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German Pages 734 [732] Year 2010
Molekulare Virologie
Susanne Modrow, Dietrich Falke, Uwe Truyen, Hermann Schätzl
Molekulare Virologie 3. Auflage
Prof. Dr. Susanne Modrow Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene Universität Regensburg Prof. Dr. Dietrich Falke Institut für Virologie Universität Mainz Prof. Dr. Uwe Truyen Institut für Tierhygiene und Öffentliches Veterinärwesen Universität Leipzig Prof. Dr. Hermann Schätzl Institut für Virologie Universität München
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Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de 3. Auflage 2010 © Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 2010 Spektrum Akademischer Verlag ist ein Imprint von Springer 10 11 12 13 14
5 4 3 2 1
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Planung und Lektorat: Frank Wigger, Martina Mechler, Heidemarie Wolter Redaktion: Annette Vogel Index: Bärbel Häcker Satz: klartext, Heidelberg Umschlaggestaltung: SpieszDesign, Neu-Ulm Titelbild: © Jean-Yves Sgro (Norwalkvirus)
ISBN 978-3-8274-1833-3
Vorwort zur dritten Auflage „Pandemie durch neuen Influenzavirus-Subtyp“, „Neues Killervirus entdeckt!“ „Norovirusseuche in Seniorenresidenz“, „Virus legt Fussballverein flach“ – Schlagzeilen wie diese sorgten während der vergangenen Monate und Jahre dafür, dass Viren und die von ihnen verursachten Infektionen regelmäßig im Gespräch waren. Entsprechende Aufmacher auf der Titelseite von Tageszeitungen und in Nachrichtensendungen belegen, dass Virusinfektionen Teil unseres täglichen Lebens sind und dass kaum ein anderer Bereich der naturwissenschaftlich-medizinischen Forschung eine ähnlich große Aufmerksamkeit auf sich zieht. Für molekularbiologisch tätige Wissenschaftler bringen Viren als Forschungsobjekte zudem viele Überraschungen, sind sie doch eine Spielwiese der Evolution: Ständig entstehen neue Varianten und Virustypen, passen sich an neue Wirte an und verlangen somit eine genauere Betrachtung und Erforschung. Ähnlich wie nach der ersten Auflage der Molekularen Virologie zogen auch gleich nach dem Erscheinen der zweiten Auflage neue Virusinfektionen die Welt in ihren Bann: Die SARS-Infektion tauchte in Südostasien auf und verschwand glücklicherweise so schnell, wie sie gekommen war, die Blauzungenkrankheit der Schafe, Ziegen und Rinder schlägt nun auch in Mitteleuropa große Wellen, die Hühner- oder Vogelgrippe hält uns bis heute auf Trab und wurde nur jüngst und vermutlich auch nur vorübergehend von den Problemen der „Schweinegrippe“ überlagert, und mit dem MerkelzellPolyomavirus wurde ein weiteres humanes Tumorvirus entdeckt. All dies ereignete sich vor dem Hintergrund einer nun fast drei Jahrzehnte andauernden AIDS-Pandemie und den ungeklärten Fragen, die sich um die übertragbaren spongiformen Encephalopathien ranken. Die Virusforschung hat jedoch auch große Erfolge zu verzeichnen: So versteht man durch konsequenten Einsatz der modernen Techniken der Molekularbiologie und Biotechnologie zunehmend die pathogenetischen Prozesse, die bei Virusinfektionen in der Zelle ablaufen, kann diese mit den Erkrankungsanzeichen verbinden und sowohl therapeutische Eingriffsmöglichkeiten wie Impfstoffe – auch kurzfristig – entwickeln. Die rasanten Entwicklungen trugen schon bald nach dem Erscheinen der zweiten Auflage zu der Einschätzung bei, dass eine Ergänzung oder eine Neuauflage der Molekularen Virologie notwendig ist. Diese Erkenntnis
setzte sich mit Verzögerung auch bei uns Autoren durch und wir gingen – verstärkt durch Hermann Schätzl als einen klinisch orientierten Virologen und Prionenexperten – ans Werk. Auch wenn sich die Schreibarbeit aufgrund all der Aufgaben und Pflichten, die uns an den jeweiligen Universitäten und Instituten in Anspruch genommen haben, mitunter mühsam und langwierig gestaltete: Nun liegt sie vor, die dritte Auflage der Molekularen Virologie. Alle Kapitel wurden überarbeitet, ergänzt und auf den neuesten Stand gebracht – auch wenn dieser sich beim Erscheinungstermin an einigen Punkten schon wieder als überholt erweisen dürfte. Der Verlag hat sich für ein neues attraktives Layout entschieden, Herrn Frank Wigger, Frau Martina Mechler, Frau Heidemarie Wolter und Frau Annette Vogel sei in diesem Zusammenhang für ihre Geduld, Hilfe und den Zuspruch in den vielen Telefongesprächen gedankt, wenn wir angesichts der Datenfülle, die integriert werden musste, etliche Male an Aufgabe dachten. Frau Doris Mühlbauer vom Sekretariat des Instituts für medizinische Mikrobiologie der Universität Regenburg half uns, viele Rechtschreib- und Grammatikfehler in den Umbrüchen aufzuspüren, die uns erst nach Jahren aufgefallen wären. Unser Dank gilt auch Herrn Dr. rer. nat. Juha Lindner, der – parallel zu seiner inzwischen erfolgreich abgeschlossenen Promotion – über 60 Abbildungen neu gezeichnet oder modifiziert hat. Wir danken auch den vielen Kolleginnen und Kollegen, die wir mit Nachfragen und Telefonanrufen bezüglich der neuesten Details ihrer Forschungstätigkeit belästigten und die geduldig die ihnen vorgelegten Abschnitte korrigierten und verbesserten. Sie alle einzeln zu nennen, würde den Rahmen dieses Vorworts bei weitem sprengen. Größter Dank gilt jedoch Herrn Dr. Hans Gelderblom, dessen elektronenmikroskopische Virusportraits nun jedes Kapitel schmücken und die dritte Auflage der Molekularen Virologie adeln. Er unterbrach seinen wohlverdienten Ruhestand am Seddiner See, stieg in die Tiefen seines Archivs am Robert-Koch-Institut, suchte und wählte kompetent die besten Aufnahmen aus, die ihm zur Verfügung standen. In den Fällen, in denen die eigenen Bilder seinem hohen Anspruch nicht genügten, scheute er weder Zeit noch Mühe, sondern alarmierte weltweit alle seine Kollegen, die ihm besseres Material zur Verfügung stellen sollten. Dieser Bitte kamen viele bereitwillig nach, sie sind in den Quellenangaben aufge-
VI
Vorwort zur dritten Auflage
führt; auch ihnen allen gilt unser besonderer Dank. Hans Gelderblom versorgte uns schließlich noch mit einem Textabschnitt, der eine äußerst lesenswerte Einführung in die unterschiedlichen Methoden der Elektronenmikroskopie darstellt. Nicht zuletzt gilt unser Dank aber auch unseren Familienangehörigen, Freunden, Kollegen und allen, die Anteil an unserem Leben haben und die wir in den ver-
gangenen Monaten in sträflicher Weise vernachlässigt haben.
Dezember 2009
Susanne Modrow, Regensburg Dietrich Falke, Mainz Uwe Truyen, Leipzig Hermann Schätzl, München und Wyoming
Inhalt A
Allgemeiner Teil .
1
Geschichtlicher Überblick
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
1.1 1.2
3
1.4.3 1.5 1.6 1.7
Seit wann kennen wir Viren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Welche technischen Fortschritte haben die Entwicklung der modernen Virologie bestimmt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tierexperimente lieferten wichtige Erkenntnisse zur Pathogenese von Viruserkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Zellkultur stellt eine unverzichtbare Grundlage für die Virusforschung dar . . . . . . . Die moderne Molekularbiologie ist auch ein Kind der Virusforschung . . . . . . . . . . . . Worin besteht die Bedeutung der Henle-Kochschen Postulate? . . . . . . . . . . . . . . In welcher Wechselbeziehung steht die Virusforschung mit Krebsforschung, Neurobiologie und Immunologie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Viren können Zellen transformieren und Krebs verursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . Als Spätfolge von Slow-Virus-Infektionen treten Erkrankungen des zentralen Nervensystems auf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interferone stimulieren die Immunabwehr von Virusinfektionen . . . . . . . . . . . . . . . Welche Strategien liegen der Entwicklung antiviraler Chemotherapeutika zugrunde? . Welchen Herausforderungen der Zukunft muss sich die moderne Virologie stellen? . Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
Viren: Definition, Aufbau, Einteilung .
2.1 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.3 2.4
Wie lassen sich Viren definieren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie sind Viren aufgebaut und wie unterscheiden sie sich von Virusoiden, Viroiden und Prionen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Viren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusoide (Satellitenviren), Viroide, Mimiviren und Virophagen . . . . . . . . . . . . . . Prionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Welche Kriterien bestimmen die Einteilung der Virusfamilien? . . . . . . . . . . . . . Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
Virusvermehrung und Replikation.
3.1 3.2 3.3 3.4
Womit beginnt die Infektion einer Zelle? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie gelangt ein Virus in das Innere der Zelle? . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie wird das Genom des aufgenommenen Virus in der Zelle freigesetzt? . Welche verschiedenen Strategien verfolgen Viren bei Genexpression und Genomvermehrung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was versteht man unter Morphogenese? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.3 1.4 1.4.1 1.4.2
3.5
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
4 4 5 6 7 8 8
9 9 9 10 11 13
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13
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13 13 16 16
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17
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23
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24
. . . . . . .
24
. . . . . . .
26
VIII
Inhalt
3.6 3.7
Wie erfolgt die Freisetzung der Nachkommenviren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
4
Pathogenese .
29
4.1 4.1.1 4.1.2 4.2
Wie breiten sich Viren im Organismus aus? . Eintrittspforten und initiale Replikation . . . . Formen der Virusausbreitung im Körper . . . . Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . .
5
Zellschädigung
5.1 5.2 5.2.1 5.2.2 5.3 5.4 5.5
Zelltod: Was ist eine Nekrose und wie erkennt man die Apoptose? . . . . . . . . . . . Welche Konsequenzen haben produktive Virusinfektionen für die betroffenen Zellen? Veränderungen der Zellmorphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Riesenzellbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inwiefern können auch Viren im Latenzzustand Zellen schädigen? . . . . . . . . . . . . Auf welche Weise verändern Viren das Wirtsgenom? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
Transformation und Tumorbildung
6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.3 6.4 6.5
Wodurch sind transformierte Zellen gekennzeichnet? . . . . . . . . . . . Morphologische Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Veränderungen des Zellwachstums. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Autokrine Stimulation des Zellwachstums durch Viren . . . . . . . . . . . . Welche Wirkung hat die Inaktivierung von Tumorsuppressorproteinen? . Die p53-Proteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Retinoblastomproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andere Wege der Proliferationsinduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie können Tumorzellen der Immunantwort entgehen? . . . . . . . . . . Sind Viren auch fähig, die Apoptose zu unterdrücken? . . . . . . . . . . . Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
Immunologie .
7.1
Welche zellulären und molekularen Komponenten des Immunsystems bilden die „erste Front“ gegen eindringende Erreger? . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dendritische Zellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Granulocyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Monocyten und Makrophagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Natürliche Killerzellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die toll-like-Rezeptoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Akutphaseproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Komplementsystem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Welche „Waffen“ stehen der spezifischen Immunabwehr zur Verfügung? . . . T-Lymphocyten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B-Lymphocyten und Antikörper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.1.1 7.1.2 7.1.3 7.1.4 7.1.5 7.1.6 7.1.7 7.2 7.2.1 7.2.2
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30 30 31
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35
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37
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37 38 38 41 42 43 43 45
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46 46 47 47
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48 49 50 51
. . . . . . . .
51
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51
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52
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53
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54 54 54 55 56 56 59 59
. . . . . . . . . . . . . . .
61 61 68
IX
Inhalt
7.3 7.4 7.5
Wie kann die Abwehr von Viren Autoimmunkrankheiten hervorrufen? . . . . . . . . . . Auf welche Weise können Viren dem Immunsystem entgehen? . . . . . . . . . . . . . Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
8
Cytokine, Chemokine und Interferone .
75
8.1 8.1.1 8.1.2 8.1.3 8.1.4 8.1.5 8.2 8.3 8.4
Welche Gruppen von Cytokinen unterscheidet man und welche Funktionen erfüllen sie im Verband der immunologischen Effektorsysteme? . . . . . . . Interferone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interleukine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tumornekrosefaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Chemokine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Cytokine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie wirken sich Virusinfektionen auf die Cytokinsynthese aus? . . . . . . . Lassen sich Cytokine zur Therapie von Viruserkrankungen einsetzen? . . . Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
Chemotherapie .
9.1 9.1.1 9.1.2 9.1.3 9.2 9.3 9.4
Welche molekularen Angriffspunkte haben antivirale Wirkstoffe? . . . . . . . Hemmstoffe der Virusreplikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hemmstoffe der Virusaufnahme und des Uncoatings . . . . . . . . . . . . . . . Sonstige antivirale Chemotherapeutika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wodurch können Viren gegen antivirale Hemmstoffe resistent werden? . . . Welche therapeutischen Hoffnungen setzt man in Ribozyme, Antisense-RNA und RNAi/siRNA? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10
Impfstoffe .
10.1 10.1.1 10.1.2 10.2
10.4 10.5
Wie wirken Lebendimpfstoffe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Attenuierte Viren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rekombinante Viren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie aktivieren Totimpfstoffe das Immunsystem und welche Typen sind in Gebrauch oder Erprobung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abgetötete Erreger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einsatz ausgewählter Proteine eines Erregers . . . . . . . . . . . . . . . . . Peptidimpfstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . DNA-Impfstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Methoden der Reversed Genetics – eine Neuheit bei der Impfstoffentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markerimpfstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
Epidemiologie .
11.1 11.2
10.2.1 10.2.2 10.2.3 10.2.4 10.3
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
76 76 83 83 85 85
. . . . . .
88
. . . . . .
88
. . . . . .
89
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
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74
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73
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94 95 102 102
. . . . .
103
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104
. . . . .
104
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
107
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
108 108 111
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. . . . .
112 112 112 113 113
. . . . . . . .
113
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114
. . . . . . . .
114
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
115
Welche Übertragungswege existieren für virale Infektionen? . . . . . . . . . . . . . . . Wo überdauern humanpathogene Viren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
116
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
117
X
11.3 11.4
Inhalt
11.5
Inwiefern sind die meisten Viren optimal an ihre Wirte angepasst? . . . . . . . . . . . Welcher Methoden bedient sich die Epidemiologie bei der Untersuchung von Viruskrankheiten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
120
12
Die Evolution der Viren
121
12.1 12.2 12.3 12.4
Wie führen Mutationen zur Entstehung neuer Viren? . . . . . Wie erhalten Viren neue Gene und Funktionen? . . . . . . . Welche Infektionserreger sind erst jüngst neu entstanden? . Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
Labormethoden zum Nachweis von Virusinfektionen .
13.1 13.1.1 13.1.2 13.2
13.4
Wie lassen sich virale Erreger direkt nachweisen? . . . . . . . . . . . . . . . Viruszüchtung, Virusisolierung und davon ausgehende Nachweissysteme . . . Direkter Nachweis der Viren in Patientenmaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . Auf welche Weise nutzt man spezifische Immunreaktionen zum indirekten Nachweis von Virusinfektionen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Welche wichtigen neuen Methoden zum Virusnachweis sind in den letzten Jahren entwickelt worden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
B
Spezieller Teil .
14
Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung . . . . . . . . . .
13.3
14.1 14.1.1 14.1.2 14.1.3 14.1.4 14.1.5
14.1.6 14.1.7 14.2 14.2.1 14.2.2 14.2.3 14.2.4 14.2.5
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
118 119
. . . . . . . . . . . . . . .
121
. . . . . . . . . . . . . . .
122
. . . . . . . . . . . . . . .
123
. . . . . . . . . . . . . . .
125
. . . . . . . . . . .
127
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
127 127 132
. . . . . .
138
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141
. . . . . .
142
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
143
Picornaviren . . . . . . . . . . . . . . . . . Einteilung und charakteristische Vertreter . Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Humanpathogene Picornaviren . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
145
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
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145 146 147 151 155 162 162 165 167 169 170 171 173
. . . . . . Die humanen Astroviren . . . . . . . . . . . . .
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175 175 175 176 176 178 178
Das Poliovirus . . . . . . . . . . . . . Die humanen Entero- und Parechoviren Das Hepatitis-A-Virus . . . . . . . . . Die Rhinoviren . . . . . . . . . . . . . Tierpathogene Picornaviren . . . . . Das Maul-und-Klauenseuche-Virus . . . Weiterführende Literatur . . . . . .
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Astroviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einteilung und charakteristische Vertreter . Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Humanpathogene Astroviren . . . . . . . .
XI
Inhalt
14.2.6 Tierpathogene Astroviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Astroviren des Geflügels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2.7 Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
179 179 180
14.3 14.3.1 14.3.2 14.3.3 14.3.4 14.3.5
Caliciviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einteilung und charakteristische Vertreter . Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Humanpathogene Caliciviren . . . . . . . .
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181 181 182 184 185 185 185 187 187 188 189
14.4 14.4.1 14.4.2 14.4.3 14.4.4 14.4.5
Hepeviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einteilung und charakteristische Vertreter . . . . . . Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Human- und tierpathogene Vertreter der Hepeviren
14.5 14.5.1 14.5.2 14.5.3 14.5.4 14.5.5
Flaviviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einteilung und charakteristische Vertreter . Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Humanpathogene Flaviviren . . . . . . . .
Togaviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einteilung und charakteristische Vertreter . Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Humanpathogene Togaviren . . . . . . . .
. . . . . . Die Hepatitis-E-Viren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4.7 Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . .
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190 190 191 192 193 193 193 195
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196 196 197 199 204 207 207 210 212 213 217 217 218 218 221 223
14.6 14.6.1 14.6.2 14.6.3 14.6.4 14.6.5
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225 225 226 227 231 232 232 235 235 238
Das Rötelnvirus . . . . . . . . . . . . . . . .
14.6.6 Tierpathogene Togaviren . . . . . . . . . . Die verschiedenen equinen Encephalitisviren .
14.6.7 Weiterführende Literatur . . . . . . . . . .
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XII
14.7 14.7.1 14.7.2 14.7.3 14.7.4 14.7.5
Inhalt
Arteriviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einteilung und charakteristische Vertreter . Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tierpathogene Arteriviren . . . . . . . . . .
14.7.6
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das equine Arteritisvirus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Virus des seuchenhaften Spätaborts der Schweine (PRRSV) . Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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239 239 239 240 242 244 244 245 246
14.8 14.8.1 14.8.2 14.8.3 14.8.4 14.8.5
Coronaviren . . . . . . . . . . . . . . . . . Einteilung und charakteristische Vertreter . Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Humanpathogene Coronaviren . . . . . . .
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246 247 247 248 254 255 255 256 259 259 260 261 261
15
Viren mit einzelsträngigem, kontinuierlichem RNA-Genom in Negativstrangorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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263
15.1 15.1.1 15.1.2 15.1.3 15.1.4 15.1.5
Rhabdoviren . . . . . . . . . . . . . . . . . Einteilung und charakteristische Vertreter . Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Human- und tierpathogene Rhabdoviren . .
15.1.6
Tierpathogene Rhabdoviren . . . . . . . . .
Das Tollwutvirus (Rabiesvirus) . . . . . . . . . Das Vesicular-Stomatitis-Virus . . . . . . . . . Weiterführende Literatur . . . . . . . . . .
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263 263 264 267 268 270 270 275 276 276
15.1.7 15.2 15.2.1 15.2.2 15.2.3 15.2.4 15.2.5
Bornaviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einteilung und charakteristische Vertreter . Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tierpathogene Bornaviren . . . . . . . . . .
. . . . . . Das Bornavirus. . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.6 Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . .
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277 278 278 279 281 281 281 283
15.3 15.3.1 15.3.2 15.3.3 15.3.4
Paramyxoviren. . . . . . . . . . . . . . . . Einteilung und charakteristische Vertreter . Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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284 285 286 290 294
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XIII
Inhalt
15.3.5 Humanpathogene Paramyxoviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die humanen Parainfluenzaviren . . . . . . . . . Das Mumpsvirus . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Masernvirus . . . . . . . . . . . . . . . . . Das respiratorische Syncytialvirus . . . . . . . . Das humane Metapneumovirus . . . . . . . . . 15.3.6 Tierpathogene Paramyxoviren. . . . . . . . . Das Newcastle-Disease-Virus . . . . . . . . . . Das Rinderpestvirus . . . . . . . . . . . . . . . Das Hundestaupevirus (Canine-Distemper-Virus) . Das bovine respiratorische Syncytialvirus . . . . 15.3.7 Human- und tierpathogene Paramyxoviren . Die Henipaviren . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3.8 Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . .
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298 298 299 300 304 306 306 307 307 308 310 310 310 312
15.4 15.4.1 15.4.2 15.4.3 15.4.4 15.4.5
Filoviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einteilung und charakteristische Vertreter . Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Human- und tierpathogene Filoviren . . . .
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313 313 314 314 318 319 319 322
16
Viren mit einzelsträngigem, segmentierten RNA-Genom in Negativstrangorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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325
16.1 16.1.1 16.1.2 16.1.3 16.1.4 16.1.5
Arenaviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einteilung und charakteristische Vertreter . Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Human- und tierpathogene Arenaviren . . .
16.1.6 16.2 16.2.1 16.2.2 16.2.3 16.2.4 16.2.5
. . . . . . Das Virus der lymphocytären Choriomeningitis. . Die Erreger des hämorrhagischen Fiebers . . . . Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . .
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325 326 327 328 331 332 332 335 337
Bunyaviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einteilung und charakteristische Vertreter . Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Humanpathogene Bunyaviren . . . . . . . .
Das Rift-Valley-Fieber-Virus . . . . . . . . . . Das Nairobi-Sheep-Disease-Virus . . . . . . . 16.2.7 Weiterführende Literatur . . . . . . . . . .
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338 338 339 344 347 348 348 351 352 353 354
16.3 16.3.1 16.3.2 16.3.3
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355 356 356 358
. . . . . . Die Marburg- und Ebolaviren . . . . . . . . . . . 15.4.6 Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . .
Die Hantaviren . . . . . . . . . . . . . . . . .
16.2.6 Tier- und humanpathogene Bunyaviren. . .
Orthomyxoviren . . . . . . . . . . . . . . . Einteilung und charakteristische Vertreter . Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusproteine . . . . . . . . . . . . . . . . .
XIV
Inhalt
16.3.4 Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.5 Human- und tierpathogene Orthomyxoviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.6 Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
368 371 371 382
17
Viren mit doppelsträngigem, segmentierten RNA-Genom .
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385
17.1 17.1.1 17.1.2 17.1.3 17.1.4 17.1.5
Birnaviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einteilung und charakteristische Vertreter . Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tierpathogene Birnaviren . . . . . . . . . .
17.1.6 17.2 17.2.1 17.2.2 17.2.3 17.2.4 17.2.5
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Gumborovirus (Virus der infektiösen Bursitis der Hühner, IBDV) Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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385 385 386 386 388 388 388 390
Reoviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einteilung und charakteristische Vertreter . Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Humanpathogene Reoviren . . . . . . . . .
17.2.6
Tierpathogene Reoviren . . . . . . . . . . .
17.2.7
Die Rotaviren . . . . . . . . . . . . . Das Bluetonguevirus . . . . . . . . . . Das Virus der afrikanischen Pferdepest Weiterführende Literatur . . . . . .
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390 391 391 393 397 399 399 402 402 403 405 406
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409
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409 410 412 418 430 440 440 450 451 451 452 454 455 456 457 458
Die Influenzaviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die Rotaviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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18
Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom und doppelsträngiger DNA als Zwischenprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18.1 18.1.1 18.1.2 18.1.3 18.1.4 18.1.5
Retroviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einteilung und charakteristische Vertreter . Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Humanpathogene Retroviren . . . . . . . .
18.1.6
18.1.7
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XV
Inhalt
19
Viren mit doppelsträngigem DNA-Genom
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
461
19.1 19.1.1 19.1.2 19.1.3 19.1.4 19.1.5
Hepadnaviren . . . . . . . . . . . . . . . . Einteilung und charakteristische Vertreter . Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Humanpathogene Hepadnaviren . . . . . .
19.1.6
. . . . . . Das humane Hepatitis-B-Virus . . . . . . . . . . Die Hepatitis-D-Viren . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . .
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461 461 462 466 469 472 472 479 482
19.2 19.2.1 19.2.2 19.2.3 19.2.4 19.2.5
Polyomaviren . . . . . . . . . . . . . . . . Einteilung und charakteristische Vertreter . Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Humanpathogene Polyomaviren . . . . . .
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484 484 485 488 491 492 492 496 496 498
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499 499 501 503 509 512 512 517 517 518
Adenoviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einteilung und charakteristische Vertreter . . . Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Adenovirusassoziierte RNA (VA-RNA I und II) . Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Humanpathogene Adenoviren. . . . . . . . . .
Die caninen Adenoviren . . . . . . . . . . . . . . Die Adenoviren des Geflügels . . . . . . . . . . . 19.4.8 Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . .
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520 520 521 525 535 535 538 538 542 542 542 543
19.5 19.5.1 19.5.2 19.5.3 19.5.4
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544 545 545 558 572
Die BK- und JC-Polyomaviren . . . 19.2.6 Tierpathogene Polyomaviren . Das SV40-Virus . . . . . . . . . 19.2.7 Weiterführende Literatur . . .
19.3 19.3.1 19.3.2 19.3.3 19.3.4 19.3.5
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Papillomaviren . . . . . . . . . . . . . . . . Einteilung und charakteristische Vertreter . Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Humanpathogene Papillomaviren . . . . . . Die Papilloma- oder Warzenviren . . . . . . . .
19.3.6 Tierpathogene Papillomaviren . . . . . . . Die tierischen Papilloma- oder Warzenviren . .
19.3.7 Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . 19.4 19.4.1 19.4.2 19.4.3 19.4.4 19.4.5 19.4.6
Das humane Adenovirus . . . . . . . . . . . . . .
19.4.7 Tierpathogene Adenoviren . . . . . . . . . . .
Herpesviren . . . . . . . . . . . . . . . . . Einteilung und charakteristische Vertreter . Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusproteine des lytischen Zyklus . . . . . RNA-Produkte . . . . . . . . . . . . . . . .
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XVI
Inhalt
19.5.5 Proteine der Latenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Epstein-Barr-Virus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Humanes Herpesvirus 8 . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.5.6 Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.5.7 Humanpathogene Herpesviren . . . . . . . . . . . . Die Herpes-simplex-Viren . . . . . . . . . . . . . . . . Das Varicella-Zoster-Virus . . . . . . . . . . . . . . . . Das humane Cytomegalovirus . . . . . . . . . . . . . . Die humanen Herpesviren 6 und 7 . . . . . . . . . . . . Das Epstein-Barr-Virus . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das humane Herpesvirus 8 . . . . . . . . . . . . . . . 19.5.8 Tierpathogene Herpesviren . . . . . . . . . . . . . . Das bovine Herpesvirus Typ 1 . . . . . . . . . . . . . . Das porcine Herpesvirus 1 (Suid herpesvirus 1) . . . . . Die equinen Herpesviren Typ 1 und 4 (EHV-1 und EHV-4) Das canine Herpesvirus Typ 1 . . . . . . . . . . . . . . Das galline Herpesvirus Typ 2 . . . . . . . . . . . . . . 19.5.9 Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . .
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572 572 577 579 585 585 588 590 593 595 600 601 602 604 605 606 607 608
19.6 19.6.1 19.6.2 19.6.3 19.6.4 19.6.5
Pockenviren . . . . . . . . . . . . . . . . . Einteilung und charakteristische Vertreter . Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Humanpathogene Pockenviren . . . . . . .
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610 610 611 614 620 623 623 626 627 627 628 628 629 630
19.7 19.7.1 19.7.2 19.7.3 19.7.4 19.7.5
Asfarviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einteilung und charakteristische Vertreter . Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tierpathogene Asfarviren . . . . . . . . . .
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631 631 631 632 632 633 633 634
19.7.6
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20
Viren mit einzelsträngigem DNA-Genom
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
635
20.1 20.1.1 20.1.2 20.1.3 20.1.4
Parvoviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einteilung und charakteristische Vertreter . Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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635 635 637 639 644 644 645
. . . . . Parvovirus B19 und andere autonome Parvoviren Adenoassoziierte Viren . . . . . . . . . . . . .
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XVII
Inhalt
20.1.5 Humanpathogene Parvoviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20.1.6
20.1.7 20.2 20.2.1 20.2.2 20.2.3 20.2.4 20.2.5
Das Parvovirus B19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das humane Bocavirus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die adenoassoziierten Viren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tierpathogene Parvoviren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die felinen und caninen Parvoviren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das porcine Parvovirus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Virus der Aleutenkrankheit der Nerze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die animalen Bocaviren: Das bovine Parvovirus (BPV) und das Canine-Minute-Virus (CnMV) Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Circoviren und Anelloviren . . . . . . . . . Einteilung und charakteristische Vertreter . Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virusproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . Replikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Humanpathogene Anelloviren . . . . . . . .
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659 659 659 660 662 663 663 664 664 664 665
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Das TT-Virus . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20.2.6 Tierpathogene Circoviren . . . . . . . . . . Das Chicken-Anaemia-Virus (CAV) . . . . . . . Die porcinen Circoviren . . . . . . . . . . . . 20.2.7 Weiterführende Literatur . . . . . . . . . .
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Prionen
21.1 21.2 21.3 21.4 21.5
Einteilung und charakteristische Vertreter . Aufbau des Prionprotein-Gens (PRNP/Prnp) . Aufbau des Prionproteins (PrP) . . . . . . . . Vermehrung von Prionen/PrPSc . . . . . . . . Humane Prionerkrankungen . . . . . . . . . .
21.6
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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kuru, Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD) und ähnliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
674 674
Prionerkrankungen in Tieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Scrapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Chronic Wasting Disease (CWD) . . . . . . . . . Transmissible Encephalopathie des Nerzes (TME) Bovine spongiforme Encephalopathie (BSE) . . .
21.7
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Anhang 1 Transmissionselektronenmikroskopie in der Virologie: Prinzipien, Präparationsmethoden und Schnelldiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Anhang 2 Informationen zu den „prototypischen elektronenmikroskopischen Portraits“ der einzelnen Virusfamilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
691
Glossar
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695
Index
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707
A Allgemeiner Teil
1 Geschichtlicher Überblick 1.1 Seit wann kennen wir Viren? Für die Krankheiten, die wir heute als Viruserkrankungen kennen, sah man ursprünglich „Gifte“ als Ursache an. Mit den damals üblichen Methoden ließen sich keine (krankheitserzeugenden) pathogenen Organismen wie Bakterien oder Protozoen in den „giftigen Materialien“ nachweisen. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts legten Tierversuche, die von Louis Pasteur durchgeführt wurden und bei denen sich auch nach mehreren Passagen keine Ausverdünnung der giftigen Eigenschaften einstellte, nahe, dass das krankheitsauslösende Agens in der Lage war, sich im Organismus zu vermehren. Man sprach deshalb von einem in lebenden Organismen, später auch von einem in Zellen vermehrungsfähigen „Virus“ (lateinisch für „Gift“ oder „Schleim“). Im Jahre 1892 konnte Dimitri I. Iwanowski in St. Petersburg zeigen, dass die Mosaikkrankheit der Tabakpflanzen durch ein „ultrafiltrierbares“ und damit deutlich unter Bakteriengröße liegendes Agens verursacht wird: das Tabakmosaikvirus. (Bakterienfilter weisen eine Porenweite von etwa 0,2 Mikrometern auf, die meisten Viren messen dagegen weniger als 0,1 Mikrometer.) Martinus Willem Beijerinck kam bald darauf zu dem gleichen Schluss: Er entwickelte erstmals das Konzept eines selbst replizierenden, „flüssigen“ Agens („contagium vivum fluidum“). Der erste Nachweis eines tierpathogenen Virus gelang dann 1898 Friedrich Loeffler und Paul Frosch in Greifswald mit der Entdeckung des Maul-und-Klauenseuche-Virus. Rückblickend lässt sich allerdings belegen, dass bereits vor etwa 3 000 Jahren – ohne nähere Kenntnis des Erregers – Vorgehensweisen praktiziert wurden, die man heute als Impfungen gegen Viruserkrankungen bezeichnen würde. Im alten China, in Indien und auch in Ägypten müssen immer wieder verheerende Pockenepidemien aufgetreten sein; Pharao Ramses V. ist – wie seine Totenmaske zeigt – sehr wahrscheinlich an einer Infektion durch Pockenviren gestorben. Wie man damals
beobachtete, blieben Personen, welche die Krankheit einmal überstanden hatten, bei weiteren Epidemien verschont; in ihnen musste sich also bedingt durch die erste Erkrankung eine Art Schutz entwickelt haben – sie waren immun. Dieser Schutzzustand ließ sich auch künstlich herbeiführen: Übertrug man den getrockneten Schorf von Pocken auf noch nicht erkrankte Personen, dann waren diese zumindest teilweise vor den Pocken geschützt – eine Maßnahme, die wir heute als Variolation bezeichnen (die Pocken tragen fachsprachlich die Bezeichnung Variola; 䉴 Abschnitt 19.6). Historische Beschreibungen weisen darauf hin, dass man die Pocken bereits damals als biologische Waffen eingesetzt hatte. Im 18. Jahrhundert stellte man in England und Deutschland fest, dass auch die Überwindung der Melkerknotenkrankheit, die durch einen mit dem Pockenvirus verwandten Erreger ausgelöst wird, Schutz vor den echten Pocken verleiht. Diese Beobachtungen müssen Edward Jenner 1796 bekannt gewesen sein, als er Schweine- und Kuhpockenmaterial als eine Art Impfstoff zunächst auf seinen erstgeborenen Sohn und dann auf James Phipps, einen jungen Kuhhüter, übertrug. Bei beiden Jungen blieben nachfolgende Expositionen mit dem humanpathogenen Pockenvirus durch Verimpfung von Pockeneiter ohne Reaktion; tatsächlich war also durch dieses erste „virologische Experiment“ ein Schutz erzeugt worden. Von England breitete sich die Kenntnis dieser Vakzination – der Begriff ist vom lateinischen vacca für „Kuh“ abgeleitet – sehr rasch auf den europäischen Kontinent und in die USA aus. Mit den bald darauf folgenden gesetzlich vorgeschriebenen Impfungen – im damaligen Deutschen Reich wurde 1874 ein erstes Impfgesetz erlassen – gelang es, die gefürchtete Seuche allmählich einzudämmen. Es dauerte allerdings noch etwa 100 Jahre, bis sich 1977 in Somalia zum letzten Mal ein Mensch, Ali Maov Maalin, auf natürlichem Weg mit den Pocken infizierte, nachdem die WHO ein weltweites Impfprogramm durchgeführt hatte. Heute gilt die Krankheit als ausgerottet. Auf einer ähnlichen Basis, also ohne genaue Kenntnis der Natur des Erregers, entwickelte Louis Pasteur 1885
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1 Geschichtlicher Überblick
in Paris einen Impfstoff gegen die Tollwut (䉴 Abschnitt 15.1.5). Er hatte 1882 die Erkrankung, deren Ursache er in unbekannten und unsichtbaren Mikroben sah, erstmals intracerebral auf Kaninchen übertragen. Wie er zeigen konnte, verlor der Erreger durch fortlaufende Übertragung in den Tieren seine krankheitserzeugenden Eigenschaften. Pasteur gewann hierdurch die Basis für ein Impfvirus (virus fixe), das sich im Gegensatz zu dem Wildtyperreger (virus de rue) durch eine konstante Inkubationsperiode auszeichnete. Verriebenes und getrocknetes Rückenmark von mit dem virus fixe inokulierten Kaninchen war nicht mehr infektiös, erzeugte aber (zunächst in Hunden) Schutz vor der Tollwut. 1885 verimpfte Pasteur dieses Material erstmals an einen neunjährigen elsässischen Jungen namens Joseph Meister, der zwei Tage vorher von einem tollwütigen Hund gebissen worden war und dank der Impfung überlebte.
1.2 Welche technischen Fortschritte haben die Entwicklung der modernen Virologie bestimmt? Viren sind dem Menschen aufgrund ihrer geringen Größe lange verborgen geblieben. Die Auflösung der um 1900 von Ernst Abbé konstruierten Lichtmikroskope reichte nicht aus, um diese Krankheitserreger sichtbar zu machen; dies gelang erst mit dem 1940 von Helmut und Ernst Ruska entwickelten Elektronenmikroskop. Mit seiner Hilfe wurde erstmals die Struktur eines Virus, nämlich die des Tabakmosaikvirus, geklärt. Auch der (indirekte) Nachweis solcher sehr kleiner, auf künstlichem Nährboden nichtzüchtbarer Agenzien blieb so lange unmöglich, bis bakteriendichte Ultrafilter zur Verfügung standen. Diese erlaubten es schließlich, die Existenz vieler Viren zu zeigen: Walter Reed wies im Jahre 1900 das Gelbfiebervirus als erstes humanpathogenes Virus nach, 1903 folgten die Kaninchenmyxom- und Tollwutviren. 1908 entdeckten Vilhelm Ellermann und Oluf Bang die Geflügelleukämie-, 1909 Karl Landsteiner und Emil Popper die Poliomyelitisviren, und 1911 fand Peyton Rous das nach ihm benannte Rous-SarkomVirus und damit das erste Virus, das in der Lage war, Tumorerkrankungen (in diesem Falle im Bindegewebe von Geflügel) zu induzieren. Dass Viren dazu fähig sind, hatte der französische Bakteriologe Amédée Borrel bereits 1903 vermutet.
Auch Bakterien können von ultrafiltrierbaren, übertragbaren Erregern befallen werden, wie Frederick Twort und Felix d’Herelle in den Jahren 1916 und 1917 entdeckten. Ihnen fiel vor allem die Fähigkeit dieser Agenzien auf, Bakterien zu lysieren; sie nannten sie deshalb Bakteriophagen – nach dem griechischen Wort phagein für „essen“. Die Erforschung der Natur der Bakteriophagen hat der Virologie in methodischer wie konzeptioneller Hinsicht wichtige Befunde und Anregungen geliefert. Viele der Schritte, die eine Virusinfektion charakterisieren – wie Adsorption und Penetration, die regulierte Genexpression mit früh und spät im Zyklus produzierten Proteinen sowie die Lysogenie mit der Existenz von Prophagen – wurden erstmals bei Untersuchungen an diesen Bakterienviren entdeckt.
1.2.1 Tierexperimente lieferten wichtige Erkenntnisse zur Pathogenese von Viruserkrankungen Die Untersuchung der Viren und ihrer Eigenschaften war vor allem dadurch erschwert, dass sie sich anders als Bakterien nicht in künstlichen Nährmedien vermehren ließen. Man stellte jedoch fest, dass einige der aus erkrankten Personen isolierten Erreger auf Tiere übertragbar waren und sich in ihnen vermehrten. So war Wilhelm Grüter in Marburg schon im Jahre 1911 die Übertragung des Herpes-simplex-Virus von den Hautbläschen des Menschen auf die Cornea (Hornhaut) des Kaninchenauges gelungen. Die außerordentliche Empfänglichkeit von Frettchen ermöglichte 1933 erstmals die Isolierung des Influenza-A-Virus aus Nasen-/Rachenflüssigkeit eines Erkrankten durch Christopher Andrews, Wilson Smith und Patrick P. Laidlaw. Tierexperimente erbrachten aber auch aus anderer Sicht viele Erkenntnisse zur Pathogenese von Virusinfektionen. Richard E. Shope entdeckte 1935 das Papillomavirus des Kaninchens und damit das erste Tumorvirus, das – wie sich später zeigte – ein DNA-Genom enthielt. Er vermutete, ein solches Virus könne als Provirus in einer latenten Form im Organismus vorkommen. Darüber hinaus ist ihm die Entdeckung zu verdanken, dass Karzinome der Haut aus gutartigen Papillomen hervorgehen können. Bösartige Tumoren entstehen also in zwei oder mehreren Schritten – eine heute allgemein akzeptierte Vorstellung. Shope hatte ferner beobachtet, dass die Karzinomhäufigkeit bei verschiedenen Kaninchenrassen variiert und genetische Eigenschaften des Wirtes die Krebsentstehung demnach beeinflussen. Im Rahmen von Tierversuchen machte Erich Traub 1935 in Princeton beim Studium des Virus der lympho-
1.2 Welche technischen Fortschritte haben die Entwicklung der modernen Virologie bestimmt?
cytären Choriomeningitis eine wichtige Beobachtung: Wurden trächtige Mäuse mit dem Virus infiziert, erfolgte eine Übertragung auf die Embryonen; die Muttertiere erkrankten an einer Hirnhautentzündung (Meningitis) und bildeten im weiteren Verlauf schützende Antikörper. Die neugeborenen Mäuse blieben dagegen gesund, schieden aber lebenslang große Virusmengen aus, ohne eine spezifische Immunantwort gegen die Erreger zu entwickeln. Damit hatte man das erste Beispiel für eine durch ein Virus ausgelöste Immuntoleranz entdeckt, allerdings ohne die allgemeine Bedeutung dieses Phänomens zu erkennen und den heute gängigen Begriff zu prägen (䉴 Abschnitt 16.1.5). Die lymphocytäre Choriomeningitis erwies sich später als immunologisch bedingte Erkrankung. Rolf M. Zinkernagel und Peter C. Doherty haben 1974 an diesem Modell erstmals die Restriktion von cytotoxischen T-Lymphocyten für einen bestimmten, genetisch verankerten Typ von MHC-Proteinen gezeigt. Durch die oben erwähnten Experimente von Traub war aber auch zum ersten Mal die intrauterine Übertragung eines Virus gezeigt worden. Dies warf die Frage nach ähnlichen Infektionswegen beim Menschen auf. Tatsächlich beobachtete dann 1941 Sir Norman Gregg in Australien nach einer schweren Rötelnepidemie Embryopathien, wenn Schwangere von der Infektion betroffen waren. Wie man später nachwies, waren diese Fehlbildungen die Folge intrauteriner Übertragungen des Rötelnvirus. 1947 erfolgte die Entdeckung der Coxsackieviren, nachdem man virushaltige Stuhlextrakte auf neugeborene Mäuse übertragen hatte (Coxsackie ist ein Ort im US-Bundesstaat New York). Wenig später gelang Ludwik Grosz in New York aus Blutzellen die Isolierung und der Nachweis der Leukämieviren der Maus. Neben der Wichtigkeit für die Tumorvirusforschung weckten diese Beobachtungen auch das Interesse an der Frage, worin die Basis der hohen Empfänglichkeit neugeborener Tiere für Virusinfektionen liegen könnte, und regten Untersuchungen zur angeborenen Resistenz eines Organismus gegenüber Infektionen sowie zum Zeitpunkt ihrer Entstehung und zu ihren Ursachen an.
1.2.2 Die Zellkultur stellt eine unverzichtbare Grundlage für die Virusforschung dar Umständliche und zeitraubende Tierversuche waren anfangs die einzige Möglichkeit, die Existenz von Viren nachzuweisen. Man suchte deshalb schon früh nach einfacheren Methoden. Einen Weg wies die Beobachtung so genannter Einschlusskörperchen in virusinfizierten Ge-
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weben, die bald als Hinweis für eine Vermehrung der Erreger gewertet wurden; wie man heute weiß, handelt es sich hierbei um Ansammlungen von Virusproteinen und -partikeln im Cytoplasma oder im Zellkern. Die ersten Einschlusskörperchen fand Dimitri I. Iwanowski. Zur gleichen Zeit entdeckte Guiseppe Guarnieri ähnliche Ablagerungen in mit Pockenviren infizierten Zellen, 1903 dann Adelchi Negri die später nach ihm benannten Einschlusskörperchen in Ganglienzellen tollwutkranker Tiere. Damit standen zumindest für einige Viruskrankheiten einfache färberische Nachweisverfahren zur Verfügung. Methoden zur Züchtung der Viren hatte man jedoch erst später zur Hand. In den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts fand man heraus, dass sich bebrütete Hühnereier für die Vermehrung mancher Virusspezies eignen. Zwischen 1918 und 1920 forderte eine pandemisch auftretende Viruserkrankung, die Spanische Grippe (Influenza), weltweit mehr als 20 Millionen Todesopfer – mehr als der Erste Weltkrieg. Nach der Züchtung der verantwortlichen Viren in bebrüteten Hühnereiern im Jahre 1933 wurden 1941 ihre hämagglutinierenden Fähigkeiten (also ihr Vermögen, rote Blutkörperchen zu verklumpen) entdeckt und damit der Grundstein für die Entwicklung von Hämagglutinationstests zum Virusnachweis gelegt. Als weiterer wichtiger Schritt in der Geschichte der modernen Virologie erwiesen sich die ersten Ultrazentrifugen, die etwa zur gleichen Zeit zur Verfügung standen; durch sie wurden die Sedimentation der kleinen Viruspartikel und ihre Konzentrierung möglich. Den Durchbruch bei der Aufklärung des pathogenetischen Wirkmechanismus der Influenzaviren brachten jedoch erst molekularbiologische Verfahren, die es erlaubten, das genetische Material dieser Erreger zu untersuchen, das in Form einzelsträngiger RNA-Segmente vorliegt. Ihre Sequenzierung offenbarte die genetischen Ursachen für die bis dahin unverstandene Fähigkeit der Influenzaviren, ihre antigenen Eigenschaften in periodischen Abständen zu verändern (䉴 Abschnitt 16.3.5). Vor allem war es aber die in erster Linie aus Spendenmitteln geförderte Erforschung der Kinderlähmung (Poliomyelitis; 䉴 Abschnitt 14.1.5), welche entscheidende neue Erkenntnisse erbrachte. Sie stellt rückblickend den eigentlichen Übergang zur molekularbiologischen Untersuchung von Virusinfektionen dar. Die starke Zunahme der an Kinderlähmung Erkrankten und Gestorbenen – eine Folge des gesteigerten Hygienestandards und der damit einhergehenden Verschiebung der Durchseuchung in spätere Lebensjahre – bewirkte in den USA zu Beginn der Dreißigerjahre die Gründung der National Polio Foundation durch Franklin D. Roosevelt, der selbst ein Opfer dieser Krankheit war. Mit den eingeworbenen Mitteln konnte ein großes Forschungs-
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1 Geschichtlicher Überblick
programm initiiert werden, dessen Krönung 1949 die Entdeckung des cytopathischen Effekts (CPE) durch John F. Enders, Thomas H. Weller und Frederick C. Robbins war. Hugh B. und Mary C. Maitland hatten bereits 1928 die Methode der Gewebekultur eingeführt, bei der sie die Zellen kleiner Gewebestückchen in serumhaltigen Flüssigkeiten kultivierten und mit Vacciniaviren infizierten. Die erfolgte Replikation der Viren wurde dann im Tierversuch oder durch das Vorhandensein von Einschlusskörperchen nachgewiesen. Als in den Vierzigerjahren Antibiotika zur Verfügung standen, konnte man bakterielle Kontaminationen in den Kulturen weitgehend vermeiden; dies führte zu einer deutlich einfacheren Handhabung dieser Methode. Das Poliovirus wurde in embryonalen menschlichen Zellen von festsitzenden Nierengewebestückchen gezüchtet, und dabei stellten sich leicht erkennbare Zellveränderungen ein. Dieser zunächst nur diagnostisch wertvolle cytopathische Effekt trieb die Entwicklung der Virologie weiter voran. Er war die Grundlage für den Plaque-Test, den Renato Dulbecco und Margarete Vogt im Jahre 1952 entwickelten; hierdurch war erstmals die quantitative Bestimmung der Zahl der infektiösen Partikel in der Zellkultur möglich. Mit der Fähigkeit, Polioviren unter kontrollierbaren Bedingungen in vitro zu züchten, war auch die Basis für die Entwicklung der beiden Polioimpfstoffe gelegt: Der von Jonas E. Salk entwickelte Totimpfstoff und die Lebendvakzine mit attenuierten, das heißt abgeschwächten Polioviren, die Albert B. Sabin etablierte, sind noch heute in Gebrauch. Nach dem von Sabin angewandten Prinzip wurden später auch die Impfstoffe gegen Masern, Röteln, Windpocken und Mumps hergestellt. Durch die Methode der Zellkultur gelang es, auch Gelbfieber-, Vaccinia- und Tollwutviren in vitro zu züchten. 1953 isolierte Wallace P. Rowe aus Kulturen von menschlichem Tonsillengewebe nach längerer Kultivierungsdauer die Adenoviren. Eine Fortentwicklung zur Viruszüchtung in vitro bot die Methode der Kokultivierung, das heißt die Zugabe von Indikatorzellen zu den Gewebekulturen, die durch Auftreten eines cytopathischen Effekts die erfolgte Replikation eines Virus anzeigen. Auf diese Weise gelang 1971 der Nachweis des Herpes-simplex-Virus in latent infizierten Spinalganglien des Menschen; der direkte Virusnachweis war hingegen damals noch nicht möglich. Bis dahin hatte man allgemein angenommen, dass im Verlauf einer Virusinfektion der Erreger durch die entstehenden Antikörper völlig aus dem Organismus eliminiert wird. Das Auftreten von Herpesbläschen als Rezidivkrankheit bei Personen mit Antikörpern – bekannt als immunologisches HerpesParadoxon – brachte diese Vorstellungen zu Fall (䉴 Abschnitt 19.5). Bereits vorher hatte Ernest W. Good-
pasture vermutet, dass die Trigeminusganglien eine „latente“ Form des Virus enthalten müssten. Nachdem dann durch Kokultivierung ein solches Virus nachgewiesen worden war, erkannte man, dass es bei etlichen Infektionen latente oder persistierende Viren geben muss, die – oft unabhängig von Krankheitsanzeichen – intermittierend (beispielsweise die Herpes-simplex-Viren) oder permanent (wie das Epstein-Barr-Virus; EBV) ausgeschieden werden. Durch Kokultivierung mit geeigneten T-Lymphocyten gelang auch die Erstisolierung des humanen Immundefizienzvirus (HIV-1) aus der Lymphknotenbiopsie eines AIDS-Erkrankten.
1.2.3 Die moderne Molekularbiologie ist auch ein Kind der Virusforschung Parallel zu den eher vom praktischen Nutzen geprägten Entwicklungen zur Züchtbarkeit der Viren gewann das Interesse an allgemein biologischen Fragen zunehmend an Bedeutung. 1935 war Wendell Stanley in Kalifornien die Kristallisierung des Tabakmosaikvirus aus flüssigen Medien gelungen; diese Ergebnisse regten Diskussionen darüber an, ob es sich bei den Viren um tote oder lebendige Materie handelt. Die Hauptfrage betraf aber die Natur und Struktur des genetischen Materials, das sich 1944 durch die Experimente von Oswald T. Avery, Maclyn McCarty und Colin McLeod an Pneumococcen als Nucleinsäure herausstellte. Alfred D. Hershey und Martha Chase gelang 1952 der Nachweis, dass bei Infektionen mit T4-Phagen nur die DNA, nicht aber die Proteinhülle der Viren in die Bakterienzelle eindringt. Damit war bewiesen, dass Nucleinsäuren die Träger der genetischen Information sind. Einige Jahre später, nämlich 1955, zeigten Gerhard Schramm und Heinz Fraenkel-Conrat unabhängig voneinander am System des Tabakmosaikvirus, dass auch RNA infektiös sein kann. Schramm hatte mit seinen Mitarbeitern bereits 1944 in Deutschland beschrieben, dass das Tabakmosaikvirus aus RNA und Proteinen besteht – diese Daten fanden zuerst aber nur wenig Beachtung. Die von Edwin Chargaff erarbeiteten Daten über die Basenverhältnisse in DNA-Molekülen (T = A und G = C) ermöglichten 1953 James D. Watson und Francis H. Crick in Verbindung mit den Röntgenstrukturanalysen Rosalind Franklins, ihr Modell der DNA-Doppelhelix zu entwickeln. Matthew Meselson und Franklin W. Stahl zeigten 1958, dass die DNA bei der Zellteilung semikonservativ verdoppelt wird. Mit diesen fundamentalen Erkenntnissen war die Möglichkeit für die Aufklärung der molekularbiologischen Prozesse geschaffen, die heute allgemein geläufig
1.3 Worin besteht die Bedeutung der Henle-Kochschen Postulate?
sind. Die inzwischen gebräuchlichen molekulargenetischen, biochemischen und immunologischen Methoden ermöglichen den Virusnachweis in den Organen und das Studium der Ausbreitung im Organismus. Die Funktion und Wirkung viraler Gene lässt sich isoliert und im Zusammenspiel mit anderen Virus- oder Zellkomponenten erforschen. Viele Viren kann man heute in vitro in großen Mengen züchten, um ihre Morphologie und den Partikelaufbau aufzuklären und die Basenfolgen ihrer Erbinformation zu entschlüsseln. Für nicht anzüchtbare Viren stehen moderne molekularbiologische Methoden zur Verfügung, mittels derer auch diese Erreger analysiert werden können. Virus-Zell-Wechselwirkungen können untersucht werden und ermöglichen wichtige Einblicke in die viralen Replikationsmechanismen. Andererseits sind auch viele der molekularen Prozesse in eukaryotischen Zellen durch den Einsatz von Viren als Werkzeuge der Zellforschung aufgeklärt worden. So hat man bei den Adenoviren erstmals den Vorgang des RNA-Spleißens beschrieben, über den weit auseinander liegende Genabschnitte nach der Transkription in unterschiedlicher Weise zu mRNA-Molekülen zusammengesetzt werden. Dass die DNA im Zellkern zusammen mit Histonproteinen in Nucleosomenstrukturen angeordnet ist, wurde ebenfalls erstmals bei einem Virus entdeckt, dem SV40. Auch Enhancer – bestimmte DNA-Abschnitte, die orientierungs- und lokalisationsunabhängig die Expression bestimmter Gene verstärken – wurden ursprünglich im Virussystem beschrieben. Etliche dieser viralen Regulationselemente wurden für alternative Zwecke eingesetzt: So ist die heute wohl am häufigsten in kommerziell erhältlichen Vektoren zur Kontrolle der Fremdgenexpression verwendete Promoter-/Enhancersequenz vom Cytomegalievirus abgeleitet; dieser immediate early-Promotor/-Enhancer kontrolliert eigentlich die Expression der sehr frühen Gene des Virus (䉴 Abschnitt 19.5). Auch der Transfer von Nucleinsäuresequenzen und Fremdgenen mittels viraler Transduktion, beispielsweise unter Einsatz von Vektorsystemen, die auf den Funktionen der Adeno- oder Retroviren basieren, ist heute ein unverzichtbarer Bestandteil der Molekular- und Zellbiologie sowie auch bei der Entwicklung gentherapeutischer Verfahren.
1.3 Worin besteht die Bedeutung der Henle-Kochschen Postulate? Bei der Beschäftigung mit der Epidemiologie und Pathogenese von Infektionskrankheiten stellt sich die
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grundlegende Frage, wie man beweisen kann, dass eine Erkrankung durch eine Infektion mit einem Bakterium oder einem Virus verursacht wird. Robert Koch hatte aus seinen 1882 bis 1890 durchgeführten Arbeiten mit Milzbrandbakterien vier Postulate abgeleitet, die zuvor sein Lehrer Jacob Henle aus dem Studium der sogenannten Miasmen und Kontagien, das heißt der belebten oder unbelebten Krankheits- und Ansteckungsstoffe, als Hypothese entwickelt hatte: 1. Ein Krankheitserreger muss sich in allen Fällen bei einer bestimmten Krankheit nachweisen lassen, wohingegen er beim Gesunden immer fehlen muss. 2. Der Krankheitserreger muss sich auf Nährböden oder in geeigneten Zellkulturen züchten lassen und zwar in Form von Reinkulturen. 3. Gesunde Tiere müssen nach der Inokulierung des Erregers die gleiche Krankheit entwickeln. 4. Außerdem muss die Reisolierung des Erregers aus den Tieren gelingen. Bereits Koch hatte festgestellt, dass sich nicht in jedem Fall alle Postulate erfüllen lassen; er erkannte, dass es gesunde Träger und Dauerausscheider gibt und dass eine Normalflora von Bakterien existiert, die nur fakultativ pathogen ist. Im Bereich der Virologie erfüllen nicht alle Erreger diese Postulate. Positive Beispiele stellen die Masernviren (䉴 Abschnitt 15.3.5), die Pockenviren der Menschen (䉴 Abschnitt 19.6.5) beziehungsweise die Parvoviren von Hund und Katze (䉴 Abschnitt 20.1.6) oder das Virus der klassischen Schweinepest (䉴 Abschnitt 14.5.6) dar. In Bezug auf Viruserkrankungen hat Charles Rivers 1937 Modifikationen der Postulate vorgeschlagen. Die vorgesehenen Ausnahmen betreffen vorzugsweise latente oder persistierende Virusinfektionen sowie die Tatsache, dass sich Gewebe- und Organzerstörungen oder Tumorbildungen als Infektionsfolgen nicht immer reproduzieren lassen. Aus der Epidemiologie übernommen stellen die von Alfred S. Evans 1976 formulierten „Evans-Postulate“ eine wertvolle Ergänzung dar (䉴 Tabelle 11.1). Sie zeigen die ätiologische Bedeutung eines Erregers für ein Krankheitsbild, wenn unter anderem der Erreger in einem exponierten Kollektiv signifikant häufiger nachgewiesen wird und das Krankheitsbild in diesem Kollektiv häufiger auftritt als in einem nichtexponierten. Ebenso sollte eine Immunantwort in den betroffenen Kollektiven regelmäßig nachweisbar sein. Die Evans-Postulate erweisen sich vor allem bei multifaktoriellen Infektionskrankheiten als wertvoll, wie beispielsweise dem Zwingerhusten der Hunde oder der Infektion der Schweine mit dem porcinen Circovirus (䉴 Abschnitt 20.2.6). Die Weiterentwicklung virologischer und immunchemischer Nachweisverfahren in den letzten Jahren hat
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1 Geschichtlicher Überblick
es ermöglicht, für die kausale Beziehung zwischen einem Virus und einer Krankheit zusätzliche Kriterien heranzuziehen. Hierzu gehören der Nachweis einer spezifischen humoralen oder zellulären Immunantwort gegen den Erreger, also von IgM- oder IgG-Antikörpern und spezifisch stimulierbaren Lymphocyten, der Nachweis von viralen Proteinen, Enzymaktivitäten, DNA oder RNA durch in vitro- und in situ-Methoden. Vor allem für die ätiologische Verknüpfung von persistierenden Virusinfektionen mit Tumorerkrankungen ist der spezifische Nachweis von viralen Nucleinsäuren in Geweben essenziell. Die Erfüllung der Kochschen Postulate beziehungweise ihrer Modifikationen ist nach wie vor unabdingbar für die Erstellung ätiologischer Beziehungen zwischen Erreger und Wirt.
1.4 In welcher Wechselbeziehung steht die Virusforschung mit Krebsforschung, Neurobiologie und Immunologie? 1.4.1 Viren können Zellen transformieren und Krebs verursachen Bereits 1911 war für das Rous-Sarkom-Virus bewiesen worden, dass Viren Tumorerkrankungen verursachen können. 1959 beobachteten Margarete Vogt und Renato Dulbecco sowie Leo Sachs und Ernest Winocour bei in vitro-Untersuchungen die Transformation von gutartigen zu malignen Zellen bei einer Infektion mit dem Polyomavirus der Maus. Nach der Inokulation in Tiere erzeugten diese Zellen wiederum Tumoren. Kurze Zeit danach entdeckte man, dass auch das Rous-SarkomVirus Zellen in vitro transformieren kann. So wurde die Tumorvirusforschung zu einem treibenden Element der Virologie. Auch der Erforschung der Krebsentstehung gab und gibt sie in gedanklicher und methodischer Hinsicht entscheidende Impulse. Die Experimente mit dem tumorerzeugenden Polyomavirus hatten außerdem ergeben, dass man seine Verbreitung in Mauspopulationen durch serologische Verfahren verfolgen kann. Dies weckte die Hoffnung, mit den klassischen Methoden der Epidemiologie wie Virusisolierung und Antikörpernachweis die Krebsentstehung auf virale Agenzien
zurückführen und studieren zu können. Im Tiersystem erbrachte vor allem die Erforschung der onkogenen Retroviren wichtige Erkenntnisse zum Verständnis der molekularen Vorgänge, die zur Entstehung von Tumoren führen (䉴 Abschnitt 18.1). Howard Temin und David Baltimore entdeckten 1970 beim Studium der onkogenen Retroviren die reverse Transkriptase – ein Enzym, das die einzelsträngige RNA der Retroviren in doppelsträngige DNA umschreibt. Nach der Integration der viralen Erbinformation in das Wirtsgenom verlieren diese Viren ihre Individualexistenz. Bereits einige Jahre zuvor hatte Temin beschrieben, dass ein Hemmstoff der DNA-Synthese die Replikation des Rous-Sarkom-Virus verhindert, was bei einem typischen RNA-Virus nicht der Fall sein sollte. Die Integration eines Virusgenoms, das dann als Provirus vorliegt, wurde mit der Entstehung von Tumoren in Verbindung gebracht. Dieses Ereignis unterbricht die Kontinuität des Genoms der Zelle; zelluläre und virale Gene können amplifiziert, zerstört oder ihre Expression kann durch Neukombination mit viralen Promotoren aktiviert werden. Bereits Richard E. Shope hatte – wie oben erwähnt – beschrieben, dass Karzinome durch einen zwei- oder mehrstufigen Prozess aus Papillomen entstehen. Die Entwicklung des durch humane Papillomaviren verursachten Cervixkarzinoms sowie diejenige der primären Leberkarzinome, die durch Hepatitis-C- oder HepatitisB-Viren hervorgerufen werden, verläuft ähnlich. Auch das Epstein-Barr-Virus entfaltet seine tumorerzeugende Wirkung auf komplexe Weise: In den Tumorzellen des Nasopharynxkarzinoms und zahlreicher Lymphome (afrikanisches Burkitt-Lymphom) ist die DNA des Virus nachweisbar. Die Zellen sind infiziert und immortalisiert, produzieren jedoch keine infektiösen Viruspartikel. In den B-Zell-Lymphomen findet man außerdem Translokationen von Chromosomenteilen (䉴 Abschnitt 19.5). Zu einer malignen Entartung kommt es jedoch erst in einem Vielschritt-Prozess durch das Zusammenwirken mit anderen Faktoren wie der Malariaerkrankung, die zu einer chronischen Stimulierung von Zellen beiträgt. Die Erforschung der molekularen Vorgänge, die bei Infektionen mit Papilloma-, Hepatitis-B- und Retroviren ablaufen, hat dazu geführt, dass heute Impfstoffe zur Verfügung stehen. Diese bewirken einen Schutz vor der jeweiligen Infektion und sind somit in der Lage, auch die Langzeitfolgen, also die Krebserkrankung zu verhindern. Einen signifikanten Rückgang des durch Hepatitis-B-Virusinfektionen verursachten primären Leberkarzinoms zeigt die von der WHO geförderte Impfstrategie in Südostasien, die vor 25 Jahren eingeleitet wurde (䉴 Abschnitt 19.1). In der Tiermedizin zeigten Impfstoffe gegen die felinen Leukämieviren, dass Katzen vor
1.5 Welche Strategien liegen der Entwicklung antiviraler Chemotherapeutika zugrunde?
Infektionen durch diese exogenen Retroviren geschützt und die Tumorbildung so verhindert werden kann (䉴 Abschnitt 18.1). Die detaillierte Erforschung der Molekularbiologie und Pathogenese der Infektionen durch humane Papillomaviren durch die Arbeitsgruppe um Harald zur Hausen am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) ermöglichte es, entsprechende Impfstoffe zu entwickeln. Diese sind seit einigen Jahren verfügbar und schützen vor Infektionen mit den hoch onkogenen Papillomavirustypen: Sie verhindern damit zukünftig die Ausbildung des Cervixkarzinoms – eine der häufigsten Krebserkrankungen bei Frauen (䉴 Kapitel 10 und Abschnitt 19.3). Im Oktober 2008 wurde Harald zur Hausen für diese Arbeiten der Nobelpreis für Medizin verliehen.
1.4.2 Als Spätfolge von Slow-VirusInfektionen treten Erkrankungen des zentralen Nervensystems auf Der Begriff der langsamen oder Slow-Virus-Infektionen wurde erstmals 1954 von Björn Sigurdsson für die Maedi-Erkrankung der Schafe in Island geprägt. Das Maedi-Visna-Virus verursacht nach sehr langen Inkubations- und Latenzperioden in einem langsamen, aber progressiven Krankheitsverlauf respiratorische Symptome. Das Maedi-Visna-Virus stand dabei Modell für eine Reihe von Erregern, die Krankheiten mit einem ähnlich protrahierten Verlauf verursachen (䉴 Kapitel 18.1.6). Die Erforschung ihrer Pathogenese zeigte, dass die Mehrheit der Slow-Virus-Infektionen durch Erreger ausgelöst wird, die üblicherweise mit anderen Erkrankungen verbunden sind. Slow-Virus-Infektionen wirken sich überwiegend im zentralen Nervensystem aus und werden beispielsweise von Masern- und JC-Viren verursacht. Die subakute sklerosierende Panencephalitis (SSPE) ist vermutlich durch Mutationen in Genen des Masernvirus bedingt, die zur Entstehung von defekten Viruspartikeln führen (䉴 Abschnitt 15.3.5). Bei der durch das JC-Virus ausgelösten progressiven multifokalen Leukoencephalopathie (PML) gelangt das Virus anscheinend sehr früh in das Gehirn und persistiert dort lange, ehe die Krankheit bedingt durch eine Schädigung des Immunsystems (beispielsweise durch Infektionen mit dem humanen Immundefizienzvirus) ausbricht (䉴 Abschnitt 19.2.5). Infektionen mit dem humanen Immundefizienzvirus (HIV) können ebenfalls als SlowVirus-Erkrankung betrachtet werden. Desgleichen verlaufen die Prionerkrankungen nach dem Muster einer Slow-Virus-Infektion, jedoch sind sie durch einen nicht-
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viralen Erreger verursacht und haben einen grundsätzlich anderen Pathogenitätsmechanismus (䉴 Kapitel 21).
1.4.3 Interferone stimulieren die Immunabwehr von Virusinfektionen Bei Arbeiten über das Gelbfiebervirus entdeckten M. Hoskins, G. M. Findlay und F. O. MacCallum 1935 das Phänomen der Interferenz: Wurde ein avirulentes Virus in ein Versuchstier injiziert, war das Tier vor den Folgen der Infektion durch einen virulenten Stamm geschützt, wenn diese innerhalb der nächsten 24 Stunden, also noch vor dem Einsetzen einer Immunreaktion, erfolgte. 1957 zeigten Alick Isaacs und Jean Lindenmann in London, dass Interferon für die Interferenz verantwortlich ist. Es ist artspezifisch, induzierbar und gehört zu einer Substanzgruppe, die man heute als Cytokine zusammenfasst. Interferone spielen bei der primären, unspezifischen Abwehr von Virusinfektionen und bei der Stimulierung des Immunsystems eine große Rolle. Überraschung löste die Beobachtung aus, dass antiviral wirkende Interferonpräparate tumorhemmend wirken. Allgemein entstehen Cytokine dann, wenn sich ein geeigneter Induktor als Ligand an seinen Rezeptor auf der Zellmembran bindet und so in der Zelle bestimmte Signalübertragungen auslöst (䉴 Kapitel 8).
1.5 Welche Strategien liegen der Entwicklung antiviraler Chemotherapeutika zugrunde? Seit etwa 1960 versucht man, antiviral wirkende Chemotherapeutika zu entwickeln. Im Rückblick lässt sich diese Suche bis heute in drei Stadien einteilen: Die ersten erfolgreichen Experimente zur Therapie einer Virusinfektion führten Josef Wollensak und Herbert E. Kaufman um 1960 bei der Keratitis herpetica durch. Sie verwendeten Substanzen, welche die Virusreplikation in vitro hemmen und die man aus der experimentellen Tumortherapie kannte. Die Selektivität dieser Stoffe, das heißt ihre Fähigkeit, spezifisch die viralen, nicht aber die zellulären Prozesse zu beeinflussen, war jedoch nur gering, die Substanzen also sehr zelltoxisch. Nachdem man viruscodierte Enzyme wie Thymidinkinasen, DNA-Polymerasen und Proteasen entdeckt hatte, konnte man die Entwicklung spezifischer Hemmstoffe
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angehen. Durch gezielte Empirie – das heißt, man versuchte unter vielen wirkungsähnlichen Substanzen eine zu finden, die mit hoher Selektivität die Virusvermehrung beeinflusst – fand man antivirale Wirkstoffe wie Amantadin gegen Influenza-A-Viren (䉴 Abschnitt 16.3) sowie Aciclovir und Acycloguanosin (ACG) gegen Herpes-simplex-Viren (䉴 Abschnitt 19.5). Die von Gertrude Elion und ihren Mitarbeitern entwickelte Möglichkeit, Acycloguanosin als systemisch anwendbare und selektiv antiviral wirkende Substanz bei der HerpesEncephalitis einzusetzen, war ein wichtiger Meilenstein der chemotherapeutischen Forschung. Ihre Arbeiten wurden 1988 mit der Verleihung des Nobelpreises gewürdigt. Als man DNA-Sequenzen analysieren konnte, trat die experimentelle Chemotherapie der Virusinfektionen in ihr drittes Stadium. Man entdeckte viruscodierte Enyzme wie die retrovirale Protease und die Neuraminidase der Influenzaviren und konnte durch den Vergleich mit Proteinen ähnlicher Funktion und bekannter dreidimensionaler Struktur Modelle der Enzyme konstruieren. So lassen sich potenziell aktive Zentren identifizieren und gezielt Substanzen, auch als „Designer“-Medikamente bekannt, entwickeln, die in diese hineinpassen und das Enzym hemmen. Das bedeutet ein Abweichen von der rein empirischen Forschung und ist ein erster Schritt hin zu einer rationalen Entwicklung antiviral wirkender Substanzen (䉴 Kapitel 9).
1.6 Welchen Herausforderungen der Zukunft muss sich die moderne Virologie stellen? Die molekulare Virologie verzeichnete in den letzten Jahrzehnten bedeutende Erfolge: Viele Infektionserkrankungen lassen sich durch den Einsatz von modernen Impfstoffen verhindern oder sogar ganz ausrotten (䉴 Kapitel 10). Dies ermöglichte letztendlich die weltweite Elimination von Infektionserregern wie den Variolaviren (Pocken). Die für die Kinderlähmung ursächlichen Polioviren treten zumindest auf einigen Kontinenten nicht mehr auf und sind momentan auf weniger als zehn Länder weltweit beschränkt. In den Fällen, in welchen bis heute keine vorbeugende Vakzinierung möglich ist – als Beispiele seien HIV und Vertreter der Herpesviren wie die Cytomegalie- und die Herpessimplex-Viren erwähnt – stehen eine Vielzahl von antiviralen Therapeutika zur Verfügung. Diese ermöglichen
zwar keine Heilung, jedoch eine weitgehende Beherrschung der Symptome. Diese Erfolge können zu der Annahme verleiten, dass die wissenschaftliche Beschäftigung mit Viren heute unnötig geworden ist. Die Einschätzung der Seuchenlage durch die WHO und die vielen reißerischen Schlagzeilen der Tageszeitungen und Medien, mit welchen wir immer wieder konfrontiert werden, besagen jedoch das Gegenteil. Aufgrund des häufigen und schnellen Mutationsgeschehens unterliegen Viren einer kontinuierlichen Wandlung und Neuentwicklung: Viren setzen sich ständig mit dem infizierten Organismus und dessen Immunsystem auseinander und versuchen, dieses zu unterlaufen. Vor allem die Viren, die im Organismus persistieren, können immunologischen Abwehrstrategien sehr geschickt ausweichen. Die weltweit zunehmende Reisetätigkeit führt nicht nur zu Kontakten mit für den einzelnen Menschen neuen Infektionserregern, sondern auch zu ihrer rasanten Verbreitung. Dies zeigen beispielsweise die Infektionen mit den SARS-Viren (䉴 Abschnitt 14.8), die Pandemie mit der neuen Variante der Influenza-A-Viren (mexikanische Grippe, „Schweinegrippe“ oder pandemische Influenza A (H1N1) 2009) oder das bedrohliche Potenzial neuer, für den Menschen hochpathogener Influenzaviren (䉴 Abschnitt 16.3). Neue und neuartige Viruserkrankungen, die ihren Ursprung aus dem Tierreich haben (Zoonosen), sind auch durch die zunehmenden ökologischen Veränderungen und ihre schwerwiegenden Folgen zu erwarten. Beispiele hierfür sind die Ausbrüche von Infektionen mit Ebola-, Nipah- und Hendraviren. Durch Abholzung der Regenwälder kam es zu veränderten Lebensbedingungen für Fledermäuse, die dann Pferde und Schweine und über diese Zwischenwirte auch Menschen infizierten. Vögel brachten das West-Nile-Virus von Afrika nach Nordamerika, das Vogelgrippe-Virus H5N1 gelangte über Zugvögel von Asien nach Europa. Letztendlich ist auch die durch das humane Immundefizienzvirus ausgelöste AIDS-Pandemie ursprünglich das Resultat einer zoonotischen Übertragung vom Affen auf den Menschen, gefolgt von einer effizienten Weiterverbreitung innerhalb der menschlichen Population. Die Bedrohung durch sowohl neue als auch schon bekannte Virusinfektionen wird auch aufgrund einer, insbesondere in den Industrieländern zunehmenden, Impfmüdigkeit nicht abnehmen – den im Bereich der molekularen Virologie forschenden Wissenschaftlern wird sich auch weiterhin ein weites Betätigungsfeld bieten.
1.7 Weiterführende Literatur
1.7 Weiterführende Literatur Behbehani, A. M. The Smallpox Story in Words and Pictures. Kansas (University of Kansas Press) 1988. Evans, A. S. Causation and Disease. The Henle-Kochschen Postulates Revisited. In: Yale Journal of Biology and Medicine 49 (1976) S. 175–195. Hopkins, D. R. Princes and Peasants. Smallpox in History. Chicago (The University of Chicago Press) 1983. Krüger, D. H.; Schneck, P.; Gelderblom, H. R. Helmut Ruska and the Visualisation of Viruses. In: Lancet 355 (2000) S. 1713– 1717.
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Kruif, P. de. Mikrobenjäger. Frankfurt, Berlin, Wien (Ullstein) 1980. Levine, A. J. Viren. Diebe, Mörder und Piraten. Heidelberg (Spektrum Akademischer Verlag) 1992. Müller, R. Medizinische Mikrobiologie. Parasiten, Bakterien, Immunität. 4. Aufl. Wien, Berlin, München (Urban und Schwarzenberg) 1950. Waterson, A. P.; Wilkinson, L. History of Virology. Cambridge (Cambridge University Press) 1978. Williams, G. Virus Hunters. New York (Alfred A. Knopf) 1967.
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2 Viren: Definition, Aufbau, Einteilung 2.1 Wie lassen sich Viren definieren? Viren sind infektiöse Einheiten mit Durchmessern von etwa 16 nm (Circoviren) bis über 300 nm (Pockenviren; 䉴 Tabelle 2.1). Ihre geringe Größe macht sie ultrafiltrierbar, das heißt, sie werden durch bakteriendichte Filter nicht zurückgehalten. Viren haben sich während der Evolution in Millionen von Jahren entwickelt und an bestimmte Organismen beziehungsweise deren Zellen angepasst. Die infektiösen Viruspartikel oder Virionen bestehen aus Proteinen und sind bei einigen Virustypen von einer Lipidmembran umgeben, die man oft als Hülle oder Envelope bezeichnet; die Partikel enthalten jeweils nur eine Art von Nucleinsäure, nämlich entweder DNA oder RNA. Viren vermehren sich nicht durch Teilung wie Bakterien, Hefen oder andere Zellen, sondern replizieren sich in lebenden Zellen, die sie infizieren. Dort entfalten sie ihre Genomaktiviät und produzieren die Komponenten, aus denen sie aufgebaut sind. Sie codieren weder für eine eigene Proteinsynthesemaschinerie (Ribosomen) noch für energiebildende Stoffwechselsysteme. Viren sind damit intrazelluläre Parasiten. Sie können zelluläre Prozesse umsteuern und für den optimalen Ablauf ihrer Vermehrung modifizieren. Sie besitzen neben der Erbinformation für ihre Strukturkomponenten Gene für verschiedene regulatorisch aktive Proteine (zum Beispiel Transaktivatoren) und für Enzyme (zum Beispiel Proteasen und Polymerasen). Viren existieren in unterschiedlichen Zustandsformen. Sie können sich aktiv in der Zelle replizieren und so viele Nachkommenviren bilden. Man spricht von einem replikationsaktiven Zustand. Einige Virustypen können nach der Infektion in der Zelle in einen Latenzzustand übergehen und hierzu ihre Erbinformation in das Wirtszellgenom integrieren oder diese in extrachromosomaler Form als Episom in der infizierten Zelle
erhalten. Bestimmte virale Gene können während dieser Zeit transkribiert werden und zur Aufrechterhaltung der Latenz beitragen (Herpesviren). In anderen Fällen ist die Expression des Virusgenoms jedoch über lange Zeiträume völlig unterdrückt (beispielsweise bei einigen tierpathogenen Retroviren). In beiden Fällen können zelluläre Prozesse oder äußere Einflüsse die latent vorliegenden Genome reaktivieren, sodass wieder infektiöse Viren gebildet werden. Abhängig vom Virustyp kann die Infektion für die Wirtszelle unterschiedliche Folgen haben: 1. Sie wird zerstört und stirbt. 2. Sie überlebt, produziert aber kontinuierlich geringe Mengen von Viren und ist damit chronisch (persistierend) infiziert. 3. Sie überlebt und das Virusgenom bleibt im latenten Zustand erhalten, ohne dass infektiöse Partikel gebildet werden. 4. Sie wird immortalisiert und erhält hierdurch die Fähigkeit zur kontinuierlichen Teilung, ein Vorgang, der mit der Transformation, das heißt der malignen Entartung zur Tumorzelle, verbunden sein kann.
2.2 Wie sind Viren aufgebaut und wie unterscheiden sie sich von Virusoiden, Viroiden und Prionen? 2.2.1 Viren Die infektiösen Viruspartikel – man bezeichnet sie auch als Virionen – bestehen aus verschiedenen Grundelementen (䉴 Abbildung 2.1): Sie enthalten im Inneren ein
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2 Viren: Definition, Aufbau, Einteilung
Genom aus RNA oder DNA. Die Nucleinsäure kann abhängig vom Virustyp einzel- oder doppelsträngig vorliegen, linear, ringförmig oder segmentiert sein. Einzelsträngige RNA- und DNA-Genome können unterschiedliche Polarität aufweisen, wodurch in bestimmten Fällen, beipsielsweise bei den Picorna- und den Flaviviren, das RNA-Genom einer mRNA entspricht. Das Einzelstranggenom, das die gleiche Orientierung wie die mRNA besitzt, wird dabei als positivsträngig bezeichnet. Das Genom ist mit zellulären Histonen (bei Papillomaund Polyomaviren) oder viralen Proteinen (unter anderem bei Rhabdoviren, Para- und Orthomyxoviren, Adenoviren und Herpesviren) komplexiert und liegt damit als Nucleocapsid vor. Dieser Nucleinsäure-ProteinKomplex kann von partikulären Proteinstrukturen, den Capsiden, umgeben sein (bei Polyoma-, Papilloma-, Adeno- und Herpesviren). In einigen Fällen (etwa bei Picorna-, Flavi-, Toga- und Parvoviren) interagiert die Nucleinsäure direkt mit den Capsiden. Bei Viren mit einer Hüllmembran kann diese Capsidschicht fehlen, die Nucleocapside sind hierbei ohne Proteinhohlkörper direkt von der Membran umhüllt (so z. B. bei Corona-, Rhabdo-, Paramyxo-, Orthomyxo-, Bunya- und Arenaviren). Die Capside sind stäbchenförmige oder kubischsphärische Gebilde aus Proteinen. Bei einigen Virustypen bestehen sie aus multimeren Einheiten nur eines Polypeptids, in anderen Fällen sind sie aus heteromeren Komplexen aufgebaut. Die Capsidproteine können zu diskreten Untereinheiten oder auch zu sogenannten Capsomeren, das heißt morphologisch unterscheidbaren Strukturkomponenten, zusammentreten. Stäbchenförmige Capside besitzen eine helikale Symmetrie. Die beiden Symmetrieebenen, also die Längs- und die Querachse, sind unterschiedlich lang (䉴 Abbildung
2.2A). Sphärische Capside haben hingegen einen ikosaedrischen Aufbau mit einer Rotationssymmetrie; ein Ikosaeder besteht aus 20 gleichseitigen Dreiecken und zwölf Ecken (䉴 Abbildung 2.2B). Die Symmetrieachsen sind etwa gleich lang: Die fünffache Symmetrieachse befindet sich an den Ecken des Ikosaeders, die dreifache Achse verläuft durch die Mitte einer Dreiecksfläche, die zweifache Achse entlang der Kanten. Die Anzahl der Untereinheiten eines Ikosaeders lässt sich nach der Formel 10(n–1)2 + 2 berechnen, wobei „n“ die Zahl der morphologisch unterscheidbaren Strukturen auf einer Dreiecksseite angibt. Dreidimensionale Strukturen der Partikel sind durch Röntgenstrukturanalyse für eine Reihe von Viren geklärt. Voraussetzung ist das Wissen um die grundsätzliche Zusammensetzung des Virus, das heißt die Kenntnis, welche Proteine das Capsid oder das Virus formen, sowie um die Beschaffenheit der viralen Erbinformation und die Sequenz der Strukturproteine. Zudem muss eine Reinigung der Viruspartikel möglich sein und diese müssen als hochkonzentrierte Virussuspension in der Größenordnung von mehreren Milligramm pro Milliliter stabil vorliegen. Schließlich müssen die gereinigten Virionen oder alternativ hierzu in Zellkultur oder gentechnisch produzierte Viruscapside zur Ausbildung von Kristallen befähigt sein. Bei einigen Virustypen sind die Capside von einer Hülle aus einer Lipiddoppelschicht umgeben, die sich von zellulären Membransystemen ableitet. In sie sind virale, aber auch zelluläre Proteine eingelagert, die häufig durch Zuckergruppen zu Glycoproteinen modifiziert sind. Die viralen Oberflächenkomponenten sind meist deutlich exponiert, sie können bis zu 20 nm aus der Partikeloberfläche hervorragen. Ist eine solche Membranhülle vorhanden, macht sie die Viren für eine Inak-
Membranhülle
Membranprotein
Capsomer Capsid
Glycoprotein
Genom (Nucleinsäure) 2.1 Aufbau eines Viruspartikels mit Membranhülle.
Nucleoprotein
Nucleocapsid
2.2 Wie sind Viren aufgebaut und wie unterscheiden sie sich von Virusoiden, Viroiden und Prionen?
tivierung durch Lösungsmittel und Detergenzien empfindlich. Zwischen der Hüllmembran und dem Capsid kann sich eine Tegumentschicht befinden (Herpesviren), die weitere virale Proteinkomponenten enthält. Die exponierten Proteine und Proteinteile auf der Virusoberfläche – entweder in der Hülle oder im Capsid – unterliegen dem Selektionsdruck durch das Immunsystem. Deshalb verändern sich bei Viren durch Mutation und Selektion bevorzugt die Aminosäuresequenzen der antikörperbindenden Regionen oder Epitope, die für die Bindung neutralisierender Immunglobuline ver-
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antwortlich sind. Bei einigen Virusarten führt die Variabilität der Oberflächenregionen zur Bildung neuer Subtypen. Neben dieser kontinuierlichen Veränderung der oberflächenexponierten Regionen durch Mutation und Selektion können bei einigen Viren auch größere Nucleinsäureabschnitte durch genetische Rekombinationsereignisse zwischen unterschiedlichen Viren ausgetauscht werden. Diese führen unter Umständen zu massiven Veränderungen der beteiligten Viren und zur Bildung neuer Virusspezies.
A Helikale Symmetrie Genom
Längsachse
Capsid (Nucleocapsid)
Querachse B Rotationssymmetrie
fünffache Symmetrieachse
zweifache Symmetrieachse
dreifache Symmetrieachse
Ikosaederfläche Ikosaederecke 2.2 Symmetrieformen von Viruscapsiden. A: Helikale Symmetrie; die Symmetrieebenen verlaufen parallel zur Längs- beziehungsweise Querachse des Partikels (Beispiele: Capsid des Tabakmosaikvirus, Nucleocapside von Para- oder Orthomyxoviren). B: Kubisch-sphärische Symmetrie; Ikosaeder mit Rotationssymmetrie, dessen Ausgangspunkte für die Symmetrieachsen sich an den Ecken des Ikosaeders (fünffache Symmetrieachse), in der Mitte der Dreiecksflächen (dreifache Symmetrieachse) und entlang der Kanten (zweifache Symmetrieachse) befinden. Beispiele für diese Capsidform liefern die Picorna-, Parvo- und Adenoviren.
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2 Viren: Definition, Aufbau, Einteilung
2.2.2 Virusoide (Satellitenviren), Viroide, Mimiviren und Virophagen Satellitenviren oder Virusoide sind kleine RNA- oder DNA-Moleküle, die für ein bis zwei Proteine codieren, mit denen sie komplexiert sind. Ihre Replikation und Verbreitung ist von der Anwesenheit eines anderen Virus abhängig. Virusoide findet man meist zusammen mit Pflanzenviren, aber auch das Hepatitis-D-Virus, das sich nur bei gleichzeitiger Infektion der Zelle mit HepatitisB-Viren vermehren kann, gehört dazu (䉴 Abschnitt 19.1.6). Viroide sind Pflanzenpathogene und bestehen aus einer ringförmigen RNA (etwa 200 bis 400 Nucleotide), die nicht für Proteine codiert und eine komplexe zweidimensionale Struktur aufweist. Eine zentrale Sequenzfolge ist hochkonserviert und für die Replikation der Nucleinsäuremoleküle essenziell. Andere Bereiche sind variabel und möglicherweise für Virulenzeigenschaften verantwortlich. Diese infektiösen RNA-Moleküle werden von zellulären Polymerasen im rolling circle-Mechanismus vermehrt (䉴 Abschnitt 3.4), wobei sich an den Übergängen Sekundärstrukturen ausbilden, die man wegen ihrer Form als hammerhead bezeichnet. Sie haben RNase-Aktivität und schneiden die nach der Replikation konkatemeren Stränge in einzelne Untereinheiten. Von den hammerhead-artigen RNA-Strukturen leiten sich die Ribozyme ab – kleine RNA-Spezies mit sequenzspezifischer RNase-Aktivität (䉴 Abschnitt 9.3). Als Mimiviren bezeichnet man eine Familie sehr großer DNA-Viren, die Didier Raoult im Jahr 2004 in der Amöbe Acanthamoeba polyphaga entdeckte. Wegen der außerordentlichen Größe der sphärischen Capside von 400 nm und der Proteinfilamente, die von der Oberfläche hervorragen und die Virionen in einer Größe von bis zu 800 nm erscheinen lassen, wurden diese Viren zuerst für Bakterien gehalten. Deswgen nannte man sie „Mimiviren“ als Abkürzung für mimicking virus. Das DNA-Genom des Mimivirus umfasst 1,2 Millionen Basenpaare und mehr als 1 200 potenzielle Gene. Inzwischen wurden in Amöben weitere, noch größere Mamaviren entdeckt, die ihrerseits auch von Parasiten befallen werden können. Diese deutlich kleineren Viren (Sputnikvirus), auch als Virophagen bezeichnet, können sich in den Amöben nur dann vermehren, wenn diese auch von Mamaviren befallen sind. Die Sputniks nutzen die Mamaviren aber nicht nur als Helfer, sondern behindern deren Vermehrung und Morphogenese – machen sie also gewissermaßen krank.
2.2.3 Prionen Prionen verursachen bei Menschen und Tieren stets tödliche neurodegenerative Erkrankungen. Sie können innerhalb einer Art und – wenn auch eingeschränkt – über die Artgrenze hinaus auf andere Lebewesen weitergegeben werden (䉴 Kapitel 21). Der verantwortliche Erreger (das Prion, proteinaceus infectious particle) kommt ohne codierende Nucleinsäure im infektiösen Agens aus. Prionen setzen sich zusammen aus der pathologischen, vor allem in β-Faltblatt-Konformation vorliegenden Isoform (PrPSc) eines nicht-pathologischen zellulären Prion-Proteins (PrPc), das überwiegend in α-helikaler Konformation vorliegt. Die Umwandlung von der α-helikalen PrPc- in die β-faltblattartige PrPsc-Konformation geht mit völlig unterschiedlichen biochemischen Eigenschaften einher, und stellt das entscheidende pathogenetische Grundprinzip der Prionenerkrankung dar. Das Zellprotein PrPc gelangt nach seiner Synthese in die Cytoplasmamembran. PrPc ist an der Zelloberfläche nur über begrenzte Zeit vorhanden und wird danach in Endosomen und Lysosomen abgebaut. In primär infizierten Zellen wird dabei ein kleiner Anteil der PrPc-Proteine kontinuierlich in die Variante PrPsc umgewandelt. Diesen Vorgang bezeichnet man als Prion-Konversion. PrPScProteine können nicht effizient abgebaut werden und reichern sich in den Zellen an. Die Funktion des PrPc ist noch nicht endgültig geklärt. Versuche mit knock-out Mäusen, in deren Genom die für PrP codierenden Sequenzen deletiert sind, zeigten, dass PrPc für die Entwicklung und das Überleben der Tiere entbehrlich zu sein scheint. Ohne PrPc können sie aber auf keinen Fall eine Prionerkrankung entwickeln. Prionenerkrankungen des Menschen sind die Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung (CJD), Kuru, und die neue Variante der CJD (vCJD). Bei Tieren sind Scrapie (Schaf), die bovine spongiforme Encephalopathie (BSE, Rind) und die chronic wasting disease (CWD, Hirsch) die bekanntesten Vertreter. Die Besonderheit der Prionerkrankungen ist, dass sie in drei Manifestationsformen vorkommen: infektiös erworben (exogen), sporadisch (endogen) und genetisch (endogen) bedingt. Weil Prionen begrenzt im zentralen Nervensystem vorkommen, ist ihre infektiöse Weitergabe in aller Regel limitiert.
2.3 Welche Kriterien bestimmen die Einteilung der Virusfamilien?
2.3 Welche Kriterien bestimmen die Einteilung der Virusfamilien? Die taxonomische Einteilung der Viren in die unterschiedlichen Familien wird von einer internationalen Kommission von Virologen vorgenommen und den aktuellen Erkenntnissen angepasst. Sie erfolgt anhand der folgenden Hauptkriterien: 1. der Art des Genoms aus RNA oder DNA sowie der Form, in der es vorliegt, also als Einzel- oder Doppelstrang, in Positiv- (Plus-) oder Negativstrangorientierung, linear oder zirkulär, segmentiert oder
2. 3. 4. 5.
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kontinuierlich; auch die Anordnung der Gene auf der Nucleinsäure ist für die Definition einzelner Familien wichtig; der Symmetrieform der Capside; dem Vorhandensein einer Membranhülle; der Größe des Virions; dem Ort der Virusvermehrung im Cytoplasma oder Kern der infizierten Zelle.
Die weitere Unterteilung der Virusfamilien in Genera und Virustypen erfolgt überwiegend nach serologischen Kriterien und der Ähnlichkeit der Genomsequenzen. In 䉴 Tabelle 2.1 sind die verschiedenen Virusfamilien mit wichtigen human- und tierpathogenen Vertretern zusammengefasst.
Tabelle 2.1 Molekularbiologische Charakteristika der verschiedenen Virusfamilien mit Angabe einiger typischer Vertreter Virusfamilie (Abschnitt im Buch)
Genus/ Unterfamilie
Beispiel
Membranhülle
Partikelgröße/Form des Capsids oder Nucleocapsids
Genom: Art und Größe
Picornaviridae (14.1)
Enterovirus Rhinovirus Cardiovirus
Poliovirus, Coxsackievirus humane Rhinoviren Encephalomyocarditisvirus, Mengovirus, Theilovirus Maul-und-KlauenseucheVirus humanes Parechovirus Hepatitis-A-Virus equines Rhinitis-B-Virus Aichi-Virus Teschoviren der Schweine
nein
28–30 nm/ Ikosaeder
ssRNA; linear; Positivstrang; 7 200–8 400 Basen
humane Astroviren, Astroviren der Rinder, Astroviren der Katze Geflügelastroviren
nein
27–30 nm/ Ikosaeder
ssRNA; linear; Positivstrang; 6 800–7 900 Basen
Aphthovirus Parechovirus Hepatovirus Erbovirus Kobuvirus Teschovirus Astroviridae (14.2)
Mamastrovirus
Avastrovirus Caliciviridae (14.3)
Norovirus Sapovirus Vesivirus Lagovirus
Norwalkvirus Sapporovirus felines Calicivirus Virus der hämorrhagischen Kaninchenseuche
nein
27–34 nm/ Ikosaeder
ssRNA; linear; Positivstrang; 7 500–8 000 Basen
Hepeviridae (14.4)
Hepevirus
Hepatitis-E-Virus
nein
27–34 nm/ Ikosaeder
ssRNA; linear; Positivstrang; 7 200 Basen
Flaviviridae (14.5)
Flavivirus
Gelbfiebervirus, Denguevirus, West-Nile-Virus, TBE-Virus
ja
40–50 nm/ Ikosaeder
ssRNA; linear; Positivstrang; 10 000 Basen
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2 Viren: Definition, Aufbau, Einteilung
Tabelle 2.1 (Fortsetzung) Virusfamilie (Abschnitt im Buch)
Genus/ Unterfamilie
Beispiel
Flaviviridae (14.5) (Fortsetzung)
Pestivirus
Virus der klassischen Schweinepest, Virus der bovinen Virusdiarrhoe Hepatitis-C-Virus
Hepacivirus Togaviridae (14.6)
Alphavirus
Rubivirus
Membranhülle
Partikelgröße/Form des Capsids oder Nucleocapsids
Genom: Art und Größe
Sindbisvirus, Semliki-Forest-Virus, equine Encephalitisviren Rötelnvirus
ja
60–70 nm/ Ikosaeder
ssRNA; linear; Positivstrang; 12 000 Basen
ja
40–60 nm/ Ikosaeder
ssRNA; linear; Positivstrang; 12 000–16 000 Basen
120–160 nm/ Helix
ssRNA; linear; Positivstrang; 25 000–35 000 Basen
Arteriviridae (14.7)
Arterivirus
Equine-Arteritis-Virus, PRRS-Virus
Coronaviridae (14.8)
Coronavirus
humane Coronaviren, ja SARS-Coronavirus, felines Coronavirus (FIP), Virus der transmissiblen Gastroenteritis der Schwein Toroviren der Rinder und Pferde
Torovirus Rhabdoviridae (15.1
Vesiculovirus Lyssavirus Ephemerovirus
Vesicular-Stomatitis-Virus Tollwutvirus Ephemeral-Fieber-Virus der Rinder Novirhabdovirus Infectious hematopoetic necrosis virus (IHN), Viral hemorrhagic septicemia virus (VHS)
ja
65 nm zu 180 nm/ Helix
ssRNA; linear; Negativstrang; 12 000 Basen
Bornaviridae (15.2)
Bornavirus
ja
90 nm/ Helix
ssRNA; linear; Negativstrang; 9 000 Basen
Parainfluenzavirus ja Mumpsvirus Newcastle-Disease-Virus Masernvirus, Hundestaupevirus, Rinderpestvirus Hendravirus, Nipahvirus respiratorisches Syncytialvirus (RSV) humanes Metapneumovirus
150–250 nm/ Helix
ssRNA; linear; Negativstrang; 16 000–20 000 Basen
Paramyxoviridae Respirovirus (15.3) Rubulavirus Avulavirus Morbillivirus
Henipavirus Pneumovirus Metapneumovirus
Borna-Disease-Virus
Filoviridae (15.4)
Marburgvirus Ebolavirus
Lake-Victoria-Marburgvirus Zaire-Ebolavirus, Restonvirus
ja
80 nm zu 700 nm/ Helix
ssRNA; linear; Negativstrang; 19 000 Basen
Arenaviridae (16.1)
Arenavirus
Virus der lymphocytären Choriomeningitis, Lassavirus, Juninvirus
ja
50–300 nm/ Helix
ssRNA; linear; 2 Segmente; Ambisensestränge; 10 000–12 000 Basen
2.3 Welche Kriterien bestimmen die Einteilung der Virusfamilien?
19
Tabelle 2.1 (Fortsetzung) Virusfamilie (Abschnitt im Buch)
Genus/ Unterfamilie
Beispiel
Bunyaviridae (16.2)
Orthobunyavirus Phlebovirus
California-Encephalitis-Virus ja
Nairovirus Hantavirus Topsovirus Orthomyxoviridae (16.3)
Birnaviridae (17.1)
Influenza-AVirus Influenza-BVirus Influenza-CVirus Thogotovirus Isavirus Avibirnavirus Aquabirnavirus Entomobirnavirus
Reoviridae (17.2)
Orthoreovirus Orbivirus Rotavirus Coltivirus Aquareovirus
Retroviridae (18.1)
a-Retrovirus b-Retrovirus
g-Retrovirus d-Retrovirus
e-Retrovirus Lentivirus Spumaviren Hepadnaviridae (19.1)
Orthohepadnavirus Avihepadnavirus
Membranhülle
Partikelgröße/Form des Capsids oder Nucleocapsids
Genom: Art und Größe
100–120 nm/ Helix
ssRNA; linear; 3 Segmente; Negativstrang (Ambisense bei Phlebovirus); 12 000 Basen
ja
120 nm/ Helix
ssRNA; linear; 7 oder 8 Segmente; Negativstrang; 13 000–14 000 Basen
Gumborovirus Virus der infektiösen Pankreasnekrose Drosophila-X-Virus
nein
60 nm/ Ikosaeder
dsRNA; linear; 2 Segmente; 5 800–6 400 Basenpaare
Reoviren Bluetonguevirus, Virus der afrikanischen Pferdepest Rotaviren Colorado-Tick-Fiebervirus Golden-Shiner-Virus
nein
70–80 nm/ Ikosaeder
dsRNA; linear; 10/11/12 Segmente; 18 000–19 000 Basenpaare
Rous-Sarkomvirus ja Maus-Mammatumor-Virus, Lungenadenomatose-Virus der Schafe felines Leukämievirus, Moloney-Mausleukämievirus humane T-Zell-LeukämieViren (HTLV-I/II), bovines Leukosevirus diverse Fischretroviren humane ImmundefizienzViren Simian foamy virus
100 nm/ Ikosaeder oder Konus
ssRNA; linear; Positivstrang; Umschreibung in dsDNA, Integration, 7 000–12 000 Basen
Hepatitis-B-Virus
42 nm
DNA; teilweise doppelsträngig; zirkulär; 3 000–3 300 Basenpaare
Rift-Valley-Fieber-Virus, Sandfliegenfiebervirus Krim-Kongo-Fieber-Virus, Nairobi-Sheep-Disease-Virus Hantaanvirus, Puumalavirus, Sin-Nombre-Virus Tomato spotted wilt virus (Pflanzenbunyaviren) Influenza-A-Viren Influenza-B-Viren Influenza-C-Viren Thogotovirus, Dhorivirus Virus der infektösen Anämie der Lachse
Enten-Hepatitis-B-Virus
ja
2
2
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2 Viren: Definition, Aufbau, Einteilung
Tabelle 2.1 (Fortsetzung) Virusfamilie (Abschnitt im Buch)
Genus/ Unterfamilie
Hepadnaviridae (19.1) (Fortsetzung)
Deltavirus Hepatitis-D-Virus (Virusoid); Infektion zusammen mit Hepatitis-B-Virus als Helfervirus Polyomavirus BK-, JC-Viren (BKV/JCV), SV40-Virus
Polyomaviridae (19.2)
Papillomaviridae a-Papilloma(19.3) virus b-Papillomavirus g-Papillomavirus d-Papillomavirus l-Papillomavirus
Beispiel
humane Papillomaviren, Typen 6, 10, 16, 18, 32 (Schleimhaut, oral/genital) humane Papillomaviren, Typen 5, 9, 49 (Haut) humane Papillomaviren, Typen 4, 48, 50 (Haut) Papillomaviren der Wiederkäuer (Rinder, Schafe, Hirsche) Papillomaviren der Hunde und Katzen
Membranhülle
Partikelgröße/Form des Capsids oder Nucleocapsids
ja, entspricht in Zusammensetzung der Hüllmembran des Hepatitis-BVirus nein 45 nm/ Ikosaeder nein
Genom: Art und Größe ssRNA; zirkulär; 1900 Basen
dsDNA; zirkulär; 5 000 Basenpaare
55 nm/ Ikosaeder
dsDNA; zirkulär; 8 000 Basenpaare
Adenoviridae (19.4)
Mastadenovirus humane, canine Adenoviren nein Aviadenovirus Geflügeladenoviren Siadenovirus Virus der hämorrhagischen Enteritis der Pute Atadenovirus Virus des Egg-Drop-Syndrom der Hühner
70–80 nm/ Ikosaeder
dsDNA; linear; 36 000–38 000 Basenpaare
Herpesviridae (19.5)
a-Herpesviren
b-Herpesviren g-Herpesviren
Poxviridae (19.6)
Orthopoxvirus
Parapoxvirus Avipoxvirus Molluscipoxvirus Suipoxvirus Yatapoxvirus
Herpes-simplex-Viren, Varicella-Zoster-Virus, bovine Herpesviren, equine Herpesviren, porcines Herpesvirus, canines Herpesvirus, felines Herpesvirus, galline Herpesviren Cytomegalovirus, humanes Herpesvirus 6 Epstein-Barr-Virus, humanes Herpesvirus 8, alcelaphines Herpesvirus 1 (BKF-Virus)
ja
250–300 nm/ Ikosaeder
dsDNA; linear; 150 000–250 000 Basenpaare
Variolavirus, Vacciniavirus, Kuhpockenvirus, Affenpockenviren Orfvirus Canary-Pox-Virus Molluscum-contagiosiumVirus Schweinepockenviren Tabavirus, Yaba monkey tumor virus
ja
350–450 nm/ komplex
dsDNA; linear; 130 000–350 000 Basenpaare
2.4 Weiterführende Literatur
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Tabelle 2.1 (Fortsetzung) Virusfamilie (Abschnitt im Buch)
Genus/ Unterfamilie
Beispiel
Membranhülle
Partikelgröße/Form des Capsids oder Nucleocapsids
Genom: Art und Größe
Asfarviridae (19.7)
Asfivirus
Virus der afrikanischen Schweinepest
ja
200 nm/ komplex
dsDNA; linear; 180 000 Basenpaare
Parvoviridae (20.1)
Parvovirus
felines Panleukopenievirus, canines Parvovirus, porcines Parvovirus Parvovirus B19 humanes Bocavirus, bovines Parvovirus, Minute virus of canine Aleutian mink disease virus adenoassoziierte Viren
nein
20–25 nm/ Ikosaeder
ssDNA; linear; 5 000 Basen
Chicken-Anaemia-Virus porcines Circovirus, Beak and feather disease virus TT-Virus
nein
16–24 nm/ Ikosaeder
ssDNA; zirkulär; 1700–2 000Basen
Erythrovirus Bocavirus
Amdovirus Dependovirus Circoviridae (20.2)
Gyrovirus Circovirus
Anellovirus
ss: single-strand, einzelsträngiges Genom, ds: double-strand, doppelsträngiges Genom.
2.4 Weiterführende Literatur Chiu, W.; Burnett, R. M.; Garcea, R. L. Structural Biology of Viruses. New York, Oxford (Oxford University Press) 1997. Fraenkel-Conrat, H. The Viruses. Catalogue, Characterization, and Classification. New York, London (Plenum Press) 1985. Indexes of Viruses Frames: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/ ICTVdb/Ictv/index.htm
Knipe, D. N.; Howley, P. M. (Hrsg.) Fields Virology. 5. Aufl. New York (Lippincott Raven Press) 2006. Fauquet, C. M.; Mayo, M. A.; Maniloff, J.; Desselberger, U.; Ball, L. A. Virus Taxonomy. VIIIth Report of the International Committee on Taxonomy of Viruses. San Diego ( Academic Press, Elsevier) 2005. Nermuth, M. V.; Steven, A. C. Animal Virus Structure. Amsterdam, New York, Oxford (Elsevier) 1987. Richman, D. D.; Whitley, R. J.; Hayden, F. G. Clinical Virology. 2. Aufl. Washington (ASM Press) 2002.
2
3 Virusvermehrung und Replikation 3.1 Womit beginnt die Infektion einer Zelle? Als obligate Zellschmarotzer haben Viren keinen eigenen Stoffwechsel. Sie müssen daher für ihre Vermehrung Zellen infizieren. Die Viruspartikel müssen in der Lage sein, bestimmte Rezeptormoleküle auf der Cytoplasmamembran der Wirtszelle zu erkennen und sich an diese anzuheften. Diesen Prozess bezeichnet man als Adsorption. Bei den umhüllten Viren wird diese Wechselwirkung durch Proteine vermittelt, welche in die Membranhülle der Virionen eingelagert sind. Das ist unter anderem bei Retro-, Influenza- und Herpesviren der Fall. Die Bindung der viralen Membranproteine an zelluläre Oberflächenstrukturen ist zum Teil sehr spezifisch; dies gilt beispielsweise für die Interaktion zwischen dem Oberflächenprotein gp120 der humanen Immundefizienzviren (HIV) und dem CD4-Rezeptor, einem Polypeptid, das fast ausschließlich in der Cytoplasmamembran von T-Helferzellen und Makrophagen vorkommt (䉴 Abschnitt 18.1.5). In anderen Fällen binden sich die Virusproteine an zelluläre Strukturen, die auf vielen Zelltypen zu finden sind. Ein Beispiel hierfür ist die Bindung des Hämagglutinins der Influenzaviren (䉴 Abschnitt 16.3) an endständige N-Acetyl-Neuraminsäurereste komplexer Oligosaccharide, die als Protein- und Lipidmodifikationen auf der Membranoberfläche unterschiedlichster Zellen vorkommen. Bei denjenigen Virustypen, die nicht von einer Membran umgeben sind, befinden sich auf der Capsidoberfläche die Strukturen, die für die mehr oder weniger spezifische Bindung der Partikel an bestimmte Zellen verantwortlich sind. Beispiele sind die Picornaviren, die Adenoviren und die Parvoviren. Polioviren etwa nehmen über einen Canyon – eine einem Graben ähnliche Struktur, die durch die Faltung bestimmter Aminosäurebereiche der Capsidproteine auf der Partikeloberfäche
entsteht – Kontakt mit einer Domäne des CD155 auf, einem auf der Zelloberfläche lokalisierten Protein der Immunglobulinsuperfamilie. Der Großteil der Rhinoviren, die ebenfalls zur Picornavirusfamilie zählen, nutzt das zelluläre Oberflächenprotein ICAM-1 für die spezifische Adsorption, andere binden sich an Mitglieder der LDL-Rezeptorfamilie (䉴 Abschnitt 14.1.4). Adenoviren binden sich über die Köpfchen am Ende der Fiberproteine, die an den Ecken der ikosaedrischen Capside verankert sind. Diese Bindung wird zu Proteinen auf Zelloberflächen ausgebildet, welche hinsichtlich ihrer Funktion nicht charakterisiert sind: die Coxsackie- und Adenovirusrezeptoren (CAR-Rezeptoren). Die CARRezeptoren werden so bezeichnet, weil sich beide Virusarten an sie binden (䉴 Abschnitte 14.1.4 und 19.4.4). Für die erfolgreiche Adsorption muss bei den Adenoviren gleichzeitig die Wechselwirkung der Pentonbasisproteine, ebenfalls Komponenten der Partikeloberfläche, mit den Integrinen αvβ3 oder αvβ5 erfolgen (䉴 Abschnitt 19.4.4). Diese Notwendigkeit, sich für eine erfolgreiche Infektion der Zielzellen an zwei verschiedene Rezeptortypen zu binden, findet man auch bei anderen Viren, so bei den humanen Immundefizienzviren und den Herpesviren (䉴 Abschnitte 18.1 und 19.5).
3.2 Wie gelangt ein Virus in das Innere der Zelle? Nach der Adsorption wird das an die Zelloberfläche gebundene Viruspartikel in das Innere der Zelle aufgenommen; diesen Vorgang bezeichnet man als Penetration. Bei Viren, die nicht von einer Membran umgeben sind, geschieht das in der Regel durch rezeptorvermittelte Endocytose. Dieser Vorgang wird generell von Zellen genutzt, um Moleküle von außen in das Cytoplasma aufzunehmen: Die Capsid-Rezeptor-Komplexe treten in
3
24
3 Virusvermehrung und Replikation
Wechselwirkung mit Clathrin-reichen Membranstellen, an denen sich die Cytoplasmamembran um das gebundene Virus stülpt und es umschließt. Das entstehende Vesikel bezeichnet man als Endosom. Es schnürt sich nach innen ab und gelangt so in das Cytoplasma der Zelle. Alternative Aufnahmewege führen über die Caveolae und die Caveosomen. Für die weiteren Schritte des Infektionszyklus müssen die Viruspartikel relativ schnell aus den Endosomen entlassen werden, da diese reich an Proteasen und anderen abbauenden Enzymen sind und das Virus letztendlich zerstören würden. Viren verfügen daher über Mechanismen, die es ihnen erlauben, die Vesikel zu verlassen und den weiteren Endocytose- und Abbauprozess zu umgehen. Parvoviren (䉴 Abschnitt 20.1) verfügen hierzu über Phospholipase A2-ähnliche Enzymaktivitäten, die als Teil eines Capsidproteins (VP1-Protein) für die Entlassung der Viren aus dem Endosom verantwortlich sind. Auch die von einer Membran umhüllten Viren – sie werden ebenfalls zum Teil durch Endocytose als Membranvesikel von der Zelle aufgenommen – haben Möglichkeiten entwickelt, der Zerstörung in den Endosomen zu entgehen. Wenn zum Beispiel Influenzaviren (䉴 Abschnitt 16.3) aufgenommen werden, sind die Nucleocapsidsegmente im Vesikel von zwei Membranen umgeben, nämlich der Virusmembran und der von der Cytoplasmamembran abgeleiteten Vesikelhülle. Eine fusionsaktive Sequenz des viralen Hämagglutinins löst nun das Verschmelzen der beiden Membranen aus – mit der Folge, dass die viralen Nucleocapside aus dem Vesikel entlassen werden. Dieser Vorgang ist in ähnlicher Weise bei vielen anderen membranumhüllten Viren zu finden, zum Beispiel bei den Flaviviren (䉴 Abschnitt 14.5). Das Verschmelzen der beiden Membranen ist pHabhängig; daher muss zunächst eine Ansäuerung des Vesikelinneren erfolgen. Im Unterschied zu diesem Aufnahmemechanismus haben Paramyxoviren (䉴 Abschnitt 15.3) in ihrer Hüllmembran ein spezielles Fusionsprotein eingelagert, welches in einem pH-unabhängigen Vorgang das Verschmelzen der viralen mit der zellulären Membran bereits bei der Bindung des Partikels an die Zelle ermöglicht; in diesem Fall wird das Capsid nach der Fusion beider Membranen direkt in das Cytoplasma entlassen. In ähnlicher Weise erfolgt auch bei den Herpesviren (䉴 Abschnitt 19.5) und beim humanen Immundefizienzvirus (䉴 Abschnitt 18.1) die Fusion der Virushülle mit der Zellmembran.
3.3 Wie wird das Genom des aufgenommenen Virus in der Zelle freigesetzt? Die Freisetzung der viralen Nucleinsäure aus dem Capsid ist das Ergebnis eines noch weitgehend ungeklärten Prozesses, den man als Uncoating bezeichnet. Das Genom der DNA-Viren – bei Herpesviren zusätzlich auch das Tegument – wird im Zuge dieses Vorgangs mittels unterschiedlicher intrazellulärer Transportsysteme durch die Kernporen in den Zellkern transportiert. Eine Ausnahme stellen die Pockenviren (䉴 Abschnitt 19.6) dar, die sich als DNA-Viren im Cytoplasma der infizierten Zelle replizieren. Das Genom der RNA-Viren verbleibt nach dem Uncoating als Ribonucleinsäure-ProteinKomplex im Cytoplasma, wo die weiteren Schritte des Infektionszyklus ablaufen. Diese Regel wird lediglich von den Influenza- und Bornaviren durchbrochen, die sich als Vertreter der RNA-Viren im Zellkern replizieren (䉴 Abschnitte 15.2 und 16.3).
3.4 Welche verschiedenen Strategien verfolgen Viren bei Genexpression und Genomvermehrung? Die Replikation umschreibt die sehr komplexen Vorgänge der viralen Genexpression und Genomvermehrung, die bei allen Virustypen unterschiedlich verlaufen und an deren Ende vielfache Kopien der viralen Strukturen in der infizierten Zelle vorliegen. Auch wenn das Virus einen Großteil der für seine Genexpression und Genomreplikation nötigen Informationen mit in die Zelle einbringt, sind zellspezifische Proteine für die Expression der Virusgene oft unerlässlich. Diese Polypeptide wirken meist als Transaktivatoren für die Transkription der viralen Gene. Fehlen sie, kann der Infektionszyklus nicht ablaufen; dann werden keine oder nur ein Teil der viralen Genprodukte synthetisiert, die Bildung infektiöser Partikel unterbleibt. Diese Form der Infektion, bei der das Virus zwar in der Lage ist, an die Oberfläche bestimmter Zellen zu adsorbieren und auch in sie einzudringen, jedoch aufgrund der vorliegenden intrazellulären Bedingungen den Vermehrungszyklus nicht oder nur teilweise einleiten kann, wird auch als abortive Infektion bezeichnet. Die Abhängigkeit der Replikation
3.4 Welche verschiedenen Strategien verfolgen Viren bei Genexpression und Genomvermehrung?
vom zellulären Milieu ist ein weiterer Grund für die Zellspezifität von Virusinfektionen. Abhängig von der Art und dem Aufbau des viralen Genoms findet man bei den verschiedenen Viren folgende Replikationsstrategien (die Kapitel im speziellen Teil folgen dieser Einteilung): (+)-Strang-RNA-Viren Das RNA-Genom solcher Viren (䉴 Kapitel 14) besitzt die Polarität einer mRNA, kann also unter Verwendung der zellulären Translationsmaschinerie direkt in Proteine übersetzt werden. Dadurch entsteht bei den Picornaviren und den Flaviviren ein großes Vorläuferpolyprotein, bei den Astro-, Calici-, Hepe-, Toga-, Arteri- und Coronaviren findet man zwei beziehungsweise mehrere unterschiedliche Formen dieser Proteinvorläufer. Sie werden proteolytisch in die viralen Strukturproteine und Enzyme gespalten. Von letzteren ist eines für die Genomreplikation sehr wichtig: nämlich die RNA-abhängige RNA-Polymerase. Da dieses Enzym in eukaryotischen Zellen nicht vorkommt, muss das Virus für die entsprechende Information selbst codieren. Diese Polymerase katalysiert unter Verwendung des (+)-Strang-RNA-Genoms die Synthese eines hierzu komplementären (–)-RNA-Stranges, der als Matrize für die Produktion einer Vielzahl neuer RNAGenome in Plus- oder Positivstrangorientierung dient. Wichtige Vertreter der (+)-Strang-RNA-Viren sind beispielsweise die Picorna-, Calici-, Flavi-, Toga- und Coronaviren (䉴 Abschnitte 14.1, 14.5, 14.6 und 14.8). (–)-Strang-RNA-Viren Das RNA-Genom dieser Viren (䉴 Kapitel 15 und 16) hat im Gegensatz zu dem der gerade beschriebenen nicht die Polarität einer mRNA. Es kann also nicht direkt in Proteine übersetzt werden. Hierzu bedarf es der Umschreibung des Genomstranges in die komplementäre RNA – ein Vorgang, der auf das Vorhandensein einer RNA-abhängigen RNA-Polymerase angewiesen ist. Da vom Genom aufgrund der Negativstrangorientierung nicht direkt Proteine gebildet werden können, müssen die (–)-Strang-RNA-Viren diese Polymerase als Teil des Viruspartikels mit in die Zelle einbringen. Das Enzym synthetisiert zum Genom komplementäre mRNA-Moleküle, die in die viralen Struktur- und Nichtstrukturproteine übersetzt werden. Im folgenden Schritt ist die RNA-abhängige RNA-Polymerase auch für die Bildung eines durchgehenden, zum Genom komplementären Stranges verantwortlich, der als Matrize für die Produktion von RNA-Genomen in Negativstrangorientierung dient. Wichtige Vertreter der (–)-Strang-RNA-Viren sind die Rhabdo- und Paramyxoviren (䉴 Abschnitte 15.1 und 15.3) sowie die Orthomyxoviren, die sich von den vorgenannten durch ein in Segmenten vorliegendes (–)-Strang-RNA-Genom
25
unterscheiden (䉴 Abschnitt 16.3). Einige Virustypen, die zu den Familien der Bunya- und Arenaviren (䉴 Abschnitte 16.1 und 16.2) gehören, können Teile ihres ebenfalls segmentierten Genoms sowohl in Plus- als auch in Negativstrangorientierung verwenden. Sie codieren in ihrem einzelsträngigen RNA-Genom also in beiden Richtungen für Proteine. Diese äußerst effiziente Nutzung der Codierungskapazität bezeichnet man auch als Ambisense-Orientierung. Man findet sie auch bei den porcinen Circoviren, die über ein einzelsträngiges, zirkuläres DNA-Genom verfügen (䉴 Abschnitt 20.2). Doppelsträngige RNA-Viren Die Reo- und Birnaviren (䉴 Kapitel 17) besitzen ein doppelsträngiges, in Segmenten vorliegendes RNA-Genom. Als Teil der Viruspartikel findet man auch hier eine RNA-abhängige RNAPolymerase, die bei der Infektion mit in die Zelle gelangt. Sie schreibt die (–)-Stränge der Genomfragmente in gecappte, translatierbare mRNA-Moleküle um. Diese dienen zugleich auch als Matrizen für die Synthese neuer Doppelstränge. Nur die Reo- und Birnaviren verfolgen dieses Prinzip einer konservativen Replikation, bei der keiner der Elternstränge in den neusynthetisierten RNA-Doppelstrangmolekülen vorhanden ist. Retroviren Diese RNA-Viren (䉴 Kapitel 18) besitzen zwar ein Genom in Plusstrangorientierung, ihr Replikationszyklus unterscheidet sich jedoch völlig von dem der zuvor erwähnten Virusfamilien. Retroviren enthalten in ihren Virionen das Enzym reverse Transkriptase, das mit in die Zelle eingebracht wird. Die RNA-abhängige DNAPolymeraseaktivität der reversen Transkriptase katalysiert unter Verwendung des RNA-Genoms als Matrize die Umschreibung in eine doppelsträngige DNA, die in das Zellgenom integriert wird. Dieses so genannte Provirus verhält sich wie ein zellulärer Chromosomenabschnitt; es wird bei Teilungen mit dem zellulären Genom vermehrt und an die Tochterzellen weitergegeben. Transkription und Translation finden nur von der integrierten viralen DNA statt. Dabei entstehen gespleißte und ungespleißte mRNA-Moleküle, die in die viralen Strukturproteine und Enzyme übersetzt werden. Die ungespleißte, die gesamte Sequenz des Provirus überspannende mRNA dient auch als virales Genom, das in die Partikel verpackt wird. Doppelsträngige DNA-Viren Das Genom dieser Viren (䉴 Kapitel 19) wird nach dem Transport in den Zellkern unter Verwendung der zellulären Enzyme transkribiert. Die entstandenen RNA-Moleküle werden anschließend in die viralen Nichtstruktur- und Strukturproteine übersetzt. Hepadnaviren (䉴 Abschnitt 19.1) besitzen ein nur teilweise doppelsträngiges DNA-Genom, das in den
3
3
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3 Virusvermehrung und Replikation
infizierten Zellen vervollständigt wird und im Kern als zirkuläres Molekül vorliegt. Die Hepadnaviren verfügen über eine reverse Transkriptase, die zusammen mit einigen weiteren Eigenschaften ihre Verwandtschaft zu den Retroviren deutlich macht. Dieses virale Enzym schreibt während des Vermehrungszyklus eine das Genom umspannende mRNA in DNA um. Die kleineren DNAViren wie die Polyoma- und Papillomaviren (䉴 Abschnitte 19.2 und 19.3) codieren nicht für eine eigene DNA-Polymerase, sondern für Polypeptide, die mit den zellulären DNA-Polymerasen interagieren und diese in ihrer Funktion so modifizieren, dass bevorzugt die viralen DNA-Sequenzen repliziert werden. Dieser Prozess beginnt an einem Replikationsursprung und verläuft bidirektional und semikonservativ; er ist der δ- oder Plasmidreplikation sehr ähnlich, die man bei der Vermehrung der zirkulären Bakterienchromosomen oder episomal vorliegender DNA-Moleküle findet. Die komplexeren DNA-Viren wie die Adeno- und Herpesviren (䉴 Abschnitte 19.4 und 19.5) weisen eine streng regulierte Form der Genexpression auf, die sich in eine frühe und späte Phase gliedert; auch diese Viren verwenden die zelluläre Transkriptions- und Translationsmaschinerie. Dabei werden früh verschiedene regulatorisch und enzymatisch aktive Polypeptide gebildet, unter anderem auch die viralen DNA-Polymerasen und einige im Nucleinsäurestoffwechsel aktive Enzyme, welche die Replikation der doppelsträngigen DNAGenome ermöglichen. Die linearen Genome der Adenoviren werden in einem semikonservativen Modus vermehrt, das heißt, jeweils ein Elternstrang wird als Matrize verwendet und bleibt Teil der neu gebildeten DNA-Moleküle. Die Replikationsursprünge befinden sich an den Enden der doppelsträngigen DNA. Die linearen DNA-Genome der Herpesviren werden in der Zelle zirkularisiert. Die Viren können zwei unterschiedliche Vermehrungszyklen verfolgen: Während der Latenz liegt die virale DNA als Episom vor und wird von den zellulären DNA-Polymerasen repliziert. Im lytischen Infektionszyklus, der zur Produktion von Nachkommenviren führt, erfolgt die Replikation dagegen nach dem Prinzip der σ-Replikation, die auch bei einigen Bakteriophagen vorkommt und als rolling circle bezeichnet wird. Hier wird ein Strang des zirkulären DNA-Moleküls am Replikationsursprung geschnitten, und am so entstandenen 3’-OH-Ende werden durch die virale DNA-Polymerase Nucleotide anpolymerisiert, wobei der intakte DNAStrang als Matrize dient. Das 5’-Ende löst sich so kontinuierlich von dem Matrizenstrang, es wird gleichsam abgerollt. Auf diese Weise entsteht ein DNA-Einzelstrang, der viele Einheiten des Herpesvirusgenoms in konkatemerer, das heißt wiederholter Form umfasst. Er wird durch Okazaki-Fragmente zum Doppelstrang
ergänzt und durch Endonucleasen in einzelne Virusgenome geschnitten. Sowohl bei den Adeno- als auch bei den Herpesviren wird die Synthese der viralen Strukturproteine erst in der späten Phase der Genexpression im Anschluss an die DNA-Replikation induziert. Die Pockenviren sind ebenfalls doppelsträngige DNA-Viren, sie verfolgen jedoch einen völlig anderen Replikationsmodus. Sie vollziehen alle Syntheseleistungen im Cytoplasma der infizierten Zelle. Viele Enzymaktivitäten, die normalerweise im Zellkern lokalisiert sind, können von den Pockenviren daher nicht genutzt werden. Hierzu zählen die der RNA-Polymerasen, Cappingund RNA-Modifikationsenzyme. Die Pockenviren besitzen neben einer eigenen DNA-Polymerase deshalb auch die genetische Information für diese Funktionen. Die Genexpression und die Genomvermehrung sind auch bei Pockenviren (䉴 Abschnitt 19.6) streng reguliert. Die Familie der Asfarviren umfasst bisher ausschließlich einen tierpathogenen Vertreter, das Virus der afrikanischen Schweinepest (䉴 Abschnitt 19.7). Die Asfarviren verfügen über ein doppelsträngiges DNA-Genom und sind in vielerlei Hinsicht den pflanzenpathogenen Iridoviren ähnlich. Die Replikation verläuft im Kern der infizierten Zelle. Einzelsträngige DNA-Viren Die Familien der Parvound der Circoviren umfassen Viren mit einem einzelsträngigen DNA-Genom (䉴 Kapitel 20). Beide codieren nicht für eine virale DNA-Polymerase; ähnlich wie die Polyoma- und Papillomaviren verwenden sie zur Genomreplikation zelluläre Enzyme, die in ihrer Funktion modifiziert werden. Auf diese Weise entstehen komplementäre doppelsträngige DNA-Intermediate, die anschließend wieder in Einzelstranggenome umgeschrieben werden (䉴 Abschnitte 20.1 und 20.2).
