb die Möglichkeit genutzt werden sollte, von Erfahrungen der Mitarbeiter aus einem anderen Produktionsstandort zu profitieren (z. B. Erfahrungen zur Definition von Zielen des Wissensmanagements bzw. zur Bestimmung von Projekten zum Wissensmanagement).123 In der Vorstudie wurden so genannte „freie“ Interviews (vgl. Gläser & Laudel, 2004, S. 105) durchgeführt, die sich an einem Interviewleitfaden orientierten. Als zu untersuchender Produktionsstandort der BMW Group wurde das BMW Werk in Regensburg gewählt. Die Wahl wurde getroffen, weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesem Werk bereits über umfassende Erfahrungen zur Durchführung von Projekten zum Wissensmanagement verfügten und das Werk in Bezug auf die Anzahl der Fachbereiche und die Mitarbeiterzahl mit dem BMW Werk in Leipzig vergleichbar war.124 Das empirische Vorgehen im Rahmen dieser Arbeit setzt sich zusammen aus: (a) der Vorstudie, die im BMW Werk Regensburg durchgeführt wurde und (b) der Untersuchung im BMW Werk Leipzig. Letztere erfolgte in mehreren Schritten.

122

Die Vorstudie wurde im Rahmen des Projektes „Betriebliches Wissensmanagement“ in Zusammenarbeit des Lehrstuhls für Wirtschaftspädagogik der TU Dresden und des Lehrstuhls für Berufs- und Wirtschaftspädagogik der Universität Leipzig durchgeführt. 123 Gläser & Laudel (2004) unterscheiden zwei generelle Zwecke, die maßgeblich für die Durchführung einer Vorstudie sein können. Zum einen können Vorstudien dazu verwendet werden, notwendige Informationen über den Gegenstand der Untersuchung zu erhalten. Zum anderen kann eine Vorstudie mit der Zielstellung durchgeführt werden, Erhebungs- und Auswertungsmethoden (z. B. standardisierte Fragebögen, Interviewleitfäden) zu testen und anzupassen. 124 Nicht alle Produktionsstandorte der BMW Group sind darauf ausgerichtet, ein Automobil von der Formung der Bleche in Karosserien (im Presswerk) bis zur Endmontage herzustellen. So existieren Produktionsstandorte, die nur Automobilkomponenten fertigen und für andere Werke als Zulieferer agieren (z. B. stellt der Produktionsstandort Berlin für Automobile lediglich Bremsscheiben her). Das BMW Werk in Leipzig setzt sich aus den drei zentralen technischen Fachbereichen „Karosseriebau“, „Lackiererei“ und „Montage“ zusammen und ist daher innerhalb des Werkeverbunds der BMW Group mit dem BMW Werk in Regensburg vergleichbar. Das BMW Werk in Dingolfingen dagegen besitzt noch die Fachbereiche „Werkzeugbau“ und „Presswerk“, die den drei genannten Fachbereichen innerhalb der Produktionslinie vorausgehen.

76

In der folgenden Abbildung 3-1 werden der Gegenstand der Vorstudie im BMW Werk Regensburg und der Gegenstand Untersuchung im BMW Werk Leipzig (aufgeteilt in einzelne Schritte) dargestellt.

Vorstudie im BMW Werk Regensburg Gegenstand: Erhebung von Mechanismen, Instrumenten und Problemen des Wissensmanagements Zeitraum: September 2003 bis Dezember 2003 Verwendete Methoden: Qualitativ-explorative Untersuchungen mittels „freien“ Interviews und einer anschließenden Auswertung durch die qualitative Inhaltsanalyse

Untersuchung im BMW Werk Leipzig 1. Schritt Gegenstand: Erhebungen zu Problemen und Verfahren der Weitergabe von Wissen in Entscheidungsprozessen von Gremien im BMW Werk Leipzig Zeitraum: Januar 2004 bis Dezember 2004 Verwendete Methoden: Qualitativ-explorative Untersuchungen mittels halbstrukturierten Interviews und anschließender qualitativer Inhaltsanalyse sowie Hospitationen in Gremien, Arbeitsplatzbeobachtungen, Dokumentenanalysen, Rollenanalyse 2.

Schritt:

Gegenstand: Analyse der Dokumente in Gremien des BMW Werks Leipzig auf der Grundlage der Textverständlichkeitsforschung Zeitraum: Januar 2005 bis Mai 2005 Verwendete Methoden: Kommunikationsorientiert-integrativer Ansatz der Textverständlichkeitsforschung nach Göpferich (2002) 3.

Schritt

Gegenstand: Konstruktion und Erprobung von Instrumenten zur Weitergabe von Wissen in Entscheidungsprozessen von Gremien Zeitraum: April 2005 bis Dezember 2006 Verwendete Methoden/Instrumente: Information Mapping® nach Horn (1989)

Abbildung 3-1: Gegenstand der Untersuchung und Untersuchungsschritte

Im Folgenden werden das gewählte methodische Vorgehen (z. B. Experteninterviews), die Auswahl der Interviewpartner (Experten) und die Auswertungsmethodik der qualitativen Inhaltsanalyse dargestellt. Die Ausführungen beziehen sich auf die Vorstudie im 77

BMW Werk Regensburg und auf den ersten Schritt der Untersuchung im BMW Werk Leipzig. Das Vorgehen und die Ergebnisse zum zweiten Schritt der Untersuchung (Dokumentenanalyse) und zur Konstruktion von Instrumenten zur Weitergabe von Wissen in Entscheidungsprozessen von Gremien werden jeweils in Kapitel 4 bzw. in Kapitel 5 vorgestellt. Ziel des ersten Schrittes der Untersuchung im BMW Werk Leipzig war es Daten entdeckend, explorativ zu erheben.125 Ein exploratives Vorgehen wurde gewählt, um die bisher wenig formalisierte und kaum beschriebene Ausgestaltung der Weitergabe von Wissen in Gremien mit Dokumenten zu erheben (z. B. die in Gremien verwendeten Dokumente sowie Funktionen der Dokumente in den Entscheidungsprozessen). Die qualitativ-explorative Untersuchung im Rahmen dieser Arbeit umfasste: x

Eine teilnehmende Feldbeobachtung (Hospitationen) der Zusammenarbeit der Rollenträger in Gremien im Zeitraum von Januar bis Dezember 2004 im BMW Werk Leipzig. In einem ersten Zugriff wurden die Aufgaben/Funktionen der Rollenträger in Gremien erhoben. Die Feldbeobachtung ermöglichte es, Erkenntnisse zu den Bedingungen der Zusammenarbeit der Rollenträger in Gremien zu gewinnen (z. B. Ablauf einer Gremiensitzung, Anforderungen an Textproduzenten).

x

Qualitativ-explorative leitfadengestützte Experteninterviews,126 die vom September 2003 bis Dezember 2004 durchgeführt wurden. Ziel war es, Probleme und Lösungsansätze des Wissensmanagements in den Werken Regensburg und Leipzig zu erheben. Es ging vor allem darum, den Ist-Zustand entsprechend der Prozesskategorien des Wissensmanagements nach Reinmann-Rothemeier & Mandl (2000) im Werk Regensburg festzustellen und die Erfahrungen zur Durchführung von Wissensmanagementprojekten als Referenzrahmen für die Analyse und Gestaltung von Verfahren und Methoden im BMW-Werk in Leipzig zu nutzen. Mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Werks in Leipzig wurden vorrangig Schwierigkeiten und Möglichkeiten der Ausgestaltung der Weitergabe von Wissen mittels Dokumenten thematisiert (z. B. ob Dokumente Informationen zu allen Stationen der Handlungsorganisation enthalten, welche

125

Explorative bzw. erkundende Untersuchungen werden in erster Linie mit dem Ziel durchgeführt, in einem relativ unerforschten Untersuchungsbereich neue Erkenntnisse zu erzielen oder theoretische bzw. begriffliche Voraussetzungen zu schaffen, um erste Hypothesen formulieren zu können (Bortz & Döring, 2003). 126 Das Leitfadeninterview kann nach Gläser & Laudel (2004) als eine nichtstandardisierte Interviewform charakterisiert werden, bei der der Interviewer eine vorbereitete Liste offener Fragen (Leitfragen) zur Grundlage des Gesprächs macht.

78

Dokumente in Gremien genutzt werden, welche Rollenträger als Textproduzenten in Gremien auftreten). Leitfadengestützte Experteninterviews wurden im Rahmen der Untersuchung aus zwei Gründen als Erhebungsmethode gewählt. Zum einen schienen sie insbesondere dazu geeignet, mehrere unterschiedliche Themen in einem Experteninterview anzusprechen (z. B. Verfahren der Weitergabe von Wissen in Gremien, Organisation der Zusammenarbeit der Rollenträger in Entscheidungsprozessen). Zum anderen bietet sich diese Erhebungsmethode an, um einzelne, detaillierte Informationen zu erheben (z. B. Bezeichnung der in Gremien eingesetzten Dokumente, Benennung der Rollen in Entscheidungsprozessen von Gremien) (vgl. Gläser & Laudel, 2004). Zudem wurden der Untersuchung weitere Materialien zu Grunde gelegt. Hierzu zählten u. a.: x

bereits im BMW Werk Leipzig existierende (September 2003) Ansätze (Instrumente und Verfahren) des Wissensmanagements, wie z. B. das Datenbankmanagementsystem „Documentum“, die Yellow Page „Contact“ sowie Lessons Learned;

x

LISA ( das Leipziger Informations- und Archivierungssystem) sowie

x

die unterschiedlichen Dokumente (vgl. Kapitel 3.4 und 4), die in Entscheidungsprozessen von Gremien zur Weitergabe von Wissen eingesetzt werden (z. B. Management Summary, Protokoll) und das Gremiensteuerungssystem (GSS).

Die Dokumente wurden an Hand eines Ansatzes der Textverständlichkeitsforschung auf strukturelle und inhaltliche Defizite untersucht (vgl. Kapitel 4). Das Gremiensteuerungssystem wurde in Bezug auf den strukturellen Aufbau der Datenmaske zur Eingabe von Entscheidungen analysiert. 3.2.2

Auswahl der Experten

Experten zeichnen sich in Bezug auf den Gegenstand der Untersuchung dadurch aus, dass sie umfangreiche Erfahrungen bzw. (deklaratives) Wissen und Problemlösefähigkeiten im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit Rollenträgern in Gremien erworben haben (vgl. Gläser & Laudel, 2004). Diese Erfahrungen schließen insbesondere auch Kenntnisse zu Defiziten bezüglich der Weitergabe von Wissen in Gremien mittels Dokumenten und mögliche Problemlösungen ein. Ziel der Experteninterviews war es, diese Erfahrungen der Rollenträger zu erheben.

79

Im Folgenden werden die Kriterien erläutert, die für die Auswahl der Experten im BMW Werk Leipzig maßgeblich waren. Wie bereits dargestellt, sind Verfahren der Weitergabe von Wissen in Entscheidungsprozessen von Gremien im BMW Werk Leipzig in einem geringen Maße formalisiert und standardisiert. Dieser Umstand kann auf den zum Zeitpunkt der Untersuchung laufenden Prozess des Werkaufbaus und Probebetriebs bzw. Werkanlaufs zurückgeführt werden. D. h. Verfahren und Methoden mussten in der täglichen Zusammenarbeit in Gremien erst vereinbart, erprobt und ihre Effizienz erst nachgewiesen werden. Um einen ersten Einblick in die grundsätzlichen Prinzipien des im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Gegenstandes zu erhalten, wurden Rollenträger befraget, die bereits zum Zeitpunkt des Aufbaus der Fachbereiche und der Einrichtung der verschiedenen Prozesse der Produktion und der Administration im Werk Leipzig beschäftigt waren.127 Da unterschiedliche Rollen bzw. deren Rollenträger am Gelingen eines Entscheidungsprozesses beteiligt und mit der Weitergabe von Wissen beauftragt sind, wurden Rollenträger zu allen in Kapitel 2.3 identifizierten Rollen befragt. Nach Jahnke (2006) erschien es auch sinnvoll, Rollenträger zu befragen, die unterschiedliche Rollen in den Entscheidungsprozessen in mehreren Gremien wahrgenommen haben.128 Ein weiteres wesentliches Kriterium für die Auswahl von Experten war die Erfahrung der Rollenträger mit der Erstellung und Verwendung von Dokumenten (Textproduktion und Textrezeption) in Gremien. Die folgende Tabelle 3-1 enthält die Namen der Experten, die jeweilige organisationale Einheit, der der Experte im Werk zugeordnet war, und die jeweilige Funktion sowie die maßgeblichen Eigenschaften, die die jeweilige Expertenauswahl begründet haben. Zudem wird der zentrale Interview-Gegenstand kurz charakterisiert. Experte Herr Peters

127

Organisationale Einheit und Funktion im Werk Leitende Funktion im Werk

Begründung der Auswahl Führungskraft im BMW Werk Leipzig seit 2001, Mitglied in mehreren Gremien des Werks sowie der BMW Group (insbesondere im Werkleitungskreis). Vorrangige Rolle: Träger der Rolle Entscheider. Regelmäßiger Textrezipient (insbesondere der Protokolle des Werkleitungskreises).

Zentraler Gegenstand im Interview -

-

Organisationaler Aufbau und Struktur der Gremienlandschaft im Werk Leipzig. Verfahren der Zusammenarbeit in Gremien. Defizite der Weitergabe von Wissen mittels Dokumenten.

Der Aufbau der Fachbereiche und die Einrichtung der Prozesse war eine Phase innerhalb des sogenannten Strukturprojektes „Werkaufbau Leipzig“. Dieses Strukturprojekt setzte sich noch aus den Phasen „Strukturplanung“ und „Gebäudeerstellung“ zusammen. 128 Jahnke spricht an dieser Stelle von einem „Rollenmix der Experten“ (2006, S. 131). Die Wahl eines Rollenmixes kann u. a. dazu beitragen, Ähnlichkeiten und Unterschiede in der Weitergabe von Wissen auch fachbereichs- und abteilungsübergreifend sichtbar zu machen.

80

Experte Herr Wolf

Frau Hand

Organisationale Einheit und Funktion im Werk Leitende Funktion im Werk

Mitarbeiterin in einem Fachbereich des Werks

Herr Hofmann

Leitende Funktion im Werk

Frau Funke

Teamassistenz in einem Fachbereich des Werks

Begründung der Auswahl Führungskraft im BMW Werk Leipzig seit 2001, Mitglied in mehreren Gremien des Werks auf der Fachbereichs- und Gruppenebene. Vorrangige Rollen: Träger der Rolle Entscheider und Themensteuerer (auf der Fachbereichsebene), Träger der Rolle Protokollant (im Werkleitungskreis). Regelmäßiger Textproduzent und Textrezipient.

Mitarbeiterin im BMW Werk Leipzig seit 2003, Mitglied in mehreren Gremien auf der Fachbereichs- und Gruppenebene. Zentrale Aufgabe im Werk: Planung und Kontrolle von Verfahren und Prozessen der Zusammenarbeit in Gremien. Vorrangige Rollen: Trägerin der Rolle Themenbearbeiter (im Werkleitungskreis), Trägerin der Rolle Entscheider (auf der Fachbereichsebene). Regelmäßige Textproduzentin und Textrezipientin. Führungskraft im BMW Werk Leipzig seit 2001, Mitglied in mehreren Gremien auf der Fachbereichsebene. Vorrangige Rollen: Träger der Rolle Entscheider (im Werkleitungskreis und auf der Fachbereichsebene), Träger der Rolle Themensteuerer (im Werkleitungskreis). Regelmäßiger Textrezipient (insbesondere der Protokolle des Werkleitungskreises). Mitarbeiterin im BMW Werk Leipzig seit 2002, Mitglied in mehreren Gremien auf Fachbereichs- und Gruppenebene. Vorrangige Rollen: Trägerin der Rolle Themenbearbeiter (auf Gruppenebene), Trägerin der Rolle Protokollant (auf Fachbereichsebene). Regelmäßige Textproduzentin.

Zentraler Gegenstand im Interview -

-

-

-

-

-

-

-

Organisationaler Aufbau und Struktur der Gremienlandschaft im Werk Leipzig. Verfahren der Zusammenarbeit in Gremien. Defizite der Weitergabe von Wissen mittels Dokumenten. Problemlösungen zu Defiziten bei der Weitergabe von Wissen mittels Dokumenten. Verfahren der Zusammenarbeit in Gremien. Defizite der Weitergabe von Wissen mittels Dokumenten. Problemlösungen zu Defiziten bei der Weitergabe von Wissen mittels Dokumenten.

Verfahren der Zusammenarbeit in Gremien. Defizite der Weitergabe von Wissen mittels Dokumenten.

Verfahren der Zusammenarbeit in Gremien. Defizite der Weitergabe von Wissen mittels Dokumenten. Problemlösungen zu Defiziten bei der Weitergabe von Wissen mittels Dokumenten.

Tabelle 3-1: Übersicht der Experten und Expertinnen aus dem BMW Werk Leipzig

3.3

Durchführung der Untersuchung

3.3.1

Ablaufmodell der Inhaltsanalyse

Im Folgenden wird dargestellt, wie bei der Auswertung der Experteninterviews im Rahmen der Untersuchung vorgegangen wurde. Empirisch-qualitative Explorationsstrategien nutzen qualitative Daten, um daraus Erkenntnisse über den Gegenstand der Un81

tersuchung zu gewinnen. Zur Auswertung von Experteninterviews bot sich nach Gläser & Laudel (2004) die qualitative Inhaltsanalyse an, die darauf ausgerichtet ist, einen transkribierten Interviewtext systematisch, regel- und theoriegeleitet auszuwerten.129 Die im Rahmen der Untersuchung angewandte Vorgehensweise lehnt sich an das inhaltsanalytische Modell von Mayring (2003) an. Die Vorgehensweise ist im folgenden Ablaufmodell dargestellt:

Abbildung 3-2: Inhaltsanalytisches Ablaufmodell

Im Folgenden werden die einzelnen inhaltsanalytischen Schritte erläutert: Festlegung des Materials: In dieser Phase wurde das zu analysierende Ausgangsmaterial bestimmt. Es wurden die Transkripte der Experteninterviews, die mit fünf Mitarbeitern des BMW Werks in Regensburg geführt wurden, ausgewählt.130 Sie dienten dazu einen generellen Referenzrahmen für die Analyse und die Gestaltung von Lösungsan-

129

Dazu wird der Text mittels eines Kategoriensystems auf relevante Informationen untersucht. In Abgrenzung zu quantitativen Methoden der Textanalyse verweist Mayring & Brunner (2007) auf die Bedeutsamkeit des Kategoriensystems: „Das qualitative Element besteht in der Kategorienentwicklung und der inhaltsanalytischen Systematisierung der Zuordnung von Kategorien zu Textbestandteilen – Schritte, die in quantitativer Inhaltsanalyse meist übergangen werden“ (S. 673). 130 Diese Mitarbeiter des BMW Werks in Regensburg hatten in verschiedenen Projekten Erfahrungen zum Wissensmanagement erworben.

82

sätzen des Wissensmanagements im BMW Werk Leipzig zu erheben und die Fragestellung der vorliegenden Untersuchung abzugrenzen. Bestimmung der Analyseeinheiten: Als Analyseeinheiten können Textbestandteile von einzelnen Wörtern bis zu ganzen Textabschnitten gewählt werden. Als kleinste Analyseeinheit, die sogenannte Kodiereinheit, wurden Substantive bestimmt. Sie sind der kleinste Textteil, der unter eine Kategorie fallen darf. Als größte Analyseeinheit, die sogenannte Kontexteinheit, wurden Textabschnitte bestimmt. Sie sind der größte Textbestandteil, der einer Kategorie zugeordnet werden kann. Materialdurchlauf und Bildung des Kategoriensystems: In dieser Phase wurde jeder transkribierte Interviewtext in Bezug auf die einzelnen Analyseeinheiten ausgewertet. Dazu wurden Aussagen zu Kategorien zusammengefasst, wobei auf eine präzise inhaltliche Abgrenzbarkeit der Kategorien geachtet wurde. Überprüfung des Kategoriensystems: Nach der Auswertung der Experteninterviews wurden die gebildeten Kategorien auf Überschneidungsfreiheit und Plausibilität geprüft. Diese Phase diente auch dazu zu prüfen, ob die Kategorien dem zuvor definierten Gegenstand bzw. Ziel der Untersuchung entsprochen haben.131 Zusammenfassung und Paraphrasierung: Die ausgewählten Textbestandteile der Experteninterviews wurden entsprechend der einzelnen Kategorien zusammengefasst. Dazu wurden die ausgewählten Textbestandteile extrahiert und paraphrasiert. Die Paraphrasen wurden anschließend zu Kernaussagen zusammengefasst und in eine sinnvolle sprachliche Form gebracht. Erstellen einer nach Kategorien geordneten Übersicht: Abschließend wurden die den einzelnen Kategorien zugeordneten Textbestandteile entsprechend dem Kategoriensystem zusammengefasst (vgl. Kapitel 3.4). 3.3.2

Bildung der Kategorien

Die Experteninterviews wurden transkribiert und nach Kategorien geclustert. Zur Bildung der Kategorien wurde in der Vorstudie ein deduktives Vorgehen gewählt. Dazu wurden die Kategorien aus der Theorie bzw. dem aktuellen Forschungsstand zum Wissensmanagement bestimmt. Als Grundlage diente der individuelle Wissensmanagement-Regelkreis bzw. die Prozesskategorien nach Reinmann-Rothmeier & Mandl (2000). Die Prozesskategorien gelten in Bezug auf eine pädagogische bzw. pädagogisch-psychologische Herangehensweise als vielfach zitiertes und empirisch überprüftes 131

Insofern in dieser Phase festgestellt werden sollte, dass das Kategoriensystem anzupassen sei, kann ein Rücksprung in die vorherige Phase des Ablaufmodells notwendig sein (Wiederholungsschleife) (vgl. Mayring, 2003).

83

Modell des Wissensmanagements (Dick & Wehner, 2001; Heisig, 2005, 2007; Schaper & Sonntag, 2007; Tergan, 2003). Die Kategorien bzw. das Kategoriensystem, das der Interviewauswertung in der Vorstudie zu Grunde lag, werden in der folgenden Tabelle 3-2 dargestellt. Für jede Kategorie werden die Definition sowie Kodierregeln aufgeführt, die maßgeblich für die Zuordnung von Textbestandteilen zur Kategorie waren. Kategorie Zielsetzung

Kommunikation von Wissen

Definition

Kodierregeln

Die Zielsetzung umfasst Prozesse (und deren Ergebnisse) zu Absichten bzw. Intentionen im BMW Werk, die mit Hilfe von Maßnahmen des Wissensmanagements realisiert werden sollen. Diese Ziele können auf strategischer sowie auf operativer Ebene verortet werden. Hierunter sind auch Methoden der Zielanalyse (z. B. Zeit- und Situationsanalyse) zu subsumieren. Die Kommunikation von Wissen umfasst Prozesse wie das Verteilen von Informationen und Wissen, das Teilen und die soziale Konstruktion von Wissen. Es wird auch die wissensbasierte Kooperation unter diese Kategorie subsumiert.

- Die Ziele müssen Ausgangspunkt für konkrete Wissensmanagementprojekte sein. - Die Ziele müssen den Projektteilnehmern innerhalb der Projekte bekannt sein.

Repräsentation von Wissen

Die Repräsentation von Wissen umfasst Prozesse wie das Identifizieren von Wissen sowie verschiedene Formen der Kodifizierung und Speicherung von Wissen. Dabei geht es auch um den Einsatz von technischen Instrumenten, wie z. B. ITLösungen.

Wissensnutzung

Die Nutzung von Wissen umfasst Prozesse wie die Umsetzung von Wissen in Entscheidungen und Handlungen sowie die Transformation von Wissen in Produkte. Im Fokus dieser Kategorie steht die individuelle Konstruktion neuen Wissens. Zu dieser Kategorie sind auch die Schaffung personaler und technischer Wissens- bzw. Mitarbeiternetzwerke zu zählen.

Generierung von Wissen

Schulung132

132

Die Schulung umfasst formell geplante, d. h. durch das BMW Werk in einem institutionellen Rahmen durchgeführte Mitarbeiterschulungen.

- Es sind formelle sowie informelle (d. h. nicht von der Organisation geplante) Prozesse der Weitergabe von Wissen zu erfassen. - Unter dem Begriff der sozialen Konstruktion von Wissen ist zu verstehen, dass Informationen bzw. Wissen zwischen mehreren Mitarbeitern ausgetauscht werden. - Es sind Verfahren und Instrumente zu erfassen. Verfahren können formalisierte Redaktionsprozesse oder Dokumentationsanweisungen sein. Instrumente sind Dokumente sowie Datenbankmanagementsysteme, Archivierungssysteme. - Es sind auch nicht formalisierte Verfahren (d. h. individuell konzipierte Verfahren und Instrumente) zu erheben. - Es sind Prozesse zu erheben, die dazu dienen, dass neu konstruiertes Wissen angewandt wird (Vermeidung von trägem Wissen). - Zu unterscheiden ist diese Kategorie von der Kommunikation von Wissen. Es geht an dieser Stelle darum, dass Wissen individuell neu konstruiert wird. Die Kommunikation von Wissen kann als eine Voraussetzung dazu angesehen werden. - Es sind keine externen Schulungen zu erheben. - Die Schulungen sollten primär Ziele des Wissensmanagements verfolgen.

Die Prozesskategorien von Reinmann-Rothmeier & Mandl wurden um die Kategorie Schulung erweitert. Die Erweiterung wurde gewählt, da zur Spezifizierung der Forschungsfrage u. a. von Interesse war, ob und in welchem

84

Kategorie Evaluation

Definition

Kodierregeln

Die Evaluation beschreibt Prozesse der Bewertung von Wissen. Als Methoden der Bewertung von Wissen sind arbeitsbegleitende Bewertungs- und Kontrollprozesse zu nennen, die eigenverantwortlich sowie durch Institutionen des BMW Werks durchgeführt werden können.

- Es sind Formen der summativen und der formativen Evaluation zu erfassen. - Es kann zwischen der Selbstevaluation und der Fremdevaluation unterschieden werden. Beide Formen sind zu erheben.

Tabelle 3-2: Kategoriensystem der Vorstudie

Das Kategoriensystem, das der Auswertung der Interviews im BMW Werk Leipzig zu Grunde lag, wird in der folgenden Tabelle 3-3 dargestellt. Es werden die Definition der einzelnen Kategorien sowie jeweilige Kodierregeln dargestellt, die für die Zuordnung von Textbestandteilen zur jeweiligen Kategorie maßgeblich waren. Kategorie

Definition

Dokumente

Diese Kategorie umfasst zum einen die jeweilige Bezeichnung der Dokumente, die in Gremien zum Einsatz kommen. Zum anderen erfasst diese Kategorie den Zweck eines Dokuments im Rahmen der Weitergabe von Wissen.

Textproduzent

Textproduzent ist ein Rollenträger, der das Dokument in Bezug auf die Auswahl von Informationen, deren Strukturierung und deren sprachliche Formulierung ausgestaltet.

Textrezipient

Textrezipient ist ein Rollenträger, der ein Dokument verwendet. Die Verwendung durch den Textrezipienten ist darauf gerichtet, mit Hilfe des Dokuments Wissen zu einer oder mehreren Stationen der Handlungsorganisation zu konstruieren.

Kodierregeln -

Es sind die Bezeichnungen der Dokumente zu erheben, die in den Gremien generell zum Einsatz kommen (Dokumente die nur in jeweils einem Gremium verwendet werden, werden nicht erhoben). - Zur Feststellung des Zwecks eines Dokuments ist zu erheben, welcher Phase des Entscheidungsprozesses das Dokument zugeordnet werden kann. Die Zuordnung erfolgt indem festgestellt wird, innerhalb welcher Phase das Dokument durch den Textproduzent erstellt bzw. durch den Textrezipient genutzt wird. - Es ist zu prüfen, ob Textproduzent und Textrezipient den Zweck eines Dokuments vergleichbar benennen. Kriterien: - Der Textproduzent muss Rollenträger in einem Gremium sein. - Der Textproduzent muss mindestens eine Bezugsrolle in einem Gremium haben. - Der Textproduzent muss Dokumente in einem Gremium wiederholt erstellen. Kriterien: - Der Textrezipient muss Rollenträger in einem Gremium sein. - Der Textrezipient muss mindestens eine Bezugsrolle in einem Gremium haben. - Der Textrezipient muss Dokumente in einem Gremium wiederholt verwenden.

Maße im Rahmen des Wissensmanagements eine Notwendigkeit erkannt wurde, die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Mitarbeiter zu fördern.

85

Kategorie

Definition

Informationen

Diese Kategorie umfasst Informationen, die Dokumente enthalten können bzw. enthalten sollten, damit Rollenträger benötigtes Wissen zu einer oder mehreren Stationen der Handlungsorganisation konstruieren können. Diese Kategorie umfasst Richtlinien der Textproduktion (z. B. Redaktionsrichtlinien).

Richtlinien

Kodierregeln -

Eine Information muss einer Station der Handlungsorganisation zugeordnet werden können.

-

Richtlinien der Textproduktion sind darauf gerichtet, den Textproduzenten bei der Erstellung rezipientengerechter Dokumente zu unterstützen. Richtlinien der Textproduktion enthalten Hinweise zu Auswahl, zur strukturellen Anordnung und/oder zur sprachlichen Formulierung der Informationen (z. B. Verwendung von Fachwörtern).

