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German Pages 707 Year 2008
Springer-Lehrbuch
Gerhard Habermehl · Peter E. Hammann · Hans C. Krebs · W. Ternes
Naturstoffchemie Eine Einführung
3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage
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Prof. Dr. Gerhard G. Habermehl Eichhörnchensteg 18 30657 Hannover Deutschland
Prof. Dr. Hans C. Krebs Institut für Lebensmitteltoxikologie und Chemische Analytik Tierärztliche Hochschule Hannover Bischofsholmer Damm 15 30178 Hannover Deutschland
Prof. Dr. Peter E. Hammann Sanofi-Aventis, Deutschland GmbH Industriepark Höchst 65926 Frankfurt Deutschland
Prof. Dr. Waldemar Ternes Institut für Lebensmitteltoxikologie und Chemische Analytik Tierärztliche Hochschule Hannover Bischofsholmer Damm 15 30178 Hannover Deutschland
ISBN 978-3-540-73732-2
e-ISBN 978-3-540-73733-9
DOI 10.1007/978-3-540-73733-9 Springer-Lehrbuch ISSN 0937-7433 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. c 2008 Springer-Verlag Berlin Heidelberg Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandgestaltung: WMX Design GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier 987654321 springer.de
Vorwort der dritten Auflage
Der rasche Verkauf der zweiten Auflage hat gezeigt, dass die Naturstoffchemie nach wie vor einer der wichtigsten Abschnitte im Studium von Chemie, Biologie und Pharmazie ist. In dem Maße, wie in der Öffentlichkeit die Zusammensetzung von Lebensmitteln, und ebenso von schädlichen Inhaltsstoffen diskutiert wird, nimmt auch die Bedeutung der Naturstoffe im Studium zu, Substanzen, die bei weitem nicht völlig unschädlich sind, wie immer wieder behauptet wurde. So erreichte uns eine ganze Reihe von Briefen von Kollegen, die fragen, ob es nicht möglich sei, in einer dritten Auflage neben der Aktualisierung, die ja immer wichtig ist, auch einen neuen Abschnitt hinzuzufügen, der sich mit Lebensmittelchemie befasst, ein Anliegen, das umso wichtiger ist, als gerade Lebensmittel im Mittelpunkt vieler Diskussionen stehen und weiter, weil jenseits der Lebensmittelchemie im engeren Sinne so mancher Chemiker auch hier gefordert ist. Wir haben deshalb alle Kapitel mit Hinsicht auf die Lebensmittel überarbeitet. Herr Kollege Ternes als ausgewiesener Analytiker und Lebensmittelchemiker konnte für diese Aufgabe dankenswerterweise als Koautor hinzugewonnen werden. Diese Erweiterung des Buches hat auf der anderen Seite bedingt, dass Kürzungen vorgenommen werden mussten, um den Umfang des Buches in vernünftiger Größe zu halten. Dies wurde möglich durch Aktualisierungen im Kapitel der Antibiotika sowie Kürzungen im Bereich der Synthesebeispiele, ohne dass dadurch der Gesamtcharakter verändert worden wäre. Frau Dr. Marion Härtel vom Springer-Verlag möchten wir herzlich danken für die verständnisvolle Begleitung bei der Fertigstellung des Manuskriptes, Herr Dr. Franz Kass hat uns auf manchen Druckfehler aufmerksam gemacht und auch durch didaktische Hinweise wertvolle Beiträge geleistet. Wir hoffen, dass auch diese Auflage eine ähnlich gute Aufnahme findet wie die vorhergehenden. Für Hinweise und Anregungen sind wir auch weiterhin unseren Fachkollegen dankbar. Hannover, im März 2008
Gerhard Habermehl Peter Hammann Hans Christoph Krebs Waldemar Ternes
Vorwort der zweiten Auflage
Die erste Auflage der „Naturstoffchemie“ hat eine freundliche Aufnahme gefunden, trotz mancher kritischer Anmerkungen von Kollegen und Benutzern, für die wir aber dankbar sind; waren sie doch hilfreich bei der Überarbeitung des gesamten Manuskriptes. Vorgabe des Verlags war, dass der Umfang den der ersten Auflage nicht übersteigen dürfe; damit verbot sich eine größere Ausweitung des Stoffes. Gleichwohl ist auf mehrfachen Wunsch von Lesern und Rezensenten ein Kapitel über Flavonoide hinzugekommen, die in jüngerer Zeit größeres medizinisches Interesse gefunden haben; dies war nur zu realisieren durch Schnitte und Kürzungen an anderer Stelle, die uns aber vertretbar erschienen. Bei der Auswahl der einzelnen Beispiele haben wir uns wieder leiten lassen von der biologischen bzw. medizinischen Wichtigkeit der Substanzen, zumal dieses Buch ja auch für Nicht-Chemiker, Biologen und Mediziner geschrieben ist. Für Chemiker mögen die ausgewählten Reaktionen hoffentlich hilfreich sein. Diese Spanne der potenziellen Nutzer dieses Buches ist ein nicht einfacher Spagat, zumal es Monographien geben mag, die einzelne Kapitel ausführlicher behandeln. Andererseits haben uns aber viele positive Reaktionen, auch aus dem Ausland, ermutigt, die Konzeption, wie auch die deutsche Sprache beizubehalten. Das Manuskript wurde vollständig überarbeitet und neu gesetzt, wobei wir Frau Carolin Pfeufer für das Schreiben des Textes zu herzlichem Dank verpflichtet sind. Hilfreich waren dabei vor allem auch die freundlichen Hinweise von Kollegen auf Druckfehler. Ganz besonders danken wir hier Herrn Prof. Dr. Haslinger, Institut für Pharmazeutische Biologie der Universität Graz, für zahlreiche wertvolle Hinweise. Frau Dr. Marion Hertel und Frau Pamela Frank, Springer-Verlag Heidelberg, danken wir für vielfältige Hilfe bei der Erstellung des druckreifen Manuskripts. Herrn Dr. Torsten Carl sei für seinen Einsatz beim Korrekturlesen und bei der Überprüfung der Formeln gedankt. So schicken wir das Manuskript, diesmal in elektronischer Form, auf die Reise und hoffen, dass auch diese zweite Auflage bei den Lesern ankommt.
Hannover, im Juni 2002
Gerhard Habermehl Peter Hammann Hans Chr. Krebs
Vorwort der ersten Auflage
Gute Lehrbücher der Organischen Chemie gibt es viele, auch in deutscher Sprache. Inhaltlich reflektieren sie allerdings alle den Trend der letzten Jahrzehnte, hin zu den mehr theoretischen und mechanistischen Aspekten und weg von der in Deutschland ja einst blühenden Naturstoffchemie. So werden in diesen Büchern Naturstoffe im Allgemeinen eher marginal behandelt. Dieses Buch entstand aus einer Vorlesung „Naturstoffchemie“ auf unzählige Fragen von Studenten nach einem Opus hin, in dem man den Stoff vertiefen könnte. Ein solches Buch gab es bisher praktisch nicht; man musste sie verweisen auf die zahlreichen guten Monographien und größeren Werke über die eine oder andere Substanzklasse, z. B. auf die „Steroide“ von Fieser & Fieser, um nur ein Beispiel zu nennen. So reifte auf Drängen der Studenten aus Chemie, Biochemie und Biologie die Idee, den Vorlesungsstoff auszuweiten und als Buch zu schreiben. Damit ergab sich sehr bald, als wir über dem Konzept saßen, eine Problematik, nämlich die des vernünftigen Umfangs. Darf eine einsemestrige, zweistündige Vorlesung durchaus lückenhaft sein, so wird man dies a priori einem Lehrbuch, auch wenn es eine Einführung sein soll, nicht so leicht verzeihen. Dennoch mussten wir den „Mut zur Lücke“ haben. Wollte man das gesamte Gebiet ausführlich behandeln, so hätte dies den Rahmen eines Buches gesprengt, zumal wir nicht die einzelnen Substanzen nur aneinanderreihen und beschreiben wollten, sondern auch etwas über ihre praktische Bedeutung bringen wollten, schon deshalb, weil ja die Mehrheit der Studenten später in die Industrie geht. Das Ziel dieses Buches ist also eine Einführung in die Mannigfaltigkeit der natürlich vorkommenden Strukturen, deren Synthese und soweit bekannt, auch deren biologische Bedeutung. Um den Rahmen des Stoffes in Grenzen zu halten, wurde in Kauf genommen, dass manche Strukturklassen, die anderwärts in Lehrbüchern ausführlicher beschrieben werden, hier nicht behandelt werden. Sodann wird auf klassische Abbaureaktionen nur in seltenen Fällen eingegangen. So wichtig solche Reaktionen auch von ihrem präparativen Aspekt sind, für die Strukturaufklärung sind sie heute durch die modernen spektroskopischen Methoden, insbesondere der 2D-NMR-Spektroskopie, der FAB-Massenspektroskopie sowie der Röntgenstrukturanalyse, nicht mehr von überragender Bedeutung. An ihrer Stelle haben wir hier Partial- und Totalsynthesen behandelt und hervorgehoben. Das Ziel der modernen Naturstoffsynthese ist vor allem die enantioselektive Totalsynthese. Die Fortschritte auf diesem Gebiet sind so progressiv, dass für eine enorme Zahl komplexer Naturstoffe auch eine Totalsynthese beschrieben ist. „We can now make a few milligrams of anything whose structure we can draw, that is stable, and has fewer than a thousand atoms“ (D. Seebach, Liebigs Ann. Chem. 1986, 1281).
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Zur Erarbeitung von Synthesekonzepten für Naturstoffe dient als Leitlinie oft die biomimetische Synthese, die daher auch an einer Reihe von Stellen behandelt wird. Studien zur Biosynthese einer Substanz erleichtern häufig ihre Einordnung in den Stoffwechsel und damit zu ihrer biologischen Bedeutung. Neben dieser haben wir uns in einer Reihe von Beispielen bemüht, auch die pharmakologischen Aspekte mitzubehandeln. Für die spätere Praxis sind hier, nur um ein Beispiel zu nennen, die Antibiotika von besonderer Bedeutung. So wurden nicht nur Laboratoriumsmethoden beschrieben, sondern auch technische Verfahren zur Produktion der einen oder anderen Substanz. Andererseits glauben wir aber auch, auf einiges verzichten zu dürfen, was anderwärts zu finden ist. So haben wir kein Kapitel über Hormone oder Flavone geschrieben, da diese in den Lehrbüchern der Biochemie ausführlich behandelt sind. Trotz des Umfanges dieses Buchs wird der Leser nicht ohne weitere Literaturstudien auskommen. Um ihm dies zu erleichtern, haben wir ans Ende eines jeden Kapitels eine Zusammenstellung von Büchern und Originalarbeiten gesetzt, die zur Vertiefung des Stoffes dienen mögen, aber auch gelegentlich experimentelle Details bringen für denjenigen, der entsprechende Reaktionen nacharbeiten möchte. So hoffen die Autoren, möglichst vielen Wünschen der Leser gerecht zu werden. Zielgruppen sind in erster Linie Studenten nach dem Vorexamen aus den Fächern Chemie, Biochemie, Biologie und Pharmazie. Auch mancher Mediziner und Veterinärmediziner wird den Inhalt mit Nutzen verwerten können. Andererseits ist es absehbar, dass nicht jeder Leser und insbesondere Rezensent, uneingeschränkten Beifall zollen wird. Da dies eine erste Auflage ist, sind wir besonders für konstruktive Kritik, Hinweise auf eventuelle Druckfehler und andere Mängel dankbar, damit sie in einer – hoffentlich – folgenden Auflage vermieden werden. Ohne Mitarbeit von Helfern wäre diese Buch nicht zustandgekommen. Frau H. Büsing, Frau H. Landes und Frau A. Piepho waren beim Erstellen der Reinschrift behilflich. Weiterhin sind wir Frau Dr. Grabley, Herrn Dr. Hütter, Dr. Thiereck, Dr. Wiesner und Prof. Dr. Seibert (Hoechst AG), für wertvolle Hinweise und ständige Diskussionsbereitschaft zu Dank verpflichtet. Frau I. SadowskyDunkmann hat das gesamte Manuskript kritisch durchgesehen und einzelne Abschnitte neu gefasst; ebenso hat sie die Formeln auf Richtigkeit geprüft. Beim Springer-Verlag waren es insbesondere Herr Dr. Stumpe und Herr Bünger, die uns viel Verständnis in manchen Schwierigkeiten, die auf dem Weg von den Autoren zum Leser auftraten, entgegenbrachten, und die Produktion tatkräftig unterstützten. Ihnen allen sind wir zu größtem Dank verpflichtet.
Hannover, im Mai 1992
Gerhard Habermehl Peter Hammann
Geleitwort zu zweiten Auflage
Dass nach einigen Jahren eine zweite Auflage dieses Werkes notwendig wird, zeigt, dass es eine breite Leserschaft gefunden hat. Die Autoren haben bei dieser Gelegenheit ein Kapitel über Flavonoide hinzugefügt, an mehreren Stellen aktualisiert und Fehler der ersten Ausgabe korrigiert. Durch diese Bearbeitung ist die Attraktivität des Buches noch gesteigert worden, denn die Herausforderungen und Meriten der Naturstoffchemie bestehen unverändert fort (s. Geleitwort zur ersten Auflage). Hannover, im Juni 2002
Professor Dr. E.Winterfeldt
Geleitwort zu ersten Auflage Die intellektuelle und experimentelle Beschäftigung mit Naturstoffen ist von hohem Gewinn nicht nur für den speziellen Zirkel der Naturstoffchemiker, sondern für Chemiker ganz allgemein. Man lernt dabei vieles über die Stabilität und Reaktivität vielfältiger und teilweise auch ungewöhnlicher Strukturen, profitiert von dem reichlichen Angebot definiert konfigurierter, z. T. hochfunktionalisierter sowie polycyclischer Systeme und staunt dabei über die vielen Beispiele stereospezifischer Transformationen. Für das Feld der Stereochemie sind darüber hinaus das üppig zur Verfügung stehende Spielmaterial zur Konformationsanalyse reizvoll sowie die große Zahl wohlfeiler Edukte für die Herstellung enantiomerenreiner Substanzen sowie kunstvoll entworfener Auxiliare. Der synthetischen Chemie wachsen aus den Studium der Naturstoffe bzw. aus den Bemühungen zur Naturstoffsynthese zahlreiche neue Methoden zu, denn ohne Unterlass werden für neue komplexe Strukturen als interessante Herausforderung von der Natur präsentiert, und in vielen Fällen zeigt sich dann, dass das vorhandene Arsenal einer Nachbesserung bedarf, um diese Herausforderungen zu bestehen. Ein besonderer Gewinn für die Synthetiker erwächst aber auch aus dem Studium und der Überprüfung der Biosynthesesequenzen. Hier hat der Chemiker die äußerst stimulierende Chance, einen originellen und nicht durch Grundvorlesung wie Lehrbuch intellektuell ge-
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gängelten, vielseitigen Chemiker über die Schulter zu schauen, der mit einem grenzten Satz von Ausgangsmaterialien einfallsreich experimentiert. Die Tatsache, dass die Isolierung und Reinigung von Naturstoffen aus immer komplexeren Systemen erfolgt, einmal weil man sich heute auch an höchst empfindliche und hochmolekulare Strukturen heranmacht, zum anderen weil derzeit selbst ungewöhnliche Quellen, wie marine Lebewesen und Kulturbrühen, angezapft werden, bürdet auch der Analytik und den Trennmethoden schwierige Lasten auf und zwingt auch hier zu andauernder Fortentwicklung. Last not least legt die Naturstoffchemie dem Wirkstoffchemiker im Bereich der Pharmaka, Pflanzenschutzmittel und Pheromone äußerst verfolgenswerte Fährten und lädt immer wieder zu chemischer Verfeinerung und Verbesserung ein, beschert dem Spektroskopiker nützliche Modellsysteme und stattet den Mechanistiker mit wertvollen, konstitutionelle sowie konfigurative Wünsche erfüllenden Studienobjekten aus. Ein Buch, das diese Felder an Hand geeigneter Beispiele darstellt, kann sich also einer breiten Zuwendung erfreuen, wenn es möglichst viele dieser Aspekte berührt. So etwas ist heute natürlich nicht mehr lückenlos und flächendeckend in einem einzigen Band zu schaffen. Eine systematische Behandlung der Naturstoffchemie unter Berücksichtigung von Stereochemie, Biogenese und Wirkstoffcharakter würde sicher kaum in 10 Bänden Platz finden, und es muss daher mutig und entschlossen eine Auswahl getroffen werden bei den Substanzklassen, bei den Verbindungen, bei den Reaktionen, bei der Synthese und bei der Biosynthese. Die Autoren dieses Werkes haben diesen Schritt vollzogen, um auf der anderen Seite die Möglichkeit zu behalten, allen Aspekten Aufmerksamkeit zu schenken, die für die Organische Chemie insgesamt von Bedeutung sind. Das Angebot ist breit, das Bündel ist geschnürt, die Reise zu den Lesern kann beginnen. Möge es ein glatter Start und eine erfolgreiche Reise werden, getragen von wachem Interesse und der konstruktiven Kritik vieler Leser. Hannover, 27. April 1992
Professor Dr. E. Winterfeldt
Inhaltsverzeichnis
Einleitung ...............................................................................................................1 1 Terpene................................................................................................................5 1.1 Monoterpene ................................................................................................6 1.2 Sesquiterpene.............................................................................................19 1.3 Diterpene....................................................................................................26 1.4 Sesterterpene..............................................................................................33 1.5 Triterpene...................................................................................................33 1.6 Tetraterpene ...............................................................................................39 1.7 Polyisoprene ..............................................................................................42 1.8 Biosynthese der Terpene............................................................................43 2 Steroide..............................................................................................................55 2.1 Cholesterin und verwandte Sterole ............................................................56 2.2 Steroidsaponine vom Spirostan-Typ..........................................................67 2.3 Vitamin D ..................................................................................................70 2.4 Gallensäuren ..............................................................................................73 2.5 Corticoide ..................................................................................................76 2.5.1 Partialsynthese von Glucocorticoiden ................................................77 2.5.2 Partialsynthese von Mineralcorticoiden .............................................85 2.5.3 Derivatisierung von Cortisolacetat .....................................................88 2.6 Sexualhormone ..........................................................................................89 2.6.1 Gestagene und Östrogene ...................................................................89 2.6.2 Androgene ..........................................................................................99 2.7 Herzwirksame Glycoside .........................................................................100 2.7.1 Partialsynthese von Cardenoliden ....................................................104 2.8 Bufadienolide...........................................................................................115 2.9 Partialsynthese von Holothurinogeninen .................................................116 2.10 Biosynthese von Steroiden.....................................................................121 2.11 Steroid-Totalsynthesen ..........................................................................125 3 Biogene Amine und Alkaloide .......................................................................143 3.1 Biogene Amine ........................................................................................143 3.2 Alkaloide mit Piperidin-, Pyrrol-, Pyrrolidin- und Pyridin-Struktur........153 3.2.1 Piperidin-Alkaloide ..........................................................................153 3.2.2 Pyrrolidin- und Pyrrol-Alkaloide .....................................................167
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3.2.3 Pyridin-Alkaloide ............................................................................. 168 3.2.4 Biosynthese der Alkaloide mit Piperidin-, Pyrrol-, Pyrrolidin- und Pyridin-Struktur ........................................................................................ 170 3.3 Alkaloide mit Isochinolin-, Chinolin-, Chinazolin- und Indol-Gerüst..... 176 3.3.1 Isochinolin-Alkaloide....................................................................... 176 3.3.2 Chinolin-Alkaloide........................................................................... 187 3.3.3 Chinazolin-Alkaloide ....................................................................... 192 3.3.4 Indol-Alkaloide ................................................................................ 193 3.4 Alkaloide mit Indolizidin-, Pyrrolizidin- und Chinolizidin-Stuktur ........ 209 3.4.1 Indolizidin-Alkaloide ....................................................................... 209 3.4.2 Pyrrolizidin-Alkaloide...................................................................... 216 3.4.3 Chinolizidin-Alkaloide..................................................................... 221 3.4.4 Biosynthese der Indolizidin-, Pyrrolizidin- und ChinolizidinAlkaloide................................................................................................... 222 3.5 Purin-Alkaloide ....................................................................................... 224 3.6 Steroid-Alkaloide..................................................................................... 226 3.6.1 Solanum-Alkaloide........................................................................... 227 3.6.2 Spirosolan-Alkaloide........................................................................ 229 3.6.3 Funtumia-Alkaloide ......................................................................... 233 3.6.4 Salamander-Alkaloide...................................................................... 234 3.6.5 Veratrum-Alkaloide ......................................................................... 235 3.6.6 Batrachotoxine ................................................................................. 239 3.6.7 Biosynthese der Steroid-Alkaloide................................................... 244 4 Aminosäuren, Peptide und Proteine ............................................................. 251 4.1 Aminosäuren............................................................................................ 251 4.1.1 Proteinogene Aminosäuren .............................................................. 251 4.1.2 Nichtproteinogene Aminosäuren...................................................... 258 4.1.3 Analyse von Aminosäuren ............................................................... 262 4.1.4 Darstellung von Aminosäuren.......................................................... 265 4.1.5 Biosynthese von Aminosäuren......................................................... 276 4.2 Peptide ..................................................................................................... 277 4.2.1 Peptid-Analyse ................................................................................. 278 4.2.2 Peptidsynthesen................................................................................ 282 4.2.3 Biologisch aktive Peptide................................................................. 288 4.2.4 Biosynthese von Peptiden ................................................................ 306 4.2.5 Süß schmeckende Peptide ................................................................ 307 4.3 Proteine.................................................................................................... 308 4.3.1 Struktur und Klassifizierung von Proteinen ..................................... 308 4.3.2 Enzyme............................................................................................. 314 4.3.3 Anwendung von Proteinen ............................................................... 325 4.3.4 Protein- und Peptidtoxine................................................................. 327 4.3.5 Modifizierung von Proteinen............................................................ 330 5 Kohlenhydrate ................................................................................................ 335 5.1 Monosaccharide....................................................................................... 335
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5.1.1 Struktur der Monosaccharide ...........................................................335 5.1.2 Reaktionen der Monosaccharide ......................................................341 5.1.3 Amino- und Desoxyzucker...............................................................363 5.1.4 Cyclitole und Pseudozucker .............................................................368 5.1.5 Vitamin C .........................................................................................372 5.1.6 Biosynthese von Monosacchariden, Glycolyse und Gluconeogenese ........................................................................................375 5.1.7 Glycoside..........................................................................................383 5.2 Di- und Oligosaccharide ..........................................................................386 5.2.1 Disaccharide .....................................................................................388 5.2.2 Oligoglycoside .................................................................................390 5.2.3 Aminoglycosidantibiotika ................................................................392 5.2.4 Glucosidaseinhibitoren.....................................................................399 5.3 Polysaccharide .........................................................................................401 5.3.1 Homopolysaccharide ........................................................................403 5.3.2 Heteropolysaccharide .......................................................................408 5.3.3 Komplexe Polysaccharide ................................................................413 5.3.4 Immunstimulation aus bakteriellen Zellwänden...............................418 5.3.5 Synthese von Teichonsäuren ............................................................420 6 Nucleoside, Nucleotide und Nucleinsäuren ..................................................425 6.1 Nucleoside in der DNA und RNA ...........................................................425 6.1.1 Chemische Synthese von Nucleosiden .............................................429 6.1.2 Nucleosid-Antimetabolite.................................................................433 6.2 Nucleotide................................................................................................440 6.3 Nucleinsäuren ..........................................................................................444 6.3.1 Biologische Relevanz .......................................................................446 6.3.2 Chemische und physikalische Modifizierung von DNA und RNA..448 6.3.3 DNA-Sequenzierung ........................................................................451 6.3.4 Oligonucleotid-Synthese ..................................................................455 6.4 Biosynthese von Nucleosiden ..................................................................460 7 Flavonoide .......................................................................................................467 7.1 Derivate des 2-Phenylchromans und -chromons......................................467 7.1.1 Flavan-3-ole .....................................................................................469 7.1.2 Flavan-3,4-diole ...............................................................................473 7.1.3 Flavanone .........................................................................................474 7.1.4 Flavanonole ......................................................................................476 7.1.5 Flavone .............................................................................................477 7.1.6 Flavonole..........................................................................................481 7.1.7 Anthocyanidine und Anthocyane .....................................................483 7.2 Derivate des 3-Phenylchromons ..............................................................491 7.2.1 Rotenoide .........................................................................................495 7.2.2 Pterocarpane .....................................................................................495 7.3 Aurone .....................................................................................................496 7.4 Chalkone ..................................................................................................497
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7.5 Biosynthese der Flavonoide..................................................................... 499 7.6 Biologische Aktivität von Flavonoiden ................................................... 501 8 Porphyrine, Chlorine und Corrine ............................................................... 505 8.1 Porphyrine ............................................................................................... 506 8.1.1 Synthese von Porphyrinen................................................................ 512 8.1.2 Häm und verwandte Verbindungen.................................................. 519 8.2 Chlorine ................................................................................................... 530 8.2.1 Chlorophylle..................................................................................... 530 8.3 Corrine..................................................................................................... 541 8.3.1 Vitamin B12 ...................................................................................... 541 8.3.2 Vitamin B12-Synthese und Orbitalsymmetrie-kontrollierte Reaktionen ................................................................................................ 544 8.3.3 Vitamin B12-Synthese....................................................................... 549 8.4 Biosynthese von Porphyrinen, Chlorinen und Corrinen .......................... 555 9 Lipide............................................................................................................... 563 9.1 Fettsäuren................................................................................................. 563 9.2 Fette und Wachse..................................................................................... 566 9.3 Polare Lipide............................................................................................ 567 9.3.1 PAF („platelet activating factor“)..................................................... 572 9.4 Funktion von Lipiden beim Aufbau von biologischen Membranen ........ 574 9.5 Biosynthetischer Fettsäureaufbau und Fettsäureabbau ............................ 574 10 Eicosanoide (Prostaglandine, Prostacycline, Thromboxane und Leukotriene)....................................................................................................... 579 10.1 Biologische Funktion............................................................................. 581 10.2 Prostaglandine ....................................................................................... 584 10.2.1 Synthese von Prostaglandinen........................................................ 584 10.3 Prostacycline.......................................................................................... 595 10.3.1 Synthese von Prostacyclinen und verwandten Verbindungen........ 595 10.4 Thromboxane......................................................................................... 596 10.4.1 Synthese von TXB2 ........................................................................ 596 10.5 Biosynthese der Eicosanoide ................................................................. 597 11 Antibiotika und Chemotherapeutika.......................................................... 601 11.1 Tetracycline ........................................................................................... 602 11.2 Anthracycline......................................................................................... 604 11.3 Chloramphenicol ................................................................................... 605 11.4 Griseofulvin ........................................................................................... 607 11.5 Polyether................................................................................................ 607 11.6 Makrolid-Antibiotika............................................................................. 612 11.6.1 Erythromycine und verwandte Verbindungen................................ 612 11.6.2 Polyen-Makrolide........................................................................... 614 11.6.3 Ansa-Makrolide.............................................................................. 616 11.6.4 Ungewöhnliche Makrolide ............................................................. 618
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11.6.5 Strategien zur Synthese von Makroliden........................................622 11.6.6 Avermectine und Milbemycine ......................................................626 11.7 Endiin-Antibiotika .................................................................................633 11.8 Polyketid-Biosynthese ...........................................................................638 12 Pheromone ....................................................................................................643 12.1 Lepidoptera-Pheromone.........................................................................643 12.2 Coleoptera-Phermone ............................................................................648 13 Vitamine ........................................................................................................659 13.1 Tabellarische Übersicht der Vitamine....................................................659 Sachverzeichnis..................................................................................................675
Einleitung
Naturstoffe haben den Menschen seit ältesten Zeiten interessiert, handelt es sich dabei doch häufig genug um Substanzen mit hoher biologischer Wirksamkeit. So sind die herzwirksamen Glycoside und ihre Wirkung bereits in dem dreieinhalbtausend Jahre alten „Papyrus Ebers“, das in der Universitätsbibliothek von Leipzig liegt, beschrieben. Oder die Wirkung der getrockneten und gepulverten Hautdrüsensekrete der Kröten in einer chinesischen Pharmakopöe aus der Zeit um 2700 v. Chr., übrigens ebenso wie die Wirkung der Inhaltsstoffe von Cannabis. Und Herodot beschreibt, dass die Skythen den Samen von Cannabis bei ihren rituellen Dampfbädern anlässlich von Begräbniszeremonien verwendeten. Andere Rauschmittel waren die Hexensalben des Mittelalters, zu denen die Extrakte aus Aconitum, Datura, Hyoscyamus und Papaver verwendet wurden. Durch das Einreiben an bestimmten Körperstellen, die nur eine langsame Resorption ermöglichten, konnten lang anhaltende Halluzinationen erzielt werden, ohne die unangenehmen Nebenwirkungen hoher Dosierungen. Schließlich haben unsere Vorfahren um die Giftigkeit von Tollkirsche und Bilsenkraut gewusst, denn deren Säfte wurden von den steinzeitlichen Jägern Europas als Pfeilgifte benutzt. Doch nicht nur die Giftwirkung, sondern auch die medizinische Anwendung vieler Naturstoffe ist alt. Die Benediktinermönche Irlands brachten einen ganzen Erfahrungsschatz keltischer Druiden mit nach Mitteleuropa und die Klostergärten mit ihren Heil- und Gewürzkräutern sind bekannte Zeugen dieser Kenntnisse, die profund gewesen sein müssen, wenn man bedenkt, mit welchem Erfolg der Milchsaft von Papaver somniferum zu Narkosezwecken bzw. als Analgetikum verwendet wurde – eine von der Dosierung her nicht ganz einfache Aufgabe. Auch die indische Volksmedizin Ayurveda, die in den vier grundlegenden Werken, den Veden, niedergelegt ist, blickt auf eine 3.000-jährige Geschichte zurück. Auf toxische Inhaltsstoffe aus Mikroorganismen wird vermutlich auch schon in der Bibel hingewiesen. Man nimmt heute an, dass die zehnte Plage im Ägypten zur Zeit Moses, der Tod aller Erstgeborenen, auf den Verzehr von verschimmeltem Getreide zurückzuführen ist, das durch die vorhergegangenen Plagen, wie Regen und Hagel verdorben wurde (2. Mose, 11. Kapitel, Vers 5). In dem Maße, wie sich die Chemie des beginnenden 19. Jahrhunderts dann analytische Methoden erschloss, gelang auch die Reindarstellung der einzelnen Wirkstoffe. 1819 entdeckte Meissner in Halle das Veratrin; von ihm stammt auch die Bezeichnung „Alkaloid“ für eine stickstoffhaltige Pflanzenbase. Der Alkaloidbegriff war lange Zeit auf Pflanzeninhaltsstoffe beschränkt; erst seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde er auf analoge Inhaltsstoffe aus Tieren, etwa
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aus Amphibien und Insekten, erweitert und inzwischen auch auf solche Stoffe aus Mikroorganismen wie z. B. das Tetrodotoxin und viele andere Substanzen. 1806 gelang dem Paderborner Apotheker Sertürner die Reindarstellung von Morphin aus Roh-Opium, und 1820 glückte Pelletier in Frankreich die Isolierung von Strychnin und Chinin. Zwei Jahre später griff E. Merck, Apotheker in Darmstadt, diese Methode auf und stellte als ersten industriell dargestellten Naturstoff das Morphin mit einer Reinheitsgarantie her. Diese Reinheitsgarantie war für die damalige Zeit etwas Unerhörtes; sie setzte neue Normen für Arzneimittel und später auch für Feinchemikalien. Mit der Entdeckung von Mikroorganismen und der Beobachtung von Robert Koch, der 1876 erstmals einen lebenden Mikroorganismus als spezifische Krankheitsursache nachwies, bekam die Naturstoffchemie eine weitere Dimension: zum einen in der spezifischen Bekämpfung von Mikroorganismen und zum anderen in deren Verwendung als Produzenten biologisch aktiver Naturstoffe. Im Jahre 1877 beobachtete L. Pasteur die gegenseitige Behinderung des Wachstums von Mikroorganismen in einem gemeinsamen Nährmedium. Ende des 19. Jahrhunderts waren bereits einige Antibiotika bekannt, die jedoch alle keine industrielle Relevanz erlangten. Erstmals wurde in den 20er Jahren ein das Antibiotikum Pyocyanin enthaltendes Stoffgemisch industriell hergestellt. Im Jahre 1928 entdeckte Fleming das Penicillin aus Penicillium notatum, das in der Lage ist, verschiedene Staphylokokken-Stämme im Wachstum zu hemmen. Erst nach Entwicklung der Sulfonamide durch G. Domagk wurden von Florey und Chain die Arbeiten über Penicillin wieder aufgenommen und durch die Suche nach Heilmitteln gegen Infektionskrankheiten und Wundinfektionen fortgesetzt, die mit Beginn des 2. Weltkrieges noch verstärkt wurde. So wurde 1940 das Penicillin G isoliert; 1941 begann die Produktion in den USA und in kleinerem Umfang 1943 in Deutschland, in den Farbwerken Hoechst. 1945 wurde die Struktur von Woodward aufgeklärt. Das Penicillin löste eine Revolution in der antibakteriellen Chemotherapie aus. Diese Erfolge und die durch sie gewonnenen Erkenntnisse setzten eine Flut von Arbeiten auf dem Naturstoffsektor in Gang. Neben den Alkaloiden, denen ganz besonderes Interesse galt, waren es die Isoprenoide, die Terpene und die Carotinoide, die eingehend untersucht wurden. Paul Karrer erhielt 1931 u. a. für seine Arbeiten auf dem Gebiet des Vitamins A den Nobelpreis. Die Chemie der Tetrapyrrolfarbstoffe Chlorophyll, Hämoglobin und Vitamin B12 ist mit den Namen Windaus, Willstätter, Inhoffen, Lord Todd, Bernauer u. v. a. verknüpft; die Struktur des Vitamins B12 konnte jedoch erst mit Hilfe der Röntgenstrukturanalyse durch D. Crawfoot-Hodgkin aufgeklärt werden. H. Wieland befasste sich mit den Farbstoffen der Schmetterlingsflügel, den Pterinen, sowie den Krötengiften. Doch nicht nur die Chemie hat davon profitiert, sondern auch nahe verwandte Gebiete, wie z. B. die Medizin oder die Pharmakologie. Es sind heute etwa 100 Naturstoffe als pharmazeutische Wirkstoffe für den Humanbereich im Handel. Den größten Anteil nehmen hier die Antibiotika mit etwa 30 % ein (die Prozentzahl umfasst nicht die Vielzahl an Derivaten der entsprechenden Naturstoffe). Etwa 10 % werden als Cytostatika verwendet. Während die Antibiotika ausschließlich von Mikroorganismen gebildet werden, findet man bei den Cytostatika auch Pflanzeninhaltsstoffe wie Vincristin und Vinblastin aus Vinca rosea. Die größten
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Mengen an mikrobiellen Naturstoffen werden in der Tiernahrung und im Pflanzenschutz eingesetzt, während die größten Umsätze in der Humanmedizin erzielt werden. So war z. B. das Marktvolumen der Antibiotika 1990 größer als 16 Mrd. Euro. Als neuere Naturstoffe, die aufgrund einer außergewöhnlichen Wirkung im Markt eingeführt wurden, sind zu nennen: Ivermectin (Antiparasitikum im Veterinärbereich), Cyclosporin (Immunsupressivum im Humanbereich), Mevinolin (Cholesterinsenker im Humanbereich) und Phosphinothricin (Herbizid im Pflanzenschutz). Interessant ist, dass Ivermectin und Mevinolin in einem „Target orientierten Screening“ mit der oben angegebenen Indikation gefunden wurden; Cyclosporin und Phosphinothricin wurden in einem antibakteriellen Screening gefunden. Die industriell verwertete Aktivität wurde erst nach Isolierung der Reinsubstanz und breiter biologischer Untersuchung entdeckt. Dies zeigt, dass das Auswahlkriterium für die Isolierung eines Naturstoffes nicht nur eine biologische Aktivität sein sollte. In zahlreichen Giften aus Tieren und Pflanzen wurden wertvolle Substanzen gefunden, die das Studium der Nervenreizleitung ermöglichen, und die Einblicke in die Ionenkanäle ermöglichten. Schlangengifte, das Tetrodotoxin (Tsuda), das Batrachotoxin (Witkop), Apamin und Melittin (Habermann) seien hier nur als pars pro toto erwähnt. Um alles zu erfassen, müsste ein Buch über die Geschichte der Naturstoffchemie geschrieben werden – es würde den Rahmen einer Einleitung sprengen. Offensichtlich haben Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen eine beträchtliche Fähigkeit zur Synthese von Naturstoffen mit unterschiedlichsten Strukturen. Für die Produktion von Naturstoffen haben Mikroorganismen den Vorteil der Kultivierung und damit der Produktion im Labor, wohingegen bei Pflanzen ein entsprechender Anbau oder bei Tieren eine entsprechende Züchtung sehr viel aufwändiger sind. Hier eröffnet das Arbeiten mit pflanzlichen oder tierischen Zellkulturen in Zukunft neue Perspektiven. Bisher stehen dieser Anwendung noch die Technologie-bedingten, hohen Kosten bezüglich der Bildung hinreichend großer Stoffmengen in ökonomisch vertretbarer Zeit gegenüber. Mikroorganismen haben den Vorteil eines sehr kleinen Zellvolumens, eines schnelleren Stoffwechsels und einer schnelleren Zellteilungsrate. Aus der Beschäftigung mit den sehr komplexen Problemen der Naturstoffchemie resultierten immer wieder fundamental neue Theorien, wie die Methoden von Cram oder Woodward-Hoffmann. Woodward hob die Untersuchung von Naturstoffen als Triebkraft seiner Forschung hervor. Naturstoffe sind auch heute noch eine Herausforderung für den Synthesechemiker, der lernen muss, stereochemische und regioselektive Kriterien zu beachten, um komplizierte Verbindungen gezielt zu verändern oder gänzlich zu synthetisieren. Da Naturstoffe aus natürlichen Ressourcen nur selten ausreichend verfügbar sind, müssen sie oft enantioselektiv von Grund auf synthetisiert werden, um mit genügend Material eine breite biologische Untersuchung abzuschließen. Beim modernen Arsenal an Methoden, die für enantioselektive Totalsynthesen zur Verfügung stehen, darf aber nicht vergessen werden, dass man immer optisch aktive Verbindungen für jede enantioselektive Synthese benötigt, unabhängig da-
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von, ob die Synthese substrat- oder reagenzienkontrolliert bzw. stöchiometrisch oder katalytisch durchgeführt wird. Enantiomerenreine Verbindungen sind aus der Natur isoliert oder leiten sich von einem Naturstoff ab. Die Aufgabe des präparativ orientierten Naturstoffchemikers, der sich vor allem für biologisch aktive Naturstoffe und deren Anwendung interessiert, ist die Modifizierung dieser Verbindungen, um Struktur-WirkungsBeziehungen zu erarbeiten, die Aktivität zu steigern, Nebenwirkungen zu minimieren, die pharmakologischen und chemischen Eigenschaften zu verändern und um aktive Teilstrukturen zu erkennen. Umso erstaunlicher ist es eigentlich, dass die Naturstoffchemie in den Lehrbüchern der Organischen Chemie eine eher marginale Rolle spielt, wenn man von den Zuckern und Aminosäuren einmal absieht, und dass es nur wenige Bücher gibt, die sich mit Naturstoffchemie befassen. Das riesige Material findet sich praktisch ausschließlich in Monographien, Zusammenfassungen und Originalarbeiten. Der Grund ist wohl das riesige Angebot, das gemacht wird und damit die Schwierigkeit der Auswahl. So haben auch wir vor der Aufgabe gestanden, zu sichten und uns auf Beispiele aus den einzelnen Bereichen zu beschränken. So will dieses Buch denn keine umfassende Enzyklopädie sein, sondern eine Einführung in ein überaus interessantes Gebiet, das jenseits der interessanten Molekülstrukturen und der biologischen Bedeutung der Stoffe genügend Raum lässt für mechanistische und stereochemische Fragestellungen. So ist die Naturstoffchemie eine gute Basis für jede chemische Ausbildung überhaupt. Nicht nur der Chemiker sollte sich hier auskennen, sondern besonders auch die Studenten der angrenzenden Fächer. Die biologische Bedeutung der Naturstoffe, vor allem der sogenannten Sekundärmetaboliten, ist bei weitem noch nicht erforscht, und wir wissen noch recht wenig über die ökologischen Zusammenhänge und das Wechselspiel zwischen den Arten. Vieles davon wird ja über Botenstoffe gesteuert; die Sexuallockstoffe oder die Repellents der Meerestiere sind hier wieder nur zwei augenfällige Beispiele. Viele dieser Probleme sind nur in enger Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern aus benachbarten Disziplinen zu lösen; so wird die Naturstoffchemie fast zu einem integrierenden Element der Naturwissenschaften.
1 Terpene
Die Essigsäure spielt als Baustein in der Biosynthese zahlreicher Naturstoffe eine hervorragende Rolle; Terpene, Steroide und die langkettigen Fettsäuren werden daher häufig als Acetoide zusammengefasst. Hier sollen diese Verbindungen jedoch getrennt behandelt werden. Als Terpene bezeichnet man Verbindungen, die aus zwei oder mehr Isopreneinheiten aufgebaut sind. Entsprechend lassen sich Strukturen mit Hilfe der „Isopren-Regel“, die schon 1887 von Wallach aufgestellt wurde, leichter zuordnen. Der Grundkörper, das Isopren, ist eine Flüssigkeit mit einem Siedepunkt von 31°C; es lässt sich aus Aceton und Acetylen synthetisieren.
O
+ H
H
NaNH2
OH
Pd/Pb H2
OH
H+ - H2O
Technisch wird es aus der Isopentanfraktion des Erdöls durch Dehydrierung am Cr2O3-Al2O3-Kontakt gewonnen. Ein weiterer Weg ist die Dimerisierung von Propen mit Ziegler-Katalysatoren zu 2-Methylpenten, das in der Gasphase zu Isopren und Methan gespalten wird.
+
2
CH4
Bei 300°C dimerisieren zwei Isopreneinheiten in einer [4+2]-Cycloaddition zum (±)-Limonen. Limonen ist das einfachste cyclische Monoterpen.
300 °C 1000 °C
(±)-Limonen
Die einfachsten acyclischen Monoterpene sind die Kohlenwasserstoffe Ocimen und Myrcen (C10H16), bei denen zwei Isoprenreste linear in einer Kopf-Schwanz-
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1 Terpene
Verknüpfung miteinander verbunden sind. Myrcen ist in Koriander, Majoran und Petersilie, Ocimen in Mangofrüchten und Lavendelöl enthalten.
Ocimen
Myrcen
Die Nomenklatur der Terpene geht aus Tabelle 1.1 hervor. Innerhalb dieser Gruppen unterscheidet man cyclische und acyclische Verbindungen und deren Kombinationen. Tabelle 1.1. Nomenklatur der Terpene Zahl der Isoprenreste 2 3 4 5 6 8 >8
Zahl der C-Atome 10 15 20 25 30 40 > 40
Bezeichnung Monoterpene Sesquiterpene Diterpene Sesterterpene Triterpene Tetraterpene Polyterpene
1.1 Monoterpene Monoterpene und Sesquiterpene begegnen uns vor allem als Pflanzeninhaltsstoffe. Deren Isolierung gelingt sowohl durch Wasserdampfdestillation als auch durch Extraktion. Manche Terpene (z. B. das Geraniol aus Lorbeer, Lavendel, Citrus, Rosenöl, Majoran und Muskat) können allerdings auch als Glycoside oder Fettsäureester vorliegen. Die industrielle Bedeutung dieser Substanzklasse liegt vor allem in ihrer Verwendung als Riech- bzw. Aromastoffe. Geraniol wird in der Parfümindustrie bspw. als Acetat-, Formiat-, Butyrat- und Isovaleratester verwendet. Außer dem Ocimen ist das isomere Myrcen (wichtige Komponente des Verbenaöls) zu erwähnen. Die Darstellung dieses einfachen Monoterpens gelingt durch Dehydratisierung von Linalool. OH (H+) - H2O
Linalool
Myrcen
1.1 Monoterpene
7
In frühen technischen Verfahren wurden Terpene aus den entsprechenden etherischen Ölen isoliert. Heute bestehen präparative Darstellungsmöglichkeiten für alle wichtigen Terpene. Wichtige acyclische Terpene sind:
CH2OH
HOH2C CH2OH OH
Geraniol
Nerol
Myrcenol
HO
(R)-(-)Lavandulol
HO CHO
CH2OH
CHO
(S)-Citronellol (S)-(+)-Linalool (R)-(-)-Linalool
Geranial (Citral a)
Neral (Citral b)
Jeweils ein Enantiomeres des Linalools kann aus natürlichen Ölen gewonnen werden: (-)-Linalool extrahiert man aus dem Öl von Cayenne linaloe. (+)-Linalool wird aus Corianderöl (Coriandrum sativum, Umbelliferae) gewonnen. Beide Enantiomere stellen die am meisten verwendeten Geruchsstoffe dar, ihr Geruch wird als „blumig frisch“ charakterisiert. Präparative Bedeutung besitzt das Linalool weiterhin als Ausgangsverbindung für die Vitamin-E-Synthese (s. Kap. 13.1). Eine Synthese des Linalools geht von α-Pinen aus. Der typische Geruch in Coniferenwäldern wird durch das bicyclische α-Pinen hervorgerufen. (-)-α-Pinen wird mit Pd/H2 selektiv zum cis-Pinan hydriert. In Gegenwart eines Radikalstarters bildet sich mit Luftsauerstoff 75 % cis- und 25 % transPinanhydroperoxid. Reduktion mit NaHSO3 ergibt die entsprechenden Pinanole, die durch fraktionierte Destillation getrennt werden können. Die thermische Zersetzung von cis-Pinanol ergibt (+)-Linalool, die von trans-Pinanol liefert (-)Linalool. H Pd/H2
(-)-α-Pinen
HOO O2
cis-Pinan
HOO +
cis- und
NaHSO3
trans-Pinanhydroperoxid
8
1 Terpene
HO
HO
HO Δ
+
cis-Pinanol
HO
+
trans-Pinanol
(+)-Linalool
(-)-Linalool
Die Totalsynthese von Linalool geht vom 2-Methylhept-2-en-6-on aus, für dessen Darstellung folgende Synthese entwickelt wurde: Ausgehend von Aceton wird durch Addition von Acetylen und anschließende Hydrierung ein tertiärer Alkohol erhalten, der zum Acetoacetat verestert und durch Caroll-Reaktion unter Decarboxylierung zum gewünschten Heptenon umgelagert wird.
O
+
H
H2
H
H3CCOCH2COOR OH
OH O
O Δ
O
oder Diketen
+
CO2
O
2-Methylhept-2-en-6-on
Eine andere Synthese geht von 3-Methylbut-l-en-3-ol aus, das zum entsprechenden Isopropenylether umgesetzt wird. Die anschließende Claisen-Umlagerung liefert das Heptenon.
+ OH
O
CH3O
O
2-Methylhept-2-en-6-on
Die Umsetzung von 2-Methylhept-2-en-6-on mit Acetylen und anschließender Hydrierung mit Pd/C ergibt in sehr guter Ausbeute Linalool. H O
OH
OH H2
+
Pd/C H
2-Methylhept-2-en-6-on
Dehydrolinalool
(±)-Linalool
1.1 Monoterpene
9
Linalool lässt sich unter dem Einfluss von Säuren über eine Allylumlagerung in Nerol und Geraniol isomerisieren. Diese Reaktionen sind unter kontrollierten Bedingungen umkehrbar. H
OH C
H+
+
C
+
H
- H 2O
(±)-Linalool - H+
- H+
H2O
H2O
OH OH
Nerol
Geraniol
Nerol lässt sich unter dem Einfluss von Säuren zu α-Terpineol cyclisieren. Die analoge Cyclisierung von Geraniol verläuft aus sterischen Gründen langsamer. Nerol und Geraniol sind wichtige Zwischenprodukte für die Herstellung von Citral. Eine natürliche Quelle für Geraniol ist das Rosenöl. Durch Wasserabspaltung lässt sich aus α-Terpineol Limonen erhalten. α-Terpineol wird als Zusatz in Seifen und Kosmetika verwendet. Eine natürliche Quelle bildet das Kardamomöl, z. B. aus Malabar-Kardamom (Elettaria cardamomum). Weiterhin kommt es in Sternanis, Liebstöckel, Majoran und Baldrian in nennenswerten Mengen vor.
H+ OH
- H2O
H2O C
+
H
H
Nerol KHSO4 Δ / - H2O OH
(±)-α-Terpineol
(±)-Limonen
- H+ C
+
10
1 Terpene
α-Terpineol lässt sich durch Diels-Alder-Reaktion, in einer [4+2]Cycloaddition, unter Lewis-Säure-Katalyse aus Acrylsäuremethylester und Isopren über 4-Methylcyclohex-3-en-l-carbonsäuremethylester darstellen. Die Regioselektivität der Ringschlussreaktion ergibt sich aufgrund der Orbitalkoeffizienten, wenn das HOMO des Diens mit dem LUMO des Acrylsäureesters reagiert (Fleming). Der Angriff von Methylmagnesiumiodid an der Esterfunktion ergibt das αTerpineol.
CH3OOC + CH3MgI
COOCH3
COOCH3
OH
(±)-α-Terpineol
Von den Terpenaldehyden ist besonders das Citral erwähnenswert, es besitzt den Geruch und Geschmack von Zitronen und wird als synthetisches Zitronenaroma sowie als Aromastoff in der Parfümindustrie verwendet. Im Übrigen konnte Citral als Markierungssubstanz der Blattschneiderameisen nachgewiesen werden. Es wird durch Destillation aus Lemongrasöl (Cymbopogon flexuosus) gewonnen. Da Citral ein Zwischenprodukt der Vitamin-A-Synthese ist, wird es auch industriell hergestellt, z. B. durch Oxidation von Nerol. Auch das Citral cyclisiert unter dem Einfluss von Säuren.
H+ CHO
- H+ C
+
OH
OH
H
C
+
Citral H+ OH
- H2O
C
+
H
- H+
p-Cymol
1.1 Monoterpene
11
Blockiert man im Citral die Aldehydgruppe, z. B. durch Bildung einer Schiff-’ schen Base, so nimmt die nachfolgende Cyclisierung einen anderen Verlauf, da das Proton nun an einer C=C-Doppelbindung angreift. Es resultiert ein Gemisch von α-Cyclocitral und β-Cyclocitral. +
NH2
H+
CHO
C
+
N
+ H2O
H N
+
- C6H5-NH3+
CHO
CHO
α-Cyclocitral
β-Cyclocitral
Aus β-Cyclocitral entsteht durch Dehydrierung mit Selendioxid in t-Butanol Safranal, das auch bei der Hydrolyse von Pikrocrocin, dem Bitterstoff des Safrans, erhalten wird. Pikrocrocin trägt wesentlich zum Geschmack des Safrans bei. Safranal ist zu 45 % im etherischen Öl des Safrans enthalten. Safran ist ein Bestandteil vieler orientalischer Gewürze. CHO β-D-Glucose
CHO
H+
O
Pikrocrocin
Safranal
Citral reagiert unter dem Einfluss schwacher Basen in einer Aldoladdition mit Aceton zu Pseudo-Ionon, das bei der säurekatalytischen Cyclisierung in α-Ionon übergeht. O CHO
O
Ba(OH)2
+
O
H+
O H+
H
H
H+
H
O C
+
H
12
1 Terpene O
O
- H+
(H+)
α-Ionon
β-Ionon
Bei weiterer Behandlung mit Säuren isomerisiert α-Ionon zum thermodynamisch stabileren β-Ionon. β-Ionon dient als Ausgangsverbindung für die VitaminA-Synthese. Keto-Ionone bilden sich auch aus dem Abbau von Carotinoiden und sind wichtige Aromaschlüsselsubstanzen in Trauben und Himbeeren. Die Addition von Wasser an α-Terpineol ergibt das 1,8-Terpin. Die anschließende Dehydratisierung führt zu 1,8-Cineol, dem Hauptbestandteil des Eukalyptusöls. OH H2O/H+
(H+)
O
- H2O OH
OH
α-Terpineol
1,8-Terpin
1,8-Cineol
Von den beiden stereoisomeren Formen des 1,8-Terpins reagiert die transForm wesentlich langsamer als die cis-Form. Die Reaktion erfolgt aus der Wannen-Konformation. OH
OH
OH OH
H
H
+ H+ - H2O
+ H+ - H2O
H C H
+
O
C
O H
H
- H+
+
OH
1,8-Cineol
Ein natürliches Terpen-Peroxid ist das Ascaridol, das bei der Hydrierung in cis1,4-Terpin übergeht. Ascaridol, Hauptbestandteil des amerikanischen Chenopodiumöls, ist ein Anthelmintikum, das vor allem gegen Spulwürmer (Ascaris) wirksam ist. Es lässt sich aus α-Terpinen in vitro darstellen:
1.1 Monoterpene
13
OH O
O2 / hν
H2
O
O
Chlorophyll
O
OH
Ascaridol
1,4-Terpin
Ascaridol
Weitere erwähnenswerte cyclische Monoterpene wie Thymol, Carvacrol und das effektive Antioxidans p-Cymen-2,3-diol kommen in Thymian vor. In Eukalyptusöl finden sich Menthol, Piperiton, und Thymol und in Pfefferminzöl kommen Menthol und Menthon vor. Die (4R,6R)-Form des Carveols ist in Orangenöl zu finden, während die (4S,6S)-Form in Dillöl vorkommt.
OH
Thymol
OH
(-)-Menthol OH
O
OH
(-)-Menthon
(-)-Isopulegol
OH
OH O
OH (4S,6S)-Form Carveol
Carvacrol
D-(+)-Form Piperiton
p-Cymen-2,3-diol
Wichtige bicyclische Monoterpene sind:
O
OH O
(+)-Fenchon
(-)-Borneol
(+)-α-Pinen CH2 OH
1
2 5
OH
Chrysanthenol
OH
(+)-Campher O
3
(-)-trans-Form; (1S,2R,3R,5R)-Form (1S,3R,5S)-Form L-Pinocarveol (-)-Pinocampheol α-Thujon
14
1 Terpene
Das Chrysanthenol kommt in Wermut, L-Pinocarveol in Eukalyptusöl und (-)Pinocampheol in Ysopöl vor. Thujon ist ein wichtiger Bestandteil von ArtemisiaArten (A. absinthum) und zeigt neurotoxische Wirkung. (-)-Menthol ist ein wichtiges Produkt aufgrund seines kühlenden und erfrischenden Effektes. Es wird vor allem in Zigaretten, Kosmetika, Zahnpasta, Kaugummi und in pharmazeutischen Präparaten verwendet. Die acht möglichen optisch aktiven Menthole zeigen sehr unterschiedliche Eigenschaften, nur (-)-Menthol besitzt den charakteristischen kühlenden Effekt. Es existieren einige technische Prozesse für die Synthese von (-)-Menthol, die mit der Isolierung aus natürlichen Quellen konkurrieren. Als natürliche Quelle für (-)-Menthol dient das Pfefferminzöl. Die Darstellung ist durch Hydrierung von Thymol möglich.
H2 OH
OH
Thymol
Menthol
Hierbei entstehen vier Diastereomere, von denen das (±)-Menthol durch Destillation abgetrennt werden kann. Die Trennung der beiden Antipoden erfolgt durch Umsetzung zum Benzoat und Kristallisation aus einer gesättigten unterkühlten Lösung durch Zugabe von (-)-Mentholbenzoat als Impfkristall. (-)-Menthol kann aus (+)-Citronellal durch sauer katalysierte Cyclisierung zum (-)-Isopulegol und anschließende Hydrierung erhalten werden.
H+ CHO
(+)-Citronellal
+ OH
(-)-Isopulegol
+ OH
(+)-neoIsopulegol
Pd/H2
+ OH
(+)-isoIsopulegol
OH
(+)-neoisoIsopulegol
(-)-Menthol OH
(+)-α-Pinen wird aus griechischem, (-)-α-Pinen aus spanischem Terpentinöl isoliert und besitzt als Ausgangsmaterial für Terpensynthesen große Bedeutung. (+)-Borneol kann aus Campheröl, (-)-Borneol aus Pinaceenöl gewonnen werden.
1.1 Monoterpene
15
Die wichtigste Substanz aus der Reihe der bicyclischen Terpene ist der Campher, der in seiner (+)-Form (1R,4R) als Japancampher aus dem Holz des Campherbaums (Cinnamomum camphora) als wasserdampfflüchtige Komponente gewonnen wird. (-)-Campher findet sich im Mutterkraut- und im Kamillenöl (Matricaria chamomilla, Echte Kamille); davon leitet sich der Name Matricariacampher ab. Campher spielt als Weichmacher für Celluloid und in der Heilkunde als gefäßerweiterndes und durchblutungsförderndes Mittel eine wichtige Rolle. Über Kreislaufreflexe wird eine Anregung des Atemzentrums bewirkt. Da die natürlichen Ressourcen nicht ausreichen, wird Campher auch technisch, ausgehend von α-Pinen, gewonnen. Die relevanten Schritte der gesamten Reaktionsfolge sind drei WagnerMeerwein-Umlagerungen (Abb. 1.1). Durch Oxidation mit Selendioxid in siedendem t-BuOH oder über seine Isonitrosoverbindung entsteht aus Campher das in goldgelben Blättchen kristallisierende Campherchinon. Dieses 1,2-Diketon kann, bedingt durch das BrückenkopfKohlenstoffatom, kein Enol bilden. Es wird eine Entkopplung der π-Elektronen beobachtet (Bredtsche Regel). Es kommt zu keiner wirksamen Überlappung der pOrbitale, da sie fast rechtwinklig zueinander stehen. O O
H
Se
OH
O
En-Reaktion
Se
O
[2,3]-sigmatrope Umlagerung
O
O
O
O
O
OH
H O
Se
O
H
H
+
- H2O - Se
Neben der Wagner-Meerwein-Umlagerung spielt die Nametkin-Umlagerung eine wichtige Rolle. Als Nametkin-Umlagerung bezeichnet man die Wanderung eines Kohlenstoffatoms ohne eine Veränderung des Ringskeletts. R
R
OH + H+
R C
- H2O
+
- H+ H
16
1 Terpene
+ HCl
C
+
20 °C C
0 °C
+
H
α-Pinen 180 °C
TiO2/H2O
+ Cl-
H C
- H+
(OH-)
+
H
- Cl-
Camphen
Bornylchlorid
Cl
+ H+ +
C
+
oder
Carbenium-Ion
+
C H
+ CH3COO-
Carbonium-Ion
O
H3C
O
O
OH + H2O
+ 0,5 O2 - H2O
(±)-Campher
- CH3COOH
Isoborneol
Isobornylacetat
Abb. 1.1. Darstellung von Campher aus α-Pinen
Ganz analog verläuft die Umlagerung von Camphenilol zu Santen. OH
(H+) - H2O
1.1 Monoterpene
17
Chrysanthemumsäure gehört ebenfalls zu den Monoterpenen. Die entsprechenden Hydroxycyclopentenon-Ester, die in den Pyrethrumarten wie z. B. Chrysanthemum cinerariaefolium vorkommen, besitzen große Bedeutung als Insektizide. So zeigt das Pyrethrin I nur eine geringe Toxizität gegenüber Warmblütern, aber eine sehr starke Wirkung gegen Insekten. Pyrethroide beeinflussen das Nervensystem der Insekten, besonders das Natrium-Kanal-Protein in der Nervenmembran. Das Nervensystem wird hypererregt und die Folge sind schnelle unkoordinierte Bewegungen mit Paralyse. O O
O H H
R O
O
Pyrethrin I
O Cinerin I: R = CH3 Cinerin II: R = COOCH3
Bei der im Folgenden beschriebenen Synthese der Chrysanthemumsäure entsteht das trans-Isomere, das allgemein weniger toxisch für Warmblüter ist als das cis-Isomere. Die Umsetzung des Natriumsulfinats mit dem Allylbromid ergibt ein Allylsulfon, das unter C-C-Verknüpfung mit einem α,β-ungesättigten Ester in einer Art Michael-Reaktion reagiert. In einer anschließenden intramolekularen Substitutionsreaktion bildet sich die trans-Chrysanthemumsäure. Dies ist bedingt durch die höhere thermodynamische Stabilität des transDiastereomeren, da die Reaktion unter thermodynamischer Kontrolle unter Gleichgewichtsbedingungen über das Esterenolat erfolgt. O SO2Na
+
S
Br
O
+
COOCH3
CH3ONa COOCH3 O H H
COOCH3
C
H
S O
(±)-trans-Chrysanthemumsäuremethylester
Eine weitere Bedeutung gewinnen die leicht erhältlichen chiralen Terpene als Hilfsreagenzien bei asymmetrischen Reaktionen (s. Kap. 4.1.4.2). So ist z. B. eine asymmetrische Aldolreaktion zu β-Hydroxycarbonsäuren über chirale Mentholester möglich.
18
1 Terpene O Ac2O
HO
Et2NMgBr
O
(-)-Menthol BrMg
MgBr
O
O C6H5COCH3
O
O
H5C6
O
HO COOH
51 % (S)-Form
O
C6H5 BrMgO
KOH O
+ OH COOH
Hauptprodukt 2 % (R)-Form
Cantharidin ist in der Spanischen Fliege (Meloide) der Gattung Lytta zu finden. Das Säureanhydrid wird auch von Fröschen aufgenommen und nach dem Verzehr entsprechender Froschschenkel können aphrodisierende Wirkungen auftreten. O
O CH3 O
H3C
O
Cantharidin
Iridoide sind cyclische Monoterpene, die durch intramolekulare 2,6Ringschließung eines acyclischen Monoterpens entstanden sind und in der Natur meist als Glucoside vorliegen. Sie werden besonders wegen ihres bitteren Geschmacks und bevorzugt in Form alkoholischer Drogenauszüge zur Appetitanregung verwendet und Arzneimittelpräparaten zur Geschmacksmodifizierung zugesetzt. Im Olivenöl sind beispielsweise Oleuropein und Ligustrosid und im Waldmeister ist das Asperulosid enthalten. Die Farbstoffe des Safrans, die neben den färbenden auch gustatorische (bittere), appetitanregende Eigenschaften besitzen, zählen ebenfalls zu den Iridoiden; ebenso die Valepotriate (z. B. Valtrat), die im Baldrian (Valeriana officinalis) enthalten sind.
1.2 Sesquiterpene
19
O 11 5 7 10
9
O 4 1
3
O O
1
O HO
2
O
CH2OH OH
O
O O
OH D-Glucose Grundstruktur der Iridoide
H
O
O
Valtrat
1.2 Sesquiterpene Aus der Vielzahl der bekannten Sesquiterpene werden nur einige wichtige und typische Vertreter dieser Verbindungsklasse ausgewählt. Je nach Strukturtyp besitzen sie unterschiedliche Dichten, die aus Tabelle 1.2 hervorgehen. Tabelle 1.2. Dichten der unterschiedlichen Strukturtypen von Sesquiterpenen
Typ acyclisch monocyclisch bicyclisch tricyclisch
Dichte [g/cm3] 0,84 0,87–0,89 0,90–0,92 0,92–0,94
Von den acyclischen Sesquiterpenen soll das nach Maiglöckchen riechende Farnesol erwähnt werden; es besitzt Bedeutung im Rahmen der Biosynthese höherer Terpene und Steroide. Es ist weit verbreitet im Blütenaroma, im Besonderen in Rosen-, Akazien- und Lindenblüten- sowie im Moschusöl. Farnesol trägt zum Bouquet von Champagner bei und besitzt eine Geruchsschwelle von 200 ppb. Bei den Bakterienchlorophyllen c, d und e wird es anstelle von Phytol in der Seitenkette eingebaut. Am häufigsten findet sich das 2-E,6-E-Isomere des Farnesols. Nerolidol mit mild blumigem Aroma ist im Orangenblütenöl zu 3 % vorhanden. αund β-Sinensal sind in Orangenschalenöl zu 0,1 % enthalten. Sie rufen das typische Orangenaroma hervor und werden hierfür in der Lebensmittelindustrie verwendet.
OH CH2OH
trans,trans-Farnesol
trans-Nerolidol
20
1 Terpene
O
O
C H
(E),(E),(Z)-Form α-Sinensal
C H
(2E,6E)-Form
β-Sinensal
Sowohl (+)- als auch (-)-Nerolidol können aus verschiedenen natürlichen Ölen isoliert werden. Das synthetische Sesquiterpen ist ein Gemisch aus dem (±)-cisund (±)-trans-Isomeren. Es besitzt einen milden blumigen Geruch. Es wird als Zwischenprodukt in der Synthese von Vitamin E und K1 verwendet. Die technische Synthese geht von Linalool aus. Durch Umsetzung mit Ethylacetoacetat erhält man über eine Caroll-Reaktion (s. Synthese von Linalool) das Geranylaceton. Anschließende Addition von Acetylen und partielle Hydrierung liefert das (±)-Nerolidol. OH H3CCOCH2COOEt - EtOH, - CO2
HC
CH
O
Linalool H2 OH
OH
Nerolidol
Durch Cyclisierung entstehen auf biogenetischem Weg aus Farnesol u. a. die Azulene:
Vetivazulen HO
HO
Guaiazulen
1.2 Sesquiterpene
21
O HO
O
H O O
Matricin
CH3COOH H2O Chamazulen CO2
Azulene sind blau bis violett gefärbte, ungesättigte Verbindungen, die ebenfalls weit verbreitet sind; sie spielen medizinisch eine gewisse Rolle als entzündungshemmende Substanzen. Vetivazulen findet sich im Vetiveröl. Das Guaiazulen kommt natürlicherweise in Kamillenöl und Geranienöl vor. Ebenso ist Matricin natürlicherweise im etherischen Öl der Kamille (Matricaria recutita) vorhanden, es geht bei der Wasserdampfdestillation durch Decarboxylierung in Chamazulen über. Als nichtbenzoide Aromaten besitzen Vetivazulen, Guaiazulen und Chamazulen theoretisches Interesse. 8
1
7
2
6 3
+
5
4
Die dipolare Form hat nur einen sehr kleinen Anteil am Grundzustand des Azulens, wie am Dipolmoment (1,08 D) zu erkennen ist. Die elektrophile aromatische Substitution am Azulen findet in 1-Position statt. Nucleophile Reagenzien greifen dagegen am Siebenring an. H Nu
E H +
Die Reaktionen dieser Verbindungsklasse werden vor allem durch die Ausbildung eines 6π-Elektronen-Systems bestimmt. Der Grundkörper Azulen kann nach Hafner in guten Ausbeuten dargestellt werden. Durch nucleophile aromatische Substitution entsteht aus Pyridin und 2,4-Dinitrochlorbenzol das N-2,4Dinitrophenylpyridiniumion. Der nucleophile Angriff von N-Methylanilin in αPosition führt zu einer Ringspaltung des Pyridinrings. Diese Reaktion ist nach Zincke charakteristisch für quartäre Pyridiniumverbindungen mit einer Elektronenacceptorgruppe am N-Atom (z. B. N-CyanPyridiniumhalogenid bzw. N-Tosyl-Pyridiniumhalogenid). Das im weiteren Reaktionsverlauf entstehende Glutacondialdehydderivat kondensiert mit Cyclopentadien zu einem Fulven, das seinerseits zu Azulen pyrolysiert werden kann.
22
1 Terpene Cl NO2
+
C6H5-NH-CH3
N
N NO2
H
+
NO2
N CH3
O2 N
N
NO2
H
NO2 +
H2O
O
H
EtONa N
N
H3 C
H3 C
Δ N H3 C
Die Synthese von Guaiazulen sei im Folgenden kurz skizziert: ROOC
Cl CH2O
COOR
Na+ -CH(COOR)2
HCl
1. SOCl2 2. AlCl3
KOH Δ / - CO2
CH3MgI
COOH O KHCO3
Pd / H2
H2O OH N2CHCOOEt
COOEt
Δ
COOEt
1.2 Sesquiterpene
23
1. KOH 2. - CO2 3. Dehydrierung
Das 4,6,8-Trimethylazulen wird in sehr guten Ausbeuten aus Pyryliumsalzen und Cyclopentadiennatrium gebildet. Entscheidend für den Erfolg dieser Reaktion ist, dass die reaktionsfähigen 2-, 4- und 6-Positionen des Pyryliumsalzes methyliert sind. C
+
O
O
C
Na
+
+
HO
BF4-
O
Aus der Vielfalt der cyclischen Sesquiterpene soll auch das bitter schmeckende Santonin erwähnt werden, das bereits 1830 aus Artemisia-Arten isoliert wurde und anthelmintische Wirksamkeit besitzt. Der Naturstoff ist heute allerdings nur noch von historischem bzw. veterinärmedizinischem Interesse. Bei lang anhaltendem Gebrauch treten Schädigungen der Sehnerven auf. Von besonderer präparativer Wichtigkeit ist die von D.H.R. Barton gefundene Santonin-LumisantoninUmlagerung: hν 254 nm H O O
O H
Dioxan O
O
Santonin
O
Lumisantonin
Zu den Sesquiterpenen zählen auch die Abkömmlinge des Humulans, eines C11-Ringes, sowie des damit verwandten Caryophyllens:
24
1 Terpene H
11
10
1
8 9
2 7
6
β-Caryophyllen
Humulan
3 5
H
4
Caryophyllene finden sich in etherischen Ölen, z. B. α-Caryophyllen in Gewürznelken- und Hopfenöl und β-Caryophyllen in Limettenöl sowie in Rosmarinund Salbeiöl. Aus Grapefruitsaft kann das (+)-Nootkaton isoliert werden. Eng verwandt ist das aus Orangen isolierte (+)-Valencen. Es ist auch im Schalenöl der Mandarine (Satsumas) sowie in der Grapefruit zu finden. Beide Verbindungen werden als Aroma in Erfrischungsgetränken verwendet. Durch Oxidation mit t-Butylchromat wird aus Valencen das Nootkaton erhalten. O Oxid.
(+)-Valencen
(+)-Nootkaton
Die Sesquiterpene Curcumen, Turmeron und Zingiberen kommen in der Gelbwurzel Curcuma longa vor, wobei besonders die Turmerone und Zingiberen den Geschmack des etherischen Öls prägen. Turmeron ist der Wirkstoff der CurcumaWurzel, der gegen den Biss brasilianischer Bothrops spp. verwendet wird. Zingiberen ist die Hauptkomponente im etherischen Öl des Ingwers. Als Kurkuma findet die getrocknete Wurzel als Gewürz und Färbemittel (z. B. in Currypulver) breite Verwendung. β-Elemen kommt im etherischen Öl des Bockshornkleesamens und in Basilikum vor. H
H
H
H
H O (R)-Form α-Curcumen
(-)-Form β-Elemen
α-Turmeron
(-)-Zingiberen
Bei den Trichothecenen handelt es sich um Mycotoxine, die von verschiedenen Schimmelpilzen gebildet werden. Die 12-13-Epoxygruppe des Trichothecengrundmoleküls ist ein charakteristisches Strukturmerkmal. Das Sesquiterpen Cynaropikrin gehört zur Klasse der Guajanolide. Die bittere Verbindung kommt in
1.2 Sesquiterpene
25
der Artischocke (Cynara scolymus) vor. Rishitin wird von Kartoffeln und Tomaten nach Pilzinfektionen oder Kälteeinwirkung gebildet. H
O
H
H H
R1 R2
R6
O R3 R4
3 1
HO
H
R5
HO
O 6
8
O
OH
CH3
O O
Trichothecene
CH3
HO
CH2
Rishitin
Cynaropicrin
Zedernholzöle finden in der Parfümindustrie eine breite Verwendung. Die wichtigste Aromakomponente ist das Sesquiterpen α-Atlanton. Das Sesquiterpenlacton Artemisinin von Artemisia annua wirkt in allen asexuellen Entwicklungsstufen des Malariaparasiten Plasmodium falciparum durch Inhibierung der Ca2+ATPase des sarkoplasmatischen Retikulums. Artemisinin ist zur Zeit das am meisten verwendete Antimalariamittel. In grünen Algen befindet sich ein acetylenisches Sesquiterpen, das Caulerpenyn, welches Seegurken davon abschreckt, die Algen zu fressen. Bei einer Verletzung des Algengewebes wandelt sich das Polyacetat durch Esterasen in die hoch reaktiven 1,4-Dialdehyde um. H O O O
O
H
O
O
O
O
O
O Artemisinin
α-Atlanton
H
Caulerpenyn
O
O
Gossypol ist ein Sesquiterpendimer in Baumwollsamen. Zwei Enantiomere treten auf, wobei (+)- und (-)-Gossypol je nach Kultivar in unterschiedlichen Anteilen vorkommen. (-)-Gossypol ist für Menschen, Geflügel und Nager wesentlich toxischer als das (+)-Enantiomer. Ebenso ist die inhibierende Wirkung von (-)Gossypol auf das Wachstum von Krebszellen stärker ausgeprägt. H
HO OH
HO O
C
OH H (+)-Gossypol
HO
H C
C
O OH
O
HO
H OH
C
O OH
OH
OH
OH (-)-Gossypol
26
1 Terpene
1.3 Diterpene Ein einfaches Diterpen ist das von Willstätter als alkoholische Komponente des Chlorophylls isolierte Phytol, in dem die vier Isoprenreste in Kopf-SchwanzVerknüpfung miteinander verbunden sind. Abietinsäure ist der Hauptbestandteil des Colophoniums, das aus dem Baumsaft verschiedener Hölzer gewonnen wird. In enger struktureller biosynthetischer Verwandtschaft zur Abietinsäure stehen die Phytohormone der Gibberelline. Als Beispiel sei hier die Gibberellinsäure (Gibberellin A3) angeführt. Diese Verbindungsklasse ist wegen ihres Einflusses auf das Längenwachstum der Pflanze äußerst interessant. Ein weiteres, mit der Abietinsäure verwandtes Diterpen ist die Carnosolsäure. Sie kommt besonders in Rosmarin (Rosmarinus officinalis) vor und hat eine große Bedeutung als fettlösliches Antioxidans bei Lebensmitteln erlangt. Ysop enthält geringe Gehalte an Spathulenol, welches auch im etherischen Öl des Zitronenstrauches vorkommt. Daucol findet sich im etherischen Öl des Samens von Speisemöhren. Eine strukturverwandte, ebenfalls nicht aromatische Verbindung ist das Carotol. Es liefert den charakteristischen Geruch von Karottensamen.
H
OH
H
H H COOH
Phytol H HO
Abietinsäure
OH
O
OH H
O
COOH
Gibberellinsäure OH
Vitamin A (all-trans-Retinol)
H
HO HOOC
OH O
HO H Carnosolsäure
Spathulenol
(-)-Form Daucol
OH
Carotol
Das zweifellos wichtigste Diterpen ist das Vitamin A (s. auch Kap. 13.1). Bereits um 1900 erkannte man die Wichtigkeit dieser Substanz sowohl für das normale Wachstum als auch für die Sehfähigkeit. Es kommt in einer Reihe von tierischen Fetten und Ölen vor. Auch durch Gaben von Carotin konnten
1.3 Diterpene
27
Mangelsymptome beseitigt werden. Carotin selbst war aber nicht die aktive Substanz. Man fand dafür das Vitamin A, das 1931 von P. Karrer aus Heilbutt-Öl in kristallisierter Form isoliert und in seiner Struktur aufgeklärt werden konnte. Der Gehalt im Fischlebertran beträgt 0,5–5 Mio. Internationale Einheiten pro 100 g (1 I.E. = 0,3 μg reiner Vitamin-A-alkohol). Der Tagesbedarf eines Menschen beträgt 2.500 I.E. Vitamin A kann im Organismus aus seinem Provitamin, dem βCarotin, nach Bedarf gewonnen werden. Beim Vitamin-A-Mangel kommt es zu einer Avitaminose mit Funktions- und Wachstumsstörungen an Knochen und Zähnen. Es werden weiter Missbildungen und Unfruchtbarkeit beobachtet. Vitamin A besitzt eine wichtige – auch prophylaktische – Wirkung gegen Infektionen und zeigt antiallergische Eigenschaften. Bei unzureichender Zufuhr von Vitamin A treten Nachtblindheit und Xerophthalmie (Hornhautaustrocknung) auf. In hohen Dosen ist Vitamin A giftig. Symptome sind Müdigkeit, kombiniert mit Schlaflosigkeit, Knochen-, Gelenk- und Kopfschmerzen, verbunden mit Schwindelanfällen. Die Symptome sind reversibel und klingen bei verminderter Zufuhr von Vitamin A rasch ab. Eisbär-Leber ist wegen des zu hohen Vitamin-AGehaltes für den Menschen toxisch. Vitamin A ist eine gelbe Substanz. Die Farbe wird durch die fünf konjugierten Doppelbindungen hervorgerufen: das Absorptionsmaximum liegt bei 328 nm. Dieser Wert lässt sich auch nach der Inkrementmethode (Tabelle 1.3) berechnen. Es wurde bereits oben erwähnt, dass das Vitamin A in seiner Form als Aldehyd (Retinal) eine wichtige Rolle beim Sehvorgang spielt. 11-cis-Retinal bildet zusammen mit dem Protein Opsin das Rhodopsin (Sehpurpur). Die Bindung zum Protein erfolgt über die Ausbildung eines Aldimins mit der ε-Aminogruppe des Lysins. Beim Sehvorgang wird das 11-cis-Retinal wieder in trans-Retinal umgewandelt. Eine dabei offenbar auftretende Konformationsänderung am Protein bewirkt die Auslösung des Lichtreizes. Außer Opsin gibt es noch zwei weitere Proteine, die mit 11-cis-Retinal reagieren. Damit sind drei Sehfarbstoffe für das Farbsehen bekannt. In Abb. 1.2 ist dies schematisch dargestellt. Eine große Zahl von z. T. auch technisch verwertbaren Vitamin-A-Synthesen ist publiziert worden. Aus der Vielzahl seien hier nur einige erwähnt, um die unterschiedlichen Synthesestrategien aufzuzeigen. Beinahe alle frühen Vitamin-A-Synthesen basieren auf Lemongrasöl bzw. auf β-Ionon. Lemongrasöl wird aus dem tropischen Gras Cymbopogon flexuosus gewonnen und enthält ca. 75 % Citral. Dieser C-10-Aldehyd wird zur Kettenverlängerung mit Aceton kondensiert. Die nachfolgende Cyclisierung ergibt β-Ionon (s. Kap. 1.1), von dem aus der Aufbau von Vitamin A gelingt. Tabelle 1.3. Berechnung des Absorptionsmaximums von Vitamin A (Inkrementmethode)
Für das Cyclohexen gilt ein Grundwert von 4 zusätzliche (konjugierte) Doppelbindungen 4 Alkylsubstituenten an den Doppelbindungen
(je 25 nm) (je 5 nm)
206 nm 100 nm 20 nm 326 nm
28
1 Terpene
hν
Nervenimpuls
Rhodopsin H HC
N
N
R' O
+
H
R
Lysyl-Rest
11-cis-Retinal Opsin
O Isomerisierung
11-cis-Retinal
all-trans-Retinal
O
H
H
NADH + H+
NADH + H+
NAD+
NAD+ OH Isomerisierung
11-cis-Retinol
OH
all-trans-Retinol
Abb. 1.2. Schema des Sehvorganges
O CHO
β-Ionon
β-Ionylidenacetaldehyd O
O OH
β-C18-keton
Vitamin-A-säure
1.3 Diterpene
29
OH
Vitamin A In den meisten Synthesen wird die Verlängerung der Kohlenstoffkette sukzessiv ausgehend von β-Ionon zu Vitamin-A-säure oder Vitamin-A-aldehyd erreicht. Alle diese Verbindungen besitzen ein System konjugierter Doppelbindungen, das gegen Säure empfindlich ist. Bei Umsetzungen werden sie leicht unter Verschiebung aller Doppelbindungen in biologisch inaktive isomere Retro-Verbindungen überführt. Überdies entstehen unerwünschte cis-Formen.
OH
Retro-Vitamin A
Das Aufbauprinzip von Isler vermeidet diese Schwierigkeiten, indem zuerst ein C-14-Aldehyd gewonnen wird, in dem die Konjugation mit der Ringdoppelbindung durch eine Methylen-Gruppe unterbrochen ist. Hieraus werden unter Vermeidung von Polyen-Zwischenprodukten direkt die Vitamin-A-ester erhalten. β-Ionon wird mit Monochloressigsäureethylester zum Glycidester umgesetzt (Darzens-Reaktion). Anschließende Decarboxylierung der Säure ergibt den C-14Aldehyd. Die Grignard-Reaktion und nachfolgende partielle Hydrierung ergeben ein Diol, das nach Acetylierung und Dehydratisierung unter Allylumlagerung zum Vitamin-A-acetat führt. O
O COOEt
ClCH2COOEt Cl
EtONa
O COOEt O
1. NaOH 2. H+ O
O H
O
OH H
BrMg C C C CH3 OH
30
1 Terpene
OH Pd/H2 Lindlar
OH
OH
1. Ac2O 2. H+
HO
OAc
Vitamin-A-acetat
Aus der Reaktion von Vitamin A mit ethanolischer Salzsäure resultiert durch Dehydratisierung das Anhydrovitamin A.
Anhydrovitamin A
Eine wichtige Methode für die Knüpfung von C=C-Doppelbindungen ist die Wittig-Horner-Reaktion. Die Stereochemie dieser Reaktion in apolaren Lösungsmitteln wurde eingehend untersucht. Eine Theorie postuliert die Ausbildung eines Intermediates, in dem die zwei größten Substituenten trans zueinander stehen. Bei der Reaktion eines Aldehydes mit dem Ylen (R3P=CHR'') entsteht, vorausgesetzt dass R3P > R'' ist, ein Betain, in welchem R3P und R' trans und damit R' und R'' cis zueinander stehen. Dieses Intermediat cyclisiert sofort zum entsprechenden cis-Oxaphosphetan. Das trans-Oxaphosphetan kann sich nun durch Öffnung der C-P-Bindung und anschließende Rotation um die C-C-Bindung bilden. Der Anteil am trans-Produkt (thermodynamische Reaktionskontrolle) steigt mit der Stabilisierung der hierbei entstehenden Ionen, sodass das acyclische Intermediat stabilisiert wird. Diese Vorgaben müssen natürlich auch für die Darstellung der alltrans-Doppelbindung im Vitamin A beachtet werden. + PR3
O H H
R'
R3P O
R'' H R' H
C
O
R'' + R3P
H
H H
C
R''
H
R'' + R3P
R'' C
H
O H
R'
R'
H R'' R' H
R3P O
H
R'
trans-Oxaphosphetan H
R''
cis-Produkt H
R'
O
cis-Oxaphosphetan
+ PR3
R''
trans-Produkt R'
H
1.3 Diterpene
31
Industrielle Bedeutung besitzt die folgende Reaktionssequenz: β-Ionon wird mit Phosphonoessigsäuretriethylester (Horner-Reaktion) zum Methyl-β-ionylidenacetat umgesetzt. Gleichzeitig erfolgt eine basenkatalysierte Umsetzung des Ethylesters zum Methylester. Die trans-Doppelbindung bildet sich unter thermodynamischen Reaktionsbedingungen bedingt durch die zusätzlichen Gruppen am Phosphor, welche die positive Ladung stabilisieren können (C2H5O-), bzw. am Carbanion, welche die negative Ladung stabilisieren (COOC2H5) können. Die Reduktion mit LiAlH4 liefert einen primären Alkohol. Bei der Reaktion dieses Triensystems mit Phosphin erfolgt eine Phosphoniumsalzbildung. Die Verknüpfung dieses C15-Bausteins mit dem Aldehyd (Wittig-Reaktion) ergibt unter Ausbildung einer 11,12-Doppelbindung ein Gemisch der E/Z-isomeren Vitamin-A-acetate. Die Isomerisierung mit Iod ergibt die thermodynamisch stabilere all-transKonfiguration. O
O
+
H5 C 2
O
P
C
H5 C 2
O
H
COOC2H5
Na
+
β-Ionon O OMe
LiAlH4
OH
H
1. (C6H5)3P, HBr 2. CH3ONa
C
O
1.
C6 H 5 P
+
C6H5
2. I2
OAc
H
C6 H 5
OAc
Vitamin-A-acetat
Eine neue Variante verwendet Tetrakis-(triphenylphosphan)-palladium/Triethylamin zur Eliminierung von Essigsäure und Kohlendioxid aus Acetoxyalkensäuren unter Ausbildung von Polyenen mit trans-Geometrie. Unter Abspaltung von Acetat entsteht ein Allylkation, das durch einen Palladium-Komplex stabilisiert wird. Die Decarboxylierung führt dann zu einem Dien. O
O R
OAc
H
O
(Pd) - AcO-
+
C
H
O R
H
- CO2 - H+ R
32
1 Terpene
Das benötigte Strukturelement kann durch nucleophilen Angriff eines Carbanions auf einen Aldehyd und nachfolgende Acetylierung dargestellt werden. Es entsteht der Vitamin-A-säureethylester.
COOH
H
+
COOC2H5 O
COOH COOC2H5
Pd[P(C6H5)3]4
OAc
(C2H5)3N O OC2H5
Vitamin A-säureethylester
Mehrcyclische Diterpene weisen charakteristische bioaktive Wirkungen auf, so kommen die Ester des Phorbols in den Samenölen von Croton tiglium (Euphorbiaceae) vor. Früher wurde das Crotonöl als Abführmittel benutzt, es reizt jedoch beim Kontakt mit der Haut, sodass Entzündungen mit Pusteln entstehen. In China werden Kräutertees aus dieser Pflanze in der Naturmedizin verwendet und sollen für das gehäufte Auftreten von Nasen-/Rachenkrebs verantwortlich sein. Aus der Rinde der Eibe Taxus brevifolia wird das zytotoxisch wirksame Taxol gewonnen. Pro kg Rinde können etwa 100 mg Taxol isoliert werden. Von einer weiteren Eibenart Taxus bacarta werden dagegen die süß schmeckenden Früchte in der italienischen Provinz Lucca für Snacks verwendet. Dabei dürfen die Samen nicht zerkleinert werden, da sonst die toxischen Taxine aufgenommen werden. OH OH
18
H 1
19
10
3
O HO
11
13 15
9
OH
HH
R1
7
O
O
OH
O
OH O
O O
Taxol (R1 = COC6H5; R2 = COCH3)
OH O
hydriert: Cafestol
O O H O
H O
N H
OH 20 4-β-Phorbol
O
OH
O
16
5
HO
O
R2O 17
O
OH
N H OH
Taxin A
O
H
(-)-Kahweol
OH
1.5 Triterpene
33
Im Öl aus Kaffeebohnen findet sich das Kahweol, ein Diterpen vom Kaurantyp sowie dessen Dihydroderivat Cafestol. Das Cafestol kommt vorwiegend im Arabica-Kaffee und weniger im Robusta-Kaffee vor. Der Arabica-Kaffee enthält darüber hinaus noch Kahweol. O-Methylcafestol kommt nur in Robusta-Kaffee vor. So sind über die Diterpene die Kaffeesorten zu unterscheiden. Das Cafestol ist für die cholesterinsteigernde Wirkung verantwortlich, es verbleibt jedoch beim Filterkaffee im Kaffeesatz.
1.4 Sesterterpene Sesterterpene sind Verbindungen mit 25 Kohlenstoffatomen; wie andere Terpene auch, können sie linear oder cyclisch gebaut sein. Sie finden sich vorzugsweise in Meeresorganismen, besonders Schwämmen sowie in den Wachsen von Insekten und Pilzen. Die Enden der linearen Verbindungen liegen häufig als Furanring, als γ-Lacton oder als Tetronsäure-Einheit vor. Cyclische Sesterterpene wurden vor allem aus niederen Pilzen (Fusarium, Aspergillus) isoliert. Die biologische Bedeutung dieser Substanzklasse ist nicht klar, da praktisch alle Substanzen (allerdings auf unterschiedliche Weise) biologisch aktiv sind, meist besitzen sie eine phytotoxische Wirkung. So besitzen sie für höhere Organismen teilweise toxische, teilweise medizinisch interessante Eigenschaften. Luffarin Q etwa erzeugt Entzündungen, erhöht die Histamin-Ausschüttung und verursacht Ödeme. Andere wie z. B. die vom Scalaran-Typ abgeleiteten 12-ODesacetylfuroscalarol und 12-O-Desacetylscalarin werden als Leitstrukturen für die Entwicklung von Pharmaka zur Behandlung von Störungen des zentralen Nervensystems, z.B. der Alzheimer-Krankheit betrachtet. O
Luffarin Q
O HO OH
O
O
OH
O
H
H
OH
12-O-Desacetylfuroscalarol
H H
H
12-O-Desacetylscalarin
1.5 Triterpene Triterpene sind im Tier- und Pflanzenreich weit verbreitet. Von besonderer Bedeutung ist das als Schlüsselsubstanz für viele cyclisierte Triterpene anzusehende Squalen. Es kommt in großen Mengen im Haifischleber-Öl vor. Weiterhin kommt
34
1 Terpene
Squalen im Amaranthöl in erheblichen Mengen vor. Das wichtigste Cyclisierungsprodukt des Squalens ist das Lanosterin, das seinerseits wieder die biochemische Vorstufe des Cholesterins und aller übrigen tierischen Steroide ist. Das Lanosterin ist das erste stabile cyclische Zwischenprodukt der Biosynthese von Squalen zu Sterolen. Lanosterin kommt zusammen mit Agnosterin, 24,25Dihydrolanosterin und 24,25-Dihydroagnosterin im Wollfett der Schafe vor und wird hieraus industriell gewonnen. Das heteroannulare Diensystem des Agnosterins bildet sich leicht durch Oxidation an der Luft aus der zentralen Doppelbindung des Lanosterins.
Squalen
HO
Lanosterin
H
HO
Agnosterin
H
Im Pflanzenreich tritt an die Stelle des Lanosterins das ebenfalls aus Squalen gebildete Cycloartenol, das die Vorstufe vieler Pflanzensteroide darstellt. In ihm bildet die 19-Methylgruppe mit den C-Atomen 9 und 10 einen sterisch anspruchsvollen Dreiring. Die in tropischen Bäumen vorkommenden Milchsäfte enthalten vor allem Triterpenoide (20–85 %). So lässt sich als Hauptinhaltsstoff des Dammarharzes das Dammarendiol nachweisen. Vor der Verwendung von Kunstharzen war dieses Harz ein Bestandteil in der Klebefläche von Heftpflastern. OH H H H HO
H
Cycloartenol
HO
H
Dammarendiol
Die therapeutische Wirkung der Ginsengwurzel ist auf die Ginsenoside zurückzuführen, die einerseits die Sauerstoffabsorption verbessern sollen, und darüber hinaus die Lactatkonzentration im Blut und im Herzen reduzieren. Das Ginsenosid
1.5 Triterpene
35
Rbl (R = H) ist am OH-3 mit zwei Molekülen D-Glucopyranose (1-2-verknüpft) und am OH-20 mit zwei Molekülen D-Glucopyranose (1-6-verknüpft) glycosidiert. Das Rgl (R = OH) ist mit jeweils einem Glycopyranosyloxy-Rest an OH-6 und OH-20 verbunden. Andere wichtige Vertreter dieser Verbindungsklasse sind die sog. pentacyclischen Triterpene, in denen durch einen variierten Faltungsmechanismus des Squalens bei der Biosynthese eine vollständige Cyclisierung des Grundkörpers eintritt. Beispiele hierfür sind die α- und β-Amyrine und die Oleanolsäure, die als Glycoside in zahlreichen Pflanzen, wie z. B. der Zuckerrübe, in Oliven und im Oleander vorkommen. α-Amyrin ist in Beifuß, sein 3-Keton im Schwarzen Holunder, weitere Derivate des α-Amyrins in Rosmarin vorhanden. Das β-Amyrin ist verestert als Acetat in Traubenkernöl und als Zimtsäureester in der Kondurangorinde anzutreffen. Oleanolsäure kommt in zahlreichen Pflanzen, z. B. in Gewürznelke, Basilikum, Zwiebel, Zuckerrübe, Tausendgüldenkraut, Thymian, Salbei, Heidelbeere, Moosbeere, Olive sowie im Apfeltrester, frei und als Genin mehrerer Saponine bzw. Glycoside vor. OH OH
H
Ginsenoside: H HO
H
R = H Protopanaxadiol R = OH Protopanaxatriol
R
H
H
H HO
R
H HO
H
α-Amyrin
H
R = CH3 β-Amyrin R = COOH Oleanolsäure
Von den Triterpenen leiten sich zahlreiche Saponine (bes. vom β-Amyrin-Typ) ab, sie finden sich hauptsächlich in zweikeimblättrigen Pflanzen, z. B. in Chinoa, Erbsen und Soja. In Saponinen tritt Oleanolsäure als Aglykon auf, z. B. im Zuckerrübensaponin mit einem D-Glucuronsäurerest. Auch die Glycyrrhetinsäure kommt verestert mit D-Glucuronsäure als Saponin Glycyrrhizin in der Süßholzwurzel (Liquiritiae radix) vor. Es wirkt u. a. blutdrucksteigernd, deshalb sollte ein übermäßiger Genuss von Lakritz vermieden werden.
36
1 Terpene
C H
O 10 3
RO
O OH
18
H
8
H
Glycyrrhetinsäure: R = H; Glycyrrhizin: R= COOH O HO HO O OH D-Glucuronsäure HO HO COOH
O
Carbenoxolon besitzt in vivo antivirale Wirkung; sie wird über die Induktion eines Immuninterferons (IFNg) erklärt. NaOOC
O H O
H O
NaOOC
Carbenoxolon
H
Eine Vielzahl an glycosidierten Triterpenen und Steroiden mit unterschiedlichen biologischen Aktivitäten werden in marinen Lebewesen gefunden. Als ein Beispiel sollen im Folgenden die Holothurinogenine aus Seegurken (Holothurien) beschrieben werden. Die Grundstruktur bezeichnet man als Holostan. Sie kommen auch als Glycoside vor. Charakteristische Genine sind Holotoxin, Seychellogenin, Holothurinogenin, 22,25-Epoxyholothurinogenin und Bivittosid-C-genin. CH3 O
O HO H3C
Na
O
O
O 3S R O HO
O HO CH3
CH3 O H3C
O
Holothurin A: R =
Holostan
H CH3
O
H
H
CH3 O OH
H
CH2OH O
OH
H
H
HO H3C
Holothurin B: R = H
CH2OH O HO O OH
CH2OH O O OH
CH3
1.5 Triterpene
O
O
O
37
O
OH
R
O HO
H
HO
Holotoxin
HO
O
O
H
R = H Seychellogenin R = OH Holothurinogenin O
O
O
OH
HO
HO
H
H
22,25-Epoxyholothurinogenin
Bivittosid-C-genin
Ursprünglich wurden die Holothurientoxine als Fischgifte isoliert. Sie besitzen als Saponine hämolytische Aktivität. Später erst wurde über deren neurotoxische, bakterizide und antimykotische Wirkung berichtet. An dieser Stelle sei die in vivoWirkung gegen Tumorzellen erwähnt, die besonderes Interesse in der Medizin erregte. Bei der Herstellung von Lebensmitteln müssen die Organe der Seegurke, die Holothurine enthalten, sorgfältig entfernt werden. Holothurine sind sehr giftig und führen zu Verdauungsbeschwerden und in schweren Fällen zum Tod durch Atemlähmung. Die entsprechenden Partialsynthesen der Holothurinogenine werden bei den Steroiden behandelt (Kap. 2.9). Wichtige Antibiotika für den klinischen Bereich sind die Fusidinsäure und das Cephalosporin Pl. Beide sind Sekundärmetaboliten aus Pilzen und wirken auf die bakterielle Proteinbiosynthese. Sie unterscheiden sich in ihrer Stereochemie (8α, 9β, 14β, 18α) grundsätzlich von den Steroidhormonen. Viele Prokaryoten enthalten das pentacyclische Triterpen Hopan. Da die Biosynthese unter anaeroben Bedingungen abläuft, fehlt die 3-Hydroxygruppe.
H
HO
COOH
COOH
H
OAc
OAc
H HO
H
H HO
Fusidinsäure
H
OH OAc
Cephalosporin P1
38
1 Terpene
H
H
H
Hopan
H
Cucurbitacine sind bitter schmeckende, meist als Glycoside vorliegende, z. T. auch cytotoxische Bitterstoffe, die aus den Kulturpflanzen Gurken, Kürbissen und Melonen herausgezüchtet worden sind. O HO
R1 R2 R3
1
O 11 H H
16
H
R4
4
24 20
O 25
O OH
Cucurbitan A Cucurbitan B Cucurbitan C Cucurbitan E
Cucurbitacine
R1 OH OH H OH
R2
R3 O O
OH
H O
R4 CH2OH CH3 CH2OH CH3
Quassinoide sind Bitterstoffe, die ebenfalls zu den Triterpenen gehören. Sie kommen im Surinambitterholz und im Jamaikabitterholz vor. Sie werden als Zusatz zu Spirituosen eingesetzt. Quassin wird noch in einer Verdünnung von 1:60.000 als bitter empfunden, nach der Aromen-Verordnung dürfen bis zu 50 mg Quassin pro Liter enthalten sein. Von den Einheimischen werden die Quassinoide aufgrund antiviraler, antiparasitärer, insektizider und entzündungshemmender Eigenschaften als Mittel gegen Magenbeschwerden und Fieber verwendet.
O O
O H
O H H
H
Quassin
O
O
1.6 Tetraterpene
39
1.6 Tetraterpene Die wichtigste Verbindungsklasse innerhalb der Tetraterpene sind die Carotinoide. 1831 hat Wackenroder als ersten Vertreter dieser Reihe das „Carotin“ aus Karotten (Daucus carota) isoliert. Diese Verbindungen sind konjugierte Polyene und daher farbig. So liegt das Absorptionsmaximum des Chromophors von β-Carotin bei 456 nm. Carotinoide sind im Pflanzenreich als Pigmente von Blättern, Wurzeln und Früchten weit verbreitet. Im Tierreich finden sie sich vor allem bei niederen Meerestieren, wie z. B. Seesternen und Crustaceen. Gelegentlich liegen die Carotinoide als Glycoside vor. Das in Karotten enthaltene „Carotin“ ist ein Gemisch aus α-Carotin, β-Carotin und γ-Carotin: 3' 1'
1
3
β-Iononring
(R)-α-Carotin
α-Iononring 3' 1'
1
3
β-Carotin
γ-Carotin
Der Unterschied zwischen diesen drei Isomeren ergibt sich aus den Enden der Polyenketten: im α-Carotin liegen ein α- und ein β-Iononrest, im β-Carotin zwei β-Iononringe, und im γ-Carotin ein β-Iononring und ein ψ-Iononrest vor. Die Carotinmoleküle sind symmetrisch gebaut; die beiden Halbmoleküle sind durch eine Schwanz-Schwanz-Verknüpfung miteinander verbunden. Als Provitamin A spielt das β-Carotin insofern eine wichtige Rolle, als daraus 2 Moleküle Vitamin A gebildet werden können. Das Lycopin, der rote Farbstoff der Tomate, besitzt als Endgruppe zwei ψ-Ionon-Reste (Citralreste). Die höchste Konzentration an Lycopin findet sich im Serum nach dem Verzehr von Tomaten. Aus verarbeiteten Tomaten (Ketchup und Tomatenmark) wird Lycopin besser resorbiert als aus den Zellwänden der frischen Frucht. Eine Isomerisierung zu cis-Isomeren beim Erhitzen erhöht ebenfalls die Resorption.
Lycopin
40
1 Terpene
Derivate des α-Carotins bzw. β-Carotins sind das Lutein (Xanthophyll, Blattgelb, Eigelb) und das Zeaxanthin, der gelbe Farbstoff des Maiskornes. Lutein und Zeaxanthin beugen der altersbedingten Maculadegeneration (AMD) vor. Die protektive Wirkung beruht auf einer Verminderung UV-induzierter, oxidativer Schäden in der Netzhaut. OH
Zeaxanthin
HO
OH
H
Lutein
HO
Das Capsanthin, der rote Farbstoff der Paprikaschote (Capsicum annuum), wird zur Färbung von Lebensmitteln verwendet. Zu 80 % liegt es als Diester der Laurinsäure vor. Auch der rote Farbstoff der Krebse und Hummern, das Astaxanthin, gehört in diese Reihe. Der Farbstoff wird aus dem Protein Ovoverdin (grünblaue Farbe) beim Kochen freigesetzt. Die Färbung von Lachs ist ebenfalls auf freies Astaxanthin zurückzuführen. O OH
Capsanthin
HO
O OH
HO
Astaxanthin O
Alle Carotinoide sind gut kristallisierende Substanzen, die durch Chromatographie voneinander getrennt und gereinigt werden können; einige Schmelzpunkte sind in Tabelle 1.4 zusammengestellt. Von großer Bedeutung sind die Carotinoide aufgrund der Fähigkeit, Singulett-Sauerstoff unschädlich zu machen. Dadurch werden die Carotinoide oxidiert, und der Fettverderb wird herabgesetzt. Cantaxanthin, Astaxanthin und Carotinoide mit Oxogruppen an der Position 4 des β-Iononrings sind effektivere Antioxidantien als β-Carotin. Sowohl Bixin und
1.6 Tetraterpene
41
Norbixin (besitzen Carboxylgruppen) als auch Capsanthin und Capsorubin weisen stärkere Radikalfängereigenschaften auf als unsubstituierte Carotine. Die Darstellung von Tetraterpenen (z. B. β-Carotin) kann erfolgen durch Verwendung eines Phosphorans und in situ-Erzeugung der entsprechenden Carbonylkomponente unter oxidativen Bedingungen. Das primär durch Wittig-Reaktion entstehende Produkt muss jedoch zum all-trans-Produkt isomerisiert werden. 1. Na2CO3 2. H2O2 3. Isomerisierung
C6H5 +
P
2
C6H5
C6H5
β-Carotin
Neben Squalen, das im Amaranthöl vorkommt, finden sich in den Blättern und dem Stamm strukturell verwandte Tetraterpenoide (Trianthenol und Amaranthenol), sodass die Amaranthpflanze eine interessante Alternative zum Squalen des Haifischleber-Öls darstellt. 2' 1
6'
10'
18'
14'
22'
26'
30'
2
31 15' OH
Trianthenol 2'
6'
10'
18'
OH
Amaranthenol
Tabelle 1.4. Schmelzpunkte und Farben einiger Carotinoide α-Carotin β-Carotin γ-Carotin Lycopin Lutein Zeaxanthin dito Capsanthin
Fp (°C) 188 187 178 174 186 206 176
Farbe violett violett dunkelrot dunkelrot dunkelbraunrot ockergelb (in MeOH) violett (in CHCl3/Ether) dunkelrot
42
1 Terpene
1.7 Polyisoprene Aus dem Milchsaft einer Reihe von tropischen Pflanzen, besonders aus dem Gummibaum (Hevea brasiliensis), wird der Naturkautschuk gewonnen, der zu 30– 50 % im Latex enthalten ist. Die Gewinnung geschieht durch Zusatz von Säure, meist Essigsäure; dabei koaguliert der Rohkautschuk aus der Emulsion; durch mechanische Behandlung werden daraus Kugeln oder Platten geformt, die dann in den Handel kommen. Die gereinigten Pflanzenexudate werden auch als Kaugummi verwendet. Chemisch ist der Naturkautschuk ein Polyisopren, in dem ca. 5.000 Isoprenreste je Formeleinheit vorliegen. Die Doppelbindungen besitzen sämtlich cisKonfiguration. Beim trockenen Erhitzen wird Naturkautschuk in Isopren und Dipenten gespalten. Gegenüber Licht und Luftsauerstoff ist der Naturkautschuk nicht besonders widerstandsfähig; das gleiche gilt auch für die Einwirkung von Mineralsäuren. Durch Abbau der Ketten und teilweise Cyclisierung geht die Elastizität verloren; es entstehen harzige Produkte. Dagegen lassen sich durch eine geeignete Nachbehandlung die Eigenschaften des Kautschuks verbessern. So entsteht unter der Einwirkung von Chlor der Chlorkautschuk, ein wertvolles Bindemittel für chemikalienbeständige Lacke und Korrosionsschutzanstriche. Es findet zum Beschichten von säureempfindlichem Material und zur Herstellung von Schuhsohlen Verwendung. Durch 30-minütiges Erwärmen mit 3 % Schwefel auf etwa 140°C wird Kautschuk heißvulkanisiert. Durch eine Vernetzung über Schwefelbrücken werden die Elastizität und Widerstandsfähigkeit des Kautschuks drastisch verbessert.
*
n
*
Ausschnitt des Kautschukmoleküls mittlere Molmasse etwa 350.000 (5.000 Isopreneinheiten)
Guttapercha wird aus tropischen Palaquium-Arten gewonnen. Das Isomere des Kautschuks weist eine 1,4-Polyisoprenkette mit all-trans-Verknüpfung auf und wird als Isoliermaterial verwendet. Bei niedrigen Temperaturen ist Guttapercha unelastisch und wird erst bei mäßigem Erwärmen (ca. 36°C) plastisch verformbar, daher eignet es sich zur Kaugummiherstellung.
*
n
*
Ausschnitt aus dem Guttaperchamolekül (ca. 500 Isopreneinheiten)
1.8 Biosynthese der Terpene
43
1.8 Biosynthese der Terpene Wie bereits oben erwähnt, zählen die Terpene zusammen mit den Steroiden und den langkettigen Fettsäuren zu den Acetoiden, d. h. zu den Substanzen, die sich biogenetisch von der Essigsäure ableiten. Von zentraler Bedeutung ist bei der Biosynthese dieser Verbindungen das Coenzym A: NH2
HS
H
H HO
N
N
β-Alanin
O O
O H3C
O
Cysteamin
N H
CH3
P O
O O
P
O O
O
Pantoinsäure
Pantothensäure
P
N
OH
O O
N
N
O
O
Pantethein Coenzym A (HS-CoA)
Die Strukturformel zeigt den Aufbau des Moleküls aus mehreren Komponenten. Der Molekülanfang besteht aus Adenosindiphosphat-3’-phosphat, daran schließt sich die Pantothensäure an, die ihrerseits aus dem Amid der α,γDihydroxy-β-dimethyl-buttersäure (Pantoinsäure) mit β-Alanin besteht; den Abschluss des Moleküls mit der aktiven Stelle, an der der Acetylrest gebunden wird, bildet das Cysteamin. D-(+)-Pantothensäure (Bestandteil des Vitamin-B-Komplexes, s. Kap. 13.1) ist als Baustein des Coenzyms A essenziell. Sie kommt in der Hefe zu 14–35 mg/100 g, in der Leber zu 40 mg/100 g und in Bohnen, Pilzen und Nüssen zu 1–3 mg/100 g vor. Biologisch wirksam ist nur die D-(+)-Pantothensäure. Eine Hypervitaminose ist unbekannt. Die Avitaminose, die sich bei mangelnder Zufuhr schon früh bemerkbar macht, äußert sich in einer ganzen Anzahl unterschiedlicher Symptome. Dermatitis, Fettleber und Herzschäden finden sich als organische Schäden; die Unfähigkeit zur Bildung von Antikörpern bewirkt eine erhöhte Infektanfälligkeit. Die Biosynthese der D-(+)-Pantothensäure geht vom Valin aus, das in die Dimethylbrenztraubensäure überführt wird; Einführung einer C1-Einheit und nachfolgende Reduktion ergibt die D-(+)-α,γ-Dihydroxy-β-dimethyl-buttersäure, die zusammen mit β-Alanin die Pantothensäure bildet. Die Aufgabe des Coenzyms A besteht darin, die aktivierte Essigsäure in Form ihres Thioesters zur Verfügung zu stellen: O H3C
C
S
CoA
44
1 Terpene
Das Acetyl-CoA besitzt ein großes Übertragungspotenzial für Acetylgruppen. Eine Möglichkeit der Bildung erfolgt über die Aktivierung der Essigsäure mit ATP, wobei sich intermediär ein Essigsäure-Phosphorsäure-Anhydrid bildet, das in der Lage ist, die Thiol-Gruppe im CoA-SH zu acylieren. O
+
CH3COOH
ATP
+
H3C
CoA-SH
C
S
CoA
+
+
AMP
PPi
Da Acetyl-CoA eine zentrale Rolle als Überträger einer C2-Einheit in der Biosynthese einnimmt, sollen die chemischen Vorteile eines Thioesters gegenüber einem Ester diskutiert werden. Das Schwefelatom bewirkt eine höhere Acidität der CH3-Gruppe, da das resultierende Carbanion durch Delokalisierung seines Elektronenpaars zur Carbonylgruppe gut stabilisiert werden kann. Die Verknüpfung von zwei Acetyl-CoA-Einheiten erfolgt durch den Angriff des Carbanions an der Carbonylgruppe des anderen Thioesters. Das Schwefelatom, das aufgrund seiner Größe eine negative Ladung optimal stabilisieren kann, ist eine gute Austrittsgruppe, sodass CoA-SH eliminiert wird. O H3C
S
CoA
O H3C
O
Base
C
C
S
CoA
H2C O
O
C
S
CoA
O S
CoA
H2C
+
C
S
CoA
CoA-SH
Aus drei Acetyl-CoA-Einheiten entsteht nach Reduktion des C6-Bausteins die Mevalonsäure (Abb. 1.3). Der Aufbau höherer Terpene erfolgt nicht über den Einbau einer weiteren C2-Einheit, sondern es wird zuerst eine zentrale C5-Einheit aufgebaut, das „aktivierte Isopren“, Isopentenylpyrophosphat. Diese Verbindung entsteht durch Decarboxylierung unter gleichzeitiger Eliminierung von Phosphorsäure. Isopentenylpyrophosphat kann zu Dimethylallylpyrophosphat isomerisiert werden. Verknüpfung dieser zwei C5-Einheiten ergibt eine C10-Verbindung, das Geranylpyrophosphat (Abb. 1.4). Selbstverständlich sind bei allen Reaktionen Enzyme beteiligt. Erwähnenswert ist das Enzym Hydroxymethylglutaryl-CoA-Reduktase (HMGCoA-Reduktase), das die Reduktion mit NADH zur (R)-Mevalonsäure katalysiert. Dieses Enzym ist ein Target für Enzyminhibitoren in der Arteriosklerosetherapie. Wie bereits erwähnt, erfolgt der weitere Aufbau der Kohlenstoffkette durch Kondensation von Dimethylallylpyrophosphat und Isopentenylpyrophosphat, wobei die Pyrophosphatfunktion als gute Abgangsgruppe dient. Hierbei entsteht formal ein Dimethylallylkation. Auch in diesem Fall ist die Pyrophosphatgruppe als gute Austrittsgruppe für die Eliminierungs- und Cyclisierungsreaktion verantwortlich. Im nächsten Kettenverlängerungsschritt entsteht das Farnesylpyrophosphat in analoger Weise wie das
1.8 Biosynthese der Terpene
45
Geranylpyrophosphat. Abbildung 1.4 zeigt, wie von Geranylpyrophosphat ausgehend die verschiedenen Monoterpene zugänglich sind. HO
O O
O
O
2
S
S CoA S
CoA
CoA
O
H2O
C OH
O
CoA
S
(S)-3-Hydroxy-3methylglutaryl-CoA
HO
HO ATP
+ NADH O
- NAD+
C
ATP O
OH
OH
O
C
O
OH
(R)-Mevalonsäure
P
O
O
5-Phosphomevalonsäure
O HO
O ATP
O
O
C O
O
P
O O
O
H
P
O
O
5-Pyrophosphomevalonsäure
O O
P O
P
O - HPO42-
O O
O
C O
O H
P
O O
P
O
O
3-Phospho-5-pyrophosphomevalonsäure
O O
P
- CO2
O
O O
O
Isopentenylpyrophosphat Abb. 1.3. Biosynthese der Isopreneinheit
O
P O
O O
P
O
O
Dimethylallylpyrophosphat
46
1 Terpene
H +
C
H O
H
O
H
Caryophyllen
O P O
O
O
P
O
O
P
O
O
O
O
P
O
P
O
O O
P O
O O
O
P O
Geranylpyrophosphat
Isopentenylpyrophosphat
O
O
O
O
O
- PPi
O
O
O O
O
P
P
trans-trans-Farnesylpyrophosphat
O
O
O O
O
Humulyl-Kation
O
P
O
P
O
O
P
O
O O O
P O
Linaloolpyrophosphat
O O
P
O
O
Nerylpyrophosphat
Myrcen
+
C
+
CH
C
+
OH HO
(+)-α-Pinen
α-Terpineol
Abb. 1.4. Biosynthese verschiedener Monoterpene
Borneol
1.8 Biosynthese der Terpene
47
Zwei Farnesyldiphosphat-Einheiten reagieren in einer Kopf-Kopf-Kondensation zu Präsqualendiphosphat, das unter Abspaltung des Pyrophosphatrestes und Aufnahme eines Hydrid-Ions Squalen ergibt, das die Muttersubstanz der Triterpene ist. O O
O
P
O
O
+
P
O
O
H HC
+
O O
O
P
O
O
P
O
O
+
HC
NADPH +
HC
Squalen
Aus Squalen werden auch die Steroide durch Cyclisierung gebildet. Während bei den Prokaryoten das gefaltete Squalen direkt zum entsprechenden Hopan cyclisiert, wird bei Eukaryoten das Squalen zuerst zum 3(S)-2,3-Squalenepoxid oxidiert. Durch eine Cyclase wird die Faltung eingeleitet, die ausgehend von der Sessel-Boot-Sessel-Boot-Konformation zum Protosterol-Kation I führt. Die Hydroxygruppe an C-3 steht, bedingt durch die 3(S)-Stellung im Squalenepoxid, in βStellung. Ausgehend vom Protosterol entsteht das Cycloartenol bzw. das Lanosterin.
[O]
Squalen
O
R
3(S)-Squalenoxid (Sessel-Boot-Sessel-Boot-Konformation)
48
1 Terpene
H
C
+
R H
HO
H3C H HO
H
Lanosterin
CH3
H
H
Protosterol-Kation I HO
H
Cycloartenol
Die Cyclisierung von Squalenepoxid in der Sessel-Sessel-Sessel-Boot-Konformation ergibt das Protosterolcarbokation II. Durch eine entsprechende Umlagerung ist nun das β-Amyrin zugänglich. C
H
O
+
R
H
3(S)-Squalenoxid Sessel-Sessel-Sessel-Boot-Konformation
HO
H
Protosterol-Kation II
C H
C
+
H
H C
+
H
H
H
+
H
H H HO
H
β-Amyrin
H
C
+
H
R
1.8 Biosynthese der Terpene
49
Der Nachweis der Biogenese gelang Cornforth und Popjak durch Verfütterung von 14C-markiertem Acetat zunächst an Hefe, später im Tierversuch an Mäusen. Dabei zeigte sich, dass das daraus synthetisierte Cholesterin nach einem bestimmten Muster markiert war, aus dem sich die Essigsäure und die Isopreneinheiten rekonstruieren ließen: *
* * * HO
*
*
*
*
*
*
*
*
*
*
* = C-Atom aus der Methylgruppe der Essigsäure
*
Ein weiterer entscheidender Schritt war die Identifizierung und spektroskopische Charakterisierung der Mevalonsäure als Zwischenprodukt durch K. Folkers. Eine wichtige Frage im mechanistischen Ablauf der Reaktion war weiterhin, ob bei der Cyclisierung von Squalen zu Lanosterin eine 1,3-Methylwanderung (von C-8 nach C-13) oder zwei 1,2-Wanderungen (von C-14 nach C-13 und von C-8 nach C-14) stattfinden. Die Frage konnte durch das folgende elegante Experiment geklärt werden: Geranylchlorid lässt sich mit Acetessigester zu Geranylaceton umsetzen. Markiert man den Acetessigester in der Methyl- bzw. Ketocarbonylgruppe, so unterscheiden sich die beiden Produkte je nach 14C-Markierung. O 1.
O
*
O
OEt 2. Verseifen / - CO2
*
Geranylaceton A Cl O
O
O
*
1.
OEt * 2. Verseifen / - CO2
Geranylaceton B
Um aus zwei Molekülen Geranylaceton Squalen zu synthetisieren, fehlen noch vier Kohlenstoffatome, die über eine Wittig-Reaktion eingeführt werden. Als Wittig-Komponente dient dabei das aus 1,4-Dibrombutan darstellbare Tetramethylenbis-triphenylphosphoniumbromid; die Reaktion mit je einem Molekül Geranylaceton A und B läuft nach Umsetzung mit Butyllithium ab.
50
1 Terpene R +
P
R
R +
R
R
P
O *
R
* O
*
*
Das entstandene Squalen ist nun zweifach markiert; es lässt sich in vivo zu Lanosterin cyclisieren. Danach gibt es für die Stellung der beiden 14C-Atome zwei Möglichkeiten:
* *
*
* HO
H
2 x 1,2-Wanderung
HO
H
1 x 1,3-Wanderung
Beim Kuhn-Roth-Abbau entsteht nun Essigsäure, die im Fall von zwei 1,2-Verschiebungen das Molekulargewicht 64, im Fall einer 1,3-Verschiebung 62 besitzt (neben „normaler“ Essigsäure vom Molekulargewicht 60). Der Nachweis lässt sich nach Veresterung mit Methanol massenspektrometrisch leicht erbringen. Mit dem Essigsäurenachweis vom Molekulargewicht 64 war die Wanderung der Methylgruppen im Sinne von zwei 1,2-Verschiebungen bewiesen. Neben dem Biosyntheseweg via Mevalonat wurde in neuerer Zeit ein weiterer Weg zur Biosynthese bakterieller Hopanoide gefunden. Im Gegensatz zu der allgemeinen Präsenz von Steroiden in den meisten Eukarionten, finden sich in Bakterien Triterpene mit Hopangerüst. Diese spezielle Ausrichtung wird darauf zurückgeführt, dass sie ebenfalls wie Sterole membranstabilisierend wirken, jedoch eine höhere Toleranz gegenüber höheren Temperaturen, gegenüber Ethanol und hohen osmotischen Drücken haben. Die entsprechenden Biosynthesewege sind in den Abbildungen 1.5 und 1.6 dargestellt.
1.8 Biosynthese der Terpene
51
1. Glyoxalsäure- und Citronensäurecyclus COOH A H3C
O
COOH
O
COOH
COOH
CH2
CH3
B
CH3
OP
COOH
CHO OH
O
CH2OP
HO
OPP
OH CH2OP
2. Entner-Doudoroff-Weg CHO
COOH
COOH
OH
O
O
HO
CH3
CH3
O
B
CH2 OH
OH
OH
OH
CH2OH
CH2OP
HO OH
CHO
CH2OP
OH CH2OP
OPP
3. Glycolyse CHO
CH2OP
OH HO
O
CH2OH
HO OH
O
OH
OH
OH
CH2OH
CH2OP
CH2OH CH3
COOH
OH
O
CH2OP
CH3
B O
HO OPP
CHO
O H3C SCoA
OH
C
CH2OP OPP
Abb. 1.5. Einbau von Acetat und Glucose in Isoprenoide. A: Glyoxalsäure- und Citronensäurecyclus. B: D-Glycerinaldehyd-3-phosphat- (GAP)/ Pyruvat-Weg. C: Mevalonsäure-Weg
52
1 Terpene
N
O
+
O
C
C
O
H
S
N
O
OH
N
OP
S +
HO
O
H+ OP
S
OP
H
O
OP
OH
OH
HO
O
OH
OH
NADPH
OH
OH
HO
N
OP
OH
OH
PO3H2
O
OPP
Abb. 1.6. Mevalonat-unabhängiger Glycerinaldehyd-3-phosphat/Pyruvat-Weg
Literatur Empfohlene Monographien:
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
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13. G. BADER, K. HILLER: Neue Ergebnisse zur Struktur und Wirkungsweise von Triterpensaponinen, Die Pharmazie 42, 577 (1987) 14. C.H. BRIESKORN: Triterpenoide, physiologische Funktion und therapeutische Eigenschaften, Pharmazie in unserer Zeit 16, 161 (1987) 15. H.C. KREBS: Recent developments in the field of marine natural products with emphasis on biologically active compounds, Progress in the Chemistry of Organic Natural Produkts, 49, 151 (1986) 16. J.R. HANSEN: The Sesterterpenoids, Natural Product Reports 12, 529 (1996) 17. M. ROHMER: The discovery of a mevalonate-independent pathway for isoprenoid biosynthesis in bacteria, algae and higher plants, Natural Product Reports 16, 565 (1999) 18. J.R. HANSON: The development of strategies for terpenoid structure determination, Natural Product Reports 18, 607 (2001) 19. J.R. HANSON: Diterpenoids, Natural Product Reports 19, 125 (2002) 20. P.M. DEWICK: The biosynthesis of C5–C25 terpenoid compounds, Natural Product Reports 19, 181 (2002) 21. J.D. CONNOLLY, R.H. HILL: Triterpenoids, Natural Product Reports 18, 560 (2001) 22. B.M. FRAGE: Natural sesquiterpenoids, Natural Product Reports 18, 650 (2001) 23. J. GERSHENZON, N. DUDAREVA: The function of terpene natural products in the natural world, Nature Chemical Biology 3, 408 (2007) 24. M.M.B. SANTOS, M.M. MELO, D.O. JACOME, K.M. FERREIRA, G.G. HABERMEHL: Evaluation of local lesions in dogs experimentally envenomed by Bothrops alternatus after different treatments, Arq. Bras. Med. Vet. Zootec., 55, 693 (2003) 25. M.M. MELO, M. LUCIA, G.G. HABERMEHl: Plant extracts for topic therapy of Bothrops alternatus envenomation, Brazilian J. Pharmacognosy 17, 29 (2007)
2 Steroide
Die Steroide zählen mit zu den wichtigsten Naturstoffen überhaupt. Zahlreiche biologisch wichtige Substanzklassen wie die Gallensäuren, die Sexual- und die Nebennierenrindenhormone, die herzaktiven Verbindungen (Cardenolide und Bufadienolide), Steroid-Sapogenine und Steroid-Alkaloide zählen zu ihnen. Wegen ihrer biologischen Wirksamkeit sind sie nicht nur von großem wissenschaftlichem Interesse, sondern auch von eminenter industrieller Bedeutung im Hinblick auf ihre pharmazeutische Verwendung. Steroide leiten sich biogenetisch von den Triterpenen ab. Alle Steroide besitzen als Grundgerüst ein tetracyclisches System, das Steran (Gonan, 1,2-Cyclopentanoperhydrophenanthren), das in der Regel jedoch noch durch zwei anguläre Methylgruppen (C-18 und C-19) ergänzt wird. Die Stereochemie und die Bezifferung sollen am Beispiel des Androstans dargestellt werden, wobei die Ringe mit Buchstaben und die einzelnen C-Atome mit Ziffern bezeichnet werden. 18 12 19 1
C
9
2
10
A 3
11
B
8
14
D 15
16
Androstan
7
5 4
17 13
6
Substituenten, die oberhalb der Molekülebene stehen, werden als β-ständig, solche die unterhalb der Molekülebene stehen, als α-ständig bezeichnet. Als Bezugspunkt wird die Methylgruppe an C-13 gewählt, die oberhalb der Ringebene liegt. Ist die räumliche Stellung eines Substituenten nicht sicher, so wird dies durch den griechischen Buchstaben ξ (xi) gekennzeichnet. In der Strukturformel werden β-ständige Substituenten durch ausgezogene oder dicke Striche, αständige durch eine gestrichelte Linie, ξ-ständige durch eine Wellenlinie angegeben. Die angulären Methylgruppen und die Seitenkette an C-17 sind in den natürlichen Steroiden grundsätzlich β-ständig. Die Ringe A und B können sowohl cisals auch trans-verknüpft sein, die Ringe B und C sind stets trans-verknüpft, die Ringe C und D weisen in der Regel trans-Verknüpfung auf; Ausnahmen finden sich z. B. bei den herzwirksamen Glykosiden. Bezogen auf ein Grundsystem wird das Fehlen eines C-Atoms mit dem Präfix Nor- angegeben, ein zusätzliches CAtom wird mit dem Präfix Homo- gekennzeichnet. Ringspaltungen werden mit dem Präfix Seco- gekennzeichnet.
56
2 Steroide R H H H
H
H
5ξ-Androstan: R = H 5ξ-Pregnan: R = C2H5 5ξ-Cholana: R = CH(CH3)CH2CH2CH3 5ξ-Cholestana: R = CH(CH3)CH2CH2CH2CH(CH3)2 5ξ-Ergostana,b: R = CH(CH3)CH2CH2CH(CH3)CH(CH3)2 5ξ-Stigmastana,c: R = CH(CH3)CH2CH2CH(C2H5)CH(CH3)2 a 20R-, b24S-, c24R-Konfiguration
2.1 Cholesterin und verwandte Sterine Das in der Natur am weitesten verbreitete Steroid ist das Cholesterin (Cholesterol). Es nimmt eine zentrale Stellung im gesamten Steroidstoffwechsel des tierischen Organismus ein. Selbst ohne jede physiologische Aktivität, stellt es das Ausgangsmaterial für alle übrigen Steroide im Organismus dar. Ein erwachsener Mensch besitzt in Blut, Fett und Leber ständig ca. 300 g Cholesterin. Es ist außerdem ein wesentlicher Bestandteil der Galle (griechisch χολη = Galle) und wurde hieraus schon 1775 von Conradi isoliert. Es hat zwei Hauptfunktionen im Organismus: Es ist im Darm an der Resorption von Fettsäuren beteiligt, und es ist Bestandteil der Zellmembranen. Etwa 300–500 mg Cholesterin werden pro Tag über tierische Fette aufgenommen, weitere 800–1200 mg werden im Körper synthetisiert. Die Absorptionsrate für Cholesterin liegt bei 50 % und damit deutlich über den Werten für Phytosterine, die für Sitostanol nur 1 %, für Sitosterin 4 %, für Campesterin 10 % und für Campestanol 13 % betragen. 24
22
21
26
20 23
25 27
H H HO
H
Cholesterin
In wirbellosen Tieren kommen außer Cholesterin noch weitere Sterine vor, wie z. B. das 24-Dehydrocholesterin. Die Steroide Stigmasterin (Sojabohne) und Sitosterin (Getreide) gewinnen zunehmend an industrieller Bedeutung für SteroidPartialsynthesen. Das Ergosterin ist häufig als Bestandteil von Pilzen, Flechten und Algen nachweisbar.
2.1 Cholesterin und verwandte Sterine
H H
57
H H
HO
H
H
HO
Stigmasterin
Sitosterin
H H
H
HO
H
H
HO
24-Dehydrocholesterin
Ergosterin
Phytosterine (Tabelle 2.1) besitzen, im Unterschied zum tierischen Cholesterin, eine zusätzliche Methyl- oder Ethylseitenkette. Sie sind essenzielle Bestandteile pflanzlicher Zellmembranen. Bisher wurden 44 verschiedene Phytosterine identifiziert. Die entsprechenden am B-Ring gesättigten Verbindungen bezeichnet man als Stanole, von denen am häufigsten das Sitostanol in der Nahrung vorkommt, besonders reichlich im Sojaöl und in geringen Mengen in Roggen und Weizen (Tabelle 2.2). Am häufigsten kommen in pflanzlichen Lebensmitteln β-Sitosterin mit 65 %, Campesterin mit 30 % und Stigmasterin mit 5 % der Nahrungsphytosterine vor. Die Phytosterine kommen hauptsächlich in den fettreichen Pflanzenteilen, den Samen und den daraus gewonnenen Ölen und den entsprechenden Verarbeitungsprodukten, z. B. Margarine, vor. Obwohl der Gehalt an Phytosterinen in Getreideprodukten mit bis zu 200 mg/100 g niedrig ist, werden mit ihnen durchschnittlich etwa 17 % aufgenommen. Bei der Raffination verliert Sojaöl etwa ¾ seines Phytosteringehaltes im Vergleich zum nativen Öl. Die Absorptionsrate der Phytosterine und Phytostanole hängt von der Länge der Seitenkette ab und ist im Vergleich zum Cholesterin (>40 %) deutlich geringer. Phytosterine beeinträchtigen die Absorption des Cholesterins der Nahrung sowie das mit der Gallenflüssigkeit ausgeschiedene, worauf die Senkung des Plasmacholesteringehaltes beruht. Dies ist die Basis der Therapie von Hypercholesterinämien mittels Phytosterinen. Es gibt auch zahlreiche Hinweise auf eine protektive Wirkung gegen Dickdarm-, Brust- und Prostatakrebs; vermutlich beeinflussen sie die Bildung sekundärer Stoffwechselprodukte (sekundäre Gallensäuren, Abbauprodukte von Cholesterin) im Magen-Darm-Trakt. Mit einer gemischten Kost werden pro Person täglich 100–500 mg Phytosterine und 20–50 mg Phytostanole aufgenommen. Bei Vegetariern liegt die Gesamtaufnahme viermal höher. An der C-3-Position liegen oft Ferulasäuren verestert vor. In Maisöl sind 50 % der Phytosterine an C-3 mit einer
58
2 Steroide
langkettigen Fettsäure verestert. Glycosylierte Steroide sind vor allem bei Pflanzen, weniger bei Tieren zu finden, in der Regel ist deren Anteil gering. Zur Senkung des Plasmacholesteringehaltes werden Margarinesorten angeboten, die mit Phytosterinen angereichert sind. Da die freien Sterine schlecht löslich sind, werden Sterinester eingesetzt, die im Verdauungstrakt hydrolysiert werden. Extrahiert werden die Phytosterine aus pflanzlichen Ölen und aus Tallöl, welches als Nebenprodukt bei der Papier- und Zellstoffgewinnung anfällt. Tallöl ist reich an Phytostanolen, besonders β-Sitostanol. Tabelle 2.1. Ausgewählte Sterine in Lebensmitteln (die OH-Gruppe am C3 ist β-ständig) Ligand am C3
Ligand am C24
Vorkommen und Gehalte (soweit nicht anders angegeben: mg je 100 g)
-OH
-H
Dehydrocholesterin-(7) (Provitamin D3, Cholest-5,7-dien-3β-ol) Phytosterine: Δ7-Avenasterin (24Ethyl-7,11-dien-3β-ol)
-OH
-H
In allen tierischen Fetten, besonders reichlich im Rückenmark und Gehirn; Hühnereigelb: 1260; Rind- bzw. Schweinefleisch: 60–70; Vollmilch (Kuh): 12; Gemüse und Obst: 1 mg bzw. >1 mg Schweineschwarte, Haut
-OH
-C2H5
Daucosterin (Glycosid: 24-Ethyl-Cholest-5-en3β-ol + 1 Mol Glucose) Brassicasterin (24Ethyl-Cholest-5,22dien-3β-ol)
-
-
-OH
-CH3
Δ5-Avenasterin (24Ethyl-cholest-5,11dien-3β-ol) α-Spinasterin (Bessisterin) (24-Ethylcholest-7,22-dien-3βol)
-OH
-C2H5
-OH
-C2H5
-OH
-C2H5
Sterin Zoosterine: Cholesterin (Cholest-5en-3β-ol)
α1-Sitosterin (Cholestol, 24-EthylCholest-5,8-dien-3β-ol)
Haferöl; 100 g Erbsen enthalten 1 mg A.; 100 g Tomaten ca. 0,4 mg A. (jeweils Summe von Δ5 und Δ7-A., bezogen auf Frischsubstanz [Fr.-S.]) Mohrrüben, Orangen, Grapefruit Rüböl, Zuckerrohrwachs, Gemüsepaprika (2,5 % der Gesamtsterine der Oberflächenlipide); Gehalte: Brokkoli 3 mg/kg (Fr.-S); Dill, Petersilie, Rosenkohl: jeweils 2 mg/kg (Fr.-S.) Haferöl, Sonnenblumenöl Spinat, Koloquinten (Citrúllus colocýnthis [L.] Schrad.), Luzernesamenöl; Hauptsterin in Gurken: 3,7 (bes. in freier Form und als Glucoside); in 100 g Arganöl wurden 12 mg S. bestimmt (Summe von α-, β- und γ-S.) sehr verbreitet, besonders in Mais-, Roggenkeim-, Weizenkeim-, Reiskeim-, Sonnenblumen-, Soja-, Sesam-, Lein-, Baumwollsamen-, Olivenöl sowie Apfeltrester
2.1 Cholesterin und verwandte Sterine Ligand am C3 -OH
Ligand am C24 -C2H5
Δ7-Stigmastenin (24Ethyl-cholest-7-en-3βol) Stigmasterin (24-Ethylcholest-5,22-dien-3βol)
-OH
-C2H5
-OH
-C2H5
Campesterin (24Methyl-Cholest-5-en3β-ol)
-OH
-CH3
-OH
-CH3
-OH
-CH3
-OH
=CHCH3
Sterin β-Sitosterin (Cinchol, 24-Ethyl-Cholest-5-en3β-ol)
Gramisterin (4α-Methyl-24methylen-5α-cholest-7en-3β-ol) Mykosterine: Ergosterin (Provitamin D, 24-Methyl-cholest5,7,22-trien-3β-ol)
Fungisterin (24Methyl-cholest-7-en3β-ol) Fukosterin (24-Ethylcholest-5,24-dien-3βol)
59
Vorkommen und Gehalte (soweit nicht anders angegeben: mg je 100 g) β-Sitosterin ist das Hauptsterin der meisten Obst- und Gemüsearten, Gurken: 3,9 (bes. in freier Form und als Glucoside); Sojabohne (roh): 492 mg/kg Trockensubstanz (Tr.-S.); fermentierte Sojazubereitung mit B. subtilis: 788 mg/kg Tr.-S. Weizen-, Roggenkeimöl
Mais-, Kokosnuss-, Raps-, Reiskeim-, Sonnenblumen-, Sojaöl, Kakaofett, Hauptsterin in reifen Tomaten, Nebensterin vieler Obst- und Gemüsearten, besonders in Aubergine, Kopfsalat, Porree, Grünspargel und Möhre; Sojabohne (roh): 146 mg/kg Tr.-S.; fermentierte Sojazubereitung mit B. subtilis: 225 mg/kg Tr.-S. Raps-, Soja-, Weizenkeimöl, Nebensterin vieler Obst- und Gemüsearten, besonders in Rettich, Weiß- und Rosenkohl, Sonnenblume und Sonnenblumenöl, Puffbohne sowie Gemüsepaprika; Sojabohne (roh): 169 mg/kg Tr.-S.; fermentierte Sojazubereitung mit B. subtilis: 255 mg/kg Tr.-S. Methylsterin in Pflanzenölen
Butter, Lebertran, Milch, Eigelb, Hefe, Pilze; in 100 g Shiitakepilz (kultivierte Art) kommen bis zu 680 mg E. vor. Ergosterin wird vermehrt bei Pilzbefall in Lebensmitteln gebildet, sodass es als Indikator dafür gilt. Pilze, Mutterkorn; in 100 g Speisepilzen wie z. B. dem Shiitakepilz kommen bis zu 60 mg F. vor. Meeresalgen, in geringen Konzentrationen in Äpfeln
60
2 Steroide
Tabelle 2.2. Phytosteringehalt von Lebensmitteln (in mg je 100 g essbarem Anteil)
Lebensmittel
Phytosteringehalt
Gemüse Bohnen Blumenkohl Brokkoli Karotten Kopfsalat Oliven, schwarz Rosenkohl Tomaten Getreide Weizen Saaten und Nüsse Mandeln Sesamsaat Sonnenblumenkerne
Lebensmittel
Phytosteringehalt
Obst Äpfel Banane Birne Grapefruit Kiwi Orange Pfirsich Öle Palmöl Maisöl Olivenöl Sojaöl, kalt gepresst Sojaöl, raffiniert Sonnenblumenöl
76 40 39 16 38 50 43 5 1–200 69 143 714 534
13 14 12 22 9 24 15 49 952 176 494 132 725
Einige in Pflanzenölen vorkommende Phytosterine tragen am C-Atom 4 eine oder mehrere Methylgruppen, die zum Herkunftsnachweis von Fetten dienen. Hauptverbindungen mit einer Methylgruppe sind Obtusifoliol (4α,14α-Dimethyl24-methylen-5α-cholest-8-en-3β-ol) und Gramisterin (4α-Methyl-24-methylen5α-cholest-7-en-3β-ol). Obtusifoliol stellt das Hauptsteroid im Olivenöl (794 mg je kg). Da es in Haselnussöl nicht vorhanden ist, stellt es eine Möglichkeit zur Unterscheidung der beiden Pflanzenöle dar, deren Fettsäuremuster sehr ähnlich ist. Als Vertreter der 4,4-Dimethylsterine sind α- und β-Amyrin, Cycloartenol, Oleanolsäure und Lupeol (Lup-20[29]-en-3β-ol) zu nennen. α-Amyrin kommt in Beifuß (Artemisia vulgaris) und β-Amyrin in Form des Acetats in Traubenkernöl vor. Cycloartenol findet sich in Spuren in allen grünen, photosynthetisch aktiven Pflanzen als Zwischenprodukt der Cholesterin-Synthese. Oleanolsäure ist Bestandteil in zahlreichen Pflanzen wie Zwiebel, Zuckerrübe, Heidelbeere, Moosbeere, Olive, Basilikum, Thymian und Salbei. Lupeol findet sich besonders in Milchsäften, Samen und Rinden, z. B. im Kaugummi von Achras zapota, in der Sheanuss sowie in der Schale von Lupinensamen. H
H H HO
H
Obtusifoliol
HO
H
Gramisterol
HO
H
Cycloartenol
2.1 Cholesterin und verwandte Sterine
H
H H
H HO
HO
H
61
H
α-Amyrin
β-Amyrin
H H
H H
H HO
HO
Lupeol
H
COOH
H
Oleanolsäure
Withanolide kommen in Nachtschattengewächsen wie in den Tomatillofrüchten vor. Es sind bioaktive pflanzliche Steroide mit anticarcinogenen und cytotoxischen Aktivitäten. OH
O
O OH
H H
H3C O
OH
O
O
H
O OH
H O R
H H
O
H
O OH
Withaphysacarpin: R = OH; 24,25-Dihydrowithanolid: R = H Withanolide aus Physalis philadelphia und Physalis ixocarpa (Tomatillo)
2,3-Dihydro-3-methoxywithaphysacarpin
Die Doppelbindung in 5,6-Stellung lässt sich katalytisch hydrieren; dabei entstehen – je nach Reaktionsbedingungen – Isomerengemische. So führt die Reduktion im sauren Medium in die 5α-Reihe (mit trans-Verknüpfung der Ringe A und B). Verbindungen der 5β-Reihe (Koprostanole) erhält man dagegen bei der Reduktion des α,β-ungesättigten Ketons, das bei der Oppenauer-Oxidation des Cholesterins entsteht.
62
2 Steroide
Pt/H2 H+
HO
OHΔ
HO
Cholestanol
Oppenauer-Oxidation
H2/OH-
H
3epi-Cholestanol
Raney-Ni O
HO
H
OHΔ
HO
HO
H
Koprostanol
H
3epi-Koprostanol
Der Mechanismus der Oppenauer-Oxidation am Beispiel von Koprostanol ist im folgenden Schema dargestellt.
Al(iso-OC3H7)3 - Isopropanol
H O
O
O
HO
H
O
H
Al
O
O
+
H Al(iso-OC3H7)3
Die an C-3 epimeren Cholestanole lassen sich durch Kochen mit stärkeren Basen (z.B. Alkoholat) isomerisieren; dabei ist in der A/B-trans-Reihe die 3β-OHVerbindung, in der A/B-cis-Reihe die 3α-OH-Verbindung die stabilere. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Verbindung mit einem äquatoralen Substituenten vergleichsweise stabiler ist als diejenige mit einem axialen Substituenten.
A
HO H
B H
A HO
3β-OH
über Keton
B
H
MeONa
H OH
H
MeONa H über Keton H
H
OH
3α-OH
2.1 Cholesterin und verwandte Sterine
63
Aus den gleichen Gründen entstehen bei der NaBH4-Reduktion von 3-Ketosteroiden jeweils die 3-Hydroxyverbindungen, die die OH-Gruppe in äquatorialer Stellung tragen.
NaBH4 O
3α-Hydroxy-Reihe HO
H
H
NaBH4
3β-Hydroxy-Reihe O
HO
H
H
Allgemein kann bei der Metallhydridreduktion von Ketonen beobachtet werden, dass in Abhängigkeit vom Raumbedarf der Substituenten im Ring die Addition des Hydrids entweder über sterische Annäherungskontrolle oder Produktbildungskontrolle verläuft. Da die 3-Ketogruppe in Cholestanonen sterisch kaum behindert ist, entsteht bei der Reduktion mit NaBH4 das thermodynamisch stabilere Produkt (Produktbildungskontrolle) mit einer äquatorialen Hydroxygruppe. Die thermodynamisch weniger stabilen axialen 3α-Alkohole in der A/B-trans-Serie können durch eine Veresterung unter Inversion dargestellt werden. Die Umsetzung der 3β-Hydroxygruppe mit Diazodicarbonsäureester/Triphenylphosphin und einer Carbonsäure ergibt den 3α-Ester (Mitsunobu-Verfahren). O H
EtOOC N
C
R
O
N COOEt
H
O H
C6H5
P
H
- EtOOC-NH-NH-COOEt C6H5
C6H5 C6H5
C6H5
+
P
O
C6H5
H
- (C6H5)3PO
O
H R R
O O
H
H
C
O
64
2 Steroide
Die Reaktionen des 3β-Tosylcholesterins mit Nucleophilen, wie z. B. MeOH in CHCl3, ergeben 3,5-Cyclocholestane.
CH3OH H
H
- TsOH
TsO
Ts = CH3-pC6H4-SO2 H
O
O
CH3
CH3
Eine weitere wichtige Reaktion an Steroiden ist die α-Bromierung von Ketonen, wobei die Regio- und Stereoselektivität im Folgenden diskutiert werden soll. H [Br] O
Br
Br
O
H
H
O
H
[Br] O
H
H
O Br
H
O
Br
H
Die Bromierung erfolgt nach Corey primär axial, da der Übergangszustand energetisch begünstigt ist, wenn das Orbital des enolisierten C-Atoms, welches nucleophil am Brom angreift, mit dem π-Orbital des Carbonylkohlenstoffatoms überlappt. Dies ist nur in der Sesselkonformation möglich, wenn das Orbital axial orientiert ist. Eine zweite Erklärung geht von der Überlegung aus, dass über eine Bromonium-Zwischenstufe des Enols und diaxiale Öffnung des cyclischen Intermediats das α-Bromketon entsteht.
2.1 Cholesterin und verwandte Sterine
65
+
Br
+
Br O
HO H
Br
H
α-Bromketon
+
Br HO
O H Isomerisierung
H - HBr
Br Br
Br
HO
O
Br
H
H
Im nächsten Schritt erfolgt eine Isomerisierung über das entsprechende Enol zum stabileren Bromketon. Die thermodynamische Stabilität ergibt sich sowohl aus dem Dipoleffekt als auch aus der 1,3-diaxialen Wechselwirkung. Bei den 2Brom- bzw. 4-Brom-oxo-Steroiden überwiegt der sterische Effekt. Dagegen überwiegt in sterisch nicht fixierten Verbindungen, wie z. B. im α-Bromcyclohexanon, der Dipoleffekt. Die bevorzugte Konformation der Bromverbindungen ist diejenige, in der der Substituent die axiale Position einnimmt. O Br H
Br
H
O
Die Regioselektivität bei der Bromierung von 3-Ketonen hängt von der Richtung der Enolisierung ab. In der 5α-Reihe (Cholestanon) ist die 2-Doppelbindung stabiler als das 3-Alken. Dagegen ist in der 5β-Reihe (Koprostanon) das 3-Alken bevorzugt. Cholesterinderivate sind pharmakologisch interessant aufgrund ihrer Wirkung auf die Cholesterinbiosynthese. Die Kontrolle dieser Biosynthese sollte die Cholesterinmenge im Blut reduzieren, womit eine Verhinderung bzw. Behandlung von Arteriosklerose möglich sein sollte.
66
2 Steroide
H HO
H
Die Einführung einer Sauerstofffunktion an den indizierten Positionen führt zu Produkten, die die Steroidbiosynthese in Zellkulturen hemmen. Eine in vivoWirkung dieser Derivate wird, bedingt durch die schnelle Metabolisierung in der Leber, allerdings nicht beobachtet. Diese Metabolisierung wird bei Δ8- bzw. 14-Ethylsteroiden nicht beobachtet, sodass diese Derivate auch in vivo Wirkung zeigen, z. B. 3β-Hydroxy-5α-cholest8(14)-en-16-on und 14α-Ethyl-5α-cholest-7-en-3β,16α-diol.
O
HO
OH
HO
H
3β-Hydroxy-5αcholest-8(14)-en-16-on
H
14α-Ethyl-5αcholest-7-en-3β,16α-diol
Zurzeit finden Sekundärmetaboliten aus Pilzen therapeutische Verwendung als Inhibitoren der Cholesterin-Biosynthese; diese Substanzen sind kompetitive Inhibitoren der HMG-CoA-Reduktase (s. Kap. 1.8). O O
O O
R
OH
H
R = H: Compactin aus Penicillium citrinum R = CH3: Mevinolin aus Aspergillus terreus
2.2 Steroidsaponine vom Spirostan-Typ
67
Ecdysone sind eine Klasse von Steroiden mit Hormonwirkung bei Insekten. Das erste Häutungshormon, das α-Ecdyson, wurde 1954 aus Seidenspinnerpuppen isoliert. Die Ecdysone leiten sich vom Cholesterin ab, jedenfalls was Länge und Verzweigung der Seitenkette betrifft. Charakteristisch ist die 14α-Hydroxygruppe. Das β-Ecdyson wurde aus Insekten, aber auch aus Krebsen, isoliert. In Pflanzen wurden ebenfalls Ecdysone mit Wirkung als Insektenhormon gefunden. So wurden aus Conifera podocarpus so genannte Ponasterone isoliert. OH R
OH
α-Ecdyson: R =
HO
HO H
OH
OH
OH
β -Ecdyson: R =
HO
H
O
HO
OH
Ponasteron A: R =
Brassinolide sind Pflanzenhormone, die das Pflanzenwachstum in Konzentrationen von 10 μg/Pflanze fördern. Bemerkenswert sind die 22R-Hydroxygruppe und das siebengliedrige Lacton im B-Ring. Auch hier wurden entsprechende Analoga gefunden. Brassinolid kommt in Raps (Brassica napus), ein 24-Epimer des Brassinolids in den Pollen der Puffbohne (Vicia faba) und das 2-Deoxy-Derivat in den Samen von Sellerie (Apium graveolens) und Erbsen (Pisum sativum) vor. OH
R 24 OH
HO
H 2
H
HO H
H O
Brassinolid: R = CH3 Brassinon: R = C2H5 28-Norbrassinolid: R = H
O
2.2 Steroidsaponine vom Spirostan-Typ Als Saponine werden die Glycoside hydrophober Alkohole bezeichnet. Entsprechend sind Steroidsaponine glycosidierte Sterine. In wässriger Lösung bilden sie einen seifigen Schaum, weshalb sie früher als Detergentien und als Schaumbildner
68
2 Steroide
in Feuerlöschern Verwendung fanden. Bei Eingeborenen in Afrika und Südostasien finden saponinhaltige Pflanzensäfte Verwendung beim Fischfang, da Fische schon durch sehr geringe Mengen betäubt werden und an die Wasseroberfläche kommen. Die Fische bleiben für den menschlichen Genuss brauchbar, da die Sapogenine oral ungiftig sind und überdies bei der Zubereitung zerstört werden. Sapogenine finden gelegentlich in der Thrombosebehandlung pharmazeutische Anwendung (Rosskastanienextrakt). Sie hemmen in geringer Menge die Blutgerinnung, sind aber in höheren Dosen wegen ihrer hämolytischen Aktivität toxisch. Der Genin-Teil (das Aglycon = Steroidglycosid ohne Zuckerteil) leitet sich vom Spirostan ab: O
H
O
H
H H
H
RO
Diosgenin: R = H Dioscin: R = 2 x Rhamnose + 1 x Glucose aus Dioscorea tokoro Gracillin: R = 1 x Rhamnose + 2 x Glucose aus Dioscorea gracillina Trillarin: R = 2 x Glucose aus Trillium erectum Trillin: R = 1 x Glucose aus Trillium erectum
Industrielle Verwendung findet das Diosgenin aus Dioscorea-Arten (zur Darstellung von Steroidhormonen: vgl. Marker-Abbau Kap. 2.6.1). In Abhängigkeit von der botanischen Herkunft werden verschiedene Glycoside gefunden. Als Reagenz ist das Digitogenin wichtig, das aus Digitalis purpurea gewonnen wird. Verwandte Verbindungen sind das Tigogenin und das Gitogenin. O
H
R
H H
R''O
O
H
H
H
R'
Digitogenin: R = R' = OH, R'' = H Digitonin: R = R' = OH, R'' = Xyl + 2 x Gal + 2 x Glc Gitogenin: R = OH, R' = R'' = H Tigogenin: R = R' = R'' = H
Digitonin besitzt eine hohe hämolytische Aktivität, die allerdings von Cholesterin und anderen Steroiden mit A/B-trans-Verknüpfung aufgehoben wird. In alkoholischer Lösung bildet das Digitonin mit diesen Steroiden Komplexverbindungen, die schwerlösliche Niederschläge ergeben. Die Zerlegung solcher Komplexe wird durch Soxhlet-Extraktion mit Toluol bei höherer Temperatur erreicht. Dabei geht das Steroid in Lösung, das Digitonin bleibt zurück und kann wiederverwen-
2.2 Steroidsaponine vom Spirostan-Typ
69
det werden. Dies ist eine gute Methode, um Steroide aus hoher Verdünnung abzutrennen bzw. zu reinigen. In der ostafrikanischen Sisalpflanze Agave sisalana findet man das Hecogenin. Aus dem Samen der Yucca-Pflanze gewinnt man neben Speiseöl auch zu ca. 8 % Sarsasapogenin (Tabelle 2.3). Diese Verbindung unterscheidet sich vom Diosgenin durch die cis-Verknüpfung der A/B-Ringe und die 25β-Methylgruppe.
O
O
H
H
O
H
O
H
H
H H HO
H
O
H
H HO
Hecogenin
H
H
Sarsasapogenin
Diese Sapogenine sind wichtige industrielle Rohstoffe. 1986 wurden 2300 t Steroide als Ausgangsverbindungen für vielseitige Synthesen eingesetzt (Tabelle 2.4). Hiervon entfielen 65 % auf Stigmasterin und Sitosterin, 25 % auf Diosgenin und 10 % auf Gallensäuren. Tabelle 2.3. Vorkommen ausgewählter Steroidsapogenine Trivialname Diosgenin
systematischer Name (25R)-Spirost-5-en-3-β-ol
Yamogenin Sarsasapogenin
(25S)-Spirost-5-en-3-β-ol (25S)-5β-Spirostan-3-β-ol
Smilagenin
(25R)-5β-Spirostan-3-β-ol
Vorkommen Wurzelstöcke mehrerer Dioscorea-Arten; in 100 g Balsambirnen (Momórdica charántia) sind ca. 150 mg D. bestimmt worden (Wert bezogen auf Teockensubstanz [Tr.-S.]) Tomate Sarsaparillawurzeln, Smílax regélii Killip et Morton Sarsaparillawurzeln, Smílax aristolochiifólia Mill.
Tabelle 2.4. Rohstoffquellen für die Partialsynthese von Steroiden Steroid Diosgenin Solasodin Hecogenin Stigmasterin und Sitosterin Sarsasapogenin Gallensäuren Cholesterin Lanosterin Ergosterin
Rohstoffquellen Dioscorea-Arten (Mexiko) Solanum marginatum (Äthiopien/Ostafrika) Agave sisalana (Kenia) Sojabohne Yucca Rindergalle Rückenmark von Schweinen, Wollfett von Schafen, Fischöle Wollfett von Schafen Hefen
70
2 Steroide
2.3 Vitamin D Vitamin D (s. auch Kap. 13.1) gehört selbst zwar nicht zu den Steroiden, leitet sich jedoch von Cholesterin ab. Man unterscheidet zwei biologisch in gleicher Weise aktive Substanzen, das Vitamin D2 (Calciferol), das auch den aktiven Bestandteil der Vitamin-D-Präparate Vigantol und Vigorsan darstellt und das Vitamin D3 (Cholecalciferol), das beim Menschen etwas stärker wirksam ist als Vitamin D2. Vitamin D findet sich in geringen Mengen in Butter und Milch, besonders aber im Eigelb und in den Fischleberölen (Lebertran). Tunfisch Dorsch Eigelb
2–25 8–30.000 300
Mio. I.E./100 g Lebertran Mio. I.E./100 g Lebertran Mio. I.E./Stück
In Fischleberöl liegen die Gehalte bei 0,17–3,8 mg/100 g, in Bierhefe im Prozentbereich/100 g, in Eigelb bei 5–8 µg/100 g, in Fleisch bei 1–2 µg/100 g, in Milch bei 0,4 µg/100 g (alle Angaben bez. auf Frischsubstanz [Fr.-S.]). In Pilzen und Hefen kommt das Provitamin Ergosterin vor, bei wild wachsenden Pilzen können die Gehalte bei 30 µg Ergosterin/100 g Fr.-S. liegen, die Kulturformen weisen oft nur 1/10 dieses Wertes auf. Leber von Schlachttieren enthält 35–65 µg/100 g Fr.-S. Die verhältnismäßig hohen Gehalte in Eigelb, Leber und Niere sind durch die Biosynthese des Vitamins in Tieren zu erklären. Die Gehalte in Pflanzen liegen unterhalb von 0,01 µg/100 g Fr.-S. Eine Internationale Einheit (I.E.) entspricht 25 ng kristallisiertem Vitamin D3; 100 I.E. sind 1 klinische Einheit. Die Bildung im Organismus aus 7-Dehydrocholesterin geschieht durch Sonnenbestrahlung in der Haut; entsprechend kann es zu Mangelerscheinungen in Industriegebieten mit ständigem Smog oder auch während der Wintermonate in nordischen Ländern kommen. Der Tagesbedarf für den Menschen liegt bei 400–800 I.E., während der Schwangerschaft und Stillzeit ist er leicht erhöht. Normalerweise reicht die Eigenproduktion aus. Als Indikator der Vitamin-D-Versorgung gilt die Plasma-Konzentration von Calcidiol (25[OH]-Cholecalciferol). Bei Untersuchungen zum Vitamin-D-Status der Bevölkerung in Europa und Asien zeigte sich, dass innerhalb Europas die Bevölkerung Skandinaviens höhere Blutwerte aufwies als die Bevölkerung in Italien und Spanien. Als Ursache dafür sind die Ernährung und die Supplementierung mit Vitamin D anzusehen. In den vorderasiatischen Ländern Türkei, Libanon und Iran waren die Blutwerte bei Frauen geringer als bei Männern, bedingt durch die Kleidungsgewohnheiten. In Indien ist der Vitamin-D-Status bei Schulkindern und schwangeren Frauen schlecht, bei 30 % der Bevölkerung wurde ein Mangel an Vitamin D festgestellt. In der Nahrung enthaltene Chole- und Ergocalciferole sowie Ergosterin werden über die bei der Fettverdauung gebildeten Micellen in die Epithelzellen des proximalen Dünndarms überführt. Die Resorptionsrate beträgt ca. 80 %. Der Transport der Calciferole zur Leber erfolgt über die Lymphe, zu den anderen Organen über ein spezifisches Vitamin-D-bindendes Plasma-Protein (DBP, früher Trans-
2.3 Vitamin D
71
calciferin genannt). Zahlreiche Metabolite wurden als Endprodukte des VitaminD-Stoffwechsels nachgewiesen, die Calcitrinsäure ist davon das bedeutendste. Sie wird über die Nieren ausgeschieden. Das gebildete Vitamin D wird vor allem in der Haut, aber auch in der Leber, Niere, im Gehirn und in der Darmwand gespeichert. Der Vorrat reicht in der Regel für einige Monate. Über die Biosynthese des Vitamins D in den Fischen, unter Ausschluss von Licht, ist noch nichts bekannt. Die Regulation des Calcium- und Phosphathaushalts mit den Zielorganen Darm (Resorption), Knochen (Mineralisation/Demineralisation), Niere (Reabsorption/Ausscheidung) und Nebenschilddrüse (Regulation der Parathormonfreisetzung) ist die Hauptaufgabe des 1,25-(OH)2-Cholecalciferols (calcämische Funktionen). An dieser Regulation sind weitere endokrine Systeme beteiligt: das Parathormon (PTH) der Nebenschilddrüse (Parathyrin), das Parathyroid related protein (PTHrp) und das Calcitonin (Schilddrüse). Darüber hinaus hat das aktive Vitamin D auch wichtige nichtcalcämische Funktionen. Sie werden ebenfalls über dessen Bindung an Kernrezeptoren vermittelt. Die hauptsächlichen nichtcalcämischen Funktionen betreffen die Differenzierung und kontrollierte Proliferation von Zellen der Haut (Keratocyten), antiproliferative Effekte bei Prostata- und anderen Krebserkrankungen sowie immunmodulatorische und die Infektabwehr steigernde Wirkungen. Die Avitaminose führt zu einer Störung des Calcium- und des Phosphatstoffwechsels, bei Kindern schließlich zur Rachitis, d.h. zu einer Knochendeformation infolge der Unfähigkeit zum Einbau von Calcium ins Knochengewebe. Bei Erwachsenen macht sich andauernder Vitamin-D-Mangel durch Osteomalazie (Knochenerweichung durch Kalkverarmung) bemerkbar. Von erheblicher volksgesundheitlicher Bedeutung ist der (weniger extreme aber häufige) Vitamin-D-Mangel, insbesondere bei älteren Menschen, der eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung der Osteoporose (mit einem erhöhten Risiko für Wirbelkörper- und Knochenfrakturen) spielt. Bei einer über längere Zeit erhöhten Aufnahme von Vitamin D kann es zu Vergiftungserscheinungen kommen (Hypervitaminose). Sie machen sich zunächst bemerkbar durch Appetitverlust, Erbrechen, Durchfall, Kopfschmerzen und Benommenheit. Ernstere Folge ist eine anomale Mobilisierung von Calcium aus den Knochen, verbunden mit einem Ansteigen des Calcium-Phosphat-Spiegels im Blut. Schließlich kommt es zu Kalkablagerungen in Nieren, Lungen, Lymphknoten, Arterien, Nebenschilddrüsen und im Myokard (Calcinose). Die Nierenstörungen führen zudem zu starkem Kochsalzverlust. Diese Schäden können zum Tod führen. Die maximal verträgliche Dosis an Vitamin D beträgt 5.000 I.E./Tag. Bei ausreichender Sonnenlichtexposition sind die Synthese aus den Provitaminen (Prohormonen) und damit die Bedarfsdeckung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene im Allgemeinen ausreichend. Sicherheitshalber werden aber Bedarfsangaben gemacht, um eine ausreichende Versorgung auch bei nur geringer oder keiner Sonnenlichtexposition zu sichern. Die empfohlene tägliche Zufuhr beträgt für Säuglinge 10 µg, für Kinder und bis zu 65-Jährige sowie für Schwangere und Stillende 5 µg, und für über 65-Jährige 10 µg. Da der Vitamin-D-Gehalt der Frauenmilch bzw. Milch nicht für die Deckung des Säuglingsbedarfs ausreicht, wird
72
2 Steroide
generell im ersten Lebensjahr von Säuglingen eine tägliche Supplementierung von Vitamin D durchgeführt (Rachitisprophylaxe). Die maximale Dosis bei der Rachitisprophylaxe bei Kindern beträgt 400 I.E./Tag. Anstelle der früher üblichen „Vitaminstöße“ bei Säuglingen wendet man heute laufend kleine Dosen an. Auch bei einer Bleivergiftung wird Vitamin D eingesetzt. Blei wird durch Vitamin D im Blut fixiert und ausgeschwemmt. Schließlich dient Vitamin D als Zusatz bei Calciumspritzen zur Behandlung von Allergien. Die Wirkung des Vitamins beruht hier darauf, dass der Calciumspiegel auf diese Weise im Blut längere Zeit hoch gehalten wird. Die Synthese des Vitamins D3 geht vom Cholesterin aus, die des Vitamins D2 vom Ergosterin.
H
H
Ergocalciferol (Vitamin D2)
Cholecalciferol (Vitamin D3) HO
HO
Das Provitamin D2 wird durch Lichteinfluss in einer elektrocyclischen Reaktion zu einem Secosteroid gespalten. Der thermisch induzierte 1,7-H-Shift erfolgt in einer sigmatropen Umlagerung antarafacial (Fleming). Biosynthetisch erfolgt die Bildung von Vitamin D3 in analoger Weise wie die des Vitamins D2. In der Haut wird 7-Dehydrocholesterin durch UV-Strahlung und Wärme in Cholecalciferol (Vitamin D3) umgewandelt. Die eigentliche aktive Form wird jedoch erst nach einer 25-Hydroxylierung in der Leber und nach einer 1-Hydroxylierung in der Niere gebildet. Glucoside des 1,25-Dihydroxycholecalciferols kommen in zahlreichen Pflanzen vor (z.B. Solanum malacoxylon, Nierembergia veitchii, Trisetum flavescens, Cestrum spp.) und sind die Ursache der weit verbreiteten Calcinose bei Rindern und Schafen.
H hν H HO
Provitamin D3
konrotatorische Ringöffnung HO
CH2 H
Prävitamin D3
2.4 Gallensäuren
73
Δ, 36°C H
[1,7]-H-Shift antarafacial
Vitamin D3
HO
OH
H
1,25-Dihydroxycholecalciferol
HO
OH
2.4 Gallensäuren Die Gallensäuren sind eine Gruppe von Verbindungen, die in der Gallenflüssigkeit vorkommen. Sie liegen dort nicht frei, sondern als „Konjugate“ vor. Diese Substanzen besitzen durch ihre Struktur mit einem polaren und einem unpolaren Ende die Eigenschaften von Detergentien. Sie vermögen daher Fette zu emulgieren und damit leichter verdaulich zu machen. Der Grundkörper ist die Cholansäure, die selbst in der Natur nicht vorkommt. Die wichtigen Gallensäuren sind Hydroxyderivate der Cholansäure, und zwar in 3-, 7- bzw. 12-Stellung: COOH
H H
H
Cholansäure
H
3α-OH: 3α,12α-OH: 3α,7α-OH: 3α,7α,12α-OH:
Lithocholsäure (aus Gallensteinen), Desoxycholsäure (2), Chenodesoxycholsäure (aus Hundegalle), Cholsäure (1)
74
2 Steroide
Die in der Gallenflüssigkeit vorliegenden „Konjugate“ sind die Amide der Cholsäure mit Taurin (Taurocholsäure) bzw. Glycin (Glycocholsäure). O
O SO3H
N
N
H
Taurocholsäure
H
COOH
H
Glycocholsäure
H
Die Galle von Knorpelfischen (z. B. Scymnus borealis) und Amphibien enthält anstelle der Gallensäurekonjugate die Schwefelsäureester von Gallenalkoholen, z .B. Scymnol. OH OH
O OH
H H HO
H
SO3
H
Scymnol
OH
Desoxycholsäure (2) bildet mit geradkettigen Fettsäuren (ebenso auch Alkoholen und Estern) gut kristallisierbare Einschlussverbindungen, die sog. Choleinsäuren. An Cholsäure (1) lässt sich sehr gut die unterschiedliche Reaktivität von Alkoholen bei Oxidation und Acylierung diskutieren. Diese ist wesentlich für die selektive Blockierung von Hydroxygruppen bei partialsynthetischen Überlegungen. H COOH H HO
H (a) OH
(a) H
1
H OH
(e)
Bei der Oxidation von Cholsäure (1) mit N-Bromsuccinimid entsteht die 7Ketoverbindung.
