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German Pages 362 Year 2006
Bernd Helmig/Robert Purtschert (Hrsg.) Nonprofit-Management
Bernd Helmig/Robert Purtschert (Hrsg.)
NonprofitManagement Beispiele für Best-Practices im Dritten Sektor Konzepte – Methoden – Praxis 2., aktualisierte und erweiterte Auflage
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Prof. Dr. Bernd Helmig ist Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre und Inhaber des Lehrstuhls für Nonprofit-Management und Marketing an der Universität Freiburg, Schweiz. Er ist Direktor des dortigen Verbandsmanagement-lnstituts (VMI). Prof. Dr. Robert Purtschert ist außerordentlicher Professor an der Universität Freiburg, Schweiz, und Mitbegründer und Direktor für Weiterbildung am VMI.
1. Auflage Dezember 2005 2. Auflage September 2006 Alle Rechte vorbehalten © Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Barbara Roscher / Jutta Hinrichsen Der Gabler Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Konzeption und Layout des Umschlags: Ulrike Weigel, www.CorporateDesignGroup.de Druck und buchbinderische Verarbeitung: Wilhelm & Adam, Heusenstamm Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN-10 3-8349-0274-8 ISBN-13 978-8349-0274-0
Vorwort zur zweiten Auflage
Vorwort zur zweiten Auflage
Nachdem die erste Auflage dieses Buches aufgrund der unerwartet großen Anzahl an Vorbestellungen mit ihrem Erscheinen bereits ausverkauft war, wurde eine zweite Auflage unumgänglich. Dies umso mehr, als wir den NPO-Typ «Arbeitnehmerorganisation» in der ersten Auflage noch nicht berücksichtigt hatten. Durch die Aufnahme der «Angestellten Schweiz», der stärksten Arbeitnehmendenorganisation der Branchen Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie sowie Chemie-/Pharmaindustrie in der Schweiz mit rund 27.000 Angestellten als Mitgliedern, haben wir diese Lücke schließen können. Wir hoffen, dass auch die somit erweiterte zweite Auflage des Buches eine ähnlich gute Aufnahme im Markt finden wird, wie die erste.
Fribourg im Juli 2006
Bernd Helmig & Robert Purtschert
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Vorwort zur ersten Auflage
Vorwort zur ersten Auflage
Dass das Umfeld, in dem sich die Nonprofit-Organisationen (NPO) bewegen müssen, zunehmend schwieriger wird, ist bekannt. Die zugrunde liegende Ursachen sind vielfältiger Natur. So werden steigender Konkurrenzdruck, steigende Ansprüche von Mitgliedern, Kunden und Stakeholdern, steigender Legitimationsdruck gegenüber Donatoren, Mäzenen, Trägern und der öffentlichen Hand oder auch sinkende Spendeneinnahmen genannt. Als Folge dieses schwierigen Umfeldes geraten NPO immer häufiger in finanzielle Schwierigkeiten, bis hin zum Marktaustritt. Dennoch gibt es auch im NPO-Bereich immer wieder Marktteilnehmer, die sich erfolgreich gegen alle Widrigkeiten durchsetzen und mit entsprechend positiven Ergebnissen am Markt reüssieren. Das vorliegende Buch enthält 13 Beispiele von Best Practices von NPOSpitzenmanagern aus dem gesamten deutschsprachigen Raum (Deutschland, Österreich, Schweiz, Südtirol) und verschiedensten NPO-Typen (Eigenleistungs- und Fremdleistungs-NPO) unterschiedlicher Rechtsform (u. a. Stiftung, Genossenschaft, Verein), die darstellen, wie sie es geschafft haben, ihre Organisation erfolgreich zu positionieren und zu managen. Damit werden erstmalig die Hintergründe um erfolgreiche NPO gelüftet. Präsidenten, Vorstände und Geschäftsführer berichten aus erster Hand, welches letztlich die entscheidenden Schritte waren, um Wachstum und Überschüsse sowie – v. a. im Falle von Verbänden – die gewünschte Einflussnahme zu erzielen. Sie zeigen, wie sie die einschneidenden Entwicklungen im Umfeld des Wirtschaftens erfolgreich bewältigt haben. Die Autoren sind auch bereit, bislang unveröffentlichte Informationen über ihre Geschäftstätigkeit preiszugeben. Die Botschaften der erfolgreichen NPO-Manager richten sich zunächst an alle NPOPraktiker in führender Position. Die vorgestellten Beispiele sollen im Sinne des Benchmarkings zur Reflexion des eigenen Tuns beitragen. Ein zweite Zielgruppe sind Organisationsberater. Sie können bisher häufig auf eher weniger langjährige Erfahrungswerte bei NPO zurückgreifen, da diese – im Gegensatz zu Profit orientierten Organisationen – erst Anfang der 80er Jahre stärker ins Blickfeld gerückt sind. Auch haben nur wenige von ihnen bisher Einblicke in erfolgreiche NPO erhalten. Oftmals sind es jedoch die Berater, welche die Ablösung der Gründergeneration in den Direktorenetagen der NPO begleiten. Das vorliegende Buch soll ihnen Anregungen für diese schwierige Aufgabe liefern. Eine dritte Zielgruppe sind Lehrende und Lernende des Faches NPO-Management im weitesten Sinne. Aufgrund der ständig steigenden Bedeutung dieses Sektors in wirtschaftlicher und arbeitsmarktpolitischer Hinsicht sind erfreulicherweise auch steigen-
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Vorwort zur ersten Auflage
de Ausbildungskapazitäten an Universitäten, Fachhochschulen und Weiterbildungseinrichtungen zu verzeichnen. Das vorliegende Werk mag sowohl den Dozierenden, als auch den Studierenden der Spezifika von NPO Anregungen liefern, wie man unter schwierigen Bedingungen erfolgreich wirtschaften kann. Schließlich richten sich die Botschaften der erfolgreichen NPO auch an die breite Öffentlichkeit, die mit ihren Spenden und ihren Steuerzahlungen (mit denen viele NPO – zumindest in Teilen – subventioniert werden) einen großen Anteil am Überleben der NPO haben. Am Ende dieses Vorwortes ist es den Herausgebern ein großes Anliegen denjenigen Personen zu danken, die das Erscheinen dieses Werkes ermöglicht haben. Unser erster Dank geht daher an die Autorinnen und Autoren, die sich nicht nur den Mühen unterzogen haben, «berufsbegleitend» einen Buchbeitrag zu verfassen. Vielmehr waren sie auch bereit, ihre Erfolgsgeheimnisse Preis zu geben und diese einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Darüber hinaus bedanken wir uns bei dem Gabler Verlag für die Aufnahme in das Verlagsprogramm. Namentlich sei Frau Barbara Roscher für Ihre stets geduldige, kompetente, umsichtige und angenehme Zusammenarbeit gedankt. Für ihre Hilfestellung bei formatierungstechnischen Problemen sei den Damen Jutta Hinrichsen und Walburga Himmel, ebenfalls aus dem Hause Gabler, gedankt. Der Publikationskommission und dem Hochschulrat der Universität Freiburg Schweiz sei herzlich für die finanzielle Unterstützung bei der Drucklegung des Buches gedankt. Letztlich geht unser ganz herzlicher Dank noch an unsere Mitarbeiterin cand. BA MAN Karin Tremp, die das Projektmanagement dieses Werkes, inklusive aller Formatierungsarbeiten und der Anfertigung des Sachverzeichnisses, nicht nur hochkompetent, sondern auch akribisch arbeitend und zeitnah vorgenommen hat. Für alle verbleibenden Mängel zeichnen die Herausgeber verantwortlich.
Fribourg im Oktober 2005
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Bernd Helmig & Robert Purtschert
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Vorwort zur zweiten Auflage...................................................................................................V Vorwort zur ersten Auflage...................................................................................................VII Inhaltsverzeichnis.................................................................................................................... IX Autorenverzeichnis ................................................................................................................. XI
Bernd Helmig, Robert Purtschert und Claudio Beccarelli Nonprofit but Management ..................................................................................................... 1 Christian Domany Wirtschaftskammer Österreich – Erfolgreiches Nonprofit-Management ....................... 21 Lothar Roitner Der Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie Österreichs FEEI ..................... 45 Lucius Dürr und Tamara Garny Der Schweizerische Versicherungsverband SVV................................................................ 65 Wolfgang Strauß und Alexander Kirst Erfolgreiches Verbandsmanagement .................................................................................... 89 Christian Wenzler Der Fachverband Schreinerhandwerk Bayern .................................................................. 111 Peter Schmid ABZ – Mehr als Wohnen....................................................................................................... 143 Ivo Bonamico und Klaus Ladurner Erfolgreiches Management in einer sozialen Nonprofit-Organisation ......................... 173 Albert Hauser und Wolfgang Obermair Change Management in der Münchener Caritas.............................................................. 197 Jürg Krummenacher Caritas Schweiz – Ein Generalunternehmen der Solidarität........................................... 215
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Inhaltsverzeichnis
Franz Küberl Unverwechselbare Qualität auf stabilen Beinen – Die Caritas Österreich.................... 241 Guido Bodmer und Niklaus von Deschwanden Erfolgreiches Sozialmanagement ........................................................................................ 261 Peter Mäder Der Schweizer Alpen-Club SAC.......................................................................................... 281 Alexander R. Zumkeller Management in einem sozialpolitischen Solidarverband ............................................... 303 Vital G. Stutz und Karin Mühlebach-Grundler Erfolgreiches Verbandsmanagement Beispiel des Dachverbandes Angestellte Schweiz ............................................................ 325 Bernd Helmig, Robert Purtschert und Claudio Beccarelli Erfolgsfaktoren im Nonprofit-Management ..................................................................... 351
Stichwortverzeichnis ............................................................................................................. 361
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Autorenverzeichnis
Autorenverzeichnis
Beccarelli, Claudio Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität Freiburg/Schweiz (1997-2001). 2001-2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am VMI. Promotion (Dr. rer. pol.) 2005. Forschungsaufenthalte am Centre for Civil Society der London School of Economics (LSE) und an der Law University of Vilnius. Seit 2005 Projektleiter im Bereich Nonprofit-Organisationen bei one marketing services AG in Zürich. one marketing services AG, Limmatplatz 2, CH-8031 Zürich. Tel.: +41 (0)44 275 12 00, Fax: +41 (0)44 275 11 00, eMail: [email protected], www.onemarketing.com
Bodmer, Guido lic. rer. pol., geboren 30.10.1940 in Luzern. Banklehre, Matura und Studium der Volksund Betriebswirtschaftslehre auf dem 2. Bildungsweg. Geschäftsführungserfahrung in Großkonzernen, mittleren Unternehmensgruppen und KMU. Seit 1998 selbständiger Unternehmensberater. Präsident Stiftung Brändi, verschiedene VR-Mandate, Geschäftsführungsmandate a. i. Guido Bodmer, Meisenweg 3, CH-6003 Luzern. Stiftung Brändi, Horwerstrasse 123, CH-6011 Kriens. Tel.: +41 (0)41 349 02 02, eMail: [email protected], www.braendi.ch
Bonamico, Ivo Seit 1. Oktober 1997 in der Direktion des Landesrettungsvereins Weißes Kreuz, vorher als Assistent der Direktion, anschließend als Vizedirektor und seit 1. Januar 2001 als Direktor, tätig. Herr Bonamico ist in Bozen geboren, verheiratet und Vater von 3 Buben. Bevor er seine Karriere beim Weißen Kreuz angefangen hat, studierte er Rechtswissenschaften an der Universität von Bologna. Nach Abschluss seines Studiums hat er mehrere Jahre lang in einem international tätigen Dienstleistungsunternehmen,
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Autorenverzeichnis
vorher in Mailand und dann in Bozen, gearbeitet. Im Jahre 1999 hat er in der Schweiz, am Verbandsmanagement Institut (VMI), welches an der Universität von Freiburg/Schweiz angesiedelt ist, den Postgraduate-Lehrgang für Verbands- und Nonprofit-Management besucht. Landesrettungsverein Weißes Kreuz, L.-Böhler-Str. 3, I-39100 Bozen (Südtirol). Tel.: +39 (0)471 444 320, Fax: +39 (0)471 444 371, eMail: [email protected], www.wk-cb.bz.it
Domany, Christian Nach dem Studium der Betriebswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien und ersten Berufsjahren in der Creditanstalt-Bankverein folgt 1984 der Einstieg in die Industriellenvereinigung (zuletzt stellvertretender Generalsekretär). 1997 wird er zum Generalsekretär des Österreichischen Sparkassenverbandes und im Juli 2000 zum Generalsekretär der Wirtschaftskammer Österreich bestellt. Seit Oktober 2004 ist er Mitglied des Vorstandes der Flughafen Wien AG (Verantwortungsschwerpunkt: Finanzen). Außerdem ist Christian Domany in vielen Funktionen tätig – als Vorstandsvorsitzender der Austrian Foundation of Quality Management, Mitglied des ORF (Österreichischer Rundfunk)-Stiftungsrates, Stv. Vorsitzender des Verbandes Österr. Wirtschaftsakademiker, Vizepräsident des Kuratoriums Sicheres Österreich u. v. m. Flughafen Wien AG, Postfach 1, A-1300 Wien-Flughafen. Tel.: +43 (0)1 700 722 100, Fax: +43 (0)1 700 723 001, eMail: c.domany@viennaairport. com, www.viennaairport.com
Dürr, Lucius Seit Mitte August 2002 Direktor und Vorsitzender der Geschäftsleitung des Schweizerischen Versicherungsverbandes (SVV), zuvor während 10 Jahren Direktor von Clima Suisse. Neben seiner Verbandstätigkeit ist er außerdem politisch als Fraktionspräsident der CVP-Kantonsratsfraktion sowie als Mitglied verschiedener Kommissionen des Bundes und des Kantons Zürich engagiert. Nach seinem Studium der Rechtswissenschaften schloss er zusätzlich den Postgraduate-Lehrgang für Verbands- und Nonprofit-Management am Verbandsmanagement Institut (VMI) der Universität Freiburg/Schweiz ab. Schweizerischer Versicherungsverband, C. F. Meyer-Strasse 14, CH-8022 Zürich. Tel: +41 (0)1 208 28 56, Fax: +41 (0)1 208 28 91, eMail: [email protected], www.svv.ch
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Garny, Tamara Seit Mai 2004 Projektleiterin beim Schweizerischen Versicherungsverbandes (SVV). Zuvor war sie als Projektmanagerin bei Centerpulse für den Bereich CI/CD zuständig. Nach Abschluss ihres Studiums der Anglistik und Germanistik an der Universität Zürich war sie bei Interbrand Zintzmeyer & Lux in verschiedenen Projekten tätig. Im Juni 2003 schloss sie die Ausbildung zur Projektleiterin SIZ ab. Schweizerischer Versicherungsverband, C. F. Meyer-Strasse 14, CH-8022 Zürich. Tel: +41 (0)1 208 28 96, Fax: +41 (0)1 208 28 37, eMail: [email protected], www.svv.ch
Hauser, Albert Geboren am 15.8.1950 in Augsburg. Studium der Rechtswissenschaften in München und Cambridge/GB, Promotion zum Dr. jur. (Stipendiat der Konrad-AdenauerStiftung). Rechtsanwaltliche Tätigkeit in München; 8 Jahre im Ministerbüro des Bayerischen Staatsministeriums für Landesentwicklung und Umweltfragen. 3 Jahre kaufmännischer Geschäftsführer einer Beteiligungs-GmbH des Freistaats Bayern. Seit 1991 Vorstand des Caritasverbands der Erzdiözese München und Freising e. V.; zuständig für alle etwa 400 Dienste und Einrichtungen (6.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter). Seit 1. Januar 2005 Staatssekretär im Sächsischen Staatsministerium für Soziales. Caritasverband der Erzdiözese München und Freising e. V., Hirtenstraße 4, D-80335 München. Tel.: +49 (0)89 5 51 69-0, Fax: +49 (0)89 5 50 42 03, eMail: [email protected], www.caritasmuenchen.de
Helmig, Bernd Studium der Betriebswirtschaftslehre an verschiedenen Universitäten in Deutschland und in den USA. Abschluss an der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg (Dipl.-Kfm., Juni 1993). Promotion (Dr. rer. pol., Februar 1997) und Habilitation (Mai 2001) an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Maître des conférènces an der Universität Namur (Belgien) (1998-1999). Seit dem 1. Oktober 2001 Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre und Inhaber des Lehrstuhls für Nonprofit-Management & Marketing an der Universität Freiburg/Schweiz. Seit Januar 2005 Direktor des Verbandsmanagement Instituts (VMI), Universität Freiburg/Schweiz.
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Verbandsmanagement Institut (VMI), Universität Freiburg/Schweiz, Postfach 1559, CH-1701 Freiburg. Tel.: +41 (0)26 300 84 00, Fax: +41 (0)26 300 97 55, eMail: [email protected], www.vmi.ch
Kirst, Alexander Nach seinem Fachhochschulstudium der Holztechnik setzte sich Alexander Kirst mit den Anwendungsmöglichkeiten sowie dem Vertrieb und Support der Software AutoCAD auseinander. Dem folgte ein kaufmännisches Studium an der Universität Bayreuth mit den Schwerpunkten Marketing und Finanzen. Den Einstieg in das Bayerische Zimmerer- und Holzbaugewerbe fand Kirst bei einem mittelständischen Holzhausbauunternehmen. Im Jahre 1997 wechselte er zu den Verbänden des Bayerischen Zimmerer- und Holzbaugewerbes. Dort ist er verantwortlich für die Bereiche Unternehmensführung, Verbandsmarketing, Qualitätsmanagement und Personalwesen. Landesinnungsverband des Bayrischen Zimmererhandwerks, Verbandsservice Verbandsmarketing, Eisenacher Strasse 17, D-80804 München. Tel.: +49 (0)89 360 85-140, Fax: +49 (0)89 360 85-241, eMail: [email protected], www.zimmerer-bayern.com
Krummenacher, Jürg Jürg Krummenacher ist seit 1991 Direktor von Caritas Schweiz. Er hat an der Universität Zürich Psychologie, Sozialpädagogik, Philosophie und Publizistik studiert. Nach einer Tätigkeit als Schulpsychologe war er Rektor und Psychologiedozent an der Höheren Fachschule für Sozialarbeit/HFS Luzern. Von 1980-1991 war er Mitglied des Schwyzer Kantonsrates. Mitarbeit in verschiedenen Kommissionen im In- und Ausland, unter anderem im Vorstand von Caritas Internationalis und Caritas Europa. Seit 1999 ist Jürg Krummenacher auch Präsident der Eidgenössischen Koordinationskommission für Familienfragen (EKFF). Caritas Schweiz, Jürg Krummenacher, Direktor, Löwenstrasse 3, CH-6002 Luzern. Tel.: +41 (0)41 419 22 18, Fax: +41 (0)41 419 24 24, eMail: [email protected], www.caritas.ch
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Küberl, Franz Geboren 22.4.1953 in Graz. Volks-, Haupt- und Handelsschule. 1971 – 1972 Verwaltungsangestellter im Landeskrankenhaus Graz. 1972 – 1976 Diözesansekretär der Katholischen Arbeiterjugend der Diözese Graz-Seckau. Von 1976 – 1982 Bundessekretär der Katholischen Jugend Österreichs. 1978 – 1982 Obmann des Österreichischen Bundesjugendringes. 1982 – 1986 Referent im Katholischen Bildungswerk Steiermark. Anschließend von 1986 – 1993 Generalsekretär der Katholischen Aktion Steiermark. Seit 1994 Direktor der Caritas der Diözese Graz-Seckau und seit 1995 Präsident der Caritas Österreich. Caritas Österreich, Albrechtskreithgasse 19-21, A-1160 Wien. Tel: +43 (0)1 48831 400, Fax-DW: 9400, eMail: [email protected], [email protected]
Ladurner, Klaus Seit Februar 2004 Bereichsleiter für Organisationsabläufe (Controlling und Projektmanagement), Hausnotruf und Notfallseelsorge beim Landesrettungsverein Weißes Kreuz. Zuvor war er Marketingleiter einer Südtiroler Wintertourismusdestination. Er hat sein Studium der Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Marketing und strategische Unternehmensführung an der Leopold Franzens Universität in Innsbruck 2002 abgeschlossen. Während seines Studiums absolvierte er mehrere Praktika bei einer erfolgreichen Unternehmensberatung mit langjähriger Erfahrung und Kompetenz. Seit 1997 ist er zudem freiwilliger Helfer beim Weißen Kreuz und begleitet somit den Verein schon seit einigen Jahren. Landesrettungsverein Weißes Kreuz, L.-Böhler-Str. 3, I-39100 Bozen (Südtirol). Tel.: +39 (0)471 444 391, Fax: +39 (0)471 444 374, eMail: [email protected], www.wk-cb.bz.it
Mäder, Peter Peter Mäder arbeitet seit 1997 beim Schweizer Alpen-Club SAC, zuerst als stv. Geschäftsführer und seit 1999 als Geschäftsführer. Zuvor war er während 7 Jahren beim Verband schweizerischer Gemüseproduzenten im Bereich Information und Ausbildung tätig. Der gelernte Landwirt absolvierte eine Ingenieurschule und schloss als Ing. HTL (FH) Fachrichtung Produzierender Gartenbau ab. Ein paar Jahre später folgte ein betriebswirtschaftliches Nachdiplomstudium. Außerdem nahm er am MBA-Studium
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für NPO-Management des Verbandsmanagement Instituts (VMI) der Universität Freiburg/Schweiz teil und schloss dieses Studium 2005 erfolgreich ab. Schweizer Alpen-Club SAC, Monbijoustrasse 61, CH-3000 Bern 23. Tel.: +41 (0)31 370 18 18, eMail: [email protected], www.sac-cas.ch
Mühlebach-Grundler, Karin Geboren 1961, absolvierte die Management Weiterbildung an der Universität Zürich und zuvor ein Studium der Anglistik und Publizistik. Sie arbeitet seit 2000 in einem Teilzeitpensum als Leiterin Marketing beim Verband Angestellte Schweiz und war zuvor Leiterin Marketing-Kommunikation eines Analytikunternehmens und Projekt leitende Beraterin bei einer international tätigen PR- und Werbeagentur. Angestellte Schweiz, Karin Mühlebach-Grundler, Rigiplatz 1, Postfach 8033 CHZürich. Tel.: +41 (0)44 360 11 11, Fax: +41 (0)44 360 11 12, eMail: karin.muehlebach@angestellte. ch, www.angestellte.ch
Obermair, Wolfgang Geboren 1956; Diplom-Pädagoge, Betriebswirt (VWA), Altenpfleger; Berufliche Erfahrung als hauptamtlicher Vorsitzender eines Jugendverbands und in leitenden Funktionen im Personalbereich; Tätigkeiten als Berater und Dozent im betriebspädagogischen und sozialwirtschaftlichen Bereich; Geschäftsführer des Instituts für Bildung und Entwicklung im Caritasverband der Erzdiözese München und Freising e. V.; Mitglied des Vorstands des Caritasverband der Erzdiözese München und Freising e. V. Wolfgang Obermair, Vorstand des Caritasverbands der Erzdiözese München und Freising e. V., Hirtenstraße 4, D-80335 München. Tel.: +49 (0)89 55169-410, Fax: +49 (0)89 5501710, eMail: wobermair@caritasmuenchen. de
Purtschert, Robert Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Hochschule St. Gallen (lic. oec. HSG) und der Universität Freiburg/Schweiz (Dr. rer. pol.), 1970/71 Visiting Lectu-
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rer für International Business am College für Business Administration, University of Alabama (USA). 1971/72 Oberassistent am Lehrstuhl für Absatzpolitik (Prof. Dr. Dr. h. c. E.-B. Blümle) der Universität Freiburg/Schweiz. Mitbegründer der ehemaligen Forschungsstelle für Verbands- und Genossenschafts-Management an der Universität Freiburg/Schweiz. 1973 bis 1980 Marketingleiter in einem Pharmaunternehmen. Ab 1980 beratend für Unternehmungen und Nonprofit-Organisationen tätig. 1985 Privatdozent an der Universität Freiburg/Schweiz, Lehrauftrag für Unternehmenskommunikation. 1986 bis 2000 Geschäftsführer der ehemaligen Forschungsstelle für Verbands- und Genossenschafts-Management (vorerst nebenamtlich). 1988 Titularprofessor an der Universität Freiburg/Schweiz, Vorlesungen über Werbelehre und Management-Techniken für NPO. 1993 Ernennung zum außerordentlichen Professor. Seit 2001 Direktor des Verbandsmanagement Instituts (VMI), Universität Freiburg/Schweiz. Verbandsmanagement Institut (VMI), Universität Freiburg/Schweiz, Postfach 1559, CH-1701 Freiburg. Tel.: +41 (0) 26 300 84 00, Fax: +41 (0) 26 300 97 55, eMail: [email protected], www.vmi.ch
Roitner, Lothar Jahrgang 1956, Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien und Postgraduate-Lehrgang für Verbands- und Nonprofit-Management des Verbandsmanagement Instituts (VMI) an der Universität Freiburg/Schweiz. Lothar Roitner ist seit 2002 Geschäftsführer des FEEI (Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie), der mit seinen angeschlossenen Netzwerkpartnern den Interessenvertretungs- und Servicebereich für die gesamte Elektro- und Elektronikbranche in Österreich breitflächig abdeckt. Zuvor war er maßgeblich am Aufbau dieser Netzwerkorganisation rund um den FEEI beteiligt und wurde 1996 zum Obmann des FMK (Forum Mobilkommunikation) und 2002 zum Obmann-Stv. der Fachhochschule Technikum Wien gewählt. Weiters wurde er 1997 zum Geschäftsführer des VAT (Verband Alternativer TelekomNetzbetreiber) bestellt. FEEI – Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie, Mariahilfer Straße 37-39, A1060 Wien. Tel.: +43 1 588 390, Fax: +43 1 586 69 71, eMail: [email protected], www.feei.at
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Schmid, Peter Peter Schmid ist seit 1990 Vorstandsmitglied und seit 1995 im Milizamt Präsident der Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich, ABZ. Zudem ist er Präsident der Sektion Zürich des Schweizerischen Verbands für Wohnungswesen. Seiner Erstausbildung als Primarlehrer folgte ein Studium in Psychologie und eine berufliche Tätigkeit als Personalleiter. Nach einem berufsbegleitenden Studium der Betriebswirtschaft ist er seit 1992 selbständig unter dem Firmennamen KDK P. Schmid als Unternehmensberater und Projektleiter für Nonprofit-Unternehmen tätig. Außerdem nahm er am MBAStudium für NPO-Management des Verbandsmanagement Instituts (VMI) der Universität Freiburg/Schweiz teil und schloss dieses Studium 2005 erfolgreich ab. KDK P. Schmid, Holunderweg 27, CH-8050 Zürich. Tel.: +41 (0)43 288 91 10, Fax: +41 (0)43 288 91 09, eMail: [email protected]
Strauß, Wolfgang Im Jahre 1971 wurde Wolfgang Strauß zum Hauptgeschäftsführer des Landesinnungsverbandes des Bayerischen Zimmererhandwerks ernannt. 1979 folgte die Ernennung zum Direktor sowie zum Hauptgeschäftsführer und Direktor des Verbandes der Zimmerer- und Holzbauunternehmer in Bayern e. V. In Personalunion ist Strauß seit 1971 Geschäftsführer des Berufsförderungwerks des Bayerischen Zimmerer- und Holzbaugewerbes e. V. und seit 1978 alleiniger Geschäftsführer der GFZH Gesellschaft zur Förderung des Zimmerer- und Holzbaugewerbes GmbH. Strauß ist in zahlreichen Ehrenämtern aktiv, unter anderem als Vizepräsident der Akademie des Zimmererund Holzbaugewerbes e. V. (1995 bis 2000), als Vorsitzender des Bau- und Marketingzentrums Holz e. V., in der EVH Europäischen Vereinigung des Holzbaus sowie als ehrenamtlicher Richter (Landessozialgericht, Finanzgericht, Verwaltungsgericht). Landesinnungsverband des Bayrischen Zimmererhandwerks, Verbandsservice Verbandsmarketing, Eisenacher Strasse 17, D-80804 München. Tel.: +49 (0)89 360 85-140, Fax: +49 (0)89 360 85-241, www.zimmerer-bayern.com
Stutz, Vital G. Geboren 1955, Rechtsanwalt und seit 1995 Geschäftsführer des Verbandes Angestellte Schweiz (bis 2005 Angestellte Schweiz VSAM). Studium der Rechtswissenschaften und Ökonomie (lic. iur. Universität Zürich 1980) und zusätzliche EDV-Ausbildung als Programmierer/Analytiker. Vor seiner Verbandstätigkeit arbeitete er als Anwalt in
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einer Kanzlei in Zürich, im Rechtsdienst einer Versicherung, als Financial Consultant (Rechts-, Steuer- und Finanzfragen) und als Direktionsassistent bei einer Grossbank. Mitglied der eidg. Kommission für Wirtschaftsfragen (KfW) und für Konjunkturfragen (KfK), der BVG- und EFTA-Kommission, von 1998 – 2002 Präsident der VSA, seit 2005 Präsident Sicherheitsfonds BVG. Angestellte Schweiz, Vital G. Stutz, Geschäftsführer, Rigiplatz 1, Postfach 8033 CHZürich. Tel.: +41 (0)44 360 11 11, Fax: +41 (0)44 360 11 12, eMail: [email protected], www.angestellte.ch
von Deschwanden, Niklaus Geboren 4.5.1940. Ing. HTL, Sonderpädagogische Ausbildungen. Direktor der Stiftung Brändi, ab Gründungsjahr 1968 bis 2004. Präsident INSOS (Soziale Institutionen für Menschen mit Behinderungen der Schweiz) 1991/2001. Großrat Kanton Luzern 1979/1999. Mitwirkung in Organisationen der Personalausbildung. Niklaus von Deschwanden, Obere Weinhalde 8, CH-6010 Kriens. Tel.: +41 (0)41 320 86 03, eMail: [email protected] Stiftung Brändi, Horwerstrasse 123, CH-6011 Kriens. Tel.: +41 (0)41 349 02 02, www.braendi.ch
Wenzler, Christian Dr. Christian Wenzler ist Hauptgeschäftsführer des Fachverbands Schreinerhandwerk Bayern. Diese Tätigkeit übt er seit mehr als 10 Jahren aus. Außerdem ist er alleiniger Geschäftsführer der angegliederten Service-GmbH des Verbands. Sein Studium der Betriebswirtschaft schloss er 1989 ab. Nach einer Tätigkeit in einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft kehrte er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an das Seminar für Wirtschaftsberatung und Revisionswesen der Ludwig-Maximilians Universität München zurück. 1993 promovierte er dort im Fachbereich BWL. Neben seiner Tätigkeit im Verband und seinem Engagement in zahlreichen Ehrenämtern nahm er von 2001 an am MBA-Studium für NPO-Management des Verbandsmanagement Instituts (VMI) der Universität Freiburg/Schweiz teil. Dieses Studium schloss er 2005 erfolgreich ab. Fachverband Schreinerhandwerk Bayern, Fürstenrieder Straße 250, D-81377 München. Tel.: +49 (0)89 545828-0, Fax: +49 (0)89 545828-27, eMail: [email protected], www.schreiner.de XIX
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Zumkeller, Alexander R. Alexander Zumkeller ist Geschäftsführer des Arbeitgeberverband Chemie BadenWürttemberg e. V. (agvChemie) mit Sitz in Baden-Baden. Nach seinem juristischen Studium in Konstanz und einer Trainee-Ausbildung bei der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) ist er 1987 in den agvChemie eingetreten. 1993/1994 absolvierte er den Postgraduate-Lehrgang für Verbands- und Nonprofit-Management des Verbandsmanagement Instituts (VMI). Von 2001 an nahm er am MBA-Studium für NPO-Management des VMI der Universität Freiburg/Schweiz teil. Dieses Studium schloss er 2005 erfolgreich ab. Heute verantwortet er im agvChemie die Bereiche operative Rechtsberatung, Prozessführung, Seminare, Bildungspolitik und Marketing. Im Ehrenamt war er in verschiedenen Funktionen parteipolitisch tätig (u. a. im Landesund Bundesvorstand einer politischen Jugendorganisation, Ortsvorsitzender einer Partei). agvChemie, Markgrafenstrasse 9, D-76530 Baden-Baden. Tel.: +49 (0)7221 2113 35, eMail: [email protected], www.chemie.com
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Nonprofit but Management
Bernd Helmig, Robert Purtschert,Claudio Beccarelli
Nonprofit but Management
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Grundidee und Anliegen dieses Herausgeberbandes ................................................... 3
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Der Nonprofit-Sektor.......................................................................................................... 4 2.1 Begriff .......................................................................................................................... 4 2.2 Bedeutung ................................................................................................................... 4 2.3 Aktuelle Tendenzen................................................................................................... 5
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Management von NPO....................................................................................................... 7
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Management Excellence in ausgewählten Branchen ..................................................... 9 4.1 Wirtschaftliche NPO.................................................................................................. 9 4.2 Soziale NPO .............................................................................................................. 12 4.3 Soziokulturelle NPO................................................................................................ 14 4.4 Politische NPO ......................................................................................................... 14
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Das NPO-Label für Management-Excellence................................................................ 15 5.1 Total Quality Management..................................................................................... 16 5.2 Das Freiburger Management-Modell für NPO (FMM)...................................... 16 5.3 Fazit............................................................................................................................ 16
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Zusammenfassung ............................................................................................................ 17
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Literatur .............................................................................................................................. 18
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Nonprofit but Management
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Grundidee und Anliegen dieses Herausgeberbandes
Trotz der Existenz einer zunehmenden Anzahl von Lehrbüchern und Forschungsmonographien fehlte bislang ein praxisorientiertes Werk zum aktuellen Wissensstand auf dem Gebiet des Nonprofit-Management aus der Sicht der NPO-Praxis. Generell lässt sich festhalten, dass das Management von Nonprofit-Organisationen (NPO) von der Betriebswirtschaftslehre lange Zeit vernachlässigt wurde1. Dies gilt in noch größerem Masse für das Management in der NPO-Praxis2. Der vorliegende Herausgeberband soll ganz in der Wissenschaft und Praxis verbindenden Tradition des Verbandsmanagement Instituts (VMI) der Universität Freiburg/Schweiz dazu beitragen, diese Lücke zu schließen. 1976 wurde am damaligen Seminar für Unternehmensführung an der Universität Freiburg/Schweiz die Forschungsstelle für Verbands- und Genossenschafts-Management gegründet, mit dem Ziel, durch Forschung, Lehre, Weiterbildung und Beratung eine wissenschaftliche Grundlage und Ausrichtung für das bislang wenig erforschte Management von NPO zu entwickeln3. Das VMI nimmt damit seit seiner Gründung eine Pionierrolle in der Entwicklung von Management-Instrumenten und -Methoden für Verbände, Stiftungen, Genossenschaften und weitere NPO wahr und gehört auch zu den Gründungsmitgliedern der International Society of Third Sector Research (ISTR). Die Abwehrhaltung gegenüber der Ökonomie – wie sie im Mission Statement des VMI «nonprofit but management» thematisiert wird – war lange Zeit geradezu charakteristisch für den gesamten NPO-Sektor4. Der Dritte Sektor galt als quasi nichtwirtschaftlicher Teil der Gesellschaft und war dementsprechend von Rationalisierungstendenzen ausgenommen. Von staatlichem Ordnungsdenken und der damit verbundenen bürokratischen Handlungsrationalität durchdrungen, wurde der Sektor erst mit dem Abflauen des wohlfahrtsstaatlichen Modells mit Marktrationalitäten konfrontiert5. Hinzu kommt, dass die Anwendung von Managementtechniken im Dritten Sektor – dessen Entstehung nach traditioneller Auffassung auf Markt- und Staatsversagen zurückzuführen ist – mit einem traditionell hohen Anteil an Freiwilligenarbeit lange Zeit mit der Tätigkeit gewinnorientierter Unternehmen gleichgesetzt wurde und Teil des Feindbilds einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung war. So ent-
1 Für einen Überblick vgl. Helmig/Jegers/Lapsley/Taylor 2004. 2 Vgl. Beyes/Jäger 2005, S. 32. 3 Vgl. Schauer 2001, S. 6 ff. 4 Vgl. Schwarz/Purtschert/Giroud/Schauer 2005, S. 35. 5 Vgl. Anheier 2003, S. 41.
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Bernd Helmig, Robert Purtschert,Claudio Beccarelli
stand beispielsweise die Genossenschaftsbewegung im Zuge der Industrialisierung ursprünglich als Gegenentwurf zur kapitalistischen Wirtschaftsordnung6.
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Der Nonprofit-Sektor
2.1
Begriff
Der Nonprofit-Begriff ist sehr stark kulturabhängig. Die Frage, was unter einer NPO zu verstehen ist, wird denn auch in der Literatur keineswegs einheitlich beantwortet. Der aus dem angelsächsischen Sprachgebrauch stammende Begriff «nonprofit» bedeutet richtig interpretiert «not-for-profit», d. h. der Zweck einer NPO besteht nicht darin, Gewinne zu erzielen, sondern einen Zweck zu erfüllen, resp. von Mitgliedern geforderte Leistungen zu erbringen. Dieses Primat der Nutzer-Orientierung anstelle der Investor-Orientierung wird oft im Sinne von «no profit» missverstanden. Unter dem Aspekt der Nutzer-Orientierung dürfen NPO keine Gewinne ausschütten, jedoch Gewinne (besser Überschüsse) als Mittel zur Sicherung des Förderauftrages und der langfristigen Zweckerfüllung erzielen. Bei der Begriffsbestimmung kommt dem jeweiligen Rechtssystem – insbesondere der steuerrechtlichen und der körperschaftlichen Gesetzgebung – eine wichtige Bedeutung zu. Während der Begriff der NPO in Deutschland sehr eng gefasst wird und sich überwiegend auf soziale Einrichtungen beschränkt, bezeichnet er im US-amerikanischen Ursprungskontext vor allem einen ökonomischen Sachverhalt mit den entsprechenden steuerrechtlichen Implikationen. Aus ökonomischer Sicht ist die Sachzieldominanz von NPO – im Unterschied zum formalzielbestimmten (Finanzziel) Unternehmen – absolut zentral. Als NPO werden in der Folge jene produktiven sozialen Systeme mit privater Trägerschaft bezeichnet, die ergänzend zu Staat und marktgesteuerten erwerbswirtschaftlichen Unternehmen spezifische Zwecke der Bedarfsdeckung, Förderung und/oder Interessenvertretung für ihre Mitglieder oder Dritte wahrnehmen7.
2.2
Bedeutung
Dem in stetigem Wachstum begriffenen Nonprofit-Sektor wird von Wissenschaftlern eine zunehmende wirtschaftliche und soziale Bedeutung attestiert8. Zahlenmäßig 6 Vgl. Beccarelli 2005, S. 59. 7 Vgl. Purtschert/Schwarz/Helmig/Schauer/Haid 2005, S. 55 f. 8 Vgl. Helmig/Jegers/Lapsley 2004, S. 101 ff.
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umfasst der Nonprofit-Sektor in der Schweiz rund 11.000 gemeinnützige Stiftungen9, 13.000 Genossenschaften10 und schätzungsweise 100.000 Vereine11. In Deutschland geht man von 10.000 gemeinnützigen Stiftungen, 550.000 Vereinen12 und 7.900 Genossenschaften13 aus. In Österreich schließlich umfasst der Dritte Sektor rund 475 gemeinnützige Stiftungen14, 102.000 Vereine und 297 gemeinwirtschaftliche Genossenschaften15. Selbstverständlich sagt die Zahl der Organisationen allein nicht viel über die volkswirtschaftliche und auch gesellschaftspolitische Bedeutung des Dritten Sektors aus. Mitglieder-, Beschäftigtenzahlen und Umsätze sind da aufschlussreicher. In 8 im Rahmen des Johns Hopkins Projektes untersuchten Ländern stieg die Beschäftigung im privaten Nonprofit-Sektor zwischen 1990 und 1995 um 23 Prozent, während die allgemeine Beschäftigung in dieser Zeitspanne nur um 6,2 Prozent zunahm. Der private Nonprofit-Sektor beschäftigt in diesen Ländern 11,9 Mio. Arbeitnehmer, was 4,5 Prozent der Gesamtbeschäftigung oder fast jedem zwanzigsten Arbeitsplatz respektive jedem achten im Dienstleistungssektor entspricht. Neben der Vermittlung sozialer Werte und Normen kommt dem Dritten Sektor also auch eine nicht zu unterschätzende ökonomische Bedeutung zu16.
2.3
Aktuelle Tendenzen
Drei zentrale Befunde verweisen auf aktuelle Entwicklungstendenzen im Dritten Sektor: 1. Der Dritte Sektor ist weltweit auf Wachstumskurs: In den vergangenen Jahrzehnten nahm die Zahl der NPO weltweit stark zu, während gleichzeitig die Großverbände wie Kirchen, Parteien und Gewerkschaften einen erheblichen Mitgliederschwund zu verzeichnen hatten. Diese Entwicklung ist nicht isoliert zu betrachten, sondern ist Teil eines gesamtgesellschaftlichen Umbruchs17. 2. Zunehmende Ökonomisierung und Kommerzialisierung des Dritten Sektors: Nach Ansicht von Anheier nahm die Ökonomisierung des Dritten Sektors mit der Einführung von verwaltungstechnisch festgelegten Verrechnungspreisen in den 1950er Jahren ihren Anfang. Die Philosophie des New Public Management (NPM) verstanden als die Förderung des Wettbewerbs im Zusammenhang mit 9 Vgl. Purtschert/von Schnurbein/Beccarelli 2003, S. 22. 10 Vgl. Purtschert/Beccarelli 2005, S. 42. 11 Vgl. Schnyder 1994, S. 391. 12 Vgl. Müller 2005, S. 317. 13 Vgl. Stappel 2004, S. 7. 14 Vgl. Simsa/Haslinger/Kern 2003, S. 1. 15 Vgl. Badelt 2002b, S. 73 f. 16 Vgl. Salamon/Anheier 1997, S. 14. 17 Vgl. Anheier 2003, S. 38 ff.
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detaillierten Vertragsausschreibungen der öffentlichen Hand – verbunden mit einer systematischen Erfolgskontrolle sowie der Einführung moderner Instrumente des Rechnungswesens – beschleunigte diesen Prozess zusätzlich18. Nach der Ökonomisierung zeichnet sich nun seit einigen Jahren eine zunehmende Kommerzialisierung des Sektors ab19. Diese ist nach Ansicht von Tuckman dadurch gekennzeichnet, dass NPO vermehrt Güter und Dienstleistungen nach ausschließlich kommerziellen Gesichtspunkten produzieren20. Im Zuge dessen bilden sich auch neue Organisationsformen und -modelle heraus21. Diese Ökonomisierung und Kommerzialisierung führt insbesondere auch zu einer verschärften Wettbewerbssituation. Die Konkurrenz beschränkt sich dabei nicht nur auf den Absatzbereich, sondern zeigt sich auch in einem Verdrängungswettbewerb im Ressourcenbereich. NPO stehen dabei in einem zunehmenden Wettbewerb mit privatwirtschaftlichen Anbietern und öffentlichen Gebietskörperschaften. 3. Internationalisierung: Seit Beginn der 80er Jahre ist die Internationalisierung des Dritten Sektors rasant voran geschritten. Ganz generell lässt sich bei den Organisationen des Dritten Sektors eine Tendenz zur Internationalisierung bzw. Globalisierung, zu länderübergreifender Trägerschaft sowie internationalen Input- und Outputverflechtungen feststellen22. So hat sich die Zahl der internationalen Nongovernmental Organisations (NGO) zwischen 1981 und 2000 um knapp 40 Prozent auf 5.936 erhöht. Legt man die weiter gefasste Definition der Union of International Associations (UIA) zugrunde, so ergibt sich gar ein Anstieg von 245 Prozent von 13.232 auf 45.67623. Als Transmissionsriemen der Gesellschaft werden die NPO nun ebenfalls von Internationalisierungs- und Globalisierungstendenzen erfasst. Während Organisationen einerseits aus einer Abwehrhaltung gegenüber diesen Globalisierungstendenzen entstanden sind, passten sich andere Organisationen an die veränderten Rahmenbedingungen an und agieren heute vermehrt auch auf internationaler Ebene. Um die übergeordneten Interessen ihrer Mitglieder wahrnehmen zu können, sind zahlreiche NPO gezwungen, vermehrt international zu agieren, werden doch viele politische Entscheidungen heute nicht mehr auf nationaler Ebene getroffen, sondern sind Gegenstand europäischer oder internationaler Vereinbarungen.
18 Vgl. Anheier 2003, S. 40 ff. 19 Vgl. Weisbrod 1998b, S. 1 ff.; Ryan 1999, S. 127 ff.; Dees 1998, S. 55 ff. 20 Vgl. Tuckman 1998, S. 26. 21 Vgl. Pankau 2002. 22 Vgl. Anheier/Cunningham 2001; Tvedt 2002, Bumbacher 2004. 23 Vgl. Scharnagel 2003, S. 2.
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Management von NPO
Obwohl es sich sowohl bei NPO als auch bei Unternehmen um vergleichbare Systeme handelt, lassen sich nicht alle Erkenntnisse aus der Betriebswirtschaftslehre unbesehen auf den Nonprofit-Sektor übertragen24. Deshalb ist eine Managementlehre von NPO als besondere Betriebswirtschaftslehre konzipiert, die aus der «Allgemeinen Managementlehre» dasjenige übernimmt, das für NPO als übertragbar erscheint und in allen denjenigen Problembereichen zusätzliche Erkenntnisse und Handlungsanweisungen erarbeitet, in denen die Profit-orientierte Lehre keine Lösungsansätze anzubieten hat. Management in NPO beinhaltet die professionelle Wahrnehmung der ManagementAufgaben durch Handhabung institutionalisierter Management-Systeme und formalisierte Management-Prozesse mit dem Zweck der Gestaltung, Lenkung und Entwicklung des Gesamtsystems NPO und seiner Teile durch verbindliche Entscheidungen25. Zum Nonprofit-Management gehört dementsprechend die Anwendung des betriebswirtschaftlichen Instrumentariums auf die spezifischen Problemstellungen, Rahmenbedingungen und Besonderheiten, denen sich NPO ausgesetzt sehen. NPO weisen zahlreiche organisatorische Besonderheiten auf, die spezifische Managementprobleme nach sich ziehen. Hierzu gehören insbesondere die nachfolgenden Aspekte26:
Sachzieldominanz: NPO haben einen Zweck zu erfüllen und erbringen dazu spezifische Leistungen. Es handelt sich um die Erfüllung einer Mission oder bestimmter, von den Mitgliedern vorgegebener Ziele und Leistungswünsche. Im Unterschied zum Unternehmen weisen NPO häufig ein komplexeres, mehrdimensionales Zielsystem auf, in dem eine Vielzahl von Komponenten qualitativer (und damit schwer messbarer) Natur ist. Die Erfolgskontrolle gestaltet sich in NPO dementsprechend schwierig27. Ein Gesamtindikator für den Erfolg fehlt, so dass oft auf andere Faktoren zur Nutzenmessung zurückgegriffen werden muss wie z. B. eine Zufriedenheitsanalyse28.
Keine Gewinnausschüttung: Dieses Charakteristikum (auch als «non distribution constraint» bezeichnet) ergibt sich unmittelbar aus der Sachzieldominanz. Bei NPO findet – im Gegensatz zum Unternehmen, das eine Rendite auf dem investierten Kapital anstrebt, die dann dem Anteilseigner zugute kommt – keine Gewinnausschüttung an den Kapitalgeber statt. Die NPO darf Gewinne bzw. Überschüsse erzielen, diese sind aber Mittel zum Zweck, um die Leistungen der Organisation zu verbessern und das Wachstum zu sichern, damit die Förderung der Mitglieder oder Dritter langfristig aufrechterhalten werden kann. 24 Vgl. Helmig/Tscheulin 1998, S. 95. 25 Vgl. Purtschert/Schwarz/Helmig/Schauer/Haid 2005, S. 46. 26 Vgl. Helmig 2004b, S. 2186 ff.; Schwarz/Purtschert/Giroud/Schauer 2005, S. 23. 27 Vgl. Helmig 2005. 28 Vgl. Helmig 2003.
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Demokratische Organisationsstruktur: Mitgliederorientierte NPO sind demokratisch, teilweise föderalistisch organisiert und unterliegen demokratischen Entscheidungsmechanismen. Mitglieder übernehmen im Rahmen demokratischer Wahlen und Willensbildungsprozesse Führungsaufgaben in den Gremien der NPO. Sie haben aktives und passives Stimm- und Wahlrecht.
Produktion von Kollektivgütern: Die Sachzieldominanz impliziert auch, dass Mitglieder oder Dritte an die NPO die Bereitstellung von Gütern delegieren, welche alleine nicht produziert werden könnten (z. B. die Interessenvertretung für eine Branche). Diese Kollektivgüter kommen auch Nichtmitgliedern zugute (Trittbrettfahrer-Problem), was Probleme im Zusammenhang mit der Finanzierung mit sich bringt.
Finanzierungs-Mix: Unternehmen finanzieren sich über die Abgabe von Leistungen an Märkten. Den NPO steht neben dieser Marktpreisfinanzierung ein ganzer Finanzierungs-Mix zur Verfügung, so z. B. Mitgliederbeiträge, Spenden, Subventionen und weitere öffentliche Beiträge. Dem ausgewogenen Finanzierungs-Mix einer NPO kommt dabei im Rahmen des Nonprofit-Management eine hohe Bedeutung für die langfristige Existenzsicherung einer Organisation zu.
Ehrenamtliche Arbeit: Die Funktion des Personalwesens weist in NPO sehr stark differenzierte Personalstrukturen auf. NPO weisen in der Regel ein Mindestmass an freiwilliger, ehrenamtlicher Arbeit auf Führungs- (sog. Ehrenamt) und/oder Ausführungsebene (Freiwillige) auf. NPO zeichneten sich lange Zeit durch eine stark innenzentrierte Aufgabenerfüllung aus. Im Zuge der Ökonomisierung und der Kommerzialisierung dieses Organisationstyps und der damit zusammenhängenden verstärkten Wettbewerbsintensität erscheint eine außenorientierte Dienstleistungshaltung unerlässlich29. Der betrieblichen Funktion des Marketing kommt dabei im Rahmen eines erfolgreichen Management von NPO eine zentrale Bedeutung zu30. Unter Nonprofit-Marketing wird dabei eine verbindliche Grundhaltung innerhalb einer NPO verstanden, die eine konsequente Ausrichtung aller mittelbar oder unmittelbar den «Markt» betreffenden Entscheidungen an den Wünschen und Bedürfnissen aller Austauschpartner der NPO verlangt. Es zeigt sich, dass das Potenzial von Marketing in der NPO-Praxis tendenziell eher unter-, denn überschätzt wird. Hier besteht aus Managementsicht noch ein großer Handlungsbedarf. Darüber hinaus wird aber auch die NPO-Marketing-Forschung aufgefordert, zur Lösung der dringend anstehenden Probleme dieses Wachstumssektors nach neuen Wegen zu suchen, um die Praxis bei der Lösung ihrer Probleme zu unterstützen31.
29 Vgl. Purtschert 2005b, S. 82 ff. 30 Vgl. Tscheulin/Helmig 2001b, S. 21 ff.; Helmig/Jegers/Lapsley 2004, S. 102. 31 Vgl. Helmig 2004a, S. 59 ff.
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Management Excellence in ausgewählten Branchen
Der Begriff «Excellence» wird in jüngster Zeit in erster Linie mit dem Modell der European Foundation for Quality Management (EFQM) in Verbindung gebracht. Als Grundphilosophie basieren alle Qualitätszertifikate auf dem Konzept des Total Quality Management (TQM). Dabei wird Qualität nicht als Merkmal einer Leistung oder eines Verhaltens verstanden, sondern als Eigenschaft einer gesamten Organisation. Deshalb müssen alle Leistungen, Prozesse und Strukturen an den Erwartungen der Austauschpartner orientiert werden, um letztendlich den Zweck der Organisation zu erfüllen32. Excellence wird im Rahmen des EFQM als «outstanding practice in managing the organisation and achieving results» (EFQM 2005) definiert. In Anlehnung an Thom/Zaugg (2001, S. 5) lässt sich Management Excellence in Nonprofit Organisationen wie folgt beschreiben: Exzellente Organisationen lassen sich dadurch charakterisieren, dass sie in vielen Bereichen der Organisationsentwicklung Ergebnisse erzielen, die in der Branche als richtungweisend und nachahmenswert angesehen werden. Die nachfolgenden Beispiele von Management Excellence in NPO aus der Schweiz, Deutschland, Österreich und dem Südtirol erfüllen die oben genannten Anforderungen an ein erfolgreiches, zukunftsweisendes Management («Best Practice»). Die internationale Auswahl der Beiträge verweist gleichzeitig auch auf die Organisationskultur des VMI. Die Internationalität zu fördern, Brücken zu schlagen im gesamten deutschsprachigen Raum und darüber hinaus wie auch der Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Praxis sind wesensbestimmende Teile der Organisationskultur des VMI.
4.1
Wirtschaftliche NPO
Wirtschaftliche Verbände sind mitgliedschaftlich strukturierte NPO in der Rechtsform eines Vereins. Es handelt sich dabei um auf Dauer angelegte, formale Zusammenschlüsse bzw. Kooperationsformen von Personen und/oder Organisationen aufgrund gemeinsamer Interessen/Bestrebungen/Aufgaben, die durch Leistungen des Verbands umgesetzt werden sollen. Verbandleistungen werden untergliedert in Interessenvertretung, Ökonomisierungsleistungen und Normierungsleistungen. Bei der Begriffsbestimmung der NPO (Kapitel 2.1) wurde festgehalten, dass dem jeweiligen Rechtssystem eine wichtige Bedeutung zukommt. Dies zeigt sich in besonderem Masse auch im Bereich der Wirtschaftsverbände. So hat beispielsweise Österreich in der Europäischen Union das umfassendste System der beruflichen Selbstverwal32 Vgl. Schwarz/Purtschert/Giroud/Schauer 2005, S. 85 ff.
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tung durch Kammern33. Das Kammersystem ist die gesetzlich verankerte Grundlage für die österreichische Sozialpartnerschaft. Die Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) als Interessenvertretung der Wirtschaft sah sich in den 90er Jahren heftiger Kritik ihrer Mitglieder ausgesetzt in Bezug auf die Höhe der Beitrittszahlungen, mangelnden Service sowie ungenügende Effizienz und Effektivität. Durch den Beitritt Österreichs in die Europäische Union (EU) wurde die institutionalisierte Sozialpartnerschaft vielerorts als Auslaufsmodell betrachtet. Es folgte eine umfassende Reform des Kammersystems, mit dem Ziel, die Kammerumlagen um 30 Prozent also um 152,2 Mio. Euro zu senken. Der Erfolg dieses Projekts hing insbesondere auch davon ab, inwieweit die Betroffenen – sprich 12.000 Funktionäre und 5.000 Mitarbeitende in 10 Kammern – die getroffenen Entscheidungen mittragen würden. Die WKÖ hat mit dem umfassenden Reformprozess seit dem Jahr 2000 die österreichischen Betriebe um insgesamt 69 Mio. Euro entlastet. Dies war nur möglich, indem sich die WKÖ auf ihre Kernkompetenzen konzentriert hat. Der Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie (FEEI) ist in die Gesamtorganisation der WKÖ integriert34. Auch hier besteht ein System der Pflichtmitgliedschaft. Dies bedeutet, dass alle Unternehmen, die in Österreich auf industrieller Basis elektrotechnische und elektronische Produkte herstellen und Leistungen anbieten, per Gesetz Mitglied des FEEI sind. Der Verband ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und vertritt in Österreich die Interessen von rund 360 Industrie-Unternehmen mit ca. 56.000 Beschäftigten und einem Produktionswert von mehr als 9 Mrd. Euro. Die Tätigkeit des FEEI gliedert sich in 2 Bereiche: einerseits in die Interessenvertretung, andererseits in Serviceleistungen. Da sich eine Erosion der Pflichtmitgliedschaft abzeichnete, begann der FEEI zu Beginn der 90er Jahre mit dem Auf- und Ausbau einer freiwilligen Mitgliedschaft neben dem bestehenden System der Pflichtmitgliedschaft. Trotz der auch die Elektro- und Elektronikindustrie erfassenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten und der damit verbundenen Kosteneinsparungstendenzen nahm die Zahl der freiwilligen Mitglieder stetig zu. Dies hat die Pflichtbeiträge, die von 1998 bis 2003 um mehr als 30 Prozent freiwillig gesenkt wurden, nicht nur kompensiert, sondern sogar zu einer Ausweitung der Gesamtleistungen geführt. Bis 1996 war die Schweizer Verbandslandschaft im Versicherungsbereich durch verschiedene Fachverbände geprägt35. Mit der Fusion aller bestehenden Verbände 1998 zum Schweizer Versicherungsverband (SVV) wurde eine einheitliche, schlagkräftige Branchenorganisation gegründet, deren Hauptaufgabe primär in der Interessenvertretung der Assekuranz sowie in der Information und Kommunikation besteht. Der zunehmende Einfluss der EU führt dazu, dass der SVV verstärkt die Zusammenarbeit mit anderen europäischen Branchenverbänden sucht, da zahlreiche Assekuranzprobleme international zu betrachten sind. Hier zeigen sich beispielhaft die verstärkte 33 Vgl. Beitrag Domany in diesem Buch. 34 Vgl. Beitrag Roitner in diesem Buch. 35 Vgl. Beitrag Dürr/Garny in diesem Buch.
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Internationalisierung im Nonprofit-Sektor und die dadurch entstehenden neuen Herausforderungen an die Verbände. Mit den Verbänden des Bayrischen Zimmerer- und Holzbaugewerbes (VBZH) wie auch dem Fachverband Schreinerhandwerk Bayern (FSH Bayern) werden schließlich 2 Erfolgsbeispiele des deutschen Verbandswesens illustriert. Die VBZH haben die Aufgabe, die Brancheninteressen wahrzunehmen und insbesondere die Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedsbetriebe sicherzustellen36. Der Verband ist dabei zu 91,3 Prozent beitragsfinanziert. Dementsprechend zentral ist die Mitgliederzufriedenheit, zumal die einzelnen Mitglieder ihren Beitritt oder ihren Verbleib im Verband verstärkt von einem individuellen Kosten-Nutzen-Kalkül abhängig machen. Der Verbandserfolg liegt aber insbesondere auch einem kontinuierlichen Dialog mit dem Ehrenamt begründet, handelt es sich doch dabei um ein generell-strukturelles Spannungsfeld in mitgliederorientierten NPO. Es ist dies das Spannungsfeld zwischen der Beschränkung des Ehrenamtes bezüglich verfügbarer Zeit, Information und NPO-Know-how einerseits sowie der Expertenmacht der hauptamtlichen Geschäftsführung andererseits37. Das Beispiel des FSH Bayern zeigt einen Verband in einer Umbruchphase, die entscheidend sein wird für dessen langfristige Überlebensfähigkeit. Die massiven Veränderungen waren einerseits exogen bedingt38. Dies betrifft insbesondere die Neustrukturierung der rechtlichen Rahmenbedingungen sowie den fundamentalen Strukturwandel der Branche. Andererseits ließen sich diese auch auf interne Probleme zurückführen. So hat es der Verband lange Zeit versäumt, strategische Überlegungen zur eigenen Weiterentwicklung anzustellen und in die entsprechenden Struktur- und Führungskonzepte einfließen zu lassen. Neben den Wirtschaftsverbänden fallen auch Genossenschaften unter die Kategorie der wirtschaftlichen NPO39. Das schweizerische Genossenschaftswesen zeichnet sich einerseits durch eine abnehmende Zahl von Genossenschaften und andererseits durch Mittel- und Großgenossenschaften aus, die in einzelnen Branchen ein wohl europaweit einzigartiges wirtschaftliches Gewicht und eine eindrucksvolle Dynamik aufweisen. Mit rund 165.500 Wohnungen verfügen die rund 1.700 Wohnbaugenossenschaften über 5 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes der Schweiz. Die Allgemeine Baugenossenschaft Zürich (ABZ) als größte schweizerische Wohnbaugenossenschaft wurde 1916 in Zürich in Zeiten der Wohnungsnot gegründet. Sie besitzt heute in Zürich und Agglomeration rund 4.250 Wohnungen. Ziel der ABZ ist es einerseits preisgünstigen und gesunden Wohnraum insbesondere auch für Familien zur Verfügung zu stellen und andererseits die Genossenschaftsidee und damit die demokratischen und gemeinschaftlichen Ideale der Genossenschaftsbewegung zu fördern. Das Manage36 Vgl. Beitrag Strauß/Kirst in diesem Buch. 37 Vgl. Schwarz/Purtschert/Giroud/Schauer 2005, S. 47 ff. 38 Vgl. Beitrag Wenzler in diesem Buch. 39 Vgl. Beitrag Schmid in diesem Buch.
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ment von Genossenschaften steht dabei vor der schwierigen Herausforderung, eine Balance zwischen Vereins- und Unternehmenskultur zu finden40.
4.2
Soziale NPO
Das staatliche Wohlfahrtssystem kontinental-europäischer Prägung steckt zu Beginn des 21. Jahrhunderts in einer existenziellen Krise. Der moderne Wohlfahrtsstaat gerät bei der Bereitstellung öffentlicher Güter immer mehr in finanzielle Schwierigkeiten. Veränderungen in der Familien- und Sozialstruktur bringen neue gesellschaftliche Herausforderungen mit sich, die sich auch in einer verstärkten Nachfrage nach sozialen Dienstleistungen äußern. Im Bereich der sozialen Dienste finden sich denn auch weltweit die höchsten Wachstumsraten des Dritten Sektors41. Es ist absehbar, dass der wachsende Bedarf nach sozialen Dienstleistungen im Zuge der Sparanstrengungen der öffentlichen Hand in der Zukunft verstärkt durch private NPO abgedeckt werden muss. Gleichzeitig nimmt der Wettbewerbsdruck zu und die sozialen Organisationen sehen sich sowohl bei der Ressourcenbeschaffung wie auch bei der Leistungsabgabe einer verstärkten Konkurrenz durch öffentliche Gebietskörperschaften und privatwirtschaftliche Unternehmen gegenüber. Letztere drängen zunehmend auf den Markt für soziale Dienste und machen den NPO traditionelle Handlungsfelder streitig. In welchem Umfang private NPO einen unverzichtbaren Beitrag im Bereich der sozialen Dienste leisten, zeigt das Beispiel des Weißen Kreuzes42. Das Weiße Kreuz (WK) ist der leistungsstärkste Rettungsverein Südtirols. Die Kerntätigkeiten des Vereins sind Rettung und Krankenhaustransport. Seit der Gründung des WK im Jahr 1965 bilden die Mitglieder die zentrale Basis für den Erfolg. Damals wie heute prägen sie die Entwicklung des Vereins nachhaltig mit. Im Jahr 2004 zählte der Verein über 36.000 Mitglieder, wobei 2.300 aktive Mitglieder über 890.000 Stunden ehrenamtliche Arbeit pro Jahr leisten. Die angesprochene Kommerzialisierung des Dritten Sektors führte in Deutschland dazu, dass die etablierten Wohlfahrtsverbände unter Druck geraten und gezwungen sind, eigene Differenzierungspotenziale und Wettbewerbsvorteile zu erarbeiten. Hauser/Obermair schildern in ihrem Beitrag zum «Change Management in der Münchner Caritas» einen solchen Reformprozess. Mit über 6.500 Mitarbeitenden in rund 400 sozialen Einrichtungen und einer Bilanzsumme von 325 Mio. Euro gehört der Caritasverband der Erzdiözese München und Freising e. V. zu den ganz großen Akteuren im Bereich der sozialen Wohlfahrt in Deutschland.
40 Für einen Überblick vgl. Purtschert 2005a. 41 Vgl. Anheier 2001, S. 39. 42 Vgl. Beitrag Bonamico/Ladurner in diesem Buch.
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Caritas Schweiz43, ein Mehrspartenhilfswerk mit den 3 Tätigkeitsfeldern soziale Aufgaben im Inland, Migration und internationale Zusammenarbeit, zählte Ende 2003 über 500 Mitarbeitende. Das Jahresbudget belief sich dabei auf rund 103 Mio. CHF. Mit jährlichen Spenden von durchschnittlich rund 24 Mio. CHF gehört die Caritas Schweiz zu den Organisationen mit einem überdurchschnittlich hohen Spendenaufkommen. Angesichts der wachsenden Zahl von Organisationen findet auf dem privaten Schweizer Spendenmarkt zurzeit ein eigentlicher Verdrängungswettbewerb statt. Wie auch die Münchner Caritas sieht sich Caritas Schweiz mit einer wachsenden Konkurrenzierung durch die Privatwirtschaft und durch staatliche Akteure konfrontiert. Caritas Schweiz hat in den letzten Jahren auf allen Ebenen eine starke Professionalisierung durchgeführt. Als erstes gesamtschweizerisches Hilfswerk hat die Caritas 1998 das ISO-Zertifikat und als erste Organisation im Jahr 2003 das «NPO-Label für Management Excellence» erworben. In der Caritas Österreich44 schließlich arbeiten rund 8.500 hauptberufliche und 27.000 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Im Jahr 2003 wurden dabei rund 323 Mio. Euro für Soziale Dienste, Not- und Auslandshilfe aufgewendet. Auch die Caritas Österreich steht vor der Herausforderung, sich in einem verstärkten Wettbewerb um öffentliche und private Gelder, ehrenamtliche Arbeit und Kunden zu behaupten. Konkurrenten sind dabei nicht nur andere auf Gemeinnützigkeit ausgerichtet NPO, sondern auch die öffentlichen Gebietskörperschaften und in zunehmendem Masse auch profitorientierte Unternehmen. Mit der Inkraftsetzung der Schweizerischen Invalidenversicherung (IV) im Jahre 1961 entstanden auch die ersten beruflichen Wiedereingliederungsstätten, geschützte Werkstätten und Wohnheime für Menschen mit geistigen, körperlichen und psychischen Behinderungen45. Die Entwicklungen in der Arbeitswelt stellen an die Verantwortlichen in sozialen Organisationen hohe Anforderungen. Die Erscheinungsformen der Behinderungen und Beeinträchtigungen werden komplexer. Dramatisch erscheint insbesondere die Zunahme der Menschen mit psychischen Erkrankungen. Die schwierige Situation auf dem Arbeitsmarkt wie auch der Spardruck der öffentlichen Hand stellen dabei soziale Organisationen wie die Stiftung Brändi vor komplexe Probleme. Eine vorausschauende zukunftsweisende Führung der Organisation, ein möglichst frühzeitiges Erkennen von Problemen, die effiziente Einleitung und Gestaltung der Problemlösungsprozesse und eine wirkungsvolle Realisierung der getroffenen Entscheide, verbunden mit einer Kontrolle/Evaluation der erzielten Ergebnisse sind in einer solchen Situation unabdingbar46.
43 Vgl. Beitrag Krummenacher in diesem Buch. 44 Vgl. Beitrag Küberl in diesem Buch. 45 Vgl. Beitrag Bodmer/von Deschwanden in diesem Buch. 46 Vgl. Schwarz/Purtschert/Giroud/Schauer 2005, S. 35 f.
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Bernd Helmig, Robert Purtschert,Claudio Beccarelli
4.3
Soziokulturelle NPO
Der Schweizer Alpen-Club (SAC) fällt unter die Kategorie der soziokulturellen NPO47. 1863 gegründet, zählt der SAC mit 105.000 Mitgliedern zu den größten Sportverbänden in der Schweiz. Die Organisationsstruktur mit einem Zentralverband und 111 Sektionen verweist auf das in der Praxis häufig anzutreffende demokratische, föderalistische Element der mitgliederorientierten NPO. Im Unterschied zu den sozialen NPO zeichnet sich der SAC durch einen außerordentlich hohen Selbstfinanzierungsgrad aus. Die öffentliche Hand trägt nur gerade 0,5 Mio. CHF zum Gesamtbudget von 13 Mio. CHF des Zentralverbandes bei. Die restlichen Gelder stammen aus Verkauf von Gütern und Leistungen und insbesondere aus Mitgliederbeiträgen. Der SAC steht dabei in den kommenden Jahren vor der Herausforderung eines qualitativen Mitgliederwachstums, einer zunehmenden Rekrutierung von Ehrenamtlichen und einer zunehmenden Professionalisierung des Zentralverbandes.
4.4
Politische NPO
Das Beispiel des Arbeitgeberverbandes Chemie Baden-Württemberg e. V. verweist auf die Herausforderungen im Management einer (sozial-)politischen NPO48. Der agvChemie ist der sozialpolitische Solidarverband der Chemischen Industrie. Er schließt mit den Gewerkschaften Tarifverträge ab, betreibt Öffentlichkeitsarbeit und fördert seine Mitglieder durch Dienstleistungen insbesondere in der arbeitsrechtlichen Beratung und arbeitsgerichtlichen Vertretung. Im Unterschied zu einem Industrie- oder Wirtschaftsverband agieren Arbeitgeberverbände im Bereich der Arbeitsbedingungen und engagieren sich in der Sozialpolitik. Der Interessenvertretung und insbesondere dem Collective Bargaining (den Tarifverhandlungen) kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu. Dabei handelt es sich um typische Kollektivgüter, die als Solidarleistung exklusiv vom agvChemie bereitgestellt werden. Die agvChemie wird sich in der Zukunft als moderner Dienstleistungsanbieter gegen eine zunehmende Konkurrenz von privaten Anbietern behaupten müssen. Auch der Verband «Angestellte Schweiz» ist ein Beispiel einer politischen NPO, dies jedoch aus der Perspektive der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.49 Der Verband Angestellte Schweiz bezweckt, die Interessen aller Angestellten zu vertreten mit dem Ziel, die Arbeitsverhältnisse für sie zu verbessern und ihre wirtschaftliche, politische, soziale und rechtliche Stellung im Unternehmen und in der Gesellschaft zu stärken. Die Angestellten Schweiz sind seit bald 90 Jahren der Dachverband von gut 80 Ange-
47 Vgl. Beitrag Mäder in diesem Buch. 48 Vgl. Beitrag Zumkeller in diesem Buch. 49 Vgl. Beitrag Stutz/Mühlebach-Grundler in diesem Buch.
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stellten-Vereinigungen (AV) mit rund 27.000 Angestellten, die insbesondere in den Branchen Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM) sowie Chemie/Pharmaindustrie beheimatet sind. Die Angestellten Schweiz verstehen sich nicht als traditionelle Gewerkschaft, sie verzichten auf zentralistische oder bürokratische Strukturen. Die Delegierten der AV legen an der Delegiertenversamlung (DV) die wichtigsten Positionen fest, und ein kleiner von der DV gewählter Miliz-Vorstand besorgt die strategische Planung, während eine professionelle Geschäftsstelle für die effiziente Umsetzung sorgt und die laufenden Geschäfte führt. Die Angestellten Schweiz sind (partei-) politisch und konfessionell unabhängig, sie kennen keine Funktionäre. Die Mitarbeitenden der Geschäftsstelle sehen sich als Fachspezialisten: sie beraten und unterstützen die Mitglieder nach dem Grundsatz «Hilfe zur Selbsthilfe» und vertreten sie wo nötig und erwünscht. Anders als Gewerkschaften stehen die Angestellten Schweiz dogmatischen oder ideologischen Postulaten ablehnend gegenüber. Sie treten vielmehr pragmatisch und lösungsorientiert auf. Nachdem in den letzten Jahrzehnten Grundanliegen wie Arbeitszeit, Ferien, Lohn, Unfall-/ Krankentaggeld etc. angemessen geregelt und weiter entwickelt werden konnten, geht es in Zukunft vor allem um faire Lösungen bei Flexibilisierungen oder Restrukturierungen sowie um Verbesserungen qualitativer Art in Bereichen wie Weiterbildung, Arbeitszeit oder Gesundheitsförderung.
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Das NPO-Label für ManagementExcellence
Ausgangspunkt für die Entwicklung dieses Labels war zum einen die zunehmende Nachfrage von staatlicher Seite nach Klassifikationen und qualitativen Bewertungen von NPO sowie zum anderen der oft geäußerte Wunsch von Teilnehmenden an Lehrgängen des Verbandsmanagement Instituts (VMI), die Implementierung des Freiburger Management-Modells (FMM) als Qualitätsmerkmal der Organisation bestätigt zu haben. Während sich die Corporate Governance-Empfehlungen weitgehend auf das Verhältnis Vorstand – Geschäftsführer beschränkt, erfasst das FMM das Management bis hinunter zur Basis in Organisation, Marketing und den Ressourcen. Dieses Vorgehen spiegelt sich im Aufbau der Checkliste des NPO-Label für Management Excellence wider. Die Struktur des NPO-Labels für Management Excellence fußt auf 2 fundamentalen Säulen: Zum einen ist es eine Weiterentwicklung der für das Qualitätsmanagement entwickelten Zertifizierungsprozesse und zum anderen ein Orientierungsund Kontrollinstrument für die Implementierung des Freiburger ManagementModells für NPO.
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Bernd Helmig, Robert Purtschert,Claudio Beccarelli
5.1
Total Quality Management
Die Erkenntnis, dass Qualität nicht erst bei der Leistungserbringung, sondern im Kern der Organisation beginnt, hat sich in den letzten Jahren im NPO-Sektor durchgesetzt. Die Basis des NPO-Labels bildet die Philosophie des Total Quality Management (TQM). Für die operationelle Umsetzung der TQM-Philosophie stehen eine ausgeprägte Prozessorientierung und eine Bereitschaft zur ständigen Verbesserung im Vordergrund. Dies setzt eine hohe Lernbereitschaft und ein systematisches Wissensmanagement voraus50. Es ist inzwischen fast schon zur Regel geworden, dass sich eine Organisation ihr Qualitätsmanagement zertifizieren lässt. Die größte Verbreitung hat wohl die Zertifizierung nach ISO-Normen erlangt. Durch eine weitgehende Formalisierung vor allem bei den Leistungserstellungsprozessen und deren Evaluation wird den strukturellen und prozessualen Regeln eine besondere Bedeutung zugemessen51.
5.2
Das Freiburger Management-Modell für NPO (FMM)
Im Bestreben, die «Management-Orientierung» in NPO zu fördern und den Wissenstransfer von der Forschung in die Praxis zu bewerkstelligen, wurde dieses Lehr- und Lerngerüst Mitte der 80er Jahre als ganzheitlicher Führungsansatz entwickelt. Ausgangspunkt ist die NPO als System von unterschiedlichen Austauschbeziehungen, wobei unterschieden wird zwischen Innen- und Außenbereich. Zum Innenbereich zählen der NPO-Betrieb (Organe, Mitarbeiter, etc.) und die Mitglieder als Ressourcenlieferanten und Leistungsempfänger zugleich. Der Außenbereich, auch Umwelt genannt, umfasst das Gesellschaftssystem, externe Ressourcenlieferanten sowie externe Leistungsempfänger52.
5.3
Fazit
Qualitätszertifikate und Gütelabels haben seit jeher 2 Funktionen: Erstens sollen sie zu einem effizienteren und effektiveren Handeln führen, zweitens haben sie eine positive Außenwirkung für die Organisation. Besonders die zweite Funktion hat in den vergangenen Jahren zu einer inflationären Welle von Qualitätszertifizierungen geführt, so 50 Vgl. Schwarz/Purtschert/Giroud/Schauer 2005, S. 86 f. 51 Vgl. Purtschert/von Schnurbein 2004, S. 323 ff. 52 Vgl. Schwarz/Purtschert/Giroud/Schauer 2005.
16
Nonprofit but Management
dass heutzutage kaum noch ein Unternehmen ohne Zertifikat existiert. Im NonprofitSektor ist die Entwicklung noch nicht ganz so weit fortgeschritten. Jedoch führen Vorgaben von Staat und großen Vergabeorganisationen (z. B. Glückskette in der Schweiz) zu einer verstärkten Sensibilisierung. Inzwischen haben viele NPO aus Mangel an Alternativen auf Unternehmen ausgerichtete Zertifikate erworben. Diese erfassen aber nicht die spezifischen Probleme von NPO und sind auch nur auf das Qualitätsmanagement ausgerichtet53. Eine Bewertung von Corporate Governance Standards für NPO hat bisher nicht existiert. Diese Lücke füllt das NPO-Label für Management Excellence aus. Die Besonderheit dieses Zertifikats ist, dass es nicht nur auf der TQM-Philosophie des Qualitätsmanagements beruht, sondern auch auf dem «Freiburger Management-Modell für NPO» als ganzheitlichem Management-Ansatz. Durch die enge Verknüpfung wird gewährleistet, dass alle Bereiche und Ebenen der Organisation erfasst werden. Bezogen auf die Corporate Governance werden deshalb nicht nur die Anforderungen des Swiss Code of Good Practice auf die Bedürfnisse der NPO zugeschnitten, sondern darüber hinaus werden weitere NPO-Spezifika wie die komplexen Austauschbeziehungen beachtet. Mit dem NPO-Label für Management Excellence erwerben Organisationen eine neutrale, wissenschaftlich fundierte Bestätigung, dass ihr Management professionellen Standards genügt.
6
Zusammenfassung
Wie die «Best-Practice»-Beispiele im vorliegenden Herausgeberband eindrücklich zeigen, zeichnet sich der Nonprofit-Sektor durch eine außerordentliche Vielfalt der Erscheinungsformen aus. Das Fehlen eines Gewinnzieles, die sekundäre Marktsteuerung, die Dominanz von Sachzielen und die Zielpluralität führen zu einer erhöhten Komplexität der Managementsituation in NPO. Die Praxisbeispiele zeigen, dass auch NPO einem verstärkten Wettbewerbsdruck ausgesetzt sind. Die Ökonomisierung und Kommerzialisierung wie auch die Internationalisierung des Dritten Sektors lassen sich nicht mehr aufhalten. Eine steigende Zahl von NPO wie auch in zunehmendem Masse privatwirtschaftliche Anbieter und öffentliche Gebietskörperschaften führen zu einer erhöhten Wettbewerbsintensität im Ressourcen- und Leistungsabgabebereich. Zur langfristigen Existenzsicherung erscheint da ein professionelles Management in NPO unabdingbar.
53 Vgl. Purtschert/von Schnurbein 2004, S. 45 ff.
17
Bernd Helmig, Robert Purtschert,Claudio Beccarelli
7
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20
Wirtschaftskammer Österreich – Erfolgreiches Nonprofit-Management
Christian Domany
Wirtschaftskammer Österreich – Erfolgreiches Nonprofit-Management im System der österreichischen Sozialpartnerschaft
Überblick ............................................................................................................................ 23 1
Einleitung ........................................................................................................................... 24 1.1 Rechtliche und politische Rahmenbedingungen ................................................ 24 1.2 Aufgaben der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ)....................................... 25
2
Organisation in Zahlen und Daten ................................................................................. 26 2.1 Historischer Hintergrund ....................................................................................... 26
3
WKÖ neu ............................................................................................................................ 30 3.1 Auslöser der Reform ............................................................................................... 30 3.2 Der Reformauftrag im Einzelnen .......................................................................... 31 3.3 Organisation des Reformteams.............................................................................. 32 3.4 Durchführung und Implementierung der Reform ............................................. 32 3.4.1 Organisationsstruktur ................................................................................ 33 3.4.2 Einführung moderner Management-Steuerungssysteme..................... 37 3.4.3 Marketing und Kommunikation............................................................... 38 3.4.4 Personal......................................................................................................... 39 3.4.5 Außenwirtschaft Österreich....................................................................... 40 3.4.6 Strategie der WKÖ ...................................................................................... 40 3.5 Erfolg der Reform .................................................................................................... 41
4
Zusammenfassung und Ausblick ................................................................................... 42
21
Wirtschaftskammer Österreich – Erfolgreiches Nonprofit-Management
Überblick Die Wirtschaftskammern Österreichs nehmen primär folgende Aufgaben wahr:
Interessenvertretung: Sie sind starke Interessenvertretungen für alle Unternehmen – unabhängig von deren Wirtschaftsmacht – gegenüber dem Staat, den Sozialpartnern und den politischen Parteien.
Beratungsinstitution: Sie verhelfen Unternehmen zum Erfolg im dynamischen Wettbewerb, indem sie kompetente Beratung anbieten.
Bildungs- und Weiterbildungsanbieter: Sie sorgen für eine wirtschaftsnahe praxisbezogene Aus- und Weiterbildung.
Wissensmanager: Die Funktionäre und Mitarbeiter sind Wissensmanager, die unter Nutzung der modernsten Informationstechnologien unternehmensrelevantes Wissen sammeln, aufbereiten, bündeln und den Unternehmen zielorientiert zur Verfügung stellen.
Arbeitgeberorganisation: Fachorganisationen sind überdies Arbeitgeberorganisationen, die für die meisten Wirtschaftsbereiche allgemein gültige Kollektivverträge abschließen.
Partner der öffentlichen Verwaltung und Rechtsfindung: Indem sie in einer Vielzahl wirtschaftlich relevanter staatlicher Gremien beratend ihr Wissen über die Wirtschaft einbringen und die Interessen der Unternehmer vertreten und staatliche Aufgaben im Rahmen des übertragenen Wirkungsbereichs übernehmen.
Selbstverwaltung: Wirtschaftskammern sind Teil des in Selbstverwaltung organisierten Systems der österreichischen Sozialversicherung.
23
Christian Domany
1
Einleitung
1.1
Rechtliche und politische Rahmenbedingungen
In Österreich ist das Prinzip der Subsidiarität im politischen System stark verankert. Die Gesellschaft besteht nicht nur aus natürlichen und juristischen Personen, sondern auch aus Gruppen mit gleichen Interessen. Österreich kennt daher neben dem Prinzip der territorialen Selbstverwaltung auch das Prinzip der beruflichen und sozialen Selbstverwaltung durch Kammern und Sozialversicherungen. Innerhalb der EU hat Österreich das umfassendste System der beruflichen Selbstverwaltung durch Kammern. Das System der Kammern ist die Grundlage für das System der österreichischen Sozialpartnerschaft. Für fast jede Berufsgruppe gibt es Kraft Gesetzes eine Kammer. Damit verfügen alle Interessengruppen mit Erwerbstätigkeit über eine institutionelle Interessenvertretung, auch die zahlenmäßig schwachen. Die Kammern sind trotz gesetzlicher Basis unabhängig, da der Staat lediglich darauf achtet, dass sie nicht gegen die Gesetze verstoßen. Ein Weisungsrecht gegenüber den Kammern steht den Behörden nicht zu, es sei denn, die Kammern nehmen in einem übertragenen Wirkungsbereich Aufgaben für den Staat wahr. Die demokratische Legitimation der Kammern wird dadurch gewährleistet, dass in den Kammern in regelmäßigen Abständen Wahlen abgehalten werden. Dabei orientiert sich das Wahlsystem am allgemeinen demokratischen Wahlsystem Österreichs. Wahlen an der Mitgliederbasis bestimmen direkt und indirekt die Zusammensetzung der Leitungsgremien sowie die Bestellung der Spitzenfunktionäre. Dadurch haben die Mitglieder die Möglichkeit der Mitbestimmung und Kontrolle. Unzufriedenheit mit den Kammern drückt sich daher nicht in einem Austritt aus der Kammer aus, sondern durch eine Veränderung des politischen Willens. Das Fehlen der individuellen Austrittsmöglichkeit wird durch dieses Wahlsystem ersetzt. Die wichtigste Aufgabe der Kammern ist die Förderung und die Vertretung der gemeinsamen Interessen ihrer Mitglieder. Durch das indirekte und direkte Wahlsystem ist garantiert, dass die Interessen der Minderheiten genauso repräsentiert werden wie die der Großen. Für die Vertretung der Interessen nach außen bedeutet dies, dass zuvor ein interner Interessenausgleich geschaffen werden muss. Die Kammern in Österreich und damit auch die Spitzenverbände der Sozialpartnerschaft haben das Gemeinwohl aller Mitglieder zu verfolgen. Partikularinteressen, die mit den Interessen anderer Mitglieder in Konflikt stehen, werden dem Interessenausgleich innerhalb des Selbstverwaltungskörpers unterworfen. Damit übernehmen die Kammern den Interessenausgleich für die Regierung innerhalb der durch sie vertretenen Mitglieder und
24
Wirtschaftskammer Österreich – Erfolgreiches Nonprofit-Management
sorgen damit für einen strukturierten Dialog mit der Regierung. Würden die Kammern diesen Interessenausgleich nicht durchführen, wäre er Staatsaufgabe – d. h. mehr Staat und weniger Freiheit. Die Pflichtmitgliedschaft schränkt somit die individuelle Freiheit nicht ein, sondern gewährleistet zusätzliche Handlungsspielräume gegenüber dem Staat. Durch den internen Interessenausgleich können gesetzliche Interessenvertretungen ihre Politik an gesamtwirtschaftlichen, mittel- und langfristigen Zielen orientieren. Sie können somit ihre Politik freiwillig mit der staatlichen Wirtschafts- und Sozialpolitik abstimmen und Verantwortung in Bereichen übernehmen, die über den ureigensten Wirkungsbereich hinausgehen. Aufgrund ihrer besonderen Konstruktion sind die Kammern jedoch auch zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben berechtigt und oft auch verpflichtet. Die wesentlichsten Bereiche sind die gemeinsame Führung von Verwaltungsagenden, die gemeinsame Teilnahme an der vom Staat geführten Verwaltung sowie der Abschluss von Kollektivverträgen. Den Kammern gemeinsam ist auch das Recht, Gesetzes- und Verordnungsentwürfe vor ihrer Einbringung zur Abstimmung innerhalb einer ausreichenden Frist begutachten zu können. Die gemeinsame Führung von Verwaltungsaufgaben manifestiert sich im «übertragenen Wirkungsbereich»: Als Beispiel kann hier das Lehrlingswesen, Meisterprüfungswesen und Ursprungswesen durch die Wirtschaftskammern Österreichs angeführt werden. Die Organisation ist ein modernes Dienstleistungsunternehmen, das seine Mitglieder bei der Bewältigung ihrer betrieblichen Probleme berät und unterstützt. Die Serviceleistungen werden unter Nutzung der neuen Technologien nach dem Prinzip der Nähe zum Mitglied und des persönlichen Kontakts nach dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Nutzenorientierung erbracht.
1.2
Aufgaben der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ)
Im eigenen Wirkungsbereich ist die Wirtschaftskammer Österreich mit ähnlichen Aufgaben betraut wie die Landeskammern, wobei es sich um Angelegenheiten handelt, die über den Zuständigkeitsbereich einer Landeskammer hinausreichen. Ein Beispiel ist die Abgabe von Stellungnahmen zu Bundesgesetzen, die nach Einholung der Landeskammer-Meinungen erstellt werden. Der WKÖ obliegt weiters insbesondere die Beratung und Information der Mitglieder in außenwirtschaftlichen Angelegenheiten im In- und Ausland sowie die Förderung des Außenhandels und der Wirtschaftsbeziehungen im Binnenmarkt und mit Dritt-
25
Christian Domany
staaten. Umgesetzt wird diese Aufgabe vor allem durch die Einrichtung einer Außenwirtschaftsorganisation. Die WKÖ vertritt die Interessen ihrer Mitglieder auf Bundesebene, in und gegenüber der Europäischen Union, internationalen Organisationen und Vereinigungen. Außerdem pflegt sie die Beziehungen zu ausländischen Interessenvertretungen. Sie errichtet weiters ein ständiges internationales Schiedsgericht. Die WKÖ muss auch die Geschäftsführung der nach dem Wirtschaftskammergesetz gebildeten Körperschaften (also z. B. Fachorganisationen, Landeskammern) und die Ausübung der Aufsicht über diese Körperschaften allgemein regeln, die Aufsicht ausüben und allfällig rechtswidrige Beschlüsse aufheben.
2
Organisation in Zahlen und Daten
2.1
Historischer Hintergrund
1848 war das Gründungsjahr der Wirtschaftskammerorganisation durch den Erlass der «Provisorischen Bestimmungen in Betreff der Errichtung von Wirtschaftskammern». In ihrer derzeitigen Form entstand sie in der Nachkriegszeit (1946) mit dem Ziel, ein gemeinsames, föderalistisch organisiertes Dach für alle Interessensbereiche der österreichischen Wirtschaft zu schaffen – vom kleinen Handwerkerbetrieb bis zur Großindustrie und dem Bankenwesen. Zu diesem Zweck wurden die unzähligen regional tätigen Gewerbegenossenschaften in die damalige österreichische Handelskammerorganisation integriert. Durch die Verschmelzung zweier völlig unterschiedlicher Körperschaftssysteme – nämlich der damaligen Handelskammer, als Interessenvertretung eher umfangreicher und wichtiger Unternehmen des Handels, der Industrie und der Banken, sowie den ehemaligen, aus dem Zunftwesen gewachsenen ehemaligen Gewerbegenossenschaften (heutige Fachorganisationen) mit ihren vielen kleinen Mitgliedsunternehmen – entstand eine äußerst heterogene Gesamtorganisation (vgl. Abbildung 1). Die Wirtschaftskammerorganisation (Gesamtorganisation) umfasst dabei insgesamt 1.420 Teilorganisationen (vgl. Tabelle 1).
26
Wirtschaftskammer Österreich – Erfolgreiches Nonprofit-Management
Abbildung 1: Organisationsaufbau der Wirtschaftskammern Österreichs (Stand: 2004)
Tabelle 1:
Teilorganisationen der Wirtschaftskammerorganisation (Gesamtorganisation; Stand: 2004) Bundesebene
Landesebene
Gesamt
Kammern
1 Bundeskammer = Wirtschaftskammer Österreich
9 Landeskammern
10
Sparten
7 Bundessparten
63 Landessparten
70
Fachorganisationen
129 Fachverbände (Bundesinnungen, Bundesgremien)
837 Fachgruppen (Landesinnungen, Landesgremien)
1.340
374 Fachvertretungen
Gesamt
1.420
27
Christian Domany
Die Wirtschaftskammer Österreich und die Landeskammern sind jeweils in folgende 7 Sparten gegliedert:
Gewerbe und Handwerk Industrie Handel Bank und Versicherung Transport und Verkehr Tourismus und Freizeitwirtschaft Information und Consulting Diese unterteilen sich wieder in Fachorganisationen. Es gibt pro Bundesland bis zu 140 Fachorganisationen (Fachgruppen, Innungen, Gremien und Fachvertretungen). Die Fachorganisationen gliedern sich oft in fachlicher Hinsicht weiter in Berufsgruppen. So umfasst beispielsweise die Fachgruppe für das Beförderungsgewerbe mit Personenkraftwagen in der Wirtschaftskammer Wien derzeit u. a. die Berufsgruppen Fiaker, Hotelwagengewerbe, Kfz-Verleiher, Mietwagengewerbe, Taxiunternehmer und die Pferdemietwagenunternehmer. Die Berufsgruppen können innerhalb der Fachorganisation eigene Berufsgruppenausschüsse wählen. Durch diese «fachliche Gliederung» ist gewährleistet, dass die einzelnen Branchen innerhalb der Wirtschaft ein angemessenes Mitspracherecht besitzen. Ende 2003 hatte die Kammerorganisation 428.341 Mitglieder, davon 332.624 aktive, und 95.717 ruhende, 1.350 Organisationseinheiten, davon 966 autonome Fachorganisationen, 10 Kammern und 374 Fachvertretungen (vgl. Tabelle 2). Mitglied einer Wirtschaftskammer sind alle physischen und juristischen Personen sowie Personengesellschaften, die Berechtigungen zum selbständigen Betrieb von Unternehmungen der gewerblichen Wirtschaft besitzen. Die Mitgliedschaft ist unabhängig davon, ob und in welchem Umfang diese Berechtigungen ausgeübt werden. Besitzt eine physische oder juristische Person Berechtigungen in mehreren Bundesländern, so ist sie bei allen zuständigen Wirtschaftskammern Mitglied. Der Dualismus in der Wirtschaftskammer drückt sich in der Zusammenarbeit von Funktionären und Mitarbeitern in wichtigen Bereichen aus (vgl. Abbildung 2). Da die meisten Funktionäre sich weiterhin um ihre eigene Unternehmung kümmern müssen, können sie nur einen Teil ihrer Zeit für die Standesvertretung verwenden. Es sind daher hauptberufliche Mitarbeiter notwendig, die in enger Zusammenarbeit die Funktionäre unterstützen, die die Entscheidungsträger darstellen.
28
Wirtschaftskammer Österreich – Erfolgreiches Nonprofit-Management
Tabelle 2:
WKÖ Mitglieder inklusive ruhender Mitgliedschaften (Stichtag: 31. Dezember 2003)
Bundesland
1985
1995
2000
2003
Anzahl
2002/2003 Prozent
7.964
8.604
10.921
12.891
+ 4,8 %
Kärnten
18.867
20.643
24.967
28.091
+ 3,5 %
Niederösterreich
40.044
49.302
67.087
78.722
+ 4,3 %
Oberösterreich
34.199
40.967
54.965
63.671
+ 3,5 %
Salzburg
20.759
25.439
30.733
34.396
+ 2,7 %
Steiermark
30.694
36.304
47.681
56.746
+ 3,9 %
Tirol
26.583
30.099
35.647
39.564
+ 3,2 %
Vorarlberg
11.872
14.064
18.164
19.754
+ 2,0 %
Wien
62.422
71.770
84.553
94.506
+ 3,1 %
253.404
297.192
374.718
428.341
+ 3,5 %
Burgenland
ÖSTERREICH
Abbildung 2: Dualismus – Funktionäre und Mitarbeiter
Direktor, Generalsekretär
Präsident
Spartengeschäftsführer
Spartenobmann
Fachgruppengeschäftsführer
Fachgruppenobmann
Bezirksstellenleiter
Bezirkstellenobmann
Dienstgeber für das gesamte Personal ist die Wirtschaftskammer Österreich. Das Personal untersteht in dienstrechtlicher Hinsicht ausschließlich dem Präsidenten. Das bedeutet, dass der jeweilige Kammerpräsident die Funktion des Dienstgebers für alle
29
Christian Domany
Mitarbeiter ausübt, wo immer im Bereich der Kammer sie ihren Dienst versehen (ob bei der Kammerdirektion oder einer Fachgruppengeschäftsstelle).
3
WKÖ neu
3.1
Auslöser der Reform
Die WKÖ als Interessenvertretung der Wirtschaft sah sich immer mehr der Kritik ihrer Mitglieder in Bezug auf die Höhe der Beitragszahlungen, mangelndes Service sowie mangelnde Effizienz und Durchsetzungsvermögen ausgesetzt. Durch den Beitritt Österreichs zur EU war zudem eine Verlagerung und Neuausrichtung der Interessenvertretung notwendig geworden. In der öffentlichen Meinung wurde die Sozialpartnerschaft als Auslaufmodell bezeichnet und so war es an der Zeit, die Aufgaben neu zu definieren. Mit Amtsantritt des Präsidenten am Kammertag vom 28. Juni 2000 wurde eine umfassende Kammerreform angekündigt. Als Basis für die Erneuerung der Wirtschaftskammern galt die von Januar bis April 2000 bundesweit durchgeführte Umfrage unter Wirtschaftskammer-Mitgliedern, bei der sich insgesamt 64 Prozent der Befragten für eine Änderung der Wirtschaftskammern aussprachen (vgl. Abbildung 3).
Abbildung 3: Ergebnisse der Mitgliederumfrage aus dem Jahr 2000
26
sehr stark ändern
`
stark ändern
38
mittel ändern
wenig ändern
gar nicht ändern 0
30
29
4
64 %
Wirtschaftskammer Österreich – Erfolgreiches Nonprofit-Management
Der Präsident startete eine umfassende Reform der WK-Organisation und beauftragte seinen Generalsekretär mit deren Durchführung. Das ehrgeizige Ziel war, die Kammerumlagen um 30 Prozent, also um 152,6 Mio. Euro, zu senken. Geplant waren organisatorische Neustrukturierungen und eine noch effizientere Gestaltung der internen Abläufe.
3.2
Der Reformauftrag im Einzelnen
Aufgabenverteilung optimieren Die Aufgabenverteilung zwischen Landeskammern und WKÖ soll dahingehend optimiert werden, dass die Landeskammern für den Mitgliederservice zuständig sind, während die WKÖ als Kernkompetenz die Interessenvertretung wahrnimmt.
Außenwirtschafts-Organisation restrukturieren Ziel ist, eine Ausgabensenkung von insgesamt 20 Mio. Euro durch die Schließung von 10 Außenhandelsstellen und 2 Zweigstellenbüros zu erreichen. Der Umbau in Profit Center sowie Zusammenlegungen von Büros gemeinsam mit der Österreich Werbung ist geplant.
Fachorganisationen modernisieren Durch die Neuordnung der fachlichen Einheiten in 7 Sparten statt 6 Sektionen werden die «neuen» Dienstleistungen berücksichtigt.
Wahlrecht erneuern Ein neues Wahlrecht soll die Transparenz erhöhen und die Wahl- und Nominierungsvorgänge beschleunigen.
Beiträge um 152,6 Mio. Euro (2,1 Mrd. ATS) senken Das entspricht einer Senkung des Beitragsvolumens um 30 Prozent (auf Basis des Rechnungsabschlusses 1999). Durch Sparsamkeit, höhere Effizienz und mehr Autonomie in der Budgetverwaltung soll eine spürbare Entlastung der Mitglieder erreicht werden.
Umsetzung bis 2004 Ziel ist, die Reform bis Ende 2004 umzusetzen und die gesetzlichen Anpassungen bereits bis Mitte 2001 zu vollziehen.
31
Christian Domany
3.3
Organisation des Reformteams
Die strategische Gesamtführung der Wirtschaftskammerorganisation und somit auch der Reformvorhaben obliegt dem Erweiterten Präsidium. Dieses Gremium wurde zur besseren österreichweiten Zusammenarbeit der Kammern neu eingesetzt. Es setzt sich aus allen Landeskammerpräsidenten, dem WKÖ Präsidium, allen Spartenobmännern sowie Zusatzvertretern zusammen (vgl. Abbildung 4). Die operative Leitung des Reformprozesses wurde dem Generalsekretär übertragen. Er wurde unterstützt von einem Projektteam sowie verschiedenen Unternehmensberatern. Ein Steuerungsteam überwachte die operative Durchführung der einzelnen Aufgaben durch 12 Arbeitsgruppen.
Abbildung 4: Organisation des Reformteams der WKÖ im Jahr 2000 Leitungs-Team «Erweitertes Präsidium der WKÖ» Strategische Leitung des Reform-Prozesses
Berater-Pool Beratungsleistungen i. A. GS Domany
Projekt-Assistenz Assistenz GS Domany
Projekt-Team Projekt-Management
Steuerungs-Team Generalsekretäre, Direktoren, Syndici Operative Steuerung und Controlling
3.4
Information & Kommunikation
Operatives Management GS Domany Operative Leitung des Reform-Prozesses
Durchführung und Implementierung der Reform
Der Reformprozess gliederte sich zeitlich in 3 Phasen, wie in Abbildung 5 verdeutlicht wird. Die Herausforderungen an die Arbeitsgruppen waren vielfältig. Zunächst wurde die Kompetenzaufteilung zwischen der WKÖ und den Landeskammern eindeutig geregelt: Die Landeskammern sind für die direkte Mitgliederbetreuung und Landes-
32
Wirtschaftskammer Österreich – Erfolgreiches Nonprofit-Management
angelegenheiten zuständig. Dazu gehörte auch die Neupositionierung der Bezirksund Regionalstellen inklusive der Entwicklung neuer Leistungsangebote. Die WKÖ ist nun für alle Angelegenheiten, die über die Kompetenz eines Bundeslandes hinausgehen, zuständig. Ihre Kernkompetenz ist die Interessenvertretung.
Abbildung 5: Zeitachse Reformprozess
3.4.1
Organisationsstruktur
Mit 1.1.2002 trat eine umfangreiche Novelle des Wirtschaftskammergesetzes in Kraft. Alle Satzungen der Wirtschaftskammerorganisation, wie beispielsweise die neue Geschäftsordnung, wurden im Sinne der Reform überarbeitet. Auch die neue Organstruktur wurde bereits in den ersten Jahren verwirklicht. Mit der Reduzierung der Organe können künftige Entscheidungen noch rascher und effizienter gefasst werden. Ein neues Wahlrecht soll die Transparenz erhöhen und die Wahl- und Nominierungsvorgänge beschleunigen. Die Gesamtwahlen verkürzen sich auf einen Monat, die Mitglieder des Wirtschaftsparlaments sind nach spätestens einer Woche bekannt. Die Zahl der Unterstützungserklärungen sinkt, die Minderheitenrechte werden erweitert und für die Zukunft ist sogar die Internetwahl via e-Voting vorgesehen.
33
Christian Domany
Das neue Organigramm der WKÖ besteht nun aus 11 Abteilungen und 5 Stabsabteilungen. Im Vergleich zur alten Struktur (vgl. Abbildung 6) wurden die nicht mehr zeitgemäßen Sektionen in Sparten überführt, die die neue Unternehmenslandschaft besser widerspiegeln. Die 7 Sparten sind nun: Gewerbe und Handwerk, Industrie, Handel, Bank und Versicherung, Transport-Verkehr, Tourismus und Freizeitwirtschaft und neu: Information und Consulting. Satellitenorganisationen wurden als gleichwertige Abteilungen in die WKÖ integriert (vgl. Abbildung 6 mit der alten und Abbildung 7 mit der neuen Struktur der WKÖ seit dem 1.1.2004). Die schlankere Organisationsstruktur wurde durch die Restrukturierung einiger interner Bereiche, z. B. die Zusammenführung von Abteilungen, die Errichtung von Servicestellen oder die Gründung der WIFI-International GmbH erreicht. Dadurch wurde der Ressourceneinsatz umverteilt und mehr Transparenz und Effizienz geschaffen. Besonders hervorzuheben ist die Einrichtung gemeinsamer Dienste, wie die Inhouse GmbH oder die Kompetenz Center, die im Folgenden kurz beschrieben werden sollen.
a) Kompetenz Center Kompetenz Centers (KC) sind Länder übergreifende Einrichtungen aller Landeskammern und der WKÖ. Sie sind jeweils einem spezifischen Fachgebiet (Arbeits- und Sozialrecht, Betrieb und Umwelt, Wirtschaftsrecht, AWO, Abgaben und Steuern) zugeordnet. Die Leistungen der KCs werden von den Mitarbeitern aller Wirtschaftskammern Österreichs erbracht. Jedes KC bearbeitet in Redaktionsteams fachspezifische Themen mit bundesweiter Relevanz und bereitet diese für verschiedene Anwendungsbereiche auf: Broschüren, Merkblätter, Fachartikel oder Informationsveranstaltungen. Die KCs treten nach außen hin nicht in Erscheinung. Kunden der KCs sind die mit dem Service beschäftigten Kammermitarbeiter.
b) Inhouse GmbH Die Inhouse GmbH wurde von allen Landeskammern und der WKÖ gegründet. Sie ist als Gesellschaft mit beschränkter Haftung eine Körperschaft privaten Rechts und hat ihren Sitz in den Räumlichkeiten der WKÖ. Ihr Zweck ist die Erbringung und Bereitstellung gemeinsamer WKO-interner Leistungen. Darunter werden gebündelte und standardisierte Leistungen verstanden, die zur Unterstützung der Kernaktivitäten der gesamten Wirtschaftskammerorganisation angeboten werden. So werden vorhandene Synergiepotenziale genutzt, Know-how gebündelt und allen 10 Wirtschaftskammern ein Back-Office bereitgestellt. Seit 1. Februar 2002 unterstützt sie die WKÖ in folgenden Bereichen: Service- und Entwicklungszentrum (SEZ) Personal, Marketing, Statistik, WIFI (Wirtschafsförderungsinstitut)-Netzwerk, wko.it und wko.at.