3.5 Was versteht man unter Morphogenese? Nach dem Replikationsprozess liegen in der Zelle sowohl die viralen Strukturproteine als auch das jeweilige Genom in vielfachen Kopien vor. Der Vorgang der Virusmorphogenese beschreibt den geordneten Zusammenbau der verschiedenen Komponenten zu partikulären Strukturen, Capsiden und letztlich infektiösen Viruspartikeln. Der Zusammenbau erfolgt weitgehend ohne Inanspruchnahme zellulärer Enzyme und anderer Aktivitäten durch Wechselwirkung zwischen den einzelnen Bestandteilen und wird daher auch als Self-Assembly bezeichnet. In jüngster Zeit mehren sich jedoch die Hin-
3.7 Weiterführende Literatur
weise, dass die Virusmorphogenese nicht gänzlich ohne Beteiligung zellulärer Funktionen ablaufen kann. So beeinflussen in einigen Fälle virale, vor allem jedoch zelluläre Proteinfaltungskatalysatoren (Chaperone) den Self-Assembly-Prozess. Die Morphogenese von membranumhüllten Viren ist häufig mit zellulären Membranstrukturen assoziiert. Bei Retroviren findet sie zum Beispiel an der Cytoplasmamembran statt, bei Herpesviren dagegen zuerst an der inneren Kernmembran, später während der Morphogenese an den Membranen des trans-Golgi-Netzwerkes, bei Flaviviren wiederum an der Membran des endoplasmatischen Reticulums (䉴 Abschnitte 14.5, 18.1 und 19.5).
3.6 Wie erfolgt die Freisetzung der Nachkommenviren? Ein möglicher Weg der Freisetzung der infektiösen Partikel ist die Knospung (Budding). Hierbei lagern sich die vorgebildeten Capside an bestimmten Stellen der Cytoplasmamembran, den lipid rafts an. In diesen Membraninseln sammeln sich die viralen Oberflächenproteine nach ihrem Transport. Die angelagerten Capside werden dann mit der die Proteine enthaltenden Membran umgeben und abgeschnürt. Es ist vom Ort des Assembly-Prozess abhängig, ob die virale Membran der Cytoplasmamembran, der Kernmembran, der Membran des endoplasmatischen Reticulums oder der Membran des trans-Golgi-Netzwerkes entspricht. Handelt es sich um die Cytoplasmamembran, werden die Viren direkt in die Umgebung abgegeben. Bei einer Morphogenese an der Kernmembran oder derjenigen des endoplasmatischen Reticulums erfolgt die Freisetzung über den Transport durch den Golgi-Apparat an die Zelloberfläche und Exocytose. Bei einigen Viren, beispielsweise beim huma-
27
nen Immundefizienzvirus, können im von der Zelle abgegebenen Partikel noch Reifungsvorgänge mit strukturellen Umlagerungen stattfinden. Die Freisetzung von Viren, die nicht von einer Hüllmembran umgeben sind, geschieht überwiegend durch die Lyse der infizierten Zelle. Ob diese ein aktiver, durch das Virus induzierter Vorgang ist oder ob die Zelle durch die Virusvermehrung und die damit verbundene Störung der zelleigenen Syntheseleistungen so weit erschöpft wird, dass sie den Prozess des programmierten Zelltodes, der Apoptose, einleitet und in der Folge abstirbt und zerfällt, ist weitgehend ungeklärt und verläuft möglicherweise auch bei den verschiedenen Virussystemen sehr unterschiedlich. Die Replikation der Viren, ihre Morphogenese und Freisetzung sind mit sehr vielen Fehlermöglichkeiten behaftet, die zur Entstehung von nichtinfektiösen, defekten Viruspartikeln führen können. Oft entstehen die defekten Viren in einem großen Überschuss. In vielen Fällen enthalten sie ein unvollständig repliziertes Genom; in anderen Fällen beruht der Verlust der Infektiosität auf unkorrekten Vorgängen beim Assembly und der sich anschließenden Virusreifung.
3.7 Weiterführende Literatur Cann, A. J. Principles of Molecular Virology. 4. Aufl. Burlington, San Diego, London (Academic Press, Elsevier) 2005. Doerfler, W.; Böhm, P. Virus Strategies. Molecular Biology and Pathogenesis. Weinheim (VCH) 1993. Flint, S. J.; Enquist, L. W.; Krug, R. M.; Racaniello, V. R.; Skalka, A. M. Principles of Virology. Molecular Biology, Pathogenesis, and Control. 2. Aufl. Washington D.C. (ASM Press) 2004. Lewin, B. Genes IX. Sudbury (Jones & Bartlett Publishers) 2007. [Deutsche Übersetzung einer vorherigen Ausgabe: Molekularbiologie der Gene. Spektrum Akademischer Verlag 2002.] Knippers, R. Molekulare Genetik. 9. Aufl. Stuttgart, New York (Thieme) 2006.
3
4 Pathogenese Die Pathogenese beschreibt die Ausbreitung eines Virus im Organismus und die wechselseitige Beziehung zwischen dem Erreger und seinem Wirt während der Infektion. Diese Prozesse kann man histologisch, virologisch und immunologisch mit unterschiedlichen Methoden untersuchen. Virusinfektionen können mit oder ohne Krankheitssymptome verlaufen (man spricht von apparenten beziehungsweise inapparenten Infektionsverläufen). In beiden Fällen reagiert der Wirtsorganismus mit immunologischen Abwehrreaktionen, die meist zur Überwindung der primären Krankheitssymptome und zur Eliminierung des Erregers führen. Die Immunabwehr kann aber auch im Rahmen der Immunpathogenese zu spezifischen Krankheitssymptomen und zur vorübergehenden oder andauernden Schädigung des Wirts beitragen. Der typische Verlauf einer akuten Virusinfektion äußert sich zumeist in einem Krankheitsstadium mit uncharakteristischen, grippeartigen Symptomen, in vielen Fällen heilt die Erkrankung direkt danach aus. Oft folgt dieser Erkrankungsphase aber nur ein symptomfreies Intervall von einigen Tagen, dem sich ein zweites, spezifisches Krankheitsstadium mit den typischen Organsymptomen anschließt (䉴 Abbildung 4.1). In beiden Fällen kann es der Immunabwehr gelingen, die Erreger zu eliminieren. Gelegentlich etablieren Viren aber trotz der eingeleiteten immunologischen Abwehr persistierende Infektionen und verbleiben lebenslang im Organismus. Einige Viren bilden dann andauernd Nachkommen, die von den Wirten ausgeschieden und auf andere, noch nicht infizierte Lebewesen übertragen werden, wie es beispielsweise bei den chronisch-persistierenden Infektionen mit Hepatitis-B- oder HepatitisC-Viren oder den humanen Immundefizienviren der Fall ist (䉴 Abschnitte 14.5, 18.1 und 19.1). In anderen Fällen wird zwar die Vermehrung der Erreger kontrolliert, ihre Erbinformation bleibt aber in den Zellen bestimmter Gewebe latent erhalten. Sie können bei bestimmten Gelegenheiten reaktiviert werden, um während dieser aktiven Phasen erneut Nachkommen zu pro-
duzieren und Krankheitssymptome zu verursachen. Als Beispiele hierfür seien die Varicella-Zoster- und die Herpes-simplex-Viren als Mitglieder der Herpesvirusfamilie erwähnt (䉴 Abschnitte 19.5). Der Begriff der Pathogenität eines Virus umschreibt sein Potenzial, in einer bestimmten Wirtsspezies Krankheiten zu erzeugen. Sie basiert auf den Aktivitäten der viralen Genprodukte; diese bestimmen in ihrer Gesamtheit sowie in ihrer Wechselwirkung untereinander und mit zellulären Komponenten die krank machenden Eigenschaften. Oft ist ein Erreger nur für eine Wirtsspezies pathogen. So verursacht das humane Immundefizienzvirus ausschließlich bei Menschen die Krankheit der erworbenen Immunschwäche AIDS (䉴 Kapitel 18), wohingegen beispielsweise das Virus der klassischen Schweinepest nur Schweine infiziert und bei ihnen die Schweinepest verursacht (䉴 Abschnitt 14.5). Der Begriff Virulenz bezieht sich auf den Ausprägungsgrad der viralen Infektion. Es handelt sich hierbei um das pathogene Potenzial eines Virus und die unterschiedlich stark ausgeprägten pathogenen Eigenschaften innerhalb einer Virusspezies. Verantwortlich hierfür sind die in den Virulenzgenen verankerten Eigenschaften, die durch Mutationen abgeschwächt oder verstärkt werden können. Andererseits beeinflussen auch genetische Unterschiede der Wirtsspezies die Ausprägung der pathogenen Eigenschaften eines Virus, was ebenfalls zu verstärkten oder zu abgeschwächten Symptomen bis hin zur Resistenz gegenüber bestimmten Infektionen führen kann. Verantwortlich hierfür sind Wirtsgene, welche beispielsweise die Adsorption der Viren an bestimmte Zellen verhindern oder ihre Ausbreitung im Organismus kontrollieren. Wenn bei Kontakt mit den Viren in den Organismen bereits eine spezifische Immunantwort durch eine vorhergehende Infektion mit dem gleichen oder einem verwandten Virus – etwa einem Impfvirus – vorliegt, kann auch dadurch die Infektion beziehungsweise eine Erkrankung verhindert oder abgeschwächt werden.
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4 Pathogenese
A einphasige Infektionserkrankung Ausprägung der Klinik unspezifische Immunantwort
Virämie
Kontakt
IgG spez. T-Zellen
IgM
Erkrankung grippeähnliche Symptome, Fieber 0
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B zweiphasige Infektionserkrankung
unspezifische Immunantwort
Virämie
Erkrankung
Virusverbreitung in Organe
Haut Leber Lunge HNO-Raum Nervensystem
IgM
symptomfrei Organmanifestation
grippeähnliche Symptome, Fieber 0
Woche
IgG spez. T-Zellen
Ausprägung der Klinik
Kontakt
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Woche
4.1 Der zeitliche Erkrankungsverlauf bei akuten Virusinfektionen. A: Infektion mit einphasigem Erkrankungsverlauf mit grippeähnlichen Symptomen und immunologischer Kontrolle des Virus. B: Infektion mit zweiphasigem Erkrankungsverlauf; zwischen der Erkrankungsphase I (grippeähnliche Symptome) und der Erkrankungsphase II (Organmanifestation) liegt ein symptomfreies Intervall von einigen Tagen.
4.1 Wie breiten sich Viren im Organismus aus? 4.1.1 Eintrittspforten und initiale Replikation Viele Viren gelangen durch Tröpfcheninfektionen auf die Schleimhäute von Mund, Nase und Rachen (unter
anderem die Corona-, Paramyxo-, Orthomyxo- und Adenoviren; 䉴 Abschnitte 14.8, 15.3, 16.3 und 19.4). Für andere stellt die Genitalschleimhaut die Eintrittsstelle dar, so zum Beispiel für etliche der Papillomaviren oder das Herpes-simplex-Virus Typ 2 (䉴 Abschnitte 19.3 und 19.5). Viele Picornaviren wie die Polio- und HepatitisA-Viren, aber auch die Noro- und Rotaviren als Vertreter der Calici- und der Reovirusfamilien gelangen über kontaminierte Lebensmittel oder Futter in den Magen und Darm und nehmen mit den Zellen dieser Schleimhautregionen Kontakt auf (䉴 Abschnitte 14.1, 14.3 und
4.1 Wie breiten sich Viren im Organismus aus?
17.2). In anderen Fällen, beispielsweise bei den Flavioder Bunyaviren, gelangen die Erreger durch Stiche oder Bisse infizierter Arthropoden in die Blutbahn und können so die Endothelzellen der Gefäße oder direkt bestimmte Blutzellen infizieren. Ähnlich wie mit den Speichelsekreten von Mücken und Zecken gelangen Viren parenteral in die Blutbahn eines Organismus, wenn sie als Kontamination in Bluttransfusionen und Blutprodukten oder an Spritzenkanülen beziehungsweise an medizinischem Operationsbesteck vorhanden sind. Kanülen, die mit humanen Immundefizienzviren aber auch mit Hepatitis-B- und Hepatitis-C-Viren verunreinigt sind und bei intravenösem Drogenmissbrauch häufig von etlichen Personen gemeinsam benutzt werden, vermitteln diesen Infektionserregern den Eintritt direkt in die Blutbahn; dort haben sie Kontakt zu Monocyten und T-Helferzellen, in denen sie sich vermehren (䉴 Abschnitte 14.5, 18.1 und 19.1). Das Tollwutvirus gelangt dagegen durch den Biss infizierter Wirbeltiere in die Wunde und repliziert sich anfangs in den hier vorhandenen Zellen (䉴 Abschnitt 15.1). Auch kleine Hautverletzungen können ideale Eintrittsstellen für Viren bieten, so unter anderem für Papilloma- und Herpesviren (䉴 Abschnitte 19.3 und 19.5). Bereits an den Eintrittstellen finden die Viren Zellen, in welchen sie sich lokal vermehren können. In all den Geweben hat der Organismus im Verlauf der Evolution jedoch auch Zellen etabliert, die als aktive Komponenten des angeborenen oder erworbenen Immunsystems dem Eindringen von Erregern und ihrer Ausbreitung entgegenwirken. Hierzu gehören die neutrophilen Granulocyten sowie bestimmte Gewebe, beispielsweise die mit den Schleimhäuten assoziierten lymphatischen Gewebe, die man auch als GALT (gut-associated lymphatic tissue) und BALT (bronchialassociated lymphatic tissue) bezeichnet. Die Peyerschen Platten oder Plaques (Peyer’s patches) der Darmschleimhaut haben eine analoge Funktion, und im Rachen fällt dem Waldeyerschen Rachenring einschließlich der Tonsillen als lymphatischem Gewebe diese Aufgabe zu. In der Epidermis der Haut befinden sich Langerhans-Zellen, das heißt gewebespezifische dendritische Zellen, welche die Funktion haben, Erreger zu erkennen, sie aufzunehmen und zu den nächstgelegenen Lymphknoten zu transportieren, wo sie weitere Reaktionen der immunologischen Abwehr auslösen. Neben diesen dendritischen Zellen haben auch die Makrophagen in der frühen Infektionsphase wichtige Aufgaben bei der Infektabwehr. Sie wandern gezielt in die infizierten Gewebe ein und können Viren oder ihre Proteine phagocytieren und die gebildeten Peptide über MHCKlasse-II-Antigene auf ihrer Oberfläche präsentieren (䉴 Kapitel 7). Die Makrophagen werden dadurch aktiviert, sie sezernieren – ähnlich wie die virusinfizierten
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Epithel- oder Endothelzellen – Cytokine und Interferone, die weitere immunologisch aktive Zellen stimulieren, aber auch zum Entstehen von lokalen Entzündungsreaktionen beitragen (䉴 Kapitel 8). Geschieht dies beispielsweise im Schleimhautbereich des Rachens, kann solch eine Reaktion die bekannten Erkältungssymptome hervorrufen.
4.1.2 Formen der Virusausbreitung im Körper Lokal begrenzte Infektionsformen In einigen Fällen bleiben die Virusvermehrung und damit die Symptome lokal auf den Eintrittsort beschränkt. Dies gilt zum Beispiel für die humanen Papillomaviren, die von außen auf die Hautoberfläche übertragen werden, durch kleine Verletzungen die äußeren Hautschichten überwinden und sich an der Kontaktstelle vermehren, dabei Zellproliferationen induzieren und so zu Warzenbildung führen (䉴 Abschnitt 19.3). Die Viren durchbrechen die Basalmembran der Haut nicht. Die Verbreitung erfolgt durch Freisetzung von infektiösen Papillomaviruspartikeln aus der Warze, die dann weitere Hautregionen befallen und Replikationsherde bilden können. In die Hautbereiche wandern cytotoxische T-Zellen ein, welche die infizierten Zellen an Antigenpeptiden viraler Proteine erkennen, die diese über MHC-Klasse-I-Antigene präsentieren. Durch die Lyse der virusproduzierenden Zellen bleibt der Infektionsherd begrenzt. Bei der durch Adenoviren verursachten Konjunktivitis gelangt der Erreger von außen in das Auge, und die Infektion bleibt auf die Augenbindehaut beschränkt (䉴 Abschnitt 19.4). Immunologisch aktive Zellen wandern in das Auge ein und verursachen eine Entzündung. Infektionen mit den humanen Rhinoviren betreffen die oberen Bereiche des Atemtrakts und bleiben auf diesen Schleimhautbereich begrenzt (䉴 Abschnitt 14.1). Viren, die zuerst die Schleimhaut von Mund und Rachen infizieren, können sich nach den ersten Vermehrungszyklen an der Kontaktstelle kontinuierlich über den gesamten Schleimhautbereich des Respirationstraktes ausbreiten und auch das Mittelohr oder tiefere Bereiche der Atemwege besiedeln, ohne dass eine Verbreitung über das Blut erfolgt. Das gilt überwiegend auch für die humanpathogenen Parainfluenzaund Influenzaviren (䉴 Abschnitte 15.3 und 16.3). Eine ähnliche kontinuierliche Ausbreitung, allerdings in der Darmschleimhaut, findet man bei vielen Enteroviren, den Calici-, und den Rotaviren (䉴 Abschnitte 14.1, 14.3 und 17.2).
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4 Pathogenese
Lymphohämatogene Ausbreitung Antigenpräsentierende Zellen wie Langerhans-Zellen, weitere dendritische Zellen und Makrophagen können am Eintrittsort Viren beziehungsweise einzelne virale Proteinkomponenten erkennen und aufnehmen. Die mit den Viruspartikeln und -proteinen beladenen Zellen wandern zu den immunologisch aktiven Zentren der nächstgelegenen Lymphknoten und finden hier weitere Immunzellen wie CD4+- und CD8+-T-Lymphocyten, BLymphocyten und Makrophagen vor, die durch den Kontakt mit den Erregerproteinen beziehungsweise mit MHC-Peptidkomplexen sowie durch den Einfluss der von den aktivierten Immunzellen sezernierten Cytokinen zu proliferieren beginnen (䉴 Kapitel 7 und 8). Das ist die Ursache der Lymphknotenschwellungen, die man bei vielen Virusinfektionen beobachtet. In den Lymphknoten existieren aber auch Zellen, die von vielen Viren infiziert werden können. Die neu gebildeten Viren verlassen den Lymphknoten und werden in die Lymphflüssigkeit und in das Blut abgegeben, es entsteht eine primäre Virämie, die sich jedoch nur schwer nachweisen lässt, da sie meist nur vorübergehend auftritt. Folgen der Verbreitung im Organismus sind generalisierte Infektionen. In anderen Fällen werden die Erreger selbst nicht freigesetzt. Sie bleiben vielmehr zellgebunden und werden durch infizierte Zellen im Körper verbreitet – beispielsweise das humane Immundefizienzvirus in CD4+-T-Lymphocyten und Makrophagen oder das Cytomegalovirus in Granulocyten und Monocyten (䉴 Abschnitte 18.1 und 19.5). Die freien oder zellgebundenen Erreger erreichen das reticulohistiocytäre System,
das aus verschiedenen Zelltypen besteht, die zur Phagocytose oder Speicherung von Stoffen und Partikeln, so auch von Viren befähigt sind (䉴 Tabelle 4.1). In ihnen vermehren sie sich und führen zu einer meist ausgeprägten sekundären Virämie, die eine effiziente Verbreitung der Viren im Organismus ermöglicht. Erst dann gelingt es den jeweiligen Viren, ihre Endreplikationsorte zu erreichen und in den betroffenen Organen die typischen Symptome zu verursachen.
Neurogene Ausbreitung Einige Viren können bei ihrer Verbreitung im Organismus Nervenzellen infizieren. Neben dem Tollwutvirus haben verschiedene Herpesviren (beispielsweise das Herpes-simplex- und das Varicella-Zoster-Virus) diese Eigenschaft entwickelt, die ihnen eine Ausbreitung entlang der Nervenfasern ermöglicht. Tollwutviren (䉴 Abschnitt 15.1) treten bereits in der Frühphase der Infektion von den an der Bissstelle infizierten Muskelzellen in die freien Nervenendigungen über. In diesem Fall wird das Virus weder im Blutstrom noch in der Lymphflüssigkeit im Körper verbreitet. Es wandert vielmehr entlang der Nervenfasern im Axon vom peripheren Nervensystem über das Rückenmark zum Gehirn. Erst in der Spätphase der Infektion kommt es zu einer „zentrifugalen“ Ausbreitung vom Gehirn über die Nervenstränge zurück in die Peripherie. Die Tollwutviren gelangen dabei in die verschiedenen Organe; so auch in die Speicheldrüsen, durch die es auch ausgeschieden wird. Dagegen infizieren die Herpes-simplex-Viren
Tabelle 4.1 Zur Phagocytose befähigte Zellen, die für die Verbreitung von Viren im Organismus wichtig sind
mononucleäre Phagocyten
reticuloendocytäres System
Zellen
Organ
neutro- und eosinophile Granulocyten
Blut, Bindegewebe
Makrophagen, dendritische Zellen
Bindegewebe
Monocyten
Blut
Reticulumzellen
reticuläres Bindegewebe, lymphoreticuläres Gewebe in Milz, Lymphknoten, Knochenmark, Thymus, Tonsillen
Sinuswandzellen
Milz, Leber, Lymphknoten, Knochenmark
Endothelzellen
Blutgefäße
Histiocyten (von Monocyten abstammende Fresszellen unterschiedlicher Gewebe)
Mesoglia, Microglia (zentrales Nervensystem) Kupffersche Sternzellen (Leber) Alveolarmakrophagen (Lunge) Osteoklasten (Knorpel, Knochen) Langerhans-Zellen (Haut)
4.1 Wie breiten sich Viren im Organismus aus?
(䉴 Abschnitt 19.5), die bevorzugt durch direkten Kontakt übertragen werden, zuerst die Epithelzellen der Haut. Die Besiedelung des peripheren Nervensystems erfolgt anschließend, ausgehend von den ersten Vermehrungsorten in der Haut. Die Viren infizieren dort die freien Nervenendigungen und gelangen über die Nervenschienen retrograd zu den Ganglien, in denen sie lebenslang überdauern. Bei einer Reaktivierung erfolgt die Wanderung der Viren zurück in die Haut; hier entsteht das Rezidiv. Bei Herpes-simplex-Virus-Infektionen der Konjunktiven (Bindehäute) und der Cornea wandern die Erreger nach ihrer Reaktivierung aus den Ganglien über die Nervenfasern in das Auge, breiten sich im Epithel der Cornea aus und verursachen dort Entzündungen.
Manifestation der Infektion in den Organen Durch die lymphohämatogene Verbreitung gelangen Viren zu ihren Zielorganen. Sie vermehren sich dort zuerst in den jeweiligen Endothelien, die als einschichtiger Zellverband die Innenseiten aller Blut- und Lymphgefäße auskleiden. In das Parenchym, das heißt in das spezifische Gewebe eines Organs, gelangen sie durch die Räume zwischen den Endothelzellen (frei oder gebunden an Makrophagen, CD4+-T-Zellen oder Granulocyten). Als Folge der Virusvermehrung liegen die Fremdproteine in hoher Konzentration vor. Dadurch werden immunologisch aktive Zellen in die infizierten Organbereiche gelockt und reagieren dort mit Ausschüttung verschiedener Cytokine und Chemokine. Die Folge können massive Entzündungsreaktionen sein, die immunpathogenetische Ursachen haben und durch die Eigenart des jeweils infizierenden Virus und den Ansiedelungsort im Gewebe festgelegt werden. Auf Details der Pathogenese und der damit verbundenen Manifestation der Erkrankungen in den verschiedenen Organen wird bei der Besprechung der verschiedenen Viren in den entsprechenden Abschnitten eingegangen. Hier sollen nur einige grundlegende Mechanismen beschrieben werden. Haut und Schleimhaut Viren, die Erkältungskrankheiten verursachen, infizieren die Mund- und Rachenschleimhaut. Häufig breiten sie sich kontinuierlich in der Schleimhaut des Respirationstraktes aus, ohne in das Blut überzutreten und sich hämatogen zu verbreiten. Das gilt beispielsweise für die Rhinoviren, die respiratorischen Syncytial- oder die Parainfluenzaviren (䉴 Abschnitte 14.1 und 15.3). Bei anderen Virusinfektionen findet man parallel hierzu eine lymphohämatogene Verbreitung im Organismus, in deren Verlauf die Schleimhaut des Respirationstraktes sekundär erneut infiziert
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wird. Das gilt unter anderem für das Masernvirus (䉴 Abschnitt 15.3). Immer werden jedoch die in der Schleimhaut vorhandenen immunologisch aktiven Zellen, wie beispielsweise die Makrophagen und Granulocyten durch Aufnahme von Viruspartikeln oder -proteinen aktiviert; sie reagieren mit der Abgabe von verschiedenen Chemokinen und Cytokinen, während durch die Aufnahme viraler Proteine aktivierte dendritische Zellen in die nächstgelegenen Lymphknoten wandern und dort B- und T-Lymphocyten aktivieren können. Bei den Chemokinen und Cytokinen handelt es sich meist um Proteine von geringer Molekülmasse, welche durch die Basalmembran zu Gefäßen diffundieren und in den Endothelzellen eine erhöhte Synthese von Adhäsionsproteinen wie ICAM, VCAM und ELAM induzieren, an die sich die im peripheren Blut zirkulierenden Lymphocyten anlagern. So wird die Einwanderung weiterer Makrophagen, Granulocyten und aktivierter Lymphocyten eingeleitet, welche sich aus den Gefäßen hin zum Infektionsort bewegen. Parallel verstärkt die Aktivität der Cytokine in den infizierten Zellen die Synthese von MHC-Klasse-I- und -IIAntigenen, die die Peptidfragmente der Virusproteine präsentieren und so die Bildung spezifischer cytotoxischer T-Zellen und T-Helferzellen bewirken. Da die Letzteren selbst wiederum Cytokine sezernieren, wird die Cytokininduktionsschleife noch weiter verstärkt (䉴 Kapitel 8). Alle diese Vorgänge sollen dazu beitragen, die Virusvermehrung einzudämmen und möglichst lokal zu begrenzen. Bei einigen Viruserkrankungen kann – insbesondere bei immunsupprimierten Patienten – diese immunologische Schutzbarriere durchbrochen sein. Dann sind auch nach einer hämatogenen Ausbreitung sekundär bedingte Infektionen in der Schleimhaut des Verdauungstraktes möglich. Dies gilt beispielsweise für das Cytomegalovirus, das bei immunsupprimierten Patienten schwere Epitheldefekte und Geschwürbildungen (Ulzerationen) in der Darmschleimhaut verursacht. Bei den mit Exanthemen einhergehenden Viruskrankheiten wie beispielsweise Masern oder Windpocken (䉴 Abschnitte 15.3 und 19.5) infizieren die Erreger nach einer hämatogenen Ausbreitung im Organismus die Endothelzellen der Kapillargefäße und – unter Umständen von hier aus – die Zellen der Haut. Die durch die Virusreplikation in den Hautzellen und die Immunabwehr verursachte Entzündung äußert sich als Ausschlag. Dabei kann zwischen zwei Exanthemformen unterschieden werden: 1. Exantheme, bei denen sich die Erreger aktiv in den Hautzellen vermehren, wie Herpes simplex- und Varicella-Zostervirus (䉴 Abschnitt 19.5), Pockenviren (䉴 Abschnitt 19.6), Papillomaviren (䉴 Abschnitt
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4 Pathogenese
19.3) und einige Vertreter der Coxsackie-A-Viren (䉴 Abschnitt 14.1). 2. Exantheme, bei denen die Viren sich nicht aktiv in den Hautzellen vermehren, aber komplexiert mit Antikörpern in den Kapillargefäßen deponiert werden. Dies löst die Immunabwehr und somit die Entzündungsreaktionen aus. Derartige Versionen des Hautauschlags findet man bei Infektionen mit Röteln- und Masernviren (䉴 Abschnitte 14.6 und 15.3), dem humanen Herpesvirus 6 (䉴 Abschnitt 19.5) und dem Parvovirus B19 (䉴 Abschnitt 20.1).
tis, also eine Entzündung der Ohrspeicheldrüsen. Neben den Speicheldrüsen erreichen Mumpsviren hämatogen auch die Hoden und die Bauchspeicheldrüse – Organe, in denen sich die Erreger vermehren und Entzündungen bewirken. Entzündungen der Bauchspeicheldrüse werden gelegentlich auch durch Coxsackieviren verursacht, die das Organparenchym und die Inselzellen infizieren (䉴 Abschnitt 14.1). Beide Virusarten werden als Auslöser eines Diabetes mellitus vom Typ 1 diskutiert. Hantaviren infizieren nach einer hämatogenen Verbreitung im Organismus die Nieren und können sie schädigen (䉴 Abschnitt 16.2).
Lunge Infektionen der Lunge manifestieren sich überwiegend als Entzündung der Bronchien und Bronchiolen oder als Pneumonie; mit am häufigsten werden sie durch das respiratorische Syncytialvirus und durch Influenza-, Parainfluenza, Adeno-, aber auch Masernviren verursacht (䉴 Abschnitt 15.3). Die Viruspartikel gelangen durch ihre kontinuierliche Verbreitung in der Bronchialschleimhaut in die feinsten Verzweigungen des Bronchialbaumes und infizieren die Bronchial- und Alveolarepithelzellen. Diese schwellen an, versperren die Alveolen und werden schließlich abgestoßen. Bakterielle Überinfektionen des durch die Virusinfektion geschädigten Bronchialepithels können die Krankheit verschlimmern und sekundäre bakterielle Bronchopneumonien und interstitielle Lungenentzündungen verursachen.
Der Fetus als Manifestationsort Der Kreislauf des werdenden Kindes ist von dem der Mutter durch die Placentaschranke getrennt. Sie verhindert, dass mütterliche Zellen in den fetalen Organismus gelangen. Manche Proteine und andere niedermolekulare Stoffe können diese Schranke jedoch passieren. Bei Schwangeren werden hämatogen verbreitete Viren wie beispielsweise die Röteln-, die Cytomegaloviren und das Parvovirus B19 über das Blut in die Placenta transportiert und infizieren dort die Endothelzellen. Durch die Infektion der Placenta können die Erreger auf das ungeborene Kind übertragen werden und etablieren dort eine kindliche Infektion. Als Folge kommt es zu bleibenden Embryooder Fetopathien, aber auch zum Tod des Feten (䉴 Abschnitte 14.6, 19.5 und 20.1).
Weitere Organe als Manifestationsorte nach einer lymphohämatogenen Verbreitung Die Formen der Konjunktivitis, die man bei Masernvirusinfektionen beobachtet, entstehen wahrscheinlich nach einer hämatogen Verbreitung des Virus im Organismus und nicht durch eine exogene Übertragung auf das Auge, wie man sie bei Adenoviren beobachtet (䉴 Abschnitte 15.3 und 19.4). Vor allem Coxsackieviren infizieren im Verlauf ihrer virämischen, hämatogenen Ausbreitung Herzmuskel und -beutel und verursachen in diesen Organen Entzündungen (䉴 Abschnitt 14.1). Beide Krankheitsformen heilen gewöhnlich aus, die Myokarditis kann aber chronische Formen annehmen. Die Leber wird von den verschiedenen Hepatitis verursachenden Viren nach einer hämatogenen Verbreitung infiziert. Das HepatitisB-Virus gelangt dabei beispielsweise in der Leber durch Spalten im Endothel in die perivasculären Räume, die sogenannten Disseschen Räume, und auf diesem Wege zu den Hepatocyten. Dort bindet es sich an spezifische Rezeptoren auf ihrer Oberfläche, wird von den Zellen aufgenommen und kann sich in ihnen replizieren (䉴 Abschnitt 19.1). Die Speicheldrüsen werden offenbar hämatogen durch das Mumpsvirus (䉴 Abschnitt 15.3) infiziert. Die Folge ist eine ein- oder beidseitige Paroti-
Infektionen des Gehirns Zwischen dem Blut und dem zentralen Nervensystem, das aus Gehirn und Rückenmark besteht, befinden sich im Körper spezielle Barrieren, die das zentrale Nervensystem vom Immunsystem des Körpers abgrenzen, nämlich die Blut-Hirn- und die Blut-Liquor-Schranke. Die Blut-Hirn-Schranke ist besonders stark ausgeprägt. Sie besteht aus einer Schicht eng miteinander verbundener Endothelzellen und einer Basalmembran, die das Gehirn durchziehenden Kapillaren auskleiden (tight junctions). Die Ausläufer der Mikroglia – diese Zellen stammen von Makrophagen ab – und der Astrocyten sitzen dem Endothel mit Fortsätzen auf und umgeben so die Gefäße. Die interstitielle oder Gewebeflüssigkeit wird durch die Schlingen des zottenreichen Adergeflechts sezerniert, das bis in den Subarachnoidalraum hineinragt. Der Liquor, das heißt die Cerebrospinalflüssigkeit, wird vom Plexus chorioideus abgesondert und kommuniziert seinerseits mit der interstitiellen Flüssigkeit. Die Blut-Liquor-Schranke ist für Proteine, Viren und andere nichtlipidlösliche Stoffe normalerweise undurchdringlich. Manche Viren, beispielsweise die Tollwut- und die Bornaviren, können diese Schranke durch neurogene Ausbreitung entlang der Nervenfasern umgehen und so in das Rückenmark
4.2 Weiterführende Literatur
und das Gehirn gelangen, wo sie Entzündungen der Hirnhaut (Menigitis) oder des Gehirns (Encephalitis) verursachen (䉴 Abschnitte 15.1 und 15.2). Andere Erreger, wie die Polio- oder die FSME-Viren, überwinden die Barrieren vermutlich ähnlich wie beim Eintritt in andere Organe durch eine Infektion der Endothelzellen (䉴 Abschnitte 14.1 und 14.5). Aktivierte Makrophagen werden von der Blut-Hirn-Schranke nicht aufgehalten. Sie lagern sich mittels der Adhäsionsmoleküle auf ihren Oberflächen (ICAM, VCAM) an die entsprechenden Rezeptoren auf den Endothelzellen an, die während des Infektions- und Entzündungsprozesses induziert werden und gelangen über Spalten in den Kapillarwänden in das Gehirn. Treffen sie dort auf infizierte Zellen, Viruspartikel oder Fremdproteine, so sezernieren sie Cytokine, welche die Expression von MHC-Klasse-Iund -II-Peptidkomplexe auf den normalerweise immunologisch nichterkennbaren Gehirnzellen induzieren. Dadurch werden infizierte Gliazellen und Neuronen für cytotoxische T-Zellen angreifbar. Manche Viren, unter anderem Coxsackie-, FSME- und Mumpsviren, erzeugen Entzündungen der weichen Hirnhaut, die auf die Hirnrinde übergreifen können (Meningoencephalitis; 䉴 Abschnitte 14.1, 14.5 und 15.3). Andere, beispielsweise das Poliovirus, können zusätzlich Encephalitiden beziehungsweise Poliomyelitiden (Entzündungen der grauen Zellen der Vorderhörner des Rückenmarks) hervorrufen (䉴 Abschnitt 14.1). Zu Entmarkungen kommt es vor allem bei Infektionen der weißen Substanz, die überwiegend myelinhaltige Nervenfasern enthält. Sie entstehen auch aufgrund autoimmuner Prozesse als Folge von Virusinfektionen, etwa bei der durch das Masernvirus beim Menschen oder das Staupevirus beim Hund verursachten postinfektiösen Encephalitis (䉴 Abschnitt 15.3). Die Makrophagen lösen im virusinfizierten Gehirn immunologische Abwehrreaktionen aus, die mit Entzündungen einhergehen. Sind die Makrophagen selbst mit Viren infiziert, stellen sie für die Erreger einen
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weiteren Weg zur Überwindung der Barrieren dar. Häufig transportieren daher infizierte Makrophagen die Viren in das Gehirn und setzen sie hier frei. In der Folge können die Viren weitere Zellen infizieren und so die oben beschriebenen Symptome auslösen. Dieser Vorgang ist vor allem für Infektionen des Gehirns durch die humanen Immundefizienzviren beschrieben (䉴 Abschnitt 18.1).
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5 Zellschädigung Die mit Infektionen verbundenen Erkrankungssymptome beruhen auf virusbedingten Schädigungen der infizierten Zellen und Gewebe. Man unterscheidet die direkte Zellzerstörung als Folge der Virusreplikation, wie man sie bei den Vertretern der Picornaviren (䉴 Abschnitt 14.1) findet, von indirekten, meist immunpathologisch verursachten Schäden. Bei letzteren handelt es sich um schädigende Auswirkungen der Immunant-
5.1 Zelltod: Was ist eine Nekrose und wie erkennt man die Apoptose? In Folge einer Virusinfektion findet man meist Nekrosen, das sind pathologische Zellschädigungen, die auf einer Kombination der direkten, virusverursachten und indirekten, immunologisch verursachten Schäden beruhen können. Dabei schwellen die Zellen an, es kommt zum Verlust der Membranintegrität und – relativ spät – zum Abbau der DNA. In der Umgebung der nekrotischen Zellen werden immunologische, entzündliche Reaktionen ausgelöst, die zusätzlich zum Krankheitsbild beitragen. Von der Nekrose zu unterscheiden sind die Vorgänge des programmierten Zelltodes, der Apoptose, die in virusinfizierten Zellen eingeleitet werden. Diese nach einem festgelegten Programm erfolgenden physiologischen Zelleliminierungen finden in allen vielzelligen Organismen statt, beispielsweise bei der Organdifferenzierung, bei der Zerstörung funktionslos gewordener Neurone oder der Entfernung einer Vielzahl autoreaktiver T-Lymphocyten während der Embryonalentwicklung. Morphologisch sterben dabei immer nur einzelne Zellen in einem ansonsten gesunden Zellverbund oder Organ ab. Die Apoptose kann durch verschiedene Pro-
wort, die vom Organismus eigentlich zur Eliminierung der Erreger entwickelt wurde (䉴 Kapitel 7 und 8). So werden beispielsweise im Verlauf einer Hepatitis-BInfektion die Leberzellen durch cytotoxische T-Zellen angegriffen und lysiert, das Immunsystem trägt also entscheidend selbst zur Entstehung der Symptome bei (䉴 Abschnitt 19.1).
zesse ausgelöst werden (䉴 Abbildung 5.1) und beginnt mit einer Schrumpfung des Zellkernes; erst relativ spät kommt es zum Zerfall der Plasmamembran und so zur Auflösung der Zelle. Dabei bilden sich viele apoptotische Vesikel. Diese Membranvesikel schließen alle Bestandteile der absterbenden Zelle ein und werden rasch von Makrophagen aufgenommen, die sich in der Umgebung befinden. Entzündliche oder immunologische Reaktionen werden nicht induziert. Im Unterschied zur Nekrose wird die DNA der apoptotischen Zellen rasch abgebaut und es entstehen charakteristische Bruchstücke, die den nucleosomenassoziierten DNA-Abschnitten von 180 bis 200 Basenpaaren entsprechen. Biochemisch ist die Apoptose – und darin unterscheidet sie sich wiederum von der Nekrose – ein induzierbarer, energieabhängiger Vorgang mit gesteigerter RNA- und Proteinbiosynthese. Wird die Apoptose in virusinfizierten Zellen spät während des Replikationszyklus eingeleitet, dann werden in ihrem Verlauf meist auch die Nachkommenviren freigesetzt. Man vermutet, dass diese Vorgänge unter anderem bei der Pathogenese von mit Parvo- und Circoviren assoziierten Erkrankungen eine entscheidende Rolle spielen (䉴 Abschnitte 20.1 und 20.2). Die früh während des Replikationszyklus induzierte Apoptose der infizierten Zelle stellt hingegen einen Abwehrvorgang dar, der die effiziente Virusvermehrung zu verhindern strebt. Daraus kann geschlossen werden, dass die Apoptose sowohl positive als auch
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5 Zellschädigung
äußere Signale
Zellmembran
TNFα TNFαRezeptor
cytotoxische T-Zellen
Fas
Mangel an WachstumsGlucocorticoide Wachstums- Virusinfektion faktoren faktoren Glucocorticoidrezeptor virale Proteine p53
Cytoplasma
DNASchäden
Signal virales bcl-2-Gen (Epstein-Barr-Virus)
Signal
Endonuclease
Zellkern
zelluläres bcl-2-Gen
DNA-Fragmentierung
Zelltod 5.1 Apoptose induzierende Mechanismen. Dargestellt sind verschiedene Signale und Vorgänge, welche die Apoptose, den programmierten Zelltod, auslösen (+) beziehungsweise hemmen (–) können. Unterschiedliche virale Genprodukte sind hierbei in der Lage, die Apoptose zu fördern oder zu behindern. Die intrazellulären Signalkaskaden, die zum Zelltod führen, sind in diesem Schema nicht im Detail dargestellt.
negative Auswirkungen auf den Lebenszyklus des jeweiligen Virus ausüben kann. Dementsprechend haben Viren eine große Vielzahl von molekularen Mechanismen entwickelt, um sich der Apoptose entweder zu entziehen, oder um diese geschickt zur eigenen Vermehrung zu nutzen.
5.2 Welche Konsequenzen haben produktive Virusinfektionen für die betroffenen Zellen? Mit den ersten Schritten der Replikation, das heißt der Adsorption der Viren an die Zelloberfläche und ihrer Aufnahme, beginnt die Einflussnahme der Erreger auf die Zelle. Entscheidend hierfür sind die spezifischen Eigenschaften sowohl des Virus als auch des Wirtsorganismus. Die Auswirkungen dieses Zusammenspiels auf die Zelle werden mit dem Begriff der Cytopathogenität umschrieben.
5.2.1 Veränderungen der Zellmorphologie Die wichtigste Form des in vitro erkennbaren Zellschadens manifestiert sich als Abkugelung der Zellen, der meist die Lyse folgt. Diese Veränderung der Morphologie lässt sich in idealer Weise bei Epithel- oder Fibroblastenkulturen beobachten, die in einschichtigen Zellverbänden als sogenannte Zellrasen (Monolayer) wachsen und sich bei der virusbedingten Abkugelung von den Nachbarzellen lösen. Diese Art des Zellschadens, der das Sterben der Zelle anzeigt, stellt die klassische Form des cytopathischen Effekts dar (䉴 Abbildung 5.2). Er spiegelt den Einfluss viruscodierter Funktionen auf zelluläre Prozesse wider, die den Bedürfnissen des Erregers angepasst werden. So wird der Zellstoffwechsel bei vielen Virusinfektionen selektiv abgeschaltet. Picornaviren (䉴 Abschnitt 14.1) können beispielsweise ihr mRNAGenom unabhängig von der Anwesenheit des Cap-Binding-Komplexes translatieren. Dies gestattet es ihnen, mithilfe einer viruscodierten Protease einzelne Komponenten dieses Komplexes abzubauen und die Synthese zellulärer Polypeptide zu unterbinden. Herpes-simplex-
5.2 Welche Konsequenzen haben produktive Virusinfektionen für die betroffenen Zellen?
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5.2 Ausbildung eines cytopathischen Effekts mit Zellabkugelung am Beispiel einer Zellkultur, die mit Polioimpfviren infiziert ist. Links oben: uninfizierte Zellkultur (HeLa-Zellen). Rechts oben: 24 Stunden nach der Infektion mit Polioimpfviren runden sich einzelne Zellen ab und lösen sich aus dem Zellrasen, der am Boden der Kulturflasche festgewachsen ist. Links unten: 48 Stunden nach der Infektion haben die Polioimpfviren vom initialen Infektionsherd aus die Nachbarzellen infiziert, die ebenfalls mit der Abkugelung beginnen. Es bildet sich ein sogenannter Plaque aus infizierten, abgekugelten Zellen. Die umgebenden Zellen sind in diesem Stadium noch weitgehend ungeschädigt. Rechts unten: 72 Stunden nach der Infektion sind alle Zellen in der Kultur infiziert. Fast alle haben sich von der Unterlage gelöst, sodass man nur noch wenige am Boden der Zellkulturflasche haftende Zellen findet. Der dichte Zellrasen ist verschwunden.
Viren (䉴 Abschnitt 19.5) enthalten als Teil der Partikel einen vhs-Faktor (virus-host-shutoff-Faktor), der bei der Infektion mit in die Zelle eingebracht wird. Er hemmt die zelluläre DNA-, RNA- und Proteinsynthese. Adenoviren (䉴 Abschnitt 19.4) regulieren durch das Zusammenwirken zweier viraler Proteine, des E1B- und des E4/34 kD-Proteins, den Export der mRNA aus dem Zellkern in das Cytoplasma. Dabei werden zellspezifische Transkripte im Kern zurückgehalten. Exportiert und somit translatiert werden ausschließlich die viralen Produkte. Auch dies leitet den Zusammenbruch des Zellstoffwechsels ein.
Während der Virusreplikation ändern sich meist die Zusammensetzung und Integrität der Zellkomponenten: In die Cytoplasmamembran werden virale Glycoproteine eingelagert, die MHC-Antigene präsentieren Peptide, welche wiederum von viralen Proteinen abgeleitet sind, die Expressionsrate zellulärer Stressfaktoren (Chaperone wie Hsp60, Hsp70, Hsp90, früher Hitzeschockproteine genannt) wird erhöht und Differenzierungsantigene und andere Zellkomponenten werden vermehrt oder vermindert produziert und verleihen so der infizierten Zelle ein neues Erscheinungsbild. Daran schließen sich Schädigungen an, die den Ionengehalt in
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5 Zellschädigung
A
5.3 Einschlusskörperchen. A: Nucleäre Einschlusskörperchen in HeLa-Zellen, die mit Herpes-simplex-Virus Typ 1 infiziert sind. Diese hier mit Pfeilen gekennzeichneten Strukturen bestehen aus Virusproteinen, die sich im Kern anreichern und abgelagert werden. Sie sind von einem weißen Hof umgeben, an dem man sie auch erkennen kann. B: Cytoplasmatische Einschlusskörperchen in HeLa-Zellen, die mit Vacciniaviren infiziert sind. Auch diese aus Virusproteinen bestehenden Einschlusskörperchen (schwarze Pfeile) sind von einem hellen Hof umgeben. Die Zellkerne sind in dieser Abbildung durch die offenen Pfeilspitzen gekennzeichnet. C: Negrische Einschlusskörperchen (Pfeile) im Tupfpräparat von einem tollwutinfizierten Tier. Es handelt sich um cytoplasmatische Einschlusskörperchen aus Virusproteinen und Lipiden, die nach der Methode von van Gieson violett anfärbbar sind.
B
C
5.2 Welche Konsequenzen haben produktive Virusinfektionen für die betroffenen Zellen?
den Zellkompartimenten verändern. Aus den Lysosomen werden Enzyme überwiegend proteolytischer Natur freigesetzt, die den Zellschaden verstärken. Sie sind vermutlich an der Zerstörung der Mikrofilamente, der Mikrotubuli und des Cytokeratingerüstes der Zellen beteiligt, was zur Abkugelung führt. Auch verändert sich die Struktur der Kontaktstellen, durch die sich die Zellen aneinander binden oder an ihre Unterlage (in vitro der Boden der Kulturflasche) heften, sodass die Kontakte verloren gehen. Auch dies trägt zu der beobachteten Abkugelung bei. Neben dem Auftreten des cytopathischen Effektes deutete man bereits frühzeitig Einschlusskörperchen als Anzeichen dafür, dass Organismen oder Zellen einer Kultur mit Viren infiziert sind (䉴 Abbildung 5.3). Dabei handelt es sich um in der Zelle abgelagerte Virusproteine oder -partikel, die sich durch Anfärben nachweisen lassen. Bei Viren mit RNA-Genomen sind die Einschlusskörperchen in der Regel im Cytoplasma, bei Viren mit DNA-Genomen hingegen im Zellkern vorhanden. Ausnahmen sind Pockenviren (DNA-Viren) mit cytoplasmatischen Einschlusskörperchen und Influenza- und Bornaviren – beide verfügen über ein RNA-Genom – mit nucleären Einschlusskörperchen.
5.2.2 Riesenzellbildung Die Ausbildung von Riesenzellen, auch als Polykaryocyten oder Syncytien bezeichnet, wurde schon früh sowohl in vivo als auch in vitro beobachtet (䉴 Abbildung 5.4).
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Man fand diese vielkernigen Zellen erstmals in Rachenabstrichen von Patienten, die mit Masernviren infiziert waren, und beschrieb sie als Warthin-Finkeldeysche Riesenzellen. Namensgebend und besonders stark ausgeprägt ist diese Eigenschaft auch beim respiratorischen Syncytialvirus. Ähnliche Syncytien hat man in Ausstrichen von durch Herpes-simplex-Viren verursachten Hautbläschen nachgewiesen. Die Polykaryocyten entstehen durch die Fusion von Einzelzellen, die die Viren auf unterschiedliche Weise einleiten. Paramyxoviren (䉴 Abschnitt 15.3) haben die Eigenschaft, nach der Adsorption der Partikel an die Zelloberfläche durch die Aktivität des in der Virushüllmenbran verankerten FProteins die Fusion der eigenen mit der Cytoplasmamembran zu vermitteln – ein Vorgang, über den die Aufnahme des Nucleocapsids in die Zelle erfolgt. Dieser Prozess ist unabhängig von der Anwesenheit des Virusgenoms, er kann also auch durch die Virushülle allein – auch als Virosom bezeichnet – eingeleitet werden. Im weiteren Verlauf der Virusreplikation kommt es in der Zelle zur Neusynthese von Virusproteinen, die in die Cytoplasmamembran eingelagert werden und die Fusion mit den Membranen der Nachbarzellen bewirken. Diese Membranverschmelzung virusinfizierter Zellen mit solchen, die bis zu diesem Zeitpunkt frei von den jeweiligen Erregern waren, kann zur Verbreitung infektiöser Viren im Organismus beitragen. Außer bei den Paramyxo- und bei Herpesviren findet man diese Art der Fusion beispielsweise beim humanen Immundefizienzvirus und bei den Pockenviren (䉴 Abschnitte 18.1 und 19.6).
5.4 Riesenzellbildung in einer Kultur, die mit dem respiratorischen Syncytialvirus infiziert ist. Die Abbildung zeigt mehrere vielkernige Syncytien (Pfeile), die durch Fusion vieler Zellen entstanden sind. In der Umgebung findet man durch die Infektion abgekugelte Zellen.
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5 Zellschädigung
5.3 Inwiefern können auch Viren im Latenzzustand Zellen schädigen? Von den produktiven Virusinfektionen, die mit der Freisetzung meist großer Mengen an Nachkommenviren einhergehen, kann man solche abgrenzen, bei denen sich das Virus mit der Zelle, beziehungsweise dem befallenen Organismus, in einem Gleichgewichtszustand befindet. Dabei kommt es weder zur Eliminierung des Virus noch zur offensichtlichen Schädigung der Zellen. Viren, die latente oder chronisch-persistierende Infektionsformen entwickeln können, verursachen in bestimmten Fällen eine Transformation der Zellen (䉴 Kapitel 6). Während der Latenz liegen nur das Virusgenom und eventuell einige wenige virale Genprodukte in der Zelle vor; der produktive Zyklus ist unterbrochen. Bei den Retroviren wird die virale Erbinformation in das Genom der Wirtszelle integriert. Zu einer Schädigung der Zelle kann es unter Umständen schon durch die Integration des Virus in das Genom kommen, wenn dabei essenzielle Wirtsgene unterbrochen oder in veränderter Form reguliert werden (Integrationsmutagenese). Überwiegend treten die Infektionsfolgen jedoch erst nach der Aktivierung des integrierten Virusgenoms auf und werden dann durch die jeweiligen gebildeten Virusproteine verursacht. Die Expression der Virusgene kann nur durch bestimmte Faktoren eingeleitet werden, die beispielsweise im Verlauf von Differenzierungsprozessen von der Zelle synthetisiert werden. So wird die Expression des Genoms des humanen Immundefizienzvirus erst durch den Kernfaktor NFκB ermöglicht, der in seiner aktiven Form in immunologisch stimulierten TZellen vorliegt (䉴 Abschnitt 18.1). Bei den onkogenen α-, β- und γ-Retroviren wird neben der Synthese der Strukturproteine und Enzyme auch die Expression der viralen Onkogene eingeleitet, welche die Zellen transformieren und die Tumorbildung einleiten können. Bei den α-Herpesviren wie den Herpes-simplexViren kennt man eine andere Art der Latenz: In den Nervenzellen liegt ihr Genom episomal, das heißt als zirkuläres DNA-Molekül im Kernplasma vor. Es erfolgt zwar keine Virus- oder Proteinsynthese, jedoch findet eine Minimalexpression von bestimmten RNA-Spezies statt, die über den Mechanismus der RNA-Interferenz den Abbau der viralen mRNAs bewirken und zur Aufrechterhaltung der Latenz beitragen (䉴 Abschnitt 19.5). Der Zellschaden tritt auch in diesem Fall erst nach der Reaktivierung auf, die durch unterschiedliche Faktoren ausgelöst werden kann. Andere Herpesviren benötigen für
die Einleitung und Aufrechterhaltung der Latenz die funktionelle Aktivität viraler Proteine, die den Übergang in die produktive Infektionsphase verhindern, zugleich aber die Zelle immortalisieren. So haben latent mit dem Epstein-Barr-Virus infizierte B-Zellen die Fähigkeit, sich unendlich zu teilen. Das Virus leitet hier – in Verbindung mit zusätzlichen Einflüssen – unter Umständen die Transformation der Zelle ein. Bei Papillomaviren (䉴 Abschnitt 19.3) ist der Übergang von der latenten Infektionsform in den basalen Zellschichten der Haut in die produktive vom Zelldifferenzierungzustand abhängig: Die produktive Infektionsform ist mit dem Absterben der Zelle verknüpft und wird durch bestimmte Zellfaktoren eingeleitet, die nur in den Keratinocyten, also in den obersten Hautschichten, vorkommen. Die in den vergangenen Jahren entwickelten hochsensitiven Methoden zum Nachweis von Nucleinsäuren mittels der Polymerasekettenreaktion (䉴 Kapitel 13) haben jedoch gezeigt, dass Virusgenome gelegentlich über längere Zeit im Organismus erhalten bleiben. Im Fall des humanen Parvovirus B19 findet man auch Jahrzehnte nach der Infektion Virusgenome in den Zellen vieler Gewebe (䉴 Abschnitt 20.1). Ob die Persistenz der Nucleinsäuren mit gelegentlichen Reaktivierungen der Erreger verbunden ist oder ob sie durch Einleitung unspezifischer Immunreaktionen, beispielsweise durch Aktivierung der durch toll-like-Rezeptoren vermittelten Abwehr zu chronischen Entzündungen beiträgt, ist unklar (䉴 Kapitel 7). Außer dieser Form der klassischen Latenz, bei der keine oder nur eine Minimalexpression des Virusgenoms erfolgt, kennt man persistierende oder chronische Infektionsformen, bei denen eine kontinuierliche, geringe Vermehrung und Freisetzung der Erreger erfolgt. Es entsteht ein ideales Gleichgewicht zwischen der Virusvermehrung und dem Überleben der Zelle. Diese chronischen Infektionsformen findet man beispielsweise beim Hepatitis-B-Virus, beim Epstein-Barr-Virus und bei einigen Vertretern der Adenoviren; diese verfügen über Mechanismen, die es ihnen erlauben, der Eliminierung durch das Immunsystem zu entgehen (䉴 Abschnitte 19.1, 19.4 und 19.5). Aber auch bei anderen, sich üblicherweise lytisch vermehrenden Virusarten scheinen sie große Bedeutung zu haben: Beim Masernvirus werden persistierende Verläufe mit der Entstehung der subakuten sklerotisierenden Panencephalitis (SSPE) in Verbindung gebracht (䉴 Abschnitt 15.3). Zunehmend mehren sich auch die Hinweise, dass Viren die Einleitung der Apoptose gezielt verhindern, um auch dieser Abwehrstrategie zu entgehen. So finden sich bei einigen Picornaviren lang andauernde Verläufe (䉴 Abschnitt 14.1). Bei chronisch-persistierenden Infektionen entstehen häufig Virusmutanten. Inwieweit diese oft defekten
5.5 Weiterführende Literatur
Viren für Zellschädigung und chronische Verläufe verantwortlich sind, ist unklar.
5.4 Auf welche Weise verändern Viren das Wirtsgenom? Einige Virusarten können im weitesten Sinn als mutagene Agenzien gelten, da sie im Verlauf der Replikation ihr Genom als Ganzes oder in Teilen in die DNA der Wirtszelle integrieren. Hierdurch können zelluläre Gene zerstört werden, oder es gelangen genetisch ruhige, das heißt wenig transkribierte Gene unter den Einfluss viraler Promotoren – mit der Folge, dass die Genprodukte dann in hohen Konzentrationen vorliegen und in der Zelle aktiv werden. Als Folge von Integrationsvorgängen sind sowohl der Tod der Zelle als auch ihre Transformation zur potenziellen Tumorzelle denkbar (䉴 Kapitel 6). Bei einigen Virusinfektionen bewirken nekrotische oder apoptotische Prozesse die Zerstörung oder Fragmentierung des Wirtsgenoms. Erholt sich die Zelle hiervon, kann es bei der folgenden Reparatur zu Translokationen, Deletionen und Amplifikationen von Chromosomenabschnitten kommen. Verleihen diese der betroffenen Zelle einen Wachstumsvorteil, so wird sie im weiteren Verlauf selektiert. Translokationen des kurzen Armes des Chromosoms 14 auf die Chromosomen 2, 8 oder 22 treten bei Burkitt-Lymphomen auf, die durch das EpsteinBarr-Virus verursacht werden. Hierdurch wird das zelluläre myc-Gen überexprimiert. Ob es sich um spezifische, durch das Virus induzierte Translokationen
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handelt oder um einen Selektionsprozess nach einer allgemeinen Genomschädigung, ist unklar (䉴 Abschnitt 19.5).
5.5 Weiterführende Literatur Flint, S. J.; Enquist, L. W.; Krug, R. M.; Racaniello, V. R.; Skalka, A. M. Principles of Virology. Molecular Biology, Pathogenesis, and Control. 2. Aufl. Washington (ASM Press) 2004. Jacobson, M.; McCarthy, N. Apoptosis. Oxford (Oxford University Press) 2002. Jindal, S.; Malkovsky, M. Stress Responses to Viral Infections. In: Trends in Microbiol. 2 (1994) S. 89–91. Krammer, P. H. Apoptose. In: Deutsches Ärzteblatt 97 (2000) S. 1315–1322. Luftig, R. B.; Lupo, L. D. Viral Interactions with the Host Cell Cytoskeleton: The Role of Retroviral Proteases. In: Trends in Microbiol. 2 (1994) S. 179–182. Mims, C. A.; Nash, A.; Stephen, J. The Pathogenesis of Infectious Diseases. San Diego, Boston, New York (Academic Press) 2001. Nathanson, N.; Ahmed, R.; Brinton, M. A.; Gonzales-Scarano, F.; Biron C. A.; Griffin, D. E.; Holmes, K. V.; Murphy, F. A.; Overbaugh, J.; Richman D. D.; Robertson, E., S.; Robinson, H. L. Viral Pathogenesis and Immunity. 2. Aufl. London, Burlington, San Diego (Academic Press, Elsevier) 2007. Riede, U.-N.; Werner M.; Schaefer H.-E. Allgemeine und spezielle Pathologie. 5. Aufl. Stuttgart (Georg Thieme) 2004. Smith, G. L. Virus Strategies for Evasion of the Host Response to Infection. In: Trends in Microbiol. 2 (1994) S. 81–88. Tomei, L. D.; Cape, F. O. Apoptosis II: The Molecular Basis of Apoptosis in Disease. New York (Cold Spring Harbor Laboratory Press) 1994. Underwood, J. C. E. General and systematic pathology. 4. Aufl. Edinburgh (Churchill Livingstone) 2004.
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6 Transformation und Tumorbildung Schon früh erkannte man, dass Viren bei Tieren Tumorerkrankungen hervorrufen können. Bereits 1911 beschrieb Peyton Rous, dass Viren bei Geflügel Sarkome verursachen. Das verantwortliche tumorauslösende Virus wurde später nach ihm Rous-Sarkomvirus benannt. In den folgenden Jahrzehnten entdeckte man eine Vielzahl von Viren, die bei Geflügel und Nagetieren unterschiedliche Krebserkrankungen wie Lymphome, Sarkome und Karzinome auslösen können. Viele von ihnen gehören zur Familie der Retroviridae und wurden den Gattungen der α-, β- und γ-Retroviren zugeordnet. Die Mehrzahl dieser Erreger wurde aus Inzuchtstämmen der jeweiligen Tierarten oder aus Zellkulturen isoliert; unter natürlichen Bedingungen sind sie als Verursacher von Tumorerkrankungen der jeweiligen Tierarten wahrscheinlich ohne Bedeutung. Eine Ausnahme sind die Leukoseviren der Katze (FeLV; 䉴 Abschnitt 18.1). Das tumorerzeugende Potenzial der onkogenen Retroviren beruht auf transformationsaktiven Proteinen (v-Onc). Sie ähneln zellulären Produkten (c-Onc, auch Protooncogen genannt), die gewöhnlich an der geregelten Zellteilung beteiligt sind. Die viralen Onc-Proteine sind gegenüber zellulären Produkten durch Mutationen derart verändert, dass sie im Gegensatz zu diesen keiner Kontrolle mehr unterliegen, also konstitutiv aktiv sind. Tatsächlich war die Entdeckung der viralen Onkogene wegweisend für die Entschlüsselung der zellulären Onkogene und somit für das Verständnis der molekularen Grundlagen der Regulation der Zellteilung und der Krebsentstehung. Hinweise, dass es auch Retroviren gibt, die beim Menschen Tumorerkrankungen verursachen, fand man erst 1982, als Robert Gallo die humanen T-Zell-Leukämieviren (HTLV) entdeckte (䉴 Abschnitt 18.1). Die meisten Viren, die mit Tumorerkrankungen beim Menschen korreliert sind, besitzten jedoch ein DNA-Genom. Deren wichtigste Vertreter sind die Papillomaviren, die Karzinome vor allem in der Genital-
schleimhaut und verschiedene maligne Hauttumoren verursachen (䉴 Abschnitt 19.3), das Hepatitis-B-Virus, das an der Entstehung des primären Leberkarzinoms des Menschen beteiligt ist (䉴 Abschnitt 19.1), sowie das Epstein-Barr-Virus und das humane Herpesvirus Typ 8, die als Vertreter der Herpesviren in engen kausalen Beziehungen zu Burkitt-Lymphomen und Nasopharynxkarzinomen beziehungsweise zu Kaposi-Sarkomen stehen (䉴 Abschnitt 19.5). Das Hepatitis-C-Virus, das als Flavivirus (䉴 Abschnitt 14.5) ein einzelsträngiges RNA-Genom besitzt, ist – ähnlich wie das Hepatitis-BVirus – mit Leberkarzinomen assoziiert. Kürzlich wurde das Merkelzell-Polyomavirus als ein weiterer Erreger entdeckt, der kausal mit einer Tumorerkrankung des Menschen, nämlich dem Merkel-Zell-Karzinom, assoziiert ist (䉴 Abschnitt 19.2). Man schätzt, dass etwa 15 bis 20 Prozent aller humanen Krebserkrankungen ätiologisch durch Virusinfektionen ausgelöst werden. Adenoviren, deren Infektionen beim Menschen bisher nicht eindeutig mit malignen Erkrankungen assoziiert werden konnten, können hingegen bei neugeborenen Nagetieren Tumoren induzieren (䉴 Abschnitt 19.4). Ihre Untersuchung trug viel zur Klärung der Mechanismen bei, die an der Zelltransformation und Tumorbildung beteiligt sind. Die Erkenntnisse ließen sich auf etliche der anderen menschlichen Krebserkrankungen übertragen. Das gilt in ähnlicher Weise auch für das Virus SV40, das unter natürlichen Bedingungen Affen infiziert, bei neugeborenen Hamstern und Mäusen aber maligne Erkrankungen verursacht (䉴 Abschnitt 19.2). Die DNATumorviren und auch das Hepatitis-C-Virus besitzen keine klassischen v-onc-Gene, wie man sie bei den Retroviren findet. Heute weiß man, dass sie durch bestimmte virale Regulatorproteine vor allem die Funktion der zellulären Tumorsuppressoren ausschalten und so die maligne Entartung der Zellen einleiten beziehungsweise unterhalten.
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6 Transformation und Tumorbildung
6.1 Wodurch sind transformierte Zellen gekennzeichnet? Die malignen Eigenschaften der verschiedenen Viren äußern sich in erster Linie durch ihre Fähigkeit, in vivo Tumoren zu erzeugen. Häufig kann man diesen Prozess auch in experimentellen Tiersystemen induzieren, sodass in vielen Fällen für die Untersuchung der zugrunde liegenden molekularen Mechanismen Tiermodelle zur Verfügung stehen. Entscheidend für die Klärung der malignen Wirkungsweise waren und sind jedoch in vitro-Systeme: Tumorviren können in vitro bestimmte Gewebekulturzellen immortalisieren und auch transformieren. Dies ermöglicht detaillierte experimentelle Untersuchungen und die Klärung der mit der Tumorbildung einhergehenden molekularen Prozesse. Während immortalisierte Zellen durch die viralen Aktivitäten die Fähigkeit zu unendlicher Teilung erlangen, zeichnen sich transformierte Zellen zusätzlich dadurch aus, dass sie bei Übertragung auf geeignete Tiere Tumoren erzeugen. Abgesehen von diesem grundlegenden Unterschied haben beide Zellsysteme viele gemeinsame Charakteristika, die sie von normalen Zellen unterscheiden.
6.1.1 Morphologische Veränderungen Beim Übergang in den transformierten Zustand verändert sich die Form der Zellen: Sie verlieren ihren normalen epitheloiden oder fibroblastenartigen Charakter und nehmen eine überwiegend kugelähnliche Gestalt an. Verantwortlich hierfür ist die mit der Transformation einhergehende Veränderung des Cytoskeletts, welches den Eukaryotenzellen ihre Form verleiht und an der Zellteilung, Zellmotilität und Zellpolarität beteiligt ist. Im Vordergrund steht der Zusammenbruch der intrazellulären Mikrofilamente. Diese bestehen in Nichtmuskelzellen aus den globulären Komponenten β- und γActin, die normalerweise in langen Kabeln mit einem Durchmesser von sieben Nanometer organisiert und durch das Protein Fimbrin quervernetzt sind. Die Actinkabel bilden netzartige Strukturen unterhalb der Cytoplasmamembran, stabilisieren so die äußere Form der Zelle und sind an der korrekten Positionierung der Membranproteine beteiligt. Dabei sind sie mit weiteren Proteinen wie Myosin und Tropomyosin verbunden, welche die Actinfilamente verspannen. Sie sorgen für
den intrazellulären Kurzstreckentransport, zum Beispiel von Vesikeln zur Plasmamembran. An den Stellen der Cytoplasmamembran, wo die Kabel münden, bilden die Zellen Kontakte zu den Nachbarzellen aus oder sind an der Unterlage (in vitro an der Zellkulturschale) festgewachsen. Diese Regionen bezeichnet man als focal contacts. In den Zellen besteht ein dynamisches Gleichgewicht aus monomerem und polymerem Actin. In Gegenwart von Mg2+- und K+-Ionen und unter Bindung von ATP assoziieren die globulären Actinmonomere zu Filamenten, die mit den Polypeptiden α-Actinin, Filamin oder Fimbrin stabilisiert werden. Beim Übergang in den transformierten Zustand geht die kabelähnliche Anordnung der Filamente verloren, und die Actinmonomere verteilen sich diffus über die ganze Zelle. Dies fördert die für die Tumorbildung notwendige Motilität der Zelle. Destabilisierend auf den Polymerisierungsgrad wirkt dabei die Bindung der Proteinkomponenten Profilin, Gelsolin, Vinculin oder Vilin; das actingebundene ATP wird während dieses Vorgangs hydrolysiert. Wodurch die Veränderung der Mikrofilamente auf molekularer Ebene reguliert wird, ist unklar. Man vermutet, dass ein erhöhter Phosphorylierungsgrad des Actins und des Vinculins, wie er in den transformierten Zellen auftritt, daran beteiligt ist. Gleichzeitig mit der Veränderung der Actinfilamente beobachtet man auf den Oberflächen der transformierten Zellen eine Umverteilung der Transmembranproteine. Diese stehen an den Innenseiten der Cytoplasmamembran mit den Actinkabeln in Verbindung und verlieren durch deren Zusammenbruch ihre Anordnung in definierten Gruppen. Damit verändert sich unter anderem der Gehalt an Integrinen und deren Verteilung. Integrine sind membranverankerte Proteine und über ihren cytoplasmatischen Anteil mit den Actinkabeln verbunden. Ihre extrazellulären Domänen sind mit Fibronectin assoziiert, das seinerseits mit Kollagen und Laminin interagiert. Sie bilden zusammen die extrazelluläre Matrix. Diese vermittelt die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Zellen und ist für deren Organisation und Wachstum in Verbänden verantwortlich; sie sorgt dafür, dass Zellen in vitro als einschichtiger Rasen wachsen und mit einer Unterlage, zum Beispiel der Zellkulturschale, verbunden sind (Monolayer). Transformierte Zellen haben aufgrund ihres niedrigen Gehalts an Integrinen deutlich geringere Mengen an Fibronectin auf der Oberfläche und wachsen in Zellhaufen (Foci). Die Konzentrationen verschiedener Ionen-, Zucker- und Aminosäuretransportproteine sind auf den Oberflächen transformierter Zellen erhöht. Damit verbunden ist eine im Vergleich zu normalen Zellen bis auf das Zehnfache gesteigerte Stoffwechselaktivität. Auch die Konzentration weiterer Membranproteine ändert
6.1 Wodurch sind transformierte Zellen gekennzeichnet?
sich: So ist der Gehalt an MHC-Klasse-I-Proteinen meist reduziert, Proteinasen (Metallo-, Cystein- und Serinproteinasen) und Kollagenasen (Typ IV-Kollagenasen, Transin/Stromelin) findet man dagegen vermehrt auf der Zelloberfläche. Diese werden außerdem in die Umgebung abgegeben, was das Potenzial transformierter Zellen zur Invasion in Lymphgefäße und -kapillaren und zur Bildung von Metastasen verstärkt. Als Voraussetzung hierfür müssen die Zellen eines Primärtumors diesen verlassen, die Basalmembran überwinden und in das örtliche Stroma eindringen können, wie dies beispielsweise bei der Metastasierung der durch Papillomaviren induzierten Cervixkarzinome geschieht (䉴 Abschnitt 19.3). Um Anschluss an die Zirkulation zu finden, als sekundäre Kolonie in das neue Zielorgan einzuwandern und hier zu proliferieren, muss der Vorgang der Angiogenese einsetzen, also eine Neubildung von Gefäßen, die den Tumor mit Blut und den darin enthaltenden Nährstoffen versorgen.
6.1.2 Veränderungen des Zellwachstums In vitro transformierte Zellen unterscheiden sich von normalen Zellen in ihrem Wachstumsverhalten. Gewöhnlich heften sich Fibroblasten oder Epithelzellen, die man in eine Zellkulturflasche gibt, an der Plastikoder Glasfläche an. Anschließend teilen sie sich so lange, bis ein einschichtiger, konfluenter Monolayer ausgebildet ist und die Zellen die ihnen zur Verfügung stehende Fläche ausgenutzt haben. Dann stellen sie die Teilungen ein. Transformierte Zellen wachsen im Unterschied hierzu in mehrschichtigen, dreidimensionalen Verbänden und erreichen fünf- bis zehnmal höhere Konzentrationen (Foci). Sie unterliegen also nicht der sogenannten Kontaktinhibition. Lässt man sie weiter in der Kulturflasche, so stellt sich ein Gleichgewicht zwischen dem Absterben eines Teiles der Zellen und der fortgesetzten Teilung der anderen Subpopulation ein. Die transformierten Zellen wachsen in Kultur unabhängig von Kontakten zu Plastik- oder Glasflächen, die für die Proliferation von Fibroblasten oder Epithelzellen üblicherweise notwendig sind. Diese Eigenschaft ist ein wichtiges Merkmal transformierter Zellen. Einzelne solcher Zellen können daher auch in halbflüssigen Medien wie Weichagar zu größeren Verbänden, sogenannten Zellklonen, heranwachsen. Das Wachstum in Weichagar ist sehr gut mit der Fähigkeit der transformierten Zellen korreliert, im Tiersystem Tumoren zu bilden. Dieses Verhalten beruht vermutlich auf den höheren Mengen an TGF-β, die diese Zellen bilden. TGF-β ist ein Wachstumsfaktor, der
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unter anderem die Synthese von Fibronectin und Kollagen stimuliert (䉴 Kapitel 8). Den Zellen wird so lokal begrenzt eine extrazelluläre Matrix zur Verfügung gestellt, die ihr Anheften aneinander und ihr Wachstum zu traubenähnlichen Verbänden ermöglicht. Zellen wachsen in vitro normalerweise nur dann, wenn ihnen in der Kulturflüssigkeit ausreichende Mengen von Wachstumsfaktoren zur Verfügung stehen. Aus diesem Grund setzt man den Medien durchschnittlich zehn bis 15 Prozent fötales Kälberserum zu, das alle essenziellen Komponenten ergänzt. Wichtig für die Zellproliferation sind vor allem der epidermal growth factor (EGF), der platelet-derived growth factor (PDGF), die verschiedenen Fibroblastenwachstumsfaktoren (FGF) und einige Hormone. Sie binden sich an ihre jeweiligen Rezeptoren an der Zelloberfläche und induzieren über unterschiedliche Signalübertragungswege die Aktivierung von Proteinkinasen, die in einem streng regulierten, kaskadenartigen Prozess verschiedene Zellproteine und schließlich Transaktivatoren phosphorylieren. Diese binden sich an die serum response elements (SRE) in den Promotorbereichen der wachstumsfaktorabhängigen Gene und ermöglichen deren Expression. Die neu gebildeten Produkte leiten die Zellteilung ein. Transformierte Zellen teilen sich dagegen unabhängig von der Anwesenheit von Wachstumsfaktoren im Kulturmedium. Sie wachsen auch in Medien, die kein oder nur sehr wenig Serum enthalten. Transformierte Zellen produzieren viele der notwendigen Faktoren selbst und stimulieren so ihre Proliferation autokrin. Außerdem sezernieren sie häufig tumor growth factor (TGF-α und -β), die ebenfalls autokrin das Zellwachstum anregen (䉴 Kapitel 8). Bei einigen transformierten Zellen sind auch die Wachstumsfaktorrezeptoren so verändert, dass sie in Abwesenheit des jeweiligen Faktors einen aktiven Zustand simulieren und Signale andauernd in das Zellinnere weiterleiten.
6.1.3 Autokrine Stimulation des Zellwachstums durch Viren An der Entstehung der HTLV-vermittelten T-ZellLeukämie des Menschen sind wahrscheinlich autokrine Stimulationsmechanismen beteiligt. Das HTLV codiert ein Tax-Protein, das indirekt transaktivierend wirkt, indem es mit den Faktoren der CREB-Proteinfamilie und NFκB interagiert. Diese werden hierdurch aktiv, binden sich sequenzspezifisch an die TRE-Elemente im viralen LTR-Promotor und leiten so die Transkription der integrierten Virusgenome ein (䉴 Abschnitt 18.1). Außerdem kommt es zur Expression von zellulären
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6 Transformation und Tumorbildung
Genen, deren Promotoren CREB- beziehungsweise NFκB-abhängige DNA-Elemente enthalten: Hierzu gehören unter anderem die Gene für den GranulocytenMakrophagen-stimulierenden Wachstumsfaktor (GMCSF), für das IL-2 und für die α-Kette des IL-2-Rezeptors (䉴 Kapitel 8). Die erhöhte Expression dieser Cytokine sowie der entsprechenden Rezeptoren induziert in einem autokrinen Stimulationszyklus die Proliferation der Zellen. Sie ist folglich die erste Stufe im Entstehungsprozess der HTLV-vermittelten T-Zell-Leukämie. Auch das Epstein-Barr-Virus, das B-Lymphocyten latent infiziert und immortalisiert, kann die Proliferation dieser Zellen autokrin stimulieren (䉴 Abschnitt 19.5). Das latente Protein EBNA2 transaktiviert die Promotoren, welche die Expression der latenten Virusgene kontrollieren. Daneben induziert EBNA2 die Synthese verschiedener zellulärer Proteine, unter anderem die der CD23-Genprodukte. Auch LMP1, ein weiteres während der Latenz gebildetes virales Polypeptid, ist hierzu befähigt. Die CD23-Proteine findet man in zwei Versionen: Das membranständige CD23 ist ein schwach affiner IgERezeptor, die sezernierte Form des Proteins dient dagegen als B-Zellwachstumsfaktor und fördert die Proliferation der infizierten B-Lymphocyten. Das für das Epstein-Barr-Virus spezifische LMP1-Genprodukt hat außerdem noch eine Reihe weiterer Funktionen, die für die Transformation der latent infizierten Zellen essenziell sind. Es gibt Hinweise darauf, dass dieses Membranprotein ähnlich wie einige der klassischen Onkogene der Retroviren wirkt und selbst ein konstitutiv aktiver Wachstumsfaktorrezeptor ist, der kontinuierlich eine Signalkaskade auslöst und unterhält. Offenbar ähnelt es Mitgliedern der Familie der Nervenwachstumsfaktor-(NGF-)Rezeptoren, zu denen unter anderem der TNF-Rezeptor gehört. Sie leiten kontinuierlich Signale in den infizierten Zellen weiter, die unter anderem bewirken, dass die Expression der NFκB-abhängigen Gene induziert wird. Als Folge findet man eine Hemmung der Apoptose sowie erhöhte Konzentrationen von Adhäsionsmolekülen, des Transferrinrezeptors und der CD23-Proteine.
6.2 Welche Wirkung hat die Inaktivierung von Tumorsuppressorproteinen? Tumorsuppressoren – auch Antionkogene genannt – sind Regulatorproteine, welche die Zellteilung kontrollieren. Sie regulieren in proliferierenden Zellen den Übergang
von der G1- beziehungsweise in ruhenden Zellen von der G0- in die S-Phase, in der das Genom verdoppelt wird und viele andere Syntheseleistungen vollzogen werden (䉴 Abbildung 6.1). Der zeitliche Ablauf des Zellzyklus wird durch die Synthese und den Abbau der Cycline bestimmt, deren Konzentration in einer Phase des Zellzyklus ansteigt und in der folgenden wieder abfällt. Die Cycline regulieren wiederum die Aktivität der cyclinabhängigen Proteinkinasen, die den Phosphorylierungsgrad und somit die Aktivität verschiedener zellzyklusspezifischer Transkriptionsfaktoren beeinflussen. Viele Viren können sich nur in sich teilenden Zellen replizieren. In ihnen durchlaufen sie produktive, mit der Bildung von Nachkommenviren einhergehende Infektionsformen. Während einige Viren – beispielsweise die autonomen Parvoviren (䉴 Abschnitt 20.1) – aus diesem Grund einen ausgeprägten Tropismus für sich teilende Zellen haben, können andere in den infizierten Zellen den Teilungszyklus beschleunigen, indem sie die SPhase einleiten. Sie codieren für Proteine, die eben jene Faktoren hemmen, welche den Eintritt der Zelle in die S-Phase kontrollieren, verzögern oder unterbinden. Alle Viren, die bekannterweise beim Menschen Tumorerkrankungen verursachen, verfügen über derartige Eigenschaften und exprimieren die entsprechenden Gene früh im Infektionszyklus. So inaktivieren sie die Zellteilungsregulatoren und leiten den Übergang aus der G1- oder G0- in die S-Phase ein. Bei den DNA-Tumorviren ist die Virusvermehrung üblicherweise mit dem Zelltod verbunden, der spät im Verlauf der Infektion durch Apoptosemechanismen eingeleitet wird. Wenn die lytische Infektionsform unterbrochen ist, wird die virale Genexpression in einem frühen Stadium arretiert, und es kommt nicht zur Virusmehrung. Verantwortlich für diese abortiven Infektionen ist meist das zelluläre Milieu. So läuft bei den Papillomaviren (䉴 Abschnitt 19.3) der lytische Infektionszyklus nur in Hautkeratinocyten ab, nicht dagegen in den wenig differenzierten Zellen der basalen Schichten. Zellproteine, die nur in einem bestimmten Differenzierungstadium gebildet werden, ermöglichen dem Virus den Eintritt in die späte Vermehrungsphase. Bei anderen Viren, beispielsweise den onkogenen Adenoviren oder beim SV40, erfolgt eine abortive Infektion, wenn die Erreger Zellen von nichtnatürlichen Wirten – in diesen Fällen von Nagetieren – befallen (䉴 Abschnitte 19.2 und 19.4). Zusätzlich wird hier, ähnlich wie beim Hepatitis-B-Virus und auch bei den Papillomaviren, das Virusgenom gelegentlich ganz oder teilweise in die Wirtszell-DNA integriert. Dieser Vorgang unterbricht die Kontinuität einzelner Gene; als Folge findet man häufig eine unkontrollierte Überexpression jener Virusgene, deren Produkte mit den
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6.2 Welche Wirkung hat die Inaktivierung von Tumorsuppressorproteinen?
Neusynthese CDK2
+
D
B
Pr op
P CDK1
M
ha se et ap h as An e ap ha Te se lop ha se
CDK4 E2F DP1
Rb105 D
M G2
D
Phosphorylierung von Rb105
CDK2
P
CDK4 P
G1
E2F DP1
Rb105 P
S
Dissoziation E
CDK2
P E
B CDK1 inaktiv
P
+
P
CDK2
E2F P
P
Rb105
P
Neusynthese
DP1 P
P
Neusynthese
B
+
CDK1
+ Transkriptionsfaktoren
P P
6.1 Phasen des Zellzyklus (Mitose M, präsynthetische Phase G1, Synthesephase S, postsynthetische Phase G2) und die Faktoren, die an der Regulation der Übergänge beteiligt sind. (Die Quadrate kennzeichnen Cycline, die Dreiecke verschiedene cyclinabhängige Kinasen. Aktive Komponenten sind rot dargestellt, inaktive grau.) Cyclin D wird zu Beginn der G1-Phase synthetisiert, bindet sich an die cyclinabhängigen Kinasen 2 und 4 (CDK2, CDK4; als Dreiecke dargestellt) und aktiviert sie. Die Kinasen bewirken unter anderem die Phosphorylierung des Retinoblastomproteins Rb105, welches im Komplex mit den Faktoren E2F und DP1 vorliegt. Im späteren Abschnitt der G1-Phase wird Cyclin E gebildet; es interagiert mit der CDK2. Diese vollzieht die vollständige Phosphorylierung des Rb105. Die Faktoren E2F und DP1 werden aus dem Komplex gelöst und können als Transaktivatoren verschiedener Promotoren von zellulären Genen wirken. Diese Gene wiederum codieren für Proteine, die den Übergang von der G1- in die S-Phase des Zellzyklus regulieren. Zu Beginn der S-Phase erfolgt die Synthese von Cyclin B, welches mit der phosphorylierten Form der CDK1 wechselwirkt. Im Verlauf der S- und G2-Phase wird die CDK1 dephosphoryliert und reguliert in der monophosphorylierten Form im Komplex mit Cyclin B den Eintritt der Zellen in die Mitose.
zellulären Tumorsuppressorproteinen interagieren und – da der lytische Vermehrungszyklus gleichzeitig unterbunden ist – eine kontinuierliche Zellteilung induzieren. Dies kann schließlich zur Tumorentstehung führen. Auch wenn man heute immer mehr Tumorsuppressorgene kennt, beeinflussen die viralen Genprodukte vor allem zwei Gruppen dieser Proteinfamilien in ihrer Aktivität: einerseits das Antionkogen p53, andererseits die Familie der Retinoblastomproteine (Rb105/107). Die folgenden Abschnitte geben einen kurzen Überblick über die Funktion dieser beiden Proteinklassen.
6.2.1 Die p53-Proteine Die p53-Gene sind bei allen Säugetierarten hoch konserviert. Beim Menschen findet man das p53-Gen auf dem kurzen Arm des Chromosoms 17. Sie codieren für Proteine von etwa 390 Aminosäuren Länge. Das Protein hat normalerweise eine geringe Halbwertszeit von sechs bis 15 Minuten, ist phosphoryliert und im Zellkern lokalisiert, wo es sich zu tetrameren Komplexen zusammenlagert. Erhöhte Konzentrationen von p53 findet man in Zellen, die vermehrt UV- oder γ-Strahlen ausgesetzt waren oder mit radioaktiven Substanzen oder Che-
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6 Transformation und Tumorbildung
motherapeutika inkubiert wurden. Alle diese Agenzien können Mutationen, also Veränderungen in der DNASequenz, verursachen. Die p53-Proteine kann man in drei Domänen unterteilen: Eine aminoterminale Region von etwa 75 überwiegend sauren Aminosäuren wirkt als Transaktivator. Die zentrale Domäne ist reich an Prolinen und hydrophoben Aminosäuren und lässt sich in fünf konservierte, miteinander homologe Abschnitte unterteilen; dieser zentrale Bereich ist für die korrekte Faltung des p53 und somit auch für seine Aktivität verantwortlich. Die carboxyterminale Region von circa 115 Aminosäuren ist basisch und für die sequenzspezifische Bindung des tetrameren p53-Komplexes an die DNA verantwortlich. p53 interagiert mit bestimmten Promotoren beziehungsweise den dort gebundenen Transkriptionsfaktoren und transaktiviert sie. Das induziert die Synthese von Proteinen, welche die Zelle in der G1-Phase arretieren und den Übergang in die S-Phase verzögern. So wird beispielsweise das Protein p21 vermehrt gebildet, das mit den cyclinabhängigen Kinasen 2 und 4 (CDK2 und 4, cyclin-dependant kinase) wechselwirkt und diese hemmt. CDK2 und 4 haben die Aufgabe, verschiedene Proteine wie das RB105 zu phosphorylieren. Wird Rb105 nicht phosphoryliert, bleibt es mit den E2Fund DP1-Transkriptionsfaktoren verbunden, die deswegen ihre Transaktivatorfunktionen nicht ausüben können. Das verhindert, dass die Zelle von der G1- in die S-Phase des Zellzyklus eintritt und verschafft ihr Zeit, entstandene DNA-Schäden zu reparieren (䉴 Abbildung 6.1). Wenn die Reparatur nicht erfolgreich ist, induziert p53 in eukaryotischen Zellen die Apoptose (den programmierten Zelltod) und verhindert auch dadurch die Entstehung von Tumoren. Die Funktion von p53 ist mit der SOS-Antwort vergleichbar, die unter ähnlich DNA-schädigenden Bedingungen in Bakterien induziert wird. Sie verzögert die Verdoppelung des Bakterienchromosoms, sodass den Reparatursystemen mehr Zeit zur Verfügung steht, um die DNA-Schäden zu korrigieren, bevor sich diese bei der nachfolgenden Replikation in den DNA-Tochtermolekülen manifestieren. In Tumorzellen führen Veränderungen im p53-Gen selbst zur Synthese von p53-Varianten, die nicht korrekt gefaltet sind, nicht mehr zu Tetrameren assoziieren und so ihre Fähigkeit zur sequenzspezifischen DNA-Bindung und Transaktivierung verloren haben. Oft sind hierfür Mutationen in einem Allel der p53-Gene ausreichend, da sich dann inaktive Heterooligomere aus Wildtyp- und Mutantenproteinen ausbilden. In den von den p53-Genveränderungen betroffenen Zellen kommt es wegen der eingeschränkten Aktivität von p53 zu weiteren Mutationen, die das ganze Genom betreffen und zur Transformation und malignen Entartung in einem
Mehrschritt-Prozess beitragen können. Viren haben vielfältige Mechanismen entwickelt, um die zellzykluskontrollierende Wirkung der p53-Proteine zu inaktivieren und so Bedingungen zu schaffen, die für ihre eigene Vermehrung nötig sind: Das T-Antigen von SV40 (䉴 Abschnitt 19.2), das 55 kD/E1B-Protein der Adenoviren (䉴 Abschnitt 19.4) und das X-Protein des Hepatitis-B-Virus (䉴 Abschnitt 19.1) binden an p53 und hemmen die Ausbildung der funktionell aktiven Tetramere. Bei den Papillomaviren (䉴 Abschnitt 19.3) komplexiert das virale E6-Protein mit p53 und leitet dessen ubiquitinabhängigen proteolytischen Abbau ein, wodurch die Zellen an p53 verarmen.
6.2.2 Die Retinoblastomproteine Das Retinoblastomgen wurde erstmals bei Kindern beschrieben, die an Augentumoren erkrankt waren. Bei diesen Patienten sind beide Allele eines Gens defekt, das auf dem langen Arm des Chromosoms 13 für ein Protein mit einem Molekulargewicht von etwa 105 kD (Rb105) codiert. Später wurden veränderte Formen dieses Proteins auch bei Osteo- und Weichgewebesarkomen sowie Brust-, Lungen- und Blasenkarzinomen entdeckt. Das Rb105 und das ihm ähnelnde Protein Rb107 werden abhängig von der Zellzyklusphase phosphoryliert. Verantwortlich sind dafür die bereits erwähnten Kinasen CDK2 und CDK4 (䉴 Abbildung 6.1). Aktiv, das heißt proliferationshemmend, sind sie im dephosphorylierten Zustand: In dieser Form binden sie sich an die Gruppe der sogenannten E2F- und DP1-Faktoren, die ihrerseits in ihrer freien Form als Transaktivatoren sequenzspezifisch mit DNA-Elementen in den Promotoren bestimmter Gene interagieren – beispielsweise der Gene für die zelluläre Thymidinkinase, die Dihydrofolatreduktase, die DNA-Polymerase-α oder die cyclinabhängige Kinase CDK2. Alle diese Proteine werden während der S-Phase des Zellzyklus benötigt. Im Komplex mit Rb105 sind die transaktivierenden Funktionen der E2F- und DP1-Faktoren gehemmt. Daher unterbleibt der Eintritt der Zellen in die S-Phase. Werden die RbProteine phosphoryliert, löst sich der Komplex mit den Transkriptionsfaktoren. Letztere können sich an die entsprechenden Promotoren binden und die Expression der von ihnen kontrollierten Gene einleiten. Viren, die sich ausschließlich in proliferierenden Zellen vermehren, verfügen über Faktoren, welche die Funktionen der Rb-Proteine beeinflussen: Die E7-Proteine der Papillomaviren binden sich ebenso wie das T-Antigen von SV40, das NS5B-Protein von Hepatitis-C-Virus und die E1A-Proteine von Adenoviren an Rb105/107. Dies hebt
6.4 Sind Viren auch fähig, die Apoptose zu unterdrücken?
die Komplexbildung mit den E2F- und DP1-Faktoren auf, die dadurch aktiv werden und ihre transaktivierenden Eigenschaften entfalten (䉴 Abschnitte 14.5, 19.1, 19.2, 19.3 und 19.4).
6.2.3 Andere Wege der Proliferationsinduktion Das Epstein-Barr-Virus hat vermutlich andere Wege entwickelt, um die latent infizierten Zellen zur Proliferation anzuregen: Eines der Genprodukte (EBNA-LP), das während des latenten Infektionszyklus in B-Zellen gebildet wird, kann zwar mit den Tumorsuppressorproteinen p53 und Rb105 interagieren, beeinflusst jedoch offensichtlich ihre Regulatorfunktion nicht (䉴 Abschnitt 19.5). EBNA-LP aktiviert jedoch zusammen mit dem EBNA2-Protein die Expression des Cyclin-D2-Gens. Die kooperative Wirkung der beiden latenten Virusproteine leitet in ruhenden B-Zellen zusammen mit der antiapoptotischen Wirkung der EBER-RNA den Übergang von der G0- in die G1-Phase ein.
6.3 Wie können Tumorzellen der Immunantwort entgehen? Tumoren können sich in vivo nur dann bilden, wenn die transformierten Zellen für das immunologische Abwehrsystem unkenntlich sind und ihm entgehen können. Dies gilt auch für Tumoren, die durch Viren verursacht werden. Zellen, die mit Adenoviren oder dem Epstein-Barr-Virus infiziert sind, können durch die in ihnen gebildeten, viruscodierten VA- beziehungsweise EBER-RNA-Moleküle der antiviralen Interferonwirkung entkommen. Beide Virusarten reduzieren außerdem die Konzentration der MHC-Klasse-I-Proteine auf der Zelloberfläche. Dies macht es den cytotoxischen TLymphocyten unmöglich, die infizierten Zellen zu erkennen und zu eliminieren (䉴 Kapitel 7 und Abschnitte 19.4 und 19.5). Auch das EBNA1-Protein des Epstein-Barr-Virus hat hier eine wichtige Funktion: Dieses Protein wird in allen latent infizierten Zellen gebildet, wirkt als Transaktivator und erhöht so seine eigene Expression. Zugleich bindet es sich an den viralen Replikationsstartpunkt oriP, an dem während der Viruslatenz die episomale Replikation des Virusgenoms beginnt. EBNA1 ist daher für die Aufrechterhaltung des immortalisierten Zustands verantwortlich. Trotz dieser andauernden Produktion eines Virusproteins werden
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die Zellen nicht als fremd erkannt: Eine Domäne im EBNA1, die aus wiederholten Glycin-Alanin-Resten besteht, verhindert den Abbau durch die Proteasomen, also jenen Vorgang, der für die Bildung der mit MHCAntigenen komplexierenden Peptide essenziell ist (䉴 Abschnitt 19.5). Auch andere humane Tumorviren können der körpereigenen Abwehr entgehen. Die Papillomaviren (䉴 Abschnitt 19.3) entziehen sich den meisten Immunreaktionen dadurch, dass sie bevorzugt die äußeren Hautschichten infizieren und somit eine ökologische Nische besiedeln, die für viele immunologisch aktive Komponenten nicht zugänglich ist. Das Hepatitis-BVirus produziert und sezerniert große Mengen seines Oberflächenproteins HBsAg; virusspezifische, neutralisierende Immunglobuline werden dadurch abgefangen und können ihre Wirkung nicht mehr entfalten (䉴 Abschnitt 19.1).
6.4 Sind Viren auch fähig, die Apoptose zu unterdrücken? Apoptotische Vorgänge stehen vermutlich mit dem gelegentlich zu beobachtenden Phänomen der spontanen Rückbildung von Tumoren in Verbindung. Obwohl über diese Vorgänge nur wenig bekannt ist, mehren sich die Hinweise, dass Transformation und Tumorbildung nur dann erfolgreich ablaufen, wenn die Viren nicht nur die Zellproliferation induzieren und über Mechanismen zur Umgehung der Immunabwehr verfügen, sondern auch die Einleitung der Apoptose verhindern können. Mit am besten untersucht sind diese Prozesse beim Epstein-Barr-Virus, das über komplexe Mechanismen zur Immortalisierung und Transformation verfügt. Das latente Protein LMP1 induziert die Expression des zellulären Protoonkogens c-bcl2 (䉴 Abbildung 5.1). Dieses verhindert, dass in der Zelle durch Induktion der FasSignalkette die Apoptose ausgelöst wird. Den gleichen Effekt haben auch ein Protein des Epstein-Barr-Virus, das im Leserahmen BHRF1 codiert und das 19 kD/E1BProtein der Adenoviren. Sie besitzen sequenzielle und funktionelle Homologie zum Bcl2-Protein und wirken ebenfalls der Induktion der Apoptose entgegen (䉴 Abschnitte 19.4 und 19.5). Außer den Tumorviren haben aber auch verschiedene andere Viren, die persistierende Infektionen etablieren können, Mechanismen zur Unterdrückung der Apoptose entwickelt. Hierzu zählen beispielsweise die Pockenviren (䉴 Abschnitt 19.6). Andererseits scheinen auch Viren, die akute Infektionen
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6 Transformation und Tumorbildung
hervorrufen, über Funktionen zu verfügen, die Apoptose gewebsspezifisch zu unterdrücken, beispielsweise das SARS-Virus (䉴 Abschnitt 14.8).
6.5 Weiterführende Literatur Chiarugi, V.; Meguelli, L.; Cinelli, M.; Basi, G. Apoptosis and the Cell Cycle. In: Cell. Mol. Biol. Res. 40 (1994) S. 603–612. Cuff, S.; Ruby, J. Evasion of apoptosis by DNA viruses. In: Immunol. Cell Biol. 74 (1996) S. 527–537. Diller, L.; Kassel, J.; Nelson, C. E.; Cryka, M. A.; Litwak, G.; Gebhardt, M.; Bressac, B.; Ozturk, M.; Baker, S. J.; Vogelstein, B. p53 Functions as a Cell Cycle Control Protein in Osteosarcoma. In: Mol. Cell. Biol. 10 (1990) S. 5772–5781. Hinds, P. W.; Weinberg, R. A. Tumor Suppressor Genes. In: Curr. Opin. Genet. Dev. 4 (1994) S. 135–141. Knudson, A. G. Antioncogenes and Human Cancer. In: Proc. Natl. Acad. Sci. USA 90 (1993) S. 10914–10921. Kouzarides, T. Transcriptional Control by the Retinoblastoma Protein. In: Semin. Cancer Biol. 6 (1995) S. 91–98.
Liu, X.; Miller, C. W.; Koeffler, P. H.; Ber, A. J. The p53 Activation Domain Binds the TATA box-Binding Polypeptide in HoloTFIID, a Neighboring p53 Domain Inhibits Transcription. In: Mol. Cell. Biol. 13 (1993) S. 3291–3300. Lowe, S. W. Activation of p53 by oncogenes. In: EndocrineRelated Cancer 6 (1999) S. 45–48. Ludlow, J. W.; Skuse, G. R. Viral Oncoprotein Binding to pRB, p107, p130, p300. In: Virus Res. 35 (1995) S. 113–121. Mahr, J. A.; Gooding, L. R. Immunoevasion by adenoviruses. In: Immunol. Rev. 168 (1999) S. 121–130. Marcel, M. M.; Roy, F. M. van; Bracke, M. E. How and When do Tumor Cells Metastasize? In: Crit. Rev. Oncog. 4 (1993) S. 559–594. Mercer, W. E. Cell Cycle Regulation and the p53 Tumor Suppressor Protein. In: Crit. Rev. Eukaryot. Gene Expr. 2 (1992) S. 251–263. Truyen, U.; Löchelt, M., Review of viral oncogenesis in animals and relevant oncogenes in Veterinary Medicine. In: T. Dittmar, A. Schmidt, K.S. Zänker (Hrsg.) Contributions to Microbiology, vol. 13 Infection and inflammation: Impacts on Oncogenesis. Karger AG, Basel, Schweiz, 13 (2006) S. 101– 117.
7 Immunologie Die Mechanismen der Immunabwehr, mit denen ein Organismus Virusinfektionen bekämpft, können in zwei Gruppen eingeteilt werden. Zum einen gibt es die unspezifischen, nichtadaptativen Immunreaktionen, die eindringende Erreger als fremd erkennen und eliminieren. Diese sogenannte natürliche oder angeborene Immunabwehr wird als erste aktiv, nachdem ein Virus die äußeren physikalischen Schutzschranken des Körpers (Haut, Schleimhaut) überwunden hat. Sie besteht aus bestimmten Zellen, nämlich aus den dendritischen Zellen, den Granulocyten, den Monocyten und Makrophagen sowie den natürlichen Killerzellen. Diese verfügen über Proteine, die als Rezeptoren (beispielsweise toll-likeRezeptoren, Komplementrezeptoren) für bestimmte Erregerstrukturen und für die löslichen Produkte des unspezifischen Immunsystems (Akutphaseproteine, die Faktoren des Komplementsystems, Cytokine, Chemokine und Interferone) dienen. Auf die Wirkung und Funktion der Cytokine, Chemokine und Interferone wird in 䉴 Kapitel 8 gesondert eingegangen. Die zweite Verteidigungslinie ist die spezifische, adaptive Immunabwehr, die sich erst im Laufe beziehungsweise nach der Etablierung einer Infektion entwickelt. Sie umfasst die antikörperproduzierenden B-Zellen – das humorale Im-
munsystem – sowie die T-Helferzellen und die cytotoxischen T-Lymphocyten, welche gemeinsam das zelluläre Abwehrsystem repräsentieren. Die adaptiven Immunreaktionen können bestimmte Erregertypen oder -subtypen gezielt erkennen, diese bei einer Reinfektion wieder erkennen und eliminieren. Sie sind langanhaltend, und im Verlauf ihrer Entwicklung wandelt sich ein Teil der stimulierten Lymphocyten in Gedächtniszellen um, die dem Organismus eine schützende Immunität gegen Infektionen mit dem gleichen Erregertyp verleihen. Die Systeme der spezifischen und unspezifischen Immunantwort stehen vor allem über die Cytokine, Chemokine und Interferone in engem Kontakt miteinander. Eine Immunantwort wird im Allgemeinen durch Antigene ausgelöst. Hierbei kann es sich um die infektiösen Erreger selbst, einzelne Proteinkomponenten oder Zuckerstrukturen handeln. Das Immunsystem erkennt diese als fremd, kann also zwischen körpereigenen und -fremden Komponenten unterscheiden. Die Antigene müssen allerdings eine bestimmte Größe aufweisen, um die verschiedenen Immunreaktionen auszulösen. Man weiß, dass Moleküle mit einer Molekularmasse von weniger als 3–4 kD hierzu meist nicht in der Lage sind.
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7 Immunologie
7.1 Welche zellulären und molekularen Komponenten des Immunsystems bilden die „erste Front“ gegen eindringende Erreger? 7.1.1 Dendritische Zellen Dendritische Zellen sind weiße Blutzellen, die durch stark verzweigte Ausstülpungen (lat. dendriticus: verzweigt) der Zellmembran charakterisiert sind. Plasmacytoide (lymphoide) dendritische (pDC) und myeloide dendritische Zellen (mDC) entstehen aus haematopoietischen Vorläuferzellen im Knochenmark, mDCs differenzieren sich vermutlich alternativ zu Makrophagen direkt aus Monocyten. Sie wandern als unreife dendritische Zellen aus dem Blut in nahezu alle Gewebe des Körpers ein und bilden dort ein dichtes Netzwerk von Wächterzellen, die – ähnlich wie die neutrophilen Granulocyten und die Makrophagen – extrazelluläre Bestandteile durch Phago- und Endocytose aufnehmen. Zu diesen dendritischen Zellen der Gewebe zählt man die Langerhans-Zellen der Haut und Schleimhaut, die Kupfferschen Sternzellen der Leber, die interdigitierenden Zellen der Milz und der Lymphknoten, die interstitiellen dendritischen Zellen und die M-Zellen des MALT (Mukosa-assoziiertes lymphatisches Gewebe). Sie kontrollieren ihre Umgebung ständig auf das Eindringen und die Anwesenheit von Pathogenen (Viren, Bakterien, Pilze), welche sie durch Wechselwirkung mit Rezeptoren der PRR-Familie (pattern recognition receptors) erkennen. Zu diesen zählen die toll-like-Rezeptoren (TLRs), welche erregerspezifische Strukturen erkennen und sich daran binden (䉴 Abschnitt 7.1.5). Durch diese Kontakte wird in den dendritischen Zellen die Synthese und Sekretion großer Mengen von IFN-a und -b sowie proinflammatorisch wirkender Cytokine eingeleitet; dies bewirkt, dass Granulocyten und Makrophagen aktiviert werden und sich zum Infektionsort bewegen. Die dendritischen Zellen selbst reifen dabei und phagocytieren die Erreger. Wie die Makrophagen können sie Peptide, welche durch den Abbau der Erregerproteine entstehen, im Komplex mit MHC-Klasse-II-Proteinen auf der Oberfläche präsentieren und als antigenpräsentierende Zellen die Abwehrreaktionen des spezifischen Immunsystems einleiten. Im Unterschied zu den Makrophagen können die dendritischen Zellen jedoch die Gewebe, in die sie eingewandert sind, auch wieder verlassen und gelangen aktiviert über die abfließende Lymphflüssig-
keit zur Milz und den Lymphknoten, den lokalen Organisationszentren der immunologischen Abwehr. Hier nehmen sie als antigenpräsentierende Zellen Kontakt mit B- und T-Lymphocyten auf und sind somit entscheidend an der Einleitung der spezifischen Immunantwort beteiligt: Sie aktivieren T-Helfer-Lymphocyten und Makrophagen, steuern das Cytokinmuster der entstehenden T-Helfer-Lymphocyten zu IFN-γ produzierenden TH1-Zellen beziehungsweise IL-4 produzierenden TH2-Zellen, sie leiten die Bildung von cytotoxischen T-Lymphocyten ein und induzieren mittels der T-Zellhilfe die Differenzierung der Plasmazellen zu Antikörper-produzierenden B-Lymphocyten. Plasmacytoide und myeloide dendritische Zellen sind damit hoch spezialisiert zur Stimulation der spezifischen Immunantworten und ein wichtiges Bindeglied zwischen der unspezifischen und der spezifischen Abwehr. Die follikulär-dendritischen Zellen ähneln zwar morphologisch den plasmacytoiden und myeloiden dendritischen Zellen, haben jedoch völlig andere Funktionen. Sie befinden sich als residente und nicht mobile Zellen in den Keimzentren der Lymphknoten und der anderen sekundären Lymphorgane (beispielsweise Milz, Tonsillen, Peyer’sche Plaques). Sie stammen vermutlich nicht von Vorläuferzellen aus dem Knochenmark ab und können Pathogene oder Proteinkomponenten der Erreger nicht phagocytieren und abbauen. Auf ihrer Oberfläche verfügen sie hingegen über Fc-Immunglobulin- und C3-Komplement-Rezeptoren, mittels derer sie sich an Antigen-Antikörperkomplexe binden. Diese Komplexe präsentieren sie den B-Lymphocyten und bewirken deren Proliferation und Reifung. Dabei erfolgt beispielsweise der Wechsel der schweren Immunglobulinketten (Immunglobulinklassen-switch; 䉴 Abschnitt 7.2.2).
7.1.2 Granulocyten Beim Menschen sind etwa 60 bis 70 Prozent der zirkulierenden weißen Blutzellen Granulocyten, die einen polymorphen, in drei bis vier Segmente unterteilten Zellkern und im Cytoplasma eine Vielzahl von Lysosomen besitzen. Letztere bezeichnet man wegen ihrer Erscheinung im mikroskopischen Bild auch als Granula. Die Zellen werden im Knochenmark gebildet und gelangen von dort ins Blut. Sie haben eine relativ kurze Halbwertszeit von zwei bis drei Tagen. Aufgrund der unterschiedlichen Anfärbbarkeit ihrer Granula, die vor allem Proteasen und andere abbauende Enzyme enthalten, kann man sie in die Untergruppen der neutrophilen, eosinophilen und basophilen Granulocyten einteilen.
7.1 Zelluläre und molekulare Komponenten des Immunsystems
Vor allem die neutrophilen Granulocyten, die mit etwa 90 Prozent die größte Subpopulation darstellen, sind an den ersten Abwehrmaßnahmen gegen virale Infektionen beteiligt; pro Tag bildet der Mensch etwa 1011 neutrophile Granulocyten. Während der ersten Stunden nach ihrer Bildung haben sie noch keinen segmentierten Kern, weshalb man sie als stabkernig bezeichnet. Um infiziertes Gewebe zu erreichen, verlassen die neutrophilen Granulocyten in einem durch Adhäsionsmoleküle und Chemokine (chemotaktisch wirkende, lösliche, als Lockstoffe wirkende Proteine, die unter anderen von den durch Erregerkontakte aktivierten dendritischen Zellen freigesetzt werden) vermittelten, mehrstufigen Prozess den Blutstrom und dessen Gefäße. Dabei lagern sie sich mittels Adhäsionsmolekülen auf ihren Zelloberflächen, wie L-Selectin, VCAM-1 und ICAM-1 (vascular beziehungsweise intracellular adhesion molecule 1) an die Endothelzellen an, die ihrerseits – ebenfalls chemokinvermittelt – die entsprechenden Liganden (E- und P-Selectin, Integrine) produzieren. Das ermöglicht den Granulocyten eine schnelle Passage durch die Interzellularräume des Endothels, welches die Blutkapillaren auskleidet. Im weiteren Verlauf gelangen sie entlang eines Konzentrationsgradienten von Chemokinen, die sie anhand der zugehörigen Chemokinrezeptoren auf ihrer Oberfläche binden zum Entzündungs- beziehungsweise Infektionsort. Sie sind damit die ersten Immunzellen, die dort eintreffen. Die neutrophilen Granulocyten schütten bei Kontakt mit den Erregern den Inhalt ihrer Granula in die Umgebung aus, oder sie phagocytieren die Erreger. Diese sind danach von Membranvesikeln, den Phagosomen, umgeben, die mit den intrazellulären Granula zu Phagolysosomen verschmelzen. Hierdurch kommen die Erreger mit degradierenden Enzymen (unter anderem Proteasen, Lysozym, Myeloperoxidasen Hydrolasen, Muraminidasen) in Kontakt und werden abgetötet. Die Granulocyten werden durch die Interaktion mit den Erregern stimuliert. Als Folge bilden sie eine Vielzahl von entzündungsfördernden Faktoren wie IL-8, IL-1, IL-6 (IL = Interleukin), TNF-α (Tumornekrosefaktor) sowie Leukotriene und Prostaglandine. Vor allem das IL-8 wirkt chemotaktisch und lockt weitere Granulocyten und auch T-Lymphocyten an den Infektionsort. Die freigesetzten Stoffe wirken nicht nur immunregulatorisch. Einige – beispielsweise das IL-1 – sind auch an der Entstehung von Fieber und der Steigerung der Schmerzempfindung beteiligt. Die Phagocytose wird noch effektiver, wenn die Oberflächen der Erreger mit Antikörpern komplexiert sind, die zu einem späteren Zeitpunkt der Infektion entstehen. Sie stellt dann einen Teil der antikörperabhängigen zellvermittelten Cytotoxizität (ADCC, antibody dependent cell cytotoxicity) dar. Sollten die neutrophilen Granulocyten wäh-
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rend der ersten sechs Stunden nach ihrer Entstehung nicht aktiviert werden, also nicht mit Infektionserregern und/oder Entzündungsreaktionen in Kontakt kommen, dann wird in ihnen natürlicherweise die Apoptose eingeleitet; die abgestorbenen Granulocyten werden in der Leber durch die dort angesiedelten Makrophagen abgebaut. Die eosinophilen und basophilen Granulocyten repräsentieren nur etwa zwei bis fünf beziehungsweise 0,2 Prozent der weißen Blutzellen. Mastzellen sind Gewebezellen der Schleimhäute oder des Bindegewebes. Ihre Aufgabe ist derjenigen der basophilen Granulocyten sehr ähnlich. Die Hauptfunktion der eosinophilen Granulocyten ist die Abwehr von extrazellulären Parasiten, die infolge ihrer Größe nicht phagozytiert werden können, zum Beispiel von Würmern (Helminthen). Sie werden durch chemotaktische Stoffe angelockt, lagern sich an die Parasiten an und geben darauf den Inhalt ihrer Granula, also Enzyme, Sauerstoffradikale und cytotoxisch wirkende Proteine wie beispielsweise das major basic protein MBP, an die Umgebung ab; das MBP stellt eine Gruppe von kleinen, argininreichen Proteinen dar, die für Helminthen, aber auch für Säugetierzellen, vor allem für die Zellen des Bronchialepithels, toxisch sind. Die eosinophilen Granulocyten sind aber auch zur Phagocytose von kleineren Erregern oder IgE-haltigen Immunkomplexen befähigt. Die basophilen Granulocyten und die Mastzellen sind an der Entstehung allergischer Immunreaktionen beteiligt, da sie auf ihrer Oberfläche IgE-Rezeptoren besitzen und bei Anlagerung von IgE-haltigen Antigen-Antikörper-Komplexen Histamine, Heparine, Proteasen und Leukotriene freisetzen. Histamine werden auch bei Kontakt der Mastzellen mit dem MBP der eosinophilen Granulocyten ausgeschüttet. Die eosinophilen Granulocyten reagieren dann ihrerseits mit der Abgabe von Histaminasen und Arylsulfatasen, wirken also der Histaminausschüttung entgegen. Störungen dieser Prozesse können zu allergischen Reaktionen führen.
7.1.3 Monocyten und Makrophagen Monocyten und Makrophagen bilden zusammen mit den Granulocyten und den dendritischen Zellen die mononucleären Phagocyten, die zu den wichtigsten Zellen des unspezifischen Immunsystems gehören. Etwa zwei bis acht Prozent der Blutzellen sind Monocyten. Sie sind groß und enthalten in ihrem Cytoplasma viele Lysosomen sowie einen gut ausprägten Golgi-Apparat. In ihrer Zellmembran sind sowohl MHC-Klasse-I- als auch MHC-Klasse-II-Proteine verankert. Die Monocyten
7
7
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7 Immunologie
entwickeln sich im Knochenmark aus den myeloischen Stammzellen, die sich unter dem Einfluss von Wachstumsfaktoren wie GM-CSF und M-CSF (granulocytemonocyte und monocyte colony-stimulating factor) zu Monoblasten entwickeln. Diese differenzieren sich weiter zu Monocyten, welche das Knochenmark verlassen und zwischen 20 und 30 Stunden im Blut zirkulieren, bevor sie als Makrophagen in verschiedene Gewebe- und Organsysteme einwandern. Ähnlich wie die neutrophilen Granulocyten folgen auch die Makrophagen den durch Adhäsionsmoleküle und Chemokine vermittelten Wegen, verlassen den Blutstrom und gelangen früh an den Infektionsort. Sie können körperfremdes Material, das heißt die Erreger selbst oder von ihnen abgeleitete Proteinkomponenten, durch Phagocytose aufnehmen und abbauen. Während dieses Vorgangs entstehen aus den abgebauten Proteinen Peptide, die durch den proteolytischen Abbauprozess mit den MHC-Klasse-IIProteinen interagieren und auf der Zelloberfläche der Monocyten und Makrophagen präsentiert werden können. So werden diese zu antigenpräsentierenden Zellen, die das spezifische Immunsystem, nämlich die T-Helferlymphocyten, aktivieren (䉴 Abschnitt 7.2.1). Des Weiteren produzieren aktivierte Makrophagen bestimmte Oberflächenproteine wie CD14, CD16 und CD86 (CD steht für cluster of differentiation) sowie die toll-like-Rezeptoren (TLR) 2 und 4. CD14 interagiert wie auch TLR2 und TLR4 mit Lipopolysacchariden (Endotoxinen) gramnegativer Bakterien. Wenn diese Rezeptoren mit Lipopolysacchariden in Berührung kommen, veranlassen sie die Makrophagen zur Phagocytose und zur Ausschüttung von Entzündungsmediatoren wie TNF-α, IL-1β und IL-6.
7.1.4 Natürliche Killerzellen Die natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) entwickeln sich aus den Vorläuferzellen im Knochenmark. Im Unterschied zu den T-Lymphocyten verbleiben die natürlichen Killerzellen im peripheren lymphatischen Gewebe, wo sie sich zu großen, granulären Lymphocyten entwickeln, die charakteristische Oberflächenmarker besitzen. Eine ihrer Hauptfunktionen ist die Eliminierung virusinfizierter Zellen und Tumorzellen. NK-Zellen bewirken in Zellen, die auf ihrer Oberfläche besonders geringe Konzentrationen an MHC-Molekülen aufweisen, die Einleitung des programmierten Zelltods (Apoptose). Diese Art des Erkennens und Eliminierens virusinfizierter und transformierter Zellen ist von entscheidender Bedeutung. Die Anzahl der MHC-Proteine ist auf der Oberfläche solcher Zellen häufig redu-
ziert, um so den MHC-abhängigen spezifischen Immunreaktionen zu entgehen. Grundsätzlich sind NKZellen auf die Zerstörung aller kernhaltigen Zellen programmiert. MHC-I-Moleküle auf der Zelloberfläche hemmen jedoch diese Aktivität. Daher leiten die NKZellen die Apoptose selektiv in denjenigen Zellen ein, die keine MHC-I-Expression zeigen. Dafür besitzen die NK-Zellen auf ihrer Oberfläche KIR-Rezeptoren (killer cell immunoglobulin-like receptors), die MHC-Moleküle erkennen und sich daran binden. Die KIR-/MHCInteraktion führt zu einem inhibitorischen Signal, das die Killer-Aktivität der NK-Zelle unterdrückt. Fehlt diese Wechselwirkung, dann veranlassen die KARRezeptoren (killing activatory receptors), die ebenfalls in der Zellmembran der NK-Zellen verankert sind, die Ausschüttung von toxisch wirkenden Botenstoffen, welche in den als MHC-verarmt erkannten Zellen die Apoptose veranlassen. NK-Zellen sind immer funktionell aktiv, sie müssen nicht wie die Granulocyten und Makrophagen durch Bindung bestimmter Cytokine in einen aktivierten Zustand überführt werden. Ihre Aktivität kann aber durch IL-12 oder IFN-α und -β gesteigert werden; diese Botenstoffe werden beispielsweise von aktivierten dendritischen Zellen, Monocyten und Makrophagen sezerniert. Die NK-Zellen produzieren dann selbst große Mengen an IFN-γ und anderer Cytokine (IL-1, TNF-α), die weitere immunologische Aktivierungsschritte zur Folge haben (䉴 Kapitel 8). Daher haben NK-Kellen neben ihrer cytotoxischen Wirkung auch eine immunregulatorische Bedeutung.