2.4 Gallensäuren OH
OH
R
75
R
NBS H HO
H
OH
H
HO
O
H
1
Der Geschwindigkeitsbestimmende Schritt der Oxidation mit Chromsäure bzw. mit Brom ist die Spaltung der CH-Bindung. Dies erklärt die schnellere Reaktion von axialen Alkoholen im Vergleich zu äquatorialen, denn beim ersteren ist die reagierende CH-Bindung äquatorial orientiert und damit besser zugänglich. Ein weiterer Effekt ist, bedingt durch die Umwandlung eines tetraedrisch substituierten C-Atoms bei der Oxidation in ein trigonal substituiertes C-Atom, eine sterische Beschleunigung der Reaktion. In diesem Fall werden die 1,3-diaxialen Wechselwirkungen im Produkt vermindert. Auch dieser Effekt bewirkt die schnellere Oxidation des axialen Alkohols. Diese Ergebnisse erklären die höhere Reaktionsgeschwindigkeit des axialen Alkohols an C-7 im Vergleich zu der äquatorialen 3-Hydroxygruppe. Die unterschiedliche Reaktivität der beiden axialen Alkohole an C-7 und C-12 erklärt sich über eine sterische Abschirmung von C-12 durch die benachbarte Methylgruppe und die Seitenkette der Cholsäure; der C-7-Alkohol wird schneller oxidiert. COOH
OH
COOH
OH
Cl-CO-OC2H5 H HO
H
OH
H H5C2O
C
O
O
1
OH
H
Bei der Acylierung von Cholsäure (1) beobachtet man umgekehrt eine größere Reaktionsgeschwindigkeit des äquatorialen Alkohols im Vergleich zum axialen. COOH
OH
COOH
OH
Ac2O H HO
H
OH
1
H AcO
H
OH
76
2 Steroide
2.5 Corticoide Als Corticoide bezeichnet man die Hormone der Nebennierenrinde (Cortex). Die Nebenniere des Menschen ist erbsengroß und etwa 6 g schwer; sie ist ein lebenswichtiges Organ. Bei ihrem Ausfall tritt der Tod innerhalb von wenigen Tagen ein. Die große Bedeutung erhält das Organ daher, dass die von ihm gebildeten Hormone den Mineralstoffwechsel, den Wasserhaushalt und – neben dem Insulin und Glucagon – auch den Zuckerspiegel im Organismus steuern. Man unterscheidet zwischen Mineralcorticoiden und Glucocorticoiden. Physiologisch vorkommende Glucocorticoide sind: O
O
OH
O
HO
OH
OH OH
H
H
O
O
Cortison
Cortisol O
O
OH
O
HO
H
OH H
H
H
O
O
11-Dehydrocorticosteron
Corticosteron
Physiologisch vorkommende Mineralcorticoide sind: O
OH
O
H
OH
H O
Desoxycorticosteron
OH HO
O OHC
H O
OH H
H O
Cortexolon
Aldosteron
Die Mineralcorticoide regulieren den Elektrolythaushalt des Organismus. So wird das Na+/K+-Gleichgewicht durch Aldosteron stimuliert. Eine Überproduktion an Aldosteron führt zu einer verstärkten Natrium- und damit Wasserretention sowie zu einer daraus folgenden erhöhten K+-Ausscheidung. Aldosteronmangel führt zu einem Natriumverlust. Die Glucocorticoide beeinflussen den Protein- und Koh-
2.5 Corticoide
77
lenhydratstoffwechsel. Sie besitzen eine katabole Wirkung (vermehrter Eiweißabbau) und hemmen die Proteinbiosynthese in den peripheren Organen. Eine große Bedeutung dieser Substanzklasse resultiert aus ihrer pharmazeutischen Verwendung. Die Hauptanwendung der Glucocorticoide ergibt sich aus ihrer entzündungshemmenden, antiallergischen, antirheumatischen und immunsuppressiven Wirkung. Diese Entdeckung führte zu einer intensiven partialsynthetischen Bearbeitung dieser Verbindungsklasse. Rationelle Synthesen sollen von einem in der Natur vorkommenden und möglichst preiswerten Steroid ausgehen (s. Tabelle 2.4). 2.5.1 Partialsynthese von Glucocorticoiden
Sowohl Cholsäure als auch Desoxycholsäure sind aus Rindergalle billig und in großen Mengen zugänglich. Diese Tatsache kompensiert wenigstens teilweise den Aufwand, der durch die vielstufige Umwandlung betrieben werden muss. Zwei Probleme stehen hierbei im Vordergrund: der Abbau der Seitenkette an C-17 und die Verschiebung der Sauerstofffunktion von C-12 nach C-11. Ein Beispiel einer solchen Partialsynthese des Cortisons ist in der Abb. 2.1 wiedergegeben. Diese Darstellung besitzt zwar keine technische Bedeutung mehr, demonstriert aber verschiedene wichtige Aspekte der Steroidchemie. Selektive Oxidation des 7Alkohols von Cholsäure (1) (Kap. 2.4) mit NBS ergibt die 7-Ketoverbindung, die unter Wolff-Kishner-Bedingungen in die Desoxycholsäure (2) umgewandelt wird. Der äquatoriale 3-Alkohol kann selektiv vor dem axialen 12-Alkohol benzoyliert werden. Oxidation und Dehydrierung mit Selendioxid ergibt das 9,11-ungesättigte Keton 3. Partielle Hydrierung und Reaktion mit Diazomethan führt zum 12-Alkylether 4. Substitution mit HCl und intramolekularer Angriff des 3αAlkohols ergibt, bedingt durch die cis-Verknüpfung der A/B-Ringe, einen 3,9Ether 5. Nach der Bromierung der 11-Doppelbindung und Oxidation ist eine 11Ketogruppe vorhanden (6). Die Bildung dieser Ketogruppe erklärt sich durch die hohe Reaktivität des zum cyclischen Ether α-ständigen Bromatoms. Im nächsten Schritt muss die Seitenkette zum 20-Keton abgebaut werden. Hierzu wird das Verfahren von Meystre-Miescher angewandt. Die Umsetzung mit Diazomethan ergibt nach Reaktion mit Phenylmagnesiumbromid und Dehydrierung eine 23-Doppelbindung (7). Bromierung und Dehydrobromierung ergeben das Dien 8, welches in 9 überführt wird. Die an C-21 benötigte Sauerstoffgruppe wird im nächsten Schritt durch nucleophile Substitution von Brom durch eine Acetoxygruppe eingeführt (10). Die Seitenkette kann durch Ozonolyse zum C-20Keton 11 abgebaut werden. Die Spaltung des 3,9-Ethers mit HBr ergibt nach Reduktion und Acylierung das 3α,21-Diacetoxy-5β,14α-pregnan-11,20-dion (12). Als nächstes müssen die 4,5-Doppelbindung und die 17α-Hydroxygruppe einge-führt werden. Cyanhydrin-Bildung an C-20 mit HCN und Dehydratisierung mit POCl3 ergeben die 17,20-Doppelbindung in 13. Nach der partiellen Verseifung und Oxidation zur 3-Oxoverbindung wird mit OsO4 zu 14 umgesetzt. Der Angriff erfolgt von der weniger gehinderten α-Seite, sodass nach der Reduktion über die Hydrolyse des hierbei resultierenden Cyanhydrins eine 17α-Hydroxy-20-Keto-
78
2 Steroide
funktion entsteht. Bromierung führt zur 4β-Brom-3-oxoverbindung 15 (s. Kap. 2.1), die jedoch nicht in siedendem Pyridin dehydrobromiert werden kann, da es sich um eine cis-Eliminierung handelt. Die Eliminierung mit Phenylhydrazin verläuft jedoch nicht stereoselektiv, sodass in guten Ausbeuten ein 4,5-ungesättigtes 3-Hydrazon 16 erhalten wird. Nach der Hydrolyse erhält man über Cortisonacetat das Cortison. COOH
OH H
H
H HO
COOH
OH
NBS
H
H
OH
H
HO
H2N-NH2
H
CH3ONa/Δ
O
H
Cholsäure 1 COOH
OH H H HO
H5C6
H
H
O
COOH
Cl
H
H H
HO
1. CH2N2 2. KOH
H
COOH
O
t-BuOH
COOH
H
O
3 H3C
C
SeO2
OH
H H5C6
H
O
H
H
Pt/AcOH H2
H O
O
COOH
O
C
C
H
O
Desoxycholsäure 2
H5C6
H
1. C6H5-CO-Cl 2. CrO3
H
COOH
O
HCl CHCl3
H
4 Abb. 2.1. Partialsynthese von Cortison
H HO
NaHCO3 -HCl
H
2.5 Corticoide COOH
COOH
Br Br
H O
H Br2
H
O
AgCrO3
H
CrO3
H
H C6H5
5 COOH
Br O
1. CH2N2 2. C6H5MgBr 3. H+
H O
Br
H
H O
H
NBS
H
- HBr
H
6
7
C6H5 Br
C6H5
Br Br
C6H5
O
C6H5
O H O
H Ac2O/AcOH
NBS
H
O
H
H
H
8
9 C6H5
OAc Br
OAc O
Br
C6H5
O
O H O
H O3
H
O
H
HBr
H
H
10
11
OAc
O
O
O H Br
H
OAc
O
Br
HO
C6H5
O
H
H
1. Pt/H2 2. Ac2O
H AcO
H
12 Abb. 2.1. Partialsynthese von Cortison (Fortsetzung)
HCN
79
80
2 Steroide OAc
OAc CN
CN
OH
O
O
H
H POCl3
H AcO
H
Pyridin
AcO
H
H
13
OAc
OAc CN
O
CN O OsO2
O H
O
H OsO4
H O
1. KOH 2. CrO3
Na2SO3
H O
H
H
14 OAc
OAc O
O
OH
O
OH
O
H
H Br2
H O
H O
H
NH NH2
Br OAc
H
15
OAc
O
O
OH
O
H H
N NH
OH
O
H AcOH
H
Cortison
O
16
Cortisonacetat
Abb. 2.1. Partialsynthese von Cortison (Fortsetzung)
Ein anderes Verfahren zur Verschiebung der Sauerstofffunktion von C-12 nach C-11 macht sich die sterisch bedingt unterschiedliche Reaktionsweise von Substi-
2.5 Corticoide
81
tuenten an C-11 bzw. C-12 zunutze. Die Bromierung eines 12-Ketons A liefert zwei Bromierungsprodukte B und C. Das Hauptprodukt stellt dabei die 11αBromverbindung C dar, die deshalb bevorzugt gebildet wird, weil der äquatoriale Substituent stabiler ist. Die Hydrolyse der beiden epimeren Bromide erfolgt unter Inversion; dabei reagiert das 11β-Bromid B rascher, da hier das Hydroxidion von der sterisch günstigeren Rückseite (α-Seite) des Moleküls angreift. Diese unterschiedliche Reaktivität der 11-OH-Gruppe wird besonders augenfällig bei Acylierungen; so ist die 11α-Hydroxygruppe acylierbar, die 11β-Hydroxygruppe dagegen nicht. Aus Gründen der sterischen Hinderung durch die Methylgruppen C-18 und C-19 (1,3-diaxiale Wechselwirkung) ist ein Angriff größerer Reste an C-11 von der Vorderseite des Moleküls nicht möglich. R H
CH3
H B
1,3-diaxiale Wechselwirkung eines 11β-Substituenten
CH3
C H
Die beiden isomeren α-Ketole D und E lassen sich – wiederum aus sterischen Gründen – durch KOH zu einem einheitlichen Produkt F isomerisieren, dem 12βHydroxy-11-keton. Die Hydroxygruppe nimmt dabei die bevorzugte äquatoriale Lage an C-12 ein. Bei dem nun folgenden Austausch von OH gegen Br mit PBr3 entsteht das axiale 12α-Bromid G, das deswegen leicht gebildet wird, weil das eintretende Reagenz wieder von der sterisch günstigen Seite des Moleküls kommt. Die nachfolgende Reduktion zum 11-Keton H ist nun unproblematisch. O
O Br2
C
O
Br
Br
+
A
B
C
schnelle Hydrolyse
OH-
langsame Hydrolyse
OH-
O
O
HO
HO
+ D
E
82
2 Steroide Br
OH
D E
OH-
O
PBr3
O
O
Red.
OH-
G
F
H
Einen bedeutend effektiveren Zugang zu Corticoiden, wie z. B. Cortisolacetat, eröffnet die Einführung einer 11-α-Hydroxygruppe in Progesteron 17 durch eine mikrobielle Transformationsreaktion mit Rhizopus nigricans (Abb. 2.2). Nach der Oxidation zum 11-Keton 18 wird über das C-21-Carbanion durch Umsetzung mit dem entsprechenden Anhydrid die β-Ketoester-Seitenkette in 19 erhalten. Nach der Bromierung an C-21 erfolgt als zentraler Schritt der Reaktion eine FaworskiUmlagerung zu 20. Der Mechanismus dieser Reaktion ist im Folgenden dargestellt: Br OEt
O O
Br OEt
O O
Br2
EtO O
Br
Br OEt O
EtO-
- Br-
EtO-
19
H EtO O
H
H
Br C
+
OEt
Br
COOEt COOEt
EtOOC
H
O Umlagerung H
H
- HBr - CO2 - EtOH
H
20
Durch die Decarboxylierung und Dehydrobromierung entsteht der 17,20ungesättigte Carbonsäureethylester 20. Selektive Blockierung der 3-Ketogruppe mit Pyrrolidin ermöglicht die regioselektive Reduktion der 21-Säure wie auch des 11-Ketons zu 21. Aus dem letzteren entsteht durch Angriff von der weniger gehinderten α-Seite der 11β-Alkohol. Das Enon-System im A-Ring wird durch Hydrolyse freigesetzt. Da die 11β-OH-Gruppe durch die axiale Stellung und die damit verbundene 1,3-diaxiale Wechselwirkung mit der C-18- und C-19-Methylgruppe sterisch abgeschirmt ist, erfolgt die Acetylierung nur an O-21 in 22 (Abb. 2.2). Dihydroxylierung mit OsO4 und Hydrolyse ergeben das Cortisolacetat. Weitere Möglichkeiten, in 17- bzw. 21-Stellung eine Hydroxygruppe einzuführen, seien im Folgenden diskutiert:
2.5 Corticoide O
83
O HO Rhizopus nigricans
H
CrO3
H
O
O
Progesteron 17 O
OC2H5
O
O
O
O
EtOOC-O-COOEt H
Br2
H EtONa
O
EtONa
O
18
19 H
EtOOC
EtOOC
O
H
O N H
H
OH-
O
LiAlH4
H N
20 OH
OAc H
H
HO
HO H+
1. 2. Ac2O
H
H
N
O
21
22 OAc O OH
HO
OAc I OAc OsO4
H O
Abb. 2.2. Partialsynthese von Cortisolacetat
Cortisolacetat
84
2 Steroide
Eine 17-Hydroxylierung ist über das aus dem 20-Keton erhaltene Enolacetat durchführbar. Epoxydierung und alkalische Öffnung des Oxirans ergeben das 17α-Hydroxy-20-Keton. Auch hier erfolgt der Angriff an der α-Seite. Durch Bromierung und anschließende nucleophile Substitution des Broms durch OH-resultiert das 17,21-Dihydroxy-20-Keton (Abb. 2.3). O
OAc O Ac2O
OAc
[O]
OH-
H+ H
H
H Br
OH
O
O
OH
O
OH
Br2
OH OH-
H
H
H
Abb. 2.3. 17,21-Dihydroxylierung von 20-Keto-Steroiden
Eine Variante verwendet die Oxygenierung mit molekularem Sauerstoff zum 17α-Hydroperoxid. Die Regioselektivität der Hydroxylierungsreaktion wird durch das entsprechende Enol bestimmt. So entsteht bei Umsetzung des 20-Ketons mit t-BuONa/t-BuOH das thermodynamisch stabilere Enol. Das Lösungsmittel tBuOH ist eine schwache Säure, welche die Einstellung des thermodynamisch stabileren Enols begünstigt. Die Hydroxylierung mit Sauerstoff ergibt über das Peroxid und nach anschießender Reduktion die 17α-Hydroxyverbindung. Auch in diesem Fall erfolgt der Angriff von der weniger gehinderten α-Seite. O
O OOH
O2 H
t-BuONa t-BuOH
H
O OH
(EtO)3P
H
Unter kinetischer Kontrolle erfolgt dagegen die Deprotonierung am sterisch besser zugänglichen und azideren Proton an C-21. Als Base verwendet man Lithiumdiisopropylamid. Das primäre Carbanion ergibt mit dem Molybdäniumperoxidkomplex eine 21-Hydroxylierung.
2.5 Corticoide H O
C
O NLi
O
HMPTA O O Mo O
O O
H
O
HMPTA O O Mo O Py
THF/-25°C MoO(O2)2Pyridin-HMPTA
H
O
85
H
O
OH
Na2SO3
Py
H2O
H
H
2.5.2 Partialsynthese von Mineralcorticoiden
Unter den Corticoiden ist das Aldosteron chemisch und physiologisch besonders hervorzuheben. Beim Herzinfarkt und bei Leberzirrhose tritt eine erhöhte Aldosteronausscheidung auf; im letzteren Fall bewirkt dies eine erhöhte Salz- und Wasserretention. Chemisch ist Aldosteron insofern bemerkenswert, als es eines der ganz wenigen Steroide mit einer C-18 Aldehydgruppe ist. Zusammen mit der 11βHydroxygruppe bildet sich ein Halbacetal. Aldosteron kann deshalb in zwei tautomeren Formen auftreten: OH HO
O
O
H O
H O
OH
OH
O
H
H O
Aldosteron
Synthetisch besteht das Problem, eine Sauerstoffgruppe an der nichtaktivierten C-18-Methylgruppe einzuführen. Bei den Funktionalisierungen von nichtaktivierten CH-Bindungen handelt es sich bei den wichtigsten in der Literatur beschriebenen Methoden um Radikalreaktionen. Die Initiation zur Abspaltung eines Wasserstoffatoms erfolgt entweder thermisch oder photochemisch. Diese Barton-TypReaktionen sind stereoelektronisch kontrollierte Substitutionen.
86
2 Steroide H C
X
O
hν
X
X
H C
O
C
O
H
X C
O
H
oder Δ
A
B
C
D
z.B. X = Cl, Br, I, OH, NO, Pb(OAc)3, HgOAc
Der primäre Schritt der radikalischen Substitutionsreaktion ist die Spaltung der OX-Bindung (B). Damit wird die CH-Spaltung initiiert (C). Das resultierende CRadikal rekombiniert mit X (D). Alkylhypobromite und -iodite sowie die Alkoxybleitriacetate werden in situ mit den entsprechenden Reagenzien im Überschuss erzeugt. Die Wasserstoffübertragung verläuft über einen sechsgliedrigen Übergangszustand, weshalb die Substitution vor allem am δ-C-Atom stattfindet. Der C-O-Abstand in den Ausgangsverbindungen muss für diese Reaktion etwa 0,25–0,27 nm sein. Oberhalb 0,28–0,29 nm scheint keine intramolekulare H-Übertragung mehr stattzufinden. Bei mehreren möglichen Reaktionen werden elektronische Einflüsse beobachtet. Für die Abhängigkeit der Reaktivität von der Art der CH-Bindung ergibt sich folgende Reihe: -CH3 < -CH2R < -CHR2. Für die Abstufung der Eignung der verwendeten Alkohole gilt: prim. > sek. > tert. Alkohol. Als Nebenreaktion findet man Fragmentierungen, vor allem bei tertiären Alkoholen, wie auch Oxidationen, vor allem bei sekundären Alkoholen. O
CH3
I
H + I
+ CH3-CHO
X O
CH3
O
H - HX
Es ist nun möglich, ausgehend von C-11- oder C-20-Alkoholen, die C-18Methylgruppe zu funktionalisieren. Allgemein konnte an 20-Hydroxy-5α,14αSteroiden gezeigt werden, dass Substituenten an C-11 und C-12 bzw. die Stereochemie an C-20 das Verhältnis von Abstraktion zu Fragmentierung beeinflussen. Die Reaktionen von 20S-Hydroxy-Steroiden ergeben bessere Ausbeuten als die der 20R-Epimeren, was auf die sterische Wechselwirkung zwischen der C-21-
2.5 Corticoide
87
Methylgruppe und der C-12-Methylengruppe zurückgeführt wird. Die besseren Ausbeuten von 11α-Acetoxy-20-hydroxy-5α-14α-pregnanonen werden in den durch die Wechselwirkung zwischen C-1 und der 11-Acetoxygruppe bewirkten Veränderungen der Konformation des C-Rings und der Dieder-Winkel an C-13 und C-14 erklärt. Hierbei vergrößert sich der Abstand zwischen C-12 und C-21 in einer für die Abstraktion günstigen Konformation der Seitenkette, sodass der Angriff an C-18 erleichtert wird. Unter den Synthesen des Aldosterons sei eine besonders elegante erwähnt (D.H.R. Barton): Sie geht aus vom Corticosteron, das zunächst selektiv an C-21 acetyliert wird; die 11β-Hydroxygruppe ist nicht acetylierbar. Man führt dann den 11-Alkohol in seinen Nitritester über, der nach der Photolyse (75 min, 254 nm) in das 18-Oxim umgelagert wird; die Ausbeute ist für eine Photoreaktion mit 70 % bemerkenswert hoch. Die Hydrolyse des Oxims führt zum Aldosteron (Abb. 2.4). Über das hier geschilderte Beispiel hinaus besitzt die Barton-Nitritesterphotolyse breite Bedeutung bei der Übertragung bzw. Einführung von Sauerstofffunktionen an dem zum Nitritester-Sauerstoff δ-ständigen Kohlenstoffatom. O HO
O
OH HO
H
H
Ac2O
H O
OAc
NOCl
H O
Corticosteron O
NO O
254 nm
O
HO
O
H O
OAc HO
H
H
OAc H
hν
O
N
O
HO
H
H
HO
ON
OAc
O OHC H
AcOH H2O
H O
Aldosteron Abb. 2.4. Partialsynthese von Aldosteron
OH
88
2 Steroide
2.5.3 Derivatisierung von Cortisolacetat
Für die pharmazeutische Verwendung der Glucocorticoide als Antiphlogistika und Antirheumatika musste jedoch ihre eigentliche glucocorticoide- bzw. mineralcorticoide Wirkung abgeschwächt werden. Es wurden deshalb Derivate gesucht, die diese Voraussetzungen erfüllen. Die ersten Verbindungen, bei denen eine gesteigerte entzündungshemmende Wirkung beobachtet werden konnte, waren die 9αHalogen-11β-hydrocortisone. Als Beispiel sei die Synthese des 9α-Fluorcortisolacetats angeführt. O HO
O
OAc OH
OH CH3SO2Cl
H
SO2/DMF
O
OAc
H O
NBA H2O/H+ Dioxan
Cortisolacetat O HO
O
OAc OH
OAc OH
O Br
AcOK
H
O
H
HF
O O HO
OAc OH
9α-Fluorcortisolacetat F O
H
NBA = N-Bromacetamid
Zuerst wird die 11β-Hydroxygruppe zum 9(11)-Alken eliminiert. Die Stereoselektivität der Bromhydrinbildung ergibt sich durch den primären Angriff des Broms von der sterisch weniger gehinderten α-Seite. Der β-Angriff ist durch die zwei β-ständigen Methylgruppen nicht möglich. Das entstehende cyclische Bromoniumion muss nun von dem Hydroxidion von der β-Seite an C-11 angegriffen werden, da nur unter diesen Bedingungen eine trans-diaxiale Addition stattfindet. Die Umsetzung mit KOAc ergibt damit zwangsweise das 9,11-β-Epoxid. Die Öffnung des Ethers mit HF erfolgt ebenfalls trans-diaxial. Da der C-Ring als Teil des Steroidringgerüstes nicht in die Wannenform übergehen kann, ist das diaxiale Produkt das 9α-Fluor-11β-hydroxy-Steroid.
2.6 Sexualhormone
89
2.6 Sexualhormone Die Sexualhormone entstehen vor allem in den männlichen bzw. weiblichen Keimdrüsen und wahrscheinlich in geringem Umfang auch in der Nebennierenrinde, da nach Entfernen der Keimdrüsen Testosteron immer noch nachgewiesen werden kann. Die Sexualhormone bewirken die Ausbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale, sowohl im Körperbau als auch in psychischer Hinsicht. Die Unterscheidung in männliche und weibliche Sexualhormone ist nicht ganz unproblematisch, da das Progesteron auch im männlichen Organismus auftritt. Entscheidend ist für viele Funktionen das Verhältnis der einzelnen Hormone zueinander. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass Sexualhormone auch einen entscheidenden Einfluss auf die Psyche besitzen. 2.6.1 Gestagene und Östrogene
Die Hormonsteuerung bei der Frau ist durch den weiblichen Cyclus wesentlich komplizierter als beim Mann. Der Cyclus kann chemisch in zwei Abschnitte zerlegt werden: 1. Bildung eines Follikels im Ovar, Eireife und Follikelsprung mit anschließender Eiwanderung und Einnistung im Uterus, 2. Abstoßung der Uterusschleimhaut bzw. Gravidität. Die beiden Phasen werden im Wesentlichen von zwei Hormongruppen bestimmt: 1. den Östrogenen, die für den 1. Teil des Cyclus verantwortlich sind (Follikelhormone) und 2. den Gestagenen, Corpus luteum- oder Gelbkörperhormonen, die sich im Gelbkörper bilden, der nach dem Follikelsprung aus dem Follikel entsteht und etwa zwei Wochen bis zur Rückbildung arbeitet. Beide Hormone bewirken eine Reihe von Veränderungen der Uterusschleimhaut, die notwendig sind für die Eieinnistung im Uterus bzw. auch für die Veränderungen im Uterus bei einer Gravidität. Im letzteren Fall wird das Corpus luteum erst im 4. Monat zurückgebildet. Zu den Östrogenen gehören das Östron und das Östradiol; als Stoffwechselprodukt mit geringer östrogener Aktivität findet sich das Östriol. Als Gestagene wirken das Progesteron und das Pregnenolon. Gestagene:
HO
O
O
H
H O
Pregnenolon
Progesteron
90
2 Steroide O
Östrogene:
OH
OH OH
H HO
H
H
HO
HO
Östron
Östradiol
Östriol
Die chemische Synthese der Östrogene geht vom Diosgenin aus. Dieses Steroid ist ebenfalls die Ausgangsverbindung für andere Steroidhormone, wie auch der Corticoide. Diosgenin kommt in den Wurzeln (5–18 Gew.-%) verschiedener Dioscorea-Arten vor. Der Seitenkettenabbau erfolgt nach Marker. Die Umsetzung von Diosgenin mit Acetanhydrid bei 140°C ergibt eine Ringöffnung des Spiroketals (die Ausbeute kann durch Zugabe von Pyridiniumhydrochlorid noch erhöht werden). Die oxidative Spaltung der Doppelbindung mit CrO3 und anschließende Eliminierung mit Essigsäure ergeben das 16-En-20-keto-Steroid 23. Abb. 2.5 zeigt die Überführung in Pregnenolonacetat 24 durch Hydrierung. O O
OAc
O Ac2O
H
H
HO
AcO
Diosgenin O O OAc
O CrO3
AcOH
H AcO O
H AcO
O
Pd/H2
H AcO
23
Pregnenolonacetat 24
Abb. 2.5. Marker-Abbau von Diosgenin zu Pregnenolonacetat
2.6 Sexualhormone
91
Der weitere Abbau der Seitenkette ist, ausgehend von 16-Dehydropregnenolonacetat 23, möglich. Der primäre Schritt der Reaktion ist die Bildung des C-20Oxims 25. Durch Wasserabspaltung wird nun die Beckmann-Umlagerung gestartet, die zum acylierten C-17-Enamin 26 führt (Abb. 2.6). Hydrolyse ergibt das freie Enamin, das sich in das Ketimin umlagert, aus dem durch Abspaltung von Ammoniak das C-17-Keton im Androstenolon-3-acetat (27) entsteht. Das Androstenolon-3-acetat (27) ist ein wichtiges Zwischenprodukt für die Synthese von Östrogenen. O
HO
+ HO-NH3 Cl-
H
Pyridin
AcO
N
H
AcO
16-Dehydropregnenolonacetat 23
+ C6H5-SO2Cl - H6H5-SO3H
25
+
N
N
C
+
CH3
N O
H2O
H
-H+ H
H
H O
H N
C
CH3 NH2
H
NH
HCl/H2O - CH3COOH
AcO
H
26
H
O
H2O
H
Androstenolon-3-acetat 27
AcO
Abb. 2.6. Seitenkettenabbau zum Androstenolon-3-acetat
Ein alternativer Zugang zu 27 geht von Stigmasterin aus. Nach der reversiblen Blockierung des 3-Alkohols durch Acetylierung und der 5,6-Doppelbindung durch Bromierung wird durch Ozonolyse ein C-22-Aldehyd 28 erhalten. Abspaltung der Bromatome und Enaminbildung mit Piperidin ermöglicht die oxidative Spaltung zum 20-Keton 24. Das erhaltene Pregnenolonacetat wird zum Enolacetat umge-
92
2 Steroide
setzt, woraus durch Ozonolyse das Androstenolon-3-acetat (27) resultiert. Die Verseifung von Pregnenolonacetat (24) und anschließende Oppenauer-Oxidation ergeben Progesteron 17. Der Syntheseweg ist in Abb. 2.7 dargestellt.
CHO 1. Ac2O 2. Br2 3. O3
H HO
NH
1. 2. Zn
H AcO
Stigmasterin
Br
28
Br
O
N
Na2Cr2O7 H
Ac2O
AcO
H AcO
Pregnenolonacetat 24 1. KOH 2. CrO3
Ac2O/Δ
O
OAc
H O
H AcO
Progesteron 17
O3 O
H
Androstenolon-3-acetat 27 AcO
Abb. 2.7. Seitenkettenabbau von Stigmasterin zum Androstenolon-3-acetat
2.6 Sexualhormone O
O 1. Ac2O 2. HOCl
H HO
I2/Pb(OAc)4
H
hν
HO
Cl
Androstenolon
29
OH
O
O AcO
93
O 1. KOH 2. CrO3
H
O
Δ
O
Cl
AcONa
H
Cl
30
31 O
O
O
SeO2
H
O
O
H
Zn AcOH
O
32 O
O
HO
H
O
H+
H
H
O
O
33
H
- HCHO
+
O
H
Östron
HO
Abb. 2.8. Partialsynthese von Östron
Ausgehend von Androstenolon wird Östron synthetisiert (Abb. 2.8). So führt die Anlagerung von unterchloriger Säure an die 5,6-Doppelbindung zu einem einheitlichen Chlorhydrin 29. Der primäre Angriff des Cl+ erfolgt von der α-Seite. Angriff des Hydroxidions führt unter β-Angriff und diaxialer Öffnung des Chloroniumions zum 5α-Chlor-6β-hydroxy-steroid. Die nun folgende Reaktion mit
94
2 Steroide
Blei-(IV)-acetat/I2 unter Bestrahlung in Cyclohexan ist die sog. „HypoioditReaktion“ (Heusler-Kalvoda-Reaktion), die neben der schon oben erwähnten Nitritesterphotolyse die wichtigste Reaktion zur 1,4-Übertragung eines Sauerstoffatoms darstellt. Hydrolyse und Oxidation von 30 ergeben die 3-Oxogruppe 31. Die Abspaltung von HCl und die nachfolgende Dehydrierung sind unproblematisch; so erfolgt die HCl-Abspaltung bereits mit Natriumacetatlösung. Bei der Auswahl des Dehydrierungsreagenz stehen SeO2 und Dichlordicyanobenzochinon (DDQ) zur Verfügung. DDQ reagiert sehr sauber und ohne nennenswerte Nebenreaktion, ist aber sehr teuer. Dagegen tritt bei der Reaktion mit dem vergleichsweise billigen Selendioxid die Bildung von dimeren Selenosteroiden auf, die abgetrennt und in einer weiteren Reaktion wieder gespalten werden müssen. Das entstehende Dienon 32 ist zugleich ein Allylether. Allylether werden schon unter milden Bedingungen reduktiv gespalten, etwa durch Kochen am Rückfluss in Essigsäure unter Zusatz von Zink. Man erhält so den C-19-Alkohol 33; er stellt ein vinyloges β-Keton dar. Unter der Einwirkung von Säure tritt nun die DienonPhenol-Umlagerung ein, bei der der Ring A – unter Abspaltung von C-19 als Formaldehyd – aromatisiert wird. O
O Biotransformation
H HO
H
HO
OH +
H
O
Androstenolon
34 O
O
O
O
Li/THF H O
C6H5-C6H5 C6H5-CH2-C6H5 THF O
- CH3Li
_
O
O
H+
H
H2O
HO
H HO
OH
KBH4 H HO
Abb. 2.9. Partialsynthese von Östradiol
H
LiO
Östradiol
2.6 Sexualhormone
95
Am einfachsten ist die Darstellung von Östron auch in diesem Fall unter Verwendung einer mikrobiologischen Variante möglich. Im resultierenden Dienon 34 wird durch Umsetzung mit Lithium eine Aromatisierung des A-Ringes durchgeführt. Das entstehende Östron kann durch Reduktion mit KBH4 (Angriff von der α-Seite) in das Östradiol überführt werden (Abb. 2.9). Eine industriell wichtige Variante geht vom Cholesterin aus (Abb. 2.10). Der guten Verfügbarkeit dieses Steroids steht die chemisch schwer angreifbare Seitenkette gegenüber. Dieses Problem wurde durch den mikrobiologischen Abbau der Seitenkette überwunden. Bei dieser Methode muss allerdings die 9-αHydroxylierung verhindert werden, da diese Oxidation die Spaltung des Gerüstes initiiert. Durch Zusatz von 8-Hydroxychinolin wird die 9-α-Hydroxylase inhibiert und der Abbau des Cholesterins auf der Stufe des Androsta-1,4-dien-3,17-dions (ADD) 34 gestoppt.
H HO
H O
Cholesterin O
H O
H O ADD 34
Abb. 2.10. Mikrobiologischer Abbau von Cholesterin
Der für Cholesterin beschriebene Abbaumechanismus wurde auch für Stigmasterin, β-Sitosterin, 7-Dehydrocholesterin und Ergosterin nachgewiesen. Eine chemische Variante des Seitenkettenabbaus von Sitosterin wurde von Breslow gefunden. Er benutzt für die Funktionalisierung nicht aktivierter CHBindungen intramolekulare Halogenierungen, die, ähnlich wie die Barton-TypReaktionen, stereoelektronisch kontrollierte Radikalreaktionen sind. Durch Veresterung der 3α- bzw. 5α-Hydroxygruppe mit p-Iodphenylessigsäurechlorid bzw. dem entsprechenden Biphenyl ist aus sterischen Gründen eine Chlorierung vor allem an den bezeichneten Zentren möglich. Das als Überträger agierende Iodatom wird über eine normale radikalische Halogenierungsreaktion chloriert.
96
2 Steroide
H O O
I
Cl
H
H
H
H RO
O
O I
Cl O
I
O
Cl
Eine Anwendung findet die Breslow-Remote-Halogenierung bei der Herstellung von Androstendion (Abb. 2.11). Ausgehend von Sitosterinacetat 35 wird durch Umsetzung mit Singulettsauerstoff und katalytische Hydrierung die 5αHydroxygruppe in 36 erhalten. Veresterung mit p-Iodphenylessigsäurechlorid ergibt den entsprechenden Ester 37, in dem die sterische Voraussetzung für die intramolekulare Halogenierung besteht. Die anschließende radikalische Chlorierung ergibt das 17α-Chlorsteroid 38. Eliminierung mit 1,5-Diazobicyclo-[5,4,0]-undec5-en (DBU) liefert das gewünschte 17,20-Alken 39 in guten Ausbeuten. Durch Ozonolyse wird das 17-Keton erhalten. Selektive Hydrolyse unter CoreyBedingungen, Oxidation mit Pyridiniumchlorochromat (PCC) und basische Eliminierung ergeben das Androstendion 40 als wichtiges Zwischenprodukt für weitere Partialsynthesen (s. Kap. 2.6.2). Therapeutische Verwendung finden die Östrogene bei typischen Östrogenmangelerscheinungen der Frau, wie z. B. Sterilität und Frigidität. Allerdings werden diese bei oraler Gabe nur schlecht resorbiert und sehr schnell abgebaut. Oral gut wirksame Verbindungen sind vor allem die 17α-Ethinyl-Verbindungen. O
OH C HC
H HO
CH H
K/NH3 HO
17α-Ethinylöstradiol
CH
2.6 Sexualhormone
1O
H
H
AcO
AcO
OOH
Sitosterinacetat 35
H AcO
Pd/H2
2
I-C6H4-CH2-CO-Cl AcO
OH
36
SOCl2/hν
H
CCl4
O
37
O
I
Cl
AcO
H AcO
O
38
O
39
O
O
I
I
O
O
LiOH
H AcO
THF O O
O3
DBU
H
PCC
H HO
I
Abb. 2.11. Partialsynthese von Androstendion (40)
O O
I
97
98
2 Steroide O
O
Base H O
H O
O
Androst-4-en-3,17-dion 40
O
I
Abb. 2.11. Partialsynthese von Androstendion (40) (Fortsetzung)
Auch die Gestagene wirken nach parenteraler Applikation nur kurz und werden bei oraler Applikation nur schlecht resorbiert. Durch chemische Modifizierung werden geeignete Verbindungen erhalten, die vor allem als Kontrazeptiva („Pille“) Verwendung finden. Die Verwendung von Gestagenen führt zur Ausschaltung der Ovulation und damit zur Empfängnisverhütung. Für die orale Kontrazeption finden Kombinationspräparate aus Gestagenen und Östrogenen Anwendung. Wichtige Gestagenderivate sind z.B.: O
O OAc
OAc
H
H
O
O Cl
17α-Acetoxy-3,20-dioxopregna-4-en
17α-Acetoxy-6-chlor3,20-dioxo-pregna-4,6-dien
OH
OH C
HO
CH
C
H O
17α-Ethinyl-11β -hydroxy19-nor-3-oxo-androst-4-en
H O
Norgestrel
CH
2.6 Sexualhormone
99
2.6.2 Androgene
Die Androgene werden gewöhnlich als männliche Geschlechtshormone bezeichnet. Hauptvertreter sind das Testosteron, das Androstendion (40) und das Androsteron. Jedoch kommen diese Substanzen auch im weiblichen Organismus vor. CH3 CH3 A OH
O
H O
5α-Androst-16-en-3α-on (riecht urinös, schweißartig)CH3 CH3
H HO
Testosteron
O
H
Androsteron
B
A OH
B 5α-Androst-16-en-3α-ol (riecht nach Moschus)
5-α-Androst-16-en-3-α-ol ist ein Hauptbestandteil des Lockstoffes (Pheromon) des Ebers. Es wird in den Hoden gebildet und durch Speichel, Schweiß und Harn ausgeschieden. Das Pheromon löst beim brünstigen weiblichen Schwein den Stehreflex aus. Dieser Geruchsstoff wird auch von Trüffeln gebildet, die Gehalte liegen dort bei 40–60 μg/kg Frischsubstanz. So erklärt sich die Fähigkeit von trainierten Schweinen, die Trüffeln bis zu 1 m tief im Erdboden zu entdecken. Das 5α-Androst-16-en-3α-ol mit moschusähnlichem Geruch wurde auch beim Menschen in relativ beachtlichen Mengen in Form seines Glycosids nachgewiesen. Das 5-α-Androst-16-en-3-on ist ein Abkömmling des 5-α-Androst-16-en-3-αols, das im frischen und zubereiteten Schweinefleisch zu einem unangenehmen, als Geschlechtsgeruch oder „boartaint“ bezeichneten Geruch führt. Es kommt im Fettgewebe des Fleisches männlicher, vorwiegend älterer Tiere normalerweise nur in Konzentrationen von 1–2 ppm. vor, wird aber in diesen Konzentrationen bereits als unangenehm, besonders beim Kochen und vorzugsweise von Frauen, wahrgenommen. Wird die Leber von Ebern in Leberwurst verarbeitet, so bildet sich durch die Metabolisation des 5α-Androst-16-en-3-ons 19-Nortestosteron (Nandrolon), das auf der Dopingliste für Sportler steht. Bei unter Dopingverdacht stehenden Sportlern wurden nach dem Verzehr 100–1.000-fach erhöhte Werte im Harn gefunden. Die androgene Aktivität von Testosteron ist 7-mal höher als die von Androsteron. Für die biologische Aktivität ist die Stereochemie an C-5 ausschlaggebend. Eine 4,5-Doppelbindung erzeugt die höchste Aktivität, trans-verknüpfte Ringe A und B besitzen eine geringere Aktivität und cis-verknüpfte Ringe A und B (5β-H) bewirken eine völlige biologische Inaktivität. Die Androgene besitzen neben der geschlechtsspezifischen Wirkung auch eine anabole Wirkung (Förderung des Eiweißaufbaus). Testosteron wird aus Androstenolon-3-acetat (27) erhalten. So lässt sich Testosteron in einem zweistufigen, mikrobiologischen Prozess in einer Gesamtausbeute von 85 % gewinnen (s. auch Kap. 2.6.1):
100
2 Steroide O
O
Hefe
H AcO
H O
Androstenolon-3-acetat 27
Androstendion 40 OH
Hefe
H O
Testosteron
Die chemische Synthese von Androstendion (40) wurde bereits in Abb. 2.11 beschrieben. Androsteron wird aus Androstenolon durch Hydrierung gebildet.
2.7 Herzwirksame Glycoside Eine Reihe von Steroiden besitzt eine spezifische und kräftigende Wirkung auf den Herzmuskel. Man spricht in diesem Fall von einer positiv inotropen Wirkung. Hierbei wird die Kontraktionskraft des Herzens erhöht. In kleinen Mengen besitzen sie einen günstigen Einfluss, in größeren Mengen wirken sie toxisch. Diese Substanzen kommen in einer Reihe von Pflanzen als wasserlösliche Glycoside vor, z. B. in Digitalis purpurea, in Digitalis lanata und in Digitalis lutea (roter, wolliger und gelber Fingerhut), in Strophanthus gratus (afrikanische Buschpflanze), in Nerium oleander (Oleander), in Adonis vernalis (Frühlingsteufelsauge) sowie in Urginea maritima (Meerzwiebel) und in Convallaria majalis (Maiglöckchen). Interessanterweise findet sich aber eine Reihe von Aglyca auch als Inhaltsstoffe der Hautdrüsen von Kröten (Bufadienolide) und als Glycoside in Pflanzen wie z. B. das Hellebrin (Bufadienolidglycosid) aus Helleborus niger (Christrose). Die pharmakologische Wirkung dieser Verbindungen ist bereits 1500 v. Chr. erwähnt worden; sie zählen zu den ältesten Heilmitteln, die man kennt. So wurde und wird in Ostasien getrocknetes und gepulvertes Sekret aus Krötenhäuten (Senso, Ch’an-su) verwendet, im Mittelmeerraum und in Europa sind dagegen die pflanzlichen Präparate seit langem in Gebrauch. In Südafrika stellen bufadienolidhaltige Pflanzen wie die Sukkulente Tylecodon wallichii ein Problem für die Weidehaltung von Schafen dar. Vergiftungen führen zur Störung des Nerven- und Muskelsystems der Tiere. Die chemischen Arbeiten über diese Verbindungen begannen schon vor 150 Jahren; sie sind noch immer nicht abgeschlossen, vor allem deshalb, weil die natürlich vorkommenden Cardiotonika vor allem bei längerem Gebrauch nicht frei
2.7 Herzwirksame Glycoside O
O O
O
H
H
OH HO
H
101
OH
Digitoxigenin (aus Digitalis lanata) (3β,14β-Dihydroxy-5βcard-20(22)-enolid)
HO
H
Bufalin (aus Bufo bufo) (3β,14β-Dihydroxy-5βbufa-20,22-dienolid)
Tabelle 2.5. Cardenolid-Genine: Grundkörper Digitoxigenin
1 Sarmentogenin Digoxigenin Gitoxigenin k-Strophanthidin g-Strophanthidin Oleandogenin
Substituenten 10
5
β-OH
β-OH β-OH
11 α-OH
12
16
β-OH β-OH
CHO OH
α-OH β-OAc
von unangenehmen Nebenwirkungen sind. Man sollte daher möglichst lange mit der Verabreichung solcher Präparate warten, zumal durch Cardiotonika keine Heilung, sondern lediglich eine Regulation der Herztätigkeit bewirkt wird. Nach ihrem entscheidenden Strukturelement, dem ungesättigten Lactonring, werden die Cardiotonica in zwei Gruppen eingeteilt, die Cardenolide und die Bufadienolide; Beispiele sind in Tabelle 2.5 aufgelistet. Die Cardenolide besitzen einen ungesättigten γ-Lactonring als Substituenten an C-17, die Bufadienolide einen zweifach ungesättigten δ-Lactonring. Erstere kommen ausschließlich in Pflanzen, letztere in Pflanzen und in der Krötenhaut vor; dadurch findet man hier gelegentlich zwei Namen für die gleiche Substanz. Entsprechend dem unterschiedlichen Chromophor lassen sich Cardenolide und Bufadienolide durch die charakteristische UV-Absorption nachweisen: Cardenolide Bufadienolide
217nm 273nm
(log ε = 4,27) (log ε = 3,74)
Allen Cardiotonika gemeinsam ist die cis-Verknüpfung der Ringe A und B, sowie C und D, ebenso die Hydroxygruppe an C-14. Zuckerreste befinden sich stets am 3-OH. Die Abspaltung der Zuckerreste gelingt durch Hydrolyse mit verdünnten Säuren, dabei beschleunigt ein Zusatz von Alkohol die Reaktion um den Faktor 100–1.000. Dies ist insofern von erheblicher Bedeutung, als unter dem Einfluss von Säuren auch Veränderungen am Aglycon auftreten können, was zur Iso-
102
2 Steroide
lierung von Artefakten führt. Bei der Abspaltung des Zuckerrestes muss man darauf bedacht sein, dass die Reaktion unter sehr milden Bedingungen abläuft, um eine Veränderung im Geninteil des Moleküls, z. B. die Abspaltung der C-14Hydroxygruppe, zu vermeiden. Allgemein lässt sich beobachten, dass 2-Desoxyzucker leicht hydrolytisch abgespalten werden. Dagegen sind bei 2-Hydroxyzuckern enzymatische Methoden vorzuziehen. Die Hydroxygruppe in 2-Stellung eines Zuckers hemmt durch ihren induktiven Effekt die Spaltung. O O
Digitoxin (Digitoxigenin + 3 Digitoxose)
O
HO
O
O OH
OH
O
O OH
H
O
H
OH
Das Vorkommen eines Lactonrings wird mit der Endung „-olid“ gekennzeichnet, ein ungesättigtes Lacton entsprechend mit „-enolid“. Als Genin oder Aglycon bezeichnet man den zuckerfreien Rest eines Glycosids. Für die pharmakologische Wirkung allein verantwortlich ist das Aglycon, der Zuckerrest ist aber notwendig für die Pharmakokinetik. Die Wirksamkeit nimmt mit der Länge des Zuckerrestes ab. Ein therapeutisch wichtiges Cardenolid ist das aus Strophanthus-Arten gewonnene k-Strophanthosid. Mit wässrig-methanolischer Salzsäure tritt Totalhydrolyse ein und man erhält das Aglycon Strophanthidin. Die Zuckerreste lassen sich jedoch auch stufenweise, und zwar auf enzymatischem Weg mit β-Glucosidase, abspalten: O O
H O
C OH
β-Glucose-β-Glucose-Cymarose
O
OH
Cymarin (k-Strophanthinol) k-Strophantin-β k-Strophanthosid
2.7 Herzwirksame Glycoside
103
Strophanthidin ist ein Steroidvertreter mit einer 19-Aldehydgruppe. Sie lässt sich mit KMnO4 zur Carboxylgruppe oxidieren und man erhält die Strophanthidinsäure. Umsetzung des Strophanthidins mit HCl in Ethanol bei 0°C bewirkt eine Acetalbildung; sie beweist die 3β,19β-Konfiguration. Gleichzeitig wird bei dieser Reaktion auch die 5β-Hydroxygruppe eliminiert, zur Entfernung der 14-Hydroxygruppe ist Erwärmen mit konzentrierter Salzsäure nötig. O
O
O
H O
OH
C
O
KMnO4
C
OH HO
OH HO
OH
O
OH
Strophanthidinsäure
0°C / HCl CH3CH2OH O
O
O
H
H5C2O O
HCl O
O
OH
C
Δ HO
Ein weiterer Vertreter der Cardenolide ist das Gitoxigenin, das eine Hydroxygruppe an C-16 trägt. Bei der Behandlung mit konzentrierter HCl tritt zunächst die Abspaltung der C-14-Hydroxygruppe ein, was wegen der sich anbietenden Ausbildung eines konjugierten Systems nun auch den Austritt der 16Hydroxygruppe zur Folge hat. Mit Acetanhydrid in Pyridin lassen sich die beiden sekundären Hydroxygruppen acetylieren. Chromatographiert man diese Verbindung an basischem Al2O3, so tritt die Eliminierung der 16-Acetoxygruppe ein; unter diesen basischen Bedingungen wird jedoch keine Abspaltung der tertiären OHGruppe beobachtet. Die Abspaltung von Essigsäure unterbleibt bei der Chromatographie an SiO2. Dies ist ein Hinweis darauf, dass man auch bei den sonst so vorteilhaften chromatographischen Reinigungsoperationen mit Reaktionen am Adsorbens rechnen muss.
104
2 Steroide O
O
OH
O
OAc
Ac2O
OH HO
OH AcO
Gitoxigenin
H
O
H Chromatographie an Al2O3
H+ O
O
O
O
OH HO
AcO
H
H
Das Hellebrigenin aus der Christrose (Helleborus niger) ist identisch mit dem Bufotalidin aus den Hautdrüsen von Kröten. Es liegt in der Christrose als Glycosid (Hellebrin) vor. O O H O
C OH
Glucose-Rhamnose
O
Hellebrin
OH
2.7.1 Partialsynthese von Cardenoliden
Einige wichtige Reaktionen der Cardenolide, die im Rahmen von synthetischen Planungen beachtet werden müssen, sollen hier in einer kurzen Übersicht dargestellt werden. Die Umsetzung von Digitoxigenin mit wässriger KOH ergibt über die Öffnung des Lactonrings zu (A) und Isomerisierung der Doppelbindung eine Aldehydcarbonsäure (B). In methanolischer KOH erfolgt eine Isomerisierung der Doppelbindung über ein Furylanion in die 20(21)-Position (C). Nachfolgende intramolekulare Cyclisierung ergibt das 14β,21-Epoxycardanolid (D).
2.7 Herzwirksame Glycoside
105
Als Nebenreaktion findet auch hier eine Lactonspaltung zu (B) statt. Der geschwindigkeitsbestimmende Schritt der Isomerisierung ist die Deprotonierung des ungesättigten Lactonrings zu (C). OH
OH
COOH
H
COOH
COOH
O
OH
OH
A O
OH
B
O O
O
O H
O H O
OH
OH
C
D
Substituenten an C-17, die ein Carbanion an dieser Position stabilisieren können (E), ergeben baseninduziert eine Isomerisierung der 17β-Seitenkette in die thermodynamisch stabilere 17α-Form (F). O
O C
Base
OH
O H+
OH
E
OH
F
Reaktionen unter sauren Bedingungen ergeben, vor allem bei höheren Temperaturen, eine rasche Eliminierung der tertiären 14β-Hydroxygruppe. Mit SOCl2 in Pyridin entsteht das 14-Alken (G) in hohen Ausbeuten. Diese Verbindung lässt sich säurekatalysiert zu 8(14)-En-Steroid (G’) isomerisieren. R
R H+
OH
R
+ G
G'
106
2 Steroide
Eine Epimerisierung der 12β-Hydroxygruppe wird bei der säurekatalysierten Umsetzung von 12β,14β-Dihydroxy-20-pregnanonen, bedingt durch die 1,3Stellung des C-12- und C-14-Alkohols, beobachtet. Bei der Eliminierung des tertiären Alkohols (I) entsteht über den ungesättigten Secoaldehyd (J) durch nucleophilen Angriff von Wasser zu (K) eine Mischung der beiden epimeren Alkohole. H
H
O
R
+
O
OH
I
O H
+
J
OH
R
H
R
OH
H
K
H
2.7.1.1 Digoxigenin und Digitoxigenin
Die 14β-Hydroxygruppe kann über 14-En-Steroide eingeführt werden. Eine moderne Variante führt über das 14β-Hydroxy-15α-brom-Steroid durch Reduktion zum gewünschten Produkt (s. auch Kap. 3.6.7). Die Reduktion des Bromids mit Tributylzinnhydrid verläuft dabei nach einem Radikalketten-Mechanismus: R-Br R•
+ +
Bu3Sn• Bu3SnH
R• RH
O R
H3C
H
C
+ +
Bu3SnBr Bu3Sn•
R
N
R Bu3SnH
Br H2O OH Br
OH
Der Aufbau des Lactonrings am 14β-Hydroxysteroid nimmt den folgenden Verlauf: Das 14β-Hydroxypregnan-20-on wird mit Lithiumethoxyacetylid umgesetzt, saure Isomerisierung und anschließende SeO2-Oxidation (Allyloxidation, Mechanismus s. Kap. 1.1) ergeben das Lacton. H
O
HO LiC
+
CH3 C
COEt
COEt O
OH
OH
H
H
H+ H2O
2.7 Herzwirksame Glycoside O
OH O
OEt
O
OEt
107
O
SeO2
OH
OH
OH
Eine neue Variante synthetisiert sowohl Digitoxin als auch Digoxin ausgehend von Desoxycholsäure. Da hierbei zwei photochemische Reaktionen als zentrale Schritte auftreten, soll im Folgenden auf diese Reaktionen eingegangen werden. Normalerweise werden zur Charakterisierung der MO-Grundzustände nur das höchste bzw. die zwei höchsten MOs benötigt. Unter Berücksichtigung dieser Überlegung wird z. B. bei Formaldehyd der Grundzustand S0 durch Besetzung von π2n2, der erste angeregte Zustand S1 durch einfache Besetzung n π* und S2 durch einfache Besetzung von π π* charakterisiert. Weiterhin wird zwischen Molekülzuständen mit zwei ungepaarten Elektronen, dem Triplett-Zustand (T), und mit gepaarten Elektronen, dem Singulett-Zustand (S), unterschieden (Tabelle 2.6). In Anlehnung an diese Symbole werden bei Diradikalen für den TriplettZustand und den Singulett-Zustand die Abkürzung 3D bzw. 1D verwendet. Die UV-Absorption von einfachen Carbonylverbindungen liegt bei einem S0 → S1-Übergang bei etwa 150 nm (ε ≈ 20.000) und bei einer S0 → S2-Anregung zwischen 250–340 nm mit einer bedeutend niedrigeren Absorptionsintensität (ε ≈ 10– 100). Die Anregung einer Carbonylgruppe ergibt durch α-Spaltung ein Acyl- und ein Alkylradikal (Norrish-Typ-I-Reaktion, Abb. 2.12). Die Spaltung des cyclischen Ketons ist meistens aus dem T1-Zustand bevorzugt. Ausgehend von dem hierbei entstehenden Diradikal 3D sind mehrere Reaktionen möglich. Bei unsymmetrischen Ketonen entsteht durch die Spaltung in der Regel das stabilere Diradikal. Der Übergang in den 1D-Zustand kann zu einer Rekombination der Radikale und damit zu einer Cyclisierung führen. Eine andere Möglichkeit ist die Wanderung eines Wasserstoffatoms aus der α- oder γ-Stellung. Eine Hα-Verschiebung ergibt ein Keten, während eine Hγ -Verschiebung in einem γ/δ-ungesättigten Aldehyd resultiert. In Verbindungen, bei denen eine der beiden Wasserstoffwanderungen unterdrückt ist, findet diese Reaktion eine präparative Anwendung. Dies ist bei 12Oxo-Steroiden der Fall und wird bei dem „Remote-Oxidation-Prozess“ von P. Welzel zur Einführung der 14β-Hydroxygruppe verwendet. Tabelle 2.6. Elektronische Zustände von Carbonylgruppen
Zustandssymbol S2 T2 S1 T1 S0
Elektronische Spin Konfiguration (π↑) (n↑↓) (π*↓) (π↑) (n↑↓) (π*↑) (π↑↓) (n↑) (π*↓) (π↑↓) (n↑) (π*↑) (π↑↓) (n↑↓)
Abkürzung des Zustands 1 (π,π*) 3 (π,π*) 1 (n,π*) 3 (n,π*) π2n2
108
2 Steroide
O
O
O
O
C
αH
hν
H
3D
T1(nπ*)
Hγ Hα-Wanderung
O
O H Hγ-Wanderung
O
αH 1D
Hγ
Abb. 2.12. Norrish-Typ-I-Spaltung und Folgereaktionen am Beispiel eines Cyclopentanons
Photolyse des 12-Ketons (A) liefert durch α-Spaltung und γ-Wasserstoffwanderung den ungesättigten Secoaldehyd (B), ebenso das Oxetan (PaternoBüchi-Reaktion), das durch Cyclisierung entsteht. Die Reaktion mit THF/H2O/CF3COOH ergibt durch intramolekulare Prins-Reaktion die beiden an C-12 epimeren 12,14β-Diole (D). O
O
R hν
R
R
H
H
O
B
A
H+/H2O OH
R
D OH
Die photochemische Anregung einer Carbonylgruppe mit einem H-Atom in γStellung, die als Keton, Imidazolid, Ester oder Carbonsäure vorliegen kann, führt durch primäre Abstraktion dieses Wasserstoffatoms zu einem Diradikal. Dieses kann unter Fragmentierung (Variante A) zu einem Enol und einem C2-Bruchstück reagieren, oder (Variante B) zu einem Cyclobutanolderivat cyclisieren. Diese Reaktionen werden in der Literatur als Norrish-Typ-II-Reaktionen zusammengefasst (Abb. 2.13).
2.7 Herzwirksame Glycoside Variante A O
R
R
C
HO
+
OH
H
109
R
H2 C
OH
R Variante B
Abb. 2.13. Norrish-Typ-II-Reaktion von Carbonylverbindungen und Folgereaktion
Im Gegensatz zur Norrish-Typ-I-Reaktion, bei der eine Bindungsspaltung in αPosition zur Carbonylgruppe erfolgt, kann bei der Norrish-Typ-II-Spaltung die angeregte C=O-Gruppe an der γ-Position angreifen. Die nachfolgende Reaktion des Diradikals, Reaktionsweg A oder B, ist in hohem Maße vom angeregten Zustand, von dem die Reaktion ausgeht, abhängig. Der energetisch günstigere Weg erfordert im Fall der Fragmentierung eine kontinuierliche Orbitalüberlappung zwischen den entstehenden π-Bindungen. Die Cyclobutanbildung stellt dagegen weniger sterische Anforderungen an die Orbitalüberlappung. Bestrahlung von Cholsäureimidazoliden (A) nach Iwasaki ergibt unter Fragmentierung der Seitenkette das entsprechende 20(22)-Methylenpregnan (B) (Abb. 2.14). Als Nebenprodukte werden außerdem durch N-C-AcylimidazolUmlagerung die isomeren 2- und 4-Imidazolderivate (C) und (D) erhalten. O COOH
N
N
CDI
254 nm
A H
H O
O N N N
H
+ H
B
H
C
N
+
H H
D
Abb. 2.14. Norrish-Typ-II-Spaltung von Steroid-24-säureimidazoliden (CDI = Carbonyldiimidazol)
Das Iwasaki-Verfahren ermöglicht einen effizienten Seitenketten-Abbau von Desoxycholsäure. Bei der Umsetzung von Desoxycholsäure (2) mit einem geringen Überschuss an Carbonyldiimidazol findet die primäre Reaktion an der Carboxylgruppe statt, sodass die Hydroxygruppen an C-3 und C-12 nicht geschützt werden müssen. Bestrahlung des Imidazolids mit einer Hg-Hochdrucklampe gibt nach 24 h Reaktionszeit bis zu 55 % Ausbeute 20(22)-Methylenpregnan (41).
110
2 Steroide
OH
OH
O EtO
H HO
N
N
C
PPh3/AcOH H
41 OH
H
OEt
H
AcO
CHO
OH
MnO2
_ + H3COCH-P(C6H5)3
H AcO
43
1. hν/O2 2. NaI
42
H
OH
H AcO
O
C
H O
OH
OMe
O
OH OMe 1O
H AcO
H
2
AcO
44 O
H
PCC
hν
H AcO
46 O
H
O
O
O
R H
AcO
O
O O
H H
45
O
OH
AcO
Et3N
H
1. H+/H2O 2. KOH/CH3OH
H
O
R'
OH HO
H
Epidigoxigenin: R = OH, R' = H Digoxigenin: R = H, R' = OH Abb. 2.15. Partialsynthese von Digoxigenin
2.7 Herzwirksame Glycoside
111
Die Konfigurationsumkehr an C-3 lässt sich mit dem Mitsunobu-Verfahren (s. Kap. 2.1) durchführen. Es resultiert das Monoacetat 42, ohne dass eine Reaktion an der axialen 12-Hydroxygruppe stattfindet. Photooxidation in Aceton und anschließende Hydroperoxid-Reaktion und Reduktion mit NaI ergeben den Allylalkohol 43. MnO2-Oxidation führt zum ungesättigten Aldehyd, der mit Methoxymethylentriphenylphosphoran zu den isomeren Dienolethern 44 reagiert. Umsetzung mit Singulettsauerstoff in einer [4 + 2]-Cycloaddition zu 45 ergibt nach Reaktion mit Triethylamin als Base in Methylenchlorid das Cardenolid 46. Der Reaktionsmechanismus ist im Folgenden dargestellt:
O
O
OMe
O O
H
O
OMe
O
Base
H
H
H
Nach der Oxidation mit PCC erfolgt über den „Remote-Oxidation-Prozess“ die Einführung der 14β-Hydroxygruppe. Es resultieren Digoxigenin und 12Epidigoxigenin. Den gesamten Reaktionsablauf der Partialsynthese gibt Abb. 2.15 wieder. Das Digitoxigenin wird ebenfalls durch Norrish-Typ-I-Spaltung des 12-Ketons erhalten. Reduktion mit NaBH4 und Umsetzung mit Methansulfonsäurechlorid induzieren nun im nachfolgenden Cyclisierungsschritt einen Angriff an der 12Position unter Abspaltung der Abgangsgruppe. O
O
O
O
O
O H H
AcO
NaBH4
hν AcO
H
O
O
H H3C
OH
O S O
O O
CH3SO2Cl AcO
H
O
H+ AcO
H
H
O H
H2O
112
2 Steroide O
O
3-Acetyl-digitoxigenin
OH AcO
H
2.7.1.2 Derivate des Digitoxigenins
Der Wirkungsmechanismus der herzaktiven Glycoside ist noch nicht eindeutig geklärt. Ihre Anwendung finden sie in der Therapie der Herzmuskelinsuffizienz. Es besteht eine Beziehung zwischen Hemmung der Na+/K+-ATPase und der pharmakologischen Hauptwirkung dieser Steroide. Ein Problem bei der Verwendung ergibt sich durch die sehr enge therapeutische Breite. Herzglycosidpräparate gehören in Deutschland zu den am häufigsten verordneten Arzneimitteln. Hierbei sind vor allem zwei Derivate des Digoxins führend. Das βAcetyldigoxin wird aus Digitalis lanata extrahiert. O
O OH
β-Acetyldigoxin
H H
O
AcO
O
O OH
OH
H
O
O
O
OH
H
OH
Mediogoxin erhält man durch Reaktion von Digoxin mit Dimethylsulfat in DMF in Gegenwart von Ba(OH)2 und Al2O3. O
O OH
Digoxin
+
(H3CO)2SO2
O
MeO
H
O
O OH
H H
O
O OH
Ba(OH)2/Al2O3/DMF
O OH
H
OH
Mediogoxin
2.7 Herzwirksame Glycoside
113
Obwohl die herzaktiven Glycoside intensiv untersucht wurden, können nur wenige Struktur-Wirkungsbeziehungen angegeben werden. Folgende Strukturmerkmale sind jedoch relevant für die Wirkung: Die natürlich vorkommenden Herzglycoside weisen in den Ringen A und B cis-Konfiguration auf. Eine Veränderung der Konfiguration verringert normalerweise die Aktivität der Derivate. Die C/DRinge dieser Steroide sind ebenfalls cis-verknüpft. Hierbei ist die 14Hydroxygruppe nicht essenziell für die positiv inotrope Wirkung, jedoch führt die Substitution durch Wasserstoff zu einer Verringerung der pharmakodynamischen Wirkung. Der 17β-ständige ungesättigte Lactonring ist ein wichtiges Strukturmerkmal. Erfolgt eine Konfigurationsumkehr am C-17, so geht die Wirkung verloren. Die zusätzliche Einführung von Hydroxygruppen führt dazu, dass äquatoriale Alkohole die Aktivität steigern und axiale die Aktivität abschwächen. Bei der Untersuchung der Struktur-Wirkungsbeziehung und der Suche nach therapeutisch wertvollen Verbindungen wurden vielfache Modifizierungen am Steroidgerüst durchgeführt. Es sollen nur einige dieser Ergebnisse hier aufgeführt werden. Eine analoge Aktivität wie das Digitoxin zeigt auch der 17β-ständige ungesättigte Carbonsäuremethylester bzw. das ungesättigte Nitril. Die Darstellung dieser beiden Derivate erfolgt über den 17β-Aldehyd. Dieser wird durch Ozonolyse des 3β-Acetoxy-digitoxigenins, Reduktion, Verseifung und anschließende PeriodatSpaltung erhalten. Durch Wittig-Reaktion werden die in der Seitenkette ungesättigten Steroide dargestellt. O O
O O
OH AcO
O3
OH AcO
H
CHO
O
NaBH4
H
O HO
HO
O
OH
OH
OH AcO
H
OH-
OH HO
H
NaIO4
114
2 Steroide O
OMe
CHO MeO
O
H
O
P
C
C
OMe
OMe
OH HO
OH HO
H
EtO
O
H
P
C
H
CN
OEt CN
OH HO
H
Weiterhin wurde auch der Lactonring modifiziert. Hierbei beobachtete man, dass Elektronenacceptorgruppen die positiv inotrope Wirkung verstärken. Dagegen schwächen Elektronendonorgruppen diesen Effekt ab. F
R
O
H
R O
> O
OMe
R
>
O
O
O
Das 22-Chlor-digitoxigenin lässt sich, ausgehend vom 3β-Acetoxy-14β,21dihydroxy-20-oxo-pregnan, darstellen. Kondensation mit einer Phosphoniumcarbonsäure ergibt über eine intramolekulare Wittig-Reaktion das Produkt. O
OH AcO
H
OH
+
EtO
O
H
P
C
EtO
Cl
COOH
DDC
2.8 Bufadienolide O
O
H
O
C
C
P
O
Cl OEt
OEt
CH3 H3C
O
+
K
CH3
OH AcO
C
115
H O O
O
Cl
O O C Cl
P
EtO
OH
O OEt
OH AcO
H
22-Chlordigitoxigeninacetat Wie schwierig die Abschätzung der physiologischen Wirksamkeit dieser Steroide ist, erkennt man an der sehr ähnlichen Wirkung von Prednison-3,20-bisguanylhydrazon im Vergleich mit anderen Digitalispräparaten. Diese Verbindung leitet sich aber von den Corticoiden ab. H
OH N OH
O
H 2N
HN
H
C
N
N
C
NH2
NH
H N
2.8 Bufadienolide Wie schon erwähnt, finden sich in der Haut von Kröten Substanzen vom Bufadienolid-Typ. Man unterscheidet die Bufogenine von den Bufotoxinen. Während die Bufogenine ausschließlich aus dem Steroidkörper bestehen, sind die Bufotoxine an der 3β-Hydroxygruppe mit Suberylarginin verestert:
116
2 Steroide O
O
O
O
H H H HO
H OAc
H
OH
H O
H
Bufotalin
O
H (CH2)6
OAc OH
Bufotoxin
H C O
N
NH2 CH
(CH2)3
COOH
NH
C NH
Unter dem Einfluss von alkoholischer HCl wird nicht nur der Suberylargininrest abgespalten, sondern auch gleichzeitig Wasser eliminiert. Unter den pflanzlichen Bufadienoliden verdient das Scillaren A aus Urginea maritima (s. Kap. 2.7) wegen seiner therapeutischen Bedeutung besondere Beachtung. Abbaureaktionen, die zur Strukturaufklärung führten, sind in Abbildung 2.16 wiedergegeben. Im Pentaen wird der Vinylalkohol in der Seitenkette durch Ausbildung des konjugierten Systems stabilisiert.
2.9 Partialsynthese von Holothurinogeninen Wie bereits in Kap. 1.5 beschrieben, leiten sich die Holothurinogenine vom Lanosterin ab. Obwohl es sich um ein Triterpen handelt, kann der synthetische Aspekt erst an dieser Stelle, nach dem Verständnis der Reaktivität der Steroide, behandelt werden. Der zentrale Schritt der Partialsynthese von Bivittosid-C-genin (Abb. 2.17) ist eine intramolekulare Funktionalisierung nach Heusler-Kalvoda von C-11 nach C18 (vgl. Kap. 2.5.2) und von C-18 nach C-20 zum Aufbau des 18,20-Lactons. Ausgangsmaterial ist das Dihydrolanosterin, das durch Hydrierung der Doppelbindung in der Seitenkette aus Lanosterin zugänglich ist. Nach der Acylierung wird mit Chromoxid in α-Stellung zur Doppelbindung eine doppelte Oxidation zu 47 durchgeführt. Reduktion mit Zink in Eisessig ergibt die Reduktion der 8Doppelbindung. Umsetzung mit LiAlH4 liefert durch Angriff von der α-Seite das 3β,7β,11β-Triol. Durch Acylierung entsteht das 3β,7β-Diacetat 48, da die sterisch abgeschirmte 11β-OH-Gruppe nicht reagieren kann. Heusler-Kalvoda-Reaktion mit Bleitetraacetat ergibt den 11β,18β-Ether 49. Bei dieser Reaktion bildet sich aus dem primär entstehenden C-18-Iodid durch nucleophile Substitution der 11,18-Ether in 61 % Ausbeute (s. Kap. 2.5.2).
2.9 Partialsynthese von Holothurinogeninen
117
O O
OH Glucose-Rhamnose
Scillaren A
O H+
O
Pd/H2/OH20 °C
O
COOH
OH
OH RO
R = Zuckerrest
H 1. H+/Δ 2. Pd/H2
H+/Δ O O
COOH
H HO H+
CH3OK
H
3β-Hydroxy-5α-cholansäure
O OMe OH
Abb. 2.16. Abbaureaktionen von Scillaren A
118
2 Steroide
H
I R
O
R
O
- HI
49
Der regioselektive Angriff an C-18 (nicht an C-19) ergibt sich durch den Methylgruppeneinfluss von C-4, der zu einer Vergrößerung des Abstandes von OH11 und der Methylgruppe C-19 führt. Etherspaltung mit der Lewissäure BF3 in Acetanhydrid liefert das 9(11)-Alken unter gleichzeitiger Acylierung von OH-18. Die 9(11)-Doppelbindung kann nur nach Hydrolyse der Acetatgruppen bei 100 bar Wasserstoffdruck hydriert werden. Das gesättigte Triol 50 wird nun mit NBA (N-Bromacetamid) selektiv an C-3 oxidiert (vgl. Kap. 2.5). Obwohl hier sowohl die 3β-OH-, als auch die 7β-OH-Gruppe äquatorial stehen, wird die „sterische Beschleunigung“ der Reaktion durch die beiden Methylgruppen in 4-Position verursacht. Eine selektive Acylierung an C-7 zu 51 gelingt natürlich nur teilweise, sodass das entstehende Diacetat immer wieder hydrolysiert und in der C-7-Acylierung eingesetzt wird. Die verbleibende 18OH-Gruppe wird nun nach Heusler-Kalvoda mit Pb(OAc)4/I2 zum 18,20-Ether 52 umgesetzt. Bei dieser Hypoiodit-Reaktion ergibt sich nicht nur ein regioselektives, sondern auch ein stereoselektives Problem. Das Zielprodukt ist der 18,20-Ether mit S-Konfiguration an C-20. Wie bereits erläutert wurde, werden diese Selektivitäten allein durch sterische und elektronische Bedingungen im Steroid selbst gesteuert. Ein Einfluss der Reaktionsbedingungen ist kaum möglich. Das gewünschte Produkt 52 entsteht in einer Ausbeute von 24 %. Folgende Produktverteilung wird in der Hypoioditreaktion des 18-Hydroxylanostan-Derivates gefunden: O
O
H
H
O
OAc
O
52 (20S) 24 % O
O
R
OAc
14 %
(20R) 16 % O
O
H
R=
OAc
H
R
R
R
OAc
0%
2.9 Partialsynthese von Holothurinogeninen
Ac2O HO
CrO3 AcO
H
H
Dihydrolanosterin
O
O H H
Zn AcO
H
O
AcOH
AcO
47
1. LiAlH4 O
H
O
HO
Pb(OAc)4 AcO
H
OAc
48
I2
BF3 AcO
H
AcO
OAc
49
OAc
H
Pd/H2 HO
OH
H
HO
HO
Ac2O
NBA HO
OH
H
Ac2O
HO
KOH AcO
2. Ac2O
O
50 Abb. 2.17. Partialsynthese von Bivittosid-C-genin
H
OH
119
120
2 Steroide
HO
O
Pb(OAc)4 O
OAc
H
RuO2 O
OAc
H
I2
NaIO4
52
51 O
O
O
O
K2CO3 O
OAc
H
MeOH
O
OH
H
53 + Et3NSO2N
O C OMe
O
HO
O
O
O
NaBH4 H
O
H
Bivittosid-C-genin Abb. 2.17. Partialsynthese von Bivittosid-C-genin (Fortsetzung)
Die einfache Oxidation von Ethern mit RuO2/NaIO4, wobei sich in situ RuO4 bildet, ergibt das entsprechende Lacton 53. Nach der Hydrolyse besteht nun das Problem, eine äquatoriale OH-Gruppe zu eliminieren. Ein Übergang des β-Ringes in die Wannenform, der eine einfache trans-diaxiale E2-Eliminierung gestatten würde, ist offensichtlich nicht möglich. Mit dem Methoxy-(carbonylsulfimido)triethylammoniumsalz ist jedoch eine Wasserabspaltung unter gleichzeitiger Isomerisierung möglich. Reduktion ergibt nun das Bivittosid-C-genin. Abbildung 2.17 beschreibt die Partialsynthese.
2.10 Biosynthese von Steroiden
121
2.10 Biosynthese von Steroiden In diesem Kapitel sollen die Biosynthesewege der Steroide aufgezeigt werden. Der Grundkörper dieser Verbindungsklasse wird durch die Squalencyclisierung (s. Kap. 1.8) erhalten. Das hierbei entstehende Protosterincarbokation ergibt durch Wagner-Meerwein-Umlagerung in tierischen Organismen Lanosterin. Cycloartenol ist das erste tetracyclische Produkt bei Pflanzen. Der Abbau von Lanosterin zum Cholesterin erfordert die Abspaltung der C-14und der beiden C-4-Methylgruppen. Die Reaktion beginnt mit der schrittweisen Oxidation der α-ständigen Methylgruppe am C-4. Anschließend findet eine Decarboxylierung der β-Ketocarbonsäure statt. Das hierbei entstehende Enol ergibt das Ketotautomere mit einer α-ständigen C-4-Methylgruppe. Diese wird in analoger Weise abgespalten.
[O]
[O] HO
HO
H
[O] HO
HO
OHC
[O] HO
- CO2
O
HOOC
H
O
HO
O
[H] O
HO
HO
H
Der Weg der Einführung einer Doppelbindung an C-5 ist noch nicht eindeutig geklärt. Eine Möglichkeit ist die Abspaltung der an C-14 stehenden Methylgruppe zum 8,14-Dien und Reduktion zum 8-En-Produkt. R
R
R [H]
- HCOOH CHOH O
O H
H +
8,14-Dien
8-En
122
2 Steroide
Von diesem könnte man durch die Sequenz 8-En
7-En
5,7-Dien
5-En
die benötigte Doppelbindung erhalten, sodass letztendlich Cholesterin entsteht. Die antifungische Aktivität der Azole, wie z. B. Clotrimazol, resultiert durch Inhibierung der Enzyme, welche die Abspaltung der C-14-Methylgruppe bewirken. Hierdurch wird die Biosynthese von Ergosterin, einem integralen Bestandteil der Zellmembran von Pilzen, blockiert. Die Biogenese der Steroidhormone und Corticoide verläuft über das Cholesterin. Einen Überblick des Biogeneseschemas im Wirbeltierorganismus gibt Abb. 2.18. Das nächste wichtige Intermediat in der Biosynthese ist das Progesteron. Der Abbau der Seitenkette im Cholesterin erfolgt über das C-20-Hydroperoxid. Die Oxidation des 3-Alkohols und Isomerisierung der C-5-Doppelbindung ergibt Progesteron. HO
O
O
[O]
H HO
O
H
*
HO
H O
Pregnenolon
Progesteron * Isomerisierung
Östrogene entstehen durch Abspaltung der Seitenkette des Progesterons. Über das 17-Hydroperoxid bildet sich das 17-Keton. HOO
O
H
O
H
Progesteron
[O]
H
O OH - CH3COOH - OH-
H
Die Aromatisierung des A-Rings erfolgt über die Oxidation der C-19-Methylgruppe und Abspaltung dieser C1-Einheit. Digitoxigenin wird biosynthetisch über Progesteron gebildet. 14β-Hydroxylierung und Reaktion mit Acetyl-CoA ergeben nach C-21-Oxidation, Cyclisierung und Dehydratisierung ein Cardenolid. Nach Reduktion der 4-Doppelbindung resultiert Digitoxigenin.
2.10 Biosynthese von Steroiden
H
123
H
H HO
HO
H
Cholesterin
Lanosterin
OH O
O
O
H
H
OH
H
H
HO
H
O
Pregnenolon
O
Progesteron
Cortisol OH
O
O
OH
HO
OHC
H
H
O
O
17α-Hydroxyprogesteron
Aldosteron
O
OH
H
H
O
O
Androstendion
Testosteron O
OH
H HO
H HO
Östron
Östradiol
Abb. 2.18. Biosyntheseschema im Organismus der Wirbeltiere
124
2 Steroide O
O [O] O
O H2C
C
CoA OH
O
O
[O]
Progesteron
O
O
H
[H]
Digitoxigenin OH HO
H
Die Biogenese des Dienolidringes bei der Kröte verläuft dagegen ausgehend vom Cholesterin. Oxidativer Abbau der Seitenkette zur 24-Säure, 21-Hydroxylierung, Lactonisierung und Dehydrierung ergeben den Bufadienolidring. OH COOH
H
H
COOH
H
Cholesterin O
O
O
H
O
O
H
O
OH
Bufadienolid
Spiroketal-Saponine, wie z. B. Diosgenin entstehen, ausgehend vom Cholesterin, durch Oxidation von C-22 zur Ketofunktion, Hydroxylierung an C-16 und C26 und anschließende Ketalisierung.
2.11 Steroid-Totalsynthesen O
O
[O]
[O]
H
125
HO OH
H
H
O Cyclisierung
O H
Diosgenin
HO
2.11 Steroid-Totalsynthesen Neben den Partialsynthesen, ausgehend von natürlichen Steroiden zu interessanten Derivaten dieser Verbindungsklasse, hat es nicht an Versuchen gefehlt, diese Substanzen auch totalsynthetisch herzustellen. Bei diesen Totalsynthesen können verschiedene strategische Varianten unterschieden werden. So kann man z. B. von Ein- oder Zweiringsystemen ausgehen und die anderen Ringelemente ankondensieren (z. B. AB → ABC → ABCD). In einer weiteren Variante werden in einer biomimetischen Cyclisierung analog der Squalencyclisierung alle vier Ringe in einem Reaktionsschritt aufgebaut. Im Folgenden sollen exemplarisch verschiedene dieser Strategien dargestellt werden. Eine großartige Syntheseleistung unter schrittweisem Aufbau des Ringskeletts stellt die Woodward-Totalsynthese dar. Diese Methode besitzt allerdings heute nur noch theoretisches Interesse. Ausgehend von der primär entstehenden Androstan17-β-carbonsäure sind dann alle anderen Steroidderivate zugänglich (Abb. 2.19). Eine modernere diastereoselektive Synthese sei am Beispiel von Östron demonstriert (AB → ABD → ABCD). Methoxytetralon wird mit Vinylmagnesiumchlorid zum Allylalkohol 54 umgesetzt. Unter milden Bedingungen kann der DRing an das AB-Ringsystem zu 55 angelagert werden. Umsetzung mit HCl/CH3OH ergibt das Östrogenringskelett 56 als Racemat. Die katalytische Hydrierung wird durch die 18-Methylgruppe gesteuert. Im natürlichen Östron steht C18 β-ständig (nach vorne) und das 14-H-Atom α-ständig (nach hinten). Die Hydrierung des 18β-Produkts erlaubt nur einen Angriff an der α-Seite, es entsteht die natürliche Konfiguration in 57.
126
2 Steroide O
O CH3
C
CH3
D
C
MeO
MeO O
O
O
OH
CH3
H
CH3
CH3
LiAlH4 MeO O
H+ MeO
H
OH
O
H
OH
CH3 HCOOR O
H
CH3 H3C
B
1. OsO4 2. Aceton
H
-HCOOH -H2O
H CHO
CH3
D
C
O
D
C
t-BuOK
O
O
H3C
CH3 CH3
O H
O
CH3
O
H3C
CH3 CH3
O H
1. HCOOC2H5 2. CH3-NH-C6H5
O
H2 Pd/SrCO3
O CH3
H
CH3
Zn Ac2O
1. NaOH 2. HCl
H3C
O
CH3
O
CH3
H O
C6H5 HC
N CH3
CH3
CH2=CH-CN Triton B
O
CH3
O
CH3
H3C CN
H O
C6H5 HC
NaOH - CH3-NH-C6H5 - CO
N CH3
Abb. 2.19. Totalsynthese von (±)-Androstan-17β-carbonsäuremethylester nach Woodward
2.11 Steroid-Totalsynthesen CH3
CH3
O
CH3
H3C O
C HO
Ac2O AcONa
O
CH3
O
CH3
H O
CH3
O
O
CH3
O
CH3
H3 C
1. CH3MgBr 2. NaOH
O
H3C
CH3
O H
127
HIO4
H O
CH3 CHO
CH3 CHO
H3 C
CHO H
Benzol
C
H3 C
Piperidin/ Eisessig
A
B
H
CH3 COOCH3
CH3 COOCH3
H3 C
H3C
Pt/H2
CrO3
H
O
AcOH
HO
H
CH3 COOCH3 H3 C
CH3 COOCH3
H H
H O
1. Oxid. 2. CH2N2
O
O
H
D
H3C
DiastereomerenTrennung
H
H H
O
H
H
(±)-Androstan-17β-carbonsäuremethylester Abb. 2.19. Totalsynthese von (±)-Androstan-17β-carbonsäuremethylester nach Woodward (Fortsetzung)
O
OH H2C=CH-MgCl
MeO
Methoxytetralon
MeO
54
O
C
O
128
2 Steroide O O
HCl
O
O
MeO
H
MeO
+
55 O
C
+
H
O - H+ - H2O
OH MeO
Pd/H2 MeO
56 O
OH H K/NH3
H
H
MeO
H
MeO
57 1. CrO3 2.
O H + N H Cl H
H H
H
(±)-Östron
HO
Unter den verwendeten Hydrierungsbedingungen wird die 8,9-Doppelbindung nicht angegriffen. Die Umsetzung mit Kalium in flüssigem Ammoniak liefert durch Reduktion das thermodynamisch stabilere trans-Produkt (9α, 8β im nativen Östrogen). Gleichzeitig wird das 17-Keton zum 17β-Alkohol reduziert. Oxidation mit CrO3 und Abspaltung des 3-Methylesters ergibt das Östron. Ein Aufbau des Steroidgerüstes in einer Stufe in Anlehnung an die Squalencyclisierung (biomimetische Cyclisierung) liegt den folgenden Synthesen zugrunde. Die Grundlage dieser Methode bildet die Tatsache, dass der stereochemische Verlauf der biologischen Cyclisierung von Squalen mit stereoelektronischen Vorstellungen erklärt werden kann. Behandelt man als Beispiel die Cyclisierung von Squalenoxid, kann man diesen Prozess als trans-antiparallele elektrophile Addition an die olefinische Doppelbindung auffassen; d. h. man vergleicht die Reaktion mit der elektrophilen Addition von Brom an Alkene.
2.11 Steroid-Totalsynthesen
129
Es sei aber darauf hingewiesen, dass diese Cyclisierungen racemische Produkte liefern. Die durch die Formeln wiedergegebenen Produkte enthalten also gleiche Anteile an Enantiomeren. Allerdings bedingt die enzymatische Reaktion eine selektive Protonierung am Epoxid und ebenfalls eine selektive Öffnung dieses Oxirans. Erste Versuche, diese Reaktion nichtenzymatisch durchzuführen, ergaben unbefriedigende Ergebnisse. Es gelang jedoch, geeignete Bedingungen zu finden, in denen aus all-transDoppelbindungen eine all-trans-Cyclisierung stattfindet. Die Umsetzung des Tetraenacetals mit SnCl4 in Pentan ergibt ein Gemisch von zwei kristallinen tetracyclischen D-Homosteroid-Epimeren, die stereochemisch ausschließlich zur alltrans-Reihe gehören. Bei dieser Reaktion bilden sich sieben Asymmetriezentren, und trotzdem entstehen nur zwei von 64 möglichen Racematen.
Racemat
H SnCl4 H O
O HO
O
H
H
+ H H O
HO
H
H
Racemat
Diese Stereoselektivität wird nach Stork-Eschenmoser durch die Annahme erklärt, dass die energetisch bevorzugte Konformation im Übergangszustand die Sesselkonformation ist.
C
+
O HO
H
R' R = O-CH2-CH2-OH, R' = H R = H, R' = O-CH2-CH2-OH
R
H
H
H
Johnson konnte bei Cyclisierung zu Dekalin-Derivaten allgemein nachweisen, dass jeweils aus einer trans-Doppelbindung trans-Dekalin und aus einer cisDoppelbindung cis-Dekalin entsteht.
130
2 Steroide O
H
O
HCOOH O
H
O NO2
S
H
Racemat
O
O
H
O
HCOOH O
C
C
H
O H
NO2
S
Racemat
O
Mit dieser Methode gelingt die Synthese von (±)-Dehydroprogesteron. Der Aufbau des Tetraengerüsts startet mit der Umlagerung eines Vinylallylethers 58 zu einem γ,δ-ungesättigten Aldehyd 59. Anlagerung des 2-Propenyllithiums und Angliederung von Propargylmagnesiumbromid ergibt 60. Umsetzung mit Methyllithium zum Lithiumacetylid führt durch nucleophile Substitution des Bromids und anschließende Abspaltung der Carbonylschutzgruppe zu einem Trien-diketon 61. Intramolekulare Aldolkondensation ergibt ein Tetraen 62, das unter den Bedingungen, die oben diskutiert wurden, mit einer Lewissäure zu einem Vierringsystem 63 cyclisiert werden kann. Reaktion mit OsO4 zum cis-Diol und Pb(OAc)4Spaltung zur Tetracarbonylverbindung 64 führt nach anschließender Aldolcyclisierung zu racemischem 16-Dehydroprogesteron (Abb. 2.20). Eine weitere Verbesserung dieser Variante ergab sich aus der Beobachtung, dass C-C-Dreifachbindungen in 5,6-Stellung relativ zu einem sich bildenden kationischen Zentrum dazu neigen, fünfgliedrige Ringe zu bilden. Deshalb wurde in dem vorher beschriebenen Tetraen 62 eine Doppelbindung durch eine Dreifachbindung in 72 ersetzt. Die Synthese dieser Verbindung nimmt folgenden Verlauf: Ausgehend vom Methylfuran wird im ersten Teilschritt durch Bildung eines Carbanions mit Butyllithium und anschließender Alkylierung mit 1,4-Dibrombutan ein Alkylierungsprodukt 65 erhalten, das unter Ketalisierungsbedingungen eine Ringspaltung erleidet. Nucleophile Substitution des Broms durch Iod im Diketalhalogenid ergibt, nach Umsetzung mit Triphenylphosphin, über ein Phosphoniumsalz, das Phosphorylid 66. BuLi O
Li
O OH
Br
Br
O
O
OH
O 1. NaI 2. P(C6H5)3 3. Base
O
Br
65
O C6H5
Br
TsOH O
O
O
O
66
+
C6H5
C
P
H
C6H5
2.11 Steroid-Totalsynthesen
Δ
O
O
[3,3]-sigmatrope Umlagerung
SOCl2
Li
H
HO
58
59
HC
Cl
CH2MgBr
C
CH3Li C
C
CH
1.
O
CLi
60
O O
O
Br
O
O
2. Na/NH3
H+
O
O
O
SnCl4 CH3NO2
1. NaOH 2. CH3Li
O
131
OH
61
H
+
62 O
H H
H
1. OsO4 2. Pb(OAc)4
H
H O
CHO H
O
63
64 O H
KOH
H
H
(±)-16-Dehydroprogesteron
O
Abb. 2.20. Diastereoselektive Synthese von 16-Dehydroprogesteron
132
2 Steroide
Der für die Wittig-Reaktion benötigte Aldehyd 70 wird aus Acetessigsäureethylester aufgebaut. Alkylierung mit 1,3-Dichlor-2-buten ergibt den β-Ketoester 67. Desacylierung, Eliminierung und Hydrolyse durch Umsetzung mit einer Base liefern eine Carbonsäure, die in den Aldehyd 68 umgewandelt wird. Addition von Isopropenylmagnesiumbromid und Reaktion des entstandenen Allylalkohols mit Ethylorthoacetat ergeben über stereospezifische Ortho-Acetat-Claisen-Reaktion einen Eninsäureester 69. Reduktion mit Natrium-bis(2-methoxyethoxy)aluminiumhydrid führt zum benötigten Aldehyd 70. Cl Cl
EtO O
O
O
OH-
Cl EtO
Δ O
CH3OH
HO
H+
O
67 O
O
Red.
MeO
(EtO)3CCH3
MgBr
H
HO
68 [3,3]sigmatrope Reaktion EtO
Red. COOEt
O
CHO
69
70
Wittig-Reaktion der beiden erhaltenen Zwischenprodukte 66 und 70 ergibt das Dienin 71, sodass nach Abspaltung der Carbonylschutzgruppen, basenkatalysierter intramolekularer Aldolkondensation und anschließender Addition von Methyllithium das erwünschte Zwischenprodukt 72 resultiert.
O
O C6H5
O
O
66
+
C6H5
C
P
H
C6H5
+
O
O
O
O
Base CHO
70
71
2.11 Steroid-Totalsynthesen
133
O H+
NaOH
O
O
CH3Li
H3C
OH
72
Aus dem Zwischenprodukt 72 ist die Darstellung von Progesteron und Androsteron möglich. Die Cyclisierung erfolgt durch Abspaltung der tertiären OH-Gruppe und nucleophilen Angriff an der Dreifachbindung mit dem Trifluoracetatanion. O
CF3
O
CF3
O O
H CF3COOH H3C
OH
+
H
H
Pentan 140°C
72
H
73
O
O
H H O
O
1. O3 2. Zn/AcOH
H H
KOH CH3OH
H
H
O
(±)-Androsten-3,17-dion
Die Cyclisierung mit Trifluoressigsäure erzeugt eine all-trans-Konfiguration (73). Wie erwartet bildet sich der fünfgliedrige Ring. Die Ozonolyse ergibt eine Ringspaltung im A-Ring und das 17-Keton. Basische Cyclisierung (Aldolkondensation) führt zum 4-Androsten-3,17-dion als Racemat. Zum Progesteron gelangt man durch Cyclisierung von 72 mit Trifluoressigsäure und Ethylencarbonat als Nucleophil, wobei nach der Hydrolyse das all-trans-
134
2 Steroide
Produkt 74 entsteht. Das aus dem Enol resultierende 20-Keton weist zu 67 % die thermodynamisch stabilere 17β-Konfiguration auf. Ozonolyse und anschließende basische Cyclisierung liefert das Progesteron als Racemat.
O
O
+
C
O O
H3C
OH H
+
O
H H
H
72 O H
10 % K2CO3
O
H
H
O 1. O3 2. Zn 3. KOH/ CH3OH
H H
H
O
(±)-Progesteron
74
Ein wichtiger Aspekt für die Totalsynthese von Cortison sei hier ebenfalls erwähnt. Die Cyclisierung einer Vorstufe mit bereits vorhandener 11-Hydroxygruppe (75) ergibt nur die 11α-Hydroxyverbindung 76. Dies kann durch die Annahme erklärt werden, dass die im Übergangszustand der Reaktion entstehende 11-β-Hydroxygruppe durch die 1,3-diaxiale Wechselwirkung mit den beiden Methylgruppen zu einer energetisch ungünstigen Situation bereits im Übergangszustand führt.
O
HO
HO H H
H3C
H
OH
75
76
Die Problematik für die technische Anwendbarkeit aller dieser Synthesen ist im Auftreten von Racematen begründet; abgesehen vom Aufwand der Trennungsoperationen selbst ist damit immer auch der Verlust von 50 % Substanz verbunden, sodass die Wirtschaftlichkeit solcher Verfahren beeinträchtigt ist.
2.11 Steroid-Totalsynthesen
135
O 17
O
13
1. CH2=CH-MgCl 2. NaOH O
MeO
16
14
O
S. uvarum
15
MeO
Methoxytetralon
77 O OH
OAc 1. Ac2O 2. TsOH
O MeO
Pd(CoCO3) H2
MeO
78 OAc
OH
KOH
H
CH3OH
MeO
Li
H
NH3
MeO
79 OH
O
H H
H H
Al(iso-OC3H7)3
MeO
H
H
MeO
80 OH C
MeO
THF H2N-CH2-CH2-NH2
C H
H H
CH
OH CH
H H
LiC
H+
H O
(+)-Norgestrel Abb. 2.21. Enantioselektive Synthese von (+)-Norgestrel
H
CH
136
2 Steroide
Eine der erfolgreichsten enantioselektiven Synthesen ist die von Norgestrel, einem Gestagen, das als Contraceptivum eingesetzt wird. In diesem Fall wird das erste chirale Zentrum durch eine mikrobiologische Reduktion erzeugt. Ausgehend von Methoxytetralon wird mit Vinylmagnesiumchlorid über den Allylalkohol in einer Michael-Reaktion mit 2-Ethylcyclopentan-1,3-dion ein Zwischenprodukt 77 erhalten, das an C-14 und C-17 zwei prochirale Zentren besitzt. Durch Reduktion mit Saccharomyces uvarum am C-17-Keton, die sowohl regio- als auch enantioselektiv verläuft, werden C-13 und C-17 in 78 chiral. Die nach der Acetylierung erfolgende Cyclisierung produziert keine neuen Asymmetriezentren. Hydrierung der 14-Doppelbindung erfolgt von der sterisch weniger gehinderten α-Seite, d. h. die zwei Asymmetriezentren steuern die Einführung eines weiteren asymmetrisch substituierten Kohlenstoffatoms in 79. Reduktion mit Lithium in Ammoniak ergibt die thermodynamisch stabilere transVerknüpfung (9α, 8β) des B/C-Ringes und Birch-Reduktion des aromatischen ARinges in 80. Oppenauer-Oxidation und Angriff des Lithiumacetylids, ebenfalls von der weniger gehinderten α-Seite, ergeben nach der Spaltung des Methylvinylethers und Isomerisierung der 5(10)-Doppelbindung (+)-Norgestrel (Abb. 2.21). Eine andere Methode, um enantiomerenreine Produkte zu erhalten, besteht in einer stereoselektiven Cyclisierung. Hierzu muss in der Ausgangsverbindung bereits ein chirales Zentrum vorhanden sein, das die Bildung eines weiteren steuert (Substratkontrolle). Dieses chirale Kohlenstoffatom muss nicht in Nachbarschaft O
O
O
O
O
MgCl
*
*
O
O
81 C6H5 H
H3C H
N
OH
C6H5 H H3C
N
HO O
O
O
H
O
83 CH3O HO
C6H5CHO/CH3OH
O
NaHCO3 / Δ
O
O
84 Abb. 2.22. Darstellung von 84
H OH
O
O
+ 82
C6H5 H
H3C
NH2
H
H
2.11 Steroid-Totalsynthesen
137
zum Reaktionszentrum stehen, sondern kann sich auch einige C-Atome entfernt befinden. Ausgehend vom Lacton 81 wird das benötigte chirale Zwischenprodukt dargestellt. Die Umsetzung mit Vinylmagnesiumchlorid ergibt ein Vinylketon, das anschließend mit (-)-S-1-Phenylethylamin zwei diastereomere Produkte (82 und 83) ergibt, die getrennt werden können. Abspaltung der chiralen Hilfsgruppe aus 82 ergibt 84 (Abb. 2.22). Ausgehend von 84 wird das Steroidgerüst aufgebaut. Umsetzung mit 2Methylcyclopentan-1,3-dion in Essigsäure/Toluol ergibt, über die nucleophile Substitution des Methylethers und Eliminierung der acetalischen OH-Gruppe, die Möglichkeit der Cyclisierung durch Angriff der Enolether-Doppelbindung am Keton in 85. Von den zwei möglichen Konformationen im Übergangszustand ist B die stabilere. In A findet eine sterische Wechselwirkung zwischen dem Keton und der Seitenkette am chiralen Zentrum statt. Die Reaktion von B bedingt aber, dass die spätere C-18-Methylgruppe nach oben, also β-ständig (in 86) ist. O O
CH3O HO R
O
O H
O AcOH Δ/8h Toluol
84 R
O
R
H
85
H O
O H
O
O
B
O
O H
O
R
A
R
O
O
Hauptprodukt 86
+ R
O H
O
R = O
138
2 Steroide
Die Reduktion von 86 mit LiAlH4 erfolgt von der sterisch weniger gehinderten α-Seite zum β-Alkohol. Anschließende Hydrierung erfolgt, bedingt durch die βständige Methyl- und Hydroxygruppe, von der α-Seite zu 87. Spaltung des Vinylethers 87 und Oxidation ermöglichen durch eine intramolekulare Aldolkondensation den Aufbau des B-Rings in 88. Erneute Hydrierung und sauer katalysierte Abspaltung der Carbonylschutzgruppe mit anschließender Aldolkondensation ergibt das (+)-19-Norandrost-4-en-3,17-dion.
O O
OH
O
O
O
LiAlH4
O
Pd/H2
O
86 OH O
O
O
O O
1. H+ 2. CrO3
H
O
O O
KOH
H
87 O
O
H O
H H
O
Reduktion
H
O O
O
H
O
88 O H H+ / Δ H
H
(+)-19-Norandrost-4-en-3,17-dion
O
Eine andere enantioselektive Variante des Aufbaus des C-Rings erfolgt mit einem chiralen Katalysator (Reagenzienkontrolle). Die Anlagerung von 2-Methylcyclopentan-1,3-dion an ein ungesättigtes Keton 89 ergibt das Triketon 90. Dieses
2.11 Steroid-Totalsynthesen
139
wird unter Verwendung von L-Prolin als Hilfsreagenz zu 91 cyclisiert. Der Mechanismus erfolgt über ein Enamin, in dem das chirale Amin einen diastereomeren Übergangszustand mit einer bestimmten Konformation stabilisiert. Die Hydrierung von 91 wird von der Methylgruppe in α-Stellung gesteuert. Lactonbildung und Umsetzung mit der Grignard-Verbindung ergeben mit 92 ein Zwischenprodukt, das ähnlich auch in der vorher beschriebenen Synthese auftritt. O COOH O
+
C
O
O
HOOC
HOOC
O
N H O
89
90
O HOOC
_ N
OH
COOH N H
Pd/H2
O
O
HOOC
91
COOH
OH
OH O MgCl
O
H
HOOC
O
- H2O O
OH O H
O O
O
92
O H
140
2 Steroide
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142
2 Steroide
37. T. KOMORI, H.C. KREBS, Y. ITAKURA, R. HIGUCHI, K. SAKAMOTO, S. TAGUCHI, T. KAWASAKI: Biologisch aktive Glycoside aus Asteroidea, VI: Steroid-Oligoglycoside aus dem Seestern Luidia maculata Müller et Troschel, 1. Die Strukturen eines neuen Aglyconsulfats und von zwei neuen Oligoglycosidsulfaten, Liebigs Ann. Chem. 1983, 2092 38. H.C. KREBS, T. KOMORI, T. KAWASAKI: Biologisch aktive Glycoside aus Asteroidea, VII: Steroid-Oligoglycoside aus dem Seestern Luidia maculata Müller et Troschel, 2. Die Strukturen von zwei neuen Oligoglycosidsulfaten Liebigs Ann. Chem. 1984, 296 39. H.C. KREBS: Recent Developments in the Field of Marine Natural Products with Emphasis on Biologically Active Compounds, Progress in the Chemistry of Organic Natural Products 49, 151 (1986) 40. G.G. HABERMEHL, H.C. KREBS: Toxins of Echinoderms. Studies in Natural Products Chemistry 7, 265 – 316. Elsevier, Amsterdam – Oxford – New York – Tokyo (1990) 41. P. LIPS: Vitamin D status and nutrition in Europe and Asia, J. Steroid Biochemistry & Molecular Biology 103, 620–625 (2007) 42. R.E. OSTLUND: Phytosterols, Choledterin Absorption and Healthy Diets, Lipids 42, 41–45 (2007)
3 Biogene Amine und Alkaloide
Ursprünglich verstand man unter Alkaloiden aus Pflanzen isolierte organische Basen; Morphin war das erste Alkaloid, das rein und in kristallisierter Form erhalten wurde (Sertürner, 1806). Zwanzig Jahre später wurde es bereits industriell gewonnen (Merck). Nachdem man allerdings Alkaloide auch aus Tieren, Mikroorganismen und Menschen isolierte, wurde der Begriff „Alkaloide“ allgemein auf natürliche basische N-Heterocyclen ausgedehnt. Nach der Herkunft der Alkaloide wurden die einzelnen Substanzen ursprünglich entsprechend der botanischen Klassifikation bezeichnet, etwa als Solanum-Alkaloide, Papaver-Alkaloide, Angostura-Alkaloide, Lobelia-Alkaloide usw. Nachdem die chemischen Strukturen dieser Verbindungen bekannt waren und besonders nachdem die Biosynthesewege aufgeklärt werden konnten, wurde dann auch die chemische Klassifikation eingeführt, z.B. Pyridin-, Chinolin- oder Steroid-Alkaloide. Beide Bezeichnungsarten finden sich heute nebeneinander in der Literatur. Eine weitere Differenzierung dieser Verbindungsklasse wird nach deren Biosynthese vorgenommen.
3.1 Biogene Amine Von den Alkaloiden streng zu trennen sind die biogenen Amine, ebenfalls basische Substanzen aus dem Tier- und Pflanzenreich, die sich in einfacher Weise durch Decarboxylierung aus Aminosäuren bilden. Einige sind Bestandteile von Lipiden oder Coenzymen. In Tieren und Menschen dienen Derivate von biogenen Aminen als Neurotransmitter im Nervensystem (Acetylcholin, Tryptamin, Serotonin, Histamin). O
H3C
CH3 O
N
+
CH3
OH CH3
N
Acetylcholin
NH2 N
Histamin
H
Das autonome vegetative Nervensystem ist für die Steuerung der inneren Organe verantwortlich und unterliegt nicht oder nur indirekt dem eigenen Willen. Aufgrund physiologischer Vorstellungen wird das autonome Nervensystem in einen sympathischen und einen parasympathischen Teil differenziert. Die Informationsleitung erfolgt nun über die Nervenzellen, wobei dem Neurotransmitter eine wichtige Aufgabe zukommt. Neurotransmitter werden von der Nervenzelle abgegeben
144
3 Biogene Amine und Alkaloide
und sind für die Reizleitung zwischen zwei Nervenzellen bzw. zwischen Nerv und Muskel im synaptischen Spalt zuständig. Richtung des Nervenimpulses präsynaptische Membran synaptische Vesikel synaptischer Spalt
postsynaptische Membran
Abb. 3.1. Schematische Darstellung einer cholinergen Synapse
Ein Nervenimpuls führt zur Freisetzung der Neurotransmitter aus der präsynaptischen Membran. Diese diffundieren nun durch den synaptischen Spalt zur postsynaptischen Membran (Abb. 3.1). Dort binden die Neurotransmitter an spezielle Rezeptormoleküle in der Zielzelle. Diese Bindung kann z. B. die Konzentration an intrazellulären Signalträgern beeinflussen oder die Öffnung von Ionenkanälen bewirken. Acetylcholinrezeptoren können in zwei Rezeptortypen eingeteilt werden: spezifische Wirkung von Muscarin am Acetylcholinrezeptor bzw. spezifische Wirkung von Nicotin am Acetylcholinrezeptor. So führt die Stimulierung von nicotinergen Rezeptoren durch Acetylcholin an der motorischen Endplatte der quergestreiften Muskulatur zu einer Permeabilitätsänderung der Membran für Kationen (Depolarisation, Abb. 3.2)). Der in die Membran einfließende Natriumstrom depolarisiert die Membran und verursacht damit ein Aktionspotenzial in der benachbarten Nerven- bzw. Muskelzelle. Selbstverständlich muss nach einem Reiz sehr schnell die entsprechende Erregung wieder abgebaut werden. Dies geschieht durch die Acetylcholinesterase, die die Acetylgruppe im Acetylcholin abspaltet (s. Serinproteasen, Kap. 4.3.2.2). Acetylcholin ist der Neurotransmitter für parasympathische Synapsen. Parasympathomimetika sind Substanzen, die ähnlich wie Acetylcholin wirken. Hierzu gehören z. B. Alkaloide, die nun Acetylcholin an der postsynaptischen Membran ersetzen (z. B. Muscarin) oder Hemmstoffe der Acetylcholinesterase (z. B. Physostigmin). Parasympatholytika sind Substanzen, die die Wirkung von Acetylcholin an der postsynaptischen Membran blockieren: hierzu zählen Atropin und Scopolamin. Wird die neuromuskuläre Übertragung an der Skelettmuskulatur gehemmt (Nervenimpuls am Muskelsystem), spricht man von peripheren Muskelrelaxantien (z. B. Curare).
3.1 Biogene Amine
145
polarisierte postsynaptische Membran (ca. -75 mV) hohe [K+] niedrige [Na+]
Acetylcholin
Na+ depolarisierte postsynaptische Membran (ca. 0 mV) K+ Abb. 3.2. Acetylcholin depolarisiert die postsynaptische Membran, indem es die Na+- und K+-Leitfähigkeit erhöht
Das älteste bekannte Beispiel aus der Verbindungsklasse der biogenen Amine ist zugleich das erste rein dargestellte und synthetisierte Hormon (Aldrich, Takamine, Stolz, 1900–1904), das Adrenalin (Epinephrin). Es wird im Nebennierenmark produziert und regt eine große Zahl weiterer Funktionen im Organismus an, wobei häufig ein Zusammenspiel mit Noradrenalin zu beobachten ist. Noradrenalin ist der Neurotransmitter des Sympathikus, der Nerven und der glatten Muskulatur. Aus der Vielzahl der Wirkungen des Adrenalins seien mehr oder weniger willkürlich die folgenden genannt: Einwirkung auf Kreislauf und Herz durch Erweiterung der coronaren Blutgefäße und Erhöhung der Herzfrequenz, Steigerung der Stoffwechselrate, Stimulierung des Nervensystems, direkte Hemmung der Insulinsekretion und Steigerung der Glucoseabgabe der Leber, Steigerung der Alarmbereitschaft bis zur Auslösung von Angstgefühlen. Adrenalin gehört zu den Catecholaminen; es handelt sich hierbei um Phenylethylamine, die am Phenylrest in 3- und 4-Stellung Hydroxygruppen tragen. Die Biosynthese verläuft ausgehend vom Phenylalanin, das durch Hydroxylierung in Tyrosin und Dihydroxyphenylalanin (DOPA) überführt wird; Decarboxylierung liefert das Dopamin. Aus der Hydroxylierung zum Noradrenalin und einer anschließenden Methylierung resultiert das Adrenalin: COOH NH2 L-Phenylalanin
COOH
[O] HO
NH2
Tyrosin (Tyr)
[O]
146
3 Biogene Amine und Alkaloide COOH
HO
NH2
HO
NH2
HO
- CO2
[O]
HO
L-Dopa
Dopamin
OH
H
OH NH2
HO
N
HO
[CH3]
HO
CH3
HO
(-)-(R)-Noradrenalin
(-)-(R)-Adrenalin
Noradrenalin und Adrenalin werden durch Wiederaufnahme in entsprechende Membranen desaktiviert. Bei der Wirkung von Catecholaminen können zwei verschiedene Rezeptortypen (α und β) unterschieden werden. Die α-Rezeptoren werden durch Mutterkornalkaloide (s. Kap. 3.3.4.3), β-Rezeptoren durch verschiedene synthetische Derivate, wie z. B. Propranolol, blockiert. So werden bei Herzrhythmusstörungen, die auf Adrenalinüberschuss oder erhöhte Adrenalin-Sensibilität zurückzuführen ist, β-Rezeptorblocker zur Rhythmisierung verwendet. O HO
O
+ HO
Cl
Cl
O
Cl
CH3NH2
HO H N
HO
AlCl3
HO
OH CH3
HO
[Red]
HO
H N
HO
CH3
(±)-Adrenalin
Eine einfache Synthese von Adrenalin nimmt den oben dargestellten Verlauf. Das Adrenalin entsteht dabei selbstverständlich als Racemat; dieses wird über die Tartrate in die Antipoden gespalten; die natürliche (-)-Form (R-Konfiguration) ist physiologisch 15-mal wirksamer als die S-Form. Strukturell ähnliche Verbindungen finden vor allem pharmazeutische Anwendung. Hierzu gehören z. B. das synthetische Oxedrin (kreislaufanregend) und das (-)-(1R,2S)-Ephedrin aus Ephedra distachya. OH
H N
OH CH3
CH3 HN
HO
Sympatol
Ephedrin
CH3
3.1 Biogene Amine
147
Ephedrin wirkt gefäßerweiternd, blutdrucksteigernd und verbessert die Blutzirkulation. Vor allem aber erschlafft die Bronchialmuskulatur und es bringt die entzündeten Schleimhäute zur Abschwellung. Damit wird es zu einem wichtigen Therapeutikum bei der Behandlung von Asthma und Krampfhusten. In vieler Hinsicht wirkt es ähnlich wie Adrenalin, aber weniger stark und ohne größere Nebenwirkungen; es ist auch weniger toxisch. Ephedrin kann ausgehend von Ethylphenylketon dargestellt werden. Die α-Bromierung, Umsetzung mit Methylamin und Hydrierung ergibt ein Gemisch von racemischem Ephedrin und racemischem Pseudoephedrin. O
O
O
Br2
CH3-NH2 Br
HN
OH
OH
H2 HN
CH3
+
CH3
1S,2R-Ephedrin
HN
CH3
+
1R,2S-Ephedrin Enantiomerenpaar
OH
HN
OH
+
CH3
1R,2R-Pseudoephedrin
HN
CH3
1S,2S-Pseudoephedrin
Enantiomerenpaar
Ein verwandtes Trimethoxyderivat ist das Mescalin. Es wurde als halluzinogene Komponente des mexikanischen Kaktus Lophophora williamsii identifiziert. Mescalin zeigt aufgrund seiner Ähnlichkeit mit den Neurotransmittern eine starke Wirkung auf das Zentralnervensystem. N
NH2
CH3O CH3O OMe
CH3
HO
Mescalin
N-Methyl-tyramin
Strukturverwandte Verbindungen, die ebenfalls zur Gruppe der Phenylethylamine gehören sind das in Gerstenkeimlingen vorkommende N-Methyl-tyramin
148
3 Biogene Amine und Alkaloide
und Hordenin (N-Dimethyl-tyramin). Das Hordenin wird als Herzmuskelanregungsmittel eingesetzt. Es wirkt diuretisch und in hohen Dosen blutdrucksteigernd. Die Inhaltsstoffe des Fliegenpilzes (Amanita muscaria) besitzen ebenfalls neurotoxische Wirkung. Das Muscarin ist eine quartäre Ammoniumbase, die in ihrer Struktur dem Acetylcholin ähnelt. Es wirkt auf die glatte Muskulatur. Das natürlich vorkommende (+)-Muscarinhalogenid besitzt (2S,3R,5S)-Konfiguration. HO
CH3 +
N
X CH3
(+)-(2S,3R,5S)-Muscarinhalogenid
CH3
O
Für die Vergiftungen durch den Fliegenpilz ist dagegen die Ibotensäure und deren Decarboxylierungsprodukt Muscimol sowie das Oxazol-2-on-Derivat Muscazon verantwortlich. Die beiden erstgenannten Verbindungen besitzen zudem eine halluzinogene Wirkung. OH
OH
CH3 N OH
CH3
Muscaridin
N H
CH3
HOOC
N O
H 2N
Ibotensäure H
O
H H
+
N HOOC
+
N O
Muscimol
O
O
H 2N
Muscazon
Eine weitere Gruppe von biogenen Aminen bilden die Indolalkylamine; sie leiten sich vom Tryptamin ab. Biogenetisch entstehen sie aus Tryptophan. Hierzu zählt das in zahlreichen tierischen Giften (Spinnen, Skorpione, Insekten, Stachelrochen, Fröschen) als Komponente auftretende Serotonin (5-Hydroxytryptamin), das zumindest teilweise für die starken Schmerzen bei einem Stich bzw. Biss verantwortlich ist. Serotonin wird weiter neben Bufotenin und anderen Indolalkylaminen in den Hautdrüsen von Kröten (z. B. Bufo vulgaris) gebildet. Interessant ist weiterhin, dass Bufotenin in der Pflanzenspezies Piptadenia, in den Pilzen Amantia mappa und im menschlichen Urin vorkommt. O-Methyl-bufotenin besitzt halluzinogene Wirkung. Tryptamin und Serotonin dienen bei Wirbeltieren als Neurotransmitter.
3.1 Biogene Amine R
149
HO NH2
N
N
N
CH3
CH3
H
H
Serotonin R = OH Tryptamin R = H
Bufotenin
Bufotenin kann auf folgendem Weg dargestellt werden. Der zentrale Schritt ist eine oxidative Cyclisierung:
H3C
1. Pd/H2 2. SOCl2 3. KCN
CHO
O
O
H3C
N
O N
CH3
H3C
CH3ONa
O O
N
CH3
CH3 CH3
1. H2/Ni 2. HBr
CN
CH3
CH3
CH3
HO
HO
K3[Fe(CN)6] OH
CN
CH3
CH3
Cl
O
NH2
N
N
Bufotenin
CH3
CH3
H
Der Grundkörper des Indols ist nach Fischer synthetisierbar. Ausgehend von einem Phenylhydrazon ist durch eine [3,3]-sigmatrope Umlagerung, Cyclisierung und Eliminierung von Ammoniak der Indolgrundkörper zugänglich. R''
R'' R'
N
+
H
N
N
R
R
N
+
H
R
H
+
H
H
R'' R' N R
N
R
+
N
H
R'' R'' R'
N
+
H
H
R' N
[3,3]sigmatrope Umlagerung
H
R''
N
H
R'
H H H
- H4N+
N R
R'
150
3 Biogene Amine und Alkaloide
Auch das in Gräsern (Gramineae) vorkommende Gramin, das bei den Alkaloiden eingeordnet wird, sei hier aufgeführt. Es entsteht synthetisch aus Indol, Formaldehyd und Dimethylamin in einer Mannich-Reaktion. O H
H
OH
R
+ H
N
H R'
C H
H
+ H
H
H
+ H+
R C
R'
- H2O
+
+
R
H
N
C R'
H
H
N
+
R'
R
H
R C
N
R N
N R'
N R'
N
+
H
R N R'
R = R' = CH3: Gramin
N H
Die elektrophile aromatische Substitution am Indol erfolgt in 3-Stellung, da dieses Carbeniumion durch das N-Atom ohne Beeinflussung des aromatischen Sechsrings stabilisiert werden kann. Ein Angriff in 2-Stellung würde die energetisch ungünstige Beteiligung des aromatischen Systems zur Folge haben. Aus Gramin ist durch Hofmann-Abbau des quartären Ammoniumsalzes und nachfolgende Umsetzung mit Blausäure das β-Indolylacetonitril zugänglich, das das Blumenkohlaroma darstellt. Mit ihm in enger Beziehung steht die β-Indolylessigsäure, die als Pflanzenwuchsstoff (Heteroauxin) Bedeutung besitzt.
N
CH3
CH3
CH3
N
CH3I
+
CH3
CH3
N
N
H
H H C
N
+
+
H
HCN
N
H
H CN
N
COOH
H2O/H+ N
H
H
β-Indolylacetonitril
β-Indolylessigsäure
Base
3.1 Biogene Amine
151
Unter den psychotropen Substanzen (Rauschmittel) verdient das aus mittelamerikanischen Rauschpilzen der Gattungen Psilocybe, Conocybe, Panaeolos und Gymnopilos gewonnene Psilocybin Beachtung (s. a. Mutterkornalkaloide, Kap. 3.3.4.3). O HO
P
CH3
O
+
N
O
CH3
CH3
Psilocybin
N H
Physostigmin lässt sich ebenfalls von 5-Hydroxytryptamin ableiten. Es kommt in der Calabarbohne (Physostigma venenosum) vor und wird medizinisch als pupillenverengende Substanz verwendet. Es hemmt die Acetylcholinesterase durch Carbamoylierung des Serinteils im aktiven Zentrum. Die Hydrolyse von Physostigmin liefert das Eserolin, neben Methylamin und CO2. O C H3 C
CH3
O
KOH
N H
N H3 C
Physostigmin
H
N CH3
CH3
HO N H3 C
H
N CH3
Eserolin
An der Decarboxylierung von Aminosäuren ist meistens Pyridoxalphosphat (→ Vitamin B6) als Cofaktor beteiligt (Abb. 3.3). Die meisten biogenen Amine entstehen auf diesem Wege. Daneben werden sie noch durch Aminierung von Aldehyden und Ketonen sowie durch Abbau stickstoffhaltiger Verbindungen gebildet. Die Strukturen einiger biogener Amine sind der Abbildung 3.4 zu entnehmen. Dopamin und Serotonin sind die ernährungsphysiologisch bedeutsamsten Monoamine, weil sie an den Regelmechanismen der Nahrungsaufnahme beteiligt sind. Biogene Amine können in tierischen und pflanzlichen Geweben, extra- und intrazellulär sowie intestinal im Darmkanal höherer Tiere und des Menschen gebildet werden. Als Abbauprodukte von Darmbakterien entstehen dabei besonders Cadaverin, Putrescin und Agmatin. Durch mikrobielle Decarboxylierung der entsprechenden Aminosäuren entstehen, vor allem in Lebensmitteln mit leicht verderblichem Eiweiß wie Fisch, Fleisch und Milchprodukten, Histamin, Putrescin, Cadaverin, Tyramin, Spermidin und Spermin. Auch bei der Herstellung von Lebensmitteln mit Hilfe von Mikroorganismen wie Käse, Rohwurst, Sauerkraut, Bier und Wein entstehen biogene Amine.
152
3 Biogene Amine und Alkaloide H R
C
O
C
O R
(S)-Aminosäure
+ P
O
H
O
H
NH2
C
H
O
H2C
P
OH
N H
O
C
C N
H
C
H2C
P
OH
N H
CH3
R
O
O
C
CH2
N H
+ H2O
+ P
O
C
H2C
-H
R
O
H OH
N H
CH3
NH2
Amin H
+ CO2 OH
+H R
N
H2C
CH3
Pyridoxalphosphat
H
C
P
O
CH3
C
H2C
CH2 N OH
N H
CH3
Abb. 3.3. Decarboxylierung von Aminosäuren zu biogenen Aminen
Wenn größere Mengen biogener Amine mit der Nahrung aufgenommen werden, können bakterielle Lebensmittelvergiftungen auftreten. Deshalb sollte das Vorhandensein bestimmter Amine als weiteres Kriterium in der Qualitätskontrolle von Lebensmitteln dienen. Für Lebensmittelintoxikationen sind vorwiegend Histamin und Tyramin verantwortlich. Da die biogenen Amine meist gebunden vorliegen, werden sie ansonsten selten toxisch wirksam. Freigesetzt werden können sie im menschlichen Organismus durch mechanische oder osmotische Schädigungen der Zellstrukturen (z. B. Histaminschock nach Unfall), Tätigkeit der Darmflora bei Passagestörungen oder im Zustand mangelnder Nahrungsaufnahme sowie bei Lebensmitteln bei häufigem Wechsel von Gefrieren und Auftauen und mikrobiellem Verderb. Durch Umsetzung sekundärer Amine mit Nitriten können im menschlichen Magen-Darm-Trakt stark cancerogen wirkende Nitrosamine entstehen. Die Resorption der mit der Nahrung aufgenommenen biogenen Amine ist aber normalerweise gering, da sie von der in der Darmwand vorhandenen Aminooxidase (EC 1.4.3.3) weitgehend zerstört werden. Biogene Amine sind relativ thermostabil; so wird z. B. Histamin erst nach einer 90-minütigen Erhitzung auf 116°C zerstört. Die meisten biogenen Amine schmecken bitter, da sie aber einen relativ hohen Geschmacksschwellenwert haben (zw. 2 [Pyridin] und 20 µg/100 g ]Triethylamin]) mit Ausnahme von Trimethylamin (0,6 µg/100 g), sind sie an der Geschmacksbildung in Lebensmitteln im Allgemeinen nur unwesentlich beteiligt. Für Geschmack und Geruch von Eiern, Milch, Käse, Kakaopulver, Tee und Bier sind allerdings die aliphatischen Methyl-, Ethyl-, i-Butyl-, i-Amyl- und Dimethylamine deutlicher beteiligt. β-Phenylethylamin wird als Vorstufe des Phenylsenföls im etherischen Öl von Winterkresse und Senf angesehen.
3.2 Alkaloide mit Piperidin-, Pyrrol-, Pyrrolidin- und Pyridin-Struktur
NH2
N H
NH2
HO
NH2
N
N H
N H Tryptamin
Histamin
153
Serotonin OH
NH2
NH2
HO
NH2
HO β-Phenylethylamin
Tyramin
Octopamin OH
OH HO
HO
HO NH2
HO Dopamin
NH2
HO
NH
HO
Noradrenalin
CH3 Adrenalin
OH
NH
HO
CH3 Synephrin
HO
N H3C
CH3
Hordenin
Abb. 3.4. Biogene Amine
Di- und Polyamine bilden mit den freien Phosphorgruppen der Nucleinsäuren stabile Komplexe und schützen auf diese Weise DNA bzw. RNA gegen thermische Denaturierung oder Spaltung, was die Anwesenheit großer Mengen von Polyaminen in Ribosomen erklärt.
3.2 Alkaloide mit Piperidin-, Pyrrol-, Pyrrolidin- und Pyridin-Struktur 3.2.1 Piperidin-Alkaloide
Das einfachste Piperidinalkaloid, das in Pflanzen, Tieren- und Mikroorganismen weit verbreitet ist, ist die L-(-)-Pipecolinsäure, die streng genommen auch als Aminosäure aufgefasst werden kann.
154
3 Biogene Amine und Alkaloide
Ein weiteres einfach gebautes Piperidinalkaloid ist das Arecolin. Es wird in der Veterinärmedizin als Anthelmintikum eingesetzt. Gewonnen wird es aus der Betelnuss, dem Samen der Palme Areca catechu. Aufgrund seiner muscarinartigen Wirkung stellt sich beim Kauen eine zentralerregende Wirkung ein. Im Piperin, das den scharfen Geschmack des Pfeffers (Piper nigrum) ausmacht, ist das unsubstituierte Piperidin als Amid gebunden. Zu den Punica-Alkaloiden werden die drei Verbindungen Isopelletierin, NMethylpelletierin und Pseudopelletierin gerechnet. Sie werden aus der Rinde von Punica granatum isoliert. O
O O O
COOH
N
CH3 N
N
H
CH3
L-(-)-Pipecolinsäure
O
Arecolin
Piperin
4 3
5 6
2
N
R
O
N NR
8 7
O
9
R
O
R=H (-)-(2R)-Isopelletierin R = CH3 (2R)-N-Methylisopelletierin
R = CH3 Pseudopelletierin
In Sedum-Arten, wie z.B. Sedum sarmentosum und Sedum acre (Mauerpfeffer), werden außer N-Methylisopelletierin auch die Reduktionsprodukte N-Methylallosedridin und Sedridin gefunden. 4
OH
3
5
OH
OH
6
N
2
8
9 7
CH3
(2R,8S)-N-Methylallosedridin
N
N
H
CH3
(2S,8S)-Sedridin (d-Sedridin)
(2S,8R)-Sedamin
Das meist verbreitete Sedum-Alkaloid ist das Sedamin. Die Darstellung von Sedum-Alkaloiden ist möglich durch Umsetzung von ∆1-Piperidein mit βKetosäuren und anschließender Reduktion. Diese Reaktion verläuft optimal im physiologischen pH-Bereich. Daher wurde diese Bildung als Biosynthesemodell ohne Mitwirkung von Enzymen angesehen (Schöpf). Tatsächlich sind die Ausgangsmaterialien zellmögliche Verbindungen. Im Fall von R = CH3 entsteht so bei der Kondensation von ∆1-Piperidein und Acetessigsäure zunächst das Isopelletie-
3.2 Alkaloide mit Piperidin-, Pyrrol-, Pyrrolidin- und Pyridin-Struktur
155
rin, das durch Reduktion der Carbonylgruppe in die Hydroxyalkylpiperidine überführt werden kann. O N H
- CO2
R O
Red.
O N
OH
R
N
H
O
R
H
Mit den Sedum-Alkaloiden sind die Lobelia-Alkaloide nahe verwandt, hierbei handelt es sich um zweiseitig substituierte Piperidin-Abkömmlinge, die aus Lobelia inflata isoliert wurden (Wieland, Schöpf). Weiterhin wird (8R)-Phenyllobelol gefunden, das isomer mit Sedamin ist. O
O
OH
O
N
N
CH3
CH3
Lobelanin
(-)-Lobelin O
O H3C
OH CH3
N
N
CH3
CH3
Diethyllobelidion
(2S,8S)-Phenyllobelol (Allosedamin)
Das Lobelanin ist aus Glutardialdehyd, Methylamin und Benzoylessigsäure darstellbar. COOH
COOH CH3
H5C6
C6H5
NH2 O O
O H
O
O
HO
H
N CH3
O
O N CH3
Die Ausbeute ist am besten bei pH 4; sie beträgt ca. 55 % (Abb. 3.5). Der Grund für die starke pH-Abhängigkeit beruht auf der starken Zersetzlichkeit des Zwischenproduktes, das bei dieser Synthese auftreten muss, und das durch einsei-
156
3 Biogene Amine und Alkaloide
tige Kondensation des Carbinolamins aus Glutardialdehyd und Methylamin mit 1 Mol Benzoylessigsäure zustande kommt. Diese Verbindung ist nur im pH-Bereich 3 bis 6 stabil, während sie sich in neutraler oder alkalischer Lösung unter Acetophenon-Abspaltung zersetzt. Weiterhin wird in der Kondensations-Reaktion zur Wassereliminierung eine Säure benötigt. Bei sehr niedrigem pH-Wert wird jedoch das Amin vollständig protoniert, sodass der nucleophile Angriff am Aldehyd nicht mehr stattfindet. 100
Ausbeute %
50
0
pH
3
5
7
9
11
13
Abb. 3.5. Ausbeute an Zwischenprodukt (- - -) und reinem Lobelanin (–––) aus 1 Mol Glutardialdehyd, 1 Mol Methylamin und 2 Mol Benzoylessigsäure nach zweitägigem Stehen bei 25°C in Abhängigkeit vom pH-Wert
Lobelin ist als Pharmakon wichtig; es wirkt anregend auf das Atemzentrum. Auch als Entwöhnungsmittel für Nicotin fand es Anwendung, besitzt heute jedoch nur noch homöopathische Bedeutung. Eine Vielzahl an Piperidinalkaloiden wurde aus Pflanzen (Prosopis, Cassia, Azima und Bathiorhamnus) isoliert. Sie stellen möglicherweise die biogenetischen Vorstufen von Piperidinalkaloiden aus Tieren (Solenopsis spp.) dar. 4
HO
3 2
5 1
6
N H
(-)-(2R,3R,6S)-Cassin
O
HO N H
(+)-(2R,3R,6R)-Iso-6-cassin
O
3.2 Alkaloide mit Piperidin-, Pyrrol-, Pyrrolidin- und Pyridin-Struktur HO
157
O N
OH
H
(2R,3R,6S)-Spicigerin
HO N H
O
(+)-(2S,3S,6R)-Spectalin
HO N CH3
Cryptophorin
O MeO N H
Melochinin
OH
Aus Prosopis juliflora wurde Juliprosopin erhalten, das fungizide und bakterizide Wirkung besitzt. Diese Verbindung enthält neben zwei Piperidin-Ringen auch eine Hexahydroindolizidin-Einheit. Sie ist verantwortlich für die Cara-tortaKrankheit, einer atrophischen Zirrhose, bei Weidetieren im Nordosten Brasiliens. HO N
HO
H N H
(+)-Juliprosopin
N
Makrozyklische Piperidinalkaloide wie das Palustrin werden z.B. aus dem Schachtelhalm (Equisetaceae) erhalten; aus dem tropischen Melonenbaum (Carica papaya und Azima tetracantha) können das Azimin, Azcarpin und Carpain isoliert werden. Aus dem Pfeilgiftfrosch Dendrobates histrionicus wurden SpiropiperidinAlkaloide, die Histrionicotoxine, isoliert.
158
3 Biogene Amine und Alkaloide
Histrionicotoxin (HTX) blockiert den mit dem nicotinartigen Acetylcholinrezeptor verbundenen Ionenkanal. H 12
14 13
15
H 16 18
H
N O
N
3
1
17
HO
11
2
4
19
H 10 9
8
O 7
5
N H
CH2 O
O N H
20
(+)-(13R,17S,18S)-Palustrin
H
OH
N
6
CH3
N
m
CH2
O n
Azimin: m = n = 5 Azcarpin: m = 7, n = 5 Carpain: m = n = 7
Histrionicotoxin (HTX)
3.2.1.1 Tropa-Alkaloide
Die Giftigkeit dieser Substanzen dürfte seit 10.000–20.000 Jahren bekannt sein. Extrakte aus Atropa belladonna dienten in der europäischen Steinzeit als Pfeilgift für die Jagd auf Tiere. Die aktive Komponente, das Atropin bzw. Hyoscyamin, blockiert die Wirkung von Acetylcholin an der postsynaptischen Membran von parasympathischen Nervenenden (Parasympatholytika). Pharmakologisch wirken das Hauptalkaloid Hyoscyamin (97 %) und Atropin qualitativ gleichartig; sie besitzen zwei typische Wirkungskomponenten: 1. eine zentral-erregende Wirkung durch relativ hohe Dosen und 2. eine peripher-lähmende Wirkung, die schon durch niedrige Gaben zustande kommt. Die zentral-erregende Wirkung betrifft vor allem das Großhirn, das Zwischenhirn und das verlängerte Mark. Sehr kleine Mengen können beruhigend wirken, größere Dosen bewirken Anregung, Munterkeit, Rededrang, Heiterkeit, Lachlust, bei größeren Mengen dann Aufregungs- und Verwirrungszustände, die bis zu Raserei, Tobsuchtsanfällen und epilepsieartigen, klonischen Krämpfen führen (daher der deutsche Name Tollkirsche, Tollkraut, Wutbeere). Der zentralen Erregung folgt dann eine zentrale, narkoseartige Lähmung, die in Erschlaffung und tiefen Schlaf übergeht. In früheren Jahrhunderten hat man daher hyoscyamin- und atropinhaltige Drogen als Narkosemittel verwendet. Nach letalen Dosen führt die Vergiftung unter Absinken der Körpertemperatur und Kollaps zur tödlichen zentralen Atemläh-
3.2 Alkaloide mit Piperidin-, Pyrrol-, Pyrrolidin- und Pyridin-Struktur
159
mung. Die tödliche Dosis beim Erwachsenen beträgt etwa 100 mg. Atropin wird heute in der Augenheilkunde zur Pupillenerweiterung verwendet. Der Grundkörper ist das Tropan (N-Methyl-8-azabicycyclo-[3,2,1]-octan). Die Alkaloide leiten sich z.T. vom Tropin, z.T. vom Ecgonin-nethylester (= Tropincarbonsäure-methylester) ab. 8
5
N
H3C
2
1
1 2
4
4
3
7
7
3
3
6
6
Tropan
OH
5
5
4 7
6
N
H3C
2
1
COOCH3
8
8
N
H3 C
HO
Tropin
Ecgonin-methylester
Weiterhin findet man diese Alkaloide im Bilsenkraut (Hyoscyamus niger) und in den Blättern des Stechapfels (Datura stramonium). (-)-Hyoscyamin ist der Ester des Tropins mit L-Tropasäure. Die Säure racemisiert bereits beim Trocknen der Pflanze zum entsprechenden Racemat (D,L-Hyoscyamin = Atropin). Tropin selbst ist optisch inaktiv (Mesoform). O
C
OH
O
H
H
C H2 C
OH
C C
HO
(-)-L-Tropasäure
OH
CH2
(+)-D-Tropasäure
Tropin lässt sich durch Reduktion von Tropinon darstellen. Dieses ist wiederum in einer biomimetischen Reaktion leicht und in ausgezeichneten Ausbeuten zugänglich (Abb. 3.6, Schöpf). Acetondicarbonsäure, Methylamin und Succindialdehyd reagieren in einer doppelten Mannich-Reaktion unter Bildung von Tropinon. Die Reduktion führt zu Tropin und Pseudotropin. Die Ausbeute an Tropinon ist vom pH-Wert abhängig. H3C
+
N
H
O
O O
CHO
+
H2N
CH3
O
CHO
O NH
H
CHO
H
O
O
O
O
+
H O
O
O
N
+
O O
O
O
O N
+
O
H
O O O
O O
N
O O O
160
3 Biogene Amine und Alkaloide H3C N
Δ
H3C N
[Red.]
H3C N
+
H+ O
OH
HO
Tropinon
Tropin
Pseudotropin
Scopolamin (R = [-]-Tropasäure) findet man in Duboisia- und Scopolia-Arten. Schonende Hydrolyse des Tropasäureesters liefert das Scopin, das sich sehr leicht zum Scopolin umlagert. H3C N
H3C N
O
Base O
H3C N
O
HO O
R
O H
O
Scopolamin
Scopin
Scopolin
Scopolamin, ein in Stechapfel vorkommendes Alkaloid, wirkt einschläfernd und motorisch dämpfend auf das Zentralnervensystem; es wird therapeutisch verwertet. Ein Derivat des Ecgonin-methylesters ist das Cocain. Dieses ist das Hauptalkaloid der südamerikanischen Kokapflanze (Erythroxylum coca). Außer der stark lokalanästhetischen Wirkung wird beim Menschen eine auftretende Euphorie beobachtet, weshalb es als Rauschgift verwendet wird. Es hemmt die aktive Wiederaufnahme von Noradrenalin in die entsprechenden Membranen. Medizinisch ist seine lokalanästhetische Wirkung bemerkenswert.
100
Ausbeute, %
50
0
1
3
5
7
9
11
13
pH Abb. 3.6. Ausbeute an Tropinon aus Succinaldehyd, Methylamin und Acetondicarbonsäure nach dreitägigem Stehen bei 20–22°C
3.2 Alkaloide mit Piperidin-, Pyrrol-, Pyrrolidin- und Pyridin-Struktur
161
COOCH3
H3C N
O
(-)-(2R,3S)-Cocain
C O
Mesoweinsäuredialdehyd, Methylamin und Acetondicarbonsäure lassen sich zu Teloidinon umsetzen. Dabei wird interessanterweise ausschließlich die Bildung des Fünfrings in der natürlichen Konfiguration beobachtet; bei der Reduktion der Ketogruppe entsteht ein Epimerenpaar, dessen eine Komponente dem natürlichen Teloidin entspricht (Schöpf). O HOOC
COOH
NH2 CH3 CHO
OHC HO
Teloidinon
OH
+
HO HO
HO
Red.
HO HO
N
H3C
N
H3C
H3C HO HO
O
N OH
Teloidin
Ganz analog entsteht bei der Umsetzung von Glutardialdehyd, Methylamin und Acetondicarbonsäure Pseudopelletierin: das pH-Optimum liegt hier bei pH 7, die Ausbeute beträgt 95 %. CH3
9 1
2 3
4
O 7
N 5
8
Pseudopelletierin
6
3.2.1.2 Coniin und verwandte Toxine
Das Coniin kommt als Hauptwirkstoff im gefleckten Schierling (Conium maculatum) vor. Es ist in reinem Zustand ein farbloses Öl von brennend scharfem Geschmack. Coniin wird von Schleimhäuten und selbst von unverletzter Haut rasch resorbiert. Als Dosis letalis gelten für den Menschen 0,5–1 g Coniin. Es bewirkt
162
3 Biogene Amine und Alkaloide
zunächst kurze Erregung, dann aufsteigende Lähmung des Rückenmarks und der Medulla oblongata. Der Tod erfolgt durch zentrale Atemlähmung. Als Behandlung der Vergiftung empfiehlt sich Warmhalten, und – falls nötig stundenlange – künstliche Atmung bis zum Wiedereintritt der spontanen Atmung; eine Rettung ist oft möglich, wenn es gelingt, den Atemstillstand zu überbrücken. Im Altertum wurde der gefleckte Schierling zu Giftmorden und als staatliches Hinrichtungsmittel (Sokrates) verwendet; heute kommen Vergiftungen nur noch aufgrund von Verwechslungen mit anderen Wurzeln oder Pflanzenteilen oder durch Unachtsamkeit bei Kindern vor.
N
N
H
H
N H
γ-Conicein
(+)-(2S)-Coniin
(+)-(2S,5S)-Pseudoconhydrin
Die Darstellung des (±)-Coniins nach Ladenburg war eine der ersten Alkaloidsynthesen. Eine Spaltung des Racemats gelingt mit Weinsäure.
+
Pd/H2
O H
N
- H2O
N
N H
(±)-Coniin
Das ebenfalls im Schierling als Nebenalkaloid vorkommende γ-Conicein ist etwa 20-mal so wirksam wie Coniin. Weiter findet man das N-Methylconiin und das (+)-Pseudoconhydrin. Der Alkaloidgehalt beträgt in den Früchten 0,7 %, in den Blättern 0,2 %, im Stempel und in der Wurzel 0,5 %. Wegen der Flüchtigkeit der Alkaloide nimmt der Alkaloidgehalt beim Trocknen und Lagern rasch ab. Diese Verbindungen sind Bestandteile homöopathischer Mittel zur Behandlung von Hautkrankheiten, Gelbsucht und Amenorrhöe, wie auch der Impotenz. Piperidinalkaloide finden sich nicht nur in Pflanzen, sondern auch in Tieren, z. B. in Ameisen der Familie Solenopsis, die in Nordamerika vorkommen. Es handelt sich dabei um cis- bzw. trans-2-Methyl-6-(n-alkyl)-piperidine. Die Seitenkette in 6-Stellung besteht aus 11, 13 oder 15 Kohlenstoffatomen; sie kann eine Doppelbindung enthalten.
N H
CH2
n
CH3
n = 8, 10, 12 oder 14
N H
CH2
n
CH3
n = 8, 10, 12 oder 14
3.2 Alkaloide mit Piperidin-, Pyrrol-, Pyrrolidin- und Pyridin-Struktur
N
CH2
H
3
CH
CH
CH2
7
CH2
N
CH3
163
CH3
n
H
n = 10, 12 oder 14
In den südafrikanischen Solenopsis-Arten wird ein Kohlenstoffatom des Rings in die Seitenkette an C-2 verlegt, sodass ein Pyrrolidinalkaloid entsteht. Diese Verbindungen zeigen hämolytische, insektizide und antibiotische Wirkung und sind dafür verantwortlich, dass sich in Ameisennestern keine Pilze ausbreiten. Ein sehr einfacher Weg zu 2,6-disubstituierten Piperidinalkaloiden ergibt sich durch Reaktion eines 1,5-Diketons mit Ammoniumacetat bzw. -bromid in Anwesenheit von NaCNBH3. Das Reduktionsmittel reduziert unter diesen Bedingungen ausschließlich Ketimine und keine Ketone. NH3 R
O O
NaCNBH3
R'
R
R'
N H
Eine elegante Methode, 2- bzw. 2,6-substituierte Piperidine in einer enantiospezifischen Synthese herzustellen, wurde von Husson entwickelt (CNRSMethode). Die Idee war, ein chirales, einfach zugängliches 1,4-Tetrahydropyridin-System mit nichtequivalenten Reaktivitäten an Position 2 und 6 als Synthon zu verwenden. Durch Robinson-Schöpf-Kondensation von Glutardialdehyd mit (+)- oder (-)Norephedrin, bzw. Phenylglycinol als chiralem Hilfsreagenz, bildet sich ein chirales 1,4-Dihydropyridin-System. Wird diese Kondensation in Gegenwart von KCN durchgeführt, bildet sich das 2-Cyano-6-oxazolopiperidin in einer „EintopfReaktion“ in hohen Ausbeuten. Beide chirale Reagentien erzeugen die relative Konfiguration, in der H-2 äquatorial und H-6 axial stehen, was anhand von NMR-Messungen nachgewiesen werden konnte. Die absolute Konfiguration ergibt sich aus NMR-Messungen und Energiekalkulationen als 2S,6R.
CHO CHO
KCN OH NH2
(-)-Phenylglycinol
N
O
N
C
N
20
αD - 278,5°
O
1
164
3 Biogene Amine und Alkaloide
CHO CHO
KCN N
O
N
OH
C
O
N
NH2 2 20
αD - 126,5°
(+)-Norephedrin
Die α-Aminonitril- und α-Aminoether-Funktion ermöglicht nun eine unterschiedliche Reaktivität an C-2 und C-6. Bedingt durch die chiralen Zentren des Norephedrins ist damit eine chemo- und stereoselektive Reaktion möglich. Die Umsetzung mit Alkylhalogeniden nach vorheriger Carbanion-Bildung an C-2 ergibt C-2-Alkyle. Das Carbanion wird durch die Cyanogruppe stabilisiert. Dagegen ergibt die Reaktion mit Grignard-Verbindungen in der positivierten Position C-6 (Carbeniumion kann über den Ringstickstoff stabilisiert werden) eine Alkylierung. H5C6 N
102
C
H5C6
_ N C
O
N
102
C
H5C6 N
O
RX
N
102
C
N
O
R
Base H5C6 N
102
C
O
N 2
6
H5C6 N
102
C
H5C6
OH N
+
C
N H
102
C
H5C6
OH +
N
RMgX
N
102
C
OH N
R
Die Stereoselektivität zeigt sich z. B. an der 2-Cyanoposition bei einer nucleophilen Substitution durch Ausbildung eines Iminium-Ions über die Eliminierung der Cyanogruppe. Die hierbei entstehende „Iminium-Konformation“ erlaubt den Angriff des Nucleophils unter stereoelektronischer Kontrolle nur von der axialen Seite, sodass das eintretende Nucleophil und das freie Elektronenpaar am Stickstoff trans-diaxiale Stellung besitzen.
3.2 Alkaloide mit Piperidin-, Pyrrol-, Pyrrolidin- und Pyridin-Struktur
165
Nu-
H CN
O
+
O N
N
R
- CNH5C6
C6H5
So ergibt die Alkylierung des α-Amins a mit R’’-X das Piperidin b, das nun mit NaBH4 (Nu = H-) über das Iminium-Ion c stereoselektiv reduziert wird zu d. Wird dagegen die Cyanogruppe mit einem Alkyl-Grignard-Reagenz nucleophil substituiert, entsteht natürlich genau die umgekehrte Stereochemie an diesem Zentrum in f. Da bei beiden Reaktionen Diastereomere entstehen, können bei einer nicht vollständig stereoselektiv verlaufenden Reaktion die epimeren Verunreinigungen einfach durch Säulenchromatographie abgetrennt werden. Entsprechende Überlegungen erklären ebenfalls die Stereoselektivität der Reaktion am αAminoether-Zentrum. R N
C
N
R'
R'
R R''
O
N
+
O
R''
R'
R
H-
R''
N
O
- CN-
b
R N
C
c
1. Base 2. R''X
N
R'
d
R'
R
O
N
+
O
R'
R
R''-
R''
N
O
- CN-
a
e
f
Die Abspaltung des chiralen Reagenzes gelingt nach reduktiver bzw. nucleophiler Öffnung (bei 2,6-disubstituierten Piperidinen) der Ethergruppe, im Fall von (+)-Norephedrin durch Umsetzung mit Säure. (-)-Phenylglycinol wird durch Hydrierung abgespalten. Die Synthese von S-Coniin startet mit der Alkylierung des Oxazolidins 2 mit Lithiumdiisopropylamid (LDA) als Base. Das resultierende Propylpiperidin 3 wird mit NaBH4 stereoselektiv, in erklärter Weise, zum S-Propylderivat 4 reduziert. Abspaltung der chiralen Hilfsgruppe ergibt das (+)-Coniin. Wird dagegen die Cyanogruppe in 2 mit Silbertetrafluoroborat komplexiert und anschließend chemoselektiv und stereoselektiv mit Propylmagnesiumbromid umgesetzt, entsteht das (2R)-Propylpiperidin 5. Reduktion des α-Aminoethers der chiralen Gruppe ergibt das (-)-Coniin (Abb. 3.7).
166
3 Biogene Amine und Alkaloide
NC LDA Br
- 78°C
NC
2
N
6
4
2
N
O
O AgBF4 MgBr
0°C
N
O
3
5
NaBH4
N
OH
NaBH4
N
OH
4
H2SO4
H2SO4
H
H
N
N
(+)-S-Coniin
(-)-R-Coniin
Abb. 3.7. Enantioselektive Synthese von Coniin
Diese elegante Methode erlaubt den Zugang zu beiden Enantiomeren. Die Enantiomerenausbeuten (ee) sind größer als 95 %. Als chirales Hilfsreagenz wurde (+)-Norephedrin eingesetzt. Die analoge Reaktion kann auch mit (-)-Phenylglycinol durchgeführt werden.
3.2 Alkaloide mit Piperidin-, Pyrrol-, Pyrrolidin- und Pyridin-Struktur
167
3.2.2 Pyrrolidin- und Pyrrol-Alkaloide
Aus Cocablättern (Erythroxylum coca) wurde das Hygrin isoliert; mit ihm ist das Cuskhygrin nahe verwandt; letzteres ist auch in Atropa belladonna, Convulvus hamadoe, Datura sp., Hyoscyamus niger, Mandragora officinalis und in Scopolia sp. nachgewiesen worden. O
O
N
N
N
CH3
CH3
CH3
(-)-(2S)-Hygrin
Cuskhygrin
Die absolute Konfiguration des Hygrins wurde durch Abbau mit Chromsäure bestimmt, der zur Hygrinsäure führt; eine Racemisierung tritt nur in alkalischer, nicht in saurer Lösung ein. O
CrO3
N
H+
COOH
N
CH3
CH3
(-)-(2S)-Hygrin
(+)-(2S)-Hygrinsäure
Hygrin und Cuskhygrin lassen sich unter zellmöglichen Bedingungen auf den folgenden Wegen synthetisch darstellen: Der hierfür erforderliche γ-Methylaminobutyraldehyd kann durch Reduktion von N-Methyl-α-pyrrolidon mit Lithiumalanat gewonnen werden. O
LiAlH4 O
N
N
CH3
CHO NH
OH
CH3
O OR
- H2O
CH3
RO O
O N CH3
O
- CO2
N CH3
O
OH-
COOR
N CH3
(±)-Hygrin
Cuskhygrin wird in einer ähnlichen Sequenz erhalten.
168
3 Biogene Amine und Alkaloide
2
+
OH
N
O
O
O
O
RO
N
N
- 2 CO2
OR
CH3
CH3
Cuskhygrin
CH3
Es sind wenige ungesättigte Alkaloide dieses Typs mit Pyrrolstruktur bekannt, so z. B. das antifungisch aktive Pyrrolnitrin aus Mikroorganismen (PseudomonasArten). H N
NO2
Pyrrolnitrin
Cl
Cl
Tripyrrol-Alkaloide werden z. B. in Streptomyces longisporusrubium und Actinomadura-Arten gefunden (s. Kap. 8). MeO B
A
N N
H H
N
C 11'
1'
11 ' 10 '
MeO
7'
MeO 3
B
A
N N
H H
N
C
B
4 5 2 3
A
1''
2
5
N N
H H
N
4
9'
C
3
6'
8' 5'
4' 2 1'
2'
3'
5 4
3.2.3 Pyridin-Alkaloide
Aus Nicotiana tabacum, der Tabakpflanze, wurde das (-)-Nicotin isoliert; es enthält neben dem Pyridinring einen Pyrrolidinring, so dass es ebenso gut unter die Pyrrolidinalkaloide eingereiht werden könnte. Neben vielen Strukturanaloga wird als weiteres Alkaloid das Anabasin in der Pflanze gefunden. Beide Verbindungen
3.2 Alkaloide mit Piperidin-, Pyrrol-, Pyrrolidin- und Pyridin-Struktur
169
werden als Insektizide eingesetzt. Nicotin ist in reinem Zustand ein farbloses, fast geruchloses, flüchtiges Öl. Beim Stehen an der Luft zersetzt es sich unter Braunfärbung; man bemerkt dann auch den „typischen“ Tabaklaugengeruch.
N N
N
CH3
H
N
(-)-(S)-Nicotin
(-)-(S)-Anabasin
Das Nicotin wird in der Wurzel der Pflanze gebildet und in den Blättern akkumuliert. Der Gehalt schwankt zwischen 0,5 und 9 %. Tabak mit weniger als 0,2 % Nicotin wird als nicotinarmer, mit weniger als 0,08 % als nicotinfreier Tabak bezeichnet. Nicotinfreier Tabak entstammt z. B. aus gezüchteten Sorten, die „nicotinfrei“ sind; er lässt sich aber auch durch Fermentation nicotinfrei machen. Der fermentative Abbau nimmt wahrscheinlich folgenden Verlauf:
N N
N
CH3
CH3
N
(-)-(S)-Nicotin
CH3
N
Oxynicotin O
O N
N
N
O
CH3
COOH
NH2
H N
Nicotinamid
N
Nicotinsäure
Der Pyridinteil des Moleküls wird dabei nicht zerstört. Die beim Rauchen aufgenommenen Nicotinmengen betragen zwischen 30 und 90 % des gesamten Nicotingehaltes. Dabei spielt die Rauchgeschwindigkeit eine erhebliche Rolle; bei langsamem Rauchen wird wesentlich weniger Nicotin aufgenommen als bei schnellem Rauchen. Da der Organismus pro Zeiteinheit nur eine bestimmte Menge an Nicotin abbauen kann, steht das Rauchtempo im Zusammenhang mit der toxischen Wirkung; eine Gewöhnung tritt nur in begrenztem Umfang ein. Auch beim Kauen und Schnupfen von Tabak können die aufgenommenen Nicotinmengen beachtlich sein. Vergleicht man diese Werte nun mit der letalen Dosis für den Menschen von 1 mg/kg, so dürfte der Inhalt von 10 Zigaretten tödlich sein. Bei „vernünftigem Rauchen“ sind akute Vergiftungen relativ selten; Vergiftungen mit tödlichem Ausgang werden allenfalls bei unmäßigem Genuss beobachtet. Dagegen sind chronische Schäden ziemlich häufig. Infolge der negativen Wirkung des
170
3 Biogene Amine und Alkaloide
Nicotins auf den kreislaufschonenden Depressor-Reflex und die dauernde Reizung der Sympathicus-Ganglien werden Herz- und Kreislaufstörungen, wie z. B. Herzrhythmus-Störungen, Gefäßspasmen, Herzinfarkt, Hypertonie und Arteriosklerose beobachtet. Für die Kreislaufschäden dürfte wohl auch der im Blut von Rauchern festgestellte relativ hohe Histamingehalt verantwortlich sein. Neben diesen physischen Schäden, zu denen bekanntermaßen auch Katarrhe der oberen Luftwege gehören, werden aber auch psychische Schäden, wie depressive Verstimmung und Gereiztheit, gelegentlich Herrschsucht, beobachtet. 3.2.4 Biosynthese der Alkaloide mit Piperidin-, Pyrrol-, Pyrrolidin- und Pyridin-Struktur
Bis auf wenige Ausnahmen lassen sich die Alkaloide mit Pyridin- oder Piperidinring biogenetisch vom Lysin, von der Nicotinsäure oder von der Pipecolinsäure ableiten, wobei die letzteren Abbauprodukte des Tryptophans sind. Der Pyrrolidinring wird aus Ornithin gebildet. Die Biosynthese des ∆1-Piperideins beginnt mit der Decarboxylierung von Lysin. Hierbei ist ein Enzym beteiligt, das Pyridoxalphosphat (PLP, Vitamin B6, s. Kap. 13.1) als Coenzym enthält. OH OH
HO N
Pyridoxin
CH3
CHO
O O
P O
OH
O N
CH3
Pyridoxalphosphat (PLP)
PLP besitzt eine vielfältige katalytische Aktivität. Die Ausbildung eines Aldimins aus PLP und einer Aminosäure begünstigt die Desaminierung, Decarboxylierung, Racemisierung und Aldol-Spaltung. Bei der Desaminierungsreaktion bildet sich aus der α-Aminogruppe der Aminosäure und dem Aldehyd des PLP ein Aldimin. Das Prinzip dieser Reaktion erklärt sich durch die Aktivierung der CHBindung der Aminosäuren, sodass diese schon durch eine milde Base abstrahiert werden kann. Das hierbei entstehende Carbanion wird durch Delokalisation mit dem Pyridiniumkation stabilisiert. Durch die Acidität des α-H-Atoms erfolgt damit eine einfache Isomerisierung zum Ketimin. Die Hydrolyse ergibt die αKetosäure und Pyridoxaminphosphat (PMP) (Abb. 3.8). In Abb. 3.9 ist die Decarboxylierung von Aminosäuren dargestellt. Sie erfolgt ebenfalls über das diskutierte Aldimin. Das hierbei entstehende Carbanion wird durch Delokalisation der Elektronenpaare über das aromatische System stabilisiert. Durch Hydrolyse wird das entsprechende Amin gebildet.
3.2 Alkaloide mit Piperidin-, Pyrrol-, Pyrrolidin- und Pyridin-Struktur H
R
171
COOH
N O
O
R
PLP
O
O
+
H
+
N
- H+ + H+
CH3
H
COOH
R N
O P
OH
O
O
NH2
O
P
NH2 OH
O
O
N
O
H2O
O COOH
R
CH3
+
O
P
OH
O
O
N
CH3
H
α-Ketosäure
Ketimin
PMP
Abb. 3.8. Desaminierung von Aminosäuren H
R
O O
H
R
C
N O O
P O
N OH
O N
+
H
O - CO2
O
P
OH
O
O
CH3
N
H
+
CH3
H
R
H N
O O
P O
OH
O N H
CH3
CHO
O H2O
R
NH2
biogenes Amin
+
O
P
OH
O
O
N
PLP
+
CH3
H
Abb. 3.9. Decarboxylierung von Aminosäuren
Wie bereits erwähnt wurde, beginnt die Synthese von ∆1-Piperidein mit der Decarboxylierung von Lysin über das entsprechende PLP-Aldimin zum Cadaverin. Das Aldimin ergibt nach Isomerisierung, Cyclisierung und Eliminierung ∆1Piperidein.
172
3 Biogene Amine und Alkaloide O
PLP H2N
H
- CO2
N
+
O
COOH
H2N
O
Lysin
P
H
O
H2N
OH
O
O
+
N
CH3
H
NH2 H
N O O
P
O
- PMP O
O
+
N
- PMP
NH OH
O
N
CH3
P
N
OH
O
O
N
H
+
CH3
Δ1-Piperidein
H
(-)-Isopelletierin bildet sich aus ∆1-Piperidein durch Addition von MalonylCoA an die Doppelbindung. Verseifung und Decarboxylierung ergeben das Produkt. O
O
C
SCoA SCoA
N
H
N
O
- CO2
O
H
H2O N H
O
(-)-(2R)-Isopelletierin
Coniin wird allerdings nicht aus Lysin gebildet, sondern ausgehend von Essigsäure über den Polyketidweg aufgebaut (s. Kap. 11.8). O O
O COOH O
OH
1. NH3 2. Red.
Red. COOH O
CHO O
N
3.2 Alkaloide mit Piperidin-, Pyrrol-, Pyrrolidin- und Pyridin-Struktur
173
Red.
(+)-Coniin N H
Pyrrolidine entstehen aus Ornithin durch Decarboxylierung bzw. aus Putrescin und PLP. Nach der Cyclisierung wird durch Substitutionsreaktion mit Acetoacetyl-CoA und Decarboxylierung Hygrin gebildet. Putrescin + PLP O
O PLP
NH2
H2N
O H
H2N
N
O H H
PLP
PLP
1. [CH3] 2. Cycl. O
O
O
O
1. H2O
N CH3
CH3
N
Hygrin
SCoA
O
SCoA
C
N
2. - CO2
N
H2N
+
- PMP
H
NH
PLP
CH3
Atropin entsteht durch Oxidation von Hygrin und anschließende Cyclisierung. CH3 O
O
[O]
N
+
+
N
N
CH3
CH3
O H3C
H3C N
1. Red. 2. Tropasäure
N
O
Tropinon
O
Atropin
O
CH2OH
174
3 Biogene Amine und Alkaloide
Nicotinsäure wird von vielen Tieren ausgehend von Tryptophan über 3Hydroxyanthranilsäure aufgebaut (Abb. 3.10). Die Ringspaltung des Tryptophans kann über eine Peroxigenierung und Spaltung des Peroxids erklärt werden. R
R
R
O
N
N
H
O
O H
O
N H
H O R N
CHO
H
Der weitere Abbau über Kynurenin wird in Abb. 3.10 gezeigt. NH2
O
COOH
[Oxid.]
COOH
NH2
N
H
Tryptophan O
CHO
N
H
N-Formyl-kynurenin
NH2
NH2
O
COOH
[Oxid.]
COOH
NH2
- Alanin
NH2 OH
Kynurenin COOH
COOH
[Oxid.] CHO HOOC
NH2
COOH CHO H2N
NH2
COOH
OH
3-Hydroxyanthranilsäure COOH
COOH
Nicotinsäure N
COOH
N
Abb. 3.10. Biosynthese von Nicotinsäure in Tieren und verschiedenen Pilzen
3.2 Alkaloide mit Piperidin-, Pyrrol-, Pyrrolidin- und Pyridin-Struktur
175
In Pflanzen wurde allerdings ein alternativer Zugang zu Nicotinsäure beobachtet. Hier bildet sie sich aus Glycerylaldehydphosphat und Asparaginsäure. O P
O
O
Glycerinaldehydphosphat
O HO H H
O
COOH
COOH
N
PLP
CH2
COOH
H2N
COOH C
- CO2
PLP
Asparaginsäure HO
PLP-Asparaginsäure
COOH
H
O
COOH
+ NH3 - H2O
N
N
CH2
Nicotinsäure
PLP
Die Reduktion des Heterocyclus der Nicotinsäure ermöglicht, über ein Carbanion in β-Iminstellung, einen Angriff an der Doppelbindung im Pyrrolidein (dieses wird aus Ornithin gebildet). Hierbei wird auch der Stickstoff im Pyrrolidinring methyliert. Decarboxylierung und Rearomatisierung führen zu (-)-Nicotin. H
COOH
NADH
N
C
COOH
H H
-
N
H
N
+ NAD+
+
N
[CH3]
N N
O
COOH
H H
CH3
N
H
O C
H
H+
(-)-Nicotin
H H
N
N H3C
-NADH -CO2
COOH
176
3 Biogene Amine und Alkaloide
3.3 Alkaloide mit Isochinolin-, Chinolin-, Chinazolin- und Indol-Gerüst 3.3.1 Isochinolin-Alkaloide
Die Isochinolin-Alkaloide stellen die größte Gruppe unter den Alkaloiden. Ihr Grundgerüst leitet sich vom Isochinolin bzw. von 1,2,3,4-Tetrahydroisochinolin ab.
N
N
Isochinolin
H
1,2,3,4-Tetrahydroisochinolin
Die einfachen Isochinolin-Alkaloide besitzen ein einheitliches Substitutionsmuster: 4
5
3
6 7
8
1
N 2
C-1 = CH3, CH2OH, H C-6 = OH, OCH3, O CH2 C-7 = OH, OCH3, O C-8 = OH, OCH3, H N-2 = H, CH3
Als wichtigste Grundstrukturen der Isochinolin-Alkaloide können die folgenden Typen angesehen werden.
N
Benzylisochinolin-Typ
N
Morphin-Typ
N
Protoberberin-Typ
N H
Aporphin-Typ
3.3 Alkaloide mit Isochinolin-, Chinolin-, Chinazolin- und Indol-Gerüst
177
Tetrahydroisochinolin-Alkaloide kommen vor allem in Cactaceen und Papaveraceen vor. Ein Beispiel ist das aus dem amerikanischen Riesenkaktus Carnegiea gigantea isolierte Anhalonium-Alkaloid Carnegin. H 3C
O
H 3C
O
N
Carnegin CH3
CH3
Die Darstellung des Carnegins, wie auch der übrigen Alkaloide dieser Gruppe, ist nach Pictet-Spengler (intramolekulare Mannich-Reaktion) möglich. H3C
O
H3C
O
HCl HN CHO
CH3
- H2O
H3C
O
H3C
O
N H
R
H3C
O
H3C
O
+
N H
CH3 R
H3C
O
H3C
O
C
+
CH3 R
N
CH3
R
R = CH3: Carnegin
Eine Quelle für eine Vielzahl von Alkaloiden ist Mohn (Papaver somniferum und P. rhoeas). Der eingedickte Milchsaft unreifer Mohnkapseln wird als Opium bezeichnet. Entsprechend werden die darin gefundenen Alkaloide auch OpiumAlkaloide (Papaver-Alkaloide) genannt (Abb. 3.11). Die Opium-Alkaloide sind biogenetisch eng miteinander verwandt; an deren Spitze steht das Morphin (vgl. Kap. 3.3.1.1). Papaverin findet Verwendung als Spasmolyticum (krampflösend) für den Magen-Darm-Trakt und wird synthetisch hergestellt. Narcotin wirkt wie Codein als Antitussivum (Hemmung des Hustenreflexes). Die Synthese des Papaverins nimmt den folgenden Verlauf: Ausgehend von 3,4-Dimethoxybenzaldehyd wird durch Umsetzung mit Nitromethan das 3,4Dimethoxynitrostyrol erhalten. Nucleophile Addition des Natriummethanolats und Reduktion der Nitrogruppe zum Amin ergeben nach Amidbildung mit 3,4Dimethoxyphenylessigsäurechlorid eine Zwischenverbindung, die nach BischlerNapieralski mit P2O5 cyclisiert wird (Abb. 3.12). Dieser Reaktionstyp ist verwandt mit der Formylierung von Aromaten nach Vilsmeyer.
178
3 Biogene Amine und Alkaloide RO N
R'O
H
R'O
R = R' = R'' = H: S-Norlaudanosolin R = R' = CH3, R'' = H: S-Norlaudanosin R = R' = R'' = CH3: S-Laudanosin R = CH3, R' = R'' = H: S-Norreticulin R = R'' = CH3, R' = H: S-Reticulin
R''
RO MeO
O N
MeO
O H
OMe
CH3
H
Papaverin
(-)-Narcotin
O
MeO OMe
OMe
OMe
O
Abb. 3.11. Ausgewählte Papaveralk-Aloide
CHO
MeO
MeO
CH3NO2 Base
MeO
CH3ONa NO2
MeO
CH3OH CH2-CO-Cl
OMe
OMe
MeO
Na/Hg NO2
MeO
MeO MeO OMe
NH2
MeO
OMe MeO MeO
P2O5 O
N
H
- H2O - CH3OH
MeO N
MeO
Papaverin MeO
MeO OMe
OMe
Abb. 3.12. Synthese von Papaverin
Auch Norlaudanosin gehört zu dieser Substanzklasse. Das Norlaudanosin lässt sich wiederum durch eine Mannich-Reaktion darstellen.
3.3 Alkaloide mit Isochinolin-, Chinolin-, Chinazolin- und Indol-Gerüst MeO
179
MeO NH2 CHO
MeO
N
MeO
H
MeO
MeO
OMe
OMe
(±)-Norlaudanosin
Für die Strukturaufklärung der Alkaloide, vor der gezielten Anwendung von NMR-Spektroskopie und Röntgenstrukturanalyse, war vor allem der chemische Abbau von großer Bedeutung. Als Beispiel soll in Abb. 3.13 der Abbau von Papaverin dargestellt werden. MeO
MeO N
MeO
N
MeO
+
CH3I
CH3 NaBH4
MeO
MeO OMe
OMe
MeO
MeO N
MeO
CH3
1. CH3I 2. Ag2O (HofmannEliminierung)
MeO
N(CH3)2
MeO
CrO3
MeO
OMe
OMe
MeO N(CH3)2 COOH
MeO
1. CH3I 2. Ag2O
Δ COOH
OMe
COOH
MeO
+
MeO
MeO
O3
- CO2
MeO
MeO
CHO
MeO
MeO
COOH
Abb. 3.13. Chemischer Abbau von Papaverin
180
3 Biogene Amine und Alkaloide
In den Papaveraceae (Mohngewächse) finden sich auch Alkaloide vom Berberin-Typ. In der Allopathie und Homöopathie wird der Milchsaft der Pflanzen gegen Warzen verwendet. O
O
X
X
+
N
O
N
O OMe
+
O
Berberin
Coptisin O
OMe O N
O H
O
Stylopin
O
Weiterhin wirken Berberinalkaloide als Allelopathica. Allelopathica sind phytotoxische Substanzen, die die Inhibierung des Wachstums von anderen Spezies in der Nachbarschaft bewirken. Das Rhizom von Coptis japonica enthält Berberin, sodass ein langsames Wachstum bis zur Reife (15 Jahre) beobachtet wird. In alkalischer Lösung öffnet sich das Aldiminiumion zum entsprechenden Aminoaldehyd. O
O
HO +
O
N
O
OH
OMe
OMe
OMe
OMe
Carbinolamin-Form
O O
N
NH
CHO OMe OMe
Aminoaldehyd
Benzyltetrahydroisochinolin-Alkaloide vermögen sich mit einer Cl-Einheit zu Substanzen vom Protoberberintyp umzusetzen. So reagiert z. B. das Tetrahydropapaverin mit Formaldehyd (unter zellmöglichen Bedingungen) zum Xylopinin:
3.3 Alkaloide mit Isochinolin-, Chinolin-, Chinazolin- und Indol-Gerüst
181
MeO N
MeO
Xylopinin OMe OMe
Prinzipiell ist natürlich auch in diesem Fall die Bildung eines zweiten Isomeren möglich; das Verhältnis ist abhängig von den Substituenten am Phenylring der Benzylgruppe. So entsteht beispielsweise aus dem Tetramethoxybenzyltetrahydroisochinolin und Formaldehyd folgendes Isomerengemisch: MeO N
MeO
OMe MeO
(a) 80 % Xylopinin
(a) NH
MeO
CH2O/H+
OMe
+
OMe MeO
(b)
OMe
N
MeO
(b) 10 % OMe OMe
Der Mechanismus der Reaktion wird an der Darstellung von (±)-Coreximin demonstriert: MeO
MeO N
HO H
N
HO
H
CH2O/H+
H
H C
+
OMe OH
H
OMe OH
182
3 Biogene Amine und Alkaloide MeO
MeO N
HO
C
N
HO
H
H
H
+
H
- H+
OMe
OMe
(±)-Coreximin
OH
OH
Eine Variante für den Aufbau dieser Struktur verwendet die Diels-AlderReaktion ([4+2]-Cycloaddition) von ortho-Chinodimethan-Derivaten. Diese Zwischenverbindung wird aus Benzocyclobutan über eine thermisch induzierte Cycloreversion erzeugt. OMe OMe
CN CN
MeO
MeO
Δ
+
MeO
N
MeO MeO
MeO H
MeO N
H
N
MeO
C
N
+
N
C
H
H OMe
OMe
OMe
OMe
Die Aporphin-Alkaloide sind z. B. ausgehend von Reticulin-Derivaten in einer biomimetischen Synthese zugänglich. Durch Oxidation mit FeCl3 oder K3Fe(CN)6 werden, im Vergleich mit nichtaromatischen Verbindungen, relativ stabile Radikale erhalten. Im nächsten Schritt erfolgt eine Kupplung der beiden Phenylringe. MeO
MeO N
O
H
H
CH3
2+
Fe
O
3+
Fe
MeO
H
C C
MeO H
O
O
N H
H
CH3
3.3 Alkaloide mit Isochinolin-, Chinolin-, Chinazolin- und Indol-Gerüst MeO O
183
MeO N H
H
CH3
H
N
HO
Aromatisierung
MeO
H
MeO O
CH3
Isoboldin
OH
Isoboldin gehört ebenfalls zu den Opium-Alkaloiden (Aporphin-Typ). Als Beispiel eines Spirobenzylisochinolin-Alkaloids sei das Ochotensin erwähnt. HO N
MeO
CH3
Ochotensin
O O
Der kritische Schritt der Synthese ist die Bildung des Spirosystems; sie ist möglich durch die Pictet-Spengler-Reaktion, in der man ein Keton als Carbonylkomponente verwendet. R' R
R' O
N
H CH3
H3PO4
R
N
CH3
O O
O
O
Das Rhoeadin aus Papaver rhoeas kann aus einer SpirobenzylisochinolinVorstufe dargestellt werden (Abb. 3.14). Curare besteht aus verschiedenen Alkaloiden und wird als Pfeilgift von südamerikanischen Indianern benutzt (vgl. auch Kap. 3.3.4.2). Da diese Alkaloide ihre starke Wirkung vor allem subcutan bzw. intravenös appliziert entfalten, aber bei oraler Aufnahme aus dem Magen-Darm-Trakt nur schlecht resorbiert werden, ist das erlegte Tier genießbar. Curare wird aus südamerikanischen Strychnos-Arten gewonnen.
184
3 Biogene Amine und Alkaloide O
O N
O
CH3 O
LiAlH4
N
O
CH3 OH
CH3SO2Cl Et3N
O
O O
O
O
O N
O
O CH3 O S
N
O
C
CH3
O
CH3 H
+
- CH3SO3-
O
O O
O
O
O N
O
C
CH3
N
CH3
1. OsO4 2. NaIO4
O
+
- H+
H O
O
O
O
O
O N
CH3
O
N NaBH4
O OHC
CH3
O
Oxid. des prim. Alkohols
HO HO O
O
O
O
O
O N
CH3
N H+/CH3OH
O HO
O
CH3 H
H O
OHC O
MeO O
Abb. 3.14. Darstellung von Rhoeadin
Rhoeadin
O
O
3.3 Alkaloide mit Isochinolin-, Chinolin-, Chinazolin- und Indol-Gerüst
185
Ein wichtiger Inhaltsstoff aus Chondodendron tomentosum ist das (+)Tubocurariniumchlorid, ein Bisisochinolin-Alkaloid. MeO N O
CH3
OH H
(+)-Tubocurariniumchlorid H H3 C H3 C
N
O OH
+
Cl
OMe
Es wirkt an der Übertragungsstelle zwischen Nerv und Muskel (neuromuskuläre Synapse). Tubocurarin bindet an den Acetylcholin-Rezeptor an der postsynaptischen Membran. Es erfolgt eine Blockierung der Natrium-Ionenkanäle, wobei keine Depolarisation ausgelöst wird. Tubocurarin lähmt die quergestreifte Muskulatur des Bewegungsapparates. Es wird in der Anästhesie als Muskelrelaxans eingesetzt. Da es die Blut-Hirn-Schranke nicht durchdringen kann, führt es nicht zu Bewusstlosigkeit. Die Wirkung (bzw. die Toxizität) kann durch Erhöhung der AcetylcholinKonzentration am Muskel aufgehoben werden, z. B. durch Neostigmin, welches durch Blockierung der Acetylcholinesterase den Acetylcholin-Abbau verhindert. 3.3.1.1 Morphin-Alkaloide
Der Grundkörper des Morphins ist das Morphinan. Zur einfacheren Einführung in diese Verbindungsklasse wird die folgende Darstellung des hydrierten Benzylisochinolin-Typs gewählt:
N
CH3 N CH3
Die Darstellung des Grundgerüstes gelingt durch intramolekulare FriedelCrafts-Alkylierung.
186
3 Biogene Amine und Alkaloide
H3PO4 H
+
Morphinan-Typ N
N
CH3
CH3
Alkaloide mit diesem Grundgerüst sind aus Papaver-, Menispermium-, Sinomenium- und Stephania-Arten isoliert worden. Die wichtigsten sind das (-)(5R,6S,9R,13S,14R)-Morphin, das Codein, das Heroin und das Thebain. RO
3
MeO
1 11 10
12
O 13 5
R'O
14
H
H 8 7
9
N CH3
Morphin: R = R' = H Codein: R = CH3, R' = H Heroin: R = R' = Ac
O H
N
MeO
CH3
Thebain
Diese Alkaloide kommen neben zahlreichen Nebenalkaloiden im Milchsaft von Papaver-Arten vor (P. somniferum, P .officinale). Die wertvollste Eigenschaft des Morphins ist seine schmerzstillende Wirkung durch Aufhebung der in bestimmten Zentren des Großhirns perzipierten Schmerzempfindung. Diese zentrale Wirkung ist besonders deshalb wertvoll, weil Morphin in schon schmerzstillenden Dosen noch keine Bewusstseinstrübung bewirkt, ja im Gegenteil die Wahrnehmung äußerer Eindrücke sogar erleichtert wird. Bereits bei diesen sehr geringen Dosen wird auch das Atemzentrum betroffen, die Atemfrequenz wird herabgesetzt, die Tiefe der Atemzüge aber gleichzeitig erhöht, sodass das Minutenvolumen insgesamt gesteigert wird. Morphin dämpft oder beseitigt auch den Hustenreiz. Größere Morphingaben wirken jedoch toxisch, der Tod erfolgt durch zentrale Atemlähmung. Die therapeutische Anwendung von Morphin wird eingeschränkt durch die Gewöhnung und Suchtgefahr. Ausdrücklich hingewiesen werden muss auf die Gefahren des Morphinismus, der eine chronische Morphinvergiftung darstellt. Die euphorisierende Wirkung tritt nicht bei allen Menschen auf. Ganz unabhängig davon gewöhnen sich die Zellen an einen gewissen Morphinspiegel, sodass es nicht nur zu psychischen Abstinenzerscheinungen kommt, sondern auch zu somatischen Störungen, wie Herzbeschwerden, Stoffwechselstörungen und Kollaps. Der Bedarf an Morphin geht schließlich in Tagesmengen von mehreren Gramm. Die Folge sind dann Schlaflosigkeit, Abnahme des Körpergewichtes, Exantheme und ein Verfall der körperlichen und geistigen Kräfte, an deren Ende der Tod steht. Die Heilung ist ein äußerst schwieriger und langer Prozess.
3.3 Alkaloide mit Isochinolin-, Chinolin-, Chinazolin- und Indol-Gerüst
187
Diese Suchtgefahr ist beim Codein deutlich geringer, dem daher in der Therapie der Vorzug gegeben wird. Die schmerzstillende und beruhigende Wirkung ist zwar viel geringer als beim Morphin, Codein vermag aber die analgetische Wirkung anderer Pharmaka zu potenzieren. Auch die hustenstillende Wirkung des Codeins ist schwächer als die des Morphins, aber voll ausreichend, sodass dem Codein wegen der fehlenden Gewöhnung und Suchtgefahr absolut der Vorzug zu geben ist. Thebain ist ein Krampfgift, das wie Strychnin eine Steigerung der Reflexerregbarkeit des Rückenmarks, tonische Krämpfe und Tetanus hervorruft. Das natürliche Codein kann durch Methylierung von Morphin mit Diazomethan erhalten werden. Acylierung mit Acetanhydrid führt zum synthetischen Heroin. Morphin kommt im Mohnsamen mit 2–60 µg/g, Codein mit 1–7,7 µg/g in freier Form vor, wobei doppelt soviel noch gebunden vorkommt. Thebain ist mit 0,5– 20 µg/g und Papaverin unter 0,1 µg/g enthalten. Beim Verzehr von Mohnsamen durch Stillende sind besonders Säuglinge gefährdet, da die Alkaloide über die Muttermilch weiter gegeben werden. 3.3.2 Chinolin-Alkaloide
Chinolin-Alkaloide kommen im Pflanzenreich vorzugsweise in Rutaceae vor. Neben Chinolin, das in Camelia thea, Citrus bigaradia und Galipea officinalis nachgewiesen ist, und Lunamarin finden sich auch höher substituierte Chinolinderivate, von denen nur einige hier aufgeführt werden: O
MeO
N CH3
OR
O
N
O
OR' OR''
Lunamarin
Galipolin: R = H, R' = R'' = CH3 Galipin: R = R' = R'' = CH3 Cusparin: R = CH3, R' + R'' = CH2
Pharmazeutisch wichtige Chinolin-Alkaloide findet man in der Chinarinde, (Cinchona-Arten). Sie finden in der Malariabehandlung Verwendung: sie hemmen das Wachstum der Malariaerreger, indem sie den Entwicklungscyclus des Malariaerregers im Blut unterbrechen und fiebersenkend wirken. Hierzu gehört das Chinin. Es bindet, wie andere China-Alkaloide auch, die DNA komplex und stört damit die DNA/RNA-Synthese. Chinin schmeckt bitter und wird deshalb verschiedentlich als Bitterstoff bestimmten Lebensmitteln zugesetzt. Bei hohen, für Getränke nicht relevanten Chinindosen, treten allerdings Vergiftungserscheinungen auf (Gehör-, Sehstörungen, Schwindel). 8–10 g oral aufgenommenes Chinin
188
3 Biogene Amine und Alkaloide
können bereits tödlich wirken. Bei alkoholfreien Erfrischungsgetränken werden 60–80 mg/kg und bei Trinkbranntwein und weinhaltigen Getränken bis zu 300 mg/kg zugesetzt. Chinin wird als Geschmacksbildner für tonic water (Tonikgetränk) und Spirituosen verwendet. 4 7
3
8
HO 9
MeO
H
Chinuclidinring
2
N
Chinin (3R,4S,8S,9R)
Chinolinring
N
Das Chinin setzt sich aus zwei Ringsystemen, dem Chinolin- und dem Chinuclidinring zusammen. Da Chinin zu den preiswerten, aus natürlichen Quellen erhältlichen Alkaloiden gehört, findet es Verwendung bei enantioselektiven Reduktionen als chirales Hilfsreagenz.
N Li
H O
H
C
O
+
OH
Al H H
MeO
+ R : S = 61 : 39
N
Die bekannteste Chinolin-Synthese ist die nach Skraup: die Reaktion von Anilin mit Glycerin unter Einwirkung von konzentrierter Schwefelsäure und einem Oxidationsmittel, z. B. Nitrobenzol. Aus Glycerin entsteht durch Dehydratisierung Acrolein, das anschließend mit Anilin in einer 1,4-Addition reagiert. Elektrophile aromatische Substitution am Aromaten und anschließende Oxidation ergibt Chinolin. OH
+ NH2
- H2O
H OH
OHC
O
H2SO4 NH2
OH
N H
+ N H
+ NO2
N
NH2
3.3 Alkaloide mit Isochinolin-, Chinolin-, Chinazolin- und Indol-Gerüst
189
Auch die Pumiliotoxine besitzen ein – allerdings vollständig hydriertes – Chinolin-Grundgerüst. Bei ihnen handelt es sich um Alkaloide aus süd- und mittelamerikanischen Pfeilgiftfröschen der Gattung Dendrobates. Diese Alkaloide sind Bestandteile des Hautdrüsensekretes dieser Tiere, das sie vor dem Befall durch Mikroorganismen schützt. Die toxische Wirkung resultiert aus einer Beeinflussung der Permeabilität von Natrium- und Calciumionen in der Zellmembran. Bei der Struktur handelt es sich um cis-Perhydrochinoline, die in 2- und 5-Stellung Alkylsubstituenten tragen, wie z. B. das Pumiliotoxin C. Wegen des anhaltenden biologischen Interesses hat es nicht an Versuchen gefehlt, diese Verbindungsklasse zu synthetisieren. Von diesen eleganten Synthesen sollen im Folgenden verschiedene vorgestellt werden, um allgemein die Vorgehensweise bei Alkaloid-Synthesen aufzuzeigen. H
4
5
6
8a
7 8
H
(-)-Pumiliotoxin C (2S,4aS,5R,8aR)-5-Methyl-2-propyl-cisdecahydrochinolin
3
4a 1
2
N H
Im Rahmen der Darstellung von Pumiliotoxin C müssen vier Asymmetriezentren aufgebaut werden. Nach Overman werden die drei Asymmetriezentren im Cyclohexenring durch eine [4+2]-Cycloaddition aufgebaut. Die Regioselektivität der Reaktion kann abgeschätzt werden, wenn man annimmt, dass das positivierteste β-C-Atom des Alkens mit der stärksten Donatorposition des Diens reagiert. Als Ausgangsmaterial dient ein Dienamid und trans-Crotonaldehyd. Die erwünschte stereoselektive Reaktion, in der die Konfiguration des Naturstoffes entsteht, entspricht dem endo-Addukt.
CHO O H H
N
X O
N O
+ X
CHO O N
H
H
endo
exo
X
So ergibt die Reaktion von trans-1,3-Butadien-l-carbamat mit transCrotonaldehyd in einer stereo- und regioselektiven Reaktion das endo-Addukt 12 als Racemat (der Aldehyd kann von oben oder unten angreifen).
190
3 Biogene Amine und Alkaloide H
+ H
CHO NHCOOEt
H
OC2H5
N
H
H
O
(±)-endo-Produkt 12
O
Damit gelingt in einer Stufe der Aufbau von drei Stereozentren. Das racemische Formylcyclohexen wird in einer Wittig-Reaktion zum Enon umgesetzt. Hydrierung und Spaltung der Carbamatgruppe ergibt durch Cyclisierung das Imin 13. Durch die cis-Verknüpfung der Ringe erfolgt die anschließende Hydrierung von oben, womit die Propylgruppe an C-2 im Pumiliotoxin C nach hinten (äquatorial) steht (Abb. 3.15). Man gelangt mit dieser Methode zwar sehr schnell und in guten Ausbeuten zum Pumiliotoxin C, aber das Produkt entsteht als Racemat. Die Konformation des Pumiliotoxins ist in Abb. 3.16 dargestellt.
CHO
O
+
EtO
NHCOOEt
P
O
H C
OEt
O
NHCOOEt
12 O
PtO2 H2
HBr Cu NHCOOEt
N
H
H
H
PtO2 H2 N
13 Abb. 3.15. Synthese von rac-Pumiliotoxin C nach Overman
N H3C
H
Abb. 3.16. Konformation von Pumiliotoxin C
O H
H
H
N H
(±)-Pumiliotoxin C
3.3 Alkaloide mit Isochinolin-, Chinolin-, Chinazolin- und Indol-Gerüst
191
Eine enantioselektive Synthese von Pumiliotoxin geht vom chiralen Pool aus, nämlich vom käuflich erhältlichen (+)-Pulegon (Habermehl). Die Retro-AldolSpaltung ergibt das (3R)-Methylcyclohexanon mit der Konfiguration an C-3, die im Endprodukt benötigt wird. Durch Umsetzung mit Oxalsäurediethylester und anschließende Decarboxylierung enthält man einen β-Keto-carbonsäureethylester, der mit Pyrrolidin die Enamine 14a und 14b bildet. O OEt
EtO
+ O
H2O/H+
O
- CH3-CO-CH3
Base
O
O EtOOC
O
(+)-Pulegon H N
1. HO-/-CO2 2. H+/EtOH O
N
COOEt
N
COOEt
COOEt
14a
14b
Das zweite Bauelement wird aus einem α,β-ungesättigten Carbonsäureethylester erhalten. Die 1,4-Addition von Benzylamin und nachfolgende Reduktion ergeben das Amin als Racemat. Trennung der Antipoden, Abspaltung des Benzylrests durch Hydrierung und Substitution des Alkohols durch Bromid ergeben das (3S)-(1-Bromhexyl)-amin 15. OH 1. O
2. LiAlH4
NH2
H
N
EtO
1. Racematspaltung 2. Pd/H2 3. HBr
Br
(3S)-(1-Bromhexyl)-amin 15 H2N
H
192
3 Biogene Amine und Alkaloide Br
Br
+ N
H2N
CO2Et
14b
H
C3H7
15
CO2Et H
N
C3H7 CO2Et
16b
C3H7
1. KOH/- CO2 2. Pd/H2
H
H
H
16a
Br
N
N CO2Et H
H
H
C3H7
H
N H
H
C3H7
(+)-Pumiliotoxin C
17
Wird das Amin 15 nun mit dem Enamin 14a/14b umgesetzt, erfolgt ein Austausch gegen Pyrrolidin. Der Ringschluss kann in α- oder γ-Position zur Carbonsäureethylestergruppe erfolgen. Die Reaktion erfolgt praktisch ausschließlich in der γ-Position in 16b, ausgehend vom β,γ-ungesättigten Ester, da die Elektronendichte am α-C-Atom in 16a durch die Estergruppe erniedrigt ist. Der Ringschluss wird durch die Methylgruppe gesteuert, sodass durch diesen Übergangszustand der Angriff von unten zum Amin 17 stattfindet. Nach Verseifung und Decarboxylierung wird die Hydrierung durch das Stereozentrum an C-2 beeinflusst, sodass, bedingt durch die Isopropylgruppe, der Angriff des Katalysators stereoelektronisch von oben erfolgt. Diese Methode hat den Vorteil, dass durch Wahl der Ausgangsmaterialien auch andere Stereoisomere gezielt und enantioselektiv in sehr guten Ausbeuten dargestellt werden können. 3.3.3 Chinazolin-Alkaloide
Chinazolin-Alkaloide stellen eine relativ kleine Gruppe innerhalb der Alkaloide dar. Sie werden in verschiedenen Pflanzen und Mikroorganismen, aber auch in Tieren gefunden. Vasicin und verwandte Verbindungen werden in Adhatoda vasica und Peganum harmala gefunden. Das Febrifugin aus Dichroa febrifuga besitzt als Antimalaria-Mittel Interesse. R
O N
O
HO
N
N
H
N R'
Vasicin: R = H2, R' = OH Vasicinon: R = O, R' = OH Desoxyvasicinon: R = O, R' = H
N
Febrifugin
3.3 Alkaloide mit Isochinolin-, Chinolin-, Chinazolin- und Indol-Gerüst
193
In der Hefe Candida lipolytica wird Tryptanthrin, in dem pathogenen Keim Pseudomonas aeruginosa (Eitererreger) werden alkylierte Chinazoline gefunden. O
CH3 N
N
Tryptanthrin
N
N
R = H, CH3, C2H5 R
O
Tetrodotoxin ist ein Perhydrochinazolinderivat aus dem japanischen Kugelfisch (Fugu). Diese Fische gelten in Japan als Delikatesse in Spezialitätenrestaurants. Die LD50 beträgt 8 μg/kg Maus (s.c.). Tetrodotoxin verhindert die Erregung von Nervenzellen durch selektive Blockierung der Natriumkanäle. Es ist damit der Antagonist von Batrachotoxin. O HO
H H N
+
O
H N N HO H
OH O
Tetrodotoxin CH2OH OH
Tetrodotoxin konnte auch aus anderen Tieren isoliert werden, so aus dem panamesischen Frosch Atelopus zeteki, aus dem europäischen Kammolch Triturus cristatus und dem Blauring-Oktopus Hapalochlaena maculata sowie mehreren Seesternen, Krebsen und Muscheln. Neueste Untersuchungen zeigen, dass es sich beim Tetrodotoxin nicht um ein echtes Tiergift handelt, sondern dass es von Bakterien der Gattung Vibrio in den Tieren gebildet wird. Untersuchungen über diese Art der Symbiose sind noch nicht durchgeführt, sodass hier derzeit noch manche Frage offen ist. 3.3.4 Indol-Alkaloide
Die Indol-Alkaloide besitzen sowohl wegen ihrer weiten Verbreitung als auch wegen ihrer vielfältigen pharmakologischen Wirkung eine große Bedeutung. Der Grundkörper ist das Indol bzw. Indolin. 4 3
5 1
6 7
N H
Indol
2
N H
Indolin
N
N H
CH3
Harman
194
3 Biogene Amine und Alkaloide
Man findet diese Alkaloide vor allem in Apocynaceen, Loganiaceen und Rubiaceen (zur Darstellung des Grundkörpers s. Kap. 3.1). Alle diese Alkaloide leiten sich vom Tryptophan ab, besitzen aber noch zusätzliche C-Atome, z. B. Harman aus der Steppenraute, Peganum harmala (β-Carbolin-Alkaloide). Die Synthese geht vom Tryptophan aus. Pictet-Spengler-Cyclisierung von Tryptophan mit Acetaldehyd ergibt nach Decarboxylierung und Oxidation das Harman. Je nach ihrer Herkunft werden die Indol-Alkaloide weiter unterteilt; die wichtigsten Gruppen werden in den folgenden Kapiteln erwähnt. COOH N
NH2 CHO
H
CH3
COOH H+
N
N H
1. - CO2 2. CrO3
H
CH3
Tryptophan
Harman
N
N H
CH3
3.3.4.1 Indolchinolizidin-Alkaloide
Unter dem Oberbegriff „Monoterpenoide Indol-Alkaloide“ werden Verbindungen verstanden, die sich biogenetisch von einer Aminosäure (Tryptophan) und einer Terpeneinheit ableiten. Hierzu gehören z. B. folgende Stammverbindungen: N
6 5 1
N H
3
2 14
N 4
15
21
20
NH
N 19
H
Corynanthe-Typ
H
H H
16
N
H
18
Vincosan-Typ
O
Strychnan-Typ
Vom Grundgerüst des Yohimbans (Corynanthe-Typ) leiten sich entsprechende stereoisomere Alkaloid-Gruppen ab.
3.3 Alkaloide mit Isochinolin-, Chinolin-, Chinazolin- und Indol-Gerüst
195
9 7
A 12
B 1 N H
5
C 3
H
N
21
H
D 14
H
H H
18
Yohimban
H
H
N H
E 16
N
N
Alloyohimban
N H
H H
N H
N H
H H
3-Epialloyohimban
Pseudoyohimban
Der Prototyp dieser Gruppe ist das aus Corynanthe yohimbe isolierte Yohimbin; eine ganz ähnliche Struktur besitzt das Sempervirin.
+
N H
N
N
H
N
H H
H3COOC
Yohimbin
OH
Sempervirin
Vertreter dieses Strukturtyps, der durch ein partiell hydriertes Benz-(g)-indolo(2,3a)-chinolizin-Gerüst gekennzeichnet ist, kommen in Apocynaceen, Loganiaceen, Rubiaceen und Euphorbiaceen vor. Yohimbin wurde lange Zeit als Aphrodisiakum in der Tiermedizin verwendet, Sempervirin (aus Gelsemium sempervirens) wirkt leicht blutdrucksenkend. Ganz besondere Bedeutung kommt dem Reserpin (aus Rauwolfia serpentina) und weiteren Rauwolfia-Arten wegen seiner hypotensiven (blutdrucksenkenden) und sedativen (beruhigenden) Wirkung zu. Reserpin führt zu einer Senkung des Serotoninspiegels im Zentralnervensystem.
196
3 Biogene Amine und Alkaloide
A
B N
R
H
C H
Reserpin: R = OCH3 Deserpidin: R = H
N H
D
OMe H
O
E
H3COOC
O
OMe
C
OMe OMe
In einer Reihe von Alkaloiden dieses Typs ist der Ring E des YohimbanGerüstes durch einen Dihydropyran-Ring (Vincosan-Typ) ersetzt. Als Beispiel sei das Ajmalicin erwähnt, das außer in Ranwolfia- auch in Vinca-Arten, z. B. in Immergrün (Vinca major), vorkommt. Im Geissoschizin ist der E-Ring geöffnet.
N H
N
N
H
H H
H
H H
O
H3COOC
N
Ajmalicin
H3COOC OH
Geissoschizin
Ajmalin aus Rauwolfia serpentina wird bei Herzarrhythmien eingesetzt. Die αAminohydroxygruppe ist in diesem Molekül stabil (s. Kap. 3.3.4.5). HO
N H3C
H N
H
OH
Ajmalin
H H
Die enantioselektive Synthese von (-)-Geissoschizol und (+)-Geissoschizin (Abb. 3.17) besteht nach Winterfeldt im ersten Schritt der Reaktion aus einer C-CVerknüpfung zwischen einem ungesättigten Aldehyd 22 als Akzeptor und einem chiralen vinylogen Urethan 21 als Elektronendonator. Diese Michael-Addition läuft sehr rasch ab, gefolgt von einer stereoselektiven Pictet-SpenglerCyclisierung zu 23. Die Konfiguration der Doppelbindung des Urethan-Teils ist durch eine Wasserstoffbrückenbindung sterisch fixiert. Da die trans-Doppelbindung des ungesättigten Aldehyds somit in 21 die thermodynamisch stabilere Konfiguration aufweist, können hohe Diastereoselektivitäten erwartet werden. Als
3.3 Alkaloide mit Isochinolin-, Chinolin-, Chinazolin- und Indol-Gerüst
197
chirale Hilfsgruppe wurde der aus Campher 18 durch Grignard-Addition erhaltene tertiäre Alkohol 19 eingesetzt. Durch Umsetzung mit Diketen erhält man den βKetoester 20, der mit Tryptamin das vinyloge Urethan 21 ergibt. O CH3MgCl
O
OH O
Campher 18
O
19
O
N H
O
NH2
N
H
H
O
N
O
20
21
Nimmt man nun an, dass der chirale Alkohol in verschiedenen Raumsektoren einen unterschiedlich großen Raum beansprucht, müsste bei tiefen Temperaturen eine entsprechend hohe Enantioselektivität erwartet werden. Es konnte anhand von Modellstudien gezeigt werden, dass die in A gezeigte Konformation des Esters 21 die stabilste ist. So muss nun der Angriff auf den ungesättigten Aldehyd 22 von oben erfolgen, und die Esterseitenkette steht vom Ring weg. Anschließend muss eine cis-trans-Isomerisierung in B stattfinden, welche nach Drehung um die Einfachbindung in C den Angriff der Aminogruppe am Aldehyd in D erlaubt. Nun erfolgt eine Pictet-Spengler-Cyclisierung zu 23, wobei der Wasserstoff an C-15 α-ständig angeordnet ist und damit den natürlichen Alkaloiden entspricht. Der Enantiomeren-Überschuss dieser Reaktion beträgt 86 % ee. Das Enamin 23 kann nun mit NaBH4/Eisessig und nachfolgender Esterspaltung in die Aminosäure 24 überführt werden. Durch Umsetzung mit Acetanhydrid wird durch Methylen-Lactam-Umlagerung in einer kinetisch kontrollierten Reaktion das (Z)-Lactam 25 erhalten. Die Reaktion verläuft über die Bildung eines gemischten Anhydrids (E), welches im nächsten Schritt einer Retro-MichaelReaktion zu (F) unterliegt. Eine Begründung für diese Reaktion ist zum einen in der hohen Acidität des zum Anhydrid α-stehenden H-Atoms, wie auch durch die Bildung des thermodynamisch stabilen ungesättigten Anhydrids zu sehen. Drehung um die eingezeichnete Einfachbindung und Angriff des Stickstoffs am Anhydrid ergibt das Lactam 25.
198
3 Biogene Amine und Alkaloide
N H
H
O HC
H
N
N 1. Δ 2. H+
O 131
N O
H H
O
H3COOC
O
H3COOC
22
21 H N
NaBH4
23 H
N
N
H H
H+ H3COOC
Cu2+
H
O
N
H
H
CH3O-
O
H
27
N H
H
H
1. Birch-Reduktion 2. Formylierung
H
N
N
H
29
H3COOC
1. Birch-Reduktion 2. LiAlH4
N
O
N
H
28
O
N
HOOC
H
O
N
N
25
H
H+ 2. HO-
26
H3COOC
H
Δ
1. NaBH4
O2/H+
H H3COOC
H
(CF3CO)2O
Ac2O
24
N
N
COOH
O
N
N
H H
H H3COOC
(-)-Geissoschizol
OH
(+)-Geissoschizin
OH
Abb. 3.17. Enantioselektive Synthese von (-)-Geissoschizol und (+)-Geissoschizin
3.3 Alkaloide mit Isochinolin-, Chinolin-, Chinazolin- und Indol-Gerüst
199
COOCH3
22 H
H
C
O
COOCH3
H
N
O H
O H
O N
(= R*)
A
COOR*
O H
O
CHO
H
COOCH3 N
COOR*
H
CHO
H
H
+
N
R*
H
B
COOCH3
C
COOR* COOCH3 NH OHC
H
Pictet-Spengler Cyclisierung
N
23
H
COOR*
H
D
COOCH3 H
H
N
H
N
NH
H COOH
O
H3COOC
H3COOC
24
O O
O
E
O
H3COOC
O
F
6 5
H
H3COOC
NH
O
H
O O
2 3
H3COOC
N 4
25
Als nächster Schritt muss nun die Epimerisierung an C-3 durchgeführt werden. Ein mildes Verfahren verwendet die Autoxidation von C-3 in 25 unter Cu(II)Katalyse. Durch Eliminierung der hierbei entstehenden Hydroxygruppe entsteht nun das Enamin 26. Die Reduktion mit NaBH4 wird durch die Esterseitenkette als α-Angriff zu 27 gesteuert. Der Ester wird anschließend zur Säure verseift. Die
200
3 Biogene Amine und Alkaloide
Isomerisierung der Doppelbindung in die thermodynamisch stabile E-Form gelingt nicht befriedigend, da die Methylgruppe zwar der sterischen Behinderung des Carbonylsauerstoffs entrinnt, aber in räumliche Nähe der Säuregruppe gelangt. Die letztere Behinderung kann durch Lactambildung zum N-Indol 28 deutlich verkleinert werden. Cyclisierung mit Trifluoracetanhydrid, über das entsprechende reaktive gemischte Anhydrid, ergibt spontan die E-Konfiguration in 28. Selektive Spaltung des N-Indol-Lactams mit Methanolat liefert den Ester 29. Birch-Reduktion des Lactams und LiAlH4-Reduktion ergibt das (-)-Geissoschizol. Der Mechanismus der Birch-Reduktion verläuft über die Aktivierung des Lactams zum Iminoether, der einfach mit NaBH4 reduziert werden kann. Formylierung des Esters mit LDA und Methylformiat ergibt (+)-Geissoschizin. O N
R
Et3O+ PF6-
OEt N
R'
NaBH4 +
R
N
R'
R
R'
In Anlehnung an die Biosynthese von Ajmalicin-Alkaloiden wurde auch versucht, Tryptamin mit Secologanin 30 zu kondensieren (s. Kap. 3.3.5). Secologanin ist aus entsprechenden Pflanzen kommerziell erhältlich. Die Umsetzung von Tryptamin mit 30 ergibt ein Gemisch von (3S)-Strictosidin 31 und (3R)-Vincosid 32 (Abb. 3.18). Eine anschließende Cyclisierung von 31 zum Tetrahydroalstonin erfolgt nun in einer interessanten Kombination aus Enzymreaktion und chemischer Reduktion. β-Glucosidase spaltet den Zucker im Secologanin-Teil ab, womit der Aldehyd freigesetzt wird. NaCNBH3 ist, wie bereits erläutert, nicht in der Lage, den Aldehyd zu reduzieren. Dieser reagiert, nach Drehung um die eingezeichnete Bindung, zum Carbinolamin. Eliminierung der reaktiven OH-Gruppe zum Iminiumion liefert, nach Ausbildung des Diensystems, eine nucleophile Addition des Enolat-Ions an das En-Iminium-System. Der Angriff erfolgt hierbei von der oberen Seite, sodass sich die 19β-H-Verbindung bildet. Das Ringsystem steuert nun den Angriff des Protons von der α-Seite, womit nach Reduktion das Tetrahydroalstonin entsteht. Die Stereochemie in Tetrahydroalstonin wurde damit ausschließlich in einer zweistufigen Synthese durch die Stereozentren im Secologanin gesteuert. Tetrahydroalstonin ist das C-20-Epimer des Ajmalicins. CHO
N H
Tryptamin
NH2
+
H H3COOC
H
O
Secologanin 30 (Glc = Glucose)
Abb. 3.18. Synthese von Tetrahydroalstonin
OGlc
3.3 Alkaloide mit Isochinolin-, Chinolin-, Chinazolin- und Indol-Gerüst
N H
NH
3
H
H H
+
OGlc
H
H
H
H
O
H3COOC
NH
3
N
O
H3COOC
(3S)-Strictosidin 31
OGlc
(3R)-Vincosid 32
ß-Glucosidase NaCNBH3/PH = 5
N H
NH H H
H
OH
H3COOC
H
H
H
CHO
OH
N
N
H
OH
H3COOC
(Carbinolamin)
N
+
N H
H
H
- H+ H
H3COOC
N
H
O
H3COOC
N H
O
H
H
H3COOC
H
H H H3COOC
N H
H H
H3COOC
O
+
N
+
H
H
+
H H
OH
H3COOC
N
Tetrahydroalstonin
O
Abb. 3.18. Synthese von Tetrahydroalstonin (Fortsetzung)
O
Red.
201
202
3 Biogene Amine und Alkaloide
3.3.4.2 Strychnos-Alkaloide
Die Strychnos-Alkaloide kommen im Wesentlichen in der Gattung Strychnos (Brechnuss), vereinzelt auch in Picralina- und Vinca-Arten vor. Zu ihnen gehören auch die aus dem Calebassen-Curare isolierten Alkaloide, deren Quelle südamerikanische Strychnos-Arten sind. N R
H N
R
H
O
(-)-Strychnin: R = H (-)-Brucin: R = OCH3
H H O H
Strychnin ist ein Krampfgift, das im Rückenmark die postsynaptische Hemmung desaktiviert. 100–300 mg sind die tödliche Dosis für einen erwachsenen Menschen. Brucin und Strychnin sind als optisch aktive Basen wichtig für die Racematspaltung von Säuren. Die Strukturen des Strychnins und des Brucins wurden durch Abbaureaktionen, Röntgenstrukturanalyse (Peerdeman) sowie durch Synthese bewiesen. Das Calebassen-Alkaloid C-Toxiferin I kann aus 2 Mol Wieland-GumlichAldehyd entstehen: Das partialsynthetische Derivat von C-Toxiferin, Alcuroniumchlorid, wird als Muskelrelaxans bei Operationen eingesetzt. N _ N H OH H
R N
H H
H
H CHO
+
OH
CHO H H N _ H N
Wieland-Gumlich-Aldehyd
N
1. (CH3)3C-COOH 2. Alkylierung
H H OH HC CH HO H H N H N
+
R
C-Toxiferin I: R = CH3 Diallylnortoxiferin: R = CH2-CH=CH2 (Alkuroniumchlorid)
Neben diesen Dimeren oder C40-Curare-Alkaloiden findet sich eine Gruppe von C20-Alkaloiden; als Beispiel dafür sei das von P. Karrer aufgeklärte Mavacurin erwähnt, das sich durch Luftoxidation und Eliminierung in Fluorocurin umlagert.
3.3 Alkaloide mit Isochinolin-, Chinolin-, Chinazolin- und Indol-Gerüst
O N
N
+
CH3
Pd/O2
N
HOH2C
203
H
N
CH3
+
OH
HOH2C
Mavacurin
Profluorocurin O
(H+)
N
N
- H2O
+
CH3
Fluorocurin HOH2C
3.3.4.3 Ergolin-Alkaloide
Ergolin-Alkaloide kommen in den Pilzen Aspergillus, Penicillium, Rhizopus und vor allem in Claviceps vor. Besonders wichtig sind die Alkaloide von Secale cornutum (Mutterkorn) aus Claviceps purpurea. Man unterscheidet bei diesen Inhaltsstoffen die D-Lysergsäurederivate (5R,8R-Konfiguration) und die ClavinAlkaloide, die sich beide vom Grundgerüst des Ergolins ableiten. O 7 8
D 9
10
H
6
N 5
A 14
CH3
N
H
B N1
Ergolin
H
CH3 H
H
3
12 13
N
4
C
11
R
R'
2
N
N
H
H
D-Lysergsäure
Clavin-Alkaloide
D-Lsergsäurederivate:
Lysergsäureamid: R = NH2 Lysergsäurehydroxyethylamid: R = NH-CH2-CH2-OH Lysergsäurediethylamid (LSD): R = N(C2H5)2 Ergometrin: R = NH-CH(CH3)-CH2-OH
204
3 Biogene Amine und Alkaloide
Bei der Isolysergsäure steht die Carboxylgruppe an C-8 axial. Die Hauptwirkstoffe sind die Abkömmlinge der Lysergsäure. Ein weiterer Typ von ErgolinAlkaloiden sind die Ergopeptine, in denen der Lysergsäureanteil mit einem tricyclischen Tripeptid verknüpft ist. Die Derivate der Lysergsäure werden durch die Endung „-in“, die der Isolysergsäure durch die Endung „-inin“ gekennzeichnet. Die Strukturaufklärung erfolgt durch Hydrazinolyse bzw. Reduktion mit LiAlH4. Der Abbau sei am Beispiel des Ergotamins gezeigt (Abb. 3.19). Der Peptidteil kann nach bekannten Methoden weiter abgebaut werden (s. Kap. 4.3). Hydroxyalanin H
Prolin
OH
O N
O
N O N
H
H
N O
OH
N
O
CH3
N
LiAlH4
CH3 H
H
+
N H
N
Phenylalanin N H
N H
Ergotamin H2N-NH2 H O
N
NH2 N
CH3 H
+
O
HOOC O H N H
N O
N H
Abb. 3.19. Abbau von Ergotamin
Einzelne Alkaloide dienen als wertvolle Pharmaka, wie z. B. das Ergometrin in der Geburtshilfe und als Sympathicolytikum bei Hyperthyreosen, speziell bei Morbus Basedow sowie bei vegetativer Dystonie, und das Ergotamin bei Migräne und paroxysmaler Tachykardie. Da Claviceps purpurea vorzugsweise auf Gramineen, also auch auf Getreide wächst, ist es in früheren Zeiten nach feuchten Sommern häufig zu Massenvergiftungen beim Menschen gekommen. Heute ist in den Ländern mit moderner Ge-
3.3 Alkaloide mit Isochinolin-, Chinolin-, Chinazolin- und Indol-Gerüst
205
treidewirtschaft und Getreidereinigung die Vergiftungsgefahr praktisch beseitigt. In Deutschland ereignete sich die letzte Massenvergiftung mit rund 500 Fällen in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts im Kreis Frankenberg in Nordhessen. In Russland sind 1926/27 ca. 11.000 Fälle aufgetreten. Die Vergiftungen lassen sich nach ihren Symptomen in zwei Krankheitsformen unterteilen: den Ergotismus gangraenosus und den Ergotismus convulsivus. Der E. gangraenosus beginnt mit Parästhesien (Kribbeln), Pelzigkeit- und Taubheitsgefühl an den Fingern, Zehen, das in Hände und Füße fortschreitet. Im weiteren Verlauf treten Blasenbildung und Gangräne mit Abfallen der brandigen Körperteile auf. Die damit verbundenen heftig brennenden Schmerzen führten im Mittelalter zu der Bezeichnung „SanktAntonius-Feuer“. Beim E. convulsivus werden die Parästhesien ebenfalls beobachtet, daneben treten aber auch allgemeine Beschwerden, wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel, Durst und Hunger auf. In einem späteren Stadium stellen sich dann Krämpfe und psychotische Zustände ein, die im Mittelalter wahrscheinlich der Anlass dazu waren, Männer und Frauen als „Hexen“ oder „Besessene“ zu bezeichnen. Verblödung, Verkrüppelung, Rückenmarksdegeneration und Tod charakterisieren den weiteren Verlauf der Fälle. Die einfachen Lysergsäureamide, wie Ergometrin und LSD sind wasserlösliche Verbindungen. Dagegen sind die Peptidamide, wie z. B. Ergotamin, wasserunlöslich. Vergleicht man nun die Struktur der Lysergsäurederivate, vor allem das Lysergsäurediethylamid (LSD), mit anderen Halluzinogenen bzw. Neurotransmittern, so stellt man eine starke strukturelle Ähnlichkeit fest. In der Lysergsäure ist die hier gezeigte Konformation im Ringsystem sterisch fixiert. Zur Auslösung der Rauschwirkung beim Menschen genügen bereits 0,03 mg. Lysergsäureamid ist ein Bestandteil der mexikanischen Zauberdroge Ololiuqui, die aus den Samen von Turbina corymbosa hergestellt wird. HOOC
NH2
N
H
O O
MeO
OMe
P
O O
N
OMe
N
H
Mescalin
H
Lysergsäure
N
Psilocybin
NH2
HO
HO O OH
H
Adrenalin
N
N H
Serotonin
206
3 Biogene Amine und Alkaloide
3.3.4.4 Ellipticin–Gruppe
Die hierzu gehörenden Alkaloide kommen in den Apocynaceen-Gattungen Aspidosperma, Ochrosia und Tabernaemontana vor. Die wichtigsten sind das Ellipticin, das mit diesem isomere Olivacin und das Ulein. CH3
CH3 N
N
Ellipticin
N H
Olivacin
N CH3
H
H3C
CH3
N C2H5
Ulein
N H
CH2
Die Struktur des Uleins ergibt sich aus folgender Abbausequenz: H3C N C2H5
Hofmann-Abbau 1. CH3I 2. Ag2O
N H Pt/H2
N CH2
H
CH3 1. OsO4 2. HIO4
H3C N C2H5
N H
N CH3
Pt/H2
H
Pd (270°C)
Se
N H
CHO CH3
N CH3
H
CH3
3.3 Alkaloide mit Isochinolin-, Chinolin-, Chinazolin- und Indol-Gerüst
207
Dihydroolivacin lässt sich ausgehend von Cyclohexanon und 2-Methyl-3cyanophenylhydrazin darstellen. Das primär entstehende Hydrazon cyclisiert nach Fischer in einer [3,3]-sigmatropen Umlagerung. Nach der Verseifung des Nitrils zur Carbonsäure wird durch Wolff-Umlagerung (Diazoketon-Keten-Umlagerung) die Acylamid-Seitenkette erhalten. Das Diazoketon wird durch Umsetzung des Säurechlorids mit Diazomethan gebildet. Silberkatalysierte Eliminierung von N2 zum Ketocarben ergibt nach anionotroper Wanderung des C-Atoms ein Keten, aus dem durch Addition von Ammoniak das gewünschte Amid entsteht. O R
O
SOCl2
C
R
C
O
CH2N2
R
Cl
OH
O
C
R
C
CH2N2
CH
O
NH3
CH R
O
Ag+
C
H2N
C CH2 R
Reduktion des Amids zum Amin, Acetylierung und Cyclisierung mit Phosphoroxychlorid ergibt Dihydroolivacin.
O
1. KOH 2. HCl
HCl
+ H2N
CN
HN
CN 3. Pd Dehydrierung
N
CH3
H
CH3
Wolff-Umlagerung N H
COOH
N
CH3
O
H
1. POCl3 2. RaneyNi/H2 3. Ac2O
NH2
CH3
O NH N H
CH3
POCl3
N N
CH3
H
CH3
Dihydroolivacin
Ellipticin wird ausgehend von Indol und Hexan-2,5-dion erhalten. Der entstehende Tricyclus wird nach Vilsmeyer formyliert und anschließend zum Aldimin umgesetzt. Reduktion der Aldimin-Doppelbindung, Spaltung des Acetals und sauerkatalysierte Cyclisierung ergeben nach Dehydratisierung Ellipticin.
208
3 Biogene Amine und Alkaloide CH3 R'
+ N
R
HCl
O O
Ph-N(CH3)-CHO
R'
POCl3 N
R
H
H
CH3
CH3 R'
CH3 CHO
(EtO)2CHCH2NH3
N
R
N N
R
H 1. H2, Ni 2. HCl 3. Pd/H2
R'
CH3
H3C EtO
H
OEt
CH3 R'
N
Ellipticin: R = R' = H
N
R
H
CH3
3.3.4.5 Vinca- und Catharanthus-Alkaloide
Aus dem Immergrün (Vinca minor) wurde eine Vielzahl von Indol-Alkaloiden isoliert. Erwähnenswert ist das Vincamin. Es wird wegen seiner hypotensiven und sedativen Wirkung therapeutisch verwendet. CH3 N H N
CH3
N H
N
HO H3COOC
(+)-Vincamin
H OCOCH3 COOCH3 H OH
H N H
COOCH3
Cantharanthin
CH3O
N
CH3
Vindolin
Die Inhaltsstoffe aus Catharanthus roseus wurden aufgrund ihrer Wirkung gegen Tumore eingehend untersucht. Als Wirkstoff konnten Indol-IndolinAlkaloide, Vinblastin und Vincristin isoliert werden. Aus den Blättern der Pflanze wird in Madagaskar Tee für Diabetiker zubereitet. Die Alkaloidkonzentration kann in den Blättern bis zu 1 % betragen, wobei für das Vincristin Gehalte von 0,0002 % gefunden wurden. Trotz der geringen Konzentration wird es für medizinische Zwecke extrahiert. Als Grundeinheit sind Catharanthin und Vindolin in Vinblastin und Vincristin zu dimeren Alkaloiden verbunden. Diese Verbindungen besitzen bei der Chemotherapie von Tumorzellen klinische Bedeutung.
3.4 Alkaloide mit Indolizidin-, Pyrrolizidin- und Chinolizidin-Struktur
N
OH H
H
209
Vinblastin: R = CH3, R' = OAc Vincristin: R = CHO, R' = OAc
N
N H3COOC
H
MeO
N R
H
OH
R' COOCH3
3.4 Alkaloide mit Indolizidin-, Pyrrolizidin- und Chinolizidin-Struktur In dieser Gruppe von Alkaloiden ist der Stickstoff ein Brückenkopfatom. 7
N
6 5
4
8
1
7
2
6
3
N 5
Pyrrolizidin Azabicyclo[0,3,3]-octan
4
9
1
8
2
7
3
1 2
N 6
5
3 4
Indolizidin Chinolizidin Azabicyclo[0,4,3]-nonan Azabicyclo[0,4,4]-decan
3.4.1 Indolizidin-Alkaloide
Aus dem Pilz Rhizoctonia leguminicola konnten die Indolizidine Swainsonin und Slaframin isoliert werden. H 8a
H2N
N
OAc
Slaframin (1S,6S,8aS)-1-Acetoxy6-amino-octahydroindolizidin
OH
H
OH
N
(-)-Swainsonin
OH
Verbindungen vom Swainsonin-Typ werden in jüngster Zeit intensiv als Wirkstoff gegen AIDS untersucht. Swainsonin nimmt als Mannosidase-Inhibitor Einfluss auf den Kohlenhydratstoffwechsel (s. Kap. 5.2.3). Slaframin wirkt als Parasympathomimetikum. Eine kurze enantiospezifische (-)-Swainsonin-Synthese gelingt ausgehend von D-Mannose (Abb. 3.20). Aus dem Zucker kann das Oxim 51 erhalten werden. Reduktion von 33 mit LiAlH4 ergibt das Amin 34, das mit Carbobenzoxychlorid (CbzCl) zu 35 geschützt wird. Nach Mesylierung des sekundären Alkohols mit Methansulfonsäurechlorid (MsCl) und partieller Hydrolyse des Ketals aus sekun-
210
3 Biogene Amine und Alkaloide
O
O
O
OH
O
LiAlH4
O
O
O
OH
NOH
33 O
C6H5-CH2-O-CO-Cl
O
NH2
34 O
O
O
CH3SO2Cl
O
O
O
O
CH3-C6H4-SO2-OH CH3OH
OH
OMs
NHCbz
NHCbz
35
H
O
O
HO
O OMs
O
O
HO
O
OHC
+ _ (C6H5)3P-CH-COOEt
NHCbz
1. NaBH4 CF3CH2OH 2. Pd/H2
O
O
O
EtOOC
NHCbz
PCC
O
36
NHCbz
O
O
H
N Cbz
37
O
OH
O O
O
H
O
H2N O
O
HN O
EtO
NaBH4 CF3CH2OH
OH
O
H
N O
EtO
OH
H
OH
O O
H
H+
N
39 Abb. 3.20. Enantioselektive Synthese von (-)-Swainsonin
N
OH OH
(-)-Swainsonin
38
3.4 Alkaloide mit Indolizidin-, Pyrrolizidin- und Chinolizidin-Struktur
211
därem und primärem Alkohol entsteht durch nucleophile Substitution das Oxiran 36. Oxidation zum Aldehyd und Wittig-Reaktion liefert den trans-Ester 37. Die anschließende Reduktion gelingt mit Hilfe einer beachtenswerten Reaktion. Durch NaBH4-Reduktion in Gegenwart von Trifluorethanol erhält man in fast 60 %iger Ausbeute den gesättigten Ester. Abspaltung der Aminoschutzgruppe mit Pd/H2 ergibt direkt die Cyclisierung unter nucleophilem Angriff am Epoxid, sowie Lactambildung durch Angriff am Ester in 38. Das Lactam kann ebenfalls mit NaBH4/CF3CH2OH zum Indolizidin 39 reduziert werden. Die Abspaltung des Ketals liefert (-)-Swainsonin. Weitere Vertreter der Indolizidine werden in südamerikanischen Pfeilgiftfröschen der Familie Dendrobatidae gefunden; z.B. H 9
H 7
5
5a
N 9
H
N
3
1
OH
(-)-(3R,5R,9R)-Gephyrotoxin 223 AB
H
3a
9a
Gephyrotoxin
(-)-(1S,3aS,5aS,6S,9aR,10R)dodecahydro-6-(2Z-pentan-4-yl)pyrrolo-[1,2a]-1-chinolin-1-ethanol 9
HO
H
HO
H 1
8
N
N
10 11
(+)-Pumiliotoxin 251 D
18 19
12 14
(+)-Pumiliotoxin A
13
H
15
HO 17
Pumiliotoxin A vergrößert die Kontraktion der quergestreiften Muskulatur. Es wird vermutet, dass die Bindungsstelle mit dem Transportsystem des Ca2+ zusammenhängt. Ca2+ wird für die Muskelkontraktion benötigt. Die Toxizität liegt bei etwa 1–2 mg/kg KG. Gephyrotoxin wirkt ähnlich wie Pumiliotoxin A. Aufgrund ihrer vielfältigen Wirkung auf das Nervensystem sind diese Froschalkaloide auch interessante Syntheseziele. Ihre natürliche Verfügbarkeit durch Extraktion der Froschhäute ist aufgrund des Artenschutzes sehr limitiert. So konnten aus 750 Fröschen nur 21 mg Pumiliotoxin 251 D isoliert werden. Im Falle von
212
3 Biogene Amine und Alkaloide
Gephyrotoxin 223 AB war die isolierte Menge so gering, dass keine Röntgenstrukturanalyse für die Aufklärung der absoluten Konfiguration durchgeführt werden konnte. Die enantioselektive Synthese ermöglicht heute allerdings einen gezielten Aufbau von Naturstoffen mit eindeutiger absoluter Konfiguration, sodass über die Synthese von Gephyrotoxin 223 AB mit der Housson-Methode (s. Kap. 3.2.1.2) die absolute Konfiguration bestimmt werden konnte. Die relative Konfiguration von Gephyrotoxin 223 AB war bekannt. Husson entschied sich bei seiner Synthese für die Darstellung der (3R,5R,9R)-Verbindung anstatt des entsprechenden Enantiomeren (3S,5S,9S). C6H5 N
C
O
N
C6H5
LDA O
CN
O
Br O
1
N
AgBF4 ZnBH4
O
O
40
C6H5
OH
C6H5
H O
N
O
O
Pd/H2 HCl
N
O
O
N
O
O
41
HCl KCN
CN
OH
CHO H N
N
N
42 MgBr
N
+
(-)-(3R,5R,9R)Gephyrotoxin 223 AB 3 :
N
(-)-(3S,5R,9R)Epimer 1
Abb. 3.21. Synthese von (-)-Gephyrotoxin 223 AB nach Husson
N
+
3.4 Alkaloide mit Indolizidin-, Pyrrolizidin- und Chinolizidin-Struktur
213
Abbildung 3.21 beschreibt die Synthese von (-)-Gephyrotoxin 223 AB. Das Oxazolidin 1 wird alkyliert zu 40 und anschließend mit ZnBH4 (Angriff von der βSeite) reduziert. Grignardreaktion, Ringöffnung des Heterocyclus und Abspaltung der chiralen Hilfsgruppe mit Pd/H2 ergibt das Dialkylpiperidin 41. Die Spaltung des Ketals liefert einen α-Aminoalkohol, der mit CN- zum α-Aminonitril 42 reagiert. Angriff des Butyl-Grignards, über das Aldimin von der oberen Seite, ergibt das gewünschte (3R)-Epimer des Gephyrotoxins 223 F. Das synthetisierte Alkaloid zeigt das identische Vorzeichen der optischen Rotation wie das natürliche Produkt. Somit ist die absolute Konfiguration des natürlichen Gephyrotoxins als (3R,5R,9R) bestimmt. Das Grundgerüst des Gephyrotoxins kann ebenfalls nach der OvermanVariante (s. Kap. 3.3.2) synthetisiert werden. Für die Darstellung des Perhydrogephyrotoxins wird ein Dienamid 43 mit dem α,β-ungesättigten Aldehyd 44 cyclisiert; es entsteht das Racemat 45 (Abb. 3.22). Wittig-Reaktion, Hydrierung und Amid-Spaltung ergeben das Imin 46. Im Gegensatz zur Pumiliotoxin-C-Synthese wird an C-2 die R-Konfiguration benötigt. Diese wird durch LiAlH4-Reduktion unter thermodynamischen Bedingungen in 47 erhalten, sodass die Seitenkette damit äquatorial steht. Spaltung des Acetals zum Aldehyd und Einführung einer Schutzfunktion am Stickstoff ermöglicht die Dehydrierung in α-Stellung zum Aldehyd 48. Hierzu wird der Aldehyd mit Trimethylsilyltriflat in den Trimethylsilylether überführt und mit Pd(OAc)2 dehydriert. O F3C R
S
O
O
CHO
CH3 Si CH3
CH3
CH3
R
O
Pd(OAc)2
Si CH3 CH3
H R
OPdOAc
R
H O
CHO
R
OPdOAc
48
Abspaltung der Aminoschutzgruppe ergibt die Cyclisierung in einer 1,4Addition an die α,β-ungesättigte Doppelbindung zu 49. Reduktion mit NaBH4 liefert das Perhydrogephyrotoxin. H H H
N H
Konformation von Perhydrogephyrotoxin
214
3 Biogene Amine und Alkaloide
C5H11 1. Pd/H2 2. NaOH
OHC
MeO P C C
O (CH2)4
MeO H
CHO
44
NH
O
O
C5H11
O
NH
COOCH2C6H5
COOCH2C6H5
43
45 C5H11 H
C5H11
O O
NH
H
O
O
N O
46
COOCH2C6H5 C5H11 H
1. LiAlH4 2. ClCO2CH2CCl3
1. H+ 2. CF3SO3Si(CH3)3 3. Pd(OAc)2/CH3OH
H H
O
N CO2CH2CCl3
O
47 C5H11 H
C5H11 H Zn/Pb
H H
H
O
N CO2CH2CCl3
H
H
N H
48
H O
C5H11 H
C5H11 H H
H
N
NaBH4
H H
N
49 O
H
HO
Abb. 3.22. Synthese von (±)-Perhydrogephyrotoxin nach Overman
(±)-Perhydrogephyrotoxin
3.4 Alkaloide mit Indolizidin-, Pyrrolizidin- und Chinolizidin-Struktur
215
Ebenso eignet sich die Habermehl-Methode (s. Kap. 3.3.2) zur Darstellung von Alkaloiden mit Gephyran-Grundgerüst (Abb. 3.23).
N
+
H
1. DMF, 95°C 2. OH-
N
H
N
* HBr
rac. Br
H2, Pd/C
H
N
H
H
rac.
H
N
H
HClO4
+
NaBH4 MeOH
N
H ClO4-
H
H
rac.
rac.
Abb. 3.23. Darstellung von Alkaloiden mit Gephyran-Grundgerüst nach Habermehl
Das Ameisenpheromon Monomorin I besitzt ebenfalls die Indolizidin-Struktur. H
(+)-(3R,5S,8S)-Monomorin I
N C4H9
Analog der Synthese von Gephyrotoxin 223 AB wurde auch die absolute Konfiguration von Monomorin I bestimmt, nachdem die relative Konfiguration bekannt war. Ausgehend vom Oxazolidin 1 wird alkyliert und die Cyanogruppe reduziert zu 50. Nucleophile Ringöffnung des Heterocyclus mit Methyl-magnesium-iodid ergibt, wie im Falle von Gephyrotoxin 223 AB, das cis-Dialkylpiperidin 51. Hydrierung in Gegenwart von HCl liefert als primären Schritt die Deketalisierung. Hierbei bildet sich ein Iminium-Kation, welches durch Angriff von der oberen Seite hydriert wird. Man erhält das (3S,5R,8R)-Monomorin I mit einem Drehwert von -35,8°. Da das natürliche Monomorin I den entgegengesetzten Drehwert besitzt, wird diesem die 3R,5S,8S-Konfiguration zugeordnet.
216
3 Biogene Amine und Alkaloide C6H5 N
C
C6H5 I
O
N
O
+
O
CN LDA
N
O
O
-78°C
O
1
C6H5 AgBF4 ZnBH4
C6H5 N
O
OH N
CH3MgI
O
Pd/C
O O
H2/HCl O
50
51 H
O
H N
N
+
N H
H
(-)-(3S,5R,8R)-Monomorin I
In der gelben Narzisse (Narcissus pseudonarcissus L., Osterglocke) werden cytotoxische Indolizidine gefunden. Lycorin zeigt eine starke antivirale Aktivität. Beispiele für solche Narzissen-Alkaloide sind: R
OH
HO
HO R'
MeO MeO
N
Pluviin: R = R' = H Narcissin: R = OH, R' = OCH3
O O
N
Lycorin
3.4.2 Pyrrolizidin-Alkaloide
Pyrrolizidin-Alkaloide treten häufig in Senecio- und Crotalaria-Arten auf. Von Wichtigkeit sind hier die Toxine, die sich vom Retronecin durch Dilactonbildung ableiten. Sie zeigen eine hohe Hepatotoxizität.
3.4 Alkaloide mit Indolizidin-, Pyrrolizidin- und Chinolizidin-Struktur
217
HO H
HO
1 7
8
6
N 5
(+)-(7R,8R)-Retronecin
2
4
3
Hierzu zählen Retrorsin und Senecionin: HO HO
HO O O
O H
O
O O
Retrorsin
N
O
O H
Senecionin
N
Die Oxidation verschiedener monoacylierter Retronecine zum N-Oxid führt zu Produkten mit Antitumoraktivität. N-Oxide der Pyrrolizidin-Alkaloide wurden auch aus Senecio spp. als natürlich vorkommende Substanzen isoliert. Eine wichtige Rolle spielt diese Verbindungsklasse bei Arthropda (Abwehrsubstanz des Tausendfüßlers Polyzonium rosalbum). H
NO2
Nitropolyzonamin
N
In Schmetterlingen der Gattung Danainae findet man Pyrrolizidin-Alkaloide als Pheromone. HO
CHO
N
O
CH2OH
N
CHO
N
Die erste Totalsynthese von Retronecin und dem entsprechenden Enantiomer wurde von Nishimura durchgeführt. Der zentrale Schritt der Synthese ist die Einführung des Allylalkohol-Systems, entweder an C-1 oder C-7 durch entsprechende Differenzierung mittels Schutzgruppen an diesen Positionen. Als Ausgangsverbindung wird 3-Azido-1,2-O-isopropyliden-5,6-di-O-mesyl-αD-glucofuranose 52 (hergestellt aus D-Glucose) verwendet. Hierbei besitzen die Kohlenstoffatome C-3 und C-4 die richtige Konfiguration für (+)-Retronecin und C-2 und C-3 für (-)-Retronecin. Da während der Synthese keine neuen Stereozent-
218
3 Biogene Amine und Alkaloide
ren aufgebaut werden, werden als Endprodukte die reinen Enantiomeren erhalten (Chiral-Pool-Synthese). Ausgehend vom Azidozucker 52 wird durch Raney-Ni-Reduktion der Aminozucker erhalten, der in situ nucleophil am C-6-Mesylat angreift, wobei sich das Pyrrolidin 53 bildet. Einführung einer Schutzgruppe mit Benzyl-S-4,6-dimethyl– pyrimid-2-ylthiocarbonat am Stickstoff ergibt, nach nucleophiler Substitution mit LiCl und Reduktion mit Tributylstannan, das entsprechend reduzierte Derivat 54. Abspaltung von Aceton und Acetalisierung mit Methanol ergibt eine sekundäre Hydroxygruppe in 55, die mit Benzylchlorid in 56 geschützt wird. Überführung des Acetals in das Halbacetal und Wittig-Reaktion ergeben den Allylalkohol 57. Die sekundäre Hydroxygruppe wird mit Methoxyethoxymethylchlorid (MEMCl) geschützt. Hydroborierung mit 9-Borabicyclo-[3,3,1]-nonan und Oxidation mit H2O2 ergeben den primären Alkohol 58, der, nach Mesylierung und Abspaltung der Aminoschutzgruppe mit Raney-Ni, als Fluchtgruppe bei der Bildung des Pyrrolizidins agiert. Es entsteht das 1,7-Dihydroxypyrrolizidin 59 mit unterschiedlichen Schutzgruppen an C-1 und C-7. MsO MsO
6
MsO 5
O N3
H H
Raney Nickel
1
H
O
52
O
N HH
O
R
O
HH
R
O
H+ CH3OH
O
N
OMe N
O
H
R
54
C6H3CH2Cl
OH
55
H
H O OMe
N
OH
1. H+/H2O 2. (C6H5)3P+-CH2-
R
OMEM N
H
Hydroborierung
OMEM OH
N O
R C6H5
H
O
57
C6H5
H
MEMCl
N
O
56
H
HH
H
H
Bu3SnH
R
O
53 O
H
H
O N
H
R
H
1. R-X 2. LiCl
H
O
O
3
Cl
H
H
58
1. MsCl 2. Raney Nickel
C6H5 MEMO
H
OBz
N
O C6H5
59(+)-(1S,7R,8R)
3.4 Alkaloide mit Indolizidin-, Pyrrolizidin- und Chinolizidin-Struktur HO
OBz
H
MEMO
H
OBz
HCl N
65
Raney Nickel
MEMO
C6H5-S
N
N
59
60 1. MsCl 2. C6H5SNa
OBz
H
MEMO
N
1. HCl 2. H2O2
OBz
H
MEMO
SO2-C6H5
H
62
N 1. LDA ClCH2OBz 2. Δ
1. LDA ClCH2OBz 2. Δ
OBz
H
MEMO
BzOCH2
SO2-C6H5
H
CH2OBz N
O H
Δ OBz
MEMO
N
HO H
63
N
Δ Bz
61
N
N
C6H5-SO2
S-C6H5
H
1. HCl 2. H2O2 C6H5-SO2
OH
H
1. MsCl 2. C6H5SNa
219
OBz H
64
N
OH
N
HO
Enantiomere
(-)-(7S,8S)-Retronecin Abb. 3.24. Synthese von (+)- und (-)-Retronecin
OH H N
(+)-(7R,8R)-(natürliches) Retronecin
220
3 Biogene Amine und Alkaloide
Die MEM-Gruppe in 59 kann mit HCl, die Benzylgruppe mit Raney-Ni abgespalten werden. Durch Abspaltung der Benzylgruppe kann (+)-Retronecin erhalten werden. Die Allylhydroxygruppe wird folgendermaßen aufgebaut: Der sekundäre Alkohol 60 wird mit Mesylchlorid verestert und anschließend mit Natriumthiophenolat in 61 substituiert. Nach der Protonierung des Stickstoffes kann mit H2O2 zum Sulfoxid 62 oxidiert werden. Die Protonierung des N-Atoms verhindert die Oxidation zum N-Oxid. Die C-1-Position ist nun in der Lage, ein Carbanion zu bilden, welches über das Sulfoxid stabilisiert werden kann. Alkylierung mit Benzyl-chloromethylether zu 63 und Erhitzen des Produkts ergeben eine thermische Eliminierung des Sulfoxids zu 64. Es entsteht der Benzyl-geschützte Allylalkohol. Abspaltung der Schutzgruppe ergibt das natürliche (+)-Retronecin. Wird dagegen zuerst der MEM-Ether zu 65 gespalten, und der Aufbau des Allylalkohols analog durchgeführt, entsteht nach Abspaltung der Schutzgruppen (-)Retronecin. Hier wurde der Allylalkohol auf der linken Seite eingeführt. Wie in Abb. 3.24 zu erkennen ist, sind damit beide Enantiomere zugänglich. Die Konzentration an Pyrrolizidinen im Honig kann bei 1–4 µg/g liegen, wenn die Bienen bestimmte Pflanzen (Senécio jacobáéa L., Fam. Asteráceae oder Compósitae, Korbblütler) anfliegen. Diese Honige besitzen einen bitteren Geschmack. Die LD50-Rate für Pyrrolizidine soll im Tierversuch bei 100 mg/kg Körpergewicht liegen. In Südafrika ist ein Budd-Chiari-Syndrom beschrieben, das durch den Verzehr von Senecio-Mehl hervorgerufen wird. In Afghanistan sind ebenfalls Vergiftungen mit Leberschäden bei der Herstellung und anschließendem Verzehr von Mehl, welches mit Heliotropium-Spezies kontaminiert war, aufgetreten. Das Mehl enthielt vorwiegend Heliotrin als Pyrrolizidin-Substanz. In Schafsmilch wurden Konzentrationen von 0,3–0,8 µg/g gefunden, nachdem die Schafe pro Tag etwa 1.500 mg Pyrrolizidine gefressen hatten. Die Pyrrolizidine werden zu einem erheblichen Teil metabolisiert in der Milch von Schafen und Kühen gefunden. Nur 0,1 % wurden in die Milch sezerniert. Bienen metabolisieren im Wesentlichen die Pyrrolizidine nicht und so sind sie im Honig zu finden, wie sie von der Biene aufgenommen wurden. Die Pyrrolizidine und ihre N-Oxide sind weltweit in höheren Pflanzen, vor allem der Familien Asteráceae, Fabáceae, Apocynáceae, Boragináceae, Orchidáceae und Poáceae verbreitet. Etwa 260 Pyrrolizidine sind bisher entdeckt und strukturell aufgeklärt worden. Sie dienen den Pflanzen als Fraßschutz. Bei der Metabolisierung entstehen alkylierende Verbindungen, die an Nucleinsäuren und Proteine binden und dadurch deaktivierende Reaktionen auslösen. Sie wirken beim Menschen karzinogen, mutagen, leber- und zellschädigend und schmecken bitter.
O H3C O Jacobine (in Honig)
H
HO CH3 O H3C O
H H N
O
HO H3C O Jacoline (in Honig)
H3C HO
HO CH3
HO
O H3C O
H
O
H3C
HO
H N
Heliotrin (in afgh. Mehl)
CH3
O
O
H3C H N
O
3.4 Alkaloide mit Indolizidin-, Pyrrolizidin- und Chinolizidin-Struktur
221
3.4.3 Chinolizidin-Alkaloide
In Pflanzen werden Chinolizidin-Alkaloide in verschiedenen Leguminosen gefunden. Das einfachste Alkaloid dieser Klasse ist das Lupinin aus Lupinus luteus. Die gezüchteten süßen Lupinen enthalten nur noch geringe Mengen an Alkaloiden. Vergiftungen, die durch den Goldregen (Laburnum anagyroides) hervorgerufen werden, sind auf das Cytisin zurückzuführen. Pharmakologische Bedeutung besitzt das Hauptalkaloid des Besenginsters (Cytisus scoparius), das Spartein, das bei Reizleitungsstörungen des Herzens verwendet wird. OH H
H
N
N
H
H
N O
N
N H
(-)-Lupinin
H
H
(-)-Cytisin
H
(-)-Spartein
Tricyclische Verbindungen, die als Abwehrsubstanzen dienen, werden im Marienkäfer (Coccinella) gefunden. H
H
H
N
N
O
O
N H
H
H
H
H
Coccinellin
Precoccinellin
Convergin
H
H
H
N H
H
N H
Hippodamin
H
N H
Myrrhin
H
Propylein
Chinolizidin- und Indolizidin-Alkaloide können stereoselektiv über α-Acyliminium-Ionen einfach in einer Art Olefin-Carbocyclisierung (s. Kap. 3.1.1) aufgebaut werden. Ausgehend vom Imid-System wird durch selektive Reduktion mit NaBH4/H+ ein Hydroxylactam erhalten. Der maskierte Aldehyd wird durch Umsetzung mit Ethanol zum Ethoxylactam blockiert, was eine chromatographische Aufarbeitung der Reaktionsmischung erlaubt.
222
3 Biogene Amine und Alkaloide
NaBH4 O
O
N
O
H+
N
R
H
EtOH
OH
H+
H O
N
R
OEt
R
Die intramolekulare Cyclisierung mit einem E- oder Z-Olefin erfolgt nun stereoselektiv zum Indolizidin (n = 1) bzw. zum Chinolizidin (n = 2). (CH2) n O
N
+
O
R
H
C
O
n
(H2C)
R
O O
C
n = 1 oder 2
N
R
H
H n
O
(H2C)
O O
C
H
N
O (CH2) n
O
(CH2) n
R
H
H
O
N
R
O H
N R
C
+
O
N
O
(CH2) n
H
3.4.4 Biosynthese der Indolizidin-, Pyrrolizidin- und Chinolizidin– Alkaloide
Retronecin wird ausgehend von Ornithin aufgebaut. Wahrscheinlich verläuft die Reaktion über Putrescin zum 4-Aminobutanal. Zwei Einheiten dieses Aldehydes können nun zum Pyrrolizidinsystem dimerisieren. NH2
NH2 COOH
CHO
NH2
NH2
NH2
Ornithin
CHO N
NH2
HO
H N
Retronecin
OH
3.4 Alkaloide mit Indolizidin-, Pyrrolizidin- und Chinolizidin-Struktur
223
Das in Lupinen vorkommende, bitter schmeckende Spartein wird aus Lysin über Piperidein aufgebaut. Man nimmt an, dass ein ∆1-Piperidein mit einer ∆1Piperidein-Einheit dimerisiert. Durch Angriff eines weiteren Piperideins bildet sich letztlich Spartein, das auch bei Reizleitungsstörungen des Herzens eingesetzt wird. Das benötigte ∆1-Piperidein entsteht durch Isomerisierung von ∆1Piperidein. NHCH2-PMP
+ PMP N
N
N
N
H
H H
N
H
+
NH
H
N
+
PMP
H
+
H HN HN PMP
H N
H
H
O
H
H
OH
H
N H
NH
N
N H
HN
- PMP NH
PMP
N
PMP
H
H
N
H
+
H N
Reduktion
+
H
+
Sparteim
N
H
H
H
Slaframin entsteht aus Pipecolinsäure und einer Acetat-Einheit. Ringschluss, Aminierung und Reduktion ergeben das Indolizidin-System.
COOH N
H
L-Pipecolinsäure
O
O H3C
C
SCoA
O SCoA
N
H
224
3 Biogene Amine und Alkaloide H
H
O
N
H2N
OAc
Slaframin
N
3.5 Purin-Alkaloide Die Purin-Alkaloide leiten sich vom Xanthin ab, dem der Purin-Grundkörper zugrunde liegt. Die wichtigsten Purin-Alkaloide sind das Coffein, Theophyllin und Theobromin. Coffein wird zu ca. 1 % in der Kaffeebohne (Coffea arabica), bis zu 5 % in den Teeblättern von Camelia sinensis und im Samen von Colanüssen (Cola nitida) bis zu 2 % gefunden. Im Gehirn entfaltet Coffein seine Wirkung, die bei Erwachsenen 4–6 h anhält. Es wirkt diuretisch sowie zentral stimulierend und fördert dadurch, in Maßen genossen, die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit, regt Atem- und Kreislaufzentrum an und bewirkt eine Erweiterung der Blutgefäße. Die anregende Wirkung von Coffein ist u. a. auf eine Blockierung der Adenosinrezeptoren zurückzuführen, was den Organismus in eine verlängerte Aktionsphase versetzt. Innerhalb von 3–5 h wird es im Organismus zur Hälfte abgebaut. Überdosierungen von Coffein und anderen Purinalkaloiden von etwa 300 mg aufwärts äußern sich in Unruhe, zentraler Erregung, Harndrang, Schlaflosigkeit, psychischen Veränderungen wie Bewusstseinsstörungen, gefolgt von Krämpfen, Erbrechen, Herz- und Kreislaufkollaps und Koma. Die letale Dosis liegt bei etwa 10 g. Schwangeren wird vorsichtiger Genuss von Purin-Alkaloide-enthaltenden Aufgussgetränken angeraten. Coffein wird vollständig resorbiert und erreicht nach 30–60 min ein Maximum im Blut. O 1
6 5
N 2
7
H
N 8
N
4
3
Purin
N9 H
O
N N H
Xanthin
O N
R''
N
O
H
R N
N N
N
R'
Coffein: R = R' = R'' = CH3 Theophyllin: R = H, R' = R'' = CH3 Theobromin: R = R' = CH3, R'' = H
Als Nebenkomponente ist in der Teepflanze und in Mateblättern auch Theophyllin enthalten. Das bitter schmeckende Theobromin kann aus dem Samen der Kakaopflanze (Theobroma cacao) isoliert werden, in dem es bis zu 2 % enthalten ist. Theophyllin und Theobromin wirken harntreibend (Diuretikum). Theophyllin ist hinsichtlich der Stimulierung des Zentralnervensystems mit dem Coffein ver-
3.5 Purin-Alkaloide
225
gleichbar. Der typische bittere Geschmack von Kakao soll durch Zusammenwirken der beim Röstvergang entstehenden Piperazindione mit dem Theobromin entstehen. Theobromin hat neben der diuretischen auch eine gefäßerweiternde und den Herzmuskel anregende Wirkung, die aber schwächer ausgeprägt ist als die des Coffeins. Auch im Tierreich sind Purin-Alkaloide gefunden worden, nämlich 7Methylguanin aus dem Regenwurm (Lumbricus terrestris) und das Herbipolin aus Geodia gigas. OH
N
N N
H2N
O
CH3
CH3 N
N
7-Methylguanin
N
Herbipolin
N
N
H2N
H
+
CH3
Coffein ist wegen seiner zentral erregenden Wirkung als Genussmittel (Kaffee, Tee, Erfrischungsgetränke) beliebt. Durch Erregung des Vaguszentrums führen niedrige Dosen zu Bradykardie, höhere Dosen zu Tachykardie. Die Gefäße reagieren uneinheitlich; der Blutdruck wird kaum beeinflusst. Besondere Bedeutung besitzt es in der Medizin dadurch, dass es die Wirkung von Analgetika verstärkt; es ist daher Bestandteil vieler Schmerztabletten. Die hierfür benötigten Mengen sind so groß, dass das natürliche Coffein, das z. B. bei der Herstellung von koffeinfreiem Kaffee gewonnen wird, bei weitem nicht ausreicht, sodass es industriell synthetisiert wird. Hierfür gilt folgendes Verfahren: O NH2 O NH2
H
COOR
+
CN
- ROH
O
O H O
N
OH-
N CN NH2
NH2
Red.
H O
N
H
NH2
N H
O
O NH2
N
HNO3
N
O
O NO2
N
O H
H2N
NH2
NH2
H
N
Harnsäure
O
O H N
N N H
H
H HCOOH
H
O N
N
O
H
O
H N
N
MeO
S O OH-
OMe
O H3C O
CH3 N
N N
N
CH3
Coffein
226
3 Biogene Amine und Alkaloide
Harnsäure wurde bereits 1776 als Bestandteil von Blasensteinen entdeckt. Es ist das Endprodukt des Eiweißabbaus von Reptilien und Vögeln und ist damit z. B. zu 25 % im Guano vorhanden. Die pathologische Ablagerung von Harnsäure in den Gelenken wird als Gicht bezeichnet. Vom Purin-Typ sind auch die Toxine, welche die Muschelvergiftungen verursachen. Diese Substanzen werden allerdings nicht von den Muscheln selbst produziert, sondern durch Dinoflagellaten, die mit der Nahrung aufgenommen werden. Da so die Giftigkeit mit dem Auftreten der Dinoflagellaten einhergeht, erklärt sich die jahreszeitliche Toxizität von Muscheln. Besonders gefährlich sind die Monate Mai bis September. Auch die Dinoflagellaten produzieren nicht immer selbst Toxin, sodass man die Mitwirkung von Bakterien bzw. Viren annimmt. Als Haupttoxine wurden Saxitoxin und die Gonyautoxine isoliert. Die tödliche Dosis für den Menschen liegt bei etwa 1 mg Saxitoxin. H2N
C
O
O
N
+
N N
H
H
N
HN H
H
H
N H O
Saxitoxin: R = H Gonyautoxin III: R = OH
+
H
R
3.6 Steroid-Alkaloide In den Solanaceen-Gattungen Solanum und Lycopersicum sowie in den LiliaceenGattungen Veratrum, Schoenocaulon, Zygadenus und Fritillaria finden sich Alkaloide mit Sterol-Grundgerüst, dabei lassen sich zwei Strukturtypen unterscheiden:
H O
N N
H
H
H
H HO
H
Spirosolan-Typ
H
H
H HO
H
Solanidan-Typ (Indolizidin-Partialstruktur)
Während in diesen Alkaloiden das volle Kohlenstoffgerüst der Steroide vom Cholesterin-Typ enthalten ist, finden sich in den Apocynaceen-Gattungen Holarrhena und Funtumia Alkaloide mit dem Kohlenstoffgerüst des 5α-Pregnans
3.6 Steroid-Alkaloide
227
bzw. des Pregn-5-ens. Weiterhin werden Alkaloide gefunden, an denen die Gerüststruktur der Steroide verändert ist, wie z. B. in den Salamander-Alkaloiden und Veratrum-Alkaloiden. 3.6.1 Solanum-Alkaloide
Das Solanidin ist das Aglycon des Solanins. Das natürlich vorkommende Solanin lässt sich durch vorsichtige Säurehydrolyse in Solanidin und ein als Solatriose bezeichnetes Trisaccharid spalten. Die Solanum-Alkaloide werden in Solanum tuberosum (Kartoffel), Solanum lycopersicum (Tomate), Solanum melongena (Aubergine) sowie in Solanum dulcamara (Bittersüßer Nachtschatten) und Solanum nigrum (Schwarzer Nachtschatten) gefunden. Die Solanum-Alkaloide liegen vorwiegend als Glycoside vor. Weiterhin wurde auch das 12-Hydroxy-solanidin, das Rubijervin, isoliert. R
H
H
N H
Solanidin: R = H Rubijervin: R = OH
H HO
Die Struktur des Aglycons, Solanidin, ergibt sich u.a. aus der SelenDehydrierung: H
H
N H H HO
Solanidin
Se
+
N
Ein weiterer Strukturbeweis ist die Darstellung von 5β-Solanidanol, zum einen durch Hydrierung des Solanidins, zum anderen aus Sarsasapogenin auf folgendem Weg: Oxidation mit Chromoxid spaltet das Spiroketal-System. Umsetzung der beiden Ketogruppen an C-16 und C-22 mit Hydroxylamin und Hydrierung unter sauren Bedingungen ergeben ein cyclisches Amin. Nach der Lactambildung wird es zum Amin reduziert.
228
3 Biogene Amine und Alkaloide O
O
H
COOH
O O
H
CrO3
H HO
NH2OH
H
O
H
Sarsasapogenin HO
N
COOH H COOH
N
N OH Pt/H2 O
HCl H
H O
H
H
N
N
H O
Δ
H
H
H
H
O
LiAlH4
H H HO
H
H
5β-Solanidanol
H
H
H
H
N H H HO
Solanidin
N Hydrierung
H H HO
H
5β-Solanidanol
Isomer mit dem 5β-Solanidanol ist das (5α)-Demissidin aus Solanum demissum. Die Synthese des Demissidins geht aus von 3β-Hydroxy-5α-pregnan-20-on. Über die Addition von Picolyllithium und Hydrierung wird eine PiperidinSeitenkette aufgebaut (Abb. 3.25).
3.6 Steroid-Alkaloide
O
229
N Li N
H HO
H HO
H
H
N
1. NaOCl 2. H+/Δ
H
Pd/H2
H HO
H
H
N H Cl
EtONa
N
H HO
H
H HO
H
Demissidin
Abb. 3.25. Partialsynthese von Demissidin
Der Aufbau des Fünfringes erfolgt durch Hofman-Löffler-Freytag-Cyclisierung (Abb. 3.26). Durch Umsetzung des Amins mit NaOCl entsteht ein Chlorammonium-Ion, das durch Homolyse ein Ammoniumradikal bildet. Über einen sechsgliedrigen Übergangszustand erfolgt die Bildung eines sekundären Radikals an C16. Dieses reagiert mit einem weiteren Chlorammoniumion zum Ammoniumradikal und zur C-16-Chlor-Verbindung. Durch Cyclisierung entsteht der IndolizidinTeil in der Seitenkette. 3.6.2 Spirosolan-Alkaloide
Typische Vertreter der Spirosolan-Alkaloide sind die beiden Alkaloide Tomatidin und Solasodin. Tomatidin kommt frei und als Glycosid (Tomatin) in den Schalen der Tomate (Solanum lycopersicum), in Solanum demissum und Solanum tomatilla und den Schalen der Aubergine (Solanum melongena) vor. Die Mengen an Toma-
230
3 Biogene Amine und Alkaloide
N
+
N
H
N
Cl
NaOCl
H H
H H
Δ +
H
N H
H
+
+
H
H Cl
Cl
C H
N
N
H H
+
N
-
H
H N
Abb. 3.26. Aufbau des Indolizidin-Systems im Demissidin
tin hängen von Art, Sorte, Vegetationsperiode und meteorologischen Bedingungen des Anbaujahres ab, sind jedoch in reifen Früchten so gering, dass Vergiftungen ausgeschlossen sind. Soladulcidin ist das Aglycon des Soladulcins aus Solanum dulcamara. Verwandte Verbindungen sind Tomatidenol, Tomatidin und Solasodin. Soladulcidin und Tomatidin sowie Solasodin und Tomatidenol sind C-22/C-25 Isomere. Tomatidin lässt sich in einer dem Marker-Abbau analogen Reaktionsfolge zum 3β-Hydroxy-5-pregn-16-en-20-on abbauen; technisch ist dieses Verfahren jedoch nur von untergeordneter Bedeutung (K. Schreiber). 21
H
20
27
26
H N
H
25
H
24
17
O
23
O
H
H
H HO
N
H
(22R,25R)-Soladulcidin
H HO
(22R,25R)-Solasodin
3.6 Steroid-Alkaloide
H
H O
N O
H
H
N H
H
H HO
231
H HO
H
(22S,25S)-Tomatidin
(22S,25S)-Tomatidenol
Die Synthese des Tomatidins und des Soladulcidins nimmt folgenden Verlauf (Abb. 3.27). Ausgehend vom 16,17-ungesättigten Keton 66 kann die β-Hydroxygruppe an C-16 auf zweierlei Weise eingeführt werden. Umsetzung mit Hypobromiger Säure ergibt das 17α-Brom-16β-hydroxypregnanon 67. Die Stereochemie erklärt sich durch den Angriff des Bromoniumions von der α-Seite und die Anlagerung des Hydroxidions von der β-Seite. Enthalogenierung und Acetylierung ergeben das 16β-Acetoxysteroid 68. Eine weitere Variante ist die Epoxidierung mit H2O2 zu 69 und Reduktion mit Cer-II-acetat zu 68. Umsetzung mit βPicolinlithium gefolgt von Eliminierung zum 20,21-En ergibt nach Hydrierung und Hydrolyse die Steroide 70a und 70b mit einem Piperidin-Ring in der Seitenkette. Chlorierung mit N-Chlorsuccinimid und Eliminierung mit Natriummethanolat zum cyclischen Ketimin ergibt durch Cyclisierung die zwei isomeren Verbindungen Soladulcidin und Tomatidin. Hierbei bildet sich aus den beiden isomeren 25-Methyl-Steroiden jeweils ein N/O-Spiroketal. Da aufgrund des anomeren Effektes das Sauerstoffatom an C-22 axial orientiert sein muss, bildet sich die Verbindung, in der die C-25-Methylgruppe äquatorial steht. Somit entsteht aus dem 25S-Steroid 70a spezifisch das Tomatidin als 22S,25S-Produkt. Aus dem 25RSteroid 70b erhält man das Soladulcidin als 22R,25R-Produkt. H
21
20 17
25 22
O
N
N H
(22S,25S)-Derivat
O
(22R,25R)-Derivat
Das Tomatin besitzt stark fungizide Eigenschaften, insbesondere gegen den Erreger der Welke-Krankheit der Tomaten (Stammfäule); ebenso wie das Demissin schützt es die Pflanzen vor dem Befall durch den Kartoffelkäfer. In neuerer Zeit hat sich herausgestellt, dass Soladulcidin teratogene Wirkung besitzt, was sich dadurch bemerkbar macht, dass trächtige Rinder, die Solanaceen mit dem Futter aufnehmen, Kälber mit missgebildeten Vordergliedmaßen gebären. Dagegen sind Tomatin bzw. Tomatidin nicht teratogen. Verantwortlich hierfür ist die Stellung des Stickstoffs im Spiransystem (R. Keeler).
232
3 Biogene Amine und Alkaloide O
O 17
17
Br OH
HOBr
H AcO
AcO
H
66
H
H2O2/OH-
H
67
O
1. Ac2O 2. Bu3SnH
O O
17
OAc Ce(OAc)2 H AcO
H AcO
H
69
H
N
68
OH N
N
17
17
OAc POCl3
H AcO
H AcO
H
H
N
17
OH H HO
H
NClS
70a /70b
Abb. 3.27. Partialsynthese von Soladulcidin und Tomatidin
H
OAc Pt/H2 OH-
Li
3.6 Steroid-Alkaloide
Cl
N
233
N NaOMe
17
17
-HCl
OH
O H
H
H
H
21
27 26
N
H
25
H
20
24
17 23
O H
O
+ H HO
H
H
H
H HO
N
Soladulcidin
H
Tomatidin
Abb. 3.27. Partialsynthese von Soladulcidin und Tomatidin (Fortsetzung)
3.6.3 Funtumia-Alkaloide
Die Funtumia-Alkaloide besitzen ebenfalls ein Pregnan-Gerüst, allerdings ohne den heterocyclischen Fünfring. Sie kommen in Funtumia- und Holarrhena-Arten vor. Diese Verbindungen sind aus den 5α-Pregnanen zugänglich. Abbildung 3.28 zeigt die Strukturen von Funtumidin und Funtumin. HO
O 17
17
H H H2N
H H
H
Funtumidin Abb. 3.28. Funtumia-Alkaloide
H H2N
H
Funtumin
H
234
3 Biogene Amine und Alkaloide
3.6.4 Salamander-Alkaloide
Auch aus dem Tierreich sind Steroid-Alkaloide bekannt. Samandarin und verwandte Verbindungen kommen im Hautdrüsensekret des Feuersalamanders, Salamandra maculosa, vor. Diese Alkaloide sind zentral wirkende Krampfgifte, deren breite Aktivität gegen Bakterien wie auch gegen Pilze bemerkenswert ist. Sie dienen den Tieren als Schutz vor dem Befall der Haut durch Mikroorganismen. Durch Röntgenstrukturanalyse konnte die Struktur des Samandarins aufgeklärt werden. Auch die Strukturen des Samandarons, Samandaridins, O-Acetylsamandarins, Samandenons, Samandinins, Cycloneosamandions und Cycloneosamandaridins wurden spektroskopisch bzw. röntgenographisch bestimmt. Unter den Nebenalkaloiden ist das Cycloneosamandion besonders zu erwähnen. Es besitzt anstelle des für die Alkaloide der Samandarin-Reihe charakteristischen Oxazolidinrings ein Carbinolamin-System. Einem dritten Typ gehört das Samanin an. Auch Alkaloide mit einer Seitenkette an C-17 wurden gefunden, z. B. das Samandenon. Biogenetisch werden die Salamander-Alkaloide aus Cholesterin gebildet. Einen Überblick gibt Abb. 3.29. H H HN
H
O
H H
OH
HN
H
O
H
H
H
HO H H
O
H H
O
H
N
H
O H
H
H
Cycloneosamandion
Cycloneosamandaridin
H H
O
H
Samandaridin
HO
HN
O
H
Samandarin
N
O
H O
H
HN
H
Samandenon Abb. 3.29. Überblick über die Salamander-Alkaloide
H
H
Samanin
OH
3.6 Steroid-Alkaloide
235
3.6.5 Veratrum-Alkaloide
Bei den Steroid-Alkaloiden in Liliaceen wie z. B. Veratrum album findet man Alkaloide vom Jervin-, Veratramin- und Solanidin-Typ. Hierzu gehören Rubijervin, Jervin und Veratramin. Es handelt sich hierbei um C-Nor-D-Homo-Steroide. H H
N
O O
N HO
H
H OH
HO H
Jervin
H
O
N
OH
OH
H
H
O
HO O
HO HO
H
H
HO
OMe OMe
Veratramin
Veratridin
Die gesamte Pflanze, besonders aber das Rhizom von V. album und von V. sabadilla, enthält Alkaloide, die für die pharmakologische Wirksamkeit und Giftwirkung verantwortlich sind. Es treten Kreislaufkollaps und Atemlähmung auf. Für Veratrum californicum konnten bei Weidetieren teratogene Effekte beobachtet werden. Weiterhin sind Vergiftungen durch Veratrum-Alkaloide nach dem Verzehr von Honig aufgetreten, der über die Pollen verunreinigt gewesen ist. Zu dieser Gruppe gehört auch das Veratridin, ein Natriumkanal-Neurotoxin, das toxikologisch eng mit Batrachotoxin verwandt ist (s. Kap. 3.6.7). Ausgehend von 12-Hydroxysteroiden sind die C-Nor-D-homo-Steroide partialsynthetisch durch Umlagerung einfach zugänglich. Hierbei verhalten sich 14αund 14β-Steroide sehr unterschiedlich. Um eine gute Fluchtgruppe an Position C12 zu erhalten, wird der entsprechende Alkohol entweder zum Mesylat oder Tosylat umgesetzt. Die Reaktionen von 14α,12β-Tosylsteroiden führen zu umgelagerten Produkten vom C-Nor-D-homo-Typ. Dagegen erhält man aus den 14α,12αTosylsteroiden fast ausschließlich 11-Alkene. OTs
18 17
R
R
13
+
14
H
12β-OTs
H
H
11
18 13
12 14
H
R 17
236
3 Biogene Amine und Alkaloide OTs R
R
12α-OTs H
H
In den 12β-Sulfonyloxy-14α-Steroiden (X = OTs, Y = H) ist ein Rückseitenangriff des wandernden C-14-Kohlenstoffatoms an C-12 möglich. Man erhält die CNor-D-homo-Verbindungen. Eine Bildung der 11-Doppelbindung wird nicht beobachtet, da die Abgangsgruppe und die hierzu β-ständigen H-Atome an C-11 entweder trans (diäquatorial) oder cis (äquatorial-axial) stehen. Aus dieser Konformation heraus ist eine E2-Eliminierung erschwert. Dagegen befinden sich Abgangsgruppe und das zu abstrahierende 11β-Proton in 12α-Tosyloxysteroiden in der für eine Eliminierungsreaktion günstigen antiperiplanaren Stellung (Y = OTs, X = H). H
CH3
H
R
X
11 8
9
12
Y
14
H
Komplizierter ist die Umlagerungssequenz der 14β-Hydroxysteroide. So werden bei der Reaktion von 12α-Mesyloxy-14β-hydroxy-, sowie von 12β-Mesyloxy14β-hydroxy-Steroiden, zwei unterschiedliche Umlagerungsprodukte gebildet. Ein 11-Alken wird nicht beobachtet. OH
H
H R
OH AcO
Δ
OH AcO
H
H
H R
OH H
H
13,17-Seco-12,17-cyclo-Steroid OH
12α-OH
R
12
1. MsCl 2. Pyridin
12β-OH
AcO
H
1. MsCl 2. Pyridin
C
Δ
12
H D
OH AcO
H
C-Nor-D-homo-Steroid
R
3.6 Steroid-Alkaloide
237
Das H-12 steht in beiden Umlagerungsprodukten β-ständig. Die Umlagerung der 12β-Mesyloxyverbindung führt zu einem 13,17-Seco-12,17-cyclo-steroid. Dies erklärt sich durch den Angriff von C-17 an der C-12-β-Mesyloxyverbindung. Hier wandert im Gegensatz zu den 14α-Steroiden das C-17. So erklärt sich die Bildung der thermodynamisch stabileren Seco-CycloStruktur, in der alle vier Ringe in der spannungsfreien Sesselkonformation vorliegen. Der Angriff von C-17 erfolgt an C-12 in der Wannenkonformation. H 11
CH3
18
H 8
9
H
13
12 14 17
OH
13,17-Seco-12,17-cyclo-Steroid
R
AcO
Die Bildung der Wannenkonformation ist energetisch offensichtlich so begünstigt, dass auch die 12α-Mesyloxyverbindung nicht zum 11-Alken eliminiert, sondern sich vielmehr durch den Angriff von C-14 an C-12 zum 12β-Nor-D-homoSteroid umlagert. H
H
11
CH3
18
12
8
14
7
H
H OH
C-Nor-D-homo-Steroid
R
H
AcO
16
Der Rückseitenangriff von C-14 oder C-17 an C-12 kann am besten in der Newmann-Projektion der Wannenform verdeutlicht werden: 18
CH3
X
Y
HO
13
17
14
H R
11 15
16
Blickrichtung längs der C-12/C-13 Bindungsachse 12α-Mesyloxy X = H, Y = OMs (Angriff von C-14 an C-12) 12β-Mesyloxy X = OMs, Y=H (Angriff von C-17 an C-12)
238
3 Biogene Amine und Alkaloide
O O O
O
COOH
KMnO4 Aceton OH AcO
OH AcO
H
H
O O
C
1. CDI 2. NaH
NaBH4
O AcO
H OH
OH C
O
+
O AcO
C O O AcO
H
H
MsCl/Pyridin
MsCl/Pyridin
OMs
OMs C
O
C
O AcO
O AcO
H
H
Collidin Δ
Collidin Δ
C
O
O AcO
H
Abb. 3.30. Eliminierung von 14β-OH-Steroiden zu 11-Alkenen
O
3.6 Steroid-Alkaloide
239
Zur Vollständigkeit der Umlagerung bei 14β-OH-Steroiden soll mit Abb. 3.30 noch auf die Möglichkeit der Bildung von 11-Alkenen in diesen Verbindungen hingewiesen werden. Der Trick besteht in der sterischen Fixierung von C-14 und C-17 in einem [2,2,1]-Bicyclus, in dem diese Atome Brückenkopfatome sind und damit keine sterische Flexibilität mehr besitzen. Dies gelingt ausgehend von Acetyldigoxigenin durch Abbau des Cardenolidrings zu Carbonsäure und Lactonisierung mit C-14. Auch bei 40 h in siedendem Collidin ist das erhaltene 12β-Mesyloxy-17,14β-carbolacton aufgrund der trans-diäquatorialen Stellung der zu eliminierenden Gruppen nicht in der Lage zu eliminieren. Die Umlagerung ist ebenfalls wirksam blockiert, sodass diese Verbindung quantitativ zurückgewonnen werden kann. Die 12α-Mesyloxyverbindung liefert in Collidin aufgrund der transdiaxialen Stellung der zu eliminierenden Gruppen in 90 %iger Ausbeute das 11Alken. 3.6.6 Batrachotoxine
In den Pfeilgiftfröschen der Familie Dendrobatidae werden in fünf PhyllobatesSpezies (P. lugubris, P. aurotaenia, P. vittatus, P. bicolor und P. terribilis) Steroid-A1kaloide vom Typ der Batrachotoxine gefunden. Als gemeinsame Strukturmerkmale in diesen Verbindungen findet man eine 3α,9α-Oxido-Gruppe und einen Oxazepin-Ring. Die 20S-Hydroxygruppe ist mit einer Pyrrolcarbonsäure verestert. Batrachotoxin (71) gehört zu den giftigsten Verbindungen, die bisher bekannt sind. Die Bezeichnung der Dendrobatidae als „Pfeilgiftfrösche“ ist hauptsächlich in der hohen Toxizität dieser Verbindungsklasse begründet. Sie werden in einigen Gebieten West-Kolumbiens zum Präparieren von Wurf- und Blaspfeilen verwendet. Die letale Dosis in Mäusen beträgt ca. 100 ng/Maus. Es wurde berechnet, dass die letale Dosis für den Menschen niedriger als 200 μg/Person liegen dürfte. Damit liegt die Toxizität etwa zwischen der des wirksamsten Curare-Alkaloids, des C-Toxiferins I, und der des Cobra-Neurotoxins. Die Wirkung ergibt sich vor allem durch cytotoxische Effekte am Herzen, was zu Herzrhythmusstörungen und Herzstillstand führt. Batrachotoxine verursachen eine Depolarisierung von Neuronen und Muskelzellen durch eine spezifische Wechselwirkung, die die lonenpermeabilität elektrogener Zellmembranbereiche gegenüber Natrium-Ionen erhöht. Durch die Anlagerung von Batrachotoxinen an die Bindungsstellen, welche mit den Natrium-Kanälen assoziiert sind, resultiert eine Blockierung der physiologischen Inaktivierung dieser Kanäle. Dies führt bei Neuronen zu einer beschleunigten Freisetzung gespeicherter Transmitterstoffe und damit zu einer intensivierten Reizauslösung. Es wird kein Effekt auf die Kalium- und Calcium-kanäle festgestellt. Der wichtigste Antagonist ist das u. a. auch aus Fröschen der Gattung Atelopus isolierte Tetrodotoxin (s. Kap. 3.3.3).
240
3 Biogene Amine und Alkaloide H
O
CH3 OR
X =
CH3
HO H3C O HO
N
O
N
H
H O
H
Y =
Batrachotoxinin A: R = H Batrachotoxin 71: R = X Homobatrachotoxin: R = Y
H5C2
CH3
N H
Für die biologische Aktivität der Batrachotoxine ist außer dem Oxazepin-Ring und der Pyrrolidin-Seitenkette auch die 3β-Hydroxy-3α,9α-oxido-Gruppe verantwortlich. H
CH3 OH
HO
7,8-Dihydrobatrachotoxinin A 72 O HO
O
N
CH3
H
Im Folgenden soll die Synthese von 7,8-Dihydrobatrachotoxinin A 72 beschrieben werden (Abb. 3.31). Es zeigt die gleiche Wirkung wie das Batrachotoxinin A, bei geringerer Aktivität. Die Ausgangsverbindung ist das Lacton 73, das in ausreichender Menge zur Verfügung steht. Reduktion des Lactons mit LiA1H4 ergibt unter Öffnung des Lactonrings das 18,20-Diol 74. Das 5β-H-Atom wird durch saure Spaltung des 3-Acetals und anschließende Hydrierung in 75 eingeführt. Oxidation mit CrO3 ergibt die 20-Ketoverbindung 76. Der Aufbau der 3,9Oxidogruppe in 77 ist durch cis-Dihydroxylierung mit OsO4 möglich. Nach der Hydroxylierung an C-11 und C-9 von der α-Seite, erfolgt der Ringschluss zum Hemiacetal 77 spontan, indem der A-Ring die Wannenkonformation annimmt.
HO
OH
HO
H
O
O OH
H
3.6 Steroid-Alkaloide
241
Die 3,9-Oxidogruppe wird als Acetal und die 11-Hydroxygruppe als Acetat in 78 geschützt. Einführung der 14β-Hydroxygruppe (s. auch Kap. 2.7) erfolgt durch α-Bromierung der 20-Ketofunktion mit NBS. Eliminierung mit LiBr/Li2CO3 und O
O
CH3
HO
HO
CH3 H
LiAlH4
H
O O
O
73 HO
HO
H2O/H+
H
O
74 HO
HO
CH3 H
H 1. Ac2O 2. CrO3
Pd/H2 H
H
O
O
H
O
AcO
CH3
75 O
AcO HO 1. OsO4 2. H2S
H O
H
O HO
H
76
78 AcO
1. NBS
H
O
2. LiBr/ CH3O Li2CO3
H
O
AcO O2N O CH3O
H
O
AcO
O H
2. Ac2O
77 AcO
AcO
CH3O
H
O
AcO
1. HCl/ CH3OH
79
Abb. 3.31. Partialsynthese von 7,8-Dihydrobatrachotoxinin A
O C OOH
H
1. NBS 2. LiBr/ Li2CO3
242
3 Biogene Amine und Alkaloide O
AcO
AcO
O CH3O
O
AcO
AcO Pd/BaSO4
O
O CH3O
H
NaOH
OH
H
80
81 O
HO
O
HO
HO MeO OMe O
CH3O
OH
O
H+
H
82
83 H CH 3
HO
CH3O
H CH 3 AcO
OH
O
Ac2O
O
O
84
AcO
OAc H3C
OH
CH3
O
H
85 N
H
H
H CH 3
AcO
OAc
CH3-NH2 O H
H CH 3
OCH2SCH3
86 H3C
H+
OAc
O
CH3O
H
CH3O
O
AcO
O S
O
H
H CH 3
HO
CH3O
OAc
O CH3O
H
O
NaBH4 -30°C
CH3O
H
O
O
OCH2SCH3
NaBH4
87
Abb. 3.31. Partialsynthese von 7,8-Dihydrobatrachotoxinin A (Fortsetzung)
3.6 Steroid-Alkaloide O
CH2Cl
H H3C
H CH 3
N
AcO
H3C
H CH 3
N
AcO
OAc
243
OAc
Cl-CH2-CO-Cl O CH3O
H
OCH2SCH3
O CH3O
88 O H3C
89
CH2Cl H CH 3
N
AcO
H CH 3 AcO
OAc
H+ CH3OH
H
OCH2SCH3
OAc
NaH O CH3O
H
OH
O CH3O
90
H
O
LiAlH4 CH3O
CH3
O
91
H CH 3 HO
N
H CH 3 HO
OH
OH
H+ O
O
N
CH3
O HO
H
92
O
N
CH3
H
7,8-Dihydrobatrachotoxinin 72
Abb. 3.31. Partialsynthese von 7,8-Dihydrobatrachotoxinin A (Fortsetzung)
erneute Anwendung dieser Reaktionssequenz führt zum 14,16-Dien-20-on 79. Die Epoxidierung mit p-Nitroperbenzoesäure erfolgt durch Angriff von der β-Seite, an der Doppelbindung mit der höchsten Elektronendichte, zu 80. Die Elektronendichte ist aufgrund der Carbonylgruppe an C-20 an der 14-Doppelbindung größer als am 16-Alken. Eine reduktive Öffnung ergibt den tertiären Alkohol an C-14 in 81. Im 7,8-Dihydrobatrachotoxinin A findet man am C-20-Alkohol die 20SKonfiguration. Die Reduktion des 20-Ketons in 81 ergibt aber den 20R-Alkohol als Hauptprodukt. Wird dagegen nach alkalischer Hydrolyse zu 82 das mit 2,2Dimethoxypropan/H+ resultierende Acetonid 83 mit NaBH4 bei -30°C reduziert, erhält man den 20S-Alkohol 84. Acetylierung und Spaltung des Acetals ergibt die 14,18-Dihydroxyverbindung 85. Oxidation mit DMSO/Acetanhydrid liefert, unter gleichzeitiger Ausbildung der C-14-O-Methylthiomethylgruppe, den C-18-
244
3 Biogene Amine und Alkaloide
Aldehyd 86. Acetylierung des Sulfoxidsauerstoffs in DMSO erlaubt den nucleophilen Angriff des Alkohols. Die positive Ladung am Schwefel ermöglicht die Ausbildung eines Carbanions in α-Stellung, wodurch der Alkohol über den dargestellten Übergangszustand oxidiert wird. H3C S
O
+
O Ac2O
R
H3C
H
H R
C
OH
+
H3C
H +
S
OAc
H3C
H
- AcOH - H+
R
C H
H2C
+
O
S
CH3 - CH3-S-CH3
Da der tertiäre Alkohol nicht oxidiert werden kann, verläuft der Angriff wahrscheinlich über das Schwefelylid zum entsprechenden Ether 86. R3C H3C
+
S H3C
H2C OAc
S
OAc
R3C-OH
H3C
O
H
O
H2C S H3C
CR3
OAc
CH2 S CH3
Die C-14-Schutzfunktion ist basenstabil und ermöglicht daher die Kondensation des C-18-Aldehyds mit Methylamin zu 87, was mit einer freien C-14Hydroxygruppe nicht möglich wäre. Reduktion mit NaBH4 ergibt das C-18-Amin 88. Umsetzung mit Chloracetylchlorid liefert das Chloracetat 89, das durch saure Hydrolyse das 14-Hydroxy-chloracetat 90 liefert. Reaktion mit NaH ergibt das Lactam 91, das durch Reduktion mit LiA1H4 den Oxazepin-Ring in 92 ergibt. Durch saure Hydrolyse entsteht das 7,8-Dihydrobatrachotoxinin A 72. 3.6.7 Biosynthese der Steroid-Alkaloide
Ausgehend vom Cholesterin wird in der Seitenkette C-22 zum Keton oxidiert. Bei der Hydroxylierung der Methylgruppe an C-25 wird als Zwischenprodukt der Solasodin-Biosynthese ein asymmetrisch substituiertes 25R-C-Atom und als Zwischenprodukt der Tomatidin-Biosynthese ein 25S-Zentrum aufgebaut. Phosphorylierung der Alkohole, Ketimin-Bildung und Cyclisierung ergeben die beiden Piperidein-Steroide. Hydroxylierung an C-16 und nucleophiler Angriff der Hydroxygruppe ergibt Solasodin und Tomatidenol.
3.6 Steroid-Alkaloide
245
H H
Cholesterin
H
HO [O]
O
[O]
O OH
OH H
H
[NH3] [P]
[NH3] [P]
N N
H
H [O]
[O]
N N OH
OH
H
H Cyclisierung
Cyclisierung H H
N
H
O
O
H
H
H HO
H HO
Solasodin
Tomatidenol
N H
246
3 Biogene Amine und Alkaloide O O OH
P
O
O
N H
N H
ATP
H
H
HO
HO
H H
C
H2C H
+
H
H
+
HN
N H
HO
HO
N H
Cevin-Grundgerüst
- H+ H HO
Abb. 3.32. Synthese des Cevin-Grundgerüstes
Die Solanum-Alkaloide können aus dem entsprechenden Ketimin 93 und anschließender Reduktion erhalten werden. Aus der Phosphorylierung an C-16 und einem intramolekularen nucleophilen Angriff des Stickstoffs resultiert die Indolizidinseitenkette.
[H] N OH
93
[P] HN OH
Literatur
247
H HN O O
P
N H
O
O
Die Steroid-Alkaloide mit C-Nor-D-homo-Struktur werden über 12Hydroxylierung und Phosphorylierung erhalten (Abb. 3.32). Phosphat, als gute Abgangsgruppe, leitet die Umlagerung des Steroidgerüstes ein. Der Angriff von C-14 an C-12 erzeugt ein Carbokation an C-17. Die Wanderung eines H-Atoms von C-18 nach C-17 und der nucleophile Angriff des Piperidin-Stickstoffs am Carbokation C-18 ergibt das Cevin-Grundgerüst, das im Veratridin vorkommt.
Literatur Empfohlene Monographien
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G. HABERMEHL: Toxicology, pharmacology, chemistry and biochemistry of salamander venom, in “Venomous Animals and their Venoms”, Vol. II, Chap. 42, p. 569–584, Academic Press, New York, 1971 2. G. HABERMEHL, P. ZIEMER: Giftpflanzen und ihre Wirkstoffe, Springer Verlag Berlin – Heidelberg – New York – Tokyo, 1999 3. G. HABERMEHL: Gift-Tiere und ihre Waffen, Springer Verlag Berlin – Heidelberg – New York – Tokyo, 1994 4. K.B.G. TORSSELL: Natural product chemistry, J. Wiley and Sons, Chichester – New york – Brisbane – Toronto – Singapore, 1983 5. K. MOTHES, H.R. SCHÜTTE, M. LUCKNER: Biochemistry of alkaloids, Verlag Chemie, Weinheim – Deerfield-Beach, 1985 6. H. RIMPLER: Pharmazeutische Biologie II, Biogene Arzneistoffe, Thieme Verlag Stuttgart – New York; 1990 7. H.G. BOIT: Ergebnisse der Alkaloid-Chemie bis 1960, Akademie Verlag, Berlin, 1961 8. W. TERNES: Naturwissenschaftliche Grundlagen der Lebensmittelzubereitung, Behr’s Verlag, Hamburg: 2008 9. S.V. BHAT, B.A. NAGASAMPAGI, M. SIVAKUMAR: Chemistry of Natural Products, Springer Verlag; Berlin – Heidelberg – New York, 2005 10. P. NUHN: Naturstoffchemie, S. Hirzel Verlag, Stuttgart, 2006
248
3 Biogene Amine und Alkaloide
Übersichtsartikel und Originalarbeiten
11. Y. INUBUSHI, T. IBUKA: Synthesis of 1-azaspiro[5,5]undecanes: Stereoselective synthesis of perhydro- and octahydrohistrionicotoxin, Heterocycles, 17, 507 (1982) 12. J.W. DALY, G.B. BROWN, M. MENSAH-DWUMAH, C.W. MYERS: Classification of skin alkaloids from neotropical poison-dart frogs (Dendrobatidae), Toxicon, 16, 163(1978) 13. L.E. OVERMAN, R.L. FREERKS: Short total synthesis of (±)-perhydrogephyrotoxin, J. Org. Chem. 46, 2833 (1981) 14. C. BOHLMANN, R. BOHLMANN, E.G. RIVERA, C. VOGEL, M.D. MANANDHAR, E. WINTERFELDT: Enantioselektive Totalsynthese von (+)-Geissoschizin und (-)-Geissoschizol, Liebigs Ann. Chem. 1985, 1752 15. P.E. HAMMANN, G.G. HABERMEHL: Eliminierungsreaktionen und Umlagerungen bei 14β-Hydro-12-Sulfonyloxy-Steroiden. Liebigs Ann. Chem. 1988, 149 16. G.G. HABERMEHL, O. THURAU: Eine einfache Synthese von rac. Gephyran. Naturwissenschaften 67, 193 (1980) 17. D.I. ROBINS: The pyrrolizidine alkaloids in „Progress in the chemistry of organic natural products”, Springer Verlag, Wien – New York, 1982, S. 115 18. J.W. DALY: Alkaloids of neotropical frogs (Dendrobatidae), in “Progress in the chetmistry of organic natural products”, Springer Verlag, Wien – New York, 1982, S. 205 19. Y. NISHIMURA, S. KONDO, H. UMEZAWA: Synthetic studies on pyrrolizidine alkaloid antitumor agents. Enantioselective synthesis of retronecine and its enantiomer from D-glucose, J. Org. Chem. 50, 5210 (1985) 20. H. SETO, H. TAKENO, M. MASHIMOTO: Enantiospecific total synthesis of (-)swainsonine, New application of sodium-borhydride reduction, J. Org. Chem. 50, 3948(1985) 21. L. ROYER, H.P. HUSSON: Enantiospecific synthesis of the natural 3R,5R,9R(-)-gephyrotoxin-223 AB, Tetrahedron 26, 1515 (1985) 22. L. GUERRIER, L. ROYER, D.S. GRIESON, H.P. HUSSON: Chiral 1,4dihydropyridine equivalents: A new approach to asymmetric synthesis of alkaloids, the enantiospecific synthesis of (+)- and (-)-coniin and dihydropinidine, J. Am. Chem. Soc. 105, 7754 (1983) 23. P.E. HAMMANN: Enantioselektive Synthesen chiraler Piperidinalkaloide, Nachr. Chem. Techn. Lab. 38, 342 (1990) 24. G.G. HABERMEHL, W. MARTZ, C.H. TOKARNIA, J. DÖBEREINER, M.C. MENDEZ: Lifestock poisoning in south america by species of the senecio plant, Toxicon 26, 275 (1988) 25. M.J.M. BATATINHA: Untersuchungen über toxische Einflüsse von Prosopis juliflora D.C. (Algarobeira) auf Zellkulturen sowie auf die Pansenfermentation beim Rind (in vitro), Diss., Tierärztliche Hochschule Hannover (1997) 26. A.J. HUMPHREY, D. O’HAGAN: Tropan alkaloid biosynthesis. A century old problem unresolved, Natural Product Reports, 18, 465 (2001)
Literatur
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4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
4.1 Aminosäuren Bei den Aminosäuren handelt es sich um bifunktionelle Verbindungen mit sowohl sauren als auch basischen Eigenschaften. In kristallisiertem Zustand liegen sie als innere Salze vor; von daher erklären sich die physikalischen Eigenschaften: hochschmelzend, gut kristallisierbar, gut wasserlöslich, schwerlöslich in organischen Lösungsmitteln. Die Kristallisation aus wässriger Lösung gelingt am isoelektrischen Punkt. Will man die sterische Zuordnung in der Schreibweise zum Ausdruck bringen, so verfährt man analog wie bei den Zuckern: In der Fischer-Projektion wird die Carboxylgruppe als C-Atom mit der höchsten Oxidationsstufe nach oben angeordnet (s. Abb. 4.1). Je nachdem, ob die Aminofunktion dann auf der rechten oder linken Seite steht, handelt es sich um die D- oder L-Form (s. Kap. 5.1.1). COOH H 2N
C
H
R L-Form
COOH H
C
NH2
R D-Form
Abb. 4.1. Fischer-Projektion bei Aminosäuren
Zwanzig Aminosäuren sind im genetischen Code verankert und bilden als proteinogene Aminosäuren die Grundbausteine der Proteine. Darüber hinaus werden noch weitere sog. seltene Aminosäuren in Proteinen gefunden, 250 natürlich vorkommende Aminosäuren sind bisher erfasst. Verschiedene proteinogene Aminosäuren werden noch nachträglich in den Proteinen modifiziert, wie z. B. Prolin zum 4-Hydroxyprolin. 4.1.1 Proteinogene Aminosäuren
Die proteinogenen Aminosäuren besitzen alle die L-Konfiguration in der αPosition. Nach Cahn-Ingold-Prelog entspricht dies der S-Konfiguration, mit einer Ausnahme, dem Cystein. Aufgrund der Prioritätsregeln entspricht L-Cystein der R-Konfiguration.
252
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
(3) H3C
COOH (2)
COOH (3)
(2) HS-H2C
H
H
NH2 (1)
NH2 (1)
(S)-Alanin
(R)-Cystein
Isoleucin und Threonin besitzen an der 3-Position ein weiteres Asymmetriezentrum. Das natürliche Isoleucin hat die 2S,3S- und Threonin die 2S,3RKonfiguration. Obwohl sich viele nicht-proteinogene Aminosäuren von den proteinogenen Aminosäuren ableiten und damit ebenfalls L-Konfiguration besitzen, werden in zunehmendem Maße, z. B. in Antibiotika und Toxinen, auch D-Aminosäuren gefunden. Glycin wurde als erste Aminosäure 1820 aus Gelatine isoliert. In den folgenden 100 Jahren gelang die Identifizierung der weiteren proteinogenen Aminosäuren (Abb. 4.2 und Tabelle 4.2). Mikroorganismen und Pflanzen sind in der Lage, alle benötigten Aminosäuren selbst herzustellen. Tiere und Menschen sind dazu nicht fähig und müssen deshalb die sog. essenziellen Aminosäuren über die Nahrung aufnehmen. Der tägliche Bedarf dieser Aminosäuren kann Tabelle 4.1 entnommen werden. Die Aminosäuren haben sowohl basischen als auch sauren Charakter. Dies ist an der entsprechenden Titrationskurve (Abb. 4.3) zu erkennen. Zwischen L- und D-Aminosäuren sind starke Geschmacksunterschiede feststellbar. Viele LAminosäuren schmecken schwach bitter, während die D-Form süß schmeckt. Gemessen an Saccharose kann die Süßkraft einiger Aminosäuren die der Saccharose erheblich übersteigen. Aminosäuren können mit Hilfe der Elektrophorese getrennt werden; dies ist in Abb. 4.4 dargestellt. Hier ist der Elektrolyt auf pH = 9,7 gepuffert, und Lysin (isoelektrischer Punkt 9,7) läuft nicht von der Startlinie. Dagegen tragen die Substanzen 2, 3 und 4 bei pH = 9,7 eine negative Ladung und wandern deshalb zum Pluspol. In Tabelle 4.3 sind die physikochemischen Parameter von Aminosäuren aufgelistet. Tabelle 4.1. Täglicher Bedarf an essenziellen Aminosäuren
Aminosäuren Isoleucin Leucin Lysin Methionin Phenylalanin Threonin Tryptophan Valin
Kind [g/kg] 0,12 0,15 0,10 0,045 0,09 0,087 0,022 0,105
Mann [g] 0,45 0,62 0,50 0,55 1,12 0,30 0,16 0,65
Frau [g] 0,70 1,10 0,80 1,01 1,40 0,50 0,25 0,80
4.1 Aminosäuren COOH
H2C
COOH
CH
H3C
NH2
NH2
Glycin
H2C
CH
HO
NH2
Alanin
Serin
COOH
CH2 CH
COOH
H2C
CH
HS
NH2
HO
CH2 CH
Tyrosin
COOH
CH
CH
H2C
NH2
H3C
Threonin H3C
CH
S
COOH
CH2 CH
H3C
NH2
C
H3C
CH2 CH
NH2
COOH
(CH2)4 CH
H2N
NH2
Lysin COOH
H2N
C
NH2
COOH
H2N
NH2
C
CH2 CH2 CH
O
Glutamin CH2 CH NH2
H
Prolin
COOH
NH2
Glutaminsäure
COOH
COOH
NH2
Asparagin
CH2 CH2 CH
N
CH2 CH
O
Asparaginsäure HOOC
COOH
NH2
Arginin CH2 CH
COOH
Isoleucin
NH
HOOC
CH
CH3 NH2
(CH2)3 CH
NH
COOH
Valin
COOH
CH2 CH
CH
CH3 NH2
Leucin H2N
CH
Methionin
CH3
COOH
NH2
Phenylalanin
HO
COOH
Cystein
NH2
H3C
253
COOH N
N
N
H
H
Tryptophan
Abb. 4.2. Proteinogene Aminosäuren
CH2 CH NH2
Histidin
COOH
254
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
Tabelle 4.2. Proteinogene Aminosäuren (e = essenziell, ne = nicht essenziell)
Name
Code
e/ Funktion/Vorkommen ne Typ: Monoaminomonocarbonsäuren Glycin Gly ne Bes. reichlich in Strukturproteinen (Kol(GlycoG lagen, Gelatine 25–30 %), in freier Form koll) weit verbreitet in pflanzlichen Lebensmitteln
Alanin
Ala A
ne
Bes. reichlich in Seidenfibroin (35 %), Gelatine und Zein (9 %)
Serin
Ser S
ne
In den meisten Proteinen (4–8 %), Träger der Phosphorsäure in Phosphorproteinen (Casein, Phosvitin), in freier Form weit verbreitet in pflanzlichen Lebensmitteln
Cystein
Cys C
ne
In den meisten Proteinen (1–2 %), reichlich in Keratinen, weiterhin in Pilzen, Kohl, Erbsen, Spinat, Mais, Weintrauben
Phenylalanin
Phe F
e
Tyrosin
Tyr Y
ne
Threonin
Thr T
e
Methionin
Met M
e
Ausgangsstoff für die Bildung des Tyroxins, Adrenalins usw.; bei Fehlen Störungen der Schilddrüsen- u. Nebennierenrinden-Funktion; in den meisten Proteinen (4–5 %), in freier Form weit verbreitet in pflanzlichen Lebensmitteln In fast allen Proteinen (2–6 %), in Seidenfibroin (10 %), wird durch enzymatische Oxidation in braun-schwarze Melanine überführt Zur Verwertung der Aminosäuren in der Nahrung; in Fleisch, Milch, Eiern (4,5–5 %), in Cerealien (2,7–4,7 %), in freier Form weit verbreitet in pflanzlichen Lebensmitteln Für das Wachstum des Körpers und der Haare, Leberschutzfunktion; bei Fehlen Leberverfettung, Muskelatrophie, Anämie; in tierischen Proteinen (2–4 %), in pflanzlichen (1–2 %); sehr sauerstoffund hitzeempfindlich
Bedeutung des Trivialnamens Griech. glykeros = süß, kolla = Leim, da die Verbindung von Braconnot 1820 nach der sauren Hydrolyse von Leim isoliert wurde Abgeleitet von Aldehyd; erste Cyanhydrinsynthese von Strecker aus Acetaldehyd Latein. sericum = Seide, nach ihrer Entdeckung durch Cramer 1865 im Seiden- Hydrolysat Griech. kystis = Harnblase, da 1810 von Wollaston in Harnstein entdeckt
Griech. tyros = Käse, da von Liebig 1845 aus Käse isoliert
Kurzform aus Methylthio- und der Endung -in; griech. theion = Schwefel
4.1 Aminosäuren Name
Code
Valin
Val V
e/ ne e
Funktion/Vorkommen
Notwendig zur normalen Funktion des Nervensystems; bei Fehlen Hyperästhesie und Krämpfe: in Fleisch- und Cerealienproteinen (5–7 %), in Ei- und Milchproteinen (7–8 %), in freier Form weit verbreitet in pflanzlichen Lebensmitteln Leucin Leu e Zum Aufbau der Plasma- und GewebeL Eiweißkörper. In den meisten Proteinen (7–10 %), in freier Form weit verbreitet in pflanzlichen Lebensmitteln Isoleucin Ile e Zur Verwertung der Aminosäuren der I Nahrung; Fehlen bewirkt Gewichtsabnahme; in Fleisch- und Cerealienproteinen (4 5 %), in Ei- und Milchproteinen (6–7 %) Typ: Diaminomonocarbonsäuren Arginin Arg e In allen Proteinen (3–6 %), bes. reichlich R in Protaminen, Erdnussprotein (11 %); Zwischenprodukt der Harnstoffsynthese
Lysin
Lys K
e
Für das Längenwachstum; bei Fehlen Zwergwuchs; in Fleisch-, Ei- und Milchproteinen (7–9 %), in Cerealienproteinen (2–4 %), in Fisch- und Krebsproteinen (10–11 %), in freier Form weit verbreitet in pflanzlichen Lebensmitteln Typ: Monoaminodicarbonsäuren und Derivate AsparaAsp ne Bes. in Albuminen (6–10 %), Mais ginD (12,3 %), im Weizen (nur 3,8 %), in freisäure er Form weit verbreitet in pflanzlichen Lebensmitteln (z. B. in Zuckerrohr) Asparagin Asn ne Frei in Pflanzenkeimlingen (z. B. SojaB bohne) und jungen Pflanzen (Spargel) und in vielen Proteinen Glutamin- Glu ne Das Mononatriumsalz steigert die Leissäure E tungsfähigkeit; in der Lebensmittelindustrie verschiedenen Extrakten zur Geschmackssteigerung zugesetzt; in den meisten Proteinen in großen Mengen, bes. reichlich in Milch (21,7 %), Weizen (31,4 %), Mais (18,4 %) Glutamin Gln ne Frei in Zuckerrübenmelasse, Rübensaft, Q Kartoffeln und vielen Pflanzen; als NSpeichersubstanz in Tieren, Pilzen, Bakterien, Pflanzensamen (bei Keimung)
255
Bedeutung des Trivialnamens Latein. validus = kräftig, gesund
Griech. leukos = weiß
Latein. argentum = Silber, wegen seines charakteristischen Silbersalzes (Schultze und Steiger, 1886) Griech. lysis = Lösung, da von Dreschel aus dem Hydrolysat des Caseins isoliert Griech. asparagos = Spargel
Latein. glutinum = Leim, da aus Weizenkleber isoliert
256
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
Name
e/ Funktion/Vorkommen ne Typ: Heterocyclische Aminosäuren Prolin Pro ne In vielen Proteinen (4–7 %), reichlich in P Weizenprotein (10,3 %), Gelatine (12,8 %), Casein (12,3 %) TrypTrp e Für die Bildung des Augenpigments; tophan W Fehlen bedingt Haarausfall, Star; in tierischen Proteinen in rel. kleinen Mengen (1–2 %), in Cerealienproteinen (etwa 1 %), in Blumenkohl und Rhabarber; Vorläufer der Nicotinsäure
Histidin
Code
His H
e
Für die Bildung des Blutfarbstoffes sowie verschiedener Nucleinsäuren; Fehlen bedingt Anämie; für den erwachsenen Menschen nicht essenziell. In den meisten Proteinen (2–3 %), in Blutproteinen (etwa 6 %)
Bedeutung des Trivialnamens Gebildet aus Pyrrolidin durch Zusammenziehung Gebildet aus Trypsin, dem Ferment des Verdauungstrakts und griech. phainein = erscheinen, da es nach der Einwirkung von Trypsin aus Proteinen isoliert wurde (Kossel, 1896) Griech. histos = Gewebe, im übertragenen Sinne Körpergewebe
Tabelle 4.3. Physikochemische Parameter von Aminosäuren
Name Gly Ala Ser Cys Phe Tyr Thr Met Val Leu Ile Arg Lys Asp Asn Glu Gln Pro Trp His
Code G A S C F Y T M V L I R K D N E Q P W H
pKa1 2,4 2,3 2,2 1,7 1,8 2,2 2,6 2,3 2,3 2,35 2,35 2,2 2,2 2,1 (COOH) 2,0 2,2 (α-COOH) 2,2 2,0 2,4 1,8
pKa2 9,6 9,7 9,15 8,3 (SH) 9,1 9,1 10,4 9,2 9,6 9,6 9,7 9,0 8,95 3,85 (COOH) 8,8 4,25 (γ-COOH) 9,1 10,6 9,2 6,0 (Imidazol)
pKa3
10,8 10,1 (OH)
12,9 10,5 9,8 9,67
9,17
pKi 6,0 6,0 5,7 5,0 6,0 3,65 6,5 5,75 6,0 6,0 6,0 10,75 9,75 2,9 5,4 3,2 5,65 6,1 5,9 7,6
4.1 Aminosäuren
257
10
pKa1 pH = 9,6
isoelektrischer Punkt (pKi) pH = 6,0
5
pH
pKa2 pH = 2,4
0,0
0,5
1,0
1,5
2,0
mol NaOH mol Glycin O H2C H
C +
N
O OH
H2C
OH-
H
H
H H+
N
C +
O O
OH-
H H+
H
pH = 1
pH = 6
H2C H
N
C
O
H
pH = 11
Abb. 4.3. Titrationskurve von Glycin
Elektrolyt
Träger (z. B. Papier) getränkt mit Elektrolyt 1
2
3
4
Elektrolyt Probe (Startlinie) Hochspannung Abb. 4.4. Schematische Darstellung der Elektrophorese
258
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
Der isoelektrische Punkt (pKi) der α-Aminosäure Glycin lässt sich aus pKa1 und pKa2 berechnen: pK i =
2,4 + 9,6 = 6,0 2
4.1.2 Nichtproteinogene Aminosäuren
Aminosäuren, die sich nicht von den 20 genetisch codierten Aminosäuren ableiten, werden als nicht-proteinogene Aminosäuren bezeichnet. Dementsprechend fallen unter diese Definition auch die D-Formen der proteinogenen αAminosäuren. Natürlich sind die Übergänge fließend, da z. B. in Proteinen auch Ornithin und 4-Hydroxyprolin gefunden werden. Bis 1983 waren bereits mehr als 500 nicht-proteinogene Aminosäuren beschrieben. Hiervon kommt ca. die Hälfte in freier Form vor, während die anderen Bestandteile von Antibiotika, Toxinen und weiteren Naturstoffen sind. Der größte Teil dieser Verbindungsklasse stammt aus höheren Pflanzen. Weitere Quellen sind aber auch Bakterien, Pilze und verschiedene Tiere. Viele nicht-proteinogene Aminosäuren wirken aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit proteinogenen Aminosäuren im enzymatischen Stoffwechsel als Aminosäureantagonisten (Antimetaboliten). Eine kleinere Auswahl ist der Tabelle 4.4 zu entnehmen. Tyrosin, dessen Derivate und Triiodtyrosin sind als Schilddrüsenhormone Bestandteile des Thyreoglobulins. Sie haben die Aufgabe, regulativ in den Energiestoffwechsel einzugreifen. L-Dopamin, das Decarboxylierungsprodukt des Dihydroxyphenylalanins (Dopa), wirkt als Sympathomimetikum und ist ein Zwischenprodukt in der Biosynthese des Adrenalins (s. Kap. 3.1). Phosphinothricin wurde zuerst als N-terminale Aminosäure in einem Tripeptid mit zwei Alaninmolekülen isoliert. In der Landwirtschaft wird Phosphinothricin (Basta ®) als Herbizid verwendet. 1-Aminocyclopropansäure wurde Ende der fünfziger Jahre proteingebunden in Preiselbeeren entdeckt, später auch in Äpfeln und Birnen. Durch Oxidation wird in den Früchten das Reifungshormon Ethylen freigesetzt. Entsprechend sind synthetische Analoga, wie z. B. 2-Methyl-l-aminocyclopropansäure, effektive Inhibitoren des Reifungsprozesses. Die Methylencyclopropanaminosäuren wie Hypoglycin A und das Dipeptid mit Glu, Hypoglycin B, senken den Blutzuckerspiegel so effektiv, dass es beim Genuss der unreifen Früchte zum Tode kommen kann. Azirinomycin wirkt als Breitbandantibiotikum, genau wie L-Azaserin. Nicotinamin aus Nicotiana tabacum L. wirkt als Neutralisationsfaktor in Tomatenmutanten aufgrund seiner großen Tendenz zur Eisenkomplexierung. Canavanin wirkt insektizid und antifungisch. Aufgrund der Ähnlichkeit mit Arginin wird dieses anstelle dessen in das Protein eingebaut. D-Cycloserin besitzt klinische Bedeutung als Antibiotikum. Es hemmt die Bakterienzellwandsynthese.
4.1 Aminosäuren
259
Tabelle 4.4. Beispiele für nicht-proteinogene Aminosäuren
Name
Struktur
β-Alanin
H2N
γ-Aminobuttersäure (GABA)
Vorkommen Bakterien, Neurotransmitter, weit verbreitet in tierischen und pflanzlichen Organismen, Käse, in Erbsen, in peptidischer Bindung
COOH
H2N
I
I
Thyroxin
Pantothensäure
COOH
HO
O COOH
H2N
I
I
Thyreoglobulin, in Meeresalgen, Baustein des Schilddrüsenhormons
I
Diiodtyrosin (Iodgorgonsäure)
HO COOH
H2N
I
L-Dopa
HO COOH
H2N
HO
H
Sarkosin
H3C
COOH
N
CH3 COOH
Betain
H3C
N
Thyreoglobulin, in Gorgonien (Korallen)
+
CH3
Das biogene Dopamin, welches aus L-Dopa gebildet wird, steuert als Neurotransmitter die Motorik Actinomyceten, Frei in Hummern, Krabben, Seesternen, Seeigeln, Rotalgen (Chondria spec.), peptidgebunden im Erdnussprotein Beta Spp., weiterhin in Pilzen, Rinderniere, Fruchtwasser; wirkt als Methyldonator
O
Phosphinothricin
H3C
P
COOH
OH
Streptomyceten
NH2
1-Aminocyclopropancarbonsäure
COOH NH2
Preiselbeeren, Birnen, Äpfel; Zwischenprodukt bei der während der Reifung ablaufenden Biosynthese von Ethylen aus Methionin
260
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
Name
Struktur
Vorkommen COOH
Nicotinamin
N
N
COOH
HOOC NH2
H2N L-Canavanin
NH2
H
COOH
2S,3R-Diaminopimelinsäure
COOH
NH2
COOH
O
N H2N
NH2
α-Methylencyclopropylalanin (Hypoglycin A)
NH2
N
Acrinomycin
Bakterienzellwände; biosynthetischer Vorläufer des Lysins Canavalia ensiformis (Schwertbohne, Jackbohne), Sojabohne, Zwiebel Blighia sapida (Akinuss) aus unreifen Früchten; Hypoglykämie bei mangelhafter Ernährung
COOH H
Nicotiana tabacum, Bucheckern
Streptomyces aureus
COOH NH2
Selenocystathionin
HOOC
COOH
Se
Streptomyceten
NH2 H
Selenocystein
HSe
Bestandteil der Glutathion-Peroxidase und einiger mikrobieller Enzyme
COOH
NH2
NH2
D-Cycloserin
O
Streptomyceten
O
N H
O L-Azaserin
N
N
+
C
COOH
O
H HOOC
Lanthionin
COOH
S NH2
NH2
NH2
Cystathionin
HOOC
COOH
S
NH2 OH L-Hydroxylysin
H2N
Streptomyceten
NH2
H
COOH
NH2
Subtilia (Peptid aus Bakterien); entsteht beim Erhitzen von Proteinen, Oxidationsprodukt von Cystein In Getreide, weit verbreitete nicht-proteinogene Aminosäure Zein, Haferprotein, Gliadin, Kollagen (ca. 1 %), Mangel bewirkt schwere Bindegewebsdefekte
4.1 Aminosäuren Name
Struktur
S-Methyl-L-cysteinsulfoxid
H3C
Alliin
H S O
Vorkommen Weißkohl, Blumenkohl, Zwiebeln, Rettich; scheint verantwortlich für den beim Kochen entstehenden Kohlgeruch
COOH
NH2
H
H2C
S O
COOH
H3C
Knoblauchöl, Zwiebel
NH2
O L-Theanin
261
H COOH
N H
NH2
Grüner Tee
und
Schwarzer
Toxische Aminosäuren NH2
Ibotensäure
O
Fransiger Wulstling (Amanita strobiliformis), Fliegen- und Pantherpilz; wirkt psychoaktiv
COOH N O H H
L-Mimosin
N
COOH
Hülsenfrucht (Leucaena glauca); bewirkt Haarverlust
NH2
O OH
L-Djenkolsäure
Domoinsäure
HOOC
S
S
NH2
NH2
H3C
C
N H
COOH
CH3 O C OOH
OH O C OH
Djenkolbohne (Pithecellobium lobatum) u. a. Leguminosen; kommt auch in Leber, Muskel und Rinderblutplasma vor; wirkt auf das Nervensystem, Auskristallisieren kann zu Nierenfunktionsstörungen führen Rotalge (Chondria armata), verschiedene Kieselalgen; wird von Muscheln aufgenommen und kann so nach dem Verzehr Vergiftungen beim Menschen hervorrufen
Glycin, α-Aminobuttersäure, Norepinephrin, Epinephrin (beide aus Dopamin gebildet) und Serotonin (Vorstufe Tryptophan) wirken als Neurotransmitter. Thyroxin wird als iodhaltiges Hormon aus Tyrosin biosynthetisiert. Melatonin wird aus Serotonin gebildet, es wirkt auf die Schilddrüsenfunktion und vermindert die LH-Sekretion.
262
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
H2N
C
O I
OH α-Aminobuttersäure
HO
I
O C OH
O
H N
HO
H2N
I
R OH Norepinephrin: R = H Epinephrin: R = CH3
I
Thyroxin H
NH2
HO
O N CH3
H3C O N
N H
Serotonin
Melatonin H
4.1.3 Analyse von Aminosäuren
Analytisch lassen sich Aminosäuren leicht durch Chromatographie an Cellulose (Papierchromatographie) oder an Kieselgel trennen und bestimmen. Die Rf-Werte sind für die zahlreichen Laufmittel in den einschlägigen Monographien tabelliert. Die Anfärbung geschieht am besten mit Ninhydrin. O
O H2O
OH
O OH O
O
Indan-1,2,3-trion
Ninhydrin
Dabei spielen sich folgende Reaktionen ab. O
O COOH O
+
H2N
C
H
COOH N
- H2O
R
C
H
R
O
O O
O H H
- CO2
N O
H
+ H2O
C
NH2 R
O
+
R
CHO
4.1 Aminosäuren O
263
O H
+
NH2
O
- H2O
O
O
O
O
O
O
H
N
- H+
N O
O
O O
blauer Farbstoff
Weitere Verbindungen zum Nachweis von Aminosäuren sind Fluorescamin und Orthophthalaldehyd (OPA).
O
R
+
O
O
R
N
NH2 OH COOH
O
O
Fluorescamin S
CH2 CH2 OH
CHO
+
HS
CH2 CH2 OH
+
R
NH2
N
R
CHO
Orthophthalaldehyd (OPA)
Die Auftrennung von Aminosäuregemischen, z. B. nach der Totalhydrolyse von Peptiden, erfolgt am besten durch vorhergehende Derivatisierung, z. B. mit Fluordinitrobenzol (FDNB), dem sog. Sanger-Reagenz, oder einem anderen vielbenutzten Reagenz, wie Dansylchlorid, DABS-Cl oder NBD. Das Dansylchlorid z. B. liefert mit den Aminoenden des Peptids stark fluoreszierende, stabile Sulfonamide. Eine Auftrennung der Dansylaminosäuren gelingt sehr einfach an Reverse-Phase-Kieselgel C-18 (RP-18) mit dem Laufmittel Phosphatpuffer pH 6/Acetonitril als Gradient (Detektion bei 254 nm). Abbildung 4.5 zeigt ein Chromatogramm dieser wichtigen Methode zur Quantifizierung von Aminosäuren. Die 2,4-Dinitrophenylderivate von Aminosäuren können aufgrund ihrer chromatographischen Eigenschaften identifiziert werden. Dies erfolgt an RP-18-Säulen mittels HPLC. Zur Detektion werden UV-Detektoren eingesetzt.
264
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine H3C
CH3
N
H3C
+
H2N
- HCl
R O
S
O
O
Cl
S HN
N
N
SO2Cl
N
O CH
COOH
R
Dansylchlorid (Dimethylaminonaphthalinsulfonylchlorid) H3C
CH3
pH 10
COOH
CH
N
Dansylaminosäure
+
H2N
H3C
COOH
CH
- HCl
R
DABS-Cl (Dimethylaminoazobenzolsulfonylchlorid) O
H3C N
N
N
S
H3C
NH
O
O2N
F
+
H2N
CH
O 2N
COOH
CH
COOH
R
NH
CH
COOH
R
R NO2
NO2
FDNB (2,4-Dinitrofluorbenzol)
O2N
F
+
H2N
O 2N
COOH
CH
NH
CH R
R N
O
COOH
N
N
O
N
NBD (7-Fluoro-4-nitrobenzo-2-oxa-1,3-diazol)
Eine klassische Methode, um Aminosäuren in Futtermitteln quantitativ zu bestimmen, ist die von van Slyke. Der entstehende Stickstoff lässt sich volumetrisch messen. R
COOH NH2
HNO2
R N
COOH N
+
H2O
R
COOH OH
+
N2
265
A254
4.1 Aminosäuren
5
10
t [min] Abb. 4.5. Chromatogramm eines Dansylaminosäuregemisches, detektiert mit UV bei 254 nm: 2 Asp, 3 Glu, 4 Dansylsulfonsäure, 5 Ser, 6 Thr, 7 Gly, 8 Ala, 11 Arg, 12 Pro, 13 Val, 14 Met, 15 Ile, 16 Leu, 17 Phe, 18 Dansylchlorid, 19 Cystin, 20 Dansylamid, 21 Lys, 22 His, 23 Tyr. (MPLC, Laufmittel : Phosphatpuffer pH 6/Acetonitril als Gradient, Säule: RPC18).
4.1.4 Darstellung von Aminosäuren
Der Start für die industrielle Darstellung von Aminosäuren geht auf Ikeda (1908) in Japan zurück. Er entdeckte als wesentlichen Inhaltsstoff des Seetangextraktes, eines traditionellen japanischen Suppenbestandteils, die L-Glutaminsäure. Bereits ein Jahr später wurde das Mononatrium-L-Glutamat als Gewürzmittel eingeführt. Seit längerer Zeit wird Glutamat hauptsächlich mit Hilfe von Corynebacterium glutamicum hergestellt. Heute besitzen alle proteinogenen Aminosäuren industrielles Interesse. Der jährliche Umsatz beträgt mehr als 1 Milliarde US-$. Davon entfallen bezüglich der Mengen auf die Glutaminsäure mehr als 25.000 t, auf Lysin mehr als 25.000 t und auf Methionin über 1.000.000 t. Aminosäuren finden ihre Anwendung als Zusätze in Nahrungs- (66 %) und Futtermitteln (31 %), in Pharmazeutika und Kosmetika (3 %), synthetischen Polymeren und Detergenzien. Erwähnenswert ist auch das N-Acetyl-Cystein als Mucolytikum. Es bewirkt die Herabsetzung der Schleimviskosität und erleichtert somit die Entfernung des Bronchialschleims aus den Bronchien bei Erkältungen. Für die menschliche und tierische Ernährung werden selbstverständlich LAminosäuren benötigt. Einzige Ausnahme ist hier das Methionin, hier werden Dund L-Form gleichermaßen verwertet. Besonders wichtig sind Methionin und Lysin für die Tierernährung. Im medizinischen Bereich sind Aminosäuren für Infusionslösungen zur parenteralen Ernäh-
266
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
rung wichtig. Weitere Anwendung finden Natriumacylglutamat als schwach saure Seife und Poly-γ-Glutamat als Beschichtung von Kunststoff-Folien, die sich wie echtes Leder anfühlen. Bei der Darstellung der Aminosäuren sollen racemische und enantioselektive Synthesen unterschieden werden. 4.1.4.1 Racemische Aminosäuresynthesen
An ausgewählten Beispielen sollen die klassischen Aminosäuresynthesen besprochen werden. In allen Fällen führt die Reaktion zum entsprechenden Racemat. Methionin wird ausgehend von Acrolein erhalten. Der erhaltene Thioetheraldehyd wird mit HCN/Ammoniumcarbonat zum Hydantoin umgesetzt, das durch Verseifung Methionin ergibt. CH3SH
O
H3 C
S
H3C
HCN
O
(NH4)2CO3
S O
H
N
OH-
N
H2O
H
COOH
S
H3 C
NH2
(±)-Methionin
O
Durch Carbonylierung von Acrylnitril entsteht ein Aldehyd, der nach Strecker mit HCN/Ammoniak und anschließender Verseifung Glutaminsäure ergibt. CO CN
HCN CN
O
NH2 NC
HCN
NH2
H2O CN
+
CN
HN
NH3
HOOC
OH-
COOH
(±)-Glutaminsäure
Die Umsetzung des oben beschriebenen Aldehyds zum Hydantoin führt nach Reduktion des Nitrils zum Aldehyd; die weitere Umsetzung mit Phenylhydrazin über eine Indolsynthese nach Fischer liefert nach Verseifung des Hydantoins das Tryptophan.
O
CN
HCN (NH4)2CO3
O
NC
H2/H2O H
N H
N O
Raney-Ni
4.1 Aminosäuren
267
H N
O
OHC
NH NH2 H
N
O
N H
N
H
O
N H
N O
O
N
H
N
N
COOH
OH-
H+
H2O
H
O
H
NH2
N H
Ausgehend von Aldehyden, z. B. Benzaldehyd, kann durch Kondensation des Azlactons (Erlenmeyer-Verfahren), das durch Dehydratisierung von Benzoylglycin (Hippursäure) gebildet wird, das Benzylidenazlacton erhalten werden. Analog entsteht aus Benzaldehyd mit Hydantoin das entsprechende Benzylidenhydantoin. Nach der Hydrierung der Doppelbindung wird aus beiden Intermediaten Phenylalanin erhalten. HOOC
N O
N
H C6H5
O
- H2O
C6H5
O
Azlacton 1
O
Benzoylglycin H
N H
N
Hydantoin 2
O
1
Pd/H2
N O
N
C6H5
O
O
Benzylidenazlacton
C6H5
O
OH-
CHO
COOH
(±)-Phenylalanin
NH2 OH-
O 2 H
N
N O
H
Benzylidenhydantoin
O
Pd/H2 H
N
N O
H
268
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
Aus α-Halogencarbonsäuren sind durch nucleophile Substitution des Halogens mit Ammoniak Aminosäuren zugänglich. Die α-Halogencarbonsäuren werden nach Hell-Volhardt-Zelinsky über die entsprechenden Säurehalogenide erhalten. Dieser Umweg ist notwendig, um die Carboxylgruppe zu aktivieren, sodass die Halogenierung über ein Enol in α-Stellung erfolgt. Dies ist durch Zugabe von Phosphortrichlorid möglich. O R
PCl3
O R
- H3PO3
OH
O
Cl2 R
Cl
Cl
- HCl Cl
O R
O Cl
+
R
O R
OH
Cl
O OH
+
R
Cl
Cl O NH3
R
OH Cl
- NH4Cl
O R
O
+ NH4
NH2
Ein „Eintopfverfahren“ ist die Reaktion von α-Ketosäuren mit Ammoniak zum Ketimin. Die Hydrierung mit Platin/Wasserstoff kann in Gegenwart von NH3 durchgeführt werden. COOH O
COOH
NH3
COOH
Pt/H2
NH
H2O
NH2
(±)-Alanin
β -Aminosäuren lassen sich durch Addition von NH3 an α,β-ungesättigte Carbonsäuren darstellen.
COOH
NH3
COOH NH2
(±)-3-Aminobuttersäure
Der Nachteil dieser klassischen Verfahren liegt darin, dass die Produkte als Racemat entstehen. Neuere Verfahren generieren gezielt eines der beiden Enantiomere. 4.1.4.2 Enantioselektive Darstellung von Aminosäuren
Die einfachste Möglichkeit, um natürliche Aminosäuren zu erhalten, ist die Gewinnung aus natürlichen Proteinen. Diese Methode ist jedoch aufgrund der chemischen Ähnlichkeit verschiedener Aminosäuren vor allem ein kompliziertes Trenn-
4.1 Aminosäuren
269
problem und wird nur für unpolare, in organischen Lösungsmitteln gut lösliche Aminosäuren eingesetzt, z. B. für Tyrosin. Moderne praktikable Verfahren sind einzuteilen in chemische Synthesen und biotechnologische Verfahren. Grundsätzlich kann man bei prochiralen Molekülen zwischen enantiodifferenzierender und diastereodifferenzierender Reaktion unterscheiden. Bei der enantiodifferenzierenden Reaktion erfolgt die asymmetrische Induktion durch ein externes optisch aktives Hilfsreagenz. Die diastereodifferenzierende Reaktion beruht auf einem Stereozentrum oder dem Einbau eines optisch aktiven Hilfreagenzes im Edukt. Nach der Umsetzung wird das Hilfsreagenz abgespalten. Bei beiden Methoden werden die Unterschiede in der freien Aktivierungsenergie ∆∆G≠ diastereotoper Übergangszustände ausgenutzt. Betrachtet man als Beispiel die Hydrierung von α,β-Dehydroaminosäurederivaten, so wird mit nichtchiralen Katalysatoren keine Enantioseitendifferenzierung beobachtet. Als Produkt erhält man ein Racemat.
H
COOH NHAc
H
COOH
AcHN
H
HOOC AcHN
H
H
H
(R)-N-Acetylphenylalanin 1
H
(S)-N-Acetylphenylalanin :
1
Wird dagegen das prochirale Edukt mit einem optisch aktiven WilkinsonKatalysator umgesetzt, resultiert über einen diastereotopen Übergangszustand die bevorzugte Bildung eines Enantiomeren (∆∆G≠ ≠ 0) (s. Abb. 4.6). mit z. B. chiralem Katalysator
ΔΔG≠ ΔG≠R
ΔG≠S
Prochirales Edukt
R-Produkt
S-Produkt Reaktionskoordinate
Abb. 4.6. Unterschied zwischen einer symmetrischen Synthese (∆∆G≠ = 0) und einer asymmetrischen Synthese (∆∆G≠ ≠ 0)
270
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
Die Produktverteilung unter kinetischer Reaktionskontrolle ergibt sich durch: ΔGR ≠ − ΔGS ≠ = ΔΔG ≠ = −RT ln [ S ]
[ R]
(4.1)
Auflösung der Gleichung nach der Produktverteilung unter Verwendung von ΔG ≠ = ΔH ≠ − TΔS ≠ ≠
[ R]
ln [ S ] = − ΔΔRTG =
ΔΔS R
≠
(4.2)
− ΔΔRTH
≠
(4.3)
Der Überschuss eines Enantiomeren gegenüber dem anderen wird als Enantiomerenüberschuss (ee) angegeben. [ S ]−[ R ]
ee(%) = [ S ]+[ R ] ⋅100
[ S ] > [ R]
(4.4)
Die Gl. 4.3. liefert ebenfalls den Zusammenhang zwischen Temperatur und ln([R]/[S]). Bei niedriger Temperatur wird ln([R]/[S]) negativer, womit der Überschuss des S-Enantiomeren zunimmt. Chirale Liganden werden z. B. aus Aminosäuren erhalten (Abb. 4.7). L-Phenylalanin kann durch Reaktion mit Natriumnitrit in hoher optischer Ausbeute unter Retention in die α-Hydroxycarbonsäure umgewandelt werden. Dies erklärt sich durch die Nachbargruppenbeteiligung der Carbonsäure, wobei sich das α-Lacton unter Inversion am α-C-Atom bildet. Da die Ringöffnung nun ebenfalls unter Inversion erfolgt, resultiert letztlich das Produkt unter Konfigurationserhalt (Retention). Die Reduktion mit LiA1H4 zum Diol und Einführung der Tosylgruppe ergeben nun die Möglichkeit, die Tosyloxygruppe mit Natriumdiphenylphosphin zu substituieren. Die Umsetzung mit dem Rhodiumkomplex liefert den Phosphinokomplex. Wird dieser nun zur katalytischen Hydrierung der Dehydroaminosäure eingesetzt, entsteht z. B. in einer enantiodifferenzierenden Reaktion Alanin in 85 % ee. NH-Ac R
NH-Ac (R)-Komplex
COOH
COOH
R H2C
H
R = H 85 % ee
(S)
Die unten abgebildete asymmetrische Strecker-Synthese ist eine diastereodifferenzierende Reaktion. Umsetzung mit Benzaldehyd, Blausäure und dem chiralen Amin ergeben die beiden (R)- und (S)-α-Aminonitrile, die miteinander im Gleichgewicht stehen. O O
H5C6
NH2 H
+ C6H5-CHO + HCN
4.1 Aminosäuren CN
CN C6H5 O O
C
H5C6
271
H
H
NH
O O
H
(S)
C6H5
C
H5C6
NH H
(R)
Kristallisieren und verseifen
NaNO2
NH2
H
N
+
O
H+
COOH
(S)-Phe
H
H
N
H2O
O
H
O
TsCl
LiAlH4
OH
(S)
OH
O
COOH
NaP(C6H5)2
OTs
OH
OTs Cl
C6H5
P
Rh
C6H5 C6H5 P
(R) C6H5
C6H5
P
C6H5
NaBF4 +
Rh C6H5 C6H5
Rh Cl
P
Abb. 4.7. Synthese chiraler Katalysatoren
BF4-
(R)-1,2-Bis[diphenylphosphino]3-phenylpropan-cyclooctadienrhodium-I-tetrafluoroborat
272
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
Diastereodifferenzierende Hydrierungen von α,β-Dehydroaminosäurederivaten sind dann besonders erfolgreich, wenn sich das prochirale und das induzierende Zentrum in einem starren Ringsystem befinden. Als optisch aktives Hilfsreagenz wird (S)-Prolin verwendet, das mit dem α,β-Dehydroaminosäurederivat kondensiert wird. Durch Hydrierung entsteht ein cyclisches Dipeptid, das mit HCl gespalten werden kann. H
O
N N
O R
H
H H2
N
Kat
N
O
H
H
O
HCl
H N
H
COOH
+
R
COOH H NH2
L-Aminosäure
R
Eine sehr erfolgreiche Variante zum Aufbau von α-Alkylaminosäuren ist die Lactimether-Methode von Schöllkopf. In der Lactimether-Methode wird von Cyclo-L-alanin-L-alanin ausgegangen. Zur Aktivierung des 3- oder 6-H-Atoms wird diese Verbindung mit Trimethyloxoniumtetrafluoroborat zum 3,6-Dihydro-2,5dimethoxy-pyrazin (Bislactimether) umgesetzt. Die Deprotonierung mit Lithiumdiisopropylamid (LDA) ergibt das entsprechende Monoanion. Eine zweite Deprotonierung, die den Verlust des zweiten chiralen Zentrums bedeuten würde, findet nicht statt, da dies zu einem antiaromatischen 8π-System führen würde. Reaktion mit einem Alkylhalogenid erfolgt von der Unterseite, da die Oberseite durch die Methylgruppe an C-6 abgeschirmt ist. Die Hydrolyse liefert den (D-α-Alkylaminosäureester und L-Alaninmethylester. H
O
H2N HO O
OH
H
H
- 2 H2O
NH2
N N
O
H
H H
LDA
N
_
H2N
H (CH3)3O+ BF4-
H
N MeO
H RX
N
MeO
H
OMe
O
N MeO
N
OMe
N H
OMe
H+ H2O
R
O OMe
+
MeO
O
NH2 R
L-Alanin-
D-Alkylaminosäure-
methylester
methylester
R = CH2C6H5; 88 % (93 % ee) R = CH2CH3; 81 % (95 % ee)
4.1 Aminosäuren
273
Kondensiert man L-Valin mit (±)-Alanin, wird bei der Deprotonierung ausschließlich das H-Atom des Alanins abgelöst, was wahrscheinlich auf sterische Faktoren zurückzuführen ist. Dies hat den Vorteil, dass Alanin-Racemat eingesetzt werden kann. Die Umsetzung dieses Intermediates mit α-(Alkoxy)-alkylchloriden eröffnet den Zugang zu D-Serinderivaten.
H N MeO
OMe
H LDA
N H
N MeO
CH3
H N
ClCH2OCH2C6H5
N CH3
OMe
1. Hydrolyse 2. Hydrierung
H H2N
N
MeO
OMe
_
O OMe
+
NH2
HO
CH2OH
O L-Valinmethylester
CH2OCH2C6H5
D-(α)-Methylserin
Zusammenfassend soll darauf hingewiesen werden, dass die katalytischen Verfahren der enantiodifferenzierenden Methoden gegenüber den diastereodifferenzierenden Reaktionen einen Nachteil besitzen. Bei der heute in der Pharmazie benötigten Enantiomerenreinheit müssen die katalytischen Reaktionen mit 90 % ee ablaufen, ansonsten führen einfache Trennoperationen, wie Kristallisation, nicht zum Erfolg. Moderne Katalysatoren erreichen aber durchaus 98 % ee. Dagegen entstehen bei den diastereodifferenzierenden Reaktionen Diastereomere, die erst einfach getrennt und anschließend gespalten werden. Hierbei kann natürlich auch wieder partielle Racemisierung auftreten. Zu den biotechnologischen Verfahren gehören Umsetzungen mit isolierten Enzymen und ganzen Zellen oder die direkte fermentative Herstellung. Eine wichtige Methode ist hier die enantiodifferenzierende Reaktion mit Enzymen. Verwendung finden die intakten Zellen und die isolierten Enzyme. Diese können wiederum an polymere Träger gebunden sein und nach beendeter Reaktion einfach abfiltriert werden. Der Vorteil dieser Methode wird daran deutlich, dass vor allem ein sehr hoher Enantiomerenüberschuss erzielt wird. Die Umsetzung von Indol, Brenztraubensäure und Ammoniak mit β-Tyrosinase/Pyridoxalphosphat liefert L-Tryptophan. O
+
OH O
N H
+
NH3
COOH
Enzym PLP
N
NH2
H
L-Tryptophan
274
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
Alanin wird aus Fumarsäure gebildet. Unter Verwendung einer Zellsuspension von E. coli und durch die in ihr enthaltene Aspartase wird Asparaginsäure erzeugt. Durch Einwirkung von Aspartat-β-Decarboxylase wird durch Decarboxylierung LAlanin erhalten. COOH
NH3
COOH
HOOC HOOC
COOH - CO2
NH2
NH2
L-Asp
L-Ala
Die Aminierung von Ketosäuren, in Analogie zur Biosynthese, mit Glutamat als Amindonor unter Verwendung der isolierten Transaminase oder direkt mit Zellsuspension wird ebenfalls für die Aminosäuresynthese angewandt. Zur Herstellung von L-Phenylalanin wird Benzylidenhydantoin mit KOH zur Ketosäure verseift und anschließend transaminiert (s. Kap. 4.1.5 und 3.2.4). O
COOH
KOH H
N
N
O
H
COOH
Enzym
NH2
L-Glu L-Phe
O
Enzyme werden auch angewandt, um Racemate aufzutrennen. Dabei wird nur eines der beiden Enantiomeren hydrolysiert. H3 C
COOH
S
NHAc
H3 C
COOH
S
NH2
L-Methionin
+
H 3C
+
H 3C
S
COOH
Acylase
NHAc
S
COOH NHAc
D-N-Acetylmethionin
Zunehmend an Bedeutung gewinnen fermentative Verfahren, in denen eine Aminosäure überproduziert wird. In diesem Fall wird die Aminosäure aus einer CQuelle (Glucose) und einer N-Quelle in Ausbeuten bis zu 60 g/1 erhalten. Es werden also keine teuren Vorläufer mehr benötigt. Diese hohen Produktionsraten werden durch Mutanten von Mikroorganismen erreicht, die bereits ein gewisses Überproduktionspotenzial besitzen. Für die Herstellung von (-)-Glutaminsäure werden z. B. Corynebacterium glutamicum und Brevibacterium flavum verwendet. So lassen sich aus 1 kg Glucose etwa 500 g L-Glutaminsäure erhalten. An dieser Stelle soll auch auf die Bedeutung von Aminosäuren als chirale Hilfsreagenzien hingewiesen werden (s. Kap. 2.11). Als Beispiel wird die αAlkylierung von Ketonen über chirale Imine diskutiert. Das chirale Hydrazinderivat (SAMP) kann, ausgehend von L-Prolin, hergestellt werden. Reduktion der
4.1 Aminosäuren
275
Carbonsäure mit LiAlH4 ergibt den primären Alkohol. Darstellung des NNitrosopyrrolidins mit Alkylnitrit, Etherbildung am primären Alkohol und Reduktion mit Lithiumaluminiumhydrid ergeben das (S)-1-Amino-2-(methoxymethyl)pyrrolidin (SAMP) (Enders-Methode). COOH N
LiAlH4
RONO
OH
H
N
H
OH
H
H
N
H
NO
L-Prolin CH3I
LiAlH4
OMe
NaH
OMe
H
N NO
SAMP
H
N
NH2
Mit diesem Hilfsreagenz kann Cyclohexanon in α-Stellung alkyliert werden. Bildung des Carbanions über das chirale Cyclohexanonhydrazon ermöglicht eine diastereoselektive Alkylierung. Die Spaltung des Hydrazons ist durch Ozonolyse möglich; man erhält das Methylcyclohexanon in optisch reiner Form.
OMe
O
N
+
LDA
N
OMe N
H
H
CH3O-SO2-OCH3
NH2
O
CH3 O
O Li
S
H
OMe _ CH O 3
CH3
S O
N
H CH3
OLi
N N
H
O3
H CH3
N
O
OMe
O
O
+
OMe N
H
NO2
Das N-Nitropyrrolidin kann durch Reduktion wieder in SAMP überführt werden.
276
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
4.1.5 Biosynthese von Aminosäuren
Die Stickstoffatome in Aminosäuren und anderen Biomolekülen werden über NH4+ eingeführt. Der Stickstoff aus der Luft kann nur von bestimmten Bakterien direkt verwendet werden. Ein wichtiges Ausgangsmaterial für die Synthese mehrerer Aminosäuren ist das Glutamat. Dieses wird aus α-Ketoglutarat und NH4+ durch Reduktion mit NADPH erhalten. O
O
O
NH4+ O
O
O
O
NADPH
O
O
NH2
α-Ketoglutarat
L-Glutamat
Eine andere Variante, ausgehend von α-Ketosäuren, verläuft mit Pyridoxalphosphat (PLP) als Coenzym. Als Amindonor in dieser Transaminierungsreaktion dient Glutamat (s. Kap. 3.2.4). Aus Pyruvat und Glutamat werden dann z. B. Alanin und α-Ketoglutarat erhalten. O
O O
+
O
O
O
O
PLP O
O
O
Pyruvat
+
O
NH2
O
O
NH2
L-Glutamat
O
α-Ketoglutarat
L-Alanin
Prolin wird aus Glutamat gebildet. Die Biosynthese beginnt mit der Reduktion der Carbonsäure zum Aldehyd, der unter Dehydratisierung zum ∆1-Pyrrolidein-5carboxylat cyclisiert. Die anschließende Reduktion der Doppelbindung liefert Prolin. O
O
O
H
NADH O
- NAD+
O
O
O
NH2
- H2O
NH2
L-Glutamat O N H
+
O
O
NADH - NAD+
N H
L-Prolin
O
Serin wird aus 3-Phosphoglycerat aufgebaut, einem Zwischenprodukt der Glycolyse. Oxidation der α-Hydroxygruppe, Transaminierung mit Glutamat und PLP und anschließende Hydrolyse ergeben Serin.
4.2 Peptide O
O O
P
OH
O
P
- NADH
O
P O
O
O O
O
O
O
O
NAD+
277
O
O O
PLP Glutamat
O Hydrolyse O
O
O
NH2
OH
HO
L-Serin
NH2
Für die vollständige Darstellung aller Biosynthesewege der Aminosäuren muss auf die biochemischen Übersichtswerke hingewiesen werden.
4.2 Peptide Peptide sind aus Aminosäuren, die über Amidbindungen verknüpft sind, aufgebaut. Je nach der Zahl der beteiligten Aminosäuren spricht man von Di-, Tri-, Tetrapeptiden etc. Diese Gruppe wird unter der Bezeichnung Oligopeptide zusammengefasst. Als Polypeptide bezeichnet man Substanzen, die bis 150 Aminosäurereste besitzen; hieran schließen sich die Proteine an, jedoch sind die Grenzen fließend. Bezüglich der Struktur eines Polypeptids unterscheidet man vier Aussagen:
− Die Primärstruktur gibt die Sequenz der Aminosäuren an. Üblicherweise beginnt man beim Zeichnen mit der N-terminalen Aminosäure (NH2) und endet mit der C-terminalen (COOH). − Die Sekundärstruktur liefert die Angaben über den räumlichen Verlauf der Peptidkette und ihrer helikalen und nichthelikalen Bereiche. − Die Tertiärstruktur vermittelt ein grobes räumliches Bild des Peptids mit Knickstellen, die zu einer spezifischen Faltung führen. − Die Quartärstruktur macht eine Aussage darüber, ob mehrere (2, 4, 8) Untereinheiten selbstständiger Peptide zu einem Komplex zusammentreten (s. a. Kap. 4.3.1). Zur Bestimmung der Sekundär-, Tertiär- und Quartär-Struktur bietet sich heute die Röntgenstrukturanalyse an. Die Primärstruktur wird am einfachsten auf chemischem Weg durch schrittweisen Abbau ermittelt. Hierzu ist zunächst eine quantitative Aminosäureanalyse nötig, d. h. eine Aussage darüber, wie viele Moleküle welcher Aminosäuren in dem betreffenden Peptid enthalten sind. Eine solche Totalhydrolyse lässt sich mit halbkonzentrierter Salzsäure bei 105°C durchführen. Die Analyse des Hydrolysats wird durch Chromatographie betrieben, exakte Angaben erhält man mit einem Aminosäure-Analysator.
278
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
4.2.1 Peptid-Analyse
Eine selektive Spaltung von Peptiden ist mit Bromcyan möglich. Im sauren Milieu bei Raumtemperatur wird über den Iminoether spezifisch hinter Methionin gespalten. R' H
R
O
R'
N
N
O
CONHR''
BrCN
H
H3 C
H
H
CONHR''
+
N
Hydrolyse
N
R'
O
- CH3SCN
O
O
SCH3
R
CONHR''
N
N
R
H
H
R
S
+
CN
H N
O
+
O
O
H2N
CONHR'' R'
O
N-Bromsuccinimid (NBS) spaltet Peptidbindungen hinter Tryptophan. Der primäre Schritt ist der elektrophile Angriff von Brom am Indol. Durch Cyclisierung entsteht eine Iminoverbindung, die hydrolytisch zu zwei Dipeptiduntereinheiten gespalten wird. H
O
N
R N H
O
H
H
N
N R
O
NBS +
N
N
H
O
Br
H H
H
N
N
O
+
O N
Br
H
Iminoverbindung
H N
O
R
R
O Hydrolyse
+ N
OH
H 2N O
H
Peptidteil I
Peptidteil II
Die Reaktion von Tyrosin und Histidin mit Brom und anschließender Cyclisierung verläuft deutlich langsamer.
4.2 Peptide
279
Enzymatische Spaltungen von Peptiden verlaufen entweder über einen schrittweisen Abbau der Peptidkette (N-terminales Ende mit Aminopeptidasen oder Cterminales Ende mit Carboxypeptidasen) oder durch eine selektive Spaltung im Inneren des Peptides. So hydrolysiert Trypsin nach den basischen Aminosäuren Arginin und Lysin, während Chymotrypsin vor allem nach den aromatischen Aminosäuren Tyrosin, Tryptophan und Phenylalanin spaltet. Thermolysin spaltet die Peptidbindung vor Leucin oder Isoleucin. Eine Übersicht der Protein- bzw. Peptidspaltung ist hier dargestellt: Thermolysin NBS
BrCN
Gly-Ala-Val-Trp-Asp-Arg-Leu-Met-Lys-Phe-Ile Trypsin Chymotrypsin
Wichtig ist natürlich eine vollständige Analyse der Primärstruktur. Diese Sequenzanalyse wird im Folgenden beschrieben. 4.2.1.1 Bestimmung der N-terminalen Aminosäure
Diese Bestimmung beruht darauf, dass die freie Aminogruppe mit 2,4-Dinitrofluorbenzol (Sanger-Reagenz) in einer nucleophilen aromatischen Substitutionsreaktion reagiert, und zwar schon unter milden Bedingungen mit Natriumhydrogencarbonat als Fänger für den entstehenden Fluorwasserstoff. Die Reaktion nach dem Additions-Eliminierungs-Mechanismus wird durch die o- und pständigen Nitrogruppen energetisch begünstigt. Der primäre Angriff des Nterminalen Amins wird durch das elektronegative Fluoratom ermöglicht. O NH2
N O
+
F
H O 2N
Peptid-Ala-Val O N O
H+ H2O
NaHCO3
NO2
H
H N
NO2
COOH
O2 N
NH COOH
weitere Aminosäuren
+
NH2 L-Ala
NO2
+ DNP-Val
NO2
280
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
Bei der nun folgenden Totalhydrolyse und Chromatographie kann die endständige, den Dinitrophenylrest tragende Aminosäure leicht an ihrer gelben Farbe erkannt werden. Dansylchlorid kann ebenfalls zur Bestimmung der N-terminalen Aminosäure eingesetzt werden. 4.2.1.2 Bestimmung der C-terminalen Aminosäure
Hierzu wird das Peptid mit wasserfreiem Hydrazin gespalten und die Säuren in die entsprechenden Hydrazide umgewandelt. Allein die freie Carboxylgruppe reagiert wegen der Salzbildung mit Hydrazin nicht; damit bleibt bei der Analyse als einzige freie Aminosäure die C-terminale erhalten. O HOOC
H
N
O
O
N
H2N-NH2
H3N
+
+
H2N
H
Ala-Val-Peptid
O H2N
+
H2N
H
Ala
+
N NH2
Val-hydrazid
weitere Aminosäurehydrazide
4.2.1.3 Sequenzanalyse
Das hier verwendete Reagenz nach Edman ist Phenylisothiocyanat. Primär bildet sich bei der Reaktion mit dem Peptid das Thioharnstoffderivat (PTC-Peptid). Die Spaltung der Peptidbindung wird nun durch den Nachbargruppeneffekt (anchimerer Effekt) des Schwefels begünstigt, sodass nur die endständige Aminosäure abgespalten wird. Das Ringsystem öffnet sich durch Hydrolyse zum Thioharnstoffsystem, das nun durch Angriff des Stickstoffatoms das fünfgliedrige Phenylthiohydantoin (PTH) ergibt. Diese Reaktionen werden heute automatisch im Peptid-Analysator durchgeführt.
N
C
R
S
+
H
O
N
H2N O
Phenylisothiocyanat
R'
Peptid O
N
N S
R O
+
H
N
N
R
O
N
PTC-Peptid
H
S
H H+
H
H2O
H2 N R'
- H+
R'
O
H
H
N
N
R
O
OH
S
4.2 Peptide
281
O R N
- H2O
N
PTH H
S
Das Endprodukt wird nun mittels Dünnschichtchromatographie, Gaschromatographie, MS oder HPLC bestimmt. Die Einführung der HPLC hat die benötigten Mengen für eine Sequenzanalyse deutlich verringert. So können bis zu 5 pmol durch Detektion bei 254 nm oder 269 nm nachgewiesen werden. Weitere Abbaureagenzien, deren Stärke in der besseren Separierbarkeit bzw. Detektion der Produkte liegen, sind z. B.:
H3 C N
N
N
N
C
N
S
C
S
H3C
O
Dimethylaminoazobenzolisothiocyanat
Diphenylindonylisothiocyanat
4.2.1.4 Spaltung von Disulfidbrücken
In vielen Peptiden sind je zwei Cystein-Moleküle über eine Disulfidbrücke zum Cystin verknüpft. Die Spaltung solcher Brücken kann oxidativ oder reduktiv erfolgen. Die oxidative Spaltung lässt sich mit Perameisensäure durchführen; dabei entstehen Sulfonsäuren: NH
CH
CO
NH
NH O
CH2 H
S
NH
C
CH
OH
SO3H CH2 NH
CO
NH
SO3H
S CO
NH
CH2 O
CH2 CH
CO
NH
CH
Reduktiv lassen sich Disulfidbrücken mit Mercaptoethanol oder Salzen der Thioglykolsäure spalten. Die Reaktion ist reversibel; durch Oxidation mit Luftsauerstoff werden die Disulfidbrücken wiederhergestellt. Von dieser Reaktion macht man auch beim Legen von Dauerwellen Gebrauch.
282
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine S
SH
S COOH
H2N S
S
S
S
COOH
H2N SH
HS-CH2COO- Na+ O2
SH
+
SH COOH
H2N
SH
SH COOH
H2N
Die entstandenen SH-Gruppen lassen sich mit Iodessigsäure fixieren: R
SH
+
I
CH2 COOH
R
CH2 COOH
S
4.2.2 Peptidsynthesen
Bei der Knüpfung einer Peptidbindung liegt das Problem darin, dass je zwei Amino- bzw. Carboxylgruppen vorliegen, von denen aber nur je eine an der Reaktion beteiligt sein darf. Die Lösung ist, dass die unbeteiligten Gruppen geschützt werden und die reagierende Carboxylgruppe in ein reaktives Derivat überführt wird. An die Schutzgruppen ist die Bedingung zu stellen, dass sie unter milden Bedingungen und ohne das Molekül zu verändern wieder abgespalten werden können. Die Hauptgefahr liegt dabei in einer Racemisierung der Aminosäure. Die einfachste und wohl älteste Methode ist die Umsetzung eines N-Acyl-Säurechlorids mit einem Aminosäureester: O
R
R' Cl
N H
+
H2N
O
O
COOR''' R''
- HCl
R
H
R'
N
N H
O
COOR''' R''
Die Reaktionsbedingungen der nachfolgenden Hydrolyse von Amidschutzgruppe und Ester sind bereits so streng, dass eine teilweise Rückspaltung der Peptidbindung bzw. eine teilweise Racemisierung nicht zu vermeiden ist. Man hat daher nach besseren Schutzgruppen gesucht, die während der Peptidknüpfung stabil sind und anschließend unter Erhalt der Peptidbindung abgespalten werden können. 4.2.2.1 Aminosäureschutzgruppen
In diesem Kapitel werden die Schutzgruppen eingeteilt in A Aminoschutzgruppen, B Säureschutzgruppen, C Schutzgruppen für Seitenketten. A Aminoschutzgruppen
Als Schutzgruppe für die Aminofunktion wird die Benzyloxycarbonylgruppe verwendet. Diese ist aus Benzylalkohol und Phosgen darstellbar.
4.2 Peptide
283
O CH2 OH
+
Benzylalkohol
COCl2
CH2 O
Phosgen
C
Cl
Chlorameisensäurebenzylester
Einführung der Schutzgruppe: O CH2 O
C
Cl
+
H2N
CH
Base
COOR
R
Chlorameisensäurebenzylester
Aminosäure
O CH2 O
C
NH
CH
COOR
Cbz-Aminosäure
R
Nach erfolgter Peptidbindung kann der Cbz-Rest durch katalytische Hydrierung an Pd/C abgespalten werden; dabei entstehen das Peptid, CO2 und Toluol. Die Abspaltung gelingt auch mit HBr in Eisessig oder mit Natrium in flüssigem Ammoniak, jedoch besteht auch hier wieder die Gefahr einer partiellen Racemisierung. Eine weitere häufig benutzte Schutzgruppe ist die t-Butyloxycarbonyl-Gruppe (Boc). Hierbei wird die Aminogruppe mit t-Butyloxycarbonylazid unter milden Bedingungen umgesetzt. CH3 H3 C
C
O O
C
CH3 N3
CH3
+
H 2N
COOR'
- HN3
R
H3C
C CH3
R
O O
C
N
COOR'
H
Der Boc-Rest kann mit HBr/Eisessig abgespalten werden. Weitere Beispiele für Schutzgruppen sind in der Tabelle 4.5 aufgeführt. B Säureschutzgruppen
Die Schutzgruppen für die Carboxylfunktion haben vor allem die Aufgabe, die Salzbildung mit der Aminofunktion der zu kondensierenden Aminosäure zu verhindern. Der einzuführende Substituent darf natürlich auf keinen Fall die Carboxylgruppe aktivieren, muss aber leicht abspaltbar sein. Als Schutzgruppe eignen sich die Benzylgruppe und die t-Butylgruppe. O R
O O
NH2
C(CH3)3
R
O NH2
284
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
Tabelle 4.5. Schutzgruppen für R-NH2 in der Aminosäuresynthese
Abk.
Struktur
Reagenz
O
Tfac
F3C
C
NHR
F3C
CH3 H3C
Boc
Deblockierung O
O
C
C
O O
C
H 3C
C
O O
O
Cl3C
C
O
O
Cl3C
NHR
O
C6H5
O
Zn/CH3COOH
Cl
O
Cbz (Z)
CF3COOH/CHCl3 HF/H2O HBr/CH3COOH
N3
CH3
CH3
TClOC
CF3
O
CH3
NHR
HCl/H2O NH3/ H2O NaBH4/CH3OH
O
C6H5
NHR
O
O
HBr/CH3COOH Pd/H2
Cl
O O
Phth
N
R
N
C
N2H4/H2O HBr/CH3COOH
OEt
O
O NHR
Cl
O
O O
FMOC
O
Base
Die Benzylgruppe wird durch katalytische Hydrierung, die t-Butylgruppe durch sauer katalysierte Hydrolyse abgespalten. C Schutzgruppen für Seitenketten
Beispiele für Schutzgruppen, die an den Aminosäurenseitenketten verwendet werden, sind in Tabelle 4.6 zusammengefasst. 4.2.2.2 Verknüpfungsmethoden
Zur Aktivierung der Carboxylgruppe finden verschiedene Methoden Anwendung. Die älteste Methode ist die Azidmethode. Säureazide werden über die Hydrazide und Umsetzung mit salpetriger Säure erhalten. O
R
O
N3
N H
O
+
H2N
COOR'' R'
- HN3
R
H N
N H
O
COOR'' R'
4.2 Peptide
285
Tabelle 4.6. Schutzgruppen für die Seitenketten von Aminosäuren
Aminosäure
Reagenz
Abspaltung
COOH H2N
C
O
Lys
H
O
C
HF / Anisol
Cl
CH2CH2CH2CH2NH2
COOH H2N
C
Cys
H
C
H+ / Hg2+ / I2
Cl
CH2SH
COOH H2N
C
Met
H
CH2CH2SCH3
H2O2
(Oxidation zum Sulfoxid)
HS-CH2-COOH
COOH H2N
C
/ BF3 OEt2
Asp
H
CH2-COOH
HBr oder CF3COOH
(als t-Butylether)
COOH H2N
C
Ser
H
HBr oder CF3COOH
CH2Br
CH2OH
Eine weitere Methode verknüpft die Acylaminosäure mit einem Aminosäureester in Gegenwart äquimolarer Mengen an Dicyclohexylcarbodiimid. Hierbei bildet sich über den Angriff der Carboxylgruppe am Diimidkohlenstoff die reaktive OAcylisoharnstoff-Verbindung. Nucleophile Reaktion der Aminogruppe des Aminosäureesters ergibt das Dipeptid sowie N,N’-Dicyclohexylharnstoff. O O O
N
H
O
O
H O
N C N
N O
N-Boc-Val
NH2
N
(Ala-Ester)
O O
H
O
NH
286
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine O
O
O
N O
N
H
H
+
O
O
N
N
H
H
N,N'-Dicyclohexylharnstoff HF / H2O
O OH
N NH2
H
L-Val-L-Ala
O
Eine weitere Variante verläuft über die Umsetzung einer Acylaminosäure mit N,,N-Carbonyldiimidazol. Hierbei bildet sich bei Raumtemperatur in THF unter Abspaltung von CO2 und Imidazol das Carbonsäureimidazolid, das in der Reaktivität den Carbonsäurechloriden gleicht. Diese Zwischenverbindung reagiert mit einem Aminosäureester zum Dipeptid. O OH O
N
O
O
H
+
N
N
N
N
N N
- CO2 - Imidazol
O
O
N
H
O
Cbz-Ala O O O NH2
O
N O
N O
H
H
O O
Pd/H2
OH
N NH2
H
O
L-Ala-L-Ala
Das Hauptproblem bei der Peptidsynthese ist die Racemisierung von NAcylaminosäuren durch Oxazolonbildung. Durch die Aktivierung der Carboxylgruppe ist der Carbonylsauerstoff des N-Acyls in der Lage, Oxazolone zu bilden. In dieser Verbindung zeigt das α-H-Atom der Aminosäure eine hohe Acidität, da durch Deprotonierung ein aromatisches System (6π) entsteht. Die Protonierung des Carbanions führt zu racemischen Produkten.
4.2 Peptide H H
H
O
R N
O
X
- HX
O
-
H+
O
N R'
O
R
+ H+ O
N
O
N
- H+
+ H+
R'
H
O
R
R
287
R'
R'
Das Ausmaß dieser Racemisierung wird sowohl durch die Austrittsgruppe X, die N-Acylgruppe als auch durch die Reaktionsbedingungen beeinflusst. Die Carbonylazide (X = N3) zeigen nur eine sehr geringe Tendenz zur Racemisierung. Dies wird durch die Annahme einer stabilen Konformation erklärt, in der sich der negativ geladene Amidsauerstoff in Richtung des positiven Azidstickstoffs orientiert. R N
O N
N
+
H R
N O
Die Carbonylazide zeigen allerdings die Tendenz zur Curtius-Umlagerung. Unter Abspaltung von N2 zu einem Nitren und anschließender Umlagerung resultiert ein Isocyanat. Diese Reaktion kann bei -30°C unterdrückt werden. Allgemein kann die Racemisierung durch unpolare Lösungsmittel, tiefe Temperaturen und geringe Basenkonzentration verhindert werden. O R
O N
NH-R'
+
N
R
N - N2
N NH-R'
R
N
C
O
NH-R'
Bei der Peptidsynthese können mit Flüssig- oder Festphasensynthese zwei Strategien eingeschlagen werden. Die Verwendung der Flüssigphasensynthese bedingt nach jedem Syntheseschritt (z. B. Dipeptid → Tripeptid) eine aufwändige Abtrennung des Reaktionsproduktes von Ausgangs- und Nebenprodukten. Weiterhin lässt sich dieses Verfahren nicht automatisieren. Dagegen zeigt die Festphasensynthese nach Merrifield einige Vorteile. Bei dieser Methode wird die erste Aminosäure an einen polymeren Träger gebunden. Als Träger haben sich Polystyrole bewährt. An diese erste Aminosäure wird nun die nächste kondensiert, z. B. mit der Dicyclohexylcarbodiimid-Methode. Die Abtrennung dieses trägergebundenen Dipeptids vom Edukt und den verwendeten Reagenzien erfolgt durch einfache Filtration. Nach Beendigung der Synthese wird das Dipeptid durch saure Hydrolyse vom Träger abgespalten. Diese Methode kann auch automatisiert durchgeführt werden, indem man den Träger auf einem Filter vorlegt und die anzuknüpfende Aminosäure und die einzelnen Reagenzien computergesteuert hinzufügt.
288
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
Der Nachteil dieser Variante liegt in der Aufreinigung des synthetischen Peptids. Da die Kopplungsausbeuten und die Abspaltung der Schutzgruppe nicht immer 100 % betragen, kommt es zu Fehlern in der Sequenz. So entsteht nach Spaltung des Peptids vom polymeren Träger eine Vielzahl von verschiedenen Peptiden, die an die Aufreinigungsmethoden hohe Anforderungen stellen. Bei Verwendung der Flüssigphasensynthese und Aufreinigung des synthetisierten Peptids nach jeder Reaktionsstufe erhält man Endprodukte mit höherer Reinheit. Als Beispiel für die kovalente Bindung an Polystyrol wird im Folgenden die Bindung von Alanin an das Polymer beschrieben. Am Phenylrest einer Polystyroleinheit wird durch Chlormethylierung eine reaktive Gruppe eingeführt. Diese wird mit t-Butyloxycarbonylalanin/Triethylamin in Essigsäureethylester umgesetzt. Durch nucleophilen Angriff der Carboxylgruppe am Benzylchlorid bildet sich eine kovalente Bindung zum Träger. Polystyrol
SnCl4
+
Cl
OMe Cl
NH-Boc
+
HO O
O
O NH-Boc
N(C2H5)3
4.2.3 Biologisch aktive Peptide
Neben zahlreichen Peptiden und Proteinen, die einem raschen Metabolismus im Organismus unterliegen, gibt es eine Anzahl biologisch wichtiger Substanzen, die für eine gewisse Zeit stabil sind und nur von spezifischen Enzymen desaktiviert werden. Zu ihnen zählen Enzyme und Hormone, viele davon mit strukturellen Besonderheiten. So sind z. B. Peptidbindungen nicht über die α-Carboxylgruppe, sondern über die γ-Carboxylgruppe der Glutaminsäure verknüpft. Ein Dipeptid ist das Carnosin (β-Alanyl-histidin), das vorwiegend im Rindermuskel vorkommt und dessen biologische Bedeutung noch immer nicht eindeutig geklärt ist. Das strukturell verwandte Dipeptid, das Anserin (β-Alanin-3-methyl-Lhistidin) kommt dagegen vorwiegend im Hühnermuskel vor, beide sind typische Geschmacksstoffe einer Bouillon. HN N O
H2 N
O OH
N H
Carnosin β-Alanyl-histidin
O
SH
O
HO
N
N NH2
H
H
O
Glutathion
O OH
4.2 Peptide
N
N
CH3
H Anserin
O C OH O N H
289
NH2
Glutathion spielt als Coenzym in biologischen Redox-Systemen eine wichtige Rolle. Dabei läuft folgender Prozess ab: - 2 e2
R
CH2 S
R
CH2 S
S
CH2 R
+ 2 e-
Im tierischen und menschlichen Organismus sind vor allem die Hypothalamushormone aufgrund ihrer biologischen Relevanz erwähnenswert. Der Hypothalamus ist ein Teil des Zwischenhirns. Die Konzentration dieser Peptidhormone ist so gering (ng-Bereich), dass für die erste Strukturaufklärung die Zwischenhirne von 300.000 Ratten extrahiert werden mussten. Hierbei konnten 40 μg Produkt erhalten werden. Ein Beispiel für die Neurohormone ist das Thyroliberin, ein Tripeptid aus Glu, His und Pro. Hierbei liegt jedoch die N-terminale Glutaminsäure als Pyroglutaminsäure und die C-terminale Carbonsäure des Prolins als Amid vor. Dieses Peptid wird von normalen Proteasen (z. B. Carboxypeptidasen) nicht erkannt und damit auch nicht hydrolysiert. H O
CONH2
O
N
N H
H
N
Thyroliberin
O
H
N
N
Die Hypothalamushormone steuern die Freisetzung der Hormone im Hypophysenvorderlappen. Diese wiederum steuern den Stoffwechsel der Körperzellen sowie die Keimdrüsen. Endorphine sind Peptide, die an Schmerzrezeptoren des Zentralnervensystems angreifen und damit in ihrer Wirkung dem Morphin verwandt sind. Die ersten isolierten Endorphine waren die Enkephaline. Tyr-Gly-Gly-Phe-Met Tyr-Gly-Gly-Phe-Leu
Met-Enkephalin Leu-Enkephalin
Als relevantes Strukturelement ist das α-N-Atom im Tyrosin anzusehen, das im geeigneten Abstand vom Phenolrest steht.
290
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine N
CH3
NH2
HO
Gly-Gly-Phe-Met O HO
HO
Morphin-Struktur
Met-Enkephalin
Hormone des Hypophysenhinterlappens sind z. B. das Ocytocin und das Vasopressin. Vasopressin verursacht eine Permeabilitätsabnahme im distalen Tubulusabschnitt und dem Sammelrohr der Niere und bewirkt so eine Rückresorption von Wasser. Verantwortlich für die Wirkung im Elektrolyt- und Wasserhaushalt ist die basische Aminosäure Lys an Position 8. Ocytocin wird in der Geburtshilfe als wehenauslösendes Mittel, zur Erhaltung der Uteruskontraktion während der Geburt sowie in der Nachgeburtsperiode zur Ablösung der Plazenta verwendet. Da Oxytocin die Milchejektion verbessert, wird es in einigen Ländern zur Erhöhung der Milchleistung bei Kühen eingesetzt. H
H Cys
Tyr
Cys
S
Leu
S
Gln Cys
Asn
Pro
Leu
Gly
Ocytocin
NH2
Tyr
S
Phe
S
Gln Cys
Asn
Pro
Lys
Gly
Vasopressin
NH2
Die Bauchspeicheldrüse (Pankreas) produziert vor allem wichtige Verdauungsenzyme, z. B. Trypsin und Chymotrypsin. In den Langerhans-Inseln wird in den βZellen das Insulin und in den α-Zellen das Glucagon gebildet. Insulin stimuliert den Glucosetransport durch die Zellmembran und senkt damit den Blutzuckerspiegel. Es fördert den Verbrauch von Glucose, insbesondere für die Energieproduktion und den Fettaufbau. Die Abgabe von Fettsäuren wird gehemmt; ebenso hemmt es den Verbrauch von Eiweiß als Brennstoff. Insulin fördert den Glucosetransport in den Muskelzellen und erhöht in der Leber den Gehalt an Enzymen, die die Umwandlung von Glucose in Glycogen fördern. Mangelnde oder fehlende Insulinproduktion führt zum Diabetes mellitus. Zur Therapie dieser Krankheit wird Insulin verwendet. Die Applikation dieses Peptidhormons muss natürlich parenteral erfolgen, da Peptide bei oraler Gabe im Magen verdaut werden. Das Insulin besteht aus zwei Ketten, die über zwei Disulfidbrücken miteinander verbunden sind (s. Abb. 4.8). Die A-Kette besteht aus 21, die B-Kette aus 30 Aminosäuren.
4.2 Peptide
291
A-Kette
S S 1 5 10 15 20 Gly-Ile-Val-Glu-Gln-Cys-Cys-Thr-Ser-Ile-Cys-Ser-Leu-Tyr-Gln-Leu-Glu-Asn-Tyr-Cys-Asn S
S S
S 1 5 10 15 20 Phe-Val-Asn-Gln-His-Leu-Cys-Gly-Ser-His-Leu-Val-Glu-Ala-Leu-Tyr-Leu-Val-Cys-Gly-Glu-Arg
B-Kette
Thr-Lys-Pro-Thr-Tyr-Phe-Phe-Gly 30 25
Abb. 4.8. Struktur des menschlichen Insulins (Molekulargewicht 5743)
Biosynthetisch entsteht das Insulin aus Proinsulin. Durch enzymatische Spaltung wird eine Schleife abgespalten, so dass das eigentliche Insulin entsteht. enzymatische Spaltung
enzymatische Spaltung
Die Insuline verschiedener Tierarten zeigen zwar Unterschiede in der Primärstruktur, aber kaum in ihrer biologischen Wirkung. Das menschliche Insulin unterscheidet sich vom Schweineinsulin nur durch eine Aminosäure am Ende des Peptids. In Tabelle 4.7 sind die Variationen gegenüber der Aminosäuresequenz beim Menschen aufgelistet. Zur Therapie des Diabetes mellitus wird am besten das Humaninsulin eingesetzt. Die Darstellung erfolgt durch Extraktion von Schweineinsulin aus den Bauchspeicheldrüsen von Schlachttieren und enzymatischer Umwandlung in Humaninsulin. Der Nachteil dieses Verfahrens ist die Verunreinigung des erhaltenen Produktes mit anderen tierischen Peptiden und Proinsulin, die zu unerwünschten Immunreaktionen führen können. Zur Sicherung des weltweit steigenden Insulinbedarfs und zur Verhinderung der oben erwähnten Immunreaktionen wird heute in zunehmendem Maß Humaninsulin mit gentechnologisch modifizierten E. coliStämmen produziert (s. Kap. 6.3.4). Tabelle 4.7. Variationen der Aminosäuresequenz des Insulins
Spezies Mensch Schwein, Hund, Pottwal Kaninchen Rind, Ziege Schaf Pferd Blauwal
A-Ketten-Position 8 - 9 - 10 Thr-Ser-Ile Thr-Ser-Ile Thr-Ser-Ile Ala-Ser-Val Ala-Gly-Val Thr-Gly-Ile Ala-Ser-Thr
B-Ketten-Position 30 Thr Ala Ser Ala Ala Ala Ala
292
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
Auch Glucagon ist an der Steuerung des Glucosehaushalts beteiligt. Es kommt in der Duodenalwand, der Magenwand und im Pankreas vor; es wird vom Gastrointestinaltrakt in den Kreislauf abgegeben. Glucagon erhöht den Blutzuckerspiegel durch eine gesteigerte Glycogenolyse in der Leber. Es steigert außerdem die Gluconeogenese aus Aminosäuren in der Leber und es stimuliert nicht zuletzt auch die Freisetzung von Insulin. Das Schweineglucagon ist ein lineares Polypeptid aus 29 Aminosäuren. Auch hier gilt, dass die Aminosäuresequenz bei den einzelnen Säugetierspezies nur geringfügige Abweichungen zeigt. 1 5 10 15 20 His-Ser-Gln-Gly-Thr-Phe-Thr-Ser-Asp-Tyr-Ser-Lys-Tyr-Leu-Asp-Ser-Arg-Arg-Ala-Gln-Asp-Phe Thr-Asn-Met-Leu-Trp-Gln-Val 25
Angiotensin wirkt erregend auf die glatte Muskulatur und bewirkt eine äußerst starke Blutdrucksteigerung. Wie Insulin wird auch Angiotensin aus einem inaktiven Vorläufer biosynthetisch gebildet. Ausgehend von Angiotensinogen wird durch die Protease Renin das noch unwirksame Proangiotensin erhalten. Das Angiotensin-Konversionsenzym – angiotensin converting enzyme (ACE) –, ebenfalls eine Protease, spaltet das Proangiotensin zum Angiotensin. Angiotensinogen
Asp-Arg-Val-Tyr-Ile-His-Pro-Phe-His-Leu-Leu-Val-Tyr-Ser Renin
Proangiotensin
Asp-Arg-Val-Tyr-Ile-His-Pro-Phe-His-Leu ACE
Angiotensin
Asp-Arg-Val-Tyr-Ile-His-Pro-Phe
Die kompetitive Hemmung des ACE mit Captopril führt zu einer Senkung des Blutdrucks. CH3
HS
N O
O
(-)-Captopril O
Da Proteasen im Stoffwechsel von Peptiden und Proteinen zur selektiven Aktivierung von Vorstufen oder zum Abbau der aktiven Verbindung eine zentrale Stellung zukommt, sind spezifische Proteaseinhibitoren interessante Wirkstoffe für die Therapie verschiedener Krankheiten. Speziell in den Kulturfiltraten von Mikroorganismen wird ein Screening nach diesen Inhibitoren durchgeführt. So wurde von Umezawa aus Streptomyceten das Pentapeptid Pepstatin A isoliert.
4.2 Peptide
H N
O
H
(S) N (S) H O
O
Iva
Val
OH
O
H
(S)
N
N (S) H O
(S)
Val
Sta
Ala
N
OH
293
O
(S) (S)
OH
Sta
Pepstatin A
Obwohl Pepstatin A nicht in der Lage ist, humanes Renin zu inhibieren, wurde die darin enthaltene Aminosäure Statin als essenzieller Bestandteil für eine Reninhemmung erkannt.
Sta =
H2N
OH H
OH
H
O
Statin (3S,4S)-3-Hydroxy-4-amino6-methylheptansäure
Es wird angenommen, dass die tetrahedrale Geometrie an C-3 in Verbindung mit der 4-Aminogruppe den Übergangszustand der Peptidhydrolyse im aktiven Teil der Protease simuliert, also einen sog. „transition-state-analogue“ darstellt (s. Kap. 4.3.2.2 und 5.2.3). Viele synthetische Renininhibitoren enthalten heute Statin. Aminopeptidasen sind an der Zelloberfläche angesiedelt. Eine Inhibierung dieser Zelloberflächenenzyme nimmt Einfluss auf die Aktivität der Zelle, u. a. auf Prozesse wie Entzündungen, Immunität und Virusinfektionen. Bestatin aus Streptomyces olivoreticuli ist ein Inhibitor der Aminopeptidase B auf der Zelloberfläche von Tumorzellen, Leukocyten und Makrophagen. Auch hier wird Statin als essenzielle Aminosäure gefunden. Bestatin zeigt einen starken synergistischen Effekt in Kombination mit Cytostatika, wie Bleomycin und Adriamycin. OH
H
Bestatin
N NH2
O
COOH
(2S, 3R)-3-Amino-2-hydroxy4-phenylbutanoyl-L-Leucin
Cyclosporin, ein cyclisches Undecapeptid aus Tolypocladium inflatum, besitzt als Immunsuppresivum großes Interesse. Es verhindert nach Organtransplantationen die Abstoßung des Fremdorgans durch das körpereigene Immunsystem. Im Gegensatz zu anderen Immunsuppresiva behindert diese Verbindung die Immunantwort gegen Krankheitserreger kaum.
294
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
O
H
N
N
O
N
N
O
N
O
O
Cyclosporin
O O N
H N
N O
O
H N
N
H
N
O
O
4.2.3.1 β-Lactamantibiotika
Das wohl bekannteste Beispiel eines Antibiotikums ist das Penicillin, das aus den Aminosäuren D-Valin und L-Cystein besteht, die in einer ungewöhnlichen Weise miteinander verknüpft sind. Die Entdeckung der Penicilline geht auf Fleming zurück. Er beobachtete, dass das Wachstum von Staphylococcen in Gegenwart des Schimmelpilzes Penicillium notatum gehemmt wird (1929). Im Jahre 1955 wurden die Cephalosporine entdeckt. Heute können die bisher bekannten β-Lactame in folgende Gruppen unterteilt werden: CH3 H
H
H
H
S
N
R
H
H
R
R'
O
O
Oxacepheme H
HO
COOH
S O
NH2
CH2 S
N
COOH
H
H
COOH
R
Clavulansäure
N
R N
O
O
H
H
OH
N O
Thienamycine (Carbapeneme)
N O
Peneme
H2 C
H
CH2OH
O R'
N
O
R'
H S
COOH
CH3
N O
Cephamycine
H
N
R N
O
H
H
S
COOH
Cephalosporine (Cepheme)
O
N
O
COOH
Penicilline (Pename) H
R'
H
N
R
O
COOH
O
H
S
N
O
O
H
N
R
N
O
H
N O
SO3H
COOH
Norcardicine
Monobactame
4.2 Peptide
295
Alle natürlichen β-Lactame sind Sekundärmetaboliten von Pilzen (Penicillium) bzw. Streptomyceten. Peneme, bisher in der Natur noch nicht gefunden, sind rein synthetische Antibiotika. 4.2.3.1.1 Penicilline
Die Penicilline leiten sich vom Penam-Grundgerüst ab. Klinisch relevante Penicilline als Antibiotika sind Amide der Aminopenicillansäure (APS oder APA). 5
6 7
O
3
N 1
H
4
S
Penam
2
4-Thia-1-azabicyclo[3.2.0]-heptan-7-on
H S
H2N N O
H
HOOC
(2S,5R,6R)-6-Amino-penicillansäure
Sie bauen sich also aus einem β-Lactam- und einem Thiazolidinring auf. Beispiele für natürlich vorkommende Penicilline sind in Tabelle 4.8 dargestellt. Allgemein wirken β-Lactamantibiotika durch Beeinflussung der Zellwandsynthese von Bakterien. Es wird angenommen, dass Penicillin als Analogon des natürlich vorkommenden Peptidglycansubstrates agiert, welches durch Quervernetzung die Bakterienzellwand aufbaut. Die Seitenkette des Peptidoglycans wird durch D-Ala-D-Ala aufgebaut (s. Kap. 5.3.3.2). Eine Konformation dieser D-AlaD-Ala-Einheit zeigt nun eine hohe Verwandtschaft mit Penicillin. Tabelle 4.8. Natürliche Penicilline H
H R O
Name
S N
O
COOH
R=
Penicillin G
CH2CH3-CH2-CH=CH-CH2-
Penicillin F Dihydropenicillin F Penicillin K
CH3(CH2)6-
Penicillin X
HO
Penicillin N
H
N
CH3(CH2)4-
HOOC
CH2-
CH NH2
(CH2)3-
296
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine H H3C N
R
N
O
O
D-Ala-D-Ala-
Einheit
H
H HH H O
CH3 C
O
H S
N
R O
N O
H O
C
O
Penicillin
Die eigentliche Aktivität wird erst nach der Akzeptanz als D-Ala-D-AlaAnalogon durch den hochreaktiven β-Lactamring entfaltet, der durch nucleophile Reagenzien leicht geöffnet werden kann. Der β-Lactamring ist aus zwei Gründen äußerst reaktiv: Als erstes ist natürlich die Ringspannung in diesem Bicyclus zu nennen. Zweitens ist eine die Amidbindung energetisch stabilisierende Konjugation des Elektronenpaars am Stickstoff mit dem C-Atom der Carboxylgruppe aus sterischen Gründen stark gestört. O HN
R S
O N .. O
O
Das erste Penicillin, welches Verwendung in der klinischen Praxis fand, war das Penicillin G. Es wirkt vor allem gegen grampositive Bakterien. Die industrielle Herstellung erfolgt durch Fermentation von Penicillium chrysogenum in Ausbeuten von 50 g/l. Nachteile von Penicillin G sind die schlechten Resorptionsraten bei oraler Applikation; der größte Teil des Penicillins wird im Magen aufgrund des sauren pHWerts inaktiviert. Weiterhin ist das antibakterielle Wirkspektrum nur sehr schmal. Die erste effektive Synthese eines Penicillins wurde von Sheehan 1957 beschrieben (Abb. 4.9). Das zentrale Problem der Synthese war die Bildung des reaktiven β-Lactams aus einer β-Aminocarbonsäure. Die Synthese geht aus von Valin, das nach Chloracetylierung zum Oxazolon 1 cyclisiert wird. Die Ringöffnung mit Schwefelwasserstoff/Natriummethanolat und Abspaltung der Schutzgruppe ergibt Penicillamin 2. Umsetzung mit der geschützten Aminosäure 3 ergibt nun das Thiazolidinsystem 4. Durch Umsetzung mit Pyridin wird das α-H-Atom des Carbonsäure-t-butylesters zu 5 isomerisiert. Die Phthalimid-Schutzgruppe wird mit Hydrazin entfernt und anschließend wird mit Phenoxyacetylchlorid zu 6 acyliert. Nach der Entfernung der t-Butylgruppe mit HCl und Neutralisation mit Pyridin wird mit Dicyclohexylcarbodiimid zu (±)-Penicillin V (7) cyclisiert. Der Nachteil dieser Methode liegt in der schlechten Ausbeute im Cyclisierungsschritt mit nur 5 %. Im Vergleich zur Fermentation war die chemische Synthese nie von wirtschaftlichem Interesse.
4.2 Peptide
ClCH2COCl H
COOH
H2N
O
Ac2O
Cl
Valin
H2S
O
N
COOH
N
MeONa
1
O
O
O
N HS AcHN
HS H
COOCH3
N
H
297
O
3 +
O
C
H
OtBu CHO
AcONa/EtOH
O
Penicillamin (2) H Pht
H H H S
N
H
N
tBuO O
H
Pht
Pyridin
4
5 C6H5OCH2
O
H
C
N
6 O
H
C
N
H H S
HOOC
N
H
H
N H
COOH
1. CH2Cl2/HCl 2. Pyridin
COOH
COOH
H S N
O
O
H
H
H
N O
O
H
1. KOH 2.C6H11-N=C=N-C6H11
H O
N
H H S
tBuO
C6H5OCH2
H H S
tBuO
COOH
1. N2H4 2. HCl 3. C6H5OCH2COCl
N
H
(±)-Penicillin V 7
COOH
Abb. 4.9. Chemische Synthese von (±)-Penicillin V
Auch aufgrund zunehmender Resistenzen von Bakterien gegen diese Penicilline der ersten Generation sind neue Derivate synthetisiert worden. Die Resistenzmechanismen basieren auf Enzymen wie z. B. β-Lactamase, die das Lactam spaltet oder Penicillinamidase, die die Seitenkette abspaltet.
298
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
Für die Darstellung von Derivaten am naheliegendsten ist die Variation der Seitenkette an C-6. Da über lange Jahre keine brauchbare chemische Methode für diese Reaktion bekannt war, wurde die Fermentation mit chemischen Vorstufen durchgeführt. So nimmt bei Zugabe von Phenylessigsäure die Ausbeute an Penicillin G deutlich zu. Wird z. B. Phenoxyessigsäure als Vorstufe zur Fermentation zugesetzt, wird Penicillin V erhalten. Penicillin V zeichnet sich durch eine höhere Säurestabilität aus. Diese Methode ist nur auf ein begrenztes Substanzspektrum anwendbar. Der Durchbruch gelang mit der Isolierung der Penicillinamidase und der enzymatischen Abspaltung der 6-Aminopenicillansäure (6-APS). Weiterhin wurden auch chemische Verfahren zur Spaltung entwickelt. Das chemische Verfahren muss sehr selektiv und mild sein, um zu keiner Fragmentierung des βLactamsystems zu führen: Unter wasserfreien Bedingungen wird die Carboxylgruppe als Trimethylsilylether geschützt. Durch die Umsetzung mit PCl5 wird dann die Säureamidgruppe in das Imidchlorid überführt, das durch Reaktion mit Methanol den Imidester ergibt. Hydrolyse ergibt die 6-Aminopenicillansäure (APS). H
H
H
O
(CH3)3SiCl
N
O
OH
O
H
O
H S
N
PCl5 Cl
O Si H
H2O
N
Si
O
H S
O
CH3OH
N O
OMe
S N
O
N
H
N
O
H
H
H
S
N
H S
H 2N N
O O
O Si
O
COOH
6-APS
Industriell wird das enzymatische Verfahren zur Herstellung von 6-APS mit trägergebundener Penicillinamidase (aus E. coli) durchgeführt. Die freie Aminogruppe kann nun mit verschiedenen Acylderivaten umgesetzt werden. Hierbei wurde festgestellt, dass sperrige Acylgruppen die Verbindung widerstandsfähig gegen Penicillinasen machen. Weiterhin konnte die Wirkung von Penicillinen gegen grampositive Bakterien mit dem Ampicillin auch auf gramnegative Bakterien ausgedehnt werden. Aus den sehr zahlreichen partialsynthetischen Derivaten sind Beispiele und deren Wirkung in der Tabelle 4.9 zusammengefasst.
4.2 Peptide
299
Tabelle 4.9. Minimale Hemmkonzentrationen (MHK-Werte) verschiedener PenicillinDerivate (grampositive Bakterien: S. aureus und S. pyogenes; gramnegative Bakterien: E. coli in μg/ml) H
H
H S
N
R O
N O
COOH
R= CH2-
Name
S. aureus
S. pyogenes
E. coli
Penicillin G
0,03
0,008
64
O
CH2-
Penicillin V
0,03
0,02
128
O
CH-
Phenethicillin
0,03
0,03
> 200
Propicillin
0,06
0,03
> 200
Azidozillin
0,04
0,01
-
Methicillin
1
2
Oxacillin
0,4
0,1
Cloxacillin
0,2
0,1
Dicloxacillin
0,06
0,05
CH3 CH-
O
H2C
CH3
CH-
O
N3
OMe
OMe CH3 N
O
Cl
CH3 N
O
Cl
CH3 N Cl
O
300
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
H
H
H S
N
R
N
O
O
COOH
R=
Name
S. aureus
S. pyogenes
Flucloxacillin
0,1
0,05
Nafcillin
0,3
0,03
Ciclacillin
0,3
0,2
8
Ampicillin
0,06
0,05
2
Epicillin
0,2
0,004
1,9
Amoxycillin
0,1
0,01
5
E. coli
F
CH3 N
O
Cl
NH2
CH NH2 CH NH2 HO
CH NH2
4.2.3.1.2 Cephalosporine
Die Cephalosporine leiten sich vom Cepham-Grundgerüst ab. Die erste aus dem Kulturfiltrat von Cephalosporium acremonium gewonnene Verbindung, das Cephalosporin C, ist ein Amid der 7-Aminocephalosporansäure (7-ACA oder ACS). +
1
8
7 6
O
S
N 5
2 3
4
Cepham
H
H
H
N R
H3N
S
N
R= O O
O
O COOH
O
O
Cephalosporin C R = H 7-Aminocephalosporansäure (7-ACA, ACS)
4.2 Peptide
301
Obwohl Cephalosporine nicht besonders wirksam sind und auch sehr schlecht resorbiert werden, rechtfertigte die Stabilität gegen Penicillinase sowie die Aktivität gegen gramnegative Bakterien ein breit angelegtes Derivatisierungsprogramm. Im Gegensatz zu den Penicillinen gibt es kein technisch realisiertes enzymatisches Verfahren zur Herstellung von 7-ACA aus Cephalosporin C. Die Herstellung des Amins muss deshalb, wie vorher bei den Penicillinen bereits beschrieben, durch chemischen Abbau erfolgen. Die anschließende Amidbildung erfolgt am besten mit der gemischten Anhydridmethode. Eine weitere Derivatisierungsposition wird durch Abspaltung der Acetylgruppe an der C-3-Einheit erhalten. Beispiele für Cephalosporin-Antibiotika sind in Tabelle 4.10 genannt. Tabelle 4.10. Beispiele für Cephalosporin-Antibiotika und minimale Hemmkonzentrationen in μg/ml H
H R
H
S
N O
N
CH2R'
O COOH
R S
CH2-
S
CH2-
N
R’
Name
S. aureus
E. coli
-OCOCH3
Cefalotin
0,2–0,4
6,2
Cefaloridin
0,02
3,2–6,4
Cefapirin
0,1–0,4
12
Cefamandol
0,2–0,8
0,4–0,8
-OCONH2
Cefuroxim
0,8
0,8–6,2
-OCOCH3
Cefotaxim
3,2
0,04–0,1
Cefoperazon
1,6
0,04–0,4
N
-OCOCH3
CH2-
S
+
N -S
CH-
N
OH
N N
H2N S
HO
N
CH3
C
O
N
OMe C N
OMe
CHHN
C
N
O
N N C2H5
-S
N N
N
CH3
302
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
Eine interessante partialsynthetische Variante zur Darstellung der CephamStruktur geht von Penamen aus. Oxidation der geschützten APS, thermische Spaltung unter Abfangen des entstehenden Produktes durch Silylierung und sauer katalysierte Cyclisierung ergeben das Cepham. Cl PhtN
H S
O C OOH
PhtN
N
+
S
[(CH3)3Si]2NH
N
O
PhtN
O
H
COOCH3
H
O
H
PhtN
+
S N
O
(CH3)3SiCl
O
H
N O H3COOC
COOCH3
Δ
COOCH3
Si(CH3)3
O S
CH3-SO3H
H
PhtN
S
N O
H
COOCH3
Die Biosynthese der Penicilline und Cephalosporine ist noch nicht endgültig geklärt. Aufgebaut werden sie aus L-Aminoadipinsäure, L-Cystein und L-Valin, wobei vor der Anknüpfung an das primär entstehende L-Aminoadipinsäure-LCystein-Dipeptid das Valin zum D-Valin isomerisiert. Für eine vertiefende Betrachtung der Biosynthese muss auf biochemische Werke verwiesen werden. 4.2.3.2 Peptidantibiotika
Peptidantibiotika unterscheiden sich in ihrer Struktur von anderen Peptiden. So sind viele cyclisch oder enthalten spezielle Bausteine (D-Aminosäuren, nichtproteinogene Aminosäuren). Sie werden deshalb nur schwach durch Proteasen abgebaut. Die meisten Peptid-Antibiotika werden in Bakterien, aber auch in Streptomyceten gefunden. Von Bacillus brevis werden Gramicidin S und Tyrocidin A produziert. Außer den beiden cyclischen Peptiden wurden mit Gramicidin A, B und C lineare Peptide gefunden. Die linearen Peptide enthalten an der N-terminalen Position eine Formylgruppe und an der C-terminalen eine Ethanolamidgruppe. L-Val
L-Orn
L-Leu
D-Phe
L-Pro
L-Val
L-Orn
L-Leu
D-Phe
L-Pro
L-Pro
D-Phe
L-Leu
L-Orn
L-Val
L-Tyr
L-Gln
L-Asn
D-Phe
L-Phe
Gramicidin S
Tyrocidin A
HCO-Val-Gly-Ala-D-Leu-Ala-D-Val-Val-D-Val-Trp-D-Leu-Trp-D-Leu-Trp-D-Leu-Trp-NH
Gramicidin A
HO-CH2-CH2
4.2 Peptide
303
Gramicidin S ist hochaktiv gegen grampositive Bakterien, aber aufgrund seiner hämolytischen Aktivität nur topisch und nicht systemisch einsetzbar. Nisin ist ein Peptidantibiotikum, welches dem Käse bei der Herstellung zugesetzt wird. Es wird durch das Milchsäurebakterium Streptococcus lactis gebildet und ist ein hitzeresistentes Peptid mit 34 Aminosäuren, in denen Lanthionin, Dehydroalanin, β-Methyllanthionin und α-Aminodehydrobuttersäure vorliegen. Die Aminosäuren bilden über Schwefelbrücken 5 cyclische Struktureinheiten. Nisin greift die Cytoplasmamembran unmittelbar nach dem Auskeimen der Sporen an. Nisin zerlöchert Steptokokken und Staphylokokken, d. h. sie werden daran gehindert, sich zu teilen und Zellwände aufzubauen. Nisin wird durch die Proteasen im menschlichen Magen-Darm-Trakt vollständig hydrolysiert, sodass die gramnegativen Keime der Darmflora nicht geschädigt werden. Dha
Ala Leu Gly Met S Lys Ala Ala Ile Ala Gly Abu S H Dhb Abu Ala S Pro Gly Ile
Leu
Abu = α-Aminobuttersäure Dha = Dehydroalanin (2-Aminoacrylsäure) Dhb = Dehydrobutyrin (2-Amino-2-butensäure) Lanthionin (Ala-S-Ala) β-Methyl-lanthionin (Abu-S-Ala) HO
Lys
Dha
Val
Asn Met
S His Ala His
Ile
Ser
Abu Lys
Abu Ala
Ala S
Nisin Auch Bacitracin aus Bacillus licheniformis wird nur topisch eingesetzt. Bemerkenswert in der Struktur ist der Thiazolinring, der aus Cystein und Isoleucin aufgebaut ist. NH2 S N
L-Leu
O
D-Glu
L-Ile
L-Ile
D-Phe
D-Orn
L-His
L-Lys
D-Asp
Bacitracin
L-Asn
Zu den systemisch anwendbaren Antibiotika auf Peptidbasis gehören Polymyxin B und Colistin. Diese Peptide sind ausschließlich aktiv gegen gramnegative Bakterien. Colistin wird durch Austausch von D-Phe gegen D-Leu erhalten. Diese Verbindungen sind sehr wichtig für die Behandlung von multiresistenten Pseudomonas Infektionen.
304
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
MO = 6-Methyloctansäure DAB = 2,4-Diaminobuttersäure
X
MO
L-DAB
L-Thr
L-DAB
L-DAB
L-Leu
L-DAB
L-DAB
L-Thr
L-DAB
Polymyxin B: X = D-Phe Colistin: X = D-Leu
Glycopeptide sind sehr wichtige Verbindungen für die Behandlung von grampositiven Infektionen, vor allem von Methicillin-resistenten Staphylococcusaureus-Stämmen (MRSA). Obwohl eine Vielzahl von Glycopeptiden bekannt ist, werden nur zwei, Vancomycin und Teicoplanin, in der Klinik verwendet. H2N
OH HO
HO O
OH O
O
HO O O HN
N H
O
O
Cl H N
O
O CONH2
HOOC OH OH
HO
OH O
H N
N H
O
Vancomycin
Cl
O
OH O O
OH
HO
NHAc
O
HN
OH HO
HO
N H
O O O HN
N H
O
N H
O
O
Cl H N
O O
N H
Cl
O
H N
N H
O
NH2
HOOC HO O
HO HO
O OH
OH
Teicoplanin
O OH
HO OH
4.2 Peptide
305
Die Glycopeptide werden aus dem Kulturfiltrat von Streptomyceten gewonnen. Ihre Aktivität beruht auf der Inhibierung der Zellwandsynthese von Bakterien. Die zunehmende Resistenz von Enterococcen gegen Vancomycin und Teicoplanin limitiert inzwischen den Einsatz dieser Verbindungsklasse. Daptomycin ist ein Lipopeptid, aktiv gegen grampositive Bakterien. Es handelt sich um eine neue Strukturklasse für die Behandlung von Infektionen im Krankenhaus; es wurde 2003 eingeführt. Die Wirkung resultiert aus einer Aktivität an der bakteriellen Zellmembran, die das elektrochemische Potenzial zerstört, da Kationen austreten können. Im Gegensatz zu den Glycopeptiden, ist Daptomycin aktiv gegen MRSA und Enterococcen mit Vancomycin-Resistenz.
O
O NH H N
HN
N H NH2
O
O
OH H N
O
O N H H
O
O
O
N H
O
O
O
O
O NH2 HO
O
O NH2 O
NH
O
OH O O
H N
N H H
OH H N
O
H N
N H
OH NH
Daptomycin aus S. roseosporus
Bleomycine aus Streptomyces verticillus sind Glycopeptide. Durch ihre Fähigkeit, die DNA-Synthese zu inhibieren, können sie zur Tumorbehandlung eingesetzt werden. H NH2 O H H N
O
N
N
NH2
N CH3
HO
O
H H
OH
H O
N
OH
O
H
S
O
H
Bleomycin A2: R =
N
S
CH3
N
O
S
S NH
O
N OH
O
OH O
OH
CH3
N
OH O
Bleomycin A1: R =
N
HO NH2 H
H2N
O
O
R
N H
NH2
O
+
CH3
306
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
Auch Actinomycine, wie z. B. Actinomycin D, werden zur Tumortherapie verwendet. Der planare Phenoxazinring ist in der Lage, mit der DNA zu interkalieren. CH3 O
H3C C
HC
HC (L)
(L) CH
H3C O
N
N Sar
L-Pro
L-Pro
D-Val
D-Val
C
C
HC (L)
CH
CH3
Sar
O H3C
CH3
CH
O
C
O
CH3 O
O
(L) CH
NH
NH
C
C
HC
CH3
O
N
NH2
O
O
Actinomycin D CH3
CH3
4.2.4 Biosynthese von Peptiden
Peptide werden in den Ribosomen synthetisiert. Ihre Primärstruktur ergibt sich durch genetische Codierung. Für eine detaillierte Betrachtung der Proteinbiosynthese muss allerdings auf Werke der Biochemie verwiesen werden (s. kurze Zusammenfassung Kap. 6.3.1). Kleinere Peptide werden in Ribosomen über Proteine und enzymatische Spaltung in Peptide oder in Multienzymkomplexen synthetisiert. In den entsprechenden Enzymkomplexen können nach einem nichtribosomalen Mechanismus auch nichtproteinogene Aminosäuren und D-Aminosäuren eingebaut werden. Ähnlich wie bei der chemischen Synthese von Peptiden muss in den Enzymkomplexen zuerst die Carboxylgruppe aktiviert werden. Diese Aktivierung wird mit ATP durchgeführt. Über das hierbei entstehende gemischte Anhydrid wird die Aminosäure als Thioester an ein Enzym gebunden. R
O
COOH NH2
+
R
ATP
NH2
O Enzym-SH
R
S NH2
Enzym
O O
P
O
O
O HO
A
OH
+
PPi
4.2 Peptide
307
Der Angriff einer Aminogruppe an einer zweiten Aminosäure, die ebenfalls als Thioester an den Multienzymkomplex gebunden ist, ergibt das Dipeptid. R
R'
H2N
C
C
H
O
C
H
C
O
S
S
H2N
R
H
O
C
C
R' NH
NH2 SH
Enzymkomplex
C
H
C
O
S
Enzymkomplex
4.2.5 Süß schmeckende Peptide
Aspartam, ein Dipeptid der beiden Aminosäuren L-α-Asparagin und LPhenylalanin als Methylester (N-L-α-Aspartyl-L-phenylalanin-1-methylester), wird durch Bindung der beiden Aminosäuren mit nachfolgender Veresterung synthetisiert. Nur die α-Form des L-L-Dipeptids weist süße Eigenschaften auf. Andere Konfigurationen ergeben bittere bzw. geschmacksneutrale Substanzen. Charakteristisch für Aspartam ist, dass ein bitter-metallischer Nachgeschmack, der anderen Süßstoffen oft eigen ist, fehlt, hingegen weist es einen reinen Süßgeschmack auf. Die Süßkraft von Aspartam ist 150–200-mal stärker als die von Saccharose. Im Trockenzustand zersetzt sich Aspartam bei 196°C. Aspartam ist in Trockenprodukten bei 20°C über Jahre hinaus stabil. Steigt der Wassergehalt über 8 %, ist mit einem beschleunigten Abbau zu rechnen. Bei einer Temperatur von mehr als 150°C findet ein rascher Abbau des Aspartams statt, während er bei 105 und 120°C relativ langsam verläuft. Alitam, L-β-Aspartyl-N-(2,2,4,4-tetramethyl-3-thietanyl)D-alaninamidhydrat gehört zu den L-β-Aspartyl-D-alaninen und wurde von Pfizer Central Research entwickelt. Die Süßkraft von Alitam ist ca. 2.000-fach höher im Vergleich zu Saccharose. Der Geschmack ist rein süß und es tritt kein unerwünschter Nachgeschmack auf, jedoch setzt der Süßgeschmack mit leichter Verzögerung ein. In Kombination mit Acesulfam-K und Cyclamat treten synergistische Effekte auf. Alitam ist bei erhöhten Temperaturen und im neutralen pH-Bereich von 6–8 stabil. Zur Anwendung eignet es sich bei Hart- und Weichkaramellen, pasteurisierten Lebensmitteln und Lebensmitteln im neutralen pH-Bereich, die unter Anwendung hoher Temperaturen hergestellt werden, wie z. B. süße Backwaren. Alitam wird in außereuropäischen Ländern als Süßstoff eingesetzt. COOH H N O
Aspartam
O O CH3
NH2
O O C HO
N NH2 H
Alitam
H N O
S
308
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
4.3 Proteine Als Proteine bezeichnet man solche Peptide, die aus mehr als 100–150 Aminosäureresten aufgebaut sind; die Molekulargewichte liegen durchweg oberhalb von 10.000 D. Wie bereits bei den Peptiden erwähnt, können solche Proteine auch als Assoziate mit 2, 4 oder auch noch mehr Untereinheiten auftreten. Einige Beispiele finden sich in Tabelle 4.11. Soweit wir heute wissen, scheint die maximale Kettenlänge kaum mehr als 600 Aminosäuren zu betragen. Dies entspricht unter der Annahme eines mittleren Molekulargewichtes von 110 bis 120 D je Aminosäure einem Molekulargewicht von ca. 70.000 D. Alle höheren Molekulargewichte kommen durch Assoziation von Untereinheiten zustande. Der Durchmesser von Proteinen liegt zwischen 5 und 50 nm. Die Biosynthese ist in Kap. 6.3.1. beschrieben. 4.3.1 Struktur und Klassifizierung von Proteinen
Zur Charakterisierung der dreidimensionalen Struktur von Proteinen und Peptiden werden mehrere Strukturebenen unterschieden. Unter der Primärstruktur versteht man ausschließlich die Aminosäuresequenz (Reihenfolge der Aminosäuren), ohne andere Bindungen oder Wechselwirkungen einzubeziehen. Aufgrund dieser Primärsequenz bilden sich nun im Raum verschiedene Konformationen aus, die als Sekundärstruktur bezeichnet werden. Hierbei muss auf die eingeschränkte Drehbarkeit der Amidbindung aufgrund ihres partiellen Doppelbindungscharakters hingewiesen werden. Die freie Drehbarkeit um alle anderen Bindungen bedeutet natürlich nicht, dass jede beliebige Konformation erlaubt ist. Es gibt hier vielmehr energetisch bevorzugte Konformationen (Abb. 4.10 und 4.11). Tabelle 4.11. Molekulargewichte von Proteinen
Protein Cytochrom c Ribonuclease Trypsin Pepsin Myoglobin Hämoglobin Lactat-Dehydrogenase Albumin Immunglobulin G Immunglobulin A Immunglobulin M
MolekularGewicht (g/mol) 11.600 13.500 24.000 35.000 16.000 64.500 150.000 69.000 150.000 160.000 950.000
Zahl der Untereinheiten 1 1 1 1 1 4 4 1 1 1 1
4.3 Proteine
309
Abb. 4.10. Helix als Sekundärstruktur
Abb. 4.11. β-Faltblattstruktur
Diese bestimmten Konformationen werden vor allem durch sterische Wechselwirkungen und Wasserstoffbrückenbindungen stabilisiert. Aus Röntgenuntersuchungen und Modellstudien konnte so von Pauling und Corey das Faltblatt und die Helix als Modell für die Sekundärstruktur entwickelt werden. Verschiedene Prote-
310
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
ine liegen bis zu über 70 % in Form einer dieser beiden Sekundärstrukturen vor. Bei globulären Proteinen werden vor allem α-Helix-Struktur (z. B. im Myoglobin und Hämoglobin) und Faltblattstruktur (z. B. im Chymotrypsin und Bakterienchlorophyll-Protein) gefunden. Die Tertiärstruktur ist nun die räumliche Anordnung aller Atome eines Peptids bzw. eines Proteins im Raum. Wechselwirkungen, die diese Struktur ausbilden, sind in Abbildung 4.12 wiedergegeben. H
O
N
N O
R
H
O
CH
CH
CH2
CH2
S
1 H
R
N
2 O
H N
S
3
C O O H3N+
CH2
(CH2)4
CH
CH
CH CH3
HC CH3
4
CH3 CH2 HC
CH3
CH
O
Abb. 4.12. Tertiärstruktur mit Wechselwirkungen: 1. Wasserstoffbrückenbindungen, 2. Disulfidbindungen zwischen zwei Cysteinresten, 3. Ionenbeziehung zwischen den Asparaginund Lysin-Seitenketten, 4. Hydrophobe Bindung zwischen einem Valin- und Isoleucinrest
Eine Sonderstellung in der α-Helix und der Faltblattstruktur nimmt die Aminosäure Prolin ein, die in beiden Strukturen starke Abweichungen von der Idealkonformation induziert. Diese Tertiärstruktur geht also letztlich auf die Primärstruktur zurück. Die Zusammenlagerung mehrerer Polypeptidketten ergibt die Quartärstruktur des Proteins. Es bildet sich hierbei die eigentliche biologisch aktive Struktur aus. Die Supersekundärstrukturen zeigen reguläre Strukturelemente, sie beeinflussen die räumliche Ausrichtung der Proteinkette. Bei den α-Helices gibt es umeinander gedrehte α-Helices, so genannte coiled-coil-Strukturen (1), auch wechseln sich α-Helices mit β-Faltblattsträngen ab, so genannte βαβαβ-Strukturen (2). αHelices können zu etwa 50 % der dreidimensionalen Strukturen vorkommen. Die β-Faltblattstränge winden sich häufig nach rechts. Typisch ist dies bei dem β-Fass
4.3 Proteine
311
(3) und der Sattelstruktur (4) zu sehen, die im Kern vieler Proteine zu finden sind. Beim β-Fass finden sich kreisförmig angeordnet 8 rechtswindende βFaltblattstränge, häufig in der Nachbarschaft von α-Helices. Bei der βαβ-Schleife (5) sind die hydrophoben Reste nach innen gerichtet, wodurch eine Stabilisierung erfolgt. β-Mäander (6) sind häufig antiparallele β-Faltblattstränge, sie sind Hauptstrukturelemente in Proteinen. Beispielsweise findet sich ein vier-Helix-Bündel im Cytochrom b562, ein α/βFass in der Taka-Amylase und in der Domäne 1 der Pyruvat-Kinase und eine Sattelstruktur in der Carboxypeptidase. In der Carboxypeptidase befindet sich ein Sattel im Zentrum. Die Ribonuclease A hat eine antiparallele β-Struktur (ein so genanntes β-Mäander), die eine Supersekundärstruktur darstellt. In einem Protein sind oft Domänen zu finden, die kompakte Regionen mit struktureller und funktioneller Einheit abgrenzen. In einem Protein können mehrere Domänen vorkommen. Oft sind in den Domänen typische Supersekundärstrukturen vorhanden.
Ribonuclease A (antiparallele β-Struktur)
Carboxypeptidase (parallele α-Helix-/ β-Faltblattstränge in Sattelstruktur)
Ausschnitt der Taka-Amylase (α/β-Fass) (nach HAMAGUCHI)
Proteine werden je nach ihrer Gestalt in faserförmige (fibrilläre) und kugeloder ellipsoidförmige (globuläre) Proteine eingeteilt. Diese dreidimensionale Struktur sollte nach thermodynamischen Überlegungen die Konformation in einem physiologischen Milieu sein, die die geringste freie Energie besitzt (also eine Summation aller oben dargestellten Wechselwirkungen mit niedrigstem Energiegehalt). Die Quartärstruktur bezeichnet eine nicht kovalente Assoziierung von Proteinen in der Tertiärstruktur, Ausnahme sind Disulfidbindungen, zu einem Proteinaggregat mit Untereinheiten. So liegt z. B. das Myoglobin in Tertiärstruktur vor, das Hämoglobin als Assoziierung von 4 Untereinheiten in der Quartärstruktur. Der Actomyosinkomplex kann ebenfalls als eine Quartärstruktur der verschiedenen Proteine angesehen werden. Die Bildung von oligomeren Strukturen basiert auf Wasserstoffbrückenbindungen, hydrophoben und elektrostatischen Interaktionen und weniger auf kovalenten Bindungen.
312
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
In wässrigen Lösungen werden sich vor allem die unpolaren Aminosäuren nach innen orientieren, während die polaren außen stehen und in Wechselwirkung mit Wasser treten. Aie Fähigkeit zur Denaturierung ist eine Eigenschaft, die fast alle Proteine zeigen: sie tritt bei Erhitzen ein, durch Alkali- oder Säurezugabe, durch organische Lösungsmittel, Detergenzien oder Harnstofflösungen. Die Denaturierung kann reversibel sein; meist ist sie jedoch irreversibel. Äußerlich geht sie einher mit einer Verringerung der Löslichkeit (Koagulation). Chemisch gesehen geht das Molekül dabei von einem hochgeordneten Zustand (Tertiär- und Quartärstruktur) in eine ungeordnete Struktur über, in der sich nach Entfaltung der Ketten mehr oder weniger zufällige Wasserstoffbrückenbindungen ausbilden. Der Vorgang der Denaturierung ist energetisch recht gut mit dem Schmelzvorgang von Kristallen zu vergleichen. Da die biologische Wirkung von Proteinen stets an die räumliche Struktur des Moleküls gebunden ist, geht deren Aktivität bei der Denaturierung verloren. Die Reindarstellung von Proteinen ist meist eine schwierige Aufgabe, vor allem deswegen, weil im Ausgangsmaterial (Gewebsextrakt, Körperflüssigkeit) häufig ein kompliziertes Gemisch von Proteinen, Peptiden, biogenen Aminen und anorganischen Salzen vorliegt. Eine wichtige Methode zur Abtrennung der Proteine ist das Aussalzen mit einem Neutralsalz, z. B. Ammonium- oder Magnesiumsulfat, oder die Ausfällung mit Aceton oder Alkohol in der Kälte. Durch steigende Konzentration an Salz bzw. organischen Lösungsmitteln lässt sich eine Fraktionierung erreichen. Weitere Reinigung lässt sich durch Ultrazentrifugation, durch Chromatographie an Dextran-Gelen oder DEAE-Cellulose mit Pufferlösungen als Laufmittel oder durch Elektrophorese bei unterschiedlichen pH-Werten erzielen. Je nach ihren Eigenschaften unterscheidet man einzelne Gruppen von Proteinen, die im Folgenden besprochen werden. Die Skleroproteine sind als Gerüstsubstanzen im tierischen Organismus bekannt. Sie besitzen Faserstruktur, eine hohe Festigkeit und sind in Wasser unlöslich. Hierzu zählen die Kollagene als Hauptbestandteil des Stütz- und Bindegewebes der Sehnen, Bänder und Knorpel und des organischen Anteils der Knochen. Das Seidenfibroin ist die Gerüstsubstanz der Naturseide. Mit ihm nahe verwandt sind die β-Keratine (Faltblattstruktur) aus Fingernägeln, Federn, Hufen, Hörnern, Krallen und Schuppen. β-Keratine treten auch in Haaren und in Wolle auf. Auch das bei der Blutgerinnung eine wichtige Rolle spielende Fibrin besitzt β-Keratinstruktur. Sphäroproteine besitzen eine kugelförmige oder ellipsoide Gestalt. Auch sie lassen sich nach ihrem Vorkommen und ihren Eigenschaften unterteilen: Albumine sind wasserlöslich; sie werden durch konzentrierte Ammoniumsulfatlösung ausgefällt. Beispiele sind das Ovalbumin der Eier, das Lactalbumin der Milch und das Serumalbumin des Blutes. Die Prolamine besitzen einen sehr hohen Anteil an Glutaminsäure und Prolin; sie bilden zusammen mit den Glutelinen das Eiweiß des Getreides. Prolamine sind in Wasser und Alkohol unlöslich, jedoch löslich in 80 %igem Alkohol. Die Gluteline sind dagegen in verdünnten Laugen löslich. Eine besonders wichtige Stellung nehmen die Globuline ein. Sie sind in Wasser unlöslich, gehen aber in verdünnten Salzlösungen, wie z. B. physiologischer Kochsalzlösung, ebenso auch in verdünnten Säuren und Laugen in Lösung. Eine
4.3 Proteine
313
wichtige Aufgabe besitzen die Immunglobuline als spezifische Antwort des Körpers auf das Eindringen körperfremder Substanzen. Die sich bildenden Antikörper (Immunglobuline) sind Glycoproteine mit Molmassen > 150.000 D. Als Proteide bezeichnet man Proteine, die außer dem Eiweißanteil noch eine prosthetische Gruppe tragen. Chromoproteide tragen eine Farbkomponente wie das Häm im Hämoglobin bzw. Myoglobin (s. Kap. 8.1.2 und Abb. 4.13). Zu den Nucleoproteiden zählen die Protamine und Histone. Histone kommen vor allem in den Zellkernen der weißen und roten Blutkörperchen vor; sie sind an Nucleinsäuren gebunden. Durch einen sehr hohen Gehalt an Arginin reagieren sie basisch und können daher mit verdünnter Säure extrahiert werden; durch Alkohol sind sie fällbar. Ähnlich verhalten sich die Protamine, die im Sperma von Fischen auftreten.
Abb. 4.13. Struktur des Myoglobins
Proteine haben eine zentrale Stellung im Lebensprozess. Die genetische Information kann nur durch Synthese von Proteinen ausgedrückt werden. Proteine haben dann die Aufgabe, diese Information durch Steuerung, Regelung, Erkennung und Katalyse zu bewerkstelligen. An erster Stelle sind hier die Enzyme als Biokatalysatoren zu nennen. Diese Katalysatoraktivität entfalten die Enzyme allein oder mit Cofaktoren, wie Metallen oder Coenzymen. Die Regulation der DNA-
314
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
Replikation geschieht durch Blockade verschiedener DNA-Abschnitte mittels Proteinen (r-Repressoren). Membrangebundene Proteine sind verantwortlich für eine Vielzahl von Transportprozessen. Hier sind z. B. die Ionenkanäle in Nerven- und Muskelzellen zu nennen. Eingehend sollen im Folgenden die Enzyme besprochen werden, da sie als Target für pharmakologisch aktive Substanzen gelten und auch in der chemischen Synthese besondere Bedeutung besitzen. Auch der Einsatz von Enzymen als Wirkstoffe gewinnt zunehmend an Interesse, seit durch gentechnologische Methoden körpereigene Enzyme in größerem Maßstab hergestellt werden können. 4.3.2 Enzyme
Enzyme sind globuläre Proteine, die von einer oder mehreren Polypeptidketten gebildet werden. Sie haben die Aufgabe, in biologischen Systemen chemische Reaktionen zu katalysieren. Wie auch bei anorganischen Katalysatoren wird hierbei die Aktivierungsenergie des Übergangszustandes erniedrigt, ohne dass eine Beeinflussung des Gleichgewichts stattfindet. Sofern für die Katalyse eine niedermolekulare Verbindung benötigt wird, bezeichnet man den Proteinteil als Apoenzym und die niedermolekulare Verbindung als Coenzym, den Komplex aus beiden bezeichnet man als Holoenzym. Beispiele hierfür sind: Oxidoreduktasen, Coenzym: NADPH; Transferasen, Coenzym: Acetyl-Coenzym A. Die verschiedenen Coenzyme werden bei den entsprechenden Strukturklassen oder bei den Biosynthesen näher beschrieben. Deshalb werden Beispiele an dieser Stelle nur tabellarisch in Tabelle 4.12 zusammengefasst. Nach ihrer Funktion werden Enzyme in verschiedene Klassen eingeteilt. Das Klassifizierungssystem versieht jedes Enzym mit einer vierstelligen Nummer. In Tabelle 4.13 ist diese Nummerierung nach Hauptklasse, Unterklasse, UnterUnterklasse und der Serie, der das Enzym angehört, dargestellt. Tabelle 4.12. Beispiele für Coenzyme
Enzymklasse Oxidoreduktasen
Transferasen
Lyasen Ligasen
Coenzym NAD bzw. NADP FAD Porphyrine ATP Coenzym A PLP S-Adenosylmethionin Coenzym F Thiamindiphosphat PLP Biotin
Aufgabe reversibler Wasserstofftransfer dito. Elektronentransfer Phosphatüberträger Acetylüberträger Aminogruppentransfer Methyltransfer Formyltransfer Decarboxylierungen von Aminosäuren Kohlendioxidtransfer
s. Kap. 6.2 6.2 6.2 1.8 3.2.4 3.2.4 9.5
4.3 Proteine
315
Tabelle 4.13. Klassifizierung der Enzyme
Hauptklasse Oxidoreduktasen (1)
Aufgabe Katalyse von Redoxreaktionen
Transferasen (2)
Katalyse von intermolekularem Gruppentransfer
Hydrolasen (3)
Katalyse hydrolytischer Spaltungen
Lyasen (4)
Katalyse von nichthydrolytischen Spaltungen
Isomerasen (5)
Katalyse von Isomerisierungen
Ligasen (6)
Katalyse von Synthesen (Zusammenlagerung von zwei Molekülen)
z.B. Alkoholdehydrogenase 1.1.1.1. 21-Steroidhydroxylase 1.9.1.11. Acyltransferasen: z. B. Cholinacetyl-transferase 2.3.1.6. N-Gruppen-Überträger: Aminotransferasen 2.6.1. Hydrolyse von Estern: Lipase 3.1.1.3. Acetylcholinesterase 3.1.1.7. Hydrolyse von Zuckern: Amylase 3.2.1.1. Lysozym 3.2.1.17. Hydrolyse von Amiden: Carboxypeptidase 3.4.12.2. Anhydrid-Hydrolyse: ATPase 3.6.1.3. C-C-Lyasen: PyruvatDecarboxylase 4.1.1.1. C-O-Lyasen: CarbonatDehydratase 4.2.1.1. P-O-Lyasen: Adenylat-Cyclase 4.6.1.1. Racemasen: Alanin-Racemase 5.1.1.1. cis-trans-Isomerasen: RetinalIsomerase 5.2.1.3. C-O-Bindungen Tyrosyl-tRNS-Synthetase 6.1.1.1 C-S-Bindungen Acetyl-CoA-Synthetase 6.2.1.1
4.3.2.1 Enzymkinetik
Substanzen, die die Enzymaktivität verringern, werden als Inhibitoren bezeichnet. Diese Hemmung kann irreversibel oder reversibel erfolgen. Bei der reversiblen
316
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
Hemmung kann zwischen kompetitiver, nichtkompetitiver und unkompetitiver Hemmung unterschieden werden. Da diese Begriffe in Hinblick auf den Einsatz von Enzymen im chemischen Labor, sowie für die Synthese von Inhibitoren zur selektiven Blockierung von biologisch relevanten Enzymen und deren pharmakologischen Anwendung wichtig sind, soll hier die Kinetik von Enzymreaktionen diskutiert werden. Ein einfaches Modell, das die kinetischen Eigenschaften von Enzymreaktionen erklärt, wurde von Michaelis-Menten entwickelt. Man geht von folgender Vorstellung aus: k1
E + S
k-1
k2
ES
E + P
Ein Enzym E bindet das Substrat S unter Ausbildung eines Enzym-SubstratKomplexes ES. Nach erfolgter Reaktion wird das Produkt P vom Enzym E freigesetzt. Die Reaktionsgeschwindigkeit für die Enzymreaktion ergibt sich unter der Voraussetzung eines sich schnell einstellenden Gleichgewichtes zwischen E, S und ES aus: v=
d[P] = k2[ES] dt
(4.5)
Da die Konzentration von [ES] experimentell nicht bestimmt werden kann, muss diese errechnet werden. Die Gesamtkonzentration an freiem Enzym [Ef] ergibt sich aus der zugegebenen Konzentration [Eg] minus der Konzentration an Enzym im Enzymsubstratkomplex [ES]. [Ef] = [Eg] − [ES]
(4.6)
Durch Einsetzung von Gleichung (4.6) in das Massenwirkungsgesetz (Gl. 4.7) für das vorgelagerte Gleichgewicht ergibt sich ein Ausdruck für die Konzentration von [ES]. K=
Gl. 4.6 → Gl. 4.7 →
K=
[ES] [Ef][S]
[ES] ([Eg] − [ES])[S]
[ES] =
(4.7)
Auflösung nach [ES]
K[Eg][S] 1 + K[S]
Ausklammern der Gleichgewichtskonstante K ergibt die Gleichung (4.8). [ES] =
[Eg][S] 1 K
+ [S]
(4.8)
4.3 Proteine
317
1/K wird die Michaelis-Menten-Konstante KM genannt. [ES] =
[Eg][S] KM + [S]
(4.9)
Gleichung (4.9) wird nun in Gleichung (4.5) eingesetzt. v=
d[P] [Eg][S] = k2 dt KM + [S]
(4.10)
Die maximale Reaktionsgeschwindigkeit vmax wird dann erreicht, wenn das gesamte zugegebene Enzym als Enzymsubstratkomplex vorliegt ([E] = [Eg]). vmax = k2[Eg]
(4.11)
Damit ergibt sich aus Gleichung (4.10) v = vmax
[S] KM + [S]
(4.12)
Die Darstellung der Abhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit v als Funktion der Substratkonzentration [S] ergibt folgende Graphik. v vmax
[S] Eine Auswertung einer kinetischen Reaktion erfolgt am einfachsten über die Geradengleichung. Die reziproke Darstellung der Gleichung (4.12) nach Lineweaver-Burk ergibt eine lineare Funktion. 1 KM 1 1 = + v vmax [S] vmax
(4.13)
Wird nun die Reaktionsgeschwindigkeit in Abhängigkeit von der Substratkonzentration gemessen und graphisch dargestellt als 1/v = f(1/[S]), ergibt sich durch die Steigung KM/vmax und durch den Y-Achsenabschnitt 1/vmax. Die Gerade schneidet die x-Achse bei -1/KM.
318
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine 1/v
m=
KM vmax
1/vmax
1/[s]
-1/KM
KM ist ein Maß für die Dissoziationskonstante des Enzymsubstratkomplexes. Unter den Bedingungen, dass das E und S mit ES im Gleichgewicht stehen (k-1»k2), gibt KM die Stabilität des ES-Komplexes an. Ein größerer KM-Wert zeigt eine schwache, ein niedrigerer eine feste Bindung an. Die Hemmung der enzymatischen Aktivität durch Inhibitoren als Kontrollmechanismus hat in biologischen Systemen eine große Bedeutung. Ebenfalls können auf dieser Basis die Wirkungsmechanismen von Drogen und Toxinen verstanden werden. Bei der kompetitiven Hemmung konkurriert der Inhibitor (I) mit dem Substrat um die Bindung im katalytischen Zentrum des Enzyms. +S
E
ES
E
+
P
+I
EI Als Gleichung für die Reaktionsgeschwindigkeit ergibt sich mit der Dissoziationskonstanten KI die Gleichung (Gl. 4.15.). KI = 1 = v
KM(1 + vmax
[Ef][I] [EI] 1 KI
)
1 1 + [S] vmax
(4.14)
(4.15)
Bei der kompetitiven Hemmung wird vmax nicht verändert, da die Inhibierung durch eine entsprechend hohe Substratkonzentration ausgeschaltet werden kann. Das Gleichgewicht wird in diesem Fall auf die Seite des Enzymsubstratkomplexes verschoben. Die nichtkompetitive Hemmung erfolgt durch Bindung des Inhibitors an einer anderen Stelle des Enzyms als der katalytisch aktiven. In diesem Fall wird die maximale Reaktionsgeschwindigkeit vermindert, während KM nicht beeinflusst wird.
4.3 Proteine
319
+S
E
ES
E
+
P
+I
+I +S
EI
ESI
Als Gleichung ergibt sich mit KI1 = KM(1 +
1 = v
I KI1
[E][I] [ES][I] und KI2 = [Ef] [ESI]
)
vmax
I
1+ 1 KI2 + [S] vmax
(4.16)
Die unkompetitive Hemmung verändert KM und vmax. Eine Bindung des Inhibitors erfolgt auf der Stufe des Enzymsubstratkomplexes. E
+
S
ES
E
+
P
+I ESI Mit KI =
[ES][I] ergibt sich als kinetische Gleichung: [ESI] I
1+ 1 KM 1 KI = + v vmax [S] vmax
(4.17)
In diesem Fall ändern sich vmax und KM , aber die Steigung der Geraden entspricht der im nichtinhibierten Fall. 1/v
4 2 3 1
1 2 3 4
1/[s]
ohne Inhibitor nichtkompetitive Hemmung kompetitive Hemmung unkompetitive Hemmung
320
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
Ein weiterer Punkt, der bei enzymatischen Reaktionen beachtet werden muss, ist der Einfluss der Temperatur und des pH-Wertes. Die katalytische Aktivität eines Enzyms ist mit der Tertiär- und Quartiärstruktur gekoppelt. Temperatur und pH-Wert beeinflussen die Stabilität verschiedener Strukturen. So können z. B. bei Erniedrigung des pH-Wertes verschiedene basische Seitenketten von Aminosäuren protoniert werden, wobei elektrostatische Wechselwirkungen und damit auch die Struktur verändert werden. So zeigen Enzyme meist eine sehr starke Abhängigkeit ihrer Aktivität vom pH-Wert (Abb. 4.14).
vmax
pHOptimum
v pH
4
5
6
7
Abb. 4.14. Schematische Darstellung der Abhängigkeit einer Enzymreaktion vom pH-Wert
4.3.2.2 Mechanismus der Enzymkatalyse am Beispiel von Proteasen
Proteasen sind Enzyme, deren Aufgabe die Spaltung von Proteinen ist. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Verdauung von Eiweiß (Trypsin und Chymotrypsin), bei der Blutgerinnung (Thrombin und Plasmin) und bei der Aktivierung von Proteinen oder Peptiden aus inaktiven Vorstufen. Ihre katalytische Aktivität erlaubt es, die relativ stabile Amidbindung zu spalten. Die grundlegende Idee der Katalyse ist, durch eine Lewis-Säure die positive Polarisierung der Carbonylgruppen im Amid zu erhöhen und gleichzeitig mit einem starken Nucleophil anzugreifen. Damit ist es möglich, die Aktivierungsenergie des Übergangszustandes abzusenken. Die Proteasen können in Exo- und Endopeptidasen unterteilt werden. Exopeptidasen spalten das Protein vom Ende der Proteinkette her (z. B. Carboxypeptidase A; Spaltung der carboxyständigen Peptidbindung). Endopeptidasen spalten die Kette selektiv nach bestimmten Aminosäuren (Chymotrypsin spaltet auf der Carboxylseite von Tryptophan, Tyrosin und Phenylalanin).
4.3 Proteine
321
Der Beweis, dass die Aminosäure Serin im aktiven Zentrum in die Hydrolyse eingreift, konnte durch Umsetzung von Chymotrypsin mit Diisopropylfluorophosphat (DFP) nachgewiesen werden. Die Bindung von DFP an das Enzym führt zu einer irreversiblen Inhibierung der katalytischen Aktivität. Der sich hierbei ausbildende Phosphorsäureester mit Serin ist so stabil, dass er nach Totalhydrolyse isoliert werden kann. Obwohl 28 Serineinheiten im Chymotrypsin enthalten sind, reagiert nur ein einziges, und zwar das im aktiven Zentrum. Bedingt durch die zwei Diisopropyleinheiten ist DFP unpolar genug, um in das aktive Zentrum zu gelangen.
O
195 Ser
+
F
P
195 Ser
O
O
OH
O
O
Aminosäuren
+
O
P
Hydrolyse
O O P O O
O
OH
O
NH2
Die Bedeutung einer zweiten Aminosäure im reaktiven Zentrum wurde mit L-1(L-TosylphenylalaninchlorChlor-4-phenyl-3-(p-toluolsulfonamido)butan-2-on methylketon, L-TPCK) nachgewiesen. Bei dieser Affinitätsmarkierung wird ein Histidin alkyliert. Das entsprechende D-TPCK-Derivat reagiert nicht. O Enzym
Cl N N
+
Enzym N
NH O
S
O
N
H H3C CH3
O
H
S
N
O
O
Durch eine Röntgenstrukturanalyse konnte auch noch die räumliche Nähe von Asparaginsäure zu einem Histidin und Serin gezeigt werden. Dies führte zu dem Modell des „Charge-Relay-Systems“ für die Hydrolyse von Proteinen.
322
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
Die Asparaginsäure liegt im Inneren von Chymotrypsin in der ionisierten Form vor. In der apolaren Umgebung im Inneren des Enzyms ist die Carboxylgruppe eine starke Base, die in der Lage ist, vom Serin ein Proton abzuspalten. Als Vermittler der Protonenübertragung dient das Histidin. O Asp
C
H
O
C
N
H
O
Ser
O
Ser
His
O Asp
N
N
OH
H
N
His
Die Hydrolyse der Amidbindung beginnt nun mit der Einlagerung des Peptids in das aktive Zentrum. Ein zweites Histidin polarisiert die Carboxylgruppe des Amids und erleichtert damit den Angriff des starken Nucleophils Serin. Es bildet sich durch Spaltung des Peptids eine kovalente Bindung zum Protein aus. Diese Esterbindung kann im nächsten Schritt durch Anlagerung von Wasser gespalten werden. 195 Ser
57 His
CH2 N 102 Asp
N
O
O
H
O R
OH
CH2 N
N
H
H R
O N
O
H
C
N
R'
N
- R-NH2
His
195 Ser
57 His
CH2
O H O
His
R'
H
102 Asp
N
195 Ser
O O
N
C
H 57 His
102 Asp
N
H
N
N
O C R'
H
O
N
N
H2O - R'-COOH
His
4.3 Proteine
57 His
195 Ser
O
102 Asp
323
N
N
CH2
H
H
OH
O
N
N
His
Zu den Serinproteasen gehört auch die Acetylcholinesterase, die bei der Nervenleitung eine Rolle spielt. Acetylcholin wird bei der Fortleitung von Nervenimpulsen von einer präsynaptischen Membran abgegeben. An der postsynaptischen Membran der nächsten Nervenzelle erhöht sie die Durchlässigkeit der Membran für Kationen, wodurch ein weiterer Nervenimpuls ausgelöst wird. Nach dieser Erregung spaltet die Acetylcholinesterase die Acetylgruppe im Acetylcholin ab. Wird dieses Enzym irreversibel blockiert, führt dies zu einer Dauerdepolarisation der Nervenzelle (s. Kap. 3.l). Zu Verbindungen, die die Acetylcholinesterase blockieren, gehören die chemischen Kampfstoffe Sarin und Tabun. Es erfolgt eine Phosphorylierung des Serins im aktiven Zentrum. O
H3C O H3C
P
F
O
H3C
Sarin
N H3C
CH3
P
CN
Tabun
OC2H5
Zu diesen Verbindungen gehört auch das als Insektizid verwendete Parathion (E 605). S H 5C 2O
P
O
NO2
E 605
OC2H5
Die Vergiftungen mit diesen Phosphaten führen meist durch Atemlähmung zum Tod. Als Gegenmittel wird Pyridin-2-aldoxim-methyliodid (PAM) oder Obidoxim verwendet. Diese Verbindung besitzt einen quartären Stickstoff und kann damit, analog wie Acetylcholin, an das reaktive Zentrum binden. Weiterhin ist der OximSauerstoff nucleophil genug, den Phosphorsäureester des Serins anzugreifen und das aktive Enzym wieder freizusetzen. N OH
HO N
N I
+
CH3
N
OH
PAM
N
+
Obidoxim
+
N
H2C O CH2
2 Cl
324
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
Die Exopeptidase Carboxypeptidase A enthält im katalytischen Zentrum ein Zinkion. Hier erfolgt die Katalyse durch Aktivierung der Amidbindung mit dieser Lewissäure. Damit ist nun der nucleophile Angriff der Carboxylgruppe von Glutaminsäure möglich. Gleichzeitig ist im polaren Zentrum die phenolische Hydroxygruppe von Tyrosin azid genug, um die Aminogruppe zu protonieren. Das sich ausbildende Anhydrid wird rasch hydrolysiert. 248 Tyr
270 Glu O
O
H
C
N
O
H
O R'
R
CH C
H
O
+
O
N H
Glu 72
Zn
NH 145 C Arg
H
His 69 _
O R'
CH NH2
C O
248 Tyr
270 Glu O
H
O
O
RCOOH
O H
R
C O
Glu 72
Zn
H2N His 69
NH 145 C Arg
4.3 Proteine
325
Die Selektivität dieser Enzyme ergibt sich durch die Struktur des aktiven Zentrums. Der hier ausgebildete Raum ist nur für bestimmte Verbindungen zugänglich, die entsprechende sterische bzw. elektronische Voraussetzungen erfüllen. Da die Aminosäuren, aus denen sich die Enzyme aufbauen, chiral sind, entstehen bei der Umsetzung von racemischen Verbindungen über diastereotope Übergangszustände enantiomerenreine Produkte. Auch der Angriffsort an größeren Molekülen ist sterisch im aktiven Zentrum klar determiniert, was letztendlich zu regioselektiven Reaktionen führt. Man denke hier nur an die selektive 11α-Hydroxylierung von Progesteron mit Oxidoreduktasen aus Rhizopus nigricans (s. Kap. 2.6). 4.3.3 Anwendung von Proteinen
Proteine als Wirkstoffe werden in vielen traditionellen Arzneimitteln gefunden, wie z. B. Schlangengift, Bienengift und diversen Enzympräparaten. Bei der Anwendung von Proteinen als Wirkstoffe muss zwischen der Isolierung aus Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen und den körpereigenen Proteinwirkstoffen differenziert werden. Tabellen 4.14 und 4.15 geben eine Übersicht. Während die Extraktion von Proteinen aus Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen teilweise zu wirtschaftlichen Prozessen geführt hat, ist die Isolierung von körpereigenen Proteinen aus dem Menschen, z. B. aus Blut, natürlich äußerst limitiert. Diese teilweise lebensnotwendigen Proteine sind heute mit Methoden der Gentechnologie zugänglich (s. Kap. 6.3.4). Wichtig sind diverse Enzyme aufgrund ihrer hohen Substratselektivität in diagnostischen Kits zur schnellen Bestimmung von physiologischen Konzentrationen verschiedener Verbindungen im Harn oder im Blut. Tabelle 4.14. Proteine aus Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen
Protein L-Asparaginase Dextranase Hirudin Lysozym Schilddrüsenhormone Schlangentoxine Verdauungsenzyme z. B. Amylase Carboxypeptidase Chymotrypsin Lipase Pepsin Trypsin
isoliert aus E. coli Penicillium Blutegel Hühnerei Rind Schlangen Rind, Schwein, Mikroorganismen
Indikation Leukämie Kariesprophylaxe Thromboseprophylaxe Bakterielle Infektion Stoffwechselstörung Duchblutungsstörungen, Rheuma Verdauungsstörungen, Wundheilung
326
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
Tabelle 4.15. Körpereigene Proteinwirkstoffe
Protein Antithrombin III Faktor VII Faktor VIII Faktor IX Faktor X Immunglobuline Interferone Serumalbumin Wachstumshormon
Wirkung Antikoagulans Blutgerinnungsfaktor Blutgerinnungsfaktor Blutgerinnungsfaktor Blutgerinnungsfaktor Passive Immunisierung Therapie von Virusinfektionen, Tumortherapie Plasmaersatz Therapie des Zwergwuchses
Für Lebensmittel und ihre Verarbeitung haben enzymatische Reaktionen eine zentrale Bedeutung. Eigenenzyme sind sowohl bei Reifeprozessen wie der Aromabildung als auch bei wertmindernden Reaktionen hinsichtlich Aroma, Geschmack, Konsistenz und Farbe direkt beteiligt. Die Konzentration von Enzymen in Geweben sind unterschiedlich (z .B. enthält der Proteinanteil des Pankreas 25 %, der des Muskels 30 % und der der Leber 70 %). Noch aktive Enzyme finden sich in ungekochten Lebensmitteln (Obst, Gemüse, Rohsäfte, Gefrierkost, Schabefleisch) oder in kurzzeitig erhitzten Lebensmitteln (pasteurisierte Milch, Beefsteak). Ferner gelangen Enzyme durch Fermentations- und Reifungsprozesse in Lebensmittel (Käse, Honig, Bier u. a.). Im gekochten oder gebratenen Zustand sind Enzyme irreversibel inaktiviert; sie gehen als Protein und als prosthetische Gruppen, soweit sie Vitamine und Spurenmetalle betreffen, in den Stoffwechsel ein. Die ernährungsphysiologische Bedeutung der Enzyme lieg in der Sicherung des Stoffwechsels der Nahrung in einer nur Lebewesen eigenen Weise. Ihre lebensmittelwissenschaftliche Bedeutung beruht auf der Fähigkeit, den Geschmacks- und Nährwert von Lebensmitteln wesentlich zu prägen. Ferner lassen sich Enzyme mit erheblichem Nutzen in der Lebensmittelproduktion einsetzen, z. B. Proteinasen zum Zartmachen von Fleisch, Amylasen zur Traubenzuckerherstellung, Pectinasen zur Erhöhung der Saftausbeute von Obst und Gemüse. Dazu werden Enzyme aus tierischen und pflanzlichen Geweben, verstärkt aber aus Mikroorganismen durch Kultivierung und schonende Aufarbeitung der in der Kulturlösung vorhandenen Enzyme gewonnen. Nachteilige Wirkungen der Enzyme entstehen beim Verderb von Lebensmitteln. Da bei Wasserentzug bzw. niedriger Temperatur die Enzymaktivität stark vermindert ist, kann die Haltbarkeit von Lebensmitteln durch Trocknen, Kühlen und Gefrieren erhöht werden. Besonderes industrielles Interesse besitzen Enzyme in der Nahrungsmittelherstellung. Schon seit Jahrhunderten werden Enzyme, gebunden an die sie erzeugenden Mikroorganismen, zur Herstellung von Wein, Bier und Essig verwendet. In der neueren Zeit werden nun auch isolierte Enzyme direkt eingesetzt, z. B. für die Klärung von Fruchtsäften, zum Maischen bei der Bierherstellung, bei der Herstellung von Käse oder bei der Herstellung von Industriezucker. In Tabelle 4.16 sind Beispiele aufgezählt.
4.3 Proteine
327
Tabelle 4.16. Enzyme in der Lebensmittelverarbeitung
Enzym Proteinasen
Reaktion unspezifische Hydrolyse von Proteinen
Labenzym, Chymo- spezifische Hydrolyse von Casein sin Hydrolyse von Stärke α-Amylasen Pullanase Glucoamylase Glucose-Isomerase Pektinesterase Polygalacturonase Arabinase Xylanase Cellulase Glucanase Glucose-Oxidase Lipase
Einsatzbereich Backwaren, Bier, Fleischwaren Käse
Backwaren, Bier, Fruchtsaft Freisetzung von Glucose aus Oligosac- Stärkeverzuckerung, Gechariden tränke, Fructosesirup Isomerisierung von Glucose zu Fructose Industriezuckergewinnung Hydrolyse von Pektin Bier, Wein, Fruchtsäfte Spaltung von komplexen Kohlenhydra- Fruchtsäfte, Wein ten Zelluloseabbau „Flüssiges Gemüse“ Glucan-Hydrolyse Fruchtsäfte, Olivenöl-, Kakao-Gewinnung Oxidation von Glucose Bier, Fruchtsäfte Eipulver, Konserven, Erfrischungsgetränke Fettspaltung Milch- und Käseerzeugung
Weitere Anwendung finden Proteasen in Waschmitteln, deren Aufgabe die Verdauung von Peptid- und Proteinverunreinigungen ist. Bisher sind fast 3.000 Enzyme bekannt, von denen aber nur etwa 20 im größeren industriellen Maßstab hergestellt werden. 4.3.4 Protein- und Peptidtoxine
In der Natur findet sich eine Vielzahl von Toxinen mit Peptidstruktur. So enthalten Schlangengifte Peptide, die meistens aus ca. 60 bzw. ca. 70 Aminosäuren bestehen. Sie stellen alle Peptidketten dar, die gefaltet und durch Cystin-Brücken verknüpft sind. Zwei Beispiele sind in Abb. 4.15 und Abb. 4.16 mit dem Cobratoxin und dem Toxin-α aus Naja nivea angeführt. Die Schlangengifte wirken meistens neurotoxisch oder kardiotoxisch. Die Neurotoxine werden nach ihrer Wirkung und nach ihrem Angriffspunkt in α-Toxine (Angriff an der postsynaptischen Membran) und β-Toxine (Angriff an der präsynaptischen Membran) unterteilt. Die Schlange Bungarus multicinctus produziert ein α- und ein β-Neurotoxin, das α- und β-Bungarotoxin. Allgemein besitzen die α-Toxin-Peptide ein Molekulargewicht von etwa 7.000 D, während die β-Neurotoxin-Proteine ein Molekulargewicht von 20.000 bis 22.000 D aufweisen.
328
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
3
Leu
H2N
Glu
Gln
Asn
His
Cys
Ser
Gln
Gln
Ser
Thr
Pro Thr Thr
17 Lys
Cys
Tyr
Asn
Thr
Glu
Gly
Thr
Cys
Ser
Gly
Gly
24
Lys Arg
Cys
Gly
Arg
55
Thr Arg
Arg Asp His
Gly
Arg
Thr Thr
Tyr
43 Cys
41
Glu
Trp
Gly
Pro
Ser
Val
Cys 54
Cys
Lys
Asn
Asp Arg
Asn Ile
Cys
Gly
Glu
Asn
60
Ile
Asn
OH
Abb. 4.15. Struktur des Cobratoxins 3 H2N
Ile
Arg
Thr
Ile
Cys
Phe
Cys
Val
Pro
Asp
Val Thr Ser
Tyr
20
Thr
His
Gly
Pro
Lys Trp
Cys
Asp
Cys
Asn Gly Met
Cys
Ala
Cys
26 Met
Gln
14
Asp
Gly
Phe
Val
Ala
Ala
41
30
Asp
45 57
Val
Arg Gly
Lys
Arg
Ser Arg Asp
Cys
Pro
Val Cys
Cys
Asn
Abb. 4.16. Struktur des Toxin-α aus Naja nivea
Arg
Ile
Pro Phe
71 Ser
Asn
Lys
62 HO
Gly
Cys
56 Asn
Pro Lys
Pro
Lys
Thr
Leu
Lys
Arg
Thr
4.3 Proteine
329
α-Bungarotoxin lagert sich an den Acetylcholin-Rezeptor an und hemmt die neuromuskuläre Übertragung des Nervenimpulses. Neben den spezifischen Toxinen sind in den Rohgiften Enzyme enthalten, z. B. Phospholipasen, Endopeptidasen, Exopeptidasen, Proteinasen. Auch sie wirken stark giftig, indem sie zu einem raschen Abfall des Blutdrucks, einer Störung der Blutgerinnung oder zu einer Zerstörung von Blutgefäßen führen. Die Toxine des grünen Knollenblätterpilzes (Amanita phalloides) sind bicyclische Oligopeptide. Es sind im Wesentlichen zwei Substanzen, die die Vergiftung erzeugen, das Amanitin und das Phalloidin. Für die Giftwirkung ist die Schwefelbrücke im Zentrum des Moleküls essenziell. Folgende bicyclische Peptide werden im Knollenblätterpilz gefunden. O H3C
CH
O
C
NH
NH O HO
CH
H2C
C
NH
H2C
C
C N
O
CH2
C
CH HN
HC
H CH
O HC
NH
HO
CH
H3C
CH
O
HN
CH
C
NH
C
C
CH
C
NH
R2 H H H OH
CH2 C
H2C O O
HC
NH
CH2 C
R1 OH H OH OH
O
N
O
(a) Phalloidin (b) Phalloin (c) Phallacidin (d) Phallisin
R3
R3 R4 CH3 CH3 CH3 CH3 CH(CH3)2 COOH CH3 CH3
CH2
CH HO
O
O
a: b: c: d:
O
CH2 R2
OH
C
OH
R4
R
CH2 C
NH
N
S C
CH
R1
C O
R'
NH
S
N
CH2
H
CH
NH
O H C O
CH2
HC C
O
CH3 CH
CH2 CH3
O
NH
α-Amanitin: R = OH, R' = NH2 β -Amanitin: R = OH, R' = OH γ-Amanitin: R = H, R' = NH2
Bakterielle Toxine werden in Endo- und Exotoxine unterteilt. Endotoxine werden erst nach dem Absterben bzw. nach Lyse der Zellwand freigesetzt. Es handelt
330
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
sich z. B. um Lipopolysaccharide der Zellwand gramnegativer Bakterien (Lipid A, s. Kap. 5.3.3.2). Die Exotoxine werden von Bakterien an ihre Umgebung abgegeben. Es handelt sich um Proteine vor allem grampositiver Bakterien. Häufig entstehen die eigentlichen Toxine erst nach der Einwirkung von Proteasen. Hierzu gehören die hochtoxischen Botulinustoxine von Clostridium botulinum. Weitere prominente Beispiele für Proteintoxine sind das Tetanustoxin (M > 150.000 D) aus Clostridium tetanii, das Diphtherietoxin (M = 62.000 D) aus Corynebacterium diphtheriae, sowie die Enterotoxine (M = 25.000–30.000 D) von Staphylococcus aureus. Durch Behandlung der Exotoxine mit Formaldehyd geht die toxische, nicht aber die immunogene Wirkung verloren. Dies ermöglicht den Zugang zu Impfstoffen. 4.3.5 Modifizierung von Proteinen
Die Derivatisierung von Proteinen hat die Aufgabe, die physikochemischen Parameter (z. B. Hitzestabilität, Lösungseigenschaft in organischen Lösungsmitteln), wie aber auch die biologischen Eigenschaften zu verändern. Zu letzterem gehört die Veränderung der Immunogenität von Pharmaproteinen. Bei Applikation eines nichtkörpereigenen Proteins wird dieses als Fremdsubstanz vom menschlichen Abwehrsystem erkannt. Es werden Antikörper gebildet und bei wiederholter Applikation dieses Proteins wird eine Immunreaktion ausgelöst, wie z. B. eine Anaphylaxie. Weiterhin kann durch diese Antikörper die Wirkung des Proteins aufgehoben werden. In der Tabelle 4.17 sind ein paar Beispiele für die Umsetzung von Rohproteinen angeführt. Ziel der Umsetzung ist eine selektive Modifizierung von Aminosäureketten. Hierzu wird z. B. die unterschiedliche Reaktivität der aromatischen gegenüber aliphatischen OH-Gruppen im Tyrosin oder Serin ausgenutzt. Weiterhin findet die Stabilität der Endprodukte Berücksichtung. Die bei einer Phosphorylierung entstehenden aliphatischen und aromatischen Ester sind basenlabil, aber säurestabil. Dagegen sind die entsprechenden Amide basenstabil, aber säurelabil. Hierbei darf die Quartärstruktur, die für die biologische Wirkung verantwortlich ist, nicht zerstört werden. Weiterhin darf auch keine Blockierung des aktiven Zentrums stattfinden. Die Verhinderung der Immunreaktion bei der Behandlung mit Asparaginase (Leukämie) wird durch die Bildung eines Makromolekül-Protein-Konjugates erreicht. Die Umsetzung des Proteins mit Monomethoxypolyethylenglykol (CH3OPEG, Molekulargewicht 5.000 g/mol), ergibt ein Konjugat, welches eine hohe Antitumoraktivität zeigt, ohne mit Anti-Asparaginase-Antikörper zu reagieren. Weiterhin wird keine Synthese von neuen Antikörpern induziert. Die Halbwertzeit dieses Konjugates in vivo ist etwa 20-mal größer, als die des Originalproteins. Zur Verknüpfung wird 2,4,6-Trichlortriazin verwendet. Zwei Chloratome werden durch das Polymer substituiert. Über das dritte Chloratom erfolgt die Bindung der Asparaginase.
4.3 Proteine
331
Tabelle 4.17. Modifizierung von Proteinen
Reagenz O R
O
C
O
O
C
R
O
O
N
Hauptangriffspunkt
Zielderivat
Protein-NH2 Protein-OH Protein-SH
Protein-NH-CO-R Protein-O-CO-R Protein-S-CO-R
Protein-NH2
Protein-NH-CO-CH2-CH2-COOEt
Protein-COOH
Protein-CO-NH-CH2-COOH
N
1.
N
N
O COOH
2. H2C NH2
Protein H2C O
N N
S
NO2
S
NO2
POCl3
O
H
NH2
O
N N
Protein-NH-CO-CH3 Protein-O-CO-CH3 Protein-S-CO-CH3
Protein-SH
Protein
Protein-NH2 Protein-OH Protein-SH
Protein-NH-PO(OH)2 Protein-O-PO(OH)2 Protein-S-PO(OH)2 Protein
C2H5
H
CH2 N
Protein-NH2 Protein-OH Protein-SH
O N
C
Protein
O C
NH
H
O
H3C
N
Protein-SH
S
NO2
S
O S N
C2H5
O
In Abb. 4.17 sind beispielhaft Reaktionen für die Darstellung von Proteinkonjugaten beschrieben. Anwendung finden diese Kopplungsmethoden auch in der Herstellung von radioaktiv markierten monoklonalen Antikörpern (Antikörper und Komplex eines radioaktiven Metalls) bzw. von Toxinkonjugaten (Antikörper und Toxin). Da monoklonale Antikörper gegen Tumorzellen spezifisch an diese binden, ergeben sich
332
4 Aminosäuren, Peptide und Proteine
selektive Methoden mit markierten Antikörpern für die Diagnose bzw. mit Toxinantikörpern zur Therapie. Weiterhin werden Enzyme, die für die Racematspaltung eingesetzt werden, an polymere Träger gekoppelt. Diese unlöslichen Konjugate besitzen immer noch ihre katalytische Aktivität und können einfach am Ende der Reaktion abfiltriert werden. Cl
OPEGOCH3
N
N
CH3O-PEG-OH + Cl
N
Cl
N
N
MonomethoxyCl polyethylen2,4,6-Trichlortriazin glycol
OPEGOCH3
OPEGOCH3
H Protein
Protein-NH2
N
N
N
N N OPEGOCH3
Protein
Protein
O
HO
O
NaIO4
OH O
R
O
X-NH2 O
O
NaBH4
R
X
O
OH
Protein-NH2 +
Protein-COOH Protein
Protein
O
H
C
N
OHC-(CH2)3-CHO
+
+
H2N-X
R
Protein-N=CH-(CH2)3-CH=N-X
O
R-N=C=N-R
O NH X NH
Protein
C
O
N
R
C
NHR
X-NH2
X O O
Protein-NH2 +
N
O
C
CH2 CH2 S
S N
O Protein
H
O
N
C
CH2 CH2 S
X-SH
S N
H
O
Protein
N
C
CH2
X
S
S
CH2
Abb. 4.17. Kopplungsmethoden zur Herstellung von Proteinkojugaten (X = Makromolekül oder andere zu koppelnde Gruppe)
Literatur
333
Literatur Empfohlene Monographien
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334
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5 Kohlenhydrate
Unter dem Begriff Kohlenhydrate wurden nach der ursprünglichen Definition Verbindungen der allgemeinen Formel Cn(H2O)m (= Hydrate des Kohlenstoffs) verstanden. Dies trifft natürlich für viele Kohlenhydrate, wie z. B. Aminozucker und Desoxyzucker nicht zu. Trotzdem wurde dieser Sammelbegriff für die in diesem Kapitel diskutierten Verbindungen beibehalten. Den weitaus größten Teil der organischen Materie auf der Erdoberfläche machen Kohlenhydrate aus. So werden allein im Pflanzenreich 1011 t Cellulose pro Jahr synthetisiert. Die Kohlenhydrate werden nach der Zahl ihrer Untereinheiten in Mono-, Di-, Tri-, Tetra-, Penta-, Oligo- und Polysaccharide eingeteilt.
5.1 Monosaccharide Monosaccharide sind partielle Oxidationsprodukte mehrwertiger Alkohole. Man unterscheidet Polyhydroxy-Aldehyde (Aldosen) bzw. Polyhydroxy-Ketone (Ketosen) mit vorwiegend unverzweigtem Kohlenstoffgerüst. Nach der Anzahl der CAtome teilt man die Monosaccharide ein in Triosen, Tetrosen, Pentosen, Hexosen etc. Biologisch relevant sind vor allem Pentosen und Hexosen. Die Beziehung der relativen Konfiguration ergibt sich aus dem Trivialnamen. In Abhängigkeit von der Anzahl der chiralen C-Atome werden folgende Präfixe benutzt: Zahl der chiralen C-Atome
Präfix
1 2 3 4
glyceroerythro-, threoribo-, arabino-, xylo-, lyxoallo-, altro-, gluco-, manno-, gulo-, ido-, galacto-, talo-
5.1.1 Struktur der Monosaccharide
Aldosen der allgemeinen Form Cn(H2O)n leiten sich durch Kettenverlängerung vom Glycerinaldehyd, Ketosen vom Dihydroxyaceton ab.
336
5 Kohlenhydrate H
C
O
H2C
HC
OH
H2C
OH
Glycerinaldehyd
C H2C
OH O
Dihydroxyaceton
OH
Glycerinaldehyd dient auch als Bezugssubstanz für die Zuordnung der Zucker zur D- bzw. L-Reihe. In der Fischer-Projektion wird das C-Atom mit der höchsten Oxidationszahl nach oben geschrieben, wobei die Substituenten an C-2 so angeordnet werden, dass sie aus der Papierebene herausragen. Die Bezeichnung der absoluten Konfiguration bezieht sich auf das am weitesten von der Carbonylgruppe entfernt stehende asymmetrisch substituierte C-Atom der Zuckerkette. CHO H
CHO
OH
Enantiomere
HO
CH2-OH
H CH2-OH
D-(+)-Glycerinaldehyd
L-(-)-Glycerinaldehyd
Die Aldotetrosen besitzen zwei asymmetrisch substituierte Kohlenstoffatome und treten damit als 22-Stereoisomere bzw. als zwei Enantiomerenpaare auf: CHO
CHO
CHO
H
OH
HO
H
HO
H
OH
HO
H
H
CH2-OH D-(-)-Erythrose
CH2-OH L-(+)-Erythrose
CHO
H
H
OH
HO
CH2-OH
OH H CH2-OH
D-(-)-Threose
L-(+)-Threose
Hiervon abgeleitet werden die Vorsilben erythro- und threo- häufig zur Bezeichnung von Diastereomeren benutzt, die an zwei benachbarten, optisch aktiven Zentren zwei gleiche Substituenten tragen. Danach werden Verbindungen folgenden Typs als erythro- bzw. threo-Form bezeichnet: A
A
A R'
R B
C
erythro-
C R'
R B
threo-
A
Der Aufbau der D-Aldosen aus D-Glycerinaldehyd kann der Abb. 5.1 entnommen werden. Die in der Natur am weitesten verbreitete organische Substanz ist die D-Glucose, als Baustein von Cellulose, Stärke bzw. Glycogen, der eine zentrale Rolle im Kohlenhydratstoffwechsel zukommt. In freier Form kommt die DGlucose in Früchten vor, sie wird als Traubenzucker bezeichnet. Die anderen Hexosen bzw. Pentosen treten nur sehr selten in ihrer freien Form auf. D-Galactose ist Bestandteil von Oligo- und Polysacchariden. L-Galactose kommt ebenfalls in Polysacchariden, wie z. B. Agar, vor. Von den Pentosen sind die D-Ribose als Bestandteil der RNA, sowie D-Xylose und L-Arabinose als Be-
5.1 Monosaccharide
337
standteile von Polysacchariden in der Natur weit verbreitet. D-Fucose kommt frei in verschiedenen Früchten, wie z. B. Äpfeln, vor. Tabelle 5.1 gibt eine Übersicht der in der Natur vorkommenden Pentosen. CHO H C OH CH2OH D-Glycerinaldehyd
CHO H C OH H C OH CH2OH
CHO HO C H H C OH CH2OH D-Threose
CHO HO C H HO C H H C OH CH2OH D-Lyxose
HO HO HO H
CHO C H H C H HO C H HO C OH H CH2OH
D-Talose
CHO C OH HO H C H C H HO C OH H CH2OH
D-Galactose
D-Erythrose
CHO H C OH HO C H H C OH CH2OH
CHO HO C H H C OH H C OH CH2OH
CHO H C OH H C OH H C OH CH2OH
D-Xylose
D-Arabinose
D-Ribose
CHO C H H H C OH C H HO C OH H CH2OH
D-Idose
CHO C OH HO C OH HO C H H C OH H CH2OH
D-Gulose
CHO C H H C H HO C OH H C OH H CH2OH
D-Mannose
CHO C OH HO H C H C OH H C OH H CH2OH
D-Glucose
CHO C H C OH C OH C OH CH2OH
D-Altrose
H H H H
CHO C OH C OH C OH C OH CH2OH
D-Allose
Abb. 5.1. Zuckerstammbaum der D-Aldosen
Bislang haben wir nur die „offene“ Form der Monosaccharide in der FischerProjektion angesprochen, die aber nicht das Fehlen der Carbonylbande im IRSpektrum oder die Erscheinung der Mutarotation erklärt. Hierunter versteht man, dass eine frisch bereitete Zuckerlösung beim Stehen während einiger Stunden kontinuierlich den Drehwert ändert, bis sich ein konstanter Endwert einstellt; Spuren von Säure oder Alkali beschleunigen den Ablauf. Diese Reaktion lässt sich erklären, indem man eine Tautomerie zwischen der offenen und einer ringförmigen Struktur annimmt, bei der die Carbonylfunktion mit einer der Hydroxylgruppen ein cyclisches Halbacetal bildet.
338
5 Kohlenhydrate
Tabelle 5.1. Natürliches Vorkommen von Pentosen Pentose D-Apiose
Vorkommen Als Glycosid in Petersilie, im Graveobiosid in Selleriesamen, in der Rinde von Hevea brasiliensis Baustein vieler Polysaccharide, in Pektinen, Hemicellulosen und Pflanzengummen sowie in Glycosiden, z. B. in Traganth, Getreide, Feigen (Ficus carica). Aloe-Glycoside, bakterielle Polysaccharide, auch Baustein vieler Polysaccharide, in Wein mit 600 mg/L enthalten Kohlenhydratkomponente der Ribonucleinsäuren, Nucleoside, Nucleotide und Coenzyme (z. B. NAD+), Baustein bakterieller Polysaccharide, in freier Form in geringen Mengen im Muskelfleisch geschlachteter Tiere Pflanzliche Polysaccharide, z. B. Xylane in Getreide, Hemicellulosen von Harthölzern und Koniferen, in freier Form in einigen Früchten, z. B. Sanddornbeeren Nucleinsäuren von Hefe und im menschlichen Herzmuskel, Bestandteil des Antibiotikums Kanamycin Bestandteil des Antibiotikums Kanamycin
L-Arabinose
D-Arabinose D-Ribose
D-Xylose
(Holzzucker) D-Lyxose L-Lyxose
CH2-OH O H H H OH HO OH H OH H
H HO
CH2-OH OH H H H OH O H
α-D-Glucose (Schmp. 146°C, [α]D = +113°)
CH2-OH O OH H H OH HO H H OH H
OH
D-Glucose
(acyclische Form)
β-D-Glucose (Schmp. 150°C, [α]D = +19°)
38%
62%
Je nachdem, ob bei den Aldosen dieser Ringschluss mit der OH-Gruppe an C-4 oder an C-5 eintritt, erhält man einen 5- oder einen 6-Ring; der 6-Ring ist bevorzugt. Man spricht dann von Furanosen bzw. Pyranosen. Man bedient sich zweckmäßigerweise der Darstellung nach Haworth-Formeln, z. B. die anomeren Pyranosen der D-Glucose. An dieser Stelle sei auch die Pyranose-Form der Fructose erwähnt, wobei ausschließlich die β-D-Fructopyranose-Form isolierbar ist. H H 5
HO
6
H H 4
OH
1 CH2-OH
OH HO 3
H
2
O
H H
6
H H
O OH HO
HO OH
H
2
CH2-OH 1
β-D-Fructopyranose
Bei dieser Halbacetalbildung aus der acyclischen Form der D-Glucose entsteht aus dem Carbonylkohlenstoffatom ein neues Asymmetriezentrum und damit zwei
5.1 Monosaccharide
339
diastereomere Verbindungen. Solche Isomere, die sich nur in der Konfiguration an diesem C-Atom unterscheiden, bezeichnet man als α- und β-Anomere, das betreffende C-Atom selbst als anomeres C-Atom. Tatsächlich liegen die Monosaccharide in kristallinem Zustand ausschließlich in der cyclischen Form vor; in Lösung stehen sie über die offene Form miteinander im Gleichgewicht. Die α- und die βFormen unterscheiden sich in ihren physikalischen Eigenschaften. So beträgt der optische Drehwert für die α-D-Glucose +113° und für die β-D-Glucose +19° (für die Wellenlänge der Na-D-Linie). Bei der Lösung eines dieser Anomeren in Wasser stellt sich nach einiger Zeit der Wert +52,5° ein. Die Geschwindigkeit der Einstellung ist stark abhängig von Temperatur und pH-Wert; auffallend ist, dass nicht das arithmetische Mittel der Anfangsdrehwerte erreicht wird (+66°). Das Gleichgewicht stellt sich also nicht bei einem Verhältnis 1:1 für beide Anomere, sondern bei einem Verhältnis von 62 % β-D-Glucose und 38 % α-D-Glucose ein. Der Anteil der acyclischen Form beträgt in wässriger Lösung nur 0,0026 %. Das Anomerenverhältnis kann nun am besten an einer stereochemischen Darstellung diskutiert werden. Man leitet hierfür die Struktur der Monosaccharide von der Cyclohexan-Sesselkonformation ab. OH
H HO
5
HO
O 1
HO
H
HO
OH α OH
H H
OH
H H
6
ß OH
HO H H
α-D-Glucose
OH H
β-D-Glucose
Anhand von Modellstudien konnte gezeigt werden, dass die Pyranosen sehr gut mit der Sesselform übereinstimmen. Der freie Energieinhalt der Pyranosen wird vor allem durch 1,3-diaxiale Wechselwirkungen bestimmt. H
OH H
H
ΔG = 3,8 kJ/mol HO
H
Hexopyranosen werden also bevorzugt eine Konformation eingehen, in der möglichst wenig Substituenten axial stehen. Die Hydroxymethylgruppe mit hoher Raumerfüllung steht außer in der α-D-Idopyranose immer äquatorial. Nach diesen Aussagen ist aber der relativ hohe Anteil des α-Anomeren der Glucose nicht zu verstehen. Aus der Summation der sterischen Wechselwirkungen müsste das β-Anomere in Lösung zu 100 % vorliegen. Die beobachteten Anomerenverhältnisse werden durch den so genannten anomeren Effekt erklärt.
340
5 Kohlenhydrate
H 5
O
O
1
O 1
3
5
H
1 1
O
5
β-Anomer
3
O
3
O
H
H
O
O
α-Anomer
5
3
Abb. 5.2. Dipoleffekte in Pyranosen mit der Newman-Projektion dargestellt
Dieser wird durch den Substituenten an C-2 stark beeinflusst. Axiale Stellung verstärkt, äquatoriale Stellung schwächt den Effekt. Erklärt werden kann der anomere Effekt durch elektrostatische Wechselwirkungen. Im Falle des β-Anomeren verstärken sich die Dipoleffekte, während sich beim α-Anomeren die Dipoleffekte durch Subtraktion abschwächen. In der Newman-Projektion (Abb. 5.2) kann dies am besten demonstriert werden. Der anomere Effekt wird durch die Elektronegativität des Substituenten an diesem Zentrum verstärkt. Abgeschwächt wird er mit zunehmender Polarität des Lösungsmittels. Während bei den Hexosen (s. Tab. 5.2) Glucose, Mannose, Galactose und Gulose nur die Pyranoseform auftritt, findet man bei der Allose, Altrose, Talose und Idose auch die α- und β-Form der Furanosestruktur. Als Beispiel seien die Altrosestrukturen in wässriger Lösung aufgeführt: OH HO
OH
OH O
OH
β-D-Altropyranose 40% CH2-OH HO
HO
OH
O HO
OH
OH
β-D-Altrofuranose 13%
H
O
HO
H
H
OH
H
OH
H
OH CH2-OH
D-Altrose
OH O
OH
OH
α-D-Altropyranose 27% CH2-OH HO
O HO OH OH
α-D-Altrofuranose 20%
5.1 Monosaccharide
341
Tabelle 5.2. Natürliches Vorkommen von Hexosen Hexosen D-Glucose
D-Galactose
D-Mannose
D-Talose
Deoxyhexosen L-Rhamnose (6-DeoxyL-Mannose) D-Rhamnose (6-DeoxyD-Mannose) L-Fucose D-Chinovose (D-Epirhamnose) 6-DeoxyD-glucose D-Allomethylose (6DeoxyD-allose)
Vorkommen Weit verbreitet in allen Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen, Bestandteil vieler Polysaccharide und Glycoside, in freier Form in Früchten und Pflanzengewebe; als β-D-Glucose in vielen Glycosiden vorkommend Bestandteil vieler Oligo- und Polysaccharide, der Galactane, Glycoproteine und Glycoside; kommt in freier Form nur in geringen Anteilen in Wein und fermentierten Milchprodukten vor (z. B. Jogurt, einige Käsearten), Bestandteil des Disaccharids Lactose Bestandteil von Polysacchariden (Mannane und Galactomannane) und der Kohlenhydratkomponente in Glycoproteinen, kommt in freier Form nur in Spuren in Früchten vor (z. B. in Äpfeln und Pfirsichen) Derivate kommen als Baustein in mikrobiellen Polysacchariden vor, Bestandteil des Antibiotikums Hydromycin B
Einheit in vielen Polysacchariden und Glycosiden, Wein enthält die freie Form in Spuren, kommt auch in den Blattextrakten von Rhus toxicodendron vor Kommt in freier Form in Wein vor, Bestandteil von kapselförmigen Polysacchariden des gram-negativen Bakterienstammes GS Einheit in Polysacchariden und Glycosiden von Pflanzen, Humanmilch, Algen, Seetang und Glycoproteinen, Bestandteil von Fucoidan und Traganth Glycoside der Rinde von Chinchona, entsteht bei der Hydrolyse von Chinovinen, sehr selten Herzwirksame Glycoside von Digitalis-Spezies
5.1.2 Reaktionen der Monosaccharide 5.1.2.1 Oxidation und Reduktion
Monosaccharide lassen sich unter milden Bedingungen zu den entsprechenden Zuckeralkoholen (Tab. 5.3) reduzieren; Reagenzien hierfür sind Natriumamalgam in verdünnt saurer Lösung, Platin und Wasserstoff oder Natriumborhydrid. Glucose geht so in Sorbit über; aus Fructose entstehen dagegen wegen des sich neu bildenden Asymmetriezentrums zwei Isomere, Sorbit und Mannit:
342
5 Kohlenhydrate CHO
CH2-OH
OH HO
OH HO
OH OH CH2-OH D-Glucose
CH2-OH O HO
OH OH CH2-OH D-Glucit (Sorbit)
CH2-OH HO HO
OH OH
OH OH
CH2-OH
CH2-OH
D-Fructose
D-Mannit
Sorbit kommt in der Natur in den Früchten der Vogelbeere (Sorbus aucuparia) vor. Hohe Gehalte von 1,0–2,2 g Sorbit je 100 g Frischsubstanz (Fr.-S.) finden sich in Birnen, Pflaumen und Kirschen, mittlere Gehalte von 0,1–1 g Sorbit je 100 g Fr.-S. sind in Äpfeln, Aprikosen, Brombeeren, Pfirsichen und Stachelbeeren vorhanden. In Pilzen liegen die Gehalte deutlich niedriger, z. B. enthält der Austernseitling 0,02 g Sorbit je 100 g Fruchtkörper. Sorbit wird technisch aus Glucose erhalten und aufgrund seines süßen Geschmacks als Diabetikerzucker verwendet. D-Mannit wird in Algen, Pilzen und höheren Pflanzen gefunden. Der Samtfußrübling enthält beispielsweise im Fruchtkörper 5,3 g D-Mannit je 100 g. Hohe Gehalte von 0,3–4 g D-Mannit je 100 g Trockensubstanz (Tr.-S.) werden in Auberginen, Bleichsellerie und Endivien gefunden, während in Artischocken, Kürbis, Roter Beete und Spargel mittlere Gehalte von 0,1–0,3 g D-Mannit je 100 g Tr.-S. vorhanden sind. Weitere wichtige Zuckeralkohole sind D-Xylit und D-Arabit. D-Xylit findet sich in Kernobst in hohen Mengen; Pflaumen enthalten bis zu 0,9 % i. Tr.-S.. Auch in roten Johannisbeeren und Walderdbeeren sind 0,03–0,01 g D-Xylit je 100 g essbaren Anteils zu finden. Bei den Gemüsearten sind besonders Auberginen, Blumenkohl und Endiviensalat reich an D-Xylit (0,2–0,3 g je 100 g Tr.-S.). D-Arabit kommt in Pilzen und Flechten vor, z. B. enthält der Samtfußrübling 10,2 g DArabit je 100 g Fr.-S. und der Hallimasch 0,28 g D-Arabit je 100 g Tr.-S.
CH2 OH CH2 OH OH HO OH HO OH OH CH2 OH
CH2 OH
D-Xylit
D-Arabit
Milde Oxidation von Aldosen (verdünnte HNO3, Br2 bzw. I2) führt zu Aldonsäuren, die als Salze in der offenen Form vorliegen, als freie Säuren aber leicht in die γ-bzw. δ–Lactone übergehen:
5.1 Monosaccharide
343
Tabelle 5.3. Natürliches Vorkommen von Zuckeralkoholen Dihydrozucker Pentitole Adonitol, Ribitol
Vorkommen
In freier Form in den Wurzeln von Bupleurum sp. und in Adonis vernalis, Baustein des Lactoflavins Als freier Bestandteil in Pilzen (Boletus sp.) und Flechten (Romalina scopulorum) Obst (Pflaume, Rote Johannisbeere), Gemüse (Blumenkohl, Aubergine) und im Saft von Laubgehölzen
D-Arabitol, D-Lyxitol D-Xylitol
Hexitole D-Glucitol, D-Sorbitol D-Mannitol
In freier Form in vielen Früchten wie Äpfeln, Pflaumen, Birnen und Früchten der Eberesche Als freier Bestandteil in Pilzen und Braunalgen, auch in höheren Pflanzen (Aubergine, Bleichsellerie) In freier Form in vielen Pflanzen, Torula-Hefe und MadagaskarManna.
Galactitol, Dulcitol Heptitole Volemitol
Als freier Bestandteil in vielen Pflanzen, Flechten und Pilzen (Brätling [Lactarius volemus]) In freier Form in den Samen von Avocados Als freier Bestandteil in kalifornischer Zuckerpinie In freier Form im Latex aus Naturkautschuk Als freier Bestandteil im Latex aus Hevea brasiliensis und der Rinde von Quebracho
Perseitol D-Inositol L-Inositol
Quebrachitol (2-O-methyl-Linositol) Scollo-inositol
In Haifischen O
CH2-OH O
Na
+
[O]
H+
HO OH
HO OH D-Glucose
CH2-OH O
OH OH
OH
O
OH CH2-OH
O
OH HO OH
δ-Lacton
Natrium-D-Gluconat
Das Glucono-δ-Lacton wird in der Lebensmittelverarbeitung eingesetzt, um eine langsame Säureproduktion zu erreichen. Dadurch wird es möglich, dass z. B. eine Eiweißfällung erst nach dem Abfüllen von Jogurt erfolgt. Es ermöglicht weiterhin die Schnellreifung von Rohwurst und wird bei der Herstellung von Brühwurst verwendet. In Backpulver dient es als Säureträger. Die Oxidation der α- und β-Anomeren zeigen einen starken Unterschied in der Reaktionsgeschwindigkeit. So verläuft die Oxidation der β-D-Glucose in 20 min quantitativ, die der α-D-Glucose benötigt etwa 5 h zur quantitativen Reaktion. Da das β-Anomere eine stärkere Säure als das α-Anomere ist (s. Kap. 5.1.2.6), nimmt
344
5 Kohlenhydrate
man an, dass die Reaktion über das Pyranosyl-1-O-at verläuft, welches sich bei der β-Form einfacher bildet. CH2-OH O OH
CH2-OH O O
HO-
OH
CH2-OH Br O O
Br2
OH
HO
OH
HO
H OH
HO
H OH
H OH
CH2-OH O O
OH
- HBr
HO OH
Die Oxidationsreaktionen sind auch die Grundlage einer Vielzahl qualitativer Nachweisreaktionen für Monosaccharide. Hier sind vor allem die FehlingReaktion mit dem CuII-tartrat-Komplex und die Tollens-Probe mit dem Silberdiamminkomplex zu nennen. Hierbei wird durch Oxidation des Zuckers CuII zu CuI bzw. AgI zu Ag0 reduziert. Durch stärkere Oxidationsmittel wie HNO3 werden auch die primären Hydroxygruppen oxidiert und man gelangt zu den Zuckersäuren: COOH CH2-OH O
OH OH
OH
HNO3
HO OH
HO
D-Zuckersäure
OH
OH
COOH
D-Glucose
COOH CH2-OH O HO
OH OH
OH OH D-Galactose
HNO3
Schleimsäure (meso-Form)
HO HO OH COOH
Im Falle der Schleimsäure liegt eine optisch inaktive meso-Form vor. Bei edelfaulen Trauben kann sich die Schleimsäure durch Grauschimmelbefall bilden, wodurch im Most oder Wein Trübungen zu beobachten sind. In Säften aus reifen Beerenfrüchten und Obst kommen die Dicarbonsäuren in geringen Konzentrationen vor. Die Oxidation der primären Hydroxygruppe führt zu Uronsäuren (Tab.
5.1 Monosaccharide
345
5.4). Aufgrund des oxidationsempfindlichen Aldehyds ist dies nur durch vorhergehende reversible Blockierung dieser Gruppe möglich. Die Oxidation kann mit Distickstofftetroxid durchgeführt werden. CHO CH2-OH O
COOH OMe
OH HO
OMe
OH HO
OH
OH
O
N2O4
OH
Methyl-D-glucopyranosid
H+ H2O
HO OH OH COOH
D-Glucuronsäure
Im Organismus dient D-Glucuronsäure zur Entgiftung. Viele Substanzen werden als Glucuronate über den Urin ausgeschieden. Im Organismus sind die Uronsäuren von erheblicher Bedeutung, insbesondere die Glucuronsäure, die zum Entgiften des Organismus dient; z. B. bindet sie Phenol, das auf diesem Wege aus dem Organismus ausgeschwemmt wird. Die DGlucuronsäure ist Bestandteil der Chondroitinschwefelsäure in Knorpelsubstanz, Haut und Heparin. Sie ist auch in Saponinen gefunden worden. Uronsäuren sind weiter Bestandteile von Polysacchariden, wie Glycuronanen und Mucopolysacchariden. Galacturon- und Mannuronsäure sind wichtige Bestandteile von Polysacchariden in Pektinen und Glycosiden. Die selektive Oxidation einer sekundären Hydroxygruppe in Hexosen ist bei verschiedenen Kohlenhydraten unter geeigneten Bedingungen möglich. Unter der Voraussetzung, dass die halbacetalische Gruppe und die primäre Hydroxygruppe geschützt sind, kann eine selektive Oxidation einer axialen Hydroxygruppe vor einer äquatorialen Gruppe durchgeführt werden (s. Kap. 2.4). Als Beispiel ist hier die Oxidation von Methyl-α-L-arabinopyranosid mit Pt/O2 angeführt. Tabelle 5.4. Natürliches Vorkommen der Uronsäuren Uronsäure D-Glucuronsäure D-Galacturonsäure D-Mannuronsäure D-Guluronsäure L-Iduronsäuren
Vorkommen Teil der Polysaccharid-Einheit von Bindegewebe, Heparin, Hyaluronsäure, Gummi arabicum und Cellulose aus Holz, als Glycosid im menschlichen Urin, Bestandteil von Alkaloiden Weit verbreitet in Pektinen und Gummi pflanzlichen Ursprungs, Teil einer Polysaccharid-Einheit Teil der Polysaccharid-Einheit in Algen Teil der Polysaccharid-Einheit in Algen Bestandteil der Polysaccharide Chondroitinsulfat und Heparin bei Säugetieren
346
5 Kohlenhydrate OH O HO
OMe
O
Pt/O2
O OMe
HO
OH
OH
Methyl-α-L-arabinopyranosid 5.1.2.2 Aufbau und Abbau
Der Aufbau von Kohlenhydraten ist durch eine Vielzahl von C-CVerknüpfungsmethoden durchführbar. Als Beispiele für die Darstellung von Hexosen seien C5+C1- bzw. C3+C3-Verknüpfungen aufgeführt. Man erhält aus Dihydroxyaceton und Glycerinaldehyd durch eine Aldolreaktion Fructose und Sorbose. Auch an anderen Beispielen wird die Bevorzugung der threo-Konfiguration der neu gebildeten Asymmetriezentren beobachtet (zur stereoselektiven Aldolreaktion s. Kap. 11.6.6). CH2-OH O
CH2-OH
CH2-OH
O Ba(OH)2
H
O OH CH2-OH
CH2-OH
HO OH OH CH2-OH D-Fructose
O
+
OH HO OH CH2-OH D-Sorbose
Die C5+C1-Verknüpfung kann mit der klassischen Cyanhydrin-Synthese nach E. Fischer durchgeführt werden (Abb. 5.3). Ausgehend von Arabinose wird durch Addition von HCN das entsprechende Cyanhydrin aufgebaut. Hierbei entstehen zwei Diastereomere, die zur Carbonsäure verseift werden. Nach der Reduktion werden D-Glucose und D-Mannose erhalten. Dies ist im Übrigen das erste Beispiel für eine gezielte, asymmetrische Synthese. Das einfachste Verfahren zur Darstellung von Kohlenhydraten basiert auf der basischen Oligomerisierung von Formaldehyd, der sog. Formose-Reaktion. Diese Reaktion hat natürlich keine präparative Bedeutung, da eine Mischung aus allen vorstellbaren Kohlenhydraten entsteht. Im Rahmen der Untersuchung von präbiologischen Synthesen ist es aber interessant, dass bei der Formosereaktion vor allem Hexosen und Pentosen entstehen. Zum Abbau der Monosaccharide stehen zwei klassische Verfahren zur Verfügung. Beim Verfahren nach Wohl und Zemplén wird die Hexose zunächst in ihr Oxim überführt. Dieses geht beim Kochen mit Acetanhydrid in ein Nitril über, das beim Behandeln mit Natriummethanolat in Chloroform Blausäure abspaltet; nach Hydrolyse der Acetate erhält man den um ein C-Atom verkürzten Zucker:
5.1 Monosaccharide CN CHO
HO OH
OH
H2O/H+
+
OH
OH
CH2-OH
OH
CH2-OH
D-Arabinose
CH2-OH
D-Gluconsäurenitril
COOH
D-Mannonsäurenitril
COOH
OH
CHO
HO
HO
+
Na/Hg OH
OH
HO
HO
HO OH
H+
OH
CH2-OH
CHO
OH
HO
D-Gluconsäure
HO
HO
HCN OH
OH
CN OH
HO
347
+
OH
OH
CH2-OH D-Mannonsäure
OH
CH2-OH
CH2-OH
D-Glucose
D-Mannose
Abb. 5.7. Klassische Cyanhydrin-Synthese nach E. Fischer
CHO
HC
HO
NOH
CN
HO OH
HO
AcO
NH2OH
Ac2O
OH
OAc
HO
AcO
OH CH2-OH
OH
OAc
CH2-OH
CH2-OAc
D-Idose 1. CH3ONa CHCl3 2. H2O
CHO OH HO OH CH2-OH D-Xylose
Der Ruff-Abbau verläuft oxidativ über die Allonsäure, deren Calciumsalz mit H2O2 in Gegenwart von Eisen-III-acetat CO2 abspaltet und damit in die um ein CAtom kleinere Aldose übergeht.
348
5 Kohlenhydrate
CHO
COOH
OH
OH
OH
OH
COOH 1. Ca(OH)2 2. Fe3+/H2O2
O
CHO
OH
OH
OH
OH
OH
OH
OH
CH2-OH
CH2-OH
D-Allose
OH OH
- CO2
OH
CH2-OH
CH2-OH
D-Allonsäure
D-Ribose
5.1.2.3 Osazonbildung
Die Osazonbildung ist eine wichtige Reaktion von Monosacchariden; der Reaktionsablauf der Umsetzung von 3 Mol Phenylhydrazin mit 1 Mol Monosaccharid in schwach saurer Lösung verläuft wie folgt: H CHO OH
H
C6H5-NH-NH2
HC H
N
NH
C6H5
H+
OH
HC H
+
N
NH
C6H5
OH
H HC
N
NH
C
O
H
C6H5
HC
- C6H5-NH2
C
NH O
2 C6H5-NH-NH2 - NH3 - H2O
HC
N
NH
C6H5
C
N
NH
C6H5
Osazon
Die Osazone waren früher für die Charakterisierung von Kohlenhydraten sehr wichtig, obwohl sie schwer umzukristallisieren sind. Sehr viel besser geeignet sind hierfür die durch Oxidation mit CuII-sulfat aus den Osazonen entstehenden Osotriazole. HC
N
NH
C6H5
CuII
N
C
N
NH
C6H5
- C6H5-NH2
N
N
C6H5
Osotriazol
5.1.2.4 Eliminierung und Epimerisierung
Die Umsetzung von Hexosen mit starken Säuren ergibt vor allem bei Ketosen unter Wassereliminierung Furane. So entsteht z. B. aus Fructose Hydroxymethylfurfural (HMF). HMF wird bei thermischer Behandlung von Lebensmitteln gebildet, so lässt sich eine Temperatureinwirkung auf Fruchtsäfte, Milch und Honig durch die Bildung von HMF belegen.
5.1 Monosaccharide
349
Analog entsteht aus Pentosen, z. B. aus Maiskolben, Haferspelzen und Erdnussschalen, Furfural. Furfurale entstehen als flüchtige Produkte bei der Karamellisierung und sind Vorläufer von heterogenen Aromastoffen wie Furanen und Thiophenen. Furfural besitzt cancerogenes Potenzial und wird nicht mehr zum Aromatisieren von Lebensmitteln verwendet. CH2-OH O D-Fructose
H+
HO OH
HO O
Δ
OH
CHO
Hydroxymethylfurfural
CH2-OH CHO OH
H+
HO
CHO
O OH
Furfural
CH2-OH
Monosaccharide reagieren mit Basen bereits bei Raumtemperatur. Als wichtigste Reaktion von Monosacchariden ist die basisch katalysierte Aldose-KetoseIsomerisierung, die unter dem Namen Lobry de Bruyn-van Ekenstein-Umlagerung bekannt ist, zu nennen. Im Gleichgewicht werden Fructose, Glucose und Mannose im Verhältnis 28:3:57 gefunden. Unter drastischeren Bedingungen werden außer Retro-AldolSpaltungen auch noch weitere Fragmentierungen beobachtet. D-Mannose
H
C
O
HO HO H
C
O
H
OH HO
C C
OH
OH OH
OH
CH2-OH
HO OH
OH
OH
OH
CH2-OH
CH2-OH O
CH2-OH
HO
D-Glucose
OH OH D-Fructose
CH2-OH
350
5 Kohlenhydrate
Tabelle 5.5. Natürliches Vorkommen von Ketosen Ketose Pentulosen D-Ribulose
Hexulosen D-Fructose D-Psicose D-Tagatose,
mit Sorbose epimere Verbindung L-Sorbose Heptulosen Sedoheptulose
Volemose Octulosen D-Glycero-Dmannooctulose Nonulose D-Erythro-Lglucononulose
Vorkommen
Zwischenprodukt des biologischen Abbaus von 6Phosphorgluconat, kommt in freiem Zustand in Algen, Rübenblättern und Gerstenkeimen vor, das phosphorylierte Derivat ist der Precursor während der Photosynthese Teil der Einheit in vielen Oligo- und Polysacchariden, in freier Form kommt sie in vielen Früchten (Weintrauben, Kernobst, Granatapfel, Kaki), Honig und Pflanzen vor Kommt in freier Form in fermentierter Melasse vor Entsteht beim Hocherhitzen aus Lactose, Polysaccharide des Gummis Sterculia sefigera, wird als wenig energiereiches Süßungsmittel verwendet Teil der Einheit im Pektin der Fruchtschale von Passiflora edulis, aus dem sie durch enzymatische Hydrolyse freigesetzt werden kann Im freien Zustand als Zwischenform in allen grünen Pflanzen und den Blättern von Sedum In freier Form in Avocadofrüchten In freier Form in kalifornischen Avocados In freier Form in Avocados
In der Natur vorkommende Ketosen sind Zucker mit fünf bis neun Kohlenstoffatomen, alle tragen die Oxogruppe an C2. Tabelle 5.5 gibt eine Übersicht. 5.1.2.5 Schutzgruppen für Monosaccharide
Durch geeignete Wahl der kontrollierten Selektion bei der Blockierung von Hydroxygruppen in Monosacchariden werden synthetische Intermediate für weitere Umsetzungen erhalten. Selektive Blockierungen werden vor allem bei der Acetalisierung mit Aldehyden und Ketonen beobachtet. Entscheidend für ein Hauptprodukt sind hier insbesondere sterische Faktoren. Im Allgemeinen liefern Ketone cyclische Fünfring-Acetale, Aldehyde dagegen Sechsring-Acetale. Diese Regel begründet sich auf der Tatsache, dass im Dioxanring bei Ketonacetalen eine 1,3-diaxiale Wechselwirkung auftritt. Bei Aldehydacetalen kann der Substituent R äquatorial orientiert sein, wobei sich der stabilere Dioxanring bildet. Es handelt sich bei der Acetalisierung um eine thermodynamisch kontrollierte Reaktion.
5.1 Monosaccharide OH
H
CH3 O O HO
H3C
H3C
O
H3C
OR OR
CH3-CO-CH3/H+
OH O
HO HO
H
O O
OR OR
Hauptprodukt
CH3-CHO/H+ OH
O O HO
H3C
O
CH3-CO-CH3/H+
OR OR
CH3-CHO/H+ H
351
Hauptprodukt
O
H
OR OR
H3C
O
O O
OR OR
1,3-Dioxanringe werden nur mit cis-ständigen Hydroxygruppen gebildet; hierbei entstehen aber keine überbrückten Bicyclen. OH O
HO
HO O R
O
H
Weiterhin wird die maximale Zahl von Hydroxygruppen acetalisiert. Hierbei muss auch die Umwandlung der α- in die β-Form sowie der Pyranoseform in die Furanoseform berücksichtigt werden. Einige Beispiele mit Aceton zu Isopropylidenverbindungen sind: CH2-OH O
O OH
OH
CH3-CO-CH3/H+
O
HO
O
OH
O
D-Glucose
HO
CH2-OH O OH
OH
1,2:5,6-Di-Oisopropyliden-α-Dglucofuranose
O OH
CH3-CO-CH3/H+
O
CH2-OH O O
OH D-Galactose
O O
1,2:3,4-Di-Oisopropyliden-α-Dgalactopyranose
352
5 Kohlenhydrate CH2-OH O OH HO
O O
+ OH CH3-CO-CH3/H
O O
HO
O
OH
2,3:5,6-Di-Oisopropyliden-Dmannofuranose
D-Mannose
Die Abspaltung der Schutzgruppe ist mit milden Säuren möglich. Hierbei werden die Isopropylidenreste am anomeren Zentrum weniger leicht hydrolysiert, was auf die geringe Elektronendichte an den Sauerstoffatomen der Acetalgruppe zurückgeführt werden kann. Eine selektive Blockierung der primären Hydroxygruppe ist mit raumerfüllenden Reagenzien, wie z. B. mit Tritylchlorid, Adamantoylchlorid oder Pivaloylchlorid, unter kinetisch kontrollierten Bedingungen möglich. C6H5 C6H5
C
O
Cl
C6H5
H3C
O
C
C
Cl
CH3
Cl
Tritylchlorid
H3C
Adamantoylchlorid
Pivaloylchlorid
Besondere Bedeutung besitzt die Tritylierung bei der Synthese von Nucleosiden (s. Kap. 6.1.1). Die D-Ribose stellt in Lösung ein Gleichgewicht von pyranoiden (dominierend) und furanoiden Ringformen (jeweils α- und β-Anomere) dar; letztere werden durch Tritylierung dem Gleichgewicht entzogen. Der Übergang der Pyranose in die Furanose gelingt durch Tritylierung von D-Ribose. Das resultierende Produkt mit der tritylierten primären Hydroxygruppe kann nur noch den Furanosering ausbilden. Durch Acylierung werden das anomere Zentrum sowie die beiden Hydroxygruppen blockiert. Abspaltung der Tritylgruppe und Acylierung ergeben peracylierte D-Ribofuranoside. HO
O
O
OH
OH
HO OH
OH
OH
D-Ribopyranose
C
OH
C6H5
O
C6H5
Pyridin
D-Ribofuranose
C6H5 H5C6
(C6H5)3C-Cl
H5C6 O
OH
OH OH
Ac2O
C
O
C6H5
O
Pyridin OAc OAc
OAc
Ni/H2
5.1 Monosaccharide HO
353
AcO O
Ac2O
OAc
O
OAc
Pyridin
OAc OAc
Tetra-O-acetylD-ribofuranose
OAc OAc
Zur selektiven Veresterung der primären Hydroxygruppe bei tiefen Temperaturen eignen sich auch Benzoylchlorid und Tosylchlorid. Weiterhin ist bei tiefen Temperaturen eine selektive Acylierung von äquatorialen Hydroxygruppen vor axialen bei verschiedenen Monosacchariden möglich. HO OH
HO OBz BzCl
O HO
HO
O
Bz = C6H5-CO
BzO
- 20°C, Pyridin
BzO OMe
OMe
Methyl-α-D-galactopyranosid 5.1.2.6 Glycosidierungen
In den Halbacetalformen der Zucker ist die OH-Gruppe am anomeren C-Atom sehr reaktionsfähig; sie reagiert leicht unter Säurekatalyse mit Alkoholen unter Bildung von Glycosiden. Spezielle Bezeichnungen beim Vorliegen eines Zuckerrestes werden je nach dem betreffenden Monosaccharid gegeben, z. B. Glucosid, Fructosid, Galactosid, Ribosid. Diese Glycoside sind hydrolytisch mit verdünnten Säuren (am besten unter Zusatz von wenig Ethanol) wieder spaltbar; der zuckerfreie Rest wird Aglycon genannt. Diese einfachen Glycoside werden als O-Glycoside bezeichnet. Entsprechend spricht man bei Nucleosiden von N-Glycosiden und bei den entsprechenden Thioverbindungen von S-Glycosiden. Streng hiervon müssen die C-Glycoside getrennt werden, da diese nicht hydrolytisch gespalten werden können. O
O OR
O SR
R N
S-Glycosid
R C
R'
O-Glycosid
O
N-Glycosid
R'
R''
C-Glycosid
Die Synthese von Glycosiden und Sacchariden kann nach R.R. Schmidt folgendermaßen eingeteilt werden: A B C D
Fischer-Helferich-Methode über Säureaktivierung, Koenigs-Knorr-Reaktion über Halogenose-Aktivierung, Trichloracetimidat-Methode, C-1-O-Alkylierung.
354
5 Kohlenhydrate OR H+
OH-
O
RO RO
OR
OH
OR
OR O
RO RO
H O
OR B
+
Hal-
R'OH
A
R'X
D
O
OR C
OR
Cl3C-CN
OR O
RO RO
O
RO RO
H
OR
O
RO RO
Hal OR Ag+ R'OH
RO RO
Cl3C
R'OH
O OR'
OR
O
OR
NH
H+
Im Folgenden werden die Methoden A–C sowie einige weitere Möglichkeiten zur Glycosidsynthese vorgestellt. A
Fischer-Helferich-Methode
Die Bildung der O-Glycoside nach Fischer verläuft aus der Halbacetalform durch eine SN1-Reaktion. Durch die Nachbarschaft des Sauerstoffatoms wird das durch die Abspaltung der Hydroxygruppe entstehende Carbeniumion stabilisiert und damit die Bildung begünstigt. Die Anlagerung des Alkohols ergibt das Glycosid. Der Ersatz einer Hydroxygruppe durch eine Alkoxygruppe verändert sowohl die sterischen Verhältnisse als auch den anomeren Effekt im Vergleich zur Halbacetalform. CH2-OH O OH
OH HO OH
H+/-H2O CH2-OH O OMe
CH2-OH O
OH
OH
CH3OH
HO OH
Methyl-β-D-glucopyranosid 32%
+
CH2-OH O
CH3OH
OH HO
HO OH
OMe OH
Methyl-α-D-glucopyranosid 66%
5.1 Monosaccharide
355
Je nach Reaktionsdauer unterscheidet sich die Zusammensetzung der Produkte. Nach kurzer Reaktionsdauer wird ein verhältnismäßig hoher Anteil an Furanosiden beobachtet, deren Bildung offensichtlich kinetisch begünstigt ist. Dies ist allerdings auch ein Indiz dafür, dass die Reaktion über die offenkettige Form verläuft. Eine Variante der Fischer-Synthese ist die Helferich-Synthese. In diesem Fall wird die peracylierte Verbindung eingesetzt, wobei eine Acetoxygruppe die Abgangsgruppe darstellt. Da die Acetoxygruppe eine schlechte Abgangsgruppe ist, werden drastische Reaktionsbedingungen benötigt. Eine weitere Variante ist die Reaktion von Penta-O-acetyl-D-glucose in einer Phenolschmelze unter Säurekatalyse. Hierbei bildet sich vor allem das β-Glycosid. Dies erklärt sich durch den Nachbargruppeneffekt der 2-Acetoxygruppe und durch die äquatoriale Stellung des sterisch anspruchsvollen Phenylrings. CH2-OAc
CH2-OAc
O
O
OAc
OAc
- AcO-
O
OAc
C
O
OAc OAc
CH3 Penta-O-acetyl-D-glucose O
CH2-OAc C
+
OAc
H
O O
C
B
C
+
CH3
OAc
O OC6H5
O
AcO AcO
OAc OAc
O
CH3
CH2-OAc C6H5OH
O
OAc
O AcO
H
H
OAc
Koenigs-Knorr-Methode
Zur Darstellung von komplizierten Glycosiden, wie z.B. Steroidsaponinen, Alkaloidglycosiden und Disacchariden, werden reaktivere Verbindungen eingesetzt. Hierfür bieten sich Acylhalogenosen an. Diese können einfach aus den entsprechenden peracylierten Monosacchariden durch Umsetzung mit HBr/HOAc erhalten werden. Hierbei entsteht stereospezifisch die α-Acetobromglucose. Trotz des Nachbargruppeneffektes der 2-Acetylgruppe wird aufgrund der Elektronegativität des Bromatoms die Reaktion ausschließlich durch den anomeren Effekt gesteuert. CH2-OAc
CH2-OAc
O OAc OAc
HBr OAc
OAc
O OAc
- AcOH OAc
Br OAc
Die entsprechenden Fluor- und Chlorderivate sind in der Glycosidierungsreaktion weniger reaktiv als die Bromverbindungen; die Iodderivate sind nahezu instabil.
356
5 Kohlenhydrate
Die Umsetzung von Steroiden mit Acetobromglucose in Gegenwart von säurebindenden Reagenzien in Ether oder Chloroform ergibt stereoselektiv die entsprechenden Steroidglycoside. CH2-OAc
CH2-OAc
O Br
OAc O
O
Ag2CO3
OAc
OAc
- AgBr O C
O
OAc CH3
O
+
C
CH3
R
+ HO
R
CH2-OAc O O OAc OAc OAc
Die Reaktion verläuft über einen SN1-artigen Übergangszustand, bedingt durch die Mesomeriestabilisierung des Carbeniumions durch den Ringsauerstoff, unter Beteiligung der Acetylnachbargruppe an O-2. In der modernen Kohlenhydratchemie wird natürlich eine selektive Steuerung des stereochemischen Verlaufs der Reaktion am anomeren Zentrum angestrebt; d. h. es sollte auch möglich sein, die entsprechenden 1,2-cis-Glycoside (αGlycosid) der Glucose herzustellen. Wird die Tetrabenzyl-α-bromglucose eingesetzt, fehlt der Nachbargruppeneffekt und es wird ein entsprechendes Gemisch aus α- und β-Glycosiden gefunden. Die Steuerung der Konfiguration an C-1 erfolgt in diesem Fall ausschließlich durch sterischen und anomeren Effekt. In neuerer Zeit gewinnen Glycosylfluoride in Glycosidierungsreaktionen zunehmend an Bedeutung. Die Kohlenstoff-Fluor-Bindung unterscheidet sich in ihrer Stärke aufgrund der Elektronegativität des Fluors von den anderen Halogeniden und ist Ursache für die große Stabilität solcher Verbindungen. Unter LewisSäurekatalyse gelingt die Glycosidierungsreaktion zu O-, N-, S- und CGlycosiden. Hierbei sind Einflüsse auf das Anomerenverhältnis durch Wahl der Reaktionsbedingungen möglich. Die Herstellung der entsprechenden Fluoride gelingt aus den Chloriden durch Umhalogenierung mit Silberfluorid. Das austretende Bromid- bzw. Chloridion wird von den Silberionen zu schwerlöslichem Silbersalz abgefangen, die dabei entstehende positive Ladung an C-1 stabilisiert sich (Fall a) durch Ausbildung des
5.1 Monosaccharide
357
Acetoxoniumions mit der nachbargruppenaktiven Acetylschutzgruppe, und das Fluoridion öffnet den 1,3-Dioxanyliumring zum 1,2-trans-verknüpften Produkt. Fall a: OAc
OAc O
AcO AcO
AcO
AgF
O
AcO AcO
Br
OAc
OAc O
AcO AcO
F
O H3C
+
O C O CH3
C
AcO AcO
F
AcO
O
+
O
Fall b: OBn BnO BnO
OBn O
BnO
AgF
BnO BnO
Cl
OBn O
BnO
F
BnO BnO
Cl
O
F
BnO
Bn = C6H5-CH2
Ist eine Acyloxoniumbildung nicht möglich (Fall b), verläuft die Reaktion nach einem SN2-Mechanismus unter Walden-Inversion. Der Versuch, das perbenzylierte α-Chlorid mit Kaliumhydrogendifluorid anstelle von Silberfluorid umzusetzen, liefert unter Retention das α-Fluorid. Die Kontrolle des Reaktionsverlaufs mittels 1H-NMR-Spektroskopie zeigt die direkte Bildung des α-Fluorids, ohne dass Anzeichen für ein zwischenzeitliches Auftreten des β-Anomeren beobachtet würden. Da eine Nachbargruppenbeteiligung hier nicht möglich ist, spricht dieser Befund für eine thermodynamisch kontrollierte Reaktion über einen SN1-artigen Mechanismus. Die C-Cl-Bindung ist recht labil und wird unter den Reaktionsbedingungen leicht gespalten. Das Oxocarbeniumion reagiert nun rasch zum thermodynamisch stabileren α-Fluorid. OBn BnO BnO
OBn O
BnO
BnO BnO Cl
OBn O
BnO
+
BnO BnO
O BnO F
Anhand von Beispielen der Disaccharidsynthese (Abb. 5.4) konnte eine Beeinflussung des α/β-Verhältnisses durch die Wahl des Lösungsmittels gezeigt werden.