34
Wirtschaftskammer Österreich – Erfolgreiches Nonprofit-Management
Abbildung 6: Die alte WKÖ-Struktur (Stand: 2001) Abt. für Bildungspolitik
Abt. für Integrations- und Handelspolitik
Vizepräsident (kooptiert)
Planung u. Koordination
Schiedsgericht
Sektion Gewerbe, Handwerk, Dienstleistung
Abt. für Finanzpolitik
Abt. für Rechtspolitik
Abt. für Sozialpolitik
Abt. für Verkehrspolitik
Abt. für Wirtschaftspolitik
PRÄSIDIUM
Präsident Dr. Christoph Leitl
Abt. für Informationstechnologie
Vizepräsident
Marketing-Abteilung
Präsidial- und Organisationsabteilung
GeneralsekretärStellvertreter
Presseabteilung Vizepräsident (kooptiert)
Sektion Transport, Verkehr, Telekommunikation
Personal-Abteilung
Vizepräsident
Junge Wirtschaft
Sektion Bank und Versicherung
Abt. für Finanz- und Rechnungswesen
Generalsekretär Mag. Christian Domany
Abt. für Wissenschaft
GENERALSEKRETARIAT
Sektion Handel
Frau in der Wirtschaft
Vizepräsident (kooptiert)
Abt. für Umweltpolitik
GeneralsekretärStellvertreter
Sektion Industrie
Abt. für Statistik
Verwaltungsabteilung
Projekt Euro
Wirtschaftsförderungsinstitut
Web-Service
Sektion Tourismus und Freizeitwirtschaft
Protokoll
Außenwirtschaft Österreich
Kontrollamt
35
36 Generalsekretär Mag. Christian Domany
Vorstand
Wirtschaftspolitik
Strategie
WKÖ-Service GmbH
Externe Dienstleistungen (Service)
Interne Dienste (Administration)
Fachliche Einheiten (Sparten, FO)
Transport und Verkehr
Tourismus und Freizeitwirtschaft
Kuratorium Kurator
WIFI Österreich
Information und Consulting
Industrie
Handel
Gewerbe und Handwerk
Bank und Versicherung
Frau in der Wirtschaft
Generalversammlung Bundesvorsitzende
Junge Wirtschaft / Gründerservice
Bundesvorstand Bundesvorsitzender
Internationales Schiedsgericht
Präsidium Obmann
Spartenkonferenz Spartenpräsidium Spartenobmann
Statistik
Presse
Außenwirtschaft Österreich
EU-Koordination
GeneralsekretärStellvertreter
Büro des Präsidiums
Präsident
Erweitertes Präsidium
WKÖ Präsidium GeneralsekretärStellvertreter
Geschäftsstelle des Kontrollausschusses
Kontrollausschuss Präsidium Obmann
Technische Infrastruktur
Recht und Organe
Personal und Organisationsentwicklung
Kommunikation
Finanz- und Rechnungswesen
Präsident
Politischer Bereich (polit. Abteilungen)
Verkehrs- und Infrastrukturpolitik
Umwelt- und Energiepolitik
Sozialpolitik und Gesundheit
Rechtspolitik
Finanz- und Handelspolitik
Bildungspolitik
Funktionäre
Wirtschaftsparlament
Christian Domany
Abbildung 7: Die neue WKÖ-Struktur (Stand: 2004)
Service- und Entwicklungszentrum Personal (SEZ Personal)
Das SEZ Personal ist in erster Linie interner Dienstleister für die Personalabteilungen der einzelnen Kammern. Die dem SEZ übertragenen Projekte haben vorwiegend österreichweite Bedeutung und reichen von Personalmarketing-Maßnahmen zur Positionierung der WKO als interessanter Arbeitgeber über die Durchführung von österreichweiten Aus- und Weiterbildungsangeboten bis hin zur Überarbeitung und Aktua-
Wirtschaftskammer Österreich – Erfolgreiches Nonprofit-Management
lisierung von österreichweit abgestimmten Führungsinstrumenten (z. B. Zielvereinbarungsgespräche und Mitarbeitergespräche).
WIFI-Netzwerk Das WIFI-Netzwerk koordiniert bundesweit die Aktivitäten des Wirtschaftsförderungsinstitutes. Das bedeutet eine verbesserte Nutzung von Synergien und somit eine Vermeidung von Mehrgleisigkeiten. Von besonderer Bedeutung ist für das WIFI die Sicherstellung eines österreichweit einheitlichen Markenauftritts gegenüber Dritten sowie eine verstärkte Bewusstseinsbildung zu wirtschaftspolitisch interessanten Themen.
wko.at Ebenfalls eingebettet in die Inhouse GmbH ist wko.at, die gemeinsame Internet-, Extranet- und Intranet-Plattform der Wirtschaftskammerorganisation.
wko.it Kernaufgaben für diesen Bereich der Inhouse GmbH sind in erster Linie der Infrastrukturbetrieb für gemeinsame Anwendungen sowie die Entwicklung und Wartung. Unterstützung bietet WKO-IT auch bei der Planung für IT-Plattformen, bei Rahmenverträgen zur Erzielung optimaler Ergebnisse und durch individuelle Leistungen in Form von Unterstützungsaufgaben.
Statistik Dieser Bereich der Inhouse GmbH erbringt gemeinsame regelmäßig zu erstellende statistische Leistungen, um damit den Landeskammern die fachliche Betreuung der Mitglieder in statistischen Fragen zu erleichtern.
Marketing Die gemeinsame Nutzung von Marketingdienstleistungen soll den nachhaltigen Erfolg der Marketingarbeit erhöhen – zum Nutzen aller Wirtschaftskammern. Unterstützung bietet der Bereich Marketing in Medienservice und Mediaplanung, im Direct Marketing, bei Dachkampagnen, bei strategischer Marketingplanung sowie im eSupport: der Beratung für den Webauftritt der Dienststellen.
3.4.2
Einführung moderner Management-Steuerungssysteme
Im Zuge der Reform wurde 2002 in der Wirtschaftskammer Österreich die neue Stabsabteilung «Strategie» eingerichtet. Ihre Aufgabenschwerpunkte konzentrieren sich auf Management Steuerung, Wissensmanagement und strategische Kooperationen.
37
Christian Domany
Management Steuerung Zur strategischen Planung und Steuerung in der WKÖ wurde das Konzept der Balanced Scorecard umgesetzt. Sie ermöglicht die Definition strategischer Ziele und Messgrößen sowie Maßnahmen und Projekte zur Zielerreichung. Die Führung durch Zielvorgaben (Management by Objectives) wird durch ein Zielvereinbarungssystem und Mitarbeitergespräche in Zusammenarbeit mit der Abteilung Personal und Organisationsentwicklung ermöglicht. Um die Planung und Steuerung WKÖ-weit durchzuführen, koordiniert die Abteilung die österreichweite Plattform «Planungskoordinatoren».
Wissensmanagement Als Wissensorganisation ist es oberstes Ziel, den Nutzen der vorhandenen Information für die Mitglieder zu erhöhen und dadurch ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Mit österreichweit abgestimmten und standardisierten Wissensmanagement-Instrumenten, laufend verbessert durch den Aufbau eines Innovationsmanagements, generiert die WKÖ ein umfassendes Wissensangebot. Dieses wird insbesondere über das Internet-Portal wko.at als die Wissensdrehscheibe für die österreichische Wirtschaft zur Verfügung gestellt. Beratungsleistungen werden zu differenzierten Preisen am Markt im In- und Ausland angeboten.
Strategische Kooperationen Die vielfältigen Kontakte der Organisation auf nationaler und internationaler Ebene sollen in Zukunft im Sinne einer aktiven Wirtschaftsförderung intensiviert und verstärkt werden. Der Erfahrungsaustausch der Mitglieder untereinander wird durch die Gestaltung und Initiierung von Netzwerken und Plattformen unterstützt. Ziel der strategischen Kooperationen ist es aber auch, den Anteil an Drittmittel zur Finanzierung der Leistungen zu erhöhen und für die Mitglieder die Inanspruchnahme von Fördermittel zu optimieren. In bestehenden Kooperationen werden daher Zuschüsse reduziert, sofern die damit finanzierten Leistungen nicht unmittelbar der WKÖ zurechenbar sind. Gleichzeitig bedeutet die Konzentration auf Kernkompetenzen aber auch, dass einige Bereiche ausgelagert werden. Dies wurde z. B. mit der Service GmbH oder WIFI International erfolgreich durchgeführt. Auch die Immobilien, die im Eigentum der WKÖ stehen, sollen in Zukunft ausgegliedert werden. Somit hat die WKÖ keine Eigentümersorgen mehr und das Facility Management wird in professionelle Hände übergeben.
3.4.3
Marketing und Kommunikation
Um auch nach außen hin gemeinsam aufzutreten und zu kommunizieren wurde die gemeinsame «Dachmarke WKO» weiterentwickelt. Ein neues Logo (vgl. Abbildung 8) sowie eine Österreichweite gemeinsame Telefonnummer wurden eingeführt (05 9090...).
38
Wirtschaftskammer Österreich – Erfolgreiches Nonprofit-Management
Abbildung 8: Das neue Logo der WKÖ
Der Internetauftritt der Wirtschaftskammern wurde mit einem Relaunch von wko.at vereinheitlicht. Ziel der Kommunikation nach außen war es, die Unternehmer durch weniger Mitgliedsbeitrag und einen effizienteren Service wieder für die Kammerorganisation zu begeistern. Besonders wichtig war auch die Wahrnehmung, Mitarbeiter seien Beamte, zu verändern und den Dienstleistungsgedanken in den Vordergrund zu stellen. Gleichzeitig wurde auch den Funktionären kommuniziert, dass die politische Schlagkraft der Organisation von dieser Reform profitiert. Es wurden neue Informations- und Kommunikationsroutinen an Mitglieder, Mitarbeiter und Funktionäre geschaffen. Diese sorgen für einen optimalen Informationsfluss im In- und Ausland, z. B. Telefonoffensive an die Mitglieder, Funktionärstelegramm, Direct Mailing des Präsidenten, EU Today – täglich aktuelle Nachrichten aus Brüssel etc. Zusätzlich sorgte die WKÖ für offensive Information in der Öffentlichkeit über die volkswirtschaftliche Bedeutung des Unternehmertums, um den gesellschaftlichen Stellenwert der Unternehmer zu heben.
3.4.4
Personal
Durch neue Personalkonzepte sinkt der WKÖ Personalstand um ca. 370 Mitarbeiter, (27 Prozent) von 2001 bis 2004. Erreicht wurde diese Reduktion durch Nichtnachbesetzungen bei Pensionierungen, einem «Senior Experts Pool» (SEP) und natürliche Fluktuation. Die Personalausgaben wurden von 2000 bis 2004 um 27 Mio. Euro (25 Prozent) gesenkt. Gleichzeitig zur Personalreduktion wurden neue Ausbildungsprogramme, z. B. ein 3-jähriges Traineeprogramm und ein Ausbildungsprogramm für Wirtschaftsjournalisten, ins Leben gerufen. Die Mitarbeiter sind aufgefordert, ihre eigenen Ideen und Anregungen einzubringen. Sie bekommen dazu die Möglichkeit, indem die Gruppe der «WKOperspectives» gegründet wird. In thematisch unterschiedlichen Gruppen werden aktuelle Themen
39
Christian Domany
diskutiert, Veranstaltungen besucht oder einfach die Möglichkeit zum gegenseitigen Kennen lernen geboten.
3.4.5
Außenwirtschaft Österreich
Ein weiterer Schwerpunkt der Wirtschaftkammern ist die Förderung der Außenwirtschaft. Sie erfolgt hauptsächlich durch die so genannte Außenwirtschaft Österreich, kurz AWO genannt. Die AWO umfasst die Inlandsorganisation, das weltweite Netz der Außenhandelsstellen, Zweigbüros, Korrespondenten sowie die Außenwirtschaftsabteilungen in den Wirtschaftskammern. An allen für die österreichische Wirtschaft wichtigen Plätzen der Erde unterhält die Außenwirtschaft Österreich Stützpunkte. Zu den wichtigsten Aufgaben der Außenwirtschaft Österreich gehören die umfassende Beratung und die konkrete Unterstützung von über 15.000 Außenhandelsfirmen sowie die Abhaltung von Einzelveranstaltungen im In- und Ausland. Weiters obliegen der AWO zahlreiche Aufgaben im übertragenen Wirkungsbereich: für Ministerien, Landesregierungen, Kammerdienststellen, Interessenverbände etc. Im Gegensatz zu anderen Ländern erfolgt die Exportförderung in Österreich durch die Wirtschaftskammerorganisation und nicht durch ein Ministerium oder ein staatsnahes Spezialinstitut. Die Finanzierung erfolgt daher auch über den Beitrag der Kammermitglieder, nicht über den Staatshaushalt. Als zusätzliche Finanzierungsquelle für die AWO wurde seit 1. Januar 2002 eine teilweise Leistungsverrechnung eingeführt. Wenn eine Firma eine spezielle Projektbetreuung oder die Organisation einer Veranstaltung wünscht, werden ihr diese Leistungen in Rechnung gestellt. Unabhängig davon hat aber jedes Kammermitglied natürlich Anspruch auf ein kostenloses Basisberatungspaket. Im Zuge der Reform wurde die Anzahl der Außenhandelsstellen von 81 auf 70 reduziert und 2 Zweigstellenbüros wurden geschlossen. Die Abteilung wurde im Sinne eines Profit Centers umstrukturiert. Durch diese Maßnahmen sowie die Zusammenlegungen von Büroeinheiten im Ausland gemeinsam mit der Österreich Werbung konnte eine beachtliche Ausgabensenkung erreicht werden.
3.4.6
Strategie der WKÖ
Die Wirtschaftskammer Österreich ist in den 3 strategischen Geschäftsfeldern Interessenvertretung, Wirtschaftsförderung und Wissensvermittlung, die als neue Kernkompetenzen definiert wurden, aktiv. Als Interessenvertreter beeinflusst die WKÖ die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen. Die internen Prozesse werden dahingehend optimiert, um in der Öffentlich-
40
Wirtschaftskammer Österreich – Erfolgreiches Nonprofit-Management
keit Themenführer zu werden. In der Wirtschaftsförderung unterstützt die WKÖ als Dienstleister den wirtschaftlichen Erfolg der Mitglieder. Die Internationalisierung der österreichischen Wirtschaft voranzutreiben, ist dabei eine der beiden Kernstrategien. Die zweite Kernstrategie verfolgt die Unterstützung des wirtschaftlichen Erfolges der Mitglieder am Wirtschaftsstandort Österreich durch Initiativen in den Bereichen Innovation, Technologie, Bildung und Qualifizierung. Als Wissensvermittler stellt die WKÖ ihren Mitgliedern Expertenwissen zur Verfügung. Inhaltlich sind die politischen Vorstellungen und Ziele im «12-Punkte-Programm» zur Zukunftssicherung Österreichs für den Zeitraum bis 2010 präzisiert.
3.5
Erfolg der Reform
Ein besonderer «Knackpunkt» bei der Durchführung der Reform war vor allem die österreichweite Zusammenarbeit aller Wirtschaftskammern (Mitarbeiter, Funktionäre) plus Berater. Das Projekt konnte nur erfolgreich sein, wenn alle Betroffenen die getroffenen Entscheidungen mittragen, so musste Konsens unter 12.000 Funktionären, 5.000 Mitarbeitern und 10 Kammern gefunden werden. Das bedeutet auch, dass politischer Konsens bei allen in der WKO vertretenen Fraktionen geherrscht hat. In der Öffentlichkeit wurde die Kammerorganisation zum Vorbild für die Reform der öffentlichen Verwaltung. Für die Errichtung der Inhouse GmbH sprach der Rechnungshof großes Lob aus und empfahl sie als «nachahmenswert». Dass die Reform nicht nur als Selbstzweck durchgeführt wurde, beweisen die aktuellen Zufriedenheitswerte der Mitglieder (vgl. Abbildungen 9 und 10).
41
Christian Domany
Abbildung 9: Ausgewählte Ergebnisse der WKÖ-Mitgliederbefragung 2003 Frage: Wie zufrieden sind Sie als Unternehmerin, als Unternehmer eigentlich mit der Wirtschaftskammer Österreich? Mit der WKO ist man market Umfrage, Juni 2003
aktuell 2003
sehr zufrieden bzw. zufrieden
74
weniger zufrieden bzw. nicht zufrieden
kann ich nicht beurteilen
Trendwerte 2002
72
20
6
Trendwerte 2001
24
4
Trendwerte 1999
70
42
20
10
43
15
Ergebnis: Zufriedenheit der Mitglieder mit WKÖ ist gegenüber 1999 um 32% Punkte gestiegen!
4
Zusammenfassung und Ausblick
Die Wirtschaftskammer Österreich hat mit einem umfassenden Reformprozess seit dem Jahr 2000 die österreichischen Betriebe um insgesamt 69 Mio. Euro an Mitgliedsbeiträgen entlastet. Diese Entlastung der Mitglieder war nur möglich, weil die WKÖ sich auf ihre Kernkompetenzen konzentriert und etliche Bereiche, wie etwa die Kompetenz-Zentren, die Service-GmbH oder WIFI-Österreich, neu positioniert und organisiert hat, um alle sinnvollen Sparmöglichkeiten und Effizienzsteigerungen zu nutzen. Neben den notwendigen Einsparungen im Sach- und Personalaufwand habe ich zugleich versucht, das Leistungsangebot für die Unternehmer zu verbessern, z. B. durch ein massiv ausgeweitetes Informationsangebot für Unternehmer, etwa im Internet auf «wko.at» oder bei Roadshows. Mein Ziel war von Anfang an eine starke, effiziente und schlagkräftige Wirtschaftskammerorganisation, deren Arbeit von den Mitgliedern anerkannt wird. Gemeinsam mit Funktionären und Mitarbeitern ist das der WKÖ gelungen.
42
Wirtschaftskammer Österreich – Erfolgreiches Nonprofit-Management
Abbildung 10: Ausgewählte Ergebnisse der WKÖ-Mitgliederbefragung 2004 Es bemü bemüht sich am meisten um den Wirtschaftsstandort Österreich: Frage 15: Wer bemüht sich Ihrer Ansicht nach am meisten um den Wirtschaftsstandort Österreich? Frage 16: Und welche der folgenden Persönlichkeiten zeigen den größten Einsatz für den Wirtschaftsstandort Österreich?
Befragte insgesamt 41
Wirtschaftskammer 19
Industriellenvereinigung ÖVP
11
Gewerkschaften SPÖ
Anderes
6 1
6
Befragte insgesamt
Trend 2002 33 26
44
Christoph Leitl Wolfgang Schüssel
22
36 25
Martin Bartenstein
4
5
Hubert Gorbach
2
1
5
Alexander Van der Bellen
2
1
3
Alfred Gusenbauer
1
2
Fritz Verzetnitsch
1
2
10
4 Anderes
weiß nicht, keine Angabe
Trend 2002
15
20
weiß nicht, keine Angabe
4
3 19
25
Da nun sozusagen «die Pflöcke eingeschlagen wurden», muss auf dieser Basis aufgebaut und für die Zukunft weiter ausgebaut werden. Insbesondere durch die Konzentration auf die Kunden der WKÖ und auf den vorhandenen Markt muss das Angebot genauer auf die Zielgruppen abgestimmt werden. Besonderes Augenmerk wird auf der Exportförderung und auf der Unterstützung der Klein- und Mittelbetriebe liegen. Zusammenfassend kann man über die Reform sagen: «Wir haben unsere Organisation schlank gemacht, konzentrieren uns auf unsere Kernaufgaben und sind somit fit für die Herausforderungen der Zukunft!»
43
Der Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie Österreichs FEEI
Lothar Roitner
Der Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie Österreichs FEEI FEEI - Ein Netzwerk für den Erfolg
Überblick ............................................................................................................................ 47 1
Der FEEI: Ziele, Aufgaben, Organisation ...................................................................... 48 1.1 Ziele und Aufgaben ................................................................................................. 48 1.2 Konzentration auf die FEEI Kernthemen der Branche....................................... 48 1.3 Mehr Service im Rahmen der FEEI Sparten-Betreuung..................................... 49 1.4 Rechtsform des FEEI................................................................................................ 49
2
Das marktliche Umfeld..................................................................................................... 50 2.1 Der Strukturwandel der Elektro- und Elektronikindustrie ............................... 50 2.2 Die Globalisierung ................................................................................................... 51 2.3 Pflichtmitgliedschaft versus Wettbewerbsmarkt ................................................ 52 2.4 Politische Rahmenbedingungen ............................................................................ 53
3
Erfolgsstrategien................................................................................................................ 54 3.1 Strategieprozess 1991 .............................................................................................. 54 3.1.1 Freiwilligkeit als Ergänzung zur Pflichtmitgliedschaft......................... 54 3.1.2 Die Netzwerkpartner .................................................................................. 55 3.2 Strategieprozess 1998 .............................................................................................. 55 3.3 Die neue Struktur des FEEI und die der FEEI Management-Service GmbH.. 57
4
Die Erfolgsparameter........................................................................................................ 58 4.1 Das Freiburger Management-Modell (FMM) ...................................................... 58 4.2 Dienstleistungsgesinnung ...................................................................................... 59 4.3 Marketing, Information und Kommunikation .................................................... 60 4.4 Personal und dessen Führung, die Wohlfühlfaktoren ....................................... 61
5
Die bisherigen Erfolge und die weitere Entwicklung.................................................. 62
45
Der Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie Österreichs FEEI
Überblick Der FEEI – Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie leistet als gesamtösterreichische Interessenvertretung der Elektro- und Elektronikindustrie wesentliche Beiträge zur Sicherung des Wirtschaftstandortes Österreich. Das vorrangige Ziel des FEEI ist die positive Beeinflussung und Gestaltung der wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen für die gesamte Branche, um ihre Position im weltweit geführten Standortwettbewerb zu stärken.
Der FEEI ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts und vertritt in Österreich die Interessen von 360 Industrie-Unternehmen mit ca. 56.000 Beschäftigten und einem Produktionswert von mehr als 9 Mrd. Euro (Stand 2003), die elektrotechnische Produkte herstellen bzw. Systemlösungen und Dienstleistungen anbieten. Der FEEI arbeitet in allen Bereichen, die für die Unternehmen der Elektro- und Elektronikindustrie von besonderem Interesse sind. Das Leistungsportfolio ist vielfältig und wird von den Mitgliedsfirmen intensiv genutzt. Das Engagement zielt dabei über nationale Grenzen hinaus. Auf internationaler Ebene geht der FEEI Kooperationen und Allianzen ein und arbeitet mit europäischen Verbänden zusammen.
Die Arbeit des FEEI ist in 2 große Bereiche geteilt. Einerseits die Interessenvertretung im engeren Sinne, zu der auch gezieltes Lobbying gehört, und andererseits zielgruppenspezifische Serviceleistungen. Als Interessenvertretung tritt der FEEI gegenüber Dritten (insbesondere Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit) mit dem Ziel auf, die Rahmenbedingungen, unter denen die Unternehmen am Markt agieren, positiv zu beeinflussen.
Strategie des FEEI ist es, sich als moderne Interessenvertretung zu positionieren. Damit verbunden ist eine Konzentration der Leistungen aus der bestehenden Pflichtmitgliedschaft auf die Kernthemen der Branche und ein konsequenter Ausbau der freiwilligen Services in den einzelnen Sparten.
Der FEEI tritt als starke strategische Steuerungseinheit eines Netzwerkes von freiwilligen Verbänden auf. Diese im unmittelbaren Umfeld des FEEI positionierten Netzwerkpartner helfen, den dynamischen Entwicklungen des Marktes noch besser gerecht zu werden und dadurch die gesamte Elektro- und Elektronikbranche in Österreich zielgerichteter zu vertreten.
Der FEEI konnte in den letzten Jahren durch gezielte Strategien und die darauf aufbauenden Aktivitäten große Erfolge erzielen. Er ist heute in der Branche und bei allen potenziellen Ansprechpartnern eine allseits anerkannte Interessenvertretung, die sich durch hohe Professionalität, große Fachkompetenz und modernes wirtschaftliches Handeln auszeichnet. Die Entwicklung des Netzwerkes hat ihr übriges dazu beigetragen, den FEEI und seine Partner als wesentliches Element der gesamten Elektro- und Elektronikbranche zu verankern.
47
Lothar Roitner
1
Der FEEI: Ziele, Aufgaben, Organisation
1.1
Ziele und Aufgaben
Der Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie vertritt in Österreich die Interessen von insgesamt 360 Industrie-Unternehmen mit rund 56.000 Beschäftigten und einem Produktionswert von mehr als 9 Mrd. Euro (Stand 2003), die elektrotechnische Produkte herstellen bzw. Systemlösungen und Dienstleistungen anbieten. Das vorrangige Ziel des FEEI als gesamtösterreichische Interessensvertretung für die Elektro- und Elektronikindustrie ist die positive Beeinflussung und Gestaltung der wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen der Branche, um ihre Position im weltweit geführten Standortwettbewerb zu stärken. Der FEEI arbeitet in allen Bereichen, die für die Unternehmen der Elektro- und Elektronikindustrie von Interesse sind, wie z. B. Arbeitgeber-, EU- und Handelspolitik, Industrie- und Wirtschaftspolitik, Technik und Technologie, Umweltpolitik sowie Ausund Weiterbildung. Das Leistungsportfolio ist vielfältig und reicht von der Begutachtung von Gesetzen und Verordnungen über eigenständige Kollektivvertragsverhandlungen bis hin zur Gestaltung von Richtlinien für Normung und Kennzeichnung. Das Engagement zielt dabei weit über nationale Grenzen hinaus. Auf internationaler Ebene geht der FEEI Kooperationen und Allianzen ein und arbeitet mit europäischen Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden zusammen.
1.2
Konzentration auf die FEEI Kernthemen der Branche
Im Rahmen seiner Tätigkeit als Interessenvertretung konzentriert sich die Arbeit des Fachverbandes der Elektro- und Elektronikindustrie auf folgende 4 Kernthemen:
Arbeitswelt der Elektro- und Elektronikindustrie Informationsgesellschaft Forschung und Entwicklung und Elektroaltgeräte-End of Life Product Management/WEEE (Waste of Electrical and Electronic Equipment). Ebenfalls zum Wirkungsbereich der Interessenvertretung zählt die Gestaltung der entsprechenden
technischen Rahmenbedingungen 48
Der Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie Österreichs FEEI
rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie Öffentlichkeitsarbeit.
1.3
Mehr Service im Rahmen der FEEI SpartenBetreuung
Ergänzend zu den Kernthemen berät und serviciert der FEEI seine Mitglieder im Rahmen der Betreuung der Sparten (das sind die Teilgruppen der Elektro- und Elektronikindustrie, also Batterien/Akkumulatoren, Bauelemente, Elektrokleingeräte, Energietechnik, Haushaltsgeräte, Industrieanlagenbau, Installationstechnik, Kommunikations-/Informationstechnik, Leuchten, Medizintechnik, Regeltechnik/Gebäudeautomation und Unterhaltungselektronik). Die Arbeitschwerpunkte bilden neben der interessenspolitischen Vertretung die persönliche Beratung und zielgruppenorientierte Serviceleistungen. Das Angebot reicht dabei von Managementinformationen zu spartenrelevanten Themen, Diskussionen aktueller Themen mit anerkannten, externen Experten, über Marktbeobachtungen und -beurteilungen auf nationaler und internationaler Ebene, Rechtsberatung und Monitoring bis zu spartenspezifischer Vertretung von Interessen und Lobbyingmaßnahmen nicht nur auf nationaler Ebene sondern auch gegenüber europäischen Behörden, Organisationen, Verbänden und Allianzen.
1.4
Rechtsform des FEEI
Der FEEI ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts mit Budgethoheit und eigenen Funktionären, zugleich ist er in die Gesamtorganisation der Wirtschaftskammer Österreich eingebunden. In diesem Sinn besteht ein System der Pflichtmitgliedschaft, das bedeutet, dass alle Unternehmen, die in Österreich auf industrieller Basis elektrotechnische und elektronische Produkte herstellen und Leistungen anbieten, per Gesetz Mitglied des FEEI sind. Daraus folgt, dass die Satzungen des FEEI als Körperschaft öffentlichen Rechts gesetzlich festgelegt sind und ebenso wenig der eigenen Disposition unterliegen wie die Frage, wer als Mitglied aufzunehmen ist und wer nicht. Der FEEI verfügt über 21 gewählte Funktionäre (= Milizer), die den so genannten Fachverbandsausschuss bilden, der alle 5 Jahre neu gewählt wird und der die Entscheidungshoheit über alle wesentlichen Fragen des Fachverbandes innehat. Im Besonderen obliegt ihm die Beschlussfassung über das jeweilige Jahresbudget und die Festsetzung der damit verbundenen Mitgliedsbeiträge (= Grundumlagen, die sich an der Bruttolohn- und -gehaltssumme der einzelnen Mitgliedsunternehmen bemessen). Aus dem Fachverbandsausschuss heraus wird ein dreiköpfiges Präsidium gewählt, an dessen Spitze der Präsident (= Obmann) steht. Dem Obmann kommen (neben der Leitung des
49
Lothar Roitner
Fachverbandsausschusses) zahlreiche Kompetenzen zu und er vertritt gemeinsam mit dem Geschäftsführer den FEEI rechtswirksam nach außen (vgl. Abbildung 1). Der Geschäftsführer steht weiters an der Spitze der FEEI-Geschäftsstelle, die das gesamte Verbandsleben abwickelt und die aufgrund der Struktur des FEEI-Netzwerkes (siehe Punkt 3.1.2) eine Besonderheit dahingehend aufweist, dass sie nicht nur den FEEI, sondern auch die Netzwerkpartner-Organisationen betreut.
2
Das marktliche Umfeld
2.1
Der Strukturwandel der Elektro- und Elektronikindustrie
Der Markt, auf dem sich der FEEI mit seinen Interessenvertretungs- und Serviceleistungen bewegt, besteht vorrangig aus der österreichischen Elektro- und Elektronikindustrie. Wie viele Industrien in Europa unterlag auch die Elektro- und Elektronikindustrie in den letzten eineinhalb Jahrzehnten einem extremen Strukturwandel. Dieser begründete sich in der Tatsache, dass in immer stärkerem Ausmaß die Dienstleistungskomponente auch in der Industrie in den Vordergrund trat und die reinen klassischen Fertigungen in ihrer Bedeutung zurückgingen. Das bedeutet, dass das Angebot der Industrie verstärkt in Richtung Gesamtlösungen und «Packages» ging und weniger den alleinigen Verkauf einzelner Produkte umfasste. Diese Entwicklung, die von der Wissenschaft als «Tertiärisierung der Industrie» bezeichnet wird, ist in der Elektround Elektronikindustrie besonders ausgeprägt. In unmittelbarem Zusammenhang damit steht eine weitere wichtige Tendenz der letzten 15 Jahre, nämlich das Ansteigen hochqualifizierter Arbeitsplätze und die gleichzeitige Abnahme von Arbeitskräften in der Massenfertigung. So weist die Beschäftigtenstruktur der österreichischen Elektround Elektronikindustrie bereits seit einigen Jahren einen höheren Anteil von Angestellten als von Arbeitern aus und auch innerhalb der Arbeiterschaft ist ein Großteil der Mitarbeiter in den qualifizierten Facharbeiterkategorien zu finden. Für den FEEI bedeutete dieser Strukturwandel, dass bei einer nicht unerheblichen Zahl von Unternehmen die Frage virulent wurde, ob die Firma Industrie im herkömmlichen Sinn und damit automatisch Pflichtmitglied des FEEI ist. Begründet ist dies durch eine nach wie vor historische Betrachtungsweise der österreichischen Gewerbebehörden, die einen Industriebetrieb als Unternehmen definiert, das auf industrieller Basis (also im Sinne einer Abgrenzung zu Gewerbe und Handwerk) in erster Linie Hardwareprodukte in Österreich herstellt. Genau dieser sehr enge Industriebegriff und die durch die Veränderungen der Branche entstandenen neuen Bedürfnisse der Unternehmen, waren
50
Der Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie Österreichs FEEI
schlussendlich wichtige Ausgangspunkte für den Neuorientierungsprozess des FEEI (siehe Punkt 3).
Abbildung 1: Organigramm des FEEI Dr. Lothar Roitner Geschäftsführer
Dr. Bernhard Gruber Dr. Peter Winkelmayer
Dr. Manfred Müllner Geschäftsführer-Stv.
Kernthema Arbeitswelt der EEI
Mag. Thomas Faast Kathrin Mück-Puelacher Öffentlichkeitsarbeit Ing. Dr. Michael Würdinger Controlling
DI, Dr. Klaus Bernhardt, MBA
Dr. Manfred Müllner
Ing. Ronald Chodåsz
Sparten Energie und Umwelt Zahler Installationstechnik Regeltechnik und Gebäudeautomation Bauelemente Industrieanlagenbau
Sparten Haushalts- und Wärmegeräte Leuchten Unterhaltungselektronik Akkumulatoren und Batterien
Kernthema Forschung & Entwicklung
Kernthema End-of-Life-ProductManagement/WEEE
2.2
Sparten Kommunikationsund Informationstechnik Medizintechnik Kabel, Leitungen und Drähte
Kernthema Informationsgesellschaft
Die Globalisierung
Mit dem oben beschriebenen Strukturwandel ging eine zunehmende Internationalisierung und Globalisierung Hand in Hand. Bereits in den 80er Jahren stieg die Anzahl der internationalen Konzerne im Elektro- und Elektronikbereich auf den westeuropäischen Märkten, die bald in jedem Land vertreten waren. Bei der Auswahl ihrer Produktionsstätten gingen diese Konzerne sehr oft in der Weise vor, dass sie gewisse Produktlinien für den gesamten europäischen (und auch außereuropäischen) Markt in einem oder 2 Ländern erzeugten, zugleich aber alle lokalen Märkte mit ihrem gesam-
51
Lothar Roitner
ten Produktsortiment bedienten. Für Österreich bedeutete dies, dass Ende der 80er Jahre etwa im Haushaltsgerätebereich nur mehr 2 von den insgesamt 12 Unternehmen, die am österreichischen Markt agierten, als Industriebetrieb im Sinne der österreichischen Gewerbebeordnung zu definieren waren und somit als Pflichtmitglied des FEEI zählten. Alle anderen waren, da sie keine eigene Produktion im Inland hatten, in der Interessenvertretung des Handels zu finden. Für den FEEI war diese Entwicklung mit der logischen Konsequenz verbunden, diese Unternehmen auf Basis einer freiwilligen Mitgliedschaft zu gewinnen (siehe Punkt 3.1.1) In den 90er Jahren gewannen Internationalisierung und Globalisierung weltweit an Tempo und Intensität. Die GATTVerhandlungen, die 1994 in die Gründung der WTO mündeten, der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union knapp 1 Jahr darauf und der nachfolgende EUOsterweiterungsprozess stellten nicht nur für die österreichische Elektro- und Elektronikindustrie den Zustand eines fast uneingeschränkten Welthandels her. Eine teilweise extreme Beweglichkeit zum Beispiel hinsichtlich der Verlagerung von Produktionsstätten und allgemein betrachtet eine Förderung der internationalen Konzentration war die Folge. Konzernzentralen begannen zunehmend die Agenden an sich zu ziehen und die Bedeutung der nationalen Töchter reduzierte sich merklich. Gleichzeitig wurde mit dem EU-Prozess die Bedeutung von zentralen europäischen Regelungen gesteigert, während die der Rahmenbedingungen in den nationalen Staaten zurückging.
2.3
Pflichtmitgliedschaft versus Wettbewerbsmarkt
Der FEEI hat die oben beschriebenen Entwicklungen frühzeitig erkannt, aktiv aufgegriffen und Strukturen geschaffen, um sowohl im freiwilligen Mitgliederbereich, als auch im Bereich der Pflichtmitgliedschaft den zukünftigen Anforderungen an eine moderne Interessenvertretung gerecht zu werden. Herzstück dieser neuen Ausrichtung war eine Forcierung des freiwilligen Bereiches verbunden mit einem deutlichen Ausbau des Service- und Dienstleistungsangebotes. Dieser neue Ansatz wirkte sich nachhaltig günstig auf alle weiteren Entwicklungen aus und ist nach wie vor sehr positiv zu bewerten. In diesem Zusammenhang sei auch betont, dass selbst in den bestehenden Pflichtmitgliedschaftbereichen heute de facto ein Wettbewerb herrscht, der in den 80er Jahren nicht gegeben war. Vor allem freie Berufe (wie insbesondere Rechtsanwälte und Steuerberater) bearbeiten den Beratungsbereich von Unternehmen wesentlich umfangreicher als noch vor einigen Jahren und dringen damit in Bereiche ein, die früher ein Quasi-Monopol der Interessenvertretungen waren. Auch bei Interessenvertretung und Lobbying zeigt sich die Tendenz, dass Lobbying- und PRAgenturen diese Bereiche als zusätzliche Geschäftsfelder entdecken sowohl in den nationalen Staaten als auch EU-weit, was natürlich nicht zuletzt durch die Verlagerung vieler Entscheidungsprozesse nach Brüssel unterstützt wurde. Hinzu kommt weiters
52
Der Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie Österreichs FEEI
ein gestärktes Kostenbewusstsein im Interessenvertretungsbereich, das dazu führt, dass zahlreiche Interessenvertretungen ihre Budgets reduzieren. Insgesamt ist diese Entwicklung sehr zu begrüßen, denn wie immer, wenn monopolartige Strukturen in Wettbewerbsituation übergeführt werden, ist der Gewinner der Kunde, in diesem Fall die Mitgliedsfirmen. Der FEEI hat in seinem Bereich zu dieser Entwicklung sicher essentiell beigetragen.
2.4
Politische Rahmenbedingungen
Die unter Punkt 2.3 beschriebene Situation wurde durch eine massive Änderung der politischen Rahmenbedingungen in Österreich ergänzt, die auch besonders die Interessenvertretungen betrafen. Dazu bedarf es eines kleinen Blicks zurück in die Vergangenheit mit dem Ausgangspunkt des Wiederaufbaus Österreichs nach dem 2. Weltkrieg. Vieles, was damals geschaffen wurde, geschah auf Basis der so genannten Sozialpartnerschaft. Interessenvertretungen der gesamten Wirtschaft, der Arbeitnehmer und der Landwirtschaft bemühten sich durch intensiven Dialog konstruktive Gesamtlösungen zu finden, die der Gesamtentwicklung Österreichs zugute kamen und über das einzelne Interesse gestellt wurden. Über die Jahre und Jahrzehnte bekamen die Sozialpartnerinstitutionen eine immer größer werdende Bedeutung, und ihre Lösungen nahmen in vielen Fällen die Arbeit an Gesetzen im Parlament schon vorweg. Das hat natürlich die Kritiker auf den Plan gerufen und der Sozialpartnerschaft manchmal den Vorwurf einer Art Nebenregierung eingebracht. Mit zunehmender Zeit wurden immer öfter die Machtmechanismen dieser Sozialpartnerschaft und auch die ihr zugrunde liegenden Konstruktionen hinterfragt. Das betraf natürlich auch das Wirken der Interessenvertretungen im Wirtschafts- wie im Arbeitnehmerbereich. Die aus all dem entstehende eher kritische Haltung gegenüber der Sozialpartnerschaft und deren Institutionen, bewirkte naturgemäß in den 90er Jahren in Österreich nicht nur massive Diskussionen über Aufgaben und Organisation der einzelnen Interessenvertretungen, sondern hat auch das Klima, in dem diese Organisationen tätig sind, maßgeblich verändert. In unmittelbarem Zusammenhang entwickelte auch die Öffentlichkeit eine zunehmende Kritik gegenüber Interessenvertretung und Lobbying im Generellen und im Besonderen, was den Wirtschaftsbereich betraf. Ursache dafür waren in erster Linie die kolportierten und oftmals völlig übertriebenen Darstellungen, welche Auswirkungen Interventionen von Unternehmen z. B. in Brüssel haben können. Aber auch außereuropäische Entwicklungen, insbesondere der eher negative Anstrich, den der Begriff Lobbying, wie man ihn aus Amerika kennt, verstärkten diese Tendenz. Es lag daher an den Interessenvertretungen eine gesunde Mischung aus dem Beibehalten positiver Aspekte des Sozialpartnerschaftsgepräges verbunden mit einer Offenheit für berechtigte Kritik und einer entsprechenden Innovationsbereitschaft zu finden, die sie diese Schwierigkeiten nicht nur meistern, sondern sogar viele positive Ansätze daraus gewinnen ließen.
53
Lothar Roitner
3
Erfolgsstrategien
3.1
Strategieprozess 1991
Für den FEEI selbst waren die veränderten Rahmenbedingungen mit einer Reihe von Problemen verbunden. Wie bereits erwähnt, kam es vor allem durch die international starke Arbeitsteilung der Elektro- und Elektronikindustrie in mehreren Sparten des FEEI zu völlig untragbaren Situationen, denn einige der in Österreich auf dem Markt agierenden industriellen Unternehmen waren Mitglieder beim FEEI, andere, die in Österreich keine Hardware produzierten, nicht. Schon damals war zusätzlich absehbar, dass sich mit der EU-Integration Österreichs, die dann am 1.1.1995 tatsächlich erfolgte, diese Situation noch weiter verschärfen würde. Das war einer der wesentlichen Gründe dafür, dass zu Beginn der 90er Jahre ein tief greifender Neuorientierungsprozess im FEEI begann, der schließlich 1998 in den Strategieprozess «FEEI 2005+» mündete. Die wesentlichen Elemente dieser Prozesse werden im Folgenden dargestellt.
3.1.1
Freiwilligkeit als Ergänzung zur Pflichtmitgliedschaft
Eines der grundlegendsten Elemente des Anfang der 90er Jahre begonnenen Strategieprozesses war der Auf- und Ausbau eines freiwilligen neben dem bestehenden Pflichtmitgliedschaftssystem. Damit wurde ein sehr pragmatischer und sehr effizienter Lösungsweg gewählt, und gleichzeitig auf eine langwierige und wahrscheinlich ohnedies nutzlose Diskussion, die sich etwa in Richtung der Änderung der gesetzlichen Vorschriften hätte bewegen können, vermieden. Die Umsetzung in der Praxis erfolgte mittels eines eigenen Vereins, dem Österreichischen Verband der Elektronikindustrie, der als eine Art «Back Up-Verband» zum FEEI gegründet wurde. Dadurch konnte den Unternehmen eine auf freiwilliger Basis beruhende Mitgliedschaft angeboten werden. Mit der Mitgliedschaft in diesem Verein erwerben die Unternehmen gleichzeitig das Recht, am Verbandsleben und den Leistungen des FEEI teilzuhaben. Nach außen hin werden die Unternehmen vom FEEI einheitlich vertreten, ungeachtet der Tatsache, ob sie Pflichtmitglieder des FEEI oder freiwillige Mitglieder des Elektronikverbandes sind. Durch diese Maßnahme ist es gelungen, neben den rund 300 Mitgliedern des FEEI weitere 60 auf freiwilliger Basis zu gewinnen und damit den Repräsentationsgrad innerhalb der Elektro- und Elektronikindustrie auf nahezu 100 Prozent anzuheben. Weiters konnten dadurch in den einzelnen Sparten des FEEI alle in Österreich agierenden Marktteilnehmer vereint werden, wobei auch jene eingeschlossen sind, die ihre Produktion in einem anderen europäischen Land haben.
54
Der Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie Österreichs FEEI
3.1.2
Die Netzwerkpartner
Neben der Freiwilligkeit als Ergänzung zur Pflichtmitgliedschaft, setzte der FEEI weitere strategische Schritte, um den Branchenerfordernissen noch besser gerecht zu werden. Für den FEEI war es selbstverständlich, dass er als Interessenvertretung noch stärker und besser für die Zukunft gerüstet sein würde, wenn er seine Aktivitäten über den klassischen Industriebereich hinaus erweitern und die Betreuung von Feldern, die nicht unmittelbar industrielle Aktivitäten darstellen, die aber im Umfeld der Elektround Elektronikindustrie stattfinden, anbietet. Um das breit gefächerte Spektrum der gesamten Elektro- und Elektronikbranche abdecken zu können, hat der FEEI begonnen, ein Netzwerk von Partnerorganisationen aufzubauen und zu managen. Dadurch können die Interessen der Branche und zwar nicht nur die industriellen im eigentlichen Sinne, sondern auch der Elektro- und Elektronikindustrie nahe stehende Themen – wie Entsorgung von Altgeräten, Betrieb von Telekommunikationsnetzen, Ausbildung im Fachhochschulbereich, um nur einige Beispiele zu nennen – noch besser vertreten werden. Diese im Umfeld des FEEI entstandenen Organisationen bearbeiten, jede für sich selbständig und effizient, bestimmte Themenbereiche. Im Interesse der Mitglieder werden darüber hinaus die Aktivitäten aufeinander abgestimmt, das Expertenwissen ausgetauscht und gemeinsame Ressourcen genutzt. So trägt der Verband Alternativer Telekom-Netzbetreiber maßgeblich zur Schaffung wettbewerbsorientierter Rahmenbedingungen im Zuge der Telekommunikationsliberalisierung bei, das Forum Mobilkommunikation (FMK) erhöht die Akzeptanz für Mobilkommunikation in Österreich, das Umweltforum Haushalt (UFH) sowie das Umweltforum Starterbatterien (UFS) bieten Dienstleistungen zur Verwertung und Rücknahme von Elektro(nik)altgeräten an und die Fachhochschule Technikum Wien sorgt durch eine wirtschaftsnahe und praxisbezogene Ausbildung für den Nachwuchs an SpezialistInnen für die Branche. Neben den genannten Organisationen gibt es eine Anzahl weiterer Partnerverbände des FEEI (vgl. hierzu nochmals Abbildung 1).
3.2
Strategieprozess 1998
Die durch den Neuorientierungsprozess 1990 eingeschlagene Richtung wurde schließlich durch den 1998 initiierten Strategieprozess «FEEI 2005+» komplettiert (vgl. Abbildung 2). Die Positionierungsziele lauteten:
Der FEEI positioniert sich als starke strategische Steuerungseinheit eines Netzwerkes von Sparten und freiwilligen Verbänden sowie nationalen und internationalen Kooperationspartnern
mit dem Ziel einer wirkungsvollen Vertretung der Interessen sowie
55
Lothar Roitner
der qualitativ und kostenmäßig optimierten Erbringung von Serviceleistungen für die Elektro- und Elektronikindustrie, ihre Sparten und außerhalb des FEEI stehenden Berufsgruppen mit starker Interessensynergie zur Kernbranche.
Die Orientierung an den Mitgliederbedürfnissen sowie konsequente Ausrichtung an den sich wandelnden Marktgegebenheiten der EEI sind oberste Leitlinien des Handelns des FEEI.
Der FEEI strebt eine Konzentration auf Kernthemen der Branche im Rahmen der Pflichtleistungen und einen Ausbau der freiwilligen Leistungen in den Sparten an. Kooperationen und Allianzen sind konsequent auszubauen.
Abbildung 2: Die Strategie «FEEI 2005+»
FEEI heute
Kooperationen in ausgewählten Bereichen
Leistungen aus der Pflichtmitgliedschaft in mehreren
Leistungen aus der Pflichtmitgliedschaft in den
Interessenspolitischen Bereichen
Sparten
FEEI morgen
x Konzentration auf Basisleistungen im Rahmen der Pflichtmitgliedschaft Konzentration der Pflichtleistungen auf Kernthemen der Branche
x Aufbau der freiwilligen Leistungen für Sparten auf Basis einer leistungsorientierten freiwilligen Finanzierung
Freiwillige Verbände x als segmentierte Aktionsplattform für Mitglieder x Integration von Nicht-FEEIMitgliedern
Ausbau bestehender Verbände und Gründung neuer Vereine Schaffung neuer Verbände nach strategischen Überlegungen
Konsequenter, systematischer Ausbau nationaler und internationaler strategischer Allianzen und Kooperationen
Zusammengefasst bedeutete diese neue Ausrichtung, dass sich der FEEI noch mehr als bisher auf die Kernthemen der Branche und auf die Spartenbetreuung konzentrieren sollte. Querschnittsthemen, die mit artverwandten Branchen identisch, bzw. nahezu
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Der Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie Österreichs FEEI
identisch waren, konnten durch Bildung strategischer Allianzen und Kooperationen ausgelagert werden (vgl. Abbildung 3).
Ebene der Interessenvertretung
Ebene der Interessen
Abbildung 3
3.3
Individuelle Unternehmensinteressen
Spartenund Brancheninteressen
Interessen der Industrie
Interessen der Wirtschaftstreibenden
Unternehmen selbst
FEEI
Industriellenvereinigung Sparte Industrie der WKÖ
WKÖ WKÖ (Wirtschaftskam (Wirtschaftsmer kammer Österreich) Österreich)
Die neue Struktur des FEEI und die der FEEI Management-Service GmbH
Die beschriebenen Strategien wurden erfolgreich in die Praxis umgesetzt und es entstanden in den letzten 10 Jahren insgesamt 13 Organisationen, die die gegenwärtige Struktur «FEEI & Netzwerkpartner» bilden. Das Modell ist bei all diesen Vereinen, obwohl sie in ihrer Größe, Ausprägung, Tätigkeiten und Budgets untereinander durchaus sehr unterschiedlich sind, immer das gleiche: Alle Netzwerkpartner sind eigenständige Vereine mit eigenem Budget und Funktionären, sind jedoch alle im selben Bürogebäude wie der FEEI untergebracht und teilen sich sämtliche Zentral- und technischen Ressourcen. Darüber hinaus werden den Netzwerkpartnern vom FEEI auch Management- und Personalressourcen zur Verfügung gestellt. Durch diese enge Verschränkung von räumlichen, technischen und personellen Kapazitäten generiert das Netzwerk wesentliche Vorteile, die zu größerer Effizienz im täglichen Arbeitsablauf führen. Darüber
57
Lothar Roitner
hinaus ist in diesem Umfeld ein umfassender Wissenstransfer möglich. Die Spezialisten im Hause stellen ihr Know-how wechselseitig zur Verfügung. Auf diese Weise konnte ein hochkarätiger Expertenpool für die unterschiedlichsten Themenaspekte im Netzwerk aufgebaut werden, den sich jeder einzelne Netzwerkpartner alleine nicht leisten könnte. Diese Synergien spiegeln sich auch in der Geschäftsführung der einzelnen Netzwerkpartner wider, die alle Mitarbeiter des FEEI bzw. der FEEI ManagementService GmbH sind. Ein weiteres Vernetzungselement stellen zahlreiche Spitzenfunktionäre dar, die in mehreren Vereinen Leitungsfunktionen ausüben. Ein bedeutender Schritt im Zuge des Netzwerkausbaus war 2001 die Gründung der FEEI ManagementService GmbH. Diese Dienstleistungs-GmbH hat einerseits die Aufgabe, den Verkauf von Management-, Personal-, Infrastruktur- und Büroleistungen mit den Netzwerkpartnern abzuwickeln und andererseits wird der preisfinanzierte Teil der Dienstleistungen in dieser GmbH konzentriert. Damit konnte in den letzten 2 Jahren auch der Anteil der Freiwilligkeit nochmals erhöht werden und liegt im Jahr 2003 schon bei mehr als 40 Prozent.
4
Die Erfolgsparameter
4.1
Das Freiburger Management-Modell (FMM)
In einem von vornherein eher komplexen Gebilde, wie einem Wirtschaftsverband, der die widerstreitenden Interessen von einander auf beinharten Wettbewerbsmärkten gegenüberstehenden Unternehmen auf ihr gemeinsames Brancheninteresse zusammenführen will, ist im Management neben großer Flexibilität auch Systematik gefragt. Dies trifft umso mehr zu, je größer die Veränderungen des Umfeldes und je exponierter die Branche ist, für die die Interessenvertretung tätig ist. In den dadurch notwendig gewordenen Innovations-, Veränderungs- und Anpassungsprozessen ist es wichtig, dass die handelnden Personen, insbesondere die Führungskräfte im Verbandsmanagement sich innerhalb ein und desselben Systems bewegen und «dieselbe Sprache» sprechen. Der FEEI ist bei seinem ersten Strategieprozess Anfang der 90er Jahre nach dem Freiburger Management-Modell (FMM) vorgegangen das am Verbandsmanagement Institut der Universität Freiburg Schweiz (VMI) entwickelt worden ist. Sowohl der damalige Geschäftsführer des FEEI als auch sein Stellvertreter absolvierten den PostgraduateLehrgang für Verbands- und Nonprofit-Management am VMI. Darüber hinaus wurden mehrere Mitarbeiter durch Seminare und Kurse in dieses System eingeführt. Auch die Vorgangsweise orientierte sich – anfangs sogar fundamental – an den Elementen des genannten Managementmodells FMM. So gab es eine Analysephase, in der alle
58
Der Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie Österreichs FEEI
Umweltbedingungen sowohl der Branche als auch des Verbandes untersucht und auf ihre Auswirkungen bewertet wurden. Danach wurden – trotz mancher anfänglicher Bedenken, ob dies tatsächlich realisierbar sei – unter breiter Beteiligung der Mitglieder ein Leitbild der österreichischen Elektro- und Elektronikindustrie sowie verbandspolitische Ziele und Grundsätze entwickelt. Während dabei naturgemäß die Detailarbeit an diesen beiden Konzepten beim Verbandsmanagement lag, wurden die Inhalte dieser beiden Papiere in Arbeitsgruppen mit Vertretern der Mitgliedsfirmen diskutiert und schließlich auch in einer aus hochrangigen Funktionären bestehenden Gruppe endkonfiguriert und abgestimmt. Aufgrund dieser Vorgehensweise wurde eine vorher noch nie da gewesene Mitgliederpartizipation erreicht. Insgesamt wurde durch diese Arbeiten die spätere Erstellung eines Marketingkonzeptes und eines Ressourcenkonzepts erleichtert bzw. überhaupt erst ermöglicht. Der Leitbild- und Zielformulierungsprozess mündete schließlich 1992 in eine tief greifende Umgestaltung des Verbandes: Die Leistungen FEEI erhielten teilweise völlig neue Schwerpunkte und Gewichtungen, die Finanz- und Personalressourcen wurden ausgeweitet, und ein neuer Standort wurde bezogen. Gleichzeitig gab es auch klare Überlegungen für die Weiterentwicklung des Verbandes und Konzepte für die unter 3.1.1 und 3.1.2 beschriebenen Aktivitäten. Auf Basis dieses Prozesses und auf Grundlage der in den Jahren 1992 bis 98 erzielten Erfolge setzte dann der Strategieprozess 1998 auf. Dabei wurden insbesondere viele der Anfang der 90er Jahre gewählten Modelle konsequent weitergeführt und ausgebaut. Die Strategie, die unter 3.2 bereits dargestellt wurde, zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass sie in Richtung Freiwilligkeit, Kooperation, Steuerungseinheit eines Netzwerkes und Konzentration auf Kernleistungen den Anfang der 90er Jahre eingeschlagenen Weg konsequent weiterverfolgt.
4.2
Dienstleistungsgesinnung
Gerade bei Organisationen, die wie der FEEI Verbände mit einem öffentlichen Status sind und die in der Vergangenheit auch staatliche Verwaltungsaufgaben mit zu übernehmen hatten, ist der Veränderungsprozess in den Köpfen der Beschäftigten besonders wichtig. Eine teilweise obrigkeitliche Sichtweise der Mitarbeiter konsequent zu eliminieren und stattdessen eine Dienstleistungsgesinnung zu etablieren, ist sicherlich keine einfache Aufgabe, die zu erledigen aber unabdingbar ist. Ein konsequentes Kommunizieren der neuen Ziele des Verbandes und der Notwendigkeit zur Veränderung, die sich nicht nur aus der Strategie selbst, sondern eben aus den starken Veränderungen des Umfeldes ergibt, zeigte hier beachtliche Erfolge. Im Fall des FEEI erfolgte dieser Prozess sogar in einer sehr kurzen Zeit und die überwiegende Mehrzahl der Mitarbeiter empfand das neue Image des Verbandes und die sich daraus ergebenden neuen Verhaltensweisen als wesentlich besser und befriedigender als die alten. Das Mitziehen aller Mitarbeiter in Richtung einer Neuaufstellung des FEEI wurde in vielen
59
Lothar Roitner
Fällen auch als ganz persönliches Erfolgserlebnis betrachtet und erlebt. Zwei Fragen stellten sich in diesem Zusammenhang: Wie kann das Management diese Entwicklung unterstützen und was ist zu tun, wenn die Bemühungen nicht fruchten? Die Rolle des Management ist relativ einfach zu beschreiben: Ziel und Zweck des ganzen Unterfangens müssen faszinierend und plastisch dargestellt werden, um so eine entsprechende Sog- und Zugwirkung zu erzeugen. Vorraussetzung dafür ist natürlich, dass der Geschäftsführer und die gesamte Führungscrew diese Zielsetzungen internalisiert haben müssen, um bei ihrer Verfolgung eine entsprechende Vorbildwirkung auszuüben. Zur zweiten Frage: Die Erfahrungen des FEEI haben gezeigt, dass die Mitarbeiter bei entsprechend ausreichender Kommunikation die Notwendigkeit von Veränderungsprozessen und der sich daraus ergebenden Maßnahmen nicht nur anerkennen, sondern auch aktiv mittragen.
4.3
Marketing, Information und Kommunikation
Das größte Manko der 80er Jahre lag beim FEEI, so wie wahrscheinlich bei vielen anderen Interessenvertretungen, im Bereich des Marketings. Die Grundhaltung entsprach dem Motto «Tue Gutes und rede nicht darüber!». Zwei wesentliche Faktoren waren dafür verantwortlich. Zunächst einmal die an sich berechtigte Überlegung, dass es im Fall von Interessenvertretung und Lobbying nicht angebracht ist, nach einem Erfolg triumphal nach Außen – also gegenüber den Mitgliedern und der Öffentlichkeit – aufzutreten, um den «unterlegenen» Verhandlungspartner nicht bloßzustellen. Die zweite Ursache war in einer falsch verstandenen Bedeutung des Begriffes Seriosität begründet. Interessenvertretungen als Körperschaft öffentlichen Rechts mit öffentlichen Status hatten aufgrund ihrer vermeintlich besonderen Stellung keine Maßnahmen in Sachen Werbung und Eigenmarketing zu setzen. Es bedarf wohl keiner näheren Begründung, dass derartige Haltungen endgültig der Vergangenheit angehören sollten. In einer Zeit, in der die Rezeption sowohl von Informationen, aber auch von Aktivitäten und Tatsachen weitgehend über die Medien erfolgt, ist es gerade für Interessenvertretungen notwendig, mit ihren Leistungen öffentlich präsent zu sein. Damit verbunden ist logischerweise der Einsatz aller dafür erforderlichen Mittel. Ebenfalls entscheidendes Element ist eine offensive Informations- und Kommunikationspolitik gegenüber den eigenen Mitgliedern. Diese umfasst nicht nur die laufenden Informationen über alle Aktivitäten des Verbandes sondern auch die umfangreiche und «kompromisslose» Einbeziehung der Mitglieder in wichtige Aktivitäten und Projekte. Das sei an einem besonders wichtigen Thema des FEEI aus den Jahren 2003/2004 beispielhaft demonstriert: Die Einführung eines einheitlichen, für Angestellte und Arbeiter gleichen, Entlohnungssystems für die Elektro- und Elektronikindustrie war eines der wichtigsten arbeitgeberpolitischen Vorhaben der letzten 50 Jahre. Damit wurde eine traditionelle, praktisch seit Beginn (!) dieser Industrie in Österreich beste-
60
Der Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie Österreichs FEEI
hende Trennung der Beschäftigten aufgehoben, was natürlich zu umfassenden Neuerungen für alle Unternehmen und Mitarbeiter der Branche führte. Naturgemäß bestand auch eine extrem komplizierte Ausgangsposition für die Verhandlungen zwischen dem FEEI und den Arbeiter- und Angestelltengewerkschaften. Im Kern des Themas ging es darum, die bestehende Entlohnungsautomatik der Angestellten, die automatisch im Abstand von 2 Jahren – allein aus dem Kollektivvertrag ungeachtet der Leistung und der Verhältnisse im jeweiligen Unternehmen – Erhöhungen ihres Entgelts bekommen, entsprechend abzuändern. Zugleich sollte eine Vereinheitlichung mit der Entlohnung von Arbeitern, die nach einem Schema ohne automatische Erhöhungen bezahlt wurden, herbeigeführt werden. Eine extremere Dreiecksposition war kaum möglich: Während der FEEI auf die Reduzierung des bestehenden Vorrückungssystems der Angestellten pochte, wollte die Angestelltengewerkschaft dieses System unverändert beibehalten und die Arbeitergewerkschaft drängte gar darauf, genau dieses System im Sinne einer Harmonisierung der Arbeiter und Angestellten einzuführen. In den daraus folgenden, komplizierten Verhandlungen, deren Intensivphase fast 2 Jahre dauerte, hat sich der FEEI – entgegen aller Tradition – zu einer sehr umfassenden Kommunikation und Information entschlossen. Warum entgegen aller Tradition? Nun vor allem deshalb, weil es in Österreich ein fast ungeschriebenes Gesetz war, im Laufe der jeweiligen Kollektivvertragsverhandlungen möglichst wenig Informationen aus dem Kreis der Verhandler bekannt zu geben, um den internen Fortgang nicht durch Außeneinflüsse zu behindern. Freilich führt eine derartige Vorgehensweise dazu, dass die Mitglieder am Ende der Verhandlungen mit dem Ergebnis konfrontiert wurden, ohne davor Informationen gehabt zu haben, in welche Richtung das Ergebnis wahrscheinlich gehen würde. Demgegenüber hatten die Unternehmen der Elektro- und Elektronikindustrie durch die Vorgangsweise des FEEI nicht nur die Möglichkeit, jeweils den aktuellen Verhandlungsstand zu kennen und ihn mit der Verbandsgeschäftsstelle und den Verhandlungen zu diskutieren und zu erläutern, sondern auch Kommentare abzugeben und den weiteren Verlauf der Verhandlungen mitzubeeinflussen. Diese offensive Informations- und Kommunikationspolitik hat sich auch bei diesem Thema als richtig herausgestellt und wurde von den Mitgliedern besonders gewürdigt.
4.4
Personal und dessen Führung, die Wohlfühlfaktoren
«Eine Dienstleistungsorganisation lebt von den Leistungen und der Qualität der Mitarbeiter», das ist von einer derartigen Einfachheit, dass es banal klingt, aber es ist dennoch eine der wesentlichsten Grundsätze, die das Management zu berücksichtigen hat. Das beginnt bei der Auswahl der Mitarbeiter, die einen möglichst optimalen Mix darstellen sollen, nämlich aus denjenigen, die den Verband nach außen vertreten,
61
Lothar Roitner
denjenigen, die für die Repräsentanten äußerst komplexe und schwierige Materien aufbereiten, und denjenigen, die für Organisation und reibungslose Abwicklung des «Netzwerklebens» sorgen. Besonders wichtig ist schlussendlich die richtige Mischung des Teams zu finden. Nicht nur eine funktionsbezogene Ausgewogenheit, auch unterschiedliche Charaktere sind gewinnbringend. Eine klare Zielformulierung, sowohl für die Organisation als auch für die Mitarbeiter fördern und motivieren zu mehr Leistung. Ohne interne Spielregeln, an die alle uneingeschränkt gebunden sind, funktioniert eine Organisation nicht. Allerdings sollte ein Verbandsmanager möglichst alles tun, dass sich die Mitarbeiter innerhalb dieser Grenzen möglichst frei bewegen können. Aus diesen Faktoren entsteht schlussendlich eine hohe Identifikation und damit verbunden ein stärkeres Verantwortungsbewusstsein des Einzelnen gegenüber der Organisation. Soweit wie möglich sollte die Führung durch Überzeugung und Vorbildwirkung erfolgen, wozu auch gehört, dass die konkrete Tätigkeit einfach Spaß macht.
5
Die bisherigen Erfolge und die weitere Entwicklung
Der FEEI konnte in den letzten 10 Jahren durch die aufgezeigten Strategien und die darauf aufbauenden Aktivitäten große Erfolge erzielen. Er ist heute in der Branche und bei allen potenziellen Ansprechpartnern eine allseits anerkannte Interessenvertretung, die sich durch hohe Professionalität, große Fachkompetenz und modernes wirtschaftliches Handeln auszeichnet. Die Entwicklung des Netzwerkes hat ihr übriges dazu beigetragen, den FEEI und seine Partner als wesentliches Element der gesamten Elektro- und Elektronikbranche zu verankern. Diese Einschätzung lässt sich nicht nur durch die Reaktionen aller Austauschpartner, sondern auch an wirtschaftlichen Zahlen belegen. Trotz der auch die Elektro- und Elektronikindustrie erfassenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten und der damit verbundenen Kosteneinsparungstendenzen gab es in den letzten Jahren einen immer stärkeren Zuzug von neuen freiwilligen Mitgliedern. Und das hat die Pflichtbeiträge, die von 1998 bis 2003 um mehr als 30 Prozent freiwillig gesenkt wurden, nicht nur kompensiert, sondern sogar zu einer Ausweitung der Gesamtleistungen geführt. Während der FEEI und die zugehörigen Organisationen Elektronikverband und Management-Service GmbH vor rund 10 Jahren ca. 5 Prozent ihres Budgets aus freiwilligen Aktivitäten decken konnten, beträgt der Anteil an freiwilligen Leistungen im Jahr 2003 bereits mehr als 42 Prozent. Einen weiteren Erfolg können alle handelnden Personen wohl auch damit verbuchen, dass in den letzten Jahren die komplexe Struktur des Netzwerkes FEEI & Partner wirklich zu einer Einheit verschmolzen ist, was im Hinblick auf völlig autonome Strukturen und auch unterschiedliche Interessen eine beachtliche Leistung darstellt. Ein – wenngleich be62
Der Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie Österreichs FEEI
sonders charakteristisches – Zeichen dafür ist die im Jahr 2003 gegründete interne PRAgentur. Während der FEEI und seine Netzwerkpartner zuvor jeweils externe PRBerater und PR-Agenturen beschäftigten, wurde im Jahr 2003 der wichtige Schritt gesetzt, eine interne PR-Agentur zu gründen, die alle PR-Aktivitäten der Netzwerkpartner betreut. Die damit verbundenen Synergie-Effekte waren gewaltig, die Einsparungen bedeutend und der damit verbundene interne Wissens- und Kompetenzzuwachs beachtlich. Aus all dem Gesagten ergibt sich sehr schlüssig, dass ausgezeichnete Voraussetzungen für die positive Weiterentwicklung des FEEI und seiner Netzwerkpartner bestehen. Damit sollte es gelingen, die sicherlich nicht weniger werdenden Schwierigkeiten des Umfeldes zu bewältigen. Natürlich ist die Zukunft der Industrie am Standort Österreich wie auch an anderen europäischen Standorten von einigen Unsicherheiten gekennzeichnet. Dazu zählt vor allem die wichtige Frage, wie man in einem international beinharten Wettbewerb Industrieproduktionen, die mit entsprechend positiven Beschäftigungseffekten verbunden sind, auf Dauer in Ländern, die einen hohen Sozialund Lebensstandard und damit verbunden aber auch hohe Produktionskosten aufweisen, halten kann. Das ist sicherlich eine der wesentlichen Herausforderungen, die Gesamteuropa in den nächsten Jahren vor sich hat, und die zu einem nicht geringen Anteil auch über den Wohlstand und den Reichtum in Zukunft bestimmen wird. Natürlich ist hierbei in erster Linie die Politik aufgerufen, und zwar sowohl auf der Ebene von Brüssel als auch die der einzelnen Nationalstaaten. Aber auch den Interessenvertretungen kommt bei diesem Prozess eine wichtige Rolle zu. Sie haben es durchaus in der Hand, insbesondere durch partnerschaftliche Lösungen mit anderen Interessenvertretungen, die Voraussetzung für ein positives Gedeihen der Industrie und der Wirtschaft zu beeinflussen. Wenn der FEEI dazu in Österreich seinen Beitrag leisten kann, dann wäre das eine wichtige Fortsetzung seiner bisherigen Aktivitäten. Dass der FEEI darüber hinaus gemeinsam mit seinen Netzwerkpartnern allen Unternehmen der Branche weiterhin beste Unterstützung, hochqualitative Serviceleistungen und wirksame Interessenvertretung anbieten wird, steht außerhalb jeder Diskussion.
63
Der Schweizerische Versicherungsverband SVV
Lucius Dürr und Tamara Garny
Der Schweizerische Versicherungsverband SVV Ein erfolgreicher Zusammenschluss von 6 Fachverbänden zu einer schlagkräftigen, einheitlichen Branchenorganisation
Überblick ............................................................................................................................ 67 1
Der heutige SVV im Überblick ........................................................................................ 68
2
Organisation, Struktur und Rahmenbedingungen ...................................................... 69 2.1 Die Struktur des SVV .............................................................................................. 69 2.2 Verbandsinterne Organisation ............................................................................... 72 2.3 Rechtliche, wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen .................... 74
3
Geschichte, Zahlen und Fakten ....................................................................................... 75
4
Märkte und Potenziale...................................................................................................... 77 4.1 Märkte der Mitglieder ............................................................................................. 77 4.2 SVV-interner Mitgliedermarkt ............................................................................... 78 4.3 Marktmechanismen / Austauschbeziehungen des SVV .................................... 78 4.4 Positionierung .......................................................................................................... 79
5
Die Erfolgsfaktoren des SVV ........................................................................................... 79 5.1 Umfassendes Frühwarnsystem, messbare Ziele und vollständige Führungsgrundlagen............................................................................................... 79 5.2 Enge und friktionslose Zusammenarbeit zwischen strategischer und operativer Ebene bzw. zwischen Miliz- und Profi-Organisation...................... 81 5.3 Sprechen mit einer Stimme..................................................................................... 82 5.4 Umfassendes Netzwerk und wirksames Lobbyingsystem ............................... 82 5.5 Intensive, qualitativ hoch stehende Information und Kommunikation nach innen und außen – Controlling.............................................................................. 83 5.6 Einfache und zweckmäßige Geschäftsstellenorganisation................................ 84 5.7 Bedarfsgerechte Dienstleistungen ......................................................................... 85
65
Lucius Dürr und Tamara Garny
6
66
«Ausblick» – die Zukunft wird noch härter.................................................................. 85 6.1 Überprüfen der Strukturen und Leistungen – Business Excellence als «Krönung der Professionalisierung» .................................................................... 86 6.2 Neue Gefäße zur Stärkung der internen Bindung .............................................. 86 6.3 Angepasste Lobbying- und Kommunikationstätigkeit...................................... 86
Der Schweizerische Versicherungsverband SVV
Überblick Bis 1996 wurde die Verbandslandschaft im Versicherungsbereich primär durch verschiedene Fachverbände geprägt, welche sich vorwiegend auf fachtechnische Fragen sowie die Gestaltung von damals erlaubten regulierten Tarifen konzentrierten.
Übergeordnete politische Interessen vertrat zu dieser Zeit der «alte» SVV. Mit der Deregulierung der Versicherungsindustrie, aber auch mit andern versicherungsrelevanten Entwicklungen war die Zeit gekommen, durch eine Fusion aller bestehenden Verbände im Jahre 1998 eine einheitliche und schlagkräftige Branchenorganisation zu gründen, deren Hauptaufgaben in erster Linie in der Interessenvertretung der Assekuranz sowie in der Information und Kommunikation bestand.
Fachtechnische Dienstleistungen wurden, wenn auch in reduzierter Form, weiterhin angeboten, ebenso Dienstleistungen im Bereich der Aus- und Weiterbildung, des Rechtes und der Volkswirtschaft.
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Lucius Dürr und Tamara Garny
1
Der heutige SVV im Überblick
Der Schweizerische Versicherungsverband (SVV) ist eine wirtschaftliche NonprofitOrganisation (NPO), welche die Interessen der Privatassekuranz vertritt. Juristisch ist der SVV als Verein organisiert, welchem über 70 kleine und große, national und international tätige Erst- und Rückversicherer angeschlossen sind. Seine Mitglieder vertreten gemeinsame Grundprinzipien wie «freier Marktzutritt und Wettbewerb», «Qualität», «Verlässlichkeit», «Transparenz», «Fairness im Versicherungsbetrieb», «Sicherheit durch professionelle Versicherungstechnik und Risk Management», «Orientierung am Swiss Code of Best Practice und an den Offenlegungsvorschriften SWX» sowie «fortschrittliches Arbeitgeberverhalten». Die Ziele des SVV sind:
die Erhaltung und Förderung einer liberalen und sozialverträglichen Markt- und Wettbewerbsordnung
das Engagement für wirtschaftsverträgliche Rahmenbedingungen, insbesondere in den Bereichen Vorsorge, Versicherungsaufsicht, Versicherungsbetrieb und Rechnungslegung
die Förderung einer aktiven, integrierten Öffentlichkeitsarbeit, welche Vertrauen in die Versicherungswirtschaft schafft
durch gemeinsames Know-how, gemeinsame Aktivitäten und durch Informationsaustausch den größtmöglichen Nutzen für die Mitglieder schaffen
die Förderung eines umfassenden, zielgerichteten und modular aufgebauten Ausund Weiterbildungsangebots und Ausbildungsplätzen zum Erhalt und Ausbau der Fachkompetenz der Versicherungswirtschaft sowie
die Entwicklung und Einsatz verschiedener Maßnahmen für die Prävention von Schäden Zur Umsetzung dieser Ziele bringt der SVV aktiv konkrete Lösungsvorschläge in die politische Meinungsbildung ein, beteiligt sich aktiv in nationalen und internationalen politischen und privaten Gremien und Organisationen (Meinungsaustausch), fördert Vertrauen in die Versicherungswirtschaft durch transparente, zeit- und sachgerechte Kommunikation gegen außen und entwickelt dafür weitere Maßnahmen. Der SVV unterstützt seine Mitglieder in jenen Bereichen, in welchen gemeinsame Lösungen sinnvoll sind (z. B. Erarbeitung von technischen Grundlagen wie Statistiken), trägt durch finanzielle Beiträge an Schadenverhütungsinstitutionen sowie durch eigene Aktivitäten zur Vermeidung bzw. Minimierung von Personen- und Sachschäden bei, arbeitet aktiv an Maßnahmen zur Versicherungsbetrugsbekämpfung.
68
Der Schweizerische Versicherungsverband SVV
Zur Erreichung der Verbandsziele arbeitet der SVV mit einem gemischten, ausgewogenen System aus ehrenamtlichen Milizorganen und einer vollamtlichen Geschäftsstelle. Initiative und kompetente Persönlichkeiten aus den Mitgliedergesellschaften stellen dem Verband ihr Know-how und ihre Führungs- und Praxiserfahrung zur Verfügung und entscheiden in Sachfragen. Die Geschäftsstelle stellt als Kompetenzzentrum und Drehscheibe die Funktionstüchtigkeit des Verbandes sicher. Sie unterhält ein Frühwarnsystem, initiiert Aktivitäten und pflegt Kontakte und Beziehungen. Die Vertretung des Verbandes nach außen erfolgt gemeinsam durch Milizorgane und Geschäftsstelle. Der Verband finanziert sich durch Beiträge der Mitgliedgesellschaften. Der SVV organisiert sich auf der Basis des Freiburger Management-Modells FMM. Er verfügt – zeitgemäß – über eine Corporate Governance, die auch in einer NPO unerlässlich ist. Qualitätsstandards für eine effiziente Milizarbeit sind für ihn ebenso selbstverständlich wie eine gut organisierte, effizient und effektiv arbeitende Geschäftsstelle.
2
Organisation, Struktur und Rahmenbedingungen
2.1
Die Struktur des SVV
Der SVV ist im Sinne von Art. 60 ff. Zivilgesetzbuch (ZGB) in der Rechtsform eines Vereins organisiert. In Übereinstimmung mit den Statuten ist die Generalversammlung zuständig für die Wahl der wichtigsten Organe – Präsident, Vorstand, Ausschussvorsitzende – sowie für die Beschlussfassung über die Rechnung und das Budget des Verbandes. Der Vorstand und der Vorstandsausschuss legen, vergleichbar einem Verwaltungsrat bzw. Verwaltungsratsausschuss, die Verbandsziele fest, verabschieden das Leitbild sowie die Strategie des Verbandes und überwachen die Arbeit der Geschäftsstelle (vgl. Abbildung 1). Im SVV wird dem Milizsystem ein hoher Stellenwert beigemessen, denn durch die Bereitschaft der Mitgliedgesellschaften, ihre Fachleute für die wichtige und teilweise zeitraubende Tätigkeit in den einzelnen Gremien freizustellen, wird die Erledigung der vielfältigen, umfangreichen, zunehmend komplexen und zeitlich oft dringenden Verbandsaufgaben sichergestellt. Durch dieses aktive Engagement ist eine effiziente und kompetente Verbandsarbeit im Interesse der gesamten Versicherungswirtschaft erst möglich.
69
Lucius Dürr und Tamara Garny
Abbildung 1: Organe des SVV1
1 Quelle: SVV Jahresbericht 2004-2005.
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Der Schweizerische Versicherungsverband SVV
Die Geschäftsstelle hat ihren Sitz in Zürich und bildet das Profi-Element in der Struktur des SVV (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 2: Struktur der Geschäftsstelle des SVV2
Unter der Leitung des Direktors ist die Geschäftsleitung – im Rahmen der Führungsgrundlagen (Statuten, Leitbild, Strategie, Aktionsplan, Budget etc.) – für die Umset2 Quelle: SVV Jahresbericht 2004-2005.
71
Lucius Dürr und Tamara Garny
zung der Verbandsbeschlüsse sowie für die fachliche und administrative Unterstützung der Milizorgane (über 30 Kommissionen, dazu Arbeits- und Projektgruppen) verantwortlich.
2.2
Verbandsinterne Organisation
Vorstand/Vorstandsausschuss Der Vorstand ist das strategische Führungsorgan. Er wird von einem im Mandatsverhältnis (25 Stellenprozente) arbeitenden Präsidenten geleitet und konzentriert seine Kräfte auf die Erarbeitung und Festlegung der SOLL-Vorgaben in Form von Zielen, Plänen und Grundsatzentscheidungen. Diese Beschlüsse erarbeitet er mit fachlicher Unterstützung der Geschäftsleitung. Er sorgt außerdem für die Weiterentwicklung des Verbandes und für die Bereitstellung der erforderlichen Finanzmittel und vertritt in Abstimmung mit dem Präsidenten und dem Direktor den Verband nach außen und nach innen. Der Vorstand umfasst 13 Mitglieder. Er tagt 4 Mal jährlich. Dem Vorstandsausschuss gehören 6 Vorstandsmitglieder an. Er tritt 4 bis 5 Mal pro Jahr zusammen und fasst Beschlüsse, die keinen Aufschub dulden. Außerdem hat er die Oberaufsicht über die Geschäftsstelle, ist Gesprächspartner/Beratungsgremium des Direktors und der GL, bereitet die wesentlichen Geschäfte des Vorstandes vor und übernimmt auch Repräsentativaufgaben in Absprache mit dem Direktor und dem Präsidenten. Ausschüsse Die im Zuge der Verbandsfusion auf Anfang 1998 erfolgte Einsetzung der Ausschüsse Leben, Kranken/Unfall und Schaden als Nachfolgeorganisationen der ehemaligen selbständigen Fachverbände hat sich grundsätzlich bewährt. Eine Überprüfung ihrer Struktur ist derzeit im Gange. Die Ausschüsse bzw. die ihnen unterstellten Kommissionen behandeln branchen-spezifische Fragen und treffen die diesbezüglichen Entscheide unter Beachtung der Führungsgrundlagen und Verbandsbeschlüsse grundsätzlich in eigener Regie. Die Kommissionen übernehmen gewisse operative Aufgaben und haben gleichzeitig Stabsfunktion zur Unterstützung des Vorstandes, resp. des ihnen übergeordneten Ausschusses. Sie werden nach den Kriterien der Fachlichkeit zusammengesetzt. Im August 2003 beschloss der Vorstand die Einrichtung eines «Ausschusses Wirtschaft und Finanzen». Diesem neuen Ausschuss sind die 3 branchenübergreifenden Kommissionen Finanz-, Anlage- und Währungsfragen, Steuerfragen sowie Rechnungslegung und Berichterstattung unterstellt. Der Ausschuss hat insbesondere die enormen Entwicklungen auf den Gebieten der Finanzmarkt-Aufsicht und der Rechnungslegung im weitesten Sinn zu verfolgen, und zwar auf nationaler wie auf internationaler Ebene.
72
Der Schweizerische Versicherungsverband SVV
Das neu gebildete Gremium übernimmt innerhalb des SVV die Themenführerschaft in bilanztechnischen bzw. erfolgsrechnungsrelevanten Fragen. Es koordiniert die Arbeiten der verschiedenen involvierten Gremien, stellt eine ganzheitliche Betrachtung sicher und nimmt auf die legiferierende Ebene Einfluss. Geschäftsstelle Die SVV-Geschäftsstelle betreut mit rund 35 Mitarbeitenden und einer Auszubildenden in den 4 Ressorts Personenversicherung, Schadenversicherung, Wirtschaft und Recht sowie Kommunikation einen umfassenden Katalog von Aktivitäten. Die vielfältigen Aufgaben, die der Verband zu erfüllen hat, sind in einem «Aktionsplan» systematisch festgehalten. Der Aktionsplan umfasst zum einen die so genannten übergeordneten Ziele sowie die organisatorischen Ziele; zum anderen werden die fachbezogenen Ziele für die einzelnen Ressorts formuliert, wobei neben der Zielsetzung auch die wichtigsten Maßnahmen, die Termine sowie die Priorität des Themas formuliert sind. Der Aktionsplan wird jährlich aufdatiert und jeweils dem Vorstand zur Genehmigung unterbreitet. Er basiert auf den übergeordneten Führungsgrundlagen wie Leitbild und Mehrjahresstrategie. Als finanzielles Pendant des Aktionsplanes gilt das Budget. Maßgebend ist ferner ein umfassendes Geschäftsreglement. Darin werden unter anderem allgemeine Führungsrichtlinien umschrieben und die Aufgaben der Verbandsgremien abgegrenzt. Darin festgehalten sind die Organisation der Geschäftsstelle sowie die Vertretungsbefugnis und die Unterschriftenregelung. Kommissionen Die Aktivitäten in den verschiedenen Kommissionen, Arbeits- und Projektgruppen, Delegationen und Task Forces auf zentraler und auf Ausschuss-Ebene nehmen in der Verbandsarbeit einen breiten Raum ein. Dabei wird dem «Milizsystem» im SVV nach wie vor allseits ein hoher Stellenwert beigemessen: Nur dank der Bereitschaft der Mitgliedgesellschaften, ihre Fachleute für die wichtige und teilweise zeitraubende Tätigkeit in den einzelnen Gremien freizustellen, ist es überhaupt möglich, die vielfältigen, umfangreichen, zunehmend komplexen und zudem immer öfter zeitlich dringenden Verbandsaufgaben mit einer vergleichsweise kleinen Geschäftsstelle zu bewältigen. Dabei zeigt sich, dass die Zusammensetzung der Kommissionen in den letzten Jahren einer markant rascheren Rotation unterworfen ist als früher. Dies ist zweifellos Ausdruck der häufigeren Organisationsveränderungen innerhalb der Gesellschaften sowie der verstärkten Mobilität von Kadermitarbeitenden zwischen den Gesellschaften. Mitglieder Die über 70 Mitgliedgesellschaften des SVV decken praktisch zu 100 Prozent den Privatassekuranzbereich ab. Nicht zur privaten Versicherungswirtschaft in diesem Sinne gehören die Krankenversicherer im Bereich der obligatorischen Grundversicherung, die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt Suva, die kantonalen Gebäudeversicherungen und die autonomen Pensionskassen. Da Krankenversicherer im überobligato-
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Lucius Dürr und Tamara Garny
rischen Teil dem Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) und dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG) unterstehen, schließen sie sich für diesen Bereich mit zunehmender Tendenz dem SVV an. Dieser besitzt als einziger Verband die notwendige Kernkompetenz und Erfahrung in den erwähnten Gesetzesbereichen. Mitgliedschaft in Dachverbänden Der SVV ist Mitglied von nationalen und internationalen Verbänden und Organisationen. Als Vertreter der Schweizer Versicherungswirtschaft setzt sich der SVV insbesondere bei der economiesuisse, beim Schweizerischen Arbeitgeberverband und der Schweizerischen Handelskammer für die Interessen und Anliegen seiner Mitglieder ein. Besonders bedeutend ist die Mitgliedschaft beim CEA (Comité Européen des Assurances). Die 1953 gegründete Organisation ist Dachverband der nationalen Verbände der Versicherungsunternehmen in 32 Ländern Europas.
2.3
Rechtliche, wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen
Kaum eine Branche ist von derart vielen gesetzlichen Vorschriften sowie wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen beeinflusst wie die Assekuranz. Eine kurze Übersicht darüber ist deshalb unerlässlich, zumal die meisten Gesetzesgrundlagen im Wandel begriffen sind. Folgende Rechtsbereiche sind für die Versicherungswirtschaft u. a. direkt relevant:
das Versicherungsaufsichtsgesetz das Versicherungsvertragsgesetz die AHV-/IV-Gesetzgebung das Bundesgesetz über die berufliche Vorsorge das Unfallversicherungsgesetz das Krankenversicherungsgesetz das Kartellgesetz die Steuergesetzgebung, namentlich bezüglich Mehrwertsteuer die Gesetzgebung betreffend Geldwäscherei und nachrichtenlose Vermögen die Gesetzgebung im Bereich der Gentechnologie und der Genomenanalyse die Datenschutzgesetzgebung u. a. m. 74
Der Schweizerische Versicherungsverband SVV
Nicht weniger komplex gestaltet sich die Aufsicht über die Assekuranz. Einen wesentlichen Teil der Aufsicht übt das Bundesamt für Privatversicher BPV aus. Dieses gewährt den Schutz der Versicherten und wacht insbesondere darüber, dass die Versicherungsgesellschaften jederzeit in der Lage sind, ihren vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen. Der SVV ist an einer starken und kompetenten Aufsichtsbehörde interessiert, hängt dies doch direkt mit der Branchenreputation zusammen. Eine Aufsichts- und Kontrolltätigkeit üben aber auch das Bundesamt für Sozialversicherungen, das Bundesamt für Gesundheit, die Wettbewerbskommission, der Preisüberwacher und weitere Instanzen aus. Dabei bestehen nicht wenige Schnittstellen, die zu Unklarheiten und Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Aufsichtsbehörden führen. Eine Reorganisation der Aufsicht ist deshalb zwingend. Entscheidenden Einfluss auf die Rahmenbedingungen der Versicherungswirtschaft haben internationale Entwicklungen und Regulierungen, namentlich der EU. Diesen kann sich die Versicherungswirtschaft nicht entziehen, zumal sie Eingang in die schweizerische Gesetzgebung finden. Zu nennen sind Vorschriften bezüglich Rechnungslegung, Solvabilität, Asset-Liability-Management, International Financial Reporting Standards, die europäische Rückversicherungsrichtlinie etc. Grund genug, auch im europäischen Dachverband der Privatversicherer CEA aktiv mitzuwirken und mitzubestimmen.
3
Geschichte, Zahlen und Fakten
Die ersten privaten Versicherungsgesellschaften wurden schon im 19. Jahrhundert gegründet. Viele von ihnen sind heute noch am Markt, so die Mobiliar (Gründung 1826), die Rentenanstalt/Swiss Life (1857), die Helvetia (1861), die Basler (1863), die Schweizer Rück/Swiss Re (1863), die Zürich (1872) oder die Winterthur (1875). Die Gründung des «Verbands concessionierter schweizerischer VersicherungsGesellschaften» erfolgte 1900. Der SVV feierte somit im Jahr 2000 unter geändertem Namen sein 100-Jahr-Jubiläum. Das private Versicherungswesen erfuhr in den letzten 150 Jahren, speziell aber seit dem Ende des 2. Weltkriegs, einen enormen Aufschwung. Der Wandel vom Agrarstaat über die Industrialisierung hin zur modernen Informationsgesellschaft ließ, unter anderem einhergehend mit der stark gestiegenen Lebenserwartung, der erhöhten Kapitalintensität der Produktion und der Wohlstandssteigerung, laufend neue Versicherungsbedürfnisse entstehen (Unfallversicherung, Transportversicherung, Motorfahrzeughaftpflicht, Lebensversicherung, Vermögensversicherung, EDV-Versicherung etc.).
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Lucius Dürr und Tamara Garny
Die meisten der über 70 dem SVV angeschlossenen Unternehmen haben die Rechtsform der Aktiengesellschaft; aber auch die traditionellen Genossenschaften existieren nach wie vor. Zum Mitgliederkreis des SVV gehören ausschließlich Gesellschaften, die vom Bundesamt für Privatversicherungen BPV eine Bewilligung zum Geschäftsbetrieb haben und die der Aufsicht dieser Amtsstelle unterstehen. Einige der Mitgliedunternehmen sind untereinander in Konzerngruppen verbunden. Dem SVV gehören neben den Schweizer Gesellschaften im engeren, wirtschaftlichen Sinn auch ausländische Tochtergesellschaften und Niederlassungen an. Es gibt spezialisierte Lebens-, Schaden- und Rückversicherungen, und es gibt Versicherer, die sowohl im Leben- wie im Nichtlebenbereich tätig sind. Auf die SVV-Mitgliedgesellschaften entfallen fast 100 Prozent der am Schweizer Markt erwirtschafteten Prämien der Privatversicherer. 2002 waren dies im Schweizer Geschäft rund 55 Mrd. CHF. Im Ausland wurden 143 Mrd. CHF an Prämien generiert. Mit einem Prämientotal von fast 200 Mrd. CHF ist die Schweizer Assekuranz Nummer 5 in Europa. Der Personalbestand der Privatassekuranz belief sich Anfang 2003 in der Schweiz auf rund 44.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wovon 2.020 Lehrlinge sind. Rund 10.000 davon arbeiten als Versicherungsberater im Außendienst. Die 10 multinationalen Schweizer Versicherer beschäftigten im Ausland darüber hinaus weitere rund 91.000 Mitarbeitende. Die allgemeine negative wirtschaftliche Lage in der Schweiz und Teilen Europas, aber auch Veränderungen im Bereich der Rahmenbedingungen haben die wirtschaftlichen Ergebnisse der letzten 3 Jahre wesentlich beeinflusst. Speziell zu erwähnen sind die Probleme im BVG-Geschäft (BVG = Bundesgesetz über die Alters-, Hinterlassenenund Invalidenvorsorge). Verschiedene Anbieter haben sich aus dem sehr bedeutsamen Geschäft – im Jahr 2002 lag das Prämienvolumen bei 23,3 Mrd. CHF – vollkommen verabschiedet oder teilweise zurückgezogen; andere sprechen von einer sehr zurückhaltenden und selektiven Zeichnungspolitik. So kann man feststellen, dass die autonomen Pensionskassen, die im schweizerischen System der Berufsvorsorge zum Teil rechtlich privilegiert sind, ihre Position etwas zu festigen vermochten. Dennoch: Insgesamt hat die Privatassekuranz sich recht gut gehalten. Offensichtlich besteht für die Privatassekuranz das Problem in der kollektiven Lebensversicherung nicht im Volumen, sondern bei der Festlegung von richtigen, nachhaltigen Parametern. Die Einzellebenversicherung, die 2002 immerhin ebenfalls mit 11,3 Mrd. CHF zu Buch schlug, verlief im 2003 höchst enttäuschend, war doch ein Rückgang von über 12 Prozent zu verzeichnen. Einschneidend war der Rückgang im Einmalprämiengeschäft mit einem Einbruch von bis zu 50 Prozent oder mehr. Glücklicherweise vermochten die periodischen Prämien, die im Einzelgeschäft leicht zulegten, diesen Negativtrend teilweise zu kompensieren. Offensichtlich rechneten viele Kunden mit einer baldigen und spürbaren Zinswende nach oben.
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Der Schweizerische Versicherungsverband SVV
Positiver kann die Entwicklung im Sachversicherungsbereich bezeichnet werden. Gegenüber 2002 konnte im Jahre 2003 ein Prämienwachstum von 5,5 Prozent verzeichnet werden.
4
Märkte und Potenziale
Der SVV arbeitet auf 2 «Hauptmärkten»:
Der erste ist der verbandsinterne Markt seiner Mitglieder. Darunter fallen alle Marketingaufgaben im Bereich der Mitglieder (Mitgliederbetreuung und -pflege, Arbeitsgruppen, etc.).
Der zweite Markt betrifft den Markt oder die Märkte der Mitglieder, d. h. der SVV bearbeitet die Märkte der Mitglieder und bereitet damit das Terrain für die Aktivitäten der Mitgliedergesellschaften vor. Darunter zählen Aufgaben wie Lobbying, PR, Image der Versicherungsfirmen, etc.
Marktpotenziale: Mit der zunehmenden Regulierung im Bereich des VVG und VAG brauchen auch die Krankenversicherer den SVV als Interessenvertreter und Dienstleister. Der Mitgliedermarkt des SVV hat sich damit ausgedehnt. Mit der Öffnung der EU, aber auch mit dem Wirtschaftswachstum in anderen Kontinenten (China, Indien etc.), sind neue Potenziale für die Märkte der Mitglieder entstanden, welche auf die Verbandsaktivitäten Einfluss haben. Daran ändert auch die teilweise Rückkehr zu den Kerngeschäften nichts.
4.1
Märkte der Mitglieder
Der Markt der Mitglieder hat sich in den letzten 10 Jahren völlig gewandelt. Aus einer kartellistisch geregelten Branche ist ein Markt mit «totalem» Wettbewerb im In- und Ausland mit allen entsprechenden Auswirkungen geworden. Die Vergleichbarkeit der Preise ist beispielsweise schwierig geworden, was fälschlicherweise als mangelnde Transparenz behandelt wird. Dort, wo Transparenz noch fehlte, wird sie umfassend und aufwändig eingeführt, insbesondere im Bereich der beruflichen Vorsorge. Die Kundentreue zu Versicherern ist geringer geworden, da man dank Vergleichen über Internet bereit ist, die Versicherung zu wechseln. Neue Player wie etwa die autonomen Sammelstiftungen im Bereich der beruflichen Vorsorge haben die Konkurrenzsituation zusätzlich belebt. Hinzu kommt ein verstärkter Konsumentenschutz, dem sich Branche und Verband stellen wollen.
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4.2
SVV-interner Mitgliedermarkt
Auch wenn der Organisationsgrad der Privatversicherer fast 100 Prozent beträgt und neue Mitglieder aus dem Kreis der Krankenversicherer für zusätzliches Gewicht des SVV sorgen, gilt es den internen Mitgliedermarkt zu pflegen und zu stärken. Die Mitgliederbedürfnisse sind vielfältiger, komplexer und individueller geworden, Leistungen müssen schneller mit bester Qualität erbracht werden. Das Preis-/ Leistungsverhältnis wird heute stärker hinterfragt, was dazu führt, dass das Leistungsangebot permanent überprüft und gegebenenfalls angepasst wird.
4.3
Marktmechanismen / Austauschbeziehungen des SVV
Die Austauschbeziehungen des SVV sind komplexer als beispielsweise diejenigen der Mitgliedunternehmungen, wo der Verkaufs- bzw. Dienstleistungsprozess (VersichererVersicherter) eindeutig dominiert. Der SVV unterscheidet die folgenden Gruppen von Austauschpartnern: A.
Politik, Verwaltung und Medien
B.
Konsumenten und breite Öffentlichkeit
C.
Mitglieder und Mitarbeitende
Die Gruppe A hat ihre verbandspolitische Relevanz auf der Beschaffungsseite. Die Ansprechpartner dieser Gruppe (insbesondere auf Bundesebene) sind direkt oder indirekt entscheidend für die Gewährleistung optimaler Rahmenbedingungen (z. B. Gesetze, Verordnungen) und für das Image der Branche. Gegenüber dieser Gruppe will der SVV den Lead (erster Ansprechpartner, Kompetenzzentrum) in Fragen der Privatversicherungen innehaben. Die Versicherten/Konsumenten im Besonderen, sowie die breite Öffentlichkeit im Allgemeinen sind Ansprechpartner von eher «absatzpolitischer» Bedeutung (Gruppe B). Diesen gegenüber tritt der SVV als «Themensetter» in Erscheinung. Dabei läuft er allerdings Gefahr, dass er sich mit den «großen Mitgliedern» konkurrenziert. Ein subtiles Abwägen zwischen Initiativ- und Koordinationsfunktion ist unabdingbar. Als dritte Gruppe schließlich lassen sich alle Ansprechpartner die zum «Innenbereich» des SVV gehören zusammenfassen. Es sind dies der Vorstand, Verwaltungsräte, Geschäftsleitungen, Ausschüsse, Kommissionen, spezielle Stellen und Mitarbeitende sowohl des SVV selber als auch seiner Mitglieder. Gegenüber dieser Gruppe positioniert sich der SVV in seiner Interessenvertretungs-, Dienstleistungs- und Koordinationsfunktion.
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Der Schweizerische Versicherungsverband SVV
Neben diesen 3 prioritären Gruppen sind für das Marketing des SVV noch weitere Ansprechpartner zu erwähnen, wie etwa die Verbände, Schulen, nationale und internationale Organisationen, Meinungsbildner, etc.
4.4
Positionierung
Bei seiner Positionierung nimmt der SVV 2 Aufgaben wahr. Einerseits gilt es, sich im «Innenbereich», d. h. gegenüber Mitgliedunternehmungen als einzigartig und unverzichtbar zu positionieren (man spricht in diesem Zusammenhang auch von der Pflege der Corporate Identity, CI). Andererseits bildet der SVV zusammen mit den Mitgliedern das große Schaufenster der Privatversicherungsbranche schlechthin. Gerät eine Unternehmung in die negativen Schlagzeilen hat das Folgen für die ganze Branche. So hat der SVV gegenüber den Versicherten und der breiten Öffentlichkeit die Cooperative Identity zu pflegen, was eine andere Akzentuierung der Positionierungselemente verlangt.
5
Die Erfolgsfaktoren des SVV
In den Medien wird mit konstanter Regelmäßigkeit von der Macht der Privatversicherer gesprochen. Auch wenn diese Äußerung sicher überzeichnet ist, weil im politischen Bereich nicht alle Ziele erreicht werden können und konnten, darf der SVV als schlagkräftige und einflussreiche Organisation bezeichnet werden. Dieser Zustand beruht auf verschiedenen Erfolgsfaktoren. Erfolgsentscheidend für den SVV als Nonprofit-Organisation sind eine professionelle Steuerung und Planung, die Effektivität und Effizienz im Management und Ressourcenbereich und eine hohe Qualität der Leistungen.
5.1
Umfassendes Frühwarnsystem, messbare Ziele und vollständige Führungsgrundlagen
Ein erster Erfolgsfaktor liegt in der Tatsache, dass der SVV über sämtliche Führungsgrundlagen bzw. Management-Instrumente verfügt, die eine moderne NPO besitzen sollte. Dies beginnt bereits bei der Frühwarnung bzw. beim Monitoring. Dazu einbezogen werden sämtliche Austauschpartner (vgl. Kapitel 4.3). Der rasante Umbruch und die damit verbundene Hektik im (versicherungs-)wirtschaftlichen wie gesetzli-
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Lucius Dürr und Tamara Garny
chen Bereich macht es notwendig, dass Veränderungen bereits im Ansatz erkannt werden. Der intensive Informationsaustausch mit den Austauschpartnern ermöglicht diese Zielsetzung. Ein besonderer und neuer Ansatz ist der Einbezug der MitarbeiterInnen der Mitgliedunternehmen. Eine NPO kann erfahrungsgemäß nur dann erfolgreich sein, wenn sie weiß, was sie will. Eingedenk dieser Zielsetzung erneuerte der SVV sein Leitbild umfassend. Selbstverständnis, Ziele, Programm und Mittel zeigen in aller Klarheit auf, wohin der SVV steuern will. Als Beispiel mag die klare Umschreibung des Programms innerhalb des Leitbildes dienen (vgl. Box 1). Zur Konkretisierung des Leitbildes dienen zur Hauptsache einerseits die jeweilige 3Jahres-Strategie sowie das Lobbying- und das Kommunikationskonzept, anderseits der jährliche Aktionsplan samt Budget. Daneben existieren weitere detaillierte Aktionspläne und Arbeitsprogramme. Einbezogen in die Führungsgrundlagen des SVV sind jene des europäischen Dachverbandes CEA, was Schnittstellenprobleme und Doppelspurigkeiten verhindert.
Box 1:
Leitbild des SVV
Politische Positionen Wir bringen aktiv konkrete Lösungsvorschläge in die politische Meinungsbildung ein. Diese beruhen auf gemeinsam erarbeiteten, breit abgestützten Positionierungen. Wir sorgen damit für bedarfsgerechte Parameter und eine Vereinfachung sowie Vereinheitlichung der Gesetze und Normen, welche private Versicherungslösungen ermöglichen. Dazu gehören insbesondere der Einbezug und die Förderung der privaten Vorsorge.
Interessenvertretung auf nationaler und internationaler Ebene Wir sind ein von Politik, Behörden, Verbänden, Medien und Öffentlichkeit anerkannter, fairer und verlässlicher Partner. Wir beteiligen uns aktiv in nationalen und internationalen politischen und privaten Gremien und Organisationen. Der regelmäßige Gedanken- und Meinungsaustausch mit allen Partnern und – wo sinnvoll auch das Eingehen von Allianzen – ist uns wichtig.
Vertrauensbildung Unsere Mitgliedgesellschaften sorgen durch verständliche und übersichtliche Versicherungsbedingungen und durch eine professionelle Beratung für Transparenz und Kundenfreundlichkeit. Wir zeigen den gesellschaftlichen Nutzen der Versicherungswirtschaft auf. Mit diesen Maßnahmen fördern wir das Vertrauen in unsere Branche.
Kommunikation Wir informieren offen, aktiv, zeit- und sachgerecht, verständlich und transparent. Wir arbeiten eng zusammen mit den Kommunikationsstellen der Mitgliedgesellschaften und sprechen in Branchenangelegenheiten mit einer Stimme. Wir manifestieren unsere Kompetenz durch einen selbstbewussten Auftritt nach innen und außen.
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Dienstleistungen Wir unterstützen unsere Mitglieder in jenen Bereichen, bei welchen gemeinsame Lösungen sinnvoll sind. So erarbeiten wir – gestützt auf ihr Know-how – beispielsweise technische Grundlagen wie Statistiken. Wir betreuen gemeinschaftliche Lösungen, etwa im Bereich der Elementarschadenversicherung und der Selbstregulierung.
Prävention Durch finanzielle Beiträge an Schadenverhütungsinstitutionen sowie durch eigene Aktivitäten tragen wir zur Vermeidung von Personen- und Sachschäden bei.
Aus- und Weiterbildung Zum Erhalt und Ausbau der Fachkompetenz der Versicherungswirtschaft sorgen wir für ein umfassendes Aus- und Weiterbildungsangebot und für Ausbildungsplätze. Im Vordergrund steht die Grundausbildung von Lehrlingen, Außendienstmitarbeitern (Zertifizierung) und Fachspezialisten (Fachausweise).
5.2
Enge und friktionslose Zusammenarbeit zwischen strategischer und operativer Ebene bzw. zwischen Miliz- und Profi-Organisation
Auch wenn auf den ersten Blick die in der schweizerischen Verbandslandschaft fast einmalige Milizorganisation (rund 35 Gremien, rund 400 Milizer) die Geschäftsstelle optisch «erdrücken» mag, herrscht ein sehr ausgewogenes Verhältnis zwischen diesen beiden Ebenen im Sinne einer echten Corporate Governance. Der Grund dafür liegt in der persönlichen Haltung und Funktionsauffassung der Milizer, insbesondere aber auch in der klaren und umfassenden Aufgaben- und Kompetenzenfestlegung im Geschäftsreglement. Hinzu kommt, dass der durch die erwähnten Veränderungen entstandene Leistungsdruck eine enge tägliche Zusammenarbeit und Arbeitsteilung unumgänglich macht. Bestes und neuestes Beispiel dazu ist die Erarbeitung einer Vernehmlassungsantwort des SVV zum Entwurf der Verordnung zum Versicherungsaufsichtsgesetz mit rund 250 Artikeln. Jeder einzelne davon hat eine für die Branche entscheidende, teilweise existentielle Bedeutung. Rund 200 Fachleute aus dem Milizbereich haben zusammen mit rund 20 MitarbeiterInnen der Geschäftsstelle die über hundertseitige Vernehmlassungsantwort erstellt. Es erstaunt deshalb nicht, dass dieses Präzisionswerk vom betroffenen Bundesamt mehr als geschätzt wurde. Erfolgsentscheidend ist schließlich aber auch die Tatsache, dass die Mitglieder der Milizorgane ihre Mitwirkung als Ehre und Auszeichnung betrachten, also mit Prestige verbinden.
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5.3
Sprechen mit einer Stimme
Wenn eine Branche wie die Versicherungswirtschaft mit Imageproblemen kämpft, ist ein einheitliches Auftreten von Verband und Mitgliedunternehmungen unabdingbar. Als Grundlage dazu dienen Positionspapiere bzw. Factsheets für alle wesentlichen Sach- und Problembereiche (rund 50). Bei jedem relevanten Ereignis (z. B. Bundesratsoder Parlamentsentscheide) wird ein für alle verbindliches Wording erstellt. Die erwähnten Grundlagen werden jeweils auf breiter Basis erstellt und stoßen deshalb auf große Akzeptanz. Klar geregelt ist auch, dass sich der Verband zu branchenspezifischen bzw. allgemeinen politischen Themen äußert, während sich die Mitgliedgesellschaften auf die Kommunikation betreffend ihrer Produkte und Organisation konzentrieren.
5.4
Umfassendes Netzwerk und wirksames Lobbyingsystem
Interessenvertretung ist das Ein und Alles. Kaum eine Branche in der Schweiz ist derart reguliert bzw. überreguliert wie die Versicherungswirtschaft. Dies führt dazu, dass die Gesetzgebung ständig der neusten Entwicklung angepasst werden muss. Vergleichbar mit den zahllosen Baustellen auf den Schweizer Autobahnen in den Sommermonaten präsentierte sich beispielsweise 2003 die schweizerische Politlandschaft aus der Sicht des SVV. Der wichtige Unterschied bestand allerdings in der enormen Hektik und in der ständig wechselnden Ausgangslage. Der SVV musste deshalb unter großem Zeitdruck seine Positionen zu den einzelnen Regulierungsbereichen laufend anpassen, und er musste jederzeit und überall auf dem politischen Parkett präsent sein. Die Grundlagen für eine erfolgreiche und effiziente Politik bilden Positionspapiere bzw. Factsheets zu allen relevanten Politthemen, ein detaillierter Aktionsplan, die begleitenden kommunikativen Aktivitäten sowie insbesondere eine Fülle von Kontakten auf allen Ebenen. Diverse Gespräche mit Bundesräten, Parlamentariertreffen, zahllose Unterredungen mit einzelnen Parlamentariern, Parteiengespräche, Kontakte mit Bundesämtern und Behörden und die aktive Mitwirkung in den Dachverbänden seien als wichtigste Beispiele aufgeführt. Ebenso entscheidend im Sinne einer frühen Einflussnahme sind (zahlreiche) Vernehmlassungsantworten zu Gesetzesprojekten des Bundes. Als konkretes Beispiel für intensive und erfolgreiche Lobbyingarbeit dient das Jahr 2003. Keiner der zahlreichen Gesetzgebungsbereiche prägte die Verbandsarbeit so nachhaltig wie die Auseinandersetzung um die künftige Ausgestaltung des BVG. Die Verbandsorgane und -gremien sowie zusätzliche Task Forces waren praktisch täglich gefordert. Die erzielten Erfolge dürfen sich sehen lassen, auch wenn die anvisierten
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Der Schweizerische Versicherungsverband SVV
Ziele nur teilweise erreicht wurden. Die 1. BVG-Revision mit einem immerhin teilweise gesenkten Umwandlungssatz ist als Zwischenschritt zu betrachten. Der BVGMindestzins wurde zwar auf eine vertretbare Höhe gesenkt, die Grundlagen zu seiner Berechnung bleiben nach wie vor willkürlich. Die Transparenzvorschriften wurden vom SVV mitgestaltet und bejaht. Erfolge verzeichnete der SVV bei der Teilrevision des VVG und der Totalrevision des VAG. Wichtige Anliegen der Versicherungswirtschaft wurden dabei berücksichtigt. Das gleiche gilt für die GenLex und die Genomenanalyse. Der Entwurf eines revidierten Datenschutzgesetzes wurden dank der Mitwirkung des SVV zurückgewiesen, ein parlamentarischer Vorstoß bezüglich geschlechtergleicher Prämien in der Krankenzusatzversicherung abgelehnt. Der Einfluss der EU ist unübersehbar – eine Mitwirkung im Europäischen Dachverband CEA deshalb zwingend. Fast jedes Gesetzesprojekt der EU beeinflusst ganz oder teilweise die Schweiz. Dies gilt auch für versicherungsrelevante Regulierungen. Das von der EU angestrebte Verbot von geschlechterspezifischen Versicherungsprämien ist nur ein Beispiel dafür. Die Schweiz als Nichtmitglied muss deshalb indirekt auf die EU Einfluss nehmen: Über den europäischen Dachverband, über europäische Schwesterverbände, über die Schweizer Botschaft in Brüssel, über den Bundesrat und über das Büro von économiesuisse in Brüssel, um nur einige Möglichkeiten zu nennen.
5.5
Intensive, qualitativ hoch stehende Information und Kommunikation nach innen und außen – Controlling
Eine Branche mit sehr komplexen Themen und mit Imageproblemen tut gut daran, nach innen und außen regelmäßig, klar und stufengerecht zu informieren und zu kommunizieren. Eine Hauptstossrichtung des SVV liegt darin, die Betroffenen und Stakeholder direkt anzusprechen. Die Bevölkerung will gehört werden. Missverständnisse und Vorurteile können nur durch Direktkontakte mit der Bevölkerung und Medienschaffenden abgebaut werden. Nach diesem Grundsatz wurden die Kommunikationsaktivitäten des SVV in den letzten Jahren ausgerichtet. BVG-Informationstagungen und Referate in allen wichtigen Regionen der Schweiz, in Großstädten wie in kleinen Dörfern trugen maßgeblich dazu bei, die Zusammenhänge im Bereich der zweiten Säule aufzuzeigen, Ängste abzubauen und Verständnis für die Anliegen der Privatversicherer zu wecken. Der Imageverlust hat sich damit nachweislich verringert. Nicht weniger zahlreich waren und sind die Kontakte mit Medienschaffenden. Ihnen gegenüber galt es, Transparenz in vielen Versicherungsbereichen zu verschaffen, nicht nur im BVG-Bereich. Die Themen «Transparenz» und «Rahmenbedingungen im BVGBereich» prägten die Medienkonferenzen, zahlreiche Einzelkontakte und auch eine Publireportage. Als sehr beliebt im Kommunikationsbereich erweisen sich die umfassenden Informationsmöglichkeiten über Internet (bei SVV überdurchschnittlich) und
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der sonntäglich erscheinende Ratgeber. Ein vierteljährliches Periodikum unter dem Titel «Positionen der Versicherungswirtschaft» informiert meinungsbildende Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung. Eine Schriftenreihe zu verschiedensten hochaktuellen Versicherungsthemen sorgt für ein umfassendes Grundlagenwissen bei der breiten Bevölkerung, ebenso wie ein sehr breites und täglich angepasstes Informationsangebot auf dem Internet. Das interne Informations- und Kommunikationsangebot des SVV ist ebenfalls beachtlich und wurde in den letzten Jahren ständig ausgebaut. Neben einem hoch stehenden einzigartigen Extranet vermittelt die vierteljährliche CEO-Information unentbehrliche Informationen. Verbandsinterne Workshops und Informationstagungen erlauben eine vertiefte Auseinandersetzung mit komplexen Materien. Die Auswertung der Medienarbeit gelangt ebenso zu den Mitgliedunternehmungen wie zahlreiche Sonderinformationen aus aktuellem Anlass. Damit besteht die Möglichkeit, Organ- und Gremienmitglieder wie die Mitarbeitenden der Mitgliedgesellschaften jederzeit auf dem Laufenden zu halten. Ein umfassendes Controllingsystem sorgt dafür, dass Zielerreichung und die Umsetzung der Verbandsbeschlüsse regelmäßig überprüft und allfällig notwendige Korrekturen rechtzeitig eingeleitet werden können. Ein rund zweiwöchentlich umfassendes Vorstandsreporting (welches auch zur Information der Geschäftsleitungen der Mitgliedunternehmungen dient), die erwähnte CEO-Information, spezielle Berichterstattungen, der Newsletter des internationalen Verbandes CEA wie auch der jährliche Leistungsbericht sind die wichtigsten Controllingmittel.
5.6
Einfache und zweckmäßige Geschäftsstellenorganisation
Erfolgsbestimmend beim SVV wirkt auch die Geschäftsstellenorganisation. Anstelle einer hierarchiebezogenen Struktur steht der Teamgedanke mit einem starken WirGefühl im Vordergrund. Eine einstufige Führungsebene genügt. Klare Stellenbeschriebe und Abläufe verhindern Doppelspurigkeiten und Schnittstellenprobleme. Die Mehrzahl der Problemlösung erfolgt ressortübergreifend in Projektteams. Nur so können die komplexen Versicherungsthemen und die daraus resultierenden Probleme rasch und nachhaltig gelöst werden. Vierteljährliche Mitarbeiterinformationstagungen (jeweils unmittelbar nach den Vorstandssitzungen) sorgen – nebst den bereits erwähnten Informationsmitteln – für interne Transparenz. Die Meinung der Mitarbeitenden wird in Organisations- und Problemlösungsprozesse einbezogen. Damit werden reine top-down Lösungen vermieden. Ein jährliches individuelles Weiterbildungsprogramm erhöht das Fachwissen.
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Der Schweizerische Versicherungsverband SVV
5.7
Bedarfsgerechte Dienstleistungen
Die Bedürfnisse von Mitgliedern eines Verbandes hängen wesentlich von ihrer eigenen Leistungsfähigkeit ab. Die SVV-Mitglieder als große Unternehmen brauchen deshalb wenig individuelle Dienstleistungen. Im Zentrum stehen Leistungen, die nur ein Kollektiv erbringen kann: so die Vermittlung von Informationen, die Erarbeitung von Aus- und Weiterbildungskonzepten, das Erstellen von Statistiken und dergleichen. Zur Qualitätssteigerung im Außendienst wird ein Zertifizierungssystem für Außendienstmitarbeiter vorbereitet. In enger Zusammenarbeit mit dem Versicherungsinstitut I.VW an der Universität St. Gallen hat der SVV sein personelles und finanzielles Engagement in der überbetrieblichen Aus- und Weiterbildung hinterfragt. Als Ergebnis dieser Arbeiten resultierte eine Gesamtkonzeption, die gemäß Beschluss des Vorstandes in den kommenden Jahren umgesetzt werden soll. Basierend auf dem Leitbild zur Bildungspolitik bekennt sich der SVV zur Aus- und Weiterbildung als Verbandsaufgabe. Konkret setzt sich der SVV für die Erhaltung und Förderung eines überbetrieblichen Bildungssystems im Bereich der Grundausbildung, der höheren Berufsbildung sowie der berufsorientierten Weiterbildung ein. Zur Realisierung der gesetzten Ziele führt der SVV einen brancheneigenen Berufsbildungsverband (VBV). Sicherheitsfragen, die zur Erkennung von Risiken und zur Vermeidung von Schäden eine enorme Rolle spielen, werden vom rechtlich unabhängigen, aber von SVV-Mitgliedern gegründeten Sicherheitsinstitut, wahrgenommen.
6
«Ausblick» – die Zukunft wird noch härter
Die derzeitige Entwicklung zeigt klar, dass die Rahmenbedingungen für die Versicherungswirtschaft in den nächsten Jahren eher noch härter werden. Die allgemeine Konjunkturlage verbessert sich sehr langsam. Die Überregulierung im Gesetzesbereich hält an. Der Konsumentenschutz wird kontinuierlich ausgebaut, das Bedürfnis nach Transparenz in allen Bereichen steigt. Der Einfluss der EU wird anhalten. Der SVV stellt sich ohne Wenn und Aber diesen Herausforderungen. Dazu bedarf es verbandsintern zusätzlicher Anstrengungen.
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6.1
Überprüfen der Strukturen und Leistungen – Business Excellence als «Krönung der Professionalisierung»
Die sich ständig ändernden politischen und wirtschaftlichen Bedingungen verlangen nach ebenso angepassten Strukturen und Leistungen. Der SVV ist deshalb derzeit daran, den gesamten Leistungskatalog einer kritischen Analyse zu unterziehen, sowohl in quantitativer wie auch in qualitativer Hinsicht. Nostalgische Gefühle haben dabei keinen Platz. Leistungen ohne klar nachgewiesenes Bedürfnis werden eliminiert, Qualitätsmängel werden behoben. Dasselbe gilt für die Milizstrukturen. Allerdings ist hier Vorsicht am Platz geboten. Eine umfassende Beurteilung der heutigen Situation unter aktivem Einbezug aller Milizgremien hat gezeigt, dass wohl ein gewisser Bedarf an Straffungen (weniger Technik) bzw. an neuen Gremien besteht, dass aber ein übereiltes Vorgehen zu einem großen Wissensverlust führen könnte (vgl. die 3 Varianten bezüglich Änderung der Milizstruktur). Das Resultat wird deshalb wohl eine sanfte Renovation des heutigen Modells sein. Effizienz und Effektivität können trotzdem gesteigert werden. Mit den Veränderungen im Milizbereich geht auch eine logische Anpassung der Geschäftsstellenstruktur einher.
6.2
Neue Gefäße zur Stärkung der internen Bindung
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Milizgremien noch stärker in den Verband eingebunden werden sollten, dienen sie doch sehr stark dem Zusammenhalt, der Meinungsbildung und dem Informationstransfer. Geplant ist deshalb die Schaffung einer Konferenz aller Präsidenten der Ausschüsse und Kommissionen als Plattform für den Meinungsaustausch, aber auch für die verstärkte Information und die erhöhte Vernetzung innerhalb des Verbandes. Ausgebaut werden sollen auch die so genannten Fachtagungen zu Spezialthemen. Auch diese fördern erwiesenermaßen die interne Bindung.
6.3
Angepasste Lobbying- und Kommunikationstätigkeit
Wie eingangs erwähnt gehören die Interessenvertretung sowie die Information/ Kommunikation zu den Hauptaktivitäten des SVV. Durch die erwähnte Lageentwicklung wird sich an dieser Situation nichts ändern – im Gegenteil. Durch den verstärkten
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Der Schweizerische Versicherungsverband SVV
Einbezug der Public Affairs Stellen der Mitgliedunternehmungen und durch den personellen Ausbau des Ressorts Kommunikation stehen in Zukunft mehr Akteure zur Verfügung. Auch die Mitarbeitenden der Mitgliedgesellschaften (namentlich die Außendienstmitarbeiter) sollen als «Botschafter der Branche» die Basiskontakte verstärken. Kommt hinzu, dass die Bereiche Lobbying und Kommunikation auf der Milizebene noch stärker vernetzt werden durch eine Art Doppelkommission, welche sich für gewisse Detailarbeiten aufteilt, sonst aber als Ganzes arbeitet. Lobbying und Kommunikation gehören wie Zwillinge zusammen. Schließlich sollen grenzübergreifende Kommunikationsauftritte mit europäischen Schwesterverbänden aufzeigen, dass zahlreiche Assekuranzprobleme international zu betrachten sind. Eine gemeinsame Medientagung der 4 deutschsprachigen Verbände im Januar 2005 zum Thema Rechnungslegung bildet den Anfang dieser neuen Ausrichtung.
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Ihre Begleiter auf dem Weg zur Management Excellence
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À
Erfolgreiches Verbandsmanagement
Wolfgang Strauß und Alexander Kirst
Erfolgreiches Verbandsmanagement Das Beispiel der Verbände des Bayerischen Zimmerer- und Holzbaugewerbes (VBZH)
Überblick ............................................................................................................................ 91 1
Organisation, Geschäftsmodell sowie rechtliche und politische Rahmenbedingungen........................................................................................................ 92
2
Die Organisation in Zahlen und Daten.......................................................................... 94
3
Der relevante Markt .......................................................................................................... 97
4
Herausforderungen begegnen, Erfolg sichern............................................................ 101 4.1 Führungsanspruch in der Branche erheben....................................................... 101 4.2 Verband wie ein Unternehmen führen ............................................................... 102 4.3 Transparenz gegenüber den Anspruchsgruppen schaffen.............................. 106 4.4 «Ran ans Mitglied» ................................................................................................ 106 4.5 Kampagnenfähigkeit zum Ausdruck bringen................................................... 107 4.6 Verantwortung übernehmen................................................................................ 108
5
Ausblick auf die zukünftige Entwicklung des Umfeldes sowie der Organisation selbst.................................................................................................................................. 108
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Erfolgreiches Verbandsmanagement
Überblick Die Verbände des Bayerischen Zimmerer- und Holzbaugewerbes (VBZH) haben die Aufgabe, die Interessen des Bayerischen Zimmerer- und Holzbaugewerbes wahrzunehmen, insbesondere die Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedsbetriebe sicherzustellen, sowie die angeschlossenen Handwerksinnungen in der Erfüllung ihrer gesetzlichen und satzungsmäßigen Aufgaben zu unterstützen.
Aus dem Selbstverständnis der Führung heraus, eine Nonprofit-Organisation (NPO) wie eine Profit-Organisation (PO) zu managen, haben sich die VBZH sehr schnell dem in der Verbandswelt auflebenden Gedanken eines Total Quality Management (TQM) verschrieben. Meilensteine in der Entwicklung der VBZH sind die Einführung eines Qualitätsmanagement- (QM-) Systems im Jahre 1999 entsprechend dem heutigen Stand der DIN EN ISO 9001:2000 sowie die bevorstehende Zertifizierung (Stand: 2004) nach dem NPO-Label für Management Excellence der SQS (Schweizerische Vereinigung für Qualitäts- und Management-Systeme) und dem VMI (Verbandsmanagement Institut der Universität Freiburg/Schweiz).
Die zielorientierte Kooperation mit dem Ehrenamt, eine ausgeprägte zweite Führungsebene im Hauptamt, involvierte und engagierte Mitarbeiter sowie die Kampagnenfähigkeit innerhalb der Verbandslandschaft, eine stark an den Belangen der Mitgliedsbetriebe ausgeprägte Lobbyarbeit und eine fast 100-prozentige Beitragsfinanzierung sind die Erfolgsfaktoren der Verbandsarbeit.
Die Herausforderungen der Zukunft bewältigen die VBZH durch einen noch engeren Dialog mit den Mitgliedsbetrieben sowie einer fundierten institutionalisierten strategischen Planung unter Einbindung von Ehrenamt, erster und zweiter Führungsebene.
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Wolfgang Strauß und Alexander Kirst
1
Organisation, Geschäftsmodell sowie rechtliche und politische Rahmenbedingungen
Eingangs eine Standortbestimmung zu den Verbänden. Das deutsche Baugewerbe organisiert sich im Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB). Dieser ist in die Fachbereiche Hochbau, Ausbau und Verkehrswegebau gegliedert. Das Zimmererund Holzbaugewerbe findet sich im Fachbereich Ausbau und ist dort als Bund Deutscher Zimmermeister (BDZ) angesiedelt. Der BDZ ist die Dachorganisation aller Landesverbände/-fachgruppen des Zimmererund Holzbaugewerbes. Eine Besonderheit dabei ist, dass nicht jede Vertretung eines Bundeslandes als eigenständiger Verband agiert. So finden sich nur in BadenWürttemberg, Bayern und Hessen eigenständige Zimmererverbände. Anders verhält es sich in Westfalen. Dort ist nur ein Teilbereich eines Bundeslandes als eigenständiger Zimmererverband organisiert. In Mitteldeutschland gibt es ebenso einen Zimmererverband – nur deckt dieser Teilbereiche von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ab. In den verbleibenden Bundesländern gibt es baugewerbliche Gemischtverbände, so genannte Baugewerbeverbände. Dort finden sich die Zimmerer neben anderen Bauberufen als eigene Fachgruppe wieder. Die Aufzählung macht sehr deutlich, dass die wirtschaftliche Bedeutung des Zimmerer- und Holzbaugewerbes in Deutschland durch ein Nord-/Süd-Gefälle gekennzeichnet ist. Will man eine Landkarte des Holzbaus zeichnen, so ergäben die Länder Österreich, Südtirol, Schweiz, Baden-Württemberg und Bayern ein homogenes Cluster. Angesichts dessen sind die Verbände des Bayerischen Zimmerer- und Holzbaugewerbes (künftig: VBZH) auch eine treibende Kraft in der Europäischen Vereinigung des Holzbaus. Die VBZH vertreten als Wirtschaftsverband und Tarifvertragspartner die Interessen der in den bayerischen Zimmerer-Innungen und Fachgruppen Zimmerer zusammengeschlossenen Mitgliedsbetriebe in fachlicher, rechtlicher, wirtschaftlicher und sozialpolitischer Hinsicht. Sie sind der «strategische Radar» der Mitgliedsunternehmen. Veränderungen in der Gesellschaft, in den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und am Markt werden ständig kritisch analysiert. Ziel ist es, rechtzeitig die Mitgliedsbetriebe auf neue Chancen und Risiken hinzuweisen und vorzubereiten. So gelingt es den Mitgliedern, gemeinsam mit ihrem Verband neue Geschäftsfelder zu erschließen, um sich für die Zukunft fit zu machen. Diese vielfältigen Aufgaben kann ein einzelner Verband allein nicht mit hohem Wirkungsgrad erfüllen. Daher wurde eine Gliederung den Tätigkeitsbereichen entsprechend festgelegt.
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Erfolgreiches Verbandsmanagement
Die VBZH setzen sich zusammen aus
dem Landesinnungsverband des Bayerischen Zimmererhandwerks (LIV) sowie dem Verband der Zimmerer- und Holzbauunternehmer in Bayern e. V. (VZHB). Der LIV ist ein Wirtschaftsverband, genauer gesagt der Fachverband für Zimmerei, Holzbau, Holzfertig- und Fertigteilbau, Platten- und Ausbautechnik in Bayern. Er wird mit Genehmigung der Satzung durch das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr rechtsfähig. Der VZHB übt die Funktion des Arbeitgeberverbandes in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins aus. Auf sozialpolitischem Gebiet ist der Verband alleiniger Tarifvertragspartner für die ihm angehörenden Mitglieder. Er allein schließt für seine Mitglieder sämtliche Tarifvereinbarungen ab. Weiterhin werden die VBZH bei der Umsetzung ihrer Maßnahmen unterstützt von
der Gesellschaft zur Förderung des Zimmerer- und Holzbaugewerbes mbH (GFZH) als wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb sowie
dem Berufsförderungswerk des Bayerischen Zimmerer- und Holzbaugewerbes e. V. (BFW). Erfolgreiche Verbandsarbeit ist durch eine enge Verzahnung von Haupt- und Ehrenamt sowie einer gehörigen Portion strategischer Überlegungen gekennzeichnet. Die Verbandsarbeit orientiert sich deshalb sowohl an politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen als auch den Interessen des Zimmerer- und Holzbaugewerbes. Konzepte und Strategien, mit denen das Zimmerer- und Holzbaugewerbe seine Zukunft bewältigt, sind im schriftlich niedergelegten Verbandsleitbild dokumentiert. Der Umgang von Haupt- und Ehrenamt sowie der politische Entscheidungsprozess sind in der ebenfalls schriftlich fixierten Verbandspolitik definiert.
Box 1:
Standortbestimmung
Innerhalb des deutschen Baugewerbes vertreten die Verbände die Interessen des Bayerischen Zimmerer- und Holzbaugewerbes.
Die Verbände bestehen aus dem Landesinnungsverband des Bayerischen Zimmererhand-
werks (Fachverband für Zimmerei, Holzbau, Holzfertig- und Fertigteilbau, Platten- und Ausbautechnik) sowie dem Verband der Zimmerer- und Holzbauunternehmer in Bayern e. V. (Bayerischer Zimmerer- und Holzbaugewerbeverband).
Konzepte und Strategien, mit denen das Bayerische Zimmerer- und Holzbaugewerbe der
Zukunft begegnet, sind in den Grundsatzpapieren Verbandsleitbild und der Verbandspolitik dokumentiert.
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Wolfgang Strauß und Alexander Kirst
2
Die Organisation in Zahlen und Daten
Das Bayerische Zimmerer- und Holzbaugewerbe ist in den zurückliegenden 7 Jahren nicht so stark den Problemen des Baugewerbes ausgesetzt gewesen. Begründen lässt sich dies damit, dass Zimmerer nicht nur im Neubau, sondern auch im Bestandsbau tätig sind. So gehören neben Holzhäusern und Dachstühlen im Neubaubereich auch Anbau, Aufstockung, Aufsattelung und Modernisierung zu den Tätigkeitsbereichen des Zimmerers. Unterstützt wird diese Geschäftspolitik durch die seit 1.2.2002 gültige Energieeinsparverordnung (E-nEV). Hier kann der Holzbau seine Stärken noch mehr in den Vordergrund stellen und zum gewichtigen Verkaufsargument ausgestalten.
Tabelle 1:
Bayerisches Zimmerer- und Holzbaugewerbe in Zahlen (Stand: Geschäftsbericht VBZH 2003) 2001
2002
2003
Gesamtleistung der
1,9 Mrd. EUR
1,8 Mrd. EUR
1,7 Mrd. EUR
Anzahl der Betriebe
1.812
1.750
1.558
18.462
17.810
17.280
2.867
2.708
2.564
Betriebe
Anzahl der Beschäftigten
Anzahl der Auszubildenden
Tabelle 2:
VBZH in Zahlen (Stand: Geschäftsbericht VBZH 2003, TEUR = 1.000 Euro) 2001
2002
2003
1.859 TEUR
1.866 TEUR
1.855 TEUR
Anteil beitragsfinanziert
89,3 %
92,9 %
91,3 %
Geschäftsstelle
14 MA
14 MA
14 MA
2 MA
2 MA
2 MA
Verbandsservicebereiche
5
5
5
Ausschüsse
5
5
5
Fachbereiche
1
1
3
Haushaltsvolumen
Geschäftsführung
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Erfolgreiches Verbandsmanagement
Erläuterung bedarf auch die Entwicklung der Ausbildungszahlen. Die rückläufigen Zahlen können keinesfalls als Bedrohung für den Bestand der Branche gewertet werden. Für das Bayerische Zimmerer- und Holzbaugewerbe zählt mehr denn je Qualität vor Quantität. So ist es auch bei der Ausbildung. In den zurückliegenden 4 Jahren hat sich die Wettbewerbssituation der Ausbildungsberufe zu Lasten der Bauberufe verschärft. In Kapitel 3 des vorliegenden Beitrags wird dargelegt, wie die VBZH damit umgehen. Bemerkenswert ist der Vergleich von Anzahl der Betriebe im Verhältnis zum Haushaltsvolumen. Die rückläufige Anzahl der Betriebe ist zum Teil Ausdruck der wirtschaftlichen Entwicklung am Bau; sie ist aber auch durch fehlende Nachfolgen gekennzeichnet. Der Vergleich mit dem Haushaltsvolumen der VBZH unterstreicht sehr deutlich, dass es trotz dieser beiden Hauptströmungen gelungen ist, den Etat nahezu konstant zu halten. Hinzu kommt, dass dieser Etat zu einem sehr hohen Prozentsatz beitragsfinanziert ist. Dies lässt sich zum einen als stabil und unabhängig bezeichnen; zum anderen kann es als hohe Mitgliederzufriedenheit und Vertrauensbeweis in das Management gewertet werden. Im 4. Kapitel des vorliegenden Beitrags wird hierauf im Schwerpunkt eingegangen.
Box 2:
Verbandsstruktur
Die VBZH konnten sich dem Abwärtstrend im Baugewerbe zum Teil entziehen. Der Rückgang der Mitgliedsbetriebe – er resultiert größtenteils aus Insolvenzen sowie fehlender Nachfolge im Unternehmen – schlug nicht auf das Haushaltsvolumen durch.
Die Struktur der VBZH widerspiegelt den Dialog zwischen Ehrenamt und Hauptamt. Die Struktur der VBZH widerspiegelt den Dialog zwischen Ehrenamt und Hauptamt (vgl. Abbildungen 1 und 2). Tragende Säulen der Verbandsarbeit sind neben der Geschäftsführung die Verbandsservicebereiche. Hinzu kommt, dass mit der Einrichtung von Fachbereichen nicht nur den Möglichkeiten der Satzung, sondern auch der Entwicklung marktlicher Gegebenheiten besonders Rechnung getragen wird. Dies zeigt sich insbesondere bei der Einbindung der Unternehmerfrauen – einem Fachbereich, der nicht etwa dem Gedanken der «Quotenregelung» entspringt.
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Wolfgang Strauß und Alexander Kirst
Abbildung 1: Struktur der VBZH Fachgruppen Zimmerer
Zimmerer-Innung
MITGLIEDERVERSAMMLUNG
FACHBEREICHE
AUSSCHÜSSE
Holzausbau Holzhausbau
Aus- und Fortbildung Dachdeckungen Technik und Umwelt
Unternehmerfrauen
Sozial- und Tarifpolitik
Unternehmensführung
Verbandsmarketing
GESAMTVORSTAND
GESCHÄFTSFÜHRUNG
Präsidium
Hauptgeschäftsführer
Ehrenpräsident Präsident 1. Vizepräsident 2. Vizepräsident Vors. Ausschuss Sozial- und Tarifpolitik Weiteres Mitglied Gesamtvorstand
Stellv. Hauptgeschäftsführer
Weitere Mitglieder Gesamtvorstand 1 Vertreter pro Regierungsbezirk sowie ZimmererInnung München
Abbildung 2: Struktur der Geschäftsstelle Geschäftsführung Service intern Lohn- und Finanzbuchhaltung/ Controlling
Qualitätsmanagement/ Personalwesen
EDV
Empfang/ Telefonzentrale Host/ Post/ Versand Druckerei Immobilien
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Rahmenverträge
QVDK IQ-Check mikado-Haus Weiterbildung
Seminarwesen Veranstaltungen
Einkauf
Service extern
Sekretariat
VerbandsShop
Verbandsbereiche Verbandservicebereiche
Aus- und Fortbildung
Technik / Umwelt
Sekretariat
Recht
Unternehmensführung
Verbandsmarketing
Sekretariat
Erfolgreiches Verbandsmanagement
3
Der relevante Markt
Die Struktur der Mitglieder (Rechtsform sowie Größe nach Umsatz und Mitarbeiter, vgl. Abbildung 3) zeigt eine für den Handwerkssektor typische Verteilung der Unternehmen. Sie gibt wichtige Anhaltspunkte für die Verbandsarbeit: Sehr wenige mittelgroße Unternehmen und mehrere Kleinunternehmen bilden den Motor der Branchenentwicklung. Ihre Existenz ist insofern von zentraler Bedeutung, als sie Innovatoren und Imitatoren von Branchenwissen darstellen. Ganz anders aufgestellt ist das Gros der Kleinstbetriebe, die sich an den Branchenstandards orientieren. Eine solche Branchenstruktur gilt es zu pflegen. Verwunderlich und gar als Bedrohung zu werten sind Regelungen des Gesetzgebers, die durch die Begünstigung von Ich-AG´s sowie der Durchlöcherung der Handwerksordnung «von unten» an dieser Branchenstruktur gewaltig rütteln. Die Konsequenz ist die Atomisierung von Wissen anstelle des Konservierung bzw. des Ausbaus von Wissen. Eine bedenkenswerte Form von Wissensmanagement auf staatlicher Ebene. An dieser Stelle sollte man daher auch das Augenmerk auf die Entwicklung der Ausbildungstätigkeit innerhalb einer Branche richten. Dieser Gedanke wurde bereits in Kapitel 2 aufgegriffen. Neue Berufsbilder, insbesondere in den Bereichen Mediendesign und Informationstechnologie, haben eine hohe Attraktivität für junge Absolventen der Haupt- und Realschulen. Da schlagen die Vorbehalte gegen Bauberufe, wie etwa «Schlechtwetter» oder «Saufen bis der Notarzt kommt» voll durch. Es gibt aber auch positiv belegte Charaktere der Bauberufe: «Teamarbeit», «sehen, was man geschafft hat» und «soziale Anerkennung», die dann im Zimmerer- und Holzbaugewerbe durch die positiven Baustoffeigenschaften des Holzes und der Holzverarbeitung überlagert werden. Insofern ist man als berufsständische Vertretung gefordert, den Markt der Ausbildungswilligen entsprechend zu segmentieren und sich entlang der positiven Imagefaktoren zu positionieren. Den VBZH gelingt dies durch Kinospot, Imagebroschüre und Internetportal (www.zimmerer-ausbildung.de) sowie einem für Mitgliedsbetriebe vorbehaltenen Eignungstest für entsprechende Bewerber (vgl. Abbildung 4). Auf betrieblicher Ebene dominiert der Handwerksbetrieb in der Rechtsform des Einzelunternehmens mit durchschnittlich 10 Beschäftigten, der in etwa 1,1 Mio. Euro Umsatz erwirtschaftet. Sein Unternehmen strukturiert sich in den Unternehmer nebst Meister (Kalkulation, Einkauf, Arbeitsvorbereitung, Koordination), 6 gewerbliche Fachkräfte (Vorarbeiter, Facharbeiter) sowie 2 Auszubildenden des Zimmererhandwerks. Bei etwa der Hälfte der Unternehmen arbeitet die Ehefrau (Teilzeit, Vollzeit, aushilfsweise) im Unternehmen mit. An dieser Betriebsstruktur haben sich insbesondere die verbandlichen Dienstleistungsangebote zu orientieren.
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Wolfgang Strauß und Alexander Kirst
Abbildung 3: Struktur der Mitglieder und ihrer Betriebe nach Rechtsform und Umsatzgröße1
Eigentümer und/oder Geschäftsführer des Unternehmens
Rechtsform des Unternehmens
Betriebsaufspaltung (BetriebsGmbH nebst Verpachtung) 8%
Kapitalgesellschaft (GmbH, AG) 18%
GF und Eigentümer 16%
Personengesellschaft (GbR, oHG, KG, GmbH & Co KG) 18%
mehrere Angaben 3%
Eigentümer 67% Einzelfirma 53%
Geschäftsführer 17%
Mitarbeiter (außer Inhaber) im Unternehmen beschäftigt
6 bis 10 Mitarbeiter 34%
11 bis 20 Mitarbeiter 27%
Umsatz des Unternehmens im Geschäftsjahr 1999
2,5 bis 6,75 Mio. Euro 7%
über 6,75 Mio. Euro 1%
weniger als 0,25 Mio. Euro 11%
1,0 bis 2,5 Mio. Euro 25%
1 bis 5 Mitarbeiter 28%
21 bis 50 Mitarbeiter 9%
über 50 Mitarbeiter 2%
0,25 bis 0,5 Mio. Euro 20%
0,5 bis 1,0 Mio. Euro 36%
Die VBZH tragen diesem besonders Rechnung. In jüngster Vergangenheit wurde der Fachbereich Unternehmerfrauen in der Satzung verankert. Wichtig dabei ist, dass es sich nicht etwa um eine Quotenregelung handelt, sondern die Belange der Unternehmerfrauen über alle Verbandsservicebereiche hinweg integriert sind. Schließlich gilt es, das Augenmerk auf die Entwicklung der Tätigkeitsbereiche der Mitglieder zu legen. Die Betonung liegt auf Entwicklung, weil diese mit den Vorgaben
1 Laut der Mitgliederbefragung der VBZH aus dem Jahr 2000.
98
Erfolgreiches Verbandsmanagement
des Verbandsleitbildes korrespondiert (siehe hierzu unter Kapitel 1 die Ausführungen zum Verbandsleitbild). Für das Verbandsmanagement stellen sich 2 zentrale Fragekomplexe: Werden die Vorgaben des Leitbildes angenommen? Wie können wir unsere Mitgliedsbetriebe dabei unterstützen? Die Antwort lässt sich u. a. durch die permanente Abfrage von Tätigkeitsbereichen und dabei eingesetzten Marketingkonzepten finden. Konsequenzen für das Verbandsmanagement: Marketing, also die Fähigkeit, den regionalen Markt kundengerecht zu bearbeiten, ist neben der Erfüllung technischer Belange die Schlüsselqualifikation schlechthin. Die VBZH sehen sich deshalb gefordert, nicht nur das Regelwerk im Zimmererhandwerk fortzuentwickeln sowie in benachbarten Handwerken (Dachdecker, Spengler, Trockenbau) zu qualifizieren, sondern auch markttaugliche Lösungen (Qualitätsverbund DachKomplett, IQ-Check) anzubieten. In Zukunft wird es darum gehen, unter dem Dach von «meisterhaft» eine marktgerechte Antwort auf die Aufweichung des Meisterzwangs zu finden. Doch dazu mehr im sechsten Kapitel.
Abbildung 4: Homepage zur Zimmerer-Ausbildung
99
Wolfgang Strauß und Alexander Kirst
Tabelle 3:
Tätigkeitsbereiche der Mitgliedsunternehmen und Einsatz verbandlicher Marketingkonzepte2
Tätigkeitsbereiche
Verteilung in %
Zimmererarbeiten (Standards: Dachstühle ohne Ausbau, Carports, Wintergärten etc.)
32,1
Holzhausbau (Fertighäuser, Ausbauhäuser)
17,1
Ausbau/Anbau/Modernisierung (Bauen im Bestand, Erweiterung des Bestandes)
35,1
Ingenieurholzbau (Tragwerke)
2,6
Gewerbebau (gewerbliche Auftraggeber, landwirtschaftliche Bauten)
6,9
Öffentlicher Zweckbau (öffentliche Auftraggeber von Schulen, Kindergärten etc.)
6,2
Marketingkonzept im Einsatz
Verteilung in %
Qualitätsverbund DachKomplett (VBZH)
28,7
IQ-Check - der ausgezeichnete Zimmerer checkt's (VBZH)
32,9
Versuchung Holz (Verband des Zimmerer- und Holzbaugewerbes Baden-Württemberg)
18,2
Aktionspakete des Bund Deutscher Zimmermeister (BDZ)
17,5
Sonstiges
19,6
Kein Konzept
32,9
Box 3:
Marktdaten
Die Branchenstruktur weist gegenwärtig eine für das Handwerk typische Verteilung nach
Unternehmensgröße aus. Bestrebungen des Gesetzgebers, durch Novellierung der Handwerksordnung und Förderung der Ich-AG für mehr Beschäftigung insgesamt zu sorgen, können als Bedrohung für die Zukunftsfähigkeit der Branche gesehen werden.
Das Bayerische Zimmerer- und Holzbaugewerbe wird im Durchschnitt vom 10 Mann-Betrieb, der sich überwiegend aus Fachkräften rekrutiert und dabei etwa 1,1 Mio. Euro erwirtschaftet, repräsentiert. Bei etwa jedem zweiten Unternehmen arbeitet die Ehefrau aktiv im Unternehmen mit. In der Ausbildung gilt: Qualität vor Quantität.
Fragen des Verkaufs der Bauleistung werden in naher Zukunft die gleiche Bedeutung ein-
nehmen, wie es bezüglich der Technik und Umweltverträglichkeit von Bauleistungen ohnehin der Fall ist.
2
Laut des gemeinschaftlichen Betriebsvergleichs der Verbände Baden-Württemberg, Bayern, Hessen für das Jahr 2002.
100
Erfolgreiches Verbandsmanagement
4
Herausforderungen begegnen, Erfolg sichern
In Kapitel 2 wurde der Zusammenhang von Anzahl Mitglieder, Haushaltsvolumen und Anteil Beitragsfinanzierung aufgezeigt und einer Wertung unterzogen. Hierzu soll nachfolgend im Detail eingegangen werden. Dreh- und Angelpunkt der Verbandsarbeit ist die Frage nach ihrem Nutzen: Was bringt dem einzelnen Beitragszahler die Mitgliedschaft? Sie lässt sich aber auch umdeuten: Wie zufrieden ist er mit den Leistungen des Verbandes? Für das Management der VBZH leiten sich daraus folgende Prämissen ab:
Führungsanspruch in der Branche erheben Verband wie ein Unternehmen führen Transparenz gegenüber den Anspruchsgruppen schaffen «Ran ans Mitglied» Kampagnenfähigkeit zum Ausdruck bringen Verantwortung übernehmen
4.1
Führungsanspruch in der Branche erheben
Voraussetzung Nr. 1 lautet: der Satzung gerecht werden. Mitglieder gründen einen Verband, weil er ihre Interessen wahrnehmen soll. Je nach Interessenlage können dies aber auch andere Institutionen. Gemeint sind die Besonderheiten im Handwerk: Dualismus von Kammer (Pflichtorganisation) und Verbände (freiwillige Organisation). Hintergrund: Der Staat wird von der Verfassung her nicht daran gehindert, die Förderung der Wirtschaft in den Rang einer besonders wichtigen Staatsaufgabe zu erheben. Dies gilt auch für die Förderung des Handwerks, das nach wie vor ein volkswirtschaftlich unentbehrlicher Zweig der gewerblichen Wirtschaft und ein besonders wichtiger Teil des Mittelstandes ist. Der Staat kann die Aufgabe der Förderung des Handwerks staatlichen Behörden übertragen, er kann aber auch Körperschaften des öffentlichen Rechts errichten und ihnen diese Aufgabe übertragen. Der Staat hat sich für die zweite Möglichkeit entschieden. Die Vertretung der Interessen des Gesamthandwerks obliegt den Handwerkskammern, die Interessen der Einzelhandwerke werden von den Handwerksinnungen
101
Wolfgang Strauß und Alexander Kirst
gefördert. Handwerkskammern und Handwerksinnungen sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. Mitglieder der Handwerkskammern, die gleichzeitig Mitglied in einer Handwerksinnung sind (sog. Innungsbetriebe), werden nach den derzeitigen Beitragsvorschriften der Handwerkskammern zur Zahlung des vollen Kammerbeitrags herangezogen, obwohl zwischen den Aufgaben der Handwerkskammern und der Handwerksinnungen zahlreiche Überschneidungen bestehen. In diesem Kontext schwächt die gesetzliche Anordnung der Pflichtmitgliedschaft in den Handwerkskammern die Handwerksinnungen. Immer mehr Innungsmitglieder erachten die Vertretung ihrer Interessen durch die Handwerkskammern für ausreichend und treten aus den Innungen aus, um sich die Innungsbeiträge zu sparen. Voraussetzung Nr. 2 lautet demnach: Brancheninteressen durchsetzen. Allein die Legitimation zum Handeln genügt nicht. Der Führungsanspruch fußt auch darauf, inwieweit es gelingt, die wahrgenommenen Interessen nicht nur zu vertreten, sondern diese auch durchzusetzen. Zum einen innerhalb der Handwerksorganisation und zum anderen innerhalb des Baugewerbes gegenüber anderen Werkstoffgruppierungen. Voraussetzung Nr. 3 lautet schließlich: Die VBZH müssen sich demnach sowohl innerhalb der Handwerksorganisation, als auch innerhalb der Verbandsstrukturen entsprechend positionieren. Ferner muss diese Positionierung gegenüber den Verbandsgremien und den Mitgliedsbetrieben kommuniziert und von diesen wahrgenommen und positiv bewertet werden.
4.2
Verband wie ein Unternehmen führen
Verbände sind bedingt durch ihren satzungsgebundenen Zweck als NonprofitOrganisation (NPO) einzustufen. Es darf aber nicht vergessen werden, dass die Mitgliedsbeiträge auf freiwilliger Basis erhoben werden. Die marktwirtschaftlichen Prinzipien Preis/Leistung fangen bereits an dieser Stelle an zu greifen. Hinzu kommt, dass ein Verband gegenüber seinen Mitgliedern nicht nur eine Vorreiterrolle, sondern auch eine Vorbildfunktion einnimmt. Denn in der heutigen Zeit lässt sich nur Authentizität vermarkten. Die VBZH verstehen sich demnach als Wirtschaftsunternehmen mit Beirat. Ein Wirtschaftsunternehmen, das Dienstleistungen und andere markttaugliche Produkte eruiert, entwickelt, verkauft und dabei von einem ehrenamtlichen Gremium beraten wird. Die Werkzeuge der Unternehmensführung, der sich die VBZH bedienen, sind die einer modernen Profit-Organisation – es sind die des Qualitätsmanagements. Wichtigste Bausteine des Qualitätsmanagements in Verbänden sind Verbandsleitbild und Verbandspolitik. Sie sind die Bezugsgröße für nachgelagerte Planungsprozesse
102
Erfolgreiches Verbandsmanagement
und Bewertungen – sowohl auf Ebene des Ehrenamts, als auch innerhalb des Hauptamtes bzw. der Geschäftsstellenarbeit. Dadurch fördern sie den Dialog und das gegenseitige Verständnis zwischen Ehrenamt und Hauptamt. Darüber hinaus sind sie zugleich die Materialisierung einer abstrakten Satzung und tragen damit ganz wesentlich zur Mitarbeiter- und Mitgliederzufriedenheit bei. Die Kunst besteht darin, sich zu den Grundsatzpapieren zu bekennen. Nicht nur öffentlich, wenn es opportun erscheint, sondern auch intern oder gar innerlich, wenn es darum geht, die Inhalte zu verstehen und zu leben. Bekennen heißt aber auch: von lieb gewordenen Dingen loslassen und sich an neue Gegebenheiten anpassen. Ein solcher kontinuierlicher Veränderungsprozess ist eine heikle und nicht jedermanns Sache. Man kann sogar sagen, dass sie typbezogen ist. Die VBZH haben dies an einem Selbsttest ausprobiert und sich dabei die Frage gestellt: Was zeichnet ein Team aus? Folgende Erkenntnisse haben sie sich erarbeitet: Ein Team erzielt ein besseres Ergebnis, als jeder Einzelne für sich. Innerhalb eines Teams gibt es verschiedene Charaktere – sie müssen zusammenpassen. Es kann nicht viele Häuptlinge und einen Indianer geben, sondern es muss umgekehrt sein. Dadurch, dass Rollen und Hierarchien vergeben werden, entfernt sich das Ensemble vom «Team» zur «Gruppe». Entscheidend dabei ist, dass die Rollen und Hierarchien nicht vorgegeben, sondern das Ergebnis eines gemeinsamen Verständigungsprozesses sind: Jeder muss seine Rolle erkennen, diese akzeptieren und danach leben. Die Erkenntnis hinsichtlich der Relevanz der Teamarbeit basiert jedoch nicht auf den Grundsatzpapieren der VBZH – das ist ein idealtypischer (Lehrbuch-) Zustand. Sich mit «Team» zu beschäftigen, war ein unterschwelliger Entwicklungsprozess, der mit der Einführung eines Qualitätsmanagement-Systems (künftig: QM-System) nach DIN EN ISO 9002:1994 einsetzte. Am Anfang stand also das gute «alte» QM-System. Es bietet eine solide Struktur, sich nicht nur mit dem Qualitätsbegriff auseinander zu setzen, sondern auch die Frage zu beantworten, wie man Qualität erreichen kann. Die erste Erkenntnis dabei war: Ein QM-System braucht zumindest ein Verbandsleitbild, sonst klappt es weder mit den Qualitätszielen, noch mit der Qualitätsplanung. In der Folge setzte man sich verstärkt mit dem Verbandsleitbild auseinander. Nicht etwa auf Ebene der Geschäftsführung, sondern auf Ebene der Referenten, die für die Verbandsservicebereiche verantwortlich sind. Denn bis dato herrschte die Meinung vor: dass Verbandsarbeit ist gleichzusetzen mit der Beantwortung von Mitgliederanfragen, der Zuarbeit zu Veröffentlichungen und der Vor- und Nachbereitung von Sitzungen und Veranstaltungen – den Rest macht der Chef! Für die Dienstleister innerhalb der Geschäftsstelle (Empfang, Sekretariate, Rechnungswesen, Seminarwesen, Gebäudeverwaltung) blieben die Grundsatzpapiere Verbandsleitbild und Verbandspolitik vorläufig noch ein Datum – die Anbindung fehlte.
103
Wolfgang Strauß und Alexander Kirst
Die Weiterentwicklung des QM-Systems im Sinne der Betonung von Qualitätszielen, Kundenzufriedenheit und Verbesserungsprozess war letztendlich der Knackpunkt zur Installation einer echten zweiten Führungsebene und zugleich einer Entlastung der Geschäftsführung. Es stellte sich das Bewusstsein ein, dass Strategie nicht allein die «Sache vom Chef» ist. Im Gegenzug öffnete sich die Geschäftsführung ganz automatisch und vermittelte Einblick in die «großen Themen». In der Folge stellte sich zumindest für die zweite Führungsebene die Anbindung des Tagesgeschäfts an die Vorgaben des Verbandsleitbilds ein. Diese Bewusstseinserweiterung brachte neue Instrumente der Verbandsarbeit hervor:
Definition von Oberzielen seitens der Geschäftsführung als Bezugsrahmen für die Vereinbarung von Jahreszielen auf Referentenebene – diese werden alle 2 bis 3 Jahre angepasst
Zielkontrolle und Vereinbarung von Jahreszielen im Kreise der Referenten zusammen mit der Geschäftsführung zum Ende eines Jahres
unterjährige Zielkontrolle im Rahmen einer Referentenbesprechung Erfahrungsaustausch der Landesverbände und der Bundesorganisationen (BDZ, ZDB) mit Rückkoppelung zur eigenen strategischen Positionierung
internes Leitbild für den Umgang innerhalb der Geschäftsstelle jährliche Mitarbeiterschulungen (gegenwärtiger Schwerpunkt: Teamentwicklung) halbjährliches Mitarbeitergespräch zur persönlichen Standortbestimmung innerhalb der Geschäftsstelle
jährliche Kurzabfrage zur Mitgliederzufriedenheit sowie große Mitarbeiterbefragung im 4-Jahres-Rhythmus und Rückkoppelung für die Weiterentwicklung von Dienstleistungsangebot und Verbandsleitbild Das neue Bewusstsein auf Referentenebene bringt noch eine weitere, für die Verbandsarbeit sehr wichtige Veränderung mit: die Entlastung der Geschäftsführung. Das schafft mehr Spielraum für Themen, die den Verband noch stärker nach vorne bringen: Lobbyarbeit und strategische Planung. In guten und mehr noch in schlechten Zeiten ist Lobbyarbeit eine, wenn nicht die Hauptaufgabe, die Verbände für ihre Mitgliedsunternehmen heute leisten und leisten müssen. Es reicht schon lange nicht mehr, eine Presseerklärung zu veröffentlichen oder mit dem zuständigen Landtags- oder Bundestagsabgeordneten zu plaudern, sondern es kommt darauf an, Interessen zu bündeln, um mit dieser größeren «Marktmacht» politische Entscheidungsträger in Deutschland und mehr auch in der Europäischen Union für seine Interessen zu gewinnen. Wirksame Lobbyarbeit nach außen ist aber nur möglich, wenn im Innenverhältnis, also zwischen Verbänden und Mitgliedsunternehmen, die Voraussetzungen stimmen.
104
Erfolgreiches Verbandsmanagement
Lobbyarbeit betreiben die VBZH seit vielen Jahren, aber derzeit mit besonderer Intensität. Denn die – sicherlich notwendigen – Reformen in der Bundesrepublik Deutschland gehen in manchen Bereichen zu Lasten der Klein- und Mittelbetriebe und damit zu Lasten der Mehrzahl der Mitgliedsbetriebe der VBZH. Mit der Einführung von QM ist es also gelungen, eine zweite Führungsebene zu installieren sowie der Geschäftsführung neue Freiräume zu verschaffen. Es hat sich aber in diesem Zusammenhang ein weiteres Handlungsfeld aufgetan – das der Mitarbeiterintegration. Zentrale Fragen wie «Was ist ein Verband?» oder «Wie tickt ein Verband?» finden nicht an jeder Stelle innerhalb der Geschäftsstelle eine erschöpfende Antwort. Das mag an der Abstraktion liegen: Es findet kein Umsatzprozess im Sinne einer Profit-Organisation statt; die Entscheidungen gehen einen anderen Weg als in einer ProfitOrganisation. Zudem ist die Sozialisation zwischen Ehrenamt, Hauptamt und Mitgliedern eine andere als in den Abteilungen/Gremien eines Unternehmens. Angesichts des Engpasses «Mitarbeiterintegration» haben sich die VBZH mit dem Gedankengut von Management Excellence beschäftigt. Die VBZH empfinden Management Excellence als verbandsspezifische Anpassung von QM. Oder anders herum: Management Excellence sehen die VBZH als logische Ergänzung zum Freiburger Management-Modell (FMM) für NPO an. Zunächst wurde Management Excellence von Seiten der Geschäftsführung und den Referenten einer eingehenden Begutachtung unterzogen. Als Unterlage diente die Assessment-Checkliste zur Erlangung des NPO-Label für Management-Excellence, das von SQS-VMI vergeben wird (vgl. hierzu den Überblick zu Beginn dieses Beitrags). Sie erlaubt eine Nivellierung des Reifegrads vom gegenwärtig praktiziertem QM-System in Relation zu den Anforderungen an Management-Excellence. Zugleich machten die verbandsspezifischen Belange der Checkliste deutlich, dass hierin der Schlüssel zum Erfolg für die Mitarbeiterintegration liegt. Die Vorbereitung auf Management-Excellence hatte im Schwerpunkt die Bearbeitung der Module System-Management, Marketing-Management und RessourcenManagement zum Gegenstand. Dazu wurden 3 Arbeitsgruppen gebildet. Jeder Mitarbeiter der Geschäftsstelle war in 2 Arbeitsgruppen vertreten, um so noch besser Zusammenhänge zwischen den Modulen zu erkennen. Jede Arbeitsgruppe verdichtete seine Ergebnisse entsprechend der ersten Gliederungsebene innerhalb eines Moduls und arbeitete dabei Stärken, Abweichungen und Handlungsempfehlungen heraus. Letztere wiederum werden in den Themenspeicher für den im QM definierten Verbesserungsprozess übertragen. Grundsatzpapiere, QM und Management-Excellence sind also – in bedarfsgerechter Ausgestaltung – die Werkzeuge des Verbandsmanagements, mit denen die VBZH den Herausforderungen begegnet, um so zukunftsfähig agieren zu können.
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Wolfgang Strauß und Alexander Kirst
Box 4:
Der Weg zu mehr Qualität
1995/1996: Entwicklung von Verbandsleitbild und Verbandspolitik im Kreise von Gesamt-
vorstand, Innungsobermeistern und -geschäftsführern, Mitarbeitern der Geschäftsstelle unter Moderation der Beratergruppe B’VM.
2000: Erst-Audit zum QM-System nach DIN EN ISO 9002:1994 durch den TÜV Rheinland/Berlin-Brandenburg.
2003: Wiederhol-Audit zum QM-System nach DIN EN ISO 9001:2000 durch die zwischenzeitlich umfirmierte TÜV Rheinland Group.
2004: Einführung von Management Excellence als Akzentuierung des QM-Systems.
4.3
Transparenz gegenüber den Anspruchsgruppen schaffen
Rechenschaft abzulegen ist etwas ganz normales in der Welt der Wirtschaftsgesellschaften (es muss ja nicht gleich die der Publikumsgesellschaften sein). Wie aber sieht es bei Verbänden aus? Zumindest dann, wenn man sich den Profit-Gedanken auf die Fahnen schreibt, ist der Rechenschaftsbericht gegenüber seinen Anspruchsgruppen ein Muss. Die VBZH werden dieser Anforderung durch die Entwicklung und Veröffentlichung eines Geschäftsberichts gerecht. Der Geschäftsbericht ist in erster Linie an die Ehrenamtsträger und die Mitglieder gerichtet. Zum einen soll er Rechenschaft darüber ablegen, für was die anvertrauten Haushaltsmittel verwendet werden. Zum anderen soll er den Adressaten näher bringen, wie «ihr» Verband tickt. Damit wird auch der Versuch unternommen, die Mitgliederbefragung positiv zu gestalten, indem die Mitglieder noch stärker über das Wirken ihres Verbandes informiert sind und die Meinungsbildung innerhalb des Verbandes besser auf den Punkt gebracht werden kann. Das wiederum ist der weiteren Entwicklung der VBZH zuträglich. Man muss also stets die Wechselseitigkeit der Management-Instrumente im Auge behalten.
4.4
«Ran ans Mitglied»
In der gegenwärtigen Zeit wird es für Interessenvertreter immer schwieriger, Mitglieder zufrieden zu stellen: das Chaos innerhalb der Regierungspartei, Mitgliederschwund bei den Gewerkschaften, Gruppierungen die den Solidargedanken in Frage
106
Erfolgreiches Verbandsmanagement
stellen, Bemühungen um die Definition von «sozial» sind ausdrucksstarke Beispiele dafür, dass die Gesellschaft im Umbruch ist. Gerade in dieser Zeit ist es wichtig, sein Marketing am Mitglied zu intensivieren – anstelle sich von ihm abzukoppeln und in Selbstverwaltung und/oder Selbstmitleid zu versinken. In diesem Punkt zeigt sich, wie schnell und wie wirkungsvoll sich eine Organisation an die Veränderungen des Marktes anpassen kann. Praktische Beispiele dafür sind halbtätige Informationsveranstaltungen der Referenten der Verbandsgeschäftsstelle für etwa 2 bis 4 benachbarte Innungen zu richtungweisenden Themen (siehe Verbandsleitbild), zu denen die VBZH im Namen der betreffenden Innungen einladen. Oder auch «Strauß on Tour», bei der der Hauptgeschäftsführer Wolfgang Strauß vor Ort Meinungsführer aus dem Ehrenamt (Obermeister, Innungsvorstände etc.) aufsucht und sowohl betriebliche/marktliche Belange als auch zentrale Verbandsthemen gemeinsam erörtert werden. Für einen im deutschen Handwerk organisierten Verband ist dies in doppelter Hinsicht spannend, denn die Handwerksordnung gibt die Subsidiarität von Innung und Landesinnung vor. Die regional tätigen Innungen organisieren sich zu einem Landesinnungsverband, der sie bei der Erfüllung der durch die Handwerksordnung auferlegten Aufgaben unterstützen soll. Anders herum sind die Innungen die Absatzmittler verbandlicher Leistungen. Innungen tragen also ganz erheblich dazu bei, ob und wie der Verband bei den Beitragszahlern wahrgenommen wird.
4.5
Kampagnenfähigkeit zum Ausdruck bringen
In den Ausführungen zur Lobbyarbeit wurde die Notwendigkeit aufgezeigt, Interessen zu bündeln und Marktmacht zu generieren. Kampagnen sind ein Ausdruck dafür. Entscheidend dabei ist, dass Kampagnen nicht der eigenen Person, sondern der Sache dienen. Sonst bleibt der nachhaltige Erfolg bei den Mitgliedern aus. In der baugewerblichen Organisation ist das eine spannende Sache. Auf der einen Seite gibt es Themen mit gemeinsamem Tenor (z. B. Tarifpolitik, Lohndumping, Wettbewerbsverzerrung durch Subventionen), auf der anderen Seite gibt es unterschiedliche Interessen, die in der Regel im Bau- und Werkstoff begründet sind. Hinzu kommt der Hang, die eigene Leistung gegenüber seinen Mitgliedern in den Vordergrund stellen zu wollen. Andere wiederum sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
107
Wolfgang Strauß und Alexander Kirst
4.6
Verantwortung übernehmen
Dieser Grundsatz geht mit dem unternehmerischen Verständnis einher: Wer handelt, der haftet. Ein Eukken’sches Prinzip, dass auch von Verbandsmanagern verinnerlicht werden sollte. Nicht nur im Innenverhältnis, sondern auch, wenn es um Lobbyarbeit und Kampagnen geht.
Box 5:
Herausforderungen begegnen, Erfolg sichern
Das Management der VBZH ist konsequent auf den Qualitätsgedanken ausgerichtet. Die
Umsetzung erfolgt durch ein Qualitätsmanagement-System nach DIN EN ISO 9001:2000. Management Excellence stellt eine verbandsspezifische Vertiefung des Qualitätsgedankens dar und ist gegenwärtige Entwicklungsrichtung der Verbandsarbeit.
Die Prämissen der Verbandsarbeit lauten: Führungsanspruch in der Branche erheben, Ver-
band wie ein Unternehmen führen, Transparenz gegenüber den Anspruchsgruppen schaffen, Ran ans Mitglied, Kampagnenfähigkeit zum Ausdruck bringen, Verantwortung übernehmen.
Wichtig bei allem ist eines: Nur die Authentizität der Maßnahmen des Verbandsmanagements zählt. Mit anderen Worten heißt dies: das Management-Modell muss gelebt und als solches von allen Mitarbeitern innerhalb der Geschäftsstelle, den Ehrenamtsträgern sowie den Mitgliedern verstanden werden.
5
Ausblick auf die zukünftige Entwicklung des Umfeldes sowie der Organisation selbst
Verbände stehen im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Die Gesellschaft, die Politik und auch die Mitglieder haben jeweils besondere Erwartungen. Die durch die Medien gesteuerte Gesellschaft erwartet, dass Verbände allgemein agieren. Die Politik versucht eine Anpassung an ihre Ziele und die Mitglieder wollen gut beraten, gut vertreten sein. Die Verbände müssen deshalb entweder einen Riesen-Spagat durchziehen oder eine klare Position für die Branche und damit für die Mitglieder beziehen. Letztere sind es, die das Recht für die Festlegung der Verbandsziele haben und auch die Ausrichtung des Verbandes bestimmen. Damit wird auch klar, dass Verbände Partikularinteressen verfolgen und dies hoffentlich mit klaren Zielen, denn sie sind für die Branche und die Mitglieder da. Sie haben sich dabei wegen der engen Verzahnung der kollektiven und individuellen Verbandsleistungen heute mehr denn je mit dem schweren Umfeld auseinander zu setzen und dabei prozessorientiert zu arbeiten.
108
Erfolgreiches Verbandsmanagement
Die fehlende Branchenkonjunktur und die allgemein feststellbare Rezession sowie die Zaghaftigkeit, mit der die Politik agiert, mündet zwangsläufig in Herausforderungen, denen sich die Verbände zu stellen haben. Einerseits mehr Liberalisierung und andererseits doch wieder mehr Regulierung sorgen dafür, dass mehr Unsicherheit entsteht als dass das politisch Gewollte eintritt. Wir haben dies gerade in der jüngsten Zeit in vielen Fällen erleben müssen. Dieses teilweise unstete Umfeld wirkt sich nachhaltig auf die Verbandsorganisationen aus. Den Unternehmen müssen zwangsläufig Betreuungs- und Vertretungsleistungen mit steigender Tendenz angeboten werden. Hinzu kommt auch eine ausgeweitete Lobbyarbeit. Die Öffentlichkeit und auch die Politik sind wieder mit den Themen und Problemen der Wirtschaft, vor allen Dingen des Mittelstandes zu konfrontieren. Der Mittelstand ist die tragende Säule der Volkswirtschaft und er verdient es, dass alle Maßnahmen an ihm ausgerichtet werden und nicht an der Großindustrie oder den Globalplayern. Als Verbandsorganisation werden wir auf das widrige Umfeld reagieren und vor allen Dingen die individuelle Beratung und Betreuung der Mitglieder sowie die Lobbyarbeit ausweiten. Unsere Erfahrung sagt, dass gerade über die an den Betrieben orientierte Verbandsarbeit eine für beide Teile, nämlich für die Mitglieder und die Verbände, zufrieden stellende Situation erreicht wird.
109
Der Fachverband Schreinerhandwerk Bayern
Christian Wenzler
Der Fachverband Schreinerhandwerk Bayern
Überblick .......................................................................................................................... 113 1
Einleitung ......................................................................................................................... 115
2
Die Organisation ............................................................................................................. 118 2.1 Mitgliederstruktur und Mitgliedszahlen ........................................................... 118 2.2 Führungsstrukturen .............................................................................................. 119 2.3 Geschäftsstelle ........................................................................................................ 121
3
Das Umfeld des Verbands.............................................................................................. 122
4
Die Neuausrichtung des FSH Bayern........................................................................... 128 4.1 Die Neupositionierung ......................................................................................... 128 4.2 Die Mitgliederbefragungen .................................................................................. 129 4.3 Die Marktforschungsstudie.................................................................................. 130 4.4 Die Image-Kampagne für das bayerische Schreinerhandwerk....................... 133 4.5 Das Mitglieder-Marketing .................................................................................... 138
5
Ausblick ............................................................................................................................ 140
111
Der Fachverband Schreinerhandwerk Bayern
Überblick Der Fachverband Schreinerhandwerk Bayern (FSH Bayern) ist als Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband die Branchenorganisation des bayerischen Schreinerhandwerks. Seine Mitglieder sind (grundsätzlich) die regionalen Fachinnungen, in denen die einzelnen Mitgliedsunternehmen organisiert sind.
Der FSH Bayern nimmt Aufgaben war, die den Interessen der Mitgliedsunternehmen dienen und die er effizienter erfüllen kann, als der Einzelne allein. Er setzt sich für wirtschaftsgerechte Rahmenbedingungen für das gesamte Gewerk ein und versteht sich dabei als kompetenter Gesprächspartner aller an der Branche interessierten Kreise. Er erbringt direkte Dienstleistungen zugunsten der Innungen sowie der einzelnen Mitgliedsunternehmen.
Ein zentrales Element der Verbandsarbeit ist die demokratische Willensbildung und die freiwillig-ehrenamtliche Tätigkeit. Durch das aktive Ehrenamt wird das Fachwissen der Mitglieder bei der Erfüllung der Verbandsaufgaben genutzt. Dabei wird darauf geachtet, dass die Gremien und Organe des Verbands klein strukturiert und mit Sachverständigen besetzt sind. Auf allen Ebenen gilt es, nach den Grundsätzen eines effizienten Managements zu arbeiten. Dadurch wird gewährleistet, dass sich der FSH Bayern durch einfache, klare Strukturen und rasche Entscheidungsprozesse auszeichnet.
Der Verband konzentriert seine Kräfte auf klar definierte Aufgabenbereiche, in denen er hohe Professionalität besitzt. Dabei kommt Qualität immer vor Quantität. Dies ist der wichtigste Grundsatz bei der Entscheidung über den Einsatz der beschränkten Ressourcen.
Der FSH Bayern basiert auf einer freiwilligen Mitgliedschaft. Dies betrifft sowohl die Mitgliedschaft der Innung im Verband, als auch die Mitgliedschaft der Betriebe in den einzelnen Innungen. Die freiwillige Mitgliedschaft prägt das Selbstverständnis und die Dienstleistungsorientierung der Organisation.
Die Aufgabenstellungen des FSH Bayern gliedern sich in die Bereiche Interessenvertretung für die Branche einerseits sowie Beratung und weitere Dienstleistungen für die Einzelunternehmen andererseits.
Die Lobbyarbeit für die Branche ist dabei sehr vielfältig. Sie reicht von Tarifabschlüssen über die Mitgestaltung der Rahmenbedingungen für die Ausbildung bis hin zu einer Image-Kampagne für das bayerische Schreinerhandwerk.
Die Unternehmensberatung betrifft rechtliche, betriebswirtschaftliche sowie technische Fragestellungen. Die Unternehmen werden dabei durch branchennahe Informationen und effiziente Beratung unterstützt. Der FSH Bayern fördert das Image des Bayerischen Schreinerhandwerks und unterstützt die Innungen und
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Christian Wenzler
Mitgliedsbetriebe in ihrem Marktauftritt. Der Verband gestaltet federführend die Ausbildung mit und bietet zielgerichtete Fortbildungen für Unternehmer und Mitarbeiter an.
Zusätzlich bündelt der FSH Bayern die Marktstellung der zahlreichen kleinen und mittleren Betriebe, um finanziell attraktive Branchenlösungen für die Mitglieder durch Rahmenverträge mit Zulieferern und sonstigen Partnern des Handwerks zu ermöglichen.
Die Zielsetzungen des Verbands werden prägnant durch sein Mission Statement zusammengefasst: «Starke Vertretung – Starker Service».
114
Der Fachverband Schreinerhandwerk Bayern
1
Einleitung
Der Fachverband Schreinerhandwerk Bayern (FSH Bayern) ist der Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband des bayerischen Schreinerhandwerks. Er wurde 1902 gegründet und ist damit einer der traditionsreichsten Wirtschaftsverbände in Bayern. Ausschlaggebend für seine Gründung war v. a. die hohe Belastung der Betriebe durch Abgaben an die gesetzliche Unfallversicherung und andere Institutionen. Durch ein gemeinsames Sprachrohr versuchten die bayerischen Schreinerbetriebe erstmals, ihre Interessen effektiv zu vertreten. Insofern bestand die erste Aufgabe des Verbands im Aufbau einer Lobby für dieses Gewerk. In den nachfolgenden Jahrzehnten, insbesondere nach dem Ende des 2. Weltkriegs, erweiterten sich die Aufgaben des Verbands in großem Umfang. Zusätzlich zur Berufsstandsvertretung wurde er zu einem Tarifträgerverband. Der Abschluss von Tarifverträgen für die Branche sowie die Beratung der Mitgliedsunternehmen in Tariffragen entwickelte sich zu einer zentralen Aufgabenstellung. Parallel dazu baute der FSH Bayern ein umfangreiches Dienstleistungsangebot im Bereich der Unternehmensberatung auf. Aufgrund eines massiven Strukturwandels, den die Branche seit einiger Zeit vollzieht, hat sich in den letzten Jahren das Anforderungsprofil an die Organisation nochmals stark verändert. Daher wurden zahlreiche strukturelle und inhaltliche Weiterentwicklungen der Verbandsarbeit eingeleitet. Im Mittelpunkt der Tätigkeit des Verbands steht dabei der Mitgliedernutzen. In den vergangenen Jahrzehnten wurde es als selbstverständlich angesehen, dass dieser Nutzen für die einzelnen Betriebe stets transparent ist und als solcher auch wahrgenommen wird. Dennoch ist es aus unterschiedlichen Gründen zu einem stetigen Rückgang der Mitgliederzahlen gekommen. Von grundlegender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass die Mitgliedschaft auf Freiwilligkeit beruht. Dies unterscheidet die Verbandsorganisation von der Kammerorganisation, die einen öffentlich-rechtlichen Status besitzt und in der die Unternehmen Pflichtmitglied sind. Der FSH Bayern stellt ein Landesinnungsverband gemäß der deutschen Handwerksordnung (HWO) dar. Dieses Bundesgesetz regelt den strukturellen Aufbau und die Aufgaben des Handwerks und seiner Organisationen. Nach § 81 HWO umfassen die Aufgaben eines Landesinnungsverbands insbesondere:
Die Wahrnehmung der Interessen des Handwerks, für das er gebildet wurde. Die Unterstützung der angeschlossenen Innungen in der Erfüllung ihrer Aufgaben. Die Unterbreitung von Vorschlägen und Erstattung von Gutachten an Behörden. Von großer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass die Mitgliedschaft im Landesverband grundsätzlich zweistufig strukturiert ist. Die einzelnen Handwerksbetriebe können Mitglied in der regionalen, fachbezogenen Innung werden. Diese Innungen
115
Christian Wenzler
wiederum können dem Landesinnungsverband als Mitglied beitreten. Auf beiden Stufen ist diese Mitgliedschaft also freiwillig, was grundlegende Auswirkungen auf das Selbstverständnis und die Dienstleistungsorientierung des Verbands hat. Die gesetzlichen Grundlagen werden in der Satzung des FSH Bayern konkretisiert. Als die bedeutendsten, übergeordneten Aufgabengebiete werden dabei u. a. genannt: 1. Wahrnehmung der Interessen des Handwerks, für das er gebildet ist. 2. Unterstützung der angeschlossenen Handwerksinnungen. 3. Unterbreitung von Anregungen und Vorschlägen bei Behörden sowie Erstattung von Gutachten. 4. Abschluss von Tarifverträgen. Diese satzungsgemäße Aufgabenbestimmung ist relativ allgemein gehalten und entspricht im Wesentlichen den gesetzlichen Formulierungen. Sie erfährt jedoch nicht zuletzt durch die schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für das Schreinerhandwerk eine aktuelle Konkretisierung, die für die Mitgliedsunternehmen von existentieller Bedeutung sein kann. Eine besondere Situation entsteht durch die Art der Mitgliedschaft im FSH Bayern. Grundsätzlich sind die Schreinerinnungen Vollmitglied im Verband. Dies ist auch der Regelfall. Von den derzeit in Bayern existierenden 72 Innungen sind 71 im FSH Bayern zusammengeschlossen. Nur 1 Innung ist nicht Mitglied. Allerdings besteht in diesem Fall die Möglichkeit, dass einzelne Unternehmen aus diesem Innungsbezirk dem Verband als (direkte) Einzelmitglieder angehören können. Das ist auch der Fall. Eine derartige Direktmitgliedschaft ist jedoch ausdrücklich nur dann möglich, wenn eine örtliche Innung nicht existiert oder nicht Mitglied des Verbandes ist. Insgesamt zeigt sich hier bereits eine wesentliche Schwierigkeit der Verbandsarbeit. Durch die Zweistufigkeit der Mitgliedschaft besteht eine gewisse Entfernung zwischen dem Mitgliedsbetrieb und dem Verband. Außerdem sind die einzelnen Mitgliedsinnungen, die als Multiplikatoren und regionale Ansprechpartner für die Betriebe dienen sollen, wiederum eigene Organisationen, die nicht weisungsgebunden gegenüber dem FSH Bayern sind. Zudem sind die Innungen, die naturgemäß auch Eigeninteressen vertreten, z. T. sehr unterschiedlich strukturiert und geführt. Dies erschwert die Durchsetzung eines gemeinsamen Auftritts. Dies ist bei der Konzeption und der Umsetzung wesentlicher Teile der Verbandsleistungen, insbesondere im Bereich der Lobby-Arbeit, des Branchenmarketings und ähnlicher Felder besonders zu berücksichtigen. Unabhängig von der rechtlichen Stellung der einzelnen Mitgliedschaften wird im Folgenden unter dem Begriff «Mitglied» sowohl die Mitgliedsinnung als auch der einzelne Betrieb verstanden. Dies gilt unabhängig davon, ob das Schreinerunternehmen nur «indirektes» Mitglied über seine Innung oder direktes Mitglied beim FSH
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Der Fachverband Schreinerhandwerk Bayern
Bayern ist. Dies bringt die Grundeinstellung der Verbandsarbeit zum Ausdruck, nach der sowohl die Mitgliedsinnungen als auch die Mitgliedsbetriebe in den sie betreffenden Fragen unmittelbar betreut werden. Die Anforderungen an die Verbandsorganisation haben sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Dieser Prozess wird sich weiter fortsetzen und betrifft alle Bereiche des FSH Bayern. Der Verband bewegte sich bis etwa 1990 in einem relativ statischen Umfeld. Daher war der Veränderungsdruck von außen begrenzt und die Initiativen zur Weiterentwicklung gingen im Wesentlichen von der Organisation selbst aus. Die zeitliche Umsetzung war damit im eigenen Ermessen des Verbands. Diese Situation hat sich grundlegend geändert. Nachdem das Schreinerhandwerk nicht nur konjunkturellen Schwierigkeiten gegenüber steht, sondern gleichzeitig einen massiven Strukturwandel durchläuft, ist auch der Veränderungsdruck auf den Verband massiv gestiegen. Und dies nicht nur im Hinblick auf die inhaltliche Ausrichtung, sondern ebenso in Bezug auf die zeitliche Umsetzung. Hinzu kommt, dass die rechtlichen Grundlagen des deutschen Handwerks in den letzten Jahren grundlegend verändert wurden. Damit entstand zusätzlicher Anpassungsbedarf, der sich nicht aus der Organisation selbst entwickelte, sondern von außen vorgegeben wurde. Der FSH Bayern reagierte jedoch nicht nur auf diese Entwicklungen, sondern setzt seit einigen Jahren neue Schwerpunkte und strukturiert sich in einem kontinuierlichen Prozess um. Die grundlegende Orientierung für die Weiterentwicklung bildete dabei eine umfangreiche Mitgliederbefragung und eine große Marktforschungsstudie, die in den Jahren 2000 und 2001 durchgeführt wurden. Um sicherzustellen, dass die Weiterentwicklung der Organisation systematisch erfolgen kann, basieren die Überlegungen und Maßnahmen zur Umstrukturierung des Verbands auf der Grundlage des Freiburger Management-Modells (FMM) für Nonprofit-Organisationen. Dadurch wird gewährleistet, dass sich die schrittweise Weiterentwicklung der Organisation in einem Gesamtrahmen vollzieht und die einzelnen Phasen aufeinander abgestimmt sind. Dies ist von großer Bedeutung, da aufgrund beschränkter Ressourcen Prioritäten gesetzt werden müssen und nicht alle notwendigen Anpassungen in den verschiedenen Bereichen gleichzeitig erfolgen können. Durch die Orientierung am Freiburger Management-Modell wird somit sichergestellt, dass sich die zeitlich divergierenden Maßnahmen nicht gegenseitig konterkarieren.
Box 1:
Geschichtliche Entwicklung und Zukunftsherausforderungen
Der FSH Bayern ist die Branchenorganisation des bayerischen Schreinerhandwerks. Die freiwillige Mitgliedschaft der Unternehmen und die damit verbundene Dienstleistungsori-
entierung des Verbands ist ein grundlegendes Element des Selbstverständnisses der Organisation.
Die Branche unterliegt einem massiven Strukturwandel. Deshalb ist die Verbandsarbeit grundlegend neu auszurichten.
117
Christian Wenzler
Die Umstrukturierung des Verbands erfolgt auf der Basis des Freiburger Management-
Modells (FMM), um eine schrittweise, zeitlich und inhaltlich abgestimmte systematische Weiterentwicklung zu ermöglichen.
2
Die Organisation
2.1
Mitgliederstruktur und Mitgliedszahlen
Im FSH Bayern sind 71 Schreinerinnungen aus ganz Bayern organisiert. Hinzu kommen Einzelmitglieder aus dem Bereich der einzigen Innung, die derzeit nicht Mitglied des Verbands ist. Insgesamt sind damit mittelbar oder unmittelbar ca. 4.200 Betriebe im FSH Bayern organisiert. In Bezug auf die absolute Zahl der in Bayern eingetragenen Schreinerbetriebe entspricht dies einem Organisationsgrad von ca. 50 Prozent. Allerdings ist dabei zu beachten, dass gerade in Bayern eine Vielzahl von Kleinstbetrieben ohne Angestellte bzw. mit nur 1 Mitarbeiter existiert, die nur noch ein geringes Interesse an einer Innungsmitgliedschaft haben. Aus den Gesamtzahlen für die Branche ergibt sich, dass die potentiellen Mitglieder der Innungen und des Verbands Betriebe sind, die eine handwerkstypische Struktur aufweisen. Der Unternehmer, i. d. R. ein Schreinermeister, hat ca. 4 Beschäftigte und führt den Betrieb in allen Bereichen, vom Verkauf über die Fertigung bis hin zum Service, allein. Häufig wird er dabei noch von Familienangehörigen unterstützt. Allerdings gilt diese Struktur nicht durchgängig für alle Betriebe. Die Größe der Unternehmen schwankt stark und reicht von zahlreichen 1-Mann-Schreinereien bis hin zu Unternehmen mit mehreren 100 Beschäftigten. Entsprechend unterschiedlich sind die Anforderungen und Erwartungen dieser Betriebe an den FSH Bayern. Hinzu kommt, dass die Produkt- und Dienstleistungspalette der Betriebe sehr breit gefächert ist. Auch aufgrund dieser unterschiedlichen Tätigkeitsfelder sind die Anforderungen der Betriebe an eine Verbandsorganisation sehr differenziert. Die Mitgliederzahlen der bayerischen Schreinerinnungen und damit des FSH Bayern sind in den vergangenen Jahrzehnten stetig zurückgegangen. Diese Tendenz zeigt bereits, dass ein grundlegender Wandel hinsichtlich der Bereitschaft zur Innungsmitgliedschaft eingetreten ist. Während es früher für einen selbständigen Handwerker selbstverständlich war, seiner berufsständischen Organisation anzugehören, ist dies heute nicht mehr der Fall. Damals war die Innung auch ein bedeutender Faktor für das gesellschaftliche Leben. Heute wird die Verbandsorganisation kaum mehr aus diesem Blickwinkel gesehen. Stattdessen steht die Leistungsfähigkeit im Sinne der Dienstleistung für den einzelnen Betrieb im Vordergrund. Verstärkt wird dies durch die Entwicklung hin zu immer kleineren Betriebseinheiten. Es hat sich gezeigt, dass gerade 118
Der Fachverband Schreinerhandwerk Bayern
die Kleinstbetriebe sehr schwer zu organisieren sind. Insofern ist der Betriebsrückgang der letzten Jahre weniger darauf zurückzuführen, dass zahlreiche Betriebe bewusst ihre Mitgliedschaft gekündigt haben. Stattdessen wurden viele Unternehmen aus Altersgründen oder aufgrund der schwierigen konjunkturellen Lage der Branche aufgegeben. Vor diesem Hintergrund ist auch die Organisationsquote des Verbands zu relativieren. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Größe der Betriebe, die Mitglied einer Innung und damit des Verbands sind, gemessen an der Mitarbeiterzahl deutlich über der der gesamten Branche liegt. Während im bayerischen Schreinerhandwerk insgesamt die Betriebsgröße inzwischen auf etwa 4 Mitarbeiter zurückgegangen ist, sind in den Mitgliedsbetrieben des FSH Bayern jeweils ca. 7 Mitarbeiter beschäftigt. In direktem Zusammenhang damit steht auch der Umsatzanteil der organisierten Betriebe. Daher kann davon ausgegangen werden, dass die Organisationsquote im Hinblick auf die Mitarbeiterzahl bzw. auf den Umsatz der Branche zwischen 70 und 75 Prozent liegt.
2.2
Führungsstrukturen
Für die Umsetzung der Zielsetzungen des Verbands spielen die Führungsstrukturen innerhalb der gesamten Organisation eine große Rolle. Hier spiegelt sich wiederum die zweistufige Organisationsstruktur (regionale Innung – Landesverband) wider. Die Mitgliedsinnungen werden durch Unternehmer geführt, die ehrenamtlich tätig sind. Ein Großteil der Innungen hat zusätzlich eine hauptamtliche Geschäftsführung. Allerdings ist es üblich, dass die Geschäftsführer parallel mehrere Innungen der unterschiedlichen Handwerke einer Region betreuen. Da die Innungen rechtlich eigenständig sind und auch Aufgaben wahrnehmen, die über die eigentliche Verbandstätigkeit hinausgehen, bestehen Eigeninteressen, die durch die Führungsstrukturen des Verbands nicht unmittelbar erfasst und beeinflusst werden können. Der FSH Bayern wird ebenfalls durch ein Ehrenamtssystem geführt. Das operative Geschäft wird jedoch über eine Geschäftsstelle abgewickelt, die mit ca. 13 Mitarbeitern besetzt ist und durch einen Hauptgeschäftsführer geleitet wird. Die ehrenamtliche Führung des Verbands ist mehrstufig aufgebaut. Aufgrund der großen Fläche des Verbandsgebietes, der regionalen Besonderheiten und Traditionen sowie aufgrund der Vielzahl von Innungen und Betrieben wurde eine Aufteilung nach den 7 bayerischen Regierungsbezirken gewählt. Die 71 Schreinerinnungen sind jeweils einem bestimmten Regierungsbezirk zugeordnet. Die Innungsvertreter nominieren den sog. Bezirksvorsitzenden, der zur Wahl in den Vorstand des Verbandes vorgeschlagen wird. Die Wahl erfolgt durch die Mitgliederversammlung des FSH Bayern, die das oberste Verbandsorgan darstellt. Zusätzlich zu diesen 7 Vorstandsmitgliedern
119
Christian Wenzler
wählt die Mitgliederversammlung den Präsidenten und den Vizepräsidenten, unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu einer Innung eines bestimmten Regierungsbezirks (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1: Führungsstrukturen des FSH Bayern Vorstand des FSH Bayern Präsident und Vizepräsident 7 Bezirksvorsitzende Geschäftsstelle des FSH Bayern Hauptgeschäftsführer wählt den Vorstand Mitgliederversammlung des FSH Bayern
Geschäftsführer
Bereichsleiter entsenden Delegierte Sekretariate Buchhaltung 71 bayerische Schreinerinnungen und Direktmitglieder
Durch diese Konstruktion wird die regionale Berücksichtigung der Mitgliedsinnungen gewährleistet. Sie hat den Vorteil, dass die Vertreter jedes Regierungsbezirks in die grundlegenden Entscheidungen mit eingebunden sind. Diese Regelung wurde 1996 eingeführt und hat sich insbesondere im Hinblick auf die Darstellung der Verbandsarbeit gegenüber den einzelnen Innungen und deren Mitgliedsbetrieben bewährt. Eine Schwierigkeit besteht jedoch in der relativ hohen Zahl der Vorstandsmitglieder. Insbesondere das Aufrechterhalten eines vergleichbaren Informationsstandes sowie die Abstimmung einer einheitlichen Außendarstellung erfordert einen hohen Arbeits- und Zeitaufwand. Die Besetzung mit ehrenamtlichen Vertretern entsprechend den 7 Bezirken wird ebenfalls in den fest installierten Ausschüssen und Fachgemeinschaften des Verbands vorgenommen. Damit wird auch in diesen Bereichen die regionale Vertretung der Mitgliedsinnungen und –betriebe sichergestellt. Insgesamt bestehen 4 Ausschüsse und 2 Fachgemeinschaften. Während sich die Ausschüsse mit speziellen Sachthemen beschäftigen, sind die Fachgemeinschaften auf die beiden Hauptproduktionsbereiche des Schreinerhandwerks ausgerichtet. Einen Überblick über diese Gremien, die beratend für den Vorstand tätig sind, gibt Abbildung 2.
120
Der Fachverband Schreinerhandwerk Bayern
Abbildung 2: Gremien des FSH Bayern (Auszug) Vorstand des FSH Bayern Ausschüsse x Bildung x Öffentlichkeitsarbeit / Marketing x Tarif- und Sozialpolitik x Unternehmensführung
Fachgemeinschaften x Fenster- und Fassadenbau x Innenausbau
Arbeitskreise (werden vom Vorstand je nach Bedarf eingesetzt)
Die Ausschüsse und Fachgemeinschaften werden durch die Mitgliederversammlung des FSH Bayern eingesetzt. Allerdings hat es sich gerade im Bereich der Sacharbeit bewährt, dass der Vorstand satzungsrechtlich zusätzlich bevollmächtigt ist, über die Fachgemeinschaften und Ausschüsse hinaus, Arbeitskreise einzusetzen, die nicht dem Regionalproporz unterliegen. Diese Arbeitskreise sind zeitlich befristet und auf bestimmte Projekte beschränkt. Außerdem gehören ihnen i. d. R. nur 3 bis 5 Personen an. Dadurch wird ein sehr konzentriertes und zielorientiertes Arbeiten sichergestellt.
2.3
Geschäftsstelle
Ganz entscheidend für die Umsetzung der Verbandsziele ist zweifellos das Leistungsangebot des Verbands für seine Mitglieder. Im FSH Bayern werden, neben der politischen Vertretung durch die Ehrenamtsträger, die wesentlichen Leistungen in erster Linie durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geschäftsstelle erbracht, die durch den Hauptgeschäftsführer geleitet wird. Er vertritt auch den Verband zusammen mit dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten nach außen. Der FSH Bayern unterhält insgesamt 5 Betriebsberatungsstellen zu den Bereichen:
Bildung Betriebswirtschaft Marketing Rechtsfragen Technik 121
Christian Wenzler
Die Mitarbeiter sind jedoch nicht nur für die Betriebsberatung zuständig. Sie betreuen auch die Ausschussarbeit und die übergreifenden Tätigkeiten des Verbands. Zusätzlich bietet der Verband über seine Service-GmbH, die eine 100-prozentige Tochter ist, weitere wirtschaftliche Vorteile an. Diese reichen von speziellen Versicherungsangeboten über Werbemittel und Lizenzen für die Fertigung von Spezialbauteilen bis hin zur Teilnahme an Rahmenverträgen (Kfz-Kauf, Stromtarife usw.).
Box 2:
Die Organisationsstruktur des FSH Bayern
Eine Mitgliedschaft eines Unternehmens im FSH Bayern kann i. d. R. nur indirekt über die Innungen erfolgen.
Der Verband vertritt ca. 4.200 Unternehmen mit etwa 75 Prozent der Mitarbeiter und des Umsatzes der Branche.
Der Verband wird durch ein Ehrenamtssystem geführt, das in wesentlichen Teilen die regionalen Gegebenheiten berücksichtigt.
Das operative Geschäft wird durch die Verbandsgeschäftsstelle abgewickelt, die von einem Hauptgeschäftsführer geführt wird.
3
Das Umfeld des Verbands
Von entscheidender Bedeutung für die Ausrichtung der Strukturen und die darauf aufbauende Leistungserstellung des Verbands ist eine grundlegende Analyse des Umfelds, in der sich die Organisation bewegt. Der FSH Bayern ist ein Landsinnungsverband, dessen rechtliche Basis in einem Gesetz, der Handwerksordnung, geregelt ist. Dadurch könnte man zunächst den Eindruck gewinnen, dass damit auch das Umfeld klar strukturiert und vorgeben ist. Dies ist jedoch nicht der Fall. Ganz im Gegenteil: Aufgrund der Heterogenität der Aufgabenstellung – die Lobbyarbeit auf vielen Gebieten einerseits sowie die konkrete Unterstützung der einzelnen Mitgliedsbetriebe in den verschiedensten Sachfragen andererseits – gibt es eine Vielzahl von Austauschbeziehungen. Diese beschränken sich naturgemäß nicht nur auf die Aktivitäten innerhalb der Organisation selbst. Denn gerade die Kontakte zu außenstehenden Personen, Unternehmen, Organisationen und sonstigen Partnern sowie an der Branche interessierten Kreise sind für die Verbandsarbeit von grundlegender Bedeutung. Diese Austauschbeziehungen sind auch i. d. R. nicht nur einseitig. Stattdessen erhält der Verband vom Außenbereich einen umfangreichen Input, liefert gleichzeitig jedoch entsprechenden Output an die verschiedenen Austauschpartner. Dies gilt jedoch nicht nur für die Beziehung des Verbands zum Außenbereich. Auch innerhalb der Organisation wird Input gegeben und Output geleistet. So zahlen die Mitgliedsbetriebe nicht
122
Der Fachverband Schreinerhandwerk Bayern
nur ihre Beiträge, sondern bringen auch wichtige Informationen und ihr Wissen in die Verbandsarbeit ein. Im Gegenzug kann der Verband auf dieser Grundlage branchennahe Informationen vermitteln sowie eine effiziente Beratung und weitere auf das Gewerk gezielt abgestimmte Dienstleistungen erbringen. Aufgrund der Vielfältigkeit der Austauschbeziehungen des FSH Bayern würde eine detaillierte Analyse an dieser Stelle zu weit führen. Um dennoch einen Überblick zu geben, sind die wichtigsten Austauschbeziehungen in der nachfolgenden Abbildung 3 zusammengefasst. Auf dieser Grundlage lässt sich dann auch die Konkurrenzsituation näher analysieren, der Markt also, in dem sich der Verband bewegt. Dies wiederum ist von entscheidender Bedeutung für die Positionierung der Organisation sowie für die Entscheidung, wie die vorhandenen Ressourcen eingesetzt und welche Leistungen damit erbracht werden sollen. Bei der Beurteilung, in welcher Konkurrenzsituation der Verband mit seinen Leistungen zu anderen Anbietern steht ist v. a. zwischen den verschiedenen Arten der Leistungen zu differenzieren, den Kollektivgütern einerseits und den Individualgütern (Dienstleistungen) andererseits. Nachfolgend wird dies anhand wichtiger Beispiele dargestellt. Auf Landesebene existiert für den FSH Bayern bezüglich der Gesamtbranche des Schreinerhandwerks kein Konkurrenzverband, da die gesetzlichen Bestimmungen nur einen einzigen Landesinnungsverband vorsehen. Dies betrifft jedoch in der Praxis insbesondere die Erbringung der Kollektivgüter. Im Dienstleistungsbereich bestehen dagegen je nach Leistungsart unterschiedliche Konkurrenzsituationen, v. a. durch private Anbieter. Allerdings drängen die Handwerkskammern, in denen alle Handwerksbetriebe Pflichtmitglied sind, ebenfalls immer mehr in Aufgabenstellungen vor, die eigentlich typische Bereiche der Fachorganisationen sind. Zum einen stellen sie sich ebenfalls als Interessenvertretung der Unternehmen dar, obwohl in den Selbstverwaltungsorganen der Kammern auch die Arbeitnehmer vertreten sind. Zum anderen bieten die Handwerkskammern immer häufiger auch Dienstleistungen an, die bisher die Fachverbände abdecken, z. B. fachliche Unternehmensberatung. Lediglich im Bereich der Tarifverträge können die Kammern aufgrund ihrer Struktur nicht tätig werden. Insgesamt stellen die Handwerkskammern inzwischen eine massive Konkurrenz für die Fachverbände dar, da in diesen Organisationen die Betriebe Zwangsmitglieder sind und nicht aus Kostengründen kündigen können. Insofern ist die finanzielle Basis der Kammern weitaus stärker, als die der Fachorganisationen.
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Christian Wenzler
Abbildung 3: Austauschbeziehungen des FSH Bayern und seiner Eigenunternehmen
Außenbereich Organisationen des Handwerks
Organisationen außerhalb des Handwerks
Bundesrepublik/andere Länder z. B.: x BHKH, ZDH x Landesverbände des Tischlerund Schreinerhandwerks x Handwerksverbände außerhalb der Bundesrepublik
Bundesrepublik/andere Länder z. B.: x Verband Fenster/Fassade x Holz-Berufsgenossenschaft x UEAPME
Bayern z. B.: x Bayerischer Handwerkstag x Gesamtverband des Bayerischen Handwerks x Landesverbände anderer Handwerke x Handwerkskammern
Bayern z. B.: x Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft x Bayerischer Holzwirtschaftsrat x Deutsche Gesellschaft für Holzforschung Lieferanten & Geschäftspartner
Subventionsgeber x Freistaat Bayern x Bundesrepublik Deutschland
Fördermitglieder und Kooperationspartner z. B.: x Maschinen- und Zulieferindustrie x Versicherungsunternehmen x Rahmenvertragspartner x Messegesellschaften
Innenbereich Verbandsgeschäftsstelle x Hauptamt
Nichtmitglieder x Betriebe gemäß Handwerksrolle A x Betriebe gemäß Handwerksrolle B ("TrittbrettfahrerProblematik")
Ehrenamt (Verband) x Vorstand x Ausschüsse x Fachgemeinschaften x Arbeitskreise
Mitgliedsbetriebe
x Ehrenamt x Hauptamt
Organisationen des Handwerks (s.o.)
Organisationen außerhalb des Handwerks (s.o.)
x regional und überregional
x regional und überregional
Staatliche und sonstige öffentlich-rechtliche Körperschaften und Einrichtungen
Öffentlichkeit/Medien
z. B.: x Ministerien x Behörden x Schulen und sonstige Bildungsstätten x Holz-Berufsgenossenschaft x Handwerkskammern
Außenbereich
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Mitgliedsinnungen
z. B.: x Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Branche x Mögliche Auszubildende x Kunden und interessierte Öffentlichkeit x gesellschaftliche Gruppen und Parteien x Fach- und Wirtschaftspresse x Allgemeine Presse und sonstige Medien
Eigenunternehmen des FSH Bayern x Schreinerservice Bayern GmbH x TSH System GmbH
Wirtschafts-Partner z. B.: x Fördermitglieder x Kooperationspartner x Geschäftspartner
Der Fachverband Schreinerhandwerk Bayern
Da die Schreinerbetriebe häufig nicht mehr nur das eigentliche Handwerk ausüben, sondern auch weitere Leistungen erbringen, kommt es darüber hinaus zu weiteren Konkurrenzsituationen mit anderen Verbänden. Dies betrifft insbesondere die Handelsverbände oder Organisationen, die sich auf bestimmte Produkte, wie z. B. das Fenster spezialisiert haben. Hier kommt es zu immer mehr Doppelmitgliedschaften der Betriebe, was schließlich auch dazu führen kann, dass bestimmte Leistungen parallel von den beteiligten Verbänden angeboten werden und somit letztlich eine der beiden Mitgliedschaften vom betroffenen Betrieb u. U. in Frage gestellt wird. Im regionalen Bereich kommt es ständig zur Neugründung von sog. Gewerbeverbänden, die versuchen, die Interessen der örtlichen Wirtschaft branchenübergreifend zu vertreten. Diese stellen zwar keine unmittelbare Konkurrenz zum Landesverband dar, können jedoch durchaus in das Aufgabenfeld der örtlichen Innung ausstrahlen. Die Gewerbeverbände können lokale Probleme häufig öffentlichkeitswirksamer aufgreifen, da verschiedene Branchen davon betroffen sind. Andererseits sind sie jedoch i. d. R. nicht in der Lage, den Mitgliedsunternehmen fachliche Unterstützung zu bieten. Dies ist wiederum die Stärke der Innungen, da sie auf die Leistungen des FSH Bayern zurückgreifen können. Im Bereich der Dienstleistungen und Produkte, die der Verband und seine angegliederte Service-Gesellschaft, die Schreinerservice Bayern GmbH, den Mitgliedsbetrieben anbieten, bestehen eine Reihe von Konkurrenzsituationen mit freien Dienstleistern und Anbietern. Dies betrifft z. B. die Unternehmensberatung ebenso wie das Angebot an Werbemitteln, Berufskleidung, Versicherungen usw. Die Vorteile, die die Verbandsorganisation besitzt, bestehen insbesondere in der Branchennähe und den damit verbundenen Spezialkenntnissen. Außerdem ist es durch die teilweise Beitragsfinanzierung möglich, bestimmte Leistungen sehr kostengünstig anzubieten, z. B. die Beratung. Und schließlich ergeben sich Möglichkeiten der Monopolisierung bestimmter Angebote. Dies erfolgt u. a. durch die Verwendung des Branchen-Logos bei Werbemitteln oder einer exklusiven Berufskleidung sowie durch das Angebot von speziell auf die Branche zugeschnittenen Versicherungspolicen. Durch derartige Maßnahmen lässt sich insgesamt die Konkurrenzsituation abmildern, jedoch i. d. R. nicht völlig beseitigen. Im Marketingbereich entstehen ebenfalls mehr und mehr Konkurrenzsituationen. Zwar betreibt keine andere Institution ein Branchenmarketing für das Schreinerhandwerk. Jedoch versuchen immer mehr Firmen der Zulieferindustrie und des Handels Systeme zum gemeinsamen Marketing mit den Schreinerbetrieben zu implementieren, damit die Schreiner mehr Umsatz mit den entsprechenden Zulieferprodukten machen und sie damit automatisch an ihre Zulieferer gebunden werden. Diese Systeme ähneln z. T. der Image-Kampagne des FSH Bayern und treten mit dieser in Konkurrenz, da sich der Schreiner in der Praxis für eine Werbelinie entscheiden muss und gleichzeitig nicht doppelt bezahlen will.
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Christian Wenzler
Schließlich ist eine starke Konkurrenzsituation auch im Bereich des Fortbildungsangebots gegeben. Der FSH Bayern bietet über die eigene «Schreinerakademie Bayern» Fortbildungen für Unternehmer und Mitarbeiter der Branche an. In diesem Bereich bewegen sich jedoch auch eine Vielzahl von privaten Bildungsträgern und insbesondere die Handwerkskammern. Eine Unterscheidung von diesen Bildungsträgern ist ebenfalls nur durch ein angemessenes Kosten-/Nutzenverhältnis sowie die branchennahe Auswahl der Seminarthemen möglich. Auf der Basis dieser Konkurrenzanalyse hat der FSH Bayern seine Positionierung in den letzten Jahren grundlegend überprüft. Insbesondere wurden für den Verband Aussagen zu folgenden Bereichen zusammengefasst:
Selbstverständnis des Verbands (was zeichnet uns aus?) Leistungsangebot (besondere Stärken, Einmaligkeit) Hauptkonkurrenten (unsere Stärken und unsere Unterschiede gegenüber der Konkurrenz)
Hauptzielgruppen (Welche Zielgruppen gibt es, wie sollen sie uns wahrnehmen?). Wichtig dabei ist, dass die Aussagen zu diesen 4 Punkten aufeinander abgestimmt sind und sich untereinander keine Widersprüche ergeben. Aufgrund der Übersichtlichkeit und der Möglichkeit zu unmittelbaren Vergleichen mit anderen Anbietern hat es sich bewährt, diese Informationen schlaglichtartig in einem Positionierungskreuz darzustellen. Abbildung 4 zeigt das Positionierungskreuz, das sich auf den FSH Bayern als Organisation bezieht.
Box 3:
Das Marktumfeld des FSH Bayern
Aufgrund der Heterogenität der Aufgabenstellung und der erbrachten Leistungen unterliegt der FSH Bayern einer Vielzahl von Austauschbeziehungen.
Bei der Beurteilung, in welcher Konkurrenzsituation der Verband zu anderen Anbietern steht, ist insbesondere zwischen Kollektivgütern und Individualgütern zu unterscheiden.
Der FSH Bayern ist in weiten Bereichen einer starken Konkurrenz ausgesetzt, da es sich bei den erbrachten Leistungen nur zu einem geringen Teil um tatsächliche Monopolleistungen handelt.
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Der Fachverband Schreinerhandwerk Bayern
Abbildung 4: Positionierungskreuz - FSH Bayern als Organisation
Konkurrenz
Selbstverständnis FSH Bayern als Organisation
Leistungen
(Haupt-) Zielgruppen
Konkurrenz x
x x
Handwerkskammern (Betriebsberatung, Fortbildung, Interessenvertretung) -> FSH Bayern: branchenorientiert, flexibel, mitgliederorientiert, kompetent, unbürokratisch freie Berater -> FSH Bayern: branchenorientiert, kompetent, kostengünstig externe Dienstleister und Anbieter -> FSH Bayern: exklusive Angebote, kostengünstig, spezielle Angebote für die Branche
Leistungen x x x x x x
Image-Kampagne für die Branche Interessenvertretung Betriebsberatung Tarifvertragspartei Aus- und Weiterbildung Dienstleistungen und Angebote mit finanziellen Vorteilen
(Haupt-) Zielgruppen x x x x
Bayerische Schreinerinnungen Schreinereibetriebe in Bayern (Handwerksrolle A) Behörden, Institutionen, Öffentlichkeit, Medien Inhaber, Mitarbeiter der Mitgliedsbetriebe
-> starker Branchenverband und -> kompetenter Dienstleister -> Interessenvertretung -> kompetenter Bildungsträger
Selbstverständnis FSH Bayern als Organisation x x x x
einzige Interessenvertretung der Branche kompetent, professionell flexibel, unbürokratisch mitgliederorientiert
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Christian Wenzler
4
Die Neuausrichtung des FSH Bayern
In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche strukturelle und inhaltliche Weiterentwicklungen der Verbandsarbeit initiiert. Dadurch stellt sich der FSH Bayern auf das sich stark wandelnde Umfeld ein, um seinerseits die Mitgliedsunternehmen, die ebenfalls massiven Veränderungen ausgesetzt sind, professionell und unbürokratisch unterstützen zu können. Die Maßnahmen, die dabei auf Verbandsebene eingeleitet wurden, sind sehr vielfältig und betreffen sowohl die Verbandsstrukturen wie auch die einzelnen Leistungen. Eine Gesamtdarstellung würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Daher werden im Folgenden einige Aspekte herausgegriffen und näher erläutert.
4.1
Die Neupositionierung
Zu Beginn des gesamten Prozesses stand die Frage, ob die grundlegende Ausrichtung des Verbands gegenüber seinen Mitgliedsbetrieben noch zeitgemäß ist. Einer der wichtigsten Eckpunkte der Verbandsarbeit bestand in den vergangenen Jahrzehnten in der Grundüberzeugung, dass alle Maßnahmen, die getroffen werden, von nahezu der gesamten Gruppe der Mitgliedsbetriebe mitgetragen werden sollen. Begründet wurde dies mit der Tatsache, dass aufgrund der gesetzlichen Regelung jeder Betrieb ein Recht auf Mitgliedschaft in der örtlichen Innung besitzt und man daher auf die gesamte Branche Rücksicht nehmen muss. Das führte jedoch dazu, dass die Verbandsarbeit mehr und mehr stagnierte, da man nur in geringem Umfang bereit war, innovative Projekte, die mit Risiko behaftet waren, aufzugreifen. Diese Leitlinie wurde in den letzen Jahren grundlegend revidiert. Die Verbandsführung kam zu der Überzeugung, dass sich die Verbandsarbeit an den führenden, innovativen Unternehmen zu orientieren hat. Diesen Unternehmen, die etwa ein Drittel des gesamten Mitgliederbestands bilden, müssen Perspektiven eröffnet werden. Das bedeutet jedoch gleichzeitig, dass auf das «letzte» Drittel der Mitglieder bei der Ausrichtung der Verbandsaktivitäten nicht mehr in dem Maße Rücksicht genommen werden kann, wie das in der Vergangenheit der Fall war. Für das Mittelfeld wiederum ergibt sich dadurch die Chance, mittelfristig zu den führenden Unternehmen aufzuschließen, da sie ebenfalls von den Verbandsleistungen profitieren können. Mit diesem Paradigmenwechsel verabschiedete sich der Verband gleichzeitig von der Grundüberzeugung, einen Organisationsgrad von nahezu 100 Prozent anzustreben. Denn es zeichnete sich ab, dass neue, innovative Aktivitäten von den Mitgliedsbetrieben zusätzliche Mittel abverlangen würden und dass dies nicht von allen Betrieben mitgetragen würde. Daher wurde bewusst die Entscheidung getroffen, nicht mehr «auf den Letzten zu warten», sondern aktiv sich abzeichnende Bedürfnisse der Mitgliedsunter-
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Der Fachverband Schreinerhandwerk Bayern
nehmen und sich entwickelnde Probleme frühzeitig aufzugreifen. Der Verband machte es sich zur Aufgabe, entsprechende fach- und zeitgerechte Lösungen zu erarbeiten bzw. entsprechende Prozesse zu fördern, auch wenn die Problemfelder nicht von allen Mitgliedsbetrieben gleich wichtig eingeschätzt werden. Damit ging man jedoch ebenso das Risiko ein, einen Teil der Mitgliedsbetriebe zu verlieren. Der FSH Bayern hat es in den vergangenen Jahrzehnten versäumt, sich mit der Erarbeitung eines Leitbilds und mit dessen Umsetzung in Strategien und Maßnahmeplänen zu befassen. Deshalb wurde 1999 auf der Grundlage der obigen Überlegungen mit der Erarbeitung eines neuen Führungs- und Strukturkonzepts begonnen, das u. a. auch die Einleitung eines Prozesses zur Leitbilderarbeitung beinhaltete. Darüber hinaus wurde beschlossen, alle Leistungen des Verbands grundlegend zu überprüfen und die Mitgliedsbetriebe insbesondere im Hinblick auf die eigene Marktpositionierung besser zu unterstützen. Der Verband hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Unternehmen konkrete Hilfestellungen an die Hand zu geben, damit sie den weitgehenden Strukturwandel meistern können. Damit wurden insbesondere jüngere Betriebsinhaber in den Fokus der Verbandsarbeit gestellt, da insbesondere ihnen eine tragfähige Zukunftsperspektive geboten werden muss. Gleichzeitig bietet dies für den Verband auch die Chance, neue Mitglieder zu gewinnen. Die Verbandsführung war sich dabei jedoch bewusst, dass eine derart grundlegende Neuausrichtung der Verbandsarbeit nicht nur in kleinen Gremien erfolgen kann. Deshalb wurde beschlossen, einerseits eine umfangreiche Mitgliederbefragung durchzuführen, um die konkreten Wünsche und Anforderungen der Mitgliedsbetriebe berücksichtigen zu können. Zum anderen wurde eine umfangreiche Marktforschungsstudie initiiert, da bisher keine spezielle Analyse des gesamten Marktumfelds der Branche vorlag.
