Polymer Engineering: Technologien und Praxis [1 ed.] 9783540724025, 3540724028 [PDF]

Die ganzheitliche Produktsicht, die Kenntnis der Komponenten und Produktsysteme, ist für erfolgreiche Ingenieure, Kaufle

173 25 39MB

German Pages 676 [686] Year 2008

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Table of contents :
Front Matter....Pages I-XII
Einführung in Polymer Engineering....Pages 1-18
Synthese (Herstellung, Erzeugung) von Kunststoffen....Pages 19-43
Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen....Pages 44-210
Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen....Pages 211-435
Oberflächentechnologien für Kunststoffbauteile....Pages 436-465
Gestalten, Fügen, Berechnungsansätze und Simulation EDV-unterstützter Konstruktionen und Auslegung von Kunststoffbauteilen....Pages 466-544
Prüfung von Kunststoffen und Bauteilen....Pages 545-609
Kunststoffe und Bauteile – Umwelt und Recycling....Pages 610-623
Ausblick zu Polymer Engineering....Pages 624-631
Back Matter....Pages 632-676
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Polymer Engineering: Technologien und Praxis [1 ed.]
 9783540724025, 3540724028 [PDF]

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Zitiervorschau

Polymer Engineering

Peter Eyerer · Thomas Hirth · Peter Elsner Herausgeber

Polymer Engineering Technologien und Praxis Mit 596 Abbildungen und 155 Tabellen

123

Professor Dr.-Ing. Peter Eyerer [email protected] Professor Dr. Thomas Hirth [email protected] Professor Dr.-Ing. Peter Elsner [email protected] Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie (ICT) Joseph-von-Fraunhofer-Straße 7 76327 Pfinztal

ISBN 978-3-540-72402-5

e-ISBN 978-3-540-72419-3

DOI 10.1007/978-3-540-72419-3 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2008 Springer-Verlag Berlin Heidelberg Kapitel 6.5 hat abweichend hiervon © SKZ 2008 mit freundlicher Genehmigung an Springer-Verlag. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Sollte in diesem Werk direkt oder indirekt auf Gesetze, Vorschriften oder Richtlinien (z. B. DIN, VDI, VDE) Bezug genommen oder aus ihnen zitiert worden sein, so kann der Verlag keine Gewähr für die Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität übernehmen. Es empfiehlt sich, gegebenenfalls für die eigenen Arbeiten die vollständigen Vorschriften oder Richtlinien in der jeweils gültigen Fassung hinzuzuziehen. Satz: Fotosatz-Service Köhler GmbH, Würzburg Herstellung: le-tex publishing services oHG, Leipzig Einbandgestaltung: WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier 987654321 springer.com

Vorwort

Mit diesem Buch wollen wir den Engineering-Charakter des „Domininghaus“ „Kunststoffe – Eigenschaften und Anwendungen“ vertiefen. Die Vision für diesen Band besteht in einer geschlossenen Darstellung des Polymer Engineering, die sowohl der Einarbeitung in das Thema (Studenten), als auch dem Auffinden von Vertiefungen (Fachleute) Rechnung trägt. Solch eine Vision lässt sich nicht in einem Wurf umsetzen. Dazu werden mehrere Auflagen nötig sein, wenn es überhaupt gelingt. Wahrscheinlich muss eine Buchreihe entstehen, um dieser Vision gerecht zu werden. Doch ob es soweit kommen wird, entscheiden sie, die Leser! Die vorliegende „Geburtsversion“ (Kapitel 1 in der 6. Auflage war gewissermaßen der Fötus) hat noch sehr viele Lücken, Schwächen und auch Doppelungen. Dennoch glauben wir, dass sie Ihnen, unseren Nutzern, schon Zeit und Geld beim Lösen von Problemen oder Nachschlagen von Antworten auf Fragen sparen wird. Bestätigen oder widerlegen Sie unsere Vermutung durch Ihre Kommentare, Kritiken, Verbesserungsvorschläge oder Meinungen Zuschriften unter [email protected] sind willkommen! Nun zu Zielgruppe und Inhalt: Die Produktionssicht, noch besser die Kenntnis der Komponenten und Produkt-Systeme, ist für erfolgreiche Ingenieure, Kaufleute, Marketing- und Umweltexperten oder auch interessierte Laien die Voraussetzung für ganzheitliche Antworten (technisch, wirtschaftlich, umweltlich, sozial) auf komplexe Fragestellungen. Weil sich diese Sichtweise in der Ausbildung unseres Nachwuchses leider viel zu langsam breit macht – es dominiert das Fächerdenken mit all seinen Schnittstellen – sehen wir dieses Buch „Polymer Engineering“ hälftig als Lehrbuch für Studierende jeglichen Ausbildungsgrades. Aus persönlicher Erfahrung bei Schulungen von „Fachleuten“ in Betrieben wissen wir aber auch, dass das aktiv anwendbare Wissen im eigenen „Fachgebiet“ oft erschre-

ckend eng berandet ist. Möge dieses Buch somit zur anderen Hälfte dazu beitragen, den Durchmesser des Tellerrandes zu vergrößern. Weil die meisten Leser heute keine Zeit mehr zum Lesen haben, legten wir großen Wert und entsprechende Sorgfalt in die Erstellung eines möglichst zielführenden und ergiebigen Stichwortverzeichnisses. Die Gliederung des Kapitels 1 aus der 6. Auflage ist in den Hauptkapiteln um die „Oberflächentechnologien für Kunststoffbauteile“ und die „Prüfung von Kunststoffen und Bauteilen“ erweitert worden. In den Unterkapiteln gab es umfangreiche Ergänzungen wie beispielsweise Abschnitte zu Extrudieren, Blasformen, Kalandrieren, Polyurethanschäumen, Mikrowellentechnologie, Rapid Prototyping, Molded Interconnected Devices, Plasmatechnologie, Trocknungsverfahren, Gestalten, Fügen und Verbinden, Berechnungsansätze und Simulation, Bauteilkosten, Prüfungen an Thermoplasten/Duroplasten/Elastomeren, und Produktqualifikation. Der Schwerpunkt der Ausarbeitungen der ergänzten Kapitel lag aufgrund zeitlicher Zwänge mehr bis ausschließlich bei der Übersicht und bei den Grundlagen. Der Bauteilaspekt ist dabei oft noch unterrepräsentiert. Das wird die Aufgabe der 8. Auflage zur K2010 sein dieses Defizit auszugleichen. Immer wieder mussten wir uns auf ausgewählte Technologien beschränken, so beispielsweise bei der Oberflächentechnologie auf MID und Plasmatechnologie. Andere Teilschritte des Polymer Engineerings fehlen noch vollständig, wie die Fertigungstechnik, die moderne Qualitätssicherung, die Nutzungsphase. Und viele Teilbereiche sind zu kurz gekommen, wie die Elastomere, das Spritzgießen, das Rapid Prototyping, die Kosten, das Kleben und Schnappen, die Bauteilprüfung und Simulation und leider viele andere auch. Das klingt schon wieder nach Buchreihe. Sagen Sie uns bitte, was Sie brauchen und wie Sie über unser Produkt denken.

VI

Vorwort

Die Herausgeber hoffen und wünschen sich, dass es trotz der zahlreichen Defizite die Anschaffung wert ist. Die Herausgeber danken Herrn Prof. Dr.-Ing. Helmut Schüle nicht nur für umfangreiche fachliche Kapitel, sondern auch ganz besonders für sein großes Engagement beim Korrekturlesen des gesamten Werkes. Frau Alexandra Wolf und Frau Katharina Wörsing danken wir für höchstes Engagement, präzise Mitarbeit und hohe Fachkompetenz bei der umfangreichen Umsetzung

des Manuskriptes in eine Druckvorlage und auch beim Korrekturlesen. Frau Hellwig und Herrn Lehnert vom Springer-Verlag und Herrn Görlt von le-tex publishing services danken wir für die gute und konstruktive Zusammenarbeit. P. Eyerer Th. Hirth P. Elsner

Inhaltsverzeichnis

Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI 1 1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4 1.1.5

Einführung in Polymer Engineering (Peter Eyerer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Einteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Einteilung der Werkstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Einteilung der Kunststoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Einteilung der Verbundwerkstoffe . . . . . . . . . . . . 3 Hauptmerkmale von Kunststoffen (in Anlehnung an DIN 7724) . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Wirtschaftliche Bedeutung der Kunststoffe . . . . 5 Literatur – Kapitel 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6 3.2.7 3.3 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3

2 2.1 2.2 2.3 2.3.1 2.4 2.5 2.6 2.6.1 2.6.2 2.6.3 2.7

Synthese (Herstellung, Erzeugung) von Kunststoffen (Peter Eyerer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht Polymerisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuordnung von Kunststoffen zu Polymerisationsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Polymerisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Additionspolymerisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einflüsse der Polymerisation auf Werkstoffeigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Duroplaste (technische Harze) . . . . . . . . . . . . . . . Abgewandelte Naturstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kunststoffe auf Cellulosebasis . . . . . . . . . . . . . . . Kunststoffe auf Proteinbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . Kunststoffe auf Ligninbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kunststofferzeugung (verfahrenstechnische Prozesse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur – Kapitel 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19 19

3.5 3.5.1

19 19 19

3.5.2

33 35 37 38 39 40

3.6

40 43

3.6.4

3.5.3

3.6.1 3.6.2 3.6.3

3.6.5 3

Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen (Peter Eyerer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Aufbau der Kunststoffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Chemische Ordnungszustände . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Physikalische Ordnungszustände . . . . . . . . . . . . . 3.2 Mechanische Eigenschaften. . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Temperaturabhängigkeit der mechanischen Eigenschaften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44 44 46 64 70 70

3.6.6 3.7 3.7.1 3.7.2 3.7.4 3.7.5

Verformungsverhalten von Kunststoffen. . . . . . . 73 Verhalten bei Zugbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Mechanische Dämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Zeitabhängigkeit der mechanischen Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Wechselfestigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Sicherheitsbeiwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Weitere physikalische Eigenschaften . . . . . . . . . . 87 Chemische Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Beständigkeit gegen Chemikalien/Medien . . . . . 92 Alterung von Kunststoffen (Gabriele Twardon) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Schutzmaßnahmen gegen Alterungsvorgänge . . 101 Literatur zu Kapitel 3.1 bis 3.4 . . . . . . . . . . . . . . . 102 Zusatzstoffe für Kunststoffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Funktionszusatzstoffe (Additive) . . . . . . . . . . . . . 105 Literatur zu Kapitel 3.5.1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Organische und anorganische Füllstoffe . . . . . . . 138 Literatur zu Kapitel 3.5.2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Verstärkungsstoffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Literatur zu Kapitel 3.5.3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Thermoplastische Elastomere (TPE) Eigenschaften, Gegenüberstellung, Anwendungen (u. M. v. Jürgen K. L. Schneider) . 167 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Charakterisierung der Thermoplastischen Elastomere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Einsatzbeispiele für Thermoplastische Elastomere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Vergleichende Betrachtung der Thermoplastischen Elastomere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Literatur – Kapitel 3.6. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Elastomere (u. M. v. Friedrich Leibrandt) . . . . . . . 177 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Der Elastomerbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 Zusammensetzung von Elastomerwerkstoffen. . 188 Kautschuke. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190

VIII

Inhaltsverzeichnis

3.7.6 Grundklassifizierung von Elastomeren und Ableitung weiterer Merkmale aus dem chemischen Molekülaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 3.7.7 Weitere R-Kautschuke (Auswahl) . . . . . . . . . . . . 200 3.7.8 Weitere M-Kautschuke (Auswahl) . . . . . . . . . . . . 203 3.7.9 O-Kautschuke (Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 3.7.10 Q-Kautschuke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 3.7.11 U-Kautschuke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 3.7.12 Ölverstreckte Kautschuke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 3.7.13 Vorvernetzte Kautschuke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 3.7.14 Zusammenfassende Darstellung des Grundleistungsvermögens von Elastomeren . . . . . . . . . 208 3.7.15 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Literatur zu Kapitel 3.7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

5

Oberflächentechnologien für Kunststoffbauteile (Peter Eyerer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 5.1 Einführung und Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 5.2 Ausgewählte Oberflächentechnologien . . . . . . . 436 5.2.1 Molded Interconnected Devices (MID) (Sabine Klein) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 Literatur Kapitel 5.1 und 5.2.1 . . . . . . . . . . . . . . . 453 5.2.2 Plasmatechnologie (Mathias Kaiser) . . . . . . . . . . 454 Literatur – Kapitel 5.2.2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 5.2.3 Trocknungsverfahren (Volker Bräutigam) . . . . . 462 Literatur – Kapitel 5.2.3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen . . . . . . . . 211 4.1 Urformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 4.1.1 Aufbereitung (Helmut Schüle) . . . . . . . . . . . . . . . 211 Literatur Kapitel 4.1.1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 4.1.2 Verarbeitung von Kunststoffschmelzen . . . . . . . . 218 Literatur – Kapitel 4.1.2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 4.1.3 Verarbeitung von Thermoplasten (Urformen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 4.1.4 Verarbeitung von Thermoplastischen Elastomeren (TPE) (Helmut Schüle) . . . . . . . . . . 336 Literatur zu Kapitel 4.1.4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 4.1.5 Verarbeitung von Elastomeren (gekürzt nach H. Bille) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Literatur zu 4.1.5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 4.1.6 Verarbeitung von Duroplasten und Faserverbund-Kunststoffen (mit duroplastischer Matrix) . . . . . . . . . . . . . . . . 361 Literatur – Kapitel 4.1.6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 4.1.7 Verarbeitungseinflüsse auf Bauteileigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 Literatur – Kapitel 4.1.7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 4.1.8 Mikrowellentechnologie in der Polymerverarbeitung (Rudolf Emmerich) . . . . . . 415 Literatur zu Kapitel 4.1.8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 4.2 Umformen von Kunststoffen zu Bauteilen – Warmformen (Bernhard Hegemann) . . . . . . . . . . 418 Literatur – Kapitel 4.2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 4.3 Rapid Prototyping (Helmut Schüle) . . . . . . . . . . . 425 4.3.1 Rapid Prototyping Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 425 Literatur zu Kapitel 4.3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 4.4 Werkzeugtechnik (Lars Ziegler) . . . . . . . . . . . . . . 428 4.4.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 4.4.2 Grundlagen zu Kunststoffverarbeitungswerkzeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 Literatur zu Kapitel 4.4. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435

6.1

6

6.1.1 6.1.2

6.2 6.2.1 6.2.2

6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.3.4 6.3.5 6.4 6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.4.4 6.4.5 6.4.6 6.4.7 6.4.8 6.4.9

Gestalten, Fügen, Berechnungsansätze und Simulation EDV-unterstützter Konstruktionen und Auslegung von Kunststoffbauteilen . . . . . . . . . . . 466 Konstruieren und Gestalten mit Kunststoffen (Martin Keuerleber, Peter Eyerer) . . . . . . . . . . . . . 466 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 Die 9 goldenen Konstruktionsregeln für Kunststoffbauteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 Literatur zu Kapitel 6.1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482 Fügen und Verbinden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 Kunststoffschweißen (Helmut Schüle) . . . . . . . . . 485 Dimensionierung von Schnapphaken (Martin Keuerleber) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 Literatur zu Kapitel 6.2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 Berechnungsansätze und Simulation (Andreas Radtke) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 Berechnungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 Simulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 Berechnungsbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 Beispiel aus der Simulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 Literatur zu Kapitel 6.3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 EDV-unterstützte Konstruktion und Auslegung von Kunststoffbauteilen (Otto Altmann) . . . . . . 517 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 Kunststoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 Struktur-/Bauweisen-Konzepte und Auslegungsphilosophien . . . . . . . . . . . . . . . . 520 Werkstoffkennwerte als Konstruktionsund Auslegungsbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 Vor-Auslegung von Kunststoff-Strukturen . . . . 522 Einteilung von Kunststoff-Strukturen . . . . . . . . . 527 Gestaltungs-Richtlinien für Kunststoff-Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 Die kunststofftechnische Entwicklungsprozesskette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530 Koppelung der CAX-Systeme – Kunststofftechnischer EDV-Ingenieurarbeitsplatz . . . . . . . 532

Inhaltsverzeichnis

IX

6.4.10 Auslegungskriterien und Bemessungskennwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 6.4.11 Zukünftige Entwicklungstendenzen . . . . . . . . . . 535 Literatur zu Kapitel 6.4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 6.5 Bauteilkosten (Wieland P. Loh) . . . . . . . . . . . . . . 538 6.5.1 Ziele der praktischen Kostenerfassung . . . . . . . . 538 6.5.2 Die Gliederung der Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 6.5.3 Personalkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 6.5.4 Materialkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540 6.5.5 Maschinenkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 6.5.6 Weitere Kostenarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 6.5.7 Abdeckung der Kosten in der Kalkulation . . . . . 544 Literatur – Kapitel 6.5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544

7.4.1 7.4.2 7.4.3 7.4.4 7.4.5 7.4.6 7.4.7 7.4.8 7.4.9 7.4.10

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 Branchen und Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599 Belastungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599 Ableitungen von Prüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 600 Zeitraffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600 Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 602 Einzelprüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 Kombinierte Prüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . 608 Literatur – Kapitel 7.4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608

8

7

8.1 8.1.1 8.1.2

Kunststoffe und Bauteile – Umwelt und Recycling (Jörg Woidasky) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610 Kreislaufwirtschaft und Recycling . . . . . . . . . . . . 610 Bauteil-Wiederverwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . 610 Möglichkeiten der werkstofflichen Kreislaufführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 611 Biologisch abbaubare Polymere (biologisch abbaubare Werkstoffe BAW) . . . . . . . . . . . . . . . . 613 Verträglichkeit von Polymeren . . . . . . . . . . . . . . . 613 Rohstoffliche Kreislaufführung . . . . . . . . . . . . . . 613 Verbrennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617 Literatur – Kapitel 8.1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 618 Umweltbewertung und -bilanzierung von Kunststoffen (Marc-Andree Wolf) . . . . . . . . . . . . 619 Ganzheitliche Bilanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 619 Aufbau von Ökobilanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620 Funktionelle Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620 Sachbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621 Wirkungsabschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622 Auswertung und Interpretation . . . . . . . . . . . . . . 623 Literatur zu Kapitel 8.2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623

7.1 7.1.1

7.1.2

7.1.3 7.1.4

7.1.5 7.1.6

7.1.7 7.2

7.3 7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.3.4 7.4

Prüfung von Kunststoffen und Bauteilen (Peter Eyerer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 Thermoplaste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 Entstehung von Orientierungen und Eigenspannungen und ihre Untersuchungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 Literatur – Kapitel 7.1.1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 Dynamisch-Mechanische-Analyse (DMA) am Beispiel Torsionsschwingversuch (Hans-Christian Ludwig, Martin Keuerleber) . . . 549 Literatur – Kapitel 7.1.2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 Kunststoffe im Zugversuch (Guntmar Rüb) . . . . 556 Literatur – Kapitel 7.1.3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562 Infrarotspektroskopie an Kunststoffen und Bauteilen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562 Literatur – Kapitel 7.1.4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569 Thermoanalytische Methoden zur Charakterisierung von Kunststoffen . . . . . . . . . . 569 Mechanisches Verhalten (Peter Elsner und Martin Keuerleber) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576 Literatur – Kapitel 7.1.6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 Rheologische Prüfungen (Helmut Schüle) . . . . . 586 Literatur – Kapitel 7.1.7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 Prüfung der duroplastischen Formmassen und Formstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 Literatur – Kapitel 7.2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592 Prüfung von Elastomeren (Meike Rinnbauer) . . 592 Werkstoffcharakterisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 Vorhersage der Lebensdauer . . . . . . . . . . . . . . . . 594 Bauteilsimulation mittels FEM . . . . . . . . . . . . . . 595 Übersicht Prüfnormen (Auswahl) . . . . . . . . . . . . 596 Produktqualifikation (Umweltsimulation) (Ulrich Braunmiller) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598

8.1.3 8.1.4 8.1.5 8.1.6 8.1.7 8.2 8.2.1 8.2.2 8.2.3 8.2.4 8.2.5 8.2.6

9 9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6 9.7 9.8 9.9 9.10

Ausblick zu Polymer Engineering (Peter Eyerer) . . . . 624 Werkstoffherstellung, Synthese . . . . . . . . . . . . . . . 624 Werkstoffeigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625 Verarbeitung, Verfahrenstechnik . . . . . . . . . . . . . 626 Werkzeugtechnik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 628 Konstruktion, Berechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 628 Oberflächentechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 628 Qualitätsmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 628 Serienfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 628 Umweltaspekte, Recycling, Entsorgung . . . . . . . 629 Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629 Literatur – Kapitel 9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630

Autorenverzeichnis

Altmann, Otto, Dipl.-Ing., ASK Systemengineering Kunststofftechnik, Rosenheim: Abschnitt 6.4 EDVunterstützte Konstruktion und Auslegung von Kunststoffbauteilen Braunmiller, Ulrich, Dr., Fraunhofer-Institut Chemische Technologie ICT, Pfinztal: Abschnitt 7.4 Produktqualifikation Bräutigam, Volker, Dr.-Ing., Borg Warner Transmission Systems GmbH, Heidelberg: Abschnitt 5.2.3 Trocknungsverfahren Diemert, Jan, Dr.-Ing., Fraunhofer-Institut Chemische Technologie ICT, Pfinztal: Abschnitt 4.1.3.2.6 Extrusion am Beispiel Polyvinylchlorid Elsner, Peter, Prof. Dr.-Ing., Fraunhofer-Institut Chemische Technologie ICT, Pfinztal: Abschnitt 7.1.6 Mechanisches Verhalten Emmerich, Rudolf, Dr., Fraunhofer-Institut Chemische Technologie ICT, Pfinztal: Abschnitt 4.1.8 Mikrowellentechnologie Eyerer, Peter, Prof. Dr.-Ing., Fraunhofer-Institut Chemische Technologie ICT, Pfinztal Gettwert, Volker, Dr., Fraunhofer-Institut Chemische Technologie ICT, Pfinztal: Abschnitt 3.5.1.4 Brandschutzausrüstung Gittel, Dieter, Dipl.-Ing., Fraunhofer-Institut Chemische Technologie ICT, Pfinztal: Abschnitt 4.1.3.6 Reaktionsgießen Göttke, Stefan, Dr., Elastogran GmbH, Lemförde: Abschnitt 4.1.3.4.2 PU und PUR Schäume Hegemann, Bernhard, Dr., Robert Bosch GmbH, Leinfelden-Echterdingen: Abschnitt 4.2. Umformen von Kunststoffen zu Bauteilen Kaiser, Mathias, Dr., Fraunhofer-Institut Chemische Technologie ICT, Pfinztal: Abschnitt 5.2.2 Plasmatechnologie Kauffmann, Axel, Dr.-Ing., Fraunhofer-Institut Chemische Technologie ICT, Pfinztal: Abschnitt 4.1.3.4 Schäumen und 4.1.3.4.1 Schäumen von Thermoplasten

Keuerleber, Martin, Dr.-Ing., Daimler AG, Stuttgart: Abschnitt 6.1 Konstruieren und Gestalten mit Kunststoffen, 6.2.2 Dimensionierung von Schnapphaken, 7.1.2 Dynamisch-mechanische Analyse und 7.1.6 Mechanisches Verhalten Klein, Sabine, Dipl.-Ing., Festo AG & Co. KG: Abschnitt 5.2.1 Molded Interconnect Devices (MID) Knoblauch-Xander, Mark, Dipl.-Ing., Robert Bosch GmbH, Stuttgart: Abschnitt 4.1.3.1.2.30 Dünnwandspritzgießen und 4.1.3.5 Rotationsgießen – Rotationsformen Leibrandt, Friedrich, Dr., Abschnitt 3.7 Elastomere Loh, Wieland P., Dipl.-Wirtsch.-Ing., Kunststofftechnik Jantsch GmbH, Nürnberg: Abschnitt 6.5 Bauteilkosten Ludwig, Hans-Christian, Dr.-Ing., G + K GmbH, Pliezhausen: Abschnitt 7.1.2 Dynamisch-mechanische Analyse Radtke, Andreas, Dipl.-Ing., BASF AG, Ludwigshafen: Abschnitt 6.3 Berechnungsansätze und Simulation Rinnbauer, Meike, Dr., Freudenberg Dichtungs- und Schwingungstechnik GmbH & Co. KG, Weinheim: Abschnitt 7.3 Prüfung von Elastomeren Rohr, Andreas, Dipl.-Ing., Daimler AG, Ulm: Abschnitt 4.1.5.3 Verarbeitung von Elastomeren am Beispiel Reifen Rüb, Guntmar, Dipl.-Ing., Universität Stuttgart, Institut für Kunststofftechnik IKT: Abschnitt 7.1.3 Kunststoffe im Zugbereich Schneider, Jürgen, Kraton Polymers, Eschborn: Abschnitt 3.6 Thermoplastische Elastomere Schüle, Helmut, Prof. Dr.-Ing., Fachhochschule Kaiserslautern, Campus Pirmasens: Abschnitt 4.1.1 Aufbereitung und Zusatzstoffe (Additive) / Abschnitt 4.1.3.1.2 Sonderverfahren beim Spritzgießen / Abschnitt 4.1.3.1.3 Entwicklungstendenzen beim Spritzgießen / Abschnitt 4.1.3.2 Extrudieren / Abschnitt 4.1.3.2.4 Extrusionswerkzeuge / Abschnitt 4.1.3.2.7 Blasformen / Abschnitt 4.1.3.3 Kalandrieren / Abschnitt 4.1.3.4 Schäumen / Abschnitt 4.1.3.4.1 Schäumen von Thermoplasten /

XII

Autorenverzeichnis

Abschnitt 4.1.3.4.3 Herstellung von PU-Schäumen / Abschnitt 4.1.4 Verarbeitung von TPE / Abschnitt 4.1.5.2.5 Vulkanisation beim Extrudieren von Elastomeren / Abschnitt 4.3 Rapid Prototyping / Abschnitt 6.2.1 Kunststoffschweißen / Abschnitt 7.1.7 Rheologische Prüfungen Tröster, Stefan, Dr., Fraunhofer-Institut Chemische Technologie ICT, Pfinztal: Abschnitt 4.1.3.7 Verarbeitungstechniken thermoplastischer Faserverbundwerkstoffe

Twardon, Gabriele, Abschnitt 3.4.2 Beständigkeit gegen Chemikalien/Medien Woidasky, Jörg, Dr.-Ing., Fraunhofer-Institut Chemische Technologie ICT, Pfinztal: Abschnitt 8.1 Kunststoffe und Bauteile Wolf, Marc-Andree, Dipl.-Geoökol., European Platform on Life Cycle Assessment: Abschnitt 8.2 Umweltbewertung und -bilanzierung von Kunststoffen Ziegler, Lars, Dr., Fraunhofer-Institut Chemische Technologie ICT, Pfinztal: Abschnitt 4.4 Werkzeugtechnik

1

Einführung in Polymer Engineering Peter Eyerer

Kunststoffe sind hoch molekulare organische Verbindungen, die entweder durch Abwandeln hochmolekularer Naturstoffe oder durch chemische Aneinanderlagerungen niedermolekularer Grundbausteine, sog. Monomere, durch verschiedenartige chemische Reaktionen entstehen. Demgemäß unterscheidet man zwischen abgewandelten Naturstoffen und synthetischen Kunststoffen. Die synthetischen Kunststoffe sind verbreiteter und vielfältiger. Die Vielfalt erklärt sich aus der großen Zahl von Möglichkeiten bei der Auswahl monomerer Bausteine und den verschiedenen Arten ihrer Aneinanderlagerung zu hochmolekularen Ketten (linear, verzweigt, vernetzt). Forschung und Technik erschließen vereinzelt noch neue synthetische Kunststoffe, die Zahl der chemischen Modifikationen bestehender Kunststoffe durch Copolymerisationen oder Mischen (blending) überwiegt jedoch zwischenzeitlich bei weitem. Kunststoffe (Polymere) sind Werkstoffe; die Kunststoffkunde ist somit ein Teil der Werkstoffkunde. Werkstoffe sind für die Konstruktion nützliche feste Stoffe, die sich technisch, wirtschaftlich, umweltlich und physiologisch gut verarbeiten, anwenden und zurückgewinnen lassen. Kunststoffe sind Werkstoffe »nach Maß« mit allen Chancen und Risiken aus dieser Anpassungsfähigkeit. Umweltgerechtes Polymer Engineering Die Entwicklung von Bauteilen, Komponenten, Systemen – allgemein von Produkten – erfordern eine ganzheitliche Betrachtung. Polymer Engineering schließt somit Synthese, Verarbeitung, Konstruktion, Werkzeugtechnik, Anlagentechnik, Fertigung, Oberflächenbehandlung sowie Wiederverwertung bis hin zur Entsorgung und die Aus- und Weiterbildung ein. Kunststoffe oder Polymere entstehen über eine chemische Reaktion vom Monomer zum Polymer, der so genannten Polymerisation. Je nach Art der Additive und Verstärkungsstoffe, Fasern (kurz, lang), Kugeln, Plättchen oder Fasergewebe/-gestricke lassen sich Eigenschaften in weiten Grenzen verändern.

Der Umgang mit Kunststoffen und Verbundwerkstoffen setzt die Kenntnis der temperatur- und zeitabhängigen Eigenschaften dieser Werkstoffgruppe voraus. Je höher der chemische Vernetzungsgrad der Makromoleküle, der Grundbausteine eines jeden Kunststoffes ist, um so höher ist er thermisch und mechanisch belastbar, um so weniger kriecht er unter Last, um so beständiger ist er gegen Medieneinflüsse. Kunststoffe und Verbundwerkstoffe sind Werkstoffe nach Maß. Eingeschränkt wurde diese nahezu grenzenlose Freiheit in den vergangenen 25 Jahren durch die Notwendigkeit der Verwertung und manchen Schwierigkeiten beim Entsorgen. Zwischenzeitlich werden verstärkt Gradientenwerkstoffe und Funktionswerkstoffe entwickelt und eingesetzt. Sie sind – da nicht sortenrein – wirtschaftlich kaum noch materiell wiederzuverwerten. Vorteile während der Nutzung überwiegen jedoch den Recyclingaspekt. Weitere wichtige Vorteile der Kunststoffe sind die vielen wirtschaftlichen Verarbeitungsmöglichkeiten verbunden mit Gestaltungsfreiräumen und der Integration verschiedenster Funktionen. Das Inventions- und Innovationspotential beim Verarbeiten von Polymeren und Verbundwerkstoffen ist ungebrochen groß. Die Kombination von Verfahren eröffnet dabei neue Dimensionen. Besonders attraktiv wird zukünftig das Pressen von gradierten Faserverbundwerkstoffen sein. Ein Durchbruch in der Automobiltechnik, also der Großserienanwendung dieser Werkstoffgruppe, ist erfolgt. Die Wettbewerbsfähigkeit von Werkstoffen wird stark bestimmt vom Zeitbedarf bei der Prototypenherstellung (rapid prototyping) und durch die Werkzeugtechnik (rapid tooling). Die Verzahnung von rapid engineering mit simultaneous engineering (CAD, CAE, CIM, TQM …) ist zwischenzeitlich Stand der Technik. Eine Chance für den Standort Deutschland ist in der konsequenten Entwicklung werkzeugfallender Produkte zu sehen. Sobald wirtschaftliche Verarbeitungsverfahren für großflächige Bauteile mit verzahnter in-line zerstörungsfreier Prüftechnik verfügbar sind, werden polymere Faserverbundwerkstoffe in der Großserie, beispielsweise Automobil-

2

1 Einführung in Polymer-Engineering

bau in der Außen- und Innenanwendung oder im Bauwesen, auch in tragende Strukturen einziehen. Im Bereich des Maschinenbaus, der Medizintechnik, der Elektrotechnik oder Luft- und Raumfahrt und des Bauwesens sind schon heute Verbundwerkstoffe unverzichtbar. Die Oberflächentechnik ist für die Anwendung von Kunststoffen und Verbundwerkstoffen eine Schlüsseltechnologie. Die Verbraucher fordern höchste Qualität ohne oft die Bedeutung für die Umwelt zu erkennen. Die Produkthersteller sollten im Rahmen einer konzentrierten Aktion zukünftig überzogene Oberflächengüten abbauen und damit wichtige Beiträge zur Ressourcenschonung einschließlich Kosten liefern. Wasserlacke, Einschichtlacke, Oversprayreduktionen, Lösemittelrückgewinnung, Lackschlammrecycling sowie eingefärbte Grundwerkstoffe sind Stichworte, mit denen sich Umweltprobleme bis hin zum Recycling von Kunststoffen reduzieren lassen. Fast alle Kunststoffe sind stofflich wiederzuverwerten. Je sortenreiner, umso besser. Verbundwerkstoffe auf Basis unterschiedlichster Matrices sind deutlich teurer. Wirtschaftliche und logistische Aspekte stehen dem Stoffrecycling heute oft immer noch entgegen. Die Demontagekosten sind beim Produktpreis weitgehend unberücksichtigt. Die Verbrennung von Kunststoffen ist derzeit häufig die wirtschaftlichste Lösung für vermischte Fraktionen.

Eine isolierte Betrachtung des Kunststoff-Recyclings ist nicht zielführend. Die Ganzheitliche Bilanzierung ist eine Entscheidungshilfe für die Werkstoff- und Verfahrensauswahl bei der Produktentwicklung seit nunmehr fast 3 Jahrzehnten. Erst wenn die Herstellung, die Verarbeitung, der Gebrauch und die Wiederverwertung bzw. Entsorgung in Form eines geschlossenen Kreislaufes bilanziert wird, vollständig und objektiv mit transparenten Randbedingungen, sind qualifizierte Aussagen möglich. Hierzu bedarf es interaktiver Datenbanken und standardisierter Bewertungsmethoden. Werkstoffe der Zukunft sind erfolgreich nur im Gesamtrahmen eines Produkt-Engineerings ganzheitlich zu betrachten. Für Kunststoffe und Verbundwerkstoffe ist dies das Polymer Engineering. Dies gilt auch für Polymere aus nachwachsenden Rohstoffen (Matrix, Fasern und Additive). Neben fachlichen Aspekten ist die Aus- und Weiterbildung in das Produkt-Engineering zu integrieren. Frontale Wissensvermittlung ist hierbei durch eine verbesserte Lehrund Lernkultur zu ergänzen. Die Ausbildungsmethode TheoPrax beispielsweise verzahnt Schüler, Studenten, Lehrer und Unternehmer über industrielle Projektarbeit mit Ernstcharakter. Kunststoffe und daraus gefertigte Produkte haben in unserem Leben eine hohe technische, wirtschaftliche, umweltliche und soziale Bedeutung. In diesem Sinne wird Polymer-Engineering ganzheitlich verstanden.

Anwendungsbeispiele für Kunststoffe in verschiedenen Branchen Branchen (Auswahl) Anwendungen (Auswahl) von Kunststoffen Medizin Schläuche, Implantate von Gelenkendoprothesen bis hin zu künstlicher Leber oder Haut; Verbände, Spritzen, Masken Lebensmittel Verpackungen, Kühltaschen, Schutzschäume Landwirtschaft Folien, Rohre, Platten, Bodenauflockerer, Absperrungen Auto Reifen, Airbag, Gurte, Scheiben, Gehäuse, Innenausstattung, Dichtungen, Karosserieteile, Motorteile, Kabel, Schläuche Maschinenbau/ Dichtungen, Maschinenelemente z. B. Schnappverbindungen, Welle/Nabe, Räder; Gehäuse, Verfahrenstechnik Roboterarme, Antriebe, Schläuche, Dämpfer, Reaktoren, Mischer, Zerstäuber, Kalander, Extruder Chemie Rohrleitungen, Auskleidungen, Gefäße Luft- und Raumfahrt Isolationen, Dichtungen, Gehäuse, Innenausstattung, Leitwerk, Rumpf Bauwesen Isolierungen, Folien, Rohre, Dübel, Fensterrahmen, Farben, Kleber, Lacke, Dichtungen Freizeit, Sport Ski, Surfbrett, Tennis, Fußball, Bob, Kanu, Autorennen, Leichtathletik, Tauchen Elektro/Elektronik, Kabel, Gehäuse, Leiterplatten, Steckverbindungen, Schalter, Membranen Unterhaltung Möbel Garten, Tische, Kantenschutz, Küchen, Polster, Matratzen Spielwaren Lego, Playmobil, Fischertechnik, Bälle, Fahrzeuge Textil, Bekleidung Fasern, Gewebe, Fäden, Gewirke, Gestricke, Wetterschutz Feinmechanik, Optik Linsen, Brillen, Getriebe, Mikrosystemtechnik, Sensoren Büro Schreibzeug, Folien, Gehäuse, CD, Tastatur

1.1 Einteilungen

1.1

Einteilungen

Der Name Kunststoffe stammt aus den 1940er Jahren und bedeutet Ersatzstoff für damalig knapp werdende Naturrohstoffe für Dichtungen, Reifen, Isolierstoffe, Bindemittel u.v.m. Nach dem 2. Weltkrieg spalteten sich die Polymere, das ist der wissenschaftliche Überbegriff griechischen Ursprungs (poly – viel, meros – das Teil, also vielteilig) in Kunststoffe (Thermoplaste, Duroplaste) und Elastomere (Gummi). Der heute angeführte Grund, Natur- und Synthesegummi seien chemisch völlig anders und was die Naturbasis betrifft, einmalig, ist falsch. Lignin, das Biopolymer beispielsweise, das die holzbildenden Pflanzen aufbaut und deren Cellulosefasern räumlich fixiert, ist mengenmäßig weit häufiger vertreten und kann sowohl thermo- also auch duroplastisch verarbeitet werden. Aus diesem Grund werden gegen den landläufigen Trend in diesem Buch die Begriffe Kunststoffe und Polymere gleichgesetzt und zwar übergeordnet.

1.1.1

Einteilung der Werkstoffe

Die Einteilung der Werkstoffe kann in Metalle und Nichtmetalle erfolgen. Eingerahmt wird diese Einteilung von den Verbundwerkstoffen. Die Kunststoffe finden sich unter den organischen Werkstoffen, entweder bei den natürlichen

Bild 1-1. Einteilung der Kunststoffe [1] (TPE . . . Thermoplastische Elastomere)

3

Werkstoffen wie beispielsweise Lignin (Holz) oder Latex, oder bei den synthetischen Werkstoffen einschließlich deren Modifikation aus natürlichen Ausgangsrohstoffen.

1.1.2

Einteilung der Kunststoffe

Kunststoffe lassen sich nach Bild 1-1 in Thermoplaste, Elastomere und Duroplaste einteilen. Die jeweiligen Unterteilungen erfolgen in der Praxis nach unterschiedlichen Gesichtspunkten. In Bild 1-1 werden die Thermoplaste physikalisch (nach ihrer Struktur), die Elastomere chemisch (nach dem Merkmal Doppelbindung) und die Duroplaste nach dem Verfahrensparameter Druck eingeteilt. Thermoelaste (mehr als Sonderfall) und die bedeutende Gruppe der thermoplastischen Elastomere (TPE) lassen sich in Bild 1-1 über die Thermoplaste, mit chemisch oder physikalisch in die Molekülketten eingebauten Kautschukelementen, einzeichnen.

1.1.3

Einteilung der Verbundwerkstoffe

Verbundwerkstoffe lassen sich wie folgt definieren: – sie bestehen aus zwei oder mehreren Komponenten (Phasen), – die nicht ineinander löslich sind, – mit optimal gezüchteten Eigenschaften für spezifische Anwendungen; – sie sind makroskopisch quasihomogen.

4

1 Einführung in Polymer-Engineering

Tabelle 1-1. Gliederung: Verbundwerkstoffe und Anwendungen [1] (Auswahl) Geometrie Verstärkungsstoffe

Teilchenverbunde

Faserverbunde

Werkstoffverbunde Schichtverbunde

Glaskugeln, Talkum, Quarzmehl, Ruße

Glasfaser, Whisker, C-Faser, Aramidfasern

Sandwich aus – hochfesten Blechen/Folien – Fasergelegen u. a.

Femur-Kopf (Blockkarbide) gesintertes Schaumglas Schutzplatten für Raumgleiter Beton – Pumpengehäuse Schleifscheiben Schiffsmotor-Fundamente Autoreifen (Lauffläche)

Kolbenboden Kolbenmuldenrand Drahtglas Ventile, Turbinenschaufeln Stahl-, C-Faserbeton Bremsbeläge Lüfterräder, Frontend, Unterboden Stoßfänger, Implantate, Flugzeugstrukturen Gummischlauch

Brennraumeinfassung (ZKD) Flachdichtung Sicherheitsglas Kolbenboden, Piezoaktoren CFK schichtsanierte Brücken Flachdichtungen Surfbrett, Verpackung, Instrumententafel Scheinwerferreflektor, Sperrholz Membranen, Gummi-Metall-Verbindungen

Matrixwerkstoffe Metalle anorg. Werkstoffe

Polymere

Glas Keramik Zement Kohlenstoff Thermoplaste Duroplaste Elastomere

Voraussetzungen für ein Verbundkonzept: – die Eigenschaften der Phasen sind um den Faktor > 3 unterschiedlich und – der Anteil einer Phase ist größer 10 Masseprozent. Bei Partikeln mit großer spezifischer Oberfläche (Nanoteilchen) wirken auch 1 bis 3 Masseprozent verstärkend. Abgrenzung: Makroskopisch inhomogene Phasenverbunde sind Werkstoffverbunde (Verbundwerkstücke) z. B. Zylinderkopfdichtung (ZKD), Gummi-Metall-Verbindungen Tabelle 1-1 verdeutlicht eine mögliche und übliche Einteilung der Verbundwerkstoffe und nennt dazu Anwendungsbeispiele.

1.1.4

Hauptmerkmale von Kunststoffen (in Anlehnung an DIN 7724 [2])

Thermoplaste sind bis zur Zersetzungstemperatur nicht vernetzte Kunststoffe. Oberhalb der Erweichung der amorphen Struktur bei amorphen Thermoplasten bzw. oberhalb der Schmelztemperatur bei teilkristallinen Thermoplasten tritt Fließen bzw. Schmelzen ein, Bild 1-2. Bei diesem thermoplastischen Zustand kann die viskose Flüssigkeit verarbeitet werden. Durch Abkühlung wird Gestaltfestigkeit erreicht. Das Aufschmelzen und Erstarren bzw. Kristallisieren ist beliebig oft wiederholbar. Thermoplastische Elastomere sind mehrphasige Kunststoffe mit gummielastisch verformbaren Molekülbereichen,

in die Bereiche schmelzbarer amorpher Thermoplaste eingebaut sind. Sie können damit thermoplastisch urgeformt werden. Thermoelaste sind chemisch oder physikalisch weitmaschig verschlaufte (damit quasi vernetzte) Kunststoffe, die oberhalb der Erweichungstemperatur (Glastemperatur) bzw. oberhalb der Schmelztemperatur zwar gummielastisch werden, aber aufgrund der hohen Molmasse bis zur Zersetzungstemperatur nicht viskos fließen und damit nicht thermoplastisch urformbar sind. Unterhalb der Erweichungstemperatur verhalten sie sich thermoplastisch. Elastomere sind weitmaschig chemisch vernetzte Kunststoffe, die von tiefen Temperaturen (unter 0 °C) bis zur Zersetzungstemperatur gummielastisch sind, Bild 1-2. Infolge der weitmaschigen Vernetzung sind Makro-Brownsche Bewegungen (Abgleiten von Molekülketten) bei keiner Temperatur möglich. Oberhalb der Erweichungstemperatur (Glastemperatur) – über –80 °C bis +20 °C je nach Kunststoff – sind Bewegungen von Kettensegmenten und damit je nach Höhe der Temperatur und äußeren Belastungen größere Verformungen möglich. Fließvorgänge (Verarbeitung) sind nach der Vernetzung (Vulkanisation) kaum mehr möglich, Bild 1-2. Duroplaste sind chemisch engmaschig vernetzte, in der Regel amorphe, Kunststoffe. Infolge der Vernetzung führen die Makromoleküle auch keine Mikro-Brownsche Bewegungen (Rotationen von Kettensegmenten) mehr aus. Lediglich oberhalb der Erweichungstemperatur (Glastemperatur) – über 50 °C – sind – bevorzugt bei schwach vernetzten Duroplasten – eingeschränkt Bewegungen von Kettensegmenten zwischen den Vernetzungsstellen möglich, die zu begrenzten Kriechvorgängen führen. Fließvorgänge (Verar-

1.1 Einteilungen

HEBE,T,D

Tg Tf /////// \\\\\\\

5

Haupterweichungsbereich der Elastomere, Thermoplaste, Duroplaste zugehörigeGlasübergangstemperaturen Fließtemperatur der amorphen Thermoplaste Anwendungsbereich Anwendungsbereich

Bild 1-2. Temperaturabhängigkeit des Elastizitätsmoduls (E-Moduls) von Kunststoffen (Schema). Statt des EModuls kann man auch die Spannung σ bei konstanter Dehnung ε oder die Viskosität υ oder andere Eigenschaften auftragen [1]

beitung durch Urformen oder Recycling durch Wiederaufschmelzen) sind nach der Vernetzung nicht mehr möglich. Thermoplaste und thermoplastische Elastomere sind schmelzbar; Thermoelaste, Elastomere und Duroplaste sind nicht schmelzbar. Alle Kunststoffe sind mehr oder weniger erweichbar bzw. einfrierbar. Wenn wir die Eigenschaften über der Temperatur betrachten, so ergeben sich prinzipiell folgende Kurven (tatsächlich sind es je Kunststoffgruppe ganze Kurvenscharen), siehe Bild 1-2. Bild 1-3 fasst einige Aussagen zu den drei Hauptgruppen von Kunststoffen zusammen und erweitert sie um qualitative Eigenschaften. Die folgenden Darstellungen und Aussagen vertiefen die Hauptmerkmale von Kunststoffen. Thermoplaste lassen sich nach Bild 1-4 einteilen. Die Ordnung der Makromoleküle wird schematisch gezeigt. Elastomere lassen sich nach Bild 1-5 einteilen. Am Beispiel einer Reifenrezeptur wird die Haupt-Anwendung für Elastomere in Tabelle 1-2 vertieft. Das Strukturmodell für Elastomere gibt Bild 1-6 wieder. Die Einteilung und Verwendung von Elastomeren erläutert Tabelle 1-3. Thermoplastische Elastomere lassen sich nach Bild 1-7 einteilen.

Thermoplastische Elastomere (TPE) sind Zwei- oder Mehrphasenkunststoffe (Block-Copolymere) mit ähnlichen elastischen Eigenschaften wie Elastomere, jedoch mit einer Schmelztemperatur, so dass sie wie Thermoplaste verarbeitet werden können. Tabelle 1-4 beschreibt am Beispiel Polyolefinblends deren Vorteile gegenüber Thermoplasten und Elastomeren. Duroplaste lassen sich nach Bild 1-8 einteilen. Die chemische Vernetzungsreaktion findet im (in der Regel beheizten) Werkzeug statt. Am Strukturmodell, Bild 1-9, erkennt man die engmaschige Vernetzung der Makromoleküle infolge hoher Dichte der chemischen Vernetzungsstellen. Tabelle 1-5 gibt Auskunft über die wichtigsten Kurzzeichen für Kunststoffe.

1.1.5

Wirtschaftliche Bedeutung der Kunststoffe

Kunststoffproduktion – Umsatz – Außenhandel [7] Im Jahr 2006 wurden in Deutschland 18,5 Millionen Tonnen Kunststoff produziert. Das bedeutet gegenüber dem Vorjahr ein Plus von 2,7 Prozent. Der Umsatz stieg im Jahr 2006 im Vergleich zu 2005 um 6,1 Prozent auf 22,2 Milliarden Euro. Der Export von Kunststoffen lag 2006 bei 12,6 Millionen Tonnen (+3,5 %), der Import bei 8,1 Millionen Tonnen

6

1 Einführung in Polymer-Engineering

Bild 1-3. Strukturschema verschiedener Kunststoffgruppen sowie Kurzfassung Eigenschaften [1]

1.1 Einteilungen

Bild 1-4. Unterteilung der Thermoplaste nach Strukturmerkmalen [1]

7

8

1 Einführung in Polymer-Engineering

Bild 1-5. Einteilung der Elastomere nach ihrer chemischen Struktur [1] (Vertiefung siehe Tabelle 1-3)

Tabelle 1-2. Beispiel für eine Reifenrezeptur (nach Goodyear Forschungszentrum) in Masseprozent 10% Stahlcord 3% Textilien + Wulstdraht 42% Elastomer (Gummi) 27% Ruß 11% Öl 1% chemische Füllstoffe



Beispiel für eine PKWReifen-Mischung: 60% SBR 20% NBR 12% BR 3% IIR 5% Sonstige

(+14,3 %). Der Aussenhandelssaldo stieg um 5,1 Prozent in der Menge und um 15,6 Prozent im Wert. Wesentliche Anteile an der in Deutschland produzierten Gesamtmenge von 18,5 Millionen Tonnen haben die Polymere des Ethylens; 2005 wurden rund 3 Millionen Tonnen produziert. Bei PVC waren es im vergangenen Jahr 2 Millionen Tonnen und bei Polypropylen 1,85 Millionen Tonnen. PS/EPS erreichte eine Produktionsmenge von 0,86 Millionen Tonnen und PET eine Menge von 0,56 Millionen Tonnen. Wer produziert was? Einen Überblick darüber, wer was produziert, bieten unter anderem das Wirtschaftsdatenblatt und diese Bücher: – Die Kunststoffindustrie und ihre Helfer, IndustrieschauVerlagsgesellschaft mbH, Darmstadt – Einkaufsführer Kunststoff-Rohstoffe, Carl Hanser Verlag, München Eine Online-Datenbank „Wer bietet was“ finden Sie unter anderem im KunststoffWeb der Kunststoff Information Verlagsgesellschaft oder im ChemCompass, der Produkt-, Firmen- und Leistungsdatenbank der chemischen Industrie. Die weltweite Campus -Datenbank zu Kunststoff-Materialien finden sie unter campusplastics.com Neben der Kunststoff-Erzeugung (Chemische GroßIndustrie) hat die verarbeitende Industrie einschl. Werkzeugbau als mittelständische Branche eine hohe Bedeutung für die Volkswirtschaft in Deutschland.

®

Bild 1-6. Modell der Struktur eines räumlich weitmaschig, chemisch vernetzten dehnungsfähigen Elastomers mit Vernetzungsstellen

1.1 Einteilungen

9

Tabelle 1-3. Zusammenstellung der bedeutendsten Elastomertypen mit ihren hauptsächlichen Anwendungsbereichen [3]

Physikalisch „vernetzte“ Elastomere (TPE)

Chemisch vernetzte Elastomere (Vulkanisate)

Elastomere

Kurzbezeichnung

Typische Anwendungsbereiche

Naturgummi

NR

Auskleidungen im Apparatebau, Schuhsohlen, Gummistiefel, Handschuhe, Klebstoffe

Styrol-Butadien-Gummi

SBR

Fahrzeugreifen

Butadiengummi

BR

Schuhsohlen, technische Artikel

Isoprengummi

IR

dünne Gummiartikel

Chloroprengummi

CR

Technische Gummiwaren wie z. B. Transportbänder, Dichtungen, Schläuche, Walzenüberzüge, Behälterauskleidungen

Acrylnitril-Butadien-Gummi (Nitrilgummi)

NBR

Standard Gummi für technische Anwendungen: O-Ringe, Nut-Ringe, Dichtmanschetten, Wellendichtringe, Faltenbälge, Membranen, Schläuche, Öl- und kraftstoffbeständige Dichtungen

Polyurethan

PUR

Verschleißfeste, dämpfende Maschinenteile, Auskleidungen, Schuhe

Ethylen-Propylen-Terpolymere (Dien)

EPDM

Energieabsorbierende Außenteile von Fahrzeugen wie Front- und Heckspoiler, Stoßfänger, Kabelisolierungen, Mischkomponenten für Thermoplaste (PP), Profildichtungen

Butylgummi

IIR

Schläuche für Reifen, Dichtungen, Membranen, Dämpfungselemente, Auskleidungen im Apparatebau bis 140°C (abriebfest), elektrische Isolierungen in der Kabelindustrie

Silicongummi

VQM

Formdichtungen und Dichtungsmassen hoher Wärmebeständigkeit und Kälteflexibilität

technische Artikel

Fluorelastomere

FKM

Dichtungen mit hoher Beständigkeit gegen Wärme und Chemikalien

Thermoplastische PolyoelfineElastomere (Ethylen-PropylenBlockcopolymere)

EPR (EPM)

Energieabsorbierende Automobilaußenteile wie Spoiler oder Stoßfänger

Styrol-Butadien-Blockpolymere

SBS

Sohlen für Schuhe, Mischkomponenten für Thermoplaste

Thermoplastische Polyurethane

TPE-U

Skischuhe, Verschleißschutz, Dämpfungselemente

Thermoplastische Polyester

TPE-E

Hydraulik, Pneumatik (öl- und temperaturbeständig)

Thermoplastische PolyamidElastomere

TPE-A

Bild 1-7. Klassifizierung thermoplastischer Elastomere [9]

Für M. Handtke [5] konzentrieren sich innovationspolitische Diskussionen in Deutschland fast ausschließlich auf so genannte High Tech-Industrien. Unter Verwendung von Indikatoren zur Messung des Personal- und des Investitionsaufwandes in Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, der Kooperationshäufigkeit zwischen Forschungseinrichtungen und Unternehmen oder Patentanmeldungen werden Branchen hinsichtlich Innovativität und nachhaltiger Förderwürdigkeit bewertet. Aufgrund fehlender alternativer Indikatoren zur Innovationstätigkeit in Unternehmen werden weite Teile des Mittelstandes ausgeblendet. Regionen, in denen sich traditionelle Branchen konzentrieren, werden für die dynamische Entwicklung der Volkswirtschaft als weniger bedeutend eingestuft. „So liegen beispielsweise die FuE-Aufwendugnen der Kunststoff verarbeitenden Industrie unter dem Durch-

10

1 Einführung in Polymer-Engineering Tabelle 1-4. Thermoplastische Elastomere (am Beispiel TPO); Eigenschaften

Erläuterung der Abkürzungen: BMC – bulk molding compound; SMC – sheet molding compound; RTM – resin transfer molding; RIM – reaction injection molding; SRIM – structural RIM; CFK – kohlenstofffaserverstärkte Kunststoffe; Prepreg – vorimprägnierte, flächige oder linienförmige Verstärkungsstoffe (UP-GF) Bild 1-8. Einteilung der Duroplaste nach dem Verarbeitungsverfahren [1]

1.1 Einteilungen

Bild 1-9. Räumlich engmaschig, chemisch vernetztes Strukturmodell für deckungsarme Duroplaste

schnitt des verarbeitenden Gewerbes. Sie ist eine typische Zulieferindustrie. Über Interaktionen mit Zulieferern und Kunden erschließen sich kunststoffverarbeitende Unternehmen wichtige Innovationsimpulse. Mit praktischen Kompetenzen generiert sie einen Mehrwert an technologischem Fortschritt für eine Vielzahl vor- und nachgelagerter Industriezweige. Die Beziehungen der Kunststoffverarbeiter zu ihren Kunden sind stark projektbezogen. Es dominieren

inkrementelle Innovationen. Die Struktur der Branche unterliegt daher einem stetigen Wandel. Erfolgreiche lohnfertigende Zulieferer werden zu System-Zulieferern oder bringen eigene Produkte auf den Markt“, [5]. Die statistische Erfassung der Innovationsleistungen der Branche wird durch ihre Zuliefer-Rolle zusätzlich erschwert. Auch die Ableitung des tatsächlichen Innovationsaufwandes kann nicht ohne weiteres erfolgen. Es bedarf eines angepassten Innovationsverständnisses. Ziel der Arbeit von M. Handtke [5] ist es, ein Verständnis für die Innovationsleistungen einer mittelständisch geprägten, in Wertschöpfungsketten eingebetteten‚ ‘Low Tech Branche’ zu entwickeln. Es werden Ansatzpunkte für eine Klassifikation der Innovationsaktivitäten und -aufwendungen erarbeitet. Nach einer kurzen Diskussion der Unzweckmäßigkeit einer einseitigen Verwendung FuEbasierter Indikatoren werden im dritten Kapitel für die kunststoffverarbeitende Industrie Aspekte branchenspezifischer Innovationsprozesse ermittelt und klassifiziert. Die Entwicklung von Produkt-, Werkstoff- und Werkzeugkonzepten durch kunststoffverarbeitende Unternehmen werden als zentrale Innovationsaktivitäten der Branche herausgearbeitet. Das letzte Kapitel dient der Diskussion der zu erwartenden Risiken und Investitionsaufwendungen dieser Entwicklungsleistungen. Mögliche Finanzierungsformen werden abgeleitet.

Tabelle 1-5. Kurzzeichen für Kunststoffe (Auswahl) ABS ASA EP EPDM LCP PA11 PA12 PA4.6 PA6 PA6.6 PA6.10 PA6.6/6T PAEK PBT PC PE PEI PEEK PES PET

Acrylnitril-Butadien-Styrol Acrylnitril-Styrol-Acrylat Epoxid, Epoxyharz Ethylen-Propylen-Dien-Kautschuk Flüssig-Kristalliner Kunststoff Polyamid 11 Polyamid 12 Polyamid 46 Polyamid 6 Polyamid 6.6 Polyamid 6.10 Copolyamide 6.6/6T Polyaryletherketon Polybutylenterephthalat Polycarbonat Polyethylen Polyetherimid Polyetheretherketon Polyethersulfon Polyethylenterephthalat

11

PEK PMMA POM PF PP PPA PPE PPS PPSU PS PSU PTFE PUR PVC PVDF SAN SB TPO TPU UP

Polyetherketon Polymethylmethacrylat Polyoxymethylen Polyformaldehyd; Phenolharz Polypropylen Polyphtalamid Polyphenylenether Polyphenylensulfid Polyphenylensulfon Polystyrol Polysulfon Polytetrafluorethylen Polyurethan Polyvinylchlorid Polyvinylidenfluorid Styrol-Acryl-Nitril Styrol-Butadien Thermoplastisches Elastomer auf Polyolefinbasis Thermoplastisches Elastomer auf Polyurethanbasis Ungesättigter Polyester

12

1 Einführung in Polymer-Engineering

Bild 1-10. Erdölverbrauch bei der Herstellung von Kunststoffen

Bild 1-11. Kunststoff-Einsatzgebiete in Deutschland, Menge der verarbeiteten Kunststoffe 2006

1.1.5.1

Wirtschaftsdaten zu Thermoplasten [4]

Die Bilder 1-11 bis 1-13 geben Auskunft über aktuelle Wirtschaftsdaten zu Thermoplasten.

Die folgenden Bilder und umfangreiche weitere Daten finden Sie auf der Homepage der PlasticsEurope (http:// www.vke.de). Die Bilder 1-14 und 1-15 geben Auskunft über Import und Export von Kunststoffen im Jahre 2006 nach und aus Deutschland [4].

1.1 Einteilungen

Bild 1-12. Volkswirtschaftliche Bedeutung der Kunststoff-Industrie in Deutschland 2005 [4]

Bild 1-13. Struktur der Kunststoff-Industrie in Deutschland 2006 [4]

13

14

1 Einführung in Polymer-Engineering

Bild 1-14. Export von Kunststoffen aus Deutschland 2006 (Tonnage in %) [4]

Bild 1-15. Import von Kunststoffen nach Deutschland 2006 (Tonnage in %) [4]

1.1 Einteilungen Die Bilder 1-16 bis 1-19 geben weitere Informationen zur Kunststofferzeugung in Deutschland, zum Verbrauch von Standard- und technischen Kunststoffen sowie zum Preisindex Öl-Kunststoff in den vergangenen Jahren.

1.1.5.3

1.1.5.2

1.1.5.4

Wirtschaftsdaten zu Duroplasten [6]

Aktuelle Wirtschaftsdaten zu Duroplasten und weitere Zahlen und Informationen finden Sie unter www.avk-tv.de.

15

Wirtschaftsdaten zu Elastomeren [7]

Aktuelle Wirtschaftsdaten zu Elastomeren und weitere Zahlen und Informationen finden Sie unter www.vke.de.

Preisspanne für Kunststoffe

Tabelle 1-6 nennt für ein ausgewähltes Spektrum an Kunststoffen und Metallen Preisspannen.

Bild 1-16. Kunststofferzeugung in Deutschland 2006 [4]

16

1 Einführung in Polymer-Engineering

Bild 1-17. Verbrauch von Standard-Kunststoffen in Deutschland 2006 in 1.000 t [4]

Bild 1-18. Verbrauch technischer Kunststoffe in Deutschland 2006 in 1.000 t [4]

1.1 Einteilungen

Bild 1-19. Preisindex Öl – Kunststoff (Monatswerte) [4]

Tabelle 1-6. Preisspanne pro Kilogramm Granulat Kunststoff (Auswahl) in € für Frühjahr 2007 (Größenordnung, stark mengenabhängig und rohölkostenbestimmt) (Quelle: KI, Bad Homburg, www.kiweb.de) [8] Kunststoffe/Metalle

Euro €

Kunststoffe/Metalle

Euro €

PE-HD1

1,17 – 1,22 1,16 – 1,23 1,28 – 1,37 1,04 – 1,09 1,81 – 2,43 2,93 – 3,60 2,63 – 2,82 10,00 – 17,00 1,50 – 2,50 0,90 – 1,50 13,50

PA11 PA12 PA62 PA6 GF2 PA6.62 PBT2 POM2 PET PPS PTFE LCP PEEK

7,50 – 11,50 7,50 – 11,50 2,58 – 2,68 2,83 – 2,98 3,41 – 3,41 2,94 – 3,26 2,45 – 2,97 3,00 – 10,00 3,00 – 10,50 ca. 12,50 ca. 50,00 ca. 60,00

TPO TPU UP PF (vorvernetzt) EP

2,50 – 5,00 3,75 – 6,25 2,60 – 5,00 1,00 – 3,00 4,00 – 10,00

PP1 PS1 PVC1 ABS2 PC2 PMMA2 PEI SAN SB PSU Zum Vergleich St 37 Al Mg Ti C-Gewebe

0,30 – 0,50 0,70 – 1,00 1,50 – 2,00 4,00 – 5,00 80 – 120

1 20 t Ladungsbezug 2 Einzelabnahmen zwischen 3 bis 10 t

17

18

1 Einführung in Polymer-Engineering

Literatur – Kapitel 1 [1] Eyerer P (2007) Kunststoffkunde. Vorlesungsmanuskript WS 2007/08, 14. Aufl, Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie, Pfinztal [2] DIN 7724 (1993) Polymere Werkstoffe – Gruppierung polymerer Werkstoffe aufgrund ihres mechanischen Verhaltens. Beuth, Berlin [3] Erhard G (1993)Vorlesungsmanuskript. Universität Karlsruhe, Karlsruhe [4] plastics europe, Frankfurt: www.vke.de, www.plasticseurope.org [5] Handtke M (2005) Innovationen im Mittelstand. Low Tech Unternehmen in Zulieferketten – Das Beispiel der Kunststoff verarbeitenden Industrie. IWSG Working Papers 03-2005. In: Schamp EW (Hrsg) Forschungsberichte. IWSG, Frankfurt, ISSN 1439-2380 [6] Brinkmann PHP, Kraemer M, Kürten C (2001) Duroplastische Formmassen. Kunststoffe 91 (2001)10, S 347-349 [7] www.vke.de [8] KI, Bad Homburg, www.kiweb.de [9] Osen E, Sckuhr M (1999) Thermoplastische Elastomere (TPE). Kunststoffe 89 (1999)10, S 176-179

Weiterführende Literatur Arras S, Käb H (2007) Biokunststoffe (Marktpotential mit Risiko). Kunststoffe 97(2007)10, S 149-158 Ehrenstein G W (2006) Faserverbund-Kunststoffe. 2. Aufl, Hanser Verlag, München Wien Eipper A (2007) Polybutylenterephthalat (PBT). Kunststoffe 97(2007)10, S 120-123 Ertl J, Luderer J, Mieden O (2007) Polyvinylchlorid (PVC). Kunststoffe 97(2007)10, S 48-52 Flemming M (1995) Faserverbundbauweisen, Fasern und Matrices. Springer Verlag, Berlin

Freudenstein M (2007) Polyethylen hoher Dichte (PE-HD). Kunststoffe 97(2007)10, S 54-58 Freudenstein M (2007) Polyethylen niedriger Dichte (PELD/PE-LLD). Kunststoffe 97(2007)10, S 59-63 Glenz W (2007) Polystyrol (PS). Kunststoffe 97(2007)10, S 70-74 Glenz W (2007) Polyethylenterephthalat (PET). Kunststoffe 97(2007)10, S 76-80 Glenz W (2007) Expandierbares Polystyrol (EPS). Kunststoffe 97(2007)10, S 82-86 Glenz W (2007) Styrol-Copolymerisate (ABS, SAN, ASA, MABS). Kunststoffe 97(2007)10, S 88-92 Glenz W (2007) Polyarylsulfone (PSU, PESU, PPSU). Kunststoffe 97(2007)10, S 130-133 Hilken G (2007) Eine starke Branche. Kunststoffe 97(2007)10, S 44-47 Horn K, Laue HJ, Franz U et al. (2007) Polycarbonate (PC) und seine Blends. Kunststoffe 97(2007)10, S 100-110 Karger-Kocsis J (2004) Werkstoffe. In: Neitzel, Mitschang (Hrsg) Handbuch Verbundwerkstoffe. Hanser Verlag, München Mantel R (2007) Polypropylen (PP). Kunststoffe 97(2007)10, S 64-68 Reimer W, Sandner H (2007) Polyaryletherketon (PAEK). Kunststoffe 97(2007)10, S 134-136 Reitzel G (2007) Polyphenylensulfid (PPS). Kunststoffe 97(2007)10, S 124-129 Rosenau B (2007) Polyamide (PA). Kunststoffe 97(2007)10, S 94-99 Schottek J (2007) Liquid Crystal Polymer (LCP). Kunststoffe 97(2007)10, S 138-148 Stein A (2007) Verhaltener Optimismus (Jahresabschluss 2006). Kunststoffe 97(2007)7, S 27-29 Träxler M, Schäfer J, Blass R, Albrecht K (2007) Polymethylmethacrylat (PMMA). Kunststoffe 97(2007)10, S 115119 Vanacker P (2007) Polyurethane (PUR). Kunststoffe 97(2007)10, S 142-148

2

Synthese (Herstellung, Erzeugung) von Kunststoffen

2.1

Übersicht Polymerisation

Das Kapitel 2 ist für den Ingenieur-Gebrauch dieses Buches bewusst sehr knapp gehalten. Es wurde weitgehend der Foliensammlung von PlasticsEurope, zum Teil stark gekürzt, entnommen [1]. Je nach Bildungsreaktion unterscheidet man folgende Polymerisate – synthetische Kunststoffe – Additionspolymerisate + Kettenreaktion (im deutschen Sprachraum früher Polymerisation) + Stufenreaktion (im deutschen Sprachraum früher Polyaddition) – Kondensationspolymerisate – abgewandelte Naturstoffe oder jüngst: Kunststoffe auf Basis nachwachsender Rohstoffe, wie Stärke, Cellulose, Zucker, Lignin, Chitin oder Terpenen [7] Jede dieser Gruppen umfasst sowohl lineare, d. h. thermoplastische als auch vernetzte Kunststoffe. Je nach Vernetzungsgrad können – hochdehnfähige Kunststoffe (Elastomere) oder – hochsteife Kunststoffe (Duroplaste) entstehen. Bild 2-1 ordnet ausgewählte Beispiele den einzelnen Polymerisationsarten zu und fügt wichtige Merkmale, die Bezug zu späteren Eigenschaften haben können, an.

2.2

Zuordnung von Kunststoffen zu Polymerisationsarten

Bild 2-2 ordnet verschiedene Kunststoffe den Bildungsmechanismen (Polymerisationsarten) und Kunststoffgruppen zu. Diese chemische Unterscheidung verliert sich beim Ver-

arbeiter. Für ihn ist es ausschließlich entscheidend, ob die Polymerisation beim Rohstoffhersteller abläuft, was heute noch bei nahezu allen Thermoplasten der Fall ist, oder ob die Vernetzung oder Polymerisation im Bauteil-Werkzeug stattfindet (siehe Tabelle 2-1). Tabelle 2-1 gibt beispielhaft Auskunft über Polymerisationsreaktionen bei Rohstoffherstellern bzw. bei Verarbeitern des Kunststoffes zu Bauteilen. Tabelle 2-2 nennt Beispiele für Kunststoffe, die während der Verarbeitung im Bauteil-Werkzeug vernetzen. In diesen Fällen ist, sofern es sich nicht um kalthärtende Duroplaste handelt, das Werkzeug beheizt (i. d. R. ca. 150 bis 200 °C). Im Gegensatz dazu muss es bei der Verarbeitung (Urformen) von Thermoplasten i. d. R. gekühlt werden.

2.3

Polymerisationen

2.3.1

Additionspolymerisation

2.3.1.1

Kettenreaktion (im deutschen Sprachraum früher: Polymerisation)

Die Grundlage der Polymerisationsverfahren bilden Doppelbindungen. Die Kraft, die die meisten Makromoleküle zusammenhält, ist das Bindungsvermögen des Kohlenstoffs, d. h. die Fähigkeit, Bindungen miteinander und mit anderen Atomen einzugehen. Für die Anzahl der möglichen Bindungen ist die sog. Wertigkeit, die Valenz, maßgebend. Der Kohlenstoff ist vierwertig, anders gesagt, das C-Atom hat vier Bindungsarme. Beispiel: Im Methan kommen auf 1 C-Atom 4 Wasserstoffatome, was durch die Summenformel CH4 wiedergegeben wird. Deutlicher werden diese vier Bindungen in der Strukturformel des Methan oder der nächst höheren Verbindung dieser Reihe sowie in anderen verwandten Kohlenwasserstoffen (KW): Die Strukturformeln des Methan und des Ethan zeigen, dass jede Bindung des C-Atoms mit einem Wasserstoff (H)Atom besetzt ist. Man spricht von gesättigten Verbindungen.

20

2 Synthese (Herstellung, Erzeugung) von Kunststoffen

1 siehe auch Versuch „Schäumen und vernetzten von PUR bei Stufenreaktion (Polyaddition)“ bei Bild 2-7

Bild 2-1. Bildungsmechanismen von Kunststoffen [2]

Tabelle 2-1. Polymerisation bei Rohstoffhersteller und Verarbeiter [2] Polymerisation beim Rohstoffhersteller

– Thermoplaste, wie Polyethylen (PE), Polyamid (PA), Polycarbonat (PC), Polystyrol (PS), Polyurethan (TPU) zu Granulate und Pulver – Duroplaste, wie Phenolharz (PF), Epoxidharz (EP), Polysiloxan (SI) oder Polyurethan (PUR) als Vorprodukte – Elastomere, wie Nitril- (NBR), Silikon- (VMQ), Acrylgummi (ACM) oder Polyurethan (PUR) als Vorprodukte

Polymerisation beim Verarbeiter von Bauteilen

– Thermoplaste im RIM-Verfahren, wie Polyurethan (TPU), Guss-Polyamid (PA) – Duroplaste durch Vernetzung, wie Epoxide (EP), ungesättigte Polyester (UP, beispielsweise SMC), Polyurethan (PUR) und im RIM-Verfahren z. B. Polyurethan (PUR) – Elastomere durch Vulkanisation, wie Butylkautschuk (IIR), Chlorbutadien (CIIR)

2.3 Polymerisationen

21

Bild 2-2. Zuordnung von Kunststoffen zu Polymerisationsarten [2], ausgehend vom Mittelpunkt in Fließrichtung radial

In der Strukturformel des Ethylen sind die beiden CAtome im Unterschied zum Ethan durch eine Doppelbindung miteinander verbunden. Eine derartige Bindung ist ungesättigt, beispielsweise die Monomere der Olefine (Ethylen) und die Vinylmonomere. Sie kann durch eine Reaktion wieder in eine Einfachbindung überführt werden. Dabei weist jedoch an jedem der beiden C-Atome je eine Bindung

nach außen, die eine Sättigung anstrebt, solange ist sie ungesättigt. Freie Bindungen sind nicht beständig. Im Falle des Ethylen wird bei Einwirkung von Wärme, energiereicher Strahlung (z. B. UV- und Röntgenstrahlung) oder in Anwesenheit von Initiatoren bzw. Katalysatoren die Doppelbindung getrennt. Die Ethylen-Bausteine verbinden sich zum Polyethylen.

Ethen Acetylen

22

2 Synthese (Herstellung, Erzeugung) von Kunststoffen

Tabelle 2-2. Vernetzung während der Verarbeitung (Auswahl) [2] Duroplaste

Verfahren

Anwendungen

Phenolharze (PF)

Pressen, Ziehen, Laminieren, Imprägnieren

Press- und Spanplatten, E-technik, Dämmstoffe, Formmassen, Papiere, Brandschutz

Melaminharze (MF)

Spritzgießen, Pressen, Gießen, Wickeln, RTM, SRIM, Schäumen

Dekorpapiere, Holzwerkst., Formmassen, E-Technik, Schallund Brandschutz

Epoxidharze (EP)

Imprägnieren, Laminieren, Ziehen, Pressen

Luft- und Raumfahrt, Medizin, E-Technik, Fundamente, Tiefbau, Sportgeräte, Klebstoffe

Silikonharze (SI)

SMC, BMC, ZMC, Wickeln, Laminieren, Ziehen, Gießen

E-Technik, Dichtungen, Bauwesen

ungesättigter Polyester (UP)

Pressen, Imprägnieren

Fahrzeuge (Karosserie, Motor), Behälter, Gehäuse, Polymerbeton, Schiffskörper

Triazinharze

Träufeln, Laminieren, Gießen, Schäumen, Pressen, Spritzgießen

Medizin, Elektronik, Lager, Flugmotoren

Polyamide (PI)

Spritzgießen, Gießen, Imprägnieren, Pressen

E-Technik, Elektronik

Methacrylate

Spritzgießen, Gießen, Imprägnieren, Pressen

Polymerbeton, E-Technik, Sanitär

Polyurethane (PUR)

Gießen, Schäumen, Reaktionsspritzgießen (RIM, RRIM, SRIM)

Fahrzeuge, Bauwesen (Dämmstoffe), Gehäuse, Maschinenelemente, E-Technik

Dabei gibt der Index n (Polymerisationsgrad) am Fuß der eckigen Klammer an, wie viele monomere Bausteine jeweils zum Makromolekül vereinigt wurden. Der Polymerisationsgrad von Kunststoffen liegt im Bereich 100 bis 5 Millionen. Naturgemäß weisen die einzelnen Makromoleküle eine unterschiedliche Anzahl Bausteine auf, so dass man nur von einem mittleren (durchschnittlichen) Polymerisationsgrad sprechen kann. Polymerisationen sind exotherme Reaktionen, weil das Polymerisat energieärmer, als das ungesättigte Monomer ist. Sehr hoch ist beispielsweise die Polymerisationswärme des Ethylens. Diese Wärme muss bei der Synthese (Herstellung) abgeführt werden, da sonst Explosionen die Folge sind. Bei der Polymerisation tritt infolge chemischer Reaktion zwischen dem Monomeren und dem Polymerisat eine Volumenverkleinerung (Schwindung) und damit eine Dichtezunahme ein. Sie beträgt beispielsweise bei Polyvinylchlorid 34,4 % und bei Styrol 14,7 %. Aus der Dichteänderung wird der jeweilige Umsatz ermittelt. Von den drei Polymerisationsarten Radikalketten-, Ionenketten- und stereoregulierte Polymerisation hat die letztgenannte vor allem bei der Polymerisation der höheren α-Olefine die größte Bedeutung erlangt. Die in den dreißiger und vierziger Jahren in großtechnischen Anlagen hergestellten bekannten Polymere Polyvinylchlorid (PVC), Polystyrol (PS) und Polymethylmethacrylat (PMMA) sind Beispiele der sog. Radikalkettenpolymerisation. Einen Weg, das mit radikalischen Katalysatoren

arbeitende Hochdruckpolymerisationsverfahren für Ethylen (ICI) durch ein Niederdruckverfahren zu ersetzen, bot das mit anionisch koordinativen Katalysatoren, beispielsweise Titantetrachlorid plus Aluminiumtriethyl als Cokatalysator arbeitende Verfahren nach K. Ziegler (1953). Zum gleichen Ziel gelangten Phillips Petroleum mit Trägerkatalysatoren auf Chrombasis sowie Standard Oil of Indiana mit vergleichbaren Katalysatoren auf Basis Molybdän. In den sechziger Jahren kamen das mit anionisch koordinativen Trägerkatalysatoren arbeitende Gasphasenverfahren für vorwiegend hochmolekulares Polyethylen sowie das Unipol Gasphasenverfahren der UCC für die Herstellung von Polyethylenen im hohen (HD-PE) sowie im niedrigen Dichtebereich (LLD-PE) hinzu. Die Ziegler’schen Arbeiten regten im Jahre 1953 Giulio Natta, Mailand, dazu an, diese Erkenntnisse auf die stereoregulierte Polymerisation von Propylen auszudehnen. Dabei wurde das isotaktische, syndiotaktische und ataktische PP entdeckt und in den strukturbedingten Eigenschaftsunterschieden erforscht. Die CH3-Gruppen können in unterschiedlicher Reihenfolge an der Kohlenstoffkette angeordnet sein. Man spricht von der Taktizität. Bei der stereoregulierten Polymerisation von Propylen wird unterschieden nach: isotaktisches Polypropylen, wenn alle CH3-Gruppen auf derselben Seite der Kohlenstoffkette sind bzw. entsprechend ihrer wendelförmigen Anordnung nach außen weisen.

®

2.3 Polymerisationen

Ataktisches Polypropylen, wenn die CH3-Gruppen regellos angeordnet sind.

Syndiotaktisches Polypropylen, wenn sich die CH3-Gruppen in regelmäßiger Folge abwechselnd auf verschiedenen Seiten der Kohlenstoffkette befinden.

Der zurzeit technisch bedeutendste Materialtyp ist das nach dem Eingangsverfahren mit stereospezifischen Katalysatoren nach Ziegler/Natta gewonnene isotaktische Polypropylen. Es ist hochkristallin, weil sich die regelmäßig gebauten Ketten leicht ordnen können. Infolgedessen beträgt der Erweichungspunkt 165 °C (Kristallitschmelzpunkt) gegenüber 128 °C bei ataktischem Polypropylen. Die große Familie der Polyolefine gewährleistet heute und in Zukunft mit einer Jahresproduktion von mehr als 40 Mio. t weltweit eine unbegrenzte Verfügbarkeit vieler Gegenstände des täglichen Bedarfs. Die große anwendungstechnische und damit auch wirtschaftliche Bedeutung der Polyolefine sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Eigenschaftsbild des Ziegler-Polyethylens und des Ziegler/Natta (Z/N)-Polypropylens die Anforderungen des Verarbeiters und des Verbrauchers trotz aller Verbesserungen, die im Laufe von mehr als 40 Jahren erzielt wurden, nicht breit befriedigten. Ein wesentliches Merkmal bestand darin, dass die Molmassenverteilung sehr breit und die Taktizität nicht einheitlich war,

23

was Eigenschaftsbild und Verarbeitbarkeit beeinträchtigten und die Anwendbarkeit einengten. Die Ursache dieser Merkmale bestand darin, dass die Z/N-Katalysatoren aus Festkörpern bestanden, an deren Oberfläche eine Vielzahl von Ketten mit verschiedener Geschwindigkeit wuchs. Das Ergebnis war eine breite Molmassenverteilung. Eine entscheidende Verbesserung der Polymereigenschaften und eine wesentlich vielseitigere Anwendbarkeit brachten erst die seit den 1980er Jahren bekannten Metallocen-Katalysatoren. Durch Metallocen-Katalysatoren wie beispielsweise Dicyclopentadienylzirkoniumdichlorid in Verbindung mit Methylalumoxan als Cokatalysator wurde ein Weg zu einem steuerbaren Eigenschaftsbild gefunden, und Molmasse, Molmassenverteilung, Taktizität, Wärmebeständigkeit, Steifigkeit, Härte, Kälteschlagzähigkeit und Transparenz konnten gleichsam maßgeschneidert werden. Zu diesen vorteilhaften physikalischen Eigenschaften kommt die Reaktivität dieser Katalysatorkombination, d. h. mit Hilfe von einem einzigen Gramm Zirkonium können 100 kg Ethylen zu PE polymerisiert werden. Ein Vorteil dieser Metallocen-Katalysatoren ist die hohe Reaktionsgeschwindigkeit, die das 10- bis 100-fache der bisher benutzten Katalysatoren beträgt. Weiter und wesentlich muss die an sich geringe Katalysatormenge nicht mehr aus dem Polymer entfernt werden. Die typische Struktur von Metallocen-Katalysatormolekülen erinnert an die Struktur von Enzymmolekülen, denn ebenso wie diese die einheitliche Synthese eines Biopolymermoleküls katalysieren, sind auch die Metallocene in der Lage, Polymerisationsreaktionen mit einer bestimmten Taktizität und Kettenlänge gezielt zu steuern, beispielsweise die Synthese von isotaktischem Polypropylen mit einheitlicher Molmasse [3], [4]. Ein Meilenstein war 1993 die Insite Technologie der Dow, die zu den Polyolefin-Elastomeren Affinity und drei Jahre später zu Engage führte. Ein breites Anwendungsgebiet bieten ebenfalls die mPPFasern und Folien. Diese Produkte, Engage Polyolefinelastomere und neue Typen von Nordel EPDM-Kautschuk, werden hinsichtlich ihrer Verarbeitbarkeit und ihrer Leistungsmerkmale noch kundenspezifischer herzustellen sein als bisherige Synthesekautschuke und damit den Kunden eine breite Palette hochwertiger Polyolefine anbieten können.

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„ Copolymerisation Bei den bisher betrachteten Polymeren handelte es sich stets um die Aneinanderreihung gleichartiger Monomere. Voraussetzung für die Polymerisation war das Vorhandensein von mindestens zwei Verknüpfungsstellen. Je tiefer die Wissenschaft in den Feinbau der Hochpolymeren eindringt, desto zielsicherer handhabt sie die Mittel,

24

2 Synthese (Herstellung, Erzeugung) von Kunststoffen

die Eigenschaften der Homopolymeren durch Copolymerisation mit einem oder mehreren Monomeren in gewünschter Weise zu beeinflussen. Obwohl auch andere – vorwiegend physikalisch wirkende – Verfahren zur Abwandlung der Stoffeigenschaften bekannt sind, z. B. Mischen, Weich-

machen, Vernetzen und Recken, wird die Copolymerisation stets dann bevorzugt, wenn es auf eine Veränderung der molekularen Eigenschaften des Polymeren ankommt. Dabei sind je nach Reaktionspartnern und Reaktionsbedingungen folgende Anordnungen möglich:

Die Copolymerisation ist keineswegs auf zwei monomere Komponenten beschränkt. Eine Copolymerisation liegt auch dann vor, wenn lineare Polymerisate oder Polykondensate, die noch über eine reaktionsfähige Komponente verfügen (trifunktionelle Monomere), mit einem polymerisationsfähigen (bifunktionellen) Monomeren vereinigt werden. Das Ergebnis ist eine vernetzter Kunststoff, z. B.: Ungesättigter Polyester + Styrol → vernetztes Polyesterharz.

innerhalb der Additionspolymerisation als Kettenreaktion vom Monomer zum Polymer zu gelangen.

erisation erisation

„ Monomere für Additionspolymerisationen als Kettenreaktion [1] besitzen somit zusammengefasst meist eine C=C Doppelbindung. Mehr als eine reaktionsfähige Doppelbindung pro Monomer ist allerdings sehr selten. Die beiden C-Atome an der Doppelbindung können Wasserstoff, andere Atome oder auch ganze Atomgruppen tragen. Technisch werden fast ausschließlich Monomere verwendet, bei denen nur ein H-Atom durch ein anderes Atom oder eine meist recht kleine Seitengruppe substituiert ist. Für Bild 2-3 wurden sechs Vertreter von Monomeren für Polymerisationsreaktionen ausgewählt. Darunter befinden sich Ausgangssubstanzen für Massenkunststoffe wie Polyethylen, Polypropylen, PVC und Polystyrol. Polyacrylnitril wird unter Markennamen wie Dralon, Orlon und anderen zu wollähnlichen Kunstfasern verarbeitet. Polymethylmethacrylat ist ein Vertreter der Polymerisate aus Methacrylsäureestern. PMMA ist als Acrylglas oder Plexiglas bekannt und dient unter anderem für Verglasungen, Seiten- und Rückfenster von Autos oder Brillengläser. Wie weiter oben erwähnt, gibt es verschiedene Polymerisationsreaktionen (radikalisch, ionisch, stereoreguliert), um

„ radikalische Polymerisation [1] Bild 2-4 stellt in allgemeiner Form die radikalische Polymerisation dar. Die Doppelbindungen als funktionelle Gruppen reagieren unter Öffnung einer Bindung. Die C-Atome bilden die Kette. Dies ist im oberen Teil von Bild 2-4 schematisch dargestellt. Eine genauere Darstellung liefert der untere Teil von Bild 2-4. Gezeigt wird eine Polymerisation, die durch einen Radikalbildner, in diesem Fall Dibenzoylperoxid, gestartet wird. Das aus dem Zerfall des Radikalbildners stammende Radikal, mit R• bezeichnet, greift in der Startreaktion das erste Ethenmolekül an. Dabei entsteht erneut ein Radikal mit einem freien Elektron, das ein weiteres Ethenmolekül angreifen kann. Die Kohlenstoffkette wächst in Zweiereinheiten, was als Kettenwachstum bezeichnet wird. Nach einiger Zeit erfolgt der Kettenabbruch dadurch, dass sich zwei Kettenenden mit einem einsamen Elektron treffen und eine chemische Bindung bilden. Theoretisch könnten die vier nicht an der Doppelbindung beteiligten Bindungen der C-Atome eines Monomers für Polymerisationen verschiedene Atome oder Atomgruppen tragen. Bei der überwiegenden Mehrzahl der Monomere ist dies jedoch nicht der Fall. Meist ist nur eines der C-Atome einfach substituiert. Ethen trägt ausschließlich H-Atome. Bei Propen ist ein H-Atom durch eine Methylgruppe ersetzt, beim Styrol durch einen Phenylring, beim Vinylchlorid durch ein ClAtom. In Bild 2-4 ist diese Art der Substitution durch ein X

2.3 Polymerisationen

Bild 2-3. Monomere für Additionspolymerisationen [1]

angedeutet. Für hochgradig halogenierte Kunststoffe werden Monomere mit mehr als einer Substitution eingesetzt (z. B. Polytetrafluorethylen). Die radikalische Polymerisation ist eine Gleichgewichtsreaktion, bei der das Gleichgewicht meist weit auf der Seite des Polymers liegt. Hoher Druck verschiebt das Gleichgewicht noch weiter zu Gunsten des Polymers. Erhöhte Temperatur beschleunigt die Radikalbildung. Druck und Temperatur haben aber auch Einfluss auf die Molmasse (Kettenlänge), die Molmassenverteilung und den Verzweigungsgrad. Die Polymerisation von Ethen bei 100–200 °C und 1500 bar gelang erstmalig 1933 den Chemikern E. W. Faw-

25

cett, R. O. Gibson und M. W. Perrin. In ihrem Reaktor wurde die Polymerisation durch Spuren von Sauerstoff radikalisch gestartet, die aus Versehen durch Undichtigkeiten eingedrungen waren. Seit 1939 wird Polyethylen so großtechnisch hergestellt (ICI-Verfahren). Das Polyethylen wird als Low-Density-Polyethylen (LD-PE) bezeichnet. Radikalisch hergestelltes Polyethylen ist nicht, wie in Bild 2-4 dargestellt, rein linear aufgebaut. Trifft ein Kettenende mit einem einsamen Elektron auf den inneren Teil einer anderen Kette, so kann ein H-Atom entfernt und gegen eine Seitenkette ausgetauscht werden. Hochdruck-Polyethylen hat daher eine verzweigte Molekülstruktur und damit eine niedrige Dichte von 0,915 bis 0,94 g/cm3 (siehe Tabelle 2-4). Neben der radikalischen gibt es noch die ionische Polymerisation. Sie wird durch Ionen (Kationen oder Anionen) ausgelöst, deren Dissoziation naturgemäß stark von elektrostatischen Effekten abhängt, besonders von der Solvatation durch das Lösemittel. Wie die radikalische läuft auch die ionische Polymerisation als Kettenreaktion ab. Bei der Startreaktion lagert sich eine Lewis-Säure oder eine Lewis-Base an ein C-Atom der Doppelbindung eines Monomers an. Am anderen C-Atom entsteht dabei eine Ladung. Je nach Art der Ladung wird zwischen anionischer und kationischer Polymerisation unterschieden. Beim Kettenwachstum erfolgt wiederholt Anlagerung an eine Doppelbindung, wobei die Ladung jeweils um zwei C-Atome „weiterspringt“. Bei der ionischen Polymerisation gibt es keinen Kettenabbruch durch Rekombination. Dieser wird durch Zugabe von Wasser, Alkoholen, Säuren oder Aminen erzwungen. Erfolgt dies nicht, dann kommt die Reaktion zum Stillstand, wenn alles Monomer verbraucht ist, wobei die Reaktionsfähigkeit längere Zeit erhalten bleibt. Man spricht dann von „lebenden Polymeren“. Ionische Polymerisationen können oft bei sehr tiefen Temperaturen mit hoher Geschwindigkeit ablaufen. Ein Beispiel ist die Polymerisation von Isobutylen mit Bortrifluorid als Katalysator. Sie wird bei –100 °C in flüssigem Propan durchgeführt. „ katalytische Polymerisation [1] Bild 2-5 zeigt schematisch die beiden Typen der katalytischen Polymerisation, nach denen gegenwärtig industriell Polyethylen hergestellt wird. Beiden ist gemeinsam, dass die Reaktionen bei relativ geringem Druck und niedriger Temperatur durchgeführt werden. Bei der Polymerisation von Polyethylen wird das Produkt daher auch als NiederdruckPolyethylen bezeichnet, siehe Tabelle 2-4. Das Produkt wird als High-Density-Polyethylen (HD-PE) bezeichnet. Es ist chemisch gesehen einheitlicher und kristallisiert als Feststoff zu einem höheren Anteil als LD-PE. Daher hat HD-PE eine höhere Dichte als LD-PE.

26

2 Synthese (Herstellung, Erzeugung) von Kunststoffen

Bild 2-4. Reaktionen – radikalische Polymerisation [1], ein Strich symbolisiert eine chemische Bindung mit zwei Elektronen

Die Ziegler-Natta-Katalysatoren sind metallorganische Mischkatalysatoren. Diese Katalysatoren entstehen durch Mischen von Verbindungen der Metalle der Nebengruppen IV bis VIII mit Metallalkylen oder Hydriden der Gruppen I bis III des Periodensystems. Besonders wirksam sind Kombinationen von TiCl4, TiCl3 oder VOCl3 mit Aluminiumalkylen oder Aluminiumalkylhalogeniden11. Bei Polymerisation von Ethylen schieben sich zwischen Titan- oder Vanadiumatomen und den Ethylgruppen weitere Ethylenmoleküle ein und verlängern dadurch die Ketten schrittweise um jeweils 2 C-Atome. Bei der Polymerisation von Propylen gelingt eine schon weitgehend stereospezifische Synthese, bei der die Methylgruppen recht einheitlich in eine Richtung gedreht sind (isotaktisch). Ziegler-Natta-Katalyse ergibt bis zu 95 % isotaktisches Polypropylen, siehe oben.

1

Das Aluminium reduziert die Metallverbindung, es nimmt an der Polymerisationsreaktion nicht teil.

Die Metallocen-Katalysatoren sind erst in jüngster Zeit zum industriellen Einsatz gelangt. Alle besitzen im Reaktionszentrum zwei aromatische Ringe, zwischen denen ein Metallatom, meist Zirkon, komplex gebunden ist. Dieser Typ Katalyse liefert Polymere mit außerordentlich einheitlichen Strukturen. Die Kettenlängen der einzelnen Moleküle liegen sehr nahe beieinander. Die räumliche Struktur ist daher definiert. Polypropylen ist z. B. völlig isotaktisch. Es lässt sich sogar Polypropylen herstellen, bei dem die Seitengruppen abwechselnd nach links und nach rechts zeigen. Solches Polypropylen wird als syndiotaktisch bezeichnet (siehe oben). Katalytisch hergestelltes Polyethylen ist bei Ziegler-NattaKatalyse weitestgehend, bei Metallocen-Katalyse vollständig linear aufgebaut. Die Makromoleküle von NiederdruckPolyethylen können sich daher eng aneinander legen, was zu Polyethylen hoher Dichte mit 0,95 bis 0,98 g/cm3 führt. Teile der Moleküle (siehe Tabelle 2-4) lagern sich parallel aneinander und bilden Mikrokristallite (kleine kristalline Strukturen). Folien aus Niederdruck-Polyethylen sind sehr viel

2.3 Polymerisationen

27

Bild 2-5. Reaktionen – katalytische Polymerisation [1]

reißfester als Folien aus Hochdruck-Polyethylen. Da die Mikrokristallite „aneinander reiben“, knistern Folien (z. B. Tragetaschen) aus Niederdruck-Polyethylen. In Niederdruck-Polyethylen können gezielt Seitenketten (kürzere Verzweigungen) eingebracht werden. Dazu wird dem Ethylen ein bestimmter Anteil längerer Alkene (Olefine) wie Buten-1 oder Octen-1 zugemischt. Metallocen-Katalysatoren bauen diese außerordentlich gleichmäßig verteilt in die Kette ein. Dadurch lässt sich dann auch Niederdruck-Polyethylen mit niedriger Dichte herstellen (LLD-PE).

Vernetzte Produkte erhält man durch Reaktion eines bimit einem trifunktionellen Reaktionspartner. Je polyfunktioneller der Reaktionspartner ist, desto engmaschiger wird die Vernetzung. Deshalb werden bei der Polyurethan- oder Epoxidharzherstellung anstelle der Polyole häufig die zahlreiche OH-Gruppen enthaltenden Polyester und Polyether verwendet. Die Polyaddition ist wie die Polykondensation eine Stufenreaktion, Bild 2-1. Besonders wichtige Polyaddukte sind die linearen und vernetzten Polyurethane sowie die Epoxidharze.

2.3.1.2

„ Monomere für Polyadditionen [1] Epoxidharze [1] gehören zu den Duroplasten. Die Stufenreaktion (Polyaddition) liefert zunächst ein im Wesentlichen lineares Makromolekül, das noch zahlreiche OH-Gruppen besitzt. Dieses Additionsprodukt wird in eine Form gebracht oder in flüssiger Form auf Oberflächen aufgetragen. Danach wird chemisch gehärtet, häufig unter Erwärmen.

Stufenreaktion (im deutschen Sprachraum früher: Polyaddition)

Die Stufenreaktion ist die Polyreaktion von mindestens zwei bi- oder höherfunktionellen Verbindungen. Die Polyaddition kann je nach Funktionalität zu linearen Polymeren (Thermoplasten) oder vernetzten Kunststoffen (Duroplasten) führen.

28

2 Synthese (Herstellung, Erzeugung) von Kunststoffen

Bild 2-6. Monomere für Stufenreaktionen (Polyaddition) [1] Strukturen in Bild 2-6: 1 = Dihydroxyverbindung (Bisphenol A); 2 = Epichlorhydrin; 3 = mehrfunktionelles Isocyanat; 4 = mehrfunktionelle Hydroxiverbindung

„ Reaktionen – Polyaddition [1] Bild 2-7 stellt die Polyaddition am Beispiel der Herstellung von Polyurethan dar. Wie die Reaktion von Methanol und Ethylisocyanat zum N-Ethyl-O-methylurethan zeigt, sind für die Beschreibung der Reaktion (wie bei der Esterbildung) nur die funktionellen Gruppen von Bedeutung. Werden bifunktionelle Monomere eingesetzt, dann entsteht das Polyurethan. Wieder stehen die in Bild 2-7 gezeigten Strukturen mit ihren „eingekapselten“ Mittelteilen für beliebige Diole bzw. Diisocyanate. Die funktionellen Gruppen reagieren miteinander, wobei das H-Atom der Hydroxylgruppe zum N-Atom der lsocyanatgruppe angreift. Niedermolekulare Nebenprodukte entstehen nicht. Die Polyaddition setzt sich also ebenfalls schrittweise fort. Zu den Polyaddukten gehören technisch so wichtige Produkte wie die Polyurethane und die Epoxidharze. Werden Polyurethane ausschließlich aus bifunktionellen Monomeren hergestellt, so ergeben sich thermoplastische

Kunststoffe. Eine Reihe von ihnen zeigt gummiartige Elastizität. Bei Zumischen von Triolen (Alkoholen mit drei Hydroxylgruppen) entsteht dreidimensionale Vernetzung. Solche Polyurethane sind Duroplaste. Durch Schäumen wird die Vielseitigkeit des Einsatzes von Polyurethanen noch erhöht. Dies kann durch Zusatz eines Treibmittels erfolgen. Es kann aber auch mit einem leichten Überschuss an lsocyanat und einem entsprechenden Zusatz von Wasser gearbeitet werden. In diesem Fall wird aus lsocyanat CO2 abgespalten, das dann sehr feine und gleichmäßig verteilte Bläschen bildet. Polyurethanschaum kann mit harten oder elastischen Eigenschaften hergestellt werden. Ersterer eignet sich zum Beispiel für Wärmeisolierungen an Kühlschränken, letzterer für Polsterungen an Wohnmöbeln und Autositzen. Außerdem lassen sich alle Arten von Schuhsohlen aus Polyurethan herstellen, angefangen beim bequemen und robusten Wanderschuh bis zum Hochleistungs-Sportschuh für die Leichtathletik. Epoxidharze sind ausgezeichnete Grundierungen für Autolacke. Heute werden fast alle Autos mit Epoxidharzen beschichtet, ehe der Farblack aufgetragen wird. Sie haften extrem fest auf metallischem Untergrund. Mit ihnen wurden Autos praktisch rostfrei gemacht. Im Flugzeug- und Bootsbau werden faserverstärkte Epoxidharze zu extrem leichten Konstruktionen mit hoher Festigkeit verarbeitet. Leiterplatinen für elektronische Geräte sind ein weiteres wichtiges Einsatzgebiet. Versuch Vernetzen und Schäumen von Polyurethan zu PUR-Hartschaum Mischt man bei Raumtemperatur 1 Teil trifunktionelles Polyol (Triol) (ca. 40 g) und 0,8 Teile Isozyanat, so entsteht über räumliche Vernetzung duroplastisches Polyurethan. Gibt man dem Polyol vorher noch ca. 4 % Wasser zu, so entsteht zunächst parallel aus der Reaktion Isocyanat mit Wasser Carbaminsäure. Diese ist instabil und spaltet CO2 ab, das die reaktive Mischung Polyol und Isocyanat aufschäumt. Um sicher zu sein, dass bei der Vernetzungsreaktion das gesamte (giftige!) Isozyanat umgesetzt wird, gibt man es im Unterschuss mit 0,6 bis 0,8 Teile des Polyols zu. Je nach Temperatur der Reaktanden dauert der Schäumversuch in einem 1-Literglas ca. 2–4 Minuten. Nach 30 sek beginnt der gelbliche Schaum im Glas hochzusteigen und bildet in der genannten Zeit einen ca. 8 cm überstehenden Schaumpilz. Langsam spürt man die Exothermie der Reaktion an der Glaswand ankommen. Zunächst ist die Schaumhaut und der Schaum gummielastisch (schwacher Vernetzungsgrad). Anfangs klebrig, mit zunehmender Zeit und damit Vernetzungsdichte

2.3 Polymerisationen

29

Bild 2-7. Reaktionen – Polyaddition [1]

verschschwindet die Klebrigkeit, der Schaum wird fester und steifer, bis er nach ca. 8 min zum Hartschaum geworden ist, den man als Heimwerker beispielsweise im Baumarkt zum Ausschäumen von Fenster- oder Türenzargen verwenden kann. Beobachtet man den Schaumkegel im Glas die folgenden Wochen, so stellt man eine fortschreitende Schwindung fest. Das CO2 entweicht aus den Schaumporen, die Abmessungen verkleinern sich bis nach sechs Monaten der Schaumkegel aus dem sich oben etwas verjüngenden (Einmach-)Glas entformt werden kann. Somit können die Gläser mehrfach benutzt werden. Für Fensterbefestigungen reicht kurzzeitig die Montagefixierung aus. Wer allerdings Isolierlöcher dichten will, muss nachschäumen!

„ Kondensationspolymerisation Historisch gesehen folgte nach der Entwicklung der ersten abgewandelten polymeren Naturstoffe zunächst ein durch Polykondensation hergestelltes Hochpolymer. Es war das duromere Phenol-Formaldehydharz. Ist die Polymerisation eine Additionsreaktion chemisch gleichartiger und auch nach der Reaktion – bis auf die Aufhebung der Doppelbindung – unveränderter Grundbaustein, so stellt die Kondensationspolymerisation eine Substitutionsreaktion dar. Zwei gleich- oder verschiedenartige reaktionsfähige Gruppen von Verbindungen reagieren miteinander, siehe auch Bild 2-1. Dabei entstehen niedermolekulare Nebenprodukte wie Wasser, Ammoniak, Chlorwasserstoff, Alkohole und andere. Weisen die miteinander reagierenden Reaktionspartner einer Kondensation nur eine reaktionsfähige Gruppe auf, dann entstehen niedermolekulare Verbindungen und die entsprechenden niedermolekularen Molekülteile.

l at terephtalat ycol enterephtalat

30

2 Synthese (Herstellung, Erzeugung) von Kunststoffen

Beispiel: Esterbildung aus Säure + Alkohol unter Wasserspaltung.

Aus bifunktionellen Reaktionspartnern entstehen die bekannten linearen Kettenmoleküle (Thermoplast).

Beispiel: Terephthalsäuredimethylester + Glycol → Polyethylenterephthalat + Methylalkohol (Umesterung).

Aus tri- oder polyfunktionellen Reaktionspartnern entstehen engmaschige Raumnetzmoleküle (Duroplast). Beispiel: Phenol + Formaldehyd → Phenolharz + Wasser Die Kondensationspolymerisation ist ein Beispiel für eine Stufenreaktion, die aus einzelnen voneinander unabhängigen Schritten besteht. Sie ist in ihrer Wärmetönung endotherm, d. h. Energie wird zugeführt. Die dabei gebildeten Zwischenprodukte können also isoliert und während einer bestimmten Zeitdauer gelagert werden. Unter geeigneten Arbeitsbedingungen kann die unterbrochene Reaktion fortgeführt werden. Diese Möglichkeit nutzt die Kunststoffindustrie zur Herstellung von Formmassen durch Mischen mit Füllstoffen oder Mischen verschiedener Vorkondensate. Dadurch lassen sich Zykluszeiten beim Verarbeiten reduzieren. „ Monomere für Kondensationspolymerisate [1] Für Bild 2-8 wurden Beispiele ausgewählt, die zu wichtigen Industrieprodukten führen. PET (Polyester: Polyethylenterephthalat), das Polykondensat von Ethandiol (Glykol) und Terephthalsäure, ist in zweien seiner Einsatzgebiete auch bei Nichtfachleuten bekannt geworden. Immer häufiger werden alkoholfreie Erfrischungsgetränke in Flaschen aus PET abgefüllt, die in

Mehrwegsystemen leicht mehr als 30 Umläufe durchmachen können. Wie andere Polyester dient PET aber auch als Faserrohstoff, der unter Markennamen wie Trevira, Diolen, Terylen und anderen zu Textilien von hoher Knitterfestigkeit verarbeitet wird. Das eröffnet auch noch Möglichkeiten zur Verwertung unbrauchbar gewordener Flaschen. Nach ihrer Ausmusterung werden Fasern aus den Flaschen hergestellt und zu Wattierungen für warme Anoraks verarbeitet. Durch Polyesterfasern wird der Airbag im Auto zu einem extrem reißfesten Beutel. Beim Unfall strömt explosionsartig Gas in den Airbag, was ihn in Sekundenbruchteilen zu einem Polster werden lässt, das Verletzungen bei Verkehrsunfällen verhindert oder reduziert. Polycarbonat besitzt für ein Polymer eine relativ große Zähigkeit (Arbeitsaufnahmevermögen). Aus ihm lassen sich schlagzähe Gegenstände fertigen. Darüber hinaus ist seine Transparenz außerordentlich hoch, so dass es wie Acrylglas für Verglasungen verwendet wird. Schließlich ist Polycarbonat sterilisierbar und hat daher Eingang in Mehrwegsysteme für Milch und Milchprodukte gefunden. Bei HeißwasserReinigung kann jedoch Bisphenol A abgespalten werden und in die Nahrung permeieren, z. B. bei Babyflaschen. Daher wird für diese Anwendung Polyamid empfohlen. Ein elegantes Beispiel für ein bifunktionales Monomer stellt Caprolactam dar. Der Ring dieses cyclischen inneren Amids kann durch Katalysatoren, z. B. Wasser, geöffnet werden. Erst dadurch wird das Monomer für die Polykon-

2.3 Polymerisationen

31

Bild 2-8. Monomere für Kondensationspolymerisationen. Strukturen auf Bild 2-8: 1 = Diol (Ethandiol = Ethylenglykol); 2 = Dicarbonsäure (Terephthalsäure); 3 = ε-Caprolactam; 4 = Dicarbonsäure (Adipinsäure); 5 = Diamin (Hexamethylendiamin); 6 = Dihydroxyverbindung (Bisphenol A); 7 = Dicarbonsäurechlorid (Phosgen)

densation gebildet und dann zu einem Polyamid umgesetzt. Dazu ist nur ein sehr geringer Zusatz an Wasser erforderlich. Für jedes Monomer, das in das wachsende Makromolekül eingebaut werden soll, wird zur Ringöffnung theoretisch zuerst ein Wassermolekül verbraucht und bei der Polykondensationsreaktion wieder freigesetzt. Tatsächlich schreitet die Reaktion, nachdem sie einmal eingeleitet ist, ohne weitere Beteiligung von Wasser fort. Nylon und Perlon sind die bekanntesten Markennamen von Polyamiden. Fasern aus diesen Kunststoffen stellen den Rohstoff für Damenstrümpfe dar. Darüber hinaus werden hoch belastbare Seile aus ihnen hergestellt. „ Reaktionen – Polykondensation [1] Bild 2-9 stellt die Polykondensation am Beispiel einer Polyesterbildung dar. Wie die oben gezeigte Reaktion von Ethanol und Ethansäure (Essigsäure) zum Essigsäureethylester (Ethylacetat) zeigt, sind für die Beschreibung der Esterbil-

dung nur die funktionellen Gruppen von Bedeutung. Für Polykondensationen werden bifunktionelle Monomere benötigt. Im Beispiel der Polyesterbildung sind dies Diole wie Ethandiol (Glykol) und Dicarbonsäuren wie Terephthalsäure. Die in Bild 2-9 gezeigten Strukturen mit ihren eingeschlossenen Mittelteilen stehen für beliebige Diole bzw. Dicarbonsäuren. Die funktionellen Gruppen reagieren unter Wasserabspaltung miteinander. Nach dem ersten Schritt entsteht ein Molekül, das am einen „Ende“ eine Carboxylgruppe, am anderen eine Hydroxylgruppe besitzt. An beiden „Enden“ kann daher erneut verestert werden. Die Polykondensation setzt sich also schrittweise in beide Richtungen fort. Die Polykondensation ist eine Stufenreaktion. Als solche liefert sie zuerst Oligomere, also Moleküle, die nur aus wenigen Monomeren zusammengesetzt sind. Die Fortsetzung zu

32

2 Synthese (Herstellung, Erzeugung) von Kunststoffen

Bild 2-9. Reaktionen – Polykondensation [1]

den Polymeren kann sowohl durch schrittweises Anfügen weiterer Monomere als auch durch Vereinigung von Oligomeren erfolgen. Eine typische Reaktion zum Kettenabbruch gibt es nicht. Sie könnte in einer „Kopf-Schwanz-Reaktion“ bestehen, was dann einen zyklischen Polyester ergäbe. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist aber bei hohen Anfangskonzentrationen der Monomeren gering. Es treffen viel leichter Enden von verschiedenen Molekülen aufeinander als Anfang und Ende eines Moleküls. Hohe Konzentrationen werden in der Praxis dadurch erreicht, dass die Monomere ohne Lösemittel zur Reaktion gebracht werden. Die niedermolekularen Reaktionsprodukte von Kondensationsreaktionen müssen ständig entfernt werden. Dadurch wird eine Verschiebung des Gleichgewichts in Richtung des Polykondensats erreicht. Ist Wasser zu entfernen, so wird es abdestilliert. Dazu werden die Monomere in Anwesenheit von Katalysatoren erhitzt. Als Produkt wird eine Polymerschmelze erhalten, die bei Polyestern und Polyamiden zu

Granulaten geformt oder, durch feine Düsen gepresst, zu Fasern verarbeitet werden kann. Beispiele für Polykondensate sind Polyester, Polyamide, Polycarbonate oder Polysiloxane (Silikone). Werden Monomere mit mehr als zwei funktionellen Gruppen beigemischt, so entsteht Quervernetzung, was die Härte der entsprechenden Polykondensate erhöht. Dreidimensionale Vernetzung ist auch bei den Polyesterharzen möglich, bei denen Monomere mit Doppelbindungen wie Maleinsäure eingesetzt werden. Der gebildete Polyester kann nachträglich mit Peroxiden vernetzt werden. Es entsteht ein Duroplast. Neben Polykondensaten mit einheitlicher Kettenstruktur können noch Mischpolykondensate hergestellt werden. Ein Beispiel sind Polyesteramide. Zu ihrer Herstellung werden Dicarbonsäuren mit Diolen und Diaminen umgesetzt.

2.4 Einflüsse der Polymerisation auf Werkstoffeigenschaften

2.4

Einflüsse der Polymerisation auf Werkstoffeigenschaften

Tabelle 2-3 stellt, getrennt für unvernetzte (Thermoplaste) und vernetzte (Elastomere/Duroplaste) Kunststoffe, einige wichtige Einflussfaktoren stichwortartig zusammen. „ Thermoplaste Die Molmasse beeinflusst zum einen die Schmelzeviskosität, also die Verarbeitbarkeit. Eine niedrige Molmasse bedingt eine niedrige Schmelztemperatur und eine niedrige Schmelzeviskosität; erfordert also geringere Verarbeitungsdrücke und damit niedrigere Werkzeugzuhaltedrücke. Die Formfüllung geschieht tendenziell schneller und vollständiger. Andererseits verstärkt sich die Tendenz zu Austrieb und Nacharbeit, so dass doch wieder höhere Zuhaltekräfte gewählt werden müssen. Die Eigenschaften von niedermolekularen Thermoplasten sind wiederum tendenziell eine – geringere Festig- und Steifigkeit – geringere Arbeitsaufnahme – größere Kriechneigung bei Langzeitbelastung. Ketten-Verzweigungen können diese Aussagen in die eine oder andere Richtung, beispielsweise je nach Kristallisationsneigung, verändern. Durch eine sehr hohe Molmasse, beispielsweise beim ultrahochmolekularen Polyethylen, steigt die – Verschleißfestigkeit – Schlagzähigkeit – Formstabilität signifikant. Die Molmassenverteilung hat bei breiter Verteilung (Dispersität) prinzipiell eine ähnliche Auswirkung: hohe niedermolekulare Anteile wirken weichmachend und gleiten bei höheren Temperaturen gut aneinander ab: gute Verarbeitbarkeit, schlechtere Langzeiteigenschaften. Eine enge Verteilung mit hohen langkettigen Anteilen dagegen hat eine schlechtere Verarbeitung bei besseren mechanischen Langzeiteigenschaften zur Folge. Der Verzweigungsgrad hat großen Einfluss auf die Kristallinität von Molekülstrukturen und verändert die mechanischen und transportbedingten (Permeation) Eigenschaften von Kunststoffen ausgeprägt. Hohe Schlagzähigkeit bei großem Verzweigungsgrad kann eine Folge sein. Dagegen sinkt die Schmelztemperatur und die Glastemperatur (dadurch erhöhte Kältezähigkeit) deutlich. Der Einfluss der Taktizität, insbesondere beim Polypropylen, ist in Tabelle 2-3 erwähnt. 95 Prozent isotaktisches Polypropylen über Metallocen-Katalysatoren hebt viele

33

Tabelle 2-3. Beeinflussung der Werkstoffeigenschaften durch die Polymerisation [2] Thermoplaste

Elastomere/Duroplaste

– Molmasse Molmassenverteilung – Verzweigungsgrad – Taktizität – Restmonomere – z. B. Styrol, VC – Rückstände – z. B. Emulgatoren, Löse- und Fällmittel (bei UHMW PE1 Dieselöl)

– Vernetzungsgrad beeinflusst z. B. Steifigkeit, Festigkeit, chemische Beständigkeit, Erweichungstemperatur, … – Copolymerisation (Sequenzlänge etc.) – niedermolekulare Bestandteile, z. B.: Isocyanate, Amine, Phenole, Formalehyde

1 ultra high molecular weight polyethylene

Eigenschaften auf gewünschte technische Anwendungsniveaus. Restmonomere, auch Rückstände aus der Polymerisation, können gesundheitsschädlich sein (Vinylchlorid beim PVC) oder können technische Eigenschaften verändern, wie beispielsweise Rückstände von Emulgatoren, welche die Isolierfestigkeit von PVC-Kabel erniedrigen. Rückstände von Lösungsmittel (Dieselöl, Toluol u. a.) aus der Fällungspolymerisation gelangen, wenn auch im Mikrogrammbereich, von Gelenkendoprothesen, wie Hüftpfannen, über die Jahre der Implantation in den menschlichen Körper. „ Elastomere/Duroplaste Der Vernetzungsgrad beeinflusst wesentlich die Lage der Glastemperatur und den Abfall der Eigenschaften im Haupterweichungsbereich. Festigkeit und Steifigkeit nehmen dabei mit steigendem Vernetzungsgrad zu, während die Dehnungsfähigkeit abnimmt. So werden beispielsweise Scheibenbrems- oder Kupplungsbeläge mit Phenolharz und elastomerem Binder in aufwendigen Aushärteprozessen über ca. 20 Stunden schrittweise bis zu Temperaturen von 300 °C vernetzt. Die Weite der molekularen Netzwerkmaschen (Sequenzlänge) spielt bei der Copolymerisation (Thermoplaste und Elastomere/Duroplaste) eine zentrale Rolle und bestimmt die Eigenschaften bei der gummielastischen Deformation. Niedermolekulare Bestandteile sind vor allem bei Langzeitanwendungen in Innenräumen (Automobile, Wohnungen) kritisch, da sie i. d. R. emittieren. Schwindung/Schrumpfung In der Praxis ist meistens von Schrumpf die Rede. Gemeint ist jedoch die Schwindung. Unter Schwindung versteht man

34

2 Synthese (Herstellung, Erzeugung) von Kunststoffen

die Verkleinerung des Volumens durch beispielsweise höhere Packungsdichte der Makromoleküle infolge Kristallisation oder Vernetzung. Bei der Schwindung verkleinert sich also das Volumen eines Bauteiles, die Maßhaltigkeit verändert sich ebenfalls, die Gestalt bleibt erhalten (V ≠ const). Unter Schrumpfen versteht man die Zurückknäuelung orientierter Makromoleküle meist bei erhöhten Temperaturen. Dadurch vermindert sich die Länge, der Querschnitt wächst (V = const). Beispiel: stellt man einen tiefgezogenen Becher aus Polystyrol oder Polypropylen in einen Ofen, so schrumpft der Becher (PS bei ca. 120 °C, PP bei ca. 160 °C) zu der Platte zurück, aus der er ehemals geformt wurde. Dabei bleibt das Volumen des Kunststoffes unverändert, Gestalt und Abmessungen dagegen verändern sich vollkommen. Bei der Schwindung ist zu unterscheiden zwischen – Syntheseschwindung, – Verarbeitungsschwindung und – Nachschwindung. Tabelle 2-4 stellt für einige Thermoplaste und Duroplaste die Dichte von Monomer und Polymer, die Syntheseschwindung und Nachschwindung zusammen.

Das Polymerisat hat stets eine größere Dichte als das Monomer, d. h. das Volumen schwindet während der Polymerisation. Die Schwindung wird in der Praxis oft als Maß für den erreichten Reaktionsumsatz benutzt. Schwindungsarme bis -freie LS (low shrink)- und LP (low profile)-Systeme entwickelte man in den vergangenen 20 Jahren für großflächige Bauteile im Kfz-Karosseriebau wie beispielsweise Stoßfänger, Heckklappen, Türen, Kotflügel u.a. Schwundarme LS- und LP-Systeme liegen vor, wenn man geeignete Thermoplaste im UP2-Ausgangsharz löst. Während der Härtungsreaktion fallen sie feinverteilt aus, da die zugegebenen Thermoplaste sich wohl im Styrolmonomer, nicht aber im entstehenden Polystyrol lösen. Die ausgefallenen Thermoplastpartikel enthalten monomeres Styrol, das mit Verzögerung reagiert und vorher durch Verdampfung infolge der Reaktionstemperatur feine Blasen erzeugt. Diese Blasen kompensieren die Schwindung und pressen die Oberfläche des entstehenden Formteils an die Werkzeugwandung, siehe auch Kapitel 3.5.1. Das LP-System enthält soviel Thermoplast, dass es nicht mehr in der Masse gleichmäßig einzufärben ist. Jedoch kann man es (z. B. bei der Autokarosserie) lackieren.

2

ungesättigter Polyester

Tabelle 2-4. Schwindung und Dichte bei der Polymerisation [2]

Vinylchlorid Acrylnitril Vinylacetat Styrol Epoxidharz ungesättigter Polyester (UP)

ρ Monomer g/cm3

ρ Polymer g/cm3

Syntheseschwindung SS %

Nachschwindung NS %

0,919 0,792 0,932 0,907 1,10 – 1,20

1,38 1,17 1,19 1,06 1,20 – 1,30

33,4 32,3 21,7 14,5 5 – 10

1 bis 0,1 μm. Eine beständige Emulsion wird jedoch nur durch die Zugabe einer dritten Komponente, dem Emulgator, erhalten. Die Wirkung beruht darin, dass die Oberflächenspannung zwischen den beiden Phasen verringert wird. Emulgatoren sind oberflächenaktive Stoffe, die trotz ihrer geringen Konzentration einen spürbaren Effekt ausüben. Die oberflächenaktive Wirkung bestimmter Agenzien beruht darin, dass in dem Molekül oder Ion eine Gruppe hydrophil gegenüber dem Dispergiermedium und in bestimmtem Abstand davon eine zweite Gruppe hydrophob wirkt. Die Emulgatoren werden in anionische, kationische und neutrale Emulgatoren unterteilt. Die anionischen Typen umfassen Carboxylanionen, in denen die Carboxylgruppe unmittelbar an den hydrophoben Teil gebunden ist. Die kationischen Emulgatoren werden häufig von Aminogruppen gebildet. Nichtionische Emulgatoren sind organische Verbindungen mit Gruppen unterschiedlicher Polarität. Zu diesen Substanzen gehören Polyethylenglycol, Polyvinylalkohol, Polyether, Polyester und Polyhalide. Emulsionen, die anionische Emulgatoren enthalten, sollten nicht mit solchen gemischt werden, die kationische enthalten. Die Emulsion gerinnt dann. Nichtionische Emulsionen sind dagegen mit den beiden anderen Arten bedingt mischbar. Emulgatoren werden bei der Herstellung von Kunststoffen nach dem Emulsionsverfahren verwendet, außerdem spielen sie bei Produkten, die in Form von Emulsionen verwendet werden, eine wichtige Rolle, beispielsweise bei Trennmitteln, Lebensmitteln, Kosmetika, Pflegemitteln und Klebstoffen.

3.5.1.6

Farbmittel

Von den in Europa verbrauchten ca. 750 000 t Farbmitteln machen Titandioxid und Ruße den größten Anteil aus.

3.5 Zusatzstoffe für Kunststoffe Entwicklungstrends sind [3]: – verbesserte und umweltfreundliche Herstellmethoden – erleichterte Handhabung und Dispergierung – Ersatz von Schwermetallen, insbesondere cadmiumhaltige Pigmente bei niedrigen Kosten – verminderte Migrations- und Verzugsneigung – besondere Effekte bei Farbmittel Die Farbmittel [36] werden nach Pigmenten und Farbstoffen [13] unterschieden. Die Farbstoffe sind in Kunststoffen löslich, während die Pigmente nahezu unlöslich sind. Der Begriff Pigment ist an einen Teilchengrößenbereich von etwa 0,01 bis 1 μm gebunden. Im Aufbau der Partikel wird nach Primärteilchen, Aggregaten und Agglomeraten unterschieden. Die bei der Herstellung entstehenden Primärteilchen weisen eine betonte Tendenz zur Agglomeratbildung, d. h. zur Zusammenlagerung auf. Diese Überstrukturen werden beim Eintragen der Farbmittel in den Kunststoff meistens in Agglomerate und Primärteilchen zerteilt, so dass für die koloristischen Eigenschaften des jeweiligen Pigmentes vor allem die Korngröße und die Korngrößenverteilung maßgebend sind. Das Zerteilen, Verteilen und Benetzen der Pigmente wird als Dispergieren bezeichnet, während die Farbstoffe im Kunststoff gelöst werden. Die Farbmittel [4] können anorganischer oder organischer Natur sein. Während die anorganischen Pigmente unlöslich sind, können sich insbesondere niedermolekulare organische Pigmente lösen. Naturgemäß beeinflusst der chemische Aufbau des Binders und die Verarbeitungstemperatur ihre Löslichkeit. Pigmente der gleichen chemischen Zusammensetzung können in verschiedenen Kristallmodifikationen hergestellt werden, die sich koloristisch und anwendungstechnisch wesentlich voneinander unterscheiden, beispielsweise bei Titandioxid und Phthalocyaninblau. Die anwendungstechnischen und die Gebrauchseigenschaften der Pigmente können vom

Pigment

Teilchengröße

Gasruß Furnaceruß Eisenblau Flammruß Titanoxid Transparentes Perylenrot Kobaltblau Kobaltgrün Deckendes Isoindolinpigment

~1 nm 3 nm 5 nm 90 nm 130 nm 150 nm 400 nm 600 n ~1 μm

113

Hersteller durch Nachbehandlung (Coating = Beschichten) verbessert werden; die Dispergierbarkeit, die UV-, Wetterund Chemikalienbeständigkeit werden angehoben. Um den beim Dispergieren erforderlichen hohen technischen und energetischen Aufwand zu verringern, werden so genannte Pigmentpräparationen verwendet. Dabei liegt das Pigment in Form leicht dispergierbarer Pasten als festes Konzentrat in Verbindung mit dem zu verarbeitenden Kunststoff oder als rieselfähige Pigmentverkollerung, d. h. einer Kombination von leicht dispergierbaren, organischen Pigmenten und/ oder Füllstoffen mit schwerer dispergierbaren organischen Pigmenten vor [37]. Der Farbeindruck, den das menschliche Auge wahrnimmt, ist das Ergebnis einer selektiven Absorption und Reflexion. Er kann durch additive und substraktive Farbmischung hervorgerufen werden. Ein Beispiel für die additive Farbmischung liefert das Farbfernsehen, bei dem auf dem Bildschirm die sehr kleinen Punkte Blau-Grün-Rot zum Leuchten gebracht werden. Auch das weiße Tageslicht ist eine von dem menschlichen Auge wahrgenommene additive Farbmischung. Die Farbeindrücke entstehen jedoch am häufigsten durch substraktive Farbmischung, indem bestimmte Anteile des Spektrums absorbiert werden und der Rest des sichtbaren Lichtes reflektiert und vom Auge wahrgenommen wird. Ohne Licht wäre diese Wahrnehmung nicht möglich [38]. Eine weitere Voraussetzung für das Gewinnen eines Farbeindruckes ist außer der Absorption bestimmter Wellenlängen die Streuung des reflektierten Lichtes. Teilchen mit einem meist höheren Brechungsindex als dem des umgebenden Kunststoffs streuen diffus in allen Richtungen. Grundsätzlich gilt: Weißpigmente streuen nahezu ausschließlich; anorganische Buntpigmente absorbieren wenig und streuen stark; organische Buntpigmente absorbieren stark und streuen wenig; gelöste Farbstoffe absorbieren nur und Schwarz absorbiert nahezu vollständig.

Bild 3-59. Teilchengrößenvergleich verschiedener Pigmente

114

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Das Deckvermögen eines Pigments wird durch die Teilchengröße (siehe Bild 3-59) und durch die Differenz der Brechzahlen von Pigment und Binder bestimmt. Die relative Farbstärke beruht auf der Fähigkeit, dank des Absorptionsvermögens auf lichtstreuende Stoffe farbgebend zu wirken. Die Farbwahrnehmung unterscheidet nach Farbton, Helligkeit (bei bunt und weiß) und Sättigung (bei bunt und schwarz nach rein, trüb oder schmutzig) [39]. Über die Eignung eines Farbmittels in Verbindung mit dem jeweiligen Kunststoff entscheiden: Beschaffenheit, thermische Beanspruchbarkeit (Höhe und Dauer), Lichtechtheit, Wetterbeständigkeit, Migrationsneigung (Lösemittel- und Kontaktbluten, Ausblühen), Plateout (Ablagerung auf schmelzberührten Metallflächen) und die Beeinflussung des Fließverhaltens [37]. Die Einsatzgebiete für anorganische und organische Pigmente sind, wie die Bilder 3-60 und 3-61 zeigen, sehr vielfältig.

Bild 3-60. Einsatzgebiete anorganischer Pigmente [13]

Pigmente bieten gegenüber Farbstoffen immer dann Vorteile, wenn neben dem Deckvermögen die Anforderungen des jeweiligen Einsatzgebietes eine Unlöslichkeit des Farbmittels im Anwendungsmedium (zum Beispiel Überlackierechtheit und hohes Deckvermögen) voraussetzen [13]. In den vergangenen Jahren gewinnt das Direkteinfärben von Kunststoffen über Farbmasterbatches, und zwar ihre wirtschaftliche Herstellung in Abhängigkeit der Losgröße, immer größere Bedeutung. Im Bereich geringer Losgrößen lassen sich Farbmasterbatches kostengünstiger aus vordispergierten Monokomponenten herstellen. Stand der Technik ist bisher: Die für den individuellen Farbton benötigten Pigmente werden mit pulverförmigem Kunststoff mittels Dispergierhilfen (Wachse und verträgliche Kunststoffformmassen) intensiv vermischt und anschließend im Doppelschneckenextruder (hoher Energieeintrag) dispergiert und damit im Kunststoff eingebettet. Labormischungen und Produktion ergeben hierbei immer wieder Unterschiede.

3.5 Zusatzstoffe für Kunststoffe

115

Bild 3-61. Einsatzgebiete organischer Pigmente [13]

Dagegen werden in einem ersten Schritt die Monokomponenten und dann daraus die Masterbatches hergestellt. Derzeit können organische Pigmente in Konzentrationen von 40 bis 50 Prozent und anorganische Pigmente bis zu 75 % mit guter Dispergierqualität durch Einschneckenextrusion in Kunststoffe eingebracht werden [40].

Tabelle 3-28 gibt eine Übersicht über Hersteller von Monokomponenten, die dann beim Verarbeiter zu Masterbatches verarbeitet werden und dadurch Produktionsunterschiede und Fehlchargen vermieden werden können. Bild 3-62 [40] zeigt die Verarbeitungskosten (Maschinenkosten, Energie, Arbeit, Reinigungsmaterial, Materialver-

Tabelle 3-28 Produzenten von Standard Thermoplasten (Monokomponenten), Stand 10/2007 Hersteller

PE

PP

¯

¯

Basell Polyolefine GmbH

Wesseling; D

BASF AG

Ludwigshafen; D

Dow Deutschland

Schwalmbach/Ts.; D

¯

¯

Borealis AG

Vienna; A

¯

¯

Eastman Chemical B.V.

Capelle aan den IJssel; NL

PS

Technische Thermoplaste

ASA/SAN

¯

¯

¯

¯ ¯

¯

¯

¯

Sabic Europe

Geleen; UK

Lanxes, AG

Leverkusen; D

¯

Arkema

Colombes Cedex, FR

¯ ¯

DSM Engineering Plastics

KR Sittard; NL

DuPont Germany

Bad Homburg; D

¯

¯

ExxonMobile Chemical Deutschland

Köln; D

¯

¯

Total Petrochemicals

Brüssel; B

¯

¯

Ticona Engineering Polymers Deutschland

Kelsterbach; D

UHMW-PE

¯

¯ ¯

116

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Bild 3-62. Abhängigkeit der Verarbeitungskosten von der Losgröße und vom Extrudertyp (ES: Einschneckenextruder, DS: Doppelschneckenextruder) [40]

lust) in Abhängigkeit der Losgröße für Einschnecken (ES)und Doppelschnecken (DS)-Extruder (klein und groß).

3.5.1.6.1

Anorganische Pigmente

Die anorganischen Pigmente können nach Oxiden, Sulfiden, Chromaten und Kohlenstoff unterschieden werden. Die Oxide sind – mit Ausnahme der Temperaturbeständigkeit einzelner Pigmente – grundsätzlich die beständigsten Pigmente, beispielsweise TiO2, Eisenoxidschwarz und Kobaltblau. Zink- und Cadmiumsulfid sind nicht wetterbeständig, Ultramarin zerfällt bei Säureeinwirkung. Chromatpigmente sind nicht alkalibeständig. Die Wärmebeständigkeit überschreitet kaum 180 °C. Die Kohlenstoffpigmente sind beständig bis 300 °C, Tabelle 3-29.

3.5.1.6.2

Anorganische Weißpigmente

In der breiten Palette der organischen Farbmittel gibt es kein Weißpigment. Die Natur bietet jedoch eine Reihe von Mineralien an, aus denen anorganische Weißpigmente synthetisch herstellbar sind. Bei der Einteilung der weißen anorganischen Verbindungen kommt es auf die Brechzahl bei einer bestimmten Teilchengröße an. Ist diese < 1,7, dann handelt es sich um einen Füllstoff, ist sie > 1,7, dann liegt ein Weißpigment vor. Zu diesen Weißpigmenten gehören u. a. Titandioxid (TiO2), Zinkweiß (ZnO) und Zinksulfid (ZnS), Lithopone [Zinksulfid + Bariumsulfat (BaSO4)] und Bleiweiß (basisches Bleicarbonat). Zinksulfid und Bleiweiß sind als Pigmente für Kunststoffe ohne Bedeutung.

3.5.1.6.3

Titandioxid

TiO2 ist das wichtigste Weißpigment in der Kunststoffindustrie. Von den beiden Kristallmodifikationen Anatas (Brech-

zahl 2,55, Mohs-Härte 5,5) und Rutil (Brechzahl 2,75, MohsHärte 6,5 bis 7) hat für Kunststoffe nur die Rutilform Bedeutung. Anatas weist gegenüber dem Matrixmaterial ein wesentlich stärkeres Oxidationsvermögen auf als Rutil. Dazu kommt, dass dessen Oxidationstendenz durch eine Oberflächenbehandlung noch gemildert werden kann. Anatas wird nur dann verwendet, wenn es wegen der geringeren Härte den Verschleiß produktberührter Verarbeitungsmaschinenwandungen verringern soll. Die gute Dispergierbarkeit der TiO2-Pigmente ist eine wichtige Voraussetzung für die volle Entwicklung der optischen Eigenschaften. Die wichtigsten Anwendungen von TiO2 erstrecken sich auf die Standardkunststoffe PVC, Polyolefine (PE und PP), PS und ABS. Andere Polymere wie UP, PA, PMMA und PC werden selten deckend eingefärbt und spielen deshalb nur eine untergeordnete Rolle. Das Vergrauen von in weißen oder in Pastelltönen eingefärbten MF- und UF-Formmassen kann mit Hilfe hochstabilisierter Rutilpigmente vermieden werden. Das gleiche gilt für das Weißeinfärben und Aufhellen von im Freien eingesetzten UP- und EP-Harzen. Um bei den mit phenolhaltigen Antioxidantien stabilisierten Polyolefinen ein Vergilben zu vermeiden, müssen photochemisch stabilisierte TiO2-Pigmente verwendet werden. Bei kleineren Produktionsmengen von PS und ABS kann die aufwendige Lagerhaltung bereits eingefärbter Granulate durch den Einsatz von Flüssigfarben mit gutem Benetzungsvermögen (Butylsterat oder -oleatzusatz), die selbst bei einem Anteil von 80 Masse-% TiO2 noch pumpfähig sind, vermieden werden. In den vergangenen 15 Jahren entwickelten bevorzugt japanische Forscher die Photokatalyse in Verbindung mit TiO2 [41]. Staubfreie Städte, abwaschbare Hausfassaden,

3.5 Zusatzstoffe für Kunststoffe

Tabelle 3-29 Auswahl anorganischer Pigmente und Farbstoffe für Thermoplaste Colour Index (CI) Chemische Bezeichnung

Lichtechtheit (Wollskala)

Ohne Farbumschlag n. 5 min bei °C

Anwendbar bei

8

300

allgemein verwendbar

8

300

allgemein verwendbar

8

300

allgemein verwendbar

6 bis 7

240

PVC, PE-LD

8

260

PE-LD, PS

8 8

260 260

PVC, PE-LD PVC, PE-LD, PE-HD, PS

8 7

300 300

PMMA, PVC-U-PS PMMA, PVC-U-PS

Anorganische Rotpigmente Pigmentrot 101 Eisenoxid Fe2O3 Pigmentrot 104 Blei-Chromat-Molybdat Pb(Cr,MO,S)O4

8

300

allgemein, PVC-U bedingt

8

220

PVC, PE-LD

Organische Rotpigmente Pigmentrot 176 Monoazo-Naphthol AS-Pigmente Pigmentrot 194 Naphthalintetracarbonsäure-Derivat

7

280

PVC, PD, PE-LD

8

260

PVC, PD, PE-LD

5 8 7 8

260 300 300 300

PMMA, PVC-U, PS PMMA, PVC-U, PS PMMA, PS PMMA, PS, PVC-U

7 bis 8

260

PVC, PS, PE-LD

5 bis 6

270

PMMA, PS, PVC-U

7

300

PMMA, PS, PVC-U

7

280

PVC, PS, PE-LD

Anorganische Gelbpigmente Pigmentgelb 53 Nickeltitangelb (Ti, Ni, Sb)O2 Pigmentgelb 118 Chromatitangelb (Ti, Cr, Sb)O2 Pigmentgelb 119 Zinkeisenpigment Pigmentgelb 34 Chromgelb Pb(Cr, S)O4 Organische Gelbpigmente Pigmentgelb 97 Monoazopigment Pigmentgelb 151 Monoazo-Benzimidazolonpigment Pigmentgelb 128 Disazokondensationspigment Gelb-Farbstoffe Solventgelb 93 Pyrazolonderivat Fluoriszierend, polycyclisch

Rot-Farbstoffe Solventrot 1 Azofarbstoff Solventrot 138 fluoriszierender Benzopyran-Farbstoff Azofarbstoff (Thermoplast rot) Orange-Pigmente Pigmentorange 43 Orange-Farbstoffe Solventrot 14 Azofarbstoff Fluoriszierender Parylen-Farbstoff Violette Pigmente Pigmentviolett 19 Chinacridon

117

118

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Tabelle 3-29 (Fortsetzung) Blaue anorganische Pigmente Pigmentblau 29 (Ultramarin) Na-Al-Silikat, sulfidhaltig

8

300

PVC, PS, PE-LD, PE-HD

8 8

240 250

PVC, PS, PE-LD PVC, PS, PE-LD

7

280

PMMA, PVVC, PS

Grüne anorganische Pigmente Pigmentgrün 17 Chromoxid (Cr2O3)

8

300

allgemein verwendbar

Grüne organische Pigmente Pigmentgrün 36 halogeniertes Phthalocyanin

8

300

PS, PVC, PE-LD

Braune Pigmente Pigmentbraun 29 Chromeisenbraun (Fe, Cr)2O3

6

300

allgemein verwendbar

Blaue organische Pigmente Pigmentblau 16 Phthalocyanin, stab. metallfrei Pigmentblau 60 (Indanthrenblau) Antrachionpigment Blaue Farbstoffe Solventblau 35 Fettlöslicher Antrachinonfarbstoff

antibakterielle Oberflächen, selbstreinigende und selbststerilisierende Materialien, Anti-fogging, Luftreinigung, Wasserreinigung, ja sogar die Tötung von Krebszellen mittels TiO2 sind im Gespräch bzw. werden mit Forschungsergebnissen belegt [41]. In einigen Fällen spielen dabei Kunststoffe als Matrix eine Rolle, weswegen dies hier angefügt wird. Kerr M Gee Pigments, Uerdingen übernahm 1998 die TiO2-Aktivitäten der Bayer AG und zählt zu den größten Anbietern von Titandioxid. Die Pigmente (Tronox CR) gibt es in unterschiedlicher Oberflächenbehandlung je nach eingesetztem Kunststoff. Hervorzuheben ist, dass die beim Herstellprozess entstehende Dünnsäure umweltfreundlich, vollständig wiederaufbereitet wird [3].

3.5.1.6.4

Zinksulfidpigmente

Das Zinksulfid Sachtolith enthält etwa 97 % ZnS, der Rest entfällt auf BaSO4 und ZnO. Die Brechzahl beträgt 2,34, die Mohs-Härte 3,5. Die Lithopone-Typen werden nach ihrem Gehalt an ZnS bzw. BaSO4 unterschieden. Der Zinksulfidanteil beträgt 30 bis 60 %. Das Aufhell- und Deckvermögen nimmt mit dem ZnS-Gehalt zu. Die Brechzahl beträgt 1,84 bzw. 2,09 (bei 60 %), die Mohs-Härte aller Typen 3,0. Die ZnS- bzw. ZnS/BaSO4-Mischpigmente weisen einen hohen Weißgrad und hohe Lichtechtheit auf. Vor allem die mikro-

nisierten Typen sind leicht homogen dispergierbar. In Abmischung mit Buntpigmenten werden brillante, leuchtende Farbtöne erzielt. Sie ermöglichen eine besonders hohe Wirksamkeit von optischen Aufhellern und Tagesleuchtpigmenten, weil sie selbst kaum UV-Strahlung absorbieren. Die optische Leistung hängt ab vom ZnS-Gehalt. Wegen der niedrigen Härte verursachen sie im Vergleich zu TiO2 nahezu keinen Werkzeugverschleiß und keine Beeinträchtigung der mechanischen Eigenschaften faserverstärkter Kunststoffe. Der ZnS-Anteil wirkt als Trockenschmierstoff.

3.5.1.6.5

Anorganische Schwarzpigmente

Unter den in der Kunststoffindustrie verwendeten Schwarzpigmenten spielt der Ruß die wichtigste Rolle, während das Eisenoxidschwarz oder gar das helioechtschwarz IR anwendungstechnisch unbedeutend sind.

3.5.1.6.6

Ruß

Ruße bilden sich durch unvollständige Verbrennung sowie durch thermische Spaltung kohlenwasserstoffhaltiger Stoffe. Die dabei entstehenden feinen Partikel sind angenähert kugelförmig. Der Kohlenstoff ist jedoch nicht amorph, sondern mikrokristallin. Die wichtigsten Herstellverfahren sind das Channel-, Gasruß-, Furnace- und das Flammrußverfahren. Channel- und Gasruß sind feinteilig (10 bis 30 nm). Der

3.5 Zusatzstoffe für Kunststoffe Flammruß ist gröber (50 bis 120 nm), der Furnaceruß kann sowohl grob (bis 80 nm) als auch feinteilig (20 nm) hergestellt werden. Die Farbtiefe hängt bei gegebenem Herstellverfahren von der Teilchengröße ab. Sie nimmt mit abnehmender Größe zu, ebenso die Farbstärke. Eine große Farbtiefe, d. h. eine geringere Lichtreflexion kann nur durch gutes Dispergieren des Rußes erzielt werden. Als große Hilfe erweist sich dabei die Verwendung von Konzentraten oder von Pasten, wie sie beispielsweise beim Einfärben von UP-Harzen verwendet werden. Dabei ist jedoch zu beachten, dass Farbruße die peroxidische Reaktion bei einer Beschleunigung durch Kobaltverbindungen generell verzögern und bei tertiären Aminen beschleunigen. Durch Erhöhen der Peroxid- und/oder der Beschleunigermenge, bzw. durch Verwenden weniger stark beschleunigter Amine, kann die Verarbeitungs- und Gesamtreaktionszeit in weiten Grenzen eingestellt werden. Pigmentruße stehen als Pulver, in geperlter Form sowie als Ruß/Bindemittel-Präparation zur Verfügung. Für die Qualität eines eingefärbten Erzeugnisses ist der erzielbare Verteilungszustand des Rußes mitbestimmend. Geperlte Ruße lassen sich besser silieren und dosieren als Pulverruße. Sie erfordern jedoch Verarbeitungsmaschinen, die hohe Scher- und Dispergierkräfte entwickeln. Verfahrenstechnisch kommt den Rußpräparationen besondere Bedeutung zu. Die zwischen 15 % und 50 % Ruß enthaltenden Präparationen gewährleisten ein staubfreies Handhaben und vereinfachen das Dosieren. Sie enthalten den Ruß in bereits dispergierter Form, so dass der aufwendige Dispergierprozess beim Verarbeiter nicht erforderlich ist. Je nach Bindemittelgrundlage gibt es unterschiedliche Lieferformen, wie Dispersionen, Pasten, Schuppen- bis pulvrige Substanzen und Granulate. Zur Erzielung deckender Einfärbungen sind meistens Rußzugabemengen von 0,5 bis 1 % ausreichend. Kunststoffe mit Eigenfärbung erfordern 1 bis 2 %. Mittlere Furnace-Farbruße dienen außer zur Schwarzfärbung auch als Hilfsmittel zur Verbesserung der UV-Stabilität und der elektrischen Leitfähigkeit [12], [13]. Ruß wirkt bei Polyethylen ebenfalls als Wärmestabilisator, d. h. als Antioxidans. Hierbei bewährt sich vor allem der Gasruß mit seinem hohen Gehalt an flüchtigen Bestandteilen sowie Phenol- und chinoiden Gruppen. Für die Schwarzeinfärbung technischer Kunststoffe bietet Cabot, B. einen gekapselten Ruß (Typ: Black Pearls 4890) mit einfacher Verarbeitung, guten Teileoberflächen und mechanischen Eigenschaften [3], [42].

3.5.1.6.7

Anorganische Buntpigmente

Die anorganischen Pigmente besitzen im Vergleich zu den organischen Pigmenten eine hohe Deckfähigkeit, jedoch nur eine geringe Farbstärke. Die Dispergierbarkeit ist gut. Wenn

119

die Metalle in ihrer höchsten Wertigkeitsstufe vorliegen, sind sie thermisch sehr beständig. Die anorganischen Pigmente sind generell unlöslich. Eisenoxidpigmente Die breite Farbskala der Eisenoxidpigmente von Gelb, Rot und Braun bis Schwarz fördert die zunehmende Verwendung dieser lichtechten und preiswerten Pigmente. Das Eisenoxidrot ist bis 1200 °C, das Gelb, Braun und Schwarz dagegen nur bis 180 °C beständig. Bei Teilchengrößen < 0,01 μm verlieren die Eisenoxide ihre Streueigenschaften, d. h. das Licht wird nicht mehr reflektiert, sondern nur absorbiert. Der dabei gewonnene reine Farbton verschwindet in Kombinationen mit anderen streuenden Pigmenten, wie TiO2. Eisenoxidpigmente können je nach Typ den Härtungsverlauf von UPHarzen beeinflussen. Sie bewähren sich bei PVC nur so lange, wie die Stabilisierung ausreicht. Sobald der Stabilisator verbraucht ist, bildet sich Eisenchlorid, das dann die weitere Zersetzung von PVC beschleunigt. Das Eisenoxidschwarz wird häufig bei der Einfärbung heller Grautöne in PE und PP verwendet. Mit der 2002 neu vorgestellten Variocrom-Reihe der BASF ändern Oberflächen (Folien) den Farbton je nach Betrachtungswinkel von grün nach rot (Typ: Magic Green K 9811). Dies wird durch ein Zusammenspiel von Brechung und Interferenz des Lichtes an Eisenoxid- und Siliziumdioxidschichten auf Eisenglimmerplättchen (MIOX) erreicht [3]. Chromoxidpigmente Chromoxidgrün ist ein universell einsetzbares Produkt für das Einfärben von Kunststoffen. Die kugelförmigen Teilchen sind etwa 0,3 μm groß. Die Temperaturbeständigkeit dieses sehr licht- und wetterbeständigen Pigmentes erreicht 1000 °C. Säuren und Laugen greifen nicht an. Der Farbton ist wenig rein und von geringer Brillanz. Oxidische Mischphasenpigmente Dazu gehören Pigmente, die in einem Oxidgitter kristallisieren und ihre Farbe dem Einbau von farbgebenden Kationen in diese Gitter verdanken. Die Bedeutung dieser Pigmente nimmt ständig zu. Es handelt sich vorwiegend um Spinellund Rutilstrukturen. Zu den Spinell-Mischphasenpigmenten gehört das rotstichige Kobaltblau, das vor allem für das Einfärben von PE-HD große Bedeutung erlangt hat und bei PVC für helle Töne (für mittlere und volle Töne Phthalocyanin). Bei UP-Harzen ist die katalytische Beeinflussung des Härtungsprozesses zu überprüfen [43]. Andere Spinelltypen sind das Kobaltgrün (reiner als Chromoxidgrün), Zinkeisenbraun und das Spinellschwarz. Eine große Variationsbreite bietet auch das Rutil-Gitter. Die bekanntesten Vertreter dieser Pigmentgruppe sind das

120

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

helle, zitronengelbe Nickeltitangelb und das ockerfarbene Chromtitangelb, das anstelle von Nickel Chrom enthält. Die Titanmischoxide verändern sich nicht beim Aufhellen mit Weiß. Unter Berücksichtigung der Chemikalienbeständigkeit gehören sie zu den echtesten Kunststoffpigmenten. Sulfide und Sulfoselenide Zu diesen Mischphasenpigmenten gehören die Cadmiumpigmente mit ihren ansprechenden Rot- und Gelbtönen. Cadmiumgelb ist ein reines CdS oder ein Mischkristall aus (Cd, Zn)S. Dabei wirkt Zn als Stabilisator. Cadmiumrot ist ein Cadmiumsulfoselenid (Cd, Se) S. Hier wirkt das Selen als Stabilisator. Cd-Pigmente sind nur im Purton ausreichend lichtbeständig. Sie bewähren sich bei PVC, PE-HD und UP auch im Außeneinsatz. Allerdings bedürfen die jeweiligen Rezepte einer sorgfältigen Prüfung. Cd-Pgimente sind schwer löslich und deshalb in ihrer Toxizität nicht mit den löslichen Cd-Verbindungen vergleichbar. Es ist gelungen, die löslichen Anteile auf ein Minimum zu reduzieren und damit die Bedenken gegen Cadmiumpigmente zu verringern. Eine Ausnahme bildet z. Z. noch die Verwendung bei PA 6 [44]. Chromat-Pigmente Zu dieser Gruppe gehören die Bleichchromate, Chromgelb und Chromorange, die Bleichromat/Bleimolybdatpigmente (Molybdatrot und -orange) sowie die Mischgrünpigmente Chromgrün, Chromechtgrün, Zinkgrün und Zinkechtgrün. Das Nachdunkeln der Chromgelbe konnte durch den Einbau von Titan, Cer-, Antimon- und Aluminiumverbindungen sowie von Silikaten ständig verbessert werden. Diese Stoffe dienen vor allem zum Umhüllen des nadelförmigen monoklinen Chromgelb [Pb(Cr, S)O4]-Kristalls. Diese Pigmente sind bei Verweilzeiten von 10 min bis 260 °C beständig. Für den Einsatz sprechen wirtschaftliche Überlegungen. Die wichtigsten Einsatzgebiete sind PVC, PE-HD und UP. Chromorange ist nicht so bedeutend wie Chromgelb. Durch Substitution des Sulfidions durch Selen können Nuancen von Orange über Rot bis Bordeaux erhalten werden. Die Chromechtgrüne sind Kombinationspigmente aus Chrom-gelb und Eisencyanblau. Das Berliner Blau ist allerdings reduktionsempfindlich und weniger alkalibeständig. Durch Kombinieren von Chromgelb mit Phthalocyaninblau bzw. Phthaloxyaningrün werden die wesentlich beständigeren Chrom-echtgrüne erhalten. Durch Einstellen des Mengenverhältnisses ergibt sich eine große coloristische Bandbreite. Wie Chromgelb, so gehört auch das Molybdatrot und das -orange zu den Bleichromaten. Der Einbau des farblosen Bleimolybdats in das gelbe Bleichromat führt zu orangefarbenen bis roten Pigmenten. Die bleichromathaltigen Pig-

mente dürfen aus Gründen des Gesundheitsschutzes nicht für Gefäße und Schutzabdeckungen von Nahrungs- und Genussmitteln verwendet werden [45]. Ultramarin-Pigmente Diese Pigmente gehören zu den Aluminiumsilicaten. Die Farbtöne reichen von Blau und Grün bis zu Violett und Rot. Für das Einfärben von Kunststoffen kommt vor allem das Ultramarinblau in Betracht. Dieses gilt vor allem für PVC, PE und UP. Für PE-HD hat es die gleiche Bedeutung wie das Kobaltblau, denn es vermeidet das beim Einsatz von Phthalocyaninblau beobachtete Verspröden der Formteile. Die Lichtechtheit und die Alkalibeständigkeit sind gut, säurebeständig sind nur Sondertypen (siehe auch bei organischen Buntpigmenten).