358
5 Kohlenhydrate
Der Reaktionsverlauf kann über die Ausbildung eines oktaedrischen Titankomplexes aus den vier Fluorsubstitutenten, dem α-Glycosylfluorid und der Alkoholkomponente verstanden werden. Die treibende Kraft der Reaktion ist die Lockerung der C-F-Bindung durch das Zentralatom. Anschließend erfolgt der äquatoriale Angriff der Alkoholkomponente. Reaktion in Acetonitril: OR
O
RO RO
R'
H
RO
OR
F
O
Ti
F
F
O
RO RO
F
OR' RO
ß-Glucosid
F
Der in Abb. 5.4 dargestellte Einfluss des Lösungsmittels lässt sich so interpretieren, dass Acetonitril kaum, der basische Ether dagegen vorteilhaft mit der Sauerstoff-Funktion des Aglycons um die äquatoriale Ligandenposition in dem Komplex in Konkurrenz treten kann. Somit sollte nach der Rückbildung von Titantetrafluorid der Ligand Ether mit dem Oxocarbeniumion ein β-DGlycosyldiethyloxoniumfluorid-Intermediat bilden, das dann abschließend unter Inversion zum α-Glycosid abgefangen wird. Reaktion in Ether: OR
O
RO RO
Et
Et
RO
O
Ti F
OR
F
O
RO RO
F
RO
F F
C
O RO
F
+
O
H O
OR RO RO
Et Et
R'
α-Glucosid
OR'
Trichloracetimidat-Methode
O-Glycosyl-trichloracetimidate haben nach R.R. Schmidt in Gegenwart von Säuren sehr gute Glycosyldonoreigenschaften und erlauben eine selektive Beeinflussung des α/β-Verhältnisses. Die Herstellung der Trichloracetimidate nutzt das Prinzip der einfachen Addition von Alkoholanionen an elektronenarme Nitrile: R
O
+
NH
+ ROH Cl3C
C
N - ROH
Cl3C
C OR
5.1 Monosaccharide OBn BnO BnO
359
O OH O H
BnO
O
+
O
O
F
O
OBn BnO BnO
O
OBn
BnO O
BnO BnO
O
+
O O
TiF4 CH3CN TiF4 Ether
O
O
O
O
BnO
O O
O O
O
14 % 64 %
86 % 36 %
Abb. 5.4. Beispiele der Disaccharidsynthese mit Glycosylfluoriden
Zum Entstehen des α/β-Verhältnisses bei der Addition von Tetrabenzylglucose an Trichloracetonitril müssen die unterschiedlichen Stabilitäten der Glycopyranos1-O-ate, die Anomerisierungsgeschwindigkeiten sowie die unterschiedliche Nucleophilie des α- und des β-Oxids betrachtet werden. Die Reaktion von Tetrabenzylglucose in Gegenwart von NaH mit Trichloracetonitril ergibt in fast quantitativer Ausbeute das O-α-Glucopyranosyl-trichloracetimidat. Wird die Reaktion in Gegenwart von Kaliumcarbonat durchgeführt, erhält man O-β-Glucopyranosyltrichloracetat. Eine genaue Untersuchung zeigte, dass nach Ausbildung der α- und β-Oxide, bevorzugt oder sogar ausschließlich, das β-Oxid einer schnellen Addition an das Nitrilsystem unterliegt. Die höhere Nucleophilie des β-Oxids gegenüber dem αOxid kann durch einen sterischen Effekt in Verbindung mit einem stereoelektronischen Effekt verstanden werden, der auf der Abstoßung freier Elektronenpaare oder auf Dipoleffekten beruht. Dieser Effekt sollte bei den Pyranosyl-β-Oxiden, bedingt durch die drei freien Elektronenpaare am Sauerstoffanion stärker wirksam sein als bei den entsprechenden Pyranosiden (R.R. Schmidt). OBn
a)
BnO BnO
OBn O
BnO α O
BnO BnO
OBn
b)
BnO BnO
O BnO
ß O
OBn O
BnO BnO
BnO O
O O BnO
a) ungünstige DipolDipol-Wechselwirkung im β-Oxid b) Abstoßung freier Elektronenpaare stärker ausgeprägt im β-Oxid
360
5 Kohlenhydrate
Das primär gebildete β-Trichloracetimidat anomerisiert nun in einer langsamen basenkatalysierten Reaktion zum thermodynamisch stabileren α-Produkt mit dem elektronenziehenden C-1-Substituenten in axialer Position (thermodynamisch kontrollierte Reaktion). Kaliumcarbonat als schwächere Base katalysiert dagegen nur die Bildung des β-Imidates, ohne die Rückreaktion und damit die Anomerisierungsreaktion zu ermöglichen. Man erhält das β-Produkt durch eine kinetisch kontrollierte Reaktion. OR
OR O
RO RO
RO α OH
(~ 4 : 1)
O
RO RO
RO
Base OR O RO α M+ O A.
(~ 1 : 1)
O
RO RO
Cl3C-CN
RO
B.
OR
ß
O
M+
Cl3C-CN
OR O
RO RO
OH
Base
OR RO RO
ß
RO α O
O
RO RO
RO
NH
ß
O
NH CCl3
CCl3
A. Thermodynamisch kontrollierte Reaktion B. Kinetisch kontrollierte Reaktion
Die O-Glycosyl-trichloracetimidate können nun in einer Vielzahl von Glycosidierungsreaktionen eingesetzt werden. Interessant ist die Umsetzung mit Brönstedt-Säuren. So wird bei der Reaktion von O-α-Glucosyl-trichloracetimidat mit Carbonsäuren unter Inversion (SN2-Bedingung) an C-1 die entsprechende β-OAcylverbindung erhalten. OR RO RO
OR O
R'-COOH
RO
CH2Cl2, RT O
α-Anomer
NH CCl3
RO RO
O RO
R'
O O
β -Acylanomer
5.1 Monosaccharide
361
Diese Methode unterscheidet sich prinzipiell von der üblichen 1-O-Acylierung, vor allem durch die Möglichkeit, diese Reaktion stereoselektiv durchzuführen. Entsprechend werden auch Alkohole unter Inversion am anomeren Zentrum in Gegenwart von Lewis-Säuren glycosyliert, natürlich unter der Voraussetzung, dass kein nachbargruppenaktiver Substituent an C-2 steht. R
OBn O
BnO BnO
BF3-Etherat
+
BnO O
NH
-18°C
H HO
CCl3
R
OBn
H O
BnO BnO
Bn = C6H5-CH2
O
BnO
Bei höheren Temperaturen und Brönstedt-Säuren anstelle von Lewis-Säuren werden vor allem die thermodynamisch stabileren α-Produkte erhalten. Dies kann auf eine Anomerisierung des β-Glycosids zum α-Glycosid zurückgeführt werden. An entsprechenden Untersuchungen zur Synthese von Glycosylphosphaten mit der Trichloracetimidat-Methode kann die Stereoselektivität dieser Reaktion demonstriert werden. OR
OR O
RO RO
RO RO
RO α O
OR
NH HO CCl3
(93 %)
RO
β-Anomer
OR P
NH CCl3
(95 %)
(78 % + α-Halogenose)
OR
CH2Cl2, RT, 1h OR
HCl O
O
O
CH2Cl2, RT, 1h
O
β
RO
OR
OR RO RO
P
O
RO RO
O RO O
O
α-Anomer R = z. B. Benzyl
OR P O
OR
362
5 Kohlenhydrate
Aus dem α-Imidat entsteht das β-Glycosylphosphat und aus dem β-Imidat das α-Glycosylphosphat. Bereits Spuren von starken Säuren führen zur Anomerisierung der β-Verbindung zum thermodynamisch stabileren α-Produkt. Eine weitere Methode für die Herstellung von O-Glycosiden verwendet Glucale als reaktive Kohlenhydrate. Durch Umsetzung der Acylglycopyranosylhalogenide mit Zink in Essigsäure erhält man Glucale. Diese Enolether können unter sauren Bedingungen ebenfalls für Glycosidsynthesen eingesetzt werden. CH2-OAc
CH2-OAc
O
Zn
OAc OAc
Br
CH2-OAc
O
AcOH
OAc
C6H5OH OAc
OAc
O
H+
OAc
O
OAc
C6H5
Tri-O-acetyl-glucal
Ausgehend von Tetraacetylbromglucose ist über das Ammoniumsalz das bittersüße Zuckeranhydrid Lävoglucosan darstellbar. Lävoglucosan (β-Glucosan) entsteht auch bei der trockenen Destillation von Stärke oder Cellulose. Es besitzt keine reduzierenden Eigenschaften und ist nicht vergärbar. CH2-OAc
CH2-OAc
O
Me3N
OAc OAc
Br
OAc OAc
OAc
O +
O N Me3
OAc
O
Ba(OH)2
OH OH
OH
Lävoglucosan
Bei den Anhydrozuckern bildet sich der Etherring durch Reaktion zweier alkoholischer Hydroxylgruppen. Die glycosidische Hydroxylgruppe ist im Gegensatz zu den Zuckeranhydriden nicht an der Reaktion beteiligt. Die 3,6-Anhydro-Lgalactose ist Baustein von Agar-Agar, die D-Form findet sich in Carrageen. HO CH 2 O
O OH
H, OH
3,6-Anhydrogalactose
Wie alle Acetale können Glycoside in saurem, wässrigem Medium gespalten werden (Umkehrung der Fischer-Synthese). Natürlich ist die Reaktivität sowohl vom Aglycon als auch vom Zucker abhängig. Als Regel gilt, dass 2-Desoxyzucker im Gegensatz zu 2-Hydroxyzuckern einfach gespalten werden können. Offensichtlich übt die 2-Hydroxygruppe durch ihren induktiven Effekt einen hemmenden Einfluss auf die Glycosid-Spaltung aus.
5.1 Monosaccharide
363
Speziell bei empfindlichen Naturstoffen empfiehlt sich eine Freisetzung des Aglycons in Methanol anstelle von Wasser. Diese Umacetalisierung gelingt mit dem nucleophilen Methanol bedeutend schonender. 5.1.3 Amino- und Desoxyzucker
In den Aminozuckern sind eine oder mehrere Hydroxygruppen durch eine Aminogruppe substituiert. Die wichtigsten Vertreter sind D-Glucosamin und DGalactosamin. Aminozucker sind als Glycoside z. B. Bestandteile von Antibiotika. N-Acetyl-D-glucosamin (N-Acetyl-2-amino-2-desoxy-D-glucose) ist der Baustein des Polysaccharides Chitin (in Schalentieren und Pilzen), Muraminsäure ist der Milchsäureether des N-Acetyl-β-glucosamins. N-Acetylmuraminsäure kommt als Bestandteil der Zellwände von grampositiven Bakterien vor. In Lebensmitteln finden sich besonders 1-Aminodesoxyketosen in Malz, Bier und Trockenobst (Pfirsich, Aprikosen). Eine wichtige Reaktion der Aminozucker ist die AmadoriUmlagerung. CH2-OH
CH2-OH HO
O OR' OH
OH
OH
CH2-OH
O
O
NH2
NHR
OH H2N
OH
D-Glucosamin: R = H, R' = H N-Acetyl-D-glucosamin: R = Ac,
D-Galactosamin R' = H Muraminsäure: R = H, R' = CH(CH3)COOH
OH
OH D-Mannosamin
Die Synthese von Aminozuckern soll an zwei Beispielen dargestellt werden. Die Umsetzung von Acetylglucalen mit Nitrosylchlorid ergibt durch Addition an die Doppelbindung des Enolethers das Tri-O-acetyl-2-desoxy-2-nitroso-α-Dglucopyranosylchlorid. Die Reduktion liefert nach Abspaltung der Schutzgruppen Glucosamin. CH2-OAc O OAc
δ+ δ− NOCl - 80°C
OAc
Tri-O-acetylglucal
CH2-OAc OAc OAc
Cl N
CH2-OH
1. Zn/Cu/AcOH 2. HCl/H2O
O
O
O OH OH
OH NH2
Glucosamin
Die Einführung der Aminogruppe in Glucose an C-3 der D-Glucose gelingt über das Diacetonid (1,2:5,6-Di-O-isopropyliden-α-D-glucofuranose) mittels zweier, jeweils unter Konfigurationsinversion verlaufender Schritte: Oxidation mit RuO4 und Reduktion mit NaBH4. Mesylierung der freien Hydroxygruppe und nuc-
364
5 Kohlenhydrate
leophile Substitution durch Azid liefern nach der Reduktion die 3β-Aminogruppe. Nach der Abspaltung der Schutzgruppe wird 3-Amino-3-desoxy-D-glucose erhalten. O
O
O
O
RuO4
O OH
O
O
NaIO4 O
O O O
1. MsCl/Pyr. 2. HN3/DMF 3. Pd/H2
O O OH
NaBH4
O
O
O O
O NH2
O
O
Hydrolyse
O
CH2-OH O NH2
3-Amino-3-desoxy-D-glucose
OH
OH
OH
Zu den Aminozuckern, in denen der Stickstoff einen Piperidinring bildet, gehört das Nojirimycin R-468 aus Streptomyces roseochromogenes. Durch Reduktion mit NaBH4 wird Desoxynojirimycin erhalten (s. Kap. 3.4.1). Beide Verbindungen sind potente β-Glucosidaseinhibitoren (s. Kap. 5.2.3). OH
H
OH NaBH4
N
HO HO
HO HO
OH OH
Nojirimycin
H N OH
Desoxynojirimycin
Sialinsäure leitet sich biogenetisch vom N-Acetylmannosamin durch AldolReaktion mit Phosphoenolpyruvat ab. Der Grundkörper wird als Neuraminsäure bezeichnet. Ac CHO HO
HN
COOH O
HO
+
OH H2C
OH
O
O
P O
C CH2
O
O
P O
O
HO
H
HO Ac HN
OH O
HO
Sialinsäure
COOH
5.1 Monosaccharide
365
Die Neuraminsäure selbst ist allerdings nicht stabil, sondern cyclisiert zum Pyrrolidin-System. COOH O CH2 HO
OH H2N
N
HO
HO
OH
OH
Neuraminsäure
COOH
OH
OH
CH2OH
CH2OH
Sialinsäuren wurden in Gangliosiden gefunden und sind Bestandteil von Mucound Lipopolysacchariden und Glycoproteinen in Tieren, deren Milch und einigen Mikroorganismen, nicht aber von Pflanzen. Als Bestandteil von Glycoproteinen und Glycolipiden bilden sie häufig das terminale Ende (α-glycosidisch gebunden). Ihnen kommt eine zentrale Bedeutung bei der Zellerkennung zu. Aufgrund ihrer negativen Ladung an der Carboxylgruppe verhindern sie z. B. das Zusammenklumpen von Erythrozyten und Thrombozyten. Sialinsäure spielt auch eine Rolle beim Eindringen von Spermatozoen in die Eizelle. Mit Sialinsäure verwandte Strukturen sind die N-Glycolylneuraminsäure im Fleischsaft von Rindfleisch sowie die N-Acetylneuraminsäure in Eiern und Milch. HO
HO O
HO
O C OH
H H OH N HO H
O
α-D-Pyranose-Form N-Glycolylneuraminsäure
OH
HO
HO O
O C OH
H H OH N HO H
O
OH
α-D-Pyranose-Form N-Acetylneuraminsäure
Desoxyzucker sind Monosaccharide, denen eine oder mehrere Hydroxygruppen fehlen. Sie werden selten in freier Form, häufig aber in entsprechenden Glycosiden gefunden (s. Kap. 2.2, 2.7 und 11). Physiologisch interessant ist die 2-Desoxy-ribose als Bestandteil der DNA (Kap. 6). Weit verbreitet sind auch die 6-Desoxyzucker, wie z. B. 6-Desoxy-Lmannose (= Rhamnose) als Bestandteil von Heteropolysacchariden und 6-DesoxyL-galactose (= Fucose) als Bestandteil von Blutgruppensubstanzen sowie in marinen Glycosiden. Die L-Rhamnose (6-Desoxy-L-mannose) kommt in freier Form in Wein vor (0,02–0,04 %), sie ist häufiger Bestandteil von Glycosiden, ebenso die α-L-Fucose (6-Desoxy-L-galactose), die weiterhin in Polysacchariden, Milcholigo-
366
5 Kohlenhydrate
Tabelle 5.6. Natürliches Vorkommen von Desoxyzuckern Desoxyzucker 2-Desoxy-β-D-ribose
Antiarose (6-Deoxy-D-gulose) Boivinose (2,6-Dideoxy-Dxylohexose Cymarose (Digitoxose-3-Omethylether, 2,6-Dideoxy-3-Omethyl-D-allose) Digitoxose (2,6-Dideoxy-D-allose) Epifucose (6-Deoxy-L-talose) Streptose (5-Deoxy-3-C-formylL-lyxose) Talomethylose (6-Deoxy-D-talose) 3,6-Didesoxy-hexosen z. B. Paratose, Colitose
Vorkommen Kohlenhydratkomponente der Nucleinsäuren des Zellkerns (Chromosomen) Bestandteil der Glycoside in dem als Pfeilgift verwendeten Milchsaft des Upas-Baumes Antiaris toxicaria Bestandteil der Strophanthus-Glycoside
Bestandteil der Glycoside von Strophanthus und anderen Pflanzen
Bestandteil der herzwirksamen Digitalis-Glycoside Bestandteil herzwirksamer Glycoside und von Polysacchariden in Bakterien Bestandteil des Antibiotikum Streptomycin Teil der kapselförmigen Polysaccharid-Einheit des gramnegativen Bakterienstammes GC Bestandteil der Lipopolysaccharide von Mikroorganismen
sacchariden, Pflanzengummi und dem Fucoidin der Braunalgen vorhanden ist. In der Gruppe der herzwirksamen Glycoside finden sich einige Didesoxyzucker z. B. D-Digitoxose. In den Lipopolysacchariden von Mikroorganismen sind 3,6Didesoxyaldohexosen wie Paratose und Colitose als Bestandteile gefunden worden (Tabelle 5.6). In Antibiotika werden Didesoxyzucker bzw. Tridesoxyzucker, wie z. B. LDesoxyfucose, L-Oleandrose und L-Rhodinose, gefunden. Aus Streptomyceten konnte die L-Rhodinose als Disaccharid auch in freier Form erhalten werden. HO
O
O CH3 HO
OH
CH3
HO OH
O CH3
HO OH
OH
L-Rhamnose
OH L-Fucose
OMe L-Oleandrose
OH
5.1 Monosaccharide O
O OH
CH3
367
OH
CH3
HO
HO OH
2-Desoxy-L-fucose
L-Rhodinose
2-Desoxyzucker werden am einfachsten aus den entsprechenden Glucalen durch Addition von Wasser dargestellt. CH2-OH
CH2-OH
O
H
OH
O
+
CH2-OH
+
O
H2O
OH
OH
-H+ HO
HO H
OH
HO
+
2-Desoxy-D-glucose
6-Desoxyzucker werden durch selektive Einführung einer Abgangsgruppe an C-6 von Glycosiden und anschließende Reduktion erhalten (z. B. Tosylierung und LiAlH4-Reduktion). O
CH2-OH O
ClSO2
CH3
OH
O S O O
CH3 1. LiAlH4 2. H2O/H+
OH
HO
OMe
HO
OH
OMe OH
Methyl-α-D-glucopyranosid O OH
OH
6-Desoxy-D-glucose
HO OH
Für Didesoxyzucker kommt durchaus auch eine Totalsynthese in Frage. So geht die Synthese von L-Oleandrose von D-Alanin aus. Das ursprünglich vorhandene asymmetrisch substituierte C-Atom steuert die Einführung der weiteren stereochemischen Zentren. Umsetzung von L-Alanin (1) mit HNO2/Eisessig ergibt unter Retention die acylierte α-Hydroxypropansäure (2) (s. Kap. 4.1.4.2). Das hieraus hergestellte Säurechlorid 3 wird mit dem Alkinyl-grignard zu 4 umgesetzt. Die Hydrierung liefert das Z-Enon 5. Deblockierung des Acetals zum cyclischen Acetal 6 und Reduktion des Ketons ergibt 7. Einführung einer Schutzgruppe an diesem Alkohol zu 8 und
368
5 Kohlenhydrate
stereoselektive Addition von Methanol liefern, nach Abspaltung der Schutzgruppen, L-Oleandrose. MeO NH2
OAc
HNO2
COOH
SOCl2
COOH
AcOH
L-Alanin 1
MgBr
OAc
MeO
COCl
2
Alkinyl-grignard
3
OMe OAc
OAc
OMe Pd/BaSO4
OH
NaOH
H2 O
O
4 O
5
H+
OMe
1
5
OMe
O
LiAlH4
CH(OMe)2
CH(OMe)2
O
OMe
O
C6H5CH2Cl
4 2
O
HO
3
6 OMe
O
CH3OH/H+
C6H5CH2O
7
8
1. Pd/H2 2. H2O/H+
O
OH L-Oleandrose
C6H5CH2O
HO OMe
OMe
5.1.4 Cyclitole und Pseudozucker
Unter Cyclitolen werden Cycloalkane mit mindestens drei Hydroxygruppen verstanden. Weit verbreitet sind die Hexahydroxycyclohexane, die Inosite. Hier ist vor allem der myo-Inosit zu nennen. Außer einem Enantiomerenpaar sind alle denkbar möglichen Cyclitole meso-Formen. Alle neun möglichen Isomere des Inositols kommen in der Natur vor. OH 6 5
HO
OH
OH 4
OH
1
3
1 2
6
OH
HO
OH
(+)-1D-chiro-Inosit
OH HO
5
OH
2
4
1 3
6
OH
HO
OH
Spiegelebene
(-)-1L-chiro-Inosit
OH 2
OH
OH 5
3 4
OH
myo-Inosit
Myo-Inosit kommt sowohl im Tier als auch in der Pflanze frei oder phosphoryliert vor. Das süß schmeckende myo-Inosit ist für die lebende Zelle ein notwendi-
5.1 Monosaccharide
369
ger Wirkstoff. Es kommt frei im Muskelgewebe sowie in vielen pflanzlichen Organen vor. In Pflanzen liegt es in gebundener Form als Phytinsäure vor, es ist an 6 Moleküle Phosphorsäure gebunden. Für viele Organismen hat es die Funktion eines Wachstumsfaktors. Reich vorhanden ist myo-Inosit in Früchten, Pflanzensamen, Kleie, Leber, Nieren, Eiern und Milch. In 1 Liter Kuhmilch sind etwa 70 mg freies myo-Inosit und 3,6 mg an Lipide gebundenes myo-Inosit bestimmt worden. Phosphatidylinosite sind als Phospholipide in Membranen enthalten. Phosphatidylinositol-4,5-diphosphate wirken in tierischen Zellen als second messenger. Die Substitution einer oder mehrerer Hydroxygruppen durch eine Aminofunktion führt zu den Aminodesoxyinositen. Diese sind Bestandteil von vielen Aminoglycosidantibiotika. Polyphosphoinositide werden in Eukaryotenmembranen gefunden. Hierzu gehört unter anderem das Phosphatidylinosit-4,5-diphosphat, dessen Hydrolyse zu Inosit-1,4,5-triphosphat in neuerer Zeit als wichtiger „second messenger pathway“ erkannt wurde, ausgelöst durch Aktivierung entsprechender Membranrezeptoren durch Neurotransmitter und Hormone. So wurde gefunden, dass Phosphatidylinosit-4,5-diphosphat die Calciumfreigabe von intrazellulären Speichern reguliert; Inosittriphosphat unterliegt anschließend einem schnellen Metabolismus über das 1,4-Diphosphat und 1- bzw. 4-Phosphat zum myo-Inosit. Ein weiterer Metabolismus scheint über das Inosit-1,3,4,5-tetraphosphat zu verlaufen, welches seinerseits ein wichtiger „second messenger“ für die Regulation des Einstroms von Calcium in stimulierte Zellen ist. OH OR' HO
O OH OR''' OR''
R
Phosphatidylinosit-4,5-diphosphat: R' =
O P
C
O
O O
O H
O
R'' = R''' = PO32Inosit-1,4,5-triphosphat: R' = R'' = R''' = PO32-
C
R
R = gesättigter oder ungesättigter, langkettiger Fettsäurerest
Zum Studium dieser komplexen Vorgänge werden die entsprechenden Produkte in ausreichender Menge für biochemische Untersuchungen benötigt. Die Synthesen, ausgehend vom Inosit, enthalten vor allem drei zentrale Probleme: − Darstellung eines entsprechend selektiv geschützten Inositderivates, − Polyphosphorylierung in Gegenwart von vicinalen Hydroxygruppen, welche sterisch hindern und die Bildung cyclischer Phosphate erlauben, − Deblockierung ohne Phosphatgruppenwanderung. Die selektive Blockierung der Hydroxygruppen an C-1,3,5 in myo-Inosit wurde von Lee und Kishi in eleganter Weise durch Ausbildung des Orthoformiats 9 gelöst. Die Synthese ist in Abb. 5.5 dargestellt. Die Synthese der unterschiedlich phosphorylierten Inosite geht von 9 aus.
370
5 Kohlenhydrate
Umsetzung mit NaH ergibt selektiv das Anion an O-4, bedingt durch eine entsprechende Chelatisierung, welches mit Allylbromid zu 10 umgesetzt werden kann. Benzylierung und Abspaltung des Orthoesters und des Allylethers ergeben den 2,6-Benzylether-inosit 11. Phosphorylierung mit Tetrabenzylpyrophosphat und Abspaltung der Benzyletherschutzgruppe mit Pd/H2 ergibt das myo-Inosit1,3,4,5-tetraphosphat 12. OH HO
1
OH OH
3
2
HO
HC(OEt)3
OH OH
H+
O
1
3
2
HO
O O
OH
HO OH
9 NaH/ [(BnO)2PO]2O
NaH OH
BnBr/NaH
OH O
O
HO
O
Br
O
H O
O
OBn O
O
O
O HO
O
HO
O
O
O
10
13
P
OBn
OBn
BnO
OBn
O
15 1. Pd/H2 2. CF3COOH/H2O
NaH/BnBr OBn
0,1 M HCl MeOH
OH
OBn
O
O
HO
OH
BnO
O
HO
O
HO
OH
BnO
OBn
O O
OH 1. RhCl(PPh3)3/Base 2. HCl/MeOH
P
OH
OH
OH
14 myo-Inosit4-phosphat
16 (PhO)2PO-Cl Et3N/DMAP
OBn
O
HO
OH
BnO
OH
PhO
P
OBn O
OPh OH
11 Abb. 5.5. Synthese von Polyphosphoinositen
O O
P
OPh
OPh OBn
BnO OH
17
5.1 Monosaccharide
11
17 [(BnO)2PO]2O
O BnO
OBn
P
O
O
BnO
O O P
Li/NH3
O
O
OBn
BnO
371
OBn
P
HO
O
O
P
OH
OH
HO
OBn
OH OH
OBn
O
P
O
OH
OBn O P
OH
myo-Inosit-1,3-diphosphat 18
OBn Pd/H2 O HO
OH
P
O
O
O
OH HO
O O
HO
P
O
P
OH
myo-Inosit-1,3,4,5-tetraphosphat 12
OH O P
OH
OH
OH
Abb. 5.5. Synthese von Polyphosphoinositen (Fortsetzung)
Wird der Inositorthoester 9 mit NaH zum Monoanion umgesetzt und dieses mit Tetrabenzylpyrophosphat verestert, entsteht der Phosphorsäuremonoester 13. Abspaltung der Schutzgruppen ergibt myo-Inosit-4-phosphat 14. Umsetzung des Inositorthoesters 9 mit einem Überschuss an NaH ergibt eine vollständige Benzylierung zu 15. Spaltung des Orthoesters und Phosphorylierung mit Diphenylchlorophosphat ergibt ein Gemisch aus 1,3- und 1,5-diphosphoryliertem Produkt. Das 1,3-Isomer 17 wird durch Kristallisation gereinigt. Abspaltung der Schutzgruppen mit Li/NH3 ergibt myo-Inosit-1,3-diphosphat 18. Pseudozucker sind Derivate von Sacchariden, bei denen der PyranoseRingsauerstoff durch eine Methylengruppe ersetzt ist. Es handelt sich damit um verzweigte Inositderivate mit einer Hydroxymethylseitenkette, bei denen die anderen C-Atome entsprechend der Konfiguration des Saccharids substituiert sind. Sie kommen teilweise in freier Form in Kulturbrühen von Mikroorganismen, aber vor allem als Bestandteile von Oligosacchariden, vor. Hier sind die Pseudooligosaccharide (s. Kap. 5.2.3) als Glycosidase-Inhibitoren bzw. als Antibiotika zu nennen. So ist z. B. Pseudo-α-D-galactopyranose ein Antibiotikum aus StreptomycesArten, ein Pseudozucker, der sich von der α-D-Galactopyranose ableitet.
372
5 Kohlenhydrate HO OH
HO OH O
HO
HO
HO
HO
OH
α-D-Galactopyranose
OH
Pseudo-α-D-galactopyranose
Weitere Beispiele für Pseudozucker bzw. deren Derivate sind Valiolamin und Valienamin. Valienamin ist Bestandteil der Acarbose, einem Pseudotetrasaccharid, welches aus Actinoplanes-Stämmen gewonnen wird. Es wirkt als Inhibitor gegenüber der intestinalen α-Amylase sowie gegenüber den auf den Bürstensäumen lokalisierten Glucosidasen und verzögert die Glucose-Absorption. Acarbose wird als Therapeutikum bei Diabetes mellitus eingesetzt. OH HO HO OH
H
HO
Valiolamin
HO HO NH2
CH2OH
OH H
NH2
Valienamin (Bestandteil von Validamycin und Acarbose)
Aufgrund der Ähnlichkeit von Pseudozuckern mit den Hexopyranosen konnte bereits eine biologische Aktivität dieser Monomeren an den Enzymen des Zuckerstoffwechsels erwartet werden. So zeichnet sich Valiolamin als starker Inhibitor der α-Glucosidase aus. Es hat deshalb nicht an Anstrengungen zur Herstellung dieser Zuckeranaloga gefehlt. Die Methode von Paulsen geht von Monosacchariden aus. Der zentrale Schritt der Synthese ist eine intramolekulare HornerEmmons-Olefinierung des Ketons 19 zu 20. Die Acetylierung auf der vorletzten Stufe wird durchgeführt, um eine chromatographische Aufreinigung zu ermöglichen (Abb. 5.6). 5.1.5 Vitamin C
Unter den zahlreichen Naturstoffen, die sich von den Monosacchariden ableiten, ist das Vitamin C, die L-(+)-Ascorbinsäure, besonders wichtig (s. auch Kap. 13.1). Der Tagesbedarf eines Menschen beträgt 1 mg/kg KG. Die meisten Tiere produzieren ihren Bedarf an Ascorbinsäure selbst; Menschen, Affen und Meerschweinchen sind auf die Zufuhr von außen angewiesen. Als Quellen für den täglichen Bedarf kommen in erster Linie Obst, Gemüse und Kartoffeln in Betracht; auch Leber enthält reichliche Mengen. Die biologischen Funktionen des Vitamins C sind wegen ihrer Vielfalt noch nicht vollständig geklärt. Sicher spielt es wegen seiner Redoxeigenschaft eine wichtige
5.1 Monosaccharide
373
Rolle. Die klassische C-Avitaminose ist der Skorbut, als Hypovitaminose seien Frühjahrsmüdigkeit, Appetitlosigkeit, Herzbeschwerden, erhöhte Anfälligkeit für Infektionen und Schleimhautblutungen genannt. Ein erhöhter Bedarf ist bei vielen Infektionskrankheiten, aber auch bei Knochenbrüchen und während der Schwangerschaft gegeben.
OH
OH HO HO
OH
EtSH
O OH
H+
OH
O
OH S-Et
HO OH
H+
OH S-Et
HO
S-Et
O
OH
S-Et
O O
BnCl
S-Et
OBn
O
HgCl2
OBn
BnO
HgO
LiCH2PO(OMe)2
OBn O
BnO
S-Et
OBn
O
H
OH O
PO(OMe)2
OBn
PO(OMe)2
OBn
OH
OtBDPSi OBn
BnO
COCl2/ DMSO PO(OMe)2
OBn
OH
O
OtBDPSi O
BnO OBn
Abb. 5.6. Synthese von Pseudozuckern
N
OBn PO(OMe)2
BnO OBn
O
19
OBn
tBDPSiCl
OBn
BnO
OH
OtBDPSi OH
OH
AcOH
OBn
BnO
20
O
O
374
5 Kohlenhydrate
20 Reduktion
OtBDPSi H BnO BnO
5 2
H
+
6
BnO BnO
OR
OBn
H
OtBDPSi
H
R=H R=Ac
BnO OR
(Bu)4N+F-
(Bu)4N+F-
OH
OH
H
H
BnO BnO
OR
OBn
H
Ac2O
BnO BnO H
R=Ac R=H
BnO
MeONa
OR
1. Raney-Nickel 2. Pd/H2 3. Ac2O 4. MeONa
1. Raney-Nickel 2. Pd/H2 3. Ac2O 4. MeONa
OH
OH 6
4
HO HO
1
OH
OH
3
Pseudo-β-Dglucopyranose
HO HO
+ HO
HO HO
OH
HO
HO
Pseudo-α-Dglucopyranose
OH
Pseudo-β-Lidopyranose
+ HO HO
OH OH
HO
HO
OH
Pseudo-α-Lidopyranose
OH H3C
Bn = C6H5-CH2-
OH
tBDPSi = H3C
C H3C
Abb. 5.6. Synthese von Pseudozuckern (Fortsetzung)
C6H5 Si C6H5
OH
5.1 Monosaccharide
375
Seiner Struktur nach ist Vitamin C das Lacton der 2-Ketogulonsäure. Die Reaktivität wird durch die Endiol-Gruppierung bestimmt, die es zu einem starken Reduktionsmittel macht. Besonders in Gegenwart von Schwermetallen wird es rasch oxidiert. Die bekannte Thermolabilität des Vitamins C tritt jedoch nur bei Anwesenheit von Sauerstoff auf. In Gemüse kommt im Mittel neben der Ascorbinsäure 2–8 % Dehydroascorbinsäure vor, bei Fleisch etwa 20 %, dessen Anteil sich bei der Lebensmittelverarbeitung erhöhen kann. In Sauerkraut und Kohl kommt Vitamin C gebunden als Ascorbigen (C-2-Scatyl-L-ascorbinsäure) vor. Bei thermischen Zubereitungsprozessen mit leicht saurem pH-Wert wird Indol abgespalten und L-Ascorbinsäure freigesetzt. Der wirksame L-Ascorbinsäuregehalt kann dadurch ansteigen. Zwischen der Ascorbinsäure und der Dehydroascorbinsäure besteht ein Redox-Gleichgewicht. Gemeinsam mit Vitamin E, β-Carotin und anderen Redoxverbindungen trägt Vitamin C dazu bei, dass das Redoxpozential der Zellen auf einem niedrigen Niveau verbleibt und die Gewebe vor oxidativem Stress geschützt werden. Ascorbinsäure reduziert bestimmte Metalle, insbesondere Eisen. Damit wird die Wechselwirkung von molekularem Sauerstoff mit bestimmten Enzymsystemen wie Hydroxylasen und Monooxygenasen ermöglicht. Im Zusammenwirken mit reduziertem Glutathion kann das bei der Inaktivierung von freien Radikalen oxidierte Tocopherol durch Vitamin C wieder reduziert und als Schutzsubstanz für oxidationsempfindliche Lipide regeneriert werden. Insgesamt ist Vitamin C ein wichtiger Bestandteil des antioxidativen Systems der Gewebe. Vitamin C ist für zahlreiche Hydroxylierungsreaktionen erforderlich. So ist es mit der Hydroxylierung von Prolin zu Hydroxyprolin und von Lysin zu Hydroxylysin an der Kollagensynthese beteiligt und auch für die Mucopolysaccharidsynthese ist es erforderlich. Daher ist es für die Bildung der interzellulären Fibrillarsubstanz der Stützgewebe (Bindegewebe, Knochen, Knorpel, Dentin) und für die Aufrechterhaltung der normalen Funktionen dieser Gewebe unentbehrlich. L-(+)-Ascorbinsäure wird, ausgehend von D-Glucose, über D-Glucit und LSorbose industriell hergestellt (Abb. 5.7). Der Übergang von der D-Reihe zum LHexit wird folgendermaßen vollzogen (s. Kap. 5.1.2.1): Der durch Reduktion von D-Glucose erhaltene Sorbit (D-Glucit) ist identisch mit L-Gulit (Drehung um 180°). Durch mikrobiologische Oxidation mit Acetobacter suboxidans ist die spezifische Oxidation nur einer Hydroxygruppe möglich; man erhält L-Sorbose. Ketalisierung mit Aceton ergibt die Sorbofuranose. Nach der Oxidation des primären Alkohols zur Carbonsäure und Hydrolyse wird durch Wasserabspaltung L-Ascorbinsäure erhalten. 5.1.6 Biosynthese von Monosacchariden, Glycolyse und Gluconeogenese
Glucose kommt sowohl als Energiespeicher wie auch als Ausgangsverbindung für die Biosynthese einer Vielzahl von Verbindungen im Stoffwechsel eine zentrale Aufgabe zu. Der Abbau von Glucose verläuft über die Glycolyse bis zur Brenz-
376
5 Kohlenhydrate CHO OH +2H
HO
CH2OH
CH2OH
OH
OH
HO
O
HO
OH
OH
OH
OH
CH2OH
CH2OH
D-Glucose
CH2OH HO
OH
-2H
OH
O
HO
CH2OH
D-Glucit
CH2OH
L-Sorbose O HO
COOH H
H+
H
O O
O
O O
O
O
Oxidation Hydrolyse
OH
H
CH2OH
HO HO
- H2O
HO
C
H
CH2OH
+ H2O
HO
HOCH2 CH2OH
OH O
2-Keto-Lgulonsäure
2.3:4.5-Di-O-isopropylidenα-L-sorbofuranose
O
O HO
OH
L-(+)-Ascorbinsäure
Abb. 5.7. Synthese von L-(+)-Ascorbinsäure
traubensäure. Brenztraubensäure kann nun bei verschiedenen Mikroorganismen zu Ethanol umgesetzt werden. In den Muskeln wird unter anaeroben Bedingungen Milchsäure produziert. Unter aeroben Bedingungen wird jedoch Acetat gebildet, das als Acetylcoenzym A zum einen in den Citratcyclus gelangt und zum anderen die Biosynthesevorstufe für Terpene und Fettsäuren bzw. Polyketide ist. Der Citratcyclus ist der zentrale energieliefernde Prozess im Organismus. Glucose Glycolyse
H3C
CH2 OH
- CO2
O H3C
C
OH COOH
Brenztraubensäure
H 3C
CH
COOH
O
Citratcyclus
H3C
C
SCoA
Terpene / Steroide (s. Kap. 1.8 und 2.10)
Polyketide (s. Kap. 11.8), Fettsäuresynthese (s. Kap. 9.5)
5.1 Monosaccharide
377
Ausgehend von den Polysacchariden, wie Amylose und Amylopektin, werden durch entsprechende Enzyme (s. Kap. 5.2.3) Glucose-Monomere gebildet – die Ausgangsverbindung für die Glycolyse, in der aus Glucose über Phosphorenolpyruvat (PEP) Acetyl-CoA gebildet wird. Bei der Bildung des Fructose-1,6-diphosphats werden zwei Moleküle ATP verbraucht. ATP wird bei der Bildung des 1,3-Diphosphoglycerats mit ADP gewonnen, das als gemischtes Anhydrid ein hohes Übertragungspotenzial für die Phosphatgruppe besitzt und bei der Hydrolyse von Phosphoenolpyruvat (PEP) unter Beteiligung der Pyruvatkinase zum Pyruvat abgebaut wird. PEP ist ein Enolester, der bei der Übertragung der Phosphatgruppe auf ADP in die Ketoform übergehen kann, was mit einem Energiegewinn verbunden ist. O P
O
PEP
O
O
O +
O
Pyruvatkinase
ADP + H+
O
+
ATP
O
O
Oxidative Decarboxylierung führt vom Pyruvat zum Acetyl-Coenzym A (Abb. 5.8). AcetylCoA wird nun in den Citratcyclus eingeführt (Abb. 5.9). Aus dieser Acetyl-CoA-Einheit entstehen zwei Moleküle CO2 und acht Wasserstoffatome. Die Wasserstoffatome werden formal im Rahmen der oxidativen Phosphorylierung zu Wasser oxidiert. Die hierbei freiwerdende Energie wird als ATP gespeichert bzw. übertragen. Glucose ist auch die Ausgangsverbindung für die Biosynthese anderer Hexosen und Pentosen. Die Umwandlung von Glucose-6-phosphat, Fructose-6-phosphat und Mannose-6-phosphat untereinander ist ohne Probleme möglich. Dagegen erfordert die Umsetzung von Glucose in andere Monosaccharide die Gegenwart von Nucleosidtriphosphaten. So reagiert Glucose-l-phosphat mit Uridintriphosphat (UTP) unter Abspaltung von Diphosphat zu UDP-Glucose. O H CH2OH
N
PPPOCH2
O
+
OH
O
O OH - PPi
OP
HO OH
Glucose-1-phosphat (P = Phosphat)
CH2OH
N
O
OH
OH
Uridintriphosphat (UTP)
O H O OPPOCH2
HO OH
N N O
OH
OH
Uridindiphosphoglucose (UDP-Glucose)
378
5 Kohlenhydrate O OH
P
O
O
+ ATP
OH HO
O O
OH
- ADP
OH
O
O O
P
HO
OH
OH
Glucose
OH
Glucose-6-phosphat O
+ ATP
Fructose-6-phosphat O
O
P
O
O
O HO
O
- ADP
P
H2C
O
O
O
P
O
O
O
H
OH
OH O
Fructose-1,6-diphosphat
H 2C
O
O
P O
P
O
O
O O
O
HO
OH
H2C
OH
O HO
OH
OH
O
O
O
O
CH2OH O O
+ NADH + Pi
CHO
O
O
P
O
O + ADP
O OH O
OH O H2C
P
- NADH
H2C
O
O
P
- ATP
O
O
1,3-Diphosphoglycerat O
O
O
O
Isomerisierung OH O H2C
O
P
O
O
O P
- H2O O
O
CH2OH O
O
O
CH2
O P O
O
3-Phosphoglycerat O
O
+ ADP - ATP
2-Phosphoglycerat
O CH3
+ NAH+/CoASH - NADH/- CO2
Pyruvat Abb. 5.8. Abbau von Glucose zu Acetyl-Coenzym A
PEP O
H3C
C
SCoA
O
5.1 Monosaccharide O
C
O
O
C
O
H3C
C
O SCoA
CoASH
C
O
O
C
CH2 O HO
CH2
379
C
C
CH2 O
O
Oxalacetat
O
C
Citrat
O
-2H O
C
H
OH
CH2 C
O
O
O
C
CH2 O
Malat
Isocitrat
H HO
O
O
C
C
C
O
O
C
C
Oxalsuccinat
O
H
C
O
C
O
C
-2H
C
O
O
O
α-Ketoglutarat
Succinat O
CH2 C
O
C O O - CO2
CH2
O
O
CH2 O
Fumarat
HC
O
O
- H2
CH
O
C
CH
+ H2O O
O
C
- CoA
C
O
CH2
O
CH2
CH2
+ CoA
CH2
- CO2 -2H
COCoA
C
O O
C C
O
Succinyl-CoA Abb. 5.9. Schematische Darstellung des Citratcyclus
UDP-Glucose kann nun in andere Monosaccharide transformiert werden. So ergibt die Oxidation an C-6 Glucuronsäure, die über Oxidation an C-4 zur βKetosäure führt. Diese kann leicht zur UDP-Xylose decarboxylieren. UDPGlucuronsäure führt über Hydrolyse zur Glucuronsäure, die Reduktion und Lactonisierung ergibt nach Oxidation Vitamin C (Abb. 5.10). Wird dagegen UDP-Glucose an C-4 oxidiert und anschließend zum 4β-Alkohol reduziert, erhält man nach Reduktion an C-6 UDP-Fucose. Die Umsetzung von
380
5 Kohlenhydrate
UDP-Glucose mit einem Alkohol führt zu Glycosiden. Ist der Alkohol Bestandteil eines Zuckers, entstehen entsprechend Disaccharide bzw. Polysaccharide. TDP-Glucose (Thymidindiphosphat-Glucose) ist die Vorstufe für die Synthese von Rhamnose (Abb. 5.11). Oxidation an C-4 und Eliminierung der C-6Hydroxygruppe ergibt das α,β-ungesättigte exo-Methylenketon. Reduktion der Doppelbindung führt zur C-6-Desoxyverbindung. Epimerisierung und Reduktion liefern TDP-L-Rhamnose. Die Rückreaktion der Glycolyse bezeichnet man als Gluconeogenese. Als Haupteintrittsverbindung ist das Pyruvat anzusehen. Ausnahmen bilden die autotrophen Organismen (Pflanzen, die Photosynthese betreiben), in denen die Synthese von Glucose durch Reduktion von CO2 durchgeführt wird. Die Gluconeogenese kann teilweise als Rückreaktion der Glycolyse angesehen werden. Allerdings werden vier „neue Reaktionen“ verwendet, um die irreversibel verlaufenden Reaktionen der Glycolyse zu umgehen. Hierbei ist vor allem die Bildung von PEP zu nennen. Ausgehend von Pyruvat wird mit Biotin als CO2-Überträger (s. Kap. 9.5) COOH
COOH O
H2O
OH OH
OH
CH2OH O
OH
O-UDP
HO
OH
OH
O-UDP
OH
O OH
OR
HO
OH
O-UDP
OH
NADH/ - CO2
OH
Glycosid
NADPH CH3
CH2OH
H
OH O OH HO
O
O
OH
OH
Oxidation
O-UDP
OH
UDP-D-Xylose
CH2OH OH O O
O OH
OH
HO
CH2OH
O OH
OH Lactonisierung
NADH
CH2OH
OH
O
UDP-4-Ketoglucose
ROH
O
OH
O-UDP OH
UDP-Glucose
COOH OH
OH
O-UDP
HO
NAD+
COOH
O OH
O
OH
UDP-Glucuronsäure
NADPH
NAD+
OH
OH
Glucuronsäure
CH2OH
O
NAD+
Vitamin C
OH
Abb. 5.10. UDP-Glucose als Biosynthese-Vorstufe
O-UDP OH
UDP-6-Desoxygalactose (= UDP-Fucose)
5.1 Monosaccharide CH2OH
381
CH2OH
O
1.
OH
O
OH
O
2. - H+
OTDP
HO
C
NAD+
+ NADH
- OH-
OTDP
OH
OH
TDP-D-Glucose CH3 O OH
O
1. Isomerisierung 2. NADH
O
+ H2
OH
O
OTDP
OH
O CH3
OTDP
OH
OTDP
OH
OH
TDP-6-Deoxy-Dxylo-hexos-4-ulose
OH
TDP-L-Rhamnose
Abb. 5.11. Biosynthese von Rhamnose
durch Carboxylierung Oxalacetat gebildet. Die Reaktion zum PEP mit GTP (Guanosintriphosphat) erfolgt nun unter Decarboxylierung, wobei die Abspaltung von Kohlendioxid die treibende Kraft ist. O
C
O
C
O
O Biotin-CO2
C
O O
C
CH3
O GTP
CH2 O
Pyruvat
C
C
O
C
O
CH2
O P
O
+ CoA + GDP
O
O
Oxalacetat
PEP (Phosphoenolpyruvat)
In der Übersicht der Gluconeogenese sind die „neuen“ Reaktionen durch kräftige Pfeile markiert: Fructose-6-phosphat
Glucose-6-phosphat
Glucose
Fructose-1,6-diphosphat Glycerinaldehyd3-phosphat
Dihydroxyacetonphosphat 1,3-Diphosphoglycerat 3-Phosphoglycerat 2-Phosphoglycerat
Phosphoenolpyruvat (PEP)
Oxalacetat
Pyruvat
382
5 Kohlenhydrate
Die Synthese von Glucose durch Photosynthese erfolgt aus CO2, wie Calvin durch radioaktive Markierungsexperimente zeigen konnte. Als Grundgleichung für die Photosynthese gilt folgende Reaktion: n H2O
+
n CO2
(CH2O)n
+
n O2
Die Photosynthese kann in eine Lichtreaktion und eine Dunkelreaktion eingeteilt werden. In der Lichtreaktion wird durch ein Chlorophyllmolekül in der Membran von Chloroplasten Licht absorbiert. Die absorbierte Energie wird nun auf ein anderes Chlorophyllmolekül übertragen. Die Umwandlung in chemische Energie verläuft in zwei unterschiedlichen Reaktionssystemen (Photosystem I und II). Das Photosystem I erzeugt Reduktionsäquivalente (Oxidationsmittel) in Form von NADPH, im anderen hingegen, nämlich im Photosystem II, wird Wasser zu O2 gespalten und ein Reduktionsmittel gebildet. Initiiert durch die Anwesenheit von O2 und einem Elektronenfluss zwischen den beiden Photosystemen (Erzeugung von ATP), entsteht an der Thylakoidmembran (sog. Grana) ein Protonengradient. In der Dunkelreaktion wird das erzeugte NADPH und ATP zur Umwandlung von CO2 in Glucose verwendet. Das CO2 reagiert mit Ribulose-1,5-diphosphat über ein Zwischenprodukt zu zwei Molekülen 3-Phosphoglycerat. O O O C
H2C
+
O
O
P
O
O
O
H
P
O
O
Ribulose-1,5-diphosphat
P
O H2O
O
O H
O
OH O H2C
O
P
O
P
O
OH O
OH O
O
OH O
O H2C C
OH O H2C
H2C
O
O
O
+ O
O
C
C
O OH O
O H2C
O
P
O
O
3-Phosphoglycerat
3-Phosphoglycerat wird dann im sog. Calvin-Cyclus über Fructose-6-phosphat in Glucose und 3-Phosphoglycerat umgewandelt, aus dem wieder Ribulose-5phosphat entsteht. Dieser Calvin-Cyclus ist in Abb. 5.12 schematisch dargestellt. Für eine vertiefende Betrachtung muss auf Lehrbücher der Biochemie verwiesen werden.
5.1 Monosaccharide
Ribulose-1,5diphosphat
CO2
3-Phospho2 glycerat
2 ATP
ATP
Ribulose-5phosphat
383
1,3-Diphospho2 glycerat 2 NADPH
Fructose-6phosphat
Glycerinaldehyd2 3-phosphat
Abb. 5.12. Schematische Darstellung des Calvin-Cyclus
5.1.7 Glycoside
Bei den Glycosiden ist die glycosidische Hydroxylgruppe der Zuckerkomponente mit der Hydroxylgruppe eines Alkoholes oder Phenols unter Abspaltung von Wasser verbunden. Die Nichtzuckerkomponente wird als so genanntes Genin oder Aglycon bezeichnet. Liegt als Aglycon ein weiterer Zucker vor, dann nennt man diese Gruppe Holoside, sodass Oligosaccharide, die in Kapitel 5.2 behandelt werden, zu dieser Gruppe gehören. Sehr weit verbreitet sind so genannte O-Glycoside, wobei das Aglycon meist β-glycosidisch bei einem D-Zucker und bei einem LZucker α-glycosidisch an den Zucker gebunden ist. Auch eine Bindung mit Aminen oder Mercaptanen (Schwefelverbindungen) kann erfolgen. Je nach dem verbindenden Atom zwischen Zucker und Aglykon unterscheidet man O-, N- und SGlycoside, die nach der chemischen Struktur des Aglycons weiter unterteilt werden. Die biologische Bedeutung der weit verbreiteten Glycoside liegt darin, dass das Aglycon durch die Bindung an eine Zuckerkomponente wasserlöslich wird. In der Natur liegen die meisten Glycoside in der β-Form der D-Zucker vor. Die in geringerer Zahl vorkommenden α-Glycoside enthalten Zucker der L-Reihe. Durch spezifische α- und β-Glycosidasen werden die Glycoside leicht gespalten. Dies spielt bei der Fermentation von Tee und Gewürzen und bei der Senfherstellung eine wichtige Rolle. 5.1.7.1 O-Glycoside
In Pflanzen findet sich eine Vielzahl von O-Glycosiden. Als wichtige Vertreter kommen die Phenolglycoside Glucovanillin, ein Aromavorläufer in der Vanilleschote, und Turgorin vor. Turgorin (sulfoniertes Phenolglycosid) ist verantwortlich für Blattbewegungen durch Turgoränderungen. Weiterhin finden sich die Flavonoidglycoside, z. B. Isoquercitrin und Rutin, die Anthocyanglycoside, z. B. Fragarin in Erdbeeren sowie die Senfölglycoside, die durch Enzyme in Senföle (Isothiocyanate) umgelagert werden. Ein bekannter Vertreter ist das Glycosid Sinigrin, welches das Allylsenföl bildet und den scharfen Geschmack des Senfs verursacht. Eine weitere Gruppe an O-Glycosiden bilden die Saponine z. B. in Spinat
384
5 Kohlenhydrate
sowie die cyanogenen Glycoside z. B. Amygdalin in Mandeln und Prunasin in vegetativen Pflanzenteilen der Rosaceen. Die Cyanogene Linamarin und Lotaustralin kommen in Leguminosen vor, sie besitzen ein aliphatisches Aglycon. O H C
CH2OH O
HO HO
O
OH
O CH3 HO O
O Glucovanillin
CH2
CH3 C
N
HO
CH2OH O
HO HO O CH2
OH
β-D-Glucose Linamarin
HO
HO O
H
HO
OH
O
OH C
HO HO
O
HO
COOH
OH
HO
3 Pelargonidin O Fragarin (Pelargonidin3-O-galactosid)
β-D-Galactose
HO HO
O
OH
5 CH2OH O OH OH
OH
O CH2
C N
O
HO
OH O
Rutin (Quercetin-3-O-β-rutinosid) O
O
Prunasin OH
H
COOH O
O
O
O
OH OH
O
O
CH3 OH HO HO
S
O
O H OH OH CH2R Spinatsaponine (R = H oder OH)
O
O
HO HO HO
OH
O
CH3
HO
O C H CN
OH Amygdalin
OH OH CH2OH
HO
O
HO HO
CH2
CH2OH O S OH Sinigrin
C
O N O S O O
OH Turgorin (4-O-[β-D-Glucopyranosyl-6'-sulfat]-gallussäure)
Durch Hydrierung von Neohesperidin kann das Neohesperidin-Dihydrochalcon gewonnen werden. Neohesperidin kommt in den bitteren Sevilla-Orangen vor, deren Verfügbarkeit jedoch beschränkt ist. Durch einen dreistufigen Prozess kann das Neohesperidin-Dihydrochalcon jedoch auch aus Naringin, der Bitterkomponente von Grapefruits gewonnen werden. Neohesperidin-Dihydrochalcon findet Verwendung als Süßstoff in Kaugummis, Süßwaren und Erfrischungsgetränken. Wegen des lakritzartigen Beigeschmacks und der begrenzten Wasserlöslichkeit wird es vornehmlich in Mischungen mit anderen Süßstoffen eingesetzt.
5.1 Monosaccharide CH2OH HO HO
385
O O
OH
O
CH3
OH OH
O
O
OH
O
CH3 OH OH
Neohesperidin-Dihydrochalcon
Bei Mensch und Tier besitzen die Cerebroside (Abb. 5.13) und Ganglioside als O-Glycoside besondere Bedeutung. OH 4
R1
(R)
HO
(S)
O
R2
OH
R1 : langkettiger Alkyl-Rest (oft C9H19) OH R2 : Alkyl - oder Alkenyl-Rest CH OH 2 1' NH (R) D-Glucose oder D-Galactose OH
O
O
Abb. 5.13. Grundstruktur der Cerebroside
5.1.7.2 N- und S-Glycoside
Wichtigste Vertreter der N-Glycoside sind bei allen Lebewesen die Nucleoside, das sind Verbindungen von Purin- bzw. Pyrimidinbasen mit D-Ribose bzw. D-2Desoxyribose wie z. B. das in allen Arten von Nucleinsäuren vorkommende Cytidin. NH2 N O
N SO3
CH2OH 5' O
OH 1' 2'
3'
OH
OH
Cytidin (Nucleosid aus D-Ribose und Cytosin)
HO HO
O
O
N
S OH
Senfölglucoside, z. B. Glucotropaeolin: R =
R CH2
Als wichtigste Gruppe sind die so genannten Senfölglycoside in Brassica-Arten (Senf, Meerrettich, Kohlarten) zu nennen, bei denen das Aglycon aus einer Isothiocyanverbindung besteht. Durch mechanische Zellverletzung werden die Isothiocyanate enzymatisch freigesetzt, sodass die scharfen geschmacksgebenden
386
5 Kohlenhydrate
Aromastoffe, z. B. in Senf, entstehen. Aus dem Glycosid Glucotropaeolin in Meerrettich und Gartenkresse entsteht das Benzylsenföl. 5.1.7.3 C-C-Glycoside
Als C-C-Glycoside werden Verbindungen bezeichnet, die durch eine –C-CBindung zwischen Zuckerkomponente und Aglycon charakterisiert sind. Bekannte C-C-Glycoside sind z. B. Vitexin, Aloin aus Aloe, Aspalathin aus Rooibos, Mangiferin aus Honeybush. Das Flavonoid Vitexin mit Flavon-Grundstruktur kommt als Glycosid in vielen Pflanzen vor. Aloin, auch Barbaloin genannt, kommt vorwiegend in Aloe vera vor und ist für den bitteren Geschmack verantwortlich. Es wird pharmazeutisch als Abführmittel eingesetzt. C-Glycoside sind allgemein chemisch resistent, jedoch ist z. B. von Mangiferin bekannt, dass es im Darm durch Mikroorganismen verstoffwechselt werden kann, sodass die C-Glycoside und deren Metaboliten ebenfalls in den Körper aufgenommen werden können. OH
HO O HO
OH
O
HO OH
O
HO HO
Vitexin
HO HO
HO O
4
O
5
OH
3 8
1
OH Mangiferin
OH
OH
O
HO HO HO
Aloin
OH
HOHO HO
OH OH
O OH
O
OH
O OH HO
Aspalathin
O
OH
OH OH
5.2 Di- und Oligosaccharide Nach der Zahl der glycosidisch miteinander verbundenen Monosaccharide werden Oligosaccharide (2–7 Monosaccharideinheiten) und Polysaccharide (n >7) unterschieden. Die extreme Vielfalt der Oligo- und Polysaccharide liegt, außer durch die Varianz der Struktur der am Aufbau beteiligten Monosaccharide, in der unterschiedlichen Verknüpfung der Monomeren (über C-1, C-2, bis C-6 sowie α- und βAnomere) begründet. Einige wichtige Disaccharide sind in Kap. 5.2.1 zusammengefasst, eine Übersicht zum Vorkommen gibt Tabelle 5.7.
5.2 Di- und Oligosaccharide
387
Tabelle 5.7. Natürliches Vorkommen von Disacchariden Disaccharid Cellobiose
Gentiobiose Isomaltose Maltose Nigerose Laminaribiose Sophorose Kojibiose Trehalose Neotrehalose Saccharose Turanose Maltulose Palatinose Lactose Lactulose Rutinose Neohesperidose Melibiose Scillabiose Robinobiose Digilanidobiose Strophanthobiose Mannobiose Lycobiose Primverose Vicianose Solabiose Sambubiose Inulobiose
Vorkommen Bestandteil der Cellulose, kommt nicht frei vor, Baustein des Lichenins Bitter schmeckende Komponente von Glycosiden (z. B. Amygdalin, Crocin) Bestandteil von Amylopektin, Stärke und bakteriellen Dextranen, in Honig und Milch Einheit von Stärke, in freier Form in geringen Anteilen in Bier, Malz, Früchten und Honig Teil der Einheit des Polysaccharids Nigeran, in freier Form in geringen Anteilen in Honig und Bier Bestandteil der Glucane in Hefe und des Polysaccharids Laminaran in Braunalgen und Seetang Bestandteil des Glycosids in dem natürlichen Süßungsmittel Steviosid aus Sophora japonica, Bestandteil einiger Anthocyane sowie in Leguminosen In freier Form in Honig In freier Form in Pilzen und Insektenblut, auch in Trehala-Manna, Hefe, Seetang und Roggenmutterkorn In freier Form in Extrakten aus Koji In freier Form in Zuckerrohr, Rübenwurzeln und Honig, ubiquitär in den Früchten vieler Pflanzen In freier Form in Honig, Bestandteil aus Pollen In freier Form in Malz, Honig und Bier In freier Form bei der Fermentation von Saccharose In freier Form in Milch und Milchprodukten, auch als Bestandteil von Oligosacchariden In freier Form in sterilisierter Milch, Reversionsprodukt der Lactose Bestandteil von Glycosiden, z. B. Hesperidin, Rutin, in Schwarzen Johannisbeeren Bestandteil von Glycosiden, z. B. Naringin, Neohesperidin In freier Form in Kakaobohnen, in Pflanzensäften und in Spuren in manchen Weinen Einheit von Zuckern der Glycoside aus Scilla maritima Einheit des Zuckers Robinin Einheit der herzwirksamen Glycoside aus Purpurea Einheit des Zuckers K-Strophanthin Bestandteil des Polysaccharids Guaran Bestandteil des Glycosids Tomatin Bestandteil vieler Glycoside, Zuckereinheit eines Glycosids aus Primula officinalis, in freier Form in den Früchten der Carob Bestandteil der Glycoside Vicianin, Gein und Violutosid Zuckereinheit des Glycosids β-Solanin Zuckerkomponente einiger Cyanidinglycoside Baustein des Inulins
388
5 Kohlenhydrate
5.2.1 Disaccharide
Das häufigste in der Natur vorkommende und wohl wichtigste Disaccharid ist der Rohrzucker, der auch unter dem Namen Sucrose oder Saccharose bekannt ist. Er ist im Pflanzenreich weit verbreitet, insbesondere im Zuckerrohr (16–20 %) und in der Zuckerrübe (14–16 %), aus denen er technisch gewonnen wird. Bei der Spaltung des Rohrzuckers mit verdünnten Säuren entstehen je 1 Mol D-Glucose und DFructose. Für die Verknüpfung beider Monosaccharide im Rohrzucker gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten: entweder über die beiden halbacetalischen OHGruppen oder über eine halbacetalische und eine alkoholische Hydroxylgruppe. Im ersten Fall gibt das Disaccharid nicht die für Monosaccharide sonst charakteristischen Reaktionen (Tollens-Reaktion mit ammoniakalischer Silbersalz-Lösung, Reduktion der Silberionen zu Silber; Fehling-Reaktion), im zweiten Falle wären diese Reaktionen möglich. Im Falle des Rohrzuckers sind die beiden Reste über die beiden halbacetalischen OH-Gruppen miteinander verknüpft, also über C-1 der Glucose und C-2 der Fructose. Die Röntgenstrukturanalyse zeigt, dass die Glucose in der pyranoiden, die Fructose in der furanoiden Form vorliegt. Milchzucker, (+)-Lactose, ist zu etwa 5 % in der Kuhmilch enthalten, Frauenmilch enthält 5,5–7,5 % Lactose. Hier ist die halbacetalische OH-Gruppe der DGalactose mit der alkoholischen Hydroxylgruppe an C-4 der D-Glucose verknüpft. OH
H
H
6
4
HO
5
HO
OH OH O
CH2OH H O H H H O HO α β O CH2OH 1
2
5
H H
OH
H
H H
H
H
O
β
HO H H
HO
O
HO
HO
OH α
O H
H
OH
H
α-D-Glucopyranose β-D-Fructofuranose β-D-Galactopyranose α-D-Glucopyranose β-D-Fructofuranosyl-α-D-glucopyranosid β-D-Galactopyranosyl-α-D-glucopyranosid [β-D-Fruf-(2↔1)-α-D-Glcp] [β-D-Galp-(1→4)-α-D-Glcp]
Im Glucoseteil dieses Moleküls ist noch eine Halbacetal-Gruppe vorhanden, die sowohl in der α- als auch in der β-Form auftreten kann. Dieser Zucker zeigt deshalb auch die beim Rohrzucker ausbleibenden Reaktionen, wie Mutarotation, Osazonbildung und Reduktion von Tollens- und Fehling-Reagenz. Malzzucker, (+)-Maltose, entsteht bei der fermentativen Spaltung von Stärke mit Amylase bzw. Diastase. Er besteht aus 2 Molekülen Glucose, die als 4-O-(α-D-Glucopyranosyl)D-glucopyranose verbunden sind; er kann in der α- und der β-Form auftreten. Durch verdünnte Säuren bzw. durch α-Amylase (α-Glucosidase) der Hefe wird die Maltose in 2 Moleküle Glucose gespalten. (+)-Cellobiose entsteht beim Abbau von Cellulose; sie besteht wie die Maltose aus 2 Mol Glucose, die aber nicht α-, sondern β-glycosidisch miteinander verknüpft sind. Die Spaltung zu Glucose wird durch das Enzym Emulsin (β-
5.2 Di- und Oligosaccharide
389
Glucosidase) bewirkt. Cellobiose selbst ist aus Cellulose durch Erhitzen mit Acetanydrid/H2SO4 in Form des Octaacetats erhältlich. OH
OH O
HO
H
HO HO
O
OH
α O HO
HO
O
ß
HO
HO α OH
Maltose
ß OH
O
HO
O
OH
HO
OH
Cellobiose
Trehalose, ein C1-C1-verknüpftes, nicht reduzierendes Disaccharid mit 2 Glucosemolekülen, ist in Pilzen, Algen, Insekten, Hefen und höheren Pflanzen zu finden. In der Hefe ist es mit über 20 % in Trockensubstanz (Tr.-S.) vertreten, aus der es auch gewonnen werden kann. Es ist der prinzipielle Blutzucker von Insekten und Wirbeltieren. Trehalose besitzt eine Speicher- und Transportfunktion. In sauren Lösungen hydrolysiert es beim Kochen und liegt dann als α-Glucose vor. Es besitzt 36 % der Süßkraft der Saccharose. Es dient als Speicherkohlenhydrat und schützt Organismen vor dem Austrocknen. Trehalose und Neotrehalose kommen in Honig vor. HO
CH2OH O
HO OH
O
CH2OH O
HO
1
CH2OH
HO OH OH
1 O
HO HO
OH
O
O
OH
CH2OH
Trehalose (α,α-Form)
HO
Neotrehalose (α,β-Form)
Gentiobiose besteht aus 2 Molekülen β-Glucose und besitzt eine C1-C6Verknüpfung. Die β-Form der Gentiobiose ist im Glycosid Amygdalin mit dem Mandelsäurenitril verknüpft. Sowohl Gentiobiose als auch Melibiose kommen nicht frei in der Natur vor. Lactulose (4-O-β-D-Galactopyranosyl-D-fructose) bildet sich bei der Erhitzung der Milch aus Lactose. HO HO
CH2OH O 1 OH β β-Form Gentiobiose
HO 6 CH2
O
HO O
HO
OH
HO OH β
HO
OH O 1 OH
4
OH O HO OH
O Lactulose
Melibiose ist ein C1-C6-verknüpftes Glycosid aus je einem Molekül αGalactose und Glucose. Dabei wird die α-ständige Hydroxygruppe der Galactose mit der OH-Gruppe am C6-Atom der Glucose verbunden. Es ist ein reduzierender Zucker, der in Kaffeebohnen, Äpfeln und in Kartoffeln zu 12 mg/100 g Frischsubstanz (Fr.-S.) vorkommt. Die Melibiose mit einer α-ständigen OH-Gruppe am C1-
390
5 Kohlenhydrate
Atom der Glucose ist Bestandteil des Trisaccharids Raffinose. Die Epi-Melibiose ist Baustein der Galactomannane. 5.2.2 Oligosaccharide
Besonders im Honig und in Hülsenfrüchten kommt eine ganze Anzahl von Oligosacchariden vor (Tab. 5.8).. Raffinose ist ein Molekül, in dem eine α-Melibiose mit der β-ständigen OHGruppe des C2-Atoms der Fructose verknüpft ist. Dieses Trisaccharid ist am weitesten verbreitet, es kommt in zahlreichen Pflanzen vor, z. B. in Hülsenfrüchten. Es kann aus Zuckerrübenmelasse gewonnen werden. Bei der säurekatalysierten Hydrolyse entsteht je ein Mol D-Glucose, D-Galactose und D-Fructose, in schwächer saurem Milieu wird D-Fructose und Melibiose erhalten. Emulsin spaltet Raffinose in Saccharose und D-Galactose. Wird an die Raffinose eine α-D-Galactose glycosidisch gebunden, entsteht Stachyose. Bei einer weiteren Anlagerung an die α-D-Galactose der Stachyose ergibt sich die Verbascose. Alle zuvor genannten SacchaOH CH2 α-Galactose
O
HO OH
α O
OH CH2 O
α-Galactose HO
OH
α O
OH CH2 α-Galactose
O
HO OH
α-Glucose
α O
CH2 O
CH2OH O β-Fructose HO OH β O CH2OH OH
HO HO
α
Saccharose Melibiose Raffinose Stachyose Verbascose
5.2 Di- und Oligosaccharide
391
Tabelle 5.8. Natürliches Vorkommen von Oligosacchariden Oligosaccharid Trisaccharid Maltotriose Panose
Isopanose Isomaltotriose Centose Kestose 6-Kestose Melezitose Raffinose Manninotriose Erlose Umbelliferose Planteose Lycotriose Solatriose Strophanthotriose Tetrasaccharide Maltotetraose Stachyose Lychnose Pentasaccharide Verbascose Hexasaccharide Ajugose
Vorkommen
In freier Form in Amylose In freiem Zustand in Honig, Baugruppe von Amylopektin und Glycogen, durch Bäckerei- und Brauereihefen nicht vergärbar In freiem Zustand in Honig, entsteht durch enzymatische Hydrolyse aus Pullulan In freiem Zustand in Honig In freiem Zustand in Honig In freiem Zustand in Honig und einigen Früchten In freiem Zustand in Honig und Artischockenknollen Als freier Zucker im Pflanzennektar, in Honig, Manna und Exsudaten von Kiefer und Linde Ubiquitär in Pflanzen, besonders in Leguminosen (z. B. Kichererbsen, Sojabohnen, Mungbohnen), Süßkartoffeln, Bienenhonig und Baumwollsamen In freier Form in Eschen-Manna, Spaltstück der Stachyose durch Bäckerhefe In freiem Zustand in Honig In freiem Zustand in Wurzeln der Fam. Umbelliferae (z. B. Möhre, Sellerie, Pastinake) In freiem Zustand in den Samen von Plantago-Spezies und in Sesamsamen (Sesamum indicum) Bestandteil des Glycosids Tomatin aus Wildtomaten Einheit des Glycosids Solanin in Nachtschattengewächsen Einheit des Zuckers Strophanthosid In freier Form in Stärkehydrolyseprodukten In freier Form in Hülsenfrüchten wie Sojabohne, Linse, Erbse und Kichererbse sowie den Wurzelstöcken der japanischen Artischocke In freier Form in den Rhizomen von Lychnis dioica In freier Form in einer Vielzahl von Hülsenfrüchten wie Puffbohnen, Flügelbohnen und Limabohnen, auch in Kakaobohnen In freier Form in Lupinen und in den Wurzeln von Verbasum thapsiformi und Ajuga ripponesis
ride sind nicht reduzierende Oligosaccharide und kommen in den Samen von Gemüsen vor. Im anaeroben Bereich des Darms setzen die Mikroorganismen diese Oligosaccharide zu Kohlendioxid, Methan und Wasserstoff um, was dann zu Blähungen führt. Raffinose kommt in Kichererbsen mit Gehalten von 0,7 g je 100 g Frischsubstanz (Fr.-S.), in Süßkartoffeln mit 0,5 g je 100 g Fr.-S. vor. Auch in Zuckerrüben und Bienenhonig ist Raffinose vorhanden. Melezitose ist eine Verbindung, bei der die OH-Gruppe des C3-Atoms der Fructose mit Saccharose an der α-ständigen OH-Gruppe des C1-Atoms der Glucose verknüpft ist. Dieses Trisaccharid hat ein geringes Kristallisationsvermögen
392
5 Kohlenhydrate
und ist Bestandteil des Honigs. Melezitose kommt im Nektar zahlreicher Pflanzen vor, weiterhin in Bienenhonig, besonders in Honigtau-Honigen. In Eucalyptushonig wurden Gehalte von 0,1 g/100 g Trockensubstanz (Tr.-S.) gefunden. Das Trisaccharid Gentianose besteht aus dem Disaccharid Gentiobiose, welches mit D-Fructose verknüpft ist. Es kommt in den Wurzeln von Gentiana-Arten (Enzian) vor. Gentianose wird bei der Herstellung von Enzianbrand von Hefen nicht direkt vergoren, sie kann aber durch Fructosidasen und Glucosidasen in Glucose, Fructose und Saccharose gespalten werden.
HO HO
CH2OH O
OH α-D-Glucose
CH2OH O
O 3
O OH
Turanose
HO HO
HO
O 1 CH2OH
OH OH
CH2OH O O OH
HO HO
CH2OH α-D-Glucose
Saccharose
Melezitose
CH2
CH2OH O HO
O OH
O
Gentiobiose
Gentianose
OH
CH2OH
Saccharose
5.2.3 Aminoglycosidantibiotika
Aufgrund ihrer ausgezeichneten antibiotischen Wirksamkeit haben die Aminoglycosidantibiotika große klinische Bedeutung (Tabelle 5.9) erlangt. Zwei der wichtigsten Gruppen sind die Trisaccharide Kanamycin und Gentamycin. Die Gruppe der Kanamycine wurde von Umezawa 1957 in Japan aus Streptomyces kanamyceticus isoliert. Aus den Kulturfiltraten von Micromonospora-Arten konnten die Gentamycine von Weinstein in den USA im Jahre 1963 erhalten werden. Da die Aminoglycosidantibiotika sowohl gegen grampositive als auch gramnegative Erreger wirksam sind, haben sie einen sehr breiten Anwendungsbereich. Kanamycin wird in Kombination mit β-Lactam-Antibiotika (Penicilline) in der Tuberkulosebehandlung eingesetzt. Gentamycin als Breitbandantibiotikum findet im klinischen Bereich Anwendung bei Infektionen der Haut, Gelenke, Nasenhöhlen, Gehörgänge, Augen und des zentralen Nervensystems. Aminoglycosidantibiotika blockieren die Proteinbiosynthese der Bakterien. In Tabelle 5.10 sind die minimalen Hemmkonzentrationen der einzelnen Antibiotika aufgelistet. Eine Totalsynthese hat nicht nur akademisches Interesse, sondern es waren auch die hier gemachten Erfahrungen über Reaktivität und Stabilität der Moleküle, die eine gezielte Synthese modifizierter Aminoglycoside erst ermöglichten. Die Grundbausteine des Kanamycins C sind 2-Amino-2-desoxyglucose, 3-Amino-3desoxyglucose 21 und 2-Desoxystreptamin. Als Methode bietet sich die KoenigsKnorr-Reaktion an, die ein Pyranosylbromid mit einem Alkohol unter dem Einfluss von Silbersalzen verknüpft. Da alle Untereinheiten polyfunktionelle Moleküle sind, müssen Gruppen, die nicht an der Reaktion teilnehmen sollen, geschützt werden. Welches der beiden möglichen Anomeren entsteht, hängt vor allem davon ab, inwieweit der dem anomeren Zentrum vicinale Substituent in das Reaktionsgeschehen eingreift oder nicht.
5.2 Di- und Oligosaccharide
393
Tabelle 5.9. Struktur der Kanamycine und Gentamycine OH HO
1''
HO
3''
Name Kanamycin A Kanamycin B Kanamycin C Dibekacin Tobramycin
6
HO
O H2N
R1 NH2 NH2 OH NH2 NH2
HO
CH3
Name Gentamycin C1 Gentamycin C1a Gentamycin C2/C2a Gentamycin C2b Sisomycin
R CH3 H CH3 H H
R3 NH2 NH2 NH2 NH2 NH2 H2N
HN
HO O H2N
NH2
3
R2 OH NH2 NH2 NH2 NH2
O
R5 CH2 R1
3' 5'
O
1
OH H3C
O
1'
5''
R3
R4
R2
O
R4 OH OH OH H H 4'
O
CH 5'
O
R’ CH3 H H CH3 H
R5 OH OH OH H OH
NH
R'
R
NH2
4’,5’-Didehydrogentamycin
Die Synthese von Kanamycin C geht aus von 3-Amino-3-desoxy-D-glucose 21. Glycosidierung mit MeOH/H+ und selektive Acetylierung der Aminogruppe mit Acetanhydrid und Anionenaustauscher ergibt die N-Acetylverbindung 22. Anschließend wird das Glucopyranosylchlorid 23 über Abspaltung der Methylgruppe, Acetylierung an C-1 und nucleophile Substitution erhalten. Tabelle 5.10. Minimale Hemmkonzentration (μg/l)
Name Kanamycin A Kanamycin B Tobramycin Gentamycin C1,2 Sisomycin
S. aureus 0,5–2 0,8 0,2 0,1 -
S. faecalis 8–32 2–8 2–8 -
E. coli 3 0,8 0,4 0,2 0,4
Klebsiella-Arten 0,2–2 0,4 0,2 0,2
P. aeruginosa > 100 50 0,4 0,2–1,5 0,2
394
5 Kohlenhydrate OH 6
O
4
HO
H3N
1. MeOH/H+ 2. Anionenaustauscher Ac2O/H2O
+
5
OH 6
21
HO
OH OBn O
4
BnO
BaO
5
HN
1
Ac
6
C6H5CH2Br
O
4
HO
1
5
HN
1
OMe
1. H2O/H+ 2. AcCl/Pyr. 3. HCl/AcOH
OH
22
OBn 6
O
4
BnO
OBn
Ac
OMe
5
HN Ac
1
23
BnO
Cl
Als Ausgangsmaterial für die zweite Teileinheit dient das natürlich zugängliche Paromamin 24. Umsetzung mit Chlorameisensäurebenzylester ergibt, in Anwesenheit einer Base, eine Schutzfunktion an den Aminogruppen (Cbz). Umsetzung mit 2,2-Dimethoxypropan bei 110°C ergibt das Bisketal. Die freie Hydroxygruppe an Position 3' kann nun mit Benzylbromid blockiert werden. Durch Spaltung der beiden ketalischen Schutzgruppen mit Eisessig und Reaktion mit 2,2-Dimethoxypropan bei Raumtemperatur wird das Monoketal 25 erhalten. OH
H2N
1. C6H5-CH2-O-CO-Cl Base
OH
O
OH
HO
O
HO H2N
2. CH3O
NH2
CH3O H+/110°C
Paromamin 24 Cbz H3C
CH3 5
O
O
3'
6'
O O
O
HN
CH3
OH
HN
O 6
NH
CH3
1. C6H5-CH2-Br 2. AcOH
Cbz
Cbz Cbz HN HO HO
HN Cbz
OBn OH
O
OH O
NH
Cbz
CH3O CH3O
/ H+
5.2 Di- und Oligosaccharide Cbz
O
O
CH3
O
HO HO
CH3
OBn
HN
O
25
Cbz
NH
HN
395
Cbz
Im nächsten Schritt werden die beiden Teileinheiten 23 und 25 unter Einsatz von Hg(CN)2 verknüpft. Die Abspaltung der Schutzgruppen zum Kanamycin C erfolgt mit Eisessig (Ketale), Pd/H2 (Benzyl-) und Ba(OH)2 (Cbz-). OBn 6
O
4
BnO
Cbz
+
5
HN
1
Ac
23
BnO
Cl
O
O
O
HO HO
CH3
OBn
HN
O
NH
HN
Cbz
CH3
25
Cbz Hg(CN)2 Benzol / Dioxan (2 : 1) OBn 6
BnO
Cbz O
4
HN
5
HN Ac
1
BnO
O
CH3
OBn O
O
CH3
O
HO
O
HN
80 % AcOH
Cbz
NH
Cbz
OH 6
O
4
HO Pd/H2
Ba(OH)2
H2N
5
H2N
1
HO
HO
O H2N
O
OH O
OH OH
NH2
Kanamycin C
Die Entwicklung resistenter Bakterien-Stämme unter Behandlung mit Aminoglycosidantibiotika erfolgt außerordentlich schnell. Folgende Inaktivierungen sind vor allem von Bedeutung:
396
5 Kohlenhydrate
Phosphorylierung Acetylierung Nucleotidylierung
Nucleotidylierung OH 6
O
4
HO
5''
1
HO
3''
1''
O
1'
5
H2N
OH
R
5'
HO
O H2N
OH
3'
O
R'
NH2
5 3
1
Acetylierung
Nucleotidylierung
Acetylierung
Kanamycin A: R = OH, R' = NH2 Kanamycin B: R = NH2, R' = NH2 Kanamycin C: R = NH2, R' = OH
Der Resistenz-Entwicklung wurde durch die Synthese chemischer Derivate dieser Antibiotika erfolgreich begegnet. Ein vielversprechendes Derivat ist das Dibekacin. OH 6
O
4
HO
H2N
5
H2N
1
HO
O H2N
HO
O
3'
4'
O NH2 NH2
Dibekacin (3',4'-Didesoxykanamycin B)
Abbildung 5.14 zeigt eine technische Synthese, die von Kanamycin B ausgeht. Unter entsprechenden Bedingungen wird bei der Umsetzung des Thio-Boc-esters nur die N-Boc-Verbindung 26 erhalten. Eine Ketalisierung mit Dimethoxycyclohexan ergibt das Monoketal 27, während die trans-ständigen vicinalen 3',4'Hydroxygruppen nicht reagieren. Benzoylierung an den sterisch leicht zugänglichen Hydroxygruppen 2", 3' und Mesylierung an Position 4' ermöglicht nun die intramolekulare Epoxidierung mit NaOCH3 in 28. Abspaltung der Benzoylgruppen ergibt die beiden Sauerstoffanionen 29, wobei das Anion an O-3' intramolekular an C-4' angreifen kann. Erneute selektive Blockierung von O-2" mit Benzoylchlorid und nucleophile Öffnung des Epoxids mit Iodid ergibt Verbindung 30, von der ausgehend eine 3’,4’-Doppelbindung in 31 eingeführt werden kann (Tipson-Cohen-Eliminierung). Die Reaktion des Sulfonsäurechlorids in Pyridin führt zum 3'-Sulfonsäureester. Der Angriff des Pyridins am Iodatom liefert unter Austritt des Sulfonsäureesters die ungesättigte Verbindung. Die Hydrierung unter gleichzeitiger Abspaltung der Schutzgruppen ergibt das Dibekacin.
5.2 Di- und Oligosaccharide
397
OH 6
O
4
HO
H2N
5
H2N
1
HO
Kanamycin B
HO
O
O H2N
OH
OH NH2
O
4
HN
5
HN
1
HO
Boc
HO
O
26
O
HN
OH O
4'
3'
Boc
O 1
O
OH
HN 1
HO
Boc
O
27
HO
4'
O
2''
HN
OMe
NH NH
Boc 5
OMe
OH
Boc
Boc
O
O CH3 S C O C CH3 CH3
N
NH2
Boc
6
HO
OH O
O
OH
NH
HN
NH
C6H5-CO-Cl
Boc
Pyridin/5°C
Boc
Boc
Boc O
O
5
HN
HN
Pyridin
1
BzO
Boc
O
HO
O
O
1
O
CH3-SO2-Cl
O
S
CH3
O NH
NH
HN
O
OBz
Boc
Boc
Boc CH3ONa CHCl3 O
O
5
Boc HN
O
1
O
HN
1
O
Boc
29
O
HO
O
Boc
O
5
1
O
HN
2''
HN
1
HO
Boc
28
O
HO HN Boc
Abb. 5.14. Partialsynthese von Dibekacin
O
S O NH
CH3
H+
Boc
Boc Boc
O
3'
NH
HN
O
O
O
O O NH Boc
NH
C6H5-CO-Cl
Boc
Pyridin
398
5 Kohlenhydrate
Boc O
O
5
O
HN
O
HN
1
BzO
Boc
O
HO
NH
O
NH
HN
Boc
Boc
Boc Boc O
O
5
OH
HN
HN
1
BzO
Boc
O
HO
Pyridin / Δ
NH
O
NH
HN
30
I C6H5-CH2-SO2-Cl
O
1
O
NaI Aceton AcOH AcONa
O
1
Boc
Boc
Boc
CH2-C6H5 O
Boc O
O
5
HN
HN
1
O
Boc
O
HO
O
HN
I NH
NH
Boc
Boc O
5
3'
HN
4'
O
1
60 %
O
HN
1
HO
Boc
O
HO
NH
O
NH
HN
31
N
O
Boc
Boc
O
O
O
1
O
S
Boc
Boc
Boc
OH 6
O
4
Hydrierung
HO
H2N
5
H2N
1
HO
HO
O H2N
Abb. 5.14. Partialsynthese von Dibekacin (Fortsetzung)
O
O NH2 NH2
Dibekacin
5.2 Di- und Oligosaccharide
399
5.2.4 Glucosidaseinhibitoren
Eng verwandt mit den Aminoglucosidantibiotika sind verschiedene Oligosaccharide mit α-Glucosidaseinhibitoraktivität. Hierzu zählen die aus den Mikroorganismen der Gattung Streptosporangium und Actinoplanes isolierten Pseudooligosaccharide, zu denen auch die Acarbose gehört. CH2OH
CH2OH
CH3
CH2OH
O
O
OH H
OH O
O
O
OH
OH
N
OH
H
OH
m
O
H
O OH
Bezeichnung
m
n
Komponente 2 Komponente 3 (Acarbose) Komponente 4 Komponente 5 Komponente 6
0 0 1 2 3
1 2 2 2 2
OH
n
Charakteristisch für diese Inhibitoren ist das Core, das aus einem ungesättigten Cyclitol (Hydroxymethylconduritol-Rest; Valienamin) und einer 4-Amino-4,6didesoxy-D-glucopyranose-Einheit (4-Amino-4-desoxy-D-chinovose-Rest) besteht. Diese Kerneinheit ist mit einer unterschiedlichen Zahl von Glucoseresten verknüpft. Aus Streptomyces dimorphogenes wurden die mit der Acarbose verwandten Trestatine isoliert (Abb. 5.15). Charakteristisch sind hier das zur Acarbose identische Core und die endständige Trehalose. CH2OH
CH2OH
CH3 O
OH
OH
OH
H
OH
O OH
CH2OH
CH3 O
OH
N
HO
CH2OH O
OH
O OH
O
OH
O
OH
O
OH
OH
Trehaloserest
Trestatin A CH2OH
CH3
OH
OH
CH2OH O
Trestatin B
OH OH
O
OH
OH
O OH
OH
O
H
CH2OH
O
OH
N
OH
CH2OH
O
OH
H
O
OH
OH
O OH
OH
O
OH
O OH
CH2OH
O
OH
N
OH
CH2OH
OH
O OH
O
O
OH
OH
Abb. 5.15. Core mit endständiger Trehalose
Wie bereits erwähnt, sind alle diese Verbindungen potenzielle α-Glucosidaseinhibitoren. α-Glucosidasen katalysieren die Hydrolyse α-glycosidischer Bindungen von Oligo- und Polysacchariden je nach Spezifität. Allgemein spalten αAmylasen (EC 3.2.1.1.) als Endoenzyme von innen her einen Amylopektin-
400
5 Kohlenhydrate
Maltoserest ab. Hierbei wird die α-(1→4)-Bindung angegriffen. β-Amylasen (EC 3.2.1.2.) greifen als Exoenzyme die Saccharidkette vom nichtreduzierenden Ende an und spalten jede zweite glycosidische Bindung (jeweils in β-Stellung), wodurch Maltose-Reste freigesetzt werden. γ-Amylasen (Glucoamylase, EC 3.2.1.3.) spalten vom nichtreduzierenden Ende her Glucosereste ab. Für einen vollständigen Abbau von Amylopektin, in dem (1→6)Verzweigungen auftreten, wird allerdings noch ein „Entzweigungs“-Enzym (Debranching-Enzym) benötigt. Die Angriffsorte der Stärke abbauenden Enzyme am Amylopektin können schematisch folgendermaßen dargestellt werden: O O O O O
β -Amylase
α-Amylase α-Amylase
O O O
"Debranching Enzymes"
O O O O O O O O O O O O O O O O O O O
Glucoamylase
α-Amylase
α-Amylase
Diese Enzyme haben im Verdauungstrakt des Menschen eine wichtige Aufgabe für die Nahrungsverwertung. Hierbei wird z. B. Stärke vollständig bis zur Glucose abgebaut. Die aus der α- bzw. β-Amylase-Spaltung erhaltenen Dimeren bzw. Oligomeren werden durch die Maltase in Glucose überführt. Entsprechend spaltet die Saccharase Saccharose in die Monomeren. α-Glucosidaseinhibitoren, wie Acarbose, sind nun in der Lage, intestinale Enzyme, wie Saccharase, Maltase und Glucoamylase, zu inhibieren. Damit gelingt letztendlich eine Senkung des Blutzuckerspiegels bei Diabetikern. Auf Insulin kann jedoch trotzdem nicht verzichtet werden. Acarbose ist bereits im Markt eingeführt. Der Mechanismus der Inhibierung von α-Glucosidasen ergibt sich primär durch die Erkennung von Acarbose als Substrat. Da das Oligomer endständig α-(1→4)verknüpfte D-Glucopyranose-Einheiten enthält, vergleichbar mit der Stärke, wird dieses Substrat vom Enzym erkannt. Zur Inhibierung des Enzyms muss eine Blockierung des aktiven Zentrums stattfinden. Die Reaktion von Amylose mit dem Enzym verläuft über die Deformation eines Glucopyranoserings im aktiven Zentrum. Im nächsten Schritt wird die glycosidische Sauerstoffgruppe protoniert und damit die Kettenspaltung eingeleitet.
5.3 Polysaccharide
401
Das entstehende Carbeniumion wird durch die in der Nähe stehende Carboxylatgruppe stabilisiert. _
OOC
HOH2C O
O
HO
HO A
δ+ O
Glcα1
H
4Glc
Im Falle der Acarbose übernimmt wahrscheinlich der axial angeordnete Stickstoff die Aufgabe des Glycosid-Sauerstoffatoms. Die Cyclitoleinheit entspricht in ihrer Konformation in etwa dem deformierten Glucopyranosering. Die NH-Funktion ist natürlich stärker basisch als der entsprechende Sauerstoff und deprotoniert damit das Enzym. Acarbose simuliert damit den Übergangszustand der Spaltung eines Oligosaccharids. Es wird deshalb auch als „transitionstate-analogue“ bezeichnet. Die Bindung an das Enzym ist allerdings stärker als bei natürlichen Substraten, was letztendlich zu einer Inhibierung führt. So ist z. B. die Affinität von Acarbose für Saccharase 5–6mal höher als für die Saccharose selbst.
-OOC
HOH2C O HO
H3C HO δ+ N HO H A
H
O HO
CH2OH O
HO
O
HO
CH2OH O
HO
O
HO
O
5.3 Polysaccharide Die Polysaccharide werden gelegentlich auch als Homoglycane bezeichnet, wenn sie ausschließlich aus Monosacchariden aufgebaut sind. Weiterhin wird, je nachdem, ob die Polysaccharide aus einem bzw. mehreren Monosaccharidtypen bestehen, zwischen Homo- und Heteropolysacchariden differenziert (Tab. 5.11). In der Natur spielen die Polysaccharide als Gerüst- und Speichersubstanzen eine wichtige Rolle.
402
5 Kohlenhydrate
Tabelle 5.11. Natürliches Vorkommen von Polysacchariden Polysaccharid Homopolysaccharide Bovines Lungengalactan Cellulose
Chitin Curdlan Dextran Xylan aus Espartogras Glycogen Inulin Laminaran Levan Lichenin Lupinengalactan Nigeran Pullulan Pustulan Scleroglucan (Sclerotium) Schneckengalactan Stärke (Amylose, Amylopektin) Hefeglucan Hefemannan Heteropolysaccharide Algin, Alginate Agar-Agar Carrangeenan Chondroitinsäure Gellan Ghatti-Gummi Guar-Gummi Gummi arabicum Heparin Hyaluronsäure Karaya-Gummi Lärchen-Gummi Johannisbrotkernmehl Tamarinden-Gummi Traganth Pektin Xanthan
Vorkommen
Bovines Lungengewebe Bestandteil der Zellwand in vielen Pflanzen, auch in Pilzen, Mikroorganismen und niederen Meerestieren Außenpanzer von Insekten, in Schalentieren und in Pilzen Durch Alcaligenes faecalis im Fermenter Durch Leuconostoc mesenteroides im Fermenter, Lebensmittelzusatzstoff Bestandteil des im Mittelmeerraum wachsenden Espartograses (Stipa tenacissima, Fam. Poaceae) Leber- und Muskelzellen von Tieren und Zellextrakte von Hafer In den Wurzeln von Chicoree, Artischocke usw. In Laminaria-Arten (Braunalgen) Bestandteil von Gras-Spezies Haferextrakt Samen der Weißen Lupine Durch Aspergillus niger im Fermenter, Mycodextran in Pilzen Durch Aureobasidium pullulans im Fermenter In der Flechte Umbillicaria pustulata Durch Sclerotium glucanicum im Fermenter Mucin der Schnecke Helix pomatia Getreide, Knollen vieler Pflanzen wie Kartoffeln, Tapioka, Süßkartoffeln Zellmembranen von Hefe Bäckerhefezellen Algen, Tang Algen, Gracilaria, Gelidium pterocladia Algen Bestandteil von tierischem Bindegewebe, Haut und Knorpel Durch Pseudomonas elodea im Fermenter Exsudate von Anogeissus latifolia Aus der Leguminose Cyamopsis tetragonoloba Exsudate von Acacia-Spezies (Acacia arabica) Gerinnungshemmender Zucker im Blut Bestandteil von tierischem Bindegewebe, Haut und Gelenkflüssigkeit Exsudate von Sterculia-Arten Holz von Lärchen-Spezies Johannisbrotsamen (Carob-Samen; Ceratonia siliqua) Samen von Tamarindus indica Exsudate von Astragalus gummifera Bestandteil der primären Zellwand, weit verbreitet in höheren Pflanzen Durch Xanthomona campestris im Fermenter
5.3 Polysaccharide
403
Interessant ist, dass die unterschiedlichen Eigenschaften ausschließlich auf die unterschiedlichen Bindungsarten der Bausteine zurückgeführt werden können, wie die Beispiele Stärke, Glycogen und Cellulose zeigen. 5.3.1 Homopolysaccharide
Homopolysaccharide bauen sich nur aus einem einzigen Monosaccharidtyp auf (Tabelle 5.12). Entsprechend werden sie nach diesem Grundbaustein bezeichnet: aus Glucose → Glucane, aus Galactose → Galactane. Cellulose ist die pflanzliche Gerüstsubstanz; Baumwolle, Jute und Flachs bestehen praktisch aus reiner Cellulose; Holz enthält (neben Hemicellulosen und Lignin) 40–50 % Cellulose, Gräser etwa 30 %. Die D-Glucosemoleküle sind β(1→4)-glycosidisch miteinander verknüpft. Das Molekulargewicht ist abhängig von der Herkunft; es liegt zwischen 200.000 und 1.000.000 D. OH 4
O HO
OH
O 1
OH
HO O β
OH
O
1
4
β O HO
O
OH
β
HO O
OH O
β O
OH
OH
…..-β-D-(1→4)-Glc-β-D-(1→4)-Glc-ßβD-(1→4)-Glc-β-D-(1→4)-Glc-….. Cellulose ist sowohl in Wasser als auch in praktisch allen organischen Lösungsmitteln unlöslich; sie löst sich jedoch in ammoniakalischer Kupfer-(II)-salzLösung (Schweizers Reagenz). Aus dem dabei gebildeten Komplex lässt sie sich mit verdünnter Schwefelsäure wieder ausfällen. Cellulose besitzt als Zellstoff für die Papierfabrikation große Bedeutung. Tabelle 5.12. Übersicht der Polysaccharide
Name Cellulose Amylose Amylopektin Glycogen Dextran
Typ β-D-Glucan α-D-Glucan α-D-Glucan α-D-Glucan α-D-Glucan
Pullulan Chitin Inulin Xylan
α-D-Glucan β-D-Aminoglucan β-D-Fructan β-D-Xylan
Bindung Vorkommen 1→4 Pflanzen 1→4 Pflanzen 1→4 und 1→6 Pflanzen 1→4 und 1→6 Tiere 1→6, 1→3, 1→4, Bakterien 1→2 1→4 und 1→6 Pullularia-Arten 1→4 Insekten, Krebse, Pilze 2→1 Pflanzen 1→4 Pflanzen
404
5 Kohlenhydrate
Von technischer Wichtigkeit sind auch die Cellulosenitrate, die fälschlicherweise als „Nitrocellulose“ bezeichnet werden und die in der höher nitrierten Form als Schießbaumwolle (rauchloses Pulver) Verwendung finden. Aus der geringer nitrierten Cellulose bildet sich durch Behandlung mit Alkohol und Ether das Kollodium, aus dem durch Verkneten mit Campher das Zelluloid entsteht. Letzteres besaß Bedeutung als Rohstoff für die Filmfabrikation. Hemicellulosen sind ein Gemisch verschiedener Polysaccharide, die bei der Isolierung von Cellulose anfallen. Hierzu gehören Xylan (aus D-Xylose), Mannan (aus D-Mannose) und Galactan (aus D-Galactose). Da Xylose zu den Pentosen gehört, werden die entsprechenden Polymere als Pentosane bezeichnet. 4
O HO
O 1
OH
HO O 4
OH
O
1
O
O HO
OH
HO O
OH O
O
Ausschnitt aus einer Xylankette Stärke ist die pflanzliche Speichersubstanz. Sie entsteht aus Kohlendioxid und Wasser im Verlauf der Photosynthese und lagert sich in Form kleiner Körnchen in den Chloroplasten ab. Zum Transport innerhalb der Pflanze wird die Stärke zu Glucose abgebaut und hieraus wieder an den Depotstellen, wie Wurzeln oder Samen, zurückgebildet. Die Stärke besteht aus zwei Komponenten, dem Amylopektin und der Amylose. Beide bestehen ausschließlich aus D-Glucosemolekülen, die im Falle des Amylopektins zu verzweigten, kurzen Ketten verknüpft sind. Innerhalb der Ketten sind die Glucosemoleküle α-(1→4)-glycosidisch, an den Verzweigungen α-(1→6)-glycosidisch gebunden. Das Molekulargewicht variiert zwischen 200.000 und 1.000.000 D. Dagegen ist die Amylose mit einem Molekulargewicht zwischen 15.000 und 220.000 D wesentlich kleiner; sie besteht aus unverzweigten Ketten von GlucoseEinheiten, die α-(1→4)-glycosidisch miteinander verbunden sind. Entsprechend dem unterschiedlichen Molekülbau sind auch die physikalischen Eigenschaften verschieden. Amylopektin ist in Wasser unlöslich; mit heißem Wasser quillt es lediglich auf und bildet den so genannten Stärkekleister. Dagegen löst sich die Amylose in heißem Wasser kolloid und lässt sich daraus mit Alkohol wieder ausfällen. Die aus der analytischen Chemie bekannte Blaufärbung mit Iod beruht auf der Bildung einer Einschlussverbindung von Iod in die helikale Struktur der Amylose.
5.3 Polysaccharide
4
CH2OH O
O HO
CH2OH 1 4 O α HO O HO HO
Amylose
4 O HO
4 O HO
405
CH2OH O
1 α O HO
α HO O HO
CH2OH O
HO
CH2OH O
CH2OH O
CH2OH 1 α 4 O HO O HO HO
CH2OH 1 α 4 O HO O HO
Amylopektin
1 α HO O HO
α O
1 α O
6 CH
2
O α HO O HO
CH2OH O
HO O
α
Ein weiterer pflanzlicher Reservestoff ist das Inulin, dessen Kette aus β-D(2→1)-glycosidisch verbundenen D-Fructofuranose-Molekülen besteht. Am Ende der Kette steht eine Glucose-Einheit. Kettenlänge bzw. Grad der Polymerisation variieren je nach Pflanzenart, -sorte und Klima, bspw. beträgt der Polymerisationsgrad des Inulins der Zichorie meist 2–50. Inulin ist ein weißes, kaum süß schmeckendes Pulver. Es ist gut hitzestabil, wird aber durch Säuren und zunehmend auf enzymatischem Wege durch Inulasen abgebaut. Ähnlich zur Stärkehydrolyse durch Amylasen erfolgt der Abbau in zwei Stufen: 1. Hydrolyse durch Endoinulinase in niedermolekulares Fructan und 2. Hydrolyse durch endständigen Abbau mittels Exoinulinase in Fructose. Während kurze Inulinketten bei niedrigen Temperaturen besser löslich sind, lösen sich längere Ketten erst in heißem Wasser und fallen beim Abkühlen je nach Konzentration als opake Lösung bzw. als thixotrope, geleeähnliche Masse aus. Großtechnisch wird Inulin aus Zichorie, Topinambur oder Dahlien gewonnen, deren getrocknete Wurzeln bzw. Knollen etwa 80 % enthalten. Inulinpulver besteht zu ca. 90 % aus Fructoseketten, die vom menschlichen Enzymsystem nicht, aber von der Intestinalflora im Colon in kurzkettige Fettsäuren (vor allem Essig- und Milchsäure) abgebaut werden können, sodass es noch einen verwertbaren Energiewert von etwa 1–2 kcal/g besitzt. Diese kurzkettigen Säuren
406
5 Kohlenhydrate
erhöhen die Calciumresorptionsraten. Eine regelmäßige Aufnahme von Inulin führt zu einer markanten Veränderung in der Zusammensetzung der Darmflora, wobei der Anteil an Lactobazillen und der ernährungsphysiologisch erwünschten Bifidus-Population deutlich ansteigt und Fäulniserreger unterdrückt werden. Ein prebiotischer Effekt wird bei einer Tagesdosis von 5 g erreicht. Vorteilhaft ist der Einsatz von Inulin bei einer Zuckerreduzierung in Lebensmitteln, weil es das Mundgefühl mitbringt, das ansonsten beim Zuckeraustausch verloren geht. Fructane sind Reservepolysaccharide, die hauptsächlich von Pflanzen der Familien Poaceae und Asterales, aber auch von Mikroorganismen gebildet werden. Man unterscheidet Fructane des Phlein- und des Levan-Typs. CH2OH O OH HO
HO
HO O H HO
2
OH HO
O
CH2
H
CH2 2
O H HO
5
CH2 O
n
5
CH2OH OH
H
Glycogen stellt den Reservestoff der Tiere dar. Es besteht aus hochverzweigten, aus D-Glucose aufgebauten Ketten; die Molekulargewichte schwanken zwischen 4 und 14 Millionen D. Glycogen wird vor allem in der Leber (bis 5 %), aber auch im Muskel (bis 1 %) gespeichert. Sein Aufbau ist ähnlich dem des Amylopektins; die Ketten sind jedoch noch stärker verzweigt. Glycogen ist trotz der hohen Molmasse wasserlöslich. Im Maiskorn ist ein verzweigtes α-Glucan zu finden, das in seinen Eigenschaften dem Glycogen ähnelt und deshalb als Phytoglycogen bezeichnet wird. Zu den α-D-Glucanen gehören neben Amylose, Amylopektin und Glycogen auch die Dextrane sowie verschiedene extrazelluläre Polysaccharide von Mikroorganismen wie bspw. das Pullulan, welches von Kulturen der Spezies Pullularia pullulans produziert wird. Mikroorganismen des Rachenraumes bauen aus Nahrungsbestandteilen, z. B. Saccharose, einen Dextranfilm auf. Dieser Dextranfilm erleichtert das Wachstum der kariogenen Bakterien und dient ihnen als Nahrungsquelle. Blutplasmaersatz (Plasmaexpander) wird auch aus hydrolytisch abgebauten Dextranen hergestellt.
5.3 Polysaccharide CH2OH
407
O
O HO
1
α - (1 6)-glycosidische Bindung
OH 6
O CH2
O
HO HO
1
OH
CH2OH
4
O HO
O 1
OH
CH2OH
4
O
O HO
1
Maltotriose-Einheit (α - (1 4)-glycosidische Bindung)
OH
O 6 CH
2
n
Pullulan
HO HO
O OH
O
Als im Tierreich (Insekten, Crustaceen) weit verbreitete Gerüstsubstanz verdient das Chitin besondere Beachtung. Chitin kommt ebenfalls in Pilzen als Gerüstsubstanz vor. Hier sind, ganz analog zum Aufbau der Cellulose, N-Acetyl-Dglucosamin-Moleküle zu langen Ketten vereinigt; die Bindung erfolgt β-(1→4)glycosidisch. Chitinpräparate werden zur Abwasserbehandlung sowie zur Herstellung von Kosmetika in Japan eingesetzt. OH 4
O HO
OH
O 1
NHAc
HO O
1
4
NHAc
O OH
O HO
O NHAc
HO O
NHAc O
O
OH
Als weiteres β-D-Glucan kommt in der Braunalge Laminaria das Laminarin vor, das neben β-D(1→3)- auch β-D(1→6)-Verzweigungen aufweist. Lichenan aus der Flechte Cetraria islandica (Isländisch Moos) enthält neben β-D(1→3)- noch β-D(1→4)-Bindungen. Weiterhin ist Chitin Bestandteil der Zellmembran von Pilzen und Grünalgen. Durch partielle Hydrolyse werden die Acylreste abgespalten sowie die Kette teilweise fragmentiert. Als Produkt erhält man das Chitosan. Bei Pektinen handelt es sich ebenfalls um polysaccharidartige Verbindungen; sie kommen im Pflanzenreich weit verbreitet vor und zeichnen sich durch gelatinierende Eigenschaften aus. Chemisch bestehen sie aus (1→4)-glycosidisch verbundenen Galacturonsäure-Molekülen, deren Carboxylgruppen teilweise als Methylester vorliegen; das Molekulargewicht geht bis etwa 200.000 D.
408
5 Kohlenhydrate
O COOMe O HO HO O COOH
O
HO HO O COOMe O HO HO O
amidiertes Pektin
O OH HO
HO O
CONH2 O HO OH
O COOH
O
O OH O COOCH3
Im Pflanzenreich werden Pektine in Früchten, Knollen und Stängeln gefunden. Durch Zugabe von Säuren und in Gegenwart anderer Zucker können Gallerte gebildet werden. Pektine eignen sich daher in der Nahrungsmittelindustrie zur Herstellung von Gelee und Marmelade. Amidierte Pektine sind Pektine, bei denen in der Regel 15–20 % der Carboxylgruppen amidiert sind. Amidierte Pektine sind wesentlich unempfindlicher für pH-Änderungen und Schwankungen in der Calciumkonzentration als die niederveresterten Pektine. Wichtige extrazelluläre Polysaccharide aus Bakterien sind die Dextrane. Es handelt sich hierbei um α-(1→6)-verknüpfte Glucane, welche außerdem α-(1→4), α-(1→3) und α-(1→2)-verzweigt sind. Bedeutung besitzen die partiell hydrolysierten Dextrane als Blutplasmaersatz. Synthetisch können Homopolysaccharide aus den Zuckeranhydriden (Lävoglucosan) durch Polymerisation mit starken Lewissäuren dargestellt werden. Es werden Polymerisationsgrade bis etwa 180 erreicht. O O OBz
HO O
PF5
BzO
OBz BzO
OBz
O OBz
H n
5.3.2 Heteropolysaccharide
Neben den bereits erwähnten, aus gleichen Bausteinen bestehenden Homoglycanen finden sich auch Polysaccharide, die aus verschiedenen Zuckerbausteinen aufgebaut sind. Einige der wichtigsten Heteroglycane sollen hier besprochen werden. Die Hyaluronsäure ist ein saures Heteropolysaccharid, das aus Glucuronsäure
5.3 Polysaccharide
409
und N-Acetylglucosamin aufgebaut ist; das Molekulargewicht beträgt mehrere Mio. D. Das Molekül ist unverzweigt aufgebaut. COOH H COOH H
CH2OH O
O
O
O
H
OH H
H
HO
OH
O
HN
H
HO
OH
HN
O
OH
O
O
CH2OH O
C
C
CH3
O CH3
O
Die Bedeutung der Hyaluronsäure ist vielfältig; so stellt sie einen wichtigen Bestandteil vieler Bindegewebe dar, in der Gelenkflüssigkeit dient sie als Gleitmittel. Sie bewirkt die Änderung der Permeabilität von Zellmembranen und verhindert das Eindringen infektiöser Keime. Gespalten wird sie durch Hyaluronidasen, Enzyme, die weit verbreitet sind und u. a. in Schlangengiften vorkommen. Heparin ist ein geradkettiges Heteropolysaccharid, dessen größter Teil aus Glucosamin und Glucuronsäure besteht, ein Molekulargewicht von 17.000–20.000 D besitzt und stark sauer reagiert. Die saure Reaktion resultiert vor allem aus der Anwesenheit von Schwefelsäurehalbestergruppen. Die antithrombotische Eigenschaft von Heparin (Bindung an AT-III) konnte auf eine spezifische Pentasaccharidsequenz des Moleküls zurückgeführt werden. Eine Synthese dieses Bruchstückes führt damit zu einem niedermolekularen Wirkstoff, der möglicherweise günstigere therapeutische Eigenschaften besitzt. _ OSO3
COO
O
_ OSO3
_ O
OH
OH
HO HN
O _ SO3
_ OSO3
O
O
COO OH
OH OH
HN
O _
SO3
_O
O
O OH
_ OSO3
OH HN
_ SO3
Es hemmt die Blutgerinnung durch Einwirkung auf das Thrombin, wobei das Fibrinogen nicht in Fibrin umgewandelt und die autokatalytische Bildung des Thrombins aus Prothrombin verhindert wird. Heparin selbst wird medizinisch als Antikoagulans verwendet. Industriell kann es aus der Lunge von Schlachttieren gewonnen werden. Das strukturverwandte Heparansulfat (Abb. 5.16), welches ebenfalls extrazellulär vorkommt, sich aber ansonsten an der Oberfläche von Zellen befindet und eine besondere Bindungsaffinität zu Proteinen besitzt, unterscheidet sich von Heparin durch den Anteil der N-Sulfatgruppen, der weniger als 50 % beträgt, während er bei Heparin über 70 % beträgt.
410
5 Kohlenhydrate _
_
OSO3
OSO3
HOOC
O O O
C
O
O
O
HO
OH
_
OSO3
O
O _
HO
OSO3
HN
O
O
HO
HN O COCH3
O_ SO3
n
n
Heparin
Heparansulfat
Abb. 5.16. Schematischer Aufbau von Heparin und Heparansulfat
Chondroitin-4-sulfat ist die Hauptkomponente von Knorpeln und anderen Bindegeweben. Das Dermatan-Sulfat unterscheidet sich vom Chondroitin-4-sulfat nur durch die Inversion der Konfiguration an C5 des β-D-Glucuronats und es bildet sich dadurch ein L-Iduronat. In vielen der zu den Mucopolysacchariden zählenden Glycosaminoglycane kommen geringe Gehalte an Fucose, Mannose, N-Acetylglucosamin und Sialinsäure vor. O O S O O OH O 6 CH2OH C 4 O O O O O HO N OH O C H CH3
Chondroitin-4-sulfat
O O S O O 6 CH2OH 4 O O O O O HO N OH O C C H OH O CH3
Dermatansulfat
Sulfatierte Polysaccharide besitzen auch Bedeutung für die Behandlung von AIDS (Acquired Immune Deficiency Syndrome). Seitdem im Jahre 1981 das erste Mal über AIDS berichtet und danach 1983 das HIV (Human Immunodeficiency Virus) isoliert wurde, steigt die Zahl der Erkrankten stark an. Für HIV-positive Patienten wird daher ein antivirales Chemotherapeutikum verlangt. HIV zerstört das menschliche Immunsystem irreparabel, sodass die Behandlung so früh wie möglich erfolgen muss. Es wird ein Präparat mit geringer Toxizität benötigt, sodass die Applikation an HIV-positiven Patienten vor Ausbruch der eigentlichen Krankheitssymptome erfolgen kann, d. h., das Chemotherapeutikum muss tagtäglich über einen langen Zeitraum, evtl. sogar lebenslang, genommen werden. In der Klinik wurden bisher nur Nucleosidanaloga (z. B. Zidovudin [AZT] s. Kap. 6.1.2.2) eingeführt. Die Wirkung beruht auf der Inhibierung der reversen Transkriptase. Eine weitere antivirale Substanzklasse sind sulfatierte Polysaccharide. Hierzu gehört das aus Seealgen oder Pilzen extrahierte Dextransulfat. Eine weitere Verbindung aus dieser Klasse ist das synthetische Hoe/Bay 946, ein Xylanpolysulfat.
5.3 Polysaccharide
411
Die Verbindung wird aus Xylan, isoliert aus Hemicellulose, durch Umsetzung mit SO3 in Pyridin erhalten. Das Produkt enthält etwa 1,8 Sulfatreste pro Monomer und besitzt ein Molekulargewicht von etwa 6.000 D. O O OSO3Na O O OSO3Na
OSO3Na
O OSO3Na
n
5.3.2.1 Johannisbrotkernmehl, Guar und Tara-Gummi
Johannisbrotkernmehl hat eine bandartige Struktur. Es ist ein Galactomannan einer Leguminosenpflanze. Das Galactomannose-Verhältnis beträgt im Mittel 1:4, sodass etwa 25 % als D-Galactose und 75 % als D-Mannose vorliegen. Die Hauptkette ist aus 1→4-β-glycosidischen Bindungen aufgebaut, wobei kurze Galactoseseitenäste über eine 1→6-α-Bindung verknüpft sind. Es hat eine synergistische Wirkung auf die Gelbildung mit Carrageenanen, Furcellaran und Xanthan. Es wird als Füllstoff für kalorienarme Produkte sowie für Eiscremes, Desserts, Saucen und Teige verwendet. Guar ist ein Polysaccharid aus dem Samen der Leguminose Guarbohne Cyamopsis tetragonoloba), die in Indien, Pakistan und USA angebaut wird. Guar ist ähnlich aufgebaut wie das Polysaccharid des Johannisbrotkernmehls. Die Hauptkette besteht aus 1→4-β-verknüpfter D-Mannose, wobei an fast jedem zweiten Mannosemolekül ein 1→6-α-Galactose verknüpfter Seitenast folgt. Das Molekulargewicht beträgt etwa 22 kDa. Es treten die gleichen synergistischen Wirkungen wie beim Johannisbrotkernmehl auf. Es wird gern in Käse verwendet, um die Syneräse zu unterdrücken. In Eiscreme verhindert es ein Schmelzen bei kurzzeitiger Erwärmung z. B. bei Unterbrechung der Kühlkette. In Dressings und Saucen liegt die zugesetzte Konzentration bei 0,2–0,8 %. Tarakernmehl hat ähnliche Eigenschaften wie die beiden vorher beschriebenen Samenmehle. Es wird aus der Pflanze Taragummi Ceasalpinia tinctoria, die in Peru angebaut wird, gewonnen. Auch hier liegt ein Verhältnis D-Mannose zu Galactose von 4:1 vor und entspricht demnach dem Johannisbrotkernmehl. Mit Xanthan bildet Tarakernmehl ein thermoreversibles Gel aus.
412
5 Kohlenhydrate
HO
CH2OH O
HO
1 α
OH α-D-Glucose O CH2 OH O HO β HO β-D-Mannose
O HO
1
CH2 OH O
β-D-Mannose
m = 3: Carubin m = 1: Guaran m = 2: Tara-Gummi
βO 1 m
n
5.3.2.2 Carrageenane
Carrageenane besitzen eine Doppelhelixstruktur und sind Polysaccharide, die aus Rotalgen gewonnen werden. Der Name kommt von der irischen Küstenstadt Carrageen. Die Alge wird daher auch Irisch Moos genannt. Sie wächst in den Gewässern vor Irland, England, Frankreich und Spanien. Aufgrund des chemischen Aufbaus und der funktionellen Gruppen hat dieses Polysaccharid eine große Quell- und Geliereigenschaft. Die Gele sind nicht säurestabil. Die Grundbausteine sind D-Galactose und 3,6-Anhydro-D-galactose. Es sind z. T. erhebliche Mengen an Sulfatestern vorhanden. Die folgende Abbildung zeigt verschiedene Carrageenane. OH
CH2OH O
O
O
OSO3
OSO3 HO O
OSO3 λ-Carrageenan
O OSO3
O
CH2OH O
O
O OH
O
O R
R = OH : κ-Carrageenan R = OSO3 : ι-Carrageenan
κ-Carrageenan, das mit Kaliumionen assoziiert ist, bildet feste Gele. Wenn es jedoch Natriumionen assoziiert, bleibt das κ−Carrageenan in kaltem Wasser löslich und geliert nicht. Das Polymer ist weitgehend stabil im pH-Bereich größer als 5. Im Käse wirkt es mehr als Emulgator und bei Speiseeis vermindert es das Kristallwachstum. Es wird deshalb auch oft mit Carboxymethylcellulose eingesetzt. Der Sulfatgehalt beträgt etwa 28–35 %. Furcellaran besitzt eine ähnliche Struktur wie die Carrageenane. 5.3.2.3 Agar-Agar
Agar-Agar hat ebenfalls eine Doppelhelixstruktur. Es wird überwiegend an der Küste vor Japan gewonnen. Es kann in zwei Fraktionen aufgeteilt werden: den Agarose-Anteil, ca. 55–60 %, und den Agaropektin-Anteil. Agarose besteht, ähnlich wie das λ-Carrageen, aus β-D-Galactose, die über 1→4-glycosidische Bindung mit einer L-Anhydrogalactose verknüpft ist. Im Unterschied zum λCarrageen weist es keine Sulfatgruppen auf. Teilweise ist die D-Galactose am C6Atom methyliert. Agaropektin besitzt die gleiche Basisstruktur wie Agarose, ent-
5.3 Polysaccharide
413
hält aber 10 % Sulfatgruppen und D-Glucuronsäure. Die Molekularmasse beträgt 5–160 kD. Bemerkenswert ist auch, dass Agarose bei 45°C geliert, während für die Auflösung des Geles eine Temperatur von 90°C notwendig ist. Agargele neigen zur Syneräse und besitzen ein milchiges Aussehen. Die Stabilität der Gele ist stark vom pH-Wert und vom Elektrolytgehalt abhängig. OH OH O O
O
HO
O O
OH O
n
β-D-Galp (1→4) 3,6-Anhydro-α-L-Galp (1→3)
Agarose
5.3.2.4 Alginate
Alginate sind aus D-Mannuronsäure und L-Guluronsäure aufgebaut. Alginate werden aus den Zellwänden von Braunalgen gewonnen. Bisher wurden im Gegensatz zu Pektinen keine gebundenen Neutralsaccharide beschrieben. Die α-(1→4)L-Guluronsäureketten haben eine axial-axial angeordnete glycosidische Bindung, während sie bei β-(1→4)-O-Mannuronsäureketten in äquatorial angeordneten Bindungen vorkommen. Mannuronsäure- und Guluronsäureeinheiten wechseln sich in der Polysaccharidkette ab. Im pH-Bereich von 5–10 sind die Gele stabil. Durch die Zugabe von calciumbindenden Salzen kann das Gel in der Stärke variiert werden. Zwischen Alginaten und Pektinen sind Synergien bei der Gelbildung zu beobachten. Zuerst muss aber mit Säuren die elektrostatische Abstoßung vermindert werden, dabei liegen die Carboxylgruppen nicht mehr protoniert vor. Alginsäureester sind gute Schaumstabilisatoren. O O HO
O
OH C OH O
O O
HO
O
O OH C OH O -4)-β-D-Mannuronsäure-(1-4)-β-D-Mannuronsäure-(1-
C
O
O
HO
O O
C O
HO
C
O OH
OH O
OH
-4)-α-L-Guluronsäure-(1-4)-α-L-Guluronsäure-(1-
Weitere Hydrokolloide wie bspw. Gummi arabicum, Traganth und KarayaGummi besitzen eine komplexe Struktur. Es sei hier auf die Spezialliteratur verwiesen. 5.3.3 Komplexe Polysaccharide 5.3.3.1 Glycokonjugate
Unter Glycokonjugaten werden z. B. Glycoproteine, Glycolipide und Glycophospholipide verstanden (s. Kap. 9.3), die Bestandteile von Zellmembranen sind. Der Oligosaccharidteil ist hierbei verantwortlich für die Zell-Zell-Erkennung und
414
5 Kohlenhydrate
fungiert weiterhin als Rezeptor für Hormone, Viren und Proteine. Im Rahmen der Zell-Zell-Erkennung sind diese Oligosaccharide verantwortlich für die Immunreaktionen. Glycoproteine sind Kohlenhydrat-Protein-Verbindungen, die aus einer oder mehreren Peptidketten bestehen, an welchen Oligo- oder Polysaccharide kovalent gebunden sind. Anfang der 50er Jahre wurde der Oligosaccharidanteil noch als Verunreinigung in der Proteinfraktion angesehen. Erst in den letzten zwanzig Jahren gelang der Beweis der kovalenten Bindung zwischen Oligosaccharid und Peptid. Eine weitere Differenzierung besteht zwischen Proteoglycanen (Mucopolysaccharide) und Glycoproteinen. Beide enthalten als Rückgrat eine Proteinkette, an die bei den Proteoglycanen eine unverzweigte Polysaccharidkette aus alternierenden Hexuronsäuren oder Hexosen und Aminohexosen gebunden sind. In den Glycoproteinen wird die kovalente Bindung zu Heterooligosacchariden ausgebildet. Die Bindung erfolgt z. B. N-glycosidisch an Asparagin (Amidbindung) oder glycosidisch zu Serin oder Threonin. R
N
H
O
N
H O CH2OH O O O
R N
CH2
H
O
N
H
O CH2 CH2OH O O O
R
H
N H
O
N O
H CH2
CH2OH C O O NH
CH3 O
Wichtige Glycoproteine sind vor allem die Immunglobuline und die Glycoenzyme, wie z .B. die Hydrolasen (Ribonuclease). Mucopolysaccharide werden in neutrale und saure Proteoglycane eingeteilt. Saure Mucopolysaccharide enthalten als acide Bestandteile Uronsäuren oder Schwefelsäurehalbester, die an entsprechende Amino- oder Hydroxygruppen der Kohlenhydrate gebunden sind. Hierzu gehören Heparin, Hyaluronsäure und Heparinsulfat. Entsprechend enthalten neutrale Mucopolysaccharide keine aciden Gruppen. Hierzu werden unter anderem auch die Blutgruppensubstanzen gerechnet. Blutgruppe A
Terminales Oligosaccharid D-GalNAc-α(1→3) D-Gal-β(1→3)-D-GlcNAc-β(1→3)…..
B
L-Fuc-α(1→2) D-Gal-α(1→3) D-Gal-ß(1→β)-D-GlcNAc-β(1→3)…..
0
L-Fuc-α(1→2) L-Fuc-α(1→2)-D-Gal-β(1→3)-D-GlcNAc-β(1→3)…..
5.3 Polysaccharide
415
Die Blutgruppenspezifität wird durch bestimmte Endgruppen hervorgerufen, z. B. für die Blutgruppe B die Galactose. 5.3.3.2 Zellwandpolymere
Der Aufbau der Zellmembran unterscheidet sich bei grampositiven und gramnegativen Bakterien. Die entsprechenden Bakterienklassen werden nach ihrer GramFärbung differenziert. Nach der Anfärbung der Zellwand mit Karbolgentianaviolett und Iodlösung sowie der Behandlung mit Alkohol bleibt der Farbkomplex bei grampositiven Bakterien bestehen, während er bei gramnegativen Bakterien ausgewaschen wird. Der unterschiedliche Aufbau der beiden Bakterienklassen ist in Abb. 5.17 schematisch dargestellt. Ein wesentlicher Unterschied ist die Polarität der äußeren Schicht. Bei grampositiven Bakterien ist diese hydrophil, bei gramnegativen ist sie lipophil. grampositiv
Zellwände aus Teichonsäure, Polysacchariden und Peptidoglycanen Plasmamembran Cytoplasma
gramnegativ
Schicht aus Lipopolysacchariden, Phospholipiden und Proteinen Peptidoglycan Plasmamembran Cytoplasma
Abb. 5.17. Aufbau grampositiver und gramnegativer Zellwände
Die feste Matrix in der Zellwand wird durch Peptidoglycan (Murein) gebildet. Bei den Mureinen handelt es sich um sehr große, komplex aufgebaute Makromoleküle. Grundbaustein ist ein Disaccharid aus N-Acetylglucosamin, das β-(1→4)verknüpft ist mit N-Acetylmuraminsäure (Muraminsäure ist der 3-Ether des Glucosamins mit Milchsäure). Diese Polysaccharidketten sind über kurze Peptide miteinander quervernetzt, z. B. Peptidoglycan aus S. aureus:
416
5 Kohlenhydrate OH O O
OH
OH O O NHAc
O H3C
O CH
NHAc O
C NH L-Ala D-Gln L-Lys
Gly
Gly
Gly
Gly
Gly
NH
D-Ala.....(nächste Kette)
D-Ala C
O
R
Die Quervernetzung wird durch eine Transpeptidase gebildet. Diese Transpeptidase ist der Angriffspunkt von Penicillin, das damit den Aufbau der bakteriellen Zellmembran inhibiert (s. Kap. 4.2.3.1.1). Strang 1
Gly
NH2
+
Strang 2
Angriff durch Penicillin
Strang 1
Gly
D-Ala
D-Ala
COO-
Transpeptidase
Strang 2
D-Ala
+
D-Ala
Teichonsäuren sind Polymere, die in der Hauptkette Glycerineinheiten enthalten, die über Phosphorsäureester verknüpft sind. An den freien Hydroxygruppen der Zucker (Galactose) sind esterartig Alanin oder Zuckerreste gebunden. Schematisch ist die Kette folgendermaßen aufgebaut: O CH2 CH
Zucker CH2 O
O P
O O
CH2 CH
Zucker CH2 O
O
Ein Beispiel ist das Zellwandpolymer aus Bacillus licheniformis.
5.3 Polysaccharide
417
OH HO
O O OH
O HO
O
P O
HO O
O O OH
O HO
O
H
OH
P O
OH
HO O
O O OH
HO
H
n
OH OH
Es werden aber auch andere Grundtypen gefunden, wie z. B. im Zellwandpolymer aus Staphylococcus lactis. Hier ist die Grundeinheit N-Acetylglucosamin-1phosphat. Teichonsäuren sind auch verantwortlich für die immunogenen Eigenschaften von Bakterien. _ OSO3
O
OH
O
P
HO
O
O
O O
OH
O
OH HO
NHAc
O
P O NHAc
O
OH
OH
HO n
P O
OH
OH
NHAc
Lipopolysaccharide in gramnegativen Bakterien, wie z. B. Salmonella-Arten, bedingen deren Oberflächeneigenschaften und deren serologische Reaktion. So führt die Injektion von Salmonella-Lipopolysacchariden in Tieren zu einer heftigen Immunreaktion, verbunden mit Fieber. Die Lipopolysaccharide bestehen aus der O-Antigen-Region, die sich aus wiederholenden Oligosaccharidelementen aufbaut, dem „Core“ (Kernpolysaccharid) und dem Lipid A. O-Antigen
Core
Lipid A
Der terminale Zucker der Core-Region ist die 3-Desoxy-2-oxo-D-mannooctansäure (KDO), an die das Lipid A über die 6'-Position glycosidisch gebunden ist. Durch milde Hydrolyse kann diese Bindung gespalten werden. CH2OH HO O COOH
OH
KDO
OH OH
418
5 Kohlenhydrate
Lipid A, ein Glycophospholipid, ist verantwortlich für die meisten immunbiologischen Aktivitäten. Neben seiner hohen Toxizität zeigt es immunstimulierende Eigenschaften. Die Lipide A einer großen Anzahl gramnegativer Bakterien zeigen strukturelle Ähnlichkeiten. Als Beispiel ist das aus Salmonella minnesota isolierte Lipid A dargestellt (Abb. 5.18). H H
+
N
H
HO
O OH
OH
O
O
P O
O
O O C
O OH
O NH HO C
O O CO
O O
O C
O O CO
HN C
O O
P O
H
O O
P O
+
O
N
H
H
O CO
Abb. 5.18. Lipid A aus Salmonella minnesota
5.3.4 Immunstimulation aus bakteriellen Zellwänden
In den letzten Jahren konnte die Bedeutung von Kohlenhydratderivaten als Immunstimulanzien eindrucksvoll bewiesen werden. Besonders hervorzuheben sind hierbei die Bestandteile von bakteriellen Zellwänden. Wie bereits erwähnt wurde, ist gerade der Oligosaccharidteil der Zellwandpolymere verantwortlich für die Zellerkennung und damit für die Immunreaktion. Diskutiert werden sollen immunstimulierende Zellwandglycokonjugate, wie z. B. Glycopeptide aus Peptidoglycanen und Glycolipide aus Lipopolysacchariden. Dies sind Fragmente der bakteriellen Zellwand, die noch eine Stimulation der Immunabwehr bewirken sollten, ohne jedoch entsprechende Nebenwirkungen zu
5.3 Polysaccharide
419
haben. Wie bereits beim Lipid A diskutiert, zeigt dieses Fragment außer einer immunstimulierenden Wirkung auch eine hohe Toxizität. Eine immunogene Wirkung kann auch durch Teichonsäuren hervorgerufen werden. 5.3.4.1 Glycopeptide
Muramyldipeptid (MDP) ist die kleinste sich wiederholende Einheit der Zellwand von grampositiven Mycobakterien. Es bewirkt die Stimulation von Antikörpern und vergrößert eine nichtspezifische Resistenz gegen verschiedene pathogene Mikroorganismen. Weiterhin wurde eine Wirkung gegen Tumore beobachtet. Als Nebenwirkung ist vor allem die Pyrogenität (Fieberreaktion) zu nennen. OH HO
O O
MDP: R = H Murabutid: R = Butyl
HN OH Ac O
CH3
N
N
H3C
H
H
O
L-Ala
COOR
CONH2
D-isoGlu-NH2
Ein breit angelegtes Derivatisierungsprogramm führte zum Murabutid, das als erster Wirkstoff dieser Verbindungsklasse die Klinik erreichte. Hier gelang die Erhaltung der immunologischen Wirkung bei deutlich geringerer Toxizität. 5.3.4.2 Glycolipide
Eine einfache Enttoxifizierung des Lipids A aus Salmonella typhimurium gelingt durch Umsetzung mit Säure zu einem Glycolipid mit Wirkung auf das Immunsystem.
420
5 Kohlenhydrate OH
O O
P O
O
O O C
O
O NH HO C
OH H+
Lipid A
O OH
O O
O C
O OH
HN C
O O
P
O
O
OH
Eine deutliche Trennung von toxischen und immunstimulierenden Eigenschaften zeigt sich für das Lipid X, das aus Mutanten eines E. coli-Stamms isoliert werden konnte. Hierbei handelt es sich um ein Monosaccharid, also um ein einfaches Glycolipid. OH HO
O O C
O
CH2 HC
OH
(CH2)10 CH3
HN C
O PO3H2 O
CH2 HC
Lipid X
OH
(CH2)10 CH3
5.3.5 Synthese von Teichonsäuren
Teichonsäuren sind aufgrund ihrer Antigeneigenschaften interessant für die Herstellung von synthetischen Impfstoffen. Die Herstellung von oligo- bzw. polymeren Zuckern mit einer analogen Festphasensynthese, wie bei der Peptid- und DNA-Synthese beschrieben, würde eine optimale Lösung des Problems darstellen. Diese Möglichkeit steht aber noch nicht zur Verfügung.
5.3 Polysaccharide
421
Da aber die Monomeren der Teichonsäure über Phosphorsäureester verknüpft sind, kann dieses synthetische Problem in Analogie zur DNA-Synthese behandelt werden. Als Beispiel ist die Synthese der Teichonsäure aus Bacillus licheniformis dargestellt. Abbildung 5.19 zeigt die Herstellung der benötigten Monomereinheit ausgehend von Tetraacetylbromgalactose und 3-O-Allylglycerin. Silbercarbonatkatalysierte Glycosidierung ergibt, bedingt durch die höhere Reaktivität der primären gegenüber der sekundären Hydroxygruppe, regioselektiv das β-(1'→1)Glycosid 1a. Im nächsten Schritt müssen nun die geeigneten Schutzgruppen eingeführt werden. Umsetzung von 1a mit Benzyloxymethylchlorid (BOM-Cl) ergibt 1b. Deacylierung mit NaOMe liefert 1c und die Möglichkeit, mit Dimethoxytritylchlorid (DMTrCl) selektiv die primäre Hydroxygruppe an C-6 in 1c zu schützen. Acetylierung der verbleibenden drei Hydroxygruppen mit Acetanhydrid in Gegenwart von 1,5-Cyclo-octadien-bis-(methyldiphenylphosphin)-iridiumhexafluorophosphat isomerisiert gleichzeitig die Allylgruppe in die trans-Prop-1enyl-Gruppe zu 1e. Diese kann mit HgCl2/HgO abgespalten werden, ohne Nebenreaktionen an der DMTr-Gruppe zu verursachen. Man erhält so Verbindung 1f, in der der primäre Alkohol der Glycerineinheit ungeschützt ist und in der eine leicht abspaltbare Gruppe (DMTr) an C-6 steht. OAc AcO 4
OR4
O
HO
OAc 3
1
2
+
Br
R3O
O O OR3
HO O
OR1
OAc BOM-Cl MeONa DMTrCl Ac2O-Iridiumkomplex HgCl2 - HgO
R2O
1
OR3
1a: R1 = Allyl
R2 = H
R3 = R4 = Ac
1b: R1 = Allyl
R2 = BOM
R3 = R4 = Ac
1c: R1 = Allyl
R2 = BOM
R3 = R4 = H
1d: R1 = Allyl
R2 = BOM
R3 = Ac
R4 = DMTr
1e: R1 = Propenyl R2 = BOM
R3 = Ac
R4 = DMTr
R2 = BOM
R3 = Ac
R4 = DMTr
1f: R1 = H
Abb. 5.19. Darstellung der Monomereinheit von Oligosacchariden
Für die Festphasensynthese muss nun das Monomere an einen polymeren Träger gebunden werden. Hierzu wird 1f mit Bernsteinsäureanhydrid zu 2 umgesetzt und dann an den polymeren Träger, (Pharmacia NH2-Monobeads) mit Diisopropylcarbodiimid und 1-Hydroxybenzotriazol zu 4a gekoppelt. Die Einführung der Phosphordiesterbindung gelingt durch Umsetzung von 1f mit Chloro-2cyanoethyl-N,N-diisopropylphosphoramidat zu 3. Mit einem DNA-Synthesizer und einer analogen Sequenz (s. Kap. 6.3.4) gelingt nun die Kettenverlängerung. Zuerst wird in 4a mit Trichloressigsäure die DMTr-Gruppe zu 4b abgespalten.
422
5 Kohlenhydrate
Umsetzung des Polymeren 4b mit 3 in Gegenwart von Tetrazol ergibt nach Oxidation das Dimer 5 (mit n = 0). Die Wiederholung dieser Sequenz führt dann zu den entsprechenden Oligosacchariden (Abb. 5.20). OR4 R3O
OR4
O O OR3
R2O
Et O
Et
N
R3O
1f
O O OR3
R2O
O-(CH2)2-CN
P
O O
OR3
2
OR3
C (CH2)2
3 R4 = DMTr
COOH OR4
4a: R4 = DMTr 4b: R4 = H
R3O
O O OR3
R2O
O O
OR3 O 1. Kopplung 2. Oxidation
OR4 R3O
O O OR3
C
N H
O R2O
O
P O
OR3
C (CH2)2
R3O O OR3 R
O O
O R2O
O
P O
OR3
n
R3O O OR3 R
O O R2O O OR3
5
R2 = BOM, R3 = Ac, R4 = DMTr, R = CH2CH2CN
C
O
(CH2)2 O
C
N H
Abb. 5.20. Festphasensynthese von Teichonsäuren
Literatur Empfohlene Monographien
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Übersichtsartikel und Originalarbeiten
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424
5 Kohlenhydrate
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6 Nucleoside, Nucleotide und Nucleinsäuren
6.1 Nucleoside in der DNA und RNA Unter Nucleosiden versteht man N-Glycoside bestimmter heterocyclischer Verbindungen, der Nucleobasen. Zu den wichtigsten Nucleosiden gehören die Bestandteile der Nucleinsäuren. Hierbei handelt es sich um N-Riboside bzw. N-2'Desoxyriboside von Pyrimidin- und Purinderivaten. Uracil, Thymin und Cytosin leiten sich vom Pyrimidin-, Adenin und Guanin vom Purin-Grundkörper ab. Pyrimidin-Grundkörper: O 4 3
2
H
5
N
6
N
R
N N
O
1
NH2 N N
O
H
Pyrimidin
H
Uracil: R = H Thymin: R = CH3
Cytosin
Purin-Grundkörper: 6 1
5
N
2
NH2
7
N 8
N
4
3
Purin
N
9
N N
H
O N
H
N
H2N
H
Adenin
N
N N
N H
Guanin
Das Vorkommen der Pyrimidin- und Purinbasen in Lebensmitteln ist Tabelle 6.1 zu entnehmen. Vom Organismus werden die Purine in Form von Harnsäure (2,6,8Trihydroxypurin) mit dem Harn ausgeschieden. Bei Auftreten von Gicht und Harnsäuresteinen infolge von Störungen des Purinstoffwechsels oder der Harnsäureausscheidung dürfen keine purinkörperreichen Lebensmittel wie Fleischextrakte, Bries, Leber, Lunge, Milz, Nieren, Zunge, Wild, Geflügel, Fische, Hefe, Pilze,
426
6 Nucleoside, Nucleotide und Nucleinsäuren
Tabelle 6.1. Vorkommen der Pyrimidin- und Purinbasen in Lebensmitteln Base Pyrimidinbasen Uracil
Thymin Cytosin Orotsäure
4-Acetyl-2-methylpyrimidin Argpyrimidin Allithiamin Isowillardiin 2,4-Diamino-5,6dihydroxypyrimidin Glycoside Thymidin Orotidin Pseudouridin C Purinbasen Purin Adenin
Guanin
Xanthin
Hypoxanthin Weitere Purine 6-Amino-9H-purinpropanylsäure Eritadenin
1-Methylguanin 2,6,8-
Vorkommen und Verwendung bzw. Wirkung
In freiem Zustand aus Mutterkornextrakten isoliert, Bestandteil der Ribonucleinsäuren (RNA), 2-Thiouracile werden als Thyreostatika verwendet Bestandteil der Nucleinsäuren (DNA) Bestandteil der Nucleinsäuren (DNA, RNA) Wurde aus Milch isoliert; ist in Milch (7 mg/100 ml), Leber und Hefe reichlich vorhanden; besitzt als Vorstufe der Pyrimidinnucleotide große biochemische Bedeutung, besitzt eine Wirkung als Bau- und Schutzstoff von Leberzellen, verbessert das Lernvermögen (positive Wirkung auf RNA-Stoffwechsel des Gehirns), senkt den Harnsäurespiegel Aromastoff in gekochtem Fleisch In Bier In Knoblauch, fleischiges Aroma in Lebensmitteln, besitzt Vitamin B1-Aktivität In den Samen der Gemüseerbse (Pisum sativum) Alkaloid aus der unreifen Frucht der Bittermelone (Momordica charantia) In den Keimlingen der Kidney-Bohne (Phaseolus vulgaris), verursacht im Versuch u. a. teratogene Effekte In der Kidney-Bohne (Phaseolus vulgaris), In Samen der Kichererbse (Cicer arietinum) Bisher in der Natur in freier Form nicht gefunden Als freie Base in Hefe, Zuckerrüben, Hopfen, Tee und Steinpilzen, in Nucleosiden, Nucleotiden, Nucleinsäuren und Coenzymen, wirkt blutdrucksenkend und schützt die Leber, wirkt bei längerer Verabreichung in Nierenkanälchen toxisch Kommt in der Natur selten als freie Base vor, z. B. wird der Glanz der Schuppen und der Haut von Fischen durch Guanin hervorgerufen, in pflanzlichen und tierischen Organismen in Nucleosiden, Nucleotiden, Nucleinsäuren Kommt in geringen Mengen in Pflanzen (Zuckerrüben, Erdnusskerne, Kartoffeln, Kaffeebohnen) vor, in schwarzem Tee zusammen mit Coffein, in Muskel, Blut, Leber und Harn von Tieren In Muskel, Blut, Harn (insbesondere bei Leukämie), Bestandteil der Nucleinsäuren Im Shiitake-Pilz (Lentinus edodes) Im Shiitake-Pilz (Lentinus edodes): ca. 71 mg Eritadenin je 100 g Trockensubstanz (Tr.-S.) In Chinakohl (Brassica chinensis) und anderen Pflanzen In Fleischprodukten und Hefe
6.1 Nucleoside in der DNA und RNA Base Trihydroxypurin Harnsäure
Inosin Purinalkaloide Theophyllin und Coffein
427
Vorkommen und Verwendung bzw. Wirkung
(1,3,9-Trimethylderivat des 2,6,8-Trihydroxypurins) In gerösteten Kaffeebohnen und in Instantkaffee, nicht in grünen Kaffeebohnen In Fleischextrakt und Zuckerrüben, in Kabeljau ca. 500 mg Inosin je 100 g Frischsubstanz (Fr.-S.), in Karpfen ca. 460 mg In freier Form in schwarzem Tee, Mate, Kakao, Kaffee und Colanuss, Bestandteil von DNA, RNA, Nucleotiden und Nucleosiden
Hülsenfrüchte, Kohlrabi, Blumenkohl, Sellerie, Spargel, Spinat sowie Alkohol verzehrt werden. Beschränkt erlaubt sind Kaffee, Kakao, Schokolade, schwarzer Tee, Mate und leichte, naturreine Weine. Bei der thermischen Behandlung wie Braten oder Kochen verändern sich die Puringehalte und Bindungen in Nucleinsäuren von Fleisch und Fleischwaren. Einerseits nehmen die Absolutgehalte infolge Molekülspaltungen und Übertritt in die Brühe oder den Bratensaft ab, andererseits erhöht sich der Gehalt an niedermolekular gebundenen Purinbasen durch Teilhydrolyse von Nucleinsäuren. Zum Verständnis für die Ausbildung von Wasserstoffbrücken und zur Vorhersage von Reaktionen müssen die möglichen tautomeren Formen der Nucleobasen berücksichtigt werden. Im elektronischen Grundzustand unter physiologischen Bedingungen (wässrige Lösung, pH 7) sind die Lactamform und die Aminform die thermodynamisch stabilsten. H
O
N
C
OH N
Lactam
N
C
Lactim
NH2
H
NH
C
N
C
Amin
Imin
Durch chemische Reaktion kann natürlich die Nebenkomponente abgefangen werden, womit sich das Gleichgewicht in diese Richtung verschiebt, z. B. O H O
O (CH3)3SiX
N N
Si(CH3)3
N (CH3)3Si
O
N
H
Hauptnucleoside der Ribo- bzw. Desoxyribonucleinsäuren sind:
428
6 Nucleoside, Nucleotide und Nucleinsäuren NH2
O H
N
HO
O CH2
N HO
O
4'
O CH2
N N HO
O
O CH2
CH3
N N O
1' 3'
2'
HO
OH
HO
Cytidin (C)
N
H
N
H2N HO
O
HO
HO
Thymidin (dT)
O
N N CH2
OH
Uridin (U)
NH2
HO
O H
OH
N CH2
HO
Adenosin (A)
N
N
N O
OH
Guanosin (G)
Pyrimidinnucleoside werden mit den Anfangsbuchstaben der Basen und der Endung „-idin“, Purinnucleoside mit der Endung „-osin“ bezeichnet. Die aus der DNA isolierten Nucleoside sind 2-Desoxynucleoside und werden dementsprechend als Desoxycytidin (dC), Desoxyadenosin (dA) etc. bezeichnet. Eine Ausnahme hiervon bildet das Thymidin, das ein Desoxyribonucleosid ist und deshalb auch mit dT abgekürzt wird. Neben diesen Hauptnucleosiden werden noch zahlreiche seltene Nucleoside in der DNA bzw. RNA vorgefunden. Es handelt sich hierbei vor allem um methylierte Purine und Pyrimidine. Besonders in der t-RNA werden bis 10 % seltene Nucleoside gefunden, wie z. B. Thiouridin und Pseudouridin. Im Pseudouridin liegt eine C-glycosidische Bindung vor. O H
HO
O CH2
HO
N
S N
H
H
HO
O
OH
Pseudouridin
O CH2
HO
N N O
OH
Thiouridin
6.1 Nucleoside in der DNA und RNA
429
Die Basen in den Nucleosiden zeigen eine Rotation um die C-N-Bindung. Das H-2' stellt hierbei eine Rotationsbarriere dar, sodass entsprechende Rotationskonformere vorliegen. O H
HO
O CH2
O
N
N N HO
O
CH2
N
H O
O
1' 2'
HO
syn
OH
HO
anti
O
H
NH2
NH2
N
HO
N CH2
HO
N
N
N
N HO
O
syn
OH
CH2
N N
O
HO
anti
O
H
Die Hauptnucleoside liegen sowohl im kristallinen Zustand als auch in Lösung in der anti-Konformation vor. Diese wird unter anderem bei den Ribose enthaltenden Vertretern durch die Wasserstoffbrückenbindung zwischen OH-2' und N-3 im Purinsystem bzw. OH-2' und O-2 im Pyrimidinsystem stabilisiert. 6.1.1 Chemische Synthese von Nucleosiden
Die Pyrimidinbasen können durch Kondensation von Amidinen (z. B. Guanidin), Harnstoff oder Thioharnstoff mit einer entsprechenden C-3-Einheit unter basischen Bedingungen erhalten werden. O NH2 H3C
S
C NH
+
O R
EtO HO
Base
H
Methylisothio- Enolform des harnstoff Formylessigesters
H CH3S
O R
N N
H+
H O
R
N N H
Uracil: R = H Thymin: R = CH3 Fluoruracil: R = F
430
6 Nucleoside, Nucleotide und Nucleinsäuren
Cytosin kann aus Uracil hergestellt werden. Die direkte Addition von Ammoniak ist aber nur nach vorheriger Umsetzung zum Dithiouracil möglich. O H
S
O
H
P4S10
N N
NH2 NH3
N
S
H
H2O/H+
N
N
NH2
N
S
H
N O
N
H
H
Guanin wird ausgehend von Guanidin und Cyanessigsäureester über ein Pyrimidinderivat erhalten. O
O
H2N
H
EtO
NH2
NC
H2N
NH2
N
O H
[H]
H2N
N
NO
N
H2N
NH2
N
O NH2
N
H
HNO2
N
+
NH
O
H
HCOOH
NH2
N
N
H2N
Guanin N
N
H
Erwähnenswert ist die Bildung von Adenin aus Blausäure durch UVBestrahlung. Diese abiogene Synthese könnte Hinweise auf die Entstehung von elementaren Bausteinen für das Leben geben, wie sie in der Uratmosphäre abgelaufen sind. Blausäure entsteht in dem von Miller entwickelten Experiment durch Bestrahlung einer Uratmosphäre (Methan, Ammoniak, Wasser und Wasserstoff).
bzw.
CH4
+
NH3
HCN
+
3 H2
CO
+
NH3
HCN
+
H2O
Ein weiterer Weg der abiogenen Synthese von Adenin ist über das Aminocyanoimidazol vorstellbar. NH2 NC HCN
+
N
NH3 H2N
N
HCN
N
N N
H
N H
Adenin
6.1 Nucleoside in der DNA und RNA
431
Die Nucleoside lassen sich aus den entsprechend geschützten Halogenzuckern und der Nucleobase aufbauen. Um Nebenreaktionen zu vermeiden und um die Löslichkeit in organischen Lösungsmitteln zu gewährleisten, wird die Nucleobase mit Schutzgruppen versehen. Peracylribofuranosylhalogenide ergeben Lewissäure-katalysiert durch den Nachbargruppeneffekt hierbei vor allem das β-Anomere, während mit Desoxyribofuranosylhalogeniden ein größerer Anteil an αAnomerem gebildet wird (s. Kap. 5.1.2.6). O H
N N
O
H
CH3
(CH3)3Si-NH-Si(CH3)3
O H
AcO
CH2
O Cl
+
OAc OAc
H3C
CH3
Si CH3 CH3
N
Si O
N
CH3
H
AcO
O CH2
Lewissäure
CH3
N
CH3 O
Si CH3
N O
OAc OAc
Abspaltung der Schutzgruppen
Uridin
Moderne Methoden greifen auf das Potenzial der Silylchemie zurück. Hierbei werden keine Halogenzucker, sondern die entsprechenden 1-O-Acyl-Verbindungen eingesetzt. Anstelle der Lewissäure-Katalysatoren werden die sehr aktiven Trimethylsilylperchlorat bzw. -perfluoralkansulfonate eingesetzt. Der Vorteil dieser Katalysatoren, im Vergleich zu Zinn-IV-chlorid, liegt in ihrer geringen Lewis-Acidität. Somit wird durch den Einfluss von Trimethylsilyltriflat als starkem Elektrophil direkt der Carbonylsauerstoff angegriffen. Hierbei bildet sich das Acyloxoniumion. Da das Silyltriflat aber kaum Tendenz zeigt, mit der heterocyclischen Pyrimidin-Base zu reagieren, kann der Heterocyclus nun in einfacher Weise das Kohlenhydratcarbeniumion angreifen.
432
6 Nucleoside, Nucleotide und Nucleinsäuren Si(CH3)3
O N (H3C)3Si
X
+
H3C
Si(CH3)3 O BzO
CH2
C
O
O
Si CH3
CH3
C
O
+
X - H3C-CO-OSi(CH3)3
O CH2
O
OBz OBz
CH2
+ (CH3)3SiX
Si(CH3)3
HCO3H2O
- (CH3)3SiX O
OBz
O + X C6H5 O
O H
N
BzO
C6H5
N
BzO
N
CH3
CH3
O OBz O
Si O
X
H3C
N
CH3
- (CH3)3SiX
N
O
Si(CH3)3
O
BzO
O CH2
N N O
Bz = C6H5-CO X = F3C-SO2-O (Tf)
OBz OBz
Tribenzoyluridin
Die Reaktion der entsprechenden 2-Desoxyzucker führt auch bei dieser Methode zu einem α- und einem β-Anomeren. Anstatt der O-Acyl-Verbindungen können auch die O-Alkyl-Verbindungen (Acetale) eingesetzt werden. Als Lösungsmittel eignet sich vor allem Acetonitril. Auch Purinnucleoside sind nach dieser Methode zugänglich. Ein silyliertes Purin wird mit einer O-Acylribose in Gegenwart von Trimethylsilyltriflat umgesetzt. Primär bildet sich an N-1 ein σ-Komplex, gefolgt von der Desilylierung an N-9. Der Angriff der Base am Carbeniumkation kann nun von N-3 oder N-9 ausgehen. Es ist möglich, dass sich primär das N-3-Glycosid kinetisch kontrolliert bildet. Dieses lagert sich aber in das thermodynamisch stabilere N-9-Glycosid um. Die Abspaltung der Schutzgruppen mit Ammoniak ergibt Adenosin.
6.1 Nucleoside in der DNA und RNA (CH3)3Si
Bz
N
(CH3)3Si (CH3)3SiTf
N
N
(CH3)3Si
N
Bz N
+
N
N
N
(CH3)3Si
Bz BzO N
N
CH2
O
CF3
N OBz
N
Bz
(CH3)3Si N
N N
BzO
O
NH2 N
N CH2
O
N
N
N HO
N CH2
N O
CH3OH/NH3
Umlagerung OBz OBz
C6H5
O
Bz
N
N
N
SO2 O O +
+
(CH3)3Si
CH2
Si(CH3)3
N
N
BzO
(CH3)3SiTf
N
N
Si(CH3)3 (CH3)3Si
433
OBz OBz
OH
OH
6.1.2 Nucleosid-Antimetabolite
Unter Antimetaboliten versteht man strukturelle Analoga von essenziellen Metaboliten. Aufgrund der Ähnlichkeit mit den Nucleosiden, denen eine konkrete Aufgabe im genetischen Code oder bei der Proteinbiosythese zukommt, können sie als Enzyminhibitoren fungieren oder an Stelle der natürlichen Nucleoside in die DNA oder RNA eingebaut werden. Ein Zugang zu diesen Antimetaboliten ist aus natürlichen Quellen, z. B. durch gezieltes Screening in Kulturfiltraten von Mikroorganismen möglich oder durch gezielte chemische Synthese. Natürlich vorkommende Antimetabolite dienen als „Leads“, um weitere verwandte Verbindungen herzustellen. Therapeutisch werden die Antimetabolite gegen Bakterien, Viren und Tumore angewendet. 6.1.2.1 Natürliche Antimetabolite
Die natürlichen Nucleosidanaloga können im Basenteil, im Zuckerteil oder in beiden variiert sein. So ist Pentostatin verwandt mit dem Adenosin. An Stelle des
434
6 Nucleoside, Nucleotide und Nucleinsäuren
Adeninteils wird ein Tetrahydroimidazol-(4,5-d)-(1,3)-diazepin-System gefunden. 2-Chlorpentostatin besitzt als zusätzliche Variation die 2'-Chlorgruppe; es ist aktiv gegen Viren. OH
OH N
H
N
N
HO
H CH2
O
OH
H2N HO
O
O
OH
Pentostatin aus Streptomyces antibioticus
Oxetanocin aus Bacillus megaterium
R HO
N
OH
N CH2
N O
OH
Quevosin: R = CH2 NH Bestandteil der t-RNA Cadeguomycin: R = COOH aus Streptomyces-Arten
OH H3C
NH2 N
HO
N
N HO
OH
2-Chlorpentostatin aus Actinomyceten H
CH2
Cl
O
N
N
HO
N
N
N
N
N
NH2
CH3
N
N
N
N CH2
N HO
O
OH
N CH2
OH
Tubericidin aus S. tubericidus
O H
N HO
O
NH
OH
N O
OH
O NH2
O CH2
N
OMe
OH
Showdomycin aus S. showdoensis
Puromycin aus S. alboniger Abb. 6.1. Antimetabolite und deren Quelle
Besonders interessant ist das Auftreten eines Oxetanrings im Oxetanocin (Abb. 6.1). Viele dieser Verbindungen zeichnen sich durch gute antivirale und cytotoxische Eigenschaften aus.
6.1 Nucleoside in der DNA und RNA
435
Puromycin (aus Streptomyces alboniger) wirkt aktiv gegen grampositive Bakterien. Außerdem ist es wirksam gegen Trypanosoma equiperdum, Entamoeba histolytica, gegen Bandwürmer und eine Reihe von Carcinomen und Viren. Die Wirkung beruht auf einer Blockierung der Proteinbiosynthese. Die Aktivität ergibt sich durch die strukturelle Ähnlichkeit von Puromycin mit dem Aminoacyl-tRNA-Ende. Aufgrund dieser Tatsache wird das Antibiotikum an das Ribosom gebunden und inhibiert damit die Proteinbiosynthese. Durch diese Blockierung wirkt Puromycin allerdings auf alle Zellen toxisch, da deren Wachstum gehemmt wird (Cytostatikum). So erfolgt z. B. bei der Behandlung von Krebserkrankungen die Differenzierung bei der cytostatischen Wirkung zwischen Krebszellen und gesunden Zellen oft nur durch die höhere Wachstumsrate vieler Tumore. Dementsprechend groß sind die Nebenwirkungen vor allem auf andere Gewebe des Organismus. Ein weiterer Nachteil ist die immunsupressive Wirkung. Die LD50 (i. v.) liegt für Mäuse bei 335 mg/kg, jedoch ergeben sich schon schwere Nebenwirkungen, wie z. B. Abfall des Blutdrucks oder eine Beeinträchtigung der Nierenfunktion, bei wesentlich geringerer Dosierung (25 mg/kg). Ein weiteres Nucleosid-Antibiotikum ist das Showdomycin, das aus Streptomyces showdoensis isoliert wurde. Seine Struktur wurde als 2-(β-D-Ribofuranosyl)maleimid bestimmt; sie hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Uridin. Es besitzt eine bemerkenswerte Aktivität gegen Ehrlich-Ascites-Tumore bei Mäusen. Die zur erfolgreichen Behandlung notwendige Dosis beträgt 5 bis 20 mg/kg/Tag (intraperitoneal). Demgegenüber steht eine LD50 von 25 mg/kg. NH2
NH2 N
N
HO
HO
4'a
4'
N
N
N
5' N CH2
NH2
2'
OH
O
OH
Aristeromycin
OH
OH
NH2
HO
N
HO OH
N
N
HO
N
N CH2 OH
OH
(4'aS)-4'a-Hydroxyaristeromycin
OH
OH
OH
(4'aR)-4'a-Hydroxyaristeromycin
Abb. 6.2. Carbocyclische Nucleoside
OH
Neplanocin C NH2
N OH N CH2
N
O
Neplanocin B
N
N
N
N CH2
OH
OH
NH2
N
N CH2
HO
OH
Neplanocin A
N
N
N
N CH2
HO
1' 3'
N
N
N
N CH2
NH2
OH
Neplanocin F
436
6 Nucleoside, Nucleotide und Nucleinsäuren
Speziell die carbocyclischen Nucleoside, in denen der Tetrahydrofuranring durch einen Cyclopentanring ersetzt ist, zeichnen sich durch eine sehr gute Aktivität gegen Tumore und Viren bei einer guten therapeutischen Breite aus. In Abb. 6.2 sind einige dargestellt. Hierbei ist vor allem Aristeromycin und Neplanocin A aus Ampullariella regularis zu nennen. Inzwischen wurden weitere Neplanocinverwandte Verbindungen isoliert. Diese Verbindungen stellen Adenosinderivate dar. (-)-Neplanocin A wird, ausgehend vom optisch aktiven (+)-cis-Dihydroxycyclopentenon, synthetisiert (Abb. 6.3). Durch die Addition von (Benzyloxymethyl)lithium, hergestellt aus (Benzyloxymethyl)tributylstannan, wird die primäre Hydroxygruppe eingeführt. Nach der Acylierung des tertiären Alkohols unter Einsatz von Dimethylaminopyridin (DMAP, Steglich-Base), kann das Allylacetat mit PdC12 in Acetonitril stereoselektiv umgelagert werden. Im nächsten Schritt muss nun Adenin addiert werden. Dies ist im CyclopentenSystem durch nucleophile Substitution der Mesyloxygruppe möglich. Nach Abspaltung der Schutzgruppen wird (-)-Neplanocin A erhalten. Eine andere Möglichkeit, den Basenteil aufzubauen, kann am Beispiel des Derivates von (1R,2S,3R,4R)-2,3-Dihydroxy-4-hydroxymethyl-l-cyclopentanamins 1 demonstriert werden. Nucleophiler Angriff der Aminogruppe am 5-Amino-4,6dichloropyrimidin 2 ergibt das carbocyclische Pyrimidinderivat. Das Purinsystem wird durch Umsetzung mit dem Orthoester erhalten. Abschließend wird das Chloratom durch Umsetzung mit Ammoniak gegen die Aminogruppe ausgetauscht: Cl H2N Cl
BnO 4
1
3
2
O
O
1
NH2
Cl
N
BnO
HN
2
Cl
N
O
O
NH2 N
N BnO
N
N
NH3 O
N H+ (EtO)3CH
N O
N BnO
H2N
N
MeOH
N N
(-)-Aristeromycin O
O
6.1 Nucleoside in der DNA und RNA BnO O
n-Bu3SnCH2-O-Bn O
437
BnO Ac2O/DMAP
HO
O
O
AcO
O
BnO
O
O
BnO OAc
PdCl2/CH3CN
OH
K2CO3
THF/Δ
O
MsCl
MeOH
O
O
Et3N
O
NH2 N O
BnO O
BnO
S
CH3
O O
N
Pd(OH)2 O
NH2 N HO
N
O
NH2 N
N HO
N
N
HCl/MeOH O
N
Adenin K2CO3 18-Krone-6
O
N
O
HO
OH
N N
(-)-Neplanocin A
Bn =
CH2
Abb. 6.3. Synthese von (-)-Neplanocin A
6.1.2.2 Synthetische Antimetabolite
Außer den natürlichen Antimetaboliten finden synthetische Nucleosid-Analoga in der Therapie Verwendung. Bedeutung besitzen z. B. die 5-Halogenpyrimidine. Diese sind durch Halogenierung unter milden Bedingungen einfach darstellbar. Obwohl Pyrimidine elektronenarme Heteroaromaten sind, ist eine elektrophile Substitution, bedingt durch Elektronendonorgruppen wie Amino- und Hydroxysubstituenten, möglich. Entsprechend der Elektronendichteverteilung erfolgt diese Substitution an C-5.
438
6 Nucleoside, Nucleotide und Nucleinsäuren O H
O H
X2
N
O
N
X
N
O
X = Halogen N
R
R
Das 5-Fluor-2’-desoxyuridin wirkt als Uridinanalogon, da das Fluoratom nur geringfügig größer ist als das Wasserstoffatom. Da in dieser Verbindung eine 5Methylierung zum Thymidin in vivo nicht durchgeführt werden kann, wirkt diese Verbindung als kompetitiver Inhibitor für die Thymidinsynthetase. Dagegen werden die 5-Brom- bzw. 5-Iod-2’-desoxyuridine aufgrund des größeren Atomradius dieser Halogene als Thymidinanaloga in die DNA eingebaut. Als pharmazeutisch wirksame Substanz kann auch das entsprechende Fluoruracil eingesetzt werden, das in vivo mit Desoxyribose das Nucleosid ergibt. Es finden aber nicht nur an den Heterocyclen modifizierte Nucleoside pharmazeutische Anwendung. Zu den an der Zuckerkomponente derivatisierten Verbindungen gehören sowohl 1-(5-Desoxy-5-fluor-β-D-ribofuranosyl)thymin als auch 1-(β-DArabinofuranosyl)cytosin (Abb. 6.4). Besondere Bedeutung zur Behandlung von AIDS (HIV = human immunodeficiency virus) gewinnt das Didesoxycytidin (ddC) und vor allem das AZT (Azidothymidin). Letzteres wurde bereits in der Klinik eingeführt, obwohl es eine relaO H O CH2
F
NH2
N
N N HO
O
HO
OH
O CH2
N
O CH2
NH2
N
N N
O CH2
HO
O
N O
N3
Azidothymidin
1-(β-D-Arabinofuranosyl)cytosin
O
Didesoxycytidin (ddC)
O
N
H2N HO
HO
O HO
HO
1-(5-Desoxy-5fluor-β-D-ribofuranosyl)thymin H
O H
N
N
H
N
H2N HO
N
N
O
N
N
H2N (CH3)2CH O
Ganciclovir (DAPG)
N
N
O HO
Aciclovir
N
N
O (CH3)2CH
O
HOE 602
Abb. 6.4. Synthetische Nucleosid-Antimetaboliten mit Modifizierung im Zuckerteil
6.1 Nucleoside in der DNA und RNA
439
tiv hohe Toxizität besitzt. Da ddC keine 3'-Hydroxygruppe besitzt, wird es in DNA eingebaut und führt dort zum Strangabbruch. Aciclovir ist das bisher einzige, wirklich selektive Derivat gegen Herpes-Viren. Es hemmt spezifisch die Virus-Replikation in der infizierten Zelle, ohne die Funktion der gesunden Zellen zu beeinflussen. Das Aciclovirtriphosphat ist das eigentliche Substrat, welches die virusspezifische DNA-Polymerase hemmt, die zelluläre DNA-Polymerase aber nicht beeinflusst. Weiterhin wird die Phosphorylierung zum Monophosphat durch ein virales Enzym (Thymidinkinase) katalysiert. Erst bei der weiteren Reaktion zum Triphosphat sind zelluläre Enzyme beteiligt, sodass in nicht infizierten Zellen das aktive Substrat nicht gebildet wird. Die Aktivität gegen Herpes-simplex-Viren liegt zwischen 0,02 und 0,2 μg/ml. Eine einfache Synthese von Aciclovir geht vom 2-Amino-6-chlorpurin aus. Zur Vermeidung von N-7-Isomeren wird das Purin silyliert und in Gegenwart von Quecksilbercyanid selektiv an N-9 mit 2-Acetoxy-ethoxymethyl-bromid verknüpft. Die aliphatische Seitenkette wird aus 1,3-Dioxolan und Acetylbromid erhalten. O
O
+
O
O Br
O
O
Br
Nach der Abspaltung der Acetylgruppe wird durch enzymatische Umsetzung mit Adenosindesaminase Aciclovir erhalten. Cl N
N
Cl O
N
N
Br
N
N
H2N
1. Silylierung O 2. O
N
H2N O
H
MeONa N O
O Cl
O N
N H2N HO
N
N O
Adenosindesaminase
H H2N HO
N
N
Aciclovir N
N O
Ein ähnliches Wirkprinzip wird auch mit Ganciclovir erhalten. Das Präparat HOE 602 ist ein Prodrug von Ganciclovir. In vivo werden Prodrugs in die eigentlich aktiven Derivate umgewandelt. Der Vorteil von HOE 602 ist seine größere Lipophilie, sodass die Penetration in Zellen verbessert ist.
440
6 Nucleoside, Nucleotide und Nucleinsäuren
6.2 Nucleotide Die Nucleotide sind die Phosphorsäureester der Nucleoside. Bei den Mononucleotiden kann sich der Phosphorsäurerest in 2'-, 3'- oder 5'-Stellung (bei Desoxyribose in 3'- oder 5'-Stellung) befinden. NH2
O H
N O CH2
HO
N
O O
O CH2
HO
O
O
OH
O
O
N N CH2
O CH2
HO
CH3
N N O
O
P
O
OH
O
P
O
O
Uridin-3'-phosphat
NH2
Thymidin-3'-phosphat
O N
H
N
H2N HO
O
O P
N O
O
Cytidin-3'-phosphat
O
H
N
O
P
HO
O
N
N N CH2
N O
O O
OH
O
Adenosin-3'-phosphat
O
P
O
OH
O
Guanosin-3'-phosphat
Nucleotide kommen als Metabolite des Nucleinsäurestoffwechsels in allen Lebensmitteln pflanzlicher und tierischer Herkunft vor. Sie zählen zu der Gruppe der in geringer Menge vorkommenden Lebensmittelinhaltsstoffe, deren bioaktive Wirkungen nicht vollständig aufgeklärt sind. Außer den in den Nucleinsäuren vorkommenden Nucleotiden findet man weitere biologisch äußerst relevante Verbindungen. Cyclo-AMP ist an der Stoffwechselregulation und besonders am Wirkungsmechanismus von Hormonen beteiligt. Viele Hormone erzeugen primär eine Stimulierung des Adenylatcyclase-Systems, durch welches ATP in Cyclo-AMP umgewandelt wird, das dann seinerseits als „second messenger“ auf bestimmte Prozesse in der Zelle wirkt.
6.2 Nucleotide
441
NH2 N
N
O O
N CH2
N
cAMP
O
P O
O
OH
Die wasserstoffübertragenden Enzyme enthalten als Coenzyme Dinucleotide mit Nicotinsäureamid als Base. Hierzu gehört das Nicotinamid-adenin-dinucleotid (NAD+) und das Nicotinamid-adenin-dinucleotid-phosphat (NADP+). NH2
(Nicotinamid)
CONH2 N
O
+
O
OHHO
(D-Ribose)
O
P
O
O
P
N
N
O
(Adenin)
N
N
O
O
(D-Ribose)
O
(Phosphorsäuren)
OH O
R
(NAD+):
Nicotinamid-adenin-dinucleotid R=H Nicotinamid-adenin-dinucleotid-phosphat (NADP+): R = PO32-
An der Wasserstoffübertragung ist ausschließlich der Pyridinring beteiligt (Redoxpozential E0 = - 0,32 V). H
H CONH2
+
N R
NAD+ + 2 [H]
H CONH2
+ 2 [H] - 2 [H]
+
H+
N R
NADH +
H+
Das relativ geringe Redoxpozential des Nicotinsäureamids in NAD+ bzw. NADP+ erklärt sich durch die positive Ladung im Pyridiniumkation, sodass ein nucleophiler Angriff am Pyridinring durch ein Hydridion erfolgen kann. Die Dehydrierung verläuft unter Aromatisierung. Ein weiteres Redoxsystem ist das Flavinadenindinucleotid. Es wirkt als Elektronenakzeptor vor allen bei Dehydrierungsreaktionen.
442
6 Nucleoside, Nucleotide und Nucleinsäuren O
H3C
N
H3C
N
N N
H O
CH2
NH2
H C OH H C OH O H2C
O
P
O O
O
P
N
H3C
N
FAD
N
N H2C O
O
O
OH OH
O H3C
N
N
H C OH
H N
N
H
+ H2
O
- H2
O
H3C
N
H3C
N
N
R
H
R
Oxidierte Form (FAD)
N
H O
Reduzierte Form (FADH2)
Unter den Nucleotiden kommt dem Adenosintriphosphat (ATP) als Energiequelle bei enzymatischen Reaktionsverläufen eine große Bedeutung zu. Der Energietransport von ATP zu einem Substrat erfolgt über eine Phosphorylierung. So bildet sich Acetylcoenzym A aus Essigsäure und Coenzym A über ein reaktives gemischtes Anhydrid. O
O H3C
+
C
ATP
H3C
C
O O
OH
P
O
H2C
O
R
+
PPi
O O
CoA-SH
H3C
C
S
CoA
+
R = Adenin
OH OH
AMP
Die strukturellen Grundlagen für dieses Übertragungspotenzial von ATP sind vor allem in der elektrostatischen Abstoßung der negativen Ladungen im ATP und der größeren Resonanzstabilisierung von ADP und Pi im Vergleich zu ATP zu sehen. O O
P O
O O
P O
O O
P
O O
H2C
O
R
O
H2O
O
P O
O O
P
O
H2C
O
R
O
- H2PO4-
ATP bei pH = 7
OH OH
OH OH
6.2 Nucleotide
443
ATP ist zwar thermodynamisch instabil, jedoch kinetisch stabil; denn in Abwesenheit eines Katalysators wird ATP nur sehr langsam hydrolysiert. ATP spielt auch bei der postmortalen Fleischreifung eine Rolle. Die Mono-, Di- und Triphosphate des Guanosins, Uridins und Cytidins sind dem Adenylsäuresystem eng verbunden. Sie erfüllen außerdem spezifische Funktionen im Kohlenhydratund Lipidstoffwechsel. 5’-Nucleotide haben eine Bedeutung als Geschmacksverstärker. Strukturelle Voraussetzungen sind eine Purinbase mit einer OH-Gruppe in 6-Stellung, die in 9Stellung glycosidisch mit einer Ribose in 1’-Stellung verknüpft ist und ein esterartig gebundener Phosphorsäurerest in der 5’-Stellung. Wichtigste Vertreter sind Inosin-5’-monophoshat und Guanosin-5’-monophosphat. Adenosin-5’-monophosphat zeigt eine verminderte geschmacksverstärkende Wirkung. Aufgrund des relativ hohen Gehaltes in einigen Lebensmitteln (bestimmte Fischarten) unterstützt es jedoch den Effekt anderer 5’-Nucleotide. 5’-Nucleotide sind in Lebensmitteln weit verbreitet, in Fisch und Fleisch findet man bis 0,3 %, wobei das Inosin-5’monophosphat den Hauptanteil ausmacht. Es resultiert aus dem ATP-Abbau und wird selbst über Inosin zum Hypoxanthin abgebaut. 5’-Nucleotide haben nur einen schwachen Eigengeschmack, sie haben jedoch analog dem Natriumglutamat eine ausgeprägte geschmacksverstärkende Wirkung in salzigen Speisen, wobei sie den für Fleischspeisen typischen Geschmack abrunden. Mit dem Natriumglutamat besteht ein wechselseitiger Synergismus, wobei die Glutamatwirkung durch Zusatz von 5’-Nucleotiden auf das 10- bis 15-fache, die Wirkung der 5’-Nucleotide durch Zusatz von Natriumglutamat auf das 100-fache verstärkt werden kann. Aus ökonomischen Gründen werden daher in erster Linie Mischungen von Natriumglutamat und 5’-Nucleotiden im Verhältnis 95:5 in der Praxis eingesetzt, wobei die Zusatzmenge 0,02–0,75 % beträgt. Durch den Zusatz von 5’-Nucleotiden wird bei flüssigen Lebensmitteln der Eindruck einer größeren Viskosität erzeugt. Auch der Eindruck von „Frische“ und „naturalness“ wird heraufgesetzt. Bei Suppen sind „body“ und „mouthfeeling“ besser. Von Streptomyces cacaoi und S. piomogenes werden sich vom Uridin ableitende Verbindungen, die Polyoxine gebildet, die die Chitin-Biosynthese hemmen. In Japan werden diese auch insektizid wirkenden Verbindungen zur Bekämpfung von Mehltau bei Reispflanzen eingesetzt. Die Ectoine werden als chemische Chaperone zur Stabilisierung der DNA und von Proteinen gegen Stressfaktoren eingesetzt. Hydroxyectoin wurde aus Marinococcus M52 und Ectoin aus Halomonas elongata isoliert. O H R2 C R1
N H
O O
O
N
OH N
Polyoxin C: R1 = H; R2 = OH Polyoxin A: OH O H2N O R1 = O NH2 HO
HO OH
H3C R2 =
C
O N
O
C
OH R
N N H
Ectoin: R = H Hydroxyectoin: R = OH
444
6 Nucleoside, Nucleotide und Nucleinsäuren
6.3 Nucleinsäuren Die Nucleinsäuren werden nach dem Zuckerrest unterschieden. Die Ribonucleinsäuren (RNA) enthalten Ribose, die Desoxyribonucleinsäuren (DNA) Desoxyribose. Beide unterscheiden sich auch in ihrer biologischen Bedeutung. Die Ribonucleinsäuren sind in der Proteinbiosynthese essenziell, die Desoxyribonucleinsäuren enthalten die genetischen Informationen. In den Nucleinsäuren sind die Nucleotid-Einheiten als Phosphorsäureester miteinander zu hochmolekularen Verbindungen verknüpft. Die DNA findet sich vor allem im Zellkern bzw. im Kernäquivalent (in Bakterien und Blaualgen). Außer der chromosomalen DNA wird auch noch DNA im Cytoplasma gefunden. Bei den Bakterien sind hier vor allem die Plasmide zu nennen. Dies sind ringförmige DNA-Moleküle, die bei der Resistenz gegen Antibiotika eine Rolle spielen. Mit der Nahrung aufgenommene Nucleinsäuren werden durch spezifische Pankreasenzyme gespalten, bevor die Bruchstücke resorbiert werden. Der menschliche Körper ist jedoch nicht auf die Zufuhr fremder Nucleinsäuren bzw. deren Bruchstücke angewiesen, da die verschiedenen heterocyclischen Basen unter direkter oder indirekter Beteiligung von Aminosäuren vom Körper selbst synthetisiert werden können. NH2 N O O
P
O
H2C
N
N O
O
O H3C
P
O
H2C
H
N
O O
Adenin
N
Thymin
N
O
O
NH2
O
N O O
P
O
H2C
Cytosin
N
O
O
O
O N O O
P
O
H2C
N
N
N
O
O
H3C O
P
O
H2C
N N O
O O O
P O
Guanin
NH2 O
O
Desoxyribonucleinsäure (Formelausschnitt) Kurzschreibweise dieser Sequenz: dA-dT-dC-dG-dT
H
O
H
Thymin O
6.3 Nucleinsäuren
445
In den Desoxyribonucleinsäuren liegen lange Ketten vor, deren Molekulargewicht, z. B. bei E. coli (chromosomale DNA), größer ist als 109 D (3,4 Millionen Basenpaare). Das menschliche Genom enthält etwa 3 Milliarden Basenpaare. Die Ribonucleinsäuren sind ebenso aufgebaut wie die Desoxyribonucleinsäuren. Thymin wird durch Uracil ersetzt. Man unterscheidet hier weiter nach den unterschiedlichen biologischen Funktionen die ribosomale (r-RNA), die Matrizen(messenger RNA, m-RNA) und die Transfer-(t-RNA) Ribonucleinsäuren, die sich durch Basenzusammensetzung und Molekulargewicht unterscheiden. Ribosomale und Matrizen-RNA besitzen Molekulargewichte von einigen Hunderttausend bis zu einigen Millionen D; dagegen liegen die Molekulargewichte der t-RNA bei 25.000 bis 30.000 Dalton. NH2 N O O
P
O
H2C O
N
N
Adenin
N NH2
O
N
O
O
OH
P
O
H2C O
N
N
N
Adenin
OH
O N O
O
OH
P
O
H2C O
N
Uracil O NH2
O
N O
O
OH
P
O
H2C O
N
Cytosin O
O
Ribonucleinsäure (Formelausschnitt) Kurzschreibweise dieser Sequenz: -A-A-U-C-
O
O
OH
P
O
O
Mit Hilfe der Röntgenstrukturanalyse entwickelten Watson und Crick ein Modell für die dreidimensionale Struktur der DNA und leiteten den Replikationsmechanismus ab. Zwei Polynucleotidteilstränge sind um eine gemeinsame Achse entgegengesetzt gewunden und bilden die sog. DNA-Doppelhelix. Im Inneren der Doppelhelix stehen die Basen, wobei die Ringebene senkrecht zur Helixachse steht. Die Verknüpfung der beiden Ketten erfolgt durch Wasserstoffbrückenbindungen zwischen einer Purin- und einer Pyrimidinbase (A mit T und G mit C).
446
6 Nucleoside, Nucleotide und Nucleinsäuren H H3 C
O
H
H N
N H
N
N
N
N
Adenin
N N
N
Zucker
Thymin
O H N
N
Zucker
O
Zucker
N H
N
Zucker
N O
H N H
Cytosin
Guanin
Die Basenpaarung zwischen zwei Purinen oder zwei Pyrimidinen ist aufgrund der Doppelhelixstruktur nicht möglich. Der Raum für zwei gegenüberliegende Purine reicht nicht aus, während die Entfernung für eine Wasserstoffbrückenbindung zwischen zwei Pyrimidinen zu groß ist. Eine weitere Differenzierung der Basenpaarung ergibt sich durch die Orientierung der zur H-Brückenbindung befähigten Gruppen in den Basen. Die optimale Wechselwirkung wird bei der oben dargestellten Paarung beobachtet, bei der A mit T durch zwei und G mit C durch drei Wasserstoffbrückenbindungen verknüpft sind. 6.3.1 Biologische Relevanz
In der Basensequenz der Polynucleotidstrukturstränge liegt die genetische Information. Die Replikation der DNA ist für die Zellteilung essenziell, da beide bei der Teilung entstandenen Zellen die identische Information erhalten. Die Verdoppelung der DNA erfolgt durch Trennung der Doppelhelix, Anlagerung der komplementären Nucleotide und deren Verknüpfung mit dem Enzym DNAPolymerase unter Ausbildung identischer DNA-Einzelketten.
A
C
G
A
T
G
C
T
C G
A G C T
T
G A
T
G A C
T G C
T
A T G
G T
A C
Replikation
A A
A C
C
T C
A C G
G A C
T G C
T
A T G
G T
A C
Die Expression der in der DNA enthaltenen Information erfolgt über den Aufbau von Proteinen. Als Matrix dient jedoch nicht die DNA selbst, sondern eine
6.3 Nucleinsäuren
447
Arbeitskopie, die m-RNA. Der genetische Informationstransfer erfolgt über die Transkription der DNA-Struktur auf die RNA und die Translation in eine definierte Proteinstruktur (Abb. 6.5). DNA
Transkription
Translation
RNA
Protein
Bei der Transkription wird anhand der DNA-Sequenz die Arbeitskopie, die sog. Messenger-RNA (m-RNA), erstellt. Hierzu wird der DNA-Strang in ähnlicher Weise wie bei der Replikation kopiert. Als Zuckerkomponente dient nun allerdings die Ribose an Stelle der Desoxyribose. Weiterhin wird Thymin durch Uracil ersetzt. Chemisch unterscheiden sich DNA und RNA durch ihre Stabilität gegenüber Basen: während die DNA basenstabil ist, ist die RNA basenlabil. Die 2'Hydroxygruppe in der Ribose kann unter basischen Bedingungen 2',3'Cyclophosphate bilden. A T G C A A A T C G
T A C G T T T A G C
A T G C A A A T C G
Transkription
DNADoppelstrang
U A C G U U U A G C
DNAEinzelstrang
O
m-RNA
O
O A
Translation
O A
H O
t-RNA
O H AAA
UACGUUU
OH
C C R
R'
C
C
H2N
O
O
OH
NH2 UCG AGC
m-RNA
Abb. 6.5. Schematische Darstellung der Proteinbiosynthese
Die Sequenz des zu synthetisierenden Proteins wird durch die Reihenfolge der Basen auf der m-RNA bestimmt. Ein Basentriplett (Codon) bestimmt eine Aminosäure. Die Proteinbiosynthese erfolgt in den Ribosomen, deren Hauptbestandteil die ribosomale RNA ist. Hier wird an ein Basentriplett der m-RNA ein komplementärer Dreiercode in der transfer-RNA angelagert. Für jede der 20 Aminosäu-
448
6 Nucleoside, Nucleotide und Nucleinsäuren
ren gibt es mindestens eine t-RNA. Die Aminosäure ist als Ester an ein endständiges Nucleotid gebunden. Zwei nebeneinanderliegende Aminoacyl-t-RNAMoleküle ermöglichen die Ausbildung einer Peptidbindung. Schematisch ist die Proteinbiosynthese in Abb. 6.5 dargestellt. In der Zelle wird ausgehend von einer Carbonsäure ein Amid synthetisiert. Ähnlich wie bei der chemischen Peptidsynthese muss auch bei der Proteinbiosynthese zuerst eine Aktivierung der Säurefunktion stattfinden. Diese Aktivierung kann mit ATP durchgeführt werden. Primär bilden sich ein gemischtes Anhydrid und ein Diphosphat. Das Gleichgewicht wird durch Hydrolyse des Diphosphats zur Produktseite verschoben. Die aktivierte Aminosäure wird nun auf das endständige Nucleotid der t-RNA übertragen und als Ester an die 2'- oder 3'-Position der Ribose gebunden. Angriff des Amins der zweiten Aminosäure ergibt die Peptidbindung. H R
C NH2
O + ATP
C O
R
H
O
C
C
NH2
O O
P
O
+ PPi O A
2 Pi
O
OH OH + t-RNA O
- AMP O A t-RNA
UCG
H
O
OH
C
O
C
NH2
Aminosäure
R
Auf Einzelheiten dieser sehr komplexen Vorgänge kann im Rahmen dieses Kapitels nicht eingegangen werden. Es wird auf Lehrbücher der physiologischen Chemie und der Biochemie hingewiesen. 6.3.2 Chemische und physikalische Modifizierung von DNA und RNA
Eine Veränderung der DNA stellt einen wesentlichen Eingriff in den Lebensprozess einer Zelle dar. Eine irreversible Veränderung der DNA wird als Mutation bezeichnet. Die Verursachung eines Wachstumsstillstands einer Zelle (cytostatischer Effekt) wird in der Pharmazie zur Bekämpfung von Viren, zur Wachstumshemmung von Krebszellen oder zur immunsuppressiven Wirkung verwendet. Die Auslösung von Krebs durch chemische Substanzen (Carcinogene) kann ebenfalls als Veränderung des Erbmaterials verstanden werden. Viele dieser Carcinogene
6.3 Nucleinsäuren
449
und Mutagene werden erst durch Biotransformation in die eigentlichen aktiven Verbindungen umgewandelt. Zu den bekanntesten in der Natur vorkommenden Carcinogenen gehören die Aflatoxine. Diese Lebercarcinogene werden von dem Schimmelpilz Aspergillus flavus gebildet, der z. B. auf verdorbenen Erdnüssen, Käse und Getreideerzeugnissen wächst. O
O O
H
O
O
H
Aflatoxin B1
O
O
H
OMe
O
H
O
O
OMe
O
Aflatoxin G1
Diese hochtoxischen Verbindungen werden primär zum Epoxid oxidiert und anschließend an die RNA von Lebermikrosomen gebunden. H
H [O]
O
HO
O O
H
H
RNA RNA
H
O
H
Allgemein sind alkylierende Verbindungen, wie z. B. Dimethylsulfat und Diazomethan, hochtoxisch, da eine Alkylierung der Nucleinsäuren stattfinden kann. Bei bifunktionellen Verbindungen können Quervernetzungen der DNA auftreten. So wird das im 1. Weltkrieg als Kampfgas verwendete S-Lost bzw. N-Lost zur Tumorhemmung angewendet. CH2-CH2-Cl
CH2-CH2-Cl
S-Lost
S CH2-CH2-Cl
N-Lost
N CH2-CH2-Cl
Die hohe Reaktivität dieser Verbindungsklasse erklärt sich durch eine Nachbargruppenbeteiligung des Stickstoffs bzw. des Schwefels bei der nucleophilen Substitution des Chlorids. Als Zwischenstufe bildet sich ein Sulfonium-Ion, das durch ein Nucleophil angegriffen werden kann. Cl-CH2-CH2
S
CH2-CH2-Cl
Cl-CH2-CH2
S +
Nu-
CH2-CH2-Cl S CH2-CH2-Nu
Diese Reaktion führt letztendlich zur Verknüpfung (cross linking) zweier Polynucleotidstränge.
450
6 Nucleoside, Nucleotide und Nucleinsäuren O H
H2N
O S
N
N N
N
N N
R
N N
R
Strang 1
H NH2
Strang 2
Ähnliche Wirkung zeigen verschiedene Aziridine und Methansulfonsäureester. Der nucleophile Angriff am Aziridin wird durch Elektronenacceptorgruppen begünstigt, wie z. B. beim 2,4-Dinitrophenylaziridin. O O 2N
N
HN
N
N
Cl
Cl
NO2
2,4-Dinitrophenylaziridin
O
N,N'-Bis-2-chlorethyl-N-nitrosoharnstoff
N-Alkyl-N-nitrosoharnstoff-Derivate werden ebenfalls als Cytostatika verwendet. Diese Verbindungen sind Vorstufen von Diazoalkylverbindungen, welche durch Abspaltung von Stickstoff alkylierend wirken. Zur Behandlung von Hirntumoren eignet sich N,N'-Bis-2-chlorethyl-N-nitrosoharnstoff. Aufgrund der guten Lipidlöslichkeit können diese Verbindungen die Blut-Hirn-Schranke durchdringen. Die krebserzeugende Wirkung von polycylischen aromatischen Verbindungen, wie z. B. Benz-[a]-anthracen, ist ebenfalls in ihrer alkylierenden Wirkung begründet. Die Verbindung wird, vor allem in der Leber, zu einem Epoxid oxidiert.
[O] O
Eine weitere Wechselwirkung dieser Aromaten ergibt sich durch den Einschub (Interkalation) in die DNA-Doppelhelix zwischen den Basenstapeln. Die strukturelle Voraussetzung für diesen Einschub ist natürlich ein planares π-Elektronenreiches Molekül (s. auch Kap. 4.2.3.2). Beispiele dafür sind Ethidiumbromid und Chinin.
6.3 Nucleinsäuren
H 2N
N
NH2 N
451
H
+
OH
MeO
CH2-CH3
Ethidiumbromid
Chinin
N
Die physikalische Beeinflussung des Erbmaterials durch energiereiche elektromagnetische Strahlung wird zur experimentellen Erzeugung von Mutanten in der Mikrobiologie verwendet; so führt die UV-Bestrahlung von DNA durch eine [2+2]-Cycloaddition zu einem Thymidindimer. O H
O N
N
O
N
N
R
R
O
O H
H
O
O
N
N N R
H
H
N
H O
R
Thymidindimer
6.3.3 DNA-Sequenzierung
Die Sequenzanalyse von DNA gelingt nach Maxim-Gilbert. Ein Problem ist das hohe Molekulargewicht der DNA und damit die hohe Anzahl von Basen, die zu sequenzieren sind. Weiterhin besteht die natürliche DNA aus einem Doppelstrang. Als erster Schritt muss deshalb eine Zerlegung der DNA in sequenzierbare Fragmente erfolgen. Dies ist mit Enzymen möglich, den Restriktionsendonucleasen. Es entstehen damit definierbare DNA-Stücke mit einer Länge von etwa 100 bis 1.000 Basenpaaren. Dieses doppelsträngige DNA-Stück kann enzymatisch mit Oligonucleotidkinase an beiden 5'-Enden mit radioaktivem Phosphat [32P] phosphoryliert werden. Als Phosphorylierungsreagenz wird ATP verwendet, das an der endständigen Phosphatgruppe markiert ist. Die beiden Stränge werden durch Hitze denaturiert und mit einem Polyacrylamidgel durch Elektrophorese aufgetrennt.
DNA
Restrikionsendonuclease
Kinase/ATP
CGCGAGTGACGGGCGAAAGT GCGCT CACTGCCCGCT T TCA
32P-C
GCGAGTGACGGGCGAAAGT G C G C T C A C T G C C C G C T T T C A-32P
452
6 Nucleoside, Nucleotide und Nucleinsäuren
Das Prinzip der Sequenzierung beruht nun auf der bevorzugten chemischen Spaltung einer der vier Basen. Die Reaktionsbedingungen werden so gewählt, dass nur jeweils eine Base von hundert möglichen reagiert. Es entsteht ein Gemisch aller Kettenlängen, das auf einem Polyacrylamidgel durch Elektrophorese aufgetrennt wird. Die Differenzierung erfolgt nach ihrer Größe. Wählt man die chemische Modifizierung so, dass spezifisch hinter A gespalten wird, entstehen folgende Fragmente: 32P
CGCGAGTGACGGGCGAAAGT Spaltung
32P
CGCGAGTGACGGGCGAA
32P
CGCGAGTGACGGGCGA
32P
CGCGAGTGACGGGCG
32P
CGCGAGTG
32P
CGCG
Die selektive Spaltung der DNA wird gemäß Abb. 6.6 durchgeführt. Die vorhandene DNA-Menge wird aufgeteilt, zu einem Teil wird Dimethylsulfat zugegeben. Es ist bekannt, dass von den Purinnucleosiden die Guaninderivate am leichtesten alkyliert werden und zwar vor allem in 7-Stellung. Die positive Ladung ermöglicht nun die Spaltung des Imidazolidteils des Pyrimidinrings durch Angriff eines Hydroxidions. Piperidin spaltet anschließend die N-glycosidische Bindung unter gleichzeitiger Öffnung des Furanrings und Bildung eines Iminiumkations. Zweifache β-Eliminierung der Phosphatgruppe ergibt die Kettenspaltung der DNA an dieser Stelle. Bei der Methylierungsreaktion wird auch teilweise Adenin an N-3 angegriffen. Durch geeignete Wahl der Bedingungen kann eine Spaltung A > G bzw. G > A induziert werden. Eine Spaltung am Pyrimidin-Nucleosid ist durch Umsetzung mit Hydrazin möglich. Durch den nucleophilen Angriff am C-6 wird eine Ringöffnung des Pyrimidinrings induziert. Die anschließende Cyclisierung ergibt ein Pyrazol-3-on, das im nächsten Schritt unter Öffnung des Zuckerfuranosids abgespalten wird. Substitution des Harnstoffs durch Piperidin bildet ein Iminiumkation, gefolgt von einer Eliminierung des Phosphates, was letztlich zur gewünschten Kettenspaltung führt (Abb. 6.7). Der primäre Angriff des Hydrazins verläuft normalerweise beim Cytosin schneller als beim Thymin. Durch die Wahl der Reaktionsbedingungen kann eine Spaltung von C und T oder selektiv nur an T erfolgen. Die Anwendung dieser Selektivspaltungen A > G, G > A, C und C+T führt zu einem Gemisch aller Kettenlängen, die durch Gelelektrophorese identifiziert werden können (Abb. 6.8).
6.3 Nucleinsäuren
453
Die Sequenz kann nun einfach abgelesen werden. Für eine detaillierte Beschreibung der enzymatischen Sequenzierung muss auf Lehrbücher der Biochemie verwiesen werden. O H
C-3'
O
O
N
O HN 2 P O
H
N N
N CH2
O
O
O H3C O S O CH3 O
C-3'
O
N
O HN 2 P O
N CH2
O O O
O
O
O
P
O
O
C-5'
C-5'
CH3 N
N
O HN 2 P O
O
N CH2
O
OH-
O
O
H
O
NH
H
O
N H
CH3 N
N
O NH2
N
H2N
O O
P
+
O
O
O
C-5'
C-3'
O
P
CH2
O
O
OH N
O OH-
OH H2C
C
CH
CH
CH
N
C-3'
O
P
+
O O
O
O
P O
O
+
O
+
P
O
O C-5'
Abb. 6.6. Spaltung des Oligonucleotidstrangs an Guanosin
C-5'
O
+
N
O
P
O
C-3'
CH3 N
+
454
6 Nucleoside, Nucleotide und Nucleinsäuren
O C-3'
O
P
O CH2
O
O
N
CH3
N
N
H
O
O
N C-3'
O
O
P
CH2
O
O
H2N-NH2
N
C
CH2
OH
O
CH3 NH2
O
O O
O
H
O H
P
O
O
P
O
O
O
C-5'
C-5'
NH2 O
O C-3'
O
P
O
CH2
O
OH
C
O
N CH
C-3'
N H
O
P
O
O
CH
O O
P
O O
O
P
O
C-5'
C-5'
CH2
O
OH
OH
N
H2C
CH
P
C
CH
CH
N
CH
O
+
C-3'
O C-5'
Abb. 6.7. Spaltung des Oligonucleotidstrangs an Thymin
O
P O
+
O
O
O O
O
O
NH2 O
P
O
O C-3'
+
N
O
+
O
P
O
O C-5'
6.3 Nucleinsäuren (-) M o l e k u l a r g e w i c h t
Kathode
A>G
G>A
C+T
C pCGCGAGTGACGGGCGAAAGT pCGCGAGTGACGGGCGAAAG pCGCGAGTGACGGGCGAAA pCGCGAGTGACGGGCGAA pCGCGAGTGACGGGCGA pCGCGAGTGACGGGCG pCGCGAGTGACGGGC pCGCGAGTGACGGG pCGCGAGTGACGG pCGCGAGTGACG pCGCGAGTGAC pCGCGAGTGA pCGCGAGTG pCGCGAGT pCGCGAG pCGCGA pCGCG pCGC
(+)
455
S e q u e n z
Anode
Abb. 6.8. Gelelektrophorese der DNA-Fragmente
6.3.4 Oligonucleotid-Synthese
Auf die wichtige pharmazeutische Verwendung von Insulin bei der Behandlung von Diabetis mellitus wurde bereits in Kap. 4.2.3 hingewiesen. Die Schwierigkeiten bei der chemischen Synthese nach Merrifield wurden an dieser Stelle ebenfalls diskutiert. Abhilfe schafft in diesem Fall die chemische Synthese des Insulin-Gens und die Überführung in ein Bakterium (E. coli), das damit die Fähigkeit zur Synthese von Insulin erhält. Die Strategie dieses Gentransfers ist in Abb. 6.9 kurz skizziert. Manche Bakterien enthalten neben ihrem zentralen ringförmigen Chromosom kleinere ringförmige DNA-Moleküle, die Plasmide. Plasmide bedingen oft die Resistenz von Bakterien gegen Antibiotika, wie z. B. Tetracyclin oder Ampicillin. In diese Plasmide kann, nach einfacher Isolierung aus der Zelle, die neue Erbinformation eingeführt werden. Für das Erweitern des Plasmidrings um die FremdDNA werden vor allem zwei bakterielle Enzyme benötigt, die Restriktionsendonucleasen und die DNA-Ligasen. Die Restriktionsendonucleasen erkennen eine definierte Nucleotidsequenz von etwa 4 bis 6 Nucleotiden und spalten den DNADoppelstrang durch Hydrolyse von Phosphodiester-Bindungen. Da die spezifischen Erkennungssequenzen auf der DNA selten sein können, werden Plasmide von einem bestimmten Restriktionsenzym oft nur an einer Stelle gespalten, wodurch der cyclische DNA-Strang linearisiert wird.
456
6 Nucleoside, Nucleotide und Nucleinsäuren
Restriktionsendonuclease Chemisch synthetisierter DNA-Strang
ringförmiges Plasmid
Ligase
Einschleusung in E. coli
Abb. 6.9. Einschleusung einer Fremd-DNA in ein Plasmid Codierung der Ampicillinresistenz Codierung der Tetracyclinresistenz
Verfügt ein Plasmid über zwei Resistenzgene, dann kann die Schnittstelle so gewählt werden, dass hierbei eine Antibiotikaresistenz zerstört wird und eine erhalten bleibt (z. B. wird die DNA am tetracyclinresistenzcodierenden Teil geschnitten, die Ampicillinresistenz bleibt erhalten). Das linearisierte Plasmid wird nun mit dem synthetisierten DNA-Fragment, z. B. dem DNA-Code für Insulin, umgesetzt und mit einer DNA-Ligase cyclisiert. Es entsteht ein um das Gen erweiterter DNA-Doppelstrang, ein rekombiniertes Plasmid. Die Einschleusung des modifizierten Plasmids in das Bakterium gelingt durch Behandlung der Zellmembran mit CaCl2, wodurch diese permeabel wird. Im nächsten Schritt wird eine Selektion durchgeführt, da nur die Bakterien mit dem eingeführten Insulin-Gen für die weitere Fermentation benötigt werden. Da das neue Gen in das Gen für die Resistenz gegen Tetracycline eingeschoben wurde, müssen die das Plasmid enthaltenden Zellen resistent gegen Ampicillin, aber sensitiv gegen Tetracyclin sein. Zellen ohne Plasmid sind dagegen sensitiv gegen beide Antibiotika. Zellen, die ein unverändertes Plasmid aufgenommen haben, sind resistent gegen beide Antibiotika. Das für die Insertion benötigte Gen kann durch biochemische Isolierung, biochemische oder chemische Synthese erhalten werden. Im Weiteren wird nur die letztere Möglichkeit diskutiert. Wie auch bei der Peptidsynthese unterscheidet man zwischen der Flüssigphasen- und Festphasen-Synthese. Als Methode der Wahl wird bei der DNA-Synthese die Festphasenvariante verwendet. Hierbei wird das erste Nucleosid kovalent an einen unlöslichen polymeren Träger gebunden. Die Kette wird an der noch freien Hydroxygruppe verlängert, indem man die mobile Komponente im Überschuss zusetzt. Nach dem Ende der Reaktion wird die nichtreagierende Komponente vom Träger gewaschen und das Reaktionsprodukt bleibt, durch den Träger immobilisiert, zurück. Diese Strategie hat den großen Vorteil, dass die aufwändigen chromatographischen Methoden zur Reinigung und Isolierung der Zwischenprodukte durch einfaches Filtrieren und Auswaschen ersetzt werden können.
6.3 Nucleinsäuren
457
Die Verknüpfung der Nucleotide verläuft durch Reaktion der primären 5'Hydroxygruppe mit einem reaktiven Phosphorsäurederivat an 3'-Position. Als Ausgangsmaterial werden Nucleotide mit Schutzgruppen an 3'-OH und an den Aminogruppen der Basen G, A und C benötigt. Die Darstellung des geschützten Adenosins gelingt durch Reaktion von Adenosin mit Benzoesäureanhydrid (Abb. 6.10). Das entstandene tribenzoylierte Produkt wird mit 5N NaOH umgesetzt. Aufgrund der höheren Reaktivität von Benzoesäureestern im Vergleich zu Bezoesäureamiden erfolgt eine Hydrolyse der 3'- und 5'Alkohole zum N'-Benzoyladenosin. Die primäre Hydroxygruppe 5' kann mit Dimethoxytritylchlorid (DMTrCl) selektiv vor der sekundären Hydroxygruppe an C3' geschützt werden. O N ibO
CH2
G
O
ib
HO 2N NaOH
ibO
CH2
G
O
ib
DMTr DMTrCl
O
CH2
NH
N
O
N
NH ib
OH
Bz NH
OH N
BzO
CH2
ib2O
A
O
Bz
HO 5N NaOH
CH2
OBz
CH2
O
DMTr DMTrCl
OH
B
DMTr
O
DMTrCl
OH
CH2
O
OH
CH2
O
OH
C
O
N
N
H O
N
HN
CH2
N
OH N
Bz2O
HO
O
O H3C
Bz2O HO
A
O
Bz
Bz N
Bz
DMTr DMTrCl
O
CH2
O
OH
N
O
Bz = C6H5CO ib = (CH3)2CHCO DMTr = Dimethoxytrityl (s. Kap. 5.1.2.5)
Abb. 6.10. Herstellung der geschützten Nucleoside
In analoger Weise wird Guanosin an C-5' und an der Aminogruppe blockiert. Allerdings hat sich in diesem Fall die Isobutyrylgruppe als vorteilhafter als die
458
6 Nucleoside, Nucleotide und Nucleinsäuren
Benzoylgruppe erwiesen. Cytosin kann direkt an der Aminofunktion des Heterocyclus benzoyliert werden. In Thymidin wird die C-5'-OH-Gruppe mit DMTrCl geschützt. Die Phosphorylierung an C-3'-OH führt zu Nucleotiden, die zur Kondensation eingesetzt werden. Praktische Anwendung finden die Phosphortriester- und die Phosphoramiditmethode. Diese werden im Folgenden vorgestellt. Bei der Phosphortriestermethode wird Phosphoroxychlorid mit p-Chlorphenol und anschließend mit 1-Hydroxybenzotriazol umgesetzt. Mit diesem Reagenz gelingt die Phosphorylierung der Nucleoside. In den entstehenden Nucleotiden ist ein Sauerstoff der Phosphorgruppe mit einem p-Chlorphenylrest als Ester geschützt.
O Cl
O
P
Cl
+
HO
Cl
Cl
Cl
N
N
N
P
O
N
N OH
Cl
Cl O
N
O
P
O
N
N
O DMTr T H2C O 1.
N
O
DMTr
CH2
O
OH 2. Et3N
T
O
O O
P
O
Cl
O
Cl
Die Festphasensynthese beginnt nun mit der Abspaltung der Schutzgruppe an der C-5'-Hydroxygruppe des am Polymerträger gebundenen Nucleosids. Zugabe des Nucleotids und Mesitylensulfonyl-3-nitro-1,2,4-triazol (MSNT) als Kondensationsreagenz liefert den Phosphorsäuretriester. DMTr
O
Polymer
CH2
O
B
CH2
HO H+
O
B
O
DMTr
O
CH2
+
Polymer
O
O O
DMTr
MSNT NEt3
CH2
O
O
B
O
P
O
CH2
O Polymer
P
O
Cl
O
O Cl
B
O
O
B
MSNT = H3C
O
CH3 O S N O CH3
NO2
N N
6.3 Nucleinsäuren
459
Das Kondensationsreagenz und das überschüssige Nucleotid werden durch Auswaschen des Trägermaterials entfernt. Durch Abspaltung der Dimethoxytritylgruppe wird der nächste Cyclus eingeleitet. Die Phosphoramiditmethode geht von Nucleosiden aus, die mit einem hochaktiven Phosphan an C-3' phosphoryliert werden. Phosphortrichlorid wird mit βCyanoethanol zum Dichloralkoxyphosphan umgesetzt, das anschließend mit zwei Moläquivalenten Diisopropylamin zum Chloro-N,N-diisopropylaminoalkoxyphosphan reagiert. Dieses Reagenz phosphoryliert das Nucleosid in C-3'-Stellung. Bereits durch Zugabe einer schwachen Säure (Tetrazol) wird die Diisopropylaminogruppe aktiviert. Cl PCl3
+
NC
NC
CH2 CH2 OH
CH2 CH2 O
P
HN(iso-C3H7)2
Cl DMTr O CH2
O
T
DMTr
+ Cl NC
CH2 CH2 O
O
CH2
O
T
OH
P
O
N NC
CH2 CH2 O
P
N
Die Festphasensynthese beginnt mit der Abspaltung der Dimethoxytritylgruppe durch ZnBr2 (Abb. 6.11). Zugabe des Nucleotids und Tetrazol führen zur nucleophilen Substitution der Diisopropylaminogruppe. Überschüssiges Nucleotid und Tetrazol werden ausgewaschen und anschließend das Phosphan zum Phosphat oxidiert. DMTr
O
CH2
Polymer
O
B
O
CH2
O
CH2
1. Tetrazol 2. I2 CH2 CH2 O
O
B
DMTr
O
O
P
CH2
O
O NC
B
O O
O
+
Polymer DMTr
NC
HO
ZnBr2 H+
O
CH2
O
B
O Polymer
O
Abb. 6.11. Festphasensynthese mit der Phosphoramiditmethode
CH2 CH2 O
P
N
B
460
6 Nucleoside, Nucleotide und Nucleinsäuren
Das Material wird gewaschen, und nach Abspaltung der C-5'-Dimethoxytritylgruppe beginnt der nächste Cyclus. Vorteile der Phosphoramiditmethode sind die sehr kurze Reaktionszeit und die gute Kopplungsausbeute. Aber durch diese hohe Reaktivität muss bei dieser Reaktion auf extremen Feuchtigkeitsausschluss geachtet werden. Dagegen sind die Phosphorsäurediester relativ stabile Verbindungen. Bei einer Kettenlänge von etwa 30 bis 60 geht man von der chemischen zur enzymatischen Synthese über. Die Abspaltung vom polymeren Träger gelingt mit wässrigem Ammoniak als Base. Parallel erfolgt die Abspaltung der Schutzgruppen am Phosphat. Im nächsten Schritt werden N-Acylgruppen mit konz. Ammoniak und die Dimethoxytritylgruppe mit Essigsäure abgespalten. Mit dem Enzym Polynucleotidkinase und ATP wird die primäre C-5'-Hydroxygruppe phosphoryliert. Die DNA-Ligase verbindet zwei Oligonucleotide durch Ausbildung der Phosphorsäurediesterverbindung zwischen der C-3'-OH- und der C-5'-OH Gruppe. GAAACGGAC GGGACTTT HO C-3'
GCCTGAATCG O-P C-5' DNA-Ligase
GAAACGGAC GGGACTTTGCCTGAATCG
Diese Reaktion wird mit drei Oligonucleotiden durchgeführt, wobei ein Oligonucleotid zwei andere über die komplementären Basen bindet. Es bildet sich der Doppelstrang, der in ein Plasmid eingeschleust werden kann.
6.4 Biosynthese von Nucleosiden Der Pyrimidinring wird aus Carbamylphosphat und Aspartat synthetisiert (Abb. 6.12). Carbamylphosphat wird aus Glutamin, ATP und Hydrogencarbonat erhalten. Im nächsten Schritt bildet sich N-Carbamylaspartat. Durch Cyclisierung, Dehydratisierung und Dehydrierung entsteht das Orotat. Anschließend erfolgt die Bildung der N-Glycosidbindung durch Angriff von Orotat an 5-Phosphoribosyl-lpyrophosphat (PRPP). Durch Decarboxylierung wird Uridinmonophosphat (UMP) erhalten.
6.4 Biosynthese von Nucleosiden O Glutamin + 2 ATP + HCO3-
H2N
C
461
O O
P
O
+ 2 ADP + Glutamat
O
O H2N
C
O O
P
HO
H O
+
H2N
O
C CH2
Carbamylphosphat
H2N
COOH
COO
- Pi
O
_
O C N
C
H
O
O
N-Carbamylaspartat O H
O + NAD+
N
O
N
C
H
O
O
- NADH
H
N
O
N
C
H
O
O
Orotat O O P O O
O H
O H O O O P O P O OH OH O O
O O
P
O
N
O
N O
O
UMP
OH OH
Abb. 6.12. Synthese des Pyrimidinrings
Die Cytosinnucleoside sind aus den Uridinnucleotiden durch Aminierung zugänglich. Bei Säugetieren ist Glutamin der Amino-Donor, während bei E. coli NH4+ verwendet wird. Die Reaktion verläuft unter ATP-Verbrauch. O H O
NH2 Glutamin/ATP
N N R
N O
N R
Thymidin entsteht durch Methylierung von Uridin. Der C1-Überträger bei dieser Reaktion ist die Tetrahydrofolsäure.
462
6 Nucleoside, Nucleotide und Nucleinsäuren H
1
H2N
N
N
2 3N
8
7
5
6
H
HN
Tetrahydrofolsäure 9
N
4
OH
COOH
O C
10
N
C
H
H
_ CH2 CH2 COO
Das C1-Fragment ist entweder an N-5, N-10 oder an beiden gebunden. Die Einführung erfolgt z. B. aus Formiat mit ATP oder aus Serin. H 1
H2N
2
8
N
3
H 1
N
N
+ Serin
7
5
N
OH
9
3
N
N
2
- Glycin
6
4
H2N
8
N
5
N
4
HN
H
10
7
R
OH
N R
Tetrahydrofolsäure
Mechanistisch lässt sich die Methylierung folgendermaßen verstehen: Durch Öffnung der Methylengruppe entsteht ein Iminiumkation, das elektrophil an C-5 des Pyrimidinrings angreifen kann. Im Verlauf der Reaktion wird die entstehende exocyclische Methylengruppe am Pyrimidin reduziert und Tetrahydrofolat zu Dihydrofolat oxidiert. H 1
H2N
2
3
H 1
N
N
8
N
H2N
7
5
2
3
N
4
N
N
8
UMP
N
5
CH2 HN
OH
N
+
N
4
OH
7
R
R H 1
H2N
2
3
N
N O
H O
N 8
5
4
OH
H 1
N
H2N
7
+
CH2 HN
3
N Ribose
N
N
4
N
N
R
8
O
N
H +
N
Ribose
7
5
HN
OH O H
N
2
R
6.4 Biosynthese von Nucleosiden H 1
H2N
2
3
H 1
N
N
8
N
N
4
H2N
7
2
3
8
N
N
4 5
HN
H
R
OH
2
3
H
N
N
4
N
8
N
7
5
HN
R
HN
OH
R
+
N
O
H2N
7
5
OH O
H 1
N
N
463
O H
N Ribose
O H
N
O
N
+
CH3
N
O
N
Ribose
Ribose
Im Gegensatz zu den Pyrimidinen verläuft der Aufbau des Purins direkt an der Ribose (Abb. 6.13). Der erste Stickstoff wird vom Glutamin zur Ribose übertragen, sodass 5-Phosphoribosyl-1-amin entsteht. Nach der Addition von Glycin unter Verbrauch eines ATP wird die Aminogruppe mit N-Formyltetrahydrofolat formyliert. Unter ATP-Verbrauch wird das Amid mit Glutamin in ein Amidin umgewandelt und anschließend cyclisiert. Der Aufbau des Sechsrings beginnt mit der Carboxylierung, die entstehende Carbonsäure wird unter ATP-Verbrauch mit Aspartat zum Amid umgesetzt. Eliminierung von Fumarat und Formylierung mit N-Formyl-tetrahydrofolat induziert die Cyclisierung unter Wasserabspaltung zum Inosinat (IMP). Die Aminogruppe im AMP wird durch die Addition von Aspartat an IMP und Eliminierung von Fumarat erhalten. O
O C
O
O N
N
N
N
Ribose O O
P O
IMP
H
Aspartat
CH
N
N
N
O
O
NH
N
Ribose O O
CH2 C
P O
NH2 N
O O
P
O
O
N
N N
O O OH OH
Adenosinmonophosphat (AMP)
464
6 Nucleoside, Nucleotide und Nucleinsäuren O O
P
O
CH2
O
O H O H2N C CH2 CH2 C C NH2 O
O O
HO
O
P
OH
O
O O
P
H O C CH2 CH2 C C O NH2 O
O
O
O
O O
P
O O
CH2
O HO
P
H2N CH2 C
O
O
CH2
O
O
HO
HN
O
C
CH2
O
P
H
OH
O
O CH2
NH
HN
O
O
Glutamin ATP
OH
CH2 NH2
HN
O
C
C
[CO]
O CH2 NH
HN
O
HO
O O
P O
ATP
OH
O O
O
NH2
O
O
- H2O HO
OH COO
N
O O
P
O
CH2
O HO
N
O NH2
N
O
O [CO2]
P
O
COO
N
O O
P
O
CH2
O
O
N
OH
_
COO
N H NH2
NH2
N
O
HO O
H O C CH2 C C O NH2 O
CH2
O
OH
O
_
_
_
OOC _
HO
O
P
O
CH2
O
O
O
NH2
N
O O
OH
NH2 [CO]
O
P
O
CH2
O
O
CHO N
OH
Abb. 6.13. Synthese des Purins
N H
- H2O HO
- H2O HO
_
NH2
N
O N
COO
OH
IMP
Literatur
465
IPM wird mit NAD+ zum Xanthosin-5’-phosphat (XMP) oxidiert. Durch Reaktion von XMP mit der Aminogruppe in der Seitenkette von Glutamin wird GMP erhalten. Als Energielieferant in dieser Umsetzung dient Guanosintriphosphat. O N
O N
N
H
NAD+
N
Ribose O O
P
O H + Glutamin + GTP N
N N
N
O
Ribose H O O
O
O
P
- GMP O - 2 Pi
N
O P
O
O
N
N N
H NH2
O
O
O
IMP
OH OH
Guanosinmonophosphat (GMP)
Literatur Empfohlene Monographien
1. 2. 3. 4. 5.
L. STRYER: Biochemie, Spektrum der Wissenschaft Verlagsges., Heidelberg, 1990 K.B.G. TORSELL: Natural product chemistry, J. Wiley and Sons, ChichesterNew York – Brisbane – Toronto – Singapore, 1983 H. HELWIG: Antibiotika-Chemotherapeutika, Georg Thieme Verlag, Stuttgart – New York, 1989 H.J. ROTH, D.H. FENNER: Pharmazeutische Chemie III, Arzneistoffe, Georg Thieme Verlag, Stuttgart – New York, 1988 H.-D. BELITZ, W. GROSCH, P. SCHIEBERLE: Lehrbuch der Lebensmittelchemie, Springer Verlag, Berlin – Heidelberg – New York, 2008
Übersichtsartikel und Originalarbeiten
6. 7. 8. 9.
N. SHIMADA, S. HASEGAWA, S. SAITO, T. NISHIKIORI, A. FUJI, T. TAKITA: Derivatives of oxetanocin: Oxetanocins H, X and G and 2-Aminooxetanocin A, J. Antibiotics 40, 1788 (1987) A.B. CHEIKH, L.E. CRAINE, S.G. RECHER, J. ZEMILICKEA: Synthesis of racemic 6'β-hydroxyaristeromycin. A hydroxycarboxylic analogue of adenosin, J. Org. Chem. 53, 929 (1988) J.R. MEDICH, K.B. KUNNEN, C.R. JOHNSON: Synthesis of the carbocyclic nucleoside (-)-neplanocin A, Tetrahedron Letters 28, 4131 (1987) H.J. SCHAEFFER, L. BEAUCHAMP, P. DE MIRANDA, G.B. ELION, D.J. BAUER, P. COLLINS: 9-(2-Hydroxyethoxymethyl)guanin activity against viruses of the herpes group. Nature 272, 583 (1978)
466
6 Nucleoside, Nucleotide und Nucleinsäuren
10. M.J. ROBINS, P.W. HATFIELD: Nucleic acid related compounds, 37, Convenient and high yield synthesis of N-[2-hydroxyethoxymethyl]-heterocycles as acyclic nucleoside analogues, Can. J. Chem. 60, 547 (1982) 11. G.B. ELION: Selectivity – key to chemotherapy: Cancer Research 45, 2943 (1985) 12. E. WINKELMANN, I. WINKLER, H. ROLLY, M. RÖSNER, G. JÄHNE: New prodrugs of acyclic nucleosides with antiviral activity, Arzneim.-Forsch. DrugRes. 38, 1545 (1988) 13. H.G. GASSEN: Das bakterielle Ribosom: ein programmierbares Enzym, Angew. Chem. 99, 15 (1982) 14. M.H. CARUTHERS: Chemical synthesis of DNA and DNA analogues, Acc. Chem. Res. 24, 278 (1991) 15. J. ENGELS, E. UHLMANN: Gene synthesis, Adv. in Biotechnology 37, 73 (1988) 16. E. UHLMANN, A. PEYMANN: Oligonucleotides; A new therapeutic principle, Chem. Rev. 90, 544 (1990) 17. H.C. KREBS: Recent Developments in the Field of Marine Natural Products with Emphasis on Biologically Active Compounds, Progress in the Chemistry of Organic Natural Products 49, 151 (1986)
7 Flavonoide
Die Flavonoide sind in allen höheren Pflanzen vorkommende Farbstoffe mit einem C15-Grundgerüst (C6-C3-C6-Gerüst) und Derivate von Phenylpropan. Der Name leitet sich vom lateinischen „flavus“ (= gelb) ab. Flavonoide stellen eine Gruppe von Pigmenten dar, die die Färbung von Früchten und Blüten hervorrufen. Früher verwendete man Flavonoid-haltige Pflanzenextrakte zum Färben von Wolle. Die Definition und Einteilung der Flavonoide ist in der Literatur nicht immer einheitlich. Manche Autoren verstehen unter den Flavonoiden nur die Flavone und Flavonole sowie deren 2,3-Dihydroderivate. Hier soll der Begriff im weiteren Sinne gefasst werden, sodass in diesem Kapitel Anthocyanidine, Aurone, Chalkone, Desoxyanthocyanidine, Flavanole (Catechine), Flavandiole (Leukoanthocyanidine), Flavanone, Flavanonole, Flavone, Flavonole, Isoflavanone, Isoflavone sowie jeweils deren Glycoside behandelt werden. Weit verbreitet sind auch die aus zwei Flavonoid-Einheiten aufgebauten Biflavonoide.
7.1 Derivate des 2-Phenylchromans und -chromons Der Grundkörper, 2-Phenylchroman (= Flavan), leitet sich vom Chroman ab, das selbst auch als Grundgerüst einer Reihe von Naturstoffen, wie z. B. der Tocopherole und Rotenoide, vorkommt. In diesem Zusammenhang sind auch die beiden isomeren Chromene zu erwähnen. Von 2H-Chromen leitet sich das Cumarin (Benzo-α-pyron) und von 4H-Chromen das Chromon (Benzo-γ-pyron) ab. Die meisten Verbindungen enthalten einen 2- oder 3-ständigen Phenylrest und werden dann Flavonoide bzw. Isoflavonoide (Kap. 7.2) genannt. 8 7
O
2
O
O
3
6 5
4
Chroman
2H-Chromen O
Cumarin
4H-Chromen O
O
O
Chromon
468
7 Flavonoide 3' 2' 8
O
A
C
5
4
7 6
4'
B 2
O
5' 6'
3
O
2-Phenylchroman
2-Phenylchromon (= Flavon)
Je nach Oxidationsgrad an den Kohlenstoffatomen C-2, -3 und -4 werden die einzelnen Flavonoid-Typen unterschieden. Dabei beginnen die Namen der 2,3Dihydro-Verbindungen mit „Flavan“ und jene mit einer Δ2-Doppelbindung mit „Flavon“. Nachfolgend einige Beispiele: Grundgerüst
Beispiel
Name
Flavan-3-ole: OH OH O
O
HO OH
Catechin (2R, 3S)
OH OH
Flavan-3,4-diole: OH OH O
O
HO OH
Leucocyanidin (2R, 3S, 4S)
OH
OH
OH
OH
Flavanone: OH OH O
O
O
HO
OH
O
Eriodictyol (2S)
7.1 Derivate des 2-Phenylchromans und -chromons
Grundgerüst
Beispiel
Flavanonole:
469
Name OH OH
O
O
HO OH
Taxifolin (2R, 3R)
OH
O
OH
O
Flavone:
OH OH O
O
HO
O
OH
Luteolin
O
Flavonole:
OH OH O
Quercetin
O
HO OH
OH
O
OH
O OH
Anthocyanidine:
OH O
+
O
HO OH
Cyanidin
+
OH OH
7.1.1 Flavan-3-ole
Die Flavan-3-ole sind farblos und werden auch Catechine genannt. Sie bilden die Grundsubstanz einer Reihe oligo- oder polymerer Gerbstoffe, der Proanthocyanidine. Neben dem Catechin selbst, das in Pflanzen weit verbreitet vorkommt, sind auch Afzelechin und Gallocatechin sowie die an C-3 epimeren Substanzen (3R) zu erwähnen. Verbindungen mit 2S-Konformation sind selten.
470
7 Flavonoide R
R OH
O
HO
OH O
HO
R'
R'
OH
OH
OH
OH
R = R' = H: Afzelechin R = OH, R' = H: Catechin R = R' = OH: Gallocatechin
R = R' = H: Epiafzelechin R = OH, R' = H: Epicatechin R = R' = OH: Epigallocatechin
Durch Oxidation erhält man aus den Flavon-3-olen Anthocyanidine und Flavonole. OH
OH OH
O
HO
OH
OH
Oxid.
O
HO
OH OH
+
OH OH
OH
OH
Catechin
Delphinidin
OH Oxid.
O
HO
OH OH
OH
Myricetin
O
Die polymeren Procyanidine stellen eine große Gruppe von phenolischen Verbindungen in Pflanzen dar. Sie gehen unter Einfluss von Säuren in die farbigen Anthocyanidine (s. Kap. 7.1.7) über. Sie besitzen einen bitteren Geschmack, senken den Blutdruck und wirken antiarteriosklerotisch; sie fangen Radikale ab. Wegen ihres Gehaltes im Rotwein wird diesen eine protektive Wirkung gegen den Herzinfarkt nachgesagt. Die Procyanidine B-1, B-2 und B-3 wurden in Rotwein nachgewiesen. Procyanidin B-4 kommt in Himbeeren (Rubus idaeus) und Brombeeren (Rubus fructiosus) vor. In den Rhizomen von Rhabarber (Rheum palmatum) sind mehrere Procyanidine beschrieben, so z. B. das 7-O-β-DGlucopyranosid von Procyanidin B-3, dimere 3,3’-Bis(3,4,5-trihydroxybenzoyl)und 3-(3,4,5-Trihydroxybenzoyl)-Derivate sowie ein trimeres 3’,3’’-Bis(3,4,5trihydroxy-benzoyl)-Derivat. Es sind reaktive farblose Substanzen, die aus zwei Galloepicatechin-Einheiten aufghebaut sind. Kondensate von Anthocyanen und Catechin sind als stabile Alterungsprodukte im Rotwein für die Änderung der Rotweinfarbe von Bedeutung (s. Kap. 7.1.7). Unter Einwirkung von Säure werden sie in die farbigen Anthocyanidine umgewandelt.
7.1 Derivate des 2-Phenylchromans und -chromons OH
OH OH
OH
O
HO
O
HO OH
OH
OH
OH
OH
OH
OH
OH
O
HO
O
HO OH
OH
OH
OH
Procyanidin B-1
Procyanidin B-2
OH
OH OH
OH
O
HO
O
HO OH
OH O
O
HO OH
OH OH
Procyanidin B-3
Procyanidin B-4
OH
OH
OH
O R=
O
OH
OH O
OH
OH O OR OH
OH
trimeres 3',3''-Bis(3,4,5-trihydroxybenzoyl-Derivat aus Rhabarber (Rheum palmatum)
OH
OR HO
C OH
OH
OH HO
OH
OH
OH
HO
OH
OH
OH
OH HO
471
472
7 Flavonoide
Theaflavin, ebenfalls ein Kondensationsprodukt, das durch enzymatische Oxidation aus den Flavanolen gebildet wird, kommt im Tee in Konzentrationen von 1,2 g Theaflavin je 100 g Blätter vor. Es gibt weitere Derivate besonders mit der Gallussäure. Hierzu gehören die Theasinensine. OH
H
OR2
3' O
HO
R1 R2 H H TF: Theaflavin Galloylrest H TF-3-g: Theaflavin-3-gallat H Galloylrest TF-3'-g: Theaflavin-3'-gallat Galloylrest Galloylrest TF-3, 3'-g:Theaflavin-3,3'-digallat
OH
H
O OH
HO
HO
H
O
C
O
OH 3 H
OH
OR1
HO
OH Gallussäure
Theaflavin
R
OH
O HO
O
HO
O
OH
OH
OH
O
OH
R=
C
OH
X = OH
OH
Theasinensine A
OH X
OH O
O R
OH
OH
R=
C
OH
X=H
OH
OH
Theasinensine F
Eine andere Gruppe stellen die Procyanidine A dar, in denen die Monomeren über zwei Bindungen, C-4→C-8 und C-2→O→C-7 verbrückt sind. Weitere Verknüpfungen wie z. B. zwischen C-4 und C-6 kommen ebenfalls vor. OH OH O
HO
OH
O
OH
Procyanidin A-1 OH
O HO HO
OH
7.1 Derivate des 2-Phenylchromans und -chromons
473
Mit Säuren werden die C-C-Bindungen zwischen den Monomereneinheiten gespalten und das zwischenzeitlich entstehende Carbokation wird durch Luftsauerstoff zu einem Anthocyanidin oxidiert. Es kann aber auch durch Nucleophile wie z. B. Alkohole, Phenole oder Thiole abgefangen werden. OH OH O
HO
OH OH
OH
OH
OH
OH O
HO
+ H+
O
HO
- Catechin
C OH
OH OH
+
OH
H
OH
OH
OH
OH
O
HO
O2
- H+
+
O
HO
OH
OH
OH
OH
Anthocyanidin
7.1.2 Flavan-3,4-diole 3' 4'
O
7
OH
5
OH
Tabelle 7.1. Einige Flavan-3,4-diole
Name (+)-Guibourtacacidin (+)-Mollisacacidin (+)-Gleditsin (-)-Leucofisetinidin (+)-Leucorobinetinidin Leucopelargonidin Leucocyanidin (-)-Teracacidin (-)-Isoteracacidin (-)-Melacacidin (-)-Isomelacacidin
Hydroxygruppen an C3, 4, 7, 4’ 3, 4, 7, 3’, 4’ 3, 4, 7, 3’, 4’ 3, 4, 7, 3’, 4’ 3, 4, 7, 3’, 4’, 5’ 3, 4, 5, 7, 4’ 3, 4, 5, 7, 3’, 4’ 3, 4, 7, 8, 4’ 3, 4, 7, 8, 4’ 3, 4, 7, 8, 3’, 4’ 3, 4, 7, 8, 3’, 4’
Absolute Konfiguration 2R, 3S ,4S 2R, 3S ,4R 2R, 3S ,4S 2S, 3R ,4S 2R, 3S ,4R 2R, 3S, 4S 2R, 3S, 4S 2R, 3R ,4R 2R, 3R ,4S 2R, 3R ,4R 2R, 3R ,4S
474
7 Flavonoide
Flavan-3,4-diole (= Leucoanthocyanidine) kommen besonders in Holz, Rinden und Fruchtschalen vor. In Tabelle 7.1 sind einige bekannte Verbindungen aufgelistet. Die farblosen Flavandiole werden unter Säure-Einwirkung in die farbigen Anthocyanidine umgewandelt. Sie werden deshalb ebenfalls, wie auch die zuvor erwähnten kondensierten Gerbstoffe, Proanthocyanidine genannt. Als Mechanismus wird ein analoger Weg, wie oben beschrieben, über das 3-En-3-ol gefolgt von Luftoxidation angenommen. 7.1.3 Flavanone
Die Flavanone sind durch die Abwesenheit der 3,4-Doppelbindung sowie durch eine Oxogruppe an C-4 charakterisiert. Sie haben mindestens ein Asymmetriezentrum (C-2), das normalerweise S-konfiguriert ist. Tabelle 7.2 zeigt einige Verbindungen. Neben Hydroxy- und Methoxy-Gruppen kommen auch andere Reste am Grundgerüst vor. In erster Linie sind hier die Glycoside zu erwähnen; so ist Hesperidin gleich Hesperetin-7-O-rutinosid, das in den Schalen unreifer Orangen enthalten ist. Hesperetin wirkt endzündungshemmend und bei Grippe antiviral. Es ist, wie viele Flavonoide, ein Antioxidans. 3' 4'
O
7
5
O
Tabelle 7.2. Einige Flavanone
Name Liquiritigenin Pinocembrin Pinostrobin Naringenin Sakuranetin Eriodictyol Persicogenin Hesperetin Arjunone Dihydrowogonin Didymocarpin Kanakugin
OH an C7, 4’ 5, 7 5 5, 7, 4’ 5, 4’ 5, 7, 3’, 4’ 5, 3’ 5, 7, 3’ 5, 7 7
OCH3 an C7 7 7, 4’ 4’ 5, 7, 2’, 4’ 8 5, 6, 8 5, 6, 7, 8
Absolute Konfiguration 2S 2S 2S 2S 2S 2S 2S 2S 2S 2S 2S 2S
7.1 Derivate des 2-Phenylchromans und -chromons OH
OH
OH OR
O HC HO 3 HO
O
O
OH CH2
475
O
O
R = H: Eriocitrin R = CH3: Hesperidin
OH OH
O
Citrusfrüchte enthalten eine Reihe von Flavonoiden, deren Gehalte in den Schalen höher sind als in den Kernen. Zitronenkerne enthalten bspw. hauptsächlich Eriocitrin und Hesperidin, während die Schale reich an Neoeriocitrin (Eriodictyol7-O-neohesperidoside), Naringin (Naringenin-7-neohesperidosid) und Neohesperidin ist. Die Flavanone wie Naringin, Neohesperidin und Neoeriocitrin, die Neohesperidose als Zuckerkomponente enthalten, finden sich besonders in den Säften aus Bergamotte-Früchten, Grapefruit und Bitterorangen. Die Rutinosid-Flavanone Hesperidin, Narirutin und Didymin kommen in Säften aus Orangen, Mandarinen, Zitronen und Bergamotte-Früchten vor. Gewonnen werden die Flavonoide aus den Schalen von Zitrusfrüchten. Bitterorangen stellen dabei eine wichtige Quelle für Neohesperidin und Naringin dar, sie eignen sich für die Produktion von Süßungsmitteln. Es wurden aber auch C-alkylierte Derivate von Flavanonen gefunden, wie z. B. 6- und 8-Prenylpinocembrin (Glabranin) sowie Purpurin mit einer sehr komplexen Struktur. Cajaflavanon besteht aus Naringenin mit zwei Prenylresten, von denen einer mit der 7-Hydroxyfunktion einen cyclischen Ether bildet.
O
HO
OH
O
OH
6-Prenylpinocembrin
O
OAc O H
H H
O
OH
O
8-Prenylpinocembrin OH
O
O
HO
O
O OH
Cajaflavanon
O
Purpurin
476
7 Flavonoide
In Lupinen kommt eine Reihe von Flavonoiden vor, die eine oder mehrere C5Prenylseitenketten tragen. HO OH O
OH
O
OH
O
HO
O
HO
OH
HO
O OH
Lupinenol
O
Lupiniol B
O
OH
Isolupalbigenin
7.1.4 Flavanonole
Die Flavanonole oder Dihydroflavonole besitzen gegenüber den Flavanonen eine Hydroxygruppe an C-3. Theoretisch wären dann vier Stereoisomere möglich; bisher wurden aber überwiegend Verbindungen mit 2R,3R-Konfiguration gefunden. Damit stehen die Hydroxygruppe und der Phenylrest trans zueinander. Einige Beispiel sind der Tabelle 7.3 zu entnehmen. Auch in dieser Substanzklasse kommen wie bei den Flavanonen Methoxygruppen sowie Zucker- und Alkylreste vor. Ampelopsin stellt einen phenolischen Hauptmetaboliten in den Blättern von Salix sachalinensis dar. Bei Versuchen mit gesüßtem Agar (15 % Saccharose) bewirkte der Zusatz von Ampelopsin eine starke Stimulans des Fressverhaltens von Käfern der Art Plagiodera versicolora. 3' 4'
O
7
OH
5
O
Tabelle 7.3. Einige Flavanonole
Name Garbanzol Fustin Sepinol Pinobanksin Aromadendrin Taxifolin Ampelopsin Dihydromorin
OH an C3, 7, 4’ 3, 7, 3’, 4’ 3, 7, 3’, 5’ 3, 5, 7 3, 5, 7, 4’ 3, 5, 7, 3’, 4’ 3, 5, 7, 3’, 4’, 5’ 3, 5, 7, 2’, 4’
OCH3 an C4’
Absolute Konfiguration 2R, 3R 2R, 3R 2R, 3R 2R, 3R 2R, 3R 2R, 3R 2R, 3R 2R, 3R
7.1 Derivate des 2-Phenylchromans und -chromons
477
Durch Kopplung der Flavanoide mit einer weiteren Phenylpropan-Einheit entstehen die Flavolignane. Beispielsweise kommt das Silybin (Silibinin) in der Marien- oder Silberdistel (Silybum marianum) vor, es soll als Antidot bei Vergiftungen mit Knollenblätterpilzen wirksam sein. Silybin soll die Aufnahme des Amanitins in die Leber hemmen. In den Samen der Mariendistel sind Silybin, Silichristin und Silidianin zusammen zu etwa 3 % vorhanden, diese Verbindungen reagieren in der Zellmembran von Hepatocyten. Sie verhindern die Absorption von Toxinen und reagieren als Antioxidans und Radikalfänger zum Schutz und zur Detoxifikation von eindringenden Fremdchemikalien. OH
O OH
OH 3' HO
2'
O
O
3
Silybin
OH
O
OH
OH
O CH3
O OH H O
O
HO OH
HO
O 2
HO
CH3
OH
O
O CH3
O Silydianin
OH O
OH
Silychristin
O OH
7.1.5 Flavone
Die Flavone repräsentieren neben den Flavonolen die größte Gruppe der bekannten Flavonoide. In den meisten Fällen ist der Ring A mit zwei phenolischen OHGruppen an C-5 und C-7 verbunden, die entweder frei oder verestert bzw. glycosidiert vorliegen. Weitere freie oder veretherte Hydroxygruppen und Alkylreste an C-6 und/oder C-8 sind möglich. Der B-Ring trägt sehr häufig OH oder OCH3 an C-4’, kann aber auch 3’,4’-di- oder 3’,4’,5’-trisubstituiert sein. Substituenten an C-2’ und C-6’ sind selten. Wegen der großen Anzahl an Flavonen kann die Tabelle 7.4 nur einige Beispiele enthalten. Als Beispiele für Glycoside seien folgende Derivate des Scutellareins genannt: • 6-O-Xylopyranosyl-Derivat aus Wacholder (Junipersus communis) • 4’,5,6-Tri-O-metxl,7-O-β-D-glucopyranosyl-Derivat aus Wacholder (Junipersus communis) • 7-O-[β-D-Glucuronopyranosyl-(1→2)-glucuronopyranosid]-Derivat aus Sesamblatt (Schwarznessel, Perilla frutescens) Flavone lassen sich aus Phenolen und β-Ketosäureestern durch Erhitzen mit Phosphor(V)-oxid darstellen. So entsteht das Flavon selbst aus Phenol und Benzoylessigester.
478
7 Flavonoide 3' 4'
O
7
5
O
Tabelle 7.4. Einige Flavone
Name Chrysin Apigenin
OH an C5, 7 5, 7, 4’
OCH3 an C-
Thevetiaflavon Genkwanin Acacetin
7, 4’ 5, 4’ 5, 7
5 7 4’
Luteolin
5, 7, 3’, 4’
Diosmetin
5, 7, 3’
4’
Chrysoeriol
5, 7, 4’
3’
Tricetin
5, 7, 3’, 4’, 5’
Scutellarein 5, 6, 7, 4’ 4’,5,6,7-Tetra-Omethylscutellarein Pectolinarigenin 5, 7 Salvigenin 5 Isothymusin 5, 8, 4’
OH
HO H5C2OOC
6, 4’ 6, 7, 4’ 6, 7
Buddleja macrostachya Salbei Becium grandiflorum
(P2O5)
+ H
5, 6, 7, 4’
Vorkommen (z. T. als Glycoside) Pappelknospen Kamille, Orangen, Petersilie, Perilla, Thymian, in Sellerie und Kerbel als 7-Glucosid Saccharum officinarum Salbei, Rosmarin Akazie, als Glycosid in Bohnenkraut und Oregano Gelber Fingerhut, als Glycoside in Kiwi, Passionsfrucht und Mombinpflaume (0,5–3 mg je 100 g) sowie in Kerbel, Minze, Thymian, Rosmarin und Oregano, als Schwefelsäureester kommt es in Karotten und in Annatto vor Brickellia laciniata, Majoran, als Glycosid in Ysop Kamille, als Glycosid in Sellerie und Petersilie In den Hüllen der Speiselinse, als Glucuronsäurederivat in Alfalfa Adenocalymna alliaceum Salbei (Salvia officinalis)
H
- H2O - C2H5OH
O
O
Die folgende Synthese von Chrysin nach Kostanecki geht von 2,4,6Trimethoxyacetophenon und Benzoesäureethylester aus. Das durch Einwirkung
7.1 Derivate des 2-Phenylchromans und -chromons
479
von Natrium erhaltene 1,3-Diketon wird durch Iodwasserstoffsäure zum Flavon cyclisiert. MeO
OMe
O
CH3
Na
+ H5C2
O
OMe O MeO
OMe O
HO
HI
O
OMe O
OH
O
Chrysin
Die Biflavonoide sind, wie die Flavonoide selbst, sehr weit verbreitet. Diese Dimeren sind meistens C-C-verknüpft, allerdings sind auch C-O-C-verbrückte Substanzen bekannt, wenn auch weniger häufig. Bisher wurden nur Biflavonoide isoliert, die über die C-Atome 6, 8, 3’ oder 6’ verbunden sind. Dabei wurden bis auf eine Bindung zwischen C-3’ des einen Monomeren und C-6’ des anderen sowie zwischen jeweils C-6’ alle möglichen Kombinationen gefunden. Nachfolgend ist je ein Beispiel für C-C- (Amentoflavon) und C-O-C-verknüpfte (Hinokiflavon) Dimere genannt. Die Amentoflavone kommen frei im pflaumenblättrigen Schneeball (Viburnum prunifolium) vor. Häufiger finden sich Methylether, z. B. in Ginkgo biloba das Bilobetin, das Ginkgetin, das Isoginkgetin und das 5’Methoxybilobetin. Aus Buchweizen (Fagopyrum esculentum) wurde ein Biflavon, das 3,8’’Biapigenin isoliert. OH
O
OH O
HO
Amentoflavon (= 3',8-Biapigenin)
HO OH
O
OH O
HO O
OH O O
HO
OH
Hinokiflavon OH
O
O
480
7 Flavonoide
Bei den Biflavonoiden kann eine Atropisomerie auftreten, wenn die freie Drehbarkeit der C-C-Bindung zwischen den beiden Monomereneinheiten sterisch behindert ist. Die folgende Abbildung zeigt die beiden Atropisomeren von 4’,4’’’,7,7’’-Tetra-O-methylcupressoflavon, wobei das (M)-Enantiomere das natürliche Produkt ist. O
OH
O MeO
MeO
OMe
OMe
P
O
(P)-4',4''',7,7''-Tetra-O-methylcupressuflavon
MeO
MeO
OH
O
OH
O
O
M
O
O
OMe
OMe
(M)-4',4''',7,7''-Tetra-O-methylcupressuflavon
OH
Es ist eine Reihe weiterer Biflavonoidstrukturen bekannt, die verschiedenen Flavonoidklassen, wie z. B. den Isoflavonen, Auronen und Chalkonen zugeordnet werden können. Auf die polymeren Proanthocyanidine wurde schon in Kapitel 7.1 eingegangen. Für einige Flavonoide konnten entzündungshemmende Aktivitäten festgestellt werden, das Biflavonoid Ginkgetin aus den Blättern des Ginkgobaums (Ginkgo biloba) greift in die Arachidonsäure-Kaskade ein, indem die beteiligten Enzyme Phospholipase A2, Cyclooxigenase-2 und 5-Lipoxygenase gehemmt werden. Glucoside des Ginkgetins und Isoginkgetins sind ebenfalls in den Blättern gefunden worden. O
OH
7'' O R4O
OR3
R2O
Ginkgetin: R1 = R2 = CH3, R3 = R4 = H Ginkgetinglucopyranosid: R1 = R2 = CH3, R3 = β-D-Glucose, R4 = H Isoginkgetinglucopyranosid: R1 = β-D-Glucose, R2 = R4 = CH3, R3 = H
O 7
O
OH
OR1
7.1 Derivate des 2-Phenylchromans und -chromons
481
7.1.6 Flavonole
Wie schon erwähnt, kommen die Flavonole neben den Flavonen am häufigsten vor. Auch hier kann nur eine geringe Anzahl von Verbindungen vorgestellt werden (Tabelle 7.5). Im Gegensatz zu den Flavonen haben die Flavonole eine Hydroxygruppe an C-3. Nachfolgend einige Beispiele für Glycoside der Flavonole: • 3-Arabinopyranosyl-3’-α-L-rhamnopyranosyl-Derivat von Rhamnetin aus Boldo (Peumus boldus) 3' 4'
O
7
OH
5
O
Tabelle 7.5. Einige Flavonole
Name Fisetin Robinetin Galangin Kaempferol
OH an C3, 7, 3’, 4’ 3, 7, 3’, 4’, 5’ 3, 5, 7 3, 5, 7, 4’
Quercetin
3, 5, 7, 3’, 4’
Azaleatin Rhamnetin Isorhamnetin
3, 7, 3’, 4’ 3, 5, 3’, 4’ 3, 5, 7, 4’
Morin
3, 5, 7, 2’, 4’
Myricetin
3, 5, 7, 3’, 4’, 5’
Patuletin
3, 5, 7, 3’, 4’
6
Marional Gossypetin
3 3, 5, 7, 8, 3’, 4’ 7 7, 4’
5, 6, 7, 3’, 4’
Centaflavon A Centaflavon B
OCH3 an C-
5 7 3’
3, 5, 6, 8, 4’ 3, 5, 6, 8
Vorkommen, z. T. als Glycoside Fisetholz Akazie Galangawurzel Akazie, als Glycoside in Himbeere, Erdbeere, Dattelpflaume, Teeblätter, Porree, Tabak Eiche, Zwiebel, als Glycosid in Apfel, Birne, Pflaume, Sauerkirsche, Aprikose, Tomate, Dill, Fenchel Cunonia capensis Pogostemon cablin Arnika, Raps, als Glycosid in Dill, Schnittlauch sowie Sanddornbeeren, Gartenmelde Maulbeerbaum, Gelbholz (Chlorophora tinctoria) Piment, Weiße Maulbeere, Karambole, Lotuswurzel, Limone, Fenchel, Heidelbeeren, Wein, Schwarzer Tee, Fisetholz Kamille, Estragon, Gartenmelde, Spinat Chromolaena odorata Gelbe Malven, Hibiscus sp., Essbarer Eibisch (Abelmoschus esculenta) Centaurea senegalensis Centaurea senegalensis
482
7 Flavonoide
•
3-O-(α-L-Rhamnopyranosyl-[1→4]-α-L-rhamnopyranosyl)-Derivat von Rhamnetin aus Cypergras (Cyperus rotundus) • 3-O-(β-D-glucopyranosyl-[1→2]-β-D-glucopyranosid)-Derivat von Rhamnethin aus Brunnenkresse (Nasturtium officinale) • 3-O-(β-D-glucopyranosyl-[1→3]-β-D-glucopyranosid)-Derivat von Rhamnethin aus dem Farnkraut (Pteridum aquilinum) • 3-O-Arabinopyranosid-Derivat von Azaleatin aus Pekannuss (Caya pecan) • 3-β-D-glucopyranosid-Derivat von Azaleatin aus Pekannuss (Carya pecan) • 3-β-D-galactopyranosid-Derivat von Azaleatin aus Pekannuss (Carya pecan) • 3-O-(α-L-Rhamnopyranosyl-[1→6]-β-D-glucopyranosid)-Derivat von Azaleatin aus Pekannuss (Carya pecan) Die Konstitutionsaufklärung des Quercetins erfolgte, wie auch bei anderen Flavonoiden, durch Alkalischmelze, wobei Phloroglucin und 3,4-Dihydroxybenzoesäure (Protocatechusäure) als Spaltprodukte erhalten wurden. OH OH O
HO
OH OH
HO
OH
+ OH OH
HOOC
O
OH
Quercetin
Phloroglucin
Protocatechusäure
Besonders in den äußeren Zwiebelschalen kommen antioxidativ wirkende Derivate des Quercetins vor: Dimere des Quercetins, Reaktionsprodukte mit 3,4Dihydroxybenzoesäure (Protocatechusäure) sowie das Oxidationsprodukt des Quercetins, ein Benzofuranderivat. O
HO
HO
O
6 4
2
1
1'
3' 4'
OH
OH HO OH O OH Oxidationsprodukt des Quercetins: 3',4'-Dihydroxybenzoyl2,4,6-trihydroxy-3(2H)-benzofuran O 4' 1' 2' HO 9 O OH O 1 7 O C 5 43 OH OH 3'' 1'' 10 4'' OH O O
9 O 1
7 5
10
OH
43 O
4' 1' 2' O OH O
OH OH
O O OH 4''' 3''' 1''' HO
O 1'' 3'' 4'' O
CH2OH
OH 7'' 5'' OH
Kondensationsprodukt des Quercetin-4'-O-β-glucosids mit Quercetin
Kondensationsprodukt des Quercetins mit Protocatechusäure
7.1 Derivate des 2-Phenylchromans und -chromons
483
Als Beispiel für die Synthese eines Flavonols sei die des Fisetins erwähnt. Hierbei wird 2-Hydroxy-4-ethoxyacetophenon mit 3,4-Dimethoxybenzaldehyd umgesetzt und das erhaltene Chalkon mit Hilfe von Schwefelsäure zu einem Flavanon cyclisiert. Die Umwandlung in ein Flavonol erfolgt über eine Oximidoverbindung. OMe
OH
EtO
O
+
CH3 O
OMe H
OMe
OMe OMe
OH
EtO
OMe
10% H2SO4
EtO
O
O
O
(Chalkon)
(Flavanon)
OMe OMe
HON
EtO
O
H2SO4 NOH
O OMe
OH OMe
EtO
O
OH HI
HO
O
OH O
OH O
Fisetin
7.1.7 Anthocyanidine und Anthocyane
Die Anthocyanidine (Tabelle 7.6) sind die Aglycone der Anthocyane (griech. anthos = Blüte und kyanos = blau). Sie sind für Farben von blau bis rot verantwortlich. Sie haben das in C-4’ hydroxylierte Grundgerüst des 2-Phenylchromens, das primär als Flavylium-Kation vorliegt. In Abhängigkeit vom pH-Wert entstehen chinoide Basen sowie Carbinol- und Chalkon-Pseudobasen, wobei die beiden letzteren farblos sind.
484
7 Flavonoide 3' 4' +
O
7
5
Tabelle 7.6. Einige Anthocyanidine und Desoxyanthocyanidine in Blumen
Name Pelargonidin Cyanidin
OH an C3, 5, 7, 4’ 3, 5, 7, 3’, 4’
OCH3 an C-
Päonidin Delphinidin
3, 5, 7, 4’ 3, 5, 7, 3’, 4’, 5’
3’
Petunidin Malvidin Apigeninidin Luteolinidin Tricetinidin
3, 5, 7, 4’, 5’ 3, 5, 7, 4’ 5, 7, 4’ 5, 7, 3’, 4’ 5, 7, 3’, 4’, 5’
3’ 3’ 5’
Vorkommen als Glycoside (Beispiele) Blüten roter Geranien (Pelargonium) Rote Rosen, Kornblume (Centaurea cyanus) Pfingstrose (Paeonia sp.) Rittersporn (Delphinium sp.), Commeline (Commelina communis), Blauer Salbei (Salvia patens), Hortensie (Hydrangea) Petunien Berberis darwinii Gesneria fulgens Sinningia cardinalis
O O
HO
OH OH OH O
HO
OH
+
- H+
O
O
OH
OH
OH
OH
Flavylium-Kation (pH 1-2, rot)
Chinoide Base (pH 6-6,5, rot-violett)
+ H2O/-H+ OH O
HO
OH
OH OH O
HO OH
OH
OH OH
Carbinol-Pseudobase (pH ca. 4,5, farblos) Chalkon-Pseudobase (pH > 7, farblos)
7.1 Derivate des 2-Phenylchromans und -chromons
485
In höheren Pflanzen finden sich die Anthocyanidine Cyanidin zu 50 %, Delphinidin zu 12 %, Malvidin zu 12 %, Pelargonidin zu 12 %, Päonidin zu 7 % und Petunidin ebenfalls zu 7 %. Hauptsächlich vorkommende Zucker sind Glucose, Galactose und Arabinose. Sie liegen meist gebunden an der C3-Gruppe vor, aber auch weitere Hydroxylgruppen können Zucker tragen. Die Anthocyanidine sind Vorstufen vieler Pflanzenfarbstoffe. Die FlavanolEinheiten sind in der Pflanze acyliert oder glycosyliert. So erfolgt z. B. bei Tee und Wein eine Veresterung der Hydroxylgruppe in C-3-Position mit Gallensäure; die Glycosylierung vorwiegend an der C-3- und C-5-Position. Das Präfix Pro in Proanthocyanidine (Procyanidine) bezieht sich darauf, dass die farblosen, mit zunehmendem Polymerisationsgrad gelb bis braun gefärbten Verbindungen durch Säureeinfluss in die farbigen Anthocyanidine (Anthocyane) umgewandelt werden. Zu den Proanthocyanidinen zählen die monomeren Flavan-3,4-diole und die sog. kondensierten Gerbstoffe mit di- und trimeren Strukturen, wie Catechine und Epicatechin, von denen sich viele Verbindungen ableiten. Proanthocyanidine kommen u. a. in Getreide, Gemüse, Obst, Rotwein bis zu einer Mr von etwa 7.000 D (20 Flavan-3-ol-Einheiten) vor. Besonders reich an Proanthocyanidinen sind Äpfel, Pflaumen, dicke Bohnen, Schokolade, Tee und Rotwein. Aufgrund ihres bitteren bis adstringierenden Geschmacks sind sie auch von Bedeutung für die sensorischen Eigenschaften von alkoholischen Getränken wie Cidre, Sherry, Wein und Weinbrand sowie Fruchtsäfte. Tetramere schmecken am bittersten, höhere Polymere mit zunehmender Molmasse leiten hinsichtlich ihrer Fähigkeit, Eiweiß zu fällen, zu den hochmolekularen Gerbstoffen über. Die Proanthocyanidine werden gut resorbiert, schnell im gesamten Organismus verteilt und überwinden selbst die Liquor-Schranke. Sie zählen zu den stärksten natürlichen Antioxidanzien. Sie sind z. B. 18–20-mal bzw. 40–50-mal so stark wirksam wie die Vitamine C resp. E. Die in Tierversuchen und am Menschen nachgewiesenen biologischen Wirkungen sind: Verringerung eines zu hohen Cholesterinspiegels, Stärkung der Blutgefäße (binden im Gegensatz zu Vitamin C an Protein, besonders an Kollagen und Elastin) und der Blutzirkulation im ganzen Körper. Sie wirken sich u. a. positiv auf die Sehkraft, das Bindegewebe, Gelenke, Schleimhäute aus, stärken die Gedächtnisleistung, verlangsamen Alterungsprozesse, straffen Haut und Gewebe, heilen arthritische Entzündungen sowie Sportverletzungen schneller und beugen allergischen Reaktionen vor. Durch das Vorhandensein von phenolischen OH-Gruppen und eines zur Komplexbildung neigenden Sauerstoffatoms können viele Anthocyanidine verschiedenfarbige Salze bilden. Vielfach kommt die spezifische Farbe in den lebenden Zellen dadurch zustande, dass die Anthocyanidine sowohl monomolekular als auch in Chelat-Komplexen mit dreiwertigen Metallen (Al3+; Fe3+) vorliegen können. Durch Zerstörung des Komplexes in Säuren werden z. B. die roten CyanidinMoleküle der blauen Kornblumen-Chelate freigesetzt. Umgekehrt gelingt es, durch reichliche Düngung mit Al-Salzen (z. B. Ammonium-Alaun, AmmoniumAluminiumsulfat) die rosaroten Blüten mancher Hortensien durch Förderung der Chelatbildung blau zu färben. Nicht selten wechselt der Farbton der Blüten (der u. a. auch von der Anzahl der Zuckermoleküle abhängig ist, die mit dem Anthocyanidin verknüpft sind) im Laufe des Aufblühens von Rosa über Violett nach Blau
486
7 Flavonoide
(z. B. bei dem Echten Lungenkraut (Pulmonaria officinalis), der FrühlingsPlatterbse (Lathyrus vernus) und Vergissmeinnicht (Myosotis). Die blaue Farbe der Commeline wird durch Farbpigmente hervorgerufen, die ein Molekulargewicht von 9,3 kD besitzen und einen Mg-Gehalt von 0,47 % aufweisen. Dabei liegen die beiden Magnesium-Ionen in der Mitte und werden von drei Molekülen Malonylawobanin und drei Flavocommelin-Molekülen abwechselnd umgeben. OH Malonsäure O
O
HO
4' OH
3' HO O
5'
O 7 5
O
HO HO
OH
OH
HO
3 O
O
O OH
OH O O C
β-D-Glucose
β-D-Glucose
Delphinidin
OH p-Cumarsäure
Malonylawobanin (Delphinidin-3-O-[6-O-p-cumaroylglucosid]-5-O-[6-O-malonylglucosid])
OH
HO 4' O HO
H3C O O
HO HO
OH O
β-D-Glucose
6
OH β-D-Glucose
F
O
O
OH
O
Flavocommelin
methyliertes Apigenin
M F 2 Mg
2+
M
M
Schematische Darstellung des Farbpigments Commelinin aus Commelina communis (M: Malonylawobanin, F: Flavocommelin)
F
Aus der Kornblume wurde von E. Beier 1958 der blaue Farbstoff Protocyanin gewonnen. Beier ermittelte ein Molekulargewicht von 6,2 kD, wobei Fe3+ und Al3+ essentielle Metalle sind. Die organischen Liganden bestehen aus Cyanin (19,2 %) und Kohlenhydraten (zu ca. 80 %), wobei Galacturonsäure eine Hauptkomponente darstellt. Spätere Untersuchungen zeigten, dass das Farbpigment des Protocyanin aus jeweils drei Dimeren des Anthocyanins und des Flavoglycosids
7.1 Derivate des 2-Phenylchromans und -chromons
487
besteht. Stabilisiert wird das Protocyanin durch ein Eisen-, zwei Magnesium- und zwei bis drei Calcium-Ionen, somit besteht der blaue Farbstoff der Kornblume aus einem tetranuklearen Metallkomplex, der abwechselnd von den Dimeren umgeben ist. Die folgende Abbildung zeigt jeweils das monomere Anthocyanin und Flavoglycosid des Protocyanins. Interessant ist, dass bei blauen Blütenfarbstoffen das Delphinidin überwiegt. So kommen bei der blauen Blume Salvia patens Pigmente vor, die als Protodelphin benannt werden, sie enthalten ebenfalls Delphinidin und Apigenin. OH 4' OH
3' HO HO
5'
O 7
O
HO HO
OH
HO
3
5
O
O
O OH
OH O O C
C O
β-D-Glucose
β-D-Glucose
OH
Cyanidin
Bernsteinsäure Anthocyanin (aus dem Farbpigment Protocyanin der Kornblume) OH
HO HOOC HO HO
4' O O O
OH Glucuronsäure
O
O β-D-Glucose
7 OH
OH O
O
O
C
C
OH
Malonsäure
O
Apigenin Flavonglycosid (aus dem Farbpigment Protocyanin der Kornblume)
Von der Hydrangea (Hortensie) ist bekannt, dass Al3+-Ionen die Blütenfarbe in Blau umfärben können. Folgende organische Bausteine sind bekannt: Delphinidin3-glucosid, 3-Caffeoylchinasäure, 3-p-Cumaroylchinasäure und 5-Caffeoylchinasäure. Eine Anordnung in einem Farbpigment und das Zusammenwirken von Kationen, Anthocyanin und Copigmenten ist bisher nicht eindeutig erklärbar. Neben den Anthocyanen treten auch selten die stabilen Desoxyanthocyane auf (Tabelle 7.6), deren Aglyconen (Desoxyanthocyanidine) die Hydroxygruppe an C3 fehlt. Die 3-Hydroxygruppe macht das Flavylium-Ion sehr reaktiv. Es wurden bisher keine Anthocyane mit freier Hydroxygruppe an C-3 gefunden; sie ist immer glycosidiert. Die Vielfalt der Anthocyane ergibt sich durch mannigfache Glycosidierungsgrade mit verschiedenen Zuckern (hauptsächlich Glucose, aber auch Galactose, Rhamnose, Xylose und Arabinose) meist an den Hydroxygruppen in Position 3 bzw. 3 und 5 sowie durch Acylierungen mit Zimtsäurederivaten (z. B. Kaffeesäu-
488
7 Flavonoide
re) oder Benzoesäurederivaten (z. B. Gallussäure) am Zuckerrest. Weiterhin kommen auch C-Glycoside vor. OH
HO HO
OH
OMe
O
O
O
O
OH
O HO HO
O
HO
HO HO
H
HO
+
OH
OH
O O
OH
O
OH
OH OH
O
O
O
O O
O
O
OH
O
OH
H O O HO H
O O
HO
HBA
O OH
Als Beispiel für ein sehr komplex aufgebautes Anthocyan soll das in der Literatur vielfach erwähnte „Heavenly Blue Anthocyanin“ (HBA) aus der Prunkwinde, Ipomoea tricolor, dienen, das aus Päonidin, zwei Molekülen Kaffeesäure und sechs Glucoseresten aufgebaut ist. Anthocyane bilden Assoziate mit sich selbst bzw. mit Flavonen (CoPigmentierung), indem sich die Moleküle schichtenweise übereinander legen. Dies führt zu einer Farbintensivierung und -veränderung (bathochrome Verschiebung). Weiterhin werden Komplexe mit Metallionen beobachtet. Auch die Struktur des HBA ergibt ein so genanntes „Sandwich Stacking“, bei dem sich die Kaffeesäurereste durch hydrophobe Interaktion parallel zum Päonodin anordnen. Anthocyan-Catechin-Dimere kommen als Alterungsprodukte im Rotwein vor. OH HO
H3C
HO OH
HO
R'
OH
O
OH
CH O
AnthocyanCatechinDimer R, R' = H oder OH
+
HO O
R O
OH OH OH
Bei den Synthesen von Anthocyanen ist vor allem die von Robinson zu erwähnen, da dadurch nicht nur zahlreiche Aglycone sondern auch verschiedene natürliche Glycoside dargestellt werden können. Hierbei wird ein geeignet substituierter
7.1 Derivate des 2-Phenylchromans und -chromons
489
o-Hydroxybenzaldehyd mit einem Derivat des ω-Hydroxyacetophenons kondensiert. Folgend ist die Darstellung des Glycosids Cyaninchlorid formuliert. OAc
OH
HO
O
+
OAc
HCl
CHO O
O
C6H7O(OAc)4
C6H7O(OAc)4
OAc OAc
Cl HO
O
+
1. NaOH 2. HCl C6H7O(OAc)4
O O
C6H7O(OAc)4
OH OH
Cl +
HO
HOH2C HO HO
O
HO O
O
OH O
O OH
OH CH2OH
Cyaninchlorid
7.1.7.1 Stabilität der Anthocyane in Lebensmitteln
Ein niedriger pH-Wert ist für die Stabilität der roten Anthocyane erforderlich. Temperatur und Sauerstoff tragen wesentlich zum Abbau bei. Der pH-Wert beeinflusst den thermischen Abbau, wobei die Anwesenheit von Wasser beim Abbau der Anthocyane eine große Rolle spielt. Bei der Be- und Verarbeitung sowie der Lagerung von Lebensmitteln mit Anthocyanen sollte die Sauerstoff-, Licht- und Temperatureinwirkung möglichst gering gehalten werden. Die pH-Werte können durch Zusatz von Citronensäure abgesenkt und Verfärbungen von konserviertem Gemüse durch Anwesenheit von Metallionen mit entsprechend lackierten Dosen vermieden werden. Besteht die Gefahr des Abbaus von Anthocyanen durch Enzyme, ist kurzzeitiges Erhitzen des Gemüses zu empfehlen. Ein Zusatz von SO2 führt zu einer Bleichung der Anthocyane. Die Zucker verleihen den Anthocyanen eine größere Stabilität und eine verbesserte Wasserlöslichkeit. Die Anthocyanidine (keine Zuckerkomponente) sind im Allgemeinen instabiler als die 3-Glycoside und 3,5-Glycoside, wobei die Stabilität der 3,5-Glycoside größer ist. Mehr freie OH-Gruppen vermindern die Stabilität, mehr Methoxygruppen (-OCH3) erhöhen sie. Zugesetzte Zucker scheinen unterschiedlich die Stabilität zu beeinflussen. In Erdbeeren kommt beispielsweise, als Ausnahme zu anderen heimischen Obstsorten, vorwiegend Pelargonidin-3-glucosid vor. Besonders diese Anthocyane (Gehalt ca. 130 mg/kg Trockensubstanz) sind gegen thermische Einwirkung empfind-
490
7 Flavonoide
lich und bauen sich auch bei der Lagerung zu braunfarbigen Folgeverbindungen ab. Während des Erhitzens kommt es zur Bildung von Chalconen. Auch Zuckerzusätze, hier besonders die Fructose, bewirken einen Abbau, der durch Sauerstoffeintrag beschleunigt wird. Am Zucker können Säuren wie p-Cumarsäure, Kaffeesäure und Ferulasäure acyliert sein. Tabelle 7.7. Anthocyane in Lebensmitteln Strukturformel
Aglykon
R1
R2
Glycosid (Beispiel)
R3/R4
Vorkommen
Pelargonidin Cyanidin
H
H
Fragarin
OH
H
Chrysanthemin
R3: D-Gal R4: H R3: D-Glc R4: H
Wald-, Gartenerdbeere Viele Beerenfrüchte, Süßkirsche, Pflaume, Pfirsich, Blutorange Apfel, Erdbeere, Kakao, Prunus-Arten, Birne, Holunderbeere Schwarze Karotte
Anthocyane R1 OH HO
O
R2 3
5
O R3 O R4
HO HO O
O
OH
β-L-Xylopyranose
OH OH
HO O O
OH β-D-Glucose
R3: D-Gal R4: H
3-Xylosylgalactosid
R3: Xyl-Gal R4: H R3: cf. Formel; R4: H
3-Xylosylglucosylgalactosid
O
HO HO
Idaein
Schwarze Karotte
Galactose
Xylosyl-glucosylgalactopyranose-Rest 1
O 2
HO
OH OH
D-Glucose
O HO
O HO
β-D-Glucose
OH OH
Rubrobrassin 3-Sophorosid-5glucosid Antirhinin
R3: 3 mol Glc; R4: H R3: cf. Formel; R4: β-Glc R3/Rut R4: H
Sambucicyanin
R3: Sambubiose; R4: H R3: D-Glc R4: H
Sophorose
Delphinidin
OH
OH
Myrtillin-a
Delphin
R3, R4: 2 mol DGlc
Rotkohl Rotkohl, Süßkartoffel Pflaume, Kirsche, Brom-, Him-, Johannisbeeren Rubus-, RibesArten, Holunderbeere Heidelbeere, Johannisbeere, Weinbeere, Blutorange, Passionsfrucht Sauerkirsche, Granatapfel, Gartenbohne, blaue Weintrauben
7.2 Derivate des 3-Phenylchromons Strukturformel
Aglykon
R1
R2
Päonidin
OCH3 H
Petunidin OCH3 OH
Malvidin
Glycosid (Beispiel) Oxycoccicyanin Gossypin
R3/R4
Vorkommen
R3/ D-Glc R4: H C8/ D-Glc R3, R4: H
Kirsche, Moosbeere, Pflaume Okra (Abelmoschus esculentus Moench) Blaue Weinbeere, Heidelbeere, Muskatellertraube Heidelbeere, Moosbeere Pflaume, Heidelbeere, Weinbeere, Gartenbohne
Petunin
R3/ D-Glc R4/ D-Glc
OCH3 OCH3 Primulin
R3/ D-Gal R4: H R3/ D-Glc R4: H
Önin
491
Acylierte Anthocyane (Tabelle 7.8) sind stabile Derivate, wobei die Zuckerkomponente oft durch p-Cumarsäure acyliert ist. Diese Verbindungen kommen in violetten Kartoffeln, roten Trauben und Radieschen vor.
7.2 Derivate des 3-Phenylchromons Die Derivate des 3-Phenylchromons (Isoflavon) werden auch Isoflavonoide genannt. Sie spielen eine weniger bedeutende Rolle. Einige Beispiele sind in Tabelle 7.9 aufgelistet. Es sind auch einige Isoflavanone bekannt. Sojabohnen enthalten Isoflavone (etwa 180 mg/100 g), die aufgrund ihrer dem Östradiol entsprechenden Struktur als Phytoöstrogene bezeichnet werden. Bevorzugt kommen die Isoflavone in Form von Glycosiden vor, die im Darm durch Bakterien enzymatisch hydrolysiert werden. Die Isoflavone Genistein (Aglykon des Genistins) und Daidzein (Aglykon des Daidzins) kommen in relativ hohen Gehalten vor, in geringerer Menge findet sich auch Glycitein (Aglykon des Glycitins). Bei Schafen, die große Mengen an Klee (Trifolium sp.) fressen, wurde eine ausgeprägte Infertilität festgestellt. Ursache dafür ist das Formononetin im Klee, welches im Pansen der Schafe zu Daidzein demethyliert wird. Luteon kommt in den Früchten von Lupinus luteus (Gelbe Lupine) vor und besitzt starke fungizide Wirkung. Aspergillus flavus ist in der Lage die Prenylseitenkette zu hydratisieren. In der Regel entstehen dabei weniger aktive Verbindungen. HO
O
OH Luteon
O
OH
HO
Aspergillus flavus
O
OH
OH HO
O
Luteonhydrat
OH
OH
492
7 Flavonoide
Tabelle 7.8. Acylierte Anthocyane in Lebensmitteln Acylierte Anthocyanglykoside Pelargonidinglycoside
O O O
Zuckereinheit
Vorkommen
3-Rutinosid-5glucosid 3-Sophorosid-5glucosid
Kartoffel
Raphanusin B
Ferulasäure
Rettich
Raphanusin C
p-Cumarsäure
3-Sophorosid-5glucosid 3-Sophorosid-5glucosid
Rubrobrassicin
Sinapinsäu- 3-Sophorosid-5re glucosid Ferulasäure R: s. Formel
Pelanin
Rettich, Radieschen (als acylierte Reste kommen auch Ferula-, Malon- und Kaffeesäure vor, die genaue Stellung ist nicht geklärt)
Cl
3
5
Acylgruppe p-Cumarsäure p-Cumarsäure
Raphanusin A
OH HO
Name
Sophorose
Glc
Pelargonidin-3-sophorosyl-5-glucosid
Cyanidinglycoside
OH OH HO
O 3
5
Cyanidin-3feruloyl-xylosylglucosylgalactosid
H3C O
HO HO O
OH
β-L-Xylopyranose O
O O HO HO
OH OH
β-D-Glc O O OH
HO
O 5
3
O R O R'
Cyanidin-3cumaroylsinapoylsophorosid-5glucosid
OH
O
Ferulasäure
OH
Schwarze Karotte (auch p-Cumarsäure kommt als Acylrest vor)
OH
O R
OH
Rettich, Rotkohl, in jap. Rettich kommen auch Reste wie bei Radieschen vor Rotkohl
p-Cumarsäure; Sinapinsäure
Galactose
Rotkohl
R: s. Formel R’: β-Glc HO
1
O 2
O
O D-Glucose
O
OH OH 1 O OH Sophorose
p-Cumarsäure HO
O O CH3 Sinapinsäure O
Päonidinglycoside
Peonanin
Petunidinglycoside
Petanin Petunidin-3(p-cumaroylglucosid)
p-Cumarsäure p-Cumarsäure p-Cumarsäure
OH OH β-D-Glucose
3-Rutinosid-5glucosid 3-Rutinosid-5glucosid 3-Glucosid
Kartoffel Kartoffel Weinbeere
7.2 Derivate des 3-Phenylchromons 8
O
7 6
4
493
O
2 2' 3
3'
5
O
O
4'
6' 5'
Isoflavon
Isoflavanon
Tabelle 7.9. Einige Isoflavone
Name Daidzein Formononetin Genistein Prunetin Biochanin A Orobol Santal Pratensein Caviunin
OH an C7, 4’ 7 5, 7, 4’ 2, 4’ 3, 7 5, 7, 3’, 4’ 5, 3’, 4’ 5, 7, 3’ 5, 7
OCH3 an C-
7 4’
Glycitein
7, 4’
6
4’
7 4’ 6, 2’, 4’, 5’
Vorkommen, z. T. als Glycoside (Bsp.) Sojabohnen Klee Rotklee Rinde Pflaumenbaum Kichererbsen Aspergillus niger Sandelholz Klee Dalbergia Spp. und in den Samen von Schlangengurken (Trichosanthus anguinea) kommt ein acyliertes Glycosid vor Sojabohnen
Isoflavone sind gegenüber Alkalien empfindlicher als Flavone. Bei dieser Reaktion bildet sich immer Ameisensäure. Genistein zerfällt dabei in Phloroglucin, p-Hydroxyphenylessigsäure und Ameisensäure. COOH
O
HO
KOH
OH
O
OH
OH
HO
+ OH
+
HCOOH
OH
Isoflavone lassen sich durch Kondensation entsprechend substituierter Desoxybenzoine mit Ameisensäureethylester in Gegenwart von Natrium oder Orthoameisensäure mit Pyridin/Piperidin als Katalysator herstellen. Anstelle der o. g. C1Verbindungen kann auch Ethoxalylchlorid in Pyridin zur Erzeugung des C-2 im Isoflavon benutzt werden. Gute Ausbeuten lassen sich auch bei Verwendung von Methansulfonylchlorid als C1-Komponente mit Bortrifluoridetherat in Dimethylformamid erzielen. Problem bei all diesen Synthesen ist die häufig schlechte Ausbeute bei der Darstellung der benötigten Desoxybenzoine. Effektiver ist deshalb ein Weg, der ausgehend von aromatischen Acetophenonen und Aldehyden zu Chalkonen führt, die dann einer Oxidation mit Thalliumnitrat unterzogen werden. Ein zwischenzeitlich gebildetes Acetal kann durch Säure oder Base zum Isoflavon cyclisiert werden. So kann man mit dieser Synthese auch Substanzen mit säurela-
494
7 Flavonoide
bilen funktionellen Gruppen, wie z. B. einem Dimethylchromenring herstellen. Allerdings kann dieser durch das Thalliumnitrat oxidiert werden. Freie Hydroxygruppen werden durch Acetalisierung vor Oxidation geschützt. Diese Methode kann auch zur Synthese von O- und C-Glycosiden verwendet werden.
O O
Ac O
OAc
Tl(NO3)2
O
O
CH(OCH3)2 O
MeOH O
1. CH3ONa 2. H+
O-CH2-O-CH3
O CH3-O-CH2-O
O
O
O
OH
O O O
Eine Umlagerung des A-Rings von Isoflavonen führt von 5,7,8- zu sonst schwer darstellbaren 5,6,7-substituierten Verbindungen. Caviunin lässt sich dadurch aus 7-Hydroxy-5,8,2’,4’,5’-pentamethoxyisoflavon synthetisieren. Voraussetzung dafür ist eine freie Hydroxygruppe an C-5, während die anderen Sauerstofffunktionen als Ether vorliegen. Deshalb wird die Ausgangssubstanz durch partielle Entmethylierung in das Isocaviunin umgewandelt, das man dann in Position 7 benzyliert. Unter Einwirkung von Kaliumethanolat öffnet sich der C-Ring und schließt sich nach Drehung des Rings A um 180° wieder, wobei sich das thermodynamisch stabilere Produkt bildet. Nach Abbspaltung des Benzylrestes erhält man Caviunin. OMe HO
OMe O
OMe
OMe O OMe OMe
O
HO
OH
OMe
O OMe
Isocaviunin
OMe
7.2 Derivate des 3-Phenylchromons
495
OMe H5C6CH2O
O
OMe CH3-CH2OK
O
OH
OMe OMe H5C6CH2O
O
H2/Pt
MeO OH
O
HO
OMe
OMe
MeO
O
OH
OMe
O OMe
OMe
Caviunin
OMe
7.2.1 Rotenoide
Die Rotenoide leiten sich von den Isoflavonen ab. Von besonderem Interesse ist das Rotenon, welches weit verbreitet in Leguminosen vorkommt, z. B. in Pachyrrhizus erosus und in den Wurzeln der Fabaceae Derris elliptica. Es wirkt als Insektizid, ist für Säugetiere aber ungiftig. Auch Rotenolon, das 12aHydroxyrotenon, wurde aus Pachyrrhizus erosus isoliert. O O
O
O
CH3
O
O CH3
O
H 12a 6a O H
Rotenon
O
O
CH3 O CH3
OH 12a 6a O H
Rotenolon
7.2.2 Pterocarpane
Die Pterocarpane leiten sich ebenfalls von den Isoflavonen ab, es liegen zusätzliche Ringe vor, die Sauerstoff enthalten. Die Phytoalexine Phaseolin und Pisatin sind Vertreter der Pterocarpane. Phaseolin kommt in Kidneybohnen (Phaseolus vulgaris) und Vigna unguiculata vor, das 1-Methoxyphaseolin wurde in Süßholzwurzeln (Glycyrrhiza glabra) gefunden. Pisatin ist ein Stressmetabolit aus Pisum sativum und Trifolium pratense. Daneben gibt es weitere Pterocarpane, die ebenfalls in Leguminosen vorkommen. Als 3,9-Dihydroxypterocarpane mit zwei Pre-
496
7 Flavonoide
nylresten finden sich das Erythrabyssin II und das Erybraedin A in Phaseolus lunatus. Der 3-Methylether des Calopocarpins enthält nur einen Prenylrest, er ist Bestandteil in Erythrina glauca. Licoagrocarpin ist ein 9-Methylether, der in den Süßholzwurzeln vorkommt. Isomedicarpin findet sich in der Flügelbohne (Psophocarpus tetragonolobus). Dolichin B kommt in Dolichos biflorus vor. R10 R1 R2
H
R10
OR9 9
O
H
R2
1 3
O
1
H
HO
H
3
O
R3
R4
OH 9
O
Calopocarpin: R2 = Prenylrest; R3 = OH; R10 = H 3-Methylether: R2 = Prenylrest; R3 = OCH3; R10 = H Isomedicarpin: R2, R10 = H; R3 = OCH3 Dolichin B: R2 = H, R3 = OH; R10 = 2'
Prenylrest (3-Methyl-2-butenylrest) Erythrabyssin: R1, R4, R9 = H; R2, R10 = Prenylrest Erybraedin A: R1, R2, R9 = H; R4, R10 = Prenylrest Licoagrocarpin: R1, R2 = H; R9 = CH3; R4 = Prenylrest Phaseollidin: R1, R2, R4, R9 = H; R10 = Prenylrest 1-Methoxyphaseollidin: R1 = OCH3; R2, R4, R9 = H; R10 = Prenylrest
OH 2-Hydroxy-3-methyl3-butenylrest ((2'S)-Form)
In Rotklee (Trifolium pratense) kommen Maackiain, dessen O-β-D-Glucopyranosid Trifolirhizin und das 6a-Hydroxymaackiain, ein Phytoalexin, vor. Phaseolidin kommt in vielen Leguminosen vor, z. B. in Phaseolus vulgaris, P. aureus und P. calcaratus. 1-Methoxyphaseolidin kommt in den Samen der Flügelbohne vor.
O O
H 1
8
O
O O
H
O
Maackiain: R3 = H Trifolirhizin: R3 = β-D-Glucose
O
1 3
H
3 R3O
9
R3O
O
H
O H
OH O
6a-Hydroxymaackiain: R3 = H, Pisatin: R3 = CH3
HO
O Phaseolin
7.3 Aurone Die Aurone stellen die kleinste Gruppe der Flavonoide. Biosynthetisch leiten sie sich von den Chalkonen (Kap. 7.4) ab. Es handelt sich um 2-Benzyliden-3benzofuranone mit unterschiedlichen Hydroxylierungsmustern. In den Auronen liegt der B-Ring als 5-Ring vor.
7.4 Chalkone 7
3'
O
6
497
CH
4'
2-Benzyliden-3-benzofuranon
5 4
5'
O
Das 4’,6’-Dihydroxyauron Hispidol und dessen 6-O-β-D-Glucopyranosid findet sich in den Keimlingen der Sojabohne. Aus Süßholzwurzeln (Glycyrrhiza glabra) wurde das Licoagroauron, ein 3’,4’,6’-Trihydroxy-7-prenylauron, isoliert. In Zitronen kommt das Tetrahydroxyauron Aureusidin vor, in den Samen des NepalKardamom (Amomum subulatum) das Subulin, der 4-Methylether eines Pentahydroxyauronglycosids. R7 RO 6
R6
O
4'
CH
CH
OH R4
O R = H oder β-D-Glucose Hispidol und dessen Glucosid
R3' O R4'
O
R5'
Licoagroauron: R3', R4', R6 = OH; R4, R5' = H; R7 = Aureusidin: R3', R4', R4, R6 = OH; R5', R7 = H Subulin: R3', R4', R5' = OH; R7 = H; R4 = OCH3; HO O
R6 =
HO
CH3 OH
HO O
O HO
O OH
6-O-(α-L-Rhamnopyranosyl[1
4]β-D-glucopyranosid)
7.4 Chalkone Die Chalkone kommen als Glycoside nur in wenigen Pflanzenfamilien vor. Ihnen fehlt der zentrale, heterocyclische C-Ring. Statt dessen haben sie eine C3-Kette mit einer α,β-ungesättigten Ketogruppe. Neben einfachen, hydroxylierten und methoxylierten Chalkonen sowie deren Glycosiden kommen auch komplexere Strukturen mit zum Teil einem oder mehreren Isoprenylresten vor, wie z. B. Xanthohumol E aus dem Hopfen, Humulus lupulus.
O 6
ß
2 3
OH
5'
α 4
O
6'
5
4'
2' 3'
HO
Butein: OH an C-3, 4, 2', 4' Isoliquiritigenin: OH an C-4, 2', 4' Robtein: OH an C-3, 4, 5, 2', 4' Pedicin: OH an C-2', 5', OCH3 an C-3', 4', 6'
O
Xanthohumol E
OH
498
7 Flavonoide
Weitere Dihydrochalcone sind das in Äpfeln vorkommende Phloretin und das Aspalathin, welches im Rooibos-Strauch vorkommt. Es wird während des Fermentations- und Trocknungsprozesses durch oxidative Cyclisierung unter Hitzeeinwirkung in das korrespondierende Diastereomere (R)- oder (S)- umgesetzt. OH
O
HO HO HO
2' 4' 6' HO
OH
OH Phloretin
1
O
O OH HO
4
OH
Aspalathin
OH
OH OH
Das Neohesperidin-dihydrochalcon besitzt eine intensive Süßkraft, die mehr als 600-mal stärker ist als die von Saccharose. In der EU ist der Einsatz als Süßungsmittel in geringen Konzentrationen (= 10 ppm) erlaubt. OH
O
HO O
HO HO HO
O
OH
OH
O
O CH3
O HO
CH3 OH
Neohesperidin-dihydrochalcon
Auch in Süßholz (Glycyrrhiza glabra) finden sich Chalcone wie das Kanzonol Y, ein Derivat des Phloretins und das Licochalcon A. In der Weißen Maulbeere (Morus alba) kommt Kuwanol D vor, aus Olivenblättern wurde Olivin isoliert. OH
HO
O
OH
HO
OH
O
OH
OH
OH
Kanzonol Y
Kuwanol D
O O
CH3
OH
O
HO OH
HO
OH
O CH3 OH
Licochalcon A
Olivin
7. 5 Biosynthese der Flavonoide
499
7. 5 Biosynthese der Flavonoide Der einleitende Biosyntheseschritt der Flavonoide ist die durch PhenylalaninAmmoniak-Lyase (PAL) katalysierte Umwandlung von Phenylalanin in (E)Zimtsäure. Diese wird hydroxyliert, z. B. zu p-Cumarsäure, die als Coenzym-AEster mit drei Malonyl-CoA Einheiten zum Chalkon kondensiert. Dieses cyclisiert zum Flavanon, dem Naringenin. Aus diesem entstehen durch Oxidationsreaktionen die verschiedenen Flavanoidklassen. So führt eine Hydroxylierung zum Aromadendrin ([2R,3R]-Dihydrokaempferol). Dehydrierung von Naringenin führt zu Apigenin und die von Aromadendrin zum Kaempferol. Flavan-3-ole, Flavan-3,4diole und Anthocyanidine haben keine Carbonylgruppe mehr an C-4. Reduktion der Carbonylgruppe von Flavanonolen führt über die 3,4-Diole zu den Flavan-3olen. Der Mechanismus der Bildung von Anthocyanen aus den Diolen ist noch nicht geklärt. Die oligomeren Proanthocyanidine entstehen wahrscheinlich aus Flavan-3,4diolen und/oder Flavan-3-olen über eine oxidative Dimerisierung oder sauer katalysierte Kondensation.
COOH NH2
SCoA
SCoA
O
O
PAL CoA
Phenylalanin
(E)-Zimtsäure CoA
HO
OH
CoA HOOC-CH2-CO-SCoA
p-Cumarsäure CoA
S
O O
OH
O
OH
HO
O OH O
HO Isomerase
OH
O
OH
Chalkon
O
Naringenin OH
O
HO
OH O
HO OH
OH
O
Aromadendrin
OH
O
Apigenin
500
7 Flavonoide
Aromadendrin
OH
OH
O
HO
O
HO OH
OH
OH
OH
O
OH
Kaempferol
Leucopelargonidin OH
OH
+
O
HO
O
HO OH
OH
OH
OH
Afzelechin
Pelargonidin
Die Biosynthese der Isoflavone erfolgt ebenfalls aus den Flavanonen. Für die Umlagerung wird ein radikalischer Mechanismus angenommen. OH HO
O
H
OH HO
O
H H O
Liquiritigenin
H C
O
O
H
OH
(Fe)V
(Fe)IV
(Fe)IV HO
O
H
OH
C
HO
H
O
(Fe)III
OH - H2O
O HO
H
O
OH
O
Daidzein O
OH
H OH
7.6 Biologische Aktivität von Flavonoiden
501
7.6 Biologische Aktivität von Flavonoiden Es ist schon lange bekannt, dass Flavonoide entzündungshemmende Eigenschaften haben. Das Interesse an dieser Aktivität hat in letzter Zeit zugenommen, seit gefunden wurde, dass einige Flavonoide die Prostaglandin-Synthese hemmen, während andere diese stimulieren. Eine weitere brauchbare Eigenschaft vieler Flavonoide ist, dass sie ausgezeichnete Enzyminhibitoren sind. Folgende pharmakologische Wirkungen von Flavondrogen und Flavonoiden sind bekannt: antihämorrhagisch, antisklerotisch, antiphlogistisch, antiödematös, koronardilatierend, spasmolytisch (Kamille), antihepatotoxisch, östrogen, diuretisch (Birkenblätter), antiviral und antiallergisch. Epidemiologische Untersuchungen haben ergeben, dass der Verzehr flavonoidhaltiger Lebensmittel (Obst, Gemüse) offensichtlich mit einem verminderten Risiko der Entstehung von Krebs und Erkrankung der Herzkranzgefäße verbunden ist. Es wurde eine inverse Beziehung zwischen der täglichen Flavonoidaufnahme und kardiovaskulären Erkrankungen festgestellt. Dies wird darauf zurückgeführt, dass diese Substanzen aufgrund ihrer phenolischen Struktur als Antioxidanzien Radikale abfangen können. Reaktive Sauerstoff-Spezies sind an der Entstehung von chronischen Erkrankungen, wie Arteriosklerose, Polyarthritis, Diabetes und Krebs sowie an Alterungsprozessen beteiligt. In vielen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass Flavonoide in der Lage sind, diese reaktiven Sauerstoff-Spezies abzufangen. In Frankreich wird der Konsum von Rotwein für ein niedrigeres Risiko für koronare Herzerkrankungen verantwortlich gemacht (French Pardoxon). Rutin-, Hesperidin- und Naringin-haltige Drogen werden gegen Erkrankungen der Venen eingesetzt. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass vor allem Procyanidine bei Herzkreislauferkrankungen bemerkenswerte Wirkungen besitzen. In verschiedenen Invitro und In-vivo Modellen konnte eine Steigerung des koronaren Durchflusses nachgewiesen werden. Die Procyanidine zeigen unterschiedliche Wirkungen auf Herzfrequenz und Herzrhythmus. Sie senken den Blutdruck und verhindern nach oraler Gabe die selektive Ablagerung von Cholesterin im arteriellen Gewebe. Allgemein scheint die biologische Aktivität von Anthocyanidinen mit geringerer Anzahl von Zuckereinheiten zuzunehmen, ebenso mit steigender Anzahl an Hydroxylgruppen an dem Aglycon. Beispielsweise steigt bei den Cyanidinglycosiden sowohl die antioxidative Aktivität als auch die hemmende Wirkung auf das Enzym Cyclooxygenase mit der Abnahme der Zuckereinheiten. Cyanidin-rutinose zeigt eine bessere Aktivität als Cyanidin-glucosylrutinose, und das CyanidinAglycon zeigt die höchste Aktiviät bei deutlich geringeren Konzentrationen. Aglycone wie Delphinidin und Cyanidin mit ortho-Dihydroxyphenyl-Struktur am B-Ring und deren Glycoside besitzen eine anticancerogene und entzündungshemmende Wirksamkeit und induzieren Apoptosis. Dabei scheint die orthoDihydroxyphenyl-Struktur notwendig für diese Wirksamkeit, wobei die der Aglycone wiederum höher ist als die der Glycoside. Vom pharmakologischen Gesichtspunkt aus sind Biflavonoide nicht besonders gut untersucht. Es wurden aber spasmolytische, antiarthritische und antivirale Wirkungen sowie Aktivitäten gegen Malaria beschrieben.
502
7 Flavonoide
Pedicin (2’,5’-Dihydroxy-3’,4’,6’-trimethoxychalkon) besitzt eine krebshemmende Aktivität.
Literatur Empfohlene Monographien
1. 2. 3. 4.
J.B. HARBORNE, T.J. MABRY: The flavonoids: Advances in research, Chapman and Hall, London – New York, 1982 J.B. HARBORNE: Flavonoids: Advances in research since 1986, Chapman and Hall, London, 1994 J. Bruneton: Pharmacognosy, phytochemistry, medicinal plants, Intercept, London – Paris – New York, 2, Aufl., 1999 W. TERNES: Naturwissenschaftliche Grundlagen der Lebensmittelzubereitung, Behr’s Verlag, Hamburg, 2008
Übersichtsartikel
5.
J.B. HARBORNE, C.A. WILLIAMS: Anthocyanins and other flavonoids, Natural Product Reports, 15, 631 (1998) 6. J.B. HARBORNE, C.A. WILLIAMS: Anthocyanins and other flavonoids, Natural Product Reports, 18, 310 (2001) 7. J. HEILMANN, I. MERFORT: Aktueller Kenntnisstand zum Metabolismus von Flavonoiden. I. Resorption und Metabolismus von Flavonolen, Pharmazie in unserer Zeit, 27, 58 (1998) 8. J. HEILMANN, I. MERFORT: Aktueller Kenntnisstand zum Metabolismus von Flavonoiden. II. Resorption und Metabolismus von Flavonen, Flavanonen, Flavanen, Proanthocyanidinen und Isoflavonoiden, Pharmazie in unserer Zeit, 27, 173 (1998) 9. R. KAUL: Pflanzliche Procyanidine: Vorkommen, Klassifikation und pharmakologische Wirkung, Pharmazie in unserer Zeit, 25, 175 (1996) 10. T. GOTO: Structure, stability and color variation of natural anthocyanins, Progress in the Chemistry of Organic Natural Products, 52, 113, Springer, Wien – New York, 1987 11. D. FERREIRA, E.V. BRANDT, J. COETZEE, E. MALAN: Condensed tannins, Progress in the Chemistry of Organic Natural Products, 77, 21, Springer, Wien – New York, 1999 12. G. BRINGMANN, C. GÜNTHER, M. OCHSE, O. SCHUPP, S. TASLER: Biaryls in nature: A multi-facetted class of stereochemically, biosynthetically, and pharmacologically interesting secondary metabolits, Progress in the Chemistry of Organic Natural Products, 82, 78, Springer, Wien – New York, 2001
Literatur
503
13. S. TAHARA: A Journey of Twenty-Five Years through the Ecological Biochemistry of Flavanoids, Biosci. Biotechnol. Biochem., 71 (6), 1387–1404 (2007) 14. K. TAKEDA: Blue metal complex pigments involved in blue flower color, Proc. Jpn. Acad., Ser. B 82, 142 – 154 (2006)
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine
Porphyrine und die verwandten Tetrapyrrolmakrocyclen wie Chlorine, Bacteriochlorine und Corrine sind die meist verbreiteten natürlichen Pigmente. Sie sind als prosthetische Gruppen, koordiniert zu einem Metallatom, Bestandteile von Proteiden (Proteid = Protein + prosthetische Gruppe). Ihre Aufgaben sind z. B. Sauerstofftransport und -Speicherung (Hämoglobin und Myoglobin), Elektronen- und Energietransfer (Cytochrome und Chlorophyll) sowie die Katalyse biochemischer Reaktionen (Vitamin B12 und Cytochrom P 450). In der Pathobiochemie sind die metallfreien Porphyrine als Ursache für die Porphyrie-Erkrankungen von theoretischem Interesse. Weiterhin gewinnen Porphyrine in der Tumordiagnostik und Tumortherapie zunehmend an Bedeutung. 5
3 2
A 1
6
N
N
9
23
11
B 21
18
H
24
D 17
22
H
20 19
7
4
N
10
N
16
8
14 15
C
Porphin 1
12
13
Das Porphin 1 besitzt ein konjugiertes 18π-Elektronensystem und erfüllt damit die (4n+2)-Hückel-Regel für Aromatizität. Die entsprechend substituierten Porphine werden als Porphyrine bezeichnet. Die Porphyrine werden nach ihrem Oxidationszustand klassifiziert. Das im Vitamin B12 vorkommende Tetrapyrrol leitet sich vom Corrin 2 ab; das entsprechende unsubstituierte volloxidierte Basissystem wird als Corrol 3 bezeichnet.
N
N
NH
HN
H
H H
N
N
N
N
Chlorin
H NH
HN
Porphyrinogen
N
N
Bacteriochlorin
506
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine
N
N
N
N
N
N
H H N
H
Isobacteriochlorin
F 430
N
N
H
H
N
N
N
H
H N
N
N
Corrol 3
N
Corrin 2
8.1 Porphyrine Stellvertretend für eine Vielzahl von natürlich vorkommenden Porphyrinen sind Beispiele aufgeführt, die sich vom Hämin 4 ableiten: CH3
R H3C
R N
N H H N
N
H3C
CH3 CH2
CH2
CH2
CH2
R'
R'
Name
R
R'
Nr.
Protoporphyrin IX
CH=CH2
COOH
5
Hämatoporphyrin
CH(OH)-CH3 COOH
6
Mesoporphyrin
CH2-CH3
COOH
7
Etioporphyrin
CH2-CH3
H
8
8.1 Porphyrine
507
Die partialsynthetische Herstellung dieser Porphyrine erfolgt aus dem Hämoglobin durch Erhitzen von Blut mit Eisessig in Gegenwart von Natriumchlorid (Abb. 8.1). Hierbei entsteht, durch gleichzeitige Oxidation von Fe2+ zu Fe3+ aus dem Häm, das Hämin 4. Das Zentralatom kann durch Umsetzung von Hämin mit Ameisensäure/Eisenpulver entfernt werden. Hierbei wird das Fe3+ wieder zu Fe2+ reduziert, welches aufgrund seiner kleineren Komplexbildungskonstante mit dem Makrocyclus nun einfacher entfernt werden kann. Das erhaltene Porphyrin wird als Protoporphyrin IX 5 bezeichnet (es gibt insgesamt 15 isomere Protoporphyrine). Unter drastischeren Bedingungen mit HBr/Eisessig wird nicht nur das Zentralatom entfernt, sondern es findet auch eine Addition von Wasser an die Vinyldoppelbindung statt. Man erhält das Hämatoporphyrin 6. Die Reaktion von Hämin 4 mit HI/Eisessig ergibt ebenfalls eine Demetallierung unter gleichzeitiger Reduktion der Vinylgruppen zum Mesoporphyrin 7. Basische Pyrolyse ergibt das Etioporphyrin 8. Porphyrine zeichnen sich durch ihr charakteristisches Absorptions- und Fluoreszenzspektrum aus. Das metallfreie Porphyrin hat eine charakteristische Bande bei 400 nm (Soret-Bande) sowie weitere vier Banden zwischen 450 und 700 nm. Die Lichtempfindlichkeit der Porphyrine kann über die Fähigkeit, als Photosensibilisator Singulettsauerstoff zu bilden, erklärt werden. Durch Lichtabsorption wird das Porphyrinsystem angeregt. Porphyrine sind nun in der Lage, diese Energie an das im Grundzustand befindliche Sauerstoffatom (Triplettzustand) zu transferieren, wobei das Porphyrin in den Grundzustand zurückkehrt. Aus dem Triplettsauerstoff (Diradikal) ist nun der energetisch angeregte Singulettsauerstoff entstanden. 3O (. 2
O-O . )
1O (O=O) 2
In Abb. 8.2 sind einige lichtinduzierte Reaktionen von Porphyrinderivaten in Gegenwart von Sauerstoff dargestellt. Eine Umsetzung von Protoporphyrindimethylester 9 in einem organischen Lösungsmittel mit Sauerstoff ergibt durch Bildung von 1O2 eine [4+2]-Cycloaddition zu l0a und 10b. Die anschließende Zersetzung der Endoperoxide l0a und 10b führt zu den Hydroxyaldehyden 11a und 11b. H O 1O
N
9
2
hν [4 + 2]
O OH
O
N
10a
N
11a
Die Reduktion von 11a mit NaBH4 führt zum Diol 12a, das sauer katalysiert zum 1,2-Diol 13a isomerisiert. Durch Periodatspaltung erhält man den Aldehyd 14a. Verbindung 14a ist das Spirographisporphyrin, das als Eisenkomplex die prosthetische Gruppe des Blutfarbstoff-Proteids von Polychätwürmern darstellt.
508
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine
Hämoglobin AcOH
N
N Fe N
NH
HCOOH
+
Fe
N
N
N
HN
CH2
CH2
CH2
CH2
CH2
CH2
CH2
CH2
COOH
COOH
COOH
COOH
Hämin 4
Protoporphyrin IX 5
HI/AcOH
HBr/AcOH OH
NH
N
NH
N
N
HN
CH2
CH2
CH2
N
OH
HN
CH2
CH2
CH2
CH2
CH2
COOH
COOH
COOH
COOH
Mesoporphyrin 7
Hämatoporphyrin 6
NaOH/Δ
NH
N
Etioporphyrin 8 N
HN
Abb. 8.1. Herstellung von Porphyrinen aus Hämoglobin
8.1 Porphyrine
NH
N
ROOC
CH2 CH2
(Phospholipidvesikel)
O
509
N
Protoporphyrinderivat R = CH3 9
HN
H2C
CH2 COOR
hν/O2 [2 + 2]
hν/O2 [4 + 2] H
H
H
O HO 1. NaBH4 2. H+/HIO4
N
NH
N
N
HN
CH2 CH2
HN
NH
H2C
COOR
CH2
CH2 CH2
COOR
COOR
N
H2C
COOR
Chlorocruoroporphyrin 14a (Spirographisporphyrin)
11a
+
+ OH
O NH
N
CH2 CH2
N
H
14b
1. NaBH4 2. H+/HIO4
NH
HN
N
H2C
COOR
CH2
CH2
CH2 CH2
COOR
COOR
CHO
N
H
HN
H2C
CH2 COOR
11b
Abb. 8.2. Lichtinduzierte Reaktionen von Porphyrinderivaten in Gegenwart von Sauerstoff
510
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine H O OH
HOCH2 OH
NaBH4
HOCH2 H2O/H+
OH
CHO
NaIO4
N
N
N
N
11a
12a
13a
14a
Wird die Umsetzung mit Sauerstoff im wässrigen Medium oder im Phospholipidvesikel durchgeführt, entstehen in einer [2+2]-Cycloaddition die 1,2-Dioxetane 15a und 15b. Diese ergeben über eine Cycloreversion die Aldehyde 14a und 14b. O 1O
O
2
hν
CHO
- HCHO Cycloreversion
[2 + 2] N
N
9
15a
N
14a
Die Acylierung von Hämatoporphyrin 6 ergibt wichtige Produkte für die Tumortherapie und Diagnostik. CH3
R
Hämatoporphyrin 6
1. 5% H2SO4 CH3COOH 2. NaOH
H3C
R' NH
N
N
HN
H3C R -CH(OH)-CH3 -CH(OAc)-CH3 -CH=CH2 -CH(OAc)-CH3 -CH=CH2 -CH(OH)-CH3 -CH(OAc)-CH 2 -CH(OH)-CH3
R' -CH(OH)-CH3 -CH(OAc)-CH3 -CH(OAc)-CH3 -CH=CH2 -CH(OH)-CH3 -CH=CH2 -CH(OH)-CH3 -CH(OAc)-CH3
Nr. 6 16
CH3 CH2
CH2
CH2
CH2
COOH
COOH
18
Das Hauptprodukt ist hierbei das Diacetat 16. Als weitere Komponente wird ein Dimer 17 isoliert, sowie die entsprechenden Eliminierungsprodukte wie z. B. 18.
8.1 Porphyrine
HOOC
CH2
CH3
H3C
CH2
H
C NH
HOOC
H
CH2
N
N
O
CH3
CH3
H3C
C
HN
N
CH2 COOH
HN
CH3 H3C
CH2 H3C
CH3
HO
H3C
CH2 COOH CH2
N
NH
CH3
511
CH2 CH3
OH
17
Diese Verbindungen werden bei parenteraler Applikation zuerst in allen Organen statistisch verteilt. Nach 24 h konzentrieren sich diese Präparate fast ausschließlich in Tumorzellen. Aufgrund der Singulettsauerstoff-Bildung, die für Zellen hochtoxisch ist, besteht nun die Möglichkeit, durch Bestrahlung mit rotem Licht (632 nm) die Tumorzellen selektiv zu zerstören. Auch bei Einlagerung von Porphyrinen in gesunden Zellen kann durch eine gezielte Bestrahlung des Tumors eine selektive Therapie erreicht werden. Für die Einlagerung in die Zellmembran werden die Acylierungsprodukte aufgrund ihrer Lipophilie benötigt. Es gibt Hinweise darauf, dass das eigentlich aktive Produkt das Dimer 17 ist. Die Porphyrie-Erkrankung beim Menschen, verursacht durch die Störung der Hämbiosynthese, ist eng mit dem oben dargestellten Wirkungsmechanismus verbunden. Die Erkrankung äußert sich durch Hautschädigungen, von anfänglicher Blasenbildung über lepraartige Narben bis zur Verstümmelung unbedeckter, peripherer Gliedmaßen, verursacht durch Licht. Aus dem Urin erkrankter Personen konnte Uroporphyrin I 26a und Koproporphyrin I 19a isoliert werden (s. Kap. 8.4). Das Porphyrin 19a entsteht durch Decarboxylierung aus 26a. HOOC
HOOC COOH
CH3
HOOC NH
H3C
COOH
N
NH
N COOH
Δ
N
HN
N
- CO2
HN CH3
COOH HOOC COOH
COOH
H3 C
COOH
26a
19a
COOH
512
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine
Anhand von Modellversuchen wurde gezeigt, dass der durch Bestrahlung gebildete Singulettsauerstoff (Photosensibilisierung) mit dem Vitamin-A-acetat in der Haut unter Bildung von Endoperoxiden reagiert. 8.1.1 Synthese von Porphyrinen
Die Umsetzung von Pyrrol 20 mit Aceton in Gegenwart von katalytischen Mengen Säure ergibt ein Porphyrinogen (die Kohlenstoffbrücken werden durch sp3-CAtome gebildet). Die Reaktion startet mit einer elektrophilen Substitution in 2Position des Pyrrols. Das sich hierbei bildende 2-Isopropyl-pyrrolkation 21 reagiert nun wiederum über eine elektrophile aromatische Substitution mit dem nächsten Pyrrol. Die Weiterreaktion ergibt das Cyclotetramer 22. +
H
H
O
+
C
N
N
H
20
N
C
OH - H+
H
+
H
OH
N
- H+
H
21
NH
HN
NH
HN
N
H+ - H2O
H
N
N
H
H
22
Gezielte Synthesen können durch drei Reaktionswege realisiert werden: A Einstufige Kondensation von Monopyrrolen B Kopplung von zwei Dipyrroleinheiten C Stufenweise Kondensation von einzelnen Pyrrolen zu einem linearen Tetrapyrrol und anschließende Kopf-Schwanz-Cyclisierung. A Einstufige Kondensation von Monopyrrolen
Diese Methode wird in Anlehnung an die Biosynthese von Porphyrinen als biomimetische Methode bezeichnet. Biomimetische Chemie ist der Zweig der organischen Chemie, der versucht, natürliche Prozesse und Enzymreaktionen zu imitieren und sie als Reaktionen der präparativen Synthese zu nutzen. Diese Methode
8.1 Porphyrine
513
hat aber nur ein begrenztes Anwendungspotenzial, da nur symmetrische Porphyrine erhalten werden können. Bei unsymmetrischen Synthesezielen entstehen nur schwer trennbare Isomerengemische. Die allgemeine Strategie erfordert ein Pyrrol mit einer guten Abgangsgruppe an der 2’-Position, die nucleophil angegriffen werden kann, und eine elektrophile Angriffsstelle an Position 5. Die elektrophile aromatische Substitution in Position 2 und 5 ist bei Pyrrolen, als elektronenreiche Heteroaromaten, sehr leicht möglich. Weiterhin sind Heteroatome am 2-Methylrest extrem aktive Fluchtgruppen, da das entstehende Carbeniumion 23 durch Delokalisierung über den elektronenreichen Aromaten stabilisiert werden kann. H
3
C
N
H
4
X
+
2
2'
X
1 5
H
C
N
- X-
+
H N
N
H
23
X = NH2, OH, OAc, OTs, Halogen
+
H
H
Formal ist das Kation 23 ein Azafulven-Kation. So entstehen aus dem Porphobilinogen 24 die Uroporphyrinogene I bis IV (25a, b, c, d), die durch Luftoxidation in die Uroporphyrine I bis IV (26a, b, c, d) überführt werden können. COOH HOOC H+
24
Δ / - NH3
N NH2
H
R3
R2 R1
R2 R4
NH
HN
NH
HN
R1
N R5
25a, b, c, d
Uroporphyrine 26 a b c d
I II III IV
R4 NH
O2
R8 R7
R3
N
HN
R8
R5
R6
R7
26a, b, c, d
R6
R1
R2
R3
R4
R5
R6
R7
R8
A A A Ps
Ps Ps Ps A
A Ps A A
Ps A Ps Ps
A A A A
Ps Ps Ps Ps
A Ps Ps Ps
Ps A A A
A = -CH2-COOH; Ps = -CH2-CH2-COOH
514
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine
Das Uroporphyrinogen III 25c ist eine natürliche Vorstufe der HämBiosynthese. Weiterhin wird noch der Typ I in der Natur gefunden. Typ II und Typ IV konnten in natürlichen Quellen noch nicht nachgewiesen werden. Die Verteilung der isomeren Uroporphyrinogene ist hierbei von den Reaktionsbedingungen abhängig. Diese Verbindungen ähneln in ihrer Reaktivität den Mannich-Basen und wandeln sich bereits unter milden Bedingungen ineinander um. Der primäre Schritt ist die Protonierung der elektronenreichen Pyrroleinheit in 2Position. Der weitere Verlauf der Reaktion ist in der Abb. 8.3 skizziert. Ps
A
A
Ps NH
HN
25a
H+ NH
HN
Ps
A A
Ps
H+
+ 2H+ Ps
Ps
A
A H
+ H+
A
Ps C
NH
HN
H
NH
HN
Ps A
H
+ 2 H+
C
Ps NH
- H+
+
A
+ H+
HN
+
HN
HN A
A
+
A H
Ps - 2 H+
Ps
Ps Ps
A
A
+ H+
- H+
Ps NH
HN
25c NH
HN
A
A Ps
Ps
A = -CH2-COOH Ps = -CH2-CH2-COOH
Abb. 8.3. Isomerisierung von Uroporphyrinogen
Da sich die vier isomeren Uroporphyrinogene 25 in ihrer Stabilität nicht unterscheiden, bildet sich z. B. bei pH = 0 eine Produktverteilung, die durch die Anzahl der zu ihr führenden Permutationen bestimmt ist. Aufgeführt sind in Abb. 8.4 die
8.1 Porphyrine
515
16 möglichen Permutationen. Hierbei sind nach B. Franck umgekehrte Pyrrolringe durch ausgefüllte Kreise gekennzeichnet. Uroporphyrinogen I 12,5 % II 12,5 %
III 50,0 %
IV 25,0 % Abb. 8.4. Mögliche Permutationen der vier isomeren Uroporphyrinogene
Die beobachtete Cyclotetramerisierung der Monopyrroleinheiten ist hochspezifisch, sodass weder offenkettige noch andere Oligomere gefunden werden. Dies erklärt sich durch die primär entstehende tetramere lineare Konformation A, die eine starke destabilisierende sterische Wechselwirkung durch die β-ständigen Seitenketten erfährt. Dagegen zeigt die helicale Konformation B, die sich von der linearen durch Rotation um die mit den Pfeilen gekennzeichneten Einfachbindungen ableitet, eine deutlich geringere Wechselwirkung. Ausgehend von dieser Konformation kann nun optimal der Ringschluss zum Tetramer erfolgen. H N
H
H H H N
H
H N
H
H H N
X
A
516
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine
H
H
NH
HN
H
H
H
H NH
B
HN
X
Dieses einstufige Kondensationsverfahren ist präparativ natürlich nur für symmetrische Porphyrine sinnvoll, d. h. bei Einsatz der entsprechenden Porphobilinogene mit identischer Seitenkette an C-3 und C-4. Für Biosynthesestudien wurden deshalb ausgehend von Nor- bzw. Homoporphobilinogen die entsprechenden Porphyrinoctaessigsäure bzw. Porphyrinoctapropionsäure erhalten. Hierbei ist eine Seitenkette im Pyrrolmonomer um ein C-Atom verkürzt (Nor) bzw. um ein CAtom verlängert (Homo). Das Pyrrolmonomer 29 für die Synthese von Porphyrinoctaessigsäure wird ausgehend von Acetondicarbonsäureester und Acetylaceton mit Isopentylnitrit unter Knorr-Bedingungen dargestellt. Im ersten Schritt der Reaktion bildet sich aus dem Isopentylnitrit der entsprechende Isonitrosoacetondicarbonsäureester, welcher durch Zink-Reduktion in die Aminoverbindung 27 überführt wird. Diese reagiert nun sofort mit dem Acetylaceton 28 unter Cyclokondensation zum Pyrrol 29. COOCH3 O
COOCH3 Isopentylnitrit
COOCH3
O
O
Zn
O
O
H3COOC
H3COOC
Acetondicarbonsäuremethylester
NH2
27
H3COOC
- H2O
O
28
O H3COOC
NH2
O H3COOC
H3COOC H
N
H3COOC
29 N H
Das 4-Methylketon 29 wird mit Thalliumnitrat in Methanol in das Essigsäuremethylester-Derivat 30 überführt.
8.1 Porphyrine
H3C H
O R'
H
O
R'
Tl(NO3)3
H+ R
R
N
R'
CH3OH
N
H
R
O
O
517
ONO2 Ti
ONO2
N
H
H
29 H3COOC
COOCH3
H3COOC
N H
30
Gemäß Abb. 8.5 ergibt die Oxidation mit Blei-(IV)-acetat mit anschließender Cyclisierung und Oxidation die Porphyrinoctaessigsäure 31. H3C
+
H3COOC O H3COOC
27
H3COOC
CH3
CH3
H3COOC
O
Ti(NO3)3 CH3OH
H
29 COOCH3
N
30
HOOC
HOOC
COOCH3
H3COOC
Pb(OAc)4
CH3
H3COOC
H
1. HCl 2. O2
CH3
N
NH2
H3COOC H3COOC
O
O
N H
COOH
NH
N
OAc
COOH
N
HN
COOH
Abb. 8.5. Synthese von Porphyrinoctaessigsäure
COOH
COOH
COOH
Porphyrinoctaessigsäure 31
518
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine
B Kopplung von zwei Dipyrroleinheiten Die Kopplung von zwei Dipyrroleinheiten in einer sog. (2+2)-Cyclisierung – nicht zu verwechseln mit der [2+2]-Cycloaddition, die durch die Orbitalsymmetrie kontrolliert ist – führt zu einer Reihe biologisch wichtiger Porphyrine, wie z. B. Protoporphyrin, Uroporphyrin III (26c) und Koproporphyrin. Die Dipyrroleinheit 32 wird entweder durch Umsetzung einer Pyrroleinheit mit einer reaktiven Fluchtgruppe an der 2-Methylposition oder mit einer 2-Formylgruppe erhalten. Die erste Methode ergibt, wie vorher bereits bei der Cyclotetramerisierung beschrieben, das Dipyrrylmethan 32, die zweite Möglichkeit führt zu den Dipyrrylmethenen 33. R'
R
R'
R
N X
H
R'
R +
N
C
H
H
H
R'
R
R'
R
N
N
N
H
H
H
Dipyrrylmethan 32 R'
R
CHO
N
R'
R
H
R'
R
N
N
H
H
R'
R
-H2O
N OH
R'
R
N
H
R'
R
N
H
Dipyrrylmethen 33
Das Dipyrrylmethan 32 eignet sich besonders als Dimerbaustein. Obwohl diese Verbindung säuresensitiv ist, bietet sie den Vorteil, nach Vilsmeier formyliert werden zu können. Das Dipyrrylmethen 33 kann aufgrund des Pyridin-analogen Stickstoffs, der einen elektronenziehenden Effekt ausübt, nicht nach Vilsmeier reagieren. R'
R
N
N
H
H
32 R'
R
POCl3 + OHC-N(CH3)2
+ R'
R
Cl H
+
N N H
N
33
R'
R
R'
R
CH3
CH3 + PO2Cl2-
R'
R
O
O N H
H
N
34
H
H
8.1 Porphyrine
519
Der Dipyrrylmethandialdehyd 34 ist gegenüber der sauerkatalysierten Isomerisierung stabiler, da aufgrund des elektronenziehenden Effektes der Formylgruppen die Protonierung in α-Stellung erschwert ist. Die Kondensation des 5,5'-Diformyldipyrrylmethans 35 mit der in 5,5'-unsubstituierten Verbindung 32 ergibt in Essigsäure Porphodimethen, das durch Luftoxidation in Uroporphyrin III 26c überführt wird. R'
R
R'
R
CHO R
R' NH
HN
NH
R 1. HI/AcOH 2. O2
HN
NH
N
H
H
N
R
R
+
R'
+
HN
R
R
CHO R'
R'
35 R = CH2-COOH R' = CH2-CH2-COOH
R'
R'
Uroporphyrin III (26c)
Beispiele zur Methode C und weitere Beispiele zur Methode B sind in den folgenden Kapiteln beschrieben. 8.1.2 Häm und verwandte Verbindungen
In jedem Kubikzentimeter menschlichen Blutes werden 5 Milliarden rote Blutkörperchen gefunden. Der wichtigste Bestandteil der roten Blutkörperchen ist das Hämoglobin. Ein erwachsener Mensch besitzt ca. fünf Liter Blut, sodass fast ein Kilogramm Hämoglobin bewegt wird. Dieses Hämoglobin ist in der Lage, 1,3 l Sauerstoff zu binden und zu transportieren. Die saure Hydrolyse von Hämoglobin ergibt den roten Blutfarbstoff, das Hämin (4, s. Abb. 8.1). So besitzt jeder Mensch etwa 30 g des Porphyrins und 2,5 g Eisen in der Hämgruppe, die innerhalb von 120 Tagen durch die Biosynthese erneuert werden. Bezogen auf die Weltbevölkerung werden durch Biosynthese jedes Jahr 400.000 t Häm erzeugt. Diese Menge steht der industriellen Weltproduktion an Farbstoffen kaum nach (B. Franck, 1982). Allgemein wird ein Eisen-(II)-Komplex des Porphyrins als Häm, ein Eisen(III)-Komplex als Hämin bezeichnet. Die entsprechenden Hämo-Proteine dienen zum Sauerstofftransport (Hämoglobine), zur Sauerstoff-Speicherung (Myoglobine) sowie als Oxidoreduktasen (Cytochrome, Katalasen, Peroxidasen). Die einzelnen Proteide unterscheiden sich sowohl in ihrer Porphyrin- als auch in ihrer Proteinkomponente. Man unterscheidet drei unterschiedliche Häm-Strukturen, nämlich a, b und c. Am verbreitesten ist das Häm b (Protohäm, 37). Es ist Bestandteil der Hämoglobi-
520
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine
ne, der Cytochrome b sowie von Katalasen und Peroxidasen. Häm a und c werden in verschiedenen Cytochromen der Atmungskette gefunden. Nur in verschiedenen Ringelwürmern kommt Chlorocruorin (39) vor, das sich vom Häm b durch Austausch des Vinylrestes in 3-Stellung gegen eine Formylgruppe unterscheidet. Weitere Porphyrine werden in verschiedenen Mikroorganismen gefunden. Sauerstoffübertragende Häm-Proteine kommen in fast allen Tieren vor. Dies begründet sich in der schlechten Löslichkeit von Sauerstoff in Wasser, was aber für die Atmung unerlässlich ist. Prinzipiell können Sauerstoff-übertragende Häm-Proteine in drei Typen eingeteilt werden. 1. Hämocyanin kommt im Blut von Weichtieren (vor allem Meerestieren) vor. Als Zentralatom im blau gefärbten Porphyrinteil wird Kupfer gefunden. 2. Hämoerythrin ist ein Eisenproteid, das in einigen marinen Wirbellosen und Weichtieren vorkommt, z. B. in Spritz- und Priapswürmern (Sipunculida bzw. Priapulida) und Armfüßern (Gattung Lingula der Brachiopoden). 3. Hämoglobin wird in Wirbeltieren, im Menschen und auch in vielen niederen Lebewesen gefunden. Hämocyanin ist ein Metalloprotein mit einem Kupfergehalt von ca. 0,17 % bei den Gliederfüßern und 0,25 % bei den Weichtieren. Die Bindung des Sauerstoffs erfolgt reversibel an zwei komplex gebundene Cu(I)-Atome. Zwei trigonalplanare Untereinheiten reagieren unter Sauerstoffaufnahme zum coplanaren, blauen, oxygenierten Hämocyanin (Absorptionsmaximum bei 580 nm). Die sauerstofffreie Form ist farblos. Während das Hämocyanin der Gliederfüßer nur sechs Sauerstoffmoleküle bindet, kann das der Weichtiere 90–100 Sauerstoffmoleküle binden. Seit 1974 ist bekannt, dass Patienten mit Harnblasenkrebs bei subkutan verabreichtem Hämocyanin ein geringeres Rückfallrisiko haben. (His)
N
(His)
N
(His)
N
+
Cu N
(His)
N
N
(His)
(His)
N
Cu
+ O2
N
- O2
(His)
(His)
(His)
Cu
2+
Cu O
N
N
O
(His)
2+
N
(His)
N (His)
farblos farblos trigonal-coplanar
blau coplanar
Hämocyanin
Das Eisen(II)-Protein Hämerythrin besitzt ein Molekulargewicht von 108 kD und besteht aus acht Untereinheiten, von denen jede 2 Eisen-Atome und eine Peptidkette aus 113 Aminosäuren enthält. Dabei ist das Eisen komplex an die Seitenketten der Aminosäuren gebunden. Die Sauerstoff-bindende Form Oxyhämerythrin ist blauviolett, während Hämerythrin farblos ist.
8.1 Porphyrine
N
N Glu Asp
C C
(His)
(His)
(His)
O O
(His)
(His)
Fe
N
2+ N + O2 OH
O O
- O2
Fe 2+
N
521
N
(His) (His)
Glu Asp
(His)
N
3+ N Fe O O
C C
O O
O Fe 3+
N
N
(His)
(His)
farblos
H O O
violett
Hämerythrin
Hämoglobin ist ein sphärisches, aus vier Untereinheiten bestehendes Proteid; jede Untereinheit besteht aus einer Proteinkette und einem Molekül Häm. Das Häm ist als mesomeres System eben gebaut; das Zentralatom ist Fe2+. Das Eisen liegt, wie Röntgendaten zeigen, etwas außerhalb der Molekülebene. Vier der sechs Koordinationsstellen des Eisens sind durch die vier Stickstoffatome des Porphyrinsystems abgesättigt, die fünfte bewirkt die Bindung des Globins (Proteinkette) über einen Histidinrest. Die sechste Koordinationsstelle bindet ein O2-Molekül. Beim Sauerstofftransport ändert sich die Oxidationszahl des Eisens nicht. Für die Bindung des O2-Moleküls ist das Protein essenziell. Ohne den Proteinanteil würde der Sauerstoff das Fe2+ zum Fe3+ oxidieren. Im Hämoglobin ist das Häm in einer hydrophoben Tasche gegen die Oxidation abgeschirmt.
CH3 H3C
CH3 H3C
N
N Fe
H
N
N
N Fe
N
N CH3
N
H3C
CH3
O CH2
CH2
CH2
CH2
CH2
CH2
CH2
CH2
COOH
COOH
COOH
COOH
Häm a 36
Häm b 37
522
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine R CH3
H3C
OHC H 3C
N
N
CH3
R
Fe N
Fe N
N
H3C
CH3 CH2
N
N
CH2
N
H3C
CH3 CH2
CH2
CH2
CH2
CH2
CH2
COOH
COOH
COOH
COOH
Häm c 38 R = Kovalente Bindung zum Protein
Chlorocruorin 39 aus Ringelwürmern
Die Ursache für die Giftigkeit von CO liegt in der etwa 300-mal höheren Affinität des Hämoglobins zu CO als zu O2. Als Globinanteil des Gesamtmoleküls werden die vier Proteinketten bezeichnet; in einem Molekül Hämoglobin finden sich stets zwei Paare von Proteinen (α- und β-Untereinheit). Die Aminosäuresequenz ist genetisch festgelegt, womit die Globineinheiten artspezifisch sind. Aber auch im Verlauf der Entwicklung eines Organismus kann sich das Globin verändern. Das normale Hämoglobin eines erwachsenen Menschen enthält zwei sog. α-Ketten mit je 141 Aminosäuren und zwei β-Ketten mit je 146 Aminosäuren (Hämoglobin A); daneben findet sich in Erythrocyten noch 2,5 % Hämoglobin A2, in dem anstelle der β-Ketten γ-Ketten vorhanden sind, die sich in 10 Aminosäuren von den β-Ketten unterscheiden. Im fetalen Hämoglobin (Hämoglobin F) treten an die Stelle der β-Kette δKetten (ebenfalls 146 Aminosäuren, 37 Änderungen gegenüber der β-Kette). Während der Schwangerschaft ist das fetale Hämoglobin aufgrund seiner höheren Sauerstoffaffinität in der Lage, vom Hämoglobin der Mutter Sauerstoff aufzunehmen. Bald nach der Geburt wird das bei niedrigerem O2-Partialdruck noch arbeitende Hämoglobin F durch das Hämoglobin A ersetzt. In Abb. 8.6 wird deutlich, dass bei gleichem Partialdruck das fetale Hämoglobin eine höhere Sättigung aufweist als das mütterliche. Die sigmoide Form der Sättigungs-Kurve ergibt sich, da die O2-Bindung mit zunehmender Sauerstoff-Sättigung des Hämoglobins immer leichter vonstatten geht (kooperative Bindung). Auch Hämoglobin-Anomalien treten auf, so z. B. die Sichelzellenanämie, bedingt durch die Änderung einer Aminosäure in der β-Kette (Position 6 wird mit Valin anstelle von Glutamat besetzt). Die Sichelzellenanämie hat ihren Ursprung in Schwarzafrika. Sie schützt ihren Träger vor Malaria. Dies wird allerdings durch einen schlechteren Sauerstoff-Transport erkauft. In Tabelle 8.1 sind Teile der Aminosäuresequenz der normalen menschlichen β-Kette und einige Hämoglobine mit anomaler β-Kette dargestellt (in Klammern die geographische Region oder der Ort, in dem dieses Hämoglobin zum ersten Mal beschrieben wurde). Selbstverständlich gibt es auch Variationen innerhalb der α-Kette.
8.1 Porphyrine
523
1,0
0,5 Sättigung
1 Fetales Hämoglobin 2 Mütterliches Hämoglobin ↑ O2-Übertragung
O2-Partialdruck Abb. 8.6. Sättigungskurven von fetalem und mütterlichem Hämoglobin
Im roten Muskelfarbstoff Myoglobin (Abb. 8.7) ist ein Molekül Häm mit einer Proteinkette verbunden; sie entspricht also etwa einer Untereinheit des Hämoglobins.
Abb. 8.7. Struktur des Myoglobins (im inneren Bereich befindet sich die Hämgruppe)
Hämproteine kommen auch bei Pflanzen vor und sind dort ebenfalls am Transport von Sauerstoff beteiligt. In den Nodulen von Sojabohnenwurzeln gibt es rote Pigmente, deren Struktur dem des Hämins vom Pferd entspricht. Tabelle 8.1. Teile der Aminosäuresequenz der β-Kette von Hämoglobin
Hämoglobin A (normal) S (Sichelzell-Form) C G (San Jose) E M (Saskatoon) M (Milwaukee) O (Arabia)
Position an der β-Kette des Hämoglobins 1 2 3 6 7 26 63 67 121 Val His Leu Glu Glu Glu His Val Glu Val Lys Gly Lys Tyr Glu Lys
146 His
524
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine
Die Cytochrome enthalten als prosthetische Gruppe ebenfalls Häm oder ein Häm-Derivat. Sie sind Katalysatoren der Zellatmung (Oxidoreduktasen), in der dem Valenzwechsel Fe2+ nach Fe3+ eine zentrale Aufgabe zukommt. Es sind inzwischen über 30 Cytochrome bekannt. Das Cytochrom c besteht aus einem Protein mit dem Molekulargewicht 12.000 D, das eine Häm-Gruppe trägt. Im Unterschied zu den Hämoglobinen und Myoglobinen ist im Cytochrom c das Häm c kovalent und zweifach an das Protein gebunden, während im Hämoglobin und Myoglobin die Hämgruppe eine freie Ligandenposition im oktaedrisch koordinierten Komplex für O2 bereit hält und nur einmal über Histamin an die Polypeptidkette gebunden vorkommt. 13 Lys
15 Ala
14 Cys
16 Gln
S
H3C
81 Ile 80 Met
N
N
S
Fe
S CH3 H3C
79 Lys
Häm-Einheit im Cytochrom c
CH3
82 Phe
N
Cys 17 N
N CH3
CH2
CH2
CH2
CH2
COOH
COOH
His 18 N H
Thr 19
8.1.2.1 Totalsynthese von Mesoporphyrin und Hämin
Die erste praktikable Synthese von Mesoporphyrin 7 (Abb. 8.10) und Hämin 4 (Abb. 8.11) stammt von H. Fischer und wurde Ende der zwanziger Jahre beschrieben. Es handelt sich formal um ein (2+2)-Synthese. Das Ringelement C/D von Mesoporphyrin wird folgendermaßen aufgebaut (Abb. 8.8): Knorr-Pyrrol-Synthese ergibt den Pyrroldicarbonsäureester 40. Eine Decarboxylierung ist nach selektiver Hydrolyse des Esters in 4-Stellung möglich. Diese Selektivität ergibt sich durch die geringere Delokalisation von Elektronen in Position 4 im Vergleich zur 2-Position, wodurch das 4-Carboxyl-Kohlenstoffatom eine höhere positive Partialladung erhält. Der nucleophile Angriff von Wasser in 3-Position ist damit bevorzugt, was zu einer selektiven Hydrolyse führt. (Diese Erklärung ist identisch mit der Begründung für die bevorzugte elektrophile aromatische Substitution in 2-Stellung.) Nach der Formylierung mit Ameisensäure und Kettenverlängerung in 4-Stellung mit Malonsäure nach Knoevenagel wird die ungesättigte Carbonsäure mit Natriumamalgam zu 41 reduziert. Die Bromierung der 5-Methylgruppe zu 42 ist zwar mechanistisch noch nicht eindeutig geklärt, könnte aber über den hier gezeigten Mechanismus verlaufen:
8.1 Porphyrine HOOC
HOOC
525
HOOC
+
H
H
H
COOEt
N
N H
41
H
COOEt
+
Br
H
HOOC
COOEt
N
Br
H
HOOC
H COOEt
+
N Br
COOEt
N Br
H
42
H
Im nächsten Schritt wird das Brompyrrol 42 mit sich selbst gekoppelt zu 43. Die Reaktion kann folgendermaßen verstanden werden:
N
O
H
Br
EtOOC
H
- H+ COOEt
N HO
R' COOEt
N
COOEt
+
R'
R
H
H
R'
R
R'
R
R = CH3 R' = CH2-CH2-COOH
H
R
N
+
H
42 R'
EtOOC
R
N
N
H H
O
R'
R'
R
H
+
- H-CHO EtOOC COOEt
R
N H
R'
R
N
43
COOEt
H
Die Esterspaltung mit Natronlauge ergibt die Tetracarbonsäure 44. Die anschließende Bromierung erfolgt unter Decarboxylierung. Der primäre Schritt verläuft analog der elektrophilen Substitution. Eine anschließende Aromatisierung erfolgt nicht durch Abspaltung eines Protons, sondern durch Decarboxylierung. Weiterhin wird das Dipyrrylmethan durch Brom zum Dipyrrylmethen oxidiert, was letztendlich zum C/D-Ringelement 45 führt. Die gesamte Synthese des C/DRingelementes ist in Abb. 8.8 dargestellt.
526
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine
Br
Br
COOH
N
N
H
Br
+
C
H
O
- CO2
H
O
44
45
H EtOOC
O
EtOOC
Zn
+ N
O
COOEt
5
AcOH
4
3 1
Η+/Δ 2
COOEt
N
OH
Br
N
COOEt
N
H
H
40
HOOC
OHC H-COOH
HOOC
HCl
Na/Hg
Piperidin
COOEt
N
CH2 COOH N
H COOH
H COOH COOH
HOOC 1. H2O/Δ 2. NaOH
Br2 N
COOEt
COOEt
N Br
H
41
COOEt
HOOC
H
N
N
H
42
COOH
H
44
COOH COOH
Br2
Ringelement C und D 45 Br
N
N
H
H
+
Br
Abb. 8.8. Synthese des C/D-Ringelementes von Mesoporphyrin
Darstellung des Ringelementes A/B: Der Aufbau des Ringelementes A/B beginnt mit dem 3-Ethyl-5-methyl-pyrrol-2,4dicarbonsäureester, der, wie vorher beschrieben, nach Knorr zugänglich ist. Verseifung und Decarboxylierung ergibt das entsprechende Methylethylpyrrol. Carboxylierung an der reaktiven 2-Position über das entsprechende Pyrrolmagnesiumbromid und Formylierung mit HCN an der 5-Position liefert das vollständig
8.1 Porphyrine
527
substituierte Pyrrol. Wolff-Kishner-Reduktion führt zum 2,3-Dimethyl-4-ethylpyrrol, da die 2-Carbonsäure unter diesen Bedingungen decarboxyliert. Die zweite Pyrroleinheit für das Dipyrrolringelement A/B 46 wird über das durch Knorr-Reaktion dargestellte Pyrrol, Wolff-Kishner-Reduktion unter gleichzeitiger Decarboxylierung und anschließende Formylierung in 2-Position zum 4Ethyl-2-formyl-3,5-dimethylpyrrol erhalten (Abb. 8.9). Das Dimer entsteht durch sauer katalysierte Kondensation (s. Kap. 8.1.1). Anschließend werden die 2Methylgruppen zu 46 bromiert. EtOOC
1. EtMgBr 2. EtO-CO-Cl
H+ COOEt
N H
HCN HCl
OHC
N
N
H
H
N2H4 EtONa COOEt
N
N
H
H O
O O
O
1. N2H4 EtONa
Zn
+ EtO
AcOH
NOH
EtOOC
O
+ N H
COOEt
2. HCN/ HCl
N
OHC
N
H
H
1. HBr 2. Br2 OHC
N H
Br
+
N
N
H
H
Br
Ringelement A und B 46 Abb. 8.9. Synthese des A/B Ringelementes von Mesoporphyrin
Verknüpfung der Ringelemente A/B und C/D zu Mesoporphyrin: Die beiden Ringelemente A/B 46 und C/D 45 werden nun in Bernsteinsäure bei 180°C in einer Ausbeute von 31 % cyclisiert (Abb. 8.10). In der Cyclisierungsreaktion wird die Reaktivität des 2-Bromsubstituenten ausgenutzt. Deprotonierung des A/B-Teils ergibt ein System, welches durch nucleophile Addition am C/D-Teil und Eliminierung des Bromatoms eine Verknüpfung liefert. Eine Wiederholung dieser Reaktion ergibt den entsprechenden Zyclus.
528
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine
A/B-Teil 46
NH
HN Br
Br
+
Br NH
Br H
Br
H
C Br H
+
H NH
+
N
NH
Br
H N
+
N
HOOC HOOC
COOH
COOH
C/D-Teil 45
Br
NH Br NH
H
NH
Br
H N
+
COOH
+
H
Br
N
HOOC
N
NH
HN
HOOC
H
Br +
N
COOH
N
Mesoporphyrin 7 N
HOOC
HN
COOH
Abb. 8.10. Synthese von Mesoporphyrin aus den Ringelementen A/B und C/D
8.1 Porphyrine
3
HBr
+
2
OHC
N
N
NH
N
H
529
3
+
Br
H
H
3
N
NH
+
H
NH
180°C
Br
H N
N
+
HOOC HOOC
N
NH
Bernsteinsäure
+
Br
1. Fe3+ 2. Ac2O/AlCl3 3. H+
3
COOH
HN
47
COOH
C/D-Teil 45 O O 1. KOH/EtOH 2. H+/Δ 3. Fe3+
N
NH
N
N
Cl
+
Fe N
HN
HOOC
N
COOH
48
HOOC
N
COOH
Hämin 4
Abb. 8.11. Synthese von Hämin 4
Hämin wird nun, ausgehend von dem bereits beschriebenem C/D-Ringelement 45, sowie dem aus 2,3-Dimethylpyrrol und 3,5-Dimethyl-2-formylpyrrol erhaltenen Dipyrrylmethen dargestellt. Die Reaktion wird in der Schmelze in Anwesenheit von Luftsauerstoff durchgeführt, da die primär entstehende Methanbrücke oxidiert werden muss. Das resultierende Porphyrin 47 wird, nach der Komplexbildung, nach Fischer acyliert. Anschließend wird das Metallatom wieder entfernt zu 48. Die nun folgende Reduktion von 48 wird mit KOH/Ethanol durchgeführt. Diese interessante Reaktion kann analog der Cannizzaro-Reaktion erklärt werden.
530
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine H
CH3-CH2-OH + KOH
H3C
C H
CH3-CHO O
H3C
O
+
CH
OH
H3C
Sauer katalysierte Eliminierung und Eisenkomplexierung ergibt das Hämin 4. In Abb. 8.11. ist die Synthese dargestellt.
8.2 Chlorine 8.2.1 Chlorophylle
Chlorophyll ist der grüne Farbstoff der Blätter. Das Grundgerüst dieser Verbindungen leitet sich vom Chlorin ab. Das wichtigste Chlorin ist das in allen Pflanzen enthaltene blaugrüne Chlorophyll a 49a (Abb. 8.12). In höheren Pflanzen und in Grünalgen wird außerdem noch das gelbgrüne Chlorophyll b 49b gefunden (Tab. 8.2). Gewöhnlich liegen die Konzentrationen im Verhältnis 3:1 vor. Kieselalgen und Braunalgen enthalten vor allem Chlorophyll c1 und c2 (49d und 49e), in Rotalgen wurde dagegen Chlorophyll d 49c gefunden. Die Schwefelbakterien besitzen ein Tetrahydroporphin-Derivat, das Bakteriochlorophyll a 49f. Chlorophylle enthalten als Zentralatom Magnesium. Chlorophylle spielen bei der Photosynthese in den Chloroplasten beim Aufbau von Kohlenhydraten aus CO2 und H2O eine wichtige Rolle. An der Photosynthese sind zwei Pigmentsysteme (System I und II) beteiligt, die beide nach dem gleichen Prinzip arbeiten. Durch Absorption eines Lichtquants wird ein Elektron auf ein höheres Energieniveau gehoben und auf einen Akzeptor übertragen. Der primäre Schritt der eigentlichen Photosynthese ist die Spaltung von Wasser: Tabelle 8.2. Verteilung von Chlorophyll a und b in Gemüse und Obst (* mg/100 g Frischsubstanz)
Lebensmittel Stark färbende Lebensmittel Grünkohl Spinat Petersilie Broccoli Sonstige Lebensmittel Erbsen, grün Bohnen, grün Gurken, grün Stachelbeeren Kiwis Helle Gemüse wie Blumenkohl, Weißkohl
Chlorophyll a*
Chlorophyll b*
189 95 157 26
41 20 55 6
10 12 6 1,3 1,7
2 4 2 0,4 0,4
0,3–1
0,1–0,2
8.2 Chlorine R'
R
N
N Mg D
18
N
N
Name
R
R'
Nr.
Chlorophyll a
CH=CH2
CH3
49a
Chlorophyll b Chlorophyll d
CH=CH2 CHO
CHO CH3
49b 49c
17
O
MeOOC O
O
R N
N Mg N
N
Name
R
Nr.
Chlorophyll c1
CH2-CH3
49d
Chlorophyll c2
CH=CH2
49e
O COOMe
HOOC
O
N
N Mg N
MeOOC O
Bakteriochlorophyll a 49f N
O
O
Abb. 8.12. Verschiedene Chlorophylle
531
532
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine 2 H 2O
O 2 + 4 H + + 4 e-
So wird Lichtenergie in chemische Energie umgewandelt (s. Kap. 5.1.6). Für eine detaillierte Betrachtung muss auf Lehrbücher der Biochemie verwiesen werden. 8.2.1.1 Totalsynthese von Chlorophyll a
Die erste Synthese von Chlorophyll a 49a wurde von Woodward 1960 durchgeführt. Formal muss zur Synthese des Chloringerüsts, ausgehend vom Porphyrin, nur eine Doppelbindung im D-Ring hydriert werden. An dieser Stelle soll nun auf diese erste Synthesestrategie eingegangen werden. Sie führte zwar nicht zum gewünschten Zielmolekül, lieferte aber entscheidende mechanistische Hinweise für die erste Totalsynthese. Die Dehydrierung von Chlorophyll zu dem entsprechenden Porphyrin verläuft nur dann in guten Ausbeuten, wenn kein Substituent an C-15 vorhanden ist. Steht dagegen, wie im Chlorophyll a, ein Substituent an C-15, so führt die Dehydrierung zu einer Einebnung von C-17 und C-18 in die Porphyrin-Ringebene, verbunden mit einer starken sterischen Wechselwirkung zwischen C-15 und C-17. Diese Wechselwirkung fehlt im hydrierten System, da die beiden sp3-hybridisierten CAtome an Position 17 und 18 entweder oberhalb oder unterhalb der Porphyrinringebene liegen. Die sterische Interaktion führt also zu einer Störung der Planarität des aromatischen Rings, da die Pyrrolringe C und D aus der Ringebene herausgedreht werden; z. B. in 53 (siehe Synthese Chlorophyll a). AcHN
2
A
N
NH
B
53 18
D 17
N
HN
16
14
15
C 13
COOCH3 H3COOC
COOCH3
Unter Berücksichtigung dieser Faktoren sollte eine Hydrierung im C/D-Teil bevorzugt sein. Da der C-Ring durch den Carbonsäuremethylester deaktiviert ist, müsste eine Reduktion an C-14 oder C-17 erfolgen. Allerdings läuft die Hydrierung nicht wie gewünscht im D-Ring ab, sondern spezifisch an der Doppelbindung C-14. Diese Verbindung wird als Phlorin bezeichnet. Obwohl Phlorine den gleichen Oxidationszustand wie Chlorine aufweisen, ist eine entsprechende Umlagerung der Doppelbindung nicht möglich.
8.2 Chlorine R
R
N
NH
N 17
16
HN 15
N
NH
[H]
N
HN 15
14
H3COOC
COOCH3
14
H
COOCH3 H3COOC
533
Porphyrin
COOCH3
COOCH3
Phlorin
Die Synthese von Chlorophyll a 49a (Abb. 8.13) startet deshalb mit der Herstellung der entsprechenden Pyrrole nach Standardmethoden (Knorr). Nach der Verknüpfung der entsprechenden Monomeren zu den Dipyrrylmethanen 50 und 51, werden diese beiden Teileinheiten zum Tetramer cyclisiert. Im Gegensatz zur Hämin-Synthese sind beide Teileinheiten unsymmetrisch, wodurch keine einheitliche Regioselektivität gewährleistet ist. Eine Lösung dieses Problems versprach die Kondensation der Aminogruppe in 50 mit der Aldehydgruppe in 51 zu einer Schiffschen Base, womit die entsprechenden elektrophilen und nucleophilen Kohlenstoffatome in der richtigen Orientierung in 52a angenähert werden können. N
HN
NH
52a NH
O
HN
COOCH3 H3COOC
COOCH3
Die Bedingungen für die Ausbildung dieses Aldimins sind aber sehr kritisch. Der Aldehyd in 51 ist nicht sehr stark elektrophil, da Pyrrolaldehyde vinyloge Amide sind. Eine saure Katalyse für die Aldiminbildung ist aufgrund der Säurelabilität von Dipyrrylmethanen ohne elektronenziehende Gruppen (s. Kap. 8.1.1) nicht möglich. Wird jedoch aus 51 primär mit Ethylamin ein Aldimin 51a gebildet, das anschließend mit H2S zum Thioaldehyd 51b umgesetzt wird, ist es nun doch möglich, mit dem Teilelement 50 die Aldimin Zwischenverbindung 52a zu erhalten.
534
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine NC
CN
NC
CN
COOEt N
HN
HCl
H
CH2Cl
N H
HN
COOCH3 1. H3COOC-CH2-CH2-COCl 2. NaOH 3. CH2N2 H2N
H2N
H2N
OHC +
NH OHC
N
HBr
H
NH
NaBH4
+
NH
NH
HN
HN
NH O
COOCH3 H3COOC
COOCH3
H3COOC
COOCH3
50 +
H3N
1. EtNH2/ AcOH 2. H2S 3. HCl
AcHN
NH
NH H
H3COOC
51
1. I2 2. Ac2O
HN H
+
N
N
NH
AcOH N
HN
110°C
15
COOCH3
COOCH3
52b Abb. 8.13. Synthese von Chlorophyll a
COOCH3 H3COOC
COOCH3
53
8.2 Chlorine
535
AcHN
AcHN
HN
NH
H
NH
N
H3COOC
AcOH
+
N 16
17
H
N
NH
O2
HN
110°C
14
15
COOCH3
COOCH3 H3COOC
COOCH3
COOCH3
55
54 AcHN
N
N
NH
1. HCl/CH3OH 2. (CH3)2SO4 NaOH
N
NH
N
HN
HN
H
H COOCH3
H3COOC
COOCH3
KOH/ MeOH
N
N
N H
H3COOC
O CHO
COOCH3
58
COOCH3
HN
18
H
17
O
MeO H3COOC
Abb. 8.13. Synthese von Chlorophyll a (Fortsetzung)
57
N
NH
HN
H C
COOCH3
56
NH
hν/O2
COOCH3
H3COOC
59
O
536
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine
1. NaOH 2. Racematspaltung mit Chinin
N
NH
N H
HN
N H
H
H3COOC
Et3N N
N H
H3COOC
NaOH Pyridin
N
H3COOC
H COOCH3 COOCH3
H3COOC
Mg
HN
N H
H
N
N
H H3COOC
61
1. NaOH 2. H+/Phytol 3. Mg(OEt)2
N
NH
H
HN
O
O
NC
N
NH
HN
H
COOCH3
60
1. Zn/AcOH 2. CH2N2 3. CH3OH/HCl
N
NH
H
H CHO
HOOC
HCN
HN
O
O
HO
N
NH
CH2N2
H H3COOC
O O
N
O
H
O
phytyl
Chlorophyll 49a Abb. 8.13. Synthese von Chlorophyll a (Fortsetzung)
8.2 Chlorine NEt
537
S
OHC
H HN
HN
HN
EtNH2 AcOH
H2S
HN
50
HN
O
HN
O
O
COOCH3
COOCH3
COOCH3
COOCH3
51
52a
51a
COOCH3 COOCH3
51b
Die Cyclisierung von 50 und 51 führt letztendlich zu einem Dihydroporphyrin als Zwischenverbindung. Anschließende Tautomerisierung, initiiert über den Verlust eines Protons, ergibt ein Phlorin mit einem sp3-Zentrum an C-15 in 52b. Die C-15-Propionateinheit, die ein C-Atom mehr enthält als für die Synthese benötigt, verhindert eine Abspaltung dieses Substituenten; die Acetateinheit würde sonst an dieser Stelle abgespalten.
N
NH
+
+ H+ nach C-15
H
20
NH
N 15
MeO O
10
H
+
- H+ von C-10 - H+ von C-20
HN
NH
NH
H N
+
H MeO
O
Oxidation von 52b mit Iod und Acylierung an der Aminogruppe ergibt das Porphyrin 53. Erhitzen in Eisessig ergibt durch Wasserstoffverschiebung wiederum ein C-15-Phlorin unter Ausbildung der ungesättigten Seitenkette an C-15 in 54. Luftoxidation bildet nun das Porphyrin-System in 55 zurück, das seine sterische Energie beim Erhitzen in Eisessig durch Cyclisierung abbauen kann. Diese Reaktion ist eine Gleichgewichtsreaktion, in der sich das thermodynamisch stabilere trans-Produkt 56 als Racemat bildet.
538
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine AcHN
AcHN
NH H
N
N
NH
+
D
N
H
HN
N
HN
H3COOC COOCH3 H3COOC
H H3COOC
COOCH3
C
+
COOCH3
H
55 AcHN
NH
N
56 H
N
+ H+
HN
H3COOC H3COOC
COOCH3
Die Aminogruppe wird durch vollständige Methylierung nach Hofmann zur Vinylgruppe in 57 eliminiert. Der nächste Schritt der Synthese war dem Zufall zu verdanken. Die Umsetzung des Phlorins 57 mit Sauerstoff ergibt durch Photosensibilisierung ein 1,2-Dioxetan am Cyclopentenring (s. Kap. 8.1). Diese Dioxetane zerfallen unter Bildung von Dicarbonylverbindungen, in diesem Fall zum Keton und Aldehyd 58. Die Umsetzung mit Methanolat ergibt eine Abspaltung des βDicarbonyl-ähnlichen Systems in 58. Der gleichzeitige Angriff der Base am Aldehyd führt zu dem Sechsring in 59. Da auch die Abspaltungsreaktion eine Gleichgewichtseinstellung an C-17 erlaubt, resultiert auch in dieser Reaktion das thermodynamisch stabilere trans-Produkt als Racemat. Hiermit war nun die regio- und stereoselektive Einführung der beiden Wasserstoffatome an C-17 und C-18 in 59 gelungen.
8.2 Chlorine
N
HN
N
539
59
HN
18
H
H
C H3COOC H3COOC
58
O
CHO O CH3
COOCH3
H3C
O
17
H H
H3COOC
C
O
O
C
O
O
CH3
CH3
Nach der Hydrolyse des Methylesters kann das Racemat mit Chinin in die Enantiomeren getrennt werden. Nach der Methylierung mit Diazomethan wird das enantiomerenreine Chlorin 60 erhalten. Der Aufbau des Substituenten an C-17 wird über das Cyanhydrinlacton, Reduktion, Methylierung und anschließende Verseifung in 61 erreicht. Der Aufbau des Cyclopentenons gelingt durch Dieckmann-Kondensation. Verseifung und Veresterung mit Phytol sowie anschließende Magnesiumkomplexierung ergibt das Chlorophyll a 49a (Abb. 8.13). 8.2.1.2 Abbau von Chlorophyll bei der Verarbeitung
Durch Abspaltung von Magnesium bilden sich die Phäophytine a und b, die olivgrün/braun gefärbt sind. Eine Abspaltung des Phytols vom Chlorophyllmolekül führt zu den Chlorophylliden. Wird aus den Chlorophylliden das Zentralatom Mg2+ abgespalten und von den Phäophytinen das Phytol, so bilden sich die Phäophorbide. Die Chorophyllisomeren von a und b entstehen unter Blanchierbedingungen, wenn grüne Pflanzen unterhalb des Siedepunktes kurzfristig erhitzt werden. Bei Temperaturen oberhalb von 100°C entstehen Pyrochlorophyll und Pyrophäophytine. Durch Abspaltung des Phytols durch Chlorophyllasen wird das Chlorophyllmolekül hydrophil, es bilden sich Chlorophyllide und die sonst verdeckten Carotinoide werden zum Teil sichtbar. Die als C10-Epimere bezeichneten Verbindungen unterscheiden sich in den Resten COOCH3 und des H-Atoms (R1, R2 in Abb. 8.14). Sie werden auch als Chlorophylle a’ und b’ bezeichnet. In der Färbung zeigen sie jedoch keinen Unterschied. Bei langer Aufbewahrung von frischem Gemüse oder bei nicht ausreichendem Temperatur/Zeit-Intervall beim Blanchieren von Gefriergut kommt es zum Ausbleichen. Es wirken dabei pflanzeneigene Enzyme, die Vorgänge sind ähnlich wie die bei der Laubfärbung im Herbst. In Pflanzenteilen, die bei der Lebensmittelverarbeitung zum Färben verwendet werden, wie z. B. Spinat, Petersiliensaft oder feingehackte Kräuter ist der Chlorophyllgehalt etwa 10-mal höher als in anderen grünen Pflanzenteilen. In sauren Lösungen baut sich das Chlorophyllmolekül bei KühlschrankTemperatur ab. Farbveränderungen durch thermische Belastung bei der Zubereitung von Obst und Gemüse werden durch kürzere Erhitzung bei höherer Temperatur eingeschränkt. Die Temperatur und der pH-Wert sind Faktoren für die Umwandlung von Chlorophyll bei der Lagerung. So lässt bei der Gefrierlagerung eine Temperaturerhöhung um ca. 3°C die Farbbeständigkeit um das 2-fache abneh-
540
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine
2
H3C
1
A
N
4
B
Mg
8
*
D *
H
7
CH2 CH2
O C
C
R1
N
N H H
H3C
CH3
N
H
N
CH3
H
C C*
5
R3 CH3
H3C
C2H5
C H N
N
H2C
3
C
N
H C H3C H
R3
CH
CH2
6
O
C O R2
O
R1 ph
R2
O
Phäophytin
O ph Chlorophyll ph = Phytylrest: H2C
Chlorophyll
a a' b b'
R1 COOCH3 H COOCH3 H
R2 H COOCH3 H COOCH3
R3 CH3 CH3 CHO CHO
ph + + + +
Mg + + + +
Phäophytin
a a' b b' Chlorophyllid a b Pyrophäophytin a b Phäophorbid a b
R1 COOCH3 H COOCH3 H COOCH3 COOCH3 H H COOCH3 COOCH3
R2 H COOCH3 H COOCH3 H H H H H H
R3 CH3 CH3 CHO CHO CH3 CHO CH3 CHO CH3 CHO
ph + + + + + + -
Mg + + -
Abb. 8.14. Struktur der Chlorophylle und der Phäophytine
men. Bei höherem pH-Wert sind die Chlorophylle stabiler. Vorwiegend wird das Chlorophyll a abgebaut, das Chlorophyll b scheint thermostabiler zu sein (Abb. 8.15). Im Temperaturbereich von 60–80°C ist der Verlust am größten, weil das Enzym Chlorophyllase bei 75°C sein Aktivitätsmaximum aufweist. Das Aktivitätsoptimum der Chlorophyllase liegt bei einem pH-Wert von 6,2. Durch das Blanchieren vor dem Garprozess werden die Chlorophyllasen inaktiviert. Die Farbstabilität des blanchierten Tiefkühlgemüses ist aus diesem Grund größer. Neben dem Enzym Chlorophyllase kann die Lipoxygenase durch Oxidation der Chlorophylle zum Abbau beitragen. Wenn 20 % der Chlorophylle bei Erbsen und 50 % bei Bohnen umgewandelt werden, dann sind die Farbveränderungen mit dem bloßen Auge sichtbar. Manche Gemüsearten, wie Mangold oder Spinat, eignen sich zum natürlichen Färben von Speisen, da sie hohe Konzentrationen an Chlorophyllen aufweisen und auch bei höheren Temperaturen ausreichende Farbstabilität vorliegt. Bei längerer Lagerung von grünem Gemüse in Kupfergefäßen bekommt das Gemüse eine kräftige, glänzende, grüne Farbe. Hierbei wird in Chlorophyllen Mg2+ durch Cu2+ ersetzt (Abb. 8.16) und das Kupfer bewirkt eine Farbintensivierung. Heute sind in der EU farbintensive, temperaturstabile und lichtbeständige Chlorophyll-Kupfer-Komplexe als Farbstoff (E 141) für Lebensmittel, jedoch nicht für Gemüse, zugelassen. Ebenfalls bewirken Zinkionen eine stabile Grünfärbung, während Eisen- und Zinnionen zu graubraunen Chlorophyllkomplexen führen.
8.3 Corrine
541
Chlorophyll a + b H2O 100 °C
Chlorophyll (a'/b') Säure
Mg
2
Mg 2
Δ T > 100 °C
Säure
Phytol
Chlorophyllase
Phäophytin a + b H2O 100 °C
Pyrochlorophyll a + b
Chlorophyllid a + b
Säure
Säure
Mg
2
Mg 2
Phytol
Pyrophäophytin
Phäophytin (a'/b') Δ T > 100 °C Pyrophäophytin Phäophorbid a + b Phytol
Phytol
Δ T > 100 °C Pyrophäophorbid a + b
Weitere Abbauprodukte
Abb. 8.15. Abbau von Chlorophyll a und b CH
CH2
2 1
H3C
H C
4
II
I
N
N Cu
HC H3C H
R1 3
8 IV
H
CH N
N
CH2 CH3
5
III
CH3
6
7 C V CH2 CH 9C O 10 CH2 C O CH
R1 = CH3 : Chlorophyll a R1 = CHO : Chlorophyll b
3
O C O
O H CH2 C
C
(CH2)3 CH (CH2)3 CH (CH2)3 CH CH3 CH3 CH3 CH3 CH3 (Phytylrest)
Abb. 8.16. Kupferchlorophylle
8.3 Corrine 8.3.1 Vitamin B12
Vitamin B12 (62) (s. auch Kap.13.1) ist auch unter der Bezeichnung Antiperniciosa-Faktor, extrinsic factor oder Cobalamin bekannt. Es ist unentbehrlich für die normale Bildung der Erythrocyten und für die Funktion von Nervenzellen. Zur Resorption im Darm bedarf es des intrinsic factors, eines Proteins, das in der Ma-
542
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine
genschleimhaut gebildet wird. Gebunden an diesen gelangt es im Ileum über einen aktiven Transportmechanismus in die Zellen. Falls der intrinsic factor ausgefallen ist (z. B. bei atrophischer Gastritis) kann Vitamin B12 auch durch passive Diffusion resorbiert werden. Die Resorptionsrate ist dann jedoch nicht größer als 1–3 % der applizierten Menge (mit intrinsic factor mehr als 30 %). Im Blut ist Vitamin B12 überwiegend an Transportproteine, Transcobalamin genannt, gebunden. Diese und spezifische Rezeptoren der Zelloberfläche erleichtern die Aufnahme des Vitamins in die Körperzellen. Vitamin B12 wird in relativ großen Mengen von der Leber und Muskulatur aufgenommen, der Gesamtkörperbestand beträgt 2–5 mg. Da täglich nur 0,05–0,1 % dieser Reserven umgesetzt werden, sind bei einer absolut Vitamin-B12-freien Ernährung die Speicher erst nach 1–4 Jahren halbiert. Vitamin B12 wird in relativ großen Mengen (3–8 µg/Tag) von der Leber mit der Gallenflüssigkeit ausgeschieden. Trotzdem gehen dank einer sehr effektiven Reabsorption weniger als 0,1 µg verloren. Mangelerscheinungen äußern sich vor allem in der perniciösen Anämie; bei ihr verläuft die Bildung der Erythrozyten im Knochenmark anomal. Daneben kommt es zu zentralnervösen Störungen. Der Tagesbedarf für den erwachsenen Menschen liegt bei 2 bis 3 μg. Hauptlieferanten von Vitamin B12 für den Menschen sind tierische Gewebe (Muskulatur) und Organe (Leber, Niere) sowie Fisch, Eigelb und Milch. Mit einer durchschnittlich gemischten Kost wird mit 5–7 µg Vitamin B12/Tag deutlich mehr an diesem Vitamin aufgenommen, als zur Bedarfsdeckung erforderlich ist. Vitamin B12 (62) kann ausschließlich von Mikroorganismen gebildet werden. Für die industrielle Produktion kommen vor allem StreptomycesArten, Hefen und Bacillus subtilis in Frage. Vitamin B12 in der Milch wurde durch die Flora im Pansen biosynthetisiert, Hydroxycobalamin ist das Hauptprodukt. Vitamin B12 liegt in Milch hauptsächlich vorwiegend proteingebunden vor. In tierischen Geweben kommt Vitamin B12 vor allem als Coenzym, Methylcobalamin und als Adenosylcobalamin vor. In sehr geringen Mengen ist es auch in fermentierten Lebensmitteln z. B. Sauerkraut, Soja, Bier zu finden, diese leisten allerdings nur einen kleinen Beitrag zur Gesamtversorgung. In Wurzelgemüse ist aus Bodenbakterien aufgenommenes Vitamin B12 enthalten. Die biochemische Funktion des Vitamins ist noch nicht endgültig geklärt. Es ist wichtig für Carboxylierungsvorgänge bei der Synthese von Methionin und Thymin. Außerdem spielt es eine Rolle bei der Umwandlung von MethylmalonylCoA in Succinyl-CoA. Methylcobalamin wird vor allem bei der Reduktion von Einkohlenstoffverbindungen der Oxidationsstufe des Formiats und Formaldehyds benötigt und ist auf diese Weise, zusammen mit der Folsäure, an der Biosynthese labiler Methylgruppen und am Methylgruppentransfer beteiligt. Es ist unentbehrlich für die Biosynthese der Purin- und Pyrimidinbasen, die Bausteine der Nucleinsäuren sind. Vitamin B12 spielt daher auch eine bedeutende Rolle bei der Hämatopoese. Labile Methylgruppen sind außerdem beteiligt an der Biosynthese des Methionins aus Homocystein und des Cholins aus Ethanolamin. Adenosylcobalamin ist als Coenzym der Methylmalonyl-CoA-Isomerase am Citratzyklus und an der Hämsynthese beteiligt und ist als Coenzym der Ribonucleotid-Reduktase für die DNA-Synthese unentbehrlich.
8.3 Corrine
543
HOOC COOH
H3C H C 3 HOOC
A
H3C H3C H HOOC
N
Cobyrinsäure
Co 19 18
H
B
X
N
COOH
D
N
N
Y
CH3
C
CH3 CH3 CH 3
HOOC COOH H2NOC CONH2
H3C H C 3
CONH2
5
H2NOC H 3C
A
N
H 3C H H2NOC
H
B
X
N
D
N
N 15
C
CH3 CH3
CH3 CH 3
O HN
CH3 N O
O
Corrin-RingSystem
10
+
Co
P
H N O HO
O O HO
CONH2 CH3 CH3
5,6-Dimethylbenzimidazolribonucleotid
Cyanocobalamin 62 (Vitamin B12): X = CN Aquacobalamin: X = H2O Hydroxycobalamin (Vitamin B12b): X = OH Adenosylcobalamin: X = 5'-Desoxy-5'-adenosylMethylcobalamin: X = CH3
Cyanocobalamin (Hämogen, Erythrotin) kristallisiert in rubinroten, hygroskopischen Nadeln, die sich zwischen 210°C und 220°C zersetzen. Es ist löslich in Wasser und Ethanol, unlöslich in anderen organischen Lösemitteln. Die Absorptionsmaxima im UV liegen bei λ 278 nm, 361 nm und 550 nm. Gegenüber stark sauren und alkalischen Lösungen, Licht bzw. UV-Strahlen sowie Reduktionsmitteln ist Vitamin B12 wenig beständig. Längere Zeit haltbar ist es in isotonischer Kochsalzlösung. Die Isolierung des Vitamins gelang erstmals 1948 durch K. Folkers. Die Strukturaufklärung wurde vor allem in den Arbeitsgruppen von Todd, Folkers und
544
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine
Bernhauer durchgeführt. Einen entscheidenden Fortschritt brachte die Röntgenstrukturanalyse durch Crowfoot-Hodgkins. Die koordinativ gebundenen Liganden im Coenzym B12 werden bei der Aufarbeitung leicht abgespalten. Die Abspaltung des Aminopropanol-Teils im Vitamin B12 62 ergibt die Cobyrsäure, die Spaltung aller Amidbindungen ergibt die Cobyrinsäure (X und Y bedeuten verschiedene Liganden am oktaedrischen Cobaltatom). Die Synthese von Vitamin B12 62 gelang Woodward und Eschenmoser. 8.3.2 Vitamin B12-Synthese und Orbitalsymmetrie-kontrollierte Reaktionen
Eine Darstellung der Vitamin-B12-Synthese wäre unvollständig ohne Erwähnung der Untersuchungen von Woodward, die letztendlich zu den „WoodwardHoffmann-Regeln“ für orbitalsymmetriekontrollierte Reaktionen führten. Diese Untersuchungen werden im Folgenden chronologisch dargestellt, um aufzuzeigen, wie wichtig genaue Beobachtungen innerhalb der Naturwissenschaften sind, um zu neuen Konzepten bzw. Theorien zu gelangen. Woodwards Idee war der Aufbau zweier Asymmetriezentren in einem Reaktionsschritt, wobei die bereits vorhandenen asymmetrisch substituierten C-Atome im Molekül die Konfiguration der neu entstehenden Stereozentren steuern sollten. Diese Zielvorstellung lässt sich in einer intermolekularen Reaktion nicht einfach realisieren. Wird dagegen die angreifende Gruppe zuerst an das Molekül gekoppelt und anschließend eine intramolekulare Reaktion durchgeführt, werden gute Ergebnisse erzielt. Als Baustein für Vitamin B12 wurde von Woodward folgende intramolekulare Michael-Addition geplant: OMe
OMe
OMe
2
O O H MeOOC
3 4 5
O
N O
O
O
O H MeOOC
C
2 3
O
N
O
4
O H MeOOC
6
N H 5
O
O
Die intramolekulare Reaktion sollte durch den Angriff des Carbanions von der unteren Seite erfolgen, da die obere Seite des Moleküls durch einen KetalSauerstoff abgeschirmt ist. An Position 5 müsste so die gezeigte Stereochemie resultieren. Das Stereozentrum an C-6 sollte, ausgehend vom entsprechenden transProdukt, aufgrund von Winkelspannungen und unter der Voraussetzung, dass keine Entkopplung von π-Elektronen im Übergangszustand auftritt, die hier gezeigte Stereochemie besitzen. Als Ausgangsverbindung für die Erzeugung des Carbanions wurde das Isoxazol eingesetzt, welches unter Ringöffnung des Heterocyclus das gewünschte Interme-
8.3 Corrine
545
diat ergeben sollte. Diese Reaktion bleibt allerdings auf der Stufe des Intermediates stehen, ohne dass eine Cyclisierung stattfindet. OMe
O
OMe
O
N O
O H
O
O H
O
MeOOC
N
O
MeOOC
N O
H3C
O
CN CH2-C6H5
O
Durch Zugabe von Säure konnte das erhaltene Cyanoenolatanion zur entsprechenden Säure protoniert werden, die einfach kristallisiert werden kann. OMe
O
O
Δ
N O
O H MeOOC
OMe
O H
H 6
O
A
N H
O
H O
MeOOC
CN
B
hν
CN
+ hν
OMe
O
Δ
N O
O H MeOOC
H O
D
CN
OMe
O O H MeOOC
N H
O
H O
C
CN
Abb. 8.17. Isomerisierung der Verbindung A, B, C und D durch Bestrahlung oder Wärme
546
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine
Bei der Bestimmung des Schmelzpunktes wurde allerdings die Cyclisierung von A zu B in einer stereochemisch einheitlichen Reaktion beobachtet (Abb. 8.17). Diese Cyclisierung war nicht nur in der Schmelze, sondern auch beim Erhitzen in inerten Lösungsmitteln möglich. Das Auftreten des Produktes C ergibt sich durch vorherige Isomerisierung von A zu D und anschließende stereochemisch einheitliche Cyclisierung von D zu C. Bei weiteren Untersuchungen von B und C wurde entdeckt, dass durch Bestrahlung eine Ringöffnung auftritt. Interessanterweise entsteht bei dieser Reaktion gerade das entgegengesetzte Isomer (verglichen mit der thermischen Cyclisierung). So erhält man aus C→A und aus B→D. In Abb. 8.17 ist dieser Tatbestand dargestellt. Woodward führte, um den Ringschluss zu beschreiben, nun den Begriff disrotatorisch und für die Ringöffnung den Begriff konrotatorisch ein.
N O OH
H
CN
N H
Δ
O
disrotatorisch
OH H3COOC
H3COOC
CN
N O H
OH CN
N H
konrotatorisch hν
O
H3COOC
H3COOC
OH CN
Diese Reaktionen sind als Triencyclisierung bzw. -öffnung zu verstehen. Woodwards Vergleich mit bereits vorhandenen Literaturdaten ergab eine Analogie mit der Ringöffnung von cis-Cyclobuten-dicarbonsäuredimethylester. Diese Reaktion verläuft thermisch allerdings konrotatorisch. COOCH3
COOCH3 H H
COOCH3
konrotatorisch
H COOCH3 H
8.3 Corrine
Hexatrien
547
Butadien Grundzustand
Grundzustand
E
antibindend bindend
Abb. 8.18. Die Darstellung der Konfiguration der π-Elektronen nach der LCAO-Näherung (linear combination of atomic orbitals)
Die Involvierung von π-Elektronen führte nun zu einer Untersuchung der Molekülorbitale (MO) des π-Systems. Vergleicht man das höchste besetzte Orbital (highest occupied molecular orbital = HOMO) des Butadiens mit dem des Hexatriens, stellt man verschiedene Symmetrien der endständigen p-Orbitale im Grundzustand fest. (In Abb. 8.18. sind als Beispiele einfache Diene und Triene betrachtet, ohne weiter auf das konkrete Woodward-Beispiel einzugehen.) Anhand dieser Beispiele können nun die Woodward-Hoffmann-Regeln abgeleitet werden. Die thermische Cyclisierung von trans,trans-2,4-Hexadien führt z. B. zu einem konrotatorischen Ringschluss, da der Übergangszustand über eine bindende Wechselwirkung verläuft. Eine disrotatorische Cyclisierung führt zu einer antibindenden Wechselwirkung.
548
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine
Δ H3 C
CH3
konrotatorisch
(1)
H
CH3
H
H
CH3
H
CH3
(1)
H H
CH3
HOMO-Cyclisierung
Wird dagegen durch eine Photoanregung das erste antibindende Orbital im Hexadien besetzt, muss nun das ehemalige LUMO (lowest unoccupied molecular orbital) betrachtet werden. In diesem Fall muss der Ringschluss disrotatorisch erfolgen.
hν H3C
(2)
CH3
CH3
CH3
H
H
H
H
(2)
H H
CH3
CH3
disrotatorisch
LUMO-Cyclisierung
Umgekehrt zu diesem 4π-Elektronensystem verläuft der Ringschluss im 6πSystem des Triens (Tabelle 8.3). Thermisch beobachtet man einen disrotatorischen Ringschluss, photochemisch einen konrotatorischen. Diese Regel kann verallgemeinert werden. Diese Regeln gelten ebenfalls für die Ringöffnung, da diese auch über den bei der Cyclisierung beschriebenen Übergangszustand verläuft. Nach WoodwardHoffmann handelt es sich hierbei um konzertierte Reaktionen. Die Bindungsspaltung und Neuknüpfung erfolgt parallel. Hierbei wird eine niedrigere Aktivierungsenergie benötigt als für entsprechende schrittweise Reaktionen. Bedingt durch diesen Mechanismus unterliegt die Stereochemie einer strengen Kontrolle. Woodward führte mit seiner Unterteilung in Symmetrie-erlaubte und Symmetrieverbotene Reaktionen Voraussagen in der Chemie ein, die erst viel später experimentell nachvollzogen wurden. Reaktionen, welche nach einem konzertierten Mechanismus verlaufen und nur durch Licht oder Wärme initiiert werden, fasst man unter dem Begriff pericyclische Reaktionen zusammen. Hierzu gehören die bereits diskutierten elektrocyclischen Reaktionen, Cycloadditionen und Cycloreversionen (z. B. Diels-AlderReaktion oder Retro-Diels-Alder-Reaktion), chelotrope Reaktionen und sigmatrope Reaktionen.
8.3 Corrine
549
Tabelle 8.3. Woodward-Hoffmann-Regeln für elektrocyclische Reaktionen
π -Elektronenanzahl 4n 4n 4n+2 4n+2
Reaktionsführung thermisch photochemisch thermisch photochemisch
Bewegung konrotatorisch disrotatorisch disrotatorisch konrotatorisch
Auf diese Reaktionen kann hier aber nicht eingegangen werden, da dies den Rahmen dieses Kapitels sprengen würde. Für vertiefende Studien muss auf weiterführende Literatur von Fleming und Woodward-Hoffmann verwiesen werden. 8.3.3 Vitamin B12-Synthese
Die Synthese von Vitamin B12 62 wurde in enger Kooperation zwischen Woodward und Eschenmoser durchgeführt. Im Folgenden (s. Abb. 8.19 –23) soll nun auf einige hervorragende Syntheseschritte von zwei verschiedenen Varianten (I und II) eingegangen werden. Die Entstehung der Woodward-Hoffmann-Regeln im Rahmen der Variante (I) wurde bereits im vorhergehenden Abschnitt eingehend diskutiert. Bei der Variante (II) ist die Verbindung der monomeren Ringglieder zur entsprechenden Secosäure mit Hilfe der Sulfidkontraktions-Methode bemerkenswert. Der Aufbau des B/C-Segments geht vom Thiolactam 63 des B-Rings aus. Die Umsetzung des Thiolactams mit Benzoylperoxid ergibt ein Bisulfid 65, welches nun als Acceptorsystem für das nucleophile Enamid-System 64 dient. Ein großer Vorteil der Thiogruppe ist u. a. ihre „sterische Flexibilität“, bedingt durch die lange C-S Bindung. Hiermit ist der Einfluss sterisch anspruchsvoller Substituenten im Ringsystem minimiert (Abb. 8.19). Die Sulfidkontraktionsmethode überführt nun die Thioetherbrücke in eine C-CBindung. Hierbei entsteht über den Thioether 66 das Episulfid 67, das mit Phosphin zu 68 entschwefelt und weiter zu 73 (Abb. 8.22) umgesetzt werden kann. Die Verknüpfung der beiden Dimeren A/D 69 und B/C 70 in der Variante (I) wird ebenfalls mit der Sulfidkontraktionsmethode durchgeführt. In diesem Fall substituiert der Thiolactamschwefel nucleophil das Bromatom im A/D-Segment. Umlagerung zum Episulfid 71 und Eliminierung des Schwefelatoms liefert die Secoverbindung 72a, die in 72b übergeführt werden kann. Der Mechanismus ist in Abb. 8.20 dargestellt. Der Ringschluss zwischen den Ringen A und B in 72b wird mit der Sulfidkontraktionsmethode durchgeführt. Man erhält letztendlich die Verbindung 75b (s. Abb. 8.21).
550
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine O BzOOBz
H
O
2
COOCH3 N SH
63 O
O H
O N
S
H N
N
S
+
H
O
COOCH3 H O
N
O
S
H
H N
H
COOCH3
O
H
O
65
COOCH3
64
COOCH3
66
O
O COOCH3
H
O
S
N H N
N
S + P C H
H N
H
COOCH3
H
O
P
O
H
O
67
COOCH3
COOCH3
O H
O
COOCH3
B N
73
H N C
O H
68
COOCH3
COOCH3
Abb. 8.19. Aufbau des B/C Teils von Cobyrinsäure nach Variante II
8.3 Corrine MeOOC O H MeOOC
H
O
O
N
N
H
+
H 19
MeOOC
COOMe
Base
N
N HS
18
H
H
COOMe
Br NC
69
S N
70
H
S N
N
S N
N
N
71 MeOOC
O O O
H MeOOC
NH
H
COOMe
N
72b
H 19
MeOOC
NH
N
18
H CH3
NC
H
72a
Abb. 8.20. Aufbau des Tetrapyrrolsystems nach Variante I
COOMe
551
552
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine MeOOC O
MeOOC
H
O
O N H 19
MeOOC
N
+
H
COOMe
72a
H N
N S
18
COOMe
Br NC
69
70
MeOOC CON(CH3)2 S
MeOOC
A
COOMe
H B
NH
N
H 19
MeOOC
18
D
N
HN C COOMe
NC
72b MeOOC CON(CH3)2 H
MeOOC
A
N
19
18
H
B N
Co
H MeOOC
CN
COOMe
D
N
CN
N
C COOMe
NC
75b
Abb. 8.21. Synthese des Cobyrinsäure-Derivats 75b nach Variante I
8.3 Corrine
553
Der Ringschluss zwischen den Ringen A und D wird im Falle der Variante II (Abb. 8.23) durch lichtinduzierte Cycloisomerisierung secocorrinoider Metallkomplexe durchgeführt. Der erste Schritt der Reaktion ist die lichtinduzierte antarafaciale [1,16]-Wasserstoffverschiebung (sigmatrope Umlagerung) von 73 zu 74. Anschließend erfolgt ein thermisch induzierter antarafacialer (konrotatorischer) Ringschluss (16 π-System) von 74 zu 75a. Stereospezifisch wird hierbei das 1,19trans-Isomer erhalten. Dieser Mechanismus ist in Abb. 8.22 dargestellt. Bemerkenswert ist die Abhängigkeit der Reaktion vom Metallion. Geeignet sind vor allem Li, Mg, Zn und Cd, bedingt geeignet sind Pd und Pt; ungeeignet sind Co, Ni und Cu. COOCH3 CN
COOCH3
H
H
H N H
COOCH3
N
hν
Cd
antarafacialer [1,16]H-Shift
N Cl N
H
CON(CH3)2 H
H3COOC
COOCH3
73 COOCH3
CN
COOCH3
H
H
C
+
H
C
COOCH3
N
N
Δ
Cd
konrotatorische Cyclisierung
N Cl N
H
CON(CH3)2 H
H3COOC
COOCH3
74 COOCH3
CN
COOCH3
H
H D
19
1
N
N
A
H
COOCH3
75b
Cd H C H3COOC
N Cl N
B
H
75a
Abb. 8.22. Cyclisierung nach Variante II
CON(CH3)2 COOCH3
554
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine MeOOC
O O
S
MeOOC
A
N
N H
H
CN
19
MeOOC
D
18
COOMe B S
63
CH2
H
N
N
C
(+)-Campher
CH2Br O
COOMe
NC
64 MeOOC CON(CH3)2 COOMe
MeOOC
A
B
19
18
75a
Cd (Cl)
H2C MeOOC
N
N
D
N
N
C COOMe
73
NC MeOOC
CON(CH3)2 COOMe
MeOOC N
N
Co
H 19
MeOOC
CN
18
N
CN
N COOMe
NC
75b
Abb. 8.23. Synthese des Cobyrinsäure-Derivats 75b nach Variante II
8.4 Biosynthese von Porphyrinen, Chlorinen und Corrinen
555
Ausgehend von 75b kann über das Cobyrinsäurederivat 76 Vitamin B12 62 dargestellt werden. Für eine vertiefende Betrachtung muss auf die Literatur im Anhang verwiesen werden. (b) MeOOC
(c) COOMe CH3
(a) MeOOC H3C
75b (g) MeOOC
N
H3C H
(f)
CN
CH3
(d) COOMe
N
Vitamin B12 62
Co 19
18
N
CN
N
CH3 CH 3
H2NOC
CH3 CH3 COOMe (e)
Cobyrinsäurehexamethylester-f-amid 76
8.4 Biosynthese von Porphyrinen, Chlorinen und Corrinen Die Grundbausteine der cyclischen Tetrapyrrole sind Glycin und Succinyl-CoA. Eine Aktivierung von Glycin über Pyridoxalphosphat führt in einer Art ClaisenKondensation mit Succinyl-CoA zu 5-Aminolävulinat. O HOOC
S
CoA
O
HOOC
H C HC
O
O
COOH
H
N
N
HC
PLP
PLP O HOOC
NH2
5-Aminolävulinsäure
Anschließend dimerisieren zwei Moleküle 5-Aminolävulinat in einer Art Knorr-Kondensation zum Porphobilinogen 77a.
556
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine O O O
C
COOH
O
HOOC O
H2N
O
H
N H
H2N
H2N
Porphobilinogen (77a)
Vier monomere Pyrrole cyclisieren nun unter Enzymkatalyse zum Tetramer Uroporphyrinogen. Für die Bildung von Uroporphyrinogen III 25c werden die Enzyme Desaminase und Cosynthetase benötigt; die Desaminase katalysiert die Cyclotetramerisierung. Wie bereits bei der chemischen Synthese beschrieben, ist die 2-Aminomethylfunktion die reaktive Gruppe. Das Enzym bindet nun eine Pyrroleinheit 77b, die in der nächsten Stufe schrittweise in das offenkettige Tetramer 78 überführt wird. Fehlt die Cosynthetase, was bei Erkrankungen vorkommen kann (s. Porphyrie-Erkrankung, Kap. 8.1), löst sich das Tetramer vom Enzym in 79 und cyclisiert ohne Enzymbeteiligung zum Uroporphyrinogen I 25a, das keine physiologische Funktion besitzt (Weg A/Abb. 8.24). A
77a
Desaminase Porphobilinogen
A
N
77b Ps
H
Ps A
Ps NH
HN
X
HN
NH
A
A NH
HN
Ps
B
79
X HN
A Ps
Ps
X
A
A
A
Ps
Ps
X
Ps
C
NH
HN
D
A
Ps
A
78
Bei intaktem Enzym bildet sich, wie in der Abb. 8.24 gezeigt, nach Ablösung von der Desaminase über die exo-Methylenverbindung 79 und den primären Alkohol 80 eine Spiroverbindung 81. Die Cosynthetase katalysiert nun die korrekte Ringöffnung des Spirosystems zum isomeren offenkettigen Tetramer 82. Dieses cyclisiert zum Uroporphyrinogen III, der Muttersubstanz aller weiteren Porphyrine und Analoga (Weg B/Abb. 8.24). Die Cosynthetase ist also keine Cyclase, sondern vielmehr eine Isomerase.
8.4 Biosynthese von Porphyrinen, Chlorinen und Corrinen Ps
Ps
A
A
A
A
Ps
Ps
HN
N
557
NH
HN
NH
HN
HO NH
HN
A
Ps A
79
A
Ps
Ps
A
Ps
80
Ps
A
A
Ps NH
A
HN
HN
Ps
A
N Ps
81 Weg A ohne Isomerisierung
Cosynthetase, Weg B Isomerisierung Ps
A
A
Ps NH
HN
NH
HN
+
A
A Ps
Ps
82
HOOC
HOOC
COOH
COOH HOOC
HOOC
HOOC
NH
HN
NH
HN
COOH
HOOC
A
D
NH
HN
NH
HN
B
COOH
C COOH
COOH HOOC COOH
Uroporphyrinogen I 25a
HOOC
COOH
Uroporphyrinogen III 25c
Abb. 8.24. Schema der Biosynthese von Uroporphyrinogen III
558
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine Ps
A
Ps
Ps
A
Ps NH
HN
NH
HN
A
NH
HN
NH
HN
A Ps
Ps
Ps
Uroporphyrinogen III 25c Ps H
A
A
Ps
Koproporphyrinogen III
CH3 Ps
H3C
N
H
HN
NH
N
A
NH
HN
NH
HN
A Ps
Ps
Ps
Sirohydrochlorin 83 Ps H
A
A
Ps
Protoporphyrinogen III
CH3 Ps
H3C
N
H
HN
N
NH
Häm
H3C NH
N
N
A
HN
A Ps
Ps
Ps
2,7,20-Trimethylisobacteriochlorin 85
Ps H
CH3 A
A H3C
CH3 Ps
N
N
H3C H A
H
N
N
N
Co
Mg N
H H3C
Ps
Protoporphyrin IX 5
N
CH3
N
CH3 Ps
CH3 Ps H
Ps
Ps
Cobyrinsäure
Vitamin B12 62
Chlorophylle 49
Abb. 8.25. Uroporphyrinogen III als Intermediat in der Biosynthese
8.4 Biosynthese von Porphyrinen, Chlorinen und Corrinen
559
In Abb. 8.25 ist die Stellung des Uroporphyrinogens III 25c als Intermediat in der Biosynthese dargestellt. Über Decarboxylierung zum Koproporphyrinogen III, Aufbau der Vinylgruppe zum Protoporphyrinogen IX, letztendlich durch Dehydrierung zum Protoporphyrin IX 5, ist das Häm erhältlich. Die Komplexbildung des Protoporphyrins 5 mit Magnesium führt zu den Chlorophyllen. Die Reduktion von Uroporphyrinogen III 25c zum Sirohydrochlorin und Methylierung zum 2,7,20-Trimethylisobakteriochlorin 85 sind die ersten Schritte für die Biosynthese von Vitamin B12. Umlagerung des Isobakteriochlorins ergibt die Cobyrinsäure. Der wahrscheinliche Mechanismus dürfte so verlaufen, wie er in Abb. 8.26 dargestellt ist. Die Cobyrinsäure wird enzymatisch in Vitamin B12 62 umgewandelt. Der Abbau des Häms im Organismus führt dann zu den Gallenfarbstoffen, wie z. B. Biliverdin und Bilirubin (Abb. 8.27). In der Gallenflüssigkeit ist das Bilirubin mit Glucuronsäure verestert, z. T. auch an Schwefelsäure gebunden. Ps H
CH3 A
A H3C H3C H3C H O H
H3C
H
N
N
H3C O
Co N
N
Ps
H
CH3
CH3 Ps
H
CH3 A
A H3C H+
N
H
N
CH3
Co
Ps
CH3 Ps
N
N
CH3
Co N
H H3C
N
Ps
H3C H A
N
CH3 H
CH3 Ps
CH3 Ps
N
O A H H3C
CH3
Ps H
CH3 A
A
Ps
A + H3C
Ps H
CH3
CH3 Ps H
Abb. 8.26. Wahrscheinlicher Mechanismus der Umlagerung von Isobakteriochlorin
H
CH3
560
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine COOH
HOOC
H3C
N G
Hämoglobin
CH3
N
G = Globin
Fe N
HN CH3
H3C
O O
COOH COOH
O
N
N
H
H
N
N
O
Biliverdin (blaugrün)
H
COOH COOH
O
N
N
N
N
H
H
H
H
O
Bilirubin (orangerot)
Abb. 8.27. Abbau des Hämoglobins zu den Gallenfarbstoffen
Als weiterer Pyrrolfarbstoff findet sich das blaue Pigment Phycocyanin in Cyanophyceae-Spezies. Phycoerythrobilin besitzt dagegen eine purpurne Farbe. Prodigiosin, der Farbstoff des Hostiepilzes (Bacterium prodigiosum), ruft das „Blutigwerden“ von Brot (sog. Blutende Hostie) hervor, das sich im Auftreten blutroter Flecken äußert und einen Brotfehler darstellt.
Literatur O HO C
O HO C
O C OH
O
O C OH
H
H N
N
H
H
N
N
O
H
Phycocyanin H N
O
H N
N O
561
H N
N
H
H
N Phycoerythrobilin
N
O
H
CH3
CH3 Prodigiosin
CH3
Literatur Monographien 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
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Übersichtsartikel und Originalarbeiten 10. A.R. BATTERSBY: Synthetic and biosynthetic studies an vitamin B12, J. Nat. Prod. 51, 643 (1988) 11. B. FRANCK: Aktuelle Probleme der Biosynthese des roten Blutfarbstoffes, Angew. Chemie 94, 327 (1982) 12. T.P. WIJESEKERA, D. DOLPHIN: Some preparations and properties of porphyrins, Adv. Exp. Med. Biol. (Methods Porphyrin Photosens.) 193, 229 (1985) 13. A. ESCHENMOSER: Vitamin B12: Experimente zur Frage nach dem Ursprung seiner molekularen Struktur, Angew. Chem. 100, 5 (1988) 14. R.B. WOODWARD: Spec. Publ. Chem. Soc. 21, 217 C (1967)
562
8 Porphyrine, Chlorine und Corrine
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9 Lipide
Lipide gehören zu den essenziellen Grundbausteinen einer Zelle. Unter diesem Begriff werden im Folgenden die Derivate der langkettigen aliphatischen Fettsäuren zusammengefasst. Den Fettsäuren kommen zwei wichtige physiologische Eigenschaften zu: Erstens sind sie die Bausteine von Phospholipiden und Glycolipiden und damit wichtige Bestandteile von Zellmembranen und zweitens sind sie als Triacylglyceride der Energiespeicher des Organismus. Daneben wirken verschiedene Lipide als Wärmeschutz bei Tieren. Weitere physiologische Aktivitäten werden im Folgenden diskutiert.
9.1 Fettsäuren Fettsäuren kommen in der Natur als Ester oder Amide vor, die durch Verseifung die freien Säuren ergeben. Die wichtigsten aliphatischen Fettsäuren sind in Tabelle 9.1 zusammengefasst. In den natürlich vorkommenden ungesättigten Fettsäuren ist die Doppelbindung cis-ständig. Die wichtigste dieser ungesättigten Säuren ist die Ölsäure, die den Hauptbestandteil der natürlichen Öle bildet. Sie findet sich vor allem in Olivenund Mandelöl sowie im Fischtran. Bei den mehrfach ungesättigten fettsäureähnlichen Säuren ist die Sorbinsäure zu nennen, die im Saft der Vogelbeeren (Sorbus aucuparia) vorkommt. Sie hat als Konservierungsmittel Bedeutung, da sie das Wachstum von Bakterien, Hefen und Pilzen hemmt. Sie kommt normalerweise nicht in Fetten vor. Tabelle 9.1. Wichtige aliphatische Fettsäuren
Name Buttersäure Capronsäure Caprylsäure Caprinsäure Laurinsäure Palmitinsäure
Summenformel CH3-(CH2)2-COOH CH3-(CH2)4-COOH CH3-(CH2)6-COOH CH3-(CH2)8-COOH CH3-(CH2)10-COOH CH3-(CH2)14-COOH
Stearinsäure
CH3-(CH2)16-COOH
Cerotinsäure
CH3-(CH2)24-COOH
Vorkommen Glycerinester in Butter Glycerinester in Butter und in Kokosnussöl Glycerinester in Butter Frei in verschiedenen Käsesorten Glycerinester in Lorbeeröl und im Walrat Glycerinester Hauptbestandteil der tierischen und pflanzlichen Fette Glycerinester Hauptbestandteil der tierischen und pflanzlichen Fette Ester einwertiger Alkohole in Wachsen
564
9 Lipide (CH2)7 (CH2)7 COOH
H3C
H
COOH
Ölsäure
H
Sorbinsäure
In Lein-, Mohn- und Hanföl wird ein hoher Gehalt an mehrfach ungesättigten aliphatischen Carbonsäuren gefunden, so z. B. Linolsäure und Linolensäure. C 9
12
O OH
CH3
Linolsäure (9[Z],12[Z]-Octadecadiensäure) 6
O C OH 9
12
C CH3
15
α-Linolensäure (9[Z],12[Z],15[Z]-Octadecatriensäure)
9
O OH
CH3
12
γ-Linolensäure (6[Z],9[Z],12[Z]-Octadecatriensäure)
Die mehrfach ungesättigten Fettsäuren sind essenzielle Verbindungen für den menschlichen Organismus. Wichtig hierbei ist vor allem die Arachidonsäure, die Ausgangsverbindung für die Biosynthese von Prostaglandinen, Prostacyclinen und Thromboxanen (s. Kap. 10). COOH
Arachidonsäure
Die Linolensäure sowie die Eicosapentaensäure (EPA) und die Docosahexaensäure (DHA) zählen zu den Omega-3-Fettsäuren (ω-3-Fettsäuren). Sie sind essenziell. Charakteristisch ist, dass die erste Doppelbindung – vom Methylende aus gerechnet – am 3. C-Atom lokalisiert ist. ω-3-Fettsäuren beeinflussen die Membraneigenschaften und –funktionen, indem sie die Fluidität und Permeabilität der Zellmembran erhöhen. Weiterhin stimulieren sie hormonelle und immunologische Aktivitäten und zeigen so eine Wirkung auf das Herz-Kreislaufsystem, das Immunsystem sowie auf das Zentralnervensystem. Sie stellen die Ausgangsstoffe für Eicosanoide, die eine Vielzahl von Zellfunktionen beeinflussen. 8
10
13
7
16
4
19
5
C
O C OH CH3
(all-Z)-4,7,10,13,16,19-Docosahexaensäure
11
14
17
O OH CH3
(all-Z)-5,8,11,14,17-Eicosapentaensäure
9.1 Fettsäuren
565
In neuerer Zeit wurde für konjugierte Linolsäureisomere, die beispielsweise bei der bakteriellen Fermentation durch die Mikroflora der Wiederkäuer entstehen, eine günstige physiologische Wirkung nachgewiesen. Sie wirken antidiabetogen, immunmodulierend, antithrombisch, anticancerogen, senkend auf den Fettgewebeanteil und erhöhend auf Knochenmasse und Muskelgewebe. In 100 g Milchfett können bis zu 3 g konjugierte Linolsäure vorkommen. Als Hauptisomer kommt die 9(Z),11(E)-Octadecadiensäure vor. C
H3C
9(Z),11(E)-Octadecadiensäure
O OH
In Pflanzen der Familie Asteraceae sind Acetylenfettsäuren (Fettsäuren mit Dreifachbindungen) enthalten, sie sind aber sehr selten.
12
9
11
C
O OH
Beispiel einer Acetylenfettsäure: (9Z)-Octadecen-11-insäure
In den Lipiden des Gehirns finden sich Hydroxyfettsäuren, z. B. die 2Hydroxytetracosansäure (Cerebronsäure). Die Ricinolsäure (12-Hydroxyölsäure), die im Samenöl von Ricinus communis vorkommt, ruft die laxierende Wirkung des Ricinusöls hervor. OH O C (R)-Form OH
Cerebronsäure H
OH 12
9
C
O OH
Ricinolsäure (in Ricinusöl) ((12R)-Hydroxy-(9Z)-octadecensäure)
Pharmakologische Bedeutung hatten früher die aus dem Samenöl von Hydnocarpus-Arten gewonnenen Cyclopentensäuren durch ihre Wirkung gegen die Mycobakterien M. tuberculosis und M. leprae. Das Öl wird daher zur Leprabehandlung eingesetzt.
Hydnocarpussäure
COOH
COOH
Chaulmoograsäure
566
9 Lipide
Bei den Furanfettsäuren ist eine Fettsäure mit einem Furanring gekoppelt. Sie sind z. B. in Fischleberölen zu 1–6 %, in Süßwasserfischen sowie in Butter, Raps-, Soja- und Weizenkeimöl enthalten. Furanoide Fettsäuren sind bei männlichen Fischen zu finden, sie werden nach Hungerperioden im Leberfett gespeichert. Bei Pflanzen werden sie z. B. nach Pilzbefall oder mechanischen Verletzungen gebildet und spielen eine entscheidende Rolle im Abwehrsystem. Beim Abbau der Furanfettsäuren entstehen Ketone, die Off-flavour verursachen, z. B. 3-Methyl-2,4nonadion in Sojaöl, dabei aber antioxidativ wirken.
C
O OH
O Furanoide C18-Fettsäuren (Hecht und andere männliche Fische)
9.2 Fette und Wachse Die natürlich vorkommenden Fette und Öle sind fast ausnahmslos Glycerinester. In den tierischen Fetten müssen die drei mit Glycerin veresterten Säuren nicht identisch sein, sondern es treten vielmehr Ester mit verschiedenen Fettsäuren auf. Hauptsächlich handelt es sich um Stearin-, Palmitin- und Ölsäure. Je höher der Gehalt an Ölsäure ist, umso niedriger ist der Schmelzpunkt. Die Fette sind die Hauptenergiereserven des Organismus. O H2C
O
C O
(CH2)x-CH3
HC
O
C O
(CH2)y-CH3
H 2C
O
C
(CH2)z-CH=CH-(CH2)7-CH3
In den pflanzlichen Ölen ist der Anteil an ungesättigten Fettsäuren größer. Zur Herstellung von Margarine werden deshalb die Pflanzenöle durch katalytische Hydrierung „gehärtet“ (Fetthärtung). Die alkalische Hydrolyse der Glyceridester zu Alkalisalzen der höheren Fettsäuren führt zu Seifen. Von dieser Reaktion leitet sich auch der Begriff Verseifung für die hydrolytische Spaltung von Estern ab. Als Wachse bezeichnet man die Fettsäureester einwertiger Alkohole. Die hochmolekularen Fettsäuren haben Kettenlängen von C24–36, und die hochmolekularen ein- oder zweiwertigen Alkohole weisen Kettenlängen von C16–36 auf. Beispielsweise kommen Stearyl- und Oleylalkohole in Seetierölen, Bienenwachs und als Wachsschicht auf der Cuticula von Pflanzen vor. Bienenwachs setzt sich zusammen aus 70 % Estern von langen Alkoholen und Fettsäureketten, 12–15 % freien Fettsäuren und 10–15 % Kohlenwasserstoffen, daneben kommen Spuren von Diolen und Cholesterolestern vor. So findet sich im Bienenwachs Myricylpalmitat.
9.3 Polare Lipide
567
Myricylalkohol ist ein Gemisch der Alkohole vorwiegend mit der Summenformel C30H61OH und C32H65OH. Weitere bekannte Wachse sind Walrat, Lanolin (Wollwachs der Schafe) und Carnaubawachs (Palmblätterwachs). Die Lagerung von Ölen im Kühlschrank kann zu Trübungen führen, wenn Glycerinanteile mit langkettigen Fettsäuren und/oder Wachsanteilen, die aus den Schalen der Ölsamen kommen, auskristallisieren. Wachse und synthetische Wachsester sind besonders wirksame Komponenten in Trennmitteln für den Backwarenbereich. Sie zeichnen sich durch eine gute Nahrungsverträglichkeit aus, was eine große Rolle spielt, da die Trennmittel mit den verschiedensten Nahrungsmitteln in Berührung kommen und zu einem nicht unerheblichen Teil mit verzehrt werden. Des Weiteren besitzen sie eine gute Oxidations- und Thermostabilität. Wachse sind effiziente Lipidbarrieren für den Wasserdampftransfer. Daher werden sie auch in Emulsionen für einen Überzug von Früchten und Gemüse verwendet.
9.3 Polare Lipide Früher wurden polare Lipide als Lipoide bezeichnet, es sind komplexe Lipide, die sich aus einem lipophilen und einem hydrophilen Anteil zusammensetzen. Diesen Verbindungen kommt z. B. als Baustein von Membranen eine große Bedeutung zu. Prinzipiell kann man die Membranlipide in Phospholipide, Glycolipide und Cholesterin einteilen. Die Phospholipide leiten sich entweder vom Glycerin oder vom Sphingosin ab. OH
Sphingosin H2 N
CH2OH
Auch zweiwertige Alkohole kommen als Grundkörper von Lipiden vor, z. B. Ethylenglycol, Propan-1,2-diol, Butan-1,4- und -2,3-diol sowie Pentan-1,5-diol. Diese so genannten Diol-Lipide sind besonders in niederen Organismen zu finden. In den sog. Glycerinphosphatiden sind zwei Hydroxygruppen mit langkettigen Fettsäuren, die dritte mit einem Phosphorsäurederivat verestert. Die Alkohole der zweiten Esterkomponente R sind Ethanolamin, Cholin, Serin, Glycerin oder Inosit, z. B. mit R = Cholin: O
O
H2C
O
C O
(CH2)x-CH3
H2C
O
C O
(CH2)x-CH3
HC
O
C O
(CH2)y-CH3
HC
O
C O
(CH2)y-CH3
H2C
O
P O
OR
H2C
O
P O
Lecithine CH3
O
CH2 CH2 N
+
CH3
CH3
568
9 Lipide
Wie auch die Triacylglyceride besitzen die Phospholipide an C-2 ein asymmetrisch substitutiertes C-Atom. Für die Konfigurationsbezeichnung wird auch hier die Prioritätsregel nach Cahn, Ingold und Prelog angewendet. Zeigt in einem gewählten Beispiel die sekundäre Hydroxygruppe nach links, so wird das darüber liegende C-Atom als C-1 definiert und damit die Verbindung als Glycerin-3phosphat bezeichnet. Die stereospezifische Nummerierung wird durch die Abkürzung „-sn“ indiziert. O
1
CH2OH HO
H2 C
H
2
H2 C
O
O
H
P
3
OH
O OH
P
OH
OH
CH2OH
OH
sn-Glycerin-3-phosphat L-Glycerin-3-phosphat
D-Glycerin-1-phosphat
Entsprechend wird das Enantiomere als Glycerin-1-phosphat bezeichnet. O H2 C HO
O H
P OH
OH
sn-Glycerin-1-phosphat
CH2OH
Phospholipide kommen in hohen Konzentrationen in Eigelb, Ölsamen wie Sojabohnen, Getreidekeimen und im Gehirn vor. Phosphatidylcholin kommt in Bakterien nicht vor, es findet sich vorwiegend in Gehirn, Herzmuskel und Eigelb. In der Lebensmittelindustrie wird Phospholipase A1 und A2 eingesetzt, um gezielt eine Fettsäure des Phospholipids in Position 1 oder 2 abzuspalten. Dadurch entsteht ein Lysophosphatid mit nur einer Fettsäure, das wesentlich hydrophiler ist als das Ausgangsprodukt. Besonders die Phospholipase A2 spaltet ungesättigte Fettsäuren ab, da diese Fettsäuren in Position 2 häufiger vorkommen. Das führt dazu, dass die enzymatisch behandelten Phosphatide sehr schnell einen bitteren Geschmack von freier Linol- oder Linolensäure bekommen. Setzt man z. B. Eigelb Phospholipase A1 zu, so erzeugt man eine Eigelblösung, die nicht mehr koaguliert. Dieses Verfahren wird zur Herstellung von Sauce Hollandaise in aseptischer Verpackung verwandt. Die Phospholipase D spaltet den Cholin- oder Ethanolaminrest ab. Lysophospholecithin tritt in Wechselwirkung mit der Stärke, wodurch das Altbackenwerden von Gebäck vermindert werden kann. Lysophosphatidylcholine und Lysophosphatidylethanolamine bilden in Emulsionen vorwiegend hexagonale Phasen, wobei die Kohlenwasserstoffketten nach innen gerichtet sind.
9.3 Polare Lipide
569
Phospholipase A1 O H Acylrest C O C H O Acylrest C O C H
Acetylierung
O H C O P O R O Phospholipase A2 H Phospholipase D
Bei Sphingomyelin bildet die Aminogruppe von Sphingosin mit einer langkettigen Fettsäure ein Amid. Sphingomyeline, der häufigste Vertreter der Sphingophosphatide, finden sich nur bei tierischen Organismen und sind wie andere Phospholipide Bestandteil vieler Membranen. Ebenso sind sie in den Myelinscheiden des Nervensystems zu finden. Sphingomyeline sind in hoher Konzentration (8–15 %, bezogen auf Gesamtlipide) im Blutplasma enthalten. Der primäre Alkohol kann mit einem Phosphorsäurederivat verestert sein (Sphingomyelin) oder ein O-Glycosid mit einem Zucker bilden (Sphingoglycolipide). Liegt nur die freie OH-Gruppe vor, dann bezeichnet man die Verbindung als Ceramid. H 3C
OH 12 O
HN Fettsäurerest
X
X = H: Ceramide X = Glyc: Sphingoglycolipide X = Phosphocholin: Sphingomyeline
O
In Glycolipiden ist Sphingosin am primären Alkohol mit einem oder mehreren Zuckern verknüpft. Die NH2-Gruppe liegt als Amid einer Fettsäure vor. Die Cerebroside sind die einfachsten Glycolipide, da sie nur einen Zuckerrest am primären Alkohol besitzen. Glycolipide sind die vorherrschenden Lipide der grünen Pflanzen sowie der photosynthetisch aktiven Bakterien und Blaualgen und befinden sich vorwiegend in den Thylacoidmembranen der Chloroplasten. OH
CH3-(CH2)x
C
N
O
H
CH2 O
Glucose oder Galactose
Alkylether und Alkenylether enthalten einen langkettigen Alkohol bzw. ein langkettiges Enol in Ether- bzw. Vinyletherbindung am C1-Atom des Glycerols, sind aber strukturell den Diacylphosphatiden gleich. Plasmalogene, typische Pro-
570
9 Lipide
dukte der tierischen Zellen, kommen spurenweise auch in Pflanzen vor. Sie treten als Begleitstoffe der einfachen Phospholipide auf. Sehr hohe Plasmalogenkonzentrationen befinden sich z. B. in Nervengeweben. Eine Besonderheit stellen die Mollusken dar, bei denen die Alkyletherphosphatide bis zu 25 % der Gesamtphosphatide ausmachen können, sodass die Konzentration der Plasmalogene höher liegt als in Säugetiergehirnen. Monoenoletherverbindungen des Glycerols, sogenannte Fecapentaene, können sich aus Nahrungsfetten im Darm bilden und sollen ein carcinogenes Potential besitzen. O H2C O CH CH R1 HO R2 C O C H O H2C O P O CH2 CH2 NH3 Plasmalogene O
OH O
(CH2)n
CH3
Fecapentaene (n = 1 oder 3)
Für Phosphonolipide charakteristisch ist eine direkte P-C-Bindung. Diese Lipide sind Strukturelemente der Zellmembranen und spielen eine Rolle für die Membranpermeabilität und -stabilität. Auch eine Schutzwirkung in den Membranen gegen hydrolytische Enzyme wie Phospholipasen wurde nachgewiesen. In Meerestieren wurden besonders in Anemonen, Mollusken, Austern und Schwämmen nennenswerte Gehalte an Phosphonolipiden ermittelt. Der Anteil des Ceramids 2-Aminoethylphosphonsäure (CAEP) beträgt in der Molluske Pelagia noctiluca bis zu 25 % der polaren Lipide. Auch in Fischen und Säugetieren wurden Phosphonolipide gefunden. Teilweise sind die Phosphonolipide auch mit Trihexosiden glycosyliert und liegen als Sphingophosphonoglycolipide vor. Auch in Eigelb sind Phosphonolipide mit einem Gehalt von etwa 1 % der Phospholipide enthalten. Inzwischen wurden Phosphonolipide auch in Pflanzen gefunden, z. B. in Kenaf (Hibiscus cannibinus), Baumwolle (Gossypium hirsutum) und den Samen der Ringelblume (Calendula officinalis). O H Acylrest C O C H Phosphonophosphatidylethanolamin: R = -NH2 O CH3 Acylrest C O C H O Phosphonophosphatidylcholin: R = N CH3 CH3 H C O P CH2 CH2 R H OH P-C-Bindung Phosphonolipide
In eukaryotischen Zellmembranen wird als weitere Lipidkomponente Cholesterin gefunden. Im Blutplasma von Säugetieren werden Lipide nicht in freier Form, sondern in den Lipoproteinen transportiert. Diese Partikel, die aus Phospholipiden, Cholesterinestern und Cholesterin, Triacylglyceriden und Proteinen bestehen, werden nach ihrer Dichte und damit nach ihrer Zusammensetzung charakterisiert (Ta-
9.3 Polare Lipide
571
belle 9.2). Man unterscheidet Chylomikronen, VLDL (very low density lipoprotein), LDL (low density lipoprotein) und HDL (high density lipoprotein). Besondere Beachtung verdient das LDL im Rahmen der Arteriosklerose, die immer noch die häufigste Todesursache in den Industrieländern darstellt. Das LDL transportiert das Cholesterin im Blutplasma. An der Zielzelle bindet das Partikel an den LDL-Rezeptor und wird in die Zelle aufgenommen. Werden durch falsche Ernährung zu viele Fettsäuren aufgenommen oder liegt ein Defekt am LDL-Rezeptor vor – verursacht durch eine Störung der Biosynthese – so kommt es zu hohen Mengen an LDL und Cholesterin im Blut. Dies kann bei einer primären Schädigung der Arterienwand zu einer Einlagerung von LDL in diese Zellwand führen. An der Oberfläche kann sich leicht ein Thrombus bilden und die Arterie vollständig verschließen, sodass ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall resultiert. Die HDL-Werte sollten über 35 mg/100 ml liegen, da HDL u. a. für eine Entfernung von Cholesterin aus dem Blut verantwortlich ist. Als Grenzwerte, über denen ein erhöhtes Risiko der Arteriosklerose vorliegt, gelten heute (in mg/100 ml Blutplasma): LDL-Cholesterin HDL-Werte Triacylglyceride Gesamtcholesterin
< > <
1,06 45 5
Cholesterin 5 15 42 20
Phospholipid 4 15 22 30
572
9 Lipide
9.3.1 PAF („platelet activating factor“)
Besondere biochemische Bedeutung kommt dem PAF („platelet activating factor“) zu, ein mit den Lysophospholipiden verwandtes Etherlipid. PAF kann in einer Konzentration von 10-10–10-11 M Thrombocyten aktivieren. Chemisch handelt es sich hierbei um ein 1-O-Hexadecyl-2-acetyl-sn-glyceryl-3-phosphoryl-cholin bzw. um das entsprechende Octadecylderivat. O O
H3C O
CH3 O
O
P
CH3 O
CH2 CH2 N
O
+
CH3
CH3
O O
H3C O
CH3 O
O
P
CH3 O
CH2 CH2 N
O
+
CH3
CH3
Diese Verbindungen werden von Zellen synthetisiert und freigesetzt, die bei Entzündungen eine Rolle spielen, wie z. B. Plättchen, Makrophagen, Monocyten, Leukocyten und Endothelzellen. Darüber hinaus besitzt der PAF eine Vielzahl von biologischen Funktionen, von denen an dieser Stelle nur der Einfluss auf den Blutdruck und die selektive Wirkung gegen Tumorzellen erwähnt werden. Dabei ist nur das natürlich vorkommende Enantiomer im nanomolaren Maßstab aktiv. Für eine Untersuchung des Wirkungsmechanismus und der Synthese von PAFAgonisten und -Antagonisten wurden enantioselektive Synthesen für diese Substanzklasse entwickelt. Eine einfache Variante ist hier die Konzeption zur Synthese ausgehend vom „chiral pool“. Die Methode von Tsuri et al. geht so von der (S)-(-)-Äpfelsäure aus. Die Reduktion der Dicarbonsäure mit BH3/CH3SCH3 ergibt das Triol 1. Die Umsetzung mit Benzaldehyd liefert das Sechsringketal 2. Durch die Etherbildung mit dem Hexadecylmesylat zu 3 und Reduktion des Ketals erzeugt man den C-2Benzylether in 4. Mesylierung und nucleophile Substitution ergeben über den Selenether durch Oxidation die Methylengruppe. Ozonolyse und Reduktion liefern das Glycerolsystem in 6. Phosphorylierung, Substitution des Broms mit Triethylamin, reduktive Abspaltung der C-2-Benzylgruppe und Acylierung ergeben PAF (Abb. 9.1). COOH
OH BH3
HO H
H
CH3-S-CH3
H
H
COOH
(-)-Äpfelsäure
OH C6H5-CHO
HO OH
1
H+
O H5C6
H O
H
2
9.3 Polare Lipide O-(CH2)15-CH3
MsO-(CH2)15-CH3 H5C6
H
H
O-(CH2)15-CH3
H5C6
BH3
O
O H
THF
H
O
OH
3
4
O-(CH2)15-CH3
H5C6 MsCl
O-(CH2)15-CH3
H5C6
C6H5SeH
O H
O
H
H
H
OMs
H2O2
Se-C6H5
O-(CH2)15-CH3
H5C6 C
H
O-(CH2)15-CH3
H5C6
O3/(CH3)2S
O
Δ
O OH
NaBH4
CH2
5
6
O Cl
P
O
Br
O-(CH2)15-CH3
H5C6
Cl
O
(CH3)3N
O O
P
O
Br
O O-(CH2)15-CH3
H5C6 O
Pd/H2
CH3
O O
P
O
CH2 CH2 N
O
+
CH3
CH3
O-(CH2)15-CH3 HO O
P
O
CH2 CH2 N
O
+
CH3
CH3 O-(CH2)15-CH3
O O H3C
Ac2O
CH3
O
O O
P
CH3 O
O
Abb. 9.1. Synthese von PAF
573
CH2 CH2 N
+
CH3
PAF CH3
574
9 Lipide
9.4 Funktion von Lipiden beim Aufbau von biologischen Membranen Den Membranen kommt die Aufgabe zu, eine Zelle nach außen abzugrenzen. Sie sind hochselektive Permeabilitätsschranken, die durch Kanäle die Molekül- und Ionenzusammensetzung der Zelle regulieren. Weiterhin sind Membranen wichtig für die biologische Kommunikation. Die charakteristische Struktur wird vor allem von den Phospholipiden bestimmt. Phospholipide und Glycolipide bestehen aus einer lipophilen Komponente (die unpolare Kohlenwasserstoffkette) und einer hydrophilen Gruppe (der polare Phosphorsäureester). Diese Tatsache ist der Grund für ihre Tendenz, sich in Gegenwart von Wasser zu Molekülaggregaten zusammenzulagern. Der hydrophile Teil orientiert sich in Richtung der wässrigen Phase, der lipophile Teil bevorzugt eine unpolare Umgebung. Die sich in Wasser ausbildende Struktur ist die Lipiddoppelschicht. O
O
O
O
O
O
O
O
O
O
O
O
Polare Region Kohlenwasserstoffkette
Diese Doppelschicht ist etwa 5 nm dick und stellt das Grundgerüst biologischer Membranen dar. Proteine in der Zellmembran sind verantwortlich für die Funktionen Transport, Kommunikation oder Energietransfer, da die Lipiddoppelschicht undurchlässig für Ionen und die meisten polaren Moleküle ist. Diese Transportprozesse können entweder aktiv oder passiv sein, je nach Änderung der freien Energie.
9.5 Biosynthetischer Fettsäureaufbau und Fettsäureabbau Die Fettsäuren werden aus einzelnen Essigsäureeinheiten aufgebaut. Der primäre Schritt ist der Aufbau von Malonyl-CoA aus Acetyl-CoA durch Carboxylierung unter Verbrauch von ATP. Das eingeführte C-Atom stammt aus Bicarbonat. O H3C
C
O
O S
CoA + ATP + HCO3-
C O
CH2 C
S
CoA + ADP + Pi + H+
Als Überträger der aktivierten CO2-Gruppe dient das Biotin (s. Kap. 13.1), das über die Carboxylgruppe an die Lysin-Aminofunktion des Enzyms gebunden ist.
9.5 Biosynthetischer Fettsäureaufbau und Fettsäureabbau
575
O H
N
H
N
ATP/HCO3-
O N
S O
C
Enzym
- ADP
H CoA
S
CH2 H O O
C
N
O
N
O
O
H O N
S
Enzym
C
- Biotin
CH2 C
S
CoA
O
Malonyl-CoA
H
Die Zwischenstufen der Fettsäuresynthese sind an ein Acyl-Carrierprotein (ACP) als Thioester gebunden. Da die Kettenverlängerung zu Acetoacetyl-ACP nun unter Decarboxylierung verläuft, tritt eine wesentliche Verminderung der freien Energie der Reaktion auf. Dies erklärt die vorhergehende Carboxylierung von Acetyl-CoA zu Malonyl-CoA.
H
O
O
O
C
CH2 C
S
ACP
H3C
O
C
CH2 C
ACP
S
Acetoacetyl-ACP
O H3C
O
C S
ACP
Um zur gesättigten Fettsäure zu gelangen, muss nun reduziert werden. Die Reduktion mit NADPH ergibt den Alkohol, der durch Dehydratisierung zum Alken und nach erneuter Reduktion Butyryl-ACP ergibt.
H3C
O
O
C
CH2 C
ACP
S
OH
NADPH H 3C
C
O CH2 C
S
ACP
H
Acetoacetyl-ACP
- H2O
D-3-Hydroxybutyryl-ACP O H3C
CH
CH
C
S
Crotonyl-ACP
ACP
O
NADPH H3C
CH2 CH2 C
Butyryl-ACP
S
ACP
576
9 Lipide
Im nächsten Schritt der Fettsäuresynthese kondensiert Butyryl-ACP mit Malonyl-ACP zu einer C-6-Carbonsäure. Diese Kondensationen verlaufen bis zum C-16-Acyl-ACP, das dann zu Palmitat und ACP hydrolysiert wird. Die Synthese und der Abbau von Fettsäuren verlaufen auf getrennten Wegen. Beim Abbau ist die entsprechende Fettsäure nicht an ACP gebunden, sondern an das Coenzym A. Weiterhin verläuft die Synthese im Cytosol, der Abbau dagegen in der mitochondrialen Matrix. Der Abbau verläuft von der Reaktionssequenz als Umkehr des Aufbaus. So führt die Dehydrierung der Fettsäure zum α,β-ungesättigten Thioester, aus dem durch Hydratisierung ein β-L-Hydroxyacyl-CoADerivat entsteht. Nach der Oxidation des Alkohols zum Keton kann durch nucleophilen Angriff des Coenzyms A an diesem Keton eine Acetyl-CoA-Einheit abgespalten werden. O R
CH2 CH2 CH2 C
R
OH
O
CH2 CH
CH2 C
R
- FADH2
Acyl-CoA H2O
O
+ FAD
CoA
S
S
CoA
+ NAD+ - NADH
CH2 CH
R
CH
C
S
O
O
CH2 C
CH2 C
CoA
S
CoA
L-Hydroxyacyl-CoA
CoA-SH
O R
CH2 C
O S
Acyl-CoA
CoA
+
CH3 C
S
CoA
Acetyl-CoA
Das NADH und das FADH2 werden in der Atmungskette zur Energieerzeugung (ATP-Synthese) verwendet. Der Abbau von Acetyl-CoA erfolgt im Citratzyklus, wobei ebenfalls Energie gewonnen wird.
Literatur Empfohlene Monographien 1. P. NUHN: Naturstoffchemie, S. Hirzel Verlag, Stuttgart, 2006 2. H. RIMPLER: Pharmazeutische Biologie II: Biogene Arzneistoffe, Thieme Verlag, Stuttgart – New York, 1990 3. W. TERNES: Naturwissenschaftliche Grundlagen der Lebensmittelzubereitung, Behr’s Verlag, Hamburg, 2008
Literatur
577
Übersichtsartikel und Originalarbeiten 4. H. EIBEL: Phospholipide als funktionelle Bausteine biologischer Membranen, Angew. Chem. 96, 247 (1984) 5. F. SNYDER: Platelet activating factor (PAF), a novel type of phospholipid with diverse biological properties, Annu. Rep. Med. Chem. 17, 243 (1982) 6. M. CHIGNARD, B.B. VARGAFTIG, J. BENVENISTE, J.P. LE COVEDIC: Platelet aggregation and platelet activating factor, J. Pharmacol. 11, 371 (1980) 7. B. VARGAFTIG, M. CHIGNARD, J. BENVENISTE J. LEFORT, F. WAI: Background and present status of research on platelet activating factor, Ann. N. Y. Acad. Sci 370, 119 (1981) 8. K. FJITA, H. NAKAI, S. KOBAYASHI, K. NOUE, S. INOJMA, M. OHNO: An efficient and stereoselective synthesis of platelet activating factors from the enantiomers of D- and L-tartaric acid, Tetrahedron Lett. 23, 3507 (1984) 9. H.C. KREBS: Recent Developments in the Field of Marine Natural Products with Emphasis on Biologically Active Compounds, Progress in the Chemistry of Organic Natural Products 49, 151 (1986)
10 Eicosanoide (Prostaglandine, Prostacycline, Thromboxane und Leukotriene)
Ausgehend von mehrfach ungesättigten Fettsäuren leiten sich biosynthetisch eine Vielzahl hochaktiver Regulationsstoffe ab. Weitaus am wichtigsten ist die Arachidonsäure (5Z,8Z,11Z,14Z-Eicosatetraensäure), von der sich die Prostaglandine, Prostacycline, Thromboxane und Leukotriene ableiten. Sie werden deshalb auch unter dem Oberbegriff Eicosanoide zusammengefasst. 8
1
5
COOH
Arachidonsäure 11
14
Als Prostaglandine bezeichnet man eine Gruppe von Verbindungen, die aus 20 C-Atomen unter Einschluss eines Cyclopentanrings bestehen und in denen C-1 stets als Carboxylgruppe vorliegt. Die Nummerierung des Gerüsts leitet sich von der Prostansäure ab. 7
9
8
10 11
5
3
6
4
2
14
16
18
COOH
α-Seitenkette
20
ω-Seitenkette
12 13
15
17
19
Die Nomenklatur basiert auf dem Typ des Fünfrings und der Seitenkette. Der Fünfring wird durch einen Großbuchstaben bezeichnet. O
O
O
HO
O
O
A
B
C
HO
HO
D
HO
E
F
Die verschiedenen Seitenketten in den Prostaglandinen (PG) werden durch Indizes charakterisiert.
580
10 Eicosanoide (Prostaglandine, Prostacycline, Thromboxane und Leukotriene) COOH
COOH
1
2
OH
OH COOH
3 OH
Ein weiterer Index α- oder β- gibt an, ob die Hydroxygruppe an C-9 cis oder trans zur α-Seitenkette steht, z.B.: HO
HO COOH
HO
H
COOH
OH
HO
H
PGF2α
OH
PGF2β
Weitere Derivate der Prostansäure sind die Prostacycline, z. B. PGI2 . HOOC
PGI2
O
HO
OH
Ebenfalls von der Arachidonsäure leiten sich die Thromboxane A2 und B2 ab. OH COOH
O O
COOH HO
O
OH
OH
Thromboxan A2 (TXA2)
Thromboxan B2 (TXB2)
Die Leukotriene sind C-20-aliphatische Fettsäuren mit drei konjugierten Doppelbindungen und zumeist einer Thioetherbindung mit Cystein.
10.1 Biologische Funktion H
OH COOH
5
H
C5H11
S
HN
C C O
LTE4
COOH
H2N
R = CH2 O HC
R = CH2 HC
R
581
R = CH2 O NH
CH2 COOH
CH2 CH2 CH
LTC4
COOH
HC
C
NH
CH2 COOH
H2N
NH2
LTD4
10.1 Biologische Funktion Prostaglandine kommen in nahezu allen Organen in sehr geringen Konzentrationen vor (0,01–1 μg/g). Aufgrund der etwas höheren Konzentration dieser Verbindungen in der Samenflüssigkeit (bis 300 ppm = μg/g) wurden sie hieraus auch von Bergström zuerst isoliert. Die Prostaglandine werden heute als regionale Hormone aufgefasst, die eine Vielzahl wichtiger physiologischer Prozesse steuern. So senken sie den Blutdruck, stimulieren die Mobilität des schwangeren Uterus, hemmen die Mobilisierung von freien Fettsäuren durch Catecholamine und fördern die Bildung von cyclischem AMP. Die Wirkung der einzelnen Prostaglandine und ihrer Analoga ist sehr verschieden. Ein immer noch sehr interessantes Betätigungsfeld der Pharmakologie ist die Untersuchung der therapeutischen Verwendung der Prostaglandine. Im Folgenden sollen einige der interessanten Ansatzpunkte dargestellt werden. Eine wichtige Beobachtung war das Phänomen der „Cytoprotektion“. Wird Ratten kochendes Wasser oder eine starke Säure bzw. Base oral appliziert, entstehen starke Verätzungen der Magenschleimhaut, die zum Tode des Tieres führen. Wird aber weniger als 1 ng 16,16-Dimethyl-PGE2 30 min vor der Applikation dieser Substanzen oral verabreicht, so ist die Schleimhaut geschützt. Bei Einsatz von Prostaglandinen (Misoprostol) gegen Magengeschwüre wird dieser gewebsschützende Effekt ausgenutzt. O COOH
HO
16,16-Dimethyl-PGE2
OH
Durch Gabe von 16,16-Dimethyl-PGE2 können auch Leber und Nierenzellen bis zu einem gewissen Grad vor Nekrosen geschützt werden, wie sie z. B. durch Tetrachlormethan verursacht werden. PGE2, und PGF2α sind Medikamente zur Einleitung von Wehen am Ende der Schwangerschaft und zum Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten.
582
10 Eicosanoide (Prostaglandine, Prostacycline, Thromboxane und Leukotriene)
Das PGF2α hat weiterhin einen wichtigen Anwendungsbereich in der Tierzucht, besonders für die Synchronisation der Ovulation bei der planmäßigen, gleichzeitigen Besamung ganzer Herden. PGE1 wirkt stark gefäßerweiternd und dient zur Behandlung schwerer Erkrankungen des peripheren Gefäßsystems. Für die Prostaglandine ist die OH-Gruppe an C15 und die trans-Doppelbindung zwischen C13 und C14 bedeutsam, sowohl für die Bioaktivität als auch für die enzymatische Inaktivierung. Durch 15Hydroxydehydrogenase und Δ13-Reduktase kann durch Oxidation der OH-Gruppe und Reduktion der Doppelbindung eine Inaktivierung erfolgen. Durch chemische Modifikation wird die Wirkungsdauer bei Arzneimitteln erhöht. O
O
C
COOH
PGE1 HO
OH
O
Verkürzung der Kette durch β-Oxidation
OH
14 15 13
HO
O
Metabolit von PGE2
PGI2 senkt bei Tieren und Menschen bei intravenöser Applikation den Blutdruck. Weiterhin wird im Tierexperiment die Blutplättchenaggregation verhindert. Wässrige Lösungen von PGI2 haben bei pH 7,5 und 38°C nur eine Halbwertzeit von 3 min. Die Enoletherstruktur im Prostacyclin wird zum 6-Oxo-PGF1α gespalten. HOOC
COOH
O HO O
PGI2 HO HO
OH
OH
6-Oxo-PGF1α
PGI2 wird bei der Nierendialyse verwendet und bei Herz-Lungen-Operationen zur Prophylaxe gegen einen Blutplättchenverlust eingesetzt. Die Thromboxane bewirken dagegen eine starke Aggregation (Zusammenballung) der Blutplättchen, die für die Blutgerinnung verantwortlich sind. Die Leukotriene werden in den Leukocyten gebildet. Physiologisch kommt ihnen eine Bedeutung bei Allergien und Entzündungen zu. So sind LTC4 und LTD4 Mediatoren beim allergischen Asthma. LTC4 und LTD4 entfalten eine starke spasmogene Wirkung an den Bronchiolen von Affe und Mensch. Die Leukotriene sind etwa 1.000 -mal aktiver als Histamin. Strukturverwandte Verbindungen sind auch bei Pflanzen gefunden worden, sowie in Korallen (Plexaura homomalla und Telesto riisei). Sie besitzen teilweise biologische Aktivitäten und werden als Ausgangsprodukte für Partialsynthesen genutzt. Beispielsweise besitzt Plexaura homomalla bis zu 8 % Prostaglandine in
10.1 Biologische Funktion
583
der Trockenmasse. Bei Invertebraten besitzen die Prostaglandine ebenfalls biologische Aktivitäten bei der Reproduktion, dem Eisentransport und als Stimulans um Defensivsysteme zu aktivieren. Bei einigen Pflanzen, z. B. Nachtschattengewächsen wie Tomate und Kartoffel, wird bei Fraßschäden in den unverletzten Pflanzenteilen hormonell Linolensäure aus der Membran freigesetzt, die durch Lipoxygenase in Jasmonsäure umgesetzt wird. Das Phytohormon Jasmonsäure bewirkt die Produktion eines Proteinase-Inhibitors, sodass die Verdaulichkeit der Pflanze herabgesetzt wird (Schutzmechanismus). Der Cyclopentanonring ist Bestandteil der Jasmonsäuremethylester. Im Jasmin ist die Z-Form des Jasmonsäuremethylesters der Schlüsselaromastoff. Z-Methyljasmonat ist auch in zahlreichen Blüten sowie im Pfefferminzöl und in Teesorten mit blütenartigem Aroma zu finden. Weitere Derivate des Methylesters finden sich in Saubohnen (Dihydrojasmonsäure) und in Kartoffeln (Glucosid der 11-Hydroxyjasmonsäure). R1
O R1 7 3
1 O R2 C O
R2 H CH3
12
Jasmonsäure Jasmonsäuremethylester Dihydrojasmonsäure 11-Hydroxyjasmonsäureglucosid
H O
Glc
H
11
Zytotoxische Wirksamkeit zeigen die aus der japanischen Koralle Clavularia viridis isolierten Clavulone und die in der Koralle Telesto riisei vorkommenden Punaglandine, die an Position 10 chloriert sind. Auch das an Position 10 bromierte Bromovulon 1 wurde bei Invertebraten isoliert. O
OAc C OAc
O
O
OAc OAc C
O CH3 Cl
OAc OH
Clavulon 1
O O CH3
Punaglandin 1
O C
Br OH
O O CH3
Bromovulon 1
Als weitere bioaktive Substanz ist das Anandamid im Schweinehirn als Endocannabinoid entdeckt worden. Der Name leitet sich ab von dem Sanskritwort Ananda (= Glückseligkeit). Diese körpereigene Substanz bindet an den Cannabinoid-Rezeptor (Tetrahydrocannabinol = THC als psychoaktiver Wirkstoff des Haschisch). In Schokolade ist dieses Ethanolamid der Arachidonsäure ebenfalls vor-
584
10 Eicosanoide (Prostaglandine, Prostacycline, Thromboxane und Leukotriene)
handen, allerdings nur im µg-Bereich. Aufgrund der Fettsäureamid-Hydrolasen im Darm werden nur 5 % resorbiert, sodass für das Erreichen der „Glückseligkeit“ ein zu hoher Schokoladenkonsum notwendig wäre. Ein weiteres Endocannabionid ist der metabolisch stabilere Noladinether, der ebenfalls im Schweinehirn vorkommt. OH
O OH
N H
O
Anandamid
OH
Noladinether
10.2 Prostaglandine 10.2.1 Synthese von Prostaglandinen
Seitdem das Potenzial der Prostaglandine entdeckt wurde, hat man versucht, leistungsfähige Synthesen zu entwickeln, denn diese in der Natur sehr spärlich vorkommenden Hormone können nur durch Totalsynthese – erstmals 1984 – in ausreichender Menge erhalten werden. 10.2.1.1 Partialsynthese von PGE2 und PGF2α
Der partialsynthetische Zugang zu Prostaglandinen ist vom PGA2-Derivat 1 aus möglich. Diese Verbindung kommt bis zu 1,5 % des Trockengewichts in der Gorgonia-Koralle Plexaura homomalla vor und dient als Ausgangsverbindung für die Synthese von PGE2 und PGF2α. Die Epoxidierung mit H2O2 unter basischen Bedingungen ergibt ein Gemisch der beiden α- und β-10,11-Epoxyverbindungen (α:β = 7:3). Hierbei werden die 5- und die 13-Doppelbindung nicht angegriffen, da unter basischen Bedingungen das Hydroperoxidanion am elektrophilen β-CAtom des Enons angreift. Reduktive Ringöffnung mit CrII ergibt den 11-Alkohol in 2. Partialsynthese von PGE2: O COOCH3
O
H2O2 OH-
COOCH3 O
HO
O
OAc
15-O-Acetyl-PGA2-methylester 1
OAc
10.2 Prostaglandine
585
O COOCH3
CrII
HO
2
Esterase
OAc
O COOH
HO
PGE2
OH
Eine basen- bzw. säurekatalysierte Verseifung der Estergruppe ist wegen der empfindlichen β-Hydroxy-cyclopentenon-Struktur nicht möglich. Basen und Säuren führen zu einer Dehydratisierung und Isomerisierung von PGE zu PGB, bzw. PGA. Basische Dehydratisierung: O
O
O
NaOH - H2O - H+
HO O
+
H+
PGB
Saure Dehydratisierung: O
O
PGA HO
Deshalb wird die Spaltung der Ester enzymatisch mit einer Esterase zum PGE2 durchgeführt.
586
10 Eicosanoide (Prostaglandine, Prostacycline, Thromboxane und Leukotriene)
Ausgehend von PGE-Derivat 2 ist PGF2α durch Reduktion der Ketogruppe zugänglich. Hierzu wird der 11-Alkohol mit Trimethylsilylchlorid verethert. Diese sperrige Gruppe in α-Stellung zwingt das NaBH4, von der β-Seite anzugreifen, sodass der 9α-Alkohol entsteht. Die Abspaltung der Schutzgruppen ergibt PGF2α. O
O COOCH3
HO
(CH3)3SiCl
COOCH3
O
OAc H3C
15-O-Acetyl-PGE2-methylester 2
OAc
Si CH3 CH3
HO NaBH4
COOCH3
O H3C
PGF2α
OAc
Si CH3 CH3
10.2.1.2 Totalsynthese von PGF2α
Von den vielen bekannten Totalsynthesen ist vor allem die von Corey hervorzuheben, da sie im großen Maßstab (bis 50 kg) durchführbar ist. Corey alkylierte Cyclopentadien bei -55°C zum Methoxymethylcyclopentadien (3). Diels-Alder-Reaktion mit 2-Chloracrylnitril unter Kupferkatalyse ergibt den Bicyclus 4a und 4b als Racemat. Allgemein wird bei Diels-Alder-Reaktionen die Aktivierungsenergie bei Verwendung von elektronenarmen Alkenen erniedrigt, sodass die Reaktionsgeschwindigkeit größer wird. Die Verwendung von CuII als Lewissäure erniedrigt die Elektronendichte im Alken, womit die Diels-AlderReaktion schneller verläuft als die 1,5-suprafaciale Umlagerung des Cyclopentadiensystems von 3 zu den entsprechenden Isomeren. H H OMe
OMe
OMe
3 Die Orientierung der Methoxymethylgruppe auf der anderen Seite, als der vom Dien angegriffenen, hat sterische Gründe.
10.2 Prostaglandine
MeO
587
MeO KOH
MeO
4a
CuII
Cl
5a
O
+ MeO
Cl
NC
NC
MeO CN
3
KOH
O
Cl
4b
5b
Verseifung mit KOH liefert die beiden enantiomeren Ketone 5a und 5b, die nach Bayer-Villiger-Oxidation die Siebenring-Lactone 6a und 6b ergeben (s. Abb. 10.1). Die Oxidation erfolgt über einen primären Angriff der Persäure am Keton. Wanderung eines Ring-C-Atoms unter gleichzeitiger Abspaltung des metaChlorbenzoats ergibt das Lacton. Das wandernde C-Atom ist das sekundäre, da dies die positive Ladung besser stabilisieren kann als das primäre. MeO
Cl O O
5a
O
C
O
MeO
MeO Cl O O O
O
C
O
O
6a
Am Alken wird keine Reaktion beobachtet, da die Methoxymethylgruppe dieses offensichtlich abschirmt. Öffnung des Lactons zur Säure ermöglicht die Racematspaltung mit (+)-Ephedrin zu 7. Die Iodlacton-Cyclisierung beginnt mit dem Angriff von Iod an der Doppelbindung, womit das Carboxylatanion in der Lage ist, nucleophil am Alken anzugreifen.
588
10 Eicosanoide (Prostaglandine, Prostacycline, Thromboxane und Leukotriene) O I
OMe
I
OMe
OMe
I O HO
O OH
7
O
O
O
I
OH
In Abb 10.1 ist die Totalsynthese von PGF2α beschrieben. Nach der Acetylierung wird 7 mit Tributylzinnhydrid zu 8 enthalogeniert. Spaltung des Methylethers mit Bortribromid und Oxidation mit Chromoxid-Pyridin führen zu einem Aldehyd (Corey-Lactonaldehyd), über den durch Umsetzung mit dem Dimethyl-2oxo-heptylphosphonatanion (Wittig-Reaktion) die ω-Seitenkette eingeführt werden kann. Die entstehende Doppelbindung in 9 ist trans-ständig. Anschließende Reduktion mit Zn(BH4)2 ergibt ein Gemisch der 15α- und 15β-Alkohole. Neuere Verfahren reduzieren mit einem chiralen Aluminiumhydridreagenz (S)-BINAL-H (10) und erhalten fast ausschließlich das (15S)-Derivat (15α). Nach der Abspaltung der Acetylgruppe werden die 11- und die 15-Hydroxygruppe in 11 als Tetrahydropyranylether (THP) geschützt. Milde Reduktion mit Isobutylaluminiumhydrid liefert ein Hemiacetal. Wittig-Reaktion mit 5-Triphenylphosphonino-pentansäure ergibt die Einführung der α-Seitenkette mit cis-Doppelbindung. Das PGF2α wird durch saure Spaltung der Etherschutzgruppe erhalten, während über die Oxidation von 12 mit CrO3 und anschließende Entfernung der Schutzgruppen PGE2 erhalten wird. 10.2.1.3 Chirale Vorstufen durch asymmetrische Diels-AlderReaktionen
Die Corey-Synthese konnte durch die Anwendung einer asymmetrischen DielsAlder-Reaktion entscheidend verbessert werden. Die Addition von 5-(Methoxymethyl)-cyclopentadien an Acrylsäure verläuft endo und anti bezogen auf den Methoxymethyl-Substituenten. Es wird also ein Racemat gebildet, da sich das Dien mit gleicher Wahrscheinlichkeit sowohl von der oberen als auch von der unteren enantiotopen Seite anlagert. OMe
MeO
* O
H
(1R)
* O OH
* MeO
OH
* * *
H
*
(1S) *
OMe
O
OH
10.2 Prostaglandine
589
MeO 1. Na, ClCH2OCH3 2. CH2=C(Cl)CN
1. KOH, DMSO 2. m-ClC6H4CO3H Cl NC
MeO
1. NaOH 2. Racematspaltung mit (+)-Ephedrin
Y
COOH
1. KI/I2, KHCO3 2. (CH3CO)2O 3. (n-C4H9)3SnH
OMe
X
O
HO
6a: X = O, Y = CH2 6b: X = CH2, Y = O O
1. BBr3 2. CrO3-py _ 3. (CH3O)2P(O)CHCO-n-C5H11
O
7
O O
OMe O
COCH3
O
8
COCH3
O
9 _
1.
O H Al OC2H5 O
Li+ O
10 2. K2CO3/CH3OH 3. Dihydropyran, H+
1. (i-C4H9)2AlH 2. (C6H5)3P=CH(CH2)3COODMSO
O
THPO HO
11
HO COOH
THPO
THPO
THPO
12
Abb. 10.1. Totalsynthese von PGF2α
H3O+
COOH
HO
OH
PGF2α
590
10 Eicosanoide (Prostaglandine, Prostacycline, Thromboxane und Leukotriene)
Nur das (1S)-Enantiomere ist für die Synthese von Prostaglandin verwertbar. Um die bevorzugte Bildung des (1S)-Enantiomeren zu erreichen, wurde die Carboxygruppe der Acrylsäure mit einem chiralen Alkohol verestert. HO
8-Phenyl-menthyl-alkohol
Im nun diastereotopen Übergangszustand wird die eine Seite räumlich blockiert, sodass durch Addition in Gegenwart von AlCl3 vor allem das (1S)-Produkt entsteht (es sind vier asymmetrisch substituierte C-Atome in dieser Reaktion entstanden). Anschließende Abbaureaktion und Abspaltung des chiralen Hilfsreagenz liefert das bicyclische Keton als Zwischenprodukt für die Prostaglandinsynthese. O H OCH2C6H5
H5C6CH2
*
O
O
+
* *
* O
H5C6CH2
O
H5C6CH2
O
R*
O
OH OH
O
10.2.1.4 Dreikomponenten-Kupplung
Neuere Verfahren zur Prostaglandinsynthese umgehen einen schrittweisen Aufbau des Zielmoleküls, indem sie versuchen, durch Kombination passend gewählter Bausteine die Synthese zu verkürzen. Ein sehr elegantes Verfahren ist die Dreikomponenten-Kupplung, d. h. die Kombination eines fünfgliedrigen Rings mit der α- und der ω-Seitenkette in einer Eintopfreaktion. So ist der nucleophile Angriff am β-C-Atom und der elektrophile Angriff am α-C-Atom des α,β-ungesättigten Cyclopentenons möglich. O Rα+
HO
Rω−
10.2 Prostaglandine
591
Die Reaktion läuft folgendermaßen ab:
O
O
O Rα+
Rα+ Rω−
RO
RO
Rα
RO
Rω
Rω
Anhand von Modellverbindungen konnte gezeigt werden, dass sich als nucleophiles Reagenz Organokupferverbindungen und als elektrophile Komponente Aldehyde eignen. O
O
O
R'
RLiCuI
+
(n-C4H9)3P
C
OH
O
R'
H R
R
Die Enolat-Zwischenstufe reagiert also mit einem Aldehyd zum Aldoladdukt. Als erste Komponente müssen die optisch aktiven Cyclopentanon-Bausteine dargestellt werden. Eine Variante geht von der chiralen D-Weinsäure (13) aus und führt zum Hydroxycyclopentenon 14. H3C
COOH HO
H
H
O
OMe
H3C
OH
O
OMe C H+
COOH
OH OH
O
13 O
O
OH
O
TsCl
OH
O S
CH3
S
CH3
LiHC O
LiAlH4
OTs
NaI
OTs
O
O
I I
O
O O O O
S
CH3
S
CH3
1N H2SO4 HO
14
592
10 Eicosanoide (Prostaglandine, Prostacycline, Thromboxane und Leukotriene)
Das Hydroxycyclopentenon 14 ist ebenfalls durch asymmetrische Synthese zu erhalten. Reduktion von 4-Cyclopenten-1,3-dion mit (S)-BINAL-H 10 in THF bei -100°C führt mit 94 % ee und 65 % Ausbeute zum Hydroxypentenon 14. _ O
O
O
+
Al
Li+ O
H
-100°C
OC2H5
THF
O
HO
10
14
Das asymmetrische Zentrum in der Vorstufe für die ω-Seitenkette wird durch Reduktion des 1-Iod-3-oxo-octens mit (S)-BINAL-H erzeugt und anschließend als THP-ether in 15 oder als Silylether geschützt. (S)-BINAL-H (10)
I
I
O
OH
/ H+ O
I
15 OTHP
Der Aufbau von PGE1 in einer Eintopfreaktion gelingt nun durch Reaktion des 4-Tetrahydropyranyl-cyclopent-2-enons 16 mit dem Vinylkupferreagenz, welches aus dem 1-Iod-3-oxo-1-octen 15 durch Reaktion mit Lithium und Kupferiodid hergestellt wird. Das hierbei entstehende Enol reagiert im zweiten Schritt mit dem Aldehydcarbonsäureester 17 zum PGE1 -Derivat 18. Wie in Abb. 10.2 dargestellt, ist die ω-Seitenkette β-ständig angeordnet, induziert durch den Tetrahydropyranylether, der den Angriff des Kupferreagenzes derart lenkt, dass er von der oberen Seite erfolgt. Eine Eliminierung des Alkohols ist über den Methansulfonsäureester möglich. Reduktion der Doppelbindung mit Tributylzinnhydrid ergibt die α-ständige Seitenkette in 19. Die THP-ether werden mit Essigsäure, und der Methylester mit Schweineleberesterase zum PGE1 gespalten. Ein allgemeiner Zugang zu primären Prostaglandinen eröffnet sich durch die Reaktion eines Cyclopentenonderivats mit 6-Formyl-5-hexinsäure als Baustein für die α-Kette und dem entsprechenden Vinylcuprat bei -78°C zu 20 (Abb. 10.3). Die 7-Hydroxygruppe lässt sich nicht durch Dehydratisierung und Reduktion der Doppelbindung, wie bei der vorherigen Synthese beschrieben wurde, entfernen. Erfolgreich verläuft dagegen die Reduktion zum PGE2-Derivat durch Umsetzung der Hydroxygruppen mit Thiobenzoylchlorid und 4-Dimethylaminopyridin zum Thiobenzoat, welches beim Erhitzen mit Tributylzinnhydrid unter Zusatz von
10.2 Prostaglandine
593
tert.-Butylperoxid entfernt wird. Die milden Reaktionsbedingungen bei der Reduktion finden ihre Erklärung in der Stabilisierung des intermediär auftretenden Radikals durch die Dreifachbindung. Ausgehend vom PGE2-Derivat 21 ist durch Hydrierung zum 5,6-Alken und Abspaltung der Schutzgruppen der PGE2Methylester darstellbar. Die Reduktion des PGE2-Derivats 21 mit Triisobutylaluminiumhydrid führt zum PGF-Baustein 22. Hydrierung und Abspaltung der Schutzgruppen liefern den PGF2α-Methylester. O
a) RωLi-CuI(n-C4H9)3P
OH
O
COOCH3
CH3SO2Cl
b) RαCHO THPO
DMAP THPO
OTHP
16
18
O COOCH3
THPO
Zn, CH3COOH/ (CH3)2CHOH oder: (n-C4H9)3SnH/ (t-C4H9O)2
OTHP
O
CH3COOH THF/H2O
COOCH3
THPO
19
OTHP
O COOCH3
Leberesterase
O COOH
8
12
11 15
HO
OH
RωI = I
HO
OH
RαCHO = OHC
15
OTHP
COOCH3
17
Abb. 10.2. Totalsynthese von PGE1 mit Hilfe der Dreikomponenten-Kupplung
594
10 Eicosanoide (Prostaglandine, Prostacycline, Thromboxane und Leukotriene)
O
O
a) RωLi-CuI/ (n-C4H9)3P
R
R' COOCH3
1. C6H5CSCl DMAP 2. (n-C4H9)3SnH (t-C4H9O)2
b) RαCHO R''SiO
R''SiO
OSiR''
20 R = OH, R' = H R = H, R' = OH
O COOCH3
O
SiR''
OSiR''
BenzolCyclohexan
21
(i-C4H9)2AlH/ 2,6-(t-C4H9)2-4-CH3C6H2OH
H2/Pd/BaSO4 Chinolin
O COOCH3
O
SiR''
(i-C4H9)2AlH/ 2,6-(t-C4H9)2-4-CH3C6H2OH
OSiR''
1. HF-Py 2. Leberesterase
PGE2 OH
HO COOCH3
COOCH3
LindlarKatalysator
SiR''
OSiR''
CH3COOH/ H2O/THF
HO
O
H2
22
COOH
HO
O
SiR''
OSiR''
PGF2α-methylester
OH
RαCHO = OHCC C(CH2)3COOCH3
RωI = I OSiR''
SiR'' = Si(CH3)2-t-C4H9
Abb. 10.3. Totalsynthese von PGE2- und PGF2α-methylester mit der DreikomponentenKupplung
10.3 Prostacycline
595
10.3 Prostacycline 10.3.1 Synthese von PGI2
Ein rationeller Zugang zu den Prostacyclinen ist ausgehend vom 5,6-DidehydroPGF2-Derivat durch intramolekulare Alkoxymercurierung möglich. Durch Zugabe von Quecksilber-(II)-trifluoracetat bildet sich mit dem Alkin ein Mercuriniumion, wobei durch nucleophilen anti-Angriff ein Bicyclus mit einer cyclischen Enoletherstruktur resultiert. Normalerweise verläuft die Demercurierung des Vinylquecksilber-trifluoracetats mit NaBH4 radikalisch und führt daher zum Verlust der stereochemischen Information. Unter den hier verwendeten Reduktionsbedingungen im protischen Medium verläuft die Reaktion dagegen nicht radikalisch und die stereochemischen Merkmale (5Z-Geometrie) bleiben erhalten. R
R
OH
+ Hg O
HO
O C
CF3
Hg(OCOCF3)2 (C2H5)3N R''SiO
R'
R''SiO
R'
R
R HgO-CO-CF3
O
H O NaBH4
R''SiO
R'
R''SiO
R'
Anschließende Abspaltung der Silylschutzgruppen mit Tetrabutylammoniumfluorid und Hydrolyse des Methylesters ergeben das Prostacyclin PGI2. COOCH3
a) Hg(OCOCF3)2, (C2H5)3N b) NaBH4, CH3ONa/CH3OH
(n-C4H9)4NF/ H2O/THF O
R''SiO OSiR''
596
10 Eicosanoide (Prostaglandine, Prostacycline, Thromboxane und Leukotriene) COOCH3
COOH
HOO
O
HO
HO OH
PGI2
SiR'' = Si(CH3)2-t-C4H9
OH
10.4 Thromboxane 10.4.1 Synthese von TXB2
Thromboxan B2 kann nach Corey, ausgehend von dem billigen und optisch aktiven Baustein D-Glucose, synthetisiert werden. OH
OH HO HO
COOH
OH O
OH
O
HO
OH
Die Glycosidierung von Glucose mit Methanol liefert in 85 % Ausbeute αMethyl-D-glucosid 23. Umsetzung des Glucosids mit Benzoylchlorid führt bei entsprechender Reaktionsführung bevorzugt zu einer Benzoylierung sowohl am primären C-6-Alkohol als auch an der sekundären Hydroxygruppe an C-2. Der 3,4-ungesättigte Zucker 24 wird durch Veresterung der C-3- und C-4Hydroxygruppe zum Mesylat mit anschließender Eliminierung mit Zn/Cu/NaI erhalten. Die Benzoylschutzgruppen können mit Natriummethanolat/Methanol abgespalten werden. Der Allylalkohol 25 wird stereospezifisch über eine ClaisenUmlagerung in das Dimethylamid 26 überführt. Hierbei wird der Alkohol mit dem Dimethylaminal von Acetamid zu einem Allylvinylether umgesetzt, der in einer [3,3]-sigmatropen Umlagerung das Dimethylamid liefert. OEt H 3C
HO
C OEt
25
CH3
H3C
CH3
O
N
N
CH3
CH3 O
N
26
CH3
10.5 Biosynthese der Eicosanoide
597
Aus einer Iodlacton-Cyclisierung mit anschließender Enthalogenierung resultiert das Lacton 27, von dem ausgehend TXB2 synthetisiert werden kann. OH
OH
HO
OH
HO
OH
O
OH
HO
CH3OH/H+
MeO
OH
BzCl OH
O
BzO
OH
Py MeO
OBz
O
23 OMs BzO
MsCl Py
Zn/Cu/ NaI
OMs
MeO
O
BzO
OBz
CH3ONa
MeO
OBz
O
CH3OH
24 CH3 H3C HO
N
H3C
MeO
OH
O
O
OEt CH3 OEt
N
CH3 I2/THP
MeO
OH
O
25
H2O
26 O
O
O
O
I
Bu3SnH
MeO
OH
O
MeO
TXB2
OH
O
27
10.5 Biosynthese der Eicosanoide Die Eicosanoide leiten sich von der Arachidonsäure ab. Der radikalische Sauerstoff addiert sich unter Ausbildung eines Peroxids und initiiert den Ringschluss. Die Abspaltung eines H-Radikals ergibt durch Reaktion mit einem weiteren Sauerstoffmolekül eine Hydroperoxidgruppe an C-15 im PGG2. Die Reduktion führt zum PGH2. 8 5
O
COOH
O 11
C
COOH
O
14
H H+ + e-
O
O O
COOH
O R
O
PGG2: R = OOH PGH2: R = OH
598
10 Eicosanoide (Prostaglandine, Prostacycline, Thromboxane und Leukotriene) 8
COOH
5
11
O
COOH
O
14
Arachidonsäure
PGG2
O
COOH
O
OOH
COOH
O O
OH
TXA2
OH
O COOH
HO
HOOC
O
OH
PGE2
HO
HO
OH
PGI2
COOH
HO
PGF2α
OH
Abb. 10.4. Biosynthese der Prostaglandine, Prostacycline und Thromboxane
Aus der Cyclisierung von PGH2 über C-6 und unter Spaltung und Reduktion der Peroxidgruppe entsteht das Prostacyclin PGI2. COOH
COOH
6
O [H]
O O
PGH2
OH
HO
PGI2
OH
Literatur
599
Thromboxan / TXA2 entsteht durch Spaltung der Peroxidgruppe unter Umlagerung zum Acetal. O
COOH
O
COOH
O O
OH
PGH2
OH
TXA2
Die Biosynthesen der einzelnen Eicosanoide sind in Abb. 10.4 und 10.5 schematisch dargestellt. O
O2
Arachidonsäure
OH COOH
H H
5-HPETE H
O
OH
COOH
C5H11
COOH C5H11
LTA4 H
H
S
Cys
Gly
γ-Glu
LTC4 OH
H
OH
COOH C5H11
H
S
Cys
LTE4
COOH C5H11
H
S
Cys
Gly
LTD4
Abb. 10.5. Biosynthese der Leukotriene
Literatur Monographien 1. 2.
M. RIMPLER: Biogene Arzneistoffe, Pharmazeutische Biologie 11, Georg Thieme Verlag, Stuttgart – New York, 1990 E.J. COREY, XUE-MIN CHENG: The logic of chemical synthesis. J. Wiley and Sons, New York – Chichester – Brisbane – Toronto, Singapore, 1989
600
3.
10 Eicosanoide (Prostaglandine, Prostacycline, Thromboxane und Leukotriene)
G. EISENBRAND, P. SCHREIER (Hrsg.): Römpp Lexikon der Lebensmittelchemie, Georg Thieme Verlag, Stuttgart – New York, 2006
Übersichtsartikel und Originalarbeiten 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.
W. OPPOLZER: Asymmetrische Diels-Alder- und En-Reaktionen in der Organischen Synthese, Angew. Chem. 96, 840 (1984) W. BARTMANN, G. BECK, J. KNOLLE, R.H. RUPP: Neue Prostacyclin-Analoga, Angew. Chem. 92, 854 (1980) H.J. GAIS, T. LIED, K.L. LUKAS: Asymmetrische Synthese eines neuen enantiomeren-reinen Prostaglandin-Bausteins, Angew. Chem. 96, 495 (1984) R. NOYORI, M. SUZUKI: Prostaglandin-Synthesen durch DreikomponentenKupplung, Angew. Chem. 96, 854 (1984) E.J. COREY, M. SHIBASKI, J. KNOLLE: Simple, stereocontrolled-synthesis of thromboxane B2 from D-glucose, Tetrahedron Letters 19, 1625 (1977) M. SUZUKI, S. SUGIURA, R. NOYORI: Synthesis of a pyrazole prostacyclin, Tetrahedron Letters 23, 4817 (1982) B. SAMUELSSON: Die Leukotriene, Superaktive, an Allergie und Entzündung beteiligte Wirkstoffe, Angew. Chetu. 94, 881 (1982) S. BERGSTRÖM: Prostaglandine: Vom Labor zur Klinik (Nobelvortrag), Angew. Chem. 95, 865 (1983) E.J. COREY: Die Logik der chemischen Synthese: vielstufige Synthesen komplexer „carbogener“ Moleküle (Nobel Vortrag), Angew. Chem. 103, 469 (1991) A.F. ROWLEY, C.L. VOGAN, G.W. TAYLOR, A.S. CLARE: Prostaglandins in non-insectan invertebrates: recent insights and unsolved problems, J. Exp. Biol. 208, 3 (2004)
11 Antibiotika und Chemotherapeutika
Die Chemotherapie beschäftigt sich mit der Bekämpfung von Infektionskrankheiten, deren Erreger (Bakterien, Viren, Pilze, Würmer und Protozoen) ursächlich für das Krankheitsbild sind, sowie mit der Tumorbekämpfung. Das Ziel bei der Behandlung der Infektionskrankheiten ist die selektive Beseitigung der Erreger, ohne gleichzeitige Nebenwirkungen am Patienten zu verursachen. Hierbei verwendet man Verbindungen bei denen es sich sowohl um synthetische (Chemotherapeutika) als auch um isolierte Naturstoffe aus Mikroorganismen, höheren Pflanzen und Tieren (Antibiotika) handelt. Die Differenzierung zwischen Chemotherapeutika und Antibiotika ist fließend. Oft gelingt es, durch chemische Modifizierung die therapeutische Breite (geringere Toxizität bei besserer Wirksamkeit) eines Antibiotikums deutlich zu erhöhen. Der umgekehrte Fall ist natürlich auch denkbar: eine synthetische Vorstufe wird durch Biotransformation in das eigentliche Antibiotikum umgewandelt. Dieses Kapitel soll sich mit Antibiotika befassen, die bisher nicht bei den entsprechenden Stoffklassen in diesem Lehrbuch Erwähnung fanden (s. auch Kap. 1.5, 4.2.3, 5.2.2, 6.1.2). Obwohl die hier behandelten Antibiotika keine einheitliche Stoffklasse darstellen, können sie doch nach ihrer Biosynthese als Polyketide bezeichnet werden. Eine prinzipielle Einteilung von Antibiotika geschieht nach deren Wirkungsmechanismus: − Hemmung der Biosynthese der Zellwand (Penicilline, Cephalosporine) − Erhöhung der Permeabilität der Cytoplasmamembran (fungizide Antibiotika, Polyether) − Störung der Proteinbiosynthese (Tetracycline, Chloramphenicol, Erythromycin, Aminoglycoside). Weiterhin werden unter dem Begriff Chemotherapeutika niedermolekulare Wirkstoffe zusammengefasst, die zur Therapie maligner Tumore eingesetzt werden (s. Kap. 3.3.4.5, 4.2.3.1, 6.1.2, 6.3.2). Die prinzipielle Einteilung der Cytostatika erfolgt in: − Alkylierende Wirkstoffe − DNA-interkalierende Wirkstoffe − Mitose-Hemmstoffe − Antimetabolite − Hormone und Antihormone.
602
11 Antibiotika und Chemotherapeutika
11.1 Tetracycline Die Tetracycline besitzen als gemeinsames Strukturmerkmal vier anellierte Sechsringe. Therapeutische Verwendung finden die Tetracycline gegen grampositive, penicillinsensitive Erreger und die meisten gramnegativen Bakterien. Doxycyclin und Minocyclin werden in der Medizin bei Gonorrhö, Meningitis und Akne verwendet. Ihre Wirkung beruht auf der Hemmung der ribosomalen Proteinbiosynthese, wobei die geringe Toxizität dieser Verbindungen aus ihrer höheren Affinität zu Bakterien- als zu Säugetierribosomen resultiert. R H3C 7
6
8
D
CH3 H3C OH R' N H H 3 OH 4
C
9
B
A 1
11 10
12
OH
OH
O
H3C
Tetracyclin: R = R' = H Chlortetracyclin: R = Cl, R' = H Oxytetracyclin (1): R = H, R' = OH
5
OH
NH2
2
O
O
CH3 H3C N OH H H OH
H3C
H3C
CH3
N
H
H
CH3
N
OH
NH2 OH
OH
O
OH
NH2
O
O
OH
Doxycyclin
OH
O
OH
O
O
Minocyclin
Chlortetracyclin wurde als erster Vertreter dieser Gruppe 1947 aus Streptomyces aureofaciens isoliert. Die industrielle Herstellung der Tetracycline erfolgt fermentativ. Partialsynthetische Arbeiten führten zum Metacyclin, Doxycyclin und Minocyclin. Die Exomethylengruppe an C-6 lässt sich z. B. in Metacyclin nicht dadurch einführen, dass die entsprechende Hydroxygruppe des Tetracyclins am C-Ring eliminiert wird. Unter den gegebenen Reaktionsbedingungen würde eine Aromatisierung des C-Rings erfolgen. OH
H3 C
H3 C H
H
N
CH3
7 4
5
6
3
OH NH2
2 1
11
10
OH
12
O
H
O
O
O
CH3
4
5
6
3
OH
8
9
NH2
2 1
11
10
OH
H
N
7
H+
8
9
H3 C
CH3
OH
12
OH
O
OH
O
O
11.1 Tetracycline
603
Um diese Reaktion zu verhindern, wird die Doppelbindung in 1 durch Umsetzung mit N-Chlorsuccinimid (NClS) blockiert. Hierbei bildet sich die 6,12Epoxystruktur in 2. Die anschließende sauerkatalysierte Isomerisierung in Flusssäure ergibt die exocyclische 6-Methylengruppe. Reduktion mit Natriumhydrogensulfit führt zur 11a,12-Enolisierung, also zum Metacyclin. H3C 7
6
CH3 H3C OH OH N H H OH
7
4
5
NClS
3
8
9
NH2
2 1
11
10
OH
O
OH
O
7
6
NaHSO3
4
5
9
OH
O
O
OH
O
O
CH3 H3C N OH H H OH 4
3
NH2
2 1
11
12
Cl
OH
5
6
NH2
2 1
11
Cl
2 H2C
3
OH
O
HF
8
10
12
OH
CH3 H3C N OH H H OH
NH2
2 1
11
1 H2C
3
H 10
O
4
5
6 8
9
12
OH
CH3 H3C N OH H OH
O
H3C
12
O
O
OH
O
OH
O
O
Metacyclin
Die minimalen Hemmkonzentrationen (MHK) der natürlichen und partialsynthetischen Tetracycline gegen Bakterien sind den Tabellen 11.1 und 11.2 zu entnehmen: Tabelle 11.1. Natürliche Tetracycline (MHK-Werte in μg/ml) Name
S. aureus
Tetracyclin 0,4 Chlortetracyclin 0,3 Oxytetracyclin 0,6
S. pneumoniae 0,15 0,1 0,3
E. faecalis
E. coli
0,7 0,4 2
1,2 1,4 1,2
K. pneumoniae 0,6 0,3 0,6
P. vulgaris
4 4,6 3,1
S. typhimurium 2,3 1,2 1,6
P. aeruginosa 25 14 25
Tabelle 11.2. Partialsynthetische Tetracycline (MHK-Werte in μg/ml) Name
S. pyogenes
Metacyclin Doxycyclin Minocyclin
0,2 0,4 0,4
S. aureus (tetracyclinresistent) 0,8
S. pneumoniae E. coli
P. mirabilis
1 0,04 0,04
25 50 50
3 1,6 3,1
604
11 Antibiotika und Chemotherapeutika
11.2 Anthracycline Die Anthracycline besitzen ebenso wie die Tetracycline vier linear anellierte Sechsringe, jedoch mit dem Unterschied, dass die Ringe B, C und D einen Anthrachinon-Chromophor bilden, der für die gelbrote Farbe dieser Naturstoffklasse verantwortlich ist. Der Ring A ist gesättigt und trägt an C-7 eine Kohlenhydrat-Seitenkette mit unterschiedlicher Anzahl seltener Amino- und Desoxyzucker. Anthracycline sind stark wirksame Cytostatika und haben aus diesem Grund Eingang in die Krebstherapie gefunden. Der Wirkungsmechanismus wird durch die Interkalation des planaren Anthrachinon-Chromophors in die DNA-Helix erklärt. Welche Rolle dabei die Zuckerketten spielen, ist bisher noch nicht bekannt. Der wichtigste Vertreter aus der Gruppe der Anthracycline ist das Adriamycin (= Doxorubicin), das fermentativ aus Streptomyceten gewonnen wird. Es ist gegenwärtig trotz seiner kumulativen Cardiotoxizität ein Standardpräparat in der Krebstherapie. Ausgehend vom Adriamycin sind in den letzten Jahren große Anstrengungen unternommen worden, durch Partialsynthesen weniger giftige Analoga herzustellen. Die besten Resultate erzielten zwei Adriamycin-Derivate, die über den Aminozucker mit einer Tetrahydropyranose an 4’ bzw. mit einem 3-Cyanomorpholin-Ring an 3’ verknüpft sind. Sie zeichnen sich gegenüber der Stammverbindung durch eine 100- bis 1.000-fach stärkere Antitumorwirkung (in Zellkulturen) und fehlende Cardiotoxizität (an der Maus) aus. 1968 ist mit dem Nogalamycin der Prototyp einer neuen Klasse von Anthracyclinen entdeckt worden, die eine bicyclisch an den Ring D des AnthracyclinChromophors anellierte Aminohexose tragen. CH3
1 2
D 3
11a 11
12a12
4 4a
OMe
O
OH
O C
10a
B
5
5a
H3C 4'
6a
6
HO
3'
9
13
O
H3C R
OH 14
A
OH
O
10
OH
N O
COOCH3
O
O
OH
HO H3C
CH3
8 7
O
OH
O
1'
NH2
Doxorubicin (Adriamycin): R = OH Daunorubicin: R = H
H3C MeO MeO
OH CH3
O
O OMe
Nogalamycin
Nachdem es Mikrobiologen gelungen war, seltene Actinomyceten zu isolieren und zu kultivieren, wurden Anthracycline mit immer komplexeren Strukturen gefunden. Das Viriplanin z. B. besitzt sieben seltene Desoxyzucker. Zwei davon sind Nitrozucker, die bislang in keinem Naturstoff gefunden wurden.
11.3 Chloramphenicol CH3 H3C
H3C
CH3
O
O HO
O
OHC 3
O
NO2
OH
O OH
OH
N
O H3C
O
COOCH3
O
OH H3C
CH3
E
OH
F
OH
O H3C
G
OH O H3C
H3C O
OHC 3 H3C H
O
HOOC
O CH3 O
O NO2
O
605
O
O A
O OH
B
C
D
Viriplanin
CH3
Trotz aller Bemühungen ist es bis heute nicht gelungen, ein Cytostatikum zu entwickeln, das selektiv die Tumorzellen zerstört, ohne gesundes Gewebe in Mitleidenschaft zu ziehen. Der Trend geht z. Z. dahin, ein Zellgift bzw. ein Cytostatikum als „Prodrug“ an einen Antikörper zu koppeln, der die Aufgabe hat, den Wirkstoff an den Ort der Tumorzellen zu transportieren und dort selektiv freizusetzen.
11.3 Chloramphenicol Das Antibiotikum Chloramphenicol wurde ursprünglich aus Streptomyces venezuelae isoliert. Es besitzt ein den Tetracyclinen vergleichbares Wirkungsspektrum. Es wirkt durch Blockierung der Proteinbiosynthese durch Hemmung der Peptidyltransferase in der Elongationsphase. Die industrielle Herstellung erfolgt nicht fermentativ, sondern totalsynthetisch. OH
HO
O N Cl
H Cl O 2N
(1R,2S)-Chloramphenicol
606
11 Antibiotika und Chemotherapeutika
O 2N
H2N-CH2-COOH
CHO
O 2N
Ca(OH)2
H
NH2
C
C
HO
H
O
OH H
NH2 O
C
C
HO
H
CH3OH HCl
O 2N
C
Cl2CH-CO-Cl
OMe
HN
CHCl2
4
NHNH2 O2N
HN
CHCl2 O
OH N3
HN
O
N2H4
O
NaNO2 O2N
O2N
O
3 OH
OMe NH2
OH OMe
O2N
(+)-Weinsäure
O
OH
COOH
CHCl2 O
NaBH4
OH O2N
HN
CHCl2 O
Abb. 11.1. Synthese von Chloramphenicol
Abbildung 11.1 zeigt, wie ausgehend von 4-Nitro-benzaldehyd (Hoechst AGVerfahren), durch basenkatalysierte Addition an Glycin stereospezifisch das racemische threo-β-(4-Nitrophenyl)-serin erhalten wird. Die Racematspaltung wird über den entsprechenden Methylester mit (+)-Weinsäure durchgeführt. Nach der Acetylierung mit Dichloressigsäurechlorid muss der entsprechende Carbonsäuremethylester unter Erhalt der para-ständigen Nitrogruppe reduziert werden. Hierzu wird als mildes Reduktionsmittel NaBH4 eingesetzt. Die Aktivierung der Carboxylgruppe in 3 erfolgt durch Hydrazin. Durch nachfolgende Oxidation mit NaNO2 wird das Carbonsäureazid 4 gebildet, das mit NaBH4 reduziert wird. Das Enantiomere (1S,2R) und die beiden diastereomeren erythro-Verbindungen (1R,2R) bzw. (1S,2S) zeigen im Gegensatz zum Chloramphenicol keine Aktivität. Die Ausbildung der Resistenz ist auf Acetylierung der 1- und 3-Position zurückzuführen.
11.5 Polyether
H O 2N
O
H
O
N
C
CH2 O
C
C
O
H
C
CH3
607
CHCl2 C
CH3
1,3-Diacetyl-chloramphenicol
O
11.4 Griseofulvin Griseofulvin wurde erstmals aus Penicillium griseofulvum isoliert. Es wird bei der Behandlung von Pilzinfektionen gegen Dermatophyten eingesetzt. Die Gewinnung erfolgt fermentativ. OMe
O OMe O O H CH 3
MeO Cl
Der synthetische Zugang wird durch Michael-Addition an das Methoxyethinylpropenyl-keton eröffnet. Als primärer Schritt der Reaktion kann der Angriff an der elektrophilen Dreifachbindung angesehen werden, anschließend erfolgt die Michael-Addition an der Propenylgruppe.
O O
OMe
OMe t-BuOK t-BuOH
+ O OMe
OMe Cl
O OMe O O H
MeO Cl
CH3
(±)-Griseofulvin
11.5 Polyether In den natürlich vorkommenden Polyethern werden die Ethergruppierungen vor allem als Tetrahydrofuran- bzw. Dioxan-Struktur gefunden. Eine prinzipielle Einteilung erfolgt in neutrale und Carbonsäure-Polyether. In den neutralen Verbindungen bildet die Carbonsäure oft eine Lactonstruktur aus. Aufgrund der Fähigkeit dieser Verbindungsklassen, Ionen über biologische Membranen zu transportieren, werden sie auch als Ionophore bezeichnet. Der Transportmecha-
608
11 Antibiotika und Chemotherapeutika
nismus wird durch Ausbildung einer pseudocyclischen Struktur erklärt, in der die nach innen gerichteten Sauerstoffatome Kationen chelatisieren. Da die unpolaren Gruppen außen orientiert sind, können lipophile Membranen passiert werden. Carbonsäure-Polyether besitzen eine starke Wirkung gegen grampositive Bakterien, Viren und Coccidien (Parasiten). Zu den Polyethern gehören: 1
COOH HO
3
CH3
8
2
7
10
11
CH3
CH3 12
16
13
6
4
H3C
O
5
H
21
19
22 23
18
H
O
OH
Lasalocid
CH3
24
OH
H3C H
A
B
O
O
CH3 H
OH
H3C H
A
O
H
O
H
CH3 CH3
B
C
O
O
H3C
H COOH
H
A O
CH3
E O
H
OH
B H
CH3 H
D
H3C CH3
O
H3C H
E
CH3
F
O
H
Monensin
O
H
CH2OH
HO OMe CH3
3
D O
HOH2C
CH3
H COOH
H
Et
C
COOH
MeO
H3C
H3C
H3C
H3C
H3C
O
H
O
20
15
14
9
17
O
CH3 CH3
C 13
O
16
H
D O
H3 C CH3 20
H3C H
E O
H
Nigericin
F
24
O
H
CH3
29
CH3
HO
Griseorixin
1
CH3 A H3C
O
CH3 H
H COOH
OH
H3C CH3
O
CH3
H
CH3
H3C
H
B
O
D
O
C
O OH
E CH3 O
OH CH3
Salinomycin
Es handelt sich hier um Sekundärmetaboliten von Mikroorganismen. Polyether werden auch in marinen Organismen gefunden. An dieser Stelle seien die Okadainsäure und ihre Derivate, Pectenotoxine und Brevetoxin erwähnt. Die Verbindungen treten als Muscheltoxine auf, werden allerdings von Dinoflagellaten, wie Dinophysis fortii, D. acuminata und Gymnodinium breve produziert.
11.5 Polyether
609
HO R
H3C H O CH3 H
O
CH3
H
H
O
H
H
O
H H H CH3
H
H
O
Brevetoxin-B und -C
CH3
O
CH2 C O
CHO
BTX-C: R =
CH2 C
CH2Cl
O O
OH
CH2
BTX-B: R =
O HO
O H
O O
O
H H O
CH3 CH3 O
O H
OH
H
O
O
OR
O
H
O OH
R'
Okadainsäure: R = H, R' = H Dinophysistoxin-1: R = H, R' = CH3 Dinophysistoxin-3: R = Acyl, R' = CH3 O O
O O OH
H O
O OH
OH O
O
O H
O
O
R
Pectenotoxin-1: R = OH Pectenotoxin-2: R = H
Dem Ciguatoxin kommt bei Fischvergiftungen eine große Bedeutung zu. Als ciguatera-toxische Erscheinung bezeichnet man Vergiftungen mit gastrointestinalneurologischen Manifestationen. Sie können auftreten z. B. nach dem Genuss von Barrakudas, Seebarschen, Doktorfischen, Schnappern und Papageienfischen. Da die meisten dieser Fische normalerweise essbar sind, ja sogar zu den wertvollen Speisefischen zählen, kommt es immer wieder zu derartigen Vergiftungen. In jahrzehntelanger Arbeit gelang es, das „Ciguatoxin“ zu isolieren und in seiner Struktur aufzuklären. Diese Verbindung wird von den Dinoflagellaten Gymnothorax javanicus und Gambierdiscus toxicus produziert und von den Fischen mit der Nahrung aufgenommen.
610
11 Antibiotika und Chemotherapeutika HO HO
HO
OH
OH O
HO
HO
OH
OH
HO
O
HO
HO OH
OH
H3C
H2C
OH
HO
OH HO
HO HO
CH3
HO
OH HO
HO
O
OH
HO
OH OH OH
HO HO CH3
H3 C
O
O
HO
O
H3 C
H3C OH
HO O
O
H2N
O
O
OH
O
OH HO
OH OH
OH
OH
N
H
N
H
O
OH
Abb. 11.2. Struktur von Palytoxin (C129H223N3O54)
CH3
11.5 Polyether H 3C H O
H
H
CH3
HO H3C O O
H
H
H
O
H
H
H
OH
H
O
H O H H3C
H
H
OH H O
H
O H
O
O O
O
H
H
611
O
CH3
R'
OH
H
H
Ciguatoxin
R=
CH CH2OH , R' = OH
R=
CH CH2
R
, R' = H
Palytoxin ist eine extrem toxische Verbindung (LD50 = 0,45 μg/kg KG in der Maus), die erstmals aus Hohltieren (Coelenteraten) der Gattung Palythoa isoliert wurde. Ein Extrakt aus Palythoa toxica wurde früher auf Hawaii als Pfeilgift verwendet. Die erste Isolierung gelang Moore und Scheuer 1963. Nachdem in mühevoller Arbeit die Struktur (s. Abb. 11.2) aufgeklärt war, gelang Kishi die Totalsynthese von Palytoxin. Für diese bemerkenswerte Synthese muss auf den Übersichtsartikel verwiesen werden. Industrielles Interesse besitzen die Polyether aus Mikroorganismen, z. B. Monensin, Lasalocid und Salinomycin, zur Behandlung und Vorbeugung von Infektionen mit Coccidien (Parasiten) bei Geflügel. Die Polyether werden in Konzentrationen von 50 bis 100 ppm dem Futter zugemischt. Weiterhin besitzen diese Verbindungen Aktivität gegen Bakterien und Viren. Als ein Beispiel findet hier das Lasalocid Erwähnung, dessen Wirkungsmechanismen umfangreich beschrieben wurden. Die biologische Wirkung des Lasalocids beruht auf der Komplexierung von zweiwertigen Kationen. Durch Röntgenstrukturanalyse konnte z. B. die Struktur des Bariumkomplexes ermittelt werden. CH3
O
O
H3C O
H
H
2+
H3C
H O
O
H
H CH3
CH3
O
HO
H
CH3
H3C
CH3 O
CH3
O H
Ba
O
H
O
O
H3C
O
O
H H3C
H3C CH3
O
CH3
O
CH3
O
H CH3
612
11 Antibiotika und Chemotherapeutika
Tabelle 11.3. Vergleich von Verteilungskoeffizient und in vitro-Aktivität von LasalocidDerivaten
Lasalocid Bromolasalocid Chlorolasalocid Iodolasalocid Nitrolasalocid Aminolasalocid
Verteilungskoeffizient 705 1775 1330 1556 291 2
In vitro-Aktivität gegen Bacillus TA ATCC 27860 (Lasolocid = 100 %) 100 124 140 112 24 1
Durch diese Polyether wird der normale Kationenaustausch der Zellmembran gestört und damit den spezifischen Transportproteinen in der Cytoplasmamembran entgegengewirkt. Ein Kation wird z. B. über Carboxyl-, Hydroxy- und Ethergruppen gebunden, der neutrale Komplex ist so in der Lage, durch die Zellmembran zu diffundieren. Die Lipophilie der Polyether ist eine wichtige Grundlage für ihre Wirkungsweise: die Verteilung zwischen einer hydrophilen Phase (Wasser) und einer lipophilen Phase (1-Octanol) ist in Tabelle 11.3 angeführt. Aus der Tabelle geht hervor, dass mit steigender Lipophilie (größerer Verteilungskoeffizient) eine effizientere antibakterielle Wirkung beobachtet wird (Bacillus TA). Diese Beobachtung geht mit dem bereits diskutierten Mechanismus konform.
11.6 Makrolid-Antibiotika 11.6.1 Erythromycine und verwandte Verbindungen
Das erste Makrolid-Antibiotikum (Pikromycin) wurde im Jahre 1950 von Brockmann aus Streptomyceten isoliert. Als gemeinsames Strukturelement besitzen die Makrolide ein makrocyclisches 12-, 14- oder 16-gliedriges Lacton (Abb. 11.3). Biosynthetisch werden die Ringe durch Acetyl- und Malonyl-CoA-Einheiten aufgebaut. Der Wirkungsmechanismus beruht auf der Hemmung der bakteriellen Proteinsynthese. Die antibakteriellen Aktivitäten der Makrolide sind in Tabelle 11.4 aufgeführt. Tabelle 11.4. Antibakterielle Aktivitäten der Makrolide (Angaben als MHK in µg/ml) Testorganismus Stphylococcus aureus Streptococcus pyogenes Streptococcus pneumoniae Mycoplasma pneumoniae
Oleandomycin 0,5 0,2 0,2 0,6
Erythromycin A 0,2 0,02 0,1 0,1
11.6 Makrolid-Antibiotika CH3 CH3 HO O HO
CH3
H3C
O
N O
CH3
CH3 O CH3
H3C
CH3 O
H3C
O
H3C
11
HO 13
O CH3
CH3 HO O
CH3 HO O
N O
CH3
N O
CH3 CH3
5 3
1
H3C
CH3 OMe
CH3 O O
O
HO
7
O
Pikromycin
H3C
HO
9
H3C
R
O
H3C
O
CH3
613
CH3 OH CH3
(2R,3S,4S,5R,6R,8R,10R,11R,12S,13R)Erythromycin A: R = OH Erythromycin B: R = H
CH3
CH3
H3C O
CH3 O O
Oleandomycin 1
O
CH3 OH CH3
Abb. 11.3. Wichtige 14-Ring-Makrolide
Erythromycin A wurde als eines der ersten Makrolidlactone am intensivsten studiert. Die Struktur wurde u. a. durch Abbaureaktionen gesichert. Eine schonende saure Hydrolyse führt über Spiroketalbildung, Eliminierung einer Hydroxylgruppe und die Abspaltung des Desoxyzuckers Cladinose (s. a. Steroide) zu 5 (Abb. 11.4). Der Mechanismus verläuft wahrscheinlich wie in Abb. 11.5 dargestellt. Aus dem Aglycon entsteht Erythrolosamin. Die Katalyse induziert die 6,9-Halbacetalbildung durch nucleophilen Angriff vom OH-6 am C-9Keton. Die Abspaltung der 9-Hydroxygruppe ergibt den Enolether. Nach der Addition des Protons am C-8 erfolgt der nucleophile Angriff der 12-Hydroxygruppe am C-9 zum Spiroketal. Im weiteren Verlauf erfolgt die Dehydrierung zur Doppelbindung zwischen C-10 und C-11 und die Hydrolyse des Zuckers. Reduktion von Erythromycin A mit NaBH4 und die Abspaltung der Zuckereinheiten ergibt unter drastischen Bedingungen das Dihydroerythronolid A 6. Die oxidative Spaltung der cis-Diole mit Periodat liefert den Ketoaldehyd 7 und den Ester 8 (Abb. 11.4). Die chemische Derivatisierung von Erythromycinen ergibt kaum wirksamere Verbindungen.
614
11 Antibiotika und Chemotherapeutika CH3 O
N
8
CH3 HO O
10
HO
H3C 12
CH3
H3C
HO
O
CH3 CH3
6
HO O CH3
1
OMe
CH3 O O O
Erythromycin A
CH3 OH
8
10
CH3
O
12
H+
CH3
4
14
H3C
H3C
O 4
14
H3C O CH3
O-Desosamin
6
OH
1
CH3
CH3 O
CH3
5
1. NaBH4 2. H+ CH3 HO
CH3 HO HO
OHC
8
CH3
10
H3C 12
HO
OH
6
4
14
O CH3
OH
1
O
6
CHO
O
CH3
CH3
CH3
7
NaIO4
HO H3C
O H3C
HO
H3C O
CH3
CH3 CH3
O
8 Abb. 11.4. Abbau von Erythromycin A
11.6.2 Polyen-Makrolide
Zu den Polyen-Antibiotika zählt man hochungesättigte Makrolide, die von Streptomyceten gebildet werden. Durch die Anzahl der konjugierten Doppelbindungen erfolgt die Charakterisierung. Das erste Polyen, das Nystatin, wurde 1950 aus Streptomyces noursei isoliert. Wichtige Handelspräparate sind das Amphotericin B aus Streptomyces nodosus (Heptaen) und das Nystatin, beide mit einem 38Ring-Lacton. Polyen-Antibiotika sind vor allem gegen Pilze, wie Candida albicans, und Protozoen wirksam. Die Wirkung erfolgt durch Komplexierung von Sterolen in der Zellwand, wobei Poren entstehen, die die Durchlässigkeit der Zellen erhöhen. Die MHK-Werte gegen Sprosspilze liegen bei etwa 0,05–6 μg/ml.
11.6 Makrolid-Antibiotika
H
H
+
O
+
H
HO 9
HO HO
615
O
12
OR
6
O
HO HO
H
H
+
H
C
O
HO
OR
OR
+
HO
HO
O
OR
HO
H
H
O
HO O
+
OR
O
HO
OR
O
H
5
OR'
O O
Abb. 11.5. Mechanismus der Spiroketalbildung
H
O
H3C HO H3C
CH3 O
OH
OH
OH
OH
O
O H3C HO H3C
CH3 O
OH
OH
OH
OH
O
Nystatin A1 (Nystatin)
NH2 OH H COOH OH
OH
OH
Amphotericin B
O
OH
O OH
CH3 OH
O
CH3 OH
O
NH2 OH H COOH OH
616
11 Antibiotika und Chemotherapeutika
11.6.3 Ansa-Makrolide
Die Ansamycine (ansa = Henkel) besitzen einen planaren (aromatischen) Teil, der von einer aliphatischen Brücke überspannt wird. 1964 wurde mit Rifamycin B aus Streptomyces mediterranii das erste Antibiotikum dieser Klasse isoliert. Im Unterschied zu den bisherigen Makrocyclen findet sich beim Rifamycin eine Lactambindung in Kombination mit einem Acetal. Die bakteriostatische Wirkung beruht auf der Hemmung der bakteriellen RNA-Synthese. Rifamycin B wirkt in vitro gegen grampositive Bakterien, die Wirkung auf gramnegative ist mäßig. Es zeigt in vivo keine Aktivität. Bei der fermentativen Herstellung von Rifamycin B werden noch Rifamycin O und Rifamycin SV gefunden. Die Wirkung von Rifamycin O ist der des Rifamycin B analog; dagegen zeigt das Rifamycin S bei subcutaner Applikation therapeutische Wirkung. Das Nebenprodukt Rifamycin O entsteht durch Luftoxidation von Rifamycin B. Rifamycin SV entsteht durch Hydrolyse der Ausgangsverbindung Rifamycin B. Chemische Derivatisierung der Rifamycine (Abb. 11.6) führt zu bedeutend aktiveren Verbindungen. Die Hydrierung von Rifamycin S liefert das benzoide Rifamycin SV. Es ist in vitro etwa 2- bis 4-mal so wirksam wie die Ausgangsverbindung bei der Tuberkulosebehandlung. Die wichtigsten Derivate dieser Klasse werden, ausgehend von Rifamycin SV, durch Aminomethylierung nach Mannich, Oxidation zum Aldehyd und Kondensation zu den entsprechenden Aldiminen und Hydrazonen dargestellt. Rifampicin ist in einer Dosis von 0,4 bis 0,7 g/Tag eine sehr wirksame Verbindung für die Behandlung der Tuberkulose beim Menschen (Tabelle 11.5). Es zeigt in vivo die beste Wirkung im Vergleich zu allen anderen Rifamycinen; z. B. ist die in vivo-Wirkung gegen S. aureus (subcutan) von Rifamycin ED50 = 305 mg/kg KG, die von Rifampicin ED50 = 0,12 mg/kg KG. Tabelle 11.5. MHK-Werte in vitro gegen Bakterien in μg/ml Name Rifamycin B Rifamycin O Rifamycin S Rifamycin SV Rifampicin
Staphylococcus aureus 0,025 0,01 0,005 0,005 0,002
E. coli
1.000 75 12 25 10
Mycobacterium tuberculosum 0,05 0,05 0,05 0,05 0,05
11.6 Makrolid-Antibiotika CH3
CH3
CH3
HO AcO
OH CH3
MeO
CH3 OH
O
CH3
O2
OH N
H3C O
AcO
OH CH3
MeO
CH3 OH
CH3
O
CH3 Pd/C
O N
H3C O
AcO
H2 H
OH CH3
MeO
CH3 OH
HCHO
OH
O
R2NH H
O OH
O
H3C
Rifamycin S CH3
CH3
O
Rifamycin SV CH3
HO
CH3
HO OH CH3
CH3 OH
O
CH3 [O]
OH N
H3C O
H
CH2-NR2
O
AcO
OH CH3
MeO
CH3 OH
O
Abb. 11.6. Derivatisierung der Rifamycine
O
N
H3C
H
CHO
O OH H3C
CH3
OH
O
OH H3C
CH3
N
O
MeO
O
H3C
O
AcO
CH3
HO
CH3 OH
H3C
O
Rifamycin O
CH3
H
O
O
H3C
OH CH3
MeO
O
OCH2COOH
HO AcO
H+/H2O
O
O
Rifamycin B CH3
CH3
N
O O
O
H3C
H
O H3C
CH3
HO
O
617
618
11 Antibiotika und Chemotherapeutika CH3
CH3 HO AcO
OH CH3
MeO H2N N
CH3 OH
N CH3
O
CH3
Rifampicin
OH N
H3C O
H
C
O
N
N
N
CH3
H
OH O
H3C
Abb. 11.6. Derivatisierung der Rifamycine (Fortsetzung)
11.6.4 Ungewöhnliche Makrolide
Makrolide zeigen im Allgemeinen bemerkenswerte biologische Wirkungen. Im Folgenden sollen einige Verbindungen Erwähnung finden, die bislang keiner Gruppe zugeordnet wurden. Die Polyol-Makrolide sind in ihrer Wirkung den klassischen Makroliden vergleichbar, sie zeigen eine sehr gute biologische Wirkung (1–10 μg/ml) gegen humanpathogene Pilze, Protozoen und grampositive Bakterien. Die Polyole werden aus Streptomyceten isoliert. Z. B. besteht die physiologische Wirkungsweise des Niphimycins in der Inhibierung der oxidativen Phosphorylierung in Mitochondrien von Pilzen. Zu den Polyol-Makroliden gehören: OH
HO O
OH
OH
OH
OH
O
OH
OR
OH
O OH
OH
NH
N
N
H
H
R'
Guanidylfungin A: R = COCH2COOH, R' = CH3 Guanidylfungin B: R = COCH2COOH, R' = H
OH
11.6 Makrolid-Antibiotika
OH OH O
OH
OH
619
OH OH
O
OH
O OH
OH
OH NR'
N
N
H
H
OR R''
Azalomycin F3a: R = COCH2COOH, R' = R'' = H Azalomycin F4a: R = COCH2COOH, R' = H, R'' = CH3 Azalomycin F5a: R = COCH2COOH, R' = R'' = CH3
OH
HO O
OH
OH
OH
OH OH
O
OH
O OH
OH
OH
NH
OR
N
N
H
H
Niphimycin: R = COCH2COOH Amycin: R = H HO
OH OH
OH HO
O O
OH
OH HO
OH
O OH
Primycin: R = H
OH
NH N
N
H
H
R
OH
OH
O
620
11 Antibiotika und Chemotherapeutika
OH OH O
OH
OH
OH
O
OH
OR
OH OH
O OH
OH
NH
N
N
H
H
R'
Copiamycin: R = COCH2COOH, R' = H Neocopiamycin: R = COCH2COOH, R' = CH3 Desmalonylcopiamycin: R = R' = H CH3 OH
CH3
O
OH O O
O O
HO
HO
Pflanzenwachtumsinhibitor
O
cis-Resorcylide
trans-Resorcylide
Das Zearalenon ist ein Antibiotikum mit hoher Toxizität. Die Vergiftungen wurden zuerst an Schweinen beobachtet, denen verschimmelter Mais verfüttert wurde. Aus dem verdorbenen Futter konnte der Pilz Gibberella zeae isoliert werden. Zearalenon aus Fusarium spp. ist die Ursache der bei Tieren auftretenden Fusariotoxicose. OH
CH3
O O
HO
O
Zearalenon Östrogene Wirkung
Eine weitere Klasse von Sekundärmetaboliten sind die Dilactone, die sog. Makrodiolide, wie z. B.:
11.6 Makrolid-Antibiotika
621
O O
CH3
H3C
O
O
O O
O
O
O
CH3
O
O CH3 O
Grahamimycin A1 (antibakteriell)
Pyrenophorin (antifungisch)
Eine chemisch und biologisch sehr interessante Substanzklasse stellen die den Mycotoxinen zuzuordnenden Trichothecene aus Myrothecium und Fusarium spp. dar, das Roridin A und das Verrucarin A. H
H3C
O
H O
H2C O
O
H
H2C
O
O
O CH3
CH3
Roridin A
O
H O
CH3
HO
HO
H O
O
HO
O
O
O
CH3
CH3
H
H3C
O
Verrucarin A
Interessant ist auch das Elaiophylin aus Streptomyceten, ein symmetrisches Makrodiolid (C2-Symmetrie) mit antibakterieller Wirkung. OH O OH OH
O
O O
OH
O
O O
OH
O OH OH
OH
Elaiophylin
O
O
622
11 Antibiotika und Chemotherapeutika
11.6.5 Strategien zur Synthese von Makroliden
Makrocyclische Ringsysteme können entweder über Cyclisierung von offenen, langkettigen Vorstufen oder alternativ durch Spaltung einer intramolekularen Bindung in polycyclischen Systemen synthetisiert werden. Im ersten Fall ist die Ringschlussreaktion vom Standpunkt der Entropie ungünstig, da die cyclische Struktur sterisch fixierter ist. Daneben muss mit stark verdünnten Lösungen gearbeitet werden, um die intermolekulare Reaktion zu unterdrücken und nur die intramolekulare zu favorisieren. Ein Beispiel für die Spaltung einer Bindung zum Aufbau höherer Ringsysteme ist die Ozonolyse des Bicyclus: 1. O3 2. Zn/AcOH
O O
O O O
O
Eine Variante, bei der das Ringsystem und das Lacton aufgebaut werden, ist die Spaltung von bicyclischen Enolethern. O
O
O
O
Die intramolekulare Cyclisierung von Bromcarbonsäuren nach dem Verdünnungsprinzip durch nucleophile Substitution liefert 10- bis 18-gliedrige Ringe in guten bis sehr guten Ausbeuten. O COOH
COO-
( CH2 )n
( CH2 )n
Br
Na+ O
(CH2)n
Br
Nickel-tetracarbonyl ist ein ausgezeichnetes Reagenz zur Cyclisierung von Allylbromiden.
11.6 Makrolid-Antibiotika
623
O
Br O
Ni(CO)4
Pd/H2
O O O Br O
Die intramolekulare Esterbildung bedarf einer Aktivierung der Carbonsäuregruppe und anschließender Reaktion nach dem Verdünnungsprinzip. Bei der Synthese von 14-Ring Lactonen wird die Lactonbildung durch Aktivierung der Carbonsäure mit Carbonyldiimidazol ermöglicht. Hierbei bildet sich intermediär das Carbonsäureimidazolid, welches in der Reaktivität dem Carbonsäurechlorid ähnelt. Der nucleophile Angriff der Hydroxygruppe ergibt das 14-Ring-Lacton.
OAc
OH
OAc CDI
O
OAc
O
COOH
OH
O
C
O
O
N
O
N
Andere Möglichkeiten zur Carbonsäureaktivierung sind die Bildung des Methylesters oder die der gemischten Anhydride mit Trifluoressigsäure oder Sulfonsäuren. Cl
O X= O (CH2)n OH
O
O
X= O
C
X
Cl
CH3
O O
Cl X = O-CH3
S
X= O
C
CF3
In einer effizienteren Methode werden die Carbonsäure und die Hydroxygruppe in einem Schritt aktiviert (Corey). Die Umsetzung einer Carbonsäure mit 2,2Dipyridyl-disulfid in Gegenwart von Triphenylphosphin liefert den 2-Pyridinthiolester und das 2-Pyridthion. Diese Redoxreaktion wird durch den Angriff von Triphenylphosphin am Carbonsäuresauerstoff initiiert; hierbei wird die Disulfidbrücke reduziert. Das Pyridinsulfidanion greift nucleophil am Carboxyl-C-
624
11 Antibiotika und Chemotherapeutika
Atom an. Es entsteht der reaktive Thioester unter Oxidation des Triphenylphosphins zum Triphenylphosphinoxid. Py
O
1.
HO
CH2
n
C
O
S
S
Py
O
H
HO
CH2
N
SH
n
C
O
+ P(C6H5)3
P(C6H5)3
+
+ N
S
S
N
N
2.
HO
CH2
S
H
n
C
O
O
+ P(C6H5)3
HO
O
CH2 +
n
C
S N
O=P(C6H5)3
Die Aktivierung der Hydroxygruppe erfolgt durch den Pyridinstickstoff, der den Protonentransfer vom Alkohol zum Carbonsäuresauerstoff begünstigt. Daraus resultiert der Angriff der Hydroxygruppe an der Carbonsäure unter Ausbildung des Lactons (Tabelle 11.6). Die Cyclisierung wird in Xylol unter Rückfluss durchgeführt.
N
S
N H
O HO
+
(CH2)n
S
N H
O O-
(CH2)n
S O O
(CH2)n
O
O
(CH2)n
+ N
S
H
Tabelle 11.6. Bildung von Lactonen durch Cyclisierung von Hydroxycarbonsäuren mit 2Pyridinthiolester Ringgröße 7 9 12 13 14 16
Lösungsmittel Benzol Xylol Xylol Xylol Xylol Xylol
Ausbeute (%) 71 8 47 66 68 80
11.6 Makrolid-Antibiotika
625
Eine ähnliche „Doppelaktivierungsmethode“ wurde auch von Masamune ausgearbeitet. Die Aktivierung der Carbonsäure erfolgt mit dem t-Butylthioester, der über die Umsetzung mit dem Phosphatylchlorid zum gemischten Anhydrid und anschließender Reaktion mit ThSC(CH3)3 erhalten wird. O R
C
O
(EtO)2POCl
OH
R
C
O O
P
OEt
Th-SC(CH3)3
O R
OEt
C
CH3 S
C
CH3
CH3
Die Cyclisierung erfolgt durch Zugabe von Quecksilbertrifluoracetat in verdünnter Acetonitril-Lösung. CH3 H3C
C
S
CH3 H
O
O +
Hg
C
+
O
(CH2)n
(CH2)n
O
Ein Beispiel für die Synthese eines einfachen Makrolides ist die Darstellung des Zearalenons, die im Folgenden vorgestellt wird. Der aromatische Teil des Zearalenons wird ausgehend vom 2,4-Dimethyloxy-phthalsäureanhydrid durch Partialreduktion mit Lithium-tri-t-butoxyaluminiumhydrid erhalten. Aus dem NMRSpektrum ergibt sich, dass der Carbonsäure-Aldehyd 9 ausschließlich in der Lactonform vorliegt. OMe
OMe
O O
MeO
LiAl[OC(CH3)3]H
O O
CHO
MeO O
OMe COOH
9
MeO OH
Der aliphatische Teil der Zielverbindung wird ausgehend von der 5-Oxohexansäure dargestellt. Reduktion mit NaBH4 und Ansäuern liefert das Lacton 10. Der nucleophile Angriff von 1-Pentenylmagnesiumbromid an 10 ergibt nach Destillation und Reaktion mit CH3OH/HCl das Ketal 11. Das Wittig-Reagenz 12 wird durch Ozonolyse, Reduktion des Aldehyds mit NaBH4, Bromierung des Alkohols über das Tosylat und Umsetzung mit Triphenylphosphin erhalten (Abb. 11.7). Die Wittig-Reaktion von 9 mit 12 ergibt das Kondensationsprodukt 13. Nach der Trifluoracetanhydrid-Methode wird in verdünnter Benzol-Lösung cyclisiert und abschließend mit BBr3 die Methylethergruppen abgespalten. Es entsteht Zearalenon als Racemat (Abb. 11.8). Eine Zusammenstellung von MakrolidSynthesen ist der Veröffentlichung von Omura (1984) zu entnehmen.
626
11 Antibiotika und Chemotherapeutika
NaBH4
O
MgBr
O
HOOC
HO
O
O
10 1. Δ 2. H+/CH3OH
11 1. TsCl 2. Br3. (C6H5)3P
1. O3 2. NaBH4
O
Br C6H5
O HO
OMe
OMe
O
C6H5 +
P
C6H5
12
OMe
Abb. 11.7. Aufbau der aliphatischen Teilstruktur des Zearalenons OMe COOH Br C6H5
O
C6H5 P
1. MeO 2. H+
+
C6H5
12
OMe
9
OMe 1. (CF3-CO)2O 2. BBr3
COOH HO O
MeO
13
CHO
OH
O O O
HO
(±)-Zearalenon
Abb. 11.8. Synthese von Zearalenon
11.6.6 Avermectine und Milbemycine
Im Rahmen eines Screenings in Kulturbrühen von Mikroorganismen zur Untersuchung von Anthelminthika (Aktivität gegen Würmer, z. B. im Magen und im Darm von Schafen und Rindern), entdeckte S. Omura die Avermectine. Sie werden von Streptomyces avermitilis produziert.