7.1.5 Die toll-like-Rezeptoren Toll-like-Rezeptoren (TLRs) sind Mitglieder einer Proteinfamilie, die dem unspezifischen, angeborenen Immunsystem zugerechnet wird. TLRs finden sich in allen Vertebraten, also auch Fischen und Reptilien. Ihr Name leitet sich vom TOLL-Gen ab, welches bei Drosophila melanogaster entdeckt wurde: Es zeigte Homologie zu dem Gen, welches für den IL-1 Rezeptor codiert. Dies legt nahe, dass die TLRs Mitglieder eines evolutionär sehr alten Systems sind. Bei den meisten Tierarten und auch beim Menschen hat man bisher mehr als zehn verschiedene TLRs entdeckt, manche kommen aber nur in bestimmten Spezies, beispielsweise in der Maus, jedoch nicht im Menschen vor. TLRs werden vor allem in dendritischen Zellen, Monocyten und Makrophagen gebildet und gehören zur Gruppe der pattern recognition receptors (PRR). Sie sind in der Cytoplasmamembran (TLR1, 2, 4, 5, 6, 11) oder in der Membran des Endosomen (TLR3, 7, 8, 9) verankert und dienen der Erken-
7.1 Zelluläre und molekulare Komponenten des Immunsystems
nung von pathogen-associated molecular patterns (PAMPs). Dabei handelt es sich um Strukturen, welche ausschließlich auf oder in Krankheitserregern (Bakterien, Viren, Pilzen) vorkommen. Die TLRs verleihen dem angeborenen Abwehrsystem damit die Fähigkeit, zwischen „selbst“ und „nicht selbst“ zu unterscheiden: TLR1 interagiert spezifisch mit Peptidoglycan-Komponenten grampositiver Bakterien, wohingegen TLR4 sich an die Lipopolysaccharide der gramnegativen Bakterien bindet und TLR5 Flagellin erkennt – ein Protein der Bakteriengeißeln (䉴 Tabelle 7.1). Die spezifische Erkennung viraler Erregerstrukturen erfolgt vor allem durch die in der Endosomenmembran verankerten TLRs 3, 7, 8 und 9: TLR3 bindet doppelsträngige RNA-Moleküle, TLR7 und TLR8 interagieren mit einzelsträngiger RNA und TLR9 mit unmethylierten CpG-Motiven in einzelund doppelsträngiger DNA. Doppelsträngige RNAs sind charakteristische Moleküle, die als Genomkomponenten oder Intermediate der Replikation von RNA-Viren vorkommen; in einer uninfizierten Zelle existieren sie nicht. Entsprechendes gilt für einzelsträngige DNA oder unmethylierte CpG-Motive. In Kontakt mit den tolllike-Rezeptoren kommen diese virusspezifischen Komponenten, nachdem sie von den dendritischen Zellen phagocytiert wurden und im Endosom vorhanden sind
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(䉴 Abbildung 7.1). Indem die verschiedenen toll-likeRezeptoren über ihre extrazellulären beziehungsweise in das Endosomenlumen orientierten, leucinreichen Domänen mit den unterschiedlichen erregerspezifischen Ligandenstrukturen wechselwirken, werden intrazelluläre Signalkaskaden induziert. Einige der toll-like-Rezeptoren können auch heterodimere Komplexe bilden, die dann in ihrer Ligandenbindung modifiziert sind oder miteinander überlappen. Als Folge der Ligandenbindung können sich an die ins Cytoplasma orientierten, konservierten TIR-Domänen (Toll/IL-1R-Domäne) der TLRs unterschiedliche, als Adaptoren wirkende TIRDomänenproteine wie MyD88 (myeloid differentiation response gene 88) oder hierzu ähnliche Faktoren anlagern. Dadurch werden in einem mehrstufigen Vorgang unter Beteiligung der IRAK-Kinasen (IL-1R associated kinase) einerseits die Mitglieder der Proteinkinasefamilie IKK (IκB-Kinase) aktiviert, welche den Inhibitor IκB des NFκB phosphorylieren. Als Folge kann der als Transkriptionsaktivator wirkende Faktor NFκB in den Zellkern gelangen und dort die Expression verschiedener proinflammatorisch wirkender Cytokine und Adhäsionsproteine einleiten. Einige der IKK-Kinasen phosphorylieren jedoch auch IRF-3 und IRF-7 (interferonregulatory factor), welche dadurch ihre Aktivität als
Tabelle 7.1 Die toll-like-Rezeptoren des Menschen, ihrer Liganden und Erregertypen, von welchen sie aktiviert werden toll-like-Rezeptor
Lokalisation
Liganden
Erreger
TLR1/2
Cytoplasmamembran
triacylierte Lipopeptide
Bakterien, Mycoplasma
TLR2
Cytoplasmamembran
Peptidoglycan Lipoarabinomannan Modulin Zymosan Glycosylphosphatidyl-Inositol Hämagglutinin
grampositive Bakterien Mycobakterien Staphylococus aureus Pilze Trypanosoma cruzi Masernvirus
TLR2/6
Cytoplasmamembran
diacylierte Lipopeptide
Mycoplasma
TLR3
Endosomenmembran
dsRNA
Viren
TLR4
Cytoplasmamembran
Lipopolysaccharide virale Membranproteine
gramnegative Bakterien respiratorisches Syncytialvirus Maus-Mamma-Tumor-Virus
TLR5
Cytoplasmamembran
Flagellin
Bakterien
TLR7
Endosomenmembran
ssRNA Guasinanalaga
Viren
TLR8
Endosomenmembran
ssRNA
Viren
TLR9
Endosomenmembran
unmethylierte CpG-Motive in DNA
Bakterien, Viren
TLR11
Cytoplasmamembran
profilinähnliche Strukturen Proteinkomponenten
Toxoplasma gondii uropathogene E.coli
7
58
7 Immunologie
Erkennungsstrukturen: Bakterien, Pilze, Protozoen, Viren
TLR11 Cytoplasmamembran TIR TIR
TIR TIR
DD TIR TIR TIR TIR TIR TIR
TIRAP
TLR5
DD
DD
DD
DD TIR TIR TIR TIR TIR
TRAM
TLR6/2
DD
Erkennungsstrukturen: Virus TLR3 TLR9 TLR7
IRAK 1, 2, 4
TI TIR R
MyD88
DD
TIR
DD
TRIF
Endosom
TIR TIR
TIR
TIR TIR
DD
TLR1/2
TIR TIR
TLR4
DD TIR TIR TIR TIR
TLR2
DD TIR TIR TIR
7
TRAF-6 TRAF3 TAK1
DD TBK1, IKK-i
TIR
IRAK1, 4
MyD88
IKK-α, IKK-β IκB NFκB
IκB
P + NFκB
IκB
IRF3, IRF7
Phosphorylierung Dissoziation
IKK-β
NFκB Phosphorylierung Dimerisierung
IRF-7 Phosphorylierung Dimerisierung
IκB P
IRF3 IRF3
P
P
IRF7 IRF7
P
P + NFκB
Phosphorylierung Dissoziation
IRF7 IRF7
P
P
ern
llk Ze
proinflammatorische Cytokine
NFκB
P
Promotor Zellgenom
IFN-α P IRF3/7 IRF3/7 P IFN-β ISRE Zellgenom Makrophage, dendritische Zelle
NFκB
IRF7 IRF7 ISRE
P
IFN-α
Zellgenom
proinflammatorische Cytokine
Promotor Zellgenom plasmacytoide dendritische Zelle
7.1 Zelluläre und molekulare Komponenten des Immunsystems
59
7.1 Die durch die toll-like-Rezeptoren vermittelten Aktivierungswege (vereinfachte schematische Darstellung). Die toll-likeRezeptoren sind in der Cytoplasmamembran (TLR1/2, TLR2, TLR4, TLR6/2, TLR5, TLR11) oder in der Endosomenmembran (TLR3, TLR7, TLR9) von dendritischen Zellen und Makrophagen/Monocyten verankert. Die TLRs wechselwirken mit erregerspezifischen Strukturen (PAMPs). Dadurch verändert sich die Struktur der cytoplasmatischen TIR-Domänen der TLRs, was die Anlagerung DD(death-domain)-haltiger TIR-Domänenproteine (beispielsweise MyD88, TRIF) bewirkt. Dies induziert Signalkaskaden, die an diesen verschiedenen Kinasen (IRAK, IKK, TRAF, TBK) beteiligt sind und bewirkt die Aktivierung von NFkB oder IRF3/IRF7. Diese aktiven Transaktivatoren werden in den Zellkern transportiert und leiten die Expression von proinflammatrischen Cytokinen und Klasse-IInterferonen ein.
transaktive Proteine entfalten und die Expression der für IFN-α und IFN-β codierenden Gene veranlassen. Andererseits kann die Weiterleitung der Signale auch MyD88-unabhängig durch Anlagerung von TRIF (TIRdomain containing adaptor inducing IFN-b) an die TIR-Domänen der toll-like-Rezeptoren unter Beteiligung der Phosphatidylinositol-3-Kinase erfolgen. Die unterschiedlichen Wege münden aber alle in die Aktivierung der Synthese von entzündlich wirkenden Cytokinen und Adhäsionsfaktoren sowie von Klasse I-Interferonen. Die toll-like-Rezeptoren stehen somit in der vordersten Linie der Immunabwehr. Sie werden nach dem Eindringen eines Virus oder eines anderen Infektionserregers als erste aktiv und leiten die weiteren Schritte sowohl der unspezifischen wie spezifischen Immunreaktionen ein.
7.1.6 Akutphaseproteine Diese große Gruppe unterschiedlicher Proteine ist ein Teil der systemischen Reaktion des Körpers auf Infektionen, Entzündungen oder Gewebeverletzungen. Sie werden von Hepatocyten gebildet, und bei Stimulierung durch IL-1 und/oder IL-6 erhöht sich ihre Synthese um ein Vielfaches. Diese Cytokine werden von aktivierten Granulocyten und Makrophagen sezerniert und gelangen über den Blutstrom in die Leber. Zu den Akutphaseproteinen zählt als ein unspezifischer Entzündungsmarker, das C-reaktive Protein (CRP); es erhielt seinen Namen, da es zusammen mit Ca2+-Ionen mit dem CPolysaccharid der Pneumokokken reagiert. CRP wird innerhalb weniger Stunden nach einem immunologischen Stimulus im Blut nachweisbar. Es bindet sich an Phosphocholin und erkennt so Phospholipid-Bestandteile in Membrankomponenten von Viren, Bakterien und zerstörten körpereigenen Zellen. Das mit Phosphocholin komplexierte CRP aktiviert das Komplementsystem; es hat opsonisierende Wirkung und wird von neutrophilen Granulocyten und Makrophagen phago-
cytiert. Dadurch aktiviert es weitere immunolgische Abwehrreaktionen. Weitere Mitglieder der Akutphaseproteine sind Kontrollfaktoren der Blutgerinnung wie das Fibrinogen, das die Vorstufe des Fibrins darstellt, das α1-Glycoprotein und Proteinaseinhibitoren wie das α2-Haptoglobulin, das α2-Makroglobulin, α2-Anti-Chymotrypsin, das α1Anti-Trypsin und der C1-Esterase-Inhibitor; diese regulieren die Gerinnungs- und Kininkaskaden. Auch verschiedene Komponenten wie die C3-Komponente des Komplementsystems sind Bestandteile der Akutphaseproteine.
7.1.7 Das Komplementsystem Das Komplement ist einer der wichtigsten Mediatoren von Entzündungsreaktionen. Entzündungen sind eine Folge von Infektionen und ursächlich mit den Prozessen verbunden, die durch die unspezifische Immunantwort eingeleitet werden. Das Komplement wird über zwei unterschiedliche Wege aktiviert: den sogenannten klassischen und den alternativen Aktivierungsweg. Beide münden jedoch in den gleichen Mechanismus zur Lyse virusinfizierter Zellen, Bakterien, Parasiten oder Tumorzellen. Antikörper-Antigen-Komplexe induzieren den klassischen Weg. Dagegen wird der alternative Weg unabhängig von der Anwesenheit von Immunglobulinen aktiviert. Im Komplementsystem verbinden sich damit der spezifische und der unspezifische Teil des Immunsystems, es stellt aber auch ein Bindeglied zwischen dem zellulären und dem humoralen Ast der Immunantwort dar. Die beiden Wege der Komplementaktivierung basieren auf mehreren Faktoren, die sich in einem kaskadenartigen Vorgang gegenseitig aktivieren. Die zentrale Reaktion, in der sich die beiden Wege treffen, ist die proteolytische Spaltung der Komplementkomponente C3 in C3a und C3b durch die C3-Konvertase. Beim alternativen Weg wird diese Umwandlung spontan durch bestimmte Zuckerstrukturen auf der Oberfläche von Bakterien, Viren, Pilzen, Protozoen sowie von
7
60
7.2 Aktivierung des klassischen Weges der Komplementkaskade durch eine virusinfizierte Zelle, an deren Zelloberfläche Virusproteine vorhanden sind. An diese Proteine können sich Antikörper spezifisch binden. Je zwei benachbarte IgG-Antikörper oder ein gebundener IgM-Antikörper können die Anlagerung der Komplementkomponenten C1q, C1r und C1s zu C1 bewirken. C1 ist eine Protease, sie spaltet die Komponente C4 zu C4a und C4b sowie C2 zu C2a und C2b. C4b und C2a bilden einen Komplex, der sich an die Cytoplasmamembran anlagert und seinerseits die Komponente C3 spaltet. C3b wird kovalent an die Strukturen der Zelloberfläche gebunden. Der Komplex von C4b, C2a und C3b prozessiert die Komponente C5 zu C5a und C5b. Letzteres interagiert wiederum mit der Zelloberfläche und bewirkt die Anlagerung des Membranangriffskomplexes aus C6, C7, C8 und C9, der durch Porenbildung die Zerstörung der infizierten Zelle einleitet. Die während des Prozesses abgespaltenen Proteine C4a, C3a und C5a wirken als Anaphylatoxine. In der Abbildung sind die aktiven Komponenten der Komplementkaskade jeweils rot dargestellt, ihre inaktiven Vorläufer dagegen schwarz.
7 7 Immunologie
7.2 Welche „Waffen“ stehen der spezifischen Immunabwehr zur Verfügung?
tumor- oder virusinfizierten Zellen eingeleitet. Beim klassischen Weg wird sie indirekt durch Antikörper ausgelöst, die an die Oberflächen der jeweiligen Erreger oder Zellen gebunden sind. An den Fc-Teil der Immunglobuline lagern sich die drei Subkomponenten C1q, C1r und C1s an und bilden die aktive Einheit (䉴 Abbildung 7.2). Diese wirkt als Protease und prozessiert die Komponenten C4 und anschließend C2, woraufhin sich die Spaltprodukte C4b und C2a an die Membranoberfläche der Zielstruktur, also die infizierte oder transformierte Zelle, das Virus oder Bakterium, den Pilz oder Einzeller anlagern. Sie bilden als Komplex die oben erwähnte C3-Konvertase des klassischen Weges. Bei der Spaltung von C3 wird die Konformation der Untereinheit C3b so verändert, dass eine reaktive Thioesterbindung exponiert wird. Diese reagiert mit funktionellen Seitengruppen der Aminosäuren, die an der Oberfläche der Erreger, Zellen oder auch der Antigen-AntikörperKomplexe zugänglich sind. Dadurch wird die C3bUntereinheit kovalent gebunden. Das C3b markiert die Strukturen als fremd und gibt damit ein Signal, das die Phagocytose durch Granulocyten, Makrophagen und Monocyten einleitet. Durch die Bindung der C3b-Komponente an Zielstrukturen auf Membranen wird zugleich der lytische Weg des Komplementsystems aktiviert. An seinem Beginn steht die Bildung der C5-Konvertase, die beim klassischen Weg aus dem Komplex von C4b, C2a und C3b besteht. Beim alternativen Weg kommt es unabhängig von C4b und C2a zur Spaltung der C5-Komponente in C5a und C5b. C5b bindet sich an das oberflächenassoziierte C3b und bewirkt die Anlagerung der Faktoren C6, C7, C8 und C9, die zusammen den Membranangriffskomplex bilden. Dieser lagert sich in die Zellmembranen ein und durchsetzt sie mit Poren; der Erreger oder die Zelle wird durch Lyse zerstört. Die kleinen Komponenten C4a, C3a und C5a, die während der Komplementaktiverung als lösliche Produkte von C4, C3 beziehungsweise C5 abgespalten werden, bilden die Anaphylatoxine. Sie sind immunregulatorisch von großer Bedeutung, denn sie induzieren die Ausschüttung des histaminhaltigen Granulainhaltes der basophilen Granulocyten und der Mastzellen in die Umgebung. So erhöhen sie die Durchlässigkeit der Gefäßwände und bewirken eine Kontraktion der glatten Muskulatur. C5a wirkt chemotaktisch auf Makrophagen und neutrophile Granulocyten, die in der Folge an den Infektionsort wandern und hier die weiteren Mechanismen der Immunabwehr induzieren.
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7.2 Welche „Waffen“ stehen der spezifischen Immunabwehr zur Verfügung? 7.2.1 T-Lymphocyten Die T-Lymphocyten haben eine zentrale Bedeutung für die Regulation der Immunantwort und für die Erkennung und Eliminierung von virusinfizierten Zellen oder Tumorzellen aus dem Organismus. Die spezifische Erkennung veränderter Zellen erfolgt über den T-ZellRezeptor (TCR), einen Proteinkomplex, der in der Cytoplasmamembran der T-Lymphocyten verankert ist. Bei 95 Prozent der T-Lymphocyten handelt es sich dabei um ein Heterodimer aus einer α- und einer β-Kette. Selten findet man Zellen mit γδ-T-Zell-Rezeptoren auf der Zelloberfläche, die ein Heterodimer aus einer γ- und einer δ-Kette besitzen. Ein großer Teil dieser T-Lymphocyten davon trägt weder CD4- noch CD8-Rezeptoren. Die Funktion der γδ-T-Zellen ist nicht endgültig geklärt; sie haben vermutlich regulatorische Aufgaben und sind als regulatorische T-Zellen an der Unterdrückung der zellulären Immunantwort im Anschluss an eine Infektion beteiligt. Zudem können sie lösliche Proteine wie Phosphatderivate und MHC-Klasse-I-ähnliche Moleküle binden und sind wohl auch an der Elimination epithelialer Infektionen beteiligt. Alle Proteinketten der T-ZellRezeptoren sind über eine carboxyterminale, hydrophobe Aminosäurefolge in der Cytoplasmamembran der T-Zellen verankert. Ihr oberflächenexponierter Teil verfügt jeweils über eine konstante und eine variable Domäne, die über Disulfidbrücken stabilisiert sind. Die variablen Domänen sind für die Spezifität der verschiedenen T-Lymphocyten verantwortlich. Mit ihnen erkennen sie fremde Strukturen auf den Oberflächen ihrer Zielzellen. Die Vielfalt der T-Zell-Rezeptoren kommt dadurch zustande, dass im Verlauf der Differenzierung der unreifen Thymocyten zu T-Lymphocyten – ein Vorgang, der noch während der Embryogenese im Thymus stattfindet – die genetische Information von 50 bis 100 verschiedenen V-Genabschnitten über somatische Rekombination und alternative Spleißprozesse in unterschiedlicher Weise mit einigen wenigen D- und J- sowie den C-Segmenten kombiniert wird. Ähnliche Vorgänge findet man auch bei der Generierung der variablen Regionen der Immunglobuline (䉴 Abschnitt 7.2.2). Mit dem TCR ist der CD3-Proteinkomplex verbunden. Dieses Heterotrimer besteht aus je einer membranverankerten γ-, δ- und ε-Kette, die nach der Bindung des TCR an Fremdstrukturen ein Signal an die ζ-Unterein-
7
7
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7 Immunologie
A
γ δ ε ζ ζ β
β
α
β
α α
α2
α1
α3
β2
β 2−
7.3 Die wichtigsten Komponenten der Wechselwirkung von T-Lymphocyten mit antigenpräsentierenden Zellen. A: Erkennung von virusinfizierten Zellen durch cytotoxische T-Lymphocyten. Der Komplex aus MHC-Klasse-I-Antigen und β2-Mikroglobulin lagert in seine antigenbindende Grube ein Peptid (rot) ein, das aus dem Abbau von Virusproteinen stammt, die in der infizierten Zelle selbst synthetisiert werden (produktive Virusinfektion, intern). Dieser Komplex wird spezifisch vom T-Zell-Rezeptor (TCR) erkannt, der über die variablen Domänen seiner α- und β-Kette damit in Wechselwirkung tritt. Unabhängig hiervon bindet sich das CD8-Rezeptorprotein (grau schattiert) der cytotoxischen T-Zelle an eine konservierte Domäne im MHC-Klasse-I-Antigen. Die Proteininteraktionen induzieren in ihrer Gesamtheit strukturelle Umlagerungen im T-Zell-Rezeptor, die über den CD3-Komplex in das Zellinnere weitergegeben werden. Der T-Lymphocyt gibt cytotoxisch wirkende Proteine und Perforine ab, welche die infizierte Zelle lysieren und so töten.
heiten und so in das Zellinnere weiterleiten (䉴 Abbildung 7.3). Als weitere Proteine sind mit dem TCR – außer bei γδ-T-Zellen – entweder CD4- oder CD8Rezeptoren assoziiert: Ihr Vorhandensein gliedert die TLymphocyten in die Untergruppen der CD4+-THelferzellen und der CD8+-cytotoxischen-T-Zellen. Sie vermitteln bei der spezifischen Fremderkennung die
Interaktion der T-Zellen entweder mit MHC-Klasse-IIoder mit MHC-Klasse-I-Antigenen. Für die Aktivierung einer T-Zelle ist neben der Wechselwirkung des T-Zell-Rezeptors mit einem MHC-/Peptid-Komplex auf Seite der antigenpräsentierenden Zellen noch ein costimulatorisches Signal notwendig: Dieses wird meist durch die Interaktion der B7-Proteine (B7.1
7.2 Welche „Waffen“ stehen der spezifischen Immunabwehr zur Verfügung?
63
B
γ δ ε ζ ζ β
β
α
β
α α α
β
β1
α1
β2
α2
7.3 (Fortsetzung) B: Erkennung von antigenpräsentierenden Zellen durch T-Helferzellen. Das MHC-Klasse-II-Antigen, das aus einer α- und einer β-Kette besteht, lagert in seine antigenbindende Grube ein Peptid (rot) ein, das aus dem Abbau von Virusproteinen von anderen Zellen stammt (extern), die von einer Zelle, beispielsweise von einem Makrophagen, durch Endocytose aktiv aufgenommen wurden. Dieser Komplex wird spezifisch vom T-Zell-Rezeptor (TCR) erkannt, der über die variablen Domänen seiner α- und β-Kette damit in Wechselwirkung tritt. Unabhängig hiervon bindet sich das CD4-Rezeptorprotein (grau schattiert) der T-Helferzelle an eine konservierte Domäne im MHC-Klasse-II-Antigen. Die Proteininteraktionen induzieren in ihrer Gesamtheit strukturelle Umlagerungen im T-Zell-Rezeptor, die über den CD3-Komplex schließlich in das Zellinnere weitergegeben werden. Die T-Helferzelle reagiert mit der Freisetzung von Cytokinen.
oder B7.2) oder der CD40-Proteine auf den antigenpräsentierenden Zellen mit ihren Liganden, dem CD28Protein (CTLA-4, cytotoxic T-lymphocyte antigen 4) beziehungsweise dem CD40-Liganden auf den T-Zellen vermittelt. Erst durch die costimulatorisch wirkende Wechselwirkung kommt es zur IL-2 vermittelten Proliferation der T-Lymphocyten. Bleiben diese costimulato-
rischen Signale aus oder werden sie durch bestimmte virusspezifische Eigenschaften unterdrückt, können die T-Zellen in Anergie, ein Stadium der funktionellen Ruhestellung, eintreten oder durch Einleitung der Apoptose zugrunde gehen. T-Zellen, die CD4+ und eine große Menge an CD25 exprimieren, wurden als wichtige regulatorische T-Zellen (Treg) erkannt, welche die
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7 Immunologie
Immunantwort gegenüber Selbst-Antigenen und somit Selbst-Toleranz und Autoimmunität entscheidend beeinflussen.
Cytotoxische T-Zellen Die CD8+-cytotoxischen-T-Lymphocyten erkennen virusinfizierte Zellen, lysieren diese und tragen so entscheidend zur Begrenzung der Infektion im Organismus bei. Sie lagern sich dabei über den TCR-Komplex und den CD8-Rezeptor an MHC-Klasse-I-Proteine an, die Peptidabschnitte viraler Proteine als Fremdkomponenten präsentieren. MHC-Klasse-I-Proteine oder Antigene befinden sich auf allen Zellen eines Organismus mit Ausnahme der Zellen im Gehirn (䉴 Abschnitt 4.1.2). Es handelt sich dabei um Heterodimere aus einer membranverankerten α-Kette und einem β2-Mikroglobulin (䉴 Abbildung 7.3A). Der oberflächenexponierte Teil der α-Kette ist in drei Domänen gegliedert, wobei die α1und α2-Domänen so gefaltet sind, dass ein antiparalleles Faltblatt entsteht, dem zwei α-Helices aufliegen. Die Struktur gleicht einer Grube: Das β-Faltblatt bildet den Boden, die α-Helices die Ränder (䉴 Abbildung 7.4). In diese Grube können sich Peptide mit einer Länge von etwa neun Aminosäuren einpassen. Sie werden durch eine Kombination aus hydrophoben und ionischen
A
Wechselwirkungen gebunden. Handelt es sich hierbei um Abschnitte von Virusproteinen, dann erkennt der TZell-Rezeptor der cytotoxischen T-Zelle den Komplex als „fremd“ und lagert sich an. Ist die Zelle nicht infiziert, dann ist die Grube mit Peptiden belegt, die aus zelleigenen Proteinen stammen. Diese werden nicht als fremd erkannt, weil cytotoxische T-Zellen mit solchen Spezifitäten schon während der T-Zellreifung im Thymus zurückgehalten und eliminiert werden. Die Beladung der MHC-Klasse-I-Proteine mit den Peptiden erfolgt im endoplasmatischen Reticulum. Voraussetzung hierfür ist, dass eine aktive Neusynthese der viralen Proteine erfolgt – eine Situation, die nur in infizierten Zellen gegeben ist, in denen die viralen Gene im Zuge der Virusreplikation exprimiert und in Proteine übersetzt werden (䉴 Abbildung 7.5A). Ein kleiner Teil davon wird nach der Synthese dem Proteasomenkomplex im Cytosol zugeführt und abgebaut; die dabei anfallenden Peptide werden von einem Peptidtransporter (TAP, transport associated protein), der in die Membran des endoplasmatischen Reticulums eingelagert ist, in das ER-Lumen transportiert. Hier passen sie sich in die Grube der MHC-Klasse-I-Moleküle ein, die als membranverankerte Proteine am endoplasmatischen Reticulum synthetisiert werden. Dabei ragt der später an der Zelloberfläche exponierte Anteil in das Lumen; bis zur Ausbildung stabiler Komplexe mit dem β2-Microglobu-
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7.4 Struktur des oberflächenexponierten Teils des MHC-Klasse-I-Antigens (HLA-A2). (Aus Bjorkman, P. J., in: Nature; (1987) 329, S. 506–512.) A: Darstellung des Komplexes aus HLA-A2 und β2-Mikroglobulin, basierend auf den Daten der Röntgenstrukturanalyse. Die Faltung der Aminosäurekette des HLA-A2 in die drei Domänen α1, α2 und α3 führt zur Bildung der antigenbindenden Grube aus den zwei α-Helices der Domänen α1 und α2, hier dargestellt durch Spiralen. Mit C ist in der α3-Domäne das carboxyterminale Ende markiert. An dieser Stelle geht die Aminosäurekette in die Transmembranregion über. Für die Erstellung der Kristallstruktur wurde diese Region durch proteolytische Spaltung entfernt. B: Schematische Darstellung der antigenbindenden Grube des HLAA2 (Aufsicht). Den Boden bilden sechs antiparallele β-Faltblätter (durch Pfeile dargestellt), denen zwei α-Helices (dargestellt durch die Spiralen) aufliegen.
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lin und dem Peptid wird die MHC-α-Kette an Calnexin gebunden, einem mit der ER-Membran verbundenen Protein, das als Chaperon wirkt und verhindert, dass die MHC-Aminosäurekette vorzeitig ihren endgültigen Faltungszustand einnimmt. Der schließlich gebildete Komplex aus Peptid, α-Kette und β2-Mikroglobulin gelangt durch die Golgi-Vesikel und das Trans-Golgi-Netzwerk an die Zelloberfläche, wird in der Membran verankert und kann von den T-Zell-Rezeptoren der CD8+-TLymphocyten erkannt werden. Daraufhin geben die T-Lymphocyten cytotoxische Faktoren (sogenannte Grancyme), Radikale sowie Perforine ab. Letztere oligomerisieren unter dem Einfluss von Ca2+-Ionen und werden in die Membran der als fremd erkannten Zelle eingelagert, durchsetzen sie mit Poren und lysieren sie. Voraussetzung für diesen Vorgang ist, dass die entsprechenden T-Lymphocyten durch Cytokine wie IL-2 und Interferon-γ stimuliert worden sind, die von T-Helferzellen sezerniert werden. Auch Cytokine wie IL-1, TNFα und IFN-α, die von den Zellen des unspezifischen Immunsystems, zum Beispiel von aktivierten Makrophagen, abgegeben werden, erhöhen die Aktivität der cytotoxischen T-Lymphocyten. Über sie besteht also eine enge Verbindung der unspezifischen Immunreaktionen mit der spezifischen, cytotoxischen T-Zellantwort. Auch können cytotoxische T-Zellen mittels ihres Fas-Liganden über Kontakt zu Fas-Rezeptoren auf der Oberfläche der Zielzellen ein Selbsttötungsprogramm (Apoptose; Abbildung 5.1) auslösen. Neben diesen zur Abtötung der antigenpräsentierenden Zellen führenden cytotoxischen Funktionen können die CD8+-T-Lymphocyten durch Freisetzung von IFN-γ auch eine nichtcytotoxische antivirale Antwort bewirken. Jeder Mensch verfügt über die genetische Information für bis zu sechs verschiedene α-Ketten der MHCKlasse-I-Antigene, die man beim Menschen auch als HLA (human leukocyte antigen) bezeichnet: Je zwei Moleküle sind von Typ HLA-A, -B und -C. Sie werden auf dem menschlichen Chromosom 6 codiert und nach den Mendelschen Regeln vererbt. Die HLA-Moleküle lassen sich verschiedenen Haplotypen zuordnen, die sich in den Aminosäurefolgen der α-Ketten unterscheiden. Man kennt heute über 30 verschiedene Haplotypen der HLA-A-Kette, über 60 HLA-B- und 15 HLA-CTypen, die meist noch in weitere Subtypen unterteilt werden können. Diese große Vielfalt in Verbindung mit den Vererbungsregeln bedingt, dass jeder Mensch über eine eigene Zusammenstellung von HLA-Haplotypen verfügt. Jede Körperzelle eines Menschen – mit Ausnahme der Nerven-, Gehirn- und bestimmten Augenzellen – besitzt somit ein charakteristisches HLA-„makeup“. Die unterschiedliche Aminosäurezusammensetzung manifestiert sich dabei vor allem in den Resten,
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welche die antigenbindende Grube auskleiden. Deshalb können die verschiedenen HLA-Haplotypen nur ganz bestimmte Peptidabschnitte binden. Man weiß heute, dass dies der Grund für die unterschiedliche genetische Fähigkeit einzelner Individuen ist, immunologisch auf Infektionskrankheiten zu reagieren. Verfügt ein Mensch beispielsweise über einen HLA-Subtyp, der Peptide eines bestimmten Virusproteins nur schlecht binden kann, so werden die entsprechenden infizierten Zellen weder erkannt noch eliminiert. Dieser Mechanismus erklärt auch die genetisch bedingte große Empfänglichkeit der Geparden für eine Infektion mit dem felinen Coronavirus und der relativen Häufigkeit der damit verbundenen felinen infektiösen Peritonitis (FIP; 䉴 Abschnitt 14.8). Geparden haben eine sehr enge genetische Basis und sind nicht in der Lage, wichtige, protektiv wirkende Epitope des Membranproteins vom FIP-Virus auf ihren MHC-IMolekülen zu präsentieren. Die damit stark verminderte zelluläre Immunität gegenüber diesem Virus erklärt das häufige Auftreten von FIP bei Geparden – eine Erkrankung, die bei unseren Hauskatzen, welche aufgrund ihrer MHC-I-Moleküle entsprechend protektiv wirkende Viruspeptide präsentieren können, nur sporadisch vorkommt.
T-Helferzellen Die Rezeptoren der T-Helferzellen binden in Kombination mit dem CD4-Protein an MHC-Klasse-II-Antigene, die ähnlich wie die oben beschriebenen Klasse-IAntigene Peptide viralen Ursprungs enthalten. MHCKlasse-II-Antigene sind nur auf potenziell antigenpräsentierenden Zellen vorhanden, beispielsweise auf Monocyten, Makrophagen, dendritischen Zellen, Bund T-Lymphocyten. Es sind Heterodimere aus einer α- und einer β-Kette, die beide in der Membran verankert sind (䉴 Abbildung 7.3B). Die aminoterminal orientierten α1- und β1-Domänen sind zu einer antigenbindenden Grube gefaltet, in die Peptide mit einer Länge bis zu 20 Aminosäuren eingepasst werden können. Die Bindung scheint in diesem Fall nicht so spezifisch von der Aminosäurefolge der Peptide abhängig zu sein, wie man es von den MHC-Klasse-I-Antigenen kennt. Auch bei den MHC-Klasse-II-Antigenen findet man eine hohe genetische Vielfalt: Jeder Mensch verfügt über je ein DP-, DQ- und DR-Allel, von denen es ebenfalls viele verschiedene Haplotypen gibt. Sie werden ebenfalls auf dem Chromosom 6 codiert und nach Mendelschen Regeln vererbt. Jeder Mensch hat also sechs theoretisch verschiedene HLA-Klasse-II-Gene, von denen es viele Haplo- und Subtypen gibt.
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7.5 Mechanismen der Antigenprozessierung und Beladung der MHC-Antigene. A: Die Beladung von MHC-Klasse-I-Antigenen. In der virusinfizierten Zelle werden im Infektionsverlauf Virusproteine (rot) synthetisiert. Ein Teil hiervon wird durch das Proteasom im Zytosol abgebaut. Ein Transporterprotein, das sich in der Membran des endoplasmatischen Reticulums befindet, schleust die so entstandenden Peptide in das Lumen des ER zurück. Diese lagern sich in die antigenbindende Grube von MHC-Klasse-IMolekülen ein, die in die Membran des endoplasmatischen Reticulums eingelagert sind und in dessen Lumen ragen. Hier assoziiert dieser mit dem β2-Mikroglobulin (β2M). Die MHC-Klasse-I-/Peptid-Komplexe werden über den Golgi-Apparat und das TransGolgi-Netzwerk zur Zelloberfläche transportiert.
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7.5 (Fortsetzung) B: Die Beladung von MHC-Klasse-II-Antigenen. Ein Virusbestandteil, der von einer anderen Zelle stammt, wird von einem Makrophagen aufgenommen und im Endosom durch Enzyme abgebaut (degradiert). Hierbei entstehen Peptide (rot). MHC-Klasse-II-Moleküle werden am endoplasmatischen Reticulum synthetisiert und die externen Domänen in das Lumen eingeschleust. Diese bilden einen Komplex mit einem kleinen Protein, der invariant chain (grau schattiert), das sich in die antigenbindende Grube einlagert. Im Stadium des trans-Golgi fusionieren die Vesikel mit den Endosomen, die die aufgenommenen und weiter degradierten Virusbestandteile beinhalten. Die invariant chain wird abgebaut, statt ihrer lagern sich die Viruspeptide in die antigenbindende Grube ein. Die MHC-Klasse-II-/Peptid-Komplexe werden weiter zur Zelloberfläche transportiert und hier verankert.
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Die Beladung der HLA-Kasse-II-Moleküle mit Peptiden unterscheidet sich von derjenigen der HLA-KlasseI-Proteine: Die Proteine, von denen sich die Peptide ableiten, werden in den antigenpräsentierenden Zellen nicht selbst neusynthetisiert. Die HLA-Klasse-IIMoleküle binden stattdessen Fragmente von Proteinen aus anderen, zum Beispiel virusinfizierten Zellen, die von der HLA-Klasse-II tragenden Zelle phagocytiert wurden und in die Endosomen gelangen, wo sie proteolytisch weiter abgebaut werden (䉴 Abbildung 7.5B). In diesem Zellkompartiment befinden sich auch die HLAKlasse-II-Moleküle nach ihrer Translation am endoplasmatischen Reticulum. Nach der Synthese und während des Transports liegen sie im Komplex mit einem dritten, kleinen Protein vor, der sogenannten invariant chain. Dieses ist in die antigenbindende Grube des HLAKlasse-II-Heterodimers eingepasst. Erst wenn der Komplex über den Golgi-Apparat die Endosomen erreicht, wird die invariant chain in dem sauren pH-Milieu durch Proteolyse abgespalten. Dadurch wird verhindert, dass während des Transports zelleigene Peptide eingelagert werden. Im Endosom treffen also externe, internalisierte Fremdpeptide und endogene HLA-Klasse-II-Proteine zusammen. Sie bilden Komplexe und werden zur Zelloberfläche transportiert, wo sie in der Membran verankert und den CD4+-T-Helferzellen präsentiert werden. Die T-Helferlymphocyten reagieren auf die Interaktion mit den antigenpräsentierenden Zellen mit der Freisetzung vieler verschiedener Cytokine und stimulieren so die Aktivität der anderen immunologisch aktiven Zellen. Bei ihrem ersten Kontakt mit einem Antigen sezernieren die naiven T-Helferzellen (TH0-Zellen) die gesamte Palette an möglichen Faktoren. Diese Eigenschaft geht verloren, wenn sich die TH0-Zellen entweder zu TH1- oder TH2-Zellen differenzieren. TH1-Zellen fördern durch die Ausschüttung der Cytokine IL-2 und Interferon-γ vor allem die Aktivierung weiterer T-Helferzellen sowie diejenige von cytotoxischen T-Zellen und Makrophagen. TH2-Zellen geben hingegen bevorzugt IL-4, IL-5, IL-6 und IL-10 ab und stimulieren die Proliferation und Differenzierung von Prä-B-Zellen zu antikörperproduzierenden Plasmazellen. Die durch Antigenerkennung aktivierte T-Helferzelle steuert also mithilfe der Cytokine die Immunantwort (䉴 Kapitel 8).
Regulatorische T-Zellen Erst 1995 wurden CD4+-/CD25+-Lymphocyten nachgewiesen, die autoreaktive Zellen kontrollieren konnten. Heute sind einige Phänotypen dieser T-Zellen bekannt, die regulierend auf das angeborene, aber auch auf das adaptive Immunsystem wirken. Regulatorische T-Zel-
len sorgen dafür, dass aktivierte Immunzellen dem Gewebe durch ihre inflammatorische und cytotoxische Eigenschaften nicht zu viel Schaden zufügen. Gibt es zu wenig regulatorische Zellen, können Immunzellen ungehindert aktiviert werden. Handelt es sich dabei um selbstreaktive T-Zellen, dann kommt es zu Autoimmunerkrankungen und zu massiven Gewebeschäden. Gibt es zu viele regulatorische T-Zellen, wird das Immunsystem zu stark unterdrückt. In solch einem Falle können Infekte nicht adäquat bekämpft oder transformierte Zellen nicht eliminiert werden. Damit steigt das Krebsrisiko. Auch bei der immunologischen Kontrolle von viralen Infekten scheinen regulatorische T-Zellen eine Rolle zu spielen. So konnten unterschiedliche Krankheitverläufe bei Infektionen mit Herpes-Simplex-Viren oder Hepatitis-C-Viren gezeigt werden. Die Viren können vom Immunsystem eliminiert werden, wenn regulatorische T-Zellen die Immunantwort nicht einschränken. Jedoch führt dies gleichzeitig zu einer starken Gewebsschädigung, die auf Dauer letal ist.
7.2.2 B-Lymphocyten und Antikörper Die Antikörpermoleküle und ihre Aufgaben Antikörper oder Immunglobuline sind bifunktionelle Moleküle. Sie verfügen in den Fab-Teilen (fragment antigen binding) einerseits über hochvariable Domänen, die es ihnen ermöglichen, mit praktisch jedem theoretisch vorstellbaren Antigen spezifisch zu interagieren (䉴 Abbildung 7.6). Diese Wechselwirkung erlaubt in bestimmten Fällen die direkte Neutralisierung von Viren, wenn dadurch beispielsweise eine Infektion der Zellen verhindert wird. Andererseits besitzen Antikörper den bei allen Molekülen (Subklassen) identischen Fc-Teil (fragment constant oder crystalline). Zu seinen Funktionen gehört die Bindung an Fc-Rezeptoren, die sich auf den Oberflächen von Makrophagen, Monocyten und neutrophilen Granulocyten befinden; diese Bindung induziert die Phagocytose des Antigen-AntikörperKomplexes. Außerdem aktivieren Antigen-AntikörperKomplexe den klassischen Weg der Komplementkaskade, der seinerseits die Phagocytose der Komplexe erleichtert und zur Lyse infizierter Zellen führt. Auch die antikörpervermittelte Zelltoxizität (ADCC-Antwort) der neutrophilen Granulocyten ist einer der durch Immunglobuline ausgelösten Effekte. Diese Zellen binden sich über ihre Fc-Rezeptoren an Antikörper, die mit viralen
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Oberflächenproteinen auf infizierten Zellen komplexiert sind, und schädigen diese durch Ausschüttung ihres Granulainhaltes. Genereller Aufbau Antikörper sind Glycoproteine, die von den Plasmazellen in großer Menge in das Blut abgegeben werden. Sie bestehen aus je zwei leichten und zwei schweren Ketten, die in einer Y-förmigem Grundstruktur angeordnet sind (䉴 Abbildung 7.6). Die leichten Ketten bestehen aus einer aminoterminalen variablen und einer carboxyterminalen konstanten Domäne. Innerhalb der variablen Domäne existieren Regionen mit einer noch einmal deutlich erhöhten Variabilität der Aminosäuresequenz. Diese complementarity determining regions (CDR) treten mit dem jeweiligen Antigen in Wechselwirkung und bestimmen die Spezifität und Affinität der Bindung. Die einzelnen Domänen sind durch intramolekulare Disulfidbrücken stabilisiert. Beim Menschen findet man λ- und κ-Versionen der leichten Ketten, die
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durch Unterschiede in der konstanten Region gekennzeichnet sind. Anhand der schweren Ketten, die sich hinsichtlich ihrer Art und Größe unterscheiden, lassen sich die Immunglobuline in die Klassen IgM, IgG, IgA, IgD und IgE einteilen. Auch die schweren Ketten besitzen in den aminoterminalen Bereichen eine variable Domäne, der eine unterschiedliche Anzahl konstanter Domänen folgt: Bei den schweren γ-, α- und δ-Ketten der IgG-, IgA- und IgD-Moleküle sind es drei, bei der μ-Kette des IgM und der ε-Kette des IgE gibt es vier konstante Domänen. Die leichten und schweren Ketten sind im Antikörpermolekül so miteinander kombiniert, dass jeweils die variablen, aminoterminalen Bereiche und die folgenden konstanten Domänen der leichten und schweren Ketten miteinander wechselwirken. Sie bilden die beiden Arme des Ypsilons, die auch als Fab-Fragmente bezeichnet werden. Eine intermolekulare Disulfidbrücke verbindet die leichten und schweren Ketten kovalent miteinander. Die schweren Ketten dimerisieren
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7.6 Aufbau eines Antikörpermoleküls am Beispiel des IgG. Die Faltung der einzelnen Domänen und ihre Stabilisierung durch Disulfidbrücken ist schematisch angedeutet. Rot: variable Domänen, schwarz: konstante Domänen.
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ab der zweiten konstanten Domäne und bilden den Stiel des Ypsilons, der auch als Fc-Fragment bekannt ist. Auch die beiden schweren Ketten sind über eine Disulfidbindung miteinander verknüpft. IgM-Antikörper Von diesen Immunglobulinen existiert eine in der Cytoplasmamembran der Prä-B-Zellen verankerte Version, die als Antigenrezeptor dient; für das sich daran bindende Antigen bleibt die B-Zelle und in Folge auch die Plasmazelle spezifisch. Eine andere IgMVersion wird von den Zellen nach einem Antigenstimulus sezerniert und ist für die frühe Aktivierung des Komplementsystems wichtig. Das von den Zellen freigesetzte IgM liegt als Komplex von fünf Antikörpereinheiten vor, deren Fc-Anteile über kurze J-Peptide miteinander verbunden sind. IgM-Moleküle sind die ersten Antikörper, die im Verlauf einer Infektion gegen einen bestimmten Erreger gebildet werden. Ihr Anteil am Gesamtimmunglobulin im Serum beträgt etwa zehn Prozent. IgMAntikörper binden Antigene mit einer relativ geringen Affinität. IgD-Antikörper Ähnlich wie IgM wird IgD in der Frühphase der Infektion in geringen Mengen gebildet und liegt ebenfalls in einer membranständigen Version auf B-Zellen vor. Sein Anteil am Gesamtimmunglobulin beträgt weniger als ein Prozent. Seine Funktion ist nicht endgültig geklärt. Man vermutet, dass auch das IgD als Antigenrezeptor wirkt und für die antigeninduzierte Differenzierung der Prä-B-Zellen zu Plasmazellen notwendig ist. IgG-Antikörper IgG bildet mit 75 Prozent des Gesamtimmunglobulins die größte Antikörperpopulation im Serum. Es ist der wichtigste Antikörper und verleiht bei wiederholtem Kontakt mit den gleichen Erregern eine schützende Immunantwort. Im Gegensatz zum IgM besitzt das IgG eine sehr hohe Affinität, bindet die Antigene also sehr spezifisch. Es gibt insgesamt vier verschiedene IgG-Subklassen. Sie haben unterschiedliche Funktionen und werden in Abhängigkeit vom Erreger- und Antigentyp gebildet: Bei viralen Infektionen überwiegen in der frühen Phase die Subklassen IgG1 und IgG3, die als einzige zur Aktiverung des Komplementsystems befähigt sind. Bei länger zurückliegenden Infektionen findet man nur noch IgG3. IgG2 wird vor allem durch bakterielle Polysaccharidstrukturen induziert. IgG-spezifische FcRezeptoren befinden sich auf Makrophagen, Monocyten und neutrophilen Granulocyten, die durch die Bindung des Antigen-Antikörper-Komplexes zur Phagocytose veranlasst werden. Des Weiteren induziert IgG die Mechanismen der ADCC-Antwort.
IgA-Antikörper Der IgA-Anteil am Gesamtimmunglobulin im Serum beträgt nur 15 Prozent. In den Schleimhäuten und den Körpersekreten wie Speichel, Bronchialflüssigkeit und Urogenitalsekreten ist es jedoch der vorherrschende Antikörper; es wird in den Plasmazellen in der Submucosa produziert und durch einen aktiven Mechanismus zum größten Teil durch Epithelzellen hindurch auf die Schleimhäute sezerniert. Hierzu müssen sich die monomeren IgA-Moleküle mittels einer J-Kette zu Dimeren verbinden. Die IgA-Dimere lagern sich dann an einen IgA-Rezeptor auf der „Rückseite“ der Epithelzellen an, werden zusammen mit dem Rezeptor aufgenommen und zur „Vorderseite“ des Epithels transportiert. Das Rezeptorprotein bleibt dabei als sekretorische Einheit (secretory piece) mit dem IgA-Dimer assoziiert und stabilisiert den Komplex in der Schleimhaut. Das IgA spielt eine wichtige Rolle bei der lokalen Infektabwehr in Schleimhautbereichen und der Verhinderung wiederholter Infektionen mit den gleichen Erregertypen. IgE-Antikörper IgE wird vor allem bei Parasitenbefall gebildet und induziert durch die Bindung seines Fc-Teils an die entsprechenden Rezeptoren auf basophilen Granulocyten und Mastzellen die Ausschüttung von Histaminen. Bei gesunden Personen ist IgE im Serum nur in Spuren nachweisbar. Deutlich erhöht ist es dagegen bei Allergikern. Hier ist es bei wiederholtem Auftreten des gleichen Antigens für die allergischen Reaktionen und die damit einhergehende Histamin- und Prostaglandinausschüttung, zum Beispiel im Bronchialbaum, sowie für die anaphylaktische Schockreaktion mitverantwortlich.
Bildung der Antikörpervielfalt und der Subklassen B-Zellen produzieren Antikörper und sind deshalb zusammen mit den T-Lymphocyten für die Etablierung einer spezifischen Immunantwort erforderlich. Sie entwickeln sich aus den pluripotenten Stammzellen des Knochenmarks – diese sind die Vorläufer für alle hämatopoetischen Zellen – unter dem Einfluss von Cytokinen (IL-3) zu B-Vorläuferzellen. Für die weitere Differenzierung zu Prä-B-Zellen sind IL-4, IL-5 und IL-6 nötig. Während dieses Prozesses erfolgt auf DNA-Ebene über somatische Rekombinationen die Neuordnung der variablen Bereiche der Immunglobulingene. Zuerst werden die D- und J-Segmente der schweren Kette miteinander kombiniert. Dann wird ihnen nach dem Zufallsprinzip eines der über hundert V-Segmente vorgelagert, sodass in der Prä-B-Zelle eine definierte Anordnung von VDJAbschnitten vorliegt. Diese werden durch Spleißen mit
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den konstanten Regionen der μ-Kette zusammengefügt. Anschließend werden auch die V- und J-Segmente der leichten λ- und κ-Ketten neu arrangiert und bei der Transkription über Spleißen mit den C-Abschnitten verbunden. Die entsprechenden Proteinketten werden synthetisiert und gelangen an die Zelloberfläche. In dieser Phase haben die Prä-B-Zellen membranständiges IgM auf den Oberflächen und sezernieren geringe Mengen der IgM-Moleküle mit den entsprechenden Spezifitäten. Die vielen Millionen Kombinationsmöglichkeiten der VDJ-Regionen der schweren Ketten beziehungsweise der VJ-Abschnitte der leichten Ketten gewährleisten, dass praktisch für jedes mögliche Antigen ein spezifisch bindendes IgM-Molekül existiert. In niedrigen Konzentrationen sind sie kontinuierlich auf den entsprechenden Zellen und im peripheren Blut vorhanden und können die Erreger neutralisieren. Die löslichen IgMAntikörper bilden Komplexe mit den Antigenen und wirken als Induktoren der Komplementkaskade. Die membranständigen IgM-Moleküle fungieren hingegen als Antigenrezeptoren und bewirken dabei die Aufnahme des entstandenen membranständigen Antigen-Antikörper-Komplexes. Die Proteine werden im Endosom abgebaut, wo die Fremdpeptide des Antigens sich an HLAKlasse-II-Proteine binden können. Von dort gelangen sie als MHC-Komplex zurück an die Zelloberfläche. In dieser Phase werden die Prä-B-Zellen zu antigenpräsentierenden Zellen, an die sich T-Helferzellen mit den entsprechenden Spezifitäten der T-Zell-Rezeptoren binden und daraufhin eine große Anzahl verschiedener Cytokine abgeben (䉴 Kapitel 8). Die B-Zellen werden dadurch zur weiteren Proliferation und Differenzierung zu Plasmazellen angeregt. In dieser Phase erfolgt auch der Wechsel der Immunglobulinklassen (switch), das heißt, die variablen Domänen der schweren Ketten werden durch alternative Spleißereignisse mit den entsprechenden Segmenten der γ-Ketten oder – in Abhängigkeit von empfangenen Cytokinsignalen – der anderen schweren Ketten kombiniert. In den DNA-Abschnitten, die innerhalb der V-Domänen für die hochvariablen CDR-Abschnitte codieren, kommt es zu Mutationen. Durch diese Reifung mittels der somatischen Hypermutation erhalten die Antikörper ihre endgültige, hochaffine Spezifität.
Wann liegt im Organismus eine spezifische Immunantwort vor? Die unspezifischen, nichtadaptiven Immunreaktionen sind angeboren und liegen bereits im neugeborenen Lebewesen vor. Im Unterschied dazu werden die meisten spezifischen zellulären und humoralen Abwehrmecha-
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nismen erst durch Kontakt mit Infektionserregern nach der Geburt ausgebildet. Damit sich die hochaffine Bindung der T-Zell-Rezeptoren von T-Helfer- und cytotoxischen T-Zellen sowie diejenige der variablen Regionen der Antikörper entwickeln kann, muss das Immunsystem und somit der Organismus Kontakt mit den jeweiligen Viren und anderen Infektionserregern haben – diese Vorgänge finden mit Ausnahme der transplacentar übertragenen Viren erst nach der Geburt statt. Wird der Embryo dabei infiziert, dann kann er ab der 22. Schwangerschaftswoche selbst IgM- und IgG-Antikörper bilden. Beim Menschen wird den Neugeborenen jedoch ein erster spezifischer Schutz durch die mütterlichen Antikörper verliehen (Leihimmunität), die während der Schwangerschaft und auch durch das Stillen in den Blutkreislauf des Kindes gelangen und dort etwa ein halbes Jahr lang spezifische Schutzfunktionen übernehmen (Nestschutz), wobei sie nach und nach abgebaut werden. Grundlage dafür ist der menschliche Placentationstyp (Placenta haemochorialis), der auf einer weitgehenden Auflösung der Strukturen maternaler Placentaanteile beruht. Hier umspült das maternale Blut direkt die von der Chorionmembran umgebenen fetalen Kapillaren, die für Antikörper der Subklasse IgG durchlässig sind. Bei Tieren ist die Situation unterschiedlich: Bei Pferden und Schweinen liegt eine vollständige Trennung der intakten fetalen und maternalen Seite der Placenta (Placenta epitheliochorialis) vor, wohingegen bei Wiederkäuern und Fleischfressern (Hunden und Katzen) das Uterusendothel und in unterschiedlichem Ausmaß auch die Submucosa des Uterus aufgelöst ist (Placenta syndesmochorialis beim Wiederkäuer und Placenta endotheliochorialis beim Fleischfresser). Die unterschiedlichen Placentationstypen haben direkten Einfluss auf die Weitergabe von mütterlichen Immunglobulinen: Je vollständiger die maternale und fetale Seite voneinander getrennt sind, desto undurchlässiger wird die Placenta für Antikörpermoleküle. Im Unterschied zum Menschen findet die Übertragung der Immunglobuline bei Wiederkäuern und Schweinen ausschließlich und bei Hunden und Katzen überwiegend über das Kolostrum statt. Hierunter versteht man die bis wenige Tage nach der Entbindung gebildete eiweißreiche Vormilch, die neben Vitaminen und Antikörpern auch Leukocyten enthält. Die Resorption der Antikörper durch die Jungtiere erfolgt dabei nur während der ersten Lebensstunden.
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7.3 Wie kann die Abwehr von Viren Autoimmunkrankheiten hervorrufen? Der Organismus hat durch das Immunsystem die Möglichkeit, Antikörper und T-Zell-Rezeptoren mit Spezifitäten für viele Millionen Antigene zu entwickeln. Dabei muss gewährleistet sein, dass diese ausschließlich Fremdantigene erkennen und keine körpereigenen Strukturen angreifen. Wenn das Immunsystem nicht mehr zwischen „selbst“ und „fremd“ unterscheidet und gegen körpereigene Strukturen und Zellen reagiert, können sich Autoimmunreaktionen ausbilden. Im anderen Fall kommt es zur Toleranz. Normalerweise werden während der Embryogenese und auch danach im Thymus T-Zellen mit Rezeptoren ausgewählt und zurückgehalten, die körpereigene Strukturen erkennen. Sie gelangen somit nicht in das periphere Blut, sondern gehen durch Apoptose, also den programmierten Zelltod, zugrunde. Diese klonale Selektion garantiert, dass im Organismus keine T-Helferlymphocyten und cytotoxischen T-Zellen vorhanden sind, die Selbst-Spezifitäten besitzen. Da die Antikörperproduktion auf die Hilfe von T-Zellen angewiesen ist, sollten auch keine Immunglobuline mit entsprechender Selbsterkennung vorhanden sein. Virusinfektionen lösen gelegentlich Autoimmunreaktionen aus. Einige Viren codieren für Proteine, die zellulären Polypeptiden ähneln, jedoch nicht mit ihnen identisch sind. Das ist unter anderem beim Masernvirus der Fall, das für ein dem basischen Myelin des Gehirns ähnelndes Protein codiert, beim humanen Immundefizienzvirus, das mehrere Proteinabschnitte besitzt, die mit verschiedenen Zellkomponenten homolog sind, sowie beim EpsteinBarr-Virus (䉴 Abschnitte 15.3, 18.1 und 19.5). Aufgrund ihrer Ähnlichkeit induzieren diese Viren immunologische Kreuzreaktionen mit den entsprechenden Zellproteinen. Man bezeichnet das Nachahmen zellulärer Proteine als molekulare Mimikry. Nach der jeweiligen Infektion können cytotoxische T-Lymphocyten vorliegen, die körpereigene Zellen angreifen und lysieren. Kreuzreaktive T-Helferzellen können die Produktion von Immunglobulinen einleiten, die gegen Zellproteine gerichtet sind. Die so entstehenden ZellantigenAntikörper-Komplexe können alle möglichen Abwehrreaktionen auslösen, die vom Angriff der neutrophilen Granulocyten mit der Ausschüttung von entzündungsfördernden Faktoren bis hin zur Aktivierung der Komplementkaskade mit ihren zellschädigenden Effekten reichen. Lagern sich diese Komplexe in den Synovialspalten ab, dann können die induzierten Immunreak-
tionen schwere Gelenkentzündungen hervorrufen. Derartige Vorgänge sind eine mögliche Ursache der postinfektiösen reaktiven Arthritiden, wie sie beispielsweise mit Röteln- oder Parvovirusinfektionen assoziiert sind (䉴 Abschnitte 14.6 und 20.1). Es gibt jedoch noch andere Mechanismen. So induziert das Epstein-Barr-Virus im Verlauf der Primärinfektion, der infektiösen Mononucleose, eine polyklonale Aktivierung von T-Zellen, die mit einer erhöhten Cytokinausschüttung reagieren und so auch B-Zellen polyklonal stimulieren (䉴 Abschnitt 19.5). Ohne Rücksicht auf die Antigenspezifität werden viele B- und TLymphocyten stimuliert. Bei vielen Patienten mit einer akuten Epstein-Barr-Virus-Infektion findet man infolgedessen Immunreaktionen gegen verschiedene körpereigene Strukturen; die erhöhte Aktivierungsrate äußert sich in Lymphknotenschwellungen und der Lymphadenopathie. Der Organismus reagiert auf Virusinfektionen mit der Produktion von IFN-α, -β und -γ. Diese Interferone induzieren unter anderem eine erhöhte Expression von MHC-Klasse-I- und MHC-Klasse-II-Proteinen auch auf der Oberfläche nichtinfizierter Zellen. Aufgrund der MHC-Überexpression kann es zu immunologischen Nebenwirkungen kommen und die entsprechenden Zellen werden von T-Lymphocyten angegriffen; im Fall der Epstein-Barr-Virus-Infektion führt dies zur Mononucleose im Blutbild. Die unspezifische Proliferation kann in diesem Fall durch weitere, lang anhaltende stimulierende Faktoren (beispielsweise Malaria, ChromosomenTranslokationen) im Laufe der Zeit zu monoklonalen beziehungsweise polyklonalen maligne entarteten Zellen und zu Burkitt-Lymphomen führen. Auch die Wirkung von Superantigenen führt zum immunologischen Angriff auf Körperzellen. Solche Proteinmoleküle binden sich einerseits an bestimmte Vβ-Ketten der T-ZellRezeptoren, andererseits an MHC-Klasse-II-Proteine auf der Oberfläche von antigenpräsentierenden Zellen. Beide Zelltypen werden so in antigenunabhängiger Weise miteinander in Kontakt gebracht. Diese unspezifische Stimulierung führt zur oligoklonalen Expansion von T-Zellen mit bestimmten β-Ketten in den Rezeptoren, die unter anderem auch gegen zelleigene Strukturen gerichtet sind. Zusätzlich findet man die Ausschüttung der entsprechenden Cytokine. Man hat Hinweise darauf, dass das Tollwutvirus, das Maus-Mamma-Tumor-Virus und einige weitere Retroviren – möglicherweise auch das humane Immundefizienzvirus – über Superantigene verfügen (䉴 Abschnitte 15.1 und 18.1).
7.4 Auf welche Weise können Viren dem Immunsystem entgehen?
7.4 Auf welche Weise können Viren dem Immunsystem entgehen? Etliche Viren haben im Laufe ihrer Evolution Mechanismen entwickelt, die es ihnen ermöglichen, der Immunantwort ihres Wirtes auszuweichen. Häufig ist diese Fähigkeit auf die ungenau arbeitenden viralen Enzyme zurückzuführen, welche meist als RNA-Polymerasen die viralen Genome replizieren. Folglich haben insbesondere RNA-Viren eine sehr hohe Mutationsrate und variieren – wie die Hepatitis-C-, die humanen Immundefizienz- und die Influenzaviren – unter dem Selektionsdruck der Antikörper kontinuierlich die Sequenz und Struktur ihrer oberflächenexponierten Proteinregionen und entkommen damit der neutralisierenden Wirkung der Immunglobuline (Quasi-Spezies; 䉴 Abschnitte 14.5, 16.3 und 18.1). Außerdem verändert die Infektion mit dem humanen Immundefizienzvirus das Muster der von den Zellen produzierten Cytokine und Chemokine. Dadurch verlieren das zelluläre Immunsystem und insbesondere die cytotoxischen T-Lymphocyten ihre Wirkung (䉴 Abschnitt 18.1). Andere Viren haben ebenfalls recht einfache Wege gefunden, die Immunantwort des Wirtsorganismus zu umgehen und persistierende Infektionsformen zu entwickeln. Die Papillomaviren (䉴 Abschnitt 19.3) infizieren beispielsweise die Zellen der äußersten Hautschichten – eine ökologische Nische, die für das Immunsystem kaum zugänglich ist. Herpes-simplex-Viren produzieren während der Latenz in Nervenzellen keine Virusproteine, daher erkennt das Immunsystem die Zellen auch nicht als infiziert. Dagegen produzieren Hepatitis-B-Viren (䉴 Abschnitt 19.1) im Infektionsverlauf große Mengen ihres Oberflächenproteins HBsAg, das daraufhin in hohen Konzentrationen im Blut vorliegt und die HBsAgspezifischen neutralisierenden Antikörper abfängt. Neben diesen eher ungezielten Möglichkeiten zum Ausweichen der Immunantwort haben aber viele Viren, insbesondere die DNA-Viren, spezielle Vorgehensweisen entwickelt, mittels derer sie die Abwehrreaktionen gezielt unterdrücken können. Dies ermöglicht es ihnen, persistierende Infektionen zu etablieren. Am weitesten verbreitet ist dabei die Reduktion der MHC-Antigene auf den Oberflächen der infizierten Zellen. Der verringerte MHC-Klasse-I-Gehalt verhindert die Erkennung durch die zelluläre Immunantwort; diese Möglichkeit wird von Adenoviren, Herpesviren (Cytomegalovirus, humanes Herpesvirus 8 und Epstein-Barr-Virus), aber auch von humanen Immundefizienzviren genutzt. Die infizierten Zellen können die viralen Peptid-Antigene nicht mehr
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präsentieren, die cytotoxischen T-Lymphocyten erkennen die Zellen nicht, und das Virus entgeht der Eliminierung (䉴 Abschnitte 18.1, 19.4 und 19.5). Die molekularen Mechanismen, welche die Viren für die Reduktion der MHC-Antigene entwickelt haben, sind unterschiedlich: Adeno- und auch die Cytomegaloviren halten mit bestimmten Virusproteinen die neu gebildeten MHC-Klasse-I-Proteine im endoplasmatischen Reticulum zurück und verhindern den Transport zur Zelloberfläche. Damit die MHC-verarmten Zellen nicht von NK-Zellen angegriffen werden, codieren die Cytomegaloviren zusätzlich für ein MHC-Klasse-I-Homolog, welches mit dem KIR-Rezeptor interagiert und so verhindert, dass sich die cytotoxische Aktivität der NK-Zellen entfalten kann (䉴 Abschnitt 19.5). Die humanen Immundefizienzviren verfügen hingegen über Proteinfunktionen, welche die oberflächenexponierten MHC-Proteine destabilisieren, um danach ihre Endocytose und ihren proteolytischen Abbau zu veranlassen. De facto finden sich zu fast allen immunologischen Angriffspunkten gegenüber Viren Beispiele entsprechender gezielter Ausweich- oder Unterwanderungsstrategien im Rahmen der viralen Immunevasion. Interferone haben eine ausgeprägte antiviral wirkende Aktivität (䉴 Kapitel 8). Um dieser unspezifischen Immunabwehr zu entgehen, greifen etliche Viren in die Signalwege zur Aktivierung der Expression der IFNGene ein: Sie verhindern die Phosphorylierung der STAT-Proteine und bewirken ihren Abbau (Paramyxoviren; 䉴 Abschnitt 15.3), verfügen über Proteinkomponenten, welche die Aktivität der PKR oder der 2’-5’Oligoadenylatsynthese inhibieren, ihre Bindung an doppelsträngige RNA verhindern oder sie abbauen (Reoviren, humane Immundefizienzviren, Adenoviren, Epstein-Barr-Virus, Pockenviren; 䉴 Abschnitte 17.2, 18.1, 19.4, 19.5 und 19.6). Alternativ hierzu verfügen viele Viren über Möglichkeiten, welche die Cytokinsynthese verhindern oder ihre Wirkung einschränken. Die Asfarviren codieren für ein zum IκB-Faktor homologes Protein, welches durch das Eingreifen in den Signalweg die Aktivierung des NFκB und somit die Synthese vieler immunologisch wichtiger Genprodukte verhindert (䉴 Abschnitt 19.7). Vor allem die Pockenviren, aber auch einige Herpesviren produzieren Virusproteine, die zu verschiedenen Cytokin- oder Chemokinrezeptoren homolog sind, von den infizierten Zellen sezerniert werden und die löslichen Botenstoffe der unspezifischen Immunabwehr im Blut abfangen (䉴 Abschnitte 19.5 und 19.6). Jedoch ist insbesondere bei Herpesviren auch die Synthese von Chemokinanalogen, welche die entsprechenden Rezeptoren blockieren, eine gern genutzte Möglichkeit zur Unterdrückung der immunologischen Abwehr.
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7
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7 Immunologie
7.5 Weiterführende Literatur Abbas, A. K.; Lichtman, A. H.; Pober, J. S. Immunologie. Bern (Huber) 1996. Alcami, A.; Koszinowski, U. H. Viral mechanisms of immune evasion. In: Immunology Today 21 (2000) S. 447–455. Brostoff, J.; Scadding, G. K.; Male, D.; Roitt, I. M. Klinische Immunologie. Weinheim (VCH/Chapman & Hall) 1993. Eisenächer, K.; Steinberg, C.; Reindl, W.; Krug, A. The role of viral nucleic acid recognition in dendritic cells for innate and adaptive antiviral immunity. In: Immunobiology 212 (2007) S. 701–14. Elgert, K. D. Immunology. Understanding the Immune System. New York (Wiley Liss Inc.) 1996. Janeway, C. A.; Travers, P.; Walport, M.; Shlomchik, M. Immunologie. 6. Auflage Heidelberg (Spektrum Akademischer Verlag) 2002. Kaufmann, S. H. E.; Sher, A.; Achmed, R. Immunology of infectious diseases. Washington (ASM Press) 2002. Morgan, K. O.; Morgan P. B.; Morgan, P. Complement: Clinical Aspects and Relevance to Disease. London, San Diego, New York (Academic Press) 1990. Müller, T.; Hamm, S.; Bauer, S. TLR9-mediated recognition of DNA. In: Handb. Exp. Pharmacol. 183 (2008) S. 51–70. Paul, W. E. Fundamental Immunology. 4. Aufl. Philadelphia, New York (Lippincott-Raven) 1999.
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8 Cytokine, Chemokine und Interferone M. Hoskins sowie George M. Findlay und F. O. MacCallum entdeckten 1935 das Phänomen der Interferenz: Versuchstiere, die mit avirulenten Gelbfieberviren inokuliert wurden, erwiesen sich in den folgenden 24 Stunden vor Infektionen mit dem Wildtypvirus geschützt. Die Ursache der Interferenz blieb lange Zeit unklar, bis 1957 Alick Isaacs und Jean Lindenmann in infizierten, bebrüteten Hühnereiern die Substanz Interferon nachweisen konnten. Anfangs nahm man an, dass der durch Interferon vermittelte Abwehrmechanismus gegen „Fremdnucleinsäuren“ gerichtet sei, da sich Interferon durch die doppelsträngige RNA der Reoviren effektiv induzieren ließ. Seine Wirkungsweise war jedoch nicht sehr selektiv. Es zeigte sich bald, dass auch nichtinfizierte Zellen von Interferon beeinflusst werden und bei Verabreichung der Substanz an Tiere schwere Nebenwirkungen auftreten können. Zudem wurde klar, dass es im Organismus eine Basiskonzentration an Interferonen gibt, die physiologisch ist und durch häufige Virusinfektionen aufrechterhalten bleibt. Interferone üben in der Zelle viele Funktionen aus und erfüllen wichtige Aufgaben bei der Regulierung der Zellphysiologie. Interferon war aber nur das erste einer großen Anzahl von induzierbaren Cytokinen, die in der Folge entdeckt wurden. Bereits 1866 war berichtet worden, dass sich Tumoren nach bakteriellen Infektionen zurückbilden. 1975 zeigten dann Elizabeth Carswell und Mitarbeiter,
dass Makrophagen von Mäusen, die mit dem Tuberkulose-Impfstamm BCG (Bacillus Calmette-Guérin) infiziert und mit Lipopolysacchariden aus E. coli behandelt worden waren, einen cytotoxischen, tumorzerstörenden Faktor bilden, den man als Tumornekrosefaktor (TNF) bezeichnete. Auch die Entstehung des Fiebers als ein Symptom von zentraler medizinischer Bedeutung hatte schon früh großes Interesse erregt. Man konnte exogene und endogene fieberauslösende Stoffe (Pyrogene) unterscheiden: Als exogenes Pyrogen ließen sich gereinigte Influenzaviren verwenden; die endogene Aktivität, die durch diesen „äußeren Reiz“ induziert wurde, war im Serum nachweisbar und wurde 1971 als Interleukin1 (IL-1) bezeichnet. Diese Substanz wird unter anderem von stimulierten Makrophagen und Granulocyten gebildet und kann zusammen mit Lektinen, beispielsweise dem Phytohämagglutinin, Lymphocyten aktivieren. In den vergangenen Jahren fand man, dass die toll-like-Rezeptoren (TLRs) und ihre Fähigkeit, erregerspezifische Strukturen, sogenannte PAMPs, zu erkennen, mit ihnen in Wechselwirkung zu treten und durch Auslösen einer Signalkaskade die Expression der Interferon- und etlicher Cytokingene einzuleiten, wesentlich für die frühen immunologischen Abwehrschritte sind (䉴 Abschnitt 7.1). Diese Befunde haben entscheidend dazu beigetragen, dass man die grundlegenden Vorgänge bei der Einleitung der Immunantwort gegen Viren besser versteht.
8
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8 Cytokine, Chemokine und Interferone
8.1 Welche Gruppen von Cytokinen unterscheidet man und welche Funktionen erfüllen sie im Verband der immunologischen Effektorsysteme? Die Cytokine sind ein Teil der unspezifisch wirkenden, nichtadaptiven Immunabwehr und deshalb für die Bekämpfung von Erregern bei erstmaligen Kontakten essenziell. Sie werden zu einem Zeitpunkt der Infektion aktiv, zu dem spezifisch wirkende Antikörper oder cytotoxische T-Zellen noch nicht vorhanden sind. Sie regulieren und koordinieren das Zusammenwirken der immunologischen Effektorsysteme, also der zellulären und der humoralen Immunantwort, die beide allein nicht in der Lage sind, die Ausbreitung eines Erregers im Organismus zu kontrollieren beziehungsweise seine Eliminierung zu bewirken. Die Mehrheit der Cytokine wird in immunologisch aktiven Zellen gebildet und von ihnen sezerniert. Sie entfalten ihre biologische Aktivität durch Bindung an spezifische Rezeptoren in der Cytoplasmamembran bestimmter Zellen. Dadurch induzieren sie eine Signalkaskade, an deren Ende ein bestimmter Effekt steht. Zur Gruppe der Cytokine rechnet man heute neben den Interferonen (IFN), Interleukinen (IL) und Tumornekrosefaktoren (TNF) auch die koloniestimulierenden Faktoren, die Chemokine und die Transforming Growth Factors (TGF).
8.1.1 Interferone Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Typ-I- und Typ-II-Interferonen, außerdem kennt man Interferonähnliche Cytokine, die man auch als Typ-III-Interferone bezeichnet (䉴 Tabelle 8.1).
Typ-I-Interferone Die säurestabilen Typ-I-Interferone können in acht Untergruppen gegliedert werden: Beim Menschen sind IFN-α, IFN-β, IFN-ε, IFN-κ und IFN-ω beschrieben, sie werden alle auf dem kurzen Arm des Chromosoms 9 kodiert. IFN-δ, IFN-τ und IFN-ζ (Limitin) konnten bisher nur bei Tieren nachgewiesen werden. Mit Ausnahme von IFN-ε, IFN-δ und IFN-τ sind Typ-I-Interferone
antiviral wirkende Cytokine. Sie werden in virusinfizierten Zellen synthetisiert, in die Umgebung abgegeben und wirken in der Regel speziesspezifisch durch die Bindung an Rezeptoren in der Cytoplasmamembran anderer Zellen, in welchen sie dann einen Schutz vor der Infektion ausüben. Sie hemmen die Vermehrung von Viren, aber auch die Zellteilung und haben dadurch auch tumorhemmende Eigenschaften. Alle Typ-IInterferone werden von den Zellen sezerniert und entfalten ihre Wirkung, indem sie sich an den Interferonα-Rezeptor (IFNαR) binden, ein Heterodimer aus einer IFNαR1 und einer IFNαR2-Kette, das sich auf fast allen Zelltypen befindet (䉴 Tabelle 8.1). Molekulare Eigenschaften IFN-a und IFN-b sind am längsten bekannt und am besten untersucht. Sie weisen ein ähnliches serologisches Verhalten auf, was auf einer Sequenzhomologie von etwa 50 Prozent beruht, sind 166 Aminosäuren lang und haben ein Molekulargewicht von 20 kD. Von Interferon-a, das ursprünglich auch Leukocyten-Interferon genannt wurde, gibt es beim Menschen zwölf einander ähnelnde Subtypen, die von einer Multigenfamilie codiert werden und zu 85 bis 90 Prozent identische Aminosäuresequenzen aufweisen. Von IFN-b (Fibroblasten-Interferon) exisitiert nur ein Subtyp. Über die Funktion von IFN-e ist nur wenig bekannt. Es wurde bei Menschen und Mäusen nachgewiesen, bei letzteren wird es konstitutiv im Gewebe der Placenta und der Eierstöcke gebildet und hat vermutlich Aufgaben bei der Fortpflanzung; ob es auch antiviral wirkt, ist unklar. IFN-k wird in Keratinocyten produziert und besitzt eine – wenn auch geringe – antivirale Aktivität. IFN-w wurde bei allen untersuchten Tierspezies mit Ausnahme der Maus gefunden. Beim Menschen fand man nur einen Subtyp des IFN-ω. Es hat wie alle Typ-I-Interferone ein Molekulargewicht von etwa 20 kD und wirkt antiviral. IFN-z wurde bisher nur in Mäusen nachgewiesen; es besteht aus 161 Aminosäuren und wirkt ähnlich wie IFN-α antiviral, die antiproliferative Wirkung auf lymphocytäre und myeloide Vorläuferzellen ist jedoch deutlich geringer. IFN-d und IFN-t sind beim Rind beziehungsweise beim Schwein nachgewiesen worden und haben eine wichtige Funktion in der Aufrechterhaltung einer frühen Trächtigkeit. Sie werden im Trophoblasten gebildet, hemmen die Prostaglandinsynthese und bewirken so, dass das Corpus luteum nicht durch die Prostaglandine aufgelöst und die Trächtigkeit abgebrochen wird. Ob sie physiologischerweise auch eine antivirale Wirkung zeigen, ist nicht untersucht (䉴 Tabelle 8.1). Bildung Die Expression der IFN-α- und IFN-β-Gene wird vor allem in dendritischen Zellen, Monocyten und
8.1 Cytokingruppen und ihre Funktionen
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Tabelle 8.1 Übersicht über die heute bekannten Interferone und ihre Eigenschaften Untergruppe
Name
Spezies
Rezeptor
ausgelöste Signalkaskaden unter Beteiligung der Proteine
Typ-I-Interferon
IFN-a
Mensch Wirbeltiere
IFNaR1/IFNaR2
Jak1, Tyk2, Stat1, Stat2, Stat3, Stat4, Stat5, PI3K, Akt, NFkB, MAPK, p53, PRMTI
IFN-b
Mensch Wirbeltiere
IFNaR1/IFNaR2
IFN-d
Wiederkäuer
IFNaR1/IFNaR2
IFN-e
Mensch Maus
IFNaR1/IFNaR2
IFN-k
Mensch
IFNaR1/IFNaR2
IFN-t
Schwein
IFNaR1/IFNaR2
IFN-w
Mensch Wirbeltiere
IFNaR1/IFNaR2
IFN-z
Maus
IFNaR1/IFNaR2
Typ-II-Interferon
IFN-g
Mensch Wirbeltiere
IFNgR1/IFNgR2
Jak1, Jak2, Stat1, Stat3, Stat5, PI3K, Akt, NFkB, MAPK
Typ-III-Interferon
IL-28A/IFN-l2 IL-28B/IFN-l3 IL-29/IFN-l1
Mensch Wirbeltiere
IFNlR1/IL-10R2
Jak1, Tyk2, Stat1, Stat2, Stat3, Stat5
Makrophagen, welche die Erreger phagocytiert haben, sowie in allen Typen infizierter Zellen durch erregerspezifische Bestandteile der Viren (PAMPs) eingeleitet, die mit den unterschiedlichen toll-like-Rezeptoren interagieren. Bei Virusinfektionen sind dabei vor allem TLR3, 7, 8 und 9 wichtig. Diese TLRs sind hauptsächlich in der Membran der Endosomen verankert; sie bekommen in diesem Zellkompartiment, in dem Viren nach Aufnahme durch Phagocytose vorliegen, Kontakt mit viralen Nucleinsäuren. Diese Wechselwirkungen lösen mehrschrittige Signalkaskaden aus, an deren Ende die Aktivierung des Transkriptionsfaktors NFκB und/oder der IRFs (interferon regulatory factor), vor allem IRF3 und IRF7 steht. Diese gelangen in den Zellkern und interagieren mit den Kontrollelementen in den Promotoren verschiedener Cytokingene, so auch der IFN-αund -β-Gene, die als Folge davon exprimiert werden (䉴 Abschnitt 7.1). Daneben existieren jedoch auch andere Wege, um die Synthese von IFN-α und -β einzuleiten. Befinden sich im Cytoplasma einer virusinfizierten Zelle unnatürlich große Mengen an doppelsträngiger RNA oder ungecappten, am 5’-Ende triphosphorylierten RNAs – beides sind Molekülstrukturen, die in einer nicht infizierten Zelle kaum vorkommen – dann veranlasst dies ebenfalls die Expression der IFN-α und IFN-β codierenden Gene. Dieser Vorgang wird von einer Unterfamilie der PRRRezeptoren eingeleitet: den RIG-like Helicasen RLH
(retinoic acid-inducible gene I (RIG-I)-like helicase). Das Protein RIG-I ist ein cytoplasmatischer RNA-Detektor. Er besteht aus zwei aminoterminalen CARD-Domänen (caspase-recruitment domain), denen ein als RNA-Helicase fungierender Abschnitt folgt, der wegen eines konservierten Aminosäuremotivs auch als DExD/H-Box bezeichnet wird. Ähnliche RNA-Helicase-Domänen besitzen die Proteine MDA-5 (melanoma-differentiation-associated protein) und LGP2 – sie bilden zusammen mit RIG-I die RLH-Familie – und die Enzyme Dicer. Letztere schneiden doppelsträngige RNA in etwa 20 bis 25 Nucleotide lange Fragmente, die als siRNAs beim Prozess der RNA-Interferenz regulatorisch aktiv sind. Die RNA-Helicasen RIG-I und MDA-5 binden sich an doppelsträngige RNA, RIG-I auch an 5’-triphosphorylierte einzelsträngige RNA. Diese Bindung aktiviert ihre ATP-abhängigen Helicase-Aktivitäten und bewirkt, dass sich die CARD-Domänen an das Protein IPS-1 (IFN-b promotor stimulator I) binden; dieses besitzt ebenfalls eine aminoterminale CARD-Domäne und ist mit der Membran der Mitochondrien assoziiert. Beim IPS-1 handelt es sich um ein Adaptorprotein, das die Wechselwirkung mit TRAF3 (TNF-receptor-associated factor 3) vermittelt, wodurch die induzierbare IκBKinase IKK-ι und die TANK-bindende Kinase TBK-1 (TANK = TRAF family associated NFkB activator) aktiviert werden. Beide bewirken die Phosphorylierung von IRF3 und IRF7, die Homo- oder Heterodimere bilden,
8
8
78
8 Cytokine, Chemokine und Interferone
Infektion mit RNA-Viren Cytoplasmamembran virale Genexpression
Virusreplikation
5´ P P P
dsRNA
3´
triphosphorylierte ssRNA
CARD CARD RNA-Helicase
RIG-I
Bindung & Aktivierung
CARD CARD RNA-Helicase
RIG-I*
CARD IPS-1 Mitochondrium RNA-Helicase CARD CARD CARD IPS-1* TRAF3
CARD IPS-1* + TBK1 + IKK-ί
TRAF3
+ FADD
Aktivierung TBK1* + IRF3 + IRF7 IRF3
FADD*
IKK-ί*
Caspase 8/10 DED DED
Phosphorylierung P
P
IRF7
Prozessierung
Abspaltung
FADD* DED DED
NFκB IκB
Phosphorylierung
IκB Degradierung
kern
Zell
Zellgenom
IRF3/7 ISRE
P
P +
NFκB
IFNα-, IFNβ-, TNFα-Gene NFκB Zellgenom
Promotor
proinflammatorische Cytokine
8.1 Cytokingruppen und ihre Funktionen
79
8.1 Induktion der Cytokinsynthese vermittelt durch die Aktivierung der Helicase RIG-I durch virale RNA (vereinfachte schematische Darstellung). *: Aktivierte Versionen der jeweiligen Enzyme oder Faktoren. Die Helicase RIG-I befindet sich im Cytoplasma der Zelle und tritt in Wechselwirkung mit viralen RNA-Spezies (dsRNA; ungecappte, 5’-triphosphorylierte ssRNA) und wird aktiviert (RIG-I*). Die CARD-Domäne der RIG-I* interagiert mit der CARD-Domäne von IPS-1, das mit seiner aktivierten Form IPS-1* mit TRAF3 in Wechselwirkung tritt. Hierdurch werden unter dem Einfluss der Kinasen TBK1 und IKK-i die Transaktivatoren IRF3 und IRF7 phosphoryliert (linker Teil der Abbildung), gelangen in den Zellkern, binden sich an die Gruppe der IFN-stimulierbaren Promotoren (IRSE) und induzieren die Expression der Gene für IFN-a, IFN-b und TNF-a. IPS-1* kann in einem alternativen Stimulierungsvorgang FADD aktivieren und in weiteren Schritten die Phosphorylierung von IkB einleiten (rechter Teil der Abbildung). Dadurch wird NFkB als Transaktivator freigegeben und kann im Zellkern die Synthese proinflammatorischer Cytokine induzieren.
in den Zellkern gelangen, sich an die ISRE-Promotoren (interferon stimulated regulatory elements) der IFN-αund IFN-β-Gene sowie einer Reihe weiterer durch Interferon induzierbarer Gene binden und deren Expression veranlassen (䉴 Abbildung 8.1). Alternativ kann mittels der Bindung von IPS-1 an die CARD-Domänen der RNA-Helicasen RIG-I oder MDA-5 auch die FADDabhängige Aktivierung (FADD = Fas-associated deathdomain-containing protein) des Transkriptionsfaktors NFκB erfolgen, welcher sich im Zellkern an die NFκBabhängigen Promotoren bindet. Dadurch wird die Expression etlicher proinflammatorisch wirkender Cytokingene aktiviert. Experimentell kann man diese Vorgänge auch durch doppelsträngige RNA oder einige synthetische Substanzen wie Polyinositolcytidinsäure (Poly I:C) induzieren. Wirkung Alle Typ-I-Interferone binden sich an den IFN-α-Rezeptor. Diese Wechselwirkung löst in der Zelle Signalkaskaden aus, die vielfältige Reaktionen zur Folge haben können: den Aufbau eines antiviralen Status, die Hemmung der Zellteilung, die Erhöhung der Konzentration von MHC-Klasse-I-Antigenen sowie von
anderen Oberflächenmarkern (beispielsweise der Tumormarker) auf der Zelloberfläche, die Einleitung der Expression von proapoptotisch wirkenden Proteinen (beispielsweise Caspasen) beziehungsweise der Repression von antiapoptotisch wirkenden Faktoren (beispielsweise Bcl-2) und die Freisetzung von weiteren Cytokinen (䉴 Tabelle 8.2). An erster Stelle der Kaskade steht die Konformationsänderung des IFNα-Rezeptors. Dies aktiviert die Tyk2und die Jak1-Kinasen, die mit den cytoplasmatischen orientierten Abschnitten der IFNαR1- beziehungsweise mit der IFNαR2-Proteine assoziiert sind (䉴 Abbildung 8.2). Sie werden phosphoryliert und bewirken, dass die Faktoren Stat2 und Stat1 (Stat ist eine Abkürzung für signal transducers and activators of transcription) sich an die IFNαR2-Kette anlagern und ebenfalls phosphoryliert und aktiviert werden. In diesem Zustand lösen sich Stat1 und Stat2 von dem Rezeptorkomplex an der Innenseite der Cytoplasmamembran ab und treten in Wechselwirkung mit dem Protein p48. Die Stat1-/Stat2-/ p48-Komplexe gelangen in den Zellkern, und lagern sich – häufig zusammen mit weiteren zellspezifischen Transaktivatoren – an die ISRE-Promotoren (interferon
Tabelle 8.2 Hauptauswirkungen der wichtigsten Interferone auf die Expression zellulärer Proteine Interferon-a
Interferon-b
Interferon-w
Interferon-g
Proteinkinase PKR
+++
+++
+++
+
2’,5’-Oligoadenylatsynthetase
+++
+++
+++
+
Mx-Proteine
+++
+++
+++
–
MHC-Klasse-I
+++
+++
+++
+++
MHC-Klasse-II
+
+
+
++
Proapoptotische Faktoren (z. B. Caspasen, Bak, Bax)
+++
+++
+++
–
Antiapoptotische Faktoren (z. B. Bcl-2)
–*
–*
–*
–
* Hemmung
8
80
8 Cytokine, Chemokine und Interferone
stimulated regulatory elements) an, welche die Expression der interferon stimulated genes (ISG) regulieren. Abhängig von Zelltyp, seiner Differenzierung und weiteren Faktoren können in die Signalübertragungswege zusätzliche Faktoren wie Stat3 und Stat5 eingebunden
werden, auch werden mitunter andere Signalkaskaden genutzt, beispielsweise der Phosphatidylinositol-3-Kinase-(PI3K)-Weg oder der Mitogen-aktivierte Proteinkinase-(MAP)-Weg. Außerdem erfolgt auch die Phosphorylierung des IκB, das heißt des Inhibitors von NFκB.
Konformationsänderung
IFN-α
P
P
P
P
Jak1
Phosphorylierung
IFN-α
Tyk2
Jak1
+ IFN-α
Jak1
IFNαR2
Tyk2
IFNαR1
Tyk2
Stat1
P
P
Phosphorylierung + Anlagerung
Stat2
Stat2
P
Dissoziation
P
P
Stat1
Stat1 +
p48
P
Stat2
Anlagerung P
P
Stat1 p48
Stat1 Stat2
Zellgenom
P
Stat2
P
P
kern
Zell
P
8
p48
IFNα-induzierbare Gene
ISRE
8.2 Signalkaskade, die durch Wechselwirkung von IFN-α mit dem Rezeptor IFNαR induziert wird (vereinfachte schematische Darstellung). In der Cytoplasmamembran ist der Rezeptor IFNαR verankert. Dabei handelt es sich um ein heterodimeres Protein. Mit den ins Cytoplasma orientierten Domänen der Untereinheiten IFNαR1 und IFNαR2 sind die Kinasen Tyk2 beziehungsweise Jak1 assoziiert. Bei Bindung von IFN-α verändert der Rezeptorkomplex IFNαR seine Konformation und die Kinasen werden phosphoryliert. Dies bewirkt die Anlagerung der Proteine Stat1 und Stat2 und ihre Phosphorylierung. Die phosphorylierten Proteine Stat1 und Stat2 lösen sich aus dem Komplex, treten in Wechselwirkung mit weiteren Zellproteinen (p48) und gelangen als Komplex in den Zellkern. Hier binden sie sich an die ISRE-Promotoren und aktivieren die Expression der IFNα-induzierbaren Gene.
8.1 Cytokingruppen und ihre Funktionen
Der Inhibitor wird hierdurch inaktiv, was die Transkription aller Zellgene einleitet, die unter der Kontrolle von NF-κB stehen. Diese Gene und die ISRE sind die eigentlichen Ziele der Interferonwirkung. Durch ihre Aktivierung wird die Synthese vieler verschiedener Proteine induziert (䉴 Tabelle 8.2). Das erklärt die Vielfalt der oben erwähnten interferoninduzierten Mechanismen. Meist beeinflussen die durch Wirkung der Typ-IInterferone gebildeten Produkte die Virusvermehrung: Sie führen zur Hemmung der Proteinsynthese. Ein Weg führt über die interferonvermittelte Induktion der 2’,5’Oligoadenylatsynthetase. Liegt gleichzeitig in der Zelle doppelsträngige RNA als Teil des Virusgenoms oder als Intermediat der Virusreplikation vor, bewirkt die 2’,5’Oligoadenylatsynthetase die Veresterung von bis zu fünf ATP-Resten zu Oligoadenylaten. Diese binden sich an eine RNase und aktivieren sie. Die RNase baut einzelsträngige RNA ab und damit sowohl die zellulären als auch die viralen mRNA-Spezies und die Erbinformation von Viren, die eine einzelsträngige RNA als Genom besitzen. Dies hemmt die Proteinsynthese des Virus, aber auch diejenige der Zelle. Interferon leitet außerdem die Expression der Proteinkinase PKR (double stranded RNA-activated protein kinase) ein, die für ihre Aktivität ebenfalls die Gegenwart doppelsträngiger RNA benötigt. Sie phosphoryliert den Translationselongationsfaktor eIF2α und inaktiviert ihn so. Daraufhin bricht die Synthese der Aminosäureketten ab. Darüber hinaus induzieren Interferone die Synthese einer Reihe weiterer Zellproteine. Erwähnenswert ist hier vor allem die erhöhte Expression der MHC-Klasse-I-Antigene. Dies verstärkt die Fähigkeit der Zellen zur Präsentation viraler Proteinfragmente auf der Oberfläche, was wiederum das Erkennen und die Lyse der infizierten Zellen durch cytotoxische T-Zellen erleichtert. Wenn auch in geringerem Ausmaß leiten IFN-α und -β zusätzlich die Expression der MHC-Klasse-II-Proteine ein. Eine spezielle Gruppe von IFN-α- und IFN-β-induzierbaren Polypeptiden stellen die Mx-Proteine dar. Sie gehören zur Proteinsuperfamilie der Dynamin-ähnlichen Enzyme und besitzen GTPase-Aktivität. In den meisten Säugetieren fand man zwei durch Typ-I-Interferone induzierbare Mx-Gene, beim Menschen handelt es sich um die MxA- und MxBGene. Die MxA-Proteine akkumulieren im Cytoplasma und hemmen die Vermehrung von Influenza- wie auch von anderen Viren, etwa der Masern-, Parainfluenza-, Hanta-, Vesicular-Stomatitis-und Bunyaviren (䉴 Abschnitt 15.1, 15.3 und 16.2). Ihre Wirkungsweise ist noch nicht endgültig verstanden. Man hat Hinweise, dass sie den intrazellulären Transport von Virusproteinen beeinflussen und darüber hinaus die Replikation und die Morphogenese stören. Für die MxB-Proteine hat man bisher keine antivirale Aktivität gefunden.
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Typ-II-Interferon Das IFN-γ ist ein säurelabiles Typ-II-Interferon, das bei allen Säugetieren vorkommt und von dem nur ein Subtyp bekannt ist. Es ist ein Homodimer aus zwei glycosylierten Proteinuntereinheiten, die 146 Aminosäuren lang sind und ein Molekulargewicht von 22 kD haben. Sie weisen keinerlei Homologie mit den IFN-α und -β oder mit anderen Typ-I-Interferonen auf. Das Gen für Interferon-γ befindet sich beim Menschen auf dem Chromosom 12. Das ursprünglich auch als ImmunInterferon bezeichnete IFN-γ wurde in allen bisher untersuchten Tierspezies nachgewiesen. IFN-γ wird hauptsächlich von TH1-Zellen gebildet, die durch Antigenkontakt stimuliert sind. Aktivierte dendritische Zellen, Makrophagen sowie natürliche Killerzellen und in geringerem Ausmaß auch cytotoxische T-Zellen können diese Stimulierung bewirken. Interferon-γ leitet seine Wirkung durch die Bindung an den Interferon-γRezeptor (IFNγR) ein, einem Protein aus zwei IFNγR1Ketten. Die Bindung des IFN-γ an den Rezeptor IFNγR1 bewirkt die Komplexbildung mit zwei Ketten IFNγR2 und induziert ähnlich wie die der Typ-I-Interferone eine Signalkaskade, bei der die mit den IFNγR1- und IFNγR2-Ketten assoziierten Kinasen Jak1 und Jak2 sich zuerst gegenseitig und dann die Tyrosin-Reste an Position 457 der IFNγR1-Ketten phosphorylieren (䉴 Abbildung 8.3). Dies bewirkt die Anlagerung der Stat1-Proteine und deren Phosphorylierung. Die durch die Phosphorylierung aktivierten Stat1-Dimere werden in den Zellkern transportiert und binden sich an die entsprechenden ISRE der durch IFN-γ kontrollierten Gene. Ähnlich wie bei den Typ-I-Interferonen können zusätzliche Signalkaskadewege mit alternativen Kinasen und weiteren Transkriptionsfaktoren an der Aktivierung beteiligt sein (䉴 Tabelle 8.1). Durch die Wirkung des IFN-γ wird die Expression der MHC-Klasse-II-Proteine und die Synthese und Freisetzung weiterer Cytokine eingeleitet und die Effektorfunktion der cytotoxischen TZellen, der natürlichen Killerzellen und der mononucleären Phagocyten gesteigert; IFN-γ gilt als eines der zentralen Cytokine bei der Einleitung der spezifischen Immunantwort. IFN-α beziehungsweise -β und IFN-γ verstärken sich gegenseitig und beeinflussen die Expression und somit das Netzwerk der Cytokine.
Typ-III-Interferone Die Familie der Typ-III-Interferone wurde erst kürzlich geschaffen. Sie umfasst drei Mitglieder: IFN-λ1 (auch bekannt als IL-29), IFN-λ2 (IL-28A) und IFN-λ3 (IL28B; 䉴 Tabelle 8.1). Typ-III-Interferone werden beim
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8 Cytokine, Chemokine und Interferone
IFN-γ
IFNγR2 IFNγR1
P
P
Anlagerung + Phosphorylierung P
P
P
P
P Tyr 457
P
Jak2 Jak1
Jak2 Jak1
Konformationsänderung
Jak2 Jak1
Stat1
Phosphorylierung
Jak2 Jak1
Jak2
Jak1
Jak1
+ IFN-γ
Jak2
P
P
P Tyr 457
P Stat1 P
P Dissoziation P
P
Stat1
kern
Zell
P
P
8
Stat1 Zellgenom
IFNγ-induzierbare Gene
ISRE
8.3 Signalkaskade, die durch die Wechselwirkung von IFN-γ mit dem Rezeptorkomplex IFNγR1/2 induziert wird (vereinfachte schematische Darstellung). In der Cytoplasmamembran ist Proteinketten des Rezeptor IFNγR1 verankert. Bei Interaktion mit dem homodimeren IFN-γ assoziieren diese sowohl miteinander als auch mit zwei Ketten des IFNγR2. Mit den ins Cytoplasma orientierten Domänen von IFNγR1 und IFNγR2 sind die Kinasen Jak1 und Jak2 assoziiert. Bei Bindung von IFN-γ verändert der Rezeptorkomplex IFNγR1/2 seine Konformation und wird zusammen mit den die Jak1/2-Kinasen phosphoryliert. Dies bewirkt die Anlagerung der Proteine Stat1 und ihre Phosphorylierung. Die phosphorylierten Proteine Stat1 lösen sich aus dem Komplex, bilden Dimere und gelangen als Komplex in den Zellkern. Hier binden sie sich an die ISRE-Promotoren und aktivierten die Expression der IFNγ-induzierbaren Gene.
Menschen auf dem Chromosom 19 codiert. Sie ähneln den Typ-I-Interferonen, haben Molekulargewichte von etwa 20 kD und wirken als Monomere; IFN-λ1 ist als einziges glycosyliert. Die Synthese von IFN-λ wird ähnlich wie die der Typ-I-Interferone in plasmacytoiden dendritischen Zellen durch Aktivierung von TLR3, 7, 8 und 9 eingeleitet, welche mit virusspezifischen Erregerstrukturen, überwiegend viralen RNAs, wechselwirken (䉴 Abschnitt 7.1). Dies führt zur Phosphorylierung und Aktivierung von IRF3, welcher als Transaktivator wirkt und sich an Sequenzelemente im Promotor der IFN-λGene bindet. Die verschiedenen Subtypen von IFN-λ
binden sich an einen heterodimeren Rezeptor, der sich aus der β-Untereinheit des IL-10-Rezeptors (IL-10R2) und dem Protein IFNλR1 (auch bekannt als IL-28Rα) zusammensetzt. Die durch die Bindung an den Rezeptorkomplex ausgelöste Jak/Stat-Signalkaskade gleicht weitgehend derjenigen, die durch die Typ-I-Interferone eingeleitet wird (䉴 Tabelle 8.1 und Abbildung 8.2), zu den Details der Wirkungsweise von IFN-λ gibt es jedoch noch wenige Daten. So fand man, dass sie die Bildung von Mx-Proteinen einleiten. Typ-III-Interferone zeigen eine sehr breite antivirale Wirkung, die sich bevorzugt in epithelialen Zellen manifestiert.
8.1 Cytokingruppen und ihre Funktionen
8.1.2 Interleukine Interleukine sind Proteine mit Molekulargewichten von acht bis 70 kD. Die meisten sind glycosyliert, einige wirken als Monomere (IL-1), andere als Homodimere (IL17) oder als Heterodimere (IL-12). Von etlichen existiert eine Reihe von Subtypen, die zu Interleukinfamilien zusammengefasst werden (IL-1, IL-17). Interleukine werden von verschiedenen Zellen des Immunsystems überwiegend nach Stimulation durch Interferone, Cytokine, Mikroorganismen, Antigene, Lektine oder Lipopolysaccharide gebildet und abgegeben; sie wirken durch die Bindung an spezifische Rezeptoren auf der Oberfläche immunologisch aktiver Zellen. Auch Zellen, die nicht dem Immunsystem zugerechnet werden, verfügen über derartige Rezeptoren und werden durch Interleukinbindung beeinflusst. Die Bezeichnung Interleukine leitet sich jedoch von ihrer zuerst beschriebenen Aktivität ab, nämlich „zwischen Leukocyten zu vermitteln“. Bisher sind mehr als 35 Interleukine bekannt, die nach der Reihenfolge ihrer Entdeckung durchnummeriert werden. Sie wirken regulierend auf die verschiedenen Aktivitäten des Immunsystems, die sie miteinander verbinden und kontrollieren. Wegen der zunehmenden Zahl und der Vielfalt der Interleukine wird auf eine komplette tabellarische Auflistung verzichtet. In 䉴 Tabelle 8.3 sind die Eigenschaften der am besten untersuchten Interleukine zusammengefasst. Die molekularen Charakteristika aller bekannten Interleukine, ihre Aufgaben und Wirkungsweisen sowie die Zelltypen, die für ihre Bildung verantwortlich sind, findet man unter der kostenfrei zugänglichen Adresse http://www.copewithcytokines.de im Internet.
8.1.3 Tumornekrosefaktoren Die Tumornekrosefaktoren (TNF) α und β sind die am längsten bekannten Mitglieder der TNF/TNF-RezeptorSuperfamilie und werden auf dem menschlichen Chromosom 6 im MHC-Genkomplex codiert; TNF-α ist auch unter dem älteren Namen Cachexin, TNF-β unter Lymphotoxin-α bekannt. Ihre Aminosäuresequenzen sind zu 36 Prozent homolog. TNF-α bezeichnet man heute wissenschaftlich als tumor necrosis factor ligand superfamily member 2 (TNFSF2). TNF-α ist als multifunktionell wirkendes Cytokin bei lokalen und systemischen Entzündungen beteiligt. Es wird überwiegend von aktivierten dendritischen Zellen, Makrophagen, Monocyten, B- und T-Lymphocyten gebildet und freigesetzt. TNF-β wird bevorzugt von T-Lymphocyten abgegeben.
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Die Expression des TNF-α-Gens wird hauptsächlich durch phagocytierte Mikroorganismen, durch Bindung von Lipopolysacchariden und anderen bakteriellen Produkten an toll-like-Rezeptoren (䉴 Abschnitt 7.1) und durch die Wechselwirkung von Interleukinen (IL-1β) mit ihren jeweiligen Rezeptoren auf der Zelloberfläche induziert. TNF-α wird als 26 kDa großes, membranverankertes Protein synthetisiert, welches sich zu Trimeren zusammenlagert. Die Metalloprotease TACE (TNF-a converting enzyme) spaltet von diesem membranverankerten TNF-α das lösliche, funktionell aktive TNF-α (51 kDa) ab. TNF-a und TNF-b binden an die gleichen Rezeptoren (TNF-R1 und TNF-R2), die in den Cytoplasmamembranen vieler Zellen vorhanden sind; sie haben vermutlich identische biologische Aktivitäten. Durch die Bindung an den TNF-R2 leitet TNF eine Signalkaskade ein: TRAF2 (TNF-Rezeptor-assoziierter Faktor) und schließlich NFκB werden aktiviert, wodurch die Expression der NFκB-abhängigen Gene induziert wird. Die Interaktion von TNF mit TNF-R1 bewirkt hingegen die Aktivierung der Caspasen 8 und 10 und als Folge davon die Einleitung der Apoptose. Wichtige Interaktionspartner für TNF sind die Endothelzellen, die bei Entzündungsprozessen eine Schlüsselrolle spielen. In ihnen induzieren die Tumornekrosefaktoren die Synthese und Freisetzung von proinflammatorischen Cytokinen wie IL-1, IL-6, GM-CSF und des plättchenaktivierenden Faktors. Weiterhin reagieren die Endothelzellen mit erhöhter Produktion von MHC-Klasse-I-Antigenen, von Gewebethromboplastin, von verschiedenen Adhäsionsproteinen wie ICAM-1, VCAM-1, ELAM-1 und von der induzierbaren NO-Synthase. Letztere führt zur Bildung erhöhter Mengen von Stickstoffmonoxid, welches die Gefäße erweitert und dadurch vermutlich für den TNF-vermittelten Blutdruckabfall verantwortlich ist. All das bewirkt eine verstärkte Adhäsion von Lymphocyten und eine erhöhte Durchlässigkeit der Gefäßwände. Außerdem regulieren die Tumornekrosefaktoren die Aktivität immunologisch aktiver Zellen: Makrophagen werden veranlasst, erhöhte Mengen an TNF-α und IL-1 zu produzieren und vermehrt Sauerstoffradikale abzugeben, die unmittelbar cytotoxisch wirken. Ähnlich reagieren neutrophile Granulocyten, die unter TNFEinfluss eine erhöhte Phagocytoseleistung zeigen. Desweiteren scheinen TNFs B-Lymphocyten zur Proliferation anzuregen und damit Einfluss auf die antigenspezifische Immunantwort auszuüben. Die NK-Zellen werden zur TNF-Synthese angeregt. In der Leber veranlassen TNF die Produktion von Akutphaseproteinen, und die Zellen des endokrinen Systems reagieren mit der Synthese von Glucocorticoiden und des adrenocortico-
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8 Cytokine, Chemokine und Interferone
Tabelle 8.3 Funktionen, Eigenschaften und Aktivitäten der Interleukine Interleukin
molekulare Charakteristika
Rezeptor
Produzenten
Hauptfunktion
IL-1 (IL-1a, IL-1b)
17 kDa
C121a/IL1R1 (CD121b/IL1R2)
Makrophagen Monocyten Endothelzellen
B-, T-, NK-Zellaktivierung, Induktion von Fieber über Hypothalamus
IL-2 (T-Zell-Wachstumsfaktor)
15,4 kDa, O-glycosyliert
CD25/IL2Ra CD122/IL2Rb CD132IL2Rg
T-Zellen
T-Zell-Proliferation/ Aktivierung
IL-3 (multicolony stimulating factor, M-CSF)
15–17 kDa
CD123/IL3Ra CD131/IL3Rb
B-, T-Zellen Makrophagen Endothelzellen
Wachstumsfaktor für Stammzellen, wichtig für Hämatopoese
IL-4
20 kDa, N-glycosyliert
CD124/IL4R CD132/IL2Rg
TH2-Zellen Mastzellen
B-Zellaktivierung Wechsel zu IgESynthese, antiinflammatorisch
IL-5
20 kDa, Homodimer, N-glycosyliert
CD125/IL5Ra CD131/IL3Rb
TH2-Zellen Mastzellen
Wachstum und Differenzierung von eosinophilen Granulocyten, chemotaktisch für eosinophile Granulocyten
IL-6
21,5–28 kDa, glycosyliert, phosphoryliert
CD126/IL6Ra CD130/IL6Rb
Makrophagen T-Zellen
Induktion der Synthese und Freisetzung von Akutphaseproteinen in Hepatocyten, proinflammatorisch
IL-7
17,4 kDa
CD127/IL7Ra CD132IL2Rg
Stromazellen des Knochenmarks
Proliferation von Prä-B-Zellen, Prä-T-Zellen, proinflammatorisch
IL-9 (MastzellWachstumsfaktor)
14 kDa, N-glycosyliert
CD129/IL9R
T-Helferzellen
Proliferation von Mastzellen
IL-10
30 kDa, Homodimer
CD210/IL10Ra CDw210B/IL10Rb
TH2-Zellen CD8+-T-Zellen Makrophagen Monocyten
inhibiert Makrophagen, inhibiert TH1-Zellen, antiinflammatorisch
IL-11
23 kDa
IL10Ra
Stromazellen des Knochenmarks
Induktion der Synthese und Freisetzung von Akutphaseproteinen in Hepatocyten, Induktion der Proliferation von hämatopoetischen Vorläuferzellen
IL-12
70 kDa, Heterodimer aus 40 kDa (IL12-p40) und 35 kDa (IL12-p35), glycosyliert
CD212/IL12Rb1 CD212/IL12Rb2
B-, T-Zellen Dendriten Makrophagen
Induktion der Differenzierung von CD4+-T-Zellen, Aktivierung von NK-Zellen fördert Produktion von IFN-g
IL-13
13 kDa
IL13R
TH2-Zellen Mastzellen NK-Zellen
Proliferation und Differenzierung von B-Zellen, inhibiert Synthese proinflammatorischer ILs von Makrophagen
IL-15
14 kDa, glycosyliert
IL15Ra
mononucleäre Phagocyten Makrophagen
Proliferation von Mastzellen, NK-Zellen
IL-17
30 kDa, Homodimer, glycosyliert
CDw217/ IL17Ra CDw217/ IL17Rb
CD4+-T-Zellen
Produktion proinflammatorischer Cytokine in Endothel-, Epithelzellen, Fibroblasten
IL-18
18 kDa
CDw218a/ IL18R1
Makrophagen Monocyten Dendriten
proinflammatorisch
8.1 Cytokingruppen und ihre Funktionen
tropen Hormons (ACTH). Fibroblasten setzen IL-1, IL6, Kollagenase und Prostaglandin-E2 frei. Unter dem Einfluss von Prostaglandin kommt es zu einem Anstieg der Körpertemperatur, die durch das in der Folge vermehrt gebildete IL-1 weiter erhöht wird. Schließlich induzieren TNF genau wie IL-1 unter anderem in Makrophagen und Endothelzellen die Freisetzung von Chemokinen. Die Wirkung der TNF auf eine Vielzahl von Zellen und auf das Cytokinnetzwerk erklärt ihre Beteiligung an so unterschiedlichen Vorgängen wie der Abwehr von viralen, bakteriellen und parasitären Infektionen sowie der Kontrolle von Tumoren.
8.1.4 Chemokine Die Familie der Chemokine – der Name steht für chemotaktische Cytokine – umfasst zahlreiche strukturell sehr ähnliche sekretorische Proteine mit einem Molekulargewicht von nur sechs bis 14 kD. Bis heute hat man über 50 verschiedene Chemokine identifiziert, von denen viele ein ähnliches Wirkungsspektrum zeigen; sie sind daher in ihrer Wirkung redundant. Aufgrund eines Aminosäuremotivs am aminoterminalen Ende teilt man die Chemokine in vier Untergruppen ein: CC-, CXC, XC- und CX3C-Chemokine. Ausschlaggebend sind dafür die Zahl und die Anordnung konservierter Cysteinreste in ihrer Sequenz. Die CC-Chemokine besitzen an ihren aminoterminalen Enden zwei direkt nebeneinander liegende Cysteinreste, bei den CXC-Chemokinen sind die beiden Cysteinreste durch eine, bei den CX3C-Chemokinen durch drei andere beliebige Aminosäuren voneinander getrennt. Zusätzlich werden die Chemokine durchnummeriert und – da sie als Liganden für die zugehörigen Rezeptoren fungieren – mit dem Buchstaben „L“ versehen. Die Chemokine CCL5, auch bekannt unter der alten Bezeichnung RANTES (regulated on activation, normal T-cell expressed and presumably secreted), CCL2 (MCP-1, monocyte chemoattractant protein) sowie CCL3 und CCL4 (MIP-1α, MIP1β, macrophage inflammatory protein) zählen zu den CC-Chemokinen, wohingegen IL-8 (CXCL8) ein klasssisches CXC-Chemokin ist. Bei den CX3C-Chemokinen kennt man mit Fractalkin (CX3CL1) nur einen Vertreter, zwei Isoformen von Lymphotactin zählen zu den XC-Chemokinen. Die Chemokine wirken über die Bindung an bestimmte Rezeptoren, die sich auf den Oberflächen von immunologisch aktiven Zellen befinden. Dabei handelt es sich um G-Protein gekoppelte Rezeptoren der Rhodopsinfamilie. Die Nomenklatur der Chemokin-Rezeptoren folgt derjenigen der Chemokine, die sich an sie binden. CCR1 bis CCR9 sind Rezeptoren für
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CC-Chemokine, die wiederum durchnummeriert werden (䉴 Tabelle 8.4). Häufig können sich Chemokine an mehrere unterschiedliche Rezeptoren binden, auch erkennt ein Rezeptor mitunter mehrere Chemokinliganden: Das Chemokinsystem ist daher in seiner Wirkung redundant und überlappend. Die meisten Chemokine bilden in ihrer aktiven Form homodimere, homotetramere oder homooligomere Komplexe; jedoch können auch unterschiedliche Chemokine zu heteromeren Komplexen interagieren und ihre Aktivität so modulieren. Dies verstärkt zusätzlich ihre redundante Wirkungsweise. Chemokine werden von vielen Gewebezellen und Immunzellen produziert. Sie lösen bei mobilen Zellen, die über Rezeptoren verfügen, an welche sich die Chemokine spezifisch binden, eine gerichtete Wanderungsbewegung aus. Die Zellen bewegen sich dabei entlang eines Konzentrationsgradienten zum Ort der höchsten Chemokinkonzentration. Hinsichtlich ihrer Funktion kann man die Chemokine in zwei Untergruppen teilen: Inflammatorische Chemokine sind Mediatoren der angeborenen Immunantwort, sie werden bei Infektionen und/oder Entzündungen von infizierten Endothelzellen, aber insbesondere von aktivierten Immunzellen, überwiegend von mononucleären Phagocyten (beispielsweise von Granulocyten, 䉴 Abschnitt 7.1) gebildet und in die Umgebung des Entzündungsortes ausgeschüttet. Ihre Hauptaufgabe ist es, zusätzliche Monocyten, Makrophagen und neutrophile Granulocyten aus dem Blut in das entzündete Gewebe zu locken, dabei wirken einige zusätzlich aktivierend auf die Immunzellen. Die CXC-Chemokine wirken dabei vor allem auf die neutrophilen Granulocyten, während die CC-Chemokine bevorzugt Monocyten und Makrophagen zur Einwanderung an den Entzündungsort stimulieren (䉴 Tabelle 8.4). Konstitutive (homeostatische) Chemokine werden im Unterschied zu den inflammatorischen Chemokinen kontinuierlich in den lymphatischen Organen gebildet, sie sind an der Organentwicklung, der Angiogenese und der Feinlokalisierung der Immunzellen in den Lymphknoten, im Thymus und anderen lymphatischen Organen beteiligt.
8.1.5 Weitere Cytokine Die koloniestimulierenden Faktoren GM-CSF, M-CSF, G-CSF Granulocyten lassen sich in drei Untergruppen einteilen: neutrophile, eosinophile und basophile. Vor allem die neutrophilen und eosinophilen Granulocyten sind bei der schnellen Immunabwehr von Mikroorganismen und Parasiten beteiligt. Angelockt von Chemo-
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8 Cytokine, Chemokine und Interferone
Tabelle 8.4 Funktionen, Eigenschaften und Rezeptorbindung der wichtigsten inflammatorischen Chemokine Chemokin; systematischer/ alternativer Name
Produzent
Rezeptoren
chemotaktische Wirkung
CCL1
aktivierte T-Zellen
CCR8
Monocyten, Dendriten, NK-Zellen
CCL2/MCP-1
aktivierte Monocyten, Endothelzellen
CCR2, CCR5
Monocyten, neutrophile Granulocyten
CCL3/MIP-1a
aktivierte Makrophagen
CCR1, CCR5
Monocyten, Granulocyten, T-Zellen
CCL4/MIP-1b
aktivierte Makrophagen
CCR5
Monocyten, Granulocyten, T-Zellen
CCL5/RANTES
aktivierte T-Zellen, Blutplättchen
CCR1, CCR3, CCR5
Granulocyten, T-Zellen
CCL6/C10/MRP-1
aktivierte Makrophagen, neutrophile Granulocyten
CCR1
Makrophagen
CCL7/MCP-3
aktivierte Makrophagen, einige Tumorzelllinien
CCR1, CCR2, CCR7
Monocyten, Makrophagen
CCL8/MCP-2
aktivierte Makrophagen, Osteosarcomzellinie MG63
CCR2, CCR3, CCR5
Monocyten
CCL9/MIP-1g
aktivierte Makrophagen, myeloide Zellen
CCR1
Dendriten
CCL11/Eotaxin
aktivierte Endothelzellen
CCR2, CCR3, CCR5
eosinophile Granulocyten
CCL13/MCP-4
aktivierte Makrophagen
CCR1, CCR2, CCR3
Monocyten, T-Zellen, eosinophile Granulocyten
CCL16/Monotactin-1
Leber, Milz,
CCR1, CCR2, CCR3, CCR5
Monocyten, T-Zellen
CCL19/MIP-3b
Thymus, Lymphknoten
CCR7
Dendriten, B-Zellen
CCL20/MIP-3a
Lymphocyten, Lymphknoten, CCR6 Leber
CD4+-/CD8+-T-Zellen
CXCL1/NAP-3
aktivierte Makrophagen, neutrophile Granulocyten
CXCR2
neutrophile Granulocyten
CXCL2/MIP-2a
aktivierte Monocyten, Makrophagen
CXCR2
neutrophile Granulocyten, hämatopoetische Vorläuferzellen
CXCL4/PF-4
aggregierende Blutplättchen
CXCR3
neutrophile Granulocyten, Monocyten
CXCL6/GCP-2
aktivierte Monocyten
CXCR1
neutrophile Granulocyten
CXCL8/IL-8
aktivierte Monocyten, Endothelzellen
CXCR1, CXCR2
neutrophile Granulocyten
CXCL9/MIG
IFN-g stimulierte Monocyten und Endothelzellen
CXCR3
Monocyten, T-Zellen
CXCL10/g-IP10
IFN-g stimulierte Monocyten und Endothelzellen
CXCR3
Monocyten, T-Zellen
CXCL12/SDF-1
Stromazellen des Knochenmarks
CXCR4
Monocyten, Hämatopoese
8.1 Cytokingruppen und ihre Funktionen
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Tabelle 8.4 (Fortsetzung) Chemokin; systematischer/ alternativer Name
Produzent
Rezeptoren
chemotaktische Wirkung
XCL1, XCL2/ Lymphotactin
Milz, Thymus, periphere Lymphocyten
XCR1
T-Zellen
CX3CL1/Fractalkin
Makrophagen, Endothelzellen
CX3CR1
T-Zellen, Monocyten
Abkürzungen: γ-IP: IFN-γ induziertes Protein; MCP: monocyte chemoattractant protein; MIG: Monokine induced by gamma interferon; MIP: macrophage inflammatory protein; MRP: macrophage inflammatory protein-related protein; NAP: neutrophil activating protein; PF: Plättchen aggregierender Faktor; RANTES: regulated on activation, normal T-cell expressed and presumably secreted; SDF: stroma cell derived factor.
kinen wandern sie zum Entzündungsort, können sich über die Adhäsionsmoleküle an Endothelzellen anlagern und treten dann durch die Gefäßwände hindurch. Am Ort der Infektion bekämpfen sie freie oder mit Immunglobulinen beladene Erreger durch Phagocytose. Außerdem entleeren sie den Inhalt ihrer Granula in die Umgebung und setzen hierbei eine Vielzahl von degradierend wirkenden Enzymen, cytotoxisch wirkenden Proteinen und Sauerstoffradikalen frei. Zusätzlich sezernieren diese stimulierten Granulocyten IL-1, CXC8/IL-8 und Prostaglandine. Die koloniestimulierenden Faktoren GM-CSF, G-CSF und M-CSF/IL-3 (CSF ist die Abkürzung für die englische Bezeichnung colony stimulating factor) sind an der Differenzierung hämatopoetischer Vorläuferzellen zu Granulocyten beziehungsweise zu Makrophagen beteiligt. Durch Bindung an die jeweiligen Rezeptoren wirken sie auf verschiedene Zelltypen ein. Sie stimulieren in vitro die Koloniebildung von Granulocyten und Makrophagen (GM-CSF) beziehungsweise von Granulocyten (G-CSF) oder Makrophagen (M-CSF). Ihre Wirkungsweise ähnelt der von IL-3, das als Multi-CSF die Koloniebildung aller CSF-abhängigen Zelltypen induziert. Die CSF sind einkettige, glycosylierte Polypeptide (14–30 kD), die untereinander keine Homologie aufweisen. Sie werden von Monocyten, Makrophagen, Fibroblasten und Endothelzellen abgegeben, die auf die Gegenwart von Antigenen und Entzündungsmediatoren reagieren. GM-CSF wird außerdem von T-Helferzellen gebildet und freigesetzt. Die CSF bewirken nicht nur die Differenzierung hämatopoetischer Vorläuferzellen zu Granulocyten und Makrophagen. In einem autokrinen Reaktionsmechanismus, das heißt durch Bindung an die Rezeptoren der Granulocyten und Makrophagen, von denen sie abgegeben werden, verstärken sie die cytotoxische und phagocytierende Aktivität eben dieser Zellen.
Transforming Growth Factors (TGF) Die transformierenden Wachstumsfaktoren wurden aufgrund ihrer proliferationsfördernden Aktivität für Fibroblasten entdeckt. Man unterscheidet zwei Gruppen: TGF-α und TGF-β. TGF-α hat eine ähnlich zellteilungsregulierende Funktion wie die Epithelzell-Wachstumsfaktoren (EGF). TGF-β beeinflusst dagegen nicht nur das Wachstum von Tumoren, es ist auch bei Entzündungsreaktionen und der Regulation der Immunantwort aktiv. Die Wirkungsweise von TGF-β ist im Gegensatz zu derjenigen von TGF-α relativ gut untersucht: Von TGF-β existieren mehrere Subtypen (TGF-β1-5), die sowohl immunhemmende als auch immunstimulierende Funktionen haben. Sie werden von unterschiedlichen Zellen wie TLymphocyten, mononucleären Phagocyten, Blutplättchen, Endothelzellen und anderen gebildet, verbessern die Wundheilung und wirken hemmend auf die Aktivierung der Makrophagen und die Teilung der T-Lymphocyten. Außerdem unterdrücken sie die Aktivität verschiedener Cytokine. Die immunstimulierende Wirkung betrifft vor allem die Förderung des Wechsels der Immunglobulinklassen zur Bildung von IgA. TGF-β wirkt chemotaktisch auf Monocyten und fördert zusammen mit IL-1, IL-2, IL-6 sowie mit Wachstumsfaktoren wie PDGF (platelet derived growth factor), EGF und FGF (fibroblast growth factor) die Proliferation von Fibroblasten und Epithelzellen. Häufig ist das Wachstum von Tumoren von diesen Faktoren abhängig, die von in das Gewebe einwandernden Makrophagen, Monocyten und T-Zellen abgegeben werden und in einem parakrinen Mechanismus die Teilung der Krebszellen fördern. In diesem Fall binden sich die Faktoren an Rezeptoren auf der Oberfläche von Zellen, die sich in der Umgebung befinden; die Produzenten selbst werden also nicht beeinflusst. Viele Tumorzellen können die Faktoren selbst produzieren. In diesem Fall wirken sie autokrin stimulatorisch. Ein virales Beispiel dafür ist die
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8 Cytokine, Chemokine und Interferone
durch das virale Tax-Protein von HTLV-1-induzierte TZell-Leukämie, bei der sowohl die Synthese des Cytokin (IL-2) als auch des Rezeptors (Il-2R) autokrin induziert werden (䉴 Abschnitt 18.1).
8.2 Wie wirken sich Virusinfektionen auf die Cytokinsynthese aus? Virusinfektionen können die Cytokinproduktion in einzelnen Zellen und Organen oder im ganzen Organismus beeinflussen. Das Virus vermehrt sich zuerst am Eintrittsort in den Körper und kann sich von hier aus über das Blut oder die Lymphe zu den Manifestationsorten der Infektion ausbreiten (䉴 Kapitel 4). Überall wird dabei die Immunabwehr aktiviert und so die Cytokinsynthese und -freisetzung eingeleitet. Letzteres ist mit lokalen Entzündungen verbunden. Auch defekte Virusformen spielen hierbei möglicherweise eine wichtige Rolle. Preben von Magnus hatte 1951 erstmals beobachtet, dass bei Infektionen mit Influenzaviren defekte Partikel entstehen, die noch Hämagglutinationsfähigkeit besitzen, aber nicht infektiös sind (䉴 Abschnitt 16.3). Zusätzlich werden in den infizierten Zellen sowohl funktionell als Genom aktive, aber auch defekte, doppelsträngige RNA-Moleküle synthetisiert. In Kooperation mit den defekten Viren steigern sie die Bildung von Typ-I-Interferonen. Diese stören die Translation und fördern damit die Produktion weiterer defekter Partikel. Nicht selten findet man abortive Replikationszyklen ohne Freisetzung von Nachkommenviren. Da so noch mehr defekte Partikel und doppelsträngige RNA entstehen, wird die Interferonsynthese weiter verstärkt. Als Folge davon können interferonresistente Virusvarianten selektiert werden, die sich verstärkt ausbreiten und zur Etablierung persistierender, chronischer Infektionen beitragen. Etliche Viren besitzen Gene, die für Proteine codieren, welche mit Cytokinen oder Cytokinrezeptoren homolog sind. Sie gestatten den Erregern, der antiviralen oder die Immunantwort stimulierenden Wirkung der Cytokine zu entgehen. So verfügt beispielsweise das Epstein-Barr-Virus über ein Gen für ein mit IL-10 homologes Protein (BCRF1), das die Wirkung des natürlichen antiinflammatorischen IL-10 zusätzlich steigert. Das Herpes-simplex-Virus codiert hingegen für ein Protein, das als IL-8-Rezeptor wirkt (䉴 Abschnitt 19.5). Pockenviren exprimieren Rezeptoren für mehrere Cytokine wie IL-1β, TNF-α und IFN-γ und fangen somit diese entzündungsfördernden Moleküle ab
(䉴 Abschnitt 19.6). Adenoviren und Epstein-Barr-Viren bilden während des Replikationszyklus große Mengen von kleinen, nichtproteincodierenden RNA-Molekülen, die eine ausgeprägte Sekundärstruktur aufweisen. Diese VA- beziehungsweise EBER-RNA verhindert die Aktivierung der Proteinkinase PKR und der 2’5’-Oligoadenylatsynthese (OAS). Diese Enzyme, die durch Interferon induziert werden, können damit ihre Funktion nicht entfalten und die Proteinsynthese nicht hemmen (䉴 Abschnitte 19.4 und 19.5). Wie die verschiedenen Viren der Cytokinwirkung entgehen können, wird bei der Beschreibung der Pathogenese der einzelnen Erreger im Detail erläutert.
8.3 Lassen sich Cytokine zur Therapie von Viruserkrankungen einsetzen? Interferone wurden schon bald nach ihrer Entdeckung für antivirale und tumorhemmende Therapiezwecke genutzt. Die anfängliche Hoffnung, ein allgemein gegen Krebserkrankungen wirkendes Mittel in der Hand zu haben, wurde jedoch enttäuscht. Heute verwendet man IFN-α nur noch zur Behandlung der Haarzellleukämie, die zum Beispiel auch durch HTLV-II induziert sein kann. Jedoch werden etliche Cytokine immunstimulatorisch in Kombination mit Chemo- und Strahlentherapie bei Tumorbehandlungen eingesetzt. Als antivirales Mittel ist pegyliertes IFN-α (an Polyethylenglycol gebundenes IFN) in Kombination mit antiviralen Chemotherapeutika zur Behandlung von chronischen Hepatitis-B- und Hepatitis-C-Infektionen zugelassen (䉴 Abschnitte 14.5.5 und 19.1.5). In Kombination mit Aciclovir wird es auch bei der durch Herpes-simplexViren verursachten Keratitis eingesetzt. Häufige Nebenwirkungen sind Fieber, grippeähnliche Beschwerden und schwere Depressionen. Imidazoquinoline (Imiquimod) aktivieren TLR7 mit der Folge einer erhöhten IFN-α Produktion (䉴 Kapitel 9). Sie werden in Cremes zur Behandlung von Hautwarzen eingesetzt, die von humanen Papillomaviren hervorgerufen werden (Abschnitt 19.3). In der Tiermedizin wird IFN-ω bei Hunden und Katzen zur Therapie der caninen Parvovirose, des Katzenschnupfens und bei Infektionen mit dem felinen Leukämievirus verwendet (䉴 Abschnitte 14.8, 18.1 und 20.1). Verschiedene Interleukine und koloniestimulierende Faktoren werden zur Behandlung von Viruserkrankungen erprobt. Seit einiger Zeit schon setzt man G-CSF bei Tumorpatienten ein, die chemo- oder strahlentherapeu-
8.4 Weiterführende Literatur
tisch behandelt wurden: Es stimuliert die neutrophilen Granulocyten und beschleunigt ihre Wanderung aus dem Knochenmark in das periphere Blut.
8.4 Weiterführende Literatur Allen, S. J.; Crown, S. E., Handel, T. M. Chemokine: receptor structure, interactions, and antagonism. In: Annu. Rev. Immunol. 25 (2007) 787–820. Bangham, C. R. M.; Kirkwood, T. B. L. Defective Interfering Particles and Virus Evolution. In: Trends in Microbiology 1 (1993) S. 260–264. Bonglee, S.; Esteban, M. The Interferon-Induced DoubleStranded RNA Activated Protein Kinase Induces Apoptosis. In: Virology 199 (1994) S. 491–496. DelPrete, G.; Romagnani, S. The Role of TH1 and TH2 Subsets in Human Infectious Diseases. In: Trends in Medical Microbiol. 2 (1994) S. 4–6. Eisenächer, K.; Steinberg, C.; Reindl, W.; Krug, A. The role of viral nucleic acid recognition in dendritic cells for innate and adaptive antiviral immunity. In: Immunobiology 212 (2007) S. 701–714. Fitzgerald, K.; O’Neill, L. A.; Gearing, A. The Cytokine Facts Book. 2. Aufl. London (Academic Press) 2001. Holland, S. (Hrsg.) Cytokine Therapeutics in Infections Diseases. Philadelphia (Lippincott Williams & Wilkins) 2001. Kobayashi, Y. The role of chemokines in neutrophil biology. In: Front. Biosci. 13 (2008) S. 2400–2407. Levy, D. E. Interferon Induction of Gene Expression Through the Jak-Stat Pathway. In: Seminars in Virology 6 (1995) S. 181– 189.
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8
9 Chemotherapie Die Entwicklung antiviral wirkender Substanzen kann rückblickend in drei Phasen unterteilt werden. Schon früh wurden Substanzen, die man ursprünglich als Tumoristatika einsetzte, daraufhin untersucht, ob sie auch die Virusvermehrung hemmen; hierzu gehörten Stoffe wie Ioddesoxyuridin oder Cytosinarabinosid. Ersteres war 1962 von Herbert E. Kaufman als eines der ersten antiviralen Therapeutika zur lokalen Behandlung der durch das Herpes-simplex-Virus induzierten Keratokonjunktivitis am Auge eingeführt worden. Mit dem fortschreitenden Wissen über die Molekularbiologie der Zelle und der Viren wurde jene überwiegend empirisch geprägte Vorgehensweise von Ansätzen abgelöst, mit denen man nur wenig selektiv wirkende Agenzien durch chemische Modifikationen zu verbessern suchte. Ergebnisse dieser „gezielten Empirie“ waren Substanzen wie Adenosinarabinosid, Bromvinyldesoxyuridin oder Acycloguanosin. Adenosinarabinosid war das erste Chemotherapeutikum, das nach systemischer, also intravenöser Applikation einen heilenden Effekt auf die durch Herpes-simplex-Viren verursachte Hirnentzündung (Encephalitis) und die Herpes-Infektion der Neugeborenen (H. neonatorum) zeigte. Das darauffolgend 1977 von Gertrude Elion entwickelte Acycloguanosin bedeutete den Durchbruch bei der Therapie von Herpesvirusinfektionen (䉴 Abschnitt 19.5). Die heute etablierten Methoden zur Sequenzierung der viralen Erbinformation und zur Strukturaufklärung viruscodierter Enzyme sowie neuere Erkenntnisse der Molekulargenetik erlauben inzwischen, die Angriffspunkte antiviraler Substanzen gezielt zu analysieren, bis hin zu sogenannten Designer-Drugs. Die damit erworbenen Kenntnisse bilden zusammen mit dem Wissen über die Pathogenese der jeweiligen Virusinfektion die Basis für die zielorientierte Entwicklung optimal angepasster, inhibitorisch wirkender Antimetabolite und somit für das Design von Viro-
statika. Zwar ist es dadurch in den letzten Jahren – nicht zuletzt unter dem Druck, Möglichkeiten zur AIDSTherapie zu finden – gelungen, eine Reihe neuer antiviral wirkender Substanzen zu entwickeln, trotzdem stehen uns heute verglichen mit der Zahl der Antibiotika zur Behandlung bakterieller Infektionserkrankungen immer noch nur wenige wirksame Chemotherapeutika zur Verfügung (䉴 Tabelle 9.1). Die Herstellung neuer Virostatika wird natürlich durch den streng intrazellulären Vermehrungszyklus der Viren begrenzt, der die Auswahl gezielter Angriffspunkte ohne Zellschädigung erschwert. Neben der direkten Hemmung des viralen Replikationszyklus versucht man, die durch die Infektion ausgelösten Entzündungsprozesse therapeutisch zu beeinflussen und Chemotherapeutika mit Cytokinen zu kombinieren, da klar wurde, dass die Pathogenese der meisten Viruskrankheiten sowohl mit viralen als auch mit immunologischen Prozessen verbunden ist (䉴 Kapitel 8). All dies gilt nur für die antivirale Therapie beim Menschen. In der Tiermedizin spielt die chemotherapeutische Behandlung von Virusinfektionen keine große Rolle. Infektionskrankheiten bei Nutztieren, die nach dem Tierseuchengesetz der Anzeigepflicht unterliegen, dürfen nicht mit antiviralen oder anderen Substanzen behandelt werden. In diesem Fall ist in der Regel die Keulung und unschädliche Beseitigung der erkrankten Tiere vorgeschrieben. Zudem ist bei Tieren, die der Lebensmittelgewinnung dienen, die Rückstandsproblematik von großer Bedeutung. Bei der Behandlung von Kleintieren ist die Wirksamkeit der für den Menschen entwickelten Chemotherapeutika häufig nicht nachgewiesen. Die Substanzen haben in diesen Tieren oft ein anderes Toxizitätsspektrum oder der Preis der Medikamente ist für die häufig langwierige Behandlung zu hoch.
9
92
9 Chemotherapie
Tabelle 9.1 Übersicht der wichtigsten, heute zugelassenen antiviralen Chemotherapeutika und ihre Wirkungsweise Hemmstoff
Einsatzgebiet
Wirkungsweise
Hemmstoffe der viralen Polymerasen Acycloguanosin (Acyclovir, ACG)
Herpes-simplex-Virus, Varicella-Zoster-Virus
Guanosinanalog wird von der viralen Thymidinkinase in das Monophosphat überführt; zelluläre Kinasen bilden das Triphosphat; die virale DNAPolymerase akzeptiert das Triphosphat als bevorzugtes Substrat und baut es in die neugebildeten Virusgenome ein; es folgt der Abbruch des Polymerisationsvorgangs
Adefovir
Hepatitis B-Viren
monophosphoryliertes Adenosinanalog wird von zellulären Kinasen in das Triphosphat überführt; das triphosphorylierte Produkt wird von der viruseigenen reversen Transkriptase als Substrat akzeptiert und in die neu gebildete Doppelstrang-DNA eingebaut; es folgt der Abbruch der Polymerisationsreaktion
Azidothymidin (Zidovudin, AZT)
humane Immundefizienzviren
Thymidinanalog wird von zellulären Kinasen in das Triphosphat überführt; das triphosphorylierte Produkt wird von der viruseigenen reversen Transkriptase als Substrat akzeptiert und in die neugebildete Doppelstrang-DNA eingebaut; es folgt der Abbruch der Polymerisationsreaktion; die Integration des Provirus in die Zell-DNA unterbleibt
Brivudin (BVdU)
Herpes-simplex-Virus Typ 1, Varicella-Zoster-Virus
Uracilanalog wird von der viralen Thymidinkinase in das Monophosphat überführt; zelluläre Kinasen bilden das Triphosphat; die virale DNAPolymerase akzeptiert das Triphosphat als Substrat und baut es in die neugebildeten Virusgenome ein; es folgt der Abbruch des Polymerisationsvorgangs
Cidofovir
Cytomegalovirus
monophosphoryliertes Cytosinanalog wird von zellulären Kinasen in das Triphosphat überführt; die virale DNA-Polymerase akzeptiert das Triphosphat als Substrat und baut es in die neugebildeten Virusgenome ein; es folgt der Abbruch des Polymerisationsvorgangs
Didesoxy-3’-Thiacytidin (3TC, Lamivudin)
humane Immundefizienzviren, Hepatitis B-Viren
Cytosinanalog wird von zellulären Kinasen in das Triphosphat überführt; das triphosphorylierte Produkt wird von der viruseigenen reversen Transkriptase als Substrat akzeptiert und in die neugebildete Doppelstrang-DNA eingebaut; es folgt der Abbruch der Polymerisationsreaktion; die Integration des Provirus in die Zell-DNA unterbleibt; hemmt die Pyrophosphorylyseaktivität der viralen reversen Transkriptase
Didesoxycytidin (ddC, Zalcitabin)
humane Immundefizienzviren
Cytosinanalog wird von zellulären Kinasen in das Triphosphat überführt; das triphosphorylierte Produkt wird von der viruseigenen reversen Transkriptase als Substrat akzeptiert und in die neugebildete Doppelstrang-DNA eingebaut; es folgt der Abbruch der Polymerisationsreaktion; die Integration des Provirus in die Zell-DNA unterbleibt
9.1 Welche molekularen Angriffspunkte haben antivirale Wirkstoffe?
93
Tabelle 9.1 (Fortsetzung) Hemmstoff
Einsatzgebiet
Wirkungsweise
Hemmstoffe der viralen Polymerasen Didesoxyinosin (ddI, Didanosin)
humane Immundefizienzviren
Guanosinanalog wird von zellulären Kinasen in das Triphosphat überführt; das triphosphorylierte Produkt wird von der viruseigenen reversen Transkriptase als Substrat akzeptiert und in die neu gebildete Doppelstrang-DNA eingebaut; es folgt der Abbruch der Polymerisationsreaktion; die Integration des Provirus in die Zell-DNA unterbleibt
Famciclovir
Herpes-simplex-Virus, Varicella-Zoster-Virus
Guanosinanalog Pro-Drug mit verbesserter Bioverfügbarkeit; nach Aufnahme erfolgt Deacetylierung zu Penciclovir; wird von der viralen Thymidinkinase in das Monophosphat überführt; zelluläre Kinasen bilden das Triphosphat; die virale DNA-Polymerase akzeptiert das Triphosphat besser als Substrat und baut es in die neugebildeten Virusgenome ein; es folgt der Abbruch des Polymerisationsvorgangs
Foscarnet (Phosphonoameisensäure)
Herpesviren humane Immundefizienzviren
Pyrophosphatanalog bindet sich an die Pyrophosphatbindungsstelle der reversen Transkriptase beziehungsweise der viralen DNA-Polymerase und konkurriert mit dem natürlichen Substrat
Ganciclovir
Cytomegalovirus
Guanosinanalog wird von viralen und zellulären Kinasen in das Triphosphat überführt; die virale DNA-Polymerase akzeptiert das Triphosphat als Substrat und baut es in die neugebildeten Virusgenome ein; es folgt der Abbruch des Polymerisationsvorgangs
Nevirapin, Delavirdin, Lovirid, Efavirenz
humane Immundefizienzviren
bindet sich an die große Untereinheit der reversen Transkriptase und hemmt deren Aktivität
Stavudin (d4T)
humane Immundefizienzviren
Thymidinanalog wird von zellulären Kinasen in das Triphosphat überführt; das triphosphorylierte Produkt wird von der viruseigenen reversen Transkriptase als Substrat akzeptiert und in die neu gebildete Doppelstrang-DNA eingebaut; es folgt der Abbruch der Polymerisationsreaktion; die Integration des Provirus in die Zell-DNA unterbleibt
Hemmstoffe viraler Proteasen Saquinavir, Nelfinavir, Ritonavir, Fortovase
humane Immundefizienzviren
Peptidomimetika peptidähnliche Hemmstoffe, welche die Aktivität der viralen Protease inhibieren und die Spaltung der Vorläuferproteine verhindern; die Ausbildung der Infektiosität der Viruspartikel unterbleibt
Hemmstoffe viraler Neuraminidasen Zanamivir/Oseltamivir
Influenza-A-Virus, Influenza-B-Virus
hemmt die Funktion der viralen Neuraminidase und bindet sich an das aktive Zentrum
9
9
94
9 Chemotherapie
Tabelle 9.1 (Fortsetzung) Hemmstoff
Einsatzgebiet
Wirkungsweise
Hemmstoffe der Virusaufnahme/des Uncoating Amantadin/Rimantadin
Influenza-A-Virus
blockiert die Funktion der Protonenpumpe des M2-Proteins; blockiert in der Folge den Uncoating-Vorgang
Pleconaril
Rhinoviren, Enteroviren
Analogon des pocket factors; stabilisiert die Viruscapside; verhindert das Uncoating der Virusgenome
T20, Enfuvirtid
humane Immundefizienzviren
peptidähnlicher Hemmstoff verhindert die Fusion von Virusund Cytoplasmamembran und somit die Aufnahme des Viruspartikels und die Adsorption
Maraviroc
humane Immundefizienzviren
wirkt bei makrophagotrophen Virusvarianten als Antagonist zum Korezeptor CCR5
Sonstige antivirale Chemotherapeutika Imiquimod
humane Papillomviren, Molluscum contagiosum
Immunstimulanz; aktiviert toll-like-Rezeptor 7 und bewirkt die IFN-α Produktion
Ribavirin
Lassavirus (systemisch) Hepatitis-C-Virus (systemisch) respiratorisches Syncytialvirus (als Aerosol)
hemmt unter anderem die zelluläre Guanylyltransferase; damit wird das Anfügen der 5’-Capgruppe an mRNA-Spezies verhindert, es kommt zur Störung der Translation; wird in der triphosphorylierten Form von der RNA-abhängigen RNA-Polymerase in neusynthetisierte RNA-Stränge eingebaut und bewirkt Mutationen
9.1 Welche molekularen Angriffspunkte haben antivirale Wirkstoffe? Viren können sich als obligate Zellparasiten nur in lebenden Zellen vermehren und nutzen viele funktionelle Aktivitäten ihrer Wirte. Antiviral wirkende Substanzen müssen deswegen möglichst selektiv auf bestimmte Virusfunktionen zielen und sollten zelluläre Prozesse dabei nicht beeinflussen. Der chemotherapeutische Index, das Verhältnis zwischen der Konzentration einer Substanz, die für die Hemmung der Virusvermehrung nötig ist, und der Konzentration, ab welcher eine zelltoxische Wirkung beobachtet werden kann, sollte möglichst hoch sein. Die meisten der heute verfügbaren Chemotherapeutika hemmen die Genomreplikation der Viren. Verwenden Viren hierfür eigene Polymerasen, dann unterscheiden sich diese meist von den zellulären Enzymen, was eine gezielte Hemmung ermöglicht. Virale Proteasen, die Vorläuferproteine spalten und zum
Beispiel bei den Retroviren (䉴 Abschnitt 18.1) eine wichtige Funktion bei der Bildung infektiöser Virionen haben, sind ebenfalls geeignete Zielstrukturen für antivirale Therapeutika. Auch ist die Hemmung virusspezifischer Prozesse wie der Adsorption, des Uncoating, des Self-Assembly oder der Freisetzung der Virionen aus der Zelle möglich. Daneben bieten andere viruscodierte, im Nucleinsäurestoffwechsel aktive Enzyme wie die Ribonucleotidreduktasen theoretische Angriffspunkte für die Entwicklung spezifisch wirkender Stoffklassen. Auf diese Weise lässt sich jedoch nur die aktive Virusvermehrung blockieren. Episomal vorliegende oder in die Wirtszell-DNA integrierte Genome von latenten Viren blieben unbeeinflusst. Vor einer Anwendung beim Menschen müssen außer dem molekularen Wirkmechanismus auch die pharmakokinetischen Eigenschaften der Substanz, wie ihre Resorption, Bioverfügbarkeit, Halbwertszeit, Ausscheidung und nicht zuletzt ihre Nebenwirkungen auf den Organismus bekannt sein. Um eine ausreichende Hemmwirkung zu erzielen, sollte die im Blut verfügbare Konzentration potenzieller antiviraler Chemotherapeu-
9.1 Welche molekularen Angriffspunkte haben antivirale Wirkstoffe?
tika zehn bis fünfzigfach über dem IC50-Wert liegen; das ist die Konzentration, die man benötigt, um in vitro 50 Prozent der infektiösen Erreger zu inhibieren.
9.1.1 Hemmstoffe der Virusreplikation Substanzen, welche die Genomvermehrung der Viren hemmen, lassen sich in zwei Gruppen unterteilen: Nucleosidanaloga und nichtnucleosidische Hemmstoffe (䉴 Abbildung 9.1A–C). Die Nucleosidanaloga konkurrieren mit den natürlichen Basenderivaten, binden sich an die aktiven Zentren der Polymerasen und hemmen
dort die Funktion des Enzyms. Neben dieser Form der kompetitiven Hemmung kann ein Analogon auch von dem Enzym umgesetzt, das heißt in die wachsenden viralen Nucleinsäurestränge eingebaut werden. Hier stört es die regelmäßige Struktur der DNA oder RNA, die danach nicht mehr korrekt repliziert und transkribiert werden kann, oder es bewirkt bei einem Einbau während der Replikation Kettenabbrüche.
Nucleosidanaloga Azidothymidin (3-Azido-3’-desoxythymidin, AZT), auch bekannt unter der Bezeichnung Zidovudin, ist ein Thymidinanalogon. An der 3’-Position der Desoxyribose
A Pyrimidinanaloga
CH3 O O
NH2 O
N
N
NH
HO
N
HO O
N3
O
Azidothymidin (Zidovudin)
Didesoxycytidin
O N
HO
NH2 O
O
N
N OH
S
NH2
N O
P HO
O OH Lamivudin
Cidofovir
O
H
O
H3C
N HO O
N
HO C H
H
O
HO
NH
O
N
O
C Br
Brivudin
95
Stavudin
9.1 Chemische Formeln der wichtigsten antiviralen Chemotherapeutika.
9
9
96
9 Chemotherapie
B Purinanaloga
O
N
N
NH
N
O
O
N
N
NH2
O
N
NH N
N
NH2
O
O
HO CH2OH Acycloguanosin (Acyclovir)
N
Ganciclovir
Didesoxyinosin
N
N
N
NH2 NH2
N HO
N
N
O
HO
O
N
O P
O
HO
CH2OH
O
O
Famciclovir
Adefovir
C nichtnucleosidische Hemmstoffe der Polymerasen
H ONa
O
O Na O P
O
N
O
S O N
ONa
N
H Foscarnet (Trinatriumsalz der Phosphonoameisensäure)
N
Delavirdin
H N
H 3C
H
O H N
O
N O
N
F3C
Cl C C
Nevirapin
9.1 (Fortsetzung)
Efavirenz
N
NH N
97
9.1 Welche molekularen Angriffspunkte haben antivirale Wirkstoffe?
D Hemmstoffe viraler Proteasen
H
H
N H
O HO
N
H
S
C
H O
N
N
O
O
NH O
HO N H
H2N OH
Nelfinavir
Saquinavir
H
O
N
N N
N
O
HO
S
O
N
S
H
O
H
N
Ritonavir
E Hemmstoffe viraler Neuraminidasen
CH3 OH
OH
OH O
O O
HO
O
CH3
HO HN NH OH
O
Zanamivir
9.1 (Fortsetzung)
HN
NH2 NH
O
OH
NH2
Oseltamivir
H N
H C O
N
9
9
98
9 Chemotherapie
F Hemmstoffe der Virusaufnahme / Uncoating
O
CH3
NH2-HCl
N CH3
O N F3C O
N
Amantadin
Pleconaril
G Wirkstoffe sonstiger Prozesse
O NH2 N
NH2
N
N
N N
CH3
N
O OH
CH3
HO OH
Imiquimod
Ribavirin
9.1 (Fortsetzung)
weist es statt der Hydroxy- eine Azidogruppe auf. Die zellulären Enzyme Thymidinkinase und Thymidilatkinase wandeln es in das Triphosphat um, das bevorzugt von der reversen Transkriptase der Retroviren als Substrat verwendet wird. Während des Umschreibens des einzelsträngigen RNA-Genoms dieser Viren in doppelsträngige DNA bewirkt es einen Kettenabbruch, da keine 3’-OH-Gruppe zur Bildung der Phosphodiesterbindung zur Verfügung steht (䉴 Abbildung 9.2A und Abschnitt 18.1). Hierdurch wird der retrovirale Infektionszyklus schon in einem sehr frühen Stadium, nämlich noch vor der Integration des Virusgenoms in die Wirtszell-DNA, unterbunden. Die Affinität des triphosphorylierten Azidothymidins zur reversen Transkriptase ist einhundertmal höher als die zu den zellulären DNAPolymerasen α und β. Azidothymidin ist seit 1987 für die Therapie von Infektionen mit dem humanen Immundefizienzvirus (HIV) zugelassen. Wird Azidothymidin allein eingesetzt, kann es nur die Ausbildung der AIDS-Symptome verzögern, bewirkt jedoch nicht die Eliminierung des Virus oder gar eine Heilung des Patienten. Heute setzt man Azidothymidin standardmäßig in der Kombinationstherapie (HAART, highly active
antiretroviral therapy) zusammen mit anderen nucleosidischen und nichtnucleosidischen Hemmstoffen der reversen Transkriptase sowie Inhibitoren der Protease ein (䉴 Abschnitte 9.1.3 und 18.1.5). Bei oraler Verabreichung wird es gut absorbiert, und seine Bioverfügbarkeit beträgt über 60 Prozent. Nebenwirkungen sind Magen-Darm-Beschwerden, starke Kopfschmerzen und vor allem Störungen der Blutbildung (Anämie oder Leukopenie), die auf die cytostatische Wirkung des Azidothymidins zurückgehen. Stavudin (d4T, 1-[(2R,5S)-5-(Hydroxymethyl)-2,5dihydrofuran-2-yl]-5-methylpyrimidin-2,4-dion) und Didesoxycytidin (ddC, Zalcitabin) wirken ähnlich wie Azidothymidin, letzteres ist jedoch ein Cytosinanalogon. Den Substanzen fehlen die für die Ausbildung der Phosphodiesterbindung notwendigen 3’-OH-Gruppen, wodurch es ebenfalls zum Kettenabbruch bei der reversen Transkription der Retroviren kommt. Auch Didesoxycytidin ist zur Therapie der AIDS-Erkrankung zugelassen und wirkt in vitro zehnmal besser als Azidothymidin. Seine Bioverfügbarkeit ist mit 90 Prozent sehr gut. Lamivudin (3TC) ist ebenfalls ein Cytosinanalogon, das man überwiegend zur Kombinationstherapie bei
9.1 Welche molekularen Angriffspunkte haben antivirale Wirkstoffe?
Infektionen mit den humanen Immundefizienzviren einsetzt. Beim Lamivudin ist das Kohlenstoffatom an der 3’-Position der Desoxyribose durch ein Schwefelatom ersetzt, wodurch es beim Einbau in die Nucleinsäurekette zum Abbruch der Polymerisationsreaktion kommt. Ein weiteres Therapeutikum für HIV-Infektionen mit ähnlicher Wirkungsweise wie Zalcitabin ist Didesoxyinosin (ddI, Didanosin). Es wird in der Zelle phosphoryliert und zu Didesoxyadenosin aminiert; in dieser Form wirkt es als Analogon zum Adenosin. Die orale Bioverfügbarkeit ist geringer als die von Didesoxycytidin oder Azidothymidin. Der Vorteil des Didesoxyinosin liegt in einer geringen cytostatischen Wirkung auf Knochenmarkzellen. Periphere Neuropathien treten als Nebenwirkungen jedoch häufiger auf. Lamivudin (3TC, 2’-Desoxy-3’-Thiacytidin) wird nicht nur bei der Behandlung von Infektionen mit den humanen Immundefizienzviren eingesetzt: Es bewirkt auch bei chronischen Hepatitis-B-Infektionen eine Reduktion der Virusmengen im Organismus und wird hier meist zusammen mit pegyliertem IFN-α verwendet (䉴 Abschnitte 8.1 und 19.1). Neben Lamivudin steht Adefovir, ein monophosphoryliertes Adenosinanalogon (2-(6-Aminopurin-9-yl)-ethoxymethyl-Phosphorsäure), das sich durch eine unvollständige Zuckereinheit auszeichnet, zur Therapie der chronischen Hepatitis B zur Verfügung. Es wird von der DNA-Polymerase dieser Viren, die auch reverse-Transkriptase-Aktivität hat, als Substrat akzeptiert und führt zum Abbruch der Polymerisation. Acycloguanosin oder Acyclovir (9-(2-Hydroxyethoxy)-methylguanin) ist ein Guanosinderivat mit einem azyklischen Zuckerrest. Man kann es sowohl oral als auch systemisch anwenden. Die Thymidinkinasen der Herpes-simplex- oder Varicella-Zoster-Viren verwenden es bevorzugt als Substrat und monophosphorylieren es. Zelluläre Enzyme überführen es in das Triphosphat. In dieser Form wird es ebenfalls selektiv von der herpesviralen DNA-Polymerase akzeptiert und deswegen nur in neusynthetisierte Virusgenome, nicht jedoch in die zelluläre DNA eingebaut, was den Abbruch der Polymerisation bewirkt (䉴 Abbildung 9.2B). Wegen des spezifischen Aktivierungsmechanismus ist es ausschließlich in Zellen wirksam, die mit Herpes-simplexoder Varicella-Zoster-Viren infiziert sind (䉴 Abschnitt 19.5) und wird bei Erkrankungen eingesetzt, die mit diesen beiden Infektionen in Verbindung stehen. Aufgrund des hoch selektiven Wirkungsmechanismus ist dieses Medikament nicht sehr toxisch. Aciclovir ist durch Veränderung oder Anfügen weiterer Gruppen in vielfacher Weise modifiziert worden, um so seine Bioverfügbarkeit zu erhöhen (zum Beispiel als Pro-Drugs). So erhielt man antiviral wirkende Substanzen wie Valyl-
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Aciclovir, Penciclovir, Famciclovir und Ganciclovir. Famciclovir ist ein diacetyliertes Guanosinanalogon, es wird nach seiner Aufnahme von den Zellen in Penciclovir umgewandelt. Dieses wird von der DNA-Polymerase der Herpes-simplex- und Varicella-Zoster Viren in die viralen DNA-Stränge eingebaut und führt zum Kettenabbruch. Ganciclovir (9-(1,3-Dihydroxy-2-propoxy)methylguanin) wirkt vermutlich über den gleichen molekularen Mechanismus wie Acycloguanosin. Man setzt es bei Infektionen mit Cytomegaloviren ein. Diese Viren besitzen keine Thymidinkinase; die Substanz wird von einer viralen Proteinkinase phosphoryliert, vermutlich durch die Aktivität des Genprodukts des Leserahmens UL97. Als Triphosphat kann es dann wiederum von der DNA-Polymerase der Cytomegaloviren bei der Genomreplikation verwendet werden. Aufgrund der eingeschränkten viralen Selektivität weist Ganciclovir deutlich mehr Nebenwirkungen auf, zum Beispiel Knochenmarks-Toxizität. Ebenfalls zur Therapie von Infektionen mit Cytomegaloviren, insbesondere wenn diese Resistenzen gegen Ganciclovir aufweisen, kann Cidofovir, ein monophosphoryliertes Cytosinanalogon ([1-(4Amino-2-oxo-pyrimidin-1-yl)-3-Hydroxypropan-2-yl] Oxymethylphosphosäure) verwendet werden. Auch dieses Medikament, das eine sehr lange Halbwertszeit im Körper hat, weist signifikante Nebenwirkungen auf, unter anderem eine Nieren-Toxizität. Als Reservemittel bei Cytomegalovirus-Infektionen ist nach wie vor Foscarnet im Einsatz, das allerdings auch sehr nebenwirkungsreich ist.
Nichtnucleosidische Hemmstoffe Foscarnet (das Trinatriumsalz der Phosphonoameisensäure; Abbildung 9.1C) wird systemisch bei der durch Cytomegaloviren verursachten Chorioretinitis angewendet. Es wirkt als Analogon von Pyrophosphaten und lagert sich nicht an das aktive Zentrum der viralen DNA-Polymerase an, sondern an die Pyrophosphatbindungsstelle, die sich in der Nachbarschaft befindet. So wirkt es nichtkompetitiv für die natürlichen Basen. Es ist bisher der einzige nichtnucleosidische Hemmstoff für die DNA-Polymerase der Herpesviren und inhibiert außerdem die reverse Transkriptase der Retroviren, zum Beispiel des humanen Immundefizienzvirus. Auch Nevirapin, ein Dipyridodiazepinon, hemmt die reverse Transkriptase; es bindet sich an die größere Untereinheit des heterodimeren Enzyms (䉴 Abschnitt 18.1).
9
9
100
9 Chemotherapie
A
O CH3
HN O
N
O
CH2OH
N3 Azidothymidin
zelluläre Kinasen
O CH3
HN
O N
O
O
O
O
CH2
N3 Azidothymidintriphosphat
5'
Reverse Transkriptase
O C
Kettenabbruch N3
O
A
O
T
CH2
virales RNA-Genom
O
G
komplementäre DNA
C O
O
U
A O
3'
5'
9.2 Molekulare Wirkmechanismen antiviraler Chemotherapeutika. A: Hemmung der reversen Transkriptase von Retroviren durch Azidothymidin. Das Azidothymidin (rot) wird von zellulären Kinasen in das Triphosphat überführt. Dieses triphosphorylierte Produkt dient der reversen Transkriptase als Substrat. Wird es beim Umschreiben der RNA in DNA in die wachsenden DNA-Stränge eingebaut, kommt es zum Kettenabbruch.
9.1 Welche molekularen Angriffspunkte haben antivirale Wirkstoffe?
B
O
H2N
O N
HN N
101
N
HN herpesvirale Thymidinkinasen
N
N
H2N
N O
O O O
HO-CH2
P
O CH2
O Acycloguanosinmonophosphat
Acycloguanosin
zelluläre Kinasen
O N
HN N
H2N O
O
O
O
N
CH2
5'
Acycloguanosintriphosphat
O
herpesvirale DNA-Polymerase
C
Kettenabbruch Herpesvirusgenom
O C
G O
Matrizenstrang
O
G
CH2
wachsender DNA-Strang
C O
O
T
A O
3'
5'
9.2 (Fortsetzung) B: Hemmung der DNA-Polymerase von Herpesviren durch Acycloguanosin. Das Acycloguanosin (rot) wird von der Thymidinkinase der Herpesviren monophosphoryliert und von zellulären Kinasen in das Triphosphat überführt. Dieses triphosphorylierte Produkt wird von der DNA-Polymerase der Herpesviren als Substrat akzeptiert. Bei der Replikation des Virusgenoms wird es in die neusynthetisierten DNA-Stränge eingebaut. Dadurch kommt es zum Kettenabbruch.
9
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102
9 Chemotherapie
9.1.2 Hemmstoffe der Virusaufnahme und des Uncoatings Amantadin (1-Aminoadamantan-HCl), das 1964 erstmals hergestellt wurde, und sein Derivat Rimantadin (αMethyl-1-Adamantanmethylamin; 䉴 Abbildung 9.1D) sind polyzyklische, aliphatische Ringsysteme. Sie wirken als Hemmstoffe der Influenza-A-Virusinfektion. Nach der Aufnahme der Viruspartikel durch die Endosomen inhibieren sie die Funktion des viralen M2-Proteins, das in die Virusmembran eingelagert ist und als Protonenkanal die Ansäuerung des Vesikelinneren bewirkt (䉴 Abschnitt 16.3). Dies verhindert die Fusion der Endosomen- mit der Virusmembran und die Freisetzung der Genomsegmente, damit findet das Uncoating nicht statt. Beide Substanzen können oral eingesetzt werden. Amantadin und Rimantadin (in Deutschland nicht zugelassen) werden vor allem bei älteren oder immunsupprimierten Patienten zur Prophylaxe und Behandlung der klassischen Virusgrippe eingesetzt, allerdings nur wenn sie durch Influenza-A-Viren verursacht wird. Es entwickeln sich sehr schnell klinische Resistenzen. Beide Wirkstoffe werden auch als Medikamente bei Parkinson Erkrankungen eingesetzt. Dies erklärt auch die beachtlichen Nebenwirkungen im psychiatrisch-neurologischen Bereich. Pleconaril (3-[3,5-Dimethyl- 4-[3-(3-Methyl-1,2Oxazol-5-yl)Propoxy]Phenyl]-5-(Trifluoromethyl)1,2,4-Oxadiazol) ist ein Analog des Pocket-Faktors, einem Sphingosin ähnlichen Molekül, das bei der Morphogenese in einen Hohlraum eingepasst wird, welcher bei der Zusammenlagerung der Strukturproteine der Picornaviren in den Capsiden entsteht (䉴 Abschnitt 14.1). Pleconaril ersetzt den Pocket-Faktor, stabilisiert die Interaktion der Capsidproteine miteinander und bewirkt, dass die Freisetzung der viralen Nucleinsäure nach Infektion der Zellen nicht erfolgreich ist. Dadurch wird der virale Infektionszyklus unterbrochen. Pleconaril könnte als Virostatikum zur Behandlung von Rhino(zum Beispiel grippaler Infekt/Schnupfen) und Enterovirusinfektionen (zum Beispiel Hirnhautentzündungen) eingesetzt werden und würde die Erkrankungsdauer auch signifikant reduzieren. Allerdings ist Pleconaril bis jetzt für diese Indikationen nicht zugelassen. T20 (Enfuvirtide, Fuzeon) ist eine peptidähnliche Substanz, die 36 Aminosäuren umfasst und der Sequenz am aminoterminalen Ende des Transmembranproteins gp41 des humanen Immundefizienzvirus Typ 1 (HIV-1) gleicht. Enfuvirtide unterbindet die Fusion von der Virushüllmembran mit der Cytoplasmamembran der Wirtszelle und somit die Infektion der Zelle. Diese findet statt, nachdem sich das Oberfächenproteins gp120
an den CD4-Rezeptor und einen Chemokinrezeptor gebunden hat. Diese Wechselwirkung bewirkt Konformationsänderungen des Proteins, wodurch das aminoterminale Ende von gp41 mit der Cytoplasmamembran Kontakt bekommt und die Fusion vermittelt. T20 verhindert die Konformationsänderung, indem es mit seiner homologen Sequenz im gp41 interagiert und somit die Infektion blockiert.
9.1.3. Sonstige antivirale Chemotherapeutika Zanamivir (2,3-Didehydro-2,4-Dideoxy-4-GuanidinoN-Acetyl-Neuraminsäure) und Oseltamivir (4-Acetamino-5-Amino-3-(1-Ethylpropoxy)-1-Cyclohexen-1Carboxylsäure; Abbildung 9.1D) sind Hemmstoffe der Neuraminidase von Influenzaviren, die als Aerosolspray beziehungsweise oral angewandt werden. Die Neuraminidase ist als virales Enzym in der Hüllmembran der Influenzaviren verankert. Es wird in den infizierten Zellen produziert und hat die Aufgabe, endständige N-Acetyl-Neuraminsäurereste (Sialylsäuren) auf viralen und zellulären Oberflächenproteinen abzubauen, da diese von den Viren als Rezeptoren bei der Adsorption verwendet werden. Die Adsorption wird durch ein weiteres Virusmembranprotein, nämlich das Hämagglutinin, vermittelt. Indem die Neuraminidase die Rezeptoren zerstört, verhindert sie sowohl die Aggregation neu gebildeter Influenzaviren miteinander als auch die Wechselwirkung mit Sialylsäureresten an membranund oberflächenassoziierten Proteinen der infizierten Zellen. Deswegen können sich die Viren im Organismus effektiv verbreiten. Bei möglichst frühzeitiger Hemmung der Neuraminidase ist eben dieser Vorgang in den Patienten unterbunden (䉴 Abschnitt 16.3). Diese Medikamente mindern daher die Symptome und Länge der Erkrankung. Ribavirin (1-D-Ribofuranosyl-1,2,4-triazol-3-carboxamid; 䉴 Abbildung 9.1B) ist strukturell mit Guanosin verwandt. Es wird durch zelluläre Kinasen zum Mono-, Di- und Triphosphat modifiziert und hat eine breite Hemmwirkung bei verschiedenen Virusinfektionen. Ribavirinmonophosphat hemmt die Inosinmonophosphat-Dehydrogenase und verursacht so die Abnahme der intrazellulären GTP-Konzentration. Das Triphosphat, das vor allem für die antivirale Wirkungsweise verantwortlich ist, inhibiert die Guanyltransferase, welche die 5’-Cap-Gruppe an die Enden der mRNA-Moleküle anfügt. Ungecappte mRNA-Spezies können den Cap-Bindungskomplex nicht binden und werden daher nicht translatiert. Ribavirin wirkt nicht selektiv; es ver-
9.2 Wodurch können Viren gegen antivirale Hemmstoffe resistent werden?
hindert das „Capping“ sowohl der zellulären als auch der viralen Transkripte. Deswegen treten bei der Behandlung auch massive Schädigungen nichtinfizierter Zellen auf. Die triphosphorylierte Form des Ribavirin wird von den RNA-abhängigen RNA-Polymerasen der RNA-Viren als Substrat verwendet und in neu gebildete Virusgenome eingebaut. Dies bewirkt zum Teil Letalmutationen der Viren. Ribavirin wird bei schweren Fällen von Lassafieber oder bei RSV-Infektionen bei immunsupprimierten Patienten eingesetzt (䉴 Abschnitt 16.3). Zudem setzt man Ribavirin in Kombination mit den Interferonen α und β zur Behandlung chronischer Hepatitis-C-Infektionen ein (䉴 Abschnitt 14.5). Zur Therapie der AIDS-Erkrankung setzt man inzwischen – überwiegend in Kombination mit den Hemmstoffen der reversen Transkriptase – Inhibitoren der Protease des humanen Immundefizienzvirus ein. Dieses Enzym spaltet in den noch unreifen, von den infizierten Zellen freigesetzten Viren die Gag- und Gag/Pol-Vorläuferproteine und ist für die Ausbildung der Infektiosität der Virionen unerlässlich (䉴 Abschnitt 18.1). Die Hemmstoffe sind überwiegend von Peptiden abgeleitet, die Proteasespaltstellen in den Vorläuferproteinen simulieren (Peptidomimetika). Sie werden zum Beispiel unter den Bezeichnungen Saquinavir, Indinavir, Nelfinavir oder Ritonavir vertrieben. Imiquimod (1(-2)-Methylpropyl-1H-Imidazol-[4,5 c]Quinolin-4-Amin; 䉴 Abbildung 9.1E) wird lokal zur Behandlung von Warzen und Kondylomen, die durch Papillomaviren verursacht sind, angewandt (Abschnitt 19.3). Ähnlich wirkt es aber auch bei der Therapie des Molluscum contagiosum, einer Hautläsion, die durch Molluscipoxviren (䉴 Abschnitt 19.6) ausgelöst wird. Imiquimod induziert an der Injektions- oder Auftragsstelle die Produktion von Interferonen und Cytokinen, indem es toll-like-Rezeptor 7 aktiviert. Dies bewirkt eine Entzündungsreaktion, welche die Hauterkrankung abklingen lässt.
9.2 Wodurch können Viren gegen antivirale Hemmstoffe resistent werden? Antivirale Therapeutika üben auf die Erreger einen starken Selektionsdruck aus. Es werden deshalb immer mehr Virusvarianten selektiert, die gegen die verschiedenen Hemmstoffe resistent sind. Das gilt besonders für Virusarten mit einem RNA-Genom, die, wie beispielsweise die humanen Immundefizienzviren und die HepatitisC-Viren, zur Bildung von Quasispezies neigen. Polyme-
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rasen wie die RNA-abhängige RNA-Polymerase, die reverse Transkriptase, aber auch die zellulären RNAPolymerasen, die an der Genomreplikation der unterschiedlichen Viren beteiligt sind (䉴 Kapitel 3), können nicht überprüfen, ob die neusynthetisierten Sequenzen mit den Ausgangsmatrizen übereinstimmen, sie haben keine proof-reading Aktivität. Daher treten bei der Genomvermehrung mit einer statistischen Wahrscheinlichkeit von etwa 10–4 Mutationen auf. Das heißt, jedes Mal wenn sich ein 10 000 Basen langes Virusgenom repliziert, ist mindestens ein Fehler vorhanden. Durch Einsatz von Chemotherapeutika werden solche Virusvarianten selektiert, die sich trotz Anwesenheit der Inhibitoren replizieren können. Solche resistenten Viren hat man vor allem bei AIDS-Patienten gefunden, die mit Hemmstoffen der reversen Transkriptase behandelt wurden (䉴 Abschnitt 18.1). Aber auch bei Influenzaviren traten bereits kurze Zeit, nachdem man früher Amantadin oder heute Hemmstoffe der Neuraminidase zur Therapie von H1N1- oder H5N1-Infektionen eingesetzt hatte, erste resistente Viren auf (䉴 Abschnitt 16.3). Die Mutationen betreffen hauptsächlich diejenigen Bereiche des Enzyms, die mit den Inhibitoren wechselwirken. Sie verändern das Protein so, dass die Hemmstoffe nicht mehr als Substrate oder Bindungspartner akzeptiert werden. Da sich die Interaktionsstellen der verschiedenen Hemmstoffe der reversen Transkriptase wie Azidothymidin, Didesoxycytidin, Didesoxyinosin oder Lamivudin jedoch voneinander unterscheiden, wechselt man beim ersten Auftreten von azidothymidinresistenten Varianten der humanen Immundefizienzviren beim Patienten das Therapeutikum. Heute werden im Rahmen der HAART (highly active antiretroviral therapy) Kombinationen von mindestens drei bis vier Inhibitoren, deren molekulare Angriffsorte sich voneinander unterscheiden, schon zu Beginn der Therapie eingesetzt. Auf diese Weise soll es dem Virus unmöglich gemacht werden, alle für eine mögliche Resistenzentwicklung notwendigen Proteinregionen zu verändern. Man erwartet, dass dann die Enzymfunktion und somit die Überlebensfähigkeit und die Virulenz des Virus stark beeinträchtigt sind. Daher wird heute empfohlen, schon bei Therapiebeginn zum Beispiel eine Kombination der Hemmstoffe AZT, ddC und Saquinavir zu verwenden. Findet man trotzdem nach einiger Zeit resistente Virusmutanten, wird in der Mischung meist ddC durch ddI oder eines der anderen Nucleosidanaloga ersetzt. Bei den Influenza-A-Viren als Erregertypen mit einem RNA-Genom beobachtete man sehr bald die Ausbildung von amantadin- und rimantadinresistenten Varianten (䉴 Abschnitt 16.3). Auch aufgrund der viel schwerwiegenderen Nebenwirkungen wird deshalb heute eindeutig den Neuraminidase-Hemmern bei der Therapie der
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9
104
9 Chemotherapie
Vorzug gegeben, zumal diese auch gegen Influenza B und die hochpathogenen Influenza-A-Stämme wie H5N1 effektiv sind. Da bei letzteren unter Therapie mit Neuraminidase-Hemmstoffen aber auch bereits resistente Virusmutanten gefunden wurden, wird jetzt eine Kombination von Amantadin mit NeuraminidaseHemmern bei Fällen von Vogelgrippe im Menschen diskutiert. Aber auch bei den Herpesviren, deren DNA-Polymerase über einen Mechanismus zur Überprüfung der Lesegenauigkeit verfügt, entstehen bei Behandlung mit Acycloguanosin Varianten, die gegen den Hemmstoff resistent sind. Die Mutationen befinden sich hier vor allem in der Thymidinkinase, die den Inhibitor in das Monophosphat überführt. Weitere finden sich im Polymerase-Gen, auch bei Behandlung von Cytomegalovirus mit Ganciclovir. Inwieweit die mutierten Viren in vivo überlebensfähig sind, ist nicht endgültig geklärt: Im Tierversuch erwiesen sie sich als avirulent, konnten allerdings latente Infektionsformen induzieren (䉴 Abschnitt 19.5). Veränderungen der DNA-Polymerase treten insgesamt seltener auf, da sie wahrscheinlich die Enzymfunktion beeinträchtigen. Auch überlegt man, antivirale Chemotherapeutika gleichzeitig mit verschiedenen Cytokinen wie Interferon-α, Tumornekrosefaktoren oder koloniestimulierenden Faktoren einzusetzen. Letztere sollen vor allem die cytostatische Wirkung der Hemmstoffe auf die peripheren Blutzellen kompensieren und deren schnelle Regeneration ermöglichen (䉴 Kapitel 8).
9.3 Welche therapeutischen Hoffnungen setzt man in Ribozyme, Antisense-RNA und RNAi/siRNA? Mit verschiedenen experimentellen Ansätzen wird heutzutage versucht, neue antivirale Hemmstoffe zu entwickeln. Außer auf Stoffe, welche die Adsorption des Virus an den zellulären Rezeptor blockieren und die Infektion von Anfang an unterbinden sollen, setzte man große Hoffnungen in die sogenannten Ribozyme. Hierbei handelt es sich um kleine, in ausgeprägter Sekundärstruktur vorliegende RNA-Moleküle, die als sequenzspezifische RNasen wirken. Ribozyme sind von entsprechenden Strukturen in den RNA-Genomen der Viroide abgeleitet. Nach der Replikation schneiden derartige autokatalytisch wirkende RNA-Strukturen die neuen konkatemeren Genomstränge in die einzelnen Einheiten. Man
kann heute Ribozyme konstruieren, die bestimmte Sequenzen in viralen RNA-Genomen oder in den gebildeten mRNA-Spezies erkennen, sie spalten und so die Replikation des jeweiligen Virus beziehungsweise die Expression unterbinden. Es ist jedoch schwierig, eine ausreichende Menge an Ribozymen gezielt in die infizierten Zellen einzuschleusen. Eine andere Möglichkeit, die Virussynthese zu blockieren, bietet die Anwendung der Antisense-RNA. Diese RNA-Spezies sind komplementär zu bestimmten, viralen mRNA-Molekülen. Sie hybridisieren mit ihnen zu doppelsträngiger RNA und verhindern so die Translation der mRNA. Dieses Verfahren hat sich in vitro gut bewährt. Auch hier besteht das Problem darin, eine ausreichende Menge von Antisense-Strängen in die Zellen einzubringen. Neben topologischen Anwendungsmöglichkeiten wie am Auge könnten gentherapeutische Ansätze, bei denen man die Gene für die Ribozyme oder die Antisense-RNA als Teile von Vektoren in die infizierten Zellen einschleust, hier unter Umständen einen Ausweg darstellen. Ein erstes Präparat auf der Grundlage dieses Wirkmechanismus ist Fomivirsen, ein 21 Basen langes Phosphorothioat-Deoxyoligonucleotid, das komplementär zur mRNA der immediate early-Proteine des Cytomegalovirus ist. Es wird bei der durch dieses Virus verursachten Retinitis am Auge eingesetzt. Breite therapeutische Anwendungsmöglichkeiten verspricht man sich auch von der siRNA-Technologie (RNA-Interferenz), die noch gezielter und effektiver als Antisense-RNA einsetzbar ist. Neben den akuten Infektionen wie Influenza werden hier auch viele Versuche zu persistierenden Infektionen mit den humanen Immundefizienzviren, Hepatitis-B- und Hepatitis-C-Viren durchgeführt. Allerdings trifft man auch hier auf die bekannten Probleme wie Bioverfügbarkeit, Transport zum Zielort und Toxizität. Außerdem haben viele Viren im Laufe der Koevolution effektive Strategien zur Vermeidung oder Unterwanderung solcher Angriffspunkte entwickelt.
9.4 Weiterführende Literatur Blair, E.; Darby, G.; Gough, G.; Littler, E.; Rowlands, D.; Tinsdale, M. Antiviral Therapy. Oxford (BIOS Scientific Publishers) 1998. Cameron, C. E.; Castro, C. The Mechanism of Action of Ribavirin: Lethal Mutagenesis of RNA Virus Genomes Mediated by the Viral RNA-Dependent RNA-Polymerase. In: Curr. Opin. Infect. Dis. 6 (2001) S. 757–764. Cantin, E. M.; Woolf, T. M. Antisense Oligonucleotides as Antiviral Agents: Prospects and Problems. In: Trends in Microbiology 1 (1993) S. 270–275.
9.4 Weiterführende Literatur
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10 Impfstoffe Impfstoffe dienen überwiegend zur Prävention, das heißt, sie sollen bei den immunisierten Personen oder Tieren einen Schutz aufbauen, der sie bei Kontakt mit dem jeweiligen Erreger möglichst vor der Infektion und einer nachfolgenden Erkrankung, wenigstens aber vor der Erkrankung schützt. Grundsätzlich kann man zwei Typen der Immunisierung unterscheiden: die aktive und die passive. Letztere beruht auf der Gabe von Immunglobulin-Präparaten, die ein bestimmtes Virus neutralisieren können. Die passive Impfung wird daher nur in besonderen Fällen angewandt, etwa dann, wenn die zu schützende Person nachweislich vor kurzer Zeit Kontakt mit einem bestimmten Virus hatte (Post-ExpositionsProphylaxe; PEP) oder wenn das Risiko der Exposition mit Erregern in den folgenden Wochen nicht auszuschließen und eine aktive Impfung nicht möglich ist, wie bei kurzfristig geplanten Reisen in Länder der Dritten Welt (Expositionsprophylaxe). Ein Beispiel ist auch die Gabe von Hepatitis-B-Virus-spezifischen Antikörpern bei Kontamination mit Blut von Personen, die eine akute oder chronisch-persistierende Infektion mit diesem Virus und daher hohe Konzentrationen von infektiösen Partikeln im Blut haben. Solche Unfälle ereignen sich vor allem bei medizinischem Personal durch Nadelstichverletzungen (䉴 Abschnitt 19.1). In bestimmten Fällen erfolgt eine solche Gabe in Kombination mit einer aktiven Impfung (aktiv-passive Impfung). Spezifische Immunglobulinpräparate werden auch verabreicht, wenn Personen von Tieren gebissen wurden, die möglicherweise mit dem Tollwutvirus infiziert sind (䉴 Abschnitt 15.1). Bei rechtzeitiger Applikation (zusammen mit einer aktiven Impfung) können die Antikörper das Virus neutralisieren und seine Ausbreitung im Körper verhindern. Da die Spanne zwischen dem Kontakt mit
dem Virus und seiner Ausbreitung im Organismus jedoch oft sehr kurz ist, beschränkt sich die passive Immunisierung auf einen Zeitraum kurz vor oder nach der Exposition mit dem Erreger (meist innerhalb vier Tage). Sie bleibt daher Fällen vorbehalten, bei denen der Kontakt mit dem potenziellen Erreger gut dokumentiert, und die Art der Infektion bekannt ist sowie ein entsprechendes Immunglobulin-Präparat zur Verfügung steht. Der Schutz durch die Antikörperpräparate hält nur wenige Wochen an, da die Immunglobuline im Körper schnell abgebaut werden. Daher weicht man immer mehr auf die post-expositionelle Gabe von aktiven Impfstoffen aus, zum Beispiel im Rahmen einer Riegelimpfung. In der Tiermedizin wendet man die passive Immunisierung gelegentlich bei Jungtieren an, die in einem Bestand mit hohem Infektionsdruck geboren werden. Diese Vorgehensweise wird beispielsweise in Hundezuchten angewandt, wenn Infektionen mit dem caninen Parvovirus auftreten (䉴 Abschnitt 20.1.6). Ihr Wert ist jedoch umstritten, da durch die verabreichten Immunglobuline die vorteilhaftere aktive Immunisierung behindert wird. Die aktive Impfung erzeugt dagegen einen lang andauernden Schutz vor der Infektion. Dabei wird im Organismus eine schützende Immunantwort induziert. Im Idealfall besteht sie aus einer Kombination von neutralisierenden Antikörpern und cytotoxischen T-Zellen (䉴 Kapitel 7). Die aktive Immunisierung kann auf zweierlei Weise erfolgen: mit Lebend- und mit Totimpfstoffen. Die verschiedenen Methoden, die man heute zur Entwicklung von Impfstoffen einsetzt beziehungsweise einzusetzen versucht, sind schematisch in der Abbildung 10.1 dargestellt.
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10 Impfstoffe
10.1 Wie wirken Lebendimpfstoffe? Lebendimpfstoffe enthalten replikationsfähige Erreger, die sich in der geimpften Person vermehren können, also in der Lage sind, bestimmte Zellen zu infizieren und die Synthese von viralen Proteinen und Partikeln einzuleiten, allerdings ohne dabei das entsprechende Krankheitsbild auszulösen. Die so gebildeten Komponenten werden vom Immunsystem des Impflings als „fremd“ erkannt, was die Bildung von spezifischen neutralisierenden Antikörpern und von cytotoxischen T-Lymphocyten einleitet (䉴 Kapitel 7). Neutralisierende Antikörper sind überwiegend gegen virale Oberflächenstrukturen gerichtet; sie können sich an die Virusoberfläche binden, die Adsorption der Partikel an bestimmte Zelltypen und so die Infektion selbst verhindern. Die Immunkomplexe aus Antikörpern und Viruspartikeln aktivieren das Komplementsystem oder werden durch Makrophagen und neutrophile Granulocyten phagocytiert. Cytotoxische T-Zellen erkennen durch den T-Zell-Rezeptor auf ihrer Oberfläche infizierte Zellen, die virale „Fremd“Proteine synthetisieren und Peptidfragmente hiervon im Komplex mit MHC-Klasse-I-Antigenen präsentieren. Die Erkennung führt zur Abtötung der infizierten Zellen und so zur Eliminierung des Virus aus dem Organismus. Mit Lebendimpfstoffen lässt sich gegen eine Reihe von viralen Erregern ein sehr wirksamer Schutz aufbauen, da sie sowohl das humorale als auch das zelluläre Immunsystem wirksam aktivieren. Insgesamt stellen Lebendimpfstoffe somit die idealen Impfstoffkandidaten dar. Problematisch ist allerdings, dass bei ihrer Anwendung eine Kühlkette aufrecht erhalten werden muss; in Entwicklungsländern kann dies schwierig sein.
10.1.1 Attenuierte Viren Attenuierte Viren ähneln den krankheitserzeugenden Erregern in Bezug auf Aufbau, Proteinzusammensetzung und Infektionsverhalten. Sie unterscheiden sich von ihnen jedoch hinsichtlich der Virulenz sehr deutlich (䉴 Kapitel 4). Im Vergleich zum Wildtypvirus verursachen sie meist eine begrenzte oder abgeschwächte Infektion, die in aller Regel keine klinischen Symptome verursacht und durch die körpereigene Immunantwort leicht kontrolliert werden kann. Die Proteine, die in ihrem Verlauf gebildet werden, sind im Idealfall identisch mit denen der virulenten Virusstämme oder ähneln ihnen zumindest sehr stark. Dadurch, dass wäh-
rend der abgeschwächten Infektion in den Zellen virale Polypeptide synthetisiert werden und virale Partikel entstehen, wird die Bildung von neutralisierenden Antikörpern und cytotoxischen T-Zellen induziert. Die Immunantwort, die diese attenuierten Viren auslösen, ist daher geeignet, einen lang anhaltenden, kompetenten Schutz vor der Infektion mit dem jeweiligen pathogenen Erreger zu induzieren. Die molekulare Basis der Attenuierung sind Mutationen im Genom der Wildtypviren. Bei den verschiedenen Impfviren können davon verschiedene Gene betroffen sein. Oft weiß man nicht, warum durch sie eine Attenuierung des Wildtyps erfolgt. Eine Möglichkeit attenuierte Virusstämme zu erhalten, ist die kontinuierliche Züchtung und Passagierung in der Zellkultur. Hierdurch werden Virusvarianten selektiert, die an die Zellkulturbedingungen optimal angepasst sind. Dabei verlieren sie gelegentlich ihre Virulenz. Diese Methode erlaubte beispielsweise die Isolierung von abgeschwächten Polio-, Masern- und Gelbfieberviren, die beim Menschen keine der Wildtypinfektion ähnliche Erkrankung mehr verursachen (䉴 Tabelle 10.1 und Abschnitte 14.1, 14.5 und 15.3). Ein weiteres Beispiel hierfür ist der Impfstoff, der erfolgreich zum Schutz der Schweine gegen Infektionen durch die Viren der klassischen Schweinepest (ClassicalSwine-Fever-Virus; 䉴 Abschnitt 14.5) eingesetzt wurde. In diesem Fall wurde das virulente Virus durch kontinuierliche Passagierung in Kaninchenzellen attenuiert. In den Schweinen lösten die „lapinisierten“ Viren dann keine Erkrankungen mehr aus. Die Anwendung dieses ursprünglich sehr erfolgreichen Impfstoffes ist inzwischen verboten. Die Begründung hierfür liegt insbesondere im Handel. Zum einen konnte durch eine Blutuntersuchung eine Infektion durch das attenuierte Impfvirus nicht von einer Infektion mit dem klassischen Schweinepest-Virus unterschieden werden, zum anderen folgt einer Impfung ein Exportverbot für einen begrenzten, sich wirtschaftlich jedoch nachteilig auswirkenden Zeitraum. Stattdessen versucht man durch Keulung der Tierbestände, in welchen die klassische Schweinepest auftritt, die Infektketten zu unterbrechen und das Virus so aus den Populationen zu eliminieren beziehungsweise fernzuhalten (䉴 Kapitel 11 und Abschnitt 14.2). Auch bei Überschreitung der Speziesbarriere kann die Infektion gelegentlich einen abgeschwächten Charakter annehmen: So induzierten die Vacciniaviren, die man ursprünglich zur Ausbildung einer schützenden Immunantwort vor der Pockenvirusinfektion einsetzte, beim Menschen lokale Infektionen, die in sehr seltenen Fällen generalisiert oder tödlich verliefen. Wegen dieser Problematik wurde durch wiederholte Passagierung in embryonalen Hühnerzellen eine weitere Attenuierung des Vacciniavirus angestrebt. Tatsächlich resultierte dar-
10.1 Verschiedene Möglichkeiten der Entwicklung von Impfstoffen.
10.1 Wie wirken Lebendimpfstoffe?
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canine Parvoviren feline Parvoviren Hundestaupevirus canines Adenovirus Typ 2 feline Caliciviren felines Herpesvirus felines Coronavirus Virus der bovinen Virusdiarrhoe Virus der infektiösen Bronchitis der Vögel bovines respiratorisches Syncytialvirus bovines Parainfluenzavirus equine Herpesviren Typ 1 und 4 porcines Respiratory-andReproductive-SyndromeVirus Newcastle-Disease-Virus
Tier
Tollwutvirus (rekombinantes Vacciniavirus, Frankreich) felines Leukämievirus (rekombinantes Kanarienpockenvirus) equines Influenzavirus (rekombinantes Kanarienpockenvirus)
rekombinante Vacciniaviren (in Erprobung)
Tollwutvirus felines Leukämievirus canine Parvoviren feline Parvoviren canines Adenovirus Typ 1 felines Herpesvirus Virus der bovinen Virusdiarrhoe Virus der infektiösen Bronchitis der Vögel bovines respiratorisches Syncytialvirus equine Herpesviren Typ 1 und 4 equine Influenzaviren porcine Influenzaviren porcines Respiratory-andReproductive-Syndrome-Virus Maul-und-Klauenseuche-Viren (Notimpfung) felines Calicivirus canines Parainfluenzavirus porcines Parvovirus Bluetonguevirus, Typ 8
Poliovirus (Salk)** Influenzavirus Hepatitis-A-Virus FSME-Virus japanisches Encephalitisvirus Tollwutvirus
abgetötete Viren
Virus der klassischen Schweinepest (Notimpfung) felines Leukämievirus
Hepatitis-B-Virus humane Papillomaviren (HPV 6, 11, 16, 18) Influenzavirus humanes Immundefizienzvirus (in Erprobung)
in Erprobung
in Erprobung
Totimpfstoffe Proteinkomponenten Peptide
in Erprobung
in Erprobung (z. B. gegen HIV)
DNA
bovines Herpesvirus (attenuiertes Virus oder Totimpfstoff) porcines Herpesvirus
Markervakzinen
* Schluckimpfung, in Europa nicht mehr empfohlen; ** in Europa empfohlen; *** die Pockenschutzimpfung wurde auf Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO im Jahr 1979 weltweit eingestellt.
Poliovirus (Sabin)* Gelbfiebervirus Masernvirus Mumpsvirus Rotavirus Rötelnvirus Vacciniavirus*** Varicella-Zoster-Virus
Lebendimpfstoffe rekombinante Viren
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Mensch
attenuierte Viren
Tabelle 10.1 Wichtige Impfstoffe zur Verhinderung von Virusinfektionen
10 10 Impfstoffe
10.1 Wie wirken Lebendimpfstoffe?
aus das modifizierte Vaccinia-Virus-Ankara (MVA; 䉴 Abschnitt 19.6), welches weniger Nebenwirkungen aufweist und derzeit als Vektorsystem für die Expression von rekombinanten Impfstoffen erprobt wird, die beispielsweise bei HIV-Patienten im Rahmen therapeutischer Impfungen eingesetzt werden sollen. Impfungen mit attenuierten Viren verleihen meist einen sehr guten Impfschutz, der lange erhalten bleibt. Wiederholungsimpfungen in relativ langen Zeitabständen von bis zu zehn Jahren können so einen kontinuierlichen Schutz vermitteln. Attenuierte Viren bergen jedoch das Risiko, dass sie infolge ungenügender Kühlkette ihre Vermehrungsfähigkeit und somit Effizienz verlieren oder aber im Verlauf der abgeschwächten Infektion zur Wildtypform zurückmutieren können. Deswegen achtet man heute darauf, dass die Abschwächung auf möglichst mehreren voneinander unabhängigen Veränderungen beruht, was eine Rückmutation zum pathogenen Wildtyp weitgehend ausschließt. Abgeschwächte Impfviren dürfen jedoch nur bei immunologisch gesunden Impflingen eingesetzt werden. Bei immunsupprimierten Individuen können diese Virustypen unter Umständen lange persistieren und zu symptomatischen Infektionen führen. Da attenuierte Impfviren manchmal auch von den Impflingen auf Personen in ihrer unmittelbaren Umgebung übertragen werden können (beispielsweise bei der Polio-Schluckimpfung; 䉴 Abschnitt 14.1), gilt diese Einschränkung auch für derartige immunsupprimierte Personen im familiären Umfeld und in der Umgebung. Auch in der Schwangerschaft dürfen keine Lebendimpfstoffe eingesetzt werden. Ebenso ist zu betonen, dass eine Attenuierung nur für die betroffene Wirtsspezies definiert ist, in der sie getestet wurde. Eine Anwendung eines Lebendimpfstoffes in andere Spezies als derjenigen, in welcher die Evaluierung erfolgte, ist nicht möglich. Dies ist bei der Impfung von Zoo- und Wildtieren zu berücksichtigen, die kritiklose Verwendung von Lebendimpfstoffen ist dort so weit wie möglich zu vermeiden. Insbesondere verbietet sich die Anwendung von Lebendimpfstoffen dann, wenn in einer Population Infektionen mit den pathogenen Wildtypviren nicht oder nur sehr selten auftreten. Dies ist durch erfolgreich durchgeführte Impfprogramme beispielsweise für Variola- und – in Europa und Nordamerika – auch für Polioviren erreicht worden. In diesen Fällen sind die Risiken, die mit einer Lebendimpfung einhergehen, größer als diejenigen, mit dem Wildvirus infiziert zu werden und zu erkranken. Deswegen hat man im Fall der Pockenviren die Impfung eingestellt, zum Schutz vor der Kinderlähmung setzt man heute abgetötete Viren als Impfstoff ein (䉴 Abschnitte 14.1 und 19.6). Bei jeder aktiven Impfung ist mit einer Rate von bekannten
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harmlosen Nebenwirkungen zu rechnen. Echte Impfkomplikationen (wie Lähmungen oder die Auslösung von Autoimmunreaktionen) stellen dagegen sehr seltene Ereignisse dar, die bei Erwachsenen mit einer Häufigkeit von etwa eins zu einer Million Impfungen vorkommen. Deswegen besteht bei jeder Impfung eine entsprechende ärztliche Aufklärungs- und Dokumentations-Pflicht.
10.1.2 Rekombinante Viren Rekombinante Viren stellen eine heute viel diskutierte Variante von Lebendimpfungen dar. Man versucht, gut erforschte, wenig pathogene Viren (beispielsweise Adenoviren) und in der Vergangenheit bereits erfolgreich eingesetzte Impfviren (meist Vacciniaviren) mit gentechnologischen Methoden so zu verändern, dass sie außer für ihre eigenen zur Infektion und Replikation nötigen Genprodukte auch für Proteine anderer Virustypen codieren (䉴 Abschnitte 19.4 und 19.6). Diese für die Ausgangsviren unspezifischen Fremdgene werden nach der Inokulation im Verlauf der Infektion im Organismus zusammen mit den eigenen viralen Genen exprimiert. Dies induziert eine Immunantwort sowohl gegen die Vaccinia- oder Adenovirusproteine als auch gegen die „fremden“ Polypeptide. Diese rekombinanten, replikationsfähigen Viren bieten alle Vorteile einer Lebendimpfung (Antikörper- und zellvermittelte Immunantwort) und werden daher auch vermehrt bei therapeutischen Impfungen eingesetzt, also in den Fällen, bei denen bereits eine Infektion erfolgt ist. Durch die Impfung soll die Immunabwehr stimuliert und der Krankheitsverlauf günstig beeinflusst werden. Trotz seiner Größe können aber auch in das Vacciniavirusgenom nicht beliebig große DNA-Fragmente integriert werden. Daher muss man genau wissen, welche Proteine des Virus, gegen dessen Infektion ein Impfschutz erzeugt werden soll, für die Auslösung einer schützenden Immunantwort wichtig sind. Das hierfür codierende Gen wird dann so in das Genom des Vacciniavirus eingefügt, dass es unter der Kontrolle eines frühen vacciniavirusspezifischen Promotors steht. Ein solcher Impfstoff kann nicht die gesamte Breite einer Immunantwort erzeugen, die beim Ablauf einer Infektion mit dem Wildtypvirus oder seiner attenuierten Variante entsteht. Bei rekombinanten Impfviren beschränkt sich die immunologische Reaktion auf ein ausgewähltes Protein. Eine derartige Vakzine ist in Belgien und Frankreich zum Schutz der Füchse gegen die Wildtollwut flächenhaft eingesetzt worden. Das Genom dieses rekombinanten Vacciniavirus enthält die genetische Information für die Expression des G-Proteins der Toll-
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wutviren (䉴 Abschnitt 15.1). Mit diesen rekombinanten Viren werden synthetische Köder auf Fleischbasis präpariert und für die Füchse ausgelegt. Die Tiere zerbeißen bei der Aufnahme des Köders die virushaltige Plastikkapsel, infizieren sich beim Fressen mit den Impfviren und entwickeln einen Immunschutz vor der Infektion mit den Tollwutviren. Ein Impfstoff auf der Basis rekombinanter Vaccinia- oder Adenoviren ist bisher nicht zur Anwendung beim Menschen zugelassen, wird jedoch unter anderem zur Prävention oder Behandlung von Infektionen mit dem humanen Immundefizienzvirus diskutiert bzw. experimentell erprobt.
10.2 Wie aktivieren Totimpfstoffe das Immunsystem und welche Typen sind in Gebrauch oder Erprobung? Totimpfstoffe können sich im geimpften Organismus definitionsgemäß nicht vermehren. Sie induzieren überwiegend Antikörperreaktionen. Die Ausbildung einer cytotoxischen T-Zellantwort ist aufgrund des Ausbleibens einer aktiven Proteinsynthese selten. Bei Verwendung von Totimpfstoffen sind zur Erhaltung des Immunschutzes eine Grundimmunisierung (zwei beziehungsweise drei Impfungen) und Wiederholungsimpfungen in relativ kurzen Abständen nötig. Diese Impfstoffe müssen zur Steigerung der Immunantwort zusammen mit einem Adjuvans appliziert werden, das die Einwanderung von Makrophagen, Monocyten, Bund T-Lymphocyten an den Ort der Inokulationsstelle fördert. Für die Anwendung beim Menschen sind Aluminiumhydroxid, Aluminium-Hydroxyphosphat-Sulfat in Kombination mit deacylierten MonophosphorylLipid-A-Komponenten (MPL) und bestimmte Toxoide (beispielsweise das Tetanustoxoid) als Adjuvanzien zugelassen. Die neuen, in Europa zugelassenen Impfstoffe gegen Influenza-A-Virusinfektionen enthalten MF50 oder AS03 als Adjuvanzien, beides Öl-/Wasseremulsionen mit Squalen und Polysorbaten als aktive Bestandteile. Bei Tieren sind auch andere Adjuvanzien in Gebrauch. Ein hier weit verbreitetes Adjuvans ist Quil-A, ein Saponin, das man auch bei der Herstellung von ISCOMs (immune stimulating complexes) verwendet. Allerdings scheinen in jüngster Zeit in Katzen vermehrt Fibrosarkome an der Impfstelle beobachtet zu werden. Ob dies durch das Adjuvans in den verwendeten
Vakzinen oder durch das Trauma der Injektion hervorgerufen wird, ist nicht endgültig geklärt. Bei experimentellen Immunisierungen wird in Tieren nur noch inkomplettes Freundsches Adjuvans eingesetzt.
10.2.1 Abgetötete Erreger Die einfachste Form eines Totimpfstoffes stellt eine Präparation von Wildtypviren dar, die durch Behandlung mit Chemikalien effizient getötet wurden. Meist erfolgt diese Inaktivierung mit aldehydischen oder alkoholischen Agenzien. Häufig wird auch β-Propiolacton verwendet. Die Proteinkomponenten dürfen dabei nicht so weit denaturiert werden, dass sie ihre native Konfiguration verlieren und den viralen Strukturen nicht mehr ähneln. Da auch die virale Nucleinsäure per se in vielen Fällen infektiös ist und zur Bildung von Nachkommenviren führen kann, müssen zur Zerstörung der Infektiosität Methoden eingesetzt werden, die zum Abbau der viralen Nucleinsäure führen. Auf abgetöteten Erregern basieren beispielsweise die heute gebräuchlichen Impfstoffe gegen Infektionen mit Influenza- oder Hepatitis-AViren (䉴 Tabelle 10.1)
10.2.2 Einsatz ausgewählter Proteine eines Erregers Relativ neu sind Impfstoffe, die ausschließlich auf einer ausgewählten Proteinkomponente des Erregers beruhen. Für die Entwicklung dieser Vakzinen ist ein detailliertes Wissen über die immunologisch wichtigen Komponenten eines Erregers eine grundlegende Voraussetzung. Ist bekannt, gegen welches der viralen Proteine (meist Oberflächenproteine) eine schützende Immunantwort induziert wird, kann das für dieses Polypeptid codierende Gen in einem eukaryotischen Expressionssystem synthetisiert, gereinigt und anschließend zusammen mit einem Adjuvans appliziert werden. Partikelbildende Proteine eignen sich besonders für die Induktion einer schützenden Immunantwort. Ein Beispiel hierfür ist das HBsAg, das Oberflächenprotein des Hepatitis-B-Virus, welches zu vesikulären Partikeln aggregiert, wenn man es in Hefe- oder anderen eukaryotischen Zellen exprimiert. Die HBsAg-Partikel können weitgehend unabhängig von Adjuvanzien die Bildung von Hepatitis-BVirus-neutralisierenden Antikörpern sowie sogar von cytotoxischen T-Zellen induzieren (䉴 Abschnitt 19.1). In ähnlicher Weise lagern sich auch die Capsidproteine L1 und L2 der Papillomaviren zu Partikeln zusammen,
10.3 Die Methoden der Reversed Genetics – eine Neuheit bei der Impfstoffentwicklung
die den infektiösen Viren gleichen. Die neu zugelassenen Impfstoffe gegen Infektionen mit oncogenen humanen Papillomaviren (gegen HPV 16 und 18) basieren auf derartigen virusähnlichen L1 Partikeln, die – ähnlich wie die bereits erwähnten HBsAg-Partikel – mittels gentechnischer Methoden in Hefezellen hergestellt werden (䉴 Abschnitt 19.3). Auch die partikelbildenden GagProteine des humanen Immundefizienzvirus scheinen gut für eine Impfung geeignet zu sein. Eine weitere Variante dieses Typs einer Subunit-Vakzine ist in der Tiermedizin schon seit vielen Jahren in Gebrauch. Dabei handelt es sich um einen Impfstoff gegen das feline Leukämievirus, ein Retrovirus (䉴 Abschnitt 18.1). Als immunologisch wichtige Komponente enthält er ausschließlich das äußere Glycoprotein (gp70) des Subtyp A dieses Virus, das in einer nicht glycosylierten Form (p45) gentechnisch in E. coli produziert und gereinigt wird.
10.2.3 Peptidimpfstoffe Impfstoffe, die aus synthetischen Peptiden mit einer Länge von 15 bis 30 Aminosäuren bestehen, stellen eine weitere Vakzineform dar, die sich heute in der Erprobung befindet. Hier werden einzelne Epitope viraler Proteine, welche die Bildung von neutralisierenden Antikörpern oder auch die Aktivierung von T-Zellen bewirken, ausgewählt und chemisch synthetisiert. Ein Vorteil ist, dass diese Impfstoffe frei von Nucleinsäuren sind und dass sie sich mit relativ geringem Aufwand in großen Mengen herstellen lassen. In Tierversuchen konnte man die schützende Wirkung von Peptidvakzinen sowohl vor Infektionen mit dem Maul-undKlauenseuche-Virus (䉴 Abschnitt 14.1) als auch mit dem caninen Parvovirus zeigen (䉴 Abschnitt 20.1). Voraussetzung für die Entwicklung eines derartigen Impfstoffs ist auch in diesem Fall ein fundiertes Detailwissen über die Proteinabschnitte, die eine virusneutralisierende Immunantwort hervorrufen können. Es scheint jedoch eher fraglich, dass ein einziges Epitop langfristig hierzu in der Lage ist, da die meisten Viren eine hohe genetische Variabilität aufweisen. Zudem besitzen einzelne Individuen auch unterschiedliche Fähigkeiten, bestimmte Proteinregionen immunologisch zu erkennen. Dies hängt mit dem individuellen HLA-Phänotyp eines jeden Menschen zusammen. In einem auf synthetischen Peptiden basierenden Impfstoff müssten also mehrere verschiedene Epitope miteinander kombiniert und mit einem geeigneten Adjuvans appliziert werden. Bislang ist noch kein Impfstoff zugelassen, der auf synthetischen Peptiden beruht.
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10.2.4 DNA-Impfstoffe Ein weiterer neuer Impfstofftyp wird als DNA verabreicht. Die Nucleinsäure enthält die Gene eines Virus, die eine schützende Immunantwort zu induzieren vermögen – also überwiegend solche Abschnitte, die für die Oberflächenkomponenten eines Erregers codieren. Sie werden zusammen mit Promotorelementen zur Kontrolle ihrer Expression in ein Vektorsystem integriert und als gereinigte DNA intramuskulär injiziert. Insbesondere in Muskelzellen ist die DNA über lange Zeiträume als Episom nachweisbar. Sie wird dort offensichtlich nur sehr langsam abgebaut. Wenn die entsprechenden Gene exprimiert werden, kann der Organismus sowohl eine humorale als anscheinend auch eine zelluläre Immunantwort entwickeln. Diese Form der Impfstoffe wurde bisher überwiegend im Tiersystem erprobt. In Tierversuchen hat man gegen eine Vielzahl unterschiedlicher tierpathogener Viren, beispielsweise gegen Paramyxo-, Herpes- und Parvoviren, eine schützende Wirkung dieser Impfstoffe nachweisen können. Allerdings waren große DNA-Mengen und zahlreiche Wiederholungsinjektionen notwendig. Ebenso wurde ein schnellerer Abbau der Nucleinsäure beobachtet. Die grundsätzliche Möglichkeit zur Integration der bei der Impfung applizierten DNA-Sequenzen in das Zellgenom und einer daraus folgenden Gefährdung des Impflings wirft jedoch zusätzlich bei der Diskussion der Ungefährlichkeit der DNA-Vakzinen Probleme auf.
10.3 Die Methoden der Reversed Genetics – eine Neuheit bei der Impfstoffentwicklung Viren mit RNA-Genomen stellen für die Entwicklung von Impfstoffen mit gentechnischen Methoden eine besondere Herausforderung dar. Da die Techniken zur gezielten Einführung von Mutationen und Expression von „Fremdgenen“ in prokaryotischen wie eukaryotischen Systemen auf DNA als Ausgangsnucleinsäure basieren, muss die Erbinformation der RNA-Viren zuerst in doppelsträngige DNA umgeschrieben werden. Erst dadurch wird sie gentechnologischen Manipulationen zugänglich. In diese DNA-Konstrukte können dann gezielt Veränderungen der Nucleinsäuresequenz eingeführt werden, beispielsweise um so attentuierte Impfviren herzustellen. In diesem Fall muss das in DNA über-
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10 Impfstoffe
führte Genom der RNA-Viren in einer Form vorliegen, welche in einem weiteren Schritt die Synthese von infektiösen Viren ermöglicht. Diesen Vorgang beschreibt die Methode der Reversed Genetics, mit ihr versucht man beispielsweise attenuierte Lebendimpfstoffe gegen das respiratorsiche Syncytialvirus sowie einige andere Paramyxoviren herzustellen (䉴 Abschnitt 15.3). Eine besondere Herausforderung stellen dabei aber Viren mit einem segmentierten RNA-Genom, wie die Influenzaviren dar. In diesem Fall muss die genetische Information aller RNA-Genomsegmente des Virus in DNA umgeschrieben und in geeignete eukaryotische Expressionsvektoren integriert werden. Nach der kombinierten Synthese aller Virusproteine und der Produktion neuer Genomsegmente können dann rekombinante Viren produziert und in geeigneten Kultursystemen gezüchtet werden. Durch gezielte Mutagenese ist nun eine Abschwächung des Virus möglich. Dies soll in Zukunft eine schnellere Anpassung der Impfstämme an neue Influenzaviren ermöglichen (䉴 Abschnitt 16.3). In diesem Fall versucht man zudem, durch universelle Impfstoffe beziehungsweise mittels vorgefertigter Bibliotheken rasch neue Impfstoffe zu entwickeln, um so neue Subtypen der Influenzaviren abzudecken, bevor diese sich pandemisch ausbreiten können.
10.4 Markerimpfstoffe Von großer Bedeutung in der Tiermedizin sind Markervakzinen. Sie ermöglichen die Unterscheidung der geimpften von den mit Feldviren (Wildtypviren) infizierten Tieren durch den Einsatz einfacher serologischer Methoden (䉴 Kapitel 13). Diese Vakzinen bezeichnet man auch als DIVA-Impfstoffe (differentiating between infection and vaccination). Grundsätzlich unterscheidet man dabei Negativ- und Positivmarkervakzinen. Im ersten Fall fehlt den Impfviren ein Gen beziehungsweise Protein, sodass die geimpften Tiere gegen das entsprechende Protein keine immunologischen Reaktionen entwickeln. Die Unterscheidung der mit Feldviren infizierten Tiere erfolgt durch Bestimmung der spezifischen Antikörper, die gegen dieses Protein gerichtet sind. Voraussetzung für einen Erfolg dieser Vorgehensweise ist, dass das deletierte Protein keine während der Infektion
für das Virus wichtigen Funktionen besitzt und, dass bei einer Infektion mit den Feldviren ausreichend spezifische Antikörper dagegen gebildet werden. In der Tiermedizin setzt man derartige Negativmarkerimpfstoffe bei der Bekämpfung von zwei wirtschaftlich bedeutenden Herpesvirusinfektionen, nämlich der Aujeszkyschen Krankheit der Schweine und der infektiösen Rhinotracheitis (IBR) der Rinder ein (䉴 Tabelle 10.1 und Abschnitt 19.5). Unter Positivmarkervakzinen versteht man Impfviren, die sich durch einen für die Vakzine einzigartigen Marker (Nucleinsäuresequenzabschnitt) auszeichnen. Bei Impfdurchbrüchen, also in Fällen, bei denen sich trotz erfolgter Impfung eine Infektion etabliert, ermöglichen die Positivmarkerimpfstoffe die einfache Identifikation der Impfviren.
10.5 Weiterführende Literatur Ada, G. L. Strategies in Vaccine Design. Austin (R. G. Landes Company) 1994. Bankston, J. Jonas Salk and the Polio Vaccine. Bear (Mitchell Lane Publishers) 2001. Day, M. J.; Schoon, H.-A.; Magnol, J. P.; Saik, J.; Devauchelle, P.; Truyen, U.; Gruffydd-Jones, T. J.; Cozette, V.; Jas, D.; Poulet, H.; Pollmeier, M.; Thibault, J. C. A kinetic study of histopathological changes in the subcutis of cats injected with nonadjuvanted and adjuvanted multi-component vaccines. In: Vaccine 25 (2007). S. 4073–4084. Ellis, R. W. Vaccines: New Approaches to Immunological Problems. Boston, London, Oxford (Butterworth-Heinemann) 1992. Jilg, W. Schutzimpfungen. Kompendium zum aktiven und passiven Impfschutz. 3. Aufl. Landsberg (Ecomed-Verlag) 2007. Plotkin, S. A.; Mortimer, E. A. Vaccines. 4. Aufl. Philadelphia, London, Toronto (W. B. Saunders Company) 2003. Quast, U.; Thilo, W.; Fescharek, R. Impfreaktionen. Bewertung und Differentialdiagnose. 2. Aufl. Stuttgart (Hippokrates) 1997. Selbitz, H.-J.; Moos, M. Tierärztliche Impfpraxis. Stuttgart (Ferdinand Enke) 2007 Talwar, G. P.; Rao, K. V. S.; Chauhan, V. S. (Hrsg.) Recombinant and Synthetic Vaccines. Berlin, Heidelberg, New York, Tokyo (Springer) 1994. Thomssen, R. Schutzimpfungen. München (C. H. Beck Verlag) 2001.
11 Epidemiologie Früher wurde der Begriff Epidemiologie für die Lehre von den großen, menschheitsbedrohenden Seuchen benutzt. Heute versteht man darunter die Wissenschaft von allen übertragbaren und nichtübertragbaren Krankheiten in einer Population, unabhängig davon, ob sie zeitlich oder räumlich gehäuft auftreten. Im Bereich der Mikrobiologie befasst sich die Epidemiologie mit Erkrankungen, die durch übertragbare Agenzien wie Bakterien, Viren oder auch Prionen verursacht werden, und zwar insbesondere mit deren Verbreitung und den Infektionsfolgen. Epidemiologische Untersuchungen besitzen somit eine große Bedeutung für die Gesundheit der Weltbevölkerung und sind die Grundlage für allgemein- und seuchenhygienische Maßnahmen wie Quarantäne oder Impfungen zur Verhinderung oder Eindämmung von Pandemien und Epidemien. Sie ermöglichen außerdem die Entwicklung von Richtlinien und Vorschriften für Impfungen und andere Maßnahmen zur Verhütung von Infektionen. Die Exoepidemiologie beschränkt sich auf die Untersuchung der Verbreitung der Erreger nach ihrer Freisetzung aus dem Organismus. Hierzu gehört ihr Überleben in der Umwelt, ihr Verbleib in bestimmten Reservoiren und die erneute Übertragung auf Menschen oder Tiere. Die Endoepidemiologie befasst sich dagegen mit der Art und Weise, wie sich die Erreger im Organismus ausbreiten, dort möglicherweise persistieren und sich dabei verändern. Die Epidemiologie registriert aber nicht nur die Häufigkeit von Infektionen, Krankheiten und Todesfällen. Man versucht durch sie auch Daten über Krankheitsbilder zu bekommen, bei denen die ätiologische Beziehung zu einem bestimmten Erreger nicht bekannt ist (disease in search of virus), und sie führt zur Identifizierung von Krankheiten, die durch ein bereits bekanntes Virus verursacht werden (virus in search of disease). Sie erweitert die Kenntnisse über die Ätiologie von Infektionskrankheiten, indem sie Epidemien oder Pandemien überwacht und den Verlauf von Infektionskrankheiten und ihre Folgen für eine Population abschätzt. Ergeben sich dabei Häufungen von bestimmten Symptomen, kann dies ein Hinweis auf neue Viren oder besonders virulente Stämme sein. Die Erhebung epide-
miologischer Daten umfasst auch den Einfluss von Lebensstandard, Sozialstruktur und menschlichen Verhaltensmustern, wie sexuelle Promiskuität oder Drogenmissbrauch, aber auch tiermedizinisch relevante Parameter wie Bestandsdichten, Tierverkehr, Tiermärkte, Tiershows, Saisonalität, Klima, Vektordichte, Decksaison und dergleichen auf die Übertragungshäufigkeit und den Infektionszeitpunkt. Auch die Wanderungen von Bevölkerungsteilen aufgrund von Vertreibung oder Landflucht und die damit verbundenen negativen sozialen Folgen, etwa mangelnde Hygiene und die nachlassende Effektivität von staatlichen Gesundheitsbehörden, können die Ausbreitung von Infektionskrankheiten begünstigen. Bereits in der Antike breiteten sich Erkrankungen wie Pest, Pocken, Influenza und Masern entlang der Karawanenstraßen und Handelswege aus. Aus der weltweiten Zunahme des Reiseverkehrs ergaben sich vermehrte Kontakte mit bisher unbekannten Erregern, die von infizierten Personen in eine – für diesen Erreger – naive Bevölkerung eines Landes importiert wurden. Während diese Prozesse noch vor wenigen Jahrzehnten lange dauerten, werden Viren heute innerhalb weniger Tage und Wochen weltweit verbreitet. Dies zeigte anschaulich die schnelle Ausbreitung der Infektionen mit den SARS-Coronaviren im Jahr 2003 von Südostasien nach Europa und Nordamerika (䉴 Abschnitt 14.8). Auch die Änderung von Produktionsverfahren in Industrie und Landwirtschaft, der Handel mit Gebrauchsgütern und Abfallstoffen sowie ökologische Eingriffe des Menschen bewirken neue Verteilungsmuster von Infektionen. Tierpathogene Viren, beispielsweise die Vogelinfluenzaviren, breiteten sich bis vor wenigen Jahren weltweit über die Vogelzüge und Tierwanderungen aus (䉴 Abschnitt 16.3). Heute werden die Erreger zusätzlich durch den internationalen Handel mit Nutztieren, der oft die Kontinentgrenzen überschreitet, schnell zu einem weltweiten Problem. Im Folgenden seien einige in der Epidemiologie gebräuchliche Grundbegriffe für bestimmte Parameter oder Infektionsformen kurz erläutert. Die Epidemie ist ein zeitlich und räumlich begrenztes Auftreten einer Infektionserkrankung in einer Population. Beispiele
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11 Epidemiologie
sind Röteln, Masern oder Windpocken. Dagegen ist eine Pandemie als weltweite, zeitlich begrenzte oder unbegrenzte Infektionshäufung definiert, wie man sie bei der Influenza oder der erworbenen Immundefizienz (AIDS) findet. Endemien sind sporadische, zeitlich und räumlich begrenzt oder unbegrenzt auftretende Infektionskrankheiten, die auch zwischen Epidemiephasen vorkommen können. Die Morbidität beschreibt die Zahl der Erkrankten gemessen an der Größe der Population, die Mortalität die der Verstorbenen, die bei einer bestimmten Infektion in einer Population auftreten; beide werden meist auf eine Individuenzahl von 104 oder 105 Personen oder Tiere bezogen. Die Letalität bezieht dagegen die Zahl der Todesfälle auf die Gesamtzahl aller von einer bestimmten Infektionskrankheit betroffenen Personen. Mit Übersterblichkeit bezeichnet man zeitlich begrenzte Häufungen von Todesfällen als
Folge einer Infektion wie beispielsweise bei der Grippe oder bei AIDS, die über das langjährige Mittel der Sterblichkeit hinausgehen. Die Herdenimmunität definiert den immunologischen Schutz, der in der Bevölkerung zu einem bestimmten Zeitpunkt gegenüber einem Virus (Masern-, Röteln-, Influenzavirus) vorliegt – unabhängig davon, ob er durch Infektionen mit dem fraglichen Erreger oder durch Impfungen hervorgerufen ist. Die Herdenimmunität einer Population ist bei verschiedenen Viren unterschiedlich hoch. Sie hängt von den Übertragungsmechanismen, den Umweltbedingungen wie Temperatur oder Luftfeuchtigkeit und von der Bevölkerungsdichte einschließlich der Impfdisziplin ab. Zur Erlangung effektiver Herdenimmunitäten wird meist eine Impfrate von über 90 Prozent der Bevölkerung als notwendig erachtet (z. B. Masern, Mumps und Röteln).
11.1 Welche Übertragungswege existieren für virale Infektionen?
hungsweise den Urin ausgeschieden und bei mangelnder Hygiene durch Kontaminationen mit diesem Material übertragen. Über Schuhsohlen, die mit Viren aus Hundekot kontaminiert waren, ist das canine Parvovirus sehr effizient weltweit verbreitet worden. In Regionen mit einem niedrigen Hygienestandard werden die Abwässer ungeklärt in Flüsse und Meere eingeleitet. Diese Praxis kann ebenso wie die in einigen Ländern weit verbreitete Pflanzendüngung mit menschlichen Fäkalien zur Verunreinigung von Lebensmitteln beispielsweise durch Polio-, Entero-, Hepatitis-A-Viren (䉴 Abschnitt 14.1) sowie Caliciviren (䉴 Abschnitt 14.2) führen – eine wichtige Ursache von Epidemien. So gedeihen Miesmuscheln besonders gut in derart verschmutzten Gewässern und reichern dabei gleichzeitig Hepatitis-AViren an. Hanta- und Arenaviren (䉴 Abschnitte 16.1 und 16.2) werden mit den Exkrementen infizierter Nagetiere ausgeschieden und gelangen in die Erde. Bei Kontakt mit auf solchem Weg kontaminiertem Erdstaub besteht die Gefahr einer Infektion mit den entsprechenden Erregern. Ebenso können Organtransplantationen zur Übertragung von Arenaviren vor allem aber von Herpesviren (Epstein-Barr- oder Cytomegalovirus, 䉴 Abschnitt 19.5) führen. Im ungünstigsten Fall können über Transplantationen alle diejenigen Viren übertragen werden, die eine mehr oder weniger ausgeprägte virämische Phase aufweisen oder sich zur Zeit der Organentnahme im jeweiligen Transplantat befinden: Tatsächlich wurden auf diese Weise die lymphocytäre Choriomeningitis und auch die Tollwut weitergegeben (䉴 Ab-
Unter horizontaler Übertragung versteht man alle Arten der Infektion eines Organismus durch einen anderen, das heißt die Übertragung eines Erregers zwischen Wirten einer Generation. Hierzu zählt die homologe Weitergabe eines Virus von Mensch zu Mensch ebenso wie die heterologe von Tier zu Mensch (Zoonose) und umgekehrt. Durch horizontale Übertragung verbreiten sich die Erreger bei Epidemien, Pandemien oder Endemien in einer Bevölkerung. Sie kann direkt erfolgen, zum Beispiel durch virushaltige Aerosole oder Tröpfchen, wie sie beim Niesen oder Husten während Infektionserkrankungen der oberen Atemwege (etwa bei Infektionen mit Influenza-, Coxsackie-, Adeno- und Paramyxoviren; 䉴 Abschnitte 14.1, 15.3, 16.3 und 19.4) abgegeben werden, oder indirekt. Die indirekte Übertragung kennt man unter anderem von Rhinoviren (䉴 Abschnitt 14.1), die durch Tröpfcheninfektion, aber auch über kontaminierte Hände sowie Türklinken oder ähnliche, gemeinsam von infizierten und nichtinfizierten Personen benutzte Haushaltsgegenstände wie beispielsweise Handtücher übertragen werden. Schmutz- und Schmierinfektionen tragen vor allem zur Verbreitung von Viruserkrankungen des Magen-Darm-Traktes oder der Nieren bei. Hier wird der Erreger über den Stuhl bezie-
11.2 Wo überdauern humanpathogene Viren?
schnitte 15.1 und 16.1). Viele Viren sind im Speichel vorhanden und können durch Küsse oder Mund-zuMund-Fütterung an Kleinkinder übertragen werden. In anderen Fällen befinden sich die Viren in der Samenflüssigkeit oder den Cervikalsekreten und werden während des Sexualverkehrs weitergegeben. Dies gilt vor allem für die humanen Immundefizienzviren, die Papillomaviren und einige Herpesviren (䉴 Abschnitte 18.1, 19.3 und 19.5). Viren, die zu bestimmten Zeiten der Erkrankung im Blut vorhanden sind (Hepatitis-B- und Hepatitis-C-Viren, humane Immundefizienzviren, Parvoviren, Cytomegaloviren), werden durch verschmiertes Blut, zum Beispiel während des Geburtsvorganges perinatal von der infizierten Mutter auf das neugeborene Kind, aber auch durch kontaminierte Blutprodukte oder -konserven weitergegeben (䉴 Abschnitte 14.5, 18.1, 19.1 und 20.1). Einige Virusarten werden durch Arthropoden (Zecken, Mücken) übertragen. Die Tiere nehmen durch den Stich oder Biss den Erreger zusammen mit dem Blut auf. Nach der Vermehrung in der Zecke oder dem Insekt kann das Virus bei erneuten Stichen oder Bissen in andere Organismen gelangen. Diese Form der heterologen Übertragung findet man beispielsweise bei den Gelbfieber- und Dengueviren, dem FSME-Virus, bei Togaviren und Orbiviren oder bei einigen der Bunyaviren (䉴 Abschnitte 14.5, 14.6, 16.2 und 17.2). Das Tollwutvirus gelangt dagegen durch den Biss von infizierten Wirbeltieren in die Wunde und somit in den Organismus (䉴 Abschnitt 15.1). Meist sind die Verbreitungsgebiete der durch Arthropoden übertragenen Viren mit denjenigen der Mücken und Zecken, die sie als Vektoren nutzen, identisch. Verschiebungen und Veränderungen der klimatischen Bedingungen wie sie durch die globale Erwärmung zu erwarten sind, können dazu führen, dass die Insekten und die mit ihnen verbundenen Viren neue Regionen erobern. Die Ausbreitung von Viren bei Menschen, die in engem Kontakt miteinander leben, bezeichnet man als nosokomiale Infektionen. Man beobachtet sie häufig in Altersheimen, Kindergärten oder Krankenhäusern. In diesen Lebensgemeinschaften breiten sich viele Erreger schnell aus. Der Begriff der iatrogenen Infektion bezieht sich vor allem auf die Verbreitung von Erregern durch ärztliche Eingriffe wie Organtransplantationen oder Blutübertragungen sowie durch unsachgemäß durchgeführte ärztliche Maßnahmen, etwa den Gebrauch von kontaminierten Geräten, Spritzen oder Kanülen. Eine iatrogene Übertragung wurde häufig bei Infektionen mit bovinen Leukoseviren beobachtet, bei der das Virus durch die Benutzung einer nicht ausreichend desinfizierten Kanüle von Tier zu Tier und von Bestand zu Bestand übertragen wurde.
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Die Weitergabe einer Infektion zwischen den Generationen (Mutter zu Fetus) bezeichnet man als vertikale Übertragung. Dies geschieht, wenn schwangere Frauen mit bestimmten Viren (Röteln- oder Cytomegaloviren; Parvovirus B19; 䉴 Abschnitte 14.6, 19.5 und 20.1) akut infiziert sind und die Erreger transplacentar auf den Feten übertragen werden. Ähnliches gilt, wenn das Virusgenom als integrierter Bestandteil der Erbinformation der Zelle, beispielsweise der Ei- oder Samenzelle, an die Folgegeneration weitergegeben wird. Diese vertikale Übertragung von den Eltern auf die Nachkommen kennt man vor allem von endogenen Retroviren (䉴 Abschnitt 18.1) oder den Pestiviren bei Rind und Schwein (䉴 Abschnitt 14.2).
11.2 Wo überdauern humanpathogene Viren? Der Verbleib von Viren in den Zeiten zwischen ihrem epidemischen Auftreten ist oft ungeklärt. Sporadische Fälle apparenter Infektionen treten immer wieder auf; vermutlich geben in solchen Fällen gesunde Personen mit asymptomatischen (inapparenten) Infektionsformen das Virus weiter. Einige Virusarten wie Parvo- und Rotaviren (䉴 Abschnitte 17.2 und 20.1), die Picornaviren (䉴 Abschnitt 14.1) und auch das Pockenvirus (䉴 Abschnitt 19.6) können längere Zeit in der Umwelt überdauern, bevor sie erneut ihre Wirte infizieren. Das Poliovirus wird auch heute noch gelegentlich aus Ländern, die nicht frei von Poliovirusinfektionen sind (zum Beispiel Indien und einige Länder Afrikas), eingeschleppt und vermehrt sich dann in seronegativen Personen, bis die entstehende Herdenimmunität oder gezielt durchgeführte Riegelimpfungen das Virus aus der entsprechenden Bevölkerungsgruppe erneut eliminieren. Andere Erreger wie das Rötelnvirus oder die meisten Paramyxoviren (䉴 Abschnitte 14.6 und 15.3) sind hingegen in der Umwelt instabil und befallen auch keine Tiere. Sie werden während des Infektionsverlaufs durch das Immunsystem völlig aus dem Organismus eliminiert. Über ihren Verbleib in den Perioden zwischen den sporadisch auftretenden Infektionen oder Epidemien ist kaum etwas bekannt. Das erstmalige Auftreten dieser Virusspezies muss mit der Urbanisation des Menschen verknüpft gewesen sein, denn aus kleinen, isoliert lebenden Menschengruppen würde ein solches Virus verschwinden – es muss sich also um phylogenetisch relativ junge Viren handeln, die nur in Gesellschaften mit einer relativ großer Bevölkerungsdichte ihre Infektketten aufrechterhalten konnten. Der Begriff emerging virus dis-
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11 Epidemiologie
eases umfasst Infektionserkrankungen, deren Erreger neu auf einen Wirt übergetreten sind (beispielsweise die SARS-Coronaviren; 䉴 Abschnitt 14.8) oder die nach langen Zeitspannen als re-emerging viruses erneut auftreten, wie dies bei einigen Hantaviren der Fall ist (䉴 Abschnitt 16.2). Ein ganz anderes Verhalten findet man dagegen bei den Vertretern der Herpesviren. Sie verbleiben nach der Infektion latent im Körper, und die lebenslange Latenz mit immer wiederkehrenden Ausscheidungsphasen ermöglicht die Weitergabe des Virus auch nach langen Intervallen (䉴 Abschnitte 18.1 und 19.5). Auch die HIVInfektion erscheint klinisch lange unbemerkt, obwohl hier immer infektiöse Viren im Blut vorhanden sind. Ähnliches gilt für Viren, die wie die Hepatitis-B-, Adeno- oder Papillomaviren persistierende Infektionsformen entwickeln und über längere Zeiten im Blut vorhanden sind beziehungsweise ausgeschieden oder von der Haut abgegeben werden (䉴 Abschnitte 19.1, 19.3 und 19.4). Man zählt sie deshalb zu den phylogenetisch alten, gut an den Menschen angepassten Viren, die sich auch in kleinen Bevölkerungsgruppen halten können. Die neuen, äußerst sensitiven Methoden zum Nachweis von viralen Nucleinsäuren zeigten aber, dass es neben diesen Formen der chronisch-persistierenden oder der latenten Infektionen mit wiederkehrender Rekurrenz oder Reaktivierung auch die Latenz der Virusgenome gibt, ohne dass dabei Reaktivierungen der viralen Erbinfomation verbunden mit der Synthese von Virusprodukten beobachtet werden. Diese DNA-Latenz in den Zellen unterschiedlicher Gewebe ist vor allem für das Parvovirus B19 beschrieben (䉴 Abschnitt 20.1). Manchmal befallen Viren bestimmte Tierspezies, die dann als „Reservoire“ für diese Erreger dienen. Von dort können sie bei bestimmten Anlässen oder auch versehentlich auf den Menschen weitergegeben werden. Influenzaviren infizieren viele verschiedene Vogelarten und werden über den Kot ausgeschieden. Sie können – genau wie die humanen Typen dieser Viren – auf Schweine übertragen werden. Bei Doppelinfektionen im Schwein können Genomsegmente beider Virustypen ausgetauscht werden. So entstehen neue Reassortanten der Influenzaviren, die gelegentlich auch für den Menschen pathogen sind und sich in der Bevölkerung pandemisch ausbreiten (䉴 Abschnitt 16.3). Ein aktuelles Beispiel dafür stellt die pandemische Influenza A (H1N1) 2009 dar, die sich als „Schweinegrippe“ innerhalb weniger Wochen weltweit ausbreitete. Andere Viren können größere Zeitspannen durch lange Inkubationszeiten überbrücken. Hierzu gehören beispielsweise die Tollwutviren, für die Füchse, Dachse und Fledermäuse das Reservoir darstellen. Die Infektion des Menschen ist in diesem Fall das Ende der Infektkette. Eine Weiterver-
breitung kann von hier aus in aller Regel nicht erfolgen (䉴 Abschnitt 15.1). Auch andere Viren können ihr natürliches Reservoir verlassen und auf den Menschen übertragen werden: verschiedene Tierpockenviren, das Hantavirus, das Ebolavirus, der Erreger des Lassafiebers oder Flaviviren einschließlich FSME (䉴 Abschnitte 14.5, 15.4, 16.1, 16.2 und 19.6). Sie gelangen durch Kontakt mit Tieren sowie durch Zeckenbisse oder Mückenstiche aus ihren natürlichen Wirten, den Nagetieren, Fledermäusen oder Affen, in den menschlichen Organismus.
11.3 Inwiefern sind die meisten Viren optimal an ihre Wirte angepasst? Die heute vorherrschenden Virusinfektionen sind Folgen evolutionärer Prozesse zwischen Wirt und Parasit, die sich in sehr langen Zeiträumen abspielten. Häufig findet man in verschiedenen Tierarten verwandte Virustypen zu den humanen Erregern. Man vermutet, dass sich diese im Laufe der Zeit an den Menschen angepasst haben, um dann ab einem bestimmten Zeitpunkt als humanpathogene Viren dauerhaft in der Bevölkerung aufzutreten. Handelt es sich dabei um für den Menschen hochpathogene Erreger, dann eliminieren sich diese durch die Zerstörung ihres Wirtes zugleich selbst aus der Population. Im Idealfall bildet sich daher ein Gleichgewicht zwischen dem Überleben eines Wirtes und einer mehr oder weniger schadensfreien Replikation des Virus. Beispiele für die optimale Anpassung an einen Wirt sind einige Arenaviren (䉴 Abschnitt 16.1), unter ihnen das Virus der lymphocytären Choriomeningitis und der Erreger des Lassafiebers. Beide sind in höchstem Grad an ihre Wirte, nämlich wild lebende Mäuse, angepasst. Die Viren werden während der Schwangerschaft auf die Nachkommen übertragen und erzeugen in ihnen eine Immuntoleranz. Diese Tiere werden zu gesunden Virusträgern, die lebenslang große Virusmengen ausscheiden. Infizieren sie jedoch Menschen, so führt dies oft zu schweren Erkrankungen. Gelegentlich treten neue Virusinfektionen des Menschen auf. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Kontakt zu seltenen oder zurückgezogen lebenden Tierarten aufgenommen wird, die dann an sie angepasste Erreger auf Menschen übertragen. Als Beispiel sei in diesem Zusammenhang auf die SARS-Epidemie des Jahres 2003 verwiesen. Die Tierspezies, die diesem für den Menschen sehr gefährlichen Virus als natürlicher Wirt dient, sind Fledermäuse, die als Folge von Abholzungen der Tropenwälder neue Regionen und Lebensräume besiedelten (䉴 Abschnitt
11.4 Welcher Methoden bedient sich die Epidemiologie bei der Untersuchung von Viruskrankheiten?
14.8). Weitere Beispiele wären die Nipah- und HendraInfektionen des Menschen, die ebenfalls von Fledermäusen übertragen weren (䉴 Abschnitt 15.3). Auch die Poliomyelitis war unter Lebensbedingungen mit einem niedrigen Hygeniestandard eine relativ gut an den Menschen angepasste Virusinfektion: Die Übertragung erfolgte hier meist bereits während der ersten sechs Lebensmonate. Zu diesem Zeitpunkt liegen im Kleinkind noch schützende, mütterliche IgG-Antikörper vor. Nur bei Infektion im späteren Lebensalter findet man Krankheitsfolgen und gelegentlich auch Lähmungserscheinungen (䉴 Abschnitt 14.1).
11.4 Welcher Methoden bedient sich die Epidemiologie bei der Untersuchung von Viruskrankheiten? Zu den epidemiologischen Methoden, die besonders bei Viruserkrankungen zum Einsatz kommen, zählt die Erhebung von Daten über das Auftreten von bestimmten Krankheitshäufungen. Diese Anamnese bildet die Grundlage aller Studien. Der Nachweis spezifischer Antikörper, viraler Proteine oder des Genoms in Blutoder Gewebeproben ermöglicht die Diagnose von akuten oder abgelaufenen Viruskrankheiten (䉴 Kapitel 13).
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Der Nachweis der ätiologischen Rolle eines Virus ist häufig nicht mehr durch die Erfüllung der Henle-Kochschen Postulate vorzunehmen. Diese fordern, dass der Erreger beim Kranken immer nachweisbar, von diesem isolierbar und in Reinkultur züchtbar ist und nach Inokulation in einen empfänglichen Wirt die Krankheit erzeugen kann (䉴 Kapitel 1). Nach diesen Kriterien können viele Viren nicht als Erreger der von ihnen verursachten Infektionskrankheiten charakterisiert werden, nicht zuletzt auch deshalb, weil viele Viren nicht in Zellkultur vermehrbar sind. Es ist daher sinnvoll, diese Definitionen zu erweitern. Hilfreich sind dabei die EvansPostulate. Sie bewerten die Assoziation eines Erregers zu einem Krankheitsbild auch unter Zuhilfenahme indirekter Kriterien. Wesentliche Punkte der Evanschen Postulate sind in 䉴 Tabelle 11.1 zusammengefasst. Die Nucleinsäuresequenzierung und die Bestimmung des Restriktionsenzymschnittmusters der DNA erlauben es, die bei einer Epidemie oder Pandemie vorkommenden Virusstämme oder Varianten zu vergleichen. Sie ermöglichen eine Feinepidemiologie (Molekulare Epidemiologie), mit der sich bestimmte Personen, Tiere oder Bestände als Infektionsquelle identifizieren lassen. So können außerdem molekulare Stammbäume aufgestellt werden, die einen Rückschluss auf die Herkunft des Erregers zulassen. Ein weiteres Gebiet der modernen Epidemiologie ist das sogenannte Modeling, das heißt die theoretische Konstruktion des Verlaufs einer Virusinfektion in der Population. Hier kann durch die Variation einzelner
Tabelle 11.1 Evans-Postulate • Der Anteil der erkrankten Individuen muss in einer exponierten Region größer sein als in einer nicht exponierten. • Erkrankte Individuen sollten dem Erreger häufiger exponiert gewesen sein als nicht erkrankte. • In prospektiven Studien muss die Zahl der Neuausbrüche in exponierten Populationen signifikant höher sein als in nicht exponierten Populationen. • In einer Region mit Exposition des Erregers sollten die Inkubationszeiten einer Normalverteilung folgen. • Alle exponierten Individuen sollten mit einer Immunantwort reagieren, die eine biologische Varianz aufweisen kann. • Einer Exposition sollte regelmäßig eine messbare Immunantwort folgen, entweder als neue Antwort in vorher negativen Individuen oder in Form einer Erhöhung der bestehenden Parameter. • Die experimentelle Reproduktion der Krankheit soll mit einer größeren Häufigkeit in solchen Tieren gelingen, die entsprechend der vermeintlich natürlichen Route infiziert wurden. • Die Eliminierung des Erregers sollte zu einer signifikanten Reduktion der Wirtsantwort führen. • Ebenso sollte eine Impfung zu einer Verringerung des Auftretens der Krankheit in der Population führen. • Das Gesamtbild der Postulate muss sowohl aus biologischer als auch aus epidemiologischer Sicht plausibel sein.
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Parameter der größtmögliche anzunehmende Unfall (worst case scenario) abgeschätzt werden. Dies ist für vielerlei Fragestellungen eine wichtige Größe.
11.5 Weiterführende Literatur Behbehani, A. M. The Smallpox Story in Words and Pictures. Kansas City (Kansas University Press) 1988. Cheng, V. C.; Lau, S. K.; Woo, P. C.; Yuen, K. Y. Severe acute respiratory syndrome coronavirus as an agent of emerging and reemerging infection. In: Clin. Microbiol. Rev. 20 (2007) S. 660–94. Childs, J. E.; Richt, J. A.; Mackenzie, J. S. Introduction: conceptualizing and partitioning the emergence process of zoonotic viruses from wildlife to humans. In: Curr. Top. Microbiol. Immunol. 315 (2007) S. 1–31. Cleaveland, S.; Haydon, D. T.; Taylor, L. Overviews of pathogen emergence: which pathogens emerge, when and why? In: Curr. Top. Microbiol. Immunol. 315 (2007) S. 85–111. Culliton, B. J. Emerging Viruses, Emerging Threat. In: Science 247 (1990) S. 279–280.
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12 Die Evolution der Viren Viren sind aufgrund ihrer kurzen Generationszeit, der großen Zahl von Nachkommen, die sie im Infektionsverlauf produzieren, und nicht zuletzt aufgrund ihrer einfachen Struktur ideale Objekte zum Studium von Evolutionsprozessen. Viren müssen sich ständig den Bedingungen ihres Wirtes oder ihrer Wirtspopulationen anpassen, sodass Mechanismen der Selektion experimentellen Ansätzen zugänglich sind. Dabei spielen unterschiedliche Kriterien, wie die antigene Diversität, das Ausmaß der Virusausscheidung, der Grad der Virulenz und viele andere Faktoren eine wichtige Rolle. Die vollständige Adaptation eines Virus an seinen Wirt, welche in eine möglichst geringe Virulenz des Infektionserregers mündet, ist die für beide erstrebenswerte Konsequenz: ein problemloses Zusammen- und Überleben. So
12.1 Wie führen Mutationen zur Entstehung neuer Viren? Die Vertreter der verschiedenen Virusfamilien sind hinsichtlich ihres Replikationsmodus sehr unterschiedlich. Folglich ist die Evolution aller Viren in keiner Weise miteinander vergleichbar. RNA-Viren sind bei der Replikation ihres Genoms auf die Verwendung von viralen RNA-abhängigen RNA-Polymerasen angewiesen, denen die Proofreading-Aktivität fehlt. Diese 3’-5’ Exonuclease ist mit den DNA-Polymerasen der Zelle assoziiert und überprüft bei der Synthese der neu gebildeten DNAStränge die Anlagerung der korrekten Basen an den 3’Enden komplementär zu den Elternsträngen. Durch diese Aktivität wird die hohe Genauigkeit der DNAReplikation in der Zelle gewährleistet, die bei einer Rate von einer falsch eingebauten, nichtkomplementären Base pro 109 Nucleotiden liegt. Bei den meisten RNAViren findet man deshalb mit einer Wahrscheinlichkeit
scheinen die Hepatitis-G-Viren, die zwar erstmals aus Patienten mit einer Leberentzündung isoliert wurden, ähnlich wie die TT-Viren in vielen Menschen zu persistieren, ohne dass sie dabei Erkrankungen verursachen (䉴 Abschnitte 14.5 und 20.2). Auch Spumaviren findet man in vielen Tierarten und dem Menschen, ohne dass man damit symptomatische Infektionsverläufe verbinden konnte (䉴 Abschnitt 18.1). Für viele Viren ist dabei die maximale Ausschöpfung der genetischen Variablität nicht immer sinnvoll. Sie kommen hier an eine Grenze, an der eine noch höhere Varianz nicht mehr vorteilhaft ist: Der Anteil an nichtinfektiösen Virusvarianten unter den Nachkommen wird zu hoch, womit die potenziell mögliche Fehlergrenze erreicht ist.
von 10–3 bis 10–4 deutlich mehr falsch eingebaute Nucleotide. Geht man also von einem Virus mit einem intakten Genom mit einer Länge von etwa 10 000 Basen aus, dann unterscheiden sich die Genome der Nachkommenviren in einem bis zehn Nucleotiden von der Erbinformation des Elternvirus. Tatsächlich hat man es also nicht mit einem Virus, sondern streng genommen mit einer Population sehr nahe verwandter Viren zu tun – einem Phänomen, das man mit dem Begriff der Quasispezies-Bildung bezeichnet. Dies kennt man vor allem beim Hepatitis-C- und dem humanen Immundefizienzvirus (䉴 Abschnitte 14.5 und 18.1). Gleiches gilt grundsätzlich auch für DNA-Viren, nur ist hier dieses Phänomen erheblich weniger ausgeprägt, da die Mutationsrate um wenigstens den Faktor 100 kleiner ist. Die Polyoma-, Papilloma- und auch die Parvoviren (䉴 Abschnitte 19.2, 19.3 und 20.1) greifen bei der Replikation ihrer Erbinformation auf zelluläre DNA-Polymerasen zurück und sind folglich genetisch deutlich stabiler als die RNA-Viren. Die komplexen DNA-Viren wie die Herpesviren und die Pockenviren
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12 Die Evolution der Viren
(䉴 Abschnitte 19.5 und 19.6) verfügen hingegen über eigene DNA-Polymerasen, die aber viruseigene Systeme zum Proofreading, also zur Korrektur von falsch eingebauten Nucleotiden, besitzen. Die Bildung von Quasispezies spielt bei diesen Viren daher keine Rolle. Neben der Selektion einzelner Virusvarianten aufgrund von Mutationen, die ihnen in der Population der Nachkommen einen Selektionsvorteil verschaffen, kommt es zuweilen auch zur gleichzeitigen Selektion voneinander unabhängiger Veränderungen, die für die entstehenden Viren per se nicht vorteilhaft sind, sondern zufällig als hitchhiking mutations zusammen mit anderen vorteilhaften Mutationen auftreten. Besonders komplex ist diese Situation bei Viren, deren Gene durch miteinander überlappende Leserahmen codiert sind, wie es beim Hepatitis-B-Virus der Fall ist (䉴 Abschnitt 19.1). Zu den greifbaren Folgen dieser Evolutionsvorgänge gehören neu entstehende Viren. Sind mit den Mutationen Veränderungen der pathogenen Eigenschaften verbunden, dann können sie entscheidende Auswirkungen auf den Infektionsablauf in ihren Wirten und deren Überleben haben. Die Entstehung „erfolgreicher“ neuer Viren basiert auf zwei voneinander unabhängigen Mechanismen beziehungsweise der Kombinationen von ihnen: 1. der genetischen Veränderung (Mutation) eines Virus und ihrer Selektion; 2. der Änderung der sozialen Strukturen und/oder Lebens- und Umweltbedingungen in der Wirtspopulation. Die genetischen Veränderungen der viralen Erbinformation können sich auf verschiedenen Wegen manifestieren: Die Folge von Mutationen in den Genen, die für virale Oberflächenproteine codieren und daher dem Selektionsdruck des Immunsystems ausgesetzt sind, wird antigenic drift genannt. Dieser Drift ist insbesondere bei RNA-Viren, beispielsweise bei den Calici-, Orthomyxo- und Retroviren ausgeprägt, mit der Bildung von Quasispezies verbunden und von erheblicher pathogenetischer Bedeutung (䉴 Abschnitte 14.2, 16.3 und 18.1). Ähnlich wie das Immunsystem auf Virusoberflächenproteine kann aber auch die antivirale Chemotherapie einen Selektionsdruck, beispielsweise auf Mutationen in den Polymerasegenen, ausüben und zur Bildung von Therapie-resistenten Virusvarianten führen (䉴 Abschnitt 9.2). Daneben findet man aber auch immer die Entstehung von neuen Viren, die unabhängig vom Selektionsdruck des Immunsystems oder der antiviralen Chemotherapie erfolgt: Ein diesbezüglich gut untersuchtes Beispiel stellt das canine Parvovirus dar, das aufgrund einiger weniger Nucleinsäureveränderungen aus dem
Erreger der Katzenseuche entstanden ist (䉴 Abschnitt 20.1.6). Das canine Parvovirus trat 1978 erstmals in den Hundepopulationen Europas auf und wurde in wenigen Monaten im Rahmen einer Pandemie (䉴 Kapitel 11) auf alle Kontinente verbreitet. Diese Pandemie ging mit einer hohen Mortalität einher, sodass Millionen von Hunden an der durch das Virus verursachten hämorrhagischen Gastroenteritis verstarben. Heute weiß man, dass für die Entstehung des caninen Parvovirus Mutationen im Genom des lange bekannten felinen Panleukopenievirus verantwortlich sind. Drei Aminosäureaustausche im Capsidprotein des Katzenseuchevirus waren für die Entstehung des caninen Virus mit dem veränderten Wirtstropismus ausreichend. Diese Mutationen änderten die Rezeptorbindungsstelle des Virus und erlaubten dem neuen Virus, sich an Hundezellen zu binden. Stammbaumanalysen verschiedener Virusgenome geben Hinweise, dass das canine Parvovirus nicht direkt aus dem Katzenseuchevirus entstanden ist, sondern dass dieses möglicherweise über die Infektion von Wildcarnivoren, insbesondere von europäischen Rotfüchsen, aus dem felinen Panleukopenievirus hervorgegangen ist. Auch hat man gute Hinweise dafür, dass die große Vielfalt von Viren, die man heute in der Familie der Picornaviren findet (䉴 Abschnitt 14.1), alle aus einem gemeinsamen Vorläufervirus hervorgegangen sind und sich im Evolutionsverlauf durch Punktmutationen entwickelt haben. Wegen der hohen Fehlerrate der viralen RNA-abhängigen RNA-Polymerase, auf deren Aktivität diese RNA-Viren angewiesen sind, ereignen sich bei diesen Viren Fehler bei der Genomreplikation mit der oben beschriebenen Rate von 10–3 bis 10–4. Zusätzlich spielten jedoch auch Rekombinationsvorgänge bei der Entstehung dieser (䉴 Abschnitt 12.2) und vieler anderer Viren eine nicht zu unterschätzende Rolle.
12.2 Wie erhalten Viren neue Gene und Funktionen? Viren mit segmentierten Genomen, wie die Orthomyxo-, Bunya-, Arena-, Birna- oder Reoviren (䉴 Kapitel 16 und 17), können zusätzlich zu Mutationen tief greifende genetische Änderungen durchlaufen, die als genetic reassortment bekannt sind. Darunter versteht man den Austausch von einem oder mehreren Genomsegmenten zwischen zwei miteinander verwandten Viren, die gleichzeitig eine Zelle infiziert haben. Führt die genetische Neuverteilung zum Austausch der Genomsegmente, die für die viralen Membranproteine codieren, dann erhalten die neu entstehenden Viren ein neues
12.3 Welche Infektionserreger sind erst jüngst neu entstanden?
antigenes Muster; man spricht vom antigenic shift. Gut dokumentierte Beispiele hierfür sind die klassischen Pandemien, die im vergangenen Jahrhundert durch die Influenza-A-Viren ausgelöst wurden. Unter den Bezeichnungen Spanische, Asiatische und Hongkong-Grippe haben sie Millionen von Todesopfern gefordert und die Weltgeschichte entscheidend beeinflusst (䉴 Abschnitt 16.3). Die Pandemieviren stellten dabei meist genetische Reassortanten aus humanen und aviären Influenza-AVirus-Subtypen dar. Mit beiden Subtypen infizierte Schweine dienen bei der Entstehung der neuen Influenzaviren als eine Art „Mischgefäß“. Bei ihnen kann es zu produktiven Doppelinfektionen kommen, da sie nicht nur für porcine, sondern auch für aviäre und humane Influenzaviren empfänglich sind. Im Unterschied dazu können aviäre Influenza-A-Subtypen Menschen im Allgemeinen nur in Ausnahmefällen durch sehr engen Kontakt infizieren, so wie auch Geflügel nicht empfänglich für die humanen Virussubtypen ist. Diese Zusammenhänge geben den Influenza-A-Virus-Infektionen der Schweine eine besondere, potenziell zoonotische Bedeutung, da von ihnen ausgehend die Übertragung neuer Virusvarianten auf den Menschen erfolgen kann. Neben der bekannten Ausbildung von Reassortanten bei den Influenza-A-Viren ist dieser Vorgang auch bei den Reoviren bekannt. Das ubiquitäre Vorkommen von Rotaviren bei Kälbern und Ferkeln und die potenzielle Gefahr des Reassortierung mit humanen Stämmen lässt auch diese Infektionen in einem besonderen Licht erscheinen (䉴 Abschnitt 17.2). Jedoch können auch bei Viren mit einem nichtsegmentierten Genom ganze Genbereiche untereinander ausgetauscht werden. Diesen Mechanismus nennt man genetische Rekombination. Er wird durch die wechselnde Verwendung der Matrizenstränge während der Nucleinsäuresynthese ermöglicht – ein Vorgang, der ablaufen kann, wenn bestimmte Zellen eines Organismus von zwei verschiedenen, aber miteinander verwandten Virustypen infiziert sind. Die genetische Rekombination ist bei einer Vielzahl von Viren beschrieben und insbesondere bei verschiedenen RNA-Viren dokumentiert. Ein klassisches Beispiel stellen die Togaviren aus der Gruppe der equinen Encephalitisviren der Neuen Welt dar (䉴 Abschnitt 14.6). Das Western-Equine-Encephalitis-Virus (WEE), das eine akute Encephalitis bei Pferden und Menschen verursacht, ist durch genetische Rekombination aus dem Eastern-Equine-EncephalitisVirus (EEE) und einem zum Sindbisvirus ähnlichen Isolat entstanden. Das Sindbisvirus (SIN) selbst ist heute nur noch in der Alten Welt nachweisbar, ein ähnliches Virus muss aber ursprünglich zusammen mit dem Eastern-Equine-Encephalitis-Virus auf dem amerikani-
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schen Kontinent coexistiert haben, bevor es dort von dem neu entstandenen Typ des Western-EquineEncephalitis-Virus verdrängt wurde. Genetische Rekombination ist aber nicht nur zwischen zwei miteinander verwandten Viren möglich, sondern auch zwischen viraler und zellulärer Nucleinsäure – ein Vorgang, der oft große pathogenetische Bedeutung hat. Gut untersuchte Beispiele sind die onkogenen Retroviren, die ein zelluläres Onkogen in ihre Erbinformation aufgenommen haben und in der Lage sind, in ihren Wirten Tumoren zu erzeugen (䉴 Kapitel 18). Beispielhaft seien hier das Rous-Sarkomvirus der Hühner und das feline Sarkomvirus der Katze genannt. Nicht nur zelluläre Onkogene werden in die Viruserbinformation aufgenommen, genetische Rekombinationen sind auch mit anderen zellulären Genen beschrieben. So hat ein Flavivirus, das bovine Virusdiarrhoevirus des Rindes, im Evolutionsverlauf durch Rekombination mit zellulärer mRNA die Information für die Synthese von Ubiquitin in sein RNA-Genom integriert, und zwar in dem Bereich, der für die viralen Nichtstrukturproteine codiert. Dadurch wird im Polyprotein eine neue Schnittstelle geschaffen, die von der Ubiquitinhydrolase der Zelle erkannt wird. Dieser Vorgang ist mit einer Änderung des Phänotyps verbunden: Aus einem ursprünglich nicht cytopathogenen Ausgangsvirus entsteht ein Erreger mit großer Virulenz, der in dem chronisch infizierten Rind eine tödlich verlaufende Erkrankung verursacht, die man als Mucosal Disease bezeichnet (䉴 Abschnitt 14.5).
12.3 Welche Infektionserreger sind erst jüngst neu entstanden? Die Entstehung der humanen Immundefizienzviren HIV-1 und HIV-2 lassen sich heute durch wiederholten Wechsel der Wirte – verschiedenen Affenarten in Westafrika – und ihre Übertragung auf den Menschen erklären. Die Affen in Afrika sind mit verschiedenen speziesspezifischen Varianten der Simian-Immunodeficiency-Viren (SIV) infiziert, erkranken durch sie jedoch nicht. HIV-1 entstand vermutlich aus einem Schimpansenvirus (SIVcpz), das auf Menschen übertragen wurde (䉴 Abschnitt 18.1.5). HIV-2 entwickelte sich dagegen aus einem in Mangaben vorkommenden SIV-Typ (SIVsm), der mehrmals von den Affen auf Menschen übertragen wurde. Während einer Adaptionsphase im neuen Wirt, dem Menschen, kam es dann zur Steigerung
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12 Die Evolution der Viren
der Virulenz und zur Selektion von Virusvarianten, die sich effektiv von Mensch zu Mensch verbreiten konnten. Den pandemieähnlichen Charakter konnte die HIVInfektion aber erst durch veränderte Lebensbedingungen und soziale Umbrüche in Afrika entwickeln: Handel, Urbanisation und weltweiter Tourismus sind in diesem Zusammenhang anzuführen. Seit seiner Entstehung sind durch Mutationen verschiedene HIV-1 Subtypen beschrieben worden, die geographisch unterschiedlich verbreitet sind. Diese Prozesse werden zusätzlich beeinflusst durch genetische Rekombinationen zwischen verschiedenen Subtypen. Epidemiologisch wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass sich die in Europa verbreiteten humanen Immundefizienzviren (HIV-1B) von denen in Afrika (HIV-1A, -1C) in der Effizienz ihrer Übertragbarkeit unterscheiden: So infiziert HIV-1B sehr spezifisch und erfolgreich Zellen in der Darmschleimhaut, was als eine Folge der Selektion der Übertragung durch homosexuelle Sexualpraktiken angesehen wird. Das Chikungunyavirus, ein durch Mücken übertragenes Togavirus, ist als Verursacher einer hoch fieberhaften Erkrankung bei Menschen in den tropischen Ländern im Südosten Afrikas und des indischen Subkontinents bekannt (䉴 Abschnitt 14.6). 2007 beobachtete man erstmals Chikungunyavirus-Infektionen in Norditalien, weil die Tigermücke inzwischen auch in Südeuropa heimisch geworden ist und das Virus – über infizierte Mücken oder Patienten – den Weg nach Europa fand. Adaptiert sich dieser Erreger während der kommenden Jahre durch Mutation an andere in Europa heimische Mückenarten, dann wird sich diese tropische Infektionserkrankung möglicherweise auch in Mitteleuropa verbreiten. Ein anderes Virus, welches fieberhafte und meningitische Erkrankungen verursacht, das sich infolge der globalen Erwärmung ebenfalls von Südeuropa nach Norden ausbreiten könnte, ist das durch Phlebotomen (Sandmücken) übertragende Toskana-Virus (䉴 Abschnitt 16.2). Im Jahre 2006 wurde erstmals das Bluetonguevirus, in diesem Fall der Serotyp 8 dieses Virus, in Deutschland beschrieben (䉴 Abschnitt 17.2). Ausgehend von einem ersten Ausbruch in Belgien breitete sich dieses für Wiederkäuer (Rind, Schaf, Ziege, Hirsch) pathogene Virus durch infizierte Culicoides (Gnitzen) rasant aus. Ende 2007 waren flächendeckend die Beneluxländer und Deutschland betroffen. Daneben gab es Ausbrüche in Frankreich und dem Vereinigten Königreich. Wie das Virus eingeschleppt wurde, ist unbekannt. Ebenso ist die Rolle des Global Warming für die Entwicklung des Virus in dem Arthropodenwirt unklar. Das SARS-Virus wurde im Herbst 2002 erstmals als eine sehr schwer verlaufende Lungenentzündung in
Südostasien beschrieben (䉴 Abschnitt 14.8). Vermutlich wurde es bei Kontakten von Menschen zu bestimmten Schleichkatzen, die auf Märkten gehandelt werden, übertragen und breitete sich dann in der menschlichen Bevölkerung sehr schnell aus. Es wurden zum Teil drastische nationale und internationale Maßnahmen ergriffen, um diesen Ausbruch eines an sich tierpathogenen Virus zu kontrollieren und seine Anpassung an den Menschen als Wirtsorganismus zu verhindern. In ähnlicher Weise befürchtet man, dass sich die weit verbreiteten hochpathogenen Vogelinfluenzaviren H5N1 durch kontinuierliche Mutation verändern und an den Menschen als bevorzugten Wirt anpassen könnten (䉴 Abschnitt 16.3). Zu Beginn infizierten diese H5N1-Viren das Geflügel Südostasiens, mittlerweile sind aber auch Populationen von Zugvögeln betroffen, die hochpathogene Virusstämme von Asien nach Europa, aber auch nach Afrika verschleppt haben. In seltenen Ausnahmefällen können jedoch auch Menschen infiziert werden, die das Virus allerdings nicht weiter übertragen. Es besteht jedoch die Befürchtung, dass sich das Virus während seiner Vermehrung in den infizierten Patienten durch Mutation verändern könnte. Dadurch könnten neue Varianten des H5N1-Virus entstehen, die sich an den Menschen besser angepasst haben, sich in der menschlichen Population verbreiten und zur Entstehung einer neuen, dann sehr gefährlichen InfluenzaPandemie führen könnten. Deswegen ergreift man auch in diesem Fall drastische Maßnahmen, wie beispielsweise die Keulung infizierter Tierbestände bei Auftreten erster Verdachtsfälle, um das Auftreten des H5N1-Virus in Wirtschaftsgeflügel und das Übertragungsrisiko auf den Menschen zu kontrollieren. Im Unterschied zu den H5N1-Viren zeigen die Influenza-A-Viren des Subtyps H1N1, die im April 2009 erstmals in Mexiko Grippeerkrankungen beim Menschen verursachen, eine vergleichsweise niedrige Pathogenität. Dafür verbreitete sich diese mexikanische Grippe innerhalb weniger Monate weltweit und wurde so zu einer neuen Pandemie. Ursächlich für die Entstehung des neuen Subtyps gilt die Bildung einer neuen Reassortante im Schwein. Weitere Beispiele für „neue“ zoonotische Übertragungen sind die Nipah- und Hendra-Viren in Südostasien beziehungsweise Australien. Auch hier spielten drastisch veränderte Lebensbedingungen im Habitat des eigentlichen Wirts, der Fledermaus, durch Eingriffe des Menschen in Form von massiver Landrodung und Abholzung eine entscheidende Rolle. Dies zwang die Fledermäuse neue Wirte zu entdecken, nämlich Schweine und Pferde. Von dort fand das Virus im zweiten Schritt seinen Weg zum Menschen. Das Auftreten der bovinen spongiformen Encephalopathie (BSE) ist ein Beispiel für die Bedeutung von
12.4 Weiterführende Literatur
Industriealisierungsprozessen in der Landwirtschaft auf die Entstehung einer neuen Infektionskrankheit. Durch das Verfüttern von ungenügend inaktiviertem tierischen Eiweiß aus Schlachtabfällen von Schaf- und Rinderkadavern an Rinder, die physiologisch reine Pflanzenfresser sind, ist der hitzestabile Erreger auf diese Tierart übertragen worden und hat die wirtschaftlich, tier- und humanpathogenetisch (vCJD im Menschen) hoch bedeutende Seuche entstehen lassen (䉴 Kapitel 21). In Sinne der allgegenwärtigen, schnellen Vorgänge bei der Evolution der Viren ist daher besondere Vorsicht geboten. Faktoren, welche die zufällige Schaffung eines neuen Virus fördern und unterstützen können, sollen nach Möglichkeit vermieden werden. Hierzu zählt der unüberlegte Einsatz von Lebendimpfstoffen, namentlich von solchen, die im Impfling persistierende Infektionen etablieren könnten, und insbesondere der Einsatz von Viren als biologische Waffe zur Reduzierung oder Ausrottung bestimmter Wirte, wie geschehen zur Bekämpfung der Kaninchen in Australien durch die Viren der hämorrhagischen Kaninchenseuche und die Myxomatoseviren (䉴 Abschnitte 14.8 und 19.6). Die Exposition naiver Populationen potenzieller Wirte mit einem neuen Virus kann eine nichtkalkulierbare biologische Katastrophe auslösen, ähnlich wie wir es bei den Infektionen mit dem für die Hunde neuen caninen Parvovirus gesehen haben (䉴 Abschnitt 20.1). Selbstverständlich verbietet sich auch die Verwendung von Viren als Waffe des Bioterrorismus. Nicht zuletzt kann ein solcher Einsatz
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von pathogenen Erregertypen neben katastrophalen Pandemien zur Entstehung neuer Virustypen beitragen, die sich auch auf ihre Entwickler und Anwender tödlich auswirken werden.
12.4 Weiterführende Literatur Chevillon, C.; Briant, L.; Renaud, F.; Devaux, C. The Chikungunya threat: an ecological and evolutionary perspective. In: Trends Microbiol. 16 (2008) S. 80–88. Domingo, E.; Webster, R.; Holland, J. Origin and Evolution of Viruses. San Diego (Academic Press) 1999. Domingo, E.; Gomez, J. Quasispecies and its impact on viral hepatitis. In: Virus Res. 127 (2007) S. 131–150. Duffy, S.; Shackelton, L. A.; Holmes, E. C. Rates of evolutionary change in viruses: patterns and determinants. In: Nat. Rev. Genet. 9 (2008) S. 267–276. Goudsmit, J. Viral Sex – The Nature of AIDS. Oxford (Oxford University Press) 1997. Kay, A.; Zoulim, F. Hepatitis B virus genetic variability and evolution. In: Virus Res. 127 (2007) S. 164–176. Lemey, P.; Rambaut, A.; Pybus, O. G. HIV evolutionary dynamics within and among hosts. In: AIDS Rev. 8 (2006) S. 125–140. Peiris, J. S.; de Jong, M. D.; Guan, Y. Avian influenza virus (H5N1): a threat to human health. In: Clin. Microbiol. Rev. 20 (2007) S. 243–267. Wong, S.; Lau, S.; Woo, P.; Yuen, K. Y. Bats as a continuing source of emerging infections in humans. In: Rev. Med. Virol. 17 (2007) S. 67–91.
12
13 Labormethoden zum Nachweis von Virusinfektionen Bereits um 1880 standen Methoden zum Nachweis von bakteriellen Infektionen zur Verfügung: Nach Anfärbung waren die Erreger aufgrund ihrer Größe im Lichtmikroskop zu erkennen und konnten in Nährmedien gezüchtet werden. Viren entzogen sich dieser Vorgehensweise, da sie deutlich kleiner sind und sich als obligate Zellparasiten in Nährmedien nicht vermehren können. Zwar konnte man zur Jahrhundertwende bereits einige Virusinfektionen mit bestimmten Zellveränderungen und Ablagerungen im infizierten Gewebe in Verbindung bringen. Ein Beispiel sind die negrischen Einschlusskörperchen in Nervenzellen bei der Tollwuterkrankung. Eine spezifische Diagnostik war jedoch erst durch die Entwicklung der Methoden zur Zellkultur und der modernen Molekularbiologie möglich. Heute kann man
Virusinfektionen direkt nachweisen, indem man mit geeigneten Methoden den Erreger selbst, einzelne virale Proteine oder die Erbinformation im Blut oder anderen Materialien infizierter Personen oder Tiere bestimmt. Der direkte Virusnachweis ist – mit Ausnahme von latenten oder persistierenden Infektionsformen – nur während der akuten Erkrankungsphase möglich. In einigen Fällen sind die Erreger sogar nur vor der symptomatischen Phase im infizierten Organismus vorhanden, sodass der direkte Nachweis der Viren oft nicht gelingen kann. Daher ist es in der Virusdiagnostik üblich, Infektionen beziehungsweise den Kontakt mit Krankheitserregern indirekt durch die Charakterisierung der sich entwickelnden spezifischen Immunantwort nachzuweisen.
13.1 Wie lassen sich virale Erreger direkt nachweisen?
Verunreinigungen befreit und in einem kleinen Volumen mit den Zellen inkubiert. Nach der Adsorption der Viren an die Zellen gibt man antibiotikahaltiges Medium zu den Kulturen, um das Wachstum von Bakterien zu unterdrücken, die als Kontamination in dem Untersuchungsmaterial vorhanden sein können. An den folgenden Tagen werden die Zellen mikroskopisch auf morphologische Veränderungen hin kontrolliert, etwa das Auftreten von cytopathischen Effekten (CPE) wie Löcher im Zellrasen aufgrund von Zelltod, Einschlusskörperchen oder Riesenzellen (䉴 Kapitel 5), die einen ersten Rückschluss auf den sich vermehrenden Virustyp zulassen und auch als Beweis dafür dienen, dass infektiöse Viren im Ausgangsmaterial vorhanden waren.
13.1.1 Viruszüchtung, Virusisolierung und davon ausgehende Nachweissysteme Für die Züchtung und Vermehrung der meisten Viren stehen heute permanent wachsende Zelllinien zur Verfügung. Das zu untersuchende, möglichst steril gewonnene Patientenmaterial, zum Beispiel Blut, Serum, Rachenspülwasser oder Urin wird dazu von groben
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13 Labormethoden zum Nachweis von Virusinfektionen
Die klassische Form der Viruszüchtung ist meist mit einer relativ langen Bebrütungszeit von einer bis zu vier Wochen verbunden. Eine verkürzte Version stellt der Shell-Vial-Assay (SVA) dar. Hier werden die suszeptiblen Zellen mit den nachzuweisenden Viren in den Näpfen einer Mikrotiter-, 24-Loch-Platte oder auch auf Glasplättchen in Zentrifugenröhrchen inkubiert und niedertourig anzentrifugiert. Hierdurch verändert sich vermutlich die Fluidität der Cytoplasmamembran der Zellen, die Erreger werden folglich schneller aufgenommen. Nach einer Inkubation von ein bis zwei Tagen kann man virale Proteine in den Zellen durch Immunfluoreszenz oder ähnliche Verfahren nachweisen. Primäre Zelllinien zur Züchtung von humanpathogenen Viren werden kaum mehr eingesetzt. Sie haben nur eine begrenzte Teilungsfähigkeit und müssen daher regelmäßig neu etabliert werden. Eine Ausnahme bilden noch Vorhaut-Fibroblasten, die gelegentlich für die Anzucht von Herpes-simplex-Virus eingesetzt werden. Der routinemäßige Umgang insbesondere mit embryonalen Zellen, die eine erhöhte Kapazität zur Teilung besitzen, ist streng reglementiert. Jedoch muss auch bei anderen primären humanen Zellen nach der Inkulturnahme nachgewiesen werden, dass sie frei von Viren sind; insbesondere dürfen sie keine der chronischen Hepatitis-Viren (B, C, D) und kein humanes Immundefizienzvirus enthalten. In der Tiermedizin ist die Verwendung von primären Zelllinien zur Züchtung bestimmter tierpathogener Viren in Ausnahmefällen vor allem in der Geflügelvirologie gebräuchlich. Auch werden sie in bestimmten Fällen sogar noch zur Impfstoffproduktion eingesetzt: Dies ist beispielsweise bei dem porcinen Parvovirus der Fall. Die früher weit verbreitete Viruszüchtung in bebrüteten Hühnereiern wird heute nicht mehr routinemäßig eingesetzt. Sie wird nur noch in bestimmten Fällen verwendet, etwa bei der Anzüchtung von neuen Influenzavirusisolaten oder für die Impfstoffproduktion (䉴 Abschnitt 16.3). Durch Ultrazentrifugation der Kulturüberstände oder der aufgebrochenen Zellen kann man die Viren anreichern und weiteren Untersuchungen zuführen. Dazu zählt unter anderem die elektronenmikroskopische Bestimmung der Viruspartikel. Weiterführende Analysen der Virusproteine oder -genome dienen der Charakterisierung des Virustyps.
Proteinnachweis Western-Blot Eine Möglichkeit zur Bestimmung des Virustyps ist die Identifizierung bestimmter Virusantigene in Western-Blot-Tests. Hierzu trennt man die Proteine der infizierten Zellen oder der in der Ultrazen-
trifuge pelletierten Viruspartikel in SDS-Polyacrylamidgelen auf. Ihre Anordnung und ihre Molekulargewichte können einen weiteren Hinweis auf den Virustyp geben. Eine endgültige Zuordnung ist jedoch erst serologisch im Western-Blot möglich (䉴 Abbildung 13.1). Hierzu überträgt man die im Polyacrylamidgel aufgetrennten Proteine auf Nitrocellulosefolien (eigentlicher WesternBlot) und inkubiert diese mit Antiseren, die Immunglobuline enthalten, welche spezifisch mit bestimmten Virusantigenen reagieren (Erstantikörper). Optimal sind hierfür Präparationen monoklonaler Mausantikörper, die definierte Epitope eines Virusproteins erkennen. Es werden aber auch Seren von Menschen eingesetzt, die eine Infektion mit dem jeweiligen Virustyp überstanden und in ihrem Verlauf spezifisch bindende Antikörper gebildet haben. Die Nitrocellulosefolien werden danach mit weiteren sogenannten sekundären Immunglobulinen (Zweitantikörper) behandelt, die ihrerseits spezifisch für die Fc-Teile der zuvor verwendeten Antikörper sind, beispielsweise mit Immunglobulinen aus Schweinen, die mit den Fc-Teilen muriner Antikörpermoleküle injiziert wurden und dagegen eine Immunreaktion entwickelt haben. Menschliche Antikörper weist man üblicherweise mit Kaninchenimmunglobulinen nach, die sich an die Fc-Teile von humanem IgG binden. Unterschiedliche, für die weiteren Nachweisreaktionen notwendige Enzyme sind kovalent an die sekundären Antikörper gebunden, beispielsweise die MeerrettichPeroxidase. Diese sekundären Antikörper interagieren mit den Antigen-Antikörper-Komplexen auf den Folien, und im nächsten Schritt weist man sie durch Zugabe des entsprechenden Substrates, in diesem Fall Diaminobenzidin, nach. Im positiven Fall entstehen bräunlich gefärbte Proteinbanden (䉴 Abbildung 13.1). Alternativ wird alkalische Phosphatase zur Markierung verwendet, die eine Blaufärbung ergibt. Antigen-ELISA Alternativ zum analytischen WesternBlot setzt man diese Variante des ELISA-Tests zum Nachweis von Virusproteinen oder -partikeln ein. Der Test wird gewöhnlich in Mikrotiterplatten durchgeführt, die 96 Vertiefungen (wells) aufweisen und aus speziell behandeltem Polystyrol bestehen. An das Plastikmaterial der Näpfe adsorbiert man monoklonale murine Antikörper gegen ein bestimmtes Virusprotein. Danach gibt man Suspensionen, welche die fraglichen Viren beziehungsweise die Virusproteine enthalten, in die Vertiefungen. Sind die entsprechenden Antigene vorhanden, so interagieren sie mit den polystyrolgebundenen Immunglobulinen. Die Antigen-Antikörper-Komplexe können im folgenden Schritt dadurch nachgewiesen werden, dass ein weiterer Antikörper hinzugegeben wird, der sich an ein anderes Epitop desselben Viruspro-
13.1 Wie lassen sich virale Erreger direkt nachweisen?
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66kDa 45kDa 36kDa
24kDa 20kDa 14kDa A
66kDa 45kDa 36kDa 29kDa 24kDa 20kDa 14kDa B 13.1 Beispiel für den Nachweis von Virusproteinen (mit freundlicher Genehmigung von Andreas Gigler, Institut für Medizinische Mikrobiologie, Universität Regensburg). A: SDS-Polyacrylamidgel. Proteinextrakte aus E. coli-Bakterien, die unterschiedliche Abschnitte eines Proteins des Parvovirus B19 exprimieren, wurden elektrophoretisch nach ihrer Größe aufgetrennt und mit Coomassie-Blue angefärbt. Man findet eine Blaufärbung (hier schwarz wiedergegeben) aller in der Präparation vorhandenen Proteine. B: Western-Blot. Die Proteinbanden des in Abbildung A gezeigten SDS-Polyacrylamidgels wurden auf Nitrocellulosefolien übertragen (Western-Blot) und diese dann mit polyklonalen Antikörpern aus Kaninchen inkubiert, die das parvovirale Protein spezifisch erkennen. Nach einem Waschvorgang wurden die Folien mit sekundären, mit Meerrettich-Peroxidase konjugierten Antikörpern (und zwar Immunglobulinen aus Schweinen, die gegen den Fc-Teil der Kaninchenantikörper gerichtet sind) behandelt, die sich spezifisch an die bereits gebundenen Antikörper anheften. Dann inkubierte man die Folien mit diaminobenzidinhaltigen Lösungen. Im Bereich der Proteinbanden, an die sich die Antikörperkomplexe angelagert haben, bildet sich ein brauner Niederschlag, der eine positive Reaktion anzeigt.
13
13
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13 Labormethoden zum Nachweis von Virusinfektionen
teins bindet. Diese Immunglobuline sind ihrerseits kovalent mit der Meerrettich-Peroxidase vernetzt, sodass sich der Komplex durch Zugabe von o-Phenylendiamin als lösliches Substrat sichtbar machen lässt. Die photometrische Messung der Intensität dieser Farbreaktion ermöglicht die quantitative oder semi-quantitative Bestimmung des Virusantigens, das im Ausgangsmaterial vorhanden war (䉴 Abbildung 13.2A). Anwendungsbeispiele für Antigen-ELISA in der Humanmedizin sind Infektionen mit Adeno-, Influenza-, Parainfluenza- und Respiratory-Syncytial-Viren in Atemwegssekreten und Rota-, Adeno- und Noroviren im Stuhl. In der Tiermedizin werden mit Antigen-ELISAs Rota-, Corona- und Parvoviren bei verschiedenen Tierarten nachgewiesen.
Immunglobulinen, die gegen die nachzuweisenden Virusproteine gerichtet sind. Die nachfolgende Behandlung mit sekundären Immunglobulinen, die gegen den Fc-Teil der verwendeten Immunglobuline gerichtet und mit fluoreszierenden, chemischen Substanzen (beispielsweise Fluorescein-Isothiocyanat) vernetzt sind, ermöglicht es, die Virusproteine in unterschiedlichen Kompartimenten wie dem Zellkern, dem Cytoplasma oder den Zellmembranen sichtbar zu machen (䉴 Abbildung 13.3). Nachweis viraler Eigenschaften Einige Viren codieren für bestimmte Enzymaktivitäten, die man in den infizierten Zellen oder assoziiert mit den Viruspartikeln im Kulturüberstand als charakteristische Eigenschaften nachweisen kann. Hierzu zählt beispielsweise die Bestimmung der Aktivität der reversen Transkriptase, die von den humanen Immundefizienzviren produziert wird und ein Bestandteil der entstehenden Viruspartikel ist (䉴 Abschnitt 18.1). Anhand der im Kulturüberstand nachgewiesenen Menge dieses Enzyms kann man die
Immunfluoreszenz Mithilfe der direkten Immunfluoreszenz wird untersucht, ob in den infizierten Zellen Virusproteine gebildet werden. Die Zellen werden auf Objektträger getropft, fixiert und mit alkoholischen Lösungsmitteln behandelt, um die Zellmembranen durchlässig zu machen. Danach inkubiert man sie mit
positiv (gelb)
positiv (gelb)
negativ (weiß)
Substrat
4
3 2
1
Mikrotiterplatte
1
an die Wände der Näpfe gebundene virusspezifische Antikörper
2
im Untersuchungsmaterial vorhandene Viruspartikel binden sich an die virusspezifischen Antikörper
3
virusspezifische Antikörper gegen eine alternative Domäne im Viruspartikel, mit Meerrettich-Peroxidase ( ) gekoppelt
4
Zugabe von Substrat (o-Phenylendiamin), wird von der Meerrettich-Peroxidase umgesetzt gelbliche Färbung im positiven Fall
13.2 Darstellung der Reaktionsschritte in ELISA-Tests. A: Antigen-Capture-ELISA zum Nachweis von Virusproteinen oder -partikeln.
13.1 Wie lassen sich virale Erreger direkt nachweisen?
Zahl der produzierten Viruspartikel quantitativ bestimmen. Andere Viren agglutinieren Erythrocyten. Diese Fähigkeit zur Hämagglutination findet man sowohl bei human- als auch bei tierpathogenen Viren. Sie ist mit den viruscodierten Membranproteinen und daher mit den Virionen verbunden. Hämagglutinationstests können daher unter anderem bei den Paramyxo- und Orthomyxoviren (䉴 Abschnitte 15.3 und 16.3) sowie den Flavi-, Toga-, Corona- und auch bei den Parvoviren (䉴 Abschnitte 14.5, 14.6, 14.8 und 20.1) durchgeführt werden. Man verwendet Erythrocyten geeigneter Spezies und vermischt sie mit den virushaltigen Suspensionen; verklumpen die roten Blutkörperchen, zeigt dies die Anwesenheit von Viren an. Ist die Reaktion durch Zugabe von viruspezifischen Antikörpern hemmbar, dann ermöglicht dieser sogenannte Hämagglutinationshemmungstest, den Virustyp im Ausgangsmaterial zu bestimmen. In der Routinediagnostik ist diese Methode inzwischen allerdings überholt. Mittels des Hämagglutinationshemmungstests (HHT) wird heute nur noch der Nachweis Rötelnvirus-spezifischer Antikörper im Rah-
positiv (gelb)
131
men der gesetzlich geregelten Schwangerenvorsorge durchgeführt (䉴 Abschnitt 14.6).
Nachweis viraler Nucleinsäuren Southern-, Northern- oder Dot-Blot Alternativ zu den Proteinen beziehungsweise Enzymaktivitäten kann man virale Nucleinsäuren aus den infizierten Zellen isolieren und ihre Spezifität in Southern-, Northern oder DotBlot-Tests untersuchen. Die gereinigte DNA wird durch Restriktionsenzyme geschnitten. Dadurch entstehen Fragmente von definierter Länge, die in Agarosegelen nach ihrer Größe aufgetrennt werden. Im Anschluss überträgt man sie aus der Gelmatrix auf Nitrocellulosefolien (Southern-Blot); ähnlich verfährt man beim Nachweis viraler RNA (Northern-Blot), ohne sie jedoch mit Restriktionsendonucleasen zu schneiden. Man kann die DNA- oder RNA-Präparationen auch direkt auf die Nitrocellulose auftropfen (Dot-Blot). Handelt es sich um doppelsträngige Nucleinsäuremoleküle, muss ein
positiv (gelb)
negativ (weiß)
Substrat
4
3 2 1
Mikrotiterplatte
1
an die Wände der Näpfe gebundenes Virusprotein ( )
2
Patientenserum enthält im positiven Fall Antikörper gegen das Virusprotein
3
sekundäre Antikörper gegen den Fc-Teil der Patientenimmunglobuline, mit Meerrettich-Peroxidase ( ) gekoppelt
4
Zugabe von Substrat (o-Phenylendiamin), wird von der Meerrettich-Peroxidase umgesetzt gelbliche Färbung im positiven Fall
13.2 (Fortsetzung) B: ELISA zum Nachweis spezifischer Antikörper (Abschnitt 13.2).
13
13
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13 Labormethoden zum Nachweis von Virusinfektionen
FITC
FITC
3
2 1
Objektträger
1
infizierte, fixierte Zellen
2
spezifische Antikörper, z. B. in Patientenseren
3
sekundäre Antikörper gegen den Fc-Teil der humanen Immunglobuline; werden diese gebunden, sind die über den Komplex kenntlich gemachten Zellstrukturen durch die FITC-Markierung grün gefärbt
13.3 Darstellung der Reaktionsschritte im Immunfluoreszenztest.
Denaturierungsschritt erfolgen, der die Hybridstränge in Einzelstränge überführt. Danach werden die Nitrocellulosefolien mit einzelsträngigen, markierten DNAoder RNA-Sonden inkubiert, die zu den gesuchten Basensequenzen komplementär sind und mit ihnen zu doppelsträngigen Abschnitten hybridisieren (䉴 Abbildung 13.4). Während früher überwiegend Sonden für die Nachweisreaktion eingesetzt wurden, die durch den Einbau von 32P- oder 35S-haltigen Nucleotiden radioaktiv markiert waren, verwendet man heute hauptsächlich nichtradioaktive Systeme. Meistens werden in die DNASonden Basenderivate integriert, die mit Biotin- oder Digoxigeninmolekülen modifiziert sind. Nach der Hybridisierung mit den viralen Nucleinsäuren werden die Nitrocellulosefolien mit Streptavidin beziehungsweise mit digoxigeninspezifischen Antikörpern inkubiert. Diese Reagenzien sind kovalent mit Enzymen verknüpft, die den Nachweis durch eine Farbreaktion ermöglichen. Außer der bereits erwähnten MeerrettichPeroxidase verwendet man heute vermehrt Reagenzien, an die alkalische Phosphatase gekoppelt ist. Bei Inkubation mit X-Phosphat (5-Brom-4-chlor-3-indolylphosphat) und NBT (4-Nitroblue-tetrazoliumchlorid) bildet sich ein lilafarbenes Präzipitat als Nachweis der Enzymaktivität. Die Farbintensität ist ein Maß für die Menge der jeweiligen viralen Nucleinsäure auf dem Blot. Alternativ hierzu kann der Nachweis durch chemoluminiszierende Agenzien erfolgen; die Folien werden in diesem Fall, ähnlich wie bei der Verwendung radioaktiv markierter Sonden, mit Röntgenfilmen exponiert und diese entwickelt. Da die genannten Methoden den modernen PCR-Tests in Sensitivität und Spezifität deutlich unterle-
gen sind, kommen diese Methoden nur mehr selten diagnostisch zum Einsatz.
13.1.2 Direkter Nachweis der Viren in Patientenmaterial Viele der heute diagnostisch eingesetzten Tests sind so empfindlich, dass man sie auch für den Virusnachweis in Seren oder anderen Patientenmaterialen einsetzen kann, ohne die Erreger zuvor in vitro anzuzüchten und zu vermehren. Dies gilt vor allem bei Infektionen, in deren Verlauf größere Mengen an Viruspartikeln oder bestimmten Proteinen gebildet und in das Blut abgegeben werden, wie das HBsAg bei der Hepatitis-B-VirusInfektion (䉴 Abschnitt 19.1), das Capsidprotein p24 bei der akuten HIV-Infektion (䉴 Abschnitt 18.1) oder die Capside des Parvovirus B19 (䉴 Abschnitt 20.1). In der Tiermedizin weist man damit die felinen Leukämieviren im Blut infizierter Katzen (䉴 Abschnitt 18.1.6), sowie die caninen Parvoviren oder die bovinen Rota- und Coronaviren im Kot der Tiere nach (䉴 Abschnitte 14.8.6 und 17.2.6). Die Proteine oder Viruspartikel lassen sich dabei mit den gleichen Methoden aufspüren, wie sie in 䉴 Abschnitt 13.1.1 beschrieben sind. Meist verwendet man Antigen-ELISA-Tests. In der Tiermedizin sind für eine Reihe von Anwendungen sogenannte Schnell- oder Sticktests entwickelt worden. Hier weist man Virusproteine durch immunchromatographische Methoden nach. Diese Tests beruhen auf dem Prinzip eines ELISA, jedoch sind die Anti-
13.1 Wie lassen sich virale Erreger direkt nachweisen?
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⇒
13.4 Prinzip des Southern-Blot-Tests.
körper auf Gold- oder Latexkugeln (Durchmesser: 20 μm) fixiert und können vom Tierarzt in der Praxis durchgeführt werden. Die mit Antikörpern beladenen Kügelchen binden die Viruspartikel und/oder Proteine und wandern aufgrund von Kapillarkräften auf der in die Lösung eingetauchten Membran. Auf dieser sind wiederum Antikörper fixiert, welche die antigenbeladenen Kugeln aufhalten. Diese werden dann als dunkle
Bande sichtbar. Kontrollreaktionen durch an die Membran gebundene immunglobulinspezifische Antikörper komplementieren den Test (䉴 Abbildung 13.5). Diese Form der Schnelltests ist unter anderem für den Nachweis von verschiedenen Erregern von Gastroenteritiden bei Tieren (beispielsweise Parvo-, Rota- und Coronaviren; 䉴 Abschnitte 14.8, 17.2 und 20.1) entwickelt worden. In der Humanmedizin werden derartig unkompli-
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13 Labormethoden zum Nachweis von Virusinfektionen
Kontrollfenster: immobilisierte Anti-IgG-Antikörper
Membran
Ergebnisfenster: immobilisierte virusspezifische Antikörper Goldkugeln (Ø 20μm) Probenauftragsfenster: Goldkugeln, mit virusspezifischen IgG beschichtet Auftrag der zu untersuchenden Probe
Fließrichtung
Fließrichtung Virus bindet sich an die mit virusspezifischen IgG beschichteten Goldkugeln
virusnegative Probe
viruspositive Probe Inkubation
Wanderung der Komplexe aus dem Probenauftrag Anti-IgG-Antikörper binden sich an virusspezifische IgG virusspezifische Antikörper binden sich an Virus-IgG-Goldkugel-Komplexe
durch Goldkugeln sichtbare Bande im Kontrollfenster
durch Goldkugeln sichtbare Banden in Ergebnis- und Kontrollfenster
13.1 Wie lassen sich virale Erreger direkt nachweisen?
zierte Schnelltests vermehrt für die Diagnostik von Influenzavirus-Infektionen eingesetzt, da sich im positiven Fall daran unmittelbar eine Therapie mit Neuraminidasehemmern anschließt.
Nachweis von Nucleinsäuren in Patientenmaterialien In den letzten Jahren hat man hochsensitive und quantifizierbare Systeme vor allem für den Nachweis viraler Nucleinsäuren im Blut oder den infizierten Flüssigkeiten und Geweben entwickelt. Sie haben viele der Antigen-Tests abgelöst und sollen im Folgenden kurz besprochen werden. Polymerasekettenreaktion (PCR) Die Polymerasekettenreaktion ermöglicht die Amplifizierung geringster Mengen von Virusgenomen oder -transkripten direkt aus dem Patientenmaterial. Theoretisch und auch praktisch kann man ein einziges Nucleinsäuremolekül im Testansatz nachweisen. Zuerst müssen die Viren aufgebrochen (zum Beispiel mit chaotropen Agenzien) und die Proteine, die in der Patientenprobe vorhanden sind, entfernt werden, da sie die folgenden Reaktionen stören können. Üblicherweise werden sie mit Proteasen abgebaut, mittels Phenol entfernt oder anschließend präzipitiert und durch Zentrifugation aus den Proben entfernt. Man wählt zwei Oligonucleotide (zwischen 15 und 20 Nucleotide lang), die komplementär zu je einem Strang der nachzuweisenden DNA-Doppelstränge sind und einen Abschnitt von 200 bis 400 Basen (bei real time PCR auch deutlich kürzer) flankieren. Die DNA wird durch Erhitzen in Einzelstränge überführt (Denaturierung; 94 °C). Dann gibt man die Oligonucleotide in
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einem hohen molaren Überschuss hinzu, die sich bei gleichzeitiger Abkühlung an die DNA-Stränge anlagern und kurze Doppelstrangregionen bilden (Annealing; meist 50–60 °C). Das Reaktionsgemisch enthält als weitere Komponenten eine hitzestabile Form der DNAPolymerase – üblicherweise die Taq-Polymerase des thermophilen Bakteriums Thermus aquaticus – und die vier Nucleotidtriphosphate dATP, dGTP, dCTP und dTTP in geeigneten Konzentrationen und Puffersystemen. Die an die DNA-Stränge hybridisierten Oligonucleotide wirken als Primer. Sie stellen der Taq-Polymerase ein 3’OH-Ende zur Verfügung, an welches das Enzym die komplementäre DNA-Sequenz ansynthetisiert (Elongation oder Kettenverlängerung; meist bei 72 °C). Somit ist der erste Zyklus abgeschlossen. Als Folge liegen zwei doppelsträngige DNA-Moleküle im Reaktionsansatz vor, die durch kurzzeitiges Erhitzen im zweiten Zyklus wieder voneinander getrennt werden. Während der folgenden Abkühlung lagern sich erneut Oligonucleotide an die Einzelstränge an und dienen als Primer für die Synthese weiterer Doppelstränge: Das ursprüngliche DNA-Molekül ist somit in einer Kettenreaktion zu vier Doppelsträngen amplifiziert worden. Man wiederholt die Erhitzungs- und Abkühlungsperioden und damit die Denaturierung beziehungsweise Hybridisierung und Polymerisation beliebig oft und gelangt so zu einer logarithmischen Amplifikation der Nucleinsäuremoleküle (2n; n = Zahl der Zyklen; 䉴 Abbildung 13.6). Nach etwa 30 bis 40 solcher Zyklen ist die lineare Phase der Amplifikation erschöpft und die PCRAmplifikate können auf einem Agarose-Gel aufgetrennt und durch Anfärbung mit Ethidium-Bromid nachgewiesen werden. Für analytische Zwecke, beispielsweise der Klonierung der Amplifikate, kann man über die Primer auch Restriktionsstellen einbauen. Schneidet man
13.5 Immunchromatographie (Schnelltest zum Virusnachweis in Patientenmaterial). Dieser Test dient dem Nachweis von Viren in flüssigen Patientenmaterialien, beispielsweise in Serum-, Sputum- oder Stuhlproben. Man verwendet Membranen (Nitrocellulose oder ähnliche), die in verschiedenen Abschnitten (Fenstern) mit bestimmten Reagenzien beschichtet sind. Probenauftragsfenster: große Mengen von Goldkügelchen (Durchmesser 20 μm), an deren Oberfläche IgG-Antikörper kovalent gebunden sind, die sich spezifisch an Epitope in den Oberflächenproteinen des nachzuweisenden Virus binden. Ergebnisfenster: Hier liegen kovalent an die Membran gebundene IgG-Moleküle vor, welche sich an die selben oder andere Epitope des nachzuweisenden Virus binden können. Kontrollfenster: Es enthält kovalent an die Membran gebundene Anti-IgG-Antikörper. Testprinzip: 1. Die Membran wird im Bereich des Auftragsfensters mit dem Biopsiematerial inkubiert und in einen Behälter mit Pufferlösung überführt. Enthält das Material die fraglichen Viren, so binden sich diese an die IgG-Antikörper auf den Goldkügelchen. 2. Die Virus-IgG-Goldkügelchen-Komplexe wandern zusammen mit den nicht mit Viren beladenen Kügelchen in der Pufferfront zum Ergebnisfenster. Die hier kovalent an die Membran gebundenen IgG-Antikörper binden sich an noch freie Epitope der Virusoberfläche. Hierdurch wird die Wanderung der Virus-IgG-Goldkügelchen gestoppt, und es bildet sich eine golden (dunkel) gefärbte Bande im Ergebnisfenster. 3. Die nicht mit Viren beladenen IgG-Goldkügelchen wandern mit der Pufferfront weiter zum Kontrollfenster. Hier wird ihre Wanderung gestoppt, da sie mit den hier immobilisierten Anti-IgG-Antikörpern komplexieren. Dadurch ergibt sich eine zweite Bande im Kontrollfenster. Aus der Stärke der Banden und ihrem Verhältnis zueinander kann man auf die Menge der Viren im Ausgangsmaterial schließen. Enthält das zu untersuchende Material keine Viren, dann ergibt sich nur eine Bande im Kontrollfenster.
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13 Labormethoden zum Nachweis von Virusinfektionen
die amplifizierten DNA-Doppelstränge dann, kann man das gebildete Fragment nach Auftrennung des Gemisches über Agarosegele anhand seiner Basenlänge oder durch einen anschließenden Southern-Blot-Test identifizieren und weiter verarbeiten. Zur Erhöhung der diagnostischen Sensitivität, aber auch der Spezifität, kann man zwei Polymerasekettenreaktionen durch ein zweites, nach innen versetztes Primerpaar ineinander schachteln (nested PCR). Da DNA über lange Zeiträume sehr stabil ist, kann man die Sequenzen auch in älteren und sogar in fixierten Organproben entdecken. Deshalb können Viren in sehr alten, in Formaldehyd eingelegten Materialien und auch in einbalsamierten Mumien nachgewiesen werden. Durch Einsatz der Polymerasekettenreaktion untersucht man daher zudem, wie sich bestimmte Virustypen, zum Beispiel Influenzaviren, in den vergangenen Jahrhunderten verändert und entwickelt haben. Dies könnte genauere Einsichten in die Virusevolution ermöglichen. Handelt es sich bei der Ausgangsnucleinsäure um RNA, so überführt man diese zuerst mithilfe der reversen Transkriptase und eines geeigneten Primers in einzelsträngige DNA. Daran schließen sich die oben beschriebenen Amplifizierungsreaktionen an. Beides kann im gleichen Reaktionsgefäß und unter Verwendung identischer Pufferbedingungen erfolgen. Auch die Taq-Polymerase kann so modifiziert sein, dass sie beide Reaktionen erfüllen kann. Mit geeigneten Kontrollen, wie quantifizierten Standards, kann man auch die Menge der Nucleinsäure im Ausgangsmaterial, zum Beispiel in den Seren, bestimmen. Nachteilig ist häufig die hohe Empfindlichkeit der Polymerasekettenreaktion, insbesondere der nested PCR: Da es möglich ist, ein einziges DNA-Molekül zu amplifizieren, genügen geringste Kontaminationen in den Reaktionsansätzen, um falsch positive Ergebnisse zu liefern. Neben dieser Endprodukt-Kontamination (carry-over) kann aber auch eine Primär-Kontamination durch Verschleppungen im Labor erfolgen, wenn sehr hohe Virusmengen im jeweiligen Material vorliegen (z. B. Norovirus oder Parvovirus B19). Diese Gefahr ist vor allem in Diagnostiklaboratorien sehr hoch, da man hier regelmäßig mit den entsprechenden Materialien umgeht. Je nach PCRApplikation, müssen alle für die Polymerasekettenreaktion verwendeten Lösungen, Puffer und Reaktionsgemische daher in gesonderten Räumen angesetzt und pipettiert werden (räumliche Kompartimentierung); weiterhin müssen bei allen Testansätzen Negativkontrollen mitgeführt werden, die mögliche Kontaminationen anzeigen. Inzwischen verfügt man über automatisierte Testsysteme, die eine quantitative Bestimmung der viralen Nucleinsäuren im Ausgangsmaterial ermöglichen (real
time PCR). Hierzu werden die DNA- oder RNA-Moleküle wie oben beschrieben amplifiziert. In den Amplifizierungsansatz wird eine definierte Menge von einzelsträngigen Sonden zugegeben, die eine Länge von 25 bis 40 Basen haben und komplementär zu den Sequenzen der amplifizierten Sequenzbereiche sind. An den 5’Enden sind die Sonden mit einer fluoreszierenden Gruppe (beispielsweise 6-Carboxyfluorescein) vernetzt. An den 3’-Enden tragen sie hingegen eine andere chemische Gruppe (beispielsweise 6-Carboxytetramethylrhodamin), welche die Fluoreszenz des 6-Carboxyfluoresceins unterdrückt. Voraussetzung für dieses Quenching ist, dass sich beide Gruppen in räumlicher Nachbarschaft zueinander, also an den beiden Enden des Sondenmoleküls befinden (FRET-Technologie). Liegen in der Probe Virusgenome vor, dann werden die Nucleotide der Sonde während des Polymerisationsprozesses durch die Exonucleaseaktivität der Taq-Polymerase abgebaut. Durch diesen Schritt erfolgt die Trennung der beiden fluoreszierenden Gruppen. Das Quenching wird durch diesen Schritt aufgehoben und die Fluoreszenz der 6-Carboxyfluorescein-Verbindung kann on real time gemessen werden. Sie ist umso höher, je mehr virale Nucleinsäure sich im Ausgangsmaterial befand. Gängige Verfahren verfügen über eine lineare Amplifikationseffizienz von sechs bis acht logarhitmischen Amplifikationsstufen. Durch Verwendung mehrerer Primer-Paare und unterschiedlich markierter Sonden können auch mehrere Amplifikate spezifisch und quantitativ in einem einzigen Testansatz nachgewiesen werden (Multiplex-PCR). Interne Kontrollen zur Prüfung der DNAExtraktionseffizienz und möglicher interner Inhibierungen sind so möglich. Ein weiterer Vorteil der real time PCR ist die deutlich reduzierte Endproduktskontaminationsgefahr. Alternativ hierzu kann man die amplifizierten DNASequenzen auch in einem ELISA-ähnlichen HybridCapture-Verfahren quantitativ nachweisen. Die Amplifikate werden über eine Sonde, die an das Polystyrol von Mikrotiterplatten gebunden ist, aus der Lösung gefischt. Werden dem Amplifikationsschritt biotinylierte Primer oder Nucleotidderivate zugesetzt, dann kann man diese durch peroxidasemarkierte Antikörper nachweisen. In situ-Hybridisierung In Gefrierschnitten von infizierten Zellen oder Geweben, wie in der Pathologie, können Virus-DNA und -RNA durch in situ-Hybridisierung mit spezifischen, zur gesuchten Sequenz komplementären, markierten DNA- oder RNA-Sonden nachgewiesen werden. Üblicherweise baut man 3H-Thymidin oder biotinylierte Basenderivate in die Sonden ein. Im ersten Fall werden die Schnitte nach der Hybridisierung mit einer Filmemulsion beschichtet und später entwi-
13.1 Wie lassen sich virale Erreger direkt nachweisen?
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doppelsträngige Virus-DNA Erhitzen Denaturieren
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Abkühlen Anlagerung von Oligonucleotiden im Überschuss
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Abkühlen Anlagerung von Oligonucleotiden und Polymerisation
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logarithmische Amplifikation
13.6 Prinzip der Polymerasekettenreaktion (PCR).
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13 Labormethoden zum Nachweis von Virusinfektionen
ckelt, wobei man in den infizierten Zellen bei mikroskopischer Betrachtung eine granuläre Schwärzung findet. Diese Methode lässt sich mit der Polymerasekettenreaktion kombinieren, sodass man auch in Gefrierschnitten geringste Mengen viraler Nucleinsäuren aufspüren kann (in situ-PCR). Branched-DNA-detection Dieses Testsystem ist für den Nachweis von Nucleinsäuren geeignet und wurde zur Bestimmung der Menge von DNA-Genomen des Hepatitis-B-Virus und RNA-Genomen des humanen Immundefizienzvirus sowie auch des Hepatitis-C-Virus in Patientenseren entwickelt. Die in den Proben vorhandenen Proteine werden durch Proteasebehandlung abgebaut und die DNA und RNA durch Zentrifugation angereichert. Zu der Lösung gibt man DNA-Oligonucleotide als Primärsonden, die in einer Hälfte komplementär zu den viralen Genomsequenzen sind und mit ihnen kurze Doppelstrangregionen ausbilden; der nicht komplementäre Teil des Oligonucleotides bleibt als Einzelstrang erhalten. Dieser Nucleinsäurekomplex wird an Mikrotiterplatten gebunden, die an den Polystyrolwänden Oligonucleotide als Fangsonden enthalten, welche komplementär zu anderen Regionen der Virusgenome sind. Im nächsten Schritt fügt man DNA-Moleküle hinzu, die an den Enden mit den einzelsträngigen Bereichen der Primärsonden hybridisieren und etwa 20 Verzweigungen aufweisen, an deren Sequenzen sich wiederum komplementäre Oligonucleotide als Sonden anlagern können. Diese sind ihrerseits mit alkalischer Phosphatase markiert. Der quantitative Nachweis erfolgt schließlich durch Zugabe von Substraten, die bei ihrer Umsetzung chemolumineszierende Moleküle freisetzen. Da bei dem System der branched-DNA-detection nicht die Ausgangssequenz, sondern das Signal verstärkt wird, ist es weniger anfällig für Kontaminationen.
13.2 Auf welche Weise nutzt man spezifische Immunreaktionen zum indirekten Nachweis von Virusinfektionen? Wie eingangs erwähnt, sind Viren häufig nur für kurze Zeit im Patienten vorhanden und nachweisbar. Oft muss daher eine Diagnose indirekt gestellt werden, das heißt durch die Bestimmung der Immunreaktion, die sich während der Infektion gegen die jeweiligen Erreger aus-
bildet. Üblicherweise weist man dabei im Serum, manchmal auch im Liquor der Patienten, Antikörper nach, die sich spezifisch an definierte Virusproteine binden. IgM-Antikörper weisen im Allgemeinen darauf hin, dass es sich um eine akute oder erst kürzlich erfolgte Infektion handelt. Werden dagegen IgG-Antikörper gegen ein bestimmtes Virus nachgewiesen, dann lassen sie auf eine länger zurückliegende, bereits abgelaufene Infektion schließen. Sie sind auch ein Anzeichen für einen Immunstatus, der die jeweilige Person vor einer Neuinfektion mit dem gleichen Erregertyp schützt (䉴 Kapitel 7). Vor allem für die Diagnostik akuter Infektionen ist es jedoch wichtig, dass man die Konzentration der IgM- beziehungsweise IgG-Antikörper im Infektionsverlauf bestimmt. Da die Affinität der IgG-Antikörper bei länger zurückliegenden Infektionen zunimmt, lässt sich durch die Bestimmung der Acidität der Zeitpunkt der akuten Infektion eingrenzen. Gelegentlich testet man auch auf IgA-Antikörper. Alle Antikörper können mittels Western-Blot-, ELISA- oder indirekten Immunfluoreszenztests nachgewiesen werden. Manchmal verwendet man auch noch den Hämagglutinations-Hemmungstest (HHT). Sollen mit den Immunglobulinen bestimmte Funktionen assoziiert werden, beispielsweise ihre Fähigkeit, das entsprechende Virus zu neutralisieren, dann wird untersucht, ob die Immunglobuline die Infektion in vitro hemmen können. Hierzu inkubiert man bestimmte Mengen infektiöser Viruspartikel mit den Antikörpern, bevor die Mischung zu den Zellen einer Gewebekultur gegeben wird (䉴 Abschnitt 13.1). Neutralisationstests werden noch routinemäßig für den Nachweis der Antikörper gegen Poliovirus und in der Veterinärvirologie, unter anderem für den Nachweis der Antikörper gegen das Staupevirus, verwendet. Western-Blot und ELISA Die Western-Blot- und ELISA-Tests unterscheiden sich von den in Abschnitt 13.1 beschriebenen in einem Punkt: Vorgegeben ist in diesem Fall das Antigen, das heißt bestimmte Virusproteine oder -partikel. Man trennt sie in SDS-Polyacrylamidgelen auf und überträgt sie auf Nitrocellulosefolien (Western-Blot). Bei den ELISA-Tests lässt man die Proteinpräparationen an das Polystyrol der Mikrotiterplatten oder andere Matrices binden. Die Patientenseren, in denen die fraglichen Antikörper nachgewiesen werden sollen, werden mit den Nitrocellulosestreifen inkubiert beziehungsweise in die Näpfe der Mikrotiterplatten pipettiert. Die Nachweisreaktionen erfolgen auch hier mit enzymgekoppelten, sekundären Antikörpern, die spezifisch den Fc-Anteil von menschlichem IgM- oder IgG erkennen und sich daran binden (䉴 Abbildung 13.2B). Mit ELISA-Tests lässt sich neben der Frage, gegen welches Virusantigen die Antikörper gerichtet
13.2 Spezifische Immunreaktionen zum indirekten Nachweis von Virusinfektionen
sind, auch diejenige nach der Konzentration der Immunglobuline beantworten, da man hier Verdünnungsreihen von Seren untersuchen kann. Bis vor einigen Jahren wurden als Antigenmaterial der WesternBlot- oder ELISA-Tests üblicherweise Viren verwendet, die man in Zellkultur gezüchtet und angereichert hatte. Heute werden hingegen bevorzugt Virusproteine eingesetzt, die mit gentechnischen Methoden produziert werden. Hierzu wählt man virale Antigene, gegen die im Infektionsverlauf virustypspezifische Immunglobuline gebildet werden, welche aber auch konserviert sind und sich somit nicht leicht verändern. Meist handelt es sich um virale Strukturproteine. Die Genabschnitte, die für diese Proteine codieren, werden unter Kontrolle bakterieller Promotoren in E. coli oder in Hefe kloniert und exprimiert. Die Bakterien synthetisieren große Mengen der entsprechenden Virusproteine, die gereinigt und als Antigen in Western-Blot oder ELISA-Tests benutzt werden können. Dieses Vorgehen erwies sich als kostengünstiger und ungefährlicher als die Anzüchtung großer Mengen infektiöser Krankheitserreger. Ist weiterhin bekannt, dass im Infektionsverlauf regelmäßig Antikörper gegen bestimmte Epitope gebildet werden, so kann man diese Proteinabschnitte chemisch als Peptide synthetisieren und als Antigene in ELISA-Tests einsetzen. Der Einsatz von bereits gereinigten Proteinpräparationen macht auch die elektrophoretische Auftrennung der Proteine entbehrlich. Sie werden in diesen Fällen direkt mit einem Pinsel oder Füllfederhalter auf die Membranen aufgebracht. Bei diesen Line-Blot-Tests werden die Folien verwendet, die auch beim Western-Blot Anwendung finden. Indirekte Immunfluoreszenztests Dafür werden in vitro infizierte Kulturzellen auf Objektträger aufgebracht und fixiert. Man gibt die zu untersuchenden Serumverdünnungen hinzu und weist gebundene Antikörper mithilfe von FITC-konjugierten Immunglobulinen nach, die – je nach Fragestellung – gegen IgG oder IgM der zu untersuchenden Spezies gerichtet sind. Testsysteme zum Nachweis der zellulären Immunantwort Seit einigen Jahren versucht man, durch den Nachweis von spezifischen zellulären Immunreaktionen zusätzliche diagnostische oder auch prognostische Daten zu bekommen. Die dazu verwendeten Testsysteme sind im Vergleich zu denjenigen, die zum Nachweis spezifischer Antikörper genutzt werden, wesentlich aufwändiger. Im ersten Schritt müssen die T-Lymphocyten aus dem Blut der Probanden über Dichtegradientenzentrifugation (zum Beispiel Ficoll-Gradienten) oder durch Lyse der Erythrozyten angereichert werden. Die weitere
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Reinigung der unterschiedlichen Zellpopulationen erfolgt durch Bindung an magnetische Kügelchen, die mit spezifischen Antikörpern (beispielsweise gerichtet gegen CD4- oder CD8-Rezeptoren auf der Oberfläche von T-Helferzellen beziehungsweise von cytotoxischen T-Zellen) beladen sind. Alternativ kann man die Zellen mit spezifischen, gegen bestimmte Oberflächenproteine gerichtete Antikörpern beladen und sie anschließend im fluoreszenzaktivierten Zellsorter (FACS) isolieren. Im zweiten Schritt werden die jeweiligen T-Zellpopulationen in Tests analysiert. Neben der intrazellulären Färbung zum Nachweis in der Zelle produzierter Cytokine (ICS) mittels FACS wird der Tetramer-Test verwendet, wenn spezifische T-Zellen nachgewiesen werden sollen, welche Viruspeptide im Komplex mit MHC-Klasse-I Antigenen erkennen. Er beruht auf rekombinant hergestellten MHC-Klasse-Ioder MHC-Klasse-II-Proteinen, die über ihre carboxyterminalen Domänen mit Biotin-Molekülen verbunden sind. Nach ihrer Reinigung inkubiert man die MHCKlasse-I-Proteinpräparationen mit β2-Microglobulin und den Peptiden – im Fall von MHC-Klasse-II-Proteinen nur mit den Peptiden, die von den Antigenen der Viren abstammen, gegen welche man reaktive T-Lymphocyten nachweisen will. Die Peptid-/MHC-/Biotinkomplexe lagern sich im nächsten Schritt an Avidin an, das mit fluoreszierenden Farbstoffen (beispielsweise Fluorescein oder Phycoerythrin) markiert ist und über vier Bindungsstellen für Biotin verfügt. Die fluoreszierenden Avidin-/Biotin-/Peptid-/MHC-Komplexe werden dann mit den gereinigten T-Lymphocyten inkubiert, die aus dem Blut der zu untersuchenden Probanden isoliert wurden (䉴 Abbildung 13.7). Befinden sich in der Zellpräparation aufgrund einer zurückliegenden Infektion T-Zellen, deren T-Zellrezeptoren sich spezifisch an die MHC-Peptid-Komplexe binden, werden die fluoreszierenden Komplexe an die Oberfläche der T-Zellen angelagert; diese kann man quantitativ im fluoreszenzaktivierten Zellsorter nachweisen. Der Lymphocytenproliferations oder -stimulationstest wird zum Nachweis spezifisch reagierender Lymphocytenpopulationen eingesetzt. Man inkubiert die isolierten Lymphocyten mit den fraglichen Antigenen beziehungsweise mit Zellen, welche die Peptidantigene präsentieren. Die Lymphocyten, welche das fragliche Antigen erkennen, beginnen sich zu teilen. Die Proliferation dieser Zellen kann nachgewiesen werden, indem man 3H-Thymidin in das Kulturmedium gibt und den Einbau der radioaktiven Substanz in die Zell-DNA misst. Als Alternative zum Einbau radioaktiver Substanzen kann man die als Folge der Erkennung von den Lymphocyten sezernierten Proteine (beispielsweise bestimmte Interleukine) mittels ELISA im Kulturüberstand oder
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13 Labormethoden zum Nachweis von Virusinfektionen
A Produktion von Tetramer-Molekülen
Rekombinantes HLA-Klasse I Protein
fluoreszenzmarkiertes Streptavidin
Peptid + virales Peptidantigen
Streptavidin +
Biotinylierung +
Tetramerbildung β2m
β2m
Biotin
Biotinylierungssignal
Fluoreszenzfarbstoff 1
B Nachweis epitopspezifischer T-Zellen mittels Durchflusscytometrie T-Zell-Rezeptoren
CD8+ cytotoxische T-Zelle
FACS-Analyse
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Fluoreszenz 1 (Tetramer)
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CD8 + Tetramer +
CD8 Tetramer -
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Fluoreszenz 2 (CD8)
13.7 Schematischer Ablauf des Tetramer-Tests zum Nachweis spezifisch reagierender T-Lymphocyten. A: Produktion der Tetramer Moleküle. Rekombinant produzierte HLA-Klasse-I-Antigene werden an einer carboxyterminal angefügten Biotinylierungsdomäne biotinyliert und mit einem virusspezifischen Peptidantigen (T-Zell spezifisches Epitop) und rekombinant produziertem b2-Microglobulin (b2m) inkubiert. Je vier der biotinylierten HLA-Klasse-I-/Peptid-/ß2Microglobulin-Komplexe binden sich an Streptavidin, welches mit dem Fluoreszenzfarbstoff 1 markiert wurde und bilden „Tetramere“. B: Nachweis virusspezifischer T-Zellen mittels Durchflußcytometrie. CD8+-T-Lymphocyten werden aus dem Blut der Patienten isoliert und mit CD8-spezifischen monoklonalen Antikörpern inkubiert, welche mit einem Fluoreszenzfarbstoff 2 markiert wurden. Die markierten CD8+-T-Zellen werden mit den Tetramerkomplexen inkubiert. Befinden sich unter den T-Lymphocyten des Patienten solche, die das Viruspeptidantigen erkennen, dann lagern sich diese mittels ihres spezifisch bindenden T-Zellrezeptors an die Tetramerkomplexe an. Anhand ihrer Fluoreszenzmarkierung können die T-Zellen mit den komplexierten Tetramerkomplexen mittels FACS-Analyse von solchen ohne Tetramerkomplexe unterschieden und quantifiziert werden.
mittels ELIspot-Tests auf der Ebene einzelner Zellen nachweisen. Der ELIspot-Test dient der quantitativen Bestimmung von Lymphocyten, welche als Folge einer spezifischen Antigenerkennung (beziehungsweise wiederholten Stimulation) bestimmte Proteine (beispielsweise Interleukine, Chemokine oder Antikörper) produzieren und sezernieren. Will man Interleukine oder Chemokine
nachweisen, dann lässt man Antikörper, welche die jeweiligen Proteine spezifisch binden, an das Polystyrolmaterial von Mikrotiterplatten binden; will man spezifische Antikörper nachweisen, dann beschichtet man die Mikrotiterplatten mit den dazu gehörenden Proteinen. Die zu untersuchenden, aus dem Blut der Probanden isolierten Lymphocyten, werden in die Näpfe der Mikrotiterplatte gegeben, sodass sie auf dem Boden eine
13.3 Wichtige neue Methoden zum Virusnachweis
dünne Schicht bilden. Während einer Inkubationsphase bei 37 °C sezernieren die Lymphocyten die fraglichen Produkte, welche sich an die Interleukin-spezifischen Antikörper beziehungsweise die Proteinantigene am Plattenboden binden. Im Anschluss daran werden die Lymphocyten entfernt und die Platten gewaschen. Es wird eine Schicht halbfesten Agars zugegeben, der Farbstoff-markierte Antikörper enthält, welche die gebildeten Komplexe erkennen. Jeder die fraglichen Interleukine beziehungsweise Antikörper produzierenden Lymphocyten wird so in einem farblich erkennbaren Punkt auf dem Plattenboden abgebildet. Die Auszählung erfolgt meist mittels entsprechender automatisierter Kamera- und Auswertungssysteme.
13.3 Welche wichtigen neuen Methoden zum Virusnachweis sind in den letzten Jahren entwickelt worden? Multiplex-Reaktionen und Genotypisierung Im Gegensatz zum allgemeinen Nachweis bakterieller Infektionen, beispielsweise über die Amplifikation der bakteriellen 16S-rRNA, steht für den Nachweis viraler Infektionen kein genereller Suchtest zur Verfügung. Dies bedeutet, dass gezielt nach jedem einzelnen möglichen Erreger gesucht werden muss. Wünschenswert bezüglich Praktikabilität und Kosten wäre eine Lösung, mehrere Viren mittels einer Polymerasekettenreaktion nachzuweisen. Ideal wäre es, wenn alle denkbaren Erreger für Durchfall oder Hirnhautentzündung so in einem Ansatz aufgespürt werden könnten. Das Prinzip der MultiplexPCR trägt dem Rechnung: Hier mischt man mehrere Primerpaare und Sonden zusammen. In aller Regel geht diese Vorgehensweise allerdings mit einem Sensitivitätsverlust einher. Eine elegantere Lösung ist es, wenn mit einem Primerpaar eine konservierte Region amplifiziert werden kann, in der dann durch eine ausreichende Zahl von Sequenzunterschieden über unterschiedliche Sonden die Bestimmung von Sub- oder Genotypen möglich ist. Dieses Prinzip wird erfolgreich bei der Bestimmung der hoch- und niedrigmalignen Subtypen der humanen Papillomaviren eingesetzt. Basierend auf der Microarray-Chip-Technologie arbeitet man derzeit auch an der Entwicklung von miniaturisierten Chip-Tests für die virale Diagnostik.
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Resistenztests Bei der Behandlung der persistierenden Virusinfektionen, beispielsweise mit humanen Immundefizienzviren, Hepatitis-B- und Hepatitis-C-Viren, Herpes-simplex- oder Cytomegaloviren, ist man mit dem Problem der Entwicklung von resistenten Viren konfrontiert. Hierbei ist es oft wichtig, gezielt nach dem Vorliegen von bekannten, die jeweilige Resistenz vermittelnden Mutationen zu suchen. Beim humanen Immundefizienzvirus setzte man zunächst phänotypische Testverfahren ein, in denen das Virus des Patienten angezüchtet und in Zellkultur auf Empfänglichkeit gegen die entsprechenden Medikamente untersucht wurde. Danach versuchte man, die zu testenden Gene in rekombinante Viren einzufügen. Praktikabler ist es aber, den vorliegenden Genotyp der Viren zu bestimmen, zum Beispiel mittels Polymerasekettenreaktion und nachfolgender Sequenzierung. Beim humanen Immundefizienzvirus untersucht man so die Gene für den Reverse-Transkriptase-Komplex und die virale Protease. Infolge der zunehmenden Prävalenz von bereits resistenten Viren bei Neuinfektionen kann dies auch vor der erstmaligen Therapie wichtig sein. Biosensoren In den letzten Jahren werden Biosensoren vermehrt als schnelle und empfindliche Testsysteme zum Nachweis der verschiedensten Stoff- und Molekülklassen diskutiert und erprobt. Die Immunsensoren ermöglichen dabei die Messung sich spezifisch ausbildender Antigen-Antikörper-Komplexe; sie basieren auf unterschiedlichen Prinzpien, die hier nur kurz angesprochen werden können. Für den Einsatz als chemische Sensoren in Flüssigkeiten, beispielsweise Seren, scheinen heute vor allem Volumenschwinger geeignet zu sein. Zu ihnen gehören die Schwingquarze, die auf einer speziell behandelten Oberfläche – je nach Testprinzip – mit antigenen Proteinen oder monoklonalen Antikörpern beschichtet werden. Legt man an diese Quarze eine elektrische Wechselspannung an, dann wird der Kristall zu elastischen Schwingungen angeregt, deren Amplitude ein Maximum erreicht, wenn die elektrische Frequenz mit einer der mechanischen Eigenfrequenzen des jeweiligen Quarzes übereinstimmt. Diese Schwingungen lassen sich mit den entsprechenden Messsystemen erfassen. Gibt man nun einen mit Antigenen beschichteten Quarzkristall in eine Lösung, die spezifisch bindende Antikörper enthält, dann lagern sich diese an seine Oberfläche an und verändern seine Masse. Dadurch verändert sich die Schwingfrequenz und zeigt so einen positiven Antikörpernachweis an. Neben diesen piezoelektrischen Immunsensoren wird versucht, Messtechniken zu entwickeln, deren Funktionsweise derjenigen von potenziometrischen Elektroden gleicht, die also Ähnlichkeit zu pH-Messgeräten haben. In diesem Fall zielt man
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13 Labormethoden zum Nachweis von Virusinfektionen
darauf ab, die Veränderung des Potenzials zu bestimmen, die bei Ausbildung der Antigen-Antikörper-Komplexe auf einer dünnen, equilibirierten Silicagelschicht an der Oberfläche der pH-Glasmembran entsteht. Eine Untergruppe der potenziometrischen Immunsensoren sind die ionensensitiven Feldeffekttransistoren (ISFET), die von allen erwähnten Systemen die schnellste Ansprechzeit (nur einige Sekunden) haben und daher äußerst schnelle Messungen ermöglichen sollen.
13.4 Weiterführende Literatur Becker, Y.; Darai, G. PCR: Protocols for Diagnosis of Human and Animal Virus Disease. Berlin, Heidelberg, New York (Springer) 1995. Camman, C.; Lembke, U.; Rohen, A.; Sander, J.; Wilken, H.; Winter, B. Chemo- und Biosensoren – Grundlagen und Anwendungen. In: Angewandte Chemie 103 (1991) S. 519–549. Cass, A. E. G. Biosensors. A Practical Approach. Oxford (IRL Oxford University Press) 1991. Haller, O. A.; Mertens, T. Diagnostik und Therapie von Viruserkrankungen, Leitlinien der Gesellschaft für Virologie (GfV). München (Urban & Fischer) 2002. Lenette, E. H. Laboratory Diagnosis of Viral Infection. 3. Aufl. New York (Marcel Dekker Inc.) 1999.
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B Spezieller Teil
14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung Heute sind acht Virusfamilien bekannt, deren Vertreter eine einzelsträngige RNA in Plusstrangorientierung besitzen: Die Picornaviridae, Caliciviridae, Astroviridae und Hepeviren verfügen über Capside, die keine Hüllmembran aufweisen, wohingegen die Flaviviridae, Togaviridae, Arteriviridae und Coronaviridae durch membranumhüllte Partikel gekennzeichnet sind. Allen gemeinsam ist, dass sie ihre Genome als mRNA verwenden und davon ein oder mehrere Polyproteine synthetisieren, die im weiteren Verlauf durch virale oder auch zelluläre Proteasen in Einzelkomponenten gespalten
14.1 Picornaviren
werden. Die Viren verfügen über eine RNA-abhängige RNA-Polymerase, welche die Plusstrang-RNA sowie die als Zwischenprodukte der Replikation auftretenden Negativstränge übersetzt; dabei gehen die neuen genomischen RNA-Moleküle aus dem zweiten Transkriptionsschritt hervor. Die Einteilung in die unterschiedlichen Familien richtet sich nach Zahl, Größe, Lage und Orientierung der Virusgene auf der RNA, nach der Anzahl der unterschiedlichen Polyproteine, die während der Infektion synthetisiert werden, und nach dem Vorhandensein einer Hüllmembran als Teil der Virionen.
Die ersten Vertreter der Picornaviren wurden 1898 entdeckt: Friedrich Loeffler und Paul Frosch beschrieben damals den Erreger der Maul- und Klauenseuche als filtrierbares Agens und wiesen so als erste die Existenz von tierpathogenen Viren nach. 1909 veröffentlichten Karl Landsteiner und Emil Popper einen Artikel, in dem sie den Erreger der Kinderlähmung, einer 1840 erstmals von Jacob von Heine und später von Oskar Medin beschriebenen Erkrankung, als Virus identifizierten. Dass diese Viren in Kulturen aus menschlichen embryonalen Geweben die Entstehung eines cytopathischen Effekts auslösen, zeigten 1949 John F. Enders, Thomas H. Weller und Frederick C. Robbins, doch die Charakterisierung als Poliomyelitisvirus (Poliovirus) erfolgte erst 1955 durch Herdis von Magnus und Mitarbeiter. 1947 entdeckte Gilbert Dalldorf die Coxsackieviren, als er neugeborene Mäuse mit virushaltigem Material infizierte und bei den Tieren Lähmungen beobachtete. Sie sind nach dem Ort im US-Bundesstaat New York
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14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
benannt, wo sie aus einem Patienten isoliert wurden. Aufgrund unterschiedlicher Charakteristika der Lähmungen, die sie nach experimenteller Infektion in neugeborenen Mäusen verursachen, wurden sie in die Gruppen A und B unterteilt. Neben diesen fand man weitere humanpathogene Picornaviren, die im Unterschied zu den Coxsackieviren in neugeborenen Mäusen keine Lähmungserscheinungen hervorrufen, sie jedoch in einigen Tagen töten: Die Echo- und Parechoviren. Das namensgebende Kürzel „echo“ stand für einige Eigenschaften dieser Viren: enteric, cytopathogenic, human, orphan virus; der letzte Begriff weist darauf hin, dass man damals keine Erkrankung mit der Virusinfektion in Zusammenhang bringen konnte. Die von ihnen verursachten vielgestaltigen Erkrankungsbilder wie Durchfall, Hautausschläge und in seltenen Fällen auch Gehirnund Hirnhautentzündungen wurden erst später entdeckt. Ein anderes humanpathogenes Picornavirus wurde erst sehr spät als solches charakterisiert: Das HepatitisA-Virus als Erreger einer Form der epidemischen Leberentzündung, für das der Genusbegriff der Hepatoviren geschaffen wurde. Epidemiologisch und diagnostisch konnte die Hepatitis A schon frühzeitig von der Hepatitis B abgegrenzt werden. Der elektronenmikroskopische Nachweis des Hepatitis-A-Virus erfolgte 1973 durch Stephen M. Feinstone und Kollegen. Erst 1979 gelang Philip Provost und Maurice Hilleman die erfolgreiche Kultivierung dieses Virus, 1982 wurde es den Picornaviren zugeordnet. Neben den bisher genannten Erregern gibt es auch Vertreter der Picornaviren, die den Menschen sehr häufig befallen: Die Rhinoviren als Verursacher des Schnupfens.
14.1.1 Einteilung und charakteristische Vertreter Die Familie der Picornaviridae umfasst eine große Anzahl von Virusgruppen und -typen (䉴 Tabelle 14.1). Sie können beim Menschen völlig unterschiedliche, zum Teil sehr schwerwiegende Erkrankungen auslösen. Der Name Picorna ist eine Abkürzung und weist auf zwei molekulare Eigenschaften der Virusfamilie hin: Zusammengefasst werden hier nämlich kleine (pico für „klein“) Viren mit einem RNA-Genom. Die Unterteilung der Picornaviren erfolgt entsprechend ihrer molekularbiologischen Charakteristika sowie der von ihnen verursachten Erkrankungen in neun Genera, nämlich Entero-, Parecho-, Hepato-, Cardio-, Tescho-, Kobu-, Rhino-, Aphtho- und Erbovirus. Die beiden Genera Enterovirus und Rhinovirus enthalten eine Vielzahl unterschiedlicher
Virusspezies und -typen, die sowohl Menschen wie Tiere infizieren. Die über 70 bekannten humanpathogenen Vertreter des Genus Enterovirus wurden aufgrund von jüngeren Daten, die auf Sequenzanalysen der Virusgenome beruhen, neu geordnet: Heute unterteilt man sie in fünf Spezies, nämlich die Polioviren sowie die humanen Enteroviren A bis D. Sie unterscheiden sich durch bestimmte molekulare Charakteristika (beispielsweise unterscheiden sich die humanen Enteroviren A und B von den humanen Enteroviren C und D durch bestimmte Sequenzelemente in der 5’-NTR) und/oder Infektionsverläufe. So sind die Polioviren den humanen Enteroviren C sehr ähnlich, unterscheiden sich aber von diesen durch ihre Eigenschaft, in den Infizierten die Symptome einer Poliomyelitis zu verursachen. Die Genomsequenzierungen zeigten, dass viele der unterschiedlichen Typen der Coxsackie-, Entero- und Echoviren durch genetische Rekombinationsereignisse unterschiedlicher Enteroviren entstanden sind. So ist das tierpathogene Swine-Vesicular-Disease-Virus eine Rekombinante aus den Genomen des humanen Coxsackievirus B5 – von diesem leitet sich der für die Strukturproteine codierende Genomteil ab – und des Echovirus 9, welches die Sequenzen für die Nichtstrukturproteine weitergab. Das Aichivirus, ein Vertreter des Genus Kobuvirus, ist als Erreger von gastrointestinalen Infektionen des Menschen vor allem auf dem asiatischen Kontinent verbreitet. Das Genus Rhinovirus umfasst die Spezies der humanen Rhinoviren A und B. Die Unterteilung beruht auf Unterschieden der Aminosäuresequenzen in den Capsidproteinen; zusätzlich wurde eine weitere Spezies, Rhinovirus C, vorgeschlagen. Ein Großteil der heute bekannten Typen wurde aber noch keiner dieser beiden Spezies zugeordnet. Die Genera der Cardio-, Tescho-, Erbo- und Aphthoviren enthalten vor allem tierpathogene Picornaviren, die zum Teil als Tierseuchenerreger von erheblicher Bedeutung in der Tierzucht und der Lebensmittelmitteltechnologie sind, wie die Maul-und-Klauenseuche-Viren, die dem Genus Aphthovirus zugeordnet werden. Weltweit kann man bis heute sieben Serotypen unterscheiden. Der Name dieser Viren weist auf die Bläschen (Aphthen) hin, die im Infektionsverlauf auf den Schleimhäuten der infizierten Tiere entstehen. Neben dieser taxonomischen Einteilung kann man die Picornaviren in zwei große Untergruppen unterteilen, deren molekulare Eigenschaften eng mit der Pathogenese verknüpft sind: nämlich in säurestabile Erreger, die das im Magen vorliegende saure Milieu ohne Einbußen der Infektiosität überstehen können und die deshalb – wie die Entero-, Parecho-, Hepato-, oder Teschoviren – den Organismus bevorzugt über den Verdauungstrakt infizieren, und in säurelabile Typen, deren Infektion sich
14.1 Picornaviren
147
Tabelle 14.1 Charakteristische Vertreter der Picornaviren Genus
Mensch
Tier
Enterovirus
Poliovirus (Typ 1-3) humane Enteroviren A* Coxsackievirus A2-8, 10, 12, 14, 16; humane Enteroviren 71, 76 humane Enteroviren B* Coxsackievirus A9 ; Coxsackievirus B1-6; humane Echoviren 1-7, 9, 11-21, 24-27, 29-33 humane Enteroviren 69, 73-75, 77, 78 humane Enteroviren C* Coxsackievirus A1, 11, 13, 15, 17-22, 24 humane Enteroviren D* humane Enteroviren 68, 70 humanes Enterovirus 78 humane Enteroviren, nicht klassifiziert (> 50 Typen)
bovine Enteroviren* bovine Enteroviren 1, 2 porcine Enterovirus A* porcines Enterovirus 8 porcine Enterovirus B* porcine Enteroviren 9, 10 Swine-Vesicular-Disease-Virus Simian-Enterovirus Simian-Enterovirus 1-20
Parechovirus
humane Parechoviren 1, 2* humane Echoviren 22, 23
Ljunganvirus (Nager)
Hepatovirus
Hepatitis-A-Virus
Hepatitis-A-Virus der Affen
Cardiovirus
humanes Vilyuisk-Encephalomyelitis-Virus
Theilovirus (Theilers Encephalomyelitisvirus der Maus) Encephalomyocarditisvirus der Maus (Mengovirus)
Teschovirus
porcine Teschoviren* porcine Enteroviren 1-7, 11-13
Kobuvirus
Aichivirus
Rhinovirus
humane Rhinoviren A* bovine Rhinoviren (3 Typen) humane Rhinoviren 1A, 1B, 2, 7, 9, 11, 15, 16, 21, 29, 36, 39, 49, 50, 58, 62, 65, 85, 89 humane Rhinoviren B* humane Rhinoviren 3, 14, 72 humane Rhinoviren C** humane Rhinoviren A2 humane Rhinoviren, nicht klassifiziert (> 80 Typen)
Aphthovirus
Maul-und-Klauenseuche-Virus (Typ O, A, C, SAT1-3, Asia 1) equines Rhinitis-A-Virus
Erbovirus
equines Rhinitis-B-Virus (equines Rhinovirus 2)
* In fett gedruckten Buchstaben sind die neuen taxonomischen Bezeichnungen angegeben, darunter die alten, zum Teil noch immer gebräuchlichen Isolatnamen. ** Als eigene Spezies vorgeschlagen.
bevorzugt im Hals-Nasen-Rachen-Raum manifestiert, wie die Vertreter der Rhino-, Aphtho- und Erboviren.
14.1.2 Aufbau Viruspartikel Alle Picornaviren haben einen sehr ähnlichen Aufbau: Es handelt sich um ikosaedrische Nucleocapside mit einem Durchmesser von circa 30 nm; sie sind nicht von
einer Membranhülle umgeben. Die Capside bestehen aus vier Virusproteinen: VP1, VP2, VP3 und VP4. Gelegentlich findet sich ein fünftes Polypeptid in unregelmäßigen Mengen; es wird als VP0 bezeichnet und stellt den Vorläufer der Komponenten VP2 und VP4 dar, die erst bei der Virusreifung durch proteolytische Spaltung entstehen. Vor allem bei den Parechoviren wird VP0 kaum gespalten, daher enthalten ihre Partikel große Mengen des Vorläufers. Da die Partikelstruktur von etlichen Picornaviren durch Röntgenbeugungsanalyse geklärt wurde, ist die Anordnung der verschiedenen viralen
14
14
148
14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
Strukturproteine in den Partikeln sehr gut bekannt. Die Virionen bestehen aus je 60 Einheiten der Proteine VP1, VP2, VP3 und VP4, wobei VP4 an der Innenseite der Partikel lokalisiert und mit dem RNA-Genom assoziiert
ist. Das VP4 der Hepatoviren ist sehr klein (21 bis 23 Aminosäuren); sein Vorhandensein im Virion ist in diesem Fall nicht endgültig geklärt. VP1, VP2 und VP3 bilden die Oberflächen des Ikosaeders (䉴 Abbildung 14.1). Die Virionen der Entero-, Parecho-, Kobu-, Cardio-, Tescho- und Hepatoviren sind sehr stabil, eine saure Umgebung mit einem pH-Wert von drei und darunter beeinträchtigt sie nicht. Das lässt den Schluss zu, dass bei diesen Virustypen eine sehr enge Wechselwirkung der verschiedenen Capsidproteine im Partikel vorliegen muss. Auch besitzen diese Viren eine sehr hohe Resistenz gegenüber Detergenzien. Sogar als freie Viruspartikel können sie in der Umwelt relativ lange überdauern.
Genom und Genomaufbau Die virale Nucleinsäure ist mit Aminosäuren an der Innenseite des ikosaedrischen Partikels assoziiert. Sie besteht aus einzelsträngiger RNA. Das Genom ist zwi-
14.1 A: Aufbau eines Picornaviruspartikels. Die Lage der Capsidproteine VP1, VP2 und VP3 ist schematisch dargestellt. VP4 ist an der Innenseite des Capsids lokalisiert und nicht an der Oberfläche exponiert. Die Lage des Vorläuferprodukts für VP1, VP2 und VP3, des Protomers, ist durch den grau schattierten Bereich angedeutet. Die sogenannten Canyons, die als grabenartige Vertiefungen auf der Partikeloberfläche die Ikosaederecken umgeben, sind rot angedeutet. B: Struktur der Capsidproteine VP1, VP2 und VP3 des Poliovirus. Mit der Bezeichnung RVC (RNA virus capsid domain) ist das in allen Proteinen ähnliche, keilförmige Faltungsmuster der Proteine aus acht antiparallelen β-Faltblättern schematisch dargestellt. Die einzelnen β-Faltblätter sind durch Pfeile repräsentiert; sie werden mit großen Buchstaben bezüglich ihrer Reihenfolge im Protein bezeichnet. Die α-helikalen Regionen sind durch Zylinder angedeutet. Die Strukturen der Proteine VP1, VP2 und VP3 sind durch Bändermodelle dargestellt. Die Zahlen beziehen sich auf die Aminosäurepositionen, gerechnet ab dem aminoterminalen Ende des jeweiligen Capsidproteins. Die α-Helices sind in diesen Fällen durch die spiralenartige Faltung der Bänder angedeutet. Um das gemeinsame Strukturmotiv besser zu erkennen, wurden die amino- und carboxyterminalen Enden der Proteine nicht mit in die Darstellung aufgenommen. (Aus: Rotbart, H. A. (Hrsg.) Human Enterovirus Infections Washington (American Society for Microbiology) 1995. S. 163).
14.1 Picornaviren
149
C
14.1 (Fortsetzung) C: Schematische Darstellung der Struktur des Canyons des humanen Rhinovirus Typ 14 und seine Wechselwirkung mit dem zellulären Rezeptor ICAM-1. Die Strukturen der Capsidproteine VP1 (rot) und VP2 (hellrot) sind als Bändermodell dargestellt, die antiparallelen β-Faltblätter sind durch Pfeile repräsentiert und mit Großbuchstaben bezeichnet. Als Grundlage für die Modellierung der Struktur der Rezeptordomäne D1 vom ICAM-1 (grau) wurde die Kristallstruktur der aminoterminalen Region des CD4-Moleküls verwendet, das über große Bereiche zu ICAM-1 homolog ist (nach Olson, N. H. et al. In: Proc. Natl. Acad. Sci. USA 90 (1993) S. 507–511).
schen 7 212 (humanes Rhinovirus B; Typ 14) und 8 450 Basen (Maul-und-Klauenseuche-Virus) lang (䉴 Tabelle 14.2). Die RNA besitzt Plus-(Positiv-)Strangorientierung, die Virusproteine können demnach ohne einen Zwischenschritt von der RNA translatiert werden. Das 3’Ende der genomischen RNA ist polyadenyliert; die Sequenzfolge von etwa 60 Adenylatresten ist im Virusgenom codiert. An das 5’-Ende ist kovalent ein kleines, viruscodiertes Protein (Vpg = virales Protein, genomas-
soziiert) gebunden. Dieses Vpg ist bei Polio- und weiteren Enteroviren 22, bei Hepatitis-A- und Rhinoviren 23 Aminosäuren lang. Über die OH-Gruppe am Phenolring eines Tyrosinrestes an Position 3 ist es mit der Phosphatgruppe des Uridinrestes am 5’-Ende des Genoms verestert. Das Genom der Picornaviren enthält einen einzigen, großen offenen Leserahmen, der für ein Vorläuferprotein codiert (䉴 Abbildung 14.2). Dieses experimentell nicht
Tabelle 14.2 Genome verschiedener Picornaviren im Vergleich Virus
Genomlänge (Basen)
5’-NTR* (Basen)
Polyprotein (Aminosäuren)
3’-NTR* (Basen)
Poliovirus, Typ 1
7433
740
2 207
72
humanes Enterovirus B (Coxsackievirus B3)
7400
741
2185
100
Hepatitis-A-Virus
7478
733
2 227
64
Rhinovirus (Typ 14)
7 209
624
2178
47
Maul-und-Klauenseuche-Virus
8 450
1199°
2 332
87
* 5’-NTR/3’-NTR = nichttranslatierter Bereich am 5’- beziehungsweise 3’-Ende des Genoms. ° enthält einen Poly(C)-Abschnitt von 100–170 Basen, je nach Virusisolat.
14
14
150
14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
Translation IRES Replikation Cloverleaf
5000
1000
7433 Basen
741
RNA 1 5´ VPg
AAA 3´
Leserahmen Translation P2
P1 (Protomer) Polyprotein NH2- 1A 1
1B
1D
1C
2A
2B
P3
2C
3A3B 3C
Nichtstrukturproteine
Capsidproteine
-COOH
3D
2207 AS
Abspaltung des Protomers
1A Myristylierung
1B
1C
1D
2A 2B
3CD
2C
3A 3B 3C
3D
3C 3C- und 3CD-abhängige Spaltung
VP0
VP3
VP1
2A
2B
Protease
Myristylierung Virusreifung
2C
3A 3B
3C
3D
Vpg Protease RNA-abhängige RNA-Polymerase
VP4 VP2 Myristylierung
14.2 Aufbau des RNA-Genoms von Picornaviren am Beispiel des Poliovirus Typ 1. Das virale RNA-Genom besitzt am 5’-Ende ein kovalent gebundenes Protein Vpg, am 3’-Ende ist es polyadenyliert. Benachbart zum Vpg befinden sich am 5’-Ende RNA-Sequenzfolgen, welche eine kleeblattähnliche Sekundärstruktur (cloverleaf) bilden und für die Replikation des Genoms essenziell sind. IRES bezeichnet die internal ribosomal entry site, diese Sequenzfolgen sind für die Bindung der Ribosomen an das virale RNA-Genom notwendig. Der einzige Leserahmen codiert für ein großes Polyprotein, das durch die Aktivität der Proteasen 2A und 3CD beziehungsweise 3C in die verschiedenen Komponenten – die Struktur- und Nichtstrukturproteine sowie die Enzyme – gespalten wird. Die Regionen der Proteasen sind rot dargestellt, die Pfeile geben die von ihnen durchgeführten Spaltungen an.
fassbare Polyprotein wird noch während seiner Synthese proteolytisch in die verschiedenen viralen Komponenten – Struktur- und Nichtstrukturproteine sowie die viralen Enzyme – gespalten. Zwischen dem Vpg-Protein am 5’-Ende des Genoms und dem Startcodon für die Translation des Vorläuferproduktes befindet sich ein nichttranslatierter Sequenzabschnitt (5’-NTR), der zwischen 412 (beim porcinen Teschovirus 1), 624 (bei Rhinoviren) und 1 199 Nucleotide (beim Maul-undKlauenseuche-Virus) einnehmen kann. Diese nichtcodierenden Nucleotide liegen zu einem hohen Prozentsatz in intramolekularer Basenpaarung vor. Der Basenabschnitt am 5’-Ende besitzt also eine ausgeprägte Sekundärstruktur (䉴 Abbildung 14.3). Die dem 5’-Ende direkt folgenden 88 Basen bilden eine Sekundärstruktur,
die einem Kleeblatt ähnelt; sie ist während der Genomreplikation an der Initiation neuer RNA-Plusstränge beteiligt. Der diesem clover leaf folgende Sequenzabschnitt hat die Aktivität einer internal ribosomal entry site (IRES) und erlaubt die Bindung von Ribosomen unabhängig von der 5’-Cap-Struktur, wie sie gewöhnlich am 5’-Ende eukaryotischer mRNA-Moleküle vorliegt. Mutationen in diesem Sequenzbereich können die Translatierbarkeit der RNA und die Virulenz stark beeinflussen. Zwischen dem Stoppcodon für das Polyprotein und dem Poly(A)-Anteil am 3’-Ende des Genoms befindet sich ein kurzer, ebenfalls nichttranslatierter Sequenzabschnitt, der beim Rhinovirus 47 und beim Coxsackievirus 100 Basen umfasst.
14.1 Picornaviren
14.1.3 Virusproteine Polyprotein Der offene Leserahmen auf dem Picornavirusgenom codiert für ein sehr großes, durchgehendes Polyprotein, das bei allen Virustypen mehr als 2 100 Aminosäurereste umfasst. In seiner Sequenz sind alle Proteine und Funktionen enthalten, die das Virus für den erfolgreichen Ablauf einer Infektion benötigt. Die Anordnung der Proteine im Vorläuferprodukt ist bei allen Picornavirustypen gleich (䉴 Abbildung 14.2). Man teilt das Polyprotein in drei Bereiche (1 bis 3) ein; die Proteine, die durch Spaltung daraus entstehen, ordnet man mit großen Buchstaben den jeweiligen Abschnitten zu. Im aminoterminalen Bereich befinden sich die Vorläufersequenzen der viralen Capsidproteine (1A bis 1D); in der Mitte des Polyproteins befinden sich die Nichtstrukturproteine 2A bis 2C, die wichtige Funktionen für die Anpassung des Virus an den Zellstoffwechsel haben. Aus den carboxyterminal orientierten Regionen 3A bis 3D werden im weiteren Verlauf die enzymatisch aktiven Komponenten und einige weitere Nichtstrukturproteine gebildet. Gewöhnlich entstehen aus dem Polyprotein elf virale Proteine. Bei Aphtho-, Erbo-, Kobu-, Tescho- und Cardioviren befindet sich am aminoterminalen Ende zusätzlich ein kurzes Leader-Protein (L-Protein), das im Falle des Mengovirus 67 Aminosäuren lang ist. Beim Maul-und-Klauenseuche-Virus enthält das L-Protein 205 Reste und besitzt proteolytische Aktivität. In diesen Fällen beginnt das Polyprotein also nicht mit den Sequenzen der Strukturproteine, sondern mit dem LProtein. Bei den meisten Picornaviren schließt sich an den Bereich der Strukturproteine im Polyprotein eine Aminosäuresequenzfolge mit proteolytischer Aktivität (2A-Protease) an. Die 2A-Protease entfaltet ihre Aktivität cotranslational. Bei den Entero- und Rhinoviren wird die Aminosäurekette zwischen dem Ende der Capsidproteine und dem Beginn der 2A-Protease autokatalytisch geschnitten. Der aminoterminale Teil des Vorläuferproteins wird von dem noch nicht fertig translatierten carboxyterminalen Bereich abgespalten und bildet das Protomer, den Vorläufer der Strukturproteine. Bei den Aphtho-, Erbo- und Cardioviren erfolgt die autokatalytische Spaltung durch die 2A-Protease nicht vor den eigenen Sequenzen, sondern im Anschluss daran; folglich enthält das entstehende Produkt das Protomer und die Protease. Bei den Hepato- und Parechoviren wirkt das 2A-Protein nicht als Protease, sondern entfaltet seine Funktion spät im Infektionszyklus bei der Bildung neuer Capside. Die Abspaltung des Strukturproteinanteils erfolgt durch die 3C-Protease am Übergang zwischen den 2A- und 2B-Abschnitten. Die Eigen-
151
schaften und Funktionen der Proteine, die bei den verschiedenen Picornaviren durch die Spaltung des Polyproteins entstehen, sind in 䉴 Tabelle 14.3 zusammengefasst.
Strukturproteine Das Protomer umfasst die Aminosäuren der Capsidproteine, die in der Reihenfolge 1A, 1B, 1C und 1D angeordnet sind; sie entsprechen den Strukturproteinen VP4, VP2, VP3 und VP1. Am aminoterminalen Ende wird das Protomer an einem Glycinrest durch Anhängen eines Myristinsäurerestes durch zelluläre Enzyme modifiziert. Bei den Aphtho-, Erbo-, Kobu-, Teschound Cardioviren ist hierfür die vorherige Entfernung des L-Proteins notwendig, das dabei autokatalytisch selbst als Protease wirkt. Bei den anderen Picornavirustypen wird das aminoterminale Methionin abgespalten. Die Myristylierung bleibt während der nachfolgenden Spaltungen erhalten und ist auch im VP4-Protein nachweisbar. Eine Ausnahme stellt das Hepatitis-A-Virus dar: Hier fand man bisher keine Modifikation des aminoterminalen Endes des Protomers mit einem Fettsäurerest. An der Prozessierung des Capsidvorläuferproteins zu den Einzelkomponenten VP0, VP3 und VP1 ist eine virale Protease, die 3C-Protease, aktiv beteiligt. Dieses Enzym befindet sich in der carboxyterminal orientierten Region des Polyproteins und entfaltet seine Aktivität relativ spät. Bereits vor der Spaltung ist das Protomer in die Domänen vorgefaltet, die den vier Capsidproteinen entsprechen. Im Verlauf der Prozessierung falten sich diese jedoch weiter um, und es entstehen die Proteinstrukturen, die man in den infektiösen Viruspartikeln findet. Die Spaltung des VP0-Anteils in VP4 und VP2 erfolgt erst im Verlauf der Virusreifung; die hierfür nötige proteolytische Aktivität befindet sich in der carboxyterminalen Domäne des VP0-Proteins in den Sequenzen, die den VP2-Abschnitt enthalten. Ein Serinrest an Position 10 des VP2-Proteins, der sich nahe der späteren Spaltstelle VP4/VP2 befindet und in vielen Picornaviren konserviert ist, scheint dieser Domäne die Aktivität einer Serinprotease zu verleihen, welche die autokatalytische Spaltung vollzieht. Für die enzymatische Aktivität ist allerdings zusätzlich die enge Wechselwirkung des VP0-Proteins mit dem viralen RNAGenom im unreifen Partikel nötig. Man vermutet, dass für die erfolgreiche proteolytische Spaltung eine Base des Genoms als Protonendonor mit den Aminosäuresequenzen zusammenwirken muss. Deshalb wird dieses Enzym erst spät, nämlich in dem genomhaltigen, von der infizierten Zelle bereits freigesetzten, aber noch unreifen Viruspartikel aktiviert. Beim Hepatitis-A-Virus unterscheidet sich die proteolytische Spaltung der
14
14
152
14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
Strukturproteine: Hier entsteht ein Protomer, das zusätzlich zu den Capsidproteinen die Domäne des 2AAnteils umfasst. Die 3C-Protease schneidet das Protomer an den Übergängen der VP2-/VP3- und der VP3-/ VP1-Abschnitte, erkennt jedoch nicht die Spaltstelle
zwischen dem VP1- und dem 2A-Anteil. Dieses VP1-/ 2A-Protein – auch pX genannt – wird erst spät im Infektionszyklus bei Morphogenese der neuen Hepatitis-AViruspartikel durch eine noch nicht charakterisierte zelluläre Protease gespalten.
Tabelle 14.3 Eigenschaften der Proteine der Picornaviren im Vergleich Protein Poliovirus
Coxsackievirus
Hepatitis-AVirus
Rhinovirus
Maul-undKlauenseucheVirus
Modifikation
Funktion
Anzahl der Aminosäuren Leader
–
–
–
–
205
Protease, bewirkt autokatalytisch die Abspaltung vom Protomer; induziert die Degradierung des eIF-4G
VP4
69
69
23
69
81
myristyliert Strukturprotein; im Partikelinneren; (nicht bei interagiert mit RNA Hepatitis-A-Virus)
VP2
271
261
222
262
218
Strukturprotein
VP3
238
238
246
236
221
Strukturprotein
VP1
302
284
274
290
212
Strukturprotein
2A
149
147
71
145
16
1. Entero-, Rhinoviren: Protease; spaltet das Protomer vor der 2A-Domäne vom Polyprotein Aphtho-, Erbo-, Cardioviren: Protease; spaltet das Protomer nach der 2A-Domäne vom Polyprotein; bewirkt Degradierung des eIF-4G 2. Hepato-, Parechoviren: keine Protease; aktiv bei Morphogenese
2B
97
99
215
97
154
2C
329
329
335
330
317
3A
87
89
74
85
154
3B
22
22
23
23
3C
182
183
219
182
214
Protease, führt alle Spaltungen im Polyprotein durch außer VP0 zu VP4 und VP2 sowie Protomerabspaltung
3D
461
462
489
460
470
RNA-abhängige RNA-Polymerase
23/24
beeinflusst Wirtsspezifität und Immunabwehr; porenbildendes Protein NTP-Bindung
ATPase; RNA-Helicase; Initiation der RNA-Synthese; Chaperon für die Bildung von Ribonucleoproteinkomplexen? hydrophober Teil zur Verankerung des 3AB-Vorläufers in der Membran; beeinflusst Uridinylierung des Vpg
uridinyliert
Die Reihenfolge der aufgeführten Proteine in der Tabelle entspricht ihrer Anordnung im Polyprotein.
Vpg, kovalent an das 5'-Ende des Genoms gebunden
14.1 Picornaviren
VP1, VP2 und VP3 bilden die Seitenflächen des ikosaedrischen, infektiösen Viruspartikels. Die Röntgenstrukturanalyse verschiedener Picornaviren ergab, dass diese Proteine sowohl untereinander, als auch bei den unterschiedlichen Virustypen ein sehr ähnliches Faltungsmuster besitzen: Sie bestehen aus acht antiparallel angeordnete b-Faltblattstrukturen, die durch Aminosäureschleifen miteinander verbunden und so angeordnet sind, dass die einzelnen Proteine einen keilförmigen Aufbau bekommen (䉴 Abbildung 14.1B). Da sich diese Proteinstruktur als allgemeingültiges Faltungsmuster bei Capsidproteinen von kleinen RNA-Viren mit ikosaedrisch aufgebauten Partikeln erwies, bezeichnete man sie als RVC-Domäne (RNA virus capsid domain). Die acht β-Faltblätter bilden die Seitenwände der konservierten, keilförmigen Proteinstruktur. Die verbindenden Proteinschleifen weisen hinsichtlich Länge und Sequenz deutliche Variabilitäten auf, was den keilähnlichen Grundaufbau jedoch nicht verändert. Die variablen Schleifenregionen enthalten die Epitope, gegen die im Verlauf der Infektion virusneutralisierende Antikörper gebildet werden. Die aminoterminalen Regionen der Capsidproteine liegen dagegen im Inneren des Partikels. Sie verbinden sich miteinander zu einem Netzwerk, das für die Stabilität verantwortlich ist. Die Tatsache, dass VP1, VP2 und VP3 eine sehr ähnliche Struktur besitzen, deutet darauf hin, dass die Gene für alle drei Proteine durch Duplikation aus einem gemeinsamen Vorläufergen entstanden sind. Als Michael Rossmann beziehungsweise James Hogle und Mitarbeiter 1985 die Ergebnisse der Analysen der Proteinstrukturen der Rhino- und Polioviruscapside veröffentlichten, zeigten sich neben den bereits erwähnten gemeinsamen Kennzeichen der Capsidproteine weitere wichtige Strukturmerkmale, die sich durch die Faltung und Wechselwirkung der Komponenten miteinander ergeben. Auf der Oberfläche der Partikel der humanen Rhinoviren B (Typ 14) fand man eine etwa 25 Å tiefe, grabenähnliche Furche, welche die Ikosaederecken umgibt und sich aus den Strukturen und Interaktionen verschiedener Aminosäurereste der Proteine VP1, VP2 und VP3 ergibt. Diese Struktur bezeichnete Rossmann als Canyon, man fand ihn bei allen bisher untersuchten Picornaviren mit Ausnahme der Hepatitis-A- und der Maul-und-Klauenseuche-Viren. Die Aminosäurereste, die mit ihren funktionellen Seitengruppen die Wände des Grabens oder Canyons auskleiden, erlauben dem jeweiligen Viruspartikel die Adsorption an spezifische zelluläre Rezeptoren (䉴 Abbildung 14.1A und 14.1C). Neutralisierende Antikörper vermögen wegen ihrer Größe und Struktur nicht in den Canyon einzudringen und so die Bindung des Virus an den zellulären Rezeptor zu verhindern. Sie binden sich
153
aber an Epitope, die auf der Partikeloberfläche in der Nachbarschaft der Canyoneingänge liegen, und können deshalb durch sterische Behinderung die Adsorption des Virus indirekt beeinflussen. Durch die Antikörperbindung sind die Oberflächenregionen einem Selektionsdruck ausgesetzt, der sich in einer gewissen Variabilität der exponierten Aminosäuren und der Entstehung unterschiedlicher Varianten äußert. Die eigentliche Adsorptionsstelle in der Vertiefung ist diesem Mechanismus dagegen nicht unterworfen, dadurch bleibt die Zellspezifität des Virustyps erhalten. Bei der Strukturanalyse fand man unter dem Canyonboden eine kleine, höhlenähnliche Erweiterung. Sie ist durch eine Öffnung, die man als Pore bezeichnet, vom Canyonboden aus zugänglich, hat zusätzlich aber auch eine Verbindung in das Partikelinnere. Diese Tasche enthält ein sphingosinähnliches Fettsäuremolekül (pocket factor). Es wird im Zuge struktureller Umlagerungen der Capsidproteine nach der Bindung der Viruspartikel an den Rezeptor aus der Tasche entfernt. Hierbei geht auch das an der Capsidinnenseite lokalisierte Protein VP4 verloren. Damit verbunden ist eine Destabilisierung der Viruspartikel, welche die Ausschleusung des RNA-Genoms über die Ikosaederecken des an die Zelloberfläche gebundenen Virus in das Cytoplasma ermöglicht. Die Kenntnis der überwiegend hydrophoben Aminosäuren, welche die Höhle auskleiden, erlaubte die Entwicklung von therapeutisch aktiven Substanzen wie beispielsweise Pleconaril, die sich optimal einpassen (siehe Kapitel 9). Sie stabilisieren die Partikel und verhindern die Freisetzung des RNA-Genoms. Die Infektion kann so unterbunden oder zumindest eingegrenzt werden. Wie sich aber herausstellte, entwickeln die Viren sehr bald Resistenzen gegen Pleconaril. Die Entstehung unterschiedlicher Serotypen bei gleicher Zellspezifität ist bei den Rhinoviren besonders ausgeprägt: Hier finden sich über hundert verschiedene stabile Serotypen, die sich dadurch auszeichnen, dass die gegen sie gerichteten neutralisierenden Antikörper einen stark typspezifischen Charakter haben und sich nicht an die Oberfläche von Viren eines anderen Serotyps binden können. Deshalb ist man zwar nach einem Schnupfen vor Folgeinfektionen mit demselben Rhinovirustyp geschützt, jedoch nicht vor der Infektion mit anderen Rhinoviren-Serotypen; diese führen kontinuierlich zu wiederkehrenden Erkrankungen mit Schnupfen. Bei den Enteroviren existieren nicht viele solcher verschiedener Serotypen. Im Falle des Poliovirus sind es drei, beim Hepatitis-A-Virus einer. Vermutlich hängt die hohe genetische Stabilität der Entero-, Parecho- und Hepatoviren mit der hohen Säureresistenz zusammen, die ihre Capside besitzen müssen, um das saure Milieu des Magens überleben zu können. Es gibt wohl nur wenige
14
14
154
14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
Aminosäuresequenzen, die eine derartig hohe Säurestabilität verleihen, was die Variabilität stark limitiert.
Enzyme Proteasen Picornaviren besitzen Proteasen, die zu unterschiedlichen Zeiten des Infektionszyklus aktiv werden. Die 2A-Protease ist eine Cysteinprotease, die im Polyprotein carboxyterminal benachbart zu Regionen der Strukturproteine lokalisiert ist (䉴 Abbildung 14.2). Bei den Aphthoviren ist sie mit 16 Aminosäuren sehr kurz; beim Polio- und Rhinovirus (149 beziehungsweise 147 Aminosäuren) ist sie deutlich länger. Sie entfaltet ihre Aktivität frühzeitig während der Infektion und spaltet zwischen einem Tyrosin und einem Glycin die Protomersequenzen cotranslational vom Polyprotein ab. Die Spaltstelle liegt entweder direkt vor (Entero- und Rhinoviren) oder nach (Aphtho-, Erbo-, Tescho- und Cardioviren) den Sequenzen des Enzyms. Beim Hepatitis-A-Virus und bei den Parechoviren besitzt das 2AProtein keine proteolytische Aktivität; stattdessen beeinflusst es die Bildung der Viruscapside am Ende des Replikationszyklus. Die 2A-Protease führt neben der Freisetzung des Protomers weitere proteolytische Spaltungen in zellulären Proteinen durch. Am bekanntesten ist der indirekte Abbau des Proteins p220: Die Protease spaltet einen zellulären Faktor, der dadurch als Protease aktiviert wird und zum Abbau des zellulären Translationsinitiationsfaktors eIF-4G (p220) beiträgt. Dieser ist Teil des CapBindungskomplex, auch als eIF-4F-Komplex bekannt, der als weitere Komponenten das Cap-bindende Protein und den Translationsinitiationsfaktor eIF-4A enthält. Der Cap-Bindungskomplex ist generell an der Translationsinitiation eukaryotischer mRNA-Spezies beteiligt, da er mit der Cap-Gruppe am 5’-Ende der RNA interagiert und die Bindung der Ribosomen vermittelt. Durch die Spaltung des eIF-4G durch die virale 2A-Protease wird die funktionelle Aktivität des Komplexes bei der Translation zellulärer mRNA und so die Stoffwechselaktivität der Zelle zerstört. Man bezeichnet dies als virus-host shutoff (vhs). Bei den Aphthoviren wird die Spaltung des Faktors eIF-4G nicht durch die 2A-Protease, sondern durch die proteolytische Aktivität des am aminoterminalen Ende des Polyproteins vorhandenen L-Proteins (205 Aminosäuren) vermittelt. Diese wird ebenfalls frühzeitig aktiv und leitet die Abspaltung des L-Proteins vom aminoterminalen Ende des Polyproteins ein. Dies führt zur Freisetzung des Protomers. Bei den anderen Picornaviren wurde dieser Vorgang bisher nicht nachgewiesen. Die Aktivität der 3C-Protease – sie erkennt die Aminosäurefolge Glutamin-Glycin – ist bei den Hepato-
und Parechoviren für alle proteolytischen Schritte im Vorläuferprotein verantwortlich, mittels derer die einzelnen viralen Komponenten aus dem Polyprotein heraus gespaltet werden; bei den Entero-, Rhino-, Cardio- und Aphthoviren führt die 3C-Protease alle proteolytischen Reaktionen mit Ausnahme der Abspaltung des Protomers durch, das hier durch die 2A-Protease erfolgt. Ausnahmen sind Prozessierung von VP0 zu VP4 und VP2 durch die enzymatische Aktivität im VP2 während der Virusreifung sowie die Spaltung des VP1-/2AProteins durch eine zelluläre Protease beim HepatitisA-Virus. Die Domäne der 3C-Protease befindet sich im carboxyterminalen Bereich des Polyproteins und umfasst zwischen 182 Aminosäuren bei Polio- und Rhinoviren und 219 beim Hepatitis-A-Virus (䉴 Tabelle 14.3). In einem ersten autokatalytischen Schritt wird aminoterminal vor dem 3C-Anteil gespalten. Bereits das so entstandene Zwischenprodukt 3CDpro wirkt proteolytisch. Der 3D-Anteil der Protease 3CDpro ist sogar für das Prozessieren des Protomers in die Capsidproteine essenziell, da eine effektive Spaltung zwischen VP3 und VP1 nur dann erfolgt, wenn der 3D-Teil noch mit 3C verbunden ist (䉴 Abbildung 14.2). Die Spaltung in 3C und 3D erfolgt intermolekular in trans, das heißt, die aktiven 3CD-Zwischenprodukte lagern sich zusammen und schneiden sich gegenseitig. Auch die 3C-Protease ist am spezifischen Abbau zellulärer Komponenten beteiligt. So scheint durch ihre direkte oder indirekte proteolytische Wirkung die RNAPolymerase III abhängige Transkription in der Zelle – durch sie werden tRNA-Spezies und andere kleine RNAMoleküle synthetisiert – gestört zu werden. Die Abbaureaktion richtet sich gegen den Transkriptionsfaktor TFIIIC und das TATA-Box bindende Protein. Auch induziert die 3C-Protease des Maul-und-KlauenseucheVirus die Spaltung des Histons H3. Die Schnittstellen der beiden Proteasen 2A und 3C werden nicht nur durch die beiden Aminosäurereste definiert, zwischen welchen die Spaltung erfolgt. Sowohl Aminosäuren in der näheren Nachbarschaft als auch die Faltung der Vorläuferproteine in Sekundär- und Tertiärstrukturen sind daran beteiligt. RNA-abhängige RNA-Polymerase Während des Replikationszyklus von Picornaviren wird das RNA-Positivstranggenom in ein Intermediat in Negativstrangorientierung umgeschrieben, das als Matrize für die Produktion von neuen Genomen dient (䉴 Abschnitt 14.1.4). Unter Verwendung einer RNA-Matrize wird dabei ein komplementäres RNA-Molekül neu synthetisiert – ein Prozess, der bei der zellulären Nucleinsäuresynthese nicht vorkommt. Enzyme, die diese Reaktionen durchführen können, gibt es in der Zelle nicht. Für die
14.1 Picornaviren
Picornaviren ist es daher essenziell, dass sie für das entsprechende Enzym selbst codieren und im Verlauf des Infektionszyklus die Aktivität einer RNA-abhängigen RNA-Polymerase entfalten. Das Enzym befindet sich am Carboxyterminus des Polyproteins und wird durch den Teil 3D des Vorläuferprodukts repräsentiert; das durch die proteolytischen Spaltungen entstehende Zwischenprodukt 3CDpro besitzt zwar Protease-, jedoch keine Polymeraseaktivität. Die 3D-Polymerase (3Dpol) hat Längen zwischen 460 Aminosäureresten bei den Rhinoviren und 489 beim Hepatitis-A-Virus. Die Fehlerrate der RNA-abhängigen RNA-Polymerasen ist relativ hoch, wie für die 3D-Polymerase des Poliovirus gezeigt wurde. Bei der Synthese von RNA-Strängen verursacht sie durchschnittlich pro 2 200 anpolymerisierte Basen einen Fehler. Das bedeutet, dass jeder neu synthetisierte RNAStrang etwa vier Mutationen aufweist.
Weitere Proteine Neben den erwähnten Strukturproteinen und Enzymen befinden sich in der Sequenz des Polyproteins noch weitere Proteinkomponenten, die im Verlauf der Infektion durch die Aktivität der 3C-Protease gebildet werden (䉴 Abbildung 14.2). Auf die sehr kleine Komponente 3B wurde schon eingegangen; sie bildet das Vpg, das kovalent mit dem 5’-Ende des Genoms verbunden ist. Im Polyprotein der Aphthoviren ist die Vpg-Sequenz dreimal wiederholt. Das direkte Vorläuferprotein für Vpg ist 3AB. Es wird vermutlich über eine hydrophobe Aminosäurefolge des 3A-Teils an intrazellulären Membranen (beispielsweise ER-Membran) verankert. Der Tyrosinrest an Position 3 des 3B-Teils wird uridinyliert. Diese Struktur bildet später den Primer für die Initiation der RNA-Stränge. Nach der Uridinylierung spaltet die 3CProtease an der Schnittstelle zwischen 3A und 3B und das Vpg wird von der Membranverankerung gelöst. Mutationen im hydrophoben Teil des 3A-Proteins verhindern die Uridinylierung und die Synthese von RNASträngen. Die Proteine 2C und 2BC sind an der RNA-Replikation beteiligt und für die Bildung von rosettenähnlichen Membranstrukturen verantwortlich, die sich vom endoplasmatischen Reticulum abschnüren. An ihnen erfolgt im Cytoplasma die Synthese der neuen RNA-Stränge. Daneben gibt es bezüglich ihrer Aktivität viele, zum Teil widersprüchliche Hinweise. Das 2B-Protein ist zwischen 97 Aminosäuren bei Polio- und Rhinoviren, 154 Aminosäuren beim Maul-und-Klauenseuche-Virus und 215 Aminosäuren beim Hepatitis-A-Virus, lang. Es lagert sich in die Membran des endoplasmatischen Reticulums an, oligomerisiert und bildet Poren. Weiterhin scheint es mit der Wirtsspezifität der verschiedenen Viren in Ver-
155
bindung zu stehen. Humane Rhinoviren mit Mutationen im für 2B codierenden Genombereich können sich auch in Mauszellen vermehren. Man nimmt an, dass die veränderten 2B-Proteine mit bestimmten, für Mauszellen spezifischen Faktoren wechselwirken können, die eine RNA-Synthese in den für das Wildtypvirus nichtpermissiven Zellen erlauben. Beim Hepatitis-A-Virus greift das 2B-Protein in die durch RIG-1 vermittelten Abwehrreaktionen ein und verhindert die Phosphorylierung und folglich die Aktivierung von IRF-3 (interferon regulatory factor 3). Die Transkription des für IFN-β codierenden Gens wird damit verhindert (䉴 Kapitel 8). Bei den Enteroviren und beim Maul-und-Klauenseuche-Virus fand man hingegen, dass die Aktivität der 2B- oder 2BC-Proteine den zelluären Proteintransport vom endoplasmatischen Reticulum über die Golgi-Vesikel zur Zelloberfläche hemmt. Die Konzentration der MHC-Klasse-I-Antigene auf der Oberfläche der infizierten Zellen wird hierduch reduziert und kann der zellulären Immunantwort entgehen. Das 2C-Protein (zwischen 317 Aminosäuren bei Aphtho-, 330 bei Rhino- und 335 bei Hepatitis-AViren) hat eine NTP-Bindungsstelle und ATPase-Aktivität. Es wirkt vermutlich als RNA-Helicase und scheint mit der Initiation der RNA-Synthese verknüpft zu sein. Mutationen in 2C führten bei Polio- und Maul-undKlauenseuche-Viren zur Resistenz gegen BenzimidazolDerivate sowie Guanidinhydrochlorid; Substanzen, die in geringsten Konzentrationen die virale RNA-Synthese hemmen. Die Aminosäuren Phenylalanin beziehungsweise Asparagin an den Positionen 164 und 179 (oder ihr Austausch gegen Tyrosin beziehungsweise Glycin) scheinen dafür wichtig zu sein. Mutationen am NTPBindungsort sind für die Viren letal. Es gibt Hinweise, dass die 2CATPase möglicherweise als Chaperon bei Ausbildung der Ribonucleoproteinkomplexe wirkt, die sich bei der Replikation der Virusgenome bilden müssen. Dabei könnte das 2C-Protein die koordinierte Wechselwirkung der cloverleaf-Struktur am 5’-Ende des Genoms mit den Sequenzen der 3’-NTR, dem Poly(A)Anteil, dem cre-Element und den damit komplexierten Proteinen fördern.
14.1.4 Replikation Im ersten Schritt der Infektion adsorbieren Picornaviren spezifisch an zelluläre Membranproteine. Auf viraler Seite vermitteln überwiegend die Strukturen und Aminosäuren des Canyons die Bindung. Für etliche Viren ist der zelluläre Rezeptor identifiziert und molekular gut charakterisiert; alle Picornaviren scheinen dafür bevor-
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14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
¡ Die Funktionen des CD155-Proteins CD155 wird in Zellen vieler unterschiedlicher Gewebe gebildet; die membranverankerten Versionen CD155α und CD155δ sind mit Proteinen der extrazellulären Matrix, beispielsweise Vitronectin und Nectin-3 assoziiert. Zusätzlich sind CD155α und CD155δ in der Cytoplasmamembran mit αv-Integrinen komplexiert. Diese Eigenschaften charakterisieren CD155 als Zell-zu-Zell- und Zell-Matrix-Adhäsionsmolekül, das mit dem Cadherin-Adhäsionssystem Verbindungen knüpft. Die in das Cytoplasma orientierte Domäne
zugt zelluläre Oberflächenproteine zu nutzen, die Mitglieder der Ig-Superfamilie sind (䉴 Tabelle 14.4). In einigen Fällen wurden Corezeptoren identifiziert, welche die Bindung zusätzlich unterstützen oder in Assoziation mit den direkten Rezeptoren vorliegen. Polioviren binden sich an das glycosylierte Oberflächenprotein CD155, das zur Klasse der Immunglobulinsuperfamilie gehört. Es verfügt über drei Ig-ähnliche Domänen: eine aminoterminale, variable V-Region, gefolgt von zwei konservierten Domänen des Typs C2. Vom CD155-Protein gibt es vier Varianten, die durch alternatives Spleißen der Transkripte entstehen: CD155α und CD155δ sind membranverankert, sie dienen den Polioviren als Rezeptoren; bei CD155β und CD155γ handelt es sich um lösliche Proteinversionen. Alle drei Serotypen des Poliovirus konkurrieren um dieselbe Adsorptionsstelle, die in der V-Domäne des Rezeptors lokalisiert ist. Die benachbarte C2-Region scheint die für die Bindung korrekte Struktur zu stabilisieren. Über 90 Prozent der Rhinoviren (major group) verwenden ICAM-Proteine (CD54) als Rezeptoren; diese glycosylierten Zelloberflächenproteine gehören ebenfalls zur Ig-Superfamilie, sie sind für die intrazelluläre Signalübertragung bei Entzündungsvorgängen verantwortlich. Die restlichen, der minor group zugerechneten Rhinoviren binden sich an den (v)LDL-Rezeptor (very low density lipoprotein receptor), bei einigen (humane Rhinoviren 54, 89) scheint Heparansulfat für die Adsorption an die Zelloberfläche ausreichend zu sein. Für das Hepatitis-A-Virus wurden die Proteine TIM-1 und auch TIM-3 als zelluläre Interaktionspartner identifiziert. Die Familie der T-Zell-ImmunoglobulinMucinproteine (TIM) stellt eine Gruppe von Rezeptorproteinen dar, die zur Ig-Superfamilie zählen und in unterschiedlichem Ausmaß auf TH1 und TH2-Zellen vorhanden sind; sie scheinen die humoralen und zellulären Immunantworten zu regulieren.
von CD155α und CD155δ ist mit dem Protein Tctex-1 assoziiert; dabei handelt es sich um eine Untereinheit des Motorproteinkomplexes Dynein, das in allen Neuronen, auch den Motorneuronen des Rückenmarks gebildet wird. Diese Wechselwirkung kann möglicherweise für den retrograden Transport des Poliovirus in den Neuronen in Richtung Rückenmark und Gehirn und somit bei der Pathogenese der Poliomyelitis wichtig sein.
Coxsackieviren binden sich an den Rezeptor CAR (Coxsackie- und Adenovirus-Rezeptor), ebenfalls ein Mitglied der Ig-Superfamilie, das über einen hydrophoben Abschnitt im carboxyterminalen Teil der Aminosäurekette in der Cytoplasmamembran verankert ist und zwei extrazelluläre Ig-ähnliche Domänen aufweist. Dieses Zelloberflächenprotein, das auch die Adenoviren (䉴 Abschnitt 19.4) als zellulären Rezeptor verwenden, ist strukturell und funktionell ähnlich zu Adhäsionsmolekülen. Die aminoterminale Domäne des CAR-Proteins passt sich in den Canyon ein, der sich auf den Capsiden der Coxsackieviren befindet. Zusätzlich zum CAR-Protein wurden einige weitere zelluläre Oberflächenproteine gefunden, die für die unterschiedlichen Coxsackievirustypen als Corezeptoren dienen können: Einige Coxsackieviren (Coxsackievirus A13, A18, A21) binden sich dabei an ICAM; Coxsackievirus A9 interagiert ebenso wie das Echovirus Typ 9 mit dem VitronectinRezeptor, einem Protein, das zur Gruppe der Integrine (Integrin αv β3) in der Ig-Superfamilie gerechnet wird. Auch für die Echoviren Typ 1 und 8 sowie das Parechovirus Typ 1 fand man, dass sie an ein Integrin (Integrin α2β1) binden, das auch unter dem Begriff VLA-2 bekannt ist. Andere Echo-, Entero- und auch die Coxsackie-B-Viren verwenden das Oberflächenprotein CD55 (DAF, decay accelerating factor) als zusätzlichen Interaktionspartner. Dieses Mitglied der Ig-Superfamilie hat die Aufgabe, Zellen vor der Lyse durch das Komplementsystem zu schützen. All diese zellulären Membranproteine werden zu unterschiedlichen Stadien der Leukocytendifferenzierung gebildet und sind an den Adhäsions- und Erkennungsprozessen zwischen unterschiedlichen Zelltypen beteiligt. Unter den weiteren Faktoren, die bei Coxsackievirus B3 an der Wechselwirkung zwischen Virus und Zelle beteiligt sind, ist ein Protein mit Homologie zum Nucleolin. Dieses Polypeptid (110 kD) ist am Transport
14.1 Picornaviren
157
Tabelle 14.4 Zelluläre Rezeptoren verschiedener Picornaviren Genus
Virus
Rezeptor
Rezeptorfamilie
Enteroviren
Poliovirus Coxsackievirus A13, 18
CD155 CAR* ICAM-1 CAR* Integrin αvβ3 CAR* CD55 (DAF)** Integrin a3b1
Ig-Superfamilie Ig-Superfamilie Ig-Superfamilie Ig-Superfamilie Ig-Superfamilie Ig-Superfamilie Ig-Superfamilie Ig-Superfamilie
CD55 (DAF)**
Ig-Superfamilie
Coxsackievirus A9 Coxsackievirus A2, B1, B3, B5 Echovirus (Typen 1 und 8), Parechovirus (Typ 1) Echovirus (Typen 3, 6, 7, 11–13, 21, 24, 25, 29, 30, 33), Enterovirus 70 Rhinoviren
Rhinovirus (major group) Rhinovirus (minor group) Rhinovirus 54, 89
ICAM-1 (v)LDL-Rezeptor Heparansulfat
Ig-Superfamilie – Heparanproteoglycan
Hepatoviren
Hepatitis-A-Virus
TIM-1, TIM-3***
Ig-Superfamilie
Aphthoviren
Maul-und-Klauenseuche-Virus
Integrine avb1/3/6 Heparansulfat
Ig-Superfamilie Heparanproteoglycan
Cardioviren
Theilers Encephalomyelitisvirus Subtyp GDVII (neurovirulent)
unbekannt Heparansulfat
Subtyp DA (niedrig neurovirulent)
α(2,3)-gebundene Sialylsäure
Sialoglycoprotein Heparanproteoglycan 24 kD Glycoprotein
In fetter Schrift ist jeweils der in der Literatur beschriebene Hauptrezeptor angegeben, in dünner Schrift darunter die Corezeptoren. * CAR = Coxsackie- and Adenovirus-Rezeptor; ** DAF = Decay accelerating factor; ***TIM = T-cell Ig- and mucin-domain-containing molecule
von Ribosomenproteinen aus dem Kern in das Cytoplasma beteiligt und wirkt vermutlich auch an der Adsorption und Aufnahme der adenoassoziierten Viren (Typ 2) mit (䉴 Abschnitt 20.1). Die Erkennung zellulärer Oberflächenproteine ist aber nicht allein für die Zellspezifität der unterschiedlichen Picornaviren verantwortlich. Für eine erfolgreiche Replikation sind intrazelluläre Faktoren mit entscheidend. Dies konnte man insbesondere bei den Polioviren zeigen. Die CD155-Proteine sind auf sehr vielen verschiedenen Zellen zu finden und Polioviren adsorbieren daran. Nur in einigen dieser Zellen kann jedoch der Replikationszyklus ablaufen. Nach der Adsorption erfolgen strukturelle Umlagerungen bei den an die Zelloberfläche gebundenen Viren. Besonders gut sind diese bei den Rhinoviren untersucht, die sich an ICAM-1 binden (䉴 Abbildung 14.1C). Eine potenziell amphipathische α-Helix in der aminoterminalen Region von VP1 wird exponiert und bekommt Kontakt zu den Lipidanteilen der Cytoplasmamembran. Hierdurch ändert sich die Konformation im Canyon, die zu einer festeren Bindung an die D1Domäne des ICAM-1 führt. Das VP4, das an der Innen-
seite der Virionen lokalisiert und eng mit dem viralen RNA-Genom assoziiert ist, wird von den Capsiden gelöst und auch das sphingosinähnliche Molekül, der pocket factor, wird bei diesem Vorgang verdrängt. Das virale Genom wird durch eine zylinderähnliche Öffnung, die sich an den Ikosaederecken ausbildet, aus dem Virion durch die Cytoplasmamembran in das Zellinnere geschleust. Alternativ hierzu gibt es Daten, dass nach der Bindung an die Rezeptoren die Aufnahme der Viren über Endocytose erfolgt. Die hierbei gebildeten Vesikel sind reich mit Clathrin ausgestattet, einem zellulären Membranprotein, das sich an den Stellen der Virusanlagerung in hohen Konzentrationen ansammelt. Damit die weiteren Schritte der Replikation ablaufen können, muss das Virus aus diesen Vesikeln entlassen werden. Eine ATP-abhängige Protonenpumpe in der Membran bewirkt die Ansäuerung des Vesikelinneren. Dieser Prozess führt zur Umlagerung des Viruscapsids, ähnlich wie zuvor beschrieben. In einem weiteren Schritt werden die VP4-Proteine und Clathrin abgegeben. An den Kontaktstellen zwischen den VP1Proteinen der nun bereits umgeformten Capside und der Vesikelmembran bilden sich in der Folge kleine
14
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14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
¡ Translationsinitiation durch IRES-Sequenzen IRES-Sequenzen, die eine von der 5’-Cap-Struktur und dem Cap-Bindungskomplex unabhängige Translation eukaryotischer mRNA ermöglichen, wurden bisher im Genom der Picornaviren und in der Familie der Flaviviren bei den Pestiviren sowie beim Hepatitis-C-Virus identifiziert (Abschnitt 14.5). Man hat jedoch auch ein zelluläres Gen gefunden, dessen mRNA in der 5’-nichttranslatierten Kontrollregion
Poren aus, durch welche die virale RNA in das Cytoplasma entlassen wird. Da das virale Genom bereits als RNA in Positivstrangorientierung vorliegt, erfolgt im nächsten Schritt die Translation und die Bildung des Polyproteins. Die RNA besitzt keine Cap-Struktur, die gewöhnlich an den 5’-Enden zellulärer mRNA-Moleküle zu finden ist und für die korrekte Bindung der ribosomalen Unterheiten an den Translationsstartpunkt sorgt. Das Genom weist dagegen eine im Vergleich zu zellulären mRNA-Spezies ungewöhnlich lange, nichtcodierende Basenfolge von bis zu 1 199 Nucleotiden (IRES) auf, die dem Startcodon
eine IRES enthält: Es codiert für das BiP-Protein (immunoglobulin heavy chain binding protein, alternative Bezeichnung: GRP-78), ein im Bereich des endoplasmatischen Reticulums und des Golgi-Apparats aktives Proteinfaltungsenzym (Chaperon), das an der Interaktion der leichten und schweren Immunglobinketten zu funktionsfähigen Antikörpern beteiligt ist.
vorgeschaltet ist (䉴 Abschnitt 14.1.2). Sie besitzt eine stark ausgeprägte, stabile Sekundärstruktur mit intramolekularen, doppelsträngigen Sequenzabschnitten (䉴 Abbildung 14.3). Die IRES bewirkt, dass die ribosomalen Untereinheiten das Picornavirusgenom als mRNA erkennen, mit dem Startcodon interagieren und so die ersten Translationsschritte einleiten können. Es wird vermutet, dass durch die Sekundärstruktur eine dem Translationsstart direkt vorgelagerte Basenfolge stabilisiert wird, die komplementär zur 18S-rRNA der kleinen Ribosomenuntereinheit ist. Die rRNA kann so mit dem Virusgenom hybridisieren und hierüber das
A
5´ Vpg
A
B
C
D
E
F
AUG743 3´
14.3 A: Computermodell für die energetisch begünstigte Faltung der 5’-nichtcodierenden Region des Poliovirus. Die Sequenzelemente, welche die internal ribosomal entry site (IRES) umfassen, sind eingerahmt.
14.1 Picornaviren
Ribosom zur korrekten Startstelle für die Proteinsynthese leiten. Zelluläre Proteine sind funktionell an der Initiation der Translation beteiligt; sie binden ebenfalls an die IRES und beeinflussen so auch die Zell- und Wirtsspezifität der verschiedenen Picornaviren. Eines ist das La-Protein (p52); es bindet sich normalerweise an die 3’-Enden von Transkripten, vor allem tRNAs, die von der RNA-Polymerase III gebildet werden und reguliert deren Termination. Das La-Protein induziert bei Patienten mit Lupus erythematodes und Sjögren-Syndrom eine Autoimmunreaktion. Weitere IRES-bindende Komponenten sind das Polypyrimidintrakt-Bindungsprotein PTB, das Poly(rC)-Bindungsprotein 2 PCBP2, das Poly(A)-Bindungsprotein PABP und der Faktor Unr (upstream of N-ras). Daneben wurden aber auch der Translationsinitiationsfaktor eIF-2 und weitere bisher nicht näher charakterisierte Proteine als Interaktionspartner für die IRES identifiziert. Nach den initalen Schritten zur Translation des Genoms wird das durchgehende Polyprotein syntheti-
159
siert. Noch während der Translation wird es in die einzelnen Proteindomänen gefaltet. Bei der Mehrheit der Picornaviren – Ausnahmen sind die Hepatitis-A- und Parechoviren – erfolgen die ersten proteolytischen Spaltungen cotranslational noch während der Synthese des Polyproteins und zwar dann, wenn die Sequenzen der 2A-Protease in Aminosäuren übersetzt vorliegen. Sie wirken autokatalytisch und führen zur Abspaltung des Protomeranteils am aminoterminalen Ende. Die 3Cbeziehungsweise 3CD-Proteasen, die durch ihre Lage im carboxyterminalen Bereich des Vorläuferproteins erst zu einem späteren Zeitpunkt der Translation synthetisiert werden, sind an der Prozessierung der weiteren viralen Komponenten beteiligt. Bei den Hepatitis-A- und Parechoviren bleibt das Protomer mit der 2A-Domäne verbunden. Nach den proteolytischen Spaltungen liegen auch die RNA-abhängige RNA-Polymerase (3Dpol) und das Vpg als Voraussetzung für die Replikation des Genoms in der infizierten Zelle vor. Die Synthese des Polyproteins dauert in vitro etwa 15 Minuten.
B
A U C U
G A U C U 730 G G U GCACGUG C U -GCCUCGG G C UGUGCAC A U UGGAGCU G U U AG CA A A A A AU 750 G U 790G G C G A U G C A C G G A U G C G C C G 820 C A U C A U C G UUCCUUUGAAAACCACGAUUGUAAG AUG -3´
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14.3 (Fortsetzung) B: Die IRES-Region des Encephalomyocarditisvirus. Dargestellt ist die durch Computeranalyse vorgeschlagene, energetisch begünstigte Sekundärstruktur der RNASequenzen im 5’-Bereich des Virusgenoms. Die Zahlenangaben beziehen sich auf die jeweiligen Basenpositionen, ausgehend vom 5’-Ende des Genoms. Die Sekundärstrukturen stabilisieren in Wechselwirkung mit verschiedenen Zellproteinen eine dem Startcodon für die Translation des Polyproteins vorgelagerte Basensequenz. Diese kann mit den rot gekennzeichneten Sequenzen am 3’-Ende der 18S-rRNA der kleinen Ribosomenuntereinheit (40S) einen teilweise doppelsträngigen Bereich (gekennzeichnet durch die Sternchen) ausbilden. Die hier dargestellte Sequenz endet mit dem Startcodon (AUG) für das Polyprotein.
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14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
Für die Bildung des zum Virusgenom komplementären Negativstranges als Zwischenprodukt bei der Replikation ist die Bildung eines Primermoleküls, VpgpUpU-OH, nötig. Dieser Vorgang findet – vermittelt durch die hydrophobe Domäne des 3AB-Proteins als Vorläufer des Vpg – an den intrazellulären Membrankompartimenten statt und wird von der 3DPol katalysiert. Als Matrize für die Uridinylierung dient eine konservierte Sequenzfolge (AAACA), die sich innerhalb des sogenannten cre-Elements (cis-responsive-element) befindet und zwar in der Schleife einer Haarnadelstruktur. Dieses cis-aktive Element befindet sich bei den unterschiedlichen Vertretern der Enteroviren in verschiedenen Genomregionen: Bei den Enteroviren befindet es sich in dem für das 2C-Protein codierenden Genombereich (Poliovirus Typ 1: Nucleotide 4 444 bis 4 505), bei den Rhinoviren der Spezies A in den für die 2A-Domäne codierenden Sequenzen, beim humanen Parechovirus und den Rhinoviren der Spezies B (Rhinovirus Typ 14) in den für die VP1-Proteine, bei den Rhinoviren der Spezies C in den für die VP2-Proteine codierenden Sequenzabschnitten. Beim Maul-und-KlauenseucheVirus ist der cre-Element hingegen innerhalb der 5’NTR vor den Sequenzen der IRES lokalisiert, beim Hepatitis-A-Virus wiederum in der für das 3D-Protein codierenden Region. Wird das cre-Element durch Mutation verändert, dann unterbleibt wegen der ausbleibenden Uridinylierung auch die Synthese der Negativstränge. Der Vpg-pUpU-Primer assoziiert mit dem Poly(A)Teil am 3’-Ende des Virusgenoms und bildet die Initiationsstruktur mit einem freien 3’-OH-Ende als Erkennungsstelle für die RNA-abhängige RNA-Polymerase (3Dpol), die den RNA-Gegenstrang zum Virusgenom synthetisiert (䉴 Abbildung 14.4). Die Initiation der Negativstränge ist aber auch vom Vorhandensein einer
intakten clover-leaf-Sekundärstruktur am 5’-Ende der Positivstränge abhängig. Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Positivstranggenome unter dem Einfluss der an die Enden gebundenen Proteine (PABP, PCB2) und der viralen 2CATPase- sowie 3CDpro und 3Dpol-Proteine eine zirkuläre Form ausbilden, an der die Negativstränge initiiert werden. Bei der Polymerisation bildet sich ein kurzlebiges Zwischenprodukt aus doppelsträngiger RNA. Das 3’-Ende des fertig synthetisierten Negativstranges bilden zwei Adenosinreste – eine ideale Struktur für die Anlagerung von Vpg-pUpU-Primermolekülen. So wird die Bildung neuer RNA-Positivstränge initiiert. Die Synthese eines RNA-Stranges dauert ungefähr 45 Sekunden. Neben der 3Dpol und den Vpg-Primern ist ein zelluläres Protein (67 kD) für den korrekten Ablauf dieses Prozesses essenziell. Zwischen fünf und acht RNA-Plusstränge können an einem RNA-Negativstrang als Zwischenprodukt in der Replikation initiiert werden. Nur zwischen fünf bis zehn Prozent der in der Zelle vorliegenden viralen RNA sind Minusstränge. Von den neu synthetisierten RNA-Strängen werden wiederum virale Polyproteine translatiert. So kann sich die Menge an Viruskomponenten in der infizierten Zelle sehr schnell vervielfältigen. Der gesamte Prozess der Polyproteinsynthese und Genomreplikation erfolgt im Cytoplasma der Zelle in Assoziation mit intrazellulären Membrankompartimenten. Auch die Polyproteine sind über die aminoterminale Myristylierung in sie eingelagert. Der zelluläre Stoffwechsel wird durch die virale Replikation stark beeinflusst. Die große Zahl viraler Genomstränge, die schon kurz nach Infektion in der Zelle vorliegen und durch die IRES-Elemente eine sehr hohe Affinität für zelluläre Ribosomen aufweisen, bewirkt, dass die zelluläre Translationsmaschinerie ausschließlich mit der Synthese von Virusproteinen beschäftigt ist. Zusätzlich bewirkt die 2A-Protease der
¡ Funktion der 5’-Cap-Struktur Im eukaryotischen Translationssystem bindet sich der CapBindungskomplex an die Cap-Region, ein methyliertes Guanidintriphosphat, das in 5’-5’-Bindung mit dem Ende der mRNA verestert ist. Der Cap-Bindungskomplex besteht aus dem Cap-bindenden Protein (CBP), das mit dem 5’-Ende interagiert, den Proteinen eIF-4A und eIF-4B, die sich an die dem Startcodon vorgeschaltete Strecke von bis zu 100 Nucleotiden binden und sie in einer einzelsträngigen, gestreckten Konfiguration halten, sowie dem Faktor eIF-3.
Mit diesem im 5’-Bereich gebundenen Proteinkomplex interagiert die kleine Ribosomenuntereinheit zusammen mit der tRNAmet, dem Initiationsfaktor eIF-2 und GTP und initiiert auf diese Weise die Translation. Das als mRNA aktive Genom der Picornaviren besitzt keine 5’-CapStruktur und kann deshalb die für die Ribosomeninteraktion notwendige Wechselwirkung mit den Faktoren des Cap-Bindungskomplexes nicht durchführen.
14.1 Picornaviren
161
A A A 3´
-UpUp
RNA-Genom (Plusstrang)
1 Translation NH2-
-COOH
Polyprotein
2 proteolytische Spaltung 2A-Protease 3C-Protease RNA-abhängige RNA-Polymerase 3B = Vpg 3A-Proteine 3 2B-Proteine + Zellfaktoren 2C-Proteine Capsidproteine
4 Anlagerung des Vpg-Primer-Komplexes an das 3´-Ende des Negativstranges
HO-UpUpA A A 3´
-UpUp 5
UpUp-
-UpUp
A A A 3´
6
3´A A A
RNA (Negativstrang)
UpUp-
7 kontinuierliche Initiation, Anlagerung von Vpg-Primer-Komplexen und Polymerisation
-UpUp
UpUp-
3´A A A
-UpUp -UpUp UpUp-
3´A A A
8 A A A 3´
-UpUp -UpUp -UpUp
A A A 3´ A A A 3´ RNA-Genome (Plusstrang)
14.4 Verlauf der Genomreplikation bei Picornaviren. Das RNA-Genom wird in einem ersten Schritt translatiert (1), dadurch entsteht ein Polyprotein, das durch die Aktivität der Proteasen 2A und 3C/3CD in die Einzelkomponenten gespalten wird (2). Während dieses Vorgangs entsteht das Vpg, das uridinyliert wird (3). Hierbei werden auch zelluläre Proteinfunktionen benötigt. Das VpgpUpU wird an das 3’-Ende des RNA-Genoms angelagert (4) und wirkt als Primer für die Polymerisation des RNA-Negativstranges durch die RNA-abhängige RNA-Polymerase des Virus (5), die ebenfalls bei der Proteolyse des Polyproteins entsteht. An das 3’-Ende des neu gebildeten RNA-Negativstranges werden erneut Vpg-pUpU-Komplexe angelagert (6). Sie dienen als Primer für die Synthese von RNA-Strängen (7), die nun wiederum Plusstrangorientierung besitzen (8) und sowohl als mRNA zur Proteinsynthese als auch als Virusgenome dienen.
Polio- und Rhinoviren den Abbau des p220 (eIF-4G) des Cap-Bindungskomplexes, der für die Translationsinitiation eukaryotischer mRNA-Spezies essenziell ist – ein zweiter Schritt zur Hemmung der zellulären Proteinsynthese. Die Proteine 2B und 3A des Poliovirus beeinflussen den Transport von zellulären Glycoproteinen und ihre Sekretion. Wie oben beschrieben, wird außerdem der TFIIIC-Faktor durch die 3CPro zerstört und hierdurch die von der RNA-Polymerase III abhängige Tran-
skription gehemmt. Schließlich wird auch die mRNASynthese blockiert. Hier beeinflusst offensichtlich ein noch unbekanntes virales Protein die Aktivität der zellulären RNA-Polymerase II. Diese Vorgänge sind für die Ausbildung des virus-host shutoff, das heißt der virusbedingten Abschaltung des Zellstoffwechsels, verantwortlich. Liegen in der Zelle virale Proteine und RNA-Genome in ausreichender Menge vor, so werden diese Kompo-
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14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
nenten zu infektiösen Virionen zusammengebaut (SelfAssembly). In einem ersten Schritt wird das myristylierte, an intrazelluläre Membrankompartimente angelagerte Protomer durch die Aktivitäten der 3CPro und 3CDPro in VP0, VP1 und VP3 gespalten. Diese bleiben aber als Komplex miteinander verbunden und assoziieren mit vier weiteren VP0/VP1/VP3-Aggregaten zu Pentameren – den Vorläuferstrukturen der Ikosaederecken. Beim Hepatitis-A-Virus hat die 2A-Proteindomäne keine proteolytische Aktivität, bleibt mit dem Protomeranteil verbunden und bildet das Protein pX. Die 2A-Domäne fördert in diesem Fall die Bildung der Protomere und leitet den Morphogeneseprozess ein. Je zwölf Protomere lagern sich in einem weiteren Schritt zu Capsidvorläufern zusammen. Diese Proteinschalen schließen das RNA-Genom ein. Wie die Nucleinsäure in das Innere der Ikosaeder gelangt, ist nicht völlig geklärt. Die Sequenzen der IRES sind auch hierfür wichtig, sie verstärken die Encapsidierung der RNA. Auch sind mit diesem Prozess größere Umlagerungen in der Proteinstrukur der Capside verbunden, die sich in einem deutlich anderen Sedimentationsverhalten der Partikel äußern. Man stellt sich vor, dass das RNA-Genom entweder durch eine Öffnung in das Innere der sogenannten Procapside gelangt oder dass die Nucleinsäure sich zuerst außen an die Partikelvorläufer bindet und im Rahmen eines weiträumigen Umfaltungsvorganges in das Innere verlagert wird. Als letzter Schritt bei der Bildung infektiöser Virionen wird die Protease im VP2-Anteil des VP0 aktiviert – bedingt durch die Interaktion zwischen dem VP0 und der viralen RNA. Sie vollzieht dann die Reifungsspaltung zu VP2 und VP4. Im Fall des HepatitisA-Virus erfolgt in diesem späten Schritt auch die Spaltung des pX zu VP1 und 2A durch eine unbekannte zelluläre Protease. Die endgültige Freisetzung der Viren erfolgt durch die Veränderung der Membranpermeabilität in Verbindung mit dem infektionsbedingten Tod der Zelle. Der Replikationszyklus von der Adsorption des Virus bis zur Freisetzung der Nachkommenviren und dem Tod der Zelle dauert beim Poliovirus etwa sieben bis acht Stunden. Die intrazellulären Vorgänge bei der Virusreplikation und apoptotische Vorgänge führen zu morphologischen Veränderungen der Zellstruktur, die sich als cytopathischer Effekt mikroskopisch beobachten lassen: Die Chromatinstruktur wird aufgelöst, die NucleinsäureProtein-Komplexe akkumulieren an der Innenseite der Kernmembran. Auch das Cytoskelett verändert sich durch strukturelle Umlagerungen der mit den Mikrotubuli assoziierten Proteine. Die infizierten Zellen runden sich ab. Im weiteren Verlauf der Replikation bilden sich im gesamten Cytoplasma Vesikel aus. Die Zellmembranen verändern ihre Permeabilität, weil vermehrt
Phosphocholin eingebaut wird, und werden schließlich durchlässig.
14.1.5 Humanpathogene Picornaviren Vertreter der Picornaviren sind für verschiedene schwere Erkrankungen des Menschen verantwortlich. Hierzu zählen vor allem die Kinderlähmung und die Hepatitis A. Zunehmend beobachtet man schwere klinische Verlaufsformen jedoch auch bei Infektionen durch andere humane Enteroviren. Auf diese wird ebenso wie auf die Schnupfenviren in den folgenden Abschnitten eingegangen.
Das Poliovirus Epidemiologie und Übertragung Die Poliomyelitis (Kinderlähmung) war als Erkrankung bereits 1 500 Jahre vor Christi Geburt bekannt. Große Polioepidemien traten immer dann auf, wenn sich in einer Bevölkerung größere Zahlen von empfänglichen Personen angesammelt hatten, so zum Beispiel auch in den Jahren zwischen 1940 und 1950. Viele der infizierten Kinder starben, bei anderen blieben lebenslang Lähmungen zurück. Einige überlebten die Poliovirusinfektion nur durch die zeitweise Unterbringung in der Eisernen Lunge, die für begrenzte Zeit eine Beatmung erlaubte. Franklin D. Roosevelt, 1933 bis 1945 Präsident der USA, infizierte sich etwa 1920 als Erwachsener mit dem Virus und behielt lebenslang Defekte der Muskulatur zurück. Ursprünglich waren die drei Typen der Poliomyelitisviren weltweit verbreitet. Sie weisen Unterschiede in den Aminosäurefolgen vor allem in den Schleifenregionen der VP1-, VP2- und VP3-Proteine auf und lassen sich serologisch unterscheiden: Typ 1 („Mahoney“ oder auch „Brunhilde“) kam relativ häufig vor und verursachte schwere, Typ 2 („Lansing“) dagegen eher leichte Erkrankungen. Infektionen mit Poliovirus Typ 3 („Leon“) verlaufen schwer. Noch 1992 registrierte man weltweit über 150 000 Fälle von Kinderlähmung. Durch das Impfprogramm der WHO gilt die Poliomyelitis heute bis auf etwa zehn Länder als ausgerottet: Am 21. Juni 2002 wurde Europa von der WHO als frei von der Poliomyelitis erklärt. Zwischenzeitlich kam es aber durch überregionale Verbreitung der Infektionen zu ernsten Rückschlägen: In den betroffenen Ländern (beispielsweise Nigeria) war aus politischen Gründen das Impfprogramm eingestellt worden. Durch massive Riegel-
14.1 Picornaviren
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q Die Kinderlähmung – sie wurde zur Erwachsenenlähmung Poliovirusinfektionen waren in den vergangenen Jahrhunderten weit verbreitet und erfolgten früher meist während der ersten sechs Lebensmonate unter dem Schutz placentar übertragener, mütterlicher IgG-Antikörper. Die Kinder erkrankten nicht, wenn sie in dieser frühen Lebensphase infiziert wurden, sondern entwickelten einen aktiven Immunschutz. Nur bei Kindern, die der Infektion entgingen, konnten spätere Kontakte mit dem Poliovirus – nun ohne den Schutz der mütterlichen Antikörper – zu Erkrankungen
impfungen ist es der WHO aber gelungen, diese Ausbreitungen wieder einzudämmen. Im Jahr 2008 wurden nur noch in sehr wenigen Ländern der Dritten Welt Infektionen mit Poliovirus Typ 1 und Typ 3 gemeldet, 98 Prozent davon in Nigeria, Indien und Pakistan. Allerdings wurden ausgehend von diesen Ländern Poliovirusinfektionen wieder in Regionen importiert, die bereits als „poliofrei“ erklärt worden waren. Unter natürlichen Verhältnissen infizieren Polioviren nur den Menschen, lassen sich aber auf verschiedene Affenspezies übertragen und können in Schimpansengruppen – wie von Jane Goodall beschrieben – Epidemien hervorrufen. Das Poliovirus Typ 2 konnte auch an Mäuse adaptiert werden. Polioviren vermehren sich bevorzugt im lymphatischen Gewebe des Darms, den Peyerschen Plaques, und werden von infizierten Personen über den Stuhl durchschnittlich etwa fünf Wochen lang ausgeschieden. Im Anfangsstadium der Erkrankung findet man auch eine Infektion der Rachenschleimhaut und der Tonsillen, sodass in dieser Phase das Virus im Sputum und Rachenspülwasser vorhanden ist. Die Übertragung erfolgt durch Aerosole, fäkal-oral über Schmutz- und Schmierinfektionen sowie über verunreinigtes Trinkwasser und Lebensmittel.
Klinik Der weitaus größte Teil der Poliovirusinfektionen verläuft asymptomatisch. Nur bei wenigen Prozent kommt es im Verlauf einer Poliovirusinfektion nach einer Inkubationsperiode von ein bis zwei Wochen zu Magen- und Darmbeschwerden, denen Fieber und grippeähnliche Symptome folgen, typischerweise in Form einer Sommergrippe. Der größte Teil der Patienten erholt sich von dieser Form der Poliomyelitis-Vorkrankheit völlig (abortive Polio). Bei etwa ein bis zwei Prozent der Erkrankten entwickelt sich daran anschließend eine Erkrankungs-
führen. Insgesamt erkranken weniger als ein Prozent aller seronegativen Kinder nach dem Kontakt mit dem Virus an der Poliomyelitis. Das Virus ist also wenig neuroinvasiv. Tatsächlich waren nichtparalytische Poliovirusinfektionen die häufigste Ursache für die Sommergippe. Mit dem Anstieg des Lebensstandards wurde der Erstkontakt mit dem Poliovirus in das höhere Lebensalter verschoben, aus der Kinderlähmung wurde somit eine Erwachsenenlähmung.
form ohne Lähmungserscheinungen (nichtparalytische Poliovirusinfektion), bei der das Virus aber das zentrale Nervensystem infiziert und eine etwa zwei bis zehn Tage andauernde aseptische Meningitis, verbunden mit Muskelkrämpfen und Rückenschmerzen verursacht. Bei bis zu zwei Prozent der Erkrankten schließen sich an diese Symptome schlaffe Lähmungen an, da die motorischen Vorderhorn-Zellen geschädigt werden (paralytische Poliovirusinfektion). Hiervon verlaufen zehn Prozent letal, beispielsweise durch Atemmuskellähmungen, etwa zehn Prozent der Patienten erholen sich ohne Folgeschäden, bei 80 Prozent dieser schwer Erkrankten bleiben jedoch Lähmungen unterschiedlichen Ausmaßes als Dauerschäden zurück. In den letzten Jahren hat man das sogenannte PostPolio-Syndrom beobachtet. Die Symptome treten 15 bis 40 Jahre nach der ursprünglichen Polioerkrankung auf. Es handelt sich um eine erneut auftretende, progressive Muskelschwäche in Verbindung mit Muskel- und Gelenkschmerzen und starker Müdigkeit. Man vermutet, dass ursprünglich wenig oder auch nicht geschädigte Nervenzellen wegen der Dauerüberlastung nach Jahren absterben und so zu dem Syndrom führen können – in den USA erwartet man sehr viele Fälle dieser Spätkomplikation. Des Weiteren kam es im Rahmen der Impfungen mit dem oralen Polio-Lebendimpfstoff (Sabin) zu Fällen von Impf-Polio. Das Impfvirus wird von den Geimpften vorübergehend über den Stuhl ausgeschieden und kann auf Familienmitglieder der Impflinge übertragen werden; vor allem Immunsupprimierte sind hierbei besonders gefährdet.
Pathogenese Nach der Übertragung infiziert das Poliovirus das lymphatische Gewebe des Gastrointestinaltrakts und ver-
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14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
mehrt sich im Lymphgewebe des Nasen- und Rachenraumes. Über den Magen wird es in den Darmtrakt weitertransportiert, infiziert dort bevorzugt die Zellen der Peyerschen Plaques im Dünndarm, die das lymphatische Gewebe des Darmbereichs darstellen, sowie die mesenteralen Lymphknoten. Von hier wird es über die ableitenden Lymphbahnen direkt in die Blutbahn oder in den Darm abgegeben. Das Virus infiziert aktivierte Monocyten – sie besitzen die CD155-Proteine als Rezeptoren des Poliovirus – und vermehrt sich in ihnen. Folge ist eine leichte Virämie, die einen ersten Fieberschub auslöst (Vorkrankheit). Danach breitet sich das Virus im gesamten Organismus aus und vermehrt sich im reticulohistiocytären System und in Endothelzellen; dies ist mit einer zweite Virämie verbunden, in deren Verlauf auch die Neuronen infiziert werden können. Über sie bewegt sich die Infektion retrograd weiter zum Rückenmark und Gehirn. Vor allem die großen motorischen Vorderhornzellen und Motoneuronen werden infiziert und durch die Infektion zerstört. Die Poliomyelitis kommt durch den Befall der grauen (polios, griech.: grau), das heißt zellreichen Rückenmark- und Gehirnsubstanz zustande. Die von den befallenen Nerven und Gehirnregionen versorgten Muskelzellen werden nicht mehr innerviert. Die Folgen sind schlaffe Lähmungen; dauern diese an, so kommt es zur Inaktivitätsatrophie der Muskulatur. Die zerstörten Neuronen werden im Folgenden durch Makrophagen entfernt (Neuronophagie). Noch Jahre nach der akuten Erkrankung sind die Motoneuronen atrophisch, man findet eine Neubildung von Gliazellen (Gliose) und leichte Entzündungserscheinungen. Patienten, die Lähmungen der Intercostalmuskulatur (Brustkorbmuskulatur) entwickelten, überlebten die akute Phase nur in einer „eisernen Lunge“. Die in Polioepidemiezeiten vorgenommenen Entfernungen der Tonsillen führten ebenso wie Reizungen der Muskulatur (Überanstrengung durch Bewegung, Injektionen etc.) häufig zu Atemlähmungen: Das Virus gelangte hierbei entlang der dabei geschädigten Nervenfasern von der Wunde direkt in das verlängerte Rückenmark und zerstörte dort die entsprechenden Motoneuronen.
Immunreaktion und Diagnose Im Verlauf einer Poliovirusinfektion werden IgM-, IgAund IgG-Antikörper gegen die Capsid- und Nichtstrukturproteine gebildet. Kreuzreaktivität zwischen den drei Poliovirustypen lässt sich nur bei Verwendung hitzedenaturierter Viren zeigen. Reinfektionen führen zum Wiederanstieg der Antikörperkonzentration. Immunglobuline gegen bestimmte Epitope der Strukturproteine sind neutralisierend und werden in drei separat durchzuführenden Neutralisationstesten (Poliovirus
Typ 1-3) gemessen. Polioviren können ohne Probleme in Zellkulturen (primären Affennierenzellen, HeLaoder Verozellen) gezüchtet werden. Die Typisierung von Isolaten aus Stuhl, Rachenspülwasser oder Liquor erfolgt durch Anzucht und die sich anschließende Charakterisierung mit typspezifischen Seren im Neutralisationstest. Nur so kann zuverlässig die Durchseuchungsrate oder ein Titeranstieg festgestellt werden. Bei geeigneten Fragestellungen kann man alternativ die Polymerasekettenreaktion zum Virusnachweis und zur Identifizierung von Mutanten heranziehen. Meist wird dazu zunächst als Suchreaktion eine Pan-EnterovirusPCR durchgeführt, die alle humanen Enteroviren erkennt.
Therapie und Prophylaxe Die von Albert Sabin entwickelte Poliovirusvakzine (Schluckimpfung) ist ein attenuierter Lebendimpfstoff. Pro einer Million Impfungen beobachtet man nur 0,4 bis 1,0 Impfschäden. Dieser Impfstoff verursacht die Bildung virusneutralisierender IgG- und IgA-Antikörper. Seine Wirksamkeit zeigte sich unter anderem bei der Eindämmung ablaufender Polioepidemien (Riegelimpfung). Durch seinen konsequenten, weltweiten Einsatz vor allem in den Entwicklungsländern hofft man, die Poliovirusinfektion in den nächsten Jahren ausrotten zu können. Bei Personen mit humoralen Immundefekten (beispielsweise Agammaglobulinämie) sowie mit medikamentösen, erblichen oder durch Infektionen verursachten Immunsuppressionen darf der Lebendimpfstoff jedoch nicht verwendet werden, da die Symptome einer Polioinfektionen auftreten können (Impfpolio). Da das Impfvirus von den Geimpften vorübergehend über den Stuhl ausgeschieden wird, kann es auf Familienmitglieder der Impflinge übertragen werden; vor allem, Immunsupprimierte sind hierbei besonders gefährdet. Der Lebendimpfstoff des Poliovirus Typ 1 unterscheidet sich durch 57 veränderte Nucleotide vom Wildtypvirus, die zu 21 Unterschieden in der Aminosäuresequenz führen. Die Impfviren des Poliovirus Typ 3 weisen im Vergleich zum Wildtyp zehn Mutationen auf; bezüglich der Veränderungen, die zur Abschwächung des Poliovirus Typ 2 führen, gibt es keine Daten, weil das Ausgangsvirus für den Impfstamm bis heute nicht identifiziert werden konnte. Für die Attenuierung scheinen vor allem Veränderungen der Basenfolgen im Bereich der IRES verantwortlich zu sein (Positionen 480, 481 beziehungsweise 472 in den Impfstämmen Sabin 1, 2 und 3). Sie beeinflussen die Stabilität der Sekundärstruktur der IRES und damit die Assoziation mit den Ribosomen und die Effektivität der Translation. Zusätzlich weisen die attenuierten Impfstämme aber auch
14.1 Picornaviren
Mutationen in Genombereichen auf, welche für die Capsidproteine VP1 codieren: Die Impfpolioviren der Typen 1 und 3 weisen hier zwölf beziehungsweise zwei veränderte Aminosäurereste auf, die zur Attenuierung beitragen. In Deutschland und in Ländern, in welchen keine Poliovirusinfektionen mehr auftreten, wird der Lebendimpfstoff seit 1999 nicht mehr eingesetzt. Das Risiko zur Ausbildung einer Impfpolio durch die attentuierten Impfviren ist hier höher als dasjenige, die Erkrankung im Rahmen einer natürlichen Polioinfektion zu erwerben. Zur Grundimmunisierung wird heute ein Impfstoff auf der Basis abgetöteter Polioviren eingesetzt, den Jonas Salk bereits einige Jahre vor dem Lebendimpfstoff entwickelt hatte. Inzwischen verbessert durch einen erhöhten Antigengehalt induziert er ebenfalls die Synthese von IgG-Antikörpern. Die Immunisierungsrate gegen die Poliovirustypen 1 und 2 liegt in Deutschland bei etwa 90 Prozent, gegen Poliovirus Typ 3 bei etwa 85 Prozent. Wiederauffrischungsimpfungen wurden früher im Abstand von zehn Jahren durchgeführt, sie werden heute nur noch bei Reisen in die Länder der Dritten Welt (Orient, Afrika) empfohlen.
Die humanen Enteround Parechoviren Epidemiologie und Übertragung Die humanen Enteroviren werden heute in vier Spezies A – D unterteilt und repräsentieren zusammen mit den beiden Serotypen der Parechoviren – ursprünglich bekannt als Echovirus Typ 22 und 23 – eine große Zahl von Infektionserregern. Genetische Rekombinationsereignisse zwischen Vertretern der gleichen Virusspezies sind häufig und tragen zu ihrer großen Bandbreite bei. Die Viren sind weltweit verbreitet, ihre Epidemiologie ähnelt derjenigen der Polioviren. Wie diese werden sie überwiegend fäkal-oral, seltener auch durch Tröpfcheninfektion übertragen. Infektionen mit den humanen Enteroviren treten vorwiegend in der warmen Jahreszeit (Sommergrippe), in den Tropen aber ganzjährig auf. Sieben Prozent aller in den USA untersuchten Personen scheiden diese Viren aus, in den Tropen sind es bis zu 50 Prozent. Deswegen kommt es hier, vor allem in den tropischen Ländern Südostasiens, immer wieder zu regionalen Epidemien, insbesondere mit Enterovirus 71. Dieser Virustyp gilt inzwischen als derjenige unter den „Nicht-Polio-Enteroviren“, dessen Infektionen am häufigsten zu Krankheitserscheinungen führen. Coxsackieviren verursachen nur im Menschen Krankheiten; nach experimenteller Infektion von Schimpansen zeigte sich ein inapparenter Verlauf. Die
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ursprüngliche Einteilung in Coxsackieviren der Subgruppe A (Serotyp 1–22, 24) und der Subgruppe B (6 Serotypen) beruhte auf Unterschieden der histopathologischen Läsionen in experimentell infizierten neugeborenen Mäusen; die Züchtung der Coxsackieviren ist heute auch in vitro gut möglich (Affennierenzellen, humane HeLa-oder Lungenkarzinomzellen A549).
Klinik Bei Infektionen mit humanen Enteroviren beträgt die Inkubationszeit bis zum Krankheitsausbruch bis zu zwei, in seltenen Fällen mehr als vier Wochen. Die Viren werden über Rachen und Darm mehrere Wochen lang ausgeschieden. Die Infektionen sind durch ein breites Spektrum unterschiedlicher klinischer Manifestationen gekennzeichnet, wobei man keine eindeutigen Korrelationen zwischen einzelnen Virustypen und einer bestimmten klinischen Manifestation findet: Unterschiedliche Virustypen können die gleichen Symptome verursachen und der gleiche Virustyp wird häufig auch mit vielen verschiedenen Krankheitsbildern assoziiert. Oft infizieren sich die Patienten gleichzeitig mit mehreren Virustypen. Daher ist es schwierig, dem einzelnen Typus bestimmte Erkrankungsbilder zuzuordnen. Meist verursachen die humanen Enteroviren leichte, erkältungsähnliche Erkrankungen, die mit Durchfall verbunden sein können („Sommergrippe“); viele Infektionen verlaufen asymptomatisch. Schwere Verläufe mit neurologischen Symptomen, Meningitis, Gastroenteritis, HandFuß-Mund-Krankheit, akuter hämorrhagischer Konjunktivitis, Myalgien, Myocarditis, Pleurodynie (Bornholmsche Krankheit) oder Uveitis werden nur selten beobachtet. Patienten mit erblichen oder erworbenen Immundefekten entwickeln gehäuft persistierende Infektionen, die mit chronischer Enteritis, Arthritis oder auch Meningoencephalitis assoziiert sein können. Bei den schweren Infektionen mit humanen Enteroviren überwiegt das Bild der Meningitis, neben Herpesviren gelten Enteroviren als die häufigsten viralen Erreger für Meningitis und Encephalitis. Coxsackieviren B, vor allem der Typ B3, gelten als Erreger von viralen Herzmuskelentzündungen (Perimyocarditis). Bei Neugeborenen verläuft diese Säuglingsmyocarditis oft tödlich. Sie tritt überwiegend dann auf, wenn die Infektion bei der Geburt erfolgt, und die Mutter noch keine Antikörper gegen das Coxsackievirus gebildet hat. Neben dieser akuten Form werden aber auch – vor allem bei Erwachsenen – chronische Verlaufsformen (dilatative Cardiomyopathie) diskutiert. Einige der humanen Entero- und Parechoviren (Parechovirus Typ 1 und 2, Coxsackievirus B4) werden als Auslöser für Diabetes Typ 1 diskutiert. Dieser wird gehäuft bei Patienten mit einem bestimmten HLA-Typ
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q Das Ljunganvirus steht im Verdacht, intrauterinen Kindstod zu verursachen Die humanen Parechoviren sind weit verbreitet und verursachen ähnlich wie die humanen Enteroviren Erkrankungen der Atemwege und des Magen-Darm-Trakts; schwere Verläufe werden nur selten beobachtet. Ein naher Verwandter der humanen Parechoviren ist das Ljunganvirus, das vor allem in Nordschweden in Rötelmäusen (Clethrionomys glareolus) endemisch ist. Diese Mäuse treten in drei- bis vierjährigen Abständen in großer Zahl auf und ziehen sich im Herbst in Scheunen und auch Wohnhäuser zurück. Die
(HLA-DR und -DQ) nach Infektionen mit Coxsackievirus B4 beobachtet. Ob die Infektionen mit der Auslösung der Autoimmunerkrankung in kausaler Verbindung stehen, ist jedoch umstritten.
Pathogenese Die Aufnahme der humanen Entero- und Parechoviren und ihre Ausbreitung im Organismus erfolgt ähnlich wie bei Polioviren. Sie werden nach anfänglicher Vermehrung im lymphatischen Gewebe des Darmes beziehungsweise des Rachens während der zweiten Virämiephase im Blut als freie Viruspartikel oder durch infizierte Lymphocyten zu den Zielorganen – Muskulatur, Haut, Meningen, Myocard, Darmepithel, zentrales Nervensystem und dem Respirationstrakt – transportiert, in denen sie sich abhängig vom Virustyp ansiedeln. Die molekularen Mechanismen, die zur Entstehung der unterschiedlichen Symptome beitragen, sind weitgehend unbekannt. In der Augenbindehaut von mit Enterovirus 70 infizierten Personen fand man neben Hyperämie, punktförmigen Blutungen (Petechien) und Hämorrhagien auch Infiltrate mononucleärer Zellen mit diffus verteilten Lymphocyten, die in auffallend große, geschwollene Lymphfollikel übergehen. Die Hornhaut kann von Epitheltrübungen betroffen sein. Schlaffe Lähmungen, die in seltenen Fällen bei Infektionen mit dem Enterovirus 70 auftreten, sind mit dem Zerfall von Motoneuronen, mit Hämorrhagien und Gliaproliferation verbunden. In der Immunfluoreszenz konnten Virusproteine in der Mikroglia und in den Neuronen nachgewiesen werden. Im Fall der Coxsackieviren ist beschrieben, dass in die infizierten Bereiche zuerst Granulocyten infiltrieren, denen mononucleäre Zellen folgen. Die infizierte Muskulatur weist fokale Nekrosen auf, die Zellen sind schollenartig zerfallen. Auch in Neuronen und Gliazellen des
Viren werden über Kot und Urin ausgeschieden und so auch auf den Menschen übertragen. Zoonotische Übertragungen des Ljunganvirus auf Schwangere stehen im Verdacht, in der Spätschwangerschaft intrauterinen Kindstod verursachen zu können. In einer in Schweden durchgeführten Studie konnten in der Placenta und im Gehirn der verstorbenen Feten in fast der Hälfte der untersuchten Fälle Genome des Ljunganvirus nachgewiesen werden.
zentralen Nervensystems treten nekrotische Areale auf. Monocyten setzen in vitro nach Infektion mit Coxsackievirus B3 die Cytokine TNF-α, IL-1β und IL-6 frei. Sie sind für die Ausbildung der Entzündung verantwortlich. Die mit Coxsackievirusinfektionen assoziierte chronisch-persistierende Herzmuskelentzündung ist durch ein geringes Ausmaß an infiltrierenden Zellen charakterisiert. Nur einzelne Muskelzellen zerfallen. Im Herzmuskel lässt sich Coxsackievirus-RNA nachweisen. Offenbar ist dabei das Verhältnis von RNA-Plus- zu Minussträngen auf ein Verhältnis von zwei zu eins verschoben, während gewöhnlich ein hoher Überschuss an genomischer RNA vorliegt. Es werden in diesen Fällen also relativ wenige Virusgenome produziert und auch die Menge an infektiösen Coxsackieviren ist in den persistierend infizierten Bereichen deutlich geringer. Der Diabetes mellitus Typ 1, den man gehäuft nach Infektionen mit Coxsackievirus B4 findet, wird vermutlich durch Autoimmunprozesse ausgelöst. Es gibt aber auch Hinweise darauf, dass Ähnlichkeiten zwischen Virusproteinen und der zellulären Glutaminsäuredecarboxylase vorhanden sind, die diese Krankheit auslösen könnten.
Immunreaktion und Diagnose Im Infektionsverlauf werden virustypspezifische Antikörper der Klassen IgM, IgG und IgA gegen die viralen Strukturproteine gebildet, die zum Teil neutralisierende Eigenschaften haben. Die IgG-vermittelte Immunreaktion wird bei Reinfektionen mit anderen Virustypen möglicherweise durch kreuzreagierende Epitope aufgefrischt. In Einzelfällen wurde für IgA-Antikörper im Magen-Darm-Trakt eine protektive Wirkung gefunden. Die IgM-Antwort fällt überwiegend sehr gering aus. Über den Einfluss der zellulären Immunantwort auf die Viruseliminierung ist wenig bekannt; cytotoxische T-Lymphocyten scheinen für die Elimination des Cox-
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sackievirus B3 aus dem Herzmuskel verantwortlich zu sein. Die Diagnose der Infektion mit humanen Enteround Parechoviren erfolgt durch Virusisolierung mit anschließender Neutralisation oder durch den Nachweis viraler Nucleinsäure mittels RT-PCR aus Stuhl, Urin, Rachenspülwasser, Liquor oder dem Augensekret. Antikörper können im virusspezifischen Neutralisationstest nachgewiesen werden. Einige der Viren besitzen hämagglutinierende Eigenschaften, die für die Diagnostik herangezogen werden können. Infolge der hohen Durchseuchung gibt es häufig Kreuzreaktionen, daher sind ELISA-Tests nur bei Erstinfektionen einsetzbar und geben keinen Aufschluss über die Art des Virus.
Therapie und Prophylaxe Es gibt keine Impfstoffe und Therapeutika zur Vorbeugung oder Behandlung von humanen Enterovirusinfektionen. Pleconaril, das den Uncoating-Prozess und somit die Freisetzung der Virusgenome hemmt, ist auch bei Enteroviren wirksam. Seine Effektivität bei enteroviralen Meningitiden und Encephalitiden wurde in klinischen Studien gezeigt, eine Zulassung erfolgte allerdings nicht.
Das Hepatitis-A-Virus
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und III wurden aus infizierten Menschen isoliert, die Genotypen IV und VI aus Makaken (Macaca fascicularis) sowie der Genotyp V aus einer Grünen Meerkatze (Cercopthecus aethiops). Von den humanen Genotypen wurden verschiedene antigene Varianten identifiziert, es gibt bisher aber nur einen Serotyp des Hepatitis-AVirus. Während die Seroprävalenz vor Einführung der Impfung vor allem bei den über 50-Jährigen in Deutschland hoch war, sind heute akute Infektionen mit Hepatitis-A-Viren relativ selten; sie treten bevorzugt als Reiseerkrankung im Erwachsenenalter auf: Jährlich werden dem Robert-Koch-Institut etwa 1 000 Fälle gemeldet. Man kann die Hepatitis-A-Viren (ohne Auftreten eines cytopathischen Effekts) in primären und kontinuierlichen Nierenzellkulturen Grüner Meerkatzen züchten, allerdings ist der Vermehrungszyklus sehr langsam. Das Virus ist gegen Umwelteinflüsse sehr stabil und wird von infizierten Personen bereits während der dreibis sechswöchigen Inkubationszeit in großen Mengen über den Stuhl ausgeschieden. Die Übertragung erfolgt fäkal-oral durch Schmutz- und Schmierinfektion, über verunreinigte Lebensmittel und Trinkwasser. Daneben kann die Infektion in seltenen Fällen durch Blut und Speichel von Erkrankten in der virämischen Phase erfolgen. Bei Heimbewohnern und Drogensüchtigen, in Kindergärten, Ferienlagern oder auch in Bevölkerungsgruppen mit niedrigem, sozioökonomischem Status wird das Virus gehäuft übertragen.
Epidemiologie und Übertragung Das Hepatitis-A-Virus wurde 1973 durch Stephen Feinstone elektronenmikroskopisch dargestellt. 1979 isolierten es Philip Provost beziehungsweise Gert Frösner und Mitarbeiter unabhängig voneinander. Es ist weltweit verbreitet, Infektionen werden jedoch heute bevorzugt in tropischen und subtropischen Regionen und in Entwicklungsländern beobachtet. Hier erfolgt die Infektion meist im Kindesalter. Weltweit wurden sechs unterschiedliche Genotypen identifiziert: Die Genotypen I, II
Klinik Die Inkubationsphase bis zum Auftreten der ersten Krankheitsanzeichen beträgt drei bis sechs Wochen. Das Hauptsymptom einer Infektion mit dem Hepatitis-AVirus ist eine Leberentzündung mit Gelbsucht (Ikterus), die durch den Übertritt der Gallenstoffe (Bilirubin) in das Blut und ihre Ausscheidung im Urin zustande kommt. Vor allem bei Kindern ist der Verlauf aber meist inapparent, das heißt ohne Symptome. Die Symptome
q Muscheln reichern das Hepatitis-A-Virus an Bekannt wurde die Übertragung des Hepatitis-A-Virus durch kontaminierte Muscheln. In manchen Gegenden der Welt wird das Haushaltsabwasser ungeklärt in Flüsse und Meere eingeleitet. Da in den entsprechenden Ländern die Hepatitis-A-Infektion meist gehäuft auftritt, gelangt das gegen äußere Einflüsse sehr stabile Virus so in die Umwelt.
Muscheln, die sich in der Nähe größerer Ansiedlungen im Meer befinden, also dort, wo die kontaminierten Abwässer eingeleitet werden, filtern die Viren sehr effektiv aus dem Wasser und reichern sie an. Werden solche Muscheln nicht ausreichend hoch erhitzt, so gelangt beim Verzehr das Virus in den Magen-Darm-Trakt.
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q Mini-Epidemien der Hepatitis A Aufgrund von einzelnen im Ausland erworbenen und von dort eingeschleppten Hepatitis-A-Virusinfektionen, kommt es auch in Mitteleuropa immer wieder zu meist kleineren, gelegentlich aber auch zu größeren Mini-Epidemien; letztere können mehr als 100 Personen betreffen. So hatte sich beispielsweise in einem Fall ein Metzgermeister während seines Urlaubs auf den Kanaren eine Hepatitis A zugezogen. Er infizierte in Deutschland Familienangehörige und mindestens fünf Mitarbeiter im Metzgereibetrieb. Dabei kam es in dieser Metzgerei offensichtlich auch zu Kontaminationen der Wurstwaren mit den sehr stabilen Viren. Auf diese Weise wurden über die Nahrungsmittel weitere Personen
der Gelbsucht setzen plötzlich ein, sind mit Übelkeit, Fieber und allgemeinem Krankheitsgefühl verbunden und können mehrere Wochen anhalten; gelegentlich findet man auch fulminante Verläufe, die vor allem bei älteren Erwachsenen durch Leberzerfall tödlich enden können. Mittels der RT-PCR kann man die Genome der Hepatitis-A-Viren aber noch mehrere Wochen nach Abklingen der Symptome – bei immunsupprimierten Personen auch deutlich länger – im Stuhl nachweisen. Bei Immungesunden wurden persistierende Infektionen bisher nicht beobachtet.
Pathogenese Das Hepatitis-A-Virus gelangt meist durch kontaminierte Lebensmittel in den Magen-Darm-Trakt. Es gibt Hinweise, dass es im Dünndarm die Kryptenzellen infiziert, bevor es sich über das Blut verbreitet und sein Hauptzielorgan, die Leber erreicht, um dort in den Hepatocyten zu replizieren. Als zellulärer Rezeptor wurden die Proteine TIM-1 und TIM-3 identifiziert; ein alternativer Aufnahmeweg scheint für IgA-komplexierte Viruspartikel zu bestehen, die sich an den IgA-Rezeptor auf der Hepatocytenoberfläche binden. Die Replikation des Hepatitis-A-Virus in der Leber erfolgt acht bis zehn Tage vor dem Auftreten der Symptome. Das in der Leber gebildete Virus gelangt über die Gallenwege in den Darm und wird dort ausgeschieden. Während dieser Phase ist das Virus auch im Blut vorhanden, man findet bis zu 105 Partikel pro Milliliter Blut. Bei Ausbruch der Erkrankung ist der Höhepunkt der Virusausscheidung bereits überwunden. Durch die massive Schädigung der Leberzellen kommt es zur Ausschüttung von Bilirubin und Leberenzymen (Transaminasen) in das Blut.
angesteckt. Auch kleinere Krankenhäuser wurden von der Metzgerei beliefert, in denen es dann ebenfalls zu Ausbrüchen der Hepatitis A kam. Als die Infektionskette erkannt wurde, leiteten die Gesundheitsämter sofort geeignete Maßnahmen zur Eindämmung ein: Es erfolgten aktive und passive Simultanimpfungen des Metzgereipersonals und der exponierten Kundschaften, eine Impfung der Ärzte in der näheren Umgebung, eine Hochchlorierung der öffentlichen Bäder und auch die örtlichen Blutspendedienste wurden informiert, da in der virämischen Phase der Infektion Hepatitis-A-Viren auch durch Blut übertragen werden.
Im Gegensatz zu anderen Picornaviren scheinen beim Hepatitis-A-Virus die Funktionen zur Bildung des vhs-Effekts nicht oder nur sehr schwach ausgeprägt zu sein. Überwiegend erfolgt die Zerstörung der Leberzellen nicht durch die Virusinfektion. Dafür ist hauptsächlich die zelluläre Immunantwort des Wirtsorganismus verantwortlich: Cytotoxische CD8+-T-Lymphozyten wurden in der Leber von Patienten mit einer akuten Hepatitis A nachgewiesen. Diese sezernieren IFN-γ und bewirken die Einwanderung weiterer immunologisch aktiver Zellen in die Leber. Infiltrierende mononucleäre Zellen finden sich zumeist in den Leberportalregionen. Neben den Leberzellen enthalten auch die Makrophagen der Milz und die Kupfferschen Sternzellen der Leber Virusproteine. Hierbei handelt es sich aber wahrscheinlich um passiv aufgenommene Viren. In einem späteren Stadium der Infektion findet man auch die Einwanderung von CD4+-Lymphocyten. In seltenen Fällen kann die Hepatitis-A-Virus-Infektion eine vorübergehende Granulocytopenie und damit eine Schädigung der Knochenmarkzellen verursachen. In den infizierten Patienten vermehrt sich das Hepatitis-A-Virus zuerst sehr langsam; auch dauert die Inkubationsphase bis zum Auftreten der ersten Symptome, die auf eine Zerstörung der Leberzellen hinweisen, mehrere Wochen. Man fand, dass die infizierten Leberzellen kaum IFN-α und -β bilden und die Immunabwehr des Organismus deshalb verzögert aktiv wird. In den infizierten Zellen ist die Phosphorylierung und somit die Aktivierung des IRF-3 (interferon regulatory factor 3) unterbunden. Dies geschieht gewöhnlich über die Signalkaskaden, die über die Aktivierung des TLR-3 oder der RIG-Helicase durch doppelsträngige oder ungecappte RNA induziert werden (䉴 Kapitel 7 und 8); der-
14.1 Picornaviren
artige RNA-Strukturen entstehen während des Vermehrungszyklus des Hepatitis-A-Virus. Das virale Nichtstrukturprotein 2B scheint diesen Vorgang zu blockieren, dadurch unterbleibt in den infizierten Zellen auch die Synthese von IFN-β und das Virus kann sich in der Frühphase der Infektion weitgehend unbeeinflusst vom unspezifischen Immunsystem vermehren.
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schützender Antikörper (10–14 Tage) vor Reisebeginn zu kurz ist. Eine spezielle antivirale Therapie gibt es nicht.
Die Rhinoviren Epidemiologie und Übertragung
Immunreaktion und Diagnose Während der Hepatitis-A-Virus-Infektion sind bereits zum Zeitpunkt der klinischen Erkrankung IgM-Antikörper im Serum vorhanden. IgG-Antikörper gegen die Capsid- und – in geringerem Ausmaß auch gegen die Nichtstrukturproteine – folgen und persistieren lebenslang. Sowohl IgM- als auch IgG-Antikörper können das Virus neutralisieren, sie sind für die Kontrolle der Virusvermehrung und für den raschen Rückgang der Virusmengen in Blut und Stuhl verantwortlich. Die neutralisierenden Antikörper richten sich gegen Domänen auf der Capsidoberfläche der Hepatitis-A-Viruspartikel. Sie bilden eine immundominante Region, an der die Aminosäuren 102 bis 114 des VP1 und 70 des VP3 beteiligt sind. Ein weiteres Epitop wurde im VP1 um die Aminosäure 221 charakterisiert. Die Diagnose erfolgt durch den Nachweis der Virusgenome im Blut und im Stuhl durch die Polymerasekettenreaktion sowie der spezifischen Antikörper im Serum: IgM weist auf eine akute, IgG auf eine abgelaufene Infektion hin. Wie bei jeder Hepatitis, bestimmt man zusätzlich die Transaminasenund Bilirubinwerte als klinisch wichtige Marker für den Krankheitsverlauf.
Humane Rhinoviren infizieren nur den Menschen. Sie lassen sich aber auf einige Affenarten und Frettchen übertragen. Es gibt über 100 Serotypen; die weitere Einteilung erfolgt nach der Rezeptorbindung: 90 Vertreter der Rhinoviren (major group) binden sich an das ICAM-1-Molekül als zellulären Rezeptor, die restlichen Rhinoviren (minor group) an den LDL-Rezeptor. Die Rhinovirustypen 54 und 89 verwenden Heparansulfat für die Interaktion mit den Wirtszellen. In einer Population kommen viele Serotypen gleichzeitig vor. Rhinovirusinfektionen treten vor allem im Frühjahr und im Herbst auf. Sie verursachen vermutlich 40 Prozent der akuten Infektionen des Respirationstraktes. Jeder Mensch macht ein bis drei Rhinovirusinfekte pro Jahr durch, deren Anzahl mit zunehmendem Alter abnimmt. Rhinovirusinfektionen bewirken eine hohe Morbidität und besitzen durch den damit verbundenen Arbeitsausfall eine große wirtschaftliche Bedeutung. Die Übertragung erfolgt meist indirekt über kontaminierte Hände, über Türklinken und nur selten – wenn überhaupt – durch Tröpfcheninfektion. Innerhalb von Familien, in Kindergärten und Schulen breiten sich Rhinoviren schnell aus.
Therapie und Prophylaxe
Klinik
Vakzinen auf der Basis von in vitro gezüchteten, formalininaktivierten Hepatitis-A-Viren verleihen nach zwei Impfungen sehr guten Schutz. Ob dieser lebenslang anhält oder ob später Auffrischungen notwendig sind, lässt sich noch nicht endgültig beurteilen. Tatsächlich gilt die Impfung gegen Hepatitis A aber als sehr effektiv. In den aktuellen Studien, die auf zehn bis zwölf Jahre Impfpraxis zurückblicken, konnte man schützende Antikörper in weit über 95 Prozent der Geimpften nachweisen. Mathematische Berechnungen sagen die Persistenz der durch die Impfung induzierten Antikörper für mehr als 25 Jahre in über 95 Prozent der Geimpften voraus. Durch Gabe von virusspezifischen Immunglobulinpräparaten kann man für einen Zeitraum von etwa vier bis sechs Wochen einen passiven Immunschutz vermitteln. Dies wird beispielsweise als Reise-Impfprophylaxe durchgeführt, wenn der Zeitraum für die aktive Bildung
Die Inkubationszeit beträgt ein bis zwei Tage. Knapp die Hälfte der Rhinovirusinfektionen verlaufen asymptomatisch: die Erkrankung beginnt mit Niesen, Husten und Kratzen im Hals (grippaler Infekt). Fieber, Lymphknotenschwellungen und allgemeines Krankheitsgefühl fehlen. Hauptsymptome sind Sekretausfluss (Katarrh) und eine „verstopfte“ Nase. Das Sekret ist anfangs wässrig, später dickflüssig und gelblich. Die Symptome dauern wenige Tage bis maximal eine Woche an. Klingen die Beschwerden nicht ab, so hat sich möglicherweise durch bakterielle Überinfektion eine Nasennebenhöhlen- oder Mittelohrentzündung gebildet. Kürzlich wurden wiederholt hochvirulente Rhinovirustypen (Gruppe C) beschrieben, deren Infektion mit Erkrankungen der unteren Atemwege (zum Beispiel Lungenentzündung) einhergehen kann.
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Pathogenese Rhinoviren gelangen über die Schleimhäute des Hals-, Nasen- und Rachenbereichs in den Körper und adsorbieren über die Strukturen des Canyons auf der Partikeloberfläche an die jeweiligen Rezeptoren im oberen Respirationstrakt. Die Replikation der Rhinoviren hat sich an die Temperatur der Nasenschleimhaut (32 °C bis 33 °C) angepasst und erfolgt sehr schnell: Bereits acht bis zehn Stunden nach der Infektion der Epithelzellen werden infektiöse Nachkommenviren durch Zelllyse freigesetzt. Maximale Virustiter liegen nach zwei bis drei Tagen vor. Etwa vier Tage nach der Infektion geht die Virusausscheidung zurück. Im Rasterelektronenmikroskop sieht man, dass Zellen aus dem Flimmerepithelverband abgestoßen werden. Ursache ist die direkte zellschädigende Wirkung des Virus. Dies ist eine ideale Basis für bakterielle Überinfektionen. Pathohistologisch beobachtet man beim Ausbruch der Erkrankung eine Hyperämie und Ödeme sowie die verstärkte Bildung eines schleimhaltigen Sekrets, das einen drei- bis fünfmal höheren Proteingehalt als normal besitzt. Das Sekret enthält eine Reihe proinflammatorischer Cytokine wie IL-1β, TNF-α, IL-6, und IL-11 und Chemokine wie IL-8, RANTES und MCP-1; insbesondere IL-8 bewirkt die Einwanderung von neutrophilen Granulocyten, Monocyten und dendritischen Zellen in die von der Infektion betroffenen Bereiche. Bradykinin, Lysylbradykinin und andere vasoaktive Stoffe, welche die Gefäßdurchlässigkeit erhöhen, werden wie auch der Faktor VEGF (vascular endothelial growth factor) vermehrt gebildet und sezerniert. Insgesamt stimuliert die Virusinfektion die Bildung von vielen Entzündungsmediatoren und erzeugt so die typischen Symptome. Ähnlich wie bei den Hepatitis-A-Viren ist wohl auch bei der Rhinovirusinfektion die Synthese von IFN-β gehemmt. Allerdings unterbinden Rhinoviren nicht die Phosphorylierung und Aktivierung des IRF-3, sondern hemmen nach dem Transport der phosphorylierten IRF-3 Versionen in den Zellkern die Ausbildung der funktionell transaktiv wirkenden Dimere.
Immunreaktion und Diagnose Fünf bis zehn Tage nach Infektion findet man IgM-, IgG- und IgA-Antikörper gegen die Virusstrukturproteine im Sekret und im Blut. IgG ist mehrere Jahre, IgA nur wenige Monate lang nachweisbar; insbesondere IgA vermittelt Schutz vor Reinfektionen, allerdings nur mit demselben Rhinovirustyp. In den meisten Personen findet man CD4+-T-Lymphocyten, die oft kreuzreaktiv Epitope verschiedener Virustypen erkennen. Über das Auftreten von cytotoxischen T-Lymphocyten ist nichts
bekannt. Die Diagnosestellung erfolgt rein klinisch. Virusnachweis und Antikörperbestimmung werden in der Routinediagnostik nicht durchgeführt.
Therapie und Prophylaxe Eine Impfung gegen die Rhinovirusinfektion gibt es nicht. Wegen der hohen Anzahl verschiedener Virustypen ist die Entwicklung von Vakzinen sehr schwierig. Durch Gabe von Interferon lässt sich eine Rhinovirusinfektion verhindern. Eine Dauertherapie verbietet sich jedoch wegen damit verbundenen Schleimhautschädigungen. Pleconaril, das sich in die Canyonstrukturen der Partikel einlagert, verkürzt die Infektion, induziert aber schnell die Bildung resistenter Rhinoviren, sodass die Anwendung dieser Substanzen zwecklos erscheint.
14.1.6 Tierpathogene Picornaviren Eine Reihe von Picornaviren ist bei verschiedenen Tierarten beschrieben. Sie können ein breites Spektrum an Krankheiten induzieren. Von überragender wirtschaftlicher Bedeutung ist dabei das Maul-und-KlauenseucheVirus, das alle Klauentiere (Wiederkäuer und Schweine) infizieren kann. Differenzialdiagnostisch für die Maulund Klauenseuche (MKS) spielt beim Schwein das Virus der Bläschenkrankheit (Swine-Vesicular-Disease, SVD) eine große Rolle. Dieses Virus, ein Vertreter der porcinen Enteroviren B, verursacht bei Schweinen eine Erkrankung, die klinisch nicht von der Maul- und Klauenseuche unterscheidbar ist. Das Swine-Vesicular-DiseaseVirus ist säurestabil und wird überwiegend durch Fleischprodukte aus infizierten Schweinen übertragen. Es bleibt bis zu mehreren Monaten in verschiedenen, nicht erhitzten Fleischprodukten wie Rohwürsten, beispielsweise Salami, infektiös. Die Diagnose erfolgt mithilfe von Virusanzucht oder Polymerasekettenreaktion beziehungsweise auf Bestandsebene durch Antikörpernachweis. Andere Picornaviren (verschiedene Enteroviren und das Encephalomyocarditisvirus) können beim Schwein Fruchtbarkeitsprobleme oder Allgemeinerkrankungen verursachen, sind jedoch heute relativ selten. Eine früher sehr wichtige Viruserkrankung der Schweine wird durch porcine Teschoviren hervorgerufen. Sie verursachen beim Schwein in seltenen Fällen eine Polioencephalitis, deren Verlauf weitgehend der Poliomyelitis des Menschen ähnelt, die durch die Polioviren verursacht wird. Ein antigenetisch sehr ähnlicher Stamm der porcinen Teschoviren, genannt Talfanvirus, besitzt eine erheblich geringere Virulenz. Seine Infektion verläuft in der Regel
14.1 Picornaviren
klinisch inapparent, induziert aber eine belastbare, schützende Kreuzimmunität gegen das virulente Teschovirus. Das Talfanvirus ist weltweit in den Schweinepopulationen verbreitet. Daher werden klinische Fälle der Teschenerkrankung aufgrund der hohen Durchseuchungsrate mit dem Talfanvirus nur noch sehr selten beobachtet.
Das Maul-und-Klauenseuche-Virus Epidemiologie und Übertragung Eines der wichtigsten und wirtschaftlich relevantesten tierpathogenen Viren ist das Maul-und-KlauenseucheVirus. Obwohl es in Europa seit einigen Jahrzehnten keine bedeutende Rolle mehr spielt und die Länder der Europäischen Gemeinschaft aufgrund einer konsequenten Tierseuchenbekämpfung als frei von der Maul- und Klauenseuche gelten, zeigte die Epidemie der Maul- und Klauenseuche in Großbritannien im Jahre 2001, dass die Einschleppung des Virus jederzeit möglich ist und dass es Epidemien größten Ausmaßes auslösen kann. Obwohl in Deutschland und in den anderen Ländern der EU nicht mehr gegen die Maul- und Klauenseuche geimpft wird, wird dennoch für den Seuchenfall und die dann vorgesehenen Ring- und Notimpfungen ein Grundbestand an Impfdosen vorgehalten. Die Maßnahmen zur Verhinderung der Einschleppung des Virus sowie die Herstellung, Prüfung und Bevorratung der serotypspezifischen Impfstoffe erfordern einen enormen finanziellen Aufwand. In Deutschland ist die Maul- und Klauenseuche anzeigepflichtig; Tierärzte und Tierbesitzer sind also verpflichtet, jeden Verdacht dieser Seuche der zuständigen Veterinärbehörde zu melden. Dieser Anzeige folgt gegebenenfalls die amtliche Anordnung der Tötung einzelner Tiere des Bestandes zur Diagnosestellung. Ist in den Tieren die Maul- und Klauenseuche amtlich festgestellt, wird die Tötung aller Klauentiere des Bestandes angeordnet und ausgedehnte epidemiologische Untersuchungen eingeleitet, um die mögliche Verschleppung des Virus vom infizierten Bestand aus zu kontrollieren. Diese Maßnahmen betreffen streng genommen nicht nur die Maul- und Klauenseuche, sondern auch Erkrankungen durch Viren, die zur Maul- und Klauenseuche ähnliche Symptome induzieren können und damit differenzialdiagnostisch abgeklärt werden müssen. Hierzu zählen das Virus der Bläschenkrankheit der Schweine (Swine-Vesicular-Disease-Virus), das Vesikulär-Stomatitis-Virus (䉴 Abschnitt 15.1.6) und das heute getilgte Vesikulärexanthemvirus der Schweine (䉴 Abschnitt 14.6.6). Das Virus der Maul- und Klauenseuche ist weltweit verbreitet und in weiten Teilen Afrikas, Südamerikas und
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Asiens, auch im asiatischen Teil der Türkei (Anatolien) mit den Serotypen O, A und Asia 1 endemisch. Von hier aus gelangt das Virus gelegentlich in den europäischen Teil der Türkei und selten auch in andere europäische Länder, wie im Jahr 1996 (Serotyp A) nach Bulgarien und in die Balkanländer, sowie in den Jahren 1996 (Serotyp O) und 2000 (Serotyp Asia 1) nach Griechenland. Das Maul-und-Klauenseuche-Virus gilt als typischer Vertreter des Genus Aphthovirus. Es ist säurelabil und infiziert alle Klauentiere (Paarhufer). Das bedeutet für Europa, dass es Rinder, die kleinen Wiederkäuer Schaf und Ziege einschließlich der heimischen und exotischen Wildwiederkäuer (Rehe und Hirsche beziehungsweise Antilopen und Wildrinder in Zoos) sowie domestizierte und wild lebende Schweine und Schweineartige befällt. Epidemiologisch bedeutsam ist die unterschiedliche Ausprägung der klinischen Symptomatik: Während die Maul- und Klauenseuche bei Rind und Schwein eine fiebrige Erkrankung darstellt, die mit der typischen Bildung von Bläschen (Aphthen) an Flotzmaul beziehungsweise Rüsselscheibe sowie am Kronsaum der Klauen einhergeht, verläuft die Infektion beim Schaf weniger auffällig und kann daher leicht übersehen werden. Da Schafe jedoch extrem empfänglich für die Infektion sind, das Virus zudem hoch kontagiös ist und von infizierten Schafen ausgeschieden wird, kann eine von der Maul- und Klauenseuche befallene Schafherde der Ausgangspunkt einer sich schnell ausbreitenden, verheerenden Epidemie sein. Epidemiologisch bedeutsam ist auch die Tatsache, dass die Viren vor allem von infizierten Schweinen, aber auch von Rindern in großen Mengen ausgeschieden werden. In einem Seuchenzug kann die Infektion dieser Tierarten daher sehr schnell zu einer drastischen Steigerung der in der Tierpopulation zirkulierenden Virusmenge führen. Epidemiologisch wichtig ist weiterhin, dass verschiedene Serotypen des Maul-und-Klauenseuche-Virus existieren, gegen welche die infizierten Tiere keine schützende Kreuzimmunität entwickeln – ähnlich wie man es auch bei Infektionen mit den drei Serotypen der Polioviren beim Menschen findet. Neben den sieben Serotypen O (Oise), A (Allemagne), C, Asia 1 und SAT 1 bis 3 (South African Territories) gibt es zahlreiche Subtypen, deren Infektionen auch zum Teil eine nur geringe Kreuzimmunität induzieren. Diese antigene Vielfalt spielt eine große Rolle für die Bekämpfung der Maulund Klauenseuche. Das Virus wird durch Tröpfcheninfektion übertragen. Es ist relativ stabil und kontagiös, sodass die Infektionen bei günstigem Klima über die Luft und dabei auch über weite Entfernungen verbreitet werden. Nachgewiesen wurde dies bei einem Ausbruch der Maul- und Klauen-
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seuche auf der Isle of Wight im Jahr 1981: Die Viren wurden ausgehend vom französischen Festland über den Kanal auf die Insel verschleppt. Die Entfernung betrug 250 km. Da das Virus auch mit der Milch ausgeschieden wird, ist durch Verfütterung von Milchprodukten von infizierten Rindern eine Übertragung auch auf Schweine möglich. Das Virus ist säurelabil, im Fleisch geschlachteter Tiere wird es daher nach ausreichend langer Fleischreifung inaktiviert. In unzureichend geräucherten oder gepökelten Rohwürsten bleibt es jedoch über längere Zeit infektiös. Es kann daher durch entsprechende, aus infizierten Tieren hergestellte Produkte übertragen werden.
auch den Herzmuskel betreffen und führt zu dessen Entzündung, Degeneration und Fibrose. Durch seine bindegewebige Organisation erscheint der Herzmuskel dann „gestreift“, man spricht deshalb vom Tigerherz. Das Virus gelangt über das Blut auch zurück in die Maulschleimhaut und führt hier zum eigentlichen Erkrankungsbild mit den typischen Aphthen (Sekundäraphthen). Wichtig ist, dass das Virus im Rind persistieren kann. Man konnte im Rachenepithel experimentell infizierter Rinder das Virus isolieren (Probang-Probe). Es ist allerdings in verschiedenen unabhängigen Studien gezeigt worden, dass diese Tiere kein Virus ausscheiden und Kontakttiere nicht infiziert werden.
Klinik Nach einer Inkubationszeit von wenigen Tagen kommt es zur Bildung der typischen Bläschen (Aphthen) am Flotzmaul der Rinder beziehungsweise an der Rüsselscheibe und auf der Zunge der Schweine, am Kronsaum der Klauen sowie an verschiedenen Schleimhautbereichen des Magen-Darm-Traktes, beispielsweise am Pansenpfeiler der Rinder. Die Aphthen enthalten große Virusmengen. Während beim Rind die Veränderungen am Flotzmaul und den Schleimhäuten des MagenDarm-Traktes im Vordergrund stehen, ist bei Schweinen die Entzündung des Kronsaumes (Coronitis) das in der Regel vorherrschende Symptom. Die Morbidität ist hoch, die Mortalität hingegen gering. Das Virus kann über mehrere Wochen in einem infizierten Rind oder Schaf persistieren. In diesen Fällen werden die Viren bereits vor Auftreten der ersten klinischen Symptome ausgeschieden. Infektionen des Menschen mit Maul-und-Klauenseuche-Viren sind außerordentlich selten, wurden jedoch vereinzelt beschrieben. Sie verlaufen in der Regel subklinisch, können sich aber ähnlich wie bei den Tieren mit Fieber und Aphthenbildung an den Schleimhäuten präsentieren.
Pathogenese Die Infektion erfolgt oronasal. Initial vermehren sich die Viren in der Schleimhaut von Maul und Zunge. Es entstehen erste kleine Aphthen (Primäraphthen). Die Viren werden danach über das Blut im Tier verbreitet und gelangen in alle inneren Organe. Dort replizieren sie sich mit den klassischen Symptomen wie Blasenbildung an Epithelien (verbunden mit Fieber, Leistungsdepression, Speichelfluss, Lahmheiten) und den typischen, nahezu pathognomonischen pathologischen Veränderungen wie Kolliquationsnekrosen der Epithelien und Fibrose. Bei jungen Rindern und Schweinen kann eine Infektion
Immunreaktion und Diagnose Die Infektion hinterlässt eine serotypspezifische Immunität. Man vermutet, dass sie möglicherweise nicht lebenslang anhält. Die Diagnose erfolgt durch Anzucht der Viren in der Zellkultur, bevorzugt in BabyhamsterKidneyzellen (BHK-Zellen) oder diversen primären und permanenten bovinen Zelllinien. Im Anschluss kann man den Serotyp der Viren mittels spezifischer Antikörper im ELISA oder mittels der Komplementbindungsreaktion bestimmen. Alternativ erfolgt die Analyse des Serotyps durch Einsatz der Polymerasekettenreaktion mit anschließender Sequenzierung der amplifizierten Abschnitte.
Bekämpfung und Prophylaxe Die Maul- und Klauenseuche unterliegt in Deutschland der Anzeigepflicht. Jeder Verdacht auf die Erkrankung muss dem zuständigen Veterinäramt gemeldet werden. Die Bekämpfung sieht nach Diagnosestellung die Tötung und unschädliche Beseitigung aller Klauentiere des betroffenen Bestandes sowie aller seuchen- und ansteckungsverdächtigen Tiere in Nachbarbeständen vor. Es werden Sperrbezirke eingerichtet und umfangreiche Desinfektionsmaßnahmen vorgenommen. Ein Ausbruch der Maul- und Klauenseuche in Deutschland würde nach Schätzungen der Behörden direkte und indirekte Kosten in Milliardenhöhe verursachen. In der jüngsten Zeit wird in der Europäischen Union diese „Nichtimpf“-Politik bei hochkontagiösen Tierseuchen wie der Maul- und Klauenseuche zunehmend kritisch diskutiert, die Vorschriften werden zunehmend gelockert. So kann die Kommission eine Impfung gegen die Maul- und Klauenseuche grundsätzlich erlauben, und zwar sowohl in Form einer protektiven Impfung (Ringimpfung), um noch nicht infizierte Tierbestände zu schützen, als auch in Form einer Suppressivimpfung,
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q Maul- und Klauenseuche in Europa Die meisten Länder Europas und alle Länder der Europäischen Gemeinschaft waren viele Jahre frei vom Auftreten der Maul- und Klauenseuche. Dieser Status wurde im Wesentlichen durch die strikten Maßnahmen im Falle eines Seuchenausbruchs sowie eine jährliche flächendeckende Impfung aller Rinder, die am Stichtag älter als sechs Monate waren, erreicht. Die Impfung wurde im Jahr 1991 eingestellt, da das Virus in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft eliminiert war und die Bekämpfung der Maulund Klauenseuche dann EU-einheitlich durchgeführt wurde. Seitdem kam es bis zum Jahre 2001 nur zu vereinzelten Ausbrüchen in den EU-Ländern, so 1993 in Italien sowie 1994 und 1996 in Griechenland. Im Jahr 2001 kam es jedoch zu einem massiven Ausbruch der Tierseuche in England. Das Virus vom Serotyp O1 wurde wahrscheinlich mit infiziertem Schweinefleisch aus Asien eingeführt, welches in Küchenabfällen an Schweine verfüttert wurde. Nach diesem initialen Schweineinfektionszyklus wurde das Virus hauptsächlich durch infizierte Schafe verbreitet. In den Schafen verursachte dieses Virusisolat nur milde Symptome. Bis Januar 2002 waren nahezu 10 000 Gehöfte in England betroffen, über vier Millionen Klauentiere (Rinder, Schafe, Schweine, Ziegen und Hirsche) sind im Zuge seuchenhygienischer Maßnahmen getötet worden. Von England ist das Virus nur vereinzelt in andere Länder verschleppt worden; die dortigen Ausbrüche (25 in den Niederlanden, zwei in Frankreich und einer in Irland) sind durch Keulung der Bestände und zum Teil auch durch eingeleitete Ringimpfungen schnell unter Kontrolle gebracht
um in bereits infizierten Beständen oder Regionen die Virusausscheidung zu reduzieren; im letzteren Fall werden die geimpften Tiere später getötet. Das Hauptproblem, das sich als Folge der Impfung ergibt, ist die Identifizierung der geimpften Tiere und ihre Unterscheidung von den Infizierten. Die Entwicklung von ELISA-Systemen, welche Antikörper gegen Nichtstrukturproteine detektieren, die nur im Rahmen einer Infektion, aber nicht bei der Impfung in den Tieren gebildet werden, hat die Akzeptanz der Impfmaßnahmen wesentlich verbessert. Das Prinzip der Unterscheidung ist dabei folgendes: Im Rahmen der Replikation des Maul-und-Klauenseuche-Virus im Tier werden die viralen Struktur- und Nichtstrukturproteine synthetisiert und immunologisch erkannt, die infizierten Tiere bilden folglich Antikörper gegen beide Proteingruppen. Da die Impfstoffe auf gereinigten und abgetöteten Viruspartikeln basieren, bestehen sie nur aus Strukturproteinen, sie enthalten keine Nichtstrukturproteine. Deswegen weisen mit die-
worden. Vom 21. Januar 2002 an galt Europa wieder als frei von der Maul- und Klauenseuche. Am 2. August 2007 jedoch traten wieder Fälle der Maul- und Klauenseuche im Süden Englands auf, das wenig später auch in umliegenden Rinderfarmen diagnostiziert wurde. Wie sich während des Ausbruchs herausstellte, handelte es sich um den MKSStamm BFS 1860 O1 1967 (British Field Strain 1860, Serotyp O, Subtyp 1, 1967 isoliert), der in unmittelbarer Nähe im staatlichen Institut für Tiergesundheit, Pirbright zum Zwecke der Vakzinierung gezüchtet wurde. Es dürfte sich also um die Freisetzung eines Laborvirus gehandelt haben, das über alte und undichte Abwassersysteme in die Umwelt gelangte. Aufgrund der schnellen Handlung der zuständigen Behörden, dem Aufstellen von Sicherheitszonen und der Keulung aller infizierten Bestände, konnte das Virus schnell eingedämmt werden. Der Ausbruch in England 2001 hatte aufgrund der finanziellen Entschädigung für die betroffenen Landwirte sowie der verhängten Transportverbote im Inland und des Exportstopps für lebende Klauentiere und deren Fleisch schwere finanzielle Auswirkungen – der Schaden des Ausbruchs belief sich auf etwa zwölf Millionen Euro – auf die britische Landwirtschaft, die bereits durch die BSE-Krise erschüttert war. Beide Ausbrüche in Großbritannien haben gezeigt, dass nach wie vor eine große Gefahr vom Virus der Maulund Klauenseuche ausgeht und dass eine schnelle Diagnostik, eine kompromisslose Tötung aller Klauentiere eines infizierten Bestandes und die konsequente Überwachung der Tiertransporte notwendig sind.
sen Vakzinen geimpfte Tiere ausschließlich Antikörper gegen die Strukturproteine auf. Kommerzielle ELISASysteme, welche die Nichtstrukturproteine 3A, 3B und 3C als Antigene enthalten (auch bekannt als „3ABCELISA“) und Antikörper gegen diese Proteine nachweisen, haben sich als sensitiv und verlässlich erwiesen, die Unterscheidung zwischen geimpften und infizierten Tieren zu treffen.
14.1.7 Weiterführende Literatur Abzug, M. J. The enteroviruses: an emerging infectious disease? The real, the speculative and the really speculative. In: Adv. Exp. Med. Biol. 609 (2008) S. 1–15. Aggarwal, N.; Barnett, P. V. Antigenic sites of foot-and-mouth disease virus (FMDV): an analysis of the specificities of antiFMDV antibodies after vaccination of naturally susceptible host species. In: J. Gen. Virol. 83 (2002) S. 775–782.
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14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
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14.2 Astroviren
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175
nichtumhülltes Capsid und ein Plusstrang-RNA-Genom. Während des Replikationszyklus synthetisieren sie eine subgenomische mRNA-Spezies, die zur Produktion der Strukturproteine dient. Der Name leitet sich vom griechischen astron (αστρον) ab; dies bedeutet „Stern“ und weist auf die im Elektronenmikroskop erkenntlichen sternähnlichen Formen bei einem Teil der Astroviruspartikel hin.
14.2.1 Einteilung und charakteristische Vertreter Die Familie der Astroviridae wird heute in zwei Genera unterteilt, ihre Vertreter unterscheiden sich vor allem hinsichtlich ihrer Wirtsspezifität (䉴 Tabelle 14.5): Die Viren der Gattung Mamastrovirus infizieren den Menschen und verschiedene Säugetiere (Schweine, Schafe, Rinder, Katzen), wohingegen die Astroviren der Vögel (Hühner, Enten, Puten) im Genus Avastrovirus zu finden sind. Die meisten Astroviren lassen sich weitgehend problemlos in vitro züchten.
14.2.2 Aufbau Viruspartikel
14.2 Astroviren
Die Vertreter der Astroiviridae haben membranlose, sphärisch-ikosaedrische Capside, die einen Durchmesser von 28 bis 30 nm besitzen (䉴 Abbildung 14.5). Etwa zehn Prozent der Virionen zeichnen sich auf der Capsidoberfläche durch eine Struktur aus, die einem fünf- oder sechszackigem Stern ähnelt. Die Capside werden von einem Vorläuferprotein pVP87 gebildet, das proteolytisch in die beiden Capsidproteine VP34 und VP26/29 gespalten wird. Die Prozessierung ist für die Infektiosität der Astroviren notwendig, bei Züchtung in CaCo-2 Zel-
Tabelle 14.5 Charakteristische Vertreter der Astroviren
Die Familie der Astroviridae ist hinsichtlich ihrer Molekularbiologie wenig untersucht. Ähnlich wie die Picorna-, Calici- und Hepeviren besitzen Astroviren ein
Genus
Mensch
Tier
Mamastrovirus
humanes Astrovirus, Typen 1–8
felines Astrovirus bovines Astrovirus, Typen 1–2 Astrovirus der Schafe porcines Astrovirus
Avastrovirus
Astrovirus der Enten Astrovirus der Puten Astrovirus der Hühner
14
14
176
14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
VP26/29 VP34 5´
AAAA
3´ Genom (ssRNA)
14.5 Schematischer Aufbau eines Astroviruspartikels.
len (human colonic carcinoma cell line) müssen die gebildeten Viruspartikel dazu mit Trypsin behandelt werden.
Genom und Genomaufbau Das Genom der Astroviren besteht aus einzelsträngiger RNA, die in Plusstrangorientierung vorliegt, an den 3’Enden polyadenyliert ist und eine Länge von etwa 6 800 Basen (6 771 beziehungsweise 6 813 Basen bei den humanen Astroviren, Typ 1 und 3) aufweist. Sequenzanalysen der RNA-Moleküle ergaben drei offene Leserahmen, deren Enden miteinander überlappen (䉴 Abbildung 14.6): Die Leserahmen ORF1a und ORF1b codieren für die Nichtstrukturproteine NSP1a und NSP1ab. Eine 20 Nucleotide lange Sequenzfolge im Überlappungsbereich von ORF1a und ORF1b ist hoch konserviert: Hier bildet sich eine Haarnadelschleife aus, welche bewirkt, dass sich bei einigen der Translationsvorgänge der genomischen mRNA das ribosomale Leseraster verschiebt. Die im ORF1b codierenden Aminosäurefolgen werden so mit denen des ORF1a verbunden und es entsteht ein gemeinsames Vorläuferprotein NSP1ab beider Leserahmen. Der Leserahmen ORF2 codiert für das Vorläuferprotein pVP87 der Capsidproteine. Im 5’-Bereich der genomischen RNA befinden sich vor dem Startcodon für den offenen Leserahmen ORF1a kurze, nichttranslatierbare Sequenzfolgen von 10–20 und 45–85 Nucleotiden bei den Vertretern der Avastro- beziehungsweise der Mamastroviren. An den 3’-Genomenden findet man ebenfalls nichttranslatierbare Sequenzen (130–305 und 59–85 bei den Avastro- beziehungsweise Mamastroviren).
14.2.3 Virusproteine Nichtstrukturproteine Die Nichtstrukturproteine der Astroviren werden von den Leserahmen ORF1a und ORF1b codiert. Bei der Translation entstehen zwei Vorläuferproteine: NSP1a (103 kD) umfasst 920 Aminosäuren und codiert im Leserahmen ORF1a; NSP1ab hat ein Molekulargewicht von etwa 160 kD und ist ein gemeinsames Vorläuferprotein, das die Sequenzen des NSP1a mit denjenigen fusioniert, die vom ORF1b codiert werden. Das Vorläuferprotein NSP1a, wird posttranslational durch die Protease 3CLPRO – sie hat Ähnlichkeit zur 3CProtease der Picornaviren (3C-ähnliche Protease) und befindet sich im zentralen Teil NSP1a/3 der Vorläuferproteine – in vermutlich vier Proteine (NSP1a/1 bis NSP1a/4) gespalten. Die RNA-abhängige RNA-Polymerase befindet sich in den Sequenzen des ORF1b. Bezüglich der Funktion der anderen Spaltprodukte gibt es nur wenige Daten (䉴 Tabelle 14.6). Strukturproteine Das Vorläuferprotein pVP87 codiert im Leserahmen ORF2 für die Capsidproteine und umfasst durchschnittlich 780 Aminsäuren; abhängig vom jeweilig untersuchten Virustyp sind Molekulargewichte von 70 bis 90 kD beschrieben. Das Vorläuferprotein lagert sich zu partikulären Strukturen zusammen und wird danach durch trypsinähnliche zelluläre Proteasen in einen konservierten, aminoterminalen (VP34) und einen carboxyterminalen Abschnitt (VP26, VP29) gespalten; letzterer variiert in seiner Größe, da sich in der Aminosäuresequenz einige zueinander benachbarte Spaltstellen für Trypsin befnden, die von den Enzymen alternativ erkannt und genutzt werden. Im carboxyterminalen Abschnitt des Vorläuferproteins pVP87 beziehungsweise seiner Spaltprodukte VP26/VP29 findet sich eine Folge sauerer Aminosäuren, die durch zelluläre Caspasen erkannt und gespalten werden. Beide proteolytischen Prozessierungen sind notwendig, damit die Viruspartikel ihre vollständige Infektiösität erhalten.
14.2.4 Replikation Der Replikationszyklus der Astroviren ist kaum untersucht. Der zelluläre Rezeptor, an den sich die Viren bei der Adsorption an ihre Zielzellen binden, ist nicht bekannt. Ebenso sind die Vorgänge ungeklärt, die zur Aufnahme der Viruspartikel und zur Freisetzung der Virusgenome führen. Die Infektion bewirkt auf noch unbekannte Weise die Aktivierung des ERK-vermittelten Signalweges (ERK = extracellular signal-regulated
177
14.2 Astroviren
Haarnadelschleife
1000 genomische (+) RNA
5000
5´
AAA 3´ ORF1a
ORF2 ORF1b
Translation
Translation Vorläuferprotein NSP1a
NSP1a/1 NSP1a/2
Leserasterverschiebung
NSP1a/4 PRO
3CL Vorläuferprotein NSP1ab
NSP1b
PRO
Transkription
3CL Proteolytische PRO Spaltung durch 3CL Nichtstrukturproteine
RNANegativstrang
NSP1a/1 NSP1a/2 3CLPRO NSP1a/4
RNA-Polymerase
3´
5´ Transkription
subgenomische RNA
5´
AAA 3´ Translation
Transkription
Vorläuferprotein pVP87 Trypsin-ähnliche Protase Capsidproteine VP34
genomische (+) RNA
5´
VP26/VP29 AAA 3´
14.6 Genomorganisation bei Astroviren. Die Genome der Astroviren enthalten drei offene Leserahmen (ORF). Die ORF1a und ORF1b überlappen an den Enden miteinander. Eine Haarnadelschleife bewirkt eine Verschiebung des ribosomalen Leserasters und ist dafür verantwortlich, dass bei der Translation die im ORF1a codierenden Aminosäuresequenzen mit denjenigen des ORF1b verbunden werden. Das bei der Translation gebildete Vorläuferprotein NSP1ab enthält neben einer Protease (3CLPro) auch die RNAabhängige RNA-Polymerase (NSP1b). Letztere ist für die Synthese der Negativstranggenome verantwortlich, von denen im Replikationszyklus die RNA-Genome der Nachkommenviren abgelesen werden. Der ORF2 dient der Synthese des Vorläuferpolyproteins der Strukturproteine. Es wird durch die Aktivität von trypsinähnlicher Protease gespalten.
14
14
178
14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
Tabelle 14.6 Bekannte Funktionen und Eigenschaften der Astrovirusproteine Protein
Molekulargewicht
Codierungsort
Funktion/Eigenschaften
NSP1a/1
20 kD
ORF1a
?
NSP1a/2
23 kD
ORF1a
Hydrophob, enthält potenzielle Transmembrandomänen
NSP1a/3
27 kD
ORF1a
3C-ähnliche Protease 3CLPRO, Spaltung des/der Vorläuferproteine
NSP1a/4
26 – 35 kD
ORF1a
enthält Kerntransportsignal, im perinucleärem Bereich, assoziiert mit ER
NSP1b
ca. 57 kD
ORF1b
RNA-abhängige RNA-Polymerase, Transkription, Replikation
pVP87
70–87 kD
ORF2
Vorläuferprotein der Capsidproteine, Größe ist bei den verschiedenen Virustypen unterschiedlich, wird durch zelluläre trypsinähnliche Proteasen gespalten
VP34
34 kD
ORF2
Capsidprotein, aminoterminales Spaltprodukt von pVP87, konserviert
VP26, VP29
26 bzw. 29 kD
ORF2
Capsidproteine, carboxyterminale Spaltprodukte von pVP87, variabel, die Proteine entstehen durch alternative Verwendung der Proteasespaltstellen in pVP87, Induktion neutralisierender Antikörper, Substrat zellulärer Caspasen
Die Auflistung der Proteine in der Tabelle entspricht der Anordnung der ORFs auf den Virusgenomen sowie in den Vorläuferproteinen.
kinase); dabei handelt es sich um einen der mitogen-activated protein kinase (MAPK)-Signalübertragungswege, die als Reaktion auf extrazelluläre Stresssignale induziert werden und zur Phosphorylierung der ERK1/2Kinasen führen. In diesem aktivierten Zustand gelangen die ERK1/2-Kinasen in den Zellkern und aktivieren die Expression verschiedener zellulärer Gene, welche die Zellteilung und Differenzierung regulieren. Der Befund, dass die Aktivierung der ERK-vermittelten Signalwege für die Virusreplikation wichtig ist, ist ein Hinweis dafür, dass Astroviren bei ihrer Replikation auf sich teilende Zellen angewiesen sind. Der initiale Schritt im Vermehrungszyklus ist die Translation der Vorläuferprodukte für die Nichtstrukturproteine NSP1a und NSP1ab. Wie die Proteinsynthese dabei initiiert wird, ist unklar. Am 5’-Ende der genomischen RNA fand man kein kovalent gebundenes Protein Vpg, wie es bei den Picorna- und Caliciviren der Fall ist; die nichttranslatierbaren Sequenzfolgen scheinen auch keine IRES auszubilden (䉴 Abschnitte 14.1, 14.3 und 14.5). Ob das Ende über eine 5’-Cap-Gruppe verfügt, ist ebenfalls unklar. Bei einem Teil der Translationsereignisse kommt es im carboxyterminalen Bereich des NSP1a zur Verschiebung des ribosomalen Leserasters, wodurch die Aminosäurefolgen des NSP1b mit dem NSP1a verbunden werden. Dieser Vorgang ähnelt der Synthese der Nichtstrukturproteine bei den Togaviren (䉴 Abschnitt 14.6). Die gebildeten Vorläuferproteine werden autokatalytisch durch die Aktvität der 3CLPRO gespalten, wodurch die Funktionen der verschie-
denen Nichtstrukturproteine und somit auch die viralen RNA-abhängigen RNA-Polymerasen in der Zelle vorliegen. Durch die Aktivität der Polymerase wird die Synthese von Negativstrangkopien komplementär zum Virusgenom eingeleitet: Die Negativstränge dienen zur Synthese neuer genomischer mRNAs sowie einer subgenomischen mRNA mit einer Länge von etwa 2 000 Basen; sie enthält die für die Capsidproteine codierenden Sequenzbereiche des ORF2 und dient der Synthese des Vorläuferproteins pVP87 (䉴 Abbildung 14.6). Im Verlauf der Replikation wird in den infizierten Zellen die Apoptose induziert, die zum Zelltod und zur Freisetzung der Nachkommenviren führt. Welches der Virusproteine hierfür verantwortlich ist, ist nicht bekannt. Die während der Apoptose induzierte Caspaseaktivität spaltet die Capsidproteine VP26 und VP29; dies steigert die Infektiosität der von den Zellen freigesetzten Nachkommenviren.
14.2.5 Humanpathogene Astroviren Die humanen Astroviren Epidemiologie und Übertragung Infektionen mit humanen Astroviren wurden erstmals 1975 im Rahmen eines Ausbruchs infektiöser Gastroenteritis in einer Geburtsklinik in England beschrieben. Danach zeigte sich, dass Astroviren weltweit verbreitet
14.2 Astroviren
sind und nach den Caliciviren die zweithäufigste Ursache für nicht bakterielle Durchfallerkrankungen sind (siehe Abschnitt 14.3). Bisher fand man acht Serotypen der humanen Astroviren, der Serotyp 1 überwiegt. Astrovirusinfektionen werden bevorzugt bei Kindern im Alter von weniger als zwei Jahren nachgewiesen, aber auch in älteren Personen und immunsupprimierten Patienten. Die Virusausscheidung über den Stuhl dauert ein bis zwei Wochen an, bei Immunsupprimierten auch deutlich länger. Die Übertragung erfolgt fäkal-oral.
Klinik Die Inkubationszeit ist kurz und beträgt üblicherweise zwei bis drei Tage. In einigen Fällen verlaufen die Astrovirusinfektionen asymptomatisch; in der Regel verursachen sie Gastroenteritiden mit Durchfällen, gelegentlich auch mit Erbrechen; selten findet man dabei Muskelund Gliederschmerzen. Die Erkrankung ist leicht und selbst limitierend; sie dauert üblicherweise drei bis vier Tage. Bei immunsupprimerten Patienten verlaufen die Infektionen schwerer und prolongierter.
Pathogenese Astroviren infizieren die Enterocyten im Dünndarm und vermehren sich in ihnen. Histologisch finden sich nur wenige Hinweise auf Zellzerstörungen und Entzündungen. Die relativ geringe Entzündungsaktivität kann mit der Eigenschaft der viralen Capsidproteine verbunden sein, sich and die Komplementkomponente C1q zu binden und die Aktivierung der klassischen Komplementkaskade und somit eine der Abwehrreaktionen des unspezifischen Immunsystems zu hemmen (䉴 Kapitel 7). Die Capsidproteine scheinen noch eine weitere Funktion auszuüben, welche die Pathogenese der Astrovirusinfektionen bestimmt: Sie bewirken die Erhöhung der Durchlässigkeit des Dünndarmepithels. Dabei werden die Interaktionen des tight-junction Proteins Occludin und des zellulären Actinskeletts gestört. Dieser Vorgang ist nicht von einer aktiven Virusreplikation abhängig, er trägt vermutlich zum Durchfallgeschehen bei.
Immunreaktion und Diagnose Astrovirusinfektionen können durch den Nachweis der Virusproteine im Antigen-capture-ELISA, den elektronenmikroskopischen Nachweis von Viruspartikeln in Stuhlproben oder durch die Amplifikation von viraler RNA durch die Polymerasekettenreaktion diagnostiziert werden. Während der Infektion sind zunächst IgM-, später IgG- und IgA-Antikörper gegen die Virusstruk-
179
turproteine in ELISA-Tests nachweisbar. Die Konzentration der Antikörper sinkt nach der Erkrankung bald wieder ab. Ebenso wie die Virusanzucht in der Zellkultur spielen serologische Methoden zum Nachweis spezifischer Antikörper keine Rolle in der Diagnostik. Über die zelluläre Immunität ist nichts bekannt.
Prophylaxe und Therapie Die besten Maßnahmen zur Vermeidung von Infektionen mit den humanen Astroviren sind Hygiene und Desinfektion. Chemotherapie oder Impfstoffe existieren nicht. Diagnostizierte Astrovirusinfekionen sind meldepflichtig.
14.2.6 Tierpathogene Astroviren Die Astroviren des Geflügels Epidemiologie und Übertragung Astrovirusinfektionen sind beim Geflügel häufig; meist existieren mehrere voneinander unterscheidbare Serotypen. Beim Huhn ist das aviäre Nephritisvirus weit verbreitet. Es verursacht geringe Wachstumsstörungen, die auf Herdenbasis auffällig werden können. Die Erreger werden über den Kot der infizierten Tiere ausgeschieden und übertragen.
Klinik Ähnlich wie die Astroviren des Menschen und der Säugetiere verursachen die Astroviren des Geflügels häufig subklinische Infektionen und milde Erkrankungen. Beide Serotypen des Astrovirus der Pute verursachen eine Gastroenteritis und sind mit dem Poultry Enteritis Mortality Syndrome (PEMS) assoziiert. Diese Viren replizieren sich in den Zellen des Darmepithels sowie in einer Reihe anderer Gewebe, unter anderen im Thymus, der Bursa fabricii, der Milz und den Nieren. Das aviäre Nephritisvirus infiziert Nierenepithelzellen und kann eine interstitielle Nephritis verursachen. Das Astrovirus der Ente wird mit Hepatitiden in Verbindung gebracht; bei experimentellen Übertragungen fand man eine Mortalitätsrate von über 50 Prozent.
Pathogenese Die Pathogenese der Astrovirusinfektionen beim Geflügel ist kaum untersucht. Im Unterschied zu den Infektionen bei Säugetieren und Menschen vermehren sich die Erreger nicht ausschließlich in den Zellen des Darm-
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14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
¡ Die Astroviren der Säugetiere sind tiermedizinisch nicht relevant Astroviren der Säugetiere wurden bisher aus Schweinen, Rindern, Schafen, Rothirschen, Katzen und Nerzen isoliert; alle lassen sich in vitro vermehren. Sie unterscheiden sich genetisch um bis zu 40 Prozent, wobei die Viren, die einzelne Tierspezies infizieren, bei der phylogenetischen Untersuchung eigene Cluster bilden. Dies deutet auf eine strenge Wirtsspezifität hin. Eine Ausnahme hiervon bildet das feline Astrovirus: Es ist relativ nah mit den humanen
epithels, sondern auch in verschiedenen anderen Geweben; als Folge findet man eine größere Bandbreite unterschiedlicher Erkrankungen.
Immunreaktion und Diagnostik Die aviären Astroviren lassen sich grundsätzlich in Zellkultur vermehren. Die Diagnostik kann über den Nachweis viraler RNA-Genome mittels der Polymerasekettenreaktion erfolgen.
Prophylaxe und Therapie Eine antivirale Therapie oder Immunprophylaxe gibt es nicht.
14.2.7 Weiterführende Literatur Appleton, H.; Higgins, P. G. Letter: Viruses and gastroenteritis in infants. In: Lancet 1, 7919 (1975) S. 1297. Bonaparte, R. S.; Hair, P. S.; Banthia, D.; Marshall, D. M.; Cunnion, K. M.; Krishna, N. K. Human astrovirus coat protein inhibits serum complement activation via C1, the first component of the classical pathway. In: J. Virol. 82 (2008) S. 817–827. Geigenmüller, U.; Chew, T.; Ginzton, N.; Matsui S. M. Processing of nonstructural protein 1a of human astrovirus. In: J. Virol. 76 (2002) S. 2003-2008. Guix, S.; Caballero, S.; Bosch, A.; Pintó, R. M. Human astrovirus C-terminal nsP1a protein is involved in RNA replication. In: Virology 333 (2005) S. 124–131. Guix, S.; Caballero, S.; Bosch, A.; Pintó, R. M. C-terminal nsP1a protein of human astrovirus colocalizes with the endoplasmic Retikulum and viral RNA. In: J. Virol. 78 (2004) S. 13627– 13636. Jonassen, C. M.; Jonassen, T. TØ.; Sveen, T. M.; Grinde, B. Complete genomic sequences of astroviruses from sheep and tur-
Astroviren verwandt und Teil dieses Clusters. Ähnlich wie bei humanen Astroviren muss auch bei der in vitro Züchtung des felinen Astrovirus das Kulturmedium mit Trypsin versetzt werden, um eine Infektion zu ermöglichen. In allen Fällen wurden nur milde oder subklinische Infektionen beschrieben, die Viren sind für diese Tierarten ohne klinische Bedeutung.
key: comparison with related viruses. In: Virus Res. 91 (2003) S. 195–201. Krishna, N. K. Identification of structural domains involved in astrovirus capsid biology. In: Viral Immunol. 18 (2005) S. 17– 26. Krishna, N. K.; Cunnion, K. M. Human astrovirus coat protein: a novel C1 inhibitor. In: Adv. Exp. Med. Biol. 632 (2008) S. 237–251. Moser, L. A.; Schultz-Cherry, S. Pathogenesis of astrovirus infection. In: Viral Immunol. 18 (2005) S. 4–10. Moser, L. A.; Carter, M.; Schultz-Cherry, S. Astrovirus increases epithelial barrier permeability independently of viral replication. In: J. Virol. 81 (2007) S. 11937–11945. Moser, L. A.; Schultz-Cherry, S. Suppression of astrovirus replication by an ERK1/2 inhibitor. In: J. Virol. 82 (2008) S. 7475–7482. Walter, J. E.; Mitchell, D. K. Astrovirus infection in children. In: Curr. Opin. Infect. Dis. 16 (2003) S. 247–253.
14.3 Caliciviren
14.3 Caliciviren
181
zu ihnen wird jedoch während des Replikationszyklus eine subgenomische mRNA-Spezies synthetisiert. In dieser Eigenschaft ähneln sie den Astro-, Hepe- und Togaviren.
14.3.1 Einteilung und charakteristische Vertreter
Die Familie der Caliciviridae ist hinsichtlich ihrer Molekularbiologie wenig untersucht. Ihr Name leitet sich von dem griechischen Wort kalyx für „Kelch“ ab und weist auf die tassenförmig vertieften Strukturen der Ikosaederseitenflächen hin, die in elektronenmikroskopischen Aufnahmen sichtbar sind. Ähnlich wie die Picornaviren besitzen auch die Caliciviren ein nichtumhülltes Capsid und ein Plusstrang-RNA-Genom. Im Unterschied
Die Familie der Caliciviridae wird heute in vier Genera unterteilt, die sich vor allem im Genomaufbau unterscheiden. (䉴 Tabelle 14.7): Die Genera Vesivirus und Lagovirus umfassen nur tierpathogene Erreger. Bei den Vesiviren ist das feline Calicivirus als Erreger des Katzenschnupfens weit verbreitet. Unter den Vertretern der Gattung Lagovirus sticht das Virus der hämorrhagischen Kaninchenseuche (RHDV) hervor, weil es vor Jahrzehnten zur Bekämpfung der Kaninchenplage auf dem australischen Kontinent eingesetzt wurde. Humanpathogene Viren, die beim Menschen Durchfallerkrankungen verursachen, sind den Gattungen Norovirus und Sapovirus zugeordnet. Ihre Vertreter zeichnen sich durch erhebliche Sequenzunterschiede ihrer Erbinformation aus und werden in jeweils fünf Genogruppen (GI bis GV) eingeordnet, die wiederum eine Vielzahl unterschiedlicher Genotypen enthalten; sie haben häufig Bezeichnungen, die auf den Ort ihrer erstmaligen Isolierung deuten. Die den Genogruppen GI, GII und GIV
Tabelle 14.7 Charakteristische Vertreter der Caliciviren Genus
Mensch
Tier
Vesivirus
Vesikulärexanthemvirus der Schweine San-Miguel-Sealion-Virus felines Calicivirus
Lagovirus
Virus der hämorrhagischen Kaninchenseuche (Rabbit-Haemorrhagic-Disease-Virus) European-Brown-Hare-Syndrome-Virus
Norovirus
Norovirus; Genogruppen I, II, IV Norwalkvirus Southhamptonvirus Mexicovirus Desert-Shield-Virus
Norovirus, Genogruppe III (Rinder) Norovirus, Genogruppe V (Mäuse) Porcine-Enteric-Calicivirus Jenavirus Newbury Agent canines Norovirus
Sapovirus
Sapovirus, Genogruppen I, II, IV, V Sapporovirus Parkville-Virus Manchester-Human-Calicivirus
Sapovirus, Genogruppe III (Schweine)
Valovirus* * Als neue Gattung vorgeschlagen.
St-Valérien-Virus
14
14
182
14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
zugeordneten Norovirustypen infizieren den Menschen, die der Genogruppen III und V findet man in Rindern beziehungsweise in Mäusen. Die Sapoviren infizieren überwiegend den Menschen, nur die Vertreter der Genogruppe III wurden aus Schweinen isoliert. Ebenfalls aus Schweinen wurden kürzlich in Kanada weitere Vertreter der Caliciviren isoliert. Diese St-Valérien-Viren lassen sich keiner der bisher anerkannten Gattungen zuordnen; für sie wurde das neue Genus Valovirus vorgeschlagen. Die Züchtung in der Zellkultur ist bisher nur bei einigen Caliciviren möglich. So lassen sich das feline Calicivirus und das San-Miguel-Sealion-Virus weitgehend problemlos kultivieren, während die Replikation des Virus der hämorrhagischen Kaninchenseuche nur in primären Hepatocyten gelingt. Für die Noro- und Sapoviren ist bisher kein Zellkultursystem beschrieben.
das kovalent mit dem 5’-Ende des Genoms verbundene Protein Vpg.
Genom und Genomaufbau
Die Vertreter der Caliciviridae haben membranlose, sphärisch-ikosaedrische Capside, die einen Durchmesser von 34 bis 39 nm besitzen und an den Seitenflächen Eindellungen aufweisen (䉴 Abbildung 14.7). Sie bestehen aus 90 Einheiten des als Dimer vorliegenden Proteins VP1, das bei den Noroviren ein Molekulargewicht von etwa 60 kD besitzt. Die Partikel enthalten ein bis zwei Moleküle eines weiteren Proteins VP2 (23 kD bei Noroviren), das mit dem RNA-Genom assoziiert ist, sowie
Das Genom der Caliciviren besteht aus einzelsträngiger RNA, die in Plusstrangorientierung vorliegt, an den 3’Enden polyadenyliert ist und eine Länge von 7 000 bis 8 000 Basen (7 338–7 708 Basen bei den Noroviren, 7 437 beim Virus der hämorrhagischen Kaninchenseuche, 7 690 Basen beim felinen Calicivirus, 7 431–7 490 bei den Sapoviren) aufweist. An die 5’-Enden der RNA ist kovalent ein virales Protein (15 kD) gebunden, das dem Vpg der Picornaviren entspricht (䉴 Abschnitt 14.1). Im 5’-Bereich der genomischen RNA befinden sich vor dem Startcodon für den offenen Leserahmen ORF1 kurze, nichttranslatierbare Sequenzfolgen von 10–14 Nucleotiden. Sequenzanalysen der genomischen RNA-Moleküle ergaben zwei oder drei offene Leserahmen bei den Sapo- und Lagoviren beziehungsweise den Noro- und Vesiviren; ihre Enden überlappen teilweise miteinander (䉴 Abbildung 14.8). Der in der 5’-orientierten Hälfte der Virusgenome gelegene offene Leserahmen 1 (ORF1) codiert grundsätzlich für das Vorläuferprodukt der Nichtstrukturproteine. Der Leserahmen ORF2 in der 3’-orientierten RNA-Hälfte dient der Synthese des Capsidproteins VP1; bei den Sapoviren ist der für das VP1 codierende Leserahmen mit dem ORF1 direkt verbunden. Ein weiterer Leserahmen ORF3 (bei den Sapoviren ORF2) ist für die Synthese des Proteins VP2 verantwortlich.
A
B
14.3.2 Aufbau Viruspartikel
VP1 (Dimer)
5´ Vpg
VP2
A
3´AA
ssRNA-Genom
14.7 A: Elektronenmikroskopische Darstellung eines Calicivirus am Beispiel von rekombinant hergestellten, leeren Capsiden des felinen Calicivirus (FCV). B: Schematische Darstellung des Partikelaufbaus eines Calicivirus.
14.3 Caliciviren
183
A Norovirus 1000
5000
5´ Vpg
7654 AAA 3´ VP2
Nichtstrukturproteine Proteintransport p48
NTPase p40
? p22
Vpg p16
PRO
3CL p19
RNA-Polymerase p57
ORF3 Capsidprotein VP1 ORF2
ORF1
B Lagovirus 1000 5´ Vpg
5000
7437 AAA 3´ Capsidprotein VP1
Nichtstrukturproteine ORF1
VP2 ORF2
C Vesivirus 1000
7690
5000
AAA 3´
5´ Vpg
Nichtstrukturproteine
VP2 ORF3
ORF1 Capsidprotein VP1 ORF2
D Sapovirus 1000 5´ Vpg
5000
7431 AAA 3´
Nichtstrukturproteine
Capsidprotein VP1
ORF1 VP2 ORF2
14.8 Genomorganisation bei Caliciviren. A: Norovirus (Norwalk-Virus). B: Lagovirus (Rabbit-Haemorrhagic-Disease-Virus, RHDV). C: Vesivirus (felines Calicivirus, FCV). D: Sapovirus (Sapporovirus). Die mRNA-Genome der Caliciviren sind am 5’-Ende mit einem kovalent gebundenen Protein (Vpg) modifiziert und am 3’-Ende polyadenyliert, sie werden im Cytoplasma der Zelle translatiert. Die Anordnung der offenen Leserahmen unterscheidet sich bei den Vertretern der unterschiedlichen Gattungen: Bei den Noro- und Vesiviren findet man drei offene Leserahmen (ORF). ORF1 und ORF2 sind voneinander getrennt und für die Synthese des Vorläuferpolyproteins der Nichtstrukturproteine verantwortlich. Es wird durch die Aktivität einer Serinprotease (3CLPRO) autokatalytisch gespalten, wodurch neben der Protease 3CLPRO auch das Vpg-Protein, eine NTPase (Helicase), die RNA-abhängige RNA-Polymerase und zwei weitere Nichtstrukturproteine (p48, p22 bei Noroviren) entstehen. Die Vorläuferprodukte für die Nichtstrukturproteine der Lago-, Vesi- und Sapoviren enthalten entsprechende Proteinfunktionen, die aber im Detail kaum untersucht sind. Die RNA-Polymerase ist für die Synthese der Negativstranggenome verantwortlich, von denen im Replikationszyklus die RNA-Genome der Nachkommenviren abgelesen werden. Das Capsidprotein VP1 codiert im ORF2, im ORF3 finden sich die Sequenzen des VP2-Proteins, das mit dem RNA-Genom assoziiert ist. Bei den Lagoviren und Sapoviren sind die Leserahmen für den Vorläufer der Nichtstrukturproteine mit demjenigen für das Capsidprotein VP1 im selben Leseraster miteinander verbunden. Der kleine ORF2 codiert hier für die Synthese des VP2-Proteins.
14
14
184
14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
14.3.3 Virusproteine Nichtstrukturproteine Die Nichtstrukturproteine der Caliciviren werden als ein Vorläuferprotein von etwa 180 bis 190 kD gebildet, das posttranslational durch die Aktivität einer Protease 3CLPRO (3C-ähnliche Protease) mit Ähnlichkeit zur 3C-Protease der Picornaviren in die einzelnen Komponenten gespalten wird (䉴 Abschnitt 14.1). Die Anordnung der einzelnen Komponenten ist bei allen Caliciviren ähnlich: Am aminoterminalen Ende findet man eine bezüglich ihrer Länge variable Sequenzfolge für ein Nichtstrukturprotein (p48 bei Noroviren), das über eine carboxyterminale Transmembrandomäne verfügt und mit den Golgivesikeln assoziiert vorliegt; es interagiert mit dem zellulären Protein VAP-A (vesicleassociated membrane protein-associated protein A), das die SNARE-vermittelte Fusion intrazellulärer Vesikel reguliert; die Funktion des viralen Proteins ist nicht endgültig geklärt. Im Vorläuferprotein folgen den p48-Sequenzen diejenigen einer NTPase mit Ähnlichkeit zum 2C-Protein der Picornaviren, möglicherweise wirkt es als Helicase. Der Sequenzabschnitt für das kovalent mit dem 5’-Ende des Virusgenoms verbundene Vpg ist von denen der NTPase durch einen Aminosäureabschnitt (Cp22) unbekannter Funktion getrennt; er ist von vielen hydrophoben Aminosäureresten geprägt und bewirkt – ähnlich wie das 3A-Protein der Picornaviren – mögli-
cherweise eine Interaktion des Vorläuferproteins mit intrazellulären Membrankompartimenten. Diesem Abschnitt folgen die Domänen der Protease 3CLPRO und der RNA-abhängigen RNA-Polymerase (䉴 Tabelle 14.8). Strukturproteine Die Sequenzen für die Capsidproteine VP1 befinden sich bei den Vertretern der Sapound Lagoviren fusioniert mit dem carboxyterminalen Ende der RNA-abhängigen RNA-Polymerase und werden von diesem durch die Aktivität der 3CLPRO abgespalten. Bei den Vesi- und Noroviren codieren die VP1Proteine in einem separaten Leserahmen (ORF2). Die Vesiviren weisen eine Besonderheit auf: Hier wird das Capsidprotein VP1 zunächst als Vorläuferprotein (73– 78 kD) synthetisiert, das durch die 3CLPRO weiter in das VP1 (60–62 kD) der reifen Viruspartikel prozessiert wird. Dabei wird eine Leader-Sequenz von 128 Aminosäuren am aminoterminalen Ende entfernt, ihre Funktion ist unbekannt. Werden die VP1-Proteine mit gentechnologischen Methoden in eukaryotischen Expressionssystemen exprimiert, assoziieren sie in einem Self-Assembly-Prozess zu virusähnlichen Partikeln. Ein weiteres Strukturprotein VP2 codiert in einem separaten Leserahmen (ORF2 bei den Sapo- und Lagoviren; ORF3 bei den Noro- und Vesiviren). Es enthält viele basische Aminosäuren und ist in einigen wenigen Kopien mit dem RNA-Genom assoziiert.
Tabelle 14.8 Bekannte Funktionen und Eigenschaften der Calicivirusproteine Protein
Norovirus
Sapovirus Felines Calicivirus
RHDV* Funktion
Nichtstrukturprotein
37–48 kD
32 kD
32 kD
? kD
assoziiert mit Golgivesikeln, beeinflusst intrazellulären Proteintransport
Nichtstrukturprotein
40–41 kD
35 kD
36–38 kD
37 kD
NTPase, Helicase? notwendig bei Transkription und Replikation
Nichtstrukturprotein
20–22 kD
32 kD
30 kD
29 kD
Funktion unbekannt, membranassoziiert?
Vpg
16 kD
14 kD
15,5 kD
13 kD
kovalent am 5’-Ende der RNA gebunden, Translationsinitiation
Protease, 3CLPRO
19 kD
14 kD
30 kD
15 kD
3C-ähnliche Protease, Spaltung des/der Vorläuferproteine
RNA-Polymerase
57 kD
57 kD
50 kD
58 kD
RNA-abhängige RNA-Polymerase, Transkription, Replikation
Capsidprotein VP1
68 kD (ORF2)
60–62 kD (ORF1)
60–65 kD (ORF2)
60 kD (ORF1)
Strukturprotein, Dimer, major capsid protein
Strukturprotein VP2
23–29 kD (ORF3)
23–29 kD (ORF2)
12 kD (ORF3)
10 kD (ORF2)
Strukturprotein, RNA-Bindung
* RHDV: Virus der hämorrhagischen Kaninchenseuche. Die Auflistung der Proteine in der Tabelle entspricht der Anordnung der ORFs auf den Virusgenomen sowie in den Vorläuferproteinen.
14.3 Caliciviren
14.3.4 Replikation Die Noro- und die Sapoviren verwenden die Kohlenhydratstrukturen der ABH- und Lewis-Blutgruppenantigene als zelluläre Rezeptoren, wobei sich die verschiedenen Virustypen an unterschiedliche Versionen dieser Histoblutgruppen-Antigene (HBGA) binden. Dabei handelt es sich um komplexe Zuckerstrukturen, die auf den Oberflächen der Erythrocyten und der Epithelzellen in der Schleimhaut des Respirations- und Gastrointestinaltrakts vorhanden sind. Beim felinen Calicivirus sind endständige, in α(2,6)-glycosidischer Bindung verknüpfte Sialylsäurereste als zelluläre Rezeptoren beschrieben, die als Modifikation mit dem felinen JAM-A (junction adhesion molecule A) verbunden sind; hierbei handelt es sich um ein Mitglied der Ig-Superfamilie. Die Viruspartikel werden vermutlich durch rezeptorvermittelte Endocytose aufgenommen. Über die Vorgänge, die zur Freisetzung der Virusgenome aus den Endosomen und den Capsiden führen, ist nichts bekannt. Der initiale Schritt im Vermehrungszyklus ist die Translation der Nichtstrukturproteine bei den Vesi- und Noroviren beziehungsweise des Fusionprodukts der Nichtstruktur- und Capsidproteine bei den Lago- und Sapoviren unter Verwendung des Plusstrang-RNAGenoms als mRNA. Das Virusgenom verfügt an seinem 5’-Ende weder über eine 5’-Cap-Gruppe noch über eine IRES-Struktur, welche bei zellulärer Transkription oder den Genomen der Picornaviren die Bindung der Ribosomen vermitteln (siehe Abschnitt 14.1). Die Caliciviren haben einen alternativen Mechanismus zur Translationsinitiation entwickelt, der durch das mit den 5’Enden verbundene Protein Vpg vermittelt wird: Das Vpg wechselwirkt mit dem Translationsinitiationsfaktor eIF-3, welches eine Komponente der 40S RibosomenUntereinheit ist. Die Bindung von Vpg an eIF-3 bewirkt, dass sich die kleine Ribosomenuntereinheit an die 5’Enden der Genome anlagert. Dies induziert im Folgenden vermutlich, dass auch die große Ribosomenuntereinheit gebunden und die Translation des ORF1 von nächst gelegenen Startcodon aus begonnen wird. Die gebildeten Vorläuferproteine werden autokatalytisch durch die Aktvität der 3CLPRO gespalten, wodurch die Funktionen der verschiedenen Nichtstrukturproteine und somit auch der viralen RNA-abhängigen RNA-Polymerase in der Zelle vorliegen. Durch die Aktivität der viralen RNA-abhängigen RNA-Polymerase wird die Synthese von Negativstrangkopien komplementär zum Virusgenom eingeleitet: Die Negativstränge dienen als Matrize neuer Vpg-geprimter genomischer RNAs und – ebenfalls Vpg-geprimter – subgenomischer RNAs mit einer Länge von 2 400 bis
185
2 700 Basen. Letztere enthalten bei den Lago- und Sapoviren die für die VP2-Proteine codierenden Sequenzbereiche – dieser Prozess ähnelt den Replikationsvorgängen der Astroviren (䉴 Abschnitt 14.2). Bei den Noround Vesiviren sind die subgenomischen mRNAs bicistronisch, von ihnen werden die VP1- und VP2-Proteine translatiert. Die Initiation der Translation des VP2-Proteins erfolgt in einem ungewöhnlichen Vorgang: Die Ribosomen bleiben nach Beendigung der Translation der VP1-Sequenzen an die subgenomische mRNA gebunden, und es erfolgt im darauffolgenden Schritt die Reinitiation der Translation mit der Synthese der Strukturproteine VP2. Die Capsidproteine VP1 interagieren zu Vorstrukturen der Viruspartikel, in welche die virale RNA eingelagert wird. Interessanterweise wird, wie beim Virus der hämorrhagischen Kaninchenseuche – nicht jedoch beim felinen Calicivirus – gezeigt, in einigen Virionen auch die subgenomische RNA verpackt.
14.3.5 Humanpathogene Caliciviren Die Noro- und Sapoviren Epidemiologie und Übertragung Infektionen mit Noro- und Sapoviren sind weltweit verbreitet. Von beiden Viren existieren mehrere Genogruppen mit Varianten, die für den Menschen pathogen sind und in verschiedene Genotypen unterteilt werden können. Dies ist ein Hinweis dafür, dass die Caliciviren durch die hohe Fehlerrate der RNA-abhängigen RNAPolymerase einer erheblichen Mutationsrate unterworfen sind, die zu der großen Variabilität der Erreger beiträgt. Die Infektionen verursachen Gastroenteritiden, die mit starkem Durchfall und Erbrechen einhergehen. Die Einführung der Meldepflicht zeigte, dass Noro- und Sapoviren für die meisten Darminfektionen in Deutschland verantwortlich sind: Derzeit werden pro Jahr mehr als 200 000 Fälle gemeldet. Die Erreger werden durch die infizierten Personen über Stuhl und Erbrochenes ausgeschieden. Die Virusausscheidung dauert einige Tage länger als die Symptome, deshalb sollte der Arbeitsplatz erst zwei Tage nach Sistieren des Durchfalls wieder aufgesucht werden. Bei Immunsupprimierten kann der Stuhl Wochen bis Monate infektiös bleiben. Dies bereitet sehr große logistische Probleme im Krankenhausbetrieb, da die Patienten nicht verlegt werden können, solange das Virus im Stuhl nachweisbar ist. Die nicht membranumhüllten Partikel der Caliciviren haben eine sehr hohe Umweltresistenz; dies muss bei der Wahl geeigneter Desinfektionsmittel berücksichtigt werden. Weit weniger als 100 Viruspartikel sind ausreichend, um eine Infektion zu induzieren. Deswegen werden die Erreger fäkal-oral
14
14
186
14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
q Animale Noroviren und das Risiko der zoonotischen Übertragung Verschiedene Tierarten werden durch Noroviren infiziert, insbesondere existieren viele Isolate aus Rindern und Schweinen; jüngst wuden Norovirusinfektionen aber auch in Hunden gefunden. Die Noroviren verursachen in den Tieren in aller Regel keine oder nur sehr milde Krankheiten. Noroviren der Genogruppe II kann man aus Schweinen und Menschen isolieren, wohingegen Viren der Genogruppe III nur in Rindern festgestellt wurden. Bisher galt die Möglichkeit der direkten Übertragung von Tieren auf den Menschen als unwahrscheinlich, weil sich die animalen Norovirusisolate genetisch deutlich von den humanen unterschieden. Die Isolierung eines humanen Genotyp-II/4-Virus aus
Schweinen und auch aus Schweinefleisch zeigte jedoch, dass diese Einschätzung möglicherweise nicht allgemeingültig ist. Neben einer direkten Übertragung eines Norovirus von Schweinen auf Menschen ist auch die genetische Rekombination zwischen humanen und animalen Noroviren im Tier grundsätzlich vorstellbar. Zwar wurde diese noch nicht direkt gezeigt, aber die Tatsache, dass humane Noroviren im Schwein und Rind replizieren können, und der Nachweis von genetischen Rekombinationen über die Genogruppen hinaus, lässt dieses Szenario nicht unmöglich erscheinen.
als Schmierinfektion – aber auch durch kontaminiertes Trinkwasser oder verunreinigte Lebensmittel – sehr leicht übertragen und treten epidemisch in Gemeinschaftseinrichtungen wie Schulen, Heimen oder auch auf Kreuzfahrtschiffen auf, in denen viele Menschen auf engem Raum zusammenleben. Besonders betroffen sind Altenheime und vor allem Krankenhäuser, in denen zudem eine hohe Fluktuation von Patienten, Pflegepersonal und Besuchern herrscht. Bei derartigen Ausbrüchen wird die Infektion auch häufig über infiziertes Personal weitergegeben. Während die Sapoviren vornehmlich bei gastrointestinalen Krankheiten von Kindern auffällig sind und bisher nicht als Lebensmittelkeime nachgewiesen wurden, stellen die Noroviren auch eine Ursache einer viralen Lebensmittelinfektion („Lebensmittelvergiftung“) dar; daher sind für Küchenpersonal strenge Verhaltensregeln vorgeschrieben. In jüngerer Zeit wurden Noroviren auch aus dem Kot von Kälbern und Schweinen nachgewiesen. Dies weist auf ein zoonotisches Potenzial dieser Virusgruppe hin, das aber bisher nicht nachgewiesen wurde.
siven Flüssigkeitsverlust auch zu bedrohlichen Zuständen kommen.
Klinik
Immunreaktion und Diagnose
Die Inkubationszeit ist sehr kurz und beträgt üblicherweise ein bis zwei Tage. Die Noro- und Sapovirusinfektionen verursachen kurze, ein bis drei Tage andauernde, aber sehr heftige Gastroenteritiden mit Erbrechen und Durchfällen. Schwere Allgemeinsymptome und Fieber fehlen. Die Infektion ist selbst limitierend und hinterlässt keine bleibenden Schäden. Bei immunsupprimierten Patienten verlaufen die Infektionen protrahierter und das infektiöse Virus wird wesentlich länger ausgeschieden. Bei älteren Patienten kann es durch den mas-
Noro- und Sapovirusinfektionen werden durch Nachweis von Viruspartikeln im Antigen-ELISA oder von Nucleinsäure mittels RT-PCR aus Stuhlmaterial diagnostiziert. Der Nachweis von Viruspartikeln in Stuhlproben durch Elektronenmikroskopie spielt diagnostisch keine Rolle. Auch serologischen Untersuchungen zum Nachweis virusspezifischer Antikörper kommt keine diagnostische Wertigkeit zu. Über die zelluläre Immunität ist nichts bekannt.
Pathogenese Noro- und Sapoviren infizieren reife Enterocyten im Darm und zerstören sie. Als zelluläre Rezeptormoleküle nutzen sie Kohlenhydratstrukturen, die in ABO- und Lewis-Blutgruppenantigenen vorkommen und auf den Oberflächen der Enterocyten vorhanden sind. Personen, die dem Typ sekretornegativ angehören, da ihnen die genetische Information für das Enzym α(1,2)-Fucosyltransferase fehlt, gelten als resistent. Die Zuckerstrukturen kommen nicht nur zellgebunden, sondern auch in löslicher Form – so auch in der Muttermilch – vor. Gestillte Kinder von sekretorpositiven Müttern nehmen die Zuckermoleküle über die Milch auf und sind damit in dieser Lebensphase vor Infektionen mit Noro- und Sapoviren zumindest teilgeschützt, da die Zuckermoleküle im Darm der Kinder die Erreger komplexieren und so die Infektion der Enterocyten verhindern.
14.3 Caliciviren
187
¡ Genetische Unterschiede in den Blutgruppenantigenen vermitteln Resistenz gegenüber Virusinfektionen Eine Blutgruppe ist von der individuellen Zusammensetzung der Glycolipide oder -proteine auf der Oberfläche der Erythrocyten und anderer Körperzellen abhängig. Beim Menschen gibt es eine Vielzahl verschiedener Blutgruppensysteme; die sogenannten Histoblutgruppenantigene können drei Familien zugeordnet werden, nämlich den Lewis-, Sekretor- und ABO-Familien. So kommt beispielsweise beim ABO-System als gemeinsames Merkmal aller Blutgruppen und als zentrales Zuckermolekül der Kohlenhydratsrukturen N-Acetylglucosamin auf den Zelloberflächen vor. Damit verknüpft sind Galactose-Einheiten, welche Fucosereste tragen. Zusammen bilden sie die Grundstruktur aller Blutgruppen und repräsentieren die Blutgruppe 0. Sind an die Galactose zusätzlich noch ein oder zwei Moleküle des NAcetylgalactosamin gebunden, dann stellen diese Kohlenhydratstrukturen die Blutgruppen A beziehungsweise B dar. Die Biosynthese der Blutgruppenantigene ist von einer Reihe von Enzymen abhängig, die genetischen Variationen unterliegen. Nutzen Viren die Kohlenhydratstrukturen der
Prophylaxe und Therapie Die beste Maßnahme zur Vermeidung von Infektionen mit den humanpathogenen Caliciviren ist die konsequente Einhaltung von persönlichen und allgemeinen Hygienemaßnahmen. Dazu gehören Desinfektion unter Einsatz entsprechend geeigneter Mittel, die strikte Isolierung und Nichtverlegung von infizierten Patienten im Krankenhaus und die Sauberhaltung von Anlagen zur Produktion von Lebensmitteln und zur Wasserversorgung. Im Extremfall müssen ganze Stationen in Krankenhäusern beziehungsweise auch ein Krankenhaus ganz für die Patientenaufnahme geschlossen werden. Kreuzfahrtschiffe werden kurzzeitig unter Quarantäne gestellt. Chemotherapie oder Impfstoffe existieren nicht.
Blutgruppensysteme als Rezeptormoleküle, dann ist die Empfänglichkeit für die Infektion ebenfalls genetisch determiniert. So zeigte sich, dass Personen mit genetischen Defekten der α(1,2)-Fucosyltransferase die Kohlenhydratgruppen, die für die Bindung der Noro- und Sapoviren an die Zelloberfläche notwendig sind, nicht bilden. Diese „NichtSekretor“-Phänotypen können von bestimmten Typen der Noro- und Sapoviren daher nicht infiziert werden, sie sind resistent. Da die Noroviren aber sehr häufig mutieren und als Folge davon auch ihre Rezeptorvorlieben verändern können, muss davon ausgegangen werden, dass diese Resistenz nicht für alle Virustypen gilt. Ähnliche genetisch bedingte Resistenzen kennt man auch von der Parvovirus B19-Infektion: Dieses Virus bindet sich an das Blutgruppenantigen P, ein Glycosphingilipid. Personen, welche nicht über genetische Information für die Enzyme verfügen, die für die Synthese der entsprechenden Kohlenhydratstrukturen notwendig sind, können sich nicht mit diesen Parvoviren infizieren (䉴 Abschnitt 20.5).
chungen zeigten, dass das Vesikulärexanthemvirus mit dem San-Miguel-Sealion-Virus nahe verwandt ist; es hat daher wahrscheinlich einen marinen Ursprung. Von letzterem kann man verschiedene Serotypen unterscheiden. Es weist ein enorm breites Wirtsspektrum auf, das verschiedene Säugetiere sowie Reptilien, Amphibien, sogar Fische und Nematoden umfasst. In vitro ist es auch in humanen Zelllinien kultivierbar. Das Vesikulärexanthemvirus verursachte zwischen 1930 und 1950 in den USA eine Erkrankung bei Schweinen, die differenzialdiagnostisch von der Maul- und Klauenseuche nicht zu unterscheiden war. In Säugetieren findet man Blasenbildung an der Haut, insbesondere an den Gliedmaßen (Kronsaum beziehungsweise Flossen) sowie an der Maulschleimhaut. Der letzte Ausbruch wurde in den USA im Jahre 1952 festgestellt; seitdem gilt das Virus als getilgt.
14.3.6 Tierpathogene Caliciviren Das feline Calicivirus Die wichtigsten tierpathogenen Caliciviren verursachen in ihren Wirten Krankheitsbilder, die sich deutlich von denen der humanpathogenen Viren unterscheiden. Das Vesikulärexanthemvirus der Schweine ist der Prototyp des Genus Vesivirus. Retrospektive genetische Untersu-
Epidemiologie und Übertragung Das feline Calicivirus besitzt eine große Bedeutung als Tierpathogen, es ist der Erreger des Katzenschnupfens. Es wird durch direkten Kontakt und über Sekrete aus dem
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14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
Respirationstrakt übertragen. Viele der infizierten Katzen entwickeln den Status persistierend infizierter Virusträger, die das Virus über Wochen oder Monate ausscheiden können. Die verschiedenen felinen Caliciviren sind antigenetisch nicht einheitlich, und obwohl man formal keine Serotypen unterscheiden kann, gibt es eine Vielzahl von Isolaten, deren Infektionen keine oder eine nicht schützende, unvollständige Kreuzimmunität induzieren. Die Variabilität ist innerhalb des Capsidproteins vor allem auf eine kleine Domäne von etwa 100 Aminosäuren, die hypervariable Region E, beschränkt. Hier unterscheiden sich die Isolate auf der Nucleinsäureebene um bis zu 70 Prozent. Seit kurzem kann man feline Caliciviren aus Katzen mit einem neuen Krankheitsbild isolieren. Die Katzen zeigen Ödeme an Kopf und Hals, Ulzera an Nase, Ohren und Pfoten, sowie gelegentlich Ikterus. Diese Isolate bezeichnete man als hochvirulente systemische feline Caliciviren – eine unglückliche Bezeichnung, da jede Infektion mit felinen Caliciviren systemisch verläuft und die hämorrhagische Komponente des Krankheitsbildes selten ist; insbesondere weisen die neuen Isolate auch keinerlei Ähnlichkeiten mit dem Virus der hämorrhagischen Kaninchenseuche auf. Interessant ist, dass diese hochvirulenten Isolate aus geimpften Beständen überwiegend älterer Katzen stammen. Genetisch lassen sie sich nicht in einer Gruppe fassen; sie zeigen eine ähnliche Heterogenität wie die anderen felinen Caliciviren. Ein genetischer Marker für diese hochvirulenten Stämme wurde bisher nicht gefunden.
Klinik Das Virus verursacht eine akute respiratorische Erkrankung bei Katzen, die mit Rhinitis und Ulcera der Maulschleimhaut einhergeht. Selten findet man auch eine Polyarthritis. Vor allem Katzenwelpen in den ersten Lebensmonaten erkranken. Bei älteren Katzen, die an einer chronischen Entzündung der Maulschleimhaut (Stomatitis) leiden, wird das feline Calicivirus ebenfalls sehr häufig nachgewiesen. Eine ätiologische Bedeutung des Virus bei diesem Krankheitsbild ist jedoch nicht gesichert.
Pathogenese Im Rahmen der Infektion kommt es zu einer Virämie, in deren Verlauf auch die Synovialzellen der Gelenke infiziert werden. Die Tonsillen stellen einen Ort der Viruspersistenz dar. Dieses Virus repliziert sich in felinen Zellkulturen und ist daher relativ gut untersucht.
Immunreaktion und Diagnose Die infizierten Katzen entwickeln eine IgG-Antwort gegen die Capsidproteine, die in ELISA- und WesternBlot-Tests nachgewiesen werden können. Die Diagnose der akuten Infektion erfolgt durch Anzucht des Virus in Zellkultur oder durch den Nachweis viraler Genome mittels der Polymerasekettenreaktion.
Bekämpfung und Prophylaxe Gegen den Katzenschnupfen sind Vakzinen auf der Basis attenuierter Lebendviren und abgetöteter Viren verfügbar, Hauskatzen werden routinemäßig damit geimpft. Wegen der hohen antigenen Variabilität sind die Impfstoffe aber nur eingeschränkt wirksam.
Das Virus der hämorrhagischen Kaninchenseuche (Rabbit-Haemorrhagic-Disease-Virus) Epidemiologie und Übertragung Um 1985 trat eine scheinbar neue, schwere, seuchenartig verlaufende Krankheit bei Kaninchen (Oryctolagus cuniculus) in China auf. Die als hämorrhagische Kaninchenseuche bezeichnete Krankheit breitete sich rasch weltweit aus und ist durch schwere hämorrhagische Symptome und fulminante Hepatitiden gekennzeichnet. Als ätiologische Agenzien wurden zunächst Parvoviren angenommen, schnell jedoch wurde das Calicivirus als wahrer ursächlicher Erreger beschrieben. Der Ursprung des Virus der hämorrhagischen Kaninchenseuche in China ist jedoch nicht endgültig geklärt. Retrospektive serologische Untersuchungen zeigten, dass die Erreger schon um 1950 in Kaninchen in Großbritannien verbreitet waren, ohne dass zu dieser Zeit eine tödliche Kaninchenseuche aufgefallen wäre. Mittlerweile sind alle Kaninchenbestände durchseucht, und die anfangs hohe Mortalität ist sehr stark gesunken. Die Virulenz des Virus scheint sich schnell im Kaninchen abzuschwächen – wie nicht zuletzt auch die „Feldstudie“ in Australien und Neuseeland zeigte (siehe Exkurs). Tierseuchenrechtliche Maßnahmen sind daher aufgehoben worden. Neben direktem Kontakt der Tiere und Koprophagie (Kotfressen) spielt bei der Übertragung die passive Verschleppung des Virus durch Arthropoden eine Rolle. Das Virus gilt als wirtsspezifisch, es lässt sich nicht in der Zellkultur propagieren. Ein ähnliches, aber eigenständiges Virus, das European-Brown-Hare-Syndrome-Virus, verursacht eine Erkrankung beim Europäischen Feldhasen (Lepus europaeus). Dieses Virus ist nicht auf das Hauskaninchen übertragbar.
14.3 Caliciviren
189
q Hämorrhagische Kaninchenseuche Zweifelhafte Popularität hat das Virus der hämorrhagischen Kaninchenseuche gewonnen, als es 1996 unter dem Namen „rabbit calicivirus“ zur biologischen Bekämpfung der Kaninchenpopulationen auf dem australischen Kontinent freigesetzt wurde. Kontrovers wurde und wird diskutiert, ob andere Arten der einzigartigen Fauna Australiens durch dieses Virus gefährdet werden könnten. Auf der anderen Seite hatte auch die gewaltige Kaninchenplage erhebliche Auswirkungen auf die Flora und damit verbunden auch auf die Fauna Australiens. Der Einsatz des Virus führte in einigen
Klinik Das Virus verursacht eine schwere Erkrankung in Kaninchen ab einem Alter von etwa acht Wochen. Vorher lassen sich die Welpen unabhängig vom Vorliegen mütterlicher Antikörper nicht infizieren. Die Krankheit verläuft in der Regel fulminant, die Tiere verenden innerhalb von Stunden nach der Infektion. Bei protrahierten Verläufen bluten die Tiere von allen Schleimhäuten. Eine Genesung ist die Ausnahme.
Pathogenese Das Virus hat einen Tropismus für Hepatocyten und verursacht dort eine lytische Infektion, in deren Verlauf es zu massiven Lebernekrosen kommt.
Immunreaktion und Diagnose Wegen des fulminanten Verlaufs der Infektion bildet sich in den Tieren keine Immunantwort aus, eine serologische Diagnosestellung erübrigt sich in aller Regel. Subklinisch infizierte Tiere können durch den Nachweis spezifischer Antikörper in ELISA-Tests identifiziert werden. Virusgenome lassen sich durch RT-PCR in der Leber, im Blut und im Kot nachweisen. Der elektronenmikroskopische Nachweis der Viruspartikel in der Leber ist ebenfalls möglich und gebräuchlich. Da das Virus nicht in Zellkultur repliziert, ist eine Virusisolierung nicht möglich.
Bekämpfung und Prophylaxe Für Kaninchen in Nutztierhaltung ist eine inaktivierte Vollvirusvakzine verfügbar, die aus der Leber infizierter Kaninchen gewonnen wird.
Gegenden Australiens zum Rückgang der Kaninchenpopulationen um über 60 Prozent, in anderen Gegenden hatte es keinen Einfluss. Farmer verschleppten das Virus über große Strecken des Kontinents, auch blühte ein reger Handel mit infizierten Kaninchen. Das Virus wurde zudem illegal nach Neuseeland eingeführt und dort verbreitet. Wie zu erwarten, wurden sowohl in Australien wie in Neuseeland nach kurzer Zeit gesunde Kaninchen gefunden, in denen infektiöses Virus nachweisbar war. Dies ist ein untrügliches Zeichen für die Attenuierung des Virus an seinen Wirt.
14.3.7 Weiterführende Literatur Bhella, D.; Gatherer, D.; Chaudhry, Y.; Pink, R.; Goodfellow, I. G. Structural insights into calicivirus attachment and uncoating. In: J. Virol. 82 (2008) S. 8051–8058. Cao, S.; Lou, Z.; Tan, M.; Chen, Y.; Liu, Y.; Zhang, Z.; Zhang, X. C.; Jiang, X.; Li, X.; Rao, Z. Structural basis for the recognition of blood group trisaccharides by norovirus. In: J. Virol. 81 (2007) S. 5949–5957. Chen, R.; Neill, J. D.; Estes, M. K.; Prasad, B. V. X-ray structure of a native calicivirus: structural insights into antigenic diversity and host specificity. In: Proc. Natl. Acad. Sci. USA 103 (2006) S. 8048–8053. Clarke, I. N.; Lambden, P. R. The molecular biology of caliciviruses. In: J. Gen. Virol. 78 (2001) S. 291–301. Daughenbaugh, K. F.; Fraser, C. S.; Hershey, J. W.; Hardy, M. E. The genome-linked protein VPg of the Norwalk virus binds eIF3, suggesting its role in translation initiation complex recruitment. In: EMBO J. 22 (2003) S. 2852–2859. Estes, M. K.; Prasad, B. V.; Atmar, R. L. Noroviruses everywhere: has something changed? In: Curr. Opin. Infect. Dis. 19 (2006) S. 467–474. Geissler, K.; Schneider, K.; Fleuchaus, A.; Parrish, C. R.; Sutter, G.; Truyen, U. Feline calicivirus capsid protein expression and capsid assembly in cultured feline cells. In: J. Virol. 73 (1999) S. 834–838. Geissler, K.; Schneider, K.; Platzer; G.; Truyen, B.; Kaaden, O.R.; Truyen, U. Genetic and antigenic heterogenity among feline calicivirus isolates from distinct disease cluster. In: Virus Res. 48 (1997) S. 193–206. Hansman, G. S.; Oka, T.; Katayama, K.; Takeda, N. Human sapoviruses: genetic diversity, recombination, and classification. In: Rev. Med. Virol. 17 (2007) S. 133–141. Jiang, X.; Huang, P.; Zhong, W.; Tan, M.; Farkas, T.; Morrow, A. L.; Newburg, D. S.; Ruiz-Palacios, G. M.; Pickering, L. K. Human milk contains elements that block binding of noroviruses to human histo-blood group antigens in saliva. In: J. Infect. Dis. 190 (2004) S. 1850–1859.
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14
190
14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
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14.4 Hepeviren
Die Hepatitis-E-Viren zählten lange zu den „NonA-/ NonB-Hepatitisviren“, aufgrund von elektronenmikroskopischen Analysen ordnete man sie dann den Caliciviridae zu, weil man strukturelle Ähnlichkeiten fand. Die weiteren Untersuchungen zum Replikationszyklus und zur Genomstruktur wiesen jedoch so deutliche Unterschiede auf, dass man die Hepatitis-E-Viren heute in eine eigene Familie, die Hepeviridae eingliedert. Der Familienname ist von der Bezeichnung der bislang einzigen Vertreter, nämlich der Hepatitis-E-Viren abgeleitet.
14.4.1 Einteilung und charakteristische Vertreter Die Hepatitis-E-Viren werden der Gattung Hepevirus zugerechnet (䉴 Tabelle 14.9). Die serotypisch einheitlichen Hepatitis-E-Viren gliedern sich in vier Genotypen: Die Genotypen 1 und 2 fand man bisher nur in Menschen, die Genotypen 3 und 4 stellen die HepatitisE-Viren des Schweines dar, sie sind nahe verwandt mit den Genotypen 1 und 2 und infizieren auch den Menschen. Die Hepatitis-E-Virusinfektion des Menschen ist wohl eine klassische Zoonose, bei der die Erreger von Schweinen auf Menschen übertragen werden. Daneben existiert eine Variante der Hepatitis-E-Viren, die sich – soweit bekannt – ausschließlich in Hühnern und anderen Vögeln replizieren kann.
14.4 Hepeviren
Tabelle 14.9 Charakteristische Vertreter der Hepeviren Genus
Mensch
Hepevirus
Hepatitis-E-Virus Hepatitis-E-Virus der Schweine
191
Capsidprotein (Dimer)
Tier
Hepatitis-E-Virus der Hühner
ap
5´C 3´AAA
14.4.2 Aufbau
13,5kD-Protein
Viruspartikel Die Hepatitis-E-Viren haben hüllmembranlose, ikosaedrische Capside mit einem Durchmesser von 32 bis 34 nm, in ihrem elektronenmikroskopischen Bild ähneln sie den Caliciviren (䉴 Abbildung 14.9). Sie bestehen aus 180 Einheiten eines Capsidproteins mit einem Molekulargewicht von 76 kD. Zusätzlich enthalten die Partikel unregelmäßige Mengen eines kleinen, löslichen Proteins von 14,5 kD, dessen Ursprung nicht geklärt ist. Möglicherweise handelt es sich um ein Spaltprodukt des Capsidproteins.
Genom und Genomaufbau Das Genom der Hepeviren besteht aus einzelsträngiger RNA, die in Plusstrangorientierung vorliegt und in Abhängigkeit von den unterschiedlichen Genotypen eine Länge von 7 194 bis 7 232 Basen aufweist. Die 5’Enden sind mit einer Cap-Struktur versehen, die 3’Enden sind polyadenyliert. An den 5’-und 3’-Enden der genomischen RNA befinden sich kurze, wohl nichtcodierende Sequenzfolgen (䉴 Abbildung 14.10). Sequenzanalysen der RNA-Moleküle ergaben drei offene
1000
ssRNA-Genom
14.9 Schematische Darstellung des Partikelaufbaus eines Hepatitis-E-Virus.
Leserahmen, die an den Enden teilweise miteinander überlappen. In der 5’-orientierten Hälfte wird im ORF1 ein Vorläuferprodukt für die Nichtstrukturproteine codiert. Der zweite Leserahmen (ORF2) dient der Synthese des Capsidproteins. Ein weiterer Leserahmen (ORF3) codiert für ein kleines Protein pORF3 von 112 bis 123 Aminosäuren Länge; es ist für die Infektiosität der Hepatitis-E-Viren wichtig. Dieser Leserahmen überlappt bei den meisten Isolaten mit dem des ORF1. Eine Ausnahme stellen die chinesischen Isolate der HepatitisE-Viren (Genotyp 4) dar, bei welchen das Ende des für das Vorläuferprodukt der Nichtstrukturproteine codierenden Bereichs vom Beginn des ORF3 durch 28 Basen voneinander getrennt sind.
7176
5000
AAA 3´
5´-Cap Capsidprotein ORF2
Nichtstrukturprotein ORF1 Methyl-/Guanosyltransferase
Protease
Helicase
RNA-Polymerase
ORF3
14.10 Genomorganisation der Hepeviren. Das mRNA-Genom ist am 5’-Ende gecappt und am 3’-Ende polyadenyliert, es wird im Cytoplasma der Zelle translatiert. Es enthält drei offene Leserahmen: ORF1 codiert für ein Nichtstrukturpolyprotein und enthält die Domänen einer Methyltransferase, einer Protease, einer RNA-Helicase und einer RNA-abhängigen RNA-Polymerase. Die Protease spaltet das Vorläuferprotein in die verschiedenen Teilstücke. Die RNA-abhängige RNA-Polymerase ist für die Synthese der Antigenome und der neuen viralen RNA-Genome verantwortlich. Im ORF2 ist das Capsidprotein codiert, der Leserahmen ORF3 codiert für ein 13,5 kD großes Nichtstrukturprotein.
14
14
192
14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
14.4.3 Virusproteine Das Vorläuferprotein der Nichtstrukturproteine (186 kD) umfasst 1 692 bis 1 709 Aminosäuren und enthält im aminoterminalen Bereich die Domänen einer Methylund Guanosyltransferase (䉴 Abbildung 14.10). Sie wird für die Modifikation der genomischen und subgenomischen RNAs durch eine 5’-Cap-Struktur benötigt. Ihr folgen eine Protease, welche das Vorläuferprotein in die einzelnen funktionellen Einheiten und eine RNA-abhängige RNA-Polymerase spaltet (䉴 Tabelle 14.10). Die Protease gleicht einer Cysteinprotease des Papaintyps. Ob sie für alle Spaltungen im Vorläuferprotein verantwortlich ist und an welchen Stellen sie genau schneidet, ist nicht endgültig geklärt. Die Sequenzen für das Capsidprotein befinden sich bei den Hepatitis-E-Viren in einem separaten Leserahmen (ORF2). Beim Vergleich der verschiedenen Genotypen weist dieser den höchsten Konservierungsgrad auf. Das Protein hat im Allgemeinen eine Länge von 660 Aminosäuren (etwa 72 bis 76 kD), am aminoterminalen Ende findet man eine signalpeptidähnliche Sequenz, der eine Signalase-Spaltstelle folgt; es bildet Homodimere. Man fand, dass es sowohl in glycosylierter wie in nicht glycosylierter Form im Cytoplasma der infizierten Zellen vorliegt. Es wird vermutlich in Anbindung an die Membran des endoplasmatischen Reticulum syntheti-
sert und in das ER-Lumen eingeschleust. Dabei wird das Signalpeptid abgespalten und die Aminosäurekette mit Zuckergruppen modifiziert. Im Anschluss daran scheint ein Rücktransport der Capsidproteine in das Cytoplasma stattzufinden. Der Leserahmen ORF3 codiert für ein kleines phosphoryliertes Protein pORF3. Seine Funktion ist nicht endgültig geklärt. In two-hybrid-Analysen stellte sich heraus, dass es mit Capsidproteinen interagiert und die Phosphorylierung der Aminosäure Serin an Position 80 des pORF3 für diese Wechselwirkung notwendig ist. Auch zeigte sich eine Bindung an Bikunin, einem kunitztypartigen Inhibitor der Serinproteasen sowie an Hemopexin, ein Glycoprotein im Blutplasma, das zur Gruppe der Akutphaseproteine zählt (䉴 Kapitel 7). Inwieweit diese in vitro Befunde bei der Vermehrung der Hepatitis-E-Viren eine Rolle spielen ist unklar. Neue Daten weisen auf die Wechselwirkung des pORF3 mit dem Dyneinprotein der Mikrotulbuli hin. Daneben wurde gezeigt, dass das pORF3 in den Endosomen lokalisiert ist und dort den Transport von Proteinen zum Kompartiment der späten Endosomen behindert, so auch denjenigen des Rezeptors für den epidermalen Wachstumsfaktors (EGFR, epidermal growth factor receptor). Da dies auch den Transport der phosphorylierten Stat3-Proteine vom Cytoplasma in den Zellkern stört und somit die Einleitung der unspezifischen Immunreaktionen behindert (䉴 Kapitel 7 und 8), kön-
Tabelle 14.10 Funktion und Eigenschaften der Proteine der Hepeviren Protein
Größe (kD)
Eigenschaften
Funktion
Capsidprotein
76
Dimer; Signalpeptid wird abgespalten; teilweise glycosyliert
Capsidprotein
Capsidprotein
14,5
?
Lösliches Protein in Virionen, Spaltprodukt des 76 kD Capsidproteins?
Methyl-/Guanosyltransferase
110
?*
Capping der RNA-Genome und der subgenomischen RNA
Protease
?*
Homologie zu Cysteinproteasen
Spaltung des Vorläuferproduktes der Nichtstrukturproteine
RNA-Helicase
?*
NTP-Bindung
Lösung von RNA-Sekundärstrukturen Replikation
RNA-abhängige RNA-Polymerase
?*
?*
RNA-Replikation Synthese subgenomischer RNA
pORF3
13,5
phosphoryliert; Homodimer
mit Cytoskelett assoziiert
* Wegen des Fehlens eines geeigneten Zellkultursystems zur Züchtung der Hepatitis-E-Viren gibt es zur Größe und Modifikation insbesondere der Nichtstrukturproteine keine Daten.
14.4 Hepeviren
nen diese sich nicht richtig entfalten. Durch die Unterdrückung der frühen Immunabwehr könnte es dem Virus gelingen, sich ungestört zu vermehren.
14.4.4 Replikation Der erste Schritt im Vermehrungszyklus der Hepeviren ist die Translation der Nichtstrukturproteine unter Verwendung des Plusstrang-RNA-Genoms als mRNA. Das gebildete Vorläuferprotein wird vermutlich in Analogie zu anderen Positivstrang-RNA-Viren autokatalytisch durch die Protease gespalten, wodurch die Funktionen der viralen RNA-abhängigen RNA-Polymerase, der RNAHelicase und der Methyl-/Guanosyltransferase in der Zelle vorliegen. Sie sind an der Bildung der Minusstränge beteiligt, die bei Verwendung des Virusgenoms als Matrize synthetisiert werden – ein Vorgang, der wie alle weiteren in Assoziation mit den Membranen des endoplasmatischen Reticulums abläuft. Die Minusstränge dienen dann als Matrize für die Synthese neuer Virusgenome. Daneben hat man in den infizierten Zellen zwei subgenomische RNAs mit Längen von 2,0 kB und 3,7 kB gefunden, die von dem Minusstrang transkribiert werden: Die bicistronische, 2,0 kB lange subgenomische RNA überspannt die Bereiche der zum 3’Ende des Genoms orientierten Leserahmen ORF2 und ORF3, sie dient zur Translation der Capsidproteine und des pORF3 (䉴 Abbildung 14.10). Ob die 3,7 kB umfassende subgenomische RNA eine entsprechende Funktion hat, ist unklar. Die Capsidproteine interagieren zu Vorstrukturen der Viruspartikel, in welche die virale RNA eingelagert wird. Die Freisetzung der neu gebildeten Viren erfolgt von der Oberfläche der infizierten Zellen.
14.4.5 Human- und tierpathogene Vertreter der Hepeviren Die Hepatitis-E-Viren Epidemiologie und Übertragung 1955 trat in Neu-Delhi eine Hepatitisepidemie auf, die fäkal-oral durch kontaminiertes Trinkwasser übertragen wurde und an der 29 000 Menschen erkrankten. Weitere Ausbrüche beobachtete man in Mittelamerika, Afrika, Hinterindien, China und im Süden der ehemaligen UdSSR, vereinzelt entwickelten auch Patienten in Nichtendemiegebieten, so auch in mitteleuropäischen Ländern, ähnliche Formen einer infektiösen Leberent-
193
zündung. Ursprünglich hatte man aufgrund der Übertragungsweise gedacht, dass Hepatitis-A-Viren die Erkrankungen ausgelöst hätten. Erst retrospektiv ließen sich alle als Hepatitis-E-Virus-Epidemien identifizieren. Nach ihrer erstmaligen Isolierung durch Mikhail S. Balayan – er hatte sich selbst mit erregerhaltigem Material infiziert – erfolgte die molekulare Charakterisierung der Hepatitis-E-Viren 1988 durch Daniel W. Bradley und Mitarbeiter. Sie konnten aus Stuhlproben Viruspartikel isolieren, die mit Seren von Rekonvaleszenten eine positive Reaktion zeigten und nach oraler Verfütterung bei Makaken eine Hepatitis E erzeugten. Später zeigte sich, dass die Viren auch auf andere Primaten und auch auf Tierspezies wie Ratten, Schafe und Rinder übertragen werden können. 1997 wurden erstmals aus Schweinen Hepatitis-E-Viren isoliert. Diese sind – wie in nachfolgenden Untersuchungen gezeigt – weltweit in den Wild- und Hausschweinpopulationen verbreitet. Man geht davon aus, dass die nicht mehr säugenden heranwachsenden Jungtiere hauptsächlich fäkal-oral infiziert werden. Mindestens 50 Prozent aller Tiere, die älter als sechs Wochen sind, weisen Antikörper gegen die Viren auf. Die Hepatitis-E-Viren scheinen bereits lange in der menschlichen Bevölkerung verbreitet zu sein. Fast 90 Prozent der Erwachsenen in Ägypten haben HepatitisE-spezifische Antikörper, in Indien sind es etwa 40 Prozent, in den USA zwischen vier Prozent in den Süd- und Ostküstenstaaten und bis zu über 30 Prozent im Mittleren Westen; in Deutschland liegt die Seroprävalenz bei etwa vier Prozent, in Südwestfrankreich bei etwa 16 Prozent. Die verschiedenen Genotypen kommen in unterschiedlichen geographischen Regionen vor: Viren des Genotyps 1 sind in Asien und Nordafrika verbreitet, den Genotyp 2 fand man bei Hepatitis-E-Epidemien in Mittelamerika und Zentralafrika, den Genotyp 3 hingegen in verschiedenen europäischen Ländern, in Nordund Südamerika und Japan; Viren des Genotyps 4 werden vor allem in China, Taiwan, Japan und Vietnam nachgewiesen. Während man Hepatitis-E-Viren der Genotypen 1 und 2 bisher in Menschen fand, infizieren Viren der Genotypen 3 und 4 sowohl Menschen wie Schweine; ihre regionale Verbreitung in Menschen und Schweinen ist daher auch deckungsgleich. In fünf Prozent der Blutproben von Wildschweinen in Deutschland wurde virale RNA von Hepatitis-E-Viren des Genotyps 3 nachgewiesen. In den Niederlanden fand man in fast sieben Prozent der kommerziell erhältlichen Schweinelebern Genome von Hepatitis-E-Viren/Genotyp 3; wurden Proben davon in Schweine inokuliert, entwickelten diese eine akute Infektion – ein Hinweis, dass die Leberproben infektiöse Hepatitis-E-Viren enthielten. Bis heute können die Erreger nicht gut in vitro gezüchtet
14
14
194
14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
werden. Sie besitzen auch nicht die hohe Partikelstabilität, wie man sie bei Hepatitis-A-Viren kennt (䉴 Abschnitt 14.1). Neben der üblicherweise beobachteten fäkal-oralen Übertragung (über kontaminiertes Trinkwasser) und der vermuteten zoonotischen Weitergabe wird das Hepatitis-E-Virus auch direkt von Mensch zu Mensch durch Tröpfchen- und Schmierinfektion verbreitet.
aber auch das ungeborene Kind betroffen sein. Chronisch-persistierende Infektionen können in immunsupprimierten Patienten etabliert werden; in Empfängern von Organtransplantaten (Leber, Niere, Bauchspeicheldrüse) wurden chronische Hepatitiden und die Entwicklung von Leberzirrhose berichtet, die offensichtlich mit persistierenden Hepatitis-E-Virusinfektionen in Verbindung standen.
Klinik
Pathogenese
In Schweinen verursachen Infektionen mit den Hepatitis-E-Viren offensichtlich keine klinischen Symptome. Beim Menschen scheint die Schwere der Erkrankung mit der Menge von Hepatitis-E-Viren, die bei Kontakt übertragen wurden, in direktem Zusammenhang zu stehen. Bei sehr niedrigen Mengen verlaufen die Infektionen – vor allem bei Kindern – häufig asymptomatisch. Nach einer durchschnittlichen Inkubationszeit von sechs bis sieben Wochen treten grippeähnliche Symptome, Übelkeit, Erbrechen, Fieber, Juckreiz, Gelenk- und Kopfschmerzen auf, die mit einem hohen Anstieg der Leberenzymwerte einhergehen. Die sich im Krankheitsverlauf entwickelnde intrahepatische cholestatische Gelbsucht, die durch Leberzellzerfall und den Rückstau von Gallenflüssigkeit verursacht wird, kann mehrere Wochen andauern (heller Stuhl, dunkler Urin, gelbe Augen). Die Mortalitätsrate ist mit ein bis vier Prozent deutlich höher als bei Infektionen mit dem HepatitisA-Virus (䉴 Abschnitt 14.1). Auffällig ist insbesondere die hohe Rate von Todesfällen bei akut infizierten Schwangeren, die vor allem in Indien beobachtet wird; sie liegt bei etwa 20 Prozent. Neben der Mutter kann
Das Hepatitis-E-Virus gelangt überwiegend über kontaminierte Lebensmittel in den Organismus und siedelt sich in den Leberzellen an. Wie es dorthin gelangt und an welchen zellulären Rezeptor es sich bindet, ist unbekannt. Von der Leber wird das Virus in das Blut und über die Gallengänge in den Darm ausgeschieden. Ähnlich wie bei der Hepatitis A ist die Ausscheidung infektiöser Hepatitis-E-Viren und die Virämie vor dem Auftreten der Symptome am höchsten. Pathohistologisch ist die Hepatitis E durch Zellnekrosen und -degenerationen in der Leber gekennzeichnet, man findet sie auch bei der ansonsten asymptomatischen Infektion im Schwein. In den intratubulären Infiltraten lassen sich einwandernde Granulocyten nachweisen, wohingegen sich im Portalgebiet mehr Lympho- als Granulocyten befinden.
Immunreaktion und Diagnose Im Verlauf der Infektion werden zunächst IgM- und dann IgG-Antikörper gegen das Capsidprotein gebildet, die in ELISA- oder Western-Blot-Tests nachgewiesen werden können. Die Diagnose frischer Virusinfektionen
q Das aviäre Hepatitis-E-Virus Das aviäre Hepatitis-E-Virus wurde ursprünglich in den USA in Geweben eines Huhns nachgewiesen, welches an dem HS-Syndrom (Hepatitis-Splenomegalie-Syndrom) erkrankt war. Es zeigte sich, dass dieses Virus ausschließlich Hühner infiziert und weltweit im Geflügel verbreitet ist. In den Geflügelbeständen findet man eine hohe Seroprävalenz von etwa 30 Prozent. Das HS-Syndrom ist durch eine erhöhte Mortalität in der Herde gekennzeichnet, die erkrankten Tiere haben eine Vergrößerung der Leber und Milz, sowie eine Ovaratrophie. Histologisch können in den veränderten Lebern Blutungen sowie ausgedehnte oder multifokale Nekrosen nachgewiesen werden.
Es gibt keinen Hinweis, dass aviäre Hepatitis-E-Viren auf den Menschen übertragbar sind. Die Genomorganisation ist identisch zu derjenigen der humanen und porcinen Isolate; die Sequenzhomologie ist jedoch mit etwa 50 bis 60 Prozent relativ gering. Ähnlich wie die humanen und porcinen Hepeviren ist auch das aviäre Hepatitis-E-Virus in Zellkultur nicht propagierbar. Bei Vergleich der Genomsequenzen verschiedener Isolate von aviären Hepatitis-E-Viren fällt eine deutliche ausgeprägte genetische Heterogenität auf: Die Sequenzidentität zwischen einigen Isolaten beträgt nur 70 Prozent.
14.4 Hepeviren
erfolgt durch den Nachweis von IgM-Antikörpern gegen die Capsidproteine und viraler RNA im Serum oder Stuhl durch die Polymerasekettenreaktion.
Therapie und Prophylaxe In den Endemiegebieten ist die beste Maßnahme zur Vermeidung von Infektionen die Sauberhaltung von Wasserversorgungsanlagen. Ein Impfstoff auf Basis rekombinant in Insektenzellkulturen produzierter Capsidproteine zeigte in klinischen Studien einen sehr guten Schutz und kaum Nebenwirkungen; diese Vakzine sind aber kommerziell noch nicht erhältlich. Eine antivirale Chemotherapie existiert nicht.
14.4.7 Weiterführende Literatur Bouwknegt, M.; Lodder-Verschoor, F.; van der Poel, W. H.; Rutjes, S. A.; de Roda Husman, A. M. Hepatitis-E virus RNA in commercial porcine livers in The Netherlands. In: J. Food Prot. 70 (2007) S. 2889–2895. Bradley, D. W.; Balayan, M. S. Viruses of enterically transmitted non-A, non-B hepatitis. In: Lancet 1 (1988) S. 819. Chandra, V.; Kar-Roy, A.; Kumari, S.; Mayor, S.; Jameel, S. The Hepatitis-E virus ORF3 protein modulates epidermal growth factor receptor trafficking, STAT3 translocation, and the acute-phase response. In: J. Virol. 82 (2008) S. 7100–7110. Chandra, V.; Taneja, S.; Kalia, M.; Jameel, S. Molecular biology and pathogenesis of Hepatitis-E virus. In: J. Biosci. 33 (2008) S. 451–464. Choo, Q. L.; Kuo, G.; Weiner, A. J.; Overby, L. R.; Bradley, D. W.; Houghton, M. Isolation of a cDNA clone from a blood-borne non-A, non-B viral hepatitis genome. In: Science 244 (1989) S. 359—362. Guu, T. S.; Liu, Z.; Ye, Q.; Mata, D. A.; Li K.; Yin, C.; Zhang, J.; Tao, Y. J. Structure of the Hepatitis-E virus-like particle suggests mechanisms for virus assembly and receptor binding. In: Proc. Natl. Acad. Sci. USA 106 (2009) S. 12992–12997. Haagsma, E. B.; van den Berg, A. P.; Porte, R. J.; Benne, C. A.; Vennema, H.; Reimerink, J.H.; Koopmans, M. P. Chronic Hepatitis-E virus infection in liver transplant recipients. In: Liver Transpl. 14 (2008) S. 547–553. Kaci, S.; Nöckler, K.; Johne, R. Detection of Hepatitis-E virus in archived German wild boar serum samples. In: Vet. Microbiol. 128 (2008) S. 380–385. Kamar, N.; Selves, J.; Mansuy, J. M.; Ouezzani, L.; Péron, J. M.; Guitard, J.; Cointault, O.; Esposito, L.; Abravanel, F.; Danjoux, M.; Durand, D.; Vinel, J. P.; Izopet, J.; Rostaing, L. Hepatitis-E virus and chronic hepatitis in organ-transplant recipients. In: N. Engl. J. Med. 358 (2008) S. 811–817. Kannan, H.; Fan, S.; Patel, D.; Bossis, I.; Zhang, Y. J. The Hepatitis-E virus open reading frame 3 product interacts with microtubules and interferes with their dynamics. In: J. Virol. 83 (2009) S. 6375–6382
195
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14
14
196
14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
14.5 Flaviviren
membran, welche die Capside umgibt und virale Oberflächenproteine enthält.
14.5.1 Einteilung und charakteristische Vertreter
Die Flaviviren nutzen ähnlich wie die Picornaviren eine einzelsträngige mRNA als Genom und translatieren sie in ein Vorläuferprotein, das sowohl die Struktur- wie Nichtstrukturproteine umfasst; wie bei den Picornaviren werden keine subgenomischen mRNAs produziert. Die Flaviviren unterscheiden sich von den Picorna-, Astro-, Calici- und Hepeviren jedoch durch eine Hüll-
Die Familie der Flaviviridae umfasst über 70 verschiedene Virustypen, die drei Gattungen zugeordnet werden (䉴 Tabelle 14.11): Zum Genus Flavivirus gehört das Gelbfiebervirus; es war das erste Virus, für das ein an Insekten (Aedes spp.) gebundener Übertragungsweg nachgewiesen wurde. Die durch das Virus verursachte Gelbsucht war namensgebend für die Familie und Gattung (flavus, lat.: gelb). Außer diesem gibt es im Genus Flavivirus eine Reihe von weiteren humanpathogenen Erregern, die durch Arthropoden (Insekten und Spinnentiere) übertragen werden. Die Dengueviren, die ebenfalls durch Aedes spp. übertragen werden, sowie die Japanese-Encephalitis-, St.-Louis-Encephalitis- und West-Nile-Viren (übertragen durch Culex-Mücken) verursachen vor allem in tropischen Ländern fieberhafte Infekte, hämorrhagische oder neurologische Erkrankungen und Encephalitiden. In Mitteleuropa ist der Erreger der Frühsommer-Meningoencephalitis (FSME) als ein Vertreter der durch Zeckenbisse übertragenen Encephalitiden (tick-borne encephalitis, TBE) in bestimmten
Tabelle 14.11 Charakteristische Vertreter der Flaviviren Genus
Vektor – Überträger
Mensch
Tier
Flavivirus
Stechmücken
Gelbfiebervirus Denguevirus Typ 1-4 West-Nile-Virus Japanese-Encephalitis-Virus St.-Louis-Encephalitis-Virus
Gelbfiebervirus (Affe) Wesselsbronvirus (Schaf, Rind) West-Nile-Virus
Zecken
Tick-borne-Encephalitis-Virus (Frühsommer-Meningoencephalitis-Virus) Kyasanur-Forest-Disease-Virus Omsk-Haemorrhagic-Fever-Virus
Tick-borne-Encephalitis-Virus (Frühsommer-Meningoencephalitis-Virus) Kyasanur-Forest-Disease-Virus Omsk-Haemorrhagic-Fever-Virus Louping-Ill-Virus Jutiapavirus (Baumwollratte) Rio-Bravo-Virus (Fledermaus)
Pestivirus
–
Classical-Swine-Fever-Virus (klassische Schweinepest) Virus der bovinen Virusdiarrhoe (Mucosal Disease) Border-Disease-Virus der Schafe
Hepacivirus
–
Hepatitis-C-Virus
nicht klassifiziert
–
Hepatitis-G-Virus (GB-Virus)
14.5 Flaviviren
197
q Arboviren Viren, die durch Insekten oder Spinnentiere übertragen werden, bezeichnet man auch als Arboviren (arthropodborne viruses). Sie kommen vor allem in den tropischen und subtropischen Klimazonen vor. Voraussetzung für die Übertragung von Viren durch Arthropoden ist, dass diese bestimmte Organe der Überträger, etwa die Epithelzellen
Regionen endemisch verbreitet. Einige andere Flaviviren infizieren dagegen nur Säugetiere; sie werden vermutlich direkt von Tier zu Tier übertragen (das Rio-BravoVirus infiziert ausschließlich Fledermäuse, das Jutiapavirus Nagetiere). Das zweite Genus umfasst die Pestiviren, die schwere Tierseuchen, wie die klassische Schweinepest hervorrufen. Diese Viren werden nicht durch Arthropoden übertragen. Aufgrund seiner molekularbiologischen Charakteristika wurde das Hepatitis-C-Virus als eigenes Genus (Hepacivirus) in die Familie der Flaviviridae eingeordnet. Es wird vor allem durch kontaminiertes Blut übertragen und erzeugt beim Menschen eine meist chronische Infektion mit Leberentzündung; als Spätfolgen verursacht es Leberzirrhosen und primäre Leberzellkarzinome. Dem Hepatitis-C-Virus ähnelt das 1995 von Scott Muerhoff aus einem an einer Leberentzündung erkrankten Patienten isolierte Hepatitis-G-Virus, bekannt auch als GB-Virus. Das Virus ist weit verbreitet, entgegen ersten Vermutungen verursachen die Infektionen mit dem Hepatitis-G-Virus jedoch keine Hepatitis. Da die Aminosäuresequenz seines Polyproteins nur zu etwa 28 Prozent zum Hepatitis-C-Virus beziehungswei-
des Darmes und der Speicheldrüsen, infizieren können. Die alleinige Aufnahme von virushaltigem Blut durch Mücken oder Zecken genügt nicht: Die Viren müssen sowohl in Arthropoden- als auch in Säugetierzellen einen produktiven Infektionszyklus durchführen können.
se zu 20 Prozent zum Gelbfiebervirus homolog ist, wird es vermutlich in ein eigenes, neues Genus der Flaviviridae eingeordnet werden. Über die Molekularbiologie und die Pathogenese dieses Virus gibt es bislang nur sehr wenige Daten.
14.5.2 Aufbau Viruspartikel Die infektiösen Viren haben einen Durchmesser von 40 bis 50 nm. Die sphärischen Capside, die nur aus einem viralen Protein (C-Protein) bestehen, sind von einer Hüllmembran umgeben, in die bei den Vertretern des Genus Flavivirus zwei virale Oberflächenproteine, bezeichnet mit den Abkürzungen M und E, eingelagert sind (䉴 Abbildung 14.11). Das M-Protein ist mit einem Molekulargewicht von 7 bis 8 kD relativ klein, das EProtein ist spezifisch für den Virustyp; pro Partikel findet man 90 E-Proteindimere. Dem Hepatitis-C-Virus und den Pestiviren fehlt das M-Protein. Neben dem Hauptglycoprotein E2 (gp70) findet man hier ein kleineres glycosyliertes Oberflächenprotein E1 (gp33). Im
q NonA-NonB-Hepatitisviren Die Hepatitis-C-Viren wurden bis zu ihrer molekularen Identifizierung 1989 zu den sogenannten NonA-NonB-Hepatitisviren gerechnet. Zu den NonA-NonB-Hepatitisviren gehörten alle Erreger einer Leberentzündung, die durch die Diagnostik für Hepatitis-A- und Hepatitis-B-Viren nicht erfasst werden konnten. Auch nach der Charakterisierung der Hepatitis-C- und Hepatitis-E-Viren (letztere wurden 1988 charkterisiert und in die Familie der Hepeviridae ein-
geordnet; 䉴 Abschnitt 14.4) zählen dazu einige weitere, heute noch nicht bekannte Viren. So gibt es für die Existenz eines Hepatitis-F-Virus bislang nur indirekte Belege. Es war lange unklar, ob man das Hepatitis-C-Virus in die Familien Flavi- oder Togaviridae eingliedern sollte. Die genauere Kenntnis der molekularbiologischen Eigenschaften erlaubte es, das Hepatitis-C-Virus als eigenes Genus, Hepacivirus, in die Familie der Flaviviridae aufzunehmen.
14
198
14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
14.11 Aufbau eines Flaviviruspartikels (FSME-Virus). Das ikosaedrische Capsid wird von den C-Proteinen gebildet. Mit den Proteindomänen an der Capsidinnenseite ist das RNA-Genom assoziiert. Umgeben ist das Capsid von einer Hüllmembran, in welche die als Homodimere vorliegenden E-Proteine und die M-Proteine eingelagert sind.
Genom und Genomaufbau Das Genom besteht aus einzelsträngiger RNA und hat eine Länge von ungefähr 9 100 bis 12 000 Basen (10 862 beim Gelbfiebervirus, Impfvirus 17D; 10 664 bis 10 723
118
10352
A Gelbfiebervirus 5´Cap
10862
bei den Dengueviren, 11 141 beim FSME-Virus/Stamm Neudörfl; 9 340 bis 9 589 bei Hepatitis-C-Viren; 9 143 bis 9 493 bei Hepatitis-G-Viren; 12 308 bis 12 573 beim Virus der bovinen Virusdiarrhoe; 12 297 beim ClassicalSwine-Fever-Virus). Die RNA liegt in Plusstrangorientierung vor und besitzt einen großen Leserahmen, der beim Gelbfiebervirus eine Länge von 10 233 Basen hat (䉴 Abbildung 14.12). Ähnlich wie bei den Picornaviren wird von ihm ein einziges gemeinsames Vorläuferpoly-
Inneren der Capside ist das RNA-Genom lokalisiert, das mit dem stark basischen C-Protein in enger Wechselwirkung vorliegt.
C PM
E
NS1
NS2 NS2 a b
NS3
NS4 NS4 a b
3411
2506
2394
2107
1484
1354
1157
778
121 210 285
NS5 COOH
Signalase
Signalase Golgi-Protease Signalase
NH2 ?
132
5´Cap
10377
B Frühsommer-Meningoencephalitis-Virus
11141
1
3´
C PM
E
NS1
NS3
NS4 a
3415
2511
2259
2110
1489
NS2 NS2 a b
NS4 b
NS 5 COOH
Signalase
NH2
1358
1128
776
116 205 280
1
3´
Signalase Golgi-Protease Signalase
14
14.12 Genomorganisation der Flaviviren. A: Gelbfiebervirus, Impfstamm 17D. B: FSME-Virus, Stamm Neudörfl.
14.5 Flaviviren
199
12308
386
12082
C Virus der bovinen Virusdiarrhoe
5´ IRES
N
pro
rns
C E
E1
E2
p7
NS2
NS3
a
3899
3270
2774
2363 2427
1680
1086 1187
693
498
1
169 271
3´
NS5 b
NS5 a
NS4 b
Signalase
?
Signalase Signalase
COOH Signalase
NH2 keine Spaltung bei nicht cytopathogenen BVDV-Stämmen
D Hepatitis-C-Virus IRES
341
9371
Replikation
5´
27-45
C
E1
E2
p7 NS2
NS3
Signalase Signalase
Signalase
Signalase
NH2
a
cis s tran
tran
NS4 b
NS5 a
3010
2420
1972
1657 1711
1025
747 810
383
1
191
3´ AUG
NS5 b COOH
s s tran
14.12 (Fortsetzung) C: Virus der bovinen Virusdiarrhoe (BVDV) Stamm SD-1, nicht cytopathogen. D: Hepatitis-C-Virus. Beim Hepatitis-C-Virus und bei den Pestiviren (BVDV) befindet sich in der nichttranslatierten Region am 5’-Ende eine IRES (internal ribosomal entry site), bei den Vertretern des Genus Flavivirus (Gelbfiebervirus und Frühsommer-Meningoencephalitis-Virus) ist das 5’-Ende des Genoms durch eine Cap-Gruppe modifiziert. Die Genome der Flaviviren besitzen einen durchgehenden offenen Leserahmen. Er codiert für ein Polyprotein, das proteolytisch in die verschiedenen Proteinkomponten gespalten wird (Strukturproteine in Farbe). Verantwortlich sind hierfür sowohl Enzyme, die als Teil des Polyproteins autokatalytisch wirken und aktiviert werden, als auch zelluläre Proteasen/Signalasen. Die Zahlenangaben beziehen sich auf die Aminosäurepositionen im Polyprotein, an welchen die jeweiligen Spaltungen erfolgen.
protein synthetisiert und im Infektionsverlauf in die einzelnen Komponenten gespalten. Die RNA der Flaviviren weist am 5’-Ende eine Cap-Struktur auf. Der Leserahmen wird an den 5’- und 3’-Enden von nichttranslatierten Nucleotidfolgen flankiert, die im Falle des Gelbfiebervirus 118 beziehungsweise 511 Basen lang sind. Das 3’-Ende selbst ist nicht polyadenyliert. Es finden sich jedoch in diesem Bereich adenosinreiche Basenfolgen variabler Länge. Die Genome der Pesti- und Hepaciviren haben im Unterschied zu denen der Vertreter der Gattung Flavivirus am 5’-Ende des Genoms keine Cap-Gruppe, sondern – ähnlich wie die Picornaviren – eine IRESStruktur. Diese vermittelt die Bindung der Ribosomenuntereinheiten und die Initiation der Translation des Polyproteins (䉴 Abschnitt 14.1.4). Beim Hepatitis-CVirus ist deshalb die nichttranslatierte Region am 5’-
Ende der Genome mit etwa 340 Basen deutlich länger als bei den Flaviviren. Am 3’-Ende des Hepatitis-C-Virusgenoms befindet sich eine kurze Folge von Uridinund Adenosinresten. Ähnlich wie auch die nichttranslatierten Sequenzen im 3’-Bereich der anderen Flaviviren haben sie während der Genomreplikation wichtige Funktionen bei der Initiation der RNA-Negativstränge.
14.5.3 Virusproteine Polyprotein Das Polyprotein umfasst beim Gelbfiebervirus insgesamt 3 411 Aminosäuren (3 412 beim FSME-Virus); die Sequenzen der Strukturproteine befinden sich im aminoterminalen Drittel in folgender Reihenfolge: Capsid-
14
14
200
14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
protein, virale Membranproteine PrM (als Vorläuferprodukt des M-Proteins) und E (䉴 Abbildung 14.12 und Tabelle 14.12); daran schließen sich die Sequenzfolgen der Nichtstrukturproteine NS1 bis NS5 an. Beim Hepatitis-C-Virus sind die Proteine anders angeordnet: In seinem durchschnittlich 3 000 Aminosäuren umfassenden Polyprotein fehlen die Sequenzen des PrM-Proteins. Im Anschluss an das Capsidprotein ist das E1-Protein lokalisiert, ein glycosyliertes Membranprotein mit einem Molekulargewicht von circa 33 kD. Daran schließen sich die Aminosäurefolgen eines zweiten Glycoproteins (E2, gp68–72) und eines kleinen Proteins (p7) an. NS1 ist als Gen beziehungsweise Protein beim Hepatitis-C-Virus nicht vorhanden (䉴 Abbildung 14.12). An die Proteinabschnitte C-E1-E2-p7 schließen sich die Nichtstrukturproteine NS2 bis NS5B an. 䉴 Tabelle 14.12 gibt eine vergleichende Zusammenfassung der Eigenschaften der Proteine. Wie bei den Hepaciviren fehlen auch in den Polyproteinen der Pestiviren die Sequenzen der NS1-Proteine; auch sie verfügen über zwei glycosylierte Membranproteine E1 und E2, ihren Sequenzen folgen denen des Proteins p7. Darüber hinaus haben die Polyproteine der Pestiviren einige zusätzliche Besonderheiten: Abweichend von den Flavi- und Hepaciviren codieren die Genome für ein Nichtstrukturprotein NPro am 5’-Ende des Virusgenoms; es ist im Polyprotein vor den Domänen der Strukturproteine lokalisiert (䉴 Abbildung 14.11). Im Anschluss an die Sequenzen, welche für die Synthese des Capsidproteins C verantwortlich sind, findet sich die Information zur Produktion einer RNase (Erns), die Teil der Viruspartikel ist und auch von den Zellen sezerniert wird. Die Prozessierung des Strukturproteinanteils des Vorläuferprodukts in die einzelnen, funktionell aktiven Bestandteile der C-, PrM und E-Proteine (Flaviviren), der C-, E1-, E2- und p7-Proteine (Hepaciviren) beziehungsweise der C- Erns-, E1-, E2- und p7-Proteine (Pestiviren) erfolgt durch die zelluläre, mit der Membran des endoplasmatischen Reticulums assoziierte Signalase. Im zellulären Stoffwechsel entfernt diese Protease die Signalpeptide von den aminoterminalen Enden der am endoplasmatischen Reticulum translatierten Proteine. Npro der Pestiviren ist eine autokatalytisch wirkende Protease, die sich cotranslational vom Vorläuferprotein abspaltet. Für alle weiteren Prozessierungen sind im wesentlichen virale Proteasen verantwortlich: Zwischen den NS2- und NS3-Anteilen schneidet die im NS2BProtein verankerte proteolytische Aktivität. Beim Hepatitis-C-Virus und bei den nichtcytopathogenen Stämmen des Virus der bovinen Virusdiarrhoe ist dafür eine proteolytische Aktivität verantwortlich, die sich in der aminoterminalen Domäne des NS3-Proteins befindet,
aber nur im Fusionsprodukt aus den NS2- und NS3Proteinen ihre Aktivität entfaltet. Das NS3-Protein selbst wirkt als Serinprotease und führt alle weiteren Spaltungen durch, beim Hepatitis-C-Virus benötigt sie hierfür das NS4A-Protein als Cofaktor.
Strukturproteine Das C-Protein bildet das Capsid. Es enthält eine hohe Anzahl von basischen Aminosäuren, die im Partikel mit dem RNA-Genom zum Nucleocapsid interagieren. Das carboxyterminale Ende des C-Proteins ist stark hydrophob. Es vermittelt die Interaktion des Polyproteins mit der Membran des endoplasmatischen Reticulums und induziert die Spaltung durch die Signalase zwischen den C- und PrM- (Flaviviren) beziehungsweise C- und E1(Hepaciviren) sowie C- und Erns-Abschnitten (Pestiviren). Eine Besonderheit findet man beim Virus der bovinen Virusdiarrhoe (BVDV): Es sind Mutanten beschrieben, denen der für das Capsidprotein codierende Genomabschnitt vollständig fehlt, die aber dennoch die Morphologie eines Flavivirus aufweisen. Das C-Protein ist bei diesen Viren demnach für die Bildung infektiöser Partikel nicht essenziell. Die Funktionen des C-Proteins werden in diesem Fall vom NS3-Protein übernommen: Es interagiert mit dem RNA-Genom und den E-Proteinen. Das an Asparaginresten glycosylierte PrM-Protein ist der Vorläufer des sehr kleinen, in der Virusmembran verankerten, nicht glycosylierten M-Proteins. Mit einem Molekulargewicht von etwa 19 kD beim Gelbfiebervirus und 24–27 kD bei den durch Zeckenbiss übertragenen Flaviviren ist das PrM- deutlich größer als das M-Protein in den infektiösen Partikeln. Spät in der Virusmorphogenese wird der aminoterminale Anteil des PrMProteins während der Passage durch den Golgi-Apparat durch die zelluläre Protease Furin abgespalten. Diese Spaltung ist für die Infektiosität der Viruspartikel essenziell, sie induziert die fusogenen Eigenschaften des EProteins zur Verschmelzung der Endosomen- mit der Virusmembran nach der Aufnahme der Viren in das Zellinnere. In der Virushülle findet man desweiteren 90 Dimere des glycosylierten E-Proteins. Die Struktur des E-Proteins der FSME-Viren wurde 1995 durch Félix A. Rey und Kollegen mittels Röntgenbeugung aufgeklärt. Im Vergleich zu anderen, in ihrer Struktur bekannten viralen Oberflächenproteinen (Hämagglutinin der Influenzaviren; 䉴 Abschnitt 16.3) besitzt das E-Protein einen ungewöhnlichen Aufbau: Es ist über eine hydrophobe Aminosäurefolge im carboxyterminalen Bereich mit der Membran verankert, liegt ihr flach auf und bestimmt aufgrund der durch die Proteinfaltung bedingten Krüm-
14.5 Flaviviren
201
Tabelle 14.12 Vergleich und Funktion der flavivirusspezifischen Proteine Protein
Gelbfiebervirus
FSMEVirus
Hepatitis-CVirus
Virus der Funktion bovinen Virusdiarrhoe (BVDV)
Npro
–
–
–
23 kD
Protease; spaltet sich autokatalytisch vom Vorläuferprotein ab; bewirkt Ubiquitinylierung und Abbau des IRF3
C
12–14 kD
13–16 kD
22 kD
14 kD
Capsidprotein; Interaktion mit RNAGenom
PrM/ M
18–19 kD/ 7–9 kD
24–27 kD/ 7–8 kD
—
—
Membranprotein; Spaltung durch Furin-Protease
E
51–59 kD
50–60 kD
—
—
Membranprotein; glycosyliert; neutralisierende Antikörper; Hämagglutinin; Adsorption
Erns
—
—
—
44–48 kD
RNase; sezerniert; glycosyliert
E1
—
—
31–35 kD
25–33 kD
Membranprotein; glycosyliert
E2
—
—
70–72 kD
53–55 kD
Membranprotein; glycosyliert
p7
—
—
7 kD
7 kD
Ionenkanal?; hydrophob
NS1
19–25 kD
39–41 kD
—
—
hochkonserviert; glycosyliert; zellmembranassoziiert; sezerniert; kein Bestandteil der Viruspartikel
NS2A
20–24 kD
20 kD
—
—
assoziiert mit ER-Membran; Morphogenese
NS2B
14 kD
14 kD
—
—
Zn2+-Metalloproteinase; assoziiert mit NS3Protease (FSME-Viren und ähnliche)
NS2
—
—
21–23 kD
38–54 kD
Zn2+-bindend
NS2/3
—
—
90–95 kD
120–125 kD
Zn2+-bindend; wirkt autokatalytisch als Protease und bewirkt Spaltung in NS2 und NS3 beim Hepatitis-C-Virus sowie bei pathogenen BVDV-Stämmen
NS3
68–70 kD
70 kD
70 kD
75–80 kD
Serinprotease; bewirkt Spaltung der Nichtstrukturproteine im Polyprotein; dsRNAHelicase
NS4A
16 kD
16 kD
8–10 kD
7–10 kD
hydrophob; assoziiert mit ER-Membran; hemmt bei Flaviviren die IFN-a/IFN-b vermittelte Signalübertragung NS4A von Hepatitis-C-Virus und BVDV bildet Heterodimer mit NS3-Protease
NS4B
26 kD
27 kD
27 kD
30 kD
hydrophob; assoziiert mit ER-Membran
NS5
103–104 kD
100 kD*
—
—
Methyltransferase; RNA-abhängige RNAPolymerase
NS5A
—
—
56–58 kD
58–70 kD
phosphoryliert; membranverankert; Virusmorphogenese
NS5B
—
—
68–70 kD
75–78 kD
RNA-abhängige RNA-Polymerase
* hochkonserviert, an Virusreplikation beteiligt. Die in der Tabelle angegebene Reihenfolge der Proteine entspricht ihrer Anordnung im Polyprotein.
14
14
202
14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
14.13 Struktur des E-Proteins des FSME-Virus, dargestellt in einem Bändermodell. Die Abbildung zeigt eine Aufsicht auf den homodimeren Proteinkomplex (das Protein liegt hier also auf der Virusoberfläche). Die carboxyterminale Domäne, welche die Transmembranregion enthält, wurde durch proteolytischen Verdau entfernt (mit freundlicher Genehmigung von Franz X. Heinz, Universität Wien).
mung die Größe des Partikels (䉴 Abbildung 14.13). Das E-Protein vermittelt die Adsorption des Virus an die Zellen und induziert nach Aufnahme der Partikel durch rezeptorvermittelte Endocytose bei niedrigem pH-Wert die Fusion von Virus- und Endosomenmembran. Außerdem ist es für die hämagglutinierenden Eigenschaften der Flaviviren verantwortlich. Im Verlauf der Infektion werden gegen das E-Protein virusneutralisierende Antikörper induziert. Sie schützen vor einer Neuinfektion mit dem gleichen Virustyp. Die glycosylierten E1-und E2-Proteine der HepatitisC-Viren weisen Sequenzhomologien mit den entsprechenden Proteinen der Pestiviren auf. Die E1-Proteine sind nicht kovalent mit den E2-Proteinen assoziiert und über carboxyterminal orientierte hydrophobe Aminosäurefolgen in der Membran verankert. Im carboxyterminalen Bereich des E2-Proteins hat man eine hoch variable Region gefunden, in der sich die verschiedenen Serotypen des Hepatitis-C-Virus, aber auch einzelne Virusisolate unterscheiden.
Bei den Pestiviren wurde ein weiteres Hüllprotein charakterisiert und als Erns-Protein (envelope protein, RNase secreted) bezeichnet. Es ist Teil der Virionen, besitzt dsRNase-Aktivität, wird von virusinfizieren Zellen sezerniert und induziert die Bildung neutralisierender Antikörper. Die Funktion dieses Proteins im viralen Replikationszyklus ist nicht endgültig geklärt. Beim Virus der bovinen Virusdiarrhoe stellte sich heraus, dass das Protein Erns durch seine Fähigkeit zum Abbau doppelsträngiger RNA den immunologischen Abwehrmaßnahmen entgegenwirkt, die durch dsRNA ausgelöst werden. Hierzu zählen unter anderem die Aktivierung der tolllike-Rezeptoren 3 (TLR3), wodurch die Produktion von IFN-α und IFN-β eingeleitet wird (䉴 Kapitel 7 und 8).
Nichtstrukturproteine Das NS1-Protein der Flaviviren ist mit der Zellmembran assoziiert. Bei Infektion von Säugetier-, nicht jedoch von Insektenzellen findet man eine lösliche Form der NS1-
¡ Zahlreiche Viren sind in der Lage, Erythrocyten zu agglutinieren Sehr viele Viren können über die entsprechenden Aktivitäten ihrer Oberflächenproteine eine Hämagglutination hervorrufen. Man versteht darunter die virusinduzierte Verklumpung und Aggregation von roten Blutkörperchen. Vor der Einführung von hochspezifischen ELISA- und PCR-Tests
zum Nachweis von viralen Infektionen war der Hämagglutinationstest beziehungsweise Hämagglutinationshemmtest eine sehr wichtige diagnostische Methode (䉴 Kapitel 13). In seltenen Fällen wird er auch heute noch eingesetzt.
14.5 Flaviviren
Proteine, die von den Zellen sezerniert wird. Es gibt Hinweise, dass das membrangebundene NS1-Protein als Dimer, die sezernierte Form dagegen als Hexamer vorliegt. NS1-spezifische Antikörper scheinen bei einigen Flaviviren die antikörpervermittelte Lyse der infizierten Zellen einzuleiten und so protektiv zu wirken. Die Funktion des Proteins während des Infektionszyklus ist unklar. Es ist möglicherweise an der Replikation der Virusgenome sowie am intrazellulären Transport der viralen Strukturproteine und an der Virusfreisetzung beteiligt. Für das NS1-Protein der West-Nile-Viren fand sich kürzlich eine immunmodulatorsiche Funktion: Es hemmt die durch toll-like-Rezeptor 3 (TLR3) vermittelte Signalkaskade, indem es den Transport von IRF-3 (interferon regulatory factor 3) und NFκB in den Zellkern verhindert. Als Folge wird die Produktion von IFN-β und proinflammatorischer Cytokine wie IL-6 unterbunden. Desweiteren bindet bei dem West-NileVirus sowohl die lösliche wie die mit der Zellmembran assoziierte Version des NS1-Proteins den Proteinfaktor H – einen Regulator der Komplementaktivierung. Dies führt zu einer verringerten Anlagerung der C3Komponente und des Membranangriffskomplexes (C5B bis C9; 䉴 Kapitel 7). Das 7K-Protein der Hepatitis-C- und Pestiviren ist ein kleines hydrophobes Protein; man vermutet, dass es membranverankert vorliegt und möglicherweise die Funktion eines Ionenkanalproteins hat. Das NS2-Protein wird bei den Flaviviren in die Anteile NS2A und NS2B gespalten. Zur Funktion von NS2A gibt es wenige Daten. Es ist mit der Membran des endoplasmatischen Reticulums assoziiert und spielt bei der Morphogenese der Flaviviren eine wichtige Rolle. Auch scheint es die interferonvermittelte antivirale Immunantwort zu hemmen. Das NS2B-Protein der Flaviviren ist ein essenzieller Cofaktor der NS3-Protease. Beim Hepatitis-C-Virus bildet der NS2-Teil in Fusion mit NS3 die katalytische Domäne einer Zn2+-abhängigen Protease, die zwischen NS2 und NS3 spaltet. Das NS3-Protein aller Flaviviren ist bifunktionell: Die aminoterminale Region besitzt die Aktivität einer Serinprotease und ist für alle Spaltungen in den Regionen des Polyproteins verantwortlich, die der NS3-Domäne folgen. In der carboxyterminalen Region befinden sich NTP-Bindungsstellen und eine Helicaseaktivität. Letztere ist ein Mitglied der Helicase-Superfamilie DexH/DBox und für die Entwindung der stark strukturierten doppelsträngigen RNA-Intermediate sowohl bei der Genomreplikation als auch bei der Translation und Synthese des Polyproteins notwendig. Die NS3-Protease der Flaviviren ist ein Heterodimer bestehend aus NS2B und NS3. Beim Hepatitis-C-Virus interagiert das NS3-Protein über seine aminoterminale Region, welche das
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aktive Zentrum der Serinprotease enthält, mit dem NS4A-Protein und bildet so ein Heterodimer, das über die hydrophoben Domänen im NS4A in der ER-Membran verankert ist. Beim Hepatitis-C-Virus hat das NS4A-Protein wohl vor allem die Funktion, mit der NS3-Protease zu interagieren. Das NS3-Protein wird so an die Membranen des endoplasmatischen Reticulums gebunden und bleibt Teil des Replikationskomplexes. Bei den Flaviviren ist das NS4A-Protein ebenfalls mit der ER-Membran, nicht aber mit dem NS3-Protein assoziiert. Es trägt zur Umordnung der Membranen des endoplasmatischen Reticulums bei und inhibiert zusätzlich die durch IFN-α/ IFN-β vermittelten Signalübertragungswege, dabei hemmt es die Phosphorylierung der Stat-1und Stat-2 Proteine. Über die Funktion der membranverankerten NS4BProteine ist wenig bekannt. Beim Hepatitis-C-Virus induziert es die Ausbildung spezieller intrazellulärer Membrankompartimente, an denen die Replikation der Virusgenome stattfindet. Im Falle der Vertreter des Genus Flavivirus gibt es Hinweise, dass die NS4B-Proteine, ähnlich wie die NS4A-Proteine, die interferonvermittelte Immunabwehr behindern; diese Daten sind allerdings umstritten. Das NS5-Protein der Flaviviren ist ein multifunktionelles Protein: Die aminoterminale Domäne hat die Aktivität einer Methyltransferase, die beim 5’-Capping der RNA-Genome benötigt wird. Da die Replikation und Virusvermehrung im Cytoplasma der infizierten Zellen abläuft, können die Viren nicht auf die entsprechenden zellulären Enzyme zurückgreifen, die im Zellkern lokalisiert sind. Zusätzlich hat die aminoterminale NS5-Domäne auch die Funktion eines Antagonisten der Interferonwirkung: Sie blockiert die IFN-stimulierten Jak-/Stat-Signalübertragungswege und verhindert die Expression der IFN-stimulierten Gene. Die carboxyterminale Domäne des NS5-Proteins stellt die Aktivität der RNA-abhängigen RNA-Polymerase. Das NS5-Protein der Hepatitis-C- und der Pestiviren wird durch die NS3Protease in die Teile NS5A und NS5B gespalten. Die NS5B-Proteine sind die RNA-abhängigen RNA-Polymerasen und essenziell für die Replikation des RNA-Genoms. Das NS5A-Protein ist phosphoryliert, membranverankert und RNA-bindend. Die carboxyterminale Domäne von NS5A hat wichtige Funktionen bei der Virusmorphogenese: Sie bewirkt, dass sich die C-Proteine an den intrazellulären Membrankompartimenten ansammeln. Deletiert man die carboxyterminale NS5A-Domäne, dann unterbleibt die Bildung infektiöser Nachkommenviren. Die Nichtstukturproteine der Pestiviren weisen einige Besonderheiten auf: Sie sind beim Virus der bovi-
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14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
nen Virusdiarrhoe für die Ausbildung unterschiedlicher Biotypen verantwortlich und spielen eine wichtige Rolle bei der Pathogenese der Mucosal Disease (䉴 Abschnitt 14.5.6). Einzigartig ist das bereits erwähnte Npro-Protein, das als Protease wirkt und die erste Domäne des Polyproteins darstellt. Es bewirkt autokatalytisch seine Abspaltung vom Vorläuferprotein. Das Protein Npro hat daneben aber eine weitere Funktion, die für die Pathogenese der Pestivirusinfektionen wichtig ist. Sowohl bei Classical-Swine-Fever-Virus wie beim Virus der bovinen Virusdiarrhoe stellte sich heraus, dass sich Npro an den Faktor IRF-3 (interferon regulatory factor) bindet, und diese Wechselwirkung die Ubiquitinylierung und den Abbau des IRF-3 über die Proteasomen einleitet. Dadurch bilden die infizierten Zellen nur sehr wenig IFN-β (䉴 Kapitel 7 und 8).
14.5.4 Replikation Die zellulären Rezeptoren sind für viele Flaviviren bekannt. Beim Hepatitis-C-Virus fand man, dass die Rezeptorbindung ein sehr komplexer und vielschichtiger Prozess ist. Das initiale Andocken an die Zelle erfordert Glycosaminoglycane und LDL-Rezeptoren. Daran schließen sich nacheinander Interaktionen der viralen E2-Proteine mit mindestens drei Eintrittsfaktoren an, nämlich dem scavenger Rezeptor Klasse B Typ 1 (SR-B1; human scavenger receptor class B type 1), dem Tetraspanin CD81 und das tight-junction Protein Claudin-1. Das E2-Protein bindet sich an das CD81 (25 kD), ein Mitglied der Tetraspaninsuperfamilie, welche die Cytoplasmamembran mit vier Transmembranregionen durchspannen und dabei zwei extrazelluläre Domänen ausbilden. Die CD81-Proteine haben funktionelle Aktivitäten bei der Zelladhäsion, -aktivierung und -motilität sowie bei Signalübertragungswegen; man findet sie auf der Oberfläche vieler Zelltypen, so auch auf Hepatocyten und B-Lymphocyten, die beide von Hepatitis-CViren infiziert werden können. Die E2-Proteine binden sich auch an SR-B1, ein 87 kD-Protein auf der Oberfläche vieler unterschiedlicher Zelltypen, das Funktionen im Fettstoffwechsel der Zellen ausübt. Serumproteine, wie beispielsweise die HDL-Lipoproteine, sind Liganden für den Rezeptor SR-B1 und verstärken die Infektiosität der Hepatitis-C-Viren, möglicherweise weil sie Komplexe mit den E1-/E2-Proteinen auf der Virusoberfläche bilden und die Interaktion mit dem SR-B1-Rezeptor vermitteln. Ein ähnlicher Bindungsmechanismus wurde für LDL-Lipoproteine vorgeschlagen: Es wird vermutet, dass auch diese Serumproteine an die Viruspartikel bin-
den und die Wechselwirkung mit dem LDL-Rezeptor vermitteln können. Dengueviren und auch die Frühsommer-Meningoencephalitisviren binden sich mit niedriger Affinität an Heparansulfat; für das West-Nile-Virus sind Integrine (Integrin αvβ3) als Interaktionspartner beschrieben. Neben der direkten Wechselwirkung der viralen Membranproteine mit definierten Zelloberflächenkomponenten wurde für die Dengueviren ein zweiter Weg der Bindung und Aufnahme beschrieben: Er ist abhängig von der Anwesenheit subneutralisierender Konzentrationen virustypspezifischer Antikörper oder von kreuzreagierenden Immunglobulinen, die typübergreifend die Virusgruppe erkennen. Von Dengueviren gibt es vier verschiedene Serotypen. Die typspezifischen Antikörper binden sich nur an Epitope, die spezifisch für den jeweiligen Serotyp sind. Daneben gibt es jedoch vor allem im E-Protein der Dengueviren Domänen, die allen vier Serotypen gemeinsam sind. Gegen diese konservierten Regionen sind virustypübergreifende kreuzreagierende Antikörper gerichtet, die meist nicht neutralisierend sind. Werden Viren in vitro mit diesen kreuzreagierenden oder mit geringen Konzentrationen von typspezifischen Antikörpern gemischt, die sich an die Partikeloberfläche binden, kann über den Fc-Teil der Immunglobuline die Interaktion mit Fc-Rezeptoren auf Makrophagen und Monocyten vermittelt und so die Virusaufnahme und damit die Infektion eingeleitet werden (䉴 Abbildung 14.14). Man spricht in diesem Zusammenhang auch von infektionsverstärkenden Antikörpern oder antibody (immune) enhancement. Nach der Adsorption an die Zelloberfläche gelangt das Virus durch Endocytose in die Zelle (䉴 Abbildung 14.15). Es liegt in einem Membranvesikel im Cytoplasma vor und muss aus diesem entlassen werden. Hierzu wird das Innere der Endosomen über eine ATPabhängige H+-Ionenpumpe angesäuert, die Bestandteil der Vesikelmembran ist. Die Endosomenmembran verschmilzt mit der des Virus. An dieser Membranfusion sind die E- beziehungsweise E1-Proteine aktiv beteiligt. Die dimeren E-Proteine ändern dabei ihre Struktur und bilden trimere Intermediate aus, bei denen die fusogene Domäne exponiert wird und ihre Aktivität entfalten kann. Das Capsid gelangt so in das Cytoplasma; über die Mechanismen bei der Freisetzung der Nucleinsäure ist wenig bekannt. In den nächsten Schritten interagiert das 5’-Ende des Genoms mit zellulären Ribosomenuntereinheiten. Bei den Flaviviren ist hierfür die 5’-Cap-Struktur verantwortlich, die sich an Komponenten des Cap-BindingKomplex bindet und die Interaktion mit den Ribosomen vermittelt. Im Falle des Hepatitis-C-Virus und der Pestiviren ist die im nichttranslatierbaren Teil des 5’-Endes
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Antikörper gegen ein neutralisierendes Epitop von Denguevirus, Typ 1
Antikörper gegen ein neutralisierendes Epitop von Denguevirus, Typ 1
Bindung der Typ-1-spezifischen Antikörper mit geringer Affinität
Makrophage
Fc-Rezeptor
Bindung der Typ-1-spezifischen Antikörper mit hoher Affinität
Virus-Antikörper-Komplex bindet sich an Fc-Rezeptor auf Makrophagen und wird internalisiert; Makrophagen werden infiziert
Virus kann Zielzelle nicht infizieren, wird aus der Zirkulation entfernt und abgebaut
14.14 Die Funktionsweise infektionsverstärkender Antikörper. Nach einer Infektion mit einem bestimmten Subtyp der Dengueviren, zum Beispiel Denguevirus Typ 1, liegen für diesen Subtyp spezifische Antikörper im Organismus vor. Sie können sich bei Reinfektionen mit dem gleichen Virussubtyp an die Partikel binden und das Virus neutralisieren. Erfolgt jedoch in der Folge eine Infektion mit einem anderen Denguevirus-Subtyp, beispielsweise Denguevirus Typ 2, dann binden sich zwar aufgrund der ähnlichen Aminosäuresequenzen beider Virustypen die Antikörper auch an die Oberfläche des Denguevirus Typ 2, können dieses aber nicht neutralisieren. Die Virus-Antikörper-Komplexe binden sich über den Fc-Teil der Immunglobuline an Fc-Rezeptoren in der Membran von Makrophagen. Dies bewirkt die Internalisierung des Komplexes und so die Infektion der Makrophagen.
Denguevirus, Typ 2
Denguevirus, Typ 1
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virales Oberflächenprotein (E-Protein)
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lokalisierte IRES-Sequenz für die Bindung der Ribosomen verantwortlich. Liegt nach begonnener Translation das C-Protein im aminoterminalen Bereich des Polyproteins vor, so stoppt die Elongation der Aminosäurekette kurzzeitig: Die hydrophobe Domäne im carboxyterminalen Bereich des C-Proteins wirkt als Signalpeptid. Sie interagiert mit dem signal recognition particle – ein Komplex aus zellulären Polypeptiden und der 5S-RNA, das den Transport des Translationskomplexes an die Membran des endoplasmatischen Reticulums bewirkt.
Dort wird die wachsende Aminosäurekette durch die Membran des endoplasmatischen Reticulums geschleust, wobei die Transmembrandomänen in den PrM- und EProteinen das Polyprotein cotranslational in der Lipidschicht verankern (䉴 Abbildung 14.15). Die Signalasen führen die Prozessierungen zwischen den C-, PrM-, Eund NS1-Anteilen durch. Für die weiteren Spaltungen des Polyproteins sind die NS2B/NS3- (Flaviviren) beziehungsweise NS3/NS4A-Proteasen (Hepatitis-C- und Pestiviren) verantwortlich (䉴 Abbildung 14.12). Die
14.15 Verlauf der Infektion einer Zelle mit dem FSME-Virus. (Der Zellkern ist der Übersichtlichkeit halber hier nicht eingezeichnet.) Das Virus adsorbiert an einen noch unbekannten Rezeptor der Cytoplasmamembran und wird über Endocytose von der Zelle aufgenommen. Die Ansäuerung des Endosomeninneren bewirkt die Fusion der Endosomen- mit der Virusmembran, wodurch das Capsid in das Cytoplasma gelangt. Das Virusgenom entspricht einer mRNA. Es wird in ein Polyprotein translatiert. Bedingt durch signalpeptidähnliche Proteindomänen wird das Polyprotein in die Membran des endoplasmatischen Reticulums eingelagert. Alle weiteren Schritte im Infektionszyklus verlaufen daher in räumlicher Nähe zu diesem Zellkompartiment. Die mit dem endoplasmatischen Reticulum assoziierte Signalase spaltet das Vorläuferprotein im Bereich der Strukturproteine C, PrM und E. Alle anderen Spaltungen im Anteil der Nichtstrukturproteine werden durch das NS3-Protein durchgeführt, das zusammen mit dem NS2B als Protease wirkt. So entsteht mit dem Protein NS5 die RNA-abhängige RNA-Polymerase, die das virale Plusstranggenom in einen RNANegativstrang umschreibt; dieser dient seinerseits wieder als Matrize für die Synthese neuer Virusgenome. Diese lagern sich an die Regionen der Membran des endoplasmatischen Reticulums an, welche hohe Konzentrationen der Virusstrukturproteine enthalten. Es kommt zum Budding der Viruspartikel in das Lumen des endoplasmatischen Reticulums, die im weiteren Verlauf über die Golgi-Vesikel zur Zelloberfläche transportiert und freigesetzt werden.
14.5 Flaviviren
meisten der Nichtstrukturproteine verfügen über hydrophobe Domänen, welche zu ihrer Verankerung in der Membran des endoplasmatischen Reticulums beitragen. Das garantiert, dass die Synthese des Polyproteins, seine Prozessierung und auch die sich anschließenden Schritte der Replikation in Assoziation mit diesem intrazellulären Membrankompartiment ablaufen. Liegen mit den NS5- beziehungsweise NS5B-Proteinen die RNA-abhängigen RNA-Polymerasen im Cytoplasma vor, katalysieren sie das Umschreiben des Positivstranggenoms in den Minusstrang, der wiederum als Matrize für die Bildung von Plussträngen dient; beim Hepatitis-C-Virus ist dabei die Haarnadelschleife in der nichttranslatierbaren Region am 5’-Ende des RNAGenoms essenziell (䉴 Abbildung 14.12C). Sie scheint eine ähnliche Funktion zu haben wie die CloverleafStruktur im Genom der Picornaviren (䉴 Abschnitt 14.1). Die neu gebildeten Plusstränge finden sowohl als genomische RNA als auch als mRNA für die Synthese weiterer Polyproteine Verwendung. Im Großen und Ganzen ähnelt der Mechanismus dem der Picornavirusreplikation. Bei den Flaviviren versieht die NS5-Methyltransferase das 5’-Ende der Positivstränge mit einer Cap-Struktur. Da die Replikation ausschließlich im Cytoplasma der Zelle erfolgt und zelluläre CappingEnzyme hier nicht vorhanden sind, besitzen die Flaviviren hierfür eigene enzymatische Aktivitäten. Die Morphogenese zu infektiösen Partikeln erfolgt bei den Flaviviren an der Membran des endoplasmatischen Reticulums. Analoge Vorgänge vermutet man beim Hepatitis-C-Virus. Die C-, PrM und E-Komponenten – beziehungsweise die E1- und E2-Polypeptide beim Hepatitis-C-Virus sowie bei den Pestiviren – werden im Verlauf der Translation in die Lipidschicht eingelagert und bilden hier Regionen mit einer hohen Konzentration an viralen Proteinen. Die membranassoziierten C-Proteine interagieren sowohl mit den carboxyterminalen Domänen der E-Proteine, möglicherweise auch mit denen der NS2A-Proteine, als auch über die basischen Aminosäuren mit den RNA-Genomen. Die Membran stülpt sich in das Lumen des endoplasmatischen Reticulums aus und bildet so den initialen Budding-Komplex, der sich schließlich abschnürt. In dieser Phase der Virusmorphogenese sind die Viruspartikel noch nicht infektiös: Die E-Proteine liegen als heterodimerer Komplex mit den PrM-Polypeptiden vor. Während des folgenden Transports durch den GolgiApparat werden die Membranproteine glycosyliert und das PrM- wird durch die Furinprotease zum M-Protein prozessiert; dies bewirkt, dass sich die E-Proteine aus den Komplexen mit den PrM-Proteinen lösen und miteinander Dimere bilden: Die unreifen, nicht infektiösen Viruspartikel werden dadurch zu reifen Virionen. Die
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Golgi-Vesikel fusionieren schließlich mit der Cytoplasmamembran und setzen ihren Inhalt mit den infektiösen Viruspartikeln an der Zelloberfläche frei. Der Ablauf des Replikationszyklus eines Flavivirus ist in 䉴 Abbildung 14.15 dargestellt.
14.5.5 Humanpathogene Flaviviren Die humanpathogenen Vertreter der Gattung Flaviviren werden durch Stiche von Mücken oder Bisse von Zecken auf Menschen übertragen. Die durch Zecken übertragenen Viren sind in Europa und Asien verbreitet und infizieren als natürliche Wirte überwiegend Nagetiere; in Mitteleuropa zählt hierzu das Frühsommer-Meningoencephalitis-Virus (FSME-Virus). Die durch Mückenstiche übertragenen Viren kann man in zwei Gruppen unterteilen: Mücken der Gattung Aedes spp. stechen bevorzugt Säugetiere; die durch sie übertragenen Viren, wie beispielsweise die Erreger des Gelbfiebers oder des Denguefiebers beziehungsweise des Dengue-SchockSyndroms, verursachen im Menschen fieberhafte Erkrankungen, die mit Hämorrhagien verbunden sein können. Culex-Mücken bevorzugen Vögel als Wirte; die von ihnen übertragenen Viren wie die Erreger des WestNile-Fiebers, der St-Louis- und der Japanischen Encephalitis verursachen im Menschen neurologische Erkrankungen wie Meningitiden oder Encephalitiden. Die Hepatitis-C- und Hepatitis-G-Viren werden vor allem durch kontaminiertes Blut oder andere Körperflüssigkeiten, welche die Erreger enthalten, übertragen; eine an Arthropoden gebundene Übertragung ist bei diesen Infektionen nicht bekannt. Da man bei Infektionen durch die Hepatitis-G-Viren bislang keine Erkrankungen beobachtet hat, wird auf sie im folgenden Abschnitt nicht im Detail eingegangen.
Das Gelbfiebervirus Epidemiologie und Übertragung Das Gelbfiebervirus wird durch Stechmücken des Genus Aedes spp. übertragen. Die ersten historisch gesicherten Fälle traten 1648 in Mexiko auf. Wahrscheinlich war das Virus jedoch ursprünglich nur auf dem afrikanischen Kontinent verbreitet. Der Sklavenhandel zwischen Afrika und Nord- beziehungsweise Südamerika durch die spanischen und englischen Eroberer führte während des 17. und 18. Jahrhunderts zum Import der MückenViruskombination und damit zur epidemischen Ausbreitung der Gelbfiebererkrankung in den tropischen Regionen Amerikas. Das Gelbfieber trat vor allem in den
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q Die Entstehung von Gelbfieberepidemien Das Gelbfiebervirus kann unter natürlichen Bedingungen zwei Zyklen durchlaufen: das Dschungel- oder Savannengelbfieber und das urbane Gelbfieber. Beim ersten sind Mücken der Arten Aedes africanus und A. haemagogus an der Übertragung beteiligt. Sie brüten in Wasseransammlungen in Baumhöhlen, Pfützen oder Erdlöchern. Die Insektenweibchen geben das Virus vertikal an ihre Nachkommen weiter. Man weiß, dass auch Affen als Zwischenwirte bei der Aufrechterhaltung der Infektionskette des Dschungeloder Savannengelbfiebers eine Rolle spielen. So erkranken und sterben die Neuweltaffen Südamerikas an der Infek-
Küstenstädten Afrikas, Amerikas, aber auch Südeuropas auf und war eine der großen Seuchen der Menschheit, die Tausende von Toten forderte. So hat es beim Bau des Panamakanals über 100 000 Todesfälle durch die Gelbfieberinfektion gegeben. Er konnte erst fertig gestellt werden, nachdem die Mücken als Überträger der Infektion ausgerottet waren. Bereits 1881 hatte der kubanische Arzt Carlos Finlay vermutet, dass die Erkrankung durch Insekten übertragen wird, was Walter Reed schließlich 1900 bewies. 1902 wurde das Gelbfiebervirus als ursächlicher Erreger des epidemischen Gelbfiebers identifiziert, 1929 wurde es auf Affen übertragen und damit der Weg für die weitere Erforschung bereitet. Heute ist Gelbfieber endemisch in den Regionen Afrikas südlich der Sahara – überwiegend in den Tropenwäldern Westafrikas – und in Südamerika verbreitet. Die Gelbfieberviren können sich in den verschiedenen Aedes-Arten, die unterschiedlich gut an die Umweltbedingungen im Dschungel, in den Savannen und den Städten angepasst sind, unterschiedlich gut vermehren. In den asiatischen Ländern ist die Erkrankung bisher nicht aufgetreten. Man vermutet, dass die dort verbreiteten Aedes-Arten für das Virus wenig empfänglich sind und deswegen schlechte Übertragungsvektoren darstellen. Andererseits könnten Kreuzimmunitäten mit den in asiatischen Ländern weit verbreiteten Dengueviren das Auftreten apparenter Gelbfiebererkrankungen verhindern. Auch erscheint es denkbar, dass die Menschen in Afrika früher durch die vielen verschiedenen von Insekten übertragenen Virusinfektionen eine breite kreuzreaktive Immunität entwickelt hatten, die größere Gelbfieberepidemien in der Bevölkerung verhinderte: Es erkrankten nur nichtimmune Europäer. Durch die fortschreitende Urbanisierung haben sich in den letzten Jahrzehnten die Lebensbedingungen in Afrika stark
tion, während die Altweltaffen Afrikas, die sich offensichtlich im Laufe ihrer Evolution gut an das Virus angepasst haben, meist nur subklinisch infiziert werden. Auf Menschen, die sich in diesen Regionen aufhalten, können die Viren als Seitenglieder der Infektionskette übertragen werden und sporadische Erkrankungen verursachen. Durch infizierte Personen kann das Gelbfiebervirus dann in die Städte getragen werden. Hier ist die Mückenart Aedes aegypti verbreitet, die das Virus aufnimmt, überträgt und zu seiner epidemischen Verbreitung führt.
verändert, sodass das Gelbfieber inzwischen häufig beobachtet wird. In den vergangenen Jahren wurde aus Nigeria über epidemische Ausbrüche der Gelbfiebererkrankung mit mehr als 100 000 Fällen berichtet. Die Zahl der jährlich in Südamerika offiziell gemeldeten Erkrankungen liegt bei etwa 2 000. Vermutlich ist die Dunkelziffer sehr hoch. Das Gelbfiebervirus ist genetisch sehr stabil; es existiert nur ein Serotyp. Während der Erkrankung ist es mehrere Tage lang im Blut der infizierten Personen vorhanden. Werden sie in dieser Zeit von einer Mücke gestochen, so nimmt diese den Erreger zusammen mit dem Blut auf. Das Virus vermehrt sich im Darmepithel, den Körper- und Speicheldrüsenzellen der Insekten. Dieser Vorgang dauert ungefähr eine Woche und wird als extrinsische Inkubationsperiode bezeichnet. Danach kann die Mücke das Gelbfiebervirus im Speichelsekret durch neue Stiche übertragen.
Klinik Gewöhnlich zeigen sich drei bis sechs Tage nach dem Mückenstich als erste Symptome Fieber, Übelkeit, Kopfund Muskelschmerzen – in dieser Phase der Infektion ist der Erkrankte virämisch. Nach kurzzeitiger Besserung können bei einem Teil der Patienten die Symptome mit Wiederanstieg des Fiebers, Erbrechen von Blut als Anzeichen der Hämorrhagie, Dehydratation, Blutdruckabfall, Bauchschmerzen und Anzeichen von Nierenversagen verstärkt auftreten. In dieser Erkrankungsphase entwickeln die Patienten aufgrund der Zerstörung der Leberzellen und des damit verbundenen Anstiegs des Bilirubins die Anzeichen der Gelbsucht. Das Virus ist dann nicht mehr im Blut vorhanden. Die Hälfte der Patienten, die in diese zweite Phase eintreten, stirbt zwi-
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schen dem siebten bis zehnten Tag durch Nieren- und Leberversagen, Schock und Delirium. Häufiger als diese fulminanten Gelbfiebererkrankungen sind subklinische oder abortive Formen der Infektion, bei denen die Symptome in einer deutlich abgeschwächten Form oder auch gar nicht auftreten. Insgesamt beträgt die Letalität der Gelbfieberinfektion aber 20 bis 50 Prozent.
Pathogenese Nachdem das Gelbfiebervirus durch den Mückenstich in den Blutkreislauf gelangt ist, infiziert es Endothelzellen, Lymphocyten und bevorzugt Makrophagen sowie Monocyten in der Umgebung der Einstichstelle. Sie transportieren die Viren über die Lymphbahnen in die Lymphknoten und lymphatischen Gewebe, wo sie auf weitere infizierbare Zielzellen treffen. Während der virämischen Phase vermehrt sich das Virus sehr stark und befällt im weiteren Verlauf die Makrophagen in der Leber (Kupffersche Sternzellen), die aufgrund der Virusvermehrung absterben. Die in der Leber vorhandenen Viren befallen und zerstören die Hepatocyten. Dies hat einen starken Anstieg der Transaminasekonzentration im Blut zur Folge. Infizierte Makrophagen können in seltenen Fällen das Gelbfiebervirus in das Gehirn transportieren, wo es eine Encephalitis hervorrufen kann. Die Hämorrhagien, die sich in der symptomatischen Infektionsphase als innere Blutungen in der Niere, im Gehirn und anderen Organen äußern, sind darauf zurückzuführen, dass durch die Infektion und die damit verbundene Zerstörung der Leberzellen verringerte Mengen an Blutgerinnungsfaktoren gebildet werden.
Immunreaktion und Diagnose Das Gelbfiebervirus lässt sich leicht in vitro in menschlichen (HeLa-, KB-Zelllinien) und Affennierenzellen (Vero-Zellen) züchten. Die Vermehrung ist auch in embryonalen Hühner- und Entenzellen und in kontinuierlich wachsenden Linien aus Nagetieren möglich. IgMund IgG-Antikörper gegen die E- und M-Proteine können etwa ein bis zwei Wochen nach der Infektion (das bedeutet fünf bis sieben Tage nach Beginn der Symptome) in ELISA-, Immunoblot, Immunfluoreszenz- und Virusneutralisationstests nachgewiesen werden. Neben diesen serologischen Methoden ist der Nachweis der Virusgenome mittels der RT-PCR im Blut Methode der Wahl in den frühen Infektionsphasen. Neutralisierende Antikörper persistieren lebenslang und vermitteln einen dauerhaften Schutz vor einer Reinfektion. NS1-spezifische Antikörper können während der Replikationsphase die antikörperabhängige Lyse der infizierten Zellen induzieren und so einen wichtigen Beitrag zur Kontrolle
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¡ Die Attenuierung des Wildtyp- zum Impfvirus war nie reproduzierbar Die Isolierung des Impfstammes 17D des Gelbfiebervirus durch den aus Südafrika stammenden Mikrobiologen Max Theiler am Rockefeller-Institut war ein glückliches Zufallsereignis: Bei Züchtung des Wildtypvirus in bebrüteten Hühnereiern konnte dieser attenuierte Stamm zwischen der 89. und 114. Passage gewonnen werden. Versuche, diesen Vorgang zu reproduzieren, waren bisher nicht erfolgreich.
der Infektion und der Eliminierung des Virus aus dem Organismus leisten. Inwieweit das zelluläre Immunsystem durch die Induktion von cytotoxischen T-Lymphocyten hierbei eine Rolle spielt, ist ungeklärt.
Therapie und Prophylaxe Durch kontinuierliche Züchtung des Gelbfiebervirus in bebrüteten Hühnereiern gelang Max Theiler 1937 die Züchtung eines attenuierten Gelbfiebervirus (Stamm 17D), das beim Menschen keine Symptome auslöst. Theiler wurde für diese erstmalige Entwicklung eines Lebendimpfstoffes 1951 der Nobelpreis für Medizin verliehen. Die molekulare Basis der Attenuierung ist nicht bekannt. Insgesamt finden sich im Vergleich zum Wildtypgenom 68 veränderte Nucleotide, die 32 veränderte Aminosäuren in den viralen Proteinen zur Folge haben. Die meisten der Mutationen befinden sich in dem für das E-Protein codierenden Bereich, sodass man vermutet, dass das Impfvirus sich weniger gut an die Rezeptoren auf den Leberzellen binden und diese infizieren kann, daher weniger Virus gebildet wird und die Infektion langsamer und deshalb abgeschwächt verläuft. Im Blut der Geimpften werden etwa drei bis fünf Tage nach Inokulation niedrige Viruskonzentrationen gefunden, die Virämie dauert ein bis zwei Tage. Die erste Immunantwort ist bei 95 Prozent der Geimpften zehn Tage nach der Vakzinierung nachweisbar. Zur Aufrechterhaltung des Schutzes sind Wiederholungsimpfungen in zehnjährigen Abständen nötig. Rückmutationen zum Wildtyp wurden nie beobachtet, sodass der Gelbfieberimpfstoff als eine weltweit sehr erfolgreiche, sichere Vakzine gilt. Millionen Menschen wurden inzwischen geimpft. Damit war eine deutliche Eindämmung und Reduzierung der Gelbfieberinfektionen in den tropischen Ländern verbunden; über große Epidemien wird heute nur noch sehr selten berichtet. Der attenuierte Gelbfieber-
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impfstoff wird weltweit unter der Kontrolle der WHO (in Deutschland im Robert-Koch-Institut in Berlin) hergestellt und vertrieben. Er darf nur in staatlich zugelassenen Impfstellen verabreicht werden. Die Gelbfieberimpfung ist in vielen Ländern für Reisende in oder aus Gelbfieberendemiegebieten Pflicht. Neben der Impfung der Bevölkerung vor allem in den Endemieregionen besteht eine weitere wichtige Maßnahme zur Eindämmung der Infektion in der Bekämpfung der Mückenarten, die bei der Übertragung des Virus eine entscheidende Rolle spielen. Insektizide sind hierbei ebenso wichtig wie die Trockenlegung der Brutstätten für die Mückenlarven.
Das Denguevirus Epidemiologie und Übertragung Das Denguefieber ist als menschliche Erkrankung seit über 200 Jahren bekannt und wurde wegen der überaus starken Gelenk- und Muskelschmerzen früher als „Knochenbruchfieber“ oder „Dandy-Fieber“ bezeichnet. Die ersten Berichte über ein epidemisches Auftreten stammen aus Indonesien und Ägypten. Auch in Nordamerika (Philadelphia) gab es 1780 eine Denguefieberepidemie. Weitere Ausbrüche wurden in der Folge regelmäßig in fast allen tropischen und subtropischen Regionen beobachtet. 1903 isolierte der Beiruter Arzt Harris Graham aus dem Blut von Erkrankten einen filtrierbaren Erreger. Thomas L. Bancroft, ein australischer Arzt und Botaniker, zeigte 1906 seine Übertragbarkeit durch Aedes aegypti. 1944 identifizierten Albert Sabin und R. Walter Schlesinger die Dengueviren als Krankheitserreger, indem sie Blut von infizierten Soldaten auf Mäuse übertrugen. Inzwischen sind vier verschiedene Serotypen der Dengueviren bekannt. Ähnlich wie bei der Gelbfieberinfektion gibt es städtische und ländliche Formen des Denguefiebers. Die Verbreitung von letzterer erfolgt durch A. albopictus und A. scutellaris, als natürliche Wirte gelten nichtmenschliche Primaten in den Tropenwäldern Südostasiens und Südamerikas. A. aegypti ist vor allem an der Ausbreitung und Übertragung der Infektion in den Städten beteiligt. Man fand, dass nicht alle Stämme der Mücken A. aegypti Dengueviren übertragen können. Verantwortlich hierfür sind genetische Variationen der Mücken, welche in ihren Darmepithelzellen das Rezeptorprotein R67/R64 mit einem Molekulargewicht von 67 kD nicht produzieren. Diese Mückenstämme (zum Beispiel IBO-11) sind nicht permissiv für Denguevirusinfektionen, sie können die Erreger folglich auch nicht übertragen. Die Verbreitung der Mücken auf dem asiatischen Kontinent, insbesondere während des zweiten Weltkrie-
ges und die sich daran anschließende Urbanisierung der Bevölkerung, führten zu einer dramatischen Zunahme der Denguefiebererkrankungen im asiatischen Raum. Da zu dieser Zeit auch der Reiseverkehr stark zunahm, wurden die infizierten Mücken mit Flugzeugen vom pazifischen Raum nach Mittel- und Südamerika sowie in die USA importiert. Auch gelangte A. albopictus beispielsweise mit alten Autoreifen, in denen sich Wasser angesammelt hatte, in die USA. Heute infizieren Dengueviren jährlich etwa 50 Millionen Menschen weltweit; es handelt sich somit um die häufigste durch Insekten übertragene Virusinfektion des Menschen, die in den meisten Städten der tropischen Länder endemisch ist. In drei- bis fünfjährigen Abständen brechen Epidemien aus. Jährlich erkranken Millionen von Personen am Denguefieber und Hunderttausende an dem damit verbundenen hämorrhagischen Fieber und dem DengueSchock-Syndrom. Ob sich einzelne Denguevirusisolate in ihrer Virulenz unterscheiden und die Schwere der Erkrankung dadurch bestimmt wird, ist unklar. Möglicherweise könnten derartige Unterschiede aber das zum Teil epidemisch gehäuft auftretende hämorrhagische Denguefieber auch bei Personen erklären, die sich zum ersten Mal mit Dengueviren infiziert haben.
Klinik Die Inkubationszeit bis zum Auftreten der Symptome des Denguefiebers beträgt drei bis sieben Tage. Dengueviren verursachen unterschiedliche Ausprägungen einer Erkrankung. Vor allem bei kleinen Kindern handelt es sich um eine fieberhafte Erkrankung ohne spezifische Symptome. Ältere Kinder und Erwachsene entwickeln hingegen das klassische Erkrankungsbild mit Fieber, Hautausschlag, Gelenk- und Muskelschmerzen. Damit verbunden sind Lichtsensibilität und Lymphknotenschwellungen, petechiale Blutungen in den Schleimhäuten des Mund-, Nasen- und Gastrointestinalbereichs sowie Thrombo- und Lymphopenien. Die Symptome dauern etwa drei bis sieben Tage an, der Großteil der Patienten erholt sich ohne Folgeprobleme. Beim hämorrhagischen Denguefieber kommen zusätzlich zu den bereits beschriebenen Symptomen eine erhöhte Gefäßdurchlässigkeit und vermehrte innere Blutungen hinzu. Blutplasma tritt aus den Gefäßen in die umgebenden Gewebe aus und führt zu Ödemen, vor allem im Abdomen und um den Brustbereich. Das Dengue-Schock-Syndrom stellt sich bei den Patienten mit hämorrhagischem Denguefieber ein, bei denen die Gefäßdurchlässigkeit und Blutungen weiter ansteigen. Die kritische Phase tritt dann ein, wenn die Körpertemperatur plötzlich auf normale Werte oder darunter (Hypothermie) absinkt und sich Kreislaufversagen, Blu-
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tungen im Gastrointestinaltrakt und neurologische Beschwerden einstellen. In diesen Fällen kann es zu Schockzuständen kommen, die sich durch den Austritt von Blutplasma in die Körperhöhlen äußern. Etwa 50 Prozent der Patienten mit Dengue-Schock-Syndrom sterben. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat strikte Kriterien für die Diagnose des hämorrhagischen Denguefiebers und des Dengue-Schock-Syndroms aufgestellt: Dazu gehören hohes Fieber, hämorrhagische Symptome, das Anschwellen der Leber und Kreislaufversagen. Die Erkrankung wurde abhängig von der Schwere des Verlaufs in vier Stadien eingeteilt: Stadien I und II entsprechen dem hämorrhagischen Denguefieber, Stadien III und IV dem Dengue-Schock-Syndrom.
Pathogenese Dengueviren gelangen durch den Stich einer infizierten Mücke in den Organismus und befallen die Makrophagen, die sich in der lokalen Umgebung befinden. Diese bringen das Virus über die Lymphbahnen zu den Lymphknoten, wo die Viren weitere Zielzellen vorfinden und sich in ihnen replizieren. Nach dieser Phase ist der Patient virämisch, und es lassen sich 108 bis 109 infektiöse Partikel pro Milliliter Blut nachweisen. Die Virämie dauert durchschnittlich vier bis fünf Tage an. Neben den Makrophagen sind Endothelzellen und möglicherweise auch Knochenmarkzellen infizierbar. Außerdem konnte das Virus auch in anderen Organen wie Leber, Lunge, Nieren und im Gastrointestinaltrakt nachgewiesen werden. Inwieweit es sich in diesen Geweben repliziert, ist jedoch unklar. Die pathologischen Veränderungen in den Geweben ähneln denjenigen, die man bei Infektionen mit dem Gelbfiebervirus beobachtet. Das hämorrhagische Denguefieber und das DengueSchock-Syndrom sind durch die erhöhte Durchlässigkeit der Blutkapillarwände gekennzeichnet. Für die Ausbildung dieser schweren Erkrankungsform werden immunpathogenetische Mechanismen verantwortlich gemacht. Die vier Denguevirus-Serotypen weisen bei Vergleich der Aminosäuresequenzen ihrer E-Proteine 63 bis 68 Prozent Homologie auf; zwischen unterschiedlichen Varianten eines Denguevirus-Serotyps beträgt die Homologie dagegen über 90 Prozent. Die schweren Erkrankungen treten vor allem dann auf, wenn die Patienten zum zweiten Mal mit Dengueviren infiziert werden, jedoch nun mit einem anderen Serotyp als bei der Erstinfektion. Diese Patienten besitzen aufgrund der Primärinfektion denguevirusspezifische Antikörper, die teilweise mit den anderen Serotypen kreuzreagieren. Sie können sich an das E-Protein auf der Virusoberfläche
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binden. Aufgrund einer geringen Affinität, bedingt durch die Unterscheide in der Aminosäuresequenz der Epitope, wirken sie aber nicht neutralisierend, sondern vermitteln den mit Antikörpern komplexierten Viren über Interaktion mit Fc-Rezeptoren auf Monocyten und Makrophagen eine bevorzugte, effizientere Aufnahme durch die Zellen; die kreuzreagierenden IgG-Moleküle wirken somit infektionsverstärkend (䉴 Abbildung 14.14). Sie tragen entscheidend zur Auslösung des hämorrhagischen Denguefiebers beziehungsweise des DengueSchock-Syndroms bei. Die Bindung sowohl der mit Antikörpern komplexierten wie der freien Dengueviren an die Makrophagenoberfläche vermittelt die Interaktion der Virusproteine mit dem Protein CLEC5A (C-type lectin domain family 5, member A, auch bekannt als myeloid DAP12associating lectin, MDL-1). Dieses Oberflächenprotein fungiert nicht als Rezeptor für die Interaktion mit dem Denguevirus, ist aber an diesem Vorgang beteiligt. Folge ist die Einleitung einer Signalkaskade mit der Freisetzung einer großen Menge proinflammatorischer Cytokine. Blockiert man im Mausmodellsystem die Wechselwirkung zwischen Virus und dem CLEC5A durch CLEC5A-spezifische Antikörper, dann unterbleibt die Cytokinfreisetzung und auch die Erhöhung der Gefäßdurchlässigkeit wird verhindert. Inwieweit die verschiedenen Aktivitäten der Nichtstrukturproteine zur Unterdrückung der IFN-α und -β vermittelten Abwehrstrategien in vivo die Pathogenese der Erkrankung beeinflussen, ist unklar. Dies gilt auch für die in vitro gefundene Eigenschaft der Dengueviren, in infizierten Zellen die Expression der MHC-Klasse-IAntigene zu verstärken. Die höhere Konzentration der MHC-Klasse-I-Proteine zusammen mit einer erhöhten Bindung der für NK-Zellen inhibitorisch wirkenden Rezeptoren führen dazu, dass die infizierten Zellen der durch NK-Zellen vermittelten Lyse entgehen können.
Immunreaktion und Diagnose IgM-Antikörper gegen die viralen E-Proteine werden ab dem fünften Tag nach der Erstinfektion mit Denguevirus in ELISA-Tests, Immunoblot und indirekten Immunofluoreszenz-Tests gefunden und bleiben über einen Zeitraum von zwei bis drei Monaten nachweisbar. IgG-Antikörper folgen, erreichen ihre maximale Konzentration etwa zwei bis drei Wochen nach der Infektion und persistieren wahrscheinlich lebenslang. Ein großer Prozentsatz der bei der Erstinfektion gebildeten Antiköper gegen das E-Protein ist nicht neutralisierend, aber kreuzreagierend mit anderen Serotypen der Dengueviren; nur ein relativ kleiner Anteil der IgG-Moleküle ist typspezifisch und wirkt neutralisierend. Neben der
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humoralen Immunantwort sind vermutlich auch cytotoxische T-Lymphocyten für die Eliminierung des Virus aus dem Organismus wichtig. Bei verschiedenen Personen wurden cytotoxische T-Lymphocyten nachgewiesen, die denguevirusinfizierte Zellen lysieren konnten. Bei Zweitinfektionen mit anderen Denguevirus-Serotypen ist die IgM-Antwort nur kurzfristig. Da jedoch bereits IgG-Antikörper gegen gruppenspezifische Epitope des E-Proteins vorliegen, wird ihre Synthese sehr schnell induziert und die IgG-Antikörper erreichen mehr als das zehnfache der Konzentrationen, die während der Erstinfektion nachweisbar waren. Da die denguevirusspezifischen Antikörper mit anderen Flaviviren kreuzreagieren, ist insbesondere in Ländern, in denen viele verschiedene Vertreter dieser Viren endemisch sind, die Diagnose einer akuten Infektion über den Antikörpernachweis schwierig. Eindeutige Aussagen können daher meist nur durch einen Virusneutralisations-Test, den Nachweis viraler RNA mittels Polymerasekettenreaktion oder durch die Isolierung der Viren aus dem Blut Infizierter – Dengueviren lassen sich in vitro in verschiedenen kontinuierlichen Zelllinien (Vero- oder Babyhamster-Kidney-Zellen) vermehren – getroffen werden.
Therapie und Prophylaxe Bisher sind weder Impfstoffe zur Vorbeugung der Denguevirusinfektion noch geeignete antivirale Therapeutika verfügbar. Die Immunpathogenese durch infektionsverstärkende Antikörper, die mit dem hämorrhagischen Denguefieber und dem Dengue-Schock-Syndrom in Verbindung steht, gestaltet die Entwicklung geeigneter Vakzinen als sehr schwierig. Man hat allerdings inzwischen in Thailand mit finanzieller Unterstützung der Rockefeller-Stiftung attenuierte Viren für alle vier Serotypen entwickelt; sie sind als Lebendimpfstoff in klinischer Erprobung. Daneben steht die Bekämpfung der Mücken als Überträger der Infektion und ihrer Brutstätten im Vordergrund.
Das Frühsommer-Meningoencephalitis-Virus (FSME-Virus) Epidemiologie und Übertragung Die durch Zecken übertragenen Encephalitisviren lassen sich nach ihrer geographischen Verbreitung in zwei Gruppen einteilen: Die östlichen zeckenübertragenen Encephalitisviren findet man bevorzugt im asiatischen Teil Russlands und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, die westlichen Subtypen in den Ländern Zentralund Osteuropas – insbesondere im europäischen Teil
Russlands – und in Skandinavien. Letztere sind auch als die Subtypen RSSEV (Russian-Spring-Summer-Encephalitis-Virus) und CEEV (Central-European-EncephalitisVirus) des TBEV (Tick-Borne-Encephalitis-Virus) in der Literatur beschrieben. Verwandte Virustypen gibt es auch in Indien (Kyasanur-Forest-Disease-Virus). Das FSME-Virus ist der einzige Vertreter aus der Gruppe der zentraleuropäischen Encephalitisviren, der in Mitteleuropa verbreitet ist. Eng mit ihm verwandt ist das Louping-Ill-Virus, das Schafe in Großbritannien infiziert und dabei eine Encephalomyelitis verursachen kann; Erkrankungen beim Menschen mit dem Louping-IllVirus wurden nur in Einzelfällen beschreiben. Endemisch tritt das FSME-Virus vor allem in Österreich (Kärnten) und Süddeutschland (Donaugebiet, Schwarzwald), in Slowenien, Kroatien, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Polen, Litauen, Lettland, Estland und Rußland auf. In Deutschland liegt die Durchseuchung der Zecken in den FSME-Endemiegebieten bei 0,5 Prozent; sie kann in FSME-Risikogebieten bis zu drei Prozent erreichen. Das FSME-Virus wird durch Zeckenbisse, vor allem durch die Spezies Ixodes ricinus, des Gemeinen Holzbocks, übertragen, die in Wäldern und Auengebieten vorkommt. Befallene Zecken übertragen das Virus unmittelbar beim Saugakt, da die FSME-Viren in den Speicheldrüsen akkumulieren. Meist streift man die Zecken von Gräsern und Büschen im Vorbeigehen ab. Es ist ein Irrglaube, dass sich die Zecken von Bäumen auf die Opfer herabstürzen. Das FSME-Virus kann zur Aktivitätszeit der Zecken – vor allem in den Monaten von April bis September/Oktober – auf Menschen und Nagetiere übertragen werden. Innerhalb der Zeckenpopulation kann es auch transovariell auf die Nachkommen weitergegeben werden. Ein seltenerer Infektionsweg für den Menschen ist die Übertragung des FSME-Virus über Frischmilch und daraus hergestellte, nicht erhitzte Rohmilchprodukte, insbesondere von Schaf und Ziege. Diese Tiere können durch Zecken infiziert werden und geben das Virus in die Milch ab. Das Reservoir für FSME-Viren sind jedoch kleine Nagetiere. Die Infektion des Menschen ist eine Sackgasse, da sie die Weiterverbreitung des FSME-Virus unterbricht.
Klinik Im Vergleich zur Infektion mit osteuropäischen Typen der Encephalitisviren verläuft die Infektion mit dem mitteleuropäischen FSME-Virus relativ mild. 70 bis 90 Prozent der Fälle bleiben inapparent, die anderen 10 bis 30 Prozent der Infizierten entwickeln eine zumeist leichte Erkrankung ohne Folgeschäden. Zwischen dem Kontakt mit dem Virus und dem Auftreten der ersten Symptome vergehen ein bis zwei Wochen. Die ersten
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Krankheitsanzeichen sind grippeähnliche Symptome wie Fieber, Kopfschmerzen, Übelkeit und Lichtsensibilität. Sie dauern etwa eine Woche. Während dieser Zeit können Viren aus dem Blut isoliert werden. Danach bessert sich das Befinden in der Mehrzahl der Fälle ganz oder, bei etwa zehn Prozent der Patienten, nur vorübergehend für etwa eine Woche. Die zweite Phase kann von einer milden Form der Meningitis (Entzündung der Hirn- oder Rückenmarkshäute; etwa 55 Prozent der Fälle) bis zu schweren Formen der Meningoencephalitis (Entzündung der Hirnhäute und des Gehirns; 35 Prozent der Fälle) mit Zittern, Schwindel, veränderter Wahrnehmung und Lähmungserscheinungen reichen. Bei Involvierung des Rückenmarks spricht man auch von einer Meningomyelitis (5 Prozent) oder Meningomyeloencephalitis (5 Prozent). Die Todesrate liegt bei etwa einem Prozent der Patienten mit schweren klinischen Verläufen. Rund 7 Prozent der Überlebenden der zweiten Infektionsphase haben neurologische Folgeerscheinungen wie Lähmungen, Sprachstörungen oder epileptische Anfälle.
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Erkrankung und ihre Schwere mit beeinflussen: Eine Studie in Litauen beschreibt, dass schwere mit Encephalitis verbundene Infektionen statistisch gehäuft bei Patienten mit genetischen Defekten im Gen für den Chemokinrezeptor CCR5 auftreten.
Immunreaktion und Diagnose Das FSME-Virus lässt sich in bebrüteten Hühnereiern, in embryonalen Hühnerzellkulturen oder auch Säugerzelllinien vermehren. Die Isolierung aus Patienten ist aber sehr schwierig. Die Diagnose der akuten Infektion erfolgt durch den Nachweis von virusspezifischen IgMAntikörpern in ELISA-Tests aus Blut und/oder Liquor. Der Nachweis der viralen Genome durch die Polymerasekettenreaktion ist aus Blut und vor allem Liquor möglich, gelingt im späteren Verlauf der Infektion aber meist nicht mehr. Während der Infektion werden IgG-Antikörper gebildet, die virusneutralisierend sind und lebenslang nachweisbar bleiben.
Pathogenese
Therapie und Prophylaxe
Nach der Inokulation durch den Zeckenbiss infiziert das FSME-Virus an der Bissstelle vorhandene Endothelzellen und Makrophagen und wird durch sie zu den Lymphknoten transportiert, wo es geeignete Zielzellen für weitere Vermehrungszyklen findet. Aus dem lymphatischen System gelangen die Viren ins Blut. Hierdurch werden sie im Körper verbreitet und siedeln sich in den Zellen des reticulohistiocytären Systems an, wo sie sich vermehren. Infizierte Makrophagen transportieren das Virus in das zentrale Nervensystem. Neben einer Spezifität für die Infektion von Lymphocyten hat das FSMEVirus einen ausgeprägten Neurotropismus. Durch die Infektion schwillt das Gehirn ödematös an und es treten lokal begrenzte Blutungen auf. Histopathologisch lassen sich entzündliche Veränderungen in der Umgebung der Blutgefäße, neuronale Degenerationen und Nekrosen im Bereich des Hirnstammes, der basalen Ganglien, des Rückenmarks sowie der Groß- und Kleinhirnrinde erkennen. Besonders empfindlich für die Infektion sind die vorderen motorischen Rückenmarkszellen im Bereich der Halswirbelsäule. Das erklärt auch die Lähmungserscheinungen, die bei myelitischen Verläufen bevorzugt in den oberen Extremitäten auftreten. Das E-Protein des FSME-Virus scheint der entscheidende Parameter für die Virulenz der unterschiedlichen Virusisolate zu sein: Die Veränderung einer Aminosäure (Tyrosin an Position 384 zu Histidin) kann die Virulenz der Infektion entscheidend beeinflussen. Neben virusspezifischen Merkmalen können aber auch genetische Unterschiede der infizierten Wirte die Ausprägung der
Es gibt einen Totimpfstoff, der aus gereinigten und durch Formalinbehandlung inaktivierten Viruspartikeln hergestellt wird, die beispielsweise in primären embryonalen Hühnerzellen gezüchtet werden. Die Vakzine enthält meist als Adjuvans Aluminiumhydroxid. Sie zeigt eine sehr gute Serokonversionsrate und Schutzwirkung nach der Grundimmunisierung (drei Impfungen), die drei bis fünf Jahre anhält. Danach ist eine Auffrischungsimpfung in regelmäßigen Abständen erforderlich. Geimpft werden bevorzugt Personen in Hochendemiegebieten sowie Bevölkerungsgruppen, die sich aus beruflichen oder sonstigen Gründen viel in Wäldern und Wiesen aufhalten und ein hohes Risiko haben, von Zecken gebissen zu werden. Die früher durchgeführte post-expositionelle passive Immunisierung wird nicht mehr empfohlen, nachdem sich bei Kindern gezeigt hatte, dass diese den Infektionsverlauf sogar negativ beeinflusst. Eine post-expositionelle aktive Impfung innerhalb von drei bis vier Tagen nach einem nachweislichen Zeckenbiss wird derzeit diskutiert. Wirksame antivirale Mittel bei symptomatischen FSME-Infektionen stehen nicht zur Verfügung.
Das Hepatitis-C-Virus Epidemiologie und Übertragung Das Hepatitis-C-Virus wurde lange Zeit den sogenannten NonA-/NonB-Hepatitisviren zugeordnet. 1989 gelang es dann Daniel W. Bradley, das Genom dieser Viren
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¡ Die Identifizierung des Hepatitis-C-Virus Die Identifizierung und Charakterisierung des Hepatitis-CVirus erfolgte mit molekularbiologischen Methoden. Man ging von dem Blut eines experimentell mit Patientenblut infizierten Schimpansen aus und isolierte daraus die RNA. Von der RNA stellte man cDNA-Klone her. Die darin codierten Proteine wurden exprimiert. Unter ihnen versuchte man solche zu identifizieren, die mit Seren von Patienten mit chronischer NonA-/NonB-Hepatitis reagierten. Der ent-
zu charakterisieren. Heute sind sechs Genotypen des Hepatitis-C-Virus aus verschiedenen geographischen Regionen bekannt; ihre Nucleinsäuresequenzen sind zu 31 bis 34 Prozent unterschiedlich. Die Genotypen unterteilt man wiederum in verschiedene Subtypen. In Europa findet man den Genotyp 1b am häufigsten, gefolgt von 2a, 3b, 2c und 3a; in Nordamerika hingegen ist der Genotyp 1a am häufigsten verbreitet, gefolgt von 1b. Die Genotypen 4 und 5 wurden bisher nur in Afrika gefunden, der Genotyp 6 hingegen in einigen Regionen Asiens (China, Korea). Weltweit schätzt man die Zahl der Personen, die chronisch mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert sind, auf knapp 200 Millionen. In Deutschland liegt die Prävalenz zwischen 0,5 und 0,6 Prozent, das sind etwa 400 000 bis 600 000 Infizierte. Das Hepatitis-C-Virus kommt, soweit bekannt, nur beim Menschen vor und wurde vor der Einführung geeigneter Testverfahren meist durch Bluttransfusionen oder Blutprodukte übertragen. Das Restrisiko, sich heute durch Erhalt einer positiven Blutkonserve zu infizieren, beträgt 1:100 000. Bis zu 70 Prozent aller Neuinfektionen mit dem Hepatitis-C-Virus treten nun bei Drogenabhängigen auf und werden durch das gemeinsame Benutzen von Spritzen verursacht. Weitere Übertragungsmöglichkeiten sind in seltenen Fällen Sexualverkehr sowie Haushaltskontakte mit infizierten Patienten bei mangelhaften hygienischen Verhältnissen. Das Krankenhauspersonal ist durch Verletzungen mit Kanülen gefährdet. Bei etwa 30 Prozent der Erkrankungsfälle kennt man die Infektionsquelle allerdings nicht. Das Virus kann während der Schwangerschaft oder bei Geburt von der Mutter auf das Kind übertragen werden. Allerdings wird eine HepatitisC-Virus-Infektion der werdenden Mutter nicht als Indikation für einen Kaiserschnitt angesehen.
sprechende DNA-Klon wurde sequenziert. Nun konnte man Oligonucleotide herstellen und die RNA-Genome im Blut des Schimpansen durch Polymerasekettenreaktion amplifizieren und schließlich vollständig sequenzieren. Im letzten Schritt stellte man dann monoklonale Antikörper gegen die viralen Proteine her, die auch eine Identifizierung der Viruspartikel erlaubten.
Klinik Nach einer durchschnittlichen Inkubationsperiode von sechs bis acht Wochen tritt eine im Allgemeinen leicht verlaufende Leberentzündung auf. Etwa 75 Prozent der Infektionen verlaufen inapparent, schwere Verläufe sind selten. Akute Infektionen mit klinischer Symptomatik haben aber eine bessere Ausheilungsprognose. Bei bis zu 80 Prozent aller Infizierten entstehen chronisch-persistierende oder chronisch-reaktivierende Hepatitiden. Im Blut dieser Patienten kann man Virus-RNA mit den heutigen ultrasensitiven PCR-Methoden persistierend nachweisen. Die chronischen Infektionen sind durch erhöhte Transaminasespiegel gekennzeichnet, die aber undulieren und auch zeitweise normal sein können. Je aktiver die Infektion ist, desto höher sind aber die Werte. Nur wenige Patienten, die eine chronische Infektion etabliert haben, zeigen eine spontane Eliminierung des Erregers; dies findet man jährlich bei nur 0,5 bis 0,74 Prozent der Patienten. In zehn bis zwanzig Prozent der chronischen Fälle entsteht über die Jahre eine Zirrhose, bei etwa vier Prozent von diesen im Lauf von Jahrzehnten ein primäres Leberzellkarzinom. Eine gleichzeitige Infektion mit dem humanen Immundefizienzvirus fördert die Entstehung der Zirrhose. Weitere Komplikationen sind Periarteriitis nodosa, membranproliferative Glomerulonephritis und das idiopathische Sjögren-Syndrom. Dies ist durch zirkulierende gemischte Kryoglobuline (mixed cryoglobulins, MCs) bedingt, die als eine Folge der Expansion von B-Zell-Klonen angesehen werden, die pathogen wirkendes IgM mit Rheumafaktor-Aktivität produzieren.
Pathogenese Das Virus gelangt vorwiegend durch kontaminiertes Blut oder Blutprodukte direkt in den Kreislauf, wird
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q Das Hepatitis-G-Virus Das Hepatitis-G-Virus wurde ursprünglich von Friedrich Deinhard isoliert. 1967 inokulierte er Krallenaffen mit dem Serum eines an Hepatitis erkrankten Chirurgen (G. Barker, entsprechend seiner Initialen wird das Virus auch gelegentlich GB-Virus genannt) und konnte aus den infizierten Affen ein Virus isolieren. 1995 wurde das Genom dieses Virus von Scott Muerhoff und Mitarbeitern sequenziert, aufgrund der Anordnung seiner Gene ordnete man es in die Familie der Flaviviren ein. Da man am 5’-Ende des RNA-Genoms eine IRES-Sequenz identifizierte und Gene für zwei Glycoproteine (E1 und E2) vorhanden sind, ist es wohl mit dem Hepatitis-C-Virus verwandt. In der Folge konnte man Infektionen mit diesem Erreger, den man als Hepatitis-G-Virus bezeichnete, in vielen Menschen nachweisen, die auf die Infektion mit der Bildung spezifischer Antikörper reagierten. Es konnten inzwischen verschiedene Subtypen der Hepatitis-G-
über infizierte Makrophagen zur Leber transportiert und infiziert hier die Hepatocyten. Die Folge ist eine Leberentzündung mit Zellnekrosen. Bei der Hepatitis C scheint vor allem ein durch die Immunreaktion verursachter Zellschaden vorzuliegen. Das Virus selbst ist nur wenig cytopathogen, wie bei der kontinuierlichen Replikation des gesamten Virusgenoms in verschiedenen Zelltypen in vitro gezeigt werden konnte. Interferon-α wird von den Leberzellen produziert und sezerniert. Elektronenmikroskopisch beobachtete man im Cytoplasma der infizierten Leberzellen tubuläre Strukturen. Über die Details der Pathogenese der akuten Infektion ist wenig bekannt. Bei der chronischen Infektion bilden sich Antigen-Antikörper-Komplexe aus, die sich in den Glomerula der Nieren ablagern können. Man macht sie für die membranoproliferative Glomerulonephritis bei diesen Patienten verantwortlich. Das Hepatitis-C-Virus hat eine hohe Mutationsrate und verändert sich im Verlauf der Infektion im Patienten. Ständig bilden sich neue Quasispezies. Die Basenveränderungen entstehen bei der Replikation mit einer Wahrscheinlichkeit von 2 × 10–3. Sie sind darauf zurückzuführen, dass die RNA-abhängige RNA-Polymerase des Virus, anders als zelluläre DNA-Polymerasen, die Lesegenauigkeit nicht überprüfen kann. Die Einteilung der Genotypen und Subtypen des Hepatitis-C-Virus beruhte ursprünglich auf der Sequenz des NS5-Gens. Variationen finden sich jedoch in allen Bereichen. Die nichttranslatierte Region der IRES am 5’-Ende des Genoms ist am stärksten konserviert. Die Mutationen in
Viren identifiziert werden. Die anfängliche Vermutung, dass Hepatitis-G-Viren beim Menschen eine Leberentzündung verursachen, hat sich nicht bestätigt. Wegen des hohen Durchseuchungsgrades – bis zu vier Prozent der Blutspender erwiesen sich als virämisch – haben sich diese Viren gelegentlich auch aus Hepatitis-Patienten isolieren lassen. Sowohl die akuten als auch die persistierenden Infektionen verlaufen offensichtlich asymptomatisch. Es gibt sogar Hinweise, dass bei Patienten, die mit dem humanen Immundefizienzvirus und geichzeitig mit dem Hepatitis-G-Virus infiziert sind, die HIV-Infektion einen abgeschwächten Verlauf zeigt. Dafür verwortlich sollen die Eigenschaften des E2-Proteins der Hepatitis-G-Viren sein, welche – möglicherweise auf der Basis ähnlicher Epitope mit der Folge von kreuzreagierenden Immunreaktionen – den Replikationszyklus der humanen Immundefizienzviren hemmen.
den viralen Genen sind nicht einheitlich verteilt. Es gibt hypervariable und variable Regionen sowie relativ konstante Sequenzen. Die hypervariablen Regionen liegen im aminoterminalen Bereich des E2-Proteins zwischen den Aminosäuren 1 bis 27 und 90 bis 97. Sie werden durch Antikörper erkannt und sind so einem starken immunologischen Selektionsdruck ausgesetzt. Im Verlauf einer chronischen Infektion verändert das Virus beide Epitope so, dass die Antikörper sie nicht mehr erkennen. In ähnlicher Weise findet man auch, dass sich durch die Mutationen die Epitope verändern, die von cytotoxischen T-Lymphocyten erkannt werden. Vermutlich entstehen durch diesen immunologischen Selektionsdruck Virusvarianten, die eine chronische Infektion herbeiführen können. Zusätzlich hat man in den Nichtstrukturproteinen der Flaviviren etliche Aktivitäten gefunden, die es den Erregern – so auch den Hepatitis-C-Viren – ermöglichen, die Abwehrstategien der unspezifischen Immunabwehr zu unterlaufen (䉴 Abschnitt 14.5.3). Im Fall der Hepatitis-C-Viren wurde zusätzlich entdeckt, dass die NS3/4A-Protease die zellulären Faktoren Cardif (CARD adaptor inducing interferon b) und TRIF (Toll-interleukin-1 receptor domain containing adaptor) spaltet, welche die IRFs (interferon regulatory factor) aktivieren und die Synthese von IFNα und-β einleiten. Das Protein NS5A hemmt in vitro die Proteinkinase PKR, die durch IFN-α aktiviert wird und die Translation hemmt. Ob dieser Mechanismus zur Aufhebung der Interferonwirkung auch in vivo stattfindet, ist allerdings – wie auch in den anderen genannten
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Beispielen – nicht gezeigt. Auch weiß man nicht, ob bestimmte Mutationen für die Virulenz der verschiedenen Quasispezies wichtig sind. Einige der Subtypen scheinen sich in ihrer Empfindlichkeit für Interferon-α zu unterscheiden, wobei die Genotypen 1 und 4 sich als besonders resistent erweisen. Primäres Leberzellkarzinom Auf welche Weise das Hepatitis-C-Virus die Krebsentstehung fördert, ist nicht endgültig geklärt. Die Zeitspanne zwischen der Infektion und der Ausbildung eines primären Leberzellkarzinoms beträgt etwa 20 bis 40 Jahre. Ausgangspunkt ist die chronische Infektion in Jugendlichen und Erwachsenen. Es wird vermutet, dass für die Entstehung der Karzinome die über Jahre andauernden Entzündungsprozesse in der Leber verantwortlich sind. Durch die Infiltration mit immunologisch aktiven Zellen und die von diesen sezernierten Cytokine kommt es zur Zerstörung von Leberzellen – wobei die Schädigung der Zellen durch bestimmte Cofaktoren, wie beispielsweise Alkoholkonsum, verstärkt wird. In Einzelfällen können bei diesen Vorgängen Mutationen im Zellgenom stattfinden, die dann die Zellen zur kontinuierlichen Proliferation veranlassen und zur Entstehung des Leberzellkarzinoms beitragen. Auch gibt es Hinweise, dass bestimmte Sequenzen des C-Proteins mit dem zellulären Ras-Protein wechselwirken und dass hierdurch die Transformation eingeleitet wird. Die perinatale Übertragung des Virus von infizierten Müttern auf die neugeborenen Kinder spielt im Gegensatz zu den mit Hepatitis-B-Virus assoziierten Karzinomen beim Hepatitis-C-Virus nur eine geringe Rolle (䉴 Abschnitt 19.1). Doppelinfektionen mit HepatitisB- und Hepatitis-C-Virus kommen in Japan bei bis zu 18 Prozent der primären Leberzellkarzinome vor. Gleichzeitige Infektionen von Hepatitis-B-, HepatitisC- und Hepatitis-D-Viren bewirken eine Verkürzung der Inkubationszeit bis zum Auftreten des Karzinoms.
Immunreaktion und Diagnose Für die Diagnose einer Hepatitis-C-Infektion können erhöhte Transaminasenwerte wegweisend sein, wobei diese keine nähere Zuordnung der Erreger erlaubt. Den wichtigsten Ansatz zur Diagnose einer Hepatitis-CVirus-Infektion stellen ELISA-Tests dar, die als Suchtests eingesetzt werden. Sind diese positiv, kann auf eine frische, chronische oder abgelaufene HCV-Infektion geschlossen werden. Eine weitere serologische Differenzierung ist nicht möglich. Infolge der hohen Sensitivität dieser Suchtests wurden Immunoblot- oder analoge Verfahren als Bestätigungstest eingeführt, um unspezifische Ergebnisse auszuschließen. Mittlerweile verwendet
man den quantitativen Nachweis der viralen RNAGenome mittels RT-PCR als Bestätigungstest, zumal dieser sofort die Höhe der Viruslast liefert. Als Material wird Serum oder Plasma verwendet, Leberbiopsien hingegen nur in Ausnahmefällen. Zusätzlich wird über Polymerasekettenreaktion und meist über Hybridisierungstests der Genotyp bestimmt, da dieser für die Länge der Therapiedauer entscheidend ist. Da die Phase, in der man eine akute Hepatitis-C-Infektion serologisch nicht eindeutig diagnostizieren kann, mehrere Monate beträgt, werden automatisierte Tests zum Nachweis der viralen C-Proteine eingeführt, um diese zu verkürzen. Bei ELISA-Tests oder im Immuno-Blot setzt man rekombinante Virusproteine zum Nachweis spezifischer Antikörper ein. Bei der akuten Infektion findet man IgM-Antikörper gegen das NS4- und das C-Protein. Da diese jedoch persistieren können beziehungsweise mit dem Niveau der Leberschädigung und auch mit dem Genotyp korrelieren, sind IgM-Tests diagnostisch ohne größeren Wert. Auch das ist ein Hinweis darauf, dass bei der chronischen Infektion virale Genexpression und Proteinsynthese ständig erfolgen. IgG-Antikörper gegen das C-Protein lassen sich wenige Tage bis Wochen nach dem Beginn der Symptome nachweisen, solche gegen die Nichtstrukturproteine (NS3, NS4, NS5) erst später. Immunglobuline gegen die Membranproteine E1 und E2 entdeckt man nur bei etwa zehn Prozent der akuten Infektionen. Es ist unbekannt, ob diese Antikörper nicht gebildet oder aufgrund der Variabilität der Aminosäuresequenz und der mangelnden Empfindlichkeit der Testsysteme nicht erfasst werden. Cytotoxische T-Lymphocyten kann man nach ihrer Stimulierung durch Peptide, die von Virusproteinen abgeleitet sind, im Blut der Patienten nachweisen.
Therapie und Prophylaxe Einen Impfstoff gegen das Hepatitis-C-Virus gibt es nicht, wohl aufgrund der Quasispezies-Problematik. Die Anwendung von Interferon-α, vor allem die Verwendung von Interferon-α-Präparaten mit Depotwirkung (pegyliertes Interferon), in Kombination mit Ribavirin hat sich für die Behandlung der chronischen Infektionen bewährt. Bei Therapiebeginn in der akuten Infektionsphase erreicht man mit Interferon-α alleine Heilungsraten über 90 Prozent. In vielen Fällen führt die Therapie der chronischen Infektion zur deutlichen Absenkung der Viruslast im peripheren Blut, es ist dort auch mit ultrasensitiven Methoden nicht mehr nachweisbar. Es gibt jedoch sehr viele Therapieversager; insbesondere Infektionen mit den Genotypen 1 und 4 erweisen sich als weitgehend resistent. Deshalb werden mit den Genotypen 1 und 4 infizierte Patienten derzeit
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für 48 Wochen behandelt, wobei nach der zwölften Woche auf Therapieerfolg getestet wird (entsprechende Abnahme der Viruslast in der quantitativen PCR). Erfolgt dieses Ansprechen nicht, wird die Therapie abgebrochen. Bei Vorliegen einer Infektion mit den anderen Genotypen werden die Patienten dagegen 24 Wochen lang behandelt. Als neue Medikamente kommen Hemmstoffe der viralen Protease NS3, beispielsweise Boceprevir, eine von Peptiden abgeleitete Substanz, derzeit in den klinischen Einsatz. Trotz dieser Fortschritte in der medikamentösen Therapie sind die Folgen der chronischen Hepatitis-C-Virusinfektionen für etwa 20 Prozent aller Lebertransplantationen verantwortlich.
14.5.6 Human- und tierpathogene Flaviviren Das West-Nile-Virus Ein Virus mit zoonotischem Potenzial ist das West-NileVirus, das ursprünglich nur in der Alten Welt (asiatische und afrikanische Länder, Rumänien) weit verbreitet war. Seit 1999 ist es auch auf dem amerikanischen Kontinent aufgetreten und hat sich in den Folgejahren auf dem ganzen nordamerikanischen Kontinent ausgebreitet. Das West-Nile-Virus reiht sich in den Japanese-Encephalitis-Complex ein, zu dem die Japanese-Encephalitis-, St. Louis-Encephalitis-, Murray-Valley- und Kunjin-Viren gehören. Letztere sind auf dem australischen Kontinent verbreitet.
Epidemiologie und Übertragung Das West-Nile-Virus wird von ornithophilen Mückenarten, insbesondere von Culex univittatus und C. pipiens, zwischen Vögeln übertragen. Vermutlich weisen verschiedene Vogelarten erhebliche Unterschiede in der Empfänglichkeit für Infektionen mit dem West-NileVirus auf: Rabenvögel scheinen besonders empfänglich zu sein. Es wurde gezeigt, dass der Erreger zumindest unter Laborbedingungen auch unter den Mücken direkt weitergegeben werden kann, wenn zwei Mücken (eine infizierte und eine nicht infizierte) gleichzeitig Blut desselben Vogels saugen. Daneben kann das Virus aber auch über Aerosole unter den Vögeln weitergeben werden. Das Virus vermehrt sich in den für die Infektion empfänglichen Vögeln und liegt im Blut in Konzentrationen vor, die eine Übertragung durch Mücken erlauben. Durch sie wird das Virus gelegentlich auch auf andere Wirte, wie Pferde und auch Menschen übertragen. Ob die Vögel eine persistierende Infektion etablieren kön-
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nen, ist unbekannt. Die intra- und interkontinentale Verbreitung des Virus erfolgt durch infizierte Zugvögel. Mit dem West-Nile-Virus infizierte Menschen können den Erreger über Blut- und Organspenden sowie über die Muttermilch übertragen.
Klinik Mensch Nach einer Inkubationszeit von drei Tagen bis zwei Wochen entwickeln die Patienten grippeähnliche Symptome mit Fieber, Kopf-, Rücken-, Gelenk-, und Muskelschmerzen. Übelkeit, Durchfall und generelle Lymphknotenschwellungen werden in einigen Fällen zusätzlich beobachtet, vor allem bei Kindern findet man auch Anzeichen eines Hautausschlags. Bei schweren Verläufen, die man gehäuft bei älteren Patienten findet, schließen sich an diese Erkrankungsphase Leber- und Herzmuskelentzündungen sowie Encephalitiden an. Etwa fünf bis zehn Prozent der Patienten mit neurologischen Symptomen versterben. Tiere Die Infektion der Vögel verläuft systemisch und resultiert auch in einer Encephalomyelitis, extraneuronale Läsionen sind sehr häufig. So findet man Myocarditiden, Muskeldegenerationen, und lymphozytäre Infiltrationen in verschiedensten Organen, wie Pankreas, Lunge und Leber. Eine Atrophie der Bursa fabricii ist ebenfalls häufig. Daneben sind klinisch inapparente Infektionen typisch. Unter den Vögeln gibt es große Unterschiede in der Empfänglichkeit. Raben- und Greifvögel gelten als hochempfänglich und weisen häufig schwere Krankheitsbilder auf; Monitoringprogramme sollten also vor allem diese Vögel einschließen. Obwohl in den USA eine große Zahl von Pferden infiziert ist, ist die klinisch inapparente Infektion auch in dieser Spezies die Regel. Infektionsversuche mit WestNile-Virus-infizierten Moskitos führten nur bei etwa zehn Prozent der exponierten und infizierten Pferde zu klinischen Symptomen. Beim Pferd findet man infolge einer Poliomeningoencephalitis im Unterschied zu den Infektionen bei Vögeln fast ausschließlich neurologische Symptome, andere Manifestationen werden praktisch nicht beobachtet.
Pathogenese Bei der Infektion des Menchen gelangt das West-NileVirus durch den Mückenstich in die Blutbahn und bindet sich an Integrine (Integrin αvβ3) auf der Oberfläche von Monocyten, Makrophagen und Endothelzellen und breitet sich so im Organismus aus; daneben ist auch die Wechselwirkung mit den Proteinen ICAM-3 und DCSIGN beschrieben. Zu den Details der Pathogenese gibt
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¡ Der Rezeptor CCR5: Freund oder Feind bei Virusinfektionen? Der Chemokinrezeptor CCR5 sorgte vor einigen Jahren für großes Aufsehen: Man identifizierte ihn als einen Corezeptor, an den sich das Humane Immundefizienzvirus an die Oberfläche von Monocyten und Makrophagen bindet und die Infektion einleitet (䉴 Kapitel 18.1). Die Wichtigkeit wurde zusätzlich durch den Befund unterstrichen, dass Personen mit genetischen Defekten des CCR5-Gens nicht mit dem Humanen Immundefizienzvirus infiziert werden und
es nur wenige Daten. Ähnlich wie bei den FSME- gilt auch bei den West-Nile-Viren, dass Patienten mit genetischen Defekten des Chemokinrezeptors CCR5 ein erhöhtes Risiko haben, neurologische Symptome und somit schwere Erkrankungen infolge der Infektion zu entwickeln. Möglicherweise sind dieser Rezeptor und seine Wechselwirkung mit den Liganden für die Regulierung der Einwanderung von Makrophagen und T-Lymphocyten in das infizierte Gewebe verantwortlich.
Immunreaktion und Diagnose Die Diagnose erfolgt über RT-PCR, durch Züchtung des Erregers im Hühnerei oder in der Zellkultur mit anschließender Virusisolierung. Das Virus agglutiniert Gänseerythrocyten und kann daher im Hämagglutinations- und Hämagglutinationshemmtest nachgewiesen werden. IgM- und IgG-Antikörper gegen die viralen Strukturproteine kann man im ELISA nachweisen.
Bekämpfung und Prophylaxe Eine Immunprophylaxe ist bisher noch nicht verfügbar. In den Großstädten werden Wasseransammlungen zur Reduktion der Mückenzahlen mit Pestiziden behandelt. Der Wert dieser Maßnahme ist allerdings sehr umstritten. Aufgrund der Todesfälle werden in den USA Blutspenden auf das Vorhandensein des West-Nile-Virus untersucht.
14.5.7 Tierpathogene Flaviviren Die tierpathogenen Flaviviren lassen sich in zwei Gruppen einteilen: Die Vertreter der einen Gruppe werden von Arthropoden übertragen (West-Nile-Virus, Lou-
weitgehend resistent sind. Diese Daten bilden die Grundlage für die Entwicklung neuer Therapeutika (Maravivoc), welche die Interaktion zwischen dem Humanen Immundefizienzvirus und dem CCR5-Protein auf der Zelloberfläche blockieren und die Infektion damit verhindern sollen. Der Einsatz dieser Hemmstoffe könnte jedoch die Empfänglichkeit für die Entwicklung schwerer Infektionen mit dem West-Nile- und dem FSME-Virus drastisch erhöhen.
ping-Ill-Virus und FSME-Virus), die Infektionen durch Viren der zweiten Gruppe erfolgen unabhängig von Arthropoden (Pestiviren). Wirtschaftlich bedeutend als Tierpathogene sind die Pestiviren, vor allem das Virus der klassischen Schweinepest und das Virus der bovinen Virusdiarrhoe. Das West-Nile-Virus kann fatale Infektionen beim Menschen verursachen (䉴 Abschnitt 14.5.6). Das FSME-Virus kann in sehr seltenen Fällen auch Tierarten wie Hunde oder Wiederkäuer infizieren und in diesen Krankheitsbilder verursachen, die denjenigen der menschlichen Infektion gleichen (䉴 Abschnitt 14.5.5). Die Verbreitung des Louping-Ill-Virus ist auf Großbritannien beschränkt. Es ähnelt dem FSME-Virus und wird wie dieses durch Zecken übertragen. Es verursacht bei Schafen eine Encephalitis. Menschen können – wenn auch außerordentlich selten – mit diesem Virus infiziert werden und erkranken. Aufgrund der geringen Bedeutung dieser Viren wird hier auf eine weitergehende Beschreibung verzichtet.
Das Virus der klassischen Schweinepest (Classical-Swine-Fever-Virus) Im Genus Pestivirus findet man eine Reihe tierpathogener Flaviviren, die wirtschaftlich bedeutsame Infektionskrankheiten beim Schwein und bei Wiederkäuern hervorrufen. Hierzu zählt in erster Linie das Classical-Swine-FeverVirus (CSFV), dessen Infektionen bei Schweinen die klassische („europäische“) Schweinepest verursachen. Diese ist von einer ähnlichen Erkrankung, der afrikanischen Schweinepest, klinisch nicht zu unterscheiden. Letztere wird durch das African-Swine-Fever-Virus, ein DNA-Virus aus der neuen Familie der Asfarviridae, hervorgerufen (䉴 Abschnitt 19.7).
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q Das West-Nile-Virus als „Neues Virus“ auf dem amerikanischen Kontinent Im Jahr 1999 hat das West-Nile-Virus in New York eine Reihe von tödlichen Encephalitiden beim Menschen verursacht. Dies erregte damals insbesondere auch deswegen großes Aufsehen, weil das Virus als klassischer Erreger der Alten Welt auf dem amerikanischen Kontinent und im Stadtbereich von New York zuvor völlig unbekannt war. Das WestNile-Virus infiziert gewöhnlich Vögel (Singvögel, Krähen), die das Reservoir für die Erreger darstellen. Sie können es offensichtlich über weite Strecken transportieren. Durch Stiche von Mückenarten der Gattung Culex kann es auf Pferde und Menschen übertragen werden. Das Virus breitete sich in nur einem Jahr über den gesamten Osten der Vereinigten Staaten aus. In den Jahren nach 1999 wurden von Erkrankungen und Todesfällen durch Infektionen mit dem West-Nile-Virus vor allem in den Oststaaten der USA berichtet. Bereits im Jahr 2002 hatte sich der Erreger in über 39 Staaten verbreitet und es wurden 4156 Infektionen bei Menschen dokumentiert, von denen 248 verstarben. Die Todesfälle betrafen vor allem Personen höheren Alters (das Durchschnittsalter der Verstorbenen beträgt 79 Jahre). Des Weiteren sind in diesem Zeitraum über 3 400 bestätigte Fälle der Infektion bei Pferden erfasst worden, die ein ähnliches Krankheitsbild entwickeln wie der Mensch.
Epidemiologie und Übertragung Das Bild der klassischen Schweinepest ist durch schwere allgemeine sowie hämorrhagische Erkrankungssymptome gekennzeichnet. Neben dieser schweren Verlaufsform treten sehr häufig – heutzutage beinahe ausschließlich – klinisch atypisch verlaufende Infektionen auf, die nur wenig eindeutige und zum Teil milde Symptome zeigen. Dies erschwert die schnelle klinische Verdachtsdiagnose und kann angesichts der hohen Kontagiosität des Virus zur schnellen Ausbreitung der Seuche beitragen. Die Übertragung erfolgt vor allem durch direkten Tierkontakt, insbesondere durch Zukauf von Schweinen in Mastbetriebe, die eine subklinische persistierende Infektion aufweisen oder nur abgeschwächte Symptome zeigen. Mit Erregern kontaminiertes Tierfutter ist ein weiterer häufiger Weg zur Einschleppung der Viren. Meist erfolgt dies durch Küchenabfälle, die das Fleisch infizierter Tiere enthalten. Deshalb ist das Verfüttern von Küchenabfällen an Schweine strikt verboten. In jüngster Zeit sind Schweinepestausbrüche aufgetreten, bei welchen die Viren durch Wildschweine übertragen wurden. Auch hier spielte der direkte Kontakt (Weidemit Wildschweinen) oder das Verfüttern von Wild-
Den Höhepunkt erreichte die Infektionswelle 2003, als in allen Staaten der USA bei fast 10 000 Patienten eine WestNile-Virusinfektion diagnostiziert wurde. Seitdem werden flächendeckend verendete Vögel, insbesondere die hoch empfänglichen Krähen, darauf untersucht, ob sie mit den West-Nile-Viren infiziert sind. In den Folgejahren sanken die Werte auf 3 000 bis 4 000 Infizierte jährlich. Zur Risikominimierung wird eine sehr intensive und kostspielige Überwachung betrieben, die fünf Ebenen einschließt: Mücken, Sentinel-Hühnerherden, erkrankte Vögel, erkrankte andere Tiere und Menschen. Aufgrund der Infektionswelle und des Risikos der Übertragung der Infektion durch kontaminierte Blutspenden werden ab dem Jahr 2003 alle Blutspenden in den USA auf das Vorhandensein des West-Nile-Virus mittels Polymerasekettenreaktion getestet; zusammen mit dem Rückgang der Zahl an Neuinfektionen sanken auch die Nachweiszahlen des West-Nile-Virus in Blutspenden von 818 im Jahr 2003 auf unter 200 im Jahr 2008 ab. In europäischen Blutspendern ist das West-Nile-Virus wesentlich seltener nachweisbar; in Deutschland fan man es mit einer Antikörperprävalenz von nur 0,03 Prozent ohne Nachweis viraler RNA in Blutspenden.
schweinfleisch (schweinehaltende Jäger und Wilderer) die entscheidende Rolle. Epidemiologisch von besonderer Bedeutung sind Ferkel, die nach intrauteriner Übertragung ausgehend von infizierten Mutterschweinen persistierende Infektionen entwickeln und die Erreger im Blut haben. Diese Tiere scheiden die Viren permanent aus (Dauerausscheider) und können dabei über mehrere Monate asymptomatisch bleiben. Sie entwickeln aber schließlich klinische Symptome und werden nicht älter als 16 Monate.
Klinik Die klassische Schweinepest ist durch ein perakutes bis akutes Krankheitsbild gekennzeichnet, welches von respiratorischen oder gastrointestinalen Störungen begleitet werden kann. Auch zentralnervöse Symptome wie Zittern, Lähmungen und Krämpfe sind beschrieben worden. In der Herde kann die Morbidität bis zu 100 Prozent betragen. Die atypischen oder chronischen Infektionen verlaufen weniger dramatisch und können daher leicht übersehen werden. Bei tragenden Sauen kann es zu Aborten oder zum Absetzen mumifizierter oder lebensschwacher Ferkel kommen.
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q Bekämpfung der Schweinepest in der EU Die Länder der Europäischen Gemeinschaft bekämpfen wirtschaftlich bedeutsame Tierseuchen gemeinsam und erlassen für alle Mitgliedsländer bindende Vorschriften. Dazu gehören auch die Maßnahmen zur Tilgung der klassischen Schweinepest. Eine Infektion kann auf Herdenebene einfach und schnell durch Antikörpernachweis bestätigt werden. Eine Impfung ist nicht gestattet, da sie eine einfache serologische Erkennung infizierter Schweineherden unmöglich machen würde. Aufgrund der hohen Kontagiosität der Viren werden daher bei einem Ausbruch der klassischen Schweinepest alle Tiere eines betroffenen Bestandes getötet, die Kadaver unschädlich beseitigt sowie in umfassenden epidemiologischen Erhebungen mögliche Tierbewegungen aus diesem Bestand verfolgt und ansteckungsverdächtige Tiere unter amtstierärztliche Beob-
Pathogenese Infektionen mit dem Erreger der klassischen Schweinepest erfolgen meist durch orale Übertragung. Die Viren replizieren zuerst in den Tonsillen und gelangen von dort im Rahmen einer Virämie in nahezu alle Endothelzellen und lymphatische Organe einschließlich des Knochenmarks. Die Virusreplikation ist mit erheblichen Zellzerstörungen verbunden, die sich in multiplen Blutungen, einer massiven Lymphopenie und Thrombocytopenie sowie einer Verbrauchskoagulopathie äußert. Charakteristisch sind multiple Milzinfarkte und eine massive Atrophie der lymphatischen Organe, die mit zunehmender Krankheitsdauer fortschreitet. Häufig entsteht auch eine Encephalitis. Wichtig ist, dass die Viren intrauterin übertragen werden können. Je nach Trächtigkeitsstadium zum Zeitpunkt der Infektion kommt es zum Umrauschen, zum Abort oder zur Geburt missgebildeter Ferkel. Lebend geborene Ferkel infizierter Sauen etablieren, ähnlich wie Kälber bei der BVDV-Infektion der Rinder, eine persistierende Virämie. Sie scheiden die Erreger kontinuierlich aus und spielen epidemiologisch eine große Rolle.
Immunreaktion und Diagnose Die Diagnose der klassischen Schweinepest wird nach Anzeige durch das Veterinäramt eingeleitet. Sie ist durch den Nachweis von Antikörpern im ELISA oder Neutralisationstest möglich. Wichtig ist dabei die Unterscheidung von Antikörpern gegen das Virus der bovinen
achtung und Quarantäne gestellt. Dieser teure Weg der Sanierung ist außerordentlich effektiv und letztendlich kostengünstiger als eine Impfung, die nur kurzfristig einzelne Schweine eines Betriebes rettet, aber eine Beschränkung des Handels mit Schweinen innerhalb und außerhalb der Europäischen Gemeinschaft nach sich ziehen würde. Ein eingeschränkter Handel hätte enorme wirtschaftliche Einbußen zur Folge. Die Tötung großer Tierzahlen, insbesondere die Tötung von nichtinfizierten Tieren ist jedoch auch unter ethischen Aspekten zu diskutieren. Hier wird auf EUEbene über eine Reversion der Nicht-Impfpolitik nachgedacht, wodurch die Impfung nichtinfizierter Bestände im Seuchenfall erlaubt wäre. Problematisch ist dabei allerdings zurzeit die Vermarktung des Fleisches geimpfter Tiere, das international nicht abgenommen wird.
Virusdiarrhoe (BVDV), das ebenfalls Schweine infizieren kann, in diesen aber keine Krankheit induziert und nicht tierseuchenrechtlich gemaßregelt wird. Die Differenzierung erfordert die parallele Titration der Seren in Tests, die Proteine des BVD- beziehungsweise des Classical-Swine-Fever-Virus als Antigene enthalten. Wichtiger ist jedoch der direkte Virusnachweis, der durch Isolierung der Erreger in permanenten Schweinenierenzellkulturen und ihre Charakterisierung, serologisch durch monoklonale Antikörper in Immunfluoreszenztests – gegebenenfalls in der Durchflusscytometrie – oder genetisch mittels Polymerasekettenreaktion, erfolgen kann.
Bekämpfung und Prophylaxe Bei Auftreten der klassischen Schweinepest werden alle Schweine eines Betriebs gekeult und umfangreiche epidemiologische Untersuchungen durchgeführt, um die Verbreitung des Virus zu bestimmen. In jüngster Zeit sind gentechnologisch produzierte Vakzinen gegen die Schweinepest entwickelt worden. Sie enthalten das Glycoprotein E2, welches mittels rekombinanter Baculoviren produziert wird. Diese Markervakzinen induzieren eine Immunreaktion ausschließlich gegen das E2-Protein, die eine Unterscheidung der geimpften von den mit dem Wildtypvirus infizierten Schweinen ermöglicht. Für eine Notimpfung sind sie jedoch wenig geeignet, da ein belastbarer Schutz erst nach einigen Tagen nach Impfung ausgebildet ist. Interessanterweise ist seit längerem eine außerordentlich wirksame Lebendvakzine verfügbar, die auch in
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Deutschland viele Jahre lang eingesetzt wurde. Sie beruht auf einem Virus, das in zahlreichen Passagen in Kaninchen attenuiert wurde (C-Stamm, „lapinisiertes Virus“). Dieses Virus wird heute nur noch zur oralen Immunisierung von Wildschweinen eingesetzt und dafür im Wald ausgelegt. Für eine Impfung in den gut kontrollierbaren Schweinebeständen kommt es aber nicht mehr in Frage, da der Handel von Fleisch geimpfter Tiere mit Auflagen verbunden ist, und dies ökonomisch (zurzeit) nicht interessant ist.
Das Virus der bovinen Virusdiarrhoe (BVDV) Epidemiologie und Übertragung Das Virus der bovinen Virusdiarrhoe (BVDV) ist ein wirtschaftlich bedeutender tierpathogener Infektionserreger. Seit Jahren wird die Diskussion geführt, ob es korrekter ist, von zwei eigenständigen Pestiviren zu sprechen, nämlich von BVDV-1 und BVDV-2, oder sie als Genotypen einer Virusspezies zu verstehen. Sie verursachen zwar das gleiche Krankheitsbild, lassen sich aber durch ihre Genomsequenzen und die in den Rindern gebildete Antikörperantwort unterscheiden. Das Virus wird über den Kot und über Schleimhautsekrete ausgeschieden und oral aufgenommen.
Klinik Beim adulten Tier verursacht BVDV eine subklinische Infektion oder leichte, selbstlimitierende Durchfallerkrankungen. Selten werden perakute hämorrhagische Syndrome beobachtet. Ob hierfür bestimmte Stämme oder Biotypen des BVDV verantwortlich sind, wird diskutiert. Nach der Infektion bildet das Tier eine lebenslange Immunität aus. Den eigentlichen wirtschaftlichen Schaden verursacht das Virus, wenn empfängliche, das heißt immunologisch nicht geschützte, tragende Kühe infiziert werden. Je nach Zeitpunkt der Infektion kommt es zu Aborten, Missbildungen oder zur Geburt persistierend infizierter, virämischer Kälber. Diese können die für die betroffenen Tiere tödliche Erkrankung der Mucosal Disease entwickeln. Die Mucosal Disease ist eine generalisierte Erkrankung der chronisch infizierten Rinder. Dabei vermehrt sich das Virus lytisch in den Zellen aller Schleimhäute und Endothelien. Es kommt zu dem schweren Krankheitsbild eines hämorrhagischen Fiebers, das ausnahmslos tödlich endet. Es finden sich Blutungen in allen Schleimhäuten und das Virus ist in nahezu jedem Organ nachweisbar.
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Pathogenese Die Viruspersistenz beruht auf einer BVDV-typspezifischen zentralen Immuntoleranz, die sich im Verlauf der Infektion im Embryo gegen einen nicht cytopathogenen Biotyp etabliert. Das Kalb ist vollkommen immunkompetent gegen andere Virusinfektionen, sogar gegen BVDV-Infektionen mit einem serologisch unterscheidbaren Virustyp. Während der BVDV-Persistenz kommt es zu Veränderungen im Virusgenom, die ein Virus mit einem neuen Biotyp entstehen lassen. Dieses cytopathogene (cp-)Virus verursacht dann das letale Krankheitsbild der Mucosal Disease. Die molekularen Grundlagen für die Entstehung des cp-Virus liegen in genetischen Veränderungen, die zur unterschiedlichen Prozessierung des Nichtstrukturproteins NS3 führen. Während dieses beim nicht cytopathogenen BVDV als NS2-NS3-Fusionsprotein vorliegt, findet man bei den korrespondierenden cp-Viren NS3Proteine ohne NS2-Fusionsanteil. Die veränderte Prozessierung erfolgt, wenn zelluläre Genomsequenzen im Bereich der für das NS2-Protein codierenden Abschnitte in das Virusgenom integriert werden. Dieser Vorgang verändert das Muster der proteolytischen Spaltvorgänge im Vorläuferprotein. Man konnte zeigen, dass eine Reihe von zellulären Genen durch homologe RNA-Rekombination in das Virusgenom integriert wurden (䉴 Abbildung 14.16). Neben der Integration von zellulären Gensequenzen, beispielsweise von ubiquitincodierenden Abschnitten sind auch Rearrangements oder Deletionen viraler Genomabschnitte beschrieben worden. Alle diese Vorgänge führen dazu, dass durch die zelluläre Ubiquitinhydrolase beziehungsweise die virale Protease NPro freie NS3-Proteine als Spaltprodukte aus dem Vorläuferprotein gebildet werden (䉴 Abbildung 14.16). Die Mechanismen der damit verbundenen Virulenz sind jedoch unklar, insbesondere auch deshalb, weil das ClassicalSwine-Fever-Virus und ein weiteres Pestivirus, nämlich das Border-Disease-Virus der Schafe, im Infektionsverlauf freie NS3-Proteine produzieren, ohne jedoch die Ausbildung schwerer Symptome zu induzieren, wie sie bei der Mucosal Disease entstehen.
Immunreaktion und Diagnose Die Diagnose der BVDV-Infektion erfolgt in der Regel durch Isolierung des Virus in der Zellkultur, durch Polymerasekettenreaktion oder durch Nachweis von BVDV-Antigen in peripheren Blutlymphocyten mittels Immunfluoreszenz (Durchflusscytometrie) oder ELISATests. Maternale Antikörper können diese Testverfahren stören, sodass ihr Einsatz erst etwa ab dem 6. Lebensmonat verlässliche Ergebnisse bringt. Deswegen ist
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N
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NS3
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Spaltung
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Ubiquitinhydrolase
pro
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a
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NS4 b
a
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NS5 b
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Osloss, cytopathogen
CP1, cytopathogen
CP9 (defekt), cytopathogen in Kombination mit BVDV (SD-1)
Pe515CP, cytopathogen
BVDV (SD-1), nicht cytopathogen
14.16 Rekombinationsereignisse im Genom des Virus der bovinen Virusdiarrhoe (BVDV). In den nicht cytopathogenen Stämmen (BVDV SD-1) findet keine Spaltung zwischen den Proteinen NS2 und NS3 statt, beide bleiben miteinander verbunden und wirken als Protease zur Spaltung des Nichtstrukturproteinanteils des Vorläuferproteins. Bei cytopathogenen Stämmen findet man verschiedene Rekombinationen mit zellulären Nucleinsäuresequenzen. Hier werden in die Virus-RNA-Genome Ubiquitinsequenzen (U) vor die NS3-Abschnitte integriert (Stämme CP1 und Osloss). Die Spaltung und Freisetzung der NS3-Proteine erfolgt dabei mittels der zellulären Ubiquitinhydrolase. Alternativ findet man bei den cytopathogenen Stämmen Rekombinationsvorgänge, welche die Npro-Sequenzen aminoterminal zu den NS3-Abschnitten umlagern. Die proteolytische Aktivität von Npro führt dann zur autokatalytischen Spaltung und zur Bildung eines NS3-Proteins zusätzlich zum NS2-NS3-Fusionsprodukt (Stamm Pe515CP). Desweiteren existieren defekte Virusgenome, denen der Strukturprotein- und der NS2-NS3-Anteil fehlt, die aber ähnlich wie Pe515CP die Sequenzen der Npro den NS3-Abschnitten vorgelagert haben (Stamm CP9). Diese defekten Viren wirken pathogen, wenn sie in den Tieren in Kombination mit nichtcytopathogenen, infektiösen Stämmen (SD-1) auftreten.
N
N
E1 E1
E1
Stamm
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Npro C E Erns
N
pro
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heute der Nachweis des Virusproteins Erns im Serum üblich. Es wird von der virusinfizierten Zelle sezerniert. Maternale Antikörper gegen das Erns sind kaum in den Kälbern vorhanden, sodass mittels des Erns-Nachweises in ELISA-Tests die Infektion schon ab dem 20. Lebenstag möglich ist. Die Infektion hinterlässt eine lang andauernde, wahrscheinlich lebenslange Immunität.
Bekämpfung und Prophylaxe Ziel ist, die Geburt von Kälbern mit persistierender Virämie zu vermeiden. Dies ist grundsätzlich durch zwei Maßnahmen möglich: Alle weiblichen Nachzuchttiere werden vor der Geschlechtsreife geimpft. Dies verhindert, dass die Tiere während der Trächtigkeit für eine Virusinfektion empfänglich sind und es zu einer transplacentaren Übertragung des Virus und letztlich zum Heranwachsen neuer Kälber mit persistierenden Infektionen kommt. Die andere Maßnahme ist die frühe Identifizierung von Tieren mit persistierender Virämie und ihre Eliminierung aus der Herde. Dies ist nur durch den individellen Virusnachweis möglich. Die serologische Untersuchung repräsentativer Proben von Jungtieren eines zu untersuchenden Bestandes („Jungtierfenster“) gibt jedoch gute Anhaltspunkte auf das Vorhandensein von persistierenden Virusträgern. Aufgrund der bundesweiten Bekämpfung ist die Zahl der persistierenden infizierten Rinder rückläufig. Man geht davon aus, dass heute weit weniger als ein Prozent aller Rinder eine persistierende BVDV-Infektion aufweist. Eine Reihe von Impfstoffen ist verfügbar. Sie enthalten entweder attenuierte, vermehrungsfähige oder inaktivierte Viren. Letztere sind in der Regel nicht in der Lage, die intrauterine Übertragung des Virus zu verhindern. Die Lebendimpfstoffe basieren jedoch auf einem cytopathogenen BVDV-Stamm, der nach Impfung eines Tieres mit persistierender Infektion sofort oder nach Rekombination mit dem Impfstamm die Mucosal Disease auslöst; diese Impfstoffe sind daher problembehaftet. Außerdem kann durch Impfung eines tragenden Muttertieres mit dem Lebendvirusimpfstoff ein Kalb mit persistierender Virämie erzeugt werden. Die Entwicklung potenter inaktivierter Vakzinen, die verlässlich eine intrauterine Übertragung verhindern und gegen die bekannten Genotypen des BVDV schützen, ist daher wünschenswert.
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14.5.7 Weiterführende Literatur Appel, N.; Zayas, M.; Miller, S.; Krijnse-Locker, J.; Schaller, T.; Friebe, P.; Kallis, S.; Engel, U.; Bartenschlager, R. Essential role of domain III of nonstructural protein 5A for hepatitis C virus infectious particle assembly. In: PLoS Pathog. 28 (2008) e1000035. Bartenschlager, R.; Miller, S. Molecular aspects of Dengue virus replication. In: Future Microbiol. 3 (2008) S. 155–165. Bartenschlager, R.; Ahlborn-Laake, L.; Yasargil, K.; Mous, J.; Jacobson, H. Substrate determinants for cleavage in cis and trans by hepatitis C virus NS3 proteinase. In: J. Virol. 69 (1995) S. 98–205. Bartenschlager, R.; Lohmann, V. Replication of hepatitis-C-virus. In: J. Gen. Virol. 81 (2000) S. 1631–1648. Bauhofer, O.; Summerfield, A.; Sakoda, Y.; Tratschin, J. D.; Hofmann, M. A.; Ruggli, N. Classical swine fever virus Npro interacts with interferon regulatory factor 3 and induces its proteasomal degradation. In: J. Virol. 81(2007) S. 3087–3096. Becher, P.; Orlich, M.; Thiel, H.-J. RNA recombination between persisting pestivirus and a vaccine strain: generation of cytopathogenic virus and induction of lethal disease. In: J. Virol. 75 (2001) S. 6256–6264. Berman, K.; Kwo, P. Y. Boceprevir, an NS3 protease inhibitor of HCV. In: Clin. Liver Dis. 13 (2009) S. 429–39. Chen, Z.; Rijnbrand, R.; Jangra, R. K.; Devaraj, S. G.; Qu, L.; Ma, Y.; Lemon, S. M.; Li, K. Ubiquitination and proteasomal degradation of interferon regulatory factor-3 induced by Npro from a cytopathic bovine viral diarrhea virus. In: Virology 366 (2007) S. 277–292. Chen, S. T.; Lin, Y. L.; Huang, M. T.; Wu, M. F.; Cheng, S. C.; Lei, H. Y.; Lee, C. K.; Chiou, T. W.; Wong, C. H.; Hsieh, S. L. CLEC5A is critical for dengue-virus-induced lethal disease. In: Nature 453 (2008) S. 672–676. Chu, J. J.; Ng, M. L. Interaction of West Nile virus with alpha v beta 3 integrin mediates virus entry into cells. In: J. Biol. Chem. 279 (2004) S. 54533–54541. Esteban, J. I.; Sauleda, S.; Quer, J. The changing epidemiology of hepatitis C virus infection in Europe. In: J. Hepatol. 48 (2008) S.148–162. Glass, W. G.; Lim, J. K.; Cholera, R.; Pletnev, A. G.; Gao, J. L.; Murphy, P. M. Chemokine receptor CCR5 promotes leukocyte trafficking to the brain and survival in West Nile virus infection. In: J. Exp. Med. 202 (2005) S. 1087–1098. Glass, W. G.; McDermott, D. H.; Lim, J. K.; Lekhong, S.; Yu, S. F.; Frank, W. A.; Pape, J.; Cheshier, R. C.; Murphy, P. M. CCR5 deficiency increases risk of symptomatic West Nile virus infection. In: J. Exp. Med. 203 (2006) S. 35–40. Gould, E. A.; Solomon, T. Pathogenic flaviviruses. In: Lancet 371 (2008) S. 500–509. Chung, K. M.; Liszewski, M. K.; Nybakken, G.; Davis, A. E.; Townsend, R. R.; Fremont, D. H.; Atkinson, J. P.; Diamond, M. S. West Nile virus nonstructural protein NS1 inhibits complement activation by binding the regulatory protein factor H. In: Proc. Natl. Acad. Sci. USA 103 (2006) S. 19111–19116. Guzman, M. G.; Kouri, G. Dengue: An update. In: Lancet Infect. Dis. 2 (2002) S. 33–42.
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14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
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14.6 Togaviren
14.6 Togaviren
225
sie membranumhüllte Viren sind und während der Vermehrung Polyproteine synthetisieren. Die Togaviren haben jedoch mit der Produktion einer subgenomischen RNA für die Translation der Strukturproteine die Möglichkeit entwickelt, die Menge der verschiedenen Proteine an die jeweiligen Bedürfnisse anzupassen und ähneln darin den Astro-, Calici- und Hepeviren. Der Name dieser Virusfamilie leitet sich von dem lateinischen Wort toga (Mantel, Hülle) ab: Auf den ersten elektronenmikroskopischen Aufnahmen war ein Capsid erkennbar, das von einer weiten Membranhülle umgeben war (䉴 Abbildung 14.17).
14.6.1 Einteilung und charakteristische Vertreter
Ursprünglich hatte man die Togaviren aufgrund ihrer morphologischen Ähnlichkeit mit den Flaviviridae in eine gemeinsame Virusfamilie eingeordnet. Als Einzelheiten über die Replikationsmechanismen bekannt wurden, zeigten sich jedoch deutliche Unterschiede, die zur heutigen Einteilung in zwei getrennte Familien führte. Im Hinblick auf die Evolution können die Flaviviren als Vorstufe für die Togaviren angesehen werden, da auch
Die Familie der Togaviren umfasst zwei Genera (䉴 Tabelle 14.13). Die durch Insekten übertragenen Alphaviren sind in Amerika, Afrika und Asien vor allem als Erreger von Encephalitiden und Arthritiden in Tieren bekannt. Sie werden entsprechend ihrer antigenen Ähnlichkeit in verschiedene Komplexe eingeteilt, sind nicht wirtsspezifisch und werden von unterschiedlichen Stechmücken zwischen Tierarten (Pferden, Nagetieren, verschiedenen Vogelarten wie Fasanen und Kranichen) und Menschen verbreitet und replizieren sich in diesen. Bei Übertragung auf den Menschen verursachen sie
Tabelle 14.13 Charakteristische Vertreter der Togaviren Genus
Mensch
Tier
Alphaviren
Semliki-Forest-Komplex Chikungunya-Virus (CHIKV) O’nyong-nyong-Virus (ONNV)
Semliki-Forest-Komplex Semliki-Forest-Virus (SFV, Nagetiere) Chikungunya-Virus (CHIKV, nichtmenschliche Primaten) Ross-River-Virus (RRV, Beuteltiere) O’nyong-nyong-Virus (ONNV, tierischer Wirt unbekannt) Western-Equine-Encephalitis-Komplex Western-Equine-Encephalitis-Virus (WEEV, Vögel Pferd) Sindbisvirus (SIN, Nagetiere) Eastern-Equine-Encephalitis-Komplex Eastern-Equine-Encephalitis-Virus (EEEV, Vögel, Pferd) Venezuelan-Equine-Encephalitis-Komplex Venezuelan-Equine-Encephalitis-Virus (VEEV, Nagetiere, Pferd) Everglades-Virus (EVEV) –
Ross-River-Virus (RRV)
Rubiviren
Rötelnvirus
Vektor/Überträger Aedes spp. Aedes spp. Culex annulirostris Anopheles funestus, A. gambiae
Culex tarsalis, C. quinuefasciatus
Culex spp.
Culex spp., Aedes spp. Culex spp. Culex spp. –
14
226
14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
¡ Semliki-Forest- und Sindbisvirus — zwei gut untersuchte Vertreter der Alphaviren Die Semliki-Forest- und die Sindbisviren sind die hinsichtlich der Molekularbiologie und Replikationsmechanismen am besten untersuchten Vertreter der Togaviren; sie galten deswegen lange als Prototypen dieser Virusfamilie. Die Sindbisviren sind mit den Western-Equine-Encephalitisviren (WEEV) verwandt, die auf dem amerikanischen Kontinent verbreitet sind (䉴 Abschnitt 14.6.6). Beide Virusarten lassen sich leicht in Zellkulturen vermehren und zeigen einen ausgeprägten cytopathischen Effekt. Das Sindbisvirus ist in Afrika, Osteuropa und Asien weit verbreitet, wird von Mücken der Gattung Culex übertragen und verursacht nur
gelegentlich symptomatische Infektionen; so werden seit 2005 während der Sommermonate gelegentlich Infektionen mit dem Chikungunya-Virus auch in Südeuropa (Italien) beschrieben. Die Vertreter des zweiten Genus, der Rubiviren, zu denen der Erreger der Rötelninfektion gehört, sind dagegen weltweit verbreitet. Sie werden nicht durch Insekten übertragen.
14.6.2 Aufbau Viruspartikel Die infektiösen Partikel der Togaviren haben einen Durchmesser von 60 bis 80 nm und bestehen aus ikosaedrischen oder sphärischen Capsiden (Durchmesser
14.17 Aufbau eines Togaviruspartikels. Das ikosaedrische Capsid besteht aus C-Proteinen; mit seinen Innenseiten ist das virale RNA-Genom verbunden. Das Capsid ist von einer Hüllmembran umgeben, in welche die viralen Oberflächenproteine eingelagert sind.
in seltenen Fällen eine fieberhafte Erkrankung mit Hautausschlägen und Gelenkbeschwerden, die hinsichtlich Klinik und Pathogenese der von einigen Flaviviren hervorgerufenen Krankheit ähnlich ist. Neurotrope Isolate wurden bisher nur in Einzelfällen beschrieben. Das Semliki-Forest-Virus ist in Afrika, Indien und Südostasien endemisch und wird durch Aedes spp. übertragen. Für den Menschen ist es weitgehend apathogen. Auch deswegen wird es heute häufig als gentechnologischer Vektor zur Expression von Genen in eukaryotischen Zellkulturen eingesetzt.
40 nm), die von einer Membranhülle umgeben sind. In diese Membran sind die viralen Glycoproteine E1 und E2 eingelagert. Sie liegen als Heterodimere aus E1 und E2 vor, die weiter zu trimeren Proteinkomplexen assoziieren. Pro Virion finden sich etwa 80 dieser Trimere. Sie bilden spike-ähnliche Vorsprünge von sechs bis acht Nanometern auf der Virusoberfläche (䉴 Abbildung 14.17). Die Trimere vermitteln die Adsorption an zelluläre Rezeptoren und sind für die Bindung virusneutralisierender Antikörper verantwortlich. Beim Rötelnvirus findet man zusätzlich auch E1-Homodimere auf dem Partikel. Das Capsid besteht aus 240 Molekülen des dimeren C-Proteins. Es enthält das RNA-Genom und ist durch Aminosäuren an der Innenseite mit ihm komplexiert.
14
14.6 Togaviren
227
Genom und Genomaufbau
Nichtstrukturproteine
Das Genom der Togaviren besteht aus einzelsträngiger RNA, die in Plusstrangorientierung vorliegt, am 5’-Ende gecappt und am 3’-Ende polyadenyliert ist und eine Länge von 9 762 (Rötelnvirus, Stamm Therien), 11 703 (Sindbisvirus), 11 675 (Eastern-Equine-EncephalitisVirus) beziehungsweise 11 442 Basen (Semliki-ForestVirus) besitzt. Das Genom enthält zwei offene Leserahmen: Der in der 5’-orientierten Hälfte codiert für das Vorläuferpolyprotein der vier Nichtstrukturproteine NSP1 bis NSP4 bei den Alphaviren beziehungsweise p150 und p90 bei den Rubiviren; der in der 3’-Hälfte des Genoms gelegene Leserahmen enthält die genetische Information für die Sequenzen der Strukturproteine, also der C-, E1- und E2-Proteine (䉴 Abbildung 14.18). Die beiden Leserahmen sind bei den Sindbis- und Semliki-Forest-Viren durch einige wenige Nucleotide voneinander getrennt, beim Rötelnvirus durch 124 Basen. Am 5’-Ende des Genoms befindet sich ein kurzer, nichttranslatierter Bereich (41 Nucleotide beim Rötelnvirus, 60 bis 80 beim Sindbisvirus), und zwischen dem Stoppcodon des zweiten Leserahmens und dem Poly(A)Anteil am 3’-Ende liegen beim Rötelnvirus 61 Basen (264 beim Semliki-Forest-Virus, 322 beim Sindbisvirus), die in definierte Sekundärstrukturen gefaltet sind.
Alphaviren Die Daten über die Spaltprodukte des Vorläuferpolyproteins für die Nichtstrukturproteine NSP1 bis NSP4 stammen überwiegend aus Untersuchungen von Sindbis- und Semliki-Forest-Viren. Man kann aber davon ausgehen, dass die Nichtstrukturproteine bei den anderen Togavirustypen eine identische Funktion im Infektionszyklus erfüllen. Ihre Aktivitäten spielen eine wichtige Rolle bei der viralen Replikation und Transkription. Das NSP1-Protein ist eine Methyl- und Guanosyltransferase, die an der Bildung der methylierten 5’-CapStrukturen der viralen RNA-Spezies beteiligt ist. Togaviren müssen für diese Enzymfunktion codieren, da sie die entsprechenden zellulären, im Kern lokalisierten Funktionen aufgrund ihres ausschließlich im Cytoplasma ablaufenden Replikationszyklus nicht mitverwenden können. Die Sequenzen des NSP1-Proteins sind innerhalb der verschiedenen Togaviren hoch konserviert. Das Protein ist an den Cysteinresten 418 bis 421 (beim Semliki-Forest-Virus) mit Palmitinsäure modifiziert. Dies bedingt zusammen mit einer amphipatischen α-Helix im zentralen Abschnitt des Proteins die Assoziation mit intrazellulären Membrankompartimenten. Das NSP2-Protein enthält im aminoterminalen Abschnitt eine RNA-Helicase, die bei der Transkription und Genomreplikation notwendig ist. Im carboxyterminalen Bereich befindet sich eine proteolytische Aktivität, die das Vorläuferprotein autokatalytisch zwischen den NSP2- und NSP3-Anteilen spaltet. Als Erkennungssequenz dienen beim Sindbisvirus zwei aufeinander folgende Alaninreste (A-A). Durch die Spaltung entstehen die Produkte NSP1-NSP2 und NSP3-NSP4 (beziehungsweise NSP3 beim Sindbisvirus), das NSP1-NSP2 wird weiter durch die NSP2-Protease in NSP1 und NSP2 zerlegt. Ob die NSP2-Protease auch an der Prozessierung des anderen Vorläuferproteins NSP3-NSP4 dieser Virustypen beteiligt ist, dessen Spaltung an der Aminosäurenfolge Alanin-Tyrosin (A-Y) nur sehr langsam verläuft, konnte bislang nicht geklärt werden. Das NSP3-Protein wird bei der Genomreplikation benötigt. Wie es dabei wirkt, ist jedoch unbekannt. Es hat eine kurze Halbwertszeit und liegt in der Zelle zum Teil in Anbindung an intrazelluläre Membranen und in phosphorylierter Form vor. Das NSP4-Protein ist eine RNA-abhängige RNA-Polymerase. Es ist sowohl bei der Synthese der Negativstrang-RNA als auch bei der Bildung der genomischen und subgenomischen RNA-Spezies aktiv.
14.6.3 Virusproteine Polyprotein der Nichtstrukturproteine Die Vorläuferproteine der bis zu vier Nichtstrukturproteine NSP1 bis NSP4 unterscheiden sich bei den verschiedenen Togavirustypen: So werden beim Sindbisvirus zwei unterschiedliche Vorläufer gebildet; einer umfasst die Proteine NSP1 bis NSP3 und endet an einem Opal-Stoppcodon (UGA), das sich zwischen den Proteinabschnitten NSP3 und NSP4 befindet (䉴 Abbildung 14.18A); dieses Signal für die Beendigung der Translation wird aber in 20 Prozent der Fälle überlesen, und die Translation wird dann bis zum Ende des NSP4Proteins fortgesetzt. Beim Semliki-Forest-Virus findet man ähnlich wie beim Rötelnvirus nur ein Nichtstrukturpolyprotein der vollen Länge (240 kD beim Rötelnvirus; 䉴 Abbildung 14.18B). Ob ähnliche zweistufige Translationsprozesse bei den anderen Togaviren eine Rolle spielen, ist nicht bekannt. 䉴 Tabelle 14.14 gibt einen Überblick über Größe und Funktion der togavirusspezifischen Proteine.
Rubiviren Im Fall des Rötelnvirus entstehen durch die Spaltung des Vorläufers für die Nichtstrukturproteine
14
14
228
14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
A Sindbisvirus 5´
5000
OPAL
10000
genomische RNA (49S-RNA) Plusstrang
NSP-Leserahmen (2506 Codons) 80% Translation A-A
Strukturproteinleserahmen (1733 Codons)
NSP-Polyprotein 1 NSP1
NSP2
NSP1
Spaltprodukte
NSP2 Autoprotease
NSP1 (540 AS)
Translation
NSP3 Autoprotease
A-A
NSP3 (549 AS)
20%
NSP2 (807 AS) A-A
NSP-Polyprotein 2 NSP1
NSP2
A-A NSP1 Spaltprodukte
49S-RNA Negativstrang
3´ AAA
Cap
NSP2
NSP3 Autoprotease
NSP1
NSP2
Transkription
A-Y
NSP3
NSP4 ?
Autoprotease 3´
NSP4
NSP3
NSP4 (RNA-abh. RNA-Polymerase) Transkription
5´ 26S-RNA Cap subgenomische RNA
Strukturpolyprotein Transkription
3´ AAA
Strukturproteinleserahmen Translation W-S
C-Prot. Autoprotease
Spaltprodukte
5´
62K
E1 Signalase
transGolgi-Protease C-Prot. E3 E2 6K E1 (264 AS) (64 AS) (423 AS) (55 AS) (439 AS)
5´ genomische Cap RNA (Plusstrang)
AAA
14.18 Genomorganisation und Replikationsverlauf bei Togaviren. A: Sindbisvirus. Die RNA-Genome codieren für eine Version (beim Rötelnvirus) oder zwei Versionen (beim Sindbisvirus) eines Polyproteins für die Nichtstrukturproteine (NSP) sowie für je ein Strukturpolyprotein. Der Vorläufer der Nichtstrukturproteine wird zuerst gebildet und durch die Aktivität der Protease als Teil des Polyproteins autokatalytisch in die Einzelkomponenten gespalten. Dabei entsteht eine RNA-abhängige RNA-Polymerase, die unter Verwendung des Plusstrang-RNA-Genoms als Matrize eine Negativstrang-RNA bildet. Diese dient ihrerseits als Matrize für die Synthese genomischer RNA-Stränge in Plusstrangorientierung wie auch für die von subgenomischer RNA. Letztere dient als mRNA für die Translation des Polyproteins der Strukturkomponenten, das durch die Aktivität zellulärer Signalasen in die verschiedenen Bestandteile prozessiert wird. M-/G-Transferase: Methyl-/Guanosyl-Transferase; Appr-1: Proteindomäne mit Homologie zum zellulären Protein Appr-1.
nur zwei Spaltprodukte: p150 entspricht den aminoterminalen Bereichen, p90 enthält die carboxyterminalen Regionen. Die dafür verantwortliche proteolytische Aktivität einer Zn2+-abhängigen, papainähnlichen Cysteinprotease befindet sich im carboxyterminalen Abschnitt des p150 und spaltet den Proteinvorläufer zwischen zwei Glycinresten an den Positionen 1 301 und 1 302 des Vorläuferproteins. Der aminoterminale Abschnitt des p150 enthält die Methyl-/Guanosyltrans-
ferase, die für das 5’-Capping der viralen RNAs notwendig ist. Zwischen diesen beiden Enzymdomänen befindet sich eine Aminosäurefolge mit Homologie zum zellulären Protein Appr-1 (ADP-Ribose-1’’-monophosphate processing enzyme). Ob diese Funktion für die Virusinfektion notwendig ist, ist ungeklärt. Das Protein p90 enthält die Aktivitäten der RNA-Helicase und der RNAabhängigen RNA-Polymerase.
14.6 Togaviren
229
B Rötelnvirus 3´ AAA 9762
5000
5´ Cap
genomische RNA Plusstrang 41
6388 6512
NSP-Leserahmen Translation 1301-1302 NSP-Polyprotein 240 kD
9701 Strukturproteinleserahmen
G-G p90
p150
Transkription
NSP-Spaltprodukte Appr-1 Protease M-/GTransferase
RNA-abh. RNA-Polymerase
3´ 49S-RNA Negativstrang
Transkription
5´ Cap
genomische RNA Plusstrang
5´ Transkription 5´ 3´ AAA Cap 26S-RNA subgenomische RNA Strukturproteinleserahmen ? Strukturpolyprotein 110 kD E2 E1 C-Prot. Signalase Signalase Spaltprodukte E1 C-Prot. E2 33 kD gp42/54 gp58/62 3´ AAA
* Spaltstellen und exakte Größen der NSP-Produkte nicht bekannt
14.18 (Fortsetzung) B: Rötelnvirus.
Polyprotein der Strukturproteine Das Strukturpolyprotein ist bei allen Togaviren deutlich kleiner als das der Nichtstrukturproteine. Beim Rötelnvirus hat es ein Molekulargewicht von 110 kD (䉴 Abbildung 14.18B). Es enthält die Sequenzen der Proteine C, E2 und E1. Im Falle der Alphaviren liegen zwischen den jeweiligen Proteinabschnitten verbindende Aminosäurefolgen, die im Verlauf der Prozessierung des Polyproteins und der Virusreifung entfernt werden. Die Synthese der Strukturpolyproteine findet an der Membran des endoplasmatischen Reticulums statt. Zu Signalpeptiden analoge Aminosäuresequenzen hat man bei den Alphaviren direkt nach dem carboxyterminalen Ende des C-Proteins (das heißt am Aminoterminus des p62Proteins, aus dem zu einem späteren Zeitpunkt E2 entsteht) und im 6K-Protein vor dem E1-Anteil gefunden (䉴 Abbildung 14.18A). Beim Rötelnvirus sind sie an den carboxyterminalen Enden der C- und E2-Proteine lokalisiert. Diese Bereiche sind für den Transport des in Translation befindlichen Polyproteins und seine Einlagerung in die Membran des endoplasmatischen Reticulums verantwortlich. Mit der Membran assoziierte Pro-
teasen (Signalasen) schneiden die Vorläuferproteine nach den signalpeptidähnlichen Sequenzen und sorgen so für die Bildung der Einzelkomponenten. Bei den Alphaviren ist zusätzlich eine autokatalytisch wirkende Proteaseaktivität im C-Protein identifiziert worden, die zur Abspaltung des Capsidproteins vom Vorläufer beiträgt; sie ähnelt der einer Serinprotease, die Spaltung erfolgt an der Aminosäurefolge Tryptophan-Serin (W-S). Ähnliche Funktionen hat man auch für das CProtein der Rötelnviren postuliert.
Capsidprotein (C-Protein) Das C-Protein ist abhängig vom jeweiligen Virustyp 260 bis 300 Aminosäuren lang und hat ein Molekulargewicht von etwa 33 kD. Nach der Abspaltung von der wachsenden Polyproteinkette durch seine autoproteolytische Funktion bei den Alphaviren beziehungsweise der signalasevermittelten Prozessierung beim Rötelnvirus dimerisiert das C-Protein und assoziiert mit den viralen RNA-Genomen zu Nucleocapsiden; die RNA-bindende Proteindomäne befindet sich zwischen den Aminosäureresten 28 und 56. Diese Wechselwirkung ist sehr stark,
14
14
230
14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
Tabelle 14.14 Übersicht über Funktion und Größe der Proteine von Togaviren Protein
Sindbisvirus
Semliki-ForestVirus
Rötelnvirus
Funktion
NSPPolyprotein
2 506 AS
2 431 AS
2116–2 205 AS 240 kD
Vorläufer der Nichtstrukturproteine
NSP1
540 AS
537 AS
Methyl-/Guanosyltransferase; 5’-Capping-Enzym; palmitinoyliert
NSP2
807 AS
798 AS
Protease; Helicase (Nucleotidase)
NSP3
549 AS
482 AS
aktiv bei der Replikation
NSP4
610 AS
614 AS
p150
–
–
1 300/1 301 AS 150 kD
Methyl-/Guanosyltransferase; 5’-Capping-Enzym; Cystein-Protease
RNA-abhängige RNA-Polymerase
p90
–
–
815–905 AS 90 kD
Helicase; RNA-abhängige RNA-Polymerase
Strukturpolyprotein
1733 AS
1739 AS
1 063 AS 110 kD
Vorläufer der Strukturproteine
C
264 AS
267 AS
260–300 AS 33 kD
Capsidprotein; Dimer; Protease
E3
64 AS
64 AS
–
Spaltprodukt; NH2-Ende von E2
E2
423 AS
418 AS
42–54 kD
glycosyliert; palmitinoyliert; Neutralisation bei SIN und SFV; Hämagglutination und Fusion bei Rötelnvirus
6K
55 AS
60 AS
–
Spaltprodukt; Signalsequenz am NH2-Ende von E1; Ionenkanalprotein?
E1
439 AS
438 AS
58–62 kD
glycosyliert; palmitinoyliert; Neutralisation bei Rötelnvirus; Hämagglutination und Fusion bei SIN und SFV
AS: Aminosäuren; SIN: Sindbisvirus; SFV: Semliki-Forest-Virus. Die Proteine sind in der Reihenfolge ihrer Lokalisation in den Vorläuferprodukten angegeben.
denn im Cytoplasma der infizierten Zellen findet man nur sehr wenig freies C-Protein. Die C-Proteine unterliegen nach ihrer Synthese komplexen Phosphorylierungs- und Dephosphorylierungsvorgängen. Der Grad der Modifikation scheint die Wechselwirkung mit den RNA-Genomen zu beeinflussen: Nicht phosphorylierte C-Proteine binden sich wesentlich stärker an die Genome als phosphorylierte Versionen. Die Dephosphorylierung der C-Proteine im späten Stadium des Replikationszyklus – vermutlich katalysiert durch die zelluläre Proteinphosphatase 1A – scheint die Wechselwirkung mit den RNA-Genomen und ihre Verpackung zu fördern. Es wird vermutet, dass durch diesen Dephosphorylierungsschritt die vorzeitige Interaktion der RNAGenome mit den C-Proteinen verhindert werden soll.
Glycoprotein E1 Bei den Alphaviren befindet sich zwischen dem carboxyterminalen Ende des E2-Proteins und dem Beginn der E1-Sequenzen ein kurzer, hydrophober Abschnitt von 55 bis 60 Aminosäuren. Man bezeichnet ihn wegen seiner Größe von etwa 6 kD auch als 6K-Protein. Es enthält signalpeptidähnliche Sequenzen, welche durch die Signalasen erkannt und gespalten werden, und vermittelt während der Translation die Durchschleusung der Aminosäurekette des E1-Proteins durch die Membran des endoplasmatischen Reticulums. In geringen Mengen ist es auch in den infektiösen Partikeln nachweisbar. Man fand, dass das 6K-Protein jedoch auch eigenständige Funktionen hat: Es scheint sich um ein porenbildendes Ionenkanalprotein zu handeln, das die Membranpermeabilität der infizierten Zellen beein-
14.6 Togaviren
flusst. Man zählt es zu der Proteinfamilie der Viroporine, zu denen auch die 7K-Proteine der Hepaci- und Pestiviren gerechnet werden (䉴 Abschnitt 14.5). Das über eine hydrophobe Transmembranregion am carboxyterminalen Ende in der Membran verankerte E1-Protein ist glycosyliert und fettsäuremodifiziert. Bei den Alphaviren scheint mit ihm die Hämagglutinationsund Fusionsaktivität verbunden zu sein. Im Gegensatz zum E2-Protein konnten nur wenige E1-spezifische Antikörper mit virusneutralisierender Funktion gefunden werden. Beim Rötelnvirus sind die neutralisierenden Antikörper dagegen mehrheitlich gegen das E1-Protein gerichtet. Man hat zwei Proteindomänen identifiziert, an die sich die schützenden Antikörper anlagern. Das monomere Protein hat ein Molekulargewicht von 58 bis 62 kD, es ist glycosyliert und mit Palmitinsäure modifiziert. Das E1-Protein des Rötelnvirus ist für die Adsorption des Partikels an zelluläre Rezeptoren verantwortlich. Mutationen in den Genombereichen, die für die hydrophoben Regionen des E1-Proteins codieren, verringern die Infektiosität der Viren.
Glycoprotein E2 Bei den Alphaviren wird das E2-Protein durch Spaltung eines Vorläuferproteins mit einem Molekulargewicht von 62 kD gebildet. Dieses p62-Protein wird durch hydrophobe Sequenzen in seiner carboxyterminalen Domäne in der Membran des endoplasmatischen Reticulums verankert und über den Golgi-Apparat zur Zellmembran transportiert. Dadurch ist das carboxyterminale Ende selbst zum Cytoplasma hin orientiert. Es besitzt Aminosäuren, die spezifisch mit den C-Proteinen der Nucleocapside interagieren. Dadurch wird spät im Infektionszyklus der Assembly-Prozess eingeleitet, in dessen Verlauf die Membran des endoplasmatischen Reticulums die vorgeformten Capside umhüllt. Auf dem Weg zur Zelloberfläche wird das p62 durch Zucker- und Fettsäuregruppen modifiziert und im trans-GolgiBereich durch eine trypsinähnliche Protease in den aminoterminalen Anteil E3 und das E2-Protein gespalten. Während beim Sindbisvirus E3 von der Zelloberfläche abgegeben wird, bleibt es beim Semliki-Forest-Virus mit dem E2-Protein assoziiert und ist in unterschiedlichen Mengen auch im Virion nachweisbar. Bei den Alphaviren ist die überwiegende Mehrheit der neutralisierenden Antikörper gegen das E2-Protein gerichtet, das im Virion als Heterodimer mit E1 vorliegt. Man konnte hier drei wichtige Epitope charakterisieren. Das E2-Protein (gp42–54) des Rötelnvirus ist ebenfalls glycosyliert, fettsäuremodifiziert und über die carboxyterminalen Aminosäuren in der Membran verankert.
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Einen E3-Anteil, wie er bei Alphaviren vom aminoterminalen Bereich abgespalten wird, konnte man hier nicht identifizieren. Das E2-Protein der Rötelnviren hat hämagglutinierende und membranfusionierende Aktivität und liegt überwiegend als Heterodimer mit E1 vor. Hier ist jedoch der Hauptteil der neutralisierenden Antikörper nicht gegen das E2-, sondern gegen das E1-Protein gerichtet.
14.6.4 Replikation Beim Rötelnvirus und bei den meisten der Alphaviren kennt man den zellulären Rezeptor für das Virus noch nicht. Im Falle des Sindbisvirus wurde Laminin und der Laminin-Rezeptor-Präkursor (LRP) auf der Oberfläche von Hühnerfibroblasten als Rezeptor identifiziert, aber auch andere zelluläre Proteine binden die Virionen; beim Rötelnvirus scheinen bestimmte Phospholipide auf der Zelloberfläche an der Bindung der Partikel beteiligt zu sein. Die Aufnahme der Viruspartikel durch die Zellen erfolgt durch rezeptorvermittelte Endocytose. Das Innere der endocytotischen Vesikel (Endosomen) wird in einem energieabhängigen Prozess durch Import von H+-Ionen angesäuert. Dies bewirkt Konformationsänderungen der viralen Membranproteine, wodurch es zur Verschmelzung der Endosomenmembran mit der Virushülle und dadurch zur Freisetzung des Capsids kommt. Wie die enge Wechselwirkung der C-Proteine mit dem RNA-Genom aufgehoben wird, ist unbekannt. Die Polarität der RNA in Plusstrangorientierung erlaubt jedoch über die Cap-Struktur am 5’-Ende die Bindung des zellulären Cap-Binding-Komplex und hierüber die Assoziation mit den ribosomalen Untereinheiten, die mit der Translation der Sequenzfolgen für das Polyprotein der Nichtstrukturproteine beginnen. Dieses Polypeptid wird an Ribosomen im Cytoplasma synthetisiert, über hydrophobe Aminosäurefolgen und die Palmitinoylierung im NSP1-Anteil mit den Membranen des endoplasmatischen Reticulums assoziiert und durch die Cysteinprotease im NSP2 beziehungsweise p150 in die Einzelkomponenten gespalten. Liegt die Aktivität der RNA-abhängigen RNA-Polymerase in der Form des funktionell aktiven NSP4-Proteins vor, wird die Negativstrang-RNA synthetisiert. Beim Sindbisvirus bildet das NSP4-Protein hierbei mit dem ungespaltenen NSPPolyprotein einen Komplex (䉴 Abbildung 14.18A). Die Initiation erfolgt am 3’-Ende im Bereich einer hochkonservierten Basenfolge, die dem Poly(A)-Anteil direkt vorgelagert ist. Zusätzlich scheinen aber auch Basen aus den nichttranslatierten Sequenzen am 5’-Ende des Genoms beteiligt zu sein. Diese sind teilweise zu Berei-
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14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
chen des 3’-Endes komplementär und können mit diesen einen partiellen RNA-Doppelstrang ausbilden und so eine Zirkularisierung des Genoms vermitteln. Zelluläre Proteine beeinflussen die Initiation der RNA-Synthese am 3’-Ende: Man fand, dass phosphorylierte Formen des zellulären Proteins Calreticulin sich an die 3’-Enden des Rötelnvirusgenoms binden. Die Details der Initiation der RNA-Synthese sind unbekannt, klar ist jedoch, dass im weiteren Verlauf ein zum gesamten Genomstrang komplementäres RNA-Produkt entsteht. Der Prozess läuft an den ER-Membranen ab. Von der Negativ-RNA wird neben neuen RNA-Genomen in voller Länge eine subgenomische RNA gebildet, die an der Verbindungsregion zwischen den beiden Leserahmen initiiert wird und diejenigen Sequenzen enthält, die für das Strukturpolyprotein codieren. Verantwortlich hierfür sind die RNA-abhängige RNA-Polymerase des NSP4-Proteins und die weiteren Spaltprodukte der Nichtstrukturproteine. Die subgenomische RNA wird nach ihrem Sedimentationsverhalten auch als 26S-RNA bezeichnet – im Gegensatz zu der 49S-RNA des Genoms (䉴 Abbildung 14.18). Sie wird am 5’-Ende gecappt und methyliert, sodass in den nächsten Schritten die Translation und Synthese der Strukturproteine beginnen kann. In der infizierten Zelle wird weit mehr subgenomische RNA als genomische RNA gebildet. Ähnliche Replikationsschritte, die zur Synthese einer subgenomischen mRNA führen, findet man auch bei den Astro-, Caliciund Hepeviren (䉴 Abschnitte 14.2, 14.3 und 14.4). Liegen ausreichende Mengen dephosphorylierter CProteine vor, so assoziieren diese mit Basenfolgen im 5’-Bereich der neu gebildeten 49S-Plusstränge und bilden die Vorformen der Nucleocapside. Diese ersten Verpackungsschritte verhindern auch, dass die genomische RNA translatiert wird; die Synthese weiterer NSP-Proteine wird so unterbrochen. Durch diesen relativ einfachen Regulationsmechanismus ist gewährleistet, dass in der Spätphase der Infektion überwiegend virale Strukturkomponenten produziert werden, die zu diesem Zeitpunkt für die Bildung der Viruspartikel in wesentlich größeren Mengen benötigt werden als die enzymatisch aktiven Nichtstrukturproteine. Im weiteren Verlauf assoziieren die vorgeformten Nucleocapside mit den carboxyterminalen Bereichen der E2-Proteine und werden mit der Membran und den darin eingelagerten viralen Glycoproteinen umgeben. Diese Budding-Komplexe können sowohl an den Membranen des endoplasmatischen Reticulums und des Golgi-Apparats als auch an der Cytoplasmamembran entstehen. Die umhüllten Virionen werden entweder durch die Golgi-Vesikel zur Zelloberfläche transportiert oder dort direkt freigesetzt. In den Zellen wird im Infektionsverlauf die Apoptose induziert. Dieser Vorgang, der
den Tod der Zellen zur Folge hat, ist vor allem bei Infektionen mit Rötelnviren gefunden worden, deren C-Proteine proapoptotisch wirken.
14.6.5 Humanpathogene Togaviren Das Rötelnvirus Epidemiologie und Übertragung Die in früheren Jahren oft epidemisch aufgetretene Rötelnerkrankung oder Rubella (German measles) ist bereits 1800 genau beschrieben worden. Das Virus übertrug man 1938 erstmals durch Ultrafiltrate auf Menschen und Affen. Bei einer Epidemie im Jahre 1940 in Australien entdeckte der Augenarzt Sir Norman Gregg, dass die Mütter von Kindern mit angeborenem Katarakt, Hörschäden und Herzmissbildungen („Gregg-Syndrom“) während der Schwangerschaft eine Rötelninfektion durchgemacht hatten (䉴 Tabelle 14.15). Das Virus erzeugt also nicht nur die harmlosen Röteln, sondern ruft auch schwerwiegende Embryopathien hervor. 1962 wurde das Virus erstmals in vitro gezüchtet. In Kaninchennieren- (RK-13)- oder Affennierenzelllinien (Verozellen) erzeugt es einen cytopathischen Effekt. Nachdem 1964 in den USA eine große Epidemie abgelaufen war, gelang 1967 die Entwicklung eines attenuierten Lebendimpfstoffes. Seine Anwendung führte dazu, dass die Röteln heute nur noch sehr selten auftreten; in den USA gelten sie seit 2001 als getilgt. Auch in Deutschland treten aufgrund der Impfung akute Röteln nur noch selten auf; man geht von etwa 150 bis 400 Fällen pro Jahr aus. Das Rötelnvirus ist serologisch einheitlich. Hinsichtlich seiner Nucleinsäuresequenzen kann man die weltweit vorkommenden Isolate zwei Stämmen (clades 1 und 2) zuordnen, die wiederum in zehn Genotypen (1a–g, 2a–c) unterteilt werden; Rötelnviren des Stammes 2 isolierte man bisher nur im eurasischen Raum. Das Rötelnvirus kommt nur beim Menschen vor, lässt sich jedoch auf einige Affenspezies übertragen. Die Übertragung erfolgt durch Tröpfcheninfektion und führt bei flüchtigem Kontakt in etwa zwanzig Prozent der Fälle zur Ansteckung. Überträger sind infizierte Personen in der virämischen Phase, die bereits sechs Tage vor Ausbruch des Exanthems beginnt und ein bis zwei Wochen andauert (䉴 Abbildung 14.19), infizierte Kleinkinder, die mit dem Embryopathiesyndrom geboren wurden, sowie selten Erwachsene mit inapparenten Reinfektionen, die das Virus dennoch übertragen können. Viren finden sich auch in der Tränenflüssigkeit, im Urin, im Cervixsekret, im Stuhl, in der Lunge, im Liquor und in der Synovialflüssigkeit.
14.6 Togaviren
Klinik Postnatale Infektionen Die Röteln sind eine relativ harmlose, wenig fieberhafte Erkrankung. Etwa die Hälfte der Infektionen verlaufen bei Kindern inapparent. Der mit der symptomatischen Erkrankung verbundene, kleinfleckige und nicht konfluierende Hautausschlag (Exanthem) tritt etwa ein bis zwei Wochen nach dem Kontakt mit dem Rötelnvirus auf und bleibt bis zu fünf Tage bestehen (䉴 Abbildung 14.19). Er ist oft uncharakteristisch und deshalb von fleckförmigen Exanthemen anderer Viruskrankheiten nur schlecht zu unterscheiden. Erkältungsähnliche Symptome fehlen, oft sind stark geschwollene Halslymphknoten zu beobachten. Insbesondere bei jungen Frauen gehen die Infektionen zum Teil mit Arthralgien der kleinen Gelenke einher, die meist innerhalb von einigen Wochen abklingen. Selten kommt es zu einer Thrombocytopenie, deren Entstehungsmechanismus ungeklärt ist. Eine Encephalitis tritt mit einer Häufigkeit von 1:6 000 auf. Etwa 20 Prozent der Rötelninfektionen mit dieser postinfektiösen Encephalitis verlaufen tödlich. Pränatale Infektionen Erfolgt die Infektion mit dem Rötelnvirus während des ersten Drittels der Schwangerschaft, können Abort, Totgeburt und Missbildungen des Embryos auftreten, während die werdende Mutter keine
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oder nur leichte Symptome zeigt. In den ersten 16 Schwangerschaftswochen – zur Zeit der Organdifferenzierung – werden besonders viele Embryonen und Feten geschädigt. Mehrfachdefekte treten vor allem nach einer Infektion in den ersten beiden Schwangerschaftsmonaten auf, nach dem dritten Schwangerschaftsmonat geht die Komplikationsrate gegen Null. Während der virämischen Phase wird die Placenta in 80 bis 90 Prozent, der Embryo in 60 bis 70 Prozent der Fälle infiziert. Leitsymptome sind Augenschäden, Herzmissbildungen und Innenohrdefekte. Als Spätfolgen beobachtet man Hörstörungen, Panencephalitis, Diabetes mellitus und Krampfleiden (䉴 Tabelle 14.15).
Pathogenese Das Virus wird durch Tröpfcheninfektion übertragen. Es gelangt über die Schleimhaut des Mund-, Nasen- und Rachenraumes in den Organismus. Die primäre Replikation erfolgt im Epithel dieser Region. Dort werden Makrophagen und Lymphocyten infiziert, die das Virus in die lokalen Lymphknoten transportieren. Hier findet das Virus weitere Zielzellen, in denen es repliziert. In der Folge schwellen die Lymphknoten stark an. Von ihnen geht wahrscheinlich die Virämie aus, in deren Verlauf Rötelnviren frei und auch zellgebunden im Blut vorhanden sind. Sie breiten sich über den Organismus aus und
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14.19 Verlauf der Antikörperbildung bei einer Rötelnvirusinfektion. Tag 0 auf der Skala gibt die Zeit an, bei welcher das erstmalige Auftreten des Hautausschlags (Exanthem) beobachtet wird. Die Inkubationsperiode beträgt bis zu zehn Tage. Bereits vor der Ausbildung des Exanthems findet man Lymphknotenschwellungen und das Rötelnvirus ist im Blut sowie im Rachenspülwasser nachweisbar. IgM-Antikörper kann man sehr bald nach dem Einsetzen der Symptome im Blut nachweisen, ihre Konzentration nimmt im Verlauf von drei bis sechs Monaten ab. IgG-Antikörper folgen den IgM-Immunglobulinen und bleiben lebenslang nachweisbar.
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Tabelle 14.15 Rötelnembryopathien und ihre Symptome Syndrom
Organ
Symptom
Gregg-Syndrom
Herz
persistierender Ductus Botalli Aortenstenose Katarakt Glaukom Retinopathie Innenohrdefekte
Augen
Ohren erweitertes Rötelnsyndrom
geistige Retardierung geringes Geburtsgewicht Minderwuchs, Osteopathie Encephalitis Hepatosplenomegalie Pneumonie Thrombocytopenie Purpura
spätes Rötelnsyndrom
chronisches Exanthem Wachstumsstillstand interstitielle Pneumonie IgG- und IgA-Hypogammaglobulinämie Persistenz von IgM
Spätmanifestation
Hörschäden Diabetes mellitus progressive Panencephalitis Krampfleiden
sind unter anderem in der Tränenflüssigkeit, im NasenRachen-Raum, im Cervixsekret, im Liquor und in der Synovialflüssigkeit nachweisbar. Zusammen mit den ersten virusspezifischen Antikörpern tritt das Exanthem auf. Immunkomplexe, also mit Antikörpern komplexierte Viren, die sich am Endothel der Blutkapillaren in der Haut anlagern und lokale Entzündungen hervorrufen, sind dafür verantwortlich. Auch die akute Arthritis, die in Verbindung mit der Infektion auftritt, wird auf Virus-Antikörper-Komplexe zurückgeführt, die in der Gelenkflüssigkeit vorhanden sind. In Zellen der Synovialmembranen wird vermehrt IL-1 produziert, ein Hinweis darauf, dass dort Entzündungsprozesse ablaufen. Hinweise darauf, dass sich das Rötelnvirus in Synovialzellen vermehren kann und dort über längere Zeiträume persistiert, hat man bei Kleinkindern mit kongenitalem Rötelnsyndrom gefunden – also bei Kindern, die während des Embryonalstadiums infiziert wurden. Bei ihnen lässt sich das Rötelnvirus in den Wachstumszonen der Knochen, den Epi- und Diaphysen, nachweisen. Man nimmt an, dass das in diesen Kindern persistierende Virus die Produktion von Interferonen auslöst und dadurch die Teilung der Knochenzellen hemmt, was einen Minderwuchs der Extremitäten bewirkt. In den seltenen Fällen der postinfektiösen Encephalitis kann man gelegentlich virale Proteine im
Gehirngewebe nachweisen. Man vermutet hier eine zelluläre Autoimmunantwort gegen das basische Myelinprotein der Rückenmarks- und Nervenscheiden, weil Lymphocyten der Erkrankten nach der Zugabe dieses Proteins proliferieren. Bei Infektionen während der Schwangerschaft transportiert das Blut die Viren in die Placenta und in die Chorionzotten. Dort vermehrt es sich und gelangt schließlich in das Endothel der placentaren Blutgefäße und damit in den kindlichen Kreislauf. Die durch die Infektion abgelösten Endothelzellen bilden sogenannte „Emboli“, die das Virus im Organismus verbreiten. Die Virusproduktion mit Ausscheidung dauert aber nach der Geburt noch lange Zeit (bis zu einem Jahr) an. Wie die Schädigung der sich differenzierenden Organe und die Störung der embryonalen Zellteilung zustande kommen, ist unbekannt. Man vermutet, dass dabei Interferone und möglicherweise weitere Cytokine mit zellschädigenden Eigenschaften oder auch Apoptosemechanismen eine wichtige Rolle spielen.
Immunreaktion und Diagnose Postnatale Röteln Im Infektionsverlauf werden IgM-, IgA- und IgG-Antikörper gegen die viralen E1-, E2- und C-Proteine gebildet. Neutralisierend sind die E1-spezifi-
14.6 Togaviren
schen Immunglobuline. Der Antikörpernachweis erfolgt durch Hämagglutinationshemm- oder ELISA-Tests. Virusspezifisches IgM bleibt etwa vier bis sechs Monate nach der Infektion nachweisbar, IgG lebenslang (䉴 Abbildung 14.19). Akute Rötelninfektion sind durch das gemeinsame Vorliegen von virusspezifischem IgM und IgG sowie den Nachweis der viralen RNA mittels der Polymerasekettenreaktion diagnostizierbar. Das alleinige Vorhandensein von IgG-Antiköpern weist auf eine abgelaufene Infektion hin. Bei immunen Personen lassen sich cytotoxische T-Lymphozyten nachweisen, die bevorzugt Epitope des C-Proteins erkennen. Pränatale Röteln Infektionen des Embryos sind früh durch Nachweis viraler RNA mittels der Polymerasekettenreaktion in Chorionzottenmaterial möglich. Virusspezifisches IgM kann erst ab der 22. bis 23. Schwangerschaftswoche im Nabelschnurblut nachgewiesen werden. Der Nachweis von IgM und viraler RNA gibt jedoch keinen Aufschluss darüber, ob eine Embryopathie vorliegt. Rötelnvirusspezifische IgM-Antikörper und Virus-RNA bleiben bis längere Zeit nach der Geburt nachweisbar. Eine periphere Toleranz, möglicherweise in Kombination mit einer Störung des Umschaltens der Synthese der Antikörperklassen von IgM zu IgG, kann für die Persistenz der Rötelninfektion verantwortlich sein. Auch die Stimulierbarkeit der Lymphocyten durch virale Proteine ist deutlich reduziert. Pränatale Röteln stellen eine medizinische Indikation für den Schwangerschaftsabbruch dar. Aufgrund der derzeit in Deutschland geltenden Bestimmungen der Mutterschaftsrichtlinie muss deshalb die Immunität gegen Röteln untersucht und im Mutterpass dokumentiert werden. Bei Verdacht auf eine Rötelnexposition einer nicht immunen Schwangeren muss der Antikörpertiter im Hämagglutinationshemmtest bestimmt werden. Ist IgG in Serumverdünnungen von 1/32 und höher vorhanden, so ist die Patientin vor der Infektion geschützt und es besteht keine Gefahr einer embryonalen Schädigung. Liegt der Wert darunter und es zeigt sich auch im ELISA keine eindeutige Reaktivität, sollte innerhalb von drei Tagen nach der Exposition rötelnvirusspezifisches IgG verabreicht werden, da eine frische Infektion möglich ist. In der Folge muss man durch weitere Antikörperkontrollen feststellen, ob in der Schwangeren tatsächlich eine Infektion abläuft oder abgelaufen ist und ob der Embryo infiziert wurde. Erschwerend kommt hinzu, dass IgM-Reaktivitäten im ELISA in der Schwangerschaft unspezifisch sein können. Ist im Nabelschnurblut rötelnvirusspezifisches IgM vorhanden und der Nachweis der Virus-RNA in der Polymerasekettenreaktion positiv, so ist eine Indikation für einen Abbruch der Schwangerschaft wegen des hohen Risikos einer mög-
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lichen Schädigung des ungeborenen Kindes durch die Infektion gegeben. Die retrospektive Bestimmung des wahrscheinlichen Infektionszeitpunkts der Mutter ist dabei von ausschlaggebender Bedeutung, da das Risiko der Embryopathie im Verlauf des ersten Schwangerschaftstrimesters deutlich abnimmt. Dazu werden auch Avidität und Reaktivität der Antikörper gegen einzelne Proteine in der Immunoblot-Untersuchung herangezogen.
Therapie und Prophylaxe Zur Verhinderung der Rötelnvirusinfektion existiert ein attenuierter Lebendimpfstoff. Seit 1979 wird der Stamm RA 27/3 eingesetzt, der hohe Antikörpertiter induziert und dazu geführt hat, dass die Röteln in Europa und Nordamerika nur noch vereinzelt auftreten. In Deutschland erfolgt die Rötelnimpfung im Kombinationsimpfstoff mit attenuierten Impfstämmen gegen Masern, Mumps und Windpocken am Anfang des 2. Lebensjahrs; eine zweimalige Applikation gilt als schützend. Seit der Einführung der Impfung ist die Zahl der kongenitalen Rötelninfektionen und der Embryopathien stark zurückgegangen. Konnatale Röteln sind nach den Vorgaben des Infektionsschutzgesetzes meldepflichtig; in den Jahren zwischen 2000 und Ende 2009 sind in Deutschland acht kongenitale Röteninfektionen gemeldet worden. Bei nachgewiesener Exposition nicht immuner Schwangerer mit dem Rötelnvirus nimmt man eine passive Immunisierung mit virusspezifischem IgG vor. Der Schutzeffekt ist umso größer, je eher diese passive Immunisierung erfolgt; schon drei Tage nach der Exposition ist der vermittelte Schutz nur noch gering. Der Einsatz des Lebendimpfstoffes ist während der Schwangerschaft nicht erlaubt. Eine Chemotherapie existiert nicht.
14.6.6 Tierpathogene Togaviren Die verschiedenen equinen Encephalitisviren Epidemiologie und Übertragung Im Genus Alphavirus sind Erreger zusammengefasst, die von Arthropoden, meist von Mücken der Gattungen Culex und Aedes, übertragen werden und unterschiedliche Krankheiten bei Mensch und Tier verursachen können. Neben neurotropen Alphaviren, die bei einer Infektion eine Encephalitis verursachen können – hierzu zählen insbesondere die verschiedenen Typen der equi-
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q Das Chikungunya-Virus verursacht seit kurzem Erkrankungen bei Menschen in europäischen Ländern Das Chikungunya-Virus war erstmals 1953 aus einem Patienten mit einer fieberhaften Erkrankung in Ostafrika (damals Tanganyika) isoliert worden. Infektionen mit diesem Virus sind vermutlich schon seit dem späten 18. Jahrhundert, fälschlicherweise jedoch als epidemische Ausbrüche des Denguefiebers, dokumentiert. Zwischen 1960 und 2003 wurde das Chikungunya-Virus immer wieder als Verursacher von regional begrenzten Epidemien in den Ländern Ost-, Süd- und Westafrikas sowie in Südostasien (unter anderem in Indien, Pakistan, Malaysia, Thailand, Indonesien, Vietnam) nachgewiesen. Seit 2004 wurde das Virus wiederholt auch bei Patienten in verschiedenen europäischen Ländern gefunden, vor allem in Italien, aber auch in Deutschland, Belgien, Frankreich, Spanien, Großbritannien und Norwegen. Die Infektionen verlaufen mit hohem Fieber, Arthralgien und Hautausschlägen, die Morbidität der Infektion ist hoch. Insbesondere die Gelenkschwellungen und -entzündungen können über Monate andauern – sie
nen Encephalitis-Viren und einige andere der Alphaviren der Neuen Welt –, spielen in Europa, Afrika und Asien vor allem Alphaviren eine Rolle, die meist milde Krankheitsanzeichen oder Arthritiden hervorrufen. Neben ihrer Bedeutung als zoonotische Erreger sind die equinen Encephalitisviren aufgrund ihrer Epidemiologie und ihrer molekularen Evolution wichtig. Alle haben einen enzootischen Zyklus, der kleine Nagetiere und Vögel einschließt. Übertragen werden sie zwischen diesen Wirten durch Mücken. Die Wirtsspezifität der Mücken bestimmt auch den Charakter der Infektionen. Pferde und Menschen stellen dabei lediglich akzidenzielle Wirte dar, von denen die Viren nicht weiter verbreitet werden können. Nur bestimmte epizootische Subtypen des Venezuelan-Equine-Encephalitis-Virus verursachen in Pferden oder Menschen eine Virämie, in deren Verlauf die Erreger in so großen Mengen vorliegen, dass sie ausreichen, um eine saugende Mücke zu infizieren. Nur in diesem Fall tragen die Infektionen der Pferde und Menschen zur Verbreitung der Viren bei. Das Eastern-Equine-Encephalitis-Virus (EEEV) ist im Süden der Vereinigten Staaten sowie in vielen Ländern Südamerikas endemisch und infiziert asymptomatisch unterschiedliche Vogelarten, darunter verschiedene Sing- und Wattvögel. In anderen eingeführten Vogelarten wie dem Jagdfasan oder dem Emu verursacht es letale Infektionen und schwere wirtschaftliche Verluste.
gaben dem Virus auch seinen Namen: Chikungunya bedeutet: „das, was verbiegt“. Als natürliche Wirte und Reser voirs für die Erreger gelten nichtmenschliche Primaten in Afrika und Südostasien. Von ihnen ausgehend werden sie von verschiedenen Arten von Aedes-Mücken aufgenommen und durch sie – auch von Mensch zu Mensch – übertragen. Für die in den letzten Jahren in Europa beobachteten Chikungunya-Infektionen macht man vor allem A. albopictus (Tigermücke) verantwortlich, da diese Mückenart in subtropischen und auch kühleren Regionen existieren kann. Vermutlich wurde das Virus ursprünglich durch Touristen oder Mücken in die Länder Europas importiert und führte so zu den lokalen Ausbrüchen. Insbesondere eine weitere Erwärmung des Klimas könnte dazu führen, dass sich die AedesMücken zunehmend auch in Europa heimisch fühlen und es deshalb zu vermehrten Infektionen mit den ChikungunyaViren kommen kann.
Bestimmte, nur an Vögeln saugende Mückenarten, insbesondere Culiseta melanura, halten diesen endemischen Vogelzyklus aufrecht. Saugen an infizierten Vögeln andere Mückenarten, die auch Säugetiere und Menschen stechen, kann es zu Epidemien kommen, welche die Säugetiere als Wirte einschließen. In Regionen mit gemäßigtem Klima besteht eine saisonale Häufung von Erkrankungen im Spätsommer; in tropischen Klimazonen finden ganzjährig Infektionen der Reservoirwirte und Übertragungen statt. Das Western-Equine-Encephalitis-Virus (WEEV) ist ebenfalls weit über den amerikanischen Kontinent verbreitet und wird durch verschiedene Mückenarten verbreitet. Während in Nordamerika der enzootische Zyklus weitgehend über die Infektion verschiedener Singvögel aufrechterhalten wird, spielen in Südamerika vor allem Nagetiere als Reservoir eine herausragende Rolle. Die Infektion von Pferden und Menschen ist auch hier akzidentell. Im Gegensatz zu den Eastern- und Western-EquineEncephalitis-Viren ist beim Venezuelan-Equine-Encephalitis-Virus (VEEV) der Wechsel vom enzootischen zum epizootischen Zyklus abhängig von einer Mutation in den für das E2-Protein codierenden Genomsequenzen des prävalenten enzootischen Virus. Während die enzootisch vorkommenden Subtypen I-D bis I-E sowie der anderen Viren des VEEV-Komplexes (Mosso dos
14.6 Togaviren
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q Enzootische und epizootische Zyklen bestimmen die Epidemiologie der equinen Encephalitisviren Die equinen Encephalitisviren EEEV, WEEV und VEEV sind Arboviren („Arbo“, engl.: arthropod-borne für „von Arthropoden getragen“), die sich in der Regel asymptomatisch in ihren Wirten, vor allem Singvögeln und Nagetieren, replizieren und in diesen eine ausreichend große Virämie etablieren, um durch Mücken unter diesen Wirten übertragen zu werden. Dies bezeichnet man als enzootischen Zyklus.
Pedras, Everglades, Mucambo, Tonate, 71D–1252, Pixuna, Cabasson und Rio Negro) nur begrenzte Infektionsherde in Kleinnagern aufbauen und hier von Mücken der Gattung Culex übertragen werden, geschieht die Übertragung der epizootischen Subtypen I-AB und I-C durch Stechmücken der Gattungen Aedes und Psoropha und schließt die Infektion einer Vielzahl von Säugetieren, auch von Pferden und Menschen, ein. Die pathogenetische Grundlage für die epizootischen Typen liegt in ihrer Fähigkeit, eine hochtitrige Virämie in ihren Wirten zu verursachen und die Übertragung zu ermöglichen. Phylogenetische Untersuchungen zeigen, dass die epizootischen Subtypen möglicherweise vor jedem epizootischen Ausbruch neu aus den enzootischen Viren entstehen. So konnte durch Austausch des E2-Gens aus einem enzootischen I-D-Virus mit einem I-AB-Virus der epizootische Biotyp generiert werden. Neben der Epizootiologie ist bei diesen Viren auch die Evolution interessant: Die Western-Equine-Encephalitis-Viren sind aus einer Rekombination zwischen dem Eastern-Equine-Encephalitis- und einem dem Sindbisvirus ähnlichen Vorläufervirus hervorgegangen (䉴 Kapitel 12). Diese Rekombination führte zum Austausch der für die Glycoproteine codierenden Gene des Eastern-Equine-Encephalitis-Virus mit denjenigen des sindbisähnlichen Virus.
Klinik Infektionen mit den in Osteuropa, Asien und Afrika verbreiteten Alphaviren verlaufen häufig asymptomatisch (Semliki-Forest-Virus) oder sind mit leichtem Fieber, Hautausschlägen und Gelenkentzündungen verbunden (Sindbisvirus). Die amerikanischen equinen Encephalitisviren können hingegen häufig eine Encephalitis in den infizierten Organismen induzieren.
Durch verschiedene Faktoren wie eine Massenvermehrung von nicht streng wirtsspezifischen Mückenarten, die den Viren als Reservoir dienen, kann es zu einem Saugakt an anderen Tierarten und damit zur Übertragung beispielsweise auf Menschen, Pferde oder andere Säugetiere kommen. Man spricht dann von einem epizootischen Zyklus.
Pathogenese Die Alphaviren gelangen durch Insektenstiche direkt in die Blutbahn und lagern sich mittels der Membranproteine an überwiegend noch nicht bekannte Rezeptoren auf Endothelzellen und lymphatischen Zellen an. Dort vermehren sie sich. Über das Blut werden sie zu den weiteren Zielorganen transportiert. Das geschädigte Endothel ermöglicht den Übertritt der Viren in das zentrale Nervensystem, wo sie sich in den Neuronen vermehren. Die Mechanismen der Neuronenschädigung durch Induktion der Apoptose sind im Detail am Beispiel der Sindbisvirusinfektion in der Maus untersucht. Das Sindbisvirus zeigt eine altersabhängige Pathogenität für Mäuse. Neugeborene Babymäuse erkranken letal nach einer intracerebralen Infektion, während Mäuse im Alter von vier Wochen nicht erkranken und das Virus eine Woche nach Inokulation eliminieren. Die Viruseliminierung erfolgt durch virusspezifische Antikörper. Wie man zeigen konnte, beruht dieses Phänomen darauf, dass die Virusinfektion in unreifