Präferenzmessung in industriellen Verhandlungen 9783835096172, 3835096176 [PDF]

Preliminary; Einleitung; Grundlagen industrieller Verhandlungen; Verhandlungspräferenzen als Gegenstand der Verhandlung

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German Pages 271 Year 2007

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Präferenzmessung in industriellen Verhandlungen
 9783835096172, 3835096176 [PDF]

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Zitiervorschau

Uta Herbst Präferenzmessung in industriellen Verhandlungen

GABLER EDITION WISSENSCHAFT Business-to Business-Marketing Herausgeber: Professor Dr. Dr. h.c. Werner Hans Engelhardt, Ruhr-Universität Bochum, Professor Dr. Mario Rese, Ruhr-Universität Bochum (schriftführend) Herausgeberbeirat: Professor Dr. Dr. h.c. Klaus Backhaus, Universität Münster, Professor Dr. Joachim Büschken, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, Professorin Dr. Sabine Fließ, Fernuniversität Hagen, Professor Dr. Jörg Freiling, Universität Bremen, Professor Dr. Bernd Günter, Universität Düsseldorf, Professor Dr. Frank Jacob, ESCP-EAP Europäische Wirtschaftshochschule Berlin, Professor Dr. Michael Kleinaltenkamp, Freie Universität Berlin, Professor Dr. Wulff Plinke, Humboldt-Universität zu Berlin, Professor Dr. Martin Reckenfelderbäumer, Wissenschaftliche Hochschule Lahr/AKAD Hochschule für Berufstätige, Lahr/Schwarzwald, Professor Dr. Albrecht Söllner, Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder, Professor Dr. Markus Voeth, Universität Hohenheim, Professor Dr. Rolf Weiber, Universität Trier

Das Business-to-Business-Marketing ist ein noch relativ junger Forschungszweig, der in Wissenschaft und Praxis ständig an Bedeutung gewinnt. Die Schriftenreihe möchte dieser Entwicklung Rechnung tragen und ein Forum für wissenschaftliche Beiträge aus dem Businessto-Business-Bereich schaffen. In der Reihe sollen aktuelle Forschungsergebnisse präsentiert und zur Diskussion gestellt werden.

Uta Herbst

Präferenzmessung in industriellen Verhandlungen Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Markus Voeth

Deutscher Universitäts-Verlag

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Dissertation Universität Hohenheim, 2007

1. Auflage Juni 2007 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitäts-Verlag | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Frauke Schindler / Sabine Schöller Der Deutsche Universitäts-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de www.b-to-b-group.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8350-0804-5

V

Geleitwort Eine der Besonderheiten industrieller Transaktionen ist darin zu sehen, dass Anbieter ihre Leistungen und/oder die von Kunden zu erbringende Gegenleistung zumeist kundenindividuell gestalten (müssen). Aus diesem Grunde besteht in Wissenschaft und Praxis Einigkeit darin, dass Verhandlungen ein wesentlicher Bestandteil industrieller Vermarktungsaktivitäten sind. In Verhandlungen mit Kunden müssen ggf. Kundenbedürfnisse ermittelt, Preise und Zahlungsbedingungen ausgehandelt oder Einzelheiten im Hinblick auf die späteren Lieferbedingungen festgelegt werden. Obwohl Verhandlungen auf Industriegütermärkten somit zu den zentralen Herausforderungen für eine erfolgreiche Vermarktung zählen, hat sich die IndustriegütermarketingForschung bislang nur am Rande mit diesem Gebiet beschäftigt. Eine der wichtigsten und interessantesten Forschungsprobleme in diesem Bereich greift dabei die vorliegende Dissertationsschrift heraus. So werden Verhandlungen – trotz aller organisatorischer Regeln und Verhaltensanweisungen – in den meisten Fällen zwischen Menschen auf beiden Verhandlungsseiten geführt. Die Verhandlungsbeteiligten werden allerdings nicht nur durch die Ziele der sie entsendenden Organisation gesteuert. Stattdessen ist zum einen davon auszugehen, dass Verhandelnde in der Beurteilung alternativer Verhandlungsergebnisse neben den organisationsbezogenen Zielen auch eigene Interessen und Vorstellungen berücksichtigen. Zum anderen wird auch das Zustandekommen der Verhandlungsergebnisse maßgeblich durch die Vorstellungen der Verhandelnden im Hinblick auf den Verhandlungsprozess geprägt. Neben ergebnisbezogenen (ökonomischen) spielen daher in Verhandlungen vor allem auch prozessuale (nicht-ökonomische) Präferenzen der Verhandlungsbeteiligten eine wichtige Rolle. Dass die Präferenzen von Verhandelnden bislang weder in der IndustriegütermarketingForschung noch in der übrigen Verhandlungsforschung systematisch und umfassend untersucht worden sind, liegt dabei sicherlich nicht zuletzt an dem hierbei bestehenden Messproblem in Bezug auf diesen Teilaspekt von Verhandlungen. So wird in der Literatur – in den wenigen Arbeiten, die auf die besondere Bedeutung der Präferenzen von Verhandelnden hinweisen – zumeist darauf aufmerksam gemacht, dass sich gerade die prozessualen Präferenzen von Verhandelnden kaum quantifizieren lassen. Da allerdings die Messung von Präferenzen von Verhandelnden eine wesentliche Voraussetzung für die darauf aufbauende Entwicklung von betriebswirtschaftlichen Maßnahmen der Verhandlungssteue-

VI rung darstellt, ist in der Lösung des Messproblems die zentrale Fragestellung im Zusammenhang mit Verhandlungspräferenzen zu sehen. Innerhalb der beschriebenen Forschungslücke „Verhandlungen“ beschäftigt sich die Verfasserin demnach nicht nur mit dem zentralen Problem der Präferenzen von Verhandelnden, sondern wendet sich in diesem Forschungsfeld auch der wichtigsten und zugleich vermutlich auch schwierigsten Einzelfrage von deren Messung zu. Dabei kommt die Arbeit zu bemerkenswerten theoretischen, konzeptionellen, methodischen und empirischen Ergebnissen. Aufbauend auf einer fundierten Darstellung der vorliegenden Verhandlungsliteratur leitet die Verfasserin ein geeignetes Verfahren zur Messung von prozessualen Präferenzen in Verhandlungen ab. Dessen empirische Anwendung führt zu dem Ergebnis, dass sich prozessuale Präferenzen messtechnisch nicht nur ermitteln lassen, sondern dass diese in Verhandlungssituationen offenbar tatsächlich auch von Bedeutung sind. Die interessanten Ergebnisse werden in der Arbeit möglich, da die Verfasserin den Mut aufbringt, an entscheidenden Stellen von dem in der bisherigen Verhandlungsforschung dominierenden Forschungsparadigma abzuweichen: So geht es der Verfasserin weniger um die alleinige Beschreibung oder Erklärung verhandlungsrelevanter Aspekte und dafür viel mehr um die Gestaltung von Verhandlungen. Mit anderen Worten nähert sich die Verfasserin der von ihr gewählten Problemstellung aus einer entscheidungsorientierten Perspektive. Empfehlungen, wie der Aufbau eines systematischen Verhandlungscontrollings zeigen, dass sie Verhandlungen als eine betriebswirtschaftliche Problemstellung einstuft, für die es wissenschaftlich fundierte Management-Empfehlungen abzuleiten gilt. Dies ist umso bemerkenswerter, da nahezu die gesamte übrige wissenschaftliche Verhandlungsliteratur keinem entscheidungsorientierten Forschungszugang folgt. Da die Arbeit somit eine neue Perspektive für die Verhandlungsforschung entwickelt, wird sie ganz sicher eine entsprechende Verbreitung in Wissenschaft und Praxis finden. Diese hat sie in jedem Fall verdient.

Prof. Dr. Markus Voeth

VII

Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand am Lehrstuhl für Marketing der Universität Hohenheim. Sie wurde im Februar 2007 von der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften als Dissertation angenommen. Nicht allein aufgrund der thematischen Nähe erscheint es mir sinnvoll, die Verfassung einer Dissertation mit der Entwicklung und Umsetzung einer Marketing-Konzeption zu vergleichen. So hat jeder angehende Doktorand, der die Zielsetzung verfolgt, eines Tages die Doktorwürde zu erlangen, im Vorfeld eine sorgfältige Situationsanalyse vorzunehmen. Er sollte sich seiner eigenen Stärken und Schwächen bewusst sein, um eine richtige Abgrenzung von Forschungsbereich und Auswahl der Forschungsstätte treffen zu können. Im Anschluss hieran muss er sich darum bemühen, die grundsätzliche Richtung der Niederschrift, im Sinne eines strategischen Handlungsrahmens festzulegen. Für die Zielerreichung selbst spielt jedoch insbesondere der Instrumenteneinsatz eine bedeutende Rolle. Während dieser in der Marketing-Literatur in der Regel auf die 4 P’s beschränkt bleibt, möchte ich für den erfolgreichen Abschluss eines Dissertationsprozesses ein weiteres P anführen. Dies sind die an der Fertigstellung der Arbeit beteiligten Personen. Ihnen möchte ich an dieser Stelle meinen herzlichen Dank ausdrücken. Allen voran möchte ich meinem geschätzten akademischen Lehrer Herrn Prof. Dr. Markus Voeth danken. Seine stetige Förderung, Motivation und Unterstützung haben meine Assistenzzeit zu einer überaus lehrreichen, vielseitigen und somit bereichernden Lebensphase gemacht, an die ich mich immer sehr gerne zurück erinnern werde. Die vorliegende Arbeit wurde durch seine stets konstruktiven Anregungen und Vorschläge maßgeblich vorangetrieben. Darüber hinaus gilt mein besonderer Dank Frau Prof. Dr. Mareike Schoop, die nicht nur die Aufgabe des Zweitgutachtens übernommen hat, sondern auch für mein Rigorosum als Prüferin bereit stand. Hierfür möchte ich mich gleichermaßen recht herzlich bei Herrn Prof. Dr. Klaus Herdzina bedanken. Herrn Prof. Dr. Christoph Müller danke ich für die Mitwirkung an meinem Promotionsverfahren. Herzlich bedanken möchte ich darüberhinaus bei allen Mitarbeitern des Lehrstuhls für Marketing, die mich – wenn auch in ganz unterschiedlicher Weise – bei der Erstellung meiner Dissertation unterstützt haben. Während die „Einstiegsmannschaft“ hierbei vor allem meine Eingewöhnungsphase an den Lehrstuhl gefördert und gefordert hat, haben mir

VIII meine aktuellen Kolleginnen und Kollegen durch Ihre fachliche Diskussionsbereitschaft als auch generelle Hilfsbereitschaft stets weitergeholfen. Besonders erwähnen möchte ich in diesem Zusammenhang Frau Dipl.oec. Isabel Tobies, Frau Dipl.rer.com Sina Barisch, Herrn Dipl.-Kfm. Christian Niederauer, Herrn Dipl.oec. Christoph Sandstede sowie Herrn Dipl.-Kfm. Jochen Pelz. Danken möchte ich in diesem Zusammenhang auch allen wissenschaftlichen Hilfskräften, die mir immer zuverlässig und engagiert zur Seite standen. Mein herzlicher Dank gebührt insbesondere Frau Monika Fielk, die durch ihre große Hilfsbereitschaft meine gesamte Assistenzzeit in universitären und außer-universitären Angelegenheiten erleichtert hat. Darüber hinaus danke ich ihr vor allem für Korrekturlesung des Manuskripts. Ideell und finanziell wurde mein Dissertationsprojekt in den vergangenen zwei Jahren von der Friedrich-Naumann-Stiftung gefördert. Durch sie habe ich die Möglichkeit erhalten, eine Vielzahl interessanter Personen und Inhalte außerhalb meines universitären Tätigkeitsbereichs kennen zu lernen. Wissenschaftliche Erholphasen, die gerade auch für ein Dissertationsprojekt unabdinglich sind, habe ich jederzeit von meinen lieben Freunden erfahren. Für die gemeinsame Zeit möchte ich bei Ihnen vor allem aus dem Grund bedanken, dass es in den vergangenen Monaten oftmals sehr schwierig war, mit mir zu planen. Zuletzt richtet sich mein Dank an meine geliebten Eltern, die mir während meiner Assistenzzeit wie auch in allen anderen Lebensphasen verlässlich zur Seite standen. Sie hatten nicht nur immer ein offenes Ohr, sondern haben es auch stets geschafft, mir die notwendige Motivation als auch innere Muße zu vermitteln. Ihnen widme ich daher diese Arbeit!

Uta Herbst

IX

Inhaltsverzeichnis Geleitwort ............................................................................................................................ V Vorwort ............................................................................................................................ VII Inhaltsverzeichnis .............................................................................................................. IX Abbildungsverzeichnis ...................................................................................................XIII Tabellenverzeichnis ......................................................................................................... XV 1

Einleitung .................................................................................................................... 1 1.1 Problemstellung und Zielsetzung ........................................................................... 1 1.2 Aufbau der Arbeit ................................................................................................... 3

2

Grundlagen industrieller Verhandlungen ................................................................ 7 2.1 Zur Bedeutung von Verhandlungen auf Industriegütermärkten ............................. 7 2.2 Verständnis und Besonderheiten industrieller Verhandlungen ............................ 13 2.2.1 Die Entwicklung eines Forschungsansatzes für industrielle Verhandlungen ............................................................................................ 13 2.2.1.1 Die Analyse der Ausgangssituation industrieller Verhandlungen ...... 17 2.2.1.1.1 Die Verhandlungsparteien: Multipersonale Verhandlungen zwischen Buying und Selling Centern....................................... 17 2.2.1.1.2 Die Präferenzen: Derivativ ergebnisorientierte und individuell prozessuale Präferenzen .......................................... 20 2.2.1.2 Die Analyse der Handlungssituation industrieller Verhandlungen .... 28 2.2.1.2.1 Industrielle Verhandlungen als „mixed-motive“- Situation ...... 28 2.2.1.2.2 Die Handlungsprogramme industrieller Verhandlungen ........... 32 2.2.1.3 Die Analyse der Entscheidungssituation ............................................ 35 2.2.2

Zusammenfassende Begriffsdefinition industrieller Verhandlungen .......... 38

2.3 Systematisierung industrieller Verhandlungssituationen ..................................... 40 2.3.1

Darstellung relevanter Unterscheidungskriterien ........................................ 42

2.3.1.1

Konstante Einflussfaktoren industrieller Verhandlungen................... 42

2.3.1.1.1 Merkmale des Entscheidungsproblems ..................................... 43 2.3.1.1.2 Merkmale der Verhandlungsparteien ........................................ 45 2.3.1.2 Variable Unterscheidungskriterien industrieller Verhandlungen ....... 53 2.3.2

Zusammenfassendes Forschungsspektrum industrieller Verhandlungen .... 56

X 2.4

Industrielle Verhandlungen als Gegenstand der IndustriegütermarketingLiteratur ................................................................................................................ 58 2.4.1

Systematisierende Literaturübersicht .......................................................... 58

2.4.1.1

Erkenntnisbeitrag der Interaktionsansätze .......................................... 58

2.4.1.2

Erkenntnisbeitrag der allgemeinen IndustriegütermarketingLiteratur .............................................................................................. 63

2.4.1.3 2.4.2 2.5

Erkenntnisbeitrag der Vertriebs- und Verkaufsliteratur ..................... 67

Stand der Verhandlungsforschung im Industriegütermarketing .................. 70

Zur Bedeutung der Präferenzanalyse in industriellen Verhandlungen ................. 71 2.5.1 Die Notwendigkeit einer externen und internen Präferenzanalyse in industriellen Verhandlungen ....................................................................... 71 2.5.2

Die Notwendigkeit der quantitativen Analyse von Verhandlungspräferenzen .................................................................................................. 77

2.5.3 Übergeordnete Zielsetzung der Arbeit ........................................................ 79 3

Verhandlungspräferenzen als Gegenstand der Verhandlungsforschung ........... 81 3.1

Darstellung und Analyse der theoretischen Ansätz der Verhandlungsforschung 82 3.1.1

Analytisch-präskriptive Forschungsansätze ................................................ 82

3.1.1.1

Darstellung der analytisch-präskriptiven Ansätze .............................. 82

3.1.1.2 Analyse der analytisch-präskriptiven Ansätze ................................... 87 3.1.2

Verhaltenswissenschaftliche Forschungsansätze ........................................ 91

3.1.2.1

Darstellung der verhaltenswissenschaftlichen Ansätze ...................... 91

3.1.2.2

Analyse der verhaltenswissenschaftlichen Ansätze ........................... 95

3.1.2.2.1 Die Bedeutung „sozial-psychologischer Verhandlungsergebnisse“ für die verhaltenswissenschaftliche Beschäftigung mit Verhandlungspräferenzen ........................... 96 3.1.2.2.2 Verhaltenswissenschaftliche Forschungsbemühungen in dem Bereich der „sozial-psychologischen Nutzendimensionen“ ...... 97 3.1.3 Negotiation Analysis – die Synthese der analytisch-präskriptiven und verhaltenswissenschaftlichen Verhandlungsforschung ............................. 106 3.1.3.1 Darstellung der Negotiation Analysis .............................................. 106 3.1.3.2 Analyse der Negotiation Analysis .................................................... 108 3.1.3.2.1 Grundsätzliche Vorgehensweise der Präferenzanalyse im Rahmen der Negotiation Analysis ........................................... 109

XI 3.1.3.2.2 Kritische Beurteilung der Vorgehensweise vor dem Hintergrund conjoint-analytischer Präferenzmessung............ 111 3.2

Darstellung und Analyse der managementbezogenen Ansätze der Verhandlungsforschung ...................................................................................... 115 3.2.1

Darstellung des Harvard-Verhandlungskonzeptes .................................... 116

3.2.2

Analyse des Harvard-Verhandlungskonzeptes .......................................... 117

3.3 Kritische Würdigung der Ansätze im Hinblick auf die umfassende Messung von Verhandlungspräferenzen ............................................................................ 119 3.4

4

Konzeptionelle Fragestellungen der Präferenzanalyse und zusammenfassende Anforderungen an die Präferenzmessung ........................... 121 3.4.1

Ermittlung inhaltlicher Anforderungen in Bezug auf die Messung prozessualer Präferenzen ........................................................................... 122

3.4.2

Methodische Anforderungen an die Messung prozessualer Präferenzen unter besonderer Berücksichtigung der Principal-Agent-Theorie ............. 125

3.4.3

Kontextspezifische Anforderungen ........................................................... 132

Konzeption eines Messansatzes zur Analyse industrieller Verhandlungspräferenzen ..................................................................................... 135 4.1 Umsetzung der Anforderungen an einen umfassenden Messansatz.................. 135 4.1.1

Definition bedeutsamer Prozesspräferenzen ............................................. 135

4.1.1.1

Inhaltsanalytische Präferenzidentifikation ....................................... 135

4.1.1.2

Relevanz der identifizierten prozessualen Präferenzen auf industriellen Märkten........................................................................ 144

4.1.2

Auswahl einer geeigneten Befragungsmethode für die Messung industrieller Verhandlungspräferenzen...................................................... 145

4.1.2.1

Die generelle Eignung dekompositioneller Verfahren unter Berücksichtigung der Kritikpunkte der traditionellen ConjointAnalyse ............................................................................................. 146

4.1.2.2

Untersuchung der Verfahrensvarianten der traditionellen Conjoint-Analyse .............................................................................. 148

4.1.2.2.1 Kurzvorstellung der bedeutsamen Verfahrensvarianten.......... 148 4.1.2.2.2 Vorstellung der HILCA angesichts ihrer besonderen Eignung für die vorliegende Zielsetzung................................. 154 4.1.3

Identifikation von präferenzbeeinflussenden Faktoren im Rahmen industrieller Verhandlungen ...................................................................... 157

4.2 Konkretisierung der Zielsetzung durch die Ableitung von Forschungsfragen .. 160

XII 5

Empirische Untersuchung der aufgestellten Forschungsfragen im Rahmen einer Fallstudien-Simulation ................................................................................. 162 5.1

Entwicklung des Untersuchungsdesigns ............................................................ 162 5.1.1

Operationalisierung der Forschungsfragen................................................ 162

5.1.2 Auswahl empirischer Zielgrößen............................................................... 164 5.1.3 Gestaltung der Erhebung ........................................................................... 167 5.1.3.1

Festlegung der Untersuchungsform .................................................. 167

5.1.3.2

Das Untersuchungsobjekt: Der Fall ALUVAN ................................ 169

5.1.3.2.1 Die Rahmenhandlung und Verhandlungsgegenstände ............ 170 5.1.3.2.2 Experimentelle Manipulation der Transaktionsebene ............. 173 5.1.3.3

Konzeption der Befragung................................................................ 175

5.1.3.3.1 Befragungsorganisation ........................................................... 176 5.1.3.3.2 Entwicklung der Messverfahren .............................................. 178 5.1.3.3.3 Gestaltung der Auswahlsituation ............................................. 181 5.1.3.4 5.2

Festlegung der Verhandlungssubjekte .............................................. 184

Umsetzung und empirische Ergebnisse der Untersuchung ................................ 186 5.2.1 Ablauf des Verhandlungspiels und Durchführung der Präferenzanalysen ...................................................................................... 186 5.2.2

Empirische Befunde .................................................................................. 189

5.2.2.1

Analyse der aufgestellten Forschungsfragen .................................... 190

5.2.2.1.1 Der Vergleich der untersuchten Messverfahren ...................... 191 5.2.2.1.2 Ermittlung von transaktionsspezifischen Präferenzunterschieden............................................................ 198 5.2.2.2

Zusammenfassende Ergebnisbeurteilung unter Berücksichtigung der Limitationen der empirischen Studie......................................... 204

5.2.2.2.1 Zusammenfassender Ergebnisüberblick .................................. 204 5.2.2.2.2 Limitationen der empirischen Studie ....................................... 206 5.3 6

Implikationen für die industrielle Verhandlungspraxis ...................................... 207

Schlussbetrachtung und Ausblick auf den weiteren Forschungsbedarf ........... 214

Anhang.............................................................................................................................. 221 Literaturverzeichnis ........................................................................................................ 239

XIII

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Übersicht über Verhandlungssituationen ...................................................... 8 Abbildung 2: Die unterschiedlichen Relevanz von Verhandlungen im industriellen Kontext ........................................................................................................ 12 Abbildung 3: Analyseraster von Verhandlungen............................................................... 15 Abbildung 4: Abgrenzung industrieller Verhandlungen ................................................... 17 Abbildung 5: Das Präferenzsystem im weiten Sinn .......................................................... 25 Abbildung 6: Präferenzkonstellation bei distributiven Verhandlungen ............................ 29 Abbildung 7: Konstante Unterscheidungskriterien von Verhandlungen ........................... 42 Abbildung 8: Systematisierung industrieller Verhandlungen............................................ 57 Abbildung 9: Die defizitäre Analyse von Verhandlungspräferenzen im Industriegütermarketing............................................................................... 70 Abbildung 10: Nutzenvorteile durch die Umsetzung prozessualer Präferenzen bei austauschbaren Leistungen .......................................................................... 73 Abbildung 11: Heterogenität der Nutzenfunktionen von Verhandelnden ........................... 75 Abbildung 12: Vorgehen der Conjoint-Analyse ................................................................ 113 Abbildung 13: Die Analyse von Präferenzen als defizitärer Bereich der Verhandlungsforschung ............................................................................. 121 Abbildung 14: Identifikationsbereich prozessualer Präferenzen ....................................... 124 Abbildung 15: Inhaltsanalytische Vorgehensweise im Rahmen der Präferenzidentifikation.............................................................................................. 138 Abbildung 16: Verfahrensvarianten der traditionellen Conjoint-Analyse ......................... 148 Abbildung 17: Operationalisierung der Forschungsfragen in relevante Untersuchungsgrößen ................................................................................ 164 Abbildung 18: Systematisierung von Arten der Validität ................................................. 165 Abbildung 19: Aufbau und Struktur der Fallstudie ALUVAN ......................................... 175 Abbildung 20: Befragungsorganisation der vorliegenden Untersuchung ......................... 178 Abbildung 21: Innerhalb der Präferenzmessung verwandte Merkmale und Ausprägungen ............................................................................................ 180 Abbildung 22: Generierung der Auswahl-Sets .................................................................. 184 Abbildung 23: Ablauf und Organisation des Fallstudienexperiments ALUVAN ............. 189

XIV Abbildung 24: Validitätsvergleich in Bezug auf den Umfang der berücksichtigten Präferenzen ................................................................................................ 195 Abbildung 25: Validitätsvergleich in Bezug auf die eingesetzte Methode ....................... 196 Abbildung 26: Gesamtvergleich der vier Messverfahren .................................................. 198 Abbildung 27: Auswahl bedeutsamer Merkmale .............................................................. 200 Abbildung 28: Bedeutung der Präferenzen im Gesamtvergleich ...................................... 201 Abbildung 29: Aufgabenstellungen eines umfangreichen Verhandlungs-Controllings .... 213

XV

Tabellenverzeichnis Tabelle 1:

Präferenzkonstellation bei integrativen Verhandlungen................................. 30

Tabelle 2:

International referierte Beiträge zur Verhandlungsforschung ........................ 65

Tabelle 3:

Problemstellung bei einer ordinalen Nutzenmatrix ........................................ 77

Tabelle 4:

Übersicht über die Ergebnisse der Präferenzidentifikation .......................... 139

Tabelle 5:

Untersuchungen zum Wirkungszusammenhang zwischen Prozessaspekten und Vertrauen in Verhandlungen ...................................... 143

Tabelle 6:

Ergebnisse der Praktikerbefragung zur Bedeutung der Prozesspräferenzen 145

Tabelle 7:

Ergebnisse der Expertenbefragung ............................................................... 159

Tabelle 8:

Die Verhandlungsgegenstände in Periode 1 ................................................. 171

Tabelle 9:

Die Verhandlungsgegenstände in Periode 2 ................................................. 173

Tabelle 10: Darstellung des vollständigen Erhebungsdesigns ........................................ 176 Tabelle 11: Stichprobeneinteilung des Experimentes...................................................... 187 Tabelle 12: Datenbasis der Ergebnisanalyse ................................................................... 190 Tabelle 13: Überblick über die Verfahrensvaliditäten..................................................... 192 Tabelle 14: Überprüfung der Eindeutigkeit der Auswahlsets ......................................... 193 Tabelle 15: Unterschiedliche Auswahl der Präferenzmerkmale ..................................... 203 Tabelle 16: Präferenzunterschiede in der experimentellen Manipulation ....................... 204

1

1

Einleitung

1.1 Problemstellung und Zielsetzung

Mache das, was andere nicht machen. (Giuseppe Verdi)

Industrielle Transaktionsprozesse vollziehen sich in der Regel in einem interaktiven Problemlösungs- und Entscheidungsprozess.1 Denn Leistung und Gegenleistung stehen am Beginn des industriellen Vermarktungsprozesses häufig noch nicht fest und müssen daher erst in gemeinsamer Interaktion zwischen Anbieter und Nachfrager ausgehandelt werden. Das Ergebnis industrieller Kaufentscheidungen hängt somit nicht allein von den anbieterseitigen Vermarktungsbemühungen ab, vielmehr ist eine simultane Betrachtung der an der Transaktion beteiligten Parteien erforderlich.2 Dies bedeutet konkret, dass – anders als auf Konsumgütermärkten – auch der wechselseitigen Beeinflussung zwischen Anbieter und Nachfrager ein hoher Einfluss auf das Kaufverhalten und die letztendliche Kaufentscheidung von Nachfragern bei industriellen Gütern zukommt. Damit einhergehend ergibt sich für das Marketing bei industriellen Produkten und Dienstleistungen die zentrale Aufgabe, Möglichkeiten der gegenseitigen Einflussnahme zu analysieren und hierauf aufbauend Interaktionsstrategien zu entwickeln, die den Verhandlungsprozess derart steuern können, dass die geplanten Verhandlungsergebnisse auch tatsächlich erreicht werden. Hierzu ist es allerdings erforderlich, neben den Rahmenbedingungen von Verhandlungen oder aber den Persönlichkeitsmerkmalen der Verhandelnden vor allem auch die Verhandlungspräferenzen der Parteien zu analysieren. So sind Präferenzanalysen als

eine

wesentliche

Voraussetzung

für

die

Verhandlungssteuerung

und

-optimierung anzusehen, da die Präferenzen der Verhandlungsakteure – vergleichbar mit den Erkenntnissen über das nachfragerseitige Kaufverhalten in konsumtiven Kaufsituatio-

1

Vgl. Backhaus/Voeth (2007), S. 39.

2

Vgl. Backhaus/Voeth (2005), S. 507.

2 nen – das Entscheidungsverhalten in industriellen Kaufprozessen in erheblichem Maße beeinflussen.3 Ausgehend von dieser Grundüberlegung ist hierbei zu berücksichtigen, dass nicht nur die Merkmale des zur Verhandlung stehenden Transaktionsobjektes (z. B. Preis, Lieferbedingungen etc.), sondern auch die Eigenschaften des für Anbieter und Nachfrager gemeinsamen Interaktionsprozesses (Fairness, Ehrlichkeit etc.) Bezugspunkte für verhandlungsspezifische Präferenzen darstellen. Vor diesem Hintergrund kommt Verhandlungspräferenzen nicht nur eine Steuerungsfunktion im Hinblick auf die vertraglich zu fixierenden Vereinbarungen zu; vielmehr übernehmen diese auch eine Lenkungsfunktion für die Gestaltung der gemeinsamen Interaktion. Nur wenn es demnach gelingt, alle relevanten Präferenzdimensionen vollständig zu analysieren, kann dem zuvor postulierten Ziel des Marketings auf Industriegütermärkten ausreichend Rechnung getragen werden. Dabei kann eine „umfassende Präferenzanalyse“ nur dann zur Steuerung und Lenkung von Verhandlungen beitragen, wenn die Analyse auf quantitative Weise erfolgt. Ursächlich hierfür ist zunächst die Tatsache, dass industrielle Vermarktungssituationen angesichts der Individualität und Komplexität ihrer Transaktionsobjekte häufig durch eine Vielzahl zu entscheidender Vereinbarungen gekennzeichnet sind. Daher können durch die alleinige Benennung ergebnisorientierter Präferenzen (Bezugspunkt: Merkmale des Transaktionsobjektes) kaum konkrete Anhaltspunkte im Hinblick auf die Ausgestaltung beidseitig zufrieden stellender Paketofferten getroffen werden. Darüber hinaus erscheint die quantitative Analyse jedoch auch in Bezug auf die prozessualen Präferenzen (Bezugspunkt: Merkmale des Interaktionsprozesses) der Verhandlungsakteure von Bedeutung. Ihre Kenntnis kann nämlich immer dann direkt ökonomisch sein, wenn ihre gezielte Umsetzung zu einer wahrgenommenen Nutzensteigerung auf der eigenen oder der „gegnerischen“ Verhandlungsseite führt. Trotz der offensichtlichen Bedeutung, die dem „Vermarktungsmechanismus“ Verhandlungen auf industriellen Märkten zukommt, finden sich in der Literatur zum Industriegütermarketing bislang nur wenige eigenständige Beiträge zu diesem Themenfeld. Angesichts der beschriebenen Zentralität einer umfassenden und zugleich quantitativ angelegten Analyse von Verhandlungspräferenzen ist es dabei umso überraschender, dass diese Problemstellung bislang kaum berücksichtigt, geschweige denn intensiv bearbeitet worden ist. Dabei stellt die defizitäre Analyse der Verhandlungspräferenzen interessanterweise keinen 3

Vgl. Böcker (1986), S. 556f.

3 alleinigen Kritikpunkt der Industriegütermarketing-Literatur dar. Vielmehr verzichten auch die bedeutenden Ansätze der Verhandlungsforschung auf eine umfassende Messung entscheidungsrelevanter Verhandlungspräferenzen. Damit bestehen jedoch auch außerhalb der Marketing-Disziplin bislang keine wirklich ausreichenden Erkenntnisse im Hinblick auf das Zustandekommen von Verhandlungsergebnissen. Vor dem Hintergrund des aufgezeigten Forschungsdefizits wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit die Zielsetzung verfolgt, einen Ansatz für die umfassende Messung industrieller Verhandlungspräferenzen zu entwickeln. Auf dessen Basis soll eine bessere Erklärung inter-organisationaler Entscheidungsprozesse gewährleistet sowie Implikationen für ihr Erfolg versprechendes Management abgeleitet werden. Konkret sollen hierfür Relevanz und Determinanten industrieller Verhandlungspräferenzen theoretisch fundiert und einer empirischen Untersuchung zugänglich gemacht werden. Dabei setzt die Untersuchung insbesondere an der Fragestellung an, ob prozessuale Präferenzen in industriellen Verhandlungssituationen überhaupt von Bedeutung sind und wie ihre quantitative Analyse methodisch durchführbar ist.

1.2 Aufbau der Arbeit

Für die Umsetzung der dargestellten Zielsetzung erscheint es notwendig, sich zunächst mit den Grundlagen von Verhandlungen in industriellen Vermarktungssituationen auseinander zu setzen. Nach einem kurzen Überblick über die Relevanz von Verhandlungen auf industriellen Märkten, geht es in Kapitel 2 daher zunächst darum, ein konkretes Begriffsverständnis für industrielle Verhandlungen abzuleiten. Hierfür werden in einem ersten Schritt die zentralen Bestandteile sowie Besonderheiten inter-organisationaler Verhandlungssituationen dargestellt. Ein zweiter Schritt widmet sich so dann der Tatsache, dass industrielle Verhandlungen – angesichts der Heterogenität industrieller Märkte – in vielschichtigen Erscheinungsformen auftreten und daher unterschiedliche Anforderungen an das Management von Verhandlungen stellen. Vor diesem Hintergrund wird eine Vielzahl von Unterscheidungskriterien industrieller Verhandlungssituationen systematisch abgeleitet sowie in Abhängigkeit von ihrer vermutlichen Bedeutung vorgestellt. Die Ausführungen dienen zum einen dazu, das vielseitige Forschungsspektrum industrieller Verhandlungen aufzu-

4 zeigen. Zum anderen kann auf diese Weise jedoch auch die besondere Analyseposition von Verhandlungspräferenzen verdeutlicht werden. Diesen Aspekt aufgreifend wird in einem nächsten Schritt untersucht, welche Verhandlungserkenntnisse in der Industriegütermarketing-Literatur im Hinblick auf das aufgezeigte Forschungsspektrum bereits existieren. Dabei fällt auf, dass insbesondere der als zentral einzustufende Analysebereich der Verhandlungspräferenzen – wenn überhaupt – nur am Rande behandelt worden ist. Da die Analyse der Industriegütermarketing-Literatur für die hier behandelte Problemstellung nicht ausreichend weiterhilft, wird in Kapitel 3 überprüft, inwieweit die übrige Verhandlungsforschung für eine umfassende Messung von Verhandlungspräferenzen Ansatzpunkte liefert. Angesichts der Tatsache, dass das Themenfeld der Verhandlungen auch außerhalb des Industriegütermarketings aus verschiedenen Perspektiven angegangen worden ist, werden in Kapitel 3 die Grundannahmen der bedeutenden Ansätze der allgemeinen Verhandlungsforschung überblicksartig vorgestellt und jeweils dahingehend untersucht, inwiefern sie dem Industriegütermarketing Einblicke in die Vorgehensweisen und Möglichkeiten einer Präferenzmessung in Verhandlungen geben können. Diese Analyse offenbart, dass – obgleich einzelne Ansatzpunkte identifizierbar sind – insgesamt eine Dilemma-Situation zwischen der umfassenden Berücksichtigung entscheidungsrelevanter Verhandlungspräferenzen sowie deren quantitativer Messung vorliegt. Denn immer dann, wenn neben den vertraglich relevanten „Ergebnispräferenzen“ auch prozessuale Präferenzen in den Ansätzen Berücksichtigung finden, wird von einer kardinalen Präferenzanalyse Abstand genommen. In Anbetracht der aufgezeigten Forschungsbemühungen der einzelnen Ansätze ist dabei davon auszugehen, dass dieses Forschungsdefizit auf noch ungeklärte Fragestellungen bei der Messung prozessualer Präferenzen zurückgeführt werden kann. Da somit weder in der Literatur zum Industriegütermarketing noch in der allgemeine Verhandlungsforschung eine geeignete Vorgehensweise für die quantitative Analyse prozessualer Präferenzen existiert, ist ein neuer Messansatz zu konzipieren, auf dessen Basis die vorliegende Problemstellung gelöst werden kann. Auf der Grundlage dieser Erkenntnis wendet sich Kapitel 4 den konzeptionellen Anforderungen dieses Vorhabens zu. In einem ersten Schritt wird dabei definiert, welche prozessualen Präferenzen überhaupt im Rahmen der vorliegenden Zielsetzung zu berücksichtigen sind. Angesichts der Tatsache, dass prozessuale Verhandlungsaspekte in der allgemeinen Verhandlungsliteratur durchaus Erwäh-

5 nung finden und lediglich bislang nicht in quantitativer Form analysiert wurden, wird für diesen Zweck eine sorgfältige inhaltsanalytische Untersuchung existierender Verhandlungsstudien durchgeführt. Anhand ihrer Ergebnisse kann beurteilt werden, welche prozessualen Präferenzdimensionen in der allgemeinen Verhandlungsforschung von Bedeutung sind. Da hierbei jedoch nicht die spezifische Perspektive industrieller Verhandlungen eingenommen wird, werden die aus der allgemeinen Verhandlungsliteratur abgeleiteten Präferenzen anschließend einer ersten empirischen (Vorab-)Überprüfung im industriellen Kontext unterzogen. Nachdem mit der Definition der prozessualen Präferenzen die wesentliche inhaltliche Voraussetzung für ihre geplante Messung erfüllt werden konnte, widmet sich die Arbeit in einem Folgeschritt der Frage, wie eine umfassende Messung verhandlungsspezifischer Präferenzen in methodischer Sicht umgesetzt werden kann. Ausgehend von theoretischen Überlegungen der Prinzipal-Agenten-Theorie kann hierbei die Schlussfolgerung abgeleitet werden, dass sich für die Abfrage präferenzspezifischer Informationen insbesondere der Einsatz eines indirekten Messverfahrens empfiehlt. Ursächlich hierfür ist die Tatsache, dass die Verhandlungsakteure zu unwahrheitsgemäßen Angaben ihrer Verhandlungspräferenzen tendieren könnten, die es durch die Art der Informationserhebung bestmöglich zu begrenzen gilt. Insbesondere vor dem Hintergrund der hohen Anzahl zu berücksichtigender Präferenzdimensionen wird in diesem Zusammenhang die Hierarchische Individualisierte Limit Conjoint-Analyse (HILCA) als geeignetes indirektes Messverfahren ausgewählt und vorgestellt. Da jedoch anzunehmen ist, dass die hierbei resultierenden Ergebnisse in Abhängigkeit unterschiedlicher Verhandlungssituationen stark divergieren, wendet sich der konzeptionelle Teil in einem letzten Schritt der Auswahl der konstant zu setzenden Rahmenbedingungen für die geplante Präferenzmessung zu. Angesichts des explorativen und innovativen Charakters der vorliegenden Arbeit erscheint es dabei sinnvoll, auf die Einschätzung von ausgewiesenen Experten zurückzugreifen. Auf Basis von Experteninterviews konnte hierbei die Verhandlungssituation „Geschäftsbeziehung“ als besonders wichtige Versuchsbedingung identifiziert werden. Aus der Gesamtheit der konzeptionellen Vorüberlegungen lassen sich zum Abschluss von Kapitel 4 erste explorative Forschungsfragen im Hinblick auf die geplante Durchführung einer umfassenden Präferenzanalyse ableiten. Sie dienen zugleich der Konkretisierung der Zielsetzung.

6 Ihre Beantwortung erfolgt im sich anschließenden Kapitel 5. Zu Beginn wird hierbei das Untersuchungsdesign für die Durchführung der empirischen Präferenzanalyse und Überprüfung der gestellten Forschungsfragen entwickelt, wobei sich die Ausführungen zunächst auf die Operationalisierung der Forschungsfragen sowie die Auswahl geeigneter Zielkriterien konzentrieren. Hieran anschließend wird die konkrete Erhebung im Rahmen einer experimentellen Laborstudie unter Studenten gestaltet. Neben der Konzeption der Fallstudie stehen hierbei insbesondere die Organisation der Befragung sowie die Entwicklung der Präferenzabfragen im Mittelpunkt. Diesen Ausführungen folgen die Darstellung der organisatorischen Umsetzung des vierwöchigen Verhandlungsspiels sowie die Vorstellung der Befunde. Nach einer abschließenden Darstellung der Limitationen der vorliegenden Studie wird am Ende des Kapitels auf die aus den Untersuchungsergebnissen ableitbaren praktischen Handlungsempfehlungen für industrielle Unternehmen eingegangen. Die Arbeit schließt mit einer kurzen Schlussbetrachtung und einem Ausblick auf den zukünftigen Forschungsbedarf, der entweder durch die Ergebnisse dieser Arbeit angeregt wird oder trotz der Ergebnisse dieser Arbeit noch offen geblieben ist.

7

2

Grundlagen industrieller Verhandlungen

2.1 Zur Bedeutung von Verhandlungen auf Industriegütermärkten

When two or more parties need to reach a joint decision but have different preferences, they negotiate. They may not be sitting around a bargaining table; they may not be making explicit offers and counteroffers; they may even be making statements suggesting that they are on the same side. But as long as their preferences concerning the joint decision are not identical, they have to negotiate to reach a mutually agreeable outcome. (Max Bazerman) 4

Dem Eingangszitat liegt das Verständnis zu Grunde, dass Verhandlungen eine bestimmte Form der kollektiven Entscheidungsfindung darstellen, unabhängig davon, ob sie in privaten Partnerschaften, im Rahmen tarifpolitischer Konfliktlösung oder aber bei Gütertransaktionen auf freien Märkten auftreten; damit nehmen sie eine wichtige Rolle in unserer Gesellschaft ein. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass sich eine Vielzahl unterschiedlicher Verhandlungssituationen identifizieren lässt, an denen Individuen tagtäglich – mehr oder weniger bewusst – teilnehmen. Die Vielseitigkeit unterschiedlicher Verhandlungssituationen kann dabei Abbildung 1 entnommen werden. Während insbesondere im gesellschaftspolitischen Umfeld zahlreiche Entscheidungskonflikte – wenn überhaupt – eher unbewusst als Verhandlungsaufgabe interpretiert werden, kommt komplexen, zuweilen multinationalen Interaktionen im wirtschaftlichen Umfeld eine zentrale Stellung bei der Steuerung der Geschäftsaktivitäten zu. Hier finden Verhandlungen im Wesentlichen in zwei Bereichen statt:

4

Vgl. Bazerman (2006), S. 133.

8

Politik

NGOs Team 2

Verbände

Team 1

Kunden

Team 3

Kunden

Vorgesetzte

Lieferanten

Untergebene

intraorganisational Anwohner

Lieferanten

Kunden

Lieferanten

Kooperationspartner

Kooperationspartner

interorganisational

Medien

Familie

gesellschaftspolitisch

Abbildung 1: Übersicht über Verhandlungssituationen

Zum einen werden Verhandlungen intra-organisational durchgeführt, wobei sich Verhandlungen zwischen Verhandlungspartnern, die auf derselben hierarchischen Ebene angesiedelt sind, von Verhandlungen mit Vorgesetzten oder Untergebenen unterscheiden lassen. Diese Verhandlungen lassen sich weiter danach differenzieren, ob sie in Teams oder zwischen Teams stattfinden. Darüber hinaus werden Verhandlungen jedoch insbesondere innerhalb einer Wertschöpfungskette zwischen Anbietern und ihren Zulieferern, Kooperationspartnern und natürlich Kunden abgehalten und finden somit im inter-organisationalen Bereich statt. Gerade bei industriellen Transaktionen (Unternehmen-Unternehmen)5 sind Verhandlungen als bedeutsamer Vermarktungsmechanismus anzusehen, da Preis und Leistung häufig nicht wie auf Konsumgütermärkten durch den Anbieter festgelegt sind, sondern erst im Rahmen eines gemeinsamen Prozesses zwischen Anbieter und Nachfrager ausgehandelt werden.6 Ursächlich hierfür ist zunächst die Tatsache, dass die im Industriegüterbereich vermarkteten Leistungen oftmals kundenindividuell gefertigt werden und somit hier weniger die 5

In Analogie zum Begriff des Industriegütermarketings handelt es sich immer dann um industrielle Transaktionen, wenn die Geschäftsparteien Organisationen und keine Letztkonsumenten sind. Industrielle Verhandlungen sind demnach weniger durch ihre Verhandlungsgegenstände, als vielmehr durch die Beteiligten gekennzeichnet. Verhandlungen zwischen Anbietern und Handelsunternehmen, deren Aufgabe in der Distribution an Endkonsumenten besteht, werden im Verlauf der Arbeit nicht unter den Begriff der industriellen Verhandlungen gefasst.

6

Vgl. Anderson/Narus (2004).

9 durchschnittliche Reaktion eines anonymen Massenmarktes als vielmehr die spezifischen Bedürfnisse einzelner Kunden von Interesse sind. Deshalb geht auch der industrielle Vermarktungsprozess häufig der Entwicklung und Produktion industrieller Güter und Dienstleistungen zeitlich voraus. Hierdurch entstehen jedoch Unsicherheiten auf Anbieter- und Nachfragerseite, da die Bedingungen, zu denen die einzelnen Transaktionen stattfinden, wie bspw. Preis- und Liefervereinbarungen oder die konkrete Produktspezifikation, nur begrenzt von den Beteiligten planbar sind.7 Dies gilt umso mehr, da industrielle Produkte oftmals technisch komplex, damit erklärungsbedürftig und sehr teuer sind. Sowohl Beschaffung als auch Absatz industrieller Produkte und Dienstleistungen stellen daher keinen schlichten Einkaufs- bzw. Verkaufsakt dar. Nach Backhaus/Voeth (2007) vollziehen sie sich vielmehr „in einem multi-personalen Problemlösungs- und Entscheidungsprozess, der durch aktives Informationsverhalten und durch Interaktionen gekennzeichnet ist.“8 Für die Erklärung des Kaufverhaltens auf Industriegütermärkten erscheinen somit die auf Konsumgütermärkten vorherrschenden SR- bzw. SOR-Modelle9 weniger gut geeignet. Denn der Nachfrager reagiert nicht lediglich auf ein konkretes Angebot mit Kauf oder Nicht-Kauf, sondern ist selbst aktives Element des Transaktionsprozesses. Für die Erklärung industrieller Transaktionen wird daher in der Literatur häufig auf das Interaktionsparadigma zurückgegriffen. Im Gegensatz zu konsumtiven Kaufmodellen geht dieses davon aus, dass Anbieter und Nachfrager über verschiedene Handlungsalternativen verfügen, die sie in Erwartung und Reaktion auf die Verhaltensweisen der Gegenpartei ergreifen, um den Interaktionsprozess in ihrem Sinn zu beeinflussen. Anders als die eher ergebnisorientierte Perspektive der reaktiven SR- bzw. SOR-Modelle greift das Interaktionsparadigma somit die zusätzliche Bedeutung einer prozessualen Analyse auf und betrachtet das Zustandekommen industrieller Transaktionen unter Berücksichtigung beider Marktparteien. Ausgehend von diesen Überlegungen vertritt Gemünden (1980) die Auffassung, dass sich inter-organisationale Transaktionen in der Regel durch zwei Teilaufgaben charakterisieren lassen: Sie beinhalten zum einen eine Problemlösungsaufgabe, die in der Absprache der konkreten Produkt- und Preisvereinbarungen besteht. Zum anderen implizieren sie eine 7

Vgl. Galinsky/Mussweiler/Medvec (2002).

8

Vgl. Backhaus (2003); Backhaus/Voeth (2007), S. 39.

9

Den SR-Modellen zu Folge lassen sich Kaufentscheidungen als Reaktion des Nachfragers auf ein bestimmtes Angebot, den Stimuli (S) deuten. SOR-Modelle distanzieren sich von diesem direkten Zusammenhang, indem sie den Einfluss psychischer Prozesse im Inneren des Konsumenten auf den Kaufentscheidungsprozess berücksichtigen. Vgl. ausführlich Kroeber-Riel/Weinberg (2003), S. 30.

10 Konflikthandhabungsaufgabe, die überhaupt erst die Erzielung eines Konsens über die zu treffenden Vereinbarungen herbeiführen soll.10 Damit einhergehend ergibt sich aber für das Marketing industrieller Produkte und Dienstleistungen die Aufgabe, Möglichkeiten der gegenseitigen Beeinflussung zu analysieren, hierauf aufbauend Interaktionsstrategien und konkrete Handlungsempfehlungen abzuleiten sowie letztendlich das Zustandekommen von inter-organisationalen Vereinbarungen zu erklären. Gegenüber konsumtiven Vermarktungsansätzen gilt es dabei zu berücksichtigen, dass soziale und – angesichts der beschriebenen Interaktivität – weniger kontrollierbare Einflüsse an Gewicht gewinnen. Falsch wäre es jedoch anzunehmen, dass damit die ergebnisorientierte, ökonomisch kalkulierbare Transaktionsperspektive im Rahmen des Industriegütermarketings an Bedeutung verlöre. Vielmehr wird diese lediglich in gemeinsamer Interaktion entwickelt und umgesetzt, so dass industrielle Entscheidungsprozesse eine „Verquickung“ ökonomischer und verhaltenswissenschaftlicher Einflüsse aufweisen, die letztendlich die Aufgabenstellung als Verhandlungssituation ausweist.11 Dennoch ist davon auszugehen, dass Verhandlungen im industriellen Kontext eine unterschiedliche Relevanz besitzen. Dies liegt daran, dass Industriegütermärkte im Hinblick auf Produkt- und Vermarktungskomplexität weitaus heterogener als Konsumgütermärkte einzustufen sind. So stellt die Vermarktung einer technologisch anspruchsvollen Produktionstrasse in der Automobilindustrie eine deutlich höhere Herausforderung als der Verkauf normierter Schrauben dar. Es verwundert daher nicht, dass in der Literatur zahlreiche Typologisierungsansätze für das Marketing von Industriegütern existieren. Diese haben jeweils das Ziel, Transaktionsprozesse zu identifizieren und diese zu in sich relativ homogenen und untereinander möglichst heterogenen Clustern zusammenzufassen. Für ähnliche Konstellationen können dann marketingspezifische Empfehlungen gegeben werden. Die bestehenden Typologisierungsansätze lassen sich prinzipiell danach unterscheiden, ob sie eine angebots-, oder eine nachfragerorientierte oder aber eine marktseiten-integrierende Perspektive einnehmen. Einer der in Literatur und Praxis am stärksten verbreiteten Ansätze ist der von Backhaus im Jahr 1997 vorgestellte Ansatz.12 Backhaus stellt in seinem Ansatz 10

Vgl. Gemünden (1980).

11

Vgl. Plinke (1985), S. 64.

12

Vgl. Backhaus (1997), S. 275ff.; Backhaus entwickelt seine Typologie aufbauend auf der vorangegangen Systematisierung von Backhaus/Aufderheide/Späth (1994), die grundsätzlich zwischen industriellen Vermarktungssituationen mit und ohne Ex-post-Unsicherheit unterscheiden und hieraus anbieterseitige Verhaltensprogramme ableiten. Für einen umfassenderen Überblick siehe Richter (2001), S. 199ff., Backhaus/Voeth (2007), S. 183ff. und Ritzerfeld (1993), S. 9ff.

11 die beiden Faktoren Unsicherheit und Spezifität in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Je nach Ausmaß der Leistungsspezifität und damit der Anbieter-Nachfrager-Bindung lässt sich ein Maß an Gefährdung definieren, das mittels des Konstrukts der Quasirente operationalisiert werden kann. Die Quasirente entspricht dem Ertrag des Kapitalanteils, der spezifisch gebunden ist und signalisiert somit das Gefährdungspotenzial von Investitionen bei steigender Spezifität. Des Weiteren werden die Dimensionen Einzeltransaktion oder Kaufverbund bzw. Einzelkunden- oder Massenmarkt-Orientierung zur Gliederung herangezogen. So entstehen vier denkbare Geschäftstypen von Industriegütertransaktionen.13 Unter ihnen enthält das Produktgeschäft Leistungen, die auf anonyme Märkte ausgerichtet sind und bei denen keine Abhängigkeiten im Rahmen eines Kaufverbundes entstehen. Folglich existiert weder bei Anbietern noch Nachfragern eine Quasirente aufgrund spezifischer Investitionen oder Bindungen. Auch das Systemgeschäft ist an einen anonymen Markt gerichtet. Die Vermarktung erfolgt im Gegensatz zum Produktgeschäft allerdings in einer sukzessiven Beschaffungsreihenfolge, so dass durch die damit einhergehende Bindung eine kundenseitige Quasirente entsteht. Eine anbieterseitige Quasirente entsteht dagegen im Anlagengeschäft, die durch den hohen Spezifitätsgrad und eine damit verbundene Unsicherheit bei kundenindividueller Leistungserstellung ausgelöst wird. Während es sich im Anlagengeschäft um einen abgeschlossen Kaufprozess handelt, werden im Zuliefergeschäft Leistungen vermarktet, die zwar auch speziell für einen Kunden entwickelt werden, Anbieter und Nachfrager binden sich hier jedoch längerfristig aneinander, wodurch sie schwer substituierbar werden und eine Quasirente auf beiden Seiten entsteht. Im Hinblick auf Verhandlungen geben die Beschreibungen zu erkennen, dass Verhandlungen eine besondere Bedeutung im Anlagen- und Zuliefergeschäft aufweisen, da hier aufgrund der kundenindividuellen Leistungserstellung zumeist kein Marktpreis zur Verfügung steht. Dieser muss vielmehr zwischen Anbieter und Nachfrager festgelegt werden. Zusätzlich gilt es, die Leistungsebene im Hinblick auf Kompatibilität und Integrationsfähigkeit zu spezifizieren, um vor Vertragsunterzeichnung bestehende Unsicherheiten bestmöglich zu minimieren. In diesem Zusammenhang wird von industriellen Anbietern erwartet, dass sie als kompetente und flexible Problemlöser auftreten. Nicht übersehen werden darf jedoch, dass auch für die Vermarktung standardisierter Leistungen mit feststehenden Listenpreisen und Produktkonfigurationen Verhandlungen eine wichtige Rolle spielen können. So wird auch im Produkt- und Systemgeschäft nicht selten 13

Vgl. im Folgenden Backhaus/Voeth (2007), S. 205ff., 305ff., 401ff., 473ff.

12 über Rabatte und Finanzierungsformen verhandelt, die kunden- bzw. auftragsspezifisch festgelegt werden müssen. Abbildung 2 ordnet dabei typische Verhandlungsaufgaben den Geschäftstypen zu. Verhandlungen über Leistungs- und LeistungGegenleistung

Verhandlungen hauptsächlich im Hinblick auf Gegenleistung

Focus Kaufverbund Zuliefergeschäft

Systemgeschäft

Anlagengeschäft

Produktgeschäft

Focus Einzeltransaktion

Focus Einzelkunde Focus anonymer Markt, Marktsegment

Abbildung 2: Die unterschiedliche Relevanz von Verhandlungen im industriellen Kontext14

Damit sind Verhandlungen aber auch als fester Bestandteil von Industriegütermärkten anzusehen. Unterschiede bestehen lediglich in Umfang und Intensität, woraus auf eine jeweils höhere bzw. niedrigere Relevanz geschlossen werden kann. Dementsprechend formulieren Dwyer/Walker (1981) „(…) for members of a marketing channel the negotiation process should be a chief concern.“15 Diese in der Wissenschaft geforderte Beachtung findet seine Entsprechung in dem hohen Stellenwert, den Marketing-Manager selbst industriellen Verhandlungen zuweisen. Sie sehen sich oftmals als „administrators of contact between the selling and the buying firm.“16 Angesichts der beschriebenen Bedeutung industrieller Verhandlungen kann die Beschäftigung mit diesem Untersuchungsfeld als eine der zentralen Aufgabenstellungen des Industriegütermarketings angesehen werden. Analog zur Kaufverhaltensforschung auf Konsumgütermärkten gilt es dabei, Erklärungsansätze für das Zustandekommen von Verhandlungsergebnissen bereit zu stellen, dies allerdings unter Berücksichtigung der zu Grunde 14

Quelle: In Anlehnung an Backhaus/Voeth (2007), S. 306.

15

Dwyer/Walker (1981), S. 106.

16

Hakansson/Östberg (1975), S. 104.

13 liegenden sozialen Interaktion. Da Verhandlungen jedoch in einer Vielzahl unterschiedlicher Entscheidungssituationen stattfinden, setzt diese Aufgabe zunächst ein eingehendes Verständnis industrieller Verhandlungen voraus.

2.2 Verständnis und Besonderheiten industrieller Verhandlungen 2.2.1 Die Entwicklung eines Forschungsansatzes für industrielle Verhandlungen

Industrielle Verhandlungen stellen wie jede Art von Verhandlungen eine bestimmte Form der kollektiven Entscheidungsfindung dar. Daher erscheint es sinnvoll, zunächst ein besseres Verständnis des Verhandlungsbegriffs im Allgemeinen bereit zu stellen, um hierauf aufbauend Charakteristika und Besonderheiten im industriellen Umfeld abzuleiten. Verhandlungen stellen interdependente Entscheidungsprozesse dar, in der zwei oder mehrere Parteien durch Kooperation gewinnen können, in der aber bezüglich der konkreten Entscheidung Präferenzunterschiede bestehen.17 Der gemeinsame Verhandlungsprozess soll dazu dienen, die Entscheidungsprämissen der Gegenseite(n) derart zu beeinflussen, dass diese eine Lösung nahe der eigenen Präferenzen als akzeptabel annimmt (nehmen).18 Verhandlungen sind daher als ein gegenseitiger Manipulationsvorgang zu verstehen, der in eine gemeinsam akzeptierte Entscheidung mündet.19 Diesem Begriffsverständnis folgend wurden Verhandlungen in der Literatur zuerst von Zeuthen (1930) in seiner Arbeit „Problems of monopoly and economic welfare“ auf Basis 17

In der Literatur wird in diesem Zusammenhang oftmals der Begriff des Präferenzkonfliktes durch den Begriff des Interessenkonfliktes ersetzt. Die Ausführungen in Kapitel 2.2.2.1.2 können jedoch zeigen, dass eher Präferenzen denn Interessen im Bereich kollektiver Entscheidungsprozesse Konfliktpotenzial aufweisen.

18

Vgl. Crott (1972); vgl. zu diesem Verständnis von Verhandlungen auch die Definitionen von Bazerman/Carroll (1987): „the process by which two or more interdependent parties who do not have identical preferences across decision alternatives make joint decisions”, Cross (1969): “whenever the allocation of gains among participants to an agreement is subject to their own choice rather than pretermined by their circumstances”, Neale/Northcraft (1991): “a particular type of decisionmaking – decisionmaking in the larger sense of a social, psychological and economic process”, ”a joint interdependent process that entails coordinated action of parties with non-identical preference structures”, Pruitt (1981): “a form of decision making in which two or more parties talk with one another in an effort to resolve their opposing interests”, Walton/McKersie (1965): “the deliberate interaction of two or more complex social units which are attempting to define or redefine the terms of their interdependence”.

19

Vgl. Koch (1987), S. 78.

14 bilateraler Monopolsituationen analysiert.20 Angesichts der beschriebenen Omnipräsenz von Verhandlungen wandte sich allerdings nach kurzer Zeit eine Vielzahl weiterer Disziplinen diesem Forschungsbereich zu.21 Aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven und mit verschiedenen Forschungsschwerpunkten beschäftigen sich heute die Sozialwissenschaften, die Wirtschaftsinformatik, die Rechtswissenschaften oder aber auch die Mathematik mit diesem Untersuchungsfeld. Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass es keine einheitliche Definition für den Begriff der Verhandlungen gibt. Folglich kann auch nicht von der Verhandlungstheorie gesprochen werden.22 Unklarheiten bestehen bereits bei der Verwendung der angloamerikanischen Begriffe „bargaining“ and „negotiation“.23 In Anlehnung an Rubin/Brown (1975) sollen im Rahmen dieser Arbeit die beiden Begriffe synonym für den deutschsprachigen Begriff der Verhandlungen verwendet werden.24 Verhandlungen selbst werden dabei unter Rückgriff auf das oben dargestellte Begriffsverständnis als „form of social interaction“25, „by which two or more interdependent parties who do not have identical preferences across decision alternatives make joint decisions“26 definiert. Aus dieser Definition werden die Wesenselemente einer Verhandlung deutlich: ƒ

Eine Verhandlung umfasst immer mindestens zwei Parteien, zwischen denen Präferenzunterschiede in Bezug auf ein gemeinsam zu lösendes Entscheidungsproblem vorliegen.

ƒ

Die Herbeiführung einer beidseitig akzeptierten Lösung erfordert einen interaktiven Entscheidungsprozess.

Die unterschiedlichen Präferenzen der Beteiligten beschreiben damit die Ursache, warum zwei oder mehr Parteien ein bestimmtes Entscheidungsproblem als Verhandlungsaufgabe definieren müssen. Zur Lösung dieser Aufgabe versuchen sie, den gemeinsamen Interaktionsprozess derart zu gestalten, dass das resultierende Ergebnis bestmöglich ihre Präferenzen im Hinblick auf die Entscheidungssituation trifft. Damit aber stehen die aufgeführten 20

Vgl. Zeuthen (1930).

21

Vgl. Crott (1972).

22

Vgl. Young (1975), S. 5.

23

Vgl. Lewicki/Saunders/Minton (1999), S. 5: Während „bargaining“ oftmals mit Feilschen in Verbindung gebracht wird, wird „negotiation“ oftmals eher als ein formaler Problemlösungsprozess aufgefasst.

24

Vgl. Rubin/Brown (1975), S. 2.

25

Thompson/Hastie (1990), S. 99.

26

Bazerman/Carroll (1987), S. 247.