-

Tabelle 3-3: Kategoriensystem der Interviews im BMW Werk Leipzig

3.4

Ausgewählte Ergebnisse der Untersuchung

3.4.1

Zusammenfassung der Ergebnisse der Vorstudie

Im Folgenden werden Ergebnisse der Interviews aus dem BMW Werk Regensburg zusammengefasst dargestellt. Dabei geht es vor allem um zentrale Aussagen aus den Interviews, die für den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit von besonderer Relevanz sind.133 Zielsetzungen Zu Beginn eines Wissensmanagementprojektes stand die Definition zentraler Zielsetzungen. Die Interviews aus dem BMW Werk Regensburg lieferten generelle Hinweise zur Erarbeitung bzw. Abgrenzung von Zielen für ein Wissensmanagementprojekt im BMW Werk Leipzig. In mehreren Interviews wurde deutlich, dass im Vorfeld der Bestimmung eines Wissensmanagementprojektes der Begriffsinhalt von Wissensmanagement für das Werk Leipzig zu klären bzw. zu definieren ist. Hierzu bot sich die Erarbeitung eines Leitbildes des Wissensmanagements an.134 Es wurde zudem deutlich, dass zu Beginn von Wissensmanagementprojekten die Zielgruppe solcher Projekte zu bestimmen ist.

133

Die Interviews im BMW Werk Regensburg lagen auch den Forschungsarbeiten des Lehrstuhls für Wirtschaftspädagogik der Technischen Universität Dresden zu Grunde (vgl. Fürstenau et al., 2004 sowie Langfermann, 2005). 134 „Im herkömmlichen Sinne macht ein Leitbild Aussagen über die Visionen und Ideale, denen die Organisation sich verpflichtet fühlt. Ein Wissens[management]leitbild kann ähnlich grundlegende Aussagen in Bezug auf die Bedeutung und den allgemeinen Umgang mit Wissen machen“ (Probst, Raub & Romhardt, 1999, S. 75).

86

Im Vorfeld eines Projektes sollte erhoben werden, welches Wissen bzw. welche Informationen für die Zielgruppe relevant sind. Dies gilt auch für Projekte, die auf die Dokumentation von Wissen gerichtet sind. Eine mögliche Zielgruppe für Projekte bzw. Lösungsansätze des Wissensmanagements stellen Führungskräfte im administrativen Bereich (z. B. Leitungsgremien) dar. Zum einen agieren Führungskräfte vielfach als so genannte „Steuerer“ (d. h. Unterstützer) für Lösungsansätze des Wissensmanagements.135 Zum anderen sind im Gegensatz zu den Produktionsprozessen Abläufe in z. B. Leitungsgremien eines Werkes in einem geringeren Maße standardisiert und formal definiert. Auf die Bedeutung der Führungskräfte in Gremien (Rolle: Entscheider, siehe Kapitel 2.3) für die Definition zentraler Zielsetzungen eines Wissensmanagementprojektes machte ein Interviewpartner aufmerksam: „Und genauso wie im Bürobereich [administrativer Bereich] würde ich die Führungskräfte berücksichtigen, weil sie brauchen die Entscheider. [...] Weil, wenn der Entscheider nicht drin ist im Prozess, dann läuft das an ihm vorbei und dann kommt es nicht an.“136 Kommunikation von Wissen Die Interviewpartner unterschieden zwischen formellen und informellen Formen der Kommunikation von Wissen. Als formelle Formen wurden insbesondere Datenbankund Contentmanagementsysteme genannt (z. B. das Datenbankmanagementsystem „Documentum“). Für die informelle Weitergabe von Wissen wurden vor allem das Intranet-Angebot „Contact“ genannt; dies ist eine Yellow-Page, auf der einzelne Mitarbeiter ihre bisherigen Erfahrungen aus verschiedenen Projekten vorstellen können. Die Interviewpartner verwiesen allerdings darauf, dass insbesondere verschiedene Angebote des Intranets kaum für die Weitergabe von Wissen genutzt wurde (so erstellten nur einige Mitarbeiter eine Profilseite in Contact, auf der sie ihre bisherigen Erfahrungen z. B. aus Projekten beschrieben). Als ein Grund dafür wurde genannt, dass das Wissen nicht zielgerichtet, d. h. „nicht den Informationsbedürfnissen“ entsprechend weitergegeben wird. Nach Aussagen der Interviewpartner bestand in Bezug auf die Weitergabe von Wissen die Gefahr, dass aufgrund der mangelnden Kenntnis über die Funktionen der einzelnen 135

Als „Steuerer“ werden Führungskräfte bezeichnet, die für die Erarbeitung und Umsetzung einer Lösungsalternative im BMW Werk Leipzig verantwortlich sind. Die Lösungsalternative wird in der Regel von einem Mitarbeiter der Führungskraft erarbeitet. Die Funktion des „Steuerers“ ist es, die Erarbeitung und Umsetzung der Lösungsalternative zu kontrollieren bzw. zu überwachen. Ein Beispiel für einen „Steuerer“ stellt der Themensteuerer in Gremien dar (vgl. Kapitel 2.3). 136 Quelle: Interview mit Herrn Nagel vom 01.10.2003, S. 9.

87

Mitarbeiter in vor- bzw. nachgelagerten Phasen der Prozesse in der Produktion und der Administration (z. B. Entscheidungsprozesse in Gremien) nicht alle notwendigen Informationen weitergegeben werden. Der folgende Interviewauszug veranschaulicht die Schwierigkeiten bei der Weitergabe von Wissen: „Ich meine, was ich hier jetzt beschrieben habe, ist noch ein relativ einfacher Fall, nämlich ich hab einen Ablauf, den ich im Prinzip dokumentiere und somit optimiere. Was ich überhaupt dabei nicht dokumentiert habe, ist, wer braucht während des Arbeitens und auch dann später in dem Werksbetrieb von wem welche Information.“137 Repräsentation von Wissen Im Rahmen der geführten Interviews wurde von den Interviewpartnern insbesondere auf Fehler bei der schriftlichen Fixierung von Wissen in Dokumenten verwiesen (z. B. redundante Informationen, nicht erläuterte Fachwörter). Als eine mögliche Ursache wurde aufgeführt, dass Dokumente nicht bzw. nicht in ausreichendem Maße zielgruppen- bzw. rezipientengerecht erstellt werden. Eine Möglichkeit zur Ausgestaltung von Dokumenten stellt nach Angabe eines Interviewpartners die Wahl unterschiedlicher Darstellungsbzw. Repräsentationsformen (wie z. B. Texte mit Animationen), dar: „Ich halte es für sinnvoll mit Fotokopien zu arbeiten, dass kann man dann auch im Intranet hinterlegen. Wobei hier natürlich die Bildschirmarbeit zu bedenken ist. [...] Verschiedene Informationen dazuzugeben, das halte ich speziell für sehr sinnvoll, und dann mit verschiedenen Programmen zu arbeiten, die dann Animationen darstellen, wo man den Prozess erkennt.“138 Wissensnutzung In den Interviews wurde betont, dass Lösungsansätze des Wissensmanagements in einem zu geringen Maße darauf ausgerichtet sind, den Mitarbeitern das Wissen bzw. die Informationen zur Verfügung zu stellen, die sie zum Erfüllen ihrer Funktionen in verschiedenen Prozessen der Produktion oder der Administration benötigen. Als Folge, so wurde von einem Interviewpartner konstatiert, wurde von Mitarbeitern nur geringfügig auf verfügbare Informationen (z. B. fixiert in Dokumenten, abgespeichert in Datenbanken oder der Yellow Page „Contact“) zurückgegriffen: „Ja, es gibt dieses Contact, wo jeder Mitarbeiter verzeichnet ist. Da kann auch jeder reinschreiben, was er denn für Erfahrungen hat. Es kann auch jeder reinschreiben, was 137 138

Quelle: Interview mit Herrn Wolf vom 06.11.2203, S. 5. Quelle: Interview mit Frau Beeck vom 30.09.2003, S. 11.

88

er für private Hobbies hat oder sonst was. Das läuft jetzt bestimmt schon seit einem Jahr. Ich habe das ein einziges Mal als Suchender benutzt und bin ein einziges Mal von jemandem angeschrieben worden.“139 Generierung von Wissen Hierzu finden sich in den Interviews keine Aussagen, dieser Punkt erschien den Interviewpartnern als wenig problematisch. Schulung Im Rahmen der Interviews wurden mehrere Schulungsmaßnahmen für Mitarbeiter genannt. Mehrfach erwähnt wurde das Schulungsangebot des so genannten „Technikbasierten Trainingsbausteins“. Dieses Schulungsangebot war darauf ausgerichtet, Mitarbeiter aus der Produktion (z. B. der Montage und der Logistik) für die Funktionen und den Informationsbedarf ihrer Kollegen in vor- und nachgelagerten Phasen des Produktionsprozesses (z. B. Karosseriebau, Lackiererei) zu sensibilisieren. Der folgende Auszug aus einem Interview veranschaulicht diese Zielstellung des „Technikbasierten Trainingsbausteins“: „Im Technikbasierten Trainingsbaustein haben wir so einen [Produktions-]Prozess nachgebildet. Da hatte man ein Spielbrett, auf dem ein Haus abgebildet war, das in neun Felder unterteilt war. Diese Häuser unterschieden sich in einem Detail. Man hatte Spielkarten und die musste man wieder den Feldern [des Hauses] zuordnen. Es gab zwei Fertigungsmitarbeiter, die waren an der Produktionslinie. Einer der beiden hat angefangen, die ersten drei Kärtchen an das Haus anzulegen und hat das Ergebnis dem zweiten weitergegeben. Dieser hat die nächsten drei Kärtchen angelegt. Es gab zudem zwei Prüfer, die haben dann Kontrollfunktionen wahrgenommen und geguckt, ob alles richtig zugeordnet ist. Danach haben sie das an den Logistiker gegeben und der Logistiker hatte dann wieder die Spielkärtchen zurückgetan. Dann gab es noch einen oder zwei Springer und noch einen Werk Leipzig Mitarbeiter. Und was da eigentlich bei fast jedem Spiel rauskam war, das haben uns die Leute dann auch bestätigt, dass sie in dem Trainingsbaustein genau die gleichen Sachen wie täglich am Band erleben. Nur dass wir keine Häuser sondern Autos bauen. Dass nämlich die Kameraden, die hier geprüft haben, die haben fleißig Strichlisten gemacht, haben auch eine Auswertung gemacht, aber die haben die Information darüber nicht weitergegeben. Das war ein Klassiker. Der zweite Klassiker war, der Logistiker hatte als Aufgabe gehabt, hier mal Kärtchen 139

Quelle: Interview mit Herrn Elbe vom 01.10.2003, S. 7.

89

[absichtlich] falsch zuzuordnen. Wenn der Prüfer es nicht gemerkt hat, hatte der ein Problem, weil natürlich Felder auf den Häusern schon besetzt waren. Wenn der es gemerkt hat, hat er es vielleicht an den Logistiker weitergegeben. Das hieß dann: Kollege, du hast da einen Fehler gemacht. Aber er hat es nur in den seltensten Fällen an seine Kollegen weitergegeben.“140 In den Interviews wurde von den Interviewpartnern insbesondere auf die folgenden möglichen Ziele für künftige Schulungen verwiesen: x

Führungskräfte sollen die Bedeutsamkeit der Weitergabe von Wissen für die Unterstützung von Prozessen in der Produktion und der Administration einschätzen können.

x

Mitarbeiter sollen die Bedeutsamkeit der Weitergabe von Wissen für eine effektive Zusammenarbeit in Teams kennen.

x

Mitarbeiter sollen Methoden und Instrumente der Zusammenarbeit in Teams anwenden können.

x

Mitarbeiter sollen vor- und nachgelagerte Phasen eines Prozesses kennen, in dem sie involviert sind.

x

Mitarbeiter sollen die Zielgruppe (Rezipienten) für das von ihnen dokumentierte Wissen kennen.

x

Mitarbeiter sollen Dokumente zielgruppenorientiert bzw. rezipientengerecht erstellen können.

Evaluation Die Interviewpartner verwiesen darauf, dass sich zum Zeitpunkt der Interviews Ansätze zur Bewertung von Projekten bzw. von Lösungsansätzen des Wissensmanagements (z. B. die Häufigkeit der Nutzung des Intranetangebotes „Contact“, Lernerfolgskontrollen bei Mitarbeiterschulungen) erst in einer Entwicklungsphase befänden. Ein Interviewpartner gab Hinweise zum Stand der Evaluation von Schulungsmaßnahmen wie dem Technikbasierten Trainingsbaustein und machte auf Schwierigkeiten bei der Evaluation von Schulungsmaßnahmen aufmerksam: „Wir haben jetzt den Technikbasierten Trainingsbaustein noch nicht gemessen, [...]. Was wir jetzt dann auch noch anschauen ist die Wechselwirkung zwischen Trainingsbausteinen. Also, gibt es eine Wechselwirkung zwischen so einem verhaltensbasierten Trainingsbaustein und anderen, die eine andere Zielstellung haben. Dass messbar zu 140

Quelle: Interview mit Herrn Elbe vom 01.10.2003, S. 12.

90

machen ist insofern sehr schwierig, weil eine Verhaltensveränderung können wir eigentlich nur durch eine Beobachtung feststellen, wo der Beobachtete nicht weiß, dass er beobachtet wird. Also, ich darf nicht oben über dem Band eine geheimnisvolle Kamera aufhängen. Dann kann ich ja auch noch nicht sagen, geht er jetzt zu seinem Vorarbeiter und meldet ihm den Fehler, weil er jetzt durch den Trainingsbaustein gegangen ist? Also, das zu evaluieren, die Verhaltensveränderung, das ist schwer.“141 Die Auswertung der Interviews aus dem BMW Werk Regensburg lieferte Hinweise für die weitere Konkretisierung des Forschungsgegenstands der vorliegenden Arbeit und das methodische Vorgehen im BMW Werk Leipzig. So war es für den Fortgang der Untersuchung sinnvoll, einen im BMW Werk Leipzig bisher wenig formalisierten Prozess auszuwählen, in dem u. a. auch Führungskräfte als potentielle „Steuerer“ von Wissensmanagementprozessen agieren. Ein solcher Prozess ist der Entscheidungsprozess in Leitungsgremien. Zudem erschien es sinnvoll, zu Beginn der Untersuchung den bisher wenig formal definierten Prozessablauf eindeutig zu beschreiben, d. h. vor allem die einzelnen Phasen zu benennen. Innerhalb des Prozesses sollte zudem erhoben werden, welches Wissen bzw. welche Informationen von den Rollenträgern in den einzelnen Phasen benötigt werden. 3.4.2

Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung

Im Folgenden werden die Ergebnisse der Auswertung der Interviews aus dem BMW Werk Leipzig dargestellt. Dabei geht es vor allem um zentrale Aussagen zur Weitergabe von Wissen in Gremien des Werks mittels Dokumenten. Dokumente Dokumente dienen in Gremien des BMW Werks in Leipzig der Weitergabe von Wissen. Die folgenden Dokumente und der Zweck ihrer Verwendung in Gremien wurden von den Interviewpartnern genannt: x

Management Summary: Die Management Summary ist ein Dokument, das in der Phase „Entscheidung vorbereiten“ erstellt wird. Sie dient den Rollenträgern zur Vorbereitung der Gremiensitzung (Phase „Entscheidung treffen“).

x

Präsentation: Die Präsentation wird in der Phase „Entscheidung vorbereiten“ erstellt und in der Phase „Entscheidung treffen“ während einer Gremiensitzung verwendet. Die Präsentation dient der visuellen Darstellung ausgewählter Er-

141

Quelle: Interview mit Herrn Elbe vom 01.10.2003, S. 13.

91

gebnisse der Problembearbeitung (z. B. der zur Auswahl stehenden Lösungsalternativen). x

Persönliche Mitschriften: Persönliche Mitschriften sind ein Dokument, dass in der Phase „Entscheidung treffen“ erstellt wird. Es dient dazu, wichtige Aspekte der Präsentation während einer Gremiensitzung schriftlich festzuhalten. Die Interviewpartner verwiesen darauf, dass dieses Dokument nicht dazu dient, Wissen zwischen mehreren Rollenträgern auszutauschen.

x

Liste offener Punkte: Die Liste offener Punkte ist ein Dokument, das in der Phase „Entscheidung treffen“ erstellt wird. In der Liste offener Punkte werden wichtige Besprechungsergebnisse aus einer Gremiensitzung festgehalten (z. B. die beschlossene Lösungsalternative). In der Liste offener Punkte wird ein Wiedervorlagetermin schriftlich festgelegt. Mit Hilfe dieser Terminsetzung kann eine zeitliche Überwachung der Umsetzung einer beschlossenen Lösungsalternative vorgenommen werden.

x

Protokoll: Das Protokoll ist ein Dokument, dass in der Phase „Entscheidung dokumentieren“ erstellt wird. Das Protokoll dient dazu, die in einer Gremiensitzung getroffenen Entscheidungen (ausgewählte Lösungsalternative) schriftlich festzuhalten. Als Grundlage für das Protokoll dienen die persönlichen Mitschriften, die der Protokollant in der Phase „Entscheidung treffen“ während der Gremiensitzung erstellt hat.

Auf den jeweiligen Zweck der Dokumente verwies ein Interviewpartner: „Die Management Summary und die wird bei uns zur Vorbereitung von Gremiensitzungen genutzt. In den Protokollen wird der aktuelle Beschlussstand festgehalten. Die Liste offener Punkte hat z. B. über die Wiedervorlage auch für den täglichen Arbeitsablauf eine Dokumentationsfunktion.“142 Mehrere Interviewpartner wiesen darauf hin, dass das Protokoll ein bedeutsames Dokument für die schriftliche Fixierung von Wissen aus Entscheidungsprozessen darstellt. Das Protokoll wird in Leitungsgremien nicht nur zur Weitergabe von Wissen genutzt. Es dient auch als Beweisgrundlage der getroffenen Entscheidungen und hat eine juristische Bedeutung. Eine detaillierte Beschreibung der Dokumente und der Ergebnisse der Dokumentenanalyse erfolgt in Kapitel 4 dieser Arbeit. 142

Quelle: Expertengespräch mit Herrn Wolf vom 27.05.2004.

92

Textproduzenten Die Interviewpartner machten deutlich, dass fast alle Rollenträger als Textproduzenten in Gremien agieren. Es kann daher festgehalten werden, dass nicht ausschließlich Protokollanten in Entscheidungsprozessen mit der Dokumentation beauftragt bzw. beschäftigt sind. Im Folgenden werden den Rollenträgern die jeweiligen Dokumente zugeordnet, die sie in Gremien als Textproduzenten erstellen: x

Themenbearbeiter: Management Summary und Präsentation

x

Entscheider: Persönliche Mitschriften

x

Moderator: Persönliche Mitschriften

x

Protokollant: Persönliche Mitschriften, Protokoll, Liste offener Punkte

Lediglich der Themensteuerer agiert in Gremien nicht als Textproduzent. Textrezipient In den Interviews wurde darauf hingewiesen, dass die Weitergabe von Wissen mittels Dokumenten eine bedeutsame Voraussetzung für die Zusammenarbeit der Rollenträger in Gremien ist. Diese Feststellung wurde in den Interviews auch dadurch verdeutlicht, dass jeder Rollenträger als Textrezipient agiert. Im Folgenden werden die Rollenträger aufgeführt, die als Textrezipienten in Entscheidungsprozessen auftreten. Diesen Rollenträgern werden die der Rezeption zu Grunde liegenden Dokumente zugeordnet: x

Themenbearbeiter: Protokoll, Liste offener Punkte

x

Themensteuerer: Management Summary, Präsentation, Protokoll, Liste offener Punkte

x

Entscheider: Management Summary, Präsentation, Protokoll, Liste offener Punkte, Persönliche Mitschriften

x

Moderator: Management Summary, Präsentation, Protokoll, Liste offener Punkte, Persönliche Mitschriften

x

Protokollant: Management Summary, Präsentation, Protokoll, Liste offener Punkte, Persönliche Mitschriften.

In Kapitel 4 werden die Dokumente und der Zweck ihrer Verwendung durch die Rollenträger ausführlich beschrieben. Informationen Die Dokumente werden in Gremien zur Weitergabe von Wissen verwendet. In den Interviews wurde beschrieben, welche Informationen die Dokumente enthalten können bzw. sollten. Im Folgenden wird für jedes Dokument aufgeführt, zu welchen Stationen 93

der Handlungsorganisation nach Angaben der Interviewpartner Informationen jeweils enthalten sein können bzw. enthalten sein sollten: x

Management Summary: Modellbildung, Prognose und Extrapolation, Planung von Aktionen (Lösungsvarianten), Vorschlag für die Auswahl einer Lösungsvariante

x

Präsentation: Prognose und Extrapolation, Planung von Aktionen (Lösungsvariante), Vorschlag für die Auswahl einer Lösungsvariante

x

Protokoll: Entscheidung (Bewertung, Diskussion und Auswahl einer Lösungsvariante)

x

Liste offener Punkte: Auswahl einer Lösungsvariante, Effektkontrolle

Für die Dokumentenart persönliche Mitschriften wurden keine dezidierten Angaben gemacht. Die Interviewpartner verwiesen darauf, dass persönliche Mitschriften keine Dokumente zur Weitergabe von Wissen sind und von den Rollenträgern individuell erstellt werden. Am Beispiel der Liste offener Punkte beschrieb ein Interviewpartner die Bedeutsamkeit, einen „Beschluss“ (Auswahl einer Lösungsalternative) schriftlich zu fixieren: „Der Beschluss stand in den Köpfen, aber er ist nicht einmal so explizit ausgesprochen. So, wie geht man damit um. Ich bin mir da relativ unsicher. Ich meine, natürlich erst mal kommt man drauf, wenn kommuniziert werden muss und es für die Dauer erhalten bleiben soll, muss man es hinschreiben. Also, da muss man eine Form vorgeben, wo man sagt, ich hab gewisse Themen und zu diesen Themen gibt es so eine lange Liste offener Punkte, und dann kommt ein neuer Beschluss unten dran.“143 Richtlinien Die Interviewpartner verwiesen darauf, dass im Werk Leipzig keine Richtlinien existieren, die Textproduzenten in Gremien bei der Ausgestaltung von Dokumenten anleiten bzw. unterstützen. Eine Ausnahme stellt eine Formatvorlage dar, die im Werkleitungskreis zum Erstellen von Protokollen verwendet wird. Ein Interviewpartner machte auf eine fachbereichsinterne Richtlinie zur Ausgestaltung von Präsentationen aufmerksam. Diese Richtlinie wurde den Themenbearbeitern des Fachbereichs als PowerPointPräsentation zur Verfügung gestellt. Sie enthielt insbesondere Vorgaben zur strukturellen Ausgestaltung von Präsentationen. Diese Richtlinie hatte jedoch für die Rollenträger

143

Quelle: Interview mit Herrn Wolf vom 06.11.2003, S. 6.

94

in Gremien des Fachbereichs keinen verbindlichen Charakter. Auf fehlende Richtlinien bzw. Vorgaben zum Erstellen von Dokumenten verwies ein Interviewpartner: „Für die Dokumente gibt es keine Muster. Also, für das Protokoll im Werkleitungskreis ist das jedoch anders, dort gibt es eine Formatvorlage, die alle benutzen. Ich habe nur mal eine Präsentation mit den wichtigen Hinweisen für die Präsentation in einer Sitzung erstellt. Die gebe ich immer meinen Leuten [Themenbearbeiter], bevor sie in die Sitzung [des Fachbereichsgremiums] eingeladen werden.“144 Im folgenden Kapitel wird auf der Grundlage der dargestellten Ergebnisse analysiert, welche Verfahren und Instrumente zur Weitergabe von Wissen in Entscheidungsprozessen von Gremien existieren und ob und in welchem Maße die bestehenden Verfahren und Instrumente geeignet sind, Wissen umfassend zur Verfügung zu stellen und die individuelle Konstruktion von Wissen zu unterstützen. Dazu wird insbesondere Bezug genommen auf Gremiendokumente, wie z. B. die Management Summary oder das Protokoll.

144

Quelle: Expertengespräch mit Herrn Wolf vom 27.05.2004.

95

4

Weitergabe von Wissen in Entscheidungsprozessen von Gremien

4.1

Bedeutsamkeit der Weitergabe von Wissen

Berücksichtigt man die im zweiten Kapitel dargestellten Erwartungen der Rollenträger in Gremien, kann festgehalten werden, dass Rollenträger in Entscheidungsprozessen in Bezug auf das jeweils individuell konstruierte Wissen wechselseitig voneinander profitieren können. Dazu ist es notwendig, dieses Wissen zugänglich zu machen bzw. weiterzugeben: Die Weitergabe von Wissen ist eine wichtige Voraussetzung für die gemeinsame erfolgreiche und effektive Bearbeitung eines Problems durch mehrere Rollenträger in Gremien. In der kognitionspsychologischen Literatur zum Wissensmanagement wird die Frage nach der Weitergabe von Wissen stets im Zusammenhang mit den jeweiligen Inhalten diskutiert (vgl. Reinmann, 2005 sowie Schnotz & Heiss, 2004). Die Weitergabe von Wissen wird dadurch bestimmt, welche Inhalte in welcher Form dargeboten werden. Eine mögliche Form, wie Wissen in Form von Informationen in Entscheidungsprozessen dargeboten werden kann, sind Dokumente (z. B. Protokolle). Sie haben eine zentrale Bedeutung für betriebliche Organisationseinheiten wie z. B. die Gremien (vgl. Dragusanu, 2006; Roehl, 2000 sowie Probst et al., 1999). Wissenschaftliche Ansätze zur Weitergabe von Wissen durch Dokumente finden sich in der Textverständlichkeitsforschung.145 Darauf wird im Rahmen dieses Kapitels zurückgegriffen. Anschießend wird erörtert, wie Wissen in Dokumenten der Gremien des BMW Werks Leipzig im Allgemeinen dargeboten wird. Im Rahmen dieser Arbeit wird davon ausgegangen, dass Rollenträger bei der Problembearbeitung Wissen zu den Stationen der Handlungsorganisation (siehe Kapitel 2.1) konstruieren und systematisch ein mentales Modell des Problems und der Problemlösung erstellen bzw. erweitern können. Es bietet sich daher an, im Folgenden zu erörtern, x

welches Vorwissen die Rollenträger zu dem zu lösenden Problem in Entscheidungsprozessen von Gremien bereits konstruiert haben und

x

welches Wissen hilfreich sein kann, damit der jeweilige Rollenträger ein mentales Modell von einem Problem konstruieren bzw. ein bereits existierendes mentales Modell erweitern kann.

145

Für einen systematischen Überblick zur Textverständlichkeitsforschung siehe u. a. Göpferich (2002a).

97

Der Themenbearbeiter übernimmt innerhalb der Phase „Entscheidung vorbereiten“ die Funktion, das (komplexe) Problem bis zur Ausarbeitung unterschiedliche Lösungsalternativen (inklusive deren Gewichtung) zu erarbeiten. Themenbearbeiter in den Gremien des BMW Werks Leipzig verfügen in der Regel über Vorwissen bzw. Kenntnisse zur Anwendung von Denk-, Arbeits- und Problemlösestrategien in Bezug auf ingenieursspezifische Problemstellungen der Automobilproduktion (z. B. Verfahren zur Analyse von Produktionskennziffern, zur Erhebung von Ursache-Wirkungsbeziehungen bei Maschinendefekten). Vom zu lösenden Problem konstruiert der Themenbearbeiter (erstmalig) ein mentales Modell. Der Themenbearbeiter erwirbt Wissen zu den folgenden Stationen der Handlungsorganisation: Zielausarbeitung, Modellbildung, Prognose & Extrapolation sowie Planung von Aktionen (Lösungsalternativen). Der Themensteuerer kontrolliert in der Phase „Entscheidung vorbereiten“ die vom Themenbearbeiter erstellten Ergebnisse der Problembearbeitung. In dieser Phase des Entscheidungsprozesses hat der Themensteuerer noch kein (spezifisches) Vorwissen zum zu lösenden Problem konstruiert. Um ein mentales Modell vom Problem konstruieren zu können, kann es hilfreich sein, dass der Themensteuerer Wissen zu den folgenden Stationen der Handlungsorganisation verfügbar macht: Zielausarbeitung, Modellbildung, Prognose/Extrapolation und Planung von Aktionen. Hat der Themensteuerer ein mentales Modell zur Problembearbeitung konstruiert, kann er die Ergebnisse bewerten und die Bewertung dem Themenbearbeiter kommunizieren (Feedback). Abbildung 4-1 fasst zusammen, welches Wissen zwischen den beiden Rollenträgern ausgetauscht werden kann.

Abbildung 4-1: Weitergabe von Wissen zwischen dem Themenbearbeiter und dem Themensteuerer

In der Phase „Entscheidung treffen“ werden die Ergebnisse der bisherigen Bearbeitung des Problems von den Entscheidern bewertet und eine Lösungsalternative ausgewählt. Wie der Themensteuerer haben die Entscheider zu Beginn dieser Phase noch kein umfassendes Vorwissen zum bearbeiteten Problem erworben. Um ein umfassendes mentales Modell zum bearbeiteten Problem konstruieren zu können, kann es sinnvoll sein, dass der Themenbearbeiter zu den folgenden Stationen der Handlungsorganisation Wis98

sen zur Verfügung stellt: Zielausarbeitung, Modellbildung, Prognose/Extrapolation sowie Planung von Aktionen. Haben die Entscheider ein umfassendes mentales Modell zur Problembearbeitung konstruiert, können sie eine Bewertung der bisherigen Ergebnisse der Problembearbeitung an den Themenbearbeiter in Form eines Feedbacks weiterleiten. Welches Wissen zwischen den genannten Rollenträger weitergegeben werden kann, fasst die Abbildung 4-2 zusammen.

Abbildung 4-2: Weitergabe von Wissen zwischen dem Themenbearbeiter und den Entscheidern

Der Moderator leitet die Gremiensitzung und wirkt darauf hin, dass eine Entscheidung, d. h. die Auswahl einer Lösungsalternative, durch die Entscheider getroffen wird. Im Vorfeld einer Gremiensitzung besitzt der Moderator noch kein umfassendes Vorwissen zu dem zu bearbeiteten Problem. Um ein mentales Modell zur bisherigen Problembearbeitung konstruieren zu können, kann der Themenbearbeiter Wissen zu den folgenden Stationen der Handlungsorganisation zur Verfügung stellen (wie in Abbildung 4-3 kurz skizziert): Zielausarbeitung, Modellbildung, Prognose/Extrapolation und Planung von Aktionen.