3.5.1.6.8

Organische Buntpigmente

Die organischen Buntpigmente unterscheiden sich von den anorganischen durch eine hohe Lichtabsorption und geringes Streuvermögen. Sie werden deshalb häufig mit lichtstreuenden Weiß- oder Buntpigmenten kombiniert. Bei lasierenden (transparenten) Pigmenten übernimmt der Untergrund (weißes Papier, Metallfolie) die Lichtstreuung. Farbtonreinheit, Brillanz und Farbtöne übertreffen meist die der anorganischen Pigmente. Lichtechtheit und Wetterbeständigkeit nehmen mit dem Grad der Aufhellung, beispielsweise mit TiO2 ab. Chemische Konstitution, Teilchengröße und Korngrößenverteilung bestimmen die anwendungstechnischen Eigenschaften. Mit abnehmender Teilchengröße nehmen Farbstärke, Transparenz, Glanz und Viskosität des Bindemittels zu, während das Deckvermögen, die Licht- und Wetterechtheit, die Migrationsechtheit und die Lösemittelbeständigkeit abnehmen. Es gibt bekanntlich kein organisches Weißpigment. Die organischen Schwarzpigmente werden selten angewandt, denn ihre Lichtechtheit ist der der Ruße unterlegen. In jüngerer Zeit bringen Pigmenthersteller, z. B. Holliday Pigments, UK, Farbmittel mit extremer Farbstärke (z. B. Ultramarinpigment Typ Premier XS oder rot (XSR)- oder grünstichig (XSG)) auf den Markt. Damit kann man in bestehenden Formulierungen bei gleicher Deckkraft die Pigmentkonzentration reduzieren. Für geruchsempfindliche Anwendungen oder für feuchteempfindliche Polymere wie PET oder PC eignen sich besonders hochkonzentrierte Masterbatches Pigment-Sonderformen mit extrem niedrigen Feuchtegehalten (Typ DXS von Holliday Pigments). Besondere Verzugsfreiheit bei Polyolefinen und Vinylpolymere bietet das Cromophtal-Sortiment von Ciba Spezialitätenchemie, CH.

3.5 Zusatzstoffe für Kunststoffe Die sich immer mehr verbreitenden Monokonzentrate erleichtern bei gleichen Eigenschaften die Handhabung und Dosierung. Hier beteiligt sich Ciba Spezialitätenchemie zur besseren Kundenbetreuung und zur Erweiterung bestehender E-Business-Aktivitäten an der Plattform von SpecialChem (www.specialchem.com), wobei dem Kunden Fachwissen und technische Unterstützung per Internet angeboten werden [3]. Azopigmente Auf die Azopigmente entfallen 80 % des Gesamtverbrauchs an Pigmenten. Die Phthaloxyanine weisen demgegenüber die größte Tonnage auf [46]. Für die Azopigmente ist die chromophore Gruppe (–N.N–) charakteristisch. Je nach Anzahl der Azogruppen wird nach Mono-, Dis- und Trisazopigmenten unterschieden. Anwendungstechnisch sind nur die beiden ersten Gruppen von Bedeutung. Sie liefern gelbe, orangefarbene, rote und blaue Farbtöne. Blaue und grüne Azopigmente sind anwendungstechnisch unbedeutend. Monoazopigmente Dabei handelt es sich um gelbe, orange und rote Farbmittel. Die Gelbpigmente sind licht- und wetterbeständig. Die Lösemittelbeständigkeit und die Migrationsechtheit sind mäßig. Die meisten der bei Kunststoffen verwendeten Gelbtypen gehören zur Disazoreihe.

3.5.1.6.9

Metallkomplex-Pigmente

Die gelbstichig-grünen Azometall-, die gelben Azomethinsowie die gelben und roten Isoindolin-Metall-Komplex-Pigmente werden in ihrer Bedeutung von den PhthalocyaninPigmenten weit übertroffen. Disazopigmente Diese Pigmente enthalten als Chromophor zwei Azogruppen. Auch sie liegen in Gelb und Orange vor. Licht- und Migrationsbeständigkeit genügen in der Kunststoffindustrie nur geringen Ansprüchen. Die Migrations- und Lösemittelbeständigkeit wurde durch Erhöhen der molaren Masse etwas verbessert. Naphthol AS-Pigmente Diese Pigmente zeichnen sich durch Farbstärke, Lichtechtheit und Chemikalienbeständigkeit aus. Die Lösemittelbeständigkeit befriedigt jedoch bis heute noch nicht die Anforderungen der Kunststoffindustrie. Benzimidazolon-Pigmente Die Farbskala dieser Pigmente reicht vom grünstichigen Gelb über Orange, Rot, Carmin, Bordeaux und Violett bis zum Braun. Sie sind in ihrer Echtheit den Monoazo- und Naphthaol AS-Pigmenten deutlich überlegen.

121

Diazokondensations-Pigmente Das Molekül der Monoazopigmente kann durch den Einsatz bifunktioneller Verbindungen in der Gelb- und Rotreihe vergrößert werden. Die Disazokondensations-Pigmente reichen von Gelb über Rot bis Braun. Lösemittel- und Migrationsechtheit, Temperaturbeständigkeit und Farbstärke sind recht gut. Die Licht- und Wetterechtheit ist der der Monoazopigmente überlegen. Sie eignen sich generell für das Einfärben von Kunststoffen.

3.5.1.6.10 Phthalocyanin-Pigmente Diese Pigmente enthalten meistens komplex gebundenes Kupfer; sie sind jedoch auch metallfrei herstellbar. Durch Chlorieren wird das Phthalocyaningrün gewonnen; die Substitution durch Chlor und/oder Brom führt zu gelbstichigen Grüntönen. Das Phthalocyaninblau existiert in mehreren Kristallmodifikationen, von denen die stabilisierten (anchlorierten) α- und β-Modifikationen besonders wichtig sind. Die nichtstabilisierten α-Kristalle schlagen bei höheren Temperaturen in die grünliche β-Kristallform um. Für UP-Harze kommt nur die in Styrol unlösliche βModifikation in Betracht. Außerdem ist dabei auf eine Beständigkeit gegen die beim Härten verwendeten Peroxide zu achten. Die Phthalocyanine können bei PE-HD zum Verzug und zur Bildung von Spannungsrissen führen. Auch die nicht gegen Kupfereinwirkung stabilisierten PP-Typen sind gefährdet. Im Übrigen weist das Phthalocyaninblau die höchste Echtheit auf. Bezüglich der Formstabilität (Verzug) bietet die BASF mit dem neuen Blaupigment (Typ: Heligon Blau K6915) Verzugsfreiheit bei PE an, z. B. für Flaschenkästen.

3.5.1.6.11 Polycyclische Pigmente Zu den organischen Pigmenten mit einer höheren Migrations- und Wärmebeständigkeit als die der Azo-Pigmente, gehören die so genannten polycyclischen Pigmente. Zu dieser Gruppe zählen mehrere Klassen, u. a. die aus den so genannten Küpenfarbstoffen entwickelten Küpenpigmente. Küpenpigmente Bekannte Küpenfarbstoffe sind das Indanthrenblau und die Antrachinon-Farbstoffe. Diese in unlöslicher Form anfallenden Produkte werden mit Hilfe einer speziellen Reaktion, der Verküpung, in eine wässrige Farbstofflösung, die Küpe, überführt. Nachdem es gelang, die unlöslichen Schmelzen durch Mahlen in den koloristisch optimalen Korngrößenbereich von 0,1 bis 1 μm zu vermahlen, gewannen die damit zu Küpenpigmenten gewordenen Produkte auch für das Einfärben von Kunststoffen an Bedeutung. Die Küpenpigmente umfassen die Untergruppen: Thioindigo, Anthrachinone, Perylene und Perinone. Sie bereichern

122

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

die Palette der gelben bis roten Pigmente von hoher Echtheit.

fikante Gesundheits- und Umweltgefährdung durch Cadmiumpigmente.

Nichtverküpbare Pigmente Zu dieser Reihe gehören die Chinacrodine und die Dioxazine. Die Chinacrodine umfassen rotstichig gelbe, gelbstichig rote, blaustichig rote bis violette Nuancen von hoher Echtheit. Sie werden häufig zum Abtönen von Phthalocyaninen verwendet. Nicht verküpbar sind auch die Isoindolinone in den Farbtönen Gelb und Rot. Die Farbstärke ist begrenzt, die Echtheit hoch [46].

3.5.1.6.13 Spezielle Farbmittel

3.5.1.6.12 Lösliche Farbstoffe Die löslichen Farbstoffe [36] begründeten die organische Chemie als Naturwissenschaft. Sie sind leicht dispergierbar und führen zu den brillantesten Einfärbungen. Die allgemeine Echtheit ist jedoch derjenigen der organischen Pigmente weit unterlegen. Zur hohen Brillanz kommt eine hohe Lichtabsorption; sie weisen jedoch keine Streuung und kein Deckungsvermögen auf. Ein Untergrund muss für die Rückstreuung sorgen. Die Unterscheidung kann nach der chemischen Konstitution geschehen [47]: Azo (Mono- und Disazo)-Farbstoffe, Anthrachinon-, Komplex (hauptsächlich Chromkomplex)-Farbstoffen sowie Indulin- und Nigrosinbasen (vor allem spritlösliches Schwarz) vorgenommen werden. Bei allen löslichen Farbstoffen ist auf das mögliche Ausblühen und Ausbluten zu achten. Die Licht- und Wärmebeständigkeit ist je nach Konstitution und Medium verschieden. Die Anthrachinon-Farbstoffe sind echter als die Azokörper. Für den Anwender ist die Löslichkeit der Farbstoffe von Bedeutung. Antrachinon- und Azo-Farbstoffe sind fett- bzw. aromatenlöslich. Alkohol-, ester- und ketonlöslich sind Anthrachinone, Komplexfarbstoffe und die spritlöslichen Nigrosine. Die schwarzen Nigrosin- und Indulinbasen sind säureaufschließbar. Wasserlöslich sind saure und basische Farbstoffe. Die aromatenlöslichen Azo-Farbstoffe eignen sich für das transparente Einfärben von PS und PMMA. Die fettlöslichen Anthrachinon-Farbstoffe werden für das Einfärben von SAN und PS verwendet. Die für ABS häufig eingesetzten anorganischen und echten organischen Pigmente können zur Erzielung tiefer Farbtöne mit löslichen Farbstoffen überfärbt werden. Für CA, CAB und CP werden die spritund esterlöslichen Anthrachinone bevorzugt. Zum Einfärben von Phenoplasten dienen Nigrosin- und Indulinbasen, denn sie lassen sich durch organische Säuren umsetzen. Bei Aminoplasten werden basische und fettlösliche Farbstoffe zum Schönen und Überfärben verwendet. Lange Zeit ging man davon aus, dass Cadmium in Pigmenten lösliche Verbindungen eingeht. Neuere Studien [3] belegen jedoch die Unlöslichkeit und damit keine signi-

Zu diesen Produkten [36] gehören Stoffe, die dem Anwendungsmedium besondere, vor allem optische Effekte, verleihen. Metalleffekt-Pigmente Diese Produkte werden aus Nichteisenmetallen in Form von hochglänzenden Schuppen oder pulverförmigen Partikeln hergestellt. Die Flitter sind einige Millimeter, die Partikel einige Mikrometer groß. Das Verhältnis von Längen zu Dicke beträgt 1:50 bis 1:250. „Silberbronze“ wird aus Reinaluminium, „Goldbronze“ aus Reinkupfer oder Messing hergestellt. Perlglanz-Pigmente Der Glanz dieser Pigmente beruht, wie bei den MetalleffektPigmenten, auf der Blättchenform. Die ebenflächigen, dünnen (< 10 μm) Blättchen führen zu einem matten Glanz, während die dickeren (> 30 μm) körnig und glitzernd wirken. Im Unterschied zu den Metallblättchen sind diese Stoffe stark lichtbrechend und durchscheinend. Die einfallenden Lichtstrahlen werden mehrfach partiell reflektiert, was bewirkt, dass der Glanz aus der Tiefe zu kommen scheint. Dem Perlglanz kommt eine einheitliche Partikelgröße von 15 bis 25 μm Durchmesser am nächsten. Ein natürliches PerlglanzPigment ist das in der Haut von Walen vorkommende Fischsilber. Perlglanzpigmente-Titandioxid Am vielseitigsten und häufigsten werden die TiO2-Perlglanzpigmente verwendet. Dabei dient blättchenförmiger Glimmer als Träger, auf dem beiderseits durch Hydrolyse von Titan(IV)sulfat oder Titanchloriden zunächst Titanoxidhydrat (Schichtdicke etwa 50 nm) niedergeschlagen wird, das sich in einem anschließenden Glühprozess in eine fest haftende, hochtransparente Oxidschicht umwandelt. Die farblosen Glimmerblättchen müssen etwa 200 bis 500 nm dick sein. Die TiO2-Perlglanzpigmente sind ungiftig, mechanisch, thermisch und chemisch sehr stabil. Gießharze, Thermoplaste, Lacke, Druckfarben und Kosmetika sind bekannte Anwendungsgebiete. Dickenabweichungen der TiO2-Perlglanzpigmente von nur wenigen nm erkennt das Auge bereits als Farbverschiebung. Bei paralleler Orientierung in farblosen Medien zeigen sich deshalb in der Auf- und Durchsicht komplementäre Farben, die mit dem Betrachtungswinkel variieren. Dieser Effekt wird vor allem bei künstlichen Perlmuttknöpfen aus UP-Harz genutzt.

3.5 Zusatzstoffe für Kunststoffe Tagesleucht-Farbmittel Diese Farbmittel besitzen die Fähigkeit, einen bestimmten Anteil des Tageslicht-Farbspektrums zu absorbieren und diese Energie als Licht von größerer Wellenlänge wieder zu emittieren. Man nennt dieses Phänomen Fluoreszenz. Die bei Tageslicht fluoreszierenden Farbmittel weisen die größte Wirksamkeit im langwelligen, d. h. Rot- und Gelbbereich auf. Die Brillanz lässt nach, je näher der kurzwellige, d. h. der Grün- und Blaubereich rückt. Die Tagesleucht-Farbmittel sind verhältnismäßig teuer. Ihre Wärme- und Lichtstabilität ist begrenzt. Es ist jedoch gelungen, diese Nachteile durch Einkapseln zu überwinden, so dass sie bei den Verarbeitungstemperaturen, z. B. 30 Minuten bei 190 °C, und gegen den UV-Anteil des Tageslichts ausreichend beständig sind. Eine optimale Wirkung dieser Substanzen ist jedoch nur dann gewährleistet, wenn sie nicht mit den üblichen Pigmenten vermischt werden; auch ein gefülltes Matrixmaterial würde die Fluoreszenz beeinträchtigen. Bis auf wenige Ausnahmen gibt es keine fluoreszierenden Pigmente. Es handelt sich meistens um Lösungen von fluoreszierenden Farbstoffen in spröden Harzen, die auf die Größe von Pigmentteilchen feingemahlen werden [66]. Phosphoreszenz-Farbmittel Sie vermögen die Energie des einwirkenden Lichtes zu speichern und als Licht wieder zu emittieren, das selbst in der Dunkelheit wahrnehmbar ist. Die Nachwirkung ist bei Gelb und Blau am hellsten, bei Blau außerdem am längsten. Während die Fluoreszenz-Farbstoffe auf organischen Pigmenten basieren, sind die Phosphoreszenz-Farbmittel anorganischer Herkunft. Sie enthalten meistens Zn/Cd-Sulfid oder Calcium/Strontium-Sulfid. Die Wärmestabilität ist gut. Bei Tageslicht sind die nur mit Phosphoreszenz-Farbmitteln versehenen Formstoffe schlicht elfenbeinfarben. Dieser Nachteil kann durch die Zugabe farbstarker bekannter Pigmente oder Farbstoffe behoben werden. Es muss jedoch darauf geachtet werden, dass – wie bei den fluoreszierenden Farbmitteln – diese zusätzliche Pigmente nicht im Wellenlängenbereich der Phosphoreszenz-Farbmittel absorbieren. Im Allgemeinen ist die Nachwirkungsdauer der Dauer der Tageslichteinwirkung proportional. Bei sorgfältiger Rezeptgestaltung können sehr originelle Effekte erzielt werden, insbesondere dann, wenn die Gegenstände einem dunklen UV-Licht ausgesetzt werden [48]. Optische Aufheller Sie oder Weißtöner werden dort eingesetzt, wo durch Absorption von kurzwelligem sichtbarem Licht ein ästhetisch störender Gelbstich verursacht wird. Die charakteristische Eigenschaft der Weißtöner besteht darin, dass sie UV-Strahlung in sichtbares Licht umzuwandeln vermögen. Im Unter-

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schied dazu erzeugen die Fluoreszenz-Farbmittel das langwelligere gelbe, orangefarbene oder rote Licht. Absorption und Emission folgen mit einer Zeitdifferenz von 10–9 bis 10–7 Sekunden. Bei längerem Nachleuchten liegt die bereits beschriebene Phosphoreszenz vor. Mit wenigen Ausnahmen handelt es sich bei den optischen Aufhellern [4] um fluoreszierende Farbstoffe, die in die Kunststoffe eingebettet sind. Als Farbstoffe dienen beispielsweise Naphtholimide und Rhodamine. Nicht alle Aufheller enthalten Trägerharze. Bei gedeckten Einfärbungen werden diese transparenten Farbstoffe mit TiO2 von hohem Weißgrad kombiniert. Die optimale Zusatzmenge beträgt jedoch weniger als 0,1 %. Bei Leuchtpigmenten führen höhere Zusatzmengen zu optimalen Eigenschaften. Lasermarkierung von Kunststoffen Merck hat ein neues Verfahren 2002 vorgestellt, das eine farbige Laserbeschriftung von Kunststoffen ermöglicht [3]. Es werden kontrast- und farberzeugende Pigmente (Typ: Iriodin LS) über eine selbstklebende Transferfolie direkt auf den zu beschriftenden Gegenstand aufgebracht. Die farbgebende Funktionsschicht der Folie reagiert mittels eines Nd-YAGLasers (Wellenlänge 1064 nm) und wird in die Kunststoffoberfläche übertragen [3].

3.5.1.6.14 Festschmierstoffe Für Festschmierstoffe [4] ist charakteristisch, dass sie auch unter erschwerten Bedingungen auf allen Arten von Metalloberflächen eine Schmierwirkung aufweisen. Sie erleichtern das Einlaufen von Maschinenteilen, schützen vor Fressen und Verschleiß, unterbinden das Kaltverschweißen bei hohem statischem Druck in Wälz- und Gleitlagern, sie wirken bei hohen Flächenpressungen und niedrigen Gleitgeschwindigkeiten, in staubiger Atmosphäre und im Vakuum. Auch bei Kunststoff- und Sintermetallteilen wird die Reibung verringert. Die feinkörnigen Pulver werden den Kunststoffen beigemischt oder auf die Gleitpaarungsflächen gesprüht. Molybdändisulfid Das unter dem Handelsnamen Molykote [49] bekannte Trockenschmiermittel ist ein chemisch reines MoS2, mit der niedrigen Mohs-Härte 1,0 bis 1,5 und einer Korngröße, je nach Typ, von 0,5 bis 10 μm. Der strukturelle Aufbau zeigt eine Molybdänebene zwischen zwei Schwefelmolekülen. Die Schichten sind leicht gegeneinander verschiebbar. Sie haften jedoch fest auf dem Trägermaterial. Molykote ist sehr alterungs- und oxidationsbeständig. Ein anderer Materialtyp besteht aus der synergistischen Kombination fester Schmierstoffe. Das Molykote 7365 wurde speziell für die Verbesserung des Gleit- und Verschleißverhaltens von Kunststoffen entwickelt. Die Zugabemenge beträgt 3 bis 6 %.

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3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Graphit Graphit ist ein gebräuchlicher Zusatz, um Formstoffen aus Thermoplasten – ähnlich wie mit MoS2 – Selbstschmiereigenschaften zu verleihen. Die Reibwerte liegen zwischen den mit MoS2 bzw. PTFE erreichbaren. Das Selbstschmierverhalten wird vor allem dort verlangt, wo Wasser einwirken kann. Häufig wird Graphit mit mineralischen Füllstoffen gepaart, um nicht nur verschleißgefährdete, sondern auch schwindungsarme, d. h. maßgetreue Formteile zu erhalten. Durch den Zusatz von Graphit kann die elektrische Leitfähigkeit von Phenolharz-Formmassen so hoch eingestellt werden, dass daraus hergestellt Formteile galvanisiert werden können. Polytetrafluorethylen Die PTFE-Wachse beispielsweise Hostaflon TF können wie MoS2 oder Graphit allen Kunststoffen zugemischt werden. Das Einbringen geschieht meistens auf Mischwerken. Der PTFE-Anteil beträgt 10 bis 30 Masse-%. Festschmierstoffe können als AF-Coatings (Anti-Friction-Coatings), Pasten oder Trockenpulver eingesetzt werden, kommen aber auch als Zusätze in Fetten und Ölen zur Verbesserung der Schmierwirksamkeit, des Einlaufs oder auch für Notlaufeigenschaften zum Einsatz [49]. AF-Coatings (Anti-Friction-Coatings) sind Suspensionen von Festschmierstoffen sehr kleiner Teilchengröße, wie z. B. MoS2, Grafit oder PTFE, in anorganischen oder organischen Bindemitteln. Voraussetzung für eine hohe AF-CoatingLebensdauer ist die Oberflächenvorbehandlung und Applikationstechnik. Bei Beachtung der Vorbehandlungs- und Beschichtungshinweise ist ein AF-Coating dauerfest einsetzbar. Druckbelastbarkeiten oberhalb der meisten metallischen Werkstoffe werden dann in Abhängigkeit vom AFCoating erreicht. AF-Coatings bestehen aus Festschmierstoffen (als Pigment), Harzen (als Bindemittel) und Lösemitteln. Die sorgfältige Auswahl geeigneter Additive und Lösemittel lässt die Herstellung maßgeschneiderter AF-Coatings für industrielle Anwendungsverfahren zu. Unter Berücksichtigung von Energieeinsparung und Umweltschutzvorschriften können auch wasserverdünnbare, lösemittelarme sowie unbrennbare oder elektrostatisch verspritzbare AF-Coatings verwendet werden [49].

3.5.1.6.15 Fließhilfsmittel Unter Fließhilfsmitteln sollen an dieser Stelle nur jene Zusatzstoffe verstanden werden, die die Viskosität gießfähiger Polymeren erniedrigen oder erhöhen. Viskositätserniedrigende Zusätze Das wichtigste Anwendungsgebiet dieser Hilfsmittel sind die PVC-Plastisole. Sie erfüllen dort die Aufgabe, die Viskosität

der Pasten zu senken, ohne den Weichmacheranteil erhöhen zu müssen. Sie wirken dabei gleichsam als Netzmittel und Dispergierhilfe für die Polymer/Weichmacherkombination. Als Viskositätsregler werden epoxilierte Fettsäuren bevorzugt. Ihr chemischer Aufbau kann der jeweiligen Paste optimal angepasst werden. Eine Technik, die es ermöglicht, beispielsweise einen höheren Anteil an Füllstoffen oder Brandschutzmittel ohne Viskositätserhöhung zu wählen, besteht darin, diese partikelförmigen Stoffe mit Silanen oder Titanaten zu beschichten. Viskositätserhöhende Zusätze Die Aufgabe dieser Stoffe besteht darin, mit geringen Zusatzmengen die Viskosität von Hause aus niedrigviskoser Reaktionsharze wie UP- und EP-Harze oder PVC-Pasten auf ein für die Verarbeitung optimales Niveau anzuheben und ihnen außerdem ein ausgeprägt thixotropes Verhalten zu verleihen. Bekannte Viskositätsregulierer sind Magnesiumoxid und synthetische Kieselsäure. Magnesiumoxid Das aus Magnesit, Meerwasser oder Sole gewonnene MgO bewährt sich in der Kunststoffindustrie als Eindickungsmittel der für das Verarbeiten in Form von Harzmatten (SMC) oder Formmassen (BMC) bestimmten Harze. Die Zugabe der staubenden Pulver wird heute dadurch erleichtert, dass das MgO – in monomerfreiem UP dispergiert – als Paste zur Verfügung steht. Diese Pasten enthalten 20 bis 30 % Magnesiumoxid in Korngrößen < 30 μm. Synthetische Kieselsäure Die pyrogene, hochdisperse Kieselsäure wird durch Hydrolyse von Chlorsilan in einer Knallgasflamme hergestellt. Die dabei außer Chlorwasserstoff entstehenden porenfreien Kieselsäurekugeln von sehr enger Korngrößenverteilung (65 bis 30 μm) lagern sich zu Aggregaten und flockigen Agglomeraten zusammen. Teilchengröße und Struktur der Oberfläche bestimmen die anwendungstechnischen Eigenschaften. Beim Dispergieren dieser Pulver in einer Flüssigkeit, beispielsweise in einem Plastisol oder einem Gießharz, treten die an der Oberfläche der SiO2-Partikel befindlichen Silanolgruppen (SiOH) über Wasserstoffbrücken miteinander und mit anderen Stoffen in Wechselwirkung. Die dabei entstehende Gerüststruktur bewirkt das Eindicken der Flüssigkeit. Dieses Netzwerk wird beim Einwirken von Scherkräften – beispielsweise beim Rühren, Gießen oder Streichen – je nach Dauer der Scherung mehr oder weniger zerstört. Das verdickte System wird niedrigviskoser. Im Ruhezustand stellt sich jedoch der hohe Anfangswert wieder ein. Dieser reversible, zeitabhängige Effekt wird als Thixotropie bezeichnet. Die Verdickungswirkung nimmt mit abnehmender Teil-

3.5 Zusatzstoffe für Kunststoffe chengröße zu. Ein strukturviskoses Verhalten ist bei der Verarbeitung von Plastisolen und Gießharzen in den Fällen erwünscht, in denen während des Auftragens eine gewisse Dünnflüssigkeit erforderlich ist, anschließend jedoch ein Weglaufen oder Abfließen verhindert werden soll. Das ist z. B. bei PVC-Plastisolen der Fall, beim Beschichten von Geweben (Verhindern des Durchschlagens), beim Kalttauchen, Airless-Spritzen oder beim Auftragen von FugenDichtungsmassen. Synthetische Kieselsäure verzögert dank der Viskositätserhöhung das Sedimentieren dispergierter Feststoffe im Ruhestand. Sie erhöht die Fließfähigkeit von Pulvern und überführt sogar Flüssigkeiten in rieselfähige Pulver.

3.5.1.6.16 Gleit-, Slip-, Antislip-, Antiblock- und Formtrennmittel Gleitmittel werden den thermoplastischen und duroplastischen Formmassen zugesetzt, um die innere und äußere Gleitfähigkeit bei der Formgebung in der Wärme zu erhöhen. Sie erniedrigen nicht nur den inneren und äußeren Reibwert, sondern können auch die Entformbarkeit, das Blockverhalten und den Oberflächenglanz günstig beeinflussen. Sie werden unterschieden nach ihrer inneren und/ oder äußeren Gleitwirkung. Chemische Zusammensetzung, Polarität, Löslichkeit, Schmelzverhalten und Zusatzmenge bestimmen die Wirksamkeit eines jeden Gleitmittels [4]. Die inneren Gleitmittel weisen meist eine niedrige, die äußeren eine höhere Molekülmasse auf. Die Wirkung eines Gleitmittels – ob inneres oder äußeres – ist auf die Polaritätswechselwirkung Gleitmittel-Kunststoff zurückzuführen. Die polaren Gruppen enthalten meist Sauerstoff, Sauerstoff + Metall, Sauerstoff + Stickstoff oder Halogene. Damit können die Gleitmittel eingeteilt werden in KW, Alkohole, Carbonsäureester, Ketone, Metallsalze von Carbonsäuren, Amide und Halogen-Kohlenwasserstoffe [50]. Silicone setzen die Viskosität von Schmelzen herab und wirken somit als innere Gleitmittel; zwischen Schmelze und Metall übernehmen sie die Aufgabe eines äußeren Gleitmittels und bei der Reibung von Kunststoff auf Kunststoff unterdrücken sie Quietschgeräusche. Die meisten Gleitmittel werden aus natürlichen Rohstoffen hergestellt: die Paraffine aus Erdölrückständen und bei der Braunkohlenschwelerei oder aus bituminösen Schiefern; die natürlichen Fettsäuren (C16- bis C18-Säuren und deren Gemische) aus pflanzlichen und tierischen Fetten. Die weitere Hydrierung der Fettsäuren führt zu den Fettalkoholen. Die technisch wirksamsten, teureren Gleit-mittel sind die veredelten Montanwachse (C28 bis C32). Halbsynthetische Gleitmittel basieren auf dem Umsatz von Alkoholen zu Estern, Metalloxidaten oder Hydroxiden zu Salzen oder Aminen zu Amiden. Vollsynthetische Wachse sind nieder-

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molekulare PE- und PP-Wachse oder Copolymerisate aus Ethylen, VAC, Acryl- oder Crotonsäure. PVC ist unverändert der größte Gleitmittelverbraucher. Die neuere Entwicklung führt zu Gleitmittelcompounds und -gemischen. Für das Füllstoffcoating werden Spezialprodukte verlangt, die höhere Füllstoffkonzentrationen zulassen. Die Folienhersteller möchten das Plateout und die Spritzgießer von Fittings das Abschiefern vermeiden [51]. Slip-, Antislip- und Antiblockmittel [4] dienen nicht wie die Gleitmittel zur Erleichterung der Formteil- oder Halbzeugherstellung, sondern dazu, die Weiterverarbeitung – vor allem von Folien – zu vereinfachen. Das Halten von Folienbeuteln im Stapel bewirkt, dass sie sich nicht abheben oder öffnen lassen. Diese Erscheinung stört vor allem bei PE-LD und PP. Als wirksames Slipmittel wirkt bei PE-LD die Zugabe von 0,05 % Ölsäureamid und bei PP die gleiche Zusatzmenge von Erucasäureamid. Die Additivhersteller liefern Konzentrate dieser Verbindungen in Granulatform zum Einarbeiten in die Formmasse [51]. Antislipmittel verhindern beispielsweise das Abgleiten gefüllter Foliensäcke im Stapel oder auf der Palette. Abhilfe verschafft das Einarbeiten oder das Aufsprühen eines Antislipmittels. Sie verleihen den Produkten eine begrenzte Klebrigkeit, die dennoch ein leichtes Abheben zulässt. Als Antislipmittel sind wässrige PVAC-Dispersionen oder benzinische Lösungen von amorphem PP, die noch geringe Wachsmengen zur Einstellung der günstigsten Hafteigenschaft enthalten. Antiblockmittel verhindern das Zusammenbacken von Folien unter Einwirkung von Druck und Wärme. Insofern ähneln sie den Slipmitteln. Sie werden mitunter auch kombiniert. Das Blocken tritt vor allem auf der Rolle oder im Stapel auf. Als Antiblockmittel eignen sich Kreide, Kieselerde und synthetische Kieselsäure: sie werden in die Formmasse eingearbeitet. Die Konzentration beträgt etwa 0,1 %. Die um 20 μm großen Partikel wirken als Abstandshalter. Für das Ausrüsten von Weich-PVC-Folien eignet sich auch das Amidwachs. In Zusatzmengen von 1 % ist es ebenfalls ein gutes Antiblock- und Slipmittel. Flüssige und pulverförmige Trennmittel wie Wachse, Polyethylenglycole, Polyvinylalkohol und Silicone, Metallstearate und Polytetrafluorethylen werden auf die Formnestwandung von Press- und Spritzgießwerkzeugen gesprüht bzw. gestäubt. Bei der Herstellung von Schaumstoff-Formteilen wird häufig Glimmer aufgesprüht. Während Formtrennmittel beim Verarbeiten vieler Duro- und Thermoplaste erforderlich sind, führen sie z. B. bei Polyolefinen zu schwachen Bindenähten und erschweren das Schweißen, Kleben und Bedrucken. Seit etwa 15 Jahren haben sich überwiegend so genannte innere Formtrennmittel, beispielsweise Kalzium- oder Zink-

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3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

stearate bei der Polyurethan-RIM/RRIM-Herstellung, durchgesetzt. Mit ca. 0,5 bis 1 Masse-% werden sie der Formmasse bzw. dem Polyol beim PUR zugegeben und verhindern das Haften des Formteiles beim Entformen aus dem Werkzeug. Eine Migration des Formtrennmittels über der Rohteillagerung oder auch schon im heißen Werkzeug während der Vernetzung/Kristallisation erfordert intensive Waschvorgänge bei folgenden Lackierprozessen. Auch werden durch die Formtrennmittel in Masse mechanische Eigenschaften wie Elastizitätsmodul reduziert. Die Stearate können auch als Zentren für Rissauslösung bei Langzeitbeanspruchungen wirken, wie beispielsweise in ultrahochmolekularem Polyethylen (UHMW-PE) für Gelenkendoprothesen.

3.5.1.6.17 Härter Härter – auch Initiatoren genannt – sind Stoffe, die den Vernetzungsvorgang von Harzen (oder linearen Polymeren) katalytisch auslösen. Der Härtungsvorgang vollzieht sich meist in der Wärme. Die so genannte Kalthärtung ist jedoch bereits bei Raumtemperatur möglich. Bei den Pheno- und Aminoplasten sowie den Furanharzen lösen Säurehärter das Vernetzen beim Formungsvorgang in der Wärme aus. Die Polymerisation der ungesättigten Polyester- und Methacrylatharze hingegen wird durch Peroxide eingeleitet. Ihre Wirkung kann durch Beschleuniger gesteigert werden. Die für UP-Harze bevorzugten Peroxidhärter sind die Hydro-, Alkyl-, Acryl-, Acetylbenzoyl-, Ketal- und die Ketonperoxide sowie die Perester [17]. Um bestimmte Charakteristiken bei der Härtung, insbesondere bei der Reaktionsgeschwindigkeit zu erzielen, kann

auch mit Peroxidkombinationen gearbeitet werden. Die Peroxide [4] werden in flüssiger, pastöser und in fester Form angeboten. Die verhältnismäßig geringe Stabilität der Peroxide erfordert den Zusatz so genannter Phlegmatisierungsmittel, das heißt träge machender Substanzen. Zu den Härtern zählen auch die Stoffe, die bei Reaktionsharzen, zum Beispiel PUR und EP, eine Härtung durch Polyaddition bewirken. Sie reagieren im eigentlichen Sinn nicht katalytisch, sondern als bi- oder polyfunktionelle Verbindungen, gleichsam als vernetzende Elemente [52]. Zu diesen gehören die Polyisocyanate (PUR) sowie die Polycarbonsäuren, und -anhydride, Polyamine, Polyamide und Polyaminoamide. Vernetzungsreaktionen bei Elastomeren bezeichnet man als Vulkanisation. Gemeint ist dabei die Herstellung von Elastomeren aus Kautschuk durch weitmaschige chemische Vernetzung. Die kovalente Brückenbildung zwischen den Kautschukketten kann durch verschiedene chemische Reaktionen erfolgen. Tabelle 3-30 [5] fasst die wichtigsten Vernetzungsreaktionen und –systeme für Kautschuk zusammen. Tabelle 3-31 beleuchtet den Einfluss des Vernetzungssystems auf ausgewählte Eigenschaften von Elastomeren und Duroplasten.

3.5.1.6.18 Haftvermittler Zu den Haftvermittlern zählen die Substanzen, die zwischen zwei Substraten eine enge physikalische und/oder chemische Bindung herstellen. Bei den miteinander zu verbindenden Trägermaterialien handelt es sich um faserförmige Verstärkungs- oder partikelförmige Füllstoffe auf der einen und um Kunststoffe oder Metalle auf der anderen Seite. Die Haftver-

Tabelle 3-30 Vernetzungsreaktionen und Vernetzungssysteme für Kautschuk [5] Vernetzungsreaktion

Vernetzungssysteme

Kautschuke

Reaktion von Schwefel mit Kautschuk

Schwefel-Beschleuniger-Systeme Schwefelspender-Systeme

NR, BR, SBR, NBR, CR, IIR, CIIR, BIIR, EPDM, ETER, PNR, TOR

Reaktion von Radikalen mit Kautschuk

Peroxide energiereiche Strahlung

EPM, EPDM, EAM, HNBR, CM, CSM, Q, MVQ, AV, PE und alle Dien-Kautschuke. Nicht geeignet für IIR, CIIR, CO, ECO

Reaktion von bifunktionellen Verbindungen mit reaktiven Gruppen des Kautschuks

Polyvalente Metalloxide Diisocyanate Phenol-Formaldehyd-Harze Dioxime Bisphenole Diamine

CR, BIIR, CIIR, CM, CSM AU, EV IIR, BIIR, CIIR IIR FPM CO, ECO, AEM, BIIR, CIIR, ACM, FPM

Reaktion von bifunktionellen Verbindungen mit Dien-Kautschuk

Diisocyanate Phenol-Formaldehyd-Harze

Dienkautschuke Dienkautschuke

Silanvernetzung

multifunktionelle Silane

Silikonkautschuke, PE

3.5 Zusatzstoffe für Kunststoffe

Tabelle 3-31 Einfluss des Vernetzungssystems auf ausgewählte Eigenschaften [5]

Tabelle 3-33 Zweikomponenten-Haftvermittler (in Anlehnung an [53]) Stoffklasse

Einfluss des Vernetzungssystems Reaktionskinetik

Netzstellen physikalische Eigenschaften

chemische Eigenschaften

Induktionszeit Aktivierungsenergie Vernetzungsgeschwindigkeit Vernetzungsdichte Chemische Struktur Spannungs-Verformungsverhalten bleibende Verformung dynamische Eigenschaften

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Bemerkungen

hydroxylgruppenhaltiger Polyester in Ethylacetat hydroxylgruppenhaltiger Polyester

lösemittelfrei

aliphatisches Polyisocyanat in MPA/X aromatisches Diisocyanat

Pulver

aliphatisches Polyisocyanat aromatisches Polyisocyanat in Ethylacetat

lösemittelfrei

thermische Stabilität chemische Beständigkeit Tabelle 3-34 Reaktionsverzögerer (in Anlehnung an [53])

mittler bilden in jedem Falle Brücken zwischen den Grenzflächen beider Komponenten. Haftvermittler-Harze auf der Basis von Styrol/Butadien-Legierungen dienen zum Beispiel als verbindende Schichten beim Laminieren von Tafeln und beim Coextrudieren von Folien aus Styrol-Polymerisaten mit Polyolefinen, PC, PMMA und PA [10]. Werden bei der Beschichtung oder Laminierung von Substraten aus Polyester-, Polyamid- oder Aramid-Fasern mit Weich-PVC hohe Trennfestigkeiten verlangt, so wird der Einsatz von Haftvermittlern notwendig. Welches der Haftvermittler-Systeme zum Einsatz kommt, richtet sich vor allem nach den Anforderungen an den herzustellenden Artikel, den Arbeitsbedingungen bei der Bereitung der Grundstrichpaste, der Art der Beschichtungsanlage sowie der Verweilzeit im Gelierkanal. Typische Einsatzgebiete für Haftvermittler sind heute u. a. LKW- und Abdeckplanen, Traglufthallen und andere textile Bauten, flexible Behälter, Zeltdächer, Markisen, Schutzbekleidung, Fördergurte, Flockteppiche, Schaumkunstleder. Eine Übersicht über die einzelnen Haftvermittler ist in [53] enthalten. Zum Einsatz kommen ein- oder zweikomponentige Haftvermittler-Systeme, die lösemittelfrei oder lösemittelhaltig sein können. Tabelle 3-32, 3-33 und 3-34 zeigen einige für Weich-PVC geeignete Stoffklassen.

Tabelle 3-32 Einkomponenten-Haftvermittler (in Anlehnung an [53]) Stoffklasse

Bemerkungen

aromatisches Polyisocyanurat in DBP aromatisches Polyisocyanurat in Butylacetat aromatisches Polyisocyanurat in DOP

lösemittelfrei lösemittelfre

Stoffklasse

Bemerkungen

Organisches Säurechlorid in Butylacetat

für lange Tropfzeiten

Bei Elastomeren erfolgt die Bindung zwischen Kautschuk und textilen oder metallischen Verstärkungen ebenfalls über Haftvermittler oder haftvermittelnde Zwischenschichten. Tabelle 3-35 [5] nennt übliche Haftsysteme. Allen Systemen gemeinsam ist, dass das Haftmittel eine chemische Bindung mit dem Substrat eingeht und auch mit dem Kautschuk chemisch reagiert. Für die Haftung zwischen textilen Fasern und Kautschuk werden wässrige Systeme bevorzugt. Bekannt hierfür ist das RFL-Dip; Resorcin wird in einem alkalischen Medium vorkondensiert, es bilden sich Mono-, Di- und Trimethylolresorcine. Die Fasern werden mit dem Reaktionsprodukt ergänzt, mit Naturkautschuk oder SBR- und Vinylpyridin-Latex beschichtet. Während der folgenden Trocknung bei 150 °C bis 230 °C reagiert die Methylol-Gruppe sowohl mit der Faseroberfläche als auch mit den aktiven Molekülgruppen Tabelle 3-35 Haftvermittler für textile und metallische Festigkeitsträger [5] Anwendung

Haftsystem

Chemische Bindung an Festigkeitsträger:

Resorcin-Formaldehyd-Latex (RFL) Isocyanat-Haftsysteme Resorcin-Formaldehyd-Silica (RFS)

Chemische Bindung an Metalle:

Messing- oder Zinkbeschichtung Resorcin-Formaldehyd-Silica (RFS) Isocyanat-Haftvermittler Halogenierte Haftvermittler

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3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

des Kautschuks. Über die anschließende Vulkanisation vernetzt auch der an die Faser gebundene Kautschuk. Aktive Wasserstoffatome bei Resorcin-Methylos-Systemen (Rayon oder Polyamiden), Epoxid-Pre-Dips oder Isocyanate bei Polyester- und Aramid-Fasern, sowie Silane bei Glasfasern bewirken die Vernetzung. Haftvermittler, die in die Mischung zugegeben werden (so genannte Direkthaftsysteme wie z. B. Resorcin-Formaldehyd-Silica), sind vorteilhaft, weil der Dip-Prozess entfällt. Nachteilig ist dagegen ein höherer Harzverbrauch und ähnlich wie bei den Formtrennmitteln in der Mischung auch, kann es Eigenschaftsänderungen im Elastomer geben [5]. Zur besseren Adhäsion von Kautschuk auf Stahl wird dieser mit α-Messing beschichtet. Es reagiert mit Schwefel zu Zinksulfid und dem Kautschuk. Organische Kobaltverbindungen katalysieren die Reaktion und erfordern eine hohe Schwefeldosierung. Alternativ dazu bieten sich Resorcin-Formaldehyd-Silica-Systeme an. Bei Isocyanaten als Haftvermittler kann die Messingschicht entfallen, allerdings sind hierbei Lösemittel einzusetzen. Wässrige Dispersionen chlorierter oder sulfurchlorierter Polyethylene, die mit Polynitrosoverbindungen vernetzt werden, bilden einen Ausweg [5]. Von großer Bedeutung für das Füllen und Verstärken von Kunststoffen sind die im englischen Sprachgebrauch als coupling agents (Kuppelagenzien) bezeichneten Haftvermittler. Zu diesen gehören in erster Linie die Silane, gefolgt von den Titanaten.

Behinderung der Hauptreaktion sind auch Quervernetzungen der Haftvermittlermoleküle möglich. Die dabei entstehenden Si–OH-Gruppen können bei H2O-Molekülen zusätzlich Wasserstoffbrücken zum Substrat bilden. Bei siliciumfreien Substanzen reagieren die Silane mit Oxiden oder Oberflächenfeuchtigkeit. Eine davon abgeleitete Variante ist die peroxidisch initiierte Pfropfung von Vinyl-Siloxanen auf Polyethylen und die nachfolgende Vernetzung durch Einwirkung von Wasser. Rohre, Behälter und Kabelisolationen sind Anwendungsgebiete.

Silan-Haftvermittler Dabei handelt es sich um monomere Verbindungen der allgemeinen Form (RO)3SiR′X. X repräsentiert eine organofunktionelle Gruppe, beispielsweise Amine, Methacrylate, Epoxid und andere. Diese Gruppen sind durch eine stabile Kohlenstoffbindung R′, meistens eine –(CH2)-Gruppe, mit dem Silicium verbunden. An dem organischen Ende des Moleküls befinden sich hydrolisierbare Alkoxy- oder AcetoxyGruppen (RO). Diese Gruppen hydrolisieren in wässriger Lösung oder bei Einwirkung von Luftfeuchtigkeit zu der reaktiven Silanol-Gruppe-Si(OH)3. Die Silanol-Gruppe kondensiert mit Hydroxid-Gruppen an der Oberfläche siliciumhaltiger Materialien (Glas und andere Mineralien) und bildet eine kovalente Bindung. Die organische Gruppe R′X reagiert mit der Matrix und führt zu einer besseren Haftung zwischen dieser und dem anorganischen Zusatzstoff wie Glasfasern oder Glaskugeln. Beim Füllstoffcoating, beispielsweise von synthetischer Kieselsäure oder ATH, vollzieht sich zwischen den reaktiven Hydroxylgruppen in der Füllstoffoberfläche und den Gruppen (RO)3Si eine Kondensationsreaktion. Durch sterische

3.5.1.6.19 Inhibitoren

Titanate Die mit Titanat behandelten anorganischen Stoffe sind hydrophob, organophil und organofunktionell. In Verbindung mit Polymeren verbessern sie die Schlagzähigkeit, führen nicht zum Verspröden und bewirken selbst bei Füllstoffanteilen von mehr als 50 Masse-% eine Schmelzeviskosität, die niedriger ist als die des nicht gefüllten Polymeren [54]. Die Titanate reagieren mit Kreide, Schwerspat, Ruß, Cellulose, Peroxiden, C- und Aramid-Fasern sowie mit den Kunststoffen. Die Zusatzmengen betragen 0,1 bis 0,5 %. Die Titanat-Haftvermittler erfüllen insgesamt sechs Aufgaben, von denen eine die chemische Bindung von Füll- oder Verstärkungsstoffen an die Kunststoffmatrix darstellt. Außer der Verbesserung der mechanischen Eigenschaften der Formstoffe, der Abkürzung der Zykluszeiten beim Spritzgießen, der Reduzierung des Spritzdrucks und dem möglichen höheren Füllstoffanteil reduziert sich der Energieverbrauch bei höherer Durchsatzleistung.

Dazu gehören Stoffe, die einen Polymerisations- oder Vernetzungsvorgang verhindern oder verzögern, dieses im Gegensatz zu den Aktivatoren oder Promotoren. Beispielsweise kann bei UP-Harzen die Härtungsreaktion erst dann beginnen, wenn der Inhibitor verbraucht ist. Er verlängert die Gelierzeit, ohne die Entformungszeit in gleichem Maße zu verringern. Bekannte Inhibitoren sind alkylierte Phenole, Kresole und Chinone. Die Chinone sind zwar sehr wirksam, jedoch wenig stabil [17]. Inhibitoren erhöhen ebenfalls die Lagerungsstabilität der Ausgangsprodukte.

3.5.1.6.20 Keimbildner Die Keimbildner (Nukleierungsmittel) [4] erfüllen den Zweck, bei teilkristallinen Thermoplasten den Kristallinitätsgrad zu erhöhen. Die Kristallisationstemperatur ist bei konstanter Abkühlgeschwindigkeit umso höher, je höher die Keimdichte ist. Daraus folgt unmittelbar eine Verkürzung der Zykluszeit beim Spritzgießen nukleierter Formmassen [55]. Häufig kann wegen der höheren Kristallisationstendenz (höherer Kristallinitätsgrad) eine mögliche Nachkristallisa-

3.5 Zusatzstoffe für Kunststoffe tion mit ihren negativen Folgen für die mechanischen Eigenschaften und die Maßhaltigkeit vorweggenommen werden. Keimbildner sollen durch das Polymere benetzt und in diesem unlöslich und feinkörnig (1 bis 10 μm) sein und einen höheren Schmelzpunkt als das Polymere aufweisen. Als Keimbildner bewähren sich: Anorganische Stoffe (Talkum, synthetische Kieselsäure, Kaolin), organische Stoffe (Salze von Mono- und Polycarbonsäuren und Pigmente sowie Polymere (Ethylen/Acrylester-Copolymerisate, PA 6.6 und PET-Pulver).

3.5.1.6.21 Kicker Bei der Herstellung von Schaumstoffen aus Hart- und WeichPVC mit chemischen Treibmitteln, beispielsweise Azodicarbonamid, werden als Starter zur Reduzierung der Zersetzungstemperatur, Regelung der Gasabspaltung und der Porenstruktur Polyole und Harnstoff verwendet. Auch einige Füllstoffe und Pigmente bewähren sich als Regelsubstanz. Als Ersatz cadmiumhaltiger Substanzen gibt es flüssige zinkalkalihaltige Produkte und ebenfalls flüssige Zn/K-SalzKomplexe [9]. Als Porenregler beim Schäumen von Extrudaten (Tafeln, Folien, Profile) mit Hilfe physikalischer Treibmittel bewährt sich Zitronensäure. Auch das bei der Herstellung peroxidisch vernetzter Schaumstoffe am häufigsten verwendete ADC wird in Kombinationen mit einem Kicker eingesetzt. Dieser Aktivator ermöglicht das Reduzieren der Zersetzungstemperatur sowie das Feinabstimmen der Treibmittel- und Peroxidzugabe. Zu homogenen Schaumstoffen mit feinen, geschlossenen Zellen führt beispielsweise eine Kombination von Zinkoxid und Stearinsäure [56].

3.5.1.6.22 LP-Additive (low profile) UP-Harze schwinden beim Härten um 6 % bis 9 %. Bei warmgehärteten Formstoffen kommt die thermische Schwindung hinzu. Die Folge sind Eigenspannungen, Einfallstellen und Lunker. Diese Nachteile können durch schwindungsarme Harzsysteme und durch die Zugabe von Füll- und Verstärkungsstoffen nicht vollständig kompensiert werden. Bei den bei Temperaturen von mehr als 100 °C härtenden schwindungsarmen Harzen handelt es sich um Zweiphasensysteme, bei denen ein geeigneter Thermoplast mit einer Teilchengröße bis zu 50 μm im monomeren Anteil – meistens Styrol – dispergiert ist. Härten diese Harze bei Raumtemperatur, dann schwinden die Formteile normal, das heißt 6 % bis 9 %. Beim Aushärten in der Wärme geht jedoch die Schwindung mit steigender Temperatur zurück. In einem offenen Werkzeug vergrößert sich sogar das Volumen. Die Ursache dieses Phänomens liegt in der thermisch bedingten Ausdehnung der dispergierten Partikel (PS und Copolymerisate, Polyolefine, PMMA, PVAC). Die kohärente Phase besteht aus der styrolischen Lösung des UP, die zweite Phase

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aus den in Styrol dispergierten Thermoplasten. Dieses Zweiphasensystem ist auch in der Wärme beständig. Die Polymerisation des Styrols in der zweiten Phase verläuft langsamer als die Copolymerisation des Styrols mit dem ungesättigten Polyesterharz der kohärenten Phase. Bei hohen Härtungstemperaturen kommt es sogar zum Verdampfen von Styrol, was bei dem, der herrschenden Temperatur entsprechenden, Dampfdruck zu einer Volumenvergrößerung führt. Erst wenn die äußere Phase sich verfestigt hat, polymerisiert auch das in den dispergierten Teilchen noch verbliebene Styrol. Die schwindungsarmen UP-Harze sollten sehr reaktiv sein, d. h. mehr Doppelbindungen enthalten, um eine Härtungstemperatur von 120 °C bis 140 °C zu erreichen. Härtbare Formmassen (BMC) und Harzmatten (SMC) sind die prädestinierten Produkte für die Herstellung von Formteilen mit schwindungsarmer, glatter, konturengenauer und nachbearbeitungsfreier Oberfläche, wie sie vor allem von der Automobilindustrie verlangt werden [57] und heute Stand der Technik sind.

3.5.1.6.23 Metalle und Metalloxide Metallpulver aus Aluminium, Bronze, Kupfer und Nickel werden den thermo- und duroplastischen Formmassen sowie den Reaktionsharzen dann zugesetzt, wenn Formstoffe mit hoher Wärme- oder elektrischer Leitfähigkeit hergestellt werden sollen. Ein typisches Beispiel bildet die Verwendung von Aluminiumpulver bei PF-Pulverharzen zum Pressen von Tragkörpern für Diamantschleifscheiben. Schwermetallpulver erhöhen die Beständigkeit von Formteilen gegen Neutronen- und γ-Strahlen. Metalloxide dienen zur gezielten Verbesserung bestimmter physikalischer Eigenschaften. Aluminiumoxid verbessert die elektrischen Werte, Berylliumoxid die Wärmeleitfähigkeit, Eisenoxid das Magnetverhalten, Blei- und Zinkoxid erhöht die Dichte. Magnesiumoxid dient als Viskositätsregler bei UP-Harzen. Metallfasern werden als Verstärkungsmaterial und zur Verbesserung der EMV eingesetzt.

3.5.1.6.24 Mikrobentötende Zusätze Während die Kunststoffe als solche kaum von Mikroorganismen wie Bakterien, Pilzen, Hefen und Algen angegriffen werden, können jedoch einige Zusatzstoffe, vor allem die darin enthaltenen Weichmacher, als Nahrungsquelle dienen. Deshalb gilt das Verhindern des biologischen Abbaus vor allem dem Weich-PVC. Allerdings können auch einige Pigmente, Füllstoffe, Verarbeitungshilfen und Stabilisatoren von diesen Kleinlebewesen befallen werden. Sie erzeugen Stoffwechselprodukte, die ätzend oder fleckenbildend wirken oder auch die mechanischen Eigenschaften des Werkstoffes beeinträchtigen. Zu den mehr oder weniger angreifbaren Weichmachern zählen die Abkömmlinge der Milch- und

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3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Adipinsäure, Sebazinsäure und epoxidierte Fettsäuren; grundsätzlich jedoch die Oleate, Stearate und Polyester. Günstiger verhalten sich die Phthalate, Phosphate und Toluolsulfonate [58]. Von der großen Anzahl der patentrechtlich geschützten Biostabilisatoren haben bisher das Kupfer8-hydroxychinolin, das N-(Trihalogenmethylthio) tetrahydrophthalimid, das Diphenylantimon-2-ehtylhexanoat, das N-(trihalogenmethylthio)phthalimid und das Tributylzinnoxid sowie dessen Derivate eine anwendungstechnische Bedeutung erlangt. Eine hohe Temperatur- (300 °C), Licht-, Säure- und Alkalibeständigkeit weisen Benzimidazolderivate auf. Kombinationen von Zinkdithiocarbamat und einem Benzimidazolderivat sind bis 200 °C und im Bereich pH 3 bis 13 beständig. Häufig werden die Wirksubstanzen in Weichmachern, Costabilisatoren oder Lösemitteln angeboten. Die Biostabilisatoren [4] müssen zahlreiche Anforderungen erfüllen, denn außer der Wirkungsbreite, der Beeinflussung der Licht- und Wärmebeständigkeit mit den übrigen Rezeptbestandteilen, der Wirkungsdauer und der Lagerbeständigkeit ist für den Gebrauch die Toxizität von großer Bedeutung, denn die Biostabilisatoren wirken nicht nur auf Mikroorganismen toxisch, sondern mehr oder weniger auch auf Warmblüter. Deshalb sind die Merkblätter der Hersteller sorgfältig zu beachten. Bei Gegenständen, die dauernd mit der menschlichen Haut, mit Trinkwasser, Nahrungs- und Genussmitteln in Berührung kommen, sollte die Verwendung von Biostabilisatoren unterbleiben.

3.5.1.6.25 Phlegmatisierungsmittel Die begrenzte Stabilität der vor allem bei der Verarbeitung ungesättigter Polyesterharze verwendeten Peroxide erfordert das Verdünnen mit phlegmatisierenden Substanzen. Dabei handelt es sich um inerte mineralische Füllstoffe, (die weder angreifen noch angegriffen werden), um Wasser oder Weichmacher auf der Basis von Phthalaten. Die phlegmatisierten Peroxide weisen in der handelsüblichen Form meistens eine Konzentration von 50 % auf [17].

3.5.1.6.26 Photoinitiatoren Die Entwicklung von Initiatoren, die das Härten von UPHarzen mit Licht im langwelligen und damit ungefährlichen UV-A-Bereich mit Hilfe von Leuchtstofflampen oder Quecksilberdampf-Hochdruckstrahlern ermöglichen, führt zu Einkomponentensystemen bei Lacken, Spachtelmassen, vorimprägnierten Glasfasermatten und Rovings. Als Initiatoren dienen Benzoin sowie Benzil und deren Abkömmlinge. Sie werden durch die UV-Strahlung in Radikale gespalten, die die Polymerisationsreaktion auslösen. Die Spachtelmassen werden handwerklich verarbeitet, während flächige Halbzeuge wie Thermoplaste in Thermoformanlagen und

strangförmiges Material auf numerisch gesteuerten Hochgeschwindigkeitsanlagen verarbeitet werden können [59]. Die Wechselwirkung von Licht (UV oder sichtbarer Bereich) mit chromophoren Gruppen löst photochemische Reaktionen aus. Die lichtabsorbierenden Gruppen sind entweder im Polymer eingebaut (z. B. Vinyl-Cinnamat, Naphtyl-Vinylacetat) oder werden als Photoinitiatoren (z. B. Diphenyldisulfid) zugesetzt [5].

3.5.1.6.27 Schlagzähigkeitsverbesserer Die Schlagzähigkeitsverbesserer (engl. impact modifier) sind Homo- oder Copolymere, die dank ihrer niedrigen Glasübergangstemperatur spröde Polymere so zu modifizieren vermögen, dass diese auch in der Kälte schlagzäh bleiben. Voraussetzung für das Eigenschaftsbild dieser PolymerBlends ist die Tatsache, dass die beiden Liganden nur eine bedingte Verträglichkeit aufweisen. Es handelt sich somit im physikalischen Sinne nicht um eine Mischung, sondern vielmehr um ein Gemenge, denn nur so kann die eingebettete, elastifizierende Komponente als Stoß- und Schlagabsorber wirken. Der Anteil dieser Komponente beträgt meistens mehr als 10 Masse-%. Außer dem Mischen von verschiedenen Polymeren gibt es naturgemäß noch andere Wege, um zu schlagzähen Kunststoffen zu gelangen, beispielsweise die Co- und Pfropfpolymerisation oder das Ausrüsten spröder Polymeren mit Weichmacher. Diese Produkte bleiben jedoch in diesem Abschnitt außer Betracht. Bei PVC-U erweist sich der Zusatz von feinstem, gefälltem Calciumcarbonat (Korngröße 75 nm) als ein vorzüglicher Verbesserer der Schlagzähigkeit und zugleich der Oberflächengüte. Zu den anwendungstechnisch wichtigsten PP-Blends gehören die mit EPM oder EPDM (Polyolefinelastomere) modifizierten Propylen-Homo- und Copolymerisate. Eine Langzeit-UV-Stabilisierung ermöglicht den Einsatz im Freien. Auch die Lackierbarkeit dieser Typen wurde verbessert. Zu den seit Jahren bekannten Zähigkeitsverbesserern von PA, dem Ethylen/Vinylacetat (EVAC)-Copolymerisat sowie PE-HD, kommen die thermoplastischen PO- und PA-Elastomere. Die mit diesen Elastomeren ausgerüsteten Formmassen erhalten durch Füllen und Verstärken wieder die Steifigkeit des Grundwerkstoffs, ohne an Schlagzähigkeit zu verlieren. Außer ABS, mit Polybutadien als elastifizierender Komponente, gibt es noch einen Vorläufer unter den kälteschlagzäh ausgerüsteten Polymeren, das PVC-U. Zu den elastifizierenden Liganden gehören: EVAC, EVAC/VC-Pfropfpolymerisat, PAE/VC (Polyacrylsäureester/VinylchloridCopolymerisat), ACE (Acrylester/ MMA-Pfropfpolymerisat) sowie das in mehr als 35jähriger Bewährung bekannte chlorierte Niederdruckpolyethylen PE-C. Alle genannten

3.5 Zusatzstoffe für Kunststoffe Polymer-Blends eignen sich für den Außeneinsatz, denn sie enthalten keine ungesättigte Komponente. Für die Innenanwendung hingegen kommen Polybutadien-modifizierte Produkte in Betracht, zum Beispiel MBS, ein Methylmethacrylat/Butadien/Styrol-Pfropfpolymerisat [60]. Witterungsbeständige AXS-Polymere enthalten anstelle des UV-gefährdeten Polybutadien ein dienarmes Acrylesterelastomer, was eine hohe Wetterfestigkeit aufweist. Auch mit dienarmen EPDM elastifiziertes Polystyrol bleibt im Außeneinsatz schlagzäh. Transparentes, schlagfestes Polystyrol (SB) wird dann gewonnen, wenn die normalerweise opakizierende Kautschukkomponente nicht in Form von kugelförmigen Partikeln, sondern von feinsten Lamellen in die kohärente PS-Phase eingebettet wird. Aus dem gleichen Brechungsindex ergibt sich die Transparenz. Als elastifizierende Komponente für Phenoplaste kommt vor allem der formaldehydbeständige Nitril/Butadien-Kautschuk (NBR) in Betracht. Beim Härten reagieren Harz und Kautschuk miteinander. Naturkautschuk ist mit Phenolharzen nicht verträglich. Bei 25 % Kautschukanteil sinkt jedoch der E-Modul mit 1000 N/mm2 bereits in den mittleren Bereich unverstärkter Thermoplaste. Die Schlagzähigkeit erreicht die Werte vom Typ 74 (Textilschnitzel verstärkt). Die Formbeständigkeit in der Wärme ist mit Temperaturen von weniger als 100 °C niedriger als die vom Typ 31.

3.5.1.6.28 Treibmittel Schaumstoffe können nach drei Verfahren hergestellt werden: dem Latex-Schäumverfahren (bei dem die Zellstruktur durch Einschlagen von Luft in das zu schäumende Produkt erhalten wird), dem chemischen und dem physikalischen Treibverfahren. Unter den physikalisch wirkenden Treibmitteln spielen die von löslichen Feststoffen abgegebenen keine Rolle. Von den verdichteten Inertgasen kommt nur der Stickstoff (in den USA) in Betracht. Leicht siedende Flüssigkeiten sind bis zu einem Siedepunkt von 110 °C von technischer

131

Bedeutung [59]. Pentan wird vom Markt nur zögernd aufgenommen. Beim Extrudieren von PS-Schaumstoff dient Methylenchlorid als Treibmittel. Die fluorierten, aliphatischen Kohlenwasserstoffe (R 11, R 12, R 113 und R 114) kommen den an physikalische Treibmittel gestellten Anforderungen am nächsten, denn sie sind nicht brennbar, gesundheitlich unbedenklich und thermisch stabil. Wegen nachhaltiger Schädigung der die lebende Natur auf der Erde schützenden Ozonschicht dürfen die FCKW ab Mitte der neunziger Jahre nicht mehr als Treib- und Kältemittel verwendet werden. An ihre Stelle treten bis auf weiteres die weniger schädlichen HF(C)KW und/oder die Kohlenwasserstoffe (Pentan, Cyclopentan). Das bekannteste chemische Treibmittel [4] für Thermoplaste und EP-Harze ist Azodicarbonamid (ADC). Mit einer Gasausbeute von 220 g/ml ist es das wirtschaftlichste aller handelsüblichen Treibmittel. Es entspricht den Empfehlungen des BGA und der FDA. Die an sich sehr hohe Zersetzungstemperatur von 205 bis 215 °C kann durch Zusatzstoffe, so genannten Kicker, reduziert werden. Als Kicker dienen: Polyole, Harnstoff, Amine sowie Zinkoxid, Zinkstearat, Calciumstearat und andere. Zu den chemisch wirkenden Treibmitteln gehören auch die Hydrazin-Derivate, die Semicarbazide, die Tetrazole und die Benzoaxine, Tabelle 3-36 [61]. Zu erwähnen ist aber auch CO2, das bei Wasser-Anwesenheit im Polyol bei der Synthese von Polyurethan mit Isocyanat freigesetzt wird und zu PUR-Schaum führt.

3.5.1.6.29 Stabilisatoren Im Jahre 2001 wurden weltweit 850 000 t/a Stabilisatoren verbraucht. 70 Prozent davon werden in PVC eingesetzt [3]. Restriktionen gegen schwermetallhaltige Stabilisatoren erzeugen einen Trend hin zu organischen Verbindungen. Zusammen mit Co-Stabilisatoren und/oder Synergisten entstehen so genannte Multifunktionsadditive, wie bei-

Tabelle 3-36 Eigenschaften gebräuchlicher chemischer Treibmittel Chemische Bezeichnung

Zersetzungsbereich in Luft °C

Gasausbeute ml/g

Vorzugsweise verwendet bei

Azodicarbonamid modif. Azodicarbonamid 4,4’-Oxibis(benzolsulfohydrazit) Diphenylsulfon-3,3’-disulfohydrazit Diphenylsulfon-4,4’-disulfohydrazit Trihydrazinotriazin p-Toluylensulfonylsemicarbazid 5-Phenyltetrazol Isatosäureanhydrid

205 bis 215 155 bis 220 150 bis 160 155 175 bis 180 275 228 bis 235 240 bis 250 210 bis 225

220 150 bis 220 125 110 120 225 140 190 115

PVC, PE, PP, PS, ABS, PA PVC, PE, PP, EVA, PS, ABS PE, PVC, EVA PVC, PE, EVA PE, EVA, PVC ABS, PE, PP, PA ABS, PE, PP, PA, PS ABS, PPE, PC, PA, PBT PS, ABS, PA, PPE, PBT, PC

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3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

spielsweise Verarbeitungshilfen mit integriertem Licht- und Oxidationsschutz. In Skandinavien und den Benelux-Ländern wird seit 2001/2002 auf bleihaltige Stabilisatoren verzichtet. Die Automobilindustrie stellt seit 2003 auf bleifreie Kabel um. Derzeit sind Stabilisatoren auf Calcium-Zink-Basis die beste Alternative, obwohl die Systeme wegen der notwendigen Zugabe von organischen Co-Stabilisatoren (Polyole und Phosphite) komplizierter und meist auch teuerer sind [3]. Dennoch werden Bleistabilisatoren, schon aufgrund des unvermindert wachsenden Weltmarktes für PVC (2010 werden weltweit 35 Mio. t/a erwartet), noch lange am Weltmarkt dominieren. Das Mengenverhältnis Blei zu alternativen Systemen beträgt heute ca. 4:1. Multifunktionelle Stabilisatorsysteme mit deutlich besseren Migrations- und Farbeigenschaften bei erleichterter Handhabung (One-Packs) werden schwermetallhaltige Systeme bedrängen. Man schätzt, dass nur noch 80 000 t/a bleihaltige Stabilisatoren im Jahre 2010 eingesetzt werden. Crompton Corp. (www.cromton-corp.com) stellte beispielsweise 2002 einen organischen PVC-Stabilisator (Typ: OBS) für PVC-Rohre vor. Cognis, NL (Tochter von Henkel) bietet einen Ca/Zn-Stabilisator (Typ: Stabilox CZ2913GN) für Fensterprofile mit 10 % geringerer Dosierung und gleichen Eigenschaften wie herkömmliche Pb-stabilisierte Systeme an. Great Lakes, USA hat eine ganze Palette von neuen Stabilisatoren, darunter auch ein flüssiges System (Typ: Anox 1315) für PVC sowie Fertigpräparationen (One-Packs) mit anderen Komponenten integriert (Typ: NDB) im Sortiment [3].

Natürliche und synthetische Polymere unterliegen der Oxidation. Dieser schädigende Abbau der Kunststoffe kann sowohl durch Wärmeeinwirkung bei der Verarbeitung und im Einsatz, als auch unter dem Einfluss des UV-Anteils der Sonnenstrahlung vor sich gehen. Beim Anwenden der Erzeugnisse im Freien kann durch Zusammenwirken der beiden Einflüsse die Schädigung beschleunigt werden. Die wichtigsten Oxidationsstabilisatoren (Antioxidantien) für Elastomere sind in Tabelle 3-37 [5] zusammengestellt. Am besten schützen die (stark verfärbenden) p-Phenyldiamine, die allerdings für die Peroxidvernetzung ungeeignet sind. TMQ (Tabelle 3-37) ist ein kostengünstiges Hitzeschutzmittel, jedoch ohne Ozonschutz. Am ungünstigsten sind die nicht verfärbenden sterisch gehinderten Phenole, die jedoch für helle Produkte und für den Lebensmittelkontakt benötigt werden [5]. Tabelle 3-38 vergleicht die Wirksamkeit verschiedener Alterungsschutzmittel in Naturkautschuk [62]. UV-Stabilisatoren Bei im Freien befindlichen oder in geschlossenen Räumen fluoreszierendem Licht ausgesetzten Kunststoffen werden durch den energiereichen UV-Anteil der Strahlung physikalisch-chemische Vorgänge ausgelöst, die sich in einer Verschlechterung der mechanischen Eigenschaften, in Glanzverlust und Verfärbung äußern können. Der Grad der Schädigung hängt ab von: Lichtempfindlichkeit des jeweiligen Kunststoffs, Art der Zusatzstoffe, Wanddicke der Erzeugnisse sowie Intensität und Wellenbereich der einwirkenden Strahlung. Die nachteiligste Wirkung geht vom UV-Bereich

Tabelle 3-37 Antioxidantien für Elastomere [5] Antioxidants-Gruppe

Chemische Bezeichnung

Abkürzung

Eigenschaften

Substituierte Phenole

2,6-Di-tert. butyl-4-methylphenol

BHT

nicht verfärbend

Substituierte Bisphenole

2,2’-Methylen-bis-(4-methyl-6-tert. butyl-phenol) 2,2’-Methylen-bis-(4-methyl-6-cyclohexyl-phenol)

BPH CPH

nicht verfärbend nicht verfärbend

Dihydrochinoline

2,2,4-Trimethyl-1,2-dihydrochinolin, polymerisiert

TMQ

verfärbend

Diphenylamine

Octyliertes Diphenylamin Aceton/Diphenylamin-Kondensationsprodukt

ODPA ADPA

verfärbend verfärbend

Phenyl-Naphtylamine

Phenyl-α-naphtylamin

PAN

verfärbend

Paraphenylendiamine

N,N’-Bis-(1,4-dimethylpentyl)-p-phenylendiamin N-isopropyl-N’-phenyl-p-phenylendiamin N-(1,3-dimethylbutyl)-N’-phenyl-p-phenylendiamin N,N’-Diphenyl-p-phenylendimin N,N’-Ditolyl-p-phenylendiamin

77PD IPPD 6PPD DPPD DTPD

stark verfärbend stark verfärbend stark verfärbend stark verfärbend stark verfärbend

Benzimidazole

2-Mercaptobenzimidazol Methyl-2-mercaptobenzimidazo

MBI MMBI

nicht verfärbend

3.5 Zusatzstoffe für Kunststoffe

133

Tabelle 3-38 Vergleich der Wirksamkeit der Alterungsschutzmittel gegen verschiedene Einflüsse in Naturkautschuk: 1 = sehr gut, 5 = schlecht (keine Schutzwirkung) [62] Antioxidantien

Oxidationsschutz

Hitzeschutz

Ermüdungsrissbildung

Ozonschutz

Schwermetallstabilisator

Substituierte Phenole Substituierte Bisphenole Dihydrochinoline Diphenylamine Acryl-naphtyl-amine Dialkyl-p-phenylendiamine Alkyl-aryl-p-phenylendiamine Diaryl-p-phenylendiamine

3–4 2–3 2 2–3 2 2–3 1–2 1–2

4 3 1–2 2 2–3 3 2 2

5 5 4 3–4 2 1–2 1 2

5 5 5 5 5 1 1–2 2–3

4–5 4 3 3 2–3 2 2 2

(300 bis 400 nm) aus. Bei der Raumfahrt ist außerdem die Strahlung im Bereich von 200 bis 300 nm zu berücksichtigen. Die Schutzwirkung von UV-Stabilisatoren [4] beruht vor allem auf der Absorption der schädlichen UV-Strahlung und deren Umwandlung in weit weniger schädigende Wärmeenergie, das heißt langwellige Strahlung. Die photochemische Schädigung der Kunststoffe kann durch folgende Medien verzögert werden: Schutzüberzüge (Lacke, Metall), UV-Absorber, Quencher und Radikalfänger/Peroxidzersetzer. Die üblichen Konzentrationen der Lichtschutzmittel betragen 0,05 % bis 2 %. Zu den UVAbsorbern gehören außer den allerdings nur bei schwarz eingefärbten Erzeugnissen anwendbaren Ruß, vor allem die schwerflüchtigen Hydroxyphenylbenzotriazole, einige Hydroxybenzophenone sowie auch das bisher für Kosmetika verwendete Formamidin und der Benzyliden-Campher [61]. Den Übergang von den UV-Absorbern zu den Quenchern (Löschern) bilden die Zimtsäureester. Die Quencher wirken nicht durch Absorbieren der Strahlung, sondern durch Dissipation der von Chromophoren aufgenommenen Energie. Dadurch verhindern sie jede weitere chemische Reaktion. Ihre Wirkung ist unabhängig von der Wanddicke. Die wichtigsten Quencher sind die Nickelchelate. Sie erweisen sich bei PP und PE-HD als sehr wirksam. Eine zusätzliche Eigenschaft der Nickelchelate besteht darin, dass sie als Haftvermittler für Druckfarben wirken. Beim photooxidativen Abbau von Polymeren spielen die Hydroperoxide eine wichtige Rolle. Radikalfänger, beispielsweise phenolische Antioxidantien, hemmen den Abbau dadurch, dass sie die Radikale verwandeln bzw. die beim Abbau gebildeten Peroxide zersetzen. Sie werden in weniger reaktive Substanzen umgesetzt. Die besten Ergebnisse werden erzielt, wenn gleichzeitig eine hohe Wärmestabilisierung mit Hilfe von Antioxidantien und/oder Wärmestabilisatoren gewährleistet ist. Als wirksame Hydroperoxidzersetzer erweisen sich Metall (Ni, Zn)-Komplexe schwefelhaltiger Verbindungen.

Als Radikalfänger wirken beispielsweise Benzoate vom Typ Benzyliden-Campher. Die wichtigste Neuentwicklung auf dem Gebiet der Lichtschutzmittel brachten in den vergangenen 15 Jahren die sterisch gehinderten Amine (HALS). Die niedermolekularen Typen wurden in der Zwischenzeit durch hochwirksame polymere Typen ergänzt. Sie bewähren sich vor allem bei dem sehr oxidationsempfindlichen PP und anderen Polyolefinen – selbst bei geringen Wanddicken der Erzeugnisse (Folien, Fasern). Die polymeren HALS-Typen erweisen sich als sehr extraktions- und migrationsbeständig. Von dem großen Sortiment an Lichtschutzmitteln können nur wenige bei einer Vielzahl von Kunststoffen optimal eingesetzt werden. Daraus resultiert das Bestreben, für eine Reihe von Kunststoffarten bzw. deren verschiedenen Typen anwendungsspezifische UV-Stabilisatoren zur Verfügung zu stellen und so den erfolgreichen Einsatz der Kunststoffe für einen immer breiter gefächerten Markt zu ermöglichen. Dass auch die Lichtschutzmittel in Form nichtstaubender, leicht zu handhabender Masterbatches angeboten werden, versteht sich von selbst [63]. Wärmestabilisatoren Während die meisten Polymere bereits durch die Anwesenheit von Antioxidantien und Lichtschutzmittel gegen die schädigende Wirkung von Wärme bei der Verarbeitung und beim Einsatz hinreichend geschützt sind, bedarf vor allem das PVC einer zusätzlichen Wärmestabilisierung. Bestünde das PVC-Makromolekül nur aus Methylen- und CHClGruppen, dann wäre es unter den gewöhnlichen Verarbeitungsbedingungen sehr stabil. Die Instabilität rührt jedoch von bestimmten Elementgruppen her, die die Kette an jedem Ende abschließen. Es ist auch möglich, dass sich tertiäre Cl-Atome in der Polymerkette befinden, die Schwachstellen bilden.

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3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Angesichts der geringen Thermostabilität des PVC ist es nicht verwunderlich, dass seit dem ständig zunehmenden Verbrauch von weltweit 14 Mio. t/a mehr als 250 000 t/a an Stabilisatoren für nur diese eine Kunststoffsorte und ihre Modifikationen benötigt werden. Die Auswahl der Stabilisatoren geschieht heute nicht nur nach anwendungsspezifischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten, sondern ebenso nach ihrer toxikologischen Beurteilung, die von Land zu Land unterschiedlich sein kann. Die USA und Frankreich lassen beispielsweise für Trinkwasserrohre keine Bleiverbindungen zu; an ihre Stelle treten Zinnstabilisatoren. In Europa ist der Verbrauch von Cadmiumstabilisatoren wegen gesundheitlicher Bedenken nicht mehr zugelassen. Die Aufgabe der Wärmestabilisatoren besteht bei PVC darin, den bei der Zersetzung freiwerdenden Chlorwasserstoff zu binden, Initialstellen durch Substitution auszuschalten und die Autooxidation durch antioxidative Eigenschaften des Stabilisators, gegebenenfalls unter Mitwirkung von phenolischen Antioxidantien oder Phosphiten, zu verhindern. Die schwefelhaltigen Zinnverbindungen eignen sich zum Stabilisieren von E-, S- und M-PVC, von Co- und Pfropfpolymerisaten sowie vom PVC-Polymerblends. Bei allen Zinnstabilisatoren wird die damit erreichbare glasklare Transparenz der Erzeugnisse besonders geschätzt. Die schwefelhaltigen Verbindungen erfordern zur Erhaltung der Transparenz allerdings die Anwesenheit von UV-Stabilisatoren [63]. Die Organozinn-Stabilisatoren sind sehr migrationsbeständig. Die Butylzinnmercaptide werden in zunehmendem Maße zur Substitution von Ba/Cd-Stabilisatoren verwendet. Sie dienen im Übrigen allgemein zur Herstellung technischer Produkte. Die schwefelfreien Zinnstabilisatoren, zum Beispiel die Dialkylzinnmaleinate, sind im Gegensatz zu den schwefelhaltigen Zinnstabilisatoren sehr lichtstabil und geruchsfrei. Im Hinblick auf den Austausch von Ba/CdStabilisatoren haben die Barium/Zink- und die Calcium/ Zink-Stabilisatoren an Bedeutung gewonnen. Aus der Kombination von Zinkcarboxylat und Ba- bzw. Zn-Carboxylat ergibt sich ein Synergismus. Farb- und Langzeitstabilität dieser Metallcarboxylate werden durch die Verwendung von Costabilisatoren (z. B. Diketone, organische Phosphite, Polyole, Epoxidverbindungen) wesentlich unterstützt [64]. Für das Stabilisieren von Hart-PVC bei Außenanwendungen werden unverändert Ba/Cd-Stabilisatoren bevorzugt. Aus Gründen der Arbeitshygiene werden diese Stabilisatoren als staubfreie Konzentrate verarbeitet. Die Draht- und Kabelummantelung sowie die Herstellung von Druckrohren sind unverändert weltweit die wichtigsten Anwendungsgebiete bleistabilisierter Hart- und Weich-PVC-Einstellungen. Die wichtigsten Verbindungen sind dibasisches Bleistearat. Auch bei diesen Stabilisatoren bewährt sich das Kombinieren mit

Costabilisatoren und Gleitmittel, die auch als Konzentrate am Markt erhältlich sind. Zeitlich kontrollierbare Stabilität (Abbau) Während die in den vorangehenden Kapiteln behandelten mikrobentötenden Zusatzstoffe, Wärme- und UV-Stabilisatoren dem Erhalt der wertvollen Kunststofferzeugnisse dienten, führen bestimmte Forschungs- und Entwicklungsarbeiten in die genau entgegengesetzte Richtung, d. h. zum gezielten Abbau von bestimmten Halb- und Fertigerzeugnissen aus Kunststoffen. Dabei handelt es sich vor allem um die in großen Mengen zu Packmitteln und Packstoffen verarbeiteten Standard-Kunststoffe PE, PVC und PS. Durch den sinnvollen Einsatz dieser Produkte soll erreicht werden, dass das Aufkommen an Kunststoffmüll durch zeitlich vorgegebenen photo- oder biochemischen Abbau verringert wird. Unter Hinweis auf den Abschnitt „Abbaubares Polyethylen“ (siehe Kapitel 2) seien vorab an dieser Stelle einige andere Produkte aus dieser Reihe genannt. Nach G.C. Scott kann ein steuerbarer Abbau der oben genannten Polymere durch Inkorporieren von radikalbildendem Eisendialkylthiocarbamat bei Einwirkung von UVStrahlung photochemisch erfolgen [10]. Nach Guilet werden UV-sensitive Ketone einpolymerisiert. In den USA liefern PE-Hersteller Copolymere aus Ethylen und Kohlenmonoxid (E/CO), die nach mehrstündiger Sonneneinstrahlung zu zerbröckeln beginnen. Es versteht sich von selbst, dass bei diesen Produkten jegliches Recyclieren oder Compoundieren mit Normal-PE mit Sicherheit ausgeschlossen werden muss. Einen zweiten Weg bietet der biochemische Abbau von Kunststoffen. Er wird durch den Zusatz metallorganischer Verbindungen oder Stärke erreicht. Anwendungsbeispiele sind die in der Landwirtschaft weit verbreiteten Mulchfolien aus Polyethylen oder PVC. Diese Folien verrotten in einer Vegetationsperiode und können ohne weiters untergepflügt werden. Biologisch abbaubar sind auch aliphatische Polyester, Polycaprolactone und thermoplastische Stärke [65]. Einen erfolgreichen Weg bietet auch das Aufbereiten von gewöhnlicher Stärke in Doppelschnecken-Compoundiermaschinen unter Zugabe von Wasser und chemischen Additiven verbunden mit intensiver mechanischer Scherung und thermischer Beanspruchung. Das Endprodukt ist thermoplastisch verarbeitbare Stärke. Das auf den technisch ausgereiften Anlagen hergestellte Granulat kann auf herkömmlichen Extrudern zu Folien und auf Spritzgießmaschinen zu einfachen Formteilen verarbeitet werden. Weichmacher Weichmacher dienen dazu, die Härte und die Sprödigkeit von Polymeren herabzusetzen. Sie vergrößern den Abstand

3.5 Zusatzstoffe für Kunststoffe der Molekülketten, verringern so die Nebenvalenzkräfte und verschieben den Einfrierbereich zu tieferen Temperaturen, siehe auch Kapitel 3.1.1. Zum Erreichen dieses Zieles bieten sich zwei Möglichkeiten: die innere und die äußere Weichmachung. Die innere Weichmachung geschieht durch das Copolymerisieren von zwei verträglichen Monomeren, deren Glasübergangstemperaturen weit auseinander liegen. Bei der äußeren Weichmachung handelt es sich um einen Solvatation-, das heißt Quellvorgang, bei dem der niedermolekulare Weichmacher von dem Polymeren durch Nebenvalenzkräfte gebunden wird. Die Wirksamkeit der dem Verarbeiter allein zugänglichen äußeren Weichmachung ist besonders ausgeprägt bei den polaren Polymeren (ein Beispiel bildet die weich machende Wirkung von Feuchtigkeit beim hydrophilen Polyamid). Die Solvatation ist trotz starker Dipolkräfte keine chemische Reaktion. Bei den Weichmachern [53] – insbesondere bei denjenigen für PVC – wird zwischen Primär- und Sekundärweichmachern unterschieden. Primärweichmacher sollen gut gelieren und nicht ausschwitzen. Sekundärweichmacher sind dipolarme, mäßige Gelierer, die in Kombination mit Primärweichmachern verwendet werden. Sie tragen zur Verminderung der Migrationstendenz, zur Kältefestigkeit und zur Extraktionsbeständigkeit bei. Primärweichmacher werden häufig teilweise durch Extender ersetzt. Sie wirken nicht gelierend, beeinflussen jedoch Viskosität, Reißfestigkeit und das Kleben der Oberfläche. Naturgemäß spielt dabei auch die Verbilligung eines Rezeptes eine Rolle. Die so genannten Polymerweichmacher sind besonders lösemittel- und migrationsbeständig. Sie sind nicht flüchtig und gut kältebeständig, weil sie bei tiefen Temperaturen nicht kristallisieren. Die weich machende Wirkung hängt sehr von der Konzentration ab. Der älteste Weichmacher ist der Campher. Er wird seit dem Jahre 1868 zum Verbessern der Verarbeitbarkeit und zur Flexibilisierung von Zelluloid verwendet. Im Verbrauch stehen die Phthalsäureester an erster Stelle, davon vor allem das Dioctylphthalat (DOP), gefolgt vom Diisooctyl- und Diisononylphthalat sowie dem Dibutylphthalat (DBP). Der Einsatz von Phthalaten aus kurzkettigen aliphatischen Alkoholen, beispielsweise Dimethylphthalat (DMP), bleibt wegen der hohen Flüchtigkeit auf Celluloseester beschränkt. DOP zeichnet sich durch hohes Geliervermögen, gute Verträglichkeit, Lichtstabilität, geringe Flüchtigkeit, hohe Wasserfestigkeit und günstige elektrische Eigenschaften aus [10]. Emissionen gelten als gesundheitskritisch. Neuere Entwicklungen führten bei DIP zu einer Lebensmittel- und einer medizinischen Qualität [56]. Die schwerflüchtigen, flammwidrigen Phosphorsäureester behaupten ihre Position bei mechanisch hoch beanspruch-

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ten technischen Produkten wie Förderbänder. Das nur für Formmassen aus Celluloseestern verwendete Triphenylphosphat ist ein fast unbrennbares Produkt und in Benzin unlöslich. Das Trikresylphosphat (TCF) ist ein flammwidriger Weichmacher für mechanisch hochbeanspruchte PVCErzeugnisse. Die Ester der aliphatischen Dicarbonsäuren (Adipin-, Azelain- und Sebacinsäure) dienen als Weichmacher für PVC und PVAC. Diese Produkte sind kältefest und lichtbeständig. Die Ester höherer Fettsäuren wie Pelargonate, Laurate, Palmitate, Stearate und Ricinoleate sind streng genommen keine Weichmacher, sondern dienen als Extender, Sekundärweichmacher oder Gleitmittel. Das Einsatzgebiet der epoxidierten Fettsäureester ist die Hart- und Weichverarbeitung von PVC. In Kombination mit Metallstabilisatoren wie Ca/Zn-Verbindungen ergeben sich wertvolle synergistische Effekte. Wichtige Vertreter sind epoxidiertes Soja- und Leinöl. Das Interesse an Zitronensäureester ist auf die günstige gesundheitliche Beurteilung zurückzuführen. Für die Herstellung von Polyvinylbutyralfolien für Verbund-Sicherheitsglas ist das Triethylenglycoldi-2-ethylbutyrat ein unentbehrlicher Weichmacher geworden. Er gewährleistet eine gute Splitterhaftung der Folien im Temperaturbereich von –40 °C bis +70 °C. Die als Polymerweichmacher bezeichneten Polyester liegen durch Wahl der Veresterungskomponenten und der Molmasse in einer breiten Auswahl vor. Propan- und Butandiol sind die bevorzugten Diole. Als Dicarbonsäuren dienen Adipin-, Azelain- und Sebacinsäure. Chlorparaffine mit Chlorgehalten von 30 % bis 40 % dienen als Sekundärweichmacher. In PVC-Pasten kann der Anteil bis zu 25 % betragen. Mit Chlorgehalten von 50 % kommen die Chlorparaffine den Primärweichmachern sehr nahe und können in halbharten Mischungen ohne den Zusatz von Primärweichmachern verwendet werden. Kohlenwasserstoffe wie Dibenzyltoluol und Produkte mit aliphatisch-aromatischer Struktur dienen als Extender für Tauch- und Rotationsgusspasten. Das Flexibilisieren von Polyamid mit Hilfe von Weichmachern einer vergleichbaren polaren Struktur (zum Beispiel Cetamoll), das zur Gruppe der Sulfamide gehört, ist seit der Entwicklung von PACopolymerisaten mit weitgehend kälteunabhängigem Elastomerverhalten in den Hintergrund getreten. Phenolharze können durch den chemischen Einbau weichmachender Gruppen wie Bis- und Polyphenole, die über elastische Zwischenglieder verbunden sind, plastifiziert werden. Für MF-Formmassen kommen ein- oder mehrwertige Alkohole, z. B. Glycerin, in Betracht, ebenso p-Toluolsulfamid. Bekannte Weichmacher für UP-Harze sind DOP, TCF, Mesamoll, Chlophen und Ultramoll. Sofern bei UP-Harzen eine gewisse Einbuße an mechanischen und elektrischen Eigenschaften in Kauf genommen werden kann, können Weichmacher wie DOP, BBP oder TCF verwendet werden.

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3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Unter bestimmten Umständen schwitzen sie aus, denn sie nehmen an der Reaktion nicht teil. Als Flexibilisatoren bewähren sich die Polysulfide und die Polyaminoamide. Weichmacher aus der Sicht der Kautschuke und Elastomere beschreiben Röthemeyer/Sommer [5]. Weichmacheraufnahme Korngröße und Kornstruktur bestimmen das Vermögen der PVC-Körper, Weichmacher aufzunehmen, was besonders bei der Weichverarbeitung wichtig ist. Das gleichmäßig hochporöse Korn der für die Weichverarbeitung bestimmten Typen wirkt sich sehr günstig aus, besonders auch im Hinblick auf die Geschwindigkeit der Weichmacheraufnahme beim Mischen (Dryblend-Bildung). Die Bestimmungsmethode für die Weichmacheraufnahme bei Raumtemperatur (DIN 53417 T.1) gibt hauptsächlich einen Hinweis auf die Porosität der PVC-Marken, die Bestimmung der Geschwindigkeit der Weichmacheraufnahme bei höheren Temperaturen (DIN 54802) erlaubt Rückschlüsse auf die Dryblend-Bildung mit hohen Weichmachermengen [58].

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3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

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3.5.2

Organische und anorganische Füllstoffe

Die Füllstoffe sind partikelförmige, organische oder vorwiegend anorganische Substanzen in fester Form. Die grundsätzliche Unverträglichkeit mit dem Grundmaterial (Matrix) führt zu einem Mehrphasensystem, dessen Verträglichkeit jedoch durch haftvermittelnde Zusatzstoffe (coating) – ähnlich wie bei den verstärkenden Fasern – erhöht werden kann, so dass es zumindest zu einer Brückenbildung kommt. Die Füllstoffe unterscheiden sich voneinander durch ihren chemischen Aufbau, ihre Kornform, -größe und -verteilung. Bei der Kornform spielt das Verhältnis von Länge zu Dicke (l/d) eine wichtige Rolle. Es hat bei der Kugel und beim Würfel den Wert 1. Bei Quadern erreicht dieses, in der englischsprachigen Fachliteratur als „aspect ratio“ bezeichnete Verhältnis Werte von 4:1, bei Plättchen von 5 bis 100:1 und bei Fasern > 4:1. Füllstoffteilchen mit Werten von 4:1 wirken normalerweise als ausgesprochene Extender, d. h. sie verbessern außer der Steifheit nicht die mechanischen Eigenschaften; ganz anders verhalten sich die Plättchen (Glimmer, Talkum, Graphit, ATH) und erst recht die Verstärkungsfasern [1]. Ebenso wichtig wie das l/d-Verhältnis ist die Kornverteilung. Der obere Schnitt, gleichsam das Grobkorn, beeinflusst – je nach Anteil selbst bei mittleren Korngrößen von nur wenigen μm – vor allem die Schlagzähigkeit sowie das Gleit- und Verschleißverhalten der Formstoffe. In kritischen Fällen ist es deshalb sehr wichtig, diesen „top cut“ durch Sichten abzutrennen. Grundsätzlich ist eine große Füllstoffoberfläche erwünscht; ist diese zu groß, kann sie jedoch zu Agglomeratbildung führen und wirkt dann wie ein Grobkorn. Auch eine hohe Oberflächenenergie des Füllstoffs ist grundsätzlich zu begrüßen. Wird auch sie zu groß, dann wird das Dispergieren schwierig. Abhilfe schafft nur eine

Beschichtung (coating). Die um ein Vielfaches höhere spezifische Wärmekapazität und die wesentlich höhere Wärmeleitfähigkeit wirken sich günstig auf die Plastifizier- und Abkühlzeit der Formmassen aus, was zu einer Durchsatzsteigerung beim Verarbeiten führt. Die Mohs-Härte ist – wenn auch nicht ausschließlich – maßgebend für die Verschleißwirkung eines Füllstoffs. Die verschiedenen Arten der optimalen Oberflächenbeschichtung (Silane, Titanate, Chromkomplexe, Fettsäuren, Gleitmittel) weisen auf das in dieser Hinsicht unterschiedliche Verhalten der einzelnen Füllstoffe und ihrer Darbietungsform hin. Auch in Gegenwart von faserförmigen Verstärkungsstoffen erweisen sich die Füllstoffe als vorteilhaft, denn sie erhöhen die Steifheit des Formstoffs und passen so deren E-Modul demjenigen der verstärkenden Faser an. Das ist ein entscheidender Vorteil der so genannten Hydridverstärkung [2]. Die große anwendungstechnische Bedeutung spiegelt sich in den großen Verbrauchsmengen wider. Beträgt doch der Verbrauch an Füllstoffen plus Verstärkungsstoffen weltweit etwa 25 Mio. t/a. Bei den wichtigsten Zusatzstoffen erreicht die jährliche Wachstumsrate etwa 10 %. Halten wir fest: Die Füllstoffe erhöhen Dichte, E-Modul, Druck- und Biegefestigkeit, Härte, Formbeständigkeit in der Wärme, Oberflächengüte und – je nach Füllstoffsorte – das antistatische Verhalten oder die Brandschutzwirkung. Die Schwindung und die Reißdehnung werden verringert. Die Zug- und Scherfestigkeit sowie die Wärmestandfestigkeit können jedoch nur durch die Zugabe von faserförmigen Verstärkungsstoffen erhöht werden. Die Permeationsgeschwindigkeit von Medien wird (je nach Haftung der polymeren Matrix) i. d. R. erhöht.

3.5.2.1

Organische Füllstoffe

Von den partikelförmigen organischen Füllstoffen hat für Thermoplaste, insbesondere PP, das Holzmehl die größte Bedeutung erlangt. Bei den härtbaren Formmassen kommt die pulverförmige Cellulose hinzu. Bei diesen feinpulverigen Stoffen handelt es sich in Wirklichkeit um faserförmige, feingemahlene und speziell konditionierte Produkte auf der Basis von Fichten- oder Buchenholz sowie Baumwolle. Zu erwähnen sind außerdem Holzgranulat, Sägemehl, Schalenund Kernmehl sowie der bereits bei den Schlagzähigkeitsverbesserern erwähnte Kautschuk. Holzmehl Die aus Fichten- oder Buchenholz hergestellten Holzmehle enthalten vergleichbare Bestandteile an Alpha-Cellulose, Hemicellulose und Lignin. Der Anteil von Begleitstoffen wie Harze, Fette, Wachse und Mineralsalze beträgt bei Fichtenholz etwa 1,5 % und bei Buchenholz nur 0,5 bis 1 %, der

3.5 Zusatzstoffe für Kunststoffe Feuchtigkeitsgehalt 6 %. Die Harzanteile werden mit Hilfe einer Wärme- und Sauerstoffbehandlung bis auf die genannten Restmengen abgebaut. Die Korngrößenverteilung von Holzmehl ist stetig. Die obere Faserlänge beträgt 200 μm. Der Holzmehlgehalt der Pheno- und Aminoplaste beträgt je nach Typ 40 bis 65 Masse-%. Bei Thermoplasten (PP, PVC) liegt der Füllstoffanteil in der gleichen Größenordnung. Auch UP wird mit Holzmehl gefüllt. Holzmehle sind unlöslich in Wasser und nahezu allen organischen Lösemitteln, sie sind jedoch hydro- und lipophil. Die Fichtenholz-Faserstoffe sind wesentlich faseriger als die vergleichbaren Buchenholz-Faserstoffe. Im Unterschied zu den Cellulosefasern, die als Einzelfasern (Zellen) vorliegen, enthalten die Holzfaserstoffe eine hohe Anzahl zusammenhängender Fasern. Durch Verdichten kann der Lumenanteil (Zellhohlraum) speziell behandelter Fichtenholzfasern wesentlich verringert werden, was sich bei härtbaren Formmassen günstig auswirkt: die Harzaufnahme ist geringer, der Füllstoffanteil kann ohne nachteiliges Beeinträchtigen der Fließfähigkeit erhöht werden, der Sauerstoffanteil ist geringer, das Schüttgewicht wird erhöht und dadurch die Rieselfähigkeit der Formmasse verbessert. Während die Fichtenholz-Faserstoffe normalerweise einen pH-Wert von etwa 5 mit starker Pufferwirkung aufweisen, stehen auch Fichtenholz-Faserstoffe mit pH-Werten zwischen 7 und 8 zur Verfügung, was bei MF-Formmassen die unerwünschte „Orangenhautbildung“ verhindert. Cellulosepulver Während bei härtbaren Formmassen bis zum Farbton weinrot vorwiegend Fichten- und Buchenholzmehle verwendet werden, kommt für die Pastelltöne der Aminoplaste nur die weiße Buchen- und Baumwollcellulose in Betracht. Während die Holzfaserstoffe zum großen Teil aus Zellverbänden bestehen, handelt es sich bei den Cellulosepulvern um zerkleinerte Einzelfasern. Der Gehalt an Cellulose beträgt etwa 99 %, davon 92 % Alphacellulose. Die Cellulosemoleküle sind streng parallel geordnet, was wie bei den teilkristallinen Thermoplasten zu kristallinen Bereichen führt. Die dadurch geschaffenen Wasserstoffbrückenbindungen bewirken die Unlöslichkeit im Wasser und die Reaktionsträgheit. Die durch-

139

schnittliche Länge der Fasern beträgt 120 μm, die Faserdicke 18 μm. Das Cellulosepulver wird bei höherer mechanischer Beanspruchung der Formstoffe häufig mit Holzmehl oder mit Gesteinsmehl und anderen Füllstoffen kombiniert. Schalen- und Kernmehle Auch diese Füllstoffe sind Veredler von härtbaren Formmassen. Kokosnussschalen sind fett- und aschereicher als Olivenkerne. Der Feuchtigkeitsgehalt beträgt 7 % bis 9,5 %, der Anteil an Rohcellulose 56 % bis 60 %. Der Rest entfällt auf Glucide (18 % bis 19 %) und Eiweißverbindungen (0,7 % bis 0,95 %). Die Kornfeinheit ist zwischen 0,3 und 1,5 mm einstellbar. Das Mehl aus Walnussschalen enthält Lignin und Furfuröl, was die Fließfähigkeit der Formmassen erhöht. Das darin enthaltene Cutin bewirkt den Oberflächenglanz und die Feuchtigkeitsunempfindlichkeit. Schalenmehle beeinträchtigen die Scherfestigkeit und die Schlagzähigkeit der Formstoffe.

3.5.2.2

Anorganische Füllstoffe

Im Jahre 2006 wurden, dominiert von einigen großen Herstellern wie beispielsweise Omya, Luzenac, Imerys, DAM, Quarzwerke, ca. 12 Mio. t anorganische Füllstoffe produziert, Tabelle 3-39. Das Preis-Leistungs-Verhältnis, die Reinheit, Konstanz der Produktqualität und die Verfügbarkeit bestimmen die Akzeptanz eines Füllstoffes, wobei das mittlere Aspektverhältnis weitgehend seine Eigenschaften charakterisiert. Der Trend geht hin zu mikronisierten Typen (Nanoverbunde, Nanocomposites) mit hohem Aspektverhältnis von bis zu 1000. Damit lassen sich mit 5 % Füllgrad und weniger, beispielsweise Nanoclays, ähnliche Eigenschaften züchten wie mit 30 % konventionellen Füllstoffen. Herausforderung dabei ist die homogene, feinverteilte, aufgeschlossene, gerüstbildende Verteilung der Nanopartikel in der Kunststoffmatrix. Nach Vielfalt, Menge und anwendungstechnischer Bedeutung stehen die anorganischen Füllstoffe an der Spitze aller Zusatzstoffe – auch der Füllstoffe. Dabei übernehmen sie nicht nur die Aufgabe von Extendern, sondern – wie gezeigt wurde – auch von Funktionszusatzstoffen. Im Folgenden sei

Tabelle 3-39 Anorganische Füllstoffe und ihr Einsatz Füllstoff

2006 ca. Weltmarktanteil %

hauptsächl. Anwendung in Kunststoffen

Calciumcarbonat Talkum Kaolin Wollastonit Bariumsulfat, Glimmer, Quarz u. a.

64 6 5 2 21

PVC, UP, PE PP PA, Elastomere PP, PA, PUR-RIM UP, PB, PVC gewinnen zunehmend an Bedeutung;

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3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

wiederum ohne Rücksicht auf die technische und wirtschaftliche Bedeutung die alphabetische Folge der einzelnen Gruppen nach ihrem chemischen Aufbau gewählt. Aluminiumverbindungen Aluminiumtrihydrat Das Aluminiumtrihydrat (ATH) erfüllt außer der bereits bei den Funktions-Zusatzstoffen beschriebenen Aufgabe als Brandschutzmittel auch die eines hochwertigen Füllstoffs. Außer der versteifenden Wirkung führt es wegen seiner plättchenförmigen Struktur zu hoher Oberflächengüte der Erzeugnisse sowie zu einer verbesserten Durchschlag- und Kriechstromfestigkeit. Elektrokorund Als Ausgangsmineral dient Bauxit, das Al2O3 in ziemlich reiner Form enthält. Der Rohstoff wird calciniert, dann mit gemahlenem Koks und Eisenspänen bei 2000 °C im Lichtbogenofen geschmolzen. Die Schmelze kristallisiert zu einer sehr harten, jedoch zähen Masse. Der braune Normalkorund mit etwa 95 % Al2O3 dient in Begleitung von Füllstoffen, beispielsweise Kryolith, zur Herstellung von Schleifscheiben und Schleifmitteln auf Unterlage für das Bearbeiten langspanender Werkstoffe. Der rosafarbene Edelkorund mit etwa 99 % Aluminiumoxid ist spröder und härter. Er dient zum Bearbeiten von hochlegierten metallischen Werkstoffen und Holz. Der Schwarzkorund mit 70 bis 85 % Al2O3 wird in der optischen Industrie verwendet. Kryolith Nach Erschöpfung der natürlich vorkommenden Lagerstätten in Grönland wird Kryolith (Na3AlF6) synthetisch hergestellt. Kryolith erhöht die Standzeit von Schleifscheiben. Als weitere Füllstoffe für vorwiegend phenolharzgebundene Schleifmittel dienen Pyrit, Zinksulfid, Lithopone, Kaliumfluorborat, -sulfat- und -chlorid, Antimontrisulfid, Bleichlorid, Aluminium- und Eisenoxid, Silicate und Kreidemehl. Bariumverbindungen Schwerspat Schwerspat (BaSO4) ist heute das wichtigste Ausgangsmaterial für die Herstellung von Bariumverbindungen. Die als

Pigment dienenden weißen Sorten entstammen entweder natürlichen Vorkommen oder sie werden durch zusätzliches Bleichen gewonnen. Die Mohs-Härte beträgt 2,5 bis 3,5, die Dichte ist mit 4,3 bis 4,6 g/cm3 hoch. Die Schwerspatmehle dienen als Füllstoff hoher Rohdichte, in Bodenbelägen, Pheno- und Aminoplasten, sowie UP-Harzen. Von spezieller Bedeutung ist die Schutzwirkung gegen energiereiche Strahlung. Es können sehr hohe Füllgrade erreicht werden. Blanc fixe Das Blanc fixe besteht zu 99 % aus BaSO4; es wird vor allem in härtbaren Formmassen und Reaktionsharzen als inerter, farbneutraler Füllstoff und vor allem zum Einstellen von Farbrezepten dann verwendet, wenn der ursprüngliche Farbton und dessen Brillanz erhalten bleiben sollen. Blanc fixe verbessert das Fließverhalten der Formmassen und verursacht keinen Metallabrieb. In thermoplastischen Kunststoffen erhöht es Härte und Verschleißfestigkeit. Bariumferrit Mit bis zu 80 % Bariumferrit gefülltes Polyamid wird zur Herstellung von Kleinmagneten verwendet. Auch in den magnetischen Dichtprofilen an Kühl- und Gefrierschränken aus PVC-P oder PE-LD bewirkt es das dabei erforderliche ferromagnetische Verhalten. Calciumverbindungen Calciumcarbonat (Kreide) Die Carbonate erreichen einen Anteil von nahezu 70 % aktuell 20 Mio t weltweit am Verbrauch von Füll- und Verstärkungsstoffen insgesamt. Zu den in der Natur vorkommenden Carbonaten gehören Kreide, Kalkstein und Marmor. Die Mohs-Härte beträgt 3, die Dichte bis 2,7 g/cm3. Obwohl diese Mineralien vor allem nach ihren Kosten beurteilt werden, ist zu beachten, dass es hinsichtlich ihrer Reinheit, der Aufbereitungsverfahren und der Oberflächenbehandlung wesentliche Unterschiede gibt. Hochwertige Carbonat-Füllstoffe zeichnen sich aus durch: Chemische Reinheit (vor allem keine Schwermetallionen), geringe Absorptionsfähigkeit für Weichmacher und andere flüssige Additive, hohen Weißgrad, geringe Verschleißwirkung, gute Rieselfähigkeit, gute

Tabelle 3-40 Kreidetypen im Vergleich [5] Kreidetyp

Hydrocarb 95T

Precarb 400

Winnofil S

Socal U1S2

Hersteller Herstellung Coating Partikelgröße μm

Omya GmbH, Köln natürlich ja 0,85

Schaefer Kalk, Diez gefällt Nein 0,80

Zeneca Resins, Waalwijk Niederlande gefällt ja 0,075

Solvay, Ebensee (Österreich) gefällt ja 0,08

3.5 Zusatzstoffe für Kunststoffe Dispergierbarkeit (insbesondere die gecoateten Typen), günstige Beeinflussung der mechanischen Eigenschaften (wiederum vor allem die gecoateten Typen), geringes Plateout, hohe Wärmebeständigkeit (bis 600 °C) und vor allem einen günstigen Preis. Die PVC-U-Verarbeiter schätzen die verfügbaren sehr feinteiligen, oberflächenbehandelten Typen, auch wenn diese nicht die hohen Kerbschlagzähigkeitswerte der herstellbedingt teureren synthetischen gefällten Calciumcarbonate erreichen. Je nach Verwendungszweck beträgt der Anteil 3 % (Druckrohre) bis 50 % (Kabelrohre) [3]. Bei PE beschränkt sich der Einsatz vorwiegend auf Folien, um das Antiblocking-Verhalten zu verbessern. Bei einem Anteil von 10 Masse-% feinteiliger gecoateter Kreide bleiben die mechanischen Eigenschaften der Folien unverändert. Zusätze von 5 bis 15 Masse-% zu Hohlkörpern aus PE-HD erhöhen die Steifigkeit und die Bedruckbarkeit. Bei PP wird feinstkörnige Kreide vor allem bei Folienstreifen eingesetzt. Der beschichtete Füllstoff verhindert das ungewollte Fibrillieren. Die Kombination von Glasfasern mit feinteiligem CaCO3 ermöglicht es, mit Preisvorteil die Steifigkeit der Erzeugnisse zu erhöhen, ohne die Zugfestigkeit und die Schlagzähigkeit durch diese Hybridverstärkung wesentlich zu beeinträchtigen. Die günstigeren thermischen Eigenschaften führen beim Spritzgießen bis zu 20 % kürzeren Zykluszeiten [4]. Zusatzmengen von 5 bis 10 % verbessern die Tiefzieheigenschaften von PS-Folien. Bei geschäumten PS-Schaumfolien bewährt sich das feinkörnige Material in Zusatzmengen von 3 bis 4 % als Keimbildner und Zellenregler. Bei Polyamiden erhöht sich bei Zusatzmengen bis 40 Masse-% unbeschichteter feinteiliger Kreide überraschenderweise die Zugund Reißfestigkeit um 2 %. Dazu kommt eine Erhöhung der Steifheit und der Formbeständigkeit in der Wärme. Die Hersteller von Calciumcarbonat bemühen sich seit einigen Jahren um geeignete Einstellungen für SMC- und BMC-LPFormmassen. Durch Reduzieren der Korngröße auf 4 bis 7 μm und neue Oberflächen-Beschichtungssysteme ist es gelungen, den Füllstoffanteil auf 30 bis 40 Masse-% der Mischung steigern zu können. Das kritische Schwindungsverhalten und die Oberflächengüte konnten wesentlich verbessert werden. Auch bei PUR-Weichschaumstoffen und RIM- sowie RRIM-Systemen führte dieser Extender zu Kostenvorteilen [3]. Die synthetische, gefällte Kreide weist Teilchendurchmesser von 4 nm bis 70 nm auf. Die spezifische Oberfläche beträgt 32 bis 40 m2/g. Durch Beschichten mit Ca-Stearat ist es möglich, bei Hart-PVC die Schlagzähigkeit, den Oberflächenglanz, die Zugfestigkeit und die Bruchdehnung, sowie den E-Modul und die Wetterbeständigkeit der Erzeugnisse wesentlich zu steigern. Nachteilig sind der höhere Preis, die höhere Absorption von flüssigen Zusatzstoffen

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und die bei der Verarbeitung auftretenden höheren Scherkräfte, die den Füllstoffanteil begrenzen. Tabelle 49 [5] vergleicht einige für PVC-Fensterprofile untersuchte Kreiden. Aufgrund der geforderten hohen Glanzgrade bei dieser Anwendung werden heute trotz höherer Kosten auch gefällte Kreiden eingesetzt. Diese bewirken häufig eine deutliche Steigerung des Glanzgrades im Vergleich zu natürlichen Kreiden [5, 11, 12]. Dolomit Dabei handelt es sich um ein Doppelcarbonat aus Calcium und Magnesium. Der CaMg (CO3)2-Gehalt beträgt etwa 99 %, die Mohs-Härte 3 (wie bei Kreide). Die bei EP- und UPgebräuchlichen Füllgrade betragen 20 bis 40 Teile beim Handauflegeverfahren, 100 bis 130 Teile. bei SMC und 100 bis 160 Teile. bei BMC. Es sind auch Kombinationen mit Talkum möglich [6]. Die elektrischen Eigenschaften sind bei Dolomit-Füllung besonders günstig. Der Wärmeausdehnungskoeffizient erreicht den des Aluminiums. Kohle, Graphit Aufbereitete Füllstoffe wie Kohle, Graphit oder Schwerspat mit einem Bindemittel auf der Basis von Cresol- oder modifizierten Phenolharzen erweisen sich als säure-, alkali- und lösemittelbeständige Werkstoffe für den Oberflächenschutz im Apparatebau der Chemischen Industrie. Daraus werden Überzugmassen und massive tragende Elemente hergestellt. Phenolharze dienen ferner als Bindemittel für die Herstellung von Kunstkohle, aus der Kohlebürsten, Kontaktrollen, Schleifbügel und Graphitanoden hergestellt werden. Die Formkörper werden gebrannt; das Bindemittel verkokt und wird durch Nachbrennen in elektrisch gut leitenden Graphit übergeführt. Für die Herstellung von Glaskohlenstoff (CFC = C-Faser verstärkter Kohlenstoff) und Schaumkohlenstoff werden Phenol- und Furanharze eingesetzt. CFC bewährt sich bis zu Temperaturen von 3000 °C bei Triebwerkteilen, Spitzen von Großraketen und Flugzeug-Bremsscheiben. Die gute Körperverträglichkeit begünstigt die Verwendung in der medizinischen Technik für Prothesen und Elektroden von Herzschrittmachern. Siliciumverbindungen Zu den natürliche Silicaten gehört eine Reihe unentbehrlicher Rohstoffe: Kaolin, Talkum, Feldspat, Glimmer u. a.; in den meisten Verbindungen ist das Silicium tetraedrisch von vier Sauerstoffatomen umgeben. Diese Tetraeder können zu Ringen, Ketten, Schichten oder Gerüsten kondensieren. Die Mannigfaltigkeit der Silicate wird noch dadurch gesteigert, dass Al, B und Be bis zu einem bestimmten Prozentsatz an die Stelle von Si treten und in die Tetraederverbände eingebaut werden können. Hier die wichtigsten Verbindungen wiederum in alphabetischer Reihenfolge.

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3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Andalusit Bei diesem Mineral werden die [SiO4]-Tetraeder durch Al2O3 zusammengehalten. Diese Verbände sind jedoch nicht trennbar. Die Mohs-Härte beträgt 7,5. Das wichtigste Anwendungsgebiet sind phenolharzgebundene, feuerfeste Steine. Fein-körniges Mahlgut dient als Füllstoff bei der Herstellung mechanisch und chemisch hoch beanspruchbarer Beschichtungen und harzgebundener Formstoffe. Feldspat Von technischer Bedeutung ist vor allem der Kalifeldspat K[AlSi3O8]. Die Mohs-Härte beträgt 6 bis 6,5. Wichtigstes Einsatzgebiet sind die Glas- und Keramikindustrie. Feldspatmehle werden wegen ihrer Härte und der vorwiegend plättchenförmigen Struktur als mildes Schleifmittel verwendet. Feinsande und Grobmehle dienen als Gleitschutzmittel bei befahr- und begehbaren Beschichtungen und bei Anstrichen. Pigmente, Klebstoffe und Gummi werden mit feinstgemahlenem Material gefüllt. Die Brechzahl von Feldspat (1,53) stimmt mit der vieler Harze, Weichmacher und Kunststoffe überein, so dass damit selbst bei höheren Konzentrationen nahezu transparente Überzüge oder Formteile hergestellt werden können. Feldspat ist gröber als Kaolin oder Talkum. In silanisierter Form dient Feldspat als Füllstoff für PVC. Glimmer Glimmer gehört wie Talkum, Kaolin, Schiefermehl, MoS2 und Graphit zu den plättchenförmigen Zusatzstoffen für Kunststoffe. Die Summenformel (K2Al4(Al2Si2O20)) des Muskovit zeigt, dass es sich beim Glimmer um ein komplexes Kalium/Aluminiumsilicat handelt. Muskovit glänzt perlmuttartig und ist farblos bis gelblich grünlich, zuweilen auch rötlich gefärbt. Das Material ist vorzüglich spaltbar. Die MohsHärte beträgt 2 bis 2,5. Die Glimmer sind beständig gegen Alkali, Säuren und oxidierende Medien. Die Grundflächen sind leicht benetzbar. Als Ausgangsprodukt der als Füllstoff verwendeten so genannten Mica-Typen dienen Produktionsrückstände aus der Plattenfertigung oder durch Flotation glimmerhaltiger Mineralgemenge gewonnene angereicherte Schuppen. Glimmer erschwert die Verarbeitbarkeit von Pheno- und Aminoplast-Formmassen, deren elektrische Eigenschaften sind allerdings vorzüglich (z. B. Typ 13). Fließtechnisch günstiger verhalten sich Gemische aus Glimmer und silicatischen oder carbonatischen Füllstoffen. In den USA wird Glimmer häufig als verstärkender Füllstoff für PP verwendet. Dies ist weniger auf das im Vergleich mit Talkum nur unwesentlich verbesserte Eigenschaftsbild als auf die dort verfügbaren und wirtschaftlich abbaubaren Vorkommen zurückzuführen [7].

Kaolin Kaolin mit einer Mohs-Härte von 2,5 und einer Dichte von 2,6 g/m3 ist ein Verwitterungsprodukt aus sauren, kristallinen Gesteinen, in denen Feldspat, Quarz und Glimmer vorkommen. Davon wird vor allem der Feldspat in Kaolinit [Al4(OH)8Si4O10], dem in Kaolin vorherrschenden Mineral, übergeführt. Kaolinit bestimmt das Eigenschaftsbild, wenn auch die nur untergeordnet anwesenden Mineralien (Feldspat, Quarz, Illit, Eisen- und Titanminerale) häufig einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss ausüben. Der größte Verbraucher ist die Papierindustrie mit einem Anteil von etwa 70 %. In der Kunststoffindustrie werden calcinierte und silanisierte Produkte verwendet. Bei PVC wird die Zersetzungstemperatur erhöht, PE-HD kann flexibilisiert werden. Aus einem mit 50 Masse-% gecoatetem Kaolin gefüllten PP können papierähnliche Folien hergestellt werden. Durch Schmelzspinnen erhält man daraus opake Monofile. Bekannte Anwendungsgebiete sind auch UP (SMC, BMC), EP und Phenoplaste, Typen von hohem Weißgrad werden für das Pressformen von SMC zu großflächigen Automobilteilen und Bootskörpern mit hoher Oberflächengüte eingesetzt. In Low-profile-Harzen (LP-Harze) bewirken Zusatzmengen von 20 % bei 45 % Kaolinit eine bleibend homogene Verteilung der Komponenten während des Formvorgangs. Kieselgur Kieselgur besteht aus in Jahrtausenden abgelagerten Kieselpanzern einzelliger Kieselalgen. Viele tausend Diatomeenarten unterscheiden sich in Form, Oberflächenbeschaffenheit und Größe voneinander. Die Abmessungen betragen 5 μm bis 400 μm. Den Hauptanteil bildet amorphes SiO2 außer Aluminium-, Eisen- und Calciumoxid. Der überwiegende Teil der Weltproduktion von 2 Mio. t entfällt auf Filterhilfsmittel. Mit Hilfe von Kieselgur können die rheologischen Eigenschaften von flüssigen Harzen und von Schmelzen eingestellt werden. Kieselgur verbessert die Wärmestand- und Verschleißfestigkeit sowie die Alterungsbeständigkeit duroplastischer Formstoffe. Höhere Zusätze bewirken Mattierung und führen bei Kunstharzböden zu rutschfesten Oberflächen. Massive und hohle Mikrokugeln Gemäß ihrer Wirkung auf das Eigenschaftsbild der damit ausgerüsteten Formstoffe stehen die Mikrokugeln zwischen den Füllstoffen und den faserförmigen Verstärkungsstoffen. Zahlreiche Anwendungen bei thermo- und duroplastischen Formmassen und Reaktionsharzen zeigen, dass durch Kombinieren von Fasern und Mikrokugeln in Form der so genannten Hybridverstärkung vor allem die durch Faserorientierung bedingten Schwindungsunterschiede wesentlich verringert werden können.

3.5 Zusatzstoffe für Kunststoffe Massive Mikro-Glaskugeln: Sie dienen in Körnungen von 100 μm bis 1000 μm zum Ausrüsten reflektierender Flächen bei Straßenmarkierungen, Verkehrsschildern und Automobilkennzeichen. Mit Körnungen von 300 μm werden metallische Oberflächen feingestrahlt und mit 5 μm bis 50 μm großen Kugeln Kunststoffe gefüllt. Die Mohs-Härte beträgt 6, die Dichte 2,5 g/cm3. Als Ausgangsmaterial dient meistens säurebeständiges, alkalihaltiges A-Glas; es werden jedoch auch Kugeln aus E-Glas angeboten. Auf den Verbund abgestimmte Haftmittel (Silane) bilden die Voraussetzung für das Übertragen von Zug- und Scherkräften. Dabei werden die temperatur- und schwindungsbedingten-radial-symmetrischen Eigenspannungen im Vergleich zu kantigen oder faserförmigen Zusatzstoffen wesentlich verringert. Die Viskosität von Thermoplastschmelzen und Reaktionsharzen wird nur unwesentlich erhöht. Für die Verwendung bei Feinschichten spricht die erhöhte Abriebfestigkeit. Weist beispielsweise ein für den Werkzeugbau verwendetes ungefülltes EP-Harz eine Schwindung von 0,57 % auf, dann verringert sie sich beim Zusatz von 120 Masse-Tln. auf 0,15 %. Hybridverstärkte Formstoffe werden durch die Zugabe von Glaskugeln verbilligt, denn sie kosten weniger als Glasfasern und beeinträchtigen das Eigenschaftsbild bei optimalem Verbund nicht nennenswert. Mit Silber beschichtete, leitfähige Glaskugeln dienen als Füllstoff bei Formteilen, von denen eine EMV-Ausrüstung verlangt wird. Der spezifische Durchgangswiderstand kann bis auf 3 · 10–1 bis 20 Ωcm gesenkt werden. Hohle Mikro-Glaskugeln: Eine Firma aus Neuss entwickelte hohle Mikroglaskugeln aus Borsilikat (E)-Glas [8]. Die Wanddicke beträgt 0,5 μm bis 2,0 μm, die Raumdichte 0,15 bis 0,38 g/cm3. Die Kornverteilung umfasst 96 % im Bereich von 20 μm bis 160 μm. Dieser extrem leichte, druckfeste Füllstoff wird heute bei Plastisolen und Reaktionsharzen verwendet. Diese so genannten syntaktischen Schaumstoffe sind druck- und schlagfest sowie vorzüglich wärme- und schalldämmend. Die Kosten dieser Schaumstoffe sind niedriger als wenn das gesamte Volumen ausschließlich aus Harz bestünde. Hohle Mikro-Silikatkugeln: Von einigen Herstellern, beispielsweise Omya und Norvegian Talc, werden Silikat-Hohlkugeln angeboten. Diese bestehen zu zwei Drittel aus SiO2 und nahezu einem Drittel aus Al2O3, der Rest entfällt auf Eisenoxid. Die Fillite SG-Kugeln enthalten eine Gasfüllung aus 10 % CO2 und 30 % N2. In freistehenden und in Strukturschaumstoffen aus PUR wirken diese Kugeln als Keimbildner.

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Mullit, Olivin, Sillimanit Mullit: ein Aluminiumsilikat, dient vor allem als Rohstoff zur Herstellung feuerfester Steine, Elektroporzellane und Poliermittel (Mohs-Härte 6 bis 7). In Gießharzen und Lacken erhöht Mullit die Verschleißfestigkeit hoch beanspruchter Flächen und Fahrbahnen. Olivin: ein Mg/Fe-Silikat, dient im Hochofenprozess zum Konditionieren von Schlacken, jedoch vor allem zur Herstellung phenolharzgebundener feuerfester Steine, Mörtel und Stampfmassen. Sillimanit, Al2O3SiO2: dient ebenfalls als Rohstoff zur Herstellung feuerfester Baustoffe sowie als verschleißmindernder Füllstoff bei Lacken, Beschichtungen und Kunststoffen, insbesondere bei durch Polyaddition vernetzenden Systemen wie PUR. Nephelin Nephelin, ein Alkalialuminosilikat KNa3 [AlSiO4]4, gehört zu den Feldspatmineralien. Auf diesem Rohstoff basiert die Produktion der B-Glasfasern. Als Feinmehl gewinnt Nephelin ebenso wie Feldspat an Bedeutung als Füllstoff für UPHarze, Kautschuk, Klebstoffe, Farben und Lacke. Die guten elektrischen Eigenschaften begünstigen den Einsatz dieses Füllstoffs bei Vergussmassen und Lacken. Talkum Das natürliche Magnesiumsilikat 3MgO•4SiO2•H2O gehört zur Gruppe der Silicate mit Plättchenstruktur. Es kommt außerdem in Form von Fasern und Nadeln vor. Als Füllstoff kommt nur die Plättchenstruktur in Betracht. Dabei befindet sich das Magnesiumoxid als Schicht zwischen zwei Siliciumoxid-Deckschichten. Dieser Aufbau ist maßgebend für die guten Gleiteigenschaften und für die geringe Härte (H = 1 nach Mohs). Die Dichte beträgt 2,9 g/cm3. Angesichts des Einflusses auf die mechanischen Eigenschaften kann bei Talkum schon fast von einer verstärkenden Wirkung gesprochen werden. Der spezifische Durchgangswiderstand und der Oberflächenwiderstand sind hoch, ebenso die UV-Absorption, die Beständigkeit gegen Säuren und Alkali sowie die Barrierewirkung gegen die Diffusion von Gasen und Kapillarwasser [6]. Im Sortiment der Thermoplaste spielt bereits seit mehr als 35 Jahren das talkumverstärkte PP eine wichtige Rolle unter den preiswerten technischen Kunststoffen. Talkum erhöht Steifheit, Härte, Biege- und Schubmodul bei allerdings niedriger Zugfestigkeit, Reißdehnung und Kerbschlagzähigkeit; Eigenschaften, die sich jedoch im Rahmen einer Hybridverstärkung zum Beispiel mit Glasfasern wieder verbessern lassen. Sehr aufschlussreich ist der Vergleich zwischen Tal-

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3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

kum und Kreide, beides Füllstoffe für PP [7]. Die Vorteile von Talkum bestehen in einer bei gleichem Füllstoffanteil höheren Steifigkeit der Formstoffe, in der geringeren Dichte und Gesamtschwindung. Ein mit Kreide gefülltes PP weist eine höhere Zähigkeit und Bindenahtfestigkeit auf. Bei härtbaren Formmassen und Reaktionsharzen überwiegt bei Talkum die Aufgabe als Extender. Dabei ist zu beachten, dass es, wie alle mineralischen Füllstoffe, den Härtungsverlauf der Harze beeinflusst. Quarzkies, -sand und -mehl Diese, auf Kieselsäure SiO2 basierenden Füllstoffe, sind zwar mengenmäßig nicht von großer Bedeutung, jedoch für zahlreiche Anwendungen ausschlaggebend. Charakteristisch sind ein hoher E-Modul, eine hohe Chemikalienbeständigkeit und das Ausdehnungsverhalten. Die Reinheit der Quarze (99,0 % bis 99,8 % SiO2) wird nur noch vom Bergkristall mit 99,9 % SiO2 übertroffen. Eine zweite wichtige Modifikation der Kieselsäure, der Cristobalit, kommt in der Natur nicht in wirtschaftlich nutzbaren Mengen vor, er wird aus Quarzsand gewonnen. Als Füllstoff kommen für härtbare Formmassen und vor allem für Reaktionsharze die Quarzmehle in Betracht. Mit silanisiertem Quarzmehl gefüllte EP-Harze bewähren sich vor allem für die Herstellung von Isolierteilen im Freien [9]. Als Füllstoff für spritzgieß- oder extrudierbare Formmassen kommt Quarzmehl wegen seiner hohen Verschleißwirkung (Mohs-Härte 7, Dichte 2,65 g/cm3) nicht in Betracht. Ein besonderes Kennzeichen von Quarzgutmehl, eine Kieselglasmodifikation, die bei Temperaturen um 2000 °C erschmolzen wird, ist der niedrige thermische Ausdehnungskoeffizient. Er ist um den Faktor 20 bis 40 niedriger als bei Quarzmehl und entspricht mit 18 ·10–6K–1 dem des Messings. Überall dort, wo durch Temperaturwechsel verursachte mechanische Spannungen vermieden werden müssen, zum Beispiel in der Kryo-Elektronik, bei elektronischen Bauelementen allgemein und im Messgerätebau bestehen günstige Marktchancen für Quarzgutmehle. Schiefermehl Dabei handelt es sich um ein aus zahlreichen Oxiden auf der Basis von Si, Al, Fe, Ca, Mg, K und Ti bestehendes Mineral, das außerdem noch geringe Anteile von S, P, CO2 und Na2O enthält. Die Korngröße beträgt je nach Mahlgrad 10 μm bis 100 μm. Auf dem Kunststoffgebiet ist das Schiefermehl bekannt als Füllstoff für wärmestandfeste PF-Formmassen und verschleißfeste Einstellungen von UP-Harzen. In der Dichtungstechnik ist es bei Weichstoff-Flachdichtungen Substituent für Asbestfasern. Standfeste, nachziehfreie siliconharz- oder phenolharzgebundene Dichtungs-

massen für Flachdichtungen, sofern sie heute nicht Metallbleche mit Polysiloxanbeschichtungen (siebgedruckt) sind, erfüllen mittlere Anforderungsprofile im Motorenbau. Siliciumcarbid Siliciumcarbid, SiC, wird im Elektroofen aus einem Gemisch von 60 % Sand und 40 % Petrolkoks bei Temperaturen um 2000 °C hergestellt. Die Kristallisation ist nach 36 Stunden beendet. SiC steht mit einer Härte von 9,5 bis 9,75 dem Borcarbid (9,9) und dem Korund (9,0) sowie dem Diamant (10) sehr nahe. Zur Herstellung von Schleifmitteln auf Unterlage wird das zähere schwarze und für phenolharzgebundene Schleifscheiben das weniger zähe SiC verwendet. Wollastonit Das Calciummetasilicat Wollastonit, CaSiO3, kommt in der Natur als einziges reinweißes, nadelförmiges Mineral vor. Der aspect ratio beträgt 3:1 bis 20:1, die Mohs-Härte 4,5 bis 5,0, die Dichte 2,9 g/cm3. Es kann je nach seiner Form als Füllstoff oder als Verstärkungsstoff eingestuft werden. Entsprechend ist sein Einfluss auf die mechanischen Eigenschaften des Matrixmaterials. Zu den Vorzügen zählen der niedrige Preis, die gleichmäßige Korngröße, die hohe Reinheit und Leuchtkraft, die gute Verträglichkeit, die hohe Chemikalienbeständigkeit sowie die damit erreichbare Verbesserung der mechanischen, elektrischen und thermischen Eigenschaften. Bei EP-Harzen kann die Dielektrizitätszahl auf 2,3 bis 2,8 verbessert werden. Bei Polyolefinen wird die Schlagzähigkeit mehr verbessert als mit irgendeinem anderen Füllstoff. Auch bei Fluorkunststoffen, UP-Harzen, Pheno- und Aminoplasten bewährt sich dieser vielseitig verwendbare Füllstoff. Die meisten Eigenschaften werden durch gecoatetes Material zusätzlich verbessert. Wollastonit wird ebenfalls als Austauschmaterial für Asbest und andere gesundheitsgefährdende Füllstoffe verwandt. Mit abgestuften Mischungen aus nadelförmigem Wollastonit mit blättchenartigen Füllstoffen können dicht verfilzte Teilchenpackungen eingestellt und dadurch auch die rheologischen Verarbeitungseigenschaften von Reaktionsharzen gesteuert werden. Neuentwicklungen bei Füllstoffen finden nicht nur im nanoskaligen Bereich statt. Standardprodukte werden ebenfalls laufend verbessert [10]. Beispiele sind: – mit Silan behandelte, kalzinierte Kaoline (Hersteller: Dorfner; Typ: Dorkafil 602; Hersteller: Imerys; Typ Polarite 402) eignen sich bestens zur Verbesserung der Kratzfestigkeit von PA, PP und PBT. – für PE-Folien gibt es ein extrem feines, agglomeratfreies Calciumcarbonat (Hersteller: Provencale; Typ: Mikhart MU08)

3.5 Zusatzstoffe für Kunststoffe – für atmungsaktive Folien kommt von Imerys Filmlink 450 zum Einsatz – als Verstärkungsmittel für PUR-RRIM eignet sich ein im Sublimationsprozess hergestelltes Silica Produkt (Hersteller: Quarzwerke; Typ: Tremin 939) – als selbstverstärkender Füllstoff dient unterschiedlich eingefärbtes UP-Granulat (Hersteller: Dorfner) eingesetzt in UP-Gussmassen für Spülbecken, Arbeitsplatten u. a.

Literatur zu Kapitel 3.5.2 [1] [2] [3] [4]

Stange K (1984) Kunststoffe, 74, S 633 Schlumpf HP (1983) Kunststoffe, 73, S 511 Schlumpf HP, Bilogan W (1983) Kunststoffe 73, S 315 Pfister HJ, Schlumpf HP (1982) Plastverarbeiter, 32, S 821 [5] Große-Aschhoff M (1999) Kreide erhöht den Glanzgrad – Wirkung verschiedener Produkte bei PVC-Fensterprofilen. Kunststoffe 89(1999)8, S 52–53 [6] A/S Norwegian Talc (1989) Techn. Bulletin, Nr 155 T [7] Haack U, Riecke J (1982) Plastverarbeiter, 33, S 1038 [8] NN (1985) Plastverarbeiter 36, S 52–63 [9] Skudelny D (1978) Kunststoffe 68, S 65 [10] Hohenberger W (2002) Additive – Trends und Perspektiven. Kunststoffe 92(2002)5, S 86–91 [11] NN (2007) Kreide – weit mehr als ein Problemlöser – Folienherstellung. Kunststoffe 97(2007)4, S 101–103 [12] Calziumcarbonat – von der Kreidezeit ins 21. Jahrhundert. Birkenhäuser Verlag, 2001, 352 S (www. omya.com)

Weiterführende Literatur: Gorna K et al. (2007) Produkteigenschaften durch Materialeinsparung verbessern (Füllstoffe) Kunststoffe 97(2007)6, S 100–102 Nolte-Ernsting B, Zilles JU (2007) Glimmer für temperaturbeständige Kunststoffe (Hochleistungsfüllstoffe). Kunststoffe 97(2007)9, S 237–240

3.5.3

Verstärkungsstoffe

Mineralische organische und metallische Fasern bzw. die daraus hergestellten flächenförmigen Gebilde wie Vliese, Gewebe und Gewirke ermöglichen es nicht nur, aus StandardKunststoffen und technischen Formmassen auf wirtschaftliche Weise Wirkstoffe mit gezielt verbesserten physikalischen Eigenschaften herzustellen, sondern ebenfalls den häufig richtungsabhängigen oder örtlich unterschiedlich hohen mechanischen Beanspruchungen durch einen anisotropen Aufbau der Verbundwerkstoffe oder der Werkstoffverbunde gerecht zu werden.

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Angesichts der Tatsache, dass in den kommenden Jahren kaum mit einer bahnbrechenden Neuentwicklung wirtschaftlich und/oder technisch bedeutsamer Kunststoffe zu rechnen ist, kommt den Maßnahmen zur Verbesserung bekannter Kunststoffe unverändert eine entscheidende Bedeutung zu [1], [2]. Das Verstärken, das Füllen und das Legieren von Standard-Kunststoffen und technischen Formmassen zur Verbesserung des Eigenschaftsbildes hat jedoch darüber hinaus einen nicht zu unterschätzenden wirtschaftlichen Effekt: Der in den vergangenen Jahrzehnten auf diesem Gebiet gewonnene Erfahrungsschatz sichert den großen Rohstoffherstellern der Industrieländer einen Vorsprung vor den vorwiegend mit Standard-Kunststoffen auf den Markt drängenden Ländern des Nahen und Fernen Ostens. Die aus mehreren Phasen mit meist sehr verschiedenen Eigenschaften bestehenden Verbundwerkstoffe (engl. composites) erhalten durch ihre Kombination ein völlig neues Eigenschaftsbild. Beim Aufbau der Verbundwerkstoffe und der Werkstoffverbunde bietet die Natur Vorbilder höchster Perfektion und Präzision. Auch die Geschichte der Menschheit weist bereits seit Jahrtausenden eine vielfältige Anwendung der Verstärkungstechnik auf, beispielsweise bei den strohverstärkten Lehmziegeln in biblischer Zeit. Das Verstärken synthetischer Kunststoffe begann mit der technischen Produktion von Phenol/Formaldehydharzen durch L. H. Baekeland im Jahre 1907. Die begrenzte Schlagzähigkeit des nach ihm benannten Bakelite behob er durch die Zugabe von Holz- und Asbestfasern, Textilschnitzel, Woll- und Asbestgewebe; selbst an Drahtgewebe wurde gedacht. Es zeugt von großer Erfindungsgabe und technischem Weitblick, wenn er 1911 in seinem Bericht über neue Entwicklungsarbeiten schreibt: „I found we can enormously increase the practical uses of Bakelite by incorporating it with structural fillers, like fibrous or cellular bodies“ [3]. Die Bezeichnung „strukturelle Füllstoffe“ trifft die Aufgabe der Verstärkungsstoffe. Verbundwerkstoffe Als Verbundwerkstoffe werden Materialien bezeichnet, die aus einer Polymermatrix als kontinuierlicher Phase und Verstärkungsfasern bzw. Füllstoffen als eingelagerter diskontinuierlicher Phase bestehen. Der Übergang zwischen den faser- und füllstoffverstärkten Verbundwerkstoffen ist fließend. Der Binder – die Matrix – kann duroplastisch (beispielsweise PF-, MF-, UF-, UP- und EP-Harze) oder thermoplastischer (beispielsweise PA, PC, POM; PET, PBT, PP und ABS) Natur sein. Als Verstärkung dienen natürliche und synthetische, organische sowie anorganische, Fasern in Form von Kurz-, Lang- und Endlosfasern sowie den daraus hergestellten Folgeprodukten wie Vliesstoffe, Matten, Gewebe, Gewirke, Bänder. Die Verstärkungsstoffe können in

146

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

der Matrix ein- oder mehrachsig gerichtet oder ungerichtet sein. Die Verstärkungswirkung ist umso besser, je mehr der E-Modul des Harzes sich dem der verstärkenden Faser nähert. C-Fasern wirken deshalb in EP-Harz besser als in PP. Durch das Einbetten der Verstärkungsmaterialien in die Polymermatrix werden vor allem die mechanischen und thermischen Eigenschaften des Grundmaterials verbessert, beispielsweise die Zug- und Bruchfestigkeit, der E-Modul, die Wärmefestigkeit und die Maßbeständigkeit, während die Schlag- und Kerbschlagzähigkeit in den meisten Fällen niedriger ist als die des unveränderten Grundmaterials. Sie kann jedoch durch die Zugabe elastifizierender Komponenten, beispielsweise Elastomere, wieder angehoben werden. Die sich beim Verarbeiten orientierenden Fasern erhöhen den Schwindungsunterschied zwischen Längs- und Querrichtung, der jedoch durch die Zugabe von Füllstoffen, beispielsweise Glaskugeln, wieder ausgeglichen werden kann. Der jeweils erzielbare Grad der Verbesserung der Eigenschaften hängt von der Härtung zwischen der Matrix und dem Zusatzmaterial, d. h. von den Vorgängen in der Grenzschicht ab. Die elastische Komponente (Glasfasern, C-, Aramid-, Natur- oder Chemiefaser) ist in eine viskoelastische Komponente (Harz oder Thermoplast) eingebettet. Bei Beanspruchung auf Zug wird der Verbundwerkstoff gedehnt. Bei uniaxial verstärkten Formstoffen übernehmen die Fasern in Faserrichtung die Kräfte bis zum Bruch. Dagegen kommt es in Querrichtung wesentlich früher zum Versagen. Die kritische Dehnung liegt beispielsweise bei einachsig GF-verstärkten UP-Laminaten bei 0,9 %, in Querrichtung bei 0,1 %. Bei mehrachsig beanspruchten GießharzFormstoffen sind deshalb mehrlagige Verstärkungen im Sinne der Beanspruchungsrichtung vorzusehen. Die Haftvermittler sind für jede Zusatzstoff/Matrixkombination zu optimieren. Die in der Grenzfläche wirksamen Kräfte beeinflussen von den mechanischen Eigenschaften nicht nur die Festigkeit und die Steifheit, sondern auch die Schlagzähigkeit. Die meisten Netzmittel sind hydrophil, polar und wasserempfindlich. Benötigt wird jedoch ein hydrophobes Haftmittel, das mit dem Verstärkungsstoff (oder mit dem jeweiligen Füllstoff) reagiert sowie dessen Oberfläche luft- und wasserfrei macht, d. h. mit einem dünnen hydrophoben Film überzieht. Bei Glasfasern haben sich die funktionellen Filme als wirksamster Haftvermittler erwiesen. Sie behaupten unverändert ihre führende Stellung gegen einige konkurrierende Stoffe. Die Silan-Haftvermittler sind durch die Struktur R–Si–X3 gekennzeichnet. R wird durch einen organischen Rest und X3 durch hydrolysierbare Gruppen gebildet. Die X-Gruppen werden zunächst hydrolysiert und in einer Folgereaktion zu oligo- oder polymeren Silanolen kondensiert. Sie bilden den bereits

erwähnten hauchdünnen wasserunlöslichen Überzug. Die Anbindung geschieht teils über Wasserstoffbrücken, teils über kovalente Siloxanbindungen. Die organofunktionelle X3-Gruppe des ambivalenten Haftmittelmoleküls ist auf die jeweilige Matrix abgestimmt. In dem Bestreben, möglichst universell einsetzbare Haftvermittler zu synthetisieren, wurden Silanverbindungen mit mehreren funktionellen Gruppen entwickelt, die außerdem durch ionische Wechselwirkung koppeln können [4]. Bei den härtbaren Kunststoffen reagieren die funktionellen Gruppen mit dem Harz. Für UP-Harz eignen sich beispielsweise die Methacrylsilane, für EP-Harze die Epoxisilane und die Aminosilane für nahezu alle übrigen Harze. Das bei Thermoplasten erzielbare Eigenschaftsniveau hängt wesentlich von der Polarität des Matrixpolymeren ab. Demgemäß ist die verstärkende Wirkung von Glasfasern bei gleichem Masseanteil bei den polaren Polyamiden und den gesättigten Polyestern höher als bei den unpolaren Polyolefinen. Wird jedoch beispielsweise Polypropylen mit ungesättigten Carbonsäuren gepfropft, dann enthält es polare, mit dem auf der Faser befindlichen Aminosilan reagierende, Carboxylgruppen und damit ein höheres Festigkeitsniveau. Die Haftung zwischen Füllstoffen und Polymeren ist auf ähnlichen Prinzipien aufgebaut, wie bei den faserförmigen anorganischen Verstärkungsstoffen. Mit Hilfe mehrfunktioneller Silane können vorbehandelte Füllstoffe beispielsweise die Reißdehnung von PA 6 bis zum zehnfachen Wert gegenüber unsilanisiertem Füllstoff anheben, ohne dass die Festigkeit und der E-Modul abnehmen [4]. Die Silane erhalten auch die Grenzflächenhaftung beim Angriff durch Wasser. Zusatzstoffe ohne Hydroxylgruppen bedürfen vor dem Silanisieren einer Ausrüstung der Oberfläche mit benetzungsfördernden Hilfsmitteln, die mit dem Füllstoff eine hydrophobe Grenzschicht bilden. Die Schlichte der C-Fasern besteht aus einem EP-Harz, das im Unterschied zu Glasfasern keinen Härter enthält. Eine gute Ankoppelung von Faser und Matrix wird durch eine oxidative Oberflächenbehandlung vor dem Auftragen der Schlichte bewirkt. Dabei werden auf der Faseroberfläche kovalent gebundene Carboxyl-, Carbonyl-, Hydroxylund Lactongruppen gebildet. Diese reagieren mit der Schlichte und den Harzkomponenten und gewährleisten dauerhafte kovalente Bindungen zur Polymermatrix [4]. Während diese Schlichten die Eigenschaften von EP-HarzVerbundwerkstoffen bis zu Einsatztemperaturen von 180 °C nicht beeinflussen, können sie bei höheren Härte- oder Gebrauchstemperaturen beeinträchtigt werden [5]. Diese Erscheinung wurde vor allem bei Polyimid-Verbundwerkstoffen beobachtet. Sie konnte nur mit Hilfe einer nicht auf EP-Harz basierenden Schlichte behoben werden. Außerdem kam es auf einen hohen Kohlenstoffgehalt (99 % bis

3.5 Zusatzstoffe für Kunststoffe 100 %) und einen sehr niedrigen Gehalt der C-Fasern an alterungsfördernden Metallen wie Kalium und Natrium an. Die Schlichte der Aramid-Fasern dient nur als Verarbeitungshilfe. Sie beeinflusst nicht die mechanischen Eigenschaften der Verbundwerkstoffe. Dieser Effekt zeigt sich deutlich bei der senkrecht zur Faserrichtung gemessenen niedrigeren Zug-, Druck- und Schubfestigkeit, die wesentlich von der Grenzflächenhaftung abhängt. GF- und CFverstärkte Verbundstoffe verhalten sich in dieser Hinsicht naturgemäß günstiger. Die verstärkenden Fasern weisen im Vergleich zur Polymermatrix eine hohe Festigkeit und Steifigkeit auf. Die von den Fasern im Verbund aufgenommene mechanische Beanspruchung hängt ab vom Volumenanteil der Komponenten, dem Verhältnis ihrer E-Moduln, der Grenzflächenhaftung, der Faserlängen und der Faserorientierung. Bei Zugbeanspruchung wird von den Faserenden her eine Zugspannung aufgebaut, die bei langen Fasern im Mittelteil einen konstanten Wert annimmt. Je länger die Faser, desto weniger fällt der Spannungsabfall an den Enden ins Gewicht. Es bleibt nur der festigkeitsmindernde Einfluss der Spannungskonzentration an den Faserenden. Mit abnehmender Faserlänge gewinnen die eigenschaftsmindernden Effekte die

Bild 3-63. Wichtigste Verbundwerkstoffanwendungen in der A380 [6]

147

Oberhand. Bei Faserlängen unterhalb der kritischen Länge (< 10 d) kommt es nicht mehr zum vollen Spannungsaufbau in der Faser. Die hohen Schubspannungen bewirken je nach Haftung ein Fließen der Polymermatrix oder ihr Ablösen von den Faserenden. Die Fasern werden unterhalb der kritischen Länge nicht mehr bis zu ihrer Bruchfestigkeit belastet, sondern lösen sich von der Matrix und werden aus der Einbettung herausgezogen. Dieser so genannte pull-outEffekt ist kennzeichnend für kurzfaserverstärkte Thermoplaste mit unterkritischen Längen von 0,2 mm bis 0,4 mm. Die beim Bruch langfaserverstärkter Verbundwerkstoffe sich abspielenden Vorgänge sind der Reihe nach: Matrixverformung, Grenzflächenablösung, Grenzflächengleiten, Faserbruch oder pull-out. Bei Kurzfasern folgt der Ablösung unmittelbar das pull-out [4]. Bild 3-63 zeigt am Beispiel eines modernen zivilen Großraumflugzeuges, des Airbusses A380, in welcher Vielzahl an strukturrelevanten Bauteilen und Komponenten Verbundwerkstoffe Einzug gehalten haben [6]. Bild 3-64 zeigt dabei eindrucksvoll, wie Metalle und Faserverbundwerkstoffe sich gegenseitig im Wettbewerb gefordert und vorwärts getrieben haben [6]. Bild 3-65 unterstreicht diese Aussage zugunsten der Verbundwerkstoffe in anderer Darstellungsform [6].