15 Wesenselemente von Verhandlungen in einem unmittelbaren Wirkungszusammenhang, wobei gilt: „The outcome of a negotiation is the result of some combination of the preferences of the parties (…) and the process of the negotiation.“27 Angesichts der aufgezeigten Wirkungszusammenhänge erscheint es für die Erschließung von Begriff und Besonderheiten industrieller Verhandlungen sinnvoll, die einzelnen Elemente in ein ganzheitliches Analyseraster zu übertragen. Hierbei können die Verhandlungsakteure und ihre Präferenzen im Hinblick auf ein bestimmtes Entscheidungsproblem als Ausgangssituation von Verhandlungen aufgefasst werden, während das Interaktionsverhalten der Parteien sowie das Zustandekommen des Verhandlungsergebnisses die hie-

Kollektives Entscheidungsproblem

raus resultierende Handlungs- und Entscheidungssituation beschreiben (vgl. Abb. 3). Ausgangssituation

Handlungssituation

Entscheidungssituation

Verhandlungsparteien Interaktionsverhalten

Verhandlungsergebnis

Präferenzen

Abbildung 3: Analyseraster von Verhandlungen

Neben der Strukturierung der internen Wirkungszusammenhänge hilft das aufgezeigte Analyseraster darüber hinaus, den Begriff industrieller Verhandlungen von anderen relevanten Austauschprozessen im inter-organisationalen Bereich abzugrenzen. Auch dies erscheint für ein umfassendes Verständnis industrieller Verhandlungen notwendig, da in der Literatur unterschiedliche Ebenen diskutiert werden, auf denen inter-organisationale Austauschprozesse stattfinden können: Auf der untersten, da zeitlich befristetsten Ebene inter-organisationaler Austauschprozesse siedelt eine Reihe von Autoren die Transaktionsepisode an.28 Sie ist somit als kleinste denkbare Interaktionseinheit zwischen Anbietern und Nachfragern aufzufassen. Mögliche Beispiele industrieller Transaktionsepisoden können den Phasenansätzen des Industriegütermarketings entnommen werden, die als mögliche Interaktionsformen zwischen Anbieter und Nachfrager u. a. die Kontaktbahnung, die Anbieterselektion, die Verhandlungsphase

27

Valley/Neale/Mannix (1995), S. 75.

28

Für eine Übersicht siehe Gawantka (2006), S. 22.

16 sowie die Projektabwicklungs- und Gewährleistungsphase identifizieren.29 Verhandlungen sind daher zunächst als eine zu einem bestimmten Zeitpunkt anfallende Transaktionsepisode zu verstehen. Allerdings sind sie immer nur dann als kleinste Interaktionseinheit zu charakterisieren, wenn sie im Rahmen einer Transaktionsepisode vollzogen werden und sich nicht – wie es in realen Verhandlungen durchaus häufig zu konstatieren ist – über mehrere Transaktionsepisoden vollziehen. 30 Die Gesamtheit der für einen Geschäftsabschluss erforderlichen Transaktionsepisoden stellt auf einer nächsten Ebene den Austauschprozess der Einzeltransaktion dar. Die Hervorhebung des Begriffs „Einzel“ gibt dabei zum Ausdruck, dass auf dieser Ebene keine Austausch-Erfahrungen zwischen den Geschäftsparteien aufgebaut werden und daher bei jeder Transaktion eine neue Marktauswahl getroffen werden muss. Anders verhält es sich auf der obersten Ebene, auf der der Austauschprozess der Geschäftsbeziehung angesiedelt ist. Unter ihnen werden „innerlich“ verbundene Transaktionen zwischen einem anbietenden Unternehmen und einem Nachfrager verstanden, die aufgrund beidseitiger Vorteile der Transaktionsparteien vollzogen werden.31 Damit wird deutlich, dass die Vermarktung im Rahmen von Geschäftsbeziehungen kein Zufallsprodukt ist, sondern von den Parteien im Rahmen der ersten Transaktion oftmals bewusst geplant und wahrgenommen wird.32 Als definitorische Ergänzung lassen sich industrielle Verhandlungen somit nicht nur von anderen inter-organisationalen Austauschprozessen abgrenzen, sie setzen sich vielmehr auch aus ihnen zusammen, bzw. finden in ihnen statt (vgl. Abb. 4).

29

Die im Industriegütermarketing existierenden Phasenansätze tragen der Tatsache Rechnung, dass sich im Rahmen organisationaler Beschaffungsvorgänge in der Regel verschiedene Phasen identifizieren lassen, in denen unterschiedliche Nachfragerbedürfnisse im Mittelpunkt stehen. Auch wenn sich die einzelnen Phasen realiter nur selten überschneidungsfrei abgrenzen lassen, so erlauben die Ansätze durch ihre verlaufsbezogene Betrachtung des Beschaffungsprozesses eine detaillierte Systematisierung der stattfindenden Transaktionsaktivitäten. Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Backhaus/Voeth (2007), S. 44ff.

30

Vgl. Bolman Pullins, et al. (2000), S. 467.

31

Vgl. Plinke (1997), S. 23.

32

Vgl. Backhaus/Mühlfeld (2004).

17 Geschäftsbeziehung … Einzeltransaktion 1

Transaktionsepisoden

Verhandlung

… Einzeltransaktion 2

Transaktionsepisoden

Verhandlung

… Einzeltransaktion 3

=> Einzeltransaktion

Transaktionsepisoden

Verhandlung

Abbildung 4: Abgrenzung industrieller Verhandlungen33

2.2.1.1 Die Analyse der Ausgangssituation industrieller Verhandlungen

Angesichts der Tatsache, dass das entwickelte Analyseraster ein allgemeingültiges Verständnis der verhandlungsspezifischen Wirkungszusammenhänge aufzeigt, muss es noch auf den industriellen Kontext angepasst bzw. inhaltlich konkretisiert werden, soll sich einer Begriffsdefinition industrieller Verhandlungen genähert und deren Besonderheiten ermittelt werden. Hierbei erscheint insbesondere die Analyse der Ausgangssituation von Interesse, da sie sich in Folge auf die Gestaltung des Interaktionsprozesses sowie das Zustandekommen der Entscheidungen auswirkt.

2.2.1.1.1 Die Verhandlungsparteien: Multipersonale Verhandlungen zwischen Buying und Selling Centern

Thompson (1990a) beschreibt eine Verhandlungspartei als eine Person oder als eine Gruppe von Personen, die in Bezug auf eine konkrete Entscheidungssituation die gleichen Präferenzen verfolgt.34 Im Rahmen industrieller Verhandlungen handelt es sich hierbei – wie in Kapitel 2.1. bereits beschrieben – um Organisationen und nicht um Endkonsumenten. Diese lassen sich im Weiteren anhand ihrer Rolle (Welche Marktseiten werden durch die Parteien vertreten?) sowie ihrer inter-organisationalen Anzahl (Wie viele Parteien nehmen

33

Quelle: In Anlehnung an Gawantka (2006), S. 22.

34

Vgl. Thompson (1990a), S. 516.

18 insgesamt an der Verhandlung teil?) und intra-organisationalen Anzahl (Wie viele Personen nehmen pro Partei an der Verhandlung teil?) näher beschreiben. Industrielle Unternehmen verhandeln in der Regel mit ihren vor- und nachgelagerten Stufen in der Wertschöpfungskette über die Beschaffung bzw. die Vermarktung eines Produktes oder einer Leistung. Obgleich darin die Rollen des Anbieters (Zulieferers) sowie des Nachfragers (Herstellers) zum Ausdruck kommen, sind diese in der Regel nicht an ein Unternehmen, sondern vielmehr an ein konkretes Entscheidungsproblem gebunden. So kommt es nicht selten vor, dass ein Unternehmen mit der vorgelagerten Stufe in der Rolle des Herstellers agiert, während es mit der nachgelagerten Stufe als Zulieferer verhandelt. Dabei wird von dyadischen Verhandlungen gesprochen, wenn lediglich ein Anbieter- auf ein Nachfragerunternehmen trifft, um über Leistung und Gegenleistung eines Verhandlungsobjektes zu entscheiden. Zulieferer- und Herstellerpartei können bei komplexen Investitionsgütern bzw. -anlagen aber auch durch mehrere Organisationen repräsentiert werden. Dabei lassen sich insbesondere auf der Anbieterseite immer häufiger multiorganisationale Liefersysteme konstatieren, in denen sich Anbieter im Rahmen von Arbeitsgemeinschaften und Konsortien zusammenschließen, um durch die Konzentration auf ihre jeweiligen Kernkompetenzen die gemeinsame Verhandlungsposition zu stärken.35 Neben der Interaktion zwischen Anbietern und Nachfragern sind somit auch Verhandlungen zwischen Anbietern von Relevanz, da diese sich im Falle von Zusammenschlüssen im Vorfeld der Verhandlungen abstimmen müssen. Zwischen dyadischen und Mehrparteien-Verhandlungen können triadische Verhandlungssituationen mit parteiunabhängigen Rollen, wie sie für Schlichtungsprozesse und Koalitionen typisch sind, angesiedelt werden. Es erstaunt daher nicht, dass die umfangreichste Wissensbasis über Drittparteien in der Literatur zu Tarifverhandlungen hinterlegt ist.36 Hier beruht die Anrufung und Annahme einer Drittpartei auf der Hoffnung, dass ihre Neutralität zu einem „gerechten Verhandlungsergebnis“ führt. Allerdings ist davon auszugehen, dass im Fall von inter-organisationalen Verhandlungen in der Regel nicht das „gerechte Ergebnis“ aus Sicht beider Parteien angestrebt wird, wie bspw. aktuelle Übereinkünfte zwischen Zuliefer- und Herstellerunternehmen in der Automobilbranche belegen können.37

35

Vgl. Kutschker/Kirsch (1978).

36

Vgl. Crott/Kutschker/Lamm (1977).

37

Vgl. Gawantka (2006), S. 88f. sowie S. 185.

19 Die Berücksichtigung von Schlichtern kann daher aus der weiteren Betrachtung industrieller Verhandlungen ausgeschlossen werden. Und obgleich andere Drittparteien, wie beratende Organisationen oder aber Banken und Versicherungen im Kontext industrieller Transaktionen durchaus von Bedeutung sein könnten, sollen auch diese Rollen im Weiteren nicht als Charakteristikum industrieller Verhandlungen berücksichtigt werden, da sie zwar auf die Akteure einwirken, in der Regel aber dem eigentlichen Verhandlungsprozess nicht beiwohnen. Aus Vereinfachungsgründen beschränkt sich die Arbeit darüber hinaus ausschließlich auf dyadische AnbieterNachfrager-Interaktionen. Hier ist jedoch davon auszugehen, dass sich ihre Ausführungen und Erkenntnisse zum Großteil auch auf Mehrparteien-Verhandlungen sowie auf AnbieterAnbieter-Konstellationen übertragen lassen. Bei der Frage nach der Anzahl der teilnehmenden Personen pro Verhandlungspartei lassen sich generell Einpersonen- von Teamverhandlungen unterscheiden.38 Da die Verhandlungsparteien im industriellen Bereich Organisationen darstellen, ist es augenscheinlich, dass die Größe der jeweiligen Verhandlungspartei nicht durch die Mitglieder der Organisation selbst, sondern durch die Anzahl ausgewählter Verhandlungsrepräsentanten determiniert wird.39 Auch wenn es in diesem Kontext prinzipiell denkbar wäre, nur eine Einzelperson mit der Verhandlungsaufgabe zu betrauen, nehmen in der Regel mehrere Personen auf beiden Seiten an den Verhandlungen teil. Ausschlaggebend hierfür ist die Tatsache, dass organisationale Beschaffungen aufgrund hoher Komplexität und Wertdimension häufig nicht – wie im Konsumgüterbereich – durch einzelne Individuen entschieden werden, sondern einen multipersonalen Problemlösungs- und Entscheidungsprozess darstellen.40 Studien zeigen in diesem Zusammenhang auf, dass bei hochinvestiven Beschaffungsvorhaben bis zu 20 Personen auf die Beschaffungsentscheidung Einfluss nehmen.41 Den Verhandlungen wohnen davon durchschnittlich 20 Prozent der Personen, allerdings in unterschiedlichen Funktionen, bei. Zur Analyse dieser Funktionen haben in der Literatur insbesondere Rollenkonzepte eine breite Betrachtung gefunden. Unter einer Rolle verstehen sie die an den Inhaber einer bestimmten Position im Buying Center kommunizierten, personenunab-

38

Vgl. hierzu ausführlich Thompson/Peterson/Brodt (1996), S. 66ff.

39

Nach Schreyögg (2003), S. 9f. ist eine Organisation „auf spezifische Zwecke ausgerichtet, besteht aus mehreren Personen, deren Aufgabenaktivitäten nach einem bestimmten Muster geteilt und koordiniert werden (…).“

40

Vgl. Fließ (1999), S. 253.

41

Vgl. Spiegel-Verlag (1982), S. 41.

20 hängigen Verhaltenserwartungen (role sending), die je nach Wahrnehmung (perceived role) und Umsetzung dieser Erwartungen in mehr oder weniger stark rollengeprägte Verhaltensmuster (role behavior) münden.42 Das wohl bekannteste Rollenkonzept ist das Modell von Webster/Wind (1972a), das fünf verschiedene Rollen im Buying Center unterscheidet. Diese sind der Einkäufer, der Benutzer, der Beeinflusser, der Entscheider und der Informationsselektierer.43 Dem Verständnis der Rollenkonzepte folgend ist nun davon auszugehen, dass die Inhaber der einzelnen Rollen unterschiedliche Präferenzen im Hinblick auf die Entscheidungssituation verfolgen. So ist es wahrscheinlich, dass sich ein Einkäufer stärker für die ökonomischen Aspekte einer Beschaffung interessiert, während für den Benutzer oftmals technische Details der Investition im Vordergrund stehen. Damit einhergehend muss in industriellen Verhandlungen die zuvor postulierte Definition von Verhandlungsparteien insofern modifiziert werden, dass vor diesem Hintergrund angenommen werden kann, dass sich industrielle Verhandlungsparteien im Hinblick auf die jeweilige Gegenseite häufig allein durch vergleichsweise ähnliche Präferenzen charakterisieren lassen. Für die Anbieterseite in industriellen Verhandlungen hat dies zur Folge, dass auch sie eine multifunktionale Besetzung des Verhandlungsteams vornehmen sollte. Erst so kann durch eine optimale, da auf die unterschiedlichen Bedürfnisgruppen ausgerichtete Verhandlungsführung, ein bestmögliches Ergebnis erzielt werden. In Analogie zur Käuferseite formiert sich die Anbieterpartei in industriellen Verhandlungen daher multipersonal; diese Gremien werden in der Literatur entsprechend als Selling Center bezeichnet.44

2.2.1.1.2 Die Präferenzen: Derivativ ergebnisorientierte und individuell prozessuale Präferenzen

Den bisherigen Ausführungen folgend, sind die beteiligten Parteien gezwungen, durch Verhandlungen für beide Seiten bessere Ergebnisse zu erreichen, als dies bei einem Scheitern der Verhandlungen der Fall wäre. Diese Annahme setzt aber voraus, dass die Verhandlungsparteien auch in der Lage sind, Bewertungen möglicher Ergebnisse vorzuneh42

Vgl. Büschken (1994), S. 8ff.

43

Vgl. Webster/Wind (1972a), S. 78ff.

44

Vgl. Engelhardt/Günther (1981), S. 41; Heger (1984), S. 237.

21 men und somit den Entscheidungsprozess im Hinblick auf ihr präferiertes Ergebnis zu steuern.45 Eine wesentliche Voraussetzung für die Bewertung von möglichen Verhandlungsergebnissen ist hierbei in der Tatsache zu sehen, dass sich die Verhandlungsparteien ihrer Präferenzen bewusst sind.

Definitorische Abgrenzung des Präferenzbegriffs Umso erstaunlicher erscheint es, dass in der einschlägigen Literatur der Begriff der Präferenzen oftmals unpräzise verwendet wird. Interessen, Positionen und Ziele sind nur einige Beispiele für verwandte Begrifflichkeiten, die an dessen Stelle eingesetzt werden bzw. mit dem Präferenzbegriff belegt werden. Als Beispiel für dieses definitorische „Kunterbunt“ kann Thompson (1990a) zitiert werden, die unter den Verhandlungsinteressen „the preferences or motives that each person has for the resources to be divided“46 versteht. Obgleich die genannten Konstrukte allesamt der Analyse der Ausgangssituation dienen und Verhandlungen somit zumindest aus einem ähnlichen Blickwinkel erklären, beschreiben sie unterschiedliche Sachverhalte. Als eine der wenigen Autoren weisen Keeney/Raiffa (2001) in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die einzelnen Begrifflichkeiten gleichsam ein hierarchisches Zielsystem der Verhandlungsparteien kennzeichnen.47 Eine inhaltliche Differenzierung der Begrifflichkeiten halten die Autoren für notwendig, da die Konstrukte Verhandlungen auf unterschiedliche Weise beeinflussen. Auf der untersten und damit der tatsächlichen Verhandlung „entlegensten“ Stufe des Zielsystems ordnen die Autoren hierbei die Interessen der Verhandlungsparteien an. Sie drücken die grundlegenden, unabhängig von der konkreten Verhandlungssituation wahrgenommenen Bedürfnisse sowie verfolgten Zielsetzungen der Beteiligten aus. Im Bereich industrieller Verhandlungen erscheint dabei ein Vergleich mit den übergeordneten Zielen eines Gesamtunternehmens angebracht. So können Umsatzsteigerungen, die Verteidigung einer bestimmten Marktposition oder aber der Aufbau und die Pflege von Geschäftsbeziehungen als beispielhafte Verhandlungsinteressen genannt werden, die sich alle auf das dahinter liegende grundsätzliche Motiv der Wertsteigerung zurückführen lassen.48 Passend hierzu konstatieren Kutschker/Kirsch (1978), dass Unternehmen in der Regel immer dann 45

Vgl. Kutschker (1972), S. 232.

46

Thompson (1990a), S. 515.

47

Vgl. Keeney/Raiffa (2001), S. 141ff.

48

Vgl. Macharzina (2003), S. 188.

22 Verhandlungen aufnehmen, wenn sie hierdurch ihr gemeinsames Interesse, nämlich ein besseres Unternehmensergebnis zu erzielen, erreichen können.49 Da Verhandlungsinteressen daher kaum detaillierte Verhandlungsinhalte bereitstellen, geschweige denn Ansatzpunkte zur Gestaltung von Verhandlungen zur Verfügung stellen, ist ihre Einflussnahme auf Gestaltung des einzelnen Entscheidungsprozesses und des Zustandekommens von Ergebnissen eher als vage einzustufen. Somit können sie auch nur indirekt der Erklärung der Handlungs- und Entscheidungssituation dienen. Dennoch sollten Verhandlungsinteressen sowohl aus wissenschaftlicher als auch praktischer Sicht berücksichtigt werden, da sie einen übergeordneten Bewertungsmaßstab für den Erfolg bzw. Misserfolg von Verhandlungen bieten. Auf der nächsten Stufe des Zielsystems folgen die Verhandlungspräferenzen.50 Anders als Verhandlungsinteressen beziehen sie sich auf eine konkrete Ausgangssituation. Ihre Entwicklung ist jedoch nicht als statisch fixiert zu betrachten. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Präferenzen im Verlauf des Entscheidungsprozesses weiteren Veränderungen unterliegen.51 Präferenzen kennzeichnen nach Böcker (1986) eindimensionale Indikatoren, die den Umfang der Vorziehenswürdigkeit eines bestimmten Beurteilungsobjektes für eine bestimmte Person während eines bestimmten Zeitraumes zum Ausdruck bringen. Dieser Definition folgend beschreiben Verhandlungspräferenzen das Ausmaß der Vorziehenswürdigkeit einzelner Verhandlungssituationen aus Sicht der jeweiligen Parteien. Sie kennzeichnen daher das Ergebnis eines Beurteilungsvorgangs, an dessen Ende die Bewertung und Rangordnung aller im Hinblick auf eine konkrete Entscheidungssituation denkbar ablaufenden Verhandlungen stehen.52 Es lässt sich nun unschwer erkennen, dass die Schwierigkeit dieser Beurteilungsaufgabe mit der Komplexität der Verhandlungsaufgabe korreliert. Hier kann auf die einschlägige Literatur zur Kaufverhaltensforschung zurückgegriffen werden, die im Rahmen komplexer Präferenzbildungsprozesse auf das Nutzen-Konstrukt als zentrales Beurteilungskriterium hinweist.53 Als intervenierende Variable in den zu Grunde liegenden S-O-R-Ansätzen wird es als hypothetisches und daher empirisch nicht beobachtbares Beurteilungsmaß betrachtet,

49

Vgl. Kutschker/Kirsch (1978).

50

Vgl. Keeney/Raiffa (2001), S. 142.

51

Vgl. Ariely/Loewenstein/Prelec (2003).

52

Vgl. Böcker (1986), S. 556f.

53

Vgl. Voeth (2000), S. 4ff.; Perrey (1998), S. 14ff.; Schweikl (1985), S. 26; Hahn (1997), S. 8.

23 dessen alternativenübergreifender Vergleich zur objektbezogenen Präferenz führt.54 Das Nutzen-Konstrukt nimmt somit gleichsam eine Vermittlungsfunktion zwischen Stimulus und Response ein, wodurch Unterschiede in den individuellen Bewertungs- und Entscheidungsprozessen deutlich gemacht werden können.55 Überträgt man diese Überlegungen auf den Bereich der Verhandlungen, so stellt der aus einer Interaktion resultierende Nutzen die Basis für die Gesamtbeurteilung der jeweiligen Verhandlungsalternative dar. Der Vergleich des Nutzens verschiedener möglicher Verhandlungsalternativen führt in Folge zur Entwicklung von Präferenzen, die – gemäß ihrer Mittlerrolle – das Entscheidungsverhalten der Beteiligten determinieren. Während Verhandlungsinteressen somit eher die grundsätzliche Existenz von Verhandlungen rechtfertigen, können Präferenzen die (vertraglich zu fixierenden) Vereinbarungen in Bezug auf konkrete Verhandlungsgegenstände beeinflussen. Hierbei nehmen sie augenscheinlich eine ergebnisorientierte Perspektive ein, indem sie die Verhandlungsakteure im Hinblick auf die Problemlösungsaufgabe steuern. Beispiele aus dem industriellen Kontext stellen in diesem Zusammenhang die Preis- oder Qualitätsvorstellungen der Verhandlungsteams dar. Eine Definition von Verhandlungspräferenzen in ausschließlich ergebnisorientierter Perspektive würde jedoch dem spezifischen Charakter kollektiver Entscheidungsprozesse – wie sie auch in industriellen Transaktionen vorliegen – nicht ausreichend Rechnung tragen und eher individuelle Entscheidungsprozesse, wie sie bspw. auf Konsumgütermärkten anzutreffen sind, widerspiegeln. Ursächlich hierfür ist die Tatsache, dass die für Verhandlungssituationen charakteristische Konflikthandhabungsaufgabe im Rahmen des Beurteilungsprozesses unberücksichtigt bleibt.56 Damit aber muss der Blickwinkel bei Verhandlungspräferenzen um die in dem sozialen Austausch liegenden Verhandlungsaspekte erweitert werden, wobei die „Nicht-Greifbarkeit“ der Bezugspunkte, d. h. das Fehlen objektiver Beurteilungsgrößen, der Entwicklung von Präferenzen definitionsgemäß nicht im Wege stehen. Diese Auffassung vertreten auch Keeney/Raiffa (2001) und Lax/Sebenius (1986), indem sie betonen, dass „(…) preferences that pertain to style maybe at least as important as those that pertain to substance“57, und, dass die Präferenzen eines Verhandlungsakteures daher 54

Vgl. Voeth (2000), S. 14f. sowie Perrey (1998), S. 5f.

55

Die Relevanz von Nutzen bei der Bestimmung von Verhandlungspräferenzen wird dabei auch bei Valley/Neale/Mannix (1995) beschrieben.

56

Vgl. hierzu die Ausführungen zur dualen Transaktionsaufgabe in industriellen Märkten in Kapitel 2.1.

57

Keeney/Raiffa (2001), S. 135.

24 „money and other tangibles but also fairness (…) and the collegiality of the process“58 beinhalten können. In Abgrenzung zu dem Begriff der ergebnisorientierten Präferenzen sollen Präferenzen, die sich unmittelbar auf die Ebene des sozialen Austauschs der Verhandlungsparteien beziehen, im weiteren Verlauf der Arbeit als prozessuale Präferenzen bezeichnet werden. Beispielhaft lassen sich hier Präferenzen der Verhandlungsparteien in Bezug auf die Ehrlichkeit oder die Fairness des Interaktionsprozesses nennen. Vor diesem Hintergrund gilt es in Verhandlungssituationen zu bedenken, dass sich die Vorziehenswürdigkeit von Entscheidungsalternativen in der Wahrnehmung der Verhandlungsparteien immer aus der Summe ergebnisorientierter und prozessualer Nutzenbeurteilungen zusammensetzt. Damit einhergehend kann die Erfüllung prozessualer Präferenzen den aus konkreten Vereinbarungen erzielten Nutzen steigern bzw. schmälern, so dass ergebnisorientierte und prozessuale Präferenzen nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können. Dies gilt umso mehr, da die mit einer konkreten Verhandlung verbundene Problemlösung letztendlich erst im Rahmen gemeinsam angewandter Konfliktlösungsmechanismen erzielt werden kann. Verhandlungspräferenzen beschreiben daher allgemeingültig alle Vorstellungen und Erwartungen einer Verhandlungspartei in Bezug auf den Prozess sowie das resultierende Ergebnis des Prozesses. Da sie somit als Steuerungsmechanismen in Bezug auf die Gesamtheit einer Verhandlungsaufgabe fungieren, können sie – anders als die einer Verhandlung zu Grunde liegenden Interessen – direkt zur Erklärung der ablaufenden Entscheidungsprozesse als auch zur Prognose der zu erwartenden Ergebnisse herangezogen werden. Welche konkreten Entscheidungen die Beteiligten jedoch letztendlich treffen, hängt neben den Präferenzen der Parteien insbesondere von ihren Zielen ab. Denn Ziele kennzeichnen die „Anspruchszone“, die als Ergebnis des Präferenzbildungsprozesses die angestrebte Lösung des Entscheidungsproblems zum Ausdruck bringt.59 Sie stehen somit an der Spitze der Zielhierarchie der Verhandlungsparteien, unabhängig davon, ob sie sich auf ergebnisorientierte oder auf prozessuale Präferenzen beziehen. Während also Präferenzen die Vorziehenswürdigkeit von Situationen oder Objekten untereinander behandeln, wird durch die Hinzuziehung von Zielen die Akzeptanz einzelner Situationen oder Objekte möglich. 58

Lax/Sebenius (1986), S. 64; in diesem Zusammenhang formulieren auch Lax/Sebenius (1986): „Yet, negotiators may care about the process of bargaining as well. (...) some would prefer a negotiated outcome reached by a pleasant, cooperative discussion to the same amount reached by abusive, threatfilled dealings. Others might derive value from a strident process that gives them a satisfied feeling of having extracted something from their opponents.” Vgl. Lax/Sebenius (1986), S. 72.

59

Vgl. Kutschker (1972), S. 231.

25 Als erste Schlussfolgerung kann somit festgehalten werden, dass das Wesenselement der Verhandlungspräferenzen sehr viel differenzierter betrachtet werden sollte, als dies durch die oftmals unpräzise Verwendung in der einschlägigen Literatur erfolgt. So erfordert eine umfassende Analyse von Verhandlungspräferenzen zunächst die parallele Berücksichtigung ergebnisbezogener und prozessualer Präferenzen, um die einer Verhandlungssituation inhärenten Bestandteile in ihrer Gesamtheit erklären zu können. Darüber hinaus bedingt die Untersuchung von Verhandlungspräferenzen eine saubere Abgrenzung von den Begrifflichkeiten der Verhandlungsinteressen und -ziele. So wirken Verhandlungsinteressen nur indirekt auf die Lösung der Verhandlungsaufgabe ein, während eine präzise Definition von Zielen immer erst auf Basis des abgeschlossenen Präferenzbildungsprozesses erfolgen kann. Obgleich somit nur Verhandlungspräferenzen ein unmittelbarer Einfluss auf das Entscheidungsverhalten zugesprochen werden kann, erscheint die Berücksichtigung von Interessen und Zielen im Rahmen einer erweiterten Präferenzanalyse aus Gründen der Vollständigkeit gerechtfertigt. In Anlehnung an das dargestellte Zielsystem sollten Interessen dann allerdings als Präferenzkategorien und Ziele als gewünschte Ausprägung auf den einzelnen Präferenzmerkmalen aufgefasst werden (vgl. Abb. 5). Dadurch würde auch dem unterschiedlichen Abstraktionsniveau der Begrifflichkeiten besser Rechnung getragen. So übersteigt die Zahl der Verhandlungspräferenzen nicht selten diejenige der Verhandlungsinteressen. Dies konstatieren auch Keeney/Raiffa (2001), indem sie betonen „(…) each fundamental interest may be influenced by numerous issues.“60 Ziel

Verhandlungsinteresse 1 Verhandlungsinteresse 3

Verhandlungsinteresse 2

Abbildung 5: Das Präferenzsystem im weiten Sinn

60

Keeney/Raiffa (2001), S. 141.

Konkretisierungsgrad

Präferenz 7

Präferenz 6

Präferenz 5

Präferenz 4

Präferenz 3

Präferenz 2

Präferenz 1

Anspruchszone

26 Charakteristika des Präferenzsystems im industriellen Kontext Bei dem Versuch, das aufgezeigte Präferenzsystem und hierbei insbesondere die Präferenzen im Hinblick auf industrielle Verhandlungen zu konkretisieren, lässt sich feststellen, dass Verhandlungspräferenzen im inter-organisationalen Bereich zahlreiche, komplexitätssteigernde Besonderheiten aufweisen. Dies liegt insbesondere daran, dass die Vermarktung technologisch komplexer, hochinvestiver Güter in der Regel die Verhandlung zahlreicher Gegenstände erfordert, die bei erfolgter Einigung schriftlich im Vertrag festgehalten werden. Entsprechend der zuvor definierten Verhandlungsrollen können sie danach systematisiert werden, wer sie erbringt (Leistungsebene) und wer sie erhält (Gegenleistungsebene).61 Während in Bezug auf die Leistungsebene oftmals die Bestimmung der Produktkonfiguration, verschiedene produktbegleitende Dienstleistungen sowie Liefer- und Transportbedingungen Verhandlungsgegenstände darstellen,62 geht es bei der Verhandlung über die Gegenleistung insbesondere um Preis- und Finanzierungsaspekte.63 Auch wenn die obige Aufzählung nur einen kleinen Ausschnitt der realiter beobachtbaren Verhandlungsgegenstände repräsentiert und somit keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, wird deutlich, dass industrielle Verhandlungsparteien häufig ein vielschichtiges System ergebnisorientierter Präferenzen aufweisen, das die Unternehmen im Rahmen ihrer Verhandlungsvorbereitung vor eine schwierige Beurteilungsaufgabe stellt. Neben der Vielzahl an Verhandlungsgegenständen ist im industriellen Kontext jedoch zusätzlich zu bedenken, dass die Verhandlungen nicht von den eigentlichen Verhandlungsparteien selbst, sondern durch Repräsentanten durchgeführt werden. Diese fungieren nur 61

Vgl. Plinke (1985); eine andere Unterteilung wählt Kutschker (1972), der nach technischen, kaufmännischen und rechtlichen Verhandlungsgegenständen unterteilt.

62

In Bezug auf produktspezifische Verhandlungsgegenstände ist im Anlagen- als auch im Zuliefergeschäft von Bedeutung, dass Anbieter nicht für den anonymen Markt produzieren, sondern kundenspezifisch individualisierte Produkte und Leistungen erstellen. Aus diesem Grund kann es ein wichtiger Teil der Verhandlungsaufgabe sein, Komponenten und Leistungsumfang des Angebotes zu vereinbaren oder aber technische Standards und Normen zu definieren. Ein entscheidender Verhandlungsbestandteil ist dabei auch die Qualität des Gutes. Nahezu unabhängig vom Geschäftstyp werden im Hinblick auf produktbegleitende Dienstleistungen Montage, Managementverträge, Personalschulungen, Wartung, Inspektion, Garantie, Umtauschrecht sowie die Übernahme von Reparaturen als Verhandlungsgegenstände diskutiert. Im Bereich der Lieferung verhandeln Anbieter und Nachfrager darüber, wann das Produkt geliefert werden soll, auf welchem Transportweg, mit welchem Transportmittel sowie ggf. in welcher Verpackung.

63

Preisverhandlungen beinhalten auf Industriegütermärkten – aufgrund der oftmals langen Entwicklungsund Produktionszeiten – neben dem eigentlichen Grundpreis häufig Aspekte der Preissicherung. Wie diese erfolgen soll, das heißt durch Festpreiseinschlüsse, Preisvorbehalte, eine offene Abrechnung oder Preisgleitklauseln, muss der Anbieter mit dem Nachfrager aushandeln. Gleichermaßen ist die Gewährung von Rabatten Verhandlungsgegenstand. Neben dem Preis muss über die Finanzierungsform wie Auftragsfinanzierung, Financial Engineering, Factoring, Kompensationsgeschäfte oder auch Leasing und konkrete Finanzierungskonditionen verhandelt werden.

27 als „Sprachrohr“ ihrer jeweiligen Partei und sehen sich aufgefordert, gegenüber Repräsentanten fremder Organisationen die Unternehmensinteressen bestmöglich zu vertreten. Ihre Aufgabe ist es daher, den Verhandlungsprozess auf Basis der aus Unternehmensperspektive entwickelten Präferenzen zu führen und die optimale Entscheidungsalternative hiernach auszuwählen.64 Für ein optimales Verhandlungsergebnis muss es den Unternehmen folglich – zusätzlich zu der adäquaten Beurteilung ihrer Verhandlungspräferenzen – gelingen, die Verhandlungsakteure in dem Maße zu incentivieren, dass sie die postulierten Verhandlungspräferenzen als ihre persönlichen Verhandlungsziele internalisieren. Ansonsten werden die von der Gesamtunternehmung postulierten Verhandlungspräferenzen nur im Sinn derivativer Verhandlungsgrößen wahrgenommen und dementsprechend weniger intensiv verfolgt. Während nun aber davon ausgegangen werden kann, dass Unternehmen die beschriebene Beurteilungsaufgabe sowie den sich hieran anschließende Beeinflussungsprozess bei den ergebnisorientierten Präferenzen noch gut meistern können, entwickeln sich die prozessualen Präferenzen in der Regel auf der Persönlichkeitsebene der Repräsentanten und entziehen sich somit zunächst der Kontrolle der Gesamtunternehmung. Ursächlich hierfür ist die bereits angesprochene Intangibilität prozessualer Präferenzen, die organisatorische Vorgaben in Bezug auf die Gestaltung der sozialen Interaktion und der somit anzuwendenden Konfliktlösungsmechanismen – wenn überhaupt – nur in unspezifischer Weise ermöglicht. Da sie hinzukommend weder an den im Vertrag zu fixierenden Verhandlungsgegenständen nachvollzogen noch an den übergeordneten Interessen der Gesamtunternehmung bewertet werden können, wird prozessualen Präferenzen oftmals ein hohes Maß an Individualität und Subjektivität nachgesagt.65 Dies kann insbesondere bei multipersonalen Verhandlungsparteien die Gefahr mit sich bringen, dass die Verhandlungsführung unstrukturiert bzw. nicht stringent erfolgt, da „people have (…) different orientations toward the process of negotiation.“66 Neben der Vorgabe einheitlicher Präferenzen im Hinblick auf die vertraglich zu fixierenden Vereinbarungen, ist somit auch die Vorgabe von „Richtlinien der Verhandlungsführung“ als erfolgswirksame Maßnahme anzusehen. Insgesamt geben die Ausführungen zu erkennen, dass die Präferenzen der Verhandlungsparteien ein äußerst komplexes Wesenselement von Verhandlungen darstellen. Dies gilt

64

Vgl. Kutschker (1972), S. 161.

65

Vgl. Curhan/Elfenbein/Xu (2004), S. 1.

66

Thomson (2005), S. 94.

28 umso mehr im Kontext industrieller Verhandlungen: Denn hier wird oftmals nicht nur ein vielschichtiges Präferenzsystem vorliegen, vielmehr kommt komplexitätssteigernd hinzu, dass Buying Center- und Selling Center-Mitglieder in einer instrumentellen Mittlerfunktion verhandeln: ƒ

Zum einen sind sie Makler der ergebnisorientierten Präferenzen der Unternehmung. Ihre diesbezüglichen Präferenzen sind hierbei – ohne entsprechende Incentivierung – größtenteils derivativer Natur.

ƒ

Zum anderen haben sie den Entscheidungsprozess zu lenken und zu gestalten, wobei individuell-subjektive Präferenzen zum Tragen kommen.

Da sich die ergebnisorientierten Präferenzen in industriellen Verhandlungen unmittelbar auf die vertraglich zu fixierenden Gegenstände beziehen, werden sie in der Literatur stellenweise auch als „economic factors“ bezeichnet.67 Damit einhergehend muss den prozessualen und zunächst nicht-ökonomisch erscheinenden Präferenzen eher eine indirekte Ergebniswirkung zugesprochen werden, da „an unpleasant process can dramatically affect future dealings; the supplier who is berated and threatened may be unresponsive when his later cooperation would help.“68

2.2.1.2 Die Analyse der Handlungssituation industrieller Verhandlungen 2.2.1.2.1 Industrielle Verhandlungen als „mixed-motive“- Situation

Die gegenseitige Wahrnehmung unterschiedlicher Präferenzen kennzeichnet den Beginn eines jeden Verhandlungsprozesses. In diesem Zusammenhang ist die per definitionem geforderte Unterschiedlichkeit der Präferenzstrukturen nicht automatisch mit der Existenz konfliktärer Präferenzen gleichzusetzen, da sie augenscheinlich auch im Fall komplementärer sowie teilweise gemeinsamer Präferenzen gewährleistet sein kann. Dementsprechend werden mögliche Präferenzunterschiede in der Literatur auf einem Kontinuum zwischen vollständig distributiven und vollständig integrativen Interaktionsprozessen angeordnet, wobei Verhandlungsparteien auf der ersten Hälfte hauptsächlich durch kontradiktorische 67

Vgl. Knowles (1958), S. 698.

68

Knowles (1958), S. 699.

29 und konfliktäre, auf der zweiten überwiegend durch komplementäre oder aber teilweise gemeinsame Präferenzen gekennzeichnet sind.69 Distributive Verhandlungselemente weisen nach diesem Verständnis den Charakter von Nullsummen-Spielen auf. Denn durch das Vorliegen konfliktärer Präferenzstrukturen geht jede Steigerung des Verhandlungsnutzens der einen Partei zu Lasten des Nutzens der anderen Partei. In plakativerer Form schreiben Raiffa/Richardson/Metcalfe (2002): „Distributive negotiation is about getting a bigger piece for oneself.“70 Distributive Verhandlungen werden daher auch als „Win-lose-Verhandlungen“ bezeichnet. Als klassisches Beispiel für distributive industrielle Verhandlungen wird in der Literatur oftmals auf Preisverhandlungen zwischen Anbietern und Nachfragern hingewiesen.71 Jede Erhöhung (Senkung) des Preises nützt dem Anbieter (Nachfrager) und geht zu Lasten des Nachfragers (Anbieters). Verhandlungsbereich (ZOPA) Verhandlungsgewinn des Anbieters

Preispräferenz Anbieter

Preisvereinbarung

x Verhandlungsergebnis Preispräferenz Nachfrager

RA

Verhandlungsgewinn des Nachfragers

R

N

Abbildung 6: Präferenzkonstellation bei distributiven Verhandlungen

Diese Präferenzkonstellation kann am Beispiel des von Raiffa (1982) entwickelten ZOPAKonzeptes (Zone of Possible Agreement) veranschaulicht werden.72 Grundannahme des Modells ist es, dass die an der Verhandlung Beteiligten einen Preis festlegen, zu dem die Transaktion gerade noch zustande kommt. Die Differenz zwischen diesen – als Reservationspreise (RN; RA) benannten – Preisvorstellungen bildet den Verhandlungsbereich, innerhalb dessen die Möglichkeit der Nutzensteigerung für die Verhandlungsakteure besteht (vgl. Abb. 6).

69

Vgl. bspw. Friedrich (1963); Walton/McKersie (1965); Thompson (1990a); Raiffa/Richardson/Metcalfe (2002).

70

Raiffa/Richardson/Metcalfe (2002), S. 96.

71

Vgl. bspw. Thompson (2005), S. 41.

72

Vgl. Raiffa (1982), S. 45.

30 Das Nullsummenspiel der distributiven Verhandlung wird in integrativen Verhandlungssituationen durch die Möglichkeit der Erhöhung des gemeinsamen Nutzens ohne eine Minderung des Nutzenzuwachses einer Verhandlungspartei abgelöst.73 Solche Verhandlungssituationen werden daher auch als „Win-Win-Verhandlungen“ bezeichnet.74 So ist es bspw. in industriellen Verhandlungen denkbar, dass die Lieferzeit für den Nachfrager wichtiger ist als für den Anbieter, während es sich bei den Finanzierungsbedingungen gerade umgekehrt verhält.75 Durch das Unterbreiten gegenseitiger Zugeständnisse bei den jeweils unbedeutenderen Verhandlungsgegenständen können die Marktparteien zu Lösungen kommen, die beide Seiten besser stellen.76 Dieses Vorgehen wird in der Literatur auch als Nutzung so genannter „Trade-Off-Effekte“ zur beidseitigen Gewinnsteigerung diskutiert und lässt sich an folgendem Beispiel verdeutlichen: Sollten sich die Parteien in der in Tabelle 1 dargestellten Situation zum Beispiel auf die Vereinbarungsalternative B für beide Verhandlungsgegenstände einigen, so würde der gemeinsame Gewinn 10.000 Einheiten betragen, wobei der parteibezogene Anteil jeweils bei 5.000 Einheiten läge. Die Verhandlungsmasse ließe sich jedoch augenscheinlich vergrößern, wenn sich die Parteien für die Lieferzeit auf die Lösung A und für die Finanzierung auf Lösung C einigen würden. Beide Parteien könnten in Folge ihren individuellen Gewinn auf 9.000 steigern. Gegenstand

Lieferzeit

Finanzierung

Vereinbarung

Gewinn Anbieter

Gewinn Nachfrager

Gewinn Anbieter

Gewinn Nachfrager

A

8000

1000

500

2000

B

4000

1000

1000

4000

C

2000

500

1000

8000

Tabelle 1: Präferenzkonstellation bei integrativen Verhandlungen

Obgleich das vorangegangene Beispiel eine vollständig integrative Lösung aufzeigt, da gleichzeitig sowohl die Maximierung des individuellen Nutzens beider Parteien als auch ihres gemeinsamen Nutzens möglich ist, werden die meisten realen Verhandlungen nur 73

Vgl. Rubin/Pruitt/Kim (1994); Lewicki/Saunders/Minton (1999).

74

Vgl. Raiffa/Richardson/Metcalfe (2002).

75

Vgl. hierzu die Wertangaben in Tabelle 1.

76

Die Bedeutung eines Verhandlungsgegenstandes für die Verhandlungsparteien kann im vorliegenden Beispiel anhand der jeweiligen Gewinnspannen pro Verhandlungsgegenstand ermittelt werden. So liegt die Bedeutung der Lieferzeit für den Zulieferer mit einer Gewinnspanne von 500 deutlich unter der Bedeutung dieses Gegenstandes für den Anbieter (Spanne 6000).

31 eine teilweise Integration der Verhandlungspräferenzen erlauben.77 Betrachtet man in diesem Zusammenhang die Besonderheiten industrieller Verhandlungen, so wird deutlich, dass auch Transaktionsprozesse zwischen Anbietern und Nachfragern in der Regel weder vollständig integrative Züge tragen werden, jedoch auch keinen vollständig distributiven Charakter besitzen.78 Ursächlich für letzteres ist insbesondere die Tatsache, dass in vielen Fällen keine eindeutig vorgefertigte Problemlösung existiert und sich eine Vielzahl an „Verhandlungsobjekten“ erst im Verlauf der beidseitigen Transaktionsbemühungen herauskristallisiert. Hier werden industrielle Verhandlungsparteien darum bemüht sein, auf integrativ-problemlösende Weise eine für beide Seiten vorteilhaftere Lösung des Investitionsproblems zu erarbeiten. Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass mit steigender Anzahl an Verhandlungspunkten die Konfliktträchtigkeit oftmals abnimmt, da mehrdimensionale Verhandlungslösungen konziliante Kompensationsmöglichkeiten gestatten.79 Gegen eine rein konfliktäre Perspektive industrieller Verhandlungen spricht neben diesen objektbezogenen Argumenten auch die Tatsache, dass die Verhandlungsführer lediglich eine Mittlerrolle innehaben. Es ist daher wahrscheinlich, dass – auch im Fall konfliktärer Ergebnispräferenzen – zumindest ein gewisses Maß an integrativem Verhandlungspotenzial über die subjektiv-individuelle Prozessdimension realisiert werden kann. Aus den Ausführungen geht hervor, dass die Mehrheit industrieller Verhandlungen vermutlich durch eine Mischung aus konfliktären, komplementären und gemeinsamen Präferenzen der Beteiligten gekennzeichnet sein wird.80 Industrielle Verhandlungs-präferenzen begründen daher in der Regel die Aufnahme gemeinsamer Problemlösungsprozesse. Nur in seltenen Fällen werden sie zu Beginn der Interaktion als konfliktäre Prozesse des Aushandelns wahrgenommen.81 Ausgehend von dieser als „mixed motive game“ zu bezeichnenden Präferenzkonstellation besteht das Verhandlungsproblem für die Beteiligten nun darin, Handlungsprogramme zu finden, die ihre unterschiedlichen Präferenzen solange „matchen“, bis eine Konsensvereinbarung tragbar erscheint.

77

Vgl. Kirsch/Kutschker (1972), S. 24.

78

Vgl. Kratz (1975), S. 241; Gemünden (1981), S. 140.

79

Vgl. Koch (1987), S. 82.

80

Vgl. Walton/McKersie (1965); diese Tatsache soll dabei nicht darüber hinweg täuschen, dass in Anlehnung an die Ausführungen in Kapitel 2.1 Verhandlungen im Produkt- und Systemgeschäft eher distributive Entscheidungssituationen darstellen, während im Anlagen- und Zuliefergeschäft integrative Verhandlungselemente dominieren.

81

Vgl. Walton/McKersie (1965).

32

2.2.1.2.2 Die Handlungsprogramme industrieller Verhandlungen

Die richtige Wahl und Abfolge Erfolg versprechender Handlungsprogramme ist jedoch zu Beginn des Verhandlungsprozesses nur unter Unsicherheit planbar, da realiter zumeist Informationen über die Präferenzstrukturen der Gegenpartei weitgehend fehlen. Damit ist auch der Verhandlungsbereich, der die Menge aller realistisch möglichen Entscheidungsalternativen beinhaltet, oftmals nur vage bestimmbar. Durch die Abgabe der Minimal- bzw. Maximalpositionen im Rahmen der jeweiligen Einstiegsangebote erfolgt eine erstmalige Konkretisierung, da sich die Parteien gezwungen sehen, ihre Präferenzen – wenn auch nur vage – „öffentlich“ zu machen. Durch jede zusätzliche Unterbreitung von Angebot und Gegenangebot werden dabei im Zeitablauf neue Informationen über den Verhandlungsraum generiert, die bereits – ohne jedoch das Entscheidungsverhalten der anderen Partei explizit zu manipulieren – die Handlungssituation von Verhandlungen beeinflussen. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass die Untersuchung des „Bidding-Prozesses“ im Mittelpunkt zahlreicher Verhandlungsstudien steht.82 Tutzauer (1991) geht dabei sogar so weit, dass er „bargaining [i. O. kursiv] as the exchange of offers“ bezeichnet, da nach ihm die zeitliche Abfolge der Angebote und die Höhe der Zugeständnisse „the very essence of negotiations“ ausmachen.83 Verhandlungsprozesse als Form der wechselseitigen Beeinflussung zielen jedoch auf die bewusste Veränderung der gegnerischen Präferenzen. Für eine detaillierte Analyse derjenigen Aktivitäten, die das Entscheidungsproblem lösen sollen, erscheint es damit notwendig, auf die verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten des „Bidding-Prozesses“ einzugehen. Diese werden dabei weitgehend einheitlich in Strategien und Taktiken unterteilt.84 Ihre Aufgabe ist es, die iterative Bewertung der Angebote und somit das Zustandekommen von Ergebnissen zu beeinflussen. Während Strategien in diesem Zusammenhang globale Prozessbeschreibungen darstellen, wie das erwünschte Ergebnis erreicht werden soll, stellen Taktiken geäußerte Verhaltensweisen dar, um den von der Strategie vorgegebenen Handlungsrahmen auszufüllen. Strategien und Taktiken stehen somit in einer Mittel-Zweck-Beziehung, die jedoch im Verhand82

Vgl. für einen Überblick Lim/Murnighan (1994).

83

Tutzauer (1991), S. 67; ein Angebot ist dabei als Änderung des gegenwärtigen Forderungsniveaus einer Verhandlungspartei, ein Zugeständnis als ein das eigene Forderungsniveau senkendes Angebot definiert. Vgl. Pruitt (1981), S. 19.

84

Vgl. Bolmann Pullins, et al. (2000), S. 468.

33 lungsablauf an Stärke verliert. Kann eine Strategie zu Beginn der gemeinsamen Interaktion noch relativ gute Anhaltspunkte für das zu wählende Verhalten liefern, nimmt ihre „Richtlinienkompetenz“ durch die Wechselseitigkeit der Prozesssteuerung und der damit einhergehenden Nicht-Planbarkeit entsprechender Taktiken ab.85 Die Auswahl einer Verhandlungsstrategie bedarf somit einer ständigen Überprüfung an den sich im Zeitablauf verändernden Präferenzstrukturen der Verhandlungsparteien. Aufgrund der Vielzahl denkbar möglicher Verhandlungsstrategien werden diese in der Literatur üblicherweise danach klassifiziert, ob sie Taktiken determinieren, die auf eine Erhöhung des individuellen Nutzens („Value Claiming“) oder auf die Erhöhung des gemeinsamen Nutzens abzielen („Value Creation“).86 Beispielhafte Verhaltensweisen der „Value Claiming“-Strategie sind die unilaterale Erzielung von Zugeständnissen durch Warnungen, Ermahnungen oder auch durch Drohungen. Durch die genannten Kommunikationsakte soll Entschlossenheit bekundet werden, an einer Forderung im weiteren Verlauf der Verhandlungen festhalten zu wollen. Das Unterbreiten „kaum realisierbarer Angebote“ oder das Zurückhalten eingeforderter Informationen sind weitere Verhaltensweisen, die in diesem Zusammenhang der erfolgreichen Etablierung einer Positionsfestlegung dienlich sind. Hierdurch wird der jeweiligen Gegenpartei suggeriert, dass man sich dem möglichen Kompromissniveau bestmöglich genähert bzw. es bereits überschritten hat.87 Unterstützt werden die beschriebenen Verhaltensweisen durch Einschüchterungsmechanismen, wie die Berufung auf ethische oder allgemein akzeptierte Prinzipien. Insgesamt umfasst die „Value Claiming“-Strategie damit Taktiken, „that move the negotiation toward rigidity and conflict escalation.“88 Die damit einhergende Emotionalität kann die für Verhandlungen oftmals notwendige Sachbezogenheit des Interaktionsprozesses deutlich schmälern. Da die beschriebenen Taktiken augenscheinlich einen „Verteilkampf“ zwischen den Parteien implizieren, werden sie häufig auch als distributive Verhandlungstaktiken bezeichnet.89 Im Gegensatz dazu zieht die „Value Creation“-Strategie Verhaltensweisen nach sich, die eine Flexibilisierung des Interaktionsprozesses im Hinblick auf die gemeinsame Suche nach Problemlösungsmechanismen zum Ziel haben. Hierbei werden in der Regel vier Ver85

Vgl. Kutschker (1972), S. 298; Kotler (1967), S. 161; Ackhoff (1970), S. 42.

86

Vgl. Walton/McKersie (1965); Lax/Sebenius (1986), S. 30ff.

87

Vgl. Lewicki/Hiam/Olander (1998), S. 101.

88

Vgl. Putnam (1990), S. 4.

89

Vgl. Mintu-Wimsatt/Calantone (1996); Bolman Pullins, et al. (2000); Walton/McKersie (1965).

34 haltensphasen unterschieden, die der Identifikation und dem Verständnis des Problems dienen, die alternative Vereinbarungen generieren sollen und die letztendlich die gemeinsame Auswahl einer beiderseitig zufrieden stellenden Lösung beinhalten. Diese Phasen erfordern unverkennbar einen umfassenden und ehrlichen Informationsaustausch im Hinblick auf die gegenseitigen Präferenzen und Zielsetzungen, da nur so „win-win“-Lösungen ermittelt werden können.90 Darüber hinaus stellen Kompromissbereitschaft sowie das Unterbreiten fairer Angebote Grundvoraussetzungen für den Erfolg der „Value Creation“Strategie dar. Da diese Verhaltensweisen insgesamt versuchen, den einzelnen und den gemeinsamen Nutzen zu erhöhen, werden sie auch dem Begriff der integrativen Verhandlungstaktiken subsumiert.91 Unabhängig von ihren Zielsetzungen bestimmen diese Taktiken somit weniger die inhaltliche Dimension des Verhandlungsablaufs, sondern eher das „Wie“ der Vermittlung verhandlungsspezifischer Inhalte. Dabei unterstützen integrative Verhandlungstaktiken offensichtlich ein kooperatives Agieren zwischen den Verhandlungsparteien, während distributive Verhaltensweisen den kompetitiven Charakter einer Verhandlung fördern. Die oftmals in der Literatur angenommene Gleichsetzung beider Begriffspaare erscheint jedoch unpräzise, da zwei Verhandlungsparteien durchaus im Rahmen eines gemeinsamen Entscheidungsproblems kooperieren können, für seine Lösung letztendlich aber distributive Taktiken einsetzen. Angesichts des zuvor beschriebenen „mixed motive games“ erscheint abschließend eine eindeutige Prognose industrieller Handlungsprogramme nicht möglich. Um der geforderten Problemlösungsorientierung bei der Transaktion industrieller Güter und Dienstleistungen Rechnung tragen zu können, ist jedoch davon auszugehen, dass integrative Taktiken beim Zustandekommen der Vertragslösungen dominieren. Bei einer derartigen Vermutung muss jedoch gleichermaßen berücksichtigt werden, dass Unternehmen zielorientierte Organisationen darstellen.92 Die Verhandlungsparteien werden daher in Bezug auf konfliktäre Verhandlungsgegenstände gefordert sein, ihre eigenen Interessen und Präferenzen zu verteidigen. In Abhängigkeit der jeweils spezifischen Präferenzkonstellation werden sich indust-

90

Vgl. Bolman Pullins, et al. (2000), S. 468; Mintu-Wimsatt/Calantone (1996), S. 62.

91

Andere Begrifflichkeiten wählen bspw. Angelmar/Stern (1978), die im Rahmen der „Value Creation“Strategie von „representation bargaining“ sprechen oder Weitz/Sujan/Sujan (1986), die eine beidseitige Präferenzorientierung als „adapative behavior“ bezeichnen.

92

Vgl. Macharzina (2003), S. 414 i.V.m. Kast/Rosenzweig (1985), die eine Organisation als „ein zielorientiertes, psychosoziales und technologisches System“ definieren.

35 rielle Handlungsprogramme daher auf einem Mittelweg zwischen Positionskampf und flexibler Problemlösungsorientierung bewegen.93

2.2.1.3 Die Analyse der Entscheidungssituation

Die Aktivitäten im Rahmen des Verhandlungsprozesses begründen das Verhandlungsergebnis, die Handlungssituation geht in die Entscheidungssituation über. Daher wird das Verhandlungsergebnis auch als „the product of a bargaining situation“94 bezeichnet. Grundsätzlich ist es dabei denkbar, dass Verhandlungsprozesse in einer Nicht-Einigung, d. h. die Verhandlungsparteien können sich nicht auf eine beidseitig akzeptierte Vereinbarung verständigen, oder in einer gemeinsamen Lösung des Entscheidungsproblems münden. Eine gemeinsame Lösung bedeutet dabei allerdings nicht auch zugleich, dass die Verhandlungsergebnisse freiwillig zustande gekommen sind. Ebenso kann die Einigung unter Zwang erfolgt sein. Unabhängig von der Art der Entscheidungsfindung interessiert jedoch letztendlich, wie die resultierenden Verhandlungsergebnisse zu beurteilen sind und welche Ursachen für ihr jeweiliges Zustandekommen verantwortlich sind. In diesem letzten Zusammenhang wird prinzipiell zwischen effizienten und nicht effizienten Verhandlungsergebnissen differenziert. Aus theoretischer Perspektive wird diese Beurteilung unter dem Aspekt der Pareto-Optimalität diskutiert. Danach gilt ein Ergebnis als effizient, wenn keine andere Lösung innerhalb der durch den Verhandlungsraum definierten Menge an Ergebnissen beiden Partnern einen höheren individuellen Nutzen stiftet.95 Während im Rahmen integrativer Verhandlungsfälle eine bestimmte Anzahl an Lösungen existiert, die als pareto-optimal zu bezeichnen ist,96 werden effiziente Ergebnisse in distributiven Verhandlungssituationen oftmals unter dem Aspekt der Gerechtigkeit bewertet. Gerechtigkeit impliziert hierbei nicht notwendigerweise die Verteilung gleicher Auszahlungen auf alle Verhandlungsparteien. Vielmehr muss sie den individuellen Nutzenfunk-

93

Pruitt/Lewis (1977), S. 181ff.

94

Thompson (1990a), S. 516.

95

Vgl. hierzu ausführlich auch Young (1991a), S. 37f.

96

Vgl. Thompson (1990a) sowie die Ausführungen zu den analytisch-präskriptiven Ansätzen in Kapitel 3.1.1.

36 tionen der Verhandlungsparteien Rechnung tragen.97 Zu diesem Zwecke werden in der Literatur insbesondere gerechte Prinzipien und die Zuhilfenahme objektiver Kriterien diskutiert. Hierbei orientieren sich „gerechte Prinzipien“ nach der absoluten Größe der Auszahlung an die Parteien, nach dem Anteil der Beteiligung der Parteien oder nach dem Bedarf der Parteien.98 Die gerechte Verteilung auf Basis objektiver Kriterien richtet sich hingegen z. B. nach wissenschaftlichen Gutachten, früheren Vergleichsfällen, Kosten, moralischen Gesichtspunkten oder Tradition.99 Spieltheoretische Betrachtungen des Problems führten insbesondere zur Diskussion der NASH-Lösung als mögliche gerechte und daher optimale Lösung distributiver Verhandlungskonflikte. Unter Berücksichtigung des Grenznutzens für das knappe Gut definiert die NASH-Lösung eine Verteilung, bei der ein Nutzenzuwachs einer Verhandlungspartei immer mit einem relativ höheren Nutzenverlust der anderen Partei verbunden wäre.100 Während die Beurteilung, inwiefern ein Ergebnis als effizient einzustufen ist, somit oftmals schwierig ist, tritt in jedem Fall ein sub-optimales Ergebnis ein, falls die Parteien – trotz positiven Verhandlungsraums – keine Einigung erreichen können. Denn so kann der aus einer Verhandlung für beide Parteien zusätzlich erzielbare Nutzen nicht realisiert werden. Die Ursache für das Nicht-Auffinden einer gemeinsam akzeptierten Lösung wird dabei in der Regel auf Informationsasymmetrien zurückgeführt, die zu Wahrnehmungsverzerrungen der Akteure führen.101 Damit wird Unsicherheit zum zentralen Element der Entscheidungssituation, so dass die Verhandlungsparteien gezwungen sind, sich auf ihr subjektives Urteilsvermögen zu verlassen.102 So können unvollständige und ungleich verteilte Informationen zunächst zu unterschiedlich definierten Wahlmöglichkeiten hinsichtlich einer identischen Entscheidungssituation führen. Diese wiederum können die Präferenzentwicklung der Verhandlungsakteure derart beeinflussen, dass ihnen die Option der Nicht-Einigung, trotz einer in der Realität vorliegenden positiven Einigungszone, einen höheren Nutzen suggeriert. Das Empfinden von Unsicherheit und die hieraus resultierenden kognitiven Verzerrungen führen allerdings nur 97

Vgl. Young (1991a), S. 25f. Lax/Sebenius erläutern dieses fundamentale Problem am Beispiel der Aufteilung von $ 200 zwischen einem reichen und einem armen Mann. Vgl. Lax/Sebenius (1986), S. 151.

98

Vgl. Thompson (2001), S. 46. In der Literatur werden sie daher auch unter der Equality, Equity und Needs-Based-Rule diskutiert. Vgl. hierzu auch Valley/Neale/Mannix (1995).

99

Vgl. Fisher/Ury/Patton (2004), S. 127f.

100

Vgl. Young (1991a), S. 37f.

101

Vgl. Bazerman/Neale (1991), S. 10.

102

Vgl. Brehmer/Hammond (1977), S. 80f.; Tversky/Kahneman (1982), S. 3.