4.2
Die Mitgliederbefragungen
Als einen der ersten Schritte zur Neuausrichtung der Verbandsarbeit führte der FSH Bayern im Jahr 2000 eine umfassende Mitgliederbefragung durch. An der schriftlichen, anonymen Befragung, die von einem Beratungsunternehmen begleitet wurde, beteiligten sich rund ein Viertel aller Mitgliedsbetriebe. Dies ist zwar für eine anonyme und umfangreiche Umfrage (der Fragebogen umfasste 8 Seiten) eine relativ hohe Quote. Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit derartige Ergebnisse dann für die gesamte Mitgliederbasis umgesetzt werden können. Hier konkretisiert sich jedoch bereits die Grundeinstellung des Verbands: Er kann sich nicht nach denjenigen richten, die sich nicht artikulieren. Denn alle Interpretationsversuche, welche Gründe dazu geführt haben, dass ein Betrieb seine Meinung nicht äußert und welche Wünsche er denn eigentlich hätte, grenzen an den Blick in die Kristallkugel. Der Verband muss sich an den aktiven Betrieben orientieren, die sich einbringen, auch wenn sie nur die Minder-
129
Christian Wenzler
heit darstellen. Diesen Grundsatz hat der FSH Bayern beachtet und aus den Ergebnissen Maßnahmen abgeleitet, die konsequent umgesetzt wurden. Die Gesamtbeurteilung der Verbandsarbeit fiel in der Mitgliederbefragung 2000 bereits sehr gut aus. Die Mitgliedsbetriebe bescheinigten dem FSH Bayern mit großer Mehrheit, dass er fortschrittlich, leistungsfähig, mitgliederorientiert und zuverlässig arbeitet. In der Detailbeurteilung der einzelnen Leistungen des Verbands gab es jedoch durchaus Differenzierungen. Dort wurden die Unternehmen zweistufig befragt. Zunächst sollten sie beurteilen, wie wichtig für sie die jeweilige Leistung des Verbands ist. Anschließend wurde danach gefragt, wie zufrieden sie mit der tatsächlichen Leistungserbringung sind, unabhängig von der jeweiligen Bedeutung der entsprechenden Leistung. Hier kristallisierten sich einige Schwerpunkte heraus. Grundsätzlich war die Zufriedenheit mit den Leistungen des Verbands hoch. Dies betraf v. a. die Kommunikationsmedien sowie wesentliche Teile der Betriebsberatung. Allerdings wurden auch Defizite im Bereich der Rechtsberatung und der Unterstützung beim Marketing deutlich. Auch die Bedeutung der einzelnen Leistungen wurde unterschiedlich eingestuft. Vor diesem Hintergrund traf die Verbandsführung die Entscheidung, einen gesamten Beratungsbereich, der seit vielen Jahren existierte, aufzugeben und mit den so frei gewordenen Ressourcen die Rechtsberatung massiv zu verstärken. Außerdem wurde der gesamte Bereich Öffentlichkeitsarbeit/Marketing neu strukturiert und eine eigene Image-Kampagne für das bayerische Schreinerhandwerk initiiert. Darauf wird noch im Folgenden gesondert eingegangen. Von großer Bedeutung ist es jedoch, dass derartige Mitgliederbefragungen keine einmaligen Aktionen bleiben. Vielmehr muss den Betrieben die Möglichkeit gegeben werden, über die Mitarbeit in den Gremien des Verbands hinaus, aktiv auf die Verbandsarbeit Einfluss nehmen zu können. Für den Verband wiederum ist es wichtig, die Effektivität und Akzeptanz seiner Leistungen regelmäßig zu überprüfen. Deshalb führte der FSH Bayern 2004 erneut eine umfangreiche, anonyme Mitgliederbefragung durch, an der sich erneut mehr als 20 Prozent der Betriebe beteiligten. Diese bestätigte ausdrücklich die eingeleiteten Maßnahmen und führte erneut zu einer sehr positiven Gesamtbeurteilung der Verbandsarbeit (vgl. Abbildung 5).
4.3
Die Marktforschungsstudie
Als weiteren Schritt für die Weiterentwicklung der Verbandsarbeit hat der FSH Bayern entschieden, erstmals eine eigene, umfangreiche Marktforschungsstudie in Auftrag zu geben. Ziel dieser Studie, die ebenfalls im Jahr 2000 durchgeführt wurde, war es, die Positionierung des Schreinerhandwerks in Bayern zu ermitteln, um notwendige Entscheidungsgrundlagen für die weiteren Maßnahmen auf Verbands- und auf Unternehmensebene zu erhalten.
130
Der Fachverband Schreinerhandwerk Bayern
Abbildung 5: Gesamtbeurteilung der Verbandsarbeit im Rahmen der Mitgliederbefragung 2004 (Auszug)
Zusammenfassende Einschätzung des FSH Bayern Mitgliederbefragung 2004
trifft voll zu
trifft eher zu
trifft eher nicht zu
trifft gar nicht zu
Der FSH Bayern ist zukunftsgerichtet/innovativ Der FSH Bayern ist insgesamt leistungsfähig Der FSH Bayern handelt mitgliederorientiert Die Mitarbeiter sind offen, freundlich und hilfsbereit Die Mitarbeiter verfügen über große Sachkompetenz Der FSH Bayern entw ickelt keine neuen Aktivitäten Die Informationen des FSH Bayern sind vertrauensw ürdig
0%
20%
40%
60%
80%
100%
Die Studie war darauf ausgelegt, sowohl quantitative, d. h. bewertete Markt- und Auftragsvolumina, so wie qualitative Ergebnisse zu ermitteln. Unter den qualitativen Ergebnissen wird dabei die relative Stellung des Schreiners zu seinen Mitbewerbern, sein Image, die Wahrnehmung seiner werblichen Aktivitäten usw. verstanden. Befragt wurden nicht nur Kunden (Privatkunden, gewerbliche Auftraggeber, Absatzmittler wie Bauträger, Architekten usw.) und dem Schreinerhandwerk nahe stehende wirtschaftliche Kreise (Zuliefer-, Maschinenindustrie, kooperierende Handwerkszweige), sondern auch die Schreiner selbst. Damit konnte einerseits ein Bild erstellt werden, das die Sicht des Marktes wider gibt. Andererseits konnte diesem Bild auch die Selbsteinschätzung des betroffenen Handwerks im Hinblick auf seine eigene Marktpositionierung gegenüber gestellt werden.
131
Christian Wenzler
Quantitativ bestätigte die Studie eindrucksvoll den massiven Strukturwandel des Handwerks und welche Einbrüche damit das Schreinerhandwerk in Bayern auf seinen angestammten Märkten bereits hinnehmen musste. Trotz der gesunkenen Marktanteile kann das bayerische Schreinerhandwerk allerdings auf ein im Ganzen gesehen positives Image aufbauen. Zwar wird die Branche als Anbieter im Hochpreissegment angesehen, jedoch schätzen andererseits sowohl die Kunden des Schreiners als auch die allgemeine Bevölkerung Komponenten wie Qualität, kompetente Beratung, Service, individuelle Planung und Gestaltung sehr hoch ein. Das Potential, das die Schreiner tatsächlich haben, zeigt die hohe Wertschätzung derjenigen Kunden, die konkret Aufträge an die Betriebe vergeben haben. 93 Prozent dieser Auftraggeber sind mit der für sie erbrachten Leistung zufrieden oder sehr zufrieden. Und noch ein weiteres Ergebnis ist von besonderer Bedeutung. Befragt man die potentiellen Kunden geschichtet nach ihrem Alter über das Image der Schreiner, so decken sich die Ergebnisse über alle Altersgruppen hinweg. Dies ist umso erstaunlicher, als gerade die jüngeren Bevölkerungsschichten immer weniger Kontakt zum Schreiner haben. Es erleichtert jedoch den gemeinsamen Marktauftritt der Branche, da im Bereich der Imagewerbung nicht zusätzlich von vornherein zwischen einzelnen Alterszielgruppen differenziert werden muss. Die Marktstudie beschränkte sich wie erwähnt nicht nur auf die Befragung der unterschiedlichen Kundengruppen des Schreinerhandwerks, sondern richtete sich parallel dazu in den qualitativen Teilen auch an die im FSH Bayern organisierten Betriebe. Ziel war es, den Vergleich zwischen der Kundenbeurteilung und der Selbsteinschätzung der Unternehmer zu erstellen, um innerhalb der Organisation entsprechend reagieren zu können. Die dabei gewonnenen Ergebnisse machen eines sehr deutlich: Die bayerischen Schreiner treten mit einem sehr geringen Selbstvertrauen am Markt auf. In nahezu allen Bereichen beurteilen sie sich schlechter, als sie vom Kunden gesehen werden. Ein deutliches Signal, dass innerhalb der Branche viel «Aufbau- und Motivationsarbeit» zu leisten ist. Als dramatisch kann schließlich das Ergebnis der Marktstudie bezüglich der Marktpräsenz der bayerischen Schreiner bezeichnet werden. Denn auf die Frage nach der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit antworten nur 16 Prozent der Kunden des privaten Sektors, sie hätten den Eindruck, dass die Schreiner werblich aktiv seien. 84 Prozent der Kunden haben stattdessen die Empfindung, dass die Unternehmer in ihren Werkstätten auf Aufträge warten. Hier zeigt sich deutlich, dass es die Branche in den vergangenen 3 Jahrzehnten versäumt hat, als geschlossene Gruppe aufzutreten. Stattdessen wurde mehrheitlich die Meinung vertreten, dass nur jeder einzelne Betrieb allein, nur für sich selbst den Markt bearbeiten sollte und ein Branchen-Marketing deshalb nicht sinnvoll sei. Dies führte nicht nur zu einem massiven Verlust an Marktanteilen, wie er oben beschrieben wurde, sondern ebenso zu einer stark zurückgehenden Branchenidentität, die sich nicht
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Der Fachverband Schreinerhandwerk Bayern
zuletzt auch in einer rückläufigen Organisationsquote innerhalb des FSH Bayern widerspiegelt. Diese Ergebnisse zeigen schlaglichtartig die Situation, in der sich das bayerische Schreinerhandwerk befindet. Sie ist einerseits schwierig, bietet andererseits jedoch große Chancen. Denn die Marktforschungsstudie verdeutlichte, dass die Kunden die Schreiner als eine der chancenreichen Anbietergruppen der Zukunft einschätzen. Ein weiteres Indiz für einen positiveren Trend liefern die Schreiner bereits selbst. Zwar ist die Selbsteinschätzung über die gesamte Branche hinweg negativ. Diejenigen Betriebe jedoch, die von jüngeren Betriebsinhabern geleitet werden und/oder die sich selbst als werblich aktiv bezeichnen, schätzen ihre eigene Unternehmensentwicklung deutlich positiver als der Branchentrend ein. Außerdem zeigen die Beispiele aus anderen Ländern, dass die Möglichkeit besteht, Entwicklungen positiv zu gestalten, wenn es gelingt, Versäumnisse der Vergangenheit wett zu machen. Die Ergebnisse der Studie führten zu einer intensiven Diskussion innerhalb des Verbands und der organisierten Betriebe. Schließlich wurde deutlich, dass die Bereitschaft, zukünftig wieder verstärkt als geschlossene Gruppe am Markt aufzutreten, aufgrund des großen Marktdrucks stark zugenommen hat. Dies wiederum war ein wichtiger Ansatzpunkt für die Marketingaktivitäten des FSH Bayern. Es führte dazu, dass innerhalb des Verbands weitere Ressourcen umgeschichtet wurden, um den Bereich Öffentlichkeitsarbeit/Marketing aufzuwerten und völlig neu zu strukturieren.
4.4
Die Image-Kampagne für das bayerische Schreinerhandwerk
Aufgrund der Ergebnisse der Mitgliederbefragung und der Marktforschungsstudie wurde darüber hinaus mit hohem finanziellen und personellen Einsatz eine ImageKampagne für die bayerischen Innungsschreiner entwickelt. Nach intensiven Diskussionen wurde sie schließlich von der Mitgliederversammlung mit großer Mehrheit beschlossen, obwohl damit deutliche Beitragserhöhungen verbunden sind. Seit Frühjahr 2002 wird sie durchgeführt. Die Image-Kampagne des bayerischen Schreinerhandwerks verfolgt mehrere Ziele. Zum einen soll mit der Kampagne erreicht werden, dass die bayerischen Innungsschreiner wieder verstärkt in der Öffentlichkeit präsent sind und von der Bevölkerung wahrgenommen werden. Die Branche wird als modernes Handwerk dargestellt, dem es gelingt, traditionelle Handwerkskunst mit den modernen Entwicklungen sowohl im technischen, als auch im gestalterischen Bereich zu verbinden. Damit sollen die bayerischen Innungsschreiner wieder neu als Anbieter qualitativ hochwertiger, individueller Möbel und Bauelemente positioniert werden.
133
Christian Wenzler
Ein weiteres Ziel der Kampagne richtet sich auf die deutlich sichtbare Differenzierung zwischen dem Innungsschreinern einerseits und den Nichtmitgliedern andererseits. Dies ist die notwendige Voraussetzung, damit die Mitgliedsbetriebe der Organisation bereit sind, die Image-Kampagne über Beiträge zu finanzieren. Mit der konsequenten Präsentation des Verbands- bzw. Innungslogos (Abbildung 6) in der Öffentlichkeit, das auch die Innungsmitglieder nutzen können, soll eine bessere Wiedererkennung der Branche und damit ein konkreter Wettbewerbsvorteil der Mitgliedsbetriebe gegenüber den Nichtmitgliedern geschaffen werden.
Abbildung 6: Verbandslogo (Branchenlogo)
In diesem Zusammenhang wird davon ausgegangen, dass der FSH Bayern als alleiniger Vertreter des gesamten bayerischen Schreinerhandwerks auftritt. Deshalb stellt das Logo ab auf den Begriff «SCHREINERHANDWERK BAYERN». Ein wichtiger Effekt, der zusätzlich erreicht werden kann, ist die Stärkung der Identifikation des Mitgliedsbetriebs mit der Gesamtorganisation durch den gemeinsamen, aufeinander abgestimmten Auftritt unter dem Dach des Branchenlogos auf den 3 Ebenen: Verband, Innung und Betrieb. Damit spielt das Verbandslogo eine wesentliche Rolle für die Implementierung und Umsetzung der Verbands-COOPI (Cooperative Identity). Gelingt es, die COOPI der Organisation erfolgreich umzusetzen, wirkt sich dies zum Nutzen der Beteiligten auf allen Ebenen des Verbands aus. Mit der Abgrenzung der Innungsschreiner von den Nichtmitgliedern eng verknüpft ist ein weiteres wesentliches Ziel der Kampagne. Es soll das Selbstbewusstsein der Branche (i. S. v. Innungsmitgliedern) sowohl gegenüber Konkurrenten aus anderen Anbieterbereichen wie auch gegenüber den Mitbewerbern, die keine Innungsmitglieder sind, gestärkt werden. Dies ist eine notwendige Voraussetzung, um die immer stärker umkämpften Märkte im Bau- und Ausbaubereich offensiv bearbeiten zu können. Außerdem spielt diese Thematik eine große Rolle für die Frage der Betriebsübernahme
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Der Fachverband Schreinerhandwerk Bayern
durch die kommende Generation der Betriebsnachfolger. Das Schreinerhandwerk steht vor einem massiven Generationenwechsel. Es ist jedoch davon auszugehen, dass nur dann Betriebsnachfolger gefunden werden können, wenn die heutigen Unternehmer davon überzeugt sind, dass ihr Betrieb auch in Zukunft erfolgreich arbeiten kann. Nicht nur für die Frage der Betriebsübernahme ist ein positives Image der Branche von großer Bedeutung. Ein moderner, selbstbewusster Auftritt wird auch für die Gewinnung des Berufsnachwuchses allgemein in den nächsten Jahren wichtig sein. In Bayern gehen die Zahlen der Schulabgänger bereits mittelfristig sehr stark zurück. Gleichzeitig kann der Nachwuchs im Handwerk nur durch das Handwerk selbst herangebildet werden. Bei der Berufswahl entscheiden sich die Jugendlichen jedoch tendenziell immer stärker gegen das Handwerk. Es wird daher einen verschärften Wettbewerb aller Bereiche der Wirtschaft um die Jugendlichen geben. Umso wichtiger ist es deshalb, dass sich das Schreinerhandwerk auch gegenüber dieser gesellschaftlichen Gruppe als moderner, zukunftsorientierter Wirtschaftszweig mit dem entsprechenden Image präsentiert. Schließlich besteht ein bedeutendes Ziel darin, die Innungen und v. a. die Betriebe zu umfangreicheren und insbesondere zu konsequenteren sowie systematischen Marketinganstrengungen anzuregen. Die Mittel für die landesweite Kampagne sind beschränkt. Daher bietet sie v. a. auch diverse Konzepte und Hilfsmittel für den weiteren Ausbau und die Fortsetzung auf Innungs- und Betriebsebene an. Werden diese von den Innungen und Betrieben genutzt und umgesetzt, werden zusätzliche Mittel im Rahmen der systematischen Umsetzung der einheitlichen Kampagne eingesetzt. Damit kann ein Multiplikatoreffekt entstehen, der die Wirkung der Verbands-Kampagne vervielfachen und auf die Unternehmen selbst fokussieren kann. Um dies zu gewährleisten baut die Image-Kampagne auf 3 Ebenen auf: Der Verbands-, der Innungs- und der Betriebsebene. Auf Verbandsebene wird die gesamte Kampagne entwickelt und aufbereitet. Er informiert die Innungen und Betriebe über die laufenden bzw. geplanten Maßnahmen und übermittelt die neuen Komponenten und Materialien den Mitgliedern. Zu diesem Zweck wurde ein sog. «Kampagnen-Ordner» erstellt und jeder Mitgliedsinnung und jedem Mitgliedsbetrieb zur Verfügung gestellt. Darin sind alle Unterlagen der Kampagne abgedruckt. Sie reichen von Vorschlägen für Werbeaktionen über Anzeigenmotive bis hin zu vorproduzierten Radio-Spots. Darüber hinaus sind die wichtigsten Daten, z. B. für die Anzeigenvorlagen, auf einer CDRom enthalten, die dem Ordner ebenfalls beigefügt ist. Die weiterentwickelten Komponenten der Kampagne werden als Ergänzung des Ordners sowohl in gedruckter Form als auch auf CD-Rom den Innungen und Betrieben übersandt. Die gesamten Rechte der Kampagne (einschließlich der Bildrechte) liegen dabei beim FSH Bayern. Den Mitgliedern werden diese kostenfrei zur Nutzung überlassen. Neben der (Weiter-)Entwicklung der Kampagne führt der Verband landesweite Maßnahmen durch, zu denen die einzelne Innung oder der einzelne Betrieb nicht in der Lage sind. Dies betrifft z. B. die landesweite Rundfunkwerbung. Auch Einzelaktionen
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Christian Wenzler
wie der «Tag des Schreiners», ein landesweiter «Tag der offenen Tür», an dem sich alle Innungsmitglieder beteiligen können, werden von ihm durchgeführt und z. B. mit einem großen bayernweiten Gewinnspiel unterstützt. Außerdem produziert die Schreinerservice Bayern GmbH Werbemittel, die auf die gesamte Kampagne oder auf spezielle Einzelaktionen abgestimmt sind. Diese werden an die Mitglieder verkauft. Dabei handelt es sich z. B. um Großflächenplakate für die Außenwerbung oder um spezielle Faltblätter zu bestimmten Produktgruppen. Begleitet wird dies durch eine auf die Kampagne abgestimmte Medien- und Pressearbeit sowie durch Messeauftritte auf den bayerischen Leitmessen für das Handwerk. Außerdem wurde eine eigene Beratungsstelle innerhalb der Geschäftsstelle des FSH Bayern geschaffen, die sich mit der Durchführung der Image-Kampagne auf Verbandsebene befasst sowie die Innungen und Betriebe bei der Umsetzung in deren Umfeld unterstützt. Schließlich wird der gesamte übrige Auftritt des Verbands, z. B. bei der Lehrlingswerbung, den Verbandsveranstaltungen, dem Internetauftritt usw. auf die Image-Kampagne abgestellt. Aufbauend auf dem Gesamtkonzept können die Innungen eigene regionale Aktionen durchführen. Dies kann z. B. die Beteiligung an einer Regionalmesse sein, für die der FSH Bayern einen eigenen Messestand zur Verfügung stellt. Auch die traditionellen Innungsveranstaltungen, wie z. B. die Freisprechungsfeier der Lehrlinge, können im Kampagnen-Design gestaltet werden. Damit wird die COOPI der Organisation konsequent umgesetzt.
Abbildung 7: Motiv zum «Tag des Schreiners 2004»
136
Der Fachverband Schreinerhandwerk Bayern
Ziel dieser Aktionen ist nicht nur die Präsentation der einzelnen Innungsmitglieder. Zusätzlich kann sich die Innung selbst als aktive Organisation profilieren, die sich konkret für die Mitgliedsbetriebe einsetzt. Dies ist ein wesentlicher Faktor, um sich auch gegenüber den Nichtmitgliedern zu positionieren. Die dritte Ebene, auf der die Image- und Direktmarketing-Kampagne umgesetzt wird, ist die Betriebsebene. Diese ist die wichtigste, da das Ziel der Ausweitung der Marktanteile des Schreinerhandwerks letztlich nur über Verkaufserfolge der Betriebe erreicht werden kann. Die Schwierigkeit dabei liegt darin, dass die Aktivitäten ausschließlich im Ermessen des Betriebes liegen und die Unternehmen des traditionell sehr individualistisch geprägten Schreinerhandwerks in der Vergangenheit eher skeptisch auf ein Branchen-Marketing reagiert haben. Deshalb wurden im vorliegenden Konzept möglichst umfassende Freiräume eingeräumt, ohne die Gesamtkonzeption zu verlassen. Die Betriebe sollen die Kampagne sehr individuell nutzen können, ohne dass dabei der Kontakt zur Dachkampagne verloren geht. Das Konzept bietet den Unternehmen dabei Anregungen für nahezu alle klassischen Marketingmaßnahmen. Die Aktivitäten der Schreinereien können sich beispielsweise auf Anzeigenvorlagen ebenso stützen wie auf Vorschläge für Direct-Mailings oder vollständige Konzepte zur Durchführung eines eigenständigen «Tags der offenen Tür» oder zur Beteiligung an der entsprechenden landesweiten Aktion. Auch eine eigene Rundfunkwerbung oder der professionelle Internetauftritt sind möglich. Entscheidender Faktor dabei bleibt, dass sich das Unternehmen unter dem Branchen-Logo und der Grundlinie der Kampagne präsentiert und damit die COOPI der Gesamtorganisation auch auf dieser Ebene zum Tragen kommt. Auf dieser Basis hat der FSH Bayern bereits zahlreiche Aktionen durchgeführt, die von immer mehr Mitgliedsbetrieben als Aufhänger für eigene Marketingmaßnahmen genutzt werden. Dadurch zeigen sich bereits erste messbare Erfolge. So kommen beim jährlichen «Tag des Schreiners» rund 80.000 Besucher in die Werkstätten der teilnehmenden Betriebe. Bei zahlreichen Betrieben ist diese Aktion bereits zum festen Bestandteil der Kundenpflege geworden, bei dem zunehmend auch Auftragsvergaben vorbereitet bzw. getätigt werden. Auch andere Aktionen, wie ein Internetspiel zur Osterzeit unter dem Titel «Ganz Bayern sucht das Schreinerei», das vom FSH Bayern mit überregionaler Radiowerbung begleitet und von den Innungsschreinern ebenfalls zu gezielten eigenen Aktionen genutzt wurde, haben dazu beigetragen, das Branchenlogo in der Bevölkerung stärker bekannt zu machen.
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Abbildung 8: Motiv zum Internetspiel 2004
In einer repräsentativen Kundenbefragung im November 2004 erklärten bereits 29 Prozent der Erwachsenen in Bayern, das Logo des Bayerischen Schreinerhandwerks zu kennen. Ein Wert, der noch von einigen Jahren unrealistisch war. Außerdem nehmen zunehmend auch Unternehmer, die nicht Mitglied einer Innung sind, die Aktionen war und es kommt vermehrt aus diesem Kreis zu Nachfragen bezüglich einer Mitgliedschaft. Auch die neueste Mitgliederbefragung des Verbands weist deutlich darauf hin, dass die Image-Kampagne zu einem der wichtigsten Bereiche der Verbandsarbeit geworden ist.
4.5
Das Mitglieder-Marketing
Der FSH Bayern basiert als Landesinnungsverband ebenso wie die regionalen Innungen auf dem Grundsatz der freiwilligen Mitgliedschaft. Insofern ist die Erhaltung der bestehenden Mitgliedschaften sowie die Gewinnung neuer Mitglieder für den Verband von existentieller Bedeutung, da er überwiegend beitragsfinanziert ist. Die Mitgliedergewinnung gestaltet sich aus der Sicht des FSH Bayern als sehr komplexes Projekt, da die direkte Mitgliedschaft einzelner Unternehmen im Verband nur den Ausnahmefall darstellt. Daher betrifft die Mitgliedergewinnung nicht nur den Verband, sondern im gleichen Maß auch die Mitgliedsinnungen.
138
Der Fachverband Schreinerhandwerk Bayern
Eine breite Mitgliederbasis wiederum ist aus verschiedenen Gesichtspunkten wichtig für die gesamte Organisation. Zum einen erbringt sie das finanzielle Fundament in Form von Mitgliederbeiträgen. Zum anderen ist ein hoher Organisationsgrad wichtig für die Positionierung des Verbands gegenüber Außenstehenden. Die Gründe für eine Mitgliedschaft in einer berufsständischen Organisation haben sich grundlegend geändert. Während früher eine stark ausgeprägte Solidarität existierte, um gemeinsam existentiell notwendige Rahmenbedingungen zu erkämpfen, spielt dies in der heutigen Zeit kaum noch eine Rolle. Die Mitgliedschaft wird nun vorwiegend am unmittelbaren Einzelnutzen, an der Frage der Dienstleistungsqualität der Organisation beurteilt. Die Überzeugung des Mitglieds, dass es auch an den vom Verband erbrachten Kollektivgütern profitiert, ist deutlich in den Hintergrund getreten. Häufig wird einfach unterstellt, dass diese Leistungen erbracht werden, auch wenn man sich als einzelnes Unternehmen nicht an der Finanzierung beteiligt. Hier kommt massiv das sog. «Trittbrettfahrer-Problem» zum Ausdruck. Dieser Entwicklung kann nur durch eine aktive und offensive Darstellung der Organisation auf allen Ebenen begegnet werden. Insofern ist die langfristige Existenz der Verbandsorganisation entscheidend von einem erfolgreichen Mitglieder-Marketing abhängig. Vor diesem Hintergrund ist es für den FSH Bayern auch zu einer bedeutenden Aufgabe geworden, ein Mitglieder-Marketingkonzept zu entwickeln und sukzessive umzusetzen. Darin fließen alle Aktivitäten und Dienstleistungen mit ein. Bestandteile dieses Konzepts waren u. a. die Überarbeitung des Verbands-CI (Corporate Identity). Dies führte sogar soweit, dass der Verband seinen Namen änderte, um wieder eine stärkere Identifikation der Mitgliedsbetriebe mit der Organisation sowie eine bessere Profilierung des Verbands in der Außendarstellung zu ermöglichen. Während sich der Verband im Jahr 1972 in «Fachverband Holz und Kunststoff Bayern» umbenannt hatte, ist sein Name seit 2002 wieder «Fachverband Schreinerhandwerk Bayern». Teil des Mitglieder-Marketings war auch die Durchführung einer umfangreichen Mitgliederwerbeaktion. In diesem Rahmen wurden nicht nur rund 3.000 Nicht-Mitglieder schriftlich über die Leistungen der Organisation informiert. Es wurden anschließend in Kooperation mit einem Call-Center die Betriebsinhaber zusätzlich angerufen. Aufgrund der guten Zusammenarbeit zwischen dem Verband und dem Call-Center und den umfangreichen Vorbereitungsmaßnahmen, konnten rund 5 Prozent neue Mitglieder für den Verband gewonnen werden. Außerdem ermöglichte die Aktion, den Kreis der potentiellen Mitglieder stark einzugrenzen. Es bestätigte sich nämlich, dass viele der Nichtmitglieder aufgrund ihrer Betriebsstruktur nicht oder kaum «organisierbar» sind. Dies sind nur einige Schlaglichter aus dem Bereich des Mitglieder-Marketings des FSH Bayern. Wie bereits erwähnt ist die konzeptionelle Arbeit noch nicht vollständig abgeschlossen. Unabhängig davon ist dieser Teil der Verbandsarbeit, der in der Vergangenheit oft vernachlässigt wurde, inzwischen zu einem wesentlichen Bestandteil der laufenden Tätigkeit geworden, an dem auch alle übrigen Leistungen des Verbands immer wieder reflektiert werden müssen.
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Christian Wenzler
Box 4:
Strategien und Maßnahmen des FSH Bayern
Aufgrund des sich massiv wandelnden Umfelds hat sich der FSH Bayern grundlegend neu positioniert.
Auf der Grundlage einer Mitgliederbefragung und einer Marktforschungsstudie hat der FSH Bayern sein Leistungsspektrum neu ausgerichtet.
Es wurde eine Image-Kampagne für das Bayerische Schreinerhandwerk konzipiert und umgesetzt, die inzwischen die Verbandsarbeit mit prägt.
Darüber hinaus hat das Mitglieder-Marketing massiv an Bedeutung innerhalb der Aufgabenstellungen des Verbands gewonnen.
5
Ausblick
Im vorliegenden Beitrag wurden einige Eckpunkte der konzeptionellen Überlegungen und der laufenden Arbeit des FSH Bayern skizziert. Dabei wurde deutlich, dass sich der Verband in einer Umbruchphase befindet, die entscheidend sein wird, für die weitere Existenz der Organisation. Die massiven Veränderungen wurden zum Teil durch Einflüsse notwendig, die von außen vorgegeben sind. Dies betrifft insbesondere die Neustrukturierung der rechtlichen Rahmenbedingungen für das gesamte deutsche Handwerk sowie den fundamentalen Strukturwandel in den angestammten Märkten des Schreinerhandwerks. Dabei ist festzustellen, dass sich derartige Veränderungen in der heutigen Zeit weitaus schneller vollziehen, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Damit sind auch die Unternehmen und die mit ihnen verbundenen Organisationen gezwungen, sich immer rascher anzupassen. Es ist nicht zu erwarten, dass sich diese Tendenz in der Zukunft nochmals ändern wird. Zum anderen ist jedoch die Notwendigkeit der Veränderungen innerhalb des FSH Bayern auch durch interne Ursachen begründet. Der Verband hat es in der Vergangenheit zum Teil versäumt, strategische Überlegungen zur eigenen Weiterentwicklung anzustellen und in entsprechende Struktur- und Führungskonzepte einfließen zu lassen. Damit fällt die notwendige Neuorientierung umso tief greifender aus, was wiederum manche Mitglieder zusätzlich verunsichert. Deshalb ist es von besonderer Bedeutung, dass die notwendigen Maßnahmen zur Umstrukturierung sich in einem systematischen Rahmen vollziehen. Die Grundlage hierfür bietet das Freiburger Management-Modell (FMM). Dabei hat sich gezeigt, dass insbesondere eine aktive und offene Kommunikationspolitik von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der eingeleiteten Maßnahmen ist. Insofern muss der Verband seine Neupositionierung konsequent fortsetzen und dabei besonderes Gewicht auf sein Marketing-Konzept legen. Denn gerade in diesem Bereich liegen die größten Defizite des Handwerks und hier kann er unmittelbar die Betriebe unterstützen. Gleichzeitig ist das Mitglieder140
Der Fachverband Schreinerhandwerk Bayern
Marketing die Grundlage, um den Konkurrenzkampf, in dem die eigenen Organisation mit den zahlreichen externen Leistungsanbietern steht, zu meistern. Der Wettbewerb mit anderen Organisationen und Konkurrenten wird aufgrund der immer knapper werdenden Mittel sicherlich noch zunehmen. Der FSH Bayern kann diesen Wettbewerb jedoch erfolgreich bestehen, wenn er weiterhin die Mitgliedsorientierung in den Fokus seiner gesamten Organisation und Leistungspalette stellt.
141
ABZ – Mehr als Wohnen
Peter Schmid
ABZ – Mehr als Wohnen Eine der erfolgreichsten Wohnbaugenossenschaften der Schweiz auf dem Weg zu Management Excellence
Überblick .......................................................................................................................... 145 1
Genossenschaftliches Wohnen in Zürich ..................................................................... 146
2
Kurzvorstellung der ABZ............................................................................................... 149 2.1 Historischer Abriss und Entwicklung der Wohnbautätigkeit......................... 149 2.2 Auftrag der ABZ .................................................................................................... 151 2.3 Aufbauorganisatorische Struktur der ABZ........................................................ 152
3
Erfolgsfaktoren und Erkenntnisse der Führung......................................................... 154 3.1 Grundsätzliche Überlegungen............................................................................. 154 3.2 Die Erfolgsfaktoren der ABZ................................................................................ 155
4
Der persönliche Beitrag des Verfassers zum Erfolg der ABZ – eine subjektive Einschätzung.................................................................................................................... 169
5
Ausblick ............................................................................................................................ 170 5.1 Qualitätsmanagement ........................................................................................... 170 5.2 Förderung der Genossenschaftsidee und der Genossenschaftsidentität....... 171 5.3 Nachhaltigkeit als nächstes mentales Denkmodell .......................................... 172
143
ABZ – Mehr als Wohnen
Überblick Die Allgemeine Baugenossenschaft Zürich (im folgenden ABZ) als größte schweizerische Wohnbaugenossenschaft wurde 1916 in Zürich in Zeiten der Wohnungsnot als Mitgliedergenossenschaft gegründet. Sie besitzt heute in Zürich und Agglomeration rund 4.250 (Stand: 2004) Wohnungen. Weitere 500 Wohnungen kommen bis Mitte 2007 dazu.
Ziel der ABZ ist es, einerseits preisgünstigen und gesunden Wohnraum insbesondere auch für Familien zur Verfügung zu stellen und andererseits die Genossenschaftsidee und damit die demokratischen und gemeinschaftlichen Ideale der Genossenschaftsbewegung zu leben und zu fördern. Dazu fördert die ABZ das nachbarschaftliche Zusammenleben in ihren Siedlungen, steht ihren Mitgliedern in schwierigen Zeiten mit sozialer Hilfe bei und bietet einen hohen Schutz vor Kündigung sowie eine höhere Identifikation mit dem «Zuhause» durch Mitsprache und Mitbestimmungsmöglichkeiten. Daneben positioniert sie sich als innovatives und ökologisch handelndes Unternehmen.
Eine Vision prägt einen seit 10 Jahren andauernden Organisationsentwicklungsprozess. Einfache, gut verankerte Grundstrategien helfen, sich zu positionieren und strategisch weiter zu entwickeln. Eine klare Trennung der strategischen und operativen Tätigkeiten ist die Grundlage eines zielgerichteten und effizienten Handelns. Zentral für den Erfolg ist das engagierte, der Mission verpflichte Führungsteam.
Die ABZ arbeitet mit dem Freiburger Management-Modell für NonprofitOrganisationen (FMM). Als Ordnungsrahmen trägt es dazu bei, auf dem Weg zu Management Excellence das Richtige richtig zu tun und in einem permanenten Anpassungs- und Innovationsprozess eine der erfolgreichsten Wohnbaugenossenschaften der Schweiz zu bleiben.
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Peter Schmid
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Genossenschaftliches Wohnen in Zürich
Wer in der Stadt Zürich eine Wohnung sucht, kommt um die Wohnbaugenossenschaften nicht herum. Fast ein Fünftel aller Wohnungen sind im Besitz einer Genossenschaft. Die Gründung der ersten Wohnbaugenossenschaften reicht noch ins 19. Jahrhundert zurück. Während und nach dem 1. Weltkrieg entwickelten sich diese Bauträger rasant, und sie wurden nebst den Gewerkschaften und der Sozialdemokratie zum dritten Standbein der Arbeiterbewegung. Dieses rasante Wachstum war einerseits die Folge der großen Wohnungsnot in Zürich, welche die Idee der Selbsthilfe als Antwort auf die sich breit machende Spekulation begünstigte; andererseits trug die sehr effektive kommunale Wohnbauförderung viel zur Entwicklung der Wohnbaugenossenschaften bei. Die «rote» Stadt Zürich führte 1924 ein Wohnbauförderungsgesetz ein, welches bis heute in den Grundzügen Bestand hat. Die Stadt förderte und fördert noch heute die Wohnbaugenossenschaften mit der Abgabe von Land (heute im Baurecht) mit Restfinanzierungsdarlehen und der Übernahme von Anteilen des Eigenkapitals. Zudem verbilligt sie Wohnungen für Menschen mit geringem Einkommen durch zinslose oder tiefverzinsliche Darlehen. Um der Wohnungsnot entgegen zu treten, engagierte sich seit 1906 aber auch die Stadt selbst mit dem Bau städtischer Siedlungen. Ein zweiter Wachstumsschub war nach dem 2. Weltkrieg zu verzeichnen. In dieser Zeit wurde in der Stadt Zürich jede dritte Wohnung von einer Wohnbaugenossenschaft gebaut; die Zahl der gemeinnützigen Bauträger war inzwischen gegen 100 angestiegen. Ein dritter Schub folgte Ende der 60er und in den frühen 70er Jahren, als am Stadtrand neue Quartiere entstanden und die Landknappheit bzw. die horrenden Landpreise die Genossenschaften – wie schon in den 20er Jahren – dazu zwangen «auf der grünen Wiese» in der Agglomeration neuen Wohnraum zu erstellen. In der zweiten Hälfte der 80er und zu Beginn der 90er Jahre, als der Immobilienmarkt von Überhitzung und einer spekulativen Steigerung der Preise geprägt war, kam der genossenschaftliche Wohnungsbau in der Stadt Zürich allerdings fast zum Erliegen. Viele Wohnbaugenossenschaften sind nach ihrer Gründung und den ersten erstellten Bauten gewissermaßen in einen Schlaf versunken und fühlen sich nicht mehr verpflichtet, weitere Neubauprojekte anzupacken. Schließlich haben ihre Mitglieder bereits das Privileg erworben, eine günstige Genossenschaftswohnung mieten zu können. Seit einigen Jahren besinnen sich jedoch immer mehr Genossenschaften wieder auf ihre Stärken. Sie gewinnen an Selbstbewusstsein und verstärken ihre Aktivitäten. Mit einem Marktanteil von rund 20 Prozent in der Stadt Zürich kommt ihnen eine große Bedeutung auf dem Wohnungsmarkt zu. In größerer Zahl entstehen neue innovative Wohnbauprojekte. Außerordentliche Investitionen werden zugunsten ökologischer Maßnahmen (Solarenergie, Nachhaltigkeit) getätigt. Alte Siedlungen werden
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ABZ – Mehr als Wohnen
wertvermehrend erneuert und verdichtet oder sogar mit Neubauten ersetzt. Damit können die Defizite im Liegenschaften-Portefeuille teilweise korrigiert werden. Defizite bestehen darin, dass die vor 60 bis 90 Jahren erstellten Wohnungen nur über sehr kleine Flächen und einen geringen Lärmschutz gegen innen verfügen; weiter zeichnet sich ein Überhang an 3-Zimmerwohnungen und eine zu geringe Zahl an 4und 5-Zimmerwohnungen ab. Galt in den 40er Jahren eine 3-Zimmerwohnung in der Stadt noch als Familienwohnung, in der 4 bis 5 Personen wohnten, stellt heute eine Belegung einer 3-Zimmerwohnung mit mehr als 2 Personen eine Ausnahme dar. Trotzdem liegt gemäß neuen statistischen Auswertungen der Flächenverbrauch pro Bewohner in den Genossenschaften tiefer als anderswo, oder anders gesagt, weisen die Baugenossenschaften insbesondere bei ihren Familienwohnungen eine höhere Belegung trotz tendenziell kleinerer Wohnungsgröße auf. Hinzu kommt, dass die Wohnbaugenossenschaften in der Stadt Zürich praktisch keine Leerstände kennen. Das ist einerseits darauf zurückzuführen, dass in Zürich mit einer Leerstandsquote von 0,08 Prozent (Stand: 2004) ein überaus starker Nachfrageüberhang besteht, ja sogar von einer eigentlichen Wohnungsnot gesprochen werden kann. Bei Wohnbaugenossenschaften gibt es aber auch weniger Leerstände, weil die Mietpreise günstiger sind. So kostet die Miete pro Quadratmeter einer Wohnung im privaten Besitz im Jahr 2000 über 40 Prozent mehr als in einer Genossenschaft. Das ist das Resultat des Grundsatzes «Nonprofit». Es werden keine Gewinne abgeschöpft, die Genossenschaften sind der Kostenmiete verpflichtet. Im Lauf der Jahrzehnte verliert zudem der Bodenwert in der Mietzinskalkulation an Bedeutung, weil es keine Aufwertungen von Landwerten gibt. Muss eine Siedlung eines Tages rückgebaut und ersetzt werden, hat der Boden immer noch den Preis, zu dem man ihn vor 60 bis 100 Jahren gekauft hat. Das führt dazu, dass auch die zweite Generation der Bauten schon mit 10 bis 20 Prozent günstigeren Mieten neu vermietet werden kann. Dies ist einer der Erfolgsfaktoren der Wohnbaugenossenschaften, der ihnen auch langfristig Marktvorteile verschafft. Auch wenn die Baugenossenschaften heute vermehrt neu bauen wollen, fehlt es doch prioritär an bezahlbaren und geeigneten Grundstücken. Die öffentliche Hand arbeitet nach wie vor eng mit den Wohnbaugenossenschaften zusammen, indem sie weiterhin Land im Baurecht abgibt. Sie unterstützt alle Baugenossenschaften mit Beratungsleistungen und gemeinsam mit Bund und Kanton durch vergünstigte Darlehen, welche die Reduktion eines Teils der Wohnungsmieten ermöglichen. Mit solchen Darlehen ist indes die Auflage verbunden, die betreffenden Wohnungen nur Haushalten zu vermieten, welche gewisse Einkommens- und Vermögenslimiten nicht überschreiten. Schweizweit beträgt der Anteil der Wohnbaugenossenschaften nur rund 5 Prozent. Er konzentriert sich vor allem auf die Städte. Diejenigen Kantone mit einer langfristig wirksamen Wohnbauförderung weisen die größten Marktanteile genossenschaftlichen Wohnens auf: Mit einem Anteil von je rund 20 Prozent liegen Biel und Zürich an der Spitze. Welch große Bedeutung der genossenschaftliche Wohnungsbau in Zürich hat,
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lässt sich auch daran ermessen, dass 23 Prozent aller Schweizer Genossenschaftswohnungen in der Limmatstadt stehen. Viele Wohnbaugenossenschaften lassen sich noch von den Grundsätzen der Genossenschaftsidee leiten. Diese kann mit den «5 S» charakterisiert werden, welche für Selbsthilfe, Selbstbestimmung, Selbstverantwortung, Selbstverwaltung und Solidarität stehen. Neben dem Grundsatz des Spekulationsentzugs stellt die Genossenschaftsidee ein demokratisches, auf den Menschen und seine sozialen Bedürfnisse ausgerichtetes Handeln in den Vordergrund und verpflichtet die Genossenschaft zu mitglieder-, akzeptanzorientiertem und sozialverträglichem Handeln und zur Förderung der Gemeinschaft. Die Grundidee meint im Sinne der Solidarität aber auch die Integration von Menschen, die auf dem Wohnungsmarkt benachteiligt sind. Genossenschaften bieten die dritte Form des Wohnens neben Eigentum und reiner Miete und stiften mit ihren Grundsätzen einen zusätzlichen Mehrnutzen gegenüber dem Individuum und der Gesellschaft. Der Schweizerische Verband für Wohnungswesen, die Dachorganisation aller Wohnbaugenossenschaften, hat versucht, diese Genossenschaftsideale im Sinne einer Charta (siehe unter www.svw.ch) niederzulegen. Schließlich kann festgestellt werden, dass die demokratische Form der Genossenschaft eigentlich eine Urform schweizerischen gemeinschaftlichen Handelns darstellt. Es sei dabei an die die große und alte Tradition von Alp- oder Allmendkooperationen erinnert, die in den heutigen Genossenschaften ihre Fortführung findet.
Box 1:
Genossenschaftliches Wohnen in Zürich
Grosse genossenschaftliche Tradition seit 1910. 20 Prozent Marktanteil dank permanenter Wohnbauförderung. Deutlich preisgünstigere Mieten bei gleicher Wohnqualität dank Kostenmiete und Spekulationsentzug.
Zu viele kleine Wohnungen und zu wenig bezahlbares Bauland als Herausforderung für die Zukunft.
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ABZ – Mehr als Wohnen
2
Kurzvorstellung der ABZ
2.1
Historischer Abriss und Entwicklung der Wohnbautätigkeit
Die Allgemeine Baugenossenschaft Zürich wurde 1916 auf Initiative eines Eisenbahner Kondukteurs (Schaffners) gegründet. Dieser wollte zusammen mit einigen Kollegen der Wohnungsnot entgegen treten. Eigentlich ein vermessenes Anliegen, wenn man bedenkt, dass dieser Personenkreis praktisch über keinerlei Eigenkapital verfügte; die vorhandenen Mittel reichten nicht einmal ansatzweise, um Wohnungen zu erstellen. Voraussetzung für das Gelingen war die richtige «Marketing-Idee». Diese bestand darin, möglichst viele Mitglieder zu finden, die bereit waren, ein Anteilkapital von 25.CHF in monatlichen Raten von 20 Rappen beizusteuern. Die aktiven Pioniere der ABZ gingen mit ihrer Idee des spekulationsfreien Wohnens für die Arbeiterklasse von Haustür zu Haustür und warben hartnäckig Mitglieder an. 20 Rappen pro Monat konnte auch ein Arbeiterhaushalt noch verkraften. Die ABZ wuchs so zu einer Bewegung, die 1926 bereits über 10.000 Mitglieder zählte. Das Motto (vgl. Abbildung 1) «Vereinte Kraft Grosses schafft» verdeutlicht die Grundidee des «Zwänzgerlivereins», wie die ABZ damals auch genannt wurde. Diese Mission kam auch mit einem Slogan treffend zum Ausdruck, der von Dora Staudinger, einer der Pionierinnen der ABZ, stammt: «Wir bauen an einer besseren Welt.» Das heutige Leitbild (siehe auch unter www.abz.ch) ist nüchterner als die Slogans der 20er Jahre, auch wenn sich alle Grundhaltungen darin wieder finden. Nach dem Leitbild und den Statuten ist die ABZ heute eine gemeinnützige, dem Menschen, der Gesellschaft und der Umwelt verpflichtete Bau- und Wohngenossenschaft, die allen Menschen ohne Ansehen von Geschlecht, Religion, Zivilstand und Nationalität offen steht. Die ABZ baut und renoviert preiswert, umweltgerecht, ressourcensparend und auf zukünftige Bedürfnisse ausgerichtet in Stadt und Region Zürich und hat weiter die Genossenschaftsidee im Bereich des Zusammenlebens umzusetzen. Die ABZ-Bewegung schaffte es zwischen 1926 und 1932 in einem für die damaligen Verhältnisse einmaligen Kraftakt mit Unterstützung der Stadt Zürich rund 1.300 Wohnungen zu erstellen und sich in kürzester Zeit zur grössten Baugenossenschaft der Schweiz zu entwickeln. Seither ist die ABZ diesen Weg konsequent weiter gegangen, wie aus Abbildung 2 zu ersehen ist. Heute (Stand: 2004) besitzt die ABZ rund 4.250 Wohnungen in Stadt und Agglomeration Zürich.
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Abbildung 1: Ursprüngliches Motto und Grundidee der ABZ sowie das heutige Logo
Vereinte Kraft Grosses schafft!
Abbildung 2: Bautätigkeit der ABZ von 1920 bis 2009
Neubau / Kauf
Wohnungen total
5000 4000 3000 2000 1000 0 bis 1921- 1930- 1940- 1950- 1960- 1970- 1980- 1990- 20001920 29 39 49 59 69 79 89 99 09
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ABZ – Mehr als Wohnen
2.2
Auftrag der ABZ
Der wirtschaftliche Auftrag lautet für die ABZ primär, die wirtschaftlichen Interessen ihrer jetzigen und künftigen Mitglieder nach einem möglichst «günstigen» und qualitativ guten Wohn- und Umgebungsraum zu vertreten und zu befriedigen. In einer zweiten Priorität ist die Genossenschaft auch heute noch geschichtlich und ideell als soziales System der Genossenschaftsidee verpflichtet und erbringt vielfältige gemeinnützige Leistungen (Nachbarschaftshilfe, Selbsthilfegruppen, Wohnraum für Benachteiligte etc.). So werden im Rahmen der Siedlungen verschiedenste soziokulturelle Anlässe durch Milizer und Freiwillige organisiert und die Integration der Bewohner/innen in die Genossenschaft sowie die Identifikation mit der Genossenschaft gefördert. Dazu gibt es Siedlungskommissionen, welche durch eine Fachstelle unterstützt werden. Weiter gibt es bei der ABZ einen Sozialdienst sowie einen Sozialfonds, der Menschen in Not oder bei Nachbarschaftskonflikten zur Verfügung steht. In den einzelnen Siedlungen und Gebieten stellt die ABZ als kollektives Gut weiter Gemeinschaftsräume (Siedlungslokale) zur Verfügung. Diese dienen allen Mitgliedern dieses Einzugsbereiches nicht nur als Versammlungslokale, sondern stehen den Genossenschaftern auch für gemeinschaftsfördernde kollektive und für private Anlässe zur Verfügung. Zudem verfolgt die ABZ gemäß ihren Statuten und ihrem Leitbild einen genossenschaftspolitischen Auftrag, der in ihrer Geschichte begründet ist. Es geht dabei um die Förderung des Spekulationsentzugs von Boden, und zwar als Mittel zur langfristigen, finanziell tragbaren Wohnraumsicherung und somit auch um die Förderung der Idee des gemeinnützigen Wohnungsbaus außerhalb der ABZ. Mit der Miete einer Wohnung ist die Mitgliedschaft mindestens eines Bewohners oder einer Bewohnerin verbunden, die mit der Kündigung der Wohnung auch wieder aufgelöst werden kann. Die Mitglieder bestimmen demokratisch (direkt) über die hauptsächlichen Leistungen oder erzwingen durch indirektes Verhalten (Wahl von Organen) mitgliedergerechte Entscheide der Leitungsorgane. Den Mitgliedern kommen finanzielle Vorteile zugute, etwa indem Kleinreparaturen, die durch die eigenen Mitarbeitenden getätigt werden, unentgeltlich sind. Ein weiterer Punkt ist die Depositenkasse der Genossenschaft, dank der die Mitglieder Ersparnisse zu Bedingungen anlegen können, die für beide Seiten attraktiv sind. Die ABZ finanziert sich aus dem Genossenschafts-Kapital, der Depositenkasse für ihre Mitglieder, aus den kumulierten Abschreibungen (Amortisationskonto), aus den Rückstellungen für Reparaturen (Erneuerungsfonds) sowie aus Fremdkapital. Sie gilt als überaus finanzkräftig, hat sie doch nur 65 Prozent des Anlagewertes bzw. 44 Prozent des Gebäudeversicherungswertes oder sogar etwa nur 35 Prozent des Marktwertes mit Hypotheken von Banken oder Anleihensanteilen finanziert. Der Umsatz beträgt rund 45 Mio. CHF mit einem Cashflow zwischen 20 und 30 Prozent.
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2.3
Aufbauorganisatorische Struktur der ABZ
Der von der Generalversammlung alle 3 Jahre gewählte Vorstand als oberstes Leitungsorgan (Verwaltung) besteht aus 9 Miliz-Mitgliedern, die der Genossenschaft angehören und in der Regel in der Genossenschaft wohnhaft sind (vgl. Abbildung 3).
Abbildung 3: Organigramm der ABZ
Mitglieder der ABZ
Mieterinnen-/ Jahresversammlungen in den Siedlungen
Generalversammlung
30 Siedlungskommissionen
Vertrauensleuteversammlung
Vorstand
Albert-HintermeisterStiftung (Hilfsfond)
Wahl Antragsrecht
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Kontrollstelle
ABZ – Mehr als Wohnen
Der Vorstand hat sich in 3 Kommissionen (Bau-, Verwaltungs- und Finanzkommission) organisiert, in welchen die Geschäfte vorbereitet werden. Er trifft sich monatlich zu gemeinsamen Sitzungen. Die Vorstandsmitglieder vertreten die Genossenschaften an rund 200 Anlässen pro Jahr. Sie sind an allen jährlich stattfindenden Mieterversammlungen in den einzelnen Siedlungen präsent und unterstützten das Milizsystem der zweiten Ebene (Siedlungskommissionen). Die Milizer wenden je nach Funktion durchschnittlich 3 bis 15 Stunden pro Woche für dieses Amt auf. Die in den Jahresversammlungen der Siedlungen gewählten Siedlungskommissionen mit insgesamt 150 ehrenamtlichen Mitgliedern übernehmen keine operativen Verwaltungsaufgaben, sondern sind für den soziokulturellen Auftrag in den Siedlungen zuständig und vertreten die Interessen der Siedlungen gegenüber Vorstand und Geschäftsstelle. Zusammen mit den Mitarbeitenden bilden sie die Vertrauensleute, welche die Geschäfte der Generalversammlung vorberaten und Anträge einbringen können (vgl. Abbildung 3). Die Geschäftsstelle ist eine professionell geführte Liegenschaftenverwaltung mit rund 45 vollamtlichen und 150 in den Siedlungen wohnenden nebenamtlichen Mitarbeitenden; der Geschäftsstelle steht eine fünfköpfige Geschäftsleitung vor. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden auf der Grundlage gemeinsam besprochener Ziele geführt (vgl. Abbildung 4).
Abbildung 4: Aufbauorganisatorische Struktur der Geschäftsstelle der ABZ Geschäftsleitung Geschäftsleiter
Liegenschaftenverwaltung / Instandhaltung
Rechnungswesen und Administration
Liegenschaftenverwaltung 1 Rayon Süd
Liegenschaftenverwaltung 3 Rayon NordW
Liegenschaftenverwaltung 2 Rayon Nordost
Kauf / Bau und Umbau
Malerbetrieb
Information / Kommunikation
Vermietung
Mieter- und Konfliktberatung
Fachstelle Siedlungskommissionen
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Die Geschäftsstelle ist als Linienstelle für die operative Führung der Geschäfte zuständig. Sie ist zudem Stabsstelle für alle Organe und Kommissionen, Projekt- und Arbeitsgruppen. Der Erfolg der Geschäftsstelle (Effizienz) bemisst sich nach der Zufriedenheit der Mitglieder, d. h. nach der Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen (Effektivität) sowie nach der Ergiebigkeit der eingesetzten Mittel (Wirtschaftlichkeit). Wie dieser Erfolg letztlich gemessen bzw. operationalisiert wird, soll im nachfolgenden Kapitel aufgezeigt werden.
Box 2:
Rahmendaten der ABZ
1916 gegründete größte Baugenossenschaft der Schweiz mit sozialpolitischem Auftrag. Permanente Bautätigkeit, heute 4.250 Wohnungen in Zürich und Agglomeration. Umsatz 45 Mio. CHF und Bilanzsumme von 670 Mio. CHF, Marktwert über 1 Mrd. CHF. 48 Mitarbeitende, 73 Nebenamtliche und 150 Ehrenamtliche. Nicht nur günstiger Wohnraum, sondern auch Förderung der Genossenschaftsidee als Grundauftrag.
3
Erfolgsfaktoren und Erkenntnisse der Führung
3.1
Grundsätzliche Überlegungen
Erfolg ist ein Ergebnis vieler Determinanten, für die es keine generell gültigen Rezepte gibt und die auch nicht in allen Dimensionen messbar sind. Was im heutigen Umfeld und mit den heutigen Akteuren zum Erfolg führen kann, kehrt sich morgen vielleicht schon ins Gegenteil um. Was die Erfolgsfaktoren sind und ausmachen, ist zudem immer auch eine persönliche Bewertung und Ansicht, weshalb insbesondere dieses Kapitel die subjektive und sehr persönliche Sicht des Verfassers wiedergibt. Der Erfolg der Organisation ist darüber hinaus immer mit der Geschichte und Kultur der Organisation und mit den sie prägenden Persönlichkeiten – mit deren Stärken und Schwächen – verbunden. Daher ist zwischen den Erfolgsfaktoren zu unterscheiden, die in der Technik der Führung liegen (Strategien, also was man macht) und Faktoren, die in der Art und Weise begründet sind (Taktiken, also wie man es macht), welche wiederum durch die Personen (wer es macht) sowie durch die Geschichte und durch die Kultur des Unternehmens geprägt sind.
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ABZ – Mehr als Wohnen
Messbare, objektive Erfolgsfaktoren sind in der ABZ v. a. die Anzahl der gebauten und renovierten Wohnungen, das erreichte Preis-Leistungsverhältnis, die Finanzierungssituation, der Grad der Umsetzung der Genossenschaftsidee, die Zufriedenheit der Stakeholder mit dem System sowie generell die Nachhaltigkeit des Wirkens. Oft hört der ABZ-Vorstand von Genossenschafterinnen und Genossenschaftern, denen es wirtschaftlich nicht so gut geht oder die sich als Alleinerziehende durchschlagen müssen, dass sie dankbar und froh sind, in der ABZ eine zahlbare und gute Wohnung gefunden zu haben. Einige engagieren sich darum auch für die Organisation. Das sind vielleicht die «wirklichsten» Erfolge, die das ABZ-Management ermutigen, sich weiter für diese Organisation und deren Bautätigkeit einzusetzen. Diese Erfolge sind aber schlussendlich als menschliche und kulturelle Werte nicht unbedingt oder zumindest nicht einfach messbar. So kann auch das gesamte soziale Kapital der Organisation nur schlecht erfasst werden, auch wenn es schlussendlich ja gerade darum geht, dieses zu erhalten bzw. zu vermehren. Wenn man die heutige ABZ im Vergleich zu anderen Genossenschaften betrachtet, erweist sich die gesamte Geschichte der ABZ als eine eigentliche Erfolgsgeschichte. Sie hat sich immer wieder als «Leader» im gemeinnützigen Wohnungsbau profilieren können, hat am meisten Wohnungen erstellt, ist immer noch aktiv sowie innovativ und verfügt nach wie vor über ein funktionierendes Milizsystem. Diese bedeutenden Erfolge sind hauptsächlich das Verdienst der vorangehenden Führungsgenerationen. Die Herausforderung besteht heute darin, die ABZ nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ weiter zu entwickeln, Innovationen hervorzubringen und dem Anspruch, Vorreiterin und Vorbild im gemeinnützigen Wohnungsbau der Schweiz zu sein, weiter gerecht zu werden. Dieser Teil des Prozesses und der Erfolgsfaktoren, die der derzeitige Vorstand mitbestimmen konnte, soll im Folgenden geschildert und die Erkenntnisse zusammengefasst werden.
3.2
Die Erfolgsfaktoren der ABZ
Als der Verfasser vor über 14 Jahren in den Vorstand der ABZ eintrat, befand sich diese Unternehmung in einer schwierigen Phase des Umbruchs. Die Kultur war geprägt von einer eher autoritären, männlich geprägten Führung, die zu wissen glaubte, was für die Genossenschaft und deren Mieter gut sei und was nicht. Kritik war eher unerwünscht. In der Geschäftsstelle war eine Verwaltungsmentalität vorherrschend. Es gab praktisch keine Führungsinstrumente und keine Führungsgrundlagen im Sinne eines Leitbildes oder einer Unternehmenspolitik. Es brauchte einen Konflikt, um diese Strukturen aufzubrechen und damit auch neuen Raum zu schaffen. Nach einer Zeit der Krise, die über 4 Jahre andauerte und die mit einer fast vollständigen Auswechslung des (alten) Vorstandes sowie des Geschäftslei-
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ters einherging, wurde der Verfasser 1995 zum Präsidenten gewählt. Als Glücksfall sollte sich heraus stellen, dass sich der neue Geschäftsleiter und der Verfasser 1996 dazu entschieden, gemeinsam den Diplomlehrgang im Management von NPO am Verbandsmanagement Institut der Universität Freiburg/Schweiz (VMI) zu absolvieren. Dies führte dazu, dass wir uns am Freiburger Management-Modell für NonprofitOrganisationen (FMM) als Ordnungsrahmen orientierten und eine gemeinsame Sprache finden konnten. Die gemeinsame Zeit gab den beiden obersten Führungskräften der ABZ jedoch auch Gelegenheit, die jeweiligen Rollen zu finden. Es ist anzufügen, dass der Verfasser damals mit 36 Jahren, als er das Amt des Präsidenten antrat, noch über wenig Führungserfahrung verfügte, während der Geschäftsleiter auf über 35 Jahre Berufserfahrung zurück blickte und eine völlig andere Sozialisation und Karriere durchlaufen hatte. Umso wichtiger war die gemeinsame Erkenntnis der beiden «Protagonisten», dass nur die gegenseitige Ergänzung der jeweiligen Stärken und der gegenseitige Respekt zu einer erfolgsträchtigen Teambildung führen konnten. Damit kann die erste Erkenntnis bezüglich der weichen Erfolgsfaktoren der Führung abgeleitet werden:
Erfolgsfaktor 1: Erfolgreiche Teams ergänzen und respektieren sich und sind zu einem weiterführenden Dialog fähig.
Diese Erkenntnis ist auch die Grundbedingung für die Arbeit in den Gremien und in der Geschäftsleitung. Der obige Erfolgsfaktor 1 beinhaltet eine Kultur des sich gegenseitig Weiterbringens, in dem die Beiträge jedes Einzelnen auf den Nutzen für die Organisation gemeinsam geprüft und im Dialog weiter entwickelt werden. Er beinhaltet aber auch eine Kultur, welche die Beteiligten dazu befähigt, sich von ihren eigenen Empfindlichkeiten zu lösen, sich selbst in Frage zu stellen. Aus dieser Kultur heraus entwickelt sich die ABZ nach innen und nach außen. Heute werden auch neue Vorstandsmitglieder nach einem klaren Anforderungsprofil ausgewählt. Maßgeblich ist dabei die Absicht, die Meinungsvielfalt im Vorstand zu erhalten, ergänzende Kompetenzen zu finden und das gemeinsame Know-how zu erweitern. Von Bedeutung ist aber, dass sich auch die neuen Vorstandsmitglieder dem bestehenden Wertgebäude verpflichtet fühlen. Für den Präsidenten ist es außerdem wesentlich, eine Stellvertreterin im Vorstand zu haben, mit der er einen offenen Austausch pflegen, sensible Themen zu zweit bearbeiten kann. Als entscheidend, erweist sich die richtige Zusammensetzung der Geschäftsleitung. Nur mit dem richtigen Team sind Höchstleistungen möglich. Die ideale Zusammensetzung der Geschäftsleitung ist zugleich die Voraussetzung dafür, den Geschäftsleiter
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ABZ – Mehr als Wohnen
zu entlasten und ihm Raum für wirkliche Führung und Zeit für Reflexion, Gespräche und Innovationen zu verschaffen. Die ABZ hatte das Glück, den für diese Phase «richtigen» Geschäftsleiter ausgewählt zu haben, welchem es gelang, eine Geschäftsleitung aufzubauen und aus der ABZ ein gut funktionierendes Unternehmen zu entwickeln. Mit dieser «Crew» war es denn auch möglich, zwischen Januar und März 2003 neben der alltäglichen anspruchsvollen Arbeit den Kauf von 530 Wohnungen in der Gemeinde Horgen am Zürichsee mit größter Seriosität abzuwickeln. Nur ein Jahr darauf folgte die intensive Arbeit an 2 neuen Projekten mit 460 Wohnungen und einem Investitionsvolumen von 180 Mio. CHF. Grundlage für all diese Ergebnisse war zu Beginn der Tätigkeit des Verfassers als Präsident der ABZ die Erarbeitung eines Geschäftsreglements, das die Aufgabenteilung und Kompetenzen bis hin zum Stellenbeschrieb des Präsidenten und der Vorstandsmitglieder regelte. Wichtig war dabei, dass damit auch die Milizer verbindliche Aufgaben zugeordnet erhielten. Damit verbunden waren außerdem die Pflicht regelmäßiger Standortgespräche des Präsidenten mit den Vorstandsmitgliedern, in denen die eigenen Beiträge an die Organisation und die Zusammenarbeit reflektiert werden und schlussendlich auch eine regelmäßige kritische Beurteilung des Präsidenten durch den Vorstand. Dabei war für den Verfasser die folgende, ebenfalls grundlegende Erkenntnis äußerst wichtig, die als Erfolgsfaktor 2 aufgefasst werden kann:
Erfolgsfaktor 2: Eine professionelle Miliz kümmert sich um die strategische Führung und mischt sich nicht in das operative Geschäft ein.
Bei diesem Organisationsprozess wurde insbesondere die Grenze zwischen den Milizern und den Funktionären bewusst gezogen. Der Vorstand mischt sich heute nicht mehr in die Geschäftsleitungsfragen ein. Er ist dafür zuständig, der Organisation einen Rahmen zu geben, in dem sie sich entfalten kann. Darüber hinaus soll der Vorstand die Richtung des Wirkens vorgeben, die Strategien diskutieren und gemeinsam mit der Geschäftsleitung Ziele aushandeln und festlegen. Auf diese Art und Weise gewinnt man Zeit und Raum, Diskussionen über Inhalte zu führen und neue Ideen zu entwickeln. Für diese Diskussionen ist es von Vorteil, wenn die Personen im Vorstand über ihre Betreuungsaufgaben im Milizsystem auch Basiskontakte pflegen und so die Sicht der Mieterinnen und Mieter im Vorstand einbringen können. Diese wesentlichen Führungsprozesse müssen zwischen den Gremien kooperativ ablaufen, damit sich die verschiedenen Sichtweisen ergänzen und so das Resultat verbessert werden kann. Deshalb nehmen die Geschäftsleitungsmitglieder an allen Workshops und Tagungen des Vorstandes als gleichgestellte Diskussionspartner teil.
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Zusammengefasst: Um ihr Potenzial nutzen zu können, braucht eine kompetente Geschäftsleitung auch eine professionell handelnde Milizführung. Ein weiterer entscheidender Punkt ist die Tatsache, dass in der Zwischenzeit die gesamte Geschäftsleitung den Diplomlehrkurs am VMI besucht hat. Dies ermöglicht auf der Basis einer gemeinsamen Sprache sehr effektiv und effizient neue Konzepte zu entwickeln. Die ABZ profitiert zudem sehr von den Diplomarbeiten mit denen es möglich ist, Teile des Führungssystems weiter zu entwickeln. Die Investition in diese Weiterbildung zahlte sich bereits mehrfach aus. Besonders auch darum, weil sich dadurch der Blickwinkel des ABZ-Management weitete und übergeordnete Erfolgsaspekte (Marketinggrundhaltung) bewusster werden. Damit ist auch die dritte Erkenntnis bzw. Erfolgsfaktor Nr. 3 verbunden:
Erfolgsfaktor 3: Sich auf gemeinsame Werte einigen, diese klar festhalten und regelmäßig hinterfragen.
Einen wichtigen Meilenstein hat die ABZ mit der Erarbeitung eines Leitbildes und dem Beschluss erreicht, alle grundsätzlichen Fragen in Grundsatzpapieren zu regeln. So entstanden im Lauf der Zeit Politiken zu allen wichtigen Bereichen wie: Kauf, Bau, Instandhaltung und Instandsetzung, Vermietung, Finanzen, Milizförderung, Personal und Information. Insgesamt sind es bis heute 11 Teilpolitiken. Zusammen mit den Konzepten zu Energie, Einbruchschutz, Information und Kommunikation, Milizarbeit, Aus- und Weiterbildung sowie Controlling und Kennzahlen ergibt sich ein normatives Gebäude, das die inhaltliche Ausrichtung vorgibt. Der Aufwand dafür hat sich bereits vielfach bezahlt gemacht. Die Diskussionszeiten in den Sachfragen konnten im Vorstand verkürzt und eine wesentlich effizientere Arbeit ermöglicht werden. Wenn zum Beispiel während der Diskussion eines Sachthemas Grundsatzfragen angesprochen werden und die bisherige Ausrichtung zur Debatte steht, wird das Thema nicht in diesem Sachkontext diskutiert. Stattdessen wird beschlossen, das entsprechende Grundlagenpapier an einer nächsten Sitzung oder an einer Vorstandstagung aufzunehmen und dort in einem Gesamtzusammenhang zu diskutieren. Diese regelmäßigen neuen Diskussionen der bestehenden Grundlagepapiere sind auch notwendig, weil sich einerseits die Organisation und der Zeitgeist entwickeln und weil anderseits auch immer wieder die Zusammensetzung der Gremien ändert. So müssen zum Beispiel die Vermietungsrichtlinien alle 3 Jahre diskutiert werden, damit die Führung der ABZ den erreichten Wertekonsens erhalten kann.
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ABZ – Mehr als Wohnen
Meist führt diese Diskussion auch nicht zu gravierenden Veränderungen, da durch die Auseinandersetzung die Zusammenhänge, die zum damaligen Ergebnis geführt haben, wieder bewusst und auch für die neuen Beteiligten nachvollziehbar werden. Wichtig ist das Festhalten dieser Normen aber auch für die Wahrnehmung der Aufsichtsfunktion gegenüber der Geschäftsleitung, die damit diese ihre Aufgaben zielgerichteter und in diesem so definierten Rahmen auch selbständig wahrnehmen kann. Grundlage dafür ist der Erfolgsfaktor Nr. 4:
Erfolgsfaktor 4: Visionäre Kraft entwickelt sich und lebt erst aus gemeinsamen Visionen.
Es dauerte mehrere Jahre, bis sich eine eigentliche und gemeinsame Vision der ABZ heraus geschält und entwickelt hatte. Stand am Anfang noch die Erarbeitung der Grundlagen im Vordergrund, so musste sich die Unternehmensvision zuerst aus einem «Selbstfindungsprozess» Schritt für Schritt kreativ entwickeln. Jeder Mensch bringt meist unbewusste Visionen in eine solche Aufgabe ein. Diese müssen heraus geschält, bewusst gemacht und zu einer gemeinsamen Vision entwickelt werden. Damit kommt man insbesondere in Milizgremien an zeitliche Grenzen. Es braucht dazu Phasen und Raum, in denen man sich nicht mit den Sachgeschäften auseinandersetzt und abseits des täglichen «Stresses» steht. Der ABZ-Vorstand hatte schon früh damit begonnen, sich zweimal jährlich für 2 Tage an einen Ort für eine Vorstandstagung zurückzuziehen, um an solchen Themen zu arbeiten. Das Resultat dieses Prozesses lautet:
«Allgemein – Besonders» Als Allgemeine, für alle offene, soziale und innovative Baugenossenschaft gewinnen und erhalten wir durch unsere besonderen Leistungen die Zufriedenheit unserer Mitglieder und das Vertrauen der Gesellschaft.
Die visionäre Kraft liegt im Begriffspaar «Allgemein – Besonders». Diese 2 Begriffe sind in einem über 10 Meter langen Schriftzug auf dem Kamin der ABZGeschäftsstelle als Kunst am Bau lesbar. Sie machen das sicht- und spürbar, was die ABZ ausmacht. Die in den Begriffen wohnende Kraft hatte weitere Auswirkungen, insbesondere im Bereich des Corporate Behaviour (CB), auf das später eingegangen werden soll.
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Ebenso wichtig wie das Entwickeln von Visionen ist es, die Zusammenarbeit und die Grundlagenarbeit lustvoll zu gestalten. Ein Milizamt oder eine geschäftsführende Stellung müssen im Grossen und Ganzen auch mit Freude verbunden sein. Das heißt, dass man Freude daran hat (und so auch Zeit investiert), Ideen zu entwickeln, sich austauschen und – im richtigen Maß – bei einem guten Glas Wein und gutem Essen die Gemeinschaft zu pflegen. Ein in vielen Gremien leider unterschätzter Faktor, der mehr zum Erfolg von Teams beiträgt als allgemein – und nur technisch betriebswirtschaftlich gedacht – angenommen wird. Menschen sind nur in einem positiven und fördernden Umfeld langfristig und nachhaltig zu Höchstleistungen fähig. Daraus ergibt sich nächste wichtige Erkenntnis:
Erfolgsfaktor 5: Freude darf sein – oder – die besondere Qualität lustvollen Handelns.
Eine der ersten Maßnahmen nach Übernahme des Präsidiums bestand darin, jeweils Jahresziele zu vereinbaren. Damit war es erstmals in einem groben Rahmen möglich, überhaupt «Erfolg» zu haben – nämlich die gesteckten Ziele auch auf ihre Erreichung hin überprüfen zu können. Andererseits wurden damit auch klare Vorgaben für die Geschäftsleitung festgesetzt, auf deren Grundlage zielgerichteter gearbeitet werden konnte. Als fast wichtiger als die Ziele selbst erwies sich damals jedoch der Prozess, welcher zur Formulierung und zur Aushandlung der Ziele führt. Dieser beinhaltet nämlich wiederum die Arbeit am gemeinsamen Wertgebäude und die Frage nach den wesentlichen Zielen. Eine Schlüsselerfahrung war dabei auch die Erkenntnis, dass Ziele einer Organisation nicht einfach aus einem Erkenntnisprozess eines Einzelnen dem Gesamten übergestülpt werden können. Es braucht vielmehr einen gemeinsamen Erkenntnisprozess. So verstrichen zum Beispiel einige Jahre, bis allen bewusst wurde, dass die Milizförderung nur dann effektiv greifen kann, wenn sie durch das Profi-System professionell und systematisch angegangen wird und letzteres auch innerlich bereit ist, diese Aufgabe zu übernehmen. Somit lautet eine weitere wichtige Erkenntnis:
Erfolgsfaktor 6: Ohne konsistente Strategien und Zielsetzungen geht es nicht.
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ABZ – Mehr als Wohnen
Die Erarbeitung der Grundstrategien war erst im Wissen um diese Zielvereinbarungen und aufgrund der Erfahrungen damit möglich. Die Herausforderung bestand darin, in wenigen Sätzen herauszuschälen, welche Grundstrategien das Handeln der ABZ bisher prägten, wie diese Grundstrategien organisationsinter und -extern umgesetzt wurden und wie die ABZ in Zukunft im Rahmen dieser Grundstrategien noch besser positioniert und weiter vorangebracht werden kann. So konnten in einem 2-jährigen Prozess 6 Grundaufgaben bzw. Grundstrategien heraus destilliert werden: 1. Wert des bestehenden Wohnraums erhalten
Optimaler, angemessener Unterhalt Umweltschonend Material einsetzen und vorgehen Wohnraum durch nachhaltige Mietzins- und Finanzierungspolitik zahlbar behalten 2. Portefeuille gezielt und nachhaltig entwickeln und erweitern
Für alle, jedoch ein Schwerpunkt Familien Anpassung an heutige und künftige Bedürfnisse Dabei nachhaltig Preis/Leistungsverhältnis im preisgünstigen Segment aufrechterhalten
Sozialverträglich und akzeptanzorientiert vorgehen Ökologisch vorbildlich und nachhaltig handeln Neubausiedlungen mit über 100 Wohnungen in Zürich und Agglomeration realisieren 3. Soziale Verantwortung wahrnehmen
Preiswerten Wohnraum denen bieten, die darauf angewiesen sind Hilfe leisten bei sozialen und nachbarschaftlichen Problemen Ausbildungsplätze für junge Berufsleute anbieten Faire Entlöhnung der Mitarbeitenden, fortschrittliche Arbeitsbedingungen und GAV
Unternehmen mit sozialer Verantwortung bei Aufträgen berücksichtigen 4. Genossenschaftsidee fördern und daran interessierte Mitglieder gewinnen
Bewusste Auswahl und Integration neuer Bewohner/innen in die Genossenschaft Das Gemeinschaftsleben und die Nachbarschaftshilfe fördern und stärken 161
Peter Schmid
Genossenschaftskultur kommunizieren Verstärkte Unterstützung und Befähigung der Siedlungskommissionen Zusatznutzen durch attraktive Depositenkasse und kostenfreien kleinen Unterhalt 5. Hohe Dienstleistungsqualität durch engagierte und fähige Mitarbeitende bieten
Engagierte und loyale Mitarbeitende finden und erhalten, die durch selbstbewusstes, großzügiges Handeln und eine positive Einstellungen besondere Leistungen erbringen
Professionelle Aus-, Weiterbildung und Entwicklung der Mitarbeitenden Aktive Information und Kommunikation zu den Mitgliedern Nutzung der modernen Kommunikationsmittel 6. Genossenschaftsbewegung unterstützen und fördern
Aktives Engagement im Verband und Unterstützung des Verbandes Solidarität und Kooperation mit anderen Baugenossenschaften Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand zur Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus Alles was die ABZ tut, kann in dieses Schema eingeordnet werden, es ist der rote Faden des organisatorischen Handelns. Wie es getan wird, ist dann in den einzelnen Politiken, Konzepten und Reglementen geregelt. Auch die Zielsetzungen werden in dieses Schema eingeordnet. Aber eben auch diese Prozesse brauchen Zeit, was zur nächsten Erkenntnis führt.
Erfolgsfaktor 7: Langfristiges Denken, Geduld, Konstanz und Beharrlichkeit sind Grundlagen des nachhaltigen Erfolgs.
Eine Wohnbaugenossenschaft ist ein Unternehmen, das auf einen sehr langen Zeithorizont ausgerichtet ist. Zwischen einem ersten Gespräch für den Kauf eines Areals bis zur Vollendung der Bauten vergehen gut und gerne 5 Jahre. Zudem ist die Kultur eines solchen milizgeführten Unternehmens träge und nicht kurzfristig veränderbar und Prozesse brauchen ihre Zeit.
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ABZ – Mehr als Wohnen
Demnach wichtig ist Geduld sowie das Gespür dafür, was zu welchem Zeitpunkt an Entwicklung möglich und was allenfalls zu früh oder noch nicht «reif» ist. Manchmal ist es angezeigt, etwas wieder fallen zu lassen oder zuzuwarten. Bis die Organisation so weit war, die Milizförderung und das Mitgliedermarketing als Hauptaufgabe zu betrachten, verstrichen 5 Jahre. Diese Zeitspanne war jedoch aus heutiger Sicht notwendig, damit die erforderlichen Prozesse fundiert und nachhaltig durchlaufen werden konnten. Es braucht für viele Schritte eine gewisse Reife der Organisation, und die meist langjährigen Mitarbeitenden brauchen Zeit für die damit einhergehende «Kulturveränderung». Geduld heißt aber auch, immer wieder beharrlich auf das Thema zurückzukommen, bis es mit der Zeit zum Thema aller wird. Erst dann können nachhaltig Früchte wachsen und geerntet werden. Für diese langfristigen Prozesse ist es von Vorteil, wenn ein Führungsteam und eine Geschäftsleitung mit einer gewissen Konstanz über Jahre hinweg tätig sein können und der Prozess nicht durch zu viele Wechsel unterbrochen wird. Es braucht auch einen gemeinsamen Nährboden, um sich mit der Organisationsentwicklung im Bereich des Verhaltens vertieft auseinander setzen zu können. Dies ist die Grundlage für die Herausbildung eines kontinuierlichen Corporate Behaviour, deren Relevanz für den Organisationserfolg eine weitere zentrale Erkenntnis darstellt:
Erfolgsfaktor 8: Die Entwicklung des Corporate Behaviour (CB) ist ein wichtiger und schwieriger Schritt zum Erfolg.
Das CB ist jedoch nur Teil eines übergeordneten CI Prozesses. Dies ging auch in der ABZ voran. In einer ersten Phase wurden die Marketingkernbotschaften entwickelt und in einem zweiten Teil mit einem kleinen Studienwettbewerb das CD. Bisher gab es in der ABZ kein willentlich gestaltetes und konsequent eingesetztes CD. Als Logo genügte die Buchstabenfolge ABZ da ja (vermeintlich) jeder die ABZ kannte. Der CI Prozess war für alle Beteiligten sehr lehrreich und half, sich der bisher eher unbewussten Unternehmenskultur und der Stärken bewusster zu werden. Das neue CD (vgl. Abbildung 1) wurde danach flächendeckend eingeführt und konsequent umgesetzt. Die Wirkung ist erstaunlich. Das Logo hat sich innert kürzester Zeit durchgesetzt und ist heute ein wichtiger Identifikationsträger der ABZ. Viel schwieriger als die Durchsetzung des neuen Logos gestaltete sich allerdings verständlicherweise die Einführung und Durchsetzung des CB, das die Entwicklung der Mitarbeitenden zu Dienstleistern an den Genossenschaftern zum Inhalt hat. Gerade in
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einem Betrieb, in dem die meisten Kundenkontakte dezentral erfolgen und viele Mitarbeitende, insbesondere diejenigen des Unterhalts (Reparateure und Hauswarte), alleine «an der Front» tätig sind, ist es nicht so leicht, ein gemeinsames CB zu entwickeln und auch umzusetzen. Der Geschäftsleitung gelang es jedoch mit Hilfe eines externen Coachs ein System aufzubauen, das über Jahre trainiert substantiellen Anteil an der qualitativen Entwicklung hatte. Zu diesem Zweck wurde von der Geschäftsleitung zunächst eine Verhaltensvision erarbeitet, die lautet: «Durch selbstbewusstes, großzügiges Handeln und durch eine positive Einstellung sind unsere Dienstleistungen besonders.» Darauf aufbauend wurden mit den Kadermitarbeitern in Workshops 8 gemeinsam getragene Verhaltensgrundsätze entwickelt:
Ich begegne jedem Menschen mit Wertschätzung. Mein Engagement für die ABZ ist spürbar. Ich weiß, was ich kann, bin offen für Neues und entwickle mich weiter. Ich prüfe sorgfältig und handle großzügig. Ich entscheide mich gradlinig und verantwortungsbewusst und stehe dazu. Auf mich ist Verlass. Ich informiere mich und gebe Informationen aktiv, offen und verständlich weiter. Ich sehe Kritik als Geschenk. Diese Verhaltensgrundsätze wurden in Einzel- und Teamcoaching vertieft. In den monatlichen Teamcoachings tauschten sich die Mitarbeitenden gegenseitig aus. Jedes Teammitglied informierte darüber, mit welchen Verhaltensgrundsätzen es sich welche Erfolgserlebnisse verschafft hatte. Die Einzelcoachings dienten ergänzend dazu, regelmäßig die eigenen Stärken und Schwächen anhand der einzelnen Verhaltensgrundsätze zu analysieren und Veränderungsziele zu definieren. Damit sollte der Mitarbeitende in der Entwicklung von Verhaltensänderungen unterstützt werden. Die Mitarbeitenden erkannten bald, dass ihnen diese Sätze helfen, ein größeres Bewusstsein gegenüber ihrem Verhalten zu entwickeln und zu erkennen, dass diese Prozesse auch für das Privatleben und andere Bereiche sehr wertvoll sein können. Insbesondere der letzte Satz, «Kritik als Geschenk anzunehmen», hatte eine große positive Wirkung auf die Unternehmenskultur der ABZ. Dieser Satz lässt zu, dass man Fehler kritisiert und diese Kritik konstruktiv aufnimmt. Schließlich pflegt man ganz anders zu reagieren, wenn ein Kollege einen Satz beginnt mit: «...Du, ich habe noch ein Geschenk für Dich...», als wenn er seinem Gegenüber vorhält: «…was Du alles verkehrt gemacht hast…». In diesem Zusammenhang wurde auch trainiert, wie konstruktive Kritik anzubringen ist.
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ABZ – Mehr als Wohnen
Aber nicht nur die vollamtlichen, sondern auch die nebenamtlichen Mitarbeitenden wurden eingebunden, was deren Identifikation mit der ABZ zusätzlich verstärkte und als Wertschätzung empfunden wurde. Die eigentliche Botschaft hinter dem CB lautete aber: «Was wir machen, ist nicht ,Allgemein’, sondern ,Besonders’». Damit soll ein Bewusstwerden des «Besonders» entwickelt, vielleicht auch der Stolz, in einer besonderen Firma tätig sein zu können, geweckt werden. Der Marketingphilosophie kommt vor dem Hintergrund dieser CB-Entwicklung eine besonders hohe Bedeutung zu. Das CB muss ja insbesondere die Marketing-Leitsätze umsetzen. Diese wurden zu Beginn des Entwicklungsprozesses vom Verfasser wie folgt definiert:
Die ABZ erbringt ihre Leistungen Mieter/innen-, Mitglieder- (und Miliz-) orientiert. Sie spricht dabei die Mieter/innen als Mitglieder und Miteigentümer/innen an.
Sie setzt Marketing-Instrumente ein, um die Akzeptanz der Entscheide und Leistungen bei den «Kunden» zu erhöhen.
Sie schult die Mitarbeiter/innen und Milizer darin, die Bedeutung wirksamer Beziehungen zu den Austauschpartnern/innen zu erkennen und hilft ihnen, dass sie ihre Aufgaben durch geeignete Kommunikation akzeptanzorientiert erfüllen können.
Sie informiert die Mitarbeiter/innen, Milizer und Mitglieder gezielt und regelmäßig über Visionen und übergeordnete bzw. ideelle Zielsetzungen.
Die ABZ definiert für die Leistungen Qualitätsstandards und lässt die Qualität der Leistungen von Zeit zu Zeit unabhängig bewerten.
Die Mitarbeiter/innen und Milizer sind wichtige Imageträger der Organisation. Es ist für alle wichtig, die ABZ gemeinsam und mit gleichen Botschaften gegen innen und außen zu vertreten. Diese Marketingleitsätze bilden die Grundlage und das Gerüst, in und auf dem sich das einzelne Verhalten im Sinne des CB entwickeln und auswirken kann. Die Präzisierung und Umsetzung dieser Leitsätze ist Teil des heutigen Entwicklungsprozesses. Zurück zur Entwicklung des CB kann damit eine weitere zentrale Erkenntnis formuliert werden:
Erfolgsfaktor 9: Der Vorstand muss Vorbild sein.
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Denn der CB-Prozess ging nicht am Vorstand vorbei. Dieser nahm sich ein Beispiel an den hervorragenden Ideen der Geschäftsleitung und unterzog sich einem vergleichbaren Prozess, welcher stufengerecht unter dem Titel «Allgemein – Besonders» und auf der Grundlage der Genossenschaftsidee zu den folgenden, eigenen Verhaltensgrundsätzen führte:
Unsere Vision leitet mein Denken. Ich begeistere für die Ziele unserer Genossenschaft und sporne zur Eigeninitiative an.
Ich gehe aktiv auf die Menschen zu und vertrete die ABZ überzeugend. Ich bringe Wissen und Erfahrung ein und ruhe mich nicht auf unseren Lorbeeren aus.
Ich weiß «Vitamin B» zugunsten der ABZ zu nutzen. Ich trenne Unwichtiges von Wichtigem und stelle die richtigen Fragen. Ich lasse Spontanes zu und nutze die Chance. Ich höre gut zu – Vorurteile haben keinen Platz. Ich mag es zu streiten – Fehler dürfen sein. Allgemein oder Besonders, ich bin da! Dieser Prozess war für den Verfasser eines der Highlights der Tätigkeit in der ABZ und ein Beispiel für Management Excellence. Für ein Milizgremium ein äußert innovativer Prozess, welcher der ABZ half, in sehr persönlicher Weise herauszuschälen, was auch die Führung zu etwas «Besonderem» macht. Es versteht sich von selbst, dass nun auch im Vorstand – in einer der Milizstruktur angepassten Weise – Team- und Einzelcoachings stattfinden. Dieses Beispiel war für den Verfasser auch ein weiteres Schlüsselerlebnis bezüglich der Zusammenarbeit von Milizern und Mitarbeitenden. Wenn sich der Vorstand dem gleichen Prozedere unterzieht, das er von den Mitarbeitenden verlangt, wird er als Vorbild glaubwürdig. Der Vorstand muss seine Botschaft und seine Unternehmensphilosophie glaubhaft und überzeugt vorleben. Die Art und Weise, wie der Vorstand mit sich und den Mitarbeitenden und Genossenschafterinnen umgeht, entfaltet Wirkung auf das gesamte System und die gesamte Kultur. Dies stellt hohe menschliche Anforderungen. Dabei grundlegend ist es jedoch, den Boden nicht aus den Augen zu verlieren, womit die nächste zentrale Erkenntnis abgleitet werden kann.
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ABZ – Mehr als Wohnen
Erfolgsfaktor 10: Der Weg zu Management Excellence heißt, das Allgemeine besonders zu tun.
Oft meint man, der Erfolg stecke in den Spitzenprodukten eines Unternehmens. Dem ist nicht so. Höchstleistungen und Management Excellence sind nur da möglich, wo das Alltägliche nicht nur gut, sondern sogar besonders gemacht wird. Dabei stehen viele Mitarbeitende nicht im Rampenlicht, erbringen jedoch jeden Tag Höchstleistungen in der Art und Weise wie sie arbeiten, wie sie mit ihren Kunden umgehen, wie sie sich engagieren. Erst auf dieser Basis kann die Kultur von Excellence langsam wachsen. Dahinter steht die Erkenntnis, dass die Mitglieder an der Generalversammlung die besten Anträge nicht annehmen, wenn der Grundservice nicht stimmt und die Mitglieder mit den Dienstleistungen der ABZ nicht zufrieden sind. Wenn sich aber der Grundservice durch besondere Qualität auszeichnet, fördert dies die Kultur, eine erfolgreiche Genossenschaft zu sein. Dies wiederum motiviert die Beteiligten und führt zu einer größeren Zufriedenheit und mehr Engagement, was wiederum die Leistungen des Gesamten verbessert. Kurz: eine «win-win-Situation» mit erfreulicher Spiralwirkung. Nur ein konkretes Beispiel: In Krisenzeiten erklärte sich niemand bereit, ein Amt im Vorstand zu übernehmen. Heute melden sich bei Vakanzen viele fähige und kompetente Interessent/innen, die die Arbeit bereichern können. That’s the difference! Rückblickend hat sich der Geschäftsleiter in den ersten Jahren darum kümmern müssen, dass die Abläufe innerhalb des Betriebs geklärt, Hilfsmittel erarbeitet und Prozesse definiert werden. Erst nachher konnten die «besonderen» Aufgaben angegangen werden. Für den Verfasser bedeutet diese Erkenntnis: Nicht nur das Besondere ist zu loben. Es ist auch immer wieder festzustellen und zu würdigen, was im Hintergrund und an der Basis geleistet wird, damit das Allgemeine besonders wird. Diese Basis muss gepflegt und erhalten werden. Die damit verbundene Nüchternheit gebietet in einer langfristigen Betrachtungsweise auch die «Schattenanteile» des Erfolgs zu betrachten. Dies führt zur nächsten Erkenntnis:
Erfolgsfaktor 11: Immer mehr Erfolg ist kontraproduktiv.
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Je mehr Erfolg, desto höher steigen die eigenen und die externen Ansprüche. Es besteht die Gefahr der Generierung von «Überansprüchen». Wird der Service innerhalb von 24 Stunden zum Normalfall, schraubt dies die Erwartungen nach oben. Leistungen, die an sich völlig ausreichen würden, werden plötzlich als «schlecht» taxiert. Bei einem Führungswechsel ist es für die Neuen zudem oft sehr schwierig, wenn die Latte schon sehr hoch liegt. Die Gefahr von Misserfolg und damit verbundener Demotivation steigt. Es gilt somit, das richtige Maß an Excellence zu finden, die das System langfristig stützt und entwickelt. Diese sehr langfristige Sichtweise ist für den nachhaltigen Erfolg entscheidend. Mit dieser Sichtweise übernimmt man die Verantwortung auch gegenüber den eigenen Nachfolgern. Damit verbunden ist auch eine kritische Einstellung zu den «modernen» Ansprüchen der Führung und zu den Begriffen Management Excellence, der Corporate Governance, des Qualitätsmanagement und was sonst alles auftaucht und wieder durch neue Begriffe verdrängt werden wird. Die Aufgaben eines heutigen Qualitätsmanagement gehörten schon zu den Aufgaben der Führung, als es diesen Begriff noch nicht gab. Corporate Governance wird in demokratisch legitimierten Genossenschaften schon lange gelebt. Diese Begriffe sollen somit helfen, Bewusstsein über verschiedene Aspekte der Unternehmensführung zu gewinnen aber nicht dazu, immer noch mehr Ansprüche zu generieren. Es könnte gut sein, dass sich einiges, was heute unter Excellence läuft, bald kontraproduktiv wirkt. Im Bereich der Profitorganisationen bedeutete Excellence – das ist noch gar nicht lange her – auch ein Beitrag zur kurzfristigen Gewinnmaximierung. Heute erkennt man, dass langfristige Excellence eng mit Nachhaltigkeit zusammenhängt. Wegen des kurzfristigen Profits ist jedoch bereits viel soziales Kapital zerstört worden, was sich langfristig nachteilig auf Wirtschaft und Gesellschaft auswirkt.
Box 3:
Erfolgsfaktoren und Erkenntnisse
Erfolgreiche Teams ergänzen und respektieren sich und sind zu einem weiterführenden Dialog fähig.
Eine professionelle Miliz kümmert sich um die strategische Führung und mischt sich nicht in das Operative ein.
Sich auf gemeinsame Werte einigen, diese klar festhalten und regelmäßig hinterfragen. Visionäre Kraft entwickelt sich und lebt erst aus gemeinsamen Visionen. Freude darf sein – oder – die besondere Qualität lustvollen Handelns. Ohne konsistente Strategien und Zielsetzungen geht es nicht. Langfristiges Denken, Geduld, Konstanz und Beharrlichkeit sind Grundlage des nachhaltigen Erfolgs.
Die Entwicklung des Cooperative Behaviour (CB) ist ein wichtiger und schwieriger Schritt zum Erfolg.
Der Vorstand muss Vorbild sein. 168
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Der Weg zu Management Excellence heißt, das Allgemeine besonders zu tun. Immer mehr Erfolg ist kontraproduktiv.
4
Der persönliche Beitrag des Verfassers zum Erfolg der ABZ – eine subjektive Einschätzung
Die eingangs gestellte Frage lautet, wie der Verfasser als verantwortlicher Topmanager den Herausforderungen begegnet, um den Erfolg der Organisation sicherzustellen. Damit ist auch die Frage nach der Rolle des Präsidenten gestellt, die der Verfasser in dieser Organisation im Nebenamt zu erfüllen hat. Die bisherigen Ausführungen zeigen auf, dass sich die Frage nicht so einfach beantworten lässt. Der Erfolg hängt von der Zusammensetzung und Qualität des gesamten Führungsteams und vom Produkt und Nährboden ab. Eine Einzelperson kann nicht alles beeinflussen. Der jeweils verantwortliche Topmanager kann aber einen Beitrag leisten, indem er hilft, die richtigen Personen anzustellen, und indem er sein Bestes für die Organisation gibt. Der Verfasser versucht dabei die folgenden Kernfunktionen zu erfüllen:
Als Hüter der Idee, der Vision und der Kultur unserer Organisation fördere ich mit meinem ganzen Handeln und als Vorbild, dass diese Vision und Kultur bewusst und entwickelt wird. Dazu bringe ich Ideen und Impulse ein.
Ich bin dafür verantwortlich, dass eine gute, sachorientierte und kollegiale Arbeitsatmosphäre im Vorstand und zwischen Vorstand und Geschäftsleitung herrscht und der Vorstand seinen (und nur seinen) Job macht, damit die Geschäftsleitung sich entwickeln und exzellente Arbeit leisten kann. So nehme ich mir Zeit für das Zwischenmenschliche und die Kommunikation von Wertschätzung.
Die ABZ und die Genossenschaftsidee vertrete ich als «Chefverkäufer» unserer Organisation gegen innen und außen.
Zusammen mit dem Geschäftsleiter und der Vizepräsidentin habe ich die Kernaufgabe, wichtige Probleme frühzeitig zu erkennen und lösungsorientiert anzugehen, vorauszudenken und vorauszuspüren, was heute getan werden muss, um morgen weiter erfolgreich zu sein. Der Verfasser ist dankbar dafür, diese Grundsätze in der ABZ verwirklichen zu können. Es ist ihm sehr bewusst, dass dies nicht selbstverständlich ist. Es braucht die rich-
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Peter Schmid
tige Zeit, die richtigen Partner und die richtige Organisation, um auch sich selbst verwirklichen zu können. So ist es schlussendlich ein Nehmen und Geben, eine Interaktion zwischen dem Einzelnen und dem Gesamtsystem. Die persönliche Entwicklung des Verfassers ist eng mit der Entwicklung der ABZ verbunden. Dabei konnte und kann der Autor in seiner Milizfunktion in fachlicher und persönlicher Hinsicht viel lernen und profitieren.
Box 4:
Der persönliche Beitrag des Präsidenten
Hüter der Idee und Förderer der Unternehmenskultur Chefverkäufer Vorausschauender Weichensteller
5
Ausblick
In den Handlungsgrundsätzen der ABZ wird davon gesprochen, dass sich die ABZ nicht auf ihren Lorbeeren ausruht, was meint, dass es um eine permanente Neubeurteilung und Weiterentwicklung geht. Die Richtung der Weiterentwicklung hat sich durch die bisherigen Prozesse verdeutlicht. Sie kann wie folgt zusammengefasst werden.
5.1
Qualitätsmanagement
Es fehlt in der ABZ noch ein adäquates Feedback- und Controllingsystem, das die Umsetzung der gewählten Strategien objektiv misst. Diesem Teil wurde bisher eine geringere Priorität eingeräumt, weil der Aufbau und die Professionalisierung der Leistungen im Vordergrund standen. Dieses Feedbacksystem, das einerseits die Zufriedenheitsmessungen bei den Stakeholdern der ABZ (Genossenschafter/innen, Ehrenamtliche und Mitarbeitende) umfasst, besteht auch in einer angepassten Balanced Scorecard, die konsistente und auf wenige Kennzahlen reduzierte Erfolgsinformationen liefern soll. Mit der Einführung dieses Systems wird die ABZ auch die meisten Anforderungen an das gemeinschaftliche NPO-Label für Management Excellence der Schweizerischen Vereinigung für Qualitäts- und Management-Systeme (SQS) und des VMI erfüllen. Die ABZ prüft derzeit, ob es angestrebt werden sollte. Jegliches Label macht für die ABZ nur Sinn, wenn sie daran wachsen kann und Aufwand und Ertrag in einem guten Verhältnis zueinander stehen.
170
ABZ – Mehr als Wohnen
5.2
Förderung der Genossenschaftsidee und der Genossenschaftsidentität
Die größte Herausforderung für die ABZ als Genossenschaft besteht darin, sie als soziales und innovatives, gemeinnütziges Unternehmen nicht nur gegen außen, sondern insbesondere gegenüber den Mitgliedern noch verstärkt zu positionieren, die Mitglieder zur Mitwirkung in diesem System und somit zu einem Mitglieder- statt einem Mieterverhalten zu motivieren. Man wird nicht als Genossenschafter/in geboren, sondern erst in der Genossenschaft sozialisiert. Viele der ehrenamtlichen Mitarbeitenden in den Siedlungskommissionen lernen erst dort, was die ABZ zu einer besonderen Liegenschaftenverwaltung und Genossenschaft macht. Von der Rückbesinnung auf die genossenschaftlichen Werte profitiert das ganze System. Die Mieter/innen gehen verantwortungsbewusster mit ihrer Wohnung und ihrem Wohnumfeld um, sie identifizieren sich stärker mit ihrem Umfeld und geraten seltener in Konfliktsituationen. Dies, aber auch eine stärkere Beteiligung an den demokratischen Prozessen und einer bessere Nachbarschaft erhöhen sowohl die Lebensqualität als auch die Verweildauer derjenigen, die in der Genossenschaft leben. Positiver Nebeneffekt: Damit werden zusätzlich Unterhalts- und Verwaltungskosten eingespart. Was macht denn das Leben in einer Genossenschaft aus? Unter dem Motto «ABZ, für eine lebendige Nachbarschaft» konnten folgende Wirkungszielen definiert werden:
Unsere Bewohnerinnen und Bewohner kennen ihre Nachbarinnen und Nachbarn. Unsere Bewohnerinnen und Bewohner helfen einander. Konflikte werden zwischen den Mietenden fair und konstruktiv ausgetragen. Fragen, die die Haus- und Siedlungsgemeinschaften betreffen, werden auch dort gelöst.
Unsere Bewohnerinnen und Bewohner nehmen die Aktivitäten in der Siedlung und in der ABZ wahr und schätzen sie. Sie tragen im Rahmen ihrer Möglichkeiten zum Siedlungsleben bei.
Unsere Bewohnerinnen und Bewohner halten sich an grundlegende Regeln des Zusammenlebens und nehmen auch ihre Pflichten wahr. Verschiedene Maßnahmen zur Umsetzung dieser Wirkungsziele wurden bereits umgesetzt. So werden die Siedlungskommissionen auf der Grundlage eines Milizmarketingkonzepts neu durch eine Fachstelle unterstützt und gefördert. Weiter hat die ABZ ein Pilotprojekt Integration gestartet, um neue Bewohner/innen besser in die Siedlun-
171
Peter Schmid
gen und in die ABZ zu integrieren. Ein Konzept für das Mitgliedermarketing ist in Arbeit; es zielt darauf ab, das Mitgliederbewusstsein, das Genossenschaftsbewusstsein und die genossenschaftliche Identität zu stärken. Außerdem wird ein Hauswartsystem eingeführt, das Aufgaben zur Erreichung dieser Wirkungsziele übernimmt. Während die Organisation bisher eher punktuell und intuitiv im Sinne eines Erkenntnisprozesses fortgeschritten ist und verschiedene Teilbereiche professionell umgesetzt hat, braucht es in näherer Zukunft wieder eine Gesamtsicht, die es erlaubt, die verschiedenen Maßnahmen noch stärker aufeinander abzustimmen.
5.3
Nachhaltigkeit als nächstes mentales Denkmodell
Es gilt somit, im Sinne einer Gesamtsynthese alle Faktoren wieder auf einen Nenner und in ein Gesichtsfeld zu bringen. Dafür ist der Nachhaltigkeitsbegriff sehr geeignet. Der künftige Entwicklungsprozess wird sich daran messen müssen, welche Werte und welcher Nutzen langfristig geschaffen werden können. Dies eben nicht nur in ökonomischer, sondern auch in sozialer und ökologischer und damit gesamtgesellschaftlicher und systemischer Sichtweise. Es braucht immer wieder neue Modelle und Sichtweisen, um das Unternehmen und seine Werte immer wieder neu zu entdecken und weiterzuentwickeln. Für die qualitative Zukunft der ABZ wird es entscheidend sein, ob es gelingen wird, die ABZ als «Allgemeine Genossenschaft» auf diese Weise immer wieder als «Besonders» gegen innen und außen zu positionieren und die Genossenschaftsidee der Zeit anzupassen und weiter zu entwickeln.
Box 5:
Zukünftige Herausforderungen
Investitionen ins Qualitätsmanagement und Weiterentwicklung des Führungssystems als permanente Aufgabe.
Förderung der Mitgliederbindung und Genossenschaftsidentität als Schlüsselfaktoren des künftigen Erfolgs.
Soziale, ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit als nächstes mentales Denkmodell.
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Erfolgreiches Management in einer sozialen Nonprofit-Organisation
Ivo Bonamico und Klaus Ladurner
Erfolgreiches Management in einer sozialen Nonprofit-Organisation Beispiel des Landesrettungsvereins Weißes Kreuz Onlus
Überblick .......................................................................................................................... 175 1
Der Landesrettungsverein Weißes Kreuz Onlus ........................................................ 176 1.1 Geschichtlicher Rückblick .................................................................................... 176 1.2 Bezeichnung, Sitz und Vereinszweck ................................................................. 177 1.3 Mitgliedschaft und Mitarbeiter............................................................................ 177 1.4 Aufbau des Landesrettungsvereins Weißes Kreuz ........................................... 178
2
Stakeholderanalyse für das Weiße Kreuz .................................................................... 180
3
Ergebnisse einer Kundenzufriedenheitsanalyse in Zusammenhang mit der Stakeholderüberlegung .................................................................................................. 185 3.1 Ziele der Untersuchung ........................................................................................ 186 3.2 Zielgruppen ............................................................................................................ 186 3.3 Methode .................................................................................................................. 186 3.4 Wichtigste Ergebnisse ........................................................................................... 186
4
Einige Erfolgsfaktoren beim Weißen Kreuz ................................................................ 189 4.1 Mitgliederentwicklung.......................................................................................... 189 4.2 Entwicklung der finanziellen Situation .............................................................. 191 4.3 Motivation und Zufriedenheit der Freiwilligen................................................ 192
5
Die Erfolgsfaktoren im Überblick – Hinweise für NPO-Praktiker .......................... 194
173
Erfolgreiches Management in einer sozialen Nonprofit-Organisation
Überblick Das Weiße Kreuz (WK) ist der leistungsstärkste Rettungsverein Südtirols, bestehend aus einem großen starken Team, in dem Freiwillige, Ehrenamtliche und Hauptamtliche effizient zusammenarbeiten. Der Landesrettungsverein erbringt folgende Dienstleistungen: Rettung, Krankentransport, Rücktransport, weltweiten Rückholdienst, Betreuungszug im Zivilschutz, Labor-, Blut- und Muttermilchtransport, Erste-Hilfe-Kurse, Aus- und Fortbildung, Bereitschaftsdienste, Hausnotruf, Zubringerdienst, Flugrettung, Jugendarbeit, Notfallseelsorge und Notarztdienst.