148

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Bild 3-64. Wettstreit im Einsatz von Werkstoffen und Verfahren in der Metall-Bauweise und Faserverbundwerkstoffe-Bauweise in Airbus Flugzeugen [6]

Bild 3-65. Entwicklung der Werkstoffverteilung in der Struktur eines Passagierflugzeugs [6]

3.5 Zusatzstoffe für Kunststoffe Möglich geworden ist diese Entwicklung hauptsächlich durch eine Preisreduzierung bei den Kohlenstofffaser-Prepregs um 50 % seit 1990. Metallfasern Für die textile Verarbeitung eignen sich nur flexible Metallfäden mit Durchmesser um 10 μm. Metallfasern werden vorwiegend nach dem Düsenziehverfahren hergestellt. Andere Methoden sind das Sintern von Pulvermetallen oder das Metallisieren anderer Fasern. Als besondere Eigenschaften sind die hohe elektrische und thermische Leitfähigkeit im Vergleich mit den mineralischen Fasern sowie der hohe E-Modul und die hohe Zugfestigkeit hervorzuheben. Wegen der hohen Dichte sind sie jedoch nur in besonderen Fällen für das Verstärken von Kunststoffen geeignet. Im Hinblick auf die spezifische Festigkeit und den spezifischen E-Modul sind ihnen die Glasfasern und mit weitem Abstand die C- und A-Fasern überlegen. Die für die Herstellung in Betracht kommenden Metalle und Legierungen sind Stahl, Messing, Bronze, Kupfer, Aluminium, Silber, Gold, Platin, verzinkte und vermessingte Stahldrähte sowie versilberte Kupfer- oder vergoldete Silberdrähte. Borfasern Das bei Glas- und Mineralfasern übliche Verfahren des Schmelzspinnens ist bei polykristallinen anorganischen Fasern nicht anwendbar, denn die betreffenden Metalle weisen scharfe Schmelzpunkte auf. Die dabei entstehenden niedrigviskosen Flüssigkeiten besitzen kein Fadenziehvermögen. Ein häufig beschrittener Ausweg ist das sog. Aufwachsverfahren, nach dem seit 1959 vor allem Borfasern hergestellt werden. Als Substrat dient die Wolframfaser. Auf diesem elektrisch aufgeheizten dünnen Filament (12 μm) scheidet sich aus der Gasphase das Bor ab [7]. Metalloxidfasern Nach dem Tränkverfahren der UCC werden Fasern aus Zirkonium-, Aluminium-, Titan-, Tantaloxid und Bornitrid hergestellt [8]. Dabei werden Cellulosefasern in Form von Garnen, Geweben oder Filzen als Substrat mit den entsprechenden wasserlöslichen Salzen getränkt. Bei der Trocknung scheiden sich die Salze in feinster Verteilung zwischen den Fibrillen der Cellulose ab und werden bei höheren Temperaturen in Oxide übergeführt. Die dabei entstandenen Gebilde werden pyrolysiert und schließlich durch Glühen in Luft von Kohlenstoff befreit. Whisker Unter dieser Bezeichnung sind synthetische, einkristalline anorganische Fasern zu verstehen, die entweder durch Abscheiden aus der Gasphase oder durch ein Schmelzeziehverfahren hergestellt werden. Nach beiden Verfahren gelang

149

bisher die Herstellung von Korund-Whisker. Wenn es gelingt, diese Fasern mit optimalem Längen/Durchmesserverhältnis herzustellen, und sie in der Schmelze zu orientieren, dann ist es möglich, einem Verbundwerkstoff eine um das Zehnfache höhere Zugfestigkeit zu verleihen. Jedoch ist es erst nach der Entwicklung wirtschaftlicher Herstellverfahren anhängig, die bisher auf den Gebieten Raumfahrt, Wehrund Tiefseetechnik erzielten Erfolge auszuweiten. Siliciumcarbidfasern Auch diese Verstärkungsfaser wird nach dem Aufwachsverfahren hergestellt. Als Substrat dient eine C-Faser. Sie dient gleichzeitig als Widerstandsheizung. Im ersten Schritt dieses zweistufigen Verfahrens wird eine etwa 1 μm dicke Schicht pyrolytischen Graphits aufgedampft, um die Oberfläche zu glätten und die elektrische Leitfähigkeit zu erhöhen. Das Silan verwandelt sich bei einer Temperatur von etwa 1300 °C in Siliciumcarbid. Die erreichbare Festigkeit beträgt 3500 N/mm2, der Zug-E-Modul 413000 N/mm2, die Dichte 3 g/cm3, der Durchmesser 140 μm [9]. Während die Borfasern vorwiegend zum Verstärken von EP-Harz und Aluminiumfolien-Verbundwerkstoffen (Sport, Luft- und Raumfahrt) verwendet werden, dienen die Siliciumcarbidfasern vorwiegend zum Aufbau von Metallund Keramik-Verbundwerkstoffen. Nanocomposites [10] „Neue Familien von Nanofüllstoffen und Nanocomposites erschließen brachliegende Leistungsreserven von Kunststoffen, Kautschuken und Dispersionen. Bereits geringe prozentuale Nanofüllstoff-Gehalte reichen aus, die Eigenschaftsprofile von polymeren Werk- und Effektstoffen massiv zu verändern. Das Anwendungsspektrum reicht von neuen Konstruktionswerkstoffen bis hin zu diversifizierten Funktionspolymeren“ [10]. Sind Nanopartikel oder Nanofasern homogen im Kunststoff dispergiert – und hierin liegt eines der noch zu lösenden Probleme – ergeben gleiche Volumengehalte an Nanopartikel im Vergleich zu Mikropartikel eine signifikant höhere Zahl an Partikel (107 bei 1 μm Partikel zu 1 nm Partikel) und damit ein Polymer, das nur noch aus Grenzflächenwechselwirkungen besteht. Mülhaupt et al. [10] nennen es „Grenzflächenpolymer“. Dies eröffnet völlig neue Chancen bereits mit geringen Nano-Verstärkungsstoff-Gehalten die Eigenschaften von altbekannten Kunststoffen zu modifizieren. Nun gibt es schon seit Jahrzehnten (bis zu über 100 Jahre) Nanofüllstoffe: Ruße, Pigmente, gefällte Kieselsäure (Ultrasil, Degussa-Hüls), pyrogene Kieselsäuren (Aerosile, Degussa-Hüls), Schichtsilikate, Nukleierungsmittel, reaktive Silikon-Nanopartikel für Epoxidharze, Keramikmaterialien

150

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

und anorganisch-organische Hybridpartikel nach dem SolGel-Verfahren, z. B. synthetische, dispergierbare Aluminat(Böhmit)-Pulver. Neu in den vergangenen Jahren wurden anorganische und organische Moleküle mit Nano-Dimensionen und frei variablen Oberflächenfunktionalitäten entwickelt, die sich in der Kunststoffmatrix lösen und sich dort zu komplexen Nanoarchitekturen verknüpfen lassen [10]. Dadurch lässt sich auch das Problem der homogenen feinsten Verteilung der Nanopartikel in der Kunststoffmatrix mindestens für die geschilderten Neuentwicklungen lösen. Ein Beispiel dafür sind Silesquioxane (Fa. Hybrid Plastics, Fountain Valley, CA/USA: POSS Polyoctahedral Oligomeric Silesquioxan). POSS-Monomere gibt es auch als Öle, Wachse, Pulver. Die Verarbeitung kann durch Schmelzecompoundieren, Polymerisation/Pfropfen, Beschichten erfolgen. Silesquioxane wurden an fast alle möglichen funktionellen Gruppen angebunden: Acrylate, Silane, Silanole, Olefine, Epoxide, Amine, Ester, Phenole, Styrole, Thiole. Weiter sind seit ca. 15 Jahren die baumartig verzweigten (Kaskaden)-Polymere mit variablen Endgruppen und Nanometerdimensionen aus der Forschung bekannt (verzweigte Dentrimere). Zwischenzeitlich gelingt es Rohstoffherstellern hochverzweigte Polyethylenimine (BASF) (weniger perfekt verzweigt, aber kostengünstiger) für die Papierausrüstung und in einer Eintopfreaktion aus Anhydriden und Diisopropanolamin über Oxazolinzwischenstufen direkt hochverzweigte Polyesteramid-Polyole (Hybrane von DSM) herzustellen. Das Anwendungsspektrum reicht von Lack- und Klebstoffrohstoffen zu Pigment- und Füllstoffdispergatoren, Tintenadditiven, Detergenzien und Kosmetika [10]. Polyesterpolyole (Boltorn von Perstop, Schweden) – hochverzweigte Nanopolymere – maßschneidern die Duroplastchemie. Geringe Mengen epoxidfunktionalisierte hyperverzweigte Polyester steigern die Schlagzähigkeit bei Epoxidharzen ohne Steifigkeitseinbußen.

Mit hyperverzweigten Polyesterpolyolen und Polyesteramiden haben molekulare Nanosysteme die Kosten-Leistungs-Grenzen für den Einsatz bei Kunststoffen und Verbundwerkstoffen auf breiter Front inzwischen erreicht. Anisotrope Nanopartikel, die sich erst während der Verarbeitung formieren oder sich in der Polymermatrix fest verankern (keine Gesundheitsgefährdung), sind in Entwicklung. Die Firma Hyperion Catalysis Int. (Nanotube Company) hat elektrisch leitfähige Kohlenstoff-Nanoröhrchen durch Gasphasensynthese hergestellt und bietet Masterbatches (Fibril®) an. Kunststoffkraftstoff-Behälter (Kfz) und Chipverpackungen (keine elektrostatische Aufladung) sind Anwendungen. Eine weitere Gruppe der Nanocomposites sind die seit langem bekannten Bentonite, die Ende der achtziger Jahre von Toyota Research wieder belebt wurden. Bentonite sind quellfähige Dreischichtsilicate mit Montmorillonit als Hauptbestandteil. Die neue Nanofil-Produktfamilie auf Basis organophiler Bentonite der Süd Chemie AG basiert u. a. auf den bayrischen Calcium-Bentoniten, die durch Auslaugen mit Säure aktiviert werden, Tabelle 3-41 [10], und die ohne Kationenaustausch auskommen (mit einer mittleren Partikelgröße um 4 μm sind es allerdings keine Nanopartikel! Anmerkung des Autors). Mit einem Ausblick auf ein breites Anwendungsspektrum schließen Mülhaupt et al. [10] ihre Übersicht: „Die Vielseitigkeit von Nanocomposites und Schichtsilikat-Nanofüllstoffen wird deutlich durch Entwicklungen der Planomers Technologie im holländischen TNO-Forschungsinstitut in Eindhoven. Nach Hartmut Fischer nutzt die Planomers-Technologie organophil modifizierte Schichtsilikate für eine Reihe von Anwendungen. Der Zusatz organophiler Schichtsilikate zu Stärke („grüne Nanocomposites“) machen Stärke-Werkstoffe und Stärkefolien resistent gegen Wassereinwirkung ohne Zusatz von Hydrophobierungsmitteln. Bei Lacken werden Schichtsilikate mit Farbstoffen beladen, die

Tabelle 3-41 Nanofil Füllstoffe auf Basis von unmodifiziertem säureaktiviertem Calcium-Bentonit (Süd Chemie AG) Produkt Säureaktivierung Farbe Schüttgewicht Mittlere Partikelgröße BET-Oberfläche pH-Wert Feuchte Glühverlust bei 1000 °C Ionenaustauschkapazität

% HCl g/l μm m2/g % % (m/Val/100g)!

Nanofil EXM 1167

Nanofil EXM 1168

Nanofil EXM 1169

Nanofil EXM 1170

keine zementgrau 360 4,5 91 7,6 3,9 8,7 74

niedrig perlweiß 220 3,5 265 3,5 6,0 7,6 52

mittel reinweiß 180 3,5 388 3,6 3,7 7,6 33

hoch verkehrsweiß 120 3,5 268 4,6 2,9 5,5 4

3.5 Zusatzstoffe für Kunststoffe wirkungsvoll mit den Schichtsilikaten in der Acrylatmatrix dispergiert werden. Die erhaltenen nanoverstärkten Lacke sind hochtransparent und UV-beständiger. Die Immobilisierung von Farbstoffmolekülen auf den Silikatschichten, z. B. von Methylenblau, bewirkt erheblich verbesserte UV-Stabilität der Farbstoffe und hohe Lösemittelbeständigkeit. In zahlreichen Arbeitsgruppen werden Schichtsilikate und Nanocomposites für die Herstellung von Funktionsmaterialien eingesetzt. Bei Polymer-Polyelektrolyten für Batterien von Brennstoffzellen erhöhen Schichtsilikat-Nanocomposites die Dimensionsstabilität, Steifigkeit und Wärmeformbeständigkeit sowie Barrierewirkung. Hier bieten sich viele neue Ansätze für die Zukunft. Nanocomposites auf Schichtsilikatbasis etablieren sich als neue Additive für Polymere mit erhöhter Wertschöpfung“ [10, 11].

151

Einen zusammenfassenden Überblick über die Wirkung bekannter Füll- und Verstärkungsstoffe auf das Eigenschaftsbild von Kunststoffen vermittelt Tabelle 3-42. Angesichts der großen Bedeutung, die Funktions-, Füllund Verstärkungsstoffe bei modifizierten technischen Kunststoffen erlangt haben, bieten spezielle Compoundierbetriebe bis zu hundert Sondertypen an. Sie enthalten je nach Verwendungszweck hochwirksame Wärmestabilisatoren, verschiedenartige Gleitmittel und Verstärkungsfasern, die vor allem den wirtschaftlich verarbeitbaren thermoplastischen Formmassen neue Anwendungsbereiche in der Büro- und Kommunikationstechnik, im Automobilund Textilmaschinenbau erschlossen haben. (Als Beispiel sei das LUVOCOM-Sortiment von Lehmann & Voss, Hamburg, erwähnt.)

++

++

Schlagzähigkeit

−+





reduzierte thermische Ausdehnung

+

reduzierte Schwindung

+



++ ++

+

+

bessere Wärmeleitfähigkeit bessere Wärmestandfestigkeit

+

++

+

+

+

+

+

elektrische Leitfähigkeit

++

+

+

+ −





+

+

+

+

+

+

+

+

+

+

+

+

+

+

++

+

+

+

chemische Beständigkeit

+

+

0

+

+

+

+

+

Verbilligung

+

Calciumcarbonat

Glaskugeln +

+

+



−+



+

+ +

+

+

+ +

0

0

0 +

faserförmige Füllstoffe und Verstäkungsmittel + + starke Wirkung; + schwache Wirkung; 0 ohne Wirkung; − negative Wirkung

+

+

+ +

+

++

+

+

+

+

+

+

+

+ +

0

0



+

+

++

plättchenförmige Typen

+

+

+

+

+

+

+



+

+

+

Abrasion in Maschinen

Kaolin

− +

Wärmebeständigkeit

−+

Silica

−+

elektrischer Widerstand

Extrusionsgeschwindigkeit

+

+

+

+

+

+

+

besseres Abriebverhalten

Sand-/Quarzpulver

Graphit

0

Ruß

++

+

Metalloxide

E-Modul

Talkum

+

Glimmer

+−

+

Druckfestigkeit

Cellulose

Whiskers

+

Zugfestigkeit

Synthesefaserb

C-Fasern

Wollastonit

Glasfasern

Tabelle 3-42 Einfluss von Füll- und Verstärkungsstoffen auf das Eigenschaftsbild von Kunststoffen

+

+

+ 0

0

+

++

kugelige Füllstoffe

0

152

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Anorganische Verstärkungsfasern Die einzigen in der Natur vorkommenden anorganischen Fasern sind der ein- bis polykristallin aufgebaute Asbest und der Wollastonit. Der Wollastonit gehört mit einem Länge/ Durchmesserverhältnis von 3:1 bis 10:1 zu den Füllstoffen, mit Werten von 10:1 bis 20:1 zu den Verstärkungsfasern. Zu den amorphen, aus der Schmelze hergestellten synthetischen Fasern zählen die glasartigen Mineralfasern aus Schlacke, Stein, Keramik, Quarz, Kieselglas und vor allem die Glasfasern. Polykristalline anorganische Fasern und die Einkristall-Whiskers werden aus Bor, Siliciumcarbid, Bornitrid, Borcarbid, Aluminium- und Zirkoniumoxid hergestellt. Polykristalline Struktur weisen auch die Metallfasern aus Stahl, Aluminium und Wolfram auf, ebenso die Kohlenstoff- und Graphitfaser. Einkristallin sind Fasern aus Korund, Siliciumcarbid und Kaliumhexatitanat. Natürliche anorganische Fasern Die Asbeste sind die ältesten anorganischen Faserstoffe. Sie werden bis heute ausschließlich aus natürlichen Mineralvorkommen gewonnen. Asbest ist eine Gattungsbezeichnung für eine Reihe von faserartigen, hydratisierten Mg- und NaSilikaten. Da es sich um in der Natur (unter bestimmten Druck- und Temperaturverhältnissen) gewachsene Einkristalle handelt, können sie auch als natürliche Whiskers bezeichnet werden. Die langfasrigen Sorten werden in Form von Fasern und Garn, die kurzfasrigen als Füllstoffe bei härtbaren Formmassen, als Extender bei Bodenbelägen sowie als Viskositätsregler verwendet. Chrysotil ist der am häufigsten verwendete Asbesttyp (kanadischer Weißasbest). Der Faserdurchmesser beträgt 30 nm, die Festigkeit 500 bis 1000 N/mm2 und die Mohs-Härte 2,5 bis 1,0. Die Fasern sind bis zu 50 mm lang. Chrysotil ist beständig gegen Laugen; Säuren greifen an. Krokydolith, der südafrikanische Blauasbest, ist gegenüber Säuren und Laugen beständig und in dieser Hinsicht dem E-Glas überlegen. Asbest führt in den jeweiligen Formstoffen zu höherer Steifigkeit, Zugfestigkeit, Formbeständigkeit in der Wärme, Maßhaltigkeit und höherer Härte. Die elektrischen Eigenschaften sowie das Fließ- und Abriebverhalten werden jedoch negativ beeinflusst. Die festere Bündelung und die stärkere interfibrilläre Bindung der Fasern führen im Vergleich zu Glasfasern zu einer isotroperen Verstärkerwirkung. Obgleich die verschiedenen Asbestarten keine freie Kieselsäure enthalten, bewirkt Asbeststaub – ähnlich wie SiO2Staub – eine Staublungenerkrankung, die jedoch viel seltener auftritt als die Silicose. Die Asbestose kann mit Lungenkrebs kombiniert sein. Es hat sich gezeigt, dass vor allem Feinstaub mit Faserlängen von weniger als 5 μm eine große Gefährdung darstellt.

Seit Jahren wird aus Gründen der Arbeitssicherheit und des Umweltschutzes mit großem Nachdruck am Austausch von Asbest u. a. bei Brems- und Kupplungsbelägen von Automobilen durch Metall-, Glas-, synthetische mineralische und organische Fasern gearbeitet. Asbestfreie Scheibenbremsen- und Kupplungsbeläge sind längst auf dem Markt und in der Serienmontage. In allen Fällen, in denen Asbest durch andere Verstärkungsfasern ersetzt wurde, konnten die Phenolharz-Bindemittel – wenn auch mit angepassten Rezepten – beibehalten werden [12]. Entscheidend für die Leistungsfähigkeit von Scheibenbremsbelägen ist ihr zeitabhängiges Reibverhalten, besonders bei nasskalter Witterung. Das Bild 3-66 zeigt drei jeweils typische Beläge im Vergleich: Der asbestfreie Faseraustausch-Bremsbelag entwickelt bereits nach 1 s und nasskalten Bedingungen ein Reibwertniveau (μ = 0,34), das dasjenige des Semimetallic-Belags (μ = 0,12) extrem übertrifft und sogar noch über dem Niveau des konventionellen Asbestbelags (μ = 0,25) liegt. An die Stelle von Asbest kann nur eine Faserkombination treten. Dabei muss die Summe der Eigenschaften und der Preis vertretbar sein. Die Fasern dürfen in allen vorkommenden Situationen keine kritische Beanspruchungsgrenze überschreiten und keine Fibrillen bilden. Der ATE-Austauschbelag erfüllt offensichtlich diese Aufgabe. Als Austauschfasern kommen C- und PAN-Fasern in Betracht, denn sie ertragen die geforderten thermischen Beanspruchungen [13]. Zur Asbesthysterie ist anzumerken, dass jährlich in Deutschland etwa 30 000 Raucher an Lungenkrebs und 140 000 Menschen allgemein an den Folgen des Rauchens sterben. Unter 1000 Fälle sterben an Asbestose. Weiter ist zu bemerken, dass manche Entwicklungen, die von Landes-, Bundes- und EU-Ministerien/Behörden im Bereich der Nanotechnologie gefördert werden, u. a. zum Ziel haben, Nanocomposites zu entwickeln. Dazu gehören auch Fasern. Chrysotilasbestfasern sind solche Nanofasern. Diese gibt es also schon und zwar in Mengen zu niedrigsten Preisen. Für die Alveolen in unseren Lungen sind die Faserabmessungen entscheidend, ob die Nanofasern (Asbest oder andere) wieder ausgeatmet werden können oder hängen bleiben. Nur dann kann sich über zwei Jahrzehnte hin oder länger vielleicht Lungenkrebs entwickeln (siehe hierzu Literatur zu Kapitel 3.5.3 bei Nano + Gesundheit). Synthetische anorganische Fasern Unter synthetischen anorganischen Fasern nehmen die Glasfasern mit einem Anteil bis zu 90 % den ersten Platz ein. Für hochsteife und hochfeste Bauteile ist bei gleichzeitig geringerer Dichte des Verbundwerkstoffes oder der Werkstoffverbunde und niedrigem Wärmeausdehnungskoeffizienten

3.5 Zusatzstoffe für Kunststoffe

153

Bild 3-66. Leistungsfähigkeit von Scheibenbremsanlagen. Es bedeuten: a = asbesthaltiger Reibwerkstoff; b = asbestfreier semi-metallik-Reibwerkstoff; c = asbestfreier ATE-Reibwerkstoff (Faseraustausch)

die C-Faser gut geeignet. Wird außerdem eine hohe Zähigkeit der Formstoffe verlangt, dann ist die Aramid-Faser ggf. zu bevorzugen. Außerdem werden Borfasern (BFK), Berylliumfasern (BeFK), Siliciumcarbidfasern (SiC), jedoch auch Metallfasern (Aluminium und Stahl) als Verstärkung verwendet [8]. Glasfasern Sie bestehen aus Oxiden des Siliciums, Bors und Aluminiums. Als Glasfasern (DIN; E: glass fibers (ISO)) bezeichnet man alle handelsüblichen Glassorten (E-, R-, S- usw. –Glas), aus denen optische oder textile Glasfasern (ISO: Textilglas; E: textile glass) ersponnen werden können oder die zu Glaswolle (E: glass wool) oder Glaswatte (E: glass bat, wadding) verarbeitbar sind. Das ursprünglich für die Elektroisolation entwickelte EGlas ist ein Borosilikatglas. Das alkalireiche A-Glas kann mit

bestimmten Haftmitteln für Gewebe verwendet werden. Für korrosionsanfällige Anwendungen verwendet man das chemisch resistente C-Glas. Optische reine Glasfasern werden als Lichtleiter verwendet; Glaswatte und Glaswolle als thermische und akustische Isolationsmaterialien. Aus Textilglas stellt man sowohl Filamente als auch Stapelfasern her. Textilglas ist verspinnbar. Es wird für Heimtextilien, als Verstärkungs- oder Füllmaterial für Kunststoffe sowie für elektrische Isolierungen gebraucht. Glasfasern für Verstärkungsmaterialien und Füllstoffzwecke bestehen in der Regel aus E-Glas [15]. Glasfilamente (früher: Glasseiden; E: glass filaments) sind aus der Schmelze gezogene endlose Fäden. 204 oder mehr Glasfilamente werden parallel ohne Verdrillen zu einem Glasspinnfaden (E: glass strand, strand) gebündelt, der handelsüblichen Ausgangsform. Aus Glasspinnfäden stellt man einfache Glasfilamentgarne, Textilglasrovings und

Tabelle 3-43 Physikalische und mechanische Eigenschaften keramischer Fasern parallel zur Faserrichtung [14] Fasersorte

Dichte in g/cm3

Durchmesser der Einzelfaser d in μm

Zugfestigkeit F in 103N/mm2

E-Modul E in 103N/mm2

Wärmeausdehnungskoeffizient α 20 bis 200 °C in 10–6K–1

Al2O3 (FP) Al2O3 (Saffil) Al2O3 · 15 % SiO2 (Alf) Kohle (Rigiloraxt) SiC (Nicalon) SiC (Sigma) SiC (Tokamax)

3,90 3,30 3,25 1,74 2,55 3,40 3,17

20 1 bis 4 17 8 10 bis 15 100 0,1 bis 0,5

1,38 2,0 1,8 2,5 2,7 3,7 (3 bis 4)

362 300 210 230 187 430 (400 bis 700)

6,4 nicht bestimmt 8,8 0 3,1 4,5 4,5

154

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Textilglasmatten her (Bezeichnungen nach ISO (E) bzw. DIN (D)): – Textilglasmatten (E: textile glass mats) sind Matten, die nicht durch Weben erzeugt wurden, sondern entweder direkt aus Glasspinnfäden oder über die Zwischenstufe der Textilglasrovings (E: to rove = strecken vor dem Verspinnen). – Textilglasrovings (E: glass rovings, rovings, ends) bestehen aus mehreren parallelen, nicht verdrillten Glasspinnfäden, die in einer Spule (E: forming package) abgelegt sind. Sie werden entweder zu Glasrovinggewebe (E: woven glass roving fabric, roving cloth (USA)) verarbeitet oder aber zu Glas-Kurzfasern vermahlen (E: milled glass fiber) oder geschnitten (E: chopped glass fiber) (ca. 140 μm bis 210 μm lang). – Einfache Glasfilamentgarne (E: single glass filament yarns) werden entweder ohne Verdrehen zu gefachten Glasfilamentgarnen (E: multiple wound glass filament yarns) zusammen gespult oder in einer Stufe bzw. mehreren Stufen miteinander zu ein- bzw. mehrstufigen Glasfilamentzwirnen verdreht (E: folded or cabled filament yarns). Aus den einfachen oder gefachten Garnen bzw. aus den Zwirnen erhält man dann Glasfilamentgewebe (E: woven glass filament fabrics) [15]. Glasstapelfasern von 5–50 mm Länge und 5–15 μm Durchmesser entstehen entweder durch Ziehen von Glasstäben oder durch Blasen der Schmelzen mit Luft oder Wasserdampf durch Düsen. Aus ihnen erzeugt man entweder direkt ein Oberflächenvlies bzw. Glasfibervliesstoff (E: surfacing mat), bei dem regellos angeordnete Filamente oder Stapelfasern durch Bin-

demittel verklebt werden oder stellt wie bei organischen Spaltfasern zuerst ein Vorgarn (E: roving) aus praktisch parallelen, leicht miteinander verdrehten Stapelfasern her. Nach dem Drehen wird das Vorgarn zum einfachen Glasfaserstapelgarn (E: single glass staple fiber yarn). Aus den Garnen kann man durch Mischen mit Filamenten Glasmischgewebe (E: mixed glass fiber cloth) erstellen oder ähnlich wie bei Filamenten gefachte Glasstapelfasergarne (E: multiple wound glass staple fiber yarns) bzw. ein- oder mehrstufige Glasstapelfaserzwirne (E: folded oder cabled glass staple fiber yarns) erzeugen. Aus diesen Garnen oder Zwirnen, aber auch direkt aus den einfachen Glasfaserstapelgarnen, gewinnt man dann die verschiedenen Glasstapelfasergewebe. Glasfasergewebe weisen die gleichen Grundtypen wie Gewebe aus organischen Fasern auf. Sie werden ebenso hergestellt. Diese Grundtypen werden biaxiale oder 0/90Gewebe genannt. Außer biaxialen Geweben sind auch triaxiale (0/45/90, 0/60/-60) und tetraaxiale auf dem Markt (0/45/90/-45) [15]. Zum Schutz gegen mechanische und chemische Beanspruchung sowie gegen Feuchtigkeitseinwirkung erhalten die Glasfasern eine Schlichte, die Stapelfasern eine Schmälze. Die für das Verstärken von Kunststoffen verwendeten Fasern und flächenförmigen Folgeprodukte werden entschlichtet und mit einem Haftmittelfinish bzw. mit Kuppelagenzien ausgerüstet (vgl. Abschn. „Verbundwerkstoffe“). Die Verstärkungswirkung wird beeinflusst durch: Massenanteile der Glasfasern, das Längen/Durchmesserverhältnis (Langfasern sind wirksamer als Kurzfasern), die Natur des Haftvermittlers, die Lage der Fasern zur Beanspruchungsrichtung (Orientierung) sowie den Grad der Zerklei-

Tabelle 3-44 Eigenschaften von Silikat- und anderen Mineralfasern bei Raumtemperatur, Elias [15] Eigenschaft

RH (%)

Durchmesser der Filamente

65

Dichte Elastizitätsmodul

Phys. Einheit

Quarz

E-Glas

S-Glas

Asbest Chrysotil

Al2O3

Al2O3 Whisker

μm

10

10

7

10

20



65

g/cm3

2,2

2,54

2,48

2,55

3,1

3,96

65

GPa

69

72

86

80

345

2100

Zugfestigkeit

65

GPa

0,9

2,41

4,59

5,68

1,3

43

Reißdehnung

65

%

1,3

3,5

2,8

11

0,8



Schmelztemperatur

0

°C

1650

1260



1520

2045



Max. Gebrauchstemperatur

0

°C

900

600



1400





Härte

Mohs Vickers bei 0,1 kg

6,5 620–640

lin. Längenausdehnungskoeffizient

10–6K–1

4,8

Wärmeleitzahl

kJ/hmK

3,71

3.5 Zusatzstoffe für Kunststoffe nerung beim Verarbeiten, beispielsweise dem Spritzgießen GF-verstärkter Formmassen [16]. Die maximale Zugfestigkeit von Glasfasern beträgt 2500 N/mm2. Garne und Zwirne erreichen 1300 bis 1500 N/ mm2. Der Zusammenhang zwischen Kraft und Verformung ist bis zum Bruch linear. Es tritt keine bleibende Dehnung auf. Für die Verstärkungswirkung eines Faserwerkstoffs ist die Dehnung entscheidend. Das Zusammenwirken von Faser und Harz kann folgendermaßen sein [17]: – Glasfaser und Harz haben die gleiche Bruchdehnung (die Zugfestigkeit beider Werkstoffe kann voll ausgenutzt werden). – Die Bruchdehnung des Harzes ist größer als die der Glasfasern (die Zugfestigkeit des Harzes wird nur teilweise genutzt, das Glas bestimmt die Zugfestigkeit des Verbundes). – Die Bruchdehnung des Harzes ist kleiner als die des Glases (die Zugfestigkeit der Glasfaser kann nicht genutzt werden, das Harz versagt vorzeitig). Angestrebt wird der an zweiter Stelle genannte Fall. Die Bruchdehnung der Glasfaser beträgt 1,5 % bis 3 %; die gebräuchlichen Harze erreichen 3 % bis 5 %. Die Bruchdehnung von GFK entspricht der festigkeitsbestimmenden Glasfaser. Nur bei unidirektionaler Verstärkung liegt ein linearer Zusammenhang zwischen Festigkeit und Glasfasergehalt vor. Bei anderen Verstärkungsarten überschreitet die Festigkeit ein Maximum. Auch die Bruchfestigkeit ist eine Funktion des Glasfasergehaltes. Bei GF-verstärkten Harzen (GFK) sind folgende maximalen Glasgehalte erreichbar: – Matten: Handlaminieren 35 Masse-% Pressen 50 Masse-% – Gewebe Leinenbindung 66 Masse-% – Roving (uniaxial) 75 Masse-% Ein hoher E-Modul des Harzes und eine gute Haftung zwischen Glas und Harz verbessern die Druckfestigkeit. Maximale Biegefestigkeiten ergeben GFK-Verbunde, bei denen verstärkendes Glasgewebe auf der zugbeanspruchten Seite des Bauteils liegt. Die Schlagarbeit wird bei GFK vorwiegend elastisch verbraucht. Bei schwingender Beanspruchung nimmt die ertragbare Spannungsamplitude mit wachsender Lastspielzahl ab. Das Verhalten von GFK ähnelt damit dem der Leichtmetalle, während sich bei Stählen die Wöhler-Kurven einem Grenzwert – der Dauerwechselfestigkeit – nähern. Die Kerbschlagzähigkeit fällt zwar bei GF-verstärkten Formstoffen ab, jedoch in der Kälte nicht so betont wie bei unverstärkten Formstoffen. Geringere Schwindung und ein niedrigerer Wärmeausdehnungskoeffizient führen zu höherer

155

Maßhaltigkeit der Formteile. Bei schwingender Beanspruchung werden die Geräusche stärker gedämpft. Wegen der geringeren Enthalpie verstärkter Formmassen werden die Verarbeitungszyklen kürzer. Vorläufiger Höhepunkt in der 500jährigen Geschichte der Glasfasern ist ein Produkt [18] (Typ: Zen Tron, Hersteller Owens Corning) mit einer 15 bis 50 % höheren Zugfestigkeit gegenüber normalen oder anderen hochfesten Glasfasern. Darüber hinaus ermöglicht die Glaszusammensetzung und eine optimierte Faserausrichtung im Verbundwerkstoff sowohl einen höheren E-Modul als auch eine bis

Bild 3-67. Feinheitsbezogene Zugkraft verschiedener Faser-Typen als Funktion der Dehnung ε [15] Deformationen werden bei Textilfasern aus KraftDehnungs-Kurven F = f(ε) ermittelt, und nicht wie bei technischen Fäden sowie bei Kunststoffen und Gummis aus Spannungs-Dehnungs-Kurven σ = f(ε). Die Kurven F = f(ε) laufen manchmal durch ein schwaches Maximum, das durch die Höchstzugkraft Fmax (E: force at break, „breaking force“) bei der Dehnung bei Höchstzugkraft εmax (E: elongation at break) charakterisiert ist. Er wird gelegentlich von dem etwas tieferen Wert der Bruchkraft FB (E: force at rupture) bei der Bruchdehnung εB (E: elongation at rupture) gefolgt. Fmax und FB werden aber nicht als solche angegeben, sondern als Kraft (z. B. in Newton N) pro lineare Dichte bzw. Titer (z. B. in tex), d. h. als feinheitsbezogene Zugkraft E/m (Reiß- oder Bruchfestigkeit; E: tenacity; kein offizielles ISO-Symbol), d. h. als spezifische (= auf die Masse bezogene) Energie (z. B. 1 N/tex = 1 (J m–1)/(10–6 kg m–1) = 1⋅106 J/kg = 1 MJ/kg). Diese Werte lassen sich mit der Dichte in Spannungen umrechnen, z. B. (Wert in N/ tex)x(Dichte in g/cm3)=(Spannung in GPa). In älteren Arbeiten wird anstelle der Kraft inkorrekterweise die Masse (als Maß für das „Gewicht“) verwendet und zudem der Titer in denier ausgedrückt; die Umrechnung ist hier (Wert in N/tex)x11,33 = (Wert in gf/den oder gpd) (gf = gram force; gpd = gram poid denier). Die (textilen) Moduln werden nicht aus der Anfangssteigung der Kurve E/m=f(ε) entnommen, sondern als Tangentenmodul (E: tangent modulus) von Ursprung aus, als Sekantenmodul (E: secant modulus) vom Ursprung zu einem bestimmten Wert der Dehnung ε bzw. als (E: chord modulus) zwischen zwei Dehnungen ε1 und ε2 , Elias [15].

156

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Tabelle 3-45 Eigenschaften (zum Teil mittlere) einiger technischer Pflanzenfasern. Zum Vergleich: Baumwolle weist einen textilen Elastizitätsmodul von 5,7 N/tex auf, Elias [15] Eigenschaft

RF (%)

Phys. Einheit

Hanf

Jute

Kenaf

Sisal

Abaka

Henequen

Kapok

Kokos

Länge Durchmesser Feinheit Dichte Modul, textiler1) Reißfestigkeit, text.1) Reißdehnung Feuchteaufnahme

– – 65 65 65 65 65 65

mm μm km/kg g/cm3 N/tex N/tex % %

5–55 10–51 140 1,48 18–22 0,57 1,6 12

0,7–6 25–200 490 1,3–1,5 13–26 0,38 1,2–1,7 14

1,5–11 12–36 180 – – – 2,7 –

0,8–8 50–200 40 1,45 9–22 0,40 2–7 –

2–12 6–46 32 – – 0,64 2–4,5 –

1,5–4 8–33 32 – 13 0,39 3,5–5 –

15–30 10–30 – – 13 0,24 1,2 –

0,2–1,0 100–450 – 1,15 4–6 – 15–40 –1)

textile Begriffserklärungen siehe Fußnote zu Bild 3-67

zu 50 % verbesserte Schlagzähigkeit. Die Adhäsion bei der Imprägnierung z. B. mit Epoxid- oder Vinylester-Harzen wird durch eine spezielle Schlichte erreicht, die sich in einer höheren Fertigungsgeschwindigkeit widerspiegelt. Die hochfeste Faser kann durch Pultrusion und Wickelverfahren verarbeitet werden. Anwendungen werden bei Druckbehältern, im Bootsbau und der Bauindustrie erwartet. Organische Verstärkungsfasern Wenn von typischen Verstärkungsfasern für Kunststoffe gesprochen wird, dann denkt jeder Anwendungstechniker zunächst an Glasfasern. Historisch gesehen ist jedoch die Verwendung von organischen Fasern um einige Jahrzehnte älter. Sie begann mit dem Verstärken von Phenolharzen durch die in der Natur vorkommenden Fasern aus Cellulose. Natürliche organische Verstärkungsfasern Die bekanntesten Ausgangsprodukte für die in der Natur vorkommenden Fasern, deren Vorrat dank ständiger Erneuerung unerschöpflich ist, bilden Holz und Baumwolle. Beide Naturstoffe bestehen aus faserförmigen Grundeinheiten, den sog. Fibrillen, deren Durchmesser wahrscheinlich dem des Cellulosekristallites entspricht. In der Längsrichtung der Fibrille wechseln kristalline und amorphe Bereiche miteinander ab. Mehrere Elementarfibrillen können wiederum zu übergeordneten fibrillären Struktureinheiten zusammengefasst sein [19]. In den vergangenen Jahren nahm die Bedeutung technisch nutzbarer Pflanzenfasern zu. Tabelle 3-45 [15] vergleicht einige Eigenschaften. Weitere Informationen liefert u. a. Elias [15]. Holzfasern Die für das Verstärken von PF, MF, MP und PP verwendeten Holzmehle sind in Wirklichkeit zerkleinerte Holzfaserstoffe, die vorwiegend aus Fichten- und Buchenholz hergestellt

werden. Die Feinheit des Materials mit Teilchengrößen von max. 150 μm lässt die faserförmige Struktur mit bloßem Auge nicht mehr erkennen. Eigenschaftsvergleich mit anderen Fasern siehe Tabelle 3-49. Cellulosefasern Baumwollfasern bestehen aus einem mehrschichtigen Kern aus Cellulosemolekülen (Tabelle 3-46), der von einem Mantel aus Ligninen, Pektinen, Fetten und Wachsen umgeben ist. Cellulose ist ein Polysaccharid aus in ß-(1→4)-Stellung miteinander verknüpften D-Glucoseresten, d. h. eine Poly[ß(1→4)-D-glucopyranose] mit Cellobiose als Repetiereinheit. Native Cellulosen enthalten noch Carboxylgruppen, die Baumwolle z. B. ca. 1 COOH-Gruppe pro 500-1000 Glucosereste. Das Zahlenmittel des Polymerisationsgrades der unter Ausschluss von Licht und Sauerstoff geernteten Baumwollcellulose beträgt 14000-18000, dasjenige der konventionell geernteten Baumwolle ca. 7000 und das der industriellen Zellstoffe 300-2000 [15]. Die Zusammensetzung natürlicher Cellulosefasern gibt Tabelle 3-46 wieder. Die Glastemperatur trockener Cellulose wird auf 225 °C geschätzt, diejenige feuchter auf unter 20 °C. Durch Wasser weich gemachte Cellulosen lassen sich sehr leicht durch Druck verformen; Baumwolle und Rayon sind daher nicht knitterfest. Die schlechte Knitterfestigkeit der Cellulosefasern kann durch Ausrüstung der Gewebe mit Harzen verbessert, aber nicht völlig eliminiert werden. Technisch bevorzugt man daher den Einsatz von Mischgeweben, vor allem mit Polyestergarnen, z. B. für Oberhemden und Unterwäsche [15]. Bei den für das Verstärken von Phenoplasten, jedoch vor allem für die hellfarbigen Aminoplast-Formmassen verwendeten weißen Cellulosefasern handelt es sich um gebleichten Sulfitzellstoff aus Buchenholz oder um reine Baumwoll-

3.5 Zusatzstoffe für Kunststoffe

157

Tabelle 3-46 Zusammensetzung natürlicher Cellulosefasern. WL = Wasserlöslicher Anteil, Elias [15] Faser

Baumwolle Ramie Hanf Sisal Jute Flachs, geröstet Manila-Hanf

Zusammensetzung der Trockenmasse in % an Cellulose

Polyosen

Pektine

Lignine

Fette, Wachse

WL

92,7 68,8 67,0 65,8 64,4 64,1 63,2

4,7 13,1 16,1 12,0 12,0 16,7 19,6

1,0 1,9 0,8 0,8 0,2 1,8 0,5

0 0,6 3,3 9,9 11,8 2,0 5,1

0,6 0,3 0,7 0,3 0,5 1,5 0,2

1,0 5,3 2,1 1,2 1,1 3,9 1,4

Tabelle 3-47 Mittlere Eigenschaften von Cellulosefasern. CUP = nach dem Kupferammoniak-Verfahren erzeugte Cellulosefasern, CV = normales Rayon nach dem Viskose-Verfahren, PN = Polynosic-Cellulose, HWM = Rayon mit hohem Nassmodul, DA = aus Celluloseacetat rekonstituierte Cellulose, Elias [15], RH= relative Luftfeuchtigkeit. Eigenschaft

Polymerisationsgrad

RH (%)



Phys. Einheit

1

Chemiefasern

Baumwolle

CUP

CV

PN

HWM

DA

500

320

600

750



7000

Dichte

65

g/cm3

1,53

1,52

1,51

1,53

1,52

1,54

Modul, textiler1)

65 100

N/tex N/tex

4,1 3,3

4,8 2,3

4,8 3,5

– –

13,7 9,5

5,7 4,0

Nassmodul, textiler1)



N/tex

0,014

0,017

0,12

0,12





Reißfestigkeit, textile1)

65 100

N/tex N/tex

0,17 0,11

0,23 0,14

0,29 0,25

0,64 0,51

0,62 0,50

0,35 0,40

Reißdehnung

65 100

% %

14 29

20 28

8,5 10,5

7,5 8,5

6,0 7,0

7,0 9,0

Feuchteaufnahme

65

%

11

14

12

12

11

7,5

Wasserrückhaltevermögen

100

%

117

95

62

65

22

40

1) textile Begriffserklärungen siehe Fußnote zu Bild 3-67

cellulose. Die Cellulose ist mit einem Anteil von etwa 99 % nahezu der einzige Bestandteil dieser Verstärkungsfaser. Die durchschnittliche Länge der Faser beträgt je nach Typ 200 μm bis 650 μm, die Faserdicke 20 μm bis 25 μm. Sie ist somit größer als die kritische Länge einer als Verstärkung dienenden Faser. Die Baumwolle wird beispielsweise bei PFTyp 74 in Form von Gewebeschnitzeln verwendet, was vor allem zu erhöhter Kerbschlagzähigkeit führt. Polypropylen, verstärkt mit Naturfasern, ist in den vergangenen Jahren verstärkt im Gespräch und auch im Einsatz. Hochfeste Cellulosefasern verstärken dabei Polypropylen (Normstäbe) bei manchen Eigenschaften wie Glasfasern [20], Tabellen 3-48 und 3-49.

Den Vergleich einiger synthetischer Fasern mit Holz- und Cellulosefasern zeigt Tabelle 3-49. Sisal Die Hoffnungen, die Anfang der sechziger Jahre in die vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten von Sisal für PFFormmassen und Schichtpressstoffe sowie in vorgemischte UP-Formmassen (DMC) gesetzt wurden, haben sich trotz ihres im Vergleich zu Glasfasern niedrigen Preises nicht erfüllt. Angesichts des überlegenen Eigenschaftsbildes der Glasfasern hat Sisal an Bedeutung verloren. Erst in den 80/90er-Jahren wurde das Interesse an diesen Fasern bei der Suche nach Austauschmaterial für Asbest bei Brems-

158

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Tabelle 3-48 Mechanische Kennwerte von unterschiedlich verstärktem Polypropylen [20] Material

Faseranteil %

Dichte g/cm3

Zugfestigkeit MPa

Biege-E-Modul GPa

Schlagzähigkeit (–40 °C) kJ/m2

Kerbschlagzähigkeit (23 °C) kJ/m2

PP1 (ungefüllt) PP1 + Arbocel PP1 + Cordenka PP1 + Glasfaser2

0 35 30 30

0,899 1,034 0,999 1,140

24 27 79 80

1,09 2,33 2,37 4,10

10 9 50 17

5,6 1,9 12,1 15*

1 Stamylan P 412MN10, 2 Herstellerangaben für Stamylan P 63G1030, * mit U-Kerb bestimmt

Tabelle 3-49 Eigenschaften einiger Verstärkungsfasern und ausgewählter cellulosischer Fasern [20] Fasermaterial

Dichte g/cm3

Zugfestigkeit MPa

Zug-E-Modul GPa

Reißdehnung %

Zitat

E-Glasfaser Aramidfaser Kevlar 49 Kohlenstofffaser Grafil Hartholzfaser (Sulfatzellstoff) Weichholzfaser (Sulfatzellstoff) Cordenka 700

~ 2,54 1,45 1,8 – 1,54 1,496

3600 3620 4500 140–500 500-1500 885

72,4–76 124–131 234 – 20–70 27

~2 2,9 1,9 – – 12

[1], S. 36 [2] [3] [4] [5] eigene Messung

und Reibbelägen sowie PF-Formmassen und auch thermoplastischen (meist PP) Kunststoffen für Automobil-Innenverkleidungen wieder geweckt (Eigenschaften siehe Tabelle 3-46). Flachs, Hanf Seit über 10 Jahren nehmen die Entwicklungen von Naturfaser-Polymer-Verbunden mit Schwerpunkt auf Polypropylen zu. Ziele sind kostengünstige, leichte Konstruktionsmaterialien im Auto, Bau und in der Elektrobranche. Verbunddichten um 1 g/cm3 sind realisierbar. Schwierigkeiten machten die Verarbeitung, die reproduzierbare Qualität der Naturfasern und deren chemische Ausrüstung gegen Pilze, Mikroben, Brand, Geruch, Wasseraufnahme und als Folge der Ausrüstung hohe Emissionswerte. Halogenfreie Flammschutzmittel (siehe auch dort) stehen für Polypropylen-Flachs-Compounds (und andere Naturfasern) zur Verfügung [21]: – Ammoniumpolyphosphate (APP) – Melamincyanurate (MC) – Blähgraphit (BG) [22] Die entwickelten flammwidrig eingestellten PP-Flachs-Compounds liegen bei Festigkeit und E-Modul zwischen mineralgefülltem und glasfaserverstärktem PP. Trotz 10–25 % Gehalt an dem jeweiligen Flammschutzmittel besitzen sie ein mittleres Schlagzähigkeitsniveau [21].

Die Optimierung der Prozessparameter beim Heißpressen von flachsverstärktem Polypropylen untersuchten Wielage et al. [23]. Synthetische organische Verstärkungsfasern Während sich die natürlichen Fasern, vorwiegend in Form von Kurzfasern und Textilschnitzeln als Verstärkungsstoff vor allem bei den härtbaren Pheno- und Aminoplast-Formmassen bewähren, zwang vor allem die Entwicklung der Polyester und Epoxidharze im Hinblick auf eine optimale Ausnutzung der Eigenschaften dieser Produkte zur Entwicklung neuartiger Verstärkungsfasern. Als Ergebnis dieser Bemühungen stehen heute hochfeste synthetische organische Fasern zur Verfügung. Polyacrylnitril Die um 1950 etwa zur gleichen Zeit in den USA und in der Bundesrepublik Deutschland aufgenommene Produktion von PAN-Fasern erreicht weltweit etwa 20 % der Chemiefaser- und 10 % der gesamten Faserproduktion (Chemie- und Naturfasern), d. h. eine Menge, die der Welt-Wollerzeugung entspricht. Der wollähnliche Charakter und die gute Anfärbbarkeit sicherten dieser Faser ihren Platz neben der Polyester- und Polyamidfaser. Die seit ca. 1980 einsetzende Substitution von Asbest (wegen des bei der Verarbeitung entstehenden gesundheitsgefährdenden Feinstaubs) gab den Anstoß zur Weiterentwicklung der textilen PAN-Faser durch che-

3.5 Zusatzstoffe für Kunststoffe

159

Tabelle 3-50 Eigenschaften von Polyester-Fasern bei 21 °C und 65 % relativer Luftfeuchtigkeit, nach Davis, G. W. in Elias [15] Eigenschaft Anwendungen

Phys. Einheit

Filamente regulär Gewebe, Gewirke

hoch reißf. Reifenkord, industrielle Garne

regulär Mischungen mit Wolle o. Baumwolle

hoch reißf. Industriefasern, Nähgarne

Dichte Modul, textiler Reißfestigkeit, textile Reißdehnung Elast. Erholung nach 5 % Dehnung Feuchtigkeitsaufnahme

g/cm3 N/tex N/tex % % %

1,38 6,6–6,8 0,35–0,5 24–50 88–93 0,4

1,39 10,2–10,6 0,62–0,85 10–20 90 0,4

1,38 2,2–3,5 0,35–0,47 35–65 75–85 0,4

1,39 4,0–4,9 0,48–0,61 17–40 75–85 0,4

mische und physikalische Modifizierung. Das Ergebnis sind hochfeste (mit 75 cN/tex etwa die dreifache Reißfestigkeit der textilen Typen) Fasern von nierenförmigem Querschnitt, die sich als hochwertiges Austauschmaterial bei zahlreichen Asbestzementprodukten bewähren, ebenso bei phenolharzgebundenen Reib- und Bremsbelägen [24]. Ausführlichere Beschreibungen zu Acrylfasern bietet Elias [15]. Polyesterfasern Die üblichen Polyester-Fasern bestehen aus Poly(ethylentere phthalat). Fasern aus Poly(trimethylenterephthalat), Poly(bu tylenterephthalat) und Poly(1,4-cyclohexandimethylolterephthalat) werden in kleineren Mengen hergestellt. Die Polyester-Fasern sind die universellsten aller Chemiefasern, da sie sich durch chemische, physikalische und textile Modifikationen am Besten an Modeströmungen und Anwendungen anpassen lassen (Tabelle 3-50), was ihre überdurchschnittliche Mengenentwicklung erklärt. Filamente aus Polyester-Fasern sind seidenähnlich. Der größte Teil der Polyester wird jedoch als baumwoll- oder wollähnliche Stapelfasern verwendet [15]. In neuerer Zeit ist es gelungen, aus Polyestern, Polyamiden und anderen Polymeren durch verschiedene Verfahren Superfilamente (E: superfils) herzustellen. Diese Fasern reichen von Feinstfasern (1dtex – 0,1 dtex) über die eigentlichen Mikrofasern (0,3 tex – 0,1 dtex) zu Ultrafeinstfasern (10–3 dtex) und Ultrasuperfeinstfasern (10–4 dtex). Sie sind daher wesentlich feiner als die Fäden der Naturseide (ca. 1,3 dtex) [15]. Mikrofasern entstehen bei der mechanischen Methode durch Erspinnen aus Spinndüsen mit vielen Bohrungen und zwei seitlich angebrachten Luftdüsen. Die Porenweite der Gewirre ist ca. 3000mal kleiner als die Durchmesser von Regentropfen. Wassertropfen können daher nicht in das Gewebe eindringen, speziell, wenn Poly(tetrafluorethylen)Fasern verwendet werden (Gore-Tex®), während Wasser-

Stapelfasern

dampf austreten kann. Derartige Gewebe aus Garnen von Mikrofilamenten mit Feinheiten von 0,5 dtex sind atmungsaktiv und wasserdicht [15]. Andere Verfahren gehen von Polymer-Blends aus zwei nicht mischbaren Polymeren aus, einer wasserlöslichen Matrix (z. B. Poly(vinylalkohol)) und einem nicht löslichen Faserbildner (z. B. Poly(ethylenterephthalat)). Beim Extrudieren ruft der stromlinienartige Fluss eine fibrilläre Morphologie hervor. Nach dem Kaltverstrecken wird die Matrix extrahiert. Die entstehende schaumartige Aufschlämmung wird dann abfiltriert und zu Mikrofasern mit 0,1 μm – 10 μm Durchmesser versponnen. Mit diesem Verfahren wurden Ultrasuperfeinstfasern mit Feinheiten von 10–4 dtex für Filtertücher erhalten [15]. Die Polyesterfaser wird häufig in Verbindung mit Cellulosefasern und Gewebeschnitzeln zur Herstellung erhöht schlagzäher PF-Formmassen verwendet. In Verbindung mit Glasfasern verbessert sie im Bedarfsfall die Schlagzähigkeit verstärkter UP-Formstoffe. Polyamidfasern Die technisch wichtigsten Fasern aus der Reihe der Polyamide basieren auf PA 6.6 und PA 6. Der ursprünglich geringe Anteil von PA 6 mit nur 10 % an der Gesamterzeugung von PA-Fasern hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Polyamidfasern werden bei PF-Formmassen zur Verbesserung der Elastizität und der Kriechstromfestigkeit verwendet. „Die Polyamidfäden 6 und 6.6 besitzen hohe Reiß-, Scheuer- und Biegefestigkeiten, in weiten Grenzen einstellbare Dehnungen, gute Texturierfähigkeiten und ausreichende Formstabilitäten, so dass sie nunmehr für stark strapazierte Textilien wie Strümpfe, Bodenbeläge und technische Gewebe eingesetzt werden. Die Färbbarkeit kann durch Copolymerisation mit Monomeren mit sauren oder basischen Gruppen, durch Variation der Endgruppen oder durch Aufpfropfen anderer Monomerer in weiten Grenzen

160

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

variiert werden. Bei Polyamidcord für Autoreifen stört der relativ hohe Elastizitätsmodul; er kann jedoch durch Schmelzblenden der Polyamide mit Polyestern erniedrigt werden. Dazu müssen jedoch die Endgruppen der Polyamid blockiert werden, da diese sonst einen Kettenabbau der Polyester katalysieren würden“ [15]. Eigenschaften von Polyamidgarnen liefert Tabelle 3-51. Polyvinylalkohol- und Polyolefinfasern Stapelfasern aus PVAL werden noch heute in Nordkorea und China hergestellt (geschätzte Produktionskapazitäten 50 000 t/a bzw. 150 000 t/a). „In Japan werden durch Trockenspinnen Filamente mit erheblich verbesserten mechanischen Eigenschaften erzeugt (1993: Produktion 36 000 t/a, Kapazität 80 000 t/a). Poly(vinylalkohol)-Filamente besitzen hohe Reißfestigkeiten (Tabelle 61) und werden daher zu über 90 % für industrielle Zwecke (Fischnetze, Laufbänder usw.) verwendet, neuerdings auch als kurfasrige Zusätze bei der Herstellung von Papieren und Textilverbundstoffen“ [15]. Tabelle 3-52 gibt zum Vergleich auch Eigenschaften anderer Vinylfasern und Olefinfasern an. „Die Poly(olefin)-Fasern werden dank der niedrigen Gestehungskosten der Polymeren und der einfachen Herstellung durch Schmelzspinnen in den größten Mengen hergestellt. Die jährliche Weltproduktion an Textilprodukten aus Poly(olefin)en belief sich 1985 auf ca. 1,7⋅106 t/a; davon waren ca. 90 % isotaktisches Poly(propylen) PP und ca. 10 % Poly(ethylen) hoher Dichte PE-HD“ [15]. „Ungefähr die Hälfte der Textilprodukte aus Poly(olefin)Fasern werden als Bändchen, Spaltfasern oder Monofilamente hergestellt, ein weiteres Drittel als Stapelfaser und der Rest als Filamentgarne und Textilverbunde. Alle Poly(olefine)

zeichnen sich durch gute Beständigkeit gegen Säuren, Alkalien und andere Chemikalien aus. Wegen dieser mangelnden Affinität müssen andererseits alle Poly(olefin)-Fasern zwecks Farbgebung in der Schmelze pigmentiert werden“ [15]. „it-Poly(propylen) dominiert wegen seiner ausgezeichneten Reißfestigkeit (Tabelle 3-52). Obwohl sein theoretischer Elastizitätsmodul weit geringer als derjenige des Poly(ethylen)s ist, besitzt es wegen seiner leichteren Kristallisierbarkeit einen höheren technischen Elastizitätsmodul als Poly(ethylen) (Tabelle 3-51). Aus ultrahochmolekularen Poly(ethylen)en erhält man aber durch Gelspinnen hochorientierte (> 95 %), hochkristalline (≈ 85 %) Fasern mit Dichten von 0,97 g/cm3, Elastizitätsmoduln von 90 N/tex (∴ 87 GPa) und Reißfestigkeiten von 2,7 N/tex (∴ 2,6 GPa) (Dyneema®, Spectra®)“ [15]. PVAL-Fasern werden durch Behandeln mit Formaldehyd wasserunlöslich. Sie zeichnen sich bei vielen Kunststoffen durch gute Haftfähigkeit aus und führen zu erhöhter Schlagzähigkeit. Ihre Verwendung in der Kunststoffindustrie erstreckt sich auch auf Verstärkungsmatten in Schichtpressstoffen. Eigenverstärkende synthetische Fasern Strukturell gesehen sind die Kunststoffe in zwei Klassen einteilbar: amorphe und teilkristalline. Bei den amorphen sind die Makromoleküle regellos aufgebaut. Sie verhalten sich bei tiefen Temperaturen wie Glas, bei höheren wie eine zähflüssige Masse. Beispiele sind: PS, PC, PVC, PMMA (EP- und UP-Harze amorph, transparent, aber vernetzt). Erhöhte Festigkeit erhalten sie durch das Verstärken mit Glasfasern (GF), Kohlenstoff- (CF) oder Aramid (AF)-Fasern. Die teilkristallinen Kunststoffe wie PE, PP, PA, PET, PBT und POM bestehen aus einer amorphen und einer teilkristallinen Phase. In der kristallinen Phase sind die Molekülketten über

Tabelle 3-51 Textile Eigenschaften von Garnen aus Polyamiden, Elias [15] Eigenschaft

Phys. Einheit

Polyamid 6

Polyamid 6.6

Polyamid 4.6

Dichte Kristallinität Schmelztemperatur Bügeltemperatur, maximale Waschtemperatur, maximale Modul, textiler1) 25 °C (konditioniert) 120 °C Reißfestigkeit, textile1) Dehnbarkeit, konditioniert Schwindung, 180 °C Feuchtigkeitsaufnahme (E: regain), 65 % RH

g/cm3 % °C °C °C cN/tex cN/tex cN/tex % % %

– 23 221 150 60 279 135 85 33 12,0 7,5

– 37 266 180 71 360 153 85 – 7,8 7,5

– 45 290 – – 324 225 86 – 5,3 –1)

textile Begriffserklärungen siehe Fußnote unter Bild 3-67

3.5 Zusatzstoffe für Kunststoffe

161

Tabelle 3-52 Mittlere Eigenschaften von Olefin- und Vinylfasern (Filamenten). PP = it-Poly(propylen), PE-HD = konventionelle Fasern aus Poly(ethylen) hoher Dichte, PTFE = Poly(tetrafluorethylen) (Teflon), PVC = Poly(vinylchlorid), PS = ataktisches Poly(styrol), PVAL = Poly(vinylalkohol). *Unter Zersetzung. **Höchstwerte von Hochmodulfasern: ρ = 0,97 g/cm3; E = 172 GPa; σB = 3,0 GPa, Elias [15]. Eigenschaft

RF %

Phys. Einheit

PP

PE-HD**

PTFE

PVC

PS

PVAL

Dichte

65

g/cm3

0,90

0,94

2,2

1,40

1,05

1,28

Modul, textiler

65

N/tex

0,60

2,5

1,2

3,0



3,8

Reißfestigkeit, textile

65 100

N/tex N/tex

0,62 0,62

0,27 0,27

0,13 0,13

0,25 0,24

0,48 0,50

0,66 0,50

Reißdehnung

65 100

% %

20 20

30 30

23 23

17 16

< 10 < 10

16 21

Feuchteaufnahme

0,50

%

0

0

0

0,1

< 0,1

4,2

Wasserrückhaltevermögen

100

%

0

0



5



30

Schmelztemperatur

0

°C

165

125

325





250*

Glastemperatur

0

°C

– 14

–80

–52

68

100

81

Sauerstoffindex (LOI-O)

0

%

17

18

95

32

18

22

große Entfernungen regelmäßig zu einem Kristallgitter geordnet. Der kristalline Bereich weist längs der Kette kovalente Bindungen (4 · 105 J/mol) und zwischen den Ketten Van der Waals- oder Dipolbindungen (4 · 104 J/mol) auf. Die kristalline Phase wirkt in der amorphen wie verstärkende Fasern. Die Morphologie der teilkristallinen Thermoplaste ist durch drei Elemente gekennzeichnet: Faltkristalle, Nadelkristalle (Whiskers) und amorphe Matrix. Die Faltkristalle sind plättchenförmig und nur 10 nm dick. Die Makromoleküle sind haarnadelförmig gebogen und durchlaufen den Kristall mehrmals in senkrechter Richtung. Moleküle, die den Kristallverband verlassen, bilden die amorphe Matrix. Beide Phasen sind eng gekoppelt. Ausschlaggebend für die Verbundfestigkeit ist die Grenzfläche zwischen den Phasen (ein Kubikzentimeter eines teilkristallinen Kunststoffs hat hunderttausend Quadratzentimeter Grenzfläche) [25]. Die Morphologie ergibt sich aus der räumlichen Verteilung der Kristalle. Diese wiederum ist abhängig von der Vorgeschichte der Schmelze, d. h. von den Herstellbedingungen. Regelmäßig aufeinander gestapelte Einkristallplättchen (Faserstruktur) entstehen beim Abkühlen, wenn die Schmelze bereits vorgedehnt wurde. Ohne diese vorangegangene Vorordnung wachsen die Einkristalle strahlenförmig von einem Zentrum aus und ergeben die bekannten kugelförmigen Sphärolithe. Makromoleküle, die mehreren Kristallen angehören, stellen die Verbindung zwischen den plättchenförmigen Einkristallen her, sie vermitteln die starken interkristallinen Kräfte. Wenn die Makromoleküle bereits in der unterkühlten Schmelze fast vollständig gestreckt sind, dann entstehen die

Nadelkristalle mit Längen inzwischen 10 nm und 105 nm. Die Steigerung der mechanischen Festigkeit teilkristalliner Thermoplaste beruht vor allem in der Änderung der Struktur der amorphen Zonen. Wirkt die Zugspannung parallel zu den Nadelkristallen, dann beträgt bei PE der Zug-E-Modul 200 kN/mm2, die Bruchfestigkeit 2000 N/mm2. Bei einer Reißdehnung von 2 % wären die Eigenschaften denen hochfester Metalllegierungen vergleichbar [25]. Eigenverstärkte Thermoplaste (durch Induzieren des Nadelkristallwachstums) können u. a. hergestellt werden durch Ultraverstrecken oder Kristallisation aus strömenden Lösungen. Für das Strecken der Molekülkette ist eine gewisse Zeit erforderlich. Während dieser Zeit hat das Molekül die Tendenz, wieder in den Zustand des Knäuels zurückzukehren. Diese Relaxationszeit ist eine Funktion der Temperatur und der Molmasse; sie beträgt in der Nähe der Kristallisationstemperatur um 10–4 s. Die Streckzeit muss somit kürzer sein als die Relaxationszeit, wenn das Makromolekül im gestreckten Zustand verbleiben soll. Synthetische Papiere [15] Papiere aus synthetischen Materialien teilt man in synthetische Papiere und Kunststoffpapiere ein. Synthetische Papiere sind Faservliese, Kunststoffpapiere aber Folien. Zur Herstellung von synthetischen Papieren geht man von Poly(ethylen), it-Poly(propylen), Polyamiden oder Polyestern aus, die z. B. durch Flash-Spinnen in Fäden überführt und dann zu Kurzfasern zerschnitten werden. Solche faserähnlichen Produkte aus Poly(olefin)en, die ähnlich wie

162

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Cellulosezellstoff auf herkömmlichen Papiermaschinen verarbeitet werden können, nennt man auch Synthesezellstoffe (Synthesepulpe; E: synthetic wood pulp (SWP)). Die von diesen Maschinen wie bei Cellulosepapieren abgelegten Fasern aus Poly(ethylen) oder it-Poly(propylen) werden ohne Binder rein thermisch verschweißt. Die resultierenden Produkte überspannen den ganzen Bereich von schweren Packpapieren bis zu feinen Schreibpapieren. Poly(ethylen)Papiere sind dabei trotz der hydrophoben Oberfläche wegen der wirkenden Kapillarkräfte mit normalen (auf Wasser basierenden) Tinten beschreibbar. Synthetische Papiere werden oft ähnlich wie Cellulosepapiere noch beschichtet, um die Bedruckbarkeit zu erhöhen. Kunststoffpapiere [15] Kunststoffpapiere sind extrudierte und zumindest oberflächlich poröse Folien aus synthetischen Polymeren. Eine Porenstruktur ist für die gewünschte Opakzität, Farbstoffaufnahme und niedrige Dichte unbedingt erforderlich. Normal extrudierte Folien besitzen keine derartige Porenstruktur. Die Poren müssen daher durch Verstrecken, Schäumen, Beschichten, Anquellen oder ähnliche Methoden erzeugt werden. Am wichtigsten ist das Verstrecken. Es muss biaxial erfolgen, da sonst die Folie beim Bedrucken aufgespleisst wird. Wichtig ist auch die Höhe der Proportionalitätsgrenze im Spannungs-Dehnungs-Diagramm, da das Kunststoffpapier die beim Bedrucken auftretenden Druck- und Zugbeanspruchungen ohne bleibende Dehnung auffangen muss. Die Folien können ferner vor oder nach dem Recken der Folien beschichtet werden. Elastofasern Für bestimmte Anwendungsbereiche sind elastische Textilien erwünscht, z. B. für sportliche Oberbekleidungen oder für Strümpfe. Elastische Eigenschaften können dabei durch verschiedene Maßnahmen erzielt werden: chemische Synthese von Elastofasern, chemische Nachbehandlung, spezielle Spinnprozesse, physikalische Strukturänderungen, mechanische Nachbehandlung von Fasern und Herstellung spezieller Textilien. Größere Änderungen sind durch chemische Maßnahmen erhaltbar. Elastofasern (E: elastic fibers) bestehen aus chemisch und/oder physikalisch vernetzten Polymeren mit Glastemperaturen unterhalb der Raumtemperatur. Zu ihnen gehören auch Bikomponentenfasern mit einer elastischen Komponente. Elastofasern weisen sehr große Reißdehnungen und kleine textile Moduln auf (Bild 86) [15]. Gummifäden Die klassischen Elastomer-Fäden bzw. -Bänder bestehen aus vulkanisierten Kautschuken, hauptsächlich aus Na-

turkautschuk, daneben auch aus Poly(chloropren) oder Nitrilkautschuk. Sie werden nach zwei verschiedenen Methoden erzeugt. Nach dem einen Verfahren werden konventionell hergestellte Gummimischungen zu dünnen Fellen kalandriert, vulkanisiert und dann in Streifen geschnitten. Beim anderen Verfahren extrudiert man Latexmischungen in Säurebäder. Die koagulierten Fäden werden dann kontinuierlich gewaschen, getrocknet und vulkanisiert [15]. Elastan-Fasern Die zweite große Gruppe von Elastofasern umfasst die Elastan-Fasern (früher: Elasthan; USA: Spandex) aus Blockcopolymeren mit Urethan- und Ethersegmenten. Sie werden durch Reaktion von Diisocyanaten mit linearen oligomeren Polymeren mit Hydroxyl-Endgruppen (Makroglycolen) und mit Kettenverlängerern (Diamine oder Glycole) hergestellt. Diese Polymeren werden durch Schmelz- oder Lösungsspinnen verarbeitet. Bei Elastan-Fasern dienen die „harten“ Polyurethan-Segmente als physikalische Vernetzungsbereiche für die gummiartige Matrix aus „weichen“ Polyether-Segementen. Elastomere Bikomponentenfasern enthalten harte Komponenten aus Polyamiden oder Polyestern und weiche Komponenten aus segmentierten Polymeren mit harten Polyurethan- oder Polyester-Segmenten [15]. Die feinheitsbezogene Zugkraft in Abhängigkeit von der Dehnung zeigt Bild 3-68. Aramid-Fasern (nach [15]) Aramid-Fasern bestehen nach einer Definition der amerikanischen Federal Trade Commission aus langkettigen synthetischen Polyamiden, bei denen mindestens 85 % der Amidgruppen direkt an zwei aromatische Ringe gebunden sind. Nach DIN können solche Aramide auch Imidgruppen enthalten. Die Weltproduktion von Aramid-Fasern beträgt ca. 40 000 t/a. Diese Faser ist von Natur aus flammwidrig. Sie schmilzt nicht und schrumpft nicht. Die zulässige Dauergebrauchstemperatur beträgt –200 °C bis +160 °C. Die tribologischen Eigenschaften thermoplastischer Lagerwerkstoffe wie PA, POM, PBT und PC können durch Verstärken mit verschleißfesten Aramid-Fasern wesentlich verbessert werden [26]. Nach Maßgabe der jeweiligen Beanspruchung eines Formteils werden Hybridverstärkungen aus AF und GF bzw. AF und CF gewählt. Das Trennen ausgehärteter Laminate ist nur mit Spezialwerkzeugen möglich [27], [28]. Zu den Aramid-Fasern gehören solche aus Poly(m-phenylenisophthalamid) (Nomex®-Typen) und die aus Poly(pphenylenterephthalamid) (Kevlar®-Typen). Die industriell hergestellte Aramid-Faser Technora ist ein Copolyamid.

3.5 Zusatzstoffe für Kunststoffe

163

Bild 3-68. Feinheitsbezogene Zugkraft als Funktion der Dehnung bei verschiedenen Elastofasern im Vergleich zu einer normalen Polyamid-Faser und einem Gummifaden, Ultee A. J. nach Elias [15]

Nicht unter die Definition der FTC fallen die in Tabelle 353 ebenfalls aufgenommenen sog. Polyamidhydrazide X500 und das Poly(2,2’-m-phenylen-5,5’-bibenzimidazol) (PBI). Die Polybenzimidazol-Faser PBI wurde ursprünglich als flammwidrige Textilfaser für das Raumfahrt-Programm der USA entwickelt, da sie wegen ihres recht hohen Sauerstoffindex nicht brennt, nicht schmilzt und zudem bei Temperaturen unterhalb 550 °C wenige oder keine toxischen Gase und keinen Rauch abgibt. Sie eignet sich jedoch auch für andere Anwendungen, z. B. anstelle von Asbest für Schutzhandschuhe und Arbeitsanzüge von Arbeitern an Schmelzöfen für Metalle oder für Rauchgasfilter. Poly(m-phenylenisophthalamid) bildet lyotrope Flüssigkristalle. Fasern können daher bei tieferen Konzentrationen aus isotropen Lösungen, bei höheren dagegen aus nematischen ersponnen werden. Die aus nematischen Lösungen ersponnenen Fasern weisen wegen der höheren Orientierung der Kettensegmente erwartungsgemäß größere Elastizitätsmoduln und Zugfestigkeiten sowie niedrigere Reißdehnungen als diejenigen aus isotropen Lösungen auf (Tabelle 3-53). Wie aus den Konstitutionsformeln hervorgeht, sind die Kettensegmente des Poly(p-phenylenterephthalamid) wesentlich gestreckter als diejenigen des Poly(m-phenylenisophthalamid)s. Das Verspinnen von Poly(p-phenylenterephthalamid) aus nematischen Lösungen in z. B. Schwefelsäure liefert daher bereits unter regulären Spinn- und Verstreckungsbedingungen bessere Moduln und Zugfestigkeiten (Kevlar 29), die unter speziellen Bedingungen noch weiter gesteigert werden (Kevlar 49). Die Fasern sind jedoch

schwierig zu färben, weil sie für die Aufnahme von Farbstoffen weder genügend Gruppen noch eine „offene“ Faserstruktur bereitstellen und das Spinnfärben mit Pigmenten im Allgemeinen zu Störungen der Kristallstruktur und damit zu schlechteren mechanischen Eigenschaften führt. Kevlar-Fasern sind temperaturbeständige Spezialfasern. Sie dienen u. a. für kugelfeste Westen. Die Hauptanwendung von Kevlar ist jedoch als verstärkende Faser für Verbundwerkstoffe. Nachteilig ist hier jedoch die schlechte Kompressionsfestigkeit der Fasern, die vermutlich mindestens teilweise durch die beim Erspinnen aus SchwefelsäureLösungen erzeugten Mantel-Kern-Strukturen bedingt ist. Bei der Kompression von Kevlar erscheinen helicale Kinkenbänder. Verbundwerkstoffe mit Kevlar als Verstärkungsfaser versagen daher nicht wegen eines Bruches der Faser oder Matrix, sondern wegen einer elastischen Verwerfung durch Scheren. Kevlar 49 weist entsprechend ein hohes Verhältnis von Zugmodul zu Schermodul von ca. 70 auf. Bei anderen Fasern liegt dieses Verhältnis weit tiefer, z. B. bei 2,0 (Glasfasern), 3,2 (Schafwolle), 3,7 (Baumwolle) oder 5,8 (Polyamid 6.6). Nur Flachs weist noch ein recht hohes Verhältnis von 19 auf, vermutlich ebenfalls wegen Straucheffekten [15]. PBO-Fasern P-phenylene-2.6-Benzobisoxazol (PBO) ist ein teilkristallines Polymer. Die Firma Toyobo beginnt 1998 unter dem Markennamen Zylon® die Faserproduktion. Neben den Kunststofffasern aus PPS, Polyester und PI sind Aramidfasern die Haupt-Wettbewerbsfasern.

164

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Tabelle 3-53 Eigenschaften von Aramid-Fasern bei Raumtemperatur. PBI = Poly(benzimidazol), PMPI = Poly(m-phenylenisophthalamid) (Nomex®, PPDT = Poly(pphenylenterephthalamid) (Kevlar® 29 oder 49), PABH = Polyamidhydrazid, PF = Phenolharz, I = isotrop, N = nematisch; *Zersetzung, Elias [15] Eigenschaft

RH %

Phys. Einheit

PBI I

PMPI I

PMPI N

PPDT 29

PPDT 49

PABH

PF

Dichte Elastizitätsmodul Reißfestigkeit Reißdehnung Feuchteaufnahme Schmelztemperatur Sauerstoffindex (LOI-O)

65 65 65 65 65 0 0

g/cm3 GPa GPa % % °C %

1,43 5,7 0,38 30 14 – 0,42

– 19 0,35 6,7 – – –

1,38 36 0,70 4,7 8 380 0,32

1,44 63 2,7 3,7 4,5 460* –

1,44 130 2,7 1,9 – – –

1,46 100 2,1 3,5 – – –

1,25 5,7 0,38 30 14 – –

Es gibt zwei verschiedene Faserarten bei Zylon® – Zylon HM (Hochmodul-Faser) – Zylon AS (Spinnfaser) Die Eigenschaften sind: Vorteile – der Elastizitätsmodul von PBO-Fasern liegt höher als der von Aramidfasern – Zylon® weist eine höhere Hitzebeständigkeit auf als die übrigen Fasern – hohe Widerstandsfähigkeit beim Erhitzen – hoher Flammenwiderstand beim Arbeiten mit Trennschleifern und beim Schweißen – Zylon® (PBO-Faser) ist die nächste Generation einer Faser, deren Festigkeit und Module fast doppelt so hoch sind wie die von p-Aramid-Fasern – Zylon® hat eine 100 °C höhere Auflösung als p-AramidFasern. Nachteile – ziemlich teuer im Vergleich zu Aramid – Zylon® lässt sich nicht schneiden, dadurch entstehen Probleme bei der Konfektion.

Einen Vergleich der Eigenschaften von PBO-Fasern (Zylon®) mit anderen Faserarten gibt Tabelle 3-54. Bisherige Anwendungen von Zylon sind – Verstärkung von Gummi wie Reifen – Sicherheitsausrüstungen wie Sicherheitsgurte, Handschuhe, Schuhe, Kleidung für Polizei, Feuerwehr – Sportkleidung, Sportgeräte wie Segel, verschleißfeste Textilien für Rennfahrer und Reiter, Skistöcke, Fahrradfelgen. C-Fasern Bis zum Anfang der sechziger Jahre bildeten Glas- und Asbestfasern die wichtigsten hochfesten anorganischen Verstärkungsmaterialien für Reaktionsharze sowie duro- und thermoplastische Formmassen. GF-verstärkte Gießharze erreichen zwar günstigere Festigkeits-/Dichteverhältnisse (σ/ ρ) als die Metalle, das Steifigkeits-/Dichteverhältnis (E/ρ) ist jedoch ungünstiger. Damit sind der technischen Anwendbarkeit von GF-Formstoffen Grenzen gesetzt. Die Entwicklung zielte deshalb auf Verstärkungsmaterialien hin, die eine Erhöhung des Steifigkeits-/Dichteverhältnisses ermöglichen. Zu den aussichtsreichsten Verstärkungsstoffen dieser Art gehören heute die C- und Aramid-Fasern. Die eine zeitlang in den USA propagierten Borfasern haben an Bedeutung verloren, weil sie nicht textilverarbeitbar sind. Der noch

Tabelle 3-54 Eigenschaftsvergleich verschiedener Fasern [29]

Zugfestigkeit cN/dtex Zugfestigkeit GPA Bruchdehnung % Dichte g/cm3 Feuchtigkeitsgehalt % LOI Temperaturbeständigkeit °C

Zylon HM

Zylon AS

p-Aramid

m-Aramid

Stahlfaser

Carbonfaser

PBI

Polyester

37 5,8 2,5 1,56 0,6 68 650

37 5,8 3,5 1,54 2,0 68 650

19 2,8 2,4 1,45 4,5 29 550

4,7 – 22 1,38 4,5 29 400

3,5 – 1,4 7,8 0 – –

20 – 1,5 1,76 – – –

2,7 – 30 1,4 15 41 550

8 – 25 1,38 0,4 17 260

3.5 Zusatzstoffe für Kunststoffe immer hohe (aber allmählich bröckelnde) Preis der C- und A-Fasern zwingt zur optimalen Nutzung und damit den Konstrukteur zum „anisotropen“ Denken. Die Herstellung der vorwiegend auf Polyacrylnitril (PAN)-Fasern basierenden C-Fasern führt verfahrenstechnisch in zwei Stufen (Pyrolysieren bei 300 °C und Carbonisieren bei 1600 °C) zur sog. NF (niederfest)- und HF (hochfest)-Faser. Im nächsten Verfahrensschritt (Graphitieren bei 3000 °C) wird daraus die HM (Hochmodul)- und UHM (Ultrahochmodul)-Faser, Tabelle 3-55 [17]. Naturgemäß werden die Fasern während der Herstellung gereckt. Die NF- und HF-Fasern dienen als Filtermedien, Katalysatorträger und als Verstärkungsfaser in Verbundwerkstoffen. Sie weisen vorzügliche Ablationseigenschaften auf. Der verhältnismäßig niedrige elektrische Widerstand hat dazu geführt, sie in flexiblen Heizelementen und überall dort anzuwenden, wo ein biegsamer, nichtmetallischer elektrischer Leiter benötigt wird. Die HM- und UHM-Fasern ermöglichen wegen ihres sehr hohen E-Moduls von 400 kN/mm2 (HF-Fasern 230 kN/ mm2) und des dadurch bedingten hohen Steifigkeits-/Dichteverhältnisses die Herstellung von Verbundkonstruktionen mit einer drei- bis neunmal so hohen Steifigkeit wie bei der Verwendung von Titan, Stahl bzw. Aluminium. Die CFasern werden als Roving mit 1000 bis 1500 Einzelfäden, als Stapelfasern und in der technisch wichtigsten Form, den Prepregs, angeboten. Überwogen bei der Verwendung der C-Fasern bis vor zehn Jahren noch die Sportgeräte, so verlagerte sich inzwischen der Verbrauch überwiegend auf den Segel-, Passagier(siehe bei Verbundwerkstoffen) und Kampfflugzeugbau sowie Bauwesen, Raumfahrt, Rennsport und Verteidigung. Große Hoffnung wird auf den Automobilbau gesetzt (Triebwerk und Karosserie). Die Verwendung im Serienbau setzt jedoch eine gegenüber den bisherigen Methoden wesentlich veränderte Verarbeitungstechnik voraus.

165

Die Weiterentwicklung der HF-Typen auf PAN-Basis zielt vor allem auf eine Steigerung der Bruchdehnung bis 2 % (bisher 1,0 % bis 1,4 %) bei gleichzeitiger Steigerung des EModuls und der Zugfestigkeit ab. Bei ε = 1,7 % statt 1,2 % und einem E-Modul von 250 kN/mm2 ergäbe sich gemäß σ =ε · E eine Zugfestigkeit von 4250 N/mm2. Bei den HMTypen wird eine weitere Steigerung des E-Moduls bei gleichzeitiger Erhöhung der Bruchdehnung angestrebt. Von verschiedenen Herstellern werden sog. Intermediat-Typen (IM) angeboten. Sie weisen eine erhöhte Bruchdehnung und Festigkeit bei einem verhältnismäßig hohen E-Modul auf. Bei der Weiterentwicklung der C-Fasern muss jedoch beachtet werden, dass der Matrixwerkstoff eine Bruchdehnung von höchstens 2 % bis 3 % aufweist. Bei einer ebenso hohen Bruchdehnung der Fasern würden diese keine Last mehr aufnehmen können. Neuere Entwicklungen, die bereits kurz vor dem automobilen Großserieneinsatz stehen, erlauben Kosten sparend örtliche Bauteilverstärkungen mit C-Faserbündeln einzulegen und über Prozesstechnik mit thermoplastischer Matrix (PP, PA, PET, PC) im 30 Sek.-Takt herzustellen (siehe auch bei Verarbeitung von thermoplastischen Faserverbundwerkstoffen im LFT-D-Verfahren). Alle diese Fasern werden als Verstärkungsmaterialien verwendet. Die steifen Kohlenstoff-Fasern bilden jedoch schlecht Schlingen. Garne können daher nur schwierig gewirkt werden. Man stellt daher zunächst Gewirke aus Precursor-Garnen her (z. B. Poly(acrylnitril)), die anschließend carbonisiert werden (CCPF = chemical conversion of a precursor fiber) [15].

Literatur zu Kapitel 3.5.3 [1] [2] [3]

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Tabelle 3-55 Eigenschaften von Kohlenstoff-Fasern auf Basis Pech oder Poly(acrylnitril) (PAN). HM = Hochmodul, UHM = Ultrahochmodul, HS = Hochfest, I = aus isotroper Flüssigkeit, Elias [15] Eigenschaft

Phys. Einh.

PAN HS

PAN HM

PAN UHM

Pech HM

Pech I

Filament-Durchmesser Dichte Elastizitätsmodul Zugfestigkeit Reißdehnung Zähigkeit Linearer Ausdehnungskoeffizient Wärmeleitfähigkeit

μm g/cm3 GPa GPa % MPa 10–6K–1 W m–1K–1

7,5 1,78 240 3,75 1,55 20 –0,6 15–20

7,5 1,85 400 2,45 0,65 7,5 –1,0 60–100

8,5 2,0 535 1,85 0,35 3 –0,9 –

10 2,15 690 2,24 0,3 – – –

– 1,55 40 0,9 2,3 – +3 15

166

[4]

[5] [6]

[7] [8] [9] [10]

[11]

[12] [13] [14] [15]

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3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

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3.6 Thermoplastische Elastomere (TPE) Eigenschaften, Gegenüberstellung, Anwendungen

3.6

Thermoplastische Elastomere (TPE) Eigenschaften, Gegenüberstellung, Anwendungen Peter Eyerer, u. M. v. Jürgen K. L. Schneider

3.6.1

Einleitung

Thermoplastische Elastomere (TPE) sind Materialien, die elastomeres Verhalten mit den Verarbeitungstechniken der Thermoplaste kombinieren. Diese Definition beschreibt auch zugleich das Zusammentreffen zweier verschiedener Industrien bzw. Denkweisen, das der Gummiindustrie und jenes der Plastik verarbeitenden Industrie. TPE können extrudiert, spritzgegossen oder auch blasgeformt werden. In diesem Beitrag soll besonders auf die – Styrolblockcopolymere (SBC), – Thermoplastische Polyolefine (TPO), – Thermoplastische Polyurethane (TPU), – Copolyester (COPE), – Polyetherblockamid (PEBA), eingegangen werden. Weitere Werkstoffgruppen sollen nur kurz erwähnt werden. Detaillierte Informationen sind der Literatur [1-3] und [5], besonders [1] zu entnehmen.

3.6.2

167

Theorie

Während bei chemisch vernetzten Elastomeren die Rezepturentwicklung im Vordergrund steht, werden in der Regel TPE gebrauchsfertig bezogen. Dadurch reduzieren sich die notwendigen Arbeitsschritte zur Herstellung eines Produktes auf die entsprechende Formgebung, Bild 3-69. Aufgrund ihres thermoplastischen Charakters können TPE nach jedem Verarbeitungsschritt bis hin zum fertigen Formteil unproblematisch wieder recycliert werden. Dieses gilt für irreversibel, chemisch vernetzte Elastomere bestenfalls eingeschränkt. Formalistisch können TPE als Materialien beschrieben werden, die aus elastischen, weichen und thermoplastischen, harten Segmenten bestehen. Weiche und harte Segmente formen diskrete, unterschiedliche Phasen. Die reversible, physikalische Verknüpfung erfolgt über die harten Polymersegmente, Bild 3-70. Dieses Prinzip kann sehr anschaulich an den Styrolblockcopolymeren (SBC) erklärt werden, unterscheiden sie sich von einem normalen Styrolbutadien-Kautschuk (SBR) doch „nur“ in der Anordnung der Monomerbausteine in der Kette. Bei einem SBR sind die Bausteine Styrol und Butadien statistisch in der Kette angeordnet. Dieses Polymer muss chemisch umgesetzt werden, um akzeptable mechanische Eigenschaften zu bieten. Die Verhältnisse ändern sich wenn Styrolendblöcke gebildet werden und diese durch eine Butadienkautschuk-Kette verbunden sind. Beträgt das Molmasse

Bild 3-69. Schematische Gegenüberstellung der Formgebung eines Vulkanisates gegenüber eines TPE

168

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Bild 3-70. Schematische Darstellung der Morphologie von TPE (Beispiel SBC)

der Polystyrolblöcke mehr als 8000, bildet sich eine zweite, nicht im Polybutadien (BR) lösliche Phase. Diese kleinen Polystyrol-Domänen vernetzen unterhalb der Glasübergangstemperatur des Polystyrols (PS) von ca. 95 °C das Polymer physikalisch. Meist liegt das Molmasse der PS-Endblöcke zwischen 10 000 und 15 000 und das der Dienmittelblöcke bei 50 000 und größer. Zum Vergleich sei angemerkt, dass das Molmasse eines synthetischen Isoprenkautschuks bei 3 Millionen liegen kann. Das Vorliegen separater PS- und BR-Phasen kann nicht nur durch elektronenmikroskopische Aufnahmen verifiziert werden (PS-Domänengröße ca. 30 nm), sondern auch im Torsionsschwingversuch, Bild 3-71. Ein SBR-Kautschuk hat nur eine Glastemperatur (Tg) bei ca. –40 °C. Ein SBS-Kautschuk hingegen weist zwei diskrete Glastemperaturen auf, die des BR bei –90 °C und die des PS bei +95 °C. Die untere und obere Glastemperatur legen auch den Gebrauchstemperaturbereich des TPE fest. Unterhalb der Glastemperatur der weichen Kautschukphase ist das TPE hart und steif anstatt gummiartig. Oberhalb der Glastemperatur der harten, thermoplastischen Phase wird das TPE weich und fließend, es verliert seine Festigkeit. Die mechanischen Eigenschaften der SBC brauchen keinen Vergleich mit konventionell, chemisch vernetztem BR zu scheuen, Bild 3-72. Die Reißfestigkeit zum Beispiel eines

ungefüllten, reinen SBC überragt die entsprechenden Werte eines verstärkten, mit Ruß gefüllten BR deutlich. Allerdings bleibt den SBC ein Anwendungsgebiet der SBR-, BR- und IR-Kautschuke verschlossen, das der Automobilreifen. Die beim Bremsen entwickelte Wärme würde eben aufgrund des thermoplastischen Verhaltens des SBC zum Schmelzen des Reifens führen.

Bild 3-71. Schematische Darstellung der Glasübergangstemperaturen von einem SBR und einem SBS TPE

3.6 Thermoplastische Elastomere (TPE) Eigenschaften, Gegenüberstellung, Anwendungen

169

Bild 3-72. Schematische Gegenüberstellung der Reißfestigkeit von BR-Elastomeren im Vergleich zu einem SBS TPE

3.6.3

Charakterisierung der Thermoplastischen Elastomere

Wie in der Einführung erläutert, sollen die nach Meinung des Autors wichtigsten TPE-Klassen betrachtet werden. Hierbei wird zunächst auf ihre technische Herstellung eingegangen. Daraus folgen die physikalischen und chemischen Eigenschaften der Elastomere und damit ihre Anwendungsgebiete. Auf einen Punkt soll schon vorab eingegangen werden. Obgleich TPE in der Regel gebrauchsfertig bezogen werden, können einige auch compoundiert werden. Die Polyurethane (TPU), die Copolyester (COPE) und die Polyetherblockamide (PEBA) werden meist als reine Polymere verarbeitet, obgleich auch plastifizierte oder gefüllte Typen bekannt sind. Die thermoplastischen Polyolefine werden schon compoundiert geliefert und auch so eingesetzt. Die Styrolblockcopolymere (SBC) bilden hier die Ausnahme. Hier wird in der Regel nicht das Polymer allein eingesetzt sondern das Compound. Das soll im folgenden Kapitel erläutert werden.

3.6.3.1

Styrolblockcopolymere (SBC)

Styrolblockcopolymere (SBC) werden mittels lebender anionischer Polymerisation hergestellt. Die Reaktion wird z. B. mit Butyllithium (BuLi) gestartet und beginnt mit dem Aufbau von Styrolblöcken (S). Danach wird in dieses Gemisch ein Dien, zumeist Butadien (B) oder Isopren (I) dosiert. Nach Bildung der elastischen Dienkette kann nun wieder Styrol

dosiert werden. Die Reaktion wird mit protischen Medien, wie zum Beispiel Wasser gestoppt, sobald die gewünschte (lineare) SBS- oder SIS-Struktur vorliegt. Kupplung der SBoder SI-Diblöcke mit einem Kupplungsmittel (wie zum Beispiel SiCl4) kann zu radialen Polymerstrukturen führen. Selektive Hydrierung der Dien-Kette führt zur nächsten Kategorie der SBC. Aus einem SBS-Polymer wird dann (ausreichender Vinyl-Gehalt des Polybutadiens unterstellt) ein Styrol-Ethylen-Butylen-Styrol-(SEBS)-Polymer. Im Fall von SIS-Edukten erhält man eine Styrol-Ethylen-Propylen(SEPS)-Styrol-Sequenz, Bild 3-73. Durch die Hydrierung der ca. 500 Doppelbindungen im SBS- oder SIS-Polymer wird die thermische Beständigkeit als auch die gegen oxidativen Abbau beträchtlich verbessert. Eine weitere Modifikation der SBC wurde 1999 von der BASF vorgestellt [4]. Hierbei bestehen die harten Segmente aus Styrol und die weichen Segmente statt aus Butadien aus einer statistischen Butadien-Styrol-Sequenz (S/B-Verhältnis ca. 1). Hierbei ergibt sich ein Tg von –40 °C. Damit ergeben sich Polymere mit einem Gesamt-Styrolgehalt von 70 %, wenn man ein typisches Blocklängenverhältnis von 15:70:15 für den S-S/B-S voraussetzt. Durch die nahezu gleichmäßige 1:1-Monomer-Verteilung im Mittelblock entsteht ein Polymer, welches in der Alterungsstabilität zwischen den unhydrierten SBS(-Edukten) und den hydrierten SEBS-Produkten anzusiedeln ist. Erste ungestreckte Produkte habe eine Härte von Shore 85 A und finden Anwendungen im Folienbereich, in der Modifizierung von Thermoplasten und als Compounds im Ersatz weicher Thermoplaste wie PVC.

170

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Bild 3-73. Schematische Darstellung der Herstellung von SBC

SBC finden sich in ihren Applikationen wie oben schon aufgeführt als Compound wieder. Dieses hat den Vorteil, dass nicht auf den begrenzten Umfang eines Polymersortiments eines Herstellers zurückgegriffen werden muss, sondern die gewünschten Eigenschaften für die Anwendung maßgeschneidert werden können. Gewöhnlich reicht ein Einschneckenextruder mit Mischelementen und einem Längen-/ Durchmesser-Verhältnis von größer 24 aus, um die Gummi-Compounds zu produzieren. Optimale Ergebnisse darf man mit einer Doppelschnecke erwarten. In Compounds ist der Gehalt an SBC oft unter 50 Masse%. Zuschlagsstoffe für das Compoundieren senken fast immer die Kosten und verändern hauptsächlich Härte, Verarbeitungsverhalten, Resistenz gegen Umwelteinflüsse, Gebrauchstemperaturen oder auch die Oberflächeneigenschaften des Compounds. Wie bei den klassischen Elastomeren wird auch Öl verwendet, um die Härte herabzusetzen. Dieses darf naphthenisch oder paraffinisch jedoch nicht aromatisch sein. Aromaten würden die PS-Domänen aufweichen und damit die Festigkeit des Compounds zerstören. Thermoplasten wie Polystyrol (PS), Polypropylen (PP), Polyethylen (PE) oder Ethylenvinylacetat (EVA) erhöhen die Härte und verbessern die Ozon- und die LösungsmittelResistenz. PS erleichtert zudem die Verarbeitbarkeit, während PP auch die oberen Gebrauchstemperaturen verbessert. Mineralische Füllstoffe verbessern meist auch die optischen Oberflächeneigenschaften.

Die Compounds können in der Härte zwischen Shore 5 A und Shore 45 D eingestellt werden. Die spezifische Dichte liegt in der Regel zwischen 0,9 und 1,2 g/ccm, kann aber auch zum Beispiel für Schalldämmungen bis zu 1,95 g/ccm eingestellt werden. SBS-Compounds werden bei Temperaturen von 150 bis 210 °C und SEBS-Compounds zwischen 210 und 260 °C verarbeitet. Diese Mischungen ersetzen konventionelle vulkanisierte Kautschuke. Compounds auf Basis SBS treten an Stelle von SBR- oder Naturkautschuk-Vulkanisaten, SEBS basierende substituieren EPR- bzw. EPDM-Produkte aufgrund ihrer hoher Beständigkeit. Hauptanwendungen liegen in der Schuhsohlenherstellung, in der Automobil- und Kabelindustrie, aber auch im Bereich der polymeren Dachbahnen. Im medizinischen Bereich zählt neben der Transparenz und Sterilisierbarkeit besonders das Fehlen jeglicher Vulkanisationsrückstände zu den Vorzügen. Weitere Anwendungen außerhalb der Kautschukindustrie sind der Einsatz in Klebstoffen und Dichtungsmassen. Das relativ niedrige Molmasse der SBC erlaubt hoch konzentrierte Lösungen, bis zum Extrem der lösungsmittelfreien Verarbeitung in der Schmelze. Die gute Verträglichkeit der SBC mit Polymeren kann zur Modifizierung von Kunststoffen genutzt werden. Schlagzähigkeiten werden von PS, PE und PP mittels SBS deutlich verbessert. Es lassen sich aber auch Mischungen aus diesen Thermoplasten herstellen, die ohne Zusatz des SBS nicht miteinander verträglich wären. Diese Eigenschaft erlaubt

3.6 Thermoplastische Elastomere (TPE) Eigenschaften, Gegenüberstellung, Anwendungen den Einsatz als Kompatibilisator bei vermischten Kunststoffabfällen, wie sie zum Beispiel bei dem Dualen System Deutschland (DSD) anfallen. SBC auf Basis SEBS werden zur Schlagzähmodifizierung von Hochtemperaturpolymeren wie zum Beispiel Polyphenylenoxid (PPO), Polycarbonat (PC) und Polyamiden (PA) eingesetzt. Ein anderes Anwendungsgebiet ist die Modifizierung des Thermoplasten Bitumen in flexiblen Dachbahnen oder Straßenbaumaterialien.

3.6.3.2

Thermoplastische Polyolefine (RTPO, TPO ,TPV und POE)

Diese Gruppe der TPE kann noch weiter in vier Untergruppen geteilt werden, die der Reaktorblends (RTPO), die der unvernetzten und vernetzten TPO (letztere werden auch mit TPV (V für vulcanised) abgekürzt und die der erst in neuerer Zeit erscheinenden Polyolefinelastomere (POE). Reaktorblends (RTPO) sind Blockcopolymere und bestehen aus einer Matrix aus Polypropylen (PP), das auf Ethylen-Propylen-Kautschuk (EP) basierende elastomerartige Phasen enthält. Diese Copolymere entstehen durch Polymerisation in der Gasphase und können bis zu 60 Masse-% Elastomeranteil enthalten [6], [7]. Reaktorblends verhalten sich eher wie ein flexibler Thermoplast und gleichen weniger einem Kautschuk. Diese Blends sind zumeist sehr hart und zeigen wenig Rückstellung nach Deformation. Hohe Gebrauchstemperaturen können durch Einarbeitung von Glasfasern erreicht werden. Das Compound gleicht dann aber kaum noch einem Kautschuk. Starkes Schwindungsverhalten in der Form ist bei den Reaktorblends zu berücksichtigen. Da im Reaktor direkt hergestellt, sind diese Blends kostengünstig. Ihnen wird ein hohes Wachstumspotential zugebilligt (10 %/Jahr), dieses aber in typisch thermoplastischen Anwendungen, wie z. B. als Stoßfänger oder als Material für u. a. Koffer, elektrische Geräte und dergleichen. Thermoplastische Polyolefin Elastomere (TPO) sind in der Hauptsache mechanisch (zum Beispiel mittels eines Doppelschneckenextruders) hergestellte Blends, die aus PP Homopolymer und einem Ethylen-Propylen- (EPR) oder ei nem Ethylen-Propylen-Dienmonomer-Kautschuk (EPDM) bestehen. Ethylidennorbornen wird häufig als Dien verwendet. Kautschuk und das PP sind in jedem Verhältnis mischbar, deshalb kann das Mischungsverhältnis der Komponenten stark variieren. Die Kautschukphase ist in einem Volumen-Bereich zwischen 45–85 % des Compounds gewöhnlich co-kontinuierlich zu der PP-Phase. Diese Blends werden oft während der Herstellung mit Öl und Füllstoffen verschnitten. Nachträgliches Compoundieren beim Anwender führt nicht zum Erfolg. Die meisten

171

TPO ähneln im physikalischen Verhalten den Reaktorblends und werden wie diese eingesetzt. Aber einige fallen in den Bereich der eher kautschukartigen Materialien. Besonders bei weicheren Materialien werden geringfügige Teilvernetzungen der weichen Kautschuk-Phase (< 5%) vorgenommen. Die Anwendungen decken sich mit denen der im Folgenden besprochenen TPV und werden dort diskutiert. Dynamisch vernetzte thermoplastische Polyolefin-Elastomere (TPV) bestehen wie die TPO aus PP und EPDM. Ihre Herstellung beginnt mit dem Mischen der gleich schmelzviskosen PP- und EPDM-Komponenten. Die Reaktion wird unterbrochen, sobald die EPDM-Partikel den Durchmesser von ca. 1 μm erreichen. Dann werden Vernetzungsmittel zugegeben und es wird bis zur vollständigen Vulkanisation (>95%) des Kautschuks weiter gemischt. Das resultierende TPV weist die besten mechanischen Eigenschaften bei Partikeldurchmessern der vernetzten Kautschukphase von 1–2 μm auf. Seine Reißfestigkeit ist bei einem PP-Gehalt kleiner 30 phr (parts per hundred rubber) relativ niedrig, steigt bis zu einem PP-Gehalt von 50 phr stark und danach nur geringfügig bei weiterer PP Dosierung. Allerdings führt ein hoher PP-Gehalt zu härteren Materialien mit wenig Rückstellung, kurz in Richtung „thermoplastische“ Eigenschaften. Die kleinen Kautschuk-Ellipsoide, die dem TPV die Rückstelleigenschaften verleihen sind nicht chemisch an die PP-Phase gebunden. Das PP ist extrahierbar. Der Ersatz konventioneller, vulkanisierter Kautschuke ist die Hauptanwendung der TPV (weniger der TPO oder gar RTPO). Bei einem Dichtebereich von 0,9–1,1 g/ccm lassen sich Härten von Shore 60 A bis Shore 75 D einstellen. Die Verarbeitungstemperaturen liegen zwischen 160 und 240°C. Die Compounds finden hauptsächlich im Kabel- und Automobilbereich (innen und außen) Anwendung. Sie eignen sich auch zur Schlagzähmodifizierung von PP und PE aber nicht für polare Thermoplasten wie PS. Weitere thermoplastische Polyolefin-Elastomere sollen kurz behandelt werden. Die beiden wichtigsten Klassen bestehen aus PP und Naturkautschuk (NR) oder Nitrilkautschuk (NBR). Die Herstellung dieser Systeme erfolgt durch mechanisches Mischen, wie oben schon ausgeführt. Die Blends mit NR können auch dynamisch vulkanisiert werden. Hier bleiben aber im unvulkanisierten wie auch im dynamisch vulkanisierten Blend die Elastomerphase und die PP-Phase cokontinuierlich. Die Eigenschaften und damit die Anwendungen ähneln den oben angeführten verwandten Systemen mit EPR bzw. EPDM. Der Einsatz von NR erniedrigt die Rohstoff-Kosten dieser Blends. Dynamisch vulkanisierte NBR-/PP-Blends bedürfen der Modifizierung der PP-Phase mit zum Beispiel Maleinsäureanhydrid, um diese mit dem NBR verträglich zu machen.

172

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Die resultierenden TPE sind sehr gut ölbeständig (besser als NBR) und reichen in den Qualitätsbereich von Epichlorhydrinkautschuk (CO). Damit stehen diesen TPE die Einsatzgebiete von NBR und CO offen. Diese wurden schon in vorhergehenden Vorträgen behandelt. Beispiele weiterer Blends seien nur kurz angedeutet. Sie können statt PP PE als harte Komponente enthalten, oder Kautschukphasen auf Basis Butylkautschuk, EthylenAcrylat-Copolymer oder auch Polydimethylsiloxan. Polyolefinelastomere (POE) [7], [8] wurden vor zehn Jahren kommerziell verfügbar gemacht. Diese Materialien sind mittels den so genannten „single site“ Katalysatoren zugänglich. Hier werden ein oder mehrere Monomere so verknüpft, dass in der Polymerkette weiche (kautschukartige) und harte (physikalisch vernetzbare) Segmente entstehen. Im Falle des Polypropylen würde das ataktisch Orientierung für die weiche Phase und isotaktische Segmente für die harte Phase bedeuten. Letztere können ab 15 PropenEinheiten kristalline Phasen ausbilden. Die Firma DOW führte diese Blockcopolymere auf Basis Ethylen und Okten im Markt ein. Zwischenzeitlich werden diese Materialien von den Nachfolgern Du Pont DOW Elastomers vertrieben und zur Schlagzähigkeitsmodifizierung von Polyolefinen und zur Herstellung von Kabeln, Schläuchen, Manschetten, Dichtungen und dergleichen als geeignet beschrieben. Die zur Zeit bestehende Begrenzung der oberen Gebrauchstemperatur (siehe auch Tabelle 3-57) schränkt den Einsatz in TPE-Anwendungen ein. Eine angestrebte Substitution von SBC (SBS) im Schuhsohlen-Markt scheiterte an nicht ausreichendem Abriebwiderstand.

3.6.3.3

Thermoplastische Polyurethane (TPU) (siehe auch Kapitel 4.1.3.3.2)

Thermoplastische Polyurethane (TPU) waren die ersten homogenen TPE, die synthetisiert wurden. Nach Entdeckung der Polyurethane im Jahre 1937 durch Otto Bayer (Deutsches Reichspatent 728 981) wurden schon 1940 die ersten TPU charakterisiert. Aber erst in den sechziger Jahren wurden industriell einsetzbare TPU entwickelt. Unter der Vielzahl bestehender Systeme bestehen die vielleicht gebräuchlichsten TPU aus harten Segmenten, die durch chemische Reaktion von Butandiol und Diphenylmethan-4,4‘-dii-socyanat (MDI) hergestellt werden. Die elastischen weichen Segmente sind hier aus einem langkettigen Diol aufgebaut. Dieses kann ein Polyester-Diol oder ein Polyether-Diol auf Basis Tetrahydrofuran, Ethylenglykol oder Propylenglykol sein. Diese Diole werden je nach Anwendungsfall ausgewählt und allgemein als Kettenverlängerer bezeichnet. Das Molmasse dieser weichen Segmente beträgt ca. 2 000.

Gute mechanische Eigenschaften werden für das TPU üblicherweise bei Molmasse von 40 000–65 000 erzielt. Die TPU bestehen aus alternierend angeordneten harten und weichen Polymersegmenten. Die harten Segmente bilden kristalline Regionen, die thermoplastische Vernetzung bewirken. Erwähnenswert ist, dass auch die weichen Segmente – durch Kristallisation – zu den mechanischen Eigenschaften, wie Zugfestigkeit beitragen. Die großtechnische Herstellung der TPU beginnt mit dem Mischen aller Ausgangsstoffe oberhalb 80 °C. Die chemische Reaktion wird großtechnisch kontinuierlich im Reaktionstunnel oder Extruder ausgeführt. Vor der Verarbeitung sind die TPU (unterhalb der Zersetzungstemperatur, ab 280 °C) zu trocknen. TPU besitzen ein herausragend gutes Abriebverhalten, gute Weiterreißfestigkeit und hohe Beständigkeit gegen unpolare Solventien, wie zum Beispiel Treibstoffe. Enthalten letztere aber Alkohole oder aromatische Bestandteile ist reversibles Quellen des Polymers zu beobachten. Beim Ersatz konventioneller, vulkanisierter Kautschuke wird der Härtebereich von Shore 55 A bis 70 D erreicht, bei spezifischen Dichten von 1,1 bis 1,25 g/ccm. Auf Grund der exzellenten tribologischen Eigenschaften finden TPU Anwendung zum Beispiel in Förder-Bändern, Schläuchen und Schuhsohlen. Im Automobilbereich finden sich auch Kleinteile aus TPU, wie Schläuche, Manschetten und Einfassungen. Medizinische Anwendungen finden sich zum Beispiel als Katheter und Schlauch. TPU können mit mineralischen Füllstoffen und Glasfasern verstärkt werden. Blends mit anderen polaren Thermoplasten sind üblich. TPU sind in jedem Verhältnis mit Polyvinylchlorid (PVC) mischbar und als nicht flüchtiger, nicht migrierender Weichmacher dort gebräuchlich. TPU werden auch als Schlagzähigkeitsverbesserer in ungesättigten Polyesterharzen (UP), in Polyoxymethylen (POM) und Polybutylenterephthalat (PBT) eingesetzt. TPU werden aber auch in weiten Bereichen mit Acryl-Butadien-StyrolCopolymer (ABS), Polycarbonat (PC) und ähnlichen Polymeren gemischt. Auch sind ternäre Blends mit PC und ABS oder PBT üblich. Die resultierenden Materialien finden Anwendung als Thermoplaste im Automobilbereich. Aufgrund dieser Vielzahl von Anwendungen erreichte der globale TPU-Verbrauch ca. 300 kT im Jahre 2006. Marktvolumen 2006 ca. 1,3 Mrd. €.

3.6.3.4

Thermoplastische Copolyester (COPE)

Thermoplastische Copolyester (COPE) bestehen wie die oben beschriebenen TPU aus alternierend angeordneten, harten und weichen Segmenten. Diese bilden teilkristalline, thermoplastische und amorphe elastische Phasen. Letztge-

3.6 Thermoplastische Elastomere (TPE) Eigenschaften, Gegenüberstellung, Anwendungen nannte bestehen unter anderem aus polymeren Diolen mit Molmassen kleiner 4 000. Bei höherem Molekulargewicht kann Kristallisation erfolgen und der elastomere Charakter nimmt entsprechend ab. Die harten Segmente bestehen aus Polyesterbausteinen. Die Herstellung von COPE erfolgt durch die Polymerisation in der Schmelze aus einer gerührten Mischung aus zum Beispiel Dimethylterephthalat, Polytetramethylenoxid und dem Butandiol in Gegenwart von Titanatkatalysatoren. Die mechanisch-physikalischen Eigenschaften der COPE sind vergleichbar mit denen der TPU. COPE sind allerdings generell etwas härter als TPU (Shore 35 bis 85 D bei Dichten zwischen 1,15 und 1,45 g/ccm). Wie die TPU besitzen die COPE ausgezeichnetes tribologisches Verhalten, gute Schlagzähigkeit und Ölbeständigkeit. Bei gleicher Härte sind sie steifer, weniger kriechend und temperaturstabiler als TPU. Bei geringer Dehnung zeigen sie geringe Hysterese, also fast ideales Feder-Verhalten. Zudem weisen diese TPE die höchsten Gebrauchstemperaturen auf. Die obere Grenze liegt zwischen 120 und 150 °C. COPE werden bei Temperaturen zwischen 175 und 275 °C verarbeitet. Sie sind einfacher zu verarbeiten als TPU, da sie stabiler gegenüber thermischer Belastung sind. COPE sind trocken zu verarbeiten, also gegebenenfalls vorzutrocknen. COPE ersetzen konventionelle, vulkanisierte halogenhaltige Kautschuke im Bereich ölbeständiger Anwendungen, zum Beispiel bei hydraulischen Schläuchen, Falten-Bälgen, Luftzuführungsteilen im Automobilbereich. Erwähnenswert sind noch Applikationen im Kabel- und Schuhbereich. COPE können mit PVC sowie chloriertem PVC (CPVC) gemischt werden und dienen als Weichmacher analog den TPU. Schlagzähmodifizierung von Thermoplasten wie Polyethylenterephthalat (PET) und PBT ist möglich.

3.6.3.5

Polyetherblockamid (PEBA)

Polyetherblockamide (PEBA) bestehen wie die oben beschriebenen TPU und COPE aus alternierend angeordneten harten und weichen Polymer-Segmenten. Die harten Segmente bestehen aus Polyamid-12-Blöcken. Die elastischen Eigenschaften werden durch Einpolymerisieren von Polyethern – wie bei den vorhergehenden TPE auch – in der Schmelze erreicht. PEBA besitzt wie COPE und TPU auch hervorragende tribologische Kennwerte, Weiterreißbeständigkeiten und gute Lösungsmittelbeständigkeit. PEBA kann mit mineralischen Füllstoffen und Glasfasern compoundiert werden. Wie alle Polyamide muss PEBA vor Gebrauch getrocknet werden. Die Verarbeitungstemperatur liegt zwischen 170 und 230 °C. PEBA ist im Härtebereich von Shore 65 A bis 72 D verfügbar.

173

Die Vermarktung dieser TPE-Familie begann in den achtziger Jahren. Hauptsächlich werden Sportartikel wie Skiund Fußballschuhe hergestellt, aber auch Katheter, Membranen, Dichtungselemente und Faltenbälge für den Automobilbereich. PEBA kann mit anderen Thermoplasten wie zum Beispiel PA, PP, TPU und PVC abgemischt werden.

3.6.3.6

Andere

Andere kommerziell erhältliche TPE enthalten als harte Phasen hauptsächlich PVC und als weiche vulkanisiertes oder unvulkanisiertes NBR. Diese Systeme sind schon seit 1938 bekannt. Aber gerade in diesen Segmenten zeichnet sich zur Zeit eine rege Aktivität ab. So kooperiert Advanced Elastomers Systems (AES) mit Zeon Chemicals. Hierbei erwarb Zeon die Compoundier-Technologie zur Herstellung von TPV (Handelsname Zeotherm) auf Polyacrylat-Basis (ACM). Die harte Phase wird durch Polyamid oder Polyester realisiert. Diese TPE im Bereich von 70 bis 90 Shore A sollen sich durch gute Ölbeständigkeit auch bei höheren Temperaturen auszeichnen. Erste Ziele der Vermarktung sind Dichtungselemente unter der Motorhaube. In eine ähnliche Richtung zielen die Aktivitäten der Firma Dow Corning durch die Übernahme des Compoundeurs Multibase. Hier wurde ein dynamisches Vulkanisat mit Silikonkautschuk (PTSiV™) als weiche und Polyamid als harte Phase entwickelt. Diese Materialien mit Härten von Shore 50 A sollen Silikonkautschuke in Spritzguss und Extrusion ersetzen und zwar als Dichtungen, Schläuche und Griffe. Die Firma Kraiburg stellte kürzlich das dynamische Vulkanisat E2 vor, das entsprechende Ölresistenz und erhöhte Temperaturstandfestigkeit aufweist. Interessant sind noch TPE-Typen, die Ionen enthalten [9]. Sie können zum Beispiel aus einem EPR-Kautschuk bestehen, in dem 3–8 % Säurefunktionen, wie Karbon-, Sulfonoder Phosphor-Säure enthalten sind. Die Vernetzung erfolgt in aller Regel durch Zusatz von Hydroxyden des Natriums, Kaliums, Calciums, Magnesiums oder auch anderer Metallionen. Das Ergebnis der Neutralisations-Reaktionen sind Salze, die als harte Segmente den weichen EPR vernetzen. Die Salze sind aufschmelzbar.

3.6.4

Einsatzbeispiele für Thermoplastische Elastomere

Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass TPE aufgrund ihres thermoplastischen Charakters und damit – in der Regel – geringeren Molmasse gegenüber den vulkanisierten Kautschuken Nachteile in den physikalischen Eigenschaften

174

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

haben können. Der Druckverformungsrest bei erhöhten Temperaturen ist wohl die wichtigste Eigenschaft. Als Alternativen sind hier Compounds auf Basis SEBS Flüssigsilikon (LSR) anzuführen (Beispiel Tastaturmatten). Im direkten Vergleich ergibt sich nachfolgendes Bild: Vorteile von LSR gegenüber SEBS Höhere Temperaturbeständigkeit Höhere Beständigkeit gegen Öle und Fette Besserer Druckverformungsrest Stand der Technik Vorteile von SEBS gegenüber LSR Geringere Dichte Geringerer Rohstoffpreis Einfachere Verarbeitung Rezyklierbar Standard Kunststoffspritzmaschinen Keine Vulkanisation erforderlich Am Ende ergab sich ein Eigenschaftsprofil des SEBS-Compounds, das dem Anwendungsfall genügte und aufgrund der Kombination von Verarbeitungsvorteilen und Rohstoffkosten zu einer 60 %-igen Kostenreduktion führte. Ein weiteres Beispiel sei aus dem Bereich der Extrusion entnommen, wie in Bild 3-74 schematisiert dargestellt.

Bild 3-74. Kostenbetrachtung der Extrusion eines EPDM-Profiles

Neben dem Wegfall der Kosten für etwaigen Abfall schlägt besonders der Kostenblock der Vulkanisation und Nachbearbeitung zu Buche. Diese Arbeiten dominieren mit über 60 % die Gesamtkosten. Geringfügig höhere Kosten für ein TPE als Einsatzwerkstoff sind hier relativ einfach zu kompensieren. Eine Reduktion der Stückkosten ist eher wahrscheinlich. Die Möglichkeit, weiche TPE mit harten Thermoplasten mittels der Spritzgießtechnik, Extrusion oder aufeinander folgenden Blasformens direkt miteinander zu koppeln, erlaubt noch weitere Kosteneinsparungen am fertigen Stück. Die direkte Aufbringung von Tastaturmatten, weichen Griffen an Zahnbürsten oder Elektrowerkzeugen sowie flexiblen Elementen in Luftzuführungen spart Arbeitsschritte ein und führt zur Kostenreduktion. Im letzteren Falle wurde durch sequentielle Co-Extrusion ein 3D-Blasformteil aus COPE und PBT für den Automobilbereich hergestellt. Hierbei wurden 23 Einzelteile und die dazugehörigen 24 Montageschritte bei klassischer Herstellung auf 7 Teile und 8 Montage-Schritte reduziert. Im Automobilbereich bedeutet eine Teilenummer Kosten von € 15.000/Jahr, d. h., nur durch die Reduktion der Einzelteile ergibt sich eine jährliche Einsparung von € 240.000, [11]. Nebenbei ergeben sich Gestaltungsmöglichkeiten wie sie normalen Vulkanisaten nicht zugänglich sind.

3.6 Thermoplastische Elastomere (TPE) Eigenschaften, Gegenüberstellung, Anwendungen

Tabelle 3-56 Vor- und Nachteile der TPE gegenüber Vulkanisaten POSITIV

WENIGER POSITIV

kurze Verarbeitungszeiten kontinuierlich verarbeitbar einfache Maschinentechnik hohe Recyclingquote Mehrkomponententechnik geringes Baugewicht günstige Energiebilanz hohe Funktionsintegration vielfältige Farbtechnik Finite Elemente (FEM) Analyse

hohe Materialkosten Relaxationseigenschaften Temperaturfestigkeit schlechte Allround-Medienbeständigkeit geringer Know-How-Schutz für Entwickler

Allgemein lassen sich die Vor- und Nachteile der TPE gegenüber Vulkanisaten Tabelle 3-56 entnehmen.

3.6.5

Vergleichende Betrachtung der Thermoplastischen Elastomere

Die oben beschrieben verschiedenen TPE haben überschneidende Endanwendungen. Die Wahl der TPE-Formmasse und die Verantwortung für die Endanwendung liegen beim Rohstoffverarbeiter. Der Rohstoffhersteller kann den Verarbeiter beraten und in spezifischen Fragen der Endanwendung gezielt unterstützen. Zur Vorauswahl eines TPE und der folgenden Ansprache eines Rohstoff-Lieferanten möge dieser kurze Abschnitt Hilfestellung bieten. Entscheidend ist nicht nur das möglichst auf diese Anwendung optimierte Eigenschaftsprofil des TPE, sondern auch die wichtigste „physikalische“ Kenngröße eines Rohstoffes: der Preis. In Tabelle 3-57 sind Preisindikationen gegeben. Diese sind der offenen Literatur [12] entnommen und sollen nur zur ersten Orientierung dienen. Ein weiteres Kriterium sind die beim potentiellen Anwender bereits bestehenden technischen Einrichtungen, die einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Rohstoffwahl haben. In Tabelle 3-58 sind die oberen und unteren Phasenübergangstemperaturen der TPE aufgelistet. Der so genannte Gebrauchs-Bereich des TPE liegt dazwischen. Die günstigen

175

Tabelle 3-58 Obere und untere Phasenübergangstemperaturen der TPE nach [1] (1) Weiche Phase Polyester, Polyether TPE

Weiche Phase Tg (°C)

Harte Phase Tg oder Tm (°C)

SBS SIS SEBS SEBS/PP POE EPR/EPV TPU COPE PEBA

–90 –60 –60 –60 –50 –60 –40 bis –60 (1) –40 bis –60 (1) –40 bis –60 (1)

95 (Tg) 95 (Tg) 95 (Tg) 165 (Tm) 70 (Tm) 165 (Tm) 190 (Tm) 185–220 (Tm) 220–275 (Tm)

hohen Dauergebrauchstemperaturen weisen TPE auf Basis COPE auf. In Tabelle 3-59 sind einige Hersteller und Handelsnamen ausgewählter TPE aufgeführt. Tabelle 3-60 gibt die Bemühungen der deutschen Automobil-Industrie und der zuliefernden Industrien also auch der Rohstoff-Lieferanten wider, zu einer einheitlichen Kennung der verschiedenen TPE zu kommen [10]. Diese Initiative ist richtungsweisend und wird den Einsatz der verschiedenen TPE im Automobilbereich, auch gerade wegen des Wiederaufbereitungsgedankens, weiter fördern. Tabelle 3-60 soll auch zur Orientierung hinsichtlich technischer Literatur dienen, da sie einige Varianten der Kurznamen für TPE aufzeigt. Der Spezialitätencharakter der verschiedenen TPE-Formmassen folgt aus den produzierten Mengen. Laut einer Freedonia-Studie vom Mai 2002 wird das durchschnittliche Wachstum 7,5 % betragen und im Jahre 2006 die Welterzeugung von TPE 2,6 Millionen Tonnen erreichen. Dies entspricht einem Materialwert von 12 Milliarden €. Folgende grobe Verteilung auf die einzelnen Materialklassen besteht: – SBC 38 %, – TPO/TPV 30 %, – TPU 11 %, – COPE 5 %, – andere 4 %.

Tabelle 3-57 Preisindikation verschiedener TPE, hauptsächlich nach [12] TPE

SBC

TPO

TPV

POE

TPU

COPE

PEBA

Preis [€/kg]

2

3,3

4,5

2

4,3

5,8

7,6

176

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Tabelle 3-59 Ausgewählte Produzenten/Lieferanten von TPE TPE

Hersteller/Lieferant

SBC TPO TPV TPU COPE PEBA

KRATON AES AES Elastogran Du Pont Atofina

Enichem DSM DSM Bayer DSM Degussa

Dynasol Basell Kraiburg Noveon Ticona EMS

Dexco Softer Softer COIM Eastman Du Pont

Tabelle 3-60 Nomenklaturvorschläge für TPE

3.6.6

neu

alt

ASTM

VDA

ISO/SAE/VDA

SBC TPO TPV POE RTPO TPU COPE PEBA

TPE-S TPE-O TPE-V

TES TEO

TE.S(SEBS/PP) TE.O(EPDM/PP) TE.V(NBR/PP)

TE (PEBS+PP) TE (EPDM+PP) TE (NBR-X+PP)

TPE-U TPE-E TPE-A

TPUR TEEE PEBA

TE.U(ES/ES) TE.E(ES/ES) TE.A(ET/12)

TE (PESTUR) TE (PESTEST) TE (PEABA 12)

Ausblick

Thermoplastische Elastomere haben sich in den letzten zwanzig Jahren kommerziell durchgesetzt, da sie gute mechanische Eigenschaften mit Vorteilen der thermoplastischen Verarbeitung gegenüber den konventionellen Elastomeren kombinieren. In neuerer Zeit erweist sich die im Prinzip relativ problemlose Wiederaufarbeitbarkeit als zusätzliche Stärke dieser Materialien. Das Entwicklungspotential wird durch den Bereich der heute bestehenden klassischen, vernetzten Elastomere vorgegeben. Diese beginnt von den weichen Silkonkautschuken und reicht bis zu den extrem stabilen Perfluorelastomeren. Zusätzlich wird die Lücke zwischen harten Elastomeren und schlagzähen Thermoplasten weiter geschlossen werden. Das Wachstumspotential der TPE wurde bereits vor mehr als einem Jahrzehnt anhand des Titels einer Tagung beschrieben [3]: Thermoplastische Elastomere (TPE) weiter im Aufwärtstrend. Diese Prognose gilt damals wie heute. Das überdurchschnittliche Wachstum der Märkte dieser Werkstoffklasse speist sich aus drei Quellen:

1. Die Reduktion der Stückkosten durch Reduktion der Teile und Arbeitsschritte. 2. Die Entwicklung der Zwei-Komponenten-Technologie (2K) und einhergehende Designs. 3. Immer neue Marktteilnehmer/Anbieter und immer noch neue Materialentwicklung. Interessant beim dritten Punkt ist, dass gerade Firmen, die im klassischen Kautschuk-Bereich vertreten sind (siehe auch Abschnitt 3.6.3.6) über Allianzen und Zukäufe den Markteintritt im Thermoplastischen Kautschuk-Bereich suchen. Das spricht für eine extrem hohe Attraktivität dieser Technologie, auch und gerade für Anbieter von klassischen Elastomeren.

Literatur – Kapitel 3.6 [1] [2] [3]

Holden G et al (Hrsg) Thermoplastic Elastomers. 2 Ed Hanser, München 1996 Holden G in: Morton M (Hrsg) Rubber Technology. MVan Nostrand Reichold, New York 1987, 3. Aufl Fachtagung SKZ, Würzburg: 6.–7.10.1992, Leiter: Möhler W, Thermoplastische Elastomere (TPE) – Weiter im Aufwärtstrend

3.7 Elastomere [4]

Knoll K, Wünsch J R in: Fachtagung SKZ, Würzburg: 5.-6.05. 1999, Leiter: Schneider J K L, Thermoplastische Elastomere – Flexibel in das neue Jahrtausend [5] Fachtagung SKZ, Würzburg: 4.–5.05.1994, Leiter: Schneider J K L, Thermoplastische Elastomere (TPE) – Neue Materialien und Anwendungen [6] Schwager H Kunststoffe 82(1992) S 499–501 und in [5] [7] Wolters J Kunststoffe 84(1994) S 446-50 [8] Mühlhaupt R Nachr.Chem.Tech.Lab. 41(1993) S 1341– 51 [9] C. Pittman a. C. Carraher, Polymer News 15 (1990) S 7–11 [10] Gorski E, Kunststoffe 83(1993) S 217–9 [11] Laumeyer J E in: Fachtagung SKZ, Würzburg: 7.–8.06. 2000, Leiter: Schneider J K L, Thermoplastische Elastomere – Werkstoffe mit Zukunft [12] IAL Market Report, The West European Market for Thermoplastic Elastomers. London October 1997

Weiterführende Literatur Viehsack F, Sänger J, Beitzel M (2007) Auch für hohe Temperaturen (chemisch vernetzte TPE-V). Kunststoffe 97(2007)1, S 79-81

Bild 3-75. Eigenschaftsvergleich Stahl – Gummi

3.7

177

Elastomere Peter Eyerer, u. M. v. Friedrich Leibrandt

3.7.1

Einleitung

Ein technisches Bauteil kann nur dann Erfolg haben, wenn es bei einem günstigen Preis einen geeigneten Werkstoff mit einer stimmigen Konstruktion in sich vereint. Diese Feststellung wirkt zunächst banal. Allerdings genügt im Fall Elastomerwerkstoffe („Gummi“) bereits ein oberflächlicher Vergleich mit einem metallischen Werkstoff (Bild 3-75), um zu erkennen, dass für die Konstruktion und den Einsatz von Bauteilen mit solchen Materialien wohl ganz andere Regeln einzuhalten sein dürften als beim eher vertrauten Umgang mit Feststoffen. Insbesondere der Umstand, dass die Eigendämpfung von Elastomeren als ein wichtiges Konstruktionsmerkmal keine feste, sondern eine innerhalb verhältnismäßig weiter Grenzen einstellbare und dazu im Bereich der Gebrauchstemperaturen auch noch veränderliche Größe darstellt, macht deutlich, dass weder die Hersteller der Werkstoffe noch die Anwender darauf verzichten können, sich selbst ein spezifisches Funktionsverständnis und spezifische Materialkenntnisse anzueignen, sollen Irrwege bei der Entwicklung und Anwendung von Elastomerteilen vermieden werden. Die vorliegende Einführung in das Thema Elastomerwerkstoffe wird wie folgt gegliedert: – Erläuterung des Elastomerbegriffs als Kennzeichnung einer besonderen Stoffklasse und – Beschreibung wichtiger Individuen innerhalb dieser Klasse.

178

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Bild 3-76. Elastomerdefinition

3.7.2

Der Elastomerbegriff

Elastomere zeigen gemeinsam verschiedene charakteristische Merkmale und bilden so nach DIN 7724 eine eigenständige Stoffklasse. Bild 3-76 zeigt deren wahrscheinlich knappstmögliche Defintion4. Vernetzung als Vorraussetzung für Entropieelastizität Nur vergleichsweise wenige Polymere (s. nächsten Absatz) sind von vorneherein Elastomere. Die anderen „potentiellen Elastomere“ werden zunächst in einer Form erhalten, die als Kautschuk5 bezeichnet wird. Voraussetzung für die Erlangung entropieelastischer Eigenschaften ist in allen Fällen eine weitmaschige dreidimensionale Vernetzung. Diese ist entspechend Bild 3-77, für die sog. thermoplastischen Elastomere bei Raumtemperatur sowie mäßig erhöhten Wärmegraden bereits durch ihre chemische Natur gegeben. Da solche Elastomere, wie beispielsweise bestimmte Styrol-Butadien-Copolymere (SBS), jeweils aus vergleichsweise großen thermoplastischen und elastischen Blöcken (sog. „Hart-“ und „Weichsegmenten“) bestehen, verhalten sie sich bei hohen Temperaturen durch das Aufschmelzen der Hartsegmente wie Thermoplaste. Beim Abkühlen legen 4

5

Eine Anzahl von Fachausdrücken und Definitionen zum Thema „Kautschuk und Elastomere“ ist genormt und findet sich in DIN 53 501. Kautschuke sind Polymere mit sehr beweglichen Molekülketten (s. Bild 3-80). Sie weisen als solche bereits Elastizität auf; sie sind indessen vorwiegend plastisch, doch nicht schmelzbar und verhalten sich im Übrigen wie nicht-NEWTON‘sche Flüssigkeiten. Nicht-NEWTON‘sche Flüssigkeiten sind Flüssigkeiten, deren Viskosität nicht unabhängig vom Schergefälle ist.

sich diese – ebenfalls wie bei Thermoplasten – infolge der zunehmenden Wirkung zwischenmolekularer Kräfte6 („Nebenvalenzen“ bzw. „Koordinationskräfte“) in einer Nahordnung zusammen und bilden so „physikalische“, beim Erwärmen wieder umkehrbar (reversibel) zu lösende Vernetzungsstellen zwischen den Weichsegmenten. Diese verhalten sich wie entsprechende Kautschuke und sichern so den Elastomercharakter des vernetzten Werkstoffs (Bild 3-78 links; natürlich können hier nur sehr vereinfachende Anschauungsmodelle dargestellt werden; die wahren räumlichen Verhältnisse sind wesentlich komplizierter; s. auch Bild 3-80). Im Gegensatz hierzu wird bei den „eigentlichen“ Elastomeren die Vernetzung durch Reaktion der Kautschuke mit geeigneten7 Vernetzungschemikalien in der Wärme über echte chemische Bindungen („Hauptvalenzen“) erreicht. Ihre Bildung ist nicht umkehrbar, so dass chemisch vernetzte Elastomere auch bei hohen Temperaturen weder erweichen noch schmelzen (Bild 3-78 rechts). Dieses äußere Merkmal dient zur Unterscheidung zwischen Elastomeren und thermoplastischen Elastomeren in DIN 7724. Da die aus Bild 3-75 hervorgehende starke Deformierbarkeit von Elastomeren implizit die Verwendung als funkionale Werkstoffe beinhaltet, und dabei häufig höhere Temperaturen vorkommen, bei denen die spezifische Elastizität nur bei chemisch vernetzten Elastomeren erhalten bleibt, werden diese im weiteren Verlauf dieser Abhandlung im Mittelpunkt stehen. 6 7

vgl. die diesbezüglichen Aussagen auf den folgenden Seiten s. unter Vulkanisation und Vulkanisationschemikalien

3.7 Elastomere

179

Bild 3-77. Physikalische und chemische Vernetzung von Hochpolymeren

Energie- und Entropieelastizität: Zur Erklärung des Phänomens der „Entropieelastizität“ (Gummielastizität) sowie seiner Unterscheidung von dem der „Energieelastizität“ (Stahlelastizität) genügen im Prinzip zweckmäßige Definitionen von Wärme und Elastizität sowie die Aussage des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik (Bild 3-79). Niedrige Temperaturen bedeuten geringe Bewegungsenergien der Atome oder Moleküle eines Stoffes. Erstarrung in der Kälte tritt ein, wenn Atome bzw. Moleküle durch die gegenseitigen Anziehungskräfte gegen die schwach gewordenen Bewegungen in eine feste Anordnung (Kristall, Glas) gezwungen werden. Die Bewegungen innerhalb eines solchen Stoffes sind auf äußerst hochfrequente Dreh- und Deformationsschwingungen um feste, energiearme Schwerpunktlagen beschränkt. Die Schwingungsamplituden sind dabei so klein, dass die einzelnen Bausteine sich gegenseitig nicht behindern und Platzwechsel so gut wie nie stattfinden (Bild 3-80 links). Umgekehrt bricht der feste Verbund eines solchen Stoffes bei zunehmender Erwärmung infolge Überwindung der ordnenden Kräfte durch die Bewegungsenergie der Teilchen zusammen. Es entsteht eine Schmelze, in welcher die Atome und Moleküle sich frei gegeneinander verschieben (intermolekulare1 Diffusion oder „makro-BROWN‘sche“ Bewegungen). 1

intermolekular … Schwingungen zwischen Molekülketten.

Erstarrungs- und Schmelztemperatur sind artspezifisch und weisen stets bei den reinsten Substanzen die höchsten Werte auf. Schmelzbare polymere Stoffe erstarren und schmelzen dagegen (Molmassenverteilung!) in einem mehr oder weniger engen Bereich. Wird die Erwärmung fortgesetzt, verlassen immer mehr Teilchen aufgrund ihres Energieinhaltes die Schmelze; die Substanz verdampft. Dies gilt allerdings nur für vergleichsweise geringe Molmassen. Bei den Makromolekülen von Polymeren übersteigen die zur Verdampfung benötigten Energien in aller Regel die Bindungsenergien innerhalb der Moleküle, so dass diese Stoffe sich nicht unzersetzt verdampfen lassen. Wirkt eine äußere Kraft auf einen starren Körper ein, setzt dieser großen Widerstand entgegen; seine Formänderungsmoduln, z. B. der Schubmodul, sind hoch. Verformung und Rückverformung nach dem Wegfall der verformenden Kraft verlaufen extrem schnell und ungedämpft, wobei die innere Energie des Körpers um den Betrag der Verformungsarbeit zu- bzw. wieder abnimmt. Wegen dieser Änderungen des Energieinhaltes spricht man von Energieelastizität. Im Gegensatz zu den starren Stoffen mit engmaschig fest eingebundenen Bauelementen zeichnen sich Elastomere dadurch aus, dass zwischen den weiträumig stabilisierenden Vernetzungsstellen größere Polymerabschnitte mit großer Kettenbeweglichkeit vorliegen. Sie erstarren infolgedessen

180

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Bild 3-78. Modell der physikalischen und chemischen Vernetzung von Elastomeren (reduziert)

Bild 3-79. Grundelemente für die Erklärung der Entropieelastizität

nur in Temperaturbereichen, deren obere Grenze mit ganz wenigen Ausnahmen 0°C nicht überschreitet. Bei Gebrauchstemperatur bilden die Netzwerkverknüpfungen in formaler Analogie zu den Schwingungsschwerpunkten der starren Körper Fixpunkte, zwischen denen nicht nur die von dort bekannten Schwingungen innerhalb der Molekülsegmente erfolgen, sondern diese selbst sich entsprechend ihrer chemischen Struktur (Raumausfüllung!)

mit der Temperatur mehr oder weniger stark bewegen können. Diese Bewegungen sind sehr viel umfangreicher und die bewegten Massen sehr viel größer als bei starren Stoffen und lassen deshalb im Gegensatz zu diesen auch gegenseitige Behinderungen und Platzwechsel zu. Da beispielsweise beim „Umklappen“ eines Molekülabschnitts (Bild 3-80 rechts) der neue Platz naturgemäß erst eingenommen werden kann, wenn er infolge entsprechender Wärmebewe-

3.7 Elastomere

181

Bild 3-80. Elastizitätszustände (schematisch)

gungen der bisherigen Platzhalter (1 und 2 in Bild 3-80) frei geworden ist, laufen diese Vorgänge (intramolekulare2 Diffusion oder „mikro-BROWN‘sche“ Bewegungen) nur verhältnismäßig langsam (gedämpft) ab und sind dabei sowohl polymertyp- als auch temperaturabhängig. Der „Ruhe“zustand wird durch den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik bestimmt. Er ist wie der erste ein Erfahrungssatz und besagt, dass in geschlossenen, d.h. von außen unbeeinflussten Systemen ein Zustand größerer Entropie, gleichbedeutend mit größerer Dispersion oder Unordnung, immer wahrscheinlicher ist als einer mit geringerer Dispersion oder größerer Ordnung, und solche Systeme nie spontan in einen signifikant unwahrscheinlicheren Zustand übergehen. So wird ohne Einwirkung von außen thermische Energie immer nur vom wärmeren Körper auf den kälteren übergehen, und zwei verschiedene Gase werden sich immer nur vermischen, aber nie von selbst wieder voneinander trennen (Bild 3-81). Bei Elastomeren drückt sich der wahrscheinlichste Zustand der beweglichen Molekülsegmente zwischen den Verknüpfungsstellen bei Gebrauchstemperatur und ohne äußere Krafteinwirkung im Vorliegen ungeordneter Knäuel aus. Wirkt eine äußere Kraft ein, setzen Elastomere wegen ihrer vergleichsweise weit auseinander liegenden Festpunkte nur geringen Widerstand entgegen; diese Stoffe sind leicht verformbar. Deformationen im elastischen Bereich bewirken hier keine Erhöhung der inneren Energie, sondern als Folge der Streckung oder Stauchung der geknäuelten Mole-

külabschnitte8 eine Zunahme der Ordnung bzw. einen Zustand kleinerer Entropie im System bei gleichbleibender innerer Energie, und die elastische Rückkehr in den Ausgangszustand9 nach dem Wegfall der verformenden Kraft erfolgt allein aufgrund des Strebens nach größerer Entropie. Man spricht deshalb in diesem Falle von Entropieelastizität. Alle Formänderungen verlaufen, wie begründet, entsprechend dem chemischen Aufbau und damit der inneren Beweglichkeit der freien Molekülabschnitte temperaturabhängig und mehr oder weniger verzögert (gedämpft). Der auffallendste Unterschied zwischen Energie- und Entropieelastizität zeigt sich z. B. auch darin, dass ein zugbelasteter Gummifaden sich bei Erwärmung im Gegensatz zu einem zugbelasteten Metalldraht nicht ausdehnt, sondern zusammenzieht (JOULE-Effekt)10. Elastomere, darunter werden definitionsgemäß die chemisch vernetzten Kautschuke bzw. deren Mischungen11 verstanden, sind somit bei Gebrauchstemperatur Stoffe mit federnden und dämpfenden (viskoelastischen) Eigenschaften. Wird in Bild 3-82 G1 als der Schubmodul des energieelastischen und G2 als derjenige des entropieelastischen Zustandes definiert, und wird mit h2 der auf Mikro8 9 10

11 2

intramolekular … Schwingungen von Atomen innerhalb eines Moleküls.

hierbei werden die Molekülschwerpunkte beibehalten. in der Praxis bleibt stets ein kleiner Restbetrag (Verformungsrest, „Hysteresis“). dieses Verhalten ist beispielsweise bei der Bewertung des Verformungsrestes nach Zug- oder Druckbeanspruchung zu berücksichtigen. Da die Erholung bei Entspannung in heißem Zustand schneller verläuft als bei Entspannung nach Abkühlung, sind die Zahlenwerte der Verformungsreste (nach 30 min) entsprechend kleiner. Näheres zum Aufbau von Kautschukmischungen s. unter Zusammensetzung von Elastomerwerkstoffen.

182

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Bild 3-81. Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik

Bild 3-82. Verformungsmodelle für hochpolymere Werkstoffe

3.7 Elastomere

183

Bild 3-83. Modul, Dämpfung sowie Beeinflussung des Kälteübergangs bei Elastomeren

BROWN‘schen Bewegungen beruhende viskose Anteil in einem viskoelastischen Stoff sowie mit h3 die aus makroBROWN‘schen Bewegungen herrührende Viskosität bezeichnet, so lässt sich die Verformungsmechanik aller hochpolymeren Werkstoffe modellhaft darstellen. Elastomere, die bei tiefen Temperaturen im starrelastischen Zustand und bei Gebrauchstemperaturen im gummielastischen Zustand vorkommen, werden im ersteren durch das Wirkungsmodell 1 und im letzteren durch das Wirkungsmodell 5 dieser Abbildung beschrieben. Hier ist das Verhältnis von elastischem zu viskosem Anteil, entsprechend der molekularen Kinetik, wiederum typspezifisch sowie temperatur- und zeitabhängig. Modell 8 (Schmelze) kommt bei chemisch vernetzten Elastomeren nicht vor. Zwischen den beiden möglichen Zustandsbereichen findet sich bei allen Elastomeren ein ausgeprägter reversibler Übergang. Maßzahl für die Übergangstemperatur ist nach DIN 53 545 der gelegentlich auch Glasübergangs- oder Einfriertemperatur genannte Kälterichtwert. Er kennzeichnet die Temperatur, bei der die Kurve des Speicher-(=Schub) moduls G des Elastomers ihren Wendepunkt TR hat12 und die dynamische Dämpfung Λ (= Verlustmodul) ihren Höchstwert erreicht. Die Abhängigkeit der Verformungs12

es handelt sich somit um einen Übergang 2. Ordnung.

mechanik von der Temperatur wird in Bild 3-83 für das Beispiel eines weichmacherfreien Acrylnitril-ButadienElastomers von etwa 80 Shore A Härte anhand des Verlaufs von Speicher- und Verlustmodul wiedergegeben, ebenso die Beeinflussbarkeit von TR. Das bisher gemäß DIN 7724 kurz als Gebrauchstemperatur bezeichnete Temperaturintervall wird somit nach unten durch den umkehrbaren Übergang des Elastomers (Λmax) zwischen den elastischen Zuständen begrenzt. Dessen Lage hängt zunächst vom Kautschuktyp ab, verschiebt sich jedoch mit der Zunahme von Molmasse, Vernetzungsdichte, Füllstoffgehalt und -aktivität, der Geschwindigkeiten von Verformung und Temperaturänderung und des äußeren Drucks zu höheren sowie durch Weichmacher und quellende Umgebungen zu tieferen Temperaturen. Für den praktischen Einsatz hängt die niedrigste zulässige Temperatur davon ab, ob die Funktionstüchtigkeit des Werkstoffs schon mit dem beginnenden Verlust der gummielastischen Eigenschaften (T°zul. > Λmax) oder erst bei einsetzender Versprödung (T° zul.< Λmax) endet. Nach oben wird, da Elastomere nicht viskos fließen, das Intervall durch die Geschwindigkeit begrenzt, mit der der empfindlichste Bestandteil, meistens das Polymer, altert. Für den praktischen Einsatz wird deshalb die höchstzulässige Temperatur dort liegen, wo die funktionsbeeinträchtigenden

184

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Bild 3-84. Relaxation von Elastomeren (Beispiel Perfluorelastomer)

Veränderungen durch Umvernetzung und andere nicht umkehrbare Vorgänge (s. unter Alterung und Alterungsschutzmittel) erst so langsam verlaufen13, dass die Gebrauchstüchtigkeit des Werkstoffs bis zum Ende der geplanten Lebensdauer erhalten bleibt. Die Abhängigkeit der Verformungsmechanik von der Zeit bzw. der Geschwindigkeit der Verformung (Frequenz) wird für das Beispiel eines Perfluorelastomers durch den Verlauf der Schubmodulkurve in Bild 3-79 dargestellt. Die Erfassung der Zeitabhängigkeit von E-Moduli als vollständiges Relaxationsspektrum bei einer Temperatur erfordert in der Praxis wegen der zu messenden extrem kurzen und langen Zeiten einen nicht zu bewältigenden Versuchsaufwand. Man kann sich indessen den Umstand zunutze machen, dass Zeiten und Temperaturen korrespondieren. Da Relaxationszeiten sich exponentiell mit der Temperatur ändern, lassen sich bequem zu handhabende Prüfzeiten einhalten, wenn Relaxationen bei unterschiedlichen Temperaturen gemessen werden. Jede Temperaturverschiebung hat dann ein Zeitäquivalent und umgekehrt.

13

Die Geschwindigkeit von Alterungsvorgängen wird wie alle chemischen Reaktionen durch die Gleichung von ARRHENIUS (s. Bild 3-111) bestimmt, nach der Temperaturänderungen um jeweils 10 K bzw. 10 °C nach oben oder unten in erster Näherung eine Verdoppelung oder Halbierung der Reaktionsgeschwindigkeit bewirken.

So kann ein Elastomer verformt und die zeitliche Änderung (Relaxation) der Schub- (Druck-, Zug-) Spannung z. B. in einem Zeitbereich von 3‘‘ bis 600‘‘ bei unterschiedlichen Temperaturen gemessen werden (Bild 3-84, mittleres Diagrammfeld). Wird nun auf die Messpunktfolge bei einer festgelegten Temperatur bezogen – sinnvoll ist die Temperatur TR beim Glasübergang, da Polymerwerkstoffe hier in einem rheologisch vergleichbaren Zustand (praktisch gleicher Viskosität) vorliegen – so lassen sich mit Hilfe einer von Williams, Landel und Ferry gefundenen und bis zu einer Temperatur von etwa 100 K über dem Kälterichtwert TR geltenden mathematischen Beziehung für die Verschiebung der Relaxationszeiten mit der Temperatur („WLFGleichung“ [1]) die unterhalb der Bezugstemperatur ermittelten Punktfolgen bzw. Kurvenabschnitte parallel zur Abszisse nach links zu kürzeren Zeiten und die oberhalb der Bezugstemperatur gemessenen nach rechts zu längeren Zeiten bis jeweils zum Anschluss bzw. Überdeckung verschieben und so die gesamte Zeit/Modulfunktion als sogenannte „Masterkurve“ beschreiben. Die Ähnlichkeiten im Verlauf der Schubmodul-/Temperaturkurve in Bild 3-83 sowie der Schubmodul-/Zeitkurve in Bild 3-84 sind trotz ihrer typbedingten Unterschiede unverkennbar. Für die praktische Konstruktion mit Elastomeren bedeutet dies, dass der Verformungsmodul (so z. B. die Federkonstante) nicht nur am unteren Ende der

3.7 Elastomere

185

Bild 3-85. Gruppierung der polymeren Werkstoffe nach DIN 7724

Gebrauchstemperatur sondern auch oberhalb einer „kritischen“ Verformungsgeschwindigkeit auffallend ansteigt. Die Bewertung des elastischen Zustandes bei Gebrauchstemperatur, des Ausmaßes der Rückverformung nach Dehnung, der Lage des Kälterichtwertes und der Nichtschmelzbarkeit im Bereich hoher Temperaturen als wesensmäßige verformungsmechanische Eigenschaften aller chemisch vernetzten Elastomere führt dann in DIN 772414 zu ihrer Zusammenfassung in eine eigenständige Werkstoffklasse und deren Abgrenzung gegen alle anderen Gruppen polymerer Werkstoffe einschließlich der thermoplastischen Elastomere (Bild 3-85). Die sich innerhalb der Kategorien dieser Norm jeweils ergebenden charakteristischen temperaturabhängigen Verläufe der Schubmoduln werden schließlich in Bild 3-86 anhand der Beispiele Acrylnitril-Butadien-Elastomer, thermoplastisches Olefin-Elastomer, Polycarbonat-Thermoplast sowie Phenol-Formaldehyd-Duroplast einander gegenübergestellt. Daraus ergibt sich, dass ein Gummikörper und ein Weichkunststoffkörper, (beispielsweise aus PVC), aufgrund der wesensverschiedenen Deformationsmechanik als Konstruktions- bzw. Funktionsteil grundsätzlich unterschiedlich 14

Für die Darstellung in Bild 3-85 wurde aus persönlicher Vorliebe auf eine ältere Fassung (02 ‚72) der Norm zurück gegriffen, da die Darstellung der Verhältnisse dort etwas leichter verständlich erscheint als in der Ausgabe (04 ‚93).

zu betrachten sind, auch wenn beide sich beim elastischen Rückprall nahezu gleich verhalten. Grundfunktionen von Elastomerwerkstoffen Aus der viskoelastischen Gemeinsamkeit aller Elastomere sowie der ihnen eigenen großen Oberflächenreibung folgt, dass auch bei scheinbar sehr unterschiedlichen Anwendungen nur wenige, stets wiederkehrende Funktionen vorkommen (Bild 3-87). Die auf den viskoelastischen Grundeigenschaften beruhenden Hauptfunktionen (Ab)dichtung und Schwingungsentkopplung werden schematisch in den beiden folgenden Bildern beschrieben. Die wesentlichen Angaben zur Abdichtung durch Elastomere sind in Bild 3-89 enthalten. Dabei wird der Dichtstoff stets verformt unter Druckspannung15 eingesetzt. Das entscheidende Funktionsmerkmal, zumindest statisch16, ist daher sein Rückstellvermögen über einen längeren Zeit15

16

Verformbarkeit unter Druck ist nicht gleichbedeutend mit Kompressibilität! Gummi zeigt eine Querkontraktion n sehr nahe 0,5. Ein kraftschlüssig gekapseltes Elastomer verhält sich deshalb bei Druck auf die freie Fläche wie ein starrer Körper. Dies muss bei der Gestaltung von Einbauräumen beachtet werden. Kompressibilität ist nur mittels Porenstruktur (durch Treibmittel) oder lufthaltiger Füllstoffe (wie Kork) zu erreichen. Eine Kategorisierung der verschiedenen Dichtungsarten wird z. B. in DIN 3760 vorgenommen.

186

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Bild 3-86. Größe und Temperaturabhängigkeit der Schubmoduln polymerer Werkstoffe

Bild 3-87. Typische Eigenschaften, Eignung und Anwendungen von Elastomerwerkstoffen

raum. Es lässt sich zwar als Druckspannungsrelaxation direkt messen, doch wird zumeist stellvertretend die einfacher zu bestimmende Erholung bzw. deren Defizit nach Verformung unter Druck als „Druckverformungsrest“ (DVR) oder „c.s.“ von „compression set“ ermittelt. Bei der Dämpfung bzw. Entkopplung von Schwingungen ist zwischen dem unterkritischen, dem kritischen und dem

überkritischen Bereich zu unterscheiden. In den ersteren beiden sind hoch elastische, wenig dämpfende Elastomerqualitäten weniger elastischer Formmassen (mit stärkerer Dämpfung) deutlich unterlegen; im überkritischen Teil17 17

Beispiel: Abkopplung eines schnellaufenden Kraftfahrzeugmotors von der Karosserie-Eigenfrequenz.

3.7 Elastomere

Bild 3-88. Prinzip einer Dichtung an ruhenden Flächen

Bild 3-89. Prinzip eines Entkopplungselements

187

188

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Bild 3-90. Temperaturabhängigkeit der Rückprallelastizität von Elastomeren

dagegen erweisen sie sich stets vorteilhafter (Bild 3-89). Da Entkoppelungselemente mit Werkstoffen hoher Elastizität bei längerem Verweilen des Systems im kritischen Bereich18 durch Resonanz mitunter sogar sehr gefährlich werden können, darf bei der Berechnung solcher Teile für die Praxis keinesfalls außer Acht gelassen werden, dass Elastomere ihr elastisches Verhalten mit der Temperatur, bisweilen auch mit der Erregeramplitude19 mehr oder weniger stark verändern (Bild 3-90). Die vollständige Prüfung von Schwingungselementen ist in der Regel recht aufwendig; eine Grundprüfung wird z. B. in DIN 53 513 beschrieben. Viele Gummibauteile sind multifunktional. So kann beispielsweise ein Druckschlauch Abdichten und Entkoppeln von Schwingungen gleichzeitig bewerkstelligen. Das Multitalent unter den Elastomerbauteilen schlechthin ist der schlauchlose Luftreifen. Er kann zunächst längs seines Umfangs als einseitig offener Luftschlauch angesehen werden. An dessen offener Seite wirken die Reifenfüße gegenüber der Felge als Dichtungen. Schultern und Seitenwände bilden zusammen mit der im „Schlauch“ enthaltenen Druckluft ein Dämpfungssystem für Fahrbahnstöße. Die Lauffläche überträgt dabei mittels hoher Oberflächenreibung Antriebs und Bremskräfte elastisch auf die Fahrbahn. Wie sich zeigt, beruhen die mechanischen Funktionen von Elastomerwerkstoffen mit wenigen Ausnahmen auf ihrem besonderen Verhalten bei Verformung. Elastomere sollen jedoch konstruktiv niemals mit Zug, sondern immer 18 19

Beispiel: Frequenz eines langsamlaufenden Schiffsmotors und Deck-Eigenfrequenz. Beispiel: Siliconelastomere

nur mit Druck oder Schub beansprucht werden. Bei GummiVerbundteilen ist darüber hinaus unbedingt darauf zu achten, dass an den Bindestellen keine Schälbeanspruchung erfolgt. Z. B. können auch unabhängig von den Einsatzbedingungen Schälbeanspruchungen auftreten, wenn bei GummiMetallteilen ohne entsprechenden Ausgleich beim Formenbau mit hohen Temperaturen vulkanisiert wurde. Aufgrund des nahezu zehnmal größeren thermischen Ausdehnungskoeffizienten zieht sich Gummi beim Abkühlen von Vulkanisations- auf Raumtemperatur deutlich mehr zusammen als das Metall, wobei entsprechend dieser Differenz mehr oder weniger große Schälspannungen an den Rändern der Bindeflächen entstehen (Bild 3-87). Ein späterer Einsatz solcher Bauteile bei höheren Betriebstemperaturen entschärft das Problem nur bedingt, da bei steigenden Temperaturen gleichzeitig mit der Spannung auch die Kraft der Gummi-Metall-Bindung nachlässt.

3.7.4

Zusammensetzung von Elastomerwerkstoffen

Eine über das bisher behandelte allgemeine Verhaltensmuster von Elastomeren hinausgehende Unterscheidung einzelner Werkstoffe wird spätestens dann erforderlich, wenn Maßzahlen für ihre Elastizität oder andere mechanische Eigenschaften zu definieren sind oder mechanische Funktionen bei unterschiedlichen Temperaturen und/oder anderen Umgebungseinflüssen, wie z. B. denen bestimmter Kontaktmedien, dauerhaft aufrecht erhalten werden müssen.

3.7 Elastomere

189

Bild 3-91. Schälbeanspruchung an einer Hülsenfeder (schematisch)

Bild 3-92. Einfluss von Bestandteilen auf Mischungseigenschaften und Werkstoffkennwerte

Elastomere sind zumeist Vielstoffsysteme. Vereinfacht dargestellt bedeutet dies, dass Elastizität sowie das chemische und physikalisch-chemische Verhalten eines Elastomers, wie Alterung oder Quellung, sich überwiegend vom zugrundeliegenden Kautschuk herleiten, und daneben die meisten mechanischen Eigenschaften maßgeblich von Art und Menge verschiedener Zuschläge bestimmt werden.

Eine erste, allgemeine Übersicht über die Variationsbreite bei Mischungsrezepturen (die aus Tradition stets auf 100 Masseteilen Kautschuk; per houndred rubber [phr], basieren) ist in Bild 3-92 dargestellt. Der Spielraum für deren Gestaltung nimmt allerdings von den Allzweckkautschuken, wie Natur- oder Styrol-Butadien-Kautschuk, zu den ausgesprochenen Spezialtypen, wie Acrylat- oder Fluorkautschuk

190

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Bild 3-93. Systematik der Kurzzeichen für Elastomere nach DIN ISO 1629

Wie eingangs für Polymere allgemein ausgeführt, können auch Kautschuke aus einem oder mehreren Monomeren aufgebaut und ihre Makromoleküle linear, verzweigt oder sternförmig von einem Zentralatom ausgehend sein. „Dienkautschuke“, d. h. Typen die sich von sogenannten „Dienen“20 ableiten, vermögen darüber hinaus in unterschiedlicher cistrans-Konfiguration aufzutreten. Dabei kann unter Umständen sogar der Kautschukcharakter verlorengehen. Genügte anfangs zur allgemeinen Strukturbeschreibung von Elastomeren die zugrunde liegenden Monomere mit Hilfe von Großbuchstaben zu codieren, so werden sie von nun an ge-

mäß ihrer chemischen Natur aufzuschlüsseln sein, da hiervon sowohl Elastizität als auch Alterungs- und Quellbeständigkeit der Kautschuke bzw. Elastomere entscheidend bestimmt werden. Üblicherweise erfolgt die Bezeichnung innerhalb dieser Stoffklasse nach DIN ISO 1629 in Kurzform mit Hilfe einer Folge von Buchstaben, wobei der letzte als Familienkennzeichen des Kautschuks bzw. Elastomers die Beschaffenheit der Polymerkette definiert und der oder die vorangestellten Buchstaben Aufschluss über das oder die zugrunde liegenden Monomere geben (Bild 3-93). Thermoplastische Kautschuke erhalten an erster Stelle vor der eigentlichen Bezeichnung ein Y, z. B. YSBR, carboxylierte21 Typvarianten ein X, z. B. XNBR. Die Nomenklatur der Kurzbezeichnungen stammt aus dem Englischen. Hier wird nicht wie im Deutschen zwischen Kautschuk und Gummi unterschieden, so dass z. B. mit NR sowohl der unvernetzte als auch der vernetzte (vulkanisierte) Kautschuk gemeint sein kann. Leider sind auch die Buchstaben für die Monomerenkennzeichnung nicht in allen Fällen eindeutig, so dass bei fehlender Erfahrung im Umgang mit diesen Kürzeln etwas Vorsicht angebracht ist.

20

21

wegen zunehmend eingeschränkter Aufnahmefähigkeit für Füllstoffe und Weichmacher sowie einer immer kleiner werdenden Auswahl wenig wandelbarer Vernetzungssysteme deutlich ab. Die verschiedenen Gruppen von Mischungsbestandteilen in Bild 3-92 werden im folgenden näher beschrieben.

3.7.5

Kautschuke

3.7.5.1

Ableitung von Grundeigenschaften aus dem chemischen Molekülaufbau

„Konjugierte“ Doppelbindungen als Bestandteile von Dienen im engeren Sinn bilden besonders reaktionsfreudige Systeme.

Besonders reaktionsfähige Spielarten; sie vernetzen mit Metalloxiden (Zinkoxid) allein.

3.7 Elastomere

191

Bild 3-94. Marktbedeutung der Kautschuke (Mengen)

Die Norm definiert für chemisch vernetzte Elastomertypen derzeit 38 Buchstabengruppen; hiervon entfallen 4 auf sogenannte Allzweckkautschuke für Reifen und sogenannte technische Bauteile, 6 auf technische Kautschuke mit vergleichsweise großer Anwendungsbreite sowie 28 auf technische Spezialkautschuke (Bild 3-94).

3.7.5.2

Naturkautschuk

Der am längsten bekannte und am meisten verarbeitete Typ ist der Naturkautschuk. Er gehört zu der in der Natur weitverbreiteten Stoffklasse der Terpene, denen Isopren als einheitlicher Baustein zugrunde liegt. In hoher Konzentration kommt er emulgiert im Pflanzensaft von Hevea Brasiliensis vor, dem er durch Fällung entzogen wird. Handelsware enthält etwa 94% Kautschukkohlenwasserstoff; von den Beimengungen wirken einige Proteine als natürliche Vulkanisationsbeschleuniger und Alterungsschutzmittel. Wurde früher im wesentlichen nur zwischen geräucherten „Sheets“ und „Crêpes“ verschiedener optischer Güteklassen unterschieden, so werden heute auch technisch standardisierte Sorten mit definiertem Gehalt an Verunreinigungen, gleichbleibender verarbeitungsfähiger Viskosität, entsprechend einer konstanten mittleren Molekularmasse des Kohlenwasserstoffs, sowie reproduzierbarem Vulkanisationsverhalten angeboten. Die Kautschuksubstanz selbst ist cis-1,4-Polyisopren hoher Reinheit (>>99%)22 mit sehr breiter Molekularmassenverteilung; beides bedingt eine günstige Verarbeitbarkeit

und gute mechanische Eigenschaften (s. auch unter weitere R-Kautschuke). 1839 gelang Goodyear erstmals die Stabilisierung zum dauerelastischen Stoff durch Vernetzung mit Schwefel. Dieses Verfahren hat auch heute noch größte Bedeutung (s. unter Vulkanisation und Vulkanisationschemikalien). Es wird dadurch ermöglicht, dass beim Einbau des Isoprens (= 2-Methylbutadien) in die makromolekulare Kette jeweils eine C=C-Doppelbindung dort verbleibt (Bild 3-95, a). Die den Doppelbindungen unmittelbar benachbarten C („α CAtome“) werden verhältnismäßig reaktiv und bieten Angriffspunkte für den Vernetzer (Schwefel). Da bei der Überführung des Kautschuks in Weichgummi23 nur ein kleiner Teil dieser Stellen und so gut wie keine C=C-Doppelbindungen verbraucht werden, bleiben genügend übrig, um das Elastomer anfällig gegen den schwefelhomologen (d.h. im Periodensystem der chemischen Elemente über dem Schwefel stehenden) Sauerstoff sowie Ozon zu machen. Die Empfindlichkeit gegen Sauerstoff wird durch die Methylgruppe am „tertiären“ Kohlenstoffatom24 noch verstärkt, so 22

23

24

Entsprechendes trans-1,4-Polyisopren ist das thermoplastische Guttapercha (Balata). Dieses Beispiel verdeutlicht den Einfluss der cis-trans-“Isomerie“*(Konfiguratio nauf das Verarbeitungsverhalten der Polymere sowie die (visko-)elastischen Eigenschaften der daraus hergestellten Werkstoffe (s. auch unter Weitere R-Kautschuke). Härtebereich Shore A; die Werte liegen im allgemeinen zwischen ~40 und ~90. Bei Spezialkautschuken gibt es sowohl Einschränkungen als auch Erweiterungen dieses Bereichs in in die eine oder andere Richtung. Kohlenstoffatom, das mit 3 anderen C-Atomen verbunden ist.

192

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Bild 3-95. Beispiele chemischer Strukturen von Kautschuken

dass Naturgummi zwar zu den mechanisch höchstwertigen, doch am wenigsten hitzebeständigen Elastomerwerkstoffen zählt. Alle Dienkautschuke, deren Hauptketten wie die des Naturkautschuks C=C-Doppelbindungen enthalten, bekommen in der Nomenklatur nach DIN ISO 1629 das Familienkennzeichen R (für „Rubber“). Im Falle Naturkautschuk wird der Buchstabe N (für „Natural“)25 vorangestellt. Hervorstechende Vulkanisatmerkmale sind Zugfestigkeit, Reißdehnung und Elastizität. Die (höchstmögliche) Grundeinstufung von NR-Elastomeren nach SAE J 20026 findet sich in Bild 3-112. Als reiner Kohlenwasserstoff weist Naturkautschuk nur „homöopolare“Bindungen und so eine gleichmäßige Verteilung der elektrischen Ladungen auf; damit ist diese Formmasse elektrochemisch nicht polar27. Nach dem chemischen Grundsatz, dass Gleiches mit Gleichem gut verträglich28 ist,

25

26 27 28

Damit werden zwar natürliches und synthetisches Polyisopren (IR) unterscheidbar, doch entstehen anderweitig Mehrdeutigkeiten (vgl. Bild 3-93). Society of Automotive Engineers (USA); s. auch Fußnote 34. vgl. unter CHLOROPRENKAUTSCHUK und WEICHMACHER. Verträglichkeit bedeutet hier Mischbarkeit; der Begriff wird also bei Elastomeren umgekehrt gebraucht wie in der Kuststofftechnik, wo Verträglichkeit z. B. bedeutet, dass keine Spannungsrißkontamination (Quellung) auftritt

zeigt NR starke Quellung in unpolarer Umgebung, wie z. B. Kraftstoffen oder anderen Mineralölprodukten, und schwache Quellung in polaren Medien, wie z. B. Alkoholen. Hauptanwendungen von NR sind LKW- und Flugzeugreifen; daneben erfolgt die Verwendung in sehr vielen anderen Elastomererzeugnissen, bei denen Elastizität sowie anderweitig gutes mechanisches Verhalten gefragt sind und Ölbeständigkeit keine Rolle spielt (Allzweckkautschuk; vgl. Bild 3-94).

3.7.5.3

Ethylen-Propylen-Kautschuk

Denkt man sich alle Doppelbindungen in der Molekülkette des Naturkautschuks durch Wasserstoff abgesättigt, so erhält man formal die gleiche Bausteinfolge, wie sie bei der Copolymerisation gleicher Teile Eth(yl)en und Prop(yl)en zu Ethylen-Propylen-Kautschuk mit abwechselnder Abfolge der Bausteine entsteht (Bild 3-95, b). Ein solches Produkt ist wegen des Fehlens von C=CDoppelbindungen besser hitzebeständig als Naturkautschuk und völlig ozon- bzw. witterungsresistent, muss jedoch mit anderen Mitteln als Schwefel, z. B. mit Peroxid oder energiereicher Strahlung, vernetzt werden. Um diesen Kautschuktyp auch für die verfahrenstechnisch günstigere Schwefelvulkanisation geeignet zu machen, wird ein nichtkonjugiertes Dien als dritte Komponente einpolymerisiert.

3.7 Elastomere

193

Bild 3-96. Ethylen-Propylen- und Ethylen-Propylen-Dien-Kautschuk (schematisch)

Auf diese Weise entsteht Ethylen-Prophylen-Dienkautschuk mit einer begrenzten Zahl von Doppelbindungen29 außerhalb der Hauptkette (Bild 3-96). Dieser Kautschuktyp hat mit 0,86 g/cm3 die niedrigste Dichte aller Kautschuke. Als Termonomere üblich sind – nach abnehmender Vulkanisationsgeschwindigkeit geordnet – Ethylidennorbornen (→ EN-Typen), Dicyclopentadien (→ DCP-Typen) und trans-Hexadien 1,4 (→ HD-Typen; ihre Produktion wird jedoch eingestellt). Alle Kautschuke mit gesättigter Kohlenstoffkette erhalten nach DIN ISO 1629 das Familienkennzeichen M (von „Methylene“). Im vorliegenden Fall steht EPM für EthylenPropylen-Copolymere und EPDM für die entsprechenden Dien-Terpolymere. Beide Typen werden durch Lösungs-, vereinzelt auch durch Suspensionspolymerisation hergestellt; sie enthalten im Gegensatz zu Emulsionspolymeren keine Emulgatorreste und quellen deshalb in wäßrigen Medien außerordentlich wenig. Im Übrigen ist das Quellverhalten dem von Naturkautschuk annähernd vergleichbar. Produkte mit etwa gleichen Anteilen von Ethylen und Propylen sind „amorph“(siehe Bild 3-103); bei Ethylenüberschuß entsteht zunehmend (Teil-)Kristallinität durch Bildung von Ethylenblöcken. Solche Varianten sind 29

Die Art, den „Ungesättigtheitsgrad“ zu bezeichnen, ist unterschiedlich; bei EPDM wird bisweilen die Zahl der C=C- Doppelbindungen je 1000 C-Atome angegeben. Im Rahmen dieser Abhandlung wird dieser Begriff jedoch durchgehend (s. auch unter HYDRIERTER NITRILKAUTSCHUK sowie BUTYLKAUTSCHUK) als Zahl der C=C je 100 Monomerbausteine verstanden. Im Falle EPDM kann sie bis zu 9,5 betragen.

besser plastisch verarbeitbar; die daraus hergestellten Elastomerwerkstoffe jedoch ebenfalls stärker thermoplastisch, gleichbedeutend z. B. mit höheren Verformungsresten. Die (höchstmögliche) Grundeinstufung von EPM- und EPDM-Elastomeren nach SAE J 200 findet sich in Bild 3-112. Hauptanwendungen sind Dichtprofile in Fahrzeugen und Bauwerken, Wasserschläuche u.ä.m.

3.7.5.4

Chloroprenkautschuk

Das Quellverhalten ändert sich entscheidend, sobald andere Atome als Kohlenstoff oder Wasserstoff in ein Elastomermolekül eingebracht werden. Wird z. B. die Methylgruppe im Naturkautschuk durch ein Chloratom ersetzt, indem 2Chlorbutadien (in Emulsion) zu Chloroprenkautschuk polymerisiert wird, so entsteht ein Produkt, in dem das Chlor wegen seiner Elektronenaffinität, ähnlich wie bei der Anionenbildung in Chlorwasserstoffsäure und deren Salzen, bevorzugt elektronegative Ladungen auf sich zieht. Als Folge hiervon entstehen elektrische Dipole (Bild 3-95, c), die entsprechend der Verträglichkeitsregel im Vergleich zu NR und EPDM eine schwächere Quellung des Elastomers in unpolarer Umgebung und eine stärkere Quellung in polaren Medien bewirken. Polarität beeinflusst auch das Verhalten von Kautschuken in elektrischen Wechselfeldern, da, insbesondere im Mikrowellenbereich, Dipolschwingungen erzwungen werden. Weil diese gegen inneren Widerstand in der Stoffmatrix erfolgen, tritt Erwärmung ein. Dieser Umstand wird zum gleichmä-

194

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

ßigen raschen Aufwärmen von Rohlingen bei der kontinuierlichen Heißluftvulkanisation sowie bei der Pressenvulkanisation großvolumiger Bauteile genutzt. Die Kautschukpolarität hat vor allem bei Mischungen mit mineralischen Füllstoffen Bedeutung; in Rußmischungen sind Polarität bzw. elektrische Leitfähigkeit im allgemeinen ausreichend groß, um auch bei unpolaren Kautschuken Erwärmung in ausreichend kurzen Zeiten zuzulassen. Die Kurzbezeichnung für Chloroprenkautschuk nach DIN ISO 1629 ist CR. Abgesehen von der Polarisierung des Kautschukmoleküls schirmen Chloratome die benachbarte C=C-Doppelbindung in der Weise ab, dass CR sich zwar noch mit Schwefel vernetzen lässt, jedoch erheblich weniger ozonanfällig ist als andere Dienkautschuke. Je nachdem, ob zur Regelung der Molekularmassen bei der Polymerisation Schwefel, ein Mercaptan oder Xanthogenat verwendet wurde, sind drei unterschiedliche Produktreihen zu unterscheiden. Bei schwefelgeregelten Varianten ist grundsätzlich kein weiterer Vernetzerzusatz nötig. Größere Bedeutung als die Schwefelvulkanisation hat freilich die (durch Thioharnstoffderivate beschleunigte) Vernetzung mit Metalloxiden ohne Schwefel; sie wird durch kleine Unregelmäßigkeiten im molekularen Aufbau des CR ermöglicht30. Sie ist im Grunde genommen eine Fortsetzung der Polymerisation und führt insbesondere bei den Mercaptan- und Xanthogenatvarianten zu hitzebeständigeren Vulkanisaten. Um unerwünschte Kristallisationserscheinungen (s. Bild 3-103) zurückzudrängen, enthalten einige Spielarten kleine Mengen 2,3-Dichlorbutadien als Co-Komponente. Bemerkenswertes gemeinsames Vulkanisatmerkmal ist Flammwidrigkeit. Die (höchstmögliche) Grundeinstufung von CR-Elastomeren nach SAE J 200 findet sich in Bild 3-112. Die Anwendungen sind sehr vielseitig und reichen von Kabelmänteln über Antriebsriemen zu Dichtungen für mäßige Beanspruchung durch Mineralölprodukte.

3.7.5.5

Acrylnitril-Butadien-Kautschuk

Eine Steigerung der Polarität und damit der Quellfestigkeit in unpolarer Umgebung wird durch die noch stärker polare Nitrilgruppe im Acrylnitril-Butadien-Kautschuk (Bild 3-95, d) erzielt. Marktgängig sind Typvarianten mit Acrylnitrilanteilen (ACN) zwischen 15 und 51 Masse-%, wobei das Quellverhalten eines Nitrilkautschuks mit 18% ACN etwa demjenigen von CR entspricht. Die Quellbeständigkeit in unpo-

laren Medien nimmt mit steigendem Nitrilanteil erwartungsgemäß stark zu. Die Kurzbezeichnung nach DIN ISO 1629 ist NBR. Acrylnitril und Butadien werden in Emulsion copolymerisiert; je nach Polymerisationstemperatur31 wird zwischen wenig verzweigten Kalttypen und stärker (langketten-)verzweigten Warmtypen unterschieden. Erstere haben die größere Bedeutung, da sie allgemein leichter verarbeitbar sind; letztere können jedoch unter Umständen, z. B. bei der Herstellung maßhaltiger Rohlinge, durch Gerüstbildung nützlich sein. Insgesamt sind sie hierin jedoch den vorvernetzten Kautschuken (s. dort) deutlich unterlegen. NBR-Elastomere sind thermisch beständiger als reine Butadienvulkanisate, doch bewirkt die Nitrilgruppe eine besondere Empfindlichkeit des Elastomers gegenüber Ozon sowie Anfälligkeit für (Lewis-) Säuren32, wie sie beispielsweise bei der thermischen Alterung ungeschützter bzw. ungepufferter Mineralölprodukte (z. B. von Prüfölen; s. unter Grundklassifizierung von Elastomeren...) entstehen. Bemerkenswerte Vulkanisatmerkmale sind Verschleißfestigkeit sowie geringe, sich gleichsinnig mit der Ölquellung ändernde Gasdurchlässigkeit. Die (höchstmögliche) Grundeinstufung von NBR-Elastomeren nach SAE J 200 findet sich in Bild 3-112. Hauptanwendungen sind Dichtungen und Schläuche in Bereichen, in denen Mineralölprodukte, namentlich Kraftstoffe, Schmierstoffe oder Hydraulikflüssigkeiten, bei mäßig hohen Temperaturen zur Anwendung kommen.

3.7.5.6

Bei spezifischer Hydrierung der Molekülketten mit Hilfe besonderer Katalysatoren wird hydrierter Acrylnitril-ButadienKautschuk erhalten, der bei Teilsättigung33 noch mit Schwefel vernetzbar ist und sich bei völliger Absättigung der Kette wie ein M-Kautschuk verhält, dementsprechend deutlich hitzebeständiger ist als gewöhnlicher oder teilhydrierter Nitrilkautschuk und von Ozon nicht angegriffen wird (Bild 3-97). In diesem Falle muss jedoch peroxidisch34 vernetzt werden. Im Übrigen bleiben die Wesensmerkmale des Nitrilkautschuks weitgehend erhalten. Wegen der Herkunft und der Entstehungsgeschichte ist die Kurzbezeichnung der Hydrierungsprodukte in DIN ISO 1629 auch bei völliger Sättigung vorläufig HNBR. 31 32

33 30

Geringe Mengen Chloropren in 1,2- statt in 1,4-Stellung (→ Cl in reaktiver „Allyl“Stellung; vgl. auch Fußnote 53).

Hydrierter Acrylnitril-Butadien-Kautschuk

34

~5 °C bzw. 15–30 °C. Chemische Verbindungen, die mit einem anderen Stoff eine (homöopolare) Bindung eingehen und sich dazu eines freien Elektronenpaares von diesem bedienen. Der Ungesätigtheitsgrad von HNBR mit 34 Masse-% Acrylnitril kann bis knapp 6% betragen. unter Mitverwendung eines Aktivators (s. unter Vernetzung mit Peroxiden).

3.7 Elastomere

195

Bild 3-97. Nitril- und hydrierter Nitrilkautschuk (schematisch)

Bild 3-98. Fluorkautschuk (schematisch)

HNBR-Elastomere sind nach SAE J 200 auch noch nicht „offiziell“ klassifiziert, jedoch wurde Im Vorgriff darauf in den Bildern 3-99 und 3-112 bereits eine entsprechende Einstufung vorgenommen und diese kursiv gekennzeichnet. Hauptanwendungen sind Antriebsriemen sowie Dichtungen und Schläuche im Schmierstoff-, Kältemittel- und Hydraulikbereich von Fahrzeugen mit stärkerer Temperaturbelastung.

3.7.5.7

Fluorkautschuk

Die stärkste Polarität überhaupt lässt sich mit Fluor erzielen. Da die C-F-Bindung überdies thermisch außerordentlich stabil35 ist und die Fluoratome auch die C-C-Bindungen der Elastomermoleküle bzw. Netzwerksbrücken beeinflussen, ergibt Fluorkautschuk in Bezug auf Hitzealterung und

Quellung in Mineralölprodukten die beständigsten Elastomerwerkstoffe überhaupt. Die Bezeichnung FKM36 gemäß DIN ISO 1629 ist indessen nur der Sammelbegriff für eine Reihe von Co-, Ter-, Tetra- und noch vielfältigeren Polymerisaten des Vinylidenfluorids (VF2) mit Hexafluorprop(yl)en (HFP), Tetrafluoreth(yl)en (TFE), Hydropentafluorprop(yl)en (HFPE) oder Perfluormethylvinylether (FMVE)37, bisweilen auch mit Chlortrifluoreth(yl)en38 oder anderen fluorhaltigen Monomeren (Bild 3-98). 35 36 37 38

442 kJ/mol [13] K von „(K)arbon“. zur Erniedrigung der Glasübergangstemperatur. zur Verbesserung der Gummi-Metall-Haftung.

196

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Die in Emulsion hergestellten Polymere haben mit 1,80– 1,87 g/cm3 je nach Fluorgehalt die höchsten Dichten aller Kautschuke. Sie sind fast durchweg hoch viskos/widerspenstig, lassen im Interesse einer noch guten Handhabung nur niedrige Füllungsgrade mit inaktiven Füllstoffen und wegen der physikalisch-chemischen Indifferenz kaum Weichmacher zu und erlauben so mit praktisch wenig variablen Vernetzungssystemen obendrein nur ausgesprochen kleine Freiheiten bei der Gestaltung der Mischungsrezeptur. Grundsätzlich sind Typvarianten für diaminische oder bisphenolische Vernetzung einerseits und solche für peroxidische Vernetzung andererseits zu unterscheiden. Produkte für die Bisphenol-Vernetzung enthalten oftmals Vernetzer und Aktivator bereits vom Hersteller integriert. Alle Fluorelastomere müssen nach der eigentlichen Vernetzung ausgiebig getempert werden. Die Elastomerhärten liegen auch bei geringer Füllung fast durchweg über 70 Shore A. Peroxid-Vulkanisate verhalten sich im allgemeinen günstiger gegen Heißdampf, Alkohole oder basische organische Stoffe, wie z. B. Zusätze (Additive) in Betriebsflüssigkeiten, als Bisphenol-Elastomere. Weitere hervorstechende Vulkanisatmerkmale sind hohe Eigendämpfung und Diffusionsdichtheit. Die (höchstmögliche) Grundeinstufung von FKM-Elastomeren nach SAE J 200 findet sich in Bild 3-112.

Bild 3-99. Grundklassifizierung von Elastomerwerkstoffen nach SAE J 200 (Auswahl)

Hauptanwendungen sind Dichtungen und Schläuche bei hoher thermischer Belastung und harten chemischen Anforderungen im Kraftstoff-, Schmierstoff-, Hydraulik- und Chemikalienbereich. Fluorelastomere, in denen aller Wasserstoff durch Fluor, Perfluoralkyl oder Perfluoralkoxy ersetzt ist, werden bisweilen auch als FFKM bezeichnet. Sie sind thermisch und chemisch besonders resistent.

3.7.6

Grundklassifizierung von Elastomeren und Ableitung weiterer Merkmale aus dem chemischen Molekülaufbau

Anschaulich werden die Zusammenhänge von Sättigung und Hitzebeständigkeit einerseits sowie Polarität und Quellung in Mineralöl andererseits, wenn die bisher abgehandelten Elastomere einem der genormten Klassifizierungssysteme39 zugeordnet werden (Bild 3-99). Alle diese Systeme schlüsseln die nach Typ und Klasse eingeteilten Werkstoffe (materials) zunächst weiter nach Härte und Zugfestigkeit auf. Bild 3-100 zeigt als Beispiel das 39

z. Zt. sind dies ISO/DIS 4632, DIN 78 078, ASTM 2000 und SAE J 200. Alle diese Systeme nehmen in gleicher Weise die Grundeinteilung nach Temperaturbeständigkeit (Typ) und Quellverhalten (Klasse) vor; ISO 4632 und DIN 78 078 unterscheiden außerdem noch nach Eintritt der Kältesprödigkeit (Gruppe).

3.7 Elastomere

197

Bild 3-100. Aufschlüsselung von BC-Materialien (SAE J 200) nach mechanischen Eigenschaften

in der Norm SAE J 200 vorgesehene Raster von Kombinationen innerhalb der Gruppe BC (Chloroprenkautschuk). Bei näherer Betrachtung erscheinen allerdings Zweifel angebracht, ob einige der aufgeführten Qualitäten, wie z. B. BC 524, überhaupt realisierbar sind40; bei anderen, wie BC 721, wäre bei Anfrage zunächst sicherzustellen, inwieweit sie wirtschaftlich auf modernen Maschinen mit hohem Durchsatz zu Serienteilen verarbeitet werden können41. Über die Festlegung von Härte und Zugfestigkeit im Neuzustand hinaus verbergen sich hinter dem Buchstaben B des gewählten Beispiels BC 617 Grundfanforderungen in Bezug auf das Alterungsverhalten im einzelnen (Bild 3-101). Diese können durch Buchstaben-Zahlen- Kombinationen („suffixe“), die an die Grundbezeichnung anzuhängen sind, außer Kraft gesetzt und durch schärfere Forderungen ersetzt werden. Darf z. B. der Druckverformungsrest nach 22 Stunden bei 100 °C statt der ≤80 % bei Grundanforderung höchstens 35 % betragen, so wird dies in der Schreibweise BC 617 B 14 kundgetan. Nichtbrüchigkeit bis -40°C wird durch den Zusatz F 17 ausgedrückt, usw., usw. Diese Ausweitungsmöglichkeiten führten zwangsläufig zu der Überlegung, die in jeder Gummifabrik überlieferten 40 41

Zumindest ISO 4632 nimmt nur darstellbare Qualitäten auf. CR-Mischungen, die Werkstoffe mit diesen Eigenschaften ergeben, sind in aller Regel „kurz“ und „scorch“ anfällig, d.h. die Zeitspanne bis zum Erreichen von Fmin+5 (Bild 3-113) wird für die Verarbeitung zu kurz.

heterogenen Rezepturen für bestimmte Bauteile durch einheitich spezifizierte Elastomer-Leistungsblätter – entsprechend den Werkstoff-Leistungsblättern bei Kunststoffen – zu ersetzen. In Deutschland hat der Verband der Automobilindustrie entsprechende Versuche unternommen (Richtlinie 67), ist jedoch bisher über die Festlegung einheitlicher praxisorientierter Prüfvorschriften nicht wesentlich hinausgekommen. Abgesehen davon, dass starre Werkstoffnormen die Weiterentwicklung von Funktionsteilen behindern können, muss noch aus weiteren Gründen Kritik einsetzen, sobald solche Einteilungsschemata – wie oftmals in den USA – zur Spezifizierung von Elastomerwerkstoffen im Sinne von Werkstoff-Leistungsblättern statt zur bloßen Klassifizierung verwendet werden. Zum einen beruht die Einstufung von Alterungs- und Quellverhalten nämlich zumeist auf den Ergebnissen geraffter (Einpunkt)-Prüfungen. Sie lassen umso weniger Schlüsse auf das Langzeitverhalten in der Praxis zu, je näher ein Werkstoff an seiner thermischen Leistungsgrenze beansprucht wird bzw. je weiter ein Werkstoff bei Versuchsende noch vom Quellgleichgewicht entfernt ist. Zum anderen hat IRL 903 als nicht alterungsgeschütztes bzw. gepuffertes aromatisches Öl kaum noch Bezug zu modernen, zum Teil stark additivierten Betriebsflüssigkeiten auf Mineralölbasis. So können z. B. Fluorelastomere trotz ausgewiesener hervorragender Beständigkeit gegen IRL 903 in Betriebsflüssig-

198

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Bild 3-101. Werkstoffbezeichnung nach SAE J 200 (Beispiel)

keiten mit basischen Dispergatoren bereits bei 150 °C stark geschädigt werden; umgekehrt wird hydrierter Nitrilgummi, der sich in solchen Medien gut verhält, im Labortest leicht von dem durch oxidative Alterung versauernden Testöl zerstört. Polarität verursachende (mehrwertige) Atome oder Atomgruppen können nicht nur seitenständig vorkommen, sondern auch, wie bereits in Bild 3-95, e dargestellt, als sogenannte „Heteroatome“ bzw. -gruppen Kohlenstoffatome in den Molekülketten selbst ersetzen. Für diese Fälle sieht DIN ISO 1629 weitere Großbuchstaben als Familienbezeichnungen vor (Bild 3-102). Über das Quellverhalten sowie das Verhalten in elektrischen Wechselfeldern hinaus bestimmt Polarität auch den Kälterichtwert bzw. die Versprödung von Elastomeren bei Kälte. Der Übergang vom gummielastischen zum starrelastischen Zustand erfolgt, wie bereits erläutert, durch Glasbildung beim Abkühlen, sobald die Amplituden der thermischen Bewegungen von Molekülteilen (mikroBROWN’-sche Bewegung; vgl. Bild 3-80) so weit abnehmen, dass die zwischen den Molekülen wirkenden Massekräfte ausreichen, um gegen diese Bewegungen eine starre Nahordnung der Moleküle zu erzwingen. Werden diese Kräfte noch durch Dipolkräfte verstärkt, tritt die Erstarrung bereits bei größeren Bewegungs-amplituden, höheren Temperaturen entsprechend, ein. Abnehmende Quellung von Elastomeren in unpolarer Umgebung bedeutet deshalb in aller Regel ansteigende Käl-

terichtwerte (Bild 3-103). Diesem Effekt lässt sich wenigstens teilweise durch den Einsatz geeigneter Weichmacher (s. dort) entgegenwirken. In untergeordnetem Maße kann auch Verhärtung durch Kristallisation die Funktionstauglichkeit von Elastomeren in der Kälte begrenzen. Sie ist wie alle Veränderungen bei tiefen Temperaturen umkehrbar. Nach der Regel, dass die reinsten Stoffe am leichtesten kristallisieren, neigen hierzu am ehesten Homopolymere mit sehr gleichmäßiger Anordnung der Bausteine, wie z. B. NR oder CR. Allerdings verläuft Kristallisation mit Ausnahme der spontan einsetzenden Dehnungskristallisation (Bild 3-104) bei Elastomeren im Vergleich etwa zu derjenigen bei Thermoplasten sehr langsam (die Geschwindigkeit nimmt zudem vom Kautschuk zum Elastomer hin ab), so dass besondere Vorbeugungsmaßnahmen im allgemeinen nur in Klimazonen mit längeren Kälteperioden notwendig werden. Auch die Kristallisationstendenz kann durch bestimmte Weichmacher zurückgedrängt oder durch mehr oder weniger massive „Verunreinigungen“ der Molekülkette mittels eines Copolymers sogar vollständig unterdrückt werden, wie beispielsweise der Vergleich von BR mit SBR und NBR sowie der von spontan kristallisierendem Polyethylen oder Polypropylen mit einem durch Copolymerisation gleicher Masseanteile Ethylen und Propylen gewonnenen amorphen EPM zeigen (vgl. Bild 3-104).

3.7 Elastomere

Bild 3-102. Familien- [Gruppen-]einteilung von Elastomeren nach DIN ISO 1629

Bild 3-103. Molekülaufbau, Kristallisation, Kälteübergang und Quellverhalten bei Polymeren

199

200

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Bild 3-104. Einfluss der Dehnungskristallisation auf die Zugfestigkeit von Elastomeren

3.7.7

Weitere R-Kautschuke (Auswahl)

Ließ sich das chemische bzw. physikalisch-chemische Verhalten von Elastomeren von deren Sättigungsgrad und Polarität ableiten, so treten zur Erklärung des Verarbeitungsverhaltens sowie wichtiger physikalischer Eigenschaften bei den im folgenden zu behandelnden ungesättigten und unpolaren Isopren- und Butadienkautschuken bzw. -Elastomeren – ähnlich wie bei NR – andere Strukturparameter, wie z. B. der cis 1,4-Anteil (vgl. Fußnote 20), in den Vordergrund.

3.7.7.1

Isoprenkautschuk (IR)

Synthetischer Isoprenkautschuk wird durch Polymerisation des Monomers in Lösung mit Hilfe metallorganischer Titanoder Lithiuminitiatoren hergestellt. Titan-IR hat etwa 98% cis 1,4-Anteil und kommt so trotz engerer Molekularmassenverteilung in Bezug auf Verarbeitungsverhalten und typspezifische Vulkanisatmerkmale dem Naturkautschuk (vgl. dort) ziemlich nahe. Demgegenüber weist Lithium-IR nur einen cis 1,4-Gehalt von etwas über 90% auf. Er vulkanisiert langsamer als Ti-IR oder NR und erreicht als Elastomer auch nicht deren mechanisches Eigenschaftsniveau; diese Variante wird deshalb in der Regel nur im Verschnitt mit Natur- oder StyrolButadien-Kautschuk verarbeitet.

Die Grundklassifizierung von IR-Elastomeren in SAE J 200 entspricht der von NR. Der Anreiz, IR statt NR einzusetzen, wird derzeit wohl weniger von technischen als von wirtschaftlichen Überlegungen bestimmt (s. Bild 3-112).

3.7.7.2

Butadienkautschuk (BR)

BR wird in Lösung, vereinzelt auch in Emulsion, mit metallorganischen Lithium-, Titan-, Kobalt-, Nickel- oder Neodymverbindungen42 als Initiatoren polymerisiert. Angaben zum chemischen Aufbau enthält Bild 3-105. Alle BR-Sorten sind im Rohzustand wenig plastisch und lassen sich allein nur recht schwer verarbeiten; hier wirken sich erwartungsgemäß hohe cis 1,4-Anteile, breite Molekular-gewichtsverteilung, aber auch vergleichsweise hohe Verzweigungsgrade43 günstig aus. Die engste Verteilung und die geringste Verzweigung wird mit Li erhalten, die breiteste Verteilung und die höchste Verzweigung mit Ni. Der höchste cis 1,4-Anteil mit 97% ergibt sich hingegen bei Nd.

42

43

hier nach ansteigendem cis 1,4-Gehalt in den Polymerisaten geordnet. s. auch unter Vorvernetzte Kautschuke.

3.7 Elastomere

201

Bild 3-105. Butadien und Styrol-Butadien-Kautschuk (schematisch)

BR vulkanisiert deutlich langsamer als NR; er covulkanisiert44 infolgedessen im Verschnitt mit diesem nicht, verbessert jedoch dessen Reversionsverhalten (s. unter Vulkanisation und Vulkanisationschemikalien). Zur Verbesserung der Covulkanisation kann SBR (s.u.) als „Vermittler“ hilfreich sein. Die (höchstmögliche) Grundeinstufung von BR-Elastomeren nach SAE J 200 findet sich in Bild 3-112. Weitere hervorstechende Vulkanisatmerkmale sind Elastizität, Widerstand gegen Abrieb und dynamische Ermüdung sowie eine niedrige Glasübergangstemperatur; hier sind wiederum hohe cis 1,4-Gehalte, jedoch bei niedrigem Verzweigungsgrad → hohe Kettenbeweglichkeit) günstig. BR wird überwiegend in Verschnitten mit NR und SBR in Reifen eingesetzt, in die es jeweils die sortenspezifischen Eigenschaften einbringt. Der Umstand, dass Luftreifen nach wie vor aus Kompromissen zusammengebaut werden und es den Allroundreifen schlechthin nicht gibt, erklärt die Vielzahl fein abgestufter BR-Produkte auf dem Markt.

3.7.7.3

Styrol-Butadien-Kautschuk (SBR)

SBR ist der am meisten verarbeitete Synthesekautschuktyp; daraus hergestellte Elastomerwerkstoffe zeigen zumeist ein ausgewogenes Eigenschaftsbild ohne ausgesprochene Stärken oder Schwächen.

Im einzelnen verbirgt sich hinter dieser Sammelbezeichnung indessen eine große Sortenvielfalt von Emulsions- und Lösungspolymeren45 mit Styrolgehalten zwischen 5 und 48 Masse-%46 (Bild 3-105). SBR-Emulsionspolymere gibt es als Warm- und Kaltvarianten47, jeweils mit statistischer Verteilung der Monomerbausteine. Der häufigste Styrolgehalt ist bei 23,5 Masse-% anzutreffen. Weitaus größere Bedeutung haben die wenig verzweigten Kaltpolymerisate (vgl. unter Acrylnitril-Butadien-Kautschuk). Ihr Haupteinsatz erfolgt im Reifen48; daneben werden sie als echte Allzweckkautschuke auch zu zahlreichen anderen Gummierzeugnissen, wie Transportbänder, Riemen, Schläuche usw., verarbeitet, bei denen Beständigkeit in Mineralölprodukten keine Rolle spielt. SBR-Lösungspolymere gibt es, entsprechend der leichteren Einflussnahme auf die Polymerisationsreaktion in Lösungen, sowohl mit statistischer als auch blockförmiger Anordnung der Komponenten. Eine Unterscheidung nach Warm- und Kalttypen entfällt hier. Lösungs-SBR mit statistischer Abfolge ist zwar weniger gut verarbeitbar als Emulsions-SBR, dafür jedoch etwas abriebfester und dynamisch stärker belastbar. Er ist deshalb in der Hauptsache Verschnittkomponente in Reifen-Laufflächen (s. auch unter Butadienkautschuk). 45

44

Covulkanisation bedeutet gemeinsame Vernetzung der Komponenten zu einer zusammenhängenden Phase. Sie gibt sich unter anderem dadurch zu erkennen, dass im Verlauf des Verlustmoduls Λ über die Temperatur (vgl. Bild 3-83) ein einziges (Misch-) Maximum auftritt. Voraussetzung ist neben (polarer) Verträglichkeit ein ähnliches Vernetzungs verhalten. Andernfalls fängt die schneller vulkanisierende Komponente den Vernetzer bevorzugt ab; es entstehen zwei Phasen, von denen jede sich mit ihrem typspezifischen Dämpfungsmaximum äußert.

46

47 48

Die früher zur Unterscheidung gebrauchten Kürzel E-SBR und L-SBR wurden offiziell 1995 abgeschafft. SBR-Varianten mit Styrolgehalten bis zu 85 Masse-%, gelegentlich auch als SSBR bezeichnet, werden im allgemeinen als härtende, aber weitgehend thermoplastische „Verstärkerharze“ (vgl. unter FÜLLSTOFFE) verwendet. mit Polymerisationstemperaturen von ≥38°C bzw. ≤10°C. PKW- und leichte LKW-Reifen, bei denen auf die höhere Elastizität von NR verzichtet werden kann.

202

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Bild 3-106. Isopren-, Butyl- und Brombutylkautschuk (schematisch)

Lösungs-SBR mit blockförmiger Abfolge verhält sich dagegen aufgrund ausgeprägterer Thermoplastizität besonders günstig bei der Verarbeitung. Er ist indessen kein Allzweckkautschuk, sondern wird gezielt beispielsweise für fein strukturierte, auf Abrieb beanspruchte Spritzgusserzeugnisse, wie Schuhsohlen, eingesetzt. Die (höchstmögliche) Grundeinstufung von SBR-Elastomeren nach SAE J 200 findet sich in Bild 3-112. Schließlich erfolgt in Gestalt der unverzweigten und verzweigten SBS-Dreiblockpolymere der Übergang zu den hier nicht weiter zu behandelnden thermoplastischen Elastomeren (vgl. unter Vernetzung als Voraussetzung für Entropieelastizität).

3.7.7.4

Isobutylen-Isopren-Kautschuk oder Butylkautschuk (IIR)

Mit IIR werden unpolare Copolymere aus Isobutylen und wenig Isopren bezeichnet (Bild 3-106). Sie wer den in Lösung gewonnen und sind entsprechend der niedrigen Polymerisationstemperatur49 unverzweigt. Der geringe C=C-Doppelbindungsgehalt (Ungesättigtheitsgrad)50 bewirkt zwar im Vergleich zu NR oder IR bessere Beständigkeiten gegen Sauerstoff und Ozon, lässt jedoch mit Schwefel keine schnelle Vulkanisation zu. Butylkautschuk covulkanisiert51 infolgedessen nicht mit Dienkautschuken, wie NR, IR, BR oder SBR. 49 50

51

< –90 °C. Je nach Variante 0,5 bis 3%, entsprechend dem molaren Anteil Isopren; vgl. auch Fußnote 23 vgl. Fußnote 47

Da längere Vernetzungsbrücken aus Schwefel, wie sie bei der Vulkanisation mit elementarem Schwefel erhalten werden, Schwachstellen bei der Hitzealterung des an sich recht wärmebeständigen IIR bilden, sind IIR-Elastomere für den Einsatz bei hohen Temperaturen schwefelarm (s. unter Vulkanisation und Vulkanisationschemikalien) oder schwefelfrei, z. B. mit Hilfe von Dioximen oder Dimethylolphenolharzen (= vorkondensierte Phenol-Formaldehydharze), zu vernetzen. Peroxide sind nicht geeignet, da sie bei diesem Kautschuktyp Abbaureaktionen auslösen. Eine bedeutende Steigerung der Reaktionsbereitschaft wird durch nachträgliche Halogenierung von IIR mit Chlor oder Brom52 erreicht. Hierbei ersetzen Halogenatome jeweils ein Wasserstoffatom in Isopren-Bausteinen. DIN ISO 1629 kennzeichnet dies durch ein vorangestelltes C bzw. B. Da insbesondere Br vorzugsweise die reaktive Allylstellung53 besetzt, ist BIIR, je nach effektivem Halogengehalt, im Gegensatz zu IIR covulkanisationsfähig. Hervorstechende Merkmale aller Butylvulkanisate sind Gasdichtigkeit, starke Eigendämpfung und Wasser-(Dampf) beständigkeit; die ersten beiden infolge der durch hohe Methylgruppendichte eingeschränkten molekularen Beweglichkeit54, die letztere wegen Fehlens von Emulgatoren und aufgrund des geringen Ungesättigtheitsgrades. 52

53

54

Der Chlorgehalt in CIIR-Handelsprodukten beträgt 1,2 - 1,3 Masse-%, der Bromgehalt in BIIR-Handelsprodukten 1,8 - 2,4 Masse-%. CH2=CH-CH2- x; ein chemisch aktives x, wie z. B. Halogen, führt zu einem „dienähnlichen“ Zustand. Damit lässt sich auch die starke Zunahme der Rückprallelastizität mit der Temperatur (vgl. Bild 3-90) erklären.

3.7 Elastomere

203

Bild 3-107. Acrylkautschuk (schematisch)

Die (höchstmögliche) Grundeinstufung von IIR- (CIIR-, BIIR-) Elastomeren in SAE J 200 findet sich in Bild 3-112. Hauptanwendungen sind Luftschläuche und Innenlagen („Innerliner“) bei schlauchlosen Fahrzeugreifen; doch bieten sich z. B. auch in der Pharmazie in Form gasdichter Stopfen, Kappen usw. vielfältige Einsatzmöglichkeiten.

3.7.8

Weitere M-Kautschuke (Auswahl)

ACM kennzeichnet Co- und Terpolymere aus Acrylsäureestern, vor allem Ethyl- und Butylacrylat, oder Acrylsäurealkoxyestern und geringen Mengen von Verbindungen mit reaktivem Chlor, wie z. B. 2-Chlorethylvinylether, oder aber Glycidylverbindungen, wie z. B. Methacrylsäureglycidylester oder Allylglycidether (Bild 3-107). Es fehlt nicht an Einzelempfehlungen für Vulkanisationssysteme. Grundsätzlich lassen sich Produkte mit reaktivem Chlor mit Hilfe mehrfunktioneller Amine oder Metallseifen, wie z. B. Kaliumstearat, und Schwefel vernetzen; für Produkte mit Glycidverbindungen können NH3 abspaltende Stoffe, wie z. B. Ammoniumbenzoat, verwendet werden. Temperung zur Nachvernetzung ist in jedem Falle erforderlich. Acrylatkautschuke nehmen eine ausgesprochene Zwischenstellung zwischen Nitrilkautschuk und Fluorkautschuk ein55. Entsprechend den Ausführungen im Zusammenhang

55

Sie sind indessen im Unterschied zu NBR und FKM gegen handelsübliche Ottokraftstoffe nicht beständig.

mit Bild 3-92 ist der Spielraum für die Gestaltung der Mischungsrezepturen bereits vergleichsweise klein. Die (höchstmögliche) Grundeinstufungen von ACM(und EAM-) Elastomeren in SAE J 200 finden sich in Bild 3-112. (EAM wurde hier in gleicher Weise wie HNBR – s. dort – kursiv gekennzeichnet). Ein hervorstechendes Elastomermerkmal ist die hohe Eigendämpfung. Hauptanwendungen sind Dichtungen im Heißölbereich, z. B. bei Schmierstoffen mit verschleißmindernden schwefelhaltigen Zusätzen. EAM bezeichnet Copolymere aus Ethylen und Methacrylat sowie Terpolymere mit einem weiteren Monomeren, das eine seitenständige Carboxylfunktion einbringt (Bild 3-106). Copolymere werden mit Peroxid vulkanisiert; Terpolymere lassen sich mit Hilfe mehrfunktioneller Amine, wie z. B. Diphenylguanidin, vernetzen. Auch hier ist Nachtempern ratsam. Die Beständigkeit gegen Mineralölprodukte ist geringer, die Glasübergangstemperatur dafür günstiger als bei ACM. Die Eigendämpfung ist ebenfalls hoch. Entsprechend ergeben sich ergänzende Anwendungen.

3.7.8.1

Chloriertes und chlorsulfoniertes Polyethylen (CM, CSM)

CM ensteht durch mehr oder weniger weitgehende Chlorierung von Polyethylen, vorzugsweise Hochdruck-Polyethylen, in Lösung. Dabei wird Wasserstoff gegen Chlor ausgetauscht (Bild 3-108). Der Chlorgehalt handelsüblicher Pro-

204

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Bild 3-108. Chloriertes und sulfochloriertes Polyethylen (schematisch)

dukte liegt zwischen 25 und 43 Masse-%, entsprechend etwa 3–5 Chloratomen je 20 Kohlenstoffatome in der Molekülkette. Diese bleibt in allen Fällen gesättigt. Produkte mit ≥ 35 Masse-% Chlor sind amorph. Zur Vernetzung werden in der Regel Peroxide mit einem Aktivator verwendet. Da der Chlorgehalt der stärker chlorierten Varianten etwa dem von CR (ca. 40 Masse-%) entspricht, kann CM, abgesehen von höheren Glasübergangstemperaturen und stärker thermoplastischem Verhalten, in erster Näherung formal als gesättigter Chloroprenkautschuk betrachtet werden. Dem entspricht die (höchstmögliche) Grundeinstufung von CM-(und CSM-) Elastomeren in SAE J 200 (Bild 3-112). Anwendungen liegen deshalb im oberen Beständigkeitsbereich von CR, auch wenn dabei die Bedeutung von CR bei weitem nicht erreicht wird. CSM entsteht durch Behandlung von Hochdruck-Polyethylen mit Chlor und Schwefeldioxid in Lösung. Zusätzlich zu Chlor (25–43 Masse-%, entsprechend 1 Cl auf ~ 8-3,5 C) werden SO2Cl-Reste (2,5–4,7 Masse-%, entsprechend 1 SO2Cl auf ~ 210-85 C) eingebaut. Die Molekülkette bleibt auch hier gesättigt (Bild 3-108). Die Vernetzung erfolgt leichter als bei CM, vorzugsweise über das aktive Chlor der Sulfochloridgruppe. Sie lässt sich mit Hilfe von Metalloxiden und Beschleunigern, wie z. B. Thioharnstoffverbindungen, gelegentlich auch mit polyfunktionellen Alkoholen, wie beispielsweise Pentaerythrit, bewerkstelligen. Ein herausragendes Vulkanisatmerkmal ist Lichtechtheit.

Anwendungen sind neben Abdicht- und Korrosionsschutzfolien vor allem Schläuche; im Übrigen gilt für die Grundeinstufung von CSM ähnliches wie für CM.

3.7.9

O-Kautschuke (Auswahl)

3.7.9.1

Epichlorhydrinkautschuk (CO, ECO)

Unter den Sammelbegriff Epichlorhydrin-Kautschuk fallen in Lösung hergestellte Homopolymere des Epichlorhydrins, Copolymere aus Epichlorhydrin und Ethylenoxid sowie Terpolymere aus Epichlorhydrin, Ethylenoxid und einem Monomeren, das – wie z. B. Allylglycidether – eine seitenständig ungesättigte Komponente ergibt. Die Molekülkette selbst ist in allen Fällen gesättigt (Bild 3-109). DIN ISO 1629 weist als Kürzel nur CO für Homopolymere und ECO für Copolymere aus; ETER als Kurzbezeichnung für Terpolymere ist zwar üblich, erscheint jedoch nicht in der Norm. Vernetzung ist über das Chloratom mit Diaminen oder entsprechend CR mit Metalloxid (und Beschleuniger) möglich; bei Terpolymeren gestattet die seitenständige Doppelbindung, z. B. in der Allylglycidkomponente, Verschnitte mit anderen ungesättigten Kautschuken und Schwefelvernetzung. Die (höchste) Grundeinstufung von CO- (und ECO-) Elastomeren in SAE J 200 findet sich in Bild 3-112. Bemerkenswert ist das vor allem bei den Copolymeren vergleichsweise günstige Verhältnis von Quellfestigkeit in Mineralölprodukten und Glasübergangstemperatur (vgl. Bild 3-108), gekoppelt mit Ozonbeständigkeit.

3.7 Elastomere

205

Bild 3-109. Chloriertes und sulfochloriertes Polyethylen (schematisch)

Anwendungen sind Bauteile im Kraftstoffbereich von Fahrzeugen; die Beständigkeit von Epichlor-hydrinelastomeren gegen „sour gas“56 ist allerdings strittig.

3.7.10

Q-Kautschuke

3.7.10.1

Siliconkautschuk (Polyorganosiloxan; Q)

Siliconkautschuk ist der Oberbegriff für Kondensationspolymerisate, deren Molekülgerüst sich im Gegensatz zu den bisher behandelten Kautschuken nicht aus Kohlenstoffketten, sondern aus Si-O-Sequenzen aufbaut57. Damit ist die Kette gesättigt. Die restlichen Valenzen der Si-Atome können mit Methyl-, Phenyl- oder Vinylresten abgesättigt sein (Bild 3-110). DIN ISO 1629 unterscheidet dementsprechend MQ, PMQ, VMQ und PVMQ (Q von „Quaternary“). Die Si-O-Bindung ist thermisch stabiler58 als die C-CBindung in einer Polymethylenkette. Seitenständige Methylsubstitution bringt mehr Polarität, jedoch stärkere Hydrolyseanfälligkeit (s. unten) als Phenylsubstitution. Letztere ergibt besonders niedrige Glasübergangstemperaturen. Vinylgruppen als Substituenten erhöhen erwartungsgemäß die Vernetzungsbereitschaft des Kautschuks. 56

57 58

Oxidierter Ottokraftstoff; hier zeichnen vor allem höhere Olefingehalte verantwortlich. (In Deutschland sind Kraftstoffe mit solchen Gehalten derzeit nicht üblich). Deshalb rein formal als „Silico-Keton“ von der Summenformel R2SiO hergeleitet. 373 kJ/mol [14]

Siliconkautschuk wird von den Herstellern häufig einsatzbezogen in Form verarbeitungsfertiger Mischungen für Elastomere mit abgestuften Härten59 angeboten, so dass für den Verarbeiter eine eigene Mischungsentwicklung entfallen kann. Im Hinblick auf die Verarbeitung ist zwischen heiß vernetzenden Mischungen HTV (von „High Temperature Vulcanizing“), heiß vernetzenden flüssigen Systemen LSR (von „Liquid Silicone Rubber“) sowie kalt vernetzenden Ein- und Zweikomponentensystemen RTV (von „Room Temperature Vulcanizing“) zu unterscheiden. Mischungen der HTV-Reihe enthalten höchst aktive „pyrogene“ Kieselsäuren60 und neigen bei längerer Lagerung wegen Solvathüllenbildung am Füllstoff zur Verhärtung. In manchen Fällen kann deshalb vor der Verarbeitung eine Replastizierung in einem Mischwerk notwendig werden. Die Vernetzung erfolgt mit Peroxiden ohne Aktivator. Da in frischen bzw. replastizierten Mischungen nur verhältnismäßig geringe Scherkräfte auftreten, ist es bei entsprechender Vorsicht möglich, auch das bereits bei sehr niedriger Temperatur61 zerfallende Bis-(2,4-Dichlordibenzoyl) peroxid einzusetzen, das als eine der ganz wenigen Ausnahmen unter den Peroxiden auch die Vernetzung in Luft gestattet (s. unter Vernetzung mit Peroxiden).

59 60 61

~ 20-80 Shore A. Spezifische Oberfläche (s. unter Füllstoffe) bis ca. 300 m2/g. Halbwertszeit bei 122°C: 1 min.

206

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Bild 3-110. Silicon und Fluorsiliconkautschuk (schematisch)

LSR-Systeme bestehen aus zwei Komponenten, von denen die eine den Kautschuk und den Edelmetallkatalysator, die andere den Kautschuk sowie einen Vernetzer und einen Regler enthält. Beide Komponenten werden getrennt zugeführt, dosiert und gemischt; das Gemisch wird gleich anschließend beim Spritzgießen verarbeitet. Insoweit erinnert das Verfahren an Polyurethan-RIM. Die Vernetzung erfolgt zwischen ºSi-H (aus Vernetzer) und H2C=CH-Siº (Vinyl) als Additionsreaktion. RTV-Systeme werden überwiegend zu Dicht- und Abgussmassen verarbeitet und deshalb hier nicht weiter abgehandelt. Alle Heißvulkanisate sollten mit sehr reichlich Frischluft (> 125 l/kg Tempergut und min) getempert werden, um flüchtige Reaktionsprodukte auszutreiben und eine oxidative Nachvernetzung zu erreichen. Siliconkautschuk ist gegen Hydrolyse anfällig. Hierzu erforderliche Feuchtigkeitsspuren finden sich praktisch überall. Deshalb gilt die Typzuordnung nach SAE J 200 (G = 225 °C; s. Bilder 3-99 und 3-112) nur in Gegenwart von Luft, da dann hydrolytischer Abbau und oxidativer Aufbau sich nach außen hin die Waage halten. In geschlossenen Systemen, z. B. unter Öl, ist demgegenüber die Langzeit-Hitzebeständigkeit wegen überwiegenden Abbaus kaum über 150 °C anzusetzen. Weitere hervorstechende Elastomermerkmale sind der hohe elektrische Widerstand und physiologische Indifferenz. Anwendungen sind neben Dichtungen62 vor allem Kabelisolierungen und andere elektrotechnische Bauteile, Walzenbeläge sowie medizinische Artikel (s. u. a. [2], [3])

3.7.10.2

Fluorsiliconkautschuk (FVMQ)

Durch Binden fluorsubstituierter organischer Verbindungen, wie z. B. 3,3,3-Trifluorpropylen, an das Polysiloxangerüst entsteht Fluorsiliconkautschuk mit deutlich besserer Ölbeständigkeit (Bild 3-110). FVMQ vernetzt heiß mit Peroxiden. Die (höchste) Grundeinstufung von FVMQ-Elastomeren in SAE J 200 findet sich in Bild 3-112. Die Glasübergangstemperatur ist mit der von VMQ vergleichbar, und ähnlich diesem hydrolysiert auch Fluorsiliconkautschuk mit stärkeren Säuren und Basen. Der außerordentlich hohe Preis beschränkt seinen Einsatz auf Spezialfälle mit hohen Anforderungen an Ölbeständigkeit und Kälteflexibilität.

3.7.11

U-Kautschuke

3.7.11.1

Urethankautschuk (AU, EU)

Urethankautschuk bzw. -elastomere bilden eine Teilgruppe innerhalb der Polyurethane. Sie unterscheiden sich nach ihrem chemischen Aufbau als Polyesterurethane und Polyetherurethane. Erstere quellen weniger in Mineralölprodukten, sind dafür aber naturgemäß deutlich anfälliger gegen Hydrolyse und Alkoholyse. Alle Polyurethane weisen gesät62

Siliconkautschuk ist mäßig mineralölbeständig, dabei mikroporös und deshalb besonders gas- und flüssigkeits- durchlässig. Dies kann zwar einerseits zu lästigem „Durchtropfen“ von Öl führen, andererseits besitzen aber Silicondichtungen an bewegten Flächen gerade dadurch Notlaufeigenschaften.

3.7 Elastomere

207

Bild 3-111. Polyesterurethan-Kautschuk (schematisch)

tigte Molekülketten auf. Angaben zum chemischen Aufbau (Polyester-PU) enthält Bild 3-111. DIN ISO 1629 verwendet die Kurzbezeichnungen AU für Esterpolymere und EU für Etherpolymere. Ein weiteres wesentliches Unterscheidungskriterium innerhalb der beiden Gruppen ist das Verarbeitungsverfahren bzw. die Beschaffenheit der Ausgangsprodukte. Flüssige gießfähige Systeme haben lineare Polyester mit endständigen Hydroxylfunktionen und mehr-funktionelle Isocyanate zur Grundlage. Diese reagieren zunächst mit einander zu sogenannten Prepolymeren, die anschließend drucklos bei Raumtemperatur oder unter (mäßiger) Wärmezufuhr mit Hilfe mehrwertiger Alkohole, wie z. B. Butandiol-1,463, vernetzt werden. Nachtempern ist zweckmäßig. Feste, walzbare Produkte gibt es auf Polyester- und Polyetherbasis. Sie können wie andere Kautschuke mit den dafür vorgesehenen Einrichtungen über Kautschukmischungen zu Elastomerwerkstoffen verarbeitet werden. Je nach Typvariante ist Vernetzung mit Isocyanaten, Peroxiden oder Schwefel möglich. Isocyanatvernetzte Elastomere aus walzbaren Polyurethanen sind in aller Regel hart64; demgegenüber lassen sich mit 63

Butandiol-1,4 kann sowohl als Kettenverlängerer zur Herstellung von Prepolymeren als auch zur Vernetzung herangezogen werden; die begriffliche Abgrenzung zwischen „Kettenverlängerer“ und „Vernetzer“ erscheint deshalb manchmal nicht eindeutig

Peroxid- und Schwefelvernetzung Härteeinstellungen erzielen, wie sie auch bei anderen Weichgummitypen gebräuchlich sind65. Thermoplastische Polyurethanelastomere werden trotz ihrer Bedeutung in der Ölhydraulik entsprechend der Themenstellung nachfolgend ausgeklammert. Hervorragende gemeinsame Vulkanisatmerkmale sind Verschleißfestigkeit und Gasdichtigkeit. Die (höchste) Grundeinstufung von AU- (und EU-) Elastomeren in SAE J 200 findet sich in Bild 3-112. Anwendungen sind Rollen, Matrizen, Hebebänder und Dichtungen; zellige Urethanelastomere werden z. B. für hoch verformbare Puffer mit stark progressiver Federkennlinie verwendet (vgl. Bild 3-89).

3.7.12

Ölverstreckte Kautschuke

Kautschuke mit sehr großen mittleren Molekularmassen sind grundsätzlich hoch füllbar und ergeben Vulkanisate mit herausragenden mechanischen Eigenschaften; sie sind jedoch aufgrund ihrer hohen Viskosität („Nerv“) nur schwer zur Aufnahme der verschiedenen Mischungszuschläge zu bewegen. Nicht vorbehandelter Naturkautschuk muss deshalb – unter Inkaufnahme gewisser Einbußen – entweder rein mechanisch oder unter Zuhilfenahme beschleunigender 64 65

ca. 70 Shore A - ca. 70 Shore D. das heißt ca. 55-85 Shore A.

208

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

Bild 3-112. Klassifizierung von Elastomeren nach SAE J 200 und relat. Preis-/Leistungsverhältnis

Chemikalien abgebaut („mastiziert“) werden. Um dies zu vermeiden, erhalten besonders hoch polymerisierte Synthesekautschuke, wie z. B. die SBR-Reifentypvariante 1712, bereits bei der Herstellung Zusätze von (Mineralöl-) Weichmachern zur Viskositätsabsenkung. Da die hohe Füllbarkeit grundsätzlich erhalten bleibt, sind vorgegebene Eigenschaftsprofile von Werkstoffen mit ölverstreckten Kautschuken gewöhnlich kostengünstiger zu erreichen als mit unverstreckten. Das Kürzel OE (für „Oil Extended“) vor der eigentlichen Kautschukbezeichnung ist zwar gebräuchlich, kommt indessen in der Nomenklatur nach DIN ISO 1629 nicht vor.

3.7.13

Vorvernetzte Kautschuke

Vorvernetzte Kautschuke enthalten kleine, gezielt vernetzte Bereiche66 („Kurzkettenverzweigung“). Sie sind im Unterschied zu ungeregelt langkettenverzweigten Kautschuken sehr gut verarbeitungsfähig. Die vernetzten Bezirke vermindern den Nerv des Kautschuks und wirken als Gerüstkonstruktion, so dass Maßhaltigkeit und Standfestigkeit von Mischungsrohlingen verbessert werden. Die Zugfestigkeiten 66

67

Diese Vernetzung wird bereits beim Hersteller, z. B. mit Divinylbenzol oder Ethylenglykol/Dimethacrylat, vorgenommen. Faktisse sind geschwefelte, d.h. vulkanisierte ungesättigte pflanzliche Öle, wie z. B. Rapsöl. Sie ergeben oftmals schöne samtartige Oberflächen, sind jedoch wegen des Schwefelgehaltes nicht allzu widerstandsfähig gegen Hitzealterung. Außerdem setzen sie den Abriebwiderstand stark herab (→ Radiergummi).

vorvernetzter Kautschuke sind allerdings niedriger als die unvernetzter Kautschuke. Insgesamt haben vorvernetzte Kautschuke die früher als Gerüstsubstanzen verwendeten Faktisse67 ganz erheblich zurückgedrängt.

3.7.14

Zusammenfassende Darstellung des Grundleistungsvermögens von Elastomeren

Unter dem bereits geäußerten Vorbehalt gegenüber den Klassifizierungskriterien der genormten Systeme lassen sich die bisher abgehandelten Kautschuke und Elastomere, z. B. gemäß SAE J 200, vergleichend darstellen, wobei aus Gründen der Übersichtlichkeit jeweils nur die höchste Einstufung68 wiedergegeben werden kann. Kommt als weitere Größe der relativierte Volumenpreis der Kautschuke hinzu, lassen sich schließlich zumindest näherungsweise auch Preis-/Leistungsverhältnisse vergleichend abschätzen (Bild 3-112)69. 68

69

SAE J 200 ordnet beispielsweise EPDM sowohl AA als auch BA, CA und DA zu. Die unterschiedlichen Hitzebeständigkeiten sind auf vershciedenartige Vernetzungssysteme (Schwefel, Peroxid) zurückzuführen. DA schließt somit die niedrigeren Bewertungen automatisch ein. Der starke Preisanstieg von AA nach HL sollte bei der Werkstoffwahl jedoch nicht zu einer allgemeinen Überschätzung der Bedeutung von Rohstoffpreisen für ein komplettes Endprodukt führen, da sich z.B. zeigen lässt, dass der Marktwert aller im Nichtreifenbereich eines Mittelklasse-PKW eingesetzten Rohkatuschuke auf weniger als 60 € zu veranschlagen ist.

3.7 Elastomere

209

Bild 3-113. Optimierungsspielraum bei 2 und 4 Einflussgrößen (schematisch)

Als Beispiele für die immer wieder zu beobachtende Problematik der Bewertung von Ergebnissen aus solch genormten Prüfungen für die Praxis wurden bereits HNBR und FKM genannt. Weitere Fälle sind z. B. ACM und VMQ. So sind ACM-Typen trotz ausgewiesener guter Hitzeund Ölbeständigkeit gegen marktgängige Ottokraftstoffen auch bei niedrigen Temperaturen nicht resistent. Siliconelastomere wiederum zeigen nur in Gegenwart von (Luft-) Sauerstoff die aus Bild 3-112 ersichtliche hohe thermische Beständigkeit, da dann (hydrolytischer) Abbau der Polymere im dynamischen Gleichgewicht durch oxidative Nachvernetzung kompensiert wird. In geschlossenen Systemen, d. h. ohne Luftzutritt, kann dagegen die Beständigkeitsgrenze bis auf etwa 150°C fallen.

3.7.15

Zusammenfassung

Elastomere haben im Bereich der sogenannten Gebrauchstemperaturen den entropie-elastischen Zustand als gemeinsames Merkmal. Aus ihm lassen sich zunächst gemeinsame Grundeigenschaften und Grundfunktionen herleiten. Unterschiedliche Umgebungseinflüsse während des Einsatzes machen die Aufgliederung in eine Vielzahl von Typen erforderlich. Ihre physikalisch-chemischen Eigenheiten leiten sich auf logische Weise aus dem chemischen Aufbau ab und ermöglichen eine Grobklassifizierung der Elastomere nach Hitze- und Quellbeständigkeit, ohne dass jedoch die Klassiizierungskriterien unbedingt auch ein Maß

für die praktische Eignung darstellen. Die Gebrauchstüchtigkeit der Werkstoffe werden außer von Strukturparametern der zugrunde liegenden vernetzten Kautschuke auch von Beschaffenheit und Menge verschiedener Zuschläge bestimmt. Angesichts des Stoffumfangs ist das Ziel der vorliegenden Darstellung weniger eine umfassende Beschreibung einzelner Produkte oder ein vertiefendes Eingehen auf Einzelerscheinungen als vielmehr ein Versuch, Zusammenhänge herzustellen, um so zu möglichst breit verwendbaren Deutungen zu gelangen und den Leser rasch einem guten Lösungsansatz näher zu bringen. Problemlösung und „richtiger“ Elastomerwerkstoff sind letztlich immer das Ergebnis mehr oder weniger gelungener Kompromisse. Dabei sollte nie aus den Augen verloren werden, dass die Spielräume je Einflussgröße (Bild 3-113, hellgraue Flächen) grundsätzlich umso kleiner werden, je mehr Einflussgrößen zu beachten sind und je mehr Freiheitsgrade (Bild 3-113, dunkelgraue Flächen) für die Umsetzung benötigt werden.

Literatur zu Kapitel 3.7 [1] Williams M L, Landel R F, Ferry J D Ferry Journal of the American Chemical Society, 77, 3401, (1955). [2] Franssen O, Bayerl H Innovation mit Silikon-Elastomeren im Motorraum. Vortrag auf dem 10. KunststoffMotorbauteile Forum, ask O.Altmann, 22./23.01.2007

210

3 Eigenschaften von Kunststoffen in Bauteilen

[3] Neuwirth W 2-K Elastomerverarbeitung für motornahe Systeme – Stand der Technik 2007. Vortrag auf dem 10. Kunststoff-Motorbauteile Forum, ask O.Altmann, 22./23.01.2007

Weiterführende Literatur Gohl W (Hrsg) (1975) Elastomere. Lexika-Verlag, Grafenau Gohl W, Spies KH (Hrsg) (2003) Elastomere – Dicht- und Konstruktionswerkstoffe. 5. Aufl, expert Verlag, Renningen Franssen O, Bayerl H (2007) Innovation mit Silikon-Elastomeren im Motorraum. Vortrag auf dem 10. KunststoffMotorbauteile Forum, ask O. Altmann, 22./23. Januar 2007

Hempel J (2001) Elastomere Werkstoffe. Freudenberg, Weinheim Neuwirth W (2007) 2-K-Elastomerverarbeitung für motornahe Systeme – Stand der Technik 2007. Vortrag auf dem 10. Kunststoff-Motorbauteile Forum, ask O. Altmann, 22./23. Januar 2007 Rinnbauer M (2006)´Technische Elastomerwerkstoffe. Verlag moderne Industrie, München, 70 S, Die Bibliothek der Technik, Band 293, Fredenberg Dichtungs- und Schwingungstechnik Röthemeyer F, Sommer F (2001) Kautschuktechnologie. Hanser Verlag, München Scholz KG (2006) Tribologie der Elastomere – Anwendungs- und Prüftechnik des elastomeren Verschleißschutzes. Dr. Gupta Verlag, Ratingen, S 499

4

Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Für die meisten Kunststoffe folgt der Synthese bei den Rohstoffherstellern die davon völlig getrennte Verarbeitung. Dies bedeutet, dass Abkühlung und erneute Aufheizung sowie Transport, manchmal mehrfach, dazwischen liegen. Ausnahmen bilden bisher Polyurethan RIM, RRIM und SRIM und Nischenanwendungen wie Caprolactam-Synthese im Verarbeitungswerkzeug zu Polyamid, sog. Guss-PA. Dagegen ist die Halbzeugherstellung bei glasmattenverstärkten Thermoplasten (GMT) meist mit PP-Matrix, Stäbchengranulate mit Langglasfasern oder SMC heute noch Stand der Technik. Für die Zukunft zeichnet sich allerdings ein Wandel für einige Verarbeitungstechnologien ab. Aufwendige Zwischenschritte werden entfallen, der Verarbeiter wird mehr zum WerkstoffDesigner (Compoundeur), Rohstoffhersteller liefern ihm Vorprodukte. Für Standard-Spritzgieß- oder Extrusionsprozesse werden sich allerdings in absehbarer Zeit keine grundsätzlichen Änderungen im Verfahrensablauf ergeben. Tabelle 4-1 zeigt anhand von Prinzipskizzen einige gängige Verarbeitungsverfahren auf, ordnet sie den Kunststoffhauptgruppen Thermoplaste, Duroplaste, Elastomere zu und deutet die Prozessschrittfolge von der Synthese zum Bauteil an. Tabelle 4-2 gibt eine Übersicht mit Prinzipskizzen zu häufig angewandten Kunststoff-Verarbeitungsverfahren.

4.1

Urformen

4.1.1

Aufbereitung Helmut Schüle

Trennverfahren Zerkleinern Ziel des Zerkleinerns ist eine Reduzierung der Korngröße bei gleichzeitiger Vergrößerung der Oberfläche. Großen Einfluss auf den Zerkleinerungsmechanismus haben in hohem Maße die temperaturabhängigen Eigenschaften (spröd, zäh

oder elastisch) des zu zerkleinernden Guts. Durch die Wahl des eingesetzten Weiterverarbeitungsverfahrens werden die Eigenschaften des Zerkleinerungsprodukts – Korngröße, Kornform, Korngrößenverteilung und ggfs. auch die Rieselfähigkeit des polydispersen Haufwerks – vorgegeben. Dem Zerkleinern ist meist ein Sieben (Feinkornentfernung) und ggfs. ein Sichten (definierte Korngrößenverteilung) nachgeschaltet. In praxi unterscheidet man zwischen Grobkorn und Feinkorn (Grenzwert zwischen 300 μm und 500 μm). Die Herstellung von definiertem Feinkorn kann erhebliche technische Probleme bereiten und kann u. U. nicht machbar sein. Bei praxisüblichen Zerkleinerungsmaschinen kommen verschiedene Beanspruchungsarten zur Anwendung (Druck-, Schlag-, Prall-, Scherbeanspruchung und Schneidzerkleinerung). Entscheidende Verarbeitungsgrößen sind neben den auftretenden Kräften insbesondere die vorliegende Kinematik. Zum Einsatz kommen üblicherweise Schneckenbrecher, Luftstrahlmühlen sowie Walzen-, Schwing- und Hammermühle bei zu sprödem Stoffverhalten neigendem Zerkleinerungsgut; bei zähem Stoffverhalten werden Schneidmühlen und Guillotinescheren bevorzugt. Mischen und Kneten Durch Mischen soll eine zunächst sehr ungleichmäßige Verteilung der einzelnen Mischungskomponenten in ein dem nachfolgenden Verarbeitungsschritt gerecht werdenden, ausreichenden Homogenitätszustand umgewandelt werden. Relativbewegung und Platzwechselvorgänge zwischen den einzelnen Komponenten sind hierfür erforderlich. Werden bei Feststoffgemischen die Teilchen zueinander verändert, so spricht man vom distributiven Mischen. Für derartige Abmischungen werden häufig Taumel- und Schaufelmischer, aber auch Freifallmischer eingesetzt. Der Mischprozess ist hierbei durch die Schwerkraft geprägt. Einfluss auf das Mischergebnis hat neben der Teilchengrößenverteilung auch die Mischzeit (Gefahr der Entmischung). In praxi werden auch druckluftbetriebene Wirbelmischer (bei der PVC-Dryblend-Aufbereitung als Heiz-/Kühlmischerkombination) eingesetzt.

212

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Tabelle 4-1 Schematische Übersicht zur Verarbeitung von Kunststoffen

4.1 Urformen

Tabelle 4-1 (Fortsetzung)

213

214

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Tabelle 4-2 Übersicht zu Kunststoffverarbeitungsverfahren [1] (unter Verwendung von [2], [3]).

4.1 Urformen

Tabelle 4-2 (Fortsetzung)

215

216

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Werden die einzuarbeitenden festen Komponenten sowohl in ihrer Lage innerhalb einer Flüssigkeit verschoben und dabei gleichzeitig zerkleinert liegt dispersives Mischen, auch Dispergieren genannt, vor. Um Agglomerate bzw. Zusammenlagerungen aufbrechen zu können bzw. Zerkleinerungsbrüche zu erwirken, müssen die auf die Feststoffteilchen einwirkenden Kräfte bzw. Schubspannungen ausreichend groß sein. Der Oberflächenspannung, d. h. Benetzungsfähigkeit, der Festpartikel kommt eine entscheidende Bedeutung zu. Bei hochviskosen Polymerschmelzen erreicht man ein optimales Dispergierergebnis nur durch kontinuierlich oder diskontinuierlich arbeitende Kneter. Die Schmelzekomponenten können in der viskositätsbedingt vorliegenden Laminarströmung nur unter Einwirkung auftretender Scher- und/oder Dehnkräfte zu Bahnen ausgestrichen werden. Eine homogene Verteilung ist als Ergebnis von sehr geringen Partikelbahnabständen zu sehen. Prinzipiell können hier dynamische als auch statisch arbeitende Mischer eingesetzt werden. Beim Durchströmen eines Statikmischers werden die einzelnen Schmelzeströme mittels eingebauter Umlenkbleche, Lamellenpakete oder Bohrungssysteme ständig aufgeteilt, umgelenkt und verwischartig wieder zusammengebracht. Bei dynamischen Mischern erfolgt der eigentliche Mischvorgang durch bewegte Teile im Innern des Mischapparates. Beispiele sind die an Förderschnecken an der Spitze zum Einsatz kommenden, sich mit der Schneckendrehzahl mitbewegenden Mischteile (z. B. Igel-, Rauten-, Zahnringausführungen). Während des Mischvorgangs erfolgt eine Verteilung der einzelnen Komponenten durch Strömen in tiefgeschnittenen Kanälen mit Seitendurchbrüchen (Verwisch- und Umlenkschmelzeströme). Charakteristisches Merkmal aller Mischer ist der Umstand, dass bei richtiger Auswahl der Bauteilgeometrie in Wechselwirkung mit den anzutreffenden Viskositäts- und Geschwindigkeitsverhältnissen die Schmelzetemperatur nahezu konstant bleibt.

Bild 4-1. Statikmischer nach Sulzer

In praxi werden auch kontinuierlich und diskontinuierlich arbeitende Schneckenkneter (Einfach- und Doppelschneckenkneter, Buss-Ko-Kneter bzw. Schaufelkneter, Doppelmuldenkneter sowie Innenmischer) als Mischaggregat eingesetzt. Plastifizieren Beim Plastifizieren wird ein feststoffförmiges, meist als Haufwerk vorliegendes, Polymergemisch durch Einbringung von Wärme von außen (Heizbänder, temperierte Knetwalze) und durch einen ausgeprägten mechanisch-thermischen Energieumsatz in den schmelzeflüssigen Zustand überführt. Der Plastifiziervorgang kann je nach geforderter Produktmenge kontinuierlich (Ein- und Doppelschnecke, Stiftextruder, Planetwalzenextruder, Buss-Ko-Kneter) oder diskontinuierlich (Kalanderwalzwerk, großvolumige Innenkneter, Labormesskneter) durchgeführt werden. In vielen Verarbeitungsfällen wird wegen des chemisch einsetzenden Umwandlungsprozesses (Vernetzungsreaktion, Vulkanisierung) aufgrund der Möglichkeiten der Temperaturführung bzw. des Verweilzeitspektrums der Batchbetrieb bevorzugt. So ist beim Innenkneter (Elastomerverarbeitung) eine sehr genaue Einhaltung der vorliegenden Verarbeitungsparameter (Temperatur, Füllgrad, Drehzahl) und somit der sich einstellenden Produktqualität möglich. Siehe auch Kapitel 4.1.3.2. Granulierung und Agglomerieren In praxi werden bei vielen Verarbeitungsverfahren vorzugsweise staubfreies Granulat-Haufwerk mit mittleren Kornteilchendurchmessern (üblich ca. 3 mm) und definierter Größenverteilung herangezogen. Eine gute Rieselfähigkeit des Haufwerks begünstigt dabei das Einzugsverhalten der Maschine und ermöglicht – ohne Stopfvorrichtung – eine pulsationsfreie Verarbeitung auf hohem Produktniveau. Staubexplosionen können nicht auftreten. Grundsätzlich erfolgt das Granulieren auch, um die Formmasse zu konfektionieren (Einfärben, Compoundieren) oder zu refinern. Wird beim Heißgranulieren (bis zu 30 t/h Durchsatz möglich) die aufzubereitende Kunststoffschmelze unmittelbar nach Austritt aus dem Werkzeug mittels eines Messers noch im thermoplastischen Zustand abgeschlagen (geschnitten), so erfolgt die Herstellung des Granulats beim Kaltgranulieren (maximal bis ca. 400 kg/h Durchsatz möglich) erst nach Durchlaufen der extrudierten Stränge eines Wasserbads durch Schneiden (Strang- oder Band-Granulator). Sofern die Stränge an der Luft abkühlen, spricht man von Luftgranulieren (technisch bedeutungslos). Da beim Heißabschlagverfahren die geschnittenen Schmelzeteilchen im Wasser sofort einfrieren und das Innere erst nach einiger Zeit erstarrt, bildet sich durch diesen Schwindungsprozess die typische Linsenform für das Granulat aus. Bei Kaltgranulieren wird der einge-

4.1 Urformen frorene Strang lediglich geschnitten. Ein zylindrisches Korn mit ausgeprägter Schnittkante liegt vor. Siehe auch Kapitel 4.1.3.2. Beim Agglomerieren wird Mahlgut (Recyclat) durch ein lochscheibenähnliches Werkzeug durchgedrückt, erwärmt und angesintert. Der austretende, verbackene Strang wird dann in einem Schneidgranulator zerkleinert. Das so entstandene, rieselfähige Haufwerk ist ohne Stopfvorrichtung extrudierbar. Filtrieren Polymerschmelzen enthalten sehr häufig Verunreinigungen und inhomogene Phasen, welche aufgrund der vorliegenden Größe und des Mengenanteils einen ungestörten Betriebsablauf nicht ermöglichen. Derartige Fremdkörper (z. B. Pigmentagglomerate) können zum Einreißen einer Blasfolie, Abriss eines abgezogenen Fadens oder zur Verringerung der Durchschlagfestigkeit einer Kabelummantelung führen. In der Extrusion werden vorzugsweise Siebgewebe aus Edelstahl verwendet. Die einzelnen metallischen Gewebe mit definierter Maschenweite (30 bis 70 μm) werden zu einem Siebpaket zusammengestellt und von einer Stützplatte (Loch-

217

platte) gehalten. Der einwirkende Schmelzedruck (bis 500 bar) darf hierbei zu keiner Durchbiegung des Aggregats führen (Bild 4-2). In praxi werden in die Filtereinrichtung unterschiedliche Bauarten an Filterelemente eingelegt. Beispiele: Bolzensiebwechsler, Siebräder, hydraulisch oder manuell betriebene Plattensiebwechsler. Dosieren Dosiergeräte werden für die hochgenaue Dosierung und Mischung von allen rieselfähigen, frei fließenden Materialien eingesetzt (z. B. Masterbatch, Additive, allgemein Zusätze, Treibmittel). In der Kunststoffverarbeitung sind sowohl gravimetrisch als auch volumetrisch arbeitende Dosiersysteme anzutreffen. Vorteile beim gravimetrischen Dosieren sind neben einer exakten Erfassung der Schüttgutmasse eine gleich bleibende homogene Mischung sowie eine sehr genaue Mengenzugabe in den Dosiertrichter. In der Praxis haben sich insbesondere selbstabziehende Dosierbandwaagen bewährt. Auch kommen Dosierschnecken und DifferentialDosierwaagen zum Einsatz. Als volumetrisch arbeitende Systeme sind Schneckendosierer, Banddosierer und Zellenraddosierer anzuführen. Trocknen und Temperieren Bei Kontakt- und Strahlungstrockner erfolgt die Beheizung mittels Heißluft, Kontakt- oder IR-Strahlungswärme. Anzutreffen sind je nach Aufgabenstellung Durchlauföfen und Trockenlufttrockner, Doppelkonustrockner, Taumelmischtrockner und Vakuumtrockeneinheiten. Die Temperierung bzw. Beheizung von Maschinen erfolgt in aller Regel mittels Hochleistungskeramikheizbändern (Rahmen- oder Zylinderform), Heizpatronen und Heizkörpern. Auch werden mit Öl bzw. Wasser betriebene Temperiergeräte eingesetzt. Kühlen erfolgt meist mit Kaltwassermaschinen, Wasserrückkühlaggregaten, Wärmeaustauschersystemen und mit kompletten Industriekühlanlagen.

Literatur Kapitel 4.1.1 [1] Eyerer P (2007) Kunststoffkunde. Vorlesungsmanuskript WS 07/08, 14. Aufl, Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie ICT, Pfinztal [2] Schwarz Ebeling Lüpke Schelter (2000) Kunststoffverarbeitung kurz und bündig. 6. Aufl, Vogel Verlag, Würzburg, 292 S [3] Schreyer G (1972) Konstruieren mit Kunststoffen. Studienausgabe 1979, Carl Hanser Verlag, München, 1117 S Bild 4-2. Filtersystem nach Kreyenborg

218

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Weiterführende Literatur Albers A (2006) Neuartige Kompaktier- und Granuliermaschine (Walzengranulator). Kunststoffe 96(2006)11, S 81–86 Gächter R, Müller H (1989) Taschenbuch der Kunststoffadditive. 3. Aufl, Carl Hanser Verlag, München Michaeli W (1994) Einführung in die Kunststoffverarbeitung. 4. Aufl, Hanser, München NN (1995) Aufbereitung von Polymeren mit maßgeschneiderten und neuartigen Eigenschaften. VDI, Düsseldorf Franck A (2000) Kunststoff-Kompendium. 5. Aufl, Vogel Verlag, Würzburg Röthemeyer F, Sommer F (2001) Kautschuktechnologie. Hanser, München, ISBN 3-446-16169-4 Schroer T, Wortberg J (2002) Granulat richtig trocknen. Kunststoffe 92(2002)5, S 44–49 Groß C (2006) Einfluss von Farbpigmentbatchen auf den Produktwechsel bei der Blasfolienextrusion. Shaker Verlag, Aachen, 114 S Grütter H, Trachsel R, Siegenthaler HU (2007) Ko-Kneter für Kabelcompounds (Aufbereitungstechnik). Kunststoffe 97(2007)9, S 207–211 Kohlgrüber K, Wiedmann W (2007) Der gleichläufige Doppelschneckenextruder – Grundlagen, Technologie, Anwendungen. Hanser Verlag, München, 367 S

Bild 4-3. Schema des Urformens von Kunststoffen (T, D, E) [1]

Michael G (2007) von der Folienextrusion (Mischen, Fördern, Dosieren).Kunststoffe 97(2007)9, S 213–218 Stebani J, Maier G, Bacher E (2007) Schneller – umfassender – effizienter (Compound-Entwicklung). Kunststoffe 97(2007)9, S 226–231 Wiedmann W (2007) Goldene Hochzeit der gleichläufigen Schnecken (Aufbereitung). Kunststoffe 97(2007)10, S 228–291 Wiedmann W, Schönfeld S (2007) Direktherstellung von Verpackungsfolien (Compoundieren). Kunststoffe 97(2007)8, S 104–108

4.1.2

Verarbeitung von Kunststoffschmelzen

Das Urformen von Kunststoffen erfolgt üblicherweise durch einen Fließprozess. Die einzelnen Makromoleküle von Thermoplasten, Duroplasten und Elastomeren müssen dazu beweglich sein und aneinander abgleiten können. Die Duroplaste und Elastomere vernetzen bzw. vulkanisieren erst nach der Formgebung und erhalten die sie kennzeichnende vernetzte Struktur. Damit besitzen Duroplaste und Elastomere im Gegensatz zu Thermoplasten auch bei hohen Temperaturen (oberhalb des Haupterweichungsbereiches) eine zur Entformung ausreichende Eigensteifigkeit. Amorphe Thermoplaste können hingegen erst unterhalb des Haupterweichungsbereiches

4.1 Urformen entformt werden, teilkristalline Thermoplaste je nach Kunststoff ca. 50 bis 100 °C unterhalb der Kristallit-Schmelztemperatur. Schematisch lässt sich das Urformen aller Kunststoffe mit Einschränkungen beim Walzen und Pressen durch folgende Darstellung charakterisieren (Bild 4-3): Durch Energiezufuhr wird die Kunststoffmasse plastifiziert und unter Druck in die gewünschte Form gepresst (Spritzgießen, Extrudieren usw.). Die Scherkräfte verformen die Makromoleküle, d. h. sie werden orientiert. Der im Formteil erreichte Orientierungsgrad hängt von der Größe der bei der Formgebung wirkenden Scherkräfte ab. Diese werden durch die Schergeschwindigkeit beeinflusst.

4.1.2.1

Fließeigenschaften von Schmelzen

Die Fließfähigkeit einer Kunststoffschmelze hängt im Wesentlichen von der Beweglichkeit von Molekülsegmenten ab und damit von der Temperatur, von ihrer Gestalt, vom Verhakungs- und Verzweigungsgrad, von der Molmasse bzw. von deren Verteilung. Rheologie der Kunststoffschmelze [2], [5] Das Beschreiben, Erklären und Messen der Fließeigenschaften von Stoffen (z. B. von Kunststoffen) ist zentraler

Bild 4-4. Schematische Darstellung von Scherströmung und Dehnströmung [3]

219

Gegenstand der „Wissenschaft von der Deformation und dem Fließen der Körper“, die man „Rheologie“ nennt. Bei der Kunststoffverarbeitung müssen die zu verarbeitenden Werkstoffe in aller Regel in einem fließfähigen Zustand vorliegen. Dieses wird z. B. bei thermoplastischen Kunststoffen durch das Aufschmelzen erreicht. Die Viskosität ist ein Maß für den inneren Widerstand des Werkstoffes gegen eine während des Fließens stetig wirkende Kraft. Beim Fließprozess, wie er in Kunststoffverarbeitungsmaschinen auftritt, wird die Schmelze hauptsächlich geschert [2]. Man unterscheidet: Scherströmung (Scherfließen) (Durchfließen einer Düse – Urformprozesse) und Dehnströmung (Streckfließen) (Querschnittsveränderungen, z. B. beim Verstrecken), wobei real meist eine Überlagerung auftritt. Während sich die Fließfront bei der Scherströmung nur in eine Richtung bewegt, Bild 4-4 (A), tritt bei einer zweidimensionalen Fließfrontänderung ein zusätzlicher Orientierungseffekt durch Dehnströmung auf (B). An einer Viertelkreisscheibe lässt sich zeigen, Bild 4-4 (B), wie ein konzentrisch um den Angussbereich liegendes Volumenelement beim Fortschreiten der Fließfront immer stärker in Querrichtung gedehnt wird. Durch die Dehnkräfte

220

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-5. Schematische Darstellung des Scherfließens einer laminaren Strömung (Geschwindigkeitsverteilung im Zweiplattenmodell bei Wandhaftung) [4]

Bild 4-6. Erklärung von Schubspannung und Schergeschwindigkeit an einem Teilchen in einer Flüssigkeit [4]

ordnen sich die Makromoleküle und auch die Glasfasern in Richtung der Dehnströmung und damit senkrecht zur Fließrichtung. Dies gilt auch für beispielsweise zentral angespritzte Platten und für die meisten spritzgegossenen Formteile. Im Folgenden werden einige Grundlagen der Fließeigenschaften von Schmelzen vereinfacht dargestellt. Am Beispiel des Newton’schen Zweiplattenmodells kann das Scherfließen einer Flüssigkeit erklärt werden, Bild 4-5.

Die Flüssigkeitsschichten zwischen den gegeneinander sich bewegenden Platten gleiten aufeinander ab – die Flüssigkeit wird geschert. Die Scherspannung verformt den Quader mit der Schergeschwindigkeit γ⋅ (oder auch Schergradient genannt), Bild 4-6. dv d ds ds d γ⋅ ⋅ 5=5 5 = 5 =5 γ dy dy dt dy dt

   

4.1 Urformen

Bild 4-7. Abhängigkeit der Geschwindigkeit vom Radius r bei der Rohrströmung [5] a Newton’sches Fließen; k = 1. b strukturviskose Flüssigkeit; k = 3 Kunststoff-Schmelze nach BASF [5]

Die Schergeschwindigkeit ist das Verhältnis der Geschwindigkeitsdifferenz Δv zweier aneinander vorbei fließender Schichten zu deren Abstand y (senkrecht zur Strömungsrichtung). Sie drückt damit aus, wie schnell ein zwischen verschiedenen Schichten liegendes Teilchen seine Gestalt verändert, während sich die Schichten mit der Fließgeschwindigkeit fortbewegen. Beim so genannten Newton’schen Fließverhalten (z. B. bei Wasser und Öl) sind Scherspannung τ und Verformungsgeschwindigkeit (Schergeschwindigkeit) γ⋅ proportional, [5]

τ = η · γ⋅

221

Der Koeffizient η heißt Viskosität 1 (oder Zähigkeit). Die meisten Flüssigkeiten, Kunststoffschmelzen eingeschlossen, gehorchen bei mittleren und hohen Schergeschwindigkeiten nicht dem Newton’schen Fließgesetz. Für die Charakterisierung solcher Flüssigkeiten genügt daher nicht mehr eine einfache Viskositätsangabe, sondern das Fließverhalten wird durch die Fließkurve angegeben, Bild 4-7, Kunststoffschmelzen fliessen viskos 2. Diese nicht-Newton’sche Fließeigenschaft der Schmelzen bezeichnet man bei Kunststoffen als Strukturviskosität. Bild 4-7 veranschaulicht unter Vernachlässigung von Erstarrung an der Wand den Einfluss des Fließverhaltens von Kunststoffschmelzen auf Geschwindigkeitsprofile bei der Rohrströmung. Real werden sich unterschiedliche Geschwindigkeitsprofile über den Querschnitt gemäß Bild 4-8 je nach fortschreitender Erstarrung an der Werkzeugwand einstellen. Aus Bild 4-9 wird deutlich, dass bei Kunststoffschmelzen die Scherspannung bei höheren Schergeschwindigkeiten degressiv verläuft (strukturviskos), d. h. mit zunehmender Schergeschwindigkeit braucht man weniger Kraft. Für die Verarbeitung sehr vorteilhaft. Tabelle 4-3 gibt qualitativ die Auswirkung verschiedener Einflüsse auf das Fließverhalten von Kunststoffschmelzen wieder. 1

genauer: dynamische Viskosität η Nsm2 Ⳏ 1 Pascal Sekunde (Pa s) alte Dimension: 1 Poise (P) Ⳏ 0,1 Pa s; 1 Centipoise (cP) Ⳏ 1 Millipascal Sekunde η (mPa s); weiter: kinematische Viskosität ν = 3 : ν … cm2 s–1 Ⳏ Stokes (st) ρ

2

unter plastischem Fließen versteht man die bleibende Verformung, die sich bei Festkörpern einstellt, wenn eine bestimmte Mindestspannung (Fließgrenze) überschritten wird; dagegen ist das viskose Fließen die bleibende Verformung im entropieelastischen Bereich sowie im Schmelz- bzw. Fließbereich von Kunststoffen.

Bild 4-8. Schema der Bewegungsvorgänge beim Füllvorgang [6]. a Schmelzefront; b1 Randschichten beginnen zu erstarren; b2 Randschichten sind bereits erstarrt; c Schmelzeprofil in „plastischer Seele“

222

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Tabelle 4-3 Qualitative Auswirkungen verschiedener Einflüsse auf die Viskosität η von Kunststoffschmelzen [1]

Bild 4-9. Fließverhalten Newton´scher, strukturviskoser und dilatanter Flüssigkeiten bzw. Schmelzen [4]

Einflüsse auf die Viskosität

η

größere Molmasse mehr langkettige Verzweigungen steigender Verarbeitungsdruck höherer Füllstoffanteil

↑ ↑ ↑ ↑

höhere Temperatur Zugabe von Weichmachern (Gleitmittel, Treibmittel u. a.) größere Schergeschwindigkeit Alterung (Kettenbrüche = kleinere Molmasse)

↓ ↓ ↓ ↓

Die Auswirkungen der Strukturviskosität von Kunststoffschmelzen bei der Verarbeitung wird aus dem Verlauf der Viskosität über der Schergeschwindigkeit von verschiedenen Polyethylenen in Bild 4-10 ersichtlich. Abschließend werden zum Schmelzeverhalten einige Begriffe erläuternd zusammengefasst [5]: 1. Die Viskosität η ändert sich mit der Scherbeanspruchung, also der Schubspannung τ oder der Schergeschwindigkeit γ˙ a) η nimmt mit γ˙ zu: Dilatanz, b) η nimmt mit zunehmendem γ˙ ab: Strukturviskosität (im englischen Schrifttum als „pseudoplasticity“ bezeichnet). 2. Die Viskosität η ändert sich bei konstanter Scherbeanspruchung im Laufe der Versuchszeit t: a) η nimmt mit t zu: Rheopexie, b) η nimmt mit t ab: Thixotropie. 3. Mit dem viskosen Fließen sind gummielasische Verformungen gekoppelt (die beim Aufhören des Fließens eine elastische Rückdeformation anstreben): Elastische Flüssigkeit. Als Folge der Elastizität treten beim Fließen neben Schubspannungen auch noch Normalspannungen auf: Normalspannungs- oder Weißenberg-Effekt.

4.1.2.2



a Lupolen 1800 H b Lupolen 1800 M PE-LD: ρ ≈ 0,918 c Lupolen 1800 S (BASF) Schmelzindex (MFI …Mold Flow Index) g/10min a MFI = 1,7 abnehmende Molmasse b MFI = 7 von a nach c c MFI = 20



Bild 4-10. Viskosität in Abhängigkeit von der Schergeschwindigkeit bei drei Polyethylen-Typen, Temperatur 150 °C. Rechts oben sind die Verarbeitungsbereiche angegeben [5]

Verformungsverhalten von Schmelzen (und auch Festkörpern)

Deformationsverhalten – Viskoelastizität Verformt man eine Kunststoffschmelze3, so nimmt sie nach Wegnahme der die Verformung auslösenden Kraft ihre Ausgangslage zeitlich verzögert und nicht mehr vollständig ein. Die Schmelze bleibt teilweise irreversibel verformt. Es wirken demnach gleichzeitig zeitunabhängige elastische und 3

im weitesten Sinne ist ein amorpher Thermoplast bei jeder Temperatur eine Schmelze. Unterhalb der Fließtemperatur ist diese Schmelze mehr oder weniger eingefroren. Bei teilkristallinen Thermoplasten betrifft dies die amorphen Bereiche, so dass die obigen Überlegungen allgemein für Thermoplaste gelten.

4.1 Urformen

Tabelle 4-4 Gegenüberstellung verschiedener Modelle und Gleichungen zum Verformungsverhalten von Werkstoffen [1]

223

224

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

zeitabhängige viskose Eigenschaften zusammen. Durch verschiedene Verknüpfungen der Grundgleichungen für das elastische und viskose Verhalten der Werkstoffe lassen sich vereinfachend eine Reihe von Erscheinungen beschreiben. Kapitel 7.1.6.3.2 gibt eine Übersicht über solche Grundgleichungen zum Verformungsverhalten von Werkstoffen, Schmelzen eingeschlossen. Durch die Verwendung von Feder- und Dämpfer-Elementen lässt sich das Verformungsverhalten von Kunststoffschmelzen und damit von Kunststoffen bzw. Werkstoffen allgemein vereinfachend, aber anschaulich beschreiben. Ein praxisrelevantes beispielhaftes Phänomen, bei dem das viskoelastische Verhalten von Kunststoffschmelzen innerhalb der Rheologie eine Rolle spielt, ist die Strangaufweitung beim freien Ausströmen der Schmelze aus einer Düse (Profilwerkzeug eines Extruders). Molekülorientierungen, Scherkräfte, Düsenlänge, Relaxation, Massetemperatur, Viskosität, Molekülgestalt (Konstitution) spielen dabei eine Rolle. Im Kapitel 4.7.2 wird die Strangaufweitung als Beispiel für Molekülorientierungen beim Extrudieren erörtert.

Literatur – Kapitel 4.1.2 [1] Eyerer P (2007) Kunststoffkunde. Vorlesungsmanuskript WS 2007/08; 14. Aufl, Pfinztal: Fraunhofer ICT, 2007 [2] Michaeli W (2003) Kunststoffkunde Vorlesungsunterlagen. Aachen, Institut für Kunststoffverarbeitung (IKV), RWTH Aachen 2003 [3] Weigand H, Vetter H (1966) Molekulare Orientierung in Spritzgußteilen als Folge der Verarbeitung. Kunststoffe 56(1966)11, S. 761–769 [4] Menges G, Haberstroh E, Michaeli W, Schmachtenberg E (2002) Werkstoffkunde Kunststoffe. München: C. Hanser Verlag, 2002, 5. Auflg., ISBN 3-446-21257-4 [5] Kunststoff-Physik im Gespräch. Gespräche über Eigenschaften der Kunststoffe. 7. Auflage, S. 115, BASF AG Ludwigshafen, 1988 [6] Kaliske G, Seifert H (1973) Formfüllstudie beim Spritzgießen von glasfaserverstärktem Polyamid-6. Plaste und Kautschuk 20(1973)11, S. 837–841

Weiterführende Literatur NN (2007) Encyclopedia of polymer science and technology. 3. Aufl, J. Wiley, Hoboken NJ Dealy JM, Larson RG (2006) Structure and Rheology of Molten Polymers. Hanser Verlag, München, 530 S Boss M, Wodke Th (2007) Kapillarrheometer perfektioniert Spritzgießprozess. Kunststoffe 97(2007)11, S 139–141

Ferry JD (1980) Viscoelastic Properties of Polymers. 3rd edition, John Wiley & Sons Gogos CG, Tadmor Z, Kim MH (1998) Adv. Int. Polym. Tech. 17, 4 (1998) 1 Graessley WW, Roovers J (1979) Melt rheology of four-arm and six-arm star polystyrenes. MArcomol. 12:5, S 959–965 Hepperle J (2003) Einfluss der molekularen Struktur auf rheologische Eigenschaften von Polystyrol und Polycarbonatschmelzen. Shaker Verlag, Aachen Kohlgruber K, Wiedmann W (2007) Der gleichläufige Doppelschneckenextruder. Hanser Verlag, München, 367 S (darin: 20 Seiten Rheologische Eigenschaften von Polymerschmelzen) Laun HM (1987) Orientation of macromolecules and elastic deformations in polymer melts. Influence of molecular structure on the reptation of molecules. Progr. Colloid & Polymer Sci. 75, S 111–139 Macosko CW (1994) Rheology: principles, measurements and applications. VCH Malkin AY (1994) Rheology Fundamentals. ChemTec Publ., Toronto, 326 S Mezger Th (2007) Das Rheologie Handbuch. Vincentz Network, Hannover, 2. überarbeitete Auflage, 334 S Münstedt H (1980) Dependence of the elongational behaviour of polystyrene melts on molecular weight distribution. J Rheol. 24:6, S 847–867 Pahl M, Gleißle W, Laun, HM (1995) Praktische Rheologie der Kunststoffe und Elastomere. VDI-Verlag, Düsseldorf Steffe JF (1996) Rheological Methods in Food Processing. 2nd edition, Freeman Press Stelter M (2001) Das Zerstäubungsverhalten nicht Newtonscher Flüssigkeiten. Dissertation, Universität Erlangen-Nürnberg Tamdor Z, Klein I (1985) Engineering Principles of Plasticating Extrusion. Robert E. Krieger Publishing Company, Malabar (1985)

4.1.3

Verarbeitung von Thermoplasten (Urformen)

Das Urformen von amorphen und teilkristallinen Thermoplasten erfolgt im Fließ- bzw. Schmelzbereich. Bild 4-11 zeigt erneut, dass die einzelnen Zustände keine festen Temperaturgrenzen haben. Weiter wird für Thermoplaste die Verarbeitbarkeit in Abhängigkeit von der Temperatur deutlich. Eine zusammenfassende Übersicht der wichtigsten Verarbeitungsverfahren von Thermoplastschmelzen gibt Tabelle 4-2. Zur Vertiefung siehe auch [2]-[5].

4.1 Urformen

225

Bild 4-11. Zustandsform und Verarbeitbarkeit von Thermoplasten in Abhängigkeit von der Temperatur (in Anlehnung an Schreyer und erweitert) [1]

Die beiden wichtigsten Urformverfahren, das Spritzgießen und das Extrudieren, werden etwas ausführlicher dargestellt. Zusammenstellung von Verarbeitungsvarianten Die folgende Zusammenstellung [5] informiert über die große Zahl von Verarbeitungsvarianten innerhalb der HauptTechnologien Ur- und Umformen. Auffallend ist dabei die riesige Zahl von Unterverfahren beim Spritzgießen. Beachtlich ist auch, dass die Hälfte der Spritzgießvarianten in den vergangenen 15 Jahren entwickelt wurde.

Spritzgießen − Spritzpräge-Technik (SPT) einschließlich dünnwandiger Formteile − Hinterprägetechnik (HPT) • Gegentakt-Spritzgießen (GTS) − Hinterspritz-Technik (HST) − Schmelzkerntechnik (SKT), Lösekerntechnik (LKT) − Zwei-Schalen-Technik (2-ST) − Spritzgieß-Pressrecken − Thermoplast-Schaumguss (TSG) − Mehrkomponenten-Spritzgießtechnik (MKT) − Mehrfarben-Spritzgießtechnik (MF-SGT) • Advanced Composite Casting (ACC) (Umspritzen von FV-Vorformlingen)

226

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

− Gasinnendruck-Spritzgießtechnik (GIT), Wasserinjektionstechnik (WIT) [15] − Spritzblasen − Langfaser-Spritzgießen (IMC) − Liquid Crystal Polymer (LCP)-Spritzgießen − Inmold Decorating (IMD) − Inmold Coating (IMC) − Pulvermetallspritzgießen (PM-SG) oder Metal Injection Molding (MIM) • Keramikspritzgießen (KSG) oder Ceramic Injection Molding (CIM) oder Cermet Ceramic Injection Molding (CCIM) − Fließgießtechnik (FGT) − Stand der Technik • Neuere Verfahren (aus den vergangenen 10-15 Jahren) Extrudieren − Extrusionsblasen − Streckblasen • 3D-Blasformen (hart-weich-Kombination) − Thermoplast-Schaumextrusion (TSE) • Mehrschichtiges/-farbiges Extrudieren (Coextrusion) • mit überkritischem CO2 als Lösemittel/Schäummittel • mikrowellenunterstützt Hohlkörper-Technologien − Schalenguss (slush molding) − Rotationsformen − Schleudergießen Fließpressen − Glasmattenverstärkte Thermoplaste (GMT) Basis PP − GMT mit höherwertigen Matrices (PA, PA/PPE, PBT, PET, PC, PPS) • Langfaserverstärkte Thermoplaste im Direktverfahren (LFT-D) Umformen − Prägen − Schrumpfen − Mechanisches Tiefziehen (Kaltumformen) − Warmumformung − Rotations-Tiefziehen − Pultrusion, Pulforming − Tiefziehpressen (TZP) von Faserverbundhalbzeugen − Stand der Technik • Neuere Verfahren (aus den vergangenen 10–15 Jahren)

Kalandrieren

Pulvertechnologie − Sintern − Lasersintern (LS) − Wirbelsintern (Beschichten) − Rotationssintern − Ram-Extrusion − Elektrostatisches Pulverbeschichten − Coatingtechnologie − Stand der Technik • Neuere Verfahren (aus den vergangenen 10–20 Jahren)

4.1.3.1

Spritzgießen

Das Spritzgießverfahren erzeugt komplizierte Formteile (Bauteilmassen von Milligramm bis 30 Kilogramm) in höchster Qualität und größten Stückzahlen. Vorteilhafte Merkmale des Spritzgießens sind − kurzer Weg vom Rohstoff zum Endprodukt − keine oder nur geringe Nacharbeit − integrierbares und vollautomatisierbares (diskontinuierliches) Verfahren − hohe Reproduzierbarkeit der Fertigung − niedriger Energieverbrauch bei der Formgebung aufgrund (im Vergleich mit Metallen) niedriger Verarbeitungstemperaturen − Integration von Prozessfolgeschritten in das Urformwerkzeug bis hin zu werkzeugfallenden endmontierten Bauteilen. Um jedoch eine optimale Qualität bei der Produktion zu gewährleisten, bedarf es einer Know-how-Bündelung, da die Zahl der Einflussgrößen auf die Spritzgießproduktion sehr groß ist. Im Einzelnen sind dies: − Der Mensch Motivation, Qualifikation, Flexibilität, Erfahrung, Zuverlässigkeit, Kosten … − Die Spritzgießmaschine Ergonomie, Leistungsfähigkeit, Verfahrensablauf, Genauigkeit, Sicherheit, richtige Auslegung, Überwachungsmöglichkeiten, Kosten … − Das Werkzeug Kunststoffgerechte Formteil- und Angussgestaltung, thermische und mechanische Auslegung, Steifigkeit, Verschleiß, Wartung, Kosten … − Der Werkstoff Richtige Auswahl, Reinheit, Vortrocknung, geringe Chargenschwankungen, Wiederverwertbarkeit, Kosten …

4.1 Urformen

227

Bild 4-12. Schematische Darstellung einer Spritzgießmaschine [5]

− Die Peripherie Temperiergeräte, Heißkanalregelung, Handhabungsgeräte, Angusszerkleinerung, in- und on-line Messtechnik, Kosten … − Die Umwelt Sicherheit, Umgebungseinflüsse, …

4.1.3.1.1

Standard-Spritzgießen (Stückprozess, diskontinuierlicher Prozess)

Bild 4-12 zeigt schematisch die Hauptteile einer Spritzgießmaschine. Besser ist es bei Kunststoffschmelzen anstelle von Spritzgießen von „Fließgießen“ zu sprechen, da sich die Form über eine Fließfront füllt und nicht wie beim metallischen Druckguss (besser: Spritzguss) über einen Flüssigkeitsstrahl. Bild 4-12 unterteilt verfahrenstechnisch eine Spritzgießmaschine in Plastifizierung und Formgebung. Unter Beibehaltung dieser Aufteilung stellt Bild 4-13 schematisch den Verfahrensablauf beim Spritzgießen dar.

Typische Werte der Verfahrensparameter beim Spritzgießen: − Werkzeugtemperatur 10–200 °C, üblich 50–80 °C − Massetemperatur 200–400 °C − Staudruck 0–50 bar − Spritzdruck 200–2000 bar − Nachdruck 50–70 % vom Spritzdruck Ausführlicher gibt hierzu Tabelle 4-5 Auskunft. Verfahrensablauf beim Spritzgießen (Bild 4-13) Das Kunststoffgranulat oder -pulver wird im Plastifizieraggregat durch Rotation der Schnecke plastifiziert durch Friktion und durch äußere Heizung zusätzlich erhitzt. Nach Schließen des Werkzeuges drückt die Schnecke über einen axialen Vorschub (Schnecke wirkt als Kolben) die Kunststoffschmelze in die Kavität (Schritt 1 Einspritzen). Zum Ausgleich der Materialschwindung wird Schmelze über den Anguss nachgedrückt. Thermoplaste kühlen im „kalten“ (50 bis 80 °C) Werkzeug ab, Elastomere und Duroplaste vulkanisieren/vernetzen im beheizten (150 bis 200 °C) Werkzeug (Schritt 2 Nachdrücken und Kühlen). Während der Kühl- bzw. Vernetzungszeit dosiert die Schnecke neues Material nach, die Plastifizierung beginnt von neuem, wäh-

228

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Tabelle 4-5 Richtwerte für das Spritzgießen von Thermoplasten [8] Formmassen

Temperaturen °C

Kurzzeichen:

Masse

Spritzdruck bar

Rückströmsperre

Verschlussdüse

Bemerkungen

PE 0,92 dünnw. dickw. 0,96 dünnw. dickw.

220–260 180–220 260–300 240–280

30–70

600–1500

(+)

(+)

Drücke vom Fließverhalten (Schmelzindex) abhängig

PP TPX

200–300 270–300

30–60 70

800–1800

(+)

(+)

niederviskos > 270 °C

PS SAN SB, ABS ASA

200–250 220–260 200–280 230–280

5–60 50–85 60–90 40–80

600–1800

+

(+)

SB, ABS möglichst hohe Temp., aber nicht überhitzen

PVC hart weich

180–210 170–200

20–60 15–50

1000–1800 300–1500





langsam, evtl. Intrusion, Spritzeinheit korrosionsfest

PCTFE PFA, FEP

200–280 340–360

80–130 120–180

ca. 1500 300–700

(+)

(+)

Spritzeinheit korrosionsfest

PMMA VST 80 VST 110

150–200 180–230

50–65 60–90

700–1000 800–1200 bzw. 1800

(+)

(+)

für hohe Ansprüche Spritzeinheit verchromen, Höchstdruck für optisches Gerät

POM und COP

180–230

60–120

800–1700

+

(+)

Kristallisieren wie PA

PA, alle Sorten

230–290

40–60 ev. 120

700–1200

+

(+)

rasch einspritzen, weite Angüsse. Feinkristallin bei hohen Werkzeugtemperaturen

PC

280–320

85–120

> 800

+

(+)

Trocknen 4 Std./120 °C

PET PBT

260–280 235–270

120-140 30-70

1200–1400 1000–1200

(+) +

(+) (+)

bes. Sorte: mit gekühltem Werkzeug (20-40 °C glasklar amorph)

PPO, modifiziert

250–300

80–100

1000–1400

(+)

(+)

langsam weite Düse

CA, CAB

180–230

40–50

800

+

(+)

verchromte Spritzeinheit

+ zu empfehlen

(+) kann zweckmäßig sein

Werkzeug

– nicht möglich

rend das Werkzeug sich öffnet und Auswerferstifte das erstarrte bzw. vernetzte Formteil auswerfen (Schritt 3). Zusammen ergeben diese zum Teil überlappend ablaufenden Teilschritte den Spritzzyklus. Aus Wirtschaftlichkeitsgründen ist es ein stetes Bestreben, die Zykluszeit im Sinne einer hohen Ausstoßleistung zu reduzieren. Gegenläufige Verfahrensparameter stehen dem bei geforderter höchster Qualität jedoch oft entgegen. So ergibt beispielsweise eine hohe Massetemperatur zwar kurze Formfüllzeiten und eine gute Formfüllung, die Abkühlzeit nimmt aber zu. Also wird man das Werkzeug gut kühlen und die Wanddicke reduzieren. Hohe Kühlraten über dem Wandungsquerschnitt führen leicht zu Eigenspannungen mit

späterer Neigung zur Spannungsrissbildung. Je nach verwendetem Kunststoff hat eine hohe Massetemperatur auch molekularen Abbau zur Folge, beispielsweise mit Einbußen der Schlagzähigkeit beim späteren Bauteil. Mit den vielen anderen Verfahrensparametern, wie sie eingangs zu Kapitel 4.1.3.1 aufgezählt sind, lassen sich ähnliche Verkettungen darstellen. Bild 4-14 zeigt die Verläufe Werkzeuginnendruck, Massetemperatur und Viskosität über der Zykluszeit. Beispielsweise bei 10 Sekunden ist Einspritzbeginn. Bis dahin erhitzt sich die Massetemperatur auf Schmelz- bzw. Fließtemperaturniveau, die Viskosität nimmt auf fließfähig ab.

4.1 Urformen

229

Bild 4-13. Schematische Darstellung des Verfahrensablaufs beim Spritzgießen. (Nach Ankerwerk, Gebr. Goller, Nürnberg in Schreyer)

Bei teilkristallinen Thermoplasten ist wegen Abführung der Kristallisationswärme ein länger dauernder Nachdruck erforderlich. Der Nachdruck gleicht den Volumenschwund beim Abkühlen durch Nachführen von Schmelze teilweise aus. Seine Lage ist damit für die Maßhaltigkeit entscheidend. Bild 4-15 zeigt den Druckverlauf über der Zeit an verschiedenen Orten im Spritzgießsystem. Je weiter der Messort von der Düse entfernt ist, desto geringer ist die Wirkung des von der antreibenden Pumpe erzeugten Druckes. Dieses

Beispiel zeigt, dass die Formmasse örtlich unter sehr unterschiedlichen Druckbedingungen erstarrt. Eine weitere Inhomogenität wird durch die Masse- und Werkzeugtemperatur bewirkt. Die Formmasse verlässt die Düse im Allgemeinen mit einem zeitlich und örtlich schwankenden Temperaturprofil. Bei der Verarbeitung von Thermoplasten ist die Kenntnis über Druck- und Temperaturunterschiede maßgeblich, um Begriffe wie Homogenität, Temperaturkonstanz, Reproduzierbarkeit, Maßkonstanz u. a. m. richtig beurteilen zu können.

230

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Erläuterungen zu Bild 4-14: (1) bis (2) Einspritzvorgang (2) Werkzeug ist volumetrisch gefüllt (2) bis (3) Aufbau des Spritzdruckes (4) Umschalten auf niedrigeren Nachdruck (4) bis (5) Druckabfall (5) Nachdruckniveau ist erreicht (6) Anguss friert ein (Siegelpunkt) (7) Atmosphärendruck ist erreicht, jedoch Eigensteifigkeit des Formteils noch gering, da Glastemperatur noch nicht durchschritten ist. (8) Glastemperatur Tg mit Haupterweichungsbereich (9) entformen möglich, da Steifigkeit groß genug. Formteiltemperatur liegt unter Tg. Bild 4-14. Druck-, Temperatur- und Viskositätsverlauf für einen amorphen Thermoplasten im Spritzgusswerkzeug − angussnah − in Anlehnung an [6] und erweitert

4.1 Urformen

231

Bild 4-15. Druckverlauf über der Zeit an verschiedenen Orten im Spritzgießsystem [7]

Bild 4-16. p, v, T-Diagramm (Zustandsdiagramm). (Druck, Volumen, Temperatur Diagramm) [6] einer amorphen Thermoplastschmelze im Spritzgießwerkzeug (Übertragung aus Bild 4-14; Ziffern 1 bis 7 sind identisch). Aus p-v-T-Diagramm lässt sich auf die Formteilqualität schließen, insbesondere auf die Schwindung. (8) bis (9) Steifigkeit/Festigkeit wird erreicht (Steigungsänderung der Isobaren am Tg), (9) das Teil wird entformt, (10) Umgebungszustand ist erreicht

232

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-17. Prinzipien des Mehrkomponentenspritzgießens

Den Verlauf des spezifischen Volumens über der Massetemperatur mit dem Parameter Druck in der Schmelze eines amorphen Thermoplasten bei freier Schwindung der betrachteten Abmessung zeigt Bild 4-16. Diese Kurven sind für den Kunststoffverarbeiter und den Werkzeugbauer von entscheidender Bedeutung. Geben sie ihnen doch Auskunft über die beim Bau eines Werkzeuges zu berücksichtigenden Übermaße, um später ein maßhaltiges Formteil zu erzeugen.

4.1.3.1.2

Sonderverfahren beim Spritzgießen Helmut Schüle

4.1.3.1.2.1 Mehrkomponentenspritzgießen 1) Man kann das Mehrkomponentenverfahren als Oberbegriff für die Verarbeitung verschiedenartiger Kunststoffe in einem Arbeitsgang sehen. Hierbei werden Kunststoffe unterschiedlicher Farben und/oder Eigenschaften in einem Formteil kombiniert. Das Mehrkomponentenspritzgießen kann im Wesentlichen in die zwei Hauptverfahren − das Verbundspritzgießen und das Sandwichspritzgießen (Co-Injektion) − aufgeteilt werden. Das Co-Injektionsverfahren wird unten näher dargestellt, s. a. Bild 4-17. Das Verbundspritzgießen beinhaltet das Mehrfarbenund Mehrmaterialienspritzgießen. Beim Verbundspritzgießen werden Kunststoffe, die sich im Material oder in der Farbe unterscheiden, gleichzeitig oder nacheinander in ein Werkzeug eingebracht. Die Formmassen können hierbei aneinander oder übereinander gespritzt werden. Beim Aneinanderspritzgießen werden mindestens zwei verschiedene Formmassen nacheinander verarbeitet und aneinander gespritzt. Beim Übereinanderspritzen wird mit dem ersten 1) Schmachtenberg et al. schlagen vor: Montagespritzgießen

Material zunächst ein vollständiger Grundkörper gespritzt, der anschließend von dem zweiten Material partiell überdeckt wird (siehe auch Kapitel 5.2.1 und Bild 4-17).

4.1.3.1.2.2 Co-Injektion Das Sandwichspritzgießen (Co-Injektion), auch Haut-KernVerfahren genannt, zählt zu den Mehrkomponentenspritzgießverfahren. Hierbei wird in eine äußere Hautkomponente ein zweites Material in den Kern eingebracht. Die Prozessführung läuft in mehreren Stufen ab. Die Kavität wird zunächst mit dem Material der Außenhaut teilgefüllt. Danach wird die Kernkomponente in die plastische Seele des eingebrachten Außenmaterials gespritzt. Somit bilden sich der Haut- und der Kernbereich des Formteils. Das Kunststoffteil kühlt ab und wird entformt. Dadurch ermöglicht ist u. a. eine Verarbeitung von Recyclat als Innenmaterial mit gleichzeitig optisch hochwertiger Außenhaut (Bild 4-17). Weitere Vorteile sind u. a. − Masseersparnis bei aufgeschäumtem Kern − die Fertigung des Formteils in einem Zyklus. − unterschiedliche Formmassen (Eigenschaftsprofile) sind kombinierbar − nachteilig ist auftretender Verzug bei unterschiedlichem Ausdehnungsverhalten

4.1.3.1.2.3 Intervallspritzgießen Beim Intervallspritzgießen entstehen Farbeffekte durch ein definiert gesteuertes, abwechselndes Ineinanderfließen von verschiedenartigen, eingefärbten Polymermassen, welche mittels einer dem Werkzeug vorgeschaltete („Twin“)-Mischdüse zusammengeführt werden. Die Farbgebung wird durch eine definiert vorgegebene Taktfolge in Wechselwirkung mit der Angusslage und den rheologischen Eigenschaften beeinflusst.

4.1 Urformen

233

4.1.3.1.2.4 Kaskadenspritzgießen Beim Kaskadenspritzgießen wird über ein Heißkanalsystem mit mehreren in übereinander und/oder nacheinander geschalteten Nadelverschlussdüsen Schmelze mittels eins definierten Zeitablaufs in das Werkzeug gepresst. So wird z. B. nach dem Zufahren des Werkzeuges von drei von außen angesteuerten Nadelverschlussdüsen im Heißkanalsystem zuerst die mittlere, zentral liegende Düse geöffnet und die Formmasse in die Kavität geschoben. Nach Überspritzen der beiden äußeren Anschnitte wird in aller Regel die erste Düse wieder geschlossen und die äußeren, getrennt ansteuerbaren Düsen geöffnet. Das entstehende Bauteil wird somit bindenahtfrei hergestellt. Durch ein sich anschließendes, erneutes Öffnen der ersten Düse wird durch alle drei geöffneten Düsen die Formmasse komprimiert und ein Nachdruck aufgebracht. Nach dem Abkühlen wird das meist großflächige Bauteil entnommen (Robotsysteme). Vorteil: Durch die von außen, fremdbetätigten Düsen können Bindenähte an nicht sichtbare Stellen gelegt bzw. vollständig vermieden werden.

4.1.3.1.2.5 Gasinnendrucktechnik Bei der Gasinnendrucktechnik wird zunächst eine Teilmenge Kunststoffschmelze in die Kavität des Werkzeugs eingespritzt und anschließend ein wiederverwendbares, prozessintegriertes Gas (meistens Stickstoff) mit hohem Druck (bis 300 bar) in das Formteilinnere (plastische Seele) eingebracht. Dadurch wird die noch flüssige Schmelze optimal unter Ausbildung eines Bauteilhohlraums im die Kavität gepresst. Die „plastische Seele“ (Schmelze im Mittelteil der Kavität) erstarrt langsamer als die Außenschichten und kann daher mit dem injizierten Gas (Bild 4-17 und 4-18) verschoben werden. Ausführlich ist das GIT-Verfahren bei Eyerer et al. [11] beschrieben. Angewendet wird das Verfahren bei Spritzgussteilen mit großen Wanddicken, mit partiellen Versteifungen und Rippenkonstruktionen. Durch den Einsatz der Gasinnendrucktechnologie lassen sich die Zykluszeiten insbesondere bei dickwandigen Bauteilen effizient verkürzen. Auch sind nur geringe Zuhaltekräfte (hydraulik- und werkzeugschonend) aufzubringen. Nachteilig ist die Tatsache, dass die entstehende Gasblase meist undefiniert fließt (empirisch zu ermitteln) und u. U. auch Oberflächenmarkierungen entstehen können.

4.1.3.1.2.6 Helga-Verfahren Beim Helga-Verfahren wird statt eines Gases eine patentierte Flüssigkeit verwendet. Die Flüssigkeit wird dabei in die plas-

Bild 4-18. Formfüllvorgang beim GIT-Spritzgießen [5]

tische Seele des Materials eingebracht und verdampft durch die vorliegende hohe Schmelzetemperatur der Formmasse (siehe auch GID-Verfahren).

4.1.3.1.2.7 Gashinterdrucktechnik Das Gashinterdruckverfahren wurde entwickelt, um bei dünnwandigen Formteilen Einfallstellen und Formteilverzug zu verhindern. Während des Einspritzvorganges wird hierzu bei geschlossenem Werkzeug ein Gasdruckpolster aufgebaut, um insbesondere bei dünnwandigen Formteilen Einfallstellen und Formteilverzug zu verhindern. Das Gas gelangt durch in die Werkzeugwandung integrierte, definiert angeordnete Gasdüsen zwischen Formteilrückseite und Kavität. Durch das Gasdruckpolster können Schwindungseffekte auf der Formteilvorderseite (Sichtbereich) vermieden werden.

234

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

gestrebt werden. Beim Formfüllvorgang strömt eine möglichst niedrigviskos eingestellte Schmelze (weist ein günstiges Benetzungsverhalten auf) bei geringem Einspritzdruck in die Kavität. Ein Nachdruck wird nicht aufgebracht. Nach dem Versiegeln im Angussbereich fällt der Werkzeuginnendruck aufgrund der Volumenschwindung rasch ab; das hinterspritzte Dekormaterial wird nur unwesentlich beansprucht (siehe auch Kapitel 5.2.1). Bild 4-19. Verfahrenstechnik Spritzprägen

4.1.3.1.2.11 Inmold-Labeling 4.1.3.1.2.8 Spritzprägen Beim Spritzprägevorgang werden die Werkzeughälften der Spritzgießvorrichtung (Bild 4-19) bis auf den Prägeweg zusammengefahren. Danach wird mit geringem Druck die Schmelze langsam und somit orientierungsarm in das Werkzeug gepresst. Um ein Rückfließen der Formmasse aus der Kavität zu verhindern, wird der Anguss mittels Schieber bzw. Ventilen verschlossen. Der durch das Zusammenfahren des Tauchkantenwerkzeugs aufgebaute hohe Druck formt das Bauteil aus. Durch den eigentlichen Prägeweg wird die thermische Schwindung der Formmasse kompensiert. Das Bauteil (z. B. eine optische Linse) weist geringe Eigenspannungen auf (siehe auch Kapitel 5.2.1).

4.1.3.1.2.9 Hinterpressen Das Hinterpressen, ein Niederdruckverfahren zur Herstellung dekorierter Formteile in einem Arbeitsgang, kann in zwei Verfahrensprinzipien unterteilt werden. Beim Strangablegeverfahren wird ein Schmelzekuchen abgelegt und das eingelegte Dekormaterial durch Schließen des Werkzeuges hinterpresst. Bei der Quellflussmethode wird das üblicherweise eingesetzte Heißkanalwerkzeug mit eingelegtem Dekormaterial bis auf einen engen Spalt zugefahren, die Schmelze langsam eingespritzt und zeitgleich oder nach dem Einbringen zum fertigen Formteil verpresst. Bedingt durch die notwendigen Drücke wird das eingebrachten Dekor schonend beansprucht.

4.1.3.1.2.10 Hinterspritzen Beim Hinterspritzen von verschiedenartigen Polymer- oder Textilfolien wird das Dekormaterial mittels Handlinggeräten in die schließseitige Werkzeughälfte eingelegt. Durch Befestigungsvorrichtungen wird das Dekormaterial für den Prägevorgang exakt positioniert, fixiert und faltenfrei verspannt. Weiterhin sollen eine möglichst niedrige Schmelzetemperatur sowie deutlich reduzierte Werkzeuginnendrücke an-

Beim Inmold-Labeling wird die Formteiloberfläche im Spritzgießwerkzeug mit vorgefertigten Etikettenfolien, auch Labels genannt, dekoriert und/oder beschriftet. Das InmoldLabeling System ist mit Ausnahme der verwendeten Dekorationsfolien und Materialien identisch mit der Verfahrenstechnik des Hinterspritzens (siehe auch Kapitel 4.1.3.2.7).

4.1.3.1.2.12 Inmold-Decoration Beim Inmold-Decorationverfahren wird ein dreidimensionales Kunststoffspritzgussteil während des Spritzvorgangs mit einem mehrfarbigen, vollständigen und endgültigen Dekor versehen. Eine mit Dekor bedruckte und mit weiteren technischen Schichten ausgerüstete Heißprägefolie wird durch das Spritzgießwerkzeug geführt. Bei geöffneter Form wird mit Hilfe von Handling- und Vorschubgeräten das Dekormotiv durch Steuermarken positioniert und fixiert. Beim nun folgenden Hinterspritzen löst sich das Dekor unter dem Einfluss von Druck und Temperatur der Formmasse von der Trägerfolie und verbindet sich mit dem Formteil. Anschließend werden die Spritzlinge fertig dekoriert und der Form entnommen. Während der Entnahme wird die Trägerfolie weitergefahren und erneut für den nächsten Zyklus positioniert.

4.1.3.1.2.13 Insert-Molding Beim Insert-Moldingverfahren handelt es sich ebenfalls um ein Herstellungs- und Dekorationsverfahren für dreidimensionale Kunststoffteile (vergleiche Inmold-Decoration). Insert-Molding vollzieht sich, anders als Inmold-Decoration, in mehreren Stufen. Bei dem Verfahren werden dünne, tiefziehfähige Kunststofffolien verwendet. Sie werden im Heißprägeverfahren dekoriert. Die bereits dekorierte Kunststofffolie wird im Vakuum tiefgezogen und passt sich jeder Form − unabhängig von den anzutreffenden Krümmungsverhältnissen − an. Das entstandene Formteil wird den Konturen des Fertigteils entsprechend gestanzt. Das tiefgezogene Teil muss in seinen Dimensionen exakt auf das Spritzgießwerkzeug abgestimmt sein. Das Formteil wird in die Spritzgießmaschine eingelegt und hinterspritzt.

4.1 Urformen

4.1.3.1.2.14 Schmelzkerntechnik Die Schmelzkerntechnik wird zur Herstellung von Formteilen mit Hohlräumen oder Hinterschneidungen, die mit üblicher Werkzeugtechnik nicht entformbar sind, verwendet. In einem ersten Arbeitsschritt muss der Schmelzkern gegossen werden. Die Schmelzkerne werden in einer Kerngießmaschine aus einer niedrig schmelzenden Legierung – meist einer Zinn-Wismut-Legierung – hergestellt. Danach werden die Schmelzkerne in einem Spritzgießwerkzeug mit Kunststoff umspritzt und schließlich induktiv oder im Heizbad ausgeschmolzen, so dass die Hinterschnitte freigegeben werden und somit das Kunststoffprodukt entstehen kann. Die Schmelztemperatur des Kernes liegt unterhalb der Schmelztemperatur des Spritzgussteils. Die ausgeschmolzene Legierung wird in einen Vorratsbehälter zurückgeführt und erneut zu Schmelzkernen verarbeitet.

4.1.3.1.2.15 Mehrschalentechnik Die Mehrschalentechnik ist ein Herstellungsverfahren, um Hohlkörper mit nicht entformbaren Hinterschneidungen zu fertigen. Prinzipiell werden zuerst Schalen gespritzt, welche üblicherweise in einem nachfolgenden Arbeitsschritt mittels Vibrationsschweißen (Reibung, keine externe Wärmezufuhr), Kleben, Schnappelementen oder Schrauben verbunden werden.

4.1.3.1.2.16 Hybrid-Technik Unter der Hybrid-Technik bei Spritzgussteilen versteht man die gemeinsame Verarbeitung zweier werkstofffremder Komponenten (Metall, Kunststoff) zu einem funktionsgerechten Bauteil. Meist wird ein vorgeformtes Metallteil in ein Spritzgießwerkzeug eingebracht, passgenau fixiert und schließlich umspritzt (Umspritztechnik).

4.1.3.1.2.17 Blechumformen in Kombination mit Spritzgießen (Metall/Kunststoff Hybrid- oder Verbundtechnik [12] bis [16]) Durch die Kombination der beiden Werkstoffe Metall und Kunststoff lassen sich Bauteile und Produkte mit niedrigem Eigengewicht, großer Steifigkeit und hoher Belastbarkeit kostengünstig herstellen. Auch ermöglicht die von Bayer entwickelte, innovative Hybrid-Technologie des Verbundes von Metall und Kunststoff die Konstruktion und Herstellung von Teilen mit komplexer Formgebung bzw. dekorativen und farbigen Oberflächen.

235

4.1.3.1.2.18 Rationellere Produktion durch die Integration von Zusatzfunktionen Metall/Kunststoff-Verbundteile bieten höchste Integrationsmöglichkeiten von Zusatzfunktionen in die Bauteile, wie z.B. die Befestigung von Antrieben, Gehäuseteilen, Dekorflächen, Scharnierteilen, Lagerstellen, Gleitschienen, Kabelklemmen, Schlossaufnahmen, Schnapp- und Schraubverbindungen etc. Dabei kommt ein entscheidender Vorteil des Kunststoffeinsatzes und der Kunststoffverarbeitung in Spritzgießautomaten zum Tragen. Bei herkömmlichen Konstruktionen aus Metall müssen die o. g. Funktionselemente mit hohem Aufwand einzeln hergestellt und montiert werden. In einem Arbeitsgang, in Sekundenschnelle und ohne jegliche Nacharbeit, ermöglicht die Metall/KunststoffHybridtechnik die Integration der o. g. Funktionen in die Kunststoffstruktur. In der Serienfertigung erfolgt dies in demselben Kunststoff-Spritzgießzyklus wie das Spritzen der Kunststoff-Versteifungen und -Verrippungen. Das serienmäßig in Hybrid-Technik hergestellte Frontende des Ford Focus (2003) integriert in Metall-/KunststoffVerbundtechnik 17 Funktionen bei gleichzeitiger 40 %iger Massereduktion und einer Verringerung der Herstellungskosten um 20 %. Goldbacher und Hoffner [13] beschreiben am Beispiel Frontende des Audi A6 die Entwicklung zur Serienreife. Das Umspritzen von Keramik beschreibt [16]. Als Wettbewerbstechnik erweist sich immer mehr die Langfaser-Thermoplast-Presstechnik (LFT-D) mit örtlich eingelegten Endlos-Faserverstärkungen (Glas, Kohlenstoff, Aramid) (siehe 4.1.3.7).

4.1.3.1.2.19 Insert-Technik Unter der Insert-Technik bei den Spritzgießsonderverfahren versteht man das Einbetten von Metall- und Nichtmetallteilen in das Kunststoffteil. Es werden beispielsweise Gewindebuchsen eingesetzt. Die Insertteile werden mittels Handlingund Positionierungsvorrichtungen in das geöffnete Werkzeug eingelegt und in der Regel zu 90 % mit Schmelze eingespritzt. Als eine Anwendung derartiger Bauteile sind Verbindungselemente zwischen zwei Produkten (Buchse zur Befestigung des Formteils) zu nennen. Zur besseren, eigenspannungsfreieren Einbindung von metallischen Inserts werden diese häufig vorgewärmt in das Werkzeug eingesetzt.

4.1.3.1.2.20 LSR (Flüssigsilikon) Spritzgießen LSR (Liquid-Silicon-Rubber → Flüssigsilikon) zählt zur Gruppe der heißvulkanisierenden Kautschuke. Seine Kon-

236

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

sistenz und seine Vernetzungsart machen LSR zu einem Werkstoff mit außergewöhnlichen Verarbeitungsvorteilen. LSR ist eine fließfähige Zweikomponentenmischung. Die Vulkanisation erfolgt als Additionsvernetzung. Die beiden Komponenten des LSR Materials werden mittels Dosieranlage im Verhältnis 1 : 1 einem statisch wirkenden Mischer (Umlenkbleche) zugeführt. Spezielle Silikonschnecken fördern das Material vom Statik-Mixer in den Schneckenraum, von wo es in das beheizte Werkzeug eingespritzt wird. Spezielle Rückstromsperren verhindern ein Zurückfließen des Materials in die Schneckengänge. Im beheizten Werkzeug erfolgt die Vulkanisation innerhalb von Sekunden.

4.1.3.1.2.21 Pulverspritzgießen Beim Pulverspritzgießen werden hochschmelzende Werkstoffe in Pulverform durch Spritzgießen zu Formteilen verarbeitet. Zu den Werkstoffgruppen zählen Metalle, Hartmetalle und Keramik. Ausgehend von feinen Werkstoffpulvern wird durch Vermischen mit Bindern und Zusatzstoffen ein homogenes Granulat hergestellt. Die spritzgießfähige Masse wird ähnlich wie Kunststoff in einer Spritzgießmaschine verarbeitet. Im Vergleich zu Kunststoffen unterscheiden sich die Formmassen für das Pulverspritzgießen durch höhere Wärmeleitfähigkeit, eine höhere Dichte sowie durch höhere Viskosität. Im anschließenden Entbinderungsprozess werden die Spritzgussteile (Grünling genannt) unterhalb ihrer Erweichungstemperatur von Fließhilfsmitteln ohne Dimensionsänderung befreit. Anschließendes Sintern erfolgt bei 1200 – 1800 °C. Dabei findet ein thermisch aktivierter Materialtransport statt, der zu einer Abnahme der spezifischen Oberfläche der Pulverteilchen führt. Hierbei entsteht das Werkstoffgefüge und das Formteil schwindet um den Volumenanteil des Bindemittels. Es besteht die Möglichkeit Oberflächen zu bearbeiten (u. a. polieren). Für eine Vielzahl von Metall- oder Keramikformteilen stellt das Pulverspritzgießen ein äußerst günstiges Fertigungsverfahren dar. Das Verfahren ist einfach zu automatisieren und es entfällt der Materialverlust der spanenden Nachbearbeitung. Es können mit dem Verfahren Spritzgussteile mit Einlegeteilen verarbeitet werden.

4.1.3.1.2.22 Thermoplastschaum-Spritzgießen (TSG) Das Verfahren (physikalisches Schäumen): Mikrozelluläre Schaumkunststoffe lassen sich durch mechanisches oder chemisches Dispergieren eines Gases, in aller Regel Kohlendioxid oder Stickstoff, in der Polymerschmelze herstellen. Ein mechanisches Verfahren, bei dem zu diesem Zweck superkritische Fluide eingesetzt werden, trägt den Namen MueCell (μCell). Weitere physikalische Schäumver-

fahren sind das Optiform- (Sulzer-Chemtech) und das Ergozell-Verfahren (Demag-Ergotech). Der „kritische Punkt“ ist dann gegeben, wenn sich eine Substanz bei Höchsttemperatur und Maximaldruck im Dampf-Flüssigkeits-Gleichgewicht befindet. Ein Gas, dessen Temperatur über seiner kritischen Temperatur liegt, wird zu einem superkritischen Fluid. Kohlendioxid und Stickstoff gehen bei einem Druck von ca. 75 bar bzw. ca. 35 bar in den superkritischen Zustand über und lösen sich in der Polymerschmelze. Durch den Druckabfall beim Einspritzen tritt das Gas aus der Polymerschmelze heraus und bildet eine einheitliche Zellstruktur. Derartige Schäume weisen Zellgrößen zwischen 5 und 100 μm auf und haben ausgezeichnete mechanische Eigenschaften. Beim MueCell-Verfahren lassen sich folgende Vorteile angeben – Stickstoff liefert kleinere Zellen, während Kohlendioxid eine bessere Fließfähigkeit mit sich bringt. Gewichtseinsparungen bis zu 30 % – Bevorzugter Einsatz für dünnwandige Teile – Zykluszeitreduktion bis zu 40 % möglich, der erforderliche Zuhaltedruck bis zu 60 % geringer Um alle Vorteile des physikalischen Schäumens zu nutzen, ist die Werkzeugtechnik (Temperierung, Anguss- und Anschnitt, Entlüftung) zu optimieren und unter Berücksichtigung der zu verarbeitenden Polymermassengemische dem Verfahren anzupassen. Das Werkzeug muss nur den Schäumdruck der expandierenden Masse von 10–20 bar aufnehmen und kann somit ohne großen maschinenbaulichen Aufwand erstellt werden. Die Kühlzeiten von TSG-Teilen sind wesentlich länger als die üblicher Kompakt-Spritzgussteile. Letzteres ist auch der Grund in vielen Fällen Mehrstationenmaschinen mit im Wechsel angesteuerten Schließeinheiten einzusetzen [8] [17] (siehe auch Kapitel 5.2.1).

4.1.3.1.2.23 Molded Interconnected Devices (MID-Verfahren) 3D MID (Molded Interconnect Devices) steht für „dreidimensional spritzgegossene Schaltungsträger“ (ausführlich siehe Kapitel 5.2.1). MID ist eine innovative Idee zur Integration von elektrischen und mechanischen Funktionen auf beliebig geformten, thermoplastischen Schaltungsträgem durch selektive Aufbringung von Metallschichten auf Ein- oder Zweikomponentenkunststoffteilen. Der Grundgedanke der MID-Technik ist die Integration elektrischer und mechanischer Funktionen in einem metallisierten thermoplastischen Spritzgießteil. Elektrische Funktionen sind Leiterbahnen, Steck- und Schleifkontakte oder Abschirmflächen; ein MID kann jedoch auch mechanische Funktionen wie z. B. Befestigungselemente enthalten.

4.1 Urformen

Bild 4-20. Zwei-Komponenten-Spritzgießen: 3 Varianten im Vergleich

Bild 4-21. Heißprägeverfahren, Folienaufbau und Druckkontaktierung

237

238

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

MID können grundsätzlich unterteilt werden in – Zweikomponentenspritzguss – Einkomponentenspritzguss, hier unterscheidet man folgende Verfahren: • Heißprägen • Laserdirektstrukturierung • Maskenbelichtungsverfahren – Folienhinterspritzen (In-Mold-Decoration, IMD) Das Zweikomponentenspritzgießen eröffnet die größte geometrische Freiheit aller MID-Herstellungsverfahren und kommt neben der Heißprägetechnik am häufigsten vor. Beim Zweikomponentenspritzgießen werden zwei Kunststofftypen in einem Formteil kombiniert, von denen ein Kunststofftyp metallisierbar ist. Die Abbildung 4-20 zeigt drei Varianten des Zweikomponentenspritzgusses, das SKWVerfahren (a) und das PCK-Verfahren (b). Beim SKW (Sankyo Kasei Wiring Board)-Verfahren wird der erste Schuss (Vorspritzling) aus einem metallisierbaren Kunststoff aus dem Werkzeug entnommen und mit Palladium Pd bekeimt. Anschließend wird der bekeimte Vorspritzling nochmals in das Werkzeug eingelegt und umspritzt. Der Nachteil dieses Verfahrens liegt in dem zusätzlichen Behandlungsschritt für die Pd-Bekeimung, den höheren Verfahrenskosten, einer niedrigeren Prozesssicherheit und damit verbunden mit höheren Ausschusszahlen. Beim PCBK (Printed Circuit Board Kollmorgen)-Verfahren wird der zu metallisierenden Kunststoffkomponente Pd beigemischt, das als Katalysator für die außenstromlose Metallisierung dient. Infolge des teueren Pd sind damit auch die Rohstoffkosten für die metallisierbare Kunststoffkomponente sehr hoch.

Bei einer dritten Verfahrensvariante (c) werden inhärent metallisierbare Kunststoffkombinationen (z. B. PA6/PA12 oder PA6/PBT) eingesetzt. Der Vorteil der beiden vorgenannten Verfahren gegenüber dem SKW-System ist, dass der Spritzgießprozess nicht für die nasschemische Bekeimung des ersten Schusses unterbrochen werden muss, so dass auch automatische Werkzeuge zur Herstellung von MID verwendet werden können. Zudem können bei diesem Verfahren kostengünstige technische Thermoplaste zum Einsatz kommen.

4.1.3.1.2.24 Metallisierung von MID Die Beschichtung von MID kann auf elektrolytischem, chemischem oder mechanischem (letzteres siehe Tabelle 4-6) Weg erfolgen.

4.1.3.1.2.25 Elektrolytische Metallabscheidung Unter einer elektrolytischen Metallabscheidung versteht man die Gesamtheit aller galvanischen Verfahren, die mittels eines äußeren Stromes arbeiten. Das zu beschichtende Werkstück wird als Kathode gestaltet. Die Abscheidungsgeschwindigkeit galvanischer Elektrolyte ist bedeutend höher als bei der chemischen Abscheidung, so dass insbesondere bei höheren Schichtdicken von 20–35 μm galvanische Elektrolyte eingesetzt werden. Nachteil einer elektrolytischen Beschichtung ist die Notwendigkeit der Kontaktierung. Bei der Metallisierung von MID mit voneinander getrennten dreidimensionalen Leiterbahnen ist die elektrolytische Metallisierung nur durch zusätzliche konstruktive Maßnahmen zur Leiterbahnzusammenführung möglich.

Tabelle 4-6 Vergleich verschiedener Strukturierungsverfahren LIGA

Laserbearbeitung

Feinmechanik

Formgebungsmöglichkeit

dreidimensional durch schräge Belichtungen, Maskenstrukturierung

dreidimensional, Strukturierung mit und ohne Masken möglich

dreidimensional, Strukturierung ohne Masken

Laterale Abmessung

einige Mikrometer

einige Mikrometer

einige Mikrometer

Strukturhöhe

einige Millimeter

einige 100 Mikrometer

einige Mikrometer bis Millimeter

Aspektverhältnis

1–50

1 μm kleine Zykluszeit, geringer Materialverbrauch

mm–μm 100 μm –1 μm Galvanoformung < 100 nm Abformtreue durch variothermen Prozess und Nachdruck

240

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

on der Baugröße möglich bzw. kann der Platz für eine leistungsfähigere Elektronik genutzt werden. Was bedeutet Dünnwandtechnik? Generell lassen sich dünnwandige Bauteile über das Verhältnis von Fließweg zu Wanddicke und die mittlere Wanddicke charakterisieren. Ab einem Fließweg/ Wanddicken-Verhältnis >100 und einer Wanddicke 400 mm werden wegen der zu großen Auftriebskräfte, die zu einer Ovalisierung der Rohre führen können, nicht mehr im Wasserbad, sondern mittels einer Wasserbesprühung (idealer-

weise mit Wasserverdampfung) gekühlt. Eine heute vielseitig angewandte Variante zur Außenkalibrierung von Rohren mittleren Durchmessers stellt die Vakuumtankkalibrierung dar (Bild 4-61). Der Hohlstrang gelangt durch die Kalibrierbuchse in einen geschlossenen Kühltank und durchläuft darin mehrere Kalibrierringe. An dem zu etwa 80 % mit Wasser gefüllten Kühltank wird ein Unterdruck angelegt. Durch die zwischen Rohrinnen- und -außenwand wirksame Druckdifferenz wird das Rohr gegen die Kalibrierbuchse und -ringe gedrückt. Durch exaktes Dosieren des Unterdrucks über ein regelbares Schnüffelventil lassen sich eventuelle Aufweitungen des Rohres in Grenzen halten. Die Innenkalibrierung fixiert den Innendurchmesser des Rohres. Die zur Kalibrierung erforderlichen Anlagekräfte resultieren aus der Schwindung durch Kühlung der Rohrinnenfaser. Der Schwindungsprozess lässt sich durch Dorntemperatur und -länge, Abzugsgeschwindigkeit und zusätzliche Außenkühlung beeinflussen. Generell sind die vom Abzug aufzubringenden Kräfte betragsmäßig größer als bei der Außenkalibrierung.

4.1.3.2.6

Extrusion am Beispiel Polyvinylchlorid – Materialtechnik und Verarbeitung Jan Diemert [16]

Polyvinylchlorid (PVC) ist mit einer weltweit installierten Produktionskapazität von 32 Mio. t einer der bedeutendsten Kunststoffe am Weltmarkt. Seine Vielfältigkeit ist bemer-

272

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-61. Außenkalibrierung mit Vakuumtankverfahren

kenswert. Die Anwendungsgebiete reichen von Fensterprofilen und Rohren über Bodenbeläge und Kabelisolierungen bis hin zu Spielwaren und medizintechnischen Artikeln. Kein anderer Werkstoff lässt sich in seinem Eigenschaftsbild ähnlich weitgehend durch die Zugabe von Additiven, Füllstoffen und Modifikatoren für die Anwendung maßschneidern. Dies hat dazu geführt, dass PVC nicht, wie fast alle anderen thermoplastischen Kunststoffe, beim Rohstofflieferanten oder Compoundeur für die jeweilige Anwendung maßgeschneidert ausgerüstet wird, sondern diese Aufbereitung überwiegend beim Verarbeiter selbst stattfindet. Diese verarbeitungsnahe Aufbereitung bietet viele Vorteile, führt jedoch zu einer unüberschaubar großen Anzahl von unterschiedlichen PVC-Mischungen, Additiven und Füllstoffen. Eigenschaften verschiedener PVC-Polymerisate Je nach Polymerisationsverfahren unterscheidet man die PVC-Typen Suspensions-PVC (S-PVC), Masse-PVC (MPVC) und Emulsions-PVC (E-PVC). Im weit überwiegenden Teil der Anwendungen kommt heute S-PVC zum Einsatz. Als Rückstand aus dem Herstellungsprozess enthält SPVC einen geringen Anteil von 0,05 % bis 0,2 % an Suspensionshilfsstoffen [17], während das im Emulsionsverfahren hergestellte E-PVC ca. 1 % bis 2 % Emulgatorrückstände (meist Metallseifen) aufweist. Das in der Masse polymerisierte M-PVC enthält im Gegensatz zu den vorgenannten PVC-Typen keinerlei Emulgatoren oder Suspensionshilfsstoffe und ist daher gut für transparente PVC-Mischungen geeignet. Neben diesen reinen PVC-Polymerisaten, deren chemische Struktur in Bild 4-62 dargestellt ist, werden in

Anwendungen, die eine erhöhte Schlagzähigkeit erfordern, wie beispielsweise für Fensterrahmenprofile, auch chemisch schlagzäh modifizierte Typen eingesetzt. Durch die Zugabe von Poly-Butylacrylat (PBA) oder nachchloriertem Polyethylen bilden sich elastische Bereiche in der wesentlich härteren PVC-Matrix aus. Eine eventuelle Rissbildung wird in diesen Bereichen aufgefangen. Eines der wichtigsten Kriterien für die Einteilung von PVC-Materialien ist der so genannte K-Wert (DIN53726), der aus der Viskositätsmessung einer Lösung von PVC bestimmt wird. Er hängt direkt mit dem Polymerisationsgrad und damit mit der Molmasse des PVCs zusammen. Er liefert wichtige Informationen über die Verarbeitbarkeit und die notwendige Additivierung des Materials, kann aber gleichzeitig auch zur Bestimmung einer eventuellen Schädigung des PVC-Materials durch eine unsachgemäße Verarbeitung herangezogen werden. Das heute in der Profil- und Rohrextrusion überwiegend zum Einsatz kommende Suspensions-PVC (S-PVC) weist aufgrund des Herstellungsprozesses [17] eine charakteris-

Bild 4-62. Chemische Struktur von Polyvinylchlorid

4.1 Urformen

273

Einen weiterführenden Überblick über verschiedene Stabilisatorsysteme bieten u. a. [19], [20], [21] und Kapitel 3.5.1.22.

Bild 4-63. Morphologischer Aufbau eines Suspensions-PVC-Korns nach [17]

tische Morphologie des entstehenden PVC-Korns auf (siehe Bild 4-63). Die aus Agglomeraten, Domänen und Mikrodomänen bestehenden Unterstrukturen des S-PVC-Korns sind für den späteren Aufbereitungsprozess und die Eigenschaften der PVC-Mischung von großer Bedeutung, da die hierdurch vorhandene Porosität das Eindringen von niedrig schmelzenden Additiven in das Korn erlaubt. Additive für PVC-Mischungen PVC erreicht die heutige Anwendungsbreite nur durch die Vielzahl von unterschiedlichen Additiven und Zuschlagstoffen, die das Eigenschaftsprofil des Grundwerkstoffes PVC sehr weitreichend verändern können. Stabilisatoren und Costabilisatoren Da in unstabilisiertem PVC bereits ab einer Temperatur von ca. 100 °C die Abspaltung von Chlorwasserstoff aus dem PVC-Makromolekül (siehe Bild 4-62) beginnt [18] und viele der möglichen Abbaureaktionen selbstkatalysierend verlaufen, ist eine thermoplastische Verarbeitung von PVC ohne Stabilisatorzugabe nicht möglich. Der traditionelle Stabilisator für Hart-PVC aus den Anfängen der PVC-Verarbeitung ist der cadmiumbasierte Stabilisator, der in den 80er Jahren weitgehend durch Bleistabilisatoren ersetzt wurde. Die Forderung nach dem Verzicht auf Schwermetalle in PVC-Rezepturen führt dazu, dass heute zunehmend schwermetallfreie Calcium-Zink-Stabilisatoren eingesetzt werden [19]. Die vielfältigen Anforderungen an moderne PVC-Mischungen lassen sich jedoch kaum durch einen einzelnen Stabilisator erfüllen, so dass heute vielfach verschiedene Stabilisatorsysteme kombiniert werden. Stabilisatoren werden Mischungen im Bereich von 14 Masse-% beigemischt.

Gleitmittel Man unterscheidet innere und äußere Gleitmittel. Innere Gleitmittel sind mit der Polymermatrix verträglich und reduzieren vorwiegend die Reibung im Inneren des Materials und damit die Schererwärmung. Um die hierfür notwendige Verträglichkeit mit dem polaren Basispolymer PVC zu erreichen, sind innere Gleitmittel meist polare Substanzen. Äußere Gleitmittel hingegen verringern vorwiegend die Reibung zwischen dem Polymer und der den Fliesskanal begrenzenden Metalloberfläche. Sie sind mit dem Basispolymer weniger verträglich, so dass sie überwiegend an der Grenzfläche zum Metall wirken. Diese äußere Wirkung wird durch eine gezielt eingestellte Unverträglichkeit mit dem polaren Basispolymer erreicht. Äußere Gleitmittel sind daher vorwiegend chemisch unpolar. Marktgängige Gleitmittel sind in feinen Abstufungen zwischen rein äußerer und rein innerer Wirkung und damit auch in sehr unterschiedlicher Polarität erhältlich. Üblicherweise kommen als Gleitmittel höhere Alkohole, höhere Fettsäuren, gehärtete Fette und Ester zum Einsatz. Sie werden verarbeitungsfähigen Mischungen in Zugabenmengen von 0,2 % bis 2 % zugesetzt. Einen weiterführenden Überblick über verschiedene Gleitmittelsysteme bietet u. a. [22] und Kapitel 3.5.1.9. Säurefänger Säurefänger haben in PVC-Mischungen die Aufgabe, die durch die unvermeidlich ablaufenden Abbaureaktionen im PVC frei werdenden Säuren (vorwiegend HCl) zu binden. Hierzu werden überwiegend Metallseifen eingesetzt, die auch eine leicht stabilisierende Wirkung aufweisen. Füllstoffe für PVC-Mischungen Füllstoffe stellen in vielen PVC-Mischungen einen bedeutenden Mengenanteil dar. So werden in einzelnen Anwendungen Füllstoffgehalte von bis zu 60 Masse-% erreicht. Füllstoffe werden PVC-Mischungen sowohl aus technischen als auch aus wirtschaftlichen Gründen zugesetzt. Sie beeinflussen u. a. Dichte, Steifigkeit, Schlagzähigkeit, Oberflächenhärte, Schwindung und die thermischen Eigenschaften wie Wärmeleitfähigkeit und Wärmekapazität einer PVC-Mischung [23]. Technisch und wirtschaftlich interessant sind in der PVC-Verarbeitung vor allem Calciumcarbonat-Füllstoffe (Kreiden), wobei hier zwischen natürlichen, abgebauten Kreiden unterschiedlicher Korngröße und synthetischen, chemisch hergestellten Kreiden unterschieden wird, siehe auch Kapitel 3.5.2.

274

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Synthetische Kreiden entstehen u. a. als Abfallprodukte bei der Herstellung von Soda. Sie unterscheiden sich vor allem durch eine feinere Partikelgröße und eine größere Oberfläche von natürlichen Kreiden und sind daher schlechter in der Schmelze dispergierbar. Ihre Zugabemenge ist daher häufig geringer als bei natürlichen Kreiden. Natürliche, abgebaute Kreiden sind in ihrer Kornstruktur durch den Aufbereitungs- und Veredelungsprozess für die verschiedenen Anwendungen einstellbar. Viele Füllstoffe werden mit dem Ziel einer Verbesserung der Verarbeitung mit einem Coating überzogen. Hierdurch werden die Anziehungskräfte der Partikel untereinander vermindert und eine verbesserte Dispergierbarkeit im PVC erreicht. Überwiegend kommen für Füllstoffe auf Carbonatund Oxidbasis Fettsäuren und Fettsäureester und für Füllstoffe auf Silikat- und Hydroxidbasis Silane, Titanate und Chromkomplexe zum Einsatz. Die Zugabemenge der Coatingsubstanz bezogen auf die Menge des eingesetzten Füllstoffs beträgt bis zu 3 Masse-%. Wie alle feinen Pulver können auch anorganische Füllstoffe aufgrund ihres chemisch-morphologischen Aufbaus in gewissen Mengen Wasser aufnehmen. Feuchtigkeit kann dabei sowohl an der sehr großen Kornoberfläche angelagert werden als auch in die Kornstruktur eindringen bzw. als Kristallwasser in die Kristallstruktur eingelagert werden. Durch den Einsatz von Coatings wird die Feuchtigkeitsaufnahme insbesondere in das Korninnere deutlich reduziert, siehe auch Kapitel 3.5.2. Aufbereitung von PVC-Mischungen Die Aufbereitung von verarbeitungsfähigen PVC-Mischungen erfolgt, wie eingangs geschildert, überwiegend direkt beim Verarbeiter. Hier wird das PVC-Grundmaterial mit den Additiven oder Additivmischungen, Weichmachern, Füllstoffen und eventuell weiteren Zuschlagstoffen unter Einsatz von Heiz-/Kühlmischer-Kombinationen vermischt [24], siehe auch Kapitel 3.5. In einem ersten Schritt werden die Mischungsbestandteile im Heizmischer unter Zufuhr von überwiegend mechanischer Energie auf eine Temperatur von ca. 90 –120 °C erhitzt. Hierbei schmelzen die niedrig schmelzenden Bestandteile wie Gleitmittel auf und diffundieren in das PVC-Korn ein [17]. Die bei diesen Temperaturen nicht schmelzbaren Bestandteile wie Füllstoffe und einige Stabilisatoren werden dabei an der Oberfläche des Korns angelagert. Um ein Agglomerieren der in diesem Zustand klebrigen PVC-Körner zu verhindern, wird die fertige Mischung im Kühlmischer unter weiterem Rühren auf niedrigere Temperatur herabgekühlt. Die in diesem Prozess hergestellten Mischungen werden Dryblends genannt.

Extrusion von PVC-Mischungen Der weit überwiegende Teil des hergestellten PVC wird im Extrusionsprozess zu Produkten wie beispielsweise Rohren, Tafeln und Profilen für den Bausektor weiterverarbeitet. Die Verarbeitung von PVC-Dryblends für weichmacherfreies Hart-PVC erfolgt dabei fast ausschließlich auf gegenläufigen Doppelschneckenextrudern, die in ihrer Verfahrenstechnik ideal auf die Bedürfnisse des Materials abgestimmt sind. Die sich aus der Schneckengeometrie der gegenläufigen Doppelschneckenextruder ergebende Kammerförderung erlaubt eine schonende Plastifizierung bei einer für PVC wichtigen exakten Temperaturkontrolle [25]. Die Kundenforderung nach höheren Durchsatzleistungen bei gleicher Maschinengröße und die gleichzeitig steigende Rezepturvielfalt haben in den letzten Jahren neue Anlagenkonzept notwendig gemacht, wobei die Entwicklung hin zu längeren Vorwärmzonen in der Schnecke geht [26]. Die meist aus wirtschaftlichen Gründen weiter steigenden Füllstoffanteile und die in ihrer Additivierung auf das Notwendigste reduzierten PVC-Rezepturen verkleinern das hierdurch gewonnene Verarbeitungsfenster jedoch zusehends bzw. machen rezepturspezifische Schneckenauslegungen notwendig, die bei immer größer werdender Produktvielfalt und dadurch kleiner werdenden Losgrößen einen hohen Umrüstaufwand und hohe Investitionen erfordern. Gerade im Vorwärmbereich der Schnecke und im Bereich beginnender Plastifizierung verspricht die Mikrowelle im Extruder eine Lösung der aufgeführten verfahrenstechnischen Probleme. Ihre nicht auf Wärmeleitung basierende Energieübertragung erlaubt einen guten Energieeintrag in schlecht wärmeleitende kompaktierte Pulverschüttungen, wie sie in diesem Teil des Plastifizierprozesses im Extruder vorliegen. Zur Vertiefung informiert Diemert, J. [16].

Weiterführende Literatur Häder W (2007) Maschinenbau folgt Werkstoffentwicklung – Neue PVC-Typen. Kunststoffe 97(2007)4, S 82–85 Müller H (2006) Calciumcarbonat – Joker in der PVCExtrusion. Kunststoffe 96(2006)12, S 62-66

4.1.3.2.7

Blasformen Helmut Schüle

Beim Blasformen werden extrudierte, extrusionsgeblasene oder spritzgegossene schlauch- oder reagenzglasförmige Vorprodukte im thermoplastischen oder thermoelastischen Temperaturbereich mittels Blasluft und – je nach vorliegender Bauteilgeometrie – mechanischen Streckhilfen (Spreizvorrichtung, mechanisch/pneumatisch gesteuerte

4.1 Urformen Verstreckstempel) zwei oder mehrteiligen, intensiv gekühlten Blaswerkzeugen zu Hohlkörpern ausgeformt. Neben Extrusions-, Spritz-, Tauch- und Kompressionsblasformen kommt auch das derzeit wirtschaftlich bedeutende Spritzstreckblasformen (PET-Flaschenherstellung) zur Anwendung. Extrusionsblasformen (Bild 4-64) Beim Extrusionsblasformen (verarbeitet werden vorzugsweise Polyolefine, PVC, PC, SB, TPU) werden Hohlkörper mit einem Volumen von wenigen ml bis zu 10000 l hergestellt. Zum Einsatz kommen zur Schmelzeplastifizierung hauptsächlich die sich durch ein fördersteifes Betriebsverhalten auszeichnenden Nutbuchsenextruder (temperierte Förderschnecken u. U. bei PVC, VPE erforderlich). Grundsätzlich können alle Polymerformmassen, welche eine ausreichend hohe Scherviskosität aufweisen, verarbeitet werden. Es muss lediglich gewährleistet sein, dass der Vorformling während des Ausstoßvorgangs (mehrerer Sekunden freies hängen) sein eigenes Gewicht tragen kann und gleichzeitig kein unkontrolliertes Auslängen bzw. Durchhängen auftritt (ausreichend hohe Schmelzefestigkeit bzw. Scherviskosität). Das Ausdrücken der Schmelze aus dem Extruder zum Schlauch, auch Vorformling genannt, kann kontinuierlich als

Bild 4-64. Prinzipielle Darstellung des Extrusionsblasformverfahrens nach Bayer

275

auch diskontinuierlich (Speicherbetrieb) erfolgen. Der schlauchförmige Vorformling wird nach Erreichen der erforderlichen Länge vom Werkzeug aufgenommen, positioniert und abgetrennt. Je nach Klebrigkeit der Polymerschmelze erfolgt das Abtrennen durch einen Messer-(Scheren)Kaltschnitt oder nach dem Glühdrahtverfahren. Der Schlauch wird zwischen zwei beweglichen Hälften des Blaswerkzeugs eingequetscht, mittels Druckluft (bis ca. 8 bar) aufgeblasen und an die ausformende Werkzeuginnenwandung gepresst. Der Abkühlvorgang des Blasteils wird durch die mit Wasser oder Öl temperierte Werkzeuginnenwand beschleunigt. Die Druckluft (tiefgekühlte Luft, CO2, Stickstoff möglich) wird meist über einen Blasdorn, welcher gleichzeitig als Kaliblierdorn die Entformungsgeometrie der Behältergeometrie fixiert, eingebracht. Bei technischen Teilen erfolgt die Einbringung der Druckluft auch über definiert vorgegebene, in ihrer Lage beliebig gewählten Nadeldüsen (nachträgliches Verschweißen der Einstichstelle möglich). – Kontinuierliche Betriebsweise Hohlkörper mit einer Masse von weniger als zwei Kilogramm (entspricht einem Hohlkörpervolumen von ca. 25 l) werden aufgrund der möglichen Extruderdurchsatzleistung in einem kontinuierlich ablaufenden Prozess hergestellt. Der austre-

276

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

tende Schlauch (eine Mehrstrangextrusion ist möglich) muss nach Erreichen seiner erforderlichen Länge abgeschnitten bzw. über eine Schneidkante am Werkzeug abgequetscht werden. Das den Schlauch aufnehmende Werkzeug bzw. Schließeinheit muss in einem weiteren Schritt ausreichend wegbewegt (horizontal, vertikal) werden, so dass die kontinuierliche Schlauchherstellung störungsfrei durchgeführt werden kann. Auch ein Wegtransport des Schlauchsegments mittels Transportzange oder eines Robot-Schlauchmanipulators ist möglich. Eine Mehrschichtcoextrusion (bis neun Schichten) ist – sofern mechanische und/oder Barriereeigenschaften (Sauerstoff, Wasserdampf, Inertgas) erforderlich sind – technisch umsetzbar. Hierbei werden vorzugsweise (ineinanderschachtelbare) Mehrschichtwendelverteiler eingesetzt. Neben dem Mehrschichtenaufbau wird mittels verschiedener Fluorierungstechnologien versucht, die gewünschten Permeabilitätswerte in der Wandschicht zu erreichen (InLine und On-Line Fluorierung, Trichterlösung mit aufschmelzenden Flourlaminatschichten, Plasmapolymerisation der Bauteiloberflächen, Morphologiesteuerung bzw. definierten hetrophasischen Aufbau der Basispolymeren – meist PA/PE). – Diskontinuierliche (intermittierende) Betriebsweise Bei größeren Blasformteilen (Volumen bis 15000 m3, Monoschichtaufbau) erfolgt die Schlauchherstellung aufgrund der

zu geringen Ausstoßleistung des Extruders nicht mehr kontinuierlich. Der Vorformling (Schmelzeschlauch) kühlt bei einer derartigen Fahrweise am unteren Ende signifikant ab und wird meist durch sein Eigengewicht zusätzlich noch ausgelängt. In diesem Falle arbeitet man mit einem Schmelzespeichersystem (Akkubetrieb) (Bild 4-65). Beim Blasformen mit Schmelzespeicher wird die Schmelze zunächst in einen Speicher gefördert, aus dem sie anschließend innerhalb kurzer Zeit als Vorformling ausgestoßen wird. Derartige Speichersysteme werden von den Maschinenherstellern in verschiedenen Ausführungen angeboten. Der Kolbenspeicher ist grundsätzlich zwischen Extruder und Schlauchkopf angeordnet oder als Ringkolbenspeicher im Blaskopf integriert. Vorteilhaft ist die Verwendung von Pinolen- bzw. Wendelverteilerwerkzeuge, welche eine Ansteuerung des Düsenaustrittsspalts von außen zulassen (hydraulische Wanddickensteuerung, u.a.). Der austretende, bindenahtfreie Schlauch kann somit in seiner Wanddicke hinsichtlich den lokal erforderlichen Verstreckraten optimal und somit werkstoffsparend angepasst werden. In praxi sind auch Schubschneckeneinheiten insbesondere bei der Herstellung von kleinen, massegenau herzustellenden Hohlkörper, anzutreffen. Diese Verarbeitungseinheiten arbeiten prinzipiell wie Spritzgießaggregate. Durch einen Schneckenrückzug während des Plastifizierens wird ein Speichervolumen vor dem Fördersystem freigeben und

Bild 4-65. Akku-Speicher nach Em-Chemie

4.1 Urformen durch einen definiert vorgegebenen, sehr genau einhaltbaren Schneckenvorschub wird die erforderliche Schmelzemenge schnell ausgestoßen. Überragende Bedeutung beim Blasformen kommt derzeit dem platzsparenden, bei der Monoschichtextrusion anzutreffenden Radialakkuspeicher zu (Mehrschichtakkusysteme sind in der Patentliteratur beschrieben, finden jedoch aus Kostengründen keine Anwendung). – Sonstige maschinenspezifische Gegebenheiten Neben der axialen Wanddickensteuerung haben sich die Verfahren der partiellen Wanddickensteuerung und der dezentrierbaren Düse, der Einsatz statisch flexibler Düsenringe sowie die Profilierung von Düse und Dorn etabliert. Zur Regulierung der axialen Wanddicke wird die Spaltweite am Düsenmund variiert. Dies geschieht über eine hydraulisch oder pneumatisch angetriebene Mechanik, die bei Pinolen-Blasköpfen die axiale Position der Pinole verändert; bei Dornhalter-Blasköpfen muss die äußere Hülse am Düsenmund verschoben werden. Der Fließkanal ist an diesen Positionen im Werkzeug konisch ausgeführt (somit verändert sich die Spaltweite).

277

Zum Einführen des Dornes in den Schlauch gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Einmal kann der Schlauch bei geöffnetem Werkzeug über den Dorn extrudiert oder, durch Handhabungsgeräte geführt, aufgesteckt werden. Als zweites besteht die Möglichkeit den Dorn in den vom Werkzeug bereits eingeschlossenen Schlauch zu drücken. Blaswerkzeuge sind aus Stahl oder gegossenen Nichteisenlegierungen gefertigt. Bevorzugt werden zur Herstellung solcher Werkzeuge Materialien eingesetzt, die sich durch eine gute Wärmeleitfähigkeit auszeichnen. Im Bereich der Quetschkanten unterliegen die Werkzeuge einer hohen Beanspruchung, da dort die Schmelze verdrängt werden muss. Diese mechanisch stark beanspruchten Segmente sollten daher auswechselbar und aus einem verschleißfesten Werkstoff hergestellt werden. Die Quetschkanten sind nicht scharfkantig, sondern als planparallele Flächen mit einer Breite von 0,1 bis ungefähr 2 mm ausgebildet. Die Auslegung ist abhängig von dem zu verarbeitenden Material, der Größe und der Wanddicke des herzustellenden Blasteils. Die automatische Butzenabtrennung in der Maschine gehört heute zur Standardausrüstung vieler Anlagen. Das

Bild 4-66. Prinzipdarstellung eines Blaswerkzeuges nach BASF in Kunststoffverarbeitung

278

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Werkzeug der Stanzeinrichtung ist der Kontur des Blasteils angepasst. Durch eine Stoßbewegung entfernt es den Butzen genau an den dafür vorbereiteten Quetschkanten. Durch die Taktung der Stanzeinrichtung kann eine geordnete Weitergabe des Blasteils an Folgeeinrichtungen erfolgen. – Sonderverfahren 3D-Verfahren (Bild 4-67) Typische Blasformteile für Anwendungen im AutomobilMotorraum sind Luftführungen d.h. häufig mehrdimensional gekrümmte Rohre, für deren wirtschaftliche Herstellung verschiedene Technologien entwickelt wurden. Bild 4-67. Vergleich eines 3D-Blasteils mit einem Standardblasteil nach Bekum

Schlauch-Ablegeverfahren Der Vorformling wird in die Kavität eingelegt, so dass er im wesentlichen schon die Kontur des späteren Formteils hat. Schlauchmanipulation mit Roboter Alternativ zum Schlauch-Ablegeverfahren kann der Vorformling auch von einem Roboter erfasst und segmentweise in die Kavität der Hohlköperform eingelegt werden. Saugblasverfahren Bei diesem Verfahren wird der am unteren Ende abgequetschte Vorformling/Schmelzeschlauch mit innerer Stützluft-Unterstützung direkt in die geschlossene Kavität extrudiert. Das Durchziehen des Vorformlings durch die Kavität wird von einem Saug-Luftstrom bewirkt, der durch ein SaugGebläse am unteren Ende der Kavität erzeugt wird. Sequentielles Blasformen (Bild 4-69) Beim sequentiellen Blasformen fließen meist zwei in ihren mechanischen Eigenschaften (biegesteif/starr) sehr unter-

Bild 4-68. Tandem Blow nach Bekum

Bild 4-69. Sequentielle Coextrusion nach Bekum

4.1 Urformen

279

schiedliche Polymerformmassen, zeitgleich plastifiziert, nacheinander definiert aus einem Schlauchkopf. Die Übergangsphase beim Wechseln der beiden Schmelzen beträgt bei der Einspeisung lediglich eine Bauteilstrecke von wenigen Millimetern. Bottlepack-Verfahren Beim Bottlepack-Verfahren erfolgt in einem Arbeitsgang das Herstellen der Flasche, das Füllen mit einer Flüssigkeit und das Versiegeln der Flasche. Eine Sterilisierung des Hohlkörpers einschließlich Füllgut ist prinzipiell möglich. Maschinen für aseptische Abfüllung von flüssigen, nicht-karbonischen und mikrobiologisch empfindlichen Produkten arbeiten üblicherweise mit einer Sterilisierung (H2O2-Aerosol und Heißwasser). Bei den Verschlussmaterialien – sofern nicht verschweißt – kommen derzeit Aluminiumsiegel (mit Heißsiegellack beschichtet) oder Schraubverschlüsse (kostengünstig) zur Anwendung. Tandem-Blow-Prinzip (Bild 4-68) Beim Tandem-Blow-Prinzip wird die Herstellung von zwei Artikeln aus einem Extrusionsschlauch ermöglicht. Das Boden-an-Boden Blasen von Artikeln erhöht bei den Einund Doppelstationanlagen die Wirtschaftlichkeit signifikant. In-Mold Labeling Hierbei wird pro Formenkavität vor dem Blasvorgang an der Innenwand der Blasformen (mit Vakuumdüsen versehen) ein Label mit der thermoplastischen Schmelze verklebt bzw. verschweißt und bildet nach dem Ausformen mit dem Hohlkörper eine Einheit. Aseptik Die aseptische Behälterproduktion (vornehmlich Lebensmittelbereich) minimiert die Bakterienverunreinigung und verlängert die Produkthaltbarkeit ggfs. in Verbindung mit einer Mehrschichtcoextrusion in aller Regel um mehrere Monate. Portalmaschinen Portalmaschinen werden für die Herstellung von sehr großen Hohlkörpern eingesetzt. Der rheologisch optimierte Schlauchkopf wird dabei zeitgleich von zwei Extrudern mit Schmelze versorgt. Extrusionsstreckblasen Aus dem extrudierten Schlauchvorformling wird zunächst ein Hohlkörpervorformling hergestellt, der bereits die Mündungsform der herzustellenden Flasche aufweist, dessen Länge und Durchmesser aber kleiner sind (Bild 4-70). Dieser

Bild 4-70. Schematischer Ablauf des Extrusionsstreckblasformens (Werkfoto: Battenfeld-Fischer, SIG) A: Extrusion des Schlauchvorformlings; B: Blasen und Konditionieren des Vorformlings; C: mechanische Längsverstreckung des Vorformlings; D: Fertigblasen des Vorformlings und Abkühlen in der Streckblasform;

wird in einem konditionierten Vorformwerkzeug blasgeformt und auf eine formmassenspezifische Verstrecktemperatur vorgewärmt und nach Abtrennen des Butzens in das Streckblaswerkzeug übergeben. Dort wird er in einem weiteren Verfahrensschritt während eines eingeleiteten Aufblasvorgangs mit Hilfe eines mechanischen Stempels definiert längs gestreckt und schließlich zum fertigen Höhlkörper ausgeformt. Nach dem Abkühlen erfolgt das Auswerfen des formstabilen Bauteils. In manchen Anwendungsfällen wird zwischen der Herstellung des Vorformlings und dem Streckformvorgang eine eigene Station für den Konditioniervorgang zwischengeschaltet. Insbesondere ist dies notwendig sofern die umzuformende Polymermasse lediglich ein nur wenige Kelvin betragendes Temperaturfenster (hohe Dehnfähigkeit ist gewährleistet) zum optimalen Verstrecken im thermoelastischen Bereich aufweist (vorzugsweise bei teilkristallinen Thermoelasten). Die durch das biaxiale Verstreckteil eingebrachten Orientierungen werden in hohem Maße bei dieser Umformtechnik eingefroren. Diese Vorgehensweise führt zu günstigen Eigenschaftswerten insbesondere bei Steifigkeit, Schlagzähigkeit, Transparenz, Glanz, Gassperreigenschaften sowie bei der Berstdruckfestigkeit. Die betragsmäßige Zunahme der mechanischen Gebrauchseigenschaften hat auch eine Verringerung

280

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-71. Ablauf beim Spritzstreckblasformen nach Krones

des Formmasseneinsatzes (bis zu 15 %) bei zufriedenstellenden Hohlkörpereigenschaften zur Folge. Nachteilig ist bei den so hergestellten Bauteilen das Vorliegen von Abquetschund Schweißnähten (mechanische und optische Schwachstellen). Spritzgießstreckblasformen Beim Spritzgießstreckblasformen werden in einem ersten Verfahrensschritt Vorformlinge (Preforms) mit herkömmlichen Spritzgießmaschinen hergestellt (Heißkanalwerkzeuge mit fremd- bzw. außenangesteuerten Nadelverschlussdüsen, bis zu 256 Kavitäten). Im nachgeschalteten Arbeitsgang werden diese reagenzglasförmig ähnlich vorliegenden Spritzlinge temperiert (thermoelastischer Temperaturbereich) und unter Verwendung eines mechanischen Stempels (mit integrierten Blasdüsen) in Längsrichtung verstreckt (gereckt) und gleichzeitig in Umfangsrichtung azimutal aufgeblasen. Die dabei entstehende biaxiale Orientierung im „Streckling“ wird durch ein schnelles Abkühlen fixiert (eingefroren) und bestimmt somit in hohem Maße das physikalische Eigenschaftsprofil des hergestellten, stets rotationssymmetrisch vorliegenden Formteils. Die maximal anzutreffenden Streckgrade in Radialrichtung betragen derzeit bei PET bis Faktor 6, bei PVC bis Faktor 3 (Bild 4-71). Prinzipiell werden beim Spritzstreckblasformen zwei Anlagensysteme angetroffen – Bei der einstufigen Streckblasmaschine ist die konventionelle Spritzgießmaschine unmittelbar mit der Streckblaseinheit verkettet. Die Hohlkörper werden in einem Fluss

Bild 4-72. Einstufen-Anlage beim Spritzstreckblasformen [14]

(ersten Wärme) hergestellt. Die Kapazitäten der einzelnen Verfahrensstufen müssen aufeinander abgestimmt sein (Bild 4-72). – Bei der zweistufigen Ausformanlage werden die Preforms in einer Spritzgießmaschine urgeformt. Das Ausformen der Preforms erfolgt in aller Regel örtlich und zeitlich getrennt von der Herstellung. Die Hohlkörperherstellung erfolgt somit in der zweiten Wärme (Bild 4-73).

4.1 Urformen

281

Bild 4-73. Mehrstufenanlage beim Spritzstreckblasformen nach SIG

Bedingt durch die geforderten hohen Produktionszahlen (30000 Flaschen pro Stunde) kommt insbesondere das ZweiStufenverfahren in praxi zur Anwendung. Ziel bei der Herstellung von Preforms mit diesem Verfahren ist insbesondere die Einhaltung charakteristischer Qualitätsmerkmale. Zu nennen sind keine Gratbildung längs des Vorformlings (Trennebene beim Werkzeug deshalb um 90° versetzt), Wanddickenkonstanz bei geringster Exzentrizität sowie bei bei PET-Verarbeitung geringe Kristallinität (Transparenz).

Literatur zu Kapitel 4.1.3.2 [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9]

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282

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

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Ticona Technologie Literatur, CD „Digital Information Services“. C.2.1 – Beilage Heißkanalhersteller und Systemlieferanten. Die Beilage zeigt eine Adressenzusammenstellung und eine tabellarische Beschreibung der jeweiligen Heißkanalsysteme von Heißkanalherstellern und Systemlieferanten in Amerika und Europa. Ticona GmbH, Kelsterbach Ticona Technologie Literatur, CD „Digital Information Services“. C.2.1 – Beilage Verarbeitungshinweise. Spritzgussformteile aus technischen Kunststoffen lassen sich mit marktüblichen Heißkanalsystemen herstellen. Je nach einzusetzendem Material sind besondere Ausführungen und Einschränkungen bei den Heißkanalkomponenten sowie bei den Prozessparametern zu berücksichtigen. Ticona GmbH, Kelsterbach Wiedmann W (2006) Drehmoment oder Volumen? WellenNaben-Verbindung eines ZSK 380 Megacompounders. Kunststoffe 96(2006)12, S 58–61

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4.1.3.3

Kalandieren Helmut Schüle

In der Aufbereitung und Weiterverarbeitung von GummiCompounds sowie PVC-Dryblends nehmen Walzenmaschinen eine wirtschaftlich überragende Stellung ein. Walzwerke werden als chargenweise arbeitende Plastifiziermaschinen eingesetzt. Es werden hierbei „Walzfelle“ hergestellt, welche in gerollter Form als so genannte Puppe zum Speisen des ersten Kalanderwalzenspalt diskontinuierlich zugegeben werden (siehe Elastomerverarbeitung). Der Kalander dient zur Herstellung von kontinuierlich bandförmigen Halbzeugen (PVC-Dachbahnen, Bodenbeläge, Gummireifen, gummierte Textil- oder Stahlcordgewebe). Beim Kalandrieren werden neben Elastomeren insbesondere auch Thermoplaste verarbeitet, welche einen breiten Erweichungstemperaturbereich aufweisen (vorzugsweise amorphe Formmassen) und darüber hinaus zusätzlich eine ausreichend hohe Scherviskosität (Schmelzefestigkeit) besitzen (PVC mit und ohne Weichmacher, schlagzähes PS, ABS aber auch modifizierte Polyolefine).

283

Bedingt durch ein definiertes, sehr enges Verarbeitungsverweilzeitspektrum im plastifizierenden Walzenspalt und die sich daraus ergebende Einsparung von teuren Thermostabilisatoren bei gleichzeitig hohen Durchsatzleistungen werden deshalb vorzugsweise thermolabile Polymermassen verarbeitet. Die Bauform eines Kalanders, d. h. die Zahl und Anordnung der Walzen, hängt sowohl von der zu verarbeitenden Polymermischung als auch von der Folienspezifikation (Dicke, Toleranzen, dubliert, laminiert, mehrlagig) des Endproduktes ab. Gebräuchliche Bauarten sind in Bild 4-74 schematisch dargestellt. Technische Gummi-Teile werden auf I-, S-, und F-Kalander hergestellt. Der L-Kalander wird bei der PVC-Verarbeitung bevorzugt eingesetzt. Vorteilhaft ist der kurze Beschickungsweg (unterste Spalt). Als Nachteil zeigen sich hierbei jedoch die aufsteigenden Dämpfe (Weichmacher, niedermolekulare Funktionsstoffe, Oligomere), welche die oberen Produktionswalzen belegen (Kondensat, Sublimat) und dadurch zu Folienmattstellen führen können. Werden die Ablagerungen nicht unmittelbar durch sofortiges Anhaften an dem zu kalandrierenden Produkt mit wegtransportiert, muss bei Vorliegen einer kritischen Belagdicke schließlich in unregelmäßigen Zeitabständen eine meist manuell vorgenommene Abwischreinigung während der laufenden Produktion (in aller Regel Dauerläuferprodukt) durchgeführt werden. Für Feinfolien (30–800 μm) werden üblicherweise 4-Walzen-Kalander eingesetzt. Die Polymerschmelze wird grundsätzlich umso schonender und maßhaltiger geformt, je mehr Walzenspalte durchlaufen werden. Die einzelnen Walzen werden in aller Regel getrennt angetrieben und mit hoher Konstanz auf Temperatur gehalten. In jedem Walzenspalt findet dabei ein Plastifizier- bzw. Knetvorgang statt. Beim Zulauf in einen im Vergleich zur ankommenden Folienbahn engeren Walzenspalt bildet sich zunächst aufgrund eines Masserückstaus ein Wulst. Dieser Schmelzeknet, der aus mehreren sich überlagernden Schmelzewirbeln besteht, breitet sich dabei seitlich im Walzenspalt aus. Ein seitliches Abfließen von den Walzen kann ggfs. durch Begrenzungselemente unterdrückt werden. Da der oben beschriebene, sich auf die Homogenität auswirkende Schmelzeknetvorgang in jedem Walzenspalt vorliegt, entstehen ständig neue, schließlich auch hochwertige Produktoberflächen. Die Friktion (Verhältnis der Geschwindigkeit von Nachwalze zur Vorwalze) beträgt meist 1,05 bis 1,2 und dient neben einer sicheren Folienführung auch und insbesondere im ersten Walzenspalt zusätzlich zur Homogenisierung (Kneten und Scheren). Da andererseits in jedem Walzenspalt sehr hohe Linienkräfte vorliegen, muss der Kalanderstuhl insgesamt hohe Spreizkräfte aufnehmen. Um Deformationen und daraus

284

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-74. Kalanderbauarten

resultierende Foliendickenschwankungen zu vermeiden, wird eine massive Bauweise mit sehr großen lichten Abmessungen bei diesen Verarbeitungsmaschinen angetroffen (Bild 4-75). Anmerkung: Kalanderwalzen sind aufgrund ihrer Arbeitsweise im Vergleich zu Extrusionswalzen (siehe auch Extrusion) deutlich stärker dimensioniert! Grundlegendes zur Kalanderverfahrenstechnik Der erste Walzenspalt wird bei Kalandern mit Bändchen, welche von einem Mischwalzwerk abgeführt werden, oder mit Strangabschnitten aus dem Ko-Kneter, Doppelschneckenpressen oder Planetwalzen-Extruder (vorzugsweise bei PVC) beschickt.

Die kontinuierliche Zugabe führt gegenüber dem in Vergangenheit üblichen Füttern mit „Puppen“ zu einer deutlichen Reduzierung der Druckspitzen im Spalt, verbunden mit einer besseren Dickentoleranz und geringer mechanisch-thermischer Beanspruchung der thermolabilen Formmassen (weniger Thermostabilisator erforderlich). Eine unregelmäßige, bedingt definierte thermische Durchlaufsituation kann darüber hinaus zu Schlierenbildung im Folienprodukt führen. Eine vorteilhafte Kalanderbeschickung erfolgt mittels einer Breitschlitzdüse. Aus finanziellen Gründen wird häufig eine Beschickung (kontinuierlich und intermittierend) mit abgelängten Profilen oder eine direkte Strangeinspeisung vorgenommen. Bei einer freien Fütterung des ersten

Bild 4-75. Kalander für EPDM-Verarbeitung / www.comercole.com/

4.1 Urformen Spalts kann die Schmelze − sofern erforderlich − noch entgast werden. Die in einer Anlage zum Einsatz kommenden Walzen haben in aller Regel die gleichen Ballenbreite und Durchmesser. Die verlängerten Walzenachsen haben an einer Seite einen Rotary-Anschluss zur Ermöglichung eines auch während der Produktion kontinuierlichen Durchlaufs des Temperiermediums (Wasser, Öl). Bisher üblich waren von innen durch Dampf oder Heißwasser beheizbaren Walzen mit großer Zentralbohrung. Derzeit werden vornehmlich Walzen mit peripherer Heißwasserbeheizung bzw. Temperiermittelbeschickung durch angebrachte Längsbohrungen im äußeren Bereich des Walzenmantels eingesetzt (Bild 4-76). Eine Walzentemperaturkonstanz von +/– 0,5 K während des Verarbeitungsprozesses ist derzeit Stand der Technik. Die Walzenabmessung wird durch die Walzenspaltbelastung, d. h. das Verhältnis Walzendurchmesser zu Walzenballenlänge, bestimmt. Die anzutreffenden Walzendurchmesser betragen bis zu 1200 mm, maximale Walzenlängen werden mit 2000 mm angegeben. Die Walzenspaltbelastung ist außerdem abhängig von den zu verarbeitenden Materialien, den Verarbeitungsbedingungen, von der Bahndicke und der Bahnbreite. Die hohe Qualität der herzustellenden Produkte bestimmt die Beschaffenheit der Walzen. Die wichtigsten Anforderungen an die Walzen sind: – hohe Rundlauf- und Formgenauigkeit bei Betriebstemperatur – hohe Oberflächengüte und -härte – Biegefestigkeit und Druckbeständigkeit gegenüber den zu verarbeitenden Materialien – Dichtheit gegenüber dem zu verwendeten Temperiermedium

Bild 4-76. Peripher gebohrte Kalanderwalze /nach Kurtens/

285

Je nach Belastung (auch abhängig vom L/D-Verhältnis der Walze, Biegung) und Einsatzgebiet werden Walzen aus Kokillenhartguss oder Verbundguss verwendet. Kokillenhartgusswalzen, Oberflächenhärte von 530 bis 560 HV für normale Spaltbelastung bis 600 N/mm, Verbundwalzen mit einem Kern aus Sphärolitguss und Kokillenhartgussschale, Oberflächenhärte von 530 bis 560 HV, für Spaltbelastungen über 600 N/mm. Die Qualität der Walzenballen-Oberfläche richtet sich nach dem Anwendungsbereich: – geschliffen mit einer Mindestoberflächengüte von Ro = 0,l μm für die Reifenindustrie – geschliffen und poliert mit einer Mindestoberflächengüte von Ro = 0,08 μm für die Herstellung technischer Gummiartikel – ebenso können Strukturen auf der Oberfläche (sandgestrahlt, geätzt, chemisches Abtragen, Elektrodenverfahren) aufgebracht werden (matt, definiertes Raster, u.a.) – Aufbringen von zum Einreißen und Abplatzen neigenden Chromschichten (deshalb vorzugsweise < 50–100 μm); Hartverchromen, Mattverchromen Ausgleich der Walzendurchbiegung. Bedingt durch die im Walzenspalt anzutreffenden, auf die Walzen einwirkenden Linien tritt ohne jegliche Gegenmaßnahme eine mehr oder weniger ausgeprägte Durchbiegung auf (Bild 4-77). In der Praxis haben sich nachfolgende Maßnahmen gegen diese Erscheinung entwickelt. – Gegenbiegen (engl.: roll bending) Ausgleich maximal 0,08 mm, meist unter 0,05 mm – Schrägstellung einer Walze relativ zur Nächsten, als Schränkung (engl.: axis crossing) bezeichnet – Bombage (engl.: crown); tonnenförmiger Schliff der Walzenoberflächen maximal 0,30 mm auf 2000 mm Ballenbreite.

286

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Je nach vorliegendem Folienwerkstoff können die Folien in einer weitergehenden Nachbearbeitung (Warmumformen, Konfektionierung, Bedrucken, Metallisieren, Lackieren) veredelt werden.

4.1.3.4

Schäumen Axel Kauffmann und Helmut Schüle

Im vorliegenden Kapitel werden die technologischen Grundlagen von Schaumstoffen im Allgemeinen sowie das Schäumen von thermoplastischen Schaumstoffen, die Herstellung und Verarbeitung von Partikelschaumstoffen und das Schäumen von PUR-Systemen behandelt. Bild 4-77. Betriebsverhalten einer glatten bzw. bombierten Walze.

Da eine Walze mit Bombage ein Sondermaschinenelement darstellt, ist eine identische Ersatzwalze möglichst zusätzlich einzulagern. Bei Gegenbiegung und Schrägstellen bleibt die Durchbiegung als solche bestehen; sie wird nur in Bezug auf das Dickenprofil der kalandrierten Bahn unwirksam gemacht. Ein Schränken der letzte Walze stört in aller Regel das einwandfreie Ablösen und Ablaufen der Folie (vorletzte Walze schränken). Beim Gegenbiegen (mittels Hydraulik) werden die Lager deutlich mehr belastet, verkürzte Lebensdauer. Oft werden in Kalanderanlagen bei der Kunststoffverarbeitung – in Anlehnung an die Papierverarbeitung – gebogene Breitstreckabzugswalzen eingesetzt. Läuft die Folienbahn von der konkaven zur konvexen Seite der Streckwalze, so kann eine Spannung in Querrichtung aufgebaut werden. Die Folie wird dabei faltenfrei auf die folgenden Abzugswalzen (auch Verstreckwalzen in zweiter Wärme) aufgelegt. Bei hohen Abzugsgeschwindigkeiten werden Breitstreckwalzen eingesetzt, welche eine von innen nach außen spiralförmig verlaufende Entlüftungsnut zum Verdrängen von etwaiger eingezogene Schleppluft besitzen. Weitere in einer Kalanderanlage vorliegende Zubehörkomponenten sind in hohem Maße auch bei der Plattenoder Flachfolienextrusionsanlage wieder anzutreffen (siehe Kapitel Extrusion). Hierbei handelt es sich um Metalldetektoren, Dickenmessgeräte (Isotopenstrahler, Ultraschallmethode), Abzugswalzen (ggfs. gummiert), temperierte Reckwalzenkombinationen mit oder ohne Oberflächenveredlungen, temperierte Prägewalzen, Schneideeinrichtungen, Kaschierstationen, Wickelverfahren (Zentral- und Umfangsantrieb, Wickeln mit konstanter Zugspannung) sowie u. a. verschiedene Wendewickler.

Definition, Grundlagen, Einteilung und Herstellungsverfahren Nach DIN 7726 ist ein Schaumstoff „ein Werkstoff mit über die gesamte Masse verteilten Zellen (offen, geschlossen oder beides) und einer Rohdichte, die niedriger ist als die Dichte der Gerüstsubstanz“. In Tabelle 4-10 sind die wesentlichen Merkmale und Einteilungen dargestellt:

4.1.3.4.1

Schäumen von Thermoplasten Axel Kauffmann und Helmut Schüle

Die bedeutendsten thermoplastischen Schaumstoffe basieren auf den Thermoplasten Polystyrol sowie den Polyolefinen PE, PP und PVC. Der Schäumvorgang basiert in der Regel auf der Expansion unter Einsatz chemischer oder physikalischer Treibmittel. Prinzipiell lassen sich alle Kunststoffe, d. h. Thermoplaste, Duromere und auch Elastomere, aufschäumen. Allen Herstellverfahren für Schaumkunststoffe bzw. SchaumstoffFomteile gemein ist, dass der Ausgangswerkstoff zu Beginn des Schäumungsprozesses in einem verformbaren, fließfähigen Zustand vorliegt, aufgeschäumt und schließlich eine verfestigte Schaumstruktur erzielt wird. Die Fließfähigkeit kann hierbei durch Überführen des polymeren Ausgangsrohstoffes in den Schmelze-Zustand gegeben sein, durch Lösen oder mechanisches Einmischen (→ Dispergieren) in einer Trägerflüssigkeit oder Heranziehen von zwei oder mehreren niedermolekularen, fließfähigen Komponenten, welche aufgrund reaktionsfähiger Endgruppen chemisch umgesetzt werden. Der Treibmechanismus beruht auf chemischen oder auch physikalischen Vorgängen. Chemisch bedingtes Aufschäumen kann bei der Polykondensation durch das bei niedriger Temperatur siedende Abspaltprodukt bzw. Kondensat (→ niedermolekulare Nebenprodukte. z. B. Wasser), durch ein aus der chemischen

4.1 Urformen

287

Tabelle 4-10 Einteilung von polymeren Schaumstoffen und Schäumverfahren [1] bis [6] Merkmal

Ausführung

Härte

Hart-, halbharte und weichelastische Schaumstoffe

Zellstruktur

geschlossenzellig, offenzellig und gemischtzellig

REM-Aufnahmen: Links geschlossenzelliger Polyethylenschaum, rechts offenzelliger Polyurethanschaum Gestalt der Zellen

Kugel, Waben, Polyeder

Zelldurchmesser

mikrozellular feinzellig grobzellig

2mm

Dichte

leichte Schaumstoffe schwere Schaumstoffe

100 kg/m3

Dichteverteilung

Schaumstoffe mit gleichmäßiger Dichteverteilung Integralschaumstoffe mit kompakter Randzone

Polymerphase

Thermoplaste (PE, PS, PP, PVC, EVA, PEI, etc.) Duroplaste (PUR, EP, UF, UP) Elastomere (EPDM, NR, NBR, SBR, SI)

Chemische Struktur

vernetzt, unvernetzt

Schäumverfahren – Herstellungsverfahren

Schaumschlagverfahren: Einschlagen oder einblasen von Luft/Gas in einen Kunststoff, z. B. für elastomere Schaumstoffe wie Latex-Schäume Mischverfahren Einbringen von zumindest zwei flüssigen, reaktiven Komponenten sowie in der Regel ein Treibmittel in eine Form, wo dann gasfreisetzende und vernetzende chemische Reaktionen parallel zueinander ablaufen (Sonderfall v. Expansionsverfahren), vorrangig für duromere Schaumstoffe wie Polyurethan [7] Expansionsverfahren Expansionsprozesse sind die weitaus am häufigsten eingesetzten Verfahren zur Herstellung von thermoplastischen Schaumstoffen insbesondere Polyolefinschäume. Diese Verfahren beruhen auf der Expansion einer gasförmigen Phase, die in der Polymerschmelze dispergiert. Gängige Expansionsverfahren sind das Extrusionsschäumen und Partikelschäumverfahren (extruduert/autoklav)

Schäumverfahren – Treibmittel

Chemisch (endotherm oder exotherm) und physikalisch expandierende Schaumstoffe

Reaktion der Grundstoffe entstehendes Treibgas oder durch ein aus der chemischen Zersetzung eines Treibmittels entstehenden Treibgases erreicht werden. Chemische Treibmittel benötigen zur Gasbildung meist hohe Temperaturen und sind deshalb insbesondere zum Aufschäumen von Thermoplastschmelzen (PVC) anzutreffen.

Physikalische Treibverfahren beruhen auf thermodynamischen Vorgängen. Allen physikalischen Treibmitteln gemein ist der Umstand, dass diese Funktionsstoffe oberhalb eines niedrigen, vom Druck abhängigen Siedepunktes in den Gaszustand übergehen. Die erfolgte Volumenzunahme des Gases bläht dabei die flüssige, eine ausreichende

288

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Dehnfähigkeit aufweisende Polymermasse auf. Die physikalischen Treibmittel Pentan, Stickstoff, Kohlenstoffdioxyd haben sich bei fast allen Kunststoffen und Herstellverfahren durchgesetzt. Vorgänge beim Expansionsprozess Ungeachtet des Typs des eingesetzten Treibmittels beinhaltet das Schäumen von Polyolefinen und Polystyrol auf Basis der Expansionsprozesse drei fundamentale Verfahrensschritte: – Nukleierung (Blasenbildung) – Blasenwachstum – Stabilisierung Die Nukleierung findet an Stellen in der Polymerschmelze statt, die lokal mit Treibmittel übersättigt sind. Dieser Übersättigungszustand durch Dekomprimierung oder Erwärmen eines sich im Gleichgewicht befindlichen Systems mit einem physikalischen Treibmittel (PBA) oder durch Erhitzen eines Polymers, welches ein zersetzbares chemisches Treibmittel (CBA) enthält, erreicht werden. Hat eine Blase einmal die kritische Größe erreicht, erfolgt das weitere Blasenwachstum durch in die Blase eindiffundierendes Treibmittel. Das Wachstum hält so lange an, bis sich die Blase stabilisiert oder die Wände reißen bzw. platzen. Die dünnen, hochgradig gereckten Zellwände sind zunächst noch sehr instabil. Sie müssen deshalb stabilisiert werden, um eine Zerstörung der zelligen Schaumstruktur zu unterbinden. Zur Stabilisierung werden bei Polyolefinen zwei unterschiedliche Methoden angewandt: – Viskositätserhöhung/Verfestigung durch Abkühlen – Chemische Vernetzung. Beim Einsatz von PBA, insbesondere flüchtiger, bei Umgebungsbedingungen flüssiger organischer Treibmittel (VOBA), erhöht sich die Viskosität der Schmelze durch die Abkühlung der Schmelze aufgrund der Verdampfungsenthalpie und in geringerem Maße Wärmeverluste an die Umgebung sowie durch die geleistete Verdrängungsarbeit bei der Expansion. Wird das Schäumen hingegen durch Erhitzen anstelle der Druckabsenkung initiiert, müssen die Blasen durch Vernetzten stabilisiert werden, insbesondere beim Einsatz chemischer Treibmittel, die sich nach Zufuhr der Aktivierungsenergie in meist exothermen Reaktionen zersetzen. Vernetzen stabilisiert die Blasen durch eine signifikante Anhebung der Viskosität der Schmelze im Vergleich zur Schmelze ohne Vernetzen. Wie aus Bild 4-78 ersichtlich, erweitert die Vernetzung das Temperaturfenster, innerhalb dessen ein erfolgreiches Schäumen möglich ist. Vernetzen bewirkt jedoch eine zumindest teilweise Umwandlung der thermoplastischen Schmelze in einen Duroplast, was aus Gründen der Weiter-

verarbeitung und der eingeschränkten Recyclingmöglichkeiten häufig unerwünscht ist. Direkt-Schäumen von Thermoplasten im Extrusionsprozess Das Schäumen im Extrusionsprozess ist prinzipiell das einfachste und wirtschaftlichste Schäumverfahren für Thermoplaste. Ein konventioneller Extruder plastifiziert das Polymer-Ausgangsmaterial, mischt das Treibmittel ein und dispergiert es homogen in der Schmelze. Anschließend wird auf die niedrigst mögliche Temperatur, die Schäumtemperatur, abgekühlt und durch die der Formung des Stranges dienende Werkzeugöffnung extrudiert. Das Werkzeug ist dabei so ausgelegt, dass der Staudruck in Extrusionsrichtung so weit abnimmt, dass die Blasen zwar nukleiert werden, das Zellwachstum und somit das Schäumen jedoch erst nach Verlassen des Werkzeuges beginnt. Innerhalb des Extruders und der nachgeschalteten Düse liegen meist Schmelzedrücke von über 100 bar vor. Die eingesetzten Treibmittel liegen bei diesen Bedingungen in der Thermoplastschmelze als Flüssigkeit vor. Beim Verlassen der Düse wirkt auf die Obefläche der thermoplastischen Schmelze plötzlich lediglich der Umgebungsdruck. Dieser dramatische Druckabfall bewirkt eine Übersättigung des in der Schmelze gelösten Gases. Die beiden Phasen Gas und Schmelze trennen sich, und das Gas bildet nahezu schlagartig eine Vielzahl von Blasen an den Zellkeimen. Diese Blasen werden so lange größer, bis ein Gleichgewichtszustand erreicht ist zwischen Gasdruck und Oberflächenspannung der Blase, der Viskosität der sich durch Expansion und Wärmeabfuhr an die Umgebung abkühlenden Schmelze und der Sättigungskonzentration des noch in Lösung befindlichen Gases. Sobald der Gleichgewichtszustand erreicht ist, muss die Fixierung (das Erstarren) des Schaumstoffs erfolgen, um ein Zusammenfallen der gebildeten Zellen zu verhindern. Die Schaumstruktur wird durch eine möglichst intensive Kühlung verfestigt. Die Beschaffenheit der Extrudatoberfläche wird schon zu Beginn des Abkühl- und Fixier-Vorgangs beeinflusst. Wird die Expansion eines Halbzeugs unmittelbar nach Austritt aus dem Werkzeug im Freiflächenbereich durch intensive Kühlung unterdrückt, so bildet sich eine „harte Haut“. Erfolgt kein Einfrieren der Oberflächenschichten platzt diese je nach vorliegender Schmelzefestigkeit auf und zerklüftete Strukturen entstehen. Polyolefine werden sowohl chemisch als auch physikalisch geschäumt. Geschäumte Halbzeuge-Formmassen aus PVC werden weitgehend unter Verwendung chemischer Treibmittel hergestellt, Der Schäumvorgang ist in seiner Abhängigkeit von Viskosität und Dehnfähigkeit der Schmelze, Gas- bzw. Dampfdruck des Treibminels und der Wechselwirkung zwischen Schmelze und Treibmittel (Löslichkeit,

4.1 Urformen

289

Bild 4-78. Auswirkung der Vernetzung auf das zum Schäumen geeignete Temperaturintervall

Permeation) der wichtigste Verfahrensteil der Schaumstoffextrusion, Die gebräuchlichsten Verfahren für das Herstellen von geschäumten Extrudathalbzeugen sind – das Einstufenverfahren – das Zweistufenverfahren – das Mehrstufenverfahren Beim Einstufenverfahren wird die Form und Dichte des geschäumten Halbzeugs unabhängig vom verwendeten Treibmittelsystem in einem Arbeitsgang („erste Wärme“) hergestellt. Bei chemischem Treibmittel kommen unvernetzte bzw. reaktiv vernetzende Systeme zum Einsatz. Physikalische Treibmittel werden durch Vorbegasung (beladener Thermoplast) oder durch Direktbegasung unmittelbar während der eigentlichen Verarbeitung eingebracht. Beim Zweistufenverfahren erfolgt die Einarbeitung des Treibmittels in die Schmelze in einem ersten, abgeschlossenen Arbeitsgang vor dem Verschäumen zum Halbzeug („zweite Warme“). Das Mehrstufenverfahren ist ausschließlich bei der Herstellung von vernetzenden Polyolefinschäumen anzutreffen (Chemische Treibsysteme in Verbindung mit Peroxydvernetzer bzw. Strahlenvernetzer). Verschäumungsverfahren Grundsätzlich lassen sich sämtliche bisher entwickelten Verfahren zur direkten Verschäumung von thermoplastischen Formmassen zu Halbzeugen im Wesentlichen in zwei Verfahren einteilen:

– Verfahren der freien Aufschäumung (Bild 4-79) – Verfahren der Aufschäumung nach innen (Bild 4-80) Beim Verfahren der freien Aufschäumung expandiert die treibmittelhaltige Schmelze unmittelbar nach Austritt aus dem Werkzeug frei, bevor sie in der entsprechend größeren, in einem gewissen Abstand zum Werkzeug angeordneten, Kalibrierung ihre endgültige Form erhält. Der gesamte Halbzeugquerschnitt weist eine annähernd gleichmäßige Dichte auf, umhüllt von einer etwas dichteren, aber dünnen, mehr oder weniger strukturierten Außenhaut. Rohre, Platten und geometrisch einfache Profile können nach dem Verfahren der freien Aufschäumung hergestellt werden. Beim Verfahren der Aufschäumung nach innen (Bild 480) schließt die Kalibrierung unmittelbar an das Düsen-

Bild 4-79. Prinzip der freien Aufschäumung nach Bayer

290

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-80. Prinzip des Celuka-Verfahrens (Innenaufschäumen) nach Bayer

werkzeug an. Die Kalibrierung besitzt die gleiche Außenkontur wie die zugehörige Düse. Die austretende treibmittelhaltige Schmelze wird so unmittelbar nach Verlassen des Werkzeuges an der gesamten Oberfläche stark gekühlt. Dadurch werden eine Zellenbildung an der Randzone und eine Vergrößerung des Extrudatquerschnitts verhindert. Gleichzeitig ermöglicht ein im Werkzeug vorhandener Dorn, dass der durch ihn entstandene Hohlraum im Halbzeug von der restlichen Schmelze ausgeschäumt wird. Nach diesem Verfahren lassen sich neben Rohren und Platten Profile nahezu beliebiger Geometrie herstellen. Die Halbzeuge zeichnen sich durch eine kompakte glatte Außenhaut und eine geringe Dichte im Kernbereich aus. Das Verfahren der Aufschäumung nach innen ist als „Celuka-Verfahren“ bekannt geworden. Prinzipiell sind auch coextrudierte Halbzeuge herstellbar. Prinzipiell können bei der Schaumextrusion alle aus der Extrusion bekannten Verfahren mehr oder weniger gut herangezogen werden. Geschäumte Vollprofile und Platten (Woodlite-Verfahren), Hohlprofile (Armocel-Verfahren), coextrudierte Halbzeuge mit beliebiger Schichtanordnung sind grundsätzlich herstellbar. Die gemachten Ausführungen sind prinzipiell auch auf das Spritzgießverfahren übertragbar. Herstellung von Schaumpartikeln (Beads) und Formteilherstellung Der Grund, geschäumte Formteile aus Thermoplasten zunächst über den Umweg der Schaumstoffpartikelherstellung mit nachfolgender Verschweißung dieser Partikel anzugehen, liegt in den Material- und Verarbeitungseigenschaften dieser Polymeren. Bei thermoplastischen Materialien kann die Stabilisierung der gebildeten Zellen nur durch Erkalten der Schmelze geschehen. Bei voluminösen Formteilen kann

die Wärme aus der Bauteilmitte nicht schnell genug entweichen und die Zellen kollabieren, d. h. kleinere Zellen fallen aufgrund der Oberflächenspannung der plastischen Zellwände zu größeren Zellen zusammen. Nur die Herstellung kleiner Schaumstoffpartikel (so genannter Beads) kann somit eine gleichmäßige Zellverteilung ähnlich wie bei dünnwandigen Schaumstofffolien, Halbzeugen, Profilen gewährleisten. Diese können dann in einem nachgeschalteten Verfahrensschritt, dem Formteilprozess, mittels Heißdampfbeaufschlagung in einem formgebenden, porösen Werkzeug zum Formteil verschweißt bzw. gesintert werden. Im Wesentlichen sind die drei bekannten thermoplastischen Polymere PE, PS und PP im Einsatz zur Herstellung von EPS (expandiertes Polystyrol), EPE (Expandiertes Polyethylen) und EPP (expandiertes Polypropylen). Extrusion von Schaumpartikeln (EPS, EPE, EPP) Wesentlicher Unterschied zum Direktschäumen ist der Einsatz eines Extrusionswerkzeuges in Form einer speziellen Lochplatte, wobei der Querschnittsverlauf der einzelnen Löcher in Extrusionsrichtung so gestaltet ist, dass die Nukleierung in den Kanälen stattfinden kann, nicht jedoch die eigentliche Expansion. Erst beim Austritt aus der Lochplatte kommt es durch den abrupten Druckabfall zum Aufschäumen der Schmelzestränge, die durch rotierende Messer zu annähernd runden Partikeln abgelängt und im Wasserbad gekühlt werden. Dabei sorgt sowohl der Temperaturabfall als auch das Entlösen des auch als Weichmacher dienenden Treibmittels zu dem für die Stabilisierung erforderlichen Anstieg der Dehnungsviskosität. Es folgt eine Abtrennung agglomerierter Partikel sowie die Trocknung und Alterung der Beads. Während der Alterung stabilisiert sich das Zellgerüst weiterhin, das Treibmittel diffundiert aus und wird durch Luft ersetzt. Zum Einsatz kommen in aller Regel Polyolefine

4.1 Urformen

291

Bild 4-81. Anlagentechnisches Schema zur Extrusion von Schaumpartikeln (geändert nach Berstorff)

und hier im wesentlichen Polypropylen. Ein Anlagenschema zum Schäumen zeigt Bild 4-81. Trotz der kontinuierlichen Prozessführung und des geringeren technischen Aufwands ist das Verfahren mit zahlreichen Schwierigkeiten verbunden. Als besonders kritisch hat sich die exakte Temperaturführung erwiesen. Bereits wenige Grad abseits der optimalen Schäumtemperatur können keine brauchbaren Partikel mehr hergestellt werden. Herstellung von EPP/EPE-Schaumpartikeln im Autoklavprozess Der Autoklavprozess ist bislang der am häufigsten eingesetzte Prozess für die Herstellung von Schaumpartikeln, insbesondere EPP (expandiertes Polypropylen). Im Autoklaven wird eine Suspension aus kompaktem Polypropylen- Mikrogranulat und einer Flüssigkeit unter ständigem Rühren und Wärmezufuhr mit einer Druckatmosphäre aus Inertgas und Treibmittel beaufschlagt. Durch Diffusion reichert sich das Treibmittel in den Polypropylen-Partikeln an. Sobald der gewünschte Treibmittelgehalt erreicht ist, d. h. nach hinreichender Verweilzeit, wird der Behälterinhalt in einen Raum mit geringerem Druck überführt. Dabei kommt es zur Expansion des einimprägnierten Treibmittels, und das Granulat schäumt auf. Durch die zur Verdampfung sowohl des Treibmittels als auch zumindest eines Teils der Flüssigkeit erforderliche Enthalpie kommt es parallel zur Expansion zu einem Wärmeentzug aus den Polymeren. Aufgrund dieses

Kühleffektes gelingt es, die Zellstruktur einzufrieren und die gebildeten Schaumpartikel zu stabilisieren. Expansion von Polystyrol (EPS) Zur Herstellung von EPS-Partikeln (expandiertes Polystyrol) wird zunächst Mikrogranulat herstellt. Styrol wird in einer Suspensionspolymerisation in Gegenwart von Pentan polymerisiert, wodurch das Treibgas im Reaktionsprodukt gelöst wird und dies auch über Monate hinweg gelöst bleibt. Das Aufschäumen des EPS-Mikrogranulats geschieht im Vorschäumer, einem Rührbehälter, der mit Dampf durchströmt wird. Das Pentan (Siedetemperatur 35 °C) verdampft und bläht das Granulat zu Schaumperlen auf. Dabei verbleiben ca. 50 % des Treibmittels noch im Schaumpartikel. Die frischen Beads können ca. 1 Tag bis 1 Woche nach dem Vorschäumen weiterverarbeitet werden. Bauteilherstellung aus Partikelschaumstoffen im Formteilprozess Im Formteilprozess wird Wasserdampf als Energieträger benutzt, der die in einem formgebenden Werkzeug befindlichen Schaumpartikel erhitzt und anschmilzt. Um den Dampf überhaupt an die Beads innerhalb der Kavität heranführen zu können, sind dampf- und luftdurchlässige Werkzeugwände Voraussetzung. Das Werkzeug befindet sich innerhalb einer Dampfkammer, die, ebenso wie das Werkzeug,

292

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

zweigeteilt ist, um eine Entformung durch einen Öffnungshub zu ermöglichen. Vom Prozess der Formteilherstellung her bestehen sehr große Ähnlichkeiten zwischen der EPS- und EPP/EPE-Verarbeitung. Verfahrens- und Maschinentechnik wurden für EPS entwickelt und später auf die neueren Partikelschaum-

stoffe EPE und EPP übertragen. Dennoch besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen der Verarbeitung von EPS gegenüber den Polyolefin-Partikelschäumen: EPS ist während des Formteilprozesses im Gegensatz zu EPE/EPP noch treibmittelhaltig. Dies hat zur Konsequenz, dass die Partikel ein Expansionsvermögen durch verdampfendes Treibmittel

Bild 4-82. Schematischer Zyklusablauf der Formteilherstellung aus EPP nach der Druckfüllmethode

Bild 4-83. Aufbauschema eines EPP-Werkzeugs innerhalb der Dampfkammer

4.1 Urformen

Bild 4-84. EPP-Ladungsträger (Fa. Febra)

293

besitzen. Die Schaumpartikel dehnen sich aufgrund des Innendrucks in die Zwickelräume der Beadsschüttung hinein aus, und es ergeben sich die für gute Verschweißung erforderlichen großen Kontaktflächen. EPP/EPE wird im Gegensatz zu EPS gegen einen pneumatischen Überdruck im Werkzeug gefördert, was bewirkt, dass die Schaumpartikel komprimiert werden. Nach Abbau des Staudrucks erfolgt eine Ausdehnung der Partikel. Dies ist wichtig, um die Kontaktfläche zwischen den einzelnen Beads zu erhöhen. Die weitere Abfolge der einzelnen Prozessschritte ist in Bild 4-82 dargestellt. Im Anschluss an den Formteilprozess kann durch Tempern das Formteil getrocknet werden, das Kondensat verdampft und diffundiert aus, während gleich-

Bild 4-85. EPP-Ladungsträger (Fagerdala)

Bild 4-87. EPP-Sitzeinlagen (Fa. Febra)

Bild 4-86. EPP-Stoßfängerkern (Fagerdala)

Bild 4-88. EPP-Sonnenblenden (Fa. Febra)

294

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-89. EPS (ohne Additive/mit Nukleierungsmittel/mit Schichtsilikat)

zeitig Luft eindiffundiert. Verzug und eingefallene Oberflächen bilden sich zurück. Die Temperzeit kann wenige Stunden bis zu einem ganzen Tag betragen. Üblich sind 6 bis 8 Stunden bei 80 °C. Partikelschaumwerkzeuge zeichnen sich durch bedüste Werkzeugwände aus, die während der Befüllung ein Entweichen der Füllluft aus der Werkzeugkavität und beim Bedampfen die Durchströmung mit Dampf ermöglichen, Bild 4-83. Partikelschaum: Anwendungsbeispiele und Eigenschaften Derzeit findet EPP Anwendung im Bereich der Transportverpackungen sowie verstärkt im Automobilsektor. Beispielsweise werden Seitenaufprallschutz, Sonnenblenden, Säulen- und Türverkleidungen und Stoßfängereinlagen aus

diesem Material gefertigt (Bilder 4-84 bis 4-88). EPS wird im Wesentlichen für Verpackungen und für Wärmeisolationen in der Bauindustrie eingesetzt. Entwicklungstendenzen bei thermoplastischen Schaumstoffen Aktuell gibt es zahlreiche Untersuchungen zum Einsatz nanoskaliger Füllstoffe wie z. B. Schichtsilikate, Carbon Nanotubes oder Nanofibers zur Verstärkung und Verbesserung der Zellstruktur von Schaumstoffen [7, 8]. Für technische Anwendungen liegt die Herausforderung maßgeblich in der Dispergierung geeigneter Nanofüllstoffe und in der Prozessoptimierung um bei minimalen Zugabemengen signifikante Verbesserungen der thermischen und mechanischen Eigenschaften zu erzielen. Abbildung 4-89 zeigt am Beispiel von EPS-Partikeln (expandiertes Polystyrol), dass über die Zu-

Tabelle 4-11 Eigenschaften von Partikelschaumstoffen im Vergleich mit Polyurethan Eigenschaft Dichte Druckspannung bei 50% Kompression Zugfestigkeit bei Bruch Bruchdehnung Statische Hysterese (Verhältnis plastische zu gesamter Energie bei 50 % Kompression) Verbleibende Deformation nach ½ h Druckverformungsrest nach 24 h bei einer Kompression auf 50% Wasseraufnahme (23°C, 24 h) Wärmeleitfähigkeit

Einheit 3

kg/m kPa kPa % % % % Vol.% W/(m K)

EPP

EPE

EPS

PUR

30–45 150–350 250–500 25–15 75–85 1,5–3,0 28–33 1,5–1,1 0,035–0,040

35 90 260 33 52 1 15 1,2 0,040

25 250 360 30 70 2,0–3,0 20 7,0–8,0 0,045

4.1 Urformen

295

gabe von Schichtsilikaten eine deutlich feinere Zellstruktur erreicht werden kann. Weitere Entwicklungsschwerpunkte liegen in der Modifizierung von Schaumstoffen hinsichtlich der Erhöhung der elektrischen Leitfähigkeit, der Farbgebung und der Verbesserung des Flammschutzes. Zum Aufschäumen wird der Einsatz umweltfreundlicherer Treibmittel wie beispielsweise CO2, N2 oder langfristig Wasser als Ersatz für die häufig eingesetzten Alkane untersucht. Ferner bestehen Bestrebungen zur Entwicklung neuer Schaumstoffe wie auch Partikelschaumtypen auf der Basis von Naturpolymeren [9] als Ergänzung zu den etablierten Materialien.

Weiterführende Literatur

Duroplaste Ein breites Feld der Anwendung nehmen PolyurethanSchäume mit den Bereichen Weichschäume, Halb-Hartschäume, Hartschäume, Integralschäume ein. Der PURMarkt ist 2006 ca. 15 Mio t groß. Eine gute, einführende Übersicht zu PUR-Schäumen bietet Kapitel 4.1.3.4.2.

Einleitung Unter den industriell genutzten Kunststoffen stellt Polyurethan das wohl am vielfältigsten modifizierbare Polymer dar. Beindruckend erscheint nicht nur die Variationsbreite der Materialeigenschaften hinsichtlich Härte, Dichte und Elastizität, sondern auch die unterschiedlichen Verarbeitungstechnologien. Diese einzigartige Vielfalt an einstellbaren Materialeigenschaften und nutzbaren Verarbeitungstechnologien führte zu einem nahezu unüberschaubaren Anwendungsportfolio von Polyurethan. Das folgende Kapitel soll dem Leser das weite Feld der Polyurethane übersichtlich näher bringen. Von den Grundlagen der Chemie über die verschiedenen Polyurethantypen bis zur jeweiligen Verarbeitungstechnologie. Ziel ist es, einen ersten Leitfaden in der Welt der Polyurethane zu bieten.

Literatur zu Kapitel 4.1.3.4.1 [1] Hilyard NC (1982) Mechanics of Cellular Plastics. Barking, Essex: Applied Science Publishers [2] Gibson LJ, Asby MF (1988) Cellular Solids: Structure & Properties. Pergamon Press [3] Klempner D, Frisch KC (1991) Handbook of Polymeric Foams and Foam Technology. Carl Hanser Verlag, München [4] VDI – Gesellschaft Kunststofftechnik (Hrsg) (1996) Thermoplastische Partikelschaumstoffe: aktueller Stand und Perspektiven. VDI Verlag, Düsseldorf [5] Schuch H (2001) Physik der Schaumbildung. Fachtagung Polymerschäume. Süddeutsches Kunststoff-Zentrum, Würzburg, Mai 2001. [6] Kauffmann A, Barth M, Eyerer P (2001) Methoden zur Versuchsplanung und Auswertung in der Partikelschaumverarbeitung. Intern. Fachtagung EPS-Partikelschaum und Dämmung. Süddeutsches Kunststoff-Zentrum, Würzburg, September 2001. [7] Lee Y, Park C (2005) HDPEJCLAY Nanocomposite Foams blown with supercritical CO2. Antec 2005 [8] Yuan M, Winardi A, Gong S, Turng L (2005) Effects of Nano- and Microfillers and Processing Parameters on Injection-Molded Microcellular Composites. Polymer Engineering and Science, 45: 773-788, Society of Plastics Engineers [9] Kauffmann A, Diemert J (2005) Neue Material- und Prozessentwicklungen für (Bio)-Partikelschaumstoffe. VTT-Kompaktseminar Biowerkstoffe in der Automobiltechnik. Fraunhofer-ICT, Pfinztal

Zschau A, Seifert H, Schwitzer K (2007) Oberflächen ohne Fehl und Tadel – Physikalisches Schäumen. Kunststoffe 97(2007)4, S 120–122 Leng Th (2007) Geschäumte Dünnwandverpackungen (super light injection molding). Kunststoffe 97(2007)10, S 179–180

4.1.3.4.2

Polyurethan Stefan Göttke

Die Chemie der Polyurethane Der Begriff Polyurethan deutet auf die wiederkehrende Struktureinheit „Urethan“ im Polymer hin. Eine Urethangruppe wird aus der direkten Addition einer Isocyanatgruppe an eine OH-Gruppe gebildet.

Urethanreaktion

Durch den Einsatz von entsprechend mehrfunktionellen Isocyanaten und Polyolen gelingt durch Polyaddition der Aufbau einer Polyurethanstruktur. Die Polyurethanreaktion liefert das stabile Gerüst des Polymers. In der Fachwelt ist diese Reaktion als „Gelreaktion“ bekannt, da die flüssigen

296

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Edukte nach der Polyaddition „gelieren“ und zur Verfestigung des Materials führen. PUR-Schaum kann aber allein durch die Polyadditionsreaktion nicht entstehen, da das Reaktionsgemisch keine Triebkraft besitzt, um zu expandieren. Zelluläres Polyurethan bedarf einer weiteren Basisreaktion, die dem System die Triebkraft zur Volumenexpansion liefert. Aus der soge-

nannten „Treibreaktion“ entsteht aus Isocyanat und Wasser das interne Treibgas Kohlendioxid, welches zur Volumenexpansion des Reaktionsgemisches führt. In bestimmten Anwendungen wird dem Reaktionsgemisch zusätzlich oder ausschließlich ein physikalisches Treibmittel zugegeben, welches durch die exotherme Reaktion verdampft und zur Volumenexpansion beiträgt.

Harnstoff Urethan

Reaktionsschema: Treib- und Gelreaktion

Wie dem Reaktionsschema entnommen werden kann, entsteht bei der Treibreaktion zwischen Isocyanat und Wasser neben dem Treibgas CO2 letztlich aus zwei Isocyanaten eine Harnstoffeinheit. PUR-Schaum besteht daher nicht nur aus Polyurethaneinheiten, sondern auch aus einem entsprechenden Anteil von Harnstoffeinheiten, die aus der Treibreaktion stammen.

Alle unterschiedlichen Modifikationen des Polyurethans lassen sich grundsätzlich durch Modifikation der Rohstoffe für die beiden Grundreaktionen „Gelreaktion“ und „Treibreaktion“ zurückführen. Je mehr Wasser der Reaktion zugeführt wird, desto stärker ist die CO2 Ausbildung, die zur Volumenexpansion benötigt wird. Je weniger Wasser an der Reaktion beteiligt ist oder je weniger physikalisches Treibmittel zugesetzt wird, desto kompakter wird das entstehende PUR-Material.

Folgereaktionen von Urethan und Harnstoff

Neben diesen Strukturmerkmalen treten bei der Reaktion von Isocyanaten mit Polyolen und Wasser noch zahlreiche weitere Reaktionen auf, die zu einer Vielfalt von Struktureinheiten führen.

Teilweise kann die Ausbildung der jeweiligen Strukturtypen über den Zusatz von speziellen Katalysatoren zum Reaktionsgemisch oder durch Veränderung der Verarbeitungstemperatur kontrolliert werden. Die einzelnen Nebenreaktionen sollen an dieser Stelle aber nicht weiter erläutert werden.

4.1 Urformen

Bevor die nötige Abstimmung der Gel- und Treibreaktion zur Herstellung von stabilen PUR-Schäumen besprochen wird, sollen die wichtigsten Rohstoffe der Polyurethanchemie kurz vorgestellt werden. Isocyanate Die wichtigsten Isocyanate sind Toluylendiisocyanat (TDI) und Methylendiphenyldiisocyanat (MDI). Beide Isocyanate besitzen aromatischen Charakter und werden über Phosgenierung aminischer Vorprodukte großtechnisch hergestellt. Besondere Bedeutung besitzen die 2,4-TDI und 2,6-TDI Isomeren, deren Verteilung beim Herstellprozess gesteuert werden kann. Handelsübliche Abmischungen sind TDI 80

297

(80 % 2,4-TDI und 20 % 2,6-TDI) und TDI 65 (65 % 2,4TDI und 35 % 2,6-TDI). Von den reinen Isomeren besitzt derzeit nur TDI 100 (100 % 2,4-TDI) eine nennenswerte Bedeutung. Beim MDI wird zwischen zweikernigem, monomerem MDI (MMDI) und mehrkernigem Polymer-MDI (PMDI) unterschieden. Beim MMDI sind die 2,4′- und 4,4′-Isomere von größter Bedeutung. Mengenmäßig ist PMDI stärker im Markt vertreten. Hierzu werden höherfunktionelle Verbindungen mit unterschiedlichem 3-,4-, 5- oder höherem Kernanteil gezählt. Durch gezielte Einstellung der Produktionsbedingungen können sehr genaue Oligomerverteilungen erhalten werden, wie sie für unterschiedliche PUR-Anwendungen gefordert sind.

Benzol Nitrobenzol

Anilin

298

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

In drei Merkmalen unterscheiden sich die beiden Isocyanate TDI und MDI deutlich voneinander: – Über PMDI können über das Isocyanat vernetzte Strukturen aufgebaut werden.

– Der höhere NCO-Wert (prozentualer Anteil von reaktiven NCO-Gruppen am Molekül) von TDI bedeutet grundsätzlich weniger Masse von Isocyanat, um die nötige Anzahl reaktiver NCO-Gruppen zur Verfügung zu stellen.

– TDI ist als sehr giftig eingestuft und erfordert spezielle Sicherheitsvorkehrungen beim Verarbeitungsprozeß.

Die Kennzeichnung der Polyole erfolgt über die OH-Zahl – Hydroxylzahl (in mg KOH/g) – die sich umgekehrt proportional zum Molekulargewicht verhält.

Für lichtechte Lackanwendungen kommen auch aliphatische Isocyanate wie Hexamethylendiidocyanat (HDI) und Isophorondiisocyanat (IPDI) zum Einsatz

Polyole Die eingesetzten Polyole für PUR-Anwendungen lassen sich in zwei Unterkategorien einteilen – Polyetherpolyole und Polyesterpolyole.

Polyetherpolyole Polyetherpolyole für PUR-Anwendungen werden in unterschiedlichen Kettenlängen und Funktionalitäten (durchschnittliche Anzahl der reaktiven OH-Gruppen pro Molekül) eingesetzt. Durch basenkatalysierte Alkoxylierung, der Addition von Ethylenoxid (EO) und/oder Propylenoxid (PO) an mehrwertige OH-Startermoleküle, lassen sich die gängigen Polyetherpolyole in einem Molekulargewichtsbereich von 200–6000 g/mol und einem Funktionalitätsbereich von 2–6 für verschiedene Anwendungen herstellen. Teilweise werden auch Amine (NH2-Funktionalitäten) als Startermoleküle bei der Polyolherstellung genutzt.

4.1 Urformen

Über die Polyolkettenlänge, das PO/EO -Verhältnis sowie über die Funktionalität lassen sich die größten Modifikationen am PUR-Werkstoff vornehmen, da über diesen Schritt in die Morphologie des Polymermaterials eingegriffen wird. Polyesterpolyole Die mengenmäßig kleineren Polyesterpolyole werden durch eine Polykondensationsreaktionen von Polycarbonsäuren mit Polyolen erhalten.

Je nach Anwendungsschwerpunkt (starke mechanische Belastung oder hohe Hydrolysebeständigkeit) werden in ähnlichen PUR-Produkten (z.B. Schuh) entweder Polyesterpolyole oder Polyetherpolyole eingesetzt. Additive Zur individuellen Einstellung der Reaktionsgeschwindigkeiten zwischen Isocyanat und Polyol oder Wasser werden Katalysatoren eingesetzt. Gelreaktionen werden mit Zinnverbindungen oder Amin basierten Katalysatoren beschleunigt. Die Treibreaktion zwischen Wasser und Isocyanat wird meistens von Aminverbindungen katalysiert. Eine Regulierung der Zellstabilität und Zellstruktur wird über Stabilisatoren auf Silikonbasis erreicht.

299

Wichtigste Dicarbonsäuren sind Adipinsäure oder Phthalsäureanhydrid, die mit kurzkettigen C2-C6 Diolen umgesetzt werden. Vorteilhaft gegenüber den Polyetherpolyolen erweisen sich die mechanischen Eigenschaften der Polyesterpolyole in PUR-Anwendungen. Nachteilig hingegen sind die schlechteren Stabilitäten der PUR-Werkstoffe aus Polyesterpolyolen gegenüber Hydrolyse durch Wasser (Luftfeuchtigkeit).

Präpolymere Für gewisse Verarbeitungseigenschaften ist es vorteilhaft einen Teil der Isocyanatgruppen vorab mit einem Teil des Polyols abreagieren zu lassen. In diesem Fall wird von Präpolymeren gesprochen, die noch immer freie Isocyanatgruppen für die nachfolgenden Treib- und Gelreaktionen besitzen, in ihrer Gesamtreaktivität, Viskosität und Verarbeitungseigenschaft aber modifiziert wurden. Die Gesamtheit aller Reaktionspartner wird als Polyurethan-System bezeichnet. Struktur-Eigenschaften Die Polymerstruktur von Polyurethan und die resultierenden makroskopischen Eigenschaften werden im Wesentlichen durch die chemische Struktur der eingesetzten Polyole und Isocyanate bestimmt.

300

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-91. Schematischer Aufbau von PUR-Weichschaum aus Hart- und Weichphase

Bild 4-90

Bild 4-92. Speichermodul G’aus DMA-Messung von PUR-Weichschaum

Beispiel: PUR-Weichschaum In Anwesenheit von Wasser reagiert ein Teil des Isocyanats zu den korrespondierenden Harnstoffen unter Freisetzung von Kohlendioxid ab und „treibt“ damit die Volumenexpansion voran. Werden für die parallel ablaufende Gelreaktion langkettige (Molekulargewicht 4000–6000 g/mol) nieder-

4.1 Urformen

301

Bild 4-93. Polyurethanreaktion unter Ausbildung eines Schaumpilzes

funktionelle (OH-Funktionalität 2-3) Polyole eingesetzt, so entsteht ein zweiphasiges System. Die polaren Harnstoffe formieren sich zu Harnstoffsegmenten und bilden die sogenannte „Hartphase“ aus. Die Glasüberganstemperatur dieser Phase liegt bei > 120 °C. Chemisch über Urethangruppen an die Hartphase angebunden bilden die Polyetherketten eine unpolare Weichphase mit einer Glasübergangstemperatur unterhalb –30 °C aus. Polymerchemisch gesehen entsteht ein A-B2 Blockcopolymer (A = Weichphase, B = Hartphase) mit zwei Glasübergangstemperaturen. Bei Temperaturen unterhalb –30 °C ist ein PUR-Weichschaum spröde und hart. Mit steigender Temperatur durchläuft das Material die Glasübergangstemperatur und geht in den gummi-elastischen Zustand über, in dem es auch bei Raumtemperatur vorliegt. Zur Herstellung von offenzelligen, stabilen PUR-Schäumen bedarf es der Abstimmung von Gel- und Treibreaktion, deren Geschwindigkeiten anhand von charakteristischen Zeiten erfasst werden können. Startzeit: Nach dem Zusammengeben der Reaktionspartner Isocyanat, Polyol und Wasser sowie aller benötigten Additive wird das Reaktionsgemisch kräftig gerührt, damit die zunächst unmischbaren Isocyanate und Polyole miteinander zur Reaktion gebracht werden. Dabei liegt das Isocyanat bei Zugabe in reiner Form vor, der Polyolkomponente werden die Additive beigemischt. Die empirisch bestimmte Startzeit ist erreicht, wenn das Reaktionsgemisch an Volumen zunimmt (Treibreaktion = Kohlendioxid Bildung)

Steigzeit: Während der Steigzeit expandiert das Reaktionsgemisch unter Ausformung von zellulären Strukturen. Die entstehenden Zellen besitzen Zellstege und Zellwänden (ähnlich Würfelkanten und Würfelflächen), in deren Inneren das Kohlendioxid eingeschlossen ist. Der stetig steigende Innendruck der Zelle lässt diese weiter wachsen. Zeitgleich dazu beginnt die Zellstegmatrix durch die Gelreaktion langsam zu „gelieren“ und härtet aus. Am Ende der Treibreaktion erreicht der Schaum seine maximale Steighöhe und damit die Steigzeit. Zu diesem Zeitpunkt ist der Innendruck der Zellen so stark angewachsen, dass die Zellwände bersten und das Kohlendioxid tritt aus. An der noch klebrigen Schaumoberfläche wird dieser Zeitpunkt mit dem Auge wahrgenommen, da auf der Oberfläche Gasblasen entweichen.

Bild 4-94. Steighöhenprofile von Polyurethanreaktionen

302

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-97. Speichermodul G`aus DMA-Messung von Polyurethan Hartschaum Bild 4-95

Bild 4-96. Viskositätsprofile von Polyurethanreaktionen

Um einen Schaumkollaps zu verhindern, muß die Zellstegmatrix zum Zeitpunkt der Zellöffnung fest genug sein, um den Schaum stabil zu halten. Ein leichtes Absetzen erfolgt dennoch nach Entweichen des Zellgases. Ist die Treibreaktion zu schnell, öffnen die Zellen zu früh und der Schaum kollabiert. Bei zu schneller Gelreaktion ist die Matrix am Ende der Steigzeit bereits zu hart und der Innendruck der Zellen reicht nicht aus, um die Zellwände zu bersten. Die Schaumzellen bleiben geschlossen und der Schaum schrumpft beim späteren Abkühlen sehr stark zusammen.

Bild 4-98. Schematischer Aufbau der amorphen Struktur von PUR-Hartschaum

Klebfreizeit: Nach der Zellöffnung härtet das Schaummaterial noch über einen längeren Zeitraum (bis zu 24h) weiter aus. Bereits nach wenigen Minuten ist die Oberfläche schon klebfrei. Dies ermöglicht eine einfache Lagerung nach der Produktion. Beispiel: PUR-Hartschaum Im Gegensatz zu zweiphasigen PUR-Weichschäumen besitzen PUR-Hartschäume eine amorphe einphasige Polymerstruktur.

4.1 Urformen Durch den Einsatz von kurzkettigen hochfunktionellen Polyolen (Molekulargewicht < 1000 g/mol, OH-Funktionalität >4) entsteht ein sehr dichtes Netzwerk. Eine Trennung in Hart- und Weichphase kann aufgrund der kurzkettigen Polyole und der schnellen, starken Vernetzung nicht stattfinden. Kurzkettige Polyole und Harnstoffsegmente formen zusammen eine Phase mit einer hohen Glasübergangstemperatur von >120 °C. Bei Raumtemperatur liegt das Material damit im hart-spröden Bereich vor. Der sehr hohe Vernetzungsgrad verhindert die Zellöffnung während der Schaumbildung und führt zur gewünschten geschlossenen Zellstruktur. Das in-situ entstandene Kohlendioxid verbleibt innerhalb der Zellen und liefert zusammen mit dem zugesetzten physikalischen Treibmittel (z.B. Pentan) einen wichtigen Beitrag zur ausgezeichneten wärmedämmenden Eigenschaft der PUR-Hartschäume, auf deren Herstellung und Anwendung später genauer eingegangen wird. Beispiel: Thermoplastische Polyurethane (TPU) Die zweiphasige Morphologie aus Hartphasen und Weichphasen wird bei TPU-Materialien über eine besondere Auswahl von Polyolen erreicht. Da TPU als kompaktes Material ohne Wasser hergestellt wird, stehen keine Harnstoffe zur Hartphasenausbildung zur Verfügung. Eine Phasentrennung wird in kompakten TPU-Materialien über den Zusatz von streng linearen kurzkettigen Diolen wie z.B. 1,4-Butandiol erreicht. Zwischen den Ketten aus linearen MDI–Butandiol Urethaneinheiten kommt es zur Agglomeration und (Teil-)Kristallisation der entstandenen Hartphasen. Die eingesetzten langkettigen Diole – beispielsweise Polytetrahydrofuran (PolyTHF Molekularmasse 2000 g/mol) – bilden die Weichphase aus. Über Kettenlängenvariation der Polyole kann der Hartphasenabstand und damit die Materialeigenschaft verändert werden.

Bild 4-99. Schematischer Aufbau von TPU aus Hart- und Weichphase

303

Herstellung und Anwendungen von Polyurethan Bevor auf die genaueren Herstellverfahren und Anwendungen der unterschiedlichen Polyurethantypen eingegangen wird, ist ein kurzer Exkurs in die Wertschöpfungskette der Polyurethanindustrie angebracht, um die verschiedenen Verarbeitungsschritte bei der PUR-Herstellung besser verstehen zu können. Exkurs: Wertschöpfungskette in der Polyurethanindustrie Die Wertschöpfungskette innerhalb der PUR-Industrie lässt sich bis auf wenige Ausnahmen in die Bereiche vor und nach der Polyurethanreaktion teilen. Zu Beginn stehen die großen Rohstoffhersteller, die in world-scale Anlagen die PUR-Rohstoffe herstellen und teilweise bis zum Öl rückintegriert sind. Isocyanatanlagen können heute bis zu 400.000 Tonnen im Jahr produzieren und verlangen von den großen Rohstoffherstellern hohe Investitionen. Demgegenüber stehen zahlreiche kleinere Firmen, die als Anbieter im Bereich von PUR-Additiven (Stabilisatoren, Katalysatoren, etc.) spezielle Produkte für verschiedene PUR-Anwendungen entwickeln und vertreiben. Abnehmer der Rohstoffe sind einerseits sogenannte Systemhäuser, die sich aus den verschiedenen am Weltmarkt zur Verfügung stehenden Rohstoffen die PUR-Systeme mischen. Häufig sind Systemhäuser den großen Rohstoffherstellern im Konzernverbund angeschlossen. Dabei werden die Polyole mit den teilweise zugekauften Additiven für die jeweilige Anwendung abgemischt. Passend dazu liefert das Systemhaus Isocyanatmischungen mit unterschiedlichem Isomerenverteilungen aus. Die Reaktion der Isocyanate und Polyole (inkl. Additive) wird nicht mehr vom Systemhaus durchgeführt, sondern findet in der nachgeschalteten PUR-Verarbeitungsindustrie statt.

304

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-100. Prinzip der PUR-Wertschöpfungskette

Systeme werden so entwickelt und hergestellt, dass der „Systemkunde“ sie direkt einsetzen kann und der Werkstoff die gewünschten Eigenschaften erhält. Im Bereich etablierter Anwendungen – z.B. Weichschaum für Matratzen – beziehen viele große PUR-Verarbeiter die

Bild 4-101. Einteilung der Polyurethanklassen nach Dichte und Härte

Polyole, Isocyanate und Additive direkt in reiner Form von verschiedenen Rohstoffherstellern und entwickeln und verarbeiten ihre Systeme selbst (Selbstformulierer). Teilweise werden von Verarbeitern für unterschiedliche Anwendungen Systeme und Rohstoffe eingekauft.

4.1 Urformen

305

Bild 4-102. Anwendungsgebiete von PUR-Weichschaum

Herstellung und Anwendungen von Polyurethan Der folgende Abschnitt gliedert die wichtigsten Polyurethantypen nach Dichte und „Härte“ des Materials. Die „Härte“ wird über den Polymermodul abgebildet. Wie dem Schaubild entnommen werden kann, erstreckt sich das Eigenschaftprofil der Polyurethane in seinen Anwendungen von weichen zellulären Schäumen über mikrozelluläre Elastomere und Halbhartschäume bis hin zu harten und kompakten PUR-Materialien. Ebenso können harte zelluläre Polyurethane (Hartschäume) erhalten werden. Diese Eigenschaftsmatrix macht die Polyurethane zu den vielseitigsten industriellen Polymeren, deren StrukturEigenschaftsprofile, Hauptanwendungen und Verarbeitungstechnologien im nachstehenden Abschnitt näher beschrieben werden.

Bild 4-103. Offenzelligkeit von Weichschaum

PUR-Weichschäume Eigenschaftsbereiche

DIN-EN ISO

Dichte Stauchhärte 40% Bruchdehnung Druckverformungsrest

845 3386 1798 1856

Übliche Verarbeitungsbreite 15–70 kg/m3 1–70 kPa 80–200 % < 10%

PUR-Weichschäume finden ihre Hauptanwendung als flexible Polstermaterialen in Autositzen, Kopfstützen, Möbeln und Matratzen. Wegen ihrer hohen Elastizität und Rückstellkraft nach Verformung sind PUR-Weichschaumstoffe Langzeit dauerbelastbar und formstabil. Ihr offenzelliger Charakter garantiert die notwendige Luftdurchlässigkeit und den erforderlichen Feuchtigkeitstransport in Polster und Matratzenanwendungen. Insbesondere im Möbel und Matratzenbereich ist eine hohe Flammfestigkeit der PUR-Weichschäume gefordert, die über Zugabe von speziellen Flammschutzmitteln erreicht wird. Blockweichschaum mit Polyesterpolyolen wird hauptsächlich zu Textillaminaten (Autotür Innenverkleidungen) verarbeitet. Herstellung von Blockweichschäumen Die großtechnische Fertigung von PUR-Blockweichschaumstoffen erfolgt in kontinuierlichen Schäumanlagen. Dabei werden die Isocyanate (vorwiegend TDI) und Polyole, sowie alle weiteren Additive in separaten Tanks vorgelegt und einem Mischkopf zugeführt, in dem sie zur Reaktion gebracht werden. Der Austrag erfolgt kontinuierlich auf ein Förderband, auf dem der PUR-Schaum aufsteigt, bis er nach ca. 6m seine maximale Höhe erreicht hat. Am Ende des För-

306

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-104. Kontinuierliche Blockschaumherstellung Oben: Gesamtanlage Unten: Eintrag der Reaktionsmischung auf Mischkopf

4.1 Urformen

307

Bild 4-105. Prinzipskizze Formschaumherstellung

derbandes werden die Schäume in 2–60 m lange Blöcke geschnitten und anschließend für mindestens 24h zwischengelagert. Sowohl das Förderband als auch die Seitenwände der Schäumanlage sind mit Polyethylenfolie oder Papier bedeckt, um ein verkleben des Schaums an der Anlage zu verhindern. Bei älteren Schäumanlagen kommt es zur Ausbildung gewölbter Oberflächen beim Schaum, da die Reibung an den Seitenwänden zu einer ungleichen Volumenexpansion führt. In neueren Verfahren wird durch ein spezielles Auftragen der Reaktionsmischung auf das Förderband eine nahezu plane Blockschaumoberfäche erreicht, die für den Produzenten weniger Verschnitt zur Folge hat. Nach Aushärtung der Blockschäume im Zwischenlager werden diese in die gewünschten – teilweise sehr komplexen – Formen geschnitten und weiterverarbeitet (Schnittschaum). Zur Herstellung von Mehrhärtezonen-Matratzen werden Blockweichschäume verschiedener Härte nach Zuschnitt miteinander verklebt. Handelsübliche Weichschaumtypen liegen in Dichtebereichen von 15–70 kg/m3 und sind in unterschiedlichen Spezialausführungen erhältlich. Von extrem flammwidrig über sehr elastisch bis zu viskoelastischen Schaumstoffen.

Herstellung von Formschaum Das Hauptanwendungsgebiet für PUR-Formschäume sind Autositze, die im Laufe der Zeit immer dünnere PURSchaumkerne mit äußerst komplexen Geometrien bekommen haben. Um einen aufwendigen Schnittvorgang bei Mas-

Bild 4-106. Formschaumkern für KFZ-Rücksitzbank

308

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

senproduktionen zu vermeiden, wird das Reaktionsgemisch direkt aus dem Mischkopf in eine b eheizte verschließbare Form eingetragen. Bei 30–60 °C Formtemperatur findet die PUR-Reaktion in der geschlossenen Form statt, aus der über kleine Ventile das entstehende Kohlendioxid entweichen kann. Nach 3–6 min wird der PUR-Schaum entformt und zur Auskühlung und Nachhärtung zwischengelagert. Bei der Formschaumherstellung für Autositze kommen TDI und MDI wie auch deren Abmischungen zum Einsatz. Je nach Bauteilgeometrie variieren die erforderlichen Dichten üblicherweise zwischen 40–60 kg/m3. Zur besseren Stabilität der Sitzposition des Fahrers werden häufig Zweihärtensitze angefertigt, deren PUR-Schaumkern eine weichere Sitzfläche und härtere Seitenwangen aufweist. Zunächst wird dabei das Material für die weichere Sitzfläche aus dem Mischkopf eingetragen, um anschließend über eine Veränderung des Mischungsverhältnisses die härteren Seitenwangen zu befüllen. Nach Verschließen der Form läuft das Material während der Volumenausdehnung aufeinander zu. Als Hinterschäumtechnik bezeichnet man ein Verfahren, bei dem das PUR-Material direkt in den Sitzbezug geschäumt wird. Dabei wird mittels Vakuum der Sitzbezug passgenau an die Forminnenseite gesaugt. Nachdem das PUR-Material in die Form eingetragen wurde, schließt die Form und der expandierende PUR-Schaum füllt den Sitzbezug nach Formteilgeometrie aus. Dabei ist zu beachten, dass das PURMaterial nicht durch einen zu hohen Innendruck in der Form durch den Sitzbezug gedrückt wird. Selbiges kann bei zu geringer Viskosität der Reaktionsmischung beim Eintrag in die Form passieren, sofern die PUR-Reaktion nicht schnell genug unter Viskositätsaufbau startet.

Werden Halbhartschäume durch einen Stoß belastet, so federn sie nicht unmittelbar zurück, sondern nehmen die Stoßenergie auf und verteilen diese über die Schaummatrix. Dieses außerordentlich hohe Dämpfungsverhalten wird für Sicherheitsanwendungen im Automobilbereich genutzt. Gepaart mit den exzellenten akustischen Isolationseigenschaften ergeben sich vielfältige Anwendungsmöglichkeiten im Automobilinnenbereich. Folienhinterschäumte Bauteile Instrumententafeln im Automobilbereich werden durch Folienhinterschäumung hergestellt und bestehen aus mehreren Schichten. Das PUR-Material wird dabei in eine mit Folie ausgelegte Form geschäumt, die später die Oberfläche der Instrumententafel bildet. Häufig kommen PVC-Folien zum Einsatz, die eine gute Haftung zum PUR-Halbhartschaum aufweisen. Zur Verstärkung auf der späteren – nicht sichtbaren – Rückseite kommen Träger aus glasfaserverstärktem Polyurethan (separater Abschnitt in diesem Kapitel), PCABS oder auch PP zum Einsatz. Nachdem das PUR-Material in die Form eingetragen und verschlossen worden ist, reagiert das PUR-Material unter direkter Haftung zur Oberund Unterschicht aus. Aufgrund der teilweise sehr komplexen Formteilgebung und der Einführung von z.B. Beifahrerairbags werden hohe Fließanforderungen an das PUR-Material gestellt. PUR-Halbhartschäume in Stoßfängersystemen eingesetzt, da durch ihre hochdämpfenden Eigenschaften ein guter Aufprallschutz geboten werden kann. Das zeitverzögerte, viskoelastische Rückstellverhalten der Halbhartschäume führt zu einer vollständig Erholung des Schaums nach einem Aufprall.

Halbhart-Schaumstoffe (HH-Schäume) Eigenschaftsbereiche

DIN

Übliche Verarbeitungsbreite über alle Typen

Dichte (Formschaum)

53420

20–950 kg/m3

Stauchhärte 40%

53577

25–1500 kPa

Bruchdehnung

53571

10–130 %

Druckverformungsrest

53572

2–40%

Zug-E-Modul

53457

1000–4000 MPa (Faserverstärkt)

Offenzelliger Halbhart-Schaumstoff besitzt hervorragende Haftungseigenschaften zu verschiedenen Materialen und kann über einen weiten Härte- und Dichtebereich eingestellt werden.

Bild 4-107. KFZ-Instrumententafel mit PUR-Elementen

4.1 Urformen

309

Bild 4-108

Thermoformschäume (TF-Schäume) Im Gegensatz zu bereits besprochenen PUR-Weichformschäumen, die in Realteilformen verschäumt werden, erhalten TF-Schäume ihre endgültige Bauteilgeometrie erst nach der Verschäumung. Zunächst werden die offenzelligen TF-Schäume in einem Rohdichteberich von 20–50 kg/m3 als Blockware hergestellt und in dünne Lagen geschnitten. Im nächsten Schritt erfolgt die thermische Verformung in einer Presse bei rund 80 °C, wobei die ungefähr 10mm dünnen TF-Schaumlagen ebenfalls auf bis zu 180 °C vorgeheizt werden. Während der thermischen Verformung verklebt das PURMaterial mit den eingelegten Dekorstreifen und Trägermaterialen. So können großflächige selbsttragende Bauteile mit ausgesprochen guten akustischen Eigenschaften erhalten werden. Haupanwendungsgebiet ist die Herstellung von mehrschichtigen Dachhimmelsystemen für Automobilanwendungen. Faserverstärkte Halbhartschäume Um sehr tragfähige PUR-Formteile zu erhalten, können durch spezielle Verarbeitungstechniken Glasfasern von un-

Bild 4-109. Austrag eines glasfaserhaltigen PU-Gemisches aus einem Mischkopf

gefähr 6–7mm Länge in das PUR-Material eingearbeitet werden. Sehr belastbare, dünne und leichte glasfaserverstärkte PUR-Halbhartschäume mit einem Glasgehalt von bis zu 30% werden insbesondere in Hutablagen, Rückenlehnen und als Trägermaterialen für Instrumententafeln eingesetzt. Als vorteilhaft erweist sich die gute Hafteigenschaft zu Dekormaterialen, an die das Material direkt geschäumt werden kann. Integralschäume Ihren Namen verdanken PUR-Integralschaumstoffe einem Dichteintegral innerhalb der Schaumstruktur. Der niederdichte zelluläre PUR-Kern geht fließend in eine kompakte hochdichte Oberfläche mit geschlossener Haut über. Das Dichteintegral in der Schaumstruktur wird durch einen Temperaturgradienten innerhalb der Reaktionsform erreicht. Aufgrund der exothermen PUR-Reaktion steigt die Temperatur im inneren Kernbereich des Schaums so stark an, dass die zugesetzten leichtflüchtigen Treibmittel (z.B. Pentan) verdampfen und zur Expansion des Materials

Bild 4-110. Dichteintegral im Schaum

310

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-112. Skibretter aus PUR-Duromer-Material

Bild 4-111. Lenkrad aus PUR-Weichintegralschaum

innerhalb der Form führen. An den kälteren Formwänden wird die Reaktionswärme abgeführt und das Treibmittel verdampft nicht mehr. Es entsteht eine kompakte geschlossene Haut auf einem flexiblen weichen Schaumkern. Bei der Herstellung von Lenkrädern wird ein Metalleinleger in die Form gelegt und umschäumt. Durch Reliefstrukturen der Forminnenseite können gewünschte optische Nahteffekte auf der Außenhaut erzielt werden. Die Kombination aus flexiblem zellulären Kern und geschlossener Außenhaut gepaart mit kostengünstiger Verarbeitungstechnologie eignet sich insbesondere für den Einsatz in Schuhsohlen. Die hochdämpfenden und kälteisolierenden PUR-Intergralschäume bieten höchsten Tragekomfort, wobei die geschlossene und abriebfeste Außenhaut den zellulären Kern schützt. Übliche Anwendungen sind Badelatschen, Sicherheitsschuhe, Sportschuhe und Freizeitschuhe. Die Härte des PUR-Materials kann über die Kettenlänge und die Funktionalität der Polyole stark variiert werden. Integralschäume mit sehr harter Kernstruktur – sogenannte Duromerschaumstoffe – besitzen bei sehr geringem Gewicht eine außergewöhnlich hohe Stabilität, wie sie für Skibretter gefordert ist.

Hartschaumstoffe Wichtige Kennzahlen Dichte Druckfestigkeit Brennbarkeit Wärmeleitfähigkeit Geschlossenzelligkeit

DIN 53420 53421 4102 52612 –

Beispielhafte Werte 40–50 kg/m3 0,25–0,35 N/mm2 Klassen B1–B3 0,018–0,003 W/m*K 91–95%

Ein bedeutender Teil des weltweiten Mengenumsatzes an PUR-Material wird mit Hartschaumstoffen erzielt. Die ausgezeichneten thermischen Isolationseigenschaften von PURHartschäumen haben zu einer Vielzahl von Anwendungen

Bild 4-113. Geschlossene Zellen im PUR-Hartschaum

4.1 Urformen in der Wärme- und Kälteisolierung geführt, die auch in Zukunft vielversprechendes Mengenwachstum erwarten lassen. Wie oben erläutert, besitzt PUR-Hartschaum eine geschlossene Zellstruktur, in der sich das entstandene CO2 gemeinsam mit dem physikalischen Treibmittel (z.B. Pentan) befindet. Die Wärmeleitfähigkeit des Zellgases ist wesentlicher Bestandteil der Gesamtdämmleistung des PUR-Materials. FCKW-Treibmittel sind aufgrund ihrer schädlichen Umwelteinwirkung vom Markt verdrängt worden. Insgesamt tragen vier Haupteffekte zur Gesamtwärmeleitfähigkeit λGesamt bei: λGesamt = λStrahlung + λMatrix + λGas + λ Konvektion Neben den hervorragenden Dämmeigenschaften ist vor allem die effiziente Verarbeitung ein Erfolgsfaktor für PURHartschaum. Die relativ lange Klebfreizeit ermöglicht die direkte Haftung an ein Trägermaterial (z.B. Stahl) in einem Produktionsschritt. Auf kontinuierlichen Verarbeitungslinien wird das PURMaterial zu einem Sandwichelement aus Deckschicht – PUR – Deckschicht verarbeitet. Für Fassadenelemente von Kühlhäusern wird auf einer Doppelbandanlage der Schaum zwischen zwei Stahlblechdeckschichten aufgetragen. Derartige selbsttragende und hochdämmende Fassadenelemente werden in Längen von bis zu 15 Metern gefertigt. Um die gesetzlich vorgeschriebenen Normen des Brandschutzes

Bild 4-114. PUR-Dämmplatten

Bild 4-115. PUR-Sandwich-Panelen

Bild 4-116. Schematischer Aufbau eines Kühlschrankkabinetts, gefüllt mit PUR-Hartschaum

311

312

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

erfüllen zu können, muß der leichtbrennbare PUR-Hartschaum im Baubereich mit Flammschutzmitteln versetzt werden. Neben starren Stahlpanelen werden zur Dachdämmung im nicht industriellen Gebäuden auch Sandwichelemente mit Kunststoffdeckschichten produziert. Zur Isolierung von Kühlschränken ist PUR-Hartschaum das Material der Wahl. Ein leeres, nicht selbständig tragendes Kühlschrankkabinett wird mit PUR-Material ausgefüllt, das neben hervorragenden Dämmeigenschaften auch gute mechanische Eigenschaften zur Stabilisierung des Kühlschrankes besitzen muß. Zugleich erfordert das Ausfüllen von Kühlschrankkabinetten gute Fließfähigkeiten, damit Lufteinschlüsse beim Füllvorgang vermieden werden. Eine besondere Verarbeitungsart von PUR-Hartschaum kommt bei sogenanntem Ortschaum zum Einsatz. Dabei wird das PUR-Material direkt auf die Dach- oder Wandaußenfläche gespritzt und härtet vor Ort aus. Das Verfahren erlaubt die schnelle einfache Dämmung von großen Oberflächen und ist in Europa in Spanien sehr verbreitet. Neben den bereits genannten Hauptanwendungsgebieten von PUR-Hartschäumen gibt es eine Vielzahl von weiteren Dämmanwendungn im industriellen und privaten Bereich, die nicht näher erläutert werden sollen. Erwähnenswert ist das Prinzip der Rohr-in-Rohr (pipe-in-pipe) Dämmung.

Bild 4-118. Rohr-in-rohr Isolierung mit PUR-Hartschaum

Bild 4-119. Kühlhaus

Reaction – Injection – Moulding (RIM) Reaktionsspritzguß

Bild 4-117. Verarbeitung von PUR-Ortschaum

Wichtige Kennzahlen

DIN

Beispielhafte Werte

Dichte

53420

1–1,25 g/cm3

Shore-D-Härte

53505

55–60

Bruchdehnung (Stab)

53504

70–300 %

Biege-E-Modul

53457

500–1400 N/mm2

Schlagzähigkeit (Kleinstab)

53453

Ohne Bruch

4.1 Urformen Im nahezu kompakten Bereich der Polyurethane liegen RIM Anwendungen für den Automobilbereich. Die Verarbeitung eines chemisch reagierenden PUR-Materials im Spritzguß ist die Besonderheit im Herstellverfahren von RIM-Materialen. Üblicherweise werden im Spritzguß bereits ausreagierte, granulierte Kunststoffe unter Temperatur aufgeschmolzen und in eine Form gespritzt, ohne dass eine chemische Reaktion stattfindet.

PUR Elastomere Thermoplastische Polyurethane (TPU) werden in unterschiedlichen Technologien zu elastischen Werkstoffen mit sehr guten Dehn- und Biegeeigenschaften verarbeitet. Der streng lineare Aufbau (vgl. Morphologie) führt zu belastbaren Strukturen mit hoher Flexibilität, wie sei z.B. für Kabelummantelungen oder Schuhapplikationen gefordert ist.

Bild 4-120. Schema des Reaktionsspritzgussverfahrens

Im wesentlichen kommen die schlagzähen, elastischen RIM-Bauteile für Automobilkarossen wie Kotflügel, Seitenverkleidungen oder Stoßfänger zur Anwendung.

Bild 4-121. Anwendungsbereiche von RIM-Bauteilen im Automobilbereich

313

Bild 4-122. Flexible Schuhsohle aus TPU

Bild 4-123. Flexible TPU-Kabelschläuche

314

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

TPU wird als eines der wenigen PUR-Produkte häufig beim Rohstoffhersteller als Granulat hergestellt und dann zur weiteren Formgebung an die PUR-Verarbeiter abgegeben. TPU-Folien sind kratzfest, extrem dehnbar und reißfest. Spezielle wasserdampfdurchlässige Folientypen können somit atmungsaktiv aber undurchlässig für Flüssigkeiten sein. Daher bieten TPU-Folien hervorragende Eigenschaften als Verpackungsmaterial und Schutzfolien für die TPU im Blasfolienverfahren verarbeitet wird.

Bild 4-124. Strapazierfähige TPU-Folie

Bild 4-125. PUR-Elastomer mit geringer Querdehnung (Cellasto®)

PUR-Gießelastomere Der Bereich der Gießelastomere umfasst sehr viele spezielle Anwendungsgebiete, die an dieser Stelle nicht ausführlich erläutert werden können. Vielmehr soll anhand ausgewählter Beispiele und Abbildungen ein Einblick in die unzähligen Modifikationen gegeben werden. Mikrozelluläre Gießelastomere kommen als hochdämpfende Federelemente im Automobilbau zur Anwendung. Sie tragen wesentlich zur Vibrations- und Schwingungsdämpfung des Fahrwerks bei und können aufgrund ihrer geringen lateralen Ausdehnung bei Kompression in einfache zylindrische Stahlfederkonstruktionen integriert werden. Des Weiteren finden kompakte Gießelastomere ihre Anwendung in Industrieböden, Sporthallenböden und anderen Deckschichten, die hohe Abriebfestigkeit und Stabilität erfordern. Eine innovative, junge Anwendung stellt das Sandwich-Plate-System (SPS) dar, bei dem ein kompakter PUR-Kern zwischen zwei Stahldeckschichten als sehr belastbarer, leichter Baustoff für extreme Anwendungen, wie Brückenbau, eingesetzt werden kann.

4.1 Urformen

Bild 4-126. SPS-Anwendung

Bild 4-127. Sportböden aus Gummigranulat verklebt mit PUR-Elastomer

Bild 4-128. Abriebfeste Rollen aus PUR-Elastomer

315

316

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

4.1.3.4.3

Herstellung von Polyurethan-Schäumen [1]–[5]

Helmut Schüle Obgleich alle Kunststoff-Formassen zu einem Integralschaumstoff verarbeitet werden können, kommt insbesondere dem PUR-Schäumen eine große wirtschaftliche Bedeutung zu. Die Herstellung von PUR-Formteilen erfolgt in Anlagen, in welchen die flüssig vorliegenden, niedrigviskosen Ausgangskomponenten Polyisocyanat und Polyol sowie u. U. Funktionsstoffe zugegeben, vermischt und die so gebildeten Reaktionsgemische ausgetragen werden (IsocyanatPolyadditionsverfahren, siehe auch Kapitel 2.3.1.2). Wird ein physikalisches Treibmittel (Pentan, Stickstoff, Kohlenstoffdioxid) zugegeben, bildet sich als Folge dieser Vernetzungsreaktion ein duroplastischer PUR-Schaum. In praxi wird dieser Vorgang als Reaktionsschaumgießen (RSG-Verfahren) bzw. im Englischen „Reaction Injection Molding“ (RIM-Verfahren) bezeichnet. Nach diesem Verfahren können prinzipiell Integralschaumstoffe (poröser Kern mit nahezu zellfreien Randschichten) sowie Formteile mit definiert vorgegebener, homogener Dichte hergestellt werden. Werden dem reaktiven Ausgangsgemisch Füllstoffe (Fasern) mit dem Ziel einer Festigkeitserhöhung des herzustellenden Formteils zugegeben, so spricht man von „Reinforced Reaction Injection Molding“ (RRIM-Verfahren). Bei zusätzlichem Einbringen von definierten Verstärkungsstrukturen in das Bauteil handelt es sich um das Structural RIM-Verfahren (S-RIM) bzw. Structural RRIM-Verfahren (SRRIM). Anlagen- und Verfahrenstechnik Die Verarbeitung der PUR-Rohstoffe geschieht auf Schäumanlagen, welche aus mindestens einer Schäummaschine und einer Formgebungseinrichtung bestehen. Die Schäummaschine gilt als Kernstück der Gesamtanlage. Sie nimmt die flüssigen Ausgangskomponenten auf, bringt und hält diese auf verarbeitungsfähigem Zustand, dosiert im richtigen Mengenverhältnis, mischt die Komponenten intensiv und überführt das Reaktionsgemisch in das Werkzeug. Die beiden Hauptkomponenten Polyol und Isocyanat werden aus den Vorratsbehältern in temperierte Arbeitsbehälter überführt. Bei der Lagerung ist zu beachten, dass jede Aufnahme von Feuchtigkeit vermieden wird. Temperaturen oberhalb von 35 °C schädigen die Rohstoffe, bei Temperaturen unterhalb von 15 °C kristallisieren die meisten Isocyanate aus (Viskositätsveränderungen). Häufig werden reine 2-Komponentensysteme verarbeitet, die bereits zugemischte Zusatzstoffe enthalten; eine Direktzumischung in die Dosierleitung ist prinzipiell möglich. Dosieraggregate fördern die Komponenten in definiert vorgegebenen Mischungsverhältnissen aus den Arbeitsbe-

hältern zum Mischkopf. Hier treffen die Reaktionspartner aufeinander und werden zum Reaktionsgemisch vereinigt. Dieses Gemisch wird nun entweder direkt, über nachgeschaltete Beruhigungselemente (laminares Eingießen ohne Luftblaseneinschluss) oder über Angießkanäle in den Werkzeughohlram ausgetragen und schäumt schließlich auf. Nach Ablauf der Reaktions- bzw. Aushärtezeit kann das Formteil entnommen bzw. weiterverarbeitet werden. Diskontinuierlich arbeitende Schäummaschinen Während auf Niederdruckmaschinen die Komponentenströme mit Drücken von 5–40 bar vorzugsweise Rührwerksmischkammern zugeführt werden, verdichten bei Hochdruckmaschinen Kolbenpumpen die Rohstoffkomponenten auf 150–300 bar, welche dann im Gegenstrominjektionsprinzip vermischt werden. Hierbei wird die auftretende hohe kinetische Energie (Einspritzgeschwindigkeit sehr hoch) beim Eintritt in die Mischkammer zur Vermischung (turbulente Strömung) genutzt. Da das Füllen des Werkzeugs mittels einer laminaren Strömung (kein Überschlagen des sich schnell vernetzenden Flüssigkeitsgemischs bei gleichzei-

Bild 4-135. Niederdruckschäumanlage [1]

4.1 Urformen

317

werden üblicherweise Zahnradpumpen mit Außenverzahnung eingesetzt. Für Hochdruckanlagen kommen Kolbenpumpen in Frage, welche die Komponenten auf die geforderten Injektionsdrücke von 150–300 bar bringen. Beim Hochdruckprozess werden vorzugsweise sich selbstreinigende, zwangsgesteuerte Mischköpfe unterschiedlichster Ausführungsformen eingesetzt.

Bild 4-136. Hochdruckschäumanlage [2]

tigem Lufteinschluss) erfolgen muss, werden noch nachgeschaltete Beruhigungszonen (Drosseln) eingesetzt. Bei Niederdruck-Schäummaschinen werden die Komponenten üblicherweise durch Präzisions-Zahnradpumpen vor Schussbeginn kurzzeitig im Kreislauf geführt. Das Mischen besorgt ein schnelllaufender rotierender Rührer im Mischkopf. Der Mischkopf muss vor einem erneuten Gemischeintrag mit Lösungsmittel ausgespült und anschließend mit Luft ausgeblasen werden. Die Hochdruckmaschine mit Kreislaufsystem – die Komponenten werden vom Arbeitsbehälter über Dosieraggregat kontinuierlich zum Mischkopf und wieder zurück in den Behälter geleitet. Dabei werden bereits vor Schussbeginn die Komponentenströme auf erforderlichen Mengendurchsatz und Kammereinspritzdruck (Injektionsdruck, hohe Geschwindigkeit von ca. 150 m/s) gebracht. Die Umschaltung von Kreislaufposition auf den Injektionsvorgang erfolgt in zwangsgesteuerten Mischköpfen. In Niederdruckanlagen

Kolbengesteuerter Mischkopf In diesen Mischkopftypen werden die Reaktionskomponenten mit hohen Ausgangsdrücken durch Injektionsdüsen in eine betragsmäßig große Geschwindigkeit umgewandelt und in einen Mischraum eingeschossen. Die beim Zusammentreffen der einzelnen Komponenten entstehenden Turbulenzen bewirken eine schnelle und intensive Vermischung. Mischvorgang und Füllschuss werden durch Zurückziehen des betätigten Kolbens gestartet. Die zunächst getrennt zirkulierenden Komponenten werden in die Mischkammer umgeleitet. Zur Beendigung des Füllvorgangs wird der Steuer- und Reinigungskolben wieder nach vorne geschoben. Dabei werden die Komponentenströme wieder in den Kreislauf umgelenkt und gleichzeitig das in der Mischkammer befindliche reaktive Restgemisch mechanisch ausgeschoben. Linear-Mischköpfe, meist in verschleißfestem Hartmetall ausgeführt, werden in aller Regel direkt an die Form angebaut und vorzugsweise bei der Verarbeitung feststoffhaltiger Komponenten (Glasfasern u. a.) eingesetzt. Umlenkmischköpfe sind vorzugsweise für das Austragen in die offene Form oder durch ein Füllloch geeignet. Eine zusätzliche Gasbeladung verbessert das Fließverhalten und ermöglicht eine vollständige Füllung des Werkzeuges selbst bei langen Fließwegen und kurzen Füllzeiten. Bei Nadeldüsenmischkopf werden in Kreislaufstellung beide Nadeldüsen zugehalten. Die Komponenten fließen bereits im richtigen Mengendurchsatz unter Hochdruck direkt am Düsensitz vorbei – zurück in den Arbeitsbehälter. Durch Zurückziehen beider Düsennadeln (synchron, zwangsgesteuert) werden die Düsenbohrungen freigegeben. Am Ende des Einspritzvorgangs reinigt ein separat angetriebener Stößel die Mischkammer. Schließeinheiten und Werkzeugträger Die Hauptaufgabe einer Schließvorrichtung ist es, den Schäum- bzw. Blähdruck (wenige bar) aufzufangen und das Werkzeug zuzuhalten. Zusätzlich sollen die Schließvorrichtungen die Werkzeugteile zueinander bewegen – also schließen und öffnen. Die Werkzeuge sollen darüber hinaus in jede beliebige (insbesondere in die ergonomische) Arbeitslage geschwenkt werden können. Es werden je nach Werkzeuggröße unterschiedliche Schließvorrichtungen (manuell, Universal-Schließeinheit)

318

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-137. Kolbengesteuerter Mischkopf (Kreislauf-Mischstellung) [1]

angetroffen. Sind die Werkzeuge nicht steif genug ausgeführt, so werden sie in einen Werkzeugträger, der sämtliche Bewegungsfunktionen (Schwenkbewegungen bis 360°) übernimmt, eingebaut. Die Werkzeughälften sind zu diesem Zweck auf parallel zueinander geführten Aufspannplatten montiert. Die Auf- bzw. Zufahrbewegungen werden mittels Hydraulikzylindern vorgenommen. Werkzeug- und Angießkanal Bei der Herstellung von PUR-Integralschaumteilen ist das Werkzeug Formgebungseinheit und Reaktionsgefäß zugleich (Bild 4-138). Den Füllkanal zum Einfüllen des Reaktionsgemisches nennt man Angießkanal. Der Anguss ist das Schaumstoffteil, welches im Angießkanal nach dem Füllen verbleibt, aushärtet und zusammen mit dem Formteil entformt wird. In vielen Fällen, insbesondere beim Einsatz nicht werkzeuggebundener Mischköpfe, ist der Angießkanal auch Bestandteil des Werkzeuges. Prinzipiell gibt es Anbaumischköpfe, bei denen der Angießkanal vollständig im Mischkopf integriert ist. Der Angießkanal sowie der Anschnitt ist häufig als Direktanguss oder als Filmanguss aus-

geführt werden. Die meist temperierbaren Werkzeuge müssen für einen Innendruck bis maximal 10 bar ausgelegt sein und sich turbulenzarm angießen lassen. Auch muss bei optimaler Entlüftung ein minimaler Austrieb gewährleisten sein. Die Werkzeuge bestehen in aller Regel aus zwei oder mehr Teilen, die exakt aufeinander passen. Die Teilung des Werkzeuges ist so vorgenommen, dass das Formteil leicht entformt werden kann (keine Hinterschneidungen). Sollten Hinterschneidungen unvermeidbar sein, so werden Kernzüge eingebaut oder Einlegeteile verwendet, die mit dem Formteil entformt werden. Grundsätzlich ist die Trennfläche so anzulegen, dass die größten Flächen des Werkstückes nicht parallel zur Öffnungsrichtung liegen. Dadurch werden hohe Formöffnungskräfte und -wege beim Entformen vermieden. Sämtliche Trennfugen (Formtrennebene, Schieber, Auswerfer) müssen äußerst passgenau und dicht bearbeitet sein, damit das eingebrachte niedrigviskose Reaktionsgemisch oder das schäumende Material nicht herausgedrückt werden können. Das Werkzeug muss aber gewährleisten, dass das im Werk-

4.1 Urformen

319

Angusssystem

Bild 4-138. Verschiedene Angusssysteme [1]

zeughohlraum befindliche Gas, das vom aufsteigenden Schaum verdrängt wird, entweichen kann. Eine kontrollierte Entlüftung erreicht man durch schmale Austrittsschlitze, deren Dimensionierung in Vorversuchen ermittelt werden muss. Die Oberflächenstruktur der Werkzeuge wird konturgetreu bis in alle Einzelheiten durch den Integralschaumstoff abgeformt. Jede Abstufung zwischen hochglänzender und beliebig mattierter, strukturierter Oberfläche kann somit vorgenommen werden. Ein grundsätzlicher Unterschied hinsichtlich des Füllvorgangs besteht darin, ob ein Werkzeug fallend oder steigend angegossen wird. Als fallendes Angießen bezeichnet man eine Füllmethode, bei der der Anschnitt stets oberhalb des Flüssigkeitsspiegels im Werkzeug liegt. Diese Methode findet dann Anwendung, wenn der Fluss des Materials nicht durch querlaufende Rippen, Kanten oder Einlegeteile unterbrochen wird. Üblicherweise wird das steigende Angießen gewählt. Dabei wird das Gemisch möglichst an der tiefsten Stelle in das Werkzeug eingebracht. Das zugeführte Material

strömt somit stets unterhalb des Flüssigkeitsspiegels in das Werkzeug nach. Beim Angießen eines offenen Werkzeuges liegt kein Angießkanal vor. Das Auslaufrohr der Mischvorrichtung wird bei dieser Füllmethode über das geöffnete Werkzeug gehalten und das Reaktionsgemisch läuft direkt in die Werkzeugmulde hinein. Bei den Filmangusssystemen wird unterschieden in Staubalken-, Fächer- und Stangenanguss. Produktionsanlagen Betrachtet man Anlagenkonzepte hinsichtlich des Zusammenwirkens von Werkzeug und Mischkopf, so können nachfolgende Unterteilung vorgenommen werden: – Anlagen mit stationären Werkzeugen und bewegtem Mischkopf Die Werkzeuge sind im Halbkreis positioniert; der Mischkopf wird entweder manuell oder automatisch von Werkzeug zu Werkzeug geführt. – Anlagen mit bewegten Werkzeugen und stationärem Mischkopf

320

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-139. Anlage zur Herstellung von Rechteckschaumstoffblöcken (Quelle: Hennecke)

Die Werkzeuge werden zum Eintrag des Reaktionsgemisches mit Hilfe einer Transportvorrichtung an einem stationären Mischkopf vorbeigeführt. Bei der Verarbeitung von unterschiedlichen PUR-Teilen sollten die Teilegeometrien vergleichbar sein und die Verweilzeiten in den Werkzeugen gleich lang sein. – Anlagen mit stationären Werkzeugen und anbaubaren Mischköpfen. Jedes Werkzeug ist mit einem Anbaumischkopf ausgerüstet, der über ein gemeinsames Kreislaufsystem fest mit der Dosiereinheit verbunden ist. An eine Dosiereinheit können eine Vielzahl von Werkzeugen angeschlossen werden, die in beliebiger Reihenfolge bedient werden können. Kontinuierlich arbeitende Schäumanlagen Kontinuierlich arbeitende Anlagen produzieren Halbzeuge in Form von Blöcken oder Platten. Bei der Weich- sowie der Hartschaumstoff-Blockherstellung wird das sowohl von Hoch- als auch Niederdruckmaschinen erzeugte schäumfähige Gemisch in kontinuierlich fortbewegte, meist aus Papierbahnen bestehende Formkanäle eingetragen. Für flexible Blockschaumstoffe haben sich beispielsweise Abmessungen von 2 m Breite und rund 1 m Höhe als optimal erwiesen.

Charakteristische Prozesszeiten (Bechertest) Die Wechselwirkung zwischen Formmasse und Verarbeitungsbedingungen werden unter Zuhilfenahme des Bechertests ermittelt. Bei diesen Testschäumungen werden der eigentliche Aufschäumvorgang sowie die vorliegenden Steigzeiten aber auch die Konsistenz des Schaumstoffs überprüft. Charakteristische Größen dieser Laboruntersuchung sind: die Startzeit: Zeitspanne zwischen dem Beginn des Vermischens bis zum Aufschäumbeginn des Reaktionsgemisches die Abbindezeit: bei der Schaumprüfung liegt eine Fadenbildung (makromolekulare Struktur) vorliegt die Steigzeit: Aufschäumvorgang ist abgeschlossen die Klebfrei-Zeit: die Schaumoberfläche zeigt keine Klebeneigung mehr

Literatur zu Kapitel 4.1.3.4.3 [1] Maier U (2004) Polyurethan Schäumanlagen. Kunststoffe 71(2004)1 [2] Firmenschriften Hennecke 2007 [3] Firmenschriften Krauss-Maffei 2007

4.1 Urformen [4] Lause J Komplexe Formen für Schaum Kunststoffe 97(2007)11, S 18–24 [5] Praller A Schäumen von Kunststoffen Kunststoffe 95(2005)1, S 96–99

Literatur – Kapitel 4.1.3.4 [1] Hilyard NC (1982) Mechanics of Cellular Plastics. Applied Science Publishers, Barking, Essex [2] Gibson LJ, Asby MF (1988) Cellular Solids: Structure & Properties. Pergamon Press [3] Klempner D, Frisch KC (1991) Handbook of Polymeric Foams and Foam Technology. Carl Hanser Verlag, München [4] VDI – Gesellschaft Kunststofftechnik (Hrsg) (1996) Thermoplastische Partikelschaumstoffe: aktueller Stand und Perspektiven. VDI Verlag, Düsseldorf [5] Schuch H (2001) Physik der Schaumbildung. Fachtagung Polymerschäume. Süddeutsches Kunststoff-Zentrum, Würzburg [6] Kauffmann A, Barth M, Eyerer P (2001) Methoden zur Versuchsplanung und Auswertung in der Partikelschaumverarbeitung. Internationale Fachtagung EPSPartikelschaum und Dämmung. Süddeutsches Kunststoff-Zentrum, Würzburg [7] Biedermann A (2004) Polyurethane Foams in everyday life – Tailor-made polymers from thermal insulation up to cushions. Vortrag auf DECHEMA/VDI-GVC Symposium „Schäume – Grundlagen und Anwendungen“

321

Weiterführende Literatur Scherble J (2007) Strukturschäume – Märkte und Anwendungen. Vortrag auf dem 13. Nat. Symposium SAMPE Deutschland, 21./22. Februar 2007, Bayreuth Ruckdäschel H (2007) Entwicklungspotential bei Strukturschäumen. Vortrag auf dem 13. Nat. Symposium SAMPE Deutschland, 21./22. Februar 2007, Bayreuth Lause J (2007) Komplexe Formen für Schaum (PUR Werkzeugtechnik). Kunststoffe 97(2007)1, S 18–24 NN (2007) Geschäumtes Polypropylen. Kunststoffe 97(2007)1, S 77–78 Tatje J (2007) Freiheit der Formgebung (PUR-Schaum Nachbearbeitung). Kunststoffe 97(2007)8, S 100–102

4.1.3.5

Rotationsgießen – Rotationsformen

Marc Knoblauch-Xander Allgemeines Das Rotationsformen ist ein seit über 50 Jahren bekanntes Kunststoffverarbeitungsverfahren zur Herstellung von Hohlkörpern ([1] bis [3]). Das Verfahren eignet sich insbesondere zur Fertigung großvolumiger Bauteile in kleinen Stückzahlen. Anfänglich konnten nur einfache Formteilgeometrien hergestellt werden. Die eingeschränkte Palette der für diesen Prozess geeigneten Kunststoffe und die verfahrensbedingt langen Zykluszeiten verhinderten zunächst eine größere Verbreitung der Rotationstechnik. Inzwischen stehen zahlreiche speziell auf den Rotationsprozess zugeschnittene Werkstoffe

Bild 4-140. Der Rotationsprozess – 4-Stationenkarussell

322

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Schritt 1

Im ersten Schritt wird das Werkzeug befüllt, indem man eine definierte Menge eines pulverförmigen oder flüssigen Rohstoffs in das offene Werkzeug gibt. Teilweise befindet sich im Werkzeug eine separate Kammer, die erst zu einem späteren Zeitpunkt geöffnet wird und den Rohstoff eindosiert. Das Werkzeug befindet sich auf einem Formenträger (Arm) der Verarbeitungsmaschine. Abschließend wird das Werkzeug geschlossen.

Befüllstation: Befüllen der geöffneten Form

Schritt 2

Im zweiten Schritt versetzt man das Werkzeug wird in eine biaxiale (zweiachsige) Rotation, um eine vollständige Verteilung des Materials zu gewährleisten. Das Werkzeug wird in die Heizkammer eingefahren und das Material allmählich an der heissen Werkzeugwand aufgeschmolzen bzw. polymerisiert. Mehrere Heizstationen sind je nach Bauteil, Kunststoff und Prozessführung möglich.

Start Rotation

Schritt 3

Sobald die vollständige, gleichmäßige Verteilung des Materials abgeschlossen ist, fährt das Werkzeug in eine Kühlstation. Die Rotation wird beibehalten, um ein Ablaufen des Materials von der Werkzeugwand zu verhindern. Mit Kaltluft, Wassernebel oder durch direktes Eintauchen in ein Wasserbad wird das Werkzeug abgekühlt.

Kühlstation

Schritt 4

Nach ausreichender Kühlung fährt die Form in die Entformungs- und Beladestation. Hier wird das Werkstück entnommen. Anschließend steht das Werkzeug für eine Wiederbefüllung zur Verfügung und ein neuer Produktionszyklus kann beginnen.

Entformung

Bild 4-141. Verfahrensablauf des Rotationsformens

Heizstation

4.1 Urformen und eine fortschrittliche Prozesstechnologie zur Verfügung, so dass inzwischen technisch anspruchsvolle Teile wie komplex geformte Kraftstofftanks, Gehäuseteile für Kehrmaschinen, Luftansaugkanäle für Fahrzeuge, Kanus, kleine Lagerhallen, etc. wirtschaftlich im Rotationsformen gefertigt werden. Verfahrensbeschreibung Beim Rotationsformen wird pulverförmiges oder flüssiges Ausgangsmaterial in einem Werkzeug mehrachsig in einer Heizkammer rotiert. Nach der gleichmäßigen Verteilung des Formwerkstoffs an der Werkzeugwandung erfolgt die Abkühlung in einer Kühlstation und die Entformung des Bauteils. Materialien – Pulverförmige Kunststoffe In erster Linie werden für den Rotationsprozess pulverförmige Materialien verwendet. Im Gegensatz zu Granulaten gewährleisten Pulver oder Mikrogranulate bereits vor dem Aufschmelzen eine gute Verteilung des Materials an der Werkzeugwandung. Die Partikel, die direkt an der Werkzeugwand liegen, schmelzen zuerst auf, beginnen an der Wandung zu haften und bilden eine kompakte Haut. Über den Wärmetransport durch diese Schicht schmelzen nach und nach die innenliegenden Schichten auf. Zu den gängigen pulverförmigen Kunststoffen gehören: – PE, PP, – PC, – PA, – Fluorpoylymere (PVDF, PFA), – EVA, EBA. Die Pulver müssen dabei eine gute Rieselfähigkeit aufweisen. Übliche Partikelgrößen bewegen sich zwischen 250 μm und 500 μm. – Flüssige, pastöse Kunststoffe Als Ausgangmaterial können auch flüssige Kunststoffe verwendet werden, die durch den Wärmeeintrag polymerisieren und aushärten. Die wichtigsten Vertreter dieser Gruppe sind:

323

– PVC-Plastisole: Gemisch aus PVC-Pulver und flüssigem Weichmacher; der Werkstoff „geliert“ im heißen Rotationswerkzeug zum formsteifen Körper – Gusspolyamid: Polymerisation der Monomere erfolgt direkt im Rotationswerkzeug – 2-K-Polyurethane: Die zwei Komponenten Polyol und Isocyanat werden gemischt und in das Rotationswerkzeug eingespritzt. Vor- und Nachteile des Rotationsformens Vorteile – „drucklose“ Fertigungstechnik, gleichmäßiger Werkzeuginnendruck – kostengünstige Werkzeuge – Formteile in weitem Größenbereich (Ping-Pong-Ball bis zu 80.000 l-Lagertanks) – gleichzeitige Bestückung des Werkzeugträgers mit verschiedenen Werkzeugen – sehr geringe Scherkräfte – verzugsarme Bauteile, geringe Eigenspannungen – bezogen auf max. Formteilgröße geringe Wanddicken möglich – Einlegen von Inserts oder Labels möglich Nachteile – hoher Zykluszeitbedarf (ca. 10–30 min.) im Vergleich zu Blasformen, Tiefziehen und Spritzgießen – aufgrund der langen Zykluszeit nur für Kleinserien wirtschaftlich – Palette der Formteilwerkstoffe begrenzt (Hitzestabilität, Viskosität, pulverförmig oder pastös) – je nach Verfügbarkeit des Rohstoffs muß dieser vorab gemahlen werden – lange Verweilzeit der Materialien bei hohen Temperaturen (gute Stabilisierung notwendig) – Aufheizen und Abkühlen in einer Einheit/Werkzeug • hoher Energiebedarf der Heizstation • träges Aufheizverhalten • lange Abkühlzeit

324

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Produktbeispiele für Rotationsformen

1

Motorradtank: BMW-Motorrad Dakar Material: Gußpolyamid Hersteller: Elkamet

2

Karosserie für Elektrofahrzeug Material: PE Hersteller: Rhein-Bonar Aufbau der Karosserie aus 6 Rotationsteilen

3

Kajak Material: Sandwichaufbau (PE, PE-Schaum, PE) Hersteller: Old Town Besonderheit: Der Drei-Schicht-Verbund wird in einem Verfahrensschritt gefertigt. Während der Heizphase werden nach und nach die Materialien 1. PE-Pulver (Außenhülle) 2. PE-Granulat mit chem. Treibmittel 3. PE-Pulver (Bootsinnenseite) eindosiert.

4

Kinderpuppe Material: Weich-PVC Hersteller: Zapf-Creation

Bild 4-142. Produktbeispiele für Rotationsformen

4.1 Urformen

Literatur – Kapitel 1.4.3.5 [1] Nuget P, Boersch E (1998) Grundlagen des Rotationsverfahrens. Veröffentlichte Seminarschrift. Remcom Plastics Inc., Rota Consult GmbH [2] Rahner S (1998) Im Trend: Rotationsformen. Kunststoffe 88(1998), S 24–31 [3] Biemann H, Ehms E et al. (2001) Spielpuppen aus dem Werkstoff Polyurethan. FAPU Ausgabe 6(2001)

325

Fendler JH (1998) Nanoparticles and Nanostructured Films. Wiley-VCH Crawford RJ (1996) Rotational Moulding of Plastics, Second Edition. The Queen’s University of Belfast, UK, http:// www.research-studies-press.co.uk/crawf SKZ-Tagungshandbuch (2001) „Rotationsformen – eine wirtschaftliche Alternative“

Weiterführende Literatur:

4.1.3.6

Reaktionsgießen – Herstellung von thermoplastischen Werkstoffen durch in-situ Polymerisation im Formgebungswerkzeug

Beall B (1998) Rotational Moulding: Design, Materials, Tooling and Processing. Hanser Verlag, München

Dieter Gittel

Bild 4-143. Übersicht zu reaktiv herstellbaren Thermoplasten

326

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Begriffsbestimmungen Tabelle 4-12 Übersicht und Begriffe zu reaktiv herstellbaren Thermoplasten Begriffe (siehe Übersicht)

Charakteristische Merkmale

Reaktiv herstellbare Thermoplaste

2 Komponenten (2-K) werden bei höherer Temperatur vermischt und polymerisieren im Werkzeug zum Bauteil (vom Monomer/Oligomer zum Polymer)

In-situ Polymerisation

Polymerisation in der natürlichen Lage (in-situ), d.h. Molekülketten bilden sich unorientiert (verschlauft) im Bauteil aus – höhere mechanische Eigenschaften

Lactam-Polymerisation

Ringöffnende Polymerisation von (Poly-) Lactamen

Polymerisation zu Polyester

Ringöffnende Polymerisation zu PBT, aber auch PET und PC (in der Entwicklung) möglich bei PBT entweder – mit dem Katalysator vorgemischtes Oligomer (1-K) – oder Monomer/Oligomer und Katalysator (2-K)

Guss-PA6 (-Polymerisation)

Polymerisation des Monomers e-Caprolactam, initiiert durch einen Aktivator und einen Katalysator erfolgt exotherm unterhalb der Schmelztemperatur von PA6 (2-K)

Guss-PA12 (-Polymerisation)

Polymerisation des Monomers Laurinlactam mit einem Katalysator (exotherm) erfolgt deutlich oberhalb der Schmelztemperatur von PA12 (2-K)

Elastomermodifiziertes Guss-PA6 (Nylon-Block-Copolymer [NBC]) NyrimTM [DSM]

Polymerisation (exotherm) des Monomers e-Caprolactam mit einem vorgemischten Prepolymersystem bei variablem Schlagzähmodifikator (5-40 Masse-% Polyol); Ausbildung von statistisch geordneten starren und flexiblen Anordnungen in der Polymerkette

Zyklisches Polybutylenterephthalat CBTTM [Cyclics Corporation]

Isotherme Polymerisation eines Prepolymersystems (1-K; Mischung aus Oligomer und Katalysator) oder eines Oligomers und eines Katalysators (2-K) unterhalb der Schmelztemperatur von PBT

Copolymerisation Guss-PA6 und -12

Gemeinsame Polymerisation von e-Caprolactam und max. 20 Masse-% Laurinlactam (Aktivator- und Katalysator von Guss-PA6); führt zur Erhöhung der Schlagzähigkeit und Verbesserung chemischer Eigenschaften

Polymerisationsverfahren Verarbeitungsverfahren für Guss-PA 6 Zyklisches PBT (CBTTM) Bei diesem Werkstoff handelt es sich um eine Neuentwicklung der Cyclics Corporation USA. Die Verarbeitung kann auf unterschiedliche Art und Weise erfolgen: A: CBT-Oligomer in Pulverform mit dem Katalysator vorgemischt B: Oligomer und Katalysator – Weißes Pulver bei Raumtemperatur – Schmelzpunkt einstellbar von 140–180 °C – Verarbeitung der Oligomerschmelze bei 140–250 °C – Anfangsviskosität 15–50 mPa s – Katalysatoren zur Polymerisation; Zinn (langsam) Titan (schnell) – Zumischung von 0,3–1,0 % Katalysator – Polymerisationszeit einstellbar von 20 s–10 min Vorteile: – Niedrige Schmelzeviskosität – Verarbeitung ohne zyklisches Temperieren (Heizen/ Kühlen) im Werkzeug

– – – – –

Kurze (einstellbare) Reaktionszeit Keine Exothermie während der Polymerisation Keine Emission während der Verarbeitung Eigenschaftsprofil eines Technischen Thermoplast Recycling-Fähigkeit

Mögliche Verarbeitung: – RTM/SRIM – Pultrusion – Heiss-Pressen – Compoundieren – Filament wickeln – Direkt Inline Moulding

– – – – –

Prepreg Reaktiv-Guss Rotationsguss Pulverbeschichtung Reaktiv-Spritzguss

Es sind dabei geeignete Technologien zu entwickeln.

Literatur zu Kapitel 1.4.3.6 Eyerer P, Elsner P, Hirth Th (2007) Die Kunststoffe und Ihre Eigenschaften. 7. Aufl, Springer Verlag, Heidelberg New York

4.1 Urformen

4.1.3.7

Verarbeitungstechniken thermoplastischer Faserverbundwerkstoffe

Stefan Tröster [1] Glasmattenverstärkte Thermoplaste (GMT) Glasmattenverstärkte Thermoplaste (GMT) werden großserientechnisch zur Herstellung flächiger, funktionsintegrierender Bauteile verwendet. Ausgangsmaterial für den Formteil-Pressprozess sind Zuschnitte aus vorimprägnierten Platten. Man unterscheidet zwischen Matten-GMT und Kurzfaser-GMT. Matten-GMT wird durch Vernadelung von Glasfaserrovings hergestellt. Die Gestaltung des Nadelbetts bestimmt in hohem Maße die Güte der Vernadelung und beeinflusst die späteren Fließeigenschaften signifikant. Die Imprägnierung mit PP erfolgt auf einer Doppelbandpresse, die unter Druck und Temperatur die Fasern mit PP konsolidiert. Nach Abkühlung des Verbundwerkstoffs erhält man das fertige GMT-Halbzeug, das nachfolgend auf die anwendungsspezifischen Zuschnitte konfektioniert wird. Kurzfaser-GMT wird im Radlite®-Verfahren hergestellt, indem Glasfasern mit einer Länge von 10 bis 30 mm mit PP-Pulver und wässrigem Schaum vermischt, auf Bändern abgelegt und getrocknet werden. Die konfektionierten Halbzeuge werden im Umluftofen auf Verarbeitungstemperatur von ca. 230 °C erhitzt und dann mittels einer Übergabevorrichtung in das Presswerkzeug eingelegt. Durch Fließpressen bei Werkzeuginnendrücken von bis zu 25 MPa wird das Halbzeug zum Bauteil geformt. Je nach Werkzeugqualität muss das Bauteil anschließend entgratet und mittels einer Stanze gemäß der Endkon-

Bild 4-144. Herstellung von GMT-Halbzeugen (Henning [2])

327

tur geschnitten werden. Die Stanzabfälle können im Halbzeugherstellungsprozess über einen Einschneckenplastifizierer dem PP-Schmelzestrom zugegeben werden. Den Verarbeitungsprozess von GMT-Halbzeugen zu Fertigteilen zeigt Bild 4-145. Eine erfolgreiche neue Anwendung mit Verfahrenskombinationen GMT/Schäumen (PP/PMI Polymethacrylimid) stellen Sommer et al. [20] vor. Sheet Thermoplastic Composites (STC) Ein neues Verfahren zur Herstellung langfaserverstärkter thermoplastischer Halbzeuge ist die „Sheet-ThermoplasticComposites“ (STC) Technologie. Bei diesem Verfahren werden kontinuierlich Fasern mit Hilfe eines Doppelschneckenextruders in die Polymerschmelze eingearbeitet und ein plattenförmiges Halbzeug (HZ) über ein spezielles Austragswerkzeug extrudiert. Die Faserrovings werden vollständig durch die Polymerschmelze benetzt, bevor sie in den Doppelschneckenextruder eingezogen werden. Das Funktionsprinzip der Langfaserbenetzung dieses Verfahrens ist in Bild 4-146 dargestellt. Die Benetzungseinheit besteht aus zwei gegenläufig rotierenden Walzen, von denen eine über einen internen Bypass mit Schmelze beschickt wird. Im Walzenspalt baut sich die Schmelze leicht auf, wodurch die Benetzung der Fasern verbessert wird. Die Glasfaserrovings werden dem Walzenspalt von oben parallel zugeführt. Vor Eintritt in den gleichlaufenden Doppelschneckenextruder werden sie schonend und vollständig mit Schmelze getränkt. Ein separater Antrieb der Walzen der Benetzungseinheit sorgt für eine kontinuierliche Zuführung der benetzten Rovings zum Extruder. Bild 4-147 zeigt den Prozessaufbau.

328

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-145. Verarbeitung von GMT [3]

Bild 4-147. Prozessaufbau STC

Bild 4-146. Langfaserbenetzung im STC-Verfahren

Im Vergleich zu GMT zeigt das STC-Verfahren etwas geringere Materialkennwerte hinsichtlich der Steifigkeit und Festigkeit, die Schlagzähigkeit liegt bei ca. 60 % zu GMT. Vorteile des Verfahrens sind vor allem die Vermeidung der Halbzeugherstellungskosten sowie die Möglichkeit des einfachen Start-/Stop-Betriebs. Zwei Verfahrensvarianten des STC-Verfahrens sind in der Produktion umgesetzt. In einer Anlage ist ein Zweischneckenextruder mit einem Schneckendurchmesser von 60 mm und einer Verfahrenslänge von 42 D im Einsatz. Polymer und Additive werden in den Extruder dosiert. Die Plastifizier- und Compoundierzone dient dem Aufschmelzen und optionalen Entgasen des Materials. Über einen Bypass wird ein Teilstrom der Schmelze auf die Walzen der Imprägniereinheit geleitet. Die Glas-

4.1 Urformen fasern werden in der Imprägniereinheit zugeführt und durch die Thermoplastschmelze benetzt. Eine Breitschlitzdüse trägt das zuvor mittels Vakuum entgaste Material flächig aus. Diese speziell optimierte Austragsdüse erzielt eine minimierte Faserorientierung. Die zweite Anlage wird mit einer mittels Zweischneckenextruder aufbereiteten, dispergierten und entgasten Schmelze beschickt. Stäbchengranulate (LFT-G) Eine Alternative zu GMT beziehungsweise STC stellen die Stäbchengranulate LFT-G dar. Die Stäbchengranulate werden als mit Kunststoffschmelze vorimprägnierte Faserbündel zur faserschonenden Verarbeitung in einem Einwellenextruder bereitgestellt. Die erzeugte Pressmasse wird im Fließpressprozess zum Bauteil geformt. Die Herstellung von Stäbchengranulaten erfolgt durch Pultrusion. Bei einer Variante des Pultrudierens werden Endlosfasern durch eine Thermoplastschmelze gezogen, mittels eines Werkzeugs imprägniert und je nach Herstellungsverfahren, teilweise oder vollständig imprägniert, Bild 4-148. Eine andere Variante setzt in der Pultrusion bereits Mischungen aus Glasfilamenten mit Polymerfilamenten, sogenannte Hybridfasern ein. Die Verarbeitung von LFT-Granulaten erfordert eine präzise Einhaltung der Verarbeitungsparameter, um die Schädigung der Fasern möglichst gering zu halten und damit die Langfasereigenschaften der LFT-Granulate zu erhalten, Bild 4-149. Die auf ein Maß von 12 bzw. 25 mm abgelängten Stäbchen werden bei der Verarbeitung, d. h. bei der Herstellung von Bauteilen in einem Einschneckenextruder plastifiziert, als Schmelzekuchen in ein Presswerkzeug abgelegt und zum Bauteil geformt. Ein wesentlicher Fortschritt gegenüber

329

GMT besteht darin, dass der Verarbeitungsmaschine anstelle anwendungsspezifischer Zuschnitte ein Schüttgut meist unter Verwendung einer Rüttelrinne zugeführt wird. Somit können zerkleinerte Ausschnittteile oder Altbauteile direkt dem Fertigungsprozess zugeführt werden. Bei den Verarbeitungsprozessen von Stäbchengranulaten unterscheidet man die diskontinuierliche Verarbeitung im sogenannten Strangablegeverfahren und die kontinuierliche Verarbeitung. Beim Strangablegeverfahren wird das Stäbchengranulat im Einschneckenplastifizierer aufgeschmolzen und gegen eine geschlossene Schneideinheit aufgestaut. Wie beim Spritzgiessprozess wird die Schnecke während des Plastifiziervorgangs zurückgezogen. Ist die der Ausstoßmasse entsprechende Masse plastifiziert, öffnet die Schneideinheit, die Schnecke verriegelt und stößt durch eine Transversalbewegung das Plastifikat durch die Düse aus. Das Schließen der Schneideinheit trennt den Strang durch ein Messer ab. Der Strang wird entweder durch eine Fahrbewegung der gesamten Einheit direkt im Presswerkzeug abgelegt, oder durch einen mit Nadelgreifern bestückten Handhabungsroboter in das Werkzeug (WZ) eingelegt. Bei der kontinuierlichen Betriebsweise rotiert eine transversal feststehende Schnecke vergleichbar der Extrusion und trägt kontinuierlich einen Plastifikatstrang auf ein beheiztes Austragsband aus. Eine Weiterentwicklung der LFT-G-Verarbeitung beruht auf dem sogenannten „Abmischen“ hochgefüllter Stäbchengranulate mit bis zu 75 Masse-% Glasfaseranteil. Durch Zugabe von Polymergranulaten werden diese Stäbchen während der Verarbeitung auf den gewünschten Bauteilglasfasergehalt abgemischt. Dabei ist es möglich, durch Zugabe eines z. B. schlagzäh modifizierten PP die Produkteigenschaften gezielt anzupassen. Allerdings sind hierbei verfah-

Bild 4-148. Herstellung von LFT-G-Halbzeugen [4]

330

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-149. LFT-G-Verarbeitung

renstechnisch Grenzen hinsichtlich Durchsatz und Mischgüte vorhanden. Das „Abmischen“ bietet ein signifikantes Kosteneinsparpotential im Vergleich zur Verarbeitung konventioneller Stäbchengranulate. Langfaser-Thermoplast-Direktverfahren (LFT-D) (Übersicht) Bei der direkten Verarbeitung von langfaserverstärkten Kunststoffen entstehen Werkstoff und Bauteil erst während des Fertigungsprozesses. Daher hat die Verarbeitung maßgeblichen Einfluss auf die Bauteileigenschaften. Der Nachteil der Verfahren, welche ein platten- oder stäbchenförmiges Halbzeug verwenden, ist aufgrund des Verarbeitungsverfahrens mit zweimaligem Aufwärmen und Abkühlen der Materialien verbunden. Um für beide Verarbeitungsschritte sowie für den Gebrauch die ausreichende Stabilisierung zu gewährleisten, müssen u. U. teure Additive zur Verhinderung des thermischen und des thermisch-oxidativen Abbaus des Matrixpolymers in grösseren Anteilen zugesetzt werden. Weiterhin ist die Flexibilität in Bezug auf unterschiedliche Materialzusammensetzung von Bauteilen durch die Vorgabe von Halbzeugen sehr eingeschränkt. Um eine wirtschaftliche Produktion bei der Fertigung von Halbzeugen zu gewährleisten, werden große Mengen gleicher Materialzusammensetzung hergestellt. Eine anwendungsspezifische Modifizierung oder Stabilisierung des Materials sowie die gezielte Einstellung des durch die mechanischen Anforderungen des Bauteils erforderlichen Glasfasergehalts werden

nicht realisiert. Aus diesem Grund sind Halbzeuge in aller Regel nur in wenigen Materialvarianten erhältlich. Erhöhter Kostendruck hat zu den Entwicklungen der sogenannten Direktverfahren geführt. Direktverfahren sind im Allgemeinen durch die Zusammenfassung mindestens zweier Verfahrensschritte gekennzeichnet. Nachfolgend werden Verfahren vorgestellt, welche die Halbzeugherstellung und die Verarbeitung der Halbzeuge zum Bauteil zur Direktverarbeitung kombinieren, siehe Bild 4-150. Dabei wird aus den Rohstoffen, z. B. Glasfasern und PP, in einem Schritt ein Faserverbundwerkstoff und nachfolgend ein Bauteil hergestellt. Diese Verfahren bieten gegenüber den halbzeugverarbeitenden Verfahren die im Folgenden aufgeführten Vorteile: – Vermeidung des teuren Halbzeugherstellungsschritts, – Verringerung des thermischen und thermisch-oxidativen Abbaus der Polymermatrix, – Größere Flexibilität hinsichtlich Materialauswahl, Materialanpassung und Logistik beim Vorarbeiter, – mehr Wettbewerb und geringere Abhängigkeit von Rohstoffherstellern. So lassen sich z. B. unterschiedliche Glasfasergehalte einstellen, die Viskosität des Matrixpolymers in bestimmten Bereichen variieren, Zusätze zur Modifizierung (Schlagzähigkeit), zur Stabilisierung und Faser-Matrix-Kopplung sowie zur Einfärbung des Materials sind zudem spezifisch einsetzbar. Da das Material direkt bei der Verarbeitung erzeugt wird, ist die Lagerhaltung unterschiedlicher, in einem vorher-

4.1 Urformen

331

Bild 4-150. Zusammenfassung des Halbzeug- und Verarbeitungsschritts bei Direktverfahren [2]

gehenden Schritt aufbereiteter Materialien nicht erforderlich, woraus sich auch hinsichtlich der Materiallogistik Vorteile ergeben. LFT-D-Verfahren (LFT-D process) Seit Juli 1997 ist die ursprüngliche Variante eines Direktverfahrens für langfaserverstärkte Thermoplaste (LFT-D) im großserientechnischen Einsatz. Diese Technologie wird als sogenannte Einmaschinentechnologie bezeichnet, da die Materialaufschmelzung und die Verarbeitung zum Verbundwerkstoff nur in einem Zweischneckenextruder vorgenommen werden. Das Polymercompound wird aufgeschmolzen und die Fasern über ein Imprägnierwerkzeug in den Zweischneckenextruder einge-

Bild 4-151. LFT-D-Anlagenschema

zogen, Bild 4-151. Die Fasern werden zu Langfasern zerteilt, die Formmasse wird homogenisiert und über eine Düse als Plastifikatstrang ausgetragen. Dieser Strang wird über ein Austragsband abgezogen und mittels Schneideinheit auf die gewünschte Bauteilmasse abgelängt. Ein mit Nadelgreifern versehener Handhabungsroboter legt das zugeschnittene Plastifikat in das Presswerkzeug ab, wo es durch einen Fließpressvorgang zum Bauteil geformt wird. Die Endkontur des Pressteils wird durch Stanzen, durch Wasserstrahlschneiden oder durch eine Kombination dieser Verfahren erzeugt. Der entstehende Randbeschnitt kann dem Prozess direkt als Rezyklatware zugeführt werden. Anmerkung: Der durch den Hersteller freigegebene Rezyklatanteil bei der Fertigung des ersten Serienteils, dem Frontend-Montageträger für den

332

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Passat B5, betrug 30 %. Die Freigabe von Rezyklatzusätzen führt zu weiteren Kosteneinsparungen gegenüber der konkurrierenden GMT-Verarbeitung. Der Nachteil der Einmaschinentechnologie des LFT-DVerfahrens liegt an der Notwendigkeit Polymercompounds einzusetzen, welche für zwei Verarbeitungsschritte sowie die Gebrauchsphase stabilisiert werden müssen. Weiterhin werden geringe Drehzahlen der Verarbeitungsmaschine vorgegeben, um möglichst lange Fasern im Prozess zu erhalten. Dies wirkt sich nachteilig auf die Durchsatzleistung aus. Eine Erhöhung der Durchsatzleistung führt in aller Regel zu Faserlängenverkürzung oder zu mangelnden Homogenisierungsqualitäten. CPI-Prozess (CPI process) Neben dem LFT-D-Verfahren sind noch weitere Direktprozesse zu nennen. Weltweit verbreitet ist der nach der Firma Composite Products Inc. benannte CPI-Prozess, der auf einer Patentschrift von 1989 basiert. Bild 4-152 zeigt schematisch den Ablauf des CPI-Prozesses. Das Matrixpolymer wird aus dem Vorratsbunker über eine gravimetrische Dosierung dem „A“-Extruder zugeführt. In diesem Extruder findet die Materialaufbereitung des Matrixpolymers sowie der Additive durch Scherung und Mischvorgänge statt. Im Falle von feuchtigkeitsempfindlichen Matrices wie beispielsweise Polyamid (PA) oder Polyethylenterephthalat (PET) wird diesem Prozess eine Vortrocknung vorgeschaltet. Die aufbereitete Schmelze wird einem weiteren, dem sogenannten „B“-Extruder übergeben. Diesem Extruder werden geschnittene Glasfasern gravimetrisch dosiert zugeführt. Diese sogenannten Schnittglasfasern liegen in definierten Ausgangslängen von z. B. 6 mm vor. Die Einzugszone dieses Extruders dient der Vorwärmung der Fasern sowie

Bild 4-152. Schematische Darstellung des CPI-Prozesses [5]

dem Öffnen der Faserbündel und verbessert damit die Faserimprägnierung durch die Matrix (Bild 4-152). Die Mischung der Faserverbundschmelze erfolgt bei reduzierter Scherung in Extruder „B“. Dies garantiert den Erhalt der Faserlängen. Der Faserverbundwerkstoff wird in einem Wärmespeicher zwischengespeichert, über einen Kolben zyklisch ausgetragen, mit einer Schneideinheit am Ende des Speichers auf Pressmasse abgelängt und auf ein Austragsband gefördert. Das so erzeugte Plastifikat wird in ein Presswerkzeug transferiert und im Fließpressprozess zum Bauteil geformt. Die Nachbearbeitungsschritte gleichen denen anderer Pressverfahren langfaserverstärkter Thermoplaste. Die Technologie des CPI-Prozesses entspricht, aufgrund der Trennung der Matrixaufbereitung und der Fasereinarbeitung in zwei separaten Aggregaten, dem in [1] beschriebenen LFT-D-ILC-Verfahren. Allerdings sind die resultierenden Faserlängen aufgrund der limitierten Länge der eingesetzten Schnittfasern deutlich kürzer als beim LFT-DILC-Prozess. Dies führt zu geringeren Materialkennwerten, insbesondere reduzierter Schlagzähigkeit. Die Dosierbarkeit der Schnittfasern ist bis zu einer Länge von ca. 6 mm unproblematisch, bei längeren Fasern tritt der Effekt der Brückenbildung auf und erschwert die massegeregelte Dosierung. Bei höheren Fasergehalten ist zudem eine gleichmässige Benetzung der Fasern nicht mehr gewährleistet. Aufgrund der limitierten Materialhomogenisierung eines Einschneckenextruders weist das Verfahren eine mangelnde Imprägniergüte und Homogenität auf. Die für das Mischen und Homogenisieren der Schnittfasern mit der polymeren Schmelze erforderliche Scherung liegt deutlich über der des LFT-D-ILC-Verfahrens. Dadurch zeichnen sich schlecht imprägnierte Faserbündel, sogenannte Weißflecken, an der Bauteiloberfläche ab. Die Verarbeitung im Einschneckenextruder erzielt zudem einen geringeren Durchsatz als das LFT-D-ILC-Verfahren. DIF-Verfahren (DIF-process) Eine weitere Technologie bei den Direktverfahren stellt das DIF-Verfahren dar (DIF: direct incorporation of fibers), welches an der Universität Stuttgart entwickelt wurde. Der im Rahmen einer Forschungsarbeit entwickelte DIF-Extruder ist ein modular aufgebauter Einschneckenextruder mit einem Längen zu Durchmesserverhältnis der Schnecke (L/ D) von 32,5, bei einem Schneckendurchmesser von 60 mm. Die als sogenannter „Dry-Blend“ vorliegende Polymerabmischung, bestehend aus PP, Haftvermittler und Thermostabilisator, wird dem Schnecke/Zylindersystem volumenkontrolliert zugeführt. Die unverstärkte Polymerrezeptur wird vorgewärmt, aufgeschmolzen und homogenisiert. Bedingt durch den Mate-

4.1 Urformen

333

Bild 4-153. Schematische Darstellung der DIF-Extrusionslinie (Sigl [6])

rialabzug nach der Drosselstelle, erfolgt eine Entspannung der Schmelze am Fasereinzugsmodul (Bild 4-153). Die mittels IR-Strahlung vorgewärmten Glasfaserstränge werden über einen Zylinderschluss der drucklosen Schmelze zugeführt. Durch Überschreiten der maximal erträglichen Biegespannung im Bereich scharfkantiger Schneckenstege werden die Endlosfasern zu Langfasern zerteilt. Nach dem Einziehen und Ablängen der Rovings werden die Stränge von der Schmelze benetzt. Die dabei entstehende Roh-Mischung aus Fasern und Matrix wird von tiefgeschnittenen Schneckenabschnitten weiter gefördert. Flachgeschnittene Schneckensequenzen bauen nachfolgend den zum Durchströmen der nachgeschalteten Scher- und Mischteile sowie den zur Überwindung des Düsenwiderstands erforderlichen Druck auf. Das Plastifikat wird über eine Breitschlitzdüse kontinuierlich ausgetragen und einem Pressprozess zugeführt. XRETM-Verfahren (XRE-process) Zur Fertigung von Frontendsystemen wurde durch die Firma Faurecia das sogenannte XRETM-Verfahren entwickelt. Gravimetrisch zudosierte Polymergranulate werden in einem gleichsinnig drehenden Doppelschneckenextruder aufgeschmolzen. In dasselbe Aggregat werden entweder geschnittene Glasfasern der Länge 12 mm gravimetrisch zudosiert oder Endlosrovings eingezogen. Die Fasereinarbeitung im Einmaschinenkonzept erfordert, wie bereits erläutert, einen

Kompromiss hinsichtlich resultierender Faserlängen und der Qualität der Faserdispergierung im Verbund. Der Materialaustrag erfolgt direkt in ein mobiles Einspitzaggregat am Extruderausgang. Das gefüllte Einspitzaggregat wird an das Presswerkzeug transferiert und das Material mittels Kolben in die Werkzeugkavität gedrückt. Unterdessen füllt der kontinuierlich arbeitende Extruder einen Pufferbehälter. Die mobile Einspritzeinheit fährt zurück an den Extruder und das im Puffer gespeicherte Material wird übergeben. Eine schematische Darstellung des Prozesses zeigt Bild 4-154. Vorteil dieses Verfahrens ist die Möglichkeit in das geschlossene Werkzeug zu injizieren. Diese Variante wird als XRITM-Verfahren bezeichnet. Fibropress Beim von der Firma Johnson Controls entwickelten Fibropress-Verfahren werden Schnittglasfasern der Länge 5 mm gravimetrisch in einen Einschneckenextruder zudosiert und mit pulverförmigen PP vermischt. Der ausgetragene Strang wird zur Bauteilmasse abgelängt, mittels Handhabungsroboter ins Presswerkzeug positioniert und durch Fließpressen zum Bauteil geformt. In-Line-Compoundieren im Spritzgießverfahren Neben den beschriebenen Verfahren, bei welchen die Formgebung des Faserverbundwerkstoffs im Pressverfahren erfolgt, bilden Direktverfahren nach dem Prinzip des Spritz-

334

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-154. Schematische Darstellung des XRETM-Verfahrens

gießverfahrens eine bedeutende Alternative. Sie bieten die Vorteile eines geschlossenen Spritzgießprozesses, welcher Bauteile komplexer Geometrie ohne Nachbearbeitungsschritte erzeugt. Die Faserlänge ist jedoch durch den Prozess begrenzt und die Zykluszeit ist je nach Bauteilgeometrie deutlich höher als bei den Pressverfahren. Bei den bekannten Verfahren handelt es sich um eine Kombination aus einem Compoundier- und einem Spritzgießprozess. Dabei wird auf eine Spritzgießmaschine ein gleichsinnig drehender Zweischneckenextruder als Compoundiereinheit aufgebaut. Derzeit sind zwei Systeme mit Serienreife erhältlich. Bild 4-155 zeigt die Variante des Herstellers Krauss-Maffei mit kontinuierlicher Compoundierung. Durch die kontinuierliche Compoundierung wird die Rezepturkonstanz zuverlässig sichergestellt. Der zyklische Spritzgießvorgang wird durch Pufferung des langfaserver-

stärkten Plastifikats in einem Kolbenspritzaggregat ausgeglichen. Durch die Entkopplung beider erforderlichen Prozessschritte erfolgt die Compoundierung unter gleichbleibenden verfahrenstechnischen Bedingungen und wird nicht durch den Zyklus der Spritzgießmaschine beeinflusst. Bei der zweiten Variante des Herstellers Coperion sind die Compoundierung und der diskontinuierliche Spritzgießvorgang in einem intermittierenden, diskontinuierlichen Prozess zusammengefasst. In einem Doppelschneckenextruder wird das Matrixmaterial sowie gravimetrisch dosierte Additive plastifiziert. Endlosglasfasern werden in die aufbereitete Schmelze eingezogen, von einer dicht ineinandergreifenden, gleichsinnig drehenden Doppelschnecke geschnitten und in das Matrixpolymer eingearbeitet. Das aufgeschmolzene faserverstärkte Polymer wird in eine Kolbenspritzeinheit

Bild 4-155. Schematische Darstellung des kontinuierlichen Spritzgießprozesses (Wobbe [7])

4.1 Urformen gefördert. Nachdem das vollständige Einspritzvolumen compoundiert ist, beendet der Extruder den Plastifiziervorgang und die Kolbendosiereinheit spritzt die Schmelze in das Werkzeug ein. Nach der für den Spritzgießprozess üblichen Nachdruckphase beginnt der nächste Plastifiziervorgang. Die Geschwindigkeit des Doppelschneckenextruders ist durch eine Steuerung mit dem gravimetrischen Dosiersystems gekoppelt. Zur Vertiefung von Kapitel 1.4.3.6 dient [8] bis [23].

Literatur – Kapitel 1.4.3.7 [1]

Tröster S Materialentwicklung und -charakterisierung für thermoplastische Faserverbundwerkstoffe im Direktverfahren, Stuttgart: Universität Stuttgart; Dissertation, 2003 [2] Henning F Verfahrensentwicklung für lang- und endlosfaserverstärkte thermoplastische Sandwich Bauteile mit geschlossenem Werkstoff-Kreislauf; Dissertation Universität Stuttgart 2001 [3] Neitzel M Breuer U Die Verarbeitungstechnik der Faser-Kunststoffverbunde. München: Carl Hanser Verlag, 1997 [4] Lücke A Langfaserverstärkte Thermoplaste. Vortrag, Langfaserverstärkte Thermoplaste im Automobil – Stand der Technik und zukünftige Perspektiven. Tagung, Würzburg 1999 [5] Voelker MJ Weber CD CPI In-Line Compounding Systems. ANTEC-Tagung, 6./10. Mai 2001 [6] Sigl KP Direkteinarbeitung von Glasfaserrovings auf einem Einschneckenextruder – Ein alternatives Konzept zur Herstellung von langfaserverstärkten Thermoplasten. Dissertation Universität Stuttgart, 2001 [7] Wobbe H Spritzgießen und Compoundieren kombiniert, die Einsparung lieg auf der Hand. Plastverarbeiter 2/2001 [8] Michaeli/Wegener: Einführung in die Technologie der Faserverbundwerkstoffe Carl Hanser Verlag München Wien 1990 [9] Murphy J: Reinforced Plastics Handbook, 2nd Edition. Elsevier Advanced Technology, 1998 [10] Hoecker F Grenzflächeneffekte in Hochleistungsfaserverbundwerkstoffen mit polymeren Matrices. Dissertation am Institut für Verbundwerkstoffe GmbH, Universität Kaiserslautern, VDI-Verlag 1996 [11] Sindermann K Langzeitverhalten eines SiC/Al2O3 Faserverbundwerkstoffs. Dissertation am Institut für Keramik im Maschinenbau der Universität Karlsruhe, 1999

335

[12] Schäfer J, Zürn M Forming Behaviour of Glass Reinforced Thermoplastics with Random Glass Fibre Reinforced Cores. [13] Schäfer J Werkstoffliche Wiederverwertung thermoplastischer Hochleistungsfaserverbundwerkstoffe in Sandwichhalbzeugen und als Spritzgießwerkstoffe. Dissertation am Institut für Kunststoffprüfung und Kunststoffkunde IKP, Universität Stuttgart, 1996 [14] Schäfer J, Zürn M Material Recycling with Advanced Thermoplastic Sandwich Composites. Proceedings, SPE ANTEC `96, Indianapolis [1996] p 3115–3119 [15] Scholl P Rechnerische Betrachtung der Biegesteifigkeit thermoplastischer FVW-Strukturen; Unveröffentlichte Studienarbeit am Fraunhofer ICT, Pfinztal [2000] [16] Krause U Automationsanlage zur Herstellung von Sandwich-Bauteilen Unterauftrag der Fa. PolymerChemie im Rahmen des BMBF-Vorhabens: „Rezyklateinsatz in hochwertigen thermoplastischen Sandwich-Strukturen“, Zeichnungsnummer 91 0238-02, Hamburg [2000] [17] Martin H Entwicklung einer automatisierten Nachführeinheit für Deckschichtgewebe. Unterauftrag der Fa. Polymer-Chemie im Rahmen des BMBF-Vorhabens: „Rezyklateinsatz in hochwertigen thermoplastischen Sandwich-Strukturen“, Zeichnungsnummer 91 0238-02, Hamburg [2000] [18] NN Think Compostive, http://www.ac-s.com, Webseite der Advanced Composite Systems GmbH [2000] [19] Wilks CE, Rudd C, Long A C Advanced Processing Technologies für Thermoplastic Composite Sheet Foaming, Report Department of Mechanical Engineering, University of Nottingham, Nottingham, UK [1999] [20] Sommer MM, Pässler M, Schledjewski R Sandwichkonstruktion für Sportschläger. Kunststoffe 94(2004)5 S 89–91 [21] Fleischhauer M, Schürmann H (2007) Maßgeschneiderte Matrixsysteme für FVK-Styrolpolymere. Kunststoffe 97(2007)4, S 116–119 [22] von Reyne M (Hrsg) (2006) Composite Solutions – Thermosets and thermoplastics. JEC Publ., Paris, 217 S [23] Musch G, Nägli Ch, Sprenger KH (2007) Roboterarme in Faserverbundtechnik – CFK. Kunststoffe 97(2007)4, S 62–66

Weiterführende Literatur Eimeke S, Schmachtenberg E (2007) Werkzeugauslegung am Nord- und Südpol – Kunststoffgebundene Dauermagneten mit multipolarer Magnetstruktur. Kunststoffe 97(2007)5, S 110–113

336

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

4.1.4

Verarbeitung von Thermoplastischen Elastomeren (TPE) [1]–[8] Helmut Schüle

Thermoplastische Elastomere (Bild 4-156) sind Werkstoffe, welche bei Zufuhr von Wärme thermoplastisch und somit fließfähig werden. Die elastischen Eigenschaften bei diesen Formmassen entstehen durch physikalische Vernetzungen (teil-)kristalliner Bereiche beim Abkühlen. Thermoplastische Elastomere sind aufgrund ihrer chemischen Struktur und des vorliegenden physikalischen Eigenschaftsprofil zwischen Thermoplasten und Elastomeren anzusiedeln [1–5]. Fließeigenschaften Thermoplastische Elastomere stellen Zwei- und Mehrphasensysteme aus einer thermoplastischen Hartphase und einer elastomeren Weichphase dar. Bei einer vorgegebenen Temperaturerhöhung wird durch das Aufschmelzen der Hartphase die Polymerformmasse fließfähig. Anzumerken ist, dass bei Blockpolymeren in aller Regel betragsmäßig kleinere Viskositätswerte bei niedrigen Schergeschwindigkeiten (rheologisches Verhalten vergleichbar mit herkömmlichen Thermoplasten) und eine geringere Strukturviskosität gegenüber Blends vorliegen. Bei Blends (Elastomerlegierungen) können in Ausnahmefällen (z. B. TPE-V-Typen) Viskositätswerte bis in Größenordnungen von gefüllten Kautschukformmassen vorliegen (Fließgrenze!). Thermoplastische Elastomere können prinzipiell mit allen konventionellen Urformverfahren (vorzugsweise Spritzgießen, Extrusion und Blasformen) verarbeitet werden.

Allgemeine Überlegungen zur Verarbeitung TPE sollen kühl und trocken gelagert werden. Lagertemperaturen über 40 °C sind zu vermeiden. Der Zeitraum für die beste Verarbeitbarkeit liegt innerhalb von ca. 6 Monaten nach Anlieferung. Um eine hochwertige Verarbeitung (blasen- und schlierenfreie, auch aufgeschäumte Bauteile) zu gewährleisten, ist in aller Regel eine Vortrocknung (Feuchtigkeitsgehalt < 0,05 %) mit handelsüblichen Trockenluftund Umlufttrocknern notwendig. (Anhaltswerte: Trocknungstemperaturen liegen je nach Härte zwischen 80 und 110 °C bei Trocknungszeiten von 1 bis 3 Stunden.) TPE-Fertigteile erreichen ihr maximales physikalisches Eigenschaftsniveau in aller Regel erst nach längerer Lagerung bei Raumtemperatur. Durch eine Wärmebehandlung in Umluft-Heizschränken kann dieser Zeitraum auf 24 h und weniger reduziert werden. (Anhaltswerte für TPU: Bei einer Härte = 92 Shore A eine Lagerungstemperatur von 80 bis 90 °C und für = 93 Shore A eine Lagerungstemperatur von 100 bis 110 °C). Der optimale Druckverformungsrest (DVR) wird nur durch Wärmelagerung erreicht! Zur Verbesserung des Verarbeitungs- bzw. des Anwendungsverhaltens von TPE-Formmassen ist grundsätzlich zu überprüfen, inwieweit z. B. Antiblockmittel, Trennhilfsmittel und UV-Stabilisatoren vorteilhaft eingesetzt werden können. Begriffserläuterung: Verblocken bedeutet, dass z. B. eine aus TPU extrudierte Flachfolie, welche aufgewickelt wurde, nach bereits wenigen Wochen als „Block“ vorliegt (intramolekulare Diffusionsvorgänge). Ein Ab- bzw. Umwickeln der „nur noch bedingt erkennbaren“, einzelnen Folienbahn ist nicht mehr möglich (Abhilfe: Trennmittel bzw. artfremde Zwischenfolie!).

Bild 4-156. Thermoplastische Elastomere – Übersicht [1]

4.1 Urformen Verarbeitung von Thermoplastischen Elastomeren auf Schneckenplastifiziereinheiten (Spritzgießen, Extrusion) Bei der Verarbeitung von Thermoplastischen Elastomeren sind bedingt durch den Plastifiziervorgang sehr hohe Drehmomente und entsprechend ausgelegte Schneckenantriebseinheiten erforderlich. Ein nicht ausreichendes Drehmoment führt zu Schwankungen der Schneckendrehzahl und somit zu ungleichmäßigem Aufschmelzen. Gut plastifizierte, homogene Schmelze erhält man mit eingängigen Dreizonenschnecken in den handelsüblichen Längen (Kompressionsverhältnis; Gangtiefe Einzugszone zu Meteringzone Faktor 3 bis 2). Ist eine hohe Plastifizierleistung (bzw. Durchsatzmenge) gewünscht, sind vorzugsweise längere Schnecken (L/D > 24) einzusetzen. Rheologisch optimierte Barriereschnecken sind ebenfalls geeignet. Bei der Extrusion können auch Nutbuchsenextruder eingesetzt werden. Entgasungsextruder sind nicht geeignet (Stagnationsgefahr im Bereich des Entgasungsdoms). Eine Temperierung der Schnecke ist für die Verarbeitung von TPE-Formmassen üblicherweise nicht erforderlich. Wegen der hohen Scherbeanspruchung haben sich Kurzkompressionsschnecken nicht bewährt. Da klassische TPE-Schmelzen weder korrosiv (chemischer Reaktionsverschleiß) noch abrasiv (Furchungsverschleiß) wirkend sind, können Standardverarbeitungsmaschinen (z. B. Nitrierstahl- bzw. Hartmetallausführung) eingesetzt werden. Bei der Spritzgießverarbeitung von vielen TPE-Formmassen anfallendes sauberes, sortenreines Rücklaufmaterial kann nach entsprechender Aufbereitung und Trocknung zur

337

Wiederverarbeitung eingesetzt werden (max. 30 % Regeneratanteil). Beim Extrudieren wird das Beimischen von Rezyklat bzw. das Vermischen verschiedener Chargen nicht empfohlen. Bei der Plastifizierung ist die Schneckendrehzahl so zu wählen, dass die kritische Schneckenumfangsgeschwindigkeit (v = 0,3 U/min) nicht überschritten wird (thermische Schädigung). Praxishinweis: Schneckendurchmesser D = 30 mm → Drehzahl n = 190 U/ min Schneckendurchmesser D = 150 mm → Drehzahl n = 40 U/ min Thermoplastische Elastomere neigen bei zu langen Verweilzeiten in Verarbeitungsmaschinen zu einer themischen Schädigung, verbunden mit einer nachteiligen Beeinträchtigung des Eigenschaftsprofils (Bild 4-157). Eine Mehrfachverarbeitung führt grundsätzlich zu einer mehr oder weniger ausgeprägten Schädigung der Polymerformmasse (Bild 4-158). Mit zunehmender Verarbeitungstemperatur ist ein verstärkter Materialabbau (Viskositätsabfall) zu beobachten. Grundsätzlich soll die Masseschmelzetemperatur bei der Verarbeitung der einzelnen TPE-Formmassen von 230 °C (in Ausnahmefällen 250 °C) nicht überschritten werden.

Bild 4-157. Änderung der Reißfestigkeit bzw. der Reißdehnung in Abhängigkeit von der Verweilzeit der Schmelz im Zylinder am Beispiel Desmopan (TPU) [3]

338

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-158. Abhängigkeit der Reißfestigkeit und -dehnung von der Anzahl der Verspritzungen am Beispiel Desmopan (TPU) [3]

Verarbeitung im Spritzgießverfahren TPE-Formmassen bilden die Werkzeugwandungsoberfläche (Oberflächenrauigkeit von 0,5 bis 0,6 μm vorteilhaft, möglichst erodiert) sehr gut ab. Dies kann u. U. zu einer ausgeprägten Wandhaftung führen und muss bereits bei der Werkzeugkonstruktion berücksichtigt werden. Alternativ sind Trennmittel (ggfs. Aufsprühen) vorzusehen. Die Werkzeugtemperatur hat großen Einfluss auf die Oberflächengüte und das Entformungsverhalten, ebenso auf Schwindung und innere (eingefrorene) Spannungen im Fertigteil. Allgemein üblich sind Werkzeugtemperaturen von 20 bis 50 °C (u. a. auch nach Härtgrad zugeordnet). Niedrige Temperaturen ergeben matte, hohe Temperaturen glänzende Oberflächen. Die hohe Elastizität von TPE-Formmassen ermöglicht die Entformung von Hinterschnitten (herunterziehen, ausreichend elastisches Stoffverhalten vorausgesetzt) und Hohlkörpern (können durch Druckluft vom Kern abgeblasen werden). Schwindungswerte für die Auslegung der Formkontur festzulegen ist für thermoplastische Elastomere aufgrund der Gestalt der jeweiligen Spritzlinge, deren Wanddicke und die Verarbeitungsbedingungen nur bedingt möglich (Abschätzungswert: 0,5–1 % bei der Formenkonstruktion). Verfahrensvarianten beim Spritzgießen von TPE Verbundteile (Hart-Weich-Kombination) für z. B. Dichtund Dämpfungselemente bestehen aus mehreren Polymer-

formmassen und lassen sich grundsätzlich mittels Spritzgießen herstellen. Bedingt durch ein den Thermoplasten sehr nahe kommendes Verarbeitungsverhalten bieten sich TPEFormmassen in besonderem Maße für den Einsatz bei derartigen Mehrkomponentenbauteilen an. Grundsätzlich ist in einem ersten Schritt zu prüfen, welche Verbundfestigkeit die einzelnen Weich-Hart-Verbindungen aufgrund der werkstofflichen Eigenschaften aufweisen (Bild 4-159). Die prinzipiell erreichbare Verbundfestigkeit für die Übertragung von Kräften (Zug, Scherung) ist jedoch auch in nicht zu unterschätzender Weise von der vorgegebenen Formteilgeometrie und insbesondere von der Verbindungsfläche abhängig (Bild 4-160). Aufgrund der meist vorliegenden leichten Verformbarkeit der TPEFormmassen ist grundsätzlich zu prüfen, inwieweit eine rein formschlüssige Verbindung überhaupt gewählt werden kann (ggfs. zusätzliche Verbindungselemente vorsehen). Die Herstellung von Hart-Weich-Bauteilen (Mehrkomponentenspritzgießen) im Spritzgießprozess erfolgt in praxi mit verschiedenen Werkzeugkonzepten. In Bild 4-161 ist dargestellt: A. das Drehtischverfahren, bei welchem der auf einem Werkzeugdorn aufgeschrumpfte Spritzling mit Hilfe eines Drehteils zur nächsten Einspritzstation weitertransportiert wird

4.1 Urformen

Bild 4-159. Verbundfestigkeit von ausgewählten Kunststoffpaarungen [6]

Bild 4-160. Prinzipielle Verbindungsmöglichkeiten bei einer Formmassenpaarung TPE/Thermoplast

339

340

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

B. das Umsetzverfahren, bei welchem der Spritzling in ein zweites Werkzeug eingelegt und schließlich angespritzt wird (z. B. Schraubenherstellung mit guter GriffHaptik) C. das Indexplattenverfahren, bei welchem der Vorspritzling in ein zweites, kern- und matrizenangepasstes Werkzeug einschließlich Indexplatte eingeführt wird. D. das Schieberverfahren, bei welchem ein zurückfahrender Einsatz (Absperrkern) für den zweiten Spritzvorgang die Kavität vergrößert. Da das Werkzeug nicht geöffnet werden muss, erfolgt die Anbindung bzw. Verschweißung der verschiedenen Polymermassen bei sehr hohen Massetemperaturen (günstige Schweißfestigkeitswerte). Das Coinjektionsverfahren (Sandwich- oder Mehrschichtspritzgießen) ermöglicht mehrschichtige Bauteile herzustellen (siehe Kap. Spritzgießen). Grundsätzlich ist festzuhalten, dass eine Verarbeitung von TPE-Formmassen mit allen gängigen Sonderverfahren (Prägen, Hinterspritzen, Gasinnendruckverfahren) möglich ist. Verarbeitung im Extrusionsverfahren TPE-Formmassen können unter Verwendung von Pinolenund Stegdornhalterwerkzeugen sowie Breitschlitzdüsen verarbeitet werden. Da die meisten TPE-Schmelzen beim Austritt aus der Düse geringe Formstabilität aufweisen, muss die Kühlungseinheit bzw. die Kalibrierung unmittelbar an die Düse herangeführt werden ohne die Temperaturführung am Düsenkopf zu beeinflussen. Zur Kühlung können Wasserbä-

der, Wassersprühdüsen, Luftduschen oder Kombinationen dieser Systeme angewendet werden. Die bei harten Thermoplasten üblichen Kalibrierungssysteme wie Ziehscheiben, fliegender Stopfen und Vakuumkalibrierung können nur angewendet werden, wenn sich zwischen Extrudat und Kalibrierfläche ein Gleitfilm aufbaut. TPE-Monoprofilanlagen (Bild 4-162) für die Herstellung von Profilen aus einem TPE-Granulat benötigen formmassenspezifisch ausgelegte Mischplastifizierschnecken. Zur Herstellung von geschäumten TPE-Halbzeugen wird mittels einer prozessoptimierten Einspritztechnologie das Treibmittel (chemisch, physikalisch; insbesondere aber Wasser) zugeführt. Mit TPE-Coextrusionsanlagen lassen sich beliebig mehrschichtig aufgebaute Halbzeuge (TPE kompakt/ TPE geschäumt; PP/TPE geschäumt) herstellen. Auch die Coextrusion von TPE/Stahlarmierung-Bauteilen ist möglich. Neuere Entwicklungen sind Gummi-Hybridanlagen. Dabei wird in einem Verarbeitungsschritt ein Zwei-Komponenten-Profil aus Gummi und einem TPE-Werkstoff hergestellt. Nach der Extrusion und Kalibrierung wird die Kautschukkomponente durch Vulkanisation in einem Mikrowellenkanal vemetzt. Vorteilhaft ist hierbei der Umstand, dass der Gummi einen geringen Druckverformungsrest aufweist und die günstigen Eigenschaften des TPE-Werkstoffs in die Bauteilfunktion miteinfließen. Die Flachfolienextrusion wird vorzugsweise bei Foliendicken größer als ca. 0,5 mm angewendet. Geeignet sind Chill-Roll-Verfahren oder Abzugskalander. Beim Kalander

Bild 4-161. Verschiedene Werkzeugkonzepte zur Herstellung von Hart-Weich-Bauteilen nach Netstal

4.1 Urformen

341

Bild 4-162. TPE-Monoprofilanlage für die Herstellung von geschäumten Profilen nach Berstorff [5]

ist der erste Walzenspalt so einzustellen, dass die Folienbahn beidseitig geglättet wird. Werden matte Oberflächen gewünscht, sind mattierte, PTFE-beschichtete oder mit Silicongummi belegte Walzen zu wählen. Die Walzentemperaturen sollten zwischen 5 und 40 °C liegen. Mit dem Blasfolienverfahren können Folien im Bereich von 0,02 bis ca. 1 mm Dicke gefertigt werden. Die Zugabe von Funktionskonzentraten (z. B. Antiblockmittel) erleichtert die Weiterverarbeitung. Durch Coextrusion von TPE-Formmassen mit harten Thermoplasten wird das Eigenschafts- und Anwendungsspektrum der daraus hergestellten Artikel erweitert (verbessert die Kratzfestigkeit von Oberflächen, erzeugt eine angenehme Haptik und dämpft Geräusche). Die Herstellung von geblasenen Hohlkörpern ist mit speziell entwickelten TPUTypen nach bekannten Techniken möglich (Faltenbälge).

Literatur zu Kapitel 4.1.4 [1] Osen E, Sckuhr M (1999) Thermoplastische Elastomere. Kunststoffe 89(1999)10 [2] N.N. (2007) Firmenbroschüre Fa. Kraiburg TPE, Internetdownload

[3] N.N. (2007) Desmopan TPU Verarbeitung und Bearbeitung. Fa. Bayer, Internetdownload [4] N.N. (2007) Firmenbroschüre Santoprene. Internetdownload [5] N.N. (2007) TPE-Profilanlage. Firmenbroschüre Fa. Berstorff, Internetdownload [6] Röthemeyer F, Sommer F (2001) Kautschuktechnologie. Hanser Verlag, München [7] Firmenschrift der Gummiwerke Kraiburg GmbH&Co, Waldkraiburg Thermoplast K 3/97 [8] Steinbichler G (1998) Verfahrensvarianten der Spritzgießtechnik erweitern den Anwendungsbereich für TPE. VDI-K Jahrbuch 1998

4.1.5

Verarbeitung von Elastomeren (gekürzt nach H. Bille [4])

Bei der Gummiverarbeitung finden viele Stoffe Verwendung. Dem Kautschuk werden Füllstoffe, Weichmacher und Verarbeitungshilfen beigemischt. Je nach geforderter Spezifikation des Gummis ist eine Vielzahl unterschiedlicher Chemikalien bei einem modernen Industrieunternehmen im Einsatz (Bild 4-163).

342

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Die Bestandteile der Kautschukmischung (Bild 4-163) können in unterschiedlichen Lieferformen vorliegen: – als Feststoff in Form von Ballen, Krümeln, Granulaten, Chips, Pulver – als Paste oder Flüssigkeit. Die Elastomerverarbeitung umfasst die drei (wesentlichen) Verfahrensschritte – Wiegen und Mischen – Formgebung (Rohlingsverarbeitung) und – Vernetzung (Vulkanisation). Bild 4-164 zeigt den detaillierten Ablauf am Beispiel Radialwellendichtringherstellung.

Bild 4-163. Aufbau einer Kautschukmischung [1]

4.1.5.1

Wiegen und Mischen

Die Mischungsherstellung erfolgt batchweise; alle Zuschlagsstoffe (Bild 4-163) werden vor dem Mischvorgang abgewogen bereitgestellt oder während des Mischprozesses automatisch zudosiert.

Bild 4-164. Gummiverarbeitung [2]

4.1 Urformen

343

Tabelle 4-13 Rezeptur und Mischvorschrift für eine LKW Laufflächenmischung [3] Mischungskomponenten

Rezeptur Kautschukprozente %

Mischungsprozente %

Naturkautschuk (RSS 3) Ruß N 220 Weichmacher (Mineralöl) Alterungsschutz IPPD Alterungsschutz TMQ Lichtschutzwachs Stearinsäure Zinkoxid Beschleuniger MBS Schwefel Endwerte

100 50 3 1 1 1,5 3 3 1,5 1,5 165,5

60,432 30,212 1,813 0,604 0,604 0,906 1,813 1,813 0,906 0,906 100

Bild 4-165. Kneterbauarten [4]

– kontinuierliche Verfahren in Mischextrudern unterteilen. Tabelle 4-13 zeigt am Beispiel einer LKW-Laufflächenmischung eine Rezepturzusammenstellung auf. Mischungsherstellung – Vormischen nur für extrem hohe Füllgrade und/oder das Verschneiden bedingt verträglicher Polymere – Mastifizieren wird bei Naturkautschukhaltigen (NR) Mischungen häufig dem Grundmischen vorgeschaltet – Grundmischen Hier wird durch das Einarbeiten der Hauptkomponenten eine Wechselwirkung mit den Polymeren erzeugt. Dies gilt besonders für verstärkende Zusatzstoffe. Das Grundmischen ist ein dispersiver Mischvorgang. – Nachzwicken Bei hochgefüllten sehr harten/zähen Mischungen (insbesondere für Reifen) werden durch einen oder mehrere zusätzliche Arbeitsgänge nach dem Grundmischen (Nachzwicken) die Viskosität und Elastizität für die Weiterverarbeitung erniedrigt. – Fertigmischen In die hochviskose Grundmischung werden die verformungs- und fließfähigen Vernetzungschemikalien laminar eingemischt. Das distributive Mischen muss dem laminaren Mischen überlagert werden. Die zur Mischungsherstellung in einem kautschukverarbeitenden Betrieb eingesetzten Mischverfahren lassen sich in – diskontinuierliche, batchweise arbeitende Verfahren in Innenmischern (Kneter) und auf Walzwerken sowie in

Innenmischer (Kneter) In einer temperierten Kneterkammer, Bild 4-165 werden die Zuschlagstoffe mit Hilfe des Stempels in den Arbeitsbereich der Knetschaufeln gepresst und vermischt. Zur Zerteilung der Füllstoffe und zum Aufschließen mit dem hochviskosen Kautschuk werden hohe Scherkräfte und daher große Antriebsleistungen benötigt. Durch die intensive Knetarbeit wird Wärme erzeugt, die durch die Manteltemperierung abgeführt werden muss. Vorteile der Mischungsherstellung im Innenmischer (Kneter), Bild 4-166, sind: – kurze Mischzyklen (2 bis 6 min) durch intensive Erfassung und Bearbeitung des Materials – wegen der geschlossenen Kammer geringe Staub- und Dampfbelastung der Umgebung. Walzwerk Obwohl Mischungsherstellung auch allein auf Walzwerken möglich ist, arbeitet man in der Regel zweistufig: Zunächst wird im Kneter mit hohem Energieeintrag in kurzer Zeit die Grundmischung ohne Vernetzungschemikalien hergestellt. Hierbei wird ein starker Temperaturanstieg in Kauf genommen. Anschließend wird die Mischung auf einem Walzwerk fertig gemischt: Zunächst wird die heiße Mischung auf den relativ großflächigen Walzen abgekühlt und schließlich die Vernetzungschemikalien zugegeben. Zur Erzeugung einer homogenen Mischung kann mit einem so genannten Stockblender, Bild 4-167, das Mischungsfell kontinuierlich von der Walze abgenommen, zusammengerafft und oszillierend wieder auf den Walzenspalt aufgegeben werden.

344

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-166. Schematische Ansicht eines Innenmischers [4]

Bild 4-167. Walzwerk mit Stockblender [3]

Die Handhabung von Mischungsansätzen auf Walzwerken wird oberhalb von Batchmassen von 60 kg zunehmend schwieriger, so dass dann andere Techniken angewandt werden müssen, z. B. Stopfextruder. Mischextruder Hohe Investitionskosten für große Innenmischerlinien zur Mischungsherstellung aus kompakten Kautschukballen

führten zum Einsatz pulver- und krümelförmiger Polymere in Mischextrudern. Zwei Systeme werden bevorzugt in der Praxis eingesetzt: – MVX-Anlagen (M-Mixing, V-Venting, X-Extruding) von Fa. Farrel und – Doppelschneckenextruder (z. B. Leistriz, Coperion W&P). Vertiefungen siehe Röthemeyer/Sommer [3].

4.1 Urformen Halbzeug (Rohlings)herstellung Die fertige Mischung muss zur Abkühlung und zur weiteren Handhabung zerteilt, abgekühlt und zwischengelagert werden. Hierbei kann z. B. durch Extrusion eine spezielle Formgebung (Rohling) erfolgen.

4.1.5.2

Formgebung (Rohlingsverarbeitung) und Vernetzung ( Vulkanisation)

Vor der Vulkanisation muss die Kautschukmischung in die gewünschte Form gebracht werden. Die Formen sind in der Regel beheizt, um im gleichen Schritt die Vulkanisation durchzuführen. Hierbei gibt es eine Vielfalt von Methoden, u. a.: – Pressverfahren (Kompressionsverfahren) Der mit Volumenüberschuss hergestellte Rohling wird in eine Form mit Klappdeckel eingelegt und zwischen zwei Heizplatten verpresst. – Transferpressverfahren Die Mischung wird in einer oberen Kammer des Presswerkzeuges wie durch einen Presskolben durch ein Angusssystem in den unteren Teil des Werkzeuges (Kavität) transferiert. – Spritzgießverfahren Die Mischung wird durch einen Kolben in eine auf Vulkanisationstemperatur beheizte Form eingespritzt. Die Form muss dann bis zur Erreichung des gewünschten Vulkanisationsgrades geschlossen gehalten werden. Um die Maschinen optimal auszunutzen, werden hierbei extrem schnelle Vulkanisationssysteme eingesetzt. – Kontinuierliche Vulkanisation Ein Extruder erzeugt einen Profilstrang, der mit einem Förderband durch einen Temperierkanal geführt wird. Zur schnellen Aufheizung kann die Mikrowellenerwärmung, ein Heißluftkanal, Dampfkanal oder Salzschmelzebad eingesetzt werden. Nach der erforderlichen Haltezeit wird der Strang in der Regel durch ein Wasserbad abgekühlt und aufgewickelt oder abgelängt. Neben den drei genannten Verfahrensgruppen für die Herstellung von Elastomerformteilen, Bild 4-168, seien weitere Herstellungsarten wenigstens aufgezählt. Sie können bei Röthemeyer/Sommer [3] vertieft werden. – Verfahren zur Herstellung von Gummilösungen – Kalandrieren von Bahnen und gummierten Geweben – Verfahren zur Herstellung von Gummihalbzeugen durch Streichen – Verfahren zur Herstellung von Gummi-Verbundkörpern wie Festigkeitsträger (Garne, Cord, Fasern, Fäden) und Gummi-Metall-Verbunde

345

Bild 4-168 [3] gibt eine Übersicht und Grobbewertung der verschiedenen Verfahren zur Herstellung von Elastomerformteilen.

4.1.5.2.1

Pressverfahren (Kompressionsverfahren) (CM Compression Molding)

Beim Pressverfahren (CM) werden durch Extrusion mit anschließendem Stanzen oder Zerschneiden aus der unvulkanisierten Kautschukmischung Rohlinge hergestellt. Diese werden in die Kavitäten des auf Vulkanisationstemperatur beheizten Werkzeugs eingelegt und unter Anwendung von Druck und Wärme in die gewünschte Formteilgeometrie ausgeformt. Nach der Formgebung setzt mehr oder weniger schnell die Vulkanisation ein, Bild 4-169. Der Fließprozess setzt sich nach vollständigem Schließen des Werkzeugs fort, da das spezifische Volumen der Mischung durch Erwärmen ansteigt und dadurch ein Druckausgleich herbeigeführt wird. Im pνT-Diagramm einer Kautschukmischung ist dieser Vorgang darstellbar [3]. Spritzprägeverfahren Mittels einer Spritzgießmaschine, deren Schließeinheit als Presse genutzt wird und deren Einspritzeinheit die Vorplastifizierung übernimmt, lassen sich durch wesentlich genauere Dosierung der vorplastifizierten Mischung geringere Formteiltoleranzen einhalten. Beim Spritzprägen wird die dosierte, vorplastifizierte Masse ins geöffnete Tauchkanten-Werkzeug eingespritzt. Durch Zufahren des Werkzeuges füllt die fließende Masse die Formnester. Für das Spritzprägen eignen sich vor allem „flächige“ Präzisionsteile wie Flachdichtungen, Membranen, flache Warenträge.

4.1.5.2.2

Transferpressen ( TM Transfer Molding)

Ein Transfer-Presswerkzeug ist dreiteilig, Bild 4-170. Der Rohling wird zwischen die beheizten Ober- und Mittelteile gelegt. Beim Schließen des Werkzeuges fließt die Kautschukmischung durch die Einspritzkanäle in die im Unterteil befindlichen Formnester. Nach der Vulkanisation öffnet die Presse das Werkzeug, die Formnester werden entleert, der Restkuchen im Oberteil und in den Einspritzzylindern ist Abfall. Hält man jedoch die Werkzeugoberplatte und den oberen Teil des Mittelstückes auf Temperaturen deutlich unter dem Vernetzungsbeginn, lässt sich der Restkuchen beim nachfolgenden Zyklus mitverarbeiten (Transferpressen mit Kaltkanal).

4.1.5.2.3

Transferspritzpressen

Eine Weiterentwicklung des Transferpressverfahrens besteht darin, die Kautschukmischung in einem fest mit der Presse

346

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-168. Verfahren zur Herstellung von Elastomerformteilen (nach Röthemeyer und Sommer [3]) neutrale Aussage; + Hauptvorteile; - Hauptnachteile

4.1 Urformen

347

Bild 4-169. Prinzipdarstellung des Pressverfahrens. a Rohling, b Werkzeug, c Heizplatten, d Austriebsnut

Bild 4-170. Transferpressverfahren. a Rohling, b Werkzeug, c Heizplatten, d Austriebsnut

verbundenen Schneckenextruder zu plastifizieren, aufzuwärmen und in den Transferzylinder einzuspritzen. Durch Zufahren der Schließeinheit werden dann die Formnester wie beim normalen TM gefüllt, Bild 4-171 [3]. Auch hierbei ist die projizierte Artikelfläche stets größer als die Kolbenfläche des Transferzylinders, so dass ein druckbedingtes Überspritzen der Formnester nicht möglich ist [3].

ckendrehzahl, Einspritzgeschwindigkeit, Zylinder-, Düsen-, Werkzeugtemperatur, Schließkraft, Auftreibkraft, Zuhaltekraft, Restschließkraft, Einspritzweg, Nachdruckweg, Resthub, Dosierweg) sind – verfahrensbedingt – unterschiedlich. Gänzlich anders sind die benötigte Vulkanisationszeit und das Beheizen des Werkzeuges während des Ablaufs der Vernetzungsreaktion. Der Einspritztemperatur kommt beim Spritzgießen von Elastomeren insbesondere bei dickwandigen Teilen eine hohe Bedeutung für die Zykluszeit zu. Dabei gilt die Faustformel

4.1.5.2.4

Spritzgießverfahren

Das Spritzgießverfahren bietet gegenüber dem Press- und auch dem Transferpressverfahren deutlich kürzere Vulkanisations- und Zykluszeiten sowie eine bessere Automatisierung. Die Werkzeugkosten sind dagegen so hoch, dass nur größere Serien in Frage kommen. Bild 4-172 [3] zeigt das Prinzip des Spritzgießverfahrens für Elastomere, dass dem des Spritzgießens von Thermoplasten grundsätzlich identisch ist. Lediglich die Prozessparameter (Einspritzzeit, Nachdruckzeit, Plastifizierzeit, Zykluszeit, Einspritzdruck, Nachdruck, Standdruck, Schne-

Bild 4-171. Transferspritzpressverfahren [3]

ΔT = 4 bis 5 K pro 100 bar. Die Temperaturerhöhung ΔT erhöht sich je 100 bar Einspritzdruck um 4 bis 5 Kelvin. Bei 1000 bar stellt sich somit eine Temperaturerhöhung von ca. 45 K ein. Bild 4-173 [3] zeigt den enormen Einfluss der Einspritztemperatur auf die Zykluszeit beim Pressen, Transferpressen und Spritzgießen von 12 mm dicken Scheiben.

348

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-172. Prinzip des Spritzverfahrens mit dem Schneckenkolbenprinzip [3]. a Werkzeugträgerplatten, b Heizplatten, c Werkzeugplatten, d Formnest, e Angusskanal, f variables Volumen für plastifizierte Mischung, g Zylinder, h Schnecke

Ausführliche Vertiefungen bieten Röthemeyer und Sommer [3].

4.1.5.2.5

Vulkanisation beim Extrudieren von Elastomeren

Helmut Schüle Zur Herstellung von Gummiprofilen und Schläuchen werden verschiedene Extrusionsstrategien verfolgt. Salzbad-Vulkanisationsanlagen Diese Anlage ist modular aufgebaut und besteht aus einem Einlaufband, einer Salzberieselung (Sprühstrecke), Tauchrollenstrecke, Rüttelstation (Abklopfvorrichtung) und Heißluftabblasung. Bei Abzugsgeschwindigkeiten bis zu 60 m/ min werden Profile und Schläuche mit ausgezeichneter Oberflächenqualität hergestellt. Eine nachhaltige Vorreinigung des aus dem Salzbad austretenden Halbzeugs führt zu einem geringen Salzaustrag. Diese Salzreste werden schließlich in einer nachgeschalteten Intensiv-Waschstrecke vom Profil vollständig abgespült. Die dabei anfallende konzent-

rierte Salzlösung wird mit einer zugeschalteten Salzrückgewinnung aufbereitet, verdampft und im geschlossenen Kreislauf als Schmelze in die Salzwanne und somit in den Produktionsprozess vollständig zurückgeführt. Bedingt durch den sich im Profil eingestellten Vernetzungsgrad sind weitergehende Nachfolgeeinheiten aus werkstofflicher Sicht nicht mehr notwendig. Anlagen zur Heißluft-Vulkanisation Die Heißluft-Vulkanisation ist mit das älteste Verfahren der kontinuierlichen Vulkanisation. Innerhalb der Heißluftanlage werden Schläuche und Dichtungsprofile aus kompakten, meist schwefelvernetzbaren Kautschukmischungen mit und ohne Metallgerüstband in einen – je nach Vernetzung – mehr oder wenig elastischen Gummi chemisch umgewandelt. Eine peroxidische Vernetzung ist bei dieser Technologie nicht möglich. Bei diesem Verfahren werden insbesondere poröse Formteile mit geringer spezifischen Dichte und glatter Oberfläche verarbeitet. Bedingt durch den mäßigen Wärmeübergang von der Heißluft (erzwungene Konvektion) auf das

4.1 Urformen

349

Bild 4-173. Temperatur- und Reaktionswertverlauf (Prinzipdarstellung mit Produkt ∅ 50x12) beim CM, TM, IM. a Pressverfahren (CM), b Transferpressverfahren ™, c Spritzgießverfahren (IM) [3]

Halbzeug sind Temperaturen bis zu 300 °C erforderlich. Auch führt diese Art der Wärmeübertragung und den daraus resultierenden Verweilzeiten in einem Heißluftkanal zu sehr langen und teuren Produktionslinien. Ultrahochfrequenzanlagen (UHF-Anlagen) Deutlich größere wirtschaftliche Bedeutung haben Ultrahochfrequenzanlagen. Bei dieser Verfahrenstechnik wird die Energieeinbringung in die zu vernetzenden Halbzeuge durch Einwirkung mittels ultrahochfrequenter Strahlung vorgenommen. Je polarer dabei der Kautschuk oder die Mischungsbestandteile sind, desto schneller erfolgt die Erwärmung der Kautschukmischung im UHF-Feld. Bei guter Mikrowelleneignung können hierbei Mikrowellen-Wirkungsgrade von ca. 60–80 % erreicht werden. Die Anlagen sind für Mikrowellenleistungen bis zu 6 KW vorgesehen. Da die eindringenden Hochfrequenzstrahlen zeitgleich das gesamte Formteil durch „innere Reibung“ erhitzen und so zu einer einheitlichen Vulkanisationstemperatur im Halbzeug führen, werden insbesondere großvolumigen Profile sicher und qualitativ hochwertig verarbeitet. Anlagen zur Infrarot-Vulkanisation Infrarot-Vulkanisationsanlagen, ausgestattet mit Hochleistungs-Infrarotsstrahlern, kommen vorzugsweise bei Halbzeugen auf Silikonbasis zur Anwendung. Auch hier dringt

die Strahlung uneingeschränkt in das Halbzeug ein. Vorteile sind eine schnell ablaufende Vulkanisation, günstige Verhältnisse hinsichtlich Formstabilität und Qualität sowie eine hohe Produktivität. Auch kommen bei Vulkanisieranlagen zwischen der Extrudereinheit und der eigentlichen Vulkanisationsanlage ein sogenannter Schockkanal zum Einsatz. Diese zwischengeschalteten Kanalsysteme sind mit leistungsstarken Strahlern (Temperaturen bis zu 2000 °C) ausgestattet und führen zu einer „schockartigen“ Anvulkanisation (Vorvulkanisation) der durchlaufenden Profile und Schläuche. Dabei stellt sich eine Anvulkanisation (Vorvulkanisation) von Profilen und Schläuchen ein. Neben einer Profilverfestigung und einer verbesserten Formstabilität ergibt sich eine verbesserte Oberflächenqualität.

4.1.5.3

Verarbeitung von Elastomeren am Beispiel Reifen

Andreas Rohr 4.1.5.3.1

Allgemeines zum Reifen

Im Gegensatz zum Rad wird beim Reifen hinsichtlich Herstellungsverfahren und Werkstoffe kaum unterschieden. Vielmehr sind die hauptsächlichen Unterscheidungsmerkmale beim Reifen der jeweilige Einsatzzweck (Sommer- und Winterreifen), der Reifentyp bzw. -bauart (Diagonalreifen

350

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

und Radial- oder Gürtelreifen) und das Lastkollektiv je nach Fahrzeugart und -motorisierung (u. a. Load-Index, SpeedIndex, Luftdruck). Die wesentlichen Unterschiede bei Sommer- zu Winterreifen sind die Profilierung der Lauffläche sowie die Gummimischung. Sommerreifen besitzen eine Gummimischung, welche auch bei hohen Temperaturen kaum weich wird und somit eine hohe Geschwindigkeit zulässt. Winterreifen sind mit einer kälteresistenten Gummimischung und zusätzlichen Lamellen ausgestattet, wodurch eine bessere Haftung auf losem Untergrund, z. B. Schnee, realisiert werden kann. Diese Lamellen sind kleine Einschnitte, welche sich beim Abrollen öffnen und somit zusätzlich für Traktion sorgen [5]. Der Diagonalreifen wurde in der Frühzeit des Automobils produziert und verbaut. 1946 erhält Michelin das Patent für den Radial- oder Stahlgürtelreifen, was eine revolutionäre Entwicklung war. Dieser Radialreifen verdrängte den Diago-

nalreifen aus der heutigen Serienfertigung. Diagonalreifen werden lediglich bei Oldtimern, älteren Motorrädern und teilweise noch im Offroad-Bereich eingesetzt. Auch im Rennsport werden viele Diagonalreifen verbaut, allerdings sind diese nicht mit dem damaligen Diagonalreifen zu vergleichen [5]. Die Vorteile des Radialreifens liegen vor allem in der wesentlich größeren Laufleistung und des geringeren Rollwiderstandes auf Grund gleichmäßiger Druckverteilung und geringerer Relativbewegungen in der Aufstandsfläche, auch Latsch genannt. Weitere Vorteile sind die höhere Tragfähigkeit bei geringerem Gewicht, bessere AquaplaningEigenschaften, besseres Nassbremsverhalten und eine höhere übertragbare Seitenkraft. Im folgenden Bild 4-174 ist der Unterschied in der Aufstandsfläche eines frei rollenden Diagonalreifens gegenüber einem Radialreifen bei 60 km/h Fahrgeschwindigkeit zu sehen. Es ist gut zu erkennen, dass

Bild 4-174. Druckverteilung eines Radial- (oben) und eines Diagonalreifens (unten) [6]

4.1 Urformen der Radialreifen eine wesentlich gleichmäßigere Druckverteilung und somit eine bessere Anbindung an die Fahrbahn aufweisen kann [6]. Zum besseren Verständnis des Radialreifenaufbaus folgt nun ein kurzer Exkurs über den allgemeinen Reifenaufbau mit seinen unterschiedlichen Materialschichten. In Bild 4-175 ist ein in aufgesplitterter Form dargestellter Reifen zu erkennen. Eine weitere Beschreibung der wichtigsten Reifenkomponenten wird im folgenden Absatz über den Vergleich der einzelnen Cordlagen bei einem Diagonal- und einem Radialreifen abgehandelt. In Bild 4-176 sind die unterschiedlichen Richtungen der Cordfäden bei einem Diagonal- und einem Radialreifen zu erkennen. Die Fadenwinkel der einzelnen Cordlagen eines Diagonalreifens bestimmen u. a. die Eigenschaften eines Reifens. Ein stumpfer oder großer Fadenwinkel erhöht den Fahrkomfort, verringert aber die Seitenstabilität. Ein spitzer Fadenwinkel erhöht die Fahrstabilität zu Lasten des Fahrkomforts [7]. Beim Radialreifen unterscheidet man den Aufbau in Laufband und Karkasse. Das Laufband besteht aus einem

Bild 4-175. Reifenquerschnitt mit einzelnen Materialschichten

351

Laufstreifen, Spulbandagen und Stahlcord-Gürtellagen. Der Laufstreifen dient der guten Straßenhaftung und Wasserverdrängung. Die Spulbandagen ermöglichen hohe Geschwindigkeiten. Die Stahlcord-Gürtellagen ermöglichen das Aufbringen von ausreichenden Querkräften bei Kurvenfahrt sowie Umfangskräfte beim Beschleunigen. Diese Kräfte sind von der Karkasse auf Grund ihrer 90° Cordfadenwinkel zur Laufrichtung nicht aufzubringen, weshalb Stahlcord-Gürtelfäden (verlaufen unter einem spitzen Winkel) notwendig sind. In Bild 4-177 ist eine beispielhafte Stahlcordkonstruktionen zu sehen. Die Karkasse besteht aus einer Textilcordeinlage, Innenschicht, Seitenstreifen, Kernprofil, Stahlkern und einem Wulstverstärker. Die Textilcordeinlage hat die Aufgabe, den Reifen auch bei hohem Innendruck in Form zu halten. Die Innenschicht hält den Reifen luftdicht verschlossen. Der Seitenstreifen verstärkt die Seitenflanke und schützt den Reifen vor seitlicher Beschädigung. Das Kernprofil begünstigt die Fahrstabilität sowie das Lenk- und Komfortverhalten des gesamten Fahrzeuges. Der Stahlkern sorgt hierbei für festen Sitz auf dem Rad. Der Wulstverstärker unterstützt die Fahrstabilität und begünstigt ein präzises Lenkverhalten.

352

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-176. Cordlagen eines Diagonal- (links) und eines Radialreifens (rechts) [7]

Bild 4-177. Stahlcordkonstruktion [6]

Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal bei Reifen ist die bereits erwähnte Belastung des Reifens je nach Fahrzeugart und -motorisierung. Eines dieser Merkmale ist der SpeedIndex, welcher in Form von Kennbuchstaben auf dem Reifen zu finden ist. Jeder Kennbuchstabe gibt die entsprechend zugelassene Höchstgeschwindigkeit des jeweiligen Reifens an. Ein weiteres Merkmal ist der so genannte Load-Index (LI). Dieser Index gibt an, welche maximale Tragfähigkeit

ein Einzelreifen besitzt. Die Tragfähigkeits-Kennzahl ist ebenfalls auf der Seitenwand des Reifens zu finden. Der Speed- und Load-Index bilden zusammen die Betriebskennung eines PKW-Reifens. Diese ist Bestandteil der vollständigen, genormten Dimensionsbezeichnung, welche auf jedem Reifen zu finden ist. Im Gegensatz zum Speed- und Load-Index ist die Angabe des Luftdrucks nicht auf dem Reifen zu finden. Je nach Betriebsbedingung des Fahrzeuges (Belastung, Geschwindigkeit) muss ein optimaler Reifenfülldruck eingestellt werden. Bei zu geringem Fülldruck kann eine übermäßige Erwärmung in der Walkzone des Reifens entstehen und eine Beschädigung der Bereifung zur Folge haben. Welcher Luftdruck eingestellt werden muss, ist anhand einer entsprechenden Luftdruckplakette zu erkennen. Diese ist entweder in der Tankklappe oder am Türschweller der Fahrertüre zu finden. Die gesamten Daten über die einzelnen Räder- und Reifenkombinationen, Luftventile, Belastungen und Luftdrücke werden von der Organisation ETRTO kommuniziert, organisiert und dokumentiert. Die European Tire and Rim Technical Organisation (ETRTO) fördert die Angleichung nationaler Normen von Reifen, Räder und Ventilen in Europa hinsichtlich Montage, Anwendung und Austauschbarkeit. Des Weiteren werden Abmessungen, Last- und Luftdruckzuordnungen sowie Anwendungsleitlinien festgelegt. Auch der ungehinderte Austausch von technischen Informationen bezüglich Reifen, Räder und Ventilen wird gefördert [5].

4.1 Urformen

4.1.5.3.2

Die verschiedenen Werkstoffkomponenten und deren Funktionen

Allgemein soll noch erwähnt werden, welche Grundmaterialien laut Continental zur Herstellung eines Reifens verwendet werden. – Natur- und Synthesekautschuk (41%) – Füllstoffe wie Ruß, Silicia, Kohlenstoff, Kreide (30%) – Festigkeitsträger wie Stahl, Rayon, Nylon (15%) – Weichmacher wie Öle und Harze (6%) – Chemikalien für • Vulkanisation wie Schwefel, Zinkoxid, Stearinsäure (6%) und • als Alterungsschutzmittel gegen Ozoneinwirkung und Materialermüdung (1%) – Sonstige (1%)

Der SBR mit seiner kugelförmigen Molekularstruktur wird durch radikalische Polymerisation hergestellt. Die Emulsionspolymerisation oder Kaltpolymerisation wird bei 5 °C durchgeführt. Nach der Polymerisation wird der SBR durch Vulkanisation vernetzt und es entsteht eine elastische Masse. Weiterhin wird der Synthesekautschuk Polybutadien (BR) verwendet. Dieser setzt sich wie folgt zusammen:

Polybutadien-Kautschuk wird mittels der Lösungspolymerisation aus 1,3 Butadien hergestellt. Dieser besitzt auch ohne Füllstoffe eine sehr gute Elastizität und wird zur besseren Verarbeitung mit SBR und/oder Naturkautschuk versetzt [8].

353

Polymer (Synthese- und Naturkautschuk) Die chemische Zusammensetzung des Naturkautschuks ist wie folgt:

[

]

–– CH2 –– CH2 –– C = CH –– | x CH3 Der Naturkautschuk, welcher aus dem südamerikanischen Baum Hevea brasiliensis gewonnen wird, enthält meist mehr Doppelbindungen als Synthesekautschuk, weshalb die Vulkanisationsgeschwindigkeit bei Naturkautschuken wesentlich höher ist. Die Inhaltsstoffe wie Proteine, Amine und Harze wirken als Stabilisatoren und Vulkanisationsbeschleuniger, welche bei Synthesekautschuk erst hinzugefügt werden müssen. Der Aufbau der Moleküle des Naturkautschuks ist meist linear und kaum quervernetzt. Einer der hauptsächlich verwendeten Synthesekautschuke in der Reifenindustrie ist der Styrol-Butadien-Kautschuk (SBR). Dieser besteht üblicherweise aus 23,5 % Styrol und 76,5 % Butadien. Die chemische Zusammensetzung ist wie folgt:

Ruß und Silika In der Reifenindustrie werden bis zu 10 verschiedene Ruße verwendet. Die Herstellung erfolgt nach dem Furnace-Prinzip. Bei diesem Prinzip wird in Heißgas Rußrohstoffe (RußÖle) eingesprüht. Dabei kommt es zur unvollkommenen Verbrennung und Spaltung (Pyrolyse) des Rußrohstoffs und Ruß entsteht. Beispielsweise wird in der Reifenindustrie für den Laufstreifen der Füllstoffruß lntermediate S.A.F. (Abkürzung: ISAF, amerikanischer ASTM-Norm-Code: N220) verwendet. Der Einsatz von Silica (Kieselsäure) stabilisiert das Netz der Verbindungen zwischen den einzelnen Stoffen der Gummimischung. Im Vergleich zur herkömmlichen Struktur mit zwei Knoten (Schwefel und Kohlenstoff) erhöht die Dreiknoten-Struktur (Schwefel, Kohlenstoff, und Silikat) die Festigkeit des Materials. Dadurch wird eine höhere Reißfestigkeit bewirkt, der Abrieb gesenkt und die Laufleistung gesteigert. Auch haftet der Reifen besser auf der Fahrbahn, da die Mischung wegen der höheren Festigkeit weicher ausgelegt werden kann. Nachteilig wirkt sich bei der Verwendung von Silica die nichtleitende Eigenschaft des Materials aus. Die elektrische Energie muss somit mit anderen Mitteln abgeleitet werden [9].

354

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Weichmacher Um die Flexibilität des Materials während des Herstellungsprozesses und im späteren Einsatz zu erhalten, werden Weichmacher wie Harze und Mineralöle hinzugesetzt. Es werden parafinische, naphthenische und aromatische Prozessöle sowie Bitumen und Cumaron-Inden-Harze verwendet. Diese lagern sich in den Zwischenräumen der Polymerketten ab und bewirken ein erleichtertes Aneinandervorbeigleiten der Ketten innerhalb des Netzwerkes.

Weitere Materialien Neben den detailliert beschriebenen Materialien und Werkstoffen werden des Weiteren Vulkanisationsaktivatoren wie Zink, Stearinsäure und Sulfonamid (Beschleuniger) verwendet und sorgen für die Vernetzung bei der Vulkanisation im Heizofen. Zum Schutz vor Ozon und UV-Strahlen werden diverse Alterungs- (N-(1,3-Dimethylbuty1)-NI-phenyl-pphenylendiamin (GPPD)) und Lichtschutzmittel (Ruß, Wachse, GPPD) eingesetzt.

Schwefelbrücken Schwefel wird bei der Vulkanisation beigesetzt und unter Druck erhitzt. Während der Vulkanisation entstehen dreidimensionale, elastische Netzwerkverbindungen zwischen Schwefelbrücken und den langen Polymerketten (Kautschukmolekülen), wodurch ein späteres Fließen oder Verformen des Materials ausgeschlossen wird. Die Kunst liegt darin, einen Kompromiss zwischen Reißfestigkeit (sehr viele Schwefelbrücken) und Elastizität (wenige Schwefelbrücken) für den optimalen Reifen zu finden.

4.1.5.3.3

Bild 4-178. Reifenproduktion bei Continental [7]

Reifenherstellung

Der Reifen ist ein komplexes Hightech-Produkt mit höchsten Ansprüchen. Er besteht aus mehr als 10 Gummimischungen und 15-20 Bauteilen je nach Anforderungen. Die Basiselemente eines Reifens sind die Grundstoffe Stahldraht, Textilcord und eine spezifische Gummimischung (wird im weiteren Verlauf definiert). Die Reifenproduktion wird anhand des Beispieles der Continental AG dargestellt. Die erste Bauphase des Reifens verläuft zweigliedrig. Die äußeren Reifenschichten (Laufstreifen, Bandage, Gürtel)

4.1 Urformen

Bild 4-179. Reifen-Rohmaterialien [10]

Bild 4-180. Konstruktion – Mischungsbestandteile [11]

355

356

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

werden zum Gürtelpaket, die inneren Reifenschichten (Seitenwand, Verstärker, Kern+Apex, Einlage, Innenschicht) zur Karkasse zusammengebaut. In der zweiten Bauphase werden das Gürtelpaket sowie die Karkasse zusammengeführt und anschließend bei hoher Temperatur in der Vulkanisation miteinander verbunden. In der Endkontrolle wird bei Continental der Reifen visuell und sensorisch lückenlos auf Mängel kontrolliert (siehe Bild 4-178). Die Gummimischung besteht aus dem Grundmaterial natürlicher und synthetischer Kautschuke sowie aus Verstär-

kerfüllstoffen wie Russ und Silika, welche auf nasser Fahrbahn für äußerst kurze Bremswege sorgen. Dieses Material ist somit von hoher Bedeutung für den Laufstreifen. Die chemischen Zusätze wie Antioxidationsmittel sind für die Haltbarkeit des Reifens verantwortlich. Weiterhin werden Kreide, Öle, Harze, Beschleuniger, Verzögerer, Mischhilfen, Aktivatoren sowie Schwefel verwendet (siehe Bilder 4-179 und 4-180). Die einzelnen Reifenkomponenten Die Zutaten für die Gummimischung oder das Mischungsfell werden gemischt, gespritzt, gewalzt, geschnitten und zur Weiterverarbeitung gesammelt (siehe folgende Abbildungen: Auszüge aus der Produktion bei Conti) [10]. Äußere Reifenschicht Beim Laufstreifen spielt die Verwendung von Silika eine äußerst wichtige Rolle. Der Laufstreifen stellt den Kontakt zur Fahrbahn her und ist verantwortlich für gute Haftung, geringen Abrieb und einen niedrigen Rollwiderstand. Im allgemeinen Sprachgebrauch spricht man pro Reifen von

Bild 4-181. Detailbilder aus der Reifenproduktion bei Continental

Bild 4-182. Laufstreifen [10]

4.1 Urformen

357

Bild 4-183. Laufstreifenproduktion, hier zur Abkühlung im Wasserbad [10]

einer postkartengroßen Fläche, welche beispielsweise für Seitenkräfte, Beschleunigung und Verzögerung zur Verfügung steht. Allerdings besteht bei mikroskopischer Betrachtung der Reifenaufstandsfläche zwischen Reifen und Fahrbahn lediglich eine Kontaktfläche von gerade mal 1 cm2 pro Reifen! Äußerst wenig Fläche, wenn man bedenkt, welche enormen Kräfte vom Fahrzeug bzw. Reifen auf die Fahrbahn aufgebracht werden müssen. Das Laufstreifenoberteil (Cap) beeinflusst die Abriebsfestigkeit und Fahrstabilität und sorgt zusätzlich für Haftung auf der Fahrbahn. Das Laufstreifenunterteil (Base) beeinflusst die Stoßempfindlichkeit und Übertragung auf die Textilcordeinlage und verringert den Rollwiderstand. Die Bandage oder auch Spulbandage besteht aus dem Material Nylon. Die Bandage erhöht die Hochgeschwindigkeitsperformance, Laufleistung, Form- sowie Fahrstabilität und verbessert den Rollwiderstand. Der Gürtel besteht aus hochfesten Stahlcorden. Diese sind für hohe Laufleistungen, Form- und Fahrstabilität und geringen Rollwiderstand verantwortlich. Sie dienen auch der Kraftübertragung in Längs- und Querrichtung und verringern den Abrieb. Die einzelnen Stahlcorde werden zu einer feinen Stahlcordlage zusammengeführt und in einem Kalander von einer Mischungsschicht umgeben. Innere Reifenschicht Die Seitenwand besteht hauptsächlich aus Synthesekautschuk. Die Seitenwand nimmt eine schützende Funktion hinsichtlich der Einlage vor Beschädigungen und Witterungseinflüssen ein. Des Weiteren enthält die Seitenwand sämtliche gesetzlich vorgeschriebenen Parameter zur Identifikation des Reifens und dessen Einsatz- und Belastungsmöglichkeiten. Der Kern besteht aus mehreren Stahldrähten und gewährleistet den festen Sitz des Reifens auf der Felge. Der Stahl-

Bild 4-184. Bandage [10]

drahtkern wird zu einem Ring aufgerollt und mit dem Apex (Kernprofil) verbunden, welcher auch als Hülle des Kerns bezeichnet werden kann. Er besteht hauptsächlich aus Synthesekautschuk und ist für ein gutes Lenk- und Komfortverhalten bzw. Federungsverhalten sowie Fahrstabilität verantwortlich. Die Fäden der Textilcordeinlage werden quer zur Fahrtrichtung, also radial, in den Reifen eingebaut. Diese besteht entweder aus Rayon oder Polyester und übernimmt als 2. Lage im Reifen die Funktion des Festigkeitsträgers und

358

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-185. Stahlcorde bei der Verarbeitung zum Gürtel [10]

Bild 4-186. Gürtel [10]

Bild 4-187. Seitenwand links: schwarz, rechts orange

4.1 Urformen

Bild 4-188. Stahlkern [10]

Bild 4-189. Stahlkern mit Apex [10]

Bild 4-190. Kern [10]

Bild 4-191. Apex [10]

359

360

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-192. Textilcordeinlage für einen Radialreifen [10]

Bild 4-194. Produktion der Innenschicht bei Conti [10]

Bild 4-193. Cordeinlage [10]

Bild 4-195. Innenschicht

4.1 Urformen beeinflusst somit wesentlich die Tragfähigkeit und Komfortmerkmale eines Reifens. Darüber hinaus leistet diese den nötigen Widerstand gegen den Reifeninnendruck. Die Innenschicht des Reifens besteht aus Butylkautschuk und wird als 1. Lage im Reifen bezeichnet. Diese luftundurchlässige Innenschicht ersetzt den früher verwendeten Schlauch und hält den Innendruck im Reifen.

Literatur zu 4.1.5 [1]

Rohbock E (2001) Umweltschutz in der Gummiindustrie. In: Freudenberg Forschungsdienste KG (Hrsg) (Redaktion Hempel J): Elastomere Werkstoffe. Freudenberg Service KG, Weinheim, S 229–241 [2] Freudenberg Sparte D+F (Hrsg) (1992) Elastomerverarbeitung. Unveröffentlichtes Manuskript. C. Freudenberg, Weinheim [3] Röthemeyer F, Sommer F (2001) Kautschuktechnologie. Hanser Verlag, München [4] Bille H (2007) Verarbeitung von Elastomeren. In: Eyerer P (2006) Kunststoffkunde. Vorlesungsmanuskript WS 2007/2008, 14. Auflage, Universität Stuttgart, Institut für Kunststoffkunde und Kunststoffprüfung [5] www.wikipedia.de [6] Reimpell J, Sponagel P (1988) Fahrwerktechnik: Reifen und Räder. 2. Auflage, Vogel Buchverlag, Würzburg [7] Continental Reifengrundlagen PKW-Reifen, pdfDatei [8] http://www.chemgapedie.de/vsengine/vlu/vsc/de/ ch/9/mac/andere/kautschuk/kautschuk.vlu/Page/vsc/ de/ch/9/mac/andere/kautschuk/butadien_elastomer. vscml.html [9] http://www.conti-online.com/generator/www/de/continental/automobil/themen/reifentipps/reifentest/08_ haben_hersteller_einfluss/02b_silica_de.html [10] Conti CD Reifen Produktion 2004. Der Wegweiser [11] http://www.conti-online.com/generator/www/de/continental/automobil/themen/reifentips/08_haben_hersteller_einfluss/02d_material_de.html

Weiterführende Literatur Köster L, Perz H, Tsiwikis G (2007) Praxis der Kautschukverarbeitung. Carl Hanser Verlag, München, 300 S (Kautschukextrusion) Anti-Brake-Dust-Untersuchungen von J. Reiser am MTC Sindelfingen Continental Reibwertmessung Folien zu ,,Anti-Brake-Dust-Beschichtung“ Homepage: www.baa.de

361

Präsentation ,,Reibwertmessung Conti ~ DCC Besuch ~ August 2006 ~ ‘ Continental REM- und EDX-Untersuchungen pdf-Datei: REM-A-Klasse-1 und REM-A-Klasse2 vom 07.09.06 Homepage: http://www.duwe-3d.de Homepage: http:llwww.mineralienatlas.de php/energie Homepage: www.fuiifilm.com Homepage: htt://www.qom.com Kermelk, Werner (Hayes Lemmerz); Fahrzeugräder-Aufbau, Konstruktion und Testverfahren. Die Bibliothek der Technik Band I 92, Verlag Moderne Industrie, LandsbergILech 1999; ISBN 3-478-9321 8-1 Universität Kassel; REM-Darstellung Homepage: http://www.uni-kassel.de Michelin, Societe de Technologie; Der Reifen-Rollwiderstand und Kraftstoffersparnis. Erstauflage, Michelin Reifenwerke KGaA, Karlsruhe 2005, ISBN 2-0671 1658-4 Michelin, Societe de Technologie; Der Reifen-Komfort – mechanisch und akustisch. Erstauflage, Michelin Reifenwerke KGaA, Karlsruhe 2005, ISBN 2-06-71 1 657-6 Homepage: www.reifen.de TechScan-Untersuchung bei Continental Braess, Hans-Hermann; Seiffert, Ulrich: Vieweg Handbuch Kraftfahrzeugtechnik. 2., verbesserte Auflage, Vieweg, Braunschweig/Wiesbaden 2001, ISBN 3-528-1 21 14-4

4.1.6

Verarbeitung von Duroplasten und Faserverbund-Kunststoffen (mit duroplastischer Matrix)

4.1.6.1

Verarbeitungsprinzip

Duroplastische Formmassen bestehen aus einem Reaktionsharz (beispielsweise Phenolharz, Harnstoff-Formaldehydharz, Melaminharz, Polyesterharz, Epoxidharz), einem Reaktionsmittel (Härter), Füll- bzw. Verstärkungsstoffen sowie einer Vielzahl weiterer Zusatzstoffe. In der Regel sind die Harze vorpolymerisiert, sind also bereits aus Makromolekülen mittlerer Molmasse aufgebaut, der Vernetzungsgrad ist aber noch sehr gering. Die Harze sind urformbar. Das Urformen erfolgt üblicherweise in einem heißen Formwerkzeug über Pressen, Spritzpressen oder Spritzgießen. Die Formmasse polymerisiert im Werkzeug, sie vernetzt zu einem unschmelzbaren und unlöslichen Duroplast. Wegen der hohen Eigensteifigkeit von endvernetzten Duroplasten wird aus der meist um 150 bis 180 °C heißen Form ohne Ab-

362

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-196. Viskositätsverlauf einer Pressmasse, die kalt in ein heißes Werkzeug eingefüllt wird; a Einfluss der Erwärmung; b Einfluss der Vernetzung; c sich ergebender Viskositätsverlauf in Abhängigkeit von der Zeit als Überlagerung der Effekte von a und b [1]

kühlen entformt. Es gibt auch kalthärtende, exotherm vernetzende Duroplaste, wie z. B. manche Epoxidharze. Aus Bild 4-196 geht hervor, dass nur eine begrenzte Zeit zur Verarbeitung zur Verfügung steht, die durch die Viskositätssenkung infolge Erwärmung einerseits und die Viskositätssteigerung infolge Vernetzung andererseits bestimmt wird. Ab einem bestimmten Vernetzungsgrad lässt sich der Werkstoff nicht mehr verformen. Je nach dem Grad der Vorkondensation lässt sich eine Formmasse mehr oder weniger schnell härtend einstellen. Dies kann auch chemisch über die Art bzw. Menge des Härters erfolgen. Den Einfluss des Vernetzungsgrades auf die Eigenschaften, Bild 4-197 zeigt dies für den Schubmodul, verdeutlicht prinzipiell für die A-, B- und C-Zustände. Die Lage der Glastemperatur verschiebt sich für zunehmende Vernetzungsgrade zu höheren Temperaturen. Der Abfall der Eigenschaften im Haupterweichungsbereich nimmt mit steigender Vernetzung deutlich ab, Bild 4-197. Die Viskosität der härtbaren Formmassen (vor der Aushärtung) ist meist sehr niedrig (bei 70 bis 120 °C). Sie liegt im Bereich von 1 bis 50 Pas. Thermoplastschmelzen liegen zwischen 200 und 800 Pas. Im Gegensatz zum Spritzgießen von Thermoplasten bilden Duroplaste Grate und Häute, die in aller Regel nachträglich kostenintensiv zu entfernen sind. Werkzeugspalte sind durch höhere Schließkräfte und durch den Einsatz von Tauchkantenwerkzeugen zu minimieren.

Bild 4-197. Schubmodul (qualitativ) für einen Duroplasten in verschiedenen Kondensationsstufen [4]

4.1 Urformen Nach dem Entformen ist ein Entgraten z. B. durch Trommeln (Mischungen aus Nuss- und Aprikosenkernen) oder Bestrahlen (mit weichem Granulat) meist notwendig. Da aufgrund der Aushärtung eine längere Zykluszeit, besonderes bei dünnwandigen Teilen, benötigt wird, ist eine automatisierte Fertigung aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit von großer Bedeutung [2]. Eine Übersicht über die Duroplastverarbeitung auf der Basis von bestehenden Normen zeigen die Tabellen 4-14 und 4-15. Duroplaste sind üblicherweise gefüllt bzw. verstärkt. Ohne Füll- bzw. Verstärkungsstoffe sind sie häufig spröd (Phenolharz, Melaminharz), haben eine zu große Schwin-

dung (Polyesterharz), sind zu teuer (Phenolharz, Epoxidharz) oder haben eine zu geringe Festigkeit. Entsprechend den unterschiedlichsten Anwendungsfällen werden die Füllbzw. Verstärkungsstoffe ausgewählt. Füllstoffe sollen im Wesentlichen verbilligen. Verstärkungsstoffe erhöhen bevorzugt die Festigkeit, siehe auch Kapitel 1.3 und 1.4.3.6. Beispiele für Füllstoffe: – Quarzmehl – Kreide – Kalziumcarbonat – Holzmehl – Zellstoff

Tabelle 4-14 Für den Verarbeiter wichtige Vernetzungsreaktionen und deren Nebenprodukte (in Anlehnung an [3]) Harzbildungsreaktion der Ausgangskomponenten

Vernetzungsreaktion zum Duroplast

bei Vernetzung abgespaltenes Reaktionsprodukt

Restmonomerea

Harzarten

Kurzzeichen

Phenoplast

PF

Phenol und Formaldehyd

Polykondensation

Polykondensation

Wasser

Formaldehyd

Aminoplast

UF MF

Harnstoff und Formaldehyd Melamin und Formaldehyd

Polykondensation Polykondensation

Polykondensation Polykondensation

Wasser Wasser

Formaldehyd Formaldehyd

ungesättigter Polyester

UP

ungesättigte Disäure und Diol

Polykondensation

Polyaddition

keines

Styrol

Epoxid

EP

Bisphenol und Epichlorhydrin

Polykondensation

Polyaddition mit Diamin oder Disäure

keines

Diamin

Diallylphthalat

DAP

Monomeres Diallylphthalat

Polymerisation

Polykondensation

Wasser

Diallylphthalat

a

Harz-Bausteine

mögliche Restmonomere nach der Vernetzungsreaktion, die gesundheitsschädlich sein sollen. Ursache: Dosierung (Stöchiometrie) stimmt nicht Vernetzungsbedingungen falsch: Temperatur zu niedrig, Zeit zu kurz

Tabelle 4-15 Harz/Füllstoff-Kombinationsmöglichkeiten für härtbare Formmassen Komponente

363

Beispiele für typisierte Formmassen

konstant gehalten

variiert

Harz

Füllstoff

Phenolharz mit

Holzmehl = Typ 31

Füllstoff

Harz

Zellstoff mit

Harnstoffharz = Typ 131

Melaminharz = Typ 152

Phenolharz = Typ 51

Harz

Füllstoffmischung

Phenolharz mit

Holzmehl und Textilfaser = Typ 83

Zellstoff und Textilfaser = Typ 84

Zellstoff und Holzmehl = Typ 85

Harz-Mischung

Füllstoff

Melamin- und Phenolharz mit

Holzmehl = Typ 180

Zellstoff = Typ 181

Harz-Mischung

Füllstoffmischung

Melamin- und Phenolharz mit

Gesteinsmehl und Holzmehl = Typ 182

Gesteinsmehl und Zellstoff = Typ 183

Zellstoff = Typ 51

Textilschnitzel = Typ 74

364

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Beispiele für Verstärkungsstoffe: – Glasfasern – Kohlenstofffasern – Ruß – aromatische Polyamidfasern – Gewebeschnitzel – Naturfasern (Cellulose u. a.)

4.1.6.2

Typisierung von Duroplasten (härtbare Formmassen) (siehe auch Kapitel 7.2)

Die wichtigsten zur Herstellung härtbarer Formmassen verwendeten Harzarten sind Phenol-, Harnstoff-, Melamin-, ungesättigte Polyester-, Epoxid- und Diallylphthalat-Harze. Härtbare Formmassen, die mit diesen Bindemitteln aufgebaut sind, beschreiben DIN 7708 (Phenoplaste und Aminoplaste) sowie DIN EN ISO 14527 (rieselfähige HarnstoffFormaldehyd und Harnstoff/Melamin-Formaldehyd-formmassen, Teil 1, 2, 3), DIN EN ISO 14530 (rieselfähige ungesättigte Polyester-Formmassen, Teil 1, 2, 3) und DIN EN ISO 15252 (rieselfähige Epoxidharz-Formmassen, Teil 1, 2, 3). Für Diallylphthalat-Massen besteht noch keine Norm, Prüfmethode siehe ISO 1385 – 1.02.1977. Die Normung bestimmter härtbarer Formmassen hat den Zweck, in die Vielfalt Ordnung zu bringen und dem Verarbeiter den Bezug definierter Materialien zu ermöglichen. Dazu werden in den Typentabellen Mindestanforderungen für einige typische Eigenschaften festgelegt, die an definierten Probekörpern und ebenfalls nach Normen ermittelt werden. Erfüllt die Formmasse die geforderten Typeneigenschaften, ist der Hersteller nach Beachtung weiterer Formalien berechtigt, für seine Formmasse das Gütezeichen der privaten Gütegemeinschaft AVK-TV (www.avk-tv.de/guetezeichen) zu benutzen, Bild 4-198. Formaldehyd-Problematik in Holz und Holzproduktion Bindemittel in Holzfaserplatten sind standardmäßig Phenoplast oder Aminoplast. Formaldehydemission an den Holzfaserplatten tritt ein, wenn nach der Vernetzungsreaktion noch Formaldehyd (Restmonomere) vorhanden ist und bei Hydrolysevorgängen während der Anwendung der Holzfaserplatten. „Formaldehydfreie“ Holzfaserplatten sind mit Isocyanat MDI gebunden. Wenn Hydrolysevorgänge eintreten, dann sind die Holzfaserplatten mit UF4 am schlechtesten, mit MF5 besser und mit PF6 günstiger, da hier die Bindung des 4 5 6

Harnstoffharz (UF) Melaminharz (MF) Phenolharz (PF)

Bild 4-198. Überwachungszeichen für typisierte Formmassen. Typnummer Ba-Firmenkennzeichen (Hersteller) (Gütezeichen der privaten Gütegemeinschaft AVK-TV)

Formaldehyds mit Phenol (Novolak) am stärksten ist. Das Holz selbst emittiert Formaldehyd in kleinen Mengen, bei höheren Temperaturen merklich [6].

4.1.6.3

Einteilung der Verarbeitungsverfahren

Tabelle 4-16 zeigt eine mögliche Einteilung der Verarbeitungsverfahren für Duroplaste auf. Einige der Verfahren werden im Folgenden kurz beschrieben.

4.1.6.4

Verarbeitungsfehler und ihre Ursachen

Für den Verarbeiter von duroplastischen Formmassen (Pressen bzw. Spritzgießen), wie für jeden anderen Kunststoffverarbeiter auch, ist die Zuordnung von Bauteilfehlern zu Verarbeitungsparametern von großem Wert. Eine erkannte Fehlerursache lässt sich meist auch beheben. Kapitel 4.1.7.3.3 gibt hierzu Auskunft, siehe vor allem Tabelle 4-28.

4.1.6.5

Verarbeitungsverfahren

Pressformen Zur Durchführung dieses Verfahrens dienen mechanische oder hydraulische Pressen sowie zwei- oder mehrteilige Werkzeuge. Diese können für das Kaltpressverfahren aus GF-verstärkten UP-Harzen hergestellt werden. Mittelgroße Serien stellt man nach dem Kaltpressverfahren her, große nach dem Warmpressverfahren. Beim Warmpressen kann man im Nassverfahren oder mit vorimprägniertem Verstärkungsmaterial (SMC) arbeiten. Für das Aufheizen und Plastifizieren der Formmassen rechnet man je nach Typ der Formmasse und Verarbeitungstemperatur mit Grundzeiten von ≥ 1 min und 15 bis 60 s/mm Wanddicke für das Aushärten.

4.1 Urformen

365

Tabelle 4-16 Einteilung der Duroplastverarbeitung [4]

Hieraus resultieren mit der Wanddicke zunehmende Härtezeiten von mehreren Minuten. Die Härtezeiten können allerdings durch Vorwärmung der Formmasse deutlich verkürzt werden. In Frage kommen: – Hochfrequenz-, Mikrowellen-, Infrarot-Vorwärmen, insbesondere für tablettierte Formmassen außerhalb des Werkzeuges – Wärmeleitung von den heißen Werkzeugwänden in die Formmasse (zeitintensiv) – im Ofen bei Temperaturen, die nicht zum Verkleben der Partikel führen – durch Friktion bzw. Dissipation (nur beim Spritzgießen und Spritzprägen möglich oder in Schneckenaggregaten, die den Pressautomaten vorgeschaltet sind). Bei Schneckenaggregaten wird die Formmasse, wie beim Spritzgießen, mit der rotierenden Schnecke plastifiziert und anschließend mit der als Kolben wirkenden Schnecke in das Presswerkzeug eingedrückt. Neueste Entwicklungen benut-

zen dafür auch einen oder mehrere Doppelschneckenextruder, deren Plastifikat mittels Handhabungstechnik in das Presswerkzeug eingelegt werden. Der Pressvorgang (Formgebung) erfolgt je nach Variante der Schmelzwärmezufuhr gleichzeitig oder während der Verdichtung beim Schließen des Werkzeuges. Ein Einspritzen aus dem Schneckenzylinder ist, wie beschrieben, auch möglich. Die Presswerkzeuge sind, wie in Kapitel 4.1.6 geschildert, im Unterschied zum Thermoplast-Spritzgießen beheizt. Die Pressdrücke in der Form liegen bei Feuchtmassen bei ca. 50 bar, bei vorgewärmten Massen ca. 150 bar, gegebenenfalls bis 400 bar. Jetzt vernetzt die Formmasse im Formnest durch chemische Reaktion (Aushärten): Die Härtezeit bestimmt maßgeblich die Zykluszeit. Übliche Werkzeugbauarten zeigt Bild 4-199. Tauchkantenwerkzeuge sind um 10 bis 15 Prozent teuerer als Abquetschwerkzeuge. Dafür ist die Nacharbeit durch Entgraten bei in Tauchkantenwerkzeugen hergestellten Bauteilen niedriger. Bei nicht genauem Dosieren der Werkzeuge

366

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Als Oberflächenbeschichtungen bietet sich für Pressformteile das In-Mould-Pulver-Lackieren oder In-MouldPainting an. Pulverlack wird elektrostatisch in das heiße, um 100 bis 200 μm geöffnete Werkzeug eingetragen und bildet beim erneuten Schließen der Form eine integrale Schicht mit dem Pressteil, bevorzugt aus UP-Harz. Spritzpressen (Transfer Moulding) Während beim Pressen die eingefüllte Masse im Werkzeug von der Wandung her beheizt wird, erfolgt die Plastifizierung des Kunststoffs im Spritzpressen in einem zusätzlichen Hohlraum (Bild 4-200). Ähnlich wie beim Spritzgießen wird die plastifizierte Masse über einen Anguss in die Werkzeughöhlung gespritzt. Möglich ist aber auch die Erwärmung von Masse-Tabletten vor dem Einlegen in den Zylinder, z. B. mittels Hochfrequenz [1].

Bild 4-199. Presswerkzeuge zur Verarbeitung duroplastischer Formmassen [1]

können Lunker entstehen, Poren bei Unterdosierung bzw. Eigenspannungen bei Überdosierung vorliegen. Füllraumwerkzeuge werden daher besonders bei großen Teilen verwendet, da hier die Dosierung über Masse einfacher ist. Dagegen fährt man Überlaufwerkzeuge mit Überschuss bei kleinen Teilen und besonders bei Verwendung von Pressautomaten. Danach werden die Formteile, wie beim Spritzgießen, durch Auswerfersysteme entformt und das Werkzeug mittels Blasvorrichtungen gereinigt. Da bei Phenolharz- und Aminoplastmassen während der Härtung flüchtige Bestandteile entstehen, ist ein Lüften des Werkzeuges unter Absaugung durch kurzes Anheben des Stempels ggf. zweckmäßig. Wie oben beschrieben, müssen die heiß entnommenen Formteile entgratet und „Schwimmhäute“ eventuell mittels Wasserstrahlschneiden entfernt werden.

Spritzgießen Die Technologie des Spritzgießens von Duroplasten ist grundsätzlich gleich wie bei der Thermoplastverarbeitung, Bild 4-201. Um vorzeitiges Anvernetzen im Plastifizierzylinder zu vermeiden, dürfen die Temperaturen 80 bis 120 °C nicht übersteigen. Wie bei der Elastomerverarbeitung muss die Friktionswärme abgeführt werden (Aggregate beim Duroplast-Spritzgießen flüssigkeitstemperiert). Die Werkzeugtemperaturen liegen meist zwischen 160 und 200 °C. Prinzipiell sind die Plastifizier-Schnecken für die Verarbeitung vernetzender Formmassen kürzer und haben eine tiefer geschnittene Einzugszone im Vergleich zu Thermoplast-Schnecken. Die Kompression bei Duroplast-Schnecken ist gering. Verschlussdüsen und Rückstromsperren werden wegen toter Ecken und vernetzenden Ablagerungen praktisch nicht verwendet. Wegen der deutlich niedereren Viskosität unvernetzter Formmassen müssen Trennebenen und Durchbrüche im Werkzeug sehr glatte Oberflächen haben. Sind die Regelstrategien und konstruktive Maßnahmen unzureichend, gibt es entweder Gratbildung, Brenner und/oder unvollständige Füllung der Kavität. Gießen Die Reaktionsharze werden zähflüssig in Styrol gelöst angeliefert. Die Lagerzeit beträgt unter günstigen Bedingungen (kühl, dunkel) bis zu sechs Monate. Gemäß Verarbeitungsvorschrift wird ein Teil des Harzes mit Härter (Peroxid), der Rest mit Beschleuniger gemischt. Dann werden diese Vormischungen gemischt. Danach verbleibt eine begrenzte Zeit zur Verarbeitung des Ansatzes. Kalthärter vernetzen bei Raumtemperatur. Sie werden 4 bis 5 h bei 80 °C oder einige Wochen bei Raumtemperatur

4.1 Urformen

367

Bild 4-200. Spritzpressen (Transfer Molding) [1]

Bild 4-201. Spritzgießen mit Schneckenförderung (schematisch) (Werkbild Bayer [5])

Bild 4-202. Handverfahren (schematisch) (Werkbild Bayer [5])

368

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

nachgehärtet. Warmhärter vernetzen bei Temperaturen von 80 bis 120 °C schnell und gleichmäßig. Sie erfordern keine Nachhärtung. Die unverstärkten Gießharze dienen zur Herstellung einphasiger Formteile, ggf. mit eingebetteten Präparaten. Glasfaserverstärkte Reaktionsharze: Handlaminieren Für die Verarbeitung von Reaktionsharzgemischen wurden im Laufe der Zeit zahlreiche Verfahren entwickelt. Das bekannteste ist das Handlaminieren. Es wird vor allem bei Einzelstücken, Kleinserien und großflächigen Teilen angewandt. Die erforderlichen Investitionen sind gering. Es eignet sich deshalb vor allem für den Handwerkbetrieb. Die aus Glasfaser bestehenden Verstärkerstoffe werden mit Hilfe von Walzen, Pinseln oder Bürsten mit dem Reaktionsharz von Hand durchtränkt. Aussehen und Oberflächenschutz erfordern das Auftragen harzreicher Deckschichten. Sie werden mit dem Pinsel oder der Spritzpistole aufgetragen. Profilziehen, Pultrusion, Pulforming Das unter der Bezeichnung Pultrusion bekannte Verfahren zum Herstellen von GF-verstärkten Profilen aus UP- und EPHarzen liefert Formstoffe mit Biegefestigkeiten bis zu 700 N/ mm2. Es werden Abzuggeschwindigkeiten bis über 1 m/min erreicht. Eine Weiterentwicklung dieses Verfahrens stellt das in den USA vorgestellte kombinierte Profilzieh- und Pressformen (pulforming) dar. Die verstärkenden GlasfaserRovings werden nach dem Passieren des Imprägnierbades durch Presswerkzeuge gezogen und zu komplexen Teilen

wie GKF-Federn oder Stoßfängerträgern geformt. Das Verfahrensprinzip zeigt Bild 4-203. Wickelverfahren Rohre, Druckbehälter, Kardanwellen und andere zylindrische Körper können in rationeller Weise durch Wickeln hergestellt werden. Endlosfasern, Glasfasergewebe oder Rovingstränge, die vorher ein Tränkbad mit Abquetschvorrichtung durchlaufen haben, werden auf einen Dorn gewickelt. Die Glasfilament-Verstärkung kann mit Hilfe der Kinematik der Wickelvorrichtung so angeordnet werden, dass die Festigkeitseigenschaften an jeder Stelle des Formteils den wirkenden Kräften entsprechen, Bild 4-204. Faserspritzen Statt Textilglasmatten aufzulegen, werden Rovings kontinuierlich in einem Schneidwerk auf Faserlängen von 20 bis 50 mm geschnitten und auf die mit Trennmittel versehene Formoberfläche aufgeblasen oder aber auf die zum Beschichten vorbereitete Fläche aufgetragen. Gleichzeitig erfolgt der Harzauftrag. Das vorbeschleunigte Harz wird mit Peroxid innerhalb bzw. außerhalb der Pistole vermischt und verspritzt. Der Spritzvorgang erfolgt von Hand oder man verwendet entsprechend konstruierte automatische Spritzanlagen. Die Benetzung der Faser erfolgt bereits während oder aber beim Auftreffen des aufeinander abgestimmten Glas- und Harzgemenges auf die Form oder auf die zu beschichtende Fläche. Beim Faserspritzverfahren (Bild 4-205) unterscheidet man zwischen Niederdruck- und Hochdruckverfahren. Damit sind auch die Anforderungen an den Roving vorgegeben.

Bild 4-203. Profilziehverfahren (schematisch) (Werkbild Bayer [5])

4.1 Urformen

369

Bild 4-204. Rohrherstellung nach dem Wickelverfahren (schematisch) (Werkbild Bayer [5])

Bild 4-205. Faserspritzverfahren (schematisch) (Werkbild Bayer [5])

Vakuumformen Kleinserien von Formteilen mit beidseitig glatten Sichtflächen werden nach dem Vakuumformen, Bild 4-206, hergestellt. Es sind zwei Werkzeughälften erforderlich. Eine Hälfte kann auch aus einem flexiblen Tuch bestehen. In die feste untere Werkzeughälfte werden die Faserbahnen eingelegt, mit Harz getränkt und mit dem Gummituch oder der oberen Werkzeughälfte abgeschlossen. Durch Anschluss des Formnestes an eine Vakuumpumpe wird das Harz verteilt. Überschüssiges Harz und Luftblasen werden abgesaugt.

Injektionsformen Dieses Verfahren eignet sich für die Herstellung kleiner und mittlerer Serien. Es wird mit zwei Werkzeughälften gearbeitet. Vor dem Schließen wird das Verstärkungsmaterial meist in Form eines Vorformlings (Bild 4-207) eingelegt. Dann wird Reaktionsharz in die Werkzeughöhlung gegossen oder nach dem RTM-Verfahren (Bild 4-208) injiziert. Es können komplizierte Formteile mit glatter, geschlossener Oberfläche hergestellt werden, wie Motorhauben u. ä. [8].

370

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Harz getränkt. Die Härtung wird durch Einblasen von Heißluft induziert. Die Drehzahlen richten sich nach den Durchmessern und bewegen sich im Bereich von 500–3000 Upm. Die nach dem Schleuderverfahren hergestellten Rohre weisen eine glatte Außenoberfläche auf.

Bild 4-206. Vakuumverfahren (schematisch) (Werkbild Bayer [5])

Schleuderverfahren Die formgebenden Werkzeuge werden mit nicht getränkten Verstärkungsmaterialien ausgelegt, die unter Ausnutzung der Zentrifugalkraft mit Reaktionsharzmasse durchtränkt werden, Bild 4-209. Das Einbringen von Matten und Geweben muss vor Rotationsbeginn erfolgen, während die Aufgabe von Schnittglas und Harz über eine Lanze während der Rotation ablaufen kann. Durch die Zentrifugalkraft wird das eingelegte Material an die Außenwand der Rotationskokille gepresst und mit

Pressen faserverstärkter Duroplaste SMC (sheet moulding compound) ist das Verfahren mit Großserien-Bedeutung, vor allem in der Automobil- und Elektroindustrie. Die Innenausstattung der ICE-Züge ist auch aus SMC. Diese Formmasse besteht im Wesentlichen aus ungesättigten, also härtbaren Polyesterharzen, dem Härter, mineralischen Füllstoffen, den Glasfasern und einigen Hilfs- und Zuschlagstoffen. Hierzu zählen Farbpigmente zum Einfärben, Zinkstearat als Gleit- und Trennmittel und das Magnesiumoxid zum Eindicken der Harzmasse. Tabelle 4-17 zeigt drei typische Rezepturen. Bei den LS-(Low-Shrink) und LP(Low-Profile) Rezepturen handelt es sich um Formmassen, die durch den Zusatz von Thermoplastpartikeln modifiziert wurden, um bessere Oberflächenqualitäten der Bauteile (z. B. Welligkeiten oder Einfallstellen) zu erzielen. Die Thermoplastkomponente kann teilweise die Schwindung der Harzmasse während der Härtung kompensieren [1], siehe auch Kapitel 4.1.7.2.3. Bei einer SMC-Anlage werden auf einem Breitschneidwerk z. B. 40 Rovingstränge geschnitten. Das auf ca. 20– 50 mm geschnittene Glas fällt auf eine mit Harz-Füllstoff-

Bild 4-207. Vorformling-Herstellung und Verpressung (schematisch) (z. B. Kotflügel für Motorrad) (Bayer, Leverkusen [5])

4.1 Urformen

371

Bild 4-208. RTM-Verfahren (schematisch) (Werkbild Bayer [4])

Bild 4-209. Rohrherstellung nach dem Schleuderverfahren (schematisch) (Werkbild Bayer [5])

372

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Tabelle 4-17 Typische SMC-Rezepturen [1] Type Bestandteile

Standard Masse %

LS Masse %

LP Masse %

1. Polyesterharz 2. Thermoplastische Komponente 3. Reaktionsmittel 4. Trennmittel 5. Polyethylenpulver 6. Füllstoffe 7. Pigmentdispersion 8. Verdickungsmittel Insgesamt

37,1 – 0,4 1,5 2,0 55,6 3,0 0,4 100,0

27,8 9,3 0,4 1,5 2,0 55,6 3,0 0,4 100,0

25,54 14,60 0,36 1,50 – 56,50 – 1,50 100,0

Paste berakelte Folie und wird anschließend auf der Oberseite mit einer zweiten ebenso berakelten Folie abgedeckt und zur eigentlichen Harzmatte zusammengepresst. Nach Durchlaufen einer verdichtend einwirkenden Laminierstrecke wird das Laminat als Harzmatte aufgerollt. Dieses kontinuierlich arbeitende Verfahren erzeugt Harzmatten unterschiedlicher Breite. Nach Erreichen des optimalen Reifegrades wird die Harzmatte zugeschnitten und verpresst. Durch die Einarbeitung geeigneter Inhibitoren in die Harzmatten kann die Lagerfähigkeit bei Raumtemperatur vergrößert werden. Für die fertige Harzmatte ist auch der Begriff „Pre-Preg“ (preimpregnated material) gebräuchlich [5], Bild 4-210. Von den Automobilherstellern wird für Karosserieteile aus GFK wegen Übereinstimmung des Farbtones und aus

Kostengründen „on-line“-Lackieren mit Serienlacken gefordert. Die dabei auftretenden Temperaturen und Verweilzeiten schädigen die SMC-Formteile zwar nicht, jedoch können dicht unter der Oberfläche befindliche Poren und Lunker in der Wärme Krater bilden. Zwar haben die lowprofile Harze (siehe auch Kapitel 4.1.7.2.3 und 3.5.1.15) zu deutlichen Fortschritten geführt; das vollständige Vermeiden von Lunkern und Poren gelang jedoch noch nicht. Als brauchbare – wenn auch aufwendige – Zwischenlösung bewährt sich das aus den USA übernommene Beschichten der Formteile im Presswerkzeug (In Mould Coating, IMC). Der Überzug verhindert das Aufbrechen der Poren. Mit Hilfe dieser Methode kann auch die Oberfläche leitfähig gemacht werden, um sie für das Elektrotauchlackieren bzw. elektrostatische Spritzlackieren vorzubereiten.

Bild 4-210. Harzmattenverfahren (SMC-Verfahren) (schematisch) (Werkbild Bayer [5])

4.1 Urformen

373

Tabelle 4-18 Verarbeitungsparameter (Bereiche) für SMC-Bauteile [4] Lagerung/Zeit Reifezeit SMC-Matte Fläche des Zuschnittpaketes Verarbeitungstemperatur Viskosität bei RT Viskosität bei 160 °C Pressdruck Presskraft je m2 Härtezeit Zykluszeit Nachhärtung Schwindung Einleger Oberfläche Materialkosten Lieferformen Glasgehalt Belastungen

–18 °C: 3 Monate, RT: 7 Tage ca. 4 Tage < 70 % Werkzeugfläche 130 bis 160 °C 30.000 bis 50.000 Pas 5.000 bis 10.000 Pas 80 bis 120 bar 1.000 bis 1.500 t 1 min/mm Dicke 30 bis 90 s je nach Bauteildicke in Vorrichtung kühlen 0 bis 0,2% (thermoplastmod.UP) 0,5 bis 3% (UP) Metall möglich IMC (in mould coating) ca. 3,- €/kg (2,5 bis 5 €/kg) Kurzfaser-, Matten-, UD-Band-Prepreg 30 % (25 bis 50 möglich) klebrige SMC-Matten, Styrolgeruch Halbzeug allgemein (Lagerung, Logistik, d. h. erhöhte Kosten gegenüber Direktverfahren)

Tabelle 4-18 gibt Bereiche für SMC-Verarbeitungsparameter wieder [4]. Neue Verfahren und Technologien präsentiert [9].

Literatur – Kapitel 4.1.6 [1] Michaeli W (1999) Einführung in die Kunststoffverarbeitung. 4. Auflage, Hanser Verlag, München, ISBN 3446-21261-2 [2] Saechtling H, Oberbach K (2001) Kunststofftaschenbuch. 28. Aufl, Hanser Verlag, München, ISBN 3-446-21605-7 [3] Woebcken W (Hrsg) (1988) Duroplaste Kunststoffhandbuch 10. 2. Aufl, Hanser Verlag, München, [4] Eyerer P (2007) Kunststoffkunde. Vorlesungsmanuskript WS 2007/2008, 14. Aufl, Fraunhofer ICT, Pfinztal [5] Bayer TechCenter, www.plastics.bayer.com (Hinweis: Die dargestellten Inhalte entsprechen unter Umständen nicht mehr den aktuell angewandten Verfahren bzw. dem aktuellen Produktportfolio des Bayer-Konzerns 2008). [6] Dr Uhlmeyer Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft, Hamburg [8] Peters L (2007) Neue Dimensionen der RTM-Fertigung im Automotivebereich. Vortrag auf dem 13. Nationalen Symposium SAMPE Deutschland, 21./22. Februar 2007, Bayreuth [9] LoFaro C (2007) New developments in composite processing technologies. Vortrag auf dem 13. Nationalen Symposium SAMPE Deutschland, 21./22. Februar 2007, Bayreuth

Weiterführende Literatur Aström T (1997) Manufacturing of Polymer Composites. London, Chapman & Hall Beier U (2007) Optimierung vernähter Hochleistungsfaserverbunde. Vortrag auf dem 13. Nationalen Symposium SAMPE Deutschland, 21./22. Februar 2007, Bayreuth Deinzer G (2007) Verbundwerkstoffe im Automobilbau – Status und Perspektiven. Vortrag auf dem 13. Nationalen Symposium SAMPE Deutschland, 21./22. Februar 2007, Bayreuth Ermanni P (2004) Composites Technology. Vorlesungsmanuskript Version 3.0, Zürich, ETH Huver Th (2007) Die Welt der Harze. Vortrag auf dem 13. Nationalen Symposium SAMPE Deutschland, 21./22. Februar 2007, Bayreuth Neitzel M, Mitschang (2004) Handbuch Verbundwerkstoffe. Hanser Verlag, München Neitzel M (1997) Die Verarbeitungstechnik der FaserKunststoff-Verbunde. Hanser Verlag, München Schneider M (2007) Neue Faserstrukturen aus Kohlenstofffasern. Vortrag auf dem 13. Nationalen Symposium SAMPE Deutschland, 21./22. Februar 2007, Bayreuth Weiner Ch (2007) Industrialisierung und Prozessentwicklung der konfektionstechnischen Preformherstellung für strukturelle FKV-Anwendungen. Vortrag auf dem 13. Nationalen Symposium SAMPE Deutschland, 21./22. Februar 2007, Bayreuth

374

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Lenz W (2007) Genormte Messwerte für HightechAnwendungen (Melaminharzschaumstoff). Kunststoffe 97(2007)6, S 97–99 Bräuning R (2007) Verfahrensentwicklung zur Herstellung von glasfaserverstärkten duromeren Bauteilen im Direktverfahren (Direkt SMC). Stuttgart, Dissertation am Fraunhofer ICT, 2007

4.1.7

Verarbeitungseinflüsse auf Bauteileigenschaften

Jede Art von Be- und Verarbeitung von Werkstoffen beeinflusst die Eigenschaften des entstandenen Produktes. Bei Kunststoffen ist der Einfluss der Verarbeitung auf die Fertigteileigenschaften besonders groß. Daher muss der Konstrukteur eines Bauteiles die in Bild 4-211 [1] aufgeführten Faktoren für die Bauteildimensionierung beachten. Wie riesig die Zahl der Einflussgrößen ist, lassen die Bilder 4-212 [2] und 4-213 [3] erahnen, die für die Morphologie und den Einspritzvorgang beim Spritzgießen die Einflüsse auf Formteileigenschaften aufspreizen. Angesichts dieser Vielfalt und vielschichtigen Verflechtungen kann dieses Kapitel nur eine Kurzfassung sein und nur die wesentlichen Zusammenhänge ansprechen.

4.1.7.1

Bauteileigenschaften

Einige wenige allgemeine Bauteileigenschaften sind in Bild 4-211 genannt. Jedes Bauteil hat spezifische Eigenschaften, so dass es praktisch unmöglich ist, Eigenschaften für alle Bauteile umfassend zu beschreiben. Sie lassen sich in Gruppen zusammenfassen, wie beispielsweise Karosserieaußenteile, Dichtungen, Spielsachen, Elektronikteile usw. Aber auch innerhalb der Gruppe hat beispielsweise ein Schukostecker im Hausgebrauch völlig andere Eigenschaften zu erfüllen als eine Steckverbindung im Motorraum eines LKW. Jedes Bauteil ist also separat zu betrachten und zwar entlang der gesamten Produkt-Engineering-Kette, wie sie in Bild 4-214 dargestellt ist. Meistens erfolgt der Produkt-Entwicklungs- und -Herstellprozess verzahnt, um am Ende das richtige Produkt für den Markt zum richtigen Zeitpunkt bereitstellen zu können. Tabelle 4-19 nennt einige Bauteile aus Kunststoff. Wie sich später noch zeigen wird, beeinflussen die verschiedenen Verarbeitungsverfahren die Bauteileigenschaften enorm. Zunächst werden folgende drei Bauteile aus Tabelle 4-19 ausgewählt und beispielhaft deren Bauteileigenschaften, die die Benutzer fordern, dargestellt:

– Bohrmaschinengehäuse (BMG) (Thermoplaste) – Radialwellendichtring (RWDR) (Elastomere) – Scheibenbremsbelag (SBB) (Duroplaste) Die Aktionen und Reaktionen zu diesen drei Beispielen sollen die Breite und Tiefe der geforderten Eigenschaften von technischen Produkten des täglichen Lebens zeigen. Die Bauteileigenschaften eines jeden Produktes richten sich nach den Anforderungen aus seiner Einbauumgebung. Die Beispiele unterteilen sich daher in die Umgebung (Aktionen), die auf das Produkt (Bauteil) wirken und seine Reaktionen, die die Bauteileigenschaften ausmachen. Anwendungsbeispiele für Kunststoffe Beispiel 1 Bauteileigenschaften eines Bohrmaschinengehäuses (BMG) (Beispiel: Handwerker-Ausführung) a – – –

Umgebung (Aktionen) Temperatur: –30 bis +90 °C Bestrahlung: UV, IR, Ozon Medien: Wasser, Reinigungsmittel, Lösemittel, Öle, Staub, Schmutz – Schläge: Kurz- und langzeitige hohe Belastungen, z. B. 6 m Fallhöhe – Betrieb: Schwingungen, Schlagbohren, Betriebsstunden, Stillstandszeiten, Überlastungen (elektrisch, mechanisch, thermisch) – Missbrauch: z. B. als Hammer oder Spaltgerät mit entsprechendem Einsatz b Eigenschaften des BMG (Reaktionen) – teilkristalliner Thermoplast kurzglasfaserverstärktes Polyamid (PA 6-GF35) • Schlagzähigkeit • Thermische + elektrische + mechanische Festigkeit sowie Steifigkeit • Wasseraufnahme/-abgabe • Dämpfungsvermögen • Morphologie (Kristallisation) • Schwindung/Schrumpfung • Verzug • Kratzfestigkeit – Konstruktion • Ergonomie • Rippen-Wanddicken-Verhältnis • Lage Bindenähte • Radien • Lage Anguss • Lage Orientierungen

4.1 Urformen

Bild 4-211. Einflüsse auf Bauteileigenschaften (Auswahl) [1]

375

376

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Einflussgrößen

Gefügezustand

Vernetzung

1. Änderung der Molekülgröße

Molmasse u. Verteilung, Verzweigung, Vernetzung

Maßgenauigkeit

Maschine

2. Änderung des kristallinen Gefüges

Kristallart, Kristallgröße, Kristallinität

mechan. Eigensch.

Werkzeug

3. Verkürzung der Faserlänge (bei Verstärkungs-stoffen)

mechanische Zerkleinerung

therm. Eigensch.

Temperaturen Zeiten-Drücke

4. Anisotropien

Orientierung von Molekülen u. Kristalliten, Orientierung von Fasern u. Füllstoffen

optische Eigensch.

5. Eigenspannungen

Erstarrungs- u. Kristallisationssp. (Th.) Vernetzungs- u. Polymerisationsssp. (D.u.Th.) Schwindungsspannungen (Th.u.D.)

elektr. Eigensch.

6. Inhomogenitäten

örtl. Unterschiede bei 1-5 Vakuolen, Luft- oder Gaseinschlüsse, mangelnde Vermischung, Entmischung von Kunststoffen u. Zusatzstoffen, Fremdkörper

Alterungsverhalten

Formmasse

Eigenschaften

Bild 4-212. Einflüsse bei der Kunststoffverarbeitung auf das Gefüge und damit auf die Eigenschaften der Erzeugnisse (nach Woebbcken [2])

Bild 4-213. Einfluss des Einspritzvorgangs auf Formteileigenschaften [3]

4.1 Urformen

– Werkstoffherstellung z. B. Legierungs- oder Polymerchemie, Aufbereitungstechnik – Werkstoffe, Verbundwerkstoffe, Werkstoffverbunde, Werkstoffe aus nach wachsenden Rohstoffen – Verarbeitung, Verfahrenstechnik – Design, Bauteilkonstruktion, (CAD) – Werkzeugtechnik (Rapid Tooling RTT), Prototypen Simultaneous (Rapid Prototyping RPT) Engineering (CAE) – Oberflächentechnik – Fertigungstechnik (CIM, PIUS), Logistik, Automation, Wirtschaftlichkeit, Kosten (LCC) – Qualitätsmanagement (CAQ, PPS, TQM, u. a.) – Produkt-Nutzung, Wartung, Reparatur, Lebensdauer Wieder-/und Weiterverwendung – Wieder-/Weiterverwertung, Entsorgung, Umwelt – Ganzheitliche Bilanzierung (CIB) Software GaBi 4,0 Life Cycle Engineering (LCE) – Aus- und Weiterbildung (TheoPrax) (CIL), z. B. Kunststoffkunde auf CD ROM





Bild 4-214. Umweltgerechtes Produkt-Engineering, Verzahnung von Teilschritten [1] (siehe auch Einführung in Polymer Engineering)

Tabelle 4-19 Beispiele für Bauteile aus Kunststoffen [1] Anwendung Bauteil

Branche

Frontend Bohrmaschinengehäuse Milchbecher Hüftpfanne Radialwellendichtring Scheibenbremsbelag Kabelummantelung Steckverbindungen z. B. am Motor

Automobil, PKW Maschinenbau Verpackung Medizin Fahrzeugtechn. Maschinenbau Fahrzeugtechnik Elektrotechnik/ Elektronik Fahrzeugtechnik/ Elektronik

• Gebrauchssicherheit • Kreislauffähigkeit (Recycling) • Integration von Zusatzfunktionen • Füllsimulation – Verarbeitung durch Spritzgießen • Werkzeugtechnik • Integrierte Oberflächentechnik

Kunststoff

Verarbeitungsverfahren

Fertigungsstückzahl

PP-GF/CF PA-GF PS, PP PE-UHMW Elastomere Duroplast Thermopl. Elastomer Thermoplaste PA, PPS Duroplaste BMC, PF, EP

Pressen Spritzgießen Warmumformen Sinterpressen Injection-Moulding Pressen Coextrusion Spritzguss

groß mittel groß klein groß groß groß groß [37]

• • • • • • •

Nacharbeit Herstelltoleranzen Recycling von Produktionsreststoffen Eigenspannungen Molekül-/Glasfaserorientierungen Morphologie Herstellkosten

377

378

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-215. Photo eines Bohrmaschinengehäuses (Bosch)

Beispiel 2 Bauteileigenschaften eines Radialwellendichtringes (RWDR) (Beispiel: Antriebsstrang und Nebenaggregate) a Umgebung (Aktionen) – Öl auf der Innenseite Temperatur –40 bis + 150 °C; Druck 0 bis 0,3 (max. 6) MPa; Ölart (Viskosität); Additive im Öl; Abbauprodukte im Öl/feste Verkokungen, Späne aus der Aggregatefertigung) – Welle: Durchmesser; Drehzahl ≈ 0 bis 12000 min–1; Oberflächenbeschaffenheit; Exzentrizität; Wellenschlag (zul. 0,1 bis 0,3 mm); Polygoneffekt; Versatz (zul. 0,2 bis 0,5 mm); axiale Bewegung; Werkstoff (z. B. Korrosion, Verschleiß); – Gehäuse: Oberflächenbeschaffenheit; Exzentrizität; Toleranzabweichungen; Werkstoff; – Betrieb: Schwingungen/Dynamik; Laufperioden; Betriebsstunden; Stillstandszeiten; – Belastungen von der Außenseite: Ozon, UV, Infrarot; verschiedene Medien; Staub und Schmutz; b Eigenschaften des RWDR (Reaktionen) (in Anlehnung an Brinck [4]) – Elastomer-Werkstoff • Ölquellung • Relaxation • Kriechen • Thermische Wirkung – Ausdehnung – Schwindung • Hysterese und Elastizität • Dehnungsverhalten • Viskoelastische Schwingung und Dämpfung

• Kristallisation/Morphologie • Montagefähigkeit (Weiterreißfestigkeit) • Reibungsverhalten • Vernetzung • Härte • Verschleißfestigkeit • Alterungsverhalten • Emissionen • Chem. Beständigkeit • Kosten • Großserienfähige Herstellbarkeit – Konstruktion • Radialkraft – Federkraft – RK Dichtlippe ohne Feder – Anlagefläche • Gestaltung der Dichtlippe – Abstand Feder-Dichtkante – Anzahl der Dichtlippen – Querschnitt Federnut-Dichtkante – Füllsimulation – Dichtlippenwinkel < Rückförderdrall – Elastomervolumen – Lippenlänge – Versteifungsblech: Abmessungen u. Werkstoff • Kosten – Verarbeitung durch Injection-Molding oder Transfer-Pressen • Herstellungstoleranzen • Vernetzungsgrad • Oberflächenbeschaffenheit • Werkzeugtechnik • Morphologie • Kosten • Qualitätsmerkmale Beispiel 3: Bauteileigenschaften eines PKW-Scheibenbremsbelages (SBB) a Umgebung (Aktionen) – Temperatur: Betrieb bis 1000 °C; Umgebung – 40 bis + 80 °C – Bremsdruck: 90 bar – Medien: Wasser, Bremsflüssigkeit, Öle, Reinigungsmittel, Staub, Schmutz – Bremsscheibe: Werkstoff, Oberflächenbeschaffenheit, – Fahrweise/Betrieb: Stadt (Taxi, Polizei), Autobahn, Gebirge, mit Anhänger, Betriebsstunden; Stillstandszeiten; – Befestigung auf Träger: Niet, Kleben, Formschluss

4.1 Urformen b Eigenschaften des SBB – Werkstoff: z. B. Gemisch aus 10 bis 20 Bestandteilen mit Dominanz von Phenolharz (z. B. Novolak-Hexa-Pulverharz), beigefügt NBR und/oder SBR sowie Füllstoffe, Metallpulver, Schmierstoffe, Reibstützer, Fasern • abrasiv/adhäsiver (Notlaufeigenschaft) geringer Verschleiß von Belag und Scheibe • konstanter Reibwert in allen Situationen • geringste Emissionen • geringe Masse • chem. Beständigkeit • Dämpfung • ausreichende Abscherfestigkeit • Härte • Vernetzung • Morphologie • Kosten • Wärmeleitfähigkeit – Konstruktion • Verbindung Belag-Trägerplatte • Geometrie der Reibfläche • Trennnute für Wasserfilm • Geräuschverhalten (Rattern, Quietschen) • Anzeige für Funktionsende • geringe Betätigungskraft der Bremse (Komfort) – Verarbeitung durch Heißpressen • Rezepturgestaltung • Vormischen (Pulver, Granulat) • Verpressen mit Lüften • Vernetzung zu 97 % durch Härtezyklen • Fertigbearbeitung (Sandstrahlen, Seitenschleifen, Stärkeschleifen, Nuten, Lackieren, Stempeln, Kontrolle, Verpacken) • Qualitätsmerkmale • Werkzeugtechnik • Toleranzen • Kosten – Umwelt • gesundheitlich unkritische Bremsstäube (Straße, Werkstatt) • keine Lärm- und Geruchsbelästigung

4.1.7.2 Einflüsse des Verfahrens und des Kunststoffes auf die Bauteileigenschaften Die Prozessparameter der verschiedenen Verfahren und die Materialkenngrößen bestimmen entscheidend die Eigenschaften von Bauteilen mit. Die verarbeitungstechnischen Materialeigenschaften sind – Fließen (Orientierungen, Formfüllung) – Erstarren (Kristallisation, Eigenspannungen, – Schwinden Maßhaltigkeit, Verzug …)



379

Die wesentlichen Prozessparameter für die Formteilbildung am Beispiel Spritzgießen sind – Massetemperatur – Werkzeugoberflächentemperatur – Einspritzgeschwindigkeit/-profil – Nachdruck – Einspritzdruck (bzw. Werkzeuginnendruck) – Nachdruckzeit – Kühlzeit (Zykluszeit) – Angusssystem, Angusslage. Für andere Verfahren wie Extrudieren, Pressen, Umformen gelten die Parameter analog bzw. verändert, z. B. Pressen von unvernetzten oder vernetzenden Kunststoffen – Temperatur Vorformling bzw. Formmasse – Werkzeugoberflächentemperatur – Fließgeschwindigkeit – Werkzeuginnendruck – Kühl- bzw. Vernetzungszeit Viele der im Folgenden meist für das Spritzgießen von Thermoplasten ausführlich dargestellten Zusammenhänge zwischen den Verfahrensparametern und den Bauteileigenschaften lassen sich modifiziert auch auf andere Verarbeitungsverfahren übertragen.

4.1.7.2.1

Thermoplaste und thermoplastische Elastomere: Molekül-Orientierungen

Spritzgießen Entstehung der Molekül-Orientierungen beim Urformen Besonders beim Spritzgießen, wo hohe Schergeschwindigkeiten auftreten (γ˙≤ 5000 s–1), ergeben sich Molekülorientierungen, die durch schnelles Abkühlen an der kalten Formwand eingefroren werden. Orientierungszustände beim Extrudieren und Kalandrieren sind weniger stark ausgeprägt (γ˙ Tg bei amorphen oder T ≅ Tm bei teilkristallinen Thermoplasten. Hierdurch tritt eine Rückknäuelung der Makromoleküle auf (Memory-Effekt). Die Geschwindigkeit der Rückknäuelung ist stark temperaturabhängig. Soll die Gestalt des Teiles dabei erhalten bleiben, so muss unter Formzwang gelagert werden. Andernfalls tritt eine Gestaltänderung auf, die als „Schrumpf “, „Rückschrumpf “ oder „Schrumpfung“ bezeichnet wird. Aus Kostengründen kann in der Praxis nur in Sonderfällen unter Formzwang gelagert werden. De facto gibt es also keine (bezahlbare) Möglichkeit der Beseitigung von Molekülorientierungen. Allein schon deren Verringerung „kostet“ Zykluszeit, indem beispielsweise die Werkzeugtemperatur deutlich angehoben wird und dadurch eine erhöhte Relaxation (Rückknäuelung) der Makromoleküle erreicht wird. Dies ist praktisch ein Formzwang unter erhöhter Temperatur. Teilerfolge lassen sich mit geringeren Schergeschwindigkeiten beim Formfüllen erzielen, wie beheizte Düsen, größere Anschnittquerschnitte oder höhere Schmelzetemperatur. Mit jeder dieser Maßnahmen erkauft sich der Verarbeiter jedoch Nachteile wie Teilfüllung oder Molmassenabbau u. a.

382

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-220. Dynamischer Elastizitätsmodul von verstrecktem PVC in Abhängigkeit vom Streckverhältnis ( T = 22°C, f = 320Hz) [10]

Bild 4-221. Einfluss der Orientierung auf die Streckgrenze von PP (Backhaus [8])

Bild 4-222. Einfluss der Orientierung auf die Zugfestigkeit von PS (Backhaus [8])

4.1 Urformen

Umformen Entstehung der Molekül-Orientierungen beim Umformen Kaltumformen Kaltumformen bei amorphen Thermoplasten wird praktisch nicht angewandt (hohe Formkräfte; Gefahr der Werkstoffschädigung; beim Wiedererwärmen Rückstellung). Bei teilkristallinen Thermoplasten ist Kaltumformen zum Teil möglich; z. B. lässt sich Polypropylen nageln. Warmumformen Erfolgt bei amorphen Thermoplasten im thermoelastischen (entropieelastischen) Bereich oberhalb Tg bzw. bei teilkristallinen Thermoplasten ca. 30 °C unter Tm (siehe Versuch mit einem Becher weiter unten). Verstrecken Man unterscheidet Warm- und Kaltverstrecken, wobei infolge Dissipation (innere Reibung) auch beim Kaltverstrecken Temperaturen innerhalb der Fließzone bis zu ca. 120 °C zu beobachten sind.

Extrudieren Wie oben schon erwähnt, sind die Orientierungen beim Extrudieren infolge relativ niedriger Scherkräfte auf die Thermoplastschmelze geringer, aber vorhanden. Die Strangaufweitung beim Extrudieren oder das Schwellenverhalten beim Extrusionsblasformen sowie beim Textilfadenspinnen aus der Schmelze steht mit den Molekülorientierungen, die sich infolge Scher- und Dehnkräfte beim Düsendurchtritt bilden, in Verbindung, Bild 4-223.

383

Beim freien Ausströmen einer viskoelastischen Kunststoffschmelze aus einer Düse weitet sich der Strang auf. Er wird dicker als der Düsendurchmesser. Diese Erscheinung ist umso ausgeprägter, je kürzer die Düse ist bzw. je höher der Durchsatz ist. Einen Einfluss hat auch die Zulaufgeometrie (Einlaufdruckverluste). Erklärung zu Bild 4-223: Durch Scherkräfte werden Molekülketten in Scherrichtung beim Düsendurchtritt orientiert. Die Makromoleküle werden demnach zwangsweise aus einem ungeordneten, verknäuelten Zustand in einen Zustand größerer Ordnung gebracht. Nach dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik streben alle Stoffe die größtmögliche Unordnung an. (Das Maß für diese Unordnung ist die Entropie.) Wegen des viskoelastischen Verhaltens von Kunststoffen allgemein und Kunststoffschmelzen im Besonderen erfolgt diese Rückknäuelung der Molekülketten zeit- und temperaturabhängig, entropieelastisch. Je länger die Düse ist, umso mehr Zeit haben die Makromoleküle in einem vorgegebenen Düsenquerschnitt zu relaxieren, d. h. die Strangaufweitung nach Austritt aus der Düse wird klein sein. Der Anteil des viskosen Fließens innerhalb der Düse ist groß, die gummielastische (entropieelastische) Rückdeformation nach Austritt ist klein. Ist die Düse kurz, findet kaum Relaxation beim Düsendurchtritt statt, der entropieelastische Anteil überwiegt, die Strangaufweitung ist groß. Diese beschriebenen Vorgänge können nur bei Temperaturen weit oberhalb des Glaspunktes bzw. des Schmelzpunktes ablaufen. Wird eine Kunststoffschmelze in eine in

Bild 4-223. Schematische Darstellung des rheologischen Verhaltens von Kunststoffschmelzen beim Düsendurchtritt (in Anlehnung an [11])

384

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

der Regel kalte (~20 bis 80 °C) Spritzgussform gespritzt, werden die vorhandenen Molekülorientierungen und örtlich unterschiedlichen Spannungen eingefroren und bestimmen weitgehend die Produkteigenschaften. Dies gilt für das Extrudieren beispielsweise von Rohren in ähnlicher Weise, da hier der Schmelzestrang unmittelbar nach Düsenaustritt in die Kalibrier- und Kühlzone eintritt. Der Einfluss der Düsenlänge bleibt jedoch hiervon unbeeinflusst. Die Beschreibung der Entstehung, der Auswirkungen und der Beseitigung von Molekülorientierungen gilt analog auch für die Orientierungen von Fasern (nicht für deren Beseitigung). Glasfasern, beispielsweise, richten sich infolge Scherkräfte in der Kunststoffschmelze in Fließrichtung aus. Bei Scher- und Dehnströmung gibt es somit auch über der

Bild 4-224. Orientierungseinfluss auf die Schwindung von glasfaserverstärktem PBT [12], BASF AG

Wanddicke eines Formteiles senkrecht zueinander stehende Molekül- und Faserorientierungen beim Spritzgießen oder beim Aufeinandertreffen von Schmelzeströmen (Bindenähte), senkrecht zu den Fließrichtungen stehende Molekülund Faserorientierungen. Dies wird umso ausgeprägter sein, je kälter die Schmelzetemperatur ist (viskositätsbedingte höhere Scherkräfte). Die Bindenaht wird zur Schwachstelle. Bild 4-224 zeigt anhand der Schwindung die Anisotropie eines mit 30 % Glasfasern gefüllten Materials [12]. Solche Schwindungsunterschiede führen verständlicherweise am fertigen Bauteil zu starken Verzugserscheinungen. Für den Konstrukteur bedeutet dies, er muss Strömungsrichtungen während der Füllphase entweder aus Erfahrung kennen oder Simulationsprogramme zur Beschreibung des Füllbildes heranziehen (siehe Kapitel 6.3.2.1 und 6.3.3.4). Orientierungen von Molekülen und von Fasern sind, wie oben beschrieben, Verstärkungen in Richtung der wirkenden Kräfte, sie sind aber wegen der geringeren Sekundären Bindekräfte zwischen Molekülen Schwachstellen senkrecht zu den Kraftrichtungen. Versuch: Ein Kunststoffbecher z. B. tiefgezogen oder spritzgegossen (Boden mittig angespritzt) wird zerdrückt. Einfluss von Molekülorientierungen auf Eigenschaften 1. Warum bricht der Becher in Längsrichtung, warum nicht quer dazu? Weil die Makromoleküle beim Umformen (ca. 120 °C) durch Scherung orientiert werden (Bild 4-225) und diese Orientierung beim schnellen Abkühlen eingefroren wird. Und weil die Bindekräfte innerhalb eines Makromoleküls ca. um den Faktor 20 höher sind als zwischen den Makromolekülen. 2. Wie kann man diese Schwachstelle vermindern? Durch andere Werkstoffwahl kann Problem reduziert wer-

Bild 4-225. Aus einem isotropen Molekülknäuel werden infolge Scherung beim Urformen oder Umformen anisotrope Molekülorientierungen [1]

4.1 Urformen den oder andere Spritzbedingungen bzw. Tiefziehbedingungen wählen Problem vermindert – Kosten erhöht: Beispiel Spritzgießen: Schmelzetemperatur erhöhen, Formwerkzeugtemperatur erhöhen – vermindert die Anisotropie, verlängert aber die Zykluszeit. 3. Was passiert, wenn man den Becher über Tg erwärmt? Im Fall des tiefgezogenen Bechers warmgeformt aus der Halbzeug-Platte: Erinnerungsvermögen an die ebene Form der HalbzeugPlatte → orientierte Makromoleküle nehmen die entropisch günstige Gestalt wieder an, sobald die Beweglichkeit der Makromolekülketten (Ketten gleiten aneinander ab) dies zulässt (>> über Tg) (besonders gut bei Polystyrol zu beobachten). Anhand der verschiedenen Eigenschaften wird je Teilbild in Bild 4-226 der Einfluss der Molekülorientierungen in einem spritzgegossenem Formteil a) parallel zur Spritzrichtung (gekennzeichnet mit ∥ und durchgezogene Linie) b) senkrecht zur Spritzrichtung (gekennzeichnet mit ⊥ und gestrichelt gezeichnete Linie) sichtbar.

385

Je näher der Messort am Anguss liegt (Abszisse), umso ausgeprägter ist bei der Reißfestigkeit und der Streckspannung der Einfluss der Orientierungen. Molekülorientierungen, als Folge der Scherkräfte beim Verarbeiten, wirken sich verfahrenstechnisch sehr unterschiedlich aus. Beim Spritzgießen von Thermoplasten und thermoplastischen Elastomeren haben Molekül- und Faserorientierungen einen dominierenden Einfluss auf die Bauteileigenschaften. Wie der Versuch mit dem Kunststoffbecher zeigt, sind auch beim Warmumformen die Orientierungen sehr ausgeprägt. Dies ist, wie schon erwähnt, beim Extrudieren geringer und, je niedriger die Viskosität bzw. je geringer die Schergeschwindigkeit und je kürzer die Fließwege sind, umso weniger ausgeprägt.

Pressen Beim Pressen, beispielsweise von glasmattenverstärkten Thermoplasten (GMT) oder von langfaserverstärkten Thermoplasten im Direktverfahren (LFT-D) bzw. auch von duroplastischem SMC, hängt die Orientierung von Makromolekülen und Fasern von der Größe der Scherkräfte ab.

Bild 4-226. Orts- und Richtungsabhängigkeit der mechanischen Eigenschaften eines Spritzgussteils

386

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Zuschnitte, die die Kavität weitgehend ausfüllen, also in der Regel einfache Formteilgeometrien, weisen geringe Orientierungen auf. Zuschnitte, die beim Pressen lange Fließwege vor sich haben, führen für Moleküle und Fasern in aller Regel zu ausgeprägten Orientierungen. Dies gilt nach neueren Erkenntnissen auch für Langglasfasern, die unerwarteterweise bis zu 40 mm hohe Rippen beispielsweise eines Frontends eines PKW durch eingelegte versteifende Glasfasergewebe hindurch ausfüllen [14], [15]. Der Einfluss von Molekül- und Faserorientierungen auf die Bauteileigenschaften ist hierbei von besonderer Bedeutung. Eigenspannungen in Bauteilen als Folge der Verarbeitung haben darüber hinaus ebenfalls großen Einfluss.

Eigenspannungen in Formteilen und Bauteilen – Definition Spannungen, die in Körpern (Formteile, Bauteile) ohne Einwirken äußerer Kräfte vorhanden sind, werden als Eigenspannungen oder innere Spannungen bezeichnet. – Merkmal Die aus Eigenspannungen resultierenden Kräfte F und Momente M sind gleich Null; d. h. es existiert ein statisches Gleichgewicht (ΣF = 0; ΣM = 0).

– Entstehung Eigenspannungen entstehen durch behinderte Volumenänderung in festen Körpern (E-Modul > 0).

– Wirkung auf Makromoleküle In Kunststoffen führen Spannungen zu Abweichungen der Atomabstände und der Valenzwinkel von der jeweiligen statistischen Gleichgewichtslage. – Ursachen der Behinderung von Volumenänderungen Die Behinderung entsteht durch örtlich unterschiedliche Volumenänderung infolge örtlich und/oder zeitlich unterschiedlicher Vorgänge. Nach Bild 4-227 ergeben beispielsweise örtlich unterschiedliche Temperaturen eine Änderung des spezifischen Volumens. Beispiele für solche in der Kunststofftechnik häufig auftretende örtlich unterschiedliche Vorgänge sind: Abkühlung * einschl. kalte Einlegteile Nachdruck (beim Spritzguss) strukturelle Quellung Veränderung Krisallisation* Polyreaktion bzw. Polymerisation einschl. Vernetzen – gilt beispielsweise auch für Metalle und Keramiken



Für den Konstrukteur (Bauteil und Werkzeug) und vor allem für den Verarbeiter sind derartige Zusammenhänge für die Bauteileigenschaften von grundlegender Bedeutung. Das p-v-T-Diagramm, Bilder 4-228 und 4-229, BASF AG [6] verdeutlicht die thermodynamischen Zusammenhänge zwischen Druck (p), spezifischem Volumen (v) und der Temperatur (T). Kompressibilität und Schwindung einer Kunststoffschmelze und eines Bauteils lassen sich damit vorhersagen. Das spezifische Volumen und damit die Schwindung des Kunststoffes – hieraus entnimmt der Werkzeugmacher die

Bild 4-227. Spezifisches Volumen eines amorphen Polymers und eines teilkristallinen Polymers in Abhängigkeit von der Temperatur

4.1 Urformen

387

Grenzen zwischen den Eigenspannungen verschiedener Art.

Abkühlung

Bild 4-228. p,v,T-Diagramm für den teilkritallinen Thermoplast Polyoxymethylen (POM), BASF AG [6]

Beispiel für Abkühleigenspannungen: Während des beidseitigen Abkühlens einer warmen Tafel aus amorphem Kunststoff ergeben sich parabelförmige Temperaturprofile über die Tafeldicke, Bild 4-230. Sofern die Ausgangstemperatur oberhalb der Glastemperatur liegt und die Abkühlung sehr rasch erfolgt (Abschrecken), bildet sich näherungsweise eine parabelförmige Eigenspannungsverteilung über den Querschnitt aus. Die zahlenmäßige Abschätzung der Abkühleigenspannungen σE ebener oder nur mäßig gekrümmter Platten erfolgt nach Gleichung (1):





2 6x2 1 σE = 3 – α · E · (Tg – TS) 6 –3 3 d2 2

(1)

E ... E-Modul; α ... linearer Wärmeausdehnungskoeffizient TS ... Oberflächentemperatur (Abschrecktemperatur) Tg ... Glastemperatur; x ... Ortskoordinate; d ... Tafeldicke Für die höchste Temperatur im Scheitel der Parabel wird die Glastemperatur Tg gesetzt, da sich erst unterhalb von Tg merkliche Spannungen ausbilden können. Aus vorheriger Gleichung folgt für die an der Oberfläche d x = 3 auftretenden Druckeigenspannungen 2





2 σDE = 3 α · E · (Tg – TS) 3

Bild 4-229. p,v,T-Diagramm für das amorphe Terpolymer (Thermoplast) Acryl-Butadien-Stryol (ABS), BASF AG [6]

erforderlichen Übermaße für seine Vermaßung der Kavität, um die geforderten Bauteilabmessungen zu erreichen – sind den Werkzeuginnendrücken und den entsprechenden Massetemperaturen zuzuordnen. Aus örtlich schwankenden Prozessparametern ergeben sich lokal unterschiedliche Schwindungen. Die verschiedenen Arten von Eigenspannungen können durchaus gleichzeitig auftreten, beispielsweise durch Abkühlung, Nachdruck und Kristallisation beim Spritzgießen teilkristalliner Thermoplaste. Ebenso existieren keine scharfen

Bild 4-230. Temperaturprofile T(x,t) während des Abschreckens einer gleichmäßig durchwärmten Platte (Tmax) zu verschiedenen Zeiten (t0 < t1 < t2 < …)

(2)

388

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-231. Druckeigenspannungen an der Oberfläche abgeschreckter Tafeln aus PMMA [1]

In Bild 4-231 stellt die ausgezogene Gerade die nach Gleichung (2) angegebene lineare Relation dar, wobei der Elastitätsmodul E im Glaszustand gleich 3000 N/mm2 und der lineare Ausdehnungskoeffizient α im Glaszustand mit 80 × 10–6 grd–1 eingesetzt wurde. Der Einfachheit halber ist mit konstantem E und α gerechnet. Die Druckeigenspannungswerte von ca. 20 N/mm2 an der Plattenoberfläche wirken sich bei äußeren Zugspannungen und einwirkenden Medien im Hinblick auf Spannungsrissbildung positiv aus. Bei langzeitig wirkender statischer Biegebelastung kann es, insbesondere bei niedrigen Temperaturen, zum Überschreiten der zulässigen Druckspannungen auf der Druckseite kommen.