Abbildung 4-3: Weitergabe von Wissen zwischen dem Themenbearbeiter und dem Moderator

Innerhalb der Phase „Entscheidung treffen“ bringen die Entscheider aufgrund ihrer Expertise umfangreiches Wissen in die Diskussion der Problemlösung ein. Zu Beginn dieser Phase des Entscheidungsprozesses besitzen die Entscheider bereits umfangreiches Vorwissen zum Problem. Dieses Wissen können die Entscheider untereinander in der

99

Diskussion und Bewertung der Lösungsalternativen zur Verfügung stellen, wie Abbildung 4-4 darstellt.

Abbildung 4-4: Weitergabe von Wissen zwischen den Entscheidern

Der Protokollant dokumentiert in dieser Phase des Entscheidungsprozesses die in einer Gremiensitzung vom Themenbearbeiter präsentierten Ergebnisse der Problembearbeitung sowie die von den Entscheidern ausgewählte bzw. angepasste Lösungsalternative. Der Protokollant besitzt zu diesem Zeitpunkt des Entscheidungsprozesses kein umfassendes Vorwissen zum bearbeiteten Problem. Es kann sinnvoll sein, dass der Protokollant zu den folgenden Stationen der Handlungsorganisation Wissen konstruiert (das sowohl vom Themenbearbeiter als auch vom Entscheider zur Verfügung gestellt werden kann): Zielausarbeitung, Modellbildung, Prognose/Extrapolation, Planung von Aktionen und Entscheidung. An dieser Stelle ist kritisch zu diskutieren, ob und inwieweit es notwendig erscheint, dass der Protokollant ein umfangreiches mentales Modell zur Problembearbeitung konstruieren sollte.146 Diese Fragestellung wird in Kapitel 4.3 und 5 aufgegriffen und diskutiert. Die nachfolgende Abbildung 4-5 stellt dar, welches Wissen dem Protokollanten zur Verfügung gestellt werden kann.

Abbildung 4-5: Weitergabe von Wissen an den Protokollanten

Aufgrund fehlender Expertise zu ingenieursspezifischen Themen kann die Schwierigkeit bestehen, dass ein Protokollant nur ein unvollständiges mentales Modell zum bearbeiteten Problem konstruiert. Die Bewertung und Auswahl des zu dokumentierenden Wissens kann somit erschwert werden. Als hilfreich kann sich eine Unterstützung des 146

Der Protokollant übernimmt zwar „nur“ die Funktion Wissen zu dokumentieren. Die Wahrnehmung dieser Funktion schließt jedoch auch eine Bewertung und Auswahl des zu dokumentierenden Wissens mit ein.

100

Protokollanten bei der Konstruktion von Wissen durch den Moderator erweisen. Der Moderator bewertet z. B. die Vollständigkeit und sachliche Richtigkeit der Protokollinhalte (in Bezug auf alle Stationen der Handlungsorganisation) und meldet dieses Wissen an den Protokollanten in Form eines Feedbacks zurück. Abbildung 4-6 veranschaulicht dies.

Abbildung 4-6: Weitergabe von Wissen zwischen dem Protokollanten und dem Moderator

Der Themenbearbeiter übernimmt in der Phase „Entscheidung umsetzen“ die Funktion, die ausgewählte bzw. angepasste Lösungsalternative umzusetzen bzw. beschlossene Aktionen durchzuführen. Zu Beginn dieser Phase hat der Themenbearbeiter bereits umfassendes Vorwissen zur Problembearbeitung erworben. Durch die Umsetzung der ausgewählten Lösungsalternative integriert er neues Wissen in das bestehende mentale Modell zu den Stationen Durchführung, Effektkontrolle und Revision der Vorgehensstrategie. Wissen zu den beiden letztgenannten Stationen kann auch der Themensteuerer bzw. die Entscheider durch eine Bewertung der Problembearbeitung in Form eines Feedbacks dem Themenbearbeiter zur Verfügung stellen. Um eine solche Bewertung vornehmen zu können, kann es hilfreich sein, dass der Themenbearbeiter Wissen zur Durchführung bzw. Umsetzung der Lösungsalternative verfügbar macht. In Abbildung 4-7 ist dargestellt, welches Wissen zwischen beiden Rollenträgern weitergegeben werden kann.

101

Abbildung 4-7: Weitergabe von Wissen zwischen dem Themenbearbeiter und dem Themensteuerer/Entscheider

Die nachfolgende Tabelle 4-1 fasst zusammen, welches Wissen zwischen den jeweiligen Rollenträgern weitergegeben werden kann (bzw. zu welchen Inhalten Wissen ausgetauscht werden kann) bzw. weitergeben werden sollte.

Tabelle 4-1: Übersicht zur Weitergabe von Wissen in Gremien

Ein zusammenfassender Überblick zu den Funktionen der Rollenträger in den jeweiligen Phasen des Entscheidungsprozesses ist in Tabelle 4-2 dargestellt. Den Funktionen eines jeden Rollenträgers sind in der Tabelle die Stationen der Handlungsorganisation zugeordnet, zu denen der jeweilige Rollenträger innerhalb einer Phase des Entscheidungsprozesses Wissen bei der Bearbeitung des Problems konstruiert. Diese Stationen sind farblich markiert. Die Tabelle zeigt u. a., dass alle Rollenträger innerhalb des Entscheidungsprozesses individuell Wissen zu den Stationen der Handlungsorganisation konstruieren müssen, um ihre jeweiligen Funktionen erfüllen zu können. Es kann festgehalten werden, dass alle Rollenträger sowohl Wissen weitergeben können als auch 102

vom Wissen anderer Rollenträger profitieren können. Die Tabelle veranschaulicht auch, dass die Rollenträger zum Erfüllen der Funktionen in Entscheidungsprozessen in unterschiedlichem Umfang Wissen zu den einzelnen Stationen der Handlungsorganisation konstruieren. Ein mentales Modell zu einem vollständig bearbeiteten Problem erstellen lediglich der Themenbearbeiter und der Themensteuerer. Von deren Wissen zu einem vollständig bearbeiteten Problem können auch Rollenträgern weiterer Gremien profitieren. So kann beispielsweise ein Themenbearbeiter, der für den Werkleitungskreis die fixen Kosten der Ausbildungsprozesse analysieren soll, Ergebnisse bereits durchgeführter Untersuchungen von Ausbildungsprozessen auf der Fachbereichsebene nutzen. Diese Ergebnisse können jedoch nur dann genutzt und durch den Themenbearbeiter nachvollzogen werden, wenn sie für eine künftige Weiterverwendung gesichert worden sind (z. B. schriftlich in Dokumenten fixiert wurden).

Tabelle 4-2: Stationen der Handlungsorganisation und ihre Bearbeitung innerhalb der Entscheidungsprozessphasen147

In Gremien stellt sich die Anforderung, Wissen innerhalb einer Phase sowie über mehrere Phasen des Entscheidungsprozesses aber auch über mehrere Gremien hinweg weiterzugeben. Innerhalb einer Phase des Entscheidungsprozesses wird Wissen in der Regel verbal in direkter Kommunikation ausgetauscht (z. B. in einer Gremiensitzung). Die 147

Die Abkürzungen stehen für die folgenen Rollen im Entscheidungsprozess: TB=Themenbearbeiter, TS=Themensteuerer, E=Entscheider, M=Moderator, P=Protokollant.

103

Weitergabe von Wissen zwischen den Rollenträgern über mehrere Phasen des Entscheidungsprozesses bzw. über mehrere Gremien hinweg erfolgt zumeist schriftlich mittels Dokumenten. Im Rahmen der direkten Kommunikation besteht bei Verständnisproblemen die Möglichkeit nachzufragen, d. h. den jeweiligen Rollenträger um eine vertiefende bzw. umfassendere Darstellung des Wissens zu bitten. Bei der Weitergabe von Wissen mittels Dokumenten besteht diese Möglichkeit nicht immer bzw. ist mit zum Teil hohem Aufwand verbunden.148 Im Zentrum der folgenden Betrachtung steht die phasen- bzw. gremienübergreifende Weitergabe von Wissen mittels Dokumenten. 4.2

Weitergabe von Wissen mit Dokumenten

Dokumente können dazu verwendet werden, Wissen schriftlich festzuhalten bzw. zu bewahren. Dokumente können als Ausgangspunkt der Konstruktion neuen Wissens dienen, indem Rollenträger schriftlich fixierte Informationen beim Rezipieren aufnehmen und ein mentales Modell von einem Problem konstruieren bzw. diese Informationen in ein bestehendes mentales Modell integrieren. Zudem können Dokumente dazu beitragen, die zu verarbeitende Informationsmenge bei der Problembearbeitung zu reduzieren und „handhabbar zu machen“ (vgl. Steiner, 2001, S. 173), indem Informationen aus dem mentalen Repräsentationssystem „ausgelagert“ werden (vgl. Zhang, 1997 sowie Larkin & Simon, 1987). Das Erstellen eines Dokumentes ist ein aktiver und konstruktiver Vorgang, bei dem der jeweilige Rollenträger bzw. Textproduzent persönliche Ziele, individuelles Wissen und eigene Schreibstrategien einbringt (siehe Abbildung 4-8).

148

Eine personalpolitische Prämisse der BMW Group besteht darin, dass Führungskräfte des mittleren und höheren Managements eines Werks ihre Positionen bzw. Arbeitsstellen innerhalb der Group alle zwei bis drei Jahre wechseln sollen. Da der Arbeitsstellenwechsel oftmals mit einem Ortswechsel verbunden ist, kann es mit einem hohen Aufwand an Zeit und Kosten verbunden sein, den Produzenten eines Dokumentes zu kontaktieren.

104

Abbildung 4-8: Produktion und Rezeption von Dokumenten in Entscheidungsprozessen von Gremien (in Anlehnung an Reinmann-Rothmeier et al., 1995, S. 17)

Um bereits konstruiertes Wissen zur Problembearbeitung dem Rezipienten mitteilbar zu machen, bringt der Textproduzent seine mentale Repräsentation des Problems in eine „Sequenz von Wörtern, Sätzen und Textabschnitten“ (Reinmann-Rothmeier, 1995, S. 17) zum Ausdruck. Das Dokument kann als ein Verbindungsglied zwischen dem Textproduzenten und dem Rezipienten verstanden werden. Deshalb ist das Dokument so zu gestalten, dass es den Verstehens- bzw. Wissenskonstruktionsprozess des Rezipienten unterstützt. Dabei macht der Textproduzent „bestimmte Annahmen über das Vorwissen, die kognitiven Fähigkeiten, die Interessen, Erwartungen und Ziele des [Rezipienten]“ (Schnotz, 1994, S. 12). Bei der strukturellen Gestaltung von Dokumenten kann zwischen der Makro- und der Mikrostruktur unterschieden werden. Die Markostruktur umfasst Aspekte des inhaltlichen Aufbaus von Dokumenten während sich die Mikrostruktur auf Kriterien und Merkmale des Dokumentendesigns wie zum Beispiel Schriftgestaltung und sprachliche Formulierung bezieht. Im Zentrum der nachfolgenden Betrachtungen steht sowohl die inhaltliche als auch die (makro-)strukturelle Ausgestaltung der Dokumente in Entscheidungsprozessen von Gremien. Der Verstehensprozess bzw. der Erwerb von Wissen aus einem Dokument ist eine konstruktive und aktive Lese- bzw. Rezeptionsleistung, bei welcher der jeweilige Rollenträger bzw. Rezipient das eigene Vorwissen, seine persönlichen Zielsetzungen sowie seine Lese- bzw. Rezeptionsstrategien aktiv einbringt, um ein mentales Modell des Problems zu konstruieren bzw. systematisch zu erweitern. Das bedeutet, dass Dokumente als externale Darstellung eines Sachverhaltes dazu verwendet werden können, die 105

Konstruktion eines mentalen Modells zu unterstützen (vgl. Collins, Brown & Larkin, 1980; Johnson-Laird, 1980; Kelter & Habel, 1996 sowie Schnotz, 1994, 2002).

Zur Untersuchung, ob und inwieweit die Dokumente geeignet erscheinen Wissen weiterzugeben, so dass sie als Grundlage zur Konstruktion von neuem Wissen dienen können, bieten sich kognitions- und instruktionspsychologische Erkenntnisse der Textverständlichkeitsforschung an. Als theoretische Grundlage zur Untersuchung der Verständlichkeit der Dokumente dient der kommunikationsorientiert-integrative Ansatz zur Bewertung und Optimierung von Dokumenten von Göpferich (2001, 2002a, 2002b).149 Im Folgenden wird auf zwei zentrale Merkmale zur Beschreibung bzw. Bewertung von Dokumenten zurückgegriffen, den kommunikativen Grundfunktionen und der inhaltlichen Struktur von Dokumenten:

Kommunikative Grundfunktionen von Dokumenten: Göpferich (2002a) definiert die kommunikative Funktion eines Dokumentes „als eine komplexe Größe, die sich zusammensetzt aus dem Zweck des Textes, seinen Adressaten [bzw. Rezipienten] und seinem Sender [bzw. Produzenten]“ (S. 156). Der Zweck ist nach Göpferich darauf ausgerichtet, den Rezipienten nach dem Lesen des Textes zu einer bestimmten Aktion beim Problemlösen zu befähigen. Für eine präzisierte Beschreibung des Zwecks, des Produzenten und des Rezipienten eines Dokuments wird auf das Konzept der kommunikativen Grundfunktionen nach Bühler (1934) zurückgegriffen. Dokumente übernehmen danach zwischen dem Textproduzenten und dem (künftigen) Textrezipienten folgende, bereits von Bühler in seinem Organummodell der Sprache150 definierte Grundfunktionen: „In der Relation zum Gegenstand hat der Text Darstellungsfunktion: Er enthält Aussagen über den betreffenden Gegenstand [z. B. Problemlösealternativen]. In der Relation zum [Textproduzenten] hat der Text Ausdrucksfunktion: Er bringt das Wissen und die Sichtweise des [Textproduzenten zur Problembearbeitung] zum Ausdruck. In der Relation zum [Textrezipienten] hat der Text Appellfunktion: Er wendet sich an den [Rezipienten] mit der impliziten Aufforderung, Gedanken und Sichtweisen des [Textproduzenten] nachzuvollziehen“ 149

Der Ansatz von Göpferich ist der Textverständlichkeitsforschung zuzurechnen. Für die Entwicklung des Ansatzes integriert Göpferich u. a. Erkenntnisse der Kognitionspsychologie (Konzept des mentalen Modells), der Instruktionspsychologie (die vier instruktionspsychologischen Dimensionen des Hamburger Verständlichkeitskonzepts der Psychologen Langer, Schulz von Thun und Tausch) und der Kommunikationstheorie. Der Ansatz ist geeignet, nicht nur Aspekte der Gestaltung sondern auch den Zweck des Einsatzes von Dokumenten in Gremien zu diskutieren. 150 Organum ist die lateinische Bezeichnung für Werkzeug.

106

(Schnotz, 1994, S. 12). Im Folgenden dient das Merkmal der kommunikativen Grundfunktionen der Beschreibung von Dokumenten, die in Entscheidungsprozessen von Gremien zum Einsatz kommen.

Inhaltliche Strukturierung der Dokumente: Der in einem Dokument dargebotene Inhalt ist „unter strukturellen Gesichtspunkten daraufhin zu überprüfen, ob [er] in angemessene Bauteile (Schemata) zerlegt und diese im Verlaufe des Textes in eine sinnvolle Reihenfolge zusammengefügt werden“ (Göpferich, 2002a, S. 173). Zur Bestimmung bzw. Überprüfung einer sinnvollen Reihenfolge (im Folgenden auch als inhaltliche Sequenzierung bezeichnet) wird im Rahmen dieser Arbeit auf das in Kapitel 2.1 dargestellte Schema (Stationen der Handlungsorganisation) einer vollständigen Problembearbeitung zurückgegriffen. Nach Göpferich (2002a) sollten der Inhalt eines Dokumentes sowie seine Sequenzierung dem Vorwissen des Rezipienten angepasst werden. D. h. in Abhängigkeit eines bereits vom Rezipienten konstruiertem mentalen Modell der Bearbeitung eines Problems, sind sowohl der Umfang als auch die Reihenfolge der Inhalte in Dokumenten auszuwählen. So kann der Textproduzent wie z. B. der Themenbearbeiter „vor der Beschreibung von Lösungsalternativen [...] genau erklären, wie [das komplexe Problem] aussieht, damit der Leser [z. B. Entscheider] sich vorab ein `grobes mentales Modell´ seines Ziels konstruieren und vor diesem Hintergrund dann die nachfolgenden Schritte betrachten kann“ (Göpferich, 2002a, S. 174). Zur Bewertung der inhaltlichen Struktur der Dokumente wird im Folgenden geprüft, ob Informationen zu allen Stationen der Handlungsorganisation in den Dokumenten schriftlich fixiert wurden und ob die Anordnung der Informationen in den Dokumenten der Abfolge der Problembearbeitung respektive den Stationen der Handlungsorganisation nach Dörner entspricht. Die Analyse der inhaltlichen Struktur der Dokumente erfolgt in Kapitel 4.3. Im Rahmen dieser Arbeit sind 73 in Gremien bearbeitete und in Dokumenten schriftlich fixierte Problemstellungen untersucht worden. Als Grundlage der Untersuchungen dienten zum einen die in Gremien genutzten Dokumente. Zum anderen wurden Rollenträger interviewt, die in unterschiedlichen Phasen des Entscheidungsprozesses als Textproduzenten bzw. Textrezipienten fungiert haben. Die Analyse der Dokumente ist mit dem Ziel erstellt worden festzustellen, x

welche Dokumente in Gremien zum Einsatz kommen,

x

welche spezifischen kommunikativen Grundfunktionen von diesen Dokumenten im Rahmen der Weitergabe von Wissen jeweils übernommen werden, 107

x

welche Inhalte sowie

x

welche Strukturierung der Inhalte in den Dokumenten vorherrschte.

Die Interviews dienten u. a. dazu, Verfahren und Richtlinien der Textproduktion in Gremien des BMW Werks zu analysieren (vgl. Kapitel 3). Im Folgenden werden die in Entscheidungsprozessen von Gremien verwendeten Dokumente vorgestellt und ihre kommunikativen Grundfunktionen beschrieben. 4.2.1

Management Summary

Die Management Summary wird vom Themenbearbeiter (Textproduzent) erstellt. Er bringt in diesem Dokument zentrale Bestandteile des Wissens zum Ausdruck, das er im Rahmen der Problembearbeitung erworben bzw. konstruiert hat. Weiterhin werden ausgewählte Ergebnisse des Problemlöseprozesses von der Zielausarbeitung bis zu den ausgearbeiteten Lösungsalternativen darin dargestellt. Rezipient der Management Summary sind sowohl der Themensteuerer als auch der Entscheider. Mit diesem Dokument wendet sich der Themenbearbeiter an den Themensteuerer/Entscheider mit der Aufforderung, die Ergebnisse seiner Konstruktion von Wissen nachzuvollziehen und selbst ein mentales Modell zum bearbeiteten Problem zu konstruieren. Dem Themensteuerer kann die Management Summary noch in der Phase „Entscheidung vorbereiten“ als Grundlage für die inhaltliche und qualitative Überprüfung der bisherigen Ergebnisse der Problembearbeitung dienen (Planungskontrolle).151 Dem Entscheider dient die Management Summary der inhaltlichen Vorbereitung auf die Gremiensitzung, indem sie in die zentralen Aspekte eines zur Entscheidung anstehenden Problems einführt. Abbildung 4-9 veranschaulicht die beschriebenen kommunikativen Grundfunktionen.

151

Der Themensteuerer kann ermitteln, ob alle zentralen Aspekte eines Problemlöseprozesses vollständig bearbeitet wurden (von der Ausarbeitung des Ziels bis zur Planung der Lösungsalternativen) und bei Bedarf steuernd in die bisherige Problembearbeitung durch den Themenbearbeiter eingreifen.

108

Abbildung 4-9: Kommunikative Grundfunktionen einer Management Summary

Die Management Summary wird in Gremien in der Regel in elektronischer Form erstellt und mit Hilfe von Informations- und Kommunikationsmedien, wie z. B. Datennetzen (Intranet) zwischen den Rollenträgern ausgetauscht. Die Management Summary ist ein Dokument, das in den meisten Entscheidungsprozessen von Gremien in standardisierter Form zum Einsatz kommt und inhaltlich von organisationalen Vorgaben unabhängig ist. Die folgende Abbildung 4-10 stellt ein Beispiel für eine Management Summary dar.

Abbildung 4-10: Beispiel einer Management Summary (Ausschnitt)

4.2.2

Präsentation

Die Präsentation ist ein Dokument, das zur Weitergabe von Wissen zwischen den Phasen „Entscheidung vorbereiten“ und „Entscheidung treffen“ verwendet wird. Erstellt wird die Präsentation vom Themenbearbeiter (Textproduzent). Die Präsentation dient der (visuellen) Darstellung ausgewählter Ergebnisse der Problembearbeitung, wie z. B. der zur Diskussion bzw. Auswahl stehenden Lösungsalternativen, d. h. der Entscheider wird in einer Gremiensitzung über den Stand und die Ergebnisse der Problembearbeitung informiert (vgl. Hartmann et al., 1995, S. 13). Rezipiert wird die Präsentation vom Entscheider und vom Protokollanten. An den Entscheider wird durch die Präsentation appelliert, die Ergebnisse der Wissenskonstruktion zur Problembearbeitung des The109

menbearbeiters nachzuvollziehen und das eigene bereits existierende mentale Modell zum bearbeiteten Problem zu erweitern. Die Präsentation hat die gleiche Appellfunktion wie die Management Summary und stellt daher Inhalte dar, zu denen „die Teilnehmenden [bereits] einen Bezug haben“ (Gomez, 2004, S. 41). Auch an den Protokollanten richtet der Themenbearbeiter durch die Präsentation die implizite Aufforderung, die bisherigen Ergebnisse der Wissenskonstruktion zur Problembearbeitung nachzuvollziehen und ein eigenes mentales Modell zum bearbeiteten Problem zu konstruieren. Das im Rahmen der mündlichen und visuellen Präsentation weitergegebene Wissen stellt eine inhaltliche Grundlage für das zu erstellende Protokoll dar. Die folgende Abbildung 4-11 skizziert die kommunikativen Grundfunktionen der Präsentation.

Abbildung 4-11: Kommunikative Grundfunktionen einer Präsentation

Die Präsentation wird in der Regel in elektronischer Form verfasst und mit Hilfe von Medien zur visuellen Darstellung152 den Entscheidern zur Verfügung gestellt. Diese Dokumentenart kommt in den meisten Entscheidungsprozessen von Gremien zum Einsatz. Die inhaltliche Gestaltung der Präsentation ist von organisationalen Vorgaben unabhängig. In der Abbildung 4-12 ist ein Beispiel für eine Präsentation aus einem Werkgremium dargestellt.

152

Zur visuellen Darstellung kommen in der Regel ausgewählte Medien, wie z. B. Beamer oder Tageslichtprojektor zum Einsatz.

110

Abbildung 4-12: Beispiel eines Präsentationsdokuments (Folie)153

4.2.3

Persönliche Mitschriften

Textproduzenten der persönlichen Mitschriften sind sowohl die Entscheider als auch der Protokollant. Persönliche Mitschriften werden in der Phase „Entscheidung treffen“ erstellt. In diesem Dokument werden relevante Aspekte der verbalen Ausführungen des Themenbearbeiters zur Problembearbeitung dargestellt. Rezipienten der persönlichen Mitschriften sind ebenfalls sowohl die Entscheider als auch der Protokollant, d. h. dass diese Dokumentart nicht dazu verwendet wird, Wissen zwischen zwei unterschiedlichen Rollenträgern weiterzugeben. Die persönlichen Mitschriften dienen den jeweiligen Rollenträgern vielmehr dazu, ihr zur Problembearbeitung konstruiertes Wissen zu bewahren. Die Mitschriften haben eine kurzfristige „Erinnerungsfunktion“. So sind z. B. die Mitschriften des Protokollanten aus der Gremiensitzung Grundlage für die spätere Produktion des Protokolltextes. Die persönlichen Mitschriften können nicht als ein Dokument bezeichnet werden, das zur Weitergabe von Wissen zwischen den Rollenträgern eingesetzt wird. Diese Dokumentart wird daher nicht weiter betrachtet. 4.2.4

Liste offener Punkte

Ein Dokument zur Weitergabe von Wissen in der Phase „Entscheidung treffen“ ist die Liste offener Punkte. Dieses Dokument wird in der Regel vom Protokollanten (Textproduzent) erstellt. In der Liste offener Punkte bringt der Protokollant sein Wissen zu

153

In der Abbildung ist eine Präsentationsfolie dargestellt, die einen zeitlichen Verlaufsplan für einen umzusetzenden Projektvorschlag (Lösungsalternative) enthält.

111

den von den Entscheidern erstellten Besprechungsergebnissen zum Ausdruck. In diesem Dokument werden lediglich ausgewählte Aspekte der Besprechungsergebnisse aus der Gremiensitzung, wie die beschlossene und umzusetzende Lösungsalternative, der mit der Umsetzung beauftragte Mitarbeiter (in der Regel der Themenbearbeiter) und eine zeitliche Vorgabe (in Form einer Wiedervorlage), dargestellt. Mit diesem Dokument fordert der Protokollant die Entscheider auf, das Wissen des Protokollanten zu den o. g. inhaltlichen Aspekten nachzuvollziehen. Die Entscheider haben in der Regel bereits ein mentales Modell zum bearbeiteten Problem konstruiert, daher dient die Liste offener Punkte nicht der Konstruktion „neuen“ Wissens. Das Dokument „spiegelt“ somit das bereits erworbene Wissen der Entscheider zum Problemgegenstand wieder.154 Die Liste offener Punkte dient dem Entscheider als Beleg für die durch das Gremium beschlossenen zeitlichen und inhaltlichen Sollwerte. Mittels der Liste offener Punkte können die Entscheider eine Ergebniskontrolle durchführen.155 Die Abbildung 4-13 verdeutlicht die kommunikativen Grundfunktionen der Liste offener Punkte.

Abbildung 4-13: Kommunikative Grundfunktionen der Liste offener Punkte

Die Liste offener Punkte wird in der Regel in elektronischer Form erstellt und mit Hilfe von Informations- und Kommunikationsmedien, wie z. B. Datennetzen zwischen den Rollenträgern ausgetauscht. Ein Beispiel für das Dokument Liste offener Punkte ist in der folgenden Abbildung 4-14 dargestellt.

154

Dieses Dokument wird in unterschiedlicher Form in den Gremien verwendet. In Gremien auf Werkleitungs- und Fachbereichsebene dient es zusätzlich zum Protokoll zur Kontrolle der umgesetzten Problemlösung. In Gremien auf der Gruppenebene wird es oftmals anstatt eines Protokolls zur Dokumentation der Beschlüsse eingesetzt. 155 Die Liste offener Punkte wird in der Regel chronologisch erstellt. Als Medien werden oftmals Tabellenlalkulations- und Datenbanksoftware verwendet (siehe Abbildung 4-14). Nach erfolgreichem Abschluss einer Probelmbearbeitung bzw. Umsetzung einer Lösungsalternative werden die Inhalte in dem Dokument Liste offener Punkte zumeist gelöscht.

112

Abbildung 4-14: Beispiel für das Dokument Liste offener Punkte (Ausschnitt)

4.2.5

Protokoll

Das Protokoll ist ein Dokument, das vom Protokollanten (Textproduzent) auf der Grundlage seiner persönlichen Mitschriften in der Phase „Entscheidung dokumentieren“ erstellt wird. Im Protokoll bringt der Protokollant sein innerhalb der Gremiensitzung konstruiertes Wissen zur dargestellten und diskutierten Problembearbeitung zum Ausdruck. Das Protokoll dient dazu, die in der Sitzung durch die Entscheider ausgewählte Problemlösung und Diskussionsbeiträge schriftlich festzuhalten bzw. darzustellen.156 Das Protokoll wird sowohl vom Entscheider als auch vom Themenbearbeiter rezipiert. Durch das Protokoll werden die genannten Rollenträger implizit aufgefordert, das Wissen des Protokollanten zum Gegenstand der Problembearbeitung nachzuvollziehen. Die Entscheider verfügen zu diesem Zeitpunkt im Entscheidungsprozess bereits über ein mentales Modell zum bearbeiteten Problem, so dass das Protokoll wie auch die Liste offener Punkte eine „Erinnerungsfunktion“ hat und zur Ergebniskontrolle verwendet werden kann.157 Die folgende Abbildung 4-15 veranschaulicht die kommunikativen Grundfunktionen des Protokolls.

156

In Gremien des BMW Werks handelt es sich in der Regel um so genannte Beschlussprotokolle, die nicht den Verlauf sondern die Ergebnisse der Diskussion dokumentieren (vgl. Weilenmann, 1987). 157 Die protokollierte Lösungsvariante (z. B. anzustrebende Teilziele, zu verwendende Ressourcen) und die durch das Gremium bestimmte Zeitvorgabe für die Umsetzung der Problemlösungen stellen Soll-Werte dar, die mit den vom Themenbearbeiter erzielten bzw. den tatsächlich eingetretenen Ist-Werten verglichen werden können.

113

Abbildung 4-15: Kommunikative Grundfunktionen eines Protokolls

Das Protokoll wird aber auch für Entscheider und Themenbearbeiter erstellt, die nicht an der Gremiensitzung teilgenommen haben. In diesem Fall appelliert der Protokollant mit Hilfe des Protokolls an diese Rezipienten, ein neues mentales Modell zum bearbeiteten Problem zu konstruieren. Zudem erfüllt es eine Aufgabe der langfristigen Wissensbewahrung. Problemlösungen sollen auch noch in Zukunft von den Entscheidern nachvollzogen werden können. Die Wiederverwendung von Protokollen ermöglicht es, Entscheidungsabläufe nachzuvollziehen, erstellte Problemlösungen zu verstehen und anzuwenden. Ein Ziel kann die hierarchie- bzw. gremienübergreifende Abbildung laufender und abgeschlossener Prozesse und Aktivitäten der Problembearbeitung sein (vgl. Hoffmann, 1993, S. 820 ff. sowie Schott, 2000, S. 7). Das Protokoll kommt in allen Entscheidungsprozessen von Werkgremien als Standarddokument zum Einsatz. Das Protokoll wird zumeist in elektronischer Form erstellt und mit Hilfe von Informationsund Kommunikationsmedien, wie z. B. Datennetzen zwischen den Rollenträgern ausgetauscht. Das Protokoll ist in seiner inhaltlichen Gestaltung von Vorgaben der Organisation unabhängig. In der folgenden Abbildung 4-16 ist ein Protokollausschnitt beispielhaft dargestellt.

114

Abbildung 4-16: Beispiel eines Protokolls (Ausschnitt)

In der folgenden Abbildung 4-17 sind die Dokumente zusammenfassend dargestellt und den einzelnen Phasenübergängen im Entscheidungsprozess zugeordnet.

Abbildung 4-17: Dokumente in Entscheidungsprozessen von Gremien

Für die Weitergabe von Wissen, das der Themenbearbeiter im Rahmen der Phase „Entscheidung umsetzen“ konstruiert hat (das betrifft z. B. Wissen zur Umsetzung der ausgewählten Lösungsalternative und zur Effektkontrolle), existiert in Entscheidungsprozessen von Gremien kein Dokument. Es besteht die Gefahr, dass das Wissen des The115

menbearbeiters zur Umsetzung und Kontrolle der Problemlösung weiteren Rollenträgern nicht zur Verfügung gestellt wird bzw. gestellt werden kann. 4.3

Bewertung der Dokumente zur Weitergabe von Wissen

Im Folgenden gilt es, die Verwendung der Dokumente in Entscheidungsprozessen von Gremien zu analysieren. Zur Beurteilung, ob und inwieweit Dokumente geeignet erscheinen, Wissen weiterzugeben und die Konstruktion mentaler Modelle von einem zu bearbeiteten Problem zu unterstützen, wird auf das o. g. Kriterium der inhaltlichen Struktur zurückgegriffen. Anhand zweier ausgewählter Dokumente, einem Protokoll des Werkleitungskreises und einem Protokoll eines Fachbereiches des Werks, werden zentrale Ergebnisse der Analyse veranschaulicht.158 Protokolle im Werkleitungskreis (TL-Kreis) enthalten in unterschiedlichem Ausmaß Informationen zu den Stationen der Zielausarbeitung, der Modellbildung, der Prognose und Extrapolation sowie zu den geplanten Lösungsalternativen, zur Diskussion und Bewertung der Lösungsalternativen sowie zur Auswahl einer Alternative. Anhand des in Abbildung 4-18 dargestellten Protokollbeispiels wird im Folgenden die Praxis der Textproduktion im Werkleitungskreis veranschaulicht.

Abbildung 4-18: Ausschnitt aus einem Protokoll des Werkleitungskreises

Der Protokollausschnitt gibt eine Entscheidungssituation im Werkleitungskreis des BMW Werks wieder. Der Werkleitungskreis steht vor dem Problem, eine Entscheidung 158

An dieser Stelle werden Protokolle gewählt, da diese Dokumentart auf Grund ihrer kommunikativen Grundfunktionen eine besondere Bedeutung für die Weitergabe von Wissen hat.

116

über die Reduktion der fixen Kosten u. a. in sogenannten A-Prozessen (z. B. Ausbildung) zu treffen. Eine fortlaufende Aufgabe des Controllings ist es, eine permanente Überwachung der Prozesskosten durchzuführen. Hierzu sind u. a. die Fixkosten zu analysieren und zu bewerten. Mit Hilfe der ABC-Analyse werden die unterschiedlichen Prozesse im Werk klassifiziert, die fixen Prozesskosten der einzelnen Technologien untersucht und Lösungsmöglichkeiten zur Verringerung der Kosten erarbeitet. Ein Themenbearbeiter stellte innerhalb einer Gremiensitzung des Werkleitungskreises die bisherigen Ergebnisse der Problembearbeitung vor, die im Protokoll unter der Überschrift „Zusammenfassung“ vom Protokollanten schriftlich festgehalten wurden.159 Im hier dargestellten Beispiel kann zur inhaltlichen Struktur des Protokolls festgestellt werden, dass nicht zu allen Stationen der Handlungsorganisation Informationen enthalten sind. So sind z. B. keine Informationen zur Zielausarbeitung (Teilziele, wie z. B. Abstimmung mit der Berufsschule verbessern, Lernerfolg der Auszubildenden steigern) schriftlich fixiert. Die vom Themenbearbeiter zu erstellenden Kriterien der Bewertung und Auswahl einer Lösungsalternative (z. B. maximale Höhe der fixen Prozesskosten, Fixkostendegression je Prozess, mögliche Skalenerträge der Reduktion der fixen Prozesskosten) sind nicht bzw. nicht explizit im Protokoll schriftlich festgehalten. Zudem fehlt im Protokoll die vom Gremium getroffene Entscheidung (im obigen Fall der Auftrag an den Themenbearbeiter, das gestellte Problem unter der Berücksichtigung weiterer Aspekte zu bearbeiten).160 Für den mit der Umsetzung der Problemlösung beauftragten Themenbearbeiter ergeben sich aus diesen inhaltlich-strukturellen Defiziten keine negativen Folgen: Der Themenbearbeiter hat zu diesem Zeitpunkt im Entscheidungsprozess ein mentales Modell zum bearbeiteten Problem konstruiert. Informationen, die er zur Anpassung bzw. Durchführung weiterer Aktionen benötigt sind im Protokoll enthalten (z. B. der Auftrag zu ermitteln, wie viele Auszubildende mittelfristig zur Verfügung stehen). Es besteht daher die Möglichkeit, dass der Themenbearbeiter sein bestehendes mentales Modell zum Problem erweitern kann. Für Rollenträger weiterer Gremien können sich jedoch aus den inhaltlichen Defiziten (z. B. fehlende Informationen zur Zielausarbeitung bzw. fehlende Kriterien zur Auswahl einer Lösungsalternative)

159

Unter der Überschrift „Empfehlung laut Vortrag“ sind die vom Themenbearbeiter erstellten Lösungsvarianten zu finden. Die Lösungsvarianten sind im oben dargestellten Fall aus Gründen des Datenschutzes nicht ersichtlich. 160 Im Rahmen der Untersuchung von Protokollen konnte festgestellt werden, dass bei 39 von 40 in Protokollen des Werkleitungskreises dokumentierten Entscheidungen nicht ersichtlich war, welche Kriterien der Auswahl einer Lösungsalternative zu Grunde lagen. Dieses Ergebnis korrespondiert mit einem weiteren Auswertungsergebnis. Bei ebenfalls 39 von 40 in Protokollen des Werkleitungskreises schriftlich fixierten Entscheidungen wurde nur eine (die vom Gremium ausgewählte) Lösungsalternative dokumentiert. D. h. nur in einem der untersuchten Protokolle waren zu einer vom Gremium getroffenen Entscheidung alle zur Auswahl stehenden Lösungsalternativen aufgeführt.

117

Schwierigkeiten ergeben, ein mentales Modell zum vollständig bearbeiteten Problem zu konstruieren. Kritisch anzumerken ist, dass aus den Überschriften der einzelnen Gliederungsabschnitte des Dokumentes nur teilweise die inhaltliche Struktur bzw. die jeweiligen Abschnittsinhalte sofort ersichtlich sind (z. B. steht die Überschrift „Zusammenfassung“ für Inhalte zur Modellbildung), so dass dem Rezipienten das Lesen und Verstehen des Dokumentes erschwert werden kann.161 An einem weiteren Beispiel wird im Folgenden die Praxis der Textproduktion in einem Gremium auf der Fachbereichsebene des BMW Werks veranschaulicht. Abbildung 4-19 zeigt einen weiteren typischen Protokollausschnitt.

Abbildung 4-19: Ausschnitt aus einem Sitzungsprotokoll des Leitungsgremiums des Fachbereichs TL-X

In diesem Protokoll sind Besprechungsergebnisse des Fachbereichs TL-X162 schriftlich dargestellt. Der hervorgehobene Teil des Protokollauszuges ist dem Tagesordnungspunkt „Berichte aus den Gremien“ zugeordnet. In diesem Teil des Protokolls sind Entscheidungen bzw. Anweisungen des übergeordneten Gremiums Werkleitungskreis schriftlich fixiert, die von den Rollenträgern des TL-X Gremiums zu berücksichtigen sind. Der Auszug enthält zwei Informationen. Zum einen wird darauf verwiesen, dass über die Abteilung TL-YY Palms bestellt werden können. Dies ist eine implizite Aufforderung des Werkleitungskreises an alle Abteilungsgremien, die Anzahl benötigter 161

Auf der Mikroebene des Protokolls kann zudem angemerkt werden, dass wenig aussagekräftige Wörter bzw. Begriffe, wie z. B. „weitere Ideen“ oder „sind Maßnahmen definiert“ verwendet werden. Diese Begriffe geben einen Sachverhalt sehr abstrakt wieder und erschweren das Rezipieren auf der Satzebene (die Bildung von Kohärenz zwischen den Sätzen). 162 Die Fachbereiche des BMW Werks Leipzig werden bspw. mit TL-X bezeichnet. Die Abkürzung „TL“ steht für „Technologie – Leipzig “, das Kürzel „X“ bezeichnet den spezifischen Fachbereich.

118

Palms festzulegen und zu ordern, d.h. eine Investitionsentscheidung zu treffen. Sie stellt damit ein Ausgangsproblem bzw. eine Aufforderung zur Entscheidungsfindung für das TL-X Gremium dar. Im zweiten Teil der Textes ist die Investitionsentscheidung des Gremiums TL-X dargestellt: Wie viele Palms, werden welcher Unterabteilung des Fachbereichs zugeteilt. Dieser Textteil stellt das Ergebnis der Entscheidungsfindung dar. Der erste Teil der Textpassage („Die Palms sind jetzt verfügbar und über TL-YY abzurufen“) enthält nur implizit die Problemstellung des Gremiums, eine Investitionsentscheidung zu treffen. Zielstellung bzw. die Teilziele der Problembearbeitung sind nicht schriftlich aufgeführt. Dagegen ist im Protokoll die konkrete Entscheidung zum Thema „Palms“ enthalten. Zum Verstehen respektive zur Bildung eines mentalen Modells benötigte Informationen, wie z. B. Auswahlkriterien, alternative Lösungsmöglichkeiten sowie der Problemlösealgorithmus fehlen jedoch. Es kann festgehalten werden, dass zu den meisten Stationen der Handlungsorganisation keine Informationen im Protokoll schriftlich aufgeführt sind. Die Konstruktion eines mentalen Modells zum bearbeiteten Problem kann mit diesem Protokoll nur unzureichend unterstützt werden: Ein Entscheider hat zwar, insofern er die Management Summary und der Präsentation rezipiert hat, ein mentales Modell zu Teilen der Problembearbeitung (von den Stationen der Zielausarbeitung bis zur geplanten Lösungsalternative) konstruieren können. Im Protokoll sind zu weiteren Teilen der Problembearbeitung nur rudimentär Informationen enthalten, wie z. B. Angaben zur zeitlichen Umsetzung der Bestellung der Palms. Für einen Entscheider, der mit der Kontrolle der umgesetzten Lösungsalternative beauftragt ist, wird eine Ergebniskontrolle erschwert, da ihm die notwendigen Informationen für einen Soll-IstVergleich fehlen. Zudem ist das Protokoll nur eingeschränkt inhaltlich sequenziert, es fehlt eine logische Struktur der aufgeführten Inhalte (entsprechend dem chronologischen Ablauf der Stationen der Handlungsorganisation) die ein schnelles Aufnehmen der Informationen und Verstehen des Textes unterstützen kann. Die unzureichende Unterstützung der Konstruktion eines mentalen Modells zum Problem kann auch darauf zurückgeführt werden, dass die Informationen zu den einzelnen Stationen der Handlungsorganisation auf mehrere Gremiendokumente verteilt sind und diese Gremiendokumente den jeweiligen Rollenträgern in der Regel nicht alle vollständig zur Verfügung stehen. Die folgende Tabelle 4-3 veranschaulicht, welche Informationen aus den einzelnen Stationen der Handlungsorganisation in den untersuchten Gremiendokumenten schriftlich fixiert wurden. 119

Dokumentiert in

Management Summary

Präsentation

Protokoll

LOP

Zielausarbeitung

-/x

-

-

-

Modellbildung / Informationssammlung

-/x

-

-/x

-

Prognose und Extrapolation

-/x

-

-/x

-

Planung von Aktionen (Lösungsalternativen)

x

x

-/x

-

Entscheidung (Bewertung, Diskussion und Auswahl)

-

-

x

x

Durchführung d. Aktionen (Umsetzung d. Lösungsalternativen)

-

-

-

-

Effektkontrolle

-

-

-

-

Revision der Handlungsstrategie

-

-

-

-

Informationen aus

Tabelle 4-3: Informationen und Dokumentarten163

Zusammenfassend können die folgenden Erkenntnisse festgehalten werden: x

Informationen zur Planung von Aktionen sowie zur Entscheidung werden redundant in mehreren Dokumentarten schriftlich fixiert,

x

es werden nicht zu allen Stationen der Handlungsorganisation Informationen schriftlich in Dokumenten fixiert (insbesondere fehlen Informationen zur Umsetzung der Lösungsalternativen, der Effektkontrolle und der Revision des Vorgehens) und

x

es existiert kein Dokument, das Informationen aus allen Stationen der Handlungsorganisation enthält.

Das kann auf mehrere Ursachen zurückgeführt werden. In Interviews und Expertengesprächen hat sich gezeigt, dass Rollenträger teilweise unvollständige Problemlösestrategien anwenden bzw. nicht alle Stationen der Handlungsorganisation durchlaufen. D. h. 163

Zellen der Tabelle die mit einerm „-“ gekennzeichnet sind weisen Dokumentarten aus, die keine Informationen zu der jeweiligen Station der Handlungsorganisation enthalten. Die mit „x“ gekennzeichneten Zellen weisen Dokumentarten aus, die Informationen zu den jeweiligen Stationen der Handlungsorganisationen beinhalten. Zellen die mit „-/x“ gekennzeichnet sind geben Dokumentarten an, für die sowohl Beispieldokumente gefunden wurden die Informationen zu diesen Stationen der Handlungsorganisation enthalten als auch nicht enthalten.

120

Rollenträger besitzen unter Umständen nicht die entsprechenden Problemlösefähigkeiten oder können diese nicht adäquat anwenden.164 Eine Folge der unvollständigen Bearbeitung des Problems bzw. der unzureichenden Anwendung von Problemlösestrategien besteht darin, dass der Themenbearbeiter nur ein bruchstückhaftes mentales Modell zum Problem bzw. zu möglichen Lösungsvarianten konstruieren kann. Wie anhand der obigen Beispiele dargelegt wurde, verfügen Textproduzenten nur teilweise über die notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Produktion von verständlichen Dokumenten bzw. Texten. Dies kann u. a. darauf zurückgeführt werden, dass sich Ziele und Intentionen des Textproduzenten auf der einen Seite und des Rezipienten auf der anderen Seite in Entscheidungsprozessen in Abhängigkeit ihrer spezifischen Funktionen unterscheiden können.165 Zudem besitzt der Textproduzent vielfach keine ausreichende Kenntnis über das vom Rezipienten benötigte Wissen sowie über dessen Fähigkeiten und Strategien der Textrezeption. Rollenträger können ihr Wissen aufgrund eines fehlenden „Handwerkszeugs“ zur Dokumentation im Rahmen des Entscheidungsprozesses nicht entsprechend formulieren, strukturieren bzw. sichern. Im BWM Werk Leipzig existieren nur wenige Vorschriften in Form von redaktionellen Richtlinien (vgl. Kapitel 3.4.2). Systematisch ausgestaltete Dokumente166 und Konzepte zur Auswahl und Ausgestaltung von bei der Problembearbeitung konstruiertem Wissen liegen nur zum Teil vor. Im folgenden Kapitel wird daher ein vollständiger Redaktionsprozess beschrieben. Der Redaktionsprozess dient dazu, die Textproduzenten bei der Auswahl und bei der strukturellen sowie inhaltlichen Darstellung relevanter Informationen anzuleiten, so dass die Konstruktion eines mentalen Modells des Rezipienten unterstützt werden kann.

164 Auf die folgenden Fehler bei der Bearbeitung und Lösung von Problemen wurde in Expertengesprächen verwiesen; in den Klammern sind die jeweiligen Fehler den Stationen der Handlungsorganisation zugeordnet: x Das Ziel der Problembearbeitung war den Rollenträgern nicht in ausreichendem Maße bewusst (fehlende oder mangelnde Dekomposition von Zielen). x Der Betrachtungsumfang wurde von den Rollenträgern vielfach stark reduziert, z. B. fehlte die Berechnung der Wirtschaftlichkeit (mangelnde Modellbildung). x Einzubeziehende Abteilungen/verwandte Themen wurden von den Rollenträgern nur teilweise erkannt (unzureichende Modellbildung sowie fehlende Prognose/Extrapolation). x Zum Teil erstellten und bewerteten die Rollenträger nur eine Lösungsvariante (grobe Planung von Aktionen bzw. geringer Auflösungsgrad bei der Planung). x Die Rollenträger erarbeiteten nur bedingt Kriterien zur Bewertung und Auswahl mehrerer Lösungsalternativen (fehlende Kriterien der Schwerpunktbildung/Prioritätenbildung). 165 Die Entscheider nehmen innerhalb von Entscheidungsprozessen eine Kontrollfunktion wahr. Daraus resultiert das Ziel beim Lesen von Protokollen, Informationen für einen Soll-Ist-Vergleich zu erhalten. Hierzu sind aber die Kriterien der Bewertung und Auswahl der Lösungsalternative notwendig, die vielfach in den Dokumenten nicht enthalten sind. 166 In einzelnen Gremien haben sich in unterschiedlicher Form Dokumentmuster (z. B. für ein Protokoll) etabliert, die dem Textproduzenten eine Hilfestellung bei der strukturellen Gestaltung eines Dokumentes geben sollen.

121

5

Lösungsansätze für die Weitergabe von Wissen

5.1

Gestaltung der Dokumente – Vorgehen, Gestaltungsrichtlinien und Strukturgrundlage

In der Literatur wird darauf verwiesen, dass die rezipientengerechte Aufbereitung und Darbietung von Informationen in Dokumenten von Gremien einen umfassenden Redaktionsprozess voraussetzt (vgl. u. a. Göpferich, 2002a sowie Weiß, 2000). Unter einem Redaktionsprozess wird im Rahmen dieser Arbeit das systematische Vorgehen beim Erstellen von Dokumenten durch einen oder mehrere Textproduzenten verstanden. Dieser Prozess reicht von der Informationsanalyse über die Strukturierung und Darstellung der Informationen, bis hin zu deren Weitergabe. Als Struktur eines Dokuments wird der inhaltlich bedingte und funktional geordnete Zusammenhang einzelner Informationen bezeichnet. Grundlagen für eine rezipientengerechte Strukturierung und Darstellung von Informationen in Dokumenten finden sich insbesondere in didaktischen Arbeiten, z. B. zur Planung und Entwicklung von Content- und Learningmanagementsystemen (vgl. Anders, 2002, Schoop & Anders, 2001 sowie Gersdorf, Jungmann, Schoop, Wirth & Klauser, 2002). Einen viel zitierten Zugang zu dieser Problematik stellt der Strukturierungsansatz des Information Mapping® von R. E. Horn dar (1977, 1989, 1997, 1999).167 Dieser Ansatz basiert auf empirischen Untersuchungen und Erkenntnissen der Kognitions- und Instruktionspsychologie zur Wahrnehmung, Informationsverarbeitung und Gedächtnisleistung des Menschen. Dem Textproduzenten werden durch das Information Mapping® Regeln und Methoden zur zielgruppen- bzw. rezipientenorientierten Auswahl von Informationen sowie zur Gestaltung von Dokumenten zur Verfügung gestellt. Auf der Grundlage dieser Regeln und Methoden ist es möglich, einen vollständigen Redaktionsprozess zu erstellen. In Anlehnung an das Information Mapping®-Verfahren werden im Folgenden vier Schritte zur Gestaltung von Dokumenten unterschieden, die einen vollständigen Redaktionsprozess bilden. Der Redaktionsprozess ist in der Abbildung 5-1 skizziert.

167

Der Ansatz des Information Mapping® wurde Mitte der 1960er Jahre von einem Team von Lernpsychologen um Prof. Dr. Robert E. Horn am Institut for Educational Technology der Columbia University (USA) entwickelt (vgl. Horn et al., 1969). Ursprünglich bestand die Intention der Methode darin, Studierenden ein effektiveres Arbeiten und Lernen mit Texten zu ermöglichen. Der Ansatz ist bis heute insbesondere für die Gestaltung von Hypertexten weiterentwickelt worden. Information Mapping® ist vielfach in wissenschaftlichen Arbeiten rezipiert und in der Praxis, z. B. der Technischen Dokumentation und der Unternehmenskommunikation (vgl. Information Mapping Inc., 1999) weit verbreitet.

123

Abbildung 5-1: Vier Schritte eines Redaktionsprozesses

Im Mittelpunkt der Aufbereitungsregeln von Information Mapping® steht für den Textproduzenten die Orientierung an den Informations- und Lesebedürfnissen des Rezipienten. Zur Einschätzung, welche Informationen der jeweilige Rezipient benötigt, um neues Wissen zur Bearbeitung und Lösung von Problemen konstruieren zu können, wird auf das in Kapitel 2.1 dargestellte Problemlöseschema von Dörner (2005) zurückgegriffen. Aufgrund des jeweiligen Informationsbedarfs lassen sich die Inhalte eines Dokuments aus Sicht der Rezipienten ermitteln.

Im Folgenden werden die Informationsbedarfe der jeweiligen Rollenträger in Entscheidungsprozessen von Gremien dargestellt: x

Themenbearbeiter: Im Vorfeld sowie während einer Gremiensitzung benötigt der Themenbearbeiter vom Themensteuerer sowie von den Entscheidern eine Bewertung der bisher erstellten Lösungsalternativen sowie der von ihm angewandten Problemlösestrategie. Diese Informationen können dem Themenbearbeiter in Form eines Feedbacks zur Verfügung gestellt werden.

x

Themensteuerer: Der Themensteuerer erfüllt in Entscheidungsprozessen von Gremien eine Kontrollfunktion im Vorfeld einer Gremiensitzung. Um dieser Funktion gerecht werden zu können, benötigt er Informationen aus dem Problembearbeitungsprozess des Themenbearbeiters zur Zielausarbeitung, zur Modellbildung/Informationssammlung, zur Prognose und Extrapolation sowie zur Planung von möglichen Lösungsalternativen.

x

Entscheider: In Entscheidungsprozessen übernehmen die Entscheider zwei Funktionen. Zum einen müssen sie eine Bewertung und Auswahl einer Lösungsalternative (Entscheidung) vornehmen. Zum anderen nehmen sie eine Kontrollfunktion wahr. Für die erste Funktion benötigen die Entscheider ebenfalls Informationen aus dem Problembearbeitungsprozess des Themenbearbeiters zur Zielausarbeitung, zur Modellbildung/Informationssammlung, zur Prognose und Extrapolation sowie zur Planung von möglichen Lösungsalternativen. Für die zweite Funktion benötigen Entscheider Informationen zur Bewertung und Auswahl einer Lösungsalternative (Sollwerte) vom Protokollanten. Vom Themenbe-

124

arbeiter werden Informationen zur Umsetzung der ausgewählten Lösungsalternative, deren Effektkontrolle (Istwerte) und einer möglichen Revision des künftigen Vorgehens benötigt. Wird in einer Gremiensitzung eine Problemlösung diskutiert, die in Bezug zu bereits beschlossenen Lösungsalternativen steht, dann muss der Entscheider auf Informationen zu dieser bereits abgeschlossenen Problembearbeitung zurückgreifen können. x

Moderator: Die Funktion des Moderators erschöpft sich nicht im Erstellen einer Tagesordnung (vgl. Kapitel 2.3). Er kann zum Entscheidungsprozess insbesondere dadurch beitragen, dass er während der Gremiensitzung die Diskussion strukturiert und sicherstellt, dass Informationen zu allen Stationen der Handlungsorganisation weitergegeben werden. Um diese Funktion erfüllen zu können, benötigt er Informationen vom Themenbearbeiter bzw. vom Protokollant zur Zielausarbeitung, zur Modellbildung/Informationssammlung, zur Prognose und Extrapolation sowie zur Planung von möglichen Lösungsalternativen.

x

Protokollant: Für die Dokumentation der zentralen Diskussionsbeiträge benötigt der Protokollant vom Moderator eine Unterstützung bei der Auswahl und der Formulierung von fachlich korrekten Protokollinhalten. Dies kann Informationen zur Bewertung der Zielausarbeitung, der Modellbildung, der Prognose/Extrapolation oder/bzw. der vorgeschlagenen Lösungsalternative betreffen und schließt die in der Gremiensitzung beschlossene Lösungsalternative mit ein.

Die nachfolgende Tabelle 5-1 fasst die Informationsbedarfe der jeweiligen Rollenträger zusammen.168

168

In der ersten Zeile sind horizontal die Rollenträger dargestellt und deren jeweiliger Informationsbedarf in den Zellen der Tabelle zugeordnet. In der ersten Spalte sind vertikal die Rollenträger genannt, welche die benötigten Informationen zur Verfügung stellen bzw. stellen können.

125

Tabelle 5-1: Analyse der Informationsbedarfe

126

Protokollant

Moderator

Entscheider

Themensteuerer

Themenbearbeiter

stellt bereit

benötigt

Zielausarbeitung, Modellbildung; Prognose/Extrapolation, Planung und Umsetzung einer Lösungsalternative, Effektkontrolle und Revision des künftigen Vorgehens

-

Feedback zur Zielausarbeitung, Modellbildung; Prognose/ Extrapolation, Planung und Auswahl einer Lösungsalternative

Feedback zur Zielausarbeitung, Modellbildung; Prognose & Extrapolation, Planung einer Lösungsalternative

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Themenbearbeiter

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Zielausarbeitung, Modellbildung; Prognose/Extrapolation, Planung einer Lösungsalternative

Themensteuerer

Zielausarbeitung, Modellbildung; Prognose/Extrapolation, Planung und Umsetzung einer Lösungsalternative, Effektkontrolle und Revision des künftigen Vorgehens

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Feedback zur Zielausarbeitung, Modellbildung; Prognose/Extrapolation, Planung und Auswahl einer Lösungsalternative (Entscheidung)

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Zielausarbeitung, Modellbildung; Prognose/Extrapolation, Planung und Umsetzung einer Lösungsalternative, Effektkontrolle und Revision des künftigen Vorgehens

Entscheider

Zielausarbeitung, Modellbildung; Prognose & Extrapolation, Planung einer Lösungsalternative

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Zielausarbeitung, Modellbildung; Prognose/Extrapolation, Planung einer Lösungsalternative

Moderator

-

Zielausarbeitung, Modellbildung; Prognose & Extrapolation, Planung einer Lösungsalternative, umzusetzende Lösung

Bewertung und Auswahl der Lösungsalternative

-

Zielausarbeitung, Modellbildung; Prognose/Extrapolation, Planung einer Lösungsalternative

Protokollant

In Abbildung 5-2 wird dargestellt, welche Vernetzungen durch die Weitergabe von Informationen zwischen den Rollenträgern im zeitlichen Ablauf des Entscheidungsprozesses in Gremien bestehen und in welcher Phase Informationen benötigt werden bzw. aus welcher Phase heraus Informationen verfügbar gemacht werden können und sollten.

Abbildung 5-2: Vernetzung der Rollenträger aufgrund bestehender Informationsbedarfe

Nach der Analyse der Informationsbedarfe der Rezipienten werden in einem zweiten Schritt die Informationen klassifiziert, d. h. sie werden unterschiedlichen Informationsarten zugeordnet. Der Ansatz des Information Mapping® unterscheidet generell die folgenden sechs Informationsarten: Anleitung, Prozess, Struktur, Begriff, Fakt und Prinzip. Mit diesen sechs Informationsarten wird im Information Mapping® eine Taxonomie zur Verfügung gestellt, anhand derer Informationen eindeutig klassifizierbar sind. Diese Informationsarten eignen sich nur bedingt für die spezifische Problemsituation im BMW Werk Leipzig und wurden daher modifiziert. Die Entwicklung eines gegenüber dem Information Mapping® modifizierten Verständnisses der Informationsarten wurde im Projekt vorgenommen, da die Taxonomie der Informationsarten nur eine sehr grobe Klassifikation der Informationen ermöglicht und den spezifischen Bedürfnissen der Rezipienten in Entscheidungsprozessen von Gremien nur rudimentär entspricht (vgl. Ley, 2005, S. 49). Um sowohl dem individuellen Informationsbedarf der Rezipienten beim Problemlösen als auch dem Zweck respektive den kommunikativen Grundfunktionen der Dokumente zur Weitergabe von Wissen zu entsprechen, wurde als Grundlage für die Klassifikation von Informationsarten das in Kapitel 2.1 dargestellte Problemlöse-

127

schema von Dörner (2005) verwendet.169 Mit Hilfe dieses Schemas kann eine bestimmte Schrittfolge beim Lösen von Problemen beschrieben werden: Eine Informationsart beschreibt im Rahmen dieser Arbeit eine Menge von Sätzen, mit denen der Textproduzent beim Rezipienten gezielt die Konstruktion von Wissen zu den jeweiligen Schritten bzw. Stationen der Handlungsorganisation unterstützen kann. Bezugnehmend auf die Stationen der Handlungsorganisation wurden die nachfolgenden Informationsarten unterschieden. Zur Benennung wurde zum Teil auf Termini zurückgegriffen, die in den Werkgremien verwendet werden: x

Problem-/Ausgangssituation: Diese Informationsart beinhaltet Angaben zum gegebenen (komplexen) Problem, insbesondere zur Zielausarbeitung (Darstellung von Teilzielen, Angabe von Ist- und Sollwerten).

x

Prämissen: Hier werden Inhalte zur Modellbildung, Informationssammlung sowie zur Prognose und Extrapolation aufgeführt.

x

Handlungsalternativen: Hierunter sind Angaben zu möglichen Lösungsalternativen und Kriterien zu deren Bewertung einzuordnen.

x

Empfehlung: Diese Informationsart beinhaltet die Lösungsalternative mit der höchsten Priorität/Präferenz.

x

Beschluss (Auftrag/Offener Punkt): Hier werden die Bewertung und die Anpassung der ausgewählten und vom Themenbearbeiter umzusetzenden Lösungsalternative zugeordnet (Auftrag). Insofern im Gremium keine Lösungsalternative ausgewählt wurde, kann diese Informationsart auch Aussagen zur erneuten Bearbeitung des Problems bzw. zur Spezifikation der Lösungsalternativen enthalten (Offener Punkt).

x

Durchführung: Diese Informationsart beinhaltet Angaben zur Durchführung der ausgewählten Lösungsalternative. Solche Angaben schließen insbesondere die erarbeiteten Ergebnisse bzw. die umgesetzten Ziele ein (Istwerte).

x

Effektkontrolle/Revision: Rückschlüsse und Erkenntnisse, die im Rahmen der gesamten Problembearbeitung (u. a. zur Effizienz angewandter Arbeits- bzw. Problemlösestrategien) gewonnen werden und die zu einer Anpassung der Problembearbeitung führen, werden dieser Informationsart zugeordnet.