11.6 Makrolid-Antibiotika
627
Verwandt mit den Avermectinen sind die Milbemycine, die bei der Suche nach Pestiziden gefunden wurden. Die Milbemycine werden von dem Stamm Streptomyces hygroscopicus subsp. aureolacrimosus produziert. Im Falle beider Strukturklassen sind eine Vielzahl von Homologen in der Kulturbrühe zu finden (s. Tabellen 11.7 und 11.8). Milbemycine und Avermectine sind ausgezeichnet wirksame Präparate gegen Helminthen und Insekten. So besitzt Avermectin B1 eine LD90 von 0,02 bis 0,2 ppm für verschiedene Käfer. Die Wirkung gegen gastrointestinale Helminthen in Schafen liegt bei etwa 0,05 bis 0,2 mg/kg KG. Diese Substanz ist somit um den Faktor 100 aktiver als bisher bekannte Produkte. Das Handelsprodukt, Ivermec, wird durch Hydrierung von Avermectin B1a und B1b erhalten (Merck, Sharp und Dohme). OMe HO 4''
H3C
OMe O
1''
O 4'
H3C
5'
23
CH3 O
1'
O
H
13
22
O
X
17
Y O
12
CH3
19
H3C O
O 1
OH 8
CH3 H
25
H
R'
H
2 7 6
O H
5
CH3
OR
Tabelle 11.7. Avermectine Name Avermectin A1a Avermectin A1b Avermectin B1a Avermectin B1b Avermectin A2a Avermectin A2b Avermectin B2a Avermectin B2b Ivermectin
R CH3 CH3 H H CH3 CH3 H H H
R’ C2H5 CH3 C2H5 CH3 C2H5 CH3 C2H5 CH3 > 80 % C2H5, < 20 % CH3
X-Y -CH=CH-CH=CH-CH=CH-CH=CH-CH2-C(OH)H-CH2-C(OH)H-CH2-C(OH)H-CH2-C(OH)H-CH2-CH2-
628
11 Antibiotika und Chemotherapeutika R23 R22 H O
CH3 13
CH3
17
O
12
R25
19
H3C O
O 1
OH 8
*
H
O O
H
O
2 7
XX 6
O H
5
CH2
O
C
N
R4
H
R5
Tabelle 11.8. Milbemycine Milbemycin α1 α2 α3 α4 α5 α6 α7 α8 α9 α10
R4 CH3 CH3 CH3 CH3 CH3 CH3 CH3 CH3 C6 H6O2Nxx C6 H6O2Nxx
CH3
H
R5 OH OCH3 OH OCH3 OH OCH3 OH OCH3 OH OH
R22 H H H H OH OH OH OH H H
R23 H H H H C7 H13O2* C7 H13O2* C7 H13O2* C7 H13O2* H H
CH3
CH3
H
O O
H3C O
O
OH
H
OH
H
Milbemycin β 1: R = CH3 Milbemycin β 2: R = C2H5
CH3 O
R
O H3C O
O
CH3 OMe
R25 CH3 CH3 C2H5 C2H5 CH3 CH3 C2H5 C2H5 CH3 C2H5
CH3
H
CH3 OH
Milbemycin β 3
Auffällig in dieser Struktur sind der 16-gliedrige Makrolidring und eine Spiroketaleinheit.
11.6 Makrolid-Antibiotika
629
Die Avermectine besitzen am C-13 zwei glycosidisch gebundene OleandroseMoleküle. In den Milbemycinen fehlen die Seitenkette und die Hydroxygruppe an C-13. Deglycosidierung von Avermectinen zu den entsprechenden 13-Hydroxymilbemycinen führt zu biologisch inaktiven Verbindungen. Die Wirkung der Avermectine und Milbemycine beruht auf ihrem Einfluss auf das GABAabhängige Nervensystem der Helminthen und Insekten. Als GABA bezeichnet man einen Neurotransmitter, der vor allem im Gehirn von Warmblütern vorkommt. Da diese Verbindungen kaum in der Lage sind, die Blut-Hirn-Schranke zu passieren, sind sie nahezu untoxisch für Warmblüter.
Transformation von Avermectinen in Milbemycin-Derivate:
H CH3 HO
13
H
14
H3C CH R CH 3
H
H
25
CH3
23
O
O
HO 22
12
13
H
14
H
25 23
O
O
22
12
H3C O
O 1
OH
H3C
H
O
(CH3)3C(CH3)2SiCl
H
O
CH3
H
H
14
CH3
OSi(CH3)2C(CH3)3
22,23-Dihydroavermectin B1a-Aglycon: R = Et 22,23-Dihydroavermectin B1b-Aglycon: R = Me
H
4
5
H
OH
CH3
1
H
7 4
5
H
O
OH
7
O
13
H3C CH R CH 3
o-O2NC6H4SO2Cl
H3C CH R CH 3
H
H
25
CH3
23
O
O
Cl 22
12
13
H
14
H3C CH R CH 3 H
25 23
O
O
22
12
H3C O
O 1
OH
H
H3C 1. n-Bu3SnH 2. 99:1 MeOH-TsOH
O
H
H
7 5
H
1
OH
H
7
O
O
OH
4
CH3
O
5
H
4
CH3
OSi(CH3)2C(CH3)3
Avermectine können in Milbemycine überführt werden. Die saure Deglycosidierung ergibt die entsprechenden Aglyca. Durch Silylierung wird die 5-Hydroxy-
630
11 Antibiotika und Chemotherapeutika
gruppe geschützt, und die verbleibende sekundäre Hydroxygruppe an C-13 ergibt mit dem Sulfonsäurechlorid direkt das 13β-Chlor-aglycon. Durch Reduktion mit Tributylzinnhydrid wird das Milbemycin-Derivat gebildet. CH3 H
CH3 H
1. - H2O 2. Jones Ox.
HO
1. I2;CH3CN 2. n-Bu3SnH
25
HO
24
O
26 22
21
(-)-(3S)-Citronellol (15)
O
O
16
17
O O
16 17
H
CH3
H 3C 20
18 19
H
S O Ar
O
O
LDA, THF
O
16
- 78°C
S Ar
O Ph
HO
H+
H O
21
S
19
O
Ar
18
O
O
23
O
O 17
CH3
25
H
H HO
H
1. C6H5-CO-Cl 2. Δ
H3C
O
t-BuOCl H2O, CH3COCH3
19 O Ph
H O
O
1. n-Bu3SnH 2. PCC 3. NaBH4 4. Ph2tBuSiCl
O
Cl
Ph
H O
O
O
H
20 OH
21 OSi-t-Bu-Ph 2 H
1. LiOH 2. Oxidat.
O
O
H
O
O
H
22 OSi-t-Bu-Ph 2 Abb. 11.9. Synthese der Spiroketaleinheit in Milbemycin
H
11.6 Makrolid-Antibiotika
631
Die Totalsynthese der Avermectine und Milbemycine wurde eingehend studiert. An dieser Stelle sei die Synthese von Milbemycin β3 beschrieben. Die Spiroketaleinheit wird ausgehend von (-)-(3S)-Citronellol 15 aufgebaut (Abb. 11.9; die Zahlen in den Strukturformeln der Abbildung beziehen sich auf die C-Atome im Milbemycin). Dehydratisierung von 15 und oxidative Spaltung der Doppelbindung mit dem Jones-Reagenz (CrO3/H+) liefert die Carbonsäure 16. Iodlactonisierung und Entfernung des Halogens durch Reduktion ergibt das trans4,5-Dimethylvalerolacton 17. Die Kondensation mit dem α-LithiosulfinylCarbanion führt zu einer Mischung von zwei Diastereomeren. Mit katalytischen Mengen Säure in feuchtem Benzol wird primär das Ketal geöffnet und sofort das Spiroketal 18 gebildet. Die Stereochemie des entstehenden asymmetrischen Zentrums ist thermodynamisch kontrolliert, d. h., dass die beiden Ethersauerstoffe pseudoaxial zueinander stehen, resultierend aus dem anomeren Effekt (s. Kap. 3.6.2). Außerdem tritt eine Equilibrierung des Sulfoxids an C-20 auf. Nach der Benzoylierung des primären Alkohols wird durch Pyrolyse die Doppelbindung in 19 eingeführt. Die Addition von Chlorhydrin liefert jedoch die falsche Stereochemie des Alkohols in 20. Enthalogenierung, Oxidation und Reduktion führen jedoch noch zum gewünschten β-Alkohol 21. Der Angriff des Reduktionsreagenzes erfolgt von der äquatorialen Seite, da der axiale Angriff durch die beiden anderen Substituenten abgeschirmt ist. Die kinetisch kontrollierte Reaktion führt zum thermodynamisch instabileren Produkt. Silylierung, Abspaltung des Esters und Oxidation des primären Alkohols selektiv zum Aldehyd liefern den Baustein 22 für die Synthese des Milbemycins (Abb. 11.9). Der zweite Baustein wird ebenfalls ausgehend von Citronellol 15 aufgebaut. Die weiteren Umsetzungen sind in Abb. 11.10. erwähnt. CH3 H
14
HO
12
H
11
13
13
Oxid.
H H3C
10
O
12
(15)
1.
1. LiCHBr2, -78°C 2. O3 3. Zn, AcOH
14
11
14
H H3C
15 12
10
N H
2. PhSeCl, -110°C 3. LiAl(O-t-Bu)3H 4. m-CPBA
14
Br
13
H H3C
15 12
10
Abb. 11.10. Synthese von Milbemycin β3
1. MeLi, 0°C 2. AlMe3, Cp2ZrCl2 3. I2, THF, -30°C
O OH
11
10
4.
11
Br
13
CHO
CH3 14
I
13
H H3C
15 12
11
10
OTHP
632
11 Antibiotika und Chemotherapeutika
O
CH3S OH Spiroketal 43 t-BuLi, THF
H
CS2 THF NaH
O
O
- 100°C OSi-t-Bu-Ph2
S
CH3
H
O
O
CH3I 55 °C OR
OTHP
OTHP H + C
1. n-Bu3SnH, 80°C 2. PPTS, MeOH 3. DMSO, (COCl)2 Et3N
H
O
O
O
O
O
O
OMe 1. NaH, THF 2. t-BuLi
OR
9
H
H
O
O
1. n-Bu4NF, 40 °C 2. KH, THF, 40 °C
H3C + N C N CH2 CH2 N
3. OR O
O
O
TsO4. NaI, CH3COCH3, cat. HCL
H3C
O
OMe H
O
O
O
OH
Abb. 11.10. Synthese von Milbemycin β3 (Fortsetzung)
O
Milbemycin β 3
11.7 Endiin-Antibiotika
633
11.7 Endiin-Antibiotika Zu den Endiin-Antibiotika gehören die Calicheamicine, die Esperamicine, der Chromophor des Neocarcinogenins und die Dynemycine. Der Name Endiin leitet sich von der einen Doppelbindung (En-) und den beiden Dreifachbindungen (-diin) im Ringsystem ab. Als erste Verbindung dieser Klasse wurde 1965 das Neocarcinostatin aus Streptomyces carcinostaticus als 1:1-Komplex aus einer Proteinkomponente und dem entsprechenden Chromophor gewonnen. Im Jahre 1985 wurde von Edo die Struktur aufgeklärt. Die Strukturen der Endiin-Antibiotika und die produzierenden Mikroorganismen sind in Abb. 11.11 aufgeführt. Diese Verbindungen besitzen eine außergewöhnliche Aktivität gegen maligne Tumore (z. B. gegen L 1210 Leukämie, 0,1–5 μg/kg). Die Wirkungsweise beruht bei allen vier Verbindungstypen auf der Fähigkeit, DNA zu spalten. Für die biologische Aktivität sind drei Funktionszentren im Molekül von Bedeutung: - ein Transportsystem, welches das Molekül zur Ziel-DNA leitet, - eine „Auslösevorrichtung“, die nach Aktivierung die Reaktionskaskade einleitet und - einen „Sprengkopf“, der nach Aktivierung zur „Explosion“ gebracht wird. Im Falle von Calicheamicin ist der Oligo-Saccharidteil das Transportsystem. Das Molekül bindet in der kleinen Furche der DNA-Doppelhelix spezifisch an die Sequenz T-C-C-T, wobei die Saccharidstruktur Erkennungs- und Bindungsteil zugleich ist. Die Auslösevorrichtung ist der Trisulfidteil. An diesem greift ein, möglicherweise durch einen basischen Stickstoff aktiviertes Nucleophil, wie z. B. Glutathion, unter Bildung eines Thiolats (Bioreduktion) an. Diese Thioleinheit befindet sich, bedingt durch die Allyldoppelbindung, in räumlicher Nähe zum α,βungesättigten Enonsystem. Bei dem intramolekularen Angriff erfolgt, durch die Bildung eines sp3-Kohlenstoffatoms aus einem sp2-Zentrum, eine Verkürzung des Abstandes der beiden C-Atome c und d von 0,335 nm auf 0,316 nm. Die beiden Acetylene kommen einander so nahe, dass eine Bergman-Cyclisierung bereits bei Raumtemperatur ablaufen kann (Abb. 11.12). Unter Bergman-Reaktion versteht man die Cycloaromatisierung von Endiinen über benzoide 1,4-Diradikale (sog. Diyle). c
D
H 200°C
d
D
cd 4.12 A
D
D
D
D
D
2[H ]
D H
634
11 Antibiotika und Chemotherapeutika O
O
Neocarcinostatin-Chromophor (Streptomyces carcinostaticus)
O
OMe
O O O
H3 C OH
H3C HN
HO
OH Me O
O
OH OMe
O
CH3 OH
O MeO
I
MeO OH Me O S
Me
SSSMe
O
NHCOOMe O
HO
Me
O
O
O
NH OH OMe NHEt
O
O
Calicheamicin γ1 (Micromonospora echinospora ssp calichensis)
SSSMe
O
NHCOOMe
OH
O Me HO
O
O
HO
O
O
O O
MeO
O
Me
OMe
Me
O
HN
Esperamicin A1 (Actinomadura verrucosospora)
Me
H
COOH O OMe
OH
NH
NH O
OH
O
OH OMe NH Me
MeO
O
O
Dynemycin (Micromonospora chersina)
OH
Abb. 11.11. Strukturen der Endiin-Antibiotika und deren Produzenten
Me
SMe
11.7 Endiin-Antibiotika O
H N
MeS
N COOMe c
COOMe
HO
1. Nucleophiler Angriff 2. Konjugate Addition
HO
d O-Zucker
S S
H
O c
635
d O-Zucker
S
cd 0,316 nm
Nu
cd 0,335 nm BergmannCyclisierung
O
H N
O COOMe
N
DNA
HO
H COOMe
HO
S
O-Zucker
DNA-Fragmente
S
O-Zucker
Abb. 11.12. Aktivierung und DNA-Spaltung im Falle von Calicheamicinen
Die Cyclisierung des aktivierten Calicheamicins ergibt ein benzoides Diradikal, das in der Lage ist, ein H-Atom aus der C-5'-Stellung von Desoxycytidin und ein anderes von einer Desoxyribose des anderen Stranges der Doppelhelix zu abstrahieren. Die gebildeten DNA-Radikale regieren nun mit Sauerstoff und spalten letztendlich die DNA. Diese Diyl-Radikale sind damit die Sprengköpfe, die im übertragenen Sinn zur Explosion der DNA führen. Abb. 11.13 fasst die diskutierte Reaktionskaskade zusammen. Die Esperamicine spalten DNA nach einem identischen Mechanismus. Ihre Sequenzselektivität ist allerdings geringer als bei den Calicheamicinen. Beim Neocarcinostatin erfolgt die Aktivierung über die vinyloge Addition eines O- oder S-Nucleophils an das Epoxid (Abb. 11.14). Das resultierende Enincumulen reagiert zum Indacen-Diradikal, das die DNA-Fragmentierung bewirkt. Über die Öffnung des Epoxidrings ergibt das Dynemycin A die Diyl-Bildungskaskade. Die hier diskutierten Überlegungen regten viele Arbeitsgruppen in aller Welt an, weniger komplexe und damit besser zugängliche Analoga für die Tumortherapie zu synthetisieren. Damit stellen die Endiin-Antibiotika interessante Leitstrukturen für die Entwicklung neuer Therapiekonzepte dar.
636
11 Antibiotika und Chemotherapeutika
HO
P
HO
O
P
O
HO
O
O O
B
(Ar )
HC
O HO
P
1. O2 2. [H ]
P
P
HOO O
O
HO
H
B
O O
O
P
O
B
+
O O HO
B
O
O H
HO
O O
O - ArH
O
HO
Red.
B
O
P O
P
HO
O O
HO
P
P
O
OH O
Abb. 11.13. Reaktionskaskade der DNA-Spaltung
Auf der Grundlage von theoretischen Berechnungen wurde ein Cyclodecaendiin konzipiert, das aufgrund des a,b-Abstandes einerseits bei Raumtemperatur stabil ist, andererseits aber bei Körpertemperatur ohne externe Aktivierung einer Bergman-Reaktion unterliegt. a
H
H OH
37°C
DNA-Spaltung
OH b
H
OH
H
OH
Das Golfomycin A, ein auf der Grundlage mechanistischer Überlegungen von Nicolaou konzipiertes Molekül, spaltet DNA bei pH > 7 über einen nucleophilen Mechanismus und zeigt eine gute Aktivität gegenüber menschlichen Tumorzellen.
O
O
+ Nu-DNA
Nu-DNA OH
OH
Golfomycin A DNA-Spaltung
11.7 Endiin-Antibiotika
637
O O OMe
O
R-S-H O
12
O
O
H3C OH HO
H3C
H O N
CH3 OH
O
O
O
O O RS
O Ar
HO
O OH
H3C
CH3 OH
RS
O
O
Ar H O N
HO
O
O OH
O
H3C
H O N O
CH3 OH
O
DNA
RS
O Ar
OH O
DNA-Fragment HO
H
O
O
H3C
CH3 OH
H O N
H
O
Abb. 11.14. Aktivierung des Neocarcinostatins
Für die Synthese der Endiin-Aglyca, der Zuckereinheiten und der synthetischen Analoga wird auf entsprechende Übersichtsartikel verwiesen.
638
11 Antibiotika und Chemotherapeutika
11.8 Polyketid-Biosynthese Unter Polyketiden werden Naturstoffe verstanden, die über Polyketonsäurederivate gebildet werden. Der Biosyntheseweg wird analog zur Fettsäuresynthese (s. Kap. 9.5) im Primärmetabolismus durchgeführt. Ein aktiviertes Acetatmolekül (Acetyl-CoA) wird mit weiteren Einheiten (z. B. Malonyl-CoA, Propionyl-CoA, Butyryl-CoA) zu einer Polyketonsäurekette verlängert. Nachfolgende Modifizierungen, wie Reduktion, Kondensation usw. lassen nun Biosynthese-Bausteine (Sekundärmetaboliten) entstehen, die unterschiedliche Grundstrukturen besitzen. O SCoA O
O
O
O
- CO2
HO
O
O
SCoA
SCoA
SCoA
n
Diese Polyketone können nun zu den vielfältigsten Ringsystemen kondensieren. Als Reaktionstyp sind hier vor allem die Aldol- bzw. Claisen-Reaktion zu nennen. O
O
SCoA
O
O
R
R O
SCoA
O
O
Claisen-Kondensation
O
Aldolreaktion
Methylverzweigungen werden durch den Einbau von Propionat anstelle vom Acetat erhalten. Tetracycline bauen sich biosynthetisch folgendermaßen auf: Cl H3C O
COCoA O
O
O
H 3C H
6
8
O
Starter
N 4
O
1
CONH2 O
OH H
O [O]
OH
O
OH
OH
CH3 OH CONH2
O
Chlortetracyclin
Welche Moleküle nun tatsächlich in einen Naturstoff eingelagert werden, lässt sich durch Fütterungsversuche von 13C-markierten Verbindungen nachprüfen.
11.8 Polyketid-Biosynthese
639
Gibt man z. B. 13C-Acetat (C-1 ist markiert) zu einer Kulturlösung eines Tetracyclinproduzenten, werden nach der Isolierung des Produktes die C-1-Atome der Essigsäure im 13C-NMR-Spektrum eine deutlich höhere Intensität aufzeigen. Eine wertvolle Hilfe bietet auch die Verwendung von deuterierten Bausteinen. So können die biosynthetischen Vorläufer (Acetat, Propionat, Aminosäuren etc.) ermittelt werden. Für das Griseofulvin ergibt sich bei Fütterung mit markierter Essigsäure folgendes Bild: Man erkennt sehr schnell die Ableitung der Biosynthese über den Polyketidweg. Drei C1-Bausteine (Ether an Positionen 4, 6 und 8) sind nicht markiert und stammen deshalb aus einem anderen Biosynthesepool. CH3 OMe D
5
7 CD3COOH
3 1
6
MeO
7
Cl
O
O
4
D
8
9 10
2
O D3C
11 12
H
Griseofulvin
O
D
H
Entsprechend leitet sich auch das Kohlenstoffgerüst bei den Makroliden vom Acetat, Propionat und Butyrat ab. CH3
CH3
O
O CH3
HO
CH3 HO
O
desosamine
HO
O
CH3
H3C O CH3
H3C HO
desosamine
O
CH3 O desosamine CH3
H3C O CH3
CH3 O
O
Pikromycin
Erythromycin A
Auch die Polyether bauen sich aus Acetat-, Propionat- und Butyrateinheiten auf, z. B. Lasalocid (Abb.11.15). COOH
Me
Me
Et
Me Et
HO Me
MeCOOH 5x
OH
O
O
Et OH
O Me
MeCH2COOH 4x
MeCH2CH2COOH 3x
640
11 Antibiotika und Chemotherapeutika
5 x Acetat + 4 x Propionat + 3 x Butyrat Me
Me
Me
Et
Me
Et
Et
CoA
Me O
O
O
O
O
Me
O
O
Me
O
Me
Et
O
O
Me
O
Et
O
Et
CoA
Me O
O
OH
O
OH
Me
Me
Et
O
Me
OH
OH
Et
Et Me
Me
OH
COOH
O
OH
OH
OH
OH Me
Me
Et
Me
Et
Et Me
Me
OH
COOH
O
OH
OH Me
Me
Et
Me
Et
Et
O
O
Me
Me
OH
COOH
O
OH
OH Me
Me
Me
OH
COOH
Et
O
H
OH Me
Me
COOH
Me
OH
Et
O
OH
Abb. 11.15. Synthese des Lasalocids
H
Me
Et Et
O
O
Me
O
Me Et O
H
Et O
OH Me
H+
Lasalocid
OH
Literatur
641
Im Blickpunkt des Interesses bei Polyethern steht die Bildung der cyclischen Ether. Zuerst entsteht in ihrer Biosynthese über die Polyketonvorstufen ein aliphatisches Dien, das anschließend durch Oxidation ein Diepoxid ergibt. Wie am Beispiel von Lasalocid in Abbildung 11.15 aufgezeigt, entstehen nun durch Öffnung des Epoxids die Ether in stereochemisch eindeutiger Weise.
Literatur Monographien 1. L.W. WESTLEY: Polyether antibiotics Vol. 1 und Vol. 11, Marcel Dekker Inc., New York – Basel, 1982 2. E. SCHRÖDER, C. RUFER, R. SCHMIECHEN: Arzneimittelchemie I11, Thieme Verlag, Stuttgart, 1976 3. S. OMURA: Macrolide antibiotics, Academie Press Inc.. New York, 1984 4. E. MUTSCHLER: Arzneimittelwirkungen, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart, 6. Aufl., 1991 5. H. HELWIG: Antibiotika und Chemotherapeutika, Georg Thieme Verlag, Stuttgart – New York, 1989 6. R. REINER: Antibiotics, Georg Thieme Verlag, Stuttgart – New York, 1982 7. G. HABERMEHL, P. ZIEMER: Giftpflanzen und ihre Wirkstoffe, Springer Verlag Berlin – Heidelberg – New York – Tokyo, 1999 8. G. HABERMEHL: Gift-Tiere und ihre Waffen, Springer Verlag, Berlin – Heidelberg – New York – Tokyo, 1994
Übersichtsartikel und Originalarbeiten 9. D.R. WILLIAMS, B.A. BARNER, K. NISHITANI, J.G. PHILLIPS: Total Synthesis of milbemycin β3, J. Am. Chem. Soc. 104, 4708 (1982) 10. H.G. DAVIES, R.H. GREEN: Avermectins und Milbemycins Nat. Prod. Rep. 3, 87 (1986) 11. R. BAKER, C.J. SWAIN, J. HEAD: Recent advances in the chemistry of insect control, Spec. Publ. Royal Soc. Chem. Bd. 53, 1985 12. D.A. EVANS, J.V. NELSON, E. VOGEL, T.R. TABER: Stereoselective aldol condensations via boron enolates, J. Am. Chem. Soc. 103, 3099 (1981) 13. S. MASAMUNE, W. CHOY, J.S. PETERSEN, L.R. SITA: Doppelte Stereodifferenzierung und eine neue Strategie zur Stereokontrolle in der organischen Synthese, Angewandte Chemie, 1985, 1 14. D. SEEBACH, H.F. CHOW, R.F.W. JACKSON, M.A. SUTTER, S. THAISRIVONGS, J. ZIMMERMANN: (+)-11,11'-Di-O-methylelaiophylidene-preparation from elaiophylin and total synthesis from (R)-3-hydroxybutyrate and (S)-malate, Liebigs Ann. Chem. 1986, 1281 15. B.C. PRESSMANN: Biological applications of ionophores, Ann. Rev. Biochem. 45, 4925 (1976)
642
11 Antibiotika und Chemotherapeutika
16. H..J. ALTENBACH: Polyepoxid-Cyclisierungen, Nachr. Chem. Tech. Lab. 36, 382 (1988) 17. E.J. COREY, H.A. KIRST: A new method for the Synthesis of macrolides, J. Am. Chem. Soc. 99, 667 (1972) 18. J.M.T. HAMILTON-MILLER: Chemistry and biology of the polyen macrolid antibiotics, Bacteriol. Rev. 37, 166 (1977) 19. K.C. NICOLAOU: Synthesis of macrolides, Tetrahedron 33, 683 (1977) 20. K.L. RINEHART JR., L.S. SHIELD: Chemistry of the ansamycin antibiotics, Fortschritte der Chemie Organischer Naturstoffe, 33, 231 (1976) 21. R. KIND, K. HÜTTER, A. ZEECK, K. SCHMIDT-BÄSE, E. EGERT: Viriplanin, a new anthracycline antibiotic of the nogalamycin group, J. Antibiotics, 42, 7 (1989) 22. A. GÖHRT, A. ZEECK, K. HÜTTER, R. KIRSCH, H. KLUGE, R. THIERICKE: Secondary metabolites by chemical screening. 9. Decarestrictines, a new family of inhibitors of cholesterol biosynthesis from penicillium, J. Antibiotics 45, 66 (1992) 23. S. GRABLEY, P. HAMMANN, W. RAETHER, J. WINK, A. ZEECK: Secondary metabolites by chemical screening. 2. Amycin A and B, two novel niphimycin analogs isolated from high producer strain of elaiophylin and nigericin, J. Antibiotics 43, 639 (1990) 24. R.E. MOORE: Structure of palytoxin. In Fortschritte der Chemie organischer Naturstoffe 1985, 82 25. J.A. ROBINSON: Chemical and biochemical aspects of polyether-ionophore antibiotic synthesis, In Fortschritte der Chemie organischer Naturstoffe, 1991, 1 26. K.C. NICOLAOU, W.-M. DAI: Chemie und Biologie von Endiin-Cytostatica und Antibiotica, Angew. Chem. 103, 1453 (1991) 27. H. WALDMANN: Endiin-Antitumorantibiotica, Nachr. Chem. Techn. Lab. 39, 211 (1991) 28. Y. KISHI: Synthetic studies on Palytoxin, Chemia Scripta 27, 573 (1987) 29. B.S. MOORE, C. HERTWECK: Biosynthesis and attachment of novel bacterial polyketide synthase starter units, Nat. Prod. Rep. 19, 70 (2002) 30. H.C. KREBS: Recent Developments in the Field of Marine Natural Products with Emphasis on Biologically Active Compounds, Progress in the Chemistry of Organic Natural Products 49, 151 (1986) 31. J. STAUNTON, K.J. WEISSMAN: Polyketide biosynthesis: a millennium review, Natural Product Reports, 18, 380 (2001) 32. S. KREBS: Toxine und Wehrsekrete bei Fischen – Eine Literaturstudie, Dissertation, Tierärztliche Hochschule Hannover, 1990
12 Pheromone
Pheromone sind für die Signalübertragung zwischen Individuen einer Art verantwortlich. Die Begriffsdefinition wurde 1959 von Karlson, Butenandt und Lüscher geprägt. Sie können nach ihrer Wirkung in Sexualpheromone, Aggregationspheromone, Erkennungspheromone, Alarmstoffe oder Repellenzien eingeteilt werden. Es konnten Pheromone in Protozoen, Insekten und in Säugetieren nachgewiesen werden. Speziell lnsektenpheromone finden zunehmend in der Schädlingsbekämpfung Anwendung, z. B. zur Paarungsstörung, zur Anlockung in Insektenfallen, wie auch als Beimischung zu Insektiziden. Da Pheromone keine chemisch einheitliche Strukturklasse darstellen, wird hier eine Klassifizierung nach biologischen Ordnungen vorgenommen. Als Pheromone wurden aliphatische Alkohole, Aldehyde, Ester und Alkaloide identifiziert. Im Folgenden werden einige Pheromone und deren Synthesen beschrieben. Aufgrund der chemischen Strukturvielfalt der Pheromone bei Lepidoptera und Coleoptera wurden diese exemplarisch ausgewählt.
12.1 Lepidoptera-Pheromone Die wichtigsten Vertreter der Ordnung Lepidoptera sind Motten und Schmetterlinge. Am häufigsten werden ungesättigt-geradkettige aliphatische Alkohole, Acetate und Aldehyde gefunden, welche als Sexualpheromone dienen. Die Verwendung bei der Schädlingsbekämpfung wird vor allem deshalb erschwert, weil die Sexualpheromone häufig als Isomerengemische vorliegen. Zum Beispiel ist die Hauptkomponente des Sexualpheromons von Grapholitha molesta, der orientalischen Fruchtmotte, das (Z)-8-Dodecen-1-yl-acetat. OAc
Z-Isomer
Um allerdings eine optimale Wirkung auf männliche Motten zu erzielen, werden 7 % (E)-8-Isomer benötigt. OAc
Weitere Beispiele für Pheromone sind:
E-Isomer
644
12 Pheromone
CHO
OH
(Z)-11-Hexadecen-1-al Heliothis virescens und Helicoverpa zea
Codlemon (8E,10E)-8,10-Dodecadien-1-ol Laspeyresia pomonella
OAc
(7E,9Z)-7,9-Dodecadien-1-yl-acetat Lobesia botrana (Traubenmotte)
OAc
(E)- und (Z)-9,11-Dodecadien-1-yl-acetat Diparopsis castanea
und OAc
O
Disparlur 2-Methyl-(7R,8S)-epoxy-octadecan Lymantria dispar (weiblich)
Ein allgemeiner Zugang zu (E)- und (Z)-Dienen eröffnet sich durch den Einsatz terminaler Acetylene. Begründet in der hohen C-H-Acidität der sp-hybridisierten C-C-Dreifachbindung ist eine nucleophile Substitution mit Alkylhalogeniden möglich. (Z)-Diene erhält man durch katalytische Hydrierung des Triens. Die thermodynamisch stabileren (E)-Alkene werden durch Metallreduktion, z. B. mit Natrium in Ammoniak, erhalten.
HC
C
CH2
n
OTHP
R 1. Base 2. Cl-(CH2)n-OTHP
1. Base 2. RX R
C
Na/NH3 fl. R
CH2
OTHP n
C
CH2
n
CH2
OAc n
CH
OTHP 1. AcOH 2. AcCl R
1. AcOH 2. AcCl R
C
C
C
CH2
n
OAc
1. H2 2. Pd/CaCO3 R
CH2
n
OAc
12.1 Lepidoptera-Pheromone
645
Eine weitere Möglichkeit das E/Z-Verhältnis zu steuern, bietet die WittigReaktion (s. Kap. 1.3). In einem eleganten Verfahren zur Codlemon-Darstellung werden π-Metallkomplexe zur Eliminierung von Acetat und CO2 verwendet. Allgemein werden βAcetoxycarbonsäuren durch Reaktion eines ungesättigten Aldehyds mit einer CHaciden Carbonsäure erhalten. Die Eliminierung mit Tetrakis-(triphenylphosphan)palladium in Anwesenheit von Triethylamin führt über den π-Allylpalladiumkomplex zum E,E-Dien. COOH O H
+H
C
COOH
OH O
COOH
(Ph3)4Pd AcO-
C
COOH
Ac2O OAc
C
O
H
+
+
H
L
Pd
H
L
Die Anwendung dieser Eliminierungsreaktion auf die entsprechende Acetoxycarbonsäure liefert nach der Abspaltung der Tetrahydropyranylgruppe das Codlemon. OAc
Et3N
THPO
(Ph3)4Pd COOH H+
THPO
Codlemon
HO
Das Sexualpheromon des Baumwollkapselwurms (Pectinophora gossypiella) wurde zuerst als Propylur identifiziert. Spätere Untersuchungen ergaben, dass ein 1:1-Gemisch von 7,11-Z,Z- und Z,E-Hexadecadienylacetat für die anziehende Wirkung auf die Insekten verantwortlich ist.
OAc
Propylur
646
12 Pheromone
OAc
Gossyplur OAc
Bei der Synthese von Propylur wurde das E-Isomere durch eine [3,3]sigmatrope Umlagerung in hoher Reinheit erhalten. Das Lithiumsalz des Allylvinyl-sulfids 1 wird mit 1-Iodo-4[2-tetrahydropyranyloxy]-butan 2 alkyliert. Die thermisch induzierte [3,3]-sigmatrope Umlagerung ergibt nach der Hydrolyse des Thioaldehyds 3 den γ,δ-ungesättigten Aldehyd 4. Nachfolgende Wittig-Reaktion, Abspaltung der Schutzgruppen und Acetylierung liefern das Pheromon Propylur. I C
2
OTHP
OTHP
H
S
S
Δ/CaCO3
MeOCH2CH2OMe/H2O
1 OTHP
γ
α
OHC
S
β
OTHP δ
3
4
1. PPh3
Propylur
H+
2. 3. Ac2O
Für die Synthese von (+)-(7R,8S)-Disparlur wird bei der Ausgangsverbindung auf den „Chiral Pool“ zurückgegriffen (Abb. 12.1). Ausgehend von (S)-Glutaminsäure wird unter Erhalt des Stereozentrums mit salpetriger Säure das Lacton 6 erzeugt. Die Desaminierungsreaktion verläuft über das Diazoniumkation 5, das im Übergangszustand der Reaktion unter Nachbargruppenbeteiligung Stickstoff eliminiert. Das freie Elektronenpaar der Carbonsäure stabilisiert das entstehende Carbeniumion und schirmt die Rückseite des Moleküls ab. Der Angriff der γständigen Carboxylgruppe unter Ausbildung des Lactons 6 erfolgt von der Vorderseite und damit unter Konfigurationserhalt. H HOOC
O C
H2N
O
(S)-Glutaminsäure
H
HNO2 H+
H HOOC
O
H
C N
+
N
5
O
- N2
12.1 Lepidoptera-Pheromone
647
H O O O
H
+
H O
-
H+
O
H
COOH
O
6
Anschließend wird über das Säurechlorid und Reaktion mit Didecylcadmium das Keton 7 aufgebaut. Die Reduktion mit NaBH4 führt zu 8. Die Einführung der Tetrahydropyranyl-Schutzgruppe und Reduktion des Lactons mit Diisobutylaluminiumhydrid zum Aldehyd ermöglichen durch eine anschließende WittigReaktion die Kettenverlängerung in 9. Nach der Hydrierung der Doppelbindung wird die 7-Hydroxygruppe durch Tosylierung in eine gute Austrittgruppe umgewandelt. Letztlich ergeben die Abspaltung der Schutzgruppe an OH-8 in 10 und die basisch induzierte intramolekulare Substitutionsreaktion das (7R,8S)-Dispalur in 94 % optischer Reinheit. Eine weitere Möglichkeit die beiden Stereozentren im Epoxid einzuführen, ist die asymmetrische Epoxidierung nach Sharpless. Die Titan-katalysierte Reaktion liefert hohe optische Ausbeuten bei Allylalkoholen, wobei in einem Schritt zwei chirale Zentren aufgebaut werden. Als chiraler Ligand wird ein Weinsäureester, als Oxidationsmittel t-Butylhydroperoxid verwendet. COOEt HO
H
H
R''
OH
R
R'
COOEt COOEt H
R''
- 20°C
OH
HO
H
OH R''
R' O
COOEt
R' R
Ti(i-OC3H7)4 t-Bu-OOH
OH
O
R
OH
Diese Reaktion findet als zentraler Schritt bei einer alternativen Synthese von (+)-Disparlur Anwendung. H Ti(i-OC3H7)4 t-Bu-OOH OH
O
80 % (91 % e.e.)
D-(-)-Diethyltartrat H OH CH2Cl2, - 40°C
(+)-(7R,8S)-Disparlur
648
12 Pheromone H HOOC
1. R-CO-Cl 2. (C10H21)2Cd
H
HNO2
COOH
O
H2N
O
COOH
6 H O
NaBH4
O
7
O
1.
H O
O 2. i-Bu2AlH
O
8
OH H HO
P(Ph)3
O OTHP
OH
OTHP
1. H2 2. TsCl 3. H+
9 KOH
OH OTs
10
(+)-(7R,8S)-Disparlur O
Abb. 12.1. Synthese von (+)-(7R,8S)-Disparlur
12.2 Coleoptera-Phermone Die Coleoptera (Käfer und Kornwürmer) umfassen die größte Gruppe der Insekten. Deren Sexualpheromone werden von männlichen und weiblichen Spezies produziert und zeigen große strukturelle Vielfalt. Die männlichen Vertreter der Spezies des Bohnenkäfers (Acanthoscelides obtectus) produzieren als Sexualpheromon (-)-Methyl-(E)-2,4,5-tetradecatrienoat (11), das eine anziehende Wirkung auf die jungen Weibchen ausübt. Zur Synthese dieses Pheromons findet eine allgemeine Methode zur Darstellung von Allen-Alkoholen Verwendung (Abb. 12.2). Ausgehend vom Undecin-3ol 12 wird nach der Einführung der Tetrahydropyranylgruppe 13 erhalten. Deprotonierung von 13 mit Ethylmagnesiumbromid induziert den Angriff des Alkinani-
12.2 Coleoptera-Phermone
649
ons am Formaldehyd. Die reduktive Eliminierung mit Lithiumaluminiumhydrid ergibt den Allenalkohol 14. OTHP R
OH
R
C
+
OH
LiAlH4 R
OH
14
Der Allenaldehyd wird durch Oxidation aus 14 dargestellt, und in einer abschließenden Wittig-Horner-Reaktion erhält man das entsprechende Pheromon 11. OH
H+
12
OTHP
13
O OTHP
1. EtMgCl 2. HCHO
OH OH
LiAlH4
MnO2
14 CHO
(MeO)2PO-HC--COOMe
COOCH3
11
Abb. 12.2. Synthese des Sexualpheromons 11 aus Acanthoscelides. obtectus
Männliche Baumwollkapselkäfer (Anthonomus grandis) produzieren ein Pheromon, das eine starke Wirkung auf Weibchen im Labor und auf beide Geschlechter im Feldexperiment zeigt. Das Pheromon Grandlur besteht aus vier Komponenten: CH2OH
CHO
OHC OH
H
(+)-(1R,2S)-2-Isopropenyl1-methyl-cyclobutanethanol (Grandisol)
650
12 Pheromone
Die olefinischen Dimethylcyclohexane werden ausgehend vom 3,3-Dimethylcyclohexanon durch Wittig-Reaktion dargestellt. Das erhaltene ungesättigte Cyanid wird durch Reduktion mit Alkylaluminiumhydrid zum Aldehyd umgesetzt. NC
O
CN
(EtO)2PO-CH2-CN
(Me2CHCH2)2AlH OHC
CHO
Im Folgenden werden einige Strategien zur Synthese des Cyclobutan-Systems diskutiert. Das herkömmliche Verfahren zur Synthese von Cyclobutanderivaten ist die [2+2]-Cycloaddition. Ein effektiver Zugang zum racemischen Cyclobutansystem eröffnet sich durch Photodimerisierung von Ethylen und 3-Methylcyclohexenon; hierbei bildet sich das cis-verknüpfte Ringsystem in 15. BromierungDehydrobromierung ergibt das α,β-ungesättigte Cyclohexenon 16. Bei der Umsetzung mit Methyllithium erfolgt der Angriff von der Oberseite, da die Unterseite durch das Vierringsystem abgeschirmt ist. Ozonolyse von 17 in Anwesenheit von NaIO4 ergibt die Cyclobutanketocarbonsäure 18. Das Isopropylidensystem wird durch Wittig-Reaktion aufgebaut. Der abschließende Schritt der Synthese ist die Reduktion der Carbonsäure mit Natriumaluminiumhydrid. CH3
H3C
hν
+
PhH 55% H
O
O
15 CH3
O3 NaIO4
CH3 COOH
17
2. Li2CO3 Me2NCOMe 73%
CH3 MeLi 100% H
O
16 (+ 16% β,γ-Isomer) 1. Ph3P=CH2 2. NaAlH4 (OCH2CH2OMe)2
CH3 CH2OH
CH3
51% H H3C OH
1. PhNMe3Br3 85%
H
O
18
CH3 H
CH2
(±)-Grandisol
12.2 Coleoptera-Phermone
651
Eine Variante beginnt mit der photochemischen Verknüpfung von Ethylen mit 3-Methylcyclopentenon. Aldolkondensation mit Aceton zur Isopropylidenverbindung 19 und Umsetzung mit Methyllithium liefert den tertiären Alkohol 20. Die anschließende Ozonolyse führt unter Basenkatalyse zu einer „anomalen“ Spaltung des Ozonids. Das Produkt 21 wird wie im vorherigen Schema beschrieben weiter umgesetzt. H3C-CO-CH3
hν
+
H
O
MeLi H
O
19 O
O3 OH
H
H
O O
O
NaHCO3
COOH
O H
H
20
O
21 rac.
Die Synthese des (+)-Grandisols (Abb. 12.3) beginnt ausgehend von dem in der Natur vorkommenden (-)-β-Pinen, welches bereits einen Cyclobutanring mit der gewünschten Stereochemie enthält. Die Methylengruppe wird mit Ozon zum Keton abgebaut. Der Angriff des Grignard-Reagenzes erfolgt von der unteren Seite zu 22, da die Methylgruppen im Cyclobutansystem die Oberseite abschirmen. Im nächsten Schritt der Synthese wird die nichtaktivierte C-H-Bindung der endoMethylgruppe durch Bartonsche Nitritesterphotolyse (s. Kap. 2.5.2) zum Aldoxim 23 umgesetzt. Eine Freisetzung des Aldehyds und Wittig-Reaktion eröffnen nun über die Methylengruppe in 24 die Möglichkeit, durch Hydroborierung die primäre Hydroxygruppe in 25 einzuführen. Selektive Acetylierung und Eliminierung der tert.-Hydroxygruppe ergeben die beiden isomeren Alkene 26. Aus der Allyloxidation mit CrO3/Pyridin resultiert ein α,β-ungesättigtes Keton 27, das durch Hydrierung das gesättigte Keton 28 ergibt. Bestrahlung mit UV-Licht induziert die Norrish-Typ-I-Reaktion (s. Kap. 2.7.1), die die Isopropylidengruppe in 29 erzeugt: OAc O O
hν H
28
OAc
OAc O
C H H2C
H
652
12 Pheromone O OAc
H
29 H
Über die Decarbonylierung von 29 mit Tris-(triphenylphosphan)-rhodiumchlorid und Abspaltung der Acetylgruppe mit LiAlH4 gewinnt man das (+)Grandisol. Eine basische Deacetylierung ist wegen der Isomerisierung an C-6 zum stabileren trans-Isomer nicht möglich (Abb. 12.3). Die Verwendung von Aminosäuren aus dem natürlichen „Chiral pool“ wurde bereits bei der Synthese von Disparlur diskutiert. Eine weitere Anwendung dieses Verfahrens ist die Synthese von (S)-Ipsenol, dem Pheromon von Ipsparaconfusus, nach K. Mori. Ausgehend von (S)-Leucin wird durch Umsetzung mit Salpetersäure und nachfolgender Veresterung 4-Methyl-2(S)-hydroxy-pentansäureethylester (30) erhalten (Abb. 12.4). Nach Einführung der Tetrahydropyranyl-Schutzgruppe wird die Carbonsäure mit LiAlH4 zu 31 reduziert und der primäre Alkohol zu 32 tosyliert. Nach Abspalten des Ethers zu 33 kann durch Umsetzen mit KOH das Oxiran 34 dargestellt werden. Der Angriff des Malonsäurediethylester-Carbanions ergibt, nach Verseifung und sauer katalysierter Veresterung, das Lacton 35. Die Aldolreaktion mit Formaldehyd unter Decarboxylierung liefert das α-Methylenbutyrolacton 36. Die Reduktion der Lactongruppe in 37 zum Lactol 38 erfolgt mit Diisopropylaluminiumhydrid; die Methylengruppe wird dabei mit Diphenylselenid geschützt. Eine Wittig-Reaktion unter gleichzeitiger Eliminierung der SelenoGruppe ergibt (S)-Ipsenol. Käfer der Gattung Dendructonus besitzen Pheromone mit einem bicyclischen Ketal, wie das exo-Brevicomin und das Frontalin. 2
4
O
3
O
5
O
H
O
(-)-(1S,5R)-Frontalin
1
7
(+)-(1R,5S,7R)-exo-Brevicomin
Die erste Synthese von racemischem Frontalin wurde durch eine Hetero-DielsAlder-Reaktion eingeleitet, die in der Wärme durch intramolekulare Cyclisierung zum Pheromon führt. H
+
O O
OH
O
CH3 O
H
O
rac. Frontalin
12.2 Coleoptera-Phermone CH3
CH3 1. O3 2. MeMgBr
H3C CH2
OH
HC
NOH
CH3
51 %
22
OH
1. H+ 51% 2. Ph3P=CH2 67%
H3C
1. Hydroborierung 2. H2O2, NaOH 95%
OH H3C
CH3
CH3
23 HO
1. NOCl 2. hν 3. Δ
H3C
ß-Pinen
653
24 1. Ac2O/Pyridin 2. POCl3/Pyridin 55%
OH
H3C
AcO CrO3 Pyridin 48%
H3C
CH3
25
26 1
AcO
O
H3C
H2/Pd-C 90%
2
AcO H3C
CH3 O 4
3 6
CH3
8
H 5
27
hν 60%
7
28
O CH3
H C9 4
3 6
5
H
OAc
2 1 7
1. (Ph3P)3RhCl 75% 2. LiAlH4
CH3
CH3
CH3
8
CH2
29
OH
H
CH2
(+)-Grandisol
Abb. 12.3. Synthese von (+)-Grandisol
Gemäß Abb. 12.5 erfolgt die enantioselektive Synthese von (-)-Frontalin ausgehend von dem Bisketal 39, das aus Glucose erhalten werden kann. Die selektive Abspaltung einer Acetalgruppe mit HOAc ergibt das Diol 40, das durch Periodatspaltung und Reduktion um ein C-Atom verkürzt wird. Die Einführung einer Schutzgruppe am primären Alkohol durch Benzylierung ergibt, nach Spaltung des Acetals und anschließender Reduktion, das Triol 41. Isopropylidierung der α,βDihydroxygruppen, die Spaltung des Benzylethers durch Hydrierung und die Per-
654
12 Pheromone
iodatspaltung führen zum Aldehyd 42, welcher die beiden Stereozentren aufweist, die im Frontalin benötigt werden. Das Keton für die Spiroketalisierung wird durch Wittig-Reaktion und anschließende Hydrierung in 43 aufgebaut. Eine sauer katalysierte Deacetalisierung liefert das Frontalin.
H
COOH
(S)-Leucin H
1.
H
1. HNO2 2. EtOH
NH2
COOEt
30 H
TsCl Pyridin
OTHP CH2OH
31
OTHP
H
H KOH
CH2 OTs
33
AcOH/H2O
CH2OTs
32 H O
O 2. LiAlH4
OH
H2 C
O
COOEt COOEt
34
H
1. OH2. H+
OH COOEt
O
O
H
COOEt
HCHO Et2NH
COOEt
35 O
H
O H5C6-Se-Se-C6H5 NaBH4
36 O
H
O
H
O (iso-C4H9)2AlH
Se
37
OH H2C=CP(Ph3)3
H
OH
Se
38
(+)-(S)-Ipsenol
Abb. 12.4. Synthese von (+)-Ipsenol
(+)-Exo-Brevicomin kann ausgehend von (-)-(2S,3S)-Weinsäure synthetisiert werden (Abb. 12.6). Ausgangspunkt der Synthese ist der Diethylester 44, der durch Methylierung und Reduktion das Diol 45 liefert. Tosylierung, nucleophile Substitution durch Cyanid, sauer katalysierte Verseifung und nachfolgende Umsetzung mit Thionylchlorid ergibt den Dimethylester 46. Die selektive Verseifung einer Esterfunktion liefert die Carbonsäure, die mit B2H6 zum Alkohol 47 reduziert werden kann. Die Ethylgruppe im Brevicomin wird nun durch Tosylierung
12.2 Coleoptera-Phermone
655
und Reduktion des primären Alkohols aufgebaut, wobei gleichzeitig der Methylester zu 48 reduziert wird. Durch nucleophile Substitution mit LiBr steht nun ein Alkylierungsreagenz bereit, welches mit Acetessigester umgesetzt, verseift und decarboxyliert werden kann. Als Produkt wird das Methylketon 49 erhalten, welches über die zwei Hydroxygruppen ein Spiroketal bilden kann. Durch die sauer katalysierte Abspaltung der Methylgruppen durch CrO3-Oxidation zum Formylester 50 und Hydrolyse erfolgt dann die Spiroketalbildung.
O
HO
AcOH
D-Glucose OO
O
O
OO
HO
39 1. HIO4 2. NaBH4
40 1. H+ 2. NaBH4
C6H5CH2Cl HO
OO
H H OH OO
C6H5CH2O
O
C6H5CH2O
Me2CO
O
C6H5CH2O
H OO
O
OO
O
H2 Pd/C
H
HO
OO
O
41 O O O
P(C6H5)3
O
O CHO
O
O
OH
HIO4
OH
O
42
H2, Pd/C O
H+
OH
O O
O
43
O
Abb. 12.5. Synthese von (-)-Frontalin
OH O
(-)-(1S,5R)-Frontalin
656
12 Pheromone OH HOOC
HO
H
OH COOH
EtOOC
H
(-)-Weinsäure
45
46
MeO
47
MeO
48
COOEt
MeO
TsCl
Br
MeO
O COOEt NaH
H OMe H MeO
Δ
49 2
OCHO H
O
OCHO
50
4 3
H+
H
Abb. 12.6. Synthese von (+)-Exo-Brevicomin
5
O
O
1
H 7
LiAlH4
OTs
H
O
Ba(OH)2 EtOH aq.
B2H6
H
OMe H
1. TsCl 2. LiBr
H
COOH
OMe H
MeOOC
H
MeO
H
1. MeOH/HCl 2. SOCl2/MeOH
OMe H
MeO
OMe H
O
COOEt
H
MeOOC
H
OMe H HO
KOH
H
OH
CN
MeO
COOMe
OMe H
MeOOC
OMe H
NC
H
OMe H MeO
EtOOC MeO
H
1. TsCl 2. NaCN
OH
MeO
MeOOC
OMe H
MeI Ag2O
COOEt
44
OMe H
HO
HO
H
H
CrO3 AcOH
Literatur
657
Literatur Monographien 1. H.E. HUMMEL, T.A. MILLER: Techniques in pheromone research, Springer Verlag, New York – Berlin – Heidelberg – Tokyo, 1984 2. G. HABERMEHL: Gift-Tiere und ihre Waffen, Springer Verlag, Berlin – Heidelberg – New York – Tokyo, 1994
Übersichtsartikel und Originalarbeiten 3. J.A. KATZENELLENBOGEN: Insect pheromone syntheses: New methodology, Science 191, 139 (1976) 4. J.M. BRAND, J.CHR. YOUNG, R.M. SILVERSTEIN: Progress in the chemistry of natural products, lnsect Pheromons: A critical review of recent advances in their chemistry, biology and application, Springer Verlag, Bd. 39, S. 1–190 (1979) 5. C.A. HENRICK: 'I'he syntheses of insect sex pheromones, Tetrahedron 33, 1845 (1977) 6. R. ROSSI: Insect pheromones : Syntheses of chiral components of insect pheromones, Synthesis 413, 1978 7. L.R. SMITH, H.J. WILLIAMS: Glutamic acid in pheromones syntheses : A useful chiral synthon, J. Chem. Ed. 56, 696 (1979) 8. K. MORI: The syntheses of insect pheromones, in: Total syntheses of natural products, J.W. APSIMON, Wiley and Sons, N.Y. Vol. 4, S. 1 (1981) 9. C.A. HENRICK A.L. CARNEY, R.J. ANDERSON: Some aspects of the syntheses of insect sex pheromones, in: Insect pheromone technology: Chemistry and applications, ACS Symp. Ser. 190, Am. Chem. Soc., Washington, D.C., S. 27 (1982)
13 Vitamine
Der Prozess „Leben“ beinhaltet eine Vielzahl an chemischen Reaktionen. Dies bedeutet das Vorhandensein von chemischen Verbindungen, die den Ablauf der Reaktionen steuern, regulieren und katalysieren. Hierbei sind vor allem zu nennen: Enzyme (s. Kap. 4.3.2), Hormone (s. Kap. 2.6, 4.2.3) und Vitamine. Die Entdeckung der Vitamine geht auf die Untersuchung der Krankheitsursachen von Beriberi und Skorbut zurück. Das Wort Vitamin (lebensnotwendiges Amin) leitet sich vom ersten Vertreter dieser Verbindungsklasse, dem Vitamin B1, ab. Diese Definition trifft nur auf Vitamine der B-Gruppe zu. Allgemein werden Vitamine als niedermolekulare Verbindungen definiert, die für den Energie- und Leistungsstoffwechsel des Menschen notwendig sind und nicht selbst synthetisiert werden können. Vitamine können in wasserlösliche (B und C) und fettlösliche Vitamine eingeteilt werden. Für die meisten Coenzyme sind wasserlösliche Vitamine essenzielle Vorstufen. Im Folgenden sind die Vitamine tabellarisch dargestellt. Eine detaillierte Beschreibung verschiedener Vitamine wurde bereits in verschiedenen Kapiteln dieses Buches vorgenommen, worauf hier hingewiesen wird.
13.1 Tabellarische Übersicht der Vitamine Vitamin A (Retinol):
Ein alicyclischer Polyenalkohol, der aus einem β-Iononring und 2 Isoprenresten aufgebaut ist. Retinol ist nach IUPAC-Empfehlung als (all-E)-3,7-Dimethyl-9-(2,6,6-trimethyl-1-cyclohexenyl)2,4,6,8-nonatetraen-1-ol zu bezeichnen. Das 13-Z-Retinol, ein Stereoisomeres des Retinols (Vitamin A1), weist etwa 85 % der Vitamin-A1-Wirksamkeit auf. Retinol kann aus einigen Carotinoiden gebildet werden, in erster Linie aus βCarotin.
660
13 Vitamine
Struktur:
17 H3C
3
16 CH3
216 5 4
19 CH3
8 9 7 11 18 Vitamin A CH3
20 CH3 13
R 15
all-(E)-Retinol (Vitamin A1): R = CH2OH R = CH2OCOCH3 all-(E)-Retinylacetat: all-(E)-Retinylpalmitat: R = CH2OCO(CH2)14CH3 all-(E)-Retinal: R = CHO Metabolit: all-(E)-Retinsäure (Tretinoin): R = COOH
Vorkommen pro 100 g:
Schweineleber 36 mg, Butter 0,65 mg, Hühnerei 0,27 mg, Karotten 1,5 mg, Grünkohl 0,86 mg, Paprika 0,18 mg, Vollmilch 0,03 mg; Vitamin A kommt hauptsächlich als Fettsäureester in Fischleberöl (Dorsch, Heilbutt), fetten Meeresfischen, Säugetierleber, im Körperfett vieler Tiere, in Milch, Butter und Eigelb sowie in Form der Provitamine (Carotinoide) in Pflanzen vor
Bedarf pro Tag:
Avitaminose:
Funktion:
Säuglinge 0,5–0,6 mg, Kinder 0,6–1,1 mg, Jugendliche und Erwachsene 0,8–1,1 mg, Stillende 1,5 mg Der Vitamin-A-Bedarf des Menschen und die Vitamin-A-Gehalte der Lebensmittel werden neuerdings in all-E-Retinol-Äquivalenten angegeben. Damit wird der unterschiedlichen Verwertbarkeit des Vitamins A und der Provitamine A Rechnung getragen. Das βCarotin bspw. wird im Darm nur zu 1/6, die übrigen Provitamine zu 1/12 resorbiert und in Retinol umgewandelt: 1 mg RetinolÄquivalent = 1 mg Retinol = 6 mg β-Carotin = 12 mg andere Carotinoide Nachtblindheit, Funktions- und Wachstumsstörungen, Verhornung der Epithelien, Schwächung des Immunsystems Bei schwerem Vitamin-A-Mangel kommt es zu Trübungen und Geschwürbildungen in der Hornhaut (Xerophthalmie, Keratomalazie). In den Ländern der dritten Welt gehören die mit einem schweren Vitamin-A-Mangel verbundenen Erblindungen zu den häufigsten Mangelerkrankungen. Beim Vitamin-A-Mangel kommt es zu einer Beeinträchtigung der Barriere-Funktion der Epidermis, die für die chemische Abwehrleistung der Haut besonders wichtig ist sowie zur Degeneration und Keratinisierung des Epithels. Bei den Schleimhäuten des Gastrointestinaltraktes und des Respirationstraktes führt Vitamin A-Mangel zu Plattenepithelmetaplasien. Eine hypochrome Anämie ist eine weitere Folge des Vitamin-AMangels Der Aldehyd des Retinols, das all-E-Retinal ist entscheidend am Sehvorgang beteiligt als Cofaktor des Sehpigments. Die Retinoide, hauptsächlich all-E- und (9Z)-Retinsäure, besitzen auch hormonelle Wirksamkeit, sie sind an der Regulation der Transkription meh-
13.1 Tabellarische Übersicht der Vitamine
s. Kapitel: Hypervitaminose:
661
rerer hundert Gene beteiligt. Bei bestimmten Hauterkrankungen (Psoriasis, Akne) hat sich der therapeutische Einsatz von Retinoiden (Tretinoin) als nützlich erwiesen. Davon ausgehend, dass Retinsäuren die Differenzierung von Zellen, darunter auch von unreifen Leukozyten aktivieren, sind Retinsäuren bei bestimmten Formen der Leukämie (akute promyeloische Leukämie) mit Erfolg eingesetzt worden (Differenzierungs-Therapie) 1.3, Schema des Sehvorgangs und Synthese des Vitamins A Müdigkeit, Schlaflosigkeit, Schwindelanfälle, Knochen-, Gelenk- und Kopfschmerzen. Eine akut oder chronisch überhöhte Zufuhr an Vitamin A hat gesundheitliche Folgen. In höheren Konzentrationen sind die Vitamin-A-Metaboliten toxisch und führen akut zu Störungen des Allgemeinbefindens bzw. bei chronischer Hypervitaminose zu schwerwiegenden Veränderungen an Haut, Knochen u. a. Organen. Wegen der teratogenen Wirkung höherer Konzentrationen von Retinsäuren sollten Frauen mit Kinderwunsch auf den Verzehr von Leber verzichten und nicht mehr als 3,3 mg RetinolÄquivalente täglich aufnehmen.
Provitamin:
Carotin, Vitamin A wird hieraus nach Bedarf freigesetzt. Durch die unterschiedliche Resorption von β-Carotin aus entsprechenden Lebensmitteln wird aus drei Molekülen β-Carotin im Mittel nur ein Molekül Retinol gebildet, deshalb ist die 6-fache Menge an β-Carotin notwendig, um 1 Retionoläquivalent zu liefern
Vitamin B1 (Thiamin, Aneurin)
Wasserlösliches Vitamin, bei dem ein Pyrimidin-Ring über eine Methylenbrücke mit einem Thiazol-Ring verbunden ist. Es kommt auch in Form von Phosphorsäureestern vor. Die bioaktive Komponente ist das Diphosphat. Bei der Resorption von Thiaminphosphaten wird das Phosphat abgespalten, als freies Thiamin resorbiert und nach der Aufnahme wieder phosphoryliert. Abbauprodukte des Thiamins sind typische Aromastoffe bei Schweinefleisch
Struktur:
NH2
N
N N
Vorkommen pro 100 g: Bedarf pro Tag:
Avitaminose:
Cl +
S
OH
Reis (poliert) 0,07 mg, Reiskleie 2,3 mg, Weizenkleie 0,6 mg, Hasel-/Walnüsse 0,4 mg, Schweinefleisch 0,9 mg, Rindfleisch 0,1 mg, Scholle 0,2 mg, Hühnerei 0,17 mg, Früchte 0,01–0,15 mg Säuglinge 0,2–0,4 mg, Kinder 0,6–1,4 mg, Jugendliche und Erwachsene 1,0–1,3 mg, Stillende 1,4 mg. Bei Alkoholmissbrauch ist der Bedarf stark erhöht, weil Absorption und Stoffwechsel des Vitamins gestört sind. Beriberi, besonders in Asien durch den Verzehr von poliertem Reis als Grundnahrungsmittel, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Läh-
662
13 Vitamine
Funktion:
s. Kapitel: Hypervitaminose:
Vitamin:B2 (Riboflavin)
mungen Vorstufen für das Coenzym von Decarboxylasen und Transferasen, über das dabei letztendlich gebildete Acetyl-Coenzym-A ist es maßgeblich sowohl am Endabbau der Kohlenhydrate und einiger Aminosäuren, als auch an der Fettsäuresynthese beteiligt. – Eine Überdosierung durch die Nahrung ist ausgeschlossen, eine medikamentöse Zufuhr höherer Dosen kann allergische Reaktionen, Kopfschmerzen und Krämpfe verursachen. Besteht aus einem tricyclischen N-haltigen Ringsystem (Isoalloxazinring; Flavinfarbstoff Lumichrom) und dem Zuckeralkohol Ribitol; Verbindungen, in denen der Ribitylrest oder die Methylgruppen der C-Atome 7 und 8 substituiert sind, besitzen nur eine eingeschränkte Vitaminaktivität; wird auch als gelber Farbstoff genutzt. Als Inhaltsstoff der Milch entsteht unter Einwirkung von UV-Licht der typische Lichtgeschmack, an dessen Bildung Riboflavin beteiligt ist.
Struktur:
Isoalloxazinring O H3C 7 H3C
N 5 10 N
8 H H
H 5'
OH OH OH O
3 NH 1 N
O
Riboflavin: R = H Flavin-adenin-dinucleotid (FAD): R = NH2 O
N
O
P O P O CH2 OH
OH
O
N
N N
R OH OH
Vorkommen pro 100 g:
Bedarf pro Tag:
Avitaminose: Funktion:
s. Kapitel:
Leber 3,5 mg, Niere 2 mg, Hering 0,4 mg, Mandeln 0,75 mg, Kuhmilch 0,18 mg, Naturreis 0,09 mg, Hühnerei 0,47 mg. Als Bestandteil aller Zellen des Pflanzen- und Tierreiches liegt Vitamin B2 vorwiegend in gebundener Form als Flavin-adenindinucleotid (FAD) und Flavin-mononucleotid (Riboflavinphosphat, FMN) vor. Nur einzelne Organe (z. B. Herz) sowie Milch enthalten freies Lactoflavin. In Gemüse ist Vitamin B2 häufig an Lactat gebunden. Säuglinge 0,3–0,4 mg, Kinder 0,7–1,6 mg, Jugendliche und Erwachsene 1,2–1,5 mg, Stillende 1,6 mg. Bei Alkoholmissbrauch ist der Bedarf stark erhöht, weil die Resorption gestört ist, auch bei langfristiger Einnahme hormoneller Kontrazeptiva können Mangelsymptome auftreten Sehschwäche, Wachstumsstörungen Als Flavinnucleotide in der Atmungskette Bestandteil von Oxidoreduktasen, es ist in allen Bereichen des oxidativen Metabolismus beteiligt, wo Glucose oder Fettsäuren zur Bildung von Energie in Form von ATP herangezogen werden. 6.2; Reduktion des Isoalloxazinrings im Riboflavin als Bestandteil
13.1 Tabellarische Übersicht der Vitamine
Hypervitaminose:
Vitamin B3 (Nicotinamid), Niacin Struktur:
des FAD –
Vitaminwirksam sind sowohl die Nicotinsäure (Niacin) als auch die amidierte Form Nicotinsäureamid (Niacinamid). Niacin kann im Körper auch aus Tryptophan hergestellt werden. O
C
Bedarf pro Tag:
Avitaminose:
Funktion:
s. Kapitel: Hypervitaminose: Provitamin:
O NH2
OH Niacin (Nicotinsäure)
N Niacinamid Rindfleisch 5 mg, Hühnereier 0,07 mg, Weizenkleie 30 mg, Bananen 0,7 mg, Tomaten 1,0 mg, Pilze 10 mg, Hefe 50 mg, Leber 20 mg. Das Vitamin kommt vor allem in tierischen Organen, Getreide und Pilzen vor. In Eiern und Milch ist der Niacingehalt zwar gering, durch den hohen Tryptophangehalt sind beide Lebensmittel dennoch gute Niacinquellen. Im Mais und in anderen Getreidearten liegt es auch in einer vom Menschen nicht verwertbaren, komplex an Makromoleküle gebundenen Form (Niacytin) vor. Dieser Komplex ist enzymatisch schlecht spaltbar Säuglinge 2–5 mg, Kinder 7–18 mg, Jugendliche und Erwachsene 13–17 mg, Stillende 17 mg. Erhöhter Bedarf besteht u. a. bei Verdauungsstörungen, fieberhaften Erkrankungen, Wachstumsperioden, schwerer körperlicher Arbeit, in Schwangerschaft und Stillzeit sowie bei Zufuhr großer Flüssigkeitsmengen. Pellagra-Krankheit, Störungen des zentralen Nervensystems Niacinmangel tritt in Mitteleuropa nur selten auf, er führt zu Hautdefekten an lichtempfindlichen Stellen (Pellagra), Störungen im Verdauungstrakt sowie im zentralen und peripheren Nervensystem und Verdauungsstörungen mit Diarrhö, Erbrechen sowie Glossitis (Zungenentzündung). Weiter verbreitet ist ein Niacin-Mangel in Ländern mit hohem Anteil an Mais und Sorghumhirse in der Ernährung. Er tritt außerdem bei Vitamin-B6-Mangel, Gaben von LDopa, Alkoholismus und Resorptionsstörungen auf. Greift als Pyridinnucleotid (NAD+, Bestandteil von Oxidoreduktasen) verbreitet in den wasserstoffübertragenden Intermediärstoffwechsel ein (z. B. Ab- und Aufbau von Fettsäuren, Kohlenhydraten und Aminosäuren über den Citronensäurezyklus). Die Coenzyme NAD+ und NADP+ sind an mehr als 200 Dehydrogenase-katalysierten Reaktionen beteiligt 6.2; Nicotinamid im Nicotinamid-adenin-dinucleotid als Beispiel für ein Coenzym der wasserstoffübertragenden Enzyme Überdosierung durch therapeutische Aufnahme von Niacin kann zu Vergiftungserscheinungen führen L-Tryptophan, die Eigensynthese von Niacin aus L-Tryptophan reicht zur Bedarfsdeckung jedoch nicht aus, daher ist Niacin es-
N
Vorkommen pro 100 g:
663
664
13 Vitamine senziell. Als Richtzahl (sog. Niacinäquivalent) für die Umwandlungsquote von Tryptophan in Niacin gilt: 60 mg L-Tryptophan ersetzen etwa 1 mg Niacin
Vitamin B4 (Folsäure)
Struktur:
Nicht nur die Folsäure – N-4-(2-Amino-3,4-dihydro-4-oxo-6pteridinylmethylamino)-benzoyl-L-glutaminsäure – zeigt eine Vitaminwirksamkeit. Unter dem Begriff Folate wird die Summe aller folsäurewirksamen Verbindungen erfasst, sie können bis zu 6 weitere Glutaminsäurereste gebunden enthalten. Die reduzierte Form 5,6,7,8-Tetrahydrofolsäure (THF) spielt im Organismus eine zentrale Rolle. Pteroinsäure L-Glutaminsäure C
O N O 3 HN H2N
1 N
HN N 5 8 N
Pteridin-Ring
Vorkommen pro 100 g:
Bedarf pro Tag: (Folatäquivalente) Avitaminose:
Funktion:
H
O OH
H
C
O OH
4-Aminobenzoesäure
Folsäure (Pteroylglutaminsäure) In Lebensmitteln kommen die Folate zu 90 % als Poly-LGlutaminsäure vor. Der Pteridinring kann am N5 eine Formylgruppe (ca. 30 %) oder eine Methylgruppe (ca. 60 %) tragen. Gehalte in Folsäureäquivalenten: Hühnereier 33,8 μg, Rinderleber 242 μg, Hering 2,1 μg, Vollmilch 14,8 μg, Apfelsinen 31,4 μg, Salat 68,3 μg, Spargel 73,2 μg, Hefe 716 µg Säuglinge 60–80 μg, Kinder 200–400 μg, Jugendliche und Erwachsene 400 μg, Schwangere und Stillende: 600 μg. Zur Prophylaxe eines Neuralrohrdefektes werden perikonzeptionell 0,4 mg Folsäure/Tag zusätzlich empfohlen Mundfäule, verschiedene Arten von Anämie Fortgeschrittener Folsäuremangel äußert sich immer in Veränderungen des Blutbildes (megaloblastische Anämie, Leukopenie = Verminderung der Leukozyten). Weitere Symptome sind Schleimhautveränderungen im Bereich der Mundhöhle und gastrointestinale Störungen wie Durchfall sowie Störungen bei Bildung und Wachstum der Haare. Folsäuremangel kann schon zu Beginn einer Schwangerschaft schwere embryonale Fehlbildungen, besonders Neuralrohrdefekte wie einen „offenen Rücken“, herbeiführen Als Tetrahydrofolsäure C1-Gruppen-Transfer unter Bildung von aktiviertem Formaldehyd bzw. aktivierter Ameisensäure. Folsäure wirkt synergistisch zu Vitamin B12 und ist in Verbindung mit die-
13.1 Tabellarische Übersicht der Vitamine
s. Kapitel: Hypervitaminose: Vitamin B6
sem notwendig für Bildung und Reifung der roten Blutkörperchen. Über die Metabolisierung der Aminosäure Homocystein ist sie an der Thymin- und Thymidinsynthese beteiligt und somit am Aufbau der für die Zellteilung unentbehrlichen Nucleinsäuren 6.4; Beteiligung der Tetrahydrofolsäure an der Methylierung von Pyrimidinen Überdosierungserscheinungen sind nicht bekannt. Vitamin B6, auch Pyridoxin, Pyridoxal, Pyridoxamin genannt, ist eine Sammelbezeichnung für sechs Pyridinderivate, einschließlich deren Phosphorsäureester.
Struktur:
R OH
HO
N
Vorkommen pro 100 g:
Bedarf pro Tag: Avitaminose:
Funktion:
s. Kapitel: Hypervitaminose:
Vitamin B12
665
Pyridoxol: R = CH2OH Pyridoxal: R = CHO Pyridoxamin: R = CH2NH2
Schweinefleisch 0,4 mg, Hühnereier 0,14 mg, Bananen 0,3 mg, Weizenvollkorn 0,5 mg, Walnüsse 0,7 mg, Schweineleber 0,6 mg, Hefe 0,6 mg, Kopfsalat 0,05 mg, Paprika 0,2 mg. Pyridoxaminphosphat und Pyridoxalphosphat sind die Hauptformen des Vitamins B6 in tierischen Lebensmitteln, das Pyridoxin in Gemüse und Früchten Säuglinge 0,1–0,3 mg, Kinder 0,4–1,4 mg, Jugendliche und Erwachsene 1,2–1,6 mg, Schwangere und Stillende 1,9 mg. Störungen des Proteinaufbaus. Schwerer Vitamin-B6-Mangel, äußert sich durch Auftreten von Wachstumsstörungen, Störungen der Eiweißsynthese, gestörten Immunmechanismen und Muskelatrophie. Eine suboptimale Versorgung gibt sich in Veränderungen von Haut und Schleimhäuten im Mund- und Rachenbereich, Nervosität und insbesondere Sensibilitätsstörungen zu erkennen. Letztere befallen v. a. den heranwachsenden Organismus (epileptische Krämpfe beim Säugling) Als Pyridoxalphosphat Coenzym im Aminosäurestoffwechsel, es ist in dieser Funktion an mehr als 100 Enzymreaktionen (unter anderem des Homocysteinstoffwechsels) beteiligt und stellt damit eine wichtige Verbindung des Aminosäurestoffwechsels mit dem Kohlenhydrat-, Fettsäure- und Energiestoffwechsel dar. Über Decarboxylierungsreaktionen ist Pyridoxal-5-phosphat an der Bildung von Adrenalin, Histamin, Serotonin, Dopamin und Tyramin beteiligt. 3.2.4; Reaktionsmechanismus bei der Desaminierung und Decarboxylierung von Aminosäuren unter Beteiligung von Pyridoxalphosphat Hohe Gaben von Vitamin B6 sind nicht unbedenklich. Bei langfristiger Einnahme von mehr als 50 mg/Tag oder kurzfristigen Einnahmen im Grammbereich können reversible periphere sensorische Neuropathien entstehen. Chemisch besteht das Molekül aus vier reduzierten und substituier-
666
13 Vitamine
(Cobalamin)
Struktur: Vorkommen pro 100 g:
Bedarf pro Tag: Avitaminose:
Funktion:
s. Kapitel: Hypervitaminose:
Vitamin C (Ascorbinsäure)
ten Pyrrolringen, die über Stickstoffatome an ein zentrales, kovalent gebundenes Cobaltatom gebunden sind, das mit verschiedenen Resten substituiert sein kann. Als 5. Ligand ist 5,6-Dimethylbenzimidazolribosid am Cobaltatom gebunden und über Phosphorsäure und Aminopropanol mit einem der Seitenringe verbunden. s. Kap. 8.3.1 Hering 8 μg, Kuhmilch 0,4 μg, Sojasauce 0,3 μg, Gemüse 0,01 μg, Kalbsleber 60 μg, Kalbsniere 25 μg, Eigelb 2 μg Vitamin B12 kann ausschließlich von Mikroorganismen (Streptomyces-Arten) synthetisiert werden. Das in der Milch befindliche Vitamin B12 wird durch die Flora im Pansen biosynthetisiert. In tierischen Geweben kommt es vor allem als Coenzym, Methylcobalamin und als Adenosylcobalamin vor. In sehr geringen Mengen ist es auch in fermentierten Lebensmitteln zu finden. Säuglinge 0,4–0,8 μg, Kinder 1,0–3,0 μg, Jugendliche und Erwachsene 3,0 μg, Schwangere und Stillende 3,5–4,0 μg Wachstums- und Konzentrationsschwächen Folgen eines Vitamin-B12-Mangels sind die perniciöse Anämie, (Biermersche Krankheit, Addinsonsche Anämie), eine Erkrankung mit schweren Störungen der Blutbildung (makrocytäre Anämie mit Megaloblastose), und die funikuläre Myelose, die auf einem Schwund der Markscheiden von Rückenmarksnerven beruht, was mit Gangunsicherheiten u. a. neurologischen Symptomen verbunden ist Bestandteil von Transferasen, Ligasen, Mutasen. Vitamin B12 ist unentbehrlich für die Biosynthese der Purin- und Pyrimidinbasen, die Bausteine der Nucleinsäuren sind. Als Coenzym ist es u. a. beteiligt am Citratzyklus, an der Hämsynthese und der DNASynthese 8.3.2–8.3.3; Synthese des Vitamins B12 Auch bei hohen täglichen Dosen an Vitamin B12 (bis zu 5 μg/Tag) konnten keine toxischen Effekte festgestellt werden Enol-Lacton der 2-Keto-L-gulonsäure; die biologische Wirksamkeit für die einzelnen Vitamin-C-Komponenten beträgt: 100 % für L-Ascorbinsäure, 30 % für 6-Desoxy-L-ascorbinsäure, 70–98 % für 6-Desoxy-6-chlor-ascorbinsäure und 5 % für D-Isoascorbin-säure.
Struktur:
HO
H
HO
O
O
H HO Vorkommen pro 100 g:
OH
Broccoli 115 mg, Rinderleber 33 mg, Kuhmilch 1 mg, Hagebutten 1.250 mg, Schwarze Johannisbeere 177 mg, Orangen 50 mg, Kartoffeln 17 mg In Gemüse kommt im Mittel neben der Ascorbinsäure anteilmäßig 2–8 % Dehydroascorbinsäure vor, bei Fleisch etwa 20 %, dessen
13.1 Tabellarische Übersicht der Vitamine
Bedarf pro Tag:
Avitaminose:
Funktion:
s. Kapitel: Hypervitaminose: Vitamin D
667
Anteil sich während der Lebensmittelverarbeitung erhöhen kann. In Sauerkraut und Kohl kommt Vitamin C gebunden als Ascorbigen (C-2-Scatyl-L-ascorbinsäure) vor. Säuglinge 50–55 mg, Kinder 60–100 mg, Jugendliche und Erwachsene 100 mg, Raucher und Stillende 150 mg. Der Bedarf ist erhöht bei starker körperlicher Arbeit, langzeitig wirkendem Stress, bei Resorptionsstörungen, fiebrigen Erkrankungen oder Infektionen, bei erhöhter Schilddrüsentätigkeit und nach Operationen. Schwächung des Immunsystems; Möeller-Barlowsche Erkrankung im Säuglingsalter mit Störungen der Knochenbildung und des Wachstums und Skorbut im Erwachsenenalter mit multiplen Blutungen in Zahnfleisch, Haut, Muskulatur und in den Gelenken. Häufiger treten Hypovitaminosen mit Auswirkungen auf das allgemeine Wohlbefinden (Frühjahrsmüdigkeit, erhöhte Krankheitsanfälligkeit, rasche Ermüdung usw.) auf. Die Skorbutschutzgrenze liegt bei 15 mg Vitamin C/Tag Redox-System; Vitamin C schützt die Zellen vor oxidativem Stress. Es wirkt als Scavenger für freie Radikale. Auch für zahlreiche Hydroxylierungsreaktionen ist Vitamin C erforderlich, z. B. bei der Kollagensynthese und der Mucopolysaccharidsynthese. Therapeutisch wird Vitamin C eingesetzt zur Behebung eines Vitamin-C-Mangels, zur Verbesserung der Eisenresorption, zur Stärkung der Immunabwehr, zur Behandlung von Methämoglobinämie und bei Tumorkachexie. Außerdem wird eine Schutzwirkung gegen die Entstehung bestimmter Krebsarten angenommen. 5.1.5, Synthese von Ascorbinsäure Eine Hypervitaminose ist nicht bekannt Als Vitamin D werden die 2 Isomeren mit Steroidstruktur D2: Ergocalciferol und D3: Cholecalciferol bezeichnet. Aktiver Metabolit ist das 1,25-Dihydroxycholecalciferol.
Struktur:
CH3
H3C
R CH3
CH2 HO
R
D 3: R = H Aktiver Metabolit: R = OH Vorkommen pro 100 g:
Sardine 1,3 μg, Fischleberöl 0,17–3,8 mg, Eigelb 5–8 µg, Fleisch 1–2 µg, Milch 0,4 µg (alle Angaben bez. auf Frischsubstanz). Natürlich kommt Vitamin D3 vor allem in Leberölen von Meeres-
668
13 Vitamine
Bedarf pro Tag:
Avitaminose:
Funktion:
s. Kapitel: Hypervitaminose:
fischen (bis 20 µg %), das Provitamin D2 (Ergosterol) in Pilzen, Hefen, das Provitamin D3 (7-Dehydrocholesterol) besonders in der Schwarte des Schweins vor. Vitamin D2 wird aus dem Provitamin (Ergosterol) durch Einwirkung von UV-Strahlen gebildet und hat annähernd die gleiche Vitaminwirksamkeit wie Vitamin D3. Die verhältnismäßig hohen Gehalte in Eigelb, Leber und Niere sind durch die Biosynthese des Vitamins in Tieren zu erklären. Die Gehalte in Pflanzen liegen unterhalb von 0,01 µg/100 g Frischsubstabz Bei ausreichender Sonnenlichtexposition ist die Synthese aus den Provitaminen (Prohormonen) und damit die Bedarfsdeckung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene im Allgemeinen ausreichend. Sicherheitshalber werden aber Bedarfsangaben gemacht, um eine ausreichende Versorgung auch bei nur geringer oder keiner Sonnenlichtexposition zu sichern. Die empfohlene tägliche Zufuhr beträgt für Säuglinge 10 µg, für Kinder und bis zu 65-Jährige sowie für Schwangere und Stillende 5 µg, und für über 65-Jährige 10 µg. Da der Vitamin-D-Gehalt der Frauenmilch bzw. Milch nicht für die Deckung des Säuglingsbedarfs ausreicht, wird generell im ersten Lebensjahr von Säuglingen eine tägliche Supplementierung von Vitamin D durchgeführt (Rachitisprophylaxe). Rachitis, Hauttuberkulose. Ein ausgeprägter und anhaltender Vitamin-D-Mangel ist bei Kindern die Ursache für die Rachitis (Englische Krankheit, Ausbleiben der Knochenverkalkung), bei Erwachsenen für die Osteomalazie (Entkalkung der Knochen). Von erheblicher volksgesundheit-licher Bedeutung ist der (weniger extreme aber häufige) Vitamin-D-Mangel, insbesondere bei älteren Menschen, der eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung der Osteoporose (mit einem erhöhten Risiko für Wirbelkörper- und Knochenfrakturen) spielt Calcium- und Phosphatresorption und Knochenaufbau. Die biologische Aktivität des 1α,25(OH)2-Cholecalciferol (Calcitriol) beruht auf seiner Bindung an Rezeptoren des Zellkernes und von Zellmembranen. Sie entspricht damit dem prinzipiellen Wirkungsmechanismus der Hormone, weswegen das aktive Vitamin D heute auch als Hormon und seine Vorstufen als Prohormone bezeichnet werden. Die kalzämischen Funktionen umfassen die Regulation des Calcium- und Phosphathaushalts, während die nichtkalzämischen Funktionen die Differenzierung und kontrollierte Proliferation von Zellen der Haut (Keratocyten) betreffen. Weiterhin zeigt Vitamin D auch antiproliferative Effekte bei Prostatau. a. Krebserkrankungen sowie immunmodulatorische und die Infektabwehr steigernde Wirkungen. 2.3; Reaktion des Provitamin D3 zum Prävitamin D3 unter Lichteinfluss Calcinose: Bei der Zufuhr übermäßig hoher Mengen an Vitamin D kommt es zur Hypervitaminose, die in einer schwerwiegenden Störung des Calcium- und Phosphatstoffwechsels und einer damit verbundenen Entkalkung der Knochen und einer erhöhten Ablagerung von Calciumphosphat in verschiedenen Organen, z. B. in Nieren, Lunge und Herzmuskel, besteht. Tod durch Herzversagen
13.1 Tabellarische Übersicht der Vitamine
Vitamin E
669
Ein zur Gruppe der fettlöslichen Vitamine gehörender Vitaminkomplex, Derivate des Tocols, dessen wichtigster Vertreter das RRR-α-Tocopherol (5,7,8-Trimethyltocol) ist. Die biologische und antioxidative Aktivität der Homologen ist nicht identisch. So wurde bspw. festgestellt, dass α-Tocotrienol im Vergleich zu αTocopherol zwar nur etwa 1/3 der Vitamin-E-Aktivität, aber eine deutlich höhere antioxidative Wirkung in biologischen Membranen aufweist. R1
Struktur: HO R2
6 5 7 8
4 1 2 O
CH3 H3C 1'
H
H3C
4'
CH3
H 8'
12' CH3
R3 R1 CH3 CH3 H H H
α-Tocopherol β-Tocopherol γ-Tocopherol δ-Tocopherol Tocol
R2 CH3 H CH3 H H
R3 CH3 CH3 CH3 CH3 H
R1 HO R2
6 5 7 8
4 1 2 O
CH3 1'
Vorkommen pro 100 g:
Bedarf pro Tag:
R1 CH 3 CH 3 H H
R2 CH 3 H CH 3 H
CH3
CH3 7'
(R,E,E)-Form
R3 α-Tocotrienol β-Tocotrienol γ-Tocotrienol δ-Tocotrienol
CH3 3'
11'
CH3
R3 CH 3 CH 3 CH 3 CH 3
Weizenkeimöl 260 mg, Leinöl 54 mg, Eigelb 6,5 mg, Rotbarsch (3,6 % Fett) 35 mg, Rapsöl 27 mg, Sonnenblumenkerne 39 mg. Vitamin E kommt reichlich in den Keimanlagen der Körnerfrüchte und deren Ölen (Weizenkeimöl u. a.), in den meisten Ölsaaten, Palmöl, Erdnüssen, Kakaobutter, Fleisch, in den Lipiden von Organen, in Eigelb, Milch, Butter sowie Blattgemüsen (Salat, Spinat, Kohl, Lauch) vor. Der Bedarf an Vitamin E wird wesentlich durch die Höhe des Verzehrs von mehrfach ungesättigten Fettsäuren bestimmt. Der Mindestbedarf für Erwachsene wird mit 4 mg RRR-α-Tocopherol (bzw. α-Tocopherol-Äquivalenten, TÄ) angegeben. Darüber hinaus sind zum Schutz der Doppelbindungen von Nahrungsfetten zusätzliche Mengen an Vitamin E erforderlich. Vereinfacht und unter Berücksichtigung verzehrsüblicher Mengen an Polyenfettsäuren
670
13 Vitamine wird eine tägliche Aufnahme von RRR-α-Tocopherol (bzw. TÄ) in Höhe von 3–4 mg für Säuglinge, 5–14 mg für Kinder, 11–15 mg für Erwachsene und 13 mg für Schwangere sowie 17 mg für Stillende empfohlen.
Avitaminose: Funktion:
Hypervitaminose: Vitamin K1 (Phyllochinon)
Struktur:
Antioxidans; α-Tocopherol ist als Bestandteil von biologischen Membranen in allen Geweben zu finden. Es schützt als fettlösliches Antioxidans Membranlipide, Lipoproteine und Depotfette vor freien Radikalen. Ungesättigte Fettsäuren können durch Radikale zu Lipoperoxiden (Peroxiradikalen) oxidiert werden, die autokatalytisch zur Bildung immer neuer Peroxiradikale führen. Tocopherol unterbricht diese Kettenreaktion, indem es zum Chromanoxylradikal oxidiert wird. Es kann durch Ascorbinsäure wieder in Tocopherol umgewandelt werden. Wenn jedoch der oxidative Stress diesen Vitamin-E-Zyklus überfordert oder wenn eine angeborene Vitamin-E-Absorptionsschwäche vorliegt, kann der wirksame Tocopherol- und Tocotrienol-Anteil so weit sinken, dass es zu oxidativen Schäden an Lipiden, Proteinen und Nukleinsäuren kommen kann. Diese akute Situation kann sich z. B. in einem Herzinfarkt äußern. Andere Funktionen werden über die Modifikationen von Proteinen realisiert. Zu den auf diesen Wegen vermittelten Funktionen von α-Tocopherol gehören die Hemmung wichtiger Teilschritte von Entzündungsprozessen und der Proliferation glatter Muskelzellen. Zur Gruppe dieser vom Redox-Verhalten unabhängigen Funktionen gehören auch die Hemmung der Thrombocytenaggregation und die Modulation von Immunfunktionen durch α-Tocopherol (und in geringerem Maße auch durch andere Tocopherole). Klinisch wird Vitamin E bei gestörter Absorptionsfähigkeit, Atemnot, Krebs, Arthritis, grauem Star, bei großer körperlicher Anstrengung und zum Schutz der Lunge (Luftverschmutzung) eingesetzt – Gruppe fettlöslicher Vitamine, die sich vom 2-Methyl-1,4naphthochinon ableiten. Biologisch wirksam sind: Vitamin K1 (Phyllochinon), Phytomenadion, Vitamin K2 (Menachinone, MK-2 bis MK-10), das vollsynthetisch hergestellte Vitamin K3 (Menadion) und das in ein 1,4-Dibutyrat überführte Hydrochinon (Vitamin K4, Menadiol). In Tieren wird hauptsächlich (außer bei Wiederkäuern) das MK-4 gefunden. O
O
Vitamin K1 (Phyllochinon)
13.1 Tabellarische Übersicht der Vitamine
671
O O
CH3
CH3
3 O
Vorkommen pro 100 g:
Bedarf pro Tag:
Avitaminose:
Funktion:
s. Kapitel: Hypervitaminose
Biotin
H3C
n
O
Vitamin K3 (Menadion) Vitamin K2 (Menachinon, MK-2 [n = 1] bis MK-10 [n = 9]) Rapsöl 140 μg, Spinat 400 μg, Rotkohl bis 300 μg, Kartoffeln 50 μg, Blumenkohl 167 μg Vitamin K1 (Phyllochinon) ist in den Chloroplasten von Grünpflanzen enthalten und kommt deshalb reichlich in grünen Blattgemüsearten (> 100 µg/100 g), Sojaprodukten (bis 200 µg/100 g) und Weizenkeimen, aber auch in der Leber (56–89 µg/100 g) vor Säuglinge 4–10 μg, Kinder 15–50 μg, Jugendliche und Erwachsene 60–80 μg, Schwangere und Stillende 60 μg. Da Säuglinge nur sehr begrenzte Vitamin-K-Reserven besitzen und Muttermilch nur geringe Mengen von ca. 0,5 μg/100 mL enthält, wurde eine orale Vitamin K-Prophylaxe eingeführt, in Form einer 3-maligen oralen Gabe von 2 mg Vitamin K. Störung der Blutgerinnung: Spontanblutungen und inadäquate Blutungen bei Verletzungen sind die hauptsächlichen Folgen eines Vitamin-K-Mangels. Beim gesunden Erwachsenen kommt ein ernährungsbedingter, klinisch symptomatischer Vitamin-K-Mangel kaum vor. Für den Säugling hat ein Vitamin-K-Mangel schwerwiegende Folgen. Seine Vitamin-K-Reserven sind noch sehr begrenzt. Bereits eine geringfügige Minderversorgung kann in den ersten Lebenswochen zu lebensgefährlichen Hirnblutungen führen. Daher wurde für Säuglinge die orale Vitamin-K-Prophylaxe eingeführt Fördert die Proteinsynthese. Vitamin K1 ist an der Biosynthese von Blutgerinnungsfaktoren beteiligt. Es wirkt als Cofaktor für die Faktoren II, VII, IX und X, wobei es in das 2,3-Epoxid umgewandelt wird. Vitamin K ist auch an Carboxylierungsreaktionen in der Niere, den Knochen und im Plasma beteiligt. – Für den Erwachsenen ist Vitamin K auch in hohen Dosen nicht toxisch. Beim Säugling kann es dagegen bei zu hoher Zufuhr zur Hyperbilirubinämie kommen. Biotin ist eine schwefel- und stickstoffhaltige heterocyclische Carbonsäure (2-Keto-3,4-imidazolin-2-tetrahydrothiophen-nvaleriansäure) aus der Gruppe der wasserlöslichen Vitamine. Sie besitzt drei chirale C-Atome, sodass acht mögliche Stereoisomeren existieren. In der Natur kommt nur die rechtsdrehende Form (+)-DBiotin vor, die als einzige auch vitaminwirksam ist
672
13 Vitamine
Struktur:
O H
N
H
N
H
H H S
Vorkommen pro 100 g:
Bedarf pro Tag:
Avitaminose:
Funktion:
s. Kapitel: Hypervitaminose:
(+)-Pantothensäure
COOH
Rinderleber 100 μg, Eigelb 50 μg, Kuhmilch 1,9 μg, Pilze 12 μg, Haselnüsse 75 μg, Niere 58 μg, Banane 5,5 μg Biotin liegt überwiegend an Proteine gebunden vor (Pflanzensamen, Hefe, tierische Gewebe), in Gemüse, Früchten, Milch und Reiskleie jedoch auch als Biocytin (Biotinyl-L-lysin). Der Biotinbedarf lässt sich zur Zeit nicht zuverlässig angeben. Die DGE gibt folgende Schätzwerte für eine angemessene Zufuhr an: 5–10 µg/Tag für Säuglinge, 10–35 µg/Tag altersabhängig für Kinder und 30–60 µg/Tag für Jugendliche, Erwachsene, Schwangere und Stillende. Biotinmangelerscheinungen können, wenn auch selten, in Form schuppiger Dermatitiden an Händen, Armen und Beinen, im fortgeschrittenen Stadium als Verfärbungen und Austrocknen der Haut und Schleimhäute vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern auftreten. Auch Appetitlosigkeit, Brüchigkeit der Nägel, Muskelschmerzen, Blutarmut, Müdigkeit und Schlafstörungen werden mit einer suboptimalen Biotin-Versorgung in Beziehung gebracht Carboxylierungen_ Im intermediären Stoffwechsel ist das Biotin mit einer Reihe von Carboxylierungsreaktionen verknüpft. Die biotinabhängige Carboxylierungsreaktion von Acetyl-Coenzym-A stellt für den Organismus eine Schlüsselreaktion beim Aufbau der Fettsäuren dar. Darüber hinaus ist Biotin an der Gluconeogenese und am Aufbau der essenziellen Aminosäuren Methionin, Isoleucin, Threonin und Valin beteiligt. Biotin reguliert die Leberfunktion, fördert das Wachstum, schützt gegen Stress und ist für optimale Funktion und Wachstum von Haut, Schleimhäuten, Nägeln und Haaren notwendig 9.5: Biosynthetischer Fettsäureauf- und -abbau unter Beteiligung des Biotins Auch bei extrem hoher Biotinaufnahme können keine toxischen Effekte beobachtet werden Zur Gruppe der B-Vitamine zählende Verbindungen, in der die α,γ-Dihydroxy-β,β-dimethylbuttersäure mit dem β-Alanin säureamidartig verknüpft ist. Neben der Pantothensäure sind auch der Alkohol Panthenol und das schwefelhaltige Pantethein pantothensäurewirksam, jedoch auf Grund der optischen Aktivität nur die rechtsdrehenden Formen.
Struktur:
OH
HO
H N
R O
COOH
Literatur Vorkommen pro 100 g:
Bedarf pro Tag:
Avitaminose:
Funktion:
s. Kapitel: Hypervitaminose:
673
Leber 8 mg, Eigelb 4,5 mg, Rindfleisch 0,7 mg, Weizen, 1,3 mg, Kartoffeln 0,4 mg, Bohnen 0,8 mg, Broccoli 1,2 mg, getrocknete Erbsen 2 mg, Bäckerhefe 5 mg In der Natur liegt die Pantothensäure nur in Ausnahmefällen in freier Form vor. Weit verbreitet ist sie in Form des Coenzyms A und findet sich in jeder lebenden Zelle, besonders reichlich in Leber, Niere, Muskel, Hirn und Eigelb, weiterhin in Hefe, Getreidearten und in einigen grünen Gemüsen (vor allem Hülsenfrüchten) Der Schätzwert für eine angemessene tägliche Zufuhr wird von der DGE für Säuglinge bis 4. Monat mit 2 mg, bis 12 Monate mit 3 mg und Kinder bis 13 Jahre steigend von 4–9 mg, mit 6 mg für Kinder ab 13 Jahren, Jugendliche und Erwachsene einschl. Schwangere und Stillenden angegeben Störung der Nebennierenfunktion, Störung der Fortpflanzung und der Embryonalentwicklung. Der Bedarf wird durch die Nahrung reichlich gedeckt. Lediglich bei extremer Fehlernährung treten innerhalb von etwa 4 Wochen Symptome am Nervensystem auf (Parästhesien = Sensibilitätsstörungen qualitativer Natur in Füßen und Waden). Es tritt eine Überempfindlichkeit der Haut, das so genannte „burning-feet-Syndrom“ auf Bestandteil von Coenzym A (Acylgruppen-Transfer): Pantothensäure bildet die prosthetische Gruppe des Coenzyms A und greift damit zentral in den Intermediär-Stoffwechsel der Kohlenhydrate, Fette und vieler Aminosäuren ein. Im Acyl-Carrier-Protein liegt es ebenfalls gebunden vor. Acetyl-Coenzym-A (Acetyl-CoA), die „aktivierte Essigsäure“, kann außerdem über den Citronensäurezyklus in den oxidativen Endabbau bzw. in den Aufbau von langkettigen Fettsäuren, Sterolen und Steroiden, Gallensäuren, Phosphatiden, Acetylcholin und Mucopolysacchariden sowie in Entgiftungsprozesse eingreifen. Es erhöht die Resistenz der Schleimhäute gegenüber Infektionen, reguliert u. a. den Stoffwechsel in epithelialen Geweben und der Haut mit und fördert Wachstum und Pigmentierung der Haare 1.8; Pantothensäure im Coenzym A und dessen Beitrag zur Biosynthese der Terpene –
Literatur 1. 2. 3. 4.
ISLER, BRUBACHER: Vitamine I, Thieme Verlag, Stuttgart, 1982 ISLER, BRUBACHER: Vitamine II, Thieme Verlag Stuttgart, 1988 W. FRIEDRICH: Vitamins, de Gruyter, Berlin – New York, 1988 G. EISENBRAND, P. SCHREIER (Hrsg.): Römpp Lexikon der Lebensmittelchemie, Georg Thieme Verlag, Stuttgart – New York, 2006
Sachverzeichnis
Abelmoschus esculenta 481 Abelmoschus esculentus 491 Abietinsäure 26 Acacetin 478 Acacia 402 Acanthoscelides obtectus 648, 649 Acarbose 372, 399, 400, 401 ACE 292 Acetoacetyl-ACP 575 Acetobacter suboxidans 375 α-Acetobromglucose 355 Acetoide 5, 43 Acetylcholin 143ff, 148, 158, 185, 323 Acetylcholinesterase 323 Acetylcoenzym A 44, 376, 378, 442 N-Acetyl-Cystein 265 N-Acetyl-D-glucosamin 363 β-Acetyldigoxin 112 N-Acetylmuraminsäure 363, 365 O-Acetylsamandarin 234 Achras zapota 60 Aciclovir 439 Aconitum 1 ACP 575 Acrinomycin 260 Actinomadura 168 Actinomycin D 306 Actinoplanes 399 Acyl-Carrierprotein 575 Adamantoylchlorid 352 ADD 95 Adenin 425, 426, 430, 436, 452 Adenocalymna alliaceum 478 Adenosin 432 Adenosintriphosphat 442 Adhatoda vasica 192 Adonis vernalis 100, 343 Adonitol 343 Adrenalin 145, 146, 147 Adriamycin 293, 604
Aflatoxine 449 Afzelechin 469 Agar-Agar 362, 402, 412 Agarose 412, 413 Agave sisalana 69, 70 Aglycon 353 Agmatin 151 Agnosterin 34 AIDS 410 Ajmalicin 200 Ajmalin 196 Ajuga ripponesis 391 Ajugose 391 Akazie 478, 481 aktivierte Isopren 44 Alanin 254, 270, 273f, 276, 288, 315 β-Alanin 259 Albumin 308 Albumine 312 Alcaligenes faecalis 402 Aldonsäuren 342 Aldosen 335 Aldosteron 76, 85, 87 Algin 402 Alginate 402, 413 Alitam 307 Alkaloide 143 Allelopathica 180 Alliin 261 Allithiamin 426 Allomethylose 341 Aloin 386 Amanita muscaria 148 Amanita phalloides 329 Amanita strobiliformis 261 Amanitin 329 Amantia mappa 148 Amaranthenol 41 Amaranthöl 34, 41 AMD 40
676
Sachverzeichnis
Amentoflavon 479 (S)-1-Amino-2-(methoxymethyl)pyrrolidin 275 3-Amino-3-desoxy-D-glucose 364 γ-Aminobuttersäure 259 Aminocephalosporansäure 300 1-Aminocyclo-propancarbonsäure 259 Aminoglycosidantibiotika 392 Aminolasalocid 612 6-Aminopenicillansäure 298 Aminopeptidase B 293 Aminosäuren 251 Aminosäuresynthese 266 Aminoschutzgruppen 282 Aminozuckern 363 Amomum subulatum 497 Amoxycillin 300 Ampelopsin 476 Amphotericin B 614 Ampicillin 300 Ampullariella regularis 436 Amygdalin 384, 387, 389 Amylase 325 α-Amylasen 399 β-Amylasen 400 γ-Amylasen 400 Amylopektin 377, 387, 391, 399ff Amylose 377, 391, 400ff Amyrin 35, 60 β-Amyrin 48 Anabasin 168 anabole Wirkung 99 Anandamid 583 Androgene 99 5α-Androst-16-en-3-α-ol 99 Androsta-1,4-dien-3,17-dion 95 Androstan 55 5ξ-Androstan 56 Androstan-17β-carbonsäuremethylester 126, 127 4-Androsten-3,17-dion 133 Androstendion 96ff Androstenolon 91ff, 99f Androstenolon-3-acetat 91, 92, 99 Androsteron 99, 100, 133 Aneurin 661 Angiotensin 292 angiotensin converting enzyme 292 Anhydrovitamin A 30 Anogeissus latifolia 402 Anomere 339
anomeren Effekt 339 Ansamycine 616 Anserin 288 Anthocyane 483 Anthocyanglycoside 383 Anthocyanidin 473 Anthocyanidine 467, 483 Anthonomus grandis 649 Anthracycline 604 Antiaris toxicaria 366 Antiarose 366 Antibiotika 371, 601 Antimetabolite 258, 433 Antiperniciosa-Faktor 541 Antirhinin 490 Apamin 3 Apfeltrester 35 Apigenin 478, 487, 499 Apigeninidin 484 Apiose 338 Apium graveolens 67 Apoenzym 314 1-(β-D-Arabinofuranosyl)cytosin 438 Arabinose 336, 338, 346 Arabit 342 Arabitol 343 Arachidonsäure 564, 579, 597 Areca catechu 154 Arecolin 154 Arginin 255 Argpyrimidin 426 Aristeromycin 436 Arjunone 474 Arnika 481 Aromadendrin 476 Artemisia 23 Artemisia annua 25 Artemisia vulgaris 60 Artemisinin 25 Arteriosklerose 65 Arthropda 217 Ascaridol 12 Ascaris 12 Ascorbinsäure 372, 376, 666 Aspalathin 386, 498 Asparagin 255 L-Asparaginase 325 Asparaginsäure 175, 255, 274 Aspartam 307 Aspergillus 203 Aspergillus flavus 449, 491
Sachverzeichnis Aspergillus niger 402, 493 Asperulosid 18 Aspidosperma 206 Astaxanthin 40 Astragalus gummifera 402 Atelopus 193, 239 Atelopus zeteki 193 Atlanton 25 ATP 442 Atropa belladonna 158, 167 Atropin 158, 159, 173 Aureobasidium pullulans 402 Aureusidin 497 Aurone 467, 496 Avenasterin 58, 59 Avermectine 626, 627, 629, 631 C-Avitaminose 373 Ayurveda 1 Azaleatin 481 Azaserin 258, 260 Azcarpin 157 Azidothymidin 438 Azidozillin 299 Azima 156 Azima tetracantha 157 Azimin 157 AZT 410, 438 Azulen 21 Azulene 20, 21 Bacillus brevis 302 Bacillus licheniformis 303, 416, 421 Bacillus subtilis 542 Bacitracin 303 Bacteriochlorine 505 Bacterium prodigiosum 560 Bakteriochlorophyll a 530 Barton'sche Nitritesterphotolyse 87, 651 Basenpaarung 446 Basentriplett 447 Basilikum 35 Basta 258 Bathiorhamnus 156 Batrachotoxin 3, 193, 235, 239, 240 Batrachotoxinin A 240 Becium grandiflorum 478 Benzyloxycarbonylgruppe 282 Berberin 180 Berberis darwinii 484 Bergman-Cyclisierung 633 Beriberi 659, 661
Bessisterin 58 Bestatin 293 Beta 259 Betanin 259 Betelnuss 154 3,8’’-Biapigenin 479 Biflavonoide 467, 479 Bilirubin 559 Biliverdin 559 Bilobetin 479 Bilsenkraut 1, 159 Biochanin A 493 Biogene Amine 143 Biosynthese der Flavonoide 499 Biosynthese von Nucleosiden 460 Biotin 380, 671 N,N'-Bis-2-chlorethyl-Nnitrosoharnstoff 450 Bivittosid C 36 Bivittosid-C-genin 116, 19, 120 Bixin 40 Bleomycin 293 Bleomycine 305 Blighia sapida 260 Blutgruppensubstanzen 414 Boc 283 Boivinose 366 Boletus 343 Borneol 14 Brassica chinensis 426 Brassica napus 67 Brassicasterin 58 Brassinolid 67 Brechnuss 202 Brenztraubensäure 376 Breslow-Remote-Halogenierung 96 Brevetoxin 608 Brevibacterium flavum 274 Brevicomin 652, 656 Brickellia laciniata 478 Bromcyan 278 Bromolasalocid 612 N-Bromsuccinimid 278 Brucin 202 Buddleja macrostachya 478 Bufadienolide 55, 100, 101, 115 Bufo vulgaris 148 Bufogenine 115 Bufotalidin 104 Bufotenin 148, 149 Bufotoxinen 115
677
678
Sachverzeichnis
α-Bungarotoxin 327, 329 Bungarus multicinctus 327 Bupleurum 343 Buttersäure 563 t-Butyloxycarbonyl-Gruppe 283 Butyryl-ACP 575
Cadaverin 151, 171 Cafestol 33 Cahn-Ingold-Prelog 251 Cajaflavanone 475 Calabarbohne 151 Calciferol 70 Calcinose 71, 668 Calcitrinsäure 71 Calebassen-Curare 202 Calendula officinalis 570 Calicheamicin 635 Calicheamicine 633 Calopocarpin 496 Calvin-Cyclus 382 Camelia sinensis 224 Camelia thea 187 Campestanol 56 Campesterin 56, 57, 59 Campher 15 Campherchinon 15 Campheröl 14 Canavalia ensiformis 260 Canavanin 258, 260 Candida albicans 614 Candida lipolytica 193 Cannabis 1 Cantaxanthin 40 Cantharidin 18 Caprinsäure 563 Capronsäure 563 Caprylsäure 563 Capsanthin 40, 41 Capsicum annuum 40 Capsorubin 41 Captopril 292 Caratorta-Krankheit 157 N-Carbamylaspartat 460 Carbamylphosphat 460 Carbenoxolon 36 N,N-Carbonyldiimidazol 286 Carboxypeptidase 325 Carboxypeptidase A 320, 324 Carcinogene 448 Cardenolide 101, 104
Cardiotonika 100, 101 Carica papaya 157 Carnaubawachs 567 Carnegiea gigantea 177 Carnegin 177 Carnosin 288 Carnosolsäure 26 α-Carotin 39, 41 β-Carotin 39, 41 Carotinoide 39, 40 Carotol 26 Carpain 157 Carrageenane 412 Carrangeenan 402 Carvacrol 13 Carveol 13 Caryophyllen 23, 24 Cassia 156 Catechine 467, 469, 485 Catecholamine 145 Catharanthin 208 Catharanthus roseus 208 Caulerpenyn 25 Caviunin 493, 494 Caya pecan 482 Cayenne linaloe 7 Ceasalpinia tinctoria, 411 Cefaloridin 301 Cefalotin 301 Cefamandol 301 Cefapirin 301 Cefoperazon 301 Cefotaxim 301 Cefuroxim 301 Cellobiose 387, 388 Cellulose 335f, 345, 362, 387f, 402ff Centaflavon 481 Centaflavon B 481 Centaurea cyanus 484 Centaurea senegalensis 481 Centose 391 Cephalosporin C 300 Cephalosporine 294, 300 Cephalosporium acremonium 300 Cepham 300, 302 Ceramid 569 Ceratonia siliqua 402 Cerebronsäure 565 Cerebroside 385, 569 Cerotinsäure 563 Cestrum spp. 72
Sachverzeichnis Ch’an-su 100 Chalkon 483 Chalkone 467, 497 Chamazulen 21 Charge-Relay-Systems 321 Chemotherapeutika 601 Chemotherapie 601 Chenodesoxycholsäure 73 Chenopodiumöls 12 Chinarinde 187 Chinazolin-Alkaloide 192 Chinchona 341 Chinin 2, 187 Chinoa 35 Chinolin 187 Chinolin-Alkaloide 187 Chinolizidin-Alkaloide 221 Chinovose 341 Chitin 363, 402, 403, 407 Chitosan 407 Chloramphenicol 605 22-Chlor-digitoxigenin 114 Chlorin 530 Chlorine 505 Chlorocruorin 520 Chlorophora tinctoria 481 Chlorophyll 2, 530 Chlorophyll a 530 Chlorophyll b 530 Chlorophyll c1 530 Chlorophyll c2 530 Chlorophyll d 530 Chloroplasalocid 612 2-Chlorpentostatin 434 Chlortetracyclin 602, 603 5ξ-Cholan 56 Cholansäure 73 Cholecalciferol 70, 667 Choledterin 142 Choleinsäuren 74 5ξ-Cholestan 56 Cholestanon 65 Cholesterin 34, 49, 56ff, 60, 67ff, 95, 121ff, 244 Cholesterin-Biosynthese 66 Cholesterol 56 Cholsäure 73ff Chondodendron tomentosum 185 Chondria 259, 261 Chondroitin-4-sulfat 410 Chondroitinsäure 402
679
Chroman 467 Chromen 467 Chromolaena odorata 481 Chromon 467 Chromoproteide 313 Chrysanthemin 490 Chrysanthemum cinerariaefolium 17 Chrysanthemumsäure 17 Chrysanthenol 14 Chrysin 478 Chrysoeriol 478 Chymotrypsin 279, 290, 320, 325 Cicer arietinum 426 Ciclacillin 300 Ciguatoxin 609 Cinchona 187 1,8-Cineol 12 Cinnamomum camphora 15 Citral 9ff Citratcyclus 376, 379 Citronellal 14 Citrus bigaradia 187 Claviceps purpurea 203, 204 Clavin-Alkaloide 203 Clavularia viridis 583 Clavulone 583 Clostridium botulinum 330 Clostridium tetanii 330 Clotrimazol 122 Cloxacillin 299 CNRS-Methode 163 Cobalamin 541, 665 Cobra-Neurotoxin 239 Cobratoxin 327, 328 Cobyrinsäure 544, 550, 559 Cobyrsäure 544 Cocain 160 Coccinella 221 Codein 177, 186, 187 Codlemon 645 Codon 447 Coelenteraten 611 Coenzym 314 Coenzym A 43 Coffea arabica 224 Coffein 224, 225, 426, 427 Cola nitida 224 Coleoptera 648 Colistin 303 Colitose 366 Colophonium 26
680
Sachverzeichnis
Commelina communis 484 γ-Conicein 162 Conifera podocarpus 67 Coniin 161ff, 172 (-)-Coniin 165 (+)-Coniin 165 Conium maculatum 161 Conocybe 151 Convallaria majalis 100 Convulvus hamadoe 167 Coptis japonica 180 Coreximin 181 Corey-Synthese 588 Coriandrum sativum 7 Corrine 505 Corrol 505 Cortex 76 Corticoide 76, 122 Corticosteron 87 Cortisolacetat 82, 83, 88 Cortison 77ff, 134 Corynanthe yohimbe 195 Corynebacterium diphtheriae 330 Corynebacterium glutamicum 265, 274 Crocin 387 Crotalaria 216 Croton tiglium 32 Crotonöl 32 Cucurbitacine 38 Cumarin 467 Cunonia capensis 481 Curare 183 C40-Curare-Alkaloide 202 Curcuma longa 24 Curcumen 24 Curtius-Umlagerung 287 Cuskhygrin 167 Cyamopsis tetragonoloba 402, 411 Cyanhydrin-Synthese 346 Cyanidin 484, 485, 490, 501 Cyanidinglycoside 492 Cyaninchlorid 489 2-Cyano-6-oxazolopiperidin 163 Cyanocobalamin 543 Cyclitole 368 Cyclo-AMP 440 Cycloartenol 34, 47, 60, 121 3,5-Cyclocholestane 64 α-Cyclocitral 11 Cycloneosamandaridin 234 Cycloneosamandion 234
Cycloserin 258, 260 Cyclosporin 3, 293 Cymarose 366 Cymbopogon flexuosus 10, 27 p-Cymen-2,3-diol 13 Cynara scolymus 25 Cynaropikrin 24 Cyperus rotundus 482 Cystathionin 260 Cystein 251, 254, 281 Cystin 281 Cytidin 385 Cytisin 221 Cytisus scoparius 221 Cytochrom c 308, 524 Cytochrome 519, 524 Cytosin 425, 426, 430, 452, 458 Cytostatika 450, 604 DABS-Cl 263 Daidzein 491, 493 Dalbergia 493 Dammarendiol 34 Dammarharz 34 Danainae 217 Dansylchlorid 263, 265, 280 Daptomycin 305 Datura 1, 167 Datura stramonium 159 Daucol 26 Daucosterin 58 Daucus carota 39 DBU 96 Debranching-Enzym 400 Dehydroascorbinsäure 375 Dehydrocholesterin 58 7-Dehydrocholesterin 72, 95 24-Dehydrocholesterin 56 16-Dehydropregnenolonacetat 91 Dehydroprogesteron 130 16-Dehydroprogesteron 130, 131 Delphin 490 Delphinidin 484, 485, 487, 490, 501 Delphinium 484 (5α)-Demissidin 228 Demissidin 229, 230 Demissin 231 Denaturierung 312 Dendrobates 189 Dendrobates histrionicus 157 Dendrobatidae 211, 239
Sachverzeichnis Dendructonus 652 Deoxyhexosen 341 Depolarisation 144 Dermatan-Sulfat 410 Derris elliptica 495 12-O-Desacetylfuroscalarol 33 12-O-Desacetylscalarin 33 1-(5-Desoxy-5-fluor-β-Dribofuranosyl)thymin 438 Desoxyadenosin 428 Desoxyanthocyane 487 Desoxyanthocyanidine 467, 487 Desoxycholsäure 73, 77, 107, 109, 141 Desoxycytidin 428 Desoxyfucose 366 Desoxynojirimycin 364 2-Desoxynucleoside 428 Desoxyribonucleinsäuren 427, 444 2-Desoxy-ribose 365 Desoxyzucker 335, 362ff Dextran 402, 403, 406 Dextranase 325 Dextrane 408 Dextransulfat 410 Diabetes mellitus 290 Diaminomonocarbonsäuren 255 2S,3R-Diaminopimelinsäure 260 1,5-Diazobicyclo-[5,4,0]-undec-5-en 96 Dibekacin 393, 396ff Dichroa febrifuga 192 Dicloxacillin 299 Dicyclohexylcarbodiimid 285 Didymocarpin 474 Dienon-Phenol-Umlagerung 94 Digilanidobiose 387 Digitalis 341, 366 Digitalis lanata 100, 112 Digitalis lutea 100 Digitalis purpurea 68, 100 Digitogenin 68 Digitonin 68 Digitoxigenin 101, 104, 106, 111f, 122 Digitoxin 107, 113 Digitoxose 366 Digoxigenin 101, 106, 110, 111, 141 Digoxin 107, 112 Dihydroagnosterin 34 7,8-Dihydrobatrachotoxinin A 240ff Dihydroflavonole 476 Dihydrolanosterin 34, 116 Dihydromorin 476
681
Dihydroolivacin 207 Dihydropenicillin F 295 Dihydrowogonin 474 Dihydroxyaceton 335, 346 1,25-Dihydroxycholecalciferol 72, 667 Dihydroxyphenylalanin 145 Diiodtyrosin 259 Dimethylallylpyrophosphat 44 16,16-Dimethyl-PGE2 581 2,4-Dinitrofluorbenzol 279 2,4-Dinitrophenylaziridin 450 Dinoflagellaten 226, 608 Dinophysis acuminata 608 Dinophysis fortii 608 Dioscorea 69 Dioscorea-Arten 90 Diosgenin 68ff, 90, 124 Diosmetin 478 Diphtherietoxin 330 Disaccharide 387f Disaccharidsynthese 359 Disparlur 646, 648, 652 Disulfidbrücken 281 Diterpene 26 Dithiouracil 430 Djenkolbohne 261 Djenkolsäure 261 DNA 444 DNA-Doppelhelix 445 DNA-Ligasen 455 DNA-Sequenzierung 451 DNA-Synthese 456 Docosahexaensäure 564 (Z)-8-Dodecen-1-yl-acetat 643 Dolichin B 496 Dolichos biflorus 496 Domoinsäure 261 DOPA 145 L-Dopa 259 Dopamin 145, 151 L-Dopamin 258 Doppelhelix 445 Doxorubicin 604 Doxycyclin 602, 603 Duboisia 160 Dulcitol 343 Dynemycin A 635 Dynemycine 633 E 605 323 Ecdyson 67
682
Sachverzeichnis
Ecgonin 159 Ectoin 443 Ectoine 443 Edman 280 Ehrlich-Ascites-Tumore 435 Eiche 481 Eicosanoide 579, 597, 599 Eicosapentaensäure 564 Elaiophylin 621 Elektrophorese 252, 257, 258, 312 Elemen 24 Elettaria cardamomum 9 Ellipticin 206, 207 Enders-Methode 275 Endiin-Antibiotika 633 Endopeptidasen 320 Endorphine 289 Endotoxine 329 Enkephaline 289 Entamoeba histolytica 435 Enterotoxine 330 Entzweigungs-Enzym 400 Enzyme 314 Enzymkinetik 315 Ephedra distachya 146 Ephedrin 147 (-)-(1R,2S)-Ephedrin 146 Epicatechin 485 Epicillin 300 12-Epidigoxigenin 111 Epifucose 366 Epinephrin 145, 261 22,25-Epoxyholothurinogenin 36 Erbsen 35 Ergocalciferol 667 Ergolin 203 Ergolin-Alkaloide 203 Ergometrin 204 5ξ-Ergostan 56 Ergosterin 56, 59, 69ff, 95, 122 Ergotamin 204, 205 Ergotismus convulsivus 205 Ergotismus gangraenosus 205 Eriocitrin 475 Eriodictyol 474 Eritadenin 426 Erlenmeyer-Verfahren 267 Erlose 391 Erybraedin A 496 Erythrabyssin II 496 Erythrina glauca 496
Erythromycin 612, 613 Erythroxylum coca 160, 167 Escherichia coli 420, 616 Eserolin 151 Esperamicine 633, 635 essenzielle Aminosäuren 252 14α-Ethyl-5α-cholest-7-en-3β,16α-diol 66 Ethylenglycol 567 Etioporphyrin 507 Eukalyptusöl 12, 13 Exoenzyme 400 Exopeptidasen 320 Exotoxine 330 Fagopyrum esculentum 479 Faltblatt 309 Farnesol 19 Farnesylpyrophosphat 44 FDNB 263 Febrifugin 192 Fecapentaene 570 Fehling-Reaktion 344 Festphasensynthese 287, 422, 459 Fette 566 Fetthärtung 566 Fettsäureabbau 574 Fettsäureaufbau 574 Fettsäuren 563 Fibrin 312 Ficus carica 338 Fingerhut 478 Fischer-Helferich-Methode 353, 354 Fischer-Projektion 251, 336 Fischer-Synthese 355 Fisetholz 481 Fisetin 481, 483 Flavan 467 Flavan-3,4-diole 474 Flavan-3-ole 469 Flavandiole 467 Flavanole 467 Flavanone 467, 474 Flavanonole 467, 476 Flavinadenindinucleotid 441 Flavolignane 477 Flavon 468 Flavone 467, 477, 478, 493 Flavonoide 467 Flavonole 467, 481 Flavylium-Kation 483
Sachverzeichnis Fliegenpilz 261 Flucloxacillin 300 5-Fluor-2’-desoxyuridin 438 9α-Fluorcortisolacetat 88 Fluordinitrobenzol 263 Fluorescamin 263 Fluorocurin 202 Folsäure 664 Formononetin 491, 493 Formose-Reaktion 346 Fragarin 383, 490 Fritillaria 226 Frontalin 652, 653, 655 Fructose 338, 341, 346ff, 377, 382, 388,ff, 405 Fucose 337, 341, 365, 379, 410 Fugu 193 Fukosterin 59 Fungisterin 59 Funtumia 226, 233 Funtumia-Alkaloide 233 Funtumidin 233 Funtumin 233 Furanosen 338 Furcellaran 411, 412 Furfural 349 Fusariotoxicose 620 Fusarium 620 Fusarium, Aspergillus 33 Fusidinsäure 37 Fustin 476 Galactan 404 Galactane 341, 403 Galactitol 343 Galactomannane 341, 390 Galactosamin 363 Galactose 336, 340f, 388ff, 403f, 411ff Galacturonsäure 345, 407 Galangawurzel 481 Galangin 481 Galipea officinalis 187 Gallenfarbstoffe 559 Gallensäuren 69, 73 Gallocatechin 469 Gambierdiscus toxicus 609 Ganciclovir 439 Ganglioside 385 Garbanzol 476 Gein 387 Geissoschizin 196, 198, 200, 248
683
Geissoschizol 196, 200 Gelbkörperhormone 89 Gelidium pterocladia 402 Gellan 402 Gelsemium sempervirens 195 Genistein 491, 493 Genkwanin 478 Gentamycin 392 Gentamycin C1 393 Gentamycin C1a 393 Gentamycin C2 393 Gentamycin C2b 393 Gentiana 392 Gentianose 392 Gentiobiose 387, 389, 392 Geodia gigas 225 Gephyran 215 Gephyrotoxin 211 Gephyrotoxin 223 AB 212, 213, 215 Geranienöl 21 Geraniol 6, 9 Geranylaceton 49 Geranylpyrophosphat 44 Gesamtcholesterin 571 Gesneria fulgens 484 Gestagene 89, 98 Ghatti-Gumm 402 Gibberella zeae 620 Ginkgetin 479, 480 Ginkgo biloba 479, 480 Ginsenosid 34 Ginsenoside 34 Gitogenin 68 Gitoxigenin 101, 103 Glabranin 475 Gleditsin 473 Globin 521 A-Globulin 308 G-Globulin 308 M-Globulin 308 Globuline 312 Glucagon 76, 290, 292 Glucale 362 Glucitol 343 Glucocorticoide 76 Gluconeogenese 375, 380, 381 Glucosamin 363, 409 Glucose 336ff, 346, 349, 356, 363, 372, 375ff, 388ff, 400, 403ff, 423 α-D-Glucose 339 β-D-Glucose 339
684
Sachverzeichnis
Glucosidaseinhibitoren 399 α-Glucosidasen 399 Glucovanillin 383 Glucuronsäure 345, 379, 408, 409, 413 Glutamat 265, 266, 274, 276 Glutamin 255 Glutaminsäure 255, 265, 266, 274, 288, 289, 312, 324 Glutathion 289 Glycerinaldehyd 335, 336, 346 Glycerinphosphatiden 567 Glycin 252, 254, 257, 258, 261 Glycitein 491, 493 Glycocholsäure 74 Glycogen 336, 391, 402, 403, 406 Glycokoll 254 Glycokonjugate 413 Glycolipide 413, 419, 563, 567, 569, 574 N-Glycolylneuraminsäure 365 Glycolyse 375 Glycopeptide 419 Glycophospholipide 413 Glycoproteine 413 Glycosidase-Inhibitoren 371 Glycoside 353 C-Glycoside 353 C-C-Glycoside 386 N-Glycoside 353, 385, 425 O-Glycoside 353, 383 S-Glycoside 353, 385 Glycosylfluoride 356 O-Glycosyl-trichloracetimidate 360 Glycyrrhiza glabra 495, 497, 498 Glycyrrhizin 35 Glykogen 406 Goldregen 221 Golfomycin A 636 Gonan 55 Gonyautoxine 226 Gossypetin 481 Gossypin 491 Gossypium hirsutum 570 Gossypol 25 Gracilaria 402 Gramicidin A 302 Gramicidin S 302, 303, 333 Gramin 150 Gramineae 150 Gramisterin 59, 60 gramnegativ 415
grampositiv 415 Grandisol 651, 652, 653 Grandlur 649 Grapholitha molesta 643 Griseofulvin 607, 639 Guaiazulen 21, 22 Guanidin 430 Guanin 425, 426, 430 Guanosintriphosphat 465 Guar 402, 411 Guaran 387 Guar-Gummi 402 Guibourtacacidin 473 Guluronsäure 345, 413 Gummi arabicum 345, 402, 413 Guttapercha 42 Gymnodinium breve 608 Gymnopilos 151 Gymnothorax javanicus 609 Habermehl-Methode 215 Haifischleber-Öl 33, 41 Halomonas elongata 443 Häm 313, 507, 519 Hämatoporphyrin 507 Hämerythrin 520 Hämin 506, 507, 519, 524, 529 Hämocyanin 520 Hämoerythrin 520 Hämoglobin 2, 308, 313, 507, 519, 520 Hämoglobin A 522 Hämoglobin A2 522 Hämoglobin F 522 Hapalochlaena maculata 193 Harman 194 Harnsäure 226, 425, 427 Haworth-Formeln 338 HBA 488 HDL-Werte 571 Heavenly Blue Anthocyanin 488 Hecogenin 69, 70 Hefeglucan 402 Hefemannan 402 Helferich-Synthese 355 Heliotrin 220 Heliotropium 220 Helix 309 Helix pomatia 402 Helleborus niger 100, 104 Hellebrigenin 104 Hellebrin 104
Sachverzeichnis Hell-Volhardt-Zelinsky 268 Hemicellulosen 404 Heparansulfat 409, 410 Heparin 345, 402, 409, 410, 414 Heparinsulfat 414 Herbipolin 225 Heroin 186 Herzwirksame Glycoside 100 Hesperetin 474 Hesperetin-7-O-rutinosid 474 Hesperidin 387, 474, 475, 501 Heteroauxin 150 Heterocyclische Aminosäuren 255 Heteropolysaccharide 408 Heusler-Kalvoda-Reaktion 94, 116 Hevea brasiliensis 42, 338, 343 Hexosen 335 Hibiscus 481 Hibiscus cannibinus 570 Hinokiflavon 479 Hippursäure 267 Hirudin 325 Hispidol 497 Histamin 143, 151, 152 Histidin 256, 278, 321, 322 Histone 313 Histrionicotoxine 157 HIV 410, 438 HOE 602 439 Hoe/Bay 946 410 Hofman-Löffler-Freytag-Cyclisierung 229 Holarhena 226 Holarrhena 233 Holoenzym 314 Holostan 36 Holothurien 36 Holothurientoxine 37 Holothurinogenin 36 Holothurinogenine 36, 37, 116 Holotoxin 36 Holunder 35 Homopolysaccharide 403 Hopan 37, 47 Hordenin 148 Horner-Emmons-Olefinierung 372 Housson-Methode 212 human immunodeficiency virus 438 Humulans 23 Humulus lupulus 497 Hyaluronsäure 345, 402, 408, 409, 414
685
Hydantoin 266 Hydrangea 484, 487 Hydrocarpus 565 Hydrolasen 315, 414 Hydromycin B 341 3β-Hydroxy-5α-cholest-8(14)-en-16-on 66 Hydroxyectoin 443 Hydroxylysin 260 6a-Hydroxymaackiain 496 Hydroxymethylfurfural 348 4-Hydroxyprolin 251, 258 5-Hydroxytryptamin 148 Hygrin 167, 173 Hygrinsäure 167 Hyoscyamin 158, 159 Hyoscyamus 1 Hyoscyamus niger 159, 167 Hypoglycin A 258, 260 Hypoglycin B 258 Hypoiodit-Reaktion 94 Hypothalamushormone 289 Hypoxanthin 426, 443 Ibotensäure 148, 261 Idaein 490 Iduronsäuren 345 Immunglobuline 414 Immunstimulation 418 IMP 463 Indol 193 Indol-Alkaloide 193 Indolalkylamine 148 Indolchinolizidin-Alkaloide 194 Indolin 193 Indolizidin-Alkaloide 209 β-Indolylacetonitril 150 Indolylessigsäure 150 Ingwer 24 Inosin 427, 443 Inosit-1,4,5-triphosphat 369 Inosite 368 Inositol 343, 368 Insulin 76, 290 Inulin 387, 402, 403, 405, 406 Inulobiose 387 Iodlacton-Cyclisierung 597 Iodolasalocid 612 Ionon 29, 31 α-Ionon 11, 12 β-Ionon 27
686
Sachverzeichnis
Ionophore 607 Ipomoea tricolor 488 Ipsenol 652, 654 Ipsparaconfusus 652 Iridoide 18 Isobakteriochlorin 559 Isoboldin 183 Isocaviunin 494 Isochinolin 176 Isochinolin-Alkaloide 176 Isoflavanone 467, 491 Isoflavon 491 Isoflavone 467 Isoflavonoide 491 Isoginkgetin 479 Isoleucin 252, 255, 279, 303 Isolysergsäure 204 Isomaltose 387 Isomaltotriose 391 Isomelacacidin 473 Isomerasen 315 Isopanose 391 Isopelletierin 154, 155, 172 Isopentenylpyrophosphat 44 Isopren 5 Isopren-Regel 5 Isopulegol 14 Isoquercitrin 383 Isorhamnetin 481 Isoteracacidin 473 Isothymusin 478 Isowillardiin 426 Ivermec 627 Ivermectin 3 Iwasaki-Verfahren 109 Jasmin 583 Jasmonsäure 583 Jervin 235 Johannisbrotkernmehl 402, 411 Juliprosopin 157 Junipersus communis 477 Kaempferol 481 Kahweol 33 Kamille 478, 481 Kamillenöl 15, 21 Kanakugin 474 Kanamycin 392 Kanamycin A 393 Kanamycin B 393, 396
Kanamycin C 393, 395 Kanzonol Y 498 Karaya-Gummi 402, 413 Kardamomöl 9 Katalasen 519 β-Keratine 312 Kestose 391 α-Ketoglutarat 276 2-Ketogulonsäure 375 Ketosen 335 Kichererbsen 493 Knorr-Pyrrol-Synthese 524 Koenigs-Knorr-Methode 355 Koenigs-Knorr-Reaktion 353, 392 Kohlenhydrate 335 Kojibiose 387 Kollagene 312 Kollodium 404 Kondurangorinde 35 Koproporphyrin 518 Koproporphyrin I 511 Koproporphyrinogen III 559 Koprostanol 62 Koprostanole 61 Koprostanon 65 Kornwürmer 648 Kugelfisch 193 Kuwanol 498 Kynurenin 174 Laburnum anagyroides 221 β-Lactamantibiotika 294 Lactarius volemus 343 Lactat-Dehydrogenase 308 Lactimether-Methode 272 Lactoflavin 343 Lactose 341, 350, 387, 388, 389 Lactulose 387, 389 Laminaran 387, 402 Laminaria 402, 407 Laminaribiose 387 Laminarin 407 Langerhans-Inseln 290 Lanolin 567 Lanosterin 34, 47, 69, 121 Lanthionin 260 Lärchen-Gummi 402 Lasalocid 611f, 639ff Lathyrus vernus 486 Laurinsäure 40, 563 Lävoglucosan 362
Sachverzeichnis LDL-Cholesterin 571 Lemongrasöl 10, 27 Lentinus edodes 426 Lepidoptera 643 Leucaena glauca 261 Leucin 252, 255 Leucocyanidin 473 Leucofisetinidin 473 Leuconostoc mesenteroides 402 Leucopelargonidin 473 Leucorobinetinidin 473 Leu-Enkephalin 289 Leukoanthocyanidine 467, 474 Leukotriene 579, 580, 582, 599, 600 Levan 402, 406 Licoagroauron 497 Licoagrocarpin 496 Licochalcon A 498 Ligasen 315 Ligustrosid 18 Limettenöl 24 Limonen 5, 9 Linalool 6, 7, 8, 9, 20 Linamarin 384 Lingula 520 Linolensäure 564, 568, 583 Linolsäure 564 Lipase 325 Lipid X 420 Lipiddoppelschicht 574 Lipide 563 Lipoide 567 Lipopolysaccharide 417 Liquiritiae radix 35 Liquiritigenin 474 Lithocholsäure 73 Lobelanin 155, 156 Lobelia inflata 155 Lobelia-Alkaloide 155 Lobelin 156 Lobry de Bruyn-van EkensteinUmlagerung 349 Lophophora williamsii 147 Lost 449 N-Lost 449 S-Lost 449 Lotaustralin 384 LSD 205 LTC4 582 LTD4 582 Luffarin Q 33
687
Lumbricus terrestris 225 Lupeol 60 Lupinengalactan 402 Lupinin 221 Lupinus luteus 221, 491 Lutein 40, 41 Luteolin 478 Luteolinidin 484 Luteon 491 Lyasen 315 Lychnis dioica 391 Lychnose 391 Lycobiose 387 Lycopersicum 226 Lycopin 39, 41 Lycorin 216 Lycotriose 391 Lysergsäure 204 Lysergsäurediethylamid 205 Lysin 171, 223, 252, 255, 265, 279, 310 Lysophosphatidylcholine 568 Lysophosphatidylethanolamine 568 Lysozym 325 Lyxitol 343 Lyxose 338
Maackiain 496 Maisöl 57, 60 Makrodiolide 620 Makrolid-Antibiotika 612 Maltose 387, 388, 400 Maltotetraose 391 Maltotriose 391 Maltulose 387 Malven 481 Malvidin 484, 485, 491 Malzzucker 388 Mandragora officinalis 167 Mangiferin 386 Mannan 404 Mannane 341 Mannich-Reaktion 150 Manninotriose 391 Mannit 341, 342 Mannitol 343 Mannobiose 387 Mannose 340f, 346, 349, 404, 410f Mannuronsäure 345, 413 Margarine 566 Marinococcus M52 443 Marional 481
688
Sachverzeichnis
Marker-Abbau 90 Matricaria chamomilla 15 Matricaria recutita 21 Mauerpfeffer 154 Maulbeerbaum 481 Mavacurin 202 Maxim-Gilbert 451 Mediogoxin 112 Melacacidin 473 Melatonin 261 Melezitose 391 Melibiose 387, 389, 390 Melittin 3 Membran 574 Menachinone 670 Menadiol 670 Menadion 670 Menispermium 186 Menthol 14 Merrifield 287 Merrifield-Synthese 455 Mescalin 147 Mesitylensulfonyl-3-nitro-1,2,4-triazol 458 Mesoporphyrin 507, 524, 528 Metacyclin 602, 603 Met-Enkephalin 289 Methicillin 299 Methionin 252, 254, 259, 265, 266, 278 5’-Methoxybilobetin 479 1-Methoxyphaseolidin 496 1-Methoxyphaseolin 495 Methoxytetralon 125, 136 Methyl-(E)-2,4,5-tetradecatrienoat 648 N-Methylallosedridin 154 O-Methyl-bufotenin 148 3-Methylbut-l-en-3-ol 8 O-Methylcafestol 33 N-Methylconiin 162 Methylencyclopropylglycin 260 20(22)-Methylenpregnan 109 7-Methylguanin 225 1-Methylguanin 426 2-Methylhept-2-en-6-on 8 N-Methylisopelletierin 154 S-Methyl-L-cystein-sulfoxid 261 N-Methylpelletierin 154 N-Methyl-tyramin 147 Mevalonsäure 44 Mevinolin 3 Michaelis-Menten-Konstante 317
Micromonospora 392 Milbemycin 628ff Milbemycine 626ff Milchzucker 388 Mimosin 261 Mineralcorticoide 76, 85 Minocyclin 602, 603 Misoprostol 581 Mitsunobu-Verfahren 63, 111 Mollisacacidin 473 Momordica charantia 69, 426 Monensin 611 Monoaminodicarbonsäuren 255 Monoaminomonocarbonsäuren 254 monoklonalen Antikörpern 331 Monomorin I 215 Monosaccharide 335 Monoterpene 6 Monoterpenoide Indol-Alkaloide 194 Moosbeere 35 Morin 481 Morphin 2, 143, 177, 185ff Morphinan 185 Morus alba 498 Moschusöl 19 MSNT 458 Mucopolysaccharide 414 Murabutid 419 Muraminsäure 363, 415 Muramyldipeptid 419 Murein 415 Muscarin 144, 148 Muscazon 148 Muscimol 148 Mutagene 449 Mutarotation 337 Mutation 448 Mycobacterium 616 Mycobakterium leprae 565 Mycobakterium tuberculosis 565 Mycoplasma pneumoniae 612 Myoglobin 308, 313, 519, 523 myo-Inosit 368, 369 Myosotis 486 Myrcen 5, 6 Myricetin 481 Myricylalkohol 567 Myricylpalmitat 566 Myrothecium 621 Myrtillin 490
Sachverzeichnis NAD+ 441 NADP+ 441 Nafcillin 300 Naja nivea 327, 328 Nametkin-Umlagerung 15 Narcissus pseudonarcissus 216 Narcotin 177 Naringenin 474, 475 Naringin 384, 387, 475, 501 Nasturtium officinale 482 Naturkautschuk 42 NBD 263 NBS 278 Neocarcinogenins 633 Neocarzinostatin 633, 635, 637 Neoeriocitrin 475 Neohesperidin 384, 387, 475 Neohesperidin-dihydrochalcon 498 Neohesperidose 387 Neostigmin 185 Neotrehalose 387, 389 Neplanocin A 436, 437 Nerium oleander 100 Nerol 9 Nerolidol 19, 20 Neuraminsäure 364 Neurohormone 289 Neurotransmitter 144 Niacin 663 Niacinamid 663 Nichtproteinogene Aminosäuren 258 Nicotiana tabacum 168, 258, 260 Nicotin 144, 156, 168, 169, 175 Nicotinamid 663 Nicotinamid-adenin-dinucleotid 441 Nicotinamid-adenin-dinucleotidphosphat 441 Nicotinamin 258, 260 Nicotinsäure 170, 174, 175 Nierembergia veitchii 72 Nigeran 387, 402 Nigerose 387 Ninhydrin 262 Niphimycin 618 Nisin 303 Nitritesterphotolyse 94 Nitrocellulose 404 Nitrolasalocid 612 Nogalamycin 604 Nojirimycin R-468 364 Noladinether 584
689
Nootkaton 24 Noradrenalin 145, 146, 160 (+)-19-Norandrost-4-en-3,17-dion 138 Norbixin 41 Norephedrin 164 Norepinephrin 261 Norgestrel 135, 136 Norlaudanosin 178 Norrish-Typ-I-Reaktion 107, 651 Norrish-Typ-I-Spaltung 111 Norrish-Typ-II-Reaktionen 108 Nucleinsäuren 425, 444 Nucleobasen 425 Nucleoproteiden 313 Nucleoside 425 Nucleotide 440 Nystatin 614 Obtusifoliol 60 Ochotensin 183 Ochrosia 206 Ocimen 5, 6 Ocytocin 290 Okadainsäure 608 Oleander 35 Oleandogenin 101 Oleandrose 366, 367, 368 Oleanolsäure 35, 60 Oleuropein 18 Oligonucleotid-Synthese 455 Oligopeptide 277 Oligosaccharide 383, 386, 390, 391, 399, 414, 424 Olivacin 206 Olive 35 Oliven 35 Olivin 498 Ololiuqui 205 Ölsäure 563 Omega-3-Fettsäuren 564 Önin 491 Opium 2 oporphyrinogen IX 559 Opsin 27 Orangenblütenöl 19 Ornithin 173, 222, 258 Orobol 493 Orotat 460 Orotidin 426 Orotsäure 426 Orthophthalaldehyd 263
690
Sachverzeichnis
Osatriazole 348 Osazone 348 Osteomalazie 71 Osterglocke 216 Östradiol 89, 94, 95 Östriol 89 Östrogene 89, 90, 96, 122 Östron 89, 93, 95, 125, 128 Ovoverdin 40 Oxacillin 299 Oxedrin 146 Oxetanocin 434 Oxidoreduktasen 315 6-Oxo-PGF1α 582 Oxycoccicyanin 491 Oxytetracyclin 603 Pachyrrhizus erosus 495 Paeonia 484 PAF 572 Palaquium 42 Palatinose 387 Palmitinsäure 563 Palustrin 157 Palythoa toxica 611 Palytoxin 610, 611, 642 PAM 323 Panaeolos 151 Panose 391 Pantherpilz 261 Pantoinsäure 43 Pantothensäure 43, 259, 672 Päonidin 484, 485, 488, 491 Päonidinglycoside 492 Papaver 1, 186 Papaver rhoeas 177, 183 Papaver somniferum 1, 177 Papaver.officinale 186 Papaver.somniferum 186 Papaverin 177, 178, 179, 187 Papyrus Ebers 1 Parathion 323 Paratose 366 Paromamin 394 Passiflora edulis 350 Paterno-Büchi-Reaktion 108 Patuletin 481 PCC 96, 111 Pectenotoxine 608 Pectinophora gossypiella 645 Pectolinarigenin 478
Pedicin 502 Peganum harmala 192, 194 Pektin 350, 402 Pektine 407 Pelagia noctiluca 570 Pelanin 492 Pelargonidin 484, 485, 489, 490 Pelargonidinglycoside 492 Pelargonium 484 Pellagra 663 Penam 295 Penamen 302 Peneme 295 Penicillin 2, 294ff, 302 Penicillin F 295 Penicillin G 295, 299 Penicillin K 295 Penicillin V 297, 299 Penicillin X 295 Penicillium 203 Penicillium chrysogenum 296 Penicillium griseofulvum 607 Penicillium notatum 2, 294 Pentosane 404 Pentosen 335 Pentostatin 433 Peonanin 492 Pepsin 308, 325 Pepstatin A 292 Peptidantibiotika 302 Peptide 277 Peptidoglycan 415 Peptidsynthesen 282 Perhydrogephyrotoxin 213, 214 Perilla frutescens 477 Peroxidasen 519 Perseitol 343 Persicogenin 474 Petanin 492 Petunidin 484, 485, 491 Petunidinglycoside 492 Petunien 484 Petunin 491 Peumus boldus 481 Pfefferminzöl 13, 14 Pfingstrose 484 Pflaume 493 PGA 585 PGA2 584 PGB 585 PGE 585
Sachverzeichnis PGE1 582, 592, 593 PGE2 581, 584, 585, 588, 593 PGF2α 581, 584, 586, 589 PGF2α-Methylester 593 PGG2 597 PGH2 597 PGI2 580, 582, 595, 598 Phalloidin 329 Phäophytin 539, 540 Phaseolidin 496 Phaseolin 495 Phaseolus aureus 496 Phaseolus calcaratus 496 Phaseolus lunatus 496 Phaseolus vulgaris 426, 495, 496 Phenethicillin 299 Phenylalanin 145, 252, 254, 267, 270, 274, 279, 320 2-Phenylchroman 467 3-Phenylchromons 491 Phenylisothiocyanat 280 (8R)-Phenyllobelol 155 Phenylpropan 467 Phenylthiohydantoin 280 Pheromone 643 Phloretin 498 Phlorin 532 Phloroglucin 482 Phorbol 32 Phosphatidylcholin 568 Phosphatidylinosit-4,5-diphosphat 369 Phosphinothricin 3, 258, 259 Phospholipide 563, 567ff, 574, 577 Phosphoramiditmethode 459 5-Phosphoribosyl-l-pyrophosphat 460 Photosynthese 382, 404, 530 Photosystem I 382 Photosystem II 382 Phycocyanin 560 Phycoerythrobilin 560 Phyllobates aurotaenia 239 Phyllobates bicolor 239 Phyllobates lugubris 239 Phyllobates terribilis 239 Phyllobates vittatus 239 Phyllochinon 670, 671 Physostigma venenosum 151 Physostigmin 151 Phytinsäure 369 Phytoalexine 495 Phytol 26
691
Phytomenadion 670 Picralina 202 Pikrocrocin 11 Pikromycin 612 Pinaceenöl 14 Pinen 7, 15 α-Pinen 14 Pinobanksin 476 Pinocampheol 14 Pinocarveol 14 Pinocembrin 474 Pinostrobin 474 Pipecolinsäure 170, 223 L-(-)-Pipecolinsäure 153 Piper nigrum 154 Piperidein 223 ∆1-Piperidein 171 Piperidinalkaloid 153 Piperin 154 Piptadenia 148 Pisatin 495 Pisum sativum 67, 495 Pithecellobium lobatum 261 Pivaloylchlorid 352 Plagiodera versicolora 476 Planteose 391 Plasmide 455 Plasmodium falciparum 25 platelet activating factor 572 Plexaura homomalla 582, 584 PLP 170 Pogostemon cablin 481 Polyen-Antibiotika 614 Polyether 607 Polyisoprene 42 Polyketide 376, 638 Polymyxin B 303 Polyol-Makrolide 618 Polyoxine 443 Polypeptide 277 Polysaccharide 386, 401 Polyzonium rosalbum 217 Ponasteron 67 Porphin 505 Porphobilinogen 555 Porphyrie-Erkrankung 511 Porphyrine 505 Porphyrinoctaessigsäure 517 Porphyrinogen 512 positiv inotrope Wirkung 100, 113, 114 Pratensein 493
692
Sachverzeichnis
5ξ-Pregnan 56 Pregnenolon 89 Pregnenolonacetat 90, 92 Prenylpinocembrin 475 Priapulida 520 Primärstruktur 308 Primula officinalis 387 Primulin 491 Primverose 387 Prins-Reaktion 108 Proanthocyanidine 469, 474, 480, 485, 499 Procyanidine 470, 472, 485, 501, 502 Prodigiosin 560 Progesteron 82, 89, 92, 122, 133 Proinsulin 291 Prolamine 312 Prolin 251, 256, 272, 274, 276, 310, 312 Propicillin 299 Propylur 645 Prosopis 156 Prosopis juliflora 157 Prostacycline 579, 580, 595, 598 Prostaglandine 579ff, 598, 600 Prostaglandinsynthese 590 Prostansäure 579 Protamine 313 Proteasen 320 Proteide 313 Proteinbiosynthese 444, 447 Proteine 251, 277, 306ff, 325, 327, 330 Proteoglycanen 414 Protocatechusäure 482 Protocyanin 486 Protoporphyrin 518 Protoporphyrin IX 507 Provitamin A 39 Provitamin D2 72 Prunasin 384 Prunetin 493 Prunkwinde 488 Prunus 490 Pseudoconhydrin 162 Pseudoephedrin 147 Pseudo-Ionon 11 Pseudomonas 168 Pseudomonas aeruginosa 193 Pseudomonas elodea 402 Pseudopelletierin 161 Pseudouridin 428
Pseudouridin C 426 Pseudozucker 368, 371 Psicose 350 Psilocybe 151 Psilocybin 151 Psophocarpus tetragonolobus 496 Pteridum aquilinum 482 Pterocarpane 495 Pullulan 391, 402, 403, 406 Pullularia pullulans 406 Pulmonaria officinalis 486 Pumiliotoxin 189 Pumiliotoxin 251 D 211 Pumiliotoxin A 211 Pumiliotoxin C 189, 190 Punaglandine 583 Punica granatum 154 Punica-Alkaloide 154 Purin 425, 426, 432, 439, 445, 463 Purin-Alkaloide 224 Purinbasen 425, 426, 427 Puromycin 435 Purpurea 387 Purpurin 475 Pustulan 402 Putrescin 151, 173, 222 Pyocyanin 2 Pyranosen 338 Pyranosyl-β-Oxide 359 Pyrethrin I 17 Pyrethroide 17 Pyridin-2-aldoxim-methyliodid 323 Pyridin-Alkaloide 168 Pyridiniumchlorochromat 96 Pyridoxal 665 Pyridoxalphosphat 151, 170 Pyridoxamin 665 Pyridoxin 665 Pyrimidinbasen 426, 429 Pyrrol-Alkaloide 167 Pyrrolidin-Alkaloide 153, 167, 170, 191, 192, 218, 240 Pyrrolizidin-Alkaloide 216, 217 Pyrrolnitrin 168 Pyruvat 380 Quartärstruktur 277, 310ff, 330 Quassin 38 Quassinoide 38 Quebrachitol 343 Quebracho 343
Sachverzeichnis Quercetin 481, 482 Rachitis 71, 668 Raffinose 390, 391 Raphanusin A 492 Raphanusin B 492 Raphanusin C 492 Rauwolfia serpentina 195, 196 Remote-Oxidation-Prozess 107, 111 Replikation der DNA 446 Reserpin 195 Restriktionsendonucleasen 455 11-cis-Retinal 27 Retinol 659 Retronecin 216, 217, 219, 220, 222 Retrorsin 217 β-Rezeptorblocker 146 Rhamnetin 481 Rhamnose 341, 365, 380, 381 Rheum palmatum 470 Rhizoctonia leguminicola 209 Rhizopus 203 Rhizopus nigricans 82, 325 Rhodinose 366 Rhodopsin 27 Rhoeadin 184 Rhus toxicodendron 341 Ribitol 343 Riboflavin 662 Ribonuclease 414 Ribonucleinsäuren 427, 444 Ribonuklease 308 Ribose 336, 338, 352, 385 Ribulose 350, 382 Ricinolsäure 565 Ricinus communis 565 Rifampicin 616 Rifamycin B 616 Rifamycin O 616 Rifamycin S 616 Rifamycin SV 616 Rishitin 25 Rittersporn 484 RNA 444 Robinetin 481 Robinin 387 Robinobiose 387 Robinson-Schöpf-Kondensation 163 Rohrzucker 388 Romalina scopulorum 343 Roridin A 621
Rosmarin 26, 35 Rosmarinöl 24 Rosmarinus officinalis 26 Rosskastanienextrakt 68 Rotenoide 467, 495 Rotenolon 495 Rotenon 495 Rotklee 493 Rubijervin 227, 235 Rüböl 58 Rubrobrassicin 492 Rubrobrassin 490 Rubus fructiosus 470 Rubus idaeus 470 Ruff-Abbau 347 Rutin 383, 387 Rutinose 387 Saccharomyces uvarum 136 Saccharose 387ff, 400f, 406 Saccharum officinarum 478 Safran 11, 18 Safranal 11 Sakuranetin 474 Salamander-Alkaloide 234 Salamandra maculosa 234 Salbei 35, 478 Salbeiöl 24 Salinomycin 611 Salix sachalinensis 476 Salmonella 417 Salmonella minnesota 418 Salmonella typhimurium 419 Salmonella-Lipopolysaccharide 417 Salvia officinalis 478 Salvia patens 484, 487 Salvigenin 478 Samandaridin 234 Samandarin 234 Samandaron 234 Samandenon 234 Samandinin 234 Samanin 234 Sambubiose 387 Sambucicyanin 490 SAMP 275 Sandelholz 493 Sanger-Reagenz 263, 279 Sankt-Antonius-Feuer 205 Santal 493 Santen 16
693
694
Sachverzeichnis
Santonin 23 Santonin-Lumisantonin-Umlagerung 23 Sapogenine 69 Sarin 323 Sarkosin 259 Sarmentogenin 101 Sarsasapogenin 79, 70, 227 Säureschutzgruppen 282 Saxitoxin 226 Schachtelhalm 157 Schierling 161 Schleimsäure 344 Schneckengalactan 402 Schoenocaulon 226 Schöllkopf 272 Schöpf 154, 155, 159, 161 Schwarzer Nachtschatten 227 Schweizers Reagenz 403 Scilla maritima 387 Scillabiose 387 Scillaren A 116, 117 Scleroglucan 402 Sclerotium 402 Sclerotium glucanicum 402 Scollo-inositol 343 Scopin 160 Scopolamin 144, 160 Scopolia 160, 167 Scutellarein 478 Scymnol 74 Scymnus borealis 74 Secale cornutum 203 Secologanin 200 second messenger 440 Sedamin 154, 155 Sedoheptulose 350 Sedridin 154 Sedum 350 Sedum acre 154 Sedum sarmentosum 154 Sedum-Alkaloiden 155 Seegurken 36 Sehvorgang 28 Seidenfibroin 312 Seifen 566 Sekundärstruktur 277, 308, 309 Selenocystathionin 260 Selenocystein 260 Sempervirin 195 Senecio 216 Senécio jacobáéa 220
Senecionin 217 Senfölglycoside 383, 385 Sen-so 100 Sepinol 476 Serin 254, 276 Serinproteasen 323 Serotonin 143, 148, 151, 261 Sesamum indicum 391 Sesquiterpene 19 Sesterterpene 33 Sexualhormone 89 Seychellogenin 36 Sharpless-Epxidierung 647 Showdomycin 435 Sialinsäure 364 Sialinsäuren 365 Sichelzellenanämie 522 Silibinin 477 Silichristin 477 Silidianin 477 Silybin 477 Silybum marianum 477 Sinensal 19 Sinigrin 383 Sinningia cardinalis 484 Sinomenium 186 Sipunculida 520 Sisomycin 393 Sitostanol 56, 57, 58 Sitosterin 56, 57, 58, 59, 69, 73, 95 β-Sitosterin 95 Skleroproteine 312 Skorbut 373, 659, 667 Slaframin 209, 223 Smilagenin 69 Smílax aristolochiifólia 69 Smílax regélii 69 Soja 35, 69, 493 Sojaöl 57, 59, 60 Solabiose 387 Soladulcidin 230, 231, 232, 233 Soladulcin 230 5β-Solanidanol 227 Solanidin 227, 235 Solanin 227, 387, 391 Solanum 226 Solanum demissum 228, 229 Solanum dulcamara 227, 230 Solanum lycopersicum 227, 229 Solanum malacoxylon 72 Solanum marginatum 69
Sachverzeichnis Solanum melongena 227, 229 Solanum nigrum 227 Solanum tomatilla 229 Solanum tuberosum 227 Solanum-Alkaloide 227 Solasodin 69, 229, 230, 244 Solasodin-Biosynthese 244 Solatriose 227, 391 Solenopis 162 Solenopsis 156 Sonnenblumenöl 58 Sophora japonica 387 Sophorose 387 Sorbinsäure 563 Sorbit 341 Sorbitol 343 Sorbose 346, 350, 375 Sorbus aucuparia 342, 563 Soret-Bande 507 Spartein 221, 223 Spathulenol 26 Spermidin 151 Spermin 151 Sphäroproteine 312 Sphingomyelin 569 Sphingosin 567, 569 Spinasterin 58 Spirographisporphyrin 507 Spiroketal-Saponine 124 Spirosolan-Alkaloide 229 Squalen 33, 34, 41, 47, 49, 50, 128 Squalencyclisierung 121, 128 Squalenepoxid 47 Squalenoxid 128 Stachyose 390, 391 Stammfäule 231 Stanole 57 Staphylococcus 616 Staphylococcus aureus 330 Staphylococcus lactis 417 Stärke 336, 356, 362, 387f, 400ff Stearinsäure 563 Stechapfel 159 Steglich-Base 436 Stephania 186 Steran 55 Sterculia 350, 402 Sterculia sefigera 350 Steroid-Alkaloide 226, 244 Steroide 55 Steroidglycoside 356
695
Steroidhormone 122 Steroidsaponine 67 Steroid-Totalsynthesen 125 Steviosid 387 5ξ-Stigmastan 56 Stigmasterin 56f, 59, 69, 91f, 95 Stipa tenacissima 402 Stphylococcus aureus 415, 612 Strecker 266 Strecker-Synthese 270 Streptococcus lactis 303 Streptococcus pneumoniae 612 Streptococcus pyogenes 612 Streptomyces 371, 542 Streptomyces alboniger 435 Streptomyces aureofaciens 602 Streptomyces aureus 260 Streptomyces avermitilis 626 Streptomyces cacaoi 443 Streptomyces carcinostaticus 633 Streptomyces dimorphogenes 399 Streptomyces hygroscopicus 627 Streptomyces kanamyceticus 392 Streptomyces longisporusrubium 168 Streptomyces mediterranii 616 Streptomyces noursei 614 Streptomyces olivoreticuli 293 Streptomyces piomogenes 443 Streptomyces roseochromogenes 364 Streptomyces showdoensis 435 Streptomyces venezuelae 605 Streptomyces verticillus 305 Streptomycin 366 Streptomyoes nodosus 614 Streptose 366 Streptosporangium 399 (3S)-Strictosidin 200 Strophanthidin 102, 103 g-Strophanthidin 101 k-Strophanthidin 101 Strophanthidinsäure 103 Strophanthin 387 Strophanthobiose 387 Strophanthosid 391 k-Strophanthosid 102 Strophanthotriose 391 Strophanthus 366 Strophanthus gratus 100 Strophanthus-Arten 102 Strychnin 2, 202 Strychnos 183, 202
696
Sachverzeichnis
Strychnos-Alkaloide 202 Subtilia 260 Sulfidkontraktionsmethode 549 Swainsonin 209, 210, 211 Tabernaemontana 206 Tabun 323 Tagatose 350 Taka-Amylase 311 Tallöl 58 Talomethylose 366 Talose 340, 341 Tamarinden-Gummi 402 Tamarindus indica 402 Taurocholsäure 74 Tausendgüldenkraut 35 Taxifolin 476 Taxin 32 Taxol 32 Taxus bacarta 32 Taxus brevifolia 32 Teichonsäuren 416, 420, 422 Teicoplanin 304, 305 Telesto riisei 582, 583 Teloidinon 161 Teracacidin 473 Terpene 5 Terpentinöl 14 1,8-Terpin 12 α-Terpineol 9, 10 Tertiärstruktur 310 Testosteron 89, 99 Tetanustoxin 330 Tetracyclin 603 Tetracycline 602, 638 Tetrahydroalstonin 200 Tetrahydrofolsäure 461 1,2,3,4-Tetrahydroisochinolin 176 Tetraterpene 39 Tetrodotoxin 2, 3, 193, 239 Tetrosen 335 Theaflavin 472 Theanin 261 Theasinensine 472 Thebain 186 Theobroma cacao 224 Theobromin 224 Theophyllin 224, 427 Thermolysin 279 Thevetiaflavon 478 Thiamin 661
Thioglykolsäure 281 Thiouridin 428 Threonin 252, 254 Thrombin 409 Thromboxan 599 Thromboxan B2 596 Thromboxane 579ff, 596, 598 Thujon 14 Thymian 13, 35 Thymidin 426, 428, 438, 458, 461 Thymin 425, 426, 445, 447, 452, 454 Thymol 13, 14 Thyreoglobulin 259 Thyroliberin 289 Thyroxin 259, 261 Tigogenin 68 Titrationskurve 257 Tobramycin 393 Tocopherol 669, 670 Tocopherole 467 Tocotrienol 669, 670 Tollens-Probe 344 Tollkirsche 1 Tolypocladium inflatum 293 Tomate 227, 229 Tomatidenol 230, 244 Tomatidin 229ff, 244 Tomatidin-Biosynthese 244 Tomatin 229, 231, 387, 391 Totalsynthese von PGF2α 588 C-Toxiferin I 202, 239 α-Toxine 327 β-Toxine 327 Toxinkonjugaten 331 Traganth 338, 341, 402, 413 Transaminierungsreaktion 276 Transferasen 315 Transkription 447 trans-Retinal 27 Traubenkernöl 35 Trehalose 387, 389, 399 Trestatine 399 Triacylglyceride 563 Trianthenol 41 Tricetin 478 Tricetinidin 484 Trichloracetimidat-Methode 353, 358 Trichosanthus anguinea 493 Trichothecene 24, 621 Trifolirhizin 496 Trifolium 492
Sachverzeichnis Trifolium pratense 496, 497 Triglyceride 571 2,6,8-Trihydroxypurin 425, 426 Triiodtyrosin 258 4,6,8-Trimethylazulen 23 Triosen 335 Trisetum flavescens 72 Triterpene 33 Triturus cristatus 193 Tritylchlorid 352 Tropa-Alkaloide 158 Tropan 159 Tropasäure 159 Tropin 159 Tropinon 159, 160 Trypanosoma equiperdum 435 Trypsin 279, 290, 308, 325 Tryptamin 143, 148 Tryptanthrin 193 Tryptophan 148, 174, 194, 252, 256, 261, 266, 273, 278, 279, 320 Tubocurarin 185 Tubocurariniumchlorid 185 Turanose 387 Turbina corymbosa 205 Turgorin 383 Turmeron 24 TXA2 599 TXB2 596, 597 Tylecodon wallichii 100 Tyramin 151, 152 Tyrocidin A 302 Tyrosin 145, 254, 258, 261, 269, 278, 279, 289, 320, 324, 330
Ulein 206 Umbelliferae 391 Umbelliferose 391 Umbillicaria pustulata 402 UMP 460 Uracil 425, 426, 430, 445, 447 Uratmosphäre 430 Urginea maritima 100, 116 Uridin 461 Uridinmonophosphat 460 Uridintriphosphat 377 Uronsäuren 345 Uroporphyrin I 511 Uroporphyrin III 518, 519 Uroporphyrinogen I 556 Uroporphyrinogen III 514, 556
Uroporphyrinogens III 559 Valencen 24 Valeriana officinalis 18 Valienamin 372 Valin 252, 255, 273, 296, 302, 310 Valiolamin 372 Valtrat 18 van Slyke 264 Vancomycin 304, 305 Vasicin 192 Vasopressin 290 Veratramin 235 Veratridin 235 Veratrin 1 Veratrum 226 Veratrum album 235 Veratrum californicum 235 Veratrum sabadilla 235 Veratrum-Alkaloide 235 Verbascose 390, 391 Verbasum thapsiformi 391 Verbenaöl 6 Verrucarin A 621 Vetivazulen 21 Vetiveröl 21 Vibrio 193 Viburnum prunifolium 479 Vicia faba 67 Vicianin 387 Vicianose 387 Vigna unguiculata 496 Vinblastin 2, 208 Vinca 202 Vinca major 196 Vinca minor 208 Vinca rosea 2 Vincamin 208 (3R)-Vincosid 200 Vincristin 2, 208 Vindolin 208 Violutosid 387 Viriplanin 604 Vitamin A 2, 26, 659 Vitamin-A-aldehyd 29 Vitamin-A-säure 29 Vitamin-A-säureethylester 32 Vitamin B1 661 Vitamin B12 2, 541, 549, 665 Vitamin-B12-Synthese 544 Vitamin B2 662
697
698
Sachverzeichnis
Vitamin B3 663 Vitamin B4 664 Vitamin B6 665 Vitamin C 372, 666 Vitamin D 70, 667 Vitamin D2 70 Vitamin D3 70 Vitamin E 669 Vitamin K1 670 Vitamin K2 670 Vitamin K3 670 Vitamin K4 670 Vitamine 659 Vitexin 386 Vogelbeeren 563 Volemitol 343 Volemose 350 Walrat 563, 567 Wieland 155 Wieland-Gumlich-Aldehyd 202 Withanolide 61 Wittig-Horner-Reaktion 649 Woodward-Hoffmann-Regeln 544 Xanthan 402, 411 Xanthin 224, 426 Xanthohumol E 498 Xanthomona campestris 402
Xanthosin-5’-phosphat 465 Xerophthalmie 27 XMP 465 Xylan 402, 403, 404, 411 Xylanpolysulfat 410 Xylit 342 Xylitol 343 Xylopinin 180 Xylose 336, 338, 379, 404 Yamogenin 69 Yohimban 194 Yohimbin 195 Ysop 26 Yucca 69 Zearalenon 620, 625, 626 Zeaxanthin 40, 41 Zedernholzöl 25 Zellteilung 446 Zelluloid 404 Zellwandpolymere 415 Zidovudin 410 Zingiberen 24 Zuckerrübe 35 Zuckersäure 344 Zuckerstammbaum 337 Zygadenus 226