Überlagert werden die abkühlbedingten Spannungen durch strömungsbedingte Spannungseffekte. Beim Füllvorgang wird die Fließfront biaxial gedehnt; diese Dehnungen werden bei Kontakt mit der in Relation zur Massetemperatur „kalten“ Wand eingefroren, im Formteilkern herrschen Druckspannungen vor. Es ergibt sich die in Bild 4-232 dargestellte Spannungsverteilung [7]. Bei der Entformung des Bauteils können diesem Spannungszustand weitere Effekte überlagert werden. Steht ein Spritzgussteil bei der Entformung noch unter „Restdruck“, so werden die äußeren Schichten des Spritzlings gedehnt. Die daraus resultierenden Eigenspannungsüberlagerungen sind in Bild 4-233 zu erkennen [7]. Im Extremfall können sich in den Randbereichen Zugeigenspannungen ausbilden. Untersuchungen nach [6] zeigten, dass die Entformung unter Restdruck und damit künstlich eingebrachte Expansionsspannungen nur einen vernachlässigbaren Einfluss auf die mechanischen Kennwerte besitzen (Wanddicke der Teile 3 mm). Gleichzeitig mit dem Entstehen der Eigenspannungen setzt die Relaxation, d. h. der Abbau der Spannungen, ein. Letzterer kann derart schnell ablaufen, dass bereits nach dem Entformen keine Spannungen durch spannungsrissauslösende Medien mehr nachgewiesen werden können [16]. Auf der anderen Seite treten jedoch auch so große Eigenspannungen auf, dass sie zum Materialversagen in Form von Fließzonen (Crazes) führen. Aus dem Bereich optischer Anwendungen ist bekannt, dass Eigenspannungen großen Einfluss z. B. auf den Brechungsindex haben. Bei Standardpolystyrol wurden in einigen Fällen schon vor der Entformung Spannungsrisse im Teil festgestellt [7].

Bild 4-232. Überlagerung von abkühl- und strömungsbedingten Eigenspannungen [6] (nach Wübken [7])

4.1 Urformen

389

Bild 4-233. Überlagerung der Abkühl-, Strömungs- und Expansioneffekte bei der Entformung unter Restdruck [6] (nach Wübcken [7])

Die Massetemperatur beeinflusst Eigenspannungen nur unwesentlich. Eine erhöhte Werkzeugoberflächentemperatur hingegen führt zu geringeren Abkühlgeschwindigkeiten, die Spannungsrelaxation kann länger auf höherem Temperaturniveau ablaufen. Es ergeben sich geringere Eigenspannungen. Für die Bauteileigenschaften sind jedoch, wie eben erwähnt, symmetrische Verhältnisse anzustreben. Geringere Nachdrücke führen im Allgemeinen zu geringen Eigenspannungen. Ähnlich wie beim Abschrecken einer Tafel stellt sich ein Temperaturgradient im Formwerkzeug beim Abkühlen aus der Schmelze ein. Die Vorgänge sind insbesondere beim Spritzgießen komplizierter, da bereits die Formfüllung nicht isotherm verläuft. Dies ändert jedoch nichts am sich einstellenden Spannungsverlauf: Druckspannungen an der Oberfläche, Zugspannungen im Werkstoffinneren, sofern nicht durch überhöhten Nachdruck das Werkzeug „überladen“ wurde.

Bild 4-234. Umspritzen eines Einlegeteils [1]

Beispiel: Umspritzen von Einlegeteilen (Thermoplast, Spritzguss) (z. B. Gewindehülsen aus Metall), Bilder 4-234, 4-235, 4-236. Was passiert beim Erstarren der Schmelze im Bereich des Gewindebolzens? Zu unterscheiden sind folgende Fälle: s 1D bis 3D)

Eingeschlossene Luft im Spritzgießwerkzeug

Werkzeugentlüftung verbessern, besonders im Bereich des Schmelzezusammenflusses und bei Vertiefungen (Stege, Zapfen und Schriftzüge), Fließfrontverlauf korrigiern (Wanddicken, Anschnittlage, Fließhilfen)

4.1 Urformen

Tabelle 4-25 (Fortsetzung) Fehler

Mögliches Erscheinungsbild

Mögliche Ursachen

Vorgeschlagene Abhilfe

Verbrennungsschlieren

Bräunliche Verfärbung mit Schlierenbildung

Schmelzetemperatur zu hoch Schmelzeverweilzeit zu lang Temperaturführung im Heißkanal ungünstig

Schmelzetemperatur kontrollieren und absenken, Regler überprüfen Zykluszeit verkürzen, kleinere Plastifziereinheit einsetzen Heißkanaltemperatur kontrollieren, Regler und Thermofühler überprüfen

Periodisch auftretende, bräunliche Verfärbung mit Schlierenbildung

Plastifiziereinheit verschlissen oder „tote Ecken“ an Dichteflächen

Kontrolle der Bauelemente wie Zylinder, Schnecke, Rückströmsperre und Dichtflächen auf Verschleiß und tote Ecken

Strömungsungünstige Bereiche in Plastifiziereinheit und Heißkanälen

ungünstige Strömungsübergänge beseitigen

Einspritzgeschwindigkeit zu hoch

Einspritzgeschwindigkiet reduzieren

Abschieferungen oder Delaminierungen

Ablösungen von Hautpartien im Angussbereich (besonders bei Blends)

Verunreinigung durch andere, unverträgliche Kunststoffe

Plastifiziereinheit reinigen, nachfolgendes Material auf Reinheit prüfen

Grauschlieren

Graue oder dunkelfarbige Streifen, ungleichmäßig verteilt

Verschleißeffekte an der Plastifiziereinheit

Austausch der gesamten Einheit oder einzelner Bauteile, Einsatz von korrosions- und abrasionsgeschützter Plastifiziereinheit

Verschmutzte Plastifiziereinheit

Plastifiziereinheit reinigen

Verschleißeffekte an der Plastifiziereinheit

Wie oben aufgeführt

Verschmutzte Plastfiziereinheit

Plastifiziereineheit reinigen

Wolkenartig ausgebildete, dunke Verfärbung

Zu hohe Schneckendrehzahl

Schneckendrehzahl absenken

Dunkle, meist schwarz erscheinende Stippen

Größe unter 1 mm2 bis mikroskopisch klein

Verschleißeffekte an der Plastifiziereinheit

Wie oben aufgeführt

Größe über 1 mm2

Aufreißen und Abblättern der an Schnecken- und Zylinderoberfläche gebildeten Grenzschichten

Plastifiziereinheit reinigen und Einsatz von korrosionsund abrasionsgeschützter Plastifiziereinheit Für Makrolon®: „Durchheizen“ der Zylinderheizung bei 160–180 °C bei Produktionsunterberechungen (für Apec ® 180–220 °C)

matter Fleck

Samtmatte Flecken um den Anschnitt, an scharfen Kanten und Wanddickensprüngen

Gestörter Schmelzefluss im Angusssystem, an Übergängen und Umlenkungen (Scherung, Aufreißen schon erstarrter Oberflächenhaut)

Anschnitt optimieren, scharfe Kanten besonders beim Übergang vom Anschnitt in die Formhöhlung vermeiden, Übergänge an Angusskanälen und Wanddickensprüngen abrunden und polieren, gestuftes Einspritzen: langsam – schnell

Schallplattenrillen oder Jahresringe

Feinste Rillen auf der Formteiloberfläche (z. B. bei PC)

Zu hoher Fließwiderstand im Spritzgießwerkzeug, so dass Schmelze stagniert; Schmelzetemperatur, Werkzeugtemperatur, Einspritzgeschwindigkeit zu niedrig

Schmelze- und Werkzeugwandtemperatur anheben, Einspritzgeschwindigkeit erhöhen

Kalter Pfropfen

Oberflächlich eingeschlossene, kalte Schmelzepartikel

Düsentemperatur zu niedrig, Düsenbohrung zu klein

Ausreichendes Heizband mit höherer Leistung wählen, Düsen mit Thermofühler und Regler ausstatten, Düsenbohrung vergrößern. Kühlung der Angussbuchse vermindern. Düse früher von Angussbuchse abheben

Wolkenbildung

Feinste Stippen oder Metallpartikel, wolkenartig ausgebildet

405

406

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Tabelle 4-25 (Fortsetzung) Fehler

Mögliches Erscheinungsbild

Mögliche Ursachen

Vorgeschlagene Abhilfe

Lunker und Einfallstellen

Luftleere Hohlräume in Form von runden oder langgezogenen Blasen, nur bei transparenten Kunststoffen sichtbar, Vertiefungen in der Oberfläche

Volumenkontraktion in der Abkühlphase wird nicht ausgeglichen

Nachdruckzeit verlängern, Nachdruck erhöhen, Schmelzetemperatur absenken und Werkzeugwandtemperatur ändern (bei Lunkern erhöhen und bei Einfall absenken), Massepolster kontrollieren, Düsenborhung vergrößern

Nicht „kunststoffgerechte“ Form des Spritzlings (z. B. große Wanddickenunterschiede)

Kunststoffgerecht konstruieren, z. B. Wanddickensprünge und Masseanhäufungen vermeiden, Fließkanäle und Angussquerschnitte dem Formteil anpassen

Blasen

Ähnlich wie bei Lunker, aber im Durchmesser wesentlich kleiner und vermehrt vorhanden

Zu hoher Feuchtigkeitsgehalt in der Schmelze, zu hohe Restfeuchtigkeit im Granulat

Trocknung optimieren, ggf. Entgasungsschnecke durch Normalschnecke ersetzen und mit Vortrocknung arbeiten, Trockner und Trocknungsprozess kontrollieren, evtl. Trockenlufttrockner einsetzen

freier Massestrahl

Sichtbare Strangbildung der zuerst eingeflossenen Masse auf der Formteiloberfläche

Ungünstige Angusslage und -dimensionierung

Freistrahlbildung durch Verlegen des Anschnittes vermeiden (gegen eine Wand einspritzen), Anschnittquerschnitt vergrößern

Einspritzgeschwindigkeit zu hoch

Einspritzgeschwindigkeit reduzieren bzw. gestuft einspritzen; langsam – schnell

Schmelzetemperatur zu niedrig

Schmelzetemperatur anheben

Fließeigenschaften des Kunststoffs nicht ausreichend

Schmelze- und Werkzeugwandtemperatur erhöhen

Einspritzgeschwindigkeit zu niedrig

Einspritzgeschwindigkeit und/oder Einspritzdruck erhöhen

Wanddicke des Formteils zu gering

Wanddicke des Formteils erhöhen

Düse dichtet nicht gegen das Werkzeug

Düsenanpressdruck erhöhen, Radien von Düse und Angussbuchse überprüfen, Zentrierung kontrollieren

Angusssystem mit zu kleinem Querschnitt

Anguss, Fließkanal und Anbindung zum Formteil vergrößern

Werkzeugentlüftung nicht ausreichend

Werkzeugentlüftung optimieren

Fließeigenschaften des Kunststoffs nicht ausreichend

Schmelze- und Werkzeugwandtemperatur erhöhen, ggf. Anschnitt verlegen, um die Fließverhältnisse zu verbessern

Einspritzgeschwindigkiet zu niedrig

Einspritzgeschwindigkeit vergrößern

Wanddicke zu gering

Wanddicken angleichen

Werkzeugentlüftung nicht ausreichend

Werkzeugentlüftung verbessern

zu große Wanddickenunterschiede, unterschiedliche Fließgeschwindigkeiten im Werkzeug, Glasfaserorientierungen

Formteil „kunststoffgerecht“ konstruiern, Änderung der Anschnittlage

nicht vollständig ausgeformte Spritzlinge

Fließnahtfestigkeit nicht ausreichend

verzogene Formteile

Unvollständige Füllung, insbesondere am Fließwegende oder an dünnwandigen Stellen

Deutlich sichtbare Kerben entlang der Fließnaht

Formteile sind nicht plan, Teile weisen Winkelverzug auf, Teile passen nicht zueinander

Werkzeugtemperaturen ungünstig

Werkzeughälften unterschiedlich temperieren

Umschaltpunkt von Einspritz- auf Nachdruck ungünstig

Umschaltpunkt verlegen

4.1 Urformen

407

Tabelle 4-25 (Fortsetzung) Fehler

Mögliches Erscheinungsbild

Mögliche Ursachen

Vorgeschlagene Abhilfe

Formteil klebt im Werkzeug

Matte Flecken bzw. fingerförmige oder kleeblattartige, glänzende Vertiefungen auf der Oberfläche der Formteile (meist angussnah)

Örtlich zu hohe Werkzeugwandtemperatur

Werkzeugtemperatur reduzieren

zu frühes Entformen

Zykluszeit verlängern

Formteil klemmt. Auswerferstifte deformieren das Formteil oder durchstoßen es

Werkzeug überladen, zu starke Hinterschneidungen, umzureichende Werkzeugpolitur an Stegen, Rippen und Zapfen

Einspritzgeschwindigkeit und Nachdruck reduzieren, Hinterschneidungen beseitigen, Werkzeugoberflächen nacharbeiten und in Längsrichtung polieren

beim Entformen entsteht zwischen Formteil und Werkzeug Unterdruck

Werkzeugentlüftung verbessern

Elastische Werkzeugdeformation und Kernversatz durch Einspritzdruck

Steifigkeit des Werkzeugs erhöhen, Kerne abfangen

Formteil wird nicht ausgeworfen bzw. wird deformiert

Gratbildung (Schwimmhaut)

Raue und matte Formteiloberflächen (bei GF-verstärkten Thermoplasten)

Bildung von Kunststoffhäutchen an Werkzeugspalten (z. B. Trennebene)

Rau, matt, schuppenförmig, Glasfasern sichtbar

zu frühes Entformen

Zykluszeit verlängern

zu hoher Werkzeuginnendruck

Einspritzgeschwindigkeit und Nachdruck reduzieren, Umschaltpunkt von Einspirtz- auf Nachdruck vorverlegen

Werkzeugtrennflächen durch Überspritzung beschädigt

Werkzeug im Bereich Trennflächen oder Konturen nachbearbeiten

Schließkraft bzw. Zuhaltekraft nicht ausreichend

Schließkraft erhöhen, ggf. Maschine mit größerer Schließkraft einsetzen

Schmelzetemperatur zu niedrig

Schmelzetemperatur erhöhen

Werkzeug zu kalt

Werkzeugtemperatur erhöhen, Werkzeug mit Wärmedämmplatten ausstatten, leistungsfähigeres Temperiergerät einsetzen

Einspritzgeschwindigkeit zu gering

Einspritzgeschwindigkeit erhöhen

mögliche Ursachen ihrer Entstehung zusammengefasst (Bild 4-250 und Tabelle 4-26). Spritzgießen von Elastomeren In Tabelle 4-26 [3] sind tabellarisch einige immer wieder in der täglichen Produktionspraxis auftretende Probleme und entsprechende Lösungsansätze aufgelistet. Die Maßnahmen beziehen sich auf Maschine, Werkzeug und Kautschukmischung. Bei mehreren möglichen Ursachen ist die erwartete Bedeutung für das jeweilige Problem durch eine Nummerierung nach Prioritäten gekennzeichnet [3]. Die Nummern geben die Reihenfolge der Abhilfemaßnahmen an. Extrudieren von Elastomeren In Tabelle 4-27 [3] sind einige Praxisprobleme und Ansätze zu deren Lösung aufgelistet.

4.1.7.3.3

Verarbeitungsfehler – Duroplaste

Pressen und Spritzgießen von Duroplasten Über Fehlermöglichkeiten beim Verarbeiten von duroplastischen Formmassen gibt es eine Reihe von Zusammenstellungen [23]. Die zitierte Arbeit befasst sich ausführlich mit den Fehlermöglichkeiten beim Pressen. Sie soll daher ergänzt werden durch eine kurze Zusammenstellung von Fehlermöglichkeiten bei der Spritzgieß-Verarbeitung von duroplastischen Formmassen, Tabelle 4-28 [2]. Außerdem sind von fast jedem Hersteller duroplastischer Formmassen solche Fehlertabellen zu erhalten [2]. Weitere Literatur zu Verarbeitungsfehlern bieten [24] bis [36].

408

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-249. Einflussfaktoren auf die Formteilqualität beim Verarbeiten von Elastomeren [3]

Bild 4-250. Mögliche Fehlstellen am Formteil [3]

4.1 Urformen

409

Werkzeug

Verteilerkanäle/Anschnitte Balancierung Werkzeugtemp. Vakuum Trennmittel Werkzeugverschmutzung Viskosität Anvulkanisation flüssige Bestandteile Mindestlagerzeit Höchstlagerzeit

1⇑ 3⇑ 2⇑

Anvulkanisation/Knoten

rauhe Oberfl./“Orangenhaut“

2⇑

2⇑

3⇓

2⇓

1⇑

3⇑ 1⇑

2⇓ 3⇓ 1⇓ 4⇓

1⇑ 4⇑ 3⇑

1⇑

4⇑ 2⇓

2⇓ 1⇓ 4⇓

Grat

Untervulkanisation

2⇑ 2⇑ 3⇑

Kleben im Nest

Verformungen

Porosität

Blasen

1⇓ 3⇓ 4⇑ 2⇓

Fließnähte

Einspritzgeschwindigkeit Nachdruckhöhe Nachdruckzeit Umschaltpunkt Geschwindigkeits-/Drucksteuerung Dosierhub Schneckendrehzahl Staudruck Zylindertemperatur Vulkanisationszeit Düsendurchmesser Fütterung unterbrochen

Mischung

Maschine

mögliche Ursachen

Schwamm Brenner

Artikel unterfüllt

Problem →

Überkneifer „back-rinding“

Tabelle 4-26 Praxisprobleme beim Spritzgießen und Lösungsansätze: Zeichenerklärung: ⇑ Parameter erhöhen, ⇓ Parameter erniedrigen, x Parameter beachten [19]

5⇑

5⇑

1⇑

2x 6⇓

6⇑

4⇑

5x 4⇑ 5⇑

1⇓ 4⇑

3⇓

5⇑ 7⇓ 6⇑

4⇓ 3⇑

1⇑

1⇓

7⇓ 8⇑

3⇓

5x

3⇓ 2⇓ 4x

3⇓ 4⇑

5⇓

5⇓ 4⇓

Tabelle 4-27 Betriebspraxis Extrudieren [3] Problem 1. Extruder pumpt

2. Vakuumzone wird „überfahren“

mögliche Ursachen

Maßnahmen

1.1 Abstand zwischen Schnecke und Mundstück zu klein

1.1 Abstand vergrößern, Lochplatte einsetzen

1.2 Effektive Schneckenlänge (Druckströmung) schwankt auf Grund schwankender Förderung der Vorzonen, besonders bei Entgasungsextrudern

1.2 Fütterung verbessern, Toleranzen für Streifengeometrie einengen; Förderverhalten der Vorzonen bei Vakuumextrudern optimieren (Abschnitt 10.1.6)

1.3 Reibungskoeffizient insbesondere im Einzugsbereich zu niedrig

1.3 Zylindertemperatur optimieren

2.1 Ausstoßleistung der Vorzone zu groß

2.1.1 Leistung der Vorzone drosseln durch Anheben der Zylindertemperatur 2.1.2 Leistung der Austragszone erhöhen durch Erhöhen der Schneckentemperatur und Absenken der Zylindertemperatur 2.1.3 Drosselwiderstand am Ende der Vorzone erhöhen

Tabelle 4-27 (Fortsetzung) Problem

3. Knoten im Profil

4. Blasen im Profil

5. Stegmarkierungen im Profil

mögliche Ursachen

Maßnahmen

2.2 Ausstoßleistung der Austragszone erhöhen

2.2.1 Werkzeugwiderstand erniedrigen (Bügellängen, Lochplatten, Vorzonen) 2.2.2 Schneckentemperatur gezielt erhöhen; Zylindertemperatur senken 2.2.3 Schneckengeometrie optimieren (Abschnitt 10.1.6)

3.1 Knoten in der Mischung

3.1 siehe Abschnitt 4.6

3.2 Anvulkanisation im Extruder

3.2.1 Mischungstemperatur absenken durch Erniedrigen der Schneckendrehzahl 3.2.2 Werkzeugwiderstand erniedrigen 3.2.3 Werkzeugtemperatur herabsetzen 3.2.4 Mischungsviskosität erniedrigen durch Mischtechnologie oder „Nachzwicken“ 3.2.5 ggf. Rücklaufmischung eliminieren

4.1 Mischungstemperatur zu hoch

4.1 Mischungstemperatur absenken wie bei 3.2

4.2 Mischung enthält Wasser

4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4

4.3 Mischung enthält flüchtige Bestandteile

4.3.1 Vakuumextruder einsetzen 4.3.2 Siedepunkt WM überprüfen 4.3.3 Compoundierung überprüfen

4.4 Mischung enthält eingezogene Luft (NBR, Butyl)

4.4.1 Fütterung verbessern 4.4.2 Vakuumextruder einsetzen

5.1 Druck nach Stegen zu niedrig

5.1 Druck durch Drosselelement erhöhen

5.2 Temperaturunterschiede Steg/Mischung zu groß

5.2.1 Temperierung des Spritzkopfes optimieren 5.2.2 Stege temperieren

5.3 Steggeometrie nicht strömungsgünstig

5.3 Geometrie optimieren

Mischung trocknen Wasserbindende Chemikalien aufmischen Vakuumextruder einsetzen Walzwerkentgasung einsetzen

5.4 Stegoberfläche zu rauh

5.4 Stegoberfläche polieren

5.5 Eigenklebrigkeit der Mischung zu niedrig

5.5 Compoundierung überprüfen

6.1 Fremdmischung

6.1 Charge verwerfen

6.2 Unterschiede in der Deformations- und Temperaturgeschichte zu groß

6.2.1 Temperierung optimieren 6.2.2 Erhöhen des Mischungsdruckes durch Verlängerung der Bügelzonen 6.2.3 Verwendung von Mischelementen 6.2.4 Erhöhung der Eigenklebrigkeit der Mischung

7. Rauhe Profiloberfläche

7.1 Dehnviskosität an der Oberfläche zu groß

7.1.1 7.1.2 7.1.3 7.1.4

8. Profil verwirft sich, läuft schief, ist nicht maßhaltig

8.1 Fehlender Flussausgleich

8.1 Flussausgleich nach rheologischen Gesichtspunkten (Abschnitt 10.2.2)

8.2 Werkzeugtemperierung ungleichmäßig

8.2 Temperierung optimieren

8.3 Ablagerungen im Fließkanal

8.3 Werkzeug reinigen

9.1 Vorlaufkanal asymmetrisch

9.1.1 Vorlaufkanal korrigieren 9.1.2 Asymmetrische Vorlaufkanäle nach Möglichkeiten grundsätzlich vermeiden

6. Fließstrukturen im Profil

9. Symmetrisches Profil ist einseitig dicker

Mundstückstemperatur erhöhen Mischung nachzwicken Fließhilfen verwenden Compoundierung überprüfen

zu feucht +

1.5 Kleine Blasen, aufgeplatzt, Teile glatt

2.4 Helle Flecken

2.6 Klebrig

2.5 Brandflecken

z. T. überhärtet wärmeempfindlich

2.3 Matte Stellen

+

+ +

2.2 Zu geringer Glanz

+

2.1 Unruhig (Orangenhaut)

2. Oberflächenfehler

+

1.4 Große Blasen, Teile matt, verformt

1.3 Wolken und Schlieren

+

+

+

+

+

+

+

+

1.2 Porosität

bei grobem Füllstoff inhomogene Masse

zu viel Gleitmittel

+

zu weich

1.1 Entmischung

1. Materialfehler

Fehler-Ursache

Formmasse

+

zu niedrig +

+

Spritz- bzw. PressEinheit

+

+

+

+

+

+

zu niedrig +

+

+

+

+

+

zu niedrig +

+

Spritz- bzw. Press-Einheit

+

+

+

+

+

zu niedrig +

+

+

+

+

+

zu niedrig +

Nachdruck zu wenig +

Werkzeug und Schließeinheit

+

+

+

+

+

sonst ungünstig +

+

+

+

+

+

Entlüftung ungenügend Auswerfer nicht richtig

Fehlerortung

Fließeinstellung zu hart

Härtungsgeschwindigkeit zu hoch

Massetemperatur zu hoch

Dosierung zu hoch

Spritzgeschwindigkeit zu hoch

Spritzdruck zu hoch

Werkzeugkonstruktion Fließwege zu eng

Werkzeugtemperatur +

+

+

zu hoch

zu niedrig +

+

Härtezeit +

+

zu lang

Tabelle 4-28 Fehler beim Verarbeiten duroplastischer Formmassen [5]

zu kurz +

+

+

Schließdruck zu niedrig +

4.1 Urformen 411

+

3.7 Klemmen in der Form

+

4.2 Teile gerissen

4.4 Masse in Metalleinlagen

4.3 Metalleinlagen beschädigt oder verbogen

+

4.1 Teile verzogen

4. Strukturfehler

3.8 Übermäßiger Grat

+

+

zu feucht

3.6 Kleben an der Form

3.5 Rippen durchmarkiert

3.4 Fließmarkierungen

3.3 Teile nicht voll

3.2 Lunker

3.1 Einfallstellen

3. Gestaltfehler

Fehler-Ursache

Formmasse

zu viel Gleitmittel +

+

+

+

+

zu weich +

+

+

+

+

+

+

+

+

+

zu niedrig +

+

+

Spritz- bzw. PressEinheit

+

zu niedrig +

+

+

+

+

zu niedrig +

Spritz- bzw. Press-Einheit

+

+

+

+

+

+

+

+

zu niedrig +

+

+

+

+

Nachdruck zu wenig +

+

+

+

+

Werkzeug und Schließeinheit

+

+

sonst ungünstig +

+

+

+

+

+

Auswerfer nicht richtig

Tabelle 4-28 (Fortsetzung)

+

Entlüftung ungenügend

zu niedrig

Fehlerortung

Fließeinstellung zu hart

Härtungsgeschwindigkeit zu hoch

Massetemperatur zu hoch

Dosierung zu hoch

Spritzgeschwindigkeit zu hoch

Spritzdruck zu hoch

Werkzeugkonstruktion Fließwege zu eng

Werkzeugtemperatur +

+

+

+

zu hoch

zu niedrig +

+

+

+

Härtezeit +

+

+

zu lang

zu kurz +

+

+

+

+

+

Schließdruck zu niedrig +

412 4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

4.1 Urformen

413

Tabelle 4-29 Fehlererscheinungen, ihre Ursachen und ihre Beseitigung beim Spritzgießen von härtbaren Formmassen [2] Fehlererscheinung am Spritzgießteil

Etwaige Ursachen

Mögliche Beseitigung

1. Kleine Blasen am Zusammenfluss der Fließfronten, Brandflecken

Zu hohe Formfüllgeschwindigkeit, Werkzeugtemperatur zu hoch, mangelhafte Werkzeugentlüftung

Spritzgeschwindigkeit vermindern, Werkzeugtemperatur erniedrigen. Entlüftungsquerschnitte reinigen bzw. erweitern

2. Poröse, evtl. verbrannte Stellen (Dieseleffekt)

Zu hoher Spritzdruck, schlechte Werkzeugentlüftung, zu hohe Formfüllgeschwindigkeit, Viskosität der Masse zu niedrig

Spritzdruck erniedrigen, Spritzgeschwindigkeit verringern, Werkzeug besser entlüften (über weitere Auswerfer o. ä.), härtere Masse verwenden

3. Fließlinien auf der Oberfläche von Sichtteilen

Werkzeugtemperatur zu hoch oder zu niedrig, Masse zu feucht oder zu weich

Kontrolle der Temperaturen, trockenere oder härtere Masse verwenden

4. Teile nicht ausgespritzt, Fließfronten nicht voll ausgeformt

Werkzeugtemperatur zu hoch bzw. zu niedrig, Nachdruck zu gering, Nachdruckpolster fehlt, Dosierung verändert

Nachdruckhöhe kontrollieren, geringes Nachdruckpolster einstellen, Kontrolle der Werkzeugtemperaturen, Dosierung prüfen

5. Angussstange bleibt hängen

Buchse nicht auf Abzug poliert, Konizität zu gering, Auswerferkralle zu wenig hinterschnitten

Werkzeugfehler korrigieren, Werkzeugtemperatur spritzseitig anheben um Schwindung zu erhöhen

6. Ungleichmäßige Teilefüllung, Dosierschwankungen

Kein Staudruck eingestellt, Schneckendrehzahl zu hoch, Materialtrichter nicht genügend gefüllt, Schnecke besitzt keine Rückdrehsperre

Geringen Staudruck einstellen, Schneckendrehzahl zwischen 50 und 120 U/Min. wählen, Trichter ausreichend füllen

7. Größere Blasen, Teil verformt

Härtezeit zu kurz, Masse zu weich

Härtezeit verlängern, Werkzeugtemperatur erhöhen, Massetemperatur erhöhen, härtere Masse verwenden

8. Maße am Fertigteil stimmen nicht

Schwindung zu hoch

Wenn Schwindung zu hoch: Massetemperatur erhöhen, besser Entgasen; härtere Masse verwenden

9. Teilentformung schlecht, Teil „klebt“ im Werkzeug

Werkzeugtemperatur zu niedrig, schlechte Auswerferplacierung, mangelhafte Konizität, schlechte Politur, evtl. fehlende oder beschädigte Werkzeugverchromung

Werkzeugtemperatur überprüfen, Werkzeugmängel beheben, mit Formenwachs arbeiten

10. Teile reißen nach dem Erkalten (besonders Aminoplaste)

Anspritzart ungünstig, zu starke Spannungen im Teil

Änderung der Anspritzlage, evtl. Spritzprägeverfahren anwenden

11. Teile werden beim Abbrechen vom Verteiler stark beschädigt

Anschnitte zu stark ausgewaschen

Anschnittquerschnitte korrigieren möglichst auswechselbare Einsätze (Ferrotic, Sintermetall) vorsehen

12. Teile verziehen sich

Ungleichmäßige Beheizung, Härtezeit zu kurz, Masse zu weich oder zu feucht, Anschnittart und -lage ungünstig

Kontrolle von Beheizung und Härtezeit; härtere, trockenere Masse verwenden, Anspritzlage in dicke Wandstärke legen

Literatur – Kapitel 4.1.7 [1]

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4.1 Urformen

4.1.8

Mikrowellentechnologie in der Polymerverarbeitung

Rudolf Emmerich Grundlagen der Mikrowellen Mikrowellen sind nichtionisierende elektromagnetische Wellen im Frequenzbereich von 300 MHz bis 300 GHz. Insbesondere werden Mikrowellen in der Kommunikationsund Radartechnik sowie zur Erwärmung von Materialien und zur Erzeugung von Plasmen angewandt. Die Mikrowellenerwärmung basiert auf verlustbehafteten Polarisationsvorgängen in den Materialien, welche durch Wechselwirkung des elektrischen Feldes mit freien oder gebundenen Ladungsträgern entstehen. Die Erwärmung durch Mikrowellen ist abhängig von der Frequenz ϖ, dem elektrischen Feld E, dem dielektrischen Verlust ε´´ und der Dichte ρ sowie der Wärmekapazität c. Es gilt für die Erwärmung eines Produkts um die Temperatur ΔT in der Zeit Δt folgende Beziehung: ΔT ωε0ε˝ ∫ |E |2 dt 5 = 002 Δt pc Abhängig vom molekularen Aufbau eines Polymers kann dieses über seine polare Struktur oder seine elektrische Leitfähigkeit Mikrowellen absorbieren. Mikrowellensysteme zur Erwärmung von Materialien bestehen aus bestimmten Komponenten und Modulen, die bei jeder Mikrowellenanlage zu finden sind. Ein typischer Aufbau einer solchen Mikrowellenanlage besteht aus einem Magnetron, das die Mikrowellen erzeugt, einem Zirkulator, der Mikrowellen nur in eine Richtung transmittiert und damit als Weiche dient, einem Tuningelement und einem Einkoppelsystem. Das Magnetron hat die größte wirtschaftliche Bedeutung, da es die wirtschaftlichste Strahlungsquelle bei den gebräuchlichen Frequenzen von 2,45GHz oder 915MHz ist. Erwärmung von Polymeren mit Mikrowellen Aushärtung von Polymeren mittels Mikrowellen Faserverstärkte duroplastische Verbundwerkstoffe finden zunehmend Einsatz in der Automobil- und Luftfahrtindustrie. In diesen Bereichen sollen die klassischen Metalle durch Verbundwerkstoffe ersetzt werden. Gründe hierfür sind: – das geringe Gewicht, – die hohen spezifischen Eigenschaften sowie – die Eigenschaften der Verbundbauteile Maß zu schneidern. Um jedoch einen Einsatz in der Massenfertigung zu ermöglichen, ist es notwendig, die Zykluszeit zur Herstellung der Bauteile zu verkürzen.

415

Beim RTM ist der Hauptgrund für die lange Aushärtzeit, dass beim Injizieren des Harzes das Werkzeug kühl temperiert sein muss, um eine frühzeitige Aushärtung der duroplastischen Matrix zu vermeiden. Zur Aushärtung des Bauteils muss nun die gesamte Masse des Werkzeugs erwärmt werden. Da der Wärmeeintrag über Konvektion sowie Wärmeleitung stattfindet, ist dies der langsamste Anteil am RTM-Zyklus. Beim Vakuuminfusionsverfahren findet die Aushärtung bei Raumtemperatur statt. Das Harz ist aber so inhibiert, dass eine lange Verarbeitungszeit möglich ist, damit ist aber auch eine lange Aushärtzeit verbunden. Zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Verfahren muss dieser Verfahrensschritt verkürzt werden. Zur Reduktion der Aushärtezeit wurde bereits mehrfach der Einsatz von Mikrowellenerwärmung verfolgt. Ein Ansatz sieht die Minimierung des Temperaturunterschiedes zwischen Harz und Werkzeug vor. Dazu wird das Harz-HärterGemisch in einer Durchlauferwärmung kurz vor dem Werkzeug aufgeheizt. Als Folge wird dem Werkzeug weniger Wärme durch das injizierte Harz entzogen und die Aufheizdauer verringert sich. Problematisch ist hierbei, dass die Aushärtung des Harzes bereits bei der Injektion erfolgt und damit sich die Fließfähigkeit des Harzes verringert. Als zweites wurde auf verschiedene Arten die Mikrowellenerwärmung zur direkten Beheizung des Faserverbundbauteiles genutzt. Es wurden verschiedene Werkzeuge und Infusionsaufbauten realisiert, die alle gemein hatten aus mikrowellen-transparenten Materialien zu bestehen [1]. Beschleunigte Aushärtung von Klebern In der Fertigung, beispielsweise von Automobilen, werden ausgewählte Materialien eingesetzt, wodurch den Fügetechnologien eine Schlüsselfunktion zukommt. Eine stoffschlüssige Verbindung der unterschiedlichen Werkstoffe ist oftmals unmöglich, so dass mechanische oder adhäsive Fügetechniken eingesetzt werden müssen. Insbesondere die Verbindung von Karosserieteilen aus Kunststoff mit den metallischen Rahmen kann nur mit Hilfe von Schrauben oder Klebstoffen bewerkstelligt werden. Die Zykluszeit zur Montage einer Kunststoffbeplankung an den Rahmen ist jedoch so kurz, dass ein Einsatz von Klebern ohne zusätzliche mechanische Fixierungen nicht möglich ist. Durch die zusätzliche Fixierung beispielsweise mit Hilfe von Schrauben werden aber entscheidende Vorteile der Klebetechniken, wie beispielsweise Ausgleich von Toleranzen, Design- und Montagefreiheit nicht genutzt. Mikrowellen bieten die Möglichkeit einen Kleber schnell zu erwärmen und damit zu aktivieren. Mikrowellen können von außen durch ein Dielektrikum appliziert werden. Die Aushärtezeit kann durch Mikrowellen abhängig vom Kleber auf wenige Sekunden reduziert werden. Dies ermöglicht die

416

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-251. Mikrowelleneinheit zum beschleunigten Kleben Bild 4-252. Verfahrensskizze

Integration des Klebeprozesses in den Fertigungsprozess. Dafür werden Mikrowellenantennensysteme entwickelt, welche die Mikrowellen reproduzierbar und sicher applizieren (Bild 4-251). Als Beispiele ergeben sich insbesondere die Verbindung von Nichtmetallen wie Glas und Kunststoffe untereinander oder an metallische Bauteile [2]. Sintern von porösen Elementen mittels Mikrowellen Poröse Elemente aus Polymeren finden in der Technik als Gasoder Flüssigkeitsfilter, Schalldämpfer, Farbrollen, Dosierer etc. Verwendung. Die Teile bestehen meist aus ultrahochmolekularem Polyethylen. Das Polyethylenpulver wird in eine Metallform gefüllt und in einem Umluftofen mehrere Stunden gesintert. Die lange Sinterzeit von mehreren Stunden ist nötig, um ein homogenes Erweichen der äußeren und inneren Partikel zu gewährleisten. Aufgrund der langen Sinterzeit benötigt man zur Herstellung poröser Elemente viele Sinterformen; dies erhöht die Produktionskosten deutlich. Auch ist eine kontinuierliche Fertigung von homogenen porösen Rohren oder Platten mit dem konventionellen Verfahren nicht möglich. Mikrowellen erlauben, die Sinterzeit drastisch auf wenige Minuten zu verkürzen und gleichzeitig die Homogenität der porösen Elemente zu verbessern. Dieses Verfahren eignet sich somit insbesondere zur Herstellung dickwandiger poröser Elemente. In Bild 4-252 ist das Verfahren schematisch dargestellt. Reines Polyethylen absorbiert keine Mikrowellen und lässt sich insofern mittels Mikrowellen nicht erwärmen. Um dennoch ein Sintern des Polyethylenpulvers mittels Mikrowel-

Bild 4-253. Poröse Elemente mit Mikrowellen gesintert

4.1 Urformen

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Bild 4-254. Prinzip des indirekten und direkten Mikrowellenschweißens

len zu erreichen, werden die einzelnen Partikel mit einer Substanz aus sehr gut absorbierendem Material beschichtet [3]. Das so behandelte Polyethylenpulver wird in eine Form gefüllt, verdichtet und mit Mikrowellen bestrahlt. Die Form besteht aus einem Material, das für Mikrowellen transparent ist. Die beschichteten Polyethylenpartikel absorbieren Mikrowellen, schmelzen an der Oberfläche und verbinden sich (Bild 4-252). Die Temperatur wird während des Sinterprozesses mit Hilfe eines faseroptischen Temperaturmesssystems erfasst.

Schweißen von thermoplastischen Kunststoffen mittels Mikrowellen Beim Mikrowellenschweißen [4] handelt es sich um ein nicht kommerziell verfügbares Verfahren. Es ist ein Verfahren, das sich in der Entwicklung befindet und sein Potenzial noch aufzeigen wird. Anhand der Art der Wärmeerzeugung bzw. Wärmeeinbringung in die Fügezone nimmt die DIN 1910, Teil 3 eine Einteilung der Schweißverfahren für Kunststoffe vor. So unterscheidet man thermische Verfahren, bei denen Wärme durch Leitung, Konvektion oder Strahlung in die Fügezone eingebracht wird, sowie Verfahren, bei denen die Wärme direkt in der Fügezone erzeugt wird. Zur Erzeugung der Wärme direkt in der Fügezone wird mechanische Energie oder elektromagnetische Energie angewandt. Das Schweißen mittels Mikrowellen ist ein direktes Verfahren, bei dem elektromagnetische Energie direkt in die Fügezone eingebracht wird. Beim Mikrowellenschweißen erfolgt das Aufschmelzen der Fügezone durch dielektrische Erwärmung. Dabei unterscheidet man, abhängig von den dielektrischen Materialeigenschaften der Fügepartner, eine direkte und indirekte Methode (4-254). Beim direkten Mikrowellenschweißen werden die zu verschweißenden Fügeteile direkt durch Mikrowellen erwärmt. Beim indirekten Schweißen erfolgt die Erwärmung der Fügezone mittels eines einzulegenden

Bild 4-255. Anlage zum indirekten Schweißen mit Mikrowellen

Schweißzusatzes, wodurch die Erwärmungszone auf die Fügezone begrenzt bleibt. Das indirekte Mikrowellenschweißen nutzt als Schweißzusatz modifizierte Kunststoffe des zu verschweißenden Typs mit wesentlich höheren dielektrischen Verlusten als das reine Polymer. Aufgrund des selektiven Charakters der Mikrowellenerwärmung absorbiert praktisch nur dieser Zusatz Energie und erwärmt sich. Die Erwärmung der kompletten Fügezone erfolgt durch Wärmeleitung vom Zusatz. Als Schweißzusätze eignen sich beispielsweise ruß- und polyanilin-modifizierte Compounds. Vorteil dieser Verfahrensvariante ist, dass unpolare Polymere mit sehr geringem dielektrischem Verlust (bsp. PP) mit Mikrowellen verschweißt werden können. Mit der Einbringung des gesamten Bauteils in die Mikrowellenkavität entsteht die Möglichkeit, dreidimensionale oder verdeckte, innerhalb der Fügeteile befindliche Schweißgeometrien zu verschweißen. Die Bauteile werden einfach von den Mikrowellen durchstrahlt, nur die mit dem Schweißzusatz ausgestattete Fügezone erwärmt sich. In Bild 4-255 ist eine Apparatur zum indirekten Schweißen dargestellt. Auf diese Weise ist es gelungen Polyamid 6 mit 50 % Glasfasergehalt mit einem Schweißfaktor von 0,9 zu verschweißen.

418

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-256. Anlage zum direkten Schweißen von PVDF-Rohren mit Mikrowellen

Voraussetzung für das direkte Mikrowellenschweißen ist ein polarer, ausreichend verlustbehafteter Thermoplast, der zusammen mit einer hohen Feldstärke entsprechende Heizraten ermöglicht. Um die Mikrowellenerwärmung auf die Fügezone zu begrenzen, ist eine Fokussierung durch spezielle Auslegung des Einkoppelsystems notwendig. In Bild 4-256 ist eine Mikrowellenanlage zum direkten Schweißen von PDF-Rohren abgebildet. Daher kommen für das direkte Mikrowellenschweißen [5] in der Regel nur definierte elektrische Feldzustände mit entsprechender Einschränkung der möglichen Schweißgeometrien in Frage.

Literatur zu Kapitel 4.1.8 [1] Emmerich R (2006) Angewandte Mikrowellen- und Plasmatechnologie. Workshop Fraunhofer ICT Pfinztal, 12.–12.10.2006 [2] Emmerich R (2005) INFAST. Workshop Fraunhofer ICT Pfinztal, 17.03.2005 [3] Emmerich R (1997) Thick-Walled Homogenous Porous Polymer Parts Produced Rapidly with Microwaves, Mat. Tech. 1997, 12.2:43-58 (48–54) [4] Emmerich R (2004) Handbuch Kunststoff-Verbindungstechnik. Hanser Verlag [5] Emmerich R (2002) Vorrichtung und Verfahren zum Erwärmen von Bauteilen aus mikrowellenabsorbierendem Kunststoff. EP 1 054 469 A1, 16. Nov. 2002

4.2

Umformen von Kunststoffen zu Bauteilen – Warmformen Bernhard Hegemann

Unter Warmformen versteht man das Umformen von erwärmten thermoplastischen Halbzeugen zu Formteilen. Es hat seinen Ursprung im Tiefziehen von Metall, unterscheidet sich jedoch neben den Verfahrensparametern (Temperatur, Druck) wesentlich darin, dass beim Metalltiefziehen das Material nachgeführt wird und beim Thermoformen das Material keine Möglichkeit zum Nachrutschen hat. Dies führt dazu, dass thermogeformte Teile selten eine konstante Wanddickenverteilung besitzen und dies somit ein wichtiges Qualitätskriterium darstellt. Der Thermoformprozess [1] beinhaltet neben der Formgebung zusätzliche Arbeitsschritte. Im Folgenden sind die Verfahrenschritte, verwendbare Halbzeuge, Verfahren und Vor- bzw. Nachteile beschrieben. Da das Thermoformen ein sehr komplexer Prozess ist, wird für weitreichendere Erklärungen im Anhang auf entsprechende Literatur verwiesen. Dort ist der gesamte Prozess detailliert erläutert und die einzelnen Verfahrensschritte beschrieben.

Thermoformen – Verfahrensschritte Das Thermoformen ist ein Umformverfahren, das durch mehrere verschiedene Verfahrensschritte die Herstellung

4.2 Umformen von Kunststoffen zu Bauteilen – Warmformen eines formstabilen Kunststoffteils ermöglicht. Im Wesentlichen wird der Werkstoff durch Erwärmen in einen zähweichen Zustand versetzt und mit relativ geringem Kraftaufwand verformt. Im Werkzeug kühlt das Teil ab und wird anschließend entformt. Durch die Abkühlung frieren die Orientierungen der Molekülketten ein und behalten ihre gestreckte bzw. gereckte Lage bei. Ein erneutes Erwärmen bedeutet eine Rückverformung in den ursprünglichen Plattenzustand (Versuch: Kunststoffbecher über die Glasübergangstemperatur (Tg) erwärmen, siehe Kapitel 4.1.7.2.1). Die Verfahrensschritte gliedern sich wie folgt: – Erwärmen des Halbzeuges: Das Kunststoffhalbzeug (z. B. Folie) wird mittels Heizstrahlern auf Umformtemperatur gebracht. Hierzu sind Keramik-, Infrarot- oder Halogenstrahler im Einsatz. In einigen Fällen werden auch Kontaktheizungen, teilweise konvektionsunterstützt, verwendet. – Verformen des Halbzeuges: Die Umformung kann durch zwei grundlegende Verfahren stattfinden. Entweder wird über eine Druckdifferenz und/ oder mechanisch mit entsprechenden Formhelfern wie Vorstreckstempel oder Werkzeug geformt. Hier wird wesentlich Einfluss auf die Kontur des Fertigteils genommen, da sich die konturgebende Form entsprechend negativ (auf der Außenseite) oder positiv (auf der Innenseite des Formteils) abbildet. – Ausformen des Formteils: Nachdem das Formteil entsprechend abgekühlt wurde, um eine Rückverformung zu vermeiden, wird es ausgeformt. Dies kann ebenfalls durch Druckdifferenz stattfinden (Ausblasen), oder ähnlich wie beim Spritzgießen, mechanisch mit Auswerfern erfolgen.

Thermoformen – Verfahrensschritte Zum Thermoformen eignen sich fast alle amorphen und teilkristallinen Thermoplaste. Anwendungsbezogen wird dabei in Kunststoffe für technische Teile und für Verpackungsteile unterschieden. Tabelle 4-30 Beispiel einiger Temperaturbereiche beim Umformen von Thermoplasten Halbzeug

Glastemperatur [°C]

Schmelztemperatur [°C]

Umformtemperatur (Oberfläche) [°C]

PC PS PP HD-PE PET

~ 145 ~ 105 ~0 ~ –80 ~ 75

– – ~ 165 ~ 135 ~ 245

150–180 120–150 150–165 140 –170 100–120

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Als technische Halbzeuge zählen PC, PMMA, PA und ABS sowie faserverstärkte Verbundwerkstoffe und eigenverstärkte Werkstoffe. Im Automobilbereich sind oft thermoplastische Elastomere sowie thermoplastische Polyolefine anzutreffen. Für Verpackungshalbzeuge werden oftmals PET, PS, PP, PVC und PE eingesetzt. Diese sind mit entsprechenden Additiven zur Eigenschaftsmodifizierung versehen. Modifikatoren sind zum Erreichen der Lebensmittelverträglichkeit und Beständigkeit oder z. B. zur Verbesserung der Permeationseigenschaften notwendig. Der Thermoformbereich oder das Verformungsfenster liegt bei amorphen Kunststoffen oberhalb der Glasübergangstemperatur und bei teilkristallinen knapp unterhalb der Schmelztemperatur. Eine Übersicht über die Temperaturbereiche beim Umformen ist in Tabelle 4-30. dargestellt.

Thermoformverfahren Die Thermoformung findet bei den meisten Verfahren nur in einer Werkzeughälfte statt. Dies bedeutet zum einen, dass nur eine einseitige Konturgebung möglich ist, zum andern zeigt sich der Vorteil, dass nur eine Werkzeughälfte ausgelegt, bemaßt und hergestellt werden muss. Unterschieden werden die Formgebungsverfahren wie folgt: – positiv – negativ – Druckluft – Vakuum – Plattenautomaten (Verarbeitung zu technischen Teilen) – Rollenautomaten (Verarbeitung zu Verpackungsteilen) – Kaschieren Im Folgenden sind zwei jeweils kombinierte Verfahren detailliert dargestellt:

Positiv-Negativ Vakuumformung mit Vorblasen Bei diesem kombinierten Verfahren wird das erwärmte Halbzeug über die Form gezogen. Konturabbildende Seite ist die Innenseite des fertigen Produktes. Diese Innenfläche ist während der Umformung in Kontakt mit dem Formwerkzeug und kann dessen Gestalt annehmen. Der schematische Verfahrensablauf ist in Bild 4-257 dargestellt. In der ersten Stufe wird das thermoplastische Halbzeug auf die entsprechende Umformtemperatur gebracht (1). Durch Vorblasen wird die Folie vorgestreckt (2), dies dient der gleichmäßigen Wanddickenverteilung. Danach schließt das Werkzeug (3) und ein angelegtes Vakuum bringt die Folie in die gewünschte Endform (4). Nach Abkühlen des Kunststoffes kann (ohne Gefahr der Rückstellung) entformt werden.

420

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Beständigkeit, Steifheit und Flexibilität bei enormer Massereduzierung im Gegensatz zu konventionell hergestellten (spritzgegossenen) Stoßfängern. Bild 4-258 zeigt einige thermogeformte Bauteile.

Negativ-Druckluftformung

Bild 4-257. Verfahrensschritte beim Positiv-Negativ Vakuumformen

Dieses Verfahren wird vorwiegend mit Plattenautomaten realisiert. Die dabei hergestellten Produkte sind meist technische Teile wie das folgende Beispiel zeigt: Als thermogeformter Faserverbundwerkstoff wurde jüngst (2003) ein Stoßfängerträger für den 3er BMW hergestellt. Dieses Bauteil ist eine leichte und höchstbelastbare Struktur aus Hochleistungs-Faserverbund und Sandwichstrukturen. Dies bedeutet gleiche Belastbarkeit, chem.

Die Negativformung findet ihre Hauptanwendung in der Becherherstellung. Bild 4-259 zeigt dazu die Verfahrensschritte. Nach Einfahren der erwärmten Folie schließt das Werkzeug und der Formhelfer (Oberstempel) taucht ein, gleichzeitig muss die Abluft aus der unteren Werkzeughälfte austreten können. Danach wird die Formluft aufgegeben, damit die Folie vom Stempel gelöst und gegen die Werkzeugwand gedrückt (Oberflächengebung) wird. Nach Abkühlen des Kunststoffes kann (ohne Gefahr der Rückstellung) entformt werden. In der Anwendung unterscheidet man hauptsächlich zwei Bereiche: a) Becher zur Lebensmittelaufbewahrung Saftbecher sind meist ein Mehrschichtverbund. Üblich sind hierbei drei Schichten, eine Innenschicht, die lebensmittelverträglich ist, eine Zwischenschicht zum Schutz vor UV-Einstrahlung oder auch zur Verwendung von Recyclingmaterial und eine Deckschicht mit aufgedrucktem Label. b) Becher zum sofortigen Gebrauch Becher zum sofortigen Gebrauch wie Trinkbecher o. ä. sind einfach thermogeformte Billigartikel, wie sie in jedem

Bild 4-258. Stoßfängerträger und Leichtbaudurchlade BMW M3 CSL von Jacob Composite GmbH

4.2 Umformen von Kunststoffen zu Bauteilen – Warmformen

421

Bild 4-259. Negativ-Druckluftformung

Kaffeeautomat vorkommen. Sie werden aus einer einzelnen Folie geformt und mit entsprechenden Formen (Sicke, Riffelung, etc.) stabilisiert. Bild 4-260 zeigt einen thermogeformten Becher im Vergleich zu einem spritzgegossenen Becher. Beim thermogeformten Becher sind die Stapelsicken eindeutig zu sehen, während im

Spritzguss diese mit Hinterschnitten in Form von hohlen Becherböden realisiert werden.

Vor- und Nachteile der Thermoformung Die Thermoformung steht meist in Konkurrenz zum Spritzgießen. Vorteile bei der Herstellung technischer Teile durch Umformen: – Hohes Teilegewicht (bis 125 kg), – Große Formteile (bis 4 m2) sind möglich, – Flexible Wanddicken (0,05 mm – 15 mm), – Kostengünstig bei kleinen Stückzahlen (Werkzeugkosten), – Geringe Änderungskosten, Farbwechselkosten, – Homogene Mehrschichtverbunde möglich. Vorteile der Herstellung von Verpackungsteilen durch Umformen: • Kürzere Taktzeiten, • Verarbeitung von Halbzeug.

Bild 4-260. Vergleich: Umgeformter und urgeformter Becher

Nachteile: • Wenig Gestaltungsmöglichkeit (Hinterschnitte), • Keine gleichmäßige Wanddickenverteilung,

422

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Tabelle 4-31 Tabelle für den Thermoformer Blatt 1/3 (Fa. Illig, Heilbronn) [2]

4.2 Umformen von Kunststoffen zu Bauteilen – Warmformen

Tabelle 4-31 Tabelle für den Thermoformer Blatt 2/3 (Fortsetzung) (Fa. Illig, Heilbronn) [2]

1) 2) 3) 4)

Trocknungszeit 4 h/ mm je nach Type, 70 ... 160 °C für Oberflächenformung (OFF) und sehr scharfe Ausformung x 1,5 für OFF und sehr scharfe Ausformung um ca. 30% kleinere Werte für sehr geringe Umformtemperaturen um 25% größere Werte

423

424

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Tabelle 4-31 Tabelle für den Thermoformer Blatt 3/3 (Fortsetzung) (Fa. Illig, Heilbronn) [2]

5) erarbeitungsschwindung = Länge Werkzeug - Länge Thermoformteil / Länge Werkzeug x 100 beide Maße bei Raumtemperatur nach 24h gemessen 6) nur InlineVerarbeitung möglich

4.3 Rapid Prototyping • Schwierige Temperaturführung, • Vorgegebenes Halbzeug; keine Einflussnahme des Verarbeiters auf die Rezeptur der Folie möglich. Tabelle 4-31 gibt für den Thermoformer viele für die Praxis sehr wertvolle Informationen. (Für die Genehmigung zur Veröffentlichung danken wir der Fa. Illig, Heilbronn) [2]. Das Thermoformen ist ein Umformverfahren, das sehr einfach aussieht, in der Prozessführung allerdings sehr schwer handzuhaben ist. Gerade der große Einsatz von Verpackungsmitteln und Trinkbecher, die in aller Regel als Billig- und Massenware auf dem Markt sind, erlauben keine aufwendigen und kostenintensiven Arbeiten und erwartet ein Produkt zu günstigem Preis und hoher Funktionalität. Auf wissenschaftlichem Gebiet haben sich bisher nur Wenige in der Lage gesehen, den gesamten Prozess zu verstehen und erklären zu können. Im Gegensatz zum Spritzgießen, auf dem schon Jahrzehnte geforscht wird, ist bei der Thermoformung nur ansatzweise Prozessführung erklärbar und simulierbar. Auf diesem Gebiet ist das IKP tätig, indem durch einen speziell entwickelten Messaufbau die notwendigen Parameter und Kenngrößen der eingesetzten Halbzeuge für die Simulation ermittelt werden. Mit diesen Kennwerten ist es dann möglich den Thermoformprozess gesamt im Voraus zu berechnen und z. B. die Wanddickenverteilung oder Spannungsverteilung aufzuzeigen. Somit können aufwendige Werkzeuge vorab berechnet sowie ausgelegt und Zeit bzw. Kosten eingespart werden. Weitere Literatur zur Vertiefung bieten [3] bis [5]. Die neuesten Entwicklungen im Bereich des Thermoformens, wie z. B. die Verarbeitung von Duroplastschäumen, das Mikrothermoformen, das In-Mold-Graining oder das TwinSheet-Verfahren sind in [6] zu finden. Die Simulation des Aufheizvorganges beim Thermoformen behandelt [7].

425

Weiterführende Literatur Fokken M (2007) Becher aus PP schneller formen (Verpackungen). Kunststoffe 97(2007)9, S 220–223

4.3

Rapid Prototyping Helmut Schüle

Allgemeines Grundsätzlich arbeiten alle RP-Verfahren nach dem selben Prinzip, in dem ein Bauteil durch schichtweises Hinzufügen von Material additiv aufgebaut wird (im Gegensatz zu den klassischen subtraktiven Verfahren wie dem Fräsen, bei denen die Bauteilgenerierung durch den Abtrag überschüssigen Materials geschieht). Die Unterschiede der Verfahren liegen im Wesentlichen in der Art und Weise, wie das Material aufgetragen wird und auch in den verwendeten Materialien selbst. Die RP-Verfahren lassen sich dabei in die drei folgenden Kategorien einordnen: Materialaddierende Verfahren: Eine Schicht wird durch das selektive Addieren von Material erzeugt. Dies kann Punktweise oder durch das Auftragen von Schichtkonturen erfolgen. Materialgenerierende Verfahren: Die zu erzeugende Schicht ist bereits mit Material aufgefüllt (Pulver bzw. Flüssigkeit), das selektiv aktiviert wird. Dies kann durch Belichtung, Auftrag von Bindemittel oder Erwärmung erfolgen. Materialsubtrahierende Verfahren: Die Schicht besteht aus Material in seinem entgültigen Zustand. Durch das Abtragen von ungewünschtem Material entsteht eine Materialschicht, die dem Bauteil hinzuaddiert wird.

4.3.1

Rapid Prototyping Verfahren

4.3.1.1

Stereolithographie (STL)

Literatur – Kapitel 4.2 [1] Schwarzmann P Thermoforming. München: Hanser, 2001 [2] Illig A Tabelle für den Thermoformer. Heilbronn: Illig, 7/2003 [3] Illig A Thermoformen in der Praxis, 1997, Carl Hanser Verlag [4] Throne J Technology of Thermoforming, 1996, Hanser Gardener Publications [5] Schwarz Ebeling Furth Kapitel 16 in Kunststoffverarbeitung, 8. Aufl., Vogel 1999 [6] Ederleh, Lennart; Kunststoffe 10/2006, S 173–175 [7] Fertschej G et al. Kunststoffe 97(2007)1, S 62–65

Das Verfahren Stereolithographieanlagen verwenden ein Photopolymer für den Materialaufbau. Dieser flüssige Kunststoff verfestigt sich spontan unter der Einwirkung von ultraviolettem Licht. Ein ausgelenkter Laser dient hierbei als UV-Quelle. Eine Stereolithographieanlage besteht aus einem mit Photopolymer gefüllten Bassin, in dem die Bauplattform vertikal bewegt werden kann. Ein Laser wird zur Messung des Füllstandes verwendet. Ein Wischer kann über die Oberfläche bewegt werden, um diese zu glätten. Ein weiterer Laser nebst Auslenk-

426

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-261. Klassifizierung nach dem Aggregatzustand des Ausgangsmaterials

einrichtung ist über dem Bassin angebracht, so dass der Brennpunkt dieses Lasers beliebig auf der Oberfläche des Photopolymers positioniert werden kann. Zunächst fährt die Plattform bis dicht unter die Flüssigkeitsoberfläche. Der Abstand zur Oberfläche entspricht der Dicke der untersten Schicht des Bauteils. Der zweite Laser wird verwendet, um den Pegelstand der Flüssigkeit und somit die genaue Position der Oberfläche zu messen. Der Wischer fährt über die Flüssigkeit, um die Oberfläche zu glätten und das Material zu verteilen bevor der Laser die Konturen der aktuellen Schicht abfährt. Danach werden die Flächen mit einer Schraffur ausgefüllt. Das Photopolymer härtet aus und die Plattform wird um den Abstand einer Schichtdicke abgesenkt. Der Wischer verteilt neues Material über die Oberfläche der abgesenkten Schicht. Alle weiteren Schichten werden entsprechend erstellt. Verwendete Materialien: Photopolymere, ABS oder PBT

4.3.1.2

Selektives Lasersintern (SLS)

Das Verfahren Auch SLS-Anlagen besitzen ähnlich wie Stereolithographieanlagen eine Bauplattform, die vertikal im Material bewegt werden kann. Da hierbei Pulver verwendet wird, ist zusätzlich eine Materialzuführung und Aufnahme von überschüssigem Material durch besondere Vorrichtungen erforderlich. Eine Zuführwalze sorgt dabei für die erforderliche glatte Pulveroberfläche. Alle anderen Komponenten entsprechen prinzipiell denen von STL-Anlagen. Beim Sinterverfahren werden auf dünnen Pulverschichten ausgewählte Bereiche mit einem Laser verschmolzen. Die Pulverpartikel gehen dabei zunächst vom festen in den flüssigen Zustand und dann wieder in den festen Zustand über. Zunächst wird eine dünne Schicht Material auf der Bauplattform verteilt. Der Laser fährt daraufhin die Konturen ab und füllt die Flächen mit einem Schraffurmuster. Die Pulverpartikel verbinden sich dabei zu einem festen Körper.

4.3 Rapid Prototyping

427

Bild 4-262. STL-Verfahren

SLS ermöglicht die direkte Verarbeitung niedrig schmelzender Materialien wie z. B. Kunststoff oder Wachs. Verwendete Materialien: Pulver z. B. Thermoplast (PA, PS), thermoplastische Elastomere, Metalle (40 % Bronze + 60 % Edelstahl), Verbundwerkstoffe, Giessand.

4.3.1.3

Fused Deposition Modeling (FDM)

Das Verfahren Dieses von der Firma Stratasys entwickelte Verfahren addiert Material in Form eines geschmolzenen Fadens zum Werkstück hinzu und ist somit als klassisches materialaddierendes Verfahren zu sehen. Der Anlagenaufbau besteht aus einer Bauplattform, auf der das Bauteil erzeugt wird. Das Material ist in Form eines Drahtes auf einer Spule aufgewickelt. Von dort aus wird ein Extrusionskopf gespeist, der beliebig über der Bauplattform positionierbar ist. Das Material wird aufgeheizt und durch eine Düse in Form eines zähflüssigen Fadens auf das Bauteil aufgetragen, wo es die zuvor erstellte Schicht wieder anschmilzt, sich mit ihr verbindet, und dann wieder verfestigt. Auch hier wird nach Beendigung einer Schicht der Tisch auf dem das Model entsteht um eine Schichtdicke herabgesetzt. Da das Bauteil ohne umgebenes Material aufgebaut wird, sind Stützkonstruktionen erforderlich, um Überhänge und freie Schichtelemente während des Bauvorgangs abzustützen. Hierzu wird ein zusätz-

liches Material über eine zweite Düse als Trennschicht auf die Stützen aufgetragen. Dieses Trennmaterial lässt sich nach Beendigung des Bauvorgangs leicht vom Bauteil entfernen. Aufgrund der geringen Schmelztemperaturen der verwendeten Materialien, wie zum Beispiel Kunststoffe oder Wachse ist hier eine Erhitzung über eine elektrisch beheizte Düse ausreichend, es wird kein Laser benötigt. Wegen des geringen Platzbedarfs und der Ungefährlichkeit der Maschine kann eine solche Apparatur auch in einem Büro aufgestellt werden. Vewendete Materialien: ABS , PC, PPS, Wachse, Stahl

4.3.1.4

Laminated Object Manufacturing (LOM)

Das Verfahren Der Anlagenaufbau einer LOM-Maschine besteht aus einer Rolle mit Folie, von der das Material über die Trägerplattform hinweg auf eine zweite Rolle abgewickelt wird. Die Plattform selbst kann abgesenkt werden, um Platz für das inkrementell generierte Werkstück zu schaffen. Üblicherweise wird mit eine Anpressrolle die Verbindung zwischen den Folienschichten hergestellt. Ein über der Anlage angebrachter Laser kann über eine Auslenkeinheit die Folie zerschneiden. Die Folie wird von einer Rolle abgerollt und über die Bauplattform gezogen. Eine beheizte Rolle presst die Folie auf den bisher generierten Schichtstapel und sorgt so für

428

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

eine Verklebung der Folien. Mit einem Laser werden die Konturen der Schicht des Bauteils abgefahren, so dass das Schichtvolumen des Bauteils aus der Folie herausgeschnitten wird. Die Umgebung des Schichtvolumens wird in einem Schraffurmuster zerschnitten, damit das überschüssige Material später vom Bauteil gelöst werden kann. Zusätzliche Stützkonstruktionen sind nicht erforderlich, da ein kompakter Block aus den Folien aufgebaut wird. Erst nach der Herausnahme aus der Anlage wird das überschüssige Material manuell entfernt. Nachteile dieses Verfahrens sind zum Beispiel die großen Mengen an Abfall. Verwendete Materialien: Papier, Kunststoffe (auch mit Glasfasern)

für Kunststoffprüfung und Kunststoffkunde IKP, Universität Stuttgart Methner M (2007) Laser-Sintern als Patentrezept. Kunststoffe 97(2007)2, S 78–79 Reckenwald Th, Roth S, Pohle D (2006) Funktionsprototypen aus PEEK (Laserstrahlsintern). Kunststoffe 96(2006)11, S 62–68 Methner M (2007) Formvollendet bis ins kleinste Detail (Laser-Sintern). Kunststoffe 97(2007)6, S 68–69

4.4

Werkzeugtechnik Lars Ziegler

Literatur zu Kapitel 4.3

4.4.1

Einleitung

Jacobs PF (1992) Rapid Prototyping & Manufacturing – fundamentals of Stereo Lithography. Dearborn MI, SME Bertsche B, Bullinger HJ (Hrsg) (2007) Entwicklung und Erprobung innovativer Produkte – Rapid Prototyping. Springer Verlag, Berlin, 489 S Stierlen P (2002) Rapid Prototyping von Keramiken. Dissertation, Institut für Kunststoffprüfung und Kunststoffkunde IKP, Universität Stuttgart Pfeiffer R (2006) Entwicklung von Rapid Prototyping Verfahren zur Herstellung verlorener Modelle für den Feinguss. Dissertation, Institut für Kunststoffprüfung und Kunststoffkunde IKP, Universität Stuttgart Blumenstock T (2003) Analyse der Eigenspannungen während der Aushärtung von Epoxidmassen. Dissertation, Institut für Kunststoffprüfung und Kunststoffkunde IKP, Universität Stuttgart Dusel KH (2000) Rapid Tooling – Spritzgießen mit Prototypenwerkzeugen und der Einfluss auf Bauteileigenschaften. Dissertation, Institut für Kunststoffprüfung und Kunststoffkunde IKP, Universität Stuttgart Keller B (1999) Rapid Prototyping – Grundlagen zum selektiven Lasersintern von Polymerpulver. Dissertation, Institut für Kunststoffprüfung und Kunststoffkunde IKP, Universität Stuttgart Eschl J (2001) Die mechanischen Eigenschaften von Stereolithopraphiematerialien während der Aushärtung. Dissertation, Institut für Kunststoffprüfung und Kunststoffkunde IKP, Universität Stuttgart Eyerer P et al. (1996) Rapid Prototyping & Rapid Tooling: Generative Fertigungsverfahren und Prozessketten in der Produktentwicklung. Wechselwirkungen, Jahrbuch der Universität Stuttgart Wiedemann B (1997) Verzugsursachen stereolithographisch hergestellter photopolymerer Bauteile und Auswirkungen auf ihr Eigenschaftsprofil. Dissertation, Institut

Kunststoffverarbeitungssysteme bestehen aus den Teilsystemen Maschine, Werkzeug, Produkt, Peripherie (z. B. Materialtrocknung und -zufuhr, Handling etc.). Die Werkzeuge stellen die Schnittstelle zwischen Produkt und Prozess dar. Deshalb ist die Werkzeugtechnologie ausschlaggebend für eine fertigungsgerechte Produktgestaltung und die damit verbundenen kostengünstigeren Produkte. Stark sinkende Produktlebenszyklen, z. B. im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik, erhöhen den Bedarf und die Anforderungen hinsichtlich „Time to Market“, Qualität und Kosten für Werkzeuge und Formen drastisch. So werden zum Beispiel Mobiltelefone mit ihren Kunststoffgehäusen heute bereits nach einem halben Jahr von Nachfolgemodellen abgelöst. Werkzeugbauer haben sich jeweils auf einzelne Kunststoffverarbeitungs-(sonder)verfahren wie z. B. Hinterspritzen/-pressen, Gasinnendrucktechnik, Mehrkomponententechnik etc. und/oder Produkte bzw. Branchen spezialisiert. Für jede Branche stehen bestimmte Herausforderungen an Werkzeuge im Vordergrund, für die gleichzeitig meist ein branchenspezifischer Know-how-Vorsprung besteht (Tabelle 4-32). Entsprechend der Herausforderungen werden Sonderbauformen wie z. B. Etagenwerkzeuge mit mehreren Trennebenen, oder alternative Materialien (beispielsweise Aluminium) gewählt. Im Folgenden werden Grundlagen und der Stand der Technik im Bereich der Kunststoffverarbeitungswerkzeuge aufbereitet.

4.4.2

Grundlagen zu Kunststoffverarbeitungswerkzeugen

Zunächst erfolgt eine Definition der im Weiteren verwendeten Begriffe.

4.4 Werkzeugtechnik

Tabelle 4-32 Branchenspezifische Herausforderung an Werkzeugbau und -technik Branche Herausforderung an Werkzeugbau und -technik Automobil

Komplexität, Qualität, z. T. Werkzeuggröße, Änderungen

Optik

Genauigkeit, Oberflächenqualität, Reinheit

Lebensmittelverpackung

Kosten, kurze Zykluszeiten, hohe Stückzahlen, Reinheit

Bau

Werkzeuggröße

Informations- und Kommunikationstechnik

Schnelligkeit/Time to Market

4.4.2.1

Begriffsdefinition

Werkzeug: Unter Werkzeugen werden nach der vom VDI vorgegebenen Definition Fertigungsmittel verstanden, die auf ein bestimmtes Material unmittelbar zum Zweck der Form- oder Substanzveränderung mechanischer bzw. physikalisch-chemischer Art einwirken. Da diese Definition auch Standardwerkzeuge, z. B. Drehmeißel, Schneidplatten, Fräsköpfe, Bohrer oder Schleifscheiben umfasst, ist eine Abgrenzung vorzunehmen. Die hier betrachteten Werkzeuge charakterisieren sich durch eine teilweise oder vollständige Abbildung der Werkstückform auf die Werkzeuggeometrie und werden daher häufig als Hohlformwerkzeuge bezeichnet [1].

4.4.2.2

Grundlagen

Entsprechend der verschiedenen Werkstoffe und Verfahren lassen sich Werkzeuge in Thermoplast-, Duroplast- und Elastomerverarbeitungswerkzeuge bzw. Spritzgieβ-, Press-, Schäum-, Extrusionswerkzeuge einteilen. Einige Werkzeugtypen bzw. ihre zugehörigen Verfahren wie beispielsweise Thermoform-, Blasform-, Rotationsformwerkzeuge sind ausschlieβlich für Thermoplaste anwendbar. Polyurethan und das zugehörige Reaction Injection Molding RIM setzt ebenfalls spezifische Werkzeugtechniken bzw. die Erfüllung entsprechender Anforderungen voraus. Wie beim Duroplastspritzgieβen ist beispielsweise aufgrund der sehr niedrigen Viskosität auf hohe Dichtheit der Trennebenen sowie Schieber und Auswerfer zu achten, um Gratbildung zu vermeiden/ reduzieren. Hinsichtlich der Verfahren, für die die Werkzeuge bestimmt sind, existieren u. a. folgende Bezeichnungen [1-7]:

429

– – – – –

Extrusionswerkzeuge Presswerkzeuge bzw. -formen Schäumwerkzeuge bzw. -formen Blasformwerkzeuge (Spritz- und Extrusionsblasen) Spritzgießwerkzeuge bzw. -formen mit zahlreichen Sonderverfahren – Werkzeuge für In mold Decoration IMD, In mold Labelling IML und In mold Coating (IMC) bzw. Painting (IMP): – Hinterspritzwerkzeuge (IMD oder IML) – Hinterpresswerkzeuge (IMD oder IML) – Hinterschäumwerkzeuge (IMD oder IML) – Hinterblasformwerkzeuge (IMD oder IML) – IMC/IMP-Press- oder Spritzgießwerkzeuge – Mehrkomponentenspritzgießwerkzeuge: • Umsetzwerkzeuge • Schieberwerkzeuge (Kontur- oder Sperrschieber) • Dreh(teller)werkzeuge – Werkzeuge für Einlegeteile: • Insert-Technik (Umspritzen oder Umpressen von Einlegern) • Outsert-Technik (Anspritzen von Kunststoff(funktions-)elementen z. B. an Metallplatinen) • Hybridtechnik – Werkzeuge für kombinierte Kunststoffverarbeitungsprozesse: • Spritzblasformwerkzeuge • Spritzprägewerkzeuge Kunststoffverarbeitungswerkzeuge werden auch nach ihrer Bauart klassifiziert. Unterscheidungen nach klassifizierenden Gesichtspunkten sind in Tabelle 4-33 vorgenommen [1]. Schwerpunkt der weiteren Ausführungen sind Spritzgieβwerkzeuge zur Thermoplastverarbeitung. Dies ist einer der am häufigsten vorkommenden und insbesondere bei Anwendung sog. Sonderverfahren der komplexeste Werkzeugtyp. Kunststoffverarbeitungswerkzeuge nehmen vielfältige Funktionen wahr. Stellvertretend sind die Aufgaben bzw. Funktionen und die zugehörigen Funktionselemente von Spritzgießwerkzeugen in Tabelle 4-34 zusammengestellt.

4.4.2.3

Verfahrenskombination und Integrative Werkzeugtechnik

Eine Analyse ergab zahlreiche Trends, die eine weitere Evolution in Richtung Integrativer Werkzeugsysteme untermauern (Bild 2-64) [3]. Integrative Werkzeugtechnik sieht eine Integration von Fertigungs-, Montage- und Nacharbeitsschritten in das Uroder Umformwerkzeug vor. Beispiele sind das MontageSpritzgießen (In mold Assembly IMA) fester, beweglicher oder lösbarer Verbindungen, das Dekor- oder Folien-Hinter-

430

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Tabelle 4-33 Werkzeug-Bauarten [1] Unterscheidung nach

Einflussgrößen

konstruktive Ausführung

Beschreibung

Bezeichnung

Anzahl der Trennebenen

Formteilgeometrie Formnestzahl Angussart Entformungsprinzip

2-Platten-Werkzeug

einfachste Bauform; eine Trennebene; Öffnungsbewegung in eine Richtung; Entformung hauptsächlich durch Schwerkraft, Ausdrückstifte oder Ausdrückhülsen

Normalwerkzeug

3-Platten-Werkzeug

Zwei Trennebenen zur getrennten Entformung von Anguss und Formteil, die voneinander abgerissen werden.

Abreißwerkzeug

Abstreifplatte

wie Normalwerkzeug, jedoch Entformung durch Abstreifplatte

Abstreifwerkzeug

Mehr als eine Trennebene

Formteile etagenweise auf mehreren Teilungsebenen angeordnet.

Etagenwerkzeug

Schieber/ Schrägführung

eine Trennebene; Öffnungsbewegung in Hauptrichtung und quer dazu durch auf Schrägstiften geführte Schieber.

Schieberwerkzeug

Backe/ Schrägführung

eine Trennebene; Öffnungsbewegung in Hauptrichtung und quer dazu durch auf schräger Ebene geführte Backen; Backen können Seitenkräfte aufnehmen.

Backenwerkzeug

Abschraubeinrichtung

mechanische Einleitung von Drehbewegungen zur automatischen Gewindeentformung

Abschraubwerkzeug

Abstreifplatte

wie Normalwerkzeug, jedoch Entformung durch Abstreifplatte

Abstreifwerkzeug

Art der Entformung

Formteilgestalt Formmasse Verarbeitungsparameter Stückzahl Lage des Formteils zur Trennebene

Art der Angusstemperierung

Spritzgießmaschine Zykluszeit Formmasse Wirtschaftlichkeit

Heißkanalverteiler

elektrisch beheizte Verteilerkanäle

Heißkanalwerkzeug

Isolierkanal

zwei Trennebenen; kein konventionelles Angusssystem, sondern Kanäle mit größerem Querschnitt, damit sich eine „plastische Seele” innerhalb einer erstarrten Haut bilden kann.

Isolierkanalwerkzeug

Art der Kraftaufnahme

Steifigkeit des Werkzeugs Geometrie des Formteils Spritzdruck (spez.) Formmasse

Backenform

eine Trennebene; Öffnungsbewegung in Hauptrichtung und quer dazu durch auf schräger Ebene geführten Backen; Backen können Seitenkräfte aufnehmen.

Backenwerkzeug

Säulenführung

einfachste Bauform; eine Trennebene; Öffnungsbewegung in eine Richtung

Normalwerkzeug

Stückzahl Formteilgestalt Spritzgießmaschine Zykluszeit Wirtschaftlichkeit

eine Kavität mehrere Kavitäten

Pro Zyklus wird ein Formteil hergestellt. Pro Zyklus werden mehrere Teile mit gleicher oder unterschiedlicher Teilegeometrie hergestellt. Pro Zyklus werden z. B. zwei oder mehr Teile (eines Produkts) unterschiedlicher Teilegeometrie hergestellt.

Einfachwerkzeug Mehrfachwerkzeug

Anzahl der Kavitäten

spritzen, -pressen oder schäumen (In mold Decoration IMD), das werkzeugintegrierte Lackieren (In mold Coating IMC) etc. Zielsetzung der Integrativen Werkzeugtechnik ist die Vermeidung von Handhabungsvorgängen und die Produktion Werkzeugfallender Produkte. Werkzeugfallende Produkte sind Formteile, Baugruppen, Module oder komplette Produkte wie z. B. Elektrowerkzeuge, Fahrzeugtüren etc., die ohne weitere Nachar-

Familienwerkzeuge, z. B. 1+1-fach

beit oder Montage das Ur- oder Umformwerkzeug verlassen. Beginnend mit Grat- und Angussfreiheit sind mittlerweile fertig lackierte, dekorierte und montierte komplexe Systeme werkzeugfallend möglich. Beispiele einer Integration mehrerer Arbeitsschritte in Ur- und Umformwerkzeuge sind: Montage, Oberflächenbehandlung und -aktivierung, Dekoration etc.

4.4 Werkzeugtechnik

431

Tabelle 4-34 Aufgaben bzw. Funktionen und zugehörige Funktionselemente von Spritzgießwerkzeugen [2]

Funktionen

Hauptfunktionen Verteilen der Schmelze – Angusssystem: – Anguss(buchse) – Angussverteiler/-spinne – Anschnitt/Anbindung – evtl. Heiß- oder Kaltkanäle mit Verteilerbalken und ggf. Nadelverschlussdüsen Aufnehmen der Schmelze und Ausformen des Formteils – Formnest(er): – Formplatten – ggf. Formeinsatz – Kavität(en) – ggf. Kern(e) – ggf. Schieber – Konturoberfläche – Entlüftung – evtl. Drucksensoren Abkühlen/Temperieren des Formteils – Temperiersystem: – Kühlkanäle mit Temperier-Medium oder Heizpatrone – evtl. Temperatursensoren Entformen des Formteils – Entformungssystem: – Formtrennung(en) – Auswerfer – Auswerferplatte

Zielrichtung sind „Werkzeugfallende“ Formteile, Baugruppen, Module oder Produkte. Im Folgenden werden verschiedene Ansätze einer Integration mehrerer Arbeitsschritte in (Kunststoffverarbeitungs-)Werkzeuge aufgeführt und hinsichtlich ihres Innovationspotenzials bewertet (siehe auch Tabelle 4-36). In Tabelle 4-37 sind die Vorteile und Verbesserungspotenziale sowie Nachteile und offene Punkte der Integrativen Werkzeugtechnik gegenübergestellt. Das Mehrkomponenten-Spritzgießen erschließt ein erhebliches Potenzial zur Montage im Werkzeug. Zunächst lag der Fokus auf fest miteinander verbundenen Kunststoffen unterschiedlicher Farbe, wie z. B. bei Fahrzeugrückleuchten. Weitere Anwendungen betrafen unterschiedliche Kunststoffe, wie es beispielsweise auch bei Hart-Weich-Verbindungen der Fall ist.

Nebenfunktionen Kräfte aufnehmen – Maschinen- und Kraftaufnahme: – Aufspannplatten – Aufspannpratzen oder Magnettisch – Zentrierelemente – Zwischenlatten Bewegungen übertragen – Auswerferstößel – ggf. Kernziehereinrichtung – ggf. Schrägführung Werkzeugteile führen – Führung und Zentrierung: – Zentrierring – Führungssäulen – Führungsbuchsen – Zentrierelemente – ggf. Schieberführung – ggf. Kernzentrierung

Anfang der 80er Jahre gelang der Firma Fickenscher aus Selb durch eine geeignete Werkzeugtechnik und die Wahl unverträglicher Kunststoffe mit dem Spritzgießen beweglicher, aber fest miteinander verbundenen Teile eine bedeutende Innovation. Es war nun möglich, Spielzeugfiguren mit beweglichen Armen und Beinen in einem Werkzeug herzustellen. Ausgangspunkt dieser Erfindung war bei einer angestrebten Erhöhung des Spielwertes die Notwendigkeit, die Arme und Beine unlösbar mit dem Rumpf zu verbinden, um zu verhindern, dass spielende Kinder Kleinteile verschlucken. Weitere Anwendungen sind verstellbare Luftausströmer in Instrumententafeln.

432

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Tabelle 4-35 Integrative Werkzeugkonzepte mit ihrem jeweiligen Innovationspotenzial [3] Integrative Werkzeugkonzepte

Umsetzungsstand / Innovationspotenzial

Abtrennung der Angüsse durch 3-Plattenwerkzeuge und Tunnelangüsse bzw. Vermeidung von Angüssen je nach Werkstoffart durch Heiß- oder Kaltkanäle

Ist Stand der Technik.

In mold Coating bzw. In mold Painting

Es gibt einige umgesetzte Werkzeuge. Eine Class-A-Oberfläche von thermoplastischen Bauteilen bis hin zur komplett lackierten Fahrzeug-Außenhaut aus Kunststoffen sind Zielsetzung weiterer Arbeiten.

Hybridwerkzeuge zur gleichzeitigen Realisierung von Metall- und Kunststoffverarbeitung

Insert- und Outserttechniken mit vollständig vorgefertigten Metalleinlegern sind Stand der Technik. Relativ neu sind Kunststoffverarbeitungswerkzeuge, die z. B. über die Schließbewegung auch Metallumformungen vorschalten.

Kombinationen von Ur- und Umform-, Schäum- und Schneidvorgängen

Dies ist ansatzweise realisiert, es bestehen aber noch erheblich mehr Möglichkeiten.

Verfahrenskombinationen z. B. Pressen und Spritzgießen, Gasinjektionstechnik, Mehrkomponententechnik und Hinterspritztechnik

Dies ist ansatzweise realisiert, es bestehen aber noch erheblich mehr Möglichkeiten.

Inline Prozesskontrolle zur Qualitätssicherung

Automatische Regelung des Systems über Sensoren im Werkzeug bietet Potenzial.

Fügevorgänge im Werkzeug

Die Einzelkomponenten eines Gardinenrollers werden in einem Werkzeug spritzgegossen und anschließend durch bewegliche Werkzeugelemente gefügt.

In mold Montage durch Mehrkomponententechnik

Feste Verbindungen sind Stand der Technik. Bewegliche, aber unlösbare Verbindungen sind schon länger bekannt. Demontierbare Verbindungen sind neu.

Molded Interconnect Devices: Spritzgegossene dreidimensionale Leiterbahnen

Verschiedene Verfahrensvarianten sind in Entwicklung. Erste Serienanwendungen laufen.

In mold Decorating

Ist Stand der Technik, wird aber nur von wenigen Unternehmen beherrscht. Neuere Ansätze liegen in der werkzeugintegrierten Randbereichsgestaltung.

Bild 4-263. Trends zu einer Integrativen Werkzeugtechnik

4.4 Werkzeugtechnik

Tabelle 4-36 Vorteile und Verbesserungspoteniale sowie Nachteile und offene Punkte der Integrativen Werkzeugtechnik Vorteile und Verbesserungspotenziale einer Integrativen Werkzeugtechnik

Nachteile und offene Punkte beim Einsatz einer Integrativen Werkzeugtechnik

Kostenvorteile bei hohen Stückzahlen; Kompaktere Fertigungszellen Weniger Werkzeuge erforderlich Keine Zwischenlagerung und reduzierter Handlingaufwand Keine Qualitätsschwankungen durch Handarbeit

Werkzeugkosten und Entwicklungsdauer Beherrschbarkeit der Komplexität Bauraum im Werkzeug; Verfügbarkeit/Prozesssicherheit Teurer Ausschuss aufgrund hoher Fertigungstiefe

Bild 4-264. Umsetzverfahren

Bild 4-265. Kernziehverfahren

433

434

4 Verarbeitung von Kunststoffen zu Bauteilen

Bild 4-266. Drehwerkzeugverfahren

Bild 4-267. Indexplattenverfahren

Werkzeugkonzepte zum MehrkomponentenVerbund-Spritzgießen Unter Verbund-Spritzgießen versteht man das Aneinanderspritzen von zwei Kunststoffen, wobei die einzelnen Komponenten sich nicht miteinander vermischen, sondern eindeutig voneinander abgegrenzt sind. Hierzu muss zunächst ein Vorspritzling hergestellt werden, der erst nach dem Abkühlen bis zu einer ausreichenden Eigensteifigkeit mit der nächsten Komponente in Kontakt kommt. Im wesentlichen gibt es vier Möglichkeiten, VerbundSpritzgießen durchzuführen [7]: – Umsetzverfahren (Transfertechnik, Einlegetechnik) – Schiebertechnik (Core-Back-Technik, Kernziehtechnik) – Drehwerkzeugverfahren – Indexplattenverfahren

Die Frage, welche Werkzeugtechnik beim jeweiligen Projekt eingesetzt werden kann (oder soll) hängt in hohem Maße vom Produktdesign ab. Es gibt häufig auch Fälle, bei denen oft durch geringfügige Artikel-Detail-Änderung auf eine schnellere und/somit kostengünstigere Werkzeugvariante umgestiegen werden kann. Beispielsweise lässt sich eine dreifarbige Rückleuchte in zwei Takten spritzgießen, wenn nicht alle drei Farben aneinandergrenzen. Häufig lässt das Produktdesign mehrere Werkzeugvarianten zu. In diesem Fall muss über eine Bewertungsanalyse mit Kostenrechnung die für das jeweilige Projekt günstigste Variante ermittelt werden.

4.4 Werkzeugtechnik

435

Umsetzverfahren (Bild 2-264) Beim Umsetzverfahren wird der Vorspritzling mittels Handlinggerät oder von Hand in eine zweite neue Kavität auf der gleiche Spritzgießmaschine umgesetzt. Dies wird vor allem bei größeren Mehrfarben- und Mehrkomponententeilen praktiziert, um die Drehbewegung schwerer Werkzeuge in Verbindung mit großen Drehtischen zu vermeiden. Das Umsetzen des Vorspritzlings ist auch mit einem Handlinggerät zwischen parallel angeordneten Standardspritzgießmaschinen möglich.

Indexplattenverfahren (Bild 4-267) Falls aus Designgründen für die Umspritzung das kern- und matrizenseitige Formbild geändert werden muss, so wird der Vorspritzling über eine Werkzeugzwischenplatte, der Indexplatte, ausgehoben und über eine Drehbewegung in die Kavität für die zweite Komponente gesetzt. Auch hier werden parallel jeweils ein Vorspritzling und ein Fertigteil hergestellt.

Schiebertechnik (Bild 4-265) Mit geringeren Formenkosten können Verbund-Spritzgießteile mit der Schiebertechnik auch in einer Form ohne Zwischenöffnen der Maschine und Weitertransport eines Vorspritzlings gefertigt werden. Dabei wird die Kavität für die zweite Komponente zunächst durch verschiebbare Einsätze oder Kerne verschlossen und erst nach dem Einspritzen der ersten Komponente geöffnet. Dieses Verfahren funktioniert nur sequentiell, d. h. die unterschiedlichen Komponenten können nur nacheinander eingespritzt werden. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Trenn- bzw. Sperrschiebern und konturgebenden Formschiebern, sowie einer Kombination beider Schieberarten.

[1] Eversheim W, Klocke F (1998) Werkzeugbau mit Zukunft – Strategie und Technologie. Springer-Verlag Berlin Heidelberg. ISBN 3-540-62651-4 [2] Menges G, Michaeli W, Mohren P (1999) Spritzgießwerkzeuge: Anleitung zum Bau von Spritzgießwerkzeugen. 5. Völlig überarbeitete Auflage. Carl Hanser Verlag. München, Wien. ISBN 3-446-21258-2 [3] Ziegler L (2002) Systematische Erschließung von Innovationspotenzialen – Methodik mit Lösungsbeispielen für Kunststoffverarbeitungswerkzeuge. Dissertation. IRB-Verlag. ISBN 3-8167-6142-9 [4] N.N. (1988) DIN 16750: Spritzgieß-, Press- und Druckgießwerkzeuge, Benennungen, Symbole. Beuth Verlag 1988 [5] Gastrow H (1998) Der Spritzgießwerkzeugbau in 130 Beispielen. 5. Auflage. Carl Hanser Verlag. München. ISBN 3-446-19241-7 [6] Mennig G (Hrsg) (1995) Werkzeuge für die Kunststoffverarbeitung: Bauarten, Herstellung, Betrieb. Carl Hanser Verlag, München. ISBN 3.446-17294-7 [7] Lichtinger P (1996) Mehrkomponenten-Spritzgießwerkzeug-Varianten. Tagungsband „Mehr-Farben-, MehrRohstoff-, Mehr-Komponenten-Spritzgießen“. Süddeutsches Kunststoff-Zentrum SKZ. Würzburg, 12/1996

Drehwerkzeugverfahren (Bild 4-266) Bei diesem Verfahren wird die komplette Auswerferseite der Form oder ein auswerferseitiger Werkzeugeinsatz gedreht und der am Kern verbleibende Vorspritzling in eine neue matrizenseitige Kavität eingesetzt. Während eines Spritzzyklusses werden parallel immer ein oder mehrere Vorspritzlinge und ein Fertigteil hergestellt. Der Drehwinkel des Werkzeugs richtet sich dabei nach der Anzahl der Komponenten, die übereinandergespritzt werden. Bei zwei Materialien beträgt er 180 Grad, bei drei 120 Grad und bei vier Komponenten entsprechend 90 Grad. Wird die ganze Auswerferseite mittels einer zur Maschine gehörenden Werkzeuggrundplatte gedreht, so spricht man auch vom sog. Drehtischverfahren. Da der Drehtisch eine Maschinenbaugruppe ist, kann er wirtschaftlich für mehrere Formen verwendet werden. Das Werkzeug selbst ist dann einfach im Aufbau. Ein Nachteil des Verfahrens ist aber, dass man in der Formteilgestaltung eingeschränkt ist, da der Vorspritzling beim Drehvorgang am Kern verbleibt.

Literatur zu Kapitel 4.4

Weiterführende Literatur (siehe auch Literatur zu Kapitel 4.1.3.2) Kaufmann G (2007) Zweistationen-Werkzeug für Spritzgießen und Schäumen (Dolphin-Verfahren). Kunststoffe 97(2007)9, S 170–174 Gruber JM, Leng Th (2007) Alleine der Druck hält die Balance (Heißkanalbalancierung). Kunststoffe 97(2007)9, S 188–193

5

Oberflächentechnologien für Kunststoffbauteile

5.1

Einführung und Übersicht

Ein wesentlicher Aspekt der modernen Produktion von Gebrauchsgütern ist die Konzentration der gewünschten Eigenschaften weg vom Volumen hin zur Oberfläche. Während das Volumen statische Eigenschaften und die Formgebung vorgibt, bestimmt die Oberfläche Haptik, Farbe, Glanz, Abnutzungsverhalten, Barrierewirkung, elektrische Leitfähigkeit, Benetzung und viele andere Eigenschaften, die den Charakter der Gebrauchsgüter nach außen prägen. In einigen Fällen werden die Eigenschaften durch immer dünnere Schichtsysteme mit hoher Funktionalität erreicht. Typische Beispiele dieser Entwicklung sind lackierte Kunststoffteile im Fahrzeugbau, kratzfeste reflexionsarme und pflegeleichte Kunststoffoptiken, hartstoffvergütete Werkzeuge und Bauteile oder Barriereschichten in der Lebensmittelverpackung. Kunststoffe sind gerade wegen der vielfältigen Möglichkeiten zur Gestaltung von Form und Eigenschaft ein Werkstoff, der mit wachsendem Potential klassische Werkstoffe wie Metall, Holz und Keramik verdrängt. Wesentlicher Aspekt hierfür ist die Möglichkeit zur vergleichsweise einfachen Massenproduktion von komplexen und gewichtsreduzierten Formteilen durch die vielfältigen Prozesse und Verfahren der modernen Kunststofftechnik. Es ist deshalb nahe liegend, sich intensiv mit den Kunststoffoberflächen und ihrer Gestaltung zu beschäftigen. Dazu gehört nicht nur die äußere (Gebrauchs-)Oberfläche sondern auch innere Oberflächen, die bei der Wechselwirkung mit Füllstoffen wie Fasern oder Pulvern durch die Füllstoff-Matrix-Wechselwirkung großen Einfluss auf die Materialeigenschaften haben. Die zugehörige Oberflächentechnologie hat sich von der Verbund- und Klebetechnik über die Galvano- und Lacktechnik bis zur Dünnschichttechnologie mit PVD (Physical Vapour Deposition) und CVD (Chemical Vapour Deposition)-Prozessen im Mikro- und Nanometerbereich verfeinert.

Daher sind die Oberflächentechnologien für das Polymer Engineering von großer Wichtigkeit. Sie beeinflussen oft die Werkstoffauswahl, die Verarbeitung, Konstruktion und Werkzeugtechnik. Allzu oft bestimmt die Oberfläche eines Bauteils auch dessen Kosten stark mit. Qualitätssicherung, Serienfertigung (Ausschuss, Nacharbeit, Maßhaltigkeit) und Umweltaspekte sind weitere gegenseitige Einflussfaktoren. Die kaum fassbare Vielzahl von Oberflächentechnologien mit ihrer angedeuteten Wechselwirkung auf das BauteilEngineering kann unmöglich auch nur annähernd erschöpfend in einem Engineering-Buch behandelt werden. Tabelle 5-1 gibt einen Überblick als Auswahl über verschiedene Technologien zur Behandlung von Kunststoffoberflächen. Anhand ausgewählter Beispiele werden einige wenige Verfahren für bestimmte Anwendungen vertieft, um einen prinzipiellen Eindruck für die Verzahnung von Oberflächentechnologien im Polymer Engineering aufleuchten zu lassen. Einige Standardwerke sollen den Einstieg in diese Thematik erleichtern.

5.2

Ausgewählte Oberflächentechnologien

5.2.1

Molded Interconnected Devices (MID) Sabine Klein

5.2.1.1

Einführung

Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts gab es die ersten Erfindungen auf dem Gebiet bedruckter Schaltungen. Die ersten Patentanmeldungen im Bereich der Leiterplatten folgten im Jahre 1925 durch Charles Ducas und kurz darauf durch M. César Pasolini, der die additive Beschichtung der Platte noch verbesserte [1]. Seit den 50er Jahren gibt es sie in den USA in einseitiger und doppelseitiger Bauweise.

5.2 Ausgewählte Oberflächentechnologien

Tabelle 5-1 Technologien zum Schutz und zur Dekoration von Kunststoffoberflächen (Auswahl) – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Vorbehandlung und Reinigung Lackieren von Kunststoffen -Lackieren Lacke und Kunststoffbeschichtungen im Automobilbau Bedrucken Heißprägen Hinterspritzen, -pressen, -prägen von Folien und Dekormaterialien Lasergestützte Oberflächentechniken Beschichten mit Kunststoffpulver Beschichtungen mit Antihaftwirkungen Reibminderende Beschichtungen Flüssigkunststoffe Organisch vorbeschichtete Bleche Vakuum-Metallisieren Ionen-/Elektronenstrahlverfahren Plasmaoberflächentechniken (PVD = Physical Vapour Deposition, CVD, PECVD) Galvanisieren, Eloxieren, Anodisieren Dekorative Schichten zur Holzveredelung (Schmelz-)Tauchen Sol-Gel-Verfahren Imprägnieren Thermisches Spritzen Leiterplattentechniken Nano-Oberflächentechnologien Sterilisationsverfahren in der Medizintechnik

Die erheblich gestiegene Verdrahtungsdichte auf Leiterplatten und die zunehmende Miniaturisierung in den letzten Jahren führte allerdings zu einem Innovationsbedarf in der Fertigung der Leiterplatte. Erschwert wird die Herstellung außerdem dadurch, dass der konventionellen photolithografischen Filmbelichtung bei feineren Auflösungen des Leiterbildes physikalisch und ökonomisch Grenzen gesetzt sind. Auch die Umweltbelastung durch Ätzverfahren erfordert das Überdenken bisher gängiger Herstellungsmethoden. Als Alternative bieten sich hier spritzgegossene Schaltungsträger an (so genannte Molded Interconnect Devices (MID)-Bauteile), auf denen sich mechanische und elektrische Funktionen bei gleichzeitig großer räumlicher Gestaltungsfreiheit integrieren lassen. Bild 5-1 zeigt beispielhaft ein Bauteil, welches im Laserdirektstrukturierungsverfahren hergestellt wurde. Ein Strukturieren mit dem Laser bietet im Gegensatz zu anderen Verfahren der MID-Technik beispielsweise den Vorteil, dass der Prozess bei niedrigen Temperaturen durchgeführt werden kann und somit auch die Bearbeitung wärmeempfindlicher Materialien möglich wird. Weiterhin können unterschiedliche Schaltungsvarianten ohne zusätzliche

437

Werkzeugkosten hergestellt werden und im Vergleich zur chemischen Metallisierung viele Prozessschritte eingespart werden. Das Verfahren basiert auf dem direkten Abtragen von Schichten auf dem Polymer, welches Srinivasan 1982 zum ersten Mal gelang. Für seinen Versuch benutzte er seinerzeit einen ArF*-Excimerlaser (gepulste ultraviolette (UV)Strahlung) und ablatierte Polyethylenterephthalat (PET) bei einer Wellenlänge von λ = 193 nm [1]. Excimerlaser werden heute z. B. auch von der Firma Laser and Electronics GmbH (LPKF) in der MID-Technik eingesetzt. Sie hat ein Verfahren entwickelt, bei dem im Kunststoff enthaltene Metallkomplexe durch die Bestrahlung mit dem Laser aufgebrochen werden. Die dann an der Oberfläche freiliegenden Metalle dienen in einem anschließenden Metallisierungsvorgang als Keime. Anstelle von Lasern ist das Strukturieren von Polymeren aber auch mit UV-Lampen möglich, z. B. Excimerlampen. Hier erfolgt die Abtragung nicht ablativ, also nicht thermisch, sondern photolytisch bzw. photooxidativ. Man nennt dies auch photolytisches Ätzen.

5.2.1.2

MID-Technik

Das folgende Kapitel gibt eine Einführung zur MID-Technik. Es wird dabei näher auf die Vor- und Nachteile der Technologie eingegangen sowie ein Überblick über die vorhandenen Normen, die Anwendungsmöglichkeiten der Technik und die Anforderungen an MID-Werkstoffe gegeben (siehe auch Kap. 4.1.3.12.23 und 4.1.3.2.24). Bereits 1965 hatte E. W. Lethanen die Idee [3], elektrische Verbindungselemente auf Basis thermoplastischer Materialien im Spritzgussverfahren herzustellen. Doch erst technische Neuerungen in jüngster Zeit ermöglichten Molded

Bild 5-1. MID-Bauteil [2]

438

5 Oberflächentechnologien für Kunststoffbauteile

Bild 5-2. Funktionsintegration in der MID-Technik [4]

Interconnect Devices spritzgegossene Formteile mit einem strukturierten Leiterbild [3]. Der Grundgedanke bei den MID-Bauteilen ist dabei folgender: man integriert elektrische (Leiterbahnen, Steckund Schleifkontakte, Abschirmflächen, …) und mechanische Funktionen (z. B. Befestigungselemente) in einem metallisierten Spritzgussteil aus einem thermoplastischen Werkstoff (siehe Bild 5-2). Hierbei können die räumlichen Strukturen sowohl Strom führen als auch der Abschirmung dienen oder sendende Flächen bilden.

5.2.1.2.1

Vor- und Nachteile der MID-Technik

Zunächst werden die Vorteile der MID-Technik näher beschrieben, ehe anschließend auf die Nachteile eingegangen wird. Die Vorteile lassen sich in drei Themengebiete unterteilen [5]: 1) Gestaltungsfreiheit 2) Rationalisierung 3) Umweltverträglichkeit Gestaltungsfreiheit: – Die 3D MID-Technik ermöglicht durch eine größere Gestaltungsfreiheit und die Integration von Funktionen auf einem Bauteil eine Miniaturisierung der Leiterplattentechnologie. – Hochtemperatur-Thermoplaste mit integrierter Leiterstruktur lassen sich in nahezu beliebiger Form herstellen. – Es ist möglich, Elektronik und Mechanik in einem Bauteil zu vereinen.

– Die Darstellung neuer und erweiterter Funktionen wird möglich und somit auch neue konstruktive Lösungen. Rationalisierung: – Fertigungsschritte lassen sich vereinfachen und vielfach auch reduzieren, was eine Verkürzung der Prozesskette zur Folge hat und die Kosten senkt. – Es gibt weniger Schnittstellen auf dem Bauteil, die Kabelverlegung entfällt. – Die Zuverlässigkeit erhöht sich (Lötprozesse fallen weg und dadurch auch Oberflächenverunreinigungen) [4]. – Dank kompakter Bauweise wird der Montageaufwand niedriger. – In der Regel reduziert sich die Teileanzahl und der Materialaufwand. Die Werkstoffvielfalt wird folglich geringer, wodurch Herstellungs- und Werkzeugkosten sinken. – Montage-, Logistik-, Prüf- und Entwicklungskosten lassen sich reduzieren. Laut der Firma LPKF (Stand 2004) beträgt die Kosteneinsparung durchschnittlich 20% im Vergleich zu existierenden konventionellen Lösungen. Umweltverträglichkeit: – Das Basismaterial für Leiterplatten besteht aus Duroplasten, die gar nicht oder nur mit hohem Aufwand rezyklierbar sind. Bei der MID-Technik kommen dagegen Thermoplaste zum Einsatz, die sich einfacher rezyklieren lassen. – Die Entsorgung ist unkritischer. – Durch die Miniaturisierung und Teilereduzierung lässt sich der Rohstoffeinsatz verringern.

5.2 Ausgewählte Oberflächentechnologien – Ein besseres Thermomanagement wird möglich, da die aufgebrachte Metallisierung gleichzeitig zur Wärmeableitung benutzt werden kann. Trotz der vielen Vorteile hat die MID-Technik aber auch Nachteile. – Fällt das Bauteil aus, muss die komplette Einheit ausgetauscht werden. – Es gibt keine Reparaturmöglichkeit. – Da es sich bei MID-Anwendungen meist um kleine Bauteile handelt, werden selbst bei großen Stückzahlen nur kleine Mengen des beispielsweise mit Metallkomplexen dotierten Kunststoffgranulats benötigt. Dadurch verteuert sich das Granulat. Für den Teilehersteller erhöht sich in der Folge der Stückpreis und für die Rohstoffhersteller lassen sich kleine Mengen nur bedingt wirtschaftlich produzieren.

5.2.1.2.2

Normen und Richtlinien

Es gibt bereits Normen, die auf alle elektronischen, elektrotechnischen und elektromechanischen Bauteile anwendbar sind und damit auch auf MID-Bauteile. In Tabelle 5-2 wird ein Überblick über vorhandene Normen gegeben. Um aber beispielsweise die Akzeptanzkriterien für starre Leiterplatten (IPC A 600) auch auf spritzgegossene Schaltungsträger anwenden zu können, müssen einzelne Ausfüh-

439

rungsbestimmungen der Norm geändert bzw. vollständig neu erstellt werden. Dies betrifft Normvorgaben hinsichtlich der geometrischen Ausdehnung, des Materials und des Herstellungsverfahrens. So müssen unter anderem die für zweidimensionale glasgewebeverstärkte Epoxidharze erstellten Kriterien den Besonderheiten der MID-Bauteile angepasst werden [6]. Je nach Anwendungsfall muss geklärt werden, ob aufgrund der veränderten Bedingungen bei MID-Bauteilen auch bei anderen Normen Fortentwicklungen notwendig werden.

5.2.1.2.3

Einsatzmöglichkeiten für die MID-Technik

Die Einsatzmöglichkeiten für die MID-Technik sind vielfältig. Sie eignet sich vorzugsweise für die Automobilelektronik (Mechatronik, Sensorik, Lichttechnik, Steuerungen), die Flugzeugindustrie, die Medizintechnik und die Computerund Industrieelektronik. Die Schaltungsträger sind dabei je nach Anwendung in verschiedene Geometrien unterteilt (siehe Tabelle 5-3).

5.2.1.2.4

Anforderungen an die MID-Technik

An Werkstoffe, die in der MID-Technik Verwendung finden, werden bestimmte Anforderungen gestellt. Einige davon sind nachfolgend aufgeführt [6].

Tabelle 5-2 Übersicht über Normen und Richtlinien für die MID-Technik [6] (Auswahl) Übergeordnete Normen

DIN IEC 721 – Elektrotechnik DIN IEC 326 – gedruckte Schaltungen, Leiterplatten, Anforderungen und Prüfverfahren, ...

Testverfahren für MID

IPC – TM 650 – test methods for rigid printed circuit boards

Mechanische Anforderungen

DIN IEC 68 – Elektrotechnik, grundlegende Umweltprüfungen (DIN EN 60068)

Thermische Anforderungen

DIN IEC 68 DIN IEC 112 – Kriechwegbildung DIN EN 50081 182 – elektromagnetische Verträglichkeit

Elektrische Anforderungen

DIN IEC 112

Physikalische Anforderungen

DIN IEC 529 – Schutzkasten durch Gehäuse DIN 4762 (ISO 4287) – Oberflächenrauhigkeit, ...

Chemische Anforderungen

DIN IEC 68 DIN 4760 – Gestaltabweichungen EN 22768 – 1 – Allgemeintoleranzen

Brandverhalten

UL94 – Entflammbarkeit von Kunststoffen IEC 695 – Beurteilung der Brandgefahr

Umwelt und Recycling

Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, Bundesgesetzblatt Teil 1, 6.10.1994, S.2705ff RoHS - 2002/95 EG Beschränkung gefährlicher Stoffe WEEE – 2002/96 EG Elektronikschrott Verordnung

440

5 Oberflächentechnologien für Kunststoffbauteile

Tabelle 5-3 Geometrische Einteilung räumlicher Schaltunsträger [6] Dimension

Merkmale

Anwendungen

2D

Planare Prozessfläche

Konventionelle Leiterplatte

2,5D

Ebene oder planparallele Prozessfläche, das Bauteil hat aber eine Ausdehnung in z-Richtung

Einfache Gehäuse, Modulbauweise, MID-Bauteil

3D

Die elektrische Schaltung ist auf Körpern, Regel- oder Freiformflächen angebracht

Telekommunikation, Kfz-Technik, Kameras, MID-Bauteil

– Die Werkstoffe sollen sich durch eine gute Fließfähigkeit (das heißt niedrige Schmelzeviskosität vor allem beim Zweikomponentenspritzguss) auszeichnen, so dass auch bei dünnwandigen Bauteilen eine vollständige Formfüllung erfolgen kann. – Die Kunststoffmasse muss metallisierbar sein (im Zweikomponenten Spritzguss gilt dies für einen der beiden Werkstoffe). – Zwischen Leiterbahn und Substrat ist eine ausreichende Haftung notwendig, welche in der Regel durch eine Glasfaserzugabe erhöht werden kann. – Ein niedriger Längenausdehnungskoeffizient soll Verzug und ein eventuelles Abplatzen der Metallschicht vermeiden. – Um die Lötbarkeit des Werkstoffes zu gewährleisten, soll dieser bis ca. 240 °C temperaturbeständig sein. – Nach dem Löten bzw. nach einer Temperatur-/Klimabelastung kann es zur Verminderung der Haftfestigkeit kommen. – Bei einer Temperatur-Wechsel-Beanspruchung kann es durch den höheren Wärmeausdehnungskoeffizienten des Kunststoffs im Vergleich zum Metall zu einem Spannungsaufbau und in der Folge zu einer Ablösung der Metallschicht kommen. – Die Werkstoffe müssen eine gute Chemikalienbeständigkeit besitzen. – Toxizität darf nicht vorliegen.

5.2.1.3

MID-Verfahren

Das folgende Kapitel soll einen Überblick über die bekannten MID-Verfahren geben. Sie sind unterteilt in Einkomponenten Spritzgießen, Zweikomponenten Spritzgießen und Insert Molding Verfahren (siehe Bild 5-3). Anbei sind jeweils die Marktanteile (Stand 2005) der bekanntesten Verfahren angegeben [7]. Weitere Verfahren sind die Primertechnologie, das mechanische Strukturierungsverfahren, das Siebdruckverfahren und die selektive Physical Vapour Deposition (PVD)Metallisierung.

5.2.1.3.1

Heißprägen (Ivonding)

Beim Heißprägen, einem volladditiven Herstellungsverfahren, erfolgt die Strukturierung durch Aufprägen einer Folie. Hierfür wird nach dem Spritzgießen des Formteils die Folie durch einen beheizten Prägestempel auf das Kunststoffsubstrat gepresst (Bild 5-4). In insgesamt zwei Arbeitsschritten lässt sich so ein fertig strukturiertes Bauteil herstellen [6]. Details zum Heißprägen finden sich in Tabelle 5-4. Beim Heißprägen werden zwei Hauptverfahren (Hubund Abrollverfahren) unterschieden, die nachfolgend kurz beschrieben werden.

5.2.1.3.1.1 Hubverfahren Beim Hubverfahren [6] presst man die Prägefolie unter hohem Druck mit einem beheizten Prägestempel in vertikaler Hubbewegung auf das Werkstück. Dabei verwendet man diskontinuierlich arbeitende Prägepressen, die üblicherweise elektromechanisch oder hydraulisch betrieben werden (um die hohen Prägekräfte beim MID zu ermöglichen). Der Prägedruck beträgt bis zu 70–90 N/mm2 bei einer Prägezeit zwischen 0,5 und 3s.

5.2.1.3.1.2 Abrollverfahren Beim Abrollverfahren [6] hat man ein Prägerad oder eine Prägewalze als Prägewerkzeug. Das Kunststoffformteil wird darunter durchgezogen, beispielsweise auf einem Förderband. Die Prägekraft wird nur entlang der Kontaktlinie zwischen Werkstück und Prägefolie wirksam, wodurch es möglich ist, große zusammenhängende Flächen ohne Lufteinschluss zu prägen.

5.2.1.3.2

Laserdirektstrukturierung (LDS)

Beim Laserstrukturieren wird auf die Oberfläche eines Einkomponenten-Spritzgussteiles mittels Laserstrahl ein Schaltungsbild aufgebracht.

5.2 Ausgewählte Oberflächentechnologien

441

Bild 5-3. MID-Verfahren

5-6). Details zum Laserstrukturierungsverfahren finden sich in Tabelle 5-5. Wie oben beschrieben, gibt es verschiedene Prinzipien, um die metallische Leiterbahnstruktur zu erzeugen: 1) Subtraktiv: eine vollflächig aufgebrachte Metallschicht wird in einem zweiten Schritt partiell entfernt. Belichtet werden die Isolationskanäle. 2) Semi-Additiv: im Gegensatz zum Subtraktiv-Verfahren werden hier die Leiterbahnen belichtet. 3) Additiv: nach einer partiellen Bekeimung (z. B. Palladium) wird in einem zweiten Schritt in chemischen Bädern eine Metallschicht auf (dem zuvorstrukturierten Teil) der Oberfläche abgeschieden. Bild 5-4. Heißprägen [8]

5.2.1.3.2.1 Subtraktiv-Technik Es gibt auch die Möglichkeit, die Polymeroberfläche mit dem Laser zu strukturieren, wobei die oberste Polymerschicht verdampft. Zeitgleich entsteht eine für die nachfolgende Metallisierung günstige Oberflächenstruktur, die für eine sehr gute Haftung der entstehenden Leiterbahnen sorgt. Eine andere Möglichkeit besteht darin, eine bereits metallisierte Oberfläche mit dem Laser zu ablatieren (Bild

Bei der Subtraktiv-Technik, auch Laser Subtraktiv Strukturieren (LSS) genannt, wird das komplette Bauteil metallisiert (außenstromlos mit Kupfer oder Nickel). Nachdem galvanisch Kupfer aufgebracht wurde, kann in einem zweiten Schritt ein Resist appliziert werden, der anschließend durch einen fokussierten Laserstrahl genau dort strukturiert wird, wo später die Isolationskanäle liegen (gleichzeitig kann Kupfer im Isolationskanal verdampft werden) [6]. In einem wei-

442

5 Oberflächentechnologien für Kunststoffbauteile

Tabelle 5-4 Heißprägen Investitionskosten

Kosten für die Spritzgussmaschine und den Prägestempel

Verfahrensschritte

Die Verfahrensschritte finden sich in Bild 5-5. Durch zusätzliches Flachprägen im Anschluss an den Hauptprägevorgang ist eine kleberlose Verbindung möglich. Das Flachprägen schafft eine physikalische Haftung der Folie auf dem Substrat, ohne die Taktzeit zu verlängern [4].

Änderungsaufwand

Bei einer Leiterbahnlayoutänderung muss der Prägestempel geändert werden. Ein anderer Schichtaufbau ist durch die Wahl einer anderen Prägefolie möglich [6].

Durchkontaktierung

Durch Füllen der Bohrungen mit Leitpaste oder durch Einprägen der Folie in vorgeformte Bohrungen im Substrat ist eine Durchkontaktierung möglich. Allerdings bedingt dies eine Leiterbahnstruktur auf der Rückseite [6].

Besonderheiten

Entscheidend für die Festigkeit der Kunststoff Metall Verbindung ist die Prägetemperatur des Prägestempels während des Prägevorgangs [6].

Prägefolie

– Die Prägefolie ist aus drei Schichten aufgebaut: leitfähige Kupferfolie, Haftschicht auf der Unterseite und Oberflächenmetallisierung (als Oxidationsschutz und zur besseren Löt- und Kontaktierbarkeit) [6] – Auf der Prägefolie kann eine Kupfer Schichtdicke von 12 - 100μm aufgebracht werden – Es gibt Prägefolie mit anorganischer oder mit auf Klebstoff basierender Haftschicht

Vorteile

– – – – – –

Nachteile

– Es lässt sich nur eine begrenzte Dreidimensionalität erreichen, da die Metallfolie mit dem Prägewerkzeug aufgebracht werden muss – Temperaturwechsel sind für unverstärkte Kunststoffe kritisch, da es durch den größeren Ausdehnungskoeffizienten des Kunststoffs im Vergleich zur Metallisierung zu einer Folienablösung kommen kann [4] – Nur in Ausnahmefällen ist eine EMV Abschirmung erreichbar, das heißt eine elektromagnetische Verträglichkeit bzw. ein Schutz gegen elektromagnetische Interferenzen (EMI) [6]

Anwendung

Heißprägen ist besonders geeignet für ebene, horizontal angeordnete Flächen, Aussparungen, Löcher und Stege (Ecken oder sphärisch gewölbte Flächen sind aufgrund von Faltenbildung nicht möglich). Winkel bis zu 90°, jeweils 45° zur Prägeachse sind realisierbar [6].

Materialien für den Serieneinsatz

Acrylnitrilbutadienstyrol (ABS), Polycarbonat (PC) + ABS, Polyamid (PA), Polybutylenterephthalat (PBT), Polyphenylensulfid (PPS) (Stand 2004 [6])

Hohe Effizienz des Herstellungsprozesses (schnell, sauber, kostengünstig) Auch kleine Losgrößen lassen sich realisieren Größere Metallschichtdicken sind möglich Es ist kein nasschemischer Prozess erforderlich, weswegen sich ein so hergestelltes MID-Bauteil für dekorative Oberflächen eignet [6] Eine Vielzahl von Kunststoffen ist verwendbar Die Auflösung der Leiterbahnen ist bis zum Fine-Pitch Bereich (Leiterbahnbreiten und/oder -abstände unterhalb 0,2mm) möglich

Bild 5-5. Verfahrensschritte Heißprägen [9]

5.2 Ausgewählte Oberflächentechnologien

Tabelle 5-5 LDS Verfahren Investitionskosten

Kosten für die Spritzgussmaschine, den Laser und das Laserbeschriftungsprogramm [6]

Verfahrensschritte

Die Strukturierung erfolgt durch Abfahren einer Kontur mit dem Laserfokus. Es handelt sich hierbei um ein schreibendes Verfahren, was bedeutet, dass durch den Laserstrahl auf der Oberfläche immer nur eine Linie (Vector Scanning oder Line Scanning [10]) entsteht. – Beim Vector Scanning werden die zu generierenden Strukturen in Vektorketten zerlegt. Anschließend werden möglichst lange und zusammenhängende Ketten der Strukturvektoren in einem Arbeitsgang strukturiert, was vorteilhaft für die MID-Anwendung ist. – Im Line Scanning wird die Struktur zeilenweise erzeugt. Dabei sind die Bahngeschwindigkeit, die Zeilenlänge und der Zeilenabstand festgelegt. Somit ist die Belichtungszeit für jede Zeile konstant und unabhängig von der Leiterbahnbreite. Damit ist eine Bearbeitung nur bei großen Geschwindigkeiten von mehr als 10m/s wirtschaftlich.

Änderungsaufwand

Nur das Laserablaufprogramm muss umgeschrieben werden (dies erfordert z. B. eine neue NC-Programmierung) [6]

Durchkontaktierung

Bohrungen lassen sich während der Metallisierung durchkontaktieren. Im Subtraktiv Verfahren z. B. werden die Leiterbahnen anschließend sequenziell mit dem Laser aus der Verkupferung freigeschnitten [6].

Besonderheiten

Bei feinen Strukturen und/oder kleinen Stückzahlen bietet das Verfahren einen Kostenvorteil gegenüber dem Zweikomponenten Spritzguss.

Laser

Der Laser aktiviert die Oberfläche und erzeugt eine mikroraue Oberfläche, um die Haftung zu verbessern. In den Polymermolekülen kommt es durch die Strahlungsenergie des Lasers zu Kettenspaltungen und zur Abtragung der Polymerbruchstücke (auch Ablation genannt). Dies geschieht im Wesentlichen thermisch [10]. Dadurch entstehen mikroskopisch kleine Ritzen und Hinterschneidungen, an denen sich das Metall bei der Metallisierung verankern kann.

Vorteile

– Konkurrenzloses Verfahren im Bereich der Feinleiterstrukturierung – Durch den Laser lassen sich die CAD Daten direkt aus dem Rechner auf das Werkstück übertragen, ohne dass Maskierungsschritte notwendig werden – Die Gestaltungsfreiheit ist größer als beim Heißprägen und Folienhinterspritzen [6] – Die umgebende Kupferschicht wird nicht abgetragen, sondern beispielsweise bei der Subtraktiv Technik zur EMV Abschirmung oder Wärmeableitung benutzt [6] – Resistgestützte Strukturierungsverfahren ermöglichen eine hohe Strukturierungsgeschwindigkeit auch bei niedriger Laserleistung, vor allem bei Photoresists – Erweitertes Miniaturisierungspotential (Leiterbahnen 2000 mm/s) reali-

Bild 5-7. Verfahrensschritte Subtraktiv-Technik [6]

Bei der Semi-Additiv Technik wird zunächst die Oberfläche aktiviert und anschließend ganzflächig chemisch mit Kupfer metallisiert. Nach dem Aufbringen des Photoresists wird die-

5.2 Ausgewählte Oberflächentechnologien

445

Bild 5-8. Verfahrensschritte Semi-Additiv Technik [6]

ser mittels Laserstrahlung strukturiert. Dabei werden die Leiterbahnen belichtet. Das Kupfer lässt sich anschließend galvanisch aufbauen und in einem letzten Schritt können der Photoresist und die Grundmetallisierung weggeätzt werden (Bild 5-8). In der Semi-Additiv Technik ist es auch möglich, einen negativ arbeitenden Resist zu verwenden, welcher nach der Entwicklung nur dort haftet, wo der Laserstrahl eine Polymerisation auslöst hat. In diesem Fall werden dann anstatt der Leiterbahnen die Isolationskanäle belichtet. Dies bietet den Vorteil, dass das Verfahren weniger anfällig gegen Oberflächenverunreinigungen ist. Staubpartikel führen hier nur zu einer Verbreiterung der Resistbahn (Isolationskanal) [6]. Zudem treten kaum Schwankungen in der Leiterbahnbreite auf.

5.2.1.3.2.3 Additiv-Technik Bei der Additiv-Technik erfolgt eine direkte Strukturierung der Oberfläche mittels Laserstrahl (siehe Bild 5-9). Hierfür ist es notwendig, dem Thermoplast spezielle Additive zuzusetzen. Sie dienen als Keime für eine anschließende chemische Metallabscheidung [11] und werden während des Strukturierens freigelegt und aktiviert. Die Additive sind chemisch inaktiv, elektrisch nicht leitend und können nur durch den Laserstrahl aktiviert werden, wobei der Laser die Matrix des Kunststoffs geringfügig abträgt

und die Metallkeime freisetzt. Der Metallkomplex trägt zu einer sehr viel höheren Haftfestigkeit der Metallschicht bei, verändert aber die Eigenschaften des Kunststoffs praktisch nicht, da er nur in geringen Mengen beigemischt ist. Der Vorteil dieses Verfahrens liegt darin, dass weder physikalische noch chemische Vorbehandlungsmethoden nötig sind und damit aufwendige und umweltkritische Prozesse wegfallen. Es kann überdies ein hohes Auflösungsvermögen der optischen Komponenten im UV-Bereich sowie der Leiterbahnbreiten und -abstände von 150 μm erreicht werden. Nachteilig ist die geringe Auswahl an Werkstoffen, da es nur wenige Kunststoffformmassen mit den für das LDS Verfahren erforderlichen Metallkomplexen gibt. Neben diesem Verfahren gibt es auch das so genannte ADDIMID-Verfahren, welches im Gegensatz zum LPKFVerfahren lizenzfrei eingesetzt werden kann [12]. Hier wird dem Thermoplast anstatt der Metallkomplexe ein reines Metallpulver beigemischt (z. B. Kupfer).

5.2.1.3.3

Maskenbelichtungsverfahren

Das Maskenbelichtungsverfahren ähnelt vom Vorgang her der Projektion eines Dias mit dem Diaprojektor. Die Maske enthält ein Abbild derjenigen Struktur, die auf der Werkstückoberfläche abgebildet werden soll (siehe Bild 5-10). Im Maskenbelichtungsverfahren ist eine Strukturierung durch Subtraktiv und Semi-Additiv Technik möglich [4]. Es

446

5 Oberflächentechnologien für Kunststoffbauteile

Bild 5-9. Verfahrensschritte Additiv Technik [9]

besteht außerdem die Möglichkeit, das Verfahren für PVD (Physical Vapour Deposition) Prozesse zu verwenden. Beim PVD-Prozess spielt es aber nur eine untergeordnete Rolle, da der Aufwand für dreidimensionale Leiterbilder extrem hoch ist. Werden für die Belichtung Excimerlaser verwendet, kann der flächige Strahl des Lasers vor allem bei der Strukturierung von großen, geschlossenen Flächen gut ausgenutzt werden. Eine genauere Beschreibung des Maskenbelichtungsverfahrens findet sich in Tabelle 5-6.

5.2.1.3.4

Zweikomponenten Spritzgießen (Two Shot Moulding)

Beim Zweikomponenten Spritzgießen (Bild 5-12) erfolgt die Aktivierung der Kunststoffoberfläche durch die Abscheidung von Edelmetallteilchen (Edelmetalle wie Gold, Silber oder Palladium, die keine für die Metallisierung hinderliche Oxidschicht auf ihrer Oberfläche ausbilden) auf der Oberfläche.

Anschließend wird die gewünschte Kupferschichtdicke chemisch oder elektrolytisch aufgebracht. Das außenstromlose Verfahren hat den Nachteil, dass es aufgrund geringer Abscheidungsraten zeitaufwendig ist und maximal eine Schichtdicke von 20μm erreicht werden kann. Weitergehende Informationen zum Verfahren finden sich in Tabelle 5-7.

5.2.1.3.4.1 Gestaltungshinweise Bei der Konstruktion der Formteile sind Radien vorzusehen, um die Metallisierung und die Leiterbahnführung zu gewährleisten [6]. An scharfen Kanten kann in aller Regel bei einer Metallisierung nicht ausreichend Material abgeschieden werden. Anspritzpunkte müssen neben die Leiterbahn gelegt werden, da am Anspritzpunkt durch Rauhigkeiten verursachte Fehler in der Metallschicht auftreten können. Bindenähte sind neben die Leiterbahnen zu legen, da sie eine saubere Metallisierung verhindern. Neben dem oben beschriebenen Verfahren gibt es noch das so genannte Hybrid-MID-Verfahren. Dieses funktioniert ähnlich wie die Insert Technik, mit dem Unterschied, dass das umspritzte Bauteil, z. B. ein Steckerpin, anschließend in ein MID-Bauteil integriert wird.

5.2.1.3.5

Bild 5-10. Maskenbelichtungsverfahren [8]

Folienhinterspritzen (In-Mold-Decoration, IMD)

Beim Folienhinterspritzen erfolgt eine separate Strukturierung der Leiterfolie vor dem Spritzgießen. Die Folie wird in ein Spritzgießwerkzeug eingelegt und dann mit Kunststoff hinterspritzt (siehe Bild 5-14). Eine Verbindung zwischen Folie und Kunststoff ist bei chemisch ähnlichen Werkstoffen in der Regel gegeben. Zusätzlich kann – sofern erforderlich – ein Haftvermittler verwendet werden, der beim Hinterspritzen durch die auftreffende Schmelze des Kunststoffs aktiviert wird [6]. Tabelle 5-8 enthält eine Beschreibung des Verfahrens.

5.2 Ausgewählte Oberflächentechnologien

447

Tabelle 5-6 Maskenbelichtungsverfahren Investitionskosten

Aufwand für Spritzguss Werkzeug und Photomaske

Verfahrensschritte

Nach dem Spritzgießen und einer Oberflächenaktivierung erfolgt die ganzflächige chemische Grundmetallisierung mit einer ca. 2 μm dünnen Kupferschicht. Darauf wird der in der Regel elektrophoretische Photoresist aufgebracht, der sowohl positiv als auch negativ reagieren kann. Belichtet wird mit Hilfe einer dreidimensionalen im Allgemeinen zweiteiligen Photomaske und UV-Licht. Während der Belichtung werden die Photomaskenhälften mit einem Vakuum an das MID-Bauteil angepresst, um Unterschneidungen durch das UV-Licht zu vermeiden [6]. Nach der Entwicklung des belichteten Photoresists lässt sich die Leiterbahngeometrie elektrolytisch zur gewünschten Schichtdicke verstärken. Danach wird eine Ätzmaske aufgebracht, der Photoresist entfernt und das nicht mehr benötigte chemische Kupfer anschließend weggeätzt. Die Verfahrensschritte sind in Bild 5-11 noch einmal verdeutlicht.

Änderungsaufwand

Layoutänderungen der Leiterbahngeometrie sind durch Änderungen des Photomaskenbildes schnell und mit geringem Arbeitsaufwand möglich [6]

Durchkontaktierung

realisierbar

Besonderheiten

Das Verfahren ist ähnlich zum Herstellungsprozess konventioneller Leiterplatten, was bedeutet, dass zahlreiche Arbeitsschritte nötig sind [6].

Photomasken

– Photomasken sind mit dem Laser beschreibbar, haben aber aufgrund der UV-Strahlung in der Belichtungskammer eine begrenzte Lebensdauer – Durch eine dreidimensionale Photomaske werden dort Strukturen erzeugt, wo die Maske direkt am MID-Bauteil anliegt, was bedeutet, dass jede Leiterbahn in der Belichtungsmaske dargestellt werden muss

Vorteile

– – – –

Nachteile

– Viele Prozessschritte – Es beinhaltet nasschemische Verfahren, weswegen es sich für den Einsatz von dekorativen Oberflächen nur bedingt eignet [6] – Die Komplexität der Leiterbahngeometrie ist durch die zweigeteilten Photomasken eingeschränkt (denn die Photomaske liegt in der Trennebene nicht am MID-Bauteil an) [6] – Hinterschneidungen und Durchkontaktierungen sind nur mit hohem Aufwand zu realisieren [6]

Anwendung

Hauptsächlich werden 2D bis 2,5D MID-Bauteile gefertigt, bei denen hohe Anforderungen an die Auflösung gestellt werden, die räumlichen Ausprägungen aber gering sind. Es wird außerdem für die abtragende Fertigung von Mikrobauteilen, die Erzeugung strukturierter Oberflächen mit optimierten tribologischen Eigenschaften oder in der Mikrolithographie verwendet [10].

Materialien für den Serieneinsatz

POLYPHTHALAMID (PPA), PET, PC+PBT (STAND 2004)

Eignet sich für gleichzeitige EMV Abschirmung [6] Hohe Flexibilität beim Schichtaufbau [6] nur wenige Einschränkungen bei der Gestaltungsfreiheit Leiterbahnbreiten bis 150 μm möglich (bis in den Fine-Pitch Bereich = (Leiterbahnbreite und -abstand kleiner 0,2 mm) [6]

Die drei belastungsarmen Prozessvarianten werden im folgenden kurz beschrieben. Thermoplast-Schaumgießen (TSG) siehe Kapitel 4.1.3.1.2.22 Spritzprägen siehe Kapitel 4.1.3.1.2.8 Hinterpressen siehe Kapitel 4.1.3.1.2.9

5.2.1.3.6

Weitere MID-Techniken

Neben den bereits aufgeführten Herstellungsverfahren gibt es weitere Verfahren, die sich derzeit noch in der Entwicklungsphase befinden. Diese sollen aber zur vollständigen Übersicht dennoch kurz erklärt werden.

5.2.1.3.6.1 Primertechnologie Primer bedeutet eigentlich Haftvermittler, wobei Primer in der MID-Technik für lackähnliche Materialien stehen, die auf das Kunststoffsubstrat aufgetragen werden und metallisierbar sind. Der Primer ist also die haftvermittelnde Schicht zwischen Basissubstrat und Metallisierung. Ein Beispiel für einen Primer ist Baymatec®P. Dies ist eine metallisierfähige Paste aus einer polymeren Bindemittelmatrix, funktionalen Füllstoffen, organometallischem Palladium (als Katalysator), Stoffen zur rheologischen Anpassung und einem geeigneten Lösemittelgemisch.

448

5 Oberflächentechnologien für Kunststoffbauteile

Bild 5-11. Verfahrensschritte Maskenbelichtungsverfahren [6]

Bild 5-12. Zweikomponenten Spritzgießen [8]

5.2 Ausgewählte Oberflächentechnologien

Tabelle 5-7 Zweikomponentenspritzgießen (siehe auch Kapitel 4.1.3.1.2.1) Investitionskosten

Das Spritzgusswerkzeug mit den zwei Kavitäten

Verfahrensschritte

Beim Zweikomponenten Spritzguss ist es wichtig, dass die beiden verwendeten Kunststoffe große Unterschiede in der Metallisierbarkeit aufweisen. Es gibt drei Möglichkeiten, diese unterschiedliche Metallisierbarkeit zu erzeugen [13]: – Es werden Substrate eingesetzt, die unterschiedlich auf eine Vorbehandlung und Metallisierung reagieren (z.B. PA6 als metallisierbare Komponente und PA12, das im selben Prozess kein Metall an der Oberfläche aufnimmt). – Soll nur ein Kunststoff verwendet werden, wird der Spritzling nach dem ersten Schuss entnommen und in einem separaten Verfahren für die Metallisierung vorbereitet (Bekeimen). Anschließend wird dieser wieder ins Werkzeug eingelegt und umspritzt (Bild 513). Die Metallisierung erfolgt anschließend am vorbehandelten Kunststoff. – Bereits vor dem Spritzgießen wird der Kunststoff mit Palladium (Pd) oder einer Eisenverbindung dotiert. Im nächsten Schritt wird dieser Kunststoff mit einem undotierten Kunststoff gleicher Sorte umspritzt, womit man sich den Verfahrensschritt des Bekeimens spart. Wird eine Kombination aus dotiertem und undotierten Kunststoff eingesetzt, erfolgt die Metallisierung in drei Schritten: 1) Reinigen und Aufrauen der Oberfläche (solange bis die Palladiumkeime freigelegt sind) 2) chemische Metallisierung: die Palladiumkeime dienen dabei als Startpunkt 3) galvanische Metallisierung: die chemisch abgeschiedene Metallschicht wird galvanisch verstärkt

Änderungsaufwand

Bei einer Änderung müssen die Spritzgusswerkzeuge geändert werden, was kosten- und zeitintensiv ist.

Durchkontaktierung

Für Durchkontaktierungen sollte der Innendurchmesser möglichst groß gewählt werden, da dann die Schichtdicke der Metallisierung sowie die Strombelastbarkeit der Kontaktierung zunehmen.

Besonderheiten

Beide Kunststoffe müssen eine gute Schmelzeverträglichkeit aufweisen, damit beim Spritzgießen eine gute Haftung vorhanden ist [6]. Werden verschiedene Kunststoffe verwendet, so muss das unterschiedliche Schwindungs- und Temperaturausdehnungsverhalten berücksichtigt werden.

Vorbehandlungsverfahren

– Beim Anquellen der Oberfläche mit z. B. Kalilauge wird die oberste Kunststoffschicht angelöst und gleichzeitig entfettet [13] – Zur Erzeugung einer definierten Oberflächenrauhigkeit wird der Kunststoff gebeizt (wodurch eine haftfeste Beschichtung erzielt wird) [13] – Teileweise kann durch Vorbehandlungsverfahren außerdem die Oberflächenhärte, die Hitzebeständigkeit, die UV-Strahlungsbeständigkeit sowie die chemische Widerstandsfähigkeit der Kunststoffoberfläche verbessert werden

Vorteile

– Dieses Verfahren bietet die größte Gestaltungsfreiheit aller MID-Verfahren, nur die Spritzgießbarkeit setzt Grenzen. So sind Leiterbahnen in Vertiefungen bzw. auf Freiformflächen möglich sowie die Integration von Haltern, Führungen, ... [6] – Die Prozesskette ist kurz und effizient, da die Strukturierung der Leiterbahnen direkt beim Spritzgießen stattfindet [9] – Aufgrund des frei gestaltbaren Leiterbahnquerschnitts sind hohe Ströme realisierbar [4]

Nachteile

– – – – – –

Anwendung

Medizintechnik, Automobilindustrie, Anntennentechnik, Steckerverbinderindustrie, ...

Materialien für den Serieneinsatz

– PA6/PA12 besonders gute Haftfestigkeit bei glasfaserverstärkten, elastomermodifizierten Polyamiden – PC/PC/ABS für Anwendungen mit geringen Temperaturanforderungen (–40 bis +80 °C), aber ungeeignet bei langen Fließwegen und feinen Leiterbahnen – LCP(Pd)/LCP [10] für lange Fließwege und feine Leiterbahnen

Dieses Verfahren ist meist nur bei großen Serien wirtschaftlich Die Vorlaufzeiten sind lang Es gibt Einschränkungen bei der Haftfestigkeit der Materialkombinationen und der Metallisierung [4] Die Beherrschbarkeit des Spritzgussvorgangs bestimmt zwangsläufig die gesamte Zuverlässigkeit [4] Es handelt sich hierbei um ein nasschemisches Verfahren, weswegen es nur bedingt für dekorative Oberflächen verwendbar ist [6] Soll eine EMV Abschirmung angebracht werden, muss beachtet werden, dass leitende Flächen nur auf metallisierbaren Oberflächenbereichen erzeugt werden können [6]

449

450

5 Oberflächentechnologien für Kunststoffbauteile

Bild 5-13. Verfahrensschritte Zweikomponenten Spritzguss [9]

5.2.1.3.6.2 Mechanische Strukturierungsverfahren

Bild 5-14. Folienhinterspritzen [8]

Beim mechanischen Strukturieren [6] wird ein Einkomponenten Spritzling zunächst ganzflächig metallisiert. Anschließend erfolgt die Strukturierung durch Fräsen, wobei entweder die Erhebungen neben den vertieft liegenden Leiterbahnen weggefräst (Recessed Circuitry Verfahren) oder die Leiterbahnen direkt aus der Metallisierung herausgefräst werden (Leiterbahnfräsen), wobei die Isolationskanäle parallel zu den Leiterbahnen gefräst werden. Das übrige Metall wird als EMV-Abschirmung und zur Wärmeableitung genutzt. Aufgrund des hohen Aufwandes beim Fräsen ist dieses Verfahren aber höchstens für Prototypen oder Kleinserien geeignet.

5.2.1.3.6.3 Siebdruckverfahren Zunächst wird der Primer appliziert, dann erfolgt eine thermische Konditionierung und anschließend eine chemisch additive Metallisierung [6]. Primerbedruckte Folien können dreidimensional verformt und anschließend durch Hinterfütterung stabilisiert werden. Auch können sie im Tampondruck direkt auf ein Kunststoffbauteil aufgetragen werden, wodurch sich eine breite Anwendungspalette eröffnet.

Das Siebdruckverfahren [6] wird zur Strukturierung von Einkomponenten Spritzgießteilen verwendet. In einem ersten Schritt wird die Oberfläche aktiviert, anschließend wird das Kupfer und der Ätzresist aufgebracht. Der Ätzresist ist dabei bereits mit einer Siebdruckschablone strukturiert. In einem weiteren Schritt wird das ungeschützte Kupfer weggeätzt und der Ätzresist wieder entfernt. Das Verfahren ähnelt dem Maskenbelichtungsverfahren.

5.2 Ausgewählte Oberflächentechnologien

451

Tabelle 5-8 Folienhinterspritzen (siehe auch Kapitel 4.1.3.1.2.10) Investitionskosten

Kosten für die Spritzgussmaschine und die Folienherstellung (großes Know How beim Spritzgießen und Formenbau nötig)

Verfahrensschritte

Die Leiterfolie kann durch die herkömmliche subtraktive Flex-Leiterplattentechnologie (auf einfache Geometrien beschränkt) oder additiv mittels Primertechnologie (MID-Teil wird erst nach dem Hinterspritzen der Folie metallisiert, was mehr Flexibilität bei den Geometrien bietet) aufgebracht werden [6]. Dabei wird die Folie der Kontur der Werkzeugkavität durch Warmumformen angepasst.

Änderungsaufwand

Bei einer Änderung müssen die Leiterbildgeometrie und die Folie geändert werden.

Durchkontaktierung

Durchkontaktierungen sind möglich

Besonderheiten

Zunächst findet eine separate Strukturierung des Schaltungsbildes in der Ebene statt. Die Formstabilisierung der Folie zum MID-Bauteil erfolgt im nächsten Schritt durch Hinterspritztechnik [6].

Leiterbildfolie

Es gibt verschiedene Verfahrensvarianten der Leiterbildfolie (siehe Bild 5-15) [6]: – Capture Decal Verfahren: Es besteht ein Verbund zwischen hinterfütterter Folie und Hinterspritzwerkstoff. Entscheidend für den haftfesten Verbund ist dabei die Auswahl der Folie-Substrat-Materialien. Die Verbindung wird fester, wenn die Schmelzverträglichkeit der beiden Materialien gewährleistet ist. – Transfer Decal Verfahren: Man hat eine Trägerfolie mit Leiterbild, die auf der Leiterseite hinterspritzt wird. Nach dem Spritzgießen wird die Trägerfolie vom fertigen MID-Bauteil abgezogen, was eine geringe Haftfestigkeit von der Trägerfolie auf dem Hinterspritz Werkstoff und eine geringe Haftfestigkeit zwischen Leiterbahn und Trägerfolie voraussetzt. Gleichzeitig wird aber eine gute Haftfestigkeit zwischen Leiterbahnen und Hinterspritz Werkstoff angestrebt. – Advanced Interconnect Technology (AIT): Dieses Verfahren benutzt eine Mehrschichtfolie auf Kupfer und Aluminium Basis. Die Kupfer Schicht wird vor dem Spritzgießen strukturiert und die Aluminiumschicht wird später abgeätzt. Hier ist das Hinterspritzen mit einem hochschmelzenden Kunststoff möglich, da die temperaturempfindliche Kunststoff Folie durch einen Alufolien Träger ersetzt wurde. Damit ist die Herstellung hochtemperaturfester MID-Bauteile möglich z. B. mit PPS als Substratmaterial.

Vorteile

– Wenige Prozessschritte [6] – Bietet als einziges Verfahren die Möglichkeit, flexible Anschlussfahnen außerhalb der hinterspritzten Bereiche im MID-Teil zu integrieren [6] – Das Drucken von Widerständen bei der Leiterbildfolienerstellung ist möglich – Eine ein- oder doppelseitige Leiterbildfolie kann verwendet werden – Die Verwendung einer Flex-Leiterplatte ermöglicht die Herstellung von zweilagigen Schaltungen auf MID-Bauteilen; Eine Schaltungslage ist dabei vergraben (buried) und über eine Durchkontaktierung mit der anderen Schaltungslage verbunden [6] – Das Verfahren eignet sich für dekorative Oberflächen

Nachteile

– Es sind nur etwa 75% der Folienfläche metallisierbar, womit auch der maximale Flächenanteil für eine EMV Abschirmung begrenzt ist. – Die Gestaltungsfreiheit ist durch die Verformbarkeit der Folie begrenzt, da keine Faltenbildung entstehen darf und die sich auf der Trägerfolie befindenden Kupferleitbahnen eine geringe Bruchdehnung aufweisen. – Das Dekormaterial ist durch die vorbeiströmende Kunststoffschmelze hohen Belastungen ausgesetzt. Dabei kann es zum Anschmelzen, zum Durchschmelzen der Folie oder zu einem elektrischen Versagen der Schaltung durch Risse oder Unterbrechungen in der Leiterbahn kommen. Abhilfe bieten hier Prozessvarianten mit geringer Schmelzebewegung und geringem Einspritzdruck, z. B. Thermoplastschaumguss, Spritzprägen oder Hinterpressen [6].

Anwendung

Diese Technik wird hauptsächlich für Bauteile mit geringer dreidimensionaler Ausprägung angewandt, z. B. für feine Leiterbahnstrukturen, die kostengünstig planar hergestellt werden können, und ihre endgültige geometrische Form im Spritzguss erhalten.

Materialien für den Serieneinsatz

POLYSULFON (PSU), PBT, PC, PEI, PPS (STAND 2004)

5.2.1.3.6.4 Selektive PVD-Metallisierung (Physical Vapour Deposition-Metallisierung) Das Physical Vapour Deposition Verfahren [6] ist eine vorteilhafte Metallisierungsvariante für die Strukturierung durch Laserablation und wird angewendet, wenn Schichtdicken von nur einigen nm bis hin zu wenigen μm notwendig sind.

Bei der PVD-Metallisierung sind feinste Strukturen möglich, wenn nach dem PVD (Physical Vapour Deposition) Beschichten gleich eine Strukturierung durch Laserablation erfolgt und die Startschicht nasschemisch verstärkt wird [11]. Letzteres wird aber aus Kostengründen meist vermieden.

452

5 Oberflächentechnologien für Kunststoffbauteile

Bild 5-15. Varianten des Folienspritzgießens [6]

Um eine optimale Haftung zu erzielen, werden die Materialien mit folgenden Verfahren vorbehandelt: Tempern im Trockenofen, kathodisches Glimmen unter Argonatmosphäre und Magnetronsputtern einer Chrom-Haftvermittlerschicht, wobei das Glimmen für eine gute Haftung ausschlaggebend ist. Das Problem ist, dass sich Beschichtungen, die im PVD(Physical Vapour Deposition) Verfahren hergestellt werden, weniger selektiv verhalten als solche, die durch chemische Verfahren erzeugt werden. Dadurch wird die Unterscheidung zwischen metallisierbarer und nichtmetallisierbarer Komponente erschwert. Außerdem besteht aufgrund des gerichteten Beschichtens die Schwierigkeit, gleichmäßige Schichtdicken auf den dreidimensionalen Bauteilen zu

erzielen. Nachteilig ist zusätzlich der durch die Laserablation hervorgerufene thermische Angriff auf die Substratoberfläche. Dennoch bietet das PVD-(Physical Vapour Deposition) Verfahren gegenüber dem Galvanisieren zahlreiche Vorteile [14]: – Kein Sonderabfall, da auf nasschemische Aktivierung verzichtet werden kann – Zwischen Oberflächenaktivierung und Beschichtung können mehrere Stunden liegen, ohne dass die Haftfestigkeit beeinträchtigt wird – Es erfolgt kein chemischer Angriff auf die Substratoberfläche

Tabelle 5-9 Möglichkeiten der MID-Herstellungsverfahren [6] Heißprägen

Maskenbelichtungsverfahren

LDS

2 Komponenten Spritzguss

Folienhinterspritzen

Gestaltungsfreiheit



0

0

+

0

Flexibilität bzgl. Layoutänderung

0

0

+



0

Eignung für EMV-Abschirmung



+

0

+

0

Investitionskosten

+

0

0



0

Durchkontaktierung

mit Zusatzmaßnahme

ohne Zusatzmaßnahme

Eignung für dekorative Oberfläche

+

0

0

0

+

Effizienz des Herstellungsprozesses

+





+

+

Flexibilität bzgl. Schichtaufbau

0

+

+

+



Arbeitsschritte

2

6

3 bzw. 5

4

3

Minimale Leiterbahnbreite und -abstände [mm] [2, 6]

0,2

0,125

0,1

>0,2

0,1

Abscheidungsrate [μm/h]

k.A.

k.A.

3-5

25-30

k.A.

Dabei bedeutet + = sehr gut, 0 = mittel und - = schwach.

5.2 Ausgewählte Oberflächentechnologien

5.2.1.3.7

Zusammenfassung zu Kapitel 5.2.1

Am Ende dieses Kapitels steht eine kurze Gegenüberstellung der fünf am häufigsten verwendeten MID-Verfahren. Hierbei werden Gestaltungsfreiheit, Investitionskosten und Flexibilität miteinander verglichen, aber auch Aussagen zur Anzahl der Arbeitsschritte und der Leiterbahnbreite getroffen. Die Bewertungen erfolgten dabei aufgrund technischer und wirtschaftlicher Kriterien (siehe Tabelle 5-9). Aus der Übersicht und der vorangegangen Vorstellung der verschiedenen Herstellungsverfahren geht hervor, dass keines der Verfahren nur Vorteile bietet. Je nach Anwendungsfall muss entschieden werden. Ist beispielsweise eine große Stückzahl erforderlich, so bietet sich das Zweikomponenten Spritzgießverfahren an. Denn hier sind trotz großer Investitionskosten hohe Stückzahlen in sehr kurzer Zeit möglich, vorausgesetzt, es sind während der Produktion keine oder nur sehr geringe Änderungen am Werkzeug erforderlich. Ist es dagegen notwendig, Kleinserien oder Prototypen herzustellen, bei denen Werkzeuge schnell und ohne großen Aufwand angepasst werden müssen, sind Verfahren zu wählen, die in den Änderungskosten günstig sind wie z. B. das Heißprägen oder das Maskenbelichtungsverfahren. Hierbei müssen dann aber eventuell Abstriche in Bezug auf die Dreidimensionalität der Teile gemacht werden oder längere Herstellungszeiten in Kauf genommen werden. Bei kleinen Serien und flexibler Programmierung erscheint derzeit das LDS-Verfahren am günstigsten, da hier lediglich die Computerprogrammierung geändert werden muss und (bedingt) dreidimensionale Strukturen möglich sind. Außerdem bietet es mit das größte Miniaturisierungspotential sowohl was Leiterbahnbreiten als auch -abstände angeht. Dennoch gibt es auch hier weiterhin Verbesserungsbedarf hinsichtlich der Metallisierung von dreidimensionalen Teilen und der Auswahl an laserstrukturierbaren Kunststoffen.

Literatur Kapitel 5.1 und 5.2.1 [1]

[2]

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454

5 Oberflächentechnologien für Kunststoffbauteile

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5.2.2

Plasmatechnologie Mathias Kaiser

5.2.2.1

Einführung

Universal gesehen ist der Plasmazustand nicht die Ausnahme sondern die Regel. Mit angenommenen 99 % der sichtbaren Materie ist dieser Zustand der älteste und häufigste im Universum. Die irdischen Möglichkeiten zur technischen Nutzung von Plasmen sind dagegen noch sehr jung (rund 100 Jahre). Die Plasmatechnologie gewann zunächst mit Gasentladungen in der Lichttechnik an Bedeutung und entwickelte sich mit ihren Ätz- und Beschichtungsverfahren zum Fundamentalprozess der Halbleitertechnik und Mikromechanik. Inzwischen erschließt sie mit den Möglichkeiten der Oberflächenveredelung neue tribologische, mechanische und optische Lösungen in den Materialwissenschaften und eröffnet mit der Oberflächenfunktionalisierung neue Felder in der Verbindungs- und Klebetechnik oder der Medizin- und Biotechnologie. Die Plasmatechnologie zählt aufgrund der Vielfalt der Nutzungsmöglichkeiten zu den Schlüsseltechnologien des 21ten Jahrhunderts [1], [2].

5.2.2.2

Was ist ein Plasma?

Technische Plasmen erscheinen unter zahlreichen Begriffen wie Niederdruckplasma, Gasentladung, „kaltes Plasma“, Glimmentladung oder Nichtgleichgewichtsplasma und beschreiben doch im Wesentlichen das gleiche Phänomen aus den unterschiedlichen Blickwinkeln, die durch die Historie oder die jeweilige Anwendung des Benutzers bestimmt werden. In einfachster Betrachtung ist ein Plasma als vierter Aggregatszustand zu verstehen. Mit der kontinuierlichen Zugabe von Energie wird aus einem Festkörper nach dem Erreichen der Schmelztemperatur eine Flüssigkeit und mit dem Erreichen der Siedetemperatur ein Gas. Wenn schließlich die Teilchenenergie die Ionisierungsenergie erreicht, wird aus dem Gas ein Plasma. Das Plasma besteht damit aus einem Gas oder einer Gasmischung mit einer Vielzahl von neutralen und geladenen Teilchen in unterschiedlichen energetischen Anregungszuständen. Die grundlegende Charakteri-

5.2 Ausgewählte Oberflächentechnologien sierung kann über die Zahl der jeweiligen Teilchen und ihre Energieverteilung vorgenommen werden. Dabei werden Gruppen von gleichen Teilchen meist „Spezies“ genannt. Die Charakterisierung des Plasmazustands konzentriert sich deshalb auch weitgehend auf die Teilchendichten der entsprechenden Spezies (Neutralteilchen, Elektronen, Ionen, angeregte Atome und Moleküle, UV-Strahlung), ihre Energieverteilung und ihre Wechselwirkung untereinander bzw. mit äußeren Einflüssen. In technischen Plasmen sind eine Vielzahl von unterschiedlich wirksamen Spezies möglich, deren wirksame Teilchendichte – vom verwendeten Prozessgas oder der Prozessgasmischung – von der Art und Intensität der Leistungseinkopplung – vom verwendeten Druck – von der Lebensdauer der relevanten Spezies und damit – vom Abstand der Anregung bis zur Werkstückoberfläche abhängt. Da die Lebensdauer der anwendungsrelevanten Spezies u. a. von der Zahl der Stöße im Plasma bestimmt wird, sind für die meisten Plasmaprozesse Niederdruckbedingungen zur Verminderung der Stoßfrequenz vorteilhaft. Es gibt jedoch auch wirkungsvolle Plasmaprozesse bei Atmosphärendruck, die sich aber überwiegend auf die Oberflächenaktivierung (Beflammung, Korona und dielektrisch behinderte Entladungen) beschränken [3]. Die Entwicklung von geeigneten Plasmaquellen und -Prozessen und deren Optimierung bezogen auf die jeweilige Anwendung ist die elementare Aufgabe der Plasmatechnologie.

5.2.2.3

Plasmaerzeugung

Der einfachste und übliche Weg einem Gas Energie zur Erzeugung eines Plasmas zuzuführen führt über elektrische Felder. Diese können mit Gleich- und Wechselspannungsquellen generiert werden. Allerdings sind für polymere Oberflächen nicht alle so erzeugten Plasmen gleichermaßen geeignet. Dies wird aus Bild 5-16 auch schnell deutlich. Schematisch ist ein Vakuumgefäß (gestrichelt) gezeigt, in dem eine zwischen zwei Elektroden angelegte Spannung ein elektrisches Feld erzeugt (Kondensatoranordnung). Im Vakuumgefäß befindet sich unter geringem Druck (< 1000 Pa) ein Gas (grau). Geladene Teilchen werden in diesem Feld beschleunigt, bis sie mit einem Neutralgasteilchen oder der Elektrode zusammenstoßen. Reicht die im Feld aufgenommene Energie des geladenen Teilchens aus, so wird das Neutralgas beim Stoß ionisiert und es entstehen weitere Ionen (schraffiert) und Elektronen (schwarz), die wiederum im Feld beschleunigt werden. Die Zahl der ionisierten Teilchen steigt, bis die Teilchengeneration durch Diffusion, Rekombination und Relaxation ausgeglichen ist. Ein stationäres Plasma ist entstanden [4].

455

Bild 5-16. Plasmaanregung im elektrischen Feld

Bei Gleichspannung oder niederfrequenter Wechselspannung werden sowohl Ionen wie Elektronen in entgegen gesetzte Richtung beschleunigt und nehmen zum Teil beträchtliche Energien auf, die weit über der Bindungsenergie von Polymeren (~2 eV) liegen. Solche Plasmen können viel Energie in die Oberfläche eintragen und im Polymergefüge durch tief eindringende Stoßkaskaden schwere Schäden anrichten. Sie werden z. T. zur beschleunigten Alterung von Polymeren eingesetzt [5]. Legt man jedoch ein hochfrequentes Wechselfeld an und wählt die Frequenz so hoch, dass die Ionen aufgrund ihrer höheren Trägheit dem schnellen Feldwechsel nicht mehr folgen können, so wird die Energie fast ausschließlich in die Elektronen des Plasmas eingekoppelt. Der Vorteil für die Behandlung polymerer Oberflächen liegt darin, dass die Ionen kaum Energie aufnehmen und diese deshalb auch nicht an das Neutralgas übertragen können. Elektronen und Ionen sind nicht im thermodynamischen Gleichgewicht, die Gastemperatur steigt nur geringfügig und man spricht von „kalten“ oder „Nichtgleichgewichts-“ Plasmen. Je höher die Frequenz, desto geringer wird die Auslenkung der Elektronen und die im Feld aufgenommene Energie. Elektronen sind im Plasma leicht und beweglich. Sie können innerhalb einer halben Periode des Wechselfeldes die Elektrode erreichen. Dann bleiben nur Ionen in Elektrodennähe übrig. Sie bauen mit ihrer Ladungsverteilung ein Randfeld auf (self bias), das wiederum Ladungsträger in für Polymere kritische Bereiche beschleunigen kann. Für Argon bei einem Druck von 10 Pa ist die Stoßfrequenz typischerweise 1,6 × 108 Hz. Für eine Anregungsfrequenz 13,45 MHz (RF) und einer Amplitude von 100 V/cm ergibt sich eine Auslenkung von ca. 6 cm. Bei einer Anregungsfrequenz von 2,45 GHz (Mikrowellen) schrumpft die Auslenkung auf 1.4 × 10–4 cm. Ausgedehnte Randschichten können also mit Frequenzen im Mikrowellenbereich vermieden werden.

456

5 Oberflächentechnologien für Kunststoffbauteile

Die technologische Wirkung von Plasmen ist direkt mit der Dichte der im Hochfrequenzfeld erzeugten Elektronen verknüpft. Mit zunehmender Elektronendichte wird das Plasma aber leitfähiger und schirmt das anregende Hochfrequenzfeld ab. Es kann dann nicht mehr ins Plasma eindringen. Die Elektronendichte kann also nicht beliebig hoch werden. Diese sogen. „kritische Dichte“ ist allerdings zum Quadrat der Anregungsfrequenz proportional. Deshalb haben auch diesbezüglich Mikrowellenplasmen Vorteile [6]. Zusammenfassend kann für Plasmaprozesse an polymeren Oberflächen festgehalten werden, dass kalte, dichte aber energetisch milde Plasmen vorteilhaft sind und damit die Anregung im Bereich von Mikrowellen bevorzugt werden sollte. Dies wird durch die preiswerte Verfügbarkeit von Mikrowellenleistungsgeneratoren aus der Erwärmungstechnik begünstigt.

5.2.2.4

Plasmaprozesse

Elektronen im Plasma generieren aus dem Prozessgas durch Stoßprozesse unterschiedliche Anregungsformen. Diese reichen von der einfachen Teilchenbeschleunigung über atomare oder molekulare Anregungsstufen und Radikalbildungen bis zur Ionisation. Rekombination von Ionen und Elektronen oder Relaxation verursachen weiterführende Gasreaktionen und die Generation von Licht im UV-Bereich. Bereits ein einfaches Luftplasma lässt sich in über 70 verschiedene Stoßanregungen aufschlüsseln [7]. Dem entsprechend ist die Plasmawirkung eine Mischung aus Oberflächenstoßanregung und der Oberflächeninteraktion mit all den zahlreichen reaktiven Anregungen, Verbindungen und Lichtemissionen des Prozessgases. Durch geschickte Wahl der Prozessgase und Plasmabedingungen kann die eine oder andere Wirkung dominant hervorgehoben werden.

Reinigen Die Reinigung im Plasma funktioniert nach zwei Prinzipien. Zum einen werden durch den Energieeintrag schwach gebundene Adsorbate z. B. durch Stoßprozesse entfernt (Bild 5-17 links), zum andern wird eine chemische Reaktion mit dem Prozessgas angestrebt, das die Verunreinigung in flüchtige Verbindungen umwandelt (Bild 5-17 rechts). So kann die Reinigungswirkung eines Plasmas in weiten Bereichen der chemischen Reaktionsfähigkeit eingestellt werden, wobei das verwendete Prozessgas bestimmt, ob eine oxidative, reduktive oder inerte Reinigung erfolgen soll [8]. Mit einem Argonplasma kann die polymere Oberfläche so gereinigt werden, dass durch den Energieeintrag schwach gebundene Atome und Moleküle in einer Art atomaren

Bild 5-17. Feinreinigung durch atomares „Sandstrahlen“ (links) und plasmachemischen Aufbau

Sandstrahlens entfernt werden können, ohne dass das inerte Prozessgas durch chemische Aktivität beteiligt ist (Bild 5-17 links) [9]. Allerdings erzeugen auch Edelgase im Plasma UV-Licht, welches ausreichend Energie zur Öffnung von organischen Bindungen besitzt. Die Weiterreaktion der so entstanden Radikale mit Argon kann zwar ausgeschlossen werden, eine intrinsische Oberflächenvernetzung oder die Verharzung mit den ursprünglichen Verunreinigungen kann jedoch bei längeren Behandlungszeiten oder hohen Leistungsdichten nicht ausgeschlossen werden und ist bei gröberen Verunreinigungen wahrscheinlich. Wasserstoffplasmen wirken chemisch reduktiv und bewirken wegen der Wasserstoff-Wasserstoffstösse einen starken Energieeintrag in die polymere Oberfläche. Wegen der geringen Wärmeleitung von Kunststoffen kann damit bei kurzen Behandlungszeiten eine auf die Oberfläche reduzierte Aufheizung erreicht werden wobei schwach gebundene Adsorbate entfernt und freie Radikale abgesättigt werden. Die Entfernung von gebundenem Sauerstoff ist ebenfalls bedingt möglich, die Temperaturbelastung schränkt die Behandlungsdauer aber stark ein. Mit dem Prozessgas Sauerstoff kann im Plasmazustand nahezu jede organische Verunreinigung durch Oxidation entfernt werden, weil die Reaktionsprodukte aus Kohlendioxid und Wasser bestehen und diese im Vakuum flüchtig sind. Metallische Verunreinigungen können folgerichtig nicht entfernt werden, weil die Metalloxide in der Regel nicht flüchtig sind. Salzartige Verunreinigungen wie sie z. B. durch Fingerabdrücke entstehen, sind weder oxidierbar noch flüchtig und deshalb ebenfalls nicht durch Plasmareinigung entfernbar.

Plasmaätzen Die konsequente Fortführung der Sauerstoffplasmareinigung ist das Plasmaätzen. Denn ein polymeres Werkstück

5.2 Ausgewählte Oberflächentechnologien

457

kann als organische Substanz durch plasmachemischen Abbau ebenfalls in flüchtige Verbindungen umgewandelt werden. Eine längere Behandlungszeit im Sauerstoffplasma führt deshalb unweigerlich von der Reinigung zur Ätzung der Polymeroberfläche. Diese kann je nach Prozessgeschwindigkeit in Glanz und Rauhigkeit beeinträchtigt werden. Das Plasmaätzen von Polymeren wird mittlerweile erfolgreich zur Veraschung von Photolacken und zur Abreinigung von Polymerresten in fein strukturierten Abformwerkzeugen verwendet.

Oberflächenmodifizierung Polymere Oberflächen bestehen für gebräuchliche Polymere wie Polypropylen (PP) oder Polyethylen (PE) aus überwiegend gesättigten Kohlenwasserstoffketten. Sie sind wegen der geringen Unterschiede der Elektronegativität der Bindungspartner unpolar. Polymere mit stark unterschiedlicher Elektronegativität der Bindungspartner wie z. B. PTFE sind wegen der vollständigen Fluorierung aus Symmetriegründen ebenfalls unpolar. Diese chemisch relativ inaktiven Oberflächen erlauben in dieser Form keine belastbare Anbindung von Lacken, Druckfarben oder Klebstoffen und verhindern für große Unterschiede der Oberflächenenergien (LackOberfläche) eine geschlossene Benetzung (z. B. Wasserlack auf PP-Stoßfänger). Ziel der Plasmabehandlung muss also sein, sowohl die Benetzung wie auch die Haftung zu fördern [10], [11]. Das Plasma muss somit eine Feinreinigung und die chemische Anknüpfung polarer Gruppen bewirken, die zur Veränderung der Oberflächenenergie und zur Bindung mit Lack, Druckfarbe oder Kleber geeignet sind. Dazu wird meist ein einfaches oxidatives Prozessgas wie Sauerstoff oder Luft verwendet. Dadurch kann im Kohlenwasserstoff entweder der Wasserstoff durch einen elektronegativeren Bindungspartner ersetzt werden und dadurch eine polare Gruppe, oder im Fall des PTFE durch Ersatz des Fluors mit einem anderen Bindungspartner, die Symmetrie aufgebrochen und ebenfalls Polarität und eine Haftvermittlung erzeugt werden. Bild 5-18 zeigt modellhaft ein Sauerstoffplasma mit molekularem und radikalem Sauerstoff, der auf einer Polyethylenoberfläche zur Anbindung von Seitengruppen mit ketonischem und aldehydischem Charakter führt. Dadurch wird die Oberfläche insgesamt polarer und die Oberflächenenergie verschiebt sich zu höheren Werten. Üblicherweise ist eine Behandlungsdauer von wenigen Sekunden ausreichend. Durch Testtinten oder Randwinkelmessung mit einem Flüssigkeitstropfen bekannter Oberflächenenergie kann die Veränderung leicht quantitativ erfasst werden [12].

Bild 5-18. Modifikation einer PE Oberfläche im O2 Plasma

Abweichend von vorausgehendem Beispiel kann das Prozessgas während einer Behandlung natürlich auch gewechselt werden. So ist durch die Verwendung eines Inertgases wie Argon eine Plasmareinigung der wenig gebundenen Adsorbate möglich. Wird dem Prozessgas dann eine komplexere organische Verbindung gasförmig beigemischt, so können auch gezielt ausgewählte funktionelle Gruppen an die Oberfläche gebunden werden. Diese dann als Funktionalisierung benannte Modifizierung wird z. B. dazu verwendet das Zellwachstum für polymere Implantate oder die Blutgerinnung an solchen Oberflächen im gewünschten Sinne zu beeinflussen. Die Einbindung der Variationsvielfalt der organischen Chemie in die Plasmatechnologie für Anwendungen der Biotechnologie und Medizintechnik ist Gegenstand intensiver aktueller Forschungs- und Entwicklungsarbeiten [13]. Die Plasmaoberflächenmodifizierung ist wegen der geringen eingesetzten Prozessgasmengen und der kurzen Behandlungszeiten ein sicheres und preiswertes Verfahren. Allerdings spielen sich die Veränderungen auf einer Nanometerskala ab, so dass die behandelten Oberflächen auf mechanische Beanspruchung (reiben) und Umwelteinflüsse empfindlich reagieren. Die Haltbarkeit der Modifizierung hängt deshalb stark von der Folgebehandlung und den Lagerbedingungen ab und kann von Minuten bis Monaten variieren.

Beschichten Viele Vakuumbeschichtungsverfahren nutzen den ionisierenden Einfluss von Plasmen. Für Kunststoffoberflächen ist jedoch vor allem das als „Sputtern“ bekannte Verfahren und das „PECVD“-Verfahren bedeutend. Das „Sputtern“ (übersetzt zerstäuben) ist ein PVD-Verfahren (Physical Vapour Deposition) und der Vakuumverdampfung ähnlich. Das Beschichtungsmaterial wird aus

458

5 Oberflächentechnologien für Kunststoffbauteile

einer Quelle durch Energieeintrag verdampft und als dünne Schicht am Zielort abgeschieden. Im Gegensatz zum Verdampfen ist das „Sputtern“ aber ein Plasmaverfahren. Dazu werden energiereiche Argonionen auf eine als Target bezeichnete Oberfläche beschleunigt. Durch den Aufprall werden dort, je nach Material, Atome oder Moleküle herausgeschlagen (zerstäubt), die sich dann als Schicht, auf in der Nähe befindlichen Werkstücken, niederschlagen. Es kommt also darauf an, möglichst viele Argonionen zu erzeugen und mit möglichst hoher aber kontrollierbarer Energie auf das Target zu schießen. Das Target verbraucht sich indem das Material chemisch unverändert auf die Polymeroberfläche abgeschieden wird. Um vernünftige Reichweiten des zerstäubten Materials zu erzielen, sind sehr niedrige Arbeitsdrucke im Bereich < 0,01 Pa nötig. Dieser Druckbereich erschwert aber die Erzeugung eines dichten Plasmas erheblich. Deshalb wird über eine Hochfrequenzanregung (Radiofrequenz) ein Argonplasma erzeugt und die Elektronen über ein zusätzlich angelegtes Magnetfeld auf Kreisbahnen (Elektron Zyklotron Resonanz) gezwungen. Durch diesen Trick steigt die Trefferwahrscheinlichkeit zur Stoßionisation des Argons deutlich an (Magnetronsputtern). Ein am Target zusätzlich angelegtes Beschleunigungsfeld (Bias) erlaubt darüber hinaus die Kontrolle der Argonionenenergie [14]. Die Sputtertechnologie ist weit entwickelt und ermöglicht eine Vielzahl von unterschiedlichen Schichtsystemen. Die Abscheidung kann großflächig und bis zur Nanometerskala homogen gestaltet werden (Architekturglas). Gebräuchliche Anwendungen auf Kunststoffen sind optische Vergütungen (Kunststoffbrillengläser), Verspiegelungen und Barriereschichten auf Verpackungsfolien (Chipstüte) [15]. Die Grenzen der Sputtertechnologie liegen bei Schichtdicken deutlich über 100nm. Dann steigen durch die eher geringen Abscheideraten die Prozesszeiten und die Produktivität sinkt. Außerdem beginnen sich die unterschiedlichen Materialeigenschaften von Schicht und Substrat, wie z. B. Ausdehnungskoeffizient und Schichteigenspannungen, auszuwirken. Daraus resultieren Probleme mit Rissbildung, Alterung und Haftung. Beim „PECVD“ (Plasma Enhanced Chemical Vapour Deposition) werden komplexere molekulare Baugruppen, die sog. Monomere, aus separaten Verdampfereinheiten in die Gasphase gebracht, im Plasma angeregt und sowohl in der Gasphase wie auf dem Substrat zur Reaktion gebracht. Dadurch entstehen auf der Oberfläche chemisch angebundene Einheiten die eine weitere Anbindung von Monomeren, ihre Vernetzung oder ihre Polymerisation nach sich ziehen. So entstehen auf dem Substrat geschlossene Schichten, die durch Variation des Prozessgases und der Plasmabedingungen auch während der Beschichtung verändert und angepasst werden können. Dies soll nachfolgend am Beispiel einer kratzfesten

transparenten Beschichtung auf Polymeren verdeutlicht werden. Für ausreichenden Kratzschutz werden harte Schichten benötigt, die erfahrungsgemäß eine Schichtdicke von mindestens 3 μm erreichen müssen, um auf dem vergleichsweise weichen Polymersubstrat nicht schon durch geringe Belastungen eingedrückt zu werden. Als Material bietet sich wegen Transparenz und Härte eine glasähnliche Schicht, also die Abscheidung von Siliziumoxid an. Um Risse und Abplatzungen zu verhindern müssen die Unterschiede der thermischen Ausdehnung und die Eigenspannungen durch eine geeignete Übergangsschicht oder einen Haftvermittler aufgefangen werden. Realisiert wird dies durch siliziumorganische Monomere, wie sie in Bild 5-19 dargestellt sind. HMDSO (Hexamethyldisiloxan) oder andere geeignete Verbindungen haben gemeinsam, dass durch Oxidation der Methylgruppen (CH3) zu CO2 und Wasser, SiO2 verbleibt. Mit einem Plasma aus den Prozessgasen HMDSO und Sauerstoff kann also eine harte und transparente Schicht aus Quarz erzeugt werden. Wird nur HMDSO dem Plasma ausgesetzt, so polymerisieren die Monomere zu einer silikonartigen Schicht mit starken hydrophoben Eigenschaften. Daraus lässt sich ein Plasmaprozess aufbauen, der während der Beschichtung den Sauerstoffanteil im Prozessgas kontinuierlich erhöht und dadurch einen ebenso kontinuierlichen Übergang von polymerartigen zu quarzartigen Schichten erlaubt. Die gesuchte Übergangsschicht oder der Haftvermittler kann also allein durch die Variation der Prozessgas-

Bild 5-19. Siliziumorganische Monomere: a) Hexamethyldisiloxan, b) Trimethoxymethylsilane, c) Decamethylcyclopentasiloxane

5.2 Ausgewählte Oberflächentechnologien zusammenstellung im laufenden Beschichtungsprozess kontinuierlich erzeugt werden, bis im Sauerstoffüberschuss, reine quarzartige Schichten als transparenter Kratzschutz in ausreichender Dicke abgeschieden werden [16]. Hohe Abscheideraten bis zu einigen Mikrometern pro Minute sind so erreichbar [17]. Bereits aus diesem Beispiel sind zahlreiche Anwendungsfelder für den Kratzschutz von Displays, Visieren, der glasfreien Automobilverscheibung, Kunststoffstreuscheiben etc. ableitbar, welche die Gestaltungs- und Kombinationsfähigkeit von Kunststoffen mit der

Plasmatechnologie verknüpfen. Ein ähnliches Verfahren wird auch zur Erzeugung von Barriereschichten in PET-Flaschen eingesetzt, da bereits dünne Schichten gute permeationshemmende Eigenschaften haben [18]. Prinzipiell sind eine große Anzahl von Verbindungen, die unter Vakuumbedingungen in die Gasphase gebracht werden können, als Monomer geeignet und können plasmachemisch in Schichtsysteme umgewandelt werden. In nachfolgender Tabelle sind einige repräsentative Beispiele aufgezeigt.

Schichtwirkung

Anwendung

Monomer

Hydrophobe Schichten Hydrophile Schichten Polymere Schichten Photokatalytische Schichten Kratzfeste transparente Schichten Tribologische Schichten Barriereschichten Antibakterielle Schichten

Wasserfeste Imprägnierung, Schmutzabweisende Schichten Vermeidung von Tropfenbildung, Antibeschlagsschichten Korrosionsschutz, Diffusionsbarrieren Selbstreinigende Oberflächen Transparenter Kratzschutz Verschleißschutz / Diamond Like Carbon (DLC) Permeationshemmer Sterile Anwendungen

Siliziumorganische Verbindungen, Fluorkohlenwasserstoffe Titanorganische Verbindungen, Vinylacetat … Ethen, Propan,… Kohlenwasserstoffe Titanorganische Verbindungen mit Sauerstoff Siliziumorganische Verbindungen mit Sauerstoff Methan mit Wasserstoff Siliziumorganische Verbindungen, Fluorkohlenwasserstoffe Titanorganische Verbindungen mit Sauerstoff

Behandlung von Fasern (Füllstoffen) Faserverstärkte Kunststoffe haben aufgrund ihrer statischen und mechanischen Vorteile und ihrer strukturelle Vielfalt breite Anwendung gefunden. Üblicherweise werden dazu sehr unterschiedliche Fasern in die Polymermatrix eingearbeitet. Obwohl die Fasern üblicherweise eine Oberflächenbehandlung erfahren haben, ist diese sog. Schlichte in erster Linie auf die optimierte Verarbeitung bezogen und erst in zweiter Linie auf die Faser-MatrixHaftung. Eine Lösung für dieses Problem können Plasmen sein, die aus der Gasphase ausreichend Zugang zur Faseroberfläche haben. Dadurch können bereits verarbeitete Fasern „entschlichtet“ und im Sinne der Faser-Matrix-Haftung für einen abgestimmten Verbund neu beschichtet werden [19].

5.2.2.5

Anlagentechnik

Plasmaanlagen (Bild 5-20) bestehen im Kern aus einem Rezipienten, der über eine Vakuumpumpe evakuiert und über einen Gaseinlass auf den gewünschten Prozessgasdruck gebracht werden kann. Die Energie zur Plasmazündung und -unterhaltung wird von einem Hochfrequenzgenerator geliefert und in eine Elektroden- oder Antennenanordnung eingekoppelt. Das zu behandelnde Werkstück wird so in den Rezipienten eingebracht, dass es mit dem Plasma in Wechselwirkung treten kann.

459

Ein Prozesszyklus besteht weiter aus einem Beladungsschritt, bei dem in den belüfteten Rezipienten das Werkstück eingebracht wird, einem Prozessschritt, bei dem der Rezipient evakuiert, Prozessgas eingelassen und das Plasma durch Einschalten der Hochfrequenzleistung betrieben wird, und schließlich dem Belüften, um die behandelte Probe durch eine unbehandelte zu ersetzen. In modernen Anlagen laufen diese Schritte automatisiert ab wobei die Beladung und Entladung durch einen Roboter erfolgt oder durch zusätzliche Schleusenkammern in einen kontinuierlichen Produktionsablauf integriert werden. Die Anlagensteuerung und die Handhabung des Werkstückwechsels ist erprobte Ingenieurskunst, für die aus vielen anderen Verfahren bereits gute und sichere Lösungen verfügbar sind. Wesentliches Know-how steckt im Zusammenspiel der disziplinübergreifenden Technologien zur Vakuumtechnik, Hochfrequenztechnik und den chemischen wie physikalischen Prozessen der Plasmatechnologie. Hier können gegenüber bekannten Verfahren wie Lackiertechnik, Nasschemie und Galvanik auch zukünftig noch echte Wettbewerbsvorteile erzielt werden. Am Beispiel der Entwicklung einer Mikrowellenplasmaquelle soll dies nachfolgend verdeutlicht werden. Für Mikrowellen als Quelle der Hochfrequenzanregung wurden mit der Einführung der Mikrowellenerwärmung in der Haushaltstechnik kurzfristig sehr preiswerte und leistungsstarke Generatoren verfügbar, die in Analogie zum Mikrowellenherd über ein Quarzfenster in Plasmarezipienten

460

5 Oberflächentechnologien für Kunststoffbauteile

Bild 5-20. Schematischer Aufbau einer Plasmaanlage

eingekoppelt wurden und werden. Das Quarzfenster stellt als mikrowellentransparentes Medium die Grenze zum Vakuum dar und somit erfolgt die Plasmazündung auch unmittelbar hinter dem Fenster. Dort ist die Plasmadichte und damit auch die Rekombination am Fenster sehr hoch was zu dessen Erwärmung führt und besonders bei größeren Fenstern nachhaltige Probleme mit Kühlung und Dichtheit verursacht. Außerdem erzeugt die Anregung mit Mikrowellen bei 2,45 GHz mit einer Wellenlänge von ca. 12 cm starke Inhomogenitäten in der Plasmadichte und damit in der Oberflächenwirkung. Metallische Werkstoffhalter und andere Einbauten führen zu Feldstörungen und stehenden Feldern an Ecken und Kanten, die unerwünschte, parasitäre Plasmen erzeugen. In der Folge wurde die Mikrowelleneinkopplung trotz klarer Vorteile für die Polymerbehandlung unpopulär. Wird die Mikrowelle wie in einem Antennenkabel aber koaxial geführt, können sehr einfache lineare Plasmaquellen konstruiert werden, die über eine Ausdehnung von mehreren Metern homogene Plasmen erzeugen. Bild 5-21 zeigt den schematischen Aufbau. Die Mikrowelle wird koaxial bis zum Vakuumrezipienten geführt. Im Inneren des Rezipienten wird der koaxiale Außenleiter durch ein Quarzrohr ersetzt, während der Innenleiter weitergeführt wird. Außerhalb des Quarzrohrs im Niederdruckbereich tritt die Mikrowelle aus und erzeugt ein Plasma, welches solange Leistung aufnimmt, bis die Plasmadichte eine Leitfähigkeit erzeugt, die einem Außenleiter gleichkommt (kritische Dichte). Wird weitere Mikro-

wellenleistung nachgeführt, so wird sie in den Bereich weitergeleitet, wo noch keine oder keine ausreichende Dichte vorherrscht und das Plasma breitet sich entlang des Rohrs weiter aus. Dabei fällt die Plasmadichte linear ab, was durch Überlagerung mit einem zweiseitigen Betrieb ausgeglichen wird [20]. Die Quelle kann also so lange gebaut werden, wie Mikrowellenleistung verfügbar ist. Längen über 3 m sind bereits realisiert. Werden wie in Bild 5-22 mehrere solche Linearquellen durch parallele Anordnung zu Flächen zusammengebracht, werden homogene, flächige Plasmaquellen in der Dimension von Quadratmetern möglich, die bisher nicht in dieser Qualität verfügbar waren [21]. Mit diesen Dimensionen werden natürlich auch Gaszuund -abführung komplizierter und bestimmen die Qualität der Plasmabehandlung. Aber mit zunehmender Kenntnis in der Prozessentwicklung setzen sich diese Quellen in Flächenbeschichtungen durch. Aktuelle Anwendung ist die Antireflexbeschichtung von Solarmodulen [22].

5.2.2.6

Kostenbetrachtung

Plasmatechnologie steht im Wettbewerb mit anderen Technologien und gemessen an der Wertschöpfung für viele Kunststoffbauteile soll die Plasmabehandlung zwar qualitativ bessere Ergebnisse erzielen, aber keinesfalls teurer als bestehende Technologie sein. Darin besteht auch prinzipiell keine Schwierigkeit, denn die Vorteile sind in konkreter Anwendung leicht

5.2 Ausgewählte Oberflächentechnologien

461

Bild 5-21. Schematischer Aufbau einer linear ausgedehnten Mikrowellenplasmaquelle

Bild 5-22. Mikrowellen-Plasmaquelle 0,5 m2

bezifferbar. Hier wie in anderen neuen Technologien sind die Entwicklungs- und Anlagenkosten dominant. Anlagenverkäufe stehen üblicherweise in Verbindung mit einem Behandlungsprozess, für dessen Ergebnis der Anlagenhersteller verantwortlich ist. Also müssen die nicht unerheblichen Entwicklungskosten über den Anlagenpreis erwirtschaftet werden. Diese Hürde für Erstinvestitionen erfordert ein großes Vertrauen in Technologie und Anlagenhersteller. Sie soll durch Produktionsund Entwicklungsingenieure überwunden werden, die meist

über unzureichende Kenntnis und Urteilsfähigkeit für zusätzliche, disziplinübergreifende Technologien verfügen. Die Investition in Plasmatechnologie kommt damit einem betrieblichen Strukturwandel gleich, bei dem Anwender entsprechende, zusätzliche Ressourcen bereitstellen und unternehmerische Risiken eingehen müssen. Unabhängig davon liegen die Vorteile bei den laufenden Betriebskosten klar auf der Hand. Im Gegensatz zur nasschemischen Oberflächenbehandlung sind Plasmaverfahren gasphasenbasierte Prozesse. Der massenbezogene Materialeinsatz für Gase und Monomere ist schon wegen der geringeren Schichtdicke, aber auch wegen des Wegfalls von Hilfsmitteln, wie Lösungsmittel, Misch-, Dosier-, Sprühund Belüftungseinheiten, vergleichsweise gering. Dem entsprechend entfallen auch Einheiten zum Trocknen und Härten, die nicht nur bei wasserbasierten Systemen erheblichen Energieaufwand erfordern. Dieselbe Betrachtung gilt für den Prozessabfall. Flüssige Reste, Lösungsmittel und Abgase müssen entsprechend den geltenden Verordnungen entsorgt werden, dagegen sind Plasma-Betriebsstoffe, die nicht verbraucht werden, mengenmäßig gering und meist umwelttechnisch unbedenklich oder zu unbedenklichen Stoffen abgebaut. In Plasmaprozessen ist das Aufbringen des Behandlungsmaterials und dessen „Aushärtung“ integriert. Bäder und Trockenöfen entfallen. Deshalb sind Plasmaanlagen vergleichsweise klein. Unter Einbeziehung der Lagerkosten für Betriebsmaterial und Prozessabfall müssen Sekundärkosten wie umbauter Raum oder Integrationskosten in bestehende räumlich begrenzte Produktionseinheiten in die Kostenkalkulation einbezogen werden.

462

5 Oberflächentechnologien für Kunststoffbauteile

Literatur – Kapitel 5.2.2 [1]

[2] [3]

[4] [5]

[6] [7]

[8] [9] [10] [11]

[12]

[13] [14]

[15] [16] [17]

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Weiterführende Literatur Palm P (2006) Koronabehandlung bei beliebiger Materialstärke. Kunststoffe 97 (2007) 1, S 66–68

5.2.3

Trocknungsverfahren Volker Bräutigam

Aufgrund der hohen Bedeutung für Kosten und Umwelt (Energie, Emissionen) wird exemplarisch das Trocknen bei Lackierungen herausgegriffen. Die dabei auftretenden Temperaturen, beispielsweise in der Autoteileproduktion, beeinflussen die Wahl des Substratwerkstoffes, die Bauteilgeometrie, dessen Maßhaltigkeit (Verzug) stark. Stand der Technik, um lackierte Oberflächen zu trocknen bzw. zu vernetzen, sind Konvektionstrockner, UV-Trockner und Infrarot-Trockner. Sie werden als konventionelle Trocknungsverfahren bezeichnet. Diesen Verfahren ist gemeinsam, dass die Trocknungsenergie thermisch von außen auf die Bauteile einwirkt. Dabei werden die Bauteile und die Umgebung teilweise auf die Einbrenntemperatur erwärmt. Es muss mehr Energie aufgewandt werden als für das Trocknen der Lackschicht nötig wäre. Bei der konventionellen Umlufttrocknung werden ca. 75 % der Energie über die Abluft terminiert und nur ca. 0,5–1 % gehen in die Lackerwärmung und Lösemittelverdampfung. Die Aufheizung des Fördersystems und der Bauteile schlägt mit ca. 13 % zu Buche. Die Verfahren zur thermischen Trocknung lassen sich nach der Art der Wärme- bzw. Energiezufuhr unterscheiden: Konvektionstrocknung, Kontakttrocknung, Strahlungstrocknung und dielektrischer Trocknung. In Tabelle 5-10 sind die gängigsten und bekanntesten Trocknungsverfahren der Lackiertechnik beschrieben.

5.2 Ausgewählte Oberflächentechnologien

Tabelle 5-10 Allgemeine Übersicht über Trocknungsverfahren [1] Verfahren

Vorteile

Nachteile

Umlufttrocknung

höchste Flexibilität bzgl. Teilegeometrie für alle wärmehärtenden Lacke (inkl. Pulverlacke) zur Haftwassertrocknung geeignet hohe Prozesssicherheit für alle Energieträger geeignet Stand d. Technik, d.h. optimiert, günstige Investitionskosten

geringe Leistungsdichte bei der Wärmeübertragung (~2 kW/m2) komplette Aufheizung der Bauteile großer Platzbedarf (lange Durchlaufzeiten) Staubgefahr im feuchten Film Wärmeübertragung von außen nach innen (Hautbildung) Energieverluste durch Öffnungen und konstruktiven Schwachstellen Kondensatbildung an kalten Stellen komplette Aufheizung der Umgebung und des Substrates

Kälte-/Sorptionstrocknung [2]

schonende Trocknung (Teiletemperatur max. 40 °C) Haftwassertrockner: keine Schädigung der Chromatierung Wasserlacktrocknung: Vermeidung von Haut-, Riss- oder Blasenbildung schnelle, vollständige Trocknung Abwärmenutzung durch Wärmepumpe (~80 °C) Niedertemperaturofen leicht integrierbar

nur zur physikalischen Trocknung geeignet Rest VOC nur bei Kältetrocknung möglich kritisch bei schlecht belüftbaren Bereichen, Dopplungen und Lackwulsten Kältetrocknung: Energieträger Strom erforderlich (Wärmepumpe) Batchverfahren – kleines Volumen ca. 4 m3 – aufwendige Kühl/Heiz + Trockentechnik – Luft- und Energieaustausch beim Öffnen hoch

IR-Trocknung [3], [4], [5]

Wärmeübertragungsleistung vielfach höher als bei Umluft schnelles Aufheizen der Lackschicht kompakte Anlagen für alle Substrate und wärmehärtende Lacke geeignet fokussierbar – Reparaturlackierung

Schattenwirkung (2D) IR-Strahlung muss an Lackmaterial angepasst werden kritisch bei transparenten und zur Vergilbung neigenden Substraten hohe Energiekosten bei strombetriebenen Strahlern Strahlerverschleiß

UV-Härtung [6]

extrem schnelle Vernetzung hohe Beständigkeit durch hohe Vernetzungsgrade gute Steuerbarkeit der Strahlerleistung bei Pulver Trennung der Aufheizphase (IR) von Vernetzungsphase (UV)

Schattenwirkung (2D) eingeschränkte Lackmaterialpalette Schichtdickenbegrenzung bei pigmentierten Lacken (ca. 100 μm) kritisch bei UV-sensiblen Substraten Lacke sind teurer Lackmaterialien z. T. kritisch gegenüber Arbeitssicherheit

Härtung mit Elektronenstrahlen [7]

extrem schnelle Vernetzung (schneller als UV) hochbeständige Beschichtungen Keine Photoinitiatoren erforderlich Härtung unabhängig von Schichtdicke und Pigmentierung sofortiges Handling der Teile

Schattenwirkung (2D) je nach Lack Inertisierung der Bestrahlungszone notwendig kritisch bei versprödungsanfälligen Substraten sehr teure Anlagentechnik aufwendige Sicherheitsmassnahmen notwendig (Röntgenstrahlung)

Härtung mit Laserstrahlen

sehr hohe Wärmeübertragungsleistungen Trocknung von „Innen nach Außen“ für wärmehärtende LM-, Wasser- und Pulverlacke geeignet Steuer- bzw. Regelbarkeit der Strahlungsintensität punktuelle Erwärmung möglich

nur für flächige Werkstückgeometrien Laserstrahl muss an das Lackmaterial angepasst werden Gefahr örtlicher Überhitzung geringer Wirkungsgrad der Strahler (30–40 %) hohe Anlagenkosten

Induktive Trocknung [8]

sehr hohe Wärmeübertragungsleistung schnelle Aufheizung „Skin-Effekt“ Erwärmung von „Innen nach Außen“ schnelle Durchlaufzeiten Schnelle Weiterverarbeitbarkeit platzsparende Anlagentechnik gute Prozesssteuerung keine Verschleißteile

nur für elektrisch leitfähige Substrate Genaue Anpassung der Induktoren an Teilegeometrie nicht für zerklüftete Teile geeignet exakte Fixierung auf Warenträger Abhängigkeit vom Energieträger Strom

463

464

5 Oberflächentechnologien für Kunststoffbauteile

Tabelle 5-10 (Fortsetzung) Hochfrequenztrocknung [8]

schnelle homogene Erwärmung der Lackschicht Trocknung von „Innen nach Außen“ schnelle Durchlaufzeiten kompakte Anlagen Energieverbrauch nur bei durchlaufenden Teilen einfachere Abschirmung gegenüber der Mikrowellentrocknung

nur für nichtmetallische Substrate geeignet nur für Wasserlacke bzw. Materialien mit hohem dielektrischen Verlust Gefahr der Substrataustrocknung (z. B. Holz) hohe Anlagenkosten Abhängigkeit vom Energieträger Strom Schwierige Anpassung Überschlagsgefahr

Mikrowellentrocknung [8], [9]

schnelle homogene Erwärmung Trocknung von „Innen nach Außen“ schnelle Durchlaufzeiten kompakte Anlage niedriger Energiebedarf stufenlose u. genaue Regelung/ Steuerung der Sendeleistung individuell anpassbar hoher Freiheitsgrad bei Energieeinkopplung

nur für nichtmetallische Substrate nur für Wasserlacke bzw. Materialien mit hohem dielektrischen Verlust Abhängigkeit vom Energieträger Strom Komplizierte Schleusen (Abschirmung) Gefahr von Hot Spots (Lack u. Substrat) Prozess ist Funktion von Leistung, Temperatur, Schichtdicke, Werkstoff u. Lack Aufheizung polarer Substrate Schwierige Anpassung Überschlagsgefahr Investitionskosten 7.500–10.000 DM pro kW

Ergänzungen erhalten diese Verfahren durch Sonderoder Spezialtechnologien wie die Vakuumtrocknung, die NIR-Trocknung oder die Trocknung mit überkritischem Wasserdampf [10], [11], [12], [13], [14], [15], [16], [17]. [8]

Literatur – Kapitel 5.2.3 [9] [1]

[2] [3]

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5.2 Ausgewählte Oberflächentechnologien [16] Varga CM (1986) High-Tech Coatings for Fasteners and Small Paints. Products Finishing, Vol 50 No 7, pp 62-67, ISSN 0032-9940, April 1986 [17] Zorll U, Zosel A (Hrsg) (1996) Lack- und Polymerfilme. Die Technologie des Beschichtens. Vincentz Verlag, Hannover

Weiterführende Literatur Ackermann R (2007) Oberflächentechnik – „Design meets Function“. Vortrag auf VDI Kunststofftechnik, Fachtagung, Baden-Baden, 14./15.2.2007, u. a. Abgrenzung der Verfahren: Drucken, IML, IMD, PVD, Galvanisieren, Lackieren Arbeitskreis Prägefoliendruck (Hrsg) Prägefoliendruck – Verfahren, Technik und Gestaltung. Hüthig, Heidelberg, 2005, 199 S DFO Tagung Kunststofflackierung 2007. Hof, 6./7.3.2007 Eulenstein T (2000) Einführung zu Verbundprojekt: Beschichtungen zur Reduzierung von abrasivem Verschleiß an formgebenden Werkzeugen für die Kunststoffverarbeitung. VDI-Technologiezentrum, Düsseldorf Grundmann G, Blau W (2002) Modellrechnungen anhand von Beispielen. Düsseldorf: Transferzentrum Oberflächen- und Schichttechnologien der Europ. Forschungsges. Dünne Schichten e. V., Dresden Kob S (2007) Oberflächen für anspruchsvolle Automobile (In-mold-Labeling). Kunststoffe 97(2007)10, S 196–200 Michaeli W, Cramer A (2006) Bessere Oberfläche beim Schaumspritzgießen. Kunststoffe 96 (2006) 12, S 21–27 Pfuck A et al. (2007) Zerreißprobe für den Lack – Kunststoffaktivierung. Kunststoffe 97(2007)3 S 30–34 Quantitative Analyse von Optimierungsmaßnahmen in der Kunststoff-Spritzgießtechnik, Eulenstein, NRWKunststoffinstitut für die mittelständische Wirtschaft NRW GmbH, Lüdenscheid, 1990ff Rogers W (2005) Sterilisation of Polymer Health-care Products. Shawbury: Rapra, ISBN 1-85957-490-4 Runkel S (2007) Metallischer Hochglanz im Schnelldurchlauf (Oberflächenveredelung von Spritzgussteilen). Kunststoffe 97(2007)10, S 166–170 Sawitowski T (2006) Kratzfeste Kunststoffoberflächen (Lacke, Nanopartikel). Kunststoffe 96 (2006) 11 Thematischer Workshop „Hochleistungsbeschichtungen für Kunststoffformen und Bauteile von Kunststoffmaschinen“ der Fördergemeinschaft „Dünne Schichten“ e. V. Dresden, 19.06.2001 Ticona Technologie Literatur (CD) Werkzeugoptimierung durch Oberflächen- und Schichttechnologien: Möglichkeiten zur Steigerung der Pro-

465

duktivität – Firmengemeinschaftsprojekt Nr. 430 – 10/2000 unter Federführung des NRW-Kunststoffinstitutes für die mittelständische Wirtschaft NRW GmbH, Lüdenscheid, 2000 (Beteiligung 55 Firmen und Dienstleister) VDI Kunststofftechnik Fachtagung Spritzgießen, Oberflächen von spritzgegossenen Teilen. BadenBaden, 14./15.2.2007, u. a. Vorträge zu – Abgrenzung der Verfahren – Drucken, IMC, IMD, PVD, Galvanisieren – Lackieren – nanostrukturierte Oberflächen – Einfärben und Additive durch Masterbatches – nasschemisches Beizen beim Kunststoff galvanisieren – Textil- und Folienhinterspritzen – Schaumspritzgießen – Mehrkomponentenspritzgießen Weckerle G (2003) Beschichtung hochwertiger Karosserieoberflächen mit Pulver-Slurry. Stuttgart: Dissertation, IFF Universität Stuttgart Zeiler Th, Achereiner F (2007) Haftungsprobleme lösen (Gasphasenfluorierung). Kunststoffe 97(2007)7, S 30– 32 Zorll U, Schütze EC (1986) Kunststoffe in der Oberflächentechnik. In: Eyerer P (Hrsg.) Kunststoffe und Elastomere in der Praxis. Kohlhammer, Stuttgart

Weitere Informationsquellen zu Oberflächentechnik (Auswahl) DGO Deutsche Gesellschaft für Galvano-/Oberflächentechnik e. V. Hilden, www.dgo-online.de DFO Deutsche Forschungs-Gesellschaft für Oberflächenbehandlung e. v. Neuss, www.dfo-online.de Zeitschrift mo Metalloberfläche – Beschichten von Kunststoff und Metall. München: Hanser Verlag, www.hanser.de/mo

Messen zu Oberflächentechnik – – – – – – – –

EMV Stuttgart European Coatings Show, Nürnberg Galvanica, Stuttgart ITSC Messe Basel Materialica, wechselnd Smart Coatings Surface Technology, Hannover Surfacts, Karlsruher Messe

6

Gestalten, Fügen, Berechnungsansätze und Simulation EDV-unterstützter Konstruktionen und Auslegung von Kunststoffbauteilen

6.1

Konstruieren und Gestalten mit Kunststoffen Martin Keuerleber, Peter Eyerer

6.1.1

Einführung

Der Entwicklungsprozess hin zu einem Kunststoffbauteil ist komplex. Die Einbindung aller Beteiligter (Abteilungen in der eigenen Firma, Kunden, Lieferanten, Institute, Partner, Behörden), die hohen Anforderungen an technische, wirtschaftliche (Kosten), umweltliche und soziale Lösungen, eingezwängt in ein fast immer engstes Zeitkorsett, bedingen ein ganzheitliches Produkt-Engineering (siehe Bild 4-209). Häufig sieht sich der Entwickler und Konstrukteur Forderungen des Vertriebs und Designs ohne konkrete Lastenhefte gegenüber. Er muss es erstellen! Je besser und vollständiger er das erreicht, umso weniger Änderungen und Unsicherheiten folgen während des Entwicklungsprozesses. Geänderte Vorgaben bedeuten Unsicherheiten, und diese verursachen Kosten, Zeitverluste, Qualitätsrisiken und letztlich Marktverluste. Dabei sind Änderungen im Frühstadium der Entwicklung noch kostenarm, meist handelt es sich hier um ein virtuelles Produkt. Das eben Gesagte gilt für spätere Entwicklungsstadien. Hinzu kommt, dass die Entwicklung und Konstruktion etwa 75% der Kostenverantwortung für das spätere Produkt verantwortet (Material, Produktion/Montage, Qualität), aber nur etwa 40% der Kostenzusammensetzung (Material, Herstellung, Entwicklung) verursacht. Bild 6-1 zeigt den Ablauf des Entwicklungsprozesses von der Konzeptphase bis zur Serienfertigung. Mit Blick auf Kunststoffbauteile (Spritzgießen, Extrusionsblasformen, Pressen oder andere Verarbeitungsverfahren) treten im Laufe der Konstruktion häufig die folgenden Fehler auf. – Keine eindeutige Projektleitung – Kein Projektplan

– Kein Lastenheft vorgegeben bzw. erstellt – Falsche Werkstoffauswahl – Keine Simulationsrechnungen • Spritzgusssimulation • Bauteilfestigkeit mittels FEM-Berechnung – Keine Erstellung von Prototypen • Keine Überprüfung an Prototypen – Direkter Werkzeugbau ohne Vorstufen Bei kompliziert gestalteten Bauteilen ist eine Formfüllsimulation empfehlenswert. Folgende Punkte lassen sich damit gut abschätzen: – Lage von Bindenähten und Lufteinschlüssen – Herstellbarkeit (lässt sich das Bauteil mit gegebenem Angussystem füllen) – Fertigungsparameter (Schließkraft, Füllzeit) – (Qualitativ) Schwindung und Verzug unter Berücksichtigung von: • Glasfaserorientierung • Temperierung – Verhalten des Bauteils unter mechanischer Belastung mit Berücksichtigung der Fertigungseinflüsse • Verzug, Eigenspannungen, lokal unterschiedliche Steifigkeit Das folgende Beispiel einer FEM/Formfüllsimulation für die Quertraverse im Dachkanal eines Reisebusses mag für weitere Substitutionen von Metall/Aluminium) in Kunststoff (PA6.6 LGF50 und PA6.6 GF50) ermutigen. Folgende Randbedingungen und Ziele waren gegeben: – Die Traverse ist das Rückrat des Dachkanals – Bisheriger Werkstoff ist Aluminium – Anpassungskonstruktion – Ziel ist Kosten- und Massereduktion – Handlaufbefestigung darf sich bei Belastung mit 1420 N nur max. 10 mm durchbiegen – Lösung mittels Formfüllsimulation und FEM-Berechnung

6.1 Konstruieren und Gestalten mit Kunststoffen

467

Bild 6-1. Entwicklungsprozess als Simultaneous Engineering KVP . . . kontinuierlicher Verbesserungs-Prozess

Bild 6-3 und 6-4 zeigen die Füllsimulation und FEM-Berechnung in einem ersten Ansatz, bei dem die Geometrie des Aluminiumteiles verwendet wurde und lediglich Al durch Polyamid substituiert wurde. Dies konnte nicht die Lösung sein. Daher erfolgte in einem zweiten Ansatz eine kunststoffgerechte Konstruktion mit zwei unterschiedlichen Polyamid-Typen, Bild 6-5. Ergebnisse der Substitution sind – Aluminium wurde durch Thermoplasten ersetzt • LGF PA66, Lieferant A PA 66 GF 50 P 10 sw – Massereduktion im schwerpunktsensitiven Bereich (Dach) • von 2,8 kg auf 1,9 kg

– Große Kostenvorteile • Werkstoff deutlich teurer, aber Entfall von Nacharbeit (entgraten, lackieren, …) – Integration weiterer Funktionen möglich • Befestigungen (Clips) für Leitungssatz zu ServiceModul • Einfärbbarkeit, etc. Zum Abschluss dieser kurzen Einführung in Konstruieren und Gestalten mit Kunststoffen gibt Tabelle 6-1 einen Überblick über die wichtigsten Konstruktionsrichtlinien, die dann im Folgekapitel in den sogenannten 9 goldenen Konstruktionsregeln ausführlicher dargestellt werden.

468

6 Gestalten, Fügen, Berechnungsansätze und Simulation EDV-unterstützter Konstruktionen und Auslegung von Kunststoffbauteilen

Bild 6-2. Beispiel Formfüllsituation FEM zu einer Quertraverse im Dachkanal

Bild 6-4. Beispiel FEM-Simulation nach Al-Geometrie

Bild 6-3. Beispiel Formfüllsimulation – zeitliches Füllbild und Faserlage

6.1 Konstruieren und Gestalten mit Kunststoffen

469

Bild 6-5. Beispiel FEM-Simulation mit 2 verschiedenen Polyamid Typen kunststoffgerechte Geometrie

6.1.2

Die 9 goldenen Konstruktionsregeln für Kunststoffbauteile

Tabelle 6-2 fasst die 9 goldenen Regeln zum Konstruieren von Kunststoffbauteilen zusammen. Im folgenden werden die einzelnen Regeln erläutert und vertieft.

6.1.2.1

Wanddicke so dünn wie möglich

Die Wanddicke beeinflusst – die Bauteilmasse und die Werkstoffkosten – die Zykluszeit

– – – –

die Oberflächenqualität, den Verzug und Lunker die Fließweglänge die Toleranzen (DIN 16901) die Formteilsteifigkeit Besser: Rippen einsetzen (Einfallstellen beachten) – die Orientierungen (Moleküle, Glasfasern) Da die Wanddicke die Kühlzeit im Quadrat verlängert, wird jeder kostenbewusste Konstrukteur eine möglichst geringe Wanddicke wählen. Zudem kann damit an den Werkstoffkosten gespart werden. Die Dünnwandtechnik (siehe Kapitel 4.1.3.1) gewinnt daher immer mehr an Bedeutung. Sie ist gekennzeichnet durch ein Fließweg/Wand-

470

6 Gestalten, Fügen, Berechnungsansätze und Simulation EDV-unterstützter Konstruktionen und Auslegung von Kunststoffbauteilen

Tabelle 6-1 Übersicht Konstruktionsrichtlinien für Kunststoffbauteile Werkstoffgerechtes Gestalten – Radien vorsehen • Reduzierung der Kerbwirkung • Bessere Entformbarkeit – Berücksichtigung von Randbedingungen • Werkstoffrezeptur (Additive, Füll- und Verstärkungsstoffe…) • Belastungen auf Bauteil • umgebende Medien und Strahlungen • Verarbeitungseinflüsse • etc. Verarbeitungsgerechtes Gestalten – Konstante Wandstärken, so gering wie möglich • Abkühlung ist quadratisch mit Dicke • Masseanhäufungen vermeiden – Anbindung möglichst an dicksten Stelle • Wirksamkeit von Nachdruck – Formschrägen vorsehen – Schwindungs- und Verzugseffekte berücksichtigen • Zierrippen und – nuten, keine Stumpfstöße Kostengerechtes Gestalten – Aufwendige Schieber vermeiden – Auswerfer nicht zu dünn dimensionieren – Keine überzogenen Toleranzanforderungen – Werkstoff gezielt wählen, • Erfüllung der Anforderungen, nicht den bestmöglichen oder bekannten Stand der Technik übernehmen • Recyclingmaterial in Mittellage verstecken – Funktionen integrieren • z.B. Filmscharnier, Schnapphaken, Halter, Umbuge, …. – Preiswerte Montagetechnik einsetzen • z. B. Schnappverbindungen

dicken-Verhältnis von größer 100 bei Wanddicken kleiner 1 mm. So wurde beispielsweise die Wanddicke von MobiltelefonSchalen von 1,8 mm vor 10 Jahren auf 0,8 mm reduziert und dies sogar mit den nicht leicht fließenden PC+ABS-Blends. Oder bei PUR-PRIM-Anbauteilen an PKW, wie SchwellerVerkleidungen, betrug die Dicke vor 20 Jahren 2,5 mm, heute sind es 1,5 mm. Bild 6-6 zeigt Kühlzeit und Masse eines Mobiltelefongehäuses in Abhängigkeit der Teilewanddicke, [1]. Die erreichbare Mindestwanddicke ist von der Viskosität der Schmelze abhängig. Diese wird durch die Konstitution (chem. Aufbau), die Molmasse, die Molmassenverteilung, durch Verzweigungen, Additive und Verstärkungen bzw. Füllstoffe beeinflusst. Die Wanddicke steht technologisch mit der Fließlänge, Bild 6-7 (Beispiel POM), in Zusammenhang [2].

Tabelle 6-2 9 goldene Konstruktionsregeln für Kunststoffbauteile 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Wanddicke so dünn wie möglich Gleiche Wanddicke; Massenanhäufungen vermeiden Ecken und Kanten mit Radien versehen Rippen spritzgerecht gestalten Ebene Flächen vermeiden Ausreichende Konizitäten (Entformungsschrägen) Hinterschneidung vermeiden Keine genauere Bearbeitung als nötig Möglichkeiten der Integration von Funktionen ausschöpfen (werkzeugfallende Bauteile)

Die Erstarrungszeit tE ist nach Gleichung 1 von den thermischen Eigenschaften des Kunststoffes, der Prozessparameter und der Formteilgeometrie abhängig. Berechnung der Erstarrungszeit tE d2 8 TMW – TW tE = 9 · ln 4 · π2 · a π2 98 TE – TW



d = a = TMW = TW = TE =



(1)

Wandstärke Temperaturleitfähigkeit mittlere Massetemperatur im Werkzeug mittlere Werkzeugoberflächentemperatur mittlere Entformungstemperatur ≈ Erstarrungstemperatur

Die Schmelzeerstarrung beginnt durch schnelles Abkühlen an der „kalten“ Werkzeugwand (ca. 50–80 °C warm im Vergleich zur Schmelzetemperatur von 250 °C ± 50).

Bild 6-6. Kühlzeit und Gewicht eines Handygehäuses (PC+ABS) in Abhängigkeit der Teilewanddicke, nach Kulik [1]

6.1 Konstruieren und Gestalten mit Kunststoffen

471

Bild 6-7. Fließweg vs. Wanddicke für verschiedene POM-Typen nach BASF [3]

Wegen schneller Abkühlung haben die Makromoleküle keine Zeit zum Relaxieren, nachdem sie infolge hoher Scherkräfte beim Strömen durch Düse und Kavität stark orientiert wurden. Auch Kristallisation wird unterdrückt. Somit bleiben die Randschichten stark orientiert und amorph, was hohe Isotropien, geringere Festigkeiten, Härte und Verschleißwiderstand bedeutet. Aufgrund langsamerer Abkühlung der Mittelschichten (schlechtere Wärmeleitung zur Werkzeugwandung hin) bestimmt die dickste Stelle einer Bauteilwandung die Zykluszeit! In diesem Zusammenhang – Schwindungen und Verzüge – spielen die Toleranzen von Kunststoffbauteilen eine große Rolle. Sie werden in DIN 16901 dargestellt (siehe auch Bild 6-8): – Erreichbare Maße bei Kunststoffteilen in linearer, prozentualer Abhängigkeit vom Nennmaß • Normaler Spritzguss < 1 % • Technischer Spritzguss < 0,6 % • Präzisionsspritzguss < 0,3 % – Für erreichbare Fertigungstoleranzen ist nicht absolute Höhe der Schwindung sondern prozessbedingte Schwindungsstreuung entscheidend – Absprache mit Werkzeugmacher bzw. Spitzgießer!! – Unnötige Toleranzanforderungen führen nicht zu höherer Qualität sondern zu höheren Ausschussquoten! [3]

6.1.2.2

Gleichmäßigkeit der Wanddicke

Auswirkung von Wanddickenunterschieden sind – Lunker – Einfallstellen – Eigenspannungen (Kristallisation, Schwindung, Polymerisation) bzw. Verzug

Bild 6-8. Toleranzen von Kunststoffteilen im Vergleich zu den für Metalle üblichen ISO Toleranzreihen – Toleranzen nach DIN 16901 [3]

Bild 6-9 [3] zeigt Gestaltungsbeipiele zur Vermeidung von Wanddickenunterschieden. Die Ursachen für Einfallstellen und Lunker sind – Dichteunterschied zwischen Schmelze und Festkörper • Dichte der Schmelze ist geringer als die des Festkörpers – Beim Abkühlen schwindet das Material • Im Inneren entstehen luftleere Hohlräume – Lunker – Zieht das noch geschmolzene Material im Bauteilkern die Wandung nach innen, so ergibt sich eine Einfallstelle und damit Geometrieabweichungen Bei der Konstruktion ist dabei zu beachten, dass dickwandige Bereiche oder Bereiche mit schlechter Wärmeableitung später erstarren. Dies gilt insbesondere, wenn diese Bereiche angussfern liegen und über dünnwandige Bereiche angebunden sind. Eine vollständige Erstarrung erfolgt dann nicht unter Nachdruck. Die Folge sind Einfallstellen und Lunker. Eine Möglichkeit zur Verminderung/Abhilfe ist die Nachdruckwirkung auf die Schmelze. Die Ursachen für Verzug sind: – Werkstoff-Anisotropie (z. B. durch Glasfasern) ergibt unterschiedliche Schwindung längs und quer. – Ortsvariabler Werkzeuginnendruck (lange Fließwege) Mit der Fließweglänge nimmt der Spritz- und Nachdruck

472

6 Gestalten, Fügen, Berechnungsansätze und Simulation EDV-unterstützter Konstruktionen und Auslegung von Kunststoffbauteilen

Abhilfemaßnahmen gegen Verzug können sein – Massetemperatur / Nachdruck, wobei die Massetemperatur meist wirkungslos ist, der Nachdruck hilft nur angussnah. – Werkzeugoberflächentemperatur Gezielte Temperierung der verzugskritischen Bereiche hilft, problematisch sind schlanke Kerne. – Gestaltsabweichung im Werkzeug vorhalten (gelingt meist nur in Iterationsschritten) – Abkühlen unter Formzwang Bauteil so weit im Werkzeug abkühlen lassen, bis Festigkeit ausreicht (problematisch ist eine lange Zykluszeit und die Entstehung von Eigenspannungen; bei Erwärmung über Tg erfolgt deren Abbau und meist Verzug)

6.1.2.3

Radien für Ecken und Kanten

Wie in Regel 2 betont, sollen Wanddickenunterschiede vermieden werden. Manchmal lassen sie sich aber konstruktiv oder aus Kostengründen nicht vermeiden. Querschnittsänderungen sind bei zu kleinen Radien im Übergang kerbgefährdet; es entstehen Spannungsspitzen. Gleichung 2 betont die Geometrieabhängigkeit der maximal übertragbaren Spannung.

σmax = αK · σN

(2)

– σmax: maximale Spannung – αK: Formzahl, geometrieabhängig – σN: Nennspannung im Restquerschnitt

Bild 6-9. Gestaltungsbeispiele zur Vermeidung von Wanddickenunterschieden [3]

ab, die Folge sind Schwindungsunterschiede über die Bauteillänge. Stabförmige Bauteile neigen dabei zum Verbiegen in der Stabachse. – Ortsvariable Abkühlverhältnisse (ungleichmäßige Abkühlung) z. B. Masseanhäufung, Kerne, Durchbrüche, und die Schwindung an der wärmeren Seite ist größer. Bild 6-10 zeigt, dass sich eine ebene Platte zur wärmeren Seite hin konkav verwölbt. Eine eingespannte membranartige Scheibe, Bild 6-11 [3] wird beulen infolge Schwindung des dicken Randes (Druckspannungen).

Bild 6-12 [4] verdeutlicht an einem abgesetzten Flachstab unter Biegung diese Geometrieabhängigkeit der Formzahl αK. Bild 6-13 zeigt den Einfluss des Ausrundungsradius auf die Reduktion der Spannungskonzentration im Kerbgrund. Sehr zu beachten sind auch neue Erkenntnisse aus der Natur [19, 20], wonach asymmetrische Übergänge (Parabelähnlich) deutlich günstiger sind als üblich kreisrunde Radien.

6.1.2.4

Rippen spritzgerecht gestalten

Die Erhöhung der Bauteilsteifigkeit kann verschieden erreicht werden. – Wanddicke erhöhen Da die Wanddicke in der 3. Potenz in die Steifigkeit eingeht, ist ihre Vergrößerung viel wirkungsvoller als der Wechsel zu einem anderen Werkstoff. Beim Spritzgießen von Thermoplasten verlängert sich dadurch die Zykluszeit empfindlich (Abkühldauer).

6.1 Konstruieren und Gestalten mit Kunststoffen

473

Bild 6-10. Verformung einer ebenen Platte infolge Temperaturunterschiede im Werkzeug [3]

– Werkstoffwahl – Sicken (i. d. R. um Faktor 1,8 steifer als Rippen gleicher Abmessungen und Masse) – Bombierung einer Fläche – Rippen

Bild 6-11. Beulen einer Membran infolge Schwindung des dickeren Außenrandes [3]

Bild 6-12. Formzahl αK als Funktion von Verhältnis Kerbradius und reduzierter Stabbreite [4]

Die versteifende Wirkung einer Rippe wirkt sich erst bei einer Rippenhöhe von 5 bis 10 facher Wanddicke aus. Dabei kann die Rippenhöhe dem Verlauf des Biegemoments angepasst werden, also zu den unbelasteten Rändern hin abfallen. G. Erhardt [3] widmet der Rippenversteifung ein ausführliches Kapitel. Hier werden nur einige besonders (wichtige) allgemeine Aspekte behandelt. Bei der Rippenversteifung von Kunststoffbauteilen sind zu beachten: – Rippenlage im Bauteil – Rippenanzahl (Werkstoffaufwand) – Einspannbedingungen der Rippen im Bauteil – Rippendicke sR ≈ 0,5 bis 0,7 s, s. Wanddicke Bauteil – Kühlzeit beim Spritzgießen Bild 6-13 [3] – Anspritzrichtung (Molekül- und Faserorientierungen) – Rippenkreuzungspunkte – Rippen bei Sonder-Spritzgießverfahren wie GIT, Sicken, blasgeformte Rippen oder bei anderenVerarbeitungsverfahren wie Pressen, Schäumen, Gießen (RIM, RTM) Mit den folgenden Bildern werden einige Erfahrungen beim Spritzgießen dokumentiert. Es ist abzuwägen, ob die jeweils vorliegende Beanspruchung einen Radius erforderlich macht, oder ob die wirtschaftlichere Lösung mit einem kleineren Radius tragbar erscheint. Die Anwendungen der richtigen Entformungsschräge bei Rippen ist besonders wichtig, Bild 6-15. Der Kunststoff schwindet auf Werkzeugbereich wie z. B. Kerne auf. Damit das Formteil bei Auswerfen nicht zerstört wird, ist eine Entformungsschräge erforderlich. Insbesondere genarbte Flächen benötigen je nach Lage zur Entformrichtung sehr viel größere Entformungsschrägen.

474

6 Gestalten, Fügen, Berechnungsansätze und Simulation EDV-unterstützter Konstruktionen und Auslegung von Kunststoffbauteilen

Bild 6-13. Zusammenhang Rundungsradius R auf den Spannfaktor im Kerbgrund

Bild 6-14. Einfluss von Rippendicke und Rundungsradius auf die Abkühlzeit eines verrippten Spritzgussteils. Der Durchmesser des Kontrollkreises gibt die größte abzukühlendeWanddicke an. [3]

Bild 6-15.

6.1 Konstruieren und Gestalten mit Kunststoffen

6.1.2.5

475

Ebene Flächen vermeiden

Die Herstellung ebener Flächen im Spritzgießen gehört mit zu den schwierigsten Prozessen. Sie neigen zum Einfallen und Beulen, weil geringste örtliche Änderungen, wie beispielsweise unterschiedliche Abkühlung im Werkzeug, Schwindung infolge Wanddickenschwankungen, Nachschwindung, Nachdruck u. a. den labilen Schwebezustand der ebenen Flächen in die eine oder andere Richtung verziehen. So ist auch der Verzug bei ein und demselben Bauteil mit ebenen Flächen selten reproduzierbar, was Abhilfeempfehlungen erschwert.

6.1.2.6

Bild 6-16. Einfluss von Schwindung und Verzug auf die Maßhaltigkeit verrippter Konstruktionen [3]

Konizität (Entformung)

Die erstarrte und abgekühlte Schmelze schwindet auf die Werkzeugteile (z. B. Kerne) auf, die die Innenkontur des späteren Bauteiles formen. Zusätzlich oder ausschließlich haftet das Formteil an den Außenkonturen des Werkzeuges. Um das spitzgegossene Bauteil entformen zu können, braucht man neben Formtrennmitteln Entformungsschrägen, Tabellen 6-3 und 6-4.

Tabelle 6-3 Entformungsschrägen für Rippen bei Thermoplast-Bauteilen

6.1.2.7

Entformungsschräge Werkstoff

Bei niedriger Rippe (< 25mm)

Bei tiefer Rippe (> 25mm)

PBT PBT GF POM PA PA GF PET

0–0,25° 0,5° 0–0,25° 0,125° 0,2 –0,5° 0,5°

0,5° 0,5–1° 0,5° 0,25–0,5° 0,5–1° 0,5–1°

Tabelle 6-4 Richtwerte für Entformungsschrägen [5] Werkstoff

Winkel in Grad

PA, POM, PE-HD, ABS, PP PBT, SB PS, SAN, PC

0,5 1 1,5

Die Verarbeitungsschwindung übt bei ungefüllten und gefüllten verrippten Thermoplastkonstruktionen einen weiteren gewichtigen Einfluss auf deren Maßhaltigkeit aus (siehe auch Kapitel 4.1.7).

Hinterschneidungen

Mit dem Grad der Integration von Funktionen und Montagefolgeschritten (werkzeugfallende Bauteile) in das Verarbeitungswerkzeug nehmen dessen Komplexität und u. a. auch Hinterschneidungen und damit Werkzeugkosten zu. Zwangsentformungen überwinden bis zu einem gewissen Grad solche Hinterschneidungen. Entscheidend dabei ist, dass die zulässige Spannung (Streckspannung) bei der herrschenden Entformtemperatur nicht überschritten wird. Für eine Zwangsentformung kreisförmiger Hinterschneidungen in einem dosenförmigen Teil ist für POM bei der Entformungstemperatur von 100 °C eine maximale Deckung von ≤ 3 % erlaubt. Damit liegt die zulässige maximale Streckspannung unter 18 MPa. Werkzeugtechnisch löst man Hinterschneidungen mit beweglichen Schiebern auf, oder in komplizierten Situationen mit faltbaren Kernen (Innengewinde oder innenliegende Hinterschneidungen). Eine weitere Möglichkeit zur Entformung von Hinterschneidungen bieten Schmelzkerne (für größte Stückzahlen) oder die Herstellung von Halbschalen und deren Verschweissen. Zur Vermeidung von Hinterschnitten gibt es eine Reihe kreativer Lösungen. Bild 6-17 zeigt am Beispiel eines Schnapphakens eine Lösung.

476

6 Gestalten, Fügen, Berechnungsansätze und Simulation EDV-unterstützter Konstruktionen und Auslegung von Kunststoffbauteilen

Bild 6-17. Vermeidung von Schiebern (Originalquelle unbekannt)

Bild 6-18. Bindenaht bei Durchbrüchen bzw. Bohrungen (Originalquelle unbekannt)

Die Lösung nach Bild 6-17 hat jedoch den Nachteil einer Bindenaht beim Zusammenfließen der Schmelzeströme. Bild 6-18 zeigt qualitativ die Festigkeit entlang der Bindenaht. Diese stellt eine deutliche lokale Schwächung dar, die mit der Entfernung verschwindet. Als Reduktion dieser Schwäche kann mehr und heissere Schmelze dienen und eine Wandverdickung. Dies ist besonders bei filigranen Strukturen (Schnappelementen) sehr wichtig. Besonders elegant ist es, die Lage der Bindenaht (Schwachstelle) über

die Lage des Angusses oder über Fließbremsen (lokal dünnere Querschnitte) in wenigere beanspruchte Bauteilregionen zu verschieben. So gelingt beispielsweise nach Bild 6-19 Lufteinschlüsse im optischen Sichtfeld eines Bauteils durch Fließbremsen und damit durch Verschiebung des Zusammenschlusses der Schmelzeströme zu vermeiden. Beitl [6] zeigt in dem auf praktischer Erfahrung basierenden Handbuch Vor- und Nachteile von Angusskanalarten samt einfacher Berechnungen der Leistungsfähigkeit auf. Verfahrenstechnische Notwendigkeiten wie das Einbringen eines Staubodens zur Rückhaltung der kalten Masse, die Oberflächenbeschaffenheit von Angusskanälen, die Schmelzeströmung in Heißkanalverteilerblöcken, Angusskanal-Entformungen aus dem Werkeug, optimale Größenbestimmungen sind behandelte Themen. Müssen Schieber eingesetzt werden, sind Schrägschieber ohne Steuerung kostengünstiger als hydraulisch angetriebene Schieber. Dabei ist auf Werkzeugsicherungen bei Klemmen zu achten! Das Beispiel eines spritzgegossenen Montageclips, Bild 6-20, zeigt die Vermeidung von Hinterschneidung und Schieber, durch die geschickte Wahl der Trennebene in einem kostengünstigen Auf-Zu-Werkzeug.

6.1.2.8

Bearbeitung, nur so genau als nötig

Überhöhte Toleranzanforderungen erzwingen keine höhere Qualität sondern führen vermutlich zu höherem Ausschuss. Daher soll ein Bauteil nur so eng toleriert werden wie es seine Funktionserfüllung erfordert.

6.1 Konstruieren und Gestalten mit Kunststoffen

6.1.2.9

477

Möglichkeiten der Integration von Funktionen ausschöpfen (werkzeugfallende Bauteile)

Was in dieser Auflage auf das Spritzgießen beschränkt bleiben muss, gilt allgemein für alle Verarbeitungsverfahren (Pressen, Extrudieren, Rotationsgießen, Umformen u. a.). Allerdings hat jedes Verfahren seine spezifischen Chancen und Hemmnisse, mehr oder weniger Integration von Funktionen oder Folgeschritte zu realisieren. Das Spritzgießen bietet sich dazu infolge seiner enormen Variantenvielfalt besonders an. Kunststoffbauteile werden durch Integration von Funktionen oder Prozessfolgeschritte in das Verarbeitungswerkzeug (werkzeugfallende Produkte) besonders wirtschaftlich. Wie oben schon ausgeführt, wird dadurch meist die Konstruktion des Werkzeuges komplizierter und damit teuerer. Am Hochlohn-Standort Deutschland ist dies jedoch für großserienfähige Produktionen ein Vorteil. Die Werkzeugtechnik wird zum Alleinstellungsmerkmal im Wettbewerb zu Billiganbietern aus anderen Ländern. Wie alle neuen Technologien, so auch die der werkzeugfallenden Bauteile, bedarf es einer Schulung des Denkens und Handelns. Hier gibt es in Deutschland immer noch große Potentiale! Im folgenden sollen bekannte und weniger bekannte Beispiele diese allgemeinen, einleitenden Sätze veranschaulichen. Bild 6-19. Beispiele für Fließbremsen – optisches Bauteil [3]

Bild 6-20. Montageclip ohne Hinterschneidung und Werkzeugschieber (Originalquelle unbekannt)

Bekannte Beispiele – metallische Einlegeteile wie Gewindebuchsen, Haken, Stecker u. a. sind Stand der Technik – Einlegeteile aus Kunststoffen oder gebündelte Verstärkungs (Glas)-Fasern als Zugschlaufen oder Torsionsstäben sind schon seltener (s. unten) – Gelenkverbindungen, wie das bekannte Beispiel des „werkzeugfallenden Affen“ (Fa. Ferromatik-Milacron [7], Bild 6-21, führen direkt zur Montage von Kunststoffbauteilen im Spritzgießwerkzeug, wie Befestigungselemente mit beweglichen Bügeln [8], Kugelgelenke [9], Verbindungsstecher [10] Lüfterklappe [11] – lösbare Schraubenverbindung, im Spritzgießwerkzeug „montiert“, Bild 6-22, [12] – Umbug, bei hinterspritzgegossenen Kunststoffbauteilen mit Dekoroberfläche, Bild 6-23, [12] – gezielt kombinierte Werkstoffe im z. B. Mehrkomponentenspritzguss mit unterschiedlichem Längenausdehnungskoeffizienten und Deformationsverhalten, wie anschraubbare Mischerdüse an Wasserhähnen. Gittermembran besteht aus Polysiloxan-Gummi und reinigt sich bei Verkalkung von selbst (Neuheit auf K 04)

478

6 Gestalten, Fügen, Berechnungsansätze und Simulation EDV-unterstützter Konstruktionen und Auslegung von Kunststoffbauteilen

Bild 6-21. Gelenkverbindung: werkzeugfallender Affe [7]

Bild 6-23. Umbug [12]

Bild 6-24. Abmessungen eines Filmscharniers Bild 6-22. im SGW „montierte“, nach Produktnutzung lösbare Schraubverbindung [12]

drehbares Werkzeug; 4 SGM 1. Rumpf – Material PA6 GF15 2. Kopf – Material PBT oder POM – PBT/POM und PA sind unverträglich – PBT/POM schwinden mehr als PA → Kopf beweglich 3. Haare, Augen – Material PE – PBT/POM und PE sind unverträglich – PE schwindet auf Kopf → Haare sind fest 4. Extremitäten – Material POM – POM und PA sind unverträglich

– POM schwindet geringer als PBT aber mehr als PA → dadurch Extremitäten schwerer beweglich (Position wird gehalten) als Kopf bei Variante PBT – Filmscharniere, sind als Verbindung zweier beweglicher Teile in das Spritzgießen von Kunststoffbauteilen integrierbar, Bild 6-24. Berechnungsgrundlagen sind vorhanden [3], [13], [14], Bild 6-25. Die Anforderungen an den Werkstoff sind • hohe Zähigkeit • leichte Verformbarkeit • hohe Biegewechselfestigkeit im orientierten Zustand

6.1 Konstruieren und Gestalten mit Kunststoffen

479

Das folgende Beispiel, auch aus [3], verdeutlicht die Zusammenhänge. Beispiel: Wie groß sollte die Länge eines Filmscharniers (Länge der Dünnstelle) sein, wenn dieses bei einem Biegewinkel von 180° mindestens 104 Lastwechsel ertragen soll? Dicke der Dünnstelle = 0,3 mm Sicherheitsbeiwert = 1,5 Werkstoffe: POM, alternativ PP

Randfaserdehnung εa Länge L der Dünnstelle Dicke s der Dünnstelle

s · Δαrad π εa = 0 mit Δαrad = 5 · Δα° 2·L 180 s · Δα L=8 2·ε 2·n·ε s=0 Δα

Bild 6-25. Berechnung eines Filmscharniers nach [3]

Für Filmscharniere werden daher diese Werkstoffe eingesetzt: PE, PP auch verstärkt, POM, PBT, thermoplastische Elastomere. Bei nur einmaligem Fügen können auch andere Kunststoffe wie PA GF eingesetzt werden. Tabelle 6-5 stellt Dehnungskennwerte für ausgewählte Kunststoffe und gemessen an Filmscharnieren gegenüber [3].

Weniger bekannte, neuere (z. Tl. visionäre) Beispiele für Integration von Funktionen – ein spritzgegossener werkzeugfallender PKW-Kühler, ggf. mit Aluminiumlamellen als Einlegeteil, verbindet die Gasinnendruck-Technik (GIT) mit werkstofflichen Neuerungen aus dem Bereich der immiscible blends, Bilder 6-26, 6-27 und 6-28; ausführlicher ist das Beispiel in [15] beschrieben. – werkzeugfallende monostoff Instrumententafel mit spritzgegossenem oder gepresstem langglasfaserverstärktem Träger aus PP, PP-Schaum und PP Integralkant mit 1,5 Spritzgießwerkzeugen, Bild 6-29. In das Werkzeug eingekoppelte Mikrowellen schäumen die PP-beads auf. – über die Wahl neuer Treibmittel mit Aktivierungstemperaturen oberhalb der Polymerschmelztemperatur lassen sich, wiederum über Mikrowellen, örtliche Aufschäumungen innerhalb oder außerhalb des Verarbei-

Tabelle 6-5 Dehnungskennwerte für einige Polymerwerkstoffe, gemessen nach ISO 527, und als bauteilspezifische Werte gemessen an Filmscharnieren [3] Werkstoffe

Streckdehnung εy in %

Nominelle Dehnung εt in %

Dehnungsausschlag εa in % nach 104 LW

Dehnungsausschlag εa in % nach 105 LW

PP (1100L)

10

> 50

60

60

PA 6 (B3K, feucht)

20

> 50

55

45

PA 66 (A3K, feucht)

20

> 50

50

40

PA 66–GF30 zähmodifiziert (A3ZG6)

5 Bruchdehnung

*

4

3

POM (H2320)

10

35

35

30

POM–GF15 (N 2200 G3)

3 Bruchdehnung

*

3

2

PBT (B 4500)

3,5

> 50

25

20

* Werkstoffkennwert trifft für diesen Werkstoff nicht zu

480

6 Gestalten, Fügen, Berechnungsansätze und Simulation EDV-unterstützter Konstruktionen und Auslegung von Kunststoffbauteilen

Bild 6-26. Prinzip der GIT-Herstellung aus PA6 eines werkzeugfallenden PKW Kühlers

Bild 6-28. Lichtmikroskopische Aufnahme von gemischtem PA und PP bei Anwesenheit geringer Mengen Ruß. Die entmischten leitfähigen Bahnen sind erkennbar. Ruß lagert sich bevorzugt am unpolaren PP an.

Bild 6-27. Immiscible blends aus PA und PP und ca 0,5 Masseprozent Ruß Prinzipbild zeigt leitfähige Pfade nach optimierter Mischtechnik

tungswerkzeuges erreichen, beispielsweise auch bei Textilien (Schutz bestimmter Körperteile) oder bei Verpackungen (Ecken, Kanten u. a.), Bild 6-30, [16]. – EMV-Abschirmungen von Kunststoffgehäusen oder einzelne Leiterbahnen lassen sich über metallfaserverstärkte

Kunststoffe durch ein Anlegen von Magnetfeldern an das Spritzgießwerkzeug im Schmelzezustand des Polymer erreichen, Bild 6-31 und 6-32, [16]. – Einlegen von Glasfasergeweben zur örtlichen Versteifung von langglasfaserverstärkten Kunststoffen (PP, PA, PBT, PC u. a. im LFT-D-Verfahren (Pressen). Beispiele dafür sind frontend, Unterboden, IT, Pedaleriewand, Rücksitzwand u. a., Bild 6-33, [17] Das nächste Beispiel eines coextrudierten Fensterrahmens, der außen aus dem bewährten witterungsbeständigen PVC und innen aus einem aus nachwachsenden Rohstoffen

6.1 Konstruieren und Gestalten mit Kunststoffen

Bild 6-29. Ablaufprinzip zur Herstellung einer werkzeugfallenden PKW-Instrumententafel, [15]

Bild 6-30. Schematische Darstellung von örtlich aufgeschäumten Schutzzonen bei Produkten, [16]

481

482

6 Gestalten, Fügen, Berechnungsansätze und Simulation EDV-unterstützter Konstruktionen und Auslegung von Kunststoffbauteilen

Bild 6-33. Front-end Struktur aus PP GF LFT-D mit örtlicher Glasfasergewebe-Verstärkung im Bereich des oberen (rückseitig stark verrippten!) Biegeträgers (Fraunhofer ICT)

Bild 6-31. Prinzip der Verschiebung von magnetischen Füllstoffen in Polymeren während der Verarbeitung [16]

Bild 6-34. Coextrudiertes Fensterprofil aus PVC außen und Arboform® innen, [18]

Literatur zu Kapitel 6.1 [1]

Bild 6-32. Lichtmikroskopische Aufnahmen von örtlich aufkonzentrierten Metallfasern in PMMA durch Magnetfelder in der Schmelzephase [16]

[2] [3] [4]

[5]

®

(Arboform : Lignin + Miscantusfasern) mit geschäumtem Innenprofil und dicker Integralschicht besteht, verdeutlicht auch die Kreativität der Funktionenintegration beim Extrudieren, Bild 6-34, [18].

[6]

Kulik N (1999) Dünnwandtechnik. Kunststoffe 89 (1999) 9, S 92-96 NN (1992) Ultraform. BASF Firmenzeitschrift Erhard G (2004) Konstruieren mit Kunststoffen. 3. Aufl, Hanser Verlag, München Dietmann H (1992) Einführung in die Elastizitätslehre und Festigkeitslehre. 3. Aufl, Kröner Verlag Stuttgart, 170 S, Abb. A6 Wimmer D (1989) Kunststoffgerecht Konstruieren. Hoppenstedt, Darmstadt Beitl F (2006) 1000 Tipps zum Spritzgießen. Bd 3: Angusskanaltechnik – Grundlagen mit Praxisanleitungen. Hüthig, Heidelberg, ISBN-10: 3-7785-3989-2

6.1 Konstruieren und Gestalten mit Kunststoffen [7] [8] [9] [10] [11] [12] [13] [14] [15]

[16]

[17]

[18]

[19]

[20]

NN (1982) Werkzeugfallender Affe. Fa. FerromatikMilacron Fa Fischer Werke, Tumlingen Fa. Unimog, Mannheim Fa. Bosch, Waiblingen Fa. VW, Wolfsburg Fraunhofer ICT, Pfinztal NN Filmgelenk aus technischen Kunststoffen. Firmenschrift Nr. B.3.5, Hoechst NN Technische Informationen für Experten. BASF, Nr. 02/96 Eyerer P (1999) Werkzeugintegrierte Montage. In: Kunz J et al. (1999), Augsburg: WEKA 1999 ff, Teil 3, Kapitel 7.3, S 1–3 Eyerer P, Elsner P (1985) Using plastics to make new products. Journal of Polymer Engineering 18(1998)5, S 301–339 Henning F et al. (2001) Load Oriented One-StepTWINTEX-Sandwich Structure. Paper R910, SPE First Annual Global Autom. Comp. Conference, September 19th-20th Eyerer P (2002) Kunststofftechnik heute und übermorgen. Vortrag auf dem 13. IST Techno-Apéro, Schaffhausen, 19. November 2002 Matteck C (2006) Verborgene Gestaltgesetze der Natur. Optimalformen ohne Computer. Forschungszentrum Karlsruhe, 126 S, ISBN-10 3-923704-53-4 Matteck C (2003) Warum alles kaputt geht. Form und Versagen in Natur und Technik. Forschungszentrum Karlsruhe, 208 S, ISBN 3-923704-41-0

Weiterführende Literatur Ticona Technologie Literatur (CD): B.1.1 Stirnradgetriebe mit Zahnrädern aus Hostaform, Celanex und GUR Die Broschüre beschreibt Anforderungen an Stirnradgetriebe, stellt Werkstoffe und Werkstoffpaarungen vor und erläutert die Berechnung von gerad- und schrägverzahnten Zahnrädern. Berechnungs- und Anwendungsbeispiele runden die Broschüre ab. April 1997/6. Aufl B.2.2 Schneckengetriebe mit Schneckenrädern aus Hostaform. Die Broschüre enthält Belastungskennwerte, mit deren Hilfe Schneckengetriebe und Schneckenräder aus Hostaform ausgelegt werden können. Berechnungsbeispiele erläutern die Anwendung. Dezember 1992/5. Aufl B.2.3 Gleitlager aus technischen Kunststoffen. Messungen an Kunststoff Gleitlagern aus verschie denen Werk-

483

stoffen - Hinweise zum Einbau – Anwendungsbeispiele. August 2000 B.3.5 Filmgelenke aus technischen Kunststoffen. Die Broschüre beschreibt Herstellverfahren, Werkstoffe und die Berechnung von Filmscharnieren, enthält die dafür erforderlichen Werkstoff-Kennwerte und gibt Verarbeitungshinweise. Den Abschluss bilden Berechnungsund Anwendungsbeispiele. Januar 1996/3. Aufl

darin zitierte Literatur: B.1.1: – Niemann G, Winter H Maschinenelemente. Bd II, Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg/New York/ Tokio, 1985 – VDI 2545 Zahnräder aus thermoplastischen Kunststoffen. – DIN 3960 Begriffe und Bestimmungsgrößen für Stirnräder und Stirnradpaare mit Evolventenverzahnung – DIN 58 405 Stirnradgetriebe der Feinwerktechnik – DIN 58 400 Bezugsprofil für Stirnräder mit Evolventenverzahnung für die Feinwerktechnik – DIN 867 Bezugsprofil für Stirnräder mit Evolventenverzahnung für den allg. Maschinenbau – DIN 3964 Achsabstandsabmaße und Achslagetoleranzen von Gehäusen für Stirnradgetriebe – DIN 3967 Getriebe-Passsystem, Flankenspiel, Zahndickenabmaße und Zahndickentoleranzen, Grundlagen, Berechnung der Zahndickenabmaße, Umrechnung der Abmaße für die verschiedenen Messverfahren – Hachmann H, Strickle E Polyamide als Zahnradwerkstoffe. Konstruktion 18 (1966) 3 B.2.2: – DIN 3975 Begriffe und Bestimmungsgrößen für Zylinderschneckengetriebe mit Achswinkel 90° – Thomas A K, Charchut W Die Tragfähigkeit der Zahnräder. Carl-Hanser Verlag, München, 1971 – Klein B Wirkungsgrad und Selbsthemmung an Schneckengetrieben. ant. Antriebstechnik 19 (1980) 9 – Debrunner R: Wirkungsgrade von Klein-Schneckengetrieben und ihre Beeinflussungsfaktoren. ant. Antriebstechnik 19 (1980) 11 – Schmidt H Schneckengetriebe mit Schneckenrädern aus Hostaform. ant. Antriebstechnik 24 (1985) 3 B.2.3: – Bartz W J et al. Selbstschmierende und wartungsfreie Gleitlager. Expert Verlag, 1993 – ISO/FDIS 7148-22 1999 (E) Plain bearings – Testing of the tribological behaviour of bearing materials – Part 2: Testing of polymer-based bearing materials; 1999 E

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6 Gestalten, Fügen, Berechnungsansätze und Simulation EDV-unterstützter Konstruktionen und Auslegung von Kunststoffbauteilen

– DIN ISO 4378-2 Gleitlager – Begriffe, Definitionen und Einteilung – Teil 2: Reibung und Verschleiß. Beuth Verlag GmbH, Berlin, 1999 – Halach G Gleitreibungsverhalten von Kunststoffen gegen Stahl und seine Deutung mit molekularmechnischen Modellvorstellungen. Dissertation Uni Stuttgart, 1974 – Erhard G, Strickle E Gleitelemente aus thermoplastischen Kunststoffen. Kunststoffe 62 (1972), Teil 1: S 2–9, Teil 2: S 232-234, Teil 3: S 282–288 – VDI-Richtlinie 2541 Gleitlager aus thermoplastischen Kunststoffen, 1975 – DIN ISO 6691 Entwurf: Thermoplastische Polymere für Gleitlager; Klassifizierung und Bezeichnung. Januar 1999 – Ticona GmbH Fortron Chemical Resistance Guide, Version 3.0. – Ticona GmbH GUR; Beständigkeit gegen Chemikalien und andere Medien. – Ticona GmbH Werkstoffbroschüre GUR – Untersuchungsbericht der Forschungsgesellschaft für Uhren- und Feingeräte-Technik e.V. Stuttgart vom 26.03.1981 – Flöck J, Friedrich K Bestimmung des Haftreibungskoeffizienten verschiedener POM-Paarungen. IVW-Bericht 97-84, Kaiserslautern, 1997 – Erhard G Konstruieren mit Kunststoffen. Hanser Verlag, München, Wien, 1993 – Ticona GmbH B.3.4 Berechnen von Pressverbindungen – Ticona GmbH C.3.5 Outsert-Technik mit Hostaform – Ticona GmbH C.3.3 Gestalten von Formteilen aus technischen Kunststoffen – Erhard G, Strickle E Maschinenelemente aus thermoplastischen Kunststoffen. VDI-Verlag GmbH, Düsseldorf, 1978 – Detter H, Holecek K Der Reibungswiderstand und die Beanspruchung von feinmechanischen Lagern im Trockenlauf bei kleinen Gleitgeschwindigkeiten. Feinwerktechnik 74 (1970) 11 – Meldt R, Röber H Polyacetale und Polyalkylenterephthalate helfen Gleitprobleme lösen. Konstruktion 25 (1973) S 357–363 B.3.5: – VDI/VDE 2252, Blatt 9: Feinwerkelemente; Führungen, Federgelenke (Entwurf Oktober 1987) – Löw W Blasformen von technischen Teilen aus Polypropylen. Kunststoffe 78 (1988) 12, S 1155–1160 – Lutz C, Polsack A Morphologische Veränderungen von i-Polypropylen bei einachsiger Zugbeanspruchung. Mitteilung aus dem Institut für Kunststoffprüfung und Kunststoffkunde (IKP), Universität Stuttgart

– DIN 53 442 Prüfung von Kunststoffen, Dauerschwingversuch im Biegebereich an flachen Probekörpern. Entwurf Augugst 1988 – Schmidt H Filmgelenke aus verstärktem Polypropylen und aus Acetalcopolymerisat. Plastverarbeiter 34 (1983) 9, S 774–780 – Weißmantel H, Kapp L Filmgelenke zur Funktionsintegration bei Kunststoffteilen. Feinwerktechnik und Messtechnik 93 (1985) 2, S 89–91 C.3.5 Outserttechnik mit technischen Kunststoffen Mit der Outsert-Technik lassen sich Kunststoff-Funktionsteile auf beide Seiten einer metallischen Platine spritzgießen. Die Broschüre enthält eine kurze Beschreibung der geeigneten Hostaform-Typen und der Platinenwerkstoffe und gibt dann detaillierte Hinweise zur Konstruktion der unterschiedlichen Funktionselemente (z.B. Gleitlager, Biegefedern, Führungen, Schnappverbindungen, drehbare Funktionsteile). Hinweise zur Angußtechnik und zur Konstruktion des Spritzgießwerkzeugs sowie Anwendungsbeispiele vervollständigen die Informationen. A.2.1 Mechanische Beanspruchungen an Bauteilen aus technischen Kunststoffen. Mit dieser Broschüre soll der Konstrukteur in die Lage versetzt werden, Bauteile aus Technischen Kunststoffen anhand einer Festigkeitsberechnung zu dimensionieren. Dabei werden die aus äußeren Kräften und Momenten und die aus aufgezwungenen bzw. behinderten Formänderungen resultierenden Spannungen im Bauteil ermittelt. Datum C.3.3 Gestalten von Formteilen aus technischen Kunststoffen. Drei Faktoren bestimmen die Qualität eines Kunststoff-Formteils: die Eigenschaften der Formmasse (z.B. Molmasse, Kristallinität, Schwindung, Zeitstand- und Alterungsverhalten), ihre Verarbeitung (Masse- und Werkzeugtemperatur, Orientierungen, Eigenspannungen) sowie die Formteilgestaltung (Kerbwirkung, Verformungsbehinderung). Die Broschüre behandelt diese Einflussgrößen und erläutert, wie eine kunststoffgerechte Gestaltung bei teilkristallinen technischen Thermoplasten zu Formteilen mit hoher Gebrauchstauglichkeit führt. Datum C.3.4 Richtlinien für das Gestalten von Formteilen Nach einer allgemeinen Darstellung des Zusammenhangs mit den Verarbeitungsbedingungen beschreibt die Broschüre für über 20 charakteristische Geometrien, wie eine gute Übereinstimmung mit der Sollform zu erreichen ist. Anwendungsfotos zeigen, wie sich konstruktiv bedingte Fehlstellen vermeiden lassen. Datum

6.2 Fügen und Verbinden Berger K-F, Kiefer S (Hrsg) Dichtungstechnik. Jahrbuch 2007, (Fachbuchreihe 2004, 2005, 2006), isgatec, Mannheim, 2007 Bilas I Antimikrobielle Ausrüstung von 3D-Gewirken. Kunststoffe 97 (2007) 2, S 90–91 Campo EA (2006) The Complete Part Design Handbook. Hanser Verlag, München, ISBN-10 3-44640309-4 Cronau T, Schmidt H Spiegeloptik ohne sichtbare Bindenähte. Kunststoffe 96 (2006) 11, S 49–51 Essinger J Heißkanäle für flammwidrig eingestellte Polyamide (maschinenschonend Spritzgießen). Kunststoffe 97 (2007) 2, S 48–50 Finis F Druckbehälter aus thermoplastischen Werkstoffen. Universität Kassel, Dissertation 2005, Kassel, 183 S ff Medizin Jakob T Mehrkomponententechnik im Reinraum. Kunststoffe 97 (2007) 2, S 92–94 Joachimi D, Zimnol R, Meinerding L (2007) Rohrsysteme im Motorraum. Kunststoffe 97(2007)11, S 126–128 Kaufmann G, Buchet Y (2007) Duo-Lamination für mehrfach dekorierte Teile – Kosteneffiziente Verfahrensintegration. Kunststoffe 97(2007)3, S 88–90 Kniesbein B et al. Befüllen einer flexiblen Folienverpackung. Kunststoffe 97 (2007) 2, S 83–89 Kunststoffe Automotive Special: Konstruktiver Leichtbau. Kunststoffe 97(2007)1, S 80–98 Loerwald D, Seul Th (2007) Patientengerechtes Produktdesign (Blutzuckermessgeräte). Kunststoffe 97(2007)7, S 83–86 Methner M Laser-Sintern als Patentrezept. Kunststoffe 97 (2007) 2, S 78-79 Michaeli W, Michaelis I Verschlusssysteme für die Herzscheidewand. Kunststoffe 97 (2007) 2, S 96–97 Moritzer E Scheinwerferkomponenten aus Duroplast. Kunststoffe 96 (2006) 11, S 112–115 NN 6-fach-Heißkanalwerkzeug für Kaffeeglas-Deckel (Praxisbeispiel). Kunststoffe 97 (2007) 2, S 56–57 NN 16-fach-Heißkanalwerkzeug für medizinische Verpackungsteile (Praxisbeispiel). Kunststoffe 96 (2006) 11, S 56–57 Paulmann D Drahtzieher im Hintergrund – Heißkanallösung für Endkappe. Kunststoffe 96 (2006) 11, S 52–55 Römer M (2007) Modulare Konzepte für leichte Motoren (Zylinderkopfhaube, Ölabscheider, Saugrohre, Steuerund Regelklappen, Steckverbinder). Kunststoffe 97 (2007)3, S 102–105 Schuck M, Kuhnert I, Schmachtenberg E (2007) Fachtagung Montagespritzgießen (Tagungsband). LKT Erlangen, November 2007, 262 S Siebert A et al. (2007) Kunststoffgehäuse auf dem Motorenprüfstand. Kunststoffe 97(2007)11, S 129–132

485

Sonntag R Automatisierungskonzepte im Reinraum. Kunststoffe 97 (2007) 2, S 80–82 Stauber R, Vollrath L (Hrsg) (2007) Plastics in Automotive Engineering. Hanser Verlag, München, 407 S, ISBN 978-3-446-41120-3 Zimnol R, Klocke M (2007) Konstruieren mit neuen Freiheiten (hochgefüllte Polyamid6-Typen). Kunststoffe 97(2007)9, S 232–236 Zuber R, Hintenlang G, Bader S (2007) Bei hohen Temperaturen belastbar – Radial-Wellen-Dichtringe RWDR. Kunststoffe 97(2007)3, S 106–108

6.2

Fügen und Verbinden

Dieses wichtige Kapitel kann erst zur nächsten Auflage (2010 zu erwarten) vervollständigt werden. Bild 6-35 aus DIN 8580 gibt einen Überblick zu Fertigungsverfahren der Fügetechnik. Die angefügten Quellen mögen eine Vertiefung erlauben.

6.2.1

Kunststoffschweißen Helmut Schüle

Das thermomechanische Verhalten von Kunststoffen unterscheidet sich signifikant von dem der Metalle – während metallische Werkstoffe klare Phasenübergänge von fest nach flüssig bzw. von flüssig nach gasförmig aufweisen, beginnen thermoplastische Kunststoffmaterialien bei der so genannten Glastemperatur Tg weich zu werden und sukzessive bei Temperaturerhöhung die Viskosität zu verringern. Die Viskosität bleibt aber weit über der der flüssigen Metalle. Bei höheren Temperaturen beginnen sich Polymere in der Regel zu zersetzen; sie werden geschädigt. Beim Prozess des Schweißens wird der Werkstoff der zu fügenden Teile in der Fügezone durch Zufuhr von Energie (Wärme) in den schmelzeflüssigen Zustand überführt und beide Teile werden unter Druck zusammengefügt. Daraus geht hervor, dass aus den drei Werkstoffgruppen Duroplaste, Thermoplast und Elastomere sich nur Thermoplaste verschweißen lassen, da nur sie in den Schmelze-(thermoplastischen) Zustand überführt werden können. Um die zu schweißenden Werkstoffe in den plastischen Zustand zu überführen, kommen folgende physikalische Prozesse zur Anwendung: – Wärmeleitung . . . → Schweißen mit festen Körpern → Schweißen mit Materialzufuhr – Konvektion . . . . . → Schweißen mit Gas – Strahlung . . . . . . . → Schweißen mit Strahl – Reibung . . . . . . . . → Schweißen mit Bewegung – Induktion . . . . . . . → Schweißen mit Strom

486

6 Gestalten, Fügen, Berechnungsansätze und Simulation EDV-unterstützter Konstruktionen und Auslegung von Kunststoffbauteilen

Bild 6-35. DIN 8580 – Fertigungsverfahren

Neben der Energiezufuhr in der Fügezone ist der Druck ein weiterer wichtiger Parameter. Die Fließbewegung unter Druckeinwirkung in der Nahtebene bewirkt eine Verknüpfung der Molekülketten in der Grenzfläche und sorgt damit für die stoffschlüssige Verbindung beider Teile. Zu Temperatur und Druck folgt der dritte Parameter, die Einwirkzeit. Bei zu hohen Temperaturen erfolgt abhängig von der Schweißzeit eine unerwünschte Zersetzung der Thermoplaste, bei zu geringen Temperaturen und zu kurzer Einwirkzeit resultiert keine ausreichende Schmelze. Wird der Schweißdruck zu hoch gewählt, wird die Schmelze aus der Fügezone verdrängt, bei zu niedrigem Druck kommt es zu Lufteinschlüssen. In Bild 6-36 sind die in der DIN-Norm 1910 Teil 3 nach der „Art der Energiequellen“ eingeteilten Verfahren, in Anlehnung an diese, nach der „Art der Energieeinbringung“ abgewandelt und aufgelistet [1]. Eine Besonderheit bei der Einteilung bilden die Schweißverfahren bei denen Material zugeführt wird. Aufgrund dieser Eigenart sind sie im Grunde gesondert zu betrachten aber durch die Vielfalt der Verfahren und beliebiger Misch-

formen ist dieser Aufwand nicht gerechtfertigt und so soll aus Gründen der Vollständigkeit nur darauf verwiesen werden.

6.2.1.1

Prinzipielle Verfahrensschritte [3]

Das Prinzip des Kunststoffschweißens beruht auf dem lokalen Aufschmelzen der Fügeflächen durch zeitlich begrenzte Wärmeeinbringung und dem gleichzeitigen oder anschließenden Fügen bzw. Fixieren unter Druck. Unabhängig von verwendeten Verfahren wird dabei eine Schmelzschicht erzeugt, in der unter dem Parameter Druck, Scher- und Dehnströmungen auftreten. Daraus ist zu begründen, dass sich nur Thermoplaste annährend gleicher Viskosität verschweißen lassen. Dabei dürfen auch die Schmelztemperaturen nicht zu sehr auseinanderliegen. Neben den Oberflächenspannungen spielen auch die Wärmeausdehnungskoeffizienten und die Schwindungseigenschaften eine wichtige Rolle. In der Praxis schweißt man nur Thermoplaste innerhalb der Einteilung „Amorph“ und „Teilkristallin“.

6.2 Fügen und Verbinden

487

Bild 6-36. Möglichkeiten der Energieeinbringung beim Schweißen von Kunststoffen [1]

Für alle Schweißverfahren kann man stellvertretend fünf Arbeitsschritte nennen, die einen guten Prozess ausmachen. Diese Arbeitsschritte können je nach Verfahren sequentiell, also nacheinander oder auch teilweise simultan ablaufen: – Oberflächenvorbereitung Die Oberflächen der zu fügenden Teile müssen trocken, staub- und fettfrei sein. Gegebenenfalls müssen vorhandene Oxidschichten durch Abziehen mit einer Abziehklinge entfernt werden.

– Erwärmung Es gibt verschiedene Verfahren, die thermoplastischen Teile zu schmelzen. Dabei soll die Erwärmungszeit bzw. Energiemenge so zu wählen sein, dass ausreichend Schmelze für die Fügepartner zur Verfügung steht. – Fügedruck Sind die Fügeflächen vorbereitet, muss ein ausreichender Druck die Fügepartner zusammendrücken. Der Druck darf nicht zu schwach sein, sonst treffen Fronten

488

6 Gestalten, Fügen, Berechnungsansätze und Simulation EDV-unterstützter Konstruktionen und Auslegung von Kunststoffbauteilen

Bild 6-37. Wertung von Rohstoffkombinationen hinsichtlich ihrer Verträglichkeit

Wertung der einzelnen Schweißverfahren nach Ehrenstein [7] Vorteile

Nachteile

Anwendung/Teileart

Nahteigenschaften

Heizelementschweißen (Wärmekontakt)

Hohe Prozesssicherheit bei minimaler Fehlermöglichkeit, umfangreiche Kenntnisse vorhanden

Eingeschränkte Werkstoffpalette durch Haftung am Heizelement, lange Zykluszeit, hoher Energiebedarf

Serienschweißen: Formteile wie Rückleuchten, Haushaltsgeräte; Handwerk: Apparate- und Rohrleitungsbau, Fenster

hohe Kurz- und Langzeitfestigkeiten bis zur Materialfestigkeit, deutliche Wulstbildung

Wärmekontakt-schweißen/ Siegeln von Folien und Bahnen

Universell einsetzbar

Probleme bei dicken Folien

Verpackungen: Folien, Verbundfolien (Papier, Aluminium), Träger mit Siegelschicht

Haltfestigkeit einstellbar von „fest“ bis „peelbar“

Warmgasschweißen

einfache Schweißgeräte, hohe Flexibilität, Eignung für Zwangslagen

geringe Schweißgeschwindigkeit, Schweißdraht nur für einige Kunststoffe erhältlich

Apparate- und Rohrleitungsbau, Einzelfertigung aus Halbzeugen, Deponie- und Dachbahnen

hoher manueller Einfluss, große Prozessunsicherheit

Warmgasextrusionsschweißen

einfache Schweißvorrichtung, hohe Flexibilität, hohe Auftragsmenge, automatisierungsfähig

geringe Schweißgeschwindigkeit, spezieller Schweißschuh für jede Nahtform, Schweißdraht nur für einige Kunststoffe erhältlich

Apparate- und Behälterbau, Abdichtungstechnik im Erd- und Wasserbau, Wanddicke ab 5 mm, Reparaturschweißungen

gute Schweißqualität, geringer manueller Einfluss

6.2 Fügen und Verbinden

489

Vorteile

Nachteile

Anwendung/Teileart

Nahteigenschaften

Heizstrahlerschweißen/ Heizelementschweißen mit berührungslosem Erwärmen

keine Probleme mit Anhaften der Schmelze am Heizelement wie beim Wärmekontaktverfahren

Erwärmzeit von Pigmentierung abhängig, nur geringe Toleranz zulässig, sehr hohe Temperatur – hoher Energiebedarf

Schweißen in der Serienfertigung von Bauteilen wie Filter, Schwimmer, auch im Rohrleitungsbau

wie Heizelementschweißen

Laserstrahlschweißen

keine mechanische Belastung, kein fusseliger Abrieb, örtlich begrenzte Wärme, komplizierte 3D-Konturen ausführbar

bei Durchstrahlverfahren müssen Fügeteile unterschiedliche Absorptionseigenschaften aufweisen

Durchstrahlschweißen in der Serienfertigung von empfindlichen Teilen: Sensoren, Elektronikgehäuse, Behälter

Dichtschweißung abhängig vom Verfahren möglich

Ultraschallschweißen

sehr kurze Zykluszeiten, gut automatisierbar, energieeffizient

spezielle Nahtkonturen erforderlich, bei Dichtschweißung Größe begrenzt, Schallschutz notwendig

Serienschweißen von kleinen und mittleren Bauteilen der Auto-, Elektro- und Hausgeräteindustrie

geringe Schmelzeschichtdicke, dadurch nur mittlere Nahtfestigkeit

Rotationsreibschweißen

kurze Zykluszeit, Schweißvorrichtung kann improvisiert werden (z. B. Drehmaschine)

Einschränkung auf Teile mit rotationssymmetrischer Naht

Serienschweißen und Einzelanfertigung von Teilen mit mindestens einer rotationssymmetrischen Fügefläche

hohe Verbindungsfestigkeit durch z.B. vergrößerte Nahtfläche

Vibrationsschweißen

kurze Zykluszeit, mehr als 2 Teile zu verbinden, für große Teile geeignet (Stoßfänger), energieeffizient

fusseliger Abrieb nicht immer zu vermeiden, Schallschuzt z. T. erforderlich

Serienschweißen von Formteilen in der Kraftfahrzeug-, Elekrtro- und Haushaltsgeräteindustrie

gute Schweißqualität, hohe Reproduzierbarkeit

unterschiedlicher Viskosität aufeinander, die aufgrund ihrer differenten Fließfähigkeit keine Verknäuelung der Molekülketten in der Nahtstelle bewirken können. Ebenso darf der Druck nicht so groß werden, dass alle Schmelze verdrängt wird. Der Druck ist optimal, wenn die Schmelze deformiert wird, das Thermoplast fließt und die Luft aus der Naht verdrängt wird. – Intermolekulare Diffusion Der Kontakt zwischen den Polymeren an der Grenzfläche führt durch Diffusion und Verknäuelung zu einer ersten Verbindung. Die langen Polymere diffundieren dabei durch die Grenzfläche und vernetzen sich mit den anderen Molekülen. Beim Abkühlen entsteht eine zweite chemische Bindung durch das Aushärten und so die endgültige Nahtqualität. – Kühlung Der letzte Schritt im Schweißprozess ist die Kühlung und Erstarrung der Polymermoleküle an der Naht. Während des letzten Schrittes erfahren die teilkristallinen Matrices durch Rekristallisation ihre endgültige Mikrostruktur (Schrumpfung), während sich die amorphen Polymere jeglicher Orientierung ihrer ursprünglichen Situation widersetzen und alle Spannungen im Teil einfrieren. Um Verzug und Lunker zu vermeiden, soll der Druck so lange aufrecht erhalten bleiben, bis die Temperatur soweit zurückgegangen ist, dass die Verbindung einen formstabilen Zustand einnimmt.

6.2.1.2

Schweißen unter Einbeziehung von Reibung

6.2.1.2.1

Reibschweißen (Innere Reibung)

6.2.1.2.1.1 Ultraschallschweißen Beim Ultraschall-Schweißen werden mit Hilfe eines Hochfrequenzgenerators die Netzfrequenz in hochfrequente elektrische Schwingungen umgewandelt. Mit einem piezoelektrischen Wandler werden diese dann in mechanische Longitudinalschwingungen (Ultraschallbereich 20–40 Khz), welche über ein Verbindungsstück (Booster) und Schweißwerkzeug (Sonotrode) auf das Fügeteil unter Druck übertragen wird umgeformt. Die eigentliche Schmelzebildung ist neben den eingebrachten Schwingungen letztendlich vom vorliegenden materialspezifischen Verlustfaktor tan γ in hohem Maße abhängig. Die effektive Schweißzeit beträgt üblicherweise 0,2–1,5 s. Nach Beendigung der Schalleinleitung ist eine kurze Abkühlphase unter dem noch anstehenden Fügedruck bis zum Verfestigen notwendig (Bild 6-38, Bild 6-39). Da die schwingende Einheit (Wandler, Booster, Sonotrode) in Resonanz betrieben wird, ist der geometrischen Gestaltung insbesondere der Sonotrode besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Ist der Abstand zwischen Sonotrodenstirnfläche und der Fügefläche kleiner 6 mm, so liegt das direkte Nahfeld-Ultraschallschweißen vor (über 6 mm indirektes UltraschallSchweißen). Grundsätzlich sind alle Thermoplaste im Nahfeld-Verfahren schweißbar.

490

6 Gestalten, Fügen, Berechnungsansätze und Simulation EDV-unterstützter Konstruktionen und Auslegung von Kunststoffbauteilen

Bild 6-38. Verlustfaktor tan δ

→ Insbesondere bei dünnen, länglichen Bauteilen können durch vagabundierenden Schall (Resonanzverhalten, Eigenschwingungen) Schädigungen auftreten. → Durch die hochfrequenten Schwingbewegungen entsteht beim Schweißen eine Fusselbildung. Bei den anzutreffenden Nahtvarianten zeichnen sich Energierichtungegeometrien aufgrund einer hervorragenden Schallumwandlung und einfacher Handhabung besonders aus. Bei Anforderungen hinsichtlich Dichtigkeit und Festigkeit an die Fügenaht zeigen hingegen Quetschnahtgeometrien Vorteile auf. Eine pneumatisch arbeitende Ultraschallschweißmaschine ist in Bild 6-42 dargestellt. Bild 6-39. Piezoelektrischer Wandler

6.2.1.2.1.2 Ultraschallnieten Verfahrensgrenzen: → Das Ultraschallschweißen weist sehr kurze Zykluszeiten (reine Schweißzeit Hakenbreite b

Nach dem Entformen aus dem Spritzgießwerkzeug kann Verzug an dem Schnapphaken auftreten, siehe Bild 6-52. Bei kleinen Hinterschnitten kann der Verzug zu einer Funktionsunfähigkeit des Schnapphakens führen. Eine Abhilfemaßnahme besteht in einer verstärkten Wärmeabfuhr an der Profilinnenseite des Schnapphakens.

6.2.2.1.4

Anbindung des Schnapphakens

Ein Schnapphaken kann als Rippe betrachtet werden. Somit besteht die Gefahr von Lunkern, Verzug und Einfallstellen. Ebenso müssen Entformungsschrägen vorgesehen werden. Diese Konstruktionsrichtlinien sind in Kapitel 6.1.2.2 dargestellt.

6.2.2.1.5

Führungen

Neben einem Schnapphaken sollte auch immer eine entsprechende Führung angebracht sein. Sie ermöglicht über ihre Zentrierwirkung ein schnelles und präzises Fügen, da ein

Bild 6-52. Sollform (links) und Istform (rechts) eines Schnapphakens nach Entformung (Originalquelle unbekannt)

6.2 Fügen und Verbinden

499

Bild 6-53. Beispiele für Führungen (Originalquelle unbekannt)

Verklemmen oder Verkippen der Bauteile vermieden wird. Ebenso kann im Betrieb die Führung auftretende Querkräfte aufnehmen und eine Beschädigung der Haken durch Überdehnen oder Brechen verhindern. Typische Beispiele aus dem Alltag sind in Bild 6-53 zu sehen.

6.2.2.1.6

Entformen des Schnapphakens

Zur Entformung eines Schnapphakens stehen drei Varianten zur Verfügung: – Einsatz von Schiebern Schieber sind wenn möglich zu vermeiden, da sie aufwändig und teuer sind. Es gilt zu prüfen, ob im Bauteil ein Durchbruch am Fuß an den Schnapphakens möglich ist. In diesem Fall kann der Hinterschnitt über einen Kern realisiert und der Schnapphaken einfach entformt werden, siehe Bild 6-17. – Überwindung des Hinterschnitts durch einen Auswerferstift Der Auswerferstift bewirkt ein Auslenken des Hakens, er ist auch bei selbsthemmenden Schnappverbindungen einsetzbar. Dazu wird zuerst das Werkzeug geöffnet (Schritt 1) und anschließend der Auswerferstift betätigt (Schritt 2), siehe Bild 6-55. Die untere Rippe dient dabei als Anschlag, so dass die zulässige Randfaserdehnung nicht überschritten wird. Anschließend wird das Bauteil entformt (Schritt 3). – Überwindung durch Zwangsentformung Bei der Entformung ist das Bauteil noch nicht vollständig erkaltet. Die zulässigen Dehnungen sind bei höheren Temperaturen größer, so dass bei geringem Hinterschnitt

Bild 6-54. Entformung mittels Auswerferstift (Originalquelle unbekannt)

bzw. bei flachem Lösewinkel der Schnapphaken eventuell auch zwangsentformt werden kann. Dabei darf sich die Geometrie nicht bleibend verformen. Eine Zwangsentformung von selbsthemmenden Schnappverbindungen ist nicht möglich.

6.2.2.2

Berechnung

Die Berechnung der Füge- und Lösekräfte einer Schnappverbindung erfolgt nach dem Schema in Bild 6-56.

6.2.2.2.1

Berechnung der Randfaserdehnung

Schnappverbindungen nutzen das elastische Verhalten der Werkstoffe zur Rückstellbewegung aus der ausgelenkten Lage. Wird durch diese Auslenkung beim Kunststoff ein Grenzwert der Dehnung überschritten, tritt eine Schädigung

500

6 Gestalten, Fügen, Berechnungsansätze und Simulation EDV-unterstützter Konstruktionen und Auslegung von Kunststoffbauteilen

des Werkstoffes ein. Daher muss die Randfaserdehnung ε beim Fügen der Schnappverbindung berechnet werden. Diese muss unterhalb der maximal zulässigen Dehnung εzul liegen. Die Randfaserdehnung berechnet sich aus dem Hinterschnitt f, der Hakenhöhe h und der Schnapphakenlänge l. 3·h ε = f · 82 2·l Die maximale Randfaserdehnung εzul kann Tabelle 6-6 entnommen werden. Die maximale Randfaserdehnung εzul kann aber auch überschlägig berechnet werden. Dabei muss zwischen spröden und zähen Kunststoffen unterschieden werden. Spröde Materialien sind definiert: Bruchdehnung (εBruch) = Streckdehnung (εStreck) Hier gilt: εzul = 0,5 · εBruch Zähe Materialien sind definiert: Bruchdehnung (εBruch) > 2 · Streckdehnung (εStreck) Hier gilt: εzul = 0,8 · εStreck

Bild 6-55. Ablaufdiagramm der Schnapphakenberechnung

Tabelle 6-6 Zulässige Randfaserdehnung verschiedener Kunststoffe Werkstoff

ABS PC PMMA PS PVC SAN SB PA PBT PE-LD PE-HD POM PP

Zulässige Dehnung [%] Kurzzeit

Langzeit

1,5–2,0 1,5–2,0 1,5–2,0 1,0–1,5 1,5–2,0 1,5–2,0 1,5–2,0 3,0–4,0 4,0–5,0 5,0–6,0 4,0–5,0 4,0–5,0 4,0–5,0

0,8 0,8 0,6 0,6 0,8 0,8 0,8 2,0 2,0 2,5 2,0 2,0 2,0

Reibungsbeiwert hängt von dem Fügepartner ab, hier Stahl 0,5 0,5 0,5 0,45 0,55 0,5 0,5 0,35 0,3 0,5 0,3 0,3 0,3

6.2 Fügen und Verbinden

6.2.2.2.2

Berechnung der Füge- und Lösekraft

Zur Berechnung der Füge- Fax und Lösekräfte Fl muss zuerst die Auslenkkraft F ermittelt werden. Die Auslenkkraft F berechnet sich aus dem Trägheitsmoment I, der Hakenlänge l, der Auslenkung f und dem korrespondierendem Sekantenmodul ES bei der zuvor berechneten Randfaserdehnung. 3 · ES · I F = f · 04 l3 Für rechteckige Querschnitte berechnet sich das Trägheitsb · h3 moment I zu I = 8 . 12 Beide Formeln vereinigt ergibt die Auslenkkraft F. ES · b · h3 F = f · 06 4 · l3 Die Dehnungen im Schnapphaken können nichtlinear sein, dies wird durch die Wahl des E-Moduls berücksichtigt. Der Sekantenmodul ES ist eine im Spannungs-Dehnungs-Diagramm eine Gerade zwischen Ursprung und zulässiger Randfaserdehnung, siehe Bild 6-57. Spannungs-DehnungsDiagramme können Datenblättern der Rohstoffhersteller oder aber der CAMPUS-Datenbank entnommen werden. Die Fügekraft Fax berechnet sich aus der Auslenkkraft, die mit dem Umsetzungsfaktor η multipliziert wird. Fax = F · η Der Umsetzungsfaktor berücksichtigt den Reibbeiwert μ des Kunststoffs und den Fügewinkel α des Schnapphakens. Typische Reibbeiwerte können Tabelle 6-6 entnommen werden.

501

μ + tanα η = 00 1 – μ · tanα Für Lösewinkel kleiner 70° wird die Lösekraft analog der Fügekraft berechnet. Für Lösewinkel größer 70° tritt Selbsthemmung auf, hier berechnet sich die Lösekraft Fl mit Hilfe des Faktors e, der die halbe Hackendicke repräsentiert e = h/2. 2 · ES · I Fl = f · 04 l2 · e

6.2.2.2.3

Berechnung der Spannungen in der Hakennase und im Querschnitt

In der Hakennase treten Schubspannungen τ auf, die im Extremfall zu einem Abscheren der Nase führen können. Sie müssen daher kleiner als die zulässige Scherspannung τzul sein. Sind die Scherkräfte kleiner als die Lösekräfte, wird das Potential des Schnapphakens nicht vollständig genutzt. F τ = 7 ≤ τzul b · l2 Die zulässige Scherspannung wird aus den Zugspannungen der Kunststoffe berechnet.

τzul = 0,5 · σmax Für zähe Werkstoffe gilt: Für spröde Werkstoffe gilt:

σmax = Streckspannung σmax = Bruchspannung

Bild 6-56. Bestimmung des Sekantenmoduls

502

6 Gestalten, Fügen, Berechnungsansätze und Simulation EDV-unterstützter Konstruktionen und Auslegung von Kunststoffbauteilen

6.2.2.2.4

Berechnungsprogramme

Neben der analytischen Berechnung von Schnapphaken können auch FEM-Programme wie ABAQUS oder ANSYS genutzt werden. Die BASF stellt auf Ihrer Homepage ein kostenloses Berechnungsprogramm zur Verfügung, mit dem auch Schnapphaken mit nicht rechteckigen Querschnitten berechnet werden können.

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Literatur zu Kapitel 6.2

Bild 6-57. Spannungsverlauf im Schnapphaken beim Fügen und Lösen

Ein Versagen im Restquerschnitt kann nicht auftreten, wenn die Spannungen unterhalb der maximal zulässigen Spannungen bleiben. Beim Fügen des Schnapphakens werden Bieg- und Druckspannungen überlagert, beim Lösen treten Biege- und Zugspannungen auf, siehe Bild 6-57. Zug und Druckspannungen können als gleich angesehen werden, daraus ergibt sich die Gesamtspannung σges :

Ehrenstein G (2003) Handbuch der Fügetechnik. Hanser Verlag, München Benatar u. a. (2001) Welding. Hanser Verlag, München Vatterodt T, Hänsch D (2006) Nähen ohne Faden. Kunststoffe 96(2006)10, S 221–224 Kazmirzak W (2006) Heizelement-Schweißen für hochschmelzende Kunststoffe. Kunststoffe 96(2006)10, S 225– 228 Poggel M (2006) Fügen mit Licht. Kunststoffe 96(2006)3, S 50–54 Heim H-P (2006) Abrieb- und Fusselminimierung beim Vibrationsschweißen. Kunststoffe 96(2006)3, S 45–48 Ehrenstein G (2004) Fügeverfahren: Verbindungstechnik. Kunststoffe 94(2004)7, S 28-34 Haberstroh E (2004) Qualitätssicherung: Prozessführung beim Ultraschallschweißen. Kunststoffe 94(2004)7, S 35–38 Renner (2004) Laserschweißen: Lasergerechte Konstruktion beim Kunststoffschweißen. Kunststoffe 94(2004)2, S 30– 36 Kohler H-P (2003) Rohre verbinden: Stumpfschweißen im beschleunigten Verfahren. Kunststoffe 93(2003)2, S 203– 205 Mattus V (2001) Durchblick beim Durchstrahlen. Kunststoffe 91(2001)2, S 158–163 Kunz J, Studer M (2007) Die Kerbwirkung bei der Anbindung von Schnapphaken. Kunststoffe 97(2007)7, S 46– 51

Weiterführende Literatur: F Mb σges = σZug ± σBiege = 5 ± 6 Aq Wb Für rechteckige Querschnitte berechnet sich die Gesamtspannung σges zu: F Mb F 6·F·e σges = 5 ± 6 = 6 ± 03 Aq Wb b · h b · h2

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504

6 Gestalten, Fügen, Berechnungsansätze und Simulation EDV-unterstützter Konstruktionen und Auslegung von Kunststoffbauteilen

Ticona Technologie Literatur (CD) B.3.1 Berechnen von Schnappverbindungen. Schnappverbindungen sind formschlüssige Verbindungen mit vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten. Je nach Gestaltung sind die Verbindungen lösbar oder unlösbar, sodaß die Anwendung an verschiedene Bedingungen angepaßt werden kann. Die Broschüre enthält Kennwerte, mit deren Hilfe Schnappverbindungen ausgelegt werden können. Berechnungsbeispiele erleichtern die Anwendung. B.3.2 Verbindungen mit Metallschrauben Metallschrauben ermöglichen hochbelastbare, lösbare Verbindungen von Kunststoffteilen, die auch Dauerbeanspruchungen bei höheren Betriebstemperaturen sicher aufnehmen können. Gewindeformende Schrauben ergeben eine besonders kostengünstige Verbindung. Für metrische Schrauben empfiehlt es sich, metallische Inserts zu umspritzen oder einzusenken. Die Broschüre enthält die zum Auslegen von Schraubverbindungen benötigten Kennwerte. Berechnungsbeispiele und Gestaltungshinweise erläutern deren Anwendung. B.3.3 Kunststoffbauteile mit angeformten Gewinden Angeformte Gewinde werden für lösbare feste Verbindungen an einer Vielzahl von Gehäuseteilen genutzt. Dazu gehören Filtergehäuse, Ventile und Verschlußkappen. Auch Verbindungen zur Umwandlung von Längsin Drehbewegungen und umgekehrt sind so umsetzbar. Die Broschüre enthält Kennwerte, mit deren Hilfe angeformte Gewinde ausgelegt werden können. Berechnungsbeispiele und Gestaltungshinweise erleichtern die Anwendung. Zudem enthält die Broschüre einige Anwendungsbeispiele. B.3.4 – Berechnung von Pressverbindungen Die Presspassung ist eine kraftschlüssige Verbindung, die sich einfach und kostengünstig herstellen lässt. Die wichtigsten Anwendungen sind Welle-Nabe-Verbindungen z.B. bei Zahnrädern, Kupplungen, Lüfter- und Pumpenrädern sowie die Befestigung von Kunststoff-Lagerbuchsen. Die Broschüre beschreibt die Kenngrößen einer Presspassung und den Berechnungsgang mit Hilfe der in Diagrammen angegebenen Kennwerte. Berechnungsund Anwendungsbeispiele runden die Broschüre ab. B.3.7 Ultraschallschweißen und -fügen von Formteilen aus technischen Kunststoffen Das Ultraschall-Schweißen von Kunststoffen ist wegen der kurzen Schweißzeiten ein besonders bei großen Stückzaheln sehr wirtschaftliches Fügeverfahren und ergibt hochbelastbare, gas- und flüssigkeitsdichte Verbindungen. Die Broschüre erläutert Ablauf und Einflussgrößen beim Ultraschall-Schweißen, gibt detaillier-

te Hinweise zur Gestaltung der Fügeflächen und enthält zahlreiche Belastungsdiagramme. Zusätzlich behandelt sie das Nieten, Bördeln und Ultraschall-Einbetten von Metallteilen und stellt einige Anwendungsbeispiele vor.

6.3

Berechnungsansätze und Simulation Andreas Radtke

6.3.1

Einleitung

Ein wichtiger Schritt in der Abfolge der Bauteilherstellung ist die Auslegung des Bauteils entsprechend der geforderten Lastfälle. Dies geschieht vornehmlich mit Hilfe von Simulationstechniken wie z.B. der Methode der finiten Elemente [1]. Wichtige Gebiete der Simulation in der Kunststofftechnik umfassen auch die Prozesssimulation für die Spritzgießverarbeitung, RTM 1-Verarbeitung, Thermo- oder Blasformen und Extrusionssimulation. Die Auslegung von Bauteilen aus polymeren Werkstoffen erfordern angepasste Materialmodelle für die Simulation, welche das Verformungsverhalten von Kunststoffen unter mechanischer Beanspruchung besser abbilden können als herkömmliche elastisch-plastische Materialmodelle, wie sie für Metalle Anwendung finden [1]. Im Falle der faserverstärkten Kunststoffe müssen die unterschiedlichen Größen der mechanischen Kennwerte in Abhängigkeit der vorherrschenden Faserorientierung im eingesetzten Materialmodell berücksichtigt werden. Für die Simulation wurden Berechnungsmodelle entwickelt, welche die Faserorientierungsverteilung vorhersagbar machen [2], [3]. Im Folgenden werden zunächst Modellansätze für die Formfüllsimulation für spritzgegossene oder fliessgepresste Thermoplaste aufgeführt, gefolgt von einer Aufstellung von Materialmodellen für vorzugsweise (faser-)verstärkte Werkstoffe. Abschließend wird auf Simulationsverfahren eingegangen.

6.3.2

Berechnungsansätze

6.3.2.1

Formfüllvorgang

Zielsetzung rheologischer Berechnungen ist die Berechnung der Strömungs- und Druckverhältnisse im Werkzeug sowie die Abschätzung der Zuhaltekraft für den Spritzgießprozess oder des Presskraftbedarfes während des Formfüllvorganges 1 Abkürzungen und Formelzeichen werden am Ende des Kapitels 6.3.2 erläutert.

6.3 Berechnungsansätze und Simulation

505

[4], [5]. Für die Beschreibung der Viskositätsdaten sind Potenzansätze wie Power-Law [6], Carreau [7] oder der Ansatz nach Ostwald/de Waele [8] geeignet, das Verhalten strukturviskoser Formmassen wie z. B. faserverstärkter Thermoplaste darzustellen. Zur Beschreibung der Formfüllung eines Bauteiles in der Formfüllsimulation kommt bei Mittelflächenmodellen meist der Hele-Shaw Ansatz zum Einsatz [9], [10]. Neuere Entwicklungen betreffen die 3-D-Simulation. Im Falle von GMT-Bauteilen setzt man FE-Simulationsprogramme ein (z.B. Programm EXPRESS [11], [12]). Der Formfüllvorgang in flachen Bauteilen kann mit dem Hele-Shaw-Ansatz beschrieben werden: ∂ ∂p ∂ ∂p 5 S5 +5 S5 –h=0 ∂x ∂x ∂y ∂y

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h3 mit der so genannten Fließleitfähigkeit S: S = 9 . 12ηV Für kompliziert gestaltete Geometrien kann die Differentialgleichung mit Hilfe der Methode der finiten Elemente gelöst werden. Für die Berechnung des Füllvorganges thermoplastischer Werkstoffsysteme ist zusätzlich die Berechnung der Temperaturverteilung durchzuführen.

6.3.2.2

Faserorientierungen

Art und Typ der Faserverstärkung haben einen dominierenden Einfluss auf die mechanischen Kennwerte und auf die Fließfähigkeit des Faserverbundsystems. Infolge des Fließens bei der Formteilherstellung bildet sich eine Orientierung der im Fasermatrixverbund befindlichen Fasern im Bauteil aus. Ausgangspunkt für die Berechnung von Faserorientierungsverteilungen ist die Berechnung der Druck- und Strömungssituation in der Kavität während der Werkzeugfüllung. Eine der ersten Beschreibungen für Faserorientierungen entwickelte Jeffrey 1922. Für die Nomenklatur des Richtungsvektors einer Faser gilt (siehe z.B. [13], [14]). Maßgeblich ist der Winkel Φ für die Orientierungsverteilung in dünnen, plattenförmigen Geometrien. Die Anwendung und Modifikation des Jeffrey-Modells durch Folgar und Tucker 1984 [2], [15] führte zum ersten praktisch eingesetzten Faserorientierungsmodell für Simulationsprogramme. Wesentlicher Einflussparameter für die Berechnung der Faserorientierung und der daraus ermittelten Kennwerte und Daten für weitere Analysen ist der so genannte Faserinteraktionskoeffizient Ci [2], [9], der ein Maß für die Behinderung einzelner Fasern hinsichtlich ihrer Orientierung während des Fließvorganges darstellt und für die Berechnung der Faserorientierung notwendig ist [16]. Dieser wird empirisch in einem Iterationsverfahren durch

Bild 6-58. Definition des Faserorientierungsvektors [13]

Vergleich von Rechnung und Messung ermittelt und geht als Materialkonstante in die Faserorientierungssimulation ein [14]: 2 ∂ψφ · ∂ ψφ – ∂ 8 = CI y 9 ∂t ∂2φ2 5 ∂φ ∂υx ∂υx ∂υy ∂υψ ψφ – sinφ cosφ 6 – sin2φ 6 + cos2φ 6 + sinφc osφ 8 ∂x ∂y ∂x ∂y

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Die Beschreibung der Faserorientierungsmodelle mit Hilfe von Tensoren wurde von Advani und Tucker eingeführt und konnte den Berechnungsaufwand wesentlich reduzieren [3], [17], [18]. Dαij 1 8 + 3 (Wij αkj – Wkj αik) = Dt 2 β (Dik αkj + Dkj αik – 2Dkl αijkl) + 2CI γ (δij – 3αij) 4 2 Da in den Berechnungstermen ein Tensor 4. Stufe auftritt, müssen geeignete Approximationsfunktionen gefunden werden [3]. Einen Überblick über Berechnungsansätze geben Chung und Kwon [19]. Eine weitere Beschreibung der Re-Orientierung von Fasern nach einem so genannten Kontinuumsmodell wurde von Modlen, sowie Dinh und Armstrong [9] aufgestellt. Wesentlicher Nachteil des Kontinuumsmodells ist, dass keine Berücksichtigung der Faserinteraktion bei hohen Fasergehalten vorliegt und nur eine regellose Faserverteilung am Anfang berücksichtigt werden kann. Von Diest erweiterte dieses Modell für den Spezialfall einer ebenen Platte um einen Interaktionsterm und frei wählbare Anfangsbedingungen [9]. Der Ansatz hat jedoch in kommerzieller Fließsimulation keine Bedeutung gefunden.

506

6 Gestalten, Fügen, Berechnungsansätze und Simulation EDV-unterstützter Konstruktionen und Auslegung von Kunststoffbauteilen

Die Füll- und Orientierungsmechanismen wurden ebenfalls von Bay [20] untersucht und beschrieben. Bay fand hierbei eine empirische Beziehung im Falle von Kurzfaserverstärkung für PA66-GF, PC-GF und PBT-GF, die den Zusammenhang von Faserlänge und Interaktionskoeffizient Ci darstellt: c·L Ci = 0,0184 · exp (– 0,7148 6 ) d mit c = Konzentration der Fasern und L/d= Aspect ratio der Fasern. Weitere vergleichende Analysen von Messungen und Simulation wurden von Lee et al. [21] und Whiteside et al. [22] angestellt. Diese beobachteten für die eingesetzten Materialien und Bauteile eine gute Übereinstimmung zwischen Messungen und Simulation.

6.3.2.3

Modellansätze zur Berechnung strukturmechanischer Steifigkeiten

Bei Kunststoffen wird zwischen unverstärkten und verstärkten Materialien unterschieden. Entsprechend der Abhängigkeit des Verhaltens vom Polymeraufbau sind unterschiedliche Materialgesetze notwendig. Im Falle der unverstärkten Polymere überwiegen die viskosen Anteile des Verhaltens. Im Folgenden liegt der Schwerpunkt der aufgeführten Materialmodelle bei den (faser-) verstärkten Polymeren. Für Werkstoffsysteme mit Faserverstärkung werden angepasste Berechnungsansätze benötigt, welche die durch die Faserverstärkung hervorgerufene Anisotropie berücksichtigen können [23], [24]. Um das mechanische Verhalten beschreiben zu können, benötigt man zunächst Stoffwertfunktionen für die Beschreibung der richtungsabhängigen Eigenschaften. Weiterführende Materialgesetze beschäftigen sich mit der Beschreibung von diskontinuierlich verstärkten Werkstoffen.

6.3.2.3.1

Stoffwertfunktionen in der FE-Simulation können auf diese Grundmodelle zurückgeführt werden. Zusätzlich können Zeit-Temperatur-Verschiebungsansätze (z.B. WilliamsLandel-Ferry WLF-Ansatz) berücksichtigt werden [1].

6.3.2.3.2

Hyperelastische Modellformulierungen

Hyperelastische Modellformulierungen finden bei Gummi und gummiähnlichen Werkstoffen Anwendung. Modellformulierungen nach Mooney-Rivlin oder Ogden gehören dabei zu den meist eingesetzten. Modell nach Mooney-Rivlin: W = C10 (I1 – 3) + C01 (I2 – 3) n μ i Modell nach Ogden: W = Σ 5 (λβ11 + λβ2i + λβ3i – 3) i=1 β1 (siehe auch Kapitel 3.2.3)

6.3.2.3.3

Allgemeines Hooke’sches Gesetz

Das Hooke’sche Gesetz liefert die Beschreibung für elastische Werkstoffe hinsichtlich ihres Spannungs- und Dehnungsverhaltens. In seiner allgemeinen Form benötigt es 81 unabhängige Materialkonstanten [25]. Verwendet man zur Beschreibung so genannte Ingenieurskonstanten, stellt sich das Hooke’sche Gesetz wie folgt dar:

Viskoelastisches Materialverhalten

Bei Kunststoffen tritt infolge des Strukturaufbaus ein viskoelastisches Materialverhalten auf. Es treten, je nach Größe der Deformation elastische und plastische Anteile auf. Spannung und resultierende Verformung hängen von der Beanspruchungsgeschwindigkeit ab. Charakteristisch für das Polymerverhalten sind Relaxation (Spannungsabbau bei konstanter Dehnung) und Retardation (Verzögerte Dehnungsantwort bei konstanter Spannung). Diese Charakteristika von Polymeren lassen sich durch eine Kombination von Feder- und Dämpferelementen abbilden. Das Vier-Parametermodell nach Burgers hat sich als Ersatzmodell für die Abbildung des Verhaltens als am besten geeignet herausgestellt, Bild 6-60.

6.3.2.3.4

Laminattheorie

Die Laminattheorie dient zur Berechnung von Eigenschaften von Faserverbundstrukturen mit gedrehten Achsensystemen. Mittels Transformationsmatrizen können beliebige Einzelorientierungen auf ein globales Koordinatensystem bezogen werden [25],[26].

6.3.2.3.5

Orientation averaging

Der Begriff des „Orientation averaging“ wurde von Tucker und Advani geprägt und von Schwarz und Wire eingesetzt [27],[28]. Es ermöglicht die Berechnung der makrosko-

6.3 Berechnungsansätze und Simulation

507

Bild 6-59. Ersatzmodelle für viskoelastisches Verhalten von Kunststoffen

pischen Eigenschaften eines Faserverbundwerkstoffes unter der Voraussetzung der Kenntnis der Faserorientierungsverteilung und der entsprechenden unidirektionalen Materialeigenschaften. Der Begriff des „orientation averaging“ wird speziell für die Tensornotation der Orientierungsverteilungen angewendet. Definition nach Schwarz [28]:

冬T 冭 = ○∫ T (P) Ψ (P) dP mit: 冬T 冭: gemittelter Tensor im Bezugskoordinatensystem T (P): aus der Richtung P transformierter Tensor T, dargestellt im Bezugskoordinatensystem Ψ (P): Verteilungsfunktion der Faserorientierung

6.3.2.4

Mikromechanische Materialmodelle

Die mikromechanischen Berechnungsansätze ermöglichen eine Berechnung der Steifigkeit als Funktion der Komponenten des Verbundwerkstoffes, im Wesentlichen der Fasergehalts- und Faserlängenverteilung.

6.3.2.4.1

Lineare Mischungsregel

Die lineare Mischungsregel ermöglicht die Berechnung von Kennwerten unidirektionaler FVK anhand der Faser- und Matrixvolumengehalte [24], [25].

508

6 Gestalten, Fügen, Berechnungsansätze und Simulation EDV-unterstützter Konstruktionen und Auslegung von Kunststoffbauteilen

E1 = VfEf + VMEM EfEm E2 = 000 EmVf + Ef (1 – Vf ) (1 – Vf ) 1 Vf = + 03 6 G12 5 Gf Gm v12 = vfVf + vm(1 – Vf )

6.3.2.4.2

Shear-Lag-Modell

Das Shear-Lag-Modell ermöglicht die Berechnung des EModuls ideal ausgerichteter diskontinuierlicher Faserverbundwerkstoffe. Es gibt bei diesen eine Faserlänge (lkrit), ab der Spannungen vollständig von der Matrix auf die Faser übertragen werden können. Der Begriff der kritischen Faserlänge lkrit wurde von Cox [29] in der so genannten Shear-Lag-Theorie entwickelt und von Cottrell, Kelly und Tyson [30], [31] weiter verwendet. Die kritische Faserlänge lkrit [32] bezeichnet die Länge eines Partikels, ab der eine größere Lastübertragung über die Scherspannungen über die Stirnflächen des Partikels als über die Scherflächen erzielt wird.

6.3.2.4.3

Halpin-Tsai-Modell

Das Modell nach Halpin-Tsai [27], [33], [34] ist eine der weitverbreitetsten Theorien zur Berechnung von diskontinuierlich faserverstärkten Faserverbundwerkstoffen. Es handelt sich hierbei um eine Theorie, die einen Faserlängeneinfluss durch den so genannten Formfaktor ξ berücksichtigen kann.

6.3.2.4.4

Mikromechanische Materialmodelle: Eshelby-Tensor

Eshelby entwickelte eine Theorie über die Verstärkungswirkung ellipsenförmiger Einschlüsse (Prinzip der äquivalenten Einschlüsse) [27], [34], [35], [36], die als Ausgangspunkt für die Theorien von Tandon-Weng oder Mori-Tanaka gilt. Eshelby ermöglichte die Transformation der Eigenschaften des Einschlusses auf die umgebende Matrix durch die Annahme einer fiktiven Eigendehnung des Einschlusses. Für die Berechnung der Eigendehnung kommt der sogenannte Eshelby-Tensor zum Einsatz, der von der Geometrie des Einschlusses abhängt. Hill entwickelte daraus das so genannte Self-ConsistentModel [34], [36], das die Beschreibung des inhomogenen Spannungsfeldes um einen Einschluss den Spannungen im umgebenden Material gleichsetzt.

6.3.2.4.5

Mikromechanische Materialmodelle: Mean-fieldtheories (Mori-Tanaka; Chow; Tandon-Wenig)

Das Mori-Tanaka Modell basiert auf der Annahme, dass zwischen den Einschlüssen ein annähernd konstantes Feld vorliegt [18], [34], [36]. Dafür wird die mittlere Spannung der Matrix angenommen. Ähnliche Theorien wie die von Chow [34] werden auch mit dem Begriff „mean-field-theories“ bezeichnet. Das Tandon-Weng-Modell ist ein ähnlich gelagerter umfassender Modellansatz zur Beschreibung der mechanischen Eigenschaften in kurzfaserverstärkten Verbundwerkstoffen, der aus dem Mori-Tanaka-Modell entwickelt wurde [27], [34], [37], [38].

6.3.2.4.6

Weitere Berechnungsansätze

Mit Hilfe des Elementar-Volumen-Konzeptes können die Eigenschaften eines Faserverbundwerkstoffes ausgehend von einer so genannten Elementar-Volumeneinheit errechnet werden, jedoch ist der Berechnungsaufwand und die notwendige Kenntnis über die Verteilung der jeweiligen Elementarvolumina als extrem aufwendig zu bewerten [39]. De Morais beschäftigte sich mit vergleichbaren Ansätzen und lieferte eine Berechnung für den Spannungstransfer zwischen den Fasern und verifizierte diese mit FE-Simulationen an Elementarmodellen [40].

6.3.2.4.7

Zusammenfassung und Bewertung der mikromechanischen Modelle

Die oben aufgeführten Theorien können mit Transformationsmatrizen gekoppelt werden um Anteile mit unterschiedlichen Faserorientierungen zu berücksichtigen. Damit kann in unterschiedlich ausgerichteten Faserorientierungsverteilungen in Kurzfasersystemen deren Beitrag zur Gesamtsteifigkeit eines Faserverbundwerkstoffes ermittelt werden. Vergleiche der verschiedenen theoretischen Ansätze finden sich in [13], [18], [27], [34], [36].

6.3.3

Simulation

Die Simulation hat eine große Bedeutung für die Auslegung von Bauteilen und Prozessen. Heutige Simulationsmethoden bilden Werkstoffe, Prozessabläufe und daraus resultierende Bauteileigenschaften ab [41]. Esward und Wright liefern einen guten Überblick über verbreitete Softwaresysteme und ihre Einsatzgebiete [42]. Von essentieller Bedeutung für die Qualität der Berechnungsergebnisse ist der Einsatz konstruktionsgerechter Kennwerte [43]. Um eine genauere Vorhersage der Bauteileigenschaften zu ermöglichen, können verschiedene Simulationsmethoden

6.3 Berechnungsansätze und Simulation gekoppelt werden. Ein Beispiel der Kopplung zwischen einer Formfüllanalyse und eine Strukturanalyse mittels FEM findet sich bei [44], [45]. Noch ist die Kopplung zwischen Formfüllsimulation und Struktursimulation jedoch nicht Standard für die Bauteilauslegung, da sie sich je nach verwendeter zu koppelnder Software recht aufwendig gestaltet und z. T. gar nicht durchführbar ist.

6.3.3.1

Thermoform-Simulation

Ziele der Simulation des Thermoformprozesses sind Optimierungen der Wanddicken und Wanddickenverteilungen, sowie der Prozessführung und der Zeitsteuerung [46]. Verwandte Fragestellungen finden sich bei der Prozesssimulation des Blasformens oder Streckblasformens [47], [48].

6.3.3.2

Simulation des Extrusionsprozesses

Bei der Simulation des Extrusionsprozesses werden hauptsächlich Strömungsvorgänge in Extrudern oder Extrusionsdüsen simuliert. Ziele sind optimierte Mischvorgänge im Extruder und rheologisch optimierte Düsen [49].

6.3.3.3

RTM-Simulation

Auch im Falle der RTM-Verfahren kommen Simulationsmethoden zum Einsatz, die vor allem die Berechnung der Formfüllung und Tränkung der Gewebestrukturen zum Gegenstand haben. Weiterhin werden Prozessparameter und Reaktionskinetik der Tränkharze berechnet.

6.3.3.4

Formfüllsimulation Spritzgieß-/Pressverfahren

Für den Spritzgiessprozess oder Pressverfahren liegt für Bauteile aus Thermoplasten ein komplexer Zusammenhang zwischen Bauteilverhalten und Herstellungsprozess vor. Die sich einstellenden Materialkennwerte und daraus folgend, Bauteileigenschaften resultieren aus den Verarbeitungsschritten und sind von diesen in weitem Bereich beeinflussbar. Ein wichtiger Schritt der Simulationsbetrachtung eines Bauteils ist die Prozesssimulation [50]. Die Prozesssimulation ist für Spritzgießverfahren weit entwickelt und findet in praxi Anwendung. Für Fliesspressprozesse gibt es spezialisierte Prozesssimulationssoftware [6], [11], [12], [51]. Specker zeigt in seinen Arbeiten den Ablauf der Prozesssimulation für Bauteile aus SMC [14], [52] sowie die Messung von Faserorientierungen mittels Röntgenuntersuchungen und deren Simulationsberechnung. Ergebnisse aus der Formfüllanalyse lassen Aussagen über die Herstellbarkeit und mögliche Probleme bei der Formfül-

509

lung zu [53]. Ein Einlegemuster wird vordefiniert, das sich aus den im Realprozess eingesetzten Plastifikatsträngen definiert. Durch die Formfüllsimulation werden wertvolle Daten für die Konstruktion von Werkzeugen (z.B. nötige Entlüftungen) und die Gestaltung des Einlegemusters gewonnen, sowie die Berechnung anisotroper mechanischer Eigenschaften im Bauteil ermöglicht [54]. Für Formfüllanalysen kann auch die Boundary Element Method (BEM) eingesetzt werden [55], die vom Vorbereitungs- und Berechnungsaufwand her große Vorteile bi