37 im „worst case“ zu dem Verhandlungsergebnis einer „Nicht-Einigung“. Denn häufiger als das hiermit verbundene Scheitern einer Verhandlung wird der Fall eintreten, dass zwar eine Einigung erreicht werden konnte, diese allerdings im Ergebnis als sub-optimal zu bezeichnen ist.103 Dies liegt nicht zuletzt an dem „Mythos des begrenzten Kuchens“. Hierbei wenden die Verhandlungsakteure von Vorneherein distributive Taktiken an, da sie fälschlicherweise davon ausgehen, dass es sich um eine Win-Lose-Verhandlung handelt. Die Suche nach beidseitig optimalen Lösungen wird somit nicht aktiv aufgenommen, was für beide Verhandlungsparteien zu einem geringeren Nutzen führt.104 Versucht man nun, die aufgezeigten Aspekte der Entscheidungssituation auf den industriellen Kontext zu übertragen, so lässt sich zunächst vermuten, dass organisationale Verhandlungsparteien vergleichsweise häufig zu einer Lösung ihres Entscheidungsproblems und somit zu einer Vertragsunterzeichnung gelangen werden, da oftmals nur eine Einigung – auch wenn sie nicht pareto-optimal ist – den übergeordneten Interessen des Unternehmens dienen kann. Diese Annahme lässt zugleich auch Schlussfolgerungen über das Maß der Freiwilligkeit beim Zustandekommen von Vereinbarungen zu: Unternehmen steht die Aufnahme und Beteiligung an Verhandlungen und somit auch die letztendliche Vertragsunterzeichnung prinzipiell frei; da die Entscheidung für oder gegen die Aufnahme von Verhandlungen jedoch vor dem Hintergrund des unternehmerischen Zieles der Wertsteigerung gefällt wird, sehen sich die tatsächlich Verhandelnden oftmals praktisch gezwungen, die Interaktionsprozesse zu einem beidseitig akzeptierten Abschluss zu führen. Dies gilt umso mehr, wenn eine Verhandlungspartei für die Fortführung ihrer Geschäftsaktivitäten auf den Vollzug der Transaktion mit der Gegenseite angewiesen ist, d. h. wenn keine weiteren Verhandlungsalternativen bestehen. Zwanghafte Einigungen können in industriellen Verhandlungen somit immer dann eintreten, wenn bspw. ein Hersteller auf die Zulieferung einer spezifischen Komponente durch ein Unternehmen angewiesen ist, das praktisch über eine Monopolstellung verfügt. Verfügt ein Unternehmen hingegen über weitere, nutzenstiftende Transaktionslösungen ausserhalb der jeweiligen Verhandlungssituation, so sind sie augenscheinlich weniger zu einem Vertragsabschluss genötigt. In der verhandlungsspezifischen Literatur wird dabei die beste Alternativlösung unter dem Begriff des BATNA (Best Alternative To a Negotiated Agreement) diskutiert.105 103

Vgl. Putnam/Holmer (1992), S. 132.

104

Vgl. Neale/Bazerman (1985), S. 36. In einer Reihe von Versuchen konnten die Autoren nachweisen, dass übermäßig optimistische Verhandlungsakteure gegenüber Akteuren mit realistischerer Einschätzung ihrer Erfolgsaussichten inferiore Ergebnisse erzielten.

105

Vgl. Thompson (2001), S. 138.

38 Die hier vorgenommene Perspektiventrennung zwischen der Gesamtunternehmung und den einzelnen Verhandlungsakteuren scheint auch für die Beurteilung industrieller Verhandlungsergebnisse erforderlich, da diesbezügliche Einschätzungen mitunter stark divergieren können. Ursächlich hierfür ist die Tatsache, dass aus Sicht der Gesamtunternehmung lediglich die vertraglich fixierten Ergebnisse beurteilt werden, während die Verhandlungsbeteiligten in der Regel auch die Umsetzung ihrer prozessualen Präferenzen berücksichtigen werden. Unabhängig von der internen Perspektive wird die abschließende Beurteilung des Verhandlungsergebnisses darüber hinaus immer nur aus Sicht der eigenen Partei möglich sein, da für die Einschätzung pareto-optimaler Ergebnisse zumeist keine ausreichenden Informationen über die Präferenzen der anderen Verhandlungspartei vorliegen. Eine Ausnahme bildet hier der Fall von „open-book“-Verhandlungen. Hierbei geben die Parteien nämlich ihre Präferenzen offen kund, so dass die Ermittlung pareto-optimaler Ergebnisse bereits im Vorfeld der Verhandlungen realisierbar ist. Allerdings ergibt sich in diesem Fall die Problematik einer gerechten Verteilung, da beide Parteien darum bemüht sein werden, einen maximalen Anteil an dem „optimierten“ Ergebnis zu erhalten.106

2.2.2 Zusammenfassende Begriffsdefinition industrieller Verhandlungen

Aus der inhaltlichen Konkretisierung des Analyserasters konnten die Charakteristika und Besonderheiten industrieller Verhandlungen abgeleitet werden. Obgleich diese keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, veranschaulichen sie die für diesen Kontext zentralen Verhandlungselemente. Daher soll für industrielle Verhandlungen im Rahmen dieser Arbeit folgende Begriffsdefinition gelten: ƒ

Eine industrielle Verhandlung findet immer zwischen mindestens zwei Organsationen, die keine Endkonsumenten sind, statt. Diese befinden sich in einer wechselseitigen Abhängigkeit, da zwischen ihnen eine „mixed motive situation“ in Bezug auf eine gemeinsam zu treffende Entscheidung vorliegt.

ƒ

Die Herbeiführung einer gemeinsam akzeptierten Lösung ist dabei die Aufgabe von Buying und Selling Centern, deren Mitglieder durch eine Vielzahl zuächst derivativ ergebnisorientierter Präferenzen auf der einen sowie durch

106

Vgl. zu den Voraussetzungen und Problemen von „open book“-Verhandlungen auch Voeth/Herbst (2006).

39 individuell prozessuale Präferenzen auf der anderen Seite in ihrem Entscheidungsverhalten gesteuert werden. ƒ

Im Rahmen des gemeinsamen Interaktionsprozesses werden die Repräsentanten eine Mischung aus integrativen und distributiven Taktiken anwenden, wobei sie sich in der Regel von der Unternehmensleitung aufgefordert sehen, eine Einigung herbei zu führen.

ƒ

Die Effizienz dieser Einigung kann innerhalb der Organisationen unterschiedlich bewertet werden, da sie aus Perspektive der Gesamtunternehmung vornehmlich anhand der Umsetzung der ergebnisorientierten Präferenzen gemessen wird, während die Beurteilung der Repräsentanten auf Basis ihres gesamten Präferenzsystems erfolgt. Inwiefern ein pareto-optimales Ergebnis erzielt werden konnte, kann angesichts unvollständiger Informationen in der Regel nicht abschließend bewertet werden.

Aus der Begriffsdefinition geht die natürliche, zeitliche Prozesslogik von (industriellen) Verhandlungen hervor, wie sie über die Definition der Verhandlungsparteien und ihrer Präferenzen sowie dem hieraus resultierenden Verhandlungsprozess und -ergebnis vorgestellt wurde. Damit kann ihr auch die zentrale Analysebedeutung von Präferenzen entnommen werden, indem die Definition aufzeigt, dass sich die Präferenzen zwar zunächst unter dem Einfluss der beteiligten Parteien und ihres gemeinsamen Entscheidungsproblems entwickeln, in Folge jedoch als entscheidendes Steuerelement der Handlungs- und Entscheidungssituation fungieren. Infolgedessen wird erneut deutlich, dass ihre Analyse zur Erklärung von Verhandlungsprozessen sowie zur Prognose der resultierenden Ergebnisse herangezogen werden kann. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass die Präferenzanalyse in zahlreichen Lehrbüchern zu Verhandlungen als zentraler Erfolgsfaktor Erwähnung findet, zumal ihre Wirkung in einer Vielzahl von Studien empirisch belegt werden konnte.107 In diesem Zusammenhang weisen bspw. Thompson/Hastie (1990) eine signifikante Beziehung zwischen der Richtigkeit der Beurteilung der Präferenzen des Verhandlungsge-

107

Vgl. bspw. Spangle/Isenhart (2003) S.71ff.; Thompson (2005) S.13ff.; Lewicki/Saunders/Minton (1999) S.30ff.. Insgesamt ist ihren Ausführungen gemein, dass sie die Bedeutung der Präferenzanalyse vor dem Hintergrund unvollständiger Informationen über die Präferenzsysteme der anderen Partei in realen Verhandlungen betonen. Der Versuch ihrer gegenseitigen Ergründung kann somit die Unsicherheit der Verhandlungsparteien in Bezug auf den tatsächlichen Verhandlungsraum und der sich hieraus ergebenden Möglichkeiten zur Verhaltensbeeinflussung begrenzen und in Folge der Ableitung Erfolg versprechender Strategien und Taktiken dienen.

40 gners („judgement accuracy“) und dem Verhandlungsergebnis nach.108 Das Erzielen suboptimaler Ergebnisse wird dabei im gleichen Sinnzusammenhang auf die mangelnde Fähigkeit von Verhandlungsparteien zurückgeführt, sich im Vorfeld von Verhandlungen in die Perspektive der anderen Partei hineinzuversetzen.109

2.3 Systematisierung industrieller Verhandlungssituationen

Industrielle Verhandlungen ähneln sich in ihrer internen Prozesslogik sowie in den hieraus abgeleiteten Besonderheiten. Dennoch ist zu konstatieren, dass Verhandlungen zwischen Anbietern und Nachfragern in der Realität in verschiedenen Erscheinungsformen auftreten und daher auch zwischen den einzelnen Interaktionsprozessen und -ergebnissen oftmals erhebliche Unterschiede vorliegen können. Zwei Beispiele mögen dies verdeutlichen: Während in der Automobilindustrie standardisierte Zulieferprodukte oftmals auf elektronischen Marktplätzen ausgeschrieben werden und der Verhandlungsprozess auf wenige, zumeist elektronisch geführte Interaktionen zur Bestimmung der vom Hersteller (OEMOriginal Equipment Manufacturer) akzeptierten Preis-Mengen-Kombinationen reduziert werden, dauerte bspw. der Bau der Transrapid-Strecke von Pudong nach Shangai mehrere Jahre und umfasste mehr als 25 persönliche Verhandlungsrunden zwischen den Verhandlungsteams. Im Verlauf der Verhandlungen sahen sich die Anbieterorganisationen dabei gezwungen, deutlich von ihren ursprünglichen Preisvorstellungen abzurücken und zusätzliche Produkt- und Leistungskonfigurationen zu übernehmen. Betrachtet man sich die Unterschiedlichkeit der zwei Verhandlungsbeispiele so wird deutlich, dass es für Zulieferer und Hersteller von hohem Interesse ist, welche Unterscheidungskriterien die Heterogenität industrieller Verhandlungen bestimmen, damit sie sich im Vorfeld der Verhandlungen bestmöglich auf die zu erwartenden Handlungs- und Entscheidungssituationen vorbereiten können. Für die verschiedenen Erscheinungsformen können hierbei – in Anlehnung an das zuvor entwickelte Analyseschema110– zunächst in der Aus108

Vgl. Thompson/Hastie (1990); zu ähnlichen Ergebnissen gelangen die Studien von Thompson (1990b), Thompson/DeHarpport (1994) und Neale/Bazerman (1983), indem sie den Einfluss der Richtigkeit der Beurteilung der gegnerischen Präferenzen auf den Gesamtgewinn bestätigen.

109

Die mangelnde Fähigkeit eines Individuums, sich in die Perspektive der anderen Verhandlungspartei hineinzuversetzen, wird dabei in der einschlägigen Literatur zur Verhandlungsforschung (vgl. Kapitel 3) als „Perspective Taking Ability“ bezeichnet. Vgl. Rubin/Pruitt/Kim (1994), S. 179.

110

Vgl. hierzu Kapitel 2.2.1.

41 gangssituation begründete Unterschiede zwischen den einzelnen Verhandlungssituationen verantwortlich gemacht werden. Denn ihre Bestandteile prägen in der Folge maßgeblich Verlauf und Ergebnis von Verhandlungen. Es verwundert daher nicht, dass in der Literatur unterschiedliche Verhandlungssituationen hauptsächlich auf Unterschiede in „the characteristics of the decision and the bargainers themselves“111 zurückgeführt werden. Dies erscheint umso sinnvoller, da diese sowohl den Entwicklungsprozess prozessualer als auch ergebnisorientierter Präferenzen unmittelbar beeinflussen und somit resultierende Verhandlungsunterschiede aus verschiedenen Perspektiven erklären können. Da sowohl die charakteristischen Merkmale der beteiligten Parteien als auch des Entscheidungsproblems feststehende Wesenselemente einer jeden Verhandlungssituation darstellen, sind sie als unveränderlich gegeben und damit als konstante Unterscheidungskriterien anzusehen. Bei der Analyse unterschiedlicher Verhandlungssituationen ist jedoch zu bedenken, dass Verhandlungsunterschiede nicht ausschließlich auf die konstanten Rahmen einer Verhandlung zurückzuführen sind. Vielmehr sind sie – wie die obigen Beispiele belegen – auch in den Beschreibungsmerkmalen der Handlungssituation, wie bspw. dem Einfluss des eingesetzten Verhandlungsmediums, zu suchen. Anders als die konstanten Daten führen diese jedoch eher zu einer Veränderung der Verhandlungspräferenzen, da ihr Einfluss in der Regel erst mit Beginn der Handlungssituation zum Tragen kommt. Da derartige Unterscheidungskriterien größtenteils von den beteiligten Unternehmen beeinflussbar sind, werden sie auch als variable Unterscheidungskriterien der Verhandlung bezeichnet.112 Aufgrund der Vielfalt konstanter und variabler Unterscheidungskriterien sowie ihrer zahlreichen Kombinationsmöglichkeiten erscheint eine vollständige Systematisierung aller denkbaren Verhandlungssituationen im industriellen Kontext kaum möglich. Zum Zwecke der Veranschaulichung sollen im Folgenden daher lediglich die Kriterien dargestellt werden, die vermutlich zu deutlichen Unterschieden zwischen industriellen Verhandlungen führen und deren Einfluss auf die ergebnisorientierten und prozessualen Präferenzen daher als hoch einzuschätzen ist. Damit einhergend beansprucht die folgende Systematisierung jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ihre Auswahl stützt sich vielmehr auf Erkenntnisse des Geschäftstypenansatzes industrieller Vermarktungsprozesse in Kapitel 2.1 111

Dwyer/Walker (1981), S. 104.

112

Die Literatur schlägt hierzu eine andere Systematisierung vor. Generell wird zwischen strukturellen und situativen Rahmenbedingungen einer Verhandlung unterschieden, wobei allerdings unterschiedliche Autoren verschiedene Zuordnungen verwenden. Zumal erscheint die Zuteilung zu strukturellen und situativen Rahmenfaktoren unter definitorischen Gesichtspunkten oftmals nicht korrekt. Vgl. hierzu bspw. Crott (1972), S. 134ff.

42 sowie auf weitere in der Literatur als relevant identifizierte Einflussfaktoren, die auch im Kontext inter-organisationaler Verhandlungen ihren Niederschlag finden können.

2.3.1 Darstellung relevanter Unterscheidungskriterien 2.3.1.1 Konstante Einflussfaktoren industrieller Verhandlungen

Ursächlich für die unterschiedlichen Erscheinungsformen industrieller Verhandlungssituationen sind insbesondere unterschiedliche Merkmale der Verhandlungsparteien und der den Verhandlungen zu Grunde liegenden Entscheidungsprobleme. Die diesbezüglich für industrielle Verhandlungen als besonders zentral anzunehmenden Unterscheidungskriterien sowie ihre unterschiedlichen Ausprägungen sind überblicksartig in Abbildung 7 dargestellt. Hierbei soll deutlich werden, dass sich die unterschiedlichen Merkmale des Entscheidungsproblems unmittelbar aus den Vermarktungscharakteristika des Transaktionsobjekts ableiten lassen, während die Unterscheidungskriterien der Verhandlungsparteien zusätzlich danach differenziert werden müssen, ob sie das Wesen einer Verhandlungsseite oder aber Wesenselemente der Interaktionsbeziehung zwischen beiden Parteien determinieren. Konstante Unterscheidungskriterien

Entscheidungsproblem

Verhandlungspartei

Transaktionsobjekt parteibezogen Individualisierungsgrad

Wert/ Komplexität

parteiübergreifend

... Persönlichkeits- Organisationsmerkmale merkmale

...

Machtverhältnis

Interaktionsebene

Abbildung 7: Konstante Unterscheidungskriterien von Verhandlungen

...

43

2.3.1.1.1 Merkmale des Entscheidungsproblems

Durch das Entscheidungsproblem induzierte Verhandlungsunterschiede ergeben sich dabei zunächst durch verschiedene Individualisierungsgrade der Transaktionsobjekte. Diese werden innerhalb des Geschäftstypenansatzes von Backhaus danach differenziert, ob es sich um standardisierte oder individualisierte Leistungserstellungsprozesse handelt.113 Standardisierte Verhandlungsobjekte sind hierbei dadurch gekennzeichnet, dass es sich in der Regel um Produkte mit einem geringen Spezifitätsgrad handelt, die in Mehrfachfertigung für eine Gruppe von Nachfragern erstellt werden. Die Produktentwicklung und der Leistungserstellungsprozess orientieren sich an „Durchschnittspräferenzen“ des adressierten Marktsegments und sind daher typischerwiese bereits vor Aufnahme des Verhandlungsprozesses abgeschlossen.114 Ein charakteristisches Beispiel für ein standardisiertes Verhandlungsobjekt stellen normierte Schrauben dar. Im Gegensatz dazu richtet sich die Vermarktung individualisierter Leistungen an den Einzelkunden. Aufgrund der notwendigen Kundenintegration in den Leistungserstellungsprozess erfolgt die Vermarktung- und somit der Verhandlungsprozess vor der Leistungserstellung.115 Hierdurch entstehen für beide Marktparteien erhebliche Unsicherheiten:116 So ist die letztendliche Beschaffungsentscheidung durch Unsicherheit in Bezug auf die Qualität der vereinbarten Leistung gekennzeichnet. Die kundenseitige Integration in den Leistungserstellungsprozess ist aber auch für die Anbieterseite mit Risiken verbunden, da das Leistungsergebnis nicht unerheblich von der Kooperations- und Auskunftsbereitschaft des Kunden abhängt.117 Zudem bergen individualisierte Leistungen die Gefahr, dass der Nachfrager – nach Fertigstellung der Leistung – seine ursprünglich getroffenen Vereinbarungen

113

Vgl. Backhaus/Voeth (2007), S. 195ff. Vgl. hierzu auch die Ausführungen in Kapitel 2.1.

114

Vgl. Backhaus/Voeth (2007), S. 205.

115

Vgl. Kleinaltenkamp/Fließ/Jacob (1996).

116

Vgl. Remy (1994); Cova/Ghauri/Salle (2002).

117

Die kundenseitige Mitwirkung am Leistungserstellungsprozess wurde dabei bislang vornehmlich im Bereich des Dienstleistungsmarketings unter der Integration des externen Faktors diskutiert. Vgl. hierzu die Literatur bei Gawantka (2006), S. 16; Meffert/Bruhn (2003), S. 62ff.; Voeth/Gawantka/Rabe (2004), S. 9f.; Lovelock/Wirtz (2004), S. 243ff.; Maleri (2001), S. 133ff. Im Rahmen dieser Arbeit soll jedoch der Auffassung von Gawantka (2006) gefolgt werden, der konstatiert, dass auch im Industriegütermarketing die Integration des externen Faktors einen wichtigen Erfolgsfaktor bei der Vermarktung von Gütern darstellt. Analog zum Dienstleistungsbereich sind hier die Nachfrager nämlich im Rahmen enger Interaktionsprozesse gefordert sich in Forschung und Entwicklung oder aber in Produktionserstellungsprozesse einzubringen.

44 nicht mehr einhält und von dem Kaufversprechen zurücktritt.118 Leistungen, die sich durch einen hohen Individualisierungsgrad auszeichnen sind bspw. großindustrielle Anlagen der Luft- und Raumfahrtindustrie oder auch der Bahnindustrie.119 Während es sich bei den soeben genannten Beispielen insgesamt um Beschaffungsentscheidungen mit hohen Wertvolumina handelt, können individualisierte Leistungen auch kleinere Investitionssummen bedingen, wie z. B. im Fall von Marktforschungsstudien oder Werbeagentur-Leistungen.120 Darüber hinaus werden individualisierte Leistungen oft mit der Komplexität der Leistungserstellung in Verbindung gebracht. Individuell zu erstellende Leistungen sind allerdings nur dann als komplex anzusehen, wenn sie zahlreiche Absprachen zwischen den Marktparteien erfordern. In diesem Zusammenhang sehen Roxenhall/Ghauri (2004) dann einen hohen Komplexitätsgrad als gegeben, wenn „a product is difficult to describe and to measure.“121 Obgleich Wert und Komplexität des Transaktionsobjektes im Rahmen des Geschäftstypenansatzes nicht als eigenständige Beschreibungsdimensionen berücksichtigt werden, stellen sie nach Schade (1996) weitere zentrale Merkmale von Transaktionsobjekten dar.122 Auch sie sollen daher in der vorliegenden Arbeit als besonders zentrale Unterscheidungskriterien von Verhandlungen angesehen werden. Wichtig erscheint dabei nur, dass sich der Wert eines Transaktionsobjektes an seiner relativen ökonomischen Bedeutung und weniger an seiner absoluten Höhe bemisst.123

118

Vgl. Gawantka (2006), S. 15; vor diesem Hintergrund unterscheiden Hakansson/Johanson/Wootz (1977) Unsicherheiten auf Seiten des Anbieters, die sich auf die spezifischen Bedürfnisse des Nachfragers (need uncertainty), auf tatsächliche Umsetzung der Transaktion (transaction uncertainty) als auch auf die Besonderheiten des Marktumfeldes (market uncertainty) beziehen. Vgl. Hakansson/Johanson/Wootz (1977).

119

Vgl. Trommen (2002).

120

Vgl. Backhaus/Voeth (2006), S. 305.

121

Roxenhall/Ghauri (2004), S. 263.

122

Vgl. Schade (1996).

123

Im Hinblick auf das Einflusspotenzial dieses Unterscheidungskriteriums auf die Präferenzstrukturen der Verhandlungsakteure können bspw. Reid/Bolman Pullins/Plank (2002) in diesem Kontext belegen, dass die anbieterseitige Problemlösungsorientierung während der Handlungssituation bei komplexen, hochwertigen Transaktionsobjekten sehr viel wichtiger ist als bei Vermarktung einfacher Güter. Hier sei eher davon auszugehen, dass beide Parteien an einer möglichst effizienten Abwicklung des Verhandlungsprozesses interessiert sind. Vgl. Reid/Bolman Pullins/Plank (2002), S. 207. Unterschiede in der Entscheidungssituation könnten in diesem Zusammenhang daher bspw. darauf zurückgeführt werden, dass die Verhandlungsparteien im Fall standardisierter Güter einen – aufgrund beidseitig bestehender Marktalternativen – geringeren Einigungsdruck verspüren und es daher auch häufiger zu einem Scheitern der Vertragsunterzeichnung als im Rahmen individualisierter Transaktionsobjekte kommt.

45 Zusammengenommen lässt sich das Entscheidungsproblem industrieller Vermarktungsprozesse somit anhand des Individualisierungsgrads, der Komplexität sowie des aus Nachfragersicht bestehenden relativen Wertes eines Transaktionsproblems beschreiben. Wie aus den Erläuterungen der einzelnen Merkmale hervorgeht, lassen sich ihre unterschiedlichen Ausprägungen insgesamt auf einem Kontinuum zwischen „hoch“ und „niedrig“ anordnen, so dass unterschiedliche Verhandlungssituationen aus den hieraus resultierenden Kombinationsmöglichkeiten entstehen.

2.3.1.1.2 Merkmale der Verhandlungsparteien

Neben den Merkmalen des zu Grunde liegenden Entscheidungsproblems werden Unterschiede in industriellen Verhandlungen auch durch die Charakteristika der einzelnen Parteien sowie durch Determinanten hervorgerufen, die ihr Austauschverhältnis beschreiben. Die Verhandlungsparteien sind daher nach Unterscheidungskriterien sowohl in ihren parteibezogenen als auch in ihren parteiübergreifenden Merkmalen zu untersuchen. Im Rahmen der parteibezogenen Merkmale ist zusätzlich zwischen Merkmalen der Verhandlungsführer und organisationsbezogenen Merkmalen zu unterscheiden, da industrielle Verhandlungen – wie bereits mehrfach erwähnt – in der Regel durch Repräsentanten der beteiligten Unternehmen geführt werden. Bereits Lewin (1936) bezeichnet die erstgenannte Merkmalsgruppe dabei als „P-Faktoren“ (personality factors) und letztere als „E-Faktoren“ (environmental factors).124 Dabei bedeutet diese letzte Unterteilung streng genommen, dass die „P-Faktoren“ im Rahmen industrieller Verhandlungen ihren feststehenden Charakter verlieren. Grund hierfür ist die Tatsache, dass Persönlichkeitsmerkmale zwar konstante Daten der Repräsentanten reflektieren, die Unternehmensführung aber in der Regel Einfluss auf die spezifische, und daher für den jeweiligen Verhandlungsfall Erfolg versprechende Teamzusammensetzung nehmen kann. Im industriellen Kontext sollten Persönlichkeitsmerkmale daher als teilweise variabel bzw. als intervenierende Variablen bezeichnet werden, da sie nach wie vor einen entscheidenen Einfluss auf den Entwicklungsprozess der Verhandlungspräferenzen nehmen, jedoch von der Gesamtunternehmung beeinflussbar sind.

124

Lewin (1936).

46 Parteibezogene Merkmale Im Hinblick auf die „P-Faktoren“ ergeben sich heterogene Erscheinungsformen von Verhandlungen augenscheinlich allein schon dadurch, dass die Verhandlungsakteure unterschiedliche Persönlichkeiten sind. Relevant erscheinen diese Persönlichkeitsunterschiede allerdings insbesondere dann, wenn sie Unterschiede in Ablauf und Ergebnis von Verhandlungen bewirken. In diesem Zusammenhang wurden in der Literatur bereits eine Vielzahl soziodemographischer und psychographischer Persönlichkeitsmerkmale125 im Hinblick auf ihre verhandlungsspezifischen Auswirkungen auf Prozess und Ergebnis von Verhandlungen untersucht.126 Insgesamt konnten die Studien jedoch nur einen geringen Erklärungsbeitrag zum Zustandekommen unterschiedlicher Verhandlungssituationen leisten.127 Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die meisten Persönlichkeitsmerkmale kaum isoliert betrachtet werden können. Stattdessen hängt die Wirkung der Persönlichkeit des Verhandelnden vor allem von der Interaktion und damit dem Zusammenspiel der Verhandlungspartner ab.128 So konnten bislang lediglich bei vier Merkmalen einheitliche Auswirkungen auf Ablauf und Ergebnis von Verhandlungen festgestellt werden. Dies sind „Machiavellismus“129, das Geschlecht, die kognitive Leistungsfähigkeit und der kulturelle Hintergrund der Verhandlungsführer. Diese sollen daher im Folgenden überblickartig vorgestellt werden. Im Hinblick auf das erste Persönlichkeitsmerkmal konnten Huber/Neale (1984) beispielsweise zeigen, dass „machiavellistische“ Verhandlungsführer überdurchschnittlich proaktiv auftreten, schnelle Angebote machen und eine hohe Kontrolle über den Verhandlungsprozess besitzen.130 Darüber hinaus konnte in einer Vielzahl anderer Studien nachgewiesen 125

Soziodemographische Kriterien umfassen dabei Merkmale wie das Geschlecht, Alter, Familienstand, Haushaltsgröße, Beruf, Einkommen und Ausbildung. Psychographische Kriterien umfassen Merkmale, die den Lebensstil, Risikoneigung, Motive, Einstellungen und Nutzenvorstellungen beeinflussen. Vgl. hierzu Meffert (2000), S. 192ff.

126

So untersuchten bspw. Komorita (1965), Marwell/Schmitt/Shotola (1970), Kahn/Hottes/Davis (1971), McNeel/McClintock/Nuttin (1972) sowie Walters/Stuhlmacher/Meyer (1998) das Geschlecht und Pennington (1968) weitere soziodemographische Erfolgsfaktoren wie Alter, Einkommen und Bildung in ihrem Einfluss auf Verhandlungssituationen. Daneben waren psychographische Kriterien Gegenstand zahlreicher Studien. Harnett/Cummings/Hughes (1968) untersuchten bspw. die Risikobereitschaft, Pruitt/Lewis (1975) die Problemlösungsorientierung und Intelligenz, Thompson (1989) die Erfahrung, Barry/Friedman (1998) das Pflichtbewusstsein und die kognitive Fähigkeit, Whrightsman (1966) die Einstellung gegenüber der menschlichen Natur, Cotham (1968) die Zufriedenheit mit dem Job und Bagozzi (1978) das Selbstwertgefühl der Verhandlungsakteure.

127

Vgl. Bolman Pullins, et al. (2000), S. 468.

128

Vgl. Lewicki/Saunders/Minton (1999).

129

„Machiavellismus“ wird dabei mit Charaktereigenschaften wie Zynismus, Egoismus und emotionaler Kälte verbunden.

130

Vgl. Huber/Neale (1986).

47 werden, dass „Machiavellismus“ mit dem individuellen Gewinn der zugehörigen Verhandlungspartei signifikant korreliert.131 Im Bereich geschlechterspezifischer Studien wurde festgestellt, dass Männer konkurrenzbetonter sind als Frauen und sich daher insbesondere darum bemühen, ihre eigenen Gewinne zu maximieren. Frauen hingegen verhalten sich sozialer und zögern häufiger, sich einen Vorteil auf Kosten anderer zu verschaffen.132 Jedoch konnten keine einheitlichen Ergebnisse auf die Effizienz von Verhandlungen nachgewiesen werden. Im Bereich der kognitiven Leistungsfähigkeit wurde insbesondere die Begabung eines Verhandlungsführers untersucht, sich in die Perspektive der anderen Verhandlungsseite zu versetzen (PTA - Perspective Taking Ability). Verhandlungsführer mit einem hohen Maß an PTA konnten dabei zu signifikant höheren Ergebnissen gelangen, da sie die Präferenzen der „Gegner“ verstehen und sie somit besser manipulieren können.133 In diesem Zusammenhang konnten Thompson/Hastie (1990) ergänzend feststellen, dass die PTA insbesondere mit der Erfahrung der Verhandlungsbeteiligten korreliert: Mit zunehmender Erfahrung verbesserte sich die PTA deutlich.134 Um mögliche Verhandlungsunterschiede auf den Erfahrungsgrad der Verhandlungsakteure zurückführen zu können, ist dieser jedoch differenziert zu betrachten. So wiesen Woodside/Davenport (1974) bereits in den 1970er Jahren darauf hin, dass zwischen der „Fach-Erfahrung“ (expert power) und der Verhandlungserfahrung (negotiation power) zu unterscheiden ist.135 Im Hinblick auf industrielle Verhandlungen besagt diese Differenzierung, dass der an der Verhandlung teilnehmende „User“ des Buying Centers bei Kauf einer komplexen Maschine über sehr viel mehr FachErfahrung verfügen wird als etwa der Einkäufer. Jener wird aufgrund seiner Funktion jedoch häufiger an Verhandlungen teilnehmen und daher über mehr negotiation power verfügen. Allerdings konnten sowohl Thompson/DeHarpport (1994) als auch Neale/Bazerman (1992) herausfinden, dass diese letztgenannte Art der Verhandlungserfahrung weniger im Hinblick auf die absolute Anzahl der geführten Verhandlungen als vielmehr durch die Menge an strukturgleichen Verhandlungen signifikante Auswirkungen auf Verlauf und Ergebnis von Verhandlungen zeigt.136 Plinke (1985) führt diese Tatsache darauf zurück, 131

Vgl. Neale/Northcraft (1986); Fry/Firestone/Williams (1983).

132

Vgl. Pinkley (1990); Gilkey/Greenhalgh (1984).

133

Vgl. Barry/Friedman (1998). Vgl. hierzu auch die Ausführungen am Ende von Kapitel 2.

134

Vgl. Thompson/Hastie (1990).

135

Vgl. Woodside/Davenport (1974).

136

Vgl. Thompson/DeHarpport (1994); Neale/Bazerman (1992).

48 dass Verhandlungsakteure insbesondere bei strukturgleichen Aufgaben auf Verhaltensmuster zurückgreifen, die sich bereits früher als erfolgreich erwiesen haben.137 Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich die Kultur einer Gesellschaft auf die verschiedensten Lebensbereiche von Individuen auswirkt,138 verwundert es zudem nicht, dass zahlreiche Verhandlungsunterschiede auch durch den kulturellen Hintergrund der Verhandlungsakteure erklärt werden konnten. So wurde in Verhandlungsstudien bspw. festgestellt, dass Nordamerikaner ungeduldiger und zielorientierter sind als Südamerikaner. Damit einhergehend präferieren Nordamerikaner einen kürzeren Verhandlungsprozess. Darüber hinaus achten sie eher auf die strenge Fixierung von Absprachen durch den Vertrag.139 In Bezug auf die Verhandlungsführung zeigen Spangle/Isenhart (2003) auf, dass Briten die Sachbezogenheit von Verhandlungen häufig durch „small talk“ ergänzen, währen insbesondere Chinesen an einem zurückhaltenden, objektbezogenen Verhandlungsverlauf interessiert sind.140 Ein Großteil der interkulturell identifizierten Unterschiede kann dabei auf die von Hofstede (1991) in einer umfassenden empirischen Untersuchung identifizierten Kulturdimensionen zurückgeführt werden.141 Diese beschreiben die in einem Land herrschende Machtdistanz als Ausdruck sozialer Ungleichheit, die Beziehungsgefüge zwischen Individuum und der Gruppe (Individualismus versus Kollektivismus), die Vorstellungen von Maskulinität und Femininität sowie die Art und Weise mit Unsicherheit umzugehen (Unsicherheitsvermeidung). In späteren Studien ergänzt Hofstede die benannten vier Dimensionen um eine weitere, die er als langfristige versus kurzfristige Orientierung bezeichnet und die gleichermaßen in der Literatur eine breite Bestätigung erfuhr. Darüber hinaus werden zuweilen die von Hall identifizierten Unterschiede zwischen „high context“- und „low context“-Kulturen als Erklärungsgrößen für interkulturelle Verhandlungsunterschiede herangezogen.142 Obgleich davon ausgegangen werden kann, dass die vier beschriebenen Persönlichkeitsmerkmale ihre Wirkung auch im industriellen Kontext entfalten, ist anzunehmen, dass sie in praktischer Hinsicht nur teilweise Verhandlungsunterschiede erklären können. Dies liegt daran, dass Persönlichkeitsmerkmale wie „Machiavellismus“ oder die PTA eines Verhand137

Vgl. Plinke (1985), S. 72.

138

Vgl. Usunier (1996); Hofstede (1991).

139

Vgl. bspw. Samovar/Porter (1997).

140

Vgl. Spangle/Isenhart (2003), S. 368ff.

141

Vgl. Hofstede (1991).

142

Vgl. Hall (1976).

49 lungsführers in realen Verhandlungssituationen im Gegensatz zu Experimentalstudien kaum valide erhoben werden können.143 Auch die Auswirkungen des Geschlechtes lassen sich bislang für praktische Implikationen nicht eindeutig interpretieren, da bisherige Studien lediglich im Hinblick auf den Prozessverlauf zu einheitlichen Aussagen kamen, jedoch widersprüchliche Erkenntnisse im Hinblick auf das Ergebnis hervorbrachten. Sie lassen somit keine eindeutigen Rückschlüsse auf bestehende Verhandlungsunterschiede zu. Diese sind somit lediglich im Hinblick auf den kulturellen Hintergrund sowie die Erfahrung der Verhandlungsakteure möglich. Da zusätzlich davon auszugehen ist, dass diese Einflussfaktoren auch im industriellen Kontext in den verschiedensten Ausprägungen anzutreffen sind, können bereits ihre Kombinationsmöglichkeiten zu zahlreichen unterschiedlichen Verhandlungssituationen führen. Da die Buying Center- und Selling Center-Mitglieder in industriellen Verhandlungen immer nur Repräsentanten der eigentlichen Verhandlungspartei darstellen, erscheint es notwendig – neben den beschriebenen „P-Faktoren“ – auch die Merkmale der Gesamtunternehmung in die Beschreibung der Verhandlungspartei aufzunehmen.144 Denn „negotiators’ behaviors reflect, to some degree, (…) perceptions of their organisation.“145 Die „EFaktoren“ können somit als weitere Determinanten des Präferenzbildungsprozesses interpretiert werden.146 Im Vergleich zu der Vielzahl möglicher „P-Faktoren“ ergeben sich Verhandlungsunterschiede auf dieser Merkmalsdimension jedoch insbesondere durch verschiedenartige Unternehmenskulturen. Eine Unternehmenskultur hat dabei die Aufgabe, die „Wesentlichkeit“ eines Unternehmens, d. h. seine Kernkompetenzen, Normen und Verhaltensweisen zu bündeln.147 Wie ein Blick in die Praxis zeigt, sind diese in industriellen Unternehmen teilweise sehr unterschiedlich. Als Beispiel können in diesem Zusammenhang unterschiedliche Unternehmenskulturen in der Automobilbranche angeführt werden, die augenscheinlich auch zu unterschiedlichen Verhandlungssituationen führen können: So bringt der japanische Automobilhersteller Toyota der Gesamtheit seiner Zulieferer ein hohes Maß an Vertrauen und Eigenverantwortung entgegen, um sie wie „ein Oberhaupt“ an die „Toyota-Familie“ zu binden, während die Mehrheit deutscher Automobil-

143

Vergleiche zu Erhebungsproblemen bei derartigen Größen auch die Aussagen zur Prinzipal-AgentenTheorie in Kapitel 3.

144

Vgl. McCall/Warrington (1989).

145

Mintu-Wimsatt/Calantone (1996), S. 64.

146

Vgl. Crott/Kutschker/Lamm (1977), S. 93.

147

Vgl. Ind (1997).

50 hersteller die Strategie verfolgt, keine allzu verbindlichen Beziehungen zu einzelnen Zulieferern aufzubauen, um somit den Preis- und Qualitätswettbewerb unter ihnen aufrecht zu erhalten.148 Für eine umfassende Beschreibung der parteibezogenen Unterscheidungskriterien erscheint es daher sinnvoll, die ausgewählten P-Faktoren noch um die vorliegende Unternehmenskultur zu ergänzen.

Parteiübergreifende Merkmale Verhandlungen wären aber nicht als kollektive Entscheidungsprozesse verschiedener Parteien definiert, würden ihre Wesensmerkmale nicht insbesondere in dem Interaktionsverhältnis der beteiligten Parteien begründet liegen. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass sich – vergleichbar zu der Anzahl der Studien im Bereich der „P-Faktoren“ – eine Vielzahl von Wissenschaftlern der Frage zugewandt hat, inwiefern Merkmale des Interaktionsverhältnisses zu unterschiedlichen Erscheinungsformen von Verhandlungen führen können. Ein häufig angewandtes Unterscheidungskriterium stellt hierbei die Transaktionsebene dar, auf der die Verhandlung abläuft. Ursächlich hierfür ist die Tatsache, dass Geschäftsbeziehungen – wie die terminologische Abgrenzung des Verhandlungsbegriffs zeigte – „durch innere Verbindungen“ gekennzeichnete Einzeltransaktionen darstellen.149 Diese „inneren“ Verbindungen führen nun ihrerseits zur Entwicklung von so genannten „economic bonds“ und „social bonds“, die das Interaktionsverhältnis der Parteien charakterisieren und sich in Folge auf Prozess und Ergebnis von Verhandlungen auswirken.150 Unter ökonomischen Bindungen kann in diesem Zusammenhang bspw. der gegenseitige Austausch von Know-how oder Kooperationen im Bereich der Forschung und Entwicklung verstanden werden. So erscheint hierbei offensichtlich, dass Verhandlungsparteien diese direkt in beidseitige Gewinnsteigerungen umsetzen können.151 Aber auch der Aufbau sozialer Bindungen erscheint ökonomisch nicht uninteressant: So konnten Studien zeigen, dass die beteiligten Buying Center- und Selling Center-Mitglieder in Geschäftsbeziehungen vergleichsweise höhere Gesamtergeb-

148

Vgl. Stuttgarter Zeitung vom 21.3.2006, S. 15.

149

Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 2.2.1.

150

Vgl. Wilson/Mummalaneni (1986); Hammarkvist/Hakansson/Mattsson (1982).

151

Vgl. Johanson/Mattsson (1985); Wilson/Mummalaneni (1986).

51 nisse erzielten als in Einzeltransaktionen, was insbesondere auf einen vermehrten Einsatz integrativer Taktiken zurückzuführen war.152 Dass die Entwicklung und Realisierung Erfolg versprechender „bonds“ dabei Zeit beansprucht, wird bereits aus der Definition einer Geschäftsbeziehung als Abfolge miteinander in Verbindung stehender Einzeltransaktionen ersichtlich. Deutlicher noch schreiben Dwyer/Schurr/Oh (1987): „(…) relational exchange only transpires over time.“153 Dennoch verstärken die sich schrittweise entwickelnden „bonds“ die Beziehungsintensität zwischen den Geschäftsparteien. Diese wiederum kann durch das Maß an Vertrauen, das sich die Geschäftspartner entgegenbringen, bemessen werden. Ursächlich hierfür ist die Tatsache, dass der Begriff des Vertrauens in zahlreichen Definitionen – aufbauend auf den bisherigen Erfahrungen einer Person oder Organisation – als ein Gefühl des „Sich-Verlassen-Dürfens“ aufgefasst wird.154 Damit einhergehend gilt Vertrauen als zentraler Mechanismus zur Reduzierung von Unsicherheit und gewinnt insbesondere in risikobehafteten Situationen an Bedeutung.155 Übertragen auf den Fall industrieller Geschäftsbeziehungen bedeutet dies, dass Vertrauen zwar erstmalig durch vergangene Transaktionen aufgebaut wird, vor allem jedoch eine Zukunftsperspektive aufweist, indem es die Parteien dazu veranlasst, ihre „positiven“ Erfahrungen auf weitere Transaktionen zu extrapolieren. Der hieraus resultierende Vertrauensvorschuss führt zur Entwicklung ökonomischer und sozialer Bindungen, die gemeinsam realisierbare Erfolgspotenziale bergen und somit die Beziehungsintensität der Parteien stärken. Nicht die Dauer des Austauschverhältnisses, sondern insbesondere das Ausmaß an Vertrauen bzw. die hiermit verbundene Existenz ökonomischer und sozialer Bindungen müssen daher als zentrales Unterscheidungskriterium der zwei Transaktionsebenen gesehen werden. Hieraus erklärt sich auch die Tatsache, warum der Aufbau industrieller Geschäftsbeziehungen angesichts steigender Wettbewerbsintensität als strategischer Erfolgsfaktor beurteilt wird:156 So müssen industrielle Anbieter ihre Aktivitäten – ähnlich zur Entwicklung von Konsumgütermärkten in der Vergangenheit – verstärkt an den Bedürfnissen ein152

Vgl. Hakansson/Snehota (1995); Cunningham/Turnball (1982); Klint (1985); Turnball (1990).

153

Dwyer/Schurr/Oh (1987), S. 12.

154

Kenning (2002), Gelbrich/Müller/Schneider (2004); Zeithaml/Bitner (2003).

155

Vgl. Rabe (2005), S. 70. Dieses Verständnis wird dabei insbesondere in den Ansätzen der Neuen Institutionenökonomik postuliert, in der Vertrauen – im Vergleich zur empirisch-induktiven Verhaltensweise – theoretisch-deduktiv analysiert wird und als zentraler Untersuchungsgegenstand zur Prognose von Kaufverhalten diskutiert wird. Vgl. Weiber/Adler (1995), S. 43ff.

156

Vgl. bspw. Voeth/Herbst (2006).

52 zelner Nachfrager ausrichten, woraus – wie bereits geschildert – beiderseitige Unsicherheiten resultieren. Diese wiederum werden im Rahmen vertrauensvoller Partnerschaften derart reduziert, dass die Marktparteien den „Willen oder Glauben“ besitzen, „auf die Worte, Entscheidungen und Handlungen eines anderen Individuums hin zu handeln.“157 Neben der Transaktionsebene auf der die Verhandlung stattfindet, können parteiübergreifende Merkmale darüber hinaus anhand des ihnen zu Grunde liegenden Machtverhältnisses differenziert werden. Ein häufig angebrachtes Verständnis von Macht im Verhandlungskontext ist die Fähigkeit einer Partei, auch gegen den Willen der anderen Seite ihre Ziele zu erreichen.158 Macht wird in diesem Zusammenhang insbesondere als relative Abhängigkeit159 der Verhandlungspartner voneinander verstanden, also als das Ausmaß, nach welchem die Erreichung der Ziele einer Verhandlungspartei auch ohne die Berücksichtigung der Gegenseite möglich ist.160 Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass das BATNA und somit die Existenz weiterer, nutzensteigernder Angebote als wichtige Machtquelle angesprochen wird, da eine gute Alternative die Abhängigkeit vom Verhandlungspartner reduziert.161 Auch der Einfluss verschiedener Machtverhältnisse auf Unterschiede in den Verhandlungssituationen findet sich empirisch bereits bestätigt. So erzielt im Fall eines starken Abhängigkeitsgefälles die weniger abhängige Verhandlungspartei in der Regel den höheren Gewinn. Allerdings führt ein Abhängigkeitsgefälle auch häufiger zu Verhandlungsabbrüchen als ausgeglichenere Machtverhältnisse.162 Industrielle Verhandlungsparteien lassen sich auf dieser Merkmalsdimension erneut auf einem breiten Kontinuum anordnen, das in diesem Fall von den Extremen „starkes Abhängigkeitsgefälle“ bis hin zu „nahezu gleiches Abhängigkeitsgefälle“ zwischen den Verhandlungsparteien reicht. Beispielhaft für ein ersteres Extrem kann erneut die Automobilindustrie angeführt werden, da die Verhandlungsseite der Zulieferer – wie obiges Beispiel der 157

Lewicki/Saunders/Minton (1999), S. 280.

158

Vgl. Boulding (1999).

159

Ein anderes Verständnis von Macht wird beispielsweise von Lax/Sebenius (1986) postuliert. In absoluter Perspektive sehen sie als Quellen von Macht den Informationsstand und die Legitimation der Parteien im Hinblick auf die Beurteilung der Normkonformität einer Verhandlung an. Da letzteres allerdings im Rahmen industrieller Verhandlungen keine Bedeutung hat und da beide Parteien in der Regel über unvollständige Informationen verfügen werden, wird im Rahmen dieser Arbeit die absolute Machtverteilung nicht weiter berücksichtigt.

160

Vgl. Bacharach/Lawler (1981), S. 79.

161

Vgl. Thompson (2001), S. 138.

162

Vgl. Pruitt/Carnevale (1993), S. 131.

53 deutschen OEMs zeigte – im Vergleich zu der Herstellerpartei oftmals deutlich unterlegen ist; eine Durchsetzung eigener Gewinnziele ist daher in der Regel illusorisch. Im Gegensatz hierzu kann in der Flugzeugindustrie ein relativ „ebenbürtiges“ Machtverhältnis der Verhandlungsparteien beobachtet werden. Dies resultiert daraus, dass in der Regel wenige mächtige Flugzeughersteller (Airbus und Boeing) auf eine ebenfalls geringe Anzahl an Nachfragern, nämlich die Fluggesellschaften treffen. Zusammengenommen ergeben sich somit letztendlich auch bei den parteiübergreifenden Merkmalen zahlreiche Kombinationsmöglichkeiten der beschriebenen Ausprägungen, die zu Unterschieden in den Verhandlungssituationen führen können.

2.3.1.2 Variable Unterscheidungskriterien industrieller Verhandlungen

Die Heterogenität industrieller Erscheinungsformen liegt neben dem Einfluss konstanter Daten auch in den variablen Unterscheidungskriterien von Verhandlungen begründet. Da sie oftmals erst mit Beginn gemeinsamer Interaktion zum Tragen kommen, müssen sie aus den Charakteristika der Handlungssituation abgeleitet werden. Hier können sie vereinfachend danach strukturiert werden, inwiefern sie das „Wann“, das „Wie“ und das „Wo“ eines Verhandlungsprozesses beschreiben. Den „Wann“-Kriterien lassen sich alle Merkmale subsumieren, die zu unterschiedlichen zeitlichen Aspekten der Verhandlungssituation führen. Dies sind insbesondere die Existenz von Zeitdruck, Vorgaben durch zeitliche Ablaufpläne, aber auch die Terminierung des Verhandlungsprozesses auf eine bestimmte Uhrzeit. Insbesondere die Untersuchung des Merkmals „Zeitdruck“ hat dabei in der Literatur eine hohe Aufmerksamkeit erfahren.163 In diesem Zusammenhang wurden Verhandlungssituationen hauptsächlich dahingehend untersucht, inwiefern sie – in Abhängigkeit der Existenz eines mehr oder weniger hohen Maßes an zeitlichen Restriktionen – zu unterschiedlichen Ausprägungen in Ablauf und Ergebnis führen.164 Die Ergebnisse solcher Untersuchungen zeigen, dass die Existenz zeitlicher Restriktionen zu schnelleren Zugeständnissen und damit einhergehend zu geringeren For-

163

Vgl. De Dreu (2003); Lim/Murnighan (1994); Moore (2004).

164

Zeitliche Restriktionen werden hierbei ausschließlich auf die Handlungssituation bezogen und hängen somit auch in industriellen Verhandlungen in der Regel nicht mit zeitlichen Fristigkeiten zusammen, die bspw. im Hinblick auf den Leistungserstellungsprozess auftreten.

54 derungen der Verhandlungsparteien führt.165 Der Fall unterschiedlicher zeitlicher Restriktionen ist darüber hinaus für die Entscheidungssituation von Bedeutung: Hier zeigt sich, dass die Partei das bessere Ergebnis erzielt, die unter einem geringeren Zeitdruck steht.166 Eng verbunden hiermit ist die zeitliche Fixierung des Verhandlungsprozesses auf eine bestimmte Tageszeit, die aufgrund vor- bzw. nachgelagerter Termine ihrerseits überhaupt erst zu Zeitdruck führen kann. Schließlich wird im Rahmen der zeitlichen Aspekte auch noch die Vorgabe eines Zeitplans bzw. einer Tagesordnung als mögliche Unterscheidungskriterien von Verhandlungen diskutiert. Denn je nach Vorliegen oder Nicht-Vorliegen derartiger Pläne erhalten Verhandlungsprozesse in der Realität oftmals einen formelleren bzw. informelleren Charakter. Formelle Verhandlungsrunden zeichnen sich hierbei dadurch aus, dass die zeitliche Dringlichkeitsfolge bestimmter Verhandlungsgegenstände vorgegeben ist; sie laufen daher insgesamt strukturierter ab. Der strukturelle Ablauf kann hierbei jedoch die eine oder andere Partei begünstigen. In diesem Zusammenhang merken Lewicki/Hiam/Olander (1998) an, dass die Parteien, die den Ablaufplan der Verhandlung vorgeben, mehr Kontrolle über den Verhandlungsprozess haben und daher durchschnittlich höhere Gewinne erzielen.167 Wie die Ausführungen zeigen, können zeitliche Aspekte der Handlungssituation zu unterschiedlichen Prozessen und Ergebnissen der Verhandlung führen. Gleichermaßen geht aus den Beschreibungen jedoch hervor, dass die diskutierten „Wann“-Merkmale nicht nur Einflussgrößen auf Verhandlungen darstellen, sondern auch als Steuerungsmechanismen der Verhandlungsparteien eingesetzt werden, da sie im Falle einer geschickten Gestaltung in deutlichen Verhandlungsvorteilen resultieren können. Damit dient aber bereits die Kenntnis solcher Auswirkungen der Vermeidung von Verhandlungsnachteilen. Die Entwicklungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien machen bei industriellen Verhandlungen zunehmend auch Unterscheidungen nach technischen Gestaltungsformen notwendig, die das „Wie“ des Verhandlungsprozesses bestimmen. Denn während industrielle Verhandlungen früher notgedrungen zumeist face-to-face stattgefunden haben und somit die physische Anwesenheit aller Beteiligten erforderten, stehen heute verschiedene Verhandlungstechniken (wie bspw. Telefon, E-Mail, Videokon-

165

Damit bestätigen sie „Murphys Verhandlungsgesetz“, das besagt, dass Verhandlungen in der Regel so lange dauern, wie Zeit zur Verfügung steht. Vgl. Stuhlmacher/Gillespie/Champagne (1998).

166

Vgl. Moore (2000), S. 5.

167

Vgl. Lewicki/Hiam/Olander (1998), S. 50.

55 ferenzsysteme, elektronische Verhandlungsunterstützungssysteme168, E-Marktplätze) im Rahmen der Kundenverhandlungsphase zur Verfügung.169 Angesichts der wachsenden Internationalisierung industrieller Geschäftsaktivitäten170 liegen die aus der Nutzung elektronischer Verhandlungswege resultierenden Effizienzvorteile auf der Hand. Es verwundert daher nicht, dass in der Praxis elektronisch geführte Verhandlungen via E-Mail bereits in über der Hälfte industrieller Unternehmen zum Einsatz kommen.171 Allerdings ist – aufgrund der noch jungen Entwicklungen im Bereich der technischen Einflussfaktoren – die Zahl der Studien, die mögliche mit ihnen verbundene Auswirkungen auf die Ergebnisse von Verhandlungen zeigen, noch vergleichsweise gering. Dennoch lassen ihre Erkenntnisse bereits erste Schlussfolgerungen zu: So kann face-to-face Verhandlungen insgesamt eine höhere Effektivität als elektronisch geführten Verhandlungen nachgewiesen werden. Der Grund hierfür liegt in der Möglichkeit der sozialen Interaktion, durch die Menge und Wahrheitsgehalt der geäußerten Informationen gefördert werden. Somit verfügen face-toface Verhandlungen insbesondere in komplexen Verhandlungssituationen mit einer Vielzahl von Verhandlungsgegenständen über Vorteile. Darüber hinaus fördern sie – insbesondere auch durch die Signalisierung non-verbaler Kommunikationsmöglichkeiten – den Aufbau von Vertrauen zwischen den Verhandlungsparteien.172 Technische Gestaltungsformen kommen daher insbesondere dann zum Einsatz, wenn „einfache“ Verhandlungsgegenstände bzw. Nachverhandlungen vorliegen. In diesem Fall werden Verhandlungen z. B. über elektronische Medien geführt. Hingegen werden die bedeutenden Schritte des „bidding process“ eher face-to-face geführt.173 Unterschiede, die auf technische Merkmale zurückzuführen sind, zeigen sich demnach auch in inhaltlicher Dimension. Analog zu den zeitlichen Aspekten einer Verhandlung sind auch die technischen Einflussfaktoren der Verhandlung selbst wieder durch die Verhandlungsparteien beeinflussbar. Allerdings werden hier zumeist eher sachliche und weniger taktische Gründe für die Auswahl eines Verhandlungsmediums zum Tragen kommen.174 168

Vgl. zu Begriff und Technik der elektronischen Verhandlungsunterstützungssysteme bspw. Schoop/Jertila/List (2003). S. 373ff.

169

Vgl. Carnevale/Probst (1997).

170

Vgl. zu den Ursachen der steigenden Internationalisierung Theile (2004), S. 5ff.

171

Dies ergibt eine empirische Untersuchung des Competence Centers Industrieller Dienstleistungen der Universität Hohenheim (CCID). Vgl. zu der Studie auch Kapitel 4.1.2.

172

Vgl. Valley/Moag/Bazerman (1998).

173

Vgl. Backhaus/Voeth (2007), S. 383f.

174

Allerdings weist die einschlägige Literatur in diesem Zusammenhang darauf hin, dass an der Weiterentwicklung elektronischer Unterstützungssysteme kontinuierlich gearbeitet wird. Vgl. Schoop/Jertila/List

56 Allerdings kann es manchmal von taktischem Vorteil für eine Verhandlungspartei sein, wenn die Verhandlung entweder an einem neutralen oder an einem der Partei vertrauten Ort stattfindet, um entweder „Heimvorteile“ selbst auszunutzen oder „Heimvorteile“ der anderen Partei zu verhindern. In dieser Hinsicht können Handlungssituationen letztendlich noch danach unterschieden werden, an welchem Ort sie durchgeführt werden („Wo“). Neben der Lage kann in diesem Zusammenhang auch die Gestaltung des Verhandlungsortes eine Rolle spielen. So können bspw. Tisch- und Sitzordnungen für die Demonstration von Macht genutzt werden und so zu mehr oder weniger vorteilhaften Verhandlungspositionen für die Parteien führen. Da im Bereich der „Wo“-Faktoren jedoch bislang so gut wie keine empirisch überprüften Ergebnisse vorliegen, sollen sie unter den variablen Einflussfaktoren einer Verhandlung nicht weiter thematisiert werden.

2.3.2 Zusammenfassendes Forschungsspektrum industrieller Verhandlungen

Transaktionen sind in industriellen Märkten die Folge und das Ergebnis kollektiver Entscheidungsprozesse. Durch Kooperation können die beteiligten Unternehmen dabei nicht selten beidseitig Vorteile realisieren; in Bezug auf die konkrete Vereinbarung setzt dies allerdings die Überwindung bzw. das gezielte Management von Präferenzunterschieden voraus. Ohne den spezifischen Kontext einer Verhandlung zu berücksichtigen, können diesbezüglich allerdings keine Aussagen über Erfolg versprechende Strategien und Taktiken getroffen werden. Der Verhandlungskontext selbst wird durch die beschriebenen konstanten und variablen Unterscheidungskriterien vorgegeben, muss jedoch im Einzelfall definiert und gestaltet werden. Hierbei erscheinen insbesondere die Auswirkungen auf die Präferenzentwicklung als auch -dynamisierung von Bedeutung, da sie Ablauf und Ergebnis der Verhandlungen maßgeblich steuern. Die Komplexität dieser Aufgabe verstärkt sich noch durch die Tatsache, dass die einzelnen Einflussfaktoren teilweise auch untereinander in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen. So lassen die vorangegangenen Ausführungen die Schlussfolgerung zu, dass die Gestaltung der variablen Einflussgrößen ihrerseits durch die konstanten Daten einer Verhandlung be(2003), S. 398. Damit ist davon auszugehen ist, dass elektronische Verhandlungen zukünftig über weitere Anwendungsvorteile verfügen und daher in ihrer Bedeutung zunehmen werden.

57 einflusst wird. Beispielsweise ist anzunehmen, dass die „mächtigere“ Partei die Tagesordnung bestimmt, oder aber dass bei Routinetransaktionen der Einsatz elektronischer Medien für die Verhandlungsparteien in Frage kommt. Abbildung 8 zeigt abschließend den Versuch, den Begriff industrieller Verhandlungen in seinem vielschichtigen Kontext darzustellen und die systematisierten Bestandteile miteinander in Beziehung zu setzen. Darüber hinaus kann aus Abbildung 8 entnommen werden, dass Verhandlungen nicht nur durch ihre konstanten und variablen Einflussfaktoren geprägt werden. Vielmehr müssen in diesem Zusammenhang auch die rechtlichen, technologischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen eine Transaktion durchgeführt wird, berücksichtigt werden. Auch wenn zum Zwecke der Vereinfachung diese Auswirkungen nicht gesondert analysiert wurden, ist davon auszugehen, dass sie im Rahmen industrieller Transaktionen eine hohe Bedeutung einnehmen können.175 Letztendlich gilt zu bedenken, dass – aufgrund der hohen Spezifität einer jeden Verhandlung – die aufgezeigten Einflussbeziehungen im Einzelfall variieren können, in ihrem Umfang ergänzt oder reduziert werden müssen. Rechtliche Rahmenbedingungen Technologische Rahmenbedingungen Wirtschaftliche Rahmenbedingungen Ausgangssituation Ausgangssituation

Handlungssituation Entscheidungssituation EntscheidungsHandlungssituation situation

„PVerhandlungen

Interaktionsverhältnis Macht

Trans.-ebene

F a k t o r e n“

„EEntscheidungsproblem Wert/Kom.

Individual.

F a k t o r e n“

prozessual

Präferenzen ergebnisorientiert

P r o z e s s

Wann

Ergebnis Wie

Wo

Abbildung 8: Systematisierung industrieller Verhandlungen

Zusammengenommen zeigt sich, dass industrielle Verhandlungen vielschichtigen Fragen und Untersuchungsaufgaben mit sich bringen. Während für die praktische Anwendung aus dem Überblick zahlreiche Aspekte erschlossen werden können, die für eine Erfolg verspre175

So fordert die chinesische Regierung bspw. im Rahmen einer Vielzahl von Transaktionen, dass ausländische Geschäftspartner vor Transaktionsvollzug Joint Ventures mit chinesischen Unternehmen gründen. Hierdurch wird beabsichtigt, im Rahmen von Ersttransaktionen Know-How aus dem Ausland zu generieren und es in Folgetransaktionen unter alleiniger Berücksichtigung der inländischen Wirtschaft umsetzten zu können. Vgl. hierzu Backhaus/Büschken/Voeth (2003), S. 181.

58 chende Verhandlungsvorbereitung berücksichtigt werden müssen, ergibt sich für die Wissenschaft ein umfassender, dabei vielseitiger Forschungsauftrag, soll der Bedeutung von Verhandlungen im Industriegütermarketing Rechnung getragen und die Praxis bei der Ableitung effektiver Strategien und Handlungsmaßnahmen unterstützt werden.176

2.4 Industrielle Verhandlungen als Gegenstand der Industriegütermarketing-Literatur 2.4.1 Systematisierende Literaturübersicht

Angsichts der beschriebenen Relevanz industrieller Verhandlungen stellt sich damit unweigerlich die Frage, welche Verhandlungserkenntnisse in der IndustriegütermarketingLiteratur im Hinblick auf den aufgezeigten Forschungsauftrag bereits existieren. Um einen diesbezüglichen Überblick zu erhalten, erscheinen augenscheinlich zunächst die auf dem Interaktionsparadigma aufbauenden Ansätze des Interaktionsverhaltens industrieller Anbieter und Nachfrager untersuchungswert. Für eine vollständige „Bestandsaufnahme“ ist es jedoch darüber hinaus erforderlich, auch den Erkenntnisbeitrag von nicht unmittelbar auf dem Interaktionsparadigma aufbauender Studien sowie von Standardwerken des Industriegütermarketings zu analysieren. Aufgrund der thematischen Verwandtheit können darüber weitere Erkenntnisse letztendlich auch in der Vertriebsliteratur begründet liegen.

2.4.1.1 Erkenntnisbeitrag der Interaktionsansätze

Aus der Erkenntnis, dass die auf Konsumgütermärkten vorherrschenden Ansätze und Erklärungskonstrukte zu nicht befriedigenden Erkenntnissen für die Erklärung industrieller Transaktionsprozesse führen, entwickeln sich im Bereich des Industriegütermarketings die

176

Für diesbezügliche Analysen erscheint es dabei wichtig, das kausale Beziehungsgeflecht zwischen den verschiedenen Determinanten industrieller Verhandlungen möglichst vollständig zu erfassen. So haben die Ausführungen gezeigt, dass nur durch die Kenntnis der zentralen Verhandlungsaspekte und ihrer Wechselbeziehungen die Ungewissheit, mit der industrielle Marketing-Entscheidungen belastet sind, reduziert werden können.

59 so genannten Interaktionsansätze.177 Grundgedanke dieser Ansätze ist es, dass sowohl die Nachfrager- als auch die Anbieterseite in wechselseitiger Beziehung am Entscheidungsprozess beteiligt sind und Verlauf und/oder Ergebnis des Transaktionsprozesses daher durch die Interaktion zwischen den beteiligten Parteien erklärt werden muss.178 Während eine allgemein anerkannte Interaktionstheorie bislang nicht existiert, können die theoretischen Wurzeln dieser Ansätze auf die Austauschtheorie von Homans (1950) zurückgeführt werden.179 Sie geht davon aus, dass sich die Austauschpartner gegenseitig für ihr Verhalten – je nachdem welchen relativen Wert die Aktionen besitzen – belohnen oder bestrafen. Ein erster Transfer des Interaktionsbegriffs in das Marketing geht dabei auf Evans (1963) zurück.180 Hierbei stellte Evans u. a. die so genannte Ähnlichkeitshypothese auf, die besagt, dass sich erfolgreiche Interaktionen dadurch auszeichnen, dass Anbieter und Nachfrager einander ähnlich sind. Interaktionsansätze, die die Ähnlichkeit zwischen Anbieter und Nachfrager untersuchen, werden heute auch als „Matching-Studien“ bezeichnet.181 Seit den ersten Arbeiten von Evans ist eine Vielzahl an Interaktionsansätzen veröffentlicht worden. Um ihren Erkenntnisbeitrag im Hinblick auf industrielle Verhandlungen strukturiert untersuchen zu können, orientieren sich die folgenden Ausführungen an einer von Backhaus/Voeth (2007) vorgeschlagenen Systematisierung.182 In dieser werden die Interaktionsansätze nach der Anzahl und Art der Interaktionsparteien differenziert. Dabei werden dyadisch-personale und multi-personale sowie dyadisch-organisationale und multiorganisationale Interaktionsansätze unterschieden. Hierbei haben zunächst vor allem dyadisch-personale Interaktionsansätze (2 Beteiligte) besondere Bedeutung in der Forschung erlangt. Da der Großteil von ihnen wie Evans (1963) den erfolgreichen Abschluss einer Interaktion durch die Ähnlichkeit zwischen Anbieter und Nachfrager erklärt, sind sie den Matching-Studien zuzuordnen. So zeigt bspw. Schoch (1969) in seiner Studie, dass der Erfolg industrieller Transaktionen oftmals nicht von bestimmten objektiv vorhandenen Eigenschaften, wie bspw. Beschaffungs- oder Produktionsressourcen abhängt, sondern von der vom Anbieter und Nachfrager subjektiv empfundenen Ähnlichkeit. Darüber hinaus spricht er dem Machtverhältnis zwischen den Par177

Vgl. Fitzgerald (1989), S. 26.

178

Vgl. Kern (1990), S. 16.

179

Vgl. Homans (1950); Fitzgerald (1989), S. 26; Kern (1990), S. 9.

180

Vgl. Evans (1963).

181

Vgl. zu den Erkenntnissen von Matching-Studien auch Backhaus/Voeth (2005).

182

Vgl. Backhaus/Voeth (2007), S. 105ff.

60 teien sowie Persönlichkeitsmerkmalen der Akteure Einflusspotenzial auf den Ausgang eines Transaktionsprozesses zu.183 Sind mehr als zwei Personen an einer Interaktion beteiligt, so handelt es sich um multipersonale Interaktionsansätze. Hierbei stehen in der Literatur Statusprobleme und Machtverhältnisse sowie mögliche Koalitionsbildungen im Vordergrund. Insgesamt haben die personalen Interaktionsansätze den Nachteil, dass organisationale Einflussgrößen nicht weiter berücksichtigt werden. Dementsprechend ist ihr Erklärungsgehalt für das Industriegütermarketing sehr begrenzt, da für die Analyse inter-organisationaler Transaktionsprozesse nicht nur die Betrachtungsebene der Individuen, sondern – wie bereits erläutert – auch die Ebene der Organisation relevant ist. Von einer größeren Erklärungskraft ist daher bei den organisationalen Interaktionsansätzen auszugehen. Ein vielfach zitierter Vertreter dyadisch-organisationaler Interaktionsansätze ist dabei der Ansatz von Hakansson/Östberg (1975), bei dem die konstanten Daten des Interaktionsprozesses im Vordergrund stehen.184 Konkret untersuchen die Autoren inwieweit sich die Komplexität der Kaufsituation auf die wahrgenommen Unsicherheit der Interaktion auswirkt. Um dieser bestmöglich entgegenwirken zu können, schlagen sie den Aufbau einer dauerhaften Geschäftsbeziehung vor. Ein ähnlicher dyadisch-organisationaler Ansatz stammt von Gemünden (1980), der eine Effizienzanalyse der Vermarktung innovativer Produkte durchführte. Hierzu entwickelte er zwei Interaktionsmodelle, die unterschiedliche Anforderungen an die Zusammenarbeit von Anbieter- und Nachfragerorganisation stellen, so dass sich Anbieter und Nachfrager auf eine gemeinsame Interaktionsstrategie einigen müssen.185 Koch (1987) schloss aus den Ergebnissen von Hakansson/Östberg (1975) und Gemünden (1980), dass die Kompatibilität der Organisationsform eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Interaktionen ist. Auf dieser Erkenntnis aufbauend folgerte er, „dass insbesondere aus ausgewogenen und kongruenten Beziehungsstrukturen zwischen sozialen Systemen erfolgreiche und langfristige Interaktionsbeziehungen hervorgehen.“186 und formulierte hierauf aufbauende Kongruenzhypothesen, die insbesondere auf die personelle und inhaltliche Struktur der Verhandlungsparteien abzielen. Zu einem etwas anderen Ergebnis

183

Vgl. Fitzgerald (1989), S. 31.

184

Vgl. Hakansson/Östberg (1975).

185

Vgl. Gemünden (1980).

186

Koch (1987), S. 262.

61 gelangte Kapitza (1988), der in einer empirischen Untersuchung nachwies, dass der Verhandlungserfolg insbesondere durch die Verhandlungsdauer sowie die Verhandlungsintensität beeinflusst wird.187 Darüber hinaus untersuchte auch Kapitza u. a. den Einfluss von Geschäftsbeziehungen auf das Verhandlungsergebnis. Da insbesondere bei komplexen Industriegütern Anbieterorganisationen typisch sind, bei denen zwei oder mehr Organisationen am Interaktionsprozess beteiligt sind, kam es auch zur Entwicklung multi-organisationaler Interaktionsansätze. Einer der bekanntesten, da umfassendsten Interaktionsansätze ist der Ansatz von Kutschker/Kirsch (1978). Zur Analyse der Interaktionsprozesse nutzen sie die so genannten Transaktionsepisoden- und Potenzialkonzepte. Eine Transaktionsepisode umfasst dabei alle „Entscheidungs-, Planungs- und Verhandlungsprozesse innerhalb und zwischen den Organisationen.“188 Aktivitäten und Prozesse, „die außerhalb der Transaktionsepisode stattfinden und eher generellen Charakter haben“189, dienen dem Aufbau und der Pflege von Macht-, Wissens- und Konsenspotenzialen. In diesem Zusammenhang nehmen Kutschker/Kirsch (1978) an, dass Anbieter und Nachfrager versuchen, langfristige Geschäftsbeziehungen einzugehen, um Potenziale aufzubauen und somit Unsicherheiten zu reduzieren. Dementsprechend gehen sie von einem „Strom nie endender Aktivitäten und Interaktionen“190 aus. Noch weitergehender als der Ansatz von Kutschker/Kirsch (1978) ist der Ansatz der IMPGroup (Industrial Marketing and Purchasing Group), der häufig auch als Netzwerkansatz bezeichnet wird. Dieser Ansatz integriert Ideen und Konzepte anderer Interaktionsansätze und ist damit der Versuch, einen allgemeinen Bezugsrahmen des industriellen Interaktionsverhaltens zu entwickeln. Hierfür thematisiert er vier zentrale Dimensionen: den Interaktionsprozess, die Interaktionspartner, die Atmosphäre und die Umwelt. Die Atmosphäre beschreibt die Stimmung, die den Interaktionsprozess umgibt und beeinflusst. Diese entwickelt sich aus den einzelnen Transaktionsepisoden zwischen den Organisationen und enthält konstante Merkmale von Verhandlungen wie Macht und Abhängigkeit sowie prozessuale Aspekte von Verhandlungen wie die Kooperationsbereitschaft der Parteien. Damit enthält der Netzwerk-Ansatz auch einige prozessuale Handlungsempfehlungen. Allerdings richtet die IMP-Group ihren Blick nicht auf den einzelnen Verhandlungsprozess, sondern erneut vorrangig auf den Aufbau von Geschäftsbeziehungen. Begründet wird dies mit der 187

Vgl. Kapitza (1988), S. 63.

188

Kutschker/Kirsch (1978), S. 3.

189

Kutschker/Kirsch (1978), S. 4.

190

Calaminus (1994), S. 97.

62 Komplexität industrieller Interaktionen. Diese machen es notwendig, langfristige Geschäftsbeziehungen anstatt einzelner Kaufentscheidungen zu analysieren.191 Angesichts der Vielzahl von Interaktionsansätzen und -studien stellen die hier Aufgeführten nur eine kleine Auswahl dar. In diesem Zusammenhang finden sich in der Literatur auch zahlreiche weitere Vorschläge für deren Systematisierung.192 Für die Zielsetzung, ihre Erkenntnisbeiträge im Rahmen des vielschichtigen Forschungsbereichs industrieller Verhandlungen zu ergründen, erscheint die gegebene Übersicht jedoch ausreichend, da sich viele der übrigen Ansätze in ihren Untersuchungsgegenständen und Ergebnissen ähneln. Als abschließende Beurteilung ergibt sich dabei folgendes Bild: Zunächst kann die Auswahl deutlich machen, dass die Interaktionsprozesse eine Vielzahl unterschiedlicher Einflussfaktoren industrieller Verhandlungen untersuchen. Dem Vorteil ihrer gegenseitigen Komplementarität steht jedoch entgegen, dass sie sich in ihrem Erklärungsgehalt oftmals stark widersprechen und somit keine umfassende und insbesondere reliable Erklärung für das Zustandekommen von Verhandlungsergebnissen leisten können.193 In Hinblick auf das aufgezeigte Analyseraster geben die Ausführungen darüber hinaus zu erkennen, dass das „Zustandekommen“ von Verhandlungsergebnissen und damit die Untersuchungsgegenstände der Handlungssituation weitestgehend unberücksichtigt bleiben. Vielmehr beziehen sich die bisherigen Forschungsbemühungen vor allem auf die Zusammenhänge zwischen den thematisierten Unterscheidungskriterien und dem Ergebnis. Letztere Erkenntnis kann den Interaktionsansätzen jedoch nicht als Kritikpunkt angelastet werden, da er sich aus ihrem originären Forschungsinteresse gleichsam automatisch erschließt. So steht bei den Interaktionen offensichtlich nicht der einzelne Interaktionsprozess, sondern vielmehr die Abfolge von Interaktionen im Vordergrund. Damit einhergehend ist es nicht verwunderlich, dass sie nur vereinzelt konkrete Gestaltungshinweise für das Zustandekommen von Verhandlungsergebnissen enthalten und sich ihre Erkenntnisse eher für die Analyse von Geschäftsbeziehungen eignen.194 Abschließend ist daher zu konstatieren, dass die Interaktionsansätze für die industrielle Verhandlungsforschung wesentli-

191

Vgl. Hakansson (1982).

192

So unterscheiden Backhaus/Büschken (1996) bspw. zwischen episodenbezogenen und episodenübergreifenden Erklärungsansätzen. Vgl. Backhaus/Büschken (1996), S. 46. Gemünden (1981) differenziert nach prozessualen und strukturellen Ansätzen und unterteilt hierbei jeweils noch in eine personelle und organisationsbezogene Perspektive.

193

Vgl. Kern (1990), S. 16.

194

Vgl. Mattson (2004).

63 che Grundlagen liefern können. Allerdings fehlt ihnen der Konkretisierungsgrad, der notwendig ist, um Entscheidungsunterstützung für einzelne Verhandlungen zu liefern.

2.4.1.2 Erkenntnisbeitrag der allgemeinen Industriegütermarketing-Literatur

Wendet man sich angesichts der voran gegangenen Erkenntnisse der allgemeinen Literatur zum Industriegütermarketing zu, so stellt man fest, dass industrielle Verhandlungen auch hier keine stärkere Beachtung erfahren haben. So gehen praxisorientierte Leitfäden zum Industriegütermarketing wie Buck (1998) und Grodefroid (1995) auf Verhandlungen lediglich kurz im Rahmen der Preissetzung ein.195 Eine Analyse des Verhandlungsprozesses und Erklärungen für das Zustandekommen von Verhandlungen fehlen allerdings gänzlich. Diese finden sich zumindest in ihren Grundzügen bei Backhaus/Voeth (2007).196 Sie gehen auf distributive und integrative Ausgangssituationen von Verhandlungen ein, beschreiben das Zustandekommen optimaler Ergebnisse und weisen auf verschiedene variable Einflussmechanismen der Parteien hin, wie bspw. die Zusammensetzung der Verhandlungsteams oder die Wahl entsprechender Verhandlungsmedien. Darüber hinaus befassen sich Backhaus/Voeth (2007) jedoch nahezu ausschließlich mit den ergebnisorientierten oder „postsettlement“-Aspekten von Verhandlungen, wie bspw. Fragen über Finanzierungsformen, Garantien oder Lieferbedingungen. Die Auswirkungen prozessualer Verhandlungselemente, die während der Verhandlung eine Rolle spielen, später aber im Falle eines erfolgreichen Verhandlungsabschlusses im Vertrag nicht schriftlich festgehalten werden, finden hingegen keine Beachtung. Diese Tatsache ist nicht weiter erstaunlich, da es sich bei den beschriebenen Werken um Lehrbücher oder Leitfäden handelt, deren Ziel es ist, einen umfassenden Überblick über die Inhalte des Industriegütermarketings und weniger Detailkenntnisse im Hinblick auf einzelne Forschungsbereiche zu vermitteln. Es ist jedoch zu kritisieren, dass dieser Themenbereich auch in konzeptionellen und empirischen Studien der IndustriegütermarketingLiteratur deutlich unterrepräsentiert scheint. Zumindest zeigt in diesem Zusammenhang eine inhaltliche Analyse der einschlägigen internationalen Journals zum Industriegüter-

195

Vgl. Grodefroid (1995); Buck (1998).

196

Vgl. Backhaus/Voeth (2007), S. 376ff.

64 marketing über die vergangenen 30 Jahre,197 dass von insgesamt rund 1550 untersuchten Artikeln lediglich 23 Studien und damit weniger als 1,5 % explizit auf den Forschungsbereich industrieller Verhandlungen eingehen. Nr.

Jahr

Autor(en)

Studie

1

1977

K. Roering

Bargaining in Distribution Channels

konstante Daten (Macht) Î Prozess (Einstiegsangebot, Häufigkeit der Konzessionen)

2

1981

F.R. Dwyer, O. Walker

Bargaining in an asymmetrical power structure

konstante Daten (Macht) Î Ergebnis

Journal of Marketing

Spieltheoretische Analyse: konstante Daten (Macht) Î Ergebnis

Journal of Marketing Research

Prozess (Informationsverhalten und Zugeständnisse) Î Prozess(Dauer) und Ergebnis

Journal of Marketing Research

3

1983

S. Neslin, L. Greenhalgh

Nash´s Theory of Cooperative Games as a Predictor of the Outcomes of BuyerSeller Negotiations: An Experiment in Media

4

1984

S. Clopton

Seller and Buying Firm Factors Affecting Industrial Buyers´ Negotiation Behavior and Outcomes

5

1986

J. Eliashberg, S. Latour, A. Rangaswamy, L. Stern

6

1988

A. Dion, M. Banting

7

1991

8

Untersuchungsziel

Accuracy of Two-UtilityVergleich von Spieltheorie und Based Theories in a Prospect Theory bei der Prognose Marketing Channel Nevon Ergebnissen gotiation Context

Journal Journal of Business Research

Journal of Marketing Research

Industrial Supplier-Buyer Prozess Negotiations Î Ergebnis

Industrial Marketing Management

J. Alexander, P. Schul, E. Babakus

Analyzing Interpersonal Communications in Industrial Marketing Negotiations

Prozess (Häufigkeit competitiver und cooperativer Strategien und Taktiken)

Journal of the Academy of Marketing Science

1995

R. Gulbro, P. Herbig

Differences in crosscultural negotiation behavior between industrial and consumer products

Konstante Daten (kulturelle Unterschiede) Î Prozess

Journal of Business & Industrial Marketing

9

1996

A. MintuWimsatt

Exploring factors that affect negotiators´ problem-solving orientation

Konstante Daten (P-/-E.-Faktor.) Î Prozess (integratives Verhalten)

Journal of Business & Industrial Marketing

10

1996

R. Guibro, P. Herbig

Negotiating Successfully in Cross-Cultural Situations

Konstante Daten (P.-Faktoren insb. Motive) Î Prozess (Erfolgsstrategien)

Industrial Marketing Management

11

1996

K. Westbrook

Risk Coordinative Maneuvers During BuyerSeller Negotiations

Konstante Daten (risikobehaftetes Objekt) Î Prozess (Strategien und Taktiken)

Industrial Marketing Management

197

Hierbei wurden insbesondere folgende Journals untersucht: Journal of Marketing, Journal of Marketing Research, Journal of the Academy of Marketing Science, Journal of Business Research, Industrial Marketing Management.

65 Exploring Departmental Level Interaction Patterns Prozess (interorganisational) in Organizational Purchasing Decisions

Industrial Marketing Management

12

1998

J. Katrichis

13

2000

A. MintuWimsatt, R. Calantone

Crossing the border: testing a negotiation model among Canadian exporters

Konstante Daten (P-u-E.-Faktoren im internationalen Vergleich) Î Prozess (integratives Verhalten)

Journal of Business & Industrial Marketing

14

2000

E. Pullins, C. Haugtvedt, P. Dickson, L. Fine, R. Lewicki

Individual differences in intrinsic motivation and the use of cooperative negotiation tactics

Prozess (integratives Verhalten) Î konstante Daten (Beziehungsaufbau)

Journal of Business & Industrial Marketing

15

2001

A. ZarkadaFraser, C. Fraser,

Moral decision making in Prozess (Strategien) international sales nego- Î konstante Daten (P-Faktoren insb. tiation Einstellung und Akzeptanz) Are two better than One? Bargaining Behavior and Outcomes in an Asymmetrical Power Relationship The Negotiation Process as a Predictor of Relationship Outcomes in International BuyerSupplier Arrangements

Journal of Business & Industrial Marketing

Konstante Daten (Macht) Î Prozess (Informationsverhalten)

Journal of Consumer Research

Prozess (Strategien u. Taktiken) Î konstante Daten (Transaktionsebene)

Industrial Marketing Management

The impact of purchase Konstante Daten (TransaktionsobD. Reid, E. situation on salesperson jekt) Pullins, R. Plank communication behaviors ÎProzess (integratives Verhalten) in business markets

Industrial Marketing Management

16

2001

F.R. Dwyer

17

2001

A. Sharland

18

2002

19

2004

M. Speece

Culture, intercultural communication competence and sales negotiation: a qualitative research approach

Konstante Daten (P.-Faktoren insb. Kultur) Î Prozess

Journal of Business & Industrial Marketing

20

2004

C. Brooks

Trust and negotiation tactics: perceptions about business-to-business negotiations in Mexico

Konstante Daten (P.-Faktoren insb. Kultur) Î Prozess und konstante Daten (Beziehungsstärke)

Journal of Business & Industrial Marketing

21

2004

B. Brooks, R. Rose

A contextual model of negotiation orientation

Konstante Daten (P.-Faktoren insb. Einstellungen)

Industrial Marketing Management

22

2004

T. Roxenhall, P. Ghauri

Use of the written contract in long-lasting business relationships

Konstante Daten (Transaktionsebene) Î Ergebnis (Vertragsgenauigkeit)

Industrial Marketing Management

23

2004

A. MintuWimsatt, J. Graham

Testing a Negotiation Model on Canadian Anglophone and Mexican Exporters

Konstante Daten (P.-Faktoren insb. Kultur) Î Prozess (integratives Verhalten) und Ergebnis (Zufriedenheit)

Journal of the Academy of Marketing Science

Tabelle 2: International referierte Beiträge zur Verhandlungsforschung

Werden die Inhalte dieser Arbeiten im Detail betrachtet, so fällt auf, dass die Zusammenhänge zwischen dem Prozess, dem Ergebnis sowie einer Auswahl an konstanten Daten –

66 und hierbei insbesondere Persönlichkeitsmerkmale, Transaktionsebene, Machtverhältnis –, im Mittelpunkt der Forschungsinteressen stehen, während die variablen Einflussmechanismen sowie die Präferenzen der Verhandlungsakteure keine Berücksichtigung finden (vgl. Tabelle 2). Auch wenn sie daher die Erkenntnisse der Interaktionsansätze durch eine stärkere Prozessorientierung sowie eine gesteigerte Beachtung des Einflusses von Persönlichkeitsmerkmalen ergänzen, decken auch diese Arbeiten das vielseitige Forschungsfeld industrieller Verhandlungen nicht ausreichend ab. Im deutschsprachigen Bereich ergibt sich schließlich ein vergleichbares Bild. Neben Plinke (1985), der die Persönlichkeit der Verhandlungsakteure in den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellt und hierbei verschiedene „Akquisiteurstypen“ identifiziert,198 erscheinen lediglich zwei weitere Handbuchbeiträge erwähnenswert: Capune/Crones (2003) entwickeln am Beispiel von Preisverhandlungen zwischen Industrie und Handel im Lebensmittelbereich einen strategischen Ansatz für erfolgreiches Verhandeln, indem sie Verhaltensregeln für die beteiligten Akteure aufstellen.199 Allerdings bleiben sie auf einer praxisnahen Ebene und unterfüttern ihre Empfehlungen nicht theoretisch; damit ist fraglich, inwiefern sich ihre Erkenntnisse auf andere Bereiche und Branchen übertragen lassen. Im Gegensatz hierzu bieten Voeth/Rabe (2004) einen umfassenden Überblick über die einzelnen Forschungsansätze sowie die hierin thematisierten Untersuchungsinteressen der Verhandlungsforschung. Allerdings geht es ihnen vor allem darum, Forschungsdefizite in der Literatur zum Industriegütermarketing aufzuzeigen, den notwendigen Forschungsbedarf deutlich zu machen und Anknüpfungspunkte für mögliche Forschungsinteressen im industriellen Kontext bereit zu stellen. Dass die Autoren mit dieser Forderung keine isolierte Auffassung vertreten, zeigt nicht zuletzt die tabellarische Übersicht international referierter Beiträge: Über ihre Hälfte ist erst ab dem Jahr 2000 publiziert worden. Dies lässt die Schlussfolgerung zu, dass das Thema Verhandlungen auch im Bereich des Industriegütermarketings als bislang vernachlässigtes, aber immer mehr auch als ein bedeutsames Untersuchungsfeld angesehen wird.

198

Vgl. Plinke (1985); der Autor differenziert verschiedene Akquisiteurstypen anhand der individuellen Motivlagen der Verhandlungsbeteiligten. Hierbei kommt er zu einer zweidimensionalen Matrix und somit zu vier Akquisiteurs-Kategorien. Dies sind Akteure mit einem hohen Preis- oder Auftragsinteresse sowie Akteure mit einer aktiven oder eher passiven Verhandlungsführung.

199

Vgl. Capune/Crones (2003); als beispielhafte Verhaltensregeln sehen die Autoren bspw. die Etablierung einer positiven Atmosphäre zu Beginn der Verhandlungen. Vgl. Capune/Crones (2003), S. 64ff.

67

2.4.1.3 Erkenntnisbeitrag der Vertriebs- und Verkaufsliteratur

Um einen möglichst vollständigen Überblick über den Stand der Verhandlungsforschung im Industriegütermarketing zu erlangen, soll abschließend noch der Frage nachgegangen werden, inwiefern die einschlägige Literatur zum Vertrieb bzw. zur Vertriebspolitik die Erkenntnisse der bislang referierten Literatur ergänzen bzw. vervollständigen kann. Dies erscheint notwendig, da sich aus den Funktionen des Vertriebs auf industriellen Märkten ein unmittelbarer Zusammenhang zum Thema Verhandlungen ergibt: So obliegen dem Vertrieb – neben der Verantwortung der logistischen Komponente200 – sämtliche akquisitorischen Aufgaben, die sich mit dem Management der Distributionswege befassen. Hier geht es um die Gestaltung der Interaktionen zwischen Anbieter und Nachfrager und der zwischen diesen Akteuren ablaufenden rechtlichen, ökonomischen, informatorischen und sozialen Beziehungen.201 Angesichts der häufig anzutreffenden Komplexität und Erklärungsbedürftigkeit technischer Produkte sowie der hieraus resultierenden hohen Bedeutung vertrauensvoller Beziehungen zwischen Geschäftspartnern werden diese auf industriellen Märkten in der Regel im Rahmen persönlicher Kontakte gesteuert. Diesen Überlegungen folgend herrscht auf Industriegütermärkten ein ganz konkretes Vertriebsverständnis, das sich insbesondere auf die Gestaltung persönlicher Interaktionsprozesse zwischen Anbieter und Nachfrager bezieht.202 Da hierbei neben allgemeinen akquisitorischen Aufgaben wie bspw. der Beziehungspflege insbesondere die Umsetzung und Abwicklung der geplanten Transaktionen anfallen, wird der Vertriebsbegriff in der Literatur zum Industriegütermarketing auch entsprechend oft als „Persönlicher Verkauf“ bezeichnet. Aus den Ablaufschritten eines idealtypischen Verkaufsprozesses203 und nicht zuletzt aus der Abgrenzung der verschiedenen Transaktionsebenen am Ende von Kapitel 2.2 kann dabei

200

In der Literatur besteht dabei bislang Uneinigkeit über die zu verwendenden Begrifflichkeiten: Oftmals wird in diesem Zusammenhang die Verantwortung der logistischen Komponente auch unter dem Begriff der Distributionspolitik subsumiert, während ausschließlich die akquisitorischen Aktivitäten dem Vertriebsbereich zugeordnet werden. Vgl. Homburg/Krohmer (2006).

201

Vgl. Backhaus/Voeth (2007), S. 264.

202 203

Vgl. Krafft (1995), S. 9. Nach Winkelmann (2003) läuft ein idealtypischer Verkaufsprozess dabei in 12 Schritten ab. Dies sind die Kundenlokalisierung und Vorqualifizierung, Kontaktaufnahme mit dem Kunden, Analyse der Kundenerwartungen und -wünsche, Kundenqualifizierung, Individualisierung des eigenen Angebots, Vertragsund Preisverhandlungen, Kaufabschluss, Auftragsbearbeitung, Nachbetreuung, ggf. Kundenrückgewinnung. Vgl. Winkelmann (2003), S. 15.

68 geschlussfolgert werden, dass die Verantwortung der Verhandlungsphase ein wichtiger Teilbereich der Vertriebsfunktion darstellt. Umso erstaunlicher erscheint es, dass die Verhandlungsphase im Rahmen des persönlichen Verkaufs nur selten explizit aufgegriffen, geschweige denn empirisch überprüft wird. Größtenteils stellen die existierenden Beiträge allgemeingültige, management-orientierte Handlungsempfehlungen für den persönlichen Verkauf dar, die – wenn überhaupt – auf deskriptive Beschreibungen von Verhandlungen Bezug nehmen. Unter Rückgriff auf das Analyseschema industrieller Verhandlungen beziehen sie sich dabei größtenteils auf den Bestandteil „Interaktionsprozess“. So beschreibt bspw. Bänsch (2006) den typischen Ablauf einer Verkaufssituation, wobei er die einzelnen Prozessschritte den Phasen der Geschäftsanbahnung, der Geschäftsverhandlungen und des Geschäftsabschlusses subsummiert.204 In Anlehnung an dieses Prozessschema werden inhaltliche Handlungsempfehlungen abgeleitet, die sich in der Verhandlungsphase insbesondere auf Techniken der Preisargumentation beziehen.205 Eine phasenbezogene Betrachtung des Verkaufsprozesses wird darüber hinaus von Karrass (1994) gewählt. Anders als Bänsch (2006) rückt er allerdings die taktische Ausgestaltung der Verhandlungsaufgabe in den Vordergrund und benennt zahlreiche Taktiken, die von der Art und Weise einer adäquaten Verhandlungseröffnung (Begrüßung, Vorstellung, etc.) über Methoden der Kompromissfindung (Ausreden lassen, Geduld üben, Versprechungen und Verpflichtungen einsetzen) bis hin zur Optimierung der Vertragsunterzeichnung reichen.206 Im Hinblick auf die taktische Gestaltung des Gesprächsverlaufs können an dieser Stelle die Ausführungen von Homburg/Stock (2000) ergänzend angeführt werden, die konstatieren, dass diesbezügliche Implikationen nicht allgemeingültig, sondern immer in Abhängigkeit vom Kundentyp erfolgen müssen.207 Als weitere taktische Verhandlungsaspekte werden in der Verkaufsliteratur bspw. die Art der Raumgestaltung oder die Wahl des Verhandlungsortes diskutiert. Demnach wird hinsichtlich der dieser Arbeit zu Grunde liegenden Syste-

204

Vgl. Bänsch (2006), S. 47ff.

205

Vgl. Bänsch (2006), S. 78.

206

Vgl. Karrass (1994).

207

Vgl. Homburg/Stock (2000), S. 136. In diesem Kontext empfehlen die Autoren unterschiedliche Taktiken für den „Redseligen“, den „Schüchternen“, den „Streitsüchtigen“, den „Positiven“, den „Alleswisser“, den „Dickfelligen“ und den „Listigen“.

69 matisierung zumindest teilweise auf variable Einflussmechanismen von Verhandlungen Bezug genommen.208 Neben den inhaltlichen und taktischen Implikationen in Bezug auf einzelne Verhandlungsphasen, finden sich bei einer Vielzahl anderer Autoren allgemeingültige Empfehlungen im Hinblick auf die kommunikative Gesamtgestaltung der Verhandlung.209 Diese beziehen sich vor allem auf die Effekte non-verbaler Kommunikation, wie z. B. Mimik, Gestik und Blickkontakt. Darüber hinaus werden Erfolgskonzepte in Bezug auf die sprachliche Ebene der Kommunikation bereitgestellt. Im Vordergrund hierbei stehen insbesondere semantische Aspekte, die die Einfachheit, Strukturiertheit des Satzbaus fördern, dabei dennoch problem-lösend und überzeugend wirken sollen. Neben den „prozess-fokussierten“ Beiträgen der Vertriebsliteratur liegt ein weiterer, wenn auch kleinerer Schwerpunkt auf der Untersuchung von Persönlichkeitsmerkmalen von Verhandlungsführenden.210 In diesem Zusammenhang existieren zahlreiche „PraktikerListen“ für den „optimalen“ Verkäufer, der in der Regel durchsetzungsstark, hartnäckig, fleißig und redegewandt ist sowie über eine positive Grundeinstellung verfügt.211 Eine wissenschaftlichere, dafür abstraktere Beschreibung idealtypischer Vertriebsmitarbeiter liefern Hahn (1997) und Homburg/Stock (2000), die ein hohes Maß an Verkaufs- und Kundenerfahrung sowie eine kundenorientierte Einstellung als grundlegende Voraussetzung einer erfolgreichen Verhandlungsführung ansehen.212 Um eine kundenorientierte Einstellung innerhalb des Vertriebsbereichs zu institutionalisieren, finden sich bei diesen Autoren abschließend zahlreiche organisationsbezogene Empfehlungen, die sich insbesondere auf Maßnahmen der Umsetzung eines kundenorientierten Führungsverhaltens sowie auf die Durchführung von Motivations- und Coaching-Workshops beziehen. Zusammengenommen geben die Ausführungen zu erkennen, dass – trotz der aufgezeigten Relevanz von Verhandlungen im Rahmen der unternehmerischen Vertriebsaktivitäten – der zusätzliche Erkenntnisgewinn der Vertriebsliteratur zu industriellen Verhandlungen eher als gering einzustufen ist. Während inhaltliche sowie sprachliche Gestaltungsoptionen dabei immerhin eine Ergänzung zu den in den anderen Literaturkategorien thematisierten

208

Vgl. Graumann (1972).

209

Vgl. hierzu bspw. Jahnke (1975) und Klammer (1989).

210

Vgl. Lütke (2005); Winkelmann (2003).

211

Vgl. http://acquisa.de/editionContent?topicItem=Schwerpunktthema&editionID=1103117493.55

212

Vgl. Hahn (1997), Homburg/Stock (2000), S. 30.

70 Prozessaspekten darstellen, können die Erklärungsbeiträge zu den Persönlichkeitsmerkmalen keinen überzeugenden Mehrwert stiften. Dies liegt insbesondere daran, dass sie sich in der Regel auf die subjektive Einschätzung von Praktikern stützen und keine über Einzelerfahrung hinausgehende empirische Bestätigung erfahren haben. Darüber hinaus ist zu kritisieren, dass auch in der Vertriebsliteratur – analog zu den vorangegangenen Literaturkategorien – das Steuerungspotenzial der Präferenzen der Verhandlungsakteure nicht weiter berücksichtigt wird. Praktische, weitgehend deskriptive „Tipps“ dominieren somit, eine theoretische Fundierung oder wissenschaftliche Explikation fehlen zumeist.

2.4.2 Stand der Verhandlungsforschung im Industriegütermarketing

Das Industriegütermarketing hat in Wissenschaft und Praxis – insbesondere in den vergangenen zwei Jahrzehnten – einen nahezu stürmischen Aufschwung erfahren. Wie die Erkenntnisbeiträge der vorangegangenen Literaturübersicht zeigen, wurde hiervon das vielschichtige Thema industrieller Verhandlungen jedoch kaum tangiert. Es bleibt im Vergleich zu anderen Themengebieten deutlich unterrepräsentiert und wird nicht annähernd in seinem ganzen Umfang erfasst. Ohne die einzelnen Forschungsdefizite der jeweiligen Literaturkategorien wiederholen zu wollen, erscheint bei einer näheren Analyse jedoch augenfällig, dass insbesondere der Analysebereich der Verhandlungspräferenzen – wenn überhaupt – nur stiefmütterlich behandelt worden ist. Abbildung 9 macht dies deutlich, indem dort die vorhandenen verhandlungsbezogenen Forschungsrichtungen des IGM einsortiert worden sind. Rechtliche Rahmenbedingungen Technologische Rahmenbedingungen

Interaktionsansätze

Wirtschaftliche Rahmenbedingungen Ausgangssituation Ausgangssituation

„PVerhandlungen

Interaktionsverhältnis allgemeine Literatur, Interaktionsansätze

F a k t o r e n“

„EEntscheidungsproblem Interaktionsansätze

F a k t o r e n“

Handlungssituation Entscheidungssituation EntscheidungsHandlungssituation situation

Interaktionsansätze, allgemeine Literatur, Vertriebsliteratur

prozessual

Präferenzen ergebnisorientiert

P r o z e s s

Interaktionsansätze, allgemeine Literatur, Vertriebsliteratur allgemeine Literatur, Vertriebsliteratur

Ergebnis

Interaktionsansätze,

Abbildung 9: Die defizitäre Analyse von Verhandlungspräferenzen im Industriegütermarketing

71 Als diesbezügliche Begründung führen Crott/Kutschker/Lamm bereits in den 1970er Jahren die Multipersonalität und die Multidimensionalität industrieller Verhandlungen an. Nach Meinung der Autoren erschwert letzteres bereits die Analyse individueller Präferenzordnungen, während ersteres intersubjektive Nutzenvergleiche „illusorisch“ erscheinen lässt.213 Sie verweisen daher entsprechende Analysemodelle in den Bereich abstrakter Gedankenspielereien ohne prognostische Kraft. Wie jedoch ihre besondere Position in dem internen Wirkungszusammenhang der Verhandlungselemente zum Ausdruck bringt, sollte vor allem der Präferenzanalyse hohe Aufmerksamkeit gewidmet werden, denn „in attempting to decide on the kind of bargaining stance to adapt and on the kind of result to desire, each party must acquire information about the other’s preferences, (…), what he wants and what he will settle for.“214 Damit aber ist die im Industriegütermarketing vorhandene Literatur zu Verhandlungen nicht nur unterrepräsentiert, vielmehr wurden besonders relevante Verhandlungselemente zum Teil noch gar nicht, zumindest aber noch nicht ausreichend behandelt. Insbesondere die Analyse der Präferenzen der Verhandlungsbeteiligten hat in der Vergangenheit einen zu geringen Stellenwert erfahren.

2.5 Zur Bedeutung der Präferenzanalyse in industriellen Verhandlungen 2.5.1 Die Notwendigkeit einer externen und internen Präferenzanalyse in industriellen Verhandlungen

Die bisherige Vernachlässigung der Untersuchung von Verhandlungspräferenzen innerhalb des Industriegütermarketings verwundert umso mehr, weil sie in inter-organisationalen Austauschprozessen gleichsam doppelte Relevanz besitzen: So sollten sie hier nämlich nicht nur extern, d. h. im Hinblick auf die Analyse der „gegnerischen“ Präferenzsysteme erfolgen, vielmehr sind sie auch intern zur Ermittelung Präferenzsstrukturen der eigenen Verhandlungsrepräsentanten von Bedeutung. In diesem Zusammenhang wurde bereits dargestellt, dass die Analyse der „gegnerischen“ Präferenzsysteme prinzipiell einer besseren Verhandlungsvorbereitung und somit einer 213

Vgl. Crott/Kutschker/Lamm (1977), S. 81ff.

214

Rubin/Brown (1975), S. 259.

72 Optimierung der erzielbaren Verhandlungsgewinne dienen kann, wenn die Erwartungen der Gegenseite für die Ermittlung möglicher Trade-Off-Effekte sowie der Ableitung geeigneter Verhandlungsstrategien genutzt werden.215 Angesichts des zu konstatierenden Wettbewerbs in vielen Branchen sind derartige Erfolgspotenziale auch für industrielle Unternehmen von hohem Interesse. So werden auch auf Industriegütermärkten – analog zu den Entwicklungen im Konsumgüterbereich in der Vergangenheit – Produkte und Leistungen zunehmend austauschbarer. Damit einhergehend stellt ihre Vermarktung immer höhere Ansprüche an die Selling Teams, da es zunehmend schwieriger wird, einen kundenseitig wahrgenommenen Nutzenvorteil gegenüber alternativen Konkurrenzangeboten zu etablieren.216 Oftmals kann dieser nur noch dann erzielt werden, wenn die Angebote den oftmals vielschichtigen Präferenzen der Nachfrager weitgehend entsprechen. Das soll nun jedoch nicht bedeuten, dass die „externe“ Präferenzanalyse immer nur dann von Bedeutung ist, wenn komplexe Verhandlungssituationen mit einer Vielzahl an präferenzrelevanten Verhandlungsgegenständen anstehen. Vielmehr erscheint sie auch oder gerade insbesondere dann von Bedeutung, wenn hauptsächlich der Preis als kaufentscheidungsrelevantes Kriterium fungiert. Auch hier kann nämlich eine aus Kundensicht optimierte Anbieterleistung in Bezug auf sämtliche, neben dem Preis relevanten Verhandlungsaspekte zu einem wahrgenommenen Nutzenvorteil des eigenen Angebotes bei gleichzeitiger Existenz preisidentischer oder sogar günstigerer Anbieter führen. Diese (Zusatz-) nutzenstiftenden Verhandlungselemente müssen sich dann jedoch – abgesehen von der Unterbreitung unterschiedlicher Finanzierungsformen oder dem Angebot sonstiger produktbegleitenden Dienstleistungen – insbesondere auch auf die Erfüllung der prozessualen Präferenzen der Nachfrager und damit auf die Art und Weise der Angebotsunterbreitung beziehen, wie aus der Beschreibung der Präferenzsysteme industrieller Verhandlungsakteure unmittelbar ersichtlich wird (vgl. Abb. 10).217

215

Vgl. hierzu auch die Ausführungen in Kapitel 2.2.2.

216

Vgl. Backhaus/Voeth (2006), S. 33ff. Ein Nutzenvorteil kann dabei nach den Autoren immer dann erreicht werden, wenn „ein Leistungsangebot in der Wahrnehmung der Nachfrager im Vergleich zu allen relevanten Konkurrenzangeboten als überlegen eingestuft wird“. Dieser Nutzenvorteil wird immer dann als Komparativer KonkurrenzVorteil (KKV) bezeichnet, wenn er zudem anbieterseitig einen Ergebnisüberschuss generiert.

217

Vgl. Backhaus/Mühlfeld (2004) sowie die Ausführungen in Kapitel 2.2.1.1.2.

73 Nutzen der Verhandlungsakteure

Wahrgenommener Nutzenvorteil A/K

Prozesspräferenz n

Prozesspräferenz n Prozesspräferenz 2 Prozesspräferenz 1

Prozesspräferenz 2

Preis

Prozesspräferenz 1

Preis

Konkurrent

Anbieter

Abbildung 10: Nutzenvorteile durch die Umsetzung prozessualer Präferenzen bei austauschbaren Leistungen

Derartige Überlegungen geben zu Erkennen, dass eine Präferenzanalyse immer nur dann Erfolg versprechend ist, wenn sie „umfassend“ angelegt ist, d. h. wenn sie die Gesamtheit der relevanten Verhandlungspräferenzen berücksichtigt. So raten auch schon MintuWimsatt/Calantone (1996) Verhandlungsakteuren: „Before meeting you counterparts it would be not only beneficial to learn about the economic preferences but also about their preferences concerning mannerisms and acceptable business conduct.“218 Dabei gilt zu bedenken, dass diese Forderung selbstverständlich für beide Marktseiten Gültigkeit besitzt, auch wenn sich die bisherigen Ausführungen auf die Anbieterpartei bezogen haben. Beispielsweise kann es nämlich aus Beschaffungssicht vorteilhaft sein, die für den Anbieter relevanten Verhandlungsaspekte zu kennen, um durch diesbezügliche Zugeständnisse einen niedrigeren Einkaufspreis durchsetzen zu können. Wie bereits erwähnt sollte in industriellen Verhandlungen neben der Analyse der „gegnerischen“ Präferenzen auch der Analyse der internen Präferenzen ein besonderer Stellenwert beigemessen werden. Dieser resultiert zunächst aus der Tatsache, dass in industriellen Verhandlungen Repräsentanten im Sinne der Gesamtunternehmung verhandeln, die für eine Konsenserzielung, die nahe der aus Unternehmenssicht präferierten Vertragsalternative liegt, klare Vorgaben über den angestrebten Verhandlungsraum erhalten müssen. Dabei geht aus Kapitel 2.2.1.1.2 hervor, dass diese sich hauptsächlich auf ergebnisorientierte Prä-

218

Mintu-Wimsatt/Calantone (1996), S. 69; die Analyse der kundenseitigen Präferenzen kann darüber hinaus auch von Interesse sein, um hierdurch gezielter „taktisches Drohpotential“ nutzen zu können. Damit ist diese „umgekehrte“ Verwendung der kundenseitigen Nutzendimensionen für Anbieter auch dann von Bedeutung, wenn es darum geht, die eigene Verhandlungsposition zu stärken.

74 ferenzangaben beziehen werden, um das primäre Unternehmensziel der Wertsteigerung bestmöglich zu optimieren. Vor diesem Hintergrund sollte eine interne Präferenzanalyse, die die Vorstellungen der Gesamtunternehmung untersucht, jedoch immer nur den ersten Schritt darstellen. So scheint es nämlich insbesondere von Bedeutung, die Präferenzstrukturen auf Ebene der Verhandlungsrepräsentanten zu analysieren. Ursächlich hierfür ist die Tatsache, dass auch diese zwar auch den Gesamtnutzen der Verhandlung maximieren wollen, hierbei allerdings sowohl die postulierten Ergebnispräferenzen als auch ihre individuellen Prozesspräferenzen eine Rolle spielen. Dies hat letztendlich zur Folge, dass die resultierenden Verhandlungsbemühungen und -ergebnisse teilweise erheblich von den ursprünglichen Zielbestrebungen der Gesamtunternehmung abweichen können. Für eine bessere Veranschaulichung gilt in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass der relative Bedeutungsumfang der ergebnisorientierten und prozessualen Präferenzen individuell von jedem Repräsentanten bestimmt wird. Dabei ist davon auszugehen, dass sie u. a. von dem Grad der Internalisierung der vorgegebenen ergebnisorientierten Präferenzen abhängt, wobei sich zwei Extremsituationen unterscheiden lassen: Bei einem hohen Internalisierungsgrad werden die prozessualen Präferenzen eine unterproportionale Bedeutung einnehmen, während die Erfüllung der ergebnisorientierten Präferenzen zu einem überproportionalen Nutzenzuwachs führt. Darüber hinaus ist für diesen Fall anzunehmen, dass sich die Verfolgung prozessualer Präferenzen an der Umsetzung ergebnisorientierter Präferenzen orientiert. Damit stiftet ihre Umsetzung dem Unternehmen gleichsam einen doppelten Nutzen, indem sie dazu beitragen, ein besseres Verhandlungsergebnis zu erzielen. Stellt eine derartige Nutzenfunktion damit aus Sicht der „echten“ Verhandlungsparteien, nämlich der Gesamtunternehmung, sicherlich den Idealfall dar, kann die Umsetzung prozessualer Präferenzen durch die Verhandlungsakteure im anderen Extrem auch zu einer Ergebnisschmälerung führen. Derartige Nutzenfunktionen entstehen nicht nur durch einen geringen Internalisierungsgrad der Ergebnispräferenzen und eine damit einhergehende überdurchschnittliche Verfolgung subjektiv relevanter Prozessaspekte, sondern insbesondere auch im Fall einer geringen Risikoneigung der Akteure.219 So kann für einen risikoaversen Verhandlungsakteur unterstellt werden, dass dieser eher ein sicheres, wenn auch nicht optimales Verhandlungsergebnis akzeptiert, da er eine konfliktäre Eskalation des

219

Vgl. Krafft (1995), S. 17f.; Tversky/Kahnemann (1981), S. 457.

75 Verhandlungsprozesses und das damit steigende Risiko einer Nicht-Einigung scheut.220 Während ein derartiges Agieren zwar durchaus den individuell wahrgenommenen Gesamtnutzen einer Verhandlung maximieren kann, wird es sich oftmals negativ auf den resultierenden Nutzen aus Unternehmensperspektive auswirken. Die geschilderten Ausprägungen möglicher Nutzenfunktionen der Verhandlungsakteure sind nochmals in Abbildung 11 veranschaulicht. Während im ersteren Fall eine Zielkonformität zwischen Gesamtunternehmung und Repräsentanten nicht zuletzt durch die „Gleichschaltung“ ergebnisorientierter und prozessualer Präferenzbestrebungen existiert, resultiert im letzteren Fall ein Zielkonflikt zwischen „echter“ Verhandlungspartei und den Verhandlungsführern, da die Umsetzung ihrer prozessualen Präferenzen den Ergebniserwartungen der Unternehmung gleichsam entgegengerichtet ist. Nutzen der Unternehmung

Zielkonformität

Keine Zielkonformität

prozessuale Präferenzen

Nutzen bei hoher Internalisierung Entgangener Nutzen

ergebnisorientierte Präferenzen prozessuale Präferenzen

ergebnisorientierte Präferenzen

Nutzen bei niedriger Internalisierung

Abbildung 11: Heterogenität der Nutzenfunktionen von Verhandelnden

Damit wird deutlich, dass die interne Ermittlung und Steuerung der Präferenzfunktionen der Verhandlungsrepräsentanten für industrielle Unternehmen nicht gleichgültig ist. Denn die Existenz von Präferenzstrukturen, die sich ersterem Extrem annähern, ist mit geringeren Kosten als der zweite Fall verbunden. Das bedeutet konkret: Wenn sich die Verhandlungsakteure so verhalten, dass sich die Gesamtheit ihrer Präferenzen an den von der Unternehmensleitung verfolgten Verhandlungszielen ausrichtet, dann muss ihre Berücksichtigung nicht erst von der Unternehmensleitung erkauft werden.

220

Vgl. Bazerman/Neale (1992), S. 38.

76 Hiermit ist jedoch nicht die „Grundincentivierung“ der Verhandlungsakteure gemeint, die generell für die Internalisierung der zunächst ausschließlich derivativ wahrgenommenen Ergebnispräferenzen notwendig ist. Vielmehr sind zusätzliche Anreizmechanismen angesprochen, die die Verhandlungsakteure nicht nur motivieren sollen, die unternehmenszielorientierten Vorgaben bestmöglich umzusetzen, sondern die auch die Entwicklung ihrer prozessualen Präferenzen derart beeinflussen, dass hierdurch in keinem Fall Ergebnisschmälerungen eintreten und idealerweise sogar zusätzliche Leistungssteigerungen zu erwarten sind. Während im Bereich der „Grundincentivierung“ insbesondere materielle Anreizmechanismen wie bspw. variable leistungsbezogene Vergütungen Erfolg versprechend sind, erscheint für den „zusätzlichen Erkauf“ eines zielorientierten Prozessmanagements daher auch eine Reihe an immateriellen Incentives wie bspw. Weiterbildungsmaßnahmen oder Feedback-Gespräche relevant.221 Letztendlich ist hierbei jedoch zu bedenken, dass sich prozessuale Präferenzen – anders als Ergebnispräferenzen – auf der Persönlichkeitsebene der Akteure entwickeln. Damit einhergehend ist ihre Steuerung im Hinblick auf Ausrichtung und Bedeutungsumfang unternehmensseitig mit höheren Schwierigkeiten verbunden, als dies bei ergebnisorientierten Präferenzen der Fall ist. Auch wenn ihre Incentivierung daher nicht unberücksichtigt bleiben sollte, sehen es Brooks/Rose (2004) in vielen Situationen als Erfolg versprechender an, die Zusammensetzung der Verhandlungsteams an dem zu lösenden Entscheidungsproblem zu orientieren, als die Einstellungen und damit verbundenen Prozessvorstellungen im Hinblick auf eine konkrete Verhandlung zu beeinflussen.222 In gleichem Zusammenhang empfehlen Mintu-Wimsatt/Calantone (1996), „that business executives place some priority in knowing a prospective negotiator’s background before he/she is selected and assigned the negotiation task.“223

221

Bea/Dichtl/Schweizer (1997), S. 296ff.

222

Brooks/Rose (2004), S. 131.

223

Mintu-Wimsatt/Calantone (1996), S. 70.

77

2.5.2 Die Notwendigkeit der quantitativen Analyse von Verhandlungspräferenzen

Für ein systematisches Managment von Verhandlungspräferenzen ist nicht nur ein Erkennen der Bedeutung von externen als auch internen Präferenzstrukturen entscheidend. Die hiermit einhergehenden Erfolgspotenziale können zudem nur dann realisiert werden, wenn Unternehmen diese „Vorbereitung“ in quantitativer Form durchführen. Das bedeutet konkret, dass Unternehmen im Vorfeld der Verhandlungen ihre eigenen als auch „gegnerischen“ Präferenzen nicht nur benennen, sondern sich vielmehr darum bemühen sollten, diese auch in ihrer relativen Bedeutung zu bestimmen. Diese zusätzliche Notwendigkeit ist darauf zurückzuführen, dass nur so eine abschließende Beurteilung realistischer Entscheidungsalternativen getroffen werden kann und die für beidseitig nutzensteigernde Verhandlungsergebnisse erforderlichen Trade-Off-Potenziale identifiziert werden können. Zur besseren Veranschaulichung soll erneut das Beispiel aus Kapitel 2.2.1.2.1 – wenn auch in modifizierter Form – angeführt werden (vgl. Tabelle 3):

Präferenz Nachfrager (500)

Präferenz Anbieter (500)

Präferenz Nachfrager (6000) Bedeutung

B C

Finanzierung

Bedeutung

A

Präferenz Anbieter (6000) Bedeutung

Vereinbarung

Lieferzeit

Bedeutung

Gegenstand

Tabelle 3: Problemstellung bei einer ordinalen Nutzenmatrix

Aus Tabelle 3 ist ersichtlich, dass eine bloße Benennung der einzelnen Präferenzen – auch wenn sie die möglichen Entscheidungsalternativen in priorisierter Rangfolge angibt – zwar Anhaltspunkte über mehr oder weniger vorziehenswürdige Vereinbarungen liefern kann, die Verhandlungsparteien im Fall komplexer Verhandlungssituationen jedoch in der Regel nicht mit konkreten Hinweisen in Bezug auf die nutzenmaximalen und zudem beidseitig kompromissfähigen Lösungen ausstatten kann. So ist nämlich davon auszugehen, dass die ordinale Untersuchung der Verhandlungspräferenzen den Verhandlungsakteuren die Einigung auf Alternative B für beide Gegenstände als kompromissfähigste Lösung und damit zugleich beidseitig zufriedenstellenste Lösung suggeriert. Die relativen Wichtigkeiten der Verhandlungsgegenstände im oberen Teil von Tabelle 3, die Tabelle 1 entnommen wur-

78 den, können hingegen aufzeigen, dass sich Trade-Off-Potenziale zwischen beiden Verhandlungsgegenständen realisieren lassen, da diese von unterschiedlicher Bedeutung für die Verhandlungsparteien sind und daher gegenseitige Zugeständnisse in Bezug auf die Vereinbarungen A und C erlauben. Während die quantitative Ermittlung von Trade-Off-Effekten dabei im ersten Blick nur im Hinblick auf ergebnisorientierte Paketofferten relevant erscheint, spielt sie auch bezüglich der prozessualen Präferenzen der Verhandlungsakteure eine wichtige Rolle. So ist zwar davon auszugehen, dass Nachfrager in komplexen industriellen Transaktionsprozessen bspw. neben der Vereinbarung bestimmter Produkt- und Leistungsstandards auch eine umfassende Informationsbereitstellung in Bezug auf mögliche Referenzen oder Gewährleistungsgarantien präferieren. Ab welchem „Informationsniveau“ und den damit verbundenen anbieterseitigen Bemühungen, das vom Kunden empfundene Risikoniveau zu senken, allerdings eine bestimmte höhere Preisbereitschaft der Kunden vorliegt, ist erst durch die quantitative Einschätzung aller relevanten Verhandlungspräferenzen möglich. Wie das vorangegangene Beispiel zeigt, kann die quantitative Ermittlung möglicher TradeOff-Effekte zwischen prozessualen und ergebnisorientierten Kundenpräferenzen damit zu direktem ökonomischen Nutzen führen. Darüber hinaus wird deutlich, dass die Bedeutung einer quantitativen Präferenzmessung für die Gesamtheit industrieller Transaktionen von Relevanz ist, da auch in „einfachen“ Preisverhandlungen, bei denen in der Regel keine Möglichkeit zu vertragsrelvanten Paketofferten besteht, nutzensteigernde Trade-OffEffekte durch die duale Existenz ergebnisorientierter und prozessualer Präferenzen umgesetzt werden können. Vor dem geschilderten Hintergrund kann eine Präferenzanalyse, die die einzelnen Präferenzstrukturen der Parteien nur benennt, lediglich als notwendige, nicht aber als hinreichende Bedingung einer strategisch verstandenen Verhandlungsvorbereitung gesehen werden. Lax/Sebenius (1986) vergleichen sie daher mit der Angabe eines Rezepts „(…) without including the proportions.“224 Um auch die hinreichende Bedingung zu erfüllen, ist es jedoch erforderlich, die möglicherweise unterschiedlichen Präferenzskalen auf ein einheitliches Nutzenmaß zu transformieren. Erst diese Skalenangleichung erlaubt den intrapersonellen Präferenzvergleich zur Bewertung unterschiedlicher Verhandlungssituationen

224

Vgl. Lax/Sebenius (1968), S. 70.

79 sowie den inter-personellen Vergleich zur Identifizierung kompromissfähiger Vereinbarungen.225 Auch wenn die Ausführungen zum Ausdruck bringen, dass die Analyse von Verhandlungspräferenzen insbesondere dann wissenschaftliche Erkenntnisse liefert sowie als strategischer Erfolgsfaktor in praktischen Verhandlungen eingesetzt kann, wenn sie in quantitativer Form erfolgt, darf diese Forderung nicht apodiktisch gesehen werden. So gilt es nämlich zu bedenken, dass in allen Analysesituationen, die durch präferenzspezifische Informationasymmetrien gekennzeichnet sind, vollkommen wahrheitsgemäße Angaben in der Realität kaum erzielt werden können. Eine bestmögliche Annäherung bspw. in Bezug auf die gegnerischen Präferenzen oder aber auch auf die Präferenzsysteme der Unternehmensrepräsentanten kann daher bereits als wesentliche Entscheidungshilfe gewertet werden.

2.5.3 Übergeordnete Zielsetzung der Arbeit

Verhandlungen sind ein bedeutsamer Untersuchungsgegenstand des Industriegütermarketings. Hierbei stellen die ergebnisorientierten und prozessualen Präferenzen der Verhandlungsparteien die zentralen Steuerungsmechanismen für das Zustandekommen von Verhandlungsergebnissen dar. Aufgrund ihrer damit verbundenen prognostischen Relevanz sollte vor allem ihrer Analyse hohe Bedeutung beigemessen werden. Umso erstaunlicher erscheint es, dass die Marketing-Literatur Verhandlungen im Allgemeinen bislang nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet hat. Und die wenigen Beiträge, die sich mit diesem Untersuchungsfeld beschäftigen, lassen den wesentlichen Einflussfaktor industrieller Austauschprozesse, die Präferenzen der Beteiligten, meist völlig unberücksichtigt. Angesichts dieses Forschungsdefizits widmet sich die vorliegende Arbeit der Präferenzanalyse industrieller Verhandlungsakteure, um eine bessere Erklärung der ablaufenden inter-organisationalen Interaktionsprozesse bereit zu stellen und hierauf aufbauend organisationales Entscheidungsverhalten besser prognostizieren zu können. Wie die vorangegangen Ausführungen deutlich machen, erscheint für diese Zielsetzung die umfassende Berücksichtigung ergebnisorientierter und prozessualer Präferenzen notwendig. Zugleich ist deren quantitative Messung zwingend erforderlich. 225

Vgl. Tutzauer (1991), S. 69.

80 In diesem Zusammenhang darf allerdings nicht übersehen werden, dass der Bereich der Verhandlungen zwar in der Industriegütermarketing-Literatur defizitär behandelt wurde, zugleich jedoch außerhalb dieses Forschungsbereichs aus verschiedenen Perspektiven angegangen worden ist. Damit erscheint es sinnvoll, zunächst bestehende Ansätze der Verhandlungsforschung im Hinblick darauf zu analysieren, inwiefern sie dem Industriegütermarketing Einblicke in die Vorgehensweisen und Möglichkeiten einer Präferenzmessung in Verhandlungen geben können. Dies gilt nicht zuletzt deshalb, da die Analyse der Verhandlungspräferenzen bereits als zentraler Erfolgsfaktor in einer Vielzahl von Lehrbüchern zu Verhandlungen außerhalb der Marketing-Literatur identifiziert worden ist.226

226

Vgl. hierzu Kapitel 2.2.2.

81

3

Verhandlungspräferenzen als Gegenstand der Verhandlungsforschung

I have said on another occasion and it seems to me important enough to repeat it here, that he who is only an economist cannot be a good economist. Much more than in the natural sciences, it is true in the social sciences that there is hardly a concrete problem which can be adequately answered on the basis of a single special discipline. (Friedrich Hayek)

Die Vielschichtigkeit des Verhandlungskonstrukts ist nicht zuletzt verantwortlich dafür, dass sich mit diesem Untersuchungsfeld eine Vielzahl von Disziplinen beschäftigt hat. Beispielhaft seien an dieser Stelle die Wirtschaftswissenschaften, die Psychologie, die Informatik, die Politikwissenschaften sowie die Soziologie erwähnt.227 Einen Überblick über die Interdisziplinarität dieses Forschungsfeldes geben u. a. Bichler/Kersten/Strecker (2003), wobei sie die verschiedenen Ansätze systematisch im Hinblick auf ihre jeweiligen Erkenntnisbeiträge und Untersuchungsperspektiven miteinander vergleichen.228 Aufgrund des dieser Arbeit zu Grunde liegenden industriellen Kontexts sollen im Folgenden jedoch lediglich Ansätze aus den Wirtschaftswissenschaften und der Psychologie überblicksartig vorgestellt und hinsichtlich der Messung von Verhandlungspräferenzen näher analysiert werden. So ist davon auszugehen, dass deren Erkenntnisbeiträge – angesichts ihrer thematischen Nähe – am ehesten auf den Bereich des Industriegütermarketings übertragbar sind. Für eine strukturierte Darstellung lassen sich die ausgewählten Ansätze auf einer ersten Ebene in theoretische und managementbezogene Ansätze unterscheiden.

227

Vgl. hierzu auch Kapitel 2.2.1.

228

Vgl. Bichler/Kersten/Strecker (2003).

82

3.1 Darstellung und Analyse der theoretischen Ansätze der Verhandlungsforschung

Die große Anzahl an Veröffentlichungen im Bereich der theoretischen Verhandlungsforschung macht eine vollständige Übersicht aller bestehenden Ansätze nahezu unmöglich.229 Daher sollen an dieser Stelle zunächst zwei Forschungsrichtungen skizziert werden, die sich hinsichtlich ihrer generellen Zielsetzungen und spezifischen Analysemethoden unterscheiden. Dies sind zum einen analytisch-präskriptive und zum anderen deskriptive verhaltenswissenschaftliche Ansätze. Während erstere eine axiomatisch-deduktive Vorgehensweise verfolgen, stehen bei letzteren empirisch-induktive Aussagesysteme im Vordergrund. Darüber hinaus erscheint es sinnvoll, die Forschungsrichtung der Negotiation Analysis vorzustellen. So verfolgt sie erstmalig die Zielsetzung, Erkenntnisse der beiden zuvor genannten Forschungsrichtungen zu integrieren.

3.1.1 Analytisch-präskriptive Forschungsansätze 3.1.1.1 Darstellung der analytisch-präskriptiven Ansätze

Analytisch-präskriptive Ansätze untersuchen Verhandlungen als ein in sich geschlossenes und zwischen mindestens zwei Parteien bestehendes interdependentes Entscheidungsproblem, das mit Hilfe mathematisch-formaler Modelle gelöst werden soll. Die axiomatischdeduktive Sichtweise kommt darin zum Ausdruck, dass unter Annahme vollständiger Rationalität optimale Verhandlungsergebnisse logisch-stringent abgeleitet werden, wobei Optimalität bedeutet, dass die Ergebnisse für die beteiligten Parteien nutzenmaximal sind. Zu diesem Forschungsansatz zählt zunächst eine Vielzahl von Studien, die auf der Theorie des bilateralen Monopols basiert. In diesem Zusammenhang analysierte Edgeworth (1881) als einer der ersten Wissenschaftler, inwiefern zwei Wirtschaftssubjekte durch die bilaterale Umverteilung zweier Güter eine Besserstellung erzielen können. Während Edgeworth (1881) auf Basis der traditionellen ökonomischen Theorie allerdings keinen optimalen Ver-

229

Für umfassendere Darstellungen vgl. Putnam/Roloff (1992), S. 3ff.

83 teilungspunkt

identifizierte,230

konnte

die

aus

den

Arbeiten

von

Von

Neu-

mann/Morgenstern (1944) hervorgegangene mathematische Theorie strategischer Spiele einen ersten entscheidenden Beitrag zu dieser Fragestellung liefern. Hierfür gingen die beiden Mathematiker davon aus, dass Akteure in interdependenten Entscheidungssituationen über individuelle Nutzenfunktionen verfügen, die sie zu maximieren versuchen.231 Da die diesbezüglich von Von Neumann/Morgenstern (1944) entwickelte Nutzenfunktion (VNM-Nutzenfunktion) ein kardinales Maß für die Beurteilung der Entscheidungsalternativen eines Individuums darstellt, wurde sie in Folge zu einer wichtigen Grundlage der allgemeinen Spieltheorie. Die allgemeine Spieltheorie beschäftigt sich mit strategischen Interaktionssituationen, in denen mindestens zwei Akteure in ihrem Entscheidungsverhalten simultan voneinander abhängig sind. Die Akteure müssen daher in ihrem eigenen Entscheidungskalkül die Entscheidungen der anderen Akteure antizipieren.232 Zielsetzung der Spieltheorie ist es vor diesem Hintergrund, mit Hilfe formaler Überlegungen optimale Spielausgänge bzw. Entscheidungen zu entwickeln. Als rational wird das Verhalten der Akteure dabei dann bezeichnet, wenn sie auf Basis einer VNM-Nutzenfunktion ihre eigenen Ziele verfolgen und sich somit streng eigennutzenmaximierend verhalten. Harsanyi (1995) bezeichnet die Spieltheorie daher auch als Theorie des rationalen Verhaltens, das durch folgende Merkmale modelliert wird:233 ƒ

eine Auswahl an Handlungen A, aus denen der Entscheidungsträger auszuwählen hat,

ƒ

eine Zusammenstellung aus jeweils resultierenden Ergebnissen C,

ƒ

eine Funktion g(A) => C, die jeder Handlung A ein Ergebnis C zuweist, sowie

ƒ

eine Präferenzbeziehung im Hinblick auf die Menge an Konsequenzen C, die vollständig transitiv ist.

230

Vgl. Holler/Illing (2003), S. 191ff.

231

Vgl. Von Neumann/Morgenstern (1944).

232

Vgl. Osborne/Rubinstein (1994); Harsanyi (1995), S. 292ff.

233

Vgl. Harsanyi (1995), S. 292.

84 Analog zu den Arbeiten von Von Neumann/Morgenstern (1944) wird dabei jener Spielausgang als optimal betrachtet, bei dem die Entscheidungsträger ihren individuellen Nutzen maximieren.234 Da es sich auch bei Verhandlungen um interdependente Entscheidungssituationen handelt, wundert es nicht, dass die Spieltheorie das zentrale Theoriegebäude für die Analyse von Verhandlungen im Bereich der analytisch-präskriptiven Ansätze darstellt. In Anlehnung an den aufgezeigten Anwendungsbereich der Spieltheorie geht Young (1991b) dabei sogar so weit, dass er konstatiert: „Every negotiation is a game.“235 Die hauptsächliche Problemstellung, die von der Spieltheorie in diesem Zusammenhang untersucht wird, kann dabei wie folgt beschrieben werden: „Individuals have before them several possible contractual agreements. Both have interests in reaching an agreement but their interests are not entirely identical. What „will be“ the contract, assuming that both parties behave rationally?“236 Zur Beantwortung dieser Frage hat die Spieltheorie mittlerweile eine unüberschaubare Anzahl an Modellvarianten hervorgebracht, die verschiedene Handlungsoptionen berücksichtigt und damit einhergehend auch zu unterschiedlichen Ergebnissen führt.237 In der Regel werden den Spielern dabei ihre Präferenzen und die mit ihrer Umsetzung verbundenen Gewinne oder Verluste in einer Nutzenwert-Matrix vorgegeben. Je nach Ausmaß der unterstellten Konfliktträchtigkeit lassen sich Nullsummen- (distributive) und Nicht-Nullsummen- (integrative) Spiele unterscheiden. In Abhängigkeit von der Anzahl der beteiligten Akteure entstehen Zwei- und N-Personen-Spiele und nach der Anzahl der Spielzüge ergeben sich endliche und unendliche Spiele. Im Hinblick auf den Informationsstand über die gegenseitigen Gewinnchancen und damit verbundenen Präferenzen der Akteure wird in der Spieltheorie zudem zwischen Spielen mit vollkommener und mit unvollkommener Information unterschieden.238 Als zentrales Klassifizierungskriterium werden darüber hinaus die zugelassenen Kommunikationsmöglichkeiten der Spieler betrachtet. In diesem Zusammenhang werden Spiele als kooperativ bezeichnet, wenn sie 234

Vgl. Koch (1987), S. 107.

235

Young (1991b), S. 2.

236

Rubinstein (1982), S. 97.

237

Die folgende Darstellung verschiedener spieltheoretischer Ansätze erhebt dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie versucht vielmehr einen groben Überblick über die relevanten Versionen der Spieltheorie zu geben. Für weitergehende Einblicke sei an dieser Stelle auf die Meta-Analyse von Roth (1985) im Allgemeinen verwiesen. Thompson/DeHarpport (1994) liefern einen Überblick über relevante spieltheoretische Ansätze im Bereich der kooperativen Spiele und Binmore/Osborne/Rubinstein (1989) über den Bereich nicht-kooperativer Spiele.

238

Vgl. Althammer (1992), S. 855.

85 interindividuelle Kommunikation zwischen den Spielern zulassen und diese somit bindende Vereinbarungen treffen können. Nicht-kooperativ sind im Gegensatz dazu diejenigen Spielformen, bei denen die Entscheidungsträger nicht miteinander kommunizieren können.239 Da kooperative Spiele die ersten Analysen des Verhandlungsproblems darstellen, ist diese Modellvariante in der Literatur bislang am weitesten entwickelt und vertreten.240 In ihrem Zentrum steht die Frage nach den Eigenschaften einer Verhandlungslösung, die als Axiome formuliert werden. Dabei versuchen sie die Lösung zu identifizieren, die alle Axiome erfüllt.241 Unter den kooperativen Spielen stellt die bereits angesprochene Verhandlungslösung von Nash (1953) die bekannteste Lösung dar. 242 Mit ihr gibt Nash (1953) einen genauen Weg vor, wie sich die Verhandlungspartner auf eine Verteilung einer Verhandlungsmasse einigen sollen. Denn unter Annahme vollständiger Informationen und Rationalität erfüllt seinen Überlegungen nach nur eine Lösung die von ihm zu Grunde gelegten Axiome der Effizienz, der Invarianz, der Unabhängigkeit von irrelevanten Attributen und der Symmetrie.243 Diese Lösung wird auch von den Spielern als fair angesehen und daher akzeptiert. Obgleich die Nash-Lösung die in der Wissenschaft am weitesten akzeptierte Lösung des Verhandlungsproblems darstellt, ist sie auch mit zentralen Schwächen verbunden. So lässt sich beispielsweise in vielen Nicht-Nullsummenspielen keine eindeutige Lösung formulieren. Darüber hinaus heben Kritiker hervor, dass die von Nash definierten Axiome empirisch oftmals nicht haltbar sind.244 Zudem erscheint problematisch, dass die Nash-Lösung keine Erklärung des interaktiven Prozesses liefert. Die Dynamik verhandlungsspezifischer Analysen geht so in eine statische Betrachtung über. Ungeklärt bleibt somit die Frage nach der Ausgestaltung einer Verhandlungsstrategie, die überhaupt erst zu einer Annäherung der Präferenzen der Verhandlungsparteien führen kann. Insgesamt stellt die Nash-Lösung – wie auch die Gesamtheit der kooperativen Spiele – daher allein eine „Schiedsrichterlösung“ parat, die auch ein unbeteiligter Dritter formulieren könnte. 239

Vgl. Voeth/Rabe (2004), S. 7.

240

Vgl. Koch (1987), S. 119.

241

Vgl. Althammer (1992), S. 857.

242

Vgl. Nash (1953); vgl. hierzu auch die Ausführungen in Kapitel 2.2.1.3.

243

Für eine detaillierte Diskussion der einzelnen Axiome siehe auch Luce/Raiffa (1957), S. 126ff. sowie Holler (1992), S. 25ff.

244

Vor diesem Hintergrund haben einige Wissenschaftler, bspw. Kalai/Smorodinsky (1975) oder aber Gupta/Livne (1988) alternative Lösungen mit veränderten Axiomen vorgestellt.

86 Vor diesem Hintergrund entwickelte sich insbesondere seit Beginn der 1980er Jahre die Untersuchung nicht-kooperativer Verhandlungsspiele.245 Im Gegensatz zu kooperativen Spielen werden Verhandlungssituationen hierbei als Abfolge von Angebot und Gegenangebot aufgefasst und somit eine Prozessbetrachtung in den Mittelpunkt der Überlegungen gestellt. Hierfür werden die Spieler vor ihrem Verhandlungsbeginn gebeten, einen Plan aufzustellen, in dem sie festlegen, welche Handlungsoptionen sie zu welchem Zeitpunkt ergreifen. Ein verbreitetes Lösungskonzept nicht-kooperativer Spiele stellt das Rubinsteinspiel dar: Hierbei wird ein unendliches Spiel betrachtet, bei dem sich zwei Spieler durch die wechselseitige Abgabe von Angeboten auf die Verteilung eines feststehenden Betrages einigen müssen. Dabei wird unterstellt, dass der Wert des Betrages mit jedem Zug abnimmt und beide Spieler vollständige Informationen über die Präferenzen und Angebote der anderen Partei besitzen. Unter dieser Bedingung kann Rubinstein (1982) nachweisen, dass sowohl eine einzige Optimallösung existiert, als auch dass die Spieler diese mit ihrem ersten Angebotsaustausch erzielen können, da jeder weitere Austausch den aufzuteilenden Gesamtbetrag schmälern würde.246 Als strategische Handlungsempfehlung kann aus diesem Spiel der Vorteil des Erstbietenden abgeleitet werden. Überdies zeigt das Rubinsteinspiel auf, dass Spieler ein Interesse an schnellen Einigungen haben. Letztendlich wird damit deutlich, dass bei nicht-kooperativen Spielen „the possibility of an omniscient mediator is annulled.“247 Während die bislang vorgestellten Spielvarianten – unabhängig von ihrer Kommunikationsmöglichkeit – auf der Annahme vollständiger Informationen beruhten, untersucht die Spieltheorie auch Verhandlungssituationen, die durch unvollständige Informationen gekennzeichnet sind. Dies gestaltet die Analyse von Spielen jedoch sehr viel komplexer, da mögliche Verhandlungslösungen somit von der subjektiven Wahrnehmung der Spieler abhängen. Es wundert daher nicht, dass die Analyse von Verhandlungsspielen unter unvollständiger Information bislang am wenigsten entwickelt ist.248 Insgesamt zeigt sich, dass die analytisch-präskriptiven Forschungsansätze und hierbei insbesondere die Spieltheorie ein streng formales Instrumentarium rationalen Entscheidungsverhaltens für die Analyse von Verhandlungen bereitstellen. Ihr Ziel ist es, für die 245

Vgl. Rubinstein (1982); Fudenberg/Tirole (1983); Fudenberg/Levine/Tirole (1985).

246

Vgl. Althammer (1993), S. 33.

247

Gimpel (2006), S. 73.

248

Einen Überblick über die wenigen Ansätze, die sich mit Verhandlungssituationen unter beidseitig unvollständigen Informationen beschäftigen, liefern dabei Ausubel/Cramton/Deneckere (2002), S. 1934-1936.

87 unterschiedlichen Verhandlungssituationen rationale Entscheidungsregeln abzuleiten und hierauf aufbauend optimale Ergebnisse zu prognostizieren. Damit liefert die Spieltheorie Verhandlungsführern und externen Analytikern klare Vorgaben zur Problemstrukturierung und Anhaltspunkte zur Identifikation optimaler Lösungen. Damit fördert sie gleichzeitig das allgemeine Verständnis von Verhandlungssituationen. Dies geschieht allerdings eher in analytischer, denn in praktischer Form. Zudem wurde spieltheoretisch bislang nur ein relativ kleiner Anteil aus dem weiten Spektrum realen Verhandlungsverhaltens ausreichend durchdrungen. So zeigen die obigen Ausführungen, dass insbesondere die für industrielle Verhandlungen als realistisch anzunehmende Situation unvollständiger Informationen bislang nur defizitär bearbeitet worden ist.

3.1.1.2 Analyse der analytisch-präskriptiven Ansätze

Für die Analyse möglicher Erkenntnisbeiträge der analytisch-präskriptiven Ansätze im Hinblick auf die umfassende Messung industrieller Verhandlungspräferenzen erscheint es daher notwendig, sich vor allem an den bereits weiterentwickelten Ansätzen unter vollständiger Information zu orientieren. Obgleich auch hierbei unterschiedliche Spielvarianten vorliegen ähneln sich diese – wie aus dem vorangegangenen Kapitel entnommen werden kann – in ihrem grundsätzlichen Aufbau sowie in ihrer empirischen Durchführung: Eine bestimmte Anzahl an beteiligten Parteien (mindestens zwei), die so genannten Spieler, können in Bezug auf einen bestehenden Entscheidungskonflikt verschiedene Lösungen vereinbaren. Hierbei liegt jedem Spieler die quantitative Bewertung sämtlicher Lösungen in Form einer Auszahlungsmatrix vor, die den Verhandlungsraum abgrenzt und den Verhandlungsprozess determiniert. Um optimale Verhandlungsstrategien ableiten zu können, nehmen die Spieler jede infinitesimale Nutzenvariation auf einer linearen, konsistenttransitiven Präferenzfunktion wahr. Verbunden mit dieser spieltheoretischen Modellierung sind zwei grundlegende Theoreme, die die Bedeutung und Analyse von Präferenzen in Verhandlungen determinieren. Dies ist zum einen das so genannte Repräsentativitätstheorem. Es liegt in der zuvor beschriebenen Tatsache begründet, dass den Spielern sämtliche Präferenzen im Vorfeld der Verhandlungen bekannt sind.249 Da die Gesamtheit der Präferenzen zudem für einzelne Spielerrollen 249

Vgl. Koch (1987), S. 123.

88 feststehend definiert wird, wird darüber hinaus von individuellen Unterschieden in den Präferenzsystemen der Beteiligten abstrahiert (Theorem der fehlenden Intersubjektivität). In Bezug auf die obige Fragestellung, inwiefern sich aus den spieltheoretischen Erkenntnissen Ansatzpunkte für eine umfassende Präferenzmessung industrieller Verhandlungsakteure ergeben, lassen sich hieraus folgende Schlussfolgerungen ziehen: Zunächst erscheint offensichtlich, dass das Repräsentativitätstheorem eine irreale Modellierung industrieller Verhandlungssituationen darstellt. Infolgedessen bestehen diesbezüglich nur geringe Möglichkeiten einer Übertragung der spieltheoretischen Annahmen auf die vorliegende Zielsetzung. Dies gilt umso mehr, da seine Annahme der vollständigen Information zugleich unterstellt, dass die Präferenzen der Verhandlungsparteien für den Verlauf der Verhandlung als invariant anzusehen sind. Betrachtet man in diesem Zusammenhang nämlich den Großteil industrieller Verhandlungen, so fällt auf, dass nicht nur neue Präferenzstrukturen im Verlauf der Interaktion entstehen, sondern dass auch bestehende Präferenzen – durch die zusätzliche Bereitstellung von Informationen – in ihren Bedeutungen und Ausprägungen Veränderungen erfahren. Ursächlich hierfür ist die Tatsache, dass sich in komplexen Verhandlungen konkrete Produkt- und Leistungsspezifikationen aufgrund nicht vorhandener Lösungskonzepte oftmals erst im Verlauf der Verhandlung herauskristallisieren.250 Dass die Präferenzsysteme der Verhandlungsakteure somit im Vorfeld der Verhandlung nicht – wie spieltheorisch häufig praktiziert – als „fix“ angesehen werden können, konstatieren auch Cubitt/Starmer/Sudgen (2001). Ihrer Meinung nach sind die Präferenzsysteme „something that has to be discovered, and discovery may involve processes of information gathering, deliberation, and trial-and-error learning. It is only when these processes are complete that the individual can reveal his true (or underlying) preferences.“251 Insgesamt geben die Ausführungen zu erkennen, dass das Repräsentativitätstheorem eine starke Abstraktionsleistung realer Verhandlungssituationen vornimmt. So wird durch seine Annahmen nicht berücksichtigt, dass der Entwicklungsprozess in entscheidendem Maße von dem zu Grunde liegenden Entscheidungsproblem und somit von den konstanten Daten einer Verhandlung geprägt wird. Allerdings erscheint es sinnvoll, auf diesen Kritikpunkt im Folgenden nicht näher einzugehen, da die Spieltheorie, wenn bislang auch nur in geringerem Maße, auch Verhandlungssituationen unter unvollständiger Information modelliert.

250

Vgl. Koch (1987), S. 85f.

251

Cubitt/Starmer/Sudgen (2001).

89 Im Hinblick auf die vorliegende Zielsetzung ist vielmehr – und vor allem für die Gesamtheit der spieltheoretischen Ansätze – das Theorem der fehlenden Intersubjektivität kritisch zu beurteilen. Denn indem es ein identisches Entscheidungsverhaltens im Hinblick auf unterschiedliche Spieler unterstellt, wird – über die Annahmen des Repräsentativitätstheorem hinaus – zugleich von der Tatsache abstrahiert, dass auch die parteibezogenen Merkmale auf den präferenzspezifischen Entwicklungsprozess der Verhandlungsakteure einwirken. Das bedeutet konkret, dass die in der Ausgangssituation verorteten P- und E- Faktoren aus den spieltheoretischen Betrachtungen der Präferenzsysteme ausgeblendet werden. Stattdessen wird unterstellt, dass kein Spieler eine eigene „Psychologik“ besitzt, damit einhergehend die subjektive Vorziehenswürdigkeit der einen oder anderen Alternative nicht zur Frage steht und sich daher alle Beteiligten mit gleichen Rollen auch gleich verhalten. Infolgedessen sind die Aussagen der Spieltheorie für den Kontext realer Verhandlungen als unvollständig anzusehen, da sie lediglich angeben können „how to choose, but not how to weight.“252 Die Annahme fehlender Intersubjektivität ist allerdings noch aus einem weiteren Grund zu kritisieren. So kann die realiter vorhandene „Psycho-Logik“ der Verhandlungsakteure nicht nur zu individuell variierenden Bedeutungen der einzelnen Präferenzdimensionen führen. Vielmehr kann diese auch in gänzlich unterschiedlichen Präferenzsystemen resultieren; das heißt, dass unterschiedliche Spieler auf unterschiedliche Präferenzen achten. Für ein besseres Verständnis hilft in diesem Zusammenhang die Betrachtung der prozessualen Präferenzdimensionen: So orientiert sich ihre Entwicklung nicht an objektiv feststellbaren Größen, vielmehr entstehen sie im Rahmen eines indiviudell-subjektiven Beurteilungsvorgangs. Damit einhergehend spricht aber allein die per definitionem gegebene Existenz prozessualer Präferenzen gegen die Annahme intersubjektiv gleicher Präferenzen. Ihre Existenz wird jedoch von der Spieltheorie gar nicht erst berücksichtigt. Ursächlich hierfür könnte u. a. die Tatsache sein, dass die – bislang am Häufigsten untersuchten Verhandlungsspiele unter vollständiger Information – interdependente Entscheidungssituationen zu Individualentscheidungen reduzieren, in die die Präferenzen der Gegenpartei als Restriktionen eingehen. Damit aber werden prozessuale Aspekte der Verhandlungssituation, die der Annäherung differierender Präferenzen dienen, nicht weiter thematisiert.253

252

Vgl. Gimpel (2006), S. 77.

253

Vgl. Koch (1987), S. 124.

90 Angesichts der beschriebenen Realitätsferne der diskutierten Theoreme wundert es nicht, dass die von der Spieltheorie formulierten Verhaltensstrategien oftmals in einem empirischen Vakuum verbleiben, d. h. dass die von ihr prognostizierten Spielergebnisse nicht eintreten.254 Eine höhere Eintrittswahrscheinlichkeit ließe sich jedoch mit Sicherheit dadurch erzielen, wenn die von der Spieltheorie vorgegebenen Auszahlungsmatrizen die „individuell-subjektiven“ Nutzenvorstellungen der Spieler vollständig(er) reflektieren würden.255 Damit wird zugleich deutlich, dass die scheinbar geringe Aussagekraft der Spieltheorie nicht automatisch – wie in der Literatur vielfach behauptet – mit der Irrationalität menschlichen Verhandlungsverhaltens zusammenhängen muss, stattdessen kann dies vielmehr auf die Existenz nicht berücksichtigter Nutzendimensionen hindeuten. Das bedeutet konkret, dass sich die von der Spieltheorie als irrational ermittelte Ergebnisse dann als rational erweisen könnten, wenn die Pay-Off-Matrizen die Gesamtheit der Präferenzen eines Spielers in seiner individuellen Bedeutung erfassen würden. Dieser Annahme folgen auch Clyman/Tripp (2000), indem sie vermuten, dass „whenever a negotiatior’s values differ from those implied by the performance measure, there exists the possibility that the negotiator’s own evaluation of his or her negotiation performance may differ substantially from that derived by the performance measure.“256 Auf den ersten Blick scheint es daher, dass die spieltheoretische Betrachtung von Verhandlungspräferenzen für die Zielsetzung einer umfassenden Messung industrieller Verhandlungspräferenzen nur wenige Ansatzpunkte liefern kann. Dieser Eindruck verstärkt sich noch vor dem Hintergrund, dass der Begriff der Präferenzen in der Spieltheorie nicht einmal explizit definiert bzw. verwendet wird. Dies beruht auf der Tatsache, dass seine ureigentliche Aufgabe – nämlich die Indikation der individuell wahrgenommenen Vorziehenswürdigkeit eines Objektes gegenüber einem anderen – durch das Theorem der fehlenden Intersubjektivität ohnehin obsolet ist. Trotz dieser für die hiesige Problemstellung zunächst augenscheinlichen Kritikpunkte, kann der spieltheoretische Betrachtungswinkel auf Verhandlungspräferenzen der Arbeit insofern sinnvolle Ansatzpunkte liefern, als er von logisch-konsistenten, zumal quantifizierbaren Nutzenwerten ausgeht. Bedauerlicherweise fehlen jedoch Aussagen darüber, wie 254

Young (1991b), S. 17.

255

Vgl. Ochs/Roth (1989); in diesem Zusammenhang weisen die Autoren darauf hin, dass es nicht ausreicht, objektiv resultierende Nutzendimensionen zu messen, sondern dass vielmehr auch subjektive Größen in die Messung mit einbezogen werden sollten. Ihre darüber hinausgehenden Handlungsimplikationen sind jedoch eher vage denn konkret zu bezeichnen.

256

Vgl. Clyman/Tripp (2000), S. 39.

91 diese Nutzenwerte, die für die Berechnung der verhandlungsspezifischen Präferenzen erforderlich, überhaupt ermittelt werden. Als Beurteilungsergebnis ist daher festzuhalten, dass die spieltheoretischen Ansätze die für die vorliegende Zielsetzung bedeutsame Existenz ergebnisorientierter und prozessualer Präferenzen nicht berücksichtigen. Darüber hinaus können sie – angesichts der Tatsache, dass die kardinal messbaren Nutzenwerte bei ihnen vorgegeben sind – nur eingeschränkte Hilfestellung in Bezug auf die quantitative Messung von Präferenzen geben können.

3.1.2 Verhaltenswissenschaftliche Forschungsansätze 3.1.2.1 Darstellung der verhaltenswissenschaftlichen Ansätze

Wendet man sich vor diesem Hintergrund dem zweiten grundsätzlichen Forschungszweig der Verhandlungsforschung, den verhaltenswissenschaftlichen Ansätzen zu, dann fällt auf, dass diese gleichsam als Pendant zu den analytisch-präskriptiven Ansätzen zu verstehen sind. Denn sie weichen von der logisch-stringente Formal-Logik einer „Psycho-Logik“ ab und versuchen eine „congruence with real decisions“257 herzustellen. Hierfür geht die verhaltenswissenschaftliche Verhandlungsforschung der Frage nach, wie Verhandelnde tatsächlich agieren und welche sozialpsychologischen Determinanten für ihr Verhandlungsverhalten verantwortlich sind. Je nach Fokus der Forschungsbemühungen lassen sich theoretisch-konzeptionelle von empirisch-induktiven Beiträgen unterscheiden.258 Theoretisch-konzeptionelle Beiträge sind solche, die aus einer Übertragung soziologischer und psychologischer Theorieelemente statische und dynamische Erklärungen des Verhandelns aufzeigen wollen. Beispielhaft sind in diesem Zusammenhang die Studien von Schelling (1960), Walton/McKersie (1965) und Douglas (1962) zu erwähnen,259 die sich vor allem der Entwicklung von Verhandlungsphasenmodelle widmeten. So unterscheiden bspw. Walton/McKersie (1965) während des Verhandlungsprozesses die Sequenzen distributiven sowie integrativen Verhandelns, der Einstellungsbildung sowie des intraorganisationalen Verhandelns. Hinzukommend formulieren sie phasenbezogene Empfeh-

257

Gimpel (2006), S. 76.

258

Vgl. Dupont (1999), S. 51.

259

Vgl. Schelling (1960); Walton/McKersie (1965); Douglas (1962).

92 lungen im Hinblick auf den Einsatz von Taktiken, die bis heute die Grundlage für Verständnis und Analyse des Verhandlungsverhaltens darstellen.260 Im Bereich empirisch-induktiver Ansätze sind sozial-psycholgische Studien von den Untersuchungen der „verhaltensbezogenen Entscheidungsforschung“ (BDR – Behavorial Decision Research) zu unterscheiden. Beiden Ansätzen ist gemein, dass insbesondere die Methodik der Laborexperimente zum Einsatz kommt, um den Einfluss isolierbarer Größen auf Verhandlungsprozess und -ergebnis zu überprüfen. Aufgrund der Möglichkeit ihrer beliebigen Wiederholbarkeit besteht mittlerweile eine unüberschaubare Vielfalt empirischinduktiver Ansätze. So dokumentierten die Psychologen Rubin/Brown (1975) bereits Mitte der 1970er mehr als 1000 solcher Untersuchungen, was die Autoren u. a. auf den offensichtlichen Forschungsbedarf im Kontext verhaltenswissenschaftlicher Verhandlungsstudien zurückführen: „That social psychologists consider bargaining to be a domain worthy of serious study is perhaps attested no better than by the fact that more than 1000 experimental and nonexperimental articles and books devoted to bargaining have appeared since 1960.“261 Dabei standen in den 1960er und 1970er Jahren insbesondere soziale Aspekte wie demographische und Persönlichkeitsunterschiede zwischen den Verhandlungsakteuren im Mittelpunkt des Untersuchungsinteresses.262 Eine weitere Strömung der sozialen Verhandlungsforschung widmete sich den Einflüssen der in Kapitel 2.3.1.1 thematisierten konstanten Daten auf Verhandlungsverlauf und -ergebnis.263 Obwohl diese frühen sozialpsychologischen Verhandlungsstudien das generelle Verständnis von Verhandlungen verbesserten, konnten sie nur teilweise zu einheitlichen Erklärungsbeiträgen in Bezug auf Verhandlungsverlauf und -ergebnis führen. Mit der Entwicklung der BDR ließ sich zu Beginn der 1980er Jahre ein Umdenken der verhaltenswissenschaftlichen Ansätze konstatieren. Dieser Forschungsbereich betrachtet Verhandlungen als interaktive Entscheidungssituationen unter Unsicherheit und erklärt Abweichungen realer Entscheidungen in Verhandlungssituationen von den Vorhersagen ökonomisch-analytischer Modelle durch individuelle Abweichungen von rationalem Ver-

260

Vgl. Pruitt/Carnevale (1993), S. 8; vergleiche hierzu auch die Ausführungen in Kapitel 2.2.1.1.2.

261

Rubin/Brown (1975), S. 289.

262

Vgl. Pruitt/Carnevale (1993) für einen umfassenden Überblick über den Bereich eigenschaftstheoretischer Ansätze. Vgl. hierzu auch die Ausführungen in Kapitel 2.3.1.1.

263

Vgl. Bazerman, et al. (2000), S. 280ff.

93 halten.264 Damit ist es Zielsetzung der BDR, „to predict a-priori how agents will make decisions that are inconsistent, inefficient, and base on normatively irrelevant information.“265 Darüber hinaus formuliert sie Richtlinien zur Neutralisierung dieser Verhaltensabweichungen. Vor diesem Hintergrund rücken vermehrt kognitive Aspekte in das Interesse verhaltenswissenschaftlicher Forschung. Im Zentrum stehen die Aufnahme, Verarbeitung und Speicherung von Informationen der Entscheidungsträger.266 Hierbei stützt sich die BDR vornehmlich auf Untersuchungen des Einflusses kognitiver Heuristiken auf den Entscheidungsrahmen von Individuen. Es wird postuliert, dass der Einsatz von Heuristiken in komplexen Entscheidungssituationen zwar als notwendig und sinnvoll zu bezeichnen ist, seine Wirkungen allerdings von den Verhandlungsakteuren berücksichtigt werden sollten. In diesem Zusammenhang stand insbesondere die Untersuchung von Verankerungsheuristiken im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Diese stützen sich auf die Psychologen Tversky/Kahnemann (1974), die in empirischen Studien feststellen konnten, dass Individuen bei quantitativen Schätzungen unter Unsicherheit zu einer Urteilsverzerrung in Richtung numerischer Ankerwerte tendieren.267 Hierauf aufbauend konnten weitere empirischen Studien zeigen, dass Individuen – nicht nur im ökonomischen Kontext – zu einer verzerrten Urteilsbildung bei Vorgabe eines „Ankers“ neigen. Dabei korreliert die Höhe des „Schätzfehlers“ mit der Höhe des Ankerwertes.268 In Verhandlungen konnte als möglicher Ankerwert insbesondere die Höhe des ersten Angebotes bestätigt werden: So konnten Studien nachweisen, dass ein höheres Erstangebot in einem höheren Verhandlungspreis mündet und der Erstbietende auf Grund dessen in der Regel das individuell bessere Ergebnis erzielt.269 Übertragen auf industrielle Verhandlungen kann das bedeuten, dass ein Hersteller bspw. ein unterdurchschnittlich niedriges Kaufangebot unterbreitet, so dass das Niveau der ursprünglichen Entscheidungsprämissen der Zulieferseite verschoben wird. Bereits eine geringfügige Erhöhung des zugestandenen Preises kann daher auf Seiten des Zulieferers einen irrational hohen Nutzen stiften, so dass die sofortige Akzeptanz des Angebots in den Augen des Verhandlungsführers attraktiver erscheint als das Warten auf potenzielle Zuges264

Vgl. Bazerman/Neale (1991), S. 110.

265

Gimpel (2006), S. 77.

266

Vgl. Franke (2002), S. 191f.

267

Vgl. Tversky/Kahnemann (1974).

268

Vgl. Mussweiler/Galinsky (2002).

269

Vgl. Galinsky/Mussweiler (2001); Mussweiler/Galinsky (2002).

94 tändnisse im weiteren Verhandlungsverlauf.270 Weitere wichtige Ankerwerte in Verhandlungen stellen der Reservationswert und der Aspirationswert dar.271 Insgesamt erlauben die Ergebnisse der Untersuchungen kognitiver Aspekte Schlussfolgerungen für die Ableitung Erfolg versprechender Verhandlungsstrategien. Damit aber löst sich die BDR aus der Untersuchungsperspektive der rein deskriptiv ausgerichteten sozialpsychologischen Studien. Aufgrund ihrer starken Konzentration auf die kognitiven Aspekte der individuellen Informationsverarbeitung rief die BDR jedoch Anfang der 1990er Jahre Kritik hervor, die die Bedeutung des sozialen Kontextes auf die Kognition von Verhandelnden betont.272 Seit Mitte der 1990er Jahre kann daher eine „Wiedergeburt“ sozialpsychologischer Forschung im Bereich von Verhandlungen konstatiert werden, die insbesondere die Beziehung zwischen den Verhandelnden, aber auch die Wirkung prozessualer Konstrukte wie bspw. Kooperativität und Emotionen in Verhandlungen untersuchten.273 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass verhaltenswissenschaftliche Ansätze einen besseren Erklärungsansatz für das Handeln realer Akteure sowie ihrer Beziehungen untereinander ermöglichen. Damit liefern sie zahlreiche Anhaltspunkte, die der Gestaltung von Verhandlungen dienlich sind. So beschreiben sie bspw. die konkrete Ausgestaltung von Verhandlungstaktiken und ermöglichen Korrekturen von Fehleinwirkungen, die durch das Vorliegen unvollständiger bzw. asymmetrisch verteilter Informationen entstehen. Da ihre Ergebnisse in der Regel theoretisch fundiert und empirisch überprüft sind, wirken die abgeleiteten Handlungsimplikationen systematisch und nicht willkürlich. Ihre Anwendung auf praktische Verhandlungssituationen erscheint jedoch nicht unproblematisch, da resultierende Handlungsimplikationen häufig nur wenig präzise definiert werden. So wird beispielsweise nicht weiter darauf eingegangen, wie ein Erfolg versprechender Aspirationspreis berechnet werden oder wie kognitive Verzerrungen identifiziert werden können. Hierin kommt der deskriptive Charakter verhaltenswissenschaftlicher Forschung zum Ausdruck. Die geringe Verbreitung bzw. Anwendung verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse lässt sich darüber hinaus auf die vereinfachten Versuchsanordnungen 270

Vgl. Bazerman/Neale (1992), S. 38. Dieses Phänomen beruht im Wesentlichen auf der Erwartungstheorie, nach welcher Ergebnisse, deren Eintreten lediglich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit gegeben sind, im Vergleich zu mit Sicherheit erzielbaren Ergebnissen von Entscheidungsträgern unterbewertet werden. Vgl. Slovic/Fischhoff/Lichtenstein (1982), S. 480. Dies widerspricht der Nutzentheorie, nach der rationale Akteure alleine auf Basis der Erwartungswerte unterschiedlicher Ergebnisse entscheiden. Vgl. Tversky/Kahneman (1981), S. 453.

271

Vgl. hierzu auch Abbildung 6 in Kapitel 2.2.1.2.1.

272

Vgl. Thompson (1995).

273

Vgl. Bazerman, et al. (2000), S. 283ff.

95 in Laborexperimenten zurückführen. Denn während ein Vorteil der Experimentaltechnik darin zu sehen ist, dass Hypothesen über den isolierten Einfluss einzelner Größen frei von den Störvariablen getestet werden können, bleibt das Verhandlungsproblem gleichzeitig auf einen wenig realitätsnahen, weil stark eingeschränkten Untersuchungsradius beschränkt.274 Darüber hinaus lässt die isolierte Betrachtung einzelner Variablen keine Aussage über den realiter bestehenden, unterschiedlichen relativen Einfluss der Variablen auf den Verhandlungserfolg zu.275

3.1.2.2 Analyse der verhaltenswissenschaftlichen Ansätze

Die voran gegangenen Ausführungen konnten verdeutlichen, dass die verhaltenswissenschaftliche Verhandlungsforschung – im Gegensatz zu analytisch-präskriptiven Ansätzen – die Zielsetzung verfolgt, den Einfluss realer Effekte auf Verhandlungssituationen abzubilden. Für die Analyse des möglichen Erkenntnisbeitrages der verhaltenswissenschaften Ansätze bedeutet dies zunächst, dass die zuvor postulierten Präferenztheoreme ihre Gültigkeit verlieren: Weder wird davon ausgegegangen, dass die verhandlungsspezifischen Präferenzen intersubjektiv konstant vorliegen, noch dass sie beiden Seiten im Vorfeld der Verhandlung vollständig bekannt sind. Vielmehr betonen die verhaltenswissenschaftlichen Ansätze die Notwendigkeit, dass die Parteien ihre Präferenzen im Rahmen des gemeinsamen Interaktionsprozesses erschließen und einander annähern sollten. In diesem Zusammenhang stellen sie fest, dass Verhandlungen nicht nur „(…) the exchange of tangible goods and services“ beinhalten, „yet also leave an inherently social-psychological imprint on those involved.“276

274

Vgl. bspw. Barry/Friedman (1998), S. 358; Koch (1987), S. 172.

275

Vgl. hierzu auch die folgenden Ausführungen in Kapitel 3.4.3.

276

Curhan/Elfenbein/Xu (2004), S. 3.

96

3.1.2.2.1 Die Bedeutung „sozial-psychologischer Verhandlungsergebnisse“ für die verhaltenswissenschaftliche Beschäftigung mit Verhandlungspräferenzen

Ausgehend von diesen grundsätzlichen Annahmen untersucht eine Vielzahl verhaltenswissenschaftlicher Ansätze den Einfluss parteibezogener Merkmale (wie bspw. Persönlichkeitsmerkmale der Verhandelnden oder das Beziehungsverhältnis der Parteien) auf Prozess und Ergebnis von Verhandlungen. Darüber hinaus findet sich in der Literatur eine Reihe von Beiträgen, die die Auswirkungen integrativer bzw. distributiver Verhaltensweisen auf das Verhandlungsergebnis analysieren. So untersuchen bspw. Shapiro/Bies (1994) die Auswirkungen von Drohungen, Ermahnungen und Täuschungsversuchen auf die erzielten Ergebnisse in dualen Verhandlungen.277 Während dem Großteil dieser Ansätze gemein ist, dass sie die erwähnten sozialpsychologischen Determinanten als unabhängige Variablen betrachten und ihre Auswirkungen auf das Ergebnis und den hieraus resultierenden Nutzen der Parteien untersuchen, weist eine deutlich geringere Anzahl von Beiträgen darauf hin, dass sozial-psychologische Konstrukte auch als Ergebnis von Verhandlungen fungieren können.278 Damit legen sie Wert auf die Tatsache, dass Verhandlungen – neben den vertraglich fixierten Lösungen – auch sozial-psychologische Verhandlungsergebnisse besitzen können.279 Die Erkenntnis, dass Verhandlungen sowohl über ökonomische als auch sozialpsychologische Ergebnisse verfügen, wird erstmals ausführlich von Thompson (1990a) dargelegt, indem sie in einer Meta-Anaylse über den Status Quo der verhaltenswissenschaftlichen Forschung zu der Schlussfolgerung gelangt, dass zwei unterschiedliche Kategorien von Verhandlungsergebnissen identifizierbar seien: Dies sind ökonomische und sozial-psychologische Ergebnisse. Letztere strukturiert Thompson (1990a) dabei in drei Kategorien. Neben der bereits diskutierten Prozesskategorie, die nach Thompson (1990a) Beurteilungen über die Normen, Kommunikationsinhalte, Fairness, Gerechtigkeit sowie Freundlichkeit und Kooperativität des Verhandlungsverlaufs beinhaltet, adressiert eine weitere Kategorie das Interaktionsverhältnis mit der anderen Partei. In diesem Zusammen-

277

Vgl. Shapiro/Bies (1994).

278

Vgl. Curhan/Elfenbein/Xu (2004), S. 4.

279

Vgl. bspw. Rubin/Brown (1975); Valley/Neale/Mannix (1995); Sondak/Neale/Pinkley (1999).

97 hang wird insbesondere beurteilt, inwiefern die Verhandlung eher positiv bzw. negativ zum Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung beigetragen hat. Darüber hinaus stellen nach Thompson (1990a) die Einschätzung der eigenen Partei in Bezug auf das in der Verhandlung wahrgenommene Selbstvertrauen, aber auch die hieraus gewonnene Reputation eine Kategorie sozial-psychologischer Verhandlungsergebnisse dar. Auch wenn es sich bei dieser Einteilung um ein Klassifikationsschema für Verhandlungsergebnisse handelt, lässt sich hieraus das verhaltenswissenschaftliche Verständnis von Verhandlungspräferenzen erschließen. So wird deutlich, dass in interdependenten Entscheidungssituationen neben dem ökonomischen Ergebnis eine Vielzahl sozialpsychologischer Ergebnisse zu beobachten ist, die die Verhandlungsparteien als unterschiedlich vorziehenswürdig erachtet. Damit einhergehend ist davon auszugehen, dass sie auf unterschiedliche Weise zu dem wahrgenommenen Gesamtnutzen der Verhandlung beitragen. Im Vergleich zu den analytisch-präskriptiven Ansätzen gehen verhaltenswissenschaftliche Ansätze somit prinzipiell von einer um sozial-psychologische Dimensionen erweiterten Nutzenfunktion aus, da eine rein ergebnisorientierte Definition ihrem Verständnis nach zu eng gefasst und daher „not descriptive of most people’s actual preferences“280 ist. Konkrete und damit formal-analytische Darstellungen einer „realitätsnäheren“ Nutzenfunktion lassen sich hierbei jedoch nicht identifizieren, obgleich Rubin/Brown (1975) bereits im Jahr 1975 die Notwendigkeit aufgezeigt haben, „(…) to move these measures out of the dark recess known as supplementary analysis back into the forefront of researchers’ attention, where they belong.“281

3.1.2.2.2 Verhaltenswissenschaftliche Forschungsbemühungen in dem Bereich der „sozial-psychologischen Nutzendimensionen“

Diesem Defizit versuchen bislang nur wenige Autoren wie z. B. Clyman/Tripp (2000) oder Curhan/Elfenbein/Xu (2004) – zumindest in ersten Ansätzen – nachzukommen. Hierfür systematisieren und erläutern sie die in der Literatur diskutierten, bislang allerdings in den „traditionellen“ Nutzenfunktionen (bspw. VNM-Nutzenfunktion) nicht berücksichtigten sozial-psychologischen Nutzendimensionen. Diese werden dabei im Rahmen der Studie 280

Valley/Neale/Mannix (1995), S. 75.

281

Rubin/Brown (1975), S. 297.

98 von Clyman/Tripp (2000) als „discrepant values“ und bei Curhan/Elfenbein/Xu (2004) als „subjective values“ tituliert. Unabhängig von der unterschiedlichen Bezeichnung kommen beide Autorenteams zu der Erkenntnis, dass die wahrgenommene prozessuale Gerechtigkeit („procedural justice“), die Verteilungsgerechtigkeit („distributive justice“), die Beziehung zur anderen Partei („relationships“), das individuelle Unsicherheitsempfinden bzw. die Risikoneigung („uncertainty and risk aversion“) sowie die persönliche Gesichtwahrung („maintaining face“) bedeutsame sozial-psyschologische Nutzendimensionen darstellen. Aufgrund der meta-analytischen Herangehensweise von Thompson (1990a) verwundert es dabei nicht, dass sich die aufgezeigten „Value“-Dimensionen insgesamt den drei Klassifizierungen sozial-psychologischer Verhandlungsergebnisse zuordnen lassen.

Die Nutzendimension der prozessualen Fairness Die Nutzendimension der prozessualen Gerechtigkeit basiert auf der Tatsache, dass „process often matters as much as outcome.“282 In diesem Zusammenhang weisen Studien nach, dass Verhandlungsakteure bei subjektiv zufrieden stellenden Interaktionsprozessen eher bereit sind, geringere Auszahlungen zu akzeptieren als im Fall nicht zufrieden stellender Interaktionsrunden.283 Übertragen auf die obige Dimension bedeutet dies, dass Verhandlungsakteure die im Prozess zum Ausdruck gebrachte Gerechtigkeit bzw. Fairness der Gegenpartei im Trade-Off zum Verhandlungsergebnis beurteilen. In diesem Zusammenhang kann insbesondere auf die Literatur zur „Organisational Justice“ zurückgegriffen werden, um operationalisierbare Merkmale unfairen Interaktionsverhaltens zu identifizieren.284 An dieser Stelle lässt sich nun unschwer erkennen, dass die Nutzendimension der prozessualen Gerechtigkeit mit der ersten sozial-psychologischen Ergebniskategorie zusammenhängt. Insbesondere wird aber ersichtlich, dass es sich bei der beschriebenen Dimension um nichts anderes als eine prozessuale Verhandlungspräferenz in dem dieser Arbeit zu Grunde gelegten Verständnis handelt. Anders als die analytisch-präskriptiven Ansätze lässt sich somit als erste Schlussfolgerung festhalten, dass der parallelen Existenz ergebnisorientierter und prozessualer Präferenzen im Rahmen verhaltenswissenschaftlicher Ansätze Rechnung getragen wird.

282

Clyman/Tripp (2000).

283

Vgl. Tripp/Sondak/Bies (1995).

284

Vgl. bspw. Mikula/Birgit/Tanzer (1990); Leventhal (1980); einen Überblick über die Literatur zur „organisational justice“ bieten Sheppard/Lewicki/Minton (1992).

99 Die Nutzendimension der distributiven Fairness Im Vergleich zum Begriff der prozessualen Fairness bezieht sich die Dimension der distributiven Fairness auf das Ergebnis von Verhandlungen und drückt hierbei den Nutzen aus, den die Parteien aus der relativen Verteilung der Verhandlungsmasse generieren. Empirische Überprüfungen können in diesem Zusammenhang bestätigen, dass Verhandlungsparteien nicht nur um die Maximierung ihres eigenen Verhandlungsnutzens bemüht sind, sondern auch den aus der gemeinsamen Vereinbarung resultierenden Gesamtnutzen der Gegenpartei in ihre Nutzenfunktion integrieren.285 Zu diesem Zweck werden in der verhaltenswissenschaftlichen Verhandlungsliteratur Funktionen des sozialen Nutzens herangezogen, die den aus einer Einigung resultierenden Nutzen einer Verhandlungspartei abhängig von der Differenz aus der eigenen Auszahlung und der der anderen Verhandlungspartei abbilden.286 Da die Beurteilung alternativer Verhandlungsergebnisse somit unter Berücksichtigung des relativen Gesamtnutzens der anderen Partei erfolgt, fungiert der soziale Nutzen gleichermaßen als inter-personaler Referenzpunkt in kollektiven Entscheidungssituationen.287 In gleichem Zusammenhang steht das von Rubin/Pruitt/Kim (1994) entwickelte „Dual Concern“- Modell, das in Abhängigkeit von der Bedeutung, welche eine Verhandlungspartei den eigenen Ergebnissen und denen der anderen Parteien zumisst, vier grundlegende Verhaltensweisen von Verhandlungsführern identifiziert: Dies sind Nachgeben, Problemlösung, Inaktion und Streiten.288 Nach der Vorhersage des Modells führt ein hohes Zielniveau einer Verhandlungspartei, was einer hohen Bedeutung des eigenen Ergebnisses entspricht, nur in Verbindung mit einer intensiven Berücksichtigung der Interessen der anderen Partei zur Strategie der Problemlösung, welche als effektivste Strategie in Hinblick auf die Generierung gemeinsamen Nutzens identifiziert wird. Diese Vorhersage konnte in empirischen Überprüfungen bestätigt werden.289

285

Vgl. für eine Übersicht siehe Loewenstein/Thompson/Bazerman (1989).

286

Vgl. Loewenstein/Thompson/Bazerman (1989), S. 427; Thompson/Loewenstein (1992), S. 177.

287

Vgl. Valley/Neale/Mannix (1995), S. 72.

288

Vgl. Rubin/Pruitt/Kim (1994), S. 28ff.

289

Vgl. Ben-Yoav/Pruitt (1984), S. 332.

100 Die Nutzendimension der Beziehung zur anderen Partei In engem Zusammenhang mit dem „Value“ der distributiven Gerechtigkeit steht die Nutzendimension der Beziehung zur anderen Partei. In diesem Zusammenhang wurde bereits aufgezeigt, dass sich die Stärke einer Beziehung, die insbesondere in der Entwicklung sozialer und ökonomischer Bindungen zum Ausdruck kommt, auf den Interaktionsprozess und das Ergebnis niederschlägt. So pflegen bspw. Ehepartner einen anderen Verhandlungsstil miteinander als Geschäftspartner in industriellen Austauschbeziehungen. Allerdings ist auch hier davon auszugehen, dass miteinander bekannte und durch langjährige Geschäftsbeziehungen vertraute Partner, andere Verhandlungsstile und -strategien einsetzen werden und können als dies bei einem erstmaligen Transaktionsprozess der Fall ist.290 So scheint es erwiesen, dass „when negotiators have a positive relationship, they care more about how they interact with each other.“291 Gleichermaßen kommen derartige Bemühungen, neben beidseitigen Gewinnsteigerungen in integrativen Verhandlungsaspekten, auch bei distributiven Vereinbarungen zum Ausdruck. Denn die Stärke bzw. die Art einer Beziehung zeigt sich in der Form der sozialen Nutzenfunktionen der Verhandlungsparteien. Während bei einer positiven Beziehung Gleichheit zwischen den eigenen Auszahlungen und denen des Verhandlungspartners mit einem hohen sozialen Nutzen verbunden ist, wird bei einer negativen Beziehung Ungleichheit zum eigenen Vorteil präferiert.292 Die aufgezeigte Korrelation gibt damit den Anschein, als könnte der Aufbau einer intensiven Beziehung zu der anderen Verhandlungspartei – entgegen den Ausführungen zu dem konstanten Unterscheidungskriterum „Transaktionsebene“ in Kapitel 2.3.1.1.2 – auch einen negativen Einfluss auf das ökonomisch kalkulierbare Verhandlungsergebnis besitzen. Das aber würde bedeuten, dass sie insbesondere im wirtschaftlichen Umfeld nur eine untergeordnete Bedeutung für die Verhandlungsparteien spielen sollte. Da jedoch dem Aufbau und der Pflege vertrauensvoller Beziehungen eine hohe Bedeutung im Wirtschaftsumfeld beigemessen wird,293 kann diese Annahme nicht zutreffend sein. Ganz im Gegenteil kann es in industriellen Geschäftsbeziehungen oftmals ökonomisch sinnvoll sein, den eigenen Entscheidungsreferenzpunkt zu Gunsten eines höheren Nutzenanteils der anderen Partei zu verschieben, um so zwar nicht den Gewinn einer einzelnen Verhandlung, dafür aber den unternehmerischen Gesamtgewinn durch eine Abfolge erfolgreicher, gemeinsa290

Vgl. die Ausführungen in Kapitel 2.3.1.1.2.

291

Clyman/Tripp (2000), S. 256.

292

Vgl. Loewenstein/Thompson/Bazerman (1989), S. 431f.

293

Vgl. Curhan/Elfenbein/Xu (2004), S. 14 sowie die Ausführungen in Kapitel 2.3.1.1.2.

101 mer Transaktionen zu maximieren. Die ökonomische Vorteilhaftigkeit dieser Nutzendimension betonen auch Curhan/Elfenbein/Xu (2004), indem sie konstatieren, dass „maintaining good relationships (…) can be an effective strategy (…) for greater returns in the long run.“294 Sowohl die Nutzendimension der distributiven Fairness als auch der Beziehung zur anderen Partei lassen sich nicht nur der zweiten sozial-psychologischen Ergebniskategorie von Thompson (1990a) zuordnen, vielmehr weisen sie hohe Ähnlichkeiten mit ihr auf. Damit aber wird ersichtlich, dass sie – im Vergleich zur prozessualen Gerechtigkeit – keine Dimensionen prozessualer Präferenzen darstellen. Vielmehr sind Funktionen des sozialen Nutzens bereits indirekt durch die präferierten ergebnisorientierten und prozessualen Präferenzen der Verhandlungsparteien repräsentiert. So weist eine Verhandlungspartei bspw. einen vergleichsweise hohen sozialen Nutzen auf, indem sie einem kooperativen und fairen Verhandlungsprozess eine hohe Bedeutung beimisst und dadurch selbst keinen unverhältnismäßigen Positionskampf zu Gunsten ihrer eigenen Zielvorstellungen betreibt. Die Bemühungen einer Partei, eine vertrauensvolle Beziehung zu der Gegenseite aufzubauen, sind hingegen nicht auf eine einzelne Verhandlung beschränkt, sie stellt vielmehr eine transaktionsübergreifende Zielsetzung der Parteien dar. Da sie somit keinen konkreten Objektbezug aufweist, ist auch diese Nutzendimension nicht als prozessuale Verhandlungspräferenz im engeren Sinn zu verstehen. Durch ihren übergeordneten Wirkungsbezug beschreibt sie vielmehr ein grundlegendes Verhandlungsinteresse.

Die Nutzendimensionen des Unsicherheitsempfindens und der Gesichtswahrung Während die zwei zuletzt diskutierten Dimensionen gleichsam durch die soziale Interdependenz gegebene Referenzpunkte für das individuelle Entscheidungsverhalten darstellen, handelt es sich bei den „Values“ des Unsicherheitsempfindens bzw. der Risikoneigung um intra-individuell bestehende Entscheidungsrichtlinien. Ihre Auswirkungen auf das Verhandlungsverhalten lassen sich durch die von Tversky/Kahnemann (1974) entwickelte Prospect-Theory erklären.295 Ganz allgemein kann diese zeigen, dass sich Individuen risikoaverser verhalten, wenn sie befürchten, Gewinne zu verlieren, dagegen wesentlich risikoaffiner sind, wenn es darum geht, Verluste auszugleichen. Im Bereich der Verhandlun-

294

Curhan/Elfenbein/Xu (2004), S. 9.

295

Vgl. Tversky/Kahnemann (1974).

102 gen findet sich die Theorie darin bestätigt, dass sich Verhandlungsführer, die eine Einigungsalternative unter Gesichtspunkten der eigenen Gewinne betrachten, häufiger risikoaverser verhalten als Akteure, welche Vereinbarungen unter Gesichtspunkten eigener Verluste gegenüber alternativen Einigungsoptionen betrachten.296 Darüber hinaus konnte empirisch gezeigt werden, dass Verhandlungsakteure, die sich selbst als risikoavers einschätzen, sehr schnell bereit sind, Angebote der gegnerischen Partei zu akzeptieren. Risikoaffine Verhandlungsführer hingegen versuchen über einen längeren Zeitraum, weitere Zugeständnisse der anderen Partei durchzusetzen, auch wenn diese Art der Verhandlungsführung die Gefahr mit sich bringt, in einer Nicht-Einigung zu enden.297 Die Nutzendimension der Risikoneigung bzw. des Unsicherheitsempfindens korrespondiert eindeutig mit der dritten sozial-psychologischen Ergebniskategorie von Thompson (1990a). Allerdings stellt sich auch hier wieder die Frage, inwiefern diese eine objektbezogene Beurteilungsgröße und damit eine Verhandlungspräferenz in dem hier definierten Sinne darstellt. Vergegenwärtigt man sich nämlich die Tatsache, dass sie nach Tversky/Kahnemann (1974) einen intra-personellen Referenzpunkt individuellen Entscheidungsverhaltens darstellt, so ist die Risikoneigung eher als langfristig bestehende, innere Einstellung von Verhandlungsakteuren anzusehen und weniger als verhandlungsspezifische Präferenzdimension. Da sie somit ein parteibezogenenes Merkmal darstellt, wirkt sie sich – wie in der Beschreibung der konstanten Unterscheidungskriterien von Verhandlungen dargestellt – lediglich als intervenierende Variable auf die Entwicklung prozessualer und ergebnisorientierter Präferenzen aus. Neben der Risikoneigung verfügen Verhandlungsakteure noch über eine weitere Nutzenkategorie, die Bezugspunkte zur dritten sozial-psychologischen Ergebniskategorie aufweist. Diese bringt die Wünsche der Verhandlungsakteure nach einer positiven Reputation298 sowie entgegengebrachtem Respekt und Anerkennung zum Ausdruck. Sie werden in der Literatur häufig unter dem Aspekt der Gesichtswahrung („maintaining face“) diskutiert. 296

Vgl. Bazerman/Neale (1992), S. 38.

297

Vgl. Clyman/Tripp (2000), S. 258; vgl. hierzu auch die Ausführungen zu der Heterogenität individueller Nutzenfunktionen in Kapitel 2.5.1. Hier wurde beschrieben, dass riskoaverse Verhandlungsakteure einen höheren Nutzen aus einem geringeren, dafür sicheren Gesamtgewinn erzielen, als bei einem höheren Gewinnanteil für den Fall, dass dieser mit Unsicherheit bspw. aufgrund eines langwierigen Verhandlungsprozesses behaftet ist.

298

In einer kurzen Fassung definiert Shapiro (1982) Reputation als „the expectation of quality“. Vgl. Shapiro (1982), S. 20. Eine ausführlichere Definition findet sich bei Kleinaltenkamp (1992): Hier beinhaltet „Reputation […] den Aufbau und die Pflege eines Vertrauenskapitals, welches die Unternehmung bei einem bzw. ihren Kunden besitzt. […] Reputation kann deshalb auch als Extrapolation positiver Erfahrungen der Vergangenheit verstanden werden.“ Vgl. Kleinaltenkamp (1992), S. 817.

103 Studien zufolge sind diese Nutzenaspekte dabei insbesondere in Geschäftsbeziehungen bzw. in sich wiederholenden Verhandlungsspielen von Bedeutung. Hier sind Verhandlungsakteure nämlich in der Regel darum bemüht, bereits bei einem ersten Zusammentreffen einen bestimmten Gesamteindruck in der Wahrnehmung der Gegenseite zu platzieren, um das Verhalten der Gegenseite in Folgeverhandlungen positiv zu beeinflussen. So ist bspw. davon auszugehen, dass ein offener und ehrlicher Verhandlungsstil eine positive Reputation der eigenen Partei in den Köpfen der Verhandlungspartner verankert, so dass diese bei Folgeverhandlungen bereits im Vorfeld verstärkt über den Einsatz integrativer Verhandlungsstrategien nachdenken. Gleichermaßen können eine solide Verhandlungsvorbereitung und daraus hervorgehende, objektiv nachvollziehbare und sachlich vorgetragene Angebote dazu beitragen, dass die Gegenseite mit der eigenen Partei nicht nur positive Assoziationen verbindet, sondern gleichzeitig auch ein hohes Maß an Respekt in der Verhandlung zeigt. Während in den vorangegangenen Beispielen ganz offensichtlich das „maintaining face“299 sichergestellt wäre, droht einer Verhandlungspartei im Falle eines Gesichtsverlustes bspw. das Risiko aggressiver Forderungen seitens der Verhandlungspartner oder aber der Verlust des Vertrauens in die Vorteilhaftigkeit der (Geschäfts-)Beziehung. Für den Fall, dass die Verhandlungsführung durch Repräsentanten der eigentlichen Verhandlungsparteien vollzogen wird, ist zusätzlich zu bedenken, dass die besprochenen Nutzendimensionen nicht nur im Hinblick auf den Verhandlungsgegner, sondern auch gegenüber der eigenen Partei zum Tragen kommen. Allerdings stellen auch sie keine Präferenzen in dem dieser Arbeit zu Grunde gelegtem Verständnis dar. Die Ausführungen machen vielmehr deutlich, dass die besprochenen Nutzendimensionen sowohl als interpersonelle als auch als intrapersonelle Referenzpunkte des Entscheidungsverhaltens gesehen werden müssen. Während der Aufbau und die Pflege einer positiven Reputation im ersten Fall – vergleichbar der Nutzendimension der Beziehung zur anderen Partei – eher ein grundlegendes Interesse der Verhandlungsparteien reflektiert, können diese Dimensionen im zweiten Fall als individuelle Motivlage der Verhandlungsakteure aufgefasst werden. Denn obgleich in diesem Zusammenhang davon auszugehen ist, dass der Wunsch der Verhandlungsakteure nach einer positiven Reputation und somit nach Anerkennung und Respekt ein grundsätzliches Bestreben menschlichen Handelns darstellt,300 ist gleichermaßen anzunehmen, dass dieser Wunsch in seiner Intensität individuell variiert. So werden bspw. in industriellen Buying 299 300

Curhan/Elfenbein/Xu (2004), S. 6. Vgl. Oechsler (2006), S. 340f.

104 Centern die Verhandlungsbeteiligten in Abhängigkeit ihrer spezifischen Rollen eine Verhandlung eher als internes Profilierungsobjekt (Einkäufer) oder aber als für eine effiziente Arbeitsweise notwendige Aufgabenerfüllung (User) betrachten. Die vorangegangene Darstellung der sozial-psychologischen und in „traditionellen“ Nutzenfunktionen bislang unberücksichtigten Nutzendimensionen erhebt mit Sicherheit keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Durch die Vorstellung der Arbeiten von Curhan/Elfenbein/Xu (2004) und Clyman/Tripp (2000) kann sie aber zumindest einen repräsentativen Überblick über den Status Quo der verhaltenswissenschaftlichen Forschung in dem Bereich der Präferenzanalyse geben, da diese als umfassenste und zudem aktuellste Studien aus diesem Untersuchungsfeld anzusehen sind. Der Erkenntnisbeitrag der Studie von Curhan/Elfenbein/Xu (2004) erscheint dabei für die Zielsetzung vorliegenden Arbeit noch bedeutsamer, da das Autorenteam die bereits in der Literatur diskutierten Nutzendimensionen durch eine umfassende empirische Untersuchung untermauern sowie einen konzeptionellen Vorschlag für ihre empirische „Greifbarkeit“ entwickeln. Hierfür wurde ein mehrstufiger explorativer Untersuchungsaufbau aufgesetzt: Während die Autoren in einem ersten Schritt insgesamt 103 Studenten, Anwohner sowie ausgewählte Verhandlungsexperten befragten, was ihnen – zurückblickend auf gemachte Erfahrungen – wichtig in typischen Verhandlungen (geschäftlich, privat, politisch) war, wurden die gegebenen Antworten anschließend im Rahmen einer Inhaltsanalyse von Experten ausgewertet und entweder einer der drei sozial-psychologischen Ergebniskategorien von Thompson (1990a) oder der ökonomischen Ergebnisseite zugeordnet. Obgleich hierbei die Nennungen in Bezug auf das ökonomische Ergebnis insgesamt häufiger repräsentiert waren,301 wurde interessanterweise die relative Wichtigkeit dieser ökonomischen „values“ nicht höher als die der sozial-psychologischen Nutzennennungen beurteilt.302 Abschließend führten die Autoren die Ergebnisse in einem „Subjective Value Inventory“ (SVI) zusammen. Vergleichbar einem „Nutzenkatalog“ enthält das SVI insgesamt 16 Fragen zu den vier benannten Kategorien. Seine Konzeption sieht dabei vor, dass die Verhandlungsakteure im Nachgang der Verhandlung ihre subjektive Beurteilung im Hinblick 301

Als beispielhafte Antworten benennen die Autoren in diesem Zusammenhang den Preis, die Lieferfrist oder aber die Qualität. Vgl. Curhan/Elfenbein/Xu (2004), S. 14.

302

Die sehr hohe Gewichtung der sozial-psychologischen Nutzendimensionen muss in diesem Zusammenhang jedoch kritisch hinterfragt werden. So wird in der Literatur im Hinblick auf direkte Erhebungsmethoden oftmals die Gefahr des „Wunschdenkens“ der Probanden angeführt. Hierunter wird die überdurchschnittliche Bedeutungsmessung auch weniger wichtiger Dimensionen angeführt, die insbesondere bei „unbeschränkter“ Fragestellung (im vorliegenden Beispiel: „Bitte benennen Sie alle Faktoren, die Ihnen bisherigen Verhandlungen wichtig erschienen“) auftritt. Vgl. hierzu Voeth (2000), S. 28 und die hier angegebene Literatur.

105 auf die vier Nutzenkategorien angeben können. Damit aber setzen die Autoren die Erkenntnisse ihrer theoretischen und empirischen Arbeit nicht in Form einer Präferenzanalyse um, sondern entwickeln vielmehr ein umfassendes Instrumentarium zur Erfassung der Verhandlungszufriedenheit. Im Ergebnis kommt somit auch die Studie von Curhan/Elfenbein/Xu (2004) der Forderung nach einer realitätsnäheren Nutzen- bzw. Präferenzmessung nicht ausreichend nach. Dies gilt umso mehr, als der Großteil der beschriebenen sozial-psychologischen Nutzendimensionen keine Verhandlungspräferenzen in dem hier definierten Verständnis beschreibt. Dennoch können die explorative Erfragung denkbarer Nutzendimensionen und die hierbei beschriebenen Erkenntnisse als aufschlussreicher und bis dato neuartiger Ansatzpunkt in diesem Untersuchungsfeld gewertet werden. Neben der Erläuterung der „discrepant values“ durch Clyman/Tripp (2000) sowie der Identifikation der „subjective values“ von Curhan/Elfenbein/Xu (2004) tauchen in der verhaltenswissenschaftlichen Literatur zwar weitere Hinweise in Bezug auf die Präferenzen der Verhandlungsakteure auf, diese sind jedoch eher vager bzw. unsystematischer Natur. Fasst man den Erkenntnisbeitrag der verhaltenswissenschaftlichen Ansätze daher zusammen, so zeigt sich ein im Vergleich zu den analytisch-präskriptiven Ansätzen sehr differenziertes Bild: Nicht der quantifizierbare und formal-analytisch optimierbare Nutzen der Verhandlungsakteure steht im Mittelpunkt, vielmehr liegt der Schwerpunkt verhaltenswissenschaftlicher Bemühungen auf der Darstellung sozial-psychologischer Nutzendimensionen der Verhandlungsakteure. Obgleich diese einen guten Einblick in die Vielschichtigkeit eines weit gefassten Präferenzsystems von Verhandlungsakteuren bieten können, repräsentiert der Großteil der hier vorgestellten und in der Literatur diskutierten Dimensionen übergeordnete Verhandlungsinteressen sowie in der Persönlichkeit der Akteure verankerte Einstellungen und Motivlagen. Nur in seltenen Fällen handelt es sich bei den sozialpsychologischen Nutzendimensionen tatsächlich um prozessuale Präferenzen in dem hier definierten Verständnis. Diese werden jedoch in der Regel nur wenig strukturiert und eher als beispielhafte Ergänzung zu den „traditionell“ ergebnisorientierten Präferenzen erwähnt. Ursächlich hierfür ist mit hoher Wahrscheinlichkeit die Tatsache, dass verhaltenswissenschaftliche Ansätze auch nicht die Notwendigkeit sehen, weiter auf die besondere Bedeutung einer umfassenden Präferenzanalyse für den Verhandlungserfolg einzugehen, da ihre Ausführungen hauptsächlich deskriptiver Natur sind. Von daher wundert es nicht, dass auch auf die Messung von Verhandlungspräferenzen, die vor allem im Rahmen der Verhandlungsvorbereitung eine wichtige Rolle spielt, verzichtet wird. Der Erkenntnisbeitrag

106 der verhaltenswissenschaftlichen Ansätze bleibt somit auf die Berücksichtigung unterschiedlicher sozial-psychologischer Prozesskonstrukte – sei es als unabhängige oder abhängige Variablen – für die Zielsetzung dieser Arbeit begrenzt.

3.1.3 Negotiation Analysis – die Synthese der analytisch-präskriptiven und verhaltenswissenschaftlichen Verhandlungsforschung 3.1.3.1 Darstellung der Negotiation Analysis

Wie die vorangegangenen Kapitel zeigen, war die Verhandlungsforschung lange Zeit durch zwei grundsätzlich unterschiedliche Untersuchungsansätze geprägt. Während sich die Sozial-Psychologie vorallem um eine Beschreibung realer Verhandlungssituationen bemühte, wurden durch spieltheoretische Studien hauptsächlich normative Aussagesysteme in Bezug auf die Erzielung pareto-optimaler Ergebnisse angestrebt. Bis zu Beginn der 1980er Jahre waren diese beiden Forschungsströmungen dabei durch ein geringes Maß an gegenseitiger Kenntnisnahme oder Befruchtung sowie das Fehlen eines einheitlichen Ansatzes gekennzeichnet. Die Veröffentlichung von Raiffa (1982) stellt daher einen Wendepunkt in der theoretischen Analyse von Verhandlungen dar. Er versucht, die zwei Forschungsbereiche zu konvergieren. Hintergrund hierfür war seine Annahme, dass Verhandlungsakteure immer dann optimale Ergebnisse erzielen können, wenn sie mögliche Verhandlungsalternativen unter Berücksichtigung ihrer eigenen Motive und Verhaltensweisen als auch der ihrer Verhandlungspartner generieren, strukturieren und priorisieren. „To carry out this function, however, the analyst must be acquainted with the prescriptions offered by game theory as well as the descriptions offered by behavorial psychology.“303 Zielsetzung von Raiffa (1982) ist es daher, den Verhandlungsführern optimale Verhandlungsergebnisse aufzuzeigen und ihnen zu erläutern, inwiefern reale Phänomene das Zustandekommen dieser Ergebnisse fördern oder ihnen entgegenstehen können. Hierfür löst auch er sich von der Annahme vollkommener Informationen, unterstellt den Verhandlungsführern jedoch ein „rationales Agieren unter Unsicherheit.“304 Die Beibehaltung des

303

Young (1991b), S.16.

304

Hiermit überträgt Raiffa (1982) erstmalig die Auffassung neuerer mikroökonomischer Ansätze, die von der Annahme vollkommener Informationen und unendlicher Reaktionsgeschwindigkeiten abstrahieren, auf den Bereich der Verhandlungsforschung. Vgl. hierzu auch Backhaus/Aufderheide/Späth (1994).

107 Rationalitätsaxioms fungiert somit als Verknüpfung spieltheoretischer und verhaltenswissenschaftlicher Ansätze.305 Studien, die die von Raiffa idealtypisch aufgezeigte Synthese aufgreifen, werden heute unter dem wissenschaftlichen Dach der Negotiation Analysis zusammengefasst; diese beinhaltet hauptsächlich spieltheoretische und sozialpsychologische Ansätze sowie Grundlagen der (multi-attributiven) Entscheidungstheorie.306 Unabhängig von ihrem wissenschaftlichen Ursprung leiten sie optimale Verhandlungsstrategien und -taktiken nicht länger aus einer Theorie ab, die postuliert, wie Verhandlungsführer rationalerweise agieren „sollten“; vielmehr wird versucht, Implikationen auf Basis einer möglichst realistischen Einschätzung des erwarteten Verhaltens der Verhandlungsführer zu generieren. Dadurch gewinnt auch die Phase der Verhandlungsvorbereitung im Rahmen der Negotiation Analysis an entscheidender Bedeutung. Nach Keeney/Raiffa (2001) sollte es dabei sogar eines der Hauptanliegen sein, die Verhandlungsführer hierin bestmöglich zu unterstützen.307 Als Teilbereiche der Verhandlungsvorbereitung nennt Raiffa (1982) die Strukturierung und Analyse der eigenen sowie der gegnerischen Verhandlungsposition sowie die Beschaffung von Informationen über die Verhandlungssituation.308 Im Hinblick auf die eigene Verhandlungssituation sollten sich Verhandlungsführer neben ihren Präferenzen und Zielen, insbesondere auch ihrer Alternativen im Vorfeld der Verhandlung bewusst sein. Diese stellen die „Outside“-Optionen dar, falls die Verhandlung zu keinem Ergebnis führt.309 Darüber hinaus gelten Informationen über die Gegenpartei als unabdingbare Grundlage für einen nutzenmaximierenden Verhandlungsabschluss.310 Neben Fragestellungen über die Art und Weise der Verhandlungsführung der anderen Partei sowie ihrer BATNA, wurde insbesondere von Raiffa (1982) die Notwendigkeit aufgezeigt, „(…) to make realistic estimates of the other side’s motives and preferences (…).“311. Die Analyse der Verhandlungssituation umfasst letztendlich Informationen über sämtliche, in der Situation relevant erscheinenden, konstanten und variablen Einflussgrößen (vgl. Kapitel 2.3).

305

Vgl. Bazerman, et al. (2000), S. 286.

306

Vgl. Raiffa/Metcalfe/Richardson (2003).

307

Vgl. Keeney/Raiffa (2001).

308

Vgl. Raiffa (1982).

309

Vgl. Thompson (2005); Vgl. hierzu auch die Ausführungen zum BATNA in den Kapiteln 2.2.1.3 und 2.3.1.1.

310

Vgl. Lewicki/Saunders/Minton (2001), S. 39ff.

311

Young (1991b), S. 16.

108 Die insbesondere im Bereich Negotiation Analysis vorgeschlagene Dreiteilung der Verhandlungsvorbereitung als auch die hierauf aufbauenden Implikationen für eine verbesserte Verhandlungsführung haben sich mittlerweile als sinnvoller und Erfolg versprechender Ansatz der Verhandlungsführung etabliert.312 Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Herangehensweise der Negotiation Analysis Verhandlungsführern konkrete Systematiken an die Hand gibt, die sowohl die Subjektivität der Wahrnehmungen als auch Möglichkeiten für eine quantitative Einschätzung der in der Verhandlung erzielbaren Erträge berücksichtigen. Damit einhergehend erscheint der Erkenntnisbeitrag dieses Forschungszweigs – zumindest auf den ersten Blick – auch für die vorliegende Zielsetzung vielversprechend zu sein.

3.1.3.2 Analyse der Negotiation Analysis

Für eine detailliertere Beurteilung ist es in diesem Zusammenhang jedoch erforderlich, den vorgeschlagenen Ablauf der Verhandlungsvorbereitung, die – wie zuvor beschrieben – insbesondere der Klärung der Verhandlungspräferenzen dienen soll, näher zu analysieren. In diesem Zusammenhang fällt zunächst auf, dass Raiffa (1982) hierbei auf die Vorgehensweise der Entscheidungstheorie zurückgreift. Diese verfolgt im Allgemeinen die Zielsetzung, für multi-attributive Entscheidungskonflikte verschiedene, in ihrer jeweiligen Vorgehensweise ähnliche Lösungsmechanismen zu entwickeln.313 Die von Raiffa (1982) ausgewählte Methodik lässt sich überblicksartig anhand verschiedener Aufgabenstellungen veranschaulichen, die die Verhandlungsakteure im Rahmen der Verhandlungsvorbereitung ausführen sollten.314

312

Vgl. Kapitel 2.2.2.

313

Vgl. bspw. Coenenberg (2006).

314

Vgl. hierzu im Detail Keeney/Raiffa (2001).

109

3.1.3.2.1 Grundsätzliche Vorgehensweise der Präferenzanalyse im Rahmen der Negotiation Analysis

In diesem Zusammenhang sind die ersten beiden Aufgabenstellungen qualitativer Natur. Die Verhandlungsakteure werden gebeten, sämtliche der für sie relevanten Präferenzen („attributes“), in Bezug auf eine konkrete Verhandlung zu benennen. Anschließend wird die Formulierung konkreter Ausprägungen („agreement levels“) in Bezug auf jede Verhandlungspräferenz gefordert. Um die Verhandlungsakteure bei dieser Aufgabe zu unterstützen, schlagen Keeney/Raiffa/Meyer (1976) bereits in den 1970er Jahren u. a. die „Midvalue Splitting Technique“ (MST) vor. Die Verhandlungsführer werden hierbei um die Festlegung eines realistischen „worst case“ sowie des „best case“ für jede Präferenzdimension gebeten. Hierauf wird für alle Attribute ein „midvalue point“ bestimmt. Dieser befindet sich, definiert durch den Verhandlungsführer, auf der subjektiven Mitte beider zuvor benannten Extremfälle. Für den Fall, dass drei Ausprägungen für die Strukturierung des Entscheidungsproblems nicht ausreichend erscheinen, können weitere Ausprägungen durch die subjektive Einschätzung des Mittelwertes zwischen „midvalue point“ und „best case“ („75%-Punkt“) oder zwischen Mittelwert und unterem Extrem („25%-Punkt“) definiert werden. Die Angabe der einzelnen Ausprägungen wird dabei für die quantitative Beurteilung der relativen Wichtigkeiten der einzelnen Attribute benötigt.315 Diese stellt die dritte Aufgabe dar und erfolgt häufig in Form einer Konstant-Summen-Abfrage, wobei die Verhandlungsführer in der Regel gebeten werden, 100 Punkte auf die von ihnen zuvor benannten Präferenzen zu verteilen.316 Während bereits die Ergebnisse dieser Aufgabe eine bessere Fokussierung der Verhandlungsbemühungen erlauben, unterstützt die Fokussierung in einem letzten Arbeitsschritt die Ermittlung der Nutzenwerte für die einzelnen – über die Ausprägungen vorgegebenen – Vereinbarungsalternativen. Hierfür wird der Akteur abschließend gebeten, die einer Präferenzdimension in Aufgabe 3 zugewiesen Punkte auf die in Teil-

315

So erscheint es einleuchtend, dass das Buying Center zumindest eine Vorstellung über das Niveau möglicher Preisangebote sowie unterschiedlicher Qualitätsausprägungen eines Produktes haben sollte, um abschließend beurteilen zu können, inwiefern sie in der Verhandlung eher auf den Preis oder aber die Qualität achten werden.

316

Die Konstant-Summen-Skala stellt damit auch eine Form der direkten Abfrage dar. Allerdings ist sie „beschränkter“ Natur, da die Probanden ihre Gesamteinschätzungen auf einer vordefinierten Skala durchführen müssen. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 221.

110 schritt 2 definierten Ausprägungen gemäß ihrer subjektiv wahrgenommenen Bedeutung zu verteilen. Fasst man die Ergebnisse der zwei qualitativen und quantitativen Aufgaben zusammen, so resultiert hieraus ein „additive preference model“317, ein Scoring-Modell, das die subjektiv geschätzten Wichtigkeiten der Attribute als auch ihrer Ausprägungen anzeigt. Letztendlich handelt es sich hierbei um nichts anderes als die in den analytisch-präskriptiven Ansätzen bereits vorgegebene Pay-Off-Matrix. Durch die Addition der ermittelten Beurteilungen einzelner Nutzendimensionen können Verhandlungsführer in der Folge den Gesamtnutzen (Uci) unterschiedlicher Verhandlungsalternativen bestimmen, wobei sich dieser aus den Nutzenbeiträgen der das Ergebnis beschreibenden Präferenzausprägungen (lijk) und den Wichtigkeiten der dahinter stehenden Attribute (pij) zusammensetzt (vgl. Formel 1):318 Formel 1:

Uci =

¦¦p

ij

˜ l ijk ˜ x jkc für i  I und c  C

jJ kKj

mit Uci wij aijk xjkc

= = = =

Geschätzter Gesamtnutzen des Ergebnis c für Verhandlungsführer i, Wichtigkeit des Attributs j für Verhandlungsführer i, Nutzenbeitrag der Ausprägung k des Attributs j für Verhandlungsführer i, Dummy-Variable mit dem Wert 1, wenn bei Alternative c die Ausprägung k des Attributs j auftritt, ansonsten 0.

Damit ermöglicht die Matrix den Verhandlungsführern Trade-Off-Entscheidungen zu kalkulieren und somit nutzenmaximale Paketofferten im Vorfeld der Verhandlung zu entwickeln. Die Marketing-Disziplin kennt dieses Verfahren unter dem Begriff des SelfExplicated-Verfahrens. Hier kommt es jedoch insbesondere zur Prognose von Kaufverhalten in einer Vielzahl von Anwendungsgebieten zum Einsatz, sodass in der Regel die einzelnen Merkmalsdimensionen als auch ihre Ausprägungen bereits vorgegeben sind.319 Da hierbei der Gesamtnutzen aus Einzelbeurteilungen komponiert wird, zählt dieses Vorgehen zu dem Bereich der kompositionellen Nutzenmessung.320 Die („Selbst“)-Erstellung dieser Matrix durch Verhandlungsführer sollte nach Keeney (1981) in einem iterativen Prozess und unter ständiger Rückkopplung zwischen den qualitativen und quantitativen Arbeitsschritten erfolgen. Nur so kann gewährleistet werden, dass 317

Young (1991b), S. 18.

318

Vgl. zu dieser Vorgehensweise auch die Ausführungen in Lax/Sebenius (1986), S. 76ff.

319

Vgl. Reiners (1996), S. 58.

320

Vgl. z. B. Liehr (2005), S. 115 sowie Trommsdorff (2003), S. 172f.

111 die Verteilung der Nutzenwerte auch tatsächlich die subjektiv relevanten Verhandlungspräferenzen reflektiert und somit der Ermittlung zufrieden stellender Verhandlungsergebnisse dient.321 Darüber hinaus wird diese Art der Verhandlungsvorbereitung insbesondere dann als wirkungsvoll angesehen, wenn sie auch für die Gegenseite durchgeführt wird, da nur die parallele Berücksichtigung von Verhandlungspräferenzen aller Parteien die Möglichkeit gibt, „to create jointly outstanding agreements“, die Keeney/Raiffa (2001) auch als „win big – win big-agreements“ bezeichnen.322 Der Kritik, dass es in vielen Situationen und insbesondere im Hinblick auf die Gegenseite oftmals unmöglich erscheint, die Wichtigkeiten einzelner Präferenzdimensionen als auch die Nutzenpunkte ihrer Ausprägungen in kardinaler Form zu bestimmen, wird mit dem Argument begegnet, dass für den Sinn und Zweck der Verhandlungsvorbereitung die Präzision der Angaben im Vergleich zu ihrem strukturierenden und richtungsweisenden Effekt eine untergeordnete Rolle spielt.323

3.1.3.2.2 Kritische Beurteilung der Vorgehensweise vor dem Hintergrund conjoint-analytischer Präferenzmessung

Die Gefahr einer zu hohen Unpräzision und der damit anzunehmenden geringen Aussagekraft der hier beschriebenen Präferenzanalyse stellt dabei einen grundsätzlichen Nachteil kompositioneller Nutzwertanalysen dar und ist nicht der spezifischen Vorgehensweise von Raiffa (1982) und Koautoren anzulasten.324 Er liegt insbesondere in der Tatsache begründet, dass die mit dieser Art der Nutzenmessung verbundene isolierte Bewertung einzelner Objekteigenschaften nicht den in der Realität zu beobachtenden Auswahlprozessen von Individuen entspricht. Denn hier werden Objekte in der Regel ganzheitlich und somit von Beginn an auf Basis von Trade-Off-Entscheidungen bewertet. Die isolierte Bewertung kann daher u. a. dazu führen, dass Individuen damit überfordert sind, (von ihnen zuvor

321

Vgl. Keeney (1981).

322

Keeney/Raiffa (2001), S. 143.

323

Vgl. Lax/Sebenius (1986), S. 77; vgl. hierzu auch die Ausführungen in Kapitel 2.5.2.

324

So weisen bspw. Homburg/Krohmer (2006) darauf hin, dass bei Anwendung derartiger Scoring-Modelle, die auch als Nutzwertanalyse bezeichnet werden, eine hohe Subjektivität bei der Auswahl der Auswahl sowie Gewichtung der Merkmale sowie der Beurteilung der unterschiedlichen Lösungsalternativen vorliegt. Vgl. Homburg/Krohmer (2006), S. 477.

112 nicht wahrgenommene) Einzelkomponenten eines sonst nur in der Gesamtheit betrachteten Produktes in ihren relativen Wichtigkeiten zu beurteilen.325 Somit stellt sich jedoch prinzipiell die Frage, inwiefern das vorgestellte „additive preference model“ für die Analyse multi-attributiver Verhandlungspräferenzen geeignet ist. In diesem Zusammenhang ist anzunehmen, dass es Verhandlungsführern durchaus gelingen könnte, 100 Punkte bspw. auf zwei Verhandlungsgegenstände Preis und Qualität entsprechend ihrer, in der konkreten Entscheidungssituation bestehenden relativen Wichtigkeit zu verteilen; schwieriger gestaltet sich allerdings bereits die Zuordnung der jeweils verteilten Punktanteile auf die einzelnen Merkmalsausprägungen. Dies gilt insbesondere dann, wenn diese keine kardinale Linearität, wie bspw. beim Merkmal Qualität, aufweisen. Hieraus wird ersichtlich, wie schwierig sich die benannte Aufgabe im Rahmen komplexer Verhandlungssituationen mit einer Vielzahl an Verhandlungsgegenständen gestalten kann. Greenhalgh/Neslin (1981) kommen daher zu der Schlussfolgerung, dass additive ScoringSysteme „(…) are practical for very simple tradeoffs but are not powerful enough for more realistic situations.“326 Damit gilt es im Einzelfall abzuwägen, inwiefern die Aussagen einer derart erstellten Pay-Off-Matrix als verlässliche Entscheidungsgrundlage für Verhandlungsakteure oder nur als erster Anhaltspunkt fungieren können. Als Alternative zu der von Raiffa (1982) entwickelten Vorgehensweise schlagen Greenhalgh/Neslin bereits 1981 und somit ein Jahr vor der Veröffentlichung des Standardwerkes Raiffas den Einsatz der Conjoint-Analyse zur Messung von Verhandlungspräferenzen vor. Anlass ihrer Studie bildete ein realer tarifpolitischer Fall in den Vereinigten Staaten, in dem sich Gewerkschaftsmitglieder über den Vertragsabschluss ihrer Vertreter mit den Arbeitgebern unzufrieden zeigten. Dies warf die Frage nach den Präferenzen der Mitglieder auf.327 Bei der Conjoint-Analyse handelt es sich um ein dekompositionelles Verfahren der Nutzenmessung. Ihre Vorgehensweise vollzieht sich dementsprechend genau entgegengesetzt zu kompositionellen Verfahren: Anstelle den Gesamtnutzen aus Einzelbeurteilungen zu komponieren, werden Beurteilungen ganzheitlich und im Objektvergleich ermittelt. Hierzu werden in der Regel fiktive Stimuli durch eine Kombination unterschiedlicher Ausprägungen konstruiert und den Probanden vorgelegt, die sie entsprechend ihrer Präferenzen be325

Vgl. Braun (2004), S. 46; Teichert (2001), S. 46f. oder Voeth (2003), S. 72f.

326

Vgl. Greenhalgh/Neslin (1981), S. 303.

327

Vgl. Greenhalgh/Neslin (1981); Backhaus, et al. (2005).

113 werten sollen. Aus diesen Gesamtbeurteilungen werden anschließend mittels einer linearintegrativen Nutzenfunktion Rückschlüsse auf die Bedeutung der Eigenschaften sowie die Bewertung der jeweiligen Ausprägungen gezogen, sodass die Selbsteinschätzung kardinaler Nutzenwerte durch die Probanden auf ein Minimum begrenzt wird (vgl. Abb. 12).328 Ihren Ursprung nimmt die Conjoint-Analyse dabei in der mathematischen Psychologie. In die Kaufverhaltensforschung wurde sie erstmals von Green/Rao (1971) eingeführt.329 Seitdem hat sie in diesem Bereich breiten Zuspruch gefunden. Insbesondere in der größeren Realitätsnähe ihrer Abfrage wird dabei ein Vorteil des Verfahrens gegenüber kompositionellen Methoden gesehen.330 Dennoch gilt auch bei diesem Verfahren zu berücksichtigen, dass die Komplexität der Befragung aus Sicht der Probanden mit der Erhöhung der Merkmals- und Ausprägungszahl ansteigt. Vor diesem Hintergrund eignet sich die ConjointAnalyse insbesondere bei Präferenzabfragen, die bis zu 5 Merkmalen bzw. eine Gesamtzahl von ungefähr 25 Stimuli beinhalten.331 Tarifvertrag 3 Urlaubsregelung: 22 Tage / Jahr Kündigungsfrist: 1 Monat

Tarifvertrag 5 Tarifvertrag 7Urlaubsregelung: 30 Tage / Jahr Urlaubsregelung: Kündigungsfrist: 30 Tage / Jahr 2 Monate Kündigungsfrist: Anforderungsniveau: 3 Monate mittel Anforderungsniveau: Betriebliche Mitbestimmung: hoch ja Betriebliche Mitbestimmung: ja

Anforderungsniveau: niedrig Betriebliche Mitbestimmung: nein



Rang 9 (schlechtester Tarifvertrag)

Rang 2 Rang 1 (bester Tarifvertrag)

Abbildung 12: Vorgehen der Conjoint-Analyse

Für den Einsatz des Verfahrens im Bereich der Verhandlungsforschung legten Greenhalgh/Neslin (1981) ausgewählten Gewerkschaftsmitgliedern daher insgesamt 16 verschiedene Vertragsszenarien zur Beurteilung vor, die sich anhand von fünf Merkmalen mit jeweils zwei verschiedenen Ausprägungen charakterisieren ließen. Die dekompositionelle

328

Vgl. bspw. Voeth (2000), S. 29; Hensel-Börner (2000), S. 38ff.

329

Vgl. Green/Rao (1971).

330

Vgl. Greenhalgh/Neslin (1981), S. 311.

331

Vgl. Voeth (2000), S. 56 und die dort angegebene Literatur.

114 Berechnung der relativen Wichtigkeiten und Nutzenwerte führten nach Angabe der Autoren zu einer hohen Validität. Anschließende Befragungen der Gewerkschaftsvertreter ergaben, dass die ermittelten Präferenzen als hilfreich für zukünftige Verhandlungen erachtet wurden, sowohl was die Konzentration auf wichtige eigene Standpunkte betraf als auch um mögliche Kompromisse zu gestalten.332 Obgleich die Conjoint-Analyse somit durchaus für präferenzspezifische Fragestellungen der Verhandlungsforschung geeignet ist, in einer Vielzahl von Fällen sogar Vorteile gegenüber den kompositionellen Verfahren aufzuweisen scheint, ist sie erstaunlicherweise in den Studien der Negotiation Analysis nicht weiter aufgegriffen worden. Kann diese Tatsache als methodische Schwachstelle der Negotiation Analysis gewertet werden, so stellt sich für die vorliegende Zielsetzung jedoch vor allem die Frage, inwiefern der Forschungszweig der Bedeutung einer umfassenden Messung von Verhandlungspräferenzen Rechnung trägt. Für die duale Berücksichtigung ergebnisorientierter und prozessualer Verhandlungspräferenzen spricht in diesem Zusammenhang zweifelsohne die Integration verhaltenswissenschaftlicher Annahmen in die Prognose und Herleitung nutzenmaximierender Ergebnisse. Diese Vermutung wird nicht zuletzt durch eines der früheren Werke von Raiffa bestätigt, in dem er selbst postuliert, dass irrationales Entscheidungsverhalten auch durch andere als bis dato beachtete Präferenzen der Individuen zustande kommen könne.333 Jedoch lassen sämtliche von Keeney/Raiffa/Meyer (1976) illustrierten Beispiele zur Anwendbarkeit der vorgestellten Präferenzmessung keinen Schluss auf prozessuale Präferenzen zu.334 Hier stellt sich allerdings die Frage, ob es sich nicht eher um ein „Resignieren“ vor dem Faktum, als um eine bewusste Nicht-Berücksichtigung realer Phänomene handelt. In diesem Zusammenhang verweisen Keeney/Raiffa/Meyer (1976) insbesondere auf die schwierige Definition intangibler Verhandlungsaspekte. In ihrem Fall sei es nicht möglich „to establish a step-by-step procedure.“335 Insgesamt lässt sich der Erkenntnisbeitrag der Negotiation Analysis für die vorliegende Arbeit somit wie folgt beurteilen: Im Vergleich zu den analytisch-präskriptiven Ansätzen kann sie zweifellos weitergehende Ansatzpunkte liefern, da sie Verhandlungsführern Rich332

Vgl. Greenhalgh/Neslin (1981), S. 322.

333

Vgl. Raiffa (1973), S. 108.

334

Vgl. Keeney/Raiffa/Meyer (1976) überprüfen die Anwenbarkeit ihrer Präferenzmessung und der MST anhand verschiedener Beispiele. In diesem Zusammenhang untersuchten sie bspw. die Präferenzen von Verhandlungsführern im Schulsystem bezüglich des Budgets für verschiedene Fächer (S. 365ff.) oder aber die Präferenzen der Stakeholder in Bezug auf die beste Unternehmenspolitik (S. 385ff.).

335

Keeney/Raiffa/Meyer (1976), S. 74.

115 tlinien für die Durchführung einer bilateralen Präferenzanalyse aufzeigt und in diesem Zusammenhang einen Denkprozess im Hinblick auf die Bedeutung der „Pre-Negotiation“Phase anstoßen kann. Allerdings wird die angestrebte Synthese – zumindest im Bereich der Präferenzmessung – durch die bisherigen Forschungsbemühungen der Negotiation Analysis noch nicht erreicht. Denn auch hier finden – analog zu den spieltheoretischen Ansätzen – prozessuale Präferenzen im Rahmen einer kardinalen Präferenzmessung noch keine Berücksichtigung.

3.2 Darstellung und Analyse der managementbezogenen Ansätze der Verhandlungsforschung

Parallel zu der Synthese theoretischer Ansätze der Verhandlungsforschung entwickelte sich in den 1980er und 1990er Jahren verstärkt auch die praktische Verhandlungsforschung, die sich insbesondere um die Formulierung strategischer Ratschläge für Manager und Verhandelnde bemüht. Anders als die ausgewählten theoretischen Ansätze und hierbei insbesondere die verhaltenswissenschaftliche Verhandlungsforschung, die zumeist einzelne Untersuchungsinteressen aus dem weiten Forschungsspektrum von Verhandlungen in isolierter Form adressieren, sind die managementbezogenen Ansätze in der Regel situationsübergreifend angelegt. Hierbei wird davon ausgegangen, dass Verhandlungssituationen durch ähnliche Merkmale und Verhaltensmechanismen charakterisiert sind. Vor diesem Hintergrund ist die Stärke dieser Ansätze in ihrer Einfachheit sowie in der Vermittlung konkreter Ratschläge zu sehen. Eine Erfolg versprechende Umsetzung der Ansätze muss jedoch im Einzelfall überprüft werden, da sie sich aufgrund ihrer situationsübergreifenden Ausrichtung auf hohem Abstraktionsgrad bewegen. Zudem fehlt einigen dieser Ansätze die theoretische Fundierung und empirische Überprüfung. Dennoch erfreuen sich managementbezogene Ansätze in der Praxis insgesamt einer hohen Beliebtheit. Es verwundert daher nicht, dass sich in der Literatur mittlerweile zahlreiche Beiträge zur allgemeinen Verhandlungsführung finden. Hierunter hat insbesondere das erstmalig von Fisher/Ury (1981) entwickelte Harvard-Verhandlungskonzept breite Beachtung gefunden. Da es sich durch seinen ganzheitlichen Verhandlungsansatz von anderen Konzepten dieser Kategorie abhebt und zudem einen der wenigen Arbeiten darstellt, die im Bereich der management-bezogenen Ansätze empirisch überprüft worden ist, soll das Har-

116 vard-Verhandlungskonzept im Folgenden überblicksartig dargestellt und hierauf auf mögliche Ansatzpunkte für die Zielsetzung einer umfassenden Präferenzanalyse analysiert werden.

3.2.1 Darstellung des Harvard-Verhandlungskonzeptes

Das Harvard-Verhandlungskonzept wurde Anfang der 1980er Jahre von Fisher und Ury in der Auffassung entwickelt, dass ein für alle Beteiligten zufrieden stellendes Verhandlungsergebnis oftmals deshalb nicht erreicht werden kann, da sich die Parteien zu stark auf das Aushandeln ihrer eigenen Positionen konzentrieren, anstelle die der Verhandlung zu Grunde liegenden (oftmals beidseitigen) Interessen in den Vordergrund zu stellen. Ihr Ansatz zielt daher darauf ab, einen Leitfaden für richtiges, weil sachbezogenes Verhandeln bereit zu stellen. Hierfür postulieren sie vier Verhaltensprämissen: (1) Im Rahmen der ersten Verhaltensprämisse wird gefordert, dass Menschen und Probleme in Verhandlungen getrennt voneinander behandelt werden sollten, um die Lösung eines Entscheidungsproblems nicht durch das Aufkommen zwischenmenschlicher „Unsachlichkeiten“, wie bspw. Emotionen zu gefährden.336 (2) Die zweite Verhaltensprämisse sieht vor, Interessen in den Vordergrund der Verhandlungsbemühungen zu stellen, damit nicht – durch die Fixierung auf eine feststehende Lösung (d. h. durch die Formulierung von Positionen) – der Verhandlungsraum frühzeitig begrenzt und somit der Blickwinkel auf integrative Lösungen versperrt wird.337 (3) Um diese Prämisse erfüllen zu können, ist es nach Auffassung der Autoren notwendig, im Vorfeld der Verhandlungen alternative Problemlösungen zu entwickeln, die die unterschiedlichen Interessen abdecken können.338 (4) Diese Problemlösungen sollten abschließend anhand objektiver Kriterien bewertet sowie durch faire Verfahrensweisen umgesetzt werden. Als Beispiel objektiver Kriterien nennen die Autoren dabei u. a. frühere Vergleichsfälle, Urteile von Sachverständigen oder

336

Vgl. Fisher/Ury/Patton (2004), S. 39ff.

337

Vgl. Fisher/Ury/Patton (2004), S. 68ff.

338

Vgl. Fisher/Ury/Patton (2004), S. 89ff.

117 aber traditionsgemäße Vereinbarungen. Als faire Verhaltensweise wird u. a. das Aufsuchen eines neutralen Schiedsrichters erwähnt.339 Wie die Beschreibung der vier grundsätzlichen Handlungsprämissen zu erkennen gibt, sind diese als Leitfaden zu verstehen, der den Verhandlungsakteuren sowohl im Vorfeld der Verhandlungen als auch während des eigentlichen Entscheidungsprozesses Unterstützung im Hinblick auf die Erzielung optimaler Ergebnisse liefern sollen. Obgleich der für die Präferenzanalyse als relevant anzusehende Bereich der Verhandlungsvorbereitung somit innerhalb des Konzeptes Berücksichtigung findet, lässt sich aus obiger Darstellung des Gesamtkonzeptes noch nicht entnehmen, inwieweit es – über den Erkenntnisbeitrag der theoretischen Ansätze hinaus – weitere Ansatzpunkte für die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit liefern kann.

3.2.2 Analyse des Harvard-Verhandlungskonzeptes

Analysiert man die einzelnen Säulen des Harvard-Verhandlungskonzeptes daher im Hinblick auf die Durchführung einer umfassenden Präferenzmessung, so fällt zunächst auf, dass sie sowohl ergebnisorientierte als auch prozessuale Verhandlungsaspekte umfassen. So richten sich die Handlungsempfehlungen der Grundpfeiler „Menschen und Probleme getrennt voneinander behandeln“ (1) und teilweise auch die Vorschläge zur „Anwendung objektiver Kriterien“ (2) eher auf die Gestaltung des Verhandlungsprozesses. Die ökonomische Vorteilhaftigkeit der Entscheidung hingegen soll insbesondere durch die beiden Grundpfeiler „an Interessen und nicht an Positionen orientieren“ (3) sowie „Entwicklung alternativer Entscheidungsmöglichkeiten“ (4) sichergestellt werden. Der Begriff der Präferenzen wird jedoch in beiden Fällen nicht erwähnt, eine Tatsache, die insbesondere im Rahmen der ergebnisbezogenen Prämissen überrascht. Denn während bei der Frage nach Verhandlungsinteressen definitionsgemäß nicht die Vorziehungswürdigkeit eines Verhandlungsobjekts im Vordergrund steht und diese auch bei Fisher/Ury/Patton (2004) als „stille Beweggründe hinter dem Durcheinander von Positionen“340 verstanden werden, soll der Prozess ihrer Identifikation letztendlich der Ableitung unterschiedlicher Problemlösungsmöglichkeiten dienen. Diese jedoch beziehen sich auf 339

Vgl. Fisher/Ury/Patton (2004), S. 121ff.

340

Fisher/Ury/Patton (2004), S. 69.

118 konkrete Vereinbarungen und bedürfen daher eines Bewertungsmaßstabs zur Auswahl bestmöglicher Alternativen. Die für diesen Zweck hilfreiche Durchführung einer umfassenden Präferenzanalyse, geschweige denn ihre quantitative Bestimmung, werden im Rahmen des Harvard-Verhandlungskonzeptes jedoch nicht erwähnt. Damit werden die unterschiedlichen Problemlösungen auch nicht an einem Nutzenniveau ausgerichtet, sondern sind nach der Verhaltensprämisse (4) eher als Objekt „der eingehenden Beschäftigung im Vorfeld der Verhandlung“ zu verstehen. Hierzu werden dem Leser „kreative Rezepte“ an die Hand gegeben, die jedoch eher der Effizienz und Organisation des internen Vorbereitungsprozesses dienen, als Inhalte und Methoden zur Alternativengenerierung bereitstellen. Als einzige „methodische“ Hilfestellung wird in diesem Kontext der Vorschlag unterbreitet, dass die Akteure eine Liste erstellen sollten, die die bilateralen Interessen der Beteiligten enthält. Während Fisher/Ury/Patton (2004) noch explizit darauf hinweisen, dass hierbei auch schwer greifbare Interessen Berücksichtigung finden können, verbleiben sie darüber hinaus im Unklaren, welche Möglichkeiten der Interessen-Operationalisierung bestehen sowie welche Art von Präferenzen bzw. Lösungsalternativen hieraus resultieren können. Obgleich in diesem Kontext prinzipiell prozessuale Präferenzen aus den aufgestellten objektiven Kriterien ableitbar wären („je stärker Sie die Kriterien der Fairness, (…) oder der Sachbezogenheit bei Ihrem speziellen Problem zu Tragen bringen (…)“), werden diese in den von Fisher/Ury/Patton (2004) gewählten Beispielen nicht weiter berücksichtigt. Vergleichbar zu dem Forschungszweig der Negotiation Analysis ist daher davon auszugehen, dass managementbezogene Konzepte implizit die Auffassung einer dualen Existenz ergebnisorientierter und prozessualer Präferenzen vertreten; insbesondere letztere jedoch – angesichts fehlender Operationalisierungsmethoden – nicht explizit aufgreifen. Insgesamt erscheint der Erkenntnisbeitrag des Harvard-Verhandlungskonzepts daher für die Zielsetzung der Arbeit gering. Mögliche Ansatzpunkte kann es lediglich im Hinblick auf die Ableitung prozessualer Präferenzen bieten. Aufgrund der fehlenden theoretischen Fundierung erscheint jedoch auch dieses Vorgehen nicht empfehlenswert.

119

3.3 Kritische Würdigung der Ansätze im Hinblick auf die umfassende Messung von Verhandlungspräferenzen

Versucht man die Auseinandersetzung der besprochenen Ansätze mit der Zielsetzung einer umfassenden Messung von Verhandlungspräferenzen abschließend zu würdigen, so ergibt sich ein differenziertes Bild: Den analytisch-präskriptiven Ansätzen fehlt – angesichts ihrer postulierten Präferenztheoreme – zunächst die Notwendigkeit, sich mit der Thematik einer Präferenzanalyse zu beschäftigen. Darüber hinaus enthalten die für die Bestimmung optimaler Ergebnisse wichtigen Pay-Off-Matrizen – wenn überhaupt – nur Angaben zu ergebnisorientierten Verhandlungsaspekten. Vor diesem Hintergrund können die analytisch-präskriptiven Ansätze der vorliegenden Arbeit nur insofern Anhaltspunkte liefern, als dass sie bspw. mit der Entwicklung der VNM-Nutzenfunktion das wissenschaftliche Fundament für die kardinale Messung von Verhandlungspräferenzen gelegt haben. Bereits die Kriterien, die zur Generierung der Präferenzen und ihrer anschließenden Gewichtung heranzuziehen sind, werden jedoch nicht weiter erläutert. Hiermit setzt sich jedoch der Forschungszweig der Negotiation Analysis auseinander, der eine der Hauptaufgaben von Verhandlungsführern in ihrer gründlichen Verhandlungsvorbereitung sieht. Diese sollte sich dabei insbesondere der bilateralen Klärung der Verhandlungspräferenzen widmen. Erschien dieser Forschungszweig somit auf den ersten Blick prädestiniert für die vorliegende Zielsetzung, so konnte seine detaillierte Analyse zeigen, dass auch er zwei – mehr oder weniger große – Schwachstellen in dieser Hinsicht aufweist: Der größere Kritikpunkt liegt sicherlich darin, dass die Operationalisierung und Messung von Präferenzen zwar detailliert dargestellt wird, diese Ausführungen sich allerdings – wie bei den präskriptiv-analytischen Ansätze – nur auf ergebnisorientierte Präferenzen beziehen. Darüber hinaus erscheint fraglich, inwiefern die überwiegend verwendete Methode der self-explicated Verfahren für die Erstellung von Pay-Off-Matrizen im Rahmen komplexer Verhandlungssituationen wirklich geeignet ist. Die verhaltenswissenschaftlichen Ansätze können die identifizierte Lücke der NichtBerücksichtigung prozessualer Präferenzen zumindest teilweise schließen, indem sie zahlreiche Hinweise auf die Vielschichtigkeit verhandlungsspezifischer Präferenzen geben. Anstelle einer systematischen Aufzählung der als relevant einzustufenden prozessualen

120 Präferenzen werden diese jedoch eher beispielhaft genannt und als Teildimension eines weiter gefassten Präferenzsystems diskutiert. Da die verhaltenswissenschaftlichen Ansätze überdies überwiegend deskriptiver Natur sind, finden sich auch hier keine wirklich weiterführenden Hinweise für die umfassende und damit kombinierte Messung von Verhandlungspräferenzen. Dennoch erscheint ihr Erkenntnisbetrag noch ungleich höher als der der managementbezogenen Ansätze. Obgleich diese prinzipiell den Auffassungen der verhaltenswissenschaftlichen Ansätze sowie des Forschungszweigs der Negotiaton Analysis folgen und von der dualen Existenz ergebnisorientierter und prozessualer Präferenzen ausgehen, muss hier das Aufführen von Beispielen die systematische Anordnung zur Ableitung relevanter Präferenzdimensionen ersetzen. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass managementbezogene Ansätze auch keine – zumindest eigenen – Vorschläge zur Messung von Verhandlungspräferenzen unterbreiten. Können die einzelnen Forschungsrichtungen somit der vorliegenden Arbeit zwar an einigen Stellen Ansatzpunkte liefern, so scheint zusammengenommen eine Dilemma-Situation zwischen der expliziten Berücksichtigung ergebnisorientierter und prozessualer sowie der quantitativen Messung von Verhandlungspräferenzen vorzuliegen. Die diskutierten Ansätze entziehen sich dieser bislang dadurch, dass sie entweder gänzlich von einer kardinalen Präferenzanalyse Abstand nehmen oder aber lediglich ergebnisorientierte Präferenzen in ihre Messansätze integrieren (vgl. Abb.13). Damit aber können die – nicht nur für das Industriegütermarketing – wichtigen Fragestellungen aus dem Bereich der Präferenzanalyse auch durch die relevanten Ansätze der Verhandlungsforschung nicht ausreichend beantwortet werden. Insbesondere können bislang keine Schlussfolgerungen über die relative Bedeutung prozessualer Präferenzen getroffen werden. Ausgehend von diesen Überlegungen muss der Verhandlungsforschung jedoch eine bislang nur mäßige Fähigkeit im Hinblick auf die Erklärung und Prognose von Verhandlungsprozessen und -ergebnissen zugesprochen werden.

121

ja

nein

Präskriptivanalytische Ansätze

Managementbezogene Ansätze

Forschungsdefizit Verhaltenswissenschaftliche Ansätze

Negotiation Analysis

Quantitative Messung von Verhandlungspräferenzen

Ganzheitliche Berücksichtigung von Verhandlungspräferenzen

nein

ja

Abbildung 13: Die Analyse von Präferenzen als defizitärer Bereich der Verhandlungsforschung

3.4 Konzeptionelle Fragestellungen der Präferenzanalyse und

zu-

sammenfassende Anforderungen an die Präferenzmessung

Der Überblick über die relevanten Ansätze der Verhandlungsforschung konnte zeigen, dass die umfassende Analyse von Verhandlungspräferenzen noch nicht ausreichend behandelt worden ist. Darüber hinaus wurde deutlich, dass das konstatierte Forschungsdefizit – ungeachtet der übrigen Kritikpunkte der diskutierten Ansätze – insbesondere darauf zurückgeführt werden kann, dass die prozessualen Präferenzen bislang noch nicht quantitativ analysiert worden sind. Während dies auf den ersten Blick auf die Tatsache zurückgeführt werden könnte, dass den prozessualen Präferenzen eine zu geringe Bedeutung im Hinblick auf die Steuerung von Verhandlungsverlauf und -ergebnis beigemessen wurde und sie infolgedessen bislang nicht in die Nutzenfunktionen der Verhandlungsakteure integriert wurden, ist in Anbetracht der aufgezeigten Forschungsbemühungen bei den einzelnen Ansätzen eher davon auszugehen, dass dieses Forschungsdefizit auf noch ungeklärte Fragestellungen bei der Messung prozessualer Präferenzen zurückgeführt werden kann. Interessanterweise werden diese – wenn auch in weniger konkretem Zusammenhang – bereits im Jahr 1975 im Schlusswort des Standardwerks zur Verhandlungsforschung von Rubin/Brown (1975) als zukünftiger Forschungsbedarf deklariert:341

341

Vgl. Rubin/Brown (1975), S. 293.

122 ƒ

Welche „ungreifbaren“ Verhandlungsaspekte können den wahrgenommenen Gesamtnutzen einer Verhandlung steigern?

ƒ

Wie können diese „ungreifbaren“ Aspekte operationalisiert werden, um sie in Interaktion mit anderen Verhandlungsaspekten zu untersuchen?

ƒ

Variiert der Bedeutungsgehalt dieser „ungreifbaren“ Verhandlungsaspekte für die Verhandlungsführer?

Vor dem Hintergrund dieser schon früh angezeigten, jedoch immer noch wenig bearbeiteten Forschungslücke erscheint es daher zunächst von Interesse, welche spezifischen Probleme in Bezug auf die kardinale Ermittlung von Prozesspräferenzen bestehen, um hieraus Anforderungen an die Durchführung der vorliegenden Zielsetzung ableiten zu können. Während diese zum einen aus den Charakteristika prozessualer Präferenzen erschlossen werden können, ergeben sich weitere Probleme aus den Besonderheiten industrieller Verhandlungen. Aus ihrer Zusammenschau lassen sich ƒ

inhaltliche (vgl. Kapitel 3.4.1),

ƒ

methodische (vgl. Kapitel 3.4.2) sowie

ƒ

kontextspezifische Anforderungen (vgl. Kapitel 3.4.3)

an die Konzeption einer umfassenden Präferenzanalyse ableiten. Letztere resultieren dabei aus der Tatsache, dass die Gesamtheit relevanter Verhandlungspräferenzen – angesichts ihrer aufgezeigten Analyseposition – zahlreichen Einflussfaktoren unterliegt. Von daher sollte in jedem Fall auch der Gestaltung der kontextspezifischen Rahmenbedingungen der Präferenzanalyse Aufmerksamkeit gewidmet werden.

3.4.1 Ermittlung inhaltlicher Anforderungen in Bezug auf die Messung prozessualer Präferenzen

Wie die Ausführungen zur Bedeutung von Verhandlungspräferenzen im industriellen Kontext zum Ausdruck gebracht haben, erweist sich ihre Analyse immer nur dann als aussagekräftig und kann den Verhandlungsparteien daher bei der Ableitung Erfolg versprechender Strategien und Taktiken Unterstützung bieten, wenn die Analyse die für die Verhandlungs-

123 akteure bedeutsamen Präferenzdimensionen in ihrer Gesamtheit erfasst.342 Führt in diesem Zusammenhang bereits die zu Beginn des Interaktionsprozesses häufig nicht vorhersehbare Vielschichtigkeit industrieller Entscheidungsprobleme dazu, dass sich die Benennung sämtlicher als relevant einzustufender Ergebnispräferenzen schwierig gestaltet, so birgt diese Aufgabe im Hinblick auf prozessuale Präferenzen eine zusätzliche Problemstellung in sich. Grund hierfür ist die Tatsache, dass prozessuale Präferenzen „go beyond the obvious and tangible.“343 Damit stehen für ihre Identifikation – im Gegensatz zur Definition relevanter Ergebnispräferenzen, die sich zumindest an den zu verhandelnden Transaktionsobjekten orientieren kann – jedoch kaum „auf der Hand liegende“ Anhaltspunkte zur Verfügung. Hinzukommend kann die Vollständigkeit der definierten prozessualen Präferenzen aufgrund ihres individuell subjektiven Entwicklungsprozesses nur schwer überprüft werden. Aus der „Nicht-Greifbarkeit“ prozessualer Präferenzen ergibt sich somit als erste Fragestellung, welche Prozesspräferenzen überhaupt im Rahmen einer umfassenden Messung zu berücksichtigen sind. Obwohl das Problem der schwierigen Identifizierbarkeit als mögliche Erklärung für das bislang bestehende Forschungsdefizit gesehen werden kann, sollte es nicht länger als ausreichende Begründung hierfür akzeptiert werden. So wurden prozessuale Verhandlungspräferenzen zwar bislang kaum explizit als solche benannt, geschweige denn im Rahmen einer kardinalen Präferenzanalyse vollständig berücksichtigt, allerdings widmen sich insbesondere die verhaltenswissenschaftlichen Ansätze der Fragestellung, wie Verhandelnde tatsächlich agieren und welche sozialpsychologischen Determinanten ihre Verhandlungsführung steuern. Da hiermit die Handlungssituation und damit einhergehend die prozessualen Aspekte einer Verhandlung in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses rücken, ist davon auszugehen, dass eine Vielzahl von Bezugspunkten thematisiert wird, die für die Ableitung prozessualer Präferenzen – über die wenigen, bereits beschriebenen Präferenzdimensionen hinaus – herangezogen werden könnte.344

342

Vgl. hierzu auch die Ausführungen in Kapitel 2.5.1.

343

Lax/Sebenius (1986), S. 64.

344

Im Gegensatz hierzu erscheinen die spieltheoretischen Ansätze für die hiesige Fragestellung wenig aussagekräftig, da sie der Frage nachgehen, wie Verhandlungsakteure sich rational verhalten sollten und nicht wie sie es realerweise tun. Ähnlich verhält es sich mit den übrigen analysierten Ansätzen. So unterstellt der Forschungszweig der Negotiation Analysis zwar realistische Verhaltensannahmen, interpretiert diese jedoch größtenteils in Form von Abweichungen vom optimalen Ergebnis und weniger in ihren prozessualen Erscheinungsformen. Den managementbezogenen Ansätzen hingegen fehlt die theoretische Basis, sodass sie im Hinblick auf die vorliegende Zielsetzung, einen theoretisch fundierten Messansatz zu entwickeln, nicht berücksichtigt werden sollten.

124 Für diese Aufgabenstellung ist jedoch eine umfangreiche, inhaltsanalytische Untersuchung der vorliegenden verhaltenswissenschaftlichen Arbeiten erforderlich. Dabei ist die – im Rahmen der übergeordneten Zielsetzung als kritisch beurteilte – Deskriptivität der verhaltenswissenschaftlichen Forschungsbemühungen in diesem Zusammenhang sogar als Vorteil anzusehen. Ursächlich hierfür ist die Annahme, dass somit das soziale Interaktionsverhalten der Parteien ausführlich erläutert wird. Allerdings sollte hierbei auch bedacht werden, dass nicht alle der beschriebenen sozial-psychologischen Determinanten mögliche Bezugspunkte prozessualer Präferenzen darstellen. Vielmehr ist bei der Ableitung prozessualer Präferenzen – wie in Kapitel 3.1.2.2.2 zum Ausdruck gebracht – auf ihre Abgrenzung zu intra- und inter-personellen Referenzpunkten des individuellen Entscheidungsverhaltens zu achten. Damit einhergehend liegen mögliche Bezugspunkte ihrer Identifikation lediglich auf der sozialen Interaktionsebene zwischen den Parteien und somit in dem gemeinsamen Verhandlungsprozess begründet. Für ein besseres Verständnis ist der relevante Identifikationsbereich – in Abgrenzung zu den anderen sozial-psychologischen Nutzendimensionen – in Abbildung 14 hervorgehoben. intra-personelle Referenzpunkte soziale Interaktionsebene inter-personelle Referenzpunkte bspw. Risikoempfinden, Selbstwertgefühl

bspw. Fairness, Kooperativität

bspw. Reputation, Ansehen

Identifikationsbereich

Abbildung 14: Identifikationsbereich prozessualer Präferenzen

Auch wenn durch die vorgeschlagene, inhaltsanalytische Untersuchung verhaltenswissenschaftlicher Ansätze möglicherweise keine vollständige Abbildung prozessualer Präferenzen gelingen kann, so ist auf diese Weise ein erster Einstieg in deren Messung möglich. Angesichts des zu Grunde gelegten Kontexts der Arbeit erscheint es allerdings sinnvoll, die in der allgemeinen Verhandlungsforschung identifizierten Variablen auch auf ihre Relevanz im industriellen Kontext zu überprüfen. Vor dem Hintergrund der defizitären Analyse von Verhandlungen in der Industriegütermarketing-Literatur erscheint dies jedoch

125 offensichtlich am ehesten durch eine Befragung industrieller Verhandlungsakteure im Hinblick auf ihre wahrgenommene Bedeutung der identifizierten Dimensionen möglich.345 Somit erfordert die Beantwortung der Fragestellung, welche prozessualen Präferenzdimensionen überhaupt in eine umfassende Präferenzanalyse zu integrieren sind, letztendlich zwei aufeinander aufbauende Untersuchungsschritte: Während „Untersuchungsschritt 1“ eine inhaltsanalytische Identifikation relevanter Prozesspräferenzen beinhaltet, ist dessen Ergebnis in einem zweiten Schritt empirisch zu überprüfen.

3.4.2 Methodische Anforderungen an die Messung prozessualer Präferenzen unter besonderer Berücksichtigung der PrincipalAgent-Theorie

Neben der Anforderung, den abzufragenden „Präferenzkatalog“ im Rahmen zweier aufeinander aufbauender Untersuchungen inhaltlich zu definieren, stellt sich des Weiteren die Frage, wie seine Messung – insbesondere im Hinblick auf die Intangibilität prozessualer Präferenzen – methodisch umgesetzt werden kann. Wie die bisherigen Ausführungen gezeigt haben, lassen sich hierbei kaum Ansatzpunkte aus der einschlägigen Literatur generieren. Diese weist im Hinblick auf die quantitative Bestimmung prozessualer Präferenzen vielmehr auf die Komplexität der hierfür erforderlichen Beurteilungsaufgabe hin, da für „nicht-fassbare“ Verhandlungsaspekte unterstützende Vergleichmaßstäbe wie bspw. objektiv kalkulierbare Größen fehlen. Vor diesem Hintergrund wird oftmals die vereinfachende Aussage getroffen, dass prozessuale Aspekte nicht quantifizierbar seien, da Verhandlungsteilnehmer „find them difficult to weigh, even feel paralyzed with respect to their choices as negotiators.“346 Die Argumentation, dass die fehlenden, objektiv beurteilbaren Vergleichs- und Bewertungsmaßstäbe eine ausreichende Begründung für die fehlende weitere Beschäftigung mit der Messung prozessualer Präferenzen darstellen, erscheint allerdings nicht schlüssig. Schließlich existieren selbst in der Verhandlungsforschung mittlerweile zahlreiche Studien, 345

Dieses Vorgehen erscheint dabei nicht zuletzt vor dem Hintergrund sinnvoll, dass somit zugleich die Aktualität der möglicherweise über eine große wissenschaftliche Zeitspanne identifizierten Prozesspräferenzen sichergestellt werden könnte.

346

Lax/Sebenius (1986), S. 76.

126 die sich mit der quantitativen Bestimmung nicht greifbarer Größen wie bspw. der wahrgenommenen Reputation der Verhandlungsteilnehmer beschäftigen und die sich folglich mit der Messung sozial-psychologischer Größen auseinandersetzen.347 Somit sollte nicht die Möglichkeit der Messung an sich angezweifelt werden. Eher ist an dieser Stelle auf ein anderes Problem zu verweisen, das im Hinblick auf die Art der einzusetzenden Messmethode zu berücksichtigen ist. Es steht in engem Zusammenhang mit den in Kapitel 3.1.1.2 angesprochenen Verzerrungen, die durch ein „inflationäres“ Wunschdenken der Verhandlungsteilnehmer entstehen und die daher die Aussagekraft der erhobenen Informationen erheblich beeinflussen können. Angesichts der Tatsache, dass bei der Abfrage prozessualer Präferenzen keine Richtlinien, bspw. in Form realistischer Vertragsvereinbarungen, zur Verfügung stehen, sind nämlich auch hier Informationsverzerrungen zu erwarten. Allerdings werden diese – gerade im Hinblick auf Verhandlungen durch Repräsentanten – eher in einer Unterschätzung der Prozessbedeutung zum Ausdruck kommen und daher gleichsam in umgekehrter Hinsicht bestehen. Als verantwortlich hierfür sind die Unterschiede in den Nutzenfunktionen zwischen den „echten“ Verhandlungsparteien und ihren Repräsentanten anzuführen. So wurde in Kapitel 2.5.1 veranschaulicht, dass – anders als die Nutzenfunktion der Gesamtunternehmung, die sich häufig vor allem an dem Ziel der Wertsteigerung ausrichtet – die Nutzenfunktion der Verhandlungsakteure deutlich komplexer ist. Dies liegt daran, dass die Repräsentanten in ihren Verhandlungsbemühungen neben der Erreichung eines nutzenstiftenden Ergebnisses zusätzlich auf einen, ihre subjektiven Erwartungen erfüllenden Prozess abzielen. Je nach relativer Bedeutung sowie der Komplementarität beider Nutzenbestandteile kann die Umsetzung prozessualer Präferenzen daher die Zielbestrebungen der Unternehmung unterstützen oder aber in Widerspruch zu ihnen stehen. Damit einhergehend kann es nun aber dazu kommen, dass Verhandlungsakteure aus zwei Gründen die Bedeutung ihrer prozessualen Präferenzen in ihrer wahrheitsgemäßen Höhe zu verschweigen versuchen: So besteht bei „Offenlegung“ ihrer Prozesspräferenzen zunächst die Gefahr, dass ihnen im Fall eines unterdurchschnittlichen Erfolges oder gar Misserfolges der Verhandlungen im Nachhinein eine nicht sachgemäße Fokussierung ihrer Verhandlungsbemühungen vorgeworfen wird. Damit einhergehend kann dies für sie zu „Gesichtsverlust“ sowie dem Verlust des unternehmensseitigen Vertrauens in ihre Verhandlungskompetenz führen. Eine verfälschte Angabe ihrer prozessualen Nutzenpräferen347

Vgl. hierzu bpsw. Tinsley/O'Connor/Sullivan (2002); Glick/Croson (2001).