Die beiden letztgenannten Informationsarten entsprechen der Bezeichnung der letzten beiden Stationen der Handlungsorganisation nach Dörner (2005). Wissen, welches der

169

Für ein vergleichbares Vorgehen bei der Klassifikation zentraler Informationen siehe Lehrndorfer & TjarksSobhani (2001) sowie Muthig & Schäflein-Armbruster (1999).

128

Themenbearbeiter bei der Durchführung einer Lösungsalternative, der Effektkontrolle und der Revision der Handlungsstrategie erwirbt, wurde in Entscheidungsprozessen nicht an weitere Rollenträger mittels der Gremiendokumente weitergeben (vgl. Kapitel 3 und 4).170 Die Einführung der Informationsarten „Durchführung“ sowie „Effektkontrolle/Revision“ sollen dazu beitragen, dass Wissen zu diesen Schritten der Problembearbeitung in Gremien weitergegeben wird. Die Analyse und das Zusammenfassen der Inhalte in Informationsarten hat nach Horn (1993) eine besondere Bedeutung: „It helps [to] specify what information is missing at any given time in the process“ (S. 3). Die vorgestellten Informationsarten sollen den Textproduzenten dabei unterstützen, eine Dokumentation und eine rezipientengerechte Weitergabe von Informationen zu allen Aspekten der individuellen Problembearbeitung in jeder Phase des Entscheidungsprozesses sicherzustellen.

Auf die Analyse der Informationsbedarfe und die Bestimmung der Informationsarten folgt im dritten Schritt des Redaktionsprozesses die Strukturierung der Gremiendokumente. Dafür stellt Information Mapping® empirisch erprobte Richtlinien zur Teilung der Informationen in zwei Informationseinheiten – Map und Block171 – (vgl. Horn, 1989) bereit: x

Richtlinie der systematischen Gliederung der Informationseinheiten: In jeder Informationseinheit (Map, Block) sind die Inhalte in kognitiv leicht verarbeitbare Einheiten aufzuteilen, welche die menschliche Informationsverarbeitungskapazität nicht überschreiten. In einer Map sollten maximal fünf bis neuen Blocks und in einem Block maximal fünf bis neun Informationen enthalten sein. Mit der Richtlinie der systematischen Gliederung wird festgelegt, dass ein Dokument generell sowohl in die beiden Informationseinheiten Map und Block unterteilt wird als auch die Größe der Informationseinheiten einen bestimmten Umfang an Blöcken bzw. Sätzen nicht überschreiten soll.

x

Richtlinie der einheitlichen Darstellung der Informationen: Vergleichbare Informationen werden einheitlich formuliert und dargestellt. Es bietet sich an, Inhalte derselben Informationsart identisch darzustellen.

170

Spezifische Termini haben sich wohl aus diesem Grunde für diese Schritte einer vollständigen Problembearbeitungen in Entscheidungsprozessen des Werks nicht etabliert. 171 Dokumente werden nicht mehr nach dem Schema Kapitel, Abschnitt, Unterabschnitt und Absatz aufgeteilt, sondern sie bestehen aus Blöcken und Maps.

129

x

Richtlinie der konsequenten Betitelung der Informationseinheiten: Jede Map sowie jeder Block sind mit aussagekräftigen Titeln zu versehen, die es dem Rezipienten ermöglichen im Dokument selektiv auf die unterschiedlichen Informationen zuzugreifen.

x

Richtlinie der Auswahl relevanter Informationen: Jede Informationseinheit enthält nur Inhalte zu einem Gedanken, einer Idee oder einem Thema. Zusammengehörige Informationen sollen sicherstellen, dass Inhalte auf das Wesentliche reduziert werden und somit eine eindeutige Verknüpfung zwischen Inhalt und Titel hergestellt wird.

Diese Richtlinien bieten dem Textproduzenten beim Erstellen von Dokumenten eine Hilfestellung, „gewährleisten eine präzise, nicht intuitive Modularisierung der Inhalte und unterstützen schließlich den optimalen Lese- und Lernprozess“ (Langfermann, 2005, S. 119). Im Folgenden wird dies dargestellt.

Ein Block stellt die kleinste Informationseinheit eines Dokuments dar. Er besteht aus einem oder mehreren Sätzen und beinhaltet jeweils nur Informationen zu einer Informationsart. „Blocks usually have not more than nine sentences“ (Horn, 1993, S. 14).172 Die Einteilung der Informationsarten in Blöcke soll nach Horn (1972) gewährleisten, dass nur die Inhalte dargestellt werden, welche für die Weitergabe von Wissen in Entscheidungsprozessen von Gremien jeweils relevant sind: „The fact that all sentences are sorted into information blocks permits us to describe the contents of our learning materials with more precision than it is usually possible“ (S. 51). Durch regelkonforme Verwendung von Blöcken können Redundanzen173 in einem Text oder über mehrere Dokumente hinweg vermieden werden. Böhler (2001) verweist an dieser Stelle auf einen Vorteil der modular aufbereiteten Blöcke, der darin begründet liegt, dass diese „bei richtiger Aufbereitung mehrfach verwendbar, leicht aktualisierbar“ (S. 134) sind. Rezipienten können im Rahmen der Blöcke auf Informationen zu bereits erprobten Problemlösungen zugreifen und im eigenen Problemlöseprozess neu konstruiertes Wissen als Textproduzenten diesem Block in Form zusätzlicher bzw. überarbeiteter Informationen hinzufügen. Für eine kontinuierliche Weiterentwicklung von Problemlösungen innerhalb eines Gremiums sowie über mehrere Gremien des Werks hinweg kann das ein bedeutsamer Vorteil

172

Die Aufteilung der Information in kleine, modulare Einheiten beruht auf neuropsychologischen Erkenntnissen der Wahrnehmungsforschung zur beschränkten Verarbeitungskapazität des Kurzzeitgedächtnisses. Redundant sind Inhalte nach Hennig & Tjarks-Sobhani (1998), wenn die Kürzung dieser Inhalte ohne Informationsverlust möglich ist.

173

130

sein: In Interviews wurde darauf verwiesen, dass eine kontinuierliche „Fortschreibung von Entscheidungen“ respektive von elaborierten Problemlösungen wichtig sei.174 Blöcke werden am Rand eines jeden Dokumentes mit einem Titel versehen, der die im Block verwendete Informationsart wiedergibt. Die Rezipienten haben „über die Blocktitel in der Marginalienspalte die Möglichkeit des selektiven Zugriffs auf gewünschte Informationen“ (Weiß, 2000, S. 65).175 Durch die Blocktitel in der Marginalspalte des Dokuments können wesentliche Inhalte durch den Rezipienten erfasst werden. Ein gezielter Zugriff auf bestimmte Informationen im Dokument ist somit möglich. Die modular aufbereiteten Blöcke sind Teil eines übergeordneten Strukturelements, der Map. „[Maps] are a reader-focused unit of basic or core parts of a subject matter” (Horn, 1993, p. 14). Zu einer Map werden im Rahmen dieser Arbeit die oben dargestellten Informationsarten bzw. Blöcke zusammengefasst. Die Map kann als das Strukturierungselement bezeichnet werden, „mit dem Leser alle zu einem Thema wichtigen Informationen erhalten“ (Böhler, 2001, S. 134). In Abbildung 5-3 wird dargestellt, wie mehrere Blöcke zu einer Map zusammengefasst werden können.

174

Quellen: Interview mit Herrn Peters vom 17.10.2003, Interview mit Herrn Wolf vom 06.11.2003, Interview mit Frau Hand vom 02.08.2004 sowie Interview mit Herrn Nagel vom 01.10.2003. Marginalien sind „Stichworte auf dem Rand neben dem Fließtext“ (Ballstaedt, 1997, S. 51), sie können hiflreich sein „in locating the kind of information sought” (Horn, 1972, S. 54 f.).

175

131

Blöcke

Map Problemsituation

Problem-/Ausgangssituation Prämissen

Prämissen Handlungsalternativen

Handlungsalternativen

Empfehlung Empfehlung

Abbildung 5-3: Beispiel einer modular gestalteten Map

Die Überschrift einer Map umreißt den gemeinsamen Inhalt der Blöcke und beschreibt den Zweck der gesamten Map. Im Rahmen dieser Arbeit kann eine Map mit einem vollständigen Gremiendokument identisch sein. Das trifft beispielsweise auf die Management Summary und die Präsentation zu, da hier jeweils immer nur ein bearbeitetes Problem schriftlich bzw. visuell dargestellt wird. Ein Protokoll dagegen setzt sich zumeist aus mehreren in einer Gremiensitzung diskutierten und bewerteten Problemlösungen zusammen und enthält somit in der Regel mehrerer Maps. Mit einem Umfang von maximal zwei Seiten ist jede Map inhaltlich begrenzt. Diese Begrenzung der Größe einer Map korrespondiert mit redaktionellen Vorgaben für den maximalen Seitenumfang von Gremiendokumenten im BMW Werk Leipzig. So sollte z. B. eine Management Summary eine DIN A 4 Seite nicht überschreiten. Die Literatur zum Information Mapping® enthält keine dezidierten Aussagen über die Sequenzierung der Blöcke.176 Zur Sequenzierung in dieser Phase des Redaktionsprozesses merkt Horn (1989) an: „There is no demand for strict sequencing at these early stages“ (S. 95). Eine Anordnung der Blöcke findet im Information Mapping®-Ansatz erst in der vierten Phase (Darstellung der Informationen) und dort nur rudimentär statt, da 176

Durch die sequentielle Organisation wird die Struktur eines Dokumentes mit dem Ziel festgelegt, die Konstruktion eines mentalen Modells durch den Rezipienten zu unterstützen (vgl. Schnotz, 1994 sowie Göpferich, 2002a).

132

dem Textproduzenten keine expliziten Hinweise bzw. Regeln zur Entwicklung einer Struktur bzw. einer sequentiellen Organisation der Blöcke gegeben werden. Aufgrund der fehlenden Sequenzierungsregeln ist es im Rahmen dieser Arbeit notwendig, eine Strukturgrundlage zu entwickeln, welche die o. g. Informationsarten in einer inhaltlichlogischen Reihenfolge anordnet. In der kognitions- und instruktionspsychologischen Literatur zur Textgestaltung bzw. Textverständlichkeitsforschung existieren eine Reihe unterschiedlicher Prinzipien zur Sequenzierung von Inhalten in Dokumenten, die sich an unterschiedlichen Ordnungsgesichtspunkten orientieren.177 Die sequentielle Organisation der Informationen im Dokument kann „auf der Grundlage einer Analyse der Sachverhaltsstruktur erfolgen“ (Christmann & Groeben, 1997, S. 176). Nach Ballstaedt kann eine Sachverhaltsstruktur z. B. durch die systematische Abfolge von Tätigkeiten abgebildet werden. Eine Systematik der Abfolge einzelner Tätigkeiten bei der Bearbeitung eines (komplexen) Problems stellt Dörner (2005) in seinem Modell der Stationen der Handlungsorganisation dar. Dieses Modell dient als Grundlage für die sequentielle Organisation von Informationen bzw. zur Entwicklung einer Strukturgrundlage für Gremiendokumente. Die erstellte Strukturgrundlage bildet eine komplette Map zu einem vollständig bearbeiteten Problem ab. Die folgende Abbildung 5-4 stellt die Blöcke in ihrer inhaltlich-logischen Sequenzierung dar:

177

Ballstaedt (1997) führt generell sachstrukturelle und didaktische Sequenzierungprinzipien an. Als didaktische Sequenzierungsprinzipien können die deduktive und die induktive Darstellung von Inhalten sowie die Darstellung vom Einfachen zum Komplexen genannt werden (vgl. u. a. Ausubel, 1968; Posner & Strike, 1976, Reigeluth et al., 1980 sowie Reigeluth & Stein, 1983). Nach Schnotz (1994) dient z. B. das Prinzip der Darstellung vom Einfachen zum Komplexen der Anordnung von Inhalten auf der sprachlichen Ebene von Dokumenten bzw. Texten: „Das Prinzip, vom Einfachen zum Komplexen fortzuschreiten, orientiert sich nicht einfach an der Struktur des darzustellenden Sachverhalts. [...] Es geht vielmehr um den Grad der Komplexität der zur Darstellung verwendeten begrifflichen Struktur und die Schwierigkeit ihrer Vermittlung“ (S. 240). Eine Sequenzierung von Inhalten der Gremiendokumente auf der sprachlichen Ebene wurde im Rahmen des Projektes nicht fokussiert, kann aber ein möglicher Schritt für weiterführende Forschungsarbeiten sein.

133

Abbildung 5-4: Strukturgrundlage für Gremiendokumente

Die Strukturgrundlage diente im Projekt als Ausgangspunkt für die Auswahl von Inhalten und deren systematischer Darstellung in den jeweiligen Gremiendokumenten. Entsprechend dem Informationsbedarf der jeweiligen Rezipienten in Entscheidungsprozessen von Gremien und dem Zweck (den kommunikativen Grundfunktionen) der jeweiligen Dokumentart wurden den Gremiendokumenten Informationsarten zugeordnet und diese Informationsarten entsprechend sequenziert. Die folgenden Strukturmuster sind für die jeweiligen Gremiendokumente entwickelt worden: Die Management Summary setzt sich aus den folgenden Informationsarten bzw. Blöcken zusammen: x

Problem-/Ausgangssituation,

x

Prämissen,

x

Handlungsalternativen sowie

x

Empfehlung.

Die Präsentation enthält die folgenden Bestandteile der Strukturgrundlage: x

Problem-/Ausgangssituation,

x

Prämissen,

x

Handlungsalternativen sowie

x

Empfehlung.

Die Präsentation enthält die gleichen Blöcke der Strukturgrundlage wie die Management Summary. Management Summary und Präsentation werden beide in der Regel 134

von den Entscheidern rezipiert, würden also dieselben Informationen dieser Zielgruppe wiederholt zur Verfügung stellen. Da an den Sitzungen der Gremien des BMW Werks sowohl interne als auch externe Gäste teilnehmen (denen im Vorfeld einer Sitzung keine Management Summary zur Verfügung gestellt wird), wurde eine identische inhaltliche Struktur der beiden Dokumentarten entwickelt. Dem Themenbearbeiter steht jedoch frei, sofern in einer Gremiensitzung nur Entscheider anwesend sind, den Schwerpunkt der inhaltlichen Darstellung in der Präsentation auf die Blöcke „Handlungsalternativen“ und „Empfehlung“ zu legen. Das Protokoll ist aus den folgenden Informationsarten zusammengesetzt: x

Problem-/Ausgangssituation,

x

Prämissen,

x

Handlungsalternativen,

x

Empfehlung und

x

Beschluss (Auftrag/offener Punkt).

Auch das Protokoll enthält Informationsarten, die bereits in der Struktur der Management Summary berücksichtigt wurden. Auf die Blöcke Problem-/Ausgangssituation, Prämissen, Handlungsalternativen und Empfehlung kann der Protokollant verzichten, sofern eine „vollständige“ Management Summary zur Verfügung steht, die der Protokollant zusammen mit dem Protokoll verwalten kann. D. h. der Protokollant fügt der Management Summary lediglich die in der Gremiensitzung diskutierten Inhalte sowie die beschlossene Lösungsalternative hinzu. Ein bedeutsamer Vorteil besteht für den Protokollanten bei der Textproduktion darin, die vom Themenbearbeiter präsentierten Inhalte nicht dokumentieren zu müssen178 und sich auf die durch die Entscheider in die Diskussion eingebrachten Informationen beschränken zu können. Zum Erfassen von Informationen, welche die Durchführung und die Effektkontrolle der umgesetzten Lösungsvariante betreffen, wird im Rahmen dieser Arbeit ein weiteres Dokument entwickelt. Eine Dokumentenart, die sich insbesondere zur schriftlichen Fixierung von Wissen und Erfahrung bei der Umsetzung einer beschlossenen Lösungsalternative eignet, sind Lessons Learned. Nach Fürstenau et al. (2005) haben Lessons Learned „das Ziel, vergangene Tätigkeiten unter der Perspektive erfolgreicher und we-

178

Diese Informationen sind bereits in der Management Summary und in der Präsentation enthalten. Im Rahmen der Analyse der Gremiendokumente (vgl. Kapitel 4) konnte jedoch festgestellt werden, dass diese Informationen häufig ein drittes Mal im Protokoll festgehalten werden. Um diese Redundanz zu vermeiden, sollte der Protokollant lediglich die in der Sitzung neu eingebrachten Informationen dokumentieren. Eine Abstimmung darüber, welche Informationsarten in welchem Dokument zu dokumentieren sind, existiert in den Gremien des BMW Werks nur selten.

135

niger erfolgreicher Resultate bzw. Fehler zu dokumentieren und aufzubereiten, um daraus systematisch zu lernen“ (S. 1029). Lessons Learned dienen dazu, „in klarer und knapper Form den Kern der kritischen Erfahrungen“ (Reinmann-Rothmeier et al., 2001, S. 115) zu bündeln.179 Das Dokument Lessons Learned enthält die folgenden Bestandteile der Strukturgrundlage: x

Durchführung sowie

x

Effektkontrolle/Revision.

Dem Textproduzenten können die Strukturmuster als Orientierungshilfe dienen: Zum einen leiten die Strukturmuster ihn an, zu welchen Aspekten der Problembearbeitung er Informationen zur Verfügung stellen kann. Zum anderen können die Strukturmuster ihn dabei unterstützen, die Informationen in einer logischen Reihenfolge anzuordnen. Der Textproduzent muss folglich bei der Textproduktion nicht mehr permanent überprüfen, welche Informationsbedarfe auf der Seite der Textrezipienten vorliegen.

Für eine einheitliche Strukturierung sowie eine verständliche Darstellung von Informationen in den Blocks und Maps werden im vierten Schritt des Redaktionsprozesses die Richtlinien der Textgestaltung nach Information Mapping® (Gliederung, Einheitlichkeit, Betitelung und Relevanz) erweitert. Die Erweiterung der Strukturierungs- und Darstellungsrichtlinien erschien im Projekt notwendig, da im Information Mapping® keine Hilfestellungen zur sprachlichen Formulierung der Inhalte in Dokumenten zur Verfügung gestellt werden. Dieses Defizit des Information Mapping®-Ansatzes, so wird in der Literatur konstatiert, sei durch sprachliche Gestaltungsregeln bzw. -richtlinien zu beheben (vgl. Lehrndorfer & Tjarks-Sobhani, 2001 sowie Ley, 2005). Um eine einheitliche und anschauliche Darstellung von Informationen in Dokumenten zu gewährleisten, wurden im Rahmen dieser Arbeit die vier o. g. Richtlinien um sprachliche Gestaltungsregeln der Textverständlichkeitsforschung erweitert (vgl. Christmann & Groeben, 1996; Göpferich, 2002a; Langer et al., 2002):180

179

Eine weiterführende Rezeption der wissenschaftlichen Beiträge zu Lessons Learned würde den Rahmen dieser wissenschaftlichen Arbeit sprengen. An dieser Stelle wird auf die Arbeiten des Lehrstuhls für Wirtschaftspädagogik der Technischen Universität Dresden verwiesen, in denen das Potenzial, Anforderungen an und Lösungsansätze für die Gestaltung dieser Dokumentenart umfassend diskutiert und beschrieben werden (vgl. Fürstenau et al. 2004 und 2005 sowie Langfermann, 2005). 180 Die beiden genannten Regeln entstammen dem Hamburger Ansatz der Textverständlichkeitsforschung nach Langer et al. (2002) bzw. dem Verständlichkeitskonzept nach Groeben (1978, 1982). Die in der Textverständlichkeitsforschung im weiteren aufgeführten Regeln „Gliederung/Ordnung“ und „Prägnanz“ fassen inhaltliche und optisch-typographische Merkmale zusammen, die auch durch die o. g. Richtlinen „Gliederung“ und „Relevanz“ des Information Mapping®-Ansatz berücksichtigt werden (vgl. Göprferich, 2002).

136

x

Einfachheit: Zur Darstellung der Informationen bieten sich kurze und einfache Sätze an. Fachbereichs- bzw. abteilungsspezifische Fachwörter sollten erklärt werden. Passivformulierungen können durch aktive Verben ersetzt werden.181

x

Stimulanz: Informationen können durch Sätze oder Abbildungen mit belebender bzw. motivierender Wirkung dargestellt werden. So kann jede Informationsart durch eine spezifische Abbildung bzw. Grafik im Dokument veranschaulicht werden. Eine solche Abbildung weist neben den Blocktiteln in der Marginalspalte eines Dokumentes auf die im Block dargestellte Informationsart hin. Die Abbildung kann als anregender Zusatz zum Text dazu beitragen, den Rezipienten zum Lesen dieser Informationsart zu motivieren. Die spezifische Abbildung sollte für eine bestimmte Informationsart „standardisiert“ immer wieder verwendet werden, um eine explizite Kennzeichnung zu erreichen (vgl. Muthig & Schäflein-Armbruster, 1999).182

In Bezug auf die Regel der Stimulanz sei an dieser Stelle angemerkt, dass bei Gremiendokumenten davon ausgegangen werden kann, dass die Rezipienten dem im Dokument dargestellten Sachverhalt in der Regel von vornherein ein gewisses Interesse entgegen bringen. Daraus darf aber nicht vorschnell geschlossen werden, dass dieser Regel generell eine untergeordnete Bedeutung zugeordnet wird. Im Rahmen der Arbeit wurden in mehreren Gremien Dokumente erstellt, in denen Textproduzenten insbesondere Abbildungen verwendeten, um die jeweiligen Informationsarten eindeutig zu kennzeichnen und den Rezipienten eine Orientierung im Dokument zu ermöglichen (vgl. Ballstaedt, 1997). Als Beispiel für ein solches Dokument ist ein Protokoll im Anhang der Arbeit aufgeführt. In Abbildung 5-5 sind die im Redaktionsprozess zur Anwendung kommenden Grundlagen der Gestaltung von Gremiendokumenten zusammenfassend skizziert.

181

Unter fachbereichs- bzw. abteilungsspezifischen Fachwörtern sind solche Begriffe zu verstehen, die nicht in allen Organisationseinheiten des Werks bekannt sind. In einem Automobilwerk können das z. B. Begriffe des Controllings (z. B. Kostenarten, Betriebsabrechungsbogen) sein. Mit dieser Regel soll sichergestellt werden, dass Informationen aus einem Gremiendokument in allen Gremien des Werks verstanden werden können. 182 Als Abbildungen werden Symbole aus der Strassenverkehrsordnung verwendet, da diese Symbole im BMW Werk Leipzig vielfach eingesetzt werden (z. B. zur Kennzeichnung von Projektzuständen in Excel-Dokumenten). Die Symbole dienen dazu Informationsarten eindeutig zu kennzeichnen. Sie können den Rezipienten dabei helfen, in einem Dokument eine bestimmte Informationsart ohne großen Suchaufwand zu finden. Auch für die Ausgestaltung einer Gremiensitzung wurde auf diese Symbole zurückgegriffen und eine Moderationsübersicht erstellt (siehe Anhang). In der Moderationsübersicht kennzeichnen die Symbole ebenefalls die unterschiedlichen Informationsarten. Die Moderationsübersicht dient dazu, den Moderator bei der Strukturierung der Diskussionsbeiträge zu unterstützen. Sie wurde in einigen Gremien als für alle Rollenträger sichtbare Übersicht bzw. Wandposter an einer Stellwand befestigt.

137

Informationsanalyse Informationsbedarfe

Informationsarten

Kommunikative Grundfunktionen

Problemsit.

Prämissen

Empfehlung

Beschluss

Handlungsalt. Durchführung

Rundschreiben 18/99: Neuordnung der Geschäftsleitung

Inhalt

Einteilung neuer Verantwortungsbereiche und interne Umstrukturierung

Ausgangslage

In diesem Jahr haben wir die Auswirkungen verschiedener wirtschaftlicher Veränderungen besonders hart zu spüren bekommen, so unter anderem

Effektkontrolle

x die Zunahme der Einfuhren aus dem Ausland. x Schwierigkeiten mit den Angestelltenverbänden und x Probleme im Zusammenhang mit der Entwicklung neuer Baugruppen. Aus diesen Gründen hat die Geschäftsleitung eine eingehende Untersuchung in Auftrag gegeben. Ziel ist, Alternativen zur Verbesserung unserer Gewinnsituation und zur Erhöhung unserer Produktivität aufzuzeigen.

Zwei neue Abteilungen

Am 1. April werden daher zwei neue Abteilungen ins Leben gerufen: x Produktentwicklung x Betrieb

Personelle Änderungen

Im Zusammenhang damit wird auch die Geschäftsleitung neu geordnet. Die folgende Neuordnung der Geschäftsleitung tritt ebenfalls am 1. April in Kraft: Name

Wichtige Daten

Bisherige Position

Neue Funktion

Willi Fröhlich

Abteilungsleiter Einkauf

Leiter Betrieb

Monika Dreher

Stellvertretende Leiterin Forschung

Stellvertretende Leiterin Betrieb

Walter Fässler

Direktionsassistent Forschung Stellvertretender Leiter Produktentwicklung

Heiner Blässer

Direktionsassistent Finanzen

Irmgard Huber

Abteilungsleiterin Buchhaltung Direktionsassistentin Betrieb

Direktionsassistent Forschung

Nachfolgend die wichtigsten Daten im Zusammenhang mit diesen Änderungen: x 15. März – Information der vom Umzug betroffenen Mitarbeiter x 22. März – Bekanntgabe der Einzelheiten der neuen Organisation x 01. April – Inkrafttreten der neuen Organisation x 01. April – Neuordnung der Geschäftsleitung

Dr. Rosenberg, 10. Januar 1998

2 Informationseinheiten

Strukturierungs-/ Darstellungsrichtlinien Gliederung

Block

Map

Einheitlichkeit

Relevanz

Betitelung

Einfachheit

Stimulanz

Abbildung 5-5: Grundlagen der Gestaltung von Gremiendokumenten

Die Eigenschaften des Information Mapping®-Ansatzes bieten Potenziale, die für eine Verwendung des Ansatzes im Rahmen dieser Arbeit ausschlaggebend sind. Insbesondere ist hervorzuheben, dass Information Mapping® die systematische Planung eines Redaktionsprozesses – von der Analyse bis zur Strukturierung der Informationen – unterstützen kann. Ein weiterer Vorteil des Ansatzes liegt in der modularen Verwendung der Informationseinheiten begründet. Modulare Informationseinheiten ermöglichen mehreren Textproduzenten innerhalb eines Entscheidungsprozesses gemeinsam Inhalte zu einem bearbeiteten Problem zu erstellen. Softwarelösungen wie z. B. Datenbankmanagement-, Contentmanagement- oder auch Gremiensteuerungssysteme können eine modularisierte Bereitstellung einzelner Blöcke bzw. Maps unterstützen (vgl. Anders, 2002; Schoop & Anders, 2001). Für Rezipienten bietet die Modularisierung die Möglichkeit, auf einzelne Teile (einzelne Maps oder einzelne Blöcke) separat zuzugreifen, ohne ein komplettes Dokument vollständig lesen zu müssen. Trotz der genannten Vorteile zeigen sich bei kritischer Betrachtung einige Defizite des Information Mapping®-Ansatzes, so dass dieser Ansatz im Rahmen dieser Arbeit sukzessive erweitert wird. Die Defizite treten insbesondere in der unspezifischen Klassifizierung der Informationsarten zu Tage, da diese nur ansatzweise dem Informationsbedarf der jeweiligen Rezipienten in Entscheidungsprozessen von Gremien entsprechen. 138

Zudem wird im Information Mapping®-Ansatz den Textproduzenten kein Sequenzierungsprinzip zur Verfügung gestellt, in welcher logischen Folge die Blöcke bzw. die Informationsarten angeordnet werden können. Letztlich fehlen im Information Mapping® Festlegungen bzw. Richtlinien zur sprachlichen Darstellung von Informationen bzw. zur Formulierung von Inhalten. Aufgrund der genannten Vor- und Nachteile kann festgehalten werden, dass Information Mapping® sich primär als Planungs- und Strukturierungsmethode eignet (vgl. Lehrndorfer & Tjarks-Sobhani, 2001 sowie Ley, 2005). Das im Rahmen dieser Arbeit beschriebene Vorgehen zur Gestaltung von Dokumenten erweitert die Vorgaben des Information Mapping® um ein ausgewähltes Sequenzierungsprinzip, um Festlegungen auf der sprachlichen Ebene von Dokumenten sowie um Hinweise zur Verwendung von Abbildungen (siehe auch Kap. 6). Mit diesen Erweiterungen wird ein Vorgehen gewählt, das in ähnlicher Weise in weiteren Strukturierungsansätzen, zu nennen sind z. B. das Funktionsdesign (vgl. Muthig & SchäffleinArmbruster, 1999) oder auch das Informationsdesign (vgl. Dentz, 2001), zur Erstellung von Dokumenten zu Grunde gelegt wird. Das im Rahmen des Projektes entwickelte Vorgehen grenzt sich von diesen Ansätzen ab, weil diese Ansätze ebenfalls Informationen relativ unspezifisch klassifizieren und aufgrund der verwendeten Sequenzierungsprinzipien Informationen so angeordnet werden, dass sie den Rezipienten in der Regel zu relativ kleinschrittigen Handlungssequenzen anleiten. Im Fokus dieser Arbeit steht die Weitergabe von Wissen aus (individuellen) Problemlöseprozessen mit Hilfe von Dokumenten. Die vorgestellte Strukturgrundlage sowie die beschriebenen Strukturmuster für Gremiendokumente enthalten Informationsarten, die sich primär auf die Dokumentation solchen Wissens der Rollenträger respektive der Textproduzenten beziehen. Abschließend sei angemerkt, dass in Gremiendokumenten durchaus noch weitere Informationen schriftlich fixiert werden können, wie z. B. eine Übersicht der Tagesordnungspunkte, die Namen der teilnehmenden Rollenträger sowie das Datum/die Uhrzeit einer Gremiensitzung. Die genannten Beispiele stellen Informationen dar, die in Entscheidungsprozessen von Gremien in der Regel administrative Zwecke erfüllen. Für die Unterstützung der Konstruktion eines mentalen Modells zu einem gegebenen Problem besitzen diese Informationen nur eine geringe Relevanz, weshalb sie im Rahmen dieser Arbeit nicht näher betrachtet werden.183

183 Für eine auf der Grundlage des Information Mapping®-Anatzes ausgestaltete systematische Erfassung und Strukturierung von Informationen die administrativen Zwecken dienen, siehe Schoop & Anders (1999) sowie Schoop & Gersdorf (2001).

139

5.2

Umsetzung der Gestaltungsvorschläge

Im Folgenden wird dargestellt, wie die beschriebenen Grundlagen der Gestaltung von Gremiendokumenten in der Projektarbeit umgesetzt worden sind. Anhand zweier Musterdokumente, der Management Summary und des Protokolls, wird die Ausgestaltung von Gremiendokumenten im BMW Werk veranschaulicht. Im Anschluss wird aufgezeigt, wie die Strukturgrundlage in das Gremiensteuerungssystem184 des BMW Werks Leipzig überführt wurde. In Abbildung 5-6 ist ein Auszug einer „Management Summary-Map“ des Werkleitungskreises dargestellt. Die Management Summary-Map bezieht sich auf die in Kapitel 4.3 bereits beschriebene Problemstellung des Werkleitungskreises bzgl. einer möglichen Reduktion der fixen Kosten in sogenannten A-Prozessen (z. B. Ausbildung) eine Entscheidung treffen zu müssen.

Abbildung 5-6: Auszug aus einem Gestaltungsvorschlag für eine Management Summary-Map des Werkleitungskreises

Der hier dargestellte Auszug einer Management Summary-Map bildet die beiden Blöcke „Problem-/Ausgangssituation“ und „Prämissen“ ab. Inhaltlich geht es um Informa-

184

Gremiensteuerungssysteme (GSS) sind Software-Tools zur Unterstützung der synchronen und asynchronen Kommunikation zwischen mehreren Rollenträgern in Entscheidungsprozessen von Gremien. Informationen aus Entscheidungsprozessen können in diesem System elektronisch festgehalten werden und stehen allen (berechtigten) Rollenträgern zur Verfügung. Sie ermöglichen mehreren Rollenträgern eine gemeinsame Bearbeitung eines komplexen Problems von dessen Entstehung bis zur Erledigung.

140

tionen zu Möglichkeiten der Reduktion der fixen Prozesskosten. Im Block „Ausgangssituation“ wird das zu lösende Problem unter zwei Aspekten dargestellt: x

Ist-Zustand: Dabei geht es um die hohen Fixkosten der Ausbildungsprozesse.

x

Soll-Zustand: Hier wird die Zielstellung beschrieben. Im konkreten Fall geht es um die Reduktion der Prozesskosten, um einen bestimmten prozentualen Zielrichtwert und um eine Steigerung der Wertschöpfungsanteile der Ausbildungsprozesse (sowie möglicher Teilziele).

Im Block „Prämissen“ stehen Kontextfaktoren, die für den Entscheidungsprozess im Werkleitungsgremium von Bedeutung sein können, wie zum Beispiel: x

Angaben zu Ressourcen (Budget der Fachbereiche für Ausbildung, verfügbares Ausbildungspersonal).

x

Angaben zu den an der Ausbildung beteiligten werksinternen und werksexternen Einrichtungen.

x

Fakten, die den Ausbildungsprozess präzise beschreiben, zum Beispiel: o Fixe Kosten; o Variable Kosten; o Zeit, die für die Betreuung von Auszubildenden z. B. durch Facharbeiter oder Meister in den Fachbereichen aufgewendet werden muss; o Anzahl und zeitliche Dauer der Ausbildungsphasen je Fachbereich; o Bewertung des Lernerfolgs nach Abschluss einer Ausbildungsphase in den Fachbereichen.

Im folgenden Block „Handlungsalternativen“185 werden Maßnahmen beschrieben, gewichtet und ökonomisch bewertet, die dazu beitragen sollen, die fixen Kosten der Ausbildungsprozesse zu reduzieren und die Wertschöpfungsanteile der Ausbildung zu erhöhen. Am Ende dieses Blocks stehen Aktivitäten mit einer hohen Priorität. Diese Struktur der Management Summary ist nach ihrer Einführung und Erprobung für alle Gremien als verbindlich deklariert worden. Die Struktur stellt sicher, x

dass der Themenbearbeiter die Zielstellungen der Problembearbeitung, die Einflussfaktoren sowie die möglichen Handlungsalternativen umfassend, prägnant und systematisch wahrnimmt, bewertet und dokumentiert;

x

dass der Themenbearbeiter über begründete Lösungsvorschläge nachdenkt und diese strukturiert unterbreitet und

185

Die Inhalte dieses Blockes sind aus Gründen des Informationsschutzes nicht abgebildet.

141

x

dass die Entscheider eine vollständige, aussagefähige und transparente Informationsgrundlage

haben,

um

eine

begründete

Auswahl

einer

Lösungsalternative (Entscheidung) im Hinblick auf die Ausgestaltung der Ausbildungsprozesse treffen zu können. Ein weiteres Ziel dieser Dokumentstruktur besteht darin, sukzessive ganzheitliche Bestände an Informationen über Problembearbeitungsprozesse aufzubauen, die durch alle an einem Entscheidungsprozess beteiligten Rollenträger zusammengetragen werden. Die Management Summary stellt von der Problemidentifikation (respektive der Zieldefinition) bis zur empfohlenen Lösungsalternative umfassende Informationen zur Verfügung. Informationen zu den weiteren Bestandteilen der Strukturgrundlage werden im Protokoll sowie im Lessons Learned schriftlich fixiert. Diese modularen Bestandteile können zu einer vollständigen Abbildung eines Problembearbeitungsprozesses zusammengefügt werden. Anhand eines weiteren Dokumentationsbeispiels wird nun im Folgenden dargestellt, wie die Strukturgrundlage und die Gestaltungsrichtlinien in einer Protokoll-Map umgesetzt werden können. Abbildung 5-7 stellt eine Protokoll-Map des TL-X Kreises (Gremium auf Fachbereichsebene) für die in Kapitel 4.3 bereits beschriebene Problemstellung, eine Investitionsentscheidung für Palms treffen zu müssen, dar.

142

Abbildung 5-7: Gestaltungsvorschlag für eine Protokoll-Map (Fachbereichsgremium TL-X)

Für das hier geschilderte Beispiel des TL-X Kreises existiert keine Management Summary. Es bietet sich an, alle Blöcke der Strukturgrundlage in diesem Protokoll aufzuführen, um die Bearbeitung des Problems vollständig schriftlich zu erfassen. Für das bereits beschriebene Beispiel „Investitionsentscheidungen – Palms“ sieht das Protokoll-Map wie im Folgenden dargelegt aus. Im Block „Ausgangssituation“ ist die Problemstellung, eine Investitionsentscheidung treffen zu müssen, kurz beschrieben: x

Ist-Zustand: Hier geht es zum einen um eine mangelnde Ausstattung der Unterabteilungen des Fachbereichs TL-X mit Palms. Zum anderen geht es um Angaben zu den Kostenrestriktionen, dem Preis je Palm sowie der maximal beziehbaren Menge.

x

Soll-Zustand: Hierbei handelt es sich um den Bedarf der Unterabteilungen, der anhand der Personalstärke beziffert wird. Aus dem Missverhältnis zwischen Bedarf und maximal beziehbarerer Menge an Palms ergibt sich das zu bearbeitende Problem. 143

Im Block „Prämissen“ stehen Kontextfaktoren, die für die Diskussion und Bewertung im Gremium von Bedeutung sein können. In diesem Beispiel sind das Informationen zu den Personalbeständen der drei Unterabteilungen. Zudem geht es darum, dass Mitarbeiter einer Unterabteilung im Besonderen mit Funktionen im Werk betraut sind, die eine erhöhte Mobilität mit sich bringen. Im Block „Empfehlung“ wird eine mögliche Berechnungsalternative zur Verteilung der Palms auf die Unterabteilungen vorgeschlagen. Der Block „Beschluss“ enthält die Zuteilung der Palms auf die drei Unterabteilungen des Fachbereichs. Zusätzlich ist der Auftrag, der sich an die Unterabteilungsleiter richtet, festgehalten, die jeweilig zugewiesene Menge an Palms zu bestellen. Sowohl den Entscheidern des Gremiums als auch weiteren künftigen Rezipienten des Protokolls soll durch diese Struktur ermöglicht werden, die Entscheidung nicht nur nachvollziehen sondern auch die Lösung des Ausgangsproblems bewerten zu können.186 Dies kann u. a. dadurch gewährleistet werden, dass fehlende Hintergrundinformationen zur Entscheidung, z. B. eine dezidierte Beschreibung des Problems sowie des Vorschlags eines Lösungsalgorithmus (Verteilungsschlüssel), anhand der Struktur zu berücksichtigen sind und diese dann dokumentiert werden können. Die Verwendung von Papierdokumenten soll im BMW Werk Leipzig aufgrund einer geschäftspolitischen Grundsatzentscheidung der Werkleitung schrittweise durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie ersetzt werden. Die Zusammenarbeit der Rollenträger in den Werkgremien wird durch ein Gremiensteuerungssystem unterstützt. Die zentrale Funktion des Gremiensteuerungssystems ist untergliedert in die elektronische Erfassung, Verwaltung und Distribution von Wissen in Form von Informationen, das im Rahmen der jeweiligen Problembearbeitung durch die Rollenträger konstruiert wurde. Bei der Textproduktion kann zum einen eine elektronische Version der oben genannten Dokumente erstellt werden, die in das System einzupflegen ist. Zum anderen besteht die Möglichkeit, die Informationen aus dem jeweiligen Problembearbeitungsprozess direkt in eine Bildschirmmaske einzugeben. Um sicherzustellen, dass im zweiten Fall die Informationen ebenfalls systematisch strukturiert und vollständig dokumentiert werden, wurde die oben beschriebene Strukturgrundlage in das 186 Das Gremium TL-X hätte damit die halbstündige Diskussion bezüglich der Rekapitulation der Investitionsentscheidung zeitlich erheblich reduzieren können. Durch die Reduktion der Sitzungszeit können bei 10 Gremienteilnehmern des mittleren Führungsmanagements allein bei diesem Diskussions- bzw. Tagesordnungspunkt Personalkosten in Höhe von ca. 250 € eingespart werden (Quelle: Expertengespräch mit Herrn Wolf vom 03.11.2004). Da jedes Gremium des BMW Werks Leipzig mindestens eine Sitzung pro Woche durchführt, besteht bei ca. 130 Gremien im Werk ein hohes Potenzial Personalkosten einzusparen, indem die Zeit je Sitzung reduziert wird.

144

Gremiensteuerungssystem übernommen. Die folgende Abbildung 5-8 stellt eine Eingabemaske dar, die mit Hilfe der Strukturgrundlage ausgestaltet wurde.

Abbildung 5-8: Eingabemaske des Gremiensteuerungssystems

Die Abbildung gibt die Eingabemaske eines Gremiums auf der Fachbereichsebene wieder. In der Eingabemaske können unter dem Punkt „Stammdaten“ grundlegende administrative Informationen zum Gremium (teilnehmende Rollenträger, festes Sitzungsdatum usw.) festgehalten werden. Die elektronisch erstellten Gremiendokumente (z. B. Management Summary, Präsentation) können unter dem Punkt „Dokumente" eingepflegt werden. Unter dem Punkt „Mitschrift/Beschlüsse“ (im obigen Beispiel geöffnet) kann der jeweilige Rollenträger Informationen zum Problembearbeitungsprozess direkt eingeben. Am Beispiel eines Protokollanten wird im Folgenden erläutert, wie Informationen zu den einzelnen Informationsarten bzw. Blöcken der Strukturgrundlage während einer Gremiensitzung (Phase „Entscheidung treffen“) gesichert werden können. Hierzu muss der Protokollant unter dem Punkt „Typ“ ein Auswahlfenster öffnen (siehe in der Abbildung 5-8 unten) und den Eingabetyp „Entscheidung“ auswählen. Es öffnen sich dann die oben sichtbaren Eingabefenster. Im Eingabefenster „Mitschrift“ (siehe in der Abbildung 5-8 oben) werden Informationen zu den Informationsarten „Problem/Ausgangssituation“, „Prämissen“, „Handlungsalternativen“ und „Empfehlung“ doku145

mentiert.187 Im Eingabefenster „Beschluss“ wird die ausgewählte Lösungsalternative bzw. werden weiter zu bearbeitende Aspekte des gegebenen Problems festgehalten. Das Eingabefenster „Bemerkung“ (siehe in der Abbildung unten rechts) dient dem Themenbearbeiter dazu, Informationen zur „Effektkontrolle/Revision“ sicherzustellen. Unter dem Punkt „Vorhandene Beschlüsse“ (siehe in der Abbildung in der Mitte) kann jederzeit auf Informationen zu einer bereits abgeschlossenen Problembearbeitung zugegriffen werden. Diese direkte Zugriffsmöglichkeit gestattet es den Rollenträgern, in Entscheidungsprozessen von bereits existierenden und erprobten Lösungen zu profitieren bzw. diese Lösungen schrittweise und systematisch weiterzuentwickeln. Ein weiterer Vorteil des Gremiensteuerungssystems und der dort umgesetzten Strukturgrundlage (respektive der modular gestalteten Informationseinheiten) liegt darin begründet, dass Informationen aus der jeweiligen Bearbeitung eines bestimmten Problems nicht mehr auf mehrere Dokumente verteilt sind, wie die folgende Abbildung 5-9 veranschaulicht.

Abbildung 5-9: Gremiensteuerungssystem als Grundlage für die Textproduktion und Textrezeption

Besteht bei einem Themenbearbeiter ein Interesse darin, von bereits erprobten Problemlösungen zu profitieren, dann können alle Informationen zur vollständigen Problembearbeitung im Gremiensteuerungssystem zusammenhängend dargestellt werden. Der Themenbearbeiter muss nun nicht mehr gleichzeitig auf mehrere Dokumente (Management Summary, Präsentation, Protokoll, persönliche Mitschriften, Liste offener Punkte)

187

Die letzten beiden Blöcke sind im obigen Beispiel aufgrund der Größe des Eingabefensters nicht sichtbar und erscheinen durch ein „Scrollen“ in der Bildschirmmaske.

146

zurückgreifen, um eine vollständige Darstellung der Informationen zu einer Problemlösung zu erhalten. 5.3

Bewertung der Gestaltungsvorschläge

5.3.1

Vorteile der Strukturgrundlage und der Strukturmuster

Die kontinuierliche Verwendung der Strukturgrundlage für Gremiendokumente respektive der Strukturmuster für jede Dokumentart sowie die konsistente Anwendung der Richtlinien und Regeln zur Ausgestaltung von Dokumenten bietet sowohl für die Textproduktion als auch für die Rezeption der Dokumente Vorteile, die im Folgenden dargestellt werden.188 Die Vorgaben zur inhaltlichen Strukturierung der Dokumente sparen Zeit beim Erstellen und Überarbeiten von Dokumenten. Die Zeitersparnis kann unter anderem darauf zurückgeführt werden, dass Textproduzenten bei der Auswahl bedeutsamer Informationen durch die Strukturgrundlage angeleitet werden. Das soll an folgendem Beispiel veranschaulicht werden: Der Protokollant ist während einer Gremiensitzung einer kognitiven „Doppelbelastung“ ausgesetzt. Zum einen ist er damit beschäftigt, Informationen der Entscheider wahrzunehmen, zu bewerten und zu selektieren. Zum anderen muss er seine Aufmerksamkeit auf eine vollständige, inhaltlich-logische und kohärente Textproduktion richten. Protokollanten sind als Verwaltungsfachkräfte in der Regel für die Bewältigung dieser „Belastung“ gut ausgebildet. Die Bewertung und Selektion relevanter, d. h. zu dokumentierender Fachinhalte stellt dagegen eine Herausforderung an die Protokollanten dar, da sie in der Regel keine Expertise zu ingenieursspezifischen Fragestellungen der Automobilindustrie besitzen. Durch die Verwendung der Strukturgrundlage respektive des Strukturmusters für Protokolle bleibt dem Protokollanten während einer Gremiensitzung mehr Zeit, sich auf bedeutsame Informationen der Entscheider zu konzentrieren. Die mittels der Strukturgrundlage modular ausgestalteten Dokumente ermöglichen eine werksweite Standardisierung aller Dokumentarten in Gremien. Diese beinhaltet auch eine Abstimmung darüber, welche Informationsarten bzw. Blöcke der Strukturgrundlage in welchem Dokument enthalten sein sollten. Durch die Zuweisung der Blöcke zu einem bestimmten Dokument können Redundanzen vermieden werden. Solche Redundanzen bestanden in der Praxis bisher insbesondere aufgrund identischer Informationen in Management Summaries und Protokollen. Zudem können Gremiendokumente über 188

Die Vorteile wurden im Rahmen einer Befragung von Rollenträgern aus Gremien erhoben, die sowohl als Textproduzenten als auch als Textrezipienten aufgetreten sind.

147

alle Gremien hinweg inhaltlich und strukturell identisch gestaltet werden, so dass Textproduzenten, die in mehreren Gremien agieren, wiederholt auf ihnen bekannte Strukturmuster für Dokumente (z. B. für Protokolle) zurückgreifen können. Die modular ausgestalteten Dokumente bzw. das Gremiensteuerungssystem ermöglichen es den Textproduzenten zudem, der Forderung nach einer „Fortschreibung von Problemlösungen“ nachzukommen (vgl. Kapitel 5.1). Textproduzenten können einzelne Blöcke oder Maps eines (elektronischen) Dokuments weiterbearbeiten: So kann ein Block, in dem eine Lösungsalternative detailliert durch einen Themenbearbeiter beschrieben wurde, nach der Umsetzung der beschlossenen Lösung und deren Effektkontrolle durch den Themenbearbeiter oder auch den Themensteuerer inhaltlich angepasst bzw. um weitere Informationen ergänzt werden. Ein Vorteil für Rezipienten liegt darin begründet, dass aufgrund der übersichtlichen und inhaltlich-logisch gestalteten Struktur weniger Zeit für das Lesen und Verstehen der Dokumente aufgebracht werden muss. Benötigte Informationen können schneller aufgefunden werden, weil die Struktur der Dokumentation aufgrund der Gestaltungsrichtlinien einheitlich ist. Die Strukturgrundlage sichert zudem eine weitgehend vollständige Dokumentation und Weitergabe der Informationen, die die jeweiligen Rollenträger zur Konstruktion von neuem Wissen im Rahmen der Problembearbeitung benötigen. Über die Vorteile beim Erstellen und Lesen von Dokumenten hinaus können noch weitere positive Effekte durch die Verwendung der Strukturgrundlage angeführt werden. Rollenträger mit einer gering ausgeprägten Expertise besitzen noch relativ wenige Kenntnisse über Denk-, Arbeits- und Problemlösestrategien. Diese Feststellung trifft insbesondere auf Themenbearbeiter in Entscheidungsprozessen von Gremien zu, die u. a. keine Zieldekomposition oder keine Effektkontrolle vornehmen. Die Strukturgrundlage kann dazu dienen, dem Themenbearbeiter zu veranschaulichen, zu welchen Stationen der Handlungsorganisation Wissen konstruiert werden kann. 5.3.2

Akzeptanz der Strukturmuster

Für eine längerfristige Anwendung der Gestaltungsvorschläge respektive der Strukturmuster für Dokumente ist es bedeutsam, Akzeptanz bei den Textproduzenten herzustellen. Darunter werden zum einen die Bereitschaft zur Nutzung der Strukturgrundlage und der Strukturmuster für Gremiendokumente und zum anderen deren tatsächliche Nutzung verstanden. In der Literatur zur Akzeptanzforschung wird bei der Bereitschaft zur Nutzung eines Angebots oder Lösungsvorschlags von Einstellungsakzeptanz und 148

bei der tatsächlichen Nutzung von Verhaltensakzeptanz gesprochen (vgl. Müller-Böling & Müller, 1986). Unter dem Begriff Einstellungsakzeptanz werden kognitive, affektive und konative Komponenten zusammengefasst. Unter Verhaltensakzeptanz wird ein beobachtbares Verhalten bei der Umsetzung z. B. neuer innovativer Ideen verstanden (vgl. Klauser, 2006).189 Die Einführung der Strukturgrundlage, der Strukturmuster je Dokumentenart und der Darstellungs- und Gestaltungsrichtlinien führt für die Textproduzenten zu einem eingeschränkten Spielraum beim Erstellen von Dokumenten. Diese Einschränkung toleriert nur in geringem Maße Abweichungen und begrenzt die Kreativität der Textproduzenten. Die genannten Beschränkungen der Textproduzenten führten insbesondere in der Phase des Aufbaus des BMW Werks in Leipzig zu Akzeptanzproblemen. Die Aufbauphase des Werks war dadurch gekennzeichnet, dass Rollenträger mit ausgewiesener Expertise aus unterschiedlichen Produktionsstätten der BMW Group (z. B. BMW Werk Regensburg, BMW Werk München) auf dem Gelände des Werks in Leipzig zusammenarbeiteten. Diese unterschiedlichen Rollenträger brachten ihre langjährig verwendeten Methoden, Verfahren und Muster für Dokumente aus ihren Stammwerken in die Gremienarbeit in Leipzig ein. Im Rahmen des Projekts konnten Akzeptanzprobleme bei den Textproduzenten beobachtet werden, die u. a. in der Einstellung der Rollenträger gegenüber den Strukturmustern für Dokumente begründet waren. Die Strukturmuster wurden von den Textproduzenten zum Teil als Eingriff in die bisher praktizierten Verfahren verstanden. Aus diesem Grunde erschien es sinnvoll, die Textproduzenten in Gremien für die Stärken und Schwächen der Strukturgrundlage, der Strukturmuster je Dokumentart und der Gestaltungsrichtlinien zu sensibilisieren. Der Nutzen der Dokumentenstrukturen sollte insbesondere im Hinblick auf deren Einsatz in Entscheidungsprozessen von Gremien verdeutlicht und aufgezeigt werden, wie Dokumente die Weitergabe von Wissen zwischen den Rollenträgern unterstützen können. Vor allem aber war es notwendig, die Textproduzenten vom Sinn und Zweck der neuen Dokumentenstruktur zu überzeugen und den Umgang damit intensiv zu üben. Dazu wurden systematisch Schulungen durchgeführt, in denen es unter anderem darum ging: x

Transparenz herzustellen über die Zusammenarbeit und die wechselseitige Verflechtung der Rollenträger in Entscheidungsprozessen von Gremien im Allge-

189

„Die kognitive Komponente betrifft die Abwägung aufgrund persönlicher Erfahrungen, Vorstellungen berücksichtigt motivational-emotionale Aspekte, die Komponente bezieht sich auf Handlungstendenzen des (Klauser, 2006, S. 114).

von Vor- und Nachteilen einer technologischen Innovation und Überzeugungen. [...] Die affektive Komponente mit der Innovation verbunden sind [...]. Die konative Individuums im Hinblick auf die Nutzung der Innovation“

149

meinen und deren Funktionen und Erwartungen untereinander (insbesondere zur Weitergabe von Wissen) im Speziellen; x

die Rollenträger respektive die Textproduzenten zu sensibilisieren für die Informationsbedarfe der Rezipienten (dies schließt auch Rollenträger aus anderen Gremien des Werks mit ein) und vor allem

x

Fähigkeiten und Fertigkeiten bei den Textproduzenten zu entwickeln im Hinblick auf eine effektive inhaltliche und sprachlichen Ausgestaltung von Gremiendokumenten basierend auf der erarbeiteten Strukturgrundlage.190

Die Schulungen werden im Folgenden Kapitel am Beispiel eines Schulungskonzeptes für Protokollanten näher veranschaulicht.

190

An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass eine intensive Vorbereitung der Rollenträger auf die Verwendung der hier dargestellten Dokumentstrukturen und Gestaltungsvorgaben immer auch von der Leitung des Werks bzw. eines Unternehmens zu unterstützen ist (vgl. Fredrich, 2003). Es konnte auch im Rahmen dieser Arbeit festgestellt werden, dass ohne eine umfassende Unterstützung durch die Werkleitung eine Bewusstseinsänderung bei den Mitarbeitern nur in sehr begrenztem Maße herbeigeführt werden kann.

150

6

Entwicklung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Textproduktion

6.1

Didaktisches Konzept und Umsetzung

Im Rahmen des Projektes, wurde ein didaktisches Konzept zum Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten der Textproduktion entwickelt, das in einer „prototypischen“ Schulung von Protokollanten umgesetzt wurde.191 Das Konzept basiert auf der in Kapitel 5 dargestellten Strukturgrundlage und den Strukturmustern für die unterschiedlichen Gremiendokumente. Im Folgenden wird das didaktische Konzept der Schulung dargestellt und dessen Umsetzung in der Schulung von Protokollanten beschrieben. Im Anschluss werden die Akzeptanz der Schulung, der Lernerfolg sowie mögliche pädagogische Konsequenzen thematisiert.192

Defizite der traditionellen Gestaltung von Schulungen respektive von Lehr-LernProzessen sind in der wirtschaftspädagogischen Literatur umfassend beschrieben (vgl. u. a. Dubs, 1995b; Klauser, 1998a, 1998c; Reetz, 1996): Vielfach wird darauf verwiesen, dass Fähigkeiten der Lernenden in komplexen Zusammenhängen zu denken sowie Probleme selbstgesteuert und unter Berücksichtigung metakognitiver Prozesse zu lösen, nur unzureichend entwickelt werden. Diese Defizite werden in der Literatur unter anderem auf ein oftmals linearisiertes und atomisiertes Darbieten von Lerninhalten zurückgeführt, die zudem durch einen fehlenden Praxisbezug bzw. einen mangelnden Anwendungsbezug charakterisiert sind. Als wissenschaftlich gesichert gilt, dass ein an rein kognitiven Lernzielen orientiertes Lehr-Lern-Angebot dazu führt, dass Wissensbestände zumeist in rein theoretischen Kontexten dargeboten werden. Diese Wissensbestände können von den Lernenden nur schwer auf konkrete Situationen z. B. im Arbeitsalltag übertragen werden, da sie ohne spezifische Anwendungsbezüge erworben werden (vgl. u. a. Achtenhagen, 1992; Fürstenau, 1994; Klauser, 1998a, 1998b; Renkl, 1996; Mandl & Gerstenmaier, 2000). Um das Vorgehen bei der Konzeption von Lehr-Lern-Angeboten positiv auszugestalten, führt Klauser193 in Reaktion auf die genannten Defizite und in Bezug auf Kriterien zur Gestaltung von komplexen Lehr-Lern-Arrangements (vgl. Achtenhagen, 1992) sowie

191

Im Rahmen des Projektes „Betriebliches Wissensmanagement“ entstand auch ein Schulungskonzept für Textproduzenten, die mit der Erstellung von Lessons Learned beauftragt waren. Dieses Schulungskonzept wurde vom Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik der TU Dresden erstellt. 192 Die Akzeptanz der Schulung ist für den Lernerfolg im Besonderen bedeutsam. 193 Für eine ausführliche Darstellung siehe Klauser (1998a, 1998b) sowie Klauser et al. (2002).

151

unter Berücksichtigung von Erkenntnissen moderner Instruktionsansätze die folgenden Prinzipien zur Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen an: x

Individuelle Lernprozesse müssen „stets im Zusammenhang mit der sozialen Dimension des Lernens diskutiert und ausgestaltet werden“ (Klauser et al., 2002, S. 13). So können beim Lernen in Gruppen multiple Perspektiven durch unterschiedliche Meinungen und Lösungsansätze der Lernenden hervorgebracht werden, wodurch eine tiefere Elaboration des erworbenen Wissens gefördert werden kann.

x

Selbstgesteuerte Lernprozesse ermöglichen eine aktive Konstruktion von Wissen durch die Lernenden. Ein selbstgesteuertes Lernen erfolgt jedoch nicht automatisch und führt nicht bei allen Lernenden zu besseren Lernerfolgen. Eine instruktionale Anleitung und Unterstützung durch den Lehrenden zielt u. a. darauf ab, eine Überforderung der Lernenden bei der Bewältigung komplexer Anforderungen zu vermeiden.

x

Eine instruktionale Unterstützung der Lernenden ist mit der Anwendung eines umfangreichen Methodenrepertoires durch den Lehrenden verbunden, das u. a. die Bereitstellung von Informationsquellen und die Ausgestaltung und Darbietung von Übungen sowie von Anwendungsmöglichkeiten einschließt. Dabei können reale Problemstellungen und authentische Situationen dazu dienen, dass sich die Lernenden motiviert mit den Lerninhalten auseinandersetzen und das Gelernte im Arbeitsprozess anwenden können.

x

Ein in der Literatur häufig diskutiertes Defizit traditioneller Lehr-Lern-Prozesse ist der vorrangige Erwerb von kognitiven Fähigkeiten. Lehr-Lern-Prozesse sind darauf auszurichten, sowohl den „Wissenserwerb als auch die Fertigkeitsentwicklung und Ausprägung von Werthaltungen zu betonen und miteinander zu verknüpfen“ (Klauser et al., 2002, S. 14).

x

Um eine Abstraktion des Gelernten durch die Lernenden zu fördern, bietet es sich an, das praktische Vorgehen bei der Anwendung von Lerngegenständen, die Lernergebnisse und den eigenen Lernprozess zu reflektieren. Prozesse der Reflektion implizieren, dass Lernende sich ihr eigenes Vorgehen bewusst machen und absichtsvolle Änderungen ihrer Lern- und Arbeitsstrategien vornehmen. Solche Prozesse können durch instruktionale Maßnahmen wie z. B. Feedbacks durch den Lehrenden gefördert werden.

152

Die geschilderten Prinzipien liegen der Gestaltung des didaktischen Konzeptes und dessen Umsetzung in der Schulung von Protokollanten zu Grunde. Die Umsetzung der Schulung wird im Folgenden anhand ausgewählter Komponenten des Schulungsablaufs veranschaulicht. Zuvor werden kurz die Lernziele und die Voraussetzungen der Lernenden beschrieben. Lernziele und Lernervoraussetzungen sind im Vorfeld der Schulung zu bestimmen, da sie für die didaktische Ausgestaltung der Schulung maßgeblich sind. Für die Entwicklung des didaktischen Konzepts wurden die folgenden übergeordneten Richt- bzw. Grobziele194 der Schulung zu Grunde gelegt: Die Teilnehmer sollen x

die verschiedenen Rollen in Entscheidungsprozessen und ihre Funktionen bzw. ihre Bedeutung für die Weitergabe von Wissen in Gremien kennen und bewerten können,

x

die oben beschriebene Strukturgrundlage kennen,

x

die gremienweite Bedeutung und den Nutzen der Strukturgrundlage bzw. der Strukturmuster für Dokumente einschätzen und bewerten können,

x

die Strukturmuster für Dokumente zielgerichtet und zweckmäßig für die Weitergabe von Wissen in Gremien anwenden können,

x

Regeln und Merkmale der sprachlichen Gestaltung und der Formulierung von Texten kennen und auf die Ausgestaltung von Dokumenten in Gremien anwenden können.

Die Schulung richtete sich an Protokollanten aus unterschiedlichen Gremien des BMW Werks (vom Werkleitungskreis über Gremien auf Fachbereichsebene bis hin zu Gremien auf der Gruppenebene), umfasste eine Lernzeit von vier Präsenzstunden und war auf 10 Teilnehmer ausgelegt. Um das didaktische Konzept den individuellen Bedürfnissen der Protokollanten anzupassen, wurden im Vorfeld der Schulung individuelle Lernervoraussetzungen195 der Protokollanten erhoben. Dazu wurden das Vorwissen in Bezug auf die Produktion verständlicher Texte (kognitiver Faktor) sowie die Bereitschaft zur Teilnahme an der Schulung respektive zur Auseinandersetzung mit Themen der verständlichen Textproduktion (motivationaler Faktor) erhoben. Aufgrund der kaufmännischen Berufsausbildung der Protokollanten, ihrer zum Teil langjährigen Tätigkeit als Verwaltungsfachkraft bzw. als kaufmännische Angestellte im Werk sowie der Erhe-

194

In der Literatur wird in Anlehnung an Möller (1995, S. 67) zwischen Richt-, Grob- und Feinzielen unterschieden. Im Rahmen dieser Arbeit werden die Begriffe Feinziele und Lernziele synonym verwendet. 195 Lernervoraussetzungen können in kognitive, motivationale und emotionale Faktoren unterschieden werden (vgl. Kim & Klauser, 2004, S. 12 ff.). Die Lernervoraussetzungen wurden im Projekt mit Hilfe von Interviews, eines Fragebogens sowie der Auswertung von durch die Protokollanten in Entscheidungsprozessen von Gremien erstellten Protokollen erhoben.

153

bungsergebnisse konnte im Vorfeld der Schulung von folgendem Wissen und Können ausgegangen werden: Die Protokollanten x

kennen den organisatorischen Ablauf von Gremiensitzungen,

x

sind mit den in Gremien zum Einsatz kommenden Dokumentarten vertraut,

x

können die grundsätzliche Bedeutung des Protokolls für die Bewahrung und Weitergabe von Wissen einschätzen,

x

besitzen grundlegende Kenntnisse der Textproduktion,

x

verfügen über ein relativ ausgeprägtes „Sprachgefühl“ sowie

x

können den Computer in effizienter Weise bei der Protokollierung einsetzen (d. h. kennen insbesondere die grundlegenden Funktionalitäten einschlägiger Textverarbeitungssoftware).

Die Protokollanten verfügten insgesamt über die für eine Teilnahme an der Schulung notwendigen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten.196 Da die Schulungsveranstaltung auf freiwilliger Teilnahme der Protokollanten beruhte, konnte in Bezug auf die Motivation der Teilnehmer geschlossen werden, dass sie um die zentrale Notwendigkeit optimal gestalteter Texte wussten, eine gewisse Bereitschaft zur Nutzung neuer Lösungsansätze mitbrachten und mit relativ hohen Erwartungen der Schulungsmaßnahme gegenüberstanden. Die abstrakten Richt- bzw. Grobziele der Schulung wurden anhand von Lernzielen (Feinziele) konkretisiert. Lernziele bezeichnen Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einstellungen, die bei den Protokollanten durch die Schulung angestrebt werden sollen. Zur Unterscheidung unterschiedlicher Lernziele wird in der Literatur auf die drei Dimensionen der kognitiven, affektiven und motorischen Lernziele verwiesen (vgl. Bloom, 1976; Krathwohl, 1972, Krathwohl et al., 1975).197 Die folgenden Lernziele wurden für die Schulung der Protokollanten präzisiert: Die Protokollanten sollen x

die Funktionen von und die Erwartungen an Protokollanten in Entscheidungsprozessen von Gremien kennen,

x

die Informationsbedürfnisse der Rezipienten von Protokollen kennen,

x

die unterschiedlichen Eingabemasken des Gremiensteuerungssystems kennen,

x

die Bedeutung des Gremiensteuerungssystems für die Bewahrung und die Weitergabe von Wissen einschätzen können,

196

Über die Anforderungen bzw. das für ein erfolgreiches Absolvieren der Schulung notwendige Vorwissen wurden die Protokollanten im Vorfeld der Schulung mit einem Anschreiben informiert. 197 Kognitive, affektive und motorische Lernziele können nach ihrer zunehmenden Komplexitätsausprägung angeordnet bzw. unterschieden werden. In der Literatur werden z. B. als kognitive Lernziele die folgenden Komplexitätsausprägungen aufgeführt: Kennen, Verstehen, Anwenden/Transfer, Analyse, Synthese und Evaluation.

154

x

Merkmale der Textverständlichkeit verstehen bzw. erklären können,

x

mit Hilfe der Strukturgrundlage zu protokollierende Informationen auswählen bzw. bestimmen können,

x

auf der Grundlage des Strukturmusters für Protokolle ein vollständiges Protokoll erstellen können,

x

auf der Grundlage von Merkmalen der Textverständlichkeit ein verständliches Protokoll formulieren bzw. ein bestehendes Protokoll optimieren können,

x

Texte in die unterschiedlichen Masken des Gremiensteuerungssystems per Computer eingeben können,

x

die Verständlichkeit eines Protokolls bewerten können und

x

die Zweckmäßigkeit der Strukturgrundlage für die Weitergabe von Wissen in Gremien beurteilen können.

Im Zentrum der Ausgestaltung der Schulung standen kognitive Lernziele. Aufgrund des Vorwissens und Könnens der Protokollanten konnte auf die Ausbildung grundlegender motorischer Fertigkeiten des Schreibens mit und des Benutzen bzw. der Verwendung von Computern verzichtet werden. Es musste jedoch auf einen geübten Umgang mit den Funktionalitäten (z. B. Menüleiste, Befehlsleiste) und den Eingabemasken des Gremiensteuerungssystems hingearbeitet werden. Dieses motorische Lernziel war notwendig, da die meisten Protokollanten sowohl mit dem Gremiensteuerungssystem im Allgemeinen als auch mit den mit Hilfe der Strukturgrundlage strukturierten Eingabemasken im Speziellen noch nicht umzugehen wussten.198 Nicht nur die inhaltlich-logische Erfassung von Informationen in Protokollen sondern auch der Erwerb von Fähigkeiten zur sprachlichen Formulierung von Texten stand im Fokus der Schulung kognitiver Lernziele.199 Neben den kognitiven waren auch affektive Lernziele innerhalb der Schulung von Bedeutung: Die Bereitschaft und die Motivation der Protokollanten zur Umsetzung der o. g. Lösungsansätze sind zentrale Voraussetzungen für deren Akzeptanz und Anwendung in den unterschiedlichen Gremien des Werks. Nach der Vorstellung der Lernziele wird im Folgenden beschrieben, wie die o. g. Prinzipien der Lehr-Lern-Prozessgestaltung in der Konzeption der Schulung von Protokollanten umgesetzt wurden. Das Prinzip der Authentizität wurde in der Schulung durch 198

Das Gremiensteuerungssystem war zum Zeitpunkt der Schulung noch nicht in die Arbeit der Gremien des Werks als Standardsoftware eingeführt, da es zeitgleich mit dem innerhalb dieser Arbeit beschriebenen Projekt entwickelt und getestet wurde. Die meisten Protokollanten hatten das Gremiensteuerungssystem im Rahmen ihrer Funktion im Entscheidungsprozess noch nicht verwendet. 199 An dieser Stelle sei auf ein Defizit der Curricula in der kaufmännischen Aus- und Weiterbildung (z. B. von Büround Industriekaufleuten) hingewiesen, in denen Lernziele und Lerninhalte zur Textproduktion nicht Gegenstand von Lehr-Lern-Prozessen sind.

155

die Verwendung von Protokollen der Teilnehmer berücksichtigt. Im Vorfeld der Schulung wurden die Teilnehmer in einer ersten Erhebungsrunde um die Zusendung selbst erstellter Protokolle gebeten. Diese Dokumente wurden im Hinblick auf ihre inhaltliche, strukturelle und sprachliche Gestaltung vom Leiter der Schulung analysiert. Die Ergebnisse flossen in die Planung der Schulungsmaßnahme ein. Zudem dienten die Protokolle als Vergleichsgrundlage zur Beurteilung des Lernerfolgs. Einige Wochen nach der Durchführung der Schulung wurden die Teilnehmer in einer zweiten Erhebungsrunde um neu erstellte Protokolle gebeten, die mit denen im Vorfeld der Schulung erhaltenen Dokumente in Bezug auf Struktur, Inhalt und sprachliche Formulierung verglichen wurden. Die Protokolle dienten in der Schulung den Protokollanten zudem als Grundlage für die selbständige Bearbeitung unterschiedlicher praxisnaher Aufgabenstellungen, auf die im Folgenden detailliert eingegangen wird. Der Umgang mit den Lerninhalten erfolgte in Form der Bearbeitung und Diskussion der Aufgabenstellungen in Partner- und Gruppenarbeit. Die Teilnehmer lernten durch die Bewertung der (authentischen) Protokolle im Rahmen der Diskussion in der Gruppe multiple Perspektiven kennen. Zudem wurde die bisherige Praxis des jeweiligen Protokollierungsprozesses in den unterschiedlichen Gremien aus der Sicht der Protokollanten beschrieben und in der Gruppe gemeinsam reflektiert. Durch die gemeinsame Reflektion konnten multiple Kontexte dargestellt sowie den Protokollanten die Möglichkeit eingeräumt werden, sowohl das eigene Vorgehen bei der Textproduktion als auch ihre Funktion in Entscheidungsprozessen von Gremien zu bewerten. Sowohl durch die Aufgaben als auch durch die innerhalb der Schulung präsentierten Grundlagen der Textverständlichkeitsforschung und der Lösungsansätze zur strukturellen Ausgestaltung von Protokollen, sollten die Protokollanten zu eigenständiger Wissenskonstruktion angeregt werden. Um die selbständige Konstruktion von Wissen der Protokollanten zu begünstigen, wurden umfangreiche instruktionale Unterstützungsmaßnahmen implementiert. Dies äußerte sich vor allem in schriftlichen Aufgabenstellungen, Instruktionen und Hilfen in schriftlicher und mündlicher Form sowie in elaboriertem Feedback. Um ein intensives Anwenden und Vertiefen der erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu ermöglichen, wurden umfangreiche Übungen konzipiert und den Lernenden bereitgestellt. Aufgrund der Ergebnisse der im Vorfeld der Schulung ausgewerteten Protokolle, kam in der Schulung dem intensiven Anwenden und Üben eine besondere Bedeutung zu.

156

Die neu erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten der Textproduktion waren daher intensiv zu üben und in Bezug auf den Anwendungskontext der Protokollanten in Entscheidungsprozessen von Gremien zu reflektieren. In diesem Zusammenhang waren auch die existierenden, sich von Fachbereich zu Fachbereich des Werks teilweise gravierend unterscheidenden Protokollstrukturen, auf ihre Verständlichkeit hin zu prüfen. In der folgenden Tabelle 6-1 sind die einzelnen Phasen des Schulungsablaufs dargestellt.

157

Zeit

8:30 (10‘)

Phasen

Einführung

Beschreibung

Vorstellung  Schulungsleiter & Ablauf  Teilnehmer (& Erwartungen an die Schulung)

8:40 Zielorientierung Demonstrationsbeispiel (10‘) Kommunikationsprozess ohne Sichtverbindung mit 2 Teilnehmern  Teilnehmer 1: Handlungsanweisung zum Zeichnen einer Abbildung  Teilnehmer 2: Zeichnen der Abbildung nach Handlungsanweisung ohne Rückfragen  Arbeitsauftrag an beobachtende Teilnehmer: Analysieren der Beziehung von Sender und Empfänger 8:50 Erörterung des De(10‘) monstrationsbeispiels  Zusammentragen der Eindrücke der beobachtenden Teilnehmer, des Senders und des Empfängers  Zusammenfassen der Aussagen durch den Schulungsleiter mit Hinleitung zum, und Erklärung des Sender-EmpfängerModells 9:00 (10‘)

Reflexion des Ist-Zustandes

Sozialformen

Medieneinsatz

fragendentwickelnd

Gespräch

Kartonpapier für Namenskärtchen, Stifte

Simulation

Power Point, Folie 2 „Start: Ansageübung“ Vorlage „Ansageübung“ Folie, Folienstift

entdeckenlassend

fragendentwickelnd

Reflexion Diskussion

darbietend

Vortrag des Lehrenden

Power Point, Folie 3 „Sender-Empfänger Modell“

entdeckenlassend

Einzelarbeit

Blätter, Stifte

fragendentwickelnd

Unterrichtsgespräch

Flipchart, Stift

Erfassen des Prozesses der Protokollerstellung

 Arbeitsauftrag: Explizieren des Vorgehens bei der Protokollerstellung (Schrittfolge, Textbestandteile) Zeitvorgabe: 5’  Auswertung und Visualisierung (Ansprechen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden bei Teilnehmern)

158

methodisch-mediale Hinweise Aktionsformen

Zeit

Phasen

Beschreibung

9:10 Zielfestsetzung Funktionen von Protokollen (5’) Protokolle als Arbeitsmittel, Beweismittel und Informationsquelle Ziele der Schulung „Wie schreibe ich ökonomisch, effizient, nutzergerecht und zielorientiert?“ 9:15 (10‘)

9:25 (15‘)

Vorstellung des Hamburger Modells

Erarbeitung von Textmerkmalen  Arbeitsauftrag: Charakterisieren zweier Protokollausschnitte (verständlich – eher schwer verständlich) Zeitvorgabe: 10’

Vorstellung des Hamburger Modells

Systematisierung

 Zusammentragen gefundener Textmerkmale und systematisierte Visualisierung durch den Schulungsleiter  Einführung der 4 Dimensionen der Textverständlichkeit: ƒ Gliederung – Ordnung ƒ Einfachheit ƒ Kürze - Prägnanz ƒ Stimulanz

Methodisch-mediale Hinweise Aktionsformen

Sozialformen

Medieneinsatz

darbietend

Vortrag des Lehrenden

Power Point, Folie 4 „Funktionen von Protokollen“; Power Point, Folie 5 „Ziele der Schulung“

entdeckenlassend

fragendentwickelnd

darbietend

Gruppenarbeit (3 Gruppen)

Power Point, Folie 6 „Textbewertung: Protokoll-ausschnitt“; Arbeitsblatt „Textbewertung Protokollausschnitt Negativ-Positiv“; Kartonpapier, Stifte

Unterrichtsgespräch Tafelbild: Systematisierung der gefundenen Textmerkmale (Benennen der Dimensionen am Ende) Vortrag des Lehrenden

Power Point, Folien 7-11 „Merkmalsbilder der Dimensionen“

9:40 15‘ Pause

159

Zeit

9:55

Phasen

Beschreibung

Methodisch-mediale Hinweise Aktionsformen

Sozialformen

Medieneinsatz

darbietend

Vortrag des Lehrenden

Power Point, Folien 13-15 „Beurteilung optimal verständlicher Texte“ Power Point, Folie 16 Arbeitsauftrag „Textbewertung: Protokoll des Partners“

Einzelarbeit

Arbeitsblatt „Textbewertung Ausgangsprotokoll des Partners“

Beurteilung der

Optimalausprägungen (20‘) Textverständlichkeit  Vorstellen der Opanhand des Hamburtimalausprägungen ger Modells nach Hamburger Modell

Textbewertung entdeckenAusteilen des Arbeitslassend blattes  Arbeitsauftrag: Einschätzen eines Partnerprotokolls nach dem Bewertungsschema des Hamburger Modells Zeitvorgabe: 10’  Diskussion der fragendEinschätzung entwickelnd  Überleitung zur Anwendbarkeit bzw. Tauglichkeit der Textmerkmale bei der Texterstellung 10.15

(15’)

Unterrichtsgespräch

Optimierungsschulung anhand von Textgestaltungsaspekten auf den vier Dimensionen Gliederung – Ordnung : Fortlaufende Organisation

Power Point, darbietend

Vortrag des Lehrenden

10:30 (15’)

 Arbeitsauftrag: Strukturieren des eigenen Protokolls nach den vorgestellten Textbausteinen Zeitvorgabe: 15’

entdeckenlassend

Einzelarbeit ergänzt um Individualund Unterrichtsgespräche

10:45 (10’)

: Prägnante Überschriften

darbietend

Vortrag des Lehrenden

: Hervorhebungen

darbietend

Vortrag des Lehrenden

160

Folien 17-19 „Fortlaufende Organisation“

Folien 20-21 „Prägnante Überschriften“ Folie 22 „Hervorhebungen“

: Textzusammenhang

Zeit

10:55 (10’)

11:05 (20’)

11:25 (20’)

Phasen

darbietend

Beschreibung

Vortrag des Lehrenden

Folien 23-24 „Textzusammenhang“

Methodisch-mediale Hinweise Aktionsformen

Sozialformen

Medieneinsatz

 Arbeitsauftrag: Optimieren des eigenen Protokolls nach den vorgestellten Textgestaltungsaspekten Zeitvorgabe: 10’ Einfachheit : Wortwahl

entdeckenlassend

Einzelarbeit ergänzt um Individualund Unterrichtsgespräche

darbietend

: Satzbau

darbietend

Folien 25-26 „Wortwahl“ Folien 27-30 „Satzbau“

 Arbeitsauftrag: Optimieren des eigenen Protokolls nach den vorgestellten Textgestaltungsaspekten Zeitvorgabe: 20’

entdeckenlassend

Vortrag des Lehrenden Vortrag des Lehrenden Einzelarbeit ergänzt um Individualund Unterrichtsgespräche

Vortrag des Lehrenden Vortrag des Lehrenden

Folie 32 „Passivgebrauch“ Folie 33 „Inhaltsfragen“

Vortrag des Lehrenden Einzelarbeit ergänzt um Individualund Unterrichtsgespräche

Folie 34 „Bilder“

11:45 15‘ Pause 12:00 (10’)

12:10 (15’)

Kürze - Prägnanz : Passivgebrauch

darbietend

: Inhaltsfragen

darbietend

Stimulanz : Bilder

darbietend

 Arbeitsauftrag: Optimieren des eigenen Protokolls nach den vorgestellten Textgestaltungsaspekten Zeitvorgabe: 15’

entdeckenlassend

161

Zeit

12:25 (15‘)

Phasen

Resümee zur Schulung

Beschreibung

Methodisch-mediale Hinweise Aktionsformen

Sozialformen

Medieneinsatz

fragendentwickelnd

Einzelvortrag Feedback Unterrichtsgespräch

Power Point, Ausschnitt eines Teilnehmerprotokolls „Vorher-Nachher“

Einzelarbeit

Power Point, Folie 34 Arbeitsauftrag „Textbewertung: optimiertes Protokoll“

Vorstellung einer Optimierung durch einen Teilnehmer (Vorher-Nachher Version)

12:40

Reflexion und Wertung der Schulung

(10’)

 Arbeitsauftrag: Einschätzen des optimierten Partnerprotokolls nach dem Bewertungsschema des Hamburger Modell Zeitvorgabe: 10’

entdeckenlassend

 Diskussion der Einschätzung  Vergleichen der neuen / veränderten Handlungsmuster durch das Training mit dem IstZustand  Wertung der Schulung  Ausgabe der Handouts Zeitpuffer  Arbeitsauftrag: wiederholende Darstellung aller Textmerkmale und Zuordnung zu Dimensionen Zeitvorgabe: 10’

fragendentwickelnd

12:50 (10’)

13.00

Arbeitsblatt „Textbewertung optimiertes Protokoll des Partners“

Flipchart aus der Phase „Reflexion des Ist-Zustandes“

fragendentwickelnd

Vortrag der Gruppenlösung

ENDE Tabelle 6-1: Ablaufplan der Schulung

162

Unterrichtsgespräch

Gruppenarbeit (2 Gruppen)

Blätter, Stifte Lösungsvorschlag: Power Point, Folie 35 „Textverständlichkeit: Beziehungsnetzwerk“

Anhand dreier ausgewählter Phasen des Ablaufplans der Schulung wird die Umsetzung des didaktischen Konzeptes kurz veranschaulicht.

Bewertung des bisherigen Prozesses der Protokollerstellung In dieser Phase der Reflektion wurden die Teilnehmer dazu aufgefordert, sich mit ihrem derzeitigen Vorgehen bei der Protokollerstellung auseinander zusetzen. Die Protokollanten sollten in Gruppenarbeit ihr bisheriges Vorgehen beim Erstellen von Protokollen beschreiben und bewerten. Im Rahmen der Bewertung wurde insbesondere auf bisherige Schwierigkeiten und Defizite bei der Auswahl und der Strukturierung von Informationen Bezug genommen. Das Anknüpfen an bisherige Erfahrungen und Vorwissen zum Texterstellen offerierte den Teilnehmern die Möglichkeit bestehende Wahrnehmungsund Interpretationsmuster zu erkennen und innerhalb der Teilnehmergruppe zu bewerten. Durch die Konfrontation mit unterschiedlichen Vorgehensweisen bei der Texterstellung sowie mit differierenden Einschätzungen und Bewertungen der Bedeutung von Protokollen konnten bestehende Einstellungen sowie Fähigkeiten durch die Protokollanten reflektiert werden. In einem besonderen Maße war es möglich, die im Rahmen dieser Arbeit erhobenen Funktionen der Protokolle in Entscheidungsprozessen von Gremien transparent zu machen. Eine Überleitung zur Erarbeitung der in der folgenden Schulungsphase behandelten Merkmale der Textgestaltung bzw. Textoptimierung wurde mit einer Bewertung eines Textes aus einem Protokoll hergestellt. Zwei inhaltlich identische Texte wurden einander gegenübergestellt und deren Wirkung beim Rezipieren war durch die Protokollanten einzuschätzen. Abbildung 6-1 gibt die Aufgabenstellung und die Textbeispiele wieder, die sich aus einem Text eines Gremienprotokolls und eines auf der Grundlage des Strukturmusters für Protokolle erstellten Protokolls zusammensetzen. Das in der Abbildung dargestellte authentische Protokollbeispiel ist aus der Praxis des BMW Werks in Leipzig entnommen. Es ist identisch mit dem in Kapitel 5 bereits dargestellten Protokoll des Fachbereichs TL-X.

163

Abbildung 6-1: Aufgabenstellung zur Textbewertung

Grundlagen und Verfahren der Textoptimierung Als praxiserprobte Grundlagen der Textgestaltung dienten die vier von Langer, Schulz von Thun und Tausch (2002) entwickelten Regeln der Textverständlichkeit (vgl. Kapitel 5.1). Auf der Grundlage dieser Regeln konnten den Protokollanten vier Merkmale – Gliederung/Ordnung, Einfachheit, Kürze/Prägnanz und Stimulanz – an die Hand gegeben werden, die ein relativ einfach handhabbares Instrumentarium zur Beurteilung von Texten darstellen. Anhand dieser vier Merkmale bewerteten die Teilnehmer wiederholt jeweils ein nicht optimiertes und ein optimiertes Protokoll im Hinblick auf deren Ver-

164

ständlichkeit.200 Zur Bewertung der Protokolle wurden die vier Merkmale der Textverständlichkeit durch eine Gegenüberstellung von Positiv- und Negativausprägungen (in einer Skala von +2 bis –2) zur Veranschaulichung und zur Einschätzung von Texten operationalisiert, wie in Abbildung 6-2 veranschaulicht.

Abbildung 6-2 Präsentation der Merkmale zur Beurteilung der Textverständlichkeit (vgl. Langer et al., 2002)201

Das Merkmal Gliederung/Ordnung kann zwischen den Ausprägungen „gegliedert“ und „ungegliedert/zusammenhangslos“ bewertet werden. Das Merkmal Einfachheit kann zwischen den Ausprägungen „einfache Darstellung“ und „komplizierte Darstellung“ beurteilt werden. Das Merkmal Kürze/Prägnanz wird zwischen den Merkmalsausprägungen „auf das Wesentliche begrenzt“ und „viel Unwesentliches“ unterschieden. Das Merkmal Stimulanz kann zwischen den Ausprägungen „anregend“ und „nüchtern“ bewertet werden. Der Vorteil dieser im Rahmen des Hamburger Modells der Textverständlichkeit entwickelten Bewertungsverfahrens wurde von Göpferich (2002a) folgendermaßen auf den Punkt gebracht: Aus „den Einzelbewertungen in den vier Dimensionen lässt sich genauer ablesen, in welcher Hinsicht ein Text optimierungsbedürftig ist“ (S. 152). Die Aufgabe der Protokollbewertung auf der Grundlage der Merkmale der Textverständlichkeit wurde in Partnerarbeit durchgeführt. Durch die wiederholte Bewertung der Protokolle sollte sichergestellt werden, dass die Teilnehmer die Kenntnisse der einzelnen Merkmale einer systematischen Textbewertung vertiefen und die Anwendung der 200

Hierzu wurden die im Vorfeld der Schulung eingereichten Protokolle verwendet. Die Abbildung 6-2 dargestellten Inhalte wurden in der Schulung den Protokollanten in Form einer Präsenation dargeboten. 201

165

Merkmale auf Texte systematisch einüben. Die folgende Abbildung 6-3 stellt die Bewertungsvorlage dar, mit deren Hilfe die Protokollanten die Verständlichkeit des jeweiligen Protokolls einschätzen sollten.

Abbildung 6-3: Aufgabenstellung zur Textbewertung und Bewertungsvorlage nach dem Hamburger Modell der Textverständlichkeit (vgl. Langer et al., 2002)

Optimierung von Protokollen Die Bewertungsmerkmale von Protokollen dienten auch als Grundlage zur verständlichen Textproduktion. Die vier Merkmale der Textverständlichkeit wurden ausdifferenziert, d. h. um Aspekte der Gestaltung bzw. Optimierung von Texten erweitert. Die folgende Tabelle 6-2 gibt einen Überblick über die Merkmale und deren Textgestaltungsaspekte.

166

Merkmal

Textgestaltungsaspekt

Gestaltungshinweise

Strukturierung eines Diskussionsbeitrages nach dem Fortlaufende Organisation Strukturmuster für Protokolle (siehe Übersicht)

Gliederung - Ordnung

Prägnante Überschriften Hervorhebungen

Fettschrift für Titel der Textbausteine und Überschriften

Textzusammenhang

Verwenden von Textbindemitteln zum Herstellen eindeutiger Bezüge zwischen Sinneinheiten; Informationsdarbietung: Bekanntes vor Neuem

Wortwahl

Verwenden gebräuchlicher, treffender und konkreter Worte; Beurteilen, ob Rezipient verwendete Abkürzungen, Fremd- und Fachausdrücke kennt Meiden von: Schachtelsätzen, Umklammerungen, Füllfloskeln und Nominalisierungen

Einfachheit Satzbau

Passivgebrauch

Kürze Prägnanz

Formulieren thematischer Überschriften im Sinne von Kernaussagen

Inhaltsfragen

Satzbau bei dem Textblock Beschluss (Auftrag/Offener Punkt)    Verwenden von Verben und    Formulieren direkter Aufforderungen (durchzuführende Tätigkeiten beschreiben) Verwenden des Passivs bei dem Textblock Problem/Ausgangssituation Wissenssicherung bei der Dokumentation eines Gesprächsbeitrages:    Was muss getan werden?    Was ist zu beachten?    Wie kann es gemacht werden?    Wie sollte es gemacht werden?    Wie machen wir es?    Was ist zusätzlich zu machen? Klären der drei Inhaltsfragen bei dem Textblock Beschluss - Auftrag:    Wer muss etwas tun?    Was ist zu tun?    Bis wann muss das Ergebnis vorliegen?

Stimulanz

Abbildung

Verwenden von Piktogrammen innerhalb der Textblöcke

Tabelle 6-2: Merkmale der Textverständlichkeit mit relevanten Textgestaltungsaspekt

Jeder der einzelnen Gestaltungsaspekte ist um konkrete Hinweise zur Textproduktion erweitert worden. Diese Hinweise enthalten Anleitungen zur verständlichen Textgestaltung und zur Umsetzung des Strukturmusters für Protokolle. Insbesondere wird in diesen Hinweisen für Protokollanten berücksichtigt, wie die jeweiligen Informationsarten der im Rahmen dieser Arbeit entwickelten Strukturgrundlage durch eine entsprechende sprachliche Formulierung ausgestaltet werden können. So sollten z. B. beim schriftlichen Fixieren der Informationsart Beschluss Verben verwendet und direkte Aufforderungen zum Handeln bzw. zur Durchführung bestimmter Tätigkeiten formuliert werden (siehe in der Tabelle Merkmal „Einfachheit“, Textgestaltungsaspekt „Satzbau“). Mit der 167

Tabelle 6-2 ist den Protokollanten eine Orientierungshilfe an die Hand gegeben, die sie bei der täglichen Textproduktion anleiten sollen. Anhand der Textgestaltungsaspekte sollten die Protokollanten sowohl eines der bereits bewerteten nicht optimierten Protokolle als auch ein eigenes Protokoll sukzessive verbessern. In dieser Phase der Schulung sollten Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Textgestaltung und Formulierung von Texten, die schnell und effizient angewandt werden können, erworben werden. Es wurden sowohl die Strukturgrundlage als auch das Strukturmuster für Protokolle präsentiert. Das Strukturmuster unterstützte die Protokollanten in ihrem Schreibprozess bei der Informationsauswahl. Diese Phase der Schulung zielte u. a. darauf ab, dass die Teilnehmer die kritische Reflexion des eigenen Vorgehens bei der Textproduktion intensivieren. Die Vermittlung von Analyse- und Optimierungstechniken sollte zudem die Teilnehmer dazu befähigen, auch während ihrer Tätigkeit in Entscheidungsprozessen von Gremien Protokolle rezipientengerecht zu erstellen. 6.2

Lernerfolg

Von großer Bedeutung für die Bewertung der Schulung ist die Frage, inwiefern die angeführten Lernziele der Schulung, die sich einerseits auf die Bereitschaft zur Verwendung der Strukturgrundlage, andererseits auf die Ausbildung bzw. Verbesserung der Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Textproduktion bezogen, von den Protokollanten erreicht wurden. Bei einer genaueren Betrachtung des Lernerfolgs zeigten sich unterschiedliche Befunde. Die Auswertung und der Vergleich der in der ersten und zweiten Erhebungsrunde erhaltenen Protokolle dienten dazu, Rückschlüsse auf den Lernerfolg bei den Teilnehmern zu ziehen.202 Aus diesen Rückschlüssen konnten sowohl Aussagen über eine verbesserte Textproduktion getroffen werden als auch eine Bewertung der im Rahmen dieser Arbeit vorgestellten Strukturgrundlage vorgenommen werden. Nach Auswertung der Protokolle konnte festgestellt werden, dass eine konsequente Verwendung der Strukturgrundlage respektive des Strukturmusters für Protokolle zu einer umfassenderen Dokumentation aller relevanten Aspekte einer Problembearbeitung führen kann. Dies kann u. a. darauf zurückgeführt werden, dass das Strukturmuster bei der Bewertung und Auswahl zu dokumentierender Informationen dem Protokollanten eine umfassende Hilfestellung bietet. Im Hinblick auf die tatsächliche Nutzung der Strukturmuster für Protokolle kann 202

Zur Überprüfung des Lernerfolgs wurde der Zuwachs von Wissen und Können (kognitiver Faktor) sowie die Bereitschaft zur Nutzung der Strukturmuster für Protokolle (affektiver Faktor) ermittelt.

168

festgehalten werden, dass von einer zunehmenden Verwendung gesprochen werden kann. Dieses Verhalten der Protokollanten kann u. a. darin begründet liegen, dass mit Einführung des Gremiensteuerungssystems fachbereichs- und abteilungsspezifische Muster bzw. Formate für Protokolle ihre Gültigkeit verloren hatten.203 Viel schwieriger ist der Lernerfolg in Bezug auf neu erworbene Fähigkeiten der sprachlichen Formulierung zu beurteilen. Der Vergleich der Protokolle aus den beiden Erhebungsrunden zeigte zwar eine Verbesserung bezüglich der Formulierung prägnanter Sätze auf (z. B. durch die konsequente Vermeidung von Passivsätzen). In Bezug auf die Wortwahl konnten jedoch noch immer Defizite der Verständlichkeit festgestellt werden. Insbesondere wurden wiederholt fachbereichs- und abteilungsspezifische Abkürzungen verwendet und es waren abstrakte Formulierungen bzw. Umschreibungen für ingenieursspezifische Termini zu finden. Diese wiederholt feststellbaren Defizite können u. a. darauf zurückgeführt werden, dass bestehende, in jahrelanger Praxis erworbene ineffiziente Verfahren und Routinen der Textproduktion nur mit einem erhöhten Lernaufwand „aufgebrochen“ werden können. Fähigkeiten und Fertigkeiten der verständlichen Formulierung von Texten, die durch Einfachheit und Präzision in Wortwahl und Satzbau geprägt sind, sollten daher in wiederholtem Maße geübt werden. Zudem sollte kritisch reflektiert werden, ob und in welcher Form es für bestimmte Gremien des Werks angebracht erscheint, die Funktionen der Rolle des Entscheiders um Aufgaben der Dokumentation zu erweitern. Der Entscheider ist als Experte für ingenieursspezifische Problemstellungen im Besonderen dazu befähigt eine Bewertung und Auswahl zu protokollierender Informationen vorzunehmen und diese Informationen in korrekter sprachlicher Form (präzise Bezeichnung) schriftlich zu fixieren. Die Strukturvorlage für Protokolle kann zudem unterstützend wirken, wenn es darum geht, Informationen systematisch und strukturiert zu erstellen.204 Eine solche Rollenerweiterung kann insbesondere in Gremien angebracht sein, in denen vorrangig produktionstechnische sowie komplexe geschäftspolitische Probleme bearbeitet, diskutiert und gelöst werden (z. B. Werkleitungskreis). Für eine abschließende Bewertung des Schulungskonzeptes sei noch auf die Motivation zum Lernen der Protokollanten verwiesen, die sich im Laufe der Schulung auf einem 203

Das Gremiensteuerungssystem wurde bis zum Beginn des Jahres 2006 als werkweite Standardsoftwarelösung in alle Gremien eingeführt. 204 An dieser Stelle sei jedoch angemerkt, dass auch Experten nicht generell dazu befähigt sein müssen alle Merkmale der Textverständlichkeit bei der Textproduktion in ausreichendem Maße zu berücksichtigen. Für Diplom-Ingenieure des BMW Werks in Leipzig, die mit der Dokumentation von Projektergebnissen beauftragt waren, konnte von Fürstenau et al. (2005) nachgewiesen werden, dass diese Projektdokumente ebenfalls grundlegende Verständlichkeitsdefizite aufweisen können.

169

hohen Niveau hielt.205 Die Protokollanten bewiesen ein hohes Engagement und brachten eine große Bereitschaft zur intensiven Eigenaktivität beim Lösen der umfangreichen und anspruchsvollen Aufgabenstellungen mit. Die didaktische Gestaltung der Schulung, die sich auf das o. g. gemäßigt konstruktivistische Verständnis von Lernen und Lehren bezog, wurde von den Protokollanten als hilfreich eingeschätzt. Das dargestellte Schulungskonzept scheint geeignet, die in Kapitel 2.1.2 beschriebenen Vorteile des problemorientierten Lernens in ausreichendem Maße zu berücksichtigen und umzusetzen. Die hohe Lernmotivation kann als eine grundlegende Voraussetzung für die Umsetzung des beschriebenen didaktischen Ansatzes bezeichnet werden, worauf empirische Befunde zum problemorientierten Lernen vielfach verweisen (vgl. Cognition and Technology Group at Vanderbilt, 1997; Kim & Klauser, 2004 sowie Klauser & Kim, 2003a, 2003b). 6.3

Pädagogische Konsequenzen

Insgesamt zeigt die vorliegende Darstellung, dass problemorientierte Schulungen, die sich insbesondere an den Funktionen der Rollenträger in Entscheidungsprozessen und deren Schwierigkeiten der Textproduktion orientieren, von den Teilnehmern akzeptiert werden und somit einen positiven Lerneffekt haben. Aufgrund dieser Feststellung kann darauf geschlossen werden, dass das didaktische Konzept und die Schulungsprinzipien auch auf die Entwicklung von Schulungen für weitere Rollenträger übertragen werden können bzw. übertragen werden sollten. Die hohe Motivation der Teilnehmer und die grundlegende Bereitschaft zur Nutzung der Lösungsansätze lassen darauf schließen, dass ein grundsätzlicher Bedarf zum Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten der Textproduktion bei den weiteren Rollenträgern in Gremien vorhanden ist. Die festgestellten Schwierigkeiten der sprachlichen Formulierung gilt es als Hinweise zur weiteren Verbesserung des didaktischen Konzepts zu berücksichtigen. Einerseits könnten die Teilnehmer bei der Textproduktion intensiver unterstützt werden, indem das Angebot an die Protokollanten, neu erstellte Protokolle zu bewerten und ein elaboriertes Feedback zu geben wiederholt angeboten wird. Ein solches Feedback sollte sich nicht nur auf die Rückmeldung des Ergebnisses, welche Textpassagen falsch formuliert wurden, beschränken. Das Feedback könnte auch Hinweise zur Leistungsprognose bzw. Leistungsvalenz enthalten, wie z. B. Angaben, worauf falsche Formulierungen zurückzuführen sind, welche Schreibstrategien wiederholt falsch angewandt wurden und auf 205

Die hohe Bereitschaft der Protokollanten zur Teilnahme und ausdauernden Auseinandersetzung mit den Lerninhalten sei an dieser Stelle im Besonderen hervorgehoben. Die Protokollanten wurden für die Dauer der Schulung von ihren Vorgesetzten zwar freigestellt, ihre Funktionen und Aufgaben im Arbeitsprozess aber nicht durch Kollegen übernommen.

170

welche Aspekte der Textproduktion künftig geachtet werden sollte (vgl. Klauser, Born & Dietz, 2003). Zudem könnten auf Grund der wiederholten Bewertung der in Entscheidungsprozessen von Gremien erstellten Protokolle Rückschlüsse auf den Lerntransfer,206 d. h. auf eine dauerhafte Anwendung und Umsetzung der Strukturmuster und der Textgestaltungsaspekte am Arbeitsplatz, gezogen werden. Andererseits könnten während der Schulung der intensiven Anwendung der Gestaltungshinweise für die Textproduktion und dem Einüben der verständlichen Formulierung von Texten noch mehr Zeit zugestanden werden. Hilfsmittel, wie die Strukturmuster für Dokumente und Gestaltungshinweise, stellen eine elementare Form der Unterstützung der Textproduzenten bei der verständlichen Formulierung von Texten dar. Jedoch benötigen die Textproduzenten Fähigkeiten zur bewussten und reflektierten Verwendung dieser Hilfsmittel. Für die Weiterentwicklung des didaktischen Konzeptes kann festgehalten werden, dass für den Erwerb dieser Fähigkeiten den Lernenden in einem noch größeren zeitlichen Umfang die kritische Reflektion bisherigen Vorgehens ermöglicht werden sollte. Eine solche Reflektion schließt auch die kritische Prüfung des Verfahrens bei der Bewertung und Auswahl bedeutsamer d. h. zu dokumentierender Informationen während der Gremiensitzung mit ein. Dieser Punkt könnte, so ein Hinweis mehrerer Protokollanten, expliziter in der Schulung aufgegriffen werden. Dieser Wunsch kann u. a. darauf zurückgeführt werden, dass das im Rahmen dieser Arbeit bereits beschriebene Problem fehlender Expertise der Protokollanten grundlegende Auswirkungen auf die Verständlichkeit der Protokolle hat. An dieser Stelle sei auf die Potenziale der Entwicklung von Fertigkeiten im Umgang mit Computern respektive mit Textverarbeitungsprogrammen verwiesen, auf die bereits Klauser (1999) einging. Die Entwicklung von Fertigkeiten zur Bedienung und Verwendung des Gremiensteuerungssystems mit dem Ziel der Textverarbeitung sollen an dieser Stelle nicht als monotones Einüben verstanden werden. Vielmehr kann die Fertigkeitsentwicklung im Umgang mit dem Gremiensteuerungssystem während der Gremiensitzung eine Entlastungsfunktion beim Protokollieren haben und das „Beobachtungs-, Wahrnehmungs- und Urteilsfeld“ der Protokollanten für die Wissensbeiträge der Entscheider erweitern. Klauser (1999) stellt das Potenzial der Fertigkeitsentwicklung wie folgt dar: „Dadurch setzen sie Ressourcen und Mechanismen für immer komplexere

206

„Unter Lerntransfer versteht man im weitesten Sinne erstens die Übertragung von Gelerntem aus einem Lernfeld auf ein Funktionsfeld und zweitens jede Beeinflussung einer nachfolgenden Aktivität durch vorangehendes Lernen“ (Kim & Klauser, 2004, S. 28).

171

kognitive Leistungen oder die Konzentration auf spezielle Aspekte von Denk- und Handlungsprozessen frei und begünstigen den Erwerb neuen Wissens“ (S. 312).

172

7

Schlussbetrachtung und Ausblick

Nachdem im Kapitel 6 das organisatorische und didaktische Schulungskonzept dargestellt wurde, werden abschließend der Erkenntnisgewinn, der erarbeitete Ansatz sowie weiterer Forschungsbedarf erörtert. In der vorliegenden Arbeit wird die Weitergabe von Wissen durch Dokumente in Entscheidungsprozessen von Gremien aus pädagogischer und betriebswirtschaftlicher Perspektive diskutiert. Im Zentrum der Betrachtung steht die Fragestellung, wie Rollenträger beim individuellen Problemlösen respektive der Konstruktion von Wissen im Kontext eines organisationalen Rahmens – dem Entscheidungsprozess in Gremien – durch die Weitergabe von Wissen unterstützt werden können. Zur Diskussion der Fragestellung wurden zwei Bereiche untersucht – Entscheidungsprozesse als organisationaler Rahmen individuellen Problemlösens und die Weitergabe von Wissen. Im Zentrum des ersten Forschungsbereichs stand die Betrachtung des organisationalen Rahmens, in dem individuelle Problemlöseprozesse in Gremien stattfinden. Es wurde insbesondere die Frage erörtert, ob und inwieweit der organisationale Rahmen so ausgestaltet ist bzw. ausgestattet werden kann, dass individuelle Problemlöseprozesse durch die Weitergabe von Wissen initiiert und gefördert werden (siehe Kapitel 2). Im Zentrum des zweiten Forschungsbereichs stand die Betrachtung der Dokumente, die zur Weitergabe von Wissen in Entscheidungsprozessen von Gremien mit dem Ziel zum Einsatz kommen, individuelle Problemlöseprozesse der Rollenträger zu unterstützen. Die Dokumente wurden im Hinblick auf ihre rezipientengerechte Gestaltung respektive ihre Eignung zur Weitergabe von Wissen erörtert. Dazu wurden ein Ansatz zur Auswahl, Sequenzierung und Darstellung von Informationen in Dokumenten und ein didaktisches Schulungskonzept zum Erwerb von Fähigkeiten und Fertigkeiten bei der Textproduktion entwickelt und erprobt (siehe Kapitel 3, 4, 5 und 6). Mit Bezug auf die im ersten Kapitel dargelegten Defizite in der Forschung und Praxis zur Weitergabe und Konstruktion von Wissen in Entscheidungsprozessen von Gremien hat die Arbeit u. a. zu den folgenden Erkenntnissen geführt: Betriebswirtschaftliche Modelle der Entscheidungsforschung gehen primär von einer organisationalen Perspektive aus und sind insbesondere auf Fragestellungen der Steuerung und Lenkung von Entscheidungsprozessen ausgerichtet. Im Zentrum der Betrachtung von Entscheidungsprozessen durch die betriebswirtschaftliche Entscheidungstheorie steht zwar die Bearbeitung (zumeist) komplexer Probleme durch die Rollenträger. Kognitionspsychologische Erkenntnisse werden aber nur in soweit berücksichtigt, wie 173

sie zur Beschreibung von Restriktionen beim Problemlösen geeignet erscheinen. Die betriebswirtschaftliche Entscheidungsforschung berücksichtigt nicht explizit, dass beim Lösen von Problemen gleichzeitig sowohl domänenspezifisches Wissen als auch Kenntnisse über adäquate Problemlösestrategien erworben werden, die in Kombination miteinander wiederum Voraussetzung für die Bearbeitung der notwendigen folgenden Sequenzen im Problemlöseprozess sind. Die kognitionspsychologische Problemlöseforschung beschreibt u. a. das Verhalten bzw. Vorgehen von Rollenträgern beim Problemlösen. Sie geht davon aus, dass die Rollenträger über domänenspezifisches Wissen und Fähigkeiten zur Anwendung verschiedener Strategien bei der Bearbeiten von Problemen in Gremien verfügen bzw. verfügen müssen, um effektiv agieren zu können. Die Problemlöseforschung betrachtet allerdings nicht oder nur bedingt, in welchem (realen) organisationalen Kontext Rollenträger in Gremien Probleme bearbeiten und in welcher Form Wissen weitergegeben wird. Aufgrund dieser Defizite beider Forschungsrichtungen erschien es notwendig, im Rahmen dieser Arbeit einen integrativen Ansatz zu entwickeln, der beide Positionen konstruktiv miteinander verbindet. Dazu wurde ein Modell eines Entscheidungsprozesses entwickelt, das im Kern auf individuellen Problemlöseprozessen beruht (siehe Kapitel 2). Grundlegend für das entwickelte Modell ist die Erkenntnis, dass betriebliche Entscheidungsprozesse sowohl aus einer organisationalen als auch aus einer individuellen Perspektive zu beschreiben sind. Aus organisationaler Perspektive sind Entscheidungsprozesse als chronologische Reihung einzelner Phasen interpretierbar, die den Prozess von der Vorbereitung der Umsetzung und der Kontrolle der Entscheidung beschreiben. Aus individueller Perspektive steht im Zentrum der Entscheidungsprozesse das selbständige und systematische Lösen (komplexer) Probleme durch den jeweiligen Rollenträger. Das kann als individueller, insbesondere kognitiver Prozess dargestellt werden. Ein Problem wird in Gremien im Zusammenwirken mehrerer Rollenträger bearbeitet. In der betriebswirtschaftlichen Entscheidungsforschung wird primär der Beitrag des Entscheiders für das Gelingen des Entscheidungsprozesses fokussiert. Im Rahmen der Arbeit wird mit der Rollenanalyse, die auf der Grundlage von Interviews, Dokumentenanalysen und Arbeitsplatzbeobachtungen in Gremien des BMW Werks Leipzig durchgeführt wurde, dargelegt, dass weitere Rollenträger (z. B. Themenbearbeiter, Themensteuerer) maßgebliche Beiträge zum Entscheidungsprozess leisten bzw. leisten können. Dazu agieren die Rollenträger im Entscheidungsprozess in verschiedenen Funktionen. Eine zentrale Funktion aller Rollenträger ist die Weitergabe von Wissen. Im Kon174

text der Rollenanalyse wurde festgestellt, dass die Weitergabe von Wissen nicht als ausschließliche Funktion der Rolle des Protokollanten in Entscheidungsprozessen von Gremien verstanden werden darf. In den Entscheidungsprozessen wird von allen Rollenträgern erwartet, dass sie Wissen an ihre Bezugsrollen innerhalb des Gremiums weitergeben.

In Bezug auf den zweiten Forschungsbereich, die Weitergabe von Wissen, kann festgehalten werden, dass Wissen sowohl Ausgangspunkt als auch Ergebnis der individuellen Konstruktion mentaler Modelle von (komplexen) Problemen durch den jeweiligen Rollenträger ist. Wissen ist aus dieser Perspektive nicht lediglich als zu steuernde (statische) Größe zu betrachten, es ist vielmehr eine prozessuale Komponente der Entscheidungsprozesse, die so auszugestalten ist, dass die individuelle Konstruktion von Wissen ermöglicht und gefördert wird. Dazu dienen in der Praxis vor allem Dokumente, die im Rahmen der Arbeit beschrieben und untersucht wurden. Dokumente sind aus organisationaler Perspektive ein Instrument, das zum Steuern des Entscheidungsprozesses eingesetzt werden kann und in der Praxis vielfach eingesetzt wird. Aus individueller Perspektive dienen Dokumente der Weitergabe von Wissen und können die Konstruktion mentaler Modelle zu (komplexen) Problemen fördern. Auf der Grundlage des kommunikationsorientiert-integrativen Ansatzes zur Dokumentengestaltung konnte festgestellt werden, dass Dokumente die Rollenträger nur bedingt in ausreichendem Maße bei der Konstruktion mentaler Modelle zu (komplexen) Problemen unterstützen. Dokumente enthalten häufig nicht alle notwendigen Informationen zur Problemlösung. Die in den Dokumenten dargestellten Informationen sind inhaltlich und sprachlich vielfach nur bedingt verständlich und effektiv bzw. kaum zweckmäßig aufbereitet (siehe Kapitel 4). Um Lösungsansätze zur Gestaltung von Dokumenten zu entwickeln kann auf eine Vielzahl an Konzepten und Methoden zurückgegriffen werden, die dem Textproduzenten in Gremien Hilfestellungen geben können, Informationen zu analysieren, zu sequenzieren und sprachlich auszugestalten. Eine in Theorie und Praxis vielfach bewährte Methode ist das Information Mapping®. Methoden, wie das Information Mapping®, weisen Defizite im Hinblick auf die rezipientengerechte Ausgestaltung von Dokumenten auf (z. B. fehlende Sequenzierungsprinzipien, fehlende Hinweise zur sprachlichen Formulierung von Texten). Konzepte zur rezipientenorientierten Gestaltung von Dokumenten bietet

175

die Textverständlichkeitsforschung an, auf die im Rahmen dieser Arbeit zurückgegriffen wurde: x

Es wurde eine Strukturgrundlage entwickelt, die den Textproduzenten handlungsleitend bei der Auswahl und der Anordnung der Informationen im Rahmen der Dokumentengestaltung unterstützen sollen. Die Strukturgrundlage setzt sich aus mehreren Informationsarten zusammen, die auf der Grundlage von Dokumentenanalysen, Interviews und Hospitationen erhoben wurden. Diese Informationsarten bilden einen vollständigen Problemlöseprozess respektive alle Stationen der Handlungsorganisation ab.

x

Zur logischen Anordnung der Informationsarten innerhalb der Strukturgrundlage wurde auf das sachstrukturelle Sequenzierungsprinzip zurückgegriffen. Aufgrund dieses Sequenzierungsprinzips werden die Informationsarten in der Strukturgrundlage in Anlehnung an die Stationen der Handlungsorganisation entsprechend der systematischen Abfolge der einzelnen kognitiven Tätigkeiten beim Problemlösen angeordnet. Die Strukturgrundlage dient als Ausgangspunkt für die Ausgestaltung der einzelnen Dokumente in Gremien (den Strukturmustern) und des Gremiensteuerungssystems. Zudem wurden den Rollenträgern Handlungsanleitungen zur Verfügung gestellt, die sie bei der Verwendung der Strukturmuster und bei der Textgestaltung unterstützen sollen.

x

Das auf der Grundlage der Textverständlichkeitsforschung konstruierte didaktische Schulungskonzept (respektive die Schulung der Protokollanten) dient den Rollenträgern zum einen zur Entwicklung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten der Textproduktion. Die Rollenträger sollen als Textproduzenten in der Lage sein, die Strukturmuster für Dokumente bewusst und zielgerichtet für die Weitergabe von Wissen einzusetzen und die Informationen in Dokumenten rezipientengerecht zu formulieren. Zum anderen ist das didaktische Schulungskonzept darauf ausgerichtet, das Zusammenwirken der Rollenträger auf der organisationalen Ebene (dem Entscheidungsprozess) zu reflektieren. Die Kenntnis spezifischer Funktionen (z. B. die Weitergabe von Wissen im Entscheidungsprozess) und die Fähigkeiten zur Auswahl und Ausgestaltung der Informationen in Dokumenten ermöglicht dem jeweiligen Rollenträger bewusst und zielgerichtet im Entscheidungsprozess zu agieren und zum Lösen komplexer Probleme im Zusammenwirken mit den Bezugsrollen in Gremien beizutragen. Mit dem didaktischen Schulungskonzept ist ein Bogen geschlagen zwischen der individuel-

176

len an den Problemlöseprozessen der Rollenträger orientierten Perspektive und der organisationalen an den Entscheidungsprozessen in Gremien orientierten Perspektive. Der entwickelte Lösungsansatz zur Weitergabe von Wissen in Entscheidungsprozessen von Gremien wurde im Rahmen des Projektes „Betriebliches Wissensmanagement bei der BMW AG“ in unterschiedlichen Gremien des BMW Werks Leipzig angewendet. Dabei haben sich die Strukturgrundlage respektive die Strukturmuster für Dokumente und die Anleitungen zur Textgestaltung als handlungsanleitend bewährt. Rollenträger verschiedener Gremien hoben insbesondere die Bedeutung und die Zweckmäßigkeit von Schulungen als eine Voraussetzung für die wirksame Anwendung der Strukturmuster in der betrieblichen Praxis hervor.

Im Kontext weiterführender Forschungsarbeit ist die Strukturgrundlage zu evaluieren und sind weitere Entwicklungsarbeiten zu leisten, die im Folgenden dargestellt werden. Das im Kapitel 6 beschriebene didaktische Konzept zum Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten der Textproduktion ist in Schulungen weiterer Rollenträger (z. B. Entscheider, Themenbearbeiter, Themensteuerer) zu erproben. Dabei ist zu prüfen, in welcher Form die Lernziele und Lerninhalte auf die jeweilige Zielgruppe der Schulung anzupassen bzw. zu erweitern sind. Erfahrungen, die bei der Problembearbeitung erworben werden, liegen in der Regel oftmals nur implizit vor. Für die schriftliche Weitergabe von Wissen ergibt sich das Problem, dass implizite Bestandteile von Erfahrungen in der Regel nur schwer in Dokumenten verbalisierbar sind (vgl. Fischer, 1996, 2000 sowie Büssing & Herbig, 2003). Für diese Problemstellung kann u. a. auf Forschungsansätze zum Story-Telling zurückgegriffen werden (vgl. Reinmann-Rothmeier & Vohle, 2001; Roth & Kleiner, 1998 sowie Thier, 2004). Ansätze zum Story-Telling scheinen geeignet, implizites Wissen, das in Entscheidungsprozessen von Gremien durch Rollenträger bei der Bearbeitung von (komplexen) Problemen erworben wurde, in narrativer Form schriftlich in Dokumenten festzuhalten und weiterzugeben. Hierzu ist in einem ersten Schritt zu untersuchen, in welcher Form und in welchem Umfang implizites Wissen in Gremien erworben bzw. konstruiert wird. Anschließend sind im Rahmen von Interviews Rollenträger in Gremien zu befragen, um u. a. implizites Wissen zu erheben. Dieses Wissen ist zu extrahieren (d. h. es werden Schwerpunkte in Bezug auf bestimmte Aussagen aus den Inter-

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views gebildet), wird in Kurzgeschichten von den Interviewern niedergeschrieben und anschließend durch die befragten Rollenträger validiert. Der vorgestellte Ansatz zur Ausgestaltung der Weitergabe von Wissen ist in Bezug auf unternehmensinterne bzw. werksinterne Gremien der Automobilindustrie diskutiert worden. Zunehmend gewinnen jedoch auch unternehmensübergreifende Kooperationsbeziehungen an Bedeutung: „Heute steht hinter jedem Automobilhersteller ein hochkomplexes Netzwerk aus Zulieferern und Dienstleistern, die bereits einen Wertschöpfungsanteil von über 70 % innehaben“ (Günthner, Boppert, Scheuchl & Meursing, 2005, S. 66). In einem weiteren Schritt ist zu untersuchen und zu prüfen, welche Elemente der Strukturgrundlage in Gremien, die im Rahmen unternehmensübergreifender Kooperationsbeziehungen eingerichtet wurden, anwendbar sind, um z. B. die Bearbeitung und Lösung von Problemen in unternehmensübergreifenden Fahrzeugentwicklungsprojekten durch die Weitergabe von Wissen zu unterstützen. Hierzu ist es erforderlich, in einer umfassenden Informationsanalyse Dokumente der kooperierenden Unternehmen auf verschiedene Formen der Strukturierung und die unterschiedliche Verwendung sprachlicher Formulierungen zu untersuchen. Mit dem weiterführenden Forschungsbedarfs ist auf die Bedeutung verwiesen, Fragestellungen zur Weitergabe von Wissen in Entscheidungsprozessen von Gremien interdisziplinär zu bearbeiten, indem Modelle und Ansätze der Wirtschaftspädagogik, der betriebswirtschaftlichen Entscheidungsforschung und der Problemlöseforschung integrativ miteinander verknüpft werden.

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200

9

Anhang

9.1

Handreichung für Rollenträger in Gremien

201

202

203

204

205

206

207

208

209

9.2

Beispielprotokoll

211

212

213

214

215

216