Auftrag: Die Kerntätigkeiten des Vereins sind Rettung und Krankentransport. Sie erfolgen im Auftrag der Südtiroler Landesregierung gemäß den gesetzlichen Vorgaben. Das WK erfüllt die Aufgaben effizient (wirtschaftlich), effektiv (zielgerichtet) und gemäß den vorgegebenen Qualitätsmaßstäben. Dabei setzt der Verein auf bestmögliche Qualifikation aller MitarbeiterInnen.
Träger: Das WK wird ideell und finanziell von außerordentlich vielen Mitgliedern mitgetragen. Die Dienstleistungen des WK führen vorrangig Freiwillige und Ehrenamtliche durch. Nur wo dies nicht möglich oder zielführend ist, wird auf hauptamtliche MitarbeiterInnen zurückgegriffen. Das Engagement der Freiwilligen wird intensiv gefördert.
Organisationsform: Das WK ist eine nach den neuesten Organisationsrichtlinien geführte Nonprofit-Organisation (NPO) in der Rechtsform eines privaten Vereins. Dabei hat der ehrenamtliche Vorstand die Hauptaufgabe der strategischen Führung, die Landesleitung bzw. die Direktion übt die operative Leitung aus. Der Verein ist strukturell in 4 Bezirke und 30 Sektionen gegliedert.
Transparenz gegenüber der Leitung und gegenüber den MitarbeiterInnen: Jeder Mitarbeiter ist eingeladen, Verbesserungsvorschläge oder Stellungnahmen an seinen nächsten Vorgesetzten weiterzuleiten. Im Sinne der internen Transparenz werden kritische Einwände, die das Weiße Kreuz und seine Strukturen betreffen, konstruktiv, offen und ausschließlich intern geäußert. Im Interesse der gesamten Bevölkerung und aller MitarbeiterInnen verpflichtet sich die Landesleitung des WK zur größtmöglichen Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit und jedem Mitarbeiter.
175
Ivo Bonamico und Klaus Ladurner
1
Der Landesrettungsverein Weißes Kreuz Onlus
1.1
Geschichtlicher Rückblick
In Südtirol gab es bereits vor dem 1. Weltkrieg einen Rettungsdienst der traditionsgemäß, ähnlich dem Feuerwehrwesen, von Freiwilligen getragen wurde. Nach der Machtübernahme durch den Faschismus in Italien wurden alle Vereinigungen aufgelöst und deren Dienste unter die Obhut der neuen Machthaber gestellt. Jeder Bezug zur Vergangenheit wurde, wenn nötig auch gewaltsam, ausgelöscht. Nur Organisationen, die absolute Linientreue bewiesen, konnten überleben. Nach dem 2. Weltkrieg beherrschte lange Zeit das Italienische Rote Kreuz das Rettungswesen – zumindest in Südtirol. Im restlichen Italien gab es vor allem diverse Stiftungen (Misericordie), die heute noch einen erheblichen Anteil des Rettungswesens ausmachen. Das Weiße Kreuz, genauer gesagt der Landesrettungsverein Weißes Kreuz Onlus1, entstand 1965 aus dem persönlichen Engagement einiger Ärzte und Freiberufler, die – sich an den Leistungen der nördlichen Nachbarländer orientierend – ein erhebliches Qualitätsniveau zum hier üblichen Dienst festlegten. Anfänglich wurde die Tätigkeit des WK, welche vorwiegend von der deutschsprachigen Bevölkerung unterstützt und somit vom italienischen Roten Kreuz nicht gerne gesehen wurde, stark behindert. Es war die Zeit, in der die ersten Initiativen zur Südtirolautonomie im Gange waren. Trotz allem aber konnte das WK auf große Gefolgschaft unter der Bevölkerung zählen. Die Tradition der Freiwilligkeit im Interesse der Bevölkerung ließ sowohl die Anzahl der freiwilligen Helfer, als auch die Spendengelder für den Fortbestand der Tätigkeit und den Ausbau des Fuhrparks rasch ansteigen. Im Jahr 1973 erließ die Südtiroler Landesregierung, nunmehr mit eigenen Kompetenzen ausgestattet, ein Gesetz, mit welchem dem WK ein erheblicher finanzieller Zuschuss für den Ausbau und die Verbesserung des Rettungsdienstes bereitgestellt wurde. Bereits damals war von einer Planung des Rettungswesens die Rede. Der Dienst selbst finanzierte sich aber immer noch durch Spenden und Beiträge sowie durch direkte Belastungen der transportierten Patienten. Vereinzelt gab es Konventionen mit Gemeinden, welche einen Teil der Transportkosten übernahmen.
1
176
ONLUS – italienisches Akronym für «Organizzazione Non Lucrativa di Utilità Sociale» (Bedeutung: Nicht gewinnorientierte, gemeinnützige Organisation). Da sich im Deutschen noch keine amtliche Übersetzung eingebürgert hat und die Verwendung dieser Abkürzung zudem gesetzlich vorgesehen ist, wird sie in der deutschen Satzung des Landesrettungsvereins Weißes Kreuz als solche beibehalten.
Erfolgreiches Management in einer sozialen Nonprofit-Organisation
Erst gegen Ende der 80er Jahre verabschiedete die Regierung ein Gesetz, nach welchem sie den Rettungsdienst in die Zuständigkeit der öffentlichen Gesundheit verwies. Die Südtiroler Landesregierung übernahm diese Maßnahme in ihre eigene Zuständigkeit und erließ dafür einen eigenen Beschluss. Seit dem 21. Mai 1998 ist das Weiße Kreuz, mit Dekret des Landeshauptmanns der Autonomen Provinz Bozen, Dr. Luis Durnwalder, auch im Landesverzeichnis der ehrenamtlich tätigen Organisationen eingetragen.
1.2
Bezeichnung, Sitz und Vereinszweck
Der Satzung des Landesrettungsvereins Weißes Kreuz Onlus, Art. 1, kann man folgendes entnehmen: «Der Landesrettungsverein Weißes Kreuz – Associazione Provinciale di Soccorso Croce Bianca, eine nicht gewinnorientierte gemeinnützige Organisation – mit Sitz in Bozen, wurde am 10. August 1965 als privatrechtliche juristische Person gegründet und mit D. P. R. 645 vom 30. Oktober 1974 anerkannt. Sein Zweck besteht in der Ergreifung von Maßnahmen im sozialen, gesundheitlichen und sozialgesundheitlichen Bereich, in der Durchführung entsprechender Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen sowie in der Hilfestellung für Kranke, Behinderte, alte Menschen, Verunglückte und andere Personen, die aufgrund ihrer körperlichen, psychischen, wirtschaftlichen und familiären Lage benachteiligt sind. Der Verein handelt ohne Gewinnabsicht, noch sollen bei der Erbringung der Dienstleistungen irgendwelche Unterscheidungen gemacht werden. Zweck des Vereins ist lediglich die soziale Solidarität.» Bereits aus diesem ersten Artikel kann man ganz klar den Vereinzweck, sowie die soziale und gerechte Einstellung, welche dem Wesen des Vereins zugrunde liegt, erkennen. Dieses Selbstverständnis ist unter anderem auch ein Grundstein für die erfolgreiche Entwicklung der Organisation in den vergangenen Jahren.
1.3
Mitgliedschaft und Mitarbeiter
Der Landesrettungsverein Weißes Kreuz wird derzeit (Stand: 2004) von ca. 36.600 zahlenden Mitgliedern (Gönnern) unterstützt, wobei deren Anzahl ständig zunimmt (vgl. Tabelle 1 und 2). Aktive Mitglieder sind auch ca. 2.300 ehrenamtliche Helfer. Die Mitglieder wählen alle 4 Jahre den Vereinsvorstand, der für die Führung des Vereins zuständig ist. Der Vereinsvorstand wählt aus seinen Reihen den Präsidenten, der den Verein in der Öffentlichkeit und vor dem Gesetz vertritt.
177
Ivo Bonamico und Klaus Ladurner
Wie man aus Tabelle 2 klar erkennen kann, werden insgesamt 57 Prozent aller Tätigkeiten des WK durch ehrenamtliche Mitarbeiter abgedeckt; eine Zahl, auf die man sehr stolz sein darf.
Tabelle 1:
Anzahl der Mitglieder 2001 – 2004
Jahr
2001 33.950
Mitglieder Tabelle 2:
2002
2003
34.118
2004
35.243
% 2001/2004
36.636
+ 7,91 %
Mitarbeiter (Stand: 31.12.2003)
Mitarbeiter 2003
Anzahl
Geleistete Stunden
Stunden in %
Ehrenamtliche
2.294
896.469
57 %
Hauptamtliche
299
524.172
33,3 %
Zivildiener
55
153.034
9,7 %
Insgesamt
2.648
1.573.675
100 %
1.4
Aufbau des Landesrettungsvereins Weißes Kreuz
Der Landesrettungsverein Weißes Kreuz verfügt flächendeckend, vorwiegend in der Provinz Südtirol, über 30 Sektionen bzw. Rettungsstellen. Der Fuhrpark des WK verteilt sich wie folgt (vgl. Tabelle 3). Tabelle 3:
Fuhrpark des WK (Stand: 31.12.2003) Fahrzeugtyp
Notarztwagen (NAW) Rettungswagen (RTW) Krankentransportwagen (KTW) PKW Notarzteinsatzfahrzeuge (NEF)
178
Anzahl 4 28 139 45 4
Zivilschutz
43
Insgesamt
263
Erfolgreiches Management in einer sozialen Nonprofit-Organisation
Aus organisatorischer Sicht verfügt das Weiße Kreuz über eine Struktur, welche es ermöglicht, als professionelle und modern geführte NPO angesehen zu werden, die in der Lage ist, die angebotenen Dienstleistungen an den verschiedenen Bedürfnissen der Stakeholder laufend anzupassen und die zu erbringenden Aufgaben in optimaler Qualität kosteneffizient anzubieten (vgl. Abbildung 1).
Abbildung 1: Vereinsorganigramm2 Mitgliederversammlung
Rechnungsprüfer
Vorstand
Ehrengericht
Präsident
Direktion
Box 1:
Landesrettungsverein Weißes Kreuz
Die Vereinsgründung erfolgte 1965. Die Mitgliederentwicklung weist seit Gründung einen konstant positiven Trend auf. Das WK verfügt über 30 Sektionen, 263 Fahrzeuge und ca. 2.650 Mitarbeiter. Die Organisation hat die Rechtsform eines privaten Vereins und wird nach den neuesten Organisationsrichtlinien geführt.
2
Vereinsorganigramm: Die dunkelgrau gekennzeichneten Posten sind von ehrenamtlichen Mitarbeitern besetzt, während die Direktion von einem hauptamtlichen Mitarbeiter bekleidet wird.
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Ivo Bonamico und Klaus Ladurner
2
Stakeholderanalyse für das Weiße Kreuz
Der Landesrettungsverein Weißes Kreuz ist in ein System von Anspruchsgruppen eingebettet, deren Unterstützung für das langfristige Überleben der Organisation notwendig ist. Diese Systempartner verfügen in der Regel über kritische Ressourcen, die sie der Organisation im Austausch gegen andersartige Ressourcen zur Verfügung stellen. Nur wenn beide Seiten diesen Austausch als balanciert wahrnehmen, ist eine langfristige Austauschbeziehung möglich. Wenn ein Partner in dieser Beziehung seine minimalen Erwartungen über einen längeren Zeitraum als nicht erfüllt beurteilt, wird er sich entschließen, diese Austauschbeziehung für eine andere, befriedigendere, zu verlassen. Zum Beispiel verfügen zahlende Mitglieder beim Weißen Kreuz über kritische Ressourcen wie persönliche Beziehungen zu anderen Anspruchsgruppen, Spendengelder, etc. und sie erwarten als Gegenleistung natürlich ein professionelles und effizientes Dienstleistungsangebot, das jederzeit verfügbar ist. Dieser Austausch findet mit allen Anspruchsgruppen in ähnlicher Form statt, jedoch mit jeweils unterschiedlichen Ressourcen. Die Wichtigkeit der von einer Anspruchsgruppe zur Verfügung gestellten Ressource ergibt sich aus dem Beitrag dieser Ressource für den Wertschöpfungsprozess der Organisation. Zum Beispiel bedeutet für das Weiße Kreuz ein von der Südtiroler Landesregierung zur Verfügung gestellter finanzieller Beitrag bzw. eine Förderung eine äußerst kritische Ressource. Aus diesem Grund muss die Austauschbeziehung zu der öffentlichen Stelle, die diese Ressourcen erteilt, besonders gepflegt werden. Die einzelnen Austauschbeziehungen zwischen der Organisation und der jeweiligen Anspruchsgruppe existieren jedoch nicht notwendigerweise isoliert voneinander. Wenn das Weiße Kreuz große Anstrengungen auf sich nimmt, einzelne Anspruchsgruppen besonders zu pflegen, belastet das die Ressourcenausstattung der Organisation. Da Ressourcen nur begrenzt zur Verfügung stehen, wird die Organisation (durch die Erwartungen anderer Anspruchsgruppen) gezwungen, weniger wichtige Anspruchsgruppen nur in einem Ausmaß zu bedienen, die deren Verbleib in der Beziehung gerade noch sichert. Dementsprechend sollte eine Organisation kontinuierlich daran arbeiten, die Abhängigkeit der Erwartungen einzelner Anspruchsgruppen und deren Wichtigkeit zu verstehen und seinen Ressourceneinsatz danach zu richten. Eine Technik, die sich sehr gut dazu eignet, diese Interaktionen zwischen den verschiedenen Anspruchsgruppen einer Organisation zu analysieren, ist die Systemanalyse. Dabei wird die «Macht» jedes einzelnen Systempartners zur Beeinflussung des Verhaltens aller anderen Systempartner analysiert. Da man nicht davon ausgehen kann, dass jeder Systempartner die ihm zur Verfügung stehende Macht vollkommen
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Erfolgreiches Management in einer sozialen Nonprofit-Organisation
ausreizt, sollte «Macht» als Möglichkeit der Beeinflussung und nicht als das derzeit bestehende Ausmaß an Beeinflussung verstanden werden. In einem ersten Schritt muss das Wertschöpfungssystem der Organisation exakt abgegrenzt werden, um eine vollständige Liste aller relevanten Austauschpartner zu erhalten. Eine vom Weißen Kreuz im August 2004 durchgeführte Befragung brachte die in Abbildung 2 dargestellten Ergebnisse. Diese Ergebnisse beziehen sich zwar nicht unmittelbar auf die Austauschbeziehungen zwischen den einzelnen Anspruchsgruppen, geben der Organisation aber sehr wertvolle Informationen. Die perfekte Kenntnis der zentralen Ansprüche bzw. Erwartungen der Stakeholder rundet das Vorhaben der Systemanalyse ab und führt dazu, dass sich die Organisation im komplexen Spannungsfeld der Umwelt optimal bewegen kann. Alle diese Austauschpartner werden gemeinsam in eine Matrix eingetragen, wobei jede Gruppe sowohl als Zeilen- und auch als Spaltenelement aufgenommen wird (vgl. Abbildung 3). In einem nächsten Schritt wird das Ausmaß, in dem jede einzelne Anspruchsgruppe alle anderen Systempartner beeinflussen kann, abgeschätzt. Dieser Schritt sollte in einer offenen Diskussion unter Personen innerhalb der Organisation, die die meiste Erfahrung mit den Erwartungen unterschiedlicher Anspruchsgruppen haben, erfolgen. Diese Auseinandersetzung bietet eine Chance, sich kritisch mit der Rolle der Systempartner im Wertschöpfungsprozess zu beschäftigen. Der Einfluss jedes Systempartners auf alle anderen Systemelemente sollte auf einer Skala von 0 (kein möglicher Einfluss) bis z. B. 3 (sehr hoher Einfluss) geschätzt werden. Während diese Informationen ein recht detailliertes Bild über die Machtverhältnisse innerhalb des Systems bieten, wird durch Berechnung der Summen aller Zeilen und Spalten eine systemischere Analyse möglich. Die Zeilensummen geben Aufschluss darüber, welches Potential der jeweilige Systempartner hat, das restliche System zu beeinflussen. Die Spaltensummen zeigen, wie stark das jeweilige Systemelement vom restlichen System beeinflussbar ist. Die Resultate dieser Analyse können in einem Diagramm (der EinflussnahmeBeeinflussungs-Matrix) visualisiert werden (vgl. Abbildung 3). Es können 4 Gruppen von Systempartnern unterschieden werden. Autonome Partner sind Elemente des Wertschöpfungsprozesses, die einen starken Einfluss auf Austauschprozesse der Organisation haben, aber kaum beeinflusst werden können. Das andere Extrem stellen passive Elemente dar: Sie haben nur geringe Möglichkeit der Einflussnahme auf andere Elemente, können selbst aber leicht beeinflusst werden. Kritische Elemente sind überdurchschnittlich beeinflussbar und haben überdurchschnittliche Einflussnamemöglichkeiten, während reaktive Elemente jeweils unterdurchschnittlich abschneiden. Diese Analyse bietet wertvolle Informationen über die Machtposition einzelner Systemelemente, bietet einen Überblick, wer bei der Durchführung von Aktivitäten ein möglicher Kooperationspartner wäre bzw. wem besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist.
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Ivo Bonamico und Klaus Ladurner
Abbildung 2: Ergebnisse der Befragung der wichtigsten Austauschpartner des Weißen Kreuzes
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Erfolgreiches Management in einer sozialen Nonprofit-Organisation
Abbildung 3: Einflussnahme-Beeinflussungs-Matrix für das Weiße Kreuz
Beeinflussbarkeit Weißes Kreuz y Flugrettung y Helfer y
Reaktiv Rotes Kreuz y
LNZ 118 y
y Notfally Meinungsbildner Patienten Presse/Medien y Krankenhaus y Kranke y Feuerwehr y
Kritisch
20 BRD y
zahlende Mitglieder y Öffentl. Sozialstrukturen VerwalPolizei/ y tung Carabinieri y Passiv y Nat./Int. Partner y AVS y
0
Autonom
y Schulen
20
Mögliche Einflussnahme
Wie aus der Einflussnahme-Beeinflussungs-Matrix ersichtlich, halten sich kritische und passive Stakeholdergruppen bzw. Systemelemente beinahe die Waage, während der reaktive und autonome Quadrant nur spärlich besetzt ist. Das Weiße Kreuz nimmt innerhalb des Systems die stärkste kritische Stellung ein. Dies bedeutet, dass die Organisation zwar überdurchschnittlich von anderen Systemelementen beeinflussbar ist, jedoch auch auf andere Elemente eine überdurchschnittliche Einflussnahmemöglichkeit hat. Die Einflussnahme kann sowohl positiv als auch negativ sein. Dasselbe gilt auch für die Flugrettung, die Helfer (Hauptamtliche, Ehrenamtliche, Freiwillige und Zivildiener) und für die Notfallpatienten. Diese haben ein sehr hohes Einflusspotential auf das Weiße Kreuz. Druck- bzw. Einflussausübung auf das Weiße Kreuz kann von diesen Gruppen entweder direkt erfolgen, oder indirekt, indem sie sich z. B. an Meinungsbildner oder an die Presse/Medien wenden. Medien haben keine wirtschaftlichen Beziehungen zum Landesrettungsverein. Ihren Druck können sie
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Ivo Bonamico und Klaus Ladurner
entweder in Form von Boykotts, z. B. durch Veröffentlichung möglicher Skandale, ausüben, oder indem sie Druck auf die öffentliche Verwaltung machen. Auch die Landesnotrufzentrale 118, Krankenhäuser, Kranke und die Feuerwehr sind als kritische Stakeholdergruppen einzustufen. Mit Ausnahme der Feuerwehr, können die letztgenannten Gruppen mit dem Weißen Kreuz über die Regeln der Transaktion oder der Verträge in Beziehung treten. Es besteht also eine wirtschaftliche Beziehung zwischen diesen Gruppen und dem Landesrettungsverein. Zu beachten ist auch die Tatsache, dass diese Gruppen weitaus größeren Druck ausüben können als die öffentliche Verwaltung. Sie können nämlich schneller mobilisiert werden als der Gesetzgeber; die öffentliche Verwaltung braucht meist länger für den Erlass von Normen und Gesetzen. Das Rote Kreuz ist die einzige reaktive Stakeholdergruppe, die aus der EinflussnahmeBeeinflussungs-Matrix hervorgeht. Es verfügt über geringes Einflussnahmepotential und ist einigermaßen beeinflussbar. Das geringe Einflussnahmepotential könnte unter Umständen auf die bescheidene Größe des Roten Kreuz in der Provinz Bozen zurückgeführt werden, verglichen mit dem Landesrettungsverein Weißes Kreuz. Dennoch darf die mögliche Einflussnahme vom Roten Kreuz auf Kranke und Notfallpatienten nicht unterschätzt werden. Der Bergrettungsdienst (BRD) als Partnerorganisation des Weißen Kreuz ist nach Einschätzung der Verfasser der einzige autonome Systempartner. Das bedeutet, dass er einen starken Einfluss auf Austauschprozesse im Organisationssystem haben kann, aber kaum beeinflussbar ist. Besonders der Einfluss, den der BRD auf andere Partnerorganisationen des Weißen Kreuz, wie z. B. dem Alpenverein Südtirol (AVS), der Feuerwehr, der Flugrettung oder auch auf die Landesnotrufzentrale 118 hat, kann als sehr hoch eingestuft werden. Mit diesen Organisationen arbeitet der BRD nämlich auch bei Einsätzen kontinuierlich zusammen. Das andere Extrem stellen die passiven Systemelemente dar: Sie haben nur geringe Möglichkeiten der Einflussnahme auf andere Elemente, können selbst aber leicht beeinflusst werden. Zu ihnen zählen Behörden (Polizei/Carabinieri), nationale/ internationale Partner, AVS, Schulen, Sozialstrukturen, zahlende Mitglieder und die öffentliche Verwaltung. Gerade was die letzten 2 Gruppen betrifft, sollte man beim Weißen Kreuz jedoch vorsichtig sein. Die Anzahl zahlender Mitglieder nimmt jährlich sehr stark zu. Damit steigt auch deren Einflussnahmemöglichkeit, die nicht unterschätzt werden sollte. Da Mitglieder andererseits aber auch sehr leicht beeinflussbar sind, könnten sie jederzeit von einem Kooperations- zu einem Konfrontationskurs überwechseln, und im Extremfall sogar ihre Mitgliedschaft aufkündigen. Die öffentliche Verwaltung gehört zwar zu den passiven Systempartnern, liegt aber an der Grenze zu den autonomen Stakeholdergruppen. Da das Weiße Kreuz seine Tätigkeiten im Auftrag und gemäß den gesetzlichen Vorgaben der Südtiroler Landesregie-
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Erfolgreiches Management in einer sozialen Nonprofit-Organisation
rung durchführt, kann der Einfluss des Landes auf den Landesrettungsverein schon als stark eingestuft werden. Mithilfe dieser Matrix erfolgt eine sehr realitätsnahe Abbildung des Systems, in dem sich das Weiße Kreuz gegenwärtig befindet. Aufbauend auf dieser Analyse kann die NPO entscheiden, wie die kritischen Ressourcen am sinnvollsten eingesetzt werden sollten. Beim Landesrettungsverein Weißes Kreuz wird in regelmäßigen Abständen eine solche Systemanalyse durchgeführt, um die einzelnen Systempartner bzw. die Veränderung deren Einflusspotential auf die Organisation abschätzen zu können.
Box 2:
Stakeholderanalyse
Die Unterstützung der Anspruchsgruppen ist für das langfristige Überleben der Organisation unabdingbare Voraussetzung.
Anhand der Einflussnahme-Beeinflussungsmatrix können die Systempartner einer Organisation in 4 Gruppen eingeteilt werden (Reaktiv, Kritisch, Passiv, Autonom).
Man erkennt das gegenseitige Einflusspotential und lernt sein Umfeld besser einzuschätzen.
3
Ergebnisse einer Kundenzufriedenheitsanalyse in Zusammenhang mit der Stakeholderüberlegung
Wie bereits weiter oben erläutert, spielt die Berücksichtigung der Anspruchsgruppen mitsamt ihren Ansprüchen und Erwartungen eine ganz zentrale Rolle innerhalb einer NPO. Beim Landesrettungsverein Weißes Kreuz werden «Kunden» (Patienten) als eine sehr erfolgskritische Gruppe eingestuft. Da im NPO-Bereich marktbestimmte Größen, wie z. B. Gewinn, ROI, Umsatz, Marktanteil, etc. nicht zur Erfolgskontrolle herangezogen werden können und somit keinen Indikator für den Gesamterfolg der NPO darstellen, müssen andere Faktoren zur Nutzenmessung eingesetzt werden. Das Weiße Kreuz hat sich im Jahre 2003 für die Durchführung einer Kundenzufriedenheitsanalyse entschieden. Diese wurde von einem unabhängigen Institut durchgeführt, welches sich auf die Bereiche Sozialforschung und Demoskopie spezialisiert hat.
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Ivo Bonamico und Klaus Ladurner
3.1
Ziele der Untersuchung
Das Untersuchungsziel bestand in der Sicherung und im Ausbau der Dienstleistungsqualität des Weißen Kreuzes, indem eine Bestandsaufnahme der Bewertung der Dienstleistungen vorgenommen wurde. Zudem wurde ein periodisches Erhebungssystem aufgebaut, welches Qualitätskennzahlen auf Sektionsebene liefert und in ein Personalentwicklungssystem einfließt.
3.2
Zielgruppen
Befragungszielgruppe waren PatientInnen, welche im Zeitraum zwischen Juni und August 2003 eine der 2 Kerndienstleistungen – Krankentransport oder Rettungseinsatz – in Anspruch genommen haben. In all jenen Fällen, in denen die Zielperson nicht interviewfähig war und eine andere Person mitgefahren ist, wurden Familienangehörige befragt. Dabei wurde jeweils auf eine ausgewählte Fahrt Bezug genommen.
3.3
Methode
Bei der Befragungsmethode hat sich das Weiße Kreuz für eine mehrstufige Vorgehensweise entschieden, wobei zu Beginn eine Basisuntersuchung durchgeführt wurde, worauf aufbauend dann verlässliche Instrumente und eine effiziente Methodik für Folgeuntersuchungen entwickelt wurden. Für die Erstuntersuchung gab es eine telefonische, computergestützte Repräsentativerhebung, auf der Grundlage einer nach Einsatzart geschichteten Zufallsstichprobe. Insgesamt erfolgten 484 vollständig durchgeführte Interviews, bei einer Grundgesamtheit von knapp 81.000 PatientInnen.
3.4
Wichtigste Ergebnisse
Für die Bewertung der Ergebnisse aus der Kundenzufriedenheitsuntersuchung des Weißen Kreuzes sind einige Aspekte zu berücksichtigen, die struktureller Natur sind. Zum einen gibt es 2 Hauptdienstleistungen (Krankentransporte und Rettung), für die zu fragen ist, ob ihnen beiden derselbe Stellenwert beigemessen werden kann. Daneben zeichnet sich eine starke Konzentration des Geschäftes auf wenige Sektionen und wenige spezifischen Arten des Einsatzes ab. Für die Qualitätsdiskussion hat diese Konzentration Folgen: zum einen gibt es ein Stammgeschäft, um welches man sich
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Erfolgreiches Management in einer sozialen Nonprofit-Organisation
verstärkt bemühen sollte, zum anderen gibt es organisatorische Einheiten, die viel wichtiger sind als andere. Etwas differenzierter ist die Diskussion bezüglich der Konzentration der Fahrten auf kurze Strecken zu sehen. 12 Prozent der Personen mit Fahrten über 100 km machen über 50 Prozent der gesamten Kilometerleistung aus. Hier zeichnet sich ein Premiumsegment ab, das bei Qualitätsdiskussionen mit zu bedenken ist. Die 2 untersuchten Dienstleistungen lassen sich durch Merkmale charakterisieren, die für die Qualitätsdiskussion relevant sind: Zum einen zeichnen sich die Krankentransporte, mit denen ja 75 Prozent aller Personen befördert werden, dadurch aus, dass deutlich mehr als die Hälfte der Personen gemeinsam mit einer weiteren Person befördert werden. Daneben fällt ins Auge, dass ein hoher Anteil von Personen die Dienste öfter in Anspruch nehmen: bei den Krankentransporten 90 Prozent, aber auch bei den Rettungseinsätzen ist der Anteil mit etwa der Hälfte noch hoch. Das Weiße Kreuz transportiert aufgrund der spezifischen Eigenheit des Dienstes ältere Menschen deutlich öfter, als es dem Bevölkerungsschnitt entsprechen würde; in der Folge verstärkt Menschen im Ruhestand und mit durchschnittlich niedriger Schulbildung. Die Pünktlichkeit des Dienstes ist bei einem hohen Anteil der geplanten Einsätze gegeben. Eine Benachrichtigung über die (seltene) Verspätung bei der Anfahrt ist offensichtlich nicht vorgesehen. Probleme mit der Pünktlichkeit gibt es am ehesten bei der Rückfahrt, wo in einem Zehntel der Fälle eine Vereinbarung nicht eingehalten wird. Die Abwicklung der Beförderung bei den Krankentransporten scheint gut eingespielt zu sein. In etwa 3/4 der Fälle erfolgt die Abholung der Kunden durch die MitarbeiterInnen direkt im Gebäude (Wohnung, Ambulatorium, Krankenhaus). Der doch recht hohe Anteil an Personen, die alleine zum Auto gehen, darf allerdings nicht als fehlende Hilfsbereitschaft gedeutet werden; nur eine kleine Minderheit gibt an, ihnen wäre eine Abholung lieber gewesen. Diese Aussage trifft auch auf jene Fälle zu, in denen die PatientInnen zwar direkt im Gebäude abgeholt werden, in denen ihnen aber nicht geholfen wurde. Auch hier zeigt es sich, dass fast alle dieser Personen keine Unterstützung wünschten, sodass dieser Anteil nicht als Indikator unterlassener Hilfeleistung gewertet werden kann. Die persönliche Betreuung der Kunden im Auto ist in der überwiegenden Anzahl der Fälle gegeben: nur 8 Prozent der Befragten gaben an, dass kein Mitarbeiter neben ihnen saß. Störungen während der Fahrt sind kaum gegeben. Die Bewertung einzelner Aspekte der Fahrt auf einer zehnstufigen Skala charakterisierte sich generell durch eine äußert unsymmetrische Verteilung, die durch eine hohe Anzahl von Bestbewertungen (Note 10 auf der 10-teiligen Skala) zustande kommt. Eine gewisse Streuung kommt durch eine (relativ geringe) Anzahl unzufriedener Personen zustande, die einen oder mehrere Aspekte deutlich schlechter bewerten als der Durchschnitt. Diese Daten kann man mit einer hohen Zufriedenheit mit dem Stan-
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dardprodukt interpretieren, Ausreißer entstehen durch ausgesprochene Patzer, die dann zu einer kleinen Anzahl sehr unzufriedener Personen führt. Befragt nach der Zufriedenheit mit der gesamten Fahrt liegt der Mittelwert der Noten bei 9,33. Außergewöhnlich hoch werden die materiellen Aspekte bewertet (Sauberkeit des Autos, Kleidung der Mitarbeiter); lediglich der Fahrkomfort fällt in dieser Gruppe etwas aus dem Rahmen. Daneben werden auch die Aspekte, die am einzelnen Mitarbeiter hängen, wie Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Eingehen auf die Bedürfnisse, persönlicher Einsatz, ebenfalls sehr hoch bewertet. Die Bewertungen fallen dagegen leicht ab bei der Evaluation von Aspekten, die nicht ausschließlich am einzelnen Mitarbeiter festzumachen sind: Schnelligkeit der Anreise bei Rettungseinsätzen, dem Aspekt der Information zur Fahrt und der Pünktlichkeit der Anfahrt bei Krankentransporten. So wie bei der Bewertung der Einzelaspekte der Dienstleistung dominieren auch bei einer generellen Bewertung, die sich nicht auf die Einzelfahrt bezieht, hohe Zufriedenheitswerte. Die höchsten Anteile an zufriedenen Kunden erhalten die Bewertungsdimensionen Materielles (Sauberkeit Fahrzeuge und Erscheinungsbild MitarbeiterInnen), Entgegenkommen (Hilfsbereitschaft) und Einfühlungsvermögen (Zuhören können und auf Bedürfnisse eingehen); etwas niedriger lagen sie bei den Bereichen Zuverlässigkeit (zuverlässig und pünktlich eine Fahrt durchführen) und Souveränität (den Dienst fachlich richtig und sicher ausführen). Auch die offen gestellten Fragen nach besonders positiven bzw. besonders negativen Eindrücken bestätigen das Bild: insgesamt überwiegen die positiven Eindrücke sehr deutlich. Bei den positiven Anmerkungen wurden besonders häufig Angaben gemacht, die sich auf die Freundlichkeit, auf die Hilfsbereitschaft und auf das Einfühlungsvermögen der MitarbeiterInnen beziehen. Bei den negativen Anmerkungen fallen vor allem die Pünktlichkeit sowie die zeitliche Abstimmung bei der Rückfahrt ins Gewicht; diese Aspekte machen über 30 Prozent der Nennungen aus. Für eine vollständige Bewertung der Zufriedenheitsdaten muss auf den deutlichen Einfluss des Alters auf die Bewertung hingewiesen werden: je jünger die Kunden, umso größer ist der Anteil der nicht ganz zufriedenen. Einerseits haben die Ergebnisse aus der Kundenzufriedenheitsanalyse die vorhandene Selbsteinschätzung seitens der Direktion des Weißen Kreuzes mehr als bestätigt. Andererseits konnten aus dieser Analyse aber auch sehr gute Ansätze für Verbesserungen gezogen werden. So ist z. B. ein gut ausgebildetes Beschwerdewesen in Ergänzung zur Kundenzufriedenheitserhebung sehr gut geeignet, um bestimmte Extremfälle abzufangen. Generell ist das Management beim Weißen Kreuz davon überzeugt, dass gelegentliche Analysen helfen, um mögliche Unterschiede in der Wahrnehmung des Eigen- und Fremdbildes zu erkennen; denn aus der Warte unterschiedlicher Betrachter lassen sich
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Erfolgreiches Management in einer sozialen Nonprofit-Organisation
in der Regel die größten Optimierungspotentiale erkennen und verschiedene Sichtweisen zu einer Symbiose zusammenführen.
Box 3:
Ergebnisse einer Kundenzufriedenheitsanalyse
Eine Kundenzufriedenheitsanalyse kann in einer NPO als Instrument zur Erfolgsmessung dienen, da marktbestimmte Größen keinen passenden Indikator abgeben.
Die Kunden (Patienten) des Weißen Kreuzes sind mit den angebotenen Kerndienstleistungen Rettung und Krankentransport mehr als zufrieden.
Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Einfühlungsvermögen der Mitarbeiter werden sehr hoch bewertet.
Die Analyse diente als Basis zum Erkennen von Optimierungspotentialen.
4
Einige Erfolgsfaktoren beim Weißen Kreuz
4.1
Mitgliederentwicklung
Seit der Gründung des Landesrettungsvereins Weißes Kreuz im Jahre 1965 bilden die Mitglieder die zentrale Basis für den Erfolg. Damals wie heute prägen sie die Entwicklung des Vereins nachhaltig mit. Als der Verein vor knapp 40 Jahren ins Leben gerufen wurde, gab es keine große finanzielle Grundlage, durch welche das zukünftige Überleben abgesichert war. Die ersten Krankentransportwagen sowie Rettungswagen und Notarztwagen konnten erst Dank finanzieller Unterstützung zahlreicher Spender bzw. Mitglieder angekauft werden. Auch die Errichtung der ersten Sektionssitze ist auf das beherzte Wohlwollen zahlreicher Mitglieder zurückzuführen. In den ersten Jahren waren im Verein keine hauptamtlichen Mitarbeiter beschäftigt. Die gesamte Rettungstätigkeit wurde von freiwilligen Mitarbeitern durchgeführt. Eine gezielte Mitgliederaktion gibt es beim Landesrettungsverein bereits seit der Vereinsgründung. Zu Beginn gab es für Mitglieder 10 kostenlose Krankentransporte (bis zu max. 30 km) sowie 50 Prozent Ermäßigung bei Fernfahrten als Gegenleistung. Nach und nach wurden die Dienstleistungen dann immer stärker ausgebaut. So kam zum Beispiel der Flugrettungsbereich hinzu, der Bereich Hausnotruf, weltweiter Rückholdienst etc. Heute besteht der Verein aus ca. 36.650 Mitgliedern, welche zu jenen Menschen gehören, die dafür sorgen, dass schnelle Hilfe in Südtirol möglich ist. Sie spre-
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Ivo Bonamico und Klaus Ladurner
chen dem Verein durch die jährliche Einzahlung des Mitgliedsbeitrages ihr Vertrauen aus und sichern sich gleichzeitig eine ganze Palette von Vorteilen. Zu Recht könnte man sich die Frage stellen, warum ausgerechnet in Südtirol die Mitgliederzahlen einer Nonprofit-Organisation ständig steigen, wogegen doch europaweit eigentlich eine gegenläufige Entwicklung beobachtbar ist. Die Gründe dafür sind sicherlich vielseitig. Wir wollen zunächst einmal die Wichtigsten herausstellen, ohne jedoch Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Ein Anlass für die überaus positive Entwicklung liegt sicherlich in der tiefen und festen Verankerung des Vereins im Land Südtirol. Schon aus dem geschichtlichen Rückblick am Anfang des Artikels geht hervor, dass das Weiße Kreuz zum Zeitpunkt der politischen Autonomiebewegung eine starke Anhängerschaft in der Bevölkerung hatte. Dies ist sicherlich auf die deutschsprachigen Wurzeln des Vereins zurückzuführen. Ein weiterer Aspekt liegt natürlich auch in der Natur des Vereins selbst. Die Trägerschaft des Weißen Kreuzes besteht aus Mitgliedern, welche den Verein sowohl finanziell, als auch ideell mittragen. Dies wurde unter anderem auch in den Leitsätzen des Vereins schriftlich festgehalten. Noch heute haben Mitglieder beim Weißen Kreuz oberste Priorität. Das Image des Vereins trägt auch zur kontinuierlich positiven Mitgliederentwicklung bei. Dadurch dass Südtirol flächen- und einwohnermäßig ein eher bescheidenes Land ist, sind die Bekanntschaften zwischen den einzelnen Bevölkerungsschichten relativ weitläufig gegeben. Außerordentlich verstärkt wird diese Entwicklung beim Weißen Kreuz durch die Organisationsstruktur, welche heute über 30 Sektionen, die im gesamten Land Südtirol verteilt sind, aufweist. Eine Organisation wie das Weiße Kreuz kann und darf sich deshalb in der Öffentlichkeit keine Blöße geben bzw. muss stets darauf bedacht sein, das Selbstbild adäquat nach außen zu transportieren, damit eine gewisse dynamische Stabilität erhalten bleibt. Das bedeutet, dass sich der Verein zwar kontinuierlich weiterentwickelt, jedoch trotzdem seinen ursprünglichen Wurzeln und seinem Auftrag entsprechend Linientreue beweist. Durch die zur Zeit ca. 2.500 freiwilligen Mitarbeiter, die im Verein tätig sind, hauptamtlich jedoch in regelmäßigem Kontakt zur Südtiroler Gesellschaft stehen und in verschiedenen gesellschaftlichen Kreisen verkehren, wird dieser Aspekt abermals bekräftigt. Da könnten eine schlechte Mundwerbung bzw. 1 oder 2 Negativschlagzeilen für große Verunsicherung unter den Mitgliedern sorgen. Diesen aufgezählten und vielen weiteren berücksichtigten Aspekten verdankt es das Weiße Kreuz, dass sich die Mitgliederentwicklung stets in die gewünschte positive Richtung bewegt hat, und hoffentlich auch in Zukunft weiterbewegt.
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Erfolgreiches Management in einer sozialen Nonprofit-Organisation
4.2
Entwicklung der finanziellen Situation
Wie bereits im vorigen Kapitel zur Mitgliederentwicklung angedeutet, stellen die Mitglieder die historische Basis für die heutige finanzielle Situation dar. In der Satzung des Landesrettungsvereins Weißes Kreuz steht heute geschrieben, dass der Verein ohne Gewinnabsicht handelt; sollten bei der Durchführung der institutionellen Tätigkeit Gewinne oder Bilanzüberschüsse entstehen, müssen diese wiederum für die Ausübung der Tätigkeiten eingesetzt werden. Lange Zeit finanzierte sich der Verein ausschließlich über die erhaltenen Mitgliedsbeiträge. Damit wurden Fahrzeuge angekauft, Sektionen aufgebaut und die Tätigkeiten organisiert und verwaltet. Obwohl es beim Weißen Kreuz schon von Beginn an eine zentrale Leitungsstelle gab, waren die einzelnen Sektionen vollkommen autonom bei der Ausübung ihrer finanziellen Geschäftsgebarung. Jede Sektion versuchte, soviel Vermögen wie möglich aufzubauen. Im Laufe der Zeit entwickelten sich dadurch jedoch riesige Ungleichgewichte zwischen größeren und kleineren Sektionen und es stellte sich vermehrt die Frage der Zentralisierung bzw. Dezentralisierung. Klarerweise wollte keine Sektion ihre unabhängige Stellung innerhalb des Vereins aufgeben. Dies war eine ganz normale Reaktion als Antwort auf die eingeleitete organisatorische Veränderungsphase bzw. den klassisch vollzogenen Reorganisationsprozess, welcher beim Weißen Kreuz, unter Mithilfe der Schweizer Beratergruppe für Verbandsmanagement, kurz BVM, vollzogen wurde. Der Veränderungsschritt wurde aus mehreren Gründen notwendig: Zum einen gab es die bereits weiter oben angesprochenen finanziellen Ungleichgewichte zwischen den einzelnen Sektionen. Zum anderen hatten sich aber auch die Rahmenbedingungen verändert. Sowohl organisatorische, als auch strategische und gesellschaftspolitische Veränderungen hatten einen enormen Einfluss auf den bevorstehenden Wandel. Der neu gewählte Vorstand, mit dem Präsidenten an der Spitze, sah seine strategische Aufgabe in erster Linie in der kontinuierlichen Verbesserung der Organisation und damit in einer Berichtigung des ansonsten stattfindenden organisatorischen Wildwuchses. Man erkannte, dass innerhalb der NPO Weißes Kreuz das Management eine sehr bedeutsame Rolle spielt. Allerdings war es aufgrund von organisationsspezifischen Eigenheiten nicht möglich, klassische Management-Lehren «1:1» auf den Verein zu übertragen. Somit begann man sich verstärkt am Freiburger Management-Modell für Nonprofit-Organisationen (FMM) zu orientieren. Unter anderem wurde das Austauschsystem näher betrachtet, es wurden kontinuierliche Führungsrhythmen eingeführt, Kostenstellen festgelegt, Stellenbeschreibungen niedergeschrieben, Personalentwicklung und Controllingaufgaben integriert etc. Heute verfügt das Weiße Kreuz über ein Management-Modell, welches sich in bestimmten Bereichen stark an das FMM anlehnt, in anderen Gebieten wiederum anderen Schulen folgt. Insgesamt be-
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Ivo Bonamico und Klaus Ladurner
trachtet hat die kontinuierliche Verbesserung zu einer Prozessoptimierung und in weiterer Folge zu einer Kostenoptimierung auf Landesebene beigetragen. Nach ausgiebigen Verhandlungen auf politischer Ebene ist es dem Weißen Kreuz schließlich gelungen, ein landesweites Tarifsystem für konventionierte Krankentransportwagen, Rettungswagen und Notarztwagen umzusetzen. Somit bestehen die heutigen Vereinseinnahmen aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden der Mitglieder, Beiträgen und Entgelte für die im Rahmen von Konventionen geleisteten Dienste, die von öffentlichen Verwaltungsbehörden für die Erbringung sozialer Dienste gezahlt werden, Erträgen aus tariflich vergüteten Dienstleistungen, Subventionen, Spenden und Beiträgen von Privaten und Körperschaften etc. All diese Einnahmen werden zur Finanzierung der institutionellen Tätigkeiten des Weißen Kreuzes verwendet. Im Jahre 2003 ist es dem Verein erstmals gelungen, schwarze Zahlen zu schreiben.
4.3
Motivation und Zufriedenheit der Freiwilligen
Der Landesrettungsverein Weißes Kreuz Onlus stellt nach Chester I. Barnard eine typisch «formale» Organisation dar. Formale Organisationen verdanken ihre Existenz der bewussten und absichtsgeleiteten Bereitschaft der Individuen zur Kooperation. Da dies so ist, wird es möglich, die Frage nach dem Überleben von Organisationen, als Frage nach der Erfüllung der Erwartungen zu stellen, die die Individuen mit ihrer freiwilligen Leistung für das gemeinsame Ziel verbinden. Um zu überleben, muss eine Organisation wie das Weiße Kreuz also immer wieder genug Anreize bereitstellen können, um die Individuen zur Leistung für die gemeinsame Zielerreichung zu veranlassen (Anreiz-Beitrags-Theorie). Erforderlich ist ein Gleichgewichtszustand zwischen Anreizen und Beiträgen. Das Weiße Kreuz stellt für seine Mitarbeiter – sowohl für hauptamtliche als auch für ehrenamtliche und freiwillige – eine Vielzahl an Anreizen bereit, um sie für die gemeinsame Zielerreichung zu gewinnen, so z. B. eine fundierte Erste Hilfe Ausbildung, rechtliche Absicherung bei der Ausübung des Dienstes, Mobiltelefone mit vergünstigten Tarifen, automatische Mitgliedschaft (mit allen Vorteilen eines zahlenden Mitglieds), eine ordentliche Dienstbekleidung, professionell ausgerüstete Fahrzeuge etc. Es sind jedoch nicht nur diese so genannten «harten Faktoren», welche Freiwillige zum Dienst beim Weißen Kreuz motivieren, sondern auch zahlreiche «weiche Faktoren» spielen mitunter eine sehr wichtige Rolle. Beispielsweise ist für viele freiwillige Helfer die Kollegialität im Verein, und speziell jene innerhalb der eigenen Gruppe, ein sehr wichtiger Motivationsfaktor. Auch die eigentliche Tätigkeit – anderen Menschen in Not zu helfen – ist für viele sehr wichtig. Natürlich macht auch die Möglichkeit, mit Blaulicht fahren zu dürfen, und als erster am Einsatzort anwesend zu sein, einen gewissen Anreiz aus.
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Erfolgreiches Management in einer sozialen Nonprofit-Organisation
Die konkrete Motivation der freiwilligen Mitarbeiter beim Weißen Kreuz wurde durch eine wissenschaftliche Untersuchung – im Rahmen der Erstellung einer Diplomarbeit im Jahre 2002 zum Thema «Management in NPO» – erfasst. Insgesamt wurden 100 Mitarbeiter befragt. Dabei ergab sich folgendes Bild:
94 Prozent aller befragten Freiwilligen macht das Dienstmachen meist sehr viel Spaß.
Dass das Weiße Kreuz dennoch nicht besser als andere Rettungsvereine ist, sagen 24 Prozent, während hingegen 51 Prozent schon dieser Meinung sind.
90 Prozent aller Freiwilligen machen ihren obligaten Nachtdienst, weil sie es gerne tun, während 30 Prozent ihren Dienst nur deshalb verrichten, weil sie ihn ein Mal pro Woche machen müssen.
77 Prozent aller Befragten fühlen sich in ihrer ehrenamtlichen Entwicklung genügend gefördert. Dies hängt sicherlich mit der umfangreichen Ausbildung zusammen, die gegenwärtig angeboten wird, bzw. sogar absolviert werden muss, um im Rettungsdienst als Freiwilliger tätig sein zu können.
Die meisten Freiwilligen sind mit der Ausübung der Tätigkeit selbst zufrieden. Nur 24 Prozent der befragten Ehrenamtlichen geben an, dass sie noch besser ihren Dienst verrichten könnten, wenn man sie fordert. Auch fühlen sich lediglich 16 Prozent überfordert. Beim Landesrettungsverein kann es schon Mal vorkommen, dass oftmals dieselben Ehrenamtlichen um Hilfe angefordert werden, wenn es darum geht, Bereitschaftsdienste abzudecken, oder auch um Mitarbeiter im Krankenstand zu ersetzen. Dies ist eine logische Konsequenz daraus, dass man auf bestimmte Freiwillige fast immer zählen kann, während andere wiederum nur ihren obligaten Nachtdienst abdecken. Dennoch – und dies bedarf einer besonderen Betonung – fühlen sich nur 14 Prozent aller Freiwilligen vom Weißen Kreuz bzw. von ihrer eigenen Sektion ausgenutzt. 86 Prozent aller befragten Freiwilligen können meist ihr Wissen und Können in der Organisation voll zum Ausdruck bringen. Auch die Lernbereitschaft unter den Freiwilligen ist mit 92 Prozent besonders hoch. Sie gaben an, kontinuierlich für Weiterbildung bereit zu sein. Die hohe Motivation und Zufriedenheit der Mitarbeiter ist beim Weißen Kreuz ein Garant für den Erfolg. Nur zufriedene Mitarbeiter sprechen nach Außen positiv über den Verein und dessen Tätigkeit. Dass dies sehr förderlich zur Rekrutierung bzw. Akquirierung neuer Mitarbeiter beiträgt, liegt auf der Hand. Nur so kann auch der seit Jahren gleich bleibende Mitarbeiterstand erklärt werden, zumal ansonsten keine groß angelegten Rekrutierungsanstrengungen unternommen wurden.
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Ivo Bonamico und Klaus Ladurner
Box 4:
Einige Erfolgsfaktoren beim Weißen Kreuz
Die Mitgliederentwicklung bildet seit Vereinsgründung eine zentrale Basis für den Vereinserfolg.
Trotz gegensätzlicher Tendenzen auf europäischer Ebene weist das Weiße Kreuz kontinuierlich steigende Mitgliederzahlen auf.
Die finanzielle Situation konnte Dank zahlreicher Optimierungsanstrengungen verbessert werden. Im Jahre 2003 wurden das erste Mal schwarze Zahlen geschrieben.
Die Anreiz-Beitrags-Theorie dient als Ausgangspunkt für die Motivation der zahlreichen freiwilligen Helfer.
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Die Erfolgsfaktoren im Überblick – Hinweise für NPO-Praktiker
In diesem abschließenden Kapitel sollen den Praktikern, die dieses Werk lesen, einige – nach Meinung der Verfasser wertvolle – Hinweise für eine erfolgreiche Praxis gegeben werden: Die langjährige Erfahrung der Verfasser als NPO-Manager beim Weißen Kreuz hat mehr als gezeigt, dass marktbestimmte Faktoren nicht zur Messung des Organisationserfolgs herangezogen werden können. Wohl gibt es aber eine Reihe anderer Größen, mit denen die Leistung einer NPO gemessen werden kann. Beim Weißen Kreuz geht man davon aus, dass man nur das managen kann, was man auch messen kann. Auch in einer NPO kann man es sich heute nicht mehr leisten, planlos vorzugehen. Mit zunehmender Organisationsgröße befindet man sich in einem ständigen Spannungsfeld von völlig konträren Interessen, die einem das Leben schwer machen können. Wir sind davon überzeugt, dass es angepasste Managementinstrumente braucht, damit man dem Wettbewerb um knappe Ressourcen den Kampf ansagen kann. Innerhalb des Pools zahlreicher vorhandener Instrumente, nimmt unserer Meinung nach die Stakeholderanalyse einen besonderen Stellenwert ein. Die regelmäßige Analyse des Austauschsystems, in welchem sich die NPO befindet, hilft beim Erkennen von wechselseitigen Abhängigkeiten, von sich ändernden Ansprüchen bzw. Nutzenerwartungen der Stakeholder und von möglichen strategischen Stoßrichtungen, welche sowohl von Austauschpartnern gewählt werden können, aber auch der eigenen NPO zur Verfügung stehen. Nur dadurch kann man Szenarien durchspielen und versuchen, die ungewisse Zukunft eher prognostizierbar zu machen. Die Messung der Kundenzufriedenheit ist ein weiteres wichtiges Instrument. Nur wenn man die Zufriedenheit seiner Kunden – im vorliegenden Falle Patienten – kennt,
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Erfolgreiches Management in einer sozialen Nonprofit-Organisation
weiß man, wohin man sich künftig bewegen soll. Allzu oft passiert es, dass man sich selbst etwas vormacht, indem man zu wissen glaubt, was der Kunde will. Ob dies aber tatsächlich der Realität entspricht, ist von vornherein nicht ganz klar. Deshalb wird beim WK die Zufriedenheit auch in regelmäßigen Abständen überprüft. Für das WK sind Erfolgsfaktoren nur jene, welche tatsächlich für den Organisationserfolg von Bedeutung sind. Dabei spielen auch die Mitarbeiter eine bemerkenswerte Rolle. Ohne die enorme Motivation von ca. 2.500 freiwilligen Mitarbeitern würde das Weiße Kreuz nämlich seine Existenzberechtigung verlieren. Als Volontariatsverein müssen über 50 Prozent der Leistungen durch freiwillige Mitarbeit abgedeckt werden. Dass wir dies seit knapp 40 Jahren schaffen, verdanken wir der großartigen Begeisterung unserer Helfer, die es selbstverständlich zu erhalten gilt. Auch die Mitgliederentwicklung zählt beim Weißen Kreuz zu den messbaren Erfolgsfaktoren. Anhand des positiven Verlaufs unserer Mitgliederanzahl messen wir unseren Erfolg. Niemand wird gezwungen, beim Weißen Kreuz Mitglied zu werden. Wenn jemand Mitglied wird, dann bedeutet das für uns, dass er sich von unserem Dienstleistungsangebot angesprochen fühlt, dass er gerne mithilft, dass er sich womöglich sogar mit dem Verein identifiziert und die positiven Assoziationen bzw. das positive Image des Vereins, auf seine eigene Person überträgt und diese Werte mit «einkauft». Abschließend sei der Präsident des WK, Dr. Georg Rammlmair, mit treffenden Worten zitiert, die die Essenz dieses Beitrags gelungen zusammenfassen: «Ich bin davon überzeugt, dass jede NPO in der Lage ist erfolgreich zu sein. Mit dem richtigen Feingefühl für den eigenen «Markt», den auf die eigene NPO zugeschnittenen Managementinstrumenten, welche sich von den Instrumenten der Profitorganisationen teilweise ziemlich unterscheiden, mit einer starken Leistungs- und Lernbereitschaft und dem Drang nach kontinuierlicher Verbesserung, kann sich jede NPO mit Sicherheit den großen Herausforderungen der heutigen Zeit stellen, welche der tertiäre Sektor für sie bereithält.»
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Change Management in der Münchener Caritas
Albert Hauser und Wolfgang Obermair
Change Management in der Münchener Caritas
Überblick .......................................................................................................................... 199 1
Rückblick: Krise als Chance........................................................................................... 200
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Reform mit Zielbewusstsein .......................................................................................... 201
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Reform der Strukturen ................................................................................................... 202
4
Reform der Prozesse ....................................................................................................... 205 4.1 Führung durch Zielvereinbarung........................................................................ 205 4.2 Strategische Planung ............................................................................................. 205 4.3 Systemisches Qualitätsmanagement................................................................... 206
5
Personalentwicklung ...................................................................................................... 207
6
Erfolgsfaktoren ................................................................................................................ 211
7
Ausblick ............................................................................................................................ 212
197
Change Management in der Münchener Caritas
Überblick Mit über 6.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in rund 400 sozialen Einrichtungen und einer Bilanzsumme von rund 325 Mio. Euro zählt der Caritasverband der Erzdiözese München und Freising e. V. (kurz: DiCV) zu den Großen im Bereich der freien Wohlfahrt.
Der DiCV ist in fast allen Sparten der sozialen und pflegerischen Arbeit tätig. Er unterhält ambulante Dienste und stationäre Angebote im gesamten Bereich der Erzdiözese München und Freising (entspricht ungefähr dem Regierungsbezirk Oberbayern mit 4,17 Mio. Einwohnern auf 17.500 qkm Fläche).
Der DiCV wird von einem hauptamtlichen, dreiköpfigen Vorstand mit eindeutiger Ressortaufteilung geleitet. Als Aufsichtsrat fungiert ein zwölfköpfiger «CaritasRat».
Das operative Geschäft ist in 6 Geschäftsbereiche mit weitgehender Personal- und Budgetkompetenz untergliedert. Unterstützt werden die Dienste und Einrichtungen durch 4 Abteilungen und weiteren Stellen in der Zentrale.
Die heutige Struktur ist das Ergebnis eines tief greifenden Reformprozesses in den 90er Jahren, der den Verband nach einem starken Wachstumsschub in den 70er und 80er Jahren fit machen sollte für die Zukunft. Die großen Weichenstellungen sind erfolgt; die Optimierung der Aufbau- und Ablauforganisation bleibt jedoch eine kontinuierliche Aufgabe.
Der dezentralen Struktur des großen und komplexen Verbands mit möglichst viel Verantwortung vor Ort und zugleich gemeinsamer strategischer Führung entsprechen die auf Weiterentwicklung angelegten Prozesse. Stichwortartig sind zu nennen Strategische Planung, Führung durch Zielvereinbarung, Systemisches Qualitätsmanagement, Personal- und Organisationsentwicklung.
Der DiCV ist nicht nur Trägerverband mit eigenen Einrichtungen, sondern auch Spitzenverband aller kirchlich-karitativen Einrichtungen der Erzdiözese. Er vertritt sie gegenüber Kostenträgern und auf übergeordneten politischen Ebenen, berät sie in fachlichen und organisatorischen Fragen und bietet ihnen ein umfangreiches Weiterbildungsprogramm.
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Albert Hauser und Wolfgang Obermair
1
Rückblick: Krise als Chance
Einen Anfangsschub zu einer grundlegenden Reform erhielt der DiCV durch eine krisenhafte Zuspitzung der Probleme. Zum einen hatte (und hat) sich der Verband wachsenden Anforderungen und steigendem Leistungsbedarf aufgrund sich verschärfender ökonomischer und sozialer Problemlagen zu stellen. Hinzu kamen zunehmende Konkurrenz mit privatgewerblichen Anbietern, restriktive Förderpolitik und Zuwendungspraxis, öffentlicher Legitimationsdruck und wachsendes Qualitätsbewusstsein vieler Klienten, die sich zunehmend und zu Recht als «kundige Kunden» verstehen und auftreten. Diese für die etablierten Wohlfahrtsverbände ungewohnt unbequeme Wettbewerbsposition vor allem in den Aufgabenbereichen, die für gewinnorientierte «Private» interessant sind, wäre nun Grund genug für ein verstärkt qualitätsbewusstes Agieren gewesen. Gefragt ist in einer solchen Situation nicht nur Qualität im Sinne eines ordentlichen und fehlerfreien Ergebnisses, gefragt ist vielmehr Qualität im Sinne herausragender, d. h. Differenzierungspotentiale und Wettbewerbsvorteile schaffender Ergebnisse. Doch gerade dazu sah sich der DiCV aufgrund hausgemachter Fehlerquellen nicht genügend in der Lage. Eine Ende 1990 unternommene, detaillierte Analyse des IstZustands machte vielmehr gravierende Mängel in der Ablauf- und Aufbauorganisation deutlich. Struktur, Organisation und Führung hatten mit dem rasanten, aber nur mangelhaft bewältigten Wachstum des Verbandes nicht mitgehalten. So hatte sich z. B. der Personalbestand von 1980 bis 1995 nahezu verdoppelt. In diesem Zustand waren die Ziele des DiCV hinsichtlich optimaler Leistungserfüllung für die Klienten, Arbeitseffizienz und Wirtschaftlichkeit nicht ausreichend zu erfüllen. So waren z. B. die Organisationseinheiten und Führungsspannen zu groß und unüberschaubar (teils über 1.000 Mitarbeiter pro Abteilung). Es fehlten gemeinsame Zielvorstellungen und Führungsmethoden, was zusammen mit mangelnder Kommunikation zu erheblichen Reibungsverlusten führte. Aufgrund des nicht mehr angemessenen, kameralistischen Rechnungswesens fehlte ein wirklicher Überblick über Verbindlichkeiten, was die mittelfristige Planung enorm erschwerte. Der Problemdruck, vor allem aber die eigene und ernsthafte Reformbereitschaft des (damals noch ehrenamtlichen) Vorstands und der beiden Direktoren ermöglichten es, aus der Krise eine chancenbergende Herausforderung zu machen und einen Reformprozess einzuleiten.
200
Change Management in der Münchener Caritas
Box 1:
Problemdruck und Reformbereitschaft beschleunigen den Wandel Nur mit gründlicher und selbstkritischer Diagnose wird aus der Krise eine Chance
2
Reform mit Zielbewusstsein
Dieser Reformprozess war von Anfang an als ein strategischer Wandel angelegt, der nicht nur auf aktuelle Probleme reagiert, sondern sich bewusst Ziele des Wandels setzt und zukunftsorientiert agiert. Folgende Reformziele waren für den Prozess wegweisend:
Trennung von Spitzen- und Trägerverband Dezentralisierung des Trägerverbandes mit einer flachen Hierarchie und eindeutig definierter Führungsverantwortung
Einführung einer Spartenorganisation Neuorganisation der Fachabteilungen zu einer einheitlichen Abteilung Einführung von «Führung durch Zielvereinbarung» und unterstützenden Instrumenten
klare Trennung von Fach- und Führungsverantwortung effektive und wirtschaftliche Arbeitsorganisation und Betriebsführung Die angestrebte Optimierung sollte über punktuelle Verbesserungen hinausgehen und sowohl «harte» (v. a. strukturelle) als auch «weiche» Faktoren einbeziehen, also Strukturen, Prozesse und Verhalten betreffen. Letztlich ging und geht es um zufriedene Klienten, Patienten und Mitarbeiter durch Kompetenz in den Einrichtungen vor Ort und durch den Service der Abteilungen und Stäbe in der Zentrale, kurz gesagt: um einen qualitativ hochwertigen Dienst an den hilfesuchenden Menschen. Um die Ziele überhaupt und zügig zu erreichen, war es sinnvoll und notwendig, die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (also nicht nur die Führungskräfte!) am Prozess zu beteiligen: durch Befragungen in der Ermittlungsphase, durch frühzeitige und umfassende Information über das Reformvorhaben auf Mitarbeiterversammlungen, in Informationsschriften, im persönlichen Gespräch und vor allem durch Einbezug in die Konzeption des Prozess und in die konkrete Prozessgestaltung. Dies geschah z. B. in dem eigens gegründeten «Fachausschuss», in dem Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der verschiedensten Verbandsbereiche vertreten waren. In enger
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Albert Hauser und Wolfgang Obermair
Abstimmung mit diesem Fachausschuss entwickelte die für die Prozessgestaltung verantwortliche «Projektgruppe» Konzepte und initiierte die fälligen Umsetzungsmaßnahmen. Auf diese Weise gewann der Vorstand als Entscheidungsträger die durch Partizipation erweiterte Informationsbasis. Zugleich konnte er durch die aktive Beteiligung der Betroffenen deren Bereitschaft und Mitwirkung am Prozess steigern und vorhandene Ängste und potentielle Widerstände reduzieren. Unterstützt und ergänzt wurden die Prozessgestalter durch die externe und weniger «betriebsblinde» Perspektive einer auf Organisationsentwicklung spezialisierten Beratung. Um den Transfer vom Konzept in die Realität zu sichern und um wirklich praxistaugliche Lösungen zu finden, wurden die entscheidenden Schritte testweise in Pilotprojekten und Erprobungsphasen durchgespielt und – wo nötig – modifiziert.
3
Reform der Strukturen
Die entscheidenden Schritte des Wegs sind im Zeitraum von Dezember 1991 bis Dezember 1995 vollzogen worden: Die Strukturreform setzte zur Behebung dieser Störungen zunächst ganz oben an: Der bislang ehrenamtliche Vorstand wurde durch ein hauptamtliches geschäftsführendes Vorstandstrio mit klar definierten Zuständigkeiten ersetzt, das nun vom ebenfalls neugegründeten Caritasrat (gewissermaßen dem Aufsichtsrat des Verbands) kontrolliert wird. Diese Aufgabenteilung an der Spitze mit klaren Spielregeln, effektiven Entscheidungs- und Aufsichtsmechanismen ist ein Beispiel für die sinnvolle Übersetzung von im Profit-Bereich bewährten Strukturen auf NPO. Mitte 1998 wurde ein weiterer, mittlerweile erfolgreich abgeschlossener Reformprozess gestartet, der allerdings nicht als Widerruf des «ersten Anlaufs» zu verstehen ist, sondern als Ausdruck des viel beschworenen kontinuierlichen Wandels. Der Schwerpunkt dieser ebenfalls weitgehend abgeschlossenen Phase liegt auf der Geschäftsverteilung, die entsprechend den gemachten Erfahrungen angepasst worden ist. Jedem Vorstandsmitglied ist eigenverantwortlich ein Ressort zugeordnet (vgl. Abbildung 1).
202
Change Management in der Münchener Caritas
Abbildung 1: Organisationsstruktur der DiCV
203
Albert Hauser und Wolfgang Obermair
Das Ressort I ist für die Fragen der Fachqualität verantwortlich und nimmt in diesem Rahmen die spitzenverbandliche Aufgabe der Fachberatung aller angeschlossenen Einrichtungen wahr. Zum Ressort I gehört auch die neu strukturierte Abteilung Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit, die sämtliche kommunikativen Aufgaben bis hin zum professionellen Fundraising systematisch miteinander verzahnt.
Im Ressort II ist das operative Geschäft des Trägerverbands zusammengefasst, wobei die zahlreichen Einrichtungen teils regional, teils fachlich in weitgehend autonomen Geschäftsbereichen gebündelt wurden. Das so genannte «Institut für Bildung und Entwicklung» stellt in diesem Rahmen einen eigenen Geschäftsbereich dar und ist für die zunehmend wichtiger werdenden Bereiche der Personal- und Strukturentwicklung und der Aus- und Weiterbildung verantwortlich.
Im Ressort III sind alle zentral und mit «Service-Orientierung» zu erledigenden, wirtschaftlichen und verwaltenden Aufgaben zusammengefasst. Dazu zählt nicht zuletzt ein effizientes und aussagekräftiges Rechnungswesen. In der neuen Struktur kann die jeweilige Fachkompetenz besser zum Zug kommen. Führungs- und Fachkompetenz werden «sauber» unterschieden. Fachkräften bleibt es erspart, «nebenbei» auch führen zu müssen und sie erhalten zugleich die verstärkt gewünschten Freiräume für eigenverantwortliches Handeln. Führungskräften wird es ermöglicht, sich als solche zu verstehen. Durch konsequente Dezentralisierung werden Entscheidungen dorthin verlagert, wo sie hingehören, d. h. so weit wie möglich in das unmittelbare Umfeld des hilfesuchenden Menschen bzw. der jeweils tätigen Fachkraft. Die genannte, neue Kompetenzaussage «Nah. Am Nächsten.» (vgl. Abbildung 2) erhält auf diese Weise eine strukturelle Absicherung.
Abbildung 2: Kompetenzaussage der DiCV
204
Change Management in der Münchener Caritas
Box 2:
Struktur mit klaren Rollen, eindeutigen Zuständigkeiten und effizienten Spielregeln Struktur soll ermöglichen, dass Kernkompetenz zum Zuge kommt
4
Reform der Prozesse
4.1
Führung durch Zielvereinbarung
Um die neuen Strukturen mit Leben zu füllen, ist vor allem das ManagementFührungssystem «Führung durch Zielvereinbarung» eingeführt, in Pilotphasen getestet und mittlerweile flächendeckend umgesetzt worden. Es bietet folgende Vorteile:
Es hilft, die langfristigen Organisationsziele auf dialogische Weise bis in ganz konkrete Arbeitsziele hinein zu übersetzen.
Es verhilft der gesamten Organisation zu einer verstärkten Zukunftsorientierung und zu einem gemeinsamen Qualitätsbewusstsein.
Es erhöht die Effizienz der Entscheidungsabläufe und verringert Kommunikationsdefizite.
Es verschafft den Fachkräften die nötigen Spielräume, um ihre Kompetenz zum Zug kommen zu lassen.
Es steigert die Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Eine gesprächsorientierte Führung wie «Führung durch Zielvereinbarung» ist für beide Seiten anspruchsvoll, setzt kommunikative Kompetenzen voraus bzw. weckt entsprechenden Qualifizierungsbedarf. Die Münchener Caritas hat auf diesen Bedarf reagiert, indem sie nicht einfach ein neues Führungssystem einführt, sondern die Einführung systematisch mit entsprechenden Trainings begleitet und unterstützt.
4.2
Strategische Planung
«Führung durch Zielvereinbarung» kann nur dann für eine strategische Ausrichtung der Gesamtorganisation sorgen, wenn es ganz oben in der Zielhierarchie wegweisende und sinnvolle Zielsetzungen gibt. Zu diesem Zweck wird der Vorstand durch eine Planungsgruppe in der «Strategischen Planung» unterstützt. Diese erarbeitet in Ab-
205
Albert Hauser und Wolfgang Obermair
stimmung mit den verschiedenen Verbandsbereichen eine Entscheidungsgrundlage, um «Strategische Ziele» zu definieren und diese Ziele weiter zu entwickeln und gegebenenfalls anzupassen. Im Zuge der Strategischen Planung findet die für eine NPO wichtige Abklärung statt, wie sich der für die Organisation wesentliche ideelle Auftrag unter den gegebenen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Bedingungen am besten realisieren lässt. Angesichts der sich immer schneller wandelnden Rahmenbedingungen kommt der Strategischen Planung eine doppelte Aufgabe zu: Einerseits soll sie dem Verband, seinen Mitarbeitern und auch seinen externen Anspruchsgruppen eine langfristige und motivierende Orientierung bieten; andererseits und zugleich soll sie ihn flexibel machen, auf geänderte Anforderungen angemessen reagieren zu können. Insbesondere folgende Einflussfaktoren seien genannt, die einem nur bedingt vorhersehbaren Wandel unterliegen:
Bedarfe und Nachfrage nach sozialen und pflegerischen Dienstleistungen Wettbewerbssituation (insbesondere privat-kommerzielle Anbieter) Entwicklung der Leistungsentgelte und Zuschüsse Arbeitsmarktsituation Rechtliche Normierungen (zunehmend auch auf europäischer Ebene)
4.3
Systemisches Qualitätsmanagement
Um auf sich ändernde Rahmenbedingungen reagieren und den eigenen Auftrag auch unter veränderten Vorzeichen realisieren zu können, ist ein systemisches Qualitätsmanagement eingeführt worden. Dieses wurde von DiCV-Mitarbeitern für den DiCV entwickelt und wird seit 2001 in den Diensten und Einrichtungen eingeführt. Der systemische Ansatz von «Caritas München Qualitätsmanagement» (CMQM) stellt die Perspektive der internen und externen Anspruchsgruppen in den Mittelpunkt, erarbeitet aus deren Sichtweise Strategien und konkrete Maßnahmen, um die zentralen Ansprüche dieser verschiedenen Anspruchsgruppen besser zu erfüllen. CMQM ist mehr als Qualitätssicherung, da es unter möglichst breiter Beteiligung der Mitarbeiter zunächst fragt, welches Qualitätsverständnis man denn hat und verwirklichen will. Die Einführungsprozesse werden von geschulten Verbandsmitarbeitern begleitet und anschließend ausführlich ausgewertet: Die ersten Erfahrungen zeigen, dass CMQM zur Erhöhung der Ergebnisqualität ebenso beiträgt wie zur erhöhten Motivation und Zufriedenheit der Führungskräfte und Mitarbeiter.
206
Change Management in der Münchener Caritas
Ein unverzichtbares Instrument, diese Motivation und Zufriedenheit (letztlich die «Befähigerqualität») der Mitarbeiter zu sichern und zu steigern, ist die Personalentwicklung. Diese sei im Folgenden ausführlicher behandelt.
Box 3:
Führung durch Zielvereinbarung motiviert und aktiviert Kompetenzen Strategische Planung schafft Zukunft und verhindert Verzettelung Systematisches Qualitätsmanagement ist mehr als bloße Sicherung
5
Personalentwicklung
Eine sozialdienstleistende Organisation wie die Caritas, deren eigentliche Kernarbeit von Mensch zu Mensch stattfindet, kann den Wandel nur bestehen und gestalten, wenn sie ihre wichtigste Ressource, die Ressource Personal, pflegt und entwickelt. Zu diesem Zweck hat der DiCV in einem langen und intensiven Prozess mit breiter Beteiligung von Mitarbeitern ein Rahmenkonzept erarbeitet, das den Titel «Bilden und Entwickeln» trägt, das auf der einen Seite dem gesamten Verband einen verbindlichen Rahmen für alle Fragen der Personalentwicklung vorgibt, das andererseits offen ist für individuell passende Umsetzung und vor allem für eine beständige Weiterentwicklung. Denn ein Personalentwicklungskonzept, das Personal und Organisation fit machen soll für Wandel und Entwicklung, muss natürlich selbst offen und entwicklungsfähig angelegt sein. Wesentlich für das Rahmenkonzept ist ein möglichst umfassendes, unverkürztes Verständnis von Personalentwicklung. «Umfassend» heißt zum Beispiel, dass Personalentwicklung alle Führungsebenen, alle Berufsgruppen und auch alle Phasen der Berufstätigkeit betrifft. Eine Verkürzung wäre es etwa, wenn man Personalentwicklung auf die Führungskräfte und noch dazu auf deren «Hochleistungsphasen» reduziert. Gerade der Caritas steht es gut zu Gesicht, Personalentwicklung für alle Mitarbeiter und für alle Phasen des Berufslebens zu gestalten, denn jeder und jede hat die Aufgabe, soll aber auch die reale Chance haben, sich weiter zu entwickeln. Personalentwicklung bei der Münchner Caritas umfasst daher viele «Bausteine»:
Baustein «Mitarbeiter gewinnen und auswählen» Hierzu zählt die interne und externe Personalgewinnung, z. B. über die gut nachgefragte Jobbörse (vgl. Abbildung 3) oder auch andere Instrumente des Personalmarketings. Zu diesem Baustein gehört aber auch die Ausbildung in 6 eigenen beruflichen 207
Albert Hauser und Wolfgang Obermair
Schulen. Solche Schulen sind ein guter Ort, um die potentiellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur mit dem «Proprium» der Organisation vertraut zu machen, sondern sie auch schon frühzeitig bereit und fit zu machen für den Wandel, der sie im Berufsleben erwarten wird.
Abbildung 3: Jobbörse der DiCV im Internet
Für die interne Personalgewinnung insbesondere von zukünftigen Führungskräften sei auch auf innovative Auswahlverfahren verwiesen wie zum Beispiel den so genannten «Kompetenzpool», der sich als ein geeignetes Instrument der «Talentsuche» erwiesen hat.
208
Change Management in der Münchener Caritas
Baustein «Mitarbeiter einarbeiten» In Zeiten des Wandels steigen auch die Anforderungen an das Einarbeiten, da sich dieses nicht mehr beschränken kann auf einfache Einweisungen in Abläufe, die für alle Zeiten so bleiben werden. Einführungstage zum Kennen lernen der Gesamtorganisation und Begleitung am Arbeitsplatz vor Ort anhand eines Konzepts mit Checklisten ergänzen sich gegenseitig.
Baustein «Mitarbeiter weiterbilden» In diesem klassischen Feld der Personalentwicklung bietet der DiCV seit über 10 Jahren ein umfassendes Weiterbildungsprogramm für Fach- und Führungskräfte aller Berufsgruppen und Führungsebenen mit rund 500 Seminaren, Trainings und InhouseSchulungen zu allen Kompetenzbereichen. Verantwortlich für die Weiterbildung ist das Institut für Bildung und Entwicklung, das auch federführend zuständig ist für die Personalentwicklung insgesamt.
Baustein «Mitarbeiter fördern» Eine Organisation wie die Caritas muss ihrem Personal Entwicklungs- und Einsatzmöglichkeiten bieten, mit denen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ihre in der Regel sehr stark ausgeprägte intrinsische Motivation in eine befriedigende Tätigkeit umsetzen können. Das Management-System «Führung durch Zielvereinbarung» ist auch ein wichtiges Instrument der Mitarbeiterförderung, denn die gemeinsame Ermittlung von Entwicklungsperspektiven und Qualifizierungsbedarfen, der gemeinsame Abgleich von Organisationszielen und individuellen Mitarbeiterzielen gehört wesentlich zum Zielvereinbarungsgespräch. Auch ist es möglich, im Rahmen dieses Management-Systems eigene Fördergespräche anzusetzen. Neben der «Führung durch Zielvereinbarung» hat der DiCV eine Reihe weiterer Instrumente eingeführt, zum Beispiel den schon genannten «Kompetenzpool», der den Teilnehmern unter anderem eine Gewinn bringende Potentialeinschätzung bietet. Zu nennen in diesem Zusammenhang der «Förderung» sind natürlich auch die Instrumente der Supervision und des Coaching’s sowohl für einzelne Führungskräfte und Mitarbeiter als auch für Teams und Organisationseinheiten. Die intensive Begleitung in Supervision und Coaching hat sich gerade in Phasen des Wandels und des Umbruchs als eine hilfreiche Form der Förderung erwiesen.
Baustein «Zu besonderen Leistungen motivieren» Die Caritas und die sozialen Nonprofit-Organisationen (NPO) haben nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über finanzielle Leistungsanreize zu motivieren. Glücklicherweise verfügen die meisten Mitarbeiter über eine intrinsische Motivation und das Bedürfnis, Sinn und Befriedigung in der Arbeit selbst zu finden. Dennoch wäre es auch für die Caritas hilfreich, besonders leistungswilligen Führungskräften und Mitarbeitern auch über die Vergütung Anerkennung für ihren besonderen Beitrag zu erweisen. Zur Reform des Vergütungssystems finden
209
Albert Hauser und Wolfgang Obermair
Modellprojekte statt, die wissenschaftlich begleitet und dann solide ausgewertet werden. Neben dieser notwendigen und natürlich auch kontroversen Diskussion um finanzielle Anreize darf nicht die breite Palette möglicher nicht-monetärer Leistungsanreize vergessen werden.
Baustein «Unterstützen und Begleiten» Personalentwicklung muss auch beinhalten, unnötige Arbeitsbelastungen und Stressfaktoren soweit wie möglich zu reduzieren, allen Mitarbeitern eine ausgewogene Balance zwischen Berufs- und Privatleben zu ermöglichen und vor allem gezielte Unterstützung in besonderen Belastungssituationen zu bieten. Der auf diesem Forum oft genannte «Wandel» soll zwar als Chance verstanden werden – in vielen Fällen bringt er jedoch zunächst Umstellungsschwierigkeiten und möglicherweise Überforderungen mit sich. Mitarbeiter, die privat oder auch beruflich belastenden Wandlungsprozessen unterworfen sind, verdienen die besondere «Fürsorge» des Arbeit- bzw. Dienstgebers. Zu dieser «Fürsorge» – ein etwas altmodisches aber doch treffendes Wort – zählen zum Beispiel Möglichkeiten, die Arbeitszeit flexibel an die jeweilige Lebenssituation anzupassen. Hier ist die Münchner Caritas mit innovativen Arbeitszeitmodellen auf dem richtigen Weg. Zusätzliche Instrumente wie etwa «Langzeitarbeitskonten» sind in der Erprobung. Zur Fürsorge, Begleitung und Unterstützung gehören aber auch die konsequente Umsetzung gesundheitsfördernder Maßnahmen, spezielle Angebote des Instituts zur Besinnung und zum «Atemholen» oder auch klare Regelungen, wie mit besonders problematischen Situationen, zum Beispiel der Sucht eines Mitarbeiters, diskret und hilfreich umzugehen ist.
Baustein «Frauen für Führung motivieren und fördern» Um den nach wie vor zu geringen Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen, sieht das Personalentwicklungskonzept eine Reihe von Maßnahmen vor, etwa «Orientierungsseminare» für Frauen, in denen der Entscheidungsprozess für eine Fach- oder Führungslaufbahn unterstützt wird. Diese Seminare werden maßgeblich von der Gleichstellungsstelle mitgestaltet, die auch die Kontaktpflege zu Frauen in der Familienphase oder auch die Netzwerkbildung unter den Mitarbeiterinnen unterstützt. In der Erprobung ist zurzeit ein Mentoring-Programm, in dem sich erfahrene «Führungsfrauen» mit potentiellen «Führungsfrauen» zu «Tandems» zusammenschließen.
Baustein «Führungsqualität sichern und verbessern» Führungs- und Managementqualität hat einen entscheidenden Einfluss auf Qualität, Motivation und Arbeitszufriedenheit und auch auf die Bereitschaft der Mitarbeiter, sich weiter zu entwickeln und den Wandel mit zu gestalten. Im Zuge der Erarbeitung des Rahmenkonzepts zur Personalentwicklung hat der DiCV unter breiter Beteiligung von Führungskräften und Mitarbeitern «Führungsleitlinien» formuliert, in denen ein
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Change Management in der Münchener Caritas
verbindliches und herausforderndes Führungsverständnis der Münchner Caritas zum Ausdruck kommt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben nun «schwarz auf weiß», was sie von ihren Führungskräften erwarten dürfen, und die Führungskräfte selbst erhalten eine hilfreiche Orientierung für die Reflexion und Weiterentwicklung ihres Führungshandelns. Auch bieten die Leitlinien eine gute Grundlage für die Auswahl zukünftiger Führungskräfte und für die inhaltliche Gestaltung unserer Führungsqualifizierung. Zurzeit wird ein «Feedbackverfahren» erprobt, mit dem Mitarbeiter als «Hauptbetroffene» zu ihrer Einschätzung der Führungs- und Managementqualität systematisch befragt werden können. Auf diese Weise wird der DiCV wichtige Hinweise erhalten, in welchen Punkten die Führungskräfte Unterstützungs- und zum Beispiel Qualifizierungsbedarf haben.
Box 4:
Personalentwicklung ist Investition in die zentrale Ressource Personalentwicklung braucht systematische Bündelung und strategische Ausrichtung
6
Erfolgsfaktoren
Abschließend seien die wichtigsten Faktoren benannt, die zur erfolgreichen Weiterentwicklung des DiCV beigetragen haben und sicher auch für Reformprozesse in anderen Organisationen zu beachten sind:
Ohne die Reformbereitschaft an der Spitze gelingt keine Reform. Gerade in komplexen Organisationen ist dieser Top-Down-Aspekt unerlässlich.
Die Reformbereitschaft «ganz oben» führt zu nichts, wenn die betroffenen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nicht aktiv einbezogen werden – und zwar in allen Phasen der Veränderung, von der Diagnose bis zur Umsetzung. Das Gebot der Beteiligung gilt für Prozesse der Umstrukturierung ebenso wie für Vorhaben wie Qualitätsmanagement oder Entwicklung eines Personalentwicklungskonzepts.
Am Anfang jeder Veränderung bzw. Weiterentwicklung muss die Bereitschaft zu einer ehrlichen und schonungslosen Analyse der Schwächen, freilich auch der Stärken stehen.
Ebenso notwendig ist ein klares Wissen über das Wohin des Wegs, also ein motivierendes, strategisch wirksames Zielbewusstsein.
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Albert Hauser und Wolfgang Obermair
Bei jeder Konzeptentwicklung muss der Transfer in den Blick genommen werden: durch Einbeziehung kompetenter Betroffener und durch praxisnahe Erprobung und Modifizierung in Pilotprojekten.
Jeder einzelne Reformschritt, aber auch die gesamte Reform bedarf der Nachbereitung. Die Reform scheitert, wenn die betroffenen Mitarbeiter bloß vor neue Fakten gestellt und dann in Stich gelassen werden.
Die «Reformierenden» müssen sich bewusst sein, niemals die für alle Zeiten gültige Lösung aller organisatorischen und strukturellen Probleme gefunden zu haben. Zwar darf die Reform nicht zum frustrierenden Selbstzweck werden – gleichwohl muss die Bereitschaft zum kontinuierlichen Wandel bewahrt werden.
Box 5:
Jeder Reformprozess hat Erfolgsfaktoren und «Stolpersteine» Erfolgreiche Veränderung braucht ein «Gewusst-wozu» und ein «Gewusst-wie»
7
Ausblick
Der DiCV ist hinsichtlich seiner Strukturen und Prozesse gut gewappnet, um den sich ändernden Rahmenbedingungen und den neuen Herausforderungen gerecht zu werden. Rückmeldungen der Führungskräfte und Mitarbeiter, aber auch die wirtschaftliche Entwicklung zeigen, dass der Verband bei allen gravierenden Problemen (z. B. einer sich auch weiterhin noch verschlechternde Finanzierung durch Entgelte und Zuschüsse) in der Lage ist, seinen ideellen Auftrag ohne Gefährdung seiner wirtschaftlichen Grundlagen zu erfüllen. Damit dies so bleibt, sind vor allem 2 Punkte zu beachten:
Der nach einem langen und teilweise schmerzhaften Reformprozess erreichte Zustand des DiCV darf eben kein «Zustand» sein, sondern muss offen bleiben für eine beständige Weiterentwicklung. Das Mission Statement des VMI «Nonprofit but Management» muss auch zukünftig gelten und verlangt die stetige und professionelle Anpassung der Strukturen und Prozesse an die sich ändernden Bedingungen. Zur Veränderung als Daueraufgabe müssen alle bereit sein: die Verbandsleitung, die Führungskräfte und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Wirtschaftlicher Druck sollte ein heilsamer Anstoß sein, um immer wieder zu prüfen, ob die Organisation sich wirklich auf ihren Auftrag konzentriert oder ob sie
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Change Management in der Münchener Caritas
sich in vielen liebgewordenen Tätigkeitsfeldern verzettelt. Die Caritas kann sich längst nicht mehr alles leisten, also muss sie sich auf ihre eigentlichen Leistungen konzentrieren. Dies erfordert unter Umständen die schmerzhafte Entscheidung, bestimmte Aufgaben zu lassen: nicht um sich zurückzuziehen, sondern um sich dem Wesentlichen zuzuwenden.
Box 6:
Beständig ist allein der Wandel: Reform als Daueraufgabe Wandel kann auch «Lassen» heißen: Konzentration auf das Wesentliche
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Caritas Schweiz – Ein Generalunternehmen der Solidarität
Jürg Krummenacher
Caritas Schweiz – Ein Generalunternehmen der Solidarität
Überblick .......................................................................................................................... 217 1
Die Caritas-Philosophie: Konkrete Hilfe und gesellschaftspolitisches Engagement ........................................ 218
2
Ein mittelgroßes Dienstleistungsunternehmen .......................................................... 220
3
Umkämpfter Schweizer Spendenmarkt....................................................................... 223
4
Grundlage des Organisationserfolges - Vertrauen schaffen ..................................... 226
5
Zeit des Umbruchs .......................................................................................................... 237
215
Caritas Schweiz – Ein Generalunternehmen der Solidarität
Überblick Caritas Schweiz wurde 1901 gegründet. Das polyvalente Hilfswerk ist in der Sozialarbeit im Inland, im Migrationsbereich und in 50 Ländern in der humanitären Hilfe und in der Entwicklungszusammenarbeit tätig. Das Hilfswerk nimmt mit Positionspapieren auch regelmäßig zu gesellschaftspolitischen Fragen Stellung.
Träger des Hilfswerks ist ein Verein, dem 57 Organisationen angehören. Dazu gehören die Bistümer der römisch-katholischen Kirche, alle großen katholischen Verbände und wichtige soziale Fachorganisationen.
Caritas Schweiz ist Mitglied von Caritas Internationalis, einem Weltverband mit 162 nationalen Mitgliedern und einer Tätigkeit in über 200 Ländern. In der Schweiz arbeitet Caritas Schweiz sehr eng mit den 16 regionalen Caritas-Stellen zusammen. Diese sind Mitglieder des Verbands, aber rechtlich und führungsmäßig autonom.
Caritas ist heute eines der größten Hilfswerke in der Schweiz. Ende 2003 zählte die Organisation mehr als 500 Mitarbeitende. Das Jahresbudget belief sich auf 103 Mio. CHF. Das Spendenaufkommen im Durchschnitt der letzten 5 Jahre betrug fast 24 Mio. CHF.
Caritas Schweiz hat in den letzten Jahren auf allen Ebenen eine starke Professionalisierung durchgeführt. Die Organisation verfügt über ein eigenständiges Management-System. Als erstes gesamtschweizerisches Hilfswerk hat die Caritas im Jahr 1998 das ISO-Zertifikat und als erste Organisation überhaupt im Jahr 2003 das «NPO-Label für Management-Excellence» erlangt.
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Jürg Krummenacher
1
Die Caritas-Philosophie: Konkrete Hilfe und gesellschaftspolitisches Engagement
Caritas Schweiz wurde 1901 gegründet. Heute ist die Organisation, die aus dem katholischen Verbandskatholizismus hervorgegangen ist, ein polyvalentes Hilfswerk. Das Tätigkeitsfeld von Caritas Schweiz ist breit. Caritas Schweiz ist in der Sozialarbeit im Inland, im Migrationsbereich und in der internationalen Zusammenarbeit engagiert. Im Inland und im Migrationsbereich nimmt Caritas Schweiz folgende Aufgaben wahr:
Die Durchführung von Projekten für sozial benachteiligte Menschen (z. B. der Caritas-Markt)
die Katastrophenhilfe nach schweren Unwettern die Vermittlung von Freiwilligen im Rahmen von sozialen Einsätzen im Berggebiet die Unterbringung und Betreuung von Asyl Suchenden und die Durchführung von Bildungs- und Beschäftigungsprojekten
die Betreuung von anerkannten Flüchtlingen die Realisierung von Integrationsprojekten die Rechtsberatung für Asyl Suchende und Flüchtlinge und die Hilfswerkvertretung bei den Befragungen
die Führung eines Kleidersortierwerks für Altkleider In der internationalen Zusammenarbeit ist Caritas Schweiz in der humanitären Hilfe in Katastrophengebieten, im Wiederaufbau und in Entwicklungsprojekten in rund 50 Ländern in Afrika, Asien, Lateinamerika, im Mittleren Osten und in Osteuropa engagiert. Die Wiederaufbauprojekte haben oft einen beträchtlichen Umfang. So hat Caritas Schweiz beispielsweise in Bosnien-Herzegowina und Kosovo seit dem Ende der Kriege bis jetzt (Stand: 2004) über 7.000 Häuser und Wohnungen wieder aufgebaut. In Sarajewo wurde ein ganzes Stadtviertel in der Nähe des Flughafens wieder instand gestellt. In zahlreichen Dörfern wurde die gesamte Infrastruktur mit Wasser- und Elektrizitätsversorgung, Schulen und Gemeinschaftszentren sowie der Landwirtschaft rehabilitiert. Der größte Teil der Entwicklungsprojekte folgt einem integrierten Gemeinschaftsförderungsansatz, der die Begünstigten zu Akteuren ihres eigenen Entwicklungsprozesses macht und die wichtigsten Lebensbereiche wie Gesundheit, Bildung, Wasserversorgung, Spar- und Kreditsysteme und Landwirtschaft umfasst. Ziel der Entwick-
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Caritas Schweiz – Ein Generalunternehmen der Solidarität
lungsprojekte ist es, einen Beitrag zu einer nachhaltigen Verbesserung der Lebensbedingungen zu leisten. Dieses Ziel verfolgt auch der Fairness-Handel. Mit dem Verkauf von Honig, Textilien, Schmuck und Handwerksartikeln im Großhandel, der mehr als 200 Weltläden zu seinen Kunden zählt, und in den beiden Unica-Läden in Luzern und Zürich, unterstützt Caritas rund 80 Produzentenorganisationen in Afrika, Asien und Lateinamerika. Caritas Schweiz will aber nicht nur konkrete Hilfe für sozial benachteiligte Menschen leisten. Zum Grundauftrag des Hilfswerks gehört auch das gesellschaftspolitische Engagement. Dafür hat Caritas einen Bereich «Grundlagen» geschaffen, der zu sozial-, migrations- und entwicklungspolitischen Fragen im Sinne einer praxisorientierten Sozialforschung Diskussions- und Positionspapiere verfasst. Diese Studien finden in der Regel in der Öffentlichkeit eine große Beachtung. Sie zeitigen oft auch konkrete politische Auswirkungen – so die Untersuchung über die «working poor» oder das friedenspolitische Positionspapier «Allianzen für den Frieden». Um die Anspruchsgruppen der Organisation für ihre Anliegen zu sensibilisieren, gibt Caritas 4 Mal im Jahr das «Caritas-Magazin» heraus. Dazu führt sie einen Verlag, der neben den erwähnten Diskussions- und Positionspapieren auch Publikationen zu gesellschaftspolitischen Fragen veröffentlicht. Die wichtigste Publikation ist der «Sozialalmanach», der seit 1998 jedes Jahr die soziale Entwicklung in der Schweiz analysiert und ein sozialpolitisches Schwerpunktthema diskutiert. Schließlich führt Caritas Schweiz regelmäßig Fachtagungen und Bildungsveranstaltungen zu gesellschaftspolitischen Fragen durch. Ein wichtiges Ereignis ist auch die Verleihung des «Prix Caritas», der seit 2003 jedes Jahr an Persönlichkeiten verliehen wird, die sich durch ihr Engagement für eine gerechtere Welt besonders ausgezeichnet haben. Träger von Caritas Schweiz ist ein gemeinnütziger Verband in Vereinsform nach Art. 60 ff. Zivilgesetzbuch. Mitglieder des Verbands sind ausschließlich Organisationen. Gegenwärtig gehören 57 Organisationen dem Verband an. Zu ihnen gehören die 6 Bistümer der römisch-katholischen Kirche, die 16 regionalen Caritas-Organisationen, alle großen katholischen Verbände wie der Schweizerische Katholische Frauenbund, der Schweizerische Katholische Jugendverband oder Hilfswerke wie das Fastenopfer, Ordensgemeinschaften sowie weitere Institutionen mit sozialem Engagement, wie z. B. die Fachhochschule für Soziale Arbeit Zentralschweiz. Caritas Schweiz ist Mitglied von Caritas Internationalis, einem Weltverband von 162 nationalen Caritas-Organisationen und einer Tätigkeit in über 200 Ländern.
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Jürg Krummenacher
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Ein mittelgroßes Dienstleistungsunternehmen
Ende 2003 waren bei Caritas Schweiz 503 Mitarbeitende auf 268 Vollstellen beschäftigt. Weitere 68 Personen waren als Hilfswerkvertreterinnen und -vertreter bei Befragungen von Asyl Suchenden engagiert. Caritas Schweiz ist damit einer der 50 größten Arbeitgeberinnen in der Zentralschweiz. Die Jahresrechnung 2003 weist einen Aufwand von 103 Mio. CHF auf. Davon wurden 45 Mio. CHF für die internationale Zusammenarbeit aufgewendet. Auf rund 32 Mio. CHF beliefen sich die Ausgaben für den Migrationsbereich. Hier schlagen vor allem die Unterbringung und Betreuung der Asyl Suchenden und der anerkannten Flüchtlinge zu Buche. Bei diesen Aufgaben handelt es sich um rückfinanzierte Leistungsaufträge der Kantone Luzern, Solothurn, Schwyz, Obwalden, Zug und Freiburg. Der Aufwand für andere soziale Projekte in der Schweiz betrug 7 Mio. CHF. Dabei gilt es aber zu berücksichtigen, dass für die soziale Arbeit in den einzelnen Kantonen die 16 regionalen Caritas-Stellen zuständig sind. Caritas Schweiz ist für deren Koordination verantwortlich und unterstützt die regionalen Caritas-Stellen dort, wo es notwendig ist, mit finanziellen Beiträgen und sozialpolitischen Kontextanalysen. Die beiden Betriebe Kleiderzentrale und Fairness-Handel verzeichneten einen Aufwand von 5 Mio. CHF. 7 Mio. wurden für die Verwaltung und die Grundlagenarbeit sowie 5 Mio. für die Kommunikation verwendet, 1,8 Mio. an Reserven angelegt. Abbildung 1 zeigt die Herkunft der Mittel auf.
Box 1:
Facts and figures
Caritas Schweiz ist eine der 50 größten Arbeitgeberinnen in der Zentralschweiz. Ende 2003 waren über 500 Mitarbeitende beschäftigt.
Das Jahresbudget 2003 betrug 103 Mio. CHF. Davon wurden 45 Mio. für die internationale
Zusammenarbeit und 39 Mio. für die Sozialarbeit in der Schweiz und den Migrationsbereich aufgewendet.
In den letzten 5 Jahren hat Caritas Schweiz im Durchschnitt fast 24 Mio. CHF an Spenden erhalten.
Die Gemeinkosten betragen rund 5 Prozent. Von den öffentlichen Beiträgen wurden knapp 31 Mio. CHF für die Leistungsaufträge im Migrationsbereich entrichtet. Bei den restlichen 11 Mio. CHF handelt es sich um Beiträge der Direktion für Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe (DEZA) an Projekte der internationalen Zusammenarbeit. Bei den Beiträgen von Dritten stammten rund 10 Mio. CHF von der Glückskette für die Katastrophenhilfe in der
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Caritas Schweiz – Ein Generalunternehmen der Solidarität
Schweiz und für Projekte der humanitären Hilfe im Ausland. Rund 15 Mio. CHF stammen von anderen Caritas-Organisationen wie Luxemburg, Norwegen oder Schweden, mit denen Caritas Schweiz seit mehreren Jahren im Ausland eng zusammen arbeitet.
Abbildung 1: Mittelherkunft bei der Caritas Schweiz
Öffentliche Beiträge 41,7 Mio. 40 %
Andere 15,1 Mio. 15 %
Beiträge Dritte 27,4 Mio. 27 %
Spenden 18,9 Mio. 18 %
Wie die folgende Abbildung 2 deutlich macht, ist die private Unterstützung großen Schwankungen unterworfen: Die Höhe der Spenden und der Beiträge von Dritten ist sehr stark von der Häufigkeit und vom Ausmaß von Katastrophen sowie deren Resonanz in den Medien abhängig. Im Durchschnitt der letzten 5 Jahre belief sich das Spendenaufkommen auf 23,7 Mio. CHF. Caritas Schweiz unterhält seit 1991 ein differenziertes Kennzahlensystem. Zwei Kennzahlen seien hier besonders erwähnt, weil sie in der Öffentlichkeit immer wieder nachgefragt werden: Die Gemeinkosten und die Projektbegleitkosten. Als Gemeinkosten gelten die Kosten für die Leitung, die Personal- und Finanzadministration, die Sammel- und Informationsarbeit sowie die Verbandstätigkeit. Wie Abbildung 3 deutlich macht, beliefen sich die Gemeinkosten im Durchschnitt der letzten 5 Jahre auf rund 5 Prozent.
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Jürg Krummenacher
Abbildung 2: Zeitliche Entwicklung der Geldzuflüsse bei der Caritas Schweiz
Abbildung 3: Zeitliche Entwicklung der Gemeinkosten bei der Caritas Schweiz
7 6 5 4 3 2 1 0 1998 Total %:
222
4,7
2000 3,5
4,8
2002 6,0
6,8
Mittel 6,4
5,2
Caritas Schweiz – Ein Generalunternehmen der Solidarität
In der internationalen Zusammenarbeit kommen zu den Gemeinkosten noch die Projektbegleitkosten hinzu, die für die Planung, Durchführung, Begleitung und Auswertung der Projekte aufgewendet werden. Diese beliefen sich im Durchschnitt der letzen 5 Jahre auf 9,2 Prozent. Mit anderen Worten: Von 100 CHF, die für ein Projekt im Ausland gespendet wurden, gingen 86 CHF in das Projekt vor Ort, 14 CHF wurden für die Verwaltung und die Projektbegleitung ausgegeben. Solche Kennzahlen sind sehr wichtig. Sie sind aber nur ein Indikator für die Effizienz einer Organisation. Neben tiefen Verwaltungskosten ist die Kooperationsfähigkeit eines Hilfswerks ein entscheidendes Kriterium zur Beurteilung seiner Wirkkraft. So gelingt es der Caritas zum Beispiel regelmäßig, ihre Spenden dank der Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand, mit der Glückskette oder Partnerorganisationen aus dem internationalen Caritas-Netz zu multiplizieren und damit zusätzliche und nachhaltigere Projekte zu realisieren.
3
Umkämpfter Schweizer Spendenmarkt
Gemäß einer Studie von «one marketing services» über den «Spendenmarkt Schweiz 2003» ist das Spendenvolumen in den letzen 5 Jahren auf 1,2 Mrd. CHF gestiegen. Fast 70 Prozent der erwachsenen Schweizer Bevölkerung spenden. Pro Person und Jahr werden im Durchschnitt 330 CHF gespendet. Das Spendenvolumen ist aber starken Schwankungen unterworfen. Einen wichtigen Einfluss haben große Katastrophen wie beispielsweise das Unwetter in Gondo (Kanton Wallis) und die wirtschaftliche Konjunktur. Insgesamt ist davon auszugehen, dass das Spendenvolumen in den nächsten Jahren kaum mehr gesteigert werden kann. Angesichts der wachsenden Zahl von Organisationen, die auf dem Schweizer Markt um Spenden werben, wird der Verdrängungswettbewerb klar zunehmen. Wie der Spendenmonitor des Gfs-Forschungsinstituts zeigt, ist in den letzten Jahren auch eine Pluralisierung der Spendenzwecke festzustellen. An der Spitze der Spendenbereitschaft stehen die Krankheitsbekämpfung, Behinderte und Kinder. Fast die Hälfte der Bevölkerung gibt an, für diese Zwecke zu spenden. 23 Prozent geben Spenden gegen den Hunger auf der Welt, 16 Prozent für die Entwicklungshilfe, aber nur gerade 4 Prozent für Flüchtlinge im Inland. Weil die Spendenmotive immer breiter werden, wird die Kommunikation immer wichtiger. Der Schweizer Spendenmarkt ist auch für ausländische Hilfswerke äußerst attraktiv. Es verwundert deshalb nicht, dass Organisationen wie die amerikanische World Vision, die ursprünglich französischen Médecins sans frontières oder die deutsche Äthiopienhilfe von Karl-Heinz Böhm in der Schweiz mit erheblichem Aufwand um Spenden werben. Und zwar durchaus erfolgreich. Dank ihrer Kinderpatenschaften und aggres-
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Jürg Krummenacher
sivem Marketing konnte beispielsweise World Vision das Spendenaufkommen in den letzten Jahren kontinuierlich und erheblich steigern. Dies trotz regelmäßigen kritischen Medienberichten zu den konkreten Leistungen der Organisation. Es würde nicht überraschen, wenn in den nächsten Jahren weitere ausländische Organisationen wie Oxfam oder Action Aid ebenfalls auf den Schweizer Spendenmarkt drängen würden. Mit Spenden von fast 24 Mio. CHF im Durchschnitt der letzten 5 Jahre gehört Caritas Schweiz zu den Organisationen mit einem überdurchschnittlich hohen Spendenaufkommen. Caritas weist auch einen sehr hohen Bekanntheitsgrad auf. Im Spendenmonitor, der vom Gfs-Forschungsinstitut seit 1997 jährlich durchgeführt wird und gegenwärtig 41 Organisationen berücksichtigt, steht Caritas bezüglich Bekanntheitsgrad hinter dem Schweizerischen Roten Kreuz an zweiter Stelle. Bei den Imagewerten liegt Caritas im vorderen Mittelfeld. Die Organisationen mit den besten Imagewerten sind die REGA, Médecins sans frontières, die Paraplegiker-Stiftung und die Krebsliga. Dass diese Organisationen an der Spitze stehen, erstaunt nicht. Es handelt sich dabei um Werke, die in einer einzigen Sparte tätig sind, deren Thema zudem, vielleicht mit Ausnahme von Médecins sans frontières, an der Spitze der Spendenbereitschaft steht. Als Mehrspartenhilfswerk ist es für Caritas viel schwieriger, ein vergleichbar eindeutiges Profil zu haben. Wie die anderen Mehrspartenhilfswerke, das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen (HEKS), das Schweizerische Arbeiterhilfswerk (SAH) oder das Schweizerische Rote Kreuz (SRK), ist die Caritas als Teil einer Subgesellschaft, nämlich des katholischen Milieus, entstanden. Zwar wird die Caritas im Vergleich zu anderen «ideologisch gebundenen» Werken in der Bevölkerung als recht unabhängig wahrgenommen. Dennoch stellt die kirchliche Bindung nach wie vor einen wichtigen Rückhalt dar. In einer repräsentativen Befragung der eigenen Spender/innen erklärte eine recht große Gruppe der Befragten, dass sie der Caritas vertrauen, weil es das Hilfswerk der katholischen Kirche ist. Der gesellschaftliche Wandel, in dem sich die westlichen Industriegesellschaften befinden, führt dazu, dass sich die traditionellen Subgesellschaften als Folge der Individualisierung immer mehr auflösen. Die Herauslösung aus traditionellen Bindungen, für die der Begriff der Individualisierung steht, wird sich in Zukunft noch mehr auf das Spendenverhalten auswirken. Der Entstehungszusammenhang eines Hilfswerks oder die Zugehörigkeit zu einem bestimmten gesellschaftlichen Milieu dürften also für immer mehr Menschen an Bedeutung verlieren. Das bietet Chancen und Risiken zugleich. Die vermehrte Ungebundenheit der Spender/innen wird in jedem Fall dazu beitragen, dass andere Aspekte wie die Professionalität und die Vertrauenswürdigkeit einer Organisation an Bedeutung gewinnen. Von noch größerer Bedeutung als heute werden in Zukunft auch die Kommunikation einer Organisation und ihre mediale Inszenierung sein. Zu erwarten ist in jedem Fall eine wachsende Konkurrenzsituation
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Caritas Schweiz – Ein Generalunternehmen der Solidarität
unter den traditionellen Hilfswerken, wenn sich diese nicht mehr einfach auf ihre Stammspender/innen abstützen können. Mit einer zunehmenden Konkurrenzsituation sehen sich die Hilfswerke auch im Bereich von Beiträgen und Leistungsaufträgen der öffentlichen Hand konfrontiert. Aufgrund der Sparmassnahmen stehen für die Unterstützung der Aktivitäten sozialer Organisationen nicht nur immer weniger Mittel zur Verfügung. Auch die Grenzen zwischen den Sektoren Privatwirtschaft, öffentliche Hand und dem Dritten Sektor, zu dem die Nonprofit-Organisationen gehören, werden fließender. Im Zuge des «New Public Management» gehen immer mehr staatliche Institutionen dazu über, Leistungsaufträge ab einer bestimmten Summe öffentlich auszuschreiben. Dabei sehen sich die Nonprofit-Organisationen schon seit einiger Zeit damit konfrontiert, dass sich auch privatwirtschaftliche und staatliche Akteure um Aufgaben in Tätigkeitsfeldern bemühen, die bisher mehr oder weniger ausschließlich von Nonprofit-Organisationen wahrgenommen wurden. Die beschriebene Konkurrenzsituation auf dem Spendenmarkt ist nicht neu. Sie hat sich aber in den letzten Jahren eindeutig verschärft. Caritas Schweiz hat auf diese Entwicklung reagiert. Anfang der 90er Jahre hat sie sich eine neue Corporate Identity mit einem frischeren Erscheinungsbild erarbeitet und eine neue Kommunikationsstrategie formuliert. In den letzten 2 Jahren wurde nun eine offensive FundraisingStrategie entwickelt. Diese führte, gestützt auf eine sorgfältige Testphase, zu einem völlig neuen Auftritt der Mailings und der Kommunikationsinstrumente. Außerdem wurden jeweils eine Stelle für das Jugendmarketing und eine für die Betreuung der Großspender/innen und das Legatmarketing geschaffen.
Box 2:
Verschärfte Konkurrenzsituation
In den letzten 5 Jahren ist das Spendenvolumen in der Schweiz auf 1,2 Mrd. CHF gestiegen. Eine weitere Steigerung ist sehr unwahrscheinlich.
Angesichts der wachsenden Zahl an Organisationen findet auf dem Spendenmarkt Schweiz ein eigentlicher Verdrängungswettbewerb statt.
Die Auflösung der traditionellen Milieus führt zu einer wachsenden Konkurrenzsituation unter den klassischen Hilfswerken.
Die Nonprofit-Organisationen sehen sich zusätzlich mit einer wachsenden Konkurrenzierung durch die Privatwirtschaft und durch staatliche Akteure konfrontiert.
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Jürg Krummenacher
4
Grundlage des Organisationserfolges Vertrauen schaffen
Grundlage des Erfolgs einer Organisation, die auf Spenden angewiesen ist, ist letztlich das Vertrauen. Vertrauen bedeutet, dass die Spenderinnen und Spender davon überzeugt sind, dass das Hilfswerk die Spenden zweckbestimmt und effizient zu Gunsten sozial benachteiligter Menschen einsetzt. Diese treuhänderische Verantwortung setzt Professionalität voraus. Nonprofit-Organisationen unterscheiden sich in dieser Hinsicht nicht grundlegend von anderen Organisationen. Nonprofit-Organisationen sind, wie Peter Schwarz zutreffend definiert, «zielgerichtete, produktive, soziale Systeme. Sie versuchen, knappe Produktionsfaktoren (Arbeitskraft, Finanzmittel, Zeit) zu Leistungen zu kombinieren, mit deren Hilfe bestimmte Ziele bzw. Wirkungen (gewünschte Erfolge, künftige Zustände) erreicht werden sollen». Das Projekt Organisationsentwicklung Caritas Schweiz hat in den letzten Jahren große Anstrengungen hinsichtlich Professionalisierung unternommen. Ausgangspunkt dafür war ein Wachstum des Hilfswerks ab Mitte der 80er Jahre. Dieses Wachstum veranlasste den Vorstand im Jahr 1988, ein Projekt der Organisationsentwicklung in die Wege zu leiten. Dieses Projekt umfasste 3 Teilprojekte:
Teilprojekt 1:
Caritas-Politik (Ziele und Aktivitätsbereiche)
Teilprojekt 2:
Aufgabenteilung und Zusammenarbeit auf Verbandsebene
Teilprojekt 3:
Aufgabenteilung und Zusammenarbeit in der Caritas-Zentrale
Im Teilprojekt 1 wurden zum ersten Mal ein Leitbild und verbandspolitische Grundsätze erarbeitet. Als Vision wurde festgehalten, dass die Caritas «am Aufbau einer solidarischen Gesellschaft mitwirken will». In den verbandspolitischen Grundsätzen wurden Leitlinien des Handelns, der Zusammenarbeit im Verband und mit anderen Institutionen sowie der Geschäftspolitik und der Personalpolitik von Caritas formuliert. Das Leitbild hatte bis ins Jahr 2004 Bestand. In der Folge wurde ein kürzeres, zeitgemäßeres und prägnanteres Leitbild verabschiedet. Das neue Leitbild weist 3 Teile auf: die Vision, den Auftrag und das Selbstverständnis.
Unsere Vision Wir setzen uns ein für eine Welt,
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Caritas Schweiz – Ein Generalunternehmen der Solidarität
die sich von Solidarität, Gerechtigkeit und Frieden leiten lässt welche die unantastbare Würde und die Rechte eines jeden Menschen respektiert deren Stärke sich am Wohl der Schwachen misst die anerkennt, dass der Reichtum und die Fülle der Schöpfung das gemeinsame Gut aller Menschen sind
in der alle Menschen Zugang zu Nahrung, Wasser, Gesundheit, Bildung und Arbeit haben. Im Teilprojekt 2 von 1988 wurden eine neue Verbandsstruktur geschaffen, die Statuten revidiert und ein neues Geschäftsreglement mit einem Funktionendiagramm für die Organe erarbeitet. Die Verbandsstruktur trat 1991 in Kraft. Sie hat heute noch Gültigkeit. Abbildung 4 zeigt die Organisation des Verbandes.
Abbildung 4: Organisationsstruktur der Caritas Schweiz Verbandsmitglieder
Regionale CARITAS Organisationen
Bistümer der römischkatholischen Kirche in der Schweiz und Abtei St. Maurice
Weitere Organisationen
Delegiertenversammlung
Geschäftsprüfungskommission
Kontrollstelle
Vorstand
Präsidium
Konferenz der regionalen Caritas-Stellen
Caritas-Zentrale
Betriebe: Fairness-Handel und Kleiderzentrale
227
Jürg Krummenacher
Oberstes Organ des Verbands ist die Delegiertenversammlung. Sie findet in der Regel einmal im Jahr statt, nimmt die Wahlen der Gremienmitglieder vor, verabschiedet die Statuten und das Leitbild und ist zuständig für die Genehmigung des Jahresberichts und der Jahresrechnung. Der 30-köpfige Vorstand, der repräsentativ zusammengesetzt ist, kann als Legislativorgan oder Parlament des Verbandes bezeichnet werden. Er beschließt unter anderem über die Unterstützung von politischen Initiativen und Referenden und genehmigt alle übergeordneten geschäftspolitischen Reglemente und Konzepte. Das Präsidium setzt sich aus 7 stimmberechtigten Mitgliedern zusammen. Es ist das Milizführungsorgan und das strategische Aufsichtsorgan des Verbandes. Das Präsidium trifft sich 10 Mal pro Jahr im Rahmen von ganztägigen Sitzungen, bereitet die Beschlüsse der übergeordneten Organe vor und sorgt für deren Vollzug. Das Präsidium ist insbesondere auch für alle personalrelevanten Beschlüsse zuständig und wählt die Mitglieder der Geschäftsleitung. Die Geschäftsprüfungskommission ist das gewählte Kontrollorgan. Sie besteht aus mindestens 3 Fachleuten und hat einen generellen Prüfungsauftrag. Von den Verbandsorganen klar getrennt ist die Tätigkeit der Caritas-Zentrale. Sie wird vom Direktor bzw. der Direktorin geleitet, welche/r die Gesamtverantwortung für deren Aufgaben trägt. Neben der operativen Führung des Hilfswerks nimmt die Caritas-Zentrale auch die Aufgaben der Geschäftsstelle des Verbandes wahr. Im Teilprojekt 3 schließlich wurden in einer ersten Phase ein Funktionendiagramm für die Caritas-Zentrale und verschiedene Führungs- und Organisationsinstrumente erarbeitet. In einer zweiten Phase wurde dann nach dem Eintritt des neuen Direktors eine veränderte Aufbauorganisation beschlossen und eine Organisationsentwicklung auf betrieblicher Ebene in die Wege geleitet. Im Rahmen dieser betrieblichen Organisationsentwicklung wurden sämtliche Reglemente revidiert und auch zusätzliche Reglemente wie die Anlagerichtlinien oder das Fondsreglement geschaffen. Die veränderte Aufbauorganisation trat im Januar 1992 in Kraft. Ende 1992 wurde das Projekt Organisationsentwicklung abgeschlossen. An die Stelle eines einmaligen Projektes trat nun eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Organisation. Dazu gehörte vor allem auch eine periodische Überprüfung und Anpassung der Aufbauorganisation. Seit 1992 wurde die Aufbauorganisation 3 Mal modifiziert und den jeweils aktuellen Herausforderungen angepasst, das letzte Mal im Jahr 2003. Abbildung 5 zeigt die Aufbauorganisation der Caritas-Zentrale, wie sie heute gültig ist. Wie aus der Darstellung ersichtlich ist, handelt es sich bei der Aufbauorganisation um eine Kombination von funktionaler und divisionaler Struktur. Das heißt, sie ist zum einen nach Fachgebieten und Funktionen, zum anderen nach Leistungsangeboten und geografischen Märkten gegliedert.
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Caritas Schweiz – Ein Generalunternehmen der Solidarität
Abbildung 5: Aufbau der Zentrale der Caritas Schweiz
Direktor/in
Finanzen und Administration
Personal- und Qualitätsmanagement
Kommunikation
Internationale Zusammenarbeit
Migration
Soziale Aufgaben Schweiz
Grundlagen
Gremien- und Direktionssekretariat
Strategieentwicklung Caritas Schweiz hatte schon in den 80er Jahren begonnen, für die einzelnen Tätigkeitsfelder Konzepte zu erarbeiten. Eine gesamtbetriebliche Strategie aber fehlte. Deren Entwicklung wurde 1993 nach dem Abschluss des Organisationsentwicklungsprojektes in Angriff genommen. Verantwortlich dafür war eine 11-köpfige Projektgruppe unter der Leitung des Direktors. In der Projektgruppe waren vor allem Mitarbeitende des mittleren Kaders aus sämtlichen Bereichen vertreten. Da die Projektgruppe bewusst auf eine fachliche Begleitung von außen verzichtete, verlief die Strategieentwicklung sehr prozessorientiert und partizipativ, auch unter regelmäßigem Einbezug der Organe und sämtlicher Kaderangehöriger. Die Strategieentwicklung geschah in den in Abbildung 6 dargestellten Schritten. Die Informationsanalyse bestand aus 2 Teilen: Umfeldanalyse und Stärken-/ Schwächenanalyse. Die Umfeldanalyse beschrieb die wichtigsten Herausforderungen in Wirtschaft und Politik, Kultur und Religion sowie im Bereich der NonprofitOrganisationen. In der Stärken-/Schwächenanalyse beurteilten die Projektgruppe, das gesamte Kader und die Organe die aktuellen Stärken und Schwächen der Caritas. Gleichzeitig wurde auch eine repräsentative Marktstudie in Auftrag gegeben, die eine Außensicht ermöglichte. Schließlich haben alle Sparten eine Umfeldanalyse und eine Stärken-/Schwächenanalyse durchgeführt.
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Jürg Krummenacher
Abbildung 6: Schritte der Strategieentwicklung bei der Caritas Schweiz
Informationsanalyse
Strategisches Controlling
Strategieentwicklung
Strategieumsetzung
Auf der Basis der Informationsanalyse wurden die wichtigsten Herausforderungen und Schlüsselfragen zusammengefasst, eine Leitidee und 6 strategische Erfolgspositionen formuliert, die dann die Basis eines Strategieumsetzungsplans bildeten. Im Dezember 1995 verabschiedete der Vorstand diese erste Strategie. Die «Strategie Caritas Schweiz 2001» enthielt die in Abbildung 7 dargestellten strategischen Erfolgspositionen.
Abbildung 7: Erfolgspositionen der «Strategie bei der Caritas Schweiz 2001»
Vertrauen
Qualifizierte & motivierte Mitarbeiter/innen & Freiwillige
Hohe Reaktionsbereitschaft
MehrspartenHilfswerk mit Schwerpunkten
Breite finanzielle Abstützung Partnerschaftliche Zusammenarbeit im Caritas-Netz
230
Caritas Schweiz – Ein Generalunternehmen der Solidarität
Die Strategie bildete von 1996 bis 2001 die Grundlage für die Ausrichtungen aller Aktivitäten. Ihre Umsetzung wurde jährlich überprüft. Im Jahr 2000 wurde dann eine zweite Strategie verabschiedet. Eine Überprüfung der ersten Strategie hatte ergeben, dass keine grundsätzliche Neuausrichtung notwendig war. Die Geschäftsleitung, die für die Erarbeitung dieser zweiten «Strategie Caritas Schweiz 2005» verantwortlich zeichnete, orientierte sich deshalb an der gleichen Methodik, die bei der Entwicklung der ersten Strategie angewandt worden war. Neu wurden aber für den Verband, den Gesamtbetrieb und die einzelnen Bereiche strategische Leitlinien eingeführt. Zudem erhielten alle Bereiche den Auftrag, auf der Basis dieser Leitlinien eine Bereichsstrategie zu formulieren. Im Herbst 2004 erfolgt der Start zur Erarbeitung der dritten Strategie. Sie soll im Jahr 2006 in Kraft treten und den Zeithorizont bis ins Jahr 2010 abdecken. Die Strategieentwicklung hat innerhalb von Caritas Schweiz sehr viel bewirkt. Die verschiedenen Strategien haben nicht nur zu einer zielgerichteten Ausrichtung aller Aktivitäten geführt. Die strategische Erfolgsposition «Partnerschaftliche Zusammenarbeit im Caritas-Netz und mit anderen Organisationen» gab auch den Anstoß dazu, sich dafür einzusetzen, dass Caritas Internationalis und Caritas Europa, eine der 7 Regionen der internationalen Caritas-Bewegung, einen Strategieprozess starteten. Gleichzeitig entwickelte Caritas Schweiz gemeinsam mit den regionalen CaritasStellen auch für das nationale Caritas-Netz eine Strategie. Die in Abbildung 8 präsentierte Karte gibt einen Überblick über das nationale Caritas-Netz.
Abbildung 8: Das nationale Caritas-Netz in der Schweiz
231
Jürg Krummenacher
Diese «Strategie Caritas-Netz 2005» wurde im Frühjahr 2000 verabschiedet. Sie führte zu einer wesentlich verbesserten und intensiveren Zusammenarbeit zwischen Caritas Schweiz und den 16 regionalen Caritas-Stellen, zu einer Stärkung des Caritas-Netzes insgesamt, zu einem einheitlicheren, auch visuellen Auftritt in der Öffentlichkeit und zu einer Professionalisierung der regionalen Caritas-Stellen. Schließlich trug der Strategieprozess dazu bei, dass Caritas Schweiz ab 1997 ein eigenständiges Qualitätsmanagement-System aufbaute. Der Weg zu Management-Excellence Folgende Gründe waren für den Entscheid, ein Qualitätsmanagement-System einzuführen, verantwortlich:
die Expansion der Qualitätssysteme im sozialen Sektor seit 1990 der verschärfte Wettbewerb auf dem Spendenmarkt die gestiegenen Qualitäts-Anforderungen der Auftraggeber Marketing-Überlegungen In einer ersten Phase definierte Caritas das Qualitätsverständnis, eine Qualitätspolitik für das Leistungsangebot, die Prozesse und die Organisation und legte die Verantwortlichkeiten für das Qualitätsmanagement fest. Unter anderem wurde eine Fachgruppe Qualitätsmanagement geschaffen und ein Qualitätsleiter bestimmt. Gleichzeitig wurden sämtliche Prozesse beschrieben, deren Abläufe geklärt und ein System für eine kontinuierliche Verbesserung eingerichtet. Im Mai 1998 erlangte Caritas Schweiz dann als erstes gesamtschweizerisches Hilfswerk das ISO-Zertifikat 9001:1994. Die weiteren Phasen der Entwicklung des Qualitätsmanagement-Systems sind in Abbildung 9 dargestellt. Meilensteine in der weiteren Entwicklung waren die Revision sämtlicher Prozesse im Jahr 2002 und die Erlangung des «NPO-Labels für Management-Excellence» als erste Organisation überhaupt im Frühjahr 2003. Das NPO-Label wurde vom Verbandsmanagement-Institut der Universität Freiburg/Schweiz und der Schweizerischen Vereinigung für QualitätsmanagementSysteme (SQS) spezifisch für Nonprofit-Organisationen geschaffen. Es basiert auf dem Freiburger Management-Modell und bestätigt, dass eine Nonprofit-Organisation «in einem festgelegten und nachgewiesenen Masse ihr Management nach dem State of Art des heute verfügbaren Management-Wissens organisiert und implementiert» hat. Überprüft wird das gesamte Management-System und namentlich die Effektivität und Effizienz einer Organisation. Jede Frage in der Checkliste wird nach einer Fünfer-Skala bewertet. Grundvoraussetzung für die Erteilung des Labels ist das Erreichen eines Reifegrades 3 in jeder Frage. Eine besondere Beachtung schenkt das Label Aspekten
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Caritas Schweiz – Ein Generalunternehmen der Solidarität
wie der Trägerschaft, den ehrenamtlichen Organen und der Aufgabenteilung zwischen den verschiedenen Stufen eines Verbandes.
Abbildung 9: Phasen der Entwicklung des Qualitätsmanagement-Systems bei der Caritas Schweiz Einführung des QMSystems
Aufbau und Zertifikat ISO 9001:1994
1997 1998
QM integriert ins allgemeine Management
Revision und Zertifikat ISO 9001:2000
NPO-Label für Management Excellence
Konsolidierung / Weiterentwicklung
2001 2002
2003
2004 2006
2006/07
Kontinuierliche Verbesserung
Assessment
Benchmarking Assessment
EFQM; Esprix
Excellence
Das Qualitätsmanagement-System von Caritas Schweiz ist integrierender Bestandteil des Gesamt-Management-Systems, das eine Mischung aus dem Freiburger Management-System für Nonprofit-Organisationen und dem St. Galler Management-Modell darstellt (vgl. Abbildung 10). Das Qualitätsmanagement-System selber ist in einem Handbuch abgelegt, das über das Intranet sämtlichen Mitarbeitenden und den Mitgliedern der Organe zugänglich ist. Abbildung 11 zeigt den Aufbau des Handbuchs.
233
Jürg Krummenacher
Abbildung 10: Das Qualitätsmanagement-System von Caritas Schweiz
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Caritas Schweiz – Ein Generalunternehmen der Solidarität
Abbildung 11: Aufbau des Qualitätsmanagement-Handbuchs der Caritas Schweiz
Qualitätsmanagement – Handbuch der Caritas Schweiz Einleitung
QM System
Prozessarchitektur
Prozessgliederung
Prozessfamilien 1
2
3
4
5
6
Management
Personal
Kommunikation
Leistungserbringung
Unterstützung
Qualitätssicherung
In einer nächsten Phase will Caritas Schweiz auf der Basis des Modells der EFQM (European Foundation for Quality-Management) sich in Richtung Business Excellence weiter entwickeln. Ziel ist es, im Jahr 2007 die Voraussetzungen für den «Prix Esprix» zu erlangen. Dafür notwendig sind regelmäßige Durchführung von Assessments, Systematisierung des Benchmarkings und periodische Erhebungen der Zufriedenheit der wichtigsten Anspruchsgruppen. Bereits stattgefunden haben eine Befragung sämtlicher Verbandsmitglieder im Rahmen einer umfassenden Verbandsanalyse und die bereits erwähnte repräsentative Befragung der Spender/innen. Sowohl bei der Verbandsanalyse als auch bei der Befragung der eigenen Spender/innen-Basis erhielt die Caritas sehr gute Noten. Im Herbst 2004 ist nun erstmals eine umfassende Erhebung der Zufriedenheit aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geplant. Diese soll inskünftig alle 2 Jahre wiederholt werden. Personalpolitik und Führungsgrundsätze Eine der strategischen Erfolgspositionen zielt darauf ab, «qualifizierte und motivierte Mitarbeiter/innen und Freiwillige» zu gewinnen und zu behalten. Vor diesem Hintergrund hat Caritas Schweiz seit Verabschiedung der ersten Strategie eine fortschrittliche Personalpolitik formuliert, auf der Basis einer Bewertung sämtlicher Funktionen ein neues Lohnsystem eingeführt, alle personalrelevanten Instrumente wie das Qualifikationssystem zeitgemäß ausgestaltet und die Führungsgrundsätze überarbeitet. Zudem wurden verschiedene Konzepte, u. a. zur Integration von ausländischen Mit-
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Jürg Krummenacher
arbeitenden oder zur Situation von Mitarbeitenden über 55 Jahren, entwickelt. Bis Ende 2004 soll auch ein neues Konzept «Personalentwicklung» entstehen. Ein besonderes Anliegen sind der Caritas zeitgemäße und soziale Anstellungsbedingungen, die Förderung der Chancengleichheit von Frau und Mann sowie eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Bereits 1991 hat die Caritas gemeinsam mit anderen Firmen auf dem Platz Luzern eine Kinderkrippe für die Mitarbeitenden eingerichtet. Ein großer Teil der Mitarbeitenden, auch auf Kaderstufe, arbeitet teilzeitlich. Vor ein paar Jahren wurde die Jahresarbeitszeit eingeführt. Zur Förderung des Frauenanteils im Kader wurden Ergebnisquoten festgelegt, die von der Fachgruppe «Chancengleichheit» regelmäßig überprüft werden. Diese Anstrengungen wurden auch von außen wahrgenommen. So hat die «Corporate Research Foundation» die Caritas unter die «Top-Arbeitgeber in der Schweiz» eingereiht, und im Jahr 2002 erhielt die Organisation den «Prix Egalité» der Wirtschaftszeitung «Cash». Caritas führt im Personalbereich auch selber regelmäßige Evaluationen durch. So analysierte im Jahr 2001 die Beratungsstelle Familien- und Erwerbsarbeit für Männer und Frauen «und» die Gleichstellungspolitik der Caritas. Im Jahr 2003 nahm die Hochschule für Soziale Arbeit Zentralschweiz die Situation der begleiteten Arbeitsplätze für (psychisch) behinderte Menschen unter die Lupe. Die Resultate beider Erhebungen waren sehr erfreulich. In den neu formulierten «Grundsätzen zur Führung», die im Jahr 2000 in Kraft traten, wird Führung als die «zielorientierte Gestaltung tragfähiger Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden» definiert. Die Führung soll sich an folgenden Grundprinzipien orientieren: der persönlichen, nicht-delegierbaren Verantwortung der vorgesetzten Person sowie der Partizipation der Mitarbeitenden im Entscheidungsprozess. Die Überarbeitung der Führungsgrundsätze war auch Anlass, das Konzept, über die Führungsschulung und Führungsentwicklung zu überarbeiten. Neben verschiedenen Modulen der Führungsschulung, in denen im Rahmen von Seminaren die wichtigsten Instrumente der Führung vermittelt werden, gibt es seit 2 Jahren ein Kursangebot zur Entwicklung der persönlichen Führungskompetenz, in welchem die Vorgesetzten sich selbstbestimmt mit frei gewählten Führungsfragen auseinandersetzen können. Zudem werden auch regelmäßige Intervisionsgruppen für Vorgesetzte angeboten. Ein wichtiges Anliegen ist der Caritas schließlich eine angemessene und rechtzeitige Information aller Mitarbeitenden. Das Konzept über die interne Information regelt die entsprechenden Verantwortlichkeiten und beschreibt die wichtigsten Instrumente. Dazu gehören unter anderem regelmäßige Mitteilungen via Intranet, eine Mitarbeitenden-Zeitschrift, die 4 Mal im Jahr erscheint sowie periodische Informationsveranstaltungen. Unter anderem informiert der Direktor einmal jährlich im Rahmen von Bereichsanlässen alle Mitarbeitenden über die finanzielle Situation und weitere wichtige gesamtbetriebliche Entwicklungen.
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Box 3:
Langfristig angelegte Organisationsentwicklung
In den letzten Jahren hat Caritas Schweiz eine starke Professionalisierung durchgeführt. Schwerpunkte waren die Organisationsentwicklung, die Strategieprozesse, die Einführung des Qualitätsmanagements und die Personalpolitik.
Im Frühjahr 2003 hat Caritas als erste Organisation überhaupt das neu «NPO-Label für Management-Excellence» erhalten.
Ein besonderes Anliegen sind der Caritas fortschrittliche und soziale Anstellungsbedingungen.
5
Zeit des Umbruchs
Caritas Schweiz hat sich im Laufe ihres über hundertjährigen Bestehens von einem kleinen, sozial-karitativen Verein zu einem der größten Hilfswerke in der Schweiz mit mehr als 500 Mitarbeitenden und einem Jahresbudget von über 100 Mio. CHF entwickelt. Als Mehrspartenhilfswerk ist die Caritas heute in den 3 Tätigkeitsfeldern Soziale Aufgaben in der Schweiz, Migration und Internationale Zusammenarbeit tätig. In der Geschichte von Caritas widerspiegelt sich deshalb auch die Entwicklung des schweizerischen Sozialwesens, der Flüchtlingshilfe und der Entwicklungszusammenarbeit. Gleichzeitig ist die Geschichte von Caritas ein Teil der Sozialgeschichte des Katholizismus, ja allgemeiner des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses der letzten 100 Jahre in der Schweiz. Dabei ist die Geschichte von Caritas seit der Gründung im Jahr 1901 nicht linear verlaufen. Die Organisationsbiografie weist Kontinuitäten auf. Es sind aber auch Brüche und Krisen zu verzeichnen. Diese kritischen Situationen traten jeweils nach großen Expansionsphasen zu Tage. Eine solche Expansionsphase ist auch im Jahr 2000 zu Ende gegangen. In der Zeit von 1986 bis 1999 hat sich das Jahresbudget von 53 Mio. CHF auf 152 Mio. CHF fast verdreifacht. Verantwortlich dafür war zum einen die Zunahme der Flüchtlinge, zum anderen die großen Wiederaufbauprogramme auf dem Balkan nach den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien. Abbildung 12 zeigt die Entwicklung des Projektaufwands seit 1986.
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Jürg Krummenacher
Abbildung 12: Entwicklung des Projektaufwands bei der Caritas Schweiz 1986 bis 2003 160 140 120 100 80 60 40 20 0 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003
Gesamtaufwand in Mio. CHF
Im Jahr 2000 begann das Jahresbudget zu schrumpfen. Im Jahr 2003 belief es sich noch auf 103 Mio. CHF. Es ist aber absehbar, dass es in den nächsten Jahren weiter schrumpfen wird. Zum einen nimmt die Zahl der Asyl Suchenden und Flüchtlingen weiter ab, zum anderen gehen die Wiederaufbau-Programme auf dem Balkan dem Ende entgegen. Diese Redimensionierung ist eine der großen Herausforderungen, mit denen sich die Caritas gegenwärtig konfrontiert sieht. Bereits im Jahr 2001 haben die Verantwortlichen deshalb eine mittelfristige Finanzplanung mit Sparmassnahmen in die Wege geleitet. Sie sollen einen schrittweisen und möglichst sozialverträglichen Personalabbau ermöglichen. Im Rahmen eines regelmäßigen Controllings wird die Zielerreichung überprüft. Damit soll verhindert werden, dass die Organisation finanziell in eine kritische Situation gerät. Ein solcher Umbau ist für alle schmerzhaft und schwierig. Er führt zu Unsicherheiten und weckt Ängste. Es liegt aber letztlich in der Natur eines Hilfswerks, immer wieder flexibel auf neue Situationen reagieren zu müssen. Eine zweite große Herausforderung stellt der gesellschaftliche Wandel dar. Die wirtschaftliche Globalisierung macht sehr viele Menschen zu Verlierern. Die Disparitäten in der Welt werden größer, die soziale Ungleichheit wächst. Auch in der Schweiz nehmen die sozialen Probleme zu. Gleichzeitig führen der internationale Standortwettbewerb und die neoliberale Politik dazu, dass dem Staat weniger Mittel zur Verfügung stehen. Die Individualisierung sowie der Wandel von Lebensformen und Arbeitswelt führen zu neuen sozialen Risiken. Die demografische Entwicklung verursacht Probleme in der Finanzierung der Altersvorsorge. Die Folge dieser Entwicklungen: wir werden um eine grundlegende Erneuerung des Systems der sozialen Sicherheit nicht herum kommen. Hier ist auch das gesellschaftspolitische Engagement der Hilfswerke gefordert. Organisationen wie die Caritas dürfen auf die Globali-
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Caritas Schweiz – Ein Generalunternehmen der Solidarität
sierung und die Modernisierung nicht nur reagieren. Sie sind herausgefordert, den Modernisierungsprozess in Richtung einer gerechteren Welt aktiv mitzugestalten. Eine weitere Herausforderung stellt, neben der erwähnten verschärften Konkurrenzsituation auf dem Spendenmarkt, die mit der Individualisierung verbundene Auflösung der traditionellen gesellschaftlichen Milieus dar. Damit verlieren die bisherigen Bindungen an ein Hilfswerk an Bedeutung. Organisationen wie die Caritas werden sich deshalb in Zukunft noch in vermehrtem Masse mit einer Marktsituation konfrontiert sehen, in der es gilt, bestehende Marktchancen durch ein flexibles und weitsichtiges Management zu nutzen. Aus der Sicht der Caritas von besonderer Bedeutung ist die fortschreitende Entkirchlichung. Die Caritas hat dabei gute Karten in der Hand. Der Religionssoziologe Karl Gabriel hat darauf hingewiesen, dass die Caritas jenen Katholiken, die sich im Zuge der Säkularisierung von der Kirche distanziert haben, eine gewisse Verbindung zu christlichen Werken und Werten ermöglicht. Voraussetzung dafür ist, dass die Caritas eine weltoffene Organisation bleibt, die auch kirchenferne Personen erreichen kann. Der gesellschaftliche Modernisierungsprozess führt schließlich dazu, dass auch die Werte und die Formen der Solidarität einem Wandel unterworfen sind. Die Frage stellt sich, wie in einer individualisierten Gesellschaft Solidarität entstehen kann. Sie ist das Steuerungsprinzip von sozialen Organisationen. Ihre Legitimation basiert letztlich darauf, ob es ihnen immer wieder von neuem gelingt, in der Bevölkerung für ihre Anliegen Solidarität zu wecken. Kulturpessimismus hilft hier sicher nicht weiter. Im Verlaufe ihrer mehr als hundertjährigen Geschichte musste sich die Caritas immer wieder auf neue Notlagen und Bedürfnisse einlassen, was ein hohes Maß an Flexibilität und Weitsicht voraussetzte. Angesichts des rasanten gesellschaftlichen Wandels werden eine hohe Professionalität, Flexibilität und strategisches Denken auch in Zukunft Kernkompetenzen sein, denen eine besondere Bedeutung zukommt. Das setzt letztlich die Bereitschaft voraus, eine offene und lernende Organisation zu bleiben. Entwickeln kann sich eine solche Bereitschaft nur in einer Organisationskultur, die durch Offenheit, Transparenz, Wertschätzung und Dialogfähigkeit gekennzeichnet ist. Der Dimension der Organisationskultur kommt deshalb eine ganz zentrale Bedeutung zu.
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Unverwechselbare Qualität auf stabilen Beinen – Die Caritas Österreich
Franz Küberl
Unverwechselbare Qualität auf stabilen Beinen – Die Caritas Österreich
Überblick .......................................................................................................................... 243 1
Wer ist und was tut die Caritas – eine Einleitung ...................................................... 244
2
Zahlen, Daten und Fakten zur Caritas ......................................................................... 244
3
Mehrdimensionaler Wettbewerb als Herausforderung............................................. 246
4
Herausforderungen mit Vertrauen annehmen ........................................................... 250 4.1 Rationalisierungsdruck versus Nächstenliebe .................................................. 250 4.2 Die Beziehung zur öffentlichen Hand: zwischen Kritik und Kooperation ... 251 4.3 Professionalisierung versus Selbsthilfe .............................................................. 252 4.4 Unendliche Not versus «Tropfen auf den heißen Stein».................................. 253 4.5 No risk – no future................................................................................................. 254 4.6 Management des Ausgleichs................................................................................ 255 4.7 Erfolgsfaktoren....................................................................................................... 256
5
Ausblick ............................................................................................................................ 258
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Unverwechselbare Qualität auf stabilen Beinen – Die Caritas Österreich
Überblick Caritas ist eine Hilfsorganisation der katholischen Kirche. Die Caritas Österreich ist eine von weltweit 162 Caritasorganisationen, die in 198 Ländern dieser Erde tätig sind. Dieses internationale Caritasnetzwerk bietet ideale Rahmenbedingungen, um Hilfsmaßnahmen in den Krisenregionen dieser Erde sehr rasch und effizient zu organisieren.
Nach dem 1. und dem 2. Weltkrieg wurden in allen Diözesen Caritasverbände gegründet. Dadurch wurden die Hilfsmaßnahmen der Orden, Pfarren, kirchlichen Dienste sowie Stiftungen für die Not leidende Bevölkerung jeweils in der ganzen Diözese besser und effektiver gebündelt. Die Unterdrückung durch das NSRegime behinderte auch die Caritasarbeit massiv. Trotzdem ging die Hilfe weiter. Nach dem 2. Weltkrieg konzentrierte sich die Caritas zunächst auf die Inlandshilfe und wurde dabei von kirchlichen, privaten und staatlichen Institutionen aus vielen Ländern unterstützt. Nach dem Ungarnaufstand 1956 und dem «Prager Frühling» 1968 flohen zigtausende Menschen nach Österreich. Die Caritas unternahm vielfältige Anstrengungen, um sie in Notunterkünften zu beherbergen und zu versorgen. Gleichzeitig schickte sie Hilfstransporte in die Krisengebiete. Damit war die Auslandshilfe der österreichischen Caritas geboren.
Die Hilfe der Caritas richtet sich an alle Not leidenden Menschen unabhängig von ihrer Herkunft oder Nationalität, von ihrem Geschlecht, von ihrer religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit.
Die Not der Menschen ist Auslöser der Hilfsmaßnahmen. Bei allen Entscheidungen steht der Mensch in Not im Mittelpunkt. Die Hilfe erfolgt von Gesicht zu Gesicht, damit auch die Ebenbürtigkeit zwischen dem, dem geholfen wird, und dem Helfenden «körpersprachlich» zum Ausdruck kommt.
Der Aktionsradius der Caritas bewegt sich zwischen ganz konkreten Hilfsprojekten und sozialen Dienstleistungen und dem anwaltschaftlichen Aufzeigen und öffentlich Machen von strukturellen Defiziten und Ungerechtigkeiten. Die Caritas ist bemüht, jede Kritik an Fehlentwicklungen mit Vorschlägen zur Linderung von Unrecht und Leid zu ergänzen.
Für ihre Arbeit erhält die Caritas Geldspenden, Sachspenden, öffentliche, kirchliche und private Zuwendungen und verwendet Verkaufserlöse und allfällige Zinserträge. All diese Mittel werden nach den gleichen sorgfältigen Kriterien behandelt.
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Franz Küberl
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Wer ist und was tut die Caritas – eine Einleitung
Die Caritas Österreich (im Folgenden nur noch: Caritas) besteht aus den Caritasorganisationen in den 9 Diözesen sowie der Österreichischen Caritas Zentrale. Die Konferenz der 9 Caritasdirektoren wählt aus ihrer Mitte den Caritaspräsidenten, der gleichzeitig Direktor eines Diözesancaritasverbandes bleibt. Damit wird eine sehr schlanke Führungsstruktur ebenso wie die Verbundenheit des Präsidenten mit der diözesanen Caritasarbeit sichergestellt. Dr. Manfred Scheuer, Bischof von Innsbruck, ist ebenfalls Mitglied der Caritas Direktoren Konferenz. Der jeweilige Caritas Bischof wird von der österreichischen Bischofskonferenz bestellt. Die Caritas-Direktorenkonferenz entscheidet über die strategische Ausrichtung der Caritas, beschließt alle gemeinsamen Projekte, wie z. B. die Kampagnen, legt das Budget der Österreichischen Caritas Zentrale fest und ist verantwortlich für die Positionierung der Caritas. Die österreichische Caritas Zentrale, geleitet von einem Generalsekretär, koordiniert die Arbeit in Österreich auf Basis der Beschlüsse der Caritas Direktorenkonferenz und ist gleichzeitig das Büro des Caritaspräsidenten. Sie hält die notwendigen Kontakte zu den staatlichen Institutionen auf Bundesebene, ebenso zu den österreichweiten kirchlichen Strukturen, und sie leistet Vernetzungsarbeit mit anderen Wohlfahrtsverbänden auf gesamtstaatlicher Ebene. Sie ist darüber hinaus das Verbindungselement zur Caritas Europa und wickelt die gemeinsame Auslandshilfe ab. Durch das sehr breite Spektrum der Caritas Aktivitäten, von Obdachlosenhäusern bis zu Pflege- und Hospizangeboten, von der Hilfe für sozial Schwache bis zu Einrichtungen der Behindertenhilfe, von der Flüchtlingsarbeit bis hin zu Angeboten für Mutter und Kind, ist die Caritas im sozialen Geschehen und im politischen Meinungsbildungsprozess in Österreich ein wichtiger «Player».
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Zahlen, Daten und Fakten zur Caritas
In der Caritas arbeiten in allen Diözesen (Datenbasis: 2003) rund 8.500 hauptberufliche und rund 27.000 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Im Jahr 2003 wurden 323 Mio. Euro für Soziale Dienste, Not- und Auslandshilfe aufgewendet. Diese wurden finanziert wie in Tabelle 1 dargestellt:
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Unverwechselbare Qualität auf stabilen Beinen – Die Caritas Österreich
Tabelle 1:
Finanzierung der Caritas Österreich
Spenden
11,67 %
Öffentliche Kostenersätze
49,48 %
Private Kostenersätze
16,88 %
Kirchliche Beiträge Subventionen Sonstige Erträge
2,10 % 10,80 % 9,08 %
Tätigkeitsfelder und Einrichtungen der Caritas (Datenbasis 2003, sofern nicht anderes angegeben):
Zur Vermeidung und Bekämpfung von Armut hat die Caritas 22 Sozialberatungsstellen, die jährlich über 35.000 Menschen beraten und betreuen oder auch mit Geldaushilfen oder Sachleistungen eine Soforthilfe leisten. Rund 16.500 Personen baten die Caritas um Hilfe und finanzielle Unterstützung, davon waren 61 Prozent Frauen.
Österreichweit betreibt die Caritas 27 Obdachloseneinrichtungen, inklusive der Mutter-Kind Häuser; zudem gibt es insbesondere in urbanen Zentren Programme für Start- und Übergangswohnungen.
20 Arbeitsprojekte ermöglichen es Langzeitarbeitslosen, schrittweise einen Weg zurück in den Erwerbsprozess zu finden. Zudem leitet die Caritas das vom Europäischen Sozialfonds und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit geförderte Projekt IDA (Integration durch Arbeit), bei dem experimentell SozialhilfeempfängerInnen und Langzeitarbeitslose unterstützt werden, um «job readyness» zu erreichen und eine Arbeitsmöglichkeit zu finden.
Um rund 2.600 Familien kümmerten sich 259 Caritas-FamilienhelferInnen und in einzelnen Diözesen betreibt die Caritas auch Kinderbetreuungseinrichtungen.
Im Bereich Betreuung und Pflege sind 3.550 MitarbeiterInnen tätig. 1,3 Mio. Einsatzstunden wurden im Bereich der mobilen Pflege und Betreuung geleistet. In 31 Senioren- und Pflegehäusern leben rund 2.650 Menschen.
700 ehrenamtliche und angestellte MitarbeiterInnen sind pro Jahr für 2.500 schwer kranke und sterbende Menschen im Hospiz- und Palliativeinsatz.
Jährlich werden rund 3.000 Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung betreut, sei es in Wohngruppen, Tagesstätten oder Beschäftigungsinitiativen. Zudem werden alternative und experimentelle Projekte entwickelt und umgesetzt.
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Zusätzlich werden rund 2.000 psychisch erkrankte Menschen betreut, wobei rund 1.300 beim Wohnen voll- oder teilzeitbetreut werden.
Rund 115 Asylwerber und Flüchtlinge werden pro Tag beraten und betreut. In den 15 Flüchtlingshäusern und 13 Notquartieren finden 1.800 Asylwerber und Flüchtlinge vorübergehend Obdach und Verpflegung. 350 MitarbeiterInnen sind in diesem Bereich hauptberuflich tätig.
In den Rückkehr Hilfe-Büros in Wien, Linz, Graz, Salzburg, Innsbruck, Feldkirch und Eisenstadt wurden 1.149 Menschen beraten, davon kehrten 761 KlientInnen in ihr Heimatland zurück.
Die Caritas hilft mit 508 internationalen Projekten in Osteuropa, Afrika, Asien und Lateinamerika; Beispiele für Hilfsprojekte 2004: Hilfsmaßnahmen für Aidswaisenkinder in Afrika, Betreuung von Straßenkindern in Osteuropa.
Im Bereich der Katastrophenhilfe ist die Caritas ebenfalls weltweit tätig. Beispiele sind: «Österreich hilft Darfour» im Rahmen von Nachbar in Not; Kriege in ExJugoslawien, Afghanistan, Erdbeben im Iran und zuletzt der Tsunami, das Seebeben in Südasien.
3
Mehrdimensionaler Wettbewerb als Herausforderung
Es ist noch nicht allzu lange her, dass soziale Nonprofit Organisationen (NPO) begonnen haben, Begrifflichkeiten und Denkweisen aus der Welt der Betriebswirtschaft zu übernehmen. Nur langsam finden die sozialarbeiterische und die betriebswirtschaftliche Welt zueinander, werden alte Stereotypen und Feindbilder hinterfragt und durch zeitgemäßere Ziele ersetzt. Sozialorganisationen haben gelernt, dass sie sich auf Märkten bewegen, dass sie neben ihren KlientInnen auch noch andere Anspruchsgruppen oder so genannte «Stakeholder» haben, auf die sie ihre strategische Planung ausrichten müssen. Sie haben Qualitätsmanagement eingeführt und Controlling-Systeme installiert. Es gibt aber Bereiche und Themen, bei denen sich Sozialorganisationen immer noch sehr schwer tun. Dazu gehört auch der Umgang mit Fragen des Wettbewerbs. Es sei nur knapp vermerkt, dass den Konzernen und Unternehmungen fast im Gegenzug dazu die Integration sozialer Themen und Perspektiven in die unternehmerische Arbeit eher fremd ist. Und auch Konzerne predigen oft den Wettbewerb und scheuen ihn in der Praxis, wie viele Fusionen und Oligopole zeigen.
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Unverwechselbare Qualität auf stabilen Beinen – Die Caritas Österreich
Wettbewerbssituationen zu erkennen und entsprechend zu handeln ist eine zentrale Herausforderung an jede NPO, zumal sie sich längst mitten drinnen befindet. Es geht in der differenzierten Kritik einer Wettbewerbsideologie auch nicht um die Frage «Wettbewerb ja oder nein», sondern um das «wie» des Wettbewerbs, um die Folgen der jeweiligen Wettbewerbslogik. Die richtige Strategie muss es daher sein, den Wettbewerb bewusst anzunehmen und im Sinne der Anspruchsgruppen, wie z. B. der KlientInnen und AuftraggeberInnen, der MitarbeiterInnen und der Gesellschaft an sich, nach ständiger Verbesserung des eigenen Leistungsangebots zu streben. Gleichzeitig muss es auch Aufgabe der Caritas sein, sehr sensibel darauf zu achten, welche negativen Effekte durch den Wettbewerb entstehen können. Die Caritas ist gefordert, dort auf Missstände aufmerksam zu machen und gegebenenfalls auch den regulierenden Staat einzufordern, wo der reine Wettbewerb zu gesellschaftlich und/oder moralisch nicht vertretbaren Ergebnissen führt. Dies etwa im Bereich der qualitativen und/oder quantitativen Unterversorgung einzelner Gruppen mit sozialen Dienstleistungen. Einerseits sind die Wettbewerbssituationen sehr vielfältig. Konkurrenten sind nicht mehr nur andere, auf Gemeinnützigkeit aufbauende Nichtregierungs-Organisationen (NRG), auch als Nongovernmental-Organizations (NGO) bezeichnet, die daher unter ähnlichen Rahmenbedingungen wie die Caritas ihre Dienste anbieten. Konkurrenten sind auch die Gebietskörperschaften selbst und in zunehmendem Maße auch profitorientierte Unternehmen. Andererseits gibt es Bereiche, wo de facto oder auch de jure kein Wettbewerb stattfindet. Dies kann am Mangel an anderen Interessenten oder Anbietern einer spezifischen Leistung in beachtlicher Größe liegen, wie beispielsweise bei Problemfeldern, die wenig populär sind oder für die wenig öffentliche Unterstützung vorhanden ist. Wettbewerb wird aber auch dadurch erschwert, dass von der öffentlichen Hand Gebietsaufteilungen zwischen Wohlfahrtsorganisationen durchgeführt werden oder dass die Dienstleistung einer sozialen Einrichtung nur dann mit öffentlichen Mitteln gefördert wird, wenn es keine stadt- oder gemeindeeigenen Angebote gibt. Die einzelnen Wettbewerbsebenen stellen sich daher wie folgt dar: Öffentliche Mittel: Die Caritas finanziert sich zu einem beträchtlichen Teil aus öffentlichen Mitteln. Dabei spielen klassische Subventionen eine nur geringe Rolle. Den Löwenanteil der öffentlichen Mittel machen öffentliche Leistungsentgelte für soziale Dienstleistungen aus. Bei den meisten NPOs im Sozialbereich ist die Bedeutung öffentlicher Gelder noch höher. In den letzten Jahren bekommen daher alle diese Organisationen den Sanierungsdruck der staatlichen Haushalte zu spüren. Die öffentlichen Mittel werden knapper, die Aufgaben und Anforderungen an die NPO wachsen und der Wettbewerb um den langsamer wachsenden Kuchen bei stark steigendem Bedarf wird immer heftiger. Der heikelste Teil dieser Spannung ist der, dass z. B. die Caritas in der konkreten Leistung gegenüber den KlientInnen für die qualitätsvolle und zeit-
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gerechte Erbringung dieser Leistung zuständig ist, selbst aber keinen Einfluss auf die Höhe der öffentlichen Finanzierung hat. Private Spendengelder: Der Spendenmarkt ist wahrscheinlich jener Bereich, in dem die Caritas am selbstverständlichsten mit Wettbewerb umgeht. Wenn es um private Spendengelder oder um Unternehmensspenden geht, sind es die Organisationen gewohnt in Wettbewerbskategorien zu denken. Auch dieser «Markt» wird zunehmend umkämpfter. Die Zahl der spendenwerbenden Organisationen hat sich in den letzten 15 Jahren vervielfacht (eine Folge sowohl der Zunahme zivilgesellschaftlichen Engagements, wie auch des Abbaues staatlicher Finanzierung gesellschaftlicher Aufgaben). Dazu kommt, dass auch staatliche Institutionen selbst Konkurrenten der Hilfsorganisationen werden (Schulen, Universitäten, Museen, Militär etc.). Immer mehr Organisationen bauen professionelle Fundraising-Abteilungen auf. Während der normale Spendenmarkt stagniert und in konjunkturell schlechten Zeiten auch mit Einbußen gerechnet werden muss, ist die Spendenbereitschaft der Bevölkerung bei Katastrophen ungebrochen. Das Spendenvolumen der Caritas ist nach wie vor außergewöhnlich hoch. Das hat in hohem Ausmaß mit der Eigenschaft der Caritas als Hilfsorganisation der katholischen Kirche zu tun. Von den knapp 3.000 Pfarren in Österreich haben die meisten einen Caritas-Kreis, der sowohl in der unmittelbaren sozialen Arbeit ein wichtiger Eckpunkt von Caritas, wie auch in der Spendenaufbringung ungeheuer effektiv ist. Die traditionsreichste Sammlung (heute würde man Direkt-Marketing dazu sagen) ist die «Haussammlung». In rund 75 Prozent der österreichischen Haushalte kommt durch diese pfarrlichen MitarbeiterInnen die Caritas mit ihren inhaltlichen und ihren Spendenanliegen ins Wohnzimmer. KlientInnen: Ein differenziertes Bild zeigt sich, wenn man sich die Situation in Österreich bezüglich des Wettbewerbs auf Kundenseite um KlientInnen ansieht: Der Wettbewerb ist vielfach beschränkt, weil oft nicht die KlientInnen, sondern die öffentlichen Geldgeber zwischen den Anbietern entscheiden. Zudem verzerrt Intransparenz den Wettbewerb. Daneben existieren Aufgabengebiete, die nicht kostendeckend sind und in denen daher auch kein Wettbewerb um KlientInnen herrscht. Ein Beispiel dafür ist die Obdachlosenarbeit. Hier gäbe es zwar viele Betroffene, die Leistungen nachfragen würden, die negativen Deckungsbeiträge machen aber aus Sicht vieler Organisationen ein weiteres Ausweiten der Aktivitäten aus betriebswirtschaftlichen Gründen unmöglich. Ein Wettbewerb um KlientInnen findet folglich nicht statt. Für die Caritas ist das eine spannende Herausforderung, ihrem – biblischen – Selbstverständnis nach hat sie sich in einer ganzen Reihe von Bereichen für am Rande der Gesellschaft stehende Menschen einzusetzen. Diese Bereiche entziehen sich aber weitgehend einer Marktlogik und trotzdem muss die Qualität der Arbeit in derselben Weise für die Betreuten spürbar sein, wie in sehr gut finanzierten Arbeitsfeldern. Freiwillige: Die Bereitschaft sich in Organisationen dauerhaft ehrenamtlich zu engagieren geht österreichweit zurück. Die Caritas bewegt sich auch hier auf einem Markt,
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Unverwechselbare Qualität auf stabilen Beinen – Die Caritas Österreich
wobei sehr genau darauf geachtet werden muss, dass nicht jeder Freiwillige in jeder Organisation bzw. in jedem Bereich gleich gut einsetzbar ist. Es geht hier also weniger darum, im Wettstreit mit anderen NPO möglichst viele Freiwillige zu gewinnen, sondern eine möglichst ideale Entsprechung zwischen den Erwartungen und Möglichkeiten der Organisation und jener der Ehrenamtlichen zu finden. Freiwillige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen die Organisation sehr genau aus, in der sie tätig werden wollen. Wenn die Organisation in der Lage ist, das umzusetzen, was die Freiwilligen «suchen», nämlich sinnvolle und erfüllende Betätigungsmöglichkeiten, bleiben sie auch dabei. Sie identifizieren sich mit der Arbeit und sind auch bereit, Durststrecken durchzustehen. Das Engagement in der Caritas ist für viele Menschen auch eine Möglichkeit, ihr Christsein zu verwirklichen. Und es gibt nicht wenige freiwillige MitarbeiterInnen, die in einem Engagement bei der Caritas einen «letzten» Faden ihres Christseins sehen, den sie in anderen kirchlichen Bereichen nicht mehr finden würden. Angesichts eines wachsenden Marktes religiös inspirierter Angebote, gewinnt dieser Zugang an Bedeutung. Zu den freiwilligen MitarbeiterInnen im weiteren Sinne rechnet die Caritas auch jene Menschen, die sich für Anliegen der Caritas einsetzen und dafür Stellung beziehen sowie jene, die für die, der Caritas anvertrauten Menschen, beten. Hauptberufliche MitarbeiterInnen: Als Präsident der Caritas Österreich, die in ihren 9 Diözesanverbänden mehr als 8.500 MitarbeiterInnen beschäftigt, weiß der Verfasser, dass diese motivierten und hochqualifizierten MitarbeiterInnen die wichtigste Ressource der Caritas sind. Sie sind die Visitenkarte der Organisation. Und um diese MitarbeiterInnen steht die Caritas im Wettbewerb. Nicht nur mit anderen Sozialeinrichtungen, sondern speziell wenn es um administrative oder Managementaufgaben geht, auch mit dem Profit- und dem öffentlichen Sektor. Ein Wettbewerb, den die Caritas über die Höhe der Löhne nicht gewinnen kann und in dem die Caritas ihre eigenen Stärken, wie beispielsweise Sinnstiftung der Arbeit und Eigenverantwortung, bewusst einsetzen muss.
Box 1: Wettbewerb findet statt. Es ist daher Strategie, ihn in den verschiedenen Dimensionen bewusst anzunehmen
und ihn für die ständige Verbesserung des Leistungsangebots zu nutzen und dabei gleichzeitig
die Sensibilität gegenüber negativen Effekten der Wettbewerbslogik zu wahren. Im Bereich sozialer Dienste herrscht Wettbewerb um KlientInnen, private Spenden, hauptberufliche MitarbeiterInnen aber auch um öffentliche Mittel und freiwillige HelferInnen. Die Konkurrenten im Bereich sozialer Dienste haben zugenommen und sich stark verändert: zunehmend drängen auch nicht gemeinnützig ausgerichtete Unternehmen auf diesen Markt.
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Ein Angebot an Diensten und die Qualität der Dienste muss auch dort stimmen, wo ein Wettbewerb mangels (öffentlicher) Finanzierung oder mangels «zahlungskräftiger» KundInnen nicht stattfindet.
4
Herausforderungen mit Vertrauen annehmen
Die Caritas ist mit einer Vielzahl unterschiedlichster Erwartungen und Ansprüche konfrontiert und diese kommen von unterschiedlichen Richtungen und stehen mitunter auch zueinander im Widerspruch. Es gilt, nicht nur diesen vielfältigen Ansprüchen gerecht zu werden, sondern auch zwischen widersprüchlichen Erwartungen und Funktionen auszubalancieren. Das führt unzweifelhaft zu Spannungen, mit denen positiv und ambitioniert umgegangen werden muss. Diese Spannungsfelder markieren zu einem Gutteil neuralgische strategische Punkte im Bereich des Sozialmanagements. Im Folgenden soll daher auf einige besonders wichtige Spannungsfelder etwas näher eingegangen werden.
4.1
Rationalisierungsdruck versus Nächstenliebe
Der Prozess des «Rationalisierungsdruckes der Nächstenliebe» (Vittorio Hösle) setzt das Caritasprinzip der unvoreingenommenen Hilfe einem gewaltigen Druck aus. Ob Menschen anscheinend «unschuldig» oder «selbstverschuldet» in Not geraten, macht in der öffentlichen Wahrnehmung einen gewaltigen Unterschied. Hier kann man auch einen zynischen «Wettbewerb der Nöte» feststellen, was die Spendenfreudigkeit angeht: Kind mit Behinderung schlägt obdachlosen Alkoholiker, armes ausgesetztes Kätzchen schlägt hungriges Kind in Afrika. Der klare Blick – zunächst zu helfen, damit jemand wieder atmen kann, und im zweiten Schritt erst darüber nachzudenken, wie die Notsituation entstanden sein könnte – ist ziemlich getrübt. Dieser Rationalisierungsdruck der Nächstenliebe kommt auf leisen Sohlen: notwendiger Hilfe stehen immer knapper werdende Finanzmittel gegenüber. Der Zeitdruck bei der Betreuung und Pflege älterer Menschen (Stichwort: «Stoppuhrpflege») ist ebenso Ausdruck dieses Rationalisierungsdruckes wie das Formulieren rein funktionaler Vorgaben bei Arbeitsmarktprojekten: Es geht um die Kopfzahl der wieder integrierten Arbeitskräfte – weniger um die Berücksichtigung ihrer mögli-
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Unverwechselbare Qualität auf stabilen Beinen – Die Caritas Österreich
cherweise diffizilen Situation und des daraus resultierenden Mehreinsatzes zur Wiederherstellung von Perspektiven für Personen. Es gibt dadurch eine zunehmende Zahl von Menschen, die nach Maßgabe der Geldgeber auch für Beschäftigungsprojekte nicht mehr fit genug sind. Für das Management bedeutet dies, den Spagat zu schaffen zwischen Rationalisierungsdruck, der aus dem Wettbewerb um öffentliche Mittel entsteht, und den moralisch-ethischen Ansprüchen an Form und Umfang der Caritas-Leistungen, die sich aus unserer Mission ergeben und die zu Recht von MitarbeiterInnen, Ehrenamtlichen, SpenderInnen und anderen von der Caritas eingefordert werden.
4.2
Die Beziehung zur öffentlichen Hand: zwischen Kritik und Kooperation
In den westlichen Demokratien hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass der Staat nicht alles selbst organisieren kann und soll. Er konzentriert sich im Idealfall auf die Finanzierung und Qualitätssicherung, während er für die konkrete Gestaltung des Angebots Partner und private Anbieter sucht. Das hat sich ohne Zweifel bewährt. Die Leistungsfähigkeit des Sozialstaates hat sich enorm erhöht. Hierzu trägt die Mitarbeit von Wohlfahrtsorganisationen wesentlich bei. Sie bringen beachtliche Ressourcen ein, haben viel Nähe zu sozialen Problemstellungen und sind ziemlich flexibel. Die einzelnen Wohlfahrtsträger befinden sich im Wettbewerb um öffentliche Aufträge und sind somit bezüglich der Qualität ihrer Leistungsangebote noch stärker gefordert. Allerdings besteht auch eine Reihe von mitunter gravierenden Problemen:
Die öffentliche Hand, die als Gesetzgeber die Rahmenbedingungen formuliert, tritt aus vielerlei Gründen nach wie vor als Anbieter von sozialen Diensten auf. Das führt dazu, dass sie gleichzeitig Geldgeber, Mitbewerber und zugleich auch als Kontrollorgan tätig ist. Ein massiver Interessenskonflikt tut sich auf.
Darüber hinaus ist bei öffentlichen Vergaben von Leistungsaufträgen im Sozialbereich eine Tendenz vom Bestbieterprinzip hin zum Billigstbieterprinzip festzustellen. Der Einsparungsdruck im öffentlichen Sektor führt bei öffentlichen Ausschreibungen nur allzu oft zu einer überproportionalen Betonung des Kostenfaktors zu Lasten der Leistungsqualität. Für Sozialorganisationen wird es dadurch immer schwieriger sich gegen gewinnorientierte Anbieter zu behaupten, die zwar billigere Angebote offerieren können, sich aber dem Wohl der KlientInnen nicht im gleichen Maße verpflichtet fühlen und nicht die gleich hohen qualitativen Ansprüche an ihre eigenen Leistungen stellen.
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Außerdem muss das Management das Spannungsfeld zwischen Wettbewerb um öffentliche Aufträge und Vertretung der Interessen der eigenen KlientInnen ausbalancieren. Nicht selten findet sich die Caritas in dieser Doppelrolle wieder: Einerseits beteiligt man sich an Ausschreibungen der öffentlichen Hand, gleichzeitig sieht man sich verpflichtet, die oft zu niedrigen Qualitätsstandards der Ausschreibungen (zu Gunsten geringerer Kosten für die öffentliche Hand) zu kritisieren. Diese kritische Rolle liegt nicht nur im anwaltschaftlichen Auftrag der Caritas begründet, sondern wird auch von Anspruchsgruppen wie MitarbeiterInnen oder SpenderInnen erwartet. Für das Management von sozialen NPOs bedeutet dies, in Situationen verzerrten Wettbewerbs so zu agieren, dass sowohl die Interessen der eigenen Organisation verfolgt werden als auch die Interessen der KlientInnen (Stichwort: Leistungsqualität und Wahlmöglichkeit). Und es gilt, in der Beziehung zur öffentlichen Hand den richtigen Mittelweg zwischen Kritik auf der einen und Kooperation auf der anderen Seite zu finden.
4.3
Professionalisierung versus Selbsthilfe
Ein heikles Spannungsfeld innerhalb von sozialen NPOs entsteht mit dem prinzipiell positiven Trend zur zunehmenden Professionalisierung von NPOs. Hilarion G. Petzold, Professor für klinische Bewegungstherapie und Psychomotorik an der Freien Universität Amsterdam hat darauf hingewiesen, dass Professionalisierung doppelte Bedeutung hat. Sie ist Spezialisierung, bringt Verbesserung der Qualifikation, natürlich auch punktgenauere Hilfe. Andererseits birgt sie auch Gefahren in sich: Verlagerung der Hilfe aus der Alltagssituation in institutionalisierte Settings. Sie führt so zu einer Veränderung der Hilfe-Motivation: von Interesse, Mitgefühl, Solidarität, zu Hilfe gegen Bezahlung und Abwertung bzw. Verbot der Laienhilfe (Vertrauensverlust in die Kompetenz der Mitmenschen, aber auch Vertrauensverlust in eigene Fähigkeiten der Problembewältigung). Professionelle Hilfe kann so zu einer Verstärkung der Abhängigkeit vom Helfenden führen. Die Folge ist die Möglichkeit eines Souveränitätsverlustes. Dieser verstärkt das vielleicht schon vorhandene Gefühl der Hilflosigkeit. Die Professionalisierung darf daher nicht die Selbst- und Nächstenhilfe konterkarieren. Professionell heißt in hohem Maße auch, die Ressourcen des Hilfsbedürftigen anzusprechen und zu aktivieren. Nicht den Menschen Dinge abnehmen, die sie selber wahrnehmen können und sollten. Ebenso, wie es notwendig ist, familiäre, nachbarschaftliche, freundschaftliche, arbeitskollegiale Potenziale zur Hilfe zu wecken und zu fördern. Die fachliche Hilfe alleine ist zu wenig, es braucht das «gewisse Etwas», die Herzhaftigkeit, um Menschen zu betreuen, zu begleiten, ihnen Perspektiven für die Zukunft
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Unverwechselbare Qualität auf stabilen Beinen – Die Caritas Österreich
zu eröffnen. In der Sprache der Caritas gesagt: Die Berührung von Professionalität und Barmherzigkeit erzeugt jene «chemische» Reaktion, die menschengerechte Hilfe zu gewährleisten sucht. Es ist sicher keine Lösung, die Professionalisierungsschritte der letzten Jahre wieder rückgängig zu machen und zu einer Art «Barfuß»-Sozialarbeit zurückzukehren. Allerdings ist es eine enorm wichtige Herausforderung an Führungskräfte in NPO, dass sie sich bei aller Notwendigkeit zur Professionalisierung der damit verbundenen Gefahren bewusst werden und die ehrenamtliche sowie die Laienarbeit in ihrer Bedeutung stärken, damit nicht der Eindruck entsteht, jedwede soziale Problematik könne nur mehr durch Spezialistentum behoben werden. Das hätte nämlich nicht nur Folgen für die einzelnen Organisationen sondern wäre auch im Hinblick auf das solidarische Gemeinschaftsverständnis gesellschaftlich höchst problematisch. Die Stärkung der Bedeutung der freiwilligen MitarbeiterInnen wird wohl über präzisere Qualifizierung einerseits, wie auch über die Art und Weise der verantwortlicheren Mitarbeit andererseits gehen. Gerade auch in der Auslandshilfe ist diese Spannung deutlich zu spüren. Auf der einen Seite gibt es einen sehr hohe Anspruch und große Erwartungshaltung, die von Spendern, öffentlichen Geldgebern und anderen an die Caritas gerichtet sind. Auf der anderen Seite stellt sich die Kapazität einer Caritasorganisation in Osteuropa oder in einem afrikanischen Land anders dar, als man es aus Sicht der Caritas manchmal «gerne hätte». Auch hier geht es um einen Ausgleich der Interessen, um die Wahrung von Identität des Partners und gleichzeitig um die möglichst optimale Weiterentwicklung im konkreten Projekt.
4.4
Unendliche Not versus «Tropfen auf den heißen Stein»
Dies ist zunächst eine persönliche Dimension. Wenn die Caritas ein Haus für Aidswaisen in Afrika errichtet, ein Krankenhaus in Osteuropa erbaut oder eine Unterkunft für Straßenkinder in Südamerika betreibt, dann sind die Caritas-MitarbeiterInnen vor Ort mit der Kleinheit dieser Hilfe konfrontiert. Das einzelne Projekt geht in der schier unermesslichen Not der Menschen unter. Sehr unmittelbar sieht man einer enormen Ungerechtigkeit auf der Welt ins Auge, der man sich zunächst ohnmächtig und hilflos wähnt. Diese persönliche Dimension hat auch ein Gegenüber in der Organisation. Wie geht die Hilfsorganisation mit der Relativität ihrer Hilfe im Ausland um, und zwar nicht nur in Diskussionen mit Fernsehmoderatoren oder Spendern sondern auch im Inneren?
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Es lehren die Erfahrungen, dass viele Caritas-Projekte, die als «Tropfen auf dem heißen Stein» begonnen haben, viele Nachahmer gefunden haben. Die hohe Akzeptanz in der Bevölkerung ist dafür eine zentrale Voraussetzung. Die Erfolge im Mikrokosmos müssen gesehen und anerkannt werden. Es gilt, sich von den kleinen Erfolgen, Freuden und Fortschritten beflügeln und anstecken zu lassen, ohne dabei die Makroperspektive aus dem Auge zu verlieren. Die Projekte haben oft Pilotcharakter und finden mitunter auch auf der Ebene der Regierungen Beachtung. Sie stehen am Beginn eines langen Prozesses für politische Veränderungen. Letztlich ist der Einsatz aller Caritas-MitarbeiterInnen auch alternativenlos, wenn man einer besseren, freieren und solidarischeren Welt eine Chance geben möchte. Und wie heißt es, «Wer ein Kind rettet, rettet die ganz Welt». Dies will heißen, die Caritas darf darauf vertrauen, dass ihre Hilfeleistung, ihr Mitdenken und Beten, wenn es in der Momentaufnahme auch noch so marginal erscheinen möge, Wirkung zeigen wird. Hier schöpft die Caritas aus dem unverzichtbaren Fundus des Glaubens.
4.5
No risk – no future
Der Anspruch an Wohlfahrtsorganisationen ist zurecht, dass sie Orte sozialer Kreativität und sozialer Innovation sind. Es besteht aber die Gefahr, sie zu «staatlich ausgelagerten» Leistungserbringern zu reduzieren. Wenn es im Zuge eines falsch verstandenen New Public Management nur noch die Frage ist, wer ein klar definiertes Angebot günstiger erbringen kann, geht die Kompetenz als Problemlöser und Netzwerker verloren. Die Stärke der NPO ist es aber mitzuhelfen, dass sich die soziale Dimension und der immaterielle Reichtum einer Gesellschaft weiterentwickeln können. Dafür brauchen NPOs aber auch Freiraum. Eine Hauptressource dieses Freiraums besteht im Engagement und der Arbeit ehrenamtlicher Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Wo sie tätig sind, wo sie sich wie für andere einsetzen, wie viel Zeit sie investieren und welche neuen Ideen sie verwirklichen wollen, ist allein ihre Entscheidung. Sehr viele Projekte, hätte man sie mit Machbarkeitsstudien und einem Budgetplan begonnen, hätten nie das Licht der Welt erblickt. Die Caritas als Versuchsstation der Nächstenliebe muss auch experimentieren. Weil «der» richtige Weg, um Menschen, die der Assistenz anderer bedürfen, damit sie selber wieder ihr Leben in die Hand nehmen können, unter jeweils anderen Bedingungen auch immer anders aussieht. Weil der Anspruch mitzuerfinden, wie soziale Problemstellungen und die daraus folgenden notwendigen gesellschaftlichen Aufgaben effektiver, effizienter, qualitätsvoller, besser auf der Höhe
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Unverwechselbare Qualität auf stabilen Beinen – Die Caritas Österreich
der Zeit stehend, angegangen werden sollen, sonst nicht wahrgenommen werden kann. Mittel für Forschung und Entwicklung im sozialen Bereich werden aber eher zufällig vergeben und sind zurzeit in öffentlichen Budgets praktisch nicht vorgesehen. Diese Spannung, nicht der Routine zu verfallen und Neues zu wagen ohne das Fundament der Organisation zu gefährden, muss positiv gelöst werden. Nur so bleibt man als NPO zukunftsfähig.
4.6
Management des Ausgleichs
Viele Widersprüche sind einfach nicht eindeutig und dauerhaft lösbar. Sie sind vielmehr Ergebnis der Vermittlerrolle sozialer NPOs zwischen den Bereichen und daher geradezu systembedingt. Anstatt gegen Windmühlen zu kämpfen und laufend daran zu scheitern, nicht lösbare Spannungsfelder lösen zu wollen, muss es die Aufgabe von Führungskräften sein, mit diesen Widersprüchen zu leben und die Organisation so einzustellen, dass sie die Widersprüche ausbalanciert bzw. abfedert und ausgleichend wirkt. Der Caritas-Mission entsprechend wird an der Hilfe für Menschen in Not als oberstem Arbeitsprinzip klarerweise festgehalten. Trotzdem muss sich die Caritas auf dem Weg zu diesem Ziel auch mit wettbewerbsbedingten Anforderungen auseinandersetzen und deren widersprüchliche Anforderungen nach Möglichkeit ausbalancieren. Die Tätigkeitsfelder der Caritas erstrecken sich auf mehrere Ebenen: sie ist Arbeitgeberin, Dienstleisterin, «Anwältin» für die Stimmlosen, Interessensvertreterin, oder auch Partnerin und Auftragnehmerin von Regierungen und internationalen Regierungsorganisationen, wie z. B. der UNO. Die Caritas arbeitet in den unterschiedlichsten Bereichen, auf allen Kontinenten und ist damit in völlig verschiedenen Märkten präsent. Damit sind eine Reihe von Herausforderungen an die Organisation in ihrer Gesamtheit und an die Führung im Besonderen verbunden. Entscheidend ist die Verknüpfung der täglichen, praktischen Hilfe mit dem Anspruch, Anliegen der Caritas-Arbeit bundesweit und öffentlich zu positionieren. Gleichzeitig aber muss ein Modus Vivendi gefunden werden, der es den einzelnen diözesanen Verbänden ermöglicht, ihre besondere Note in den jeweiligen Zusammenhängen einzubringen und damit die bundesweite Positionierung zu verstärken. In der «Routine» der Arbeit gibt es normalerweise jährlich 3 bundesweite Kampagnen (Osteuropa, Afrika, Inlandsprojekte), die sowohl der Spendenaufbringung wie auch der öffentlichen Bewusstseinsbildung dienen. In den letzten Jahren gab es zusätzlich mehrere große Hilfskampagnen gemeinsam mit anderen Organisationen und großer medialer Unterstützung durch den ORF (Oester-
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reichischer Rundfunk) und viele Printmedien. Zum einen «Nachbar in Not», wo vor allem Rotes Kreuz, Caritas und ORF die Träger waren. Schwerpunkt der Hilfe waren Projekte zugunsten der Kriegsopfer im ehemaligen Jugoslawien. Zum anderen gab es im Jahre 2002 eine große Inlandshilfekampagne zugunsten der Hochwasseropfer in Österreich. Auch hier waren ORF, Rotes Kreuz und Caritas federführend. Durch richtigen und präzisen Einsatz der sehr hohen Spendenmittel zugunsten der Notleidenden ist es gelungen, die Hilfe der Caritas und das Zusammenspiel innerhalb der Caritas zukunftsfest zu entwickeln. Ebenso gibt es seit vielen Jahren mit «Licht ins Dunkel» eine große Aktion von ORF und vielen Massenmedien mit dem Kernauftrag, auf Hilfsanliegen für behinderte Menschen öffentlichkeitswirksam aufmerksam zu machen. Hier arbeitet die Caritas im Trägerverein gemeinsam mit einer Reihe von Behinderteninstitutionen mit. Ohne Zweifel ist der österreichweiten Arbeit der Caritas eine Grundspannung als Prinzip vorausgeschickt. Zum einen sind die diözesanen Verbände voneinander unabhängig, zum anderen ist klar, dass die gemeinsame österreichweite Positionierung der «Marke» Caritas auch dem jeweiligen Diözesanverband zusätzlichen Erfolg in der eigenen Arbeit bringt. Das bringt auch etwas «Pfeffer» in puncto österreichweite Koordination, Verantwortung, Vertretung, Vorausdenken und Zusammenhalten.
Box 2:
Neuralgische Punkte im Bereich des Sozialmanagements
Der Spagat zwischen wettbewerbsbedingtem Rationalisierungsdruck und der Nächstenliebe als zentraler Auftrag der Caritas-Mission muss gelingen.
In der Beziehung zur öffentlichen Hand gilt es, den richtigen Mittelweg zwischen Kritik auf der einen und Kooperation auf der anderen Seite zu finden.
Die Professionalisierung der Hilfsleistung darf nicht die Selbst- und Nächstenliebe konterka-
rieren. In der Berührung von Professionalität und Barmherzigkeit liegt menschengerechte Hilfe begründet.
An der enormen weltweiten Not darf man nicht verzweifeln, sondern die Caritas muss die
positiven Kreise sehen, die ein, wenn auch kleines Projekt auslösen kann und auslöst – wie der Stein, der ins Wasser fällt.
Eine Wohlfahrtsorganisation braucht «Freiraum» für Innovationen und darf auch von der
öffentlichen Hand nicht auf die Rolle «reiner Leistungserbringung» reduziert werden: Ehrenamtliche MitarbeiterInnen sind Teil dieses Freiraums.
4.7
Erfolgsfaktoren
Entscheidender Erfolgsfaktor ist, dass durch unsere Arbeit die Lebensverhältnisse von Menschen in Not verbessert werden. Das ist tägliche Erfahrung in Österreich.
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Unverwechselbare Qualität auf stabilen Beinen – Die Caritas Österreich
Unverzichtbar ist die hohe Glaubwürdigkeit der Caritas durch ihre Arbeit, durch die Projekte, die sie umsetzt und die Konzepte, die sie entwickelt. Die Orientierung am Evangelium nährt diese Glaubwürdigkeit ohne Zweifel und sie findet Bestätigung im Engagement und dem Einsatz der MitarbeiterInnen. Nicht von ungefähr wird die Caritas von außen auch gern als «Sammelbecken» sozial engagierter Menschen bezeichnet. In besonderer Weise ist in der Auslandshilfe der Caritas in den verschiedenen Projekten ersichtlich, was Hilfe bewirkt. Egal, ob es um Unterkünfte und Gegenstände des täglichen Bedarfs nach einem Erdbeben geht, oder ob Brunnen gebaut oder Kleingewerbe gefördert werden, es ist messbar, was an Hilfe umgesetzt wird. Natürlich ist es ein Erfolg, wenn es gelingt, zugunsten der der Caritas anvertrauten Menschen Einfluss auf die Gesetzgebung und Vollziehung zu nehmen. Nicht gerne formuliert, aber in Wirklichkeit auch unter Erfolg zu subsumieren, ist die Abwehr von geplanten legistischen, finanziellen oder auch verwaltungstechnischen Schlechterstellungen zu ungunsten der Caritas-KlientInnen. Die Themen, die die Caritas öffentlich kommuniziert und der Stil der CaritasSpenden- und Bewusstseinskampagnen haben schon mehrfach zu sehr anerkannten Preisen geführt. Allein in den letzten 5 Jahren sind Kampagnen der Caritas 15 Mal ausgezeichnet worden. Die Caritas wird in ihrer anwaltschaftlichen Funktion in Österreich von Politik und Medien stark wahrgenommen und ist in die wesentlichen Politikformulierungsprozesse, seien sie konsensual oder konfliktreich, als Partner geschätzt und zur Mitarbeit eingeladen.
Box 3:
Erfolgsfaktoren
Es gelingt, Lebensverhältnisse von Menschen zu verbessern und ihre eigenen Ressourcen zu aktivieren: Hilfe zur Selbsthilfe.
Die umgesetzte Hilfe ist «greifbar und spürbar». Es gelingt, die Glaubwürdigkeit der Caritas als Hilfsorganisation täglich und immer wieder aufs Neue unter Beweis zu stellen.
Aufmerksamkeit für strukturelle Defizite wird geschaffen, sodass zum Beispiel im Bereich der
Gesetzgebung oder Vollziehung Verbesserungen erreicht werden. Und die Caritas wird ob ihrer Ideen und Kreativität geschätzt.
Erfolg ist es auch dann, wenn bewusstseinsbildende Kampagnen der Caritas ausgezeichnet werden.
257
Franz Küberl
5
Ausblick
Frei nach Prof. Dr. Michael N. Ebertz, Theologe und Soziologe an der Universität Freiburg, sind es für den Verfasser folgende Ansprüche, die die Arbeit der Caritas zukunftsfähig halten und erfolgreich machen.
Die Caritas überwindet die Anonymität der Hilfe des Staates, weil sie Hilfe von Gesicht zu Gesicht leistet.
Die Caritas überwindet den Markt, weil sie auch jenen hilft, die eben nicht marktfähig sind.
Die Caritas überwindet die Grenzen der Kirche, weil sie auch zur Seite steht, wenn Menschen aus anderen Religionen, Agnostiker oder Atheisten oder Konfessionslose in Not sind.
Die Caritas überwindet die Grenzen der Privatheit, weil sie die Hilfskraft des einzelnen multipliziert.
Die Caritas überwindet auch nationale Grenzen. Probleme der Menschen in anderen Ländern gehen auch uns etwas an. Das ist Teil unseres Selbstverständnisses und Teil unserer Arbeitswirklichkeit. Hauskrankenpflege in Bulgarien, Obdachlosenarbeit und Romahilfe in Rumänien, Straßenkinderprojekte in Moldawien oder auch Strukturhilfen zum Aufbau von Caritasorganisationen in anderen Ländern sind Beispiele hierfür. Die Caritas arbeitet am Rande der Gesellschaft, an Grenzen und versucht diese zu überwinden. Das muss auch in Zukunft gelingen. Hierbei gilt es, die grundlegenden inneren Spannungen, die aus verschiedenen Rollen kommen, produktiv zu nützen. Die Caritas
ist Hilfsorganisation mit handfesten Projekten zugunsten Schwächerer. ist anwaltschaftlich zugunsten der ihr Anvertrauten tätig. ist Sammelbecken für sozial engagierte Menschen. ist Interessensvertreterin im Sinne der von ihr geführten Einrichtungen. ist kirchliche Organisation – mit dem Selbstverständnis, auch Vorhof zur Kirche oder letzter Bezugspunkt zu kirchlichem Milieu zu sein. In diesem Sinnen soll das Tun der Caritas mithelfen,
das Gerücht vom menschenfreundlichen Gott wach zu halten.
258
Unverwechselbare Qualität auf stabilen Beinen – Die Caritas Österreich
dass alle Menschen vor Gott und untereinander eine gleiche unveräußerliche Würde haben und in Freiheit und Verantwortung für sich und andere leben können. Alle Verantwortlichen der Caritas müssen 3 Dimensionen der Realität in folgender Reihenfolge Stand halten können: 1. Wir müssen den Hilfesuchenden in die Augen schauen. 2. Wir müssen uns den Anforderungen des Evangeliums stellen. 3. Wir dürfen im ökonomischen Sinne nicht mehr ausgeben als wir einnehmen.
Ich danke Judit Marte für die Mitwirkung.
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Erfolgreiches Sozialmanagement
Guido Bodmer und Niklaus von Deschwanden
Erfolgreiches Sozialmanagement Beispiel der Stiftung Brändi, Luzern (CH)
Überblick .......................................................................................................................... 263 1
Gründung und Entwicklung der Stiftung Brändi ...................................................... 265 1.1 Die quantitative Entwicklung .............................................................................. 265 1.2 Qualitative Entwicklungen................................................................................... 266
2
Spezifika der Märkte....................................................................................................... 269 2.1 Die Stiftung Brändi agiert in 3 Märkten ............................................................. 269 2.2 Markt der sozialen Organisationen und Aufgaben .......................................... 270 2.3 Wirtschaftsmarkt.................................................................................................... 271 2.4 Vernetzung der NPO mit den PO und den staatlichen Systemen.................. 272
3
Sicherung des Auftrages und des Erfolges.................................................................. 274 3.1 Motivation............................................................................................................... 275 3.2 Ressourcen .............................................................................................................. 276 3.2.1 Personal....................................................................................................... 276 3.2.2 Finanzen ..................................................................................................... 276 3.2.3 Infrastruktur............................................................................................... 277 3.2.4 Vernetzung mit dem Umfeld................................................................... 277 3.3 Instrumente und Managementsystem................................................................ 277
4
Schlussfolgerungen und der Versuch eines Ausblickes ............................................ 279
261
Erfolgreiches Sozialmanagement
Überblick Im Jahre 1961 wurde die Schweizerische Invalidenversicherung (IV) in Kraft gesetzt. Dank der Finanzierung durch die IV konnten die ersten beruflichen Eingliederungsstätten und in der Folge die Geschützten Werkstätten und Wohnheime ausgebaut werden.
Die Stiftung Brändi wurde 1968 gegründet. Von anfänglich 40 Plätzen wurde das Angebot bis zum Jahre 2004 auf 710 Geschützte Arbeitsplätze, 120 Ausbildungsund Abklärungsplätze und 230 Wohnplätze ausgebaut. Dank einer regionalen Verteilung kann ein großer Teil der betroffenen Menschen die Angebote als externe Besucher nutzen.
Institutionen für Menschen mit Behinderungen werden generell den NonprofitOrganisationen (NPO) zugeordnet. Der folgende Beitrag zeigt die sehr große Bedeutung einer Institution für die Anliegen von Menschen mit Behinderungen auf. Mit einem Jahresbudget von ca. 60 Mio. CHF ist die Stiftung Brändi auch für die Volkswirtschaft des Kantons Luzern und die Region von starker Bedeutung.
In den Angeboten der Stiftung Brändi finden Menschen mit geistigen-, körperlichen-, oder psychischen Behinderungen Aufnahme, die zufolge ihrer verminderten Leistungsfähigkeit oder einem besonderen Begleitungs- oder Betreuungsbedürfnis am Arbeitsplatz oder im persönlichen Bereich Unterstützung benötigen.
Die Stiftung Brändi nimmt ihre Aufgaben in einer guten Vernetzung mit andern Anbietern der sozialen Hilfe, der Gesellschaft, der Politik, Fach- und Branchenverbänden und insbesondere der Wirtschaft wahr.
Die komplexen Aufgaben können nur dank fachlich und menschlich gut ausgewiesenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erfüllt werden. Großer Wert wird auf eine ständige Fort- und Weiterbildung gelegt.
Die wichtigsten Voraussetzungen für den Erfolg einer Organisation, einer Firma und insbesondere einer Institution für Menschen mit Behinderungen sind: die Motivation, das Engagement für die übernommene Aufgabe, genügend finanzielle, personelle und materielle Ressourcen und die Gestaltung und Anwendung angemessener Managementsysteme.
Die Zukunft stellt an die Verantwortlichen außerordentliche Ansprüche. Die Erscheinungsformen der Behinderungen und Beeinträchtigungen werden komplexer. Dramatisch ist die Zunahme von Menschen mit psychischen Erkrankungen und dies immer in früheren Lebensjahren. Die wirtschaftlich schwierige Beschäftigungslage stellt höhere Anforderungen an die Eingliederungsmöglichkeiten und der Spardruck der öffentlichen Hand kann zu einem Leistungsabbau für die Betroffenen führen.
263
Guido Bodmer und Niklaus von Deschwanden
Die Stiftung Brändi wird die Herausforderungen der Zukunft auf Grund ihrer Fachlichkeit und der großen Motivation der Mitarbeitenden, zum Wohle der Menschen mit Behinderungen bewältigen.
264
Erfolgreiches Sozialmanagement
1
Gründung und Entwicklung der Stiftung Brändi
Am 17. Juni 1925 beschlossen die eidgenössischen Räte, die Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 zu ergänzen und die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (AHV) mit dem Art. 34 adäquater einzufügen. Die AHV hatte sich in kurzer Zeit eingespielt. Daher konnten die Vorarbeiten für eine IV in den 50er Jahren an die Hand genommen und mit einem 1960 in Kraft gesetzten IV-Gesetz zu Ende geführt werden. Die IV hat damals in doppelter Hinsicht Neuland betreten und mit ihrer Konzeption über die Landesgrenzen hinaus Aufsehen und Anerkennung gefunden:
Ihr Hauptziel war und ist bis heute: die Ein- bzw. Wiedereingliederung der Menschen mit Behinderungen. Renten sollen grundsätzlich subsidiär, d. h. nur dann ausgerichtet werden, wenn eine Eingliederung oder Wiedereingliederung nicht mehr in Frage kommt oder nur als Teilziel erreicht wird.
Die IV, und das ist das zweite Merkmal und bis heute gültig, verfügt über keine eigenen Eingliederungsstätten, Geschützten Werkstätten oder Wohnangebote. Die IV arbeitete von Anfang an mit Ärzten, Spitälern sowie öffentlichen und gemeinnützigen privaten Einrichtungen und Organisationen zusammen. Mit dem Inkrafttreten der IV konnte die schon lange notwendige spezifische Ausbildung von Kindern und Jugendlichen realisiert werden und für Berufstätige nach Unfällen oder Krankheit die berufliche Rehabilitation angeboten werden. Nach dem Inkrafttreten der IV, den Aktivitäten der Elternvereine und einem politischen Vorstoß im Grossen Rat wurde vorerst ein Beauftragter des Regierungsrates und in der Folge eine Kantonale Fachkommission für Behindertenfragen eingesetzt. Die Abklärungen und Vorbereitungen dieser Kommission führten im Jahre 1968 zur Gründung der Stiftung «Arbeitszentrum für Behinderte Luzern», heute Stiftung Brändi.
1.1
Die quantitative Entwicklung
In einem ersten Pavillon auf der Liegenschaft Brändi in Horw wurden am 4. November 1968 die ersten 40 Arbeitsplätze eröffnet. Im Sommer 1969 war die Werkstätte bereits mit 60 Personen belegt. Dem verantwortlichen Leiter wurde der Auftrag erteilt, innert Monatsfrist aufzuzeigen, wie sich der Bedarf im Zeitraum von 5 bis 10 Jahren entwickeln könnte. Es entstand der «Bericht Grundlagenstudie I, für die Planung von Behindertenwerkstätten und Wohnheimen im Kanton Luzern». Der Bericht basierte auf Abklärungen der Fachkommission für Behindertenfragen, dem damals bekannten Bericht Kne-
265
Guido Bodmer und Niklaus von Deschwanden
schaurek: Perspektiven und Zukunfts-Planung der Schweiz und Erfahrungen in andern Kantonen. Auf Grund dieses Berichtes genehmigte der Grosse Rat des Kantons Luzern am 30. Januar 1973 den Ausbau des Arbeitszentrums mit Wohnheim in Horw auf 180 Arbeits- und Eingliederungsplätze und 80 Wohnplätze und nahm Kenntnis von der Gesamtkonzeption der dezentralen Erschließung des Kantons Luzern mit voraussichtlich total 350 Arbeits- und Eingliederungsplätzen für Menschen mit geistigen, körperlichen oder psychischen Behinderungen und ca. 120 Wohnplätzen. In den Jahren 1973 bis 1985 wurde diese Konzeption umgesetzt. Die Stiftung zeigte sich weitgehend in der Form, wie sie die Grundlagenstudien I visionär entworfen hatte als eine differenzierte Organisation mit einer Zentrumsinstitution und Filialbetrieben und Wohnangeboten, die große Teile des Kantons Luzern erschloss. Das Gesamtangebot in Horw, Sursee, Hochdorf und Luzern umfasste 360 Arbeits- und Eingliederungsplätze sowie 110 Wohnplätze. Im Jahre 1988 erarbeitete eine stiftungsinterne Arbeitsgruppe den «Grundlagenbericht II ‚Brändi prospektiv’». In diesem wurde die weitere quantitative und qualitative Entwicklung der Stiftung Brändi eingeleitet:
Maßnahmepläne wurden beschlossen und in den folgenden Jahren umgesetzt. Die Organisationsstruktur wurde angepasst. Neue Betriebe in Willisau, Sursee, Littau, Kriens und Luzern und neue Wohnangebote in Willisau, Hochdorf, Neudorf und Sursee wurden eröffnet. Ende der 90er Jahre verfügte die Stiftung insgesamt über 724 Arbeits- und Ausbildungsplätze und 198 Wohnplätze. Die Angebote wurden entsprechend dem Bedarf weiter ausgebaut und diversifiziert. Gemäß der aktuellen Bedarfsplanung per 2004 bietet die Stiftung 830 Arbeits- und Ausbildungsplätze und 230 Wohnplätze an (vgl. Tabelle 1).
1.2
Qualitative Entwicklungen
Ende der 90er Jahre erkannte die Stiftung, dass sich vieles im Umfeld und auch in den eigenen Vorstellungen und Visionen für eine behindertengerechte individuelle und differenzierte Betreuung und Begleitung in den Ausbildungs-, Arbeits- und Wohnangeboten verändert hatte oder zu verändern war. Eine Arbeitsgruppe aus dem Stiftungsrat unter Mitwirkung von Führungskräften und Personal aus allen Bereichen der Stiftung erarbeitete unter der Führung von Agogis (Höhere Fachschule im Sozialbereich, Zürich) den «Grundlagenbericht III (1998)».
266
Erfolgreiches Sozialmanagement
Tabelle 1:
Angebotspalette der Stiftung Brändi Luzern Wohnen
Berufliche Maßnahmen
Arbeitsplätze
Zielgruppen
Menschen mit: geistigen, körperlichen und mehrfachen Behinderungen
Menschen mit: geistigen, körperlichen, psychischen und mehrfachen Behinderungen
Menschen mit: geistigen, körperlichen, psychischen und mehrfachen Behinderungen
Platz-Angebot
230
120
710
Konzepte
í Wohnheime
í Praktische Ausbildung
í Geschützte Arbeitsplätze
í Integriertes Wohnen
í Grundausbildungen
í Beschäftigung
í Einzelwohnungen
í Anlehren
í Wohngemeinschaften
í Integrative Arbeitsplätze
í Volllehren í Berufliche Abklärungsstelle B EFAS (nicht berufsspezifisch)
Branchen
Schreinerei
Mechanik/Schlosserei
Montagen
Baumalerei
Spedition
Gärtnerei
Recycling
Kaufmännische
CAD-Zeichnen
Hauswirtschaft
Küche
Orte
6
10
9
Personalstellen
50
40
200
Finanzierung
Pensionspreise
BSV/IV
Eigenleistungen
BSV/IV
Einzelverfügungen
BSV/IV
Kanton/Gemeinden
Tarife (bleibt auch nach NFA)
Kanton/Gemeinden
Diese Studie analysierte das Umfeld, stellte Stärken und Schwächen der Angebote und Organisation fest, definierte das Leitbild neu und löste vielfältige Planungs- und Entwicklungsmaßnahmen aus. Und wieder hatte die Stiftung Brändi die Innovationskraft,
267
Guido Bodmer und Niklaus von Deschwanden
das als richtig Erkannte auch zu Gunsten der Menschen mit Behinderungen zu realisieren. Schwerpunkte waren: Für die Menschen mit Behinderungen:
Die bewusste Umstellung von der Betreuung zur Begleitung, die damit verbundene Verstärkung der Selbstbestimmung, die stärkere Gewichtung der Individualität und Normalität und die Ergänzung der stationären Angebote durch Assistenzdienste, halbstationäre und ambulante Dienstleistungen. In den Wohnangeboten:
Die weitere Differenzierung der Wohnangebote und die Errichtung der ersten Alterswohngruppen. In den Ausbildungs- und Arbeitsangeboten:
Das Mithalten in der technologischen Entwicklung, das Anbieten der ersten integrativen Arbeitsplätze in der freien Wirtschaft, der Wechsel von einfachen Arbeiten zu partnerschaftlichem Zusammenarbeiten mit der Wirtschaft und
das Akzeptiert werden als gleichwertige Partner in der Handels- und Gewerbefreiheit. In den eigenen Strukturen:
Die weitere Förderung des qualifizierten Personals und die Einführung des Qualitätsmanagements und der integrierten Sicherheitskonzepte. Diese Darstellung ist nicht abschließend, so wie auch die weitere Entwicklung nie abschließend sein kann. Einen Überblick über die finanzielle Situation der Stiftung Brändi im Jahr 2003 vermittelt Abbildung 1.
268
Erfolgreiches Sozialmanagement
Abbildung 1: Jahresrechnung der Stiftung Brändi 2003
2
Spezifika der Märkte
2.1
Die Stiftung Brändi agiert in 3 Märkten
Im Markt der sozialen Organisationen und Aufgaben: in Bezug auf die Begleitung von Menschen mit Behinderungen an den geschützten Arbeitsplätzen; im Wohnbereich und der beruflichen Abklärung und Eingliederung. Im Wirtschaftsmarkt: in dem sie, in den Geschützten Werkstätten im Auftrag und in Kooperation mit der Industrie, dem Gewerbe und Dienstleistungsbetrieben der offenen Wirtschaft, Produkte und Dienstleistungen erstellt, anbietet und verkauft. In der Vernetzung des Nonprofit-Bereiches mit den Profitorganisationen und den staatlichen Tätigkeiten.
269
Guido Bodmer und Niklaus von Deschwanden
2.2
Markt der sozialen Organisationen und Aufgaben
Wie einleitend festgestellt, verfügt die IV nicht über eigene Angebote im Bereich der Geschützten Werkstätten, Eingliederungsstätten oder Wohnheime. Gemäß Art. 73 IVG kann sie «Beiträge gewähren an den Bau und den Betrieb von Eingliederungsstätten, Geschützten Werkstätten und Wohnheime.» Diese Bereiche der IV gehen nach dem Inkrafttreten der NFA, voraussichtlich im Jahre 2008, in die Verantwortung der Kantone über. Der Bund hat zur Sicherstellung der Ansprüche der Menschen mit Behinderungen das «Bundesgesetz über die Institutionen für die soziale Eingliederung von invaliden Personen (ISEG)» entworfen und Ende 2004 in die Vernehmlassung gegeben. Gemäß Art. 15 ff. IVG übernimmt die IV die Kosten der beruflichen, medizinischen und sozialen Eingliederung. Die IV-Stellen nehmen dazu die notwendigen Abklärungen vor und erlassen die individuellen Verfügungen. Diese Aufgaben und Tätigkeiten bleiben auch nach dem Inkrafttreten des NFA bei der IV. In der Schweiz werden die Geschützten Werkstätten, Wohnheime und Eingliederungsstätten von Organisationen in privater Trägerschaft (Vereinen, Stiftungen oder Genossenschaften) geführt. Diese Organisationen üben ihre Tätigkeit vorwiegend im Gebiet ihrer Sitzkantone aus. Das Gesamtangebot in der Schweiz liegt im Jahr 2004 bei ca. 27.000 Geschützten Arbeitsplätzen und 18.000 Wohnplätzen. In den von der IV beauftragten Institutionen erhalten jährlich rund 6.000 Personen eine berufliche Grundausbildung oder profitieren von einer Maßnahme zur beruflichen Eingliederung in den offenen Arbeitsmarkt: eine Lehre mit Eidgenössischem Fähigkeitsausweis EFZ (200), eine BBT-Anlehre (400), eine praktische Ausbildung bzw. IVAnlehre (400). Die Stiftung Brändi bietet ihre Angebote im Kanton Luzern an. Im Bereich der erwachsenen Menschen mit Behinderungen deckt sie dabei einen Anteil von ca. 60 Prozent ab. Seit den 60er Jahren unterstützt der Regierungsrat des Kantons Luzern die Konzeption, dass 3 größere Organisationen (die Stiftung Brändi, die Stiftung für Schwerbehinderte Luzern und der Hilfsverein für psychisch Kranke) die Mehrheit der Angebote, aktuell ca. 90 Prozent, gestalten. Ein Kreis von kleineren Institutionen ergänzt und erweitert die Angebote. Menschen mit Behinderungen werden aber nicht nur durch die erwähnten Anbieter begleitet und betreut. Weitere Dienstleistungen werden beispielsweise durch die ProInfirmis, Procap, Insieme, Vereinigung Cerebral usw. sowie durch die die staatlichen und kirchlichen Sozialämter und Stellen angeboten. Sie beraten, begleiten und unterstützten wirtschaftlich die Menschen mit Behinderungen.
270
Erfolgreiches Sozialmanagement
Der Leitgedanke aller Anbieter der Angebote ist und bleibt die Hilfe zur Selbsthilfe. In der Abgrenzung der privaten von der staatlichen Tätigkeit gilt das Prinzip der subsidiären Wahrnehmung der Aufgaben.
2.3
Wirtschaftsmarkt
Der Zweckparagraph 3 der Stiftung Brändi bestimmt: «Die Stiftung Brändi arbeitet mit den bestehenden Institutionen der Invalidenhilfe und der Eidgenössischen Invalidenversicherung zusammen. Sie errichtet und führt geeignete Arbeitsstätten zur Ausbildung, Beschäftigung und Betreuung Behinderter, um diesen eine ihrer Invalidität angemessene Tätigkeit und Verdienstmöglichkeit zu bieten». Im Kreisschreiben über die Geschützten Werkstätten definiert das BSV die Geschützten Werkstätten und deren Anspruchsberechtigung auf Bau-, Einrichtungs- und Betriebsbeiträge. Die zentrale Aussage ist dabei, dass das BSV nur invaliditätsbedingte Mehrkosten übernimmt. Das heißt Kosten die einem so genannten Normalbetrieb bei gleicher Tätigkeit oder Produktion nicht erwachsen. Die Werkstätten und Tätigkeitsfelder für Menschen mit Behinderungen sollen damit so weit wie möglich nach den gleichen Bedingungen wie die Wirtschaft dem Markt ausgesetzt sein. Es dauerte Jahrzehnte bis einerseits die Wirtschaft dieses Prinzip verstand und akzeptierte und andererseits die Geschützten Werkstätten sich genügend wirtschaftlich verhielten. Die Stiftung Brändi hat in ihrem Leitbild ihr unternehmerisches Verhalten klar definiert:
Leitbild der Stiftung Brändi «Unsere Stärke ist unsere Präsenz. Wir pflegen die Kommunikation von Mensch zu Mensch, stehen für kompetente Problemlösungen ein und legen Hand an wo unsere Kunden unsere Unterstützung brauchen. Die Unternehmen der Stiftung konzentrieren ihre Kräfte in erster Linie auf Branchen, in denen sie Menschen mit Behinderungen attraktive Arbeits- und Ausbildungsplätze anbieten können. Sie fördern jene Produkte und Dienstleistungen, bei denen sie gute Voraussetzungen besitzen, um auf dem Wirtschaftsmarkt erfolgreich zu sein. Unseren Kunden bieten wir uns als Partner für Gesamtlösungen an. Das erforderliche Know-how und die notwendige Infrastruktur bauen wir tatkräftig aus. Wir setzten auf eine umwelt- und sozialverträgliche Wirtschaftstätigkeit. Im verstärkten Austausch und einer guten Zusammenarbeit innerhalb und zwischen den verschiedenen Unternehmen der Stiftung Brändi sehen wir entscheidende Entwicklungschancen.
271
Guido Bodmer und Niklaus von Deschwanden
Wir betreiben kein Sozialdumping. Öffentliche Gelder setzten wir für die Menschen mit Behinderungen und zur Abdeckung der invaliditätsbedingten Mehrkosten ein, unsere Produkte und Dienstleistungen müssen sich ungeschützt auf dem Markt bewähren.»
Nach diesen Grundsätzen handeln nicht nur für die Unternehmen der Stiftung Brändi. Es sind allgemeingültige Aussagen, die auch im Kontext zum Ehrenkodex des Branchenverbandes IN-SOS stehen. Die Geschützten Werkstätten in der Schweiz erwirtschafteten im Jahre 2003 einen Produktionserlös von über 300 Mio. CHF. Das Volumen der Stiftung Brändi liegt bei ca. 13 Mio. CHF. Die Übersicht über die Arbeitsbereiche und angebotenen Branchen der Stiftung Brändi wurde im Kapitel 1 dargelegt. Die Tätigkeit in den Geschützten Werkstätten fördert die Integration in die Gesellschaft und die Arbeitswelt und schafft Anerkennung. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Behinderung können auf diese Weise in Ergänzung zu den Leistungen der Sozialversicherungen einen Teil ihres Lebensunterhaltes selber verdienen. Die Veränderungen im wirtschaftlichen Umfeld sind auch in den Geschützten Werkstätten deutlich zu spüren. Die Institutionen agieren und reagieren in ihrer Verantwortung für den Erhalt der Arbeitsplätze für die Menschen mit Behinderungen darauf mit Innovationskraft und Kreativität. Die Zukunftsaussichten und die Chancen und Gefahren für die Institutionen für Menschen mit Behinderungen wird im abschießenden Kapitel 4 näher eingegangen.
2.4
Vernetzung der NPO mit den PO und den staatlichen Systemen
Institutionen für Menschen mit Behinderungen werden mehrheitlich den NPO zugeordnet. Dies ist zulässig soweit es um die Begleitung und Betreuung in den Arbeitsund Wohnangeboten geht. Der Anteil der Geschützten Werkstätten der auf die Produktion entfällt, kann und darf nicht den NPO zugeordnet werden. Diese Aktivitäten sind viel mehr nach den Wirkungsweisen der Profitorientierten Organisationen (PO) zu führen und zu bewerten. Es geht im Folgenden jedoch nicht darum, diese Aufsplittung zu untersuchen. Wenig ist bisher zur Thematik des volkswirtschaftlichen Nutzens von NPO untersucht worden. Im Herbst 2004 wurde deshalb im Auftrag der Stiftung Brändi an der Hochschule für Wirtschaft Luzern durch Andreas Walker eine Diplomarbeit mit dem Titel: «Wie hoch ist der volkswirtschaftliche Nutzen von Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen Stiftung Brändi, Luzern» erarbeitet. Im zusammenfassenden Text «Management Summary» wird festgestellt:
272
Erfolgreiches Sozialmanagement
Management Summary Die Bedeutung der Stiftung Brändi für den Kanton Luzern ist groß. Als Arbeitgeberin bietet die Stiftung zirka 450 nicht behinderten Personen eine Arbeitsstelle. Für die Menschen mit Behinderungen stehen 840 Arbeits- und Ausbildungsplätze und 230 Wohnmöglichkeiten zur Verfügung. Die Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen müssen regelmäßig um öffentliche Gelder anhalten, ohne dass dabei bekannt ist, welchen monetären Nutzen ein Kanton aus der Tätigkeit einer solchen Institution hat. Die Investitionen sind groß und für die Verantwortlichen der Stiftung Brändi ist es deshalb wichtig, den Gegenwert dieser Investitionen aufzuzeigen. Die Stiftung beauftragte das Institut für Betriebs- und Regionalökonomie (IBR) der Hochschule für Wirtschaft in Luzern (HWS), den volkswirtschaftlichen Nutzen der Stiftung Brändi für den Kanton Luzern zu evaluieren. Gegenstand der Untersuchung ist es, den monetär bezifferbaren Nutzen den direkten Kosten gegenüberzustellen. Die nicht bezifferbaren Effekte werden erwähnt, aber nicht in die Rechnung eingeschlossen. Im zweiten Teil der Arbeit werden die Folgen des am 28. Novembers angenommenen NFA erläutert. Dieser tritt voraussichtlich per 2008 in Kraft. Die Kantone sind auf Grund eines Bundesbeschlusses verpflichtet, während einer Übergangsfrist von 3 Jahren die bisherigen Leistungen des Bundes weiter auszurichten. Die Untersuchung beschränkt sich auf eine Ist-Analyse. Die Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2003 und können für eine weitere Bearbeitung zu einem späteren Zeitpunkt angepasst werden. Die Kosten wurden 1:1 aus der Jahresrechnung 2003 entnommen und betragen 57,8 Mio. CHF. Der Nutzen setzt sich aus den nachfolgend aufgelisteten, bezifferbaren Faktoren zusammen.
Monetärer Nutzen durch Beiträge an Staat (Steuern, Mehrwertsteuer etc.) und Sozialversicherungen durch die Mitarbeiter. Monetärer Nutzen für das regionale Gewerbe. Monetärer Nutzen für die Gesellschaft aus komparativem Vorteil. Monetärer Nutzen für die IV durch tiefere Renten. Die Kosten-Nutzen-Analyse zeigt, dass der Nutzen die Kosten im Kanton Luzern um etwa 22,3 Mio. CHF übersteigt. Für die gesamtschweizerische Volkswirtschaft beträgt der Saldo 15,8 Mio. CHF. Für die Interpretation gilt zu bemerken, dass eine Schätzungsungenauigkeit unvermeidbar ist und dass gewisse Faktoren nicht monetarisiert werden konnten (vgl. Tabelle 2).
Tabelle 2: In 1.000 CHF
Saldo des Kosten-Nutzen Vergleiches Total
Kanton Luzern
Andere Kantone
Bund
Kosten
57.778
19.862
6.769
31.147
Nutzen
73.556
42.170
20.290
11.096
Saldo
15.778
22.308
13.251
-20.051
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Guido Bodmer und Niklaus von Deschwanden
Die Wertschöpfung der Stiftung Brändi erreicht im Kanton Luzern einen Wert von 9,8 Mio. CHF. Die Berechnung beschränkt sich auf die bezifferbaren Faktoren. Nicht bezifferbare Faktoren wie das Selbstwertgefühl der Menschen mit Behinderungen und andere weiche Faktoren sowie die volkswirtschaftliche Auswirkung durch Teilzeitstellen sind darin nicht enthalten. Die kommenden Auswirkungen durch die Annahme des NFA auf die Stiftung Brändi und die Folgen für die Volkswirtschaft im Kanton Luzern sind schwer ermittelbar. Mit dem NFA muss der Staat Luzern die erhaltenen finanziellen Ausgleiche nicht mehr zweckgebunden investieren. Mit der Annahme des NFA muss der Kanton ein Konzept zur Planung, Gestaltung und Finanzierung von Einrichtungen durch ein Fachgremium erarbeiten, beschließen und vom Bundesrat genehmigen lassen. Das Fachgremium soll gewähren, dass den Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen auch in der Zukunft genügend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Nationale Organisationen der Behinderten-Vertretung haben diese Vorgaben im Vorfeld der NFA-Abstimmung mit ihrer Opposition zum NFA ausgelöst. Die näheren Bestimmungen werden im neuen «Bundesgesetz über die Institutionen für die soziale Eingliederung von invaliden Personen (IVSE)» geregelt. Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Stiftung wird durch die kommende 5. IVGRevision eher gestärkt. Das Ziel der Revision ist die bessere Integration der IV-Bezüger in den Arbeitskreislauf. Das ist bereits jetzt eine Kernkompetenz der Stiftung Brändi und wird die Position der Stiftung weiter stärken.
3
Sicherung des Auftrages und des Erfolges
Die Sicherung der Arbeits-, Ausbildungs- und Wohnplätze für Menschen mit Behinderungen in der notwendigen Quantität und Qualität stellt an eine Stiftung für Menschen mit Behinderungen hohe Anforderungen und hat verschiedene Dimensionen: wirtschaftliche, politische, strukturelle, gesellschaftliche, fachspezifische und insbesondere auch eine auf das Management bezogene. Auf Fragen des Managements werden im Folgenden an Hand einzelner Aspekte und Instrumente näher eingegangen. Zu den andern angesprochenen Dimensionen werden im Ausblick einige Hinweise gegeben. Stiftungen erfüllen ihren Auftrag gemäß dem Stiftungszweck der in einer öffentlichen Urkunde meist klar verurkundet ist. Stiftungen werden in sozialen Bereichen dann errichtet, wenn ein Zweck voraussichtlich langfristig zu erfüllen ist, eine größere Zahl
274
Erfolgreiches Sozialmanagement
von Betroffenen erreichen soll und politisch sowie gesellschaftlich gut positioniert werden soll. Dies trifft auf die Stiftung Brändi eindeutig zu. Erfolgreiche Unternehmen legen zur Sicherung ihres Auftrages auf 3 Bereiche besonderes Gewicht: Motivation, Ressourcen, Instrumente.
3.1
Motivation
Das Wesentliche zur Erreichung und Sicherung von Visionen und Zielvorstellungen ist die Begeisterung, das «innere Feuer» für die übernommene Aufgabe. Antoine de Sainte-Exypéry hat dies vortreffliche formuliert: «Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht die Leute zusammen um Holz zu beschaffen, die Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern wecke in den Mitarbeitenden die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.» Ein wesentlicher Teil des Erfolges der Stiftung Brändi liegt wohl darin, dass die Verantwortlichen dieses innere Feuer selbst spüren und weitergeben können. Ein vertrauensvoller Umgang zwischen allen Mitwirkenden der Organisation ist eine weitere Grundvoraussetzung. Die Stiftung Brändi hat dies in ihren Führungsgrundsätzen festgeschrieben:
Führungsgrundsätze der Stiftung Brändi Präambel Die Stiftung Brändi engagiert sich für Menschen mit einer Behinderung. Sie stehen für uns im Zentrum unserer Entscheidungen und Handlungen und finden bei uns Lebens- und Arbeitsqualität. Partnerschaftlich, anteilnehmend und professionell bewältigen wir gemeinsam mit den Betroffenen und Beteiligten die Erschwernisse, die durch die Behinderungen bedingt sind. Wir wollen mithelfen, dass Menschen mit Behinderungen sich persönlich entfalten können und den von ihnen selbstbestimmten Platz in der Gesellschaft erhalten. Wir sorgen für gute Arbeitsbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten für das Personal. Um die hohen und anspruchsvollen Ziel zu erreichen, halten wir uns an Führungsgrundsätze: Wir orientieren uns nach dem Leitbild. Wir setzen klare Ziele und nehmen Führungsverantwortung wahr. Wir delegieren vertrauensvoll Aufgaben und Kompetenzen. Wir entscheiden uns für diejenige Lösung, von der uns unser Gewissen sagt, sie sei die richtige.
275
Guido Bodmer und Niklaus von Deschwanden
Wir lassen laufen was läuft. Wir gehen davon aus, dass jeder an seinem Platz das Beste gibt. Wir sehen Fehler als Möglichkeiten, um daraus zu lernen und besser zu arbeiten. Wir wollen nicht Gleichheit, sondern Gleichwertigkeit erreichen. Wir suchen nach ganzheitlichen Lösungen und sind offen für Neues. Wir üben wohlwollende aufbauende Kritik.
3.2
Ressourcen
Um Visionen und Zielvorgaben umsetzen zu können braucht es Ressourcen in den Bereichen: Personal, Finanzen, Infrastruktur. Der Stiftung Brändi war es bis heute möglich, die notwendigen Ressourcen zu beschaffen und den Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Dies wird in der Zukunft schwieriger werden. Die Organe der Stiftung werden alles daran setzen auch unter erschwerten Bedingungen die zur Sicherung des Stiftungszweckes erforderlichen Ressourcen zu sichern.
3.2.1
Personal
Fachlich gut qualifiziertes und in der Zahl genügendes Personal (Stellenplan 2003: 370 Personen), ist die Hauptressource, um die sehr anspruchsvollen Aufgaben in der Begleitung und Betreuung von Menschen mit Behinderungen wahrzunehmen. Die Anforderungen steigen von Seiten des Umfeldes, der Wirtschaft und der Komplexität der Erscheinungsformen der Behinderungen. Eine sorgfältige Personalbeschaffung und Personalpflege sowie eine entwicklungsorientierte Fort- und Weiterbildung sind Grundvoraussetzungen, um den Stiftungszweck auch langfristig zu sichern.
3.2.2
Finanzen
Die Finanzierung der Betriebsrechnung (im Jahre 2003: 57,8 Mio. CHF) basiert auf den 3 Trägern: BSV, Eigenleistungen und Kanton Luzern/Gemeinden. Die Leistungen des Bundes, im Bereich der Bau- und Betriebsbeiträge für die geschützten Arbeits- und Wohnbereiche, müssen ab dem Jahr 2008 durch die Kantone übernommen werden. Die Finanzierung der beruflichen Abklärung und Eingliederung bleibt beim BSV.
276
Erfolgreiches Sozialmanagement
Die Eigenleistungen der Stiftung, Produktionserlöse und Verkauf der Dienstleistungen konnten in den letzten Jahren kontinuierlich verbessert werden. Hier gilt das Prinzip der Sozialhilfe: Hilfe zur Selbsthilfe, für die Organisation selbst. Mit der Einführung der NFA besteht die Gefahr, dass die Kantone ihre bisherigen Leistungen vermehrt auf die Gemeinden überragen wollen. Die Gemeinden werden dann ihrerseits einen größeren direkten Einfluss auf den Bau und den Betrieb von Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen nehmen wollen. Es besteht die Befürchtung, dass das bewährte bisherige eidgenössische Versicherungsprinzip durch eine Vielzahl von zu wenig koordinierten Einzellösungen auf der Basis von Fürsorgeleistungen abgelöst wird. Die Sicherung der finanziellen Ressourcen, abgestimmt vereinbarte Leistungen, ist eine dringliche Aufgabe der Stiftung. Gute Ansätze bestehen durch den in Bearbeitung befindlichen Leistungs-Vertrag zwischen der Stiftung Brändi und dem Kanton Luzern.
3.2.3
Infrastruktur
Die Stiftung Brändi erstellte in den Jahren 1968 bis 2004 Gebäulichkeiten und Einrichtungen im Wert von ca. 120 Mio. CHF. Die Werterhaltung und Anpassung erfordern jährlich ca. 2 Mio. CHF. Die Stiftung legt großen Wert auf einen nachhaltigen, zeitgerechten und den veränderten Anforderungen im Arbeits- und Wohnbereich angepassten Unterhalt.
3.2.4
Vernetzung mit dem Umfeld
Die Vernetzung mit dem Umfeld ist eine wichtige Ressource. Institutionen für Menschen mit Behinderungen erfüllen ihre Aufgaben in einer vielfältigen Vernetzung mit dem wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Umfeld. Die Vernetzung muss gegenseitig gepflegt werden. Personen und Organisationen außerhalb der Institutionen müssen in die Verbindungen und Organe der Institutionen einbezogen werden. Mitglieder des Stiftungsrates und des Kaders einer Institution müssen sich in Organisationen der Wirtschaft, der Gesellschaft, der Fachverbände und insbesondere der Politik engagieren.
3.3
Instrumente und Managementsystem
Die Stiftung hat sich das hohe Ziel gesetzt, einen wesentlichen Beitrag zu leisten, damit Menschen mit Behinderungen zu einem sinnerfüllten Leben finden können. Die Stiftung Brändi setzt sich ein für die Lebensqualität des Einzelnen und die soziale und wirtschaftliche Integration in die Gesellschaft.
277
Guido Bodmer und Niklaus von Deschwanden
Qualitative Ziele im Zusammenhang mit unseren Mitmenschen mit Behinderungen stellen im Rahmen ihrer Formulierung besondere Ansprüche. Sehr oft fällt es leichter, ein Ziel in CHF oder in Laufmetern zu formulieren, als qualitative Wünsche und Ansprüche, wie etwa Lebensqualität etc., zu umschreiben. Hier liegt eine der speziellen Herausforderungen der NPO. Damit dies gelingt, braucht es auf allen hierarchischen Stufen speziell sensibilisierte Menschen. Es ist davon auszugehen, dass Qualität in erster Linie eine Einstellungssache bedeutet. Einstellungen und Haltungen können als Bestandteil einer Unternehmenspolitik oder eines Leitbildes dekretiert werden. Zu deren Umsetzung braucht es aber das Bewusstmachen durch intensive Kommunikation nach innen und außen sowie eine gezielte Schulung auf allen Stufen und dies über längere Zeit. Das Management-System der Stiftung Brändi basiert auf bewährten Grundlagen: dem Leitbild, den Statuten, den Vorgaben von Bund und Kanton, einem Management Informationssystem (MIS), professionellem Denken und Handeln und einer gelebten Unternehmenskultur (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 2: Ganzheitliche Sichtweise im Managementsystem der Stiftung Brändi
Vision Jeder Mensch mit Behinderung ist sozial und wirtschaftlich in die Gesellschaft integriert. Wir übernehmen zur Erreichung dieses Ziels eine führende Rolle.
Leitbild Grundlagenbericht, Stiftungsstatuten, BSV-Vorgaben
Anspruchsgruppen Menschen mit Behinderungen Produkt- und Dienstleistungskunden Personal Finanzgeber Mitwelt
Managementsystem
Professionelles Denken und Handeln
Die Stiftung Brändi arbeitet mit einem prozessorientierten Managementsystem. Die Regelungen des Managementsystems gelten für die gesamte Stiftung. Die Ziele des Managementsystems liegen zunächst in einer optimalen Erfüllung des Leitbildes und 278
Erfolgreiches Sozialmanagement
der Bedürfnisse der Anspruchsgruppen sowie in der Berücksichtigung einer ganzheitlichen Sichtweise. Darüber hinaus wird eine ständige Verbesserung angestrebt und professionelles Denken und Handeln sichergestellt. Letztlich zielt das Managementsystem darauf ab, die Erfüllung der gesetzlichen und normativen Vorschriften sicherzustellen.
4
Schlussfolgerungen und der Versuch eines Ausblickes
Die Schweizerische Stiftungslandschaft hat in den vergangenen Jahren sowohl im öffentlichen wie auch im privatrechtlichen Sektor stark an Bedeutung hinzugewonnen und wird auch in Zukunft einen wachsenden Stellenwert einnehmen. Die Stiftung Brändi ist im Verlauf der Jahre durch äußeres und inneres Wachstum zu einer bedeutenden Institution herangewachsen. Will eine Stiftung den stak gestiegenen Erwartungen und Herausforderungen erfolgreich begegnen, so hat sie sich mindestens auf 3 Ebenen klar zu positionieren:
Gesellschaftliches und soziales Umfeld, volkswirtschaftliche Nutzenstiftung und betriebswirtschaftliche Orientierung. Das Stiftungsstatut, gewissermaßen die Verfassung einer Stiftung, umreißt den Auftrag und den Aktionsradius. Sich dieser Zwecksetzung trotz aller Modeströmungen stets bewusst bleiben, sie zu kommunizieren und durchzusetzen, bleibt die essentielle Aufgabe des Stiftungsrates. Damit definiert er immer wieder von Neuem den gesellschaftlichen und sozialen Kontext, indem sich die Stiftung und damit das Stiftungsmanagement zu bewegen hat. Der volkswirtschaftliche Nutzen einer Stiftungsaktivität wurde bislang wenig erforscht. Mit entsprechenden Modellansätzen kann die Nutzenstiftung auf Kaufkraftebene, Güterebene und Nutzungsebene nachgewiesen werden. Der geleistete Beitrag an das nationale oder regionale Bruttoinlandprodukt stellt dabei eine zentrale Größe einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung dar. Im Rahmen einer Kosten-NutzenAnalyse werden primär quantitative Größen einander gegenübergestellt. In Institutionen für Menschen mit Behinderungen, wie der Stiftung Brändi, stellt die qualitative Nutzenstiftung eine große Herausforderung dar. Hier liegt insgesamt ein breites Feld sozialwissenschaftlicher und betriebswirtschaftlicher Forschung bislang weitgehend brach. Die Stiftung Brändi hat mit der in diesem Beitrag zitierten Diplomarbeit einige Ansätze geschaffen.
279
Guido Bodmer und Niklaus von Deschwanden
Durch die Vorstellung der Stiftung Brändi dürfte auch die Notwendigkeit der betriebswirtschaftlichen Orientierung deutlich gemacht worden sein. Der im Unternehmensbereich derzeit vieldiskutierten «Corporate Governance» stellen wir in unserer Stiftung die «Foundation Governance» als angepasstes Konzept gegenüber. Dabei interessieren so grundsätzliche Fragen wie:
Transparenz und Ausgleich zwischen Stiftungsrat und Stiftungsmanagement, welche Gefahren erwachsen dem Stiftungszweck und mit welchen Instrumenten begegnet ihnen der Stiftungsrat,
wie wird die Stiftungsaufsicht optimiert (Controlling, internes und externes Audit),
Beziehungen zu Finanzgebern – Erschließen neuer Ressourcen, Produkt/Marktpflege im Rahmen eines umfassenden Marketingmanagements, Überwachung der Umsetzung der Führungsgrundsätze durch die operative Führung und
Stiftung und Öffentlichkeitsarbeit. Wer einen Ausblick wagt, begibt sich auf unsicheres Terrain. Dennoch sind Überlegungen zu möglichen künftigen Entwicklungen nicht nur hilfreich sondern intellektuell notwendig. Sie schärfen den Geist, motivieren die Willigen, tragen bei zum Teamgeist und bieten Ansätze für vielfältige Handlungskonzepte. Die Stiftung Brändi
orientiert sich an einem visionären Leitbild, verfügt über klare Führungsgrundsätze, aktualisiert laufend ihr Management-System, legt Wert auf kompetente und motivierte Mitarbeiter und bietet Weiterbildung und sucht und pflegt die Integration in gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Strukturen zwecks guter Vernetzung. Das Umfeld der Stiftungen mit einem sozialen Zweck wird sich in den kommenden Jahren dramatisch verändern. Auf der einen Seite stehen die Forderungen unserer modernen Anspruchsgesellschaft. Ihr gegenüber finden wir die mit Restriktionen kämpfenden öffentlichen Hände. Das bereits entstandene Vakuum aufzufüllen ist Aufgabe jedes Stiftungsrates und Stiftungsmanagements. Gefragt ist mehr denn je Kreativität im Finden neuer Konzepte, im plausiblen Kommunizieren von Lösungsansätzen und in der Umsetzung griffiger Maßnahmen. Im Vertrauen auf die menschlichen Fähigkeiten gilt für uns folgender Grundsatz: «Die Stiftung Brändi wird zum Wohle von Menschen mit Behinderungen immer zu agieren und zu reagieren wissen.»
280
Der Schweizer Alpen-Club SAC
Peter Mäder
Der Schweizer Alpen-Club SAC 140 Jahre Aufstieg
Überblick .......................................................................................................................... 283 1
Der SAC: Organisation und Aktivitäten ...................................................................... 284 1.1 Organisationsstruktur des SAC ........................................................................... 284 1.2 Aktivitäten der Sektionen und des Zentralverbandes ..................................... 284
2
Der SAC – Zahlen und Fakten....................................................................................... 287 2.1 Mitgliederentwicklung im SAC........................................................................... 287 2.2 Altersstruktur im SAC .......................................................................................... 288 2.3 Ertrag und Kostenstruktur im SAC Zentralverband........................................ 288 2.4 Organisation und Führung................................................................................... 289
3
Der SAC – ein Sportverband und mehr ....................................................................... 291 3.1 Die 3 Märkte des SAC ........................................................................................... 291 3.2 Generelle Beurteilung der Marktposition des SAC .......................................... 293
4
Aspekte der erfolgreichen Führung des SAC ............................................................. 294 4.1 Verbindung von Tradition und Offenheit im SAC ........................................... 294 4.2 Organisatorische Erfolgsfaktoren........................................................................ 297 4.3 Erfolgsindikatoren ................................................................................................. 301
5
Ausblick ............................................................................................................................ 302
281
Der Schweizer Alpen-Club SAC
Überblick Der SAC wurde 1863 gegründet und zählt im Jahr 2004 rund 105.000 Mitglieder, die in 111 Sektionen organisiert sind. Der SAC gehört damit zu den größten Sportverbänden der Schweiz. Die Mitgliederzahl hat in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen, eine erfreuliche Tatsache. Einerseits liegen die Aktivitäten des SAC voll im anhaltenden «Outdoortrend», andererseits hat es der SAC in den letzten 10 Jahren geschafft, neue Zielgruppen (Jugendliche, Kinder, Familien, Senioren) anzusprechen.
Der SAC bietet eine breite Palette an alpinen Sportarten. Neben den traditionellen Bergsportarten, wie Hochtouren im Sommer und Skitouren im Winter sowie Bergwandern, sind neue alpine Sportarten hinzugekommen; Sportklettern in Kletterhallen und im Fels, Bouldern und Eisfallklettern. Zudem haben sich Sportklettern, Skialpinismus und seit kurzem Eisfallklettern im SAC zu eigentlichen Leistungssportarten entwickelt.
Der SAC ist einerseits ein Sportverband, anderseits aber auch ein Anbieter touristischer Infrastruktur mit 153 öffentlich zugänglichen Berghütten und einem modernen Bergrettungsdienst. Er setzt sich aktiv für den Schutz der Gebirgswelt ein, durch Ausbildung und Information seiner Mitglieder und durch den Einsatz gegen eine allzu starke Erschließung der Berggebiete. Immer wichtiger wird im SAC im Zuge der zunehmenden Einschränkungen aus Gründen des Naturschutzes jedoch das Engagement für den freien Zugang der Bergsportler. Die Aktivitätenpalette wird schließlich abgerundet mit dem eigenen Buchverlag, einer qualitativ hoch stehenden Alpinzeitschrift und kulturellen Veranstaltungen.
Der SAC bietet seinen Mitgliedern interessante Dienstleistungen, bspw. Ermäßigungen auf Übernachtungen in den Hütten, sehr preiswerte Ausbildungsangebote, Mitgliederpreise im eigenen Buchverlag und anderes mehr. Der SAC verkörpert aber auch eine werteorientierte Organisation. Kameradschaft, die Faszination für die Berge, der Einsatz für den Schutz der Gebirgswelt und die alpine Rettung, sind die Stichworte dazu. Sie sorgen für eine hohe Identifikation der Mitglieder mit dem SAC.
283
Peter Mäder
1
Der SAC: Organisation und Aktivitäten
1.1
Organisationsstruktur des SAC
Der SAC hat sich seit seiner Gründung im Jahre 1863 in seiner Struktur nicht wesentlich verändert. Er besteht aus lokalen Sektionen (juristisch eigenständige Vereine), die sich zu einem nationalen Zentralverband (juristisch eigenständiger Verein) zusammenschließen. Bei der Gründung waren es 8 Sektionen, heute sind es 111. Die kleinste Sektion umfasst kaum 100, die größte über 5.000 Mitglieder. Die Mitglieder sind einer Sektion zugehörig und über die Sektion auch Mitglied des Zentralverbandes. Eine Direktmitgliedschaft einer einzelnen Person im Zentralverband, obwohl schon mehrfach diskutiert, ist bis heute nicht möglich. Dies ist auch Ausdruck der klaren Aufgabenteilung zwischen den Sektionen und dem Zentralverband. Das Geschäftsmodell des SAC kann daher wie folgt beschrieben werden: Das aktive Clubleben findet in den Sektionen statt. Der Zentralverband nimmt subsidiäre Aufgaben wahr und erbringt Dienstleistungen, die im Wesentlichen der Förderung der Clubaktivitäten dienen.
1.2
Aktivitäten der Sektionen und des Zentralverbandes
Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Aufgabenteilung zwischen Sektionen und Zentralverband in den wichtigsten Aktivitätsbereichen. Die Einflussnahme der Sektionen auf die Aktivitäten des Zentralverbandes erfolgt über die strategischen Planungsinstrumente (Leitbild, Konzepte) und über eine rollende Mehrjahresplanung. Damit stellen die Sektionen sicher, dass der Zentralverband seine Aktivitäten auf die Bedürfnisse der Mitglieder an der Basis ausrichtet. Zentrale Bedürfnisse der Mitglieder sind die Übernachtung zu günstigen Mitgliedertarifen in allen SAC-Hütten sowie ein gutes und preiswertes Kurs- und Tourenangebot. Andere Mitgliedervorteile sind durchaus gefragt, jedoch nicht um jeden Preis. Partnerschaften mit kommerziell tätigen Unternehmungen, die dem Mitglied einen Nutzen bringen, wurden und werden jeweils sehr kritisch beurteilt. Das breite Leistungsangebot des SAC führt zu einer entsprechend heterogenen Mitgliederstruktur, sowohl bezüglich Alter wie auch bezüglich gesellschaftspolitischem Wertesystem. Den vielfältigen Bedürfnissen gerecht zu werden und dabei gemeinsa-
284
Der Schweizer Alpen-Club SAC
men Werten nachzuleben, das ist die Herausforderung für die Führungsorgane des SAC, auf Ebene der Sektion und noch viel ausgeprägter auf Ebene des Zentralverbandes.
Tabelle 1:
Überblick über die Aufgabenteilung zwischen Sektionen und Zentralverband in den wichtigsten Aktivitätsbereichen des SAC
Bereich
Aktivitäten der Sektionen
Tourenangebot
Kernaufgabe der Sektionen: Tourenprogramm als Ergänzung zu den Ein breites Programm für Angeboten der Sektionen. Ca. 100 Angebote alle Altersgruppen und in jährlich allen Bergsportdisziplinen. Je nach Sektionsgröße zwischen 10 und über 300 Angeboten jährlich
Alpinistische
Grundausbildung und Weiterbildung für Mitglieder
Ausbildung
Aktivitäten des Zentralverbandes
í Aus- und Weiterbildung von jährlich über 200 Leitern, die ihrerseits dann in den Sektionen die Leitung von Touren übernehmen í Grundausbildung für Mitglieder in Ergänzung zum Angebot der Sektionen, insbesondere zur Förderung neuer Aktivitäten wie Familienbergsteigen, Kinderbergsteigen etc. í Individuelle Beratung í Publikation von Lehrschriften
Leistungssport
í Organisation lokaler Wettkämpfe í Schaffung von Trainingsangeboten, die auf den Leistungssport ausgerichtet sind
Hütten
í Jede Hütte ist im Eigentum einer Sektion í Die Sektion ist für die Finanzierung sowie für den Betrieb und Unterhalt der Hütte gemäß Vorgaben des Zentralverbandes verantwortlich
í Organisation und Durchführung nationaler Wettkampfserien und Betreuung der Nationalmannschaften í Konzeptionelle und operative Nachwuchsförderung í Bauberatung und Subvention von Hüttenbauten in der Höhe von jährlich 1,5 Mio. CHF í Definition von Richtlinien (Bau, Preispolitik, Betriebskonzept) í Ausbildung Hüttenwarte/-chefs í Zentrales Marketing für die Hütten
í Jährliches totales Investitionsvolumen von ca. 4 Mio. CHF
285
Peter Mäder
Schutz der
Gebirgswelt
Rettung
Umsetzung eines ökologischen Alpinismus und ökologischen Hüttenbetriebes
í Ausbildung und Information über ökologisches Verhalten in der Alpenwelt
í Betrieb von rund 100 lokalen Rettungsstationen
í Rettungskurse für Instruktoren und Retter in leitender Funktion
í Rekrutierung und Ausbildung der über 2.000 Rettungsleute í Durchführung von jährlich über 400 Rettungseinsätzen
í Stellungnahme zu Erschließungsprojekten
í Erarbeiten von Ausbildungs- und Informationsunterlagen í Beschaffung von Rettungsmaterial í Mittelbeschaffung auf nationaler Ebene und Inkasso für Rettungseinsätze
Medizin
Keine spezifischen Angebo- Ausbildung/Erfahrungsaustausch in der te Gebirgsmedizin
Zeitschrift /
í Umfassende Information zum alpinen í Publikation eigener Geschehen mittels Publikation der moSektionsbulletins mit Benatlichen Alpinfach- und Clubzeitschrift richten über die Aktivitä«Die Alpen» ten der eigenen Sektion
Internet
í Internetauftritt mit den sektionseigenen Angeboten
í Internetauftritt als Portal zu den SACAktivitäten
Verlag
Keine verlegerische Tätigkeit
Herausgabe von Clubführern, Lehrschriften und Sonderpublikationen. Jährlicher Verkauf von ca. 50.000 Büchern.
Kultur
Unterschiedlich reiches kulturelles Leben mit Aktivitäten (Ausstellungen, Kulturwanderungen, Gesangsgruppen etc.)
í Federführung und Beteiligung an verschiedenen kulturellen alpinen Aktivitäten í Stiftungsträger Schweizerisches Alpines Museum í Verleihung «Alpiner Kunstpreis» und «SAC-Kulturpreis»
Bibliothek
Betreuung eigener SektiLeitung der SAC-Bibliothek als Teil der onsbibliotheken mit zum Teil Zentralbibliothek in Zürich mit Gratisverleih bedeutenden Beständen an SAC-Mitglieder
Logistik /
í Erfassung und Mutation der Mitgliederdaten in der zentralen Mitgliederdatenbank
Dienste
í Eigene Vereinsrechnung
286
Zentrale Mitgliederdatenbank, zentrales Inkasso der Mitgliederbeiträge
Der Schweizer Alpen-Club SAC
Marketing
Marketing für die eigene Sektion, im Wesentlichen:
Marketingaufgaben für den Gesamtverband, im Wesentlichen:
í aktive Mitgliederwerbung
í Mitgliederwerbung
í Hüttenmarketing
í CI, CD-Umsetzung
í Medienarbeit
í Sponsoring í Kommunikation/Medienarbeit
2
Der SAC – Zahlen und Fakten
2.1
Mitgliederentwicklung im SAC
Der SAC ist bezüglich Mitgliederzuwachs eine 140-jährige Erfolgsgeschichte. Die Grafik der Mitgliederentwicklung in Abbildung 1 zeigt den stetigen Aufwärtstrend. Zu erwähnen sind einige Eckdaten der letzten 25 Jahre.
Abbildung 1: Entwicklung der Mitgliederzahlen des SAC 1963 – 2004
120000 106000
Anzahl Mitglieder
100000 80000
90000
93200
96500
98800
100000
2000
2002
2003 2004
75600 67800
60000 44500
40000 20000 0 1963
1980
1987
1996
1998 Jahr
Jahr
Anzahl
287
Peter Mäder
1980 erfolgte die Fusion des SAC (bis dato ein reiner Männerclub) mit dem Schweizer Frauen-Alpenclub SFAC. Dies war ein dringend nötiger erster Schritt hin zu einer Öffnung. 1996 wurde die bis zu diesem Zeitpunkt autonome Jugendorganisation in den Club integriert. Schließlich führte die Schaffung einer Mitgliederkategorie «Familie» und die Absenkung des Mindestalters für Mitglieder von 10 auf 6 Jahre im Jahre 2000 zu einem weiteren Schub in der Mitgliederentwicklung. Den rückblickend vielleicht wichtigsten Entscheid fällten die verantwortlichen Gremien 1994, als sie die Sportkletterwettkämpfer in den SAC integrierten. Sportklettern am Fels und besonders in der Halle ist heute der vielleicht am stärksten boomende Bereich unter den Alpinaktivitäten.
2.2
Altersstruktur im SAC
Es sei vorweggenommen, das Durchschnittsalter der SAC-Mitglieder beträgt rund 51 Jahre, sicher ungewohnt hoch für einen Sportverband. Bergsteigen ist eine «Lifetime»Sportart. Im SAC gibt es heute Angebote für Familien mit Kindern ab 6 Jahren und Seniorenwanderungen, die nicht selten Teilnehmer im Alter über 80 Jahren ausweisen (vgl. Abbildung 2). Für jeden Lebensabschnitt findet sich die passende Aktivität. Heute begrüßen wir entsprechend auch Neumitglieder in allen Altersschichten. Mit der Integration der Jugend in den SAC im Jahre 1996 wurden die Anstrengungen in diesem Bereich verstärkt. Weitere Bemühungen sind aber nötig, um den SAC für die Zielgruppe Jugend attraktiver zu machen.
2.3
Ertrag und Kostenstruktur im SAC Zentralverband
In diesem Punkt ist eine Beschränkung auf den Zentralverband notwendig, da keine konsolidierten Angaben über den Gesamtverband (Sektionen, Zentralverband) vorhanden sind. Die finanziellen Aufwendungen des Zentralverbandes belaufen sich auf jährlich rund 13 Mio. CHF. 5 Mio. CHF werden über Einnahmen aus Mitgliederbeiträgen gedeckt. Die Einnahmen aus Beiträgen der öffentlichen Hand erreichen ca. 500.000 CHF, Einnahmen aus Sponsoring und Spenden ebenfalls ca. 500.000 CHF. 1,5 Mio. betragen die Abgaben der Sektionen aus den Übernachtungstaxen in Hütten. Die restlichen 5,5 Mio. CHF werden über den Verkauf von Produkten und Dienstleistungen (Verlag, Kurswesen, Rettungseinsätze etc.) erwirtschaftet. Eine Kostenstellenrechnung erlaubt es, jederzeit aufzuzeigen, wie viel Mitgliederbeiträge in welche Bereiche fließen. Abbildung 3 zeigt die Situation im Jahr 2004.
288
Der Schweizer Alpen-Club SAC
Abbildung 2: Altersstruktur im SAC
Altersstruktur SAC 25.000
20.000
15.000
10.000
5.000
0 von 6 bis 22 Jahre
2.4
von 23 bis 29 Jahre
von 30 bis 39 Jahre
von 40 bis 49 Jahre
von 50 bis 59 Jahre
von 60 bis 69 Jahre
von 70 bis 79 Jahre
80 Jahre und älter
Organisation und Führung
Auf der Grundlage des Freiburger Management-Modells (FMM) wurde der SAC Zentralverband zwischen 1994 und 1997 reorganisiert. Abbildung 4 zeigt die Aufbauorganisation, die seit 1997 gilt. Im Rahmen der Reorganisation wurde auch die Grundlage geschaffen, um den Planungs- und Steuerungsprozess gemäß FMM zu implementieren. Mit der Erarbeitung von Leitbild, Clubpolitik sowie eines Marketingkonzeptes im Jahr 1997 wurden die strategischen Führungsinstrumente geschaffen. Die Umsetzung der mittelfristigen und kurzfristigen Planung über eine rollende Mehrjahresplanung und Jahresplanung sowie die Einführung des entsprechenden Controllings folgten dann Schritt für Schritt in den Jahren danach. Der Zentralverband verfügt über folgende personelle Ressourcen: Die Geschäftsstelle hat einen Stellenetat von 22 Vollzeitstellen. Der Zentralvorstand als strategisches Führungsorgan umfasst 7 bis 11 ehrenamtlich tätige Mitglieder und in den 13 Fachkommissionen sind nochmals rund 120 Personen ehrenamtlich tätig.
289
Peter Mäder
Abbildung 3: Einsatz der Mitgliederbeiträge BUDGET 2004 Verwendung des ZV-Mitgliederbeitrages (CHF 60.-) in CHF
Ausbildung CHF 10.70 Zeitschrift CHF 24.00
Sportklettern CHF 3.75 Schutz der Gebirgswelt CHF 3.00
Medizin CHF 0.10 Kultur
ZV und Administration CHF 6.05 Zentralbibliothek CHF 0.40
Rettung CHF 1.25
MitgliederdienstCHF 1.75 Jugend CHF 3.40 CHF 3.45 Hütten CHF 1.00
Skialpinismus CHF 1.15
Abbildung 4: Organigramm des SAC
290
Der Schweizer Alpen-Club SAC
Wesentliche Erfolgsmerkmale dieser Organisationsstruktur sind:
ein zahlenmäßig kleiner Zentralvorstand mit relativ großen Kompetenzen ohne «Verwaltungsausschuss»
die Geschäftsprüfungskommission als Aufsichtsorgan der AV gegenüber dem Zentralvorstand und der Geschäftsstelle hat eine entscheidende Rolle, um Vertrauen zwischen Führung und Basis zu schaffen und nimmt diese Rolle wahr
direkte Kommunikation zwischen Zentralvorstand und Sektionen über die AV und PK, ohne regionale oder kantonale Zwischenstruktur
Box 1:
Zahlen und Fakten des SAC
Der SAC verzeichnet ein kontinuierliches Mitgliederwachstum von jährlich 1 - 3 Prozent. Der Altersdurchschnitt seiner Mitglieder beträgt 51 Jahre. Dank der Möglichkeit, praktisch lebenslang bergsportlich tätig zu sein, ist dies jedoch keine Hypothek.
Der Zentralverband erwirtschaftet einen Umsatz von rund 13 Mio. CHF pro Jahr. Ein ehrenamtlicher Zentralvorstand mit 7 bis 11 Mitgliedern, eine Geschäftstelle mit 22 Voll-
zeitstellen sowie 13 Fachkommissionen mit 120 Ehrenamtlichen bilden die personellen Ressourcen des Zentralverbandes.
3
Der SAC – ein Sportverband und mehr
In Kapitel 1 kommt die Vielfalt und Breite des SAC zum Ausdruck. Entsprechend komplex ist auch die Positionierung des SAC im Markt. Etwas vereinfachend kann man 3 «Märkte» definieren, in welchen der SAC aktiv ist.
3.1
Die 3 Märkte des SAC
Erstens der Markt der Sportvereine mit den verschiedensten Sportarten, die alle in Konkurrenz zueinander stehen. Innerhalb der Sportvereine kann der Kreis etwas enger gezogen und auf diejenigen Organisationen beschränkt werden, die ebenfalls bergsportliche oder verwandte Aktivitäten anbieten. Zweitens bewegt sich der SAC im Outdoor-Tourismus-Markt. Er ist mit den 153 SACHütten touristischer Leistungserbringer und steht mit den Tourenangeboten in direkter Konkurrenz zu den kommerziellen Anbietern (Bergsteigerschulen, Outdooranbie-
291
Peter Mäder
ter). Mit der alpinen Rettung stellt er einen Teil der bergtouristisch nötigen Infrastruktur zur Verfügung. Die Konkurrenz ist hier unbedeutend – es gibt eigentlich keinen Markt – und darum wird auf eine eingehende Betrachtung verzichtet. Zum Outdoor Markt im weiteren Sinn gehört auch der Outdoor-spezifische Buchmarkt. Hier steht der SAC-Buchverlag in direkter Konkurrenz zu zahlreichen kommerziellen Buchverlagen. Drittens ist der SAC auch eine Umweltorganisation. Menschen, die sich gezielt für den Schutz der Gebirgswelt einsetzen wollen, können sich durchaus überlegen, ob sie dies mit einer Mitgliedschaft bei Pro Natura, beim WWF, bei Mountain Wilderness oder beim SAC am besten tun. Die nachfolgende Tabelle 2 gibt einen Überblick über die Angebote des SAC in den 3 Märkten, die Konkurrenz und die Chancen und Gefahren, die der SAC in diesen Märkten zu gewärtigen hat.
Tabelle 2:
Überblick über die Angebote des SAC in den 3 Märkten, die Konkurrenz und die Chancen und Risiken
Angebot SAC
Konkurrenz
Chancen und Gefahren für den SAC Markt der Sportvereine
Bergsteigen als Sportart in allen Spielformen
Naturfreunde, einzelne unabhängige Bergsportvereine, unorganisierte Bergsteiger
Der SAC wird als «der» Bergsportverein in der Schweiz wahrgenommen. Die größte Konkurrenz und gleichzeitig auch das größte Potential stellen die unorganisierten Bergsteiger und Kletterer dar.
SAC als Sportverein mit regelmäßigem Trainingsangebot
Alle Sportvereine, die ein regelmäßiges Training anbieten.
Der SAC wird noch nicht als klassischer Sportverein wahrgenommen. Entwicklungschancen sind vorhanden.
SAC als geselliger Club, besonders für aktive Senioren
Jegliche Angebote mit Fokus Geselligkeit, speziell Wanderangebote
Geselligkeit verbunden mit sportlicher, gesunder Tätigkeit hat ein enormes Potential bei Zielgruppen mit hohem Gesundheitsbewusstsein.
Outdoor-Tourismus Markt 153 SAC-Hütten als Teil des touristischen Angebotes
292
Über 150 private Berghütten in teilweise vergleichbarer Lage und zahllose preisgünstige Unterkünfte im Tal
Vergünstigung der Übernachtung für SAC Mitglieder ist nach wie vor ein USP. SAC-Hütten haben meist eine konkurrenzlose Lage. Es besteht jedoch die Gefahr, auf geänderte Kundenbedürfnisse (mehr Komfort) aufgrund der clubpolitischen Prämissen sowie mangelnder Investitionsmittel nicht genügend rasch reagieren zu können
Der Schweizer Alpen-Club SAC
Kurs- und Tourenangebote Alle Bergsportschulen, in allen Bergsportdiszipli- weitere Outdooranbieter nen
Der SAC kann sowohl über den Preis (keine kommerziellen Interessen) als auch über die Werte sowie andere Dienstleistungen des Clubs auf bergsportinteressierte Menschen zugehen. Fluktuation der Mitglieder steigt allerdings
SAC-Buchverlag mit Hochtouren- , Skitouren-, Kletter- und Wanderführern sowie Lehrschriften
Dank großem Marktpotential und günstigem Vertrieb an die Mitglieder konkurrenzfähig
Private Buchverlage
Markt der Umweltorganisationen Aktiver Einsatz für den Schutz der Gebirgswelt durch Sensibilisierung, Einsprache gegen und Begleitung von Erschließungsprojekten
Mountain Wilderness als Gruppe von Bergsteigern mit Hauptfokus Umweltschutz sowie andere Umweltorganisationen
Im Spannungsfeld zwischen Schutzund Nutzinteressen besteht die Gefahr zu hoher Kompromisse. Allerdings hat der SAC in Umweltfragen bei der Bergbevölkerung und Tourismuswirtschaft dank seiner Lösungsorientierung eine hohe Akzeptanz.
Umweltgerechte Outdooraktivitäten
Anbieter von naturnahem Tourismus und Outdooraktivitäten
Nachfrage nach umweltgerechten Outdooraktivitäten ist vorhanden. Durch Ausbildung und Information versucht der SAC, all seine Aktivitäten umweltgerecht zu gestalten. Eine gezielte Positionierung spezifischer Angebote ist nicht vorgesehen.
3.2
Generelle Beurteilung der Marktposition des SAC
Die oben beschriebenen Märkte dürfen nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr bestehen mehrheitlich positive Wechselwirkungen und Abhängigkeiten, die den Erfolg des Gesamtproduktes SAC letztlich ausmachen. Zweifelsohne profitiert der SAC von günstigen äußeren Rahmenbedingungen, wie etwa vom schon öfter erwähnten «Outdoortrend» oder vom Aufkommen «neuer» alpinistischer Aktivitäten wie Sportklettern, Bouldern oder Eisfallklettern. Die verantwortlichen Organe des SAC haben es meistens verstanden, diese günstigen Rahmenbedingungen zu nutzen und mit den bestehenden Stärken des Clubs zu verbinden. Damit einhergehend hat auch ein beachtlicher Wertewandel stattgefunden. In den letzen 15 – 20 Jahren hat es der SAC geschafft, sich ohne nennenswerte Krise von einem eher elitären geschlossenen Männerclub zu einem offenen und modern geführten
293
Peter Mäder
Verein für Bergsportler aller Altersklassen und unterschiedlichster gesellschaftlicher Herkunft zu wandeln. Die vor rund 10 Jahren eingeleitete und in den Jahren 1996 bis 1997 realisierte Reorganisation des SAC auf der Basis des Freiburger Management-Modells sowie deren konsequente Umsetzung haben schließlich auf der organisatorischen Ebene die erforderlichen Voraussetzungen für diesen erfolgreichen Wandel geschaffen.
Box 2:
Die Marktposition des SAC
Der SAC ist in 3 Märkten präsent: Markt der Sportvereine, Outdoor-Tourismus-Markt und Markt der Umweltorganisationen.
Der SAC hat es verstanden, günstige externe Rahmenbedingungen, bspw. den Outdoortrend
oder die Entstehung neuer Formen des Alpinsports wie Sportklettern, für seine Entwicklung zu nutzen.
In der besseren Positionierung des SAC als Sportverein besteht noch ein großes Potential.
4
Aspekte der erfolgreichen Führung des SAC
Nachdem wir das Geschäftsmodell des SAC kennen gelernt haben, einige Zahlen und Fakten zur Entwicklung sowie das «Marktumfeld» kennen, sollen in diesem Kapitel einige besondere inhaltliche und organisatorische Aspekte beleuchtet werden, die aus der Sicht des Autors wesentlich zur erfolgreichen Entwicklung des SAC beigetragen haben. Dass es auch anders sein könnte, zeigt ein Blick auf andere ähnlich gelagerte Vereine. Der französische Alpenclub kämpfte während einigen Jahren gegen den Mitgliederrückgang, andere Verbände, die auch im «Outdoor» Bereich positioniert sind, ebenso.
4.1
Verbindung von Tradition und Offenheit im SAC
Verbindung von Tradition und Offenheit: Eine über 140-jährige Clubgeschichte verpflichtet. 10.000 Mitglieder erreichen über 50 Jahre Mitgliedschaft, ein tausendfaches Gewissen. Nach wie vor verliert der SAC jährlich ca. 1.000 Mitglieder durch den natürlichen Tod. Albert Eggler, Expeditionsleiter der zweiten erfolgreichen Besteigung des
294
Der Schweizer Alpen-Club SAC
Mount Everest im Jahre 1954 und ehemaliger Zentralpräsident des SAC pflegte jeweils folgendes geflügeltes Wort: «Aus dem SAC tritt man nicht aus, man stirbt höchstens.» An einigen konkreten Beispielen soll dargelegt werden, wie die Veränderung unter diesen Rahmenbedingungen möglich war. Als erstes Beispiel mag das SAC -Logo dienen. Seit der Gründung des Clubs besteht das heutige Logo. Es wurde im Laufe der Zeit leicht modifiziert, für Außenstehende jedoch kaum wahrnehmbar. Das Logo hängt in jeder Hütte, in jedem Clublokal und tausendfach als Abzeichen an den Kittelumschlägen der Veteranen. Während der schon erwähnten Reorganisationsphase stand natürlich auch das «verstaubte» Logo zur Debatte. Das Logo wurde schließlich unverändert belassen aus 2 Gründen: Einerseits hätte ein völlig anderes Logo einen Bruch mit der Tradition bedeutet und vor allem die älteren Mitglieder vor den Kopf gestoßen. Anderseits ist das bestehende Logo eine Marke mit einem hohen Erkennungswert. Mit der Einführung eines neuen Logos wäre dieser über Jahrzehnte aufgebaute Erkennungswert verloren gegangen. Im Jahr 2000 wurde das Logo leicht überarbeitet. Zudem wurden das Logo und die 4sprachige Clubbezeichnung zu einer Bild- und Textmarke verbunden (vgl. Abbildung 5).
Abbildung 5: Das heutige Logo des SAC
Das auf dieser Basis erstellte Corporate Design- (CD-) Manual fand bei den Sektionen auf Anhieb eine sehr große Akzeptanz. Die 4-sprachige rechtsbündige Textmarke ist im Übrigen heute in der Schweiz «trendig». Bestes Beispiel dafür ist die Fluggesellschaft SWISS. Zweites Beispiel – Mitgliederaufnahme: Noch vor wenigen Jahren benötigte man 2 «Göttis» (oder auch: Paten), um als Mitglied im SAC aufgenommen zu werden. Die Mitgliederaufnahme in der Sektion erfolgte dann einmal jährlich per Hauptversammlungsbeschluss. Als der Vorgänger des Autors als Geschäftsführer 1998 die Idee einer provisorischen Sofortmitgliedschaft in Hütten lancierte, stieß das nicht auf große Begeisterung. Die Idee jedoch war bestechend. Neumitglieder müssen dort abgeholt werden, wo sie den direkten Nutzen einer Mitgliedschaft hautnah erleben. Die So-
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Peter Mäder
fortmitgliedschaft beschränkte sich auf 2 Monate, in dieser Zeit konnte das ordentliche Aufnahmeverfahren durch die Sektion erledigt werden. Der Erfolg gab der Idee recht. Jährlich werden auf diesem Weg einige 100 neue Mitglieder gewonnen. Ein weiterer Schritt Richtung Moderne war die Einführung der Familienmitgliedschaft im Jahre 2002. Erst 1996 wurden die Jugendlichen zwischen 10 und 22 Jahren als vollwertige Mitglieder in den SAC integriert. Als die Familienmitgliedschaft mit Kindern ab 6 Jahren zur Diskussion stand, hatte die Arbeitsgruppe, der auch der Autor angehörte, große Bedenken. Die Definition der Familie war die folgende: «2 Erwachsene ab 23 und x Kinder von 6 bis 17 Jahren im selben Haushalt». An der Abgeordnetenversammlung wurde diese recht progressive Formulierung überraschenderweise dann problemlos akzeptiert. Veränderungen müssen schrittweise erfolgen. Von der Aufnahme der Jugendlichen in den Club über die Einführung der Sofortmitgliedschaft bis hin zur Familienmitgliedschaft erfolgte ein Prozess über 5 Jahre. Drittes Beispiel – das Hüttenmarketing: Die SAC-Hütten sind im Besitz einzelner Sektionen. Obwohl rund 2/3 der 153 Hütten von einem professionellen Hüttenwart bewirtschaftet werden, steckt in den Hütten viel ehrenamtliches Engagement. Hüttenchefs und frondienstleistende Mitglieder haben in «ihre» Hütte Herzblut investiert. Die Hütten dienen als Identifikationsobjekt im Club. Die SAC-Hütten als Teil der touristischen Infrastruktur, orientiert an den «Kundenbedürfnissen», damit hatten und haben viele Mitglieder Mühe. Noch 1998 wurde an einer Präsidentenkonferenz des Zentralverbandes bei einem Hüttenbauprojekt der vorgesehene Raum für eine Dusche kritisiert. Rückläufige Besucherzahlen auf den Hütten seit Mitte der 90er Jahre führten zu Handlungsbedarf. Im völlig überarbeiteten Hüttenreglement, das 1999 verabschiedet wurde, war dann erstmals von Hüttenmarketing die Rede. 1999 fand auch der erste Ausbildungskurs für Hüttenwarte statt. Im Jahre 2000 bewilligte die Präsidentenkonferenz eine 80 %-Stelle für das zentrale Hüttenmarketing. Es war inzwischen den meisten Entscheidungsträgern klar, dass neben den traditionellen Bergsteigern neue Zielgruppen in die Hütten geholt werden müssen. Seit 2002 steigen die Besucherzahlen in den SAC-Hütten wieder an. Die schrittweise Sensibilisierung für das Thema, die Verbreitung der Erkenntnis, dass Handlungsbedarf besteht und die erfolgreiche Durchführung von messbaren Aktionen erlaubten die Einführung einer «Marketingorientierung» in einem äußerst traditionsbehafteten und von Emotionen geprägten Tätigkeitsbereich. Die erwähnten Beispiele, und es gäbe noch mehr davon, illustrieren ein Spannungsfeld, das in vielen NPO vorhanden ist, nämlich die Verbindung von Wertegebundenheit und Effizienzorientierung. Die meisten Fachleute sind der Meinung, dass diese beiden Funktionen nur schwer miteinander zu verbinden sind. Der SAC, von seiner Tradition her ganz klar eine wertegebundene Organisation, hat sich in den letzten Jahren in vielen Bereichen in Richtung Effizienz orientiert. Die gro-
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Der Schweizer Alpen-Club SAC
ße Herausforderung für die Führungsorgane besteht darin, die nötige Effizienzorientierung zu realisieren und gleichzeitig die Wertegebundenheit zu erhalten. Der Entscheid, trotz neuer Mitgliederstrukturen das sich tausendfach im Umlauf befindliche SAC-Logo zu behalten, erhält unter dem Gesichtspunkt der Erhaltung der Wertegebundenheit eine zusätzliche Legitimation.
4.2
Organisatorische Erfolgsfaktoren
In diesem Kapitel sollen einzelne besondere organisatorische Aspekte beleuchtet werden. Der Autor arbeitet seit 1997 für den SAC und hat Anfang 1999 die Geschäftsführung übernommen. Die bereits mehrfach erwähnte Strukturreorganisation fand ihren Abschluss im Oktober 1996 mit der Genehmigung der Statuten. Die Hauptaufgabe bestand seither darin, diese Reorganisation mit all ihren Begleiterscheinungen in der Praxis umzusetzen. Dass dies überhaupt gelungen ist, und die bisherigen Ausführungen lassen diesen Schluss zu, hat mehrere Gründe, auf die im Folgenden eingegangen wird.
Konsequente Umsetzung des Planungsprozesses gemäß Freiburger ManagementModell (FMM) Mit dem Leitbild und der Clubpolitik sowie einem Marketingkonzept verfügte der SAC ab 1997 über die wesentlichen strategischen Führungsinstrumente. Die Umsetzung dieser Strategien auf der operativ-mittelfristigen und dispositiv-kurzfristige Planungsstufe wird seit 1999 konsequent angewendet. Abbildung 6 zeigt den gesamten Planungs- und Controllingprozess im SAC. Das entscheidende Element in diesem Prozess ist die rollende Mehrjahresplanung. Die Erstellung und Überarbeitung eines Leitbildes und eines Marketingkonzeptes ist auf der Zeitachse alle 5 bis 10 Jahre nötig und kann als Projekt von der Verbandsführung, häufig unterstützt durch externe Berater, realisiert werden.
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Peter Mäder
Abbildung 6: Ablauf der Planung und des Controllings im SAC Planungsstufen
Controllingstufen
Zeitachse
SAC / Umfeld-Analyse ------------------------------------------
Wertvorstellungen ---------------------------------Lagebeurteilung
Strategisches Controlling ----------------------------------------
Grundsatz- und Strategieplanung ----------------------------------
nach Bedarf
Anstoß zum Hinterfragen von Umfeld sowie SAC Leitbild und Politik
Leitbild / Politik / Statuten Konzepte
Strategisch-operatives Controlling Operativ-mittelfristige Planung ------------------------------------------
------------------------------------------
Umsetzung Leitbild und Politik sicherstellen
Mehrjahresplan (3-Jahresplan) rollend jährlich mit Finanzplan
Schwerpunkte / Teilkonzepte Projekte
Operativ-mittelfristiges Controlling Dispositiv-kurzfristige Planung ------------------------------------------
------------------------------------------
Umsetzung Projekte sicherstellen und Korrektur
Aktivitätspläne / Budget
Realisation
Dispositiv-kurzfristiges Controlling ------------------------------------------
Ergebniskontrolle und Korrektur
jährlich mit Budget (Soll) und Rechnung (Ist) sowie laufend nach Bedarf
Die Jahresplanung und das Budget sind traditionelle Planungsinstrumente, die lediglich optimiert werden müssen. Die rollende Mehrjahresplanung über 3 Jahre hingegen verlangt von den am Planungsprozess beteiligten Personen, sich jährlich wiederkehrend mit einem mittelfristigen Planungshorizont zu befassen. Der Detailablauf sieht in der Praxis wie folgt aus:
Juli – September: Erarbeitung Jahresplanung/Budget Jahr x und grobe Überarbeitung Mehrjahresplanung Jahr x+1 bis x+3 durch die Bereichsverantwortlichen
Ende September: Diskussion der Jahresplanung/Budget Jahr x im Zentralvorstand Anfang November: Definitive Genehmigung Jahresplanung/Budget Jahr x durch die Präsidentenkonferenz
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Der Schweizer Alpen-Club SAC
Ende November: Klausur des Zentralvorstandes mit den Bereichsverantwortlichen zur Diskussion und Abstimmung der groben Mehrjahresplanung Jahr x+1 bis x+3
Januar – Februar: Ergänzung und Anpassung der Mehrjahresplanung Jahr x+1 bis x+3 durch die Bereichsverantwortlichen
März: Diskussion der Mehrjahresplanung Jahr x+1 bis x+3 im Zentralvorstand Juni: Genehmigung der Mehrjahresplanung Jahr x+1 bis x+3 durch die Abgeordnetenversammlung
Konsequentes Festhalten an der Organisationsstruktur Im dritten Kapitel wurde das Organigramm des SAC abgebildet und kurz erläutert. An dieser Stelle soll vor allem auf das Zusammenwirken der Ehrenamtlichen (Zentralvorstand, Kommissionen) mit den Hauptamtlichen (Kader der Geschäftstelle) eingegangen werden. Die übergeordneten Organe (Abgeordnetenversammlung, Präsidentenkonferenz und Geschäftsprüfungskommission) werden nicht betrachtet, da ihre Aufgaben und Kompetenzen im SAC klar und völlig unbestritten sind. Die Hauptaufgaben von Zentralvorstand, Kommissionen und Geschäftsstelle sowie einige Besonderheiten sollen erläutert werden: Zentralvorstand: Strategisches Führungsorgan des SAC. Vorbereitung und Umsetzung der Beschlüsse der Abgeordnetenversammlung und der Präsidentenkonferenz. Jedes Mitglied des Zentralvorstandes ist auch Leiter eines Fachressorts mit fachlichem Weisungsrecht gegenüber dem Kadermitarbeiter des jeweiligen Bereichs auf der Geschäftsstelle. Gegenüber der jeweiligen Fachkommission hat nur der GesamtZentralvorstand ein Weisungsrecht. Die Doppelfunktion jedes Zentralvorstandsmitgliedes, einerseits Mitglied des strategischen Führungsorganes und anderseits Leiter eines Fachressorts zu sein, ist eine besondere Herausforderung. Die strategische Führungsaufgabe muss dabei immer erste Priorität haben. Fachkommissionen: Beratende Organe des Zentralvorstandes, ergänzend dazu mit eigenem operativem Aufgabenbereich gemäß Pflichtenheft und einem fachlichen Weisungsrecht gegenüber den Kadermitarbeitern des jeweiligen Bereichs auf der Geschäftstelle. Die ehrenamtlich operativ tätigen Kommissionen bringen viel Know-how und Ressourcen in den Verband ein, stellen jedoch bezüglich Führung und Information eine große Herausforderung dar. Geschäftsstelle: Operative Umsetzung der Beschlüsse der Leitungsorgane. Unterstützung der Fachkommissionen und aktive Mitarbeit im Planungsprozess. Analog den Fachressorts im Zentralvorstand gibt es Fachbereichsleiter auf der Geschäftsstelle. Die administrative Leitung der Geschäftsstelle obliegt dem Geschäftsführer. Die Fachbereichsleiter befinden sich in einer klassischen Matrixorganisation mit der administrati-
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Peter Mäder
ven Führung durch den Geschäftsführer und dem fachlichen Weisungsrecht der Fachkommission und des zuständigen Leiters des Fachressorts im Zentralvorstand. Diese Situation ist für alle Beteiligten sehr anspruchsvoll. Der Leser mag sich fragen, weshalb die Fachbereichsleiter der Geschäftstelle nicht auch fachlich über den Geschäftsführer geführt werden. Dies würde die Problematik der Matrix lösen. Die Begründung ist folgende: Der SAC ist in einem sehr breiten Spektrum tätig. Eine fachliche Führung setzt auch Fachkompetenz voraus. Es ist kaum denkbar, dass ein Geschäftsführer sowohl in Fragen des Umweltschutzes, der alpinen Rettung, des Verlagswesens etc. genügend Fachkompetenz haben kann, um die fachliche Führungsaufgabe richtig wahrnehmen zu können. Immer wieder gibt es auch Bestrebungen aus den Fachkommissionen und aus den Fachbereichen auf der Geschäftsstelle, ihren Einfluss auf den Zentralvorstand zu verstärken. Dies ist besonders dann der Fall, wenn der Zentralvorstand die Interessen einzelner Bereiche «ungenügend» berücksichtigt. Die Strukturen werden dann jeweils in Frage gestellt. Gerade in solchen Fällen ist es von zentraler Wichtigkeit, an klar definierten Organisationsstrukturen festzuhalten, ganz besonders an der klaren Trennung von strategischer und operativer Ebene. Es ist sehr hilfreich, sich dabei auf das wissenschaftlich unterlegte und in der Praxis erprobte Freiburger ManagementModell (FMM) stützen zu können.
Kostenmanagement Zu einer gut geführten Organisation gehört ein gutes Kostenmanagement. Bis 1998 bestand im SAC nur eine Finanzbuchhaltung mit Nettoverbuchung. Die Einnahmen und Ausgaben jedes Bereiches wurden saldiert und in der Jahresrechung als Nettoergebnis dargestellt. Der ganze Bereich «Logistik» (EDV, Rechnungswesen, Personal, innere Dienste) wurde als selbstständiger Kostenblock ausgewiesen. 1999 erfolgte die Einführung der Bruttoverbuchung und gleichzeitig wurde auch eine einfache Kostenstellenrechnung implementiert. Die aktuelle Kostenstellenstruktur umfasst 4 Hilfskostenstellen aus dem Bereich Logistik und 15 Hauptkostenstellen, die den Fachbereichen entsprechen. Auf eine umfassende Kostenträgerrechnung wurde bisher verzichtet. Punktuell werden einzelne Projekte oder Produkte nach Bedarf als Kostenträger geführt. Über den Umlageschlüssel der 4 Hilfskostenstellen lässt sich allerdings vortrefflich streiten. Der Aufwand, der zu betreiben ist, um hierbei Kostenwahrheit zu erreichen, muss jeweils im Verhältnis zu den Auswirkungen beurteilt werden. Je größer der Kostenblock, desto höher darf der Aufwand sein. Details zur Kostenrechnung des SAC finden sich als Fallstudie im Fachbuch «Rechnungswesen für NonprofitOrganisationen» von Reinbert Schauer.
300
Der Schweizer Alpen-Club SAC
4.3
Erfolgsindikatoren
Im SAC gibt es zahlreiche Erfolgsindikatoren. Der wichtigste ist zweifellos derjenige der Mitgliederentwicklung. Ist die Entwicklung positiv, so darf angenommen werden, dass der Verband genügend Anreize bietet, um die bestehenden Mitglieder zum Bleiben zu animieren und neue hinzuzugewinnen. Diese im SAC positive Entwicklung (siehe Kapitel 2) dürfen sowohl die Verantwortlichen des Zentralverbandes wie auch diejenigen der Sektionen für sich in Anspruch nehmen. Erfolgsindikatoren, die mehrheitlich den Zentralverband betreffen, gibt es sicher auch. Zu nennen sind erfolgreiche Abstimmungen über schwierige Geschäfte an einer Abgeordnetenversammlung, beispielsweise über Mitgliederbeitragserhöhungen oder Änderungen der Mitgliederstruktur oder die Integration neuer Aktivitätsbereiche in den Verband. In den letzten Jahren folgte die Basis den leitenden Organen des Zentralverbandes praktisch ausnahmslos. Als weitere Erfolgsindikatoren können auch die Nutzung von Dienstleistungen und Produkten durch die Mitglieder herangezogen werden. Der Auslastungsgrad der Ausbildungskurse, Verkaufszahlen im Buchverlag, Übernachtungszahlen der Mitglieder in den Hütten oder das Inseratevolumen in der Clubzeitschrift sind klar messbare Größen, die in den letzten 3 bis 4 Jahren allesamt positive Vorzeichen aufwiesen. Schließlich dürfen wir feststellen, dass der SAC als Projektpartner und als Sponsoringpartner gefragt ist. Im zunehmend enger werdenden Sponsoringmarkt konnte der SAC seit dem aktiven Einstieg in die Sponsorensuche vor 6 Jahren mehrere interessante Partnerschaften eingehen und dies auch außerhalb der Bergsportartikelbranche. Der Geldzufluss aus diesen Partnerschaften ist insgesamt nicht von existentieller Bedeutung, bei einzelnen Projekten hingegen schon. Nicht zuletzt ist auch eine gute Medienpräsenz des SAC ein messbarer Erfolgsfaktor. Auch diesbezüglich ist eine erfreuliche Tendenz feststellbar.
Box 3:
Faktoren der erfolgreichen Führung des SAC
Veränderungen schrittweise angehen, ohne die am Anfang definierte Strategie aus den Augen zu verlieren.
Ein sauber definierter und gelebter Planungs- und Steuerungsprozess ist ein Schlüsselfaktor der erfolgreichen Führung.
Kompetenzen zwischen den verschiedenen Führungsebenen innerhalb des SAC sind klar geregelt und werden gelebt.
Bei aller Effizienzorientierung ist die Werteorientierung nicht aus den Augen zu verlieren.
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Peter Mäder
5
Ausblick
Die zukünftigen Herausforderungen für den SAC sind vielfältig. Ob das Mitgliederwachstum der letzten Jahre fortgeschrieben werden kann, ist schwer zu sagen. Der Outdoortrend oder, etwas spezifischer, die Nachfrage nach einer sportlichen Betätigung in der unberührten Bergwelt als Ausgleich zur Hektik des Alltags wird wohl anhalten. Sportklettern in der Halle erlebt momentan einen Boom, der aber nicht unbegrenzt anhalten wird. Skitourenfahren erfreut sich sowohl als Breitensport wie als Leistungssport steigender Beliebtheit. Es gibt also einige ermutigende Indizien für die Zukunft. Entwicklungen bringen auch neue Aufgaben. Eine sich entwickelnde Leistungssportdisziplin verlangt nach Trainern, Betreuern, Sponsorensuche etc. Mehr Bergsportler in der unberührten Natur rufen Umweltschützer auf den Plan und haben evtl. Lenkungsmaßnahmen zur Folge. Die wesentlichen Herausforderungen für den SAC in diesem Umfeld liegen in folgenden Bereichen:
Der SAC muss ein qualitatives Mitgliederwachstum anstreben. Neben der Neumitgliederwerbung muss vermehrt auf die Pflege der bestehenden Mitglieder geachtet werden. Die Fluktuationsrate ist möglichst tief zu halten.
Der Rekrutierung und der Pflege von Ehrenamtlichen ist vermehrt Bedeutung beizumessen. Auf Ebene Zentralverband wie auf Ebene der Sektionen ist und bleibt die Arbeit der Ehrenamtlichen entscheidend für das Funktionieren des Clubs. Die Verfügbarkeit qualifizierter Personen ist aber bekanntermaßen abnehmend.
Eine weitere Professionalisierung in gewissen Bereichen auf der Stufe Zentralverband ist nötig. Nur so können steigende Anforderungen aus dem Umfeld und clubintern befriedigt werden. Wie weit die dafür nötigen Mittel aus Sponsoring, über den Verkauf von Dienstleistungen oder über Mitgliederbeiträge zu finanzieren sind, ist von Fall zu Fall immer wieder zu beurteilen.
Die bestehenden Strukturen und Managementinstrumente entsprechen im Wesentlichen den Bedürfnissen des SAC, können aber in einzelnen Bereichen, insbesondere in der strategischen Gesamtplanung, noch optimiert werden. Die vielleicht wichtigste Herausforderung wird aber darin bestehen, auch in Zukunft das Spannungsfeld von Effizienzorientierung und Wertegebundenheit möglichst erfolgreich zu meistern.
302
Management in einem sozialpolitischen Solidarverband
Alexander R. Zumkeller
Management in einem sozialpolitischen Solidarverband Der Arbeitgeberverband Chemie Baden-Württemberg e. V.
Überblick .......................................................................................................................... 305 1
Das «Geschäftsmodell» des agvChemie ...................................................................... 306
2
agvChemie – die Organisation ...................................................................................... 307
3
Der «Markt» ..................................................................................................................... 311
4
Sicherstellung des Erfolgs des agvChemie.................................................................. 313
5
Ausblick ............................................................................................................................ 321
303
Management in einem sozialpolitischen Solidarverband
Überblick Der agvChemie ist der sozialpolitische Solidarverband der Chemischen Industrie Baden-Württembergs. Er schließt mit den Gewerkschaften Tarifverträge ab, vermittelt durch seine Öffentlichkeitsarbeit eine sachliche Darstellung von Fakten und fördert seine Mitglieder durch aktuelle bedarfsgerechte Dienstleistungen insbesondere in der arbeitsrechtlichen Beratung und arbeitsgerichtlichen Vertretung.
Eine branchen- und bundesweit abgestimmte Tarifpolitik stärkt die Durchsetzungsfähigkeit des agvChemie. Mit den Chemie-Arbeitgeberverbänden in anderen Bundesländern und dem Bundesarbeitgeberverband Chemie wird eine gemeinsame Tarifpolitik betrieben, um der Solidarität und Geschlossenheit der ChemieArbeitgeber Nachhaltigkeit zu geben. Ein «Markenzeichen» der Chemie ist die Sozialpartnerschaft mit der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE); in beiderseitiger Dialogbereitschaft äußert sich der Wille zur Übereinkunft und zu Lösungen im Interesse der Mitglieder.
Der agvChemie hält ein umfangreiches Dienstleistungsangebot, insbesondere für den Personalbereich seiner Mitgliedsfirmen, bereit: Beratung, Information, Schulung in allen arbeitsrechtlichen und personalwirtschaftlichen Themenbereichen, Mitwirkungen an Verhandlungen mit den Betriebsräten, Vertretung in den arbeitsgerichtlichen Prozessen.
Der agvChemie steht im Wettbewerb mit Dienstleistern aus dem Profitbereich. Die branchenspezifische Ausrichtung seiner Dienstleistungen, das besondere Vertrauensverhältnis, das sich durch die mitgliedschaftliche Bindung ergibt, sowie das besondere Vertrauensverhältnis zu anderen Stakeholdern kennzeichnen aber die Alleinstellung der «Marke» agvChemie.
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Alexander R. Zumkeller
1
Das «Geschäftsmodell» des agvChemie
Das Geschäftsmodell der Arbeitgeberverbände – und so des agvChemie – geht letztlich auf das Jahr 1869 zurück. Nachdem in diesem Jahr die Reichsgewerbeordnung die «Koalitionsfreiheit» – also die Möglichkeit, sich zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen (wie es heute Artikel 9 Abs. 3 Grundgesetz beschreibt) zu Vereinigungen zusammenzuschließen (gemeint sind damit Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände) – gewährte, waren in Deutschland zwischen 1890 und 1900 immerhin rund 200 Gründungen von Arbeitgeberverbänden zu verzeichnen; diese waren freilich zunächst allein Reaktion auf das Anwachsen gewerkschaftlicher Tätigkeit und Organisation: 1900 waren bereits rund 3 Mio. Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert. Ursprünglich also waren die Arbeitgeberverbände damit Solidarorganisationen. Im Fall von Streiks ging es darum, sich gegenseitig zu unterstützen – sei es durch Auftragsübernahme, wirtschaftliche Hilfe oder auch Überlassung von personellen oder sächlichen Ressourcen. Diese Solidarität bestand, gleichwohl der Wettbewerb zwischen den Arbeitgebern auch in dieser Zeit der Industrialisierung immer härter wurde; aber das Wissen darum, dass es jeden gleichermaßen treffen könnte, hatte zumindest in den Zeiträumen, in denen Arbeitnehmer Streiks – teilweise auch Revolten – organisierten, stark gegriffen. Nach der Zwangsauflösung von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden in 1933 konnten sich die meisten Arbeitgeberverbände ab 1949 wiedergründen. Schon früh nach Wiedergründung sind zu der «eigentlichen Aufgabe» der Arbeitgeberverbände, dem Solidarverbund und dem Abschluss von Tarifverträgen, mitgliederseitig weitere Anforderungen an die Verbände gestellt worden: Einerseits schien es wenig Sinn zu machen, einen Verband quasi nur für die alle 1 oder 2 Jahre stattfindenden Tarifverhandlungen «vorzuhalten». Zum anderen hat die immer komplizierter werdende Arbeitswelt weitere Dienstleistungen gefordert: Genannt seien hier nur die für die Arbeitgeberseite wichtigsten und einschneidendsten Ereignisse in Deutschland: 1956 wird das Mitbestimmungsgesetz verabschiedet, 1969 das Kündigungsschutzgesetz, 1972 das Betriebsverfassungsgesetz und 1974 das Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung. Zur Errichtung neuerer Dienstleistungen hatte darüber hinaus das Arbeitsgerichtsgesetz das seinige getan: Neben der Rechtsanwaltschaft sind nun die Vertreter von Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern befugt, vor den Arbeitsgerichten und Landesarbeitsgerichten – also in erster wie zweiter Instanz – Prozesse zu führen. Welche Dienstleistungen die Arbeitgeber von ihren Verbänden angefordert hatten, war damit klar: Information über die neuesten gesetzgeberischen Entwicklungen in der Sozialpolitik und im Arbeitsrecht, Schulung in diesen Bereichen, Beratung und Vertretung in den Gerichtsprozessen. Und: Lobbyismus.
306
Management in einem sozialpolitischen Solidarverband
Box 1:
Das Geschäftsmodell – historisch gewachsen
Arbeitgeberverbände sind im Gegensatz zu Industrie- und Wirtschaftsverbänden Solidargemeinschaften, die im Bereich der Arbeitsbedingungen und Sozialpolitik agieren.
Die zunehmende Flut an Gesetzen in diesen Bereichen machen eine einheitliche, branchenspezifische und von Vertrauen getragene Information, Beratung und Vertretung erforderlich.
Den Unterschied zu Dienstleistern im Wettbewerb macht die stete Zusammenarbeit mit den Vertretern der Mitglieder (zumeist deren Geschäftsführer oder Personalleiter) und anderen Stakeholdern (insbesondere der Gewerkschaft) aus. Neben das – auf dem «Markt» einkaufbare – fachliche Know-how kommen als bedeutende Faktoren die Kenntnisse des Betriebes, der Branche, und die durch teils langjährige und damit vertrauensvolle Zusammenarbeit geprägt mitgliedschaftliche Bindung hinzu. Und: der agvChemie bezieht eindeutig Position für seine Mitglieder (während z. B. Rechtsanwälte sowohl Arbeitgeber wie auch Arbeitnehmer vertreten). Aus dieser Historie ist auch verständlich, weshalb in Deutschland in den meisten Branchen die Entwicklung der Wirtschafts- bzw. Industrieverbände unabhängig von derjenigen der Arbeitgeberverbände lief. Klassischerweise sind diese Verbände getrennt – wenngleich selbstverständlich eine intensive Zusammenarbeit in all jenen Bereichen erfolgt, die es sinnvoll erscheinen lassen. Deutlichstes Zeichen der historisch gewachsenen anderen Strukturen ist, dass die Industrieverbände in aller Regel zentral, die Arbeitgeberverbände jedoch föderal strukturiert sind.
2
agvChemie – die Organisation
Der agvChemie – oder richtiger: der Arbeitgeberverband Chemie Baden-Württemberg e. V. – ist 1970 durch den Zusammenschluss der regionalen Arbeitgeberverbände der Branche innerhalb Baden-Württembergs entstanden. Heute hat der agvChemie über 250 Mitglieder in Baden-Württemberg. Die Chemische Industrie in Baden-Württemberg ist gekennzeichnet durch einen hohen Anteil pharmazeutischer Unternehmer, gefolgt vom Bereich der Automobilzulieferindustrie (etwa Lacke, Kautschuk, Kunststoffe) sowie einer Vielzahl von Markenartiklern (so etwa Körperpflege, Waschmittel, Klebstoffe und Fasern) (vgl. Abbildung 1). Eines der «Erfolgsrezepte» der baden-württembergischen Wirtschaft – das sich auch in der Chemie niederschlägt – ist die Flexibilität des Mittelstandes: 90 Prozent der Unter-
307
Alexander R. Zumkeller
nehmen der Chemischen Industrie haben weniger als 500 Beschäftigte und gehören damit dem Mittelstand an (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 1: Branchenstruktur Grundchemikalien 6% Körperpflege, Waschmittel 10 %
Sonstige 12 %
Kunststoffe 7%
Kautschuk, Gummi 7% Leime, Klebstoffe, Mineralöl, Chemiefasern 9%
Pharma 37 % Lacke, Farben, Bautenschutz 12 %
Abbildung 2: Größenstruktur
60%
59,9 %
50% 39,7 %
40%
30% 22,8 %
21,6 % 18,1 %
20%
12 % 10%
8,6 % 6,5 %
6,5 %
4,3 %
0% bis 100
101 - 300
301 - 500
Anteil nach Betrieben
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501 - 1.000
Anteil nach Beschäftigten
über 1.000
Management in einem sozialpolitischen Solidarverband
In den Mitgliedsunternehmen des agvChemie sind rund 80.000 Arbeitnehmer beschäftigt. Der agvChemie hat die Rechtsform des eingetragenen Vereins. Satzungsgemäße Gremien sind vor allem die Mitgliederversammlung, der Beirat und der Vorstand: Die Mitgliederversammlung wählt den Beirat, aus seiner Mitte wählt der Beirat sodann den Vorstand. Der Vorstand selbst wählt einen engeren Vorstand – den Vorsitzenden und 2 Vertreter. Der Vorstand beruft die Geschäftsführung, Mitglieder in diverse Ausschüsse und Gremien.
Box 2:
Die Organisation – verfassungsrechtliche Garantie und föderale Struktur
Arbeitgeberverbände sind durch die Verfassung der Bundesrepublik besonders geschützt. Die Arbeitgeberverbände sind föderal organisiert; Dachverbände auf Landesebene (über-
fachlich) und Bundesebene (fachlich) gewährleisten Know-how-Transfer und solidarisches, abgestimmtes Handeln.
Der agvChemie Baden-Württemberg vertritt über 250 zumeist mittelständische MitgliedsUnternehmen mit insgesamt rund 80.000 Mitarbeitern.
Der agvChemie selbst wiederum ist Mitglied im Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC), dem insgesamt 11 Bezirksverbände angehören sowie der Landesvereinigung Baden-Württembergischer Arbeitgeberverbände, der insgesamt 42 regionale Arbeitgeberverbände angehören (vgl. Abbildung 3).
Abbildung 3: Organisatorische Einbindung des agvChemie
309
Alexander R. Zumkeller
Der agvChemie beschäftigt rund 20 Mitarbeiter. Er wird geführt vom Hauptgeschäftsführer und 2 Geschäftsführern. Dem Hauptgeschäftsführer obliegen neben der allgemeinen Geschäftsführung die Tarifpolitik, Finanzen, Personal sowie Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ein Geschäftsführer (der stellvertretende Hauptgeschäftsführer) hat die Arbeitsbereiche Grundsatzfragen des Arbeits-, Sozialversicherungs- und Betriebsverfassungsrechts, Tarifrecht, soziale Selbstverwaltung und Mitgliedschaftsbetreuung inne. Der weitere Geschäftsführer verantwortet die Bereiche Prozessmanagement, angewandtes Arbeitsrecht, Seminarbetrieb, Berufsbildung, Marketing und Informationstechnologien. Etwa die Hälfte der Mitarbeiter sind aus dem akademischen Bereich (zumeist Juristen). Der agvChemie arbeitet in teilweiser Bürogemeinschaft mit dem Verband der Chemischen Industrie e. V. Landesverband Baden-Württemberg. Der Wirtschaftsverband hat in Baden-Württemberg über 300 Mitglieder. Lediglich 1/3 bis zur Hälfte des Mitgliederbestandes des agvChemie bzw. des VCI hat jedoch eine Doppelmitgliedschaft in beiden Verbänden. Dies findet seinen Grund u. a. darin, dass einerseits der agvChemie mehr Teilbranchen erfasst als der VCI und damit für einen Teil der agvChemie-Mitglieder die Mitgliedschaft im VCI ausscheidet, andererseits hat der VCI viele kleine und kleinste Unternehmen als Mitglied, für die eine Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband wenig interessant ist. Unter diesen speziellen Vorgaben ist eine Zusammenführung der Verbände also nicht zweckmäßig. Die Öffentlichkeitsarbeit der Verbände erfolgt unter dem gemeinsamen Auftritt «Chemie Baden-Württemberg» bzw. «Chemieverbände». Die Vermittlung chemiespezifischer Themenbereiche, die Darstellung der Attraktivität der Ausbildungsberufe in der Chemie, Seminare und Hilfen für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie die Kontaktpflege zu Medien und Multiplikatoren (Journalisten, Lehrer etc.) wird damit in den Bereichen, wo die Interessen der beiden Verbände gleich gelagert sind, gebündelt. Um nach außen deutlich zu machen, dass ein innerer Zusammenhang zwischen den Chemie-Verbänden Baden-Württemberg besteht, ist vor einigen Jahren auch eine Anpassung der jeweiligen Logos erfolgt (hierzu auch weiter unten) – ohne jedoch, dass die Eigenständigkeit hierdurch berührt worden wäre. Der Hauptgeschäftsführer des agvChemie ist auch zugleich Hauptgeschäftsführer des VCI Landesverband BadenWürttemberg.
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Management in einem sozialpolitischen Solidarverband
3
Der «Markt»
Das Umfeld, in dem der agvChemie tätig ist, lässt sich grob in 3 Bereiche aufteilen: das – nicht marktfähige – Collective Bargaining, die marktfähigen Dienstleistungen sowie die (Leistungs-)Beziehungen mit unterschiedlichen Stakeholdern. Was das Collective Bargaining angeht – die Tarifverhandlungen – besteht ein gewisser Wettbewerb mit kleineren Teilbranchen, die ebenfalls der Chemie zuzuordnen sind. Zu den «Wettbewerbern» können vielleicht auch diejenigen Unternehmen gezählt werden, die so genannte «Haustarifverträge» abschließen, also direkt mit der Gewerkschaft verhandeln. Diesen Gruppen fehlt allerdings eine gewisse Mächtigkeit, d. h. ihre Vorstellungen könnten alleine, ohne bestehende Flächentarife größerer Verbände, kaum durchgesetzt werden. Lediglich «im Schatten» eines mächtigen Tarifvertrages können einzelne Unternehmen sinnvoll eigene Tarifverträge aushandeln. Eine indes größere Gruppe des «Marktes» ist die Gruppe der «Trittbrettfahrer» – solche Unternehmen, die keinem Arbeitgeberverband angehören, die tariflichen Leistungen aber im Wesentlichen adaptieren. Dies hat teilweise auch sog. «OT-Verbänden» – Arbeitgeberverbände ohne Tarifbindung – auf den Plan gerufen; allerdings bestehen einerseits hier nicht weiter zu erörternde rechtliche Probleme, andererseits haben diese keine größeren Marktchancen: Einer Mitgliederumfrage aus dem Jahr 1994 zufolge ist die Leistung «Tarifverträge» bei der Frage, welche Leistungen des Verbandes ggf. verzichtbar oder unverzichtbar seien, mit der Durchschnittsnote 1,2 (10er-Skala – 1 völlig unverzichtbar – 10 völlig verzichtbar) auf den ersten Rang der Verbandsleistungen gewertet worden. Hintergrund ist dabei sicher das in Deutschland bewährte System: das Aushandeln materieller Mindestbedingungen findet nicht im Betrieb selbst statt, womit einerseits der Betriebsfriede nicht durch derartige Verhandlungen gestört wird. Andererseits werden durch den nach wie vor modernen Flächentarifvertrag annähernd gleiche Wettbewerbschancen innerhalb der Branchen hergestellt. Individuellen Belangen der Mitglieder wird dadurch Rechnung getragen, dass die ChemieTarifverträge bereits seit Jahren mit Flexibilisierungsinstrumenten aufwarten, die in der Tariflandschaft wohl als einmalig und als besonderes Markenzeichen der Chemie zu bezeichnen sind (vgl. hierzu weiter unten). Insofern haben die Mitglieder früh erkannt, dass der in Teilen der Politik in Verruf geratene Flächentarifvertrag nicht «altmodisch und behindernd» ist, sondern Teil einer modernen Tarif- und Personalpolitik sein kann. Im Bereich der im Wettbewerb befindlichen Dienstleistungen sind zunächst die Rechtsberatung und die Rechtsvertretung zu sehen. Hier steht der Verband teilweise in direktem Wettbewerb zu Rechtsanwälten bzw. Anwalts-Sozietäten. Für den Bereich des Seminarbetriebs des agvChemie ist ein starker Wettbewerb von Seminaranbietern im Profit-Bereich zu sehen und darüber hinaus zu beobachten, dass derzeit auch Anwaltskanzleien in diesen Markt beginnen einzusteigen. Die Besonderheit der Seminare und Rechtsberatung ist jedoch die personelle Verknüpfung von Berater und Referent: 311
Alexander R. Zumkeller
«aus einer Hand» werden die Mitarbeiter der Mitglieder beraten und geschult. Dabei verfügen die Dozenten in der Regel sowohl über Branchen-Know-how, als auch häufig über eine detaillierte Kenntnis der Abläufe in den Betrieben selbst.
Box 3:
Der Markt – im Wettbewerb zu Profit-Unternehmen
Grosse Rechtsanwaltskanzleien und Seminaranbieter positionieren sich in letzter Zeit verstärkt als Mitbewerber.
Kollektive Güter sind unverzichtbar und werden als Solidarleistung in nennenswertem Umfang exklusiv vom agvChemie bereitgestellt.
Branchen-Know-how und eine starke Vertrauensstellung bei Mitglied und Gegenseite sind Alleinstellungsmerkmale des agvChemie.
Eine Besonderheit des Umfelds, in dem sich der agvChemie bewegt, ist sicherlich die bereits zuvor genannte Sozialpartnerschaft. Vertreter der Gewerkschaft treten häufig in Verhandlungen mit den Betriebsräten auf, weitere Kontakte ergeben sich in Schulungen des agvChemie für Betriebsräte oder gemeinsamen Veranstaltungen von agvChemie mit der Gewerkschaft IGBCE. Die Berührungspunkte des agvChemie mit der Gewerkschaft sind also vielfältig. Die Wettbewerber des agvChemie – also Anwaltskanzleien, Seminaranbieter etc. – verfügen über diese Schnittstellen nicht. Damit fehlt ihnen nicht nur ein Netzwerk informeller Strukturen, sondern viel mehr noch eine Basis partnerschaftlichen Vertrauens. Aus dieser Struktur ergibt sich bereits der «Wettbewerbsvorteil» des agvChemie, dass häufig schnellere, interessengerechte Lösungen gefunden werden als mit extern eingeschalteten Wettbewerbern aus dem Profitbereich. Beleg der Sozialpartnerschaft ist eine Vielzahl außertariflicher Sozialpartnervereinbarungen. Die Arbeitsbedingungen werden traditionell von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden durch tarifvertragliche Vereinbarungen geregelt. Doch nicht jedes Thema eignet sich für die Form des Tarifvertrages. Die Sozialpartnervereinbarungen in der chemischen Industrie sind der Beleg dafür, dass die Tarifpartner auch außerhalb von Tarifverhandlungen konkrete Ergebnisse erzielen können – zum Vorteil der Unternehmen und der Beschäftigten. In 24 solcher Vereinbarungen werden etwa Drogenprobleme, Chancengleichheit, europäischer Informationsaustausch und Gruppenarbeit gemeinsam angegangen. Außerdem tragen die Sozialpartner gemeinsame Einrichtungen: Der Chemiepensionsfonds sichert die Altersvorsorge der Mitarbeiter in der chemischen Industrie; die GIBUCI – Gesellschaft zur Information von Betriebsräten zum Umweltschutz in der Chemischen Industrie – informiert Betriebsräte über Arbeitssicherheit und Umweltschutz z. B. in Seminaren; die WBS – Weiterbildungsstiftung – ist eine Dienstleistungseinrichtung für die Unternehmen der chemischen Industrie, die diese bei ihren Wei-
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Management in einem sozialpolitischen Solidarverband
terbildungsvorhaben durch die Entwicklung von Weiterbildungskonzepten und Fortbildungsmodellen unterstützt. Im www.sozialpartnernetz.de informieren die Sozialpartner über ihre gemeinsamen Aktivitäten.
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Sicherstellung des Erfolgs des agvChemie
Bevor auf einige Faktoren eingegangen werden soll, die den nachhaltigen Erfolg der Verbandsarbeit mit begründen, soll zunächst die Frage beantwortet werden, ob der Verband überhaupt erfolgreich arbeitet. Für die Erfolgsmessung der Leistung eines Arbeitgeberverbandes finden sich sicherlich unterschiedlichste Ansatzpunkte. Der agvChemie kann an belegbaren Erfolgskriterien einerseits auf eine Mitgliederbefragung, andererseits auf die Mitgliederentwicklung verweisen: Mitgliederbefragungen wurden bislang 2 durchgeführt, 1994 und 2001. Eine sehr viel dichtere Befragungsfrequenz würde, wie sich aus Einzelgesprächen mit Vertretern der Mitglieder ergeben hat, dazu führen, dass die Beteiligung abnimmt. Denn die Unternehmensvertreter sehen sich (zumindest in der Bundesrepublik Deutschland) einer Vielzahl von Pflichterhebungen gegenüber (Statistische Bundes- und Landesämter, Kammern, Wirtschaftsverbände). So kann – auf freiwilliger Basis – der agvChemie eine stattliche Rücklaufquote der Fragebögen von 70 Prozent aufweisen. Zwei «Kernfragen» machen deutlich, was von der Arbeit des agvChemie zu halten ist: Über 85 Prozent der Mitglieder würden einem anderen Unternehmen zu einer Mitgliedschaft beim agvChemie raten (lediglich 13 Prozent sind indifferent), und 86 Prozent der Mitgliedsunternehmen sind «zufrieden» oder «sehr zufrieden» mit dem agvChemie (vgl. Abbildung 4). Dabei lassen sich keine erheblichen Unterschiede zwischen den Größenklassen der Mitgliedsunternehmen ersehen. 3/4 der mittelständischen Unternehmen geben an, dass der agvChemie gerade auf die Probleme kleiner Unternehmen eingeht. Auf die einzelnen Leistungen und Ergebnisse einzugehen, würde den Rahmen hier sprengen. Hervorgehoben werden kann aber, dass praktisch alle Dienstleistungen des Verbandes ganz überwiegend mit «sehr zufrieden» oder «zufrieden» beurteilt werden (Notendurchschnitt 1,5 bis 2,0 bei einer Skala von 1 = sehr zufrieden bis 5 = sehr unzufrieden) (vgl. Abbildung 5), sich und hinsichtlich der Tarifpolitik nur 8 Prozent der Mitglieder «unzufrieden» äußerten. Im Vergleich der beiden Umfragen – 1994 und 2001 – fällt auf, dass die Beurteilungen sehr nahe beieinander liegen.
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Alexander R. Zumkeller
Abbildung 4: Ergebnisse der agvChemie-Mitgliederbefragung aus dem Jahr 2001 (allgemeine Bewertung)
Abbildung 5: Ergebnisse der agvChemie-Mitgliederbefragung aus dem Jahr 2001 (Detailurteile)
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Management in einem sozialpolitischen Solidarverband
Ein weiterer Indikator für die Leistungsfähigkeit und «Qualität» des Verbandes ist die Mitgliederentwicklung. Trotz der in Deutschland bestehenden «Verbände-Diskussion» konnte der agvChemie die Bestandszahl seiner Mitglieder stetig erhöhen (vgl. Abbildung 6).
Abbildung 6: Mitgliederentwicklung im agvChemie im Zeitablauf 260
250
240
230 Jahr 2001
Jahr 2002
Jahr 2003
Zwar sind auch jedes Jahr Austritte aus dem Verband festzustellen, diese lassen sich aber nahezu alle darauf zurückführen, dass ein Betrieb eingestellt wurde, ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde oder Unternehmen durch Verschmelzung mit einem anderen Unternehmen oder Aufnahme in einen anderen Konzern nicht weiter bestehen. Der agvChemie, dies lässt sich mit den obigen Feststellungen manifestieren, arbeitet also erfolgreich. Ende der 80er-/ Anfang der 90er-Jahre hat in der Bundesrepublik die «VerbändeDiskussion» eingesetzt. Schon damals hat der Verband in seinen Gremien erörtert, welche Maßnahmen für die Zukunft zu treffen sind, um erfolgreich zu bleiben bzw. um noch erfolgreicher zu werden. Im Rahmen einer Arbeit im Postgraduate-Lehrgang (heute: Diplomlehrgang) am Verbandsmanagement Institut der Universität Freiburg/Schweiz (VMI) sind sodann erste Grundlagen nach dem Freiburger Managementmodell geschaffen worden: Eine ausführliche Analyse des Dienstleistungsprogramms sowie der kollektiven Güter, ein (damals noch unterstelltes) Leitbild, und im Ergebnis das Festhalten an den 4 wichtigsten Marketingzielen: stete Produktverbesserung, Mitgliederwerbung und Betreuung, Optimierung der Kommunikation (CI/COOPI) sowie Optimierung der Potenziale und Kapazitäten.
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Alexander R. Zumkeller
Als Handlungsgrundsätze für den agvChemie ließen sich festhalten:
«Wir überprüfen stetig unsere Dienstleistungsbereitschaft», «wir entscheiden und überprüfen stetig neu, welche Kapazitäten wir bevorraten wollen und können» und
«die Summe aus erkannter Dienstleistungsbereitschaft, erlebter Kapazität und vermittelter Wirkung ist das erfahrene und perpetuierte Ergebnis – und Vertrauen». Box 4:
Der Erfolg
Der agvChemie hält sich an die Grundsätze «wir überprüfen stetig unsere Dienstleistungsbe-
reitschaft», «wir entscheiden und überprüfen stetig neu, welche Kapazitäten wir bevorraten wollen und können» und «die Summe aus erkannter Dienstleistungsbereitschaft, erlebter Kapazität und vermittelter Wirkung ist das erfahrene und perpetuierte Ergebnis – und Vertrauen».
Der agvChemie informiert über Belange in der Sozialpolitik verständlich, zielgruppengerecht, ballastfrei und mit modernsten Mitteln.
Die Mitglieder werden in ein «Qualitätsmanagement» mit einbezogen. Mitglieder und Stakeholder werden regelmäßig über die Tätigkeit des agvChemie in ansprechender Form unterrichtet.
Nicht zuletzt diese Vorarbeiten führten dann in ein längeres Marketingprojekt, das der agvChemie gemeinsam mit dem VMI und der Beratergruppe für Verbandsmanagement B’VM von 1996 bis 1999 durchgeführt hat. Die Begleitung erfolgte durch eine von Fachleuten aus Reihen der Mitglieder des Verbandes besetzter Projektgruppe, die letztliche Behandlung erfolgte in einer Vorstandsklausur. Am Ende des Projektes stand ein konkretes Entwicklungskonzept – «Entwicklungsziele und Maßnahmenplan». Zusammengefasst könnte der Maßnahmenplan mit «Mitglieder halten – neue Mitglieder gewinnen» bezeichnet werden (vgl. Box 5) – wobei diese Reihenfolge auch bewusst gewählt ist. Box 5:
Entwicklungsziele des agvChemie
Wichtige strategische Ziele des agvChemie sind: -
die heutigen Mitglieder durch höhere Zufriedenheit und Identifikation mit den Leistungen und der Arbeit des agvChemie zu halten und
-
die Solidargemeinschaft möglichst durch Gewinnung neuer Mitglieder zu verstärken.
316
Management in einem sozialpolitischen Solidarverband
Für alle Beteiligten – Mitarbeiter der Geschäftsstelle wie Projektgruppe und Vorstand – war die Durchführung des Projektes «Entwicklungkonzept» wertvoll: Nur selten setzt man sich derart intensiv mit Vorgaben, Analysen und Zielsetzungen der eigenen Organisation auseinander wie in einem derartigen Prozess. Das Vorgehen nach dem Modell des VMI hat sich dabei als ideal erwiesen: Jeder Teilnehmer hat aufgrund der klaren Aufgliederung in Analyse, Konzept und Konkretisierungsphase mit ihren Unterteilungen stets gewusst, «wo» man sich gerade befindet, die Aufgaben konnten klar verteilt werden, Entscheidungen «ohne Streuverlust» getroffen werden. Einleitend war bereits auf (gesetzliche und historische) Vorgaben, die das Wirken des agvChemie beeinflussen, hingewiesen worden. Wichtigstes Führungsinstrument, das sich aus diesem Prozess «Entwicklungkonzept» nun entwickelt hat, war nun die «politische» Vorgabe der Mitglieder, das Leitbild des agvChemie (vgl. Box 6).
Box 6:
Leitbild des agvChemie
Wir sind der sozialpolitische Solidarverband der chemischen Industrie Baden-Württembergs. Wir gestalten aktiv die Sozial- und Tarifpolitik. Die branchen- und bundesweit abgestimmte Tarifpolitik stärkt unsere Durchsetzungsfähigkeit. Wir bekennen uns zur Chemie-Sozialpartnerschaft. Wir vermitteln durch unsere Öffentlichkeitsarbeit eine sachliche Darstellung von Fakten. Wir vertreten die Interessen der Mitglieder gegenüber politischen Instanzen und nehmen Einfluss auf das staatliche Handeln. Wir fördern unsere Mitglieder durch aktuelle und bedarfsgerechte Dienstleistung. Wir sind leistungs- und durchsetzungsfähig durch aktive Mitglieder.
Herausgegriffen seien 2 Headlines des Leitbilds und die hiernach erfolgten konkreten Maßnahmen, die zum Erfolg des agvChemie erheblich beitragen:
«Wir gestalten aktiv die Sozial- und Tarifpolitik» Bereits früh hat die Chemische Industrie realisiert, dass die gemeinsame Vertretung von Interessen innerhalb eines Bundesverbandes eine erhebliche Stärkung jedes einzelnen Verbandes sein kann. Die Ressourcenbündelung und die stete Diskussion in unterschiedlichen Gremien führen zu einem mächtigen Wissens- und Meinungspool. So wurden im Rahmen des Entwicklungs-Projekts im agvChemie z. B. vermehrte Mitwirkungsmöglichkeiten gerade der mittelständischen Mitglieder geschaffen, in einem besonderen Arbeitskreis wird auch und gerade die Meinung dieser Mitglieder,
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Alexander R. Zumkeller
die sich nicht in vielen anderen Gremien einbringen können (Beirat, Tarifkommission, Vorstand) gesammelt und über die Geschäftsstelle als «Transmissionsriemen» weitergegeben. Letztendlich führen derartige Maßnahmen dazu, dass «Mega-Trends» im Tarifbereich rechtzeitig erkannt werden. Außerdem verhindert die Bündelung einen falsch verstandenen «Wettbewerb» zwischen den regionalen Verbänden, wie er in einigen anderen – auch sehr großen – Branchen zu sehen ist. Heute hat die Chemische Industrie in Deutschland den modernsten Flächentarifvertrag: Einerseits ist das Tarifwerk der Chemischen Industrie vom Umfang her nachgerade «dünn» und nicht überregelt (wie etwa das Tarifwerk des Öffentlichen Dienstes), andererseits beinhaltet es modernste Flexibilisierungs-, Öffnungs- und Optionsklauseln (vgl. Box 7). Dies ermöglicht den Mitgliedern beträchtliche Kosten- und Arbeitszeitspielräume, um die andere Branchen die Chemie beneiden. Damit sind Rahmenbedingungen geschaffen, die der Erhaltung und Verbesserung internationaler Wettbewerbsfähigkeit dienen. Die Unternehmen haben die Handlungs- und Gestaltungsspielräume, die sie benötigen.
Box 7:
Beispiele für die Flexibilität der Chemie-Tarife Arbeitszeitkorridor Verteilzeiträume Wochenendarbeit Langzeitkonten Entgeltkorridor Einstiegstarife Erfolgsabhängige Jahresleistung …
«Wir fördern unsere Mitglieder durch aktuelle und bedarfsgerechte Dienstleistungen» Wenngleich schon die Mitgliederumfrage 1994 hinsichtlich der Dienstleistungen durchweg positive Ergebnisse brachte, musste bei hinreichend selbstkritischer Betrachtung doch festgestellt werden, dass die Zielgruppenorientierung der schriftlichen Information, insbesondere was Umfang, Periodizität und Verständlichkeit angeht, zu optimieren war – dies war in den Entwicklungszielen auch festgehalten. In diesem Zusammenhang haben alle für Rundschreiben verantwortliche Mitarbeiter des agv-
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Management in einem sozialpolitischen Solidarverband
Chemie ein in Zusammenarbeit mit dem VMI entwickeltes Inhouse-Seminar absolviert. Darüber hinaus wurden die Rundschreiben dahingehend überarbeitet, dass sie auch für den «schnellen Leser» hinreichend Informationen bieten, eine intensivere Lektüre aber dennoch erlauben. Konkret wurde umgesetzt, dass auf dem Deckblatt der Rundschreiben jeweils eine Summary bzw. eine Headline den schnellen Leser informiert und durch einen Seitenverweis die Vertiefung in das Thema innerhalb des Rundschreibens erlaubt. Die Herausgabe der Rundschreiben wurde auf ein regelmäßiges Erscheinen hin geändert – statt einiger weniger vom Umfang her «erschlagender» Ausgaben. Mittlerweile werden die Headlines der Rundschreiben per E-Mail als «agvChemie newsletter» an die Mitarbeiter der Mitglieder versandt – an über 800 Empfänger. Die Vertiefung des Themas, die Recherche auch über ältere Rundschreiben hinweg, sowohl nach Ausgabedatum wie auch nach Volltext, ist im Intranet des agvChemie für alle registrierten Mitglieder möglich – mehr als 3/4 der Mitgliedsunternehmen haben von der Möglichkeit einer Registrierung Gebrauch gemacht, die Zahl wächst ständig. Ebenfalls ein Entwicklungsziel war, die mündliche Informationsweitergabe (Schulungen, Seminare etc.) mit differenzierten Angeboten weiter auszubauen. Qualifikation und Motivation der Mitarbeiter bei den Mitgliedsunternehmen, wie auch die Unterstützung von Innovationsprozessen sind Hintergrund dieser Maßnahme. Neu eingeführt wurden in diesem Zusammenhang z. B. Tages-Seminare zu arbeitsrechtlichen Themen (zu den bereits bestehenden mehrtägigen arbeitsrechtlichen ZielgruppenSeminaren), die Seminarreihe Presse- und Öffentlichkeitsarbeit wurde erheblich ausgebaut. So bietet der agvChemie heute mehr als 30 Seminare jährlich zu unterschiedlichsten Themen an, neben aktuellen Informationsveranstaltungen (z. B. zu Gesetzesänderungen), regelmäßigen Kolloquien für unterschiedliche Teilnehmergruppen und Gremiensitzungen. Von den Zielgruppen her erreicht der agvChemie alle Führungskräfte, alle Personalverantwortlichen und die Betriebsräte in den Mitgliedsunternehmen. Insgesamt hat so jedes Mitgliedsunternehmen die Möglichkeit, seine Mitarbeiter bei rund 50 Veranstaltungen jährlich auf unterschiedlichste Art und Weise schulen oder informieren zu lassen und damit Wissen und Know-how anzueignen um im Markt bestehen zu können bzw. das Unternehmen weiterentwickeln zu können. Bevor eine neue Dienstleistung «auf den Markt» kommt wird diese regelmäßig von Expertengruppen, aus Mitarbeitern von Mitgliedsfirmen und Geschäftsstelle zusammengesetzt, evaluiert. D. h., dass z. B. die neu eingeführte Schriftenreihe des agvChemie «Arbeitsrechtliche Hinweise für die betriebliche Praxis», die sich insbesondere an die mittelständischen Unternehmer richtet, sowohl von Experten als auch von der Zielgruppe besprochen und beurteilt wurde, um dann lanciert zu werden. D. h. z. B., dass die Seminare – sowohl die längst eingeführten wie auch neu einzuführende – einmal jährlich in einer Expertengruppe von Personalleitern und Ausbildern evaluiert und weiterentwickelt werden. Die Mitglieder werden also in ein «Qualitätsmanage-
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Alexander R. Zumkeller
ment» mit einbezogen (wenngleich es ein Qualitätsmanagement im eigentlichen Sinne im agvChemie bislang nicht gibt). Ein wichtiges Entwicklungsziel war auch die Pflege und Verbesserung des VerbandsImages. Dazu gehörte zunächst, dass die Leistungen des Verbandes auch kommuniziert werden. In der Vergangenheit hatte der agvChemie, wie wohl jeder Verband, einen schriftlichen Jahresbericht – «Elemente». «Elemente» war vergangenheitsgerichtet – wie es ein Geschäftsbericht eben nun zu sein hat. Sowohl personell als auch finanziell hat die Erstellung des Jahresberichtes «Elemente» erhebliche Ressourcen verbraucht. Meinungen, Kommentare, zukunftsgerichtete Hinweise konnten – da es sich ja um einen Rechenschaftsbericht handelte – nicht eingebracht werden. Ob und in welchem Umfang «Elemente» von der Zielgruppe gelesen wurde ist eine Frage, der nie nachgegangen wurde. Initiiert durch ein Inhouse-Seminar, ebenfalls in Zusammenarbeit mit dem VMI, und basierend auf dem Entwicklungskonzept des Vorstandes wurde die Ablösung des Jahresberichts durch die Vierteljahres-Zeitschrift des agvChemie mit dem Namen «komprimiert» umgesetzt. Nun erhalten alle Mitgliedsfirmen (und weitere Stakeholder) vierteljährlich Informationen vom agvChemie. «komprimiert» enthält auch Bestandteile eines «klassischen» Rechenschaftsberichts, ist aber aufgewertet um Informationen, die in der Zukunft liegen (etwa künftige Seminare und Veranstaltungen) und politische Kommentare (etwa des Vorstandsvorsitzenden). Entscheider – also Geschäftsführer, die über Eintritt, Verbleib oder gar Austritt aus dem Verband entscheiden – erhalten so vierteljährlich einen «Reminder» auf ihren Schreibtisch. Format, Aufmachung, Farbgestaltung sind zusammen mit B’VM und einer Werbeagentur entwickelt worden und dürfen als «professionell» bezeichnet werden.
«Es hat sich etwas getan» Last but not least wollte der agvChemie auch nach außen hin deutlich machen, «dass sich etwas getan» hat. Es bot sich an, das «in die Jahre geratene» und von etlichen Seiten bemängelte Logo (vgl. Abbildung 7) zu überarbeiten. Das bisherige Logo war nur schwer zu lesen und vermittelte keinen Bezug zur Chemie und zum Land BadenWürttemberg.
Abbildung 7: Das alte Logo des Verbands
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Management in einem sozialpolitischen Solidarverband
In einem «beauty contest» wurden 2 Agenturen beauftragt, Entwürfe für ein neues Logo zu entwickeln. Im Pflichtenheft war z. B. vorgegeben worden, dass der in Mitgliederkreisen üblichen Bezeichnung «AGV» Rechnung getragen wird, die Verbindung zur Chemie (auch zum bereits erwähnten VCI und Chemie-Verbände) Rechnung getragen wird, wie auch der regionale Aspekt hinreichend berücksichtigt wird. Entwickelt wurde unter diesen Vorgaben die Wortbildmarke «agvChemie BadenWürttemberg» (vgl. Abbildung 8).
Abbildung 8: Das neue Logo der Wortbildmarke «agvChemie Baden-Württemberg e. V.»
Gemeinsam mit dem Relaunch der Rundschreiben, der Verbreitung des Leitbildes, der Veröffentlichung der ersten Broschüren aus der Reihe «Arbeitsrechtliche Hinweise für die betriebliche Praxis» sowie «komprimiert» war nun ein einheitlicher Auftritt nach einem klaren CI-Konzept gesichert, der auch die Nähe zu der gemeinsamen Einrichtung «Chemie-Verbände» verdeutlicht.
5
Ausblick
Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten machen auch vor der chemischen Industrie Baden-Württembergs nicht Halt. Umstrukturierungen in Unternehmen und Neugliederungen von Konzernen gehören mehr denn je zum Tagesgeschäft. Die Beratung und das Know-how des agvChemie wird also in Zukunft mehr denn je benötigt werden; der agvChemie wird sich dabei aber immer stärker gegen Marktanbieter, die die Vorteile eines Verbandes längst begriffen haben, behaupten müssen. Noch höhere Identifikation der Mitglieder mit «ihrem» Verband wird dabei ebenso hilfreich sein wie die Qualifikation der Geschäftsstellenmitarbeiter zu Beratern, die nicht nur über das «rechtliche Know-how» verfügen, sondern vielmehr praktische und pragmatische, branchentypische Lösungsansätze anbieten können. Wertvoll ist in diesem Zusammenhang einerseits Erfahrung und andererseits Vertrauen, das über lange Jahre hinweg sich zwischen den Akteuren auf allen Seiten (also Mitglied, Betriebsrat, Gewerkschaft) entwickelt. Noch stärkeres Augenmerk als schon bislang wird daher der Personalentwicklung in der Geschäftsstelle gewidmet werden müssen.
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Alexander R. Zumkeller
«Solidarität» wird heute nicht mehr wie im 19. Jahrhundert verstanden. Streiks sind weniger und weniger geeignete Mittel, Forderungen durchzusetzen, wie sich in den letzten Jahren in einer großen Branche in Deutschland gezeigt hat. Wenngleich die Arbeitskampffähigkeit und grundsätzliche Bereitschaft hierzu unabdingbar ist, muss erkannt werden, dass Arbeitskämpfe innerhalb der immer umfassenderen Globalisierung und des damit verbundenen Wettbewerbs verschiedener Standorte auch eines Konzerns mittel- oder sogar kurzfristig erheblichen Schaden bewirken können. Die Sozialpartner in der chemischen Industrie jedenfalls haben, auch wenn es selbstverständlich immer Meinungsunterschiede geben wird, verstanden, dass es gilt, das gemeinsame Interesse zu finden, die Mitglieder beider Organisationen – also Unternehmen wie Arbeitnehmer – im Wettbewerb bestehen zu lassen, Unternehmensstandorte zu sichern und nur damit auch Arbeitsplätze – statt auf politischen Positionen zu beharren. Die Wertvorstellungen und die Zwecksetzung haben sich also in den letzten 100 Jahren erheblich gewandelt (vgl. Abbildung 9).
Abbildung 9: Wertvorstellungen im Wandel der Zeit
Zeitgeist Wertvorstellungen
Verbands-Kultur Vision: Solidarität
Verbands-Philosophie
Unternehmenspersönlichkeit
Verbands-Politik
Verbands-
Entwicklungs- Reife-
gründung
phase
Zeit
Krise (?) phase
Dementsprechend wird der «klassische Arbeitgeberverband», wie er in den 50er- oder 60er-Jahren verstanden wurde, immer weniger gefragt sein. An seine Stelle tritt der Bedarf der Mitglieder an einen modernen Dienstleister. Aber nicht nur: denn alleine als Dienstleister wird die Frage nach der Existenzberechtigung zu stellen sein, diese Funktion könnte jede Profit-Unternehmensberatung anbieten. Der Verbandsphilosophie wird neben der mitgliedschaftlichen und damit vertrauteren Bindung demnach eine «neue Solidarität» hinterlegt werden müssen. Erste Schritte dazu sind bereits getan: Die Nutzung gesetzlicher Öffnungsklauseln durch die Tarifparteien lässt zu, dass bestimmte Themen nicht mehr ohne branchengerechte Differenzierung vom Staat übergestülpt werden, sondern branchenspezifisch durch die Tarifparteien, die sachnäher die Umstände beurteilen und Regelungen ver-
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Management in einem sozialpolitischen Solidarverband
einbaren können: zu nennen sind hier etwa die Altersvorsorge und die Berufsausbildung. Innerhalb der EU spielt der Subsidiaritätsgedanke längst eine große Rolle, etliche europäischen Richtlinien konnten durch Sozialpartnervereinbarungen bereits abgewandt werden – für die Chemie ist hier insbesondere die Errichtung europäischer Betriebsräte zu nennen, die längst vor der entsprechenden Gesetzgebung freiwillig installiert wurden. Anforderung an den Gesetzgeber ist demnach, den Tarifparteien Regelungsspielräume in denjenigen Bereichen zu überlassen, in denen sie ein mehr an Know-how und Sachnähe einbringen sowie branchenspezifische Lösungen aus ihrer Sachkunde heraus entwickeln können. Weitere Informationen über die Chemieverbände: http://www.sozialpartner.de, http://www.bavc.de.
http://www.chemie.com,
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Erfolgreiches Verbandsmanagement - Beispiel des Dachverbandes Angestellte Schweiz
Vital G. Stutz und Karin Mühlebach-Grundler
Erfolgreiches Verbandsmanagement Beispiel des Dachverbandes Angestellte Schweiz Anwalt und Stimme der Angestellten
Überblick .......................................................................................................................... 327 1
Der Verband Angestellte Schweiz im Überblick......................................................... 328
2
Geschichte des Verbandes – 88 Jahre Einsatz für die Angestellten.......................... 330 2.1 Die Angestellten-Vereinigungen des VSAM – wichtiges Bindeglied ............ 331 2.2 Die Angestellten-Vereinigungen des VSAC – dem Fortschritt verpflichtet.. 334
3
Organisation und Struktur der Angestellten Schweiz............................................... 335 3.1 Vorstand im Milizsystem...................................................................................... 336 3.2 Professionelle Geschäftsstelle .............................................................................. 336
4
Erfolgsfaktoren der Angestellten Schweiz................................................................... 337 4.1 Eigenständiges Selbstverständnis – Abgrenzung zu den Gewerkschaften... 338 4.2 Attraktive Mitgliederbeträge dank solider Finanzierung................................ 341 4.3 Vertriebskanäle der Angestellten Schweiz ......................................................... 341 4.4 Maßgeschneidertes Dienstleistungsportfolio .................................................... 343 4.5 Kontinuierliche, zielgerichtete Kommunikation............................................... 347
5
Ausblick ............................................................................................................................ 348
325
Erfolgreiches Verbandsmanagement - Beispiel des Dachverbandes Angestellte Schweiz
Überblick Die Angestellten Schweiz sind seit bald 90 Jahren der Dachverband von gut 80 Angestellten-Vereinigungen (AV) mit rund 27.000 Angestellten, die insbesondere in den Branchen Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM) sowie Chemie/Pharmaindustrie beheimatet sind.
Die Angestellten Schweiz verstehen sich nicht als traditionelle Gewerkschaft, sie verzichten auf zentralistische oder bürokratische Strukturen. Die Delegierten der AV legen an der Delegiertenversammlung (DV) die wichtigsten Positionen fest, und ein kleiner von der DV gewählter Miliz-Vorstand besorgt die strategische Planung, während eine professionelle Geschäftsstelle für die effiziente Umsetzung sorgt und die laufenden Geschäfte führt.
Die Angestellten Schweiz sind (partei-) politisch und konfessionell unabhängig, sie kennen keine Funktionäre. Die Mitarbeitenden der Geschäftsstelle sehen sich als Fachspezialisten: sie beraten und unterstützen die Mitglieder nach dem Grundsatz «Hilfe zur Selbsthilfe» und vertreten sie wo nötig und erwünscht. Anders als Gewerkschaften stehen die Angestellten Schweiz dogmatischen oder ideologischen Postulaten ablehnend gegenüber. Sie treten vielmehr pragmatisch und lösungsorientiert auf.
Die föderale Struktur der Angestellten Schweiz wird durch die AV gebildet. Diese sind fest in ihren jeweiligen Unternehmen verankert und werden je von einem qualifizierten Vorstand geleitet. Sie sorgen dafür, dass geeignete Mitarbeitende in die Personalvertretung (PV) ihres Betriebes delegiert werden.
Die PV, der auch Gewerkschaftsmitglieder und nicht organisierte Mitarbeitende angehören können, ist der Verhandlungspartner der Geschäftsleitung auf Betriebsebene, zum Beispiel für innerbetriebliche Lohnverhandlungen.
PV und AV-Vorstände werden von den Angestellten Schweiz speziell ausgebildet, beraten und unterstützt. Dabei vertreten die Angestellten Schweiz in enger Zusammenarbeit mit den lokalen AV die Interessen der Angestellten im Betrieb, während der Dachverband die ihm angeschlossenen AV und PV koordiniert und vernetzt und gesamtschweizerisch sowie in der Bundeshauptstadt Bern auftritt und verhandelt.
Nachdem in den letzten Jahrzehnten Grundanliegen wie Arbeitszeit, Ferien, Lohn, Unfall-/ Krankentaggeld etc. angemessen geregelt und weiter entwickelt werden konnten, geht es in Zukunft vor allem um faire Lösungen bei Flexibilisierungen oder Restrukturierungen sowie um Verbesserungen qualitativer Art in Bereichen wie Weiterbildung, Arbeitszeit oder Gesundheitsförderung.
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Vital G. Stutz und Karin Mühlebach-Grundler
1
Der Verband Angestellte Schweiz im Überblick
Der Verband Angestellte Schweiz bezweckt ganz allgemein, die Interessen aller Angestellten zu vertreten mit dem Ziel, die Arbeitsverhältnisse für sie zu verbessern und ihre wirtschaftliche, politische, soziale und rechtliche Stellung im Unternehmen und in der Gesellschaft zu stärken (Artikel 2 der Statuten). Die Angestellten Schweiz sind die stärkste Arbeitnehmendenorganisation der Branchen Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM) sowie Chemie-/ Pharmaindustrie in der Schweiz mit rund 27.000 Angestellten als Mitglieder – das sind über 50 Prozent der organisierten Angestellten in diesen 2 zentralen exportorientierten schweizerischen Schlüsselbranchen. Aktiv werden zudem die Branchen Elektrizitätswirtschaft und IT/Kommunikation bearbeitet. Die Grosszahl dieser Mitglieder gehört einer von zurzeit rund 80 Angestelltenvereinigungen (AV) an (gemäss Art. 4 der Statuten fassen diese Mitgliedorganisationen der Angestellten Schweiz die Einzelmitglieder eines Unternehmens, einer Gruppe von Unternehmen, einer Region oder eines Berufs zusammen mit dem Zweck der gemeinsamen Interessenwahrung. Die darin organisierten Angestellten sind zugleich Mitglieder der Angestellten Schweiz). Aufgaben des Verbandes sind insbesondere:
die Unterstützung, Beratung und Vertretung der AV und Einzelmitglieder, die Unterstützung zum Aufbau von neuen AV, die Führung von Verhandlungen und Gesprächen mit Organisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, mit Unternehmen und Behörden,
die Verhandlung, Abschluss und Überwachung von (Gesamtarbeits-) Verträgen und Vereinbarungen in einzelnen Branchen und Unternehmen,
die Entwicklung von attraktiven Dienstleistungen für AV und Einzelmitglieder, die Förderung des Informationsaustausches und des Dialogs unter den AV und Einzelmitgliedern,
die Förderung der mitunternehmerischen Kompetenzen der Angestellten auf allen Stufen, insbesondere durch spezifische Weiterbildungsangebote und
die Mitgestaltung der schweizerischen Angestelltenpolitik, insbesondere die Entwicklung und Koordination von Stellungnahmen der Angestellten zu wichtigen volks- und betriebswirtschaftlichen, arbeitsrechtlichen sowie wirtschafts-, finanzund sozialpolitischen Fragen.
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Erfolgreiches Verbandsmanagement - Beispiel des Dachverbandes Angestellte Schweiz
Der Verband spricht damit insbesondere diejenigen Personen im Arbeitsleben an, die eher gut qualifiziert sind, also eine Lehre, Fachhochschule oder Hochschule absolviert haben und zudem an Weiterbildung oder Karriere interessiert sind. Überdurchschnittlich viele Mitglieder werden dem Kader zugerechnet (vgl. Abbildung 1).
Abbildung 1: Mitgliederstruktur Angestellte Schweiz1
über 55 Jahre 21%
bis 30 Jahre 11%
Hochschule plus Zusatzausbildung 48%
kein Berufsabschluss 1% Berufslehre (2 Jahre) 4%
46 - 55 Jahre 27%
Hochschule 3% Fachhochschule 5%
31 - 45 Jahre 41%
Mitarbeitende ohne Führungsfunktion 36%
über 9000 14%
mittleres und höheres Kader 9%
Berufslehre (3 oder 4 Jahre) 25%
Berufslehre plus Spezialausbildung 14%
bis 5000 11%
5000 - 5999 14%
unteres Kader 21%
8000 - 8999 16%
Spezialisten ohne Führungsfunktion 34%
6000 - 6999 22% 7000 - 7999 23%
Heute sind die Angestellten Schweiz führender Sozialpartner bei der Aushandlung, Umsetzung und Weiterentwicklung des traditionsreichen Gesamtarbeitsvertrages (GAV) der Maschinenindustrie und weiteren GAV. Sie sind in zahlreichen eidgenössischen Kommissionen vertreten und verfügen über ein großes Netzwerk zu Persönlichkeiten in Politik, Wirtschaft, Medien, Wissenschaft und Forschung. Die Angestellten Schweiz bringen aktiv konkrete Lösungsvorschläge in die politische Meinungsbildung ein, sie fördern das Vertrauen in die gelebte Sozialpartnerschaft und damit in den Werkplatz Schweiz. Die Angestellten Schweiz unterstützen mit Studienaufträgen 1
Laut Salärvollerhebung VSAM aus dem Jahr 2003.
329
Vital G. Stutz und Karin Mühlebach-Grundler
zu wichtigen Fragen der Arbeitswelt und der Personalpolitik die Weiterentwicklung von fairen Arbeitsbedingungen, sie sorgen mit einer offenen und zeitgerechten Kommunikation für Gehör bei Mitgliedern, bei Arbeitgebenden und in der Öffentlichkeit. Die Angestellten Schweiz haben sich in Anlehnung an das Freiburger ManagementModell für Nonprofit-Organisationen (NPO) organisiert. Dem Aufbau der nötigen Führungsinstrumente, ihrem gut durchdachten Einsatz und ihrer Weiterentwicklung wurde und wird eine hohe Beachtung geschenkt.
2
Geschichte des Verbandes – 88 Jahre Einsatz für die Angestellten
Nach dem Ende des 1. Weltkrieges wurde zwischen einer konservativ-reaktionären Arbeitgeberschicht und einer revolutionären Arbeiterbewegung erbittert gekämpft. Deren materielle und soziale Not war groß. Die Angestellten – damals die im Monatslohn Beschäftigten, im Gegensatz zu den im Tages- oder Wochenlohn bezahlten Arbeitern – wollten für sich auch gerechtere Arbeitsbedingungen erlangen, konnten sich aber kaum Gehör verschaffen, da sie, die doch «in einem besonderen Vertrauensverhältnis» zur Betriebsleitung standen, bis anhin schlecht organisiert waren. So kam es, dass die je in autonomen Hausverbänden – das sind firmenbezogene Angestelltenvereine, der typischen Organisationsform der Angestellten seit der 1848 in der schweizerischen Bundesverfassung gewährleisteten Vereinsfreiheit – vereinigten Angestellten der Maschinen- und Elektroindustrie sich 1918 zum «Kartell der schweizerischen Angestelltenvereine der Maschinenindustrie und verwandter Industrien S.A.V.M.» zusammen schlossen. Die Hausverbände nahmen die betriebliche Orientierung vieler Angestellten auf und versuchten deren Mitsprache- und Verhandlungsanspruch in betriebsbezogene Interessenvertretung umzusetzen. Zudem betätigten sie sich wie Einkaufsgenossenschaften in der vergünstigten Warenvermittlung für die Angestellten, um deren Lebenshaltungskosten so zu senken. In diesen Jahren fand dementsprechend eine Gründungswelle von neuen Hausverbänden (z. B. Escher Wyss, Sulzer, BBC, von Roll etc.) statt. 1920 wurde der Kartellvertrag in Verbandsstatuten umgewandelt, der Verband Schweizerischer Angestelltenvereine der Maschinen- und Elektroindustrie (VSAM) erhielt seinen Namen. Er hatte es sich zum Ziel gesetzt, bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen zu erreichen, und zwar im Frieden mit den Arbeitgebern und den Berufsverbänden. 1918 kam so der erste landesweite Gesamtarbeitsvertrag für Angestellte, die «Berner Übereinkunft» zustande. Dieser wurde 1919 auch vom Arbeitgeberverband der Schweizer Maschinenindustrie (ASM) ratifiziert, doch war dem Vertrag nur eine kurze Lebensdauer vergönnt. Schon damals entwickelte der VSAM eine Programmatik zur Rationa330
Erfolgreiches Verbandsmanagement - Beispiel des Dachverbandes Angestellte Schweiz
lisierung: Die verbesserte Leistungsmotivation der Angestellten steigert die Produktivität, stärkt die betriebliche Ertragslage und beugt damit den wegen des Kostendrucks drohenden Abbaumaßnahmen vor. Der VSAM erlebte einen raschen Aufschwung, der nur durch die Wirtschaftskrise der 1930er Jahre unterbrochen wurde. Betriebsschließungen und massive Personalentlassungen führten zur Auflösung von einigen Mitgliedsverbänden. Nach 1945 führte die zahlenmäßige Zunahme der Firmen und Angestellten wieder zur Gründung neuer Hausverbände. Die Kontakte mit dem Arbeitgeberverband ASM wurden intensiviert und durch den Abschluss einer Grundsatzvereinbarung abgesichert: 1958 wurde eine Vereinbarung über die gegenseitige Zusammenarbeit zwischen dem ASM einerseits und dem VSAM, dem Schweizerischen Kaufmännischen Verband (SKV) und dem Schweizerischen Werkmeisterverband (SWV), später Schweizerische Kaderorganisation (SKO), andererseits – das so genannte Angestelltenabkommen – abgeschlossen. Es bewährte sich 30 Jahre lang parallel zum so genannten Friedensabkommen zwischen Gewerkschaften und ASM. Damit wurde der VSAM faktisch als Vertragspartner des ASM anerkannt. Ein weiterer Ausbau der vertraglichen Beziehungen gelang 1969 mit der Aushandlung verbindlicher Verabredungen und 1971 mit der Erweiterung des Grundsatzabkommens von 1958. Parallel zu den jeweiligen Verhandlungen der Gewerkschaften um die Erneuerung und Erweiterung des Friedensabkommens wurde das Angestelltenabkommen 1974 und 1978 ebenfalls ausgeweitet.
2.1
Die Angestellten-Vereinigungen des VSAM – wichtiges Bindeglied
Die Stellung der Angestellten-Vereinigungen als anerkannte Vertretungen der Angestellten wurde durch die 1972 mit dem Arbeitgeberverband ASM abgeschlossene Vereinbarung über die Mitwirkung der Angestellten im Betrieb verstärkt. Damit war das ursprüngliche Ziel nach Erringung eines genügenden Mitspracherechts der Angestellten erreicht. 1988 wurden das Angestelltenabkommen der Angestelltenverbände und das Friedensabkommen der Gewerkschaften zu einem Einheitsvertrag, der «Vereinbarung in der Maschinenindustrie» zusammengeführt. Das hatte zur Folge, dass Arbeiter und Angestellte die gleichen Arbeitsbedingungen hatten und beim VSAM in Konkurrenz zu den Gewerkschaften Mitglied werden konnten. Diese strebten offen eine Ausweitung ins Angestelltensegment an. Jetzt erwies sich die dezentrale Struktur des VSAM als Vorteil: Die Nähe der Angestellten-Vereinigung zum Angestellten als Mitglied aber auch zur Firmenkultur, das bewusste Anstreben von pragmatischen, innerbetrieblichen Lösungen sowie der auf effiziente Leistungen ausgerichtete niedrige Mitgliederbeitrag trugen dazu bei, dass sich während der vergangenen 15 Jahre die Mehrheitsverhältnisse auf Seiten der Arbeitnehmendenverbände umkehrten (vgl. Abbildung 2).
331
Vital G. Stutz und Karin Mühlebach-Grundler
Abbildung 2: Anzahl der GAV-unterstellten Mitglieder der Arbeitnehmerverbände im GAV der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie gemäß den eingereichten Solidaritätsbeitragsausweisen 1992 – 20052 30'000 VSAM 1) 25'000
UNIA 2) 20'000
SYNA 3)
15'000
10'000 SKV
5'000 SKO 0 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005
VSAM = Verband Schweizerischer Angestelltenvereine der Maschinen- und Elektroindustrie, ab 2006 Angestellte Schweiz UNIA
= Interprofessionelle, größte Gewerkschaft der Schweiz; bis 2001 SMUV
SYNA
= zweitgrößte Allbranchengewerkschaft der Schweiz; bis 1998 CMV und LFSA
SKV
= Schweizerischer Kaufmännischer Verband
SKO
= Schweizerische Kaderorganisation
Natürlich war der VSAM, wie alle Verbände in den 80er und 90er Jahren, vom immer rasanteren Strukturwandel in der Industrie herausgefordert. Er hat schon früh jedes Mitglied mit einer Kollektiv-Rechtsschutz-Versicherung gegen die Risiken von Streitfällen im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht abgesichert.
2
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Laut Swissmem.
Erfolgreiches Verbandsmanagement - Beispiel des Dachverbandes Angestellte Schweiz
Seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts veränderten sich die Industrieunternehmen der Schweiz in immer schnellerer Kadenz. Die bis dahin sehr homogenen Industriebranchen verloren ihre klaren Abgrenzungen. Die Trends in Richtung Automatisierung, Miniaturisierung, Elektronifizierung, Diversifikation und später Fokussierung auf Kernkompetenzen, Internationalisierung und Globalisierung mit Verlagerung in neue Märkte, die neue IT- und Kommunikationstechnologie – um nur einiges zu nennen – führten zu zahllosen Firmenrestrukturierungen und zu neuen Geschäftsmodellen. Sie hatten aber auch den seltenen Auf- und häufigem Abbau von Mitarbeitenden, die Verflachung von Hierarchien und die Verlagerung von Kompetenzen sowie die Neudefinition von Prozessen und Anforderungen an die Mitarbeitenden zur Folge. Der Ruf nach permanenter Weiterbildung wurde stärker, viele industrielle Lehren wurden völlig überarbeitet oder neu definiert. Als Folge dieses rasanten Wandels war in diesen anderthalb Jahrzehnten in der Maschinenindustrie ein starker Arbeitsplatzabbau von gut 25 Prozent zu verzeichnen: Waren 1988 noch rund 170.000 Mitarbeitende dem GAV der MEM-Industrie unterstellt, belief sich diese Zahl im Jahre 2004 auf gut 120.000 Mitarbeitende. Durch (Früh-) Pensionierungen und Entlassungswellen gingen auch dem VSAM Mitglieder verloren. Der Verband reagierte darauf in vierfacher Hinsicht: 1. Er intensivierte die juristischen Einzelberatungen und verstärkte seine Stellung als Sozialpartner. Er baute seinen Rechtsdienst aus, um so AV und PV bei der Aushandlung von Vereinbarungen für umfassende soziale Begleitmaßnahmen in den Firmen aktiv zu unterstützen. Im Wissen, dass Arbeitslosigkeit in jeder Hinsicht belastend ist und längerfristig zur finanziellen und sozialen Verarmung führt, legte der VSAM bei diesen Sozialplänen größten Wert darauf, dass damit möglichst vielen von einer Restrukturierung Betroffenen nach dem Motto «Arbeit vor Geldabfindung» wieder zu einer Anstellung verholfen werden konnte. 2. Der VSAM war schon immer auf die gut ausgebildeten Angestellten ausgerichtet. Ihr Interesse an einer angemessenen, auch vom Betrieb unterstützten Weiterbildung ist beachtlich. Deshalb war es dem VSAM schon seit langem wichtig, dass die Angestellten ein im GAV verankertes Recht auf berufliche Weiterbildung erhalten. Dieses muss genügend konkretisiert sein, damit es sich in der spezifischen Situation des einzelnen Angestellten im Betrieb gegenüber den Vorgesetzten und dem Personaldienst auch durchsetzen lässt. Der VSAM brachte darum Mitte der 90er Jahre das Recht auf Weiterbildung und die Arbeitsmarktfähigkeit als zentrales Ziel dieser Weiterbildung in den GAV ein. 3. Der VSAM hat schon seit langem Einzelmitglieder zugelassen, allerdings nur aus Firmen, in denen es keine Angestellten-Vereinigung gab. Zudem musste die Arbeitgeberfirma in der MEM-Branche tätig sein. Dies führte nicht selten dazu, dass ein seine Firma verlassender Mitarbeitender nicht mehr Mitglied des Verbandes bleiben konnte. Mitte der 90er Jahre wurde beschlossen, die bisherige Branchenre-
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Vital G. Stutz und Karin Mühlebach-Grundler
striktion fallen zu lassen. Der Verband hat deshalb zunehmend Mitglieder aus allen Branchen der schweizerischen Wirtschaft. 4. Die dezentralen Angestellten-Vereinigungen prägen den Zentralverband. Dieser setzt sich seit Mitte der 1990er Jahre mit großen Kräften dafür ein, die durch Restrukturierungen geschwächten Angestellten-Vereinigungen zu stärken, neue aktiv zu gründen und aufzunehmen. Dazu hat er eine eigene Abteilung für die regionale Verbandsarbeit aufgebaut.
2.2
Die Angestellten-Vereinigungen des VSAC – dem Fortschritt verpflichtet
Am 12. August 1993 wurde der VSAC als Verband Schweizerischer Angestelltenvereine der Chemie-/Pharmaindustrie von den 5 Hausverbänden der Ciba-Geigy und der Sandoz mit über 9.000 Mitgliedern gegründet. 1996 erfolgte die Fusion von Sandoz und Ciba-Geigy zur Novartis und damit begann der totale Umbau der Chemie- und Pharmaunternehmen. Dank des VSAC gab es geeignete Strukturen, um sofort wirkungsvoll reagieren zu können. Er schuf eine qualifizierte Stelle, um Fusionsopfer zu beraten und die ihm angeschlossenen Verbände beim Fusionsprozess zu unterstützen. Mit der Einführung der obligatorischen Rechtschutzversicherung im Bereich des Arbeitsrechts – analog und in Absprache mit dem VSAM – schuf der VSAC damals einen direkten Kontakt zu den einzelnen Mitgliedern der Angestellten-Vereinigungen. Denn zuvor entwickelte der VSAC als Dachverband politische Strategien und handelte im Auftrag aller Angestellten-Vereinigungen, welche ihrerseits alleine die Einzelinteressen des individuellen Mitglieds berücksichtigten und abdeckten. Diese Nähe zum einzelnen Mitglied wurde zudem durch den Aufbau einer eigenen Verbandszeitschrift unterstrichen. Die weiter zunehmende Dichte an Fällen verlangte jedoch immer höhere Leistungen mit entsprechenden Bereitschaftskosten für den Verband. Die Einsicht, dass im Grundsatz die Bedürfnisse der Mitglieder in VSAC und VSAM ähnlich lagen und die Weitsicht, dass die beanspruchten Verbandsleistungen wohl effizient nur in einer gemeinsamen Organisation erbracht werden können, führte den Vorstand des VSAC dazu, mit dem VSAM über einen möglichen Zusammenschluss zu sprechen. Nach 2jähriger intensiver Vorbereitung schlossen sich am 14. Januar 2006 der VSAM und der VSAC offiziell zum neuen Verband Angestellte Schweiz, zur stärksten Arbeitnehmerorganisation in den beiden wichtigsten Exportbranchen, zusammen. Jetzt geht es vor allem um die gegenüber klassischen Gewerkschaften klar abgegrenzte Positionierung des Verbandes als Marke – dies sowohl in der Öffentlichkeit und Politik als auch bei bestehenden und potenziellen Mitgliedern sowie nicht zuletzt auch bei allen Sozialpartnern. Zudem setzt sich der Verband für seinen weiteren Ausbau, insbesondere aber auch für den Erhalt des Erreichten und für Verbesserungen qualitativer Art
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Erfolgreiches Verbandsmanagement - Beispiel des Dachverbandes Angestellte Schweiz
ein. Die Angestellten Schweiz engagieren sich für mehr und besser geregelte Mitwirkung in Firmen, Mitgestaltung und Eigenverantwortung am Arbeitsplatz, Information, Weiterbildung und Aufstiegsmöglichkeiten. Auf die konkreten Dienstleistungen wird im Kapitel 4 näher eingegangen.
3
Organisation und Struktur der Angestellten Schweiz
Als moderner Verband arbeiten die Angestellten Schweiz mit einem einfachen System von ehrenamtlichen Milizorganen (DV, Vorstand, Delegationen) und einer vollamtlichen, professionell geführten Geschäftsstelle.
Abbildung 3: Organisation Angestellte Schweiz3
Mitgliederbasis (Angestelltenvereinigungen/ Einzelmitglieder)
Delegiertenversammlung
Revisionsstelle
Delegationen
Branchenkonferenzen MEM und Chemie
Vorstand
Travail Suisse Paritätische Bildungskommissionen
Operative Geschäftsleitung
3
Laut der Website Angestellte Schweiz.
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Vital G. Stutz und Karin Mühlebach-Grundler
3.1
Vorstand im Milizsystem
In den Milizorganen stehen dem Verband nach Anforderungsprofil ausgesuchte und ausgebildete Persönlichkeiten aus den AV während meist mehreren, 4jährigen Amtsperioden zur Verfügung. Der Vorstand (Präsident, Vizepräsident, Vorstandsmitglieder) ist das strategische Organ und verantwortlich für die Entwicklung und Steuerung des Verbandes sowie für die Vorbereitung und Kontrolle der von der Delegiertenversammlung behandelten Geschäfte. Zur Führung des Verbandes gibt sich der Vorstand die nötigen Führungsinstrumente wie Leitbild, Strategien, Konzepte, Mehrjahres- und Jahrespläne sowie Reglemente. Er sorgt für die Konzeption, Ausführung und Kontrolle der erwähnten Aufgaben. Dazu gehören insbesondere
die Ausrichtung der Verbandspolitik, die Definition der mittel- und langfristigen Verbandsziele, der Abschluss von Gesamtarbeitsverträgen und die Zusammenarbeit mit anderen Verbänden. Die enge Zusammenarbeit zwischen strategischer (Vorstand) und operativer Ebene (Geschäftsstelle/operative Geschäftsleitung), beziehungsweise zwischen Miliz- und Profiorganisation erlaubt es, rasch, effizient und nah am Kunden (Mitglied) zu arbeiten.
3.2
Professionelle Geschäftsstelle
Zur Umsetzung ihrer Ziele haben die Angestellten Schweiz ihre Verbandsstrukturen in den letzten 10 Jahren schrittweise modernisiert und eine professionelle, schlank organisierte Geschäftsstelle mit rund 20 Mitarbeitenden aufgebaut. Sie stellt als exekutives Organ die zeitgerechte und qualitativ gute Umsetzung dieser strategischen Ziele sicher. Sie ist ein Kompetenzzentrum mit qualifizierten Fachleuten, welches die zentralen Abteilungen wie Rechtsberatung, Finanz/Administration, Marketing und Medien, Weiterbildung sowie die Abteilung Regionale Verbandsarbeit mit 4 Regionalbüros in Basel, Olten, Winterthur und – für die französischsprachige Schweiz – Lausanne umfasst. Die Geschäftsstelle unter Leitung eines Geschäftsführers ist ausführendes Organ des Verbandes. Sie verantwortet alle Aufgaben, die nicht ausdrücklich einem anderen Verbandsorgan vorbehalten sind. Dies sind insbesondere:
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Erfolgreiches Verbandsmanagement - Beispiel des Dachverbandes Angestellte Schweiz
die umfassende Vertretung der Angestellteninteressen, die Unterstützung, Beratung und Vertretung der Mitgliedorganisationen, ihrer Mitglieder und der Einzelmitglieder, insbesondere in Rechtsfragen und beim Vollzug von Gesamtarbeitsverträgen,
die Entwicklung, Verhandlung und Kontrolle von Gesamtarbeitsverträgen, die Führung der Verwaltung und der Infrastruktur des Verbandes insbesondere der Buchhaltung, des Mitgliederverzeichnisses und der Protokolle,
die Ausarbeitung von Gutachten und Stellungnahmen sowie Durchführung von Konsultationen insbesondere in Fragen des Arbeits- und Sozialversicherungsrechtes, der Betriebs- und Volkswirtschaft und der Sozialpolitik,
die Schulung von Angestelltenvertretern/innen und Mitgliedern, die Information, Öffentlichkeitsarbeit und Mitgliederwerbung, die Herausgabe der Verbandszeitschrift sowie anderer Publikationen, die Erbringung von Dienstleistungen und Durchführung von Projekten zugunsten der Mitglieder und
die Entwicklung von Geschäften, Plänen, Projekten, Berichten und Strategien zur Entscheidungsreife zuhanden des Vorstandes und der anderen Verbandsorgane. Die Tätigkeit der Geschäftsstelle wird geregelt durch Organigramm, Pflichtenhefte, Ziel- und Leistungsvereinbarungen sowie weitere Führungsinstrumente.
4
Erfolgsfaktoren der Angestellten Schweiz
Numerische Größe und schlanke Strukturen sind an sich kein Wert und auch nicht automatisch mit Stärke oder Erfolg gleichzusetzen. Es sind denn auch vor allem die nicht an Größe und Strukturen orientierten Werte und Überzeugungen, die den nachhaltigen Erfolg der Angestellten Schweiz sicherstellen. Der Verband unterstützt seine Mitglieder darin, eigenständig und kompetent zu sein und im Unternehmen die Interessen der Angestellten wirkungsvoll zu vertreten, damit die Arbeitsverhältnisse positiv, fair und motivierend mitgestaltet werden (vgl. Abbildung 4).
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Er setzt sich ein für die Sozialpartnerschaft und die Überzeugung, dass durch den kontinuierlichen, kreativen und konstruktiven Dialog unter Partnern, also Arbeitgebern und Arbeitnehmenden und schließlich die Politik, die die gesetzlichen Rahmenbedingen schafft, letztlich beiden Seiten optimal gedient ist. Dies – sowie die Distanz zu all jenen Kräften, die nicht den Menschen ins Zentrum stellen, sondern das schnelle Geld, den kurzfristigen Profit oder auch die Ideologie und die Macht als Selbstzweck – bildet die Basis für den nachhaltigen Erfolg des Verbandes.
Abbildung 4: Einflussfaktoren vs. Erfolgsfaktoren
4.1
Eigenständiges Selbstverständnis – Abgrenzung zu den Gewerkschaften
Die Angestellten Schweiz haben ein eigenständiges Selbstverständnis: Sie verstehen sich nicht als Gewerkschaft. Sie orientieren sich an sachlichen Lösungen und sind offen und interessiert an einer guten Zusammenarbeit auf allen Ebenen. Statt einen Zentralismus zu pflegen, stärkt und stützt der Verband die AV sowie die Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter vor Ort. Er fördert ihr Know-how, ihre Verhandlungs- und Kommunikationskompetenz. Kurz, er macht sie fit für ihre vielfältigen Aufgaben auf Betriebsebene. Die Angestellten Schweiz stärken und fördern ihre Autonomie und ihre Individualität als ihr Coach.
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Der Verband setzt dabei auf Sachverstand und Verhandlungsgeschick. Er wirkt pragmatisch mit, auch in den Kaderetagen. Sein Markenzeichen sind nicht extreme Positionen oder kämpferische Slogans, sondern eine verlässliche, verantwortungsbewusste und realistische Interessenvertretung. Das Motto lautet: Die Angestellten Schweiz – konsequent in der Haltung – sachlich im Dialog. Dass die Angestellten Schweiz damit Erfolg haben, hat der in der Maschinenindustrie im Dezember 2005 abgeschlossene Gesamtarbeitsvertrag unter Beweis gestellt. Damit wurden viele Errungenschaften bewahrt, für die Angestellten gute Ansätze weiter entwickelt und Verbesserungen erzielt. Der Verband gibt seinen Mitgliedern die nötige Sicherheit und den Schutz vor Übergriffen der Unternehmensleitung. Er fördert die Arbeitsmarktfähigkeit seiner Vertreterinnen und Vertreter und berät ihre Laufbahn. Denn nur ein erfolgreicher und autonomer Angestellter ist auch ein starker Interessenvertreter. Die Angestellten Schweiz setzen sich in erster Linie mit Wissen und Dialog, mit Leistung und Partnerschaft für ihre Ziele ein. Als fortschrittlicher Interessenvertreter sehen die Angestellten Schweiz die Arbeitnehmer als Mitunternehmende. Diese wollen als gut ausgebildete FacharbeiterInnen oder HochschulabsolventInnen in die für sie wesentlichen Entscheidungen mit einbezogen werden. Schließlich sind sie das wichtigste Kapital eines Unternehmens. Die Angestellten Schweiz denken und handeln als Mitunternehmer: kompetent, konstruktiv, sachgerecht und zukunftsgerichtet. Sie suchen nach kreativen, professionellen, pragmatischen und maßgeschneiderten Lösungen und pflegen den Dialog, gerade auch mit den Arbeitgebern. Dementsprechend sind die Angestellten Schweiz zurückhaltend mit pauschalen und dogmatischen Postulaten. Sie sind politisch, konfessionell und gegenüber Arbeitgebern und Gewerkschaften unabhängig. Dieses Selbstverständnis wird auch im Leitbild der Angestellten Schweiz abgebildet:
Box 1:
Leitbild der Angestellten Schweiz
Leistung und Partnerschaft – das Leitbild der Angestellten Schweiz Wir sind das Kompetenz- und Dienstleistungszentrum der Angestellten
Wir stärken die Kompetenz und Unabhängigkeit der Angestelltenvereinigungen, ihrer Vor-
stände und Mitglieder sowie der Personalvertretungen. Wir fördern ihre Autonomie und Eigenverantwortung.
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Vital G. Stutz und Karin Mühlebach-Grundler
Wir bieten dank einem breiten Netzwerk umfassende Dienstleistungen sowie kompetente
Beratung und Unterstützung in unternehmens- und branchenspezifischen, rechtlichen sowie betriebswirtschaftlichen Fragen.
Wir nutzen unsere Mitgliederstärke und bieten kollektive Vergünstigungen und Vorteile materieller Art.
Wir vertreten die Interessen der Angestellten. Wir machen uns stark für die sozialen, rechtlichen, wirtschaftlichen und sachpolitischen Anlie-
gen der Angestellten und vertreten sie wirkungsvoll bei Arbeitgebern, in Politik, Wirtschaft und in der Öffentlichkeit.
Wir arbeiten branchenübergreifend und spielen eine führende Rolle in der Arbeits- und Sozialpolitik sowie bei der Aushandlung und Durchsetzung von Gesamtarbeitsverträgen.
Wir setzen uns für die Sozialpartnerschaft ein und leben sie. Unsere Leitsätze Stark durch Partnerschaft
Wir fördern Zusammenarbeit, Dialog und gegenseitiges Vertrauen. Wir lösen Konflikte sachlich und partnerschaftlich. Wir setzen uns für Gesamtarbeitsverträge ein, welche die Interessen aller Partner berücksichtigen.
Stark durch Kompetenz
Wir sind Fachpersonen und VordenkerInnen für alle Angestelltenfragen, insbesondere für die Themen Arbeitszeit, Lohn, Weiterbildung, Mitwirkung und Mitbestimmung.
Wir stärken Angestellte, Angestelltenvereinigungen und ihre Vorstände durch Wissenstransfer und Weiterbildung sowie durch Beratung und Unterstützung in Organisation und Organisationsentwicklung.
Stark durch Unabhängigkeit
Wir sind einzig den Interessen der Angestellten verpflichtet und setzen darum auf eine lö-
sungsorientierte Sachpolitik für den Mittelstand, unabhängig von Ideologien oder Parteiinteressen.
Stark durch Dialog
Wir kommunizieren offen und sachlich untereinander und gegenüber der Öffentlichkeit. Wir nehmen die Anliegen der Angestellten auf, koordinieren den Informationsfluss, fördern die Meinungsbildung und informieren kompetent über ihre Anliegen.
4.2
Attraktive Mitgliederbeträge dank solider Finanzierung
Die Grundlagen für den bis heute anhaltenden, insbesondere auch wirtschaftlichen Erfolg des Verbandes reichen zurück bis zu dessen Gründung. Das damals aufge-
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Erfolgreiches Verbandsmanagement - Beispiel des Dachverbandes Angestellte Schweiz
nommene Verbandsprinzip mit Angestellten-Vereinigungen im Milizsystem erlaubt eine sehr direkte Interessensvertretung in den Unternehmen, bei gleichzeitig tiefen Kosten für Infrastruktur und Personal. Wichtigste Einnahmequelle des Verbandes sind die – im Vergleich zu anderen Verbänden und klassischen Gewerkschaften – tiefen Mitgliederbeiträge. Bestandteil des GAV in der MEM-Industrie ist der Weiterbildungsfonds und der Solidaritätsbeitragsfonds. Letzterer wird von sämtlichen Arbeitnehmenden, deren Arbeitgeberfirma dem Arbeitgeberverband der Schweizer Maschinenindustrie (ASM) angeschlossen ist, mit monatlichen Beitragszahlungen geäufnet. Für die Arbeiten zur Durchführung des GAV erhält der Verband eine pauschale Entschädigung aus dem Fonds. Zudem erhält der Verband wie alle GAV-Sozialpartner aus diesem Fonds für jedes bei ihm organisierte Mitglied Gelder zur prozentualen Verbilligung der (Brutto-) Mitgliederbeiträge. Andererseits fließen zweckgebundene Mittel aus dem Weiterbildungsfonds der MEM-Industrie. Er wird von Arbeitgebern und Arbeitnehmenden gemeinsam mit monatlichen Beiträgen geäufnet. Sie erlauben es dem Verband, attraktive Angebote im Weiterbildungsbereich den Mitgliedern und auch verbandsspezifische Schulungen für die Arbeitnehmervertreter preiswert anzubieten. Zusatzeinnahmen durch Inserate im Verbandsorgan sowie durch Angebote im Versicherungsbereich ergänzen die verschiedenen Einkommensquellen. Alles in allem erhalten die Mitglieder viel Leistung für einen bescheidenen Jahresbeitrag.
4.3
Vertriebskanäle der Angestellten Schweiz
Auch für eine NPO, wie es die Angestellten Schweiz sind, ist die Nähe zum Kunden, also zu den Mitgliedern, wesentlich für den Erfolg. Dementsprechend haben die Angestellten Schweiz in all ihren Prozessen, speziell aber im Hinblick auf das Halten der Mitglieder bzw. für die Werbung neuer Mitglieder, die Kundennähe als ein wesentliches Kriterium aufgenommen. Folgende 4 explizite Vertriebskanäle stehen dabei im Vordergrund: a) Regionalsekretariate – Garant für die Nähe zum Mitglied Die Angestellten Schweiz erreichen diese Nähe insbesondere durch ihre Regionalsekretariate. Die Regionalsekretäre/innen sind die direkten Ansprechpartner der aktiven Verbandsmitglieder (Vorstandsmitglieder von AV, Kontaktpersonen von Berufsgenossenschaften, Arbeitsnehmervertreter-Mitgliedern). Sie erfassen deren Bedürfnisse und bieten in Zusammenarbeit mit den anderen Verbandsabteilungen Lösungen an. Zudem ist die Abteilung für die Akquisition von neuen Mitgliedern in den Kernbranchen (MEM, Chemie/Pharma) sowie in anderen strategisch wichtigen Branchen zuständig. Als regionales Gesicht und Stimme des Verbandes verkörpern die Regionalsekretä-
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Vital G. Stutz und Karin Mühlebach-Grundler
re/innen die Angestellten Schweiz in ihrem Gebiet und pflegen die regionalen Kontakte. Die Akquisition von Neumitgliedern stellt mit eine der wichtigsten Tätigkeiten der regionalen Verbandsarbeit dar. Sie teilt sich grundsätzlich in 2 Hauptzweige auf:
Akquisition von Einzelmitgliedern (oder von Mitgliedern einer Betriebsgruppe) und
Akquisition von Kollektivmitgliedern (durch Unterstützung bestehender Angestellten-Organisationen oder durch die Gründung solcher). Die Akquisitionstätigkeiten richten sich einerseits nach den vorgegebenen materiellen und/oder strategischen Zielsetzungen des Verbandes. Die entsprechenden Tätigkeiten in den einzelnen Regionen werden zu Beginn eines Kalenderjahres, ausgehend von den von der Geschäftsstelle vorgegebenen übergeordneten Zielen, durch die Leitung der regionalen Verbandsarbeit koordiniert. b) Angestellten-Vereinigungen – die Stimme der Angestellten Schweiz vor Ort Dank ihrer Angestellten-Vereinigungen, deren Vorstände weitgehend im Milizsystem arbeiten, sind die Angestellten Schweiz auch direkt in den Betrieben präsent. Und zwar nicht mit Funktionären, sondern mit Milizern in Form von Mitarbeitenden des Unternehmens, die die Situation und die Gegebenheiten kennen, die dieselbe Sprache wie die übrigen Mitarbeitenden sprechen. Diese Vertreter vor Ort werden von der Geschäftsstelle und insbesondere auch von den Regionalsekretariaten bei sämtlichen Aktivitäten (Positionierung, Organisation, Aktivitätenplanung und -Durchführung, Mitgliederwerbung, Weiterbildung etc.) unterstützt. Dabei werden die für ein konkretes Projekt notwendigen materiellen Ressourcen, Know-how oder Organisation ganz oder teilweise vom Zentralverband aufgebracht, während der AV mit seinem Vorstand oder weiteren Schlüsselpersonen zumeist die personellen und zeitlichen Ressourcen und den Ort zur Verfügung stellt. c) Die Website – ein zentrales Instrument für die Mitgliederwerbung Mit ihrer umfangreichen und stets aktuellen Website verfügen die Angestellten Schweiz über einen weiteren, effizienten und direkten Vertriebskanal. Viele der attraktiven Inhalte wie E-Learning Tools, Online-Salärumfragen, oder vertiefende Informationen zu einzelnen Themenkreisen sind nur Mitgliedern zugänglich und geschützt. Dies weckt bei vielen potenziellen Mitgliedern Interesse und hat zur Folge, dass sich häufig Besucher der Website für eine Einzel-Mitgliedschaft anmelden. d) Die Partnerunternehmen – ein wichtiger Faktor für die «Kundenbindung» Durch die jahrelange Zusammenarbeit mit verschiedenen Partnerunternehmen in der Weiterbildung aber auch in der Versicherungswirtschaft stehen den Angestellten Schweiz auch indirekte Vertriebskanäle zur Verfügung, wird doch die Mitgliedschaft bei den Angestellten Schweiz von den Außendienstmitarbeitenden dieser Unterneh-
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Erfolgreiches Verbandsmanagement - Beispiel des Dachverbandes Angestellte Schweiz
men bei Kundenkontakten aktiv empfohlen. Eigene Untersuchungen haben bestätigt, dass Mitglieder, welche bewusst von den angebotenen Vergünstigungen profitieren, in ganz hohem Masse den Verband positiv beurteilen, ihm treu bleiben und ihn in ihrer Umgebung weiter empfehlen.
4.4
Maßgeschneidertes Dienstleistungsportfolio
Die Angestellten Schweiz verstehen sich als Dienstleistungszentrum für die ihnen angeschlossenen Angestellten-Vereinigungen, aber auch für die einzelnen Mitglieder und bieten ihnen an ihre individuellen Bedürfnisse angepasste Leistungen in den Bereichen Rechtsberatung und Weiterbildung sowie attraktive Vergünstigungen. a) Umfassende Rechtsberatung für mehr Sicherheit Entstehen am Arbeitsplatz Konflikte und rechtliche Probleme, hilft die Rechtsberatung der Angestellten Schweiz, diese rasch und effizient zu lösen, denn sämtliche Mitglieder der Angestellten Schweiz profitieren von einer kostenlosen umfassenden Rechtsberatung im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht. Dazu stehen erfahrene Juristen und spezialisierte Rechtsanwälte verbandsintern zur Verfügung. Die Rechtsberatung deckt alle Fragen eines Mitglieds im Zusammenhang mit seinem Arbeitsverhältnis ab. Hierzu gehören: Arbeitsschutz, Arbeitsrecht, Gesamtarbeitsvertragsrecht, Firmenregelungen, Arbeitszeit , Lohn , Ferien, Weiterbildung, Kündigung , (Massen-)Entlassungen, Konkurrenzverbot, Mobbing, Persönlichkeitsschutz, Frau im Arbeitsrecht, Arbeitszeugnisse, Sozialplan, Leistungen der Sozialversicherungen (bei Krankheit, Unfall, Mutterschaft, Arbeitslosigkeit, Invalidität, Pensionierung etc.), Pensionskassen, und vieles mehr. Je nach konkretem Fall vermitteln die Angestellten Schweiz ihren Mitgliedern auch einen kompetenten externen Rechtsanwalt. Jedes Mitglied ist für Streitfallkosten aus dem Arbeitsverhältnis oder aus Konflikten mit den Sozialversicherungen bis zur Höchstgarantiesumme von 250.000.- CHF versichert. Damit ist sichergestellt, dass jeder Fall – falls nötig – bis in die letzte Instanz weiter gezogen werden kann. Allein diese Tatsache wiederum fördert die Bereitschaft zu fairen Lösungen. Auf www.angestellte.ch finden Mitglieder zudem zu allen Themen des Arbeitsrechts nützliche und leichtverständliche Informationen, Tipps, Fallbeispiele, Checklisten und Musterbriefe. b) Bestmögliche Arbeitsbedingungen dank Gesamtarbeitsverträgen (GAV) Die Angestellten Schweiz sind als Dachorganisation der Angestelltenvereinigungen gewissermaßen die «Rückversicherung» für die Angestellten- und Personalvertretungen in den Betrieben. Wo diese an Grenzen stößt (und wo dies der GAV vorsieht),
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Vital G. Stutz und Karin Mühlebach-Grundler
springt der Verband als übergeordneter Sozialpartner ein. Es kommt zu Verbandsverhandlungen oder allenfalls einem Schiedsgerichtsverfahren, um die Interessen der Arbeitnehmenden durchzusetzen. Der GAV legt für die Arbeitnehmenden Arbeitsbedingungen fest, die über das Gesetz und den Einzelarbeitsvertrag hinausgehen. Er legitimiert die Angestellten- und Personalvertretungen, im Namen aller Angestellten im Unternehmen mit der Geschäftsleitung zu verhandeln. Die im GAV festgehaltenen Regelungen sind zwingend und dürfen höchstens zu Gunsten der Arbeitnehmenden abgeändert werden. In der Schweiz sind etwa 1,4 Mio. Arbeitnehmende in unterschiedlichen Branchen und Firmen einem Gesamtarbeitsvertrag unterstellt, also mehr als ein Drittel aller Beschäftigten.
Box 2:
Gesamtarbeitsvertrag in der Maschinenindustrie
Der Gesamtarbeitsvertrag der Maschinenindustrie Die Angestellten Schweiz sind maßgebend an der Aushandlung, dem Abschluss, der Umsetzung und der Überwachung des GAV der Maschinenindustrie beteiligt. Als größter Branchenverband sind sie der zentrale Partner der Arbeitgeber. Die Vereinbarung in der Maschinenindustrie, wie dieser Vertrag überschrieben ist, gilt für Unternehmen, die dem Arbeitgeberverband Swissmem angeschlossen sind. Einige Vorteile für die Arbeitnehmenden sind: 40-Stunden-Woche bzw. Jahresarbeitszeit von 2.080 Stunden, großzügige Ferienregelung, weitgehende Mitwirkungsrechte im Betrieb, jährliche betriebliche (generelle) Lohnverhandlungen, eingespieltes Verfahren zur Erhaltung von Arbeitsplätzen und Unterstützung bei Entlassungen, Aus- und Weiterbildungsrechte, fortschrittliche Mutterschaftsversicherung, Lohnfortzahlung bei Krankheit und Unfall sowie generell bessere Sozialleistungen. Gesamtarbeitsverträge in der Chemie- und Pharmabranche Bei einzelnen Firmen-Gesamtarbeitsverträgen sind die Angestellten Schweiz jeweils zusammen mit dem lokalen Angestelltenverein mitentscheidender Vertragspartner dort, wo die Angestellten dieser Firmen einem GAV unterstehen. Der Einheits-GAV der Firmen Ciba-Spezialitätenchemie oder Huntsman können hier als Beispiel genannt werden.
c) Weiterbildung – ein Grundpfeiler für permanente Arbeitsmarktfähigkeit Die Angestellten Schweiz sind der kompetente Partner für die Weiterbildung von ArbeitnehmervertreterInnen, Vorständen von Angestelltenvereinigungen und Einzelmitgliedern. Ein Hauptziel der Angestellten Schweiz in diesem Bereich ist die Arbeitsmarktfähigkeit ihrer Mitglieder – das bedeutet nichts anderes, als diese für den immer anforderungsreicheren Arbeitsmarkt fit zu halten: Sie sollen von ihrem jetzigen Arbeitgeber als attraktiv beurteilt werden und – wenn nötig – auch rasch einen neuen Arbeitgeber finden. Dies kann nur durch gezielte und permanente Weiterbildung erreicht werden,
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welche inhaltlich den rasch wechselnden Anforderungen gerecht wird. Deshalb unterstützen und gestalten die Angestellten Schweiz arbeitsmarktorientierte Weiterbildungskonzepte und schaffen mit ihrer Bildungspolitik ein optimales Umfeld für das lebenslange Lernen. Die Angestellten Schweiz erweitern die Kompetenz ihrer Mitglieder durch eigene, hochwertige Ausbildungsangebote. PersonalvertreterInnen und Mitgliedern steht eine große Palette von Kursen zur Verfügung mit dem Ziel, die persönliche Fach-, Führungs- und Sozialkompetenz zu erhöhen und ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhalten. Denn die permanente Arbeitsmarktfähigkeit ihrer Mitglieder ist den Angestellten Schweiz schon darum ein großes Anliegen, weil sie so beruflich erfolgreich sind und als Arbeitnehmende für den Verband attraktive Mitglieder bleiben. Die Preise der Kurse und Seminare sind für Mitglieder aus der MEM-Branche dank Zuschüssen aus dem eigenen Weiterbildungsfonds stark ermäßigt. Für Vorstandsmitglieder der Angestellten-Vereinigungen sowie für PersonalvertreterInnen führen die Angestellten Schweiz zudem regelmäßig Fachtagungen zu aktuellen Fragen rund um Anstellungsbedingungen und Themen des Arbeitsmarktes durch. Lebenslanges Lernen – die Bildungspolitik der Angestellten Schweiz bietet ein optimales Umfeld dafür. Mit ihrer Bildungspolitik setzen sich die Angestellten Schweiz für die Schaffung eines optimalen Umfeldes für die berufliche Weiterbildung ihrer Mitglieder ein. Folgende Punkte stehen dabei im Vordergrund:
Kooperation mit kompetenten Bildungspartnern (Fachhochschulen etc.), Vernetzung und Aufbau von modularen und bedürfnisorientierten Weiterbildungsangeboten,
Erweiterung des Angebotes für alle Anspruchsgruppen (Einzelmitglieder, Angestelltenvereinigungen, Arbeitnehmervertretungen etc.),
hoher Aktualitäts- und Praxisbezug sowie individuelle Beratung bei der Auswahl von geeigneten Angeboten. Die Angestellten Schweiz sind im Bereich der beruflichen Weiterbildung Träger eines Bildungsinstitutes, welches paritätisch, d. h. zusammen mit den Sozialpartnern, geführt wird. Im Weiteren sind die Angestellten Schweiz in verschiedenen Vereinen von Berufsprüfungen und Höheren Fachprüfungen vertreten. d) Finanzielle Beiträge bei eidgenössisch anerkannten Abschlüssen Die Förderung der Fachkompetenz ist kein Kerngeschäft der Angestellten Schweiz, weshalb sie in diesem Bereich keine Seminare bzw. Ausbildungen anbieten. Für die Erhaltung der Arbeitsmarktfähigkeit ist das fachspezifische Know-how jedoch ein entscheidender Faktor. Aus diesem Grund haben sich die Angestellten Schweiz dazu
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entschlossen, Ausbildungen, die zu einem eidgenössisch anerkannten Abschluss führen, mit einem finanziellen Beitrag zu unterstützen. Dazu zählen alle Abschlüsse auf der Tertiärstufe, d. h. eidgenössische Berufs- und Fachprüfungen, HF-Abschlüsse (Höhere Fachschule) sowie FH-Abschlüsse (Fachhochschule). Pro Jahr Mitgliedschaft unterstützen die Angestellten Schweiz ihre Mitglieder mit einem Beitrag von 50.- CHF (max. Beitragshöhe 500.- CHF). e) Attraktive Vergünstigungen und materielle Vorteile Ausschlaggebend für den Erfolg des Verbandes sind aber auch materielle Vorteile, von denen die Mitglieder als Option profitieren können. Es sind dies unter anderem:
Unentgeltliche Rechtsberatung (z. B. zu den Themen Arbeitszeit, Überstundenregelung, Entschädigungen, Kündigungen, Löhne) in Arbeits- und Sozialversicherungsfragen,
Beratung in betriebswirtschaftlichen und persönlichen Rechtsfragen und Rechtsschutz: kostenlose Rechtsschutzversicherung in arbeitsrechtlichen Fragen. Die Angestellten Schweiz haben mit namhaften Versicherungen, Banken und Dienstleistungsunternehmen Kollektivverträge abgeschlossen und bieten den Mitgliedern Vorteile materieller Art. Es ist den Angestellten Schweiz denn auch ein Anliegen, dass die Mitglieder die preislichen Vorteile eines Kollektivs im Vergleich zu Einzelverträgen spüren:
Preisgünstige Multi-Rechtsschutzversicherung (Verkehrs- und Privatrechtsschutz) für Mitglieder und ihre Angehörigen,
vergünstigte Prämien bei den Krankenkassen-Zusatzversicherungen, leistungsstarke Versicherungslösungen zu reduzierten Tarifen für Motorfahrzeug-, Privathaftpflicht- und Hausratversicherung,
Zinsvergünstigungen auf Hypotheken für selbst bewohntes Wohneigentum sowie regelmäßige Aktionen und Angebote. Diese Vergünstigungen werden den sich wandelnden Bedürfnissen der Mitglieder (Angestellten-Vereinigungen und Einzelmitglieder) angepasst und regelmäßig ergänzt.
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4.5
Kontinuierliche, zielgerichtete Kommunikation
Die Angestellten Schweiz begnügen sich nicht damit, die bisherigen Mitglieder zu überzeugen und zu behalten – sie wollen am Erfolg der letzten Jahre anknüpfen, neue Mitglieder gewinnen und für bisher nicht organisierte Angestellte attraktiv sein. Dies erreichen sie mit einer kontinuierlichen Kommunikation mit ihren internen und externen Zielgruppen mittels der Mitgliederzeitschrift «Apunto», der Website sowie durch regelmäßige Medienarbeit. a) Mitgliederzeitschrift Apunto Die Angestellten Schweiz informieren ihre Mitglieder in der Verbandszeitschrift Apunto (deutsch und französisch) monatlich über die Situation in den jeweiligen Branchen, aktuelle arbeits- und gesellschaftspolitische Themen sowie Weiterbildungs- und Freizeitangebote. Daneben machen die Angestellten Schweiz die Öffentlichkeit im Verbandsmagazin mit den Anliegen der Angestellten in der MEM- und der ChemischPharmazeutischen Industrie bekannt. b) Website Die Website der Angestellten Schweiz www.angestellte.ch bzw. www.employes.ch präsentiert den Verband gemäß Leitbild als das Dienstleistungs- und Kompetenzzentrum für die Angestellten in der Schweiz. Sie ist zweisprachig (deutsch und französisch) und verfügt über einen geschützten Bereich für Mitglieder. Die Site enthält alle relevanten Informationen über den Verband, sein Selbstverständnis, seine Organe und seine Aktivitäten. Die Site bietet zudem einen umfassenden Überblick über die Dienstleistungen, das Beratungs- und Weiterbildungsangebot und die Vergünstigungen des Verbandes (inklusive Online-Anmeldung für verschiedene Produkte, Dienstleistungen und Anlässe). Für jede einzelne Angestelltenvereinigung wird auf der Website der Angestellten Schweiz jeweils eine einheitlich gestaltete Informationspage publiziert. c) Medienarbeit Eine zielgruppengerechte Kommunikation nach außen wird gewährleistet durch regelmäßige Medienmitteilungen unter Nutzung der Kanäle Mail, news aktuell (Ticker) sowie der Website der Angestellten Schweiz. Von zentraler Bedeutung sind auch persönliche Kontakte zu Medienschaffenden, die Pflege der Beziehungen zu ihnen sowie regelmäßige informelle Gespräche. An mehrmals pro Jahr stattfindenden Medienanlässen informiert der Verband über aktuelle Themen (Löhne etc.). Bei Bedarf werden zudem kurzfristig organisierte Medienanlässe (z.B. bei Umstrukturierungen in Unternehmen) durchgeführt. Die regionale Medienarbeit sichert die Präsenz in regionalen und lokalen Medien in Gebieten, in welchen die Angestellten Schweiz viele Mitglieder
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haben. Schließlich werden mittels eines Mediendienstes die Medien über aktuell bearbeitete Themen informiert.
5
Ausblick
Die Welt der Arbeit im 21. Jahrhundert – ob Maschinen-, Elektro-, Metallindustrie, IT/Kommunikation, Elektrizitätswirtschaft oder Chemie/Pharma – ist völlig anders als im letzten Jahrhundert und wird sich in den kommenden Jahren nochmals dramatisch ändern. Die größte Herausforderung für die Angestellten Schweiz ist daher die aktive Mitgestaltung dieser Veränderungen in der Arbeitswelt – und zwar für die und mit den Angestellten. Die Angestellten Schweiz sind nicht nur SpezialistInnen für «Mensch & Arbeit» im Allgemeinen, sondern ganz besonders auch für den «Arbeitsmarkt im Wandel». Dies tun sie, indem sie ihren Beitrag zur fairen Umgestaltung und Weiterentwicklung der Arbeitsverhältnisse leisten. Sie wissen, dass ihre Mitglieder Sicherheit finden durch die eigene Kompetenz, durch Flexibilität und den Zugang zu permanenter Weiterbildung – alles Grundvoraussetzungen für eine langfristige Arbeitsmarktfähigkeit. Unternehmer fordern immer mehr Flexibilität. Die Angestellten Schweiz nehmen diese Herausforderung an – z. B. mit innovativen Arbeitszeitmodellen, mit Modellen der Jahres- und Lebensarbeitszeit. Sie erwarten allerdings auch von den Arbeitgebern Flexibilität, wenn es sich um Fragen wie berufliche Gesundheitsförderung oder WorkLife-Balance, Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub oder um Fragen wie Zeitgefäße für Familienbetreuung, Weiterbildung oder auch um ein politisches Engagement handelt. a) Flexibilität und Leistungsfähigkeit Arbeit ist kein Selbstzweck, sie darf auch nicht krank machen. Leistungsfähig ist der Angestellte, wenn Arbeit und Umfeld stimmen. Wenn Lohn und Arbeit fair verteilt, die Leistung fair honoriert, und wenn der Mensch und seine Bedürfnisse ernst genommen werden. Wenn er mitentscheiden und mitreden kann. Wenn er sich immer wieder regenerieren und mit den Seinen zusammen sein kann, dann ist der Angestellte psychisch und physisch gesund. Dann ist er motiviert, liefert Qualität und ist produktiv. Ein Hauptanliegen der Angestellten Schweiz ist es daher auch, dafür zu sorgen, dass die bestehende Belegschaft der Angestellten gesund ist und bleibt. «Gesundheitsförderung im Unternehmen» bedingt die Flexibilität des Arbeitgebers, auf die sich ändernden Umwelten und Bedürfnisse des Angestellten einzugehen. Modelle, in denen Angestellte und Unternehmen gleichermaßen profitieren, sind heute vorhanden. Der erwähnte Gesamtarbeitsvertrag in der Maschinenindustrie beweist,
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Erfolgreiches Verbandsmanagement - Beispiel des Dachverbandes Angestellte Schweiz
dass die Angestellten Schweiz fähig sind, eine Brücke zwischen den Interessen des Unternehmens und den Interessen des Angestellten zu schlagen. b) Verstärktes Lobbying Verstärkt werden die Angestellten Schweiz auch in bundespolitischer Hinsicht aktiv sein und sich deutlicher in politischen, angestelltenrelevanten Fragen positionieren. Für einen Verband dieser Größe und mit seiner spezifischen Ausrichtung auf den Mittelstand ist es nicht angebracht, das politische Lobbying gänzlich an eine Dachorganisation zu delegieren – gefragt sind viel mehr eigene Stellungnahmen und Positionen, die differenziert und sichtbar am richtigen Ort eingebracht werden. Nicht zuletzt wird es darum gehen, die Strukturen und Abläufe innerhalb des Verbandes nach dem bereits praktizierten und bewährten Freiburger ManagementModell für NPO weiter zu entwickeln und zu konsolidieren. Für das erste Jahr nach der Neugründung haben sich die Angestellten Schweiz vorgenommen, dass die Integration der Branchen MEM und Chemie/Pharma sowie die Konsolidierung der zu reorganisierenden Prozesse und der Geschäftsstelle oberste Priorität hat. Mit dem erfolgten Antrag der Angestelltenverbände der Elektrizitätswirtschaft auf Beitritt und dem Aufbau einer Branche Elektrizitätswirtschaft wird die kraftvolle Entwicklung des neuen Verbandes schon in diesem Jahr fortgesetzt. Eines aber bleibt: Die Angestellten Schweiz sind Stimme und Anwalt der Angestellten. Sie wollen mit der neuen Organisation noch mehr erreichen. Leistung und Partnerschaft – nach innen und nach außen.
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Erfolgsfaktoren im Nonprofit-Management
Bernd Helmig, Robert Purtschert, Claudio Beccarelli
Erfolgsfaktoren im NonprofitManagement
Überblick .......................................................................................................................... 353 1
Die veränderten Rahmenbedingungen für NPO........................................................ 354
2
Sieben Erfolgsfaktoren.................................................................................................... 354 2.1 Zielorientierung ..................................................................................................... 354 2.2 Effizienz-/Effektivitätsorientierung..................................................................... 355 2.3 Zukunftsorientierung............................................................................................ 355 2.4 Marketing-Orientierung ....................................................................................... 356 2.5 Klare Positionierung der Organisation und ihrer Leistungen ........................ 356 2.6 Wirkungsvolles Management der Austauschbeziehungen............................. 357 2.7 Innovation ............................................................................................................... 357
3
Ausblick ............................................................................................................................ 358
4
Literatur ............................................................................................................................ 358
351
Erfolgsfaktoren im Nonprofit-Management
Überblick Die Organisationen des Dritten Sektors sehen sich seit einigen Jahren mit tief greifenden Veränderungen in den politischen, wirtschaftlichen, sozialen und technischen Umweltsystemen konfrontiert. Die erfolgreiche Bewältigung dieser Probleme wird nicht zuletzt über die langfristige Existenzsicherung dieser Organisationen entscheiden.
Zusammenfassend lassen sich aus den Best Practice-Beispielen in diesem Buch 7 Erfolgsfaktoren im Nonprofit-Management ableiten. Dabei verlangt insbesondere die Sachzielorientierung in NPO nach spezifisch auf diesen Organisationstyp zugeschnittenen Problemlösungen.
Es ist absehbar, dass die Ökonomisierung und Kommerzialisierung des Dritten Sektors weiter voranschreiten wird. Das Management von NPO ist aufgrund der Professionalisierungstendenzen in den letzten Jahren stetig anspruchsvoller geworden und erfordert ein gesteigertes Maß an Sachkompetenz und ManagementKnow-how.
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Bernd Helmig, Robert Purtschert, Claudio Beccarelli
1
Die veränderten Rahmenbedingungen für NPO
In den vergangenen Jahren haben sich die Umweltbedingungen für NPO teilweise dramatisch verändert. So steckt der moderne Wohlfahrtsstaat kontinental-europäischer Prägung zu Beginn des 21. Jahrhunderts in einer existenziellen Krise. Weitere tief greifende, epochale Entwicklungen in den politischen, sozialen, wirtschaftlichen und technischen Umweltsystemen stellen die NPO vor große Herausforderungen. Im Einleitungsartikel dieses Buches1 haben die Verfasser die zunehmende Internationalisierung, den Übergang von der Ökonomisierung zur Kommerzialisierung sowie das starke Wachstum der Zahl der NPO und die damit einhergehende zunehmende Wettbewerbsintensität als die 3 zentralen Entwicklungslinien im Dritten Sektor bezeichnet. Die Art und Weise der Bewältigung dieser Probleme wird über das langfristige Überleben vieler NPO entscheiden2.
2
Sieben Erfolgsfaktoren
Trotz der außergewöhnlichen Heterogenität des Dritten Sektors und der unterschiedlichen Entwicklungen der einzelnen Organisationen weisen die vorliegenden Beispiele von Best Practice im Nonprofit-Management Gemeinsamkeiten auf, die in der Folge kurz erörtert werden sollen. Aus den zentralen Aussagen der Verantwortlichen lassen sich – ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Allgemeingültigkeit zu erheben – 7 Erfolgsfaktoren ableiten.
2.1
Zielorientierung
Während die Gewinnorientierung im Unternehmen eine relativ einfache Richtschnur des rationalen Handelns darstellt, ergeben sich aus der Sachzieldominanz in der NPO ganz spezifische Probleme und Anforderungen an das Management. Deren Operationalisierung stellt kein einfaches Unterfangen dar, da ein Oberziel bzw. ein Gesamtindikator für den Erfolg typischerweise fehlt. Erfolgreiche NPO verfügen dennoch über ein am Zweck und an dem abgeleiteten Zielsystem der Organisation orientiertes vollständiges Planungs-, Controlling- und Qualitätsmanagement-System. Die Zielorientie1 Vgl. Helmig/Purtschert/Beccarelli 2005. 2 Vgl. Helmig/Jegers/Lapsley 2004.
354
Erfolgsfaktoren im Nonprofit-Management
rung und die damit verbundene Kontrolle und Evaluation der Ergebnisse ist für ein erfolgreiches Management unumgänglich, liegt doch der Sinn und die Existenzberechtigung einer NPO ausschließlich in der Erfüllung des vorgegebenen Zwecks. Die Herausforderung besteht dabei darin, ein umfassendes für die gesamte NPO geltendes Zielsystem und Instrumentarium für die Erfüllung der Management-Aufgaben zu finden3.
2.2
Effizienz-/Effektivitätsorientierung
Bei den Zielen im Nonprofit-Bereich handelt es sich sehr oft um qualitative Größen. Ein dominantes Ziel fehlt und an dessen Stelle tritt oftmals ein ganzes System potenziell konfliktärer Ziele. Wie Unternehmen verfügen auch NPO nur über ein begrenztes Potenzial an Ressourcen. Es gilt, mit den verfügbaren Mitteln eine möglichst große Wirkung (Effektivität), beziehungsweise ein gewolltes Ergebnis mit den geringst möglichen Mitteln (Effizienz) zu realisieren. Effizienz und Effektivität sind in NPO traditionell stärker gefährdet als in Unternehmen. Dies hängt einerseits mit den qualitativen Zielsetzungen und den vielfältigen Austauschbeziehungen in NPO zusammen, was die Messung eindeutiger Input-Output-Relationen erschwert, andererseits aber auch mit der fehlenden Marktkontrolle: «Because they do not meet a 'market test', nonprofits are always vulnerable to charges of inefficiency and ineffectiveness.»4. Erfolgreiche NPO sind sich dieser Gefahr bewusst und orientieren sich im Rahmen ihrer Tätigkeiten konsequent am Effektivitäts- und Effizienzgebot.
2.3
Zukunftsorientierung
Die einzelnen NPO sehen sich teilweise mit dramatischen Umweltveränderungen konfrontiert. Die Erfolgsbeispiele in diesem Buch lassen sich dadurch charakterisieren, dass sie sich systematisch mit der Zukunft, mit den Entwicklungen in ihren Umfeldern und der eigenen Organisation auseinandersetzen und über die dafür notwendigen Analyseinstrumente verfügen. So sind die Interessen und Bedürfnisse der Austauschpartner im Laufe der Zeit einem ständigen Wandel unterworfen. Diese Veränderungen verlangen nach einer proaktiven, vorausschauenden Führung. Dabei gilt es, allfällige Probleme möglichst frühzeitig zu erkennen, um diese dann bestmöglich zu bewältigen. So machte beispielsweise der Beitritt Österreichs in die Europäische Union bei den einheimischen Wirtschaftsverbänden eine Verlagerung und Neuausrichtung der Interessenvertretung unumgänglich. Gleichzeitig führte der zunehmende Wettbewerb 3 Vgl. Schwarz/Purtschert/Giroud/Schauer 2005, S. 100 ff. 4 Salamon 2001, S. 24.
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Bernd Helmig, Robert Purtschert, Claudio Beccarelli
im typischen Pflichtmitgliedschaft-Geschäft wie auch deren drohende Abschaffung zu einem Ausbau, resp. einer Verstärkung der Leistungen im freiwilligen Bereich5.
2.4
Marketing-Orientierung
Durch die fehlende bzw. sekundäre Marktkontrolle besteht in NPO die latente Gefahr einer stark innenzentrierten Aufgabenerfüllung. Eine außenorientierte Dienstleistungshaltung ist jedoch für ein erfolgreiches Management unabdingbar. Die Fallbeispiele von Best Practice im NPO-Management haben ihren Ausgangspunkt allesamt bei den Bedürfnissen und Erwartungen der Austauschpartner. Dies deckt sich auch mit jüngeren empirischen Erkenntnissen. Auf der Grundlage von deskriptiven und korrelationsanalytischen Betrachtungen konnte im NPO-Sektor ein positiver Kausalzusammenhang zwischen einer verstärkten Implementierung von Marketing und dem Organisationserfolg nachgewiesen werden6. Erfolgreiche NPO lassen sich durch eine starke Marketing-Orientierung ihrer Tätigkeiten charakterisieren.
2.5
Klare Positionierung der Organisation und ihrer Leistungen
Purtschert bezeichnet die Positionierung der Gesamtorganisation als Kernaufgabe für das Management in einer NPO7. Im hart umkämpften Wettbewerb im Ressourcenund Absatzbereich müssen die Identitätselemente der NPO bei jedem Beschaffungsoder Leistungsabgabeprozess der Organisation kommuniziert und im Bewusstsein der Austauschpartner verankert werden. Die Erfolgsbeispiele in diesem Buch verweisen auf die Wichtigkeit einer bewussten Gestaltung der Organisationsidentität. Erfolgreiche NPO zeichnen sich durch eine klare Positionierung der Organisation und ihrer Leistungen aus. «No organization can achieve superior performance if it tries to be all things to all people.»8
5 Vgl. Beiträge Domany, Roitner in diesem Buch. 6 Vgl. Helmig 2004. 7 Vgl. Purtschert 2005, S. 122. 8 Porter/Kramer 1999, S. 126.
356
Erfolgsfaktoren im Nonprofit-Management
2.6
Wirkungsvolles Management der Austauschbeziehungen
Im Gegensatz zum absatzmarktorientierten Unternehmen, wo das Primat des Eigentümers vorherrscht, fehlt eine solche eindeutige Orientierung an einer Anspruchsgruppe in NPO, was zu einer erhöhten Komplexität der Managementsituation führt. Die Organisationen in diesem Buch weisen dem Management der Austauschbeziehungen eine zentrale Bedeutung bei. Durch ein wirkungsvolles (effektives) Management dieser Austauschbeziehungen und die Etablierung von stabilen Anreiz-BeitragsGleichgewichten gelingt es ihnen, eine optimale Zweckerfüllung zu erreichen und die Existenz langfristig zu sichern. Dabei hängt das Überleben einer Organisation davon ab, wie effektiv diese die Bedürfnisse ihrer Austauschpartner befriedigen kann und ob es ihr gelingt, stabile Anreiz-Beitrags-Gleichgewichte zu etablieren9.
2.7
Innovation
Wie bereits erwähnt, sind die Erwartungen und Bedürfnisse der Austauschpartner einem permanenten Wandel unterworfen. In Anpassungsprozessen haben NPO als offene, umweltabhängige Systeme diese Entwicklungen in ihrem Führungsverhalten zu antizipieren und das Anreiz-Beitrags-Prinzip immer wieder neu zu definieren. Erfolgreiche NPO zeichnen sich insbesondere auch dadurch aus, dass sie innovative neue Wege gehen und in ihrer jeweiligen Branche eine Vorbildfunktion einnehmen. Hierfür ist ein offenes Innovationsklima unentbehrlich. Die beschriebenen Organisationen zeichnen sich allesamt durch eine hohe Problemlösungs- und Innovationsfähigkeit beziehungsweise Innovationsbereitschaft aus10. So ist es beispielsweise dem Schweizer Alpen-Club im Laufe seiner über 140jährigen Vereinsgeschichte immer wieder erfolgreich gelungen, neue Zielgruppen (Kinder, Jugendliche, Familien, Senioren) anzusprechen und neue Mitgliederschichten zu erschließen. Als Anbieter touristischer Infrastruktur mit 153 öffentlich zugänglichen Berghütten sowie einem Bergrettungsdienst hat sich der Sportverband, um das langfristige Überleben zu sichern, stetig den veränderten gesellschaftlichen Bedürfnissen anzupassen11.
9 Vgl. Balser/McClusky 2005. 10 Vgl. Schwarz/Purtschert/Giroud/Schauer 2005, S. 185 ff. 11 Vgl. Beitrag Mäder in diesem Buch.
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Bernd Helmig, Robert Purtschert, Claudio Beccarelli
3
Ausblick
In den vergangenen Jahren wuchs die Beschäftigung im Dritten Sektor viermal so schnell wie in der restlichen Wirtschaft. Es ist absehbar, dass der Dritte Sektor in Zukunft aufgrund der veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sowohl in wirtschaftlicher als auch in politischer Hinsicht noch stärker an Bedeutung gewinnen wird12. Die Führung von NPO ist aufgrund der Professionalisierungstendenzen des Dritten Sektors in den letzten Jahren stetig anspruchsvoller geworden und erfordert ein gesteigertes Maß an Sachkompetenz und Leitungswissen. Eine zunehmende Output- und Outcome-Orientierung stellt die Basis der Überlebensfähigkeit und letztlich die Existenzberechtigung der Organisationen dar13. Die in diesem Band dokumentierten Erfolgsgeschichten bieten all jenen Organisationen eine Hilfestellung, die sich diesen Herausforderungen erfolgreich stellen wollen.
4
Literatur
ANHEIER, H. K. (2003): Der Dritte Sektor in Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs, in: Verbands-Management, 29. Jahrgang, Heft 1, S. 38-47. BALSER, D./MCCLUSKY, J. (2005): Managing Stakeholder Relationships and Nonprofit Organization Effectiveness, in: Nonprofit Management & Leadership, Vol. 15, No. 3, Spring, S. 295 – 315. HELMIG, B. (2004): Wird das Potenzial von Marketing im NPO-Management unterschätzt?, in: Witt, D./Purtschert, R./Schauer, R. (Hrsg.), Funktionen und Leistungen von NPO, Wiesbaden, S. 59-86. HELMIG, B./JEGERS, M./LAPSLEY, I. (2004): Challenges in Managing Nonprofit Organizations: A Research Overview, in: Voluntas, Vol. 15, No. 2, June, S. 101-116. HELMIG, B./PURTSCHERT, R./BECCARELLI, C. (2005): Nonprofit but Management, in: Helmig, B./Purtschert, R. (Hrsg.), Nonprofit-Management, Wiesbaden 2005, S. 1-20. PURTSCHERT, R. (2005): Marketing für Verbände und weitere Nonprofit-Organisationen, 2. Auflage, Bern; Stuttgart; Wien.
12 Vgl. Anheier 2003. 13 Vgl. Schuhen 2004, S. 18 ff.
358
Erfolgsfaktoren im Nonprofit-Management
SALAMON, L. M. (2001): The Nonprofit Sector at the Crossroads: The Case of America, in: Anheier, H. K./Kendall J. (Hrsg.), Third Sector Policy at the Crossroads, London; New York, S. 17-35. SCHUHEN, A. (2004): Nonprofit Governance in der Freien Wohlfahrtspflege, in: Verbands-Management, 30. Jahrgang, Heft 1, S. 18-31. SCHWARZ, P./PURTSCHERT, R./GIROUD, C./SCHAUER, R. (2005): Das Freiburger Management-Modell für Nonprofit-Organisationen, 5. Auflage, Bern; Stuttgart; Wien.
359
Stichwortverzeichnis
Stichwortverzeichnis
A Aktionsplan · 73, 80, 82 Altersvorsorge · 238 Angestellten-Vereinigung · 325, 331, 334 Anreiz-Beitrags-Theorie · 192, 194 Anspruchsgruppen · 89, 101, 106, 108, 180, 181, 185, 206, 219, 235, 246, 247, 252, 279, Siehe auch Stakeholder Arbeitgeberverband Märkte · 311 Wettbewerb · 305, 311 Arbeitslosigkeit · 333 Aufbauorganisation · 152, 228, 229 Hilfswerk · 200, 228 Sportverband · 289 Ausschuss · 72 Austauschbeziehungen · 16, 17, 78, 122, 123, 124, 126, 165, 180, 181 Austauschpartner · 79, 122, 165, 181, 182, Siehe auch Stakeholder Ansprüche · 8, 9, 194 Gruppen · 78 Austauschsystem · 191 Analyse · 194 Authentizität · 108
B Balanced Scorecard · 38, 170 Beiträge Mitgliederbeiträge · 8, 42, 49, 192, 290, 340 Pflichtbeiträge · 10, 62 Beschäftigung Dienstleistungssektor · 5
NPO-Sektor · 5 Betriebsübernahme · 134 Bewertung von Corporate Governance Standards · 17 von Dienstleistungen · 186 von Erfolgsfaktoren · 154 von NPO · 15 Branchenidentität · 132 Business Excellence · 86 BVG-Geschäft · 76
C CB · Siehe Corporate Behaviour CD · Siehe Corporate Design Change Management · 12, 197 CI · Siehe Corporate Identity Collective Bargaining · Siehe Tarifverhandlungen Controlling · 83, 238, 297 Controllingmittel · 84 Controlling-System · 84, 170 Cooperate Behaviour · 168 Cooperative Identity · 79, 136, 137, 315 Umsetzung · 134 COOPI · Siehe Cooperative Identity Corporate Behaviour · 9, 159, 163, 164, 165, 166 Corporate Design · 163, 295 Corporate Governance · 15, 17, 69, 81, 168, 280 Standards-Bewertung · 17 Corporate Identity · 79, 139, 163, 225, 315, 321
361
Stichwortverzeichnis
D Dachverband · 325 Delegiertenversammlung · 228 Demotivation · 168 Dezentralisierung · 191, 201, 204 Dienstleistungsgesinnung · 8, 39, 59 Dienstleistungsorientierung · 113, 116, 117, 343 Dienstleistungssektor Beschäftigung · 5 Differenzierungspotential · 12, 200 Direct Mailing · 39, 137 Dritter Sektor · 3, 5, Siehe auch NPOSektor Entwicklung · 5, 12, 17 Managementtechniken · 3 ökonomische Bedeutung · 5 Dualismus · 29, 101
E Effektivität · 10, 79, 86, 130, 232 Effizienz · 10, 30, 31, 34, 42, 57, 79, 86, 205, 223, 232 Effizienzorientierung · 296, 301, 302 Einflussnahme-Beeinflussungs-Matrix · 181, 183, 184, 185 Entkirchlichung · 239 Entwicklungsziele · 316 Erfolg Grundlage · 169 Erfolgsfaktoren · 79, 91, 101, 108, 109, 154, 155, 168 189, 194f., 211, 226, 230, 256f., 274, 294, 300, 337 Corporate Behaviour · 163, 168, 239 Führung · 301 Mitarbeiter · 249 Mitglieder · 189 Motivation · 275 Organisationsstruktur · 291, 297 Personal · 61 Ressourcen · 276 Erfolgsindikator · 7, 58, 185, 301
362
Erfolgsmessung · Siehe Kontrolle Erfolgsstrategie · 54 Erhebungssystem · 186 EU Einfluss · 10, 30, 52, 54, 75, 77, 83, 85 Eukkenƍsches Prinzip · 108 European Foundation for Quality Management (EFQM) · 9, 235 Excellence · 9 Kultur · 167 Expertenmacht · 11
F Fachverband EEI Erfolgsstrategie · 54 Facility Management · 38 Fairness-Handel · 219 Feedbacksystem · 170 Finanzierung · 40, 69, 139, 161, 191, 192, 212, 221, 245, 251, 263, 267, 274, 276, 340 Beitragsfinanzierung · 91, 101, 125 Drittmittel · 38 Marktpreisfinanzierung · 8 Öffentliche Mittel · 247 Selbstfinanzierung · 14 Spendengelder · 248 Trittbrettfahrer · 8 Trittbrettfahrer-Problem · 139 Finanzierungs-Mix · 8 Finanzmittel · 192, 269 Finanzziel · 4 Förderauftrag · 4 Foundation Governance · 280 Freiburger Management-Modell (FMM) · 15, 58, 69, 105, 118, 140, 145, 156, 191, 232, 289, 294, 297, 300, 315, 317, 330, 349 Bedeutung · 117 Entstehung · 16 Management-Ansatz · 17 Vorgehensweise · 58 Freiwilligenarbeit · 3, 8
Stichwortverzeichnis
Freiwilliger Motivation · 192 Frühwarnung · 79 Führung · 157 Ansatz · 16 Erfolgsfaktoren · 154, 156, 294, 301 Führungswechsel · 168 Grundlage · 71, 72, 73, 79, 80, 155 Grundsätze · 235, 275 Konzept · 11, 140 Personal · 61 Qualität · 210 System · 158, 172, 205 Wertekonsens · 158 Führung durch Zielvereinbarung · 38, 201, 205, 207, 209 Führung durch Zielvorgabe · Siehe Führung durch Zielvereinbarung Führungsanspruch · 101, 102, 108 Führungsaufgabe · 8, 168, 299, 300 Führungsinstrument · 37, 155, 289, 297, 317, Siehe auch ManagementInstrument Führungsstruktur · 119, 120 Fundraising · 204, 248 Fundraising-Strategie · 225
G Gemeinkosten · 220, 221 Gemeinschaftsförderungsansatz · 218 Generalversammlung · 69, 152, 167 Genossenschaftsbewegung · 4, 11, 145, 162 Genossenschaftsidee · 11, 145, 148, 149, 151, 154, 155, 161, 166, 169, 171, 172 5 S · 148 Genossenschaftsidentität · 171, 172 Gesamtarbeitsvertrag · 343 Chemie- und Pharmabranche · 344 Maschinenindustrie · 344 Geschäftsmodell · 92, 284, 306, 307 Geschäftsreglement · 73, 81, 157, 227
Geschäftsstelle · 50, 61, 69, 71, 72, 73, 81, 94, 96, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 119, 121, 122, 136, 153, 155, 159, 228, 289, 291, 299, 317, 318, 319, 321, 336 Geschäftsstellenorganisation · 84 Geschützte Werkstätte · 13, 265, 269, 270, 271, 272 Gewinnabsicht · 177, 191 Gewinnausschüttung · 4, 7 Gewinnorientierung · 168 Gewinnziel · 17 Globalisierung · Siehe Internationalisierung Grundidee · 150 Grundservice · 167
H Handlungsgrundsätze · 316 Handlungskonzept · 280 Handwerksverband Image · 97 Märkte · 97, 100 Hauptberufliche Mitarbeiter · 28, 249 Hilfswerk Erfolgsfaktoren · 226, 256, 257 Image · 224 Mehrspartenhilfswerk · 13, 224, 237 Wettbewerb · 246
I Identifikationsobjekt · 296 Image · 83, 135 Handwerksverband · 97 Hilfswerk · 224 Rettungsverein · 190 Schreinerhandwerks-Fachverband · 132 Versicherungsverband · 82, 83 Image-Kampagne · 113, 125, 133ff., 136, 138, 140 3 Ebenen · 135 Imageträger · 165
363
Stichwortverzeichnis
Imagewerbung · 132 Individualgut · 123, 126 Individualisierung · 224, 238, 239 Informationsanalyse · 229 Infrastruktur · 277 Interessenvertretung · 4, 8, 10, 14, 23, 24, 25, 26, 30, 31, 33, 40, 47, 48, 50, 52, 53, 55, 58, 60, 62, 63, 67, 78, 80, 82, 86, 113, 123, 328, 330, 331 Internationalisierung · 6, 11, 17, 41, 51, 238, 239, 322, 333 Entwicklung · 52 Investor-Orientierung · 4 ISO-Zertifikat · 13, 217, 232
K Kammersystem · 10, 24, 25, 34 Kennzahlensystem · 221 Kollektivgut · 8, 12, 14, 123, 126, 139, 151 Kommerzialisierung · 5, 6, 8, 12, 17 Kommission · 72, 73, 75, 78, 86, 87, 151, 153, 162, 171, 228, 265, 289, 291, 299, 300, 318 Kommunikation · 83, 346 Kommunikationsangebot · 84 Kommunikationspolitik · 60, 61, 140 Kompetenzpool · 208, 209 Konkurrenz · 123 Konsumentenschutz · 77, 85 Kontrolle · 13, 24 Erfolgskontrolle · 6, 7, 185, 189, 194, 313 Nutzenkontrolle · 7, 185 Zielkontrolle · 104 Kooperation · 9, 37, 38, 48, 55, 57, 59, 91, 139, 148, 162, 181, 184, 192, 223, 251, 256, 269 Kostenmanagement · 300 Kosten-Nutzen-Analyse · 11, 273, 279 Kundenzufriedenheit · 104, 186 Analyse · 185, 188, 189, 194
364
L Leistungsanreize monetäre · 209, 210 nicht-monetäre · 210 Leistungsauftrag · 220, 225 öffentliche Ausschreibung · 225, 251 Leitbild · 59, 80, 85, 93, 99, 102, 103, 104, 129, 149, 151, 158, 226, 271, 278, 280, 297, 317, 339 Lobbying · 47, 52, 53, 60, 77, 80, 82, 86, 87, 104, 105, 107, 109, 113, 115, 116, 122, 348 Kritik · 53 Lobbyingmaßnahmen · 49 Lobbyingsystem · 82 Logo · 163 Arbeitgeberverband · 320, 321 Baugenossenschaft · 150 Branchen-Logo · 125, 134, 137 Schreinerhandwerks-Fachverband · 134 Sportverband · 295 Wirtschaftskammer · 38
M Management Excellence · 9, 13, 15, 17, 91, 105, 106, 108, 145, 166, 167, 168, 169, 170, 217, 232, 237 Management Informationssystem (MIS) · 278 Management-Instrument · 3, 38, 79, 104, 105, 106, 194, 195, 302 Managementlehre von NPO · 7 Management-Orientierung · 16 Managementprobleme · 7 Management-System · 7, 91, 209, 217, 232, 263, 277, 278, 280 Managementtechniken · 3 Manager Kernfunktionen · 169 Marketing · 37, 60, 77, 79, 99, 105, 121, 130, 133, 135, 232, 287 Branchen-Marketing · 132, 137
Stichwortverzeichnis
Direkt-Marketing · 37, 248 Eigenmarketing · 60 Konkurrenz · 125 Mitglieder-Marketing · 107, 138, 139, 140, 141, 163, 172 Nonprofit-Marketing · 8 Spenden-Marketing · 224 Marketing und Kommunikation · 38 Marketinggrundhaltung · 158 Marketing-Idee · 149 Marketing-Konzept · 59, 99, 100, 140, 289, 297 Marketing-Leitsätze · 165 Marketingmanagement · 280 Marketing-Orientierung · 296 Marketingphilosophie · 165 Marketingproblem · 60 Marketingziele · 315 Marktdruck · 133 Märkte Arbeitgeberverband · 311 Handwerksverband · 97, 100 Schreinerhandwerk · 140 Schreinerhandwerks-Fachverband · 126, 134 Sportverband · 291, 293, 294 Stiftung · 269 Versicherungsverband · 77 Marktforschungsstudie · 117, 129, 130, 133, 140 Marktsteuerung · 17 Milizer · 342 Milizsystem · 69, 73, 153, 155, 157, 336, 340, 342 Mission Statement des VMI · 3, 212 Mitarbeiter · 177 Ehrenamt · 8 Motivation · 192, 275 Wettbewerb · 249 Mitarbeiterförderung · 209 Mitarbeiterintegration · 105 Mitglieder · 73, 76, 180 Ansprüche · 78, 85 Vorteile · 151, 342, 343, 346 Wettbewerb · 52, 248
Wettbewerbsvorteile · 134 Mitgliederbefragung · 129, 131, 133, 138, 140, 313 Mitgliederentwicklung · 189, 195, 287 Mitgliederförderung · 7 Mitgliederkritik · 30 Mitgliedermarkt · 77 Mitgliederstruktur · 97, 98, 118, 329 Mitgliederwerbung · 138, 248, 295, 302, 315, 342 Mitgliederzahlen · 29 Mitgliederzufriedenheit · 11 Mitgliedschaft · 28, 101, 116, 177 automatische · 192 Direktmitgliedschaft · 116, 284 Doppelmitgliedschaft · 125, 310 Familienmitgliedschaft · 296 freiwillige · 10, 52, 54, 113, 115, 116, 117, 138 Gründe · 139 in Dachverbänden · 74 Pflichtmitgliedschaft · 10, 25, 47, 49, 50, 52, 54, 55, 102, 115 Sofortmitgliedschaft · 295, 296 Wettbewerbsmarkt · 52 Mitgliedschaftssystem · 54 Mitgliedszahlen · 118 Monitoring · 49, 79 Motivation · 132, 192, 263 intrinsische · 209 Mitarbeiter · 192, 193, 194, 205, 206, 210, 275, 319
N Nachhaltigkeit · 146, 155, 168, 172, 305 Denkmodell · 172 Netzwerkpartner · 55 Neuorientierung · 51, 54, 55, 140 New Public Management (NPM) · 5, 225, 254 NGO · Siehe Nongovernmental Organisation (NGO)
365
Stichwortverzeichnis
Nichtmitglieder · 139 Abgrenzung · 134 Nongovernmental Organisation (NGO) · 247 Wachstum · 6 Nonprofit Begriff · 4 Nonprofit-Management · Siehe NPOManagement Nonprofit-Organisation · Siehe NPO Nonprofit-Sektor · Siehe NPO-Sektor NPO · 3 Außenbereich · 16, 122 Begriff · 4, 9, 226 Innenbereich · 16, 78, 79 Managementprobleme · 7 mitgliederorientierte NPO · 8, 14 organisatorische Besonderheiten · 7 politische NPO · 14 private NPO · 12 soziale NPO · 12, 14 soziokulturelle NPO · 14 Spannungsfeld · 11, 296 wirtschaftliche NPO · 9, 11, 68 NPO-Label · 13, 15, 16, 17, 91, 170, 217, 232, 237 Assessment-Checkliste · 105 Besonderheit · 17 Inhalt · 232 Struktur · 15 NPO-Management · 3, 7, 8, 17 Inhalt · 7 Marketing · 8 NPO-Sektor · 3, 4, 17, 185 Bedeutung · 4 Beschäftigung · 5 in der Schweiz · 5 in Deutschland · 5 in Österreich · 5 Wachstum · 4 Nutzen-Orientierung · 25 Nutzer-Orientierung · 4
366
O Öffentliche Hand · 6, 12, 13, 14, 147, 162, 223, 225, 247, 251, 252, 256, 263, 288 Kritik und Kooperation · 251 Öffentliche Mittel · 8 Wettbewerb · 247, 251 Öffentliches Gut · Siehe Kollektivgut Öffentlichkeitsarbeit · 14, 49, 68, 130, 133, 204, 280, 305, 310, 317, 319 Ökonomisierung · 5, 6, 8, 17 Organigramm Baugenossenschaft · 152 Fachverband EEI · 51 Rettungsverein · 179 Sportverband · 290 Versicherungsverband · 70 Wirtschaftskammer · 34 Organigramm Dachverband · 335 Organisation Kammerorganisation · 115 Verbandsorganisation · 115 Organisationsentwicklung · 9, 163, 226, 237 Organisationskultur · Siehe Corporate Behaviour Organisationsstruktur · 8, 14, 266, 291, 297, 299f. Arbeitgeberverband · 307, 309 Fachverband EEI · 57 Handwerksverband · 92, 93, 95, 96 Hilfswerk · 203, 227 Rettungsverein · 178, 190 Sportverband · 284, 289 Schreinerhandwerks-Fachverband · 117, 119, 122 Versicherungsverband · 69 Wirtschaftskammer · 27, 33, 34, 36 OT-Verbände · 311
Stichwortverzeichnis
P Personal · 276 Personalentwicklung · 207, 211, 321 Bausteine · 207 Personalentwicklungskonzept · 207, 210, 211 Personalentwicklungssystem · 186 Personalführung Erfolgsfaktoren · 61 Personalgewinnung · 207, 208 Personalpolitik · 235 Personalstruktur · 8 Planung · 298 Mehrjahresplanung · 298 Planungsprozess · 297 Qualitätsplanung · 103 Strategische Planung · 38, 104, 205, 206, 207, 246, 284 Planungsprozess · 102, 297, 299, 301 Positionierung · 79, 80, 102, 123, 126, 130, 137, 139, 244, 255, 256, 279, 291, 294 Marktpositionierung · 129, 131 Neupositionierung · 33, 128, 140 Positionierungsziele · 55 Positionierungskreuz · 126, 127 Positionspapier · 82, 217, 219 Professionalisierung · 13, 14, 86, 170, 217, 226, 232, 237, 253, 256, 302 Auswirkungen · 252 Professionalisierung vs. Selbsthilfe · 252 Profit Center · 31, 40 Projektbegleitkosten · 221 Prozess-Orientierung · 16
Q QM-System · 91, 103, 104, 105, 106, 108, 232, 233, 234 Qualitätsgedanke · 108 Qualitätsmanagement · 15, 16, 17, 102, 170, 172, 206, 207, 211, 232, 246, 268, 316, 320
Aufgaben · 168 Bausteine · 102 Qualitätsmanagement-System · Siehe QMSystem Qualitätsplanung · 103 Qualitätssicherung · 206, 251 Qualitätszertifikat · 9, 16
R Rationalisierungsdruck · 250, 256 Rechtsberatung · 343, 346 Reform · 200, 212, 213 Erfolgsfaktoren · 211 Kammerreform · 30, 31, 32, 33, 41 Prozessreform · 205 Strukturreform · 86, 202 Strukturreformziele · 201 Reformprozess Kommunikation · 60 Ressourcen · 79, 276, 277 beschränkte · 113, 117 kritische · 180 Wettbewerb · 6, 12, 17, 194 Ressourceneinsatz · 34, 123, 133, 180, 185 Ressourcenerschließung · 280 Ressourcen-Konzept · 59 Ressourcen-Management · 105 Rettungsverein Image · 190 Rundschreiben Zielgruppenorientierung · 318
S Sachzieldominanz · 4, 7, 8, 17 Schreinerhandwerks-Fachverband Image · 132 Logo · 134 Märkte · 126, 134, 140 Schweizerische Vereinigung für Qualitätsund Management-Systeme · Siehe SQS Serviceleistung · 10, 25, 47, 49, 50, 56, 63
367
Stichwortverzeichnis
Sozialmanagement Neuralgische Punkte · 256 Sozialpartnerschaft · 10, 24, 30, 53, 305, 312, 317 Spardruck · 12, 13, 247, 263 Spendenaufkommen · 13, 221, 223, 224, 225, 248 Spendengelder · 8, 180, 192, 220, 223, 226, 248 Spenden-Marketing · 224 Spendenmarkt · 223 Schweiz · 223 Wettbewerb · 13, 225, 232, 239, 248 Spendenmonitor · 223, 224 Spendenmotive · 223 Spendenverhalten · 224 Spender · 224 Sponsoring · 301 Sportverband · 14 Logo · 295 Märkte · 291, 293, 294 Organigramm · 290 SQS · 91, 105, 170, 232 St. Galler Management-Modell · 233 Stakeholder · 83, 181, 246, 307, 311, 320, Siehe auch Anspruchsgruppen Ansprüche · 179, 181, 194 autonome Stakeholder · 181, 184 Gruppen · 181, 183 kritische Stakeholder · 181, 184 passive Stakeholder · 181, 184 reaktive Stakeholder · 181, 184 Zufriedenheit · 155, 170 Stakeholder-Analyse · 180, 185, 194 Standortbestimmung · 93 Stärken-/Schwächenanalyse · 229 Steuerungsprinzip Solidarität · 239 Stiftung Märkte · 269 volkswirtschaftlicher Nutzen · 272, 279 Stiftungsstatut · 279 Stiftungszweck · 274, 276, 280
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Strategie · 37, 40, 47, 56, 57, 59, 62, 69, 104, 140, 154, 157, 160, 168, 170, 230, 231, 232, 301 Erfolgsstrategien · 54 Fundraising-Strategie · 225 Grundstrategie · 161 Kommunikationsstrategie · 225 Wettbewerbsstrategie · 247, 249 Strategieentwicklung · 229, 230, 231 Strategieprozess · 54, 55, 58, 232 Elemente · 54 Strategieumsetzung · 297 Strategieumsetzungsplan · 230 Strategische Planung · Siehe Planung Streik · 306, 322 Strukturreform · 297 Strukturwandel · 11, 50, 115, 117, 129, 132, 140, 332 Subventionen · 8, 38, 247 Systemanalyse · Siehe StakeholderAnalyse Systempartner · Siehe Stakeholder
T Tarifverhandlungen · 14, 306, 311 Teamarbeit · 103, 156, 160, 164, 168 Teamcoaching · 166 Tertiärisierung der Industrie · 50 Total Quality Management (TQM) · 9, 16, 17, 91 Trägerschaft · 6, 190, 233 private · 4, 270 Trittbrettfahrer · 311 Trittbrettfahrer-Problem · 8, 139
U Unternehmensphilosophie · 166 Unternehmenspolitik · 278
Stichwortverzeichnis
V Verbandsmanagement Schlüsselqualifikation · 99 Vernetzung der NPO · 272, 277 Versicherungsverband Image · 82, 83 Märkte · 77 Organisationsstruktur · 69 Vertrauen · 226, 257, 305 Vertriebskanäle · 341 Volontariatsverein · 195 Vorstand · 69, 72, 78, 119, 120, 121, 152, 155, 156, 157, 158, 159, 165, 166, 167, 169, 177, 191, 202, 228, 309, 317, 336 Vorbild · 166, 168 Zentralvorstand · 289, 291, 299 Vorstandsausschuss · 69, 72 Vorstandsklausur · 316
W Werbung · 346 Lehrlingswerbung · 136 Mundwerbung · 190 Rundfunkwerbung · 135, 137 Wertegebundenheit · 296, 302 Werteorientierung · 301 Wertschöpfungssystem · 181 Wertvorstellungen Wandel · 322 Wettbewerb · 5, 135, 225, 247, 249, 252, 312, 318 Arbeitgeberverband · 305, 311 der Nöte · 250 Freiwilliger · 248 Hilfswerke · 225, 246 Mitarbeiter · 249
Mitglieder · 52, 248 Öffentliche Aufträge · 251 Öffentliche Mittel · 247, 251 Ressourcen · 6, 12, 17, 194 Spendenmarkt · 13, 223, 225, 232, 239, 248 Standortwettbewerb · 47, 48, 63, 238, 322 Tarifverhandlungen · 311 Wettbewerbsdruck · 6, 8, 12, 13, 17, 77, 95, 141 Wettbewerbs-Ebenen · 247 Wettbewerbsfähigkeit · 11 Wettbewerbsideologie · 247 Wettbewerbsposition · 200 Wettbewerbsstrategie · 247, 249 Wettbewerbsvorteil · 12, 200, 312 Wirkungsziele · 171 Wirtschaftskammer Logo · 38 Wissensmanager · 23, 38 Wissenstransfer · 9, 16, 58 Wohlfahrtssystem · 12
Z Zentralisierung · 191 Zertifizierung · 16, 85 Bedeutung · 16 Zielbewusstsein · 62, 201, 211 Zielgruppe · 43 Zielpluralität · 17 Zielsystem mehrdimensionales · 7 Zielumsetzung · 68 Zuschüsse · Siehe Subventionen
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