127 zen wäre für sie daher vorteilhaft gewesen, da somit situationsbedingte Effekte glaubwürdiger als Begründung für das wenig zufrieden stellende Ergebnis hätten angeführt werden können. Aber auch im Fall positiv gewerteter Verhandlungsergebnisse ist zu vermuten, dass Verhandlungsakteure nicht bereit sein werden, die tatsächliche Höhe ihrer individuellen Prozesspräferenzen „öffentlich“ zu machen. In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass Mitarbeiter aus einer erfolgreichen Verhandlung Reputation und damit verbundene Karrierechancen ableiten können. Der Erfolg einer Verhandlung hängt jedoch insbesondere von der Art und Weise ihrer Verhandlungsführung ab. Diese wiederum wird entscheidend von den zu Grunde liegenden prozessualen Nutzendimensionen der Verhandlungsakteure geprägt. Dadurch, dass ein Verhandlungsakteur seine prozessualen Nutzenstrukturen im Rahmen der Präferenzabfrage offen legt, macht er einen möglichen Erfolgsfaktor seiner Verhandlungsführung Dritten zugänglich. Hätte diese Tatsache für die Gesamtunternehmung mit Sicherheit positive Konsequenzen, so wird der erfolgreiche Verhandlungsakteur diese Angaben eher vermeiden, da er hiermit „unternehmensinternen“ Wettbewerb riskiert. In der Folge könnte er nicht länger ausschließen, dass auch andere Personen seine Art der Verhandlungsführung zur Reputationssteigerung einsetzen. Aus den vorangegangenen Überlegungen geht hervor, dass – neben präferenzspezifischen Zielkonflikten – insbesondere auch unterschiedliche Zielsetzungen bei der Abfrage von Präferenzinformationen zwischen Unternehmung und Repräsentanten bestehen können. Denn während für erstere die wahrheitsgemäßen Aussagen über die Nutzenfunktionen ihrer Verhandlungsakteure von hohem Interesse sind, ist davon auszugehen, dass die betroffenen Mitarbeiter bei der Durchführung einer Präferenzanalyse versuchen werden, ihren unternehmensinternen Status nicht zu gefährden bzw. diesen weiter auszubauen. Das bedeutet aber letztendlich, dass der Verhandlungsakteur Nutzen durch die verzerrte Abgabe von Informationen über prozessuale Prüfungen ziehen kann. Dieses Grundproblem der Präferenzmessung bei Verhandlungsrepräsentanten, die aus dem Blickwinkel der Gesamtunternehmung vorgenommen wird, lässt sich mit Hilfe der theoretischen Überlegungen der Prinzipal-Agenten-Theorie erklären. Sie repräsentiert neben der Property-Rights- sowie der Transaktionskosten-Theorie das theoretische „Haus“ der neuen Institutionenökonomie, die die Unsicherheit der Akteure als grundlegende Verhaltensannahme betrachtet.348 Während sich die Property-Rights-Theorie dabei im Kern mit der op348

Vgl. Backhaus/Aufderheide (1995), S. 43ff.

128 timalen Allokation von Verfügungsrechten an Gegenständen oder Ressourcen durch die vertragliche Bindung von Wirtschaftssubjekten beschäftigt und die Transaktionskostentheorie auf die optimale Gestaltung der Organisationsform zwischen Markt und Hierarchie abstellt, untersucht die Prinzipal-Agenten-Theorie Informationsasymmetrien zwischen zwei (oder mehr) arbeitsvertraglich gebundenen Individuen sowie die sich hieraus ergebenden wirtschaftlichen Folgen.349 Dabei wird insbesondere das Vorliegen einer asymmetrischen Informationsverteilung zwischen dem so genannten Prinzipal (schlechter informierte Partei, i. d. R. der Auftraggeber) und dem Agent (besser informierte Partei, i. d. R. der Auftragnehmer) unterstellt. Durch die asymmetrische Informationslage erhält der Agent die Möglichkeit, sich eigennützig und damit u. U. nicht im Sinne des Prinzipals zu verhalten.350 Dieses Verhalten wird gemeinhin als Opportunismus bezeichnet und tritt insbesondere dann auf, wenn der Prinzipal die Eigenschaften bzw. das Verhalten des Agenten nicht vollständig beobachten kann und er daher Unsicherheit über Merkmale und Verhaltensweisen des Agenten verspürt.351 Basierend auf diesen Annahmen ist es die Zielsetzung der Prinzipal-Agenten-Theorie, mögliche Ursachen dieser Verhaltensunsicherheiten aufzuzeigen, insbesondere jedoch Kooperationsdesigns abzuleiten, die der Begrenzung oder Beseitigung dieser Unsicherheiten dienen. In diesem Zusammenhang werden drei Grundtypen von Verhaltensunsicherheiten unterschieden, die als „Qualitätsunsicherheit“, „Hold up“ und „Moral Hazard“ bezeichnet werden und die für die Erklärung der Messproblematik prozessualer Präferenzen bei Verhandlungsrepräsentanten von Bedeutung sind.

Qualitätsunsicherheit Der erste Typus von Verhaltensunsicherheit des Prinzipals resultiert aus der Tatsache, dass ihm Verhaltensmerkmale des Agenten ex ante und somit vor der vertraglichen Fixierung der Austauschbeziehung unbekannt sind. Der Grundtyp der Qualitätsunsicherheit beschreibt in diesem Zusammenhang die Unsicherheit des Prinzipals über die Qualifikation und Leistungsfähigkeit des Agenten, die in der Literatur oftmals als „hidden characteristics“ bezeichnet wird. Diese beinhalten damit Verhaltensmerkmale, die der Agent nicht 349

Vgl. beispielsweise Kaas (1992). Anders als neoklassische Theorien abstrahiert die Prinzipal-AgentenTheorie daher von der Annahme des vollkommenen Marktes, indem die Vertragspartner aufgrund unvollständiger Informationen nur begrenzt rational handeln können.

350

Vgl. Picot (1991), S. 150; Meinhövel (2004), S. 470.

351

Vgl. Spremann (1990), S. 565.

129 willentlich steuern kann und die somit auch für den Prinzipal nur schwer beeinflussbar sind. Daher kann er seinen Informationsrückstand nur dadurch ausgleichen, indem er auf einem möglichst informationseffizienten Markt die relevanten Charakteristika des Agenten recherchiert (Screening). Alternativ kann er die Möglichkeit der Self Selection nutzen, indem er die „Einstiegsverträge“ derart gestaltet, dass nur „erwünschte“ Typen von Agenten das Angebot akzeptieren (Self Selection). Analog zu den Möglichkeiten des Sreening und der Self Selection, kann der Agent auch selbst aktiv werden und beispielsweise durch Referenzen oder andere qualitätsvermittelnde Zeugnisse dem Prinzipal die eigenen „characteristics“ offenbaren (Signaling).352

Moral Hazard Anders als Leistungsfähigkeit und Qualifikation können Verhaltensmerkmale, die etwa auf den Fleiß und die Sorgfalt des Agenten hindeuten, von ihm selbst im Zuge der Vertragsbeziehung gesteuert werden. Beim Grundtyp des Moral Hazard kommt es somit darauf an, inwiefern der Agent ex-post die ihm übertragenen Aufgaben gewissenhaft und sorgfältig ausführt oder aber den erforderlichen Arbeitseinsatz nicht erbringt. Als kritisch ist in diesem Zusammenhang anzusehen, dass die Aufgabenerfüllung nicht nur bspw. von Fleiß und Sorgfalt des Agenten abhängt, sondern gleichzeitig von externen Einflüssen tangiert wird.353 Hierdurch ist es dem Prinzipal verwehrt, die Handlungen des Agenten vollständig zu beobachten (Hidden Actions). Lösungen bezüglich der „Moral Hazard“-Unsicherheit äußern sich daher in dem Bemühen des Prinzipals, solche Bedingungen zu schaffen, die den Agenten aus Eigeninteresse zu den erwünschten Verhaltensweisen motivieren. Hier kommt bspw. die Einführung von Anreiz- und Sanktionssystemen in Frage. Als „second best“-Alternative schlägt die Prinzipal-Agenten-Theorie vor, Verhaltens- oder Ergebniskontrollen durchzuführen (Monitoring).354

Hold Up Auch beim dritten Grundtyp unterliegen die Verhaltensmerkmale der freien Willensbildung des Agenten. Bei der „Hold Up“-Unsicherheit stellt sich dabei die Frage, ob sich der

352

Vgl. hierzu bspw. Meinhövel (2004), S. 475ff.

353

Vgl. Jost (2001), S. 25f.; Spremann (1990), S. 571.

354

Vgl. beispielsweise Sharma (1997), S. 761.

130 Agent eher partnerschaftlich und kulant oder egoistisch und unfair verhält. Verhaltensunsicherheiten resultieren somit aus der Tatsache, dass der Prinzipal nicht vollständig beurteilen kann, welche Motive und Absichten der Agent mit der Aufgabenerfüllung verfolgt (Hidden Intentions). Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang, dass der Prinzipal den Agenten per Vertrag nicht zwingen kann, sich fair zu verhalten, obgleich er es implizit erwartet. Dies gilt umso mehr, wenn der Prinzipal spezifische Investitionen in den Agenten getätigt hat und dieser das entstehende Abhängigkeitsverhältnis für opportunistische Verhaltensweisen nutzt. Das Ziel des Prinzipals muss es daher sein, sich gegen opportunistisches Verhalten zu schützen. Hierfür schlägt die Prinzipal-Agenten-Theorie u. a. den Aufbau eines wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnisses oder aber den Einsatz von Autorität vor.355 Ein zusammenfassender Vergleich der geschilderten agenturtheoretischen Überlegungen mit den zuvor dargestellten Erhebungsproblemen bei der Abfrage prozessualer Präferenzen zeigt, dass dieses Theoriegerüst entscheidende Hilfestellung für die Beantwortung der hier behandelten Fragestellung bieten kann. So wurde auch bei der Abfrage prozessualer Verhandlungspräferenzen eine Austauschbeziehung zwischen einem schlechter informierten Prinzipal (Gesamtunternehmung) und einem besser informierten Agenten (Verhandlungsakteur) unterstellt, wobei letzterer mitunter opportunistische Verhaltensspielräume nutzen kann. Damit scheint es naheliegend, aufbauend auf der agenturtheoretischen Definition möglicher Verhaltensunsicherheiten, insbesondere aber durch das Aufzeigen von Lösungsansätzen, methodische Implikationen im Hinblick auf eine Erfolg versprechende Messmethode abzuleiten. Reflektiert man daher die beschriebenen Probleme einer Abfrage von Verhandlungspräferenzen erneut vor dem Hintergrund agenturtheoretischer Annahmen, so fällt auf, dass die hiermit verbundenen Informationsasymmetrien zwischen Unternehmung und Verhandlungsführern insbesondere auf die Verhaltensunsicherheit des Hold-Up zurückzuführen sind. So hat die Beschreibung möglicher Verhaltensweisen gezeigt, dass Verhandlungsführer mit der relativen Unterbewertung ihrer prozessualen Präferenzdimensionen möglicherweise die Zielsetzung verfolgen, ihre eigene Position im Unternehmen zu stärken oder aber diese nicht unnötig zu gefährden. Diese mitarbeiterseitig intendierte Eigennutzenmaximierung ist möglich, da die Durchführung der Verhandlungen von der Gesamtunternehmung zumeist nicht beobachtbar ist und somit kaum Kriterien zur Überprüfung der Präferenzan355

Vgl. Williamson (1983).

131 gaben zur Verfügung stehen. Damit entstehen diskretionäre Verhaltensspielräume, die die Verhandlungsführer für die beschriebenen opportunistischen Verhaltensweisen ausnutzen können (Hidden Intention).356 Neben der „Hold-Up“-Problematik ist bei der mitarbeiterseitigen Abfrage von Präferenzinformationen darüber hinaus die Gefahr des Moral Hazard zu berücksichtigen. So kann es vorkommen, dass die Verhandlungsbeteiligten die Durchführung der unternehmensseitig aufgesetzten Präferenzanalyse nicht mit der notwendigen Anstrengung und Sorgfalt durchführen, da sie hierin eine neue Aufgabe sehen, die Zeitressourcen beansprucht, jedoch zusätzlich zu den regulären Arbeitstätigkeiten ausgeführt werden muss. Infolgedessen könnten die Verhandlungsführer darum bemüht sein, ihren hiermit verbundenen Arbeitsaufwand zu minimieren (Hidden Action). Damit wird jedoch deutlich, dass die hieraus resultierenden Informationsverzerrungen keine spezifische Problemstellung der Abfrage von Verhandlungspräferenzen darstellt, sondern vielmehr als allgemeingültige Verhaltensweise im Hinblick auf Mitarbeiterbefragungen zu betrachten ist.357 Während die zuvor beschriebenen Informationsverzerrungen willentlich durch den Mitarbeiter gesteuert werden können, gilt es abschließend zu bedenken, dass die Güte der erhobenen Informationen auch durch mangelnde Fähigkeiten und Fertigkeiten des Mitarbeiters negativ beeinflusst werden kann (Hidden Characteristics). Auch hierbei handelt es sich jedoch um eine unternehmensseitig wahrgenommene Verhaltensunsicherheit, die nicht ausschließlich bei der Abfrage von Präferenzinformationen zu beobachten ist. Darüber hinaus kann davon ausgegangen werden, dass Mitarbeiter mit Verhandlungserfahrung dazu in der Lage sein werden, ihre Präferenzen im Hinblick auf konkrete Verhandlungssituationen zu äußern. Hingegen erscheinen andere personenbezogene Verhaltensunsicherheiten im vorliegenden Kontext von nur geringerer Relevanz. In Anlehnung an die Prinzipal-Agent-Theorie lässt sich somit zusammenfassend konstatieren, dass die mitarbeiterseitig intendierten Informationsverzerrungen insbesondere auf „expost“-wahrgenommene Verhaltensunsicherheiten der Unternehmung zurückzuführen sind. Im Hinblick auf die hier zu beantwortende Fragestellung muss eine Erfolg versprechende Präferenzmessung dabei vor allem die Gefahr des Hold-Up berücksichtigen, da die hiermit verbundenen diskretionären Verhaltensspielräume zu einer relativen Unterbewertung der prozessualen Verhandlungspräferenzen führen können. 356

Vgl. in einem ähnlichen Zusammenhang hierzu die Ausführungen von Brinkmann (2006), S. 121.

357

Vgl. Brinkmann (2006), S. 126.

132 Ausgehend von diesen Überlegungen ist es für die vorliegende Zielsetzung jedoch erforderlich, eine Messmethode auszuwählen, die „unfaire“ Absichten im Prozess der Informationsbereitstellung so weit wie möglich ausschließt. Eine solche Methode vorausgesetzt, ist allerdings davon auszugehen, dass die Messung prozessualer Präferenzen nicht unmöglich ist, sondern vielmehr eine komplexe marktforscherische Gestaltungsaufgabe impliziert.

3.4.3 Kontextspezifische Anforderungen

Neben inhaltlichen und methodischen Anforderungen wirft die Heterogenität interorganisationaler Austauschprozesse die abschließende Frage hinsichtlich der Gestaltung der Rahmenbedingungen der geplanten Präferenzmessung auf. In diesem Zusammenhang gilt es nämlich zu bedenken, dass zum Teil sehr unterschiedliche Einflussfaktoren auf die Präferenzstrukturen der Verhandlungsakteure einwirken können. Damit einhergehend ist davon auszugehen, dass präferenzspezifische Informationen immer dann schwer zu vergleichen sind, wenn sie in verschiedenen Verhandlungssituationen erhoben wurden. Für die vorliegende Zielsetzung bedeutet das konkret, dass die Durchführung der Präferenzanalyse unter zumindest ähnlichen Bedingungen erfolgen sollte. Vor diesem Hintergrund stellt sich daher die Frage, wo, d. h. in welchen Verhandlungsituationen, Verhandlungspräferenzen gemessen werden bzw. hinsichtlich von Güteuntersuchungen erstmalig gemessen werden sollten. Für die Beantwortung dieser letzten Fragestellung sollte dabei berücksichtigt werden, dass – angesichts des konstatierten Forschungsdefizits – insbesondere die relative Bedeutung der prozessualen Präferenzen im Rahmen der vorliegenden Arbeit interessiert („Wie wichtig sind die prozessualen Präferenzen im Verhältnis zu ergebnisorientierten Präferenzen?“). Infolgedessen erscheint es empfehlenswert, diese bislang noch ausstehende, explorative Analyse unter solchen Rahmenbedingungen durchzuführen, bei denen die relative Bedeutung der Prozesspräferenzen als besonders hoch bzw. niedrig eingestuft werden kann, um eine erste Einschätzung ihres möglichen Bedeutungsumfangs zu erhalten. In diesem Zusammenhang lässt sich aus dem aufgezeigten Forschungsspektrum industrieller Verhandlungen zunächst die Annahme ableiten, dass insbesondere die konstanten Verhandlungsdaten den relativen Bedeutungsumfang verhandlungsspezifischer Präferenzen beeinflussen.358 Als Ursache hierfür ist die Tatsache zu sehen, dass sie den Entwick358

Vgl. hierzu auch die Ausführungen in Kapitel 2.3.2.

133 lungsprozss der Verhandlungspräferenzen direkt determinieren und nicht wie die variablen Unterscheidungskriterien erst im Laufe des Verhandlungsprozesses zu Präferenzverschiebungen beitragen. Vor diesem Hintergrund verwundert es auch nicht, dass das Einflusspotenzial der konstanten Daten auf die Bedeutung der Präferenzstrukturen in einigen Studien zumindest Erwähnung findet. So weisen bspw. Bazerman et al. (2000) darauf hin, dass erfahrene Verhandlungsakteure einem kooperativen Verhandlungsprozess einen höheren Wert beimessen als unerfahrene.359 Als weiteres Beispiel lässt sich aus den Ausführungen von Koch (1987) schließen, dass dem Preiskriterium insbesondere im Rahmen gut definierter Entscheidungsprobleme, wie bspw. im Fall standardisierter Transaktionsobjekte, eine hohe Relevanz zukommt.360 Obgleich diese Beispiele als wesentliche Hinweise dafür gedeutet werden können, dass die konstanten Daten auch wirklich einen wahrnehmbaren Einfluss auf die Präferenzstrukturen der Verhandlungsakteure nehmen und dass ihre Ausprägungen daher im Hinblick auf die erforderliche Ergebnisstabilität konstant zu halten sind, können sie die obige Fragestellung letztlich nicht beantworten. Hierfür wäre nämlich festzustellen, welcher der konstanten Einflussfaktoren die größten Auswirkungen auf den Präferenzbildungsprozess aufweist, so dass die prozessualen Präferenzen eine maximale bzw. minimale Bedeutung einnehmen. Allerdings erscheint es vor diesem Hintergrund auch nicht vielversprechend, weitere Studien im Hinblick darauf zu untersuchen, inwiefern sie Kenntnisse über den Bedeutungsumfang konstanter Daten auf die Präferenzen der Verhandlungsakteure liefern. So wurde nämlich bereits zum Ausdruck gebracht, dass der Großteil verhandlungsspezifischer Studien die Auswirkungen einzelner Einflussfaktoren in isolierter Form untersucht, ohne das aufgezeigte Forschungsspektrum in seiner Gesamtheit zu berücksichtigen.361 Damit einhergehend lassen sich jedoch keine Hinweise über das relative Einflusspotenzial der einzelnen Faktoren aus der Literatur ableiten. Analog zu der Ermittlung der prozessualen Präferenzdimensionen ist daher anzunehmen, dass für die adäquate Beantwortung der vorliegenden Frage eine zusätzliche Erhebung notwendig ist. Vergegenwärtigt man sich in diesem Zusammenhang jedoch die Komplexität des diesbezüglichen Untersuchungsinteresses, nämlich die vergleichende Einschätzung unterschiedlicher Verhandlungsdaten hinsichtlich ihres präferenzspezifischen Einflusspo359

Vgl. Bazerman, et al. (2000).

360

Vgl. Koch (1987).

361

Vgl. hierzu auch die Ausführungen bei der Analyse der Forschungsansätze in Kapitel 3.

134 tenzials, so scheint weniger eine Befragung unter industriellen Verhandlungspraktikern, sondern vielmehr die Durchführung von Experteninterviews empfehlenswert. Denn als Experten werden solche Personenkreise bezeichnet, die – aufbauend auf vorherigen Erfahrungen – über überlegene Kenntnisse in Bezug auf spezifische Problemstellungen verfügen.362 Ein Personenkreis, der im Hinblick auf die Vielzahl verhandlungsrelevanter Einflussfaktoren über ein hohes Erfahrungspotenzial verfügt, kann dabei zunächst bei Wissenschaftlern aus dem Bereich der Verhandlungsforschung gefunden werden. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass sich aus dem praktischen Umfeld zusätzlich noch der Personenkreis der „Verhandlungstrainer“ für die erforderliche Analyseaufgabe eignet. Vor diesem Hintergrund macht auch die Analyse kontextspezifischer Anforderungen weitere Untersuchungsschritte notwendig.

362

Vgl. hierzu Homburg/Krohmer (2006), S. 576.

135

4

Konzeption eines Messansatzes zur Analyse industrieller Verhandlungspräferenzen

Es ist sinnlos zu sagen: Wir tun unser Bestes. Es muss Dir gelingen das zu tun, was erforderlich ist. (Winston Churchill)

4.1 Umsetzung der Anforderungen an einen umfassenden Messansatz 4.1.1 Definition bedeutsamer Prozesspräferenzen 4.1.1.1 Inhaltsanalytische Präferenzidentifikation

Für die Definition der in industriellen Verhandlungssituationen als bedeutsam wahrgenommenen Prozesspräferenzen wurde im vorangegangenen Kapitel zunächst eine inhaltsanalytische Untersuchung der verhaltenswissenschaftlichen Ansätze gefordert. Diese sollte der Zielsetzung nachgehen, diejenigen Bezugspunkte auf der sozialen Interaktionsebene von Verhandlungen zu identifizieren, die für die Ableitung prozessualer Präferenzdimensionen geeignet erscheinen. Da es in diesem Zusammenhang kaum möglich,363 aber auch nicht erforderlich erscheint, sämtliche der bislang referierten verhaltenswissenschaftlichen Verhandlungsbeiträge zu untersuchen, ist hierfür zunächst eine Auswahl der zu analysierenden Studien vorzunehmen. Dabei gilt es, die „Grundgesamtheit“ der verhaltenswissenschaftlichen Verhandlungsforschung so gut wie möglich abzubilden, da die Identifikation der als bedeutsam einzustufenden Beschreibungsmerkmale als grundlegende Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung der geplanten Präferenzmessung anzusehen ist. Um eine diese Anforderung erfüllende Auswahl treffen zu können, wurden grundsätzlich alle relevanten Journals der verhaltenswissenschaftlichen Verhandlungsforschung aus den

363

Vgl. hierzu die Studie von Rubin/Brown (1975), die bereits im Jahr 1975 mehr als 1000 Beiträge in dem Bereich der Verhandlungsforschung recherchierten.

136 Jahrgängen 1960 bis 2006 berücksichtigt.364 Hierbei ist jeweils darauf geachtet worden, dass bekannte Meta-Studien365 sowie häufig zitierte Beiträge366 in die Auswahl miteinbezogen wurden. Gleichermaßen erschien es sinnvoll, die Studie von Curhan/Elfenbein/Xu (2004) zu berücksichtigen, da sie den bislang umfangreichsten Beitrag darstellt, der sich mit Forschungsfeld der prozessualen Präferenzen empirisch auseinandergesetzt hat. Auf Basis dieser Vorgehensweise ergab sich eine Anzahl von insgesamt 125 zu analysierenden Beiträgen. Analog zu der Grundgesamtheit der verhaltenswissenschaftlichen Verhandlungsforschung bestand sie zu ihrem größeren Anteil aus empirischen Studien und in geringerem Umfang aus theoretisch-konzeptionellen Arbeiten. Um diese Auswahl systematisch im Hinblick auf die vorliegende Aufgabenstellung zu analysieren, erschien folgende Vorgehensweise geeignet: ƒ

Zu Beginn wurden alle empirischen Beiträge und somit der Großteil der Studien im Hinblick darauf analysiert, inwiefern sie in dem sozialen Austausch der Parteien verortete Verhandlungsaspekte thematisierten. Diese wurden dabei immer dann als Bezugspunkte prozessualer Präferenzen markiert, wenn sie entweder als unabhängige oder abhängige Variable in der Untersuchung Berücksichtigung fanden und nicht lediglich in Randaussagen erwähnt wurden. Als Beispiel lässt sich in diesem Zusammenhang die Markierung des Verhandlungsaspekts „Anteil wahrer Aussagen“ als Bezugspunkt prozessualer Präferenzen benennen, der in der Studie von Keller (1966) als Einflussfaktor auf das Gesamtergebnis gemessen wurde (vgl. Anhang 1).

ƒ

In einem zweiten Schritt wurde die kleinere Anzahl an theoretischkonzeptionellen Beiträgen zunächst dahingehend untersucht, inwiefern sie die zuvor ermittelten Bezugspunkte bestätigen konnten. Darüber hinaus wurde analysiert, inwiefern sie weitere, bislang unberücksichtigte Interaktionsaspekte behandelten, die dem Identifikationsbereich prozessualer Präferenzen zuzuordnen waren (wie bspw. die Diskussion „angemessener Ver-

364

Vgl. hierzu auch die Gesamtheit der tabellarischen Ausführungen in Anhang 1.

365

Vgl. bspw. Bazerman, et al. (2000).

366

Nach unserem Wissen besteht bislang noch keine Zitationsanalyse in der Verhandlungsforschung. Dennoch lässt sich feststellen, dass einige Beiträge insbesondere zu Begriffsverständnis und Definition von Verhandlungen vergleichsweise häufig zitiert werden. Vgl. bspw. die Studien von Thompson (1990a); Bazerman/Carroll (1987); Neale/Northcraft (1991).

137 haltensregeln“ in der Studie von Robinson et. al. (2000); vgl. auch hierzu Anhang 1). ƒ

Angesichts der Tatsache, dass die Studie von Curhan/Elfenbein/Xu (2004) die bislang einzigste Arbeit darstellt, die prozessuale Verhandlungspräferenzen in einer explorativen Befragung erhoben hat, wurden ihre Erkenntnisse hierauf aufbauend gesondert analysiert. In diesem Zusammenhang stellte sich die Frage, inwiefern die von den Versuchspersonen gegebenen Antworten den bereits ermittelten Bezugspunkten ähneln oder aber neue Prozessaspekte begründen.

ƒ

Während aus den drei verschiedenen Literaturquellen eine Vielzahl an Prozessaspekten ermittelt werden konnte, wurden für den weiteren Analyseverlauf nur diejenigen berücksichtigt, die zumindest in zwei der drei Untersuchungsbereiche Berücksichtigung fanden. Ursächlich hierfür ist die Tatsache, dass angenommen werden kann, dass das Ausmaß der wissenschaftlichen Beschäftigung erste Rückschlüsse auf die Bedeutung der prozessualen Präferenzen zulässt.

ƒ

In einem letzten Schritt wurde die Gesamtheit der als bedeutsam identifizierten Bezugspunkte in untereinander ähnliche und im Vergleich zueinander heterogene „Prozesscluster“ eingeteilt und durch übergeordnete Präferenzbegriffe gekennzeichnet. Hierbei handelte es sich nicht immer um neue Begrifflichkeiten. Vielmehr wurden nicht selten die am häufigsten untersuchten Verhandlungsaspekte einer Kategorie, wie bspw. die „Kooperativität“ der Verhandlungsakteure als Oberbegriff verwendet. Dabei erschien die mit der „Präferenzclusterung“ verbundene Reduzierung der Prozessaspekte insbesondere vor dem Hintergrund erforderlich, da nur so die spätere Umsetzbarkeit der Präferenzmessung gewährleistet schien.

138 Analyse der empirischen Studien (1)

Analyse der theoretisch-konzept. Beiträge (2)

Analyse der Studie von Curhan et. al. (3)

Überprüfung der Bedeutsamkeit (2 aus 3)

Präferenzclusterung

Abbildung 15: Inhaltsanalytische Vorgehensweise im Rahmen der Präferenzidentifikation

Die geschilderte Vorgehensweise ist nochmals in Abbildung 15 veranschaulicht. Auf ihrer Basis konnten in den Ablaufschritten (1) bis (3) zunächst 27 prozessuale Verhandlungsaspekte identifiziert werden. Allerdings gab die Überprüfung ihrer Bedeutsamkeit zu erkennen, dass hiervon lediglich 19 Prozessaspekte in zwei der drei Analysequellen (zumindest in ähnlicher Form) thematisiert wurden und damit im Rahmen der Präferenzclusterung Berücksichtigung finden sollten.367 In diesem letzten Untersuchungsschritt konnten die identifizierten Prozessaspekte auf sieben übergeordnete Präferenzdimensionen reduziert werden. Während diese größtenteils durch einen der 19 Prozessaspekte ausreichend beschrieben werden konnten, mussten lediglich für 2 Dimensionen neue Bezeichnungen gewählt werden.368 Das abschließende Ergebnis der Inhaltsanalyse ist überblicksartig in Tabelle 4 dargestellt.369 Die diesbezügliche Datengrundlage stellen noch 46 der insgesamt 125 analysierten Beiträge dar. Während ein Großteil der übrigen Beiträge keine in der sozialen Interaktion liegenden Verhandlungsaspekte thematisierte,370 beschäftigte sich eine Reihe weiterer Studien eher mit intra-371 bzw. inter-personellen372 Nutzendimensionen und lag somit außerhalb des definierten Identifikationsbereichs für prozessuale Verhandlungspräferenzen. 367

Vgl. hierzu die dargestellten Untersuchungsvariablen in den Tabelle 1 bis 7 in Anhang 1.

368

Hierbei handelt es sich um die Dimensionen Verlässlichkeit und Ehrhlichkeit. Vgl. hierzu auch im Detail die Ausführungen in den Tabellen 6 und 7 in Anhang 1.

369

Eine konkretere Darstellung findet sich in den tabellarischen Ausführungen zum Thema Präferenzidentifikation in Anhang 1.

370

Vgl. hierzu bspw. die Studie von Huber/Neale (1986).

371

In diesem Zusammenhang untersuchten bspw. Harnett/Cummings/Hughes (1968) den Einfluss der individuellen Risikoneigung auf den Verhandlungserfolg.

139 Quelle

Autor(en) Evans (1964) Komorita (1965)

Curhan et.al (2004)

Theoretisch-konzept. Studien

Empirische Studien

Marwell/Schmitt/Shotola (1970) Kahn/Hottes/Davis (1971) Kleinke/Pohlen (1971) Marwell/Schmitt/Shotola (1971) Voissem/Sistrunk (1971) Mathews/Wilson/Monoky (1972) Schlenker/Helm/Tedeschi (1973) Pruitt/Lewis (1975) Campbell et al. (1988) Walters/Stuhlmacher/Meyer (1998) Beersma/De Dreu (1999) De Dreu/Weingart/Kwon (2000) Tidd/Lockard (1978) Carnevale/Isen (1986) Kramer/Newton/Pommerenke (1993) Alfred et al. (1997) Barry/Friedman (1998) Forgas (1998) Hegtvedt/Killian (1999) Morris/Keltner (2000) Anderson/Thompson (2004) Van Kleef/De Dreu/Manstead (2004a) Keller (1966) Schulz/Pruitt (1978) Kimmel et al. (1980) Fry/Firestone/Williams (1983) Butler (1995) Butler (1999) Krauss/Deutsch (1966) Babock et al. (1995) Valley/Neale/Mannix (1995) Cramton/Dees(1993) bspw. Lewicki/Litterer/Minton/Saunders (1994)

Kooperativität Emotionalität Offenheit X X X X X X X X X X X X X X

Fairness Ehrlichkeit Verlässlichkeit

Verhalten

X

X X

X

X X X X X X X X X X

X

X X X X X X

X

X X X

X X

X

bspw. Morris/Keltner (2000) bspw. Leventhal (1980) Leventhal, Karuza, & Fry (1980) bspw. Bies/Moag (1986) Lewicki/Robinson (1998) Robinson et al. (2000) Anton (1990) Heide/John (1992) Kurtzberg/Medvec (1999)

X X X X X X

X X X X X

X

X

X

X

X

Tabelle 4: Übersicht über die Ergebnisse der Präferenzidentifikation

Für ein besseres Verständnis der geplanten Präferenzanalyse sollen die in Tabelle 4 aufgeführten prozessualen Präferenzen im Folgenden in der Reihenfolge ihrer vermuteten Bedeutung kurz erläutert werden. Angesichts der Tatsache, dass die einzelnen Bezugspunkte in isolierten Studien erhoben wurden, konnte hierbei jedoch lediglich die Häufigkeit ihrer Nennungen als Richtwert dienen (vgl. auch hierzu Tabelle 4). In diesem Zusammenhang wurden prozessuale Verhandlungsaspekte, die der übergeordneten Präferenzdimension Kooperativität subsumiert werden konnten, mit insgesamt 16 der

372

In diesem Zusammenhang untersuchten bspw. Thompson/DeHarpport (1998) den Einfluss der Beziehung (Freunde vs. Fremde) auf das Verhandlungsergebnis.

140 46 Beiträge am häufigsten thematisiert.373 Indem eine Verhandlung immer dann als kooperativ beschrieben wurde, wenn die Parteien auf der Suche nach einer beidseitig zufrieden stellenden Lösung sind,374 bringt die in diesem Zusammenhang abgeleitete Prozesspräferenz zum Ausdruck, dass die Vorziehenswürdigkeit einer Verhandlungsalternative von dem wahrgenommenen Problemlösungsverhalten der Parteien abhängt. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die in dieser Präferenzkategorie analysierten Studien – neben dem übergeordneten Konstrukt der Kooperativität – insbesondere das Problemlösungsverhalten sowie den Einsatz integrativer Taktiken als Untersuchungsgrößen anaylsieren. Mit einer ähnlichen Häufigkeit, nämlich in 12 Beiträgen, wurden Prozessaspekte thematisiert, die der übergeordneten Präferenzdimension Emotionalität zugeordnet werden konnten.375 Während der Begriff der Emotion generell als ein subjektiv empfundener, innerer Erregungszustand eines Individuums definiert wird, unabhängig davon ob er rein innerlich oder auch äußerlich zum Ausdruck kommt,376 werden Verhandlungssituationen in der Regel nur dann als emotional bezeichnet, wenn „negotiators keep poker face.“377 Angesichts dieser Tatsache untersucht der Großteil der in diesem Zusammenhang analysierten Studien den Einfluss von offenkundiger Freundlichkeit, Fröhlichkeit oder auch Ärger und Wut auf Prozessverlauf und Ergebnis von Verhandlungen. Die Prozesspräferenz Emotionalität bringt daher zum Ausdruck, inwiefern eine Verhandlungssituation in Abhängigkeit des Umfangs an geäußerten Emotionen für die Parteien mehr oder weniger vorziehenswürdig ist. Unter die übergeordnete Präferenzdimension Offenheit wurden all diejenigen prozessualen Bezugspunkte eingeteilt, die sich auf die Menge der ausgetauschten Informationen beziehen.378 In diesem Zusammenhang thematisieren insgesamt 10 Beiträge, welcher Umfang an Information bzw. Kommunikation zwischen den Verhandlungsparteien mit welcher Konsequenz bzw. vor welchem Hintergrund ausgetauscht wurde. Die prozessuale Präferenz der Offenheit bringt daher zum Ausdruck, welchen Umfang an Informationsaustausch

373

Vgl. hierzu auch Tabelle 1 in Anhang 1.

374

Vgl. hierzu auch die Ausführungen in Kapitel 2.2.1.2.

375

Vgl. hierzu auch Tabelle 2 in Anhang 1.

376

Vgl. für einen Überblick der verhaltenswissenschaftlichen Studien zu Emotionen bspw. Bagozzi/Gopinath/Nyer (1999).

377

Thompson (2005), S. 132.

378

Vgl. hierzu auch Tabelle 3 in Anhang 1.

141 die Parteien idealerweise erwarten. Diese Präferenz erscheint insbesondere vor dem Hintergrund relevant, dass auch ein „zu viel“ an geäußerten Informationen eine negative Auswirkung auf den Verhandlungsprozess und -erfolg haben kann.379 Wie bereits bei der Analyse der verhaltenswissenschaftlichen Ansätze beschrieben, drücken die Präferenzen der Parteien im Hinblick auf die Dimension der prozessualen Fairness (procedural justice) – in Abgrenzung zur Verteilungsgerechtigkeit – die jeweiligen Vorstellungen einer als gerecht empfundenen Interaktion aus.380 Dabei wird ein Verhandlungsprozess in der Regel immer dann als fair bezeichnet, wenn keine der beteiligten Parteien unangemessene oder unverhältnismäßige Forderungen stellt.381 Angesichts dieser augenscheinlich geringen definitorischen Präzision verwundert es nicht, dass sich diesem Aspekt in der Literatur bislang eine deutlich höhere Anzahl theoretisch-konzeptioneller als empirischer Beiträge gewidmet hat. Erstere verfolgen oftmals die Zielsetzung, den Begriff der Fairness in operable Untersuchungsgrößen zu zerlegen.382 So sind uns lediglich die in Tabelle 4 dargestellten Studien bekannt, die den Aspekt der prozessualen Fairness in Verhandlungen bereits empirisch untersucht haben. Im Gegensatz zu der Präferenzdimension Offenheit beziehen sich Prozessaspekte, die der übergeordneten Prozesspräferenz Ehrlichkeit subsumiert wurden, nicht auf die Menge der ausgetauschten Informationen, sondern auf ihren Wahrheitsgehalt.383 Dieser wird dabei als Übereinstimmung der Informationen mit der Wirklichkeit definiert.384 Auffällig erscheint in diesem Zusammenhang, dass der Interaktionsaspekt der Ehrlichkeit in der Verhandlungsforschung in der Regel anhand seines Antonyms untersucht wird.385 In diesem Zusammenhang operationalisieren auch die in Tabelle 4 gelisteten Beiträge den Wahrheitsgehalt der geäußerten Aussagen über den Anteil „unwahrer“ Aussagen wie bspw. Lügen und Täuschungsversuche. Insgesamt wird durch die Berücksichtigung dieser Prozesspräferenz

379

So weist bereits Keller (1966) darauf hin, dass eine hohe Menge an ausgetauschten Informationen zu mangelnder Struktur und Zielorientierung der Verhandlungen führt.

380

Vgl. hierzu die Ausführung in Kapitel 3.1.2.2.; vgl. hierzu auch Tabelle 4 in Anhang 1.

381

Vgl. zu den definitorischen Grundlagen des Fairness-Begriffs bspw. Leventhal (1980).

382

Vgl. hierzu ausführlich Bies/Moag (1986), die eine Operationalisierung des Konstrukts der „interactional justice“ vornehmen.

383

Vgl. hierzu auch Tabelle 5 in Anhang 1.

384

Vgl.Cramton/Dees (1993), S. 208.

385

Vgl. hierzu auch die Ausführungen zu den Verhaltensweisen des „Lying and Deceit“ in Lewicki/Litterer (1985), S. 324.

142 deutlich, inwiefern der Anteil an wahren bzw. unwahren Aussagen die Vorziehenswürdigkeit einer Verhandlungsalternative beeinflusst. Ähnlich zu der vorangegangenen Präferenzdimension wurden auch Prozessaspekte, die sich dem übergeordneten Präferenzbegriff Verlässlichkeit zuordnen lassen, in nur vier Beiträgen thematisiert.386 Dennoch ist der Aspekt der Verlässlichkeit im Bereich des Verhandlungsmanagements als bedeutsam einzustufen, indem er zum Ausdruck bringt, inwiefern einmal geäußerte Aussagen über den Gesamtverlauf der Verhandlung Gültigkeit besitzen. In diesem Zusammenhang kann Verlässlichkeit auch als zeitpunktbezogener Aspekt der Qualität verstanden werden.387 Die prozessuale Präferenz der Verlässlichkeit drückt daher aus, inwiefern die Gültigkeit einmal geäußerter Aussagen die Vorziehenswürdigkeit einer Verhandlungsalternative beeinflussen kann. Abschließend konnten der übergeordneten Präferenzdimension Verhalten all diejenigen Prozessaspekte zugeordnet werden, die sich auf die in Verhandlungssituationen „sozial erwünschten“ Verhaltensweisen von Individuen beziehen.388 In diesem Zusammenhang wird in der Literatur zur Verhandlungsforschung an einigen Stellen auf „Verhaltensskripte“ verwiesen, die Ansatzpunkte für ein angemessenes Benehmen in Verhandlungen liefern.389 Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die Präferenzdimension Verhalten die einzige Präferenzkategorie darstellt, in der bislang keine empirischen Studien durchgeführt wurden. Dass verhaltensbezogene Aspekte aber dennoch von hoher Relevanz für Verhandlungsakteure sind, zeigen nicht zuletzt die offenen Nennungen in der Erhebung von Curhan/Elfenbein/Xu (2004). Damit einhergehend bringt die relative Bedeutung der Prozesspräferenz Verhalten zum Ausdruck, welchen Einfluss ein angemessenes Verhalten der Gegenpartei auf das Entscheidungsverhalten nimmt. Während die vorherigen Ausführungen insgesamt zeigen konnten, dass die sieben ermittelten Dimensionen bedeutsame Prozessaspekte von Verhandlungen darstellen und sie daher im Rahmen einer umfassenden Präferenzanalyse Berücksichtigung finden sollten, deutet bereits ihre Übersicht in Tabelle 4 darauf hin, dass die für eine Präferenzmessung wünschenswerte Unabhängigkeit der Merkmalsdimensionen nicht gewährleistet werden

386

Vgl. hierzu auch Tabelle 6 in Anhang 1.

387

Vgl. hierzu Evans (1963).

388

Vgl. hierzu auch Tabelle 7 in Anhang 1.

389

Vgl. für eine beispielhafte Illustration von Skripten bspw. Kurtzberg/Medvec (1999), S. 356.

143 kann.390 So können allein in einer Vielzahl der hier analysierten Beiträge Abhängigkeiten zwischen den identifizierten Prozesspräferenzen vermutet werden, indem diese parallel als unabhängige und abhängige Variable in den Studien berücksichtigt wurden.391 Vertrauen Anzahl

Autor(en)

Titel

Unabhängige Variable

Abhängige Variable

Journal

1

Evans (1964)

Effect of Unilateral Promise and Ehrlichkeit Value of Rewards Upon Cooperation and Trust

Vertrauen

2

Schlenker/Helm/ Tedeschi (1973)

The Effects of Personality and Situational Variables on Behavioral Trust

Kooperativität

Journal of Personality and Social Psychology

3

Kimmel et al. (1980)

Effects on Trust, Aspiration, and Vertrauen Gender on Negotiation Tactics

Offenheit

Journal of Personality and Social Psychology

4

Schurr/Ozanne (1985)

Influences on Exchange Processes: Buyer`s Preconceptions of a Sellers`s Trustworthiness and Bargaining Toughness

Vertrauen

Integratives Verhandeln

5

Cramton/Dees (1993)

Promoting Honesty in Negotiation: an Exercise in Practical Ethics

Ehrlichkeit

Vertrauen

Business Ethics Quartely

6

Anderson/ Affect from the top down: How Thompson (2004) powerful individuals` positve affect shapes negotiations

Emotionalitiät

Vertrauen

Organizational Behavior and Human Decision Processes

Vertrauen

Journal of Abnormal and Social Psychology

Journal of Consumer Research

Tabelle 5: Untersuchungen zum Wirkungszusammenhang zwischen Prozessaspekten und Vertrauen in Verhandlungen

Darüber hinaus wird in einer näheren Betrachtung der analysierten Untersuchungsvariablen deutlich, dass sich der Großteil der als bedeutsam identifizierten Prozessaspekte auf den Aufbau von Vertrauen auswirkt bzw. umgekehrt, dass das Ausmaß an Vertrauen das Interaktionsverhalten der Parteien beeinflusst (vgl. Tabelle 5). Hierdurch jedoch wird die Unabhängigkeit der ermittelten Prozesspräferenzen zusätzlich begrenzt. Betrachtet man in diesem Zusammenhang jedoch den explorativen Charakter der vorliegenden Arbeit, so erscheint es sinnvoll, diesen als methodische Unpräzision zu bezeichnenden Mangel offen anzuzeigen, zugleich jedoch als typisches nicht behebbares Problem innovativer und explorativer Studien einzustufen. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass die Darstel-

390

Vgl. hierzu die Ausführungen zum Erfordernis einer intra-personellen Vergleichbarkeit der Nutzendimensionen in Kapitel 2.5.1 sowie Berekhofen/Eckert/Ellenrieder (2006), S. 273ff. zu den allgemeinen Anforderungen im Rahmen von Präferenzmessungen.

391

Vgl. hierzu bspw. die Studie von Marwell/Schmitt/Shotola (1971), die den Einfluss der „Offenheit“ auf die Kooperativität der Verhandlungsakteure bestätigen konnte.

144 lung der ermittelten Prozesspräferenzen aufzeigen konnte, dass diese insgesamt isoliert umsetzbare Verhandlungsaspekte kennzeichnen.

4.1.1.2 Relevanz der identifizierten prozessualen Präferenzen auf industriellen Märkten

Für die sieben ermittelten Prozesspräferenzen, die auf Basis der einschlägigen Literatur als bedeutsam identifiziert werden konnten, ist in einem „Untersuchungsschritt 2“, die Bedeutung unter industriellen Verhandlungsakteuren zu überprüfen. Dies ist erforderlich, da in der Literatur, aus der die Präferenzen abgeleitet wurden, nicht die spezifische Perspektive industrieller Verhandlungen eingenommen wird. Für diesen Zweck war es möglich, im Rahmen einer Online-Befragung unter 128 industriellen Praktikern jeweils zwei IndikatorStatements zu den einzelnen ermittelten Präferenzen auf einer 5-stufigen Likert-Skala (1= „dieser Verhandlungsaspekt ist für mich überhaupt nicht wichtig“ und 5 = „dieser Verhandlungsaspekt ist für mich sehr wichtig“) abzufragen.392 Eine Übersicht über die erhobenen Informationen ist in Tabelle 6 dargestellt.393 In diesem Zusammenhang lässt sich als Ergebnis der Befragung festhalten, dass sämtliche inhaltsanalytisch ermittelte Dimensionen auch im Rahmen industrieller Verhandlungen als relevant einzustufen sind. So lagen alle Beurteilungen der einzelnen Statements und somit auch ihre Durchschnittsbewertungen über dem Skalen-Mittelwert von 2,5. Interessanterweise geben die Ergebnisse allerdings auch zu erkennen, dass die wahrgenommene Bedeutung der Prozesspräferenzen nicht mit der in der Literatur analysierten Häufigkeit der behandelten Verhandlungsaspekte übereinstimmt. So scheinen die Präferenzdimensionen Offenheit und Ehrlichkeit eine wichtigere Rolle zu spielen, als zunächst im Rahmen der inhaltsanalytischen Untersuchung vermutet wurde. 392

Bei der angesprochenen Befragung handelt es sich um eine verhandlungsspezifische Online-Befragung, die vom Competence Center Industrieller Dienstleistungen der Universität Hohenheim von Mitte September 2005 - Ende Oktober 2005 unter 128 Praktikern mit der Zielsetzung durchgeführt wurde, einen repräsentativen Überblick über Verlauf und insbesondere technische Gestaltungsoptionen industrieller Verhandlungssituationen zu erhalten. Hierbei war es möglich, den letzten Fragebogenteil für die geschilderte Abfrage der Bedeutung der einzelnen Dimensionen zu nutzen. Dieses Vorgehen erschien im Rahmen der vorliegenden Arbeit geeignet, da im Hinblick auf die Probandenauswahl sichergestellt war, dass die Branchenzugehörigkeit der Praktiker die Heterogenität industrieller Transaktionen in ausreichendem Maße wiedergab und somit mögliche Unterschiede in der Bedeutung prozessualer Präferenzen berücksichtigt werden konnten.

393

Der vollständige Fragebogenausschnitt ist in Anhang 2 abgebildet.

145 Statements … dass sich die vom Verhandlungspartner in der Verhandlungen zur Verfügung gestellten Informationen nicht nachträglich als unwahr erweisen. … dass mich mein Verhandlungspartner mit allen relevanten Informationen versorgt … dass sich die in der Verhandlung getroffenen Absprachen anschließend auch im schriftlichen Angebot wieder finden. … dass in der Verhandlung eine offene Atmosphäre zwischen den Verhandlungsparteien besteht. … dass mich mein Verhandlungspartner ausreden lässt und auf meine Fragen eingeht. … dass mein Verhandlungspartner nicht stur an seiner eingangs geäußerten Position festhält. … dass mein Verhandlungspartner auch für meine Position Verständnis aufbringt. … dass mein Verhandlungspartner mich nicht gegen Wettbewerber ausspielt. … dass mein Verhandlungspartner ausschließlich sachlich argumentiert. … dass ich mich auf Angaben meines Verhandlungspartners über Konkurrenzangebote verlassen kann.

Prozesspräferenzen

Bedeutung

Ehrlichkeit

4,5

Offenheit

4,38

Verlässlichkeit

4,32

Offenheit

4,05

Verhalten

3,97

Kooperativität

3,86

Kooperativität

3,72

Fairness

3,58

Emotionalität

3,43

Ehrlichkeit

3,43

… dass von der anderen Verhandlungsseite die Mitarbeiter zur Verhandlung erscheinen, die im Vorfeld angekündigt waren.

Verlässlichkeit

3,36

… dass ich mit meinem Verhandlungspartner innerhalb der Verhandlung auch über andere Dinge (z.B. aktuelle Ereignisse des Tagesgeschehens) reden kann.

Emotionalität

3,01

… dass mein Verhandlungspartner nicht durch die Wahl des Verhandlungsumfeldes (z.B. Verhandlungsort) Vorteile für sich erreichen will.

Fairness

2,77

… dass die vereinbarte Verhandlungszeit (z.B. Länge des Meetings) nicht überschritten wird.

Verhalten

2,48

Tabelle 6: Ergebnisse der Praktikerbefragung zur Bedeutung der Prozesspräferenzen

4.1.2 Auswahl einer geeigneten Befragungsmethode für die Messung industrieller Verhandlungspräferenzen

Für die im vorangegangenen Abschnitt definierten prozessualen Präferenzen ist in einem nächsten Schritt festzulegen, wie die Messung methodisch umgesetzt werden kann. In diesem Zusammenhang gaben die agenturtheoretischen Überlegungen zu erkennen, dass sich eine Messmethode insbesondere dann für die vorliegende Aufgabenstellung eignet, wenn

146 sie „ex-post“-wahrgenommene Verhaltensunsicherheiten und hierbei insbesondere die beschriebene Hold-Up-Problematik bestmöglich reduzieren kann. Für ein zielorientiertes weiteres Vorgehen erscheint es dabei sinnvoll, zunächst die generelle Eignung der in der Literatur diskutierten zwei Hauptklassen der Präferenzmessung, nämlich die kompositionellen und dekompositionellen Verfahren,394 im Hinblick auf die vorliegende Zielsetzung zu überprüfen. Dies gilt umso mehr, da bei der Analyse des Forschungszweiges der Negotiation Analysis mit der Vorstellung der Self-ExplicatedMethode sowie der Conjoint-Analyse bereits zwei bedeutende Vertreter dieser beiden Vorgehensweisen erläutert worden sind.

4.1.2.1 Die generelle Eignung dekompositioneller Verfahren unter Berücksichtigung der Kritikpunkte der traditionellen Conjoint-Analyse

Vergegenwärtigt man sich nochmals die grundsätzlichen Vorgehensweisen der beschriebenen kompositionellen und dekompositionellen Messverfahren,395 so lässt sich die Vermutung ableiten, dass den Verhandlungsrepräsentanten die absichtliche Verzerrung ihrer Präferenzinformationen bei ersteren sehr viel einfacher als bei letzteren möglich gemacht wird. Ursächlich hierfür ist die Tatsache, dass den Verhandlungsakteuren im Rahmen kompositioneller Verfahren die zu beurteilenden Präferenzen direkt zur Bewertung „aufgelistet“ werden. Damit einhergehend ist bei diesen Verfahren davon auszugehen, dass es den Verhandlungsakteuren ohne größere Mühe möglich ist, z. B. niedrigere Punktwerte auf die gelisteten prozessualen Präferenzen und höhere Werte auf die ergebnisorientierten Aspekte zu verteilen. Dies gilt umso mehr, da die Zielsetzung der Befragung den Verhandlungsakteuren durch die „unverschleierte“ Benennung der interessierenden Inhalte unmittelbar deutlich wird. Im Gegensatz dazu werden die gewünschten Informationen im Rahmen der ConjointAnalyse auf indirekte Weise und somit „verschleiert“ ermittelt, da nicht die relativen Wichtigkeiten der einzelnen prozessualen und ergebnisorientierten Präferenzen abgefragt, sondern vielmehr Gesamturteile über unterschiedliche Verhandlungsszenarien ermittelt

394

Vgl. Schweikl (1985), S. 31; Trommsdorff/Bleicker/Hildebrandt (1980).

395

Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 3.1.3.2.

147 werden. Konsistent „falsch“ zu antworten ist damit sehr viel schwieriger. Inkonsistenzen lassen sich zudem anhand von Prüfgrößen identifizieren. Obgleich die dekompositionelle Vorgehensweise somit unfairen „Hidden Intentions“ besser als kompositionelle Verfahren der Nutzensmessung vorzubeugen scheint und daher auch grundsätzlich für die vorliegende Zielsetzung geeigneter scheint, ist der Einsatz der in Kapitel 3.1.3.2.2 skizzierten traditionellen Vorgehensweise der Conjoint-Analyse (TCA) für die vorliegende Fragestellung problematisch. Ursächlich hierfür sind zwei grundsätzliche Schwachstellen der (TCA), die auch im Rahmen der verhandlungsspezifischen Präferenzmessung Probleme mit sich bringen. Dabei scheint der erste Kritikpunkt – angesichts der zuvor durchgeführten Präferenzidentifikation – klar auf der Hand zu liegen: So erwies sich die TCA in der Studie von Greenhalgh/Neslin (1981) zwar als aussagekräftiges Verfahren für die Ermittlung relevanter Vertragsbestandteile, diese beschränkten sich aber auf eine geringe Anzahl von Merkmalen bzw. Stimuli (5 bzw. 16). Da jedoch bei der Merkmalsanzahl 5 die für traditionelle Conjoint-Analysen maximal empfehlenswerte Merkmalsanzahl liegt, ist die Zielsetzung einer umfassenden Präferenzanalyse auf Basis der TCA augenscheinlich nicht umsetzbar, da bereits die ermittelten prozessualen Präferenzen nicht in ihrem erforderlichen Umfang berücksichtigt werden können. Ein weiteres Problem, dass die Eignung der TCA im Hinblick auf die vorliegende Zielsetzung zweifelhaft erscheinen lässt, ist die Tatsache, dass bei ihr lediglich Präferenzdaten, allerdings keine Auswahlinformationen erhoben werden.396 Das bedeutet konkret, dass von jedem Repräsentanten bei der Abfrage möglicher Verhandlungsszenarien immer zumindest eine Alternative als akzeptabel und damit als „einigungsfähig“ eingestuft wird. Wie aber die Ausführungen der Entscheidungssituation deutlich machen, können sich Verhandlungsparteien mitunter auf keine gemeinsame Lösung verständigen. Im methodischen Sinn bedeutet dies, dass es vorkommen kann, dass kein vorgelegtes Szenario „nutzenstiftend“ ist. Infolgedessen erscheint aber fraglich, inwiefern durch eine bloße Berücksichtigung von Präferenzdaten der Zielsetzung einer besseren Erklärung von Verhandlungsverlauf und -ergebnis wirklich gedient werden kann.

396

Vgl. Voeth (2000), S. 50ff.; Gensler (2003), S. 14.

148

4.1.2.2 Untersuchung der Verfahrensvarianten der traditionellen Conjoint-Analyse 4.1.2.2.1 Kurzvorstellung der bedeutsamen Verfahrensvarianten

Angesichts der Tatsache, dass die für Verhandlungsanalysen aufgezeigten Kritikpunkte grundsätzliche Schwachstellen der TCA darstellen, verwundert es nicht, dass mittlerweile zahlreiche Verfahrensvarianten der TCA in der Literatur existieren. Der Großteil dieser Verfahren lässt sich dabei dahingehend unterscheiden, ob sie darauf abzielen, eine höhere Merkmalsanzahl zu integrieren oder aber Auswahlabsichtsinformationen zu berücksichtigen. Lediglich zwei Verfahren adressieren beide Problembereiche der TCA zugleich (vgl. Abbildung 16). Angesichts der zuvor dargestellten Erfordernisse einer umfassenden Präferenzanalyse erscheinen daher im Folgenden insbesondere diese Verfahren von Interesse. Dennoch ist es sinnvoll, auch die weiteren, in Abbildung 16 dargestellten ConjointVarianten kurz vorzustellen. Ursächlich hierfür ist die Tatsache, dass sie größtenteils methodische Bestandteile der beiden interessierenden Verfahren beinhalten.397 Ausgewählte Varianten der traditionellen ConjointAnalyse

Verbesserung der Kaufentscheidungsprognose

Vergrößerung der Merkmalszahl

Hybride ConjointAnalyse

Limit ConjointAnalyse

Choice Based Conjointanalyse

Verbesserung der Merkmalszahl und Kaufabsichtsinformationen

HILCA

HLCA

Adaptive ConjointAnalyse

Individualisierte Conjoint-Analyse

Bridging ConjointAnalyse

Hierarchische Conjoint-Analyse

Abbildung 16: Verfahrensvarianten der traditionellen Conjoint-Analyse

397

Die folgenden Ausführungen als auch Abbildung 16 berücksichtigen dabei lediglich die bedeutendsten Vertreter der unterschiedlichen Kategorien.

149 Verfahrensvarianten zur Berücksichtigung einer größeren Merkmalsanzahl Verfahrensvarianten der TCA zur Vergrößerung der Merkmalsanzahl lassen sich grundsätzlich in hybride und rein dekompositionelle Verfahren systematisieren. Dabei unterscheiden sich hybride von rein dekompositionellen Verfahren dadurch, dass sie die in der TCA vorgenommene Präferenzmessung insofern erweitern, dass sie dem dekompositionellen Teil einen kompositionellen Teil (in der Regel Self-Explicated-Verfahren) voranstellen. Ausschließlich dekompositionelle Verfahren hingegen teilen die vergrößerte Merkmalsanzahl auf unterschiedliche Teildesigns auf, die den Probanden nacheinander im Rahmen einer dekompositionellen Beurteilung vorgelegt werden. In Abhängigkeit davon, ob die Ergebnisse des kompositionellen Befragungsteils in die Erstellung des dekompositionellen Fragebereichs Eingang finden, lassen sich innerhalb der Gruppe der hybriden Verfahren nicht-adaptive (keine Integration eines kompositionellen in den dekompositionellen Befragungsteil) und adapative Verfahren (Integration beider Befragungsteile) unterscheiden. Als bekanntester Vertreter der ersten Subkategorie ist an dieser Stelle die Hybride Conjoint-Analyse zu benennen, die auf die Arbeit von Green/Goldberg/Montemayor (1981) zurückgeht.398 Auf Basis der Ergebnisse des kompositionellen Befragungsteils wird bei diesem Verfahren die Gesamtheit der Probanden in Gruppen mit ähnlichen Nutzenstrukturen eingeteilt. Anschließend wird jedem Gruppenvertreter nur ein Ausschnitt aus dem aus allen Merkmalen gebildeten (dekompositionellen) Masterdesigns zur Beurteilung vorgelegt. Das Ziel des Verfahrens, eine höhere Merkmalsanzahl zu berücksichtigen, wird demnach nicht bei allen Probanden, sondern immer nur in Bezug auf homogene Gruppen von Probanden erreicht.399 Von besonderer Bedeutung bei den adaptiven Verfahren ist – insbesondere in der Praxis – die Adaptive Conjoint-Analyse (ACA). Im Anschluss an den kompositionellen Frageteil, in dem der Proband gebeten wird, sämtliche, in die Erhebung integrierten Merkmalsausprägungen isoliert zu bewerten, werden auf Basis dieser Angaben immer neue Paare von Produktkonzepten generiert und dem Probanden zur Bewertung vorgelegt. Die Ergebnisse des kompositionnellen Befragungsteils werden dabei insofern berücksichtigt, dass die generierten Paare in Bezug auf die bisherigen Einschätzungen des Probanden einen ähnlichen Gesamtnutzen aufweisen.400 Als vorteilhaft an diesem Verfahren erweist sich insbesondere 398

Vgl. Green/Goldberg/Montemayor (1981).

399

Für eine Kurzvorstellung des Verfahrens vgl. bspw. auch Voeth (2000), S. 117ff.

400

Vgl. Herrmann/Schmidt-Gallas/Huber (2003), S. 310ff.

150 die Tatsache, dass die Befragung vollkommen computergestützt abläuft und mittlerweile zahlreiche Software-Programme für ihre Durchführung erhältlich sind.401 Eine Mittelstellung zwischen adaptiven und nicht-adaptiven Verfahren nimmt die individualisierte Conjoint-Analyse ein (ICA). Wie ihr Name bereits vermuten lässt, versucht dieses Verfahren eine größere Merkmalsanzahl durch eine Individualisierung der Befragung zu erzielen.402 Hintergrund hierbei ist die Annahme, dass für unterschiedliche Probanden unterschiedliche Merkmale im Hinblick auf ein Beurteilungsobjekt von Bedeutung sein können, so dass es unsinnig erscheint, dass die Probanden die Grundgesamtheit aller bedeutenden Merkmale beurteilen müssen. Vor diesem Hintergrund werden die Probanden in einem ersten Schritt gebeten, die für sie relevanten Merkmale auszuwählen. Diese Selektion bildet dann die Basis für die Konzeption des dekompositionellen Befragungsteils.403 Im Rahmen der dekompositionellen Verfahren sind insbesondere die Bridging ConjointAnalyse (BCA) sowie die Hierarchische Conjoint-Analyse (HiCA) von Bedeutung. Während die BCA die Verknüpfung der unterschiedlichen Subdesigns mit Hilfe einer Merkmalsüberlappung vornimmt – jedes Subdesign enthält ein Merkmal, das auch in einem anderen Design integriert ist – erfordert die HiCA die Abfrage eines so genannten MetaDesigns, welches die im Rahmen der einzelnen Subdesigns beschriebenen Beurteilungsdimensionen beinhaltet.404 Nach einer unabhängigen Schätzung der Nutzenwerte für jedes Teildesign dient die hierbei ermittelte Beziehung zwischen den Beurteilungsdimensionen und dem Gesamtnutzen der Verknüpfung der Teilergebnisse.405 Dieses von der Forschergruppe um Louviere entwickelten Verfahren trägt damit der Tatsache Rechnung, dass Präferenzbildungsprozesse in komplexen Entscheidungssituationen hierarchisch strukturiert ablaufen, indem Probanden die oftmals vorhandene Vielzahl von Merkmalen zunächst zu übergeordneten Beurteilungsdimensionen verdichten. Gleichermaßen wird jedoch – und damit im Gegensatz zu der ICA – unterstellt, dass der Präferenzbildungsprozess bei allen Individuen in gleicher Weise abläuft.406

401

Zum computergestützten Ablauf der ACA vgl. z. B. Sawtooth (2005), S. 4ff.

402

Vgl. Schweikl (1985) und Böcker/Schweikl (1988).

403

Für eine Kurzvorstellung des Verfahrens vgl. bspw. auch Voeth (2000), S. 128ff.

404

Vgl. Brinkmann (2006), S. 37f.

405

Vgl. hierzu grundlegend Louviere (1984), S. 148ff.

406

Vgl. Voeth (2000), S. 131.

151 Verfahrensvarianten zur Berücksichtigung von Auswahlabsichtsoptionen Der Berücksichtigung von Auswahlabsichtsinformationen widmen sich insbesondere die Choice-Based-Conjoint-Analyse (CBCA) und die Limit Conjoint-Analyse (LCA). Anders als die TCA fordert die CBCA nicht eine Beurteilung unterschiedlicher Stimuli auf metrischem oder ordinalem Datenniveau, stattdessen werden Probanden so genannte Choice Sets unterschiedlicher Stimuli vorgelegt, aus denen diese immer einen oder aber keinen Stimuli auszuwählen haben (nominales Datenniveau).407 Während die geringe kognitive Belastung als Vorteil dieses Verfahrens gewertet werden kann, liegt ein Nachteil in der hiermit verbundenen geringen Informationseffizienz begründet, da das Verfahren eine Vielzahl bewerteter Choice Sets erfordert. Diese Tatsache führt letztendlich dazu, dass die gestellte Aufgabe nicht auf Individualniveau, sondern nur auf aggregierter Ebene, d. h. über mehrere Probanden hinweg, ausgeführt werden kann.408 Im Gegensatz hierzu wird die Auswahlabsichtsinformation bei der von Voeth/Hahn (1998) entwickelten LCA dadurch erhoben, dass die Probanden – neben der traditionellen Präferenzbewertung der Stimuli – zusätzlich darum gebeten werden, den Stimuli anzuzeigen, den sie gerade noch auszuwählen bereit sind.409 Veranschaulichen lässt sich diese Aufgabe mit dem Setzen einer Limit Card, die die Probanden an der Stelle zwischen den beurteilten Stimuli positionieren, bis zu der sie sich eine Auswahl vorstellen könnten. Um die somit abgegebene Auswahlinformation in das Modell der TCA zu integrieren, schlagen Voeth und Hahn eine individuelle Skalentransformation vor, bei der die Limit-Card als neuer Nullpunkt fungiert. Allen auswahlfähigen Objekten wird anschließend ein positiver Nutzenwert, allen nicht-auswahlfähigen ein negativer Nutzenwert zugeordnet, wobei die durch die TCA erhobenen Abstände zwischen den Stimuli nicht verändert werden. Da die Auswahlentscheidung bei der LCA somit direkt in die TCA integriert ist, ist ihre Berücksichtigung auch auf Individualniveau möglich.

407

Vgl. hierzu grundlegend Louviere/Hensher (1983).

408

Diesen methodischen Mangel versuchen die Vorgehensweisen des Hyrochical Base- sowie Latent ClassVerfahrens zu beheben. Vgl. hierzu Wang et. al (2006).

409

Vgl. hierzu grundlegend Voeth/Hahn (1998); Voeth (2000), S. 80ff.

152 Verfahrensvarianten zur Berücksichtigung einer größeren Merkmalsanzahl und von Auswahlabsichtsoptionen Im Gegensatz zu den bislang vorgestellten Ansätze adressieren die Hierarchische Limit Conjoint-Analyse (HLCA) und die Hierachische Individualisierte Limit Conjoint-Analyse (HILCA) beide Problembereiche der TCA zugleich, greifen hierbei jedoch – wie auch bereits aus ihrer Namensgebung hervor geht – auf bereits vorgestellte Verfahrensvarianten zurück. So wird im Rahmen beider Verfahren die Berücksichtigung von Auswahlabsichtsinformationen über die Idee der Limit Card integriert. Die Erhöhung der abzufragenden Merkmale wird jeweils über eine Hierarchiesierung des Befragungsprozesses erzielt. Dies bedeutet, dass beide Verfahren eine zweifstufige Datenerhebung erfordern. Grundbaustein in der von Liehr (2005) entwickelten HLCA stellt dabei die HiCA dar, bei der die Nutzenmessung auf zwei Ebenen erfolgt und die Daten ausschließlich dekompositionell erhoben werden. Entsprechend der Grundidee dieses Verfahrens, nach dem die Gesamtbeurteilung eines Objektes auf Ebene des Meta-Designs vorgenommen wird, wird auf dieser Ebene jedoch zusätzlich die aus der LCA stammende Erhebung einer Limit Card ergänzt. Angesichts dieser Verfahrenskombination ergeben sich im Rahmen der HLCA folgende Untersuchungsschritte: ƒ

Beurteilung von n-Sub-Designs, die jeweils durch m-Beschreibungsmerkmale im Hinblick auf eine übergeordnete Beurteilungsdimension gekennzeichnet sind.

ƒ

Beurteilung des aus den Beurteilungsdimensionen gebildeten Meta-Designs.

ƒ

Setzen der Limit Card zum Abschluss der Beurteilung des Meta-Designs.

Obgleich die HLCA im Vergleich zu den bislang vorgestellten Varianten zweifelsohne besser für die Messung industrieller Verhandlungspräferenzen geeignet scheint, da sie sowohl eine hohe Anzahl an Präferenzdimensionen berücksichtigen kann als auch die Integration der für die Entscheidungssituation notwendigen Auswahlabsichtsinformationen ermöglicht, bleibt auch bei diesem Verfahren kritisch zu hinterfragen, inwiefern die HLCA die Präferenzstrukturen in dem hier zu Grunde liegenden Kontext wirklich realitätsnah abbilden kann. So wird aus dem Untersuchungsaufbau sowie letztendlich bereits aus der Adoption des Grundmodells der HiCA deutlich, dass die HLCA – analog zur HiCA – unterstellt, dass der Präferenzbildungsprozess bei allen Probanden identisch abläuft. Durch die damit einhergehende Standardisierung der Befragung kann jedoch die im Rahmen des

153 Entwicklungsprozesses industrieller Verhandlungspräferenzen beschriebene Subjektivität und Individualität augenscheinlich nicht abgebildet werden. Während die HLCA somit zunächst nicht ohne Bedenken empfohlen werden kann, da sie nicht in der Lage zu sein scheint, die individuellen Präferenzbildungsprozesse industrieller Verhandlungsakteure realitätsnah wiederzugeben, ist ihr Einsatz im Rahmen der hier verfolgten Zielsetzung zusätzlich mit methodischen Problemen behaftet. So stellen die sieben ermittelten prozessualen Präferenzdimensionen augenscheinlich Beschreibungsmerkmale der übergeordneten Beurteilungsdimension „soziale Interaktion“ dar. Da jedoch auch die conjoint-analytische Erhebung in den Sub-Designs einer Beschränkung auf 4-5 Merkmalen unterliegt, führt die Abfrage des prozessualen Sub-Desigs zu kognitiven Überforderungen auf Probandenseite. Betrachtet man vor diesem Hintergrund die Vorgehensweise der HILCA, so scheint diese beide der für die vorliegende Zielsetzung relevanten Kritikpunkte der HLCA zu umgehen. So zeichnet sich ihr Vorgehen zum einen dadurch aus, dass sie den individuellen Präferenzbildungsprozess industrieller Verhandlungsakteure in ihrem Untersuchungsaufbau berücksichtigt. Ursächlich hierfür ist die Tatsache, dass die HILCA zusätzlich zu einem hierarchischen Aufbau sowie der Integration der Limit Card die Grundidee der ICA in ihre Vorgehensweise integriert. Darüber hinaus erfordert sie nur die Abfrage eines ConjointDesigns. Dies enthält die zuvor individuell ermittelten wichtigsten Merkmale, während die Bedeutung einer beliebigen Anzahl weiterer Merkmale kompositionell abgefragt und anschließend auf Basis einer regressionsanalytischen Berechnung mit den indirekt erhobenen Werten vergleichbar gemacht werden kann. Damit jedoch wird auch die Gefahr der kognitiven Überlastung bei bestmöglicher Gewährleistung der Informationseffizienz umgangen. Angesichts der Tatsache, dass sich die dekompositionellen Verfahren der Nutzenmessung generell für die Analyse industrieller Verhandlungspräferenzen eignen, hierbei jedoch eine Vielzahl zusätzlicher Anforderungen berücksichtigt werden muss, kann die HILCA abschließend als am ehesten geeignete Verfahrensvariante der TCA für die vorliegende Zielsetzung eingestuft werden. Dies gilt umso mehr, da für die HILCA mittlerweile eine anwendungsfreundliche und bereits mehrfach getestete Software vorliegt.410

410

Vgl. hierzu bspw. die Untersuchung von Voeth/Bornstedt (2007) sowie weitere Pilotstudien des Lehrstuhls für Marketing der Universität Hohenheim.

154

4.1.2.2.2 Vorstellung der HILCA angesichts ihrer besonderen Eignung für die vorliegende Zielsetzung Grundgedanke der HILCA Die HILCA wurde im vorangegangenen Kapitel als am ehesten geeignete dekompositionelle Methode zur Messung industrieller Verhandlungspräferenzen ausgewählt, da sie neben der Integration von Auswahlabsichtsinformationen sowie der Möglichkeit einer hohen Merkmalsintegration auch die Fähigkeit besitzt, die Individualität industrieller Präferenzbildungsprozesse zu erfassen. Während sie für ersteres – analog zu der HLCA, der ihr ähnlichsten Verfahrensvariante der TCA – auf die Idee der Limit Conjoint-Analyse zurückgreift, basiert die HILCA für die zwei anderen Erfordernisse auf dem Theoriegerüst der Informationsverarbeitungstheorie (IVT). Diese fasst den Menschen als ein informationsverarbeitendes System auf und stellt hierbei eine Analogie zu Datenverarbeitungssystemen her.411 In diesem Zusammenhang geht die IVT davon aus, dass Individuen zur Vermeidung kognitiver Überlastungen auf allgemeine Regeln zurückgreifen, mit deren Hilfe sie komplexe Beurteilungsaufgaben meistern. Bezogen auf eine durch zahlreiche Merkmalsdimensionen verursachte komplexe Conjoint-Abfrage bedeutet dies, dass Probanden in einem ersten Schritt die Beurteilungsalternativen aus der weiteren Analyse ausschließen, die über K.O.-Ausprägungen verfügen. Von K.O.-Ausprägungen wird dabei dann gesprochen, wenn das Vorliegen einer solchen Ausprägung automatisch und unabhängig von der Ausgestaltung der Ausprägung anderer Merkmale dazu führt, dass Objekte abgelehnt werden.412 Dann werden Probanden aus der Gesamtzahl der zur Verfügung stehenden Merkmale die für sie wichtigen extrahieren, um eine kognitive Informationsüberlastung zu vermeiden. Während sie diese am intensivsten im Vergleich zueinander beurteilen, werden weniger wichtige lediglich in abgestufter Intensität betrachtet. Damit wird auch bei der HILCA unterstellt, dass Individuen ihre Entscheidungsprozesse hierarchisch strukturieren und eine anschließende sukzessive Bearbeitung der zu verarbeitenden Informationen vornehmen. Jedoch handelt es sich hierbei augenscheinlich um eine andere Art der Hierarchisierung als bei der HiCA und somit auch der HLCA. So kann die HILCA theoretisch eine unbegrenzte Anzahl von Merkmalen berücksichtigen, indem die

411

Vgl. bspw. Abel (1977).

412

Vgl. Voeth (2000), S. 192ff.

155 Probanden – anders als bei einer standardisierten Erhebung – die für sie jeweils bedeutsamen Merkmale individuell selektieren.413

Untersuchungsaufbau der HILCA Die Umsetzung des beschriebenen Grundgedankens der IVT in ein Befragungskonzept ist offensichtlich mit hohem Aufwand verbunden. Unter Gesichtspunkten der Befragungsökonomie erscheint dabei eine computerunterstützte Durchführung unabdingbar. Die hierfür erstellte Software enthält – in Anlehnung an die von Voeth (2000) vorgeschlagenen Ablaufschritte – folgende Untersuchungsschritte: ƒ

Auswahl relevanter Merkmale: Hier erhält der Proband eine vollständige Liste der (theoretisch unbegrenzten Anzahl von) Merkmale(n) und Merkmalsausprägungen eines Produktes oder einer Dienstleistung.414 Er wählt die Merkmale aus, auf die er beim Kauf dieses Produkts achtet. Bei NichtAuswahl wird ein Merkmal im weiteren Verlauf der Erhebung nicht mehr beachtet.415

ƒ

Kompositionelle Bewertung relevanter Merkmale und Benennung von K.O.-Ausprägungen: Anschließend werden dem Probanden die zuvor von ihm ausgewählten Merkmale nacheinander mit ihren jeweiligen Ausprägungen vorgelegt. Der Proband hat nun jede einzelne Ausprägung auf einer Punkteskala von 0 bis 100 zu bewerten. Eine 0 bedeutet dabei, dass die Ausprägung inakzeptabel ist (K.O.-Ausprägung) und dass ein Produkt mit dieser Ausprägung auf keinen Fall gekauft würde. Bleibt bei einzelnen Merkmalen dabei nur eine Ausprägung als akzeptabel übrig, so muss ein Produkt auf jeden Fall diese Ausprägung besitzen. Die verbleibende Ausprägung ist dann eine so genannte Muss-Ausprägung, die zwar in der Nut-

413

Vgl. Voeth/Bornstedt (2007).

414

Für die Anwendung der HILCA im Bereich der verhandlungsspezifischen Präferenzmessung ist dieser Untersuchungsschritt augenscheinlich durch die Auswahl von verhandlungsrelevanten Merkmalen gekennzeichnet. Während diese zum einen durch die identifizierten Prozesspräferenzen beschrieben werden, werden weitere Merkmale durch die jeweils zur Verhandlung stehende Gegenstände repräsentiert (ergebnisorientierte Präferenzen). Der Proband wird daher gebeten, die Merkmale auszuwählen, auf die er in einer bestimmten Verhandlung achten wird. Vgl. zu dieser „Übertragung“ auch die Studie von Neslin/Greenhalgh (1981) in Kapitel 3.1.3.2.2.

415

Vgl. Voeth (2000), S. 167.

156 zenmessung nicht weiter verfolgt werden kann, sehr wohl aber für spätere Verhaltenssimulationen von Bedeutung ist.416 ƒ

Dekompositionelles Rating von Produktkonzepten: Nun werden dem Probanden, wie in der Conjoint-Analyse üblich, Produktkonzepte zur vergleichenden Bewertung (Rating-Verfahren) vorgelegt, die durch Ausprägungen der fünf individuell wichtigsten Merkmale gekennzeichnet sind. Hier wird mit orthogonalen Haupteffekte-Designs gearbeitet, die bei größtmöglicher Reduzierung der Anzahl zu bewertender Stimuli die Abbildung aller Haupteffekte ermöglichen.417

ƒ

Setzen der Limit Card: In einem letzen Schritt wird die so genannte Limit Card gesetzt, um akzeptable von nicht akzeptablen Stimuli zu trennen. Zu diesem Zweck sieht der Proband noch einmal alle Produktkonzepte mit den von ihm vergebenen Punktbewertungen in absteigender Reihenfolge. Er gibt nun an, bis zu welchem Produkt ein Kauf für ihn in Frage käme. Dabei sind auch die Fälle denkbar, dass alle oder keines ausgewählt wird.418

Nutzenschätzung bei der HILCA Während die Nutzenwertberechnung für die conjoint-analytisch beurteilten besonders wichtigen Merkmale bei der HILCA auf die in der Limit Conjoint-Analyse typische Art erfolgt, liegen für die übrigen wichtigen, aber nicht exponiert bedeutsamen Merkmale allein kompositionelle Nutzenbeurteilungen vor. Um die durch unterschiedliche Verfahren generierten Nutzeneinschätzungen der Merkmale vergleichbar zu machen, z. B. zum Zwecke anschließender Marktsegmentierungen, sind die kompositionellen Nutzenwerte im Skalenniveau der conjoint-analytisch generierten Nutzenwerte auszudrücken. Hierzu wird für jeden einzelnen Probanden eine Regression der Punktwerte einzelner Merkmalsausprägungen auf die entsprechenden Nutzenwerte durchgeführt. Der erhaltene Regressionskoeffizient wird zusammen mit einer Niveaukorrektur zur Umrechnung der restlichen Punktwerte in Nutzenwerte entsprechend Formel 2 verwendet: 416

Vgl. Voeth (2000), S. 192ff.

417

Bei Verwendung orthogonaler Haupteffekte-Designs können jedoch keine Interaktionen zwischen einzelnen Merkmalen berücksichtigt werden. Daher ist auf größtmögliche Unabhängigkeit der ausgewählten Merkmale zu achten. Vgl. Teichert (1999), S. 486; Backhaus, et al. (2006), S. 564ff..

418

Vgl. Kraus (2004), S. 205.

157 Formel 2:

Mit

U pa

Pz a ˜ E ˜

Sn Sc

Upa

aus Punktwerten umgerechneter Teilnutzen der Ausprägung a

Pz a E Sn

zentrierter Punktwert der Ausprägung a Regressionskoeffizient zwischen Punktwerten und Conjoint-Teilnutzenwerten durchschnittliche Spannweite aller zentrierten Punktwerte der Merkmale, die nicht durch die Conjoint-Prozedur gelaufen sind

Sc

durchschnittliche Spannweite aller zentrierten Punktwerte der Merkmale, die durch die Conjoint-Prozedur gelaufen sind

4.1.3 Identifikation von präferenzbeeinflussenden Faktoren im Rahmen industrieller Verhandlungen

Auch wenn mit der Identifikation bedeutsamer prozessualer Präferenzen sowie der Auswahl eines geeigneten Messverfahren die wesentlichen konzeptionellen Voraussetzungen für die Durchführung einer umfassenden Präferenzmessung geschaffen wurden, muss an dieser Stelle noch der Frage nachgegangen werden, in welchen industriellen Verhandlungssituationen eine erstmalige umfassende Präferenzmessung idealerweise durchzuführen ist. In diesem Zusammenhang wurde in Kapitel 3.4.3 die Durchführung von Experteninterviews als geeignete Maßnahme angesehen, da bei diesem Personenkreis am ehesten davon ausgegangen werden kann, dass er die konstanten Daten einer Verhandlung im Hinblick auf ihr relatives Einflusspotenzial einschätzen kann. Diese Anforderung führt nun jedoch zu der Frage, wie eine Befragung der definierten Expertenkreise, nämlich Wissenschaftler aus dem Bereich der Verhandlungsforschung sowie möglicherweise auch praxiserfahrene Verhandlungstrainer, durchgeführt werden kann. So steht dieses Vorhaben nämlich vor der Herausforderung, innerhalb dieser Personenkreise eine möglichst hohe Bereitschaft zur Teilnahme unter forschungsökonomisch vertretbarem Aufwand zu erzeugen. Ursächlich hierfür ist die Tatsache, dass vor allem der Expertenkreis der Wissenschaftler vorrangig im internationalen Umfeld und hierbei insbesondere in den USA ansässig ist.419 Infolgedessen erscheint eine erstmalige Kontaktierung möglicher 419

Als mögliche Beispiele für Negotiation Programme in England und Amerika lassen sich in diesem Zusammenhang folgende Universitäten nennen: Universitäten in England: Kellogg University, University of Oxford, Canterbury Christ Church University; Universitäten in den USA: Harvard, Standford, Clemson University, Miami University, Columbia University in the City of New York, Northeastern

158 Experten per Telefon bzw. per Email und die anschließende telefonische Durchführung der Interviews zwar unter forschungsökonomischen Aspekten empfehlenswert; allerdings ist bei diesem Vorgehen zu bezweifeln, inwiefern die Experten sich zu einer Teilnahme bereit erklären. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die fokussierte Fragestellung ein hohes Maß an Erklärungsbedarf beinhaltet.420 Eine beide Anforderungen erfüllende Vorgehensweise scheint in diesem Zusammenhang in dem Besuch einer international angesehenen Verhandlungskonferenz zu bestehen. Zusätzlich ist hierbei davon auszugehen, dass die Gruppe der Konferenzteilnehmer die definierten Expertenkreise zum Großteil abdeckt. Vor diesem Hintergrund wurde die Teilnahme an der im November 2005 veranstalteten PON-IRENE Negotiation Conference als geeignete Möglichkeit für die Durchführung der Expertenbefragung gewählt.421 Hierbei gelang es, insgesamt 10 Interviews mit anerkannten Professoren422 von U.S.amerikanischen Universitäten sowie mit 12 Verhandlungstrainern zu führen. Als Einstieg in die Befragung wurden den Experten das allgemeine Forschungsinteresse sowie die Zielsetzung der Arbeit geschildert. Hierauf aufbauend wurde der Begriff der prozessualen Präferenzen beispielhaft und in Abgrenzung zu möglichen Ergebnispräferenzen erläutert. Diese Tatsache erschien erforderlich, um die konstanten Verhandlungsdaten überhaupt im Hinblick auf ihr relatives Einflusspotenzial abfragen zu können. Nach der Einführung wurden die Experten zunächst gebeten, ihre Einschätzungen in Bezug auf jeden Einflussfaktor auf Basis einer 5-stufigen Likert-Skala (1= „geringer Einfluss auf

University School of Law, Boston University School of Law, Boston University in Brussels, Drexel University, Utah State University, The Pennsylvania State University, Rutgers University, Oregon State University. Im Vergleich dazu gibt es keine ausgewiesenen Verhandlungskurse an deutschen Universitäten. 420

Vgl. hierzu die Ausführungen zur Teilnahmebereitschaft bei telefonischer oder schriftlicher Kontaktierung bei Berekhofen/Eckert/Ellenrieder (2006), S. 109ff. sowie S. 116ff.

421

Die PON-IRENE Negotiation Conference thematisierte “New trends in negotiation teaching: toward a transatlantic network” und war damit neben Professoren insbesondere auch für Verhandlungstrainer von hohem Interesse.

422

Aus dem Expertenkreis der Professoren standen folgende Personen zur Verfügung: Melissa Manwarring (Director of Curriculum Development, Program on Negotiation at Harvard Law School), Florence Darwin (Lecturer in Law at Harvard Law School), Robert H. Mnookin (Samuel Williston Professor of Law and Chair, Program on negotiation at Harvard Law School), Roy J. Lewicki (Dean`s Distinguished Teaching Professor of Management and Human Resources at the Fisher College of Business, The Ohio State University), Catherine H. Tinsley (Professor of Management at the McDonough School of Business, Georgetown University), Sanda Kaufman (Director, Master of Arts in Environmental Studies, Levin College of Urban Affairs, Cleveland State University), Tom Tripp (Professor of Management & Operations, Washington State University Vancouver), Habib Chamoun-Nicolas (Author and Lecturer at the Catholic University of Equador), Terry Boles (Associate Professor and Director, Institute for International Business, University of Iowa), Alain Lempereur (Professor of Negotiation and Professor of Law, ESSEC Business School & Harvard Law School).

159 die relative Bedeutung der Prozesspräferenzen“; 5= „hoher Einfluss auf die relative Bedeutung der Prozesspräferenzen“) abzugeben. Dann wurden die Experten um die Veranschaulichung ihrer Angaben gebeten, um ein besseres Verständnis über die Wirkungsrichtung der Einflussfaktoren zu erhalten. Abschließend wurden einige ergänzende Abfragen zu Tätigkeitsprofil und Institution der Experten gestellt. Der gesamte Fragebogen findet sich in Anlage 3. Als Ergebnis kann Tabelle 7 entnommen werden, dass die Experten dem Unterscheidungskriterium der Transaktionsebene, gefolgt von dem kulturellen Einfluss der Verhandlungsakteure sowie ihrem Unternehmensumfeld den höchsten Einfluss auf die relative Bedeutung der Prozesspräferenzen beigemessen haben. Die Bedeutung des Einflussfaktors Transaktionsebene muss dabei insofern als besonders hoch gewertet werden, da die hier vorliegende Standardabweichung 0 beträgt, während im Hinblick auf die übrigen Unterscheidungskriterien zum Teil divergierende Einschätzungen vorlagen. konstantes Unterscheidungskriterium

Bedeutung

Standardabweichung

Wert/Komplexität

2,83

0,83

Individualisierungsgrad

3,00

0,85

Erfahrung

3,17

0,83

kultureller Hintergrund

4,00

0,95

Unternehmenskultur

3,25

0,62

Transaktionsebene

5,00

0,00

Machtverhältnis

2,83

0,83

Tabelle 7: Ergebnisse der Expertenbefragung

Auch im Hinblick auf die resultierenden Auswirkungen des Einflussfaktors Transaktionsebene ergab sich innerhalb des befragten Expertenkreises ein einheitliches Bild. So teilten die Experten ausnahmslos die Meinung, dass Verhandlungsakteure prozessualen Präferenzen im Rahmen von Geschäftsbeziehungen eine deutlich höhere Bedeutung als im Rahmen von Einzeltransaktionen zumessen. Ursächlich hierfür ist nach Meinung einer Expertin der auch in zahlreichen Studien angeführte Grund, dass „negotiators in long-term business relationships might trade off current economic gains for good will and expected future gains.“423

423

Auszug aus dem Experteninterview mit Sanda Kaufman.

160 Insgesamt lässt sich aus den Ergebnissen der Expertenbefragung damit die Annahme ableiten, dass die prozessualen Präferenzen eine besonders hohe Bedeutung bei Verhandlungen innerhalb von Geschäftsbeziehungen einnehmen. Im Umkehrschluss lässt sich – unter ansonsten konstanten Kontextbedingungen – die Schlussfolgerung ziehen, dass ihre Bedeutung in Einzeltransaktionen vergleichsweise gering ist. Dies gilt vor dem Hintergrund, dass dem Unterscheidungskriterium der „Transaktionsebene“ ein maximaler Einfluss auf die Präferenzstrukturen der Verhandlungsakteure zugemessen wurde. Die hierin zum Ausdruck kommende Handlungsempfehlung, die relative Wichtigkeit der Prozesspräferenzen zunächst im Rahmen industrieller Geschäftsbeziehungen zu untersuchen, kann dabei auch aus praktischer Hinsicht Nachdruck verliehen werden: So gilt der Aufbau und die Pflege von Geschäftsbeziehungen zunehmend als notwendige Voraussetzung zur Vermeidung von Wettbewerbsnachteilen.424 Damit einhergehend ist davon auszugehen, dass zukünftig eine steigende Anzahl industrieller Verhandlungen im Rahmen von Geschäftsbeziehungen stattfinden wird. Vor diesem Hintergrund wird aber das Wissen um die in Geschäftsbeziehungen vorliegenden Präferenzstrukturen zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil, der sich in erheblichem Umfang auf die Wertsteigerung industrieller Unternehmen auswirken kann.

4.2 Konkretisierung der Zielsetzung durch die Ableitung von Forschungsfragen

Für die Schließung der konstatierten Forschungslücke einer umfassenden Präferenzmessung konnten in Kapitel 4.1 zunächst die bislang noch nicht berücksichtigten prozessualen Präferenzdimensionen definiert werden. Dabei ging aus den angestellten agenturtheoretischen Überlegungen hervor, dass sich insbesondere für ihre Analyse eine dekompositionelle Messmethode empfiehlt, soll die für Erfolg versprechende Implikationen erforderliche Messgüte erreicht werden. Als geeignete Methode wurde hierbei – angesichts der spezifischen Anforderungen einer industriellen Präferenzmessung – die Hierarchische Limit Conjoint-Analyse ausgewählt. Da jedoch anzunehmen ist, dass die hierbei resultierenden Ergebnisse in Abhängigkeit unterschiedlicher Verhandlungssituationen stark divergieren,

424

Vgl. hierzu bspw. Cannon/Perreault (1999) sowie die dort angegebene Literatur.

161 wurde zum Abschluss der konzeptionellen Vorüberlegungen die „Geschäftsbeziehung“ als zu untersuchende Rahmenbedingung der Analyse empfohlen. Während diese Auswahl einerseits aus der zugemessenen Bedeutung der Experten resultierte, erschien sie auch vor dem Hintergrund der zunehmenden Relevanz industrieller Geschäftsbeziehungen geeignet. Angesichts der Tatsache, dass somit sämtliche der zuvor aufgestellten Anforderungen an die Konzeption einer umfassenden Präferenzanalyse (vgl. Kapitel 3.4) erfüllt worden sind, kann in einem nächsten Schritt ihre Durchführung konkret geplant und umgesetzt werden. Aufbauend auf den konzeptionellen Vorarbeiten erscheint es dabei sinnvoll, dieses Vorhaben anhand zentraler Forschungsfragen zu strukturieren. So ist es nämlich augenscheinlich zunächst von zentralem Interesse, inwiefern die in dieser Arbeit vorgeschlagene umfassende Präferenzanalyse überhaupt zu einem signifikanten Erkenntnisgewinn beitragen kann, d. h. inwiefern die erstmalige Aufnahme prozessualer Präferenzen auch zu dem vermuteten höheren Erklärungsbeitrag in Bezug auf industrielle Verhandlungen führt. Damit ergibt sich als erste Forschungsfrage: (1)

Ermöglicht die umfassende Messung industrieller Verhandlungspräferenzen, wie vermutet, eine höhere Messgüte als die traditionell praktizierte, ausschließliche Berücksichtigung ergebnisorientierter Präferenzen?

Da diese Fragestellung nicht losgelöst von ihrer quantitativen Messung beantwortet werden kann, ist im Rahmen der zweiten Forschungsfrage zu untersuchen: (2)

Wie können die umfassenden Präferenzen der Verhandlungsakteuere gemessen werden und stellt die HILCA wirklich das überlegene Messverfahren im Hinblick auf die Erzielung einer maximalen Messgüte dar?

Insbesondere für die Ableitung praktischer Handlungsimplikationen erscheint jedoch letztendlich auch von Interesse, inwiefern die Bedeutung prozessualer Präferenzen von den situationsspezifischen Kontextbedingungen einer Verhandlung abhängt. In diesem Zusammenhang lautet die dritte Forschungsfrage: (3)

Wie hoch ist die relative Bedeutung prozessualer Präferenzen in industriellen Verhandlungen in Abhängigkeit vom Vorliegen von Geschäftsbeziehungen?

162

5

Empirische Untersuchung der aufgestellten Forschungsfragen im Rahmen einer Fallstudien-Simulation

In Wahrheit heißt etwas wollen, ein Experiment zu machen, um zu erfahren was wir können. (Friedrich Wilhelm Nietzsche)

5.1 Entwicklung des Untersuchungsdesigns

Grundlegende Voraussetzung für die Beantwortung der aufgestellten Forschungsfragen und die damit einhergehende Umsetzung der vorliegenden Zielsetzung ist die Entwicklung eines geeigneten empirischen Untersuchungsdesigns. In diesem Zusammenhang gilt es insbesondere zu überlegen, ƒ

welche Untersuchungsgrößen für die Beantwortung der Forschungsfragen benötigt werden (Operationalisierung der Forschungsfragen),

ƒ

anhand welcher Kriterien die resultierenden Ergebnisse überprüft werden können (Auswahl empirischer Zielgrößen) und

ƒ

wie die Präferenzanalyse konkret umgesetzt werden soll (Gestaltung der Erhebung).

5.1.1 Operationalisierung der Forschungsfragen

Obgleich aus den konzeptionellen Vorarbeiten verschiedene Forschungsfragen abgeleitet werden konnten, die im Hinblick auf die vorliegende Zielsetzung einer umfassenden Präferenzanalyse von Interesse sind, erscheint es für die konkrete Entwicklung des Untersuchungsdesigns zunächst erforderlich, diejenigen Untersuchungsgrößen sowie Analysen zu bestimmen, die für ihre empirische Beantwortung konkret notwendig sind. In diesem Zusammenhang gilt es zunächst zu bedenken, dass der vermutete höhere Erklärungsbeitrag

163 einer umfassenden Präferenzanalyse nur dann empirisch bestätigt werden kann, wenn ihre Messgüte mit einer traditionellen, d. h. rein ergebnisbezogenen Präferenzanalyse verglichen wird. Damit einhergehend müssen im Rahmen des empirischen Untersuchungsdesigns zwei unterschiedliche Verfahren im Rahmen der Messung berücksichtigt werden, die sich durch einen unterschiedlichen inhaltlichen Umfang (rein ergebnisorientierte Präferenzen versus umfassende Präferenzen) auszeichnen.425 Eine ähnliche Anforderung ergibt sich für die Beantwortung der methodenorientierten Fragestellung (2). Denn auch die Vorteilhaftigkeit der HILCA lässt sich nur dann überprüfen, wenn sie im Vergleich zu anderen Verfahren der Präferenzanalyse ermittelt wird. Augenscheinlich ist hierbei insbesondere der Beleg einer Überlegenheit der HILCA gegenüber einem in der Verhandlungsforschung und -praxis häufig eingesetztem Verfahren von Interesse. Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, die HILCA mit der ansonsten im Rahmen von Präferenzanalysen dominierenden Self-Explicated-Methode zu vergleichen. Für das Untersuchungsdesign erwächst hieraus die zusätzliche Notwendigkeit, die geplante quantitative Messung der Verhandlungspräferenzen mittels beider Messverfahren durchzuführen.426 Neben den inhaltlichen und methodischen Untersuchungsaspekten gilt es noch zu klären, inwiefern die relative Bedeutung der Verhandlungspräferenzen in Abhängigkeit vom spezifischen Kontext einer Verhandlung variiert. Als untersuchungsgestalterische Konsequenz müssen somit letztendlich auch im Hinblick auf die Rahmenbedingungen zwei Untersuchungsgrößen vorliegen. Das bedeutet konkret, dass die in dem ausgewählten Kontext einer Geschäftsbeziehung ermittelten Ergebnisse mit Werten aus anderen Verhandlungssituationen zu vergleichen sind. Als Vergleichskontext empfiehlt sich hierfür die Rahmenbedingung einer Einzeltransaktion, da durch eine Variation der transaktionsspezifischen Ausprägungen gleichermaßen die Beurteilung des zuvor befragten Expertenkreises überprüft werden kann. Einen vollständigen Überblick über die dargestellte Operationalisierung der Forschungsfragen bietet dabei Abbildung 17.

425

Im Folgenden wird für die duale Berücksichtigung von ergebnisorientierten und prozessualen Präferenzen immer der Begriff der „umfassenden Messung“ gewählt, während für die ausschließliche Berücksichtigung ergebnisorientierter Präferenzen die Bezeichung „traditionelle Messung“ gilt.

426

Insgesamt gilt es damit vier unterschiedliche Messverfahren im Hinblick auf ihre Messgüte zu untersuchen. Dies sind die umfassende und traditionelle Messung und diese jeweils in einer direkten sowie indirekten Vorgehensweise.

164

Traditionelle Messung

HILCA

Forschungsfrage 2

Forschungsfrage 2

Geschäftsbeziehung

Forschungsfrage 1

Umfassende Messung

Forschungsfrage 1

SelfExplicated Verfahren

Einzeltransaktion

rs Fo

fr gs un ch

e ag

3

Abbildung 17: Operationalisierung der Forschungsfragen in relevante Untersuchungsgrößen

5.1.2 Auswahl empirischer Zielgrößen

Ausgehend von der Operationalisierung der Forschungsfragen können geeignete Kriterien definiert werden, anhand derer die Ergebnisse der zuvor abgeleiteten Untersuchungen zu beurteilen sind. Hierbei gilt es zu bedenken, dass die einzelnen Analysen unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen und damit einhergehend auch unterschiedliche Zielgrößen bedingen: So sollen die Untersuchungen im Hinblick auf die Beantwortung der Forschungsfragen (1) und (2) die Messgüte unterschiedlicher Messverfahren überprüfen; die zur Beantwortung der Forschungsfrage (3) erforderliche Untersuchung hingegen dient der Identifikation möglicher Präferenzunterschiede zwischen verschiedenen Analysesituationen. Während für letztere Zielsetzung die Ermittlung statistisch signifikanter Unterschiede zwischen dem Kontext der Einzeltransaktion und der Geschäftsbeziehung als geeignete Zielgröße angesehen werden kann, da empirisch relevante Ergebnisunterschiede in der Regel erst auf Basis statistischer Signifikanztests nachgewiesen werden können,427 lassen sich zur Beurteilung der übrigen Untersuchungsergebnisse prinzipiell alle zur Gütebeurteilung von Messverfahren entwickelten Kriterien anwenden. Dies sind die Objektivität, die Reliablität und die Validität. Angesichts der Tatsache, dass unter ihnen die Validität das anspruchs-

427

In diesem Zusammenhang eignet sich insbesondere der Kolmogorov-Smirnov-Test, der bei zwei unverbundenen Stichproben und intervallskalierten Variablen Anwendung findet. Vgl. hierzu Bühl/Zöfer (2005), S. 294ff.

165 vollste Messkriterium darstellt,428 erscheint es dabei sinnvoll, die Beurteilung der unterschiedlichen Messverfahren auf diese Zielgröße zu beziehen.429 Dabei gilt ein Messinstrument als valide, wenn tatsächlich nur das gemessen wird, was zu messen beabsichtigt war. Für den konkreten Einsatz des Validitätskriteriums ist jedoch zu beachten, dass es über eine Vielzahl unterschiedlicher Operationalisierungen verfügt. Die Auswahl eines für die vorliegende Zielsetzung geeigneten Validitätsmaßes wird dabei insofern erleichtert, dass die Literatur eine weitestgehend einheitliche Systematisierung dieser Kenngrößen verwendet:

Validität

Kriteriumsbezogene Validität

Inhaltliche Validität

Prädikative Validität

Konstruktvalidität

Übereinstimmungsvalidität

Interne Validität

Innere Validität

Face-Validität

Abbildung 18: Systematisierung von Arten der Validität430

Hierbei wird – wie auch in Abbildung 18 dargestellt – in der Regel auf der obersten Systematisierungsebene zwischen der inhaltlichen, der konstrukt- sowie der kriterienbezogenen Validität unterschieden. Eine inhaltliche Validität liegt dabei immer dann vor, wenn das Untersuchungsobjekt derart in der Messung abgebildet wird, dass Konstrukt und Messung eine inhaltlich-semantische Übereinstimmung aufweisen.431 Im Gegensatz dazu wird von konstruktbezogener Validität gesprochen, wenn sich die Ergebnisse eines untersuchten Konstruktes auch durch andere theoretische Konstrukte und Konzepte erklären lassen.432 Erfolgt die Beurteilung der Messergebnisse hingegen mit Hilfe eines Außenkriteriums, so 428

Ursächlich hierfür ist die Tatsache, dass die Objektivität als auch die Reliabilität Voraussetzungen für die Validität eines Messverfahrens bilden. Vgl. hierzu Berekhofen/Eckert/Ellenrieder (2006), S. 87ff.

429

Vgl. zu diesem Vorgehen bspw. auch Voeth (2000), S. 226.

430

Quelle in Anlehnung an Voeth (2000), S. 226 sowie Brinkmann (2006), S. 138.

431

Block/Block (1995), S. 67.

432

Vgl. bspw. Balderjahn (2003), S. 132.

166 wird ein kriteriumsbezogenes Validitätsmaß verwendet. In diesem Zusammenhang wird zusätzlich zwischen der Übereinstimmungsvalidität und der prädiktiven Validität unterschieden. Dabei schlägt die prädiktive Validität – anders als die Übereinstimmungsvalidität, bei der die Messergebnisse mit anderen im Rahmen dieses oder eines anderen Verfahrens verglichen werden433 – das beobachtbare Verhalten zur Gütemessung der Ergebnisse vor. Dafür basiert sie auf einem Vergleich von prognostizierten Entscheidungen und tatsächlichem Auswahlverhalten. Führt man sich in diesem Zusammenhang vor Augen, dass sowohl die Untersuchungen der Forschungsfrage (1) als auch (2) durch ihre Zielsetzung einer hohe Messgüte zu einer besseren Erklärung realer Verhandlungssituationen beitragen sollen, so erscheint augenscheinlich die prädiktive Validität als geeignetes Validitätsmaß der Ergebnisse. Damit gilt aber jedes der im vorangegegangenen Abschnitt abgeleiten Messverfahren dahingehend zu überprüfen, inwiefern es in der Lage ist, präferierte Verhandlungsalternativen zu prognostizieren. Angesichts der Tatsache, dass in dem hier zu Grunde gelegten Kontext die Wahlentscheidungen der einzelnen Verhandlungsakteure interessieren, sind hierbei zusätzlich die individuellen Präferenzen als geeigneter Bewertungsmaßstab anzusehen. Damit gilt für die prädiktive Validität eines zu überprüfenden Verfahrens Formel 3:

vˆi

Formel 3

mit

vˆi wˆ i

= korrekt

gesamt wˆ i

433

korrekt wˆ i gesamt wˆ i

Prognosegüte: Anteil der richtig prognostizierten Wahlentscheidungen, = Anzahl der Wahlentscheidungen, die – über alle Probanden betrachtet – korrekt prognostiziert werden konnten, =

Gesamtzahl der eingeschätzten Wahlentscheidungen.

Hierzu werden im Rahmen der Übereinstimmungsvalidität erneut drei unterschiedliche Operationalisierungsmöglichkeiten diskutiert. Dies sind die Face-Validität, die interne und die innere Validität. Zielgröße der Face-Validität ist dabei die Überprüfung der aus den Messverfahren resultierenden Ergebnisse mit a priori gebildeten Erwartungen, die sich häufig aus Plausibilitätsüberlegen ableiten lassen. Im Gegensatz hierzu ist die interne Validierung insbesondere im Rahmen dekompositioneller Messverfahren von Relevanz, da sie Aussagen darüber zulässt, inwiefern die geäußerten Präferenzurteile mit Hilfe entsprechender Modellberechnungen reproduziert werden können. Bei der inneren Validität werden letztendlich empirische Ergebnisabweichungen unterschiedlicher Messkonzepte verglichen, wobei jedoch keine Bewertung der Messkonzepte vorgenommen werden kann. Vgl. hierzu ausführlich Müller-Hagedorn (1986) S. 127ff.

167

5.1.3 Gestaltung der Erhebung

Nachdem die relevanten Untersuchungsgrößen bestimmt sowie geeignete Zielgrößen für die Beurteilung der Ergebnisse ausgewählt worden sind, stellt sich in einem nächsten Schritt die Frage, wie die hierfür erforderlichen Präferenzinformationen erhoben werden können. Diesbezüglich ist das Untersuchungsdesign im Hinblick auf ƒ

die Festlegung der Untersuchungsform,

ƒ

das zu verhandelnde Untersuchungsobjekt,

ƒ

das Befragungskonzept sowie letztendlich

ƒ

die zu befragenden Untersuchungssubjekte

zu spezifizieren.

5.1.3.1 Festlegung der Untersuchungsform

Mit der Durchführung einer Feldstudie sowie eines Laborexperimentes stehen für die geplante Durchführung einer umfassenden Präferenzanalyse prinzipiell zwei Untersuchungsformen zur Verfügung. Vergegenwärtigt man sich allerdings die Tatsache, dass die Operationalisierung ihrer Forschungsfragen den empirischen Test mehrerer Messverfahren und dies – bis auf die Variation der Transaktionsebene – unter gleichen Versuchsbedingungen erfordert, erscheint für die vorliegende Zielsetzung allein eine experimentelle Untersuchungsform in Frage zu kommen. So ist der Vorteil von Laborexperimenten gegenüber Feldstudien insbesondere darin zu sehen, dass hierbei die zentralen Kontextvariablen als auch die interessierenden Einflussgrößen kontrolliert und manipuliert werden können, so dass die gewünschten Untersuchungssituationen eintreten.434 Diese Auswahlempfehlung verstärkt sich noch vor dem Hintergrund, dass reale industrielle Verhandlungen in der Regel eine hohe strategische Relevanz für die beteiligten Unternehmen aufweisen, die dazu

434

Vgl. Levine/Parkinson (1994); Goodwin (2002).

168 führt, dass diesbezügliche „Realinformationen“ – wie bspw. die angestrebten Vertragsvereinbarungen – gar nicht geäußert werden.435 Problematisch an dieser Auswahl erscheinen jedoch die Nachteile von Laborexperimenten, die in ihrer mangelnden Realitätsnähe gesehen werden können. Dies ist bei dem Großteil verhandlungsspezifischer Experimentalstudien insbesondere darauf zurückzuführen, dass stark verkürzte Handlungsszenarien zum Einsatz kommen, in denen das Verhandlungsproblem auf einfache, häufig singuläre Präferenzkonflikte reduziert wird.436 Damit einhergehend bleiben jedoch auch die resultierenden Erkenntnisse zumeist auf einen „reinen“ Hypothesentest beschränkt. Im Hinblick auf die vorliegende Zielsetzung ist als weiterer Kritikpunkt vor allem noch anzuführen, dass die Mehrheit der bestehenden Verhandlungsexperimente lediglich eine Spielperiode beinhaltet.437 Da somit weder im personellen noch im sozialen Bereich ein „Nachher“ für die Teilnehmer besteht, führen sie häufig zu nichtsozialen und risikoneutralen Verhandlungssituationen. Das bedeutet konkret, dass die für den Aufbau von Geschäftsbeziehungen notwendige Entwicklung sozialer und ökonomischer Beziehungen kaum wahrheitsgetreu manipuliert werden kann. Für die Durchführung eines Laborexperimentes im Rahmen der vorliegenden Zielsetzung ergibt sich somit die Forderung, die Besonderheiten industrieller Verhandlungen möglichst realistisch abzubilden, sollen die Ergebnisse valide Aussagen über die Bedeutung ergebnisorientierter und prozessualer Präferenzen liefern. Dabei erscheinen für den zu Grunde gelegten Kontext insbesondere die Darstellung eines organisatorischen Umfeldes sowie die Verhandlungsproblematik einer multi-attributiven „mixed-motive“ Entscheidungssituation von Bedeutung. Darüber hinaus sollte die Experimentalstudie zumindest zwei Verhandlungsperioden umfassen, sollen Erfolg versprechende Handlungsimplikationen im Hinblick auf Verhandlungssituationen bei unterschiedlichen Transaktionen abgeleitet werden. Damit einhergehend erscheint es jedoch angebracht, die hier vorzunehmende Entwicklung einer Laborstudie in Anlehnung an die experimentelle Methode des Gaming zu vollziehen, da hierbei komplexe, in einen umfassenden Kontext eingebettete Verhandlungsprobleme simuliert werden.438 Diese müssen oftmals über mehrere Perioden hinweg gelöst werden, wobei den Simulationen realistische Szenarien zu Grunde gelegt werden. Zusätzlich sieht 435

Vgl. Hall (1975), S. 209; Knoke/Marsden/Kalleberg (2002), S. 788.

436

Vgl. hierzu bspw. Barry/Friedman (1998).

437

So waren bspw. alle der im Rahmen der Präferenzidentifikation untersuchten Verhandlungsspiele einperiodig.

438

Vgl. hierzu bspw. Kern/Rönsch (1972).

169 das Gaming in der Regel die parteiübergreifende Darstellung einer allgemeinen Rahmenhandlung vor, während ein Teil der Informationen jeweils nur einzelnen Verhandlungsparteien zur Verfügung steht.439 Während das Gaming somit im Vergleich zu der üblichen Untersuchungsform der Verhandlungsexperimente realistischere Verhandlungssituationen darstellt und eine damit einhergende höhere Identifikation der Verhandlungsteilnehmer ermöglicht, wird an dieser laborexperimentellen Methode zuweilen kritisiert, dass eine vollständig kontrollierbare Variablensituation angesichts der kontextreichen Simulation schwieriger zu gewährleisten ist. Der damit verbundene Nachteil, dass sich das Gaming eher für die Gewinnung als für die Überprüfung kausaler Zusammenhänge eignet, muss dabei angesichts des explorativen Charakters einer umfassenden Präferenzanalyse im Rahmen des zu entwickelnden Laborexperimentes nicht weiter berücksichtigt werden.

5.1.3.2 Das Untersuchungsobjekt: Der Fall ALUVAN

Um eine möglichst hohe Übertragbarkeit der laborexperimentellen Erkenntnisse auf reale Verhandlungssituationen im industriellen Umfeld zu gewährleisten wurde das Verhandlungsspiel ALUVAN entwickelt. Dieses beschreibt zwei organisationale Verhandlungsparteien (Zulieferer und Hersteller) aus dem Markt für Fensterbau, die im Hinblick auf die gemeinsame Herstellung einer innovativen Fenstertechnik komplexe Verhandlungen in zwei Geschäftsperioden zu führen haben. Dabei ist das Spiel ALUVAN derart aufgebaut, dass jeweils zu Beginn beider Geschäftsund damit Spielperioden eine allgemeine Schilderung der Ausgangslage erfolgt. Da hieraus die konkrete Verhandlungsaufgabe nicht erschlossen werden kann, wird sie allen Spielteilnehmern gleichermaßen als „Basisfall“ bzw. Rahmenhandlung zugänglich gemacht. Die eigentliche Verhandlungsaufgabe setzt somit erst mit den hierauf folgenden innerorganisatorischen Informationen ein, in denen die zulieferer- und herstellerbezogenen Präferenzstrukturen in Bezug auf das Verhandlungsobjekt dargestellt sind. Dementsprechend stehen diese Unterlagen lediglich den rollenspezfischen Teams zu Verfügung. Während aus diesen Unterlagen sämtliche für das Verhandlungsspiel benötigten Daten hervorgehen, erhalten die Teilnehmer nach Abschluss der Verhandlungsperiode 1 einen Status-Report über 439

Vgl. hierzu das Spielerhandbuch einer Verhandlungssimulation bei Huppertsberg (1975).

170 die von ihnen ausgehandelten Ergebnisse. Angesichts der beschriebenen Operationalisierungserfordernisse liegt dem Fall ALUVAN zusätzlich eine experimentelle Manipulation in einem 2x1-Design zu Grunde. Das bedeutet, dass zwei – bis auf die Variation des Einflussfaktors Transaktionsebene – identische Verhandlungsspiele konzipiert wurden.

5.1.3.2.1 Die Rahmenhandlung und Verhandlungsgegenstände

Verhandlungsperiode 1 Der Basisfall beinhaltet in Periode 1 allgemeine Informationen über die Fensterbranche und deren Konjunktur, die an der Verhandlung beteiligten Firmen, das zur Verhandlung stehende Investitionsprojekt sowie diesbezügliche Marktchancen: Der Gesamtmarkt der Fenster- und Fassadenbranche umfasst alle Produkte, die im Außenbereich von Gebäuden, wie bspw. Fenster, Türen, Markisen und Jalousien, benötigt werden. Insbesondere bei Fenstern und Türen werden dabei unterschiedliche Werkstoffen angeboten. Zu unterscheiden sind hierbei insbesondere Kunststoff, Aluminium und Holz, die in verschiedenen Leistungsspezifikationen und damit verbundenen Preisniveaus der Produkte resultieren. Aufgrund der zu konstatierenden Rezession in der Baubranche musste auch der Fenstermarkt in den vergangenen Jahren einen starken Absatzrückgang sowie einen hieraus resultierenden steigenden Wettbewerbsdruck verzeichnen. Der damit einhergehende Preisverfall erscheint dabei für viele Herstellerfirmen umso dramatischer, da sich die Rohstoffpreise in dem gleichen Zeitraum deutlich erhöht Um den Marktherausforderungen zu begegnen und sich eine zukunftsträchtige Position im Wettbewerb zu haben. sichern, plant der Fensterbauer FERA GmbH die Herstellung der innovativen Fensterlösung ALUVAN, einem PVC-Fenster das mit einer Galvanoschicht aus Aluminium (4kg/Fenster) überzogen ist. Durch die Kombination der unterschiedlichen Werkstoffeigenschaften von Kunststoff und Aluminium soll es gelingen, die Kundenpräferenzen – dies sind in der Regel die Bauunternehmungen – besser als die Konkurrenz zu erfüllen. Obgleich die FERA GmbH sich einen guten Ruf bezüglich Innovationskraft und Qualität seiner Produkte verschafft hat, ist der Fensterbauer aufgrund der produktionstechnologischen Komplexität der ALUVANHerstellung auf ein Zulieferer-Unternehmen angewiesen. Dies gilt insbesondere für die Produktionsphase der Galvanosierung der Alumininumoberfläche. Von daher verwundert es nicht, dass als möglicher Geschäftspartner insbesondere die LATEN AG kontaktiert wird. Während auch dieser Zulieferer für chemische Vorprodukte insgesamt unter einem starken Wettbewerbsdruck leidet, konnte er seine Marktführerschaft im Bereich der Galvanosierungen verteidigen. Angesichts einer von der FERA GmbH in Auftrag gegebenen Marktstudie, in der die erwarteten gen sowie geschätzten Stückkosten des Innovationsfensters ALUVAN rentable Geschäftsaussichten verspre-

171 chen440, entschließen sich beide Marktparteien dazu, gemeinsame Verhandlungen über die für die Produktion Galvanobadlösung aufzunehmen.

Aufbauend auf diesen allgemein gehaltenen Darstellungen umfassen die rollenspezifischen Unterlagen insbesondere Informationen über die technischen Leistungsspezifikationen sowie die hieraus kalkulierbaren Projektkosten und -gewinne. Aus ihnen lassen sich neben den konkreten Verhandlungsaufgaben vor allem auch die Präferenzen der Verhandlungsteams erschließen: Die „Ursache“ der anstehenden Verhandlungen, nämlich die von der FERA GmbH benötigte Herstellung der Galvanobadlösung, verursacht bei der LATEN AG variable Kosten in Höhe von 72 €/4kg. Die restlichen variablen Kostenkomponenten pro ALUVAN-Fenster betragen auf Herstellerseite 168 €. Neben der sich hieraus ergebenden Preisverhandlung erfordert der finale Geschäftsabschluss Vereinbarungen im Hinblick auf die Kostenübernahme einer benötigten Galvanisierungsanlage. Während in diesem Zusammenhang feststeht, dass die LATEN AG für die Herstellung der Anlage verantwortlich ist, bedarf es noch einer Klärung, welche Partei in welchem Umfang für die Wartung zuständig ist, und vor allem, auf welches Lieferdatum die Verhandlungsparteien sich einigen, da im Hause LATEN zum gewünschten Zeitpunkt der FERA GmbH ein Lieferengpass besteht.

Insgesamt ergibt sich die in Tabelle 8 dargestellte Verhandlungsaufgabe. Dabei sieht die das Spiel vor, in Bezug auf alle Gegenstände eine Vereinbarung zu treffen oder aber eine Vertragseinigung insgesamt abzulehnen. Verhandlungsgegenstand

Alternativen

Preis der Galvanolösung

nicht restriktierte Preisverhandlung

Kalkulationsgrößen Zulieferer

G

1 Preis der Galvanoanlage 2 Wartungsservice 3 4 5

Ingredient Branding Lieferzeitpunkt Galvanoanlage

FERA übernimmt den Großteil der Kosten Gleichmäßige Aufteilung der Kosten LATEN übernimmt den Großteil der Kosten keine Wartung durch die Laten AG Grundwartung Premiumwartung FERA integriert die IB-Kampagne LATEN startet eigene Kampagne möglichst früher Lieferzeitpunkt eher später Lieferzeitpunkt

K

K K K

bei VP 100 und Menge 82.000: 2,3 Mio. 600.000 300.000 0 0 55.000 100.000 150.000 250000 250.000 0

Kalkulationsgrößen Hersteller

G

K

K K K

bei VP 100; Menge 82.000 und Marktpreis 300: 2,6 Mio. 0 300.000 600.000 200.000 100.000 0 50.000 0 0 544.000

Tabelle 8: Die Verhandlungsgegenstände in Periode 1

Wie aus den Kalkulationsgrößen der Zulieferer und Hersteller ersichtlich wird, handelt es sich bei den ersten beiden Verhandlungsgegenständen um distributive Elemente, während die Verhandlungsgegenstände 1-3 integratives Potenzial beinhalten. Darüber hinaus sind die einzelnen Merkmale – legt man die vorliegenden Kostenspannen zu Grunde – von un440

Die laut Marktstudie für das ALUVAN-Fenster geschätzte Preis-Absatz-Funktion für eine Geschäftsperode und den deutschen Markt ist dabei x = 820.000 – 2450*p. Die variablen Kosten für ein Fenster liegen anzunehmenderweise zwischen 230 – 275 Euro.

172 terschiedlicher Bedeutung für die Verhandlungsparteien. Damit scheint der Forderung nach einer komplexen mixed-motive-Situation in der Periode 1 Rechnung getragen. Um eine hohe Identifikation der Verhandlungsteilnehmer mit dem Kontext des Verhandlungsspiels sicherzustellen bzw. ein spezifisches Rollenverhalten während der Verhandlung zu erleichtern, kann aus den innerorganisatorischen Informationen zusätzlich die Zusammensetzung der Verhandlungsteams (Buying Center und Selling Center) erschlossen werden. Letztendlich sind im Anhang einige technische Details im Hinblick auf die jeweils benötigten Produktkomponenten abgebildet, die den Teams Argumentationsunterstützung im Hinblick auf die Durchsetzung ihrer Verhandlungspräferenzen liefern sollen.

Verhandlungsperiode 2 Die Unterlagen der Spielperiode 2 sind spiegelbildlich – wenn auch in verkürzter Form – zu Geschäftsjahr 1 aufgebaut. Ursächlich hierfür ist die Tatsache, dass das Verhandlungsobjekt weiterhin ALUVAN darstellt. Allerdings beabsichtigt die FERA GmbH – nach der erfolgreichen Einführung in den deutschen Markt – nun einen Einstieg in den gesamteuropäischen Markt. Hierfür ist ein neuer Liefervertrag in Bezug auf die Galvanolösung notwendig. Vor diesem Hintergrund erhält der Basisfall lediglich die diesbezüglich relevanten Absatzchancen.441 Im Rahmen der rollenspezifischen Informationen sinken die variablen Kosten aufgrund steigender Absatzmengen. Angesichts optimierter Produktionsprozesse erfahren auch die Verhandlungsgegenstände eine leichte Veränderung: Die Herstellung der Galvanobadlösung verursacht nur noch variable Kosten in Höhe von 70 €/4kg. Die restlichen variablen Kostenkomponenten sinken auf 165 €. Die Optimierung der Leistungsspezifikationen erfordert den Bau einer zusätzlichen Galvanoanlage. Diesbezüglich müssen sich die Verhandlungsparteien über die Aufteilung der anfallenden Investitionskosten einigen. Darüber hinaus ist der Leistungsumfang der Anlage noch nicht abschließend konfiguriert. In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass die steigende Komplexität des Herstellungsprozesses ein Schulungskonzept für das Bedienpersonal erfordert. Letztendlich ist fraglich, welche Lieferintervalle für das Geschäftsjahr 2 zulieferseitig realistisch sind.

Damit ergibt sich für die zweite Spielperiode die in Tabelle 9 dargestellte Verhandlungsaufgabe. Erneut handelt es sich um eine komplexe mixed-motive-Situation, die analog zu Verhandlungsaufgabe 1 aufgebaut ist. Durch den relativen Kontextreichtum der vorliegenden Fallstudie sowie die als realistisch anzusehende Ausgestaltung der Verhandlungspräfe-

441

Die hierfür angebene Preis-Absatz-Funktion lautet x = 1165000 – 3645*p.

173 renzen kann daher eine hohe Übertragbarkeit der Untersuchungsergebnisse im Hinblick auf die Forschungsfrage (1) und (2) angenommen werden. Verhandlungsgegenstand

Alternativen

nicht restriktierte Preisverhandlung

Preis der Galvanolösung

Kalkulationsgrößen Zulieferer

G

1 FERA übernimmt den Großteil der Kosten Gleichmäßige Aufteilung der Kosten LATEN übernimmt den Großteil der Kosten gesamtes Bedienpersonal nur die Schichtführer keine Schulung durch LATEN Basisversion Basisversion + ISO sehr kurze Lieferintervalle (z.B.JIT) lange Lieferintervalle (ca. 1x pro Monat)

Preis der Galvanoanlage 2 Schulung 3 Leistungsumfang

4

Transportbestimmung

5

K

K K K

bei VP 95 und Menge 108.000: 2,7 Mio. 500.000 250.000 0 100.000 40.000 0 4 100.000 350.000 0

Kalkulationsgrößen Hersteller

G

bei VP 100; Menge 108.000 und Marktpreis 290: 3,2 Mio.

K

K K K

0 250.000 500.000 0 100.000 250.000 400.000 0 0 50.000

Tabelle 9: Die Verhandlungsgegenstände in Periode 2

5.1.3.2.2 Experimentelle Manipulation der Transaktionsebene

Um die experimentelle Trennung der beiden transaktionsspezifischen Ebenen zu gestalten und somit auch den Operationalisierungserfordernissen der Forschungsfrage (3) nachzukommen, wurden im Rahmen des Verhandlungsspiels darüber hinaus folgende Manipulationen vorgenommen: ƒ

Während die rollenspezifischen Informationen für die Geschäftsbeziehung die Gemeinsamkeiten beider Verhandlungsparteien betonen, gemeinsame Ziele ausgeben und auf ein bestehendes Vertrauensverhältnis zwischen den beiden Unternehmen des Spiels hinweisen, deuten die entsprechenden Textpassagen für das Spiel „Einzeltransaktion“ auf die Kompetitivität der Verhandlung, individuelle Ziele und möglichen Opportunismus der anderen Partei hin. Die Gegenüberstellung der unterschiedlichen Textpassagen findet sich in Anhang 4. Auch in den Ergebnisberichten, die die Parteien nach Abschluss der ersten Periode bekommen, werden diese Differenzen wiederholt. Der Erfolg der Manipulation von Einzeltransaktion und Geschäftsbeziehung wurde mithilfe von jeweils fünf Items für jede Spielversion in einem Pretest überprüft. Für jede Item-Batterie wurde eine separate Diskriminanzanalyse durchgeführt.442 Der Test auf Gruppenunterschiede war sowohl für alle Items, die die Einzeltransaktion abbildeten, wie auch für die der Geschäftsbeziehung hoch signifikant (Einzeltransaktion: Ȥ²=277,9; df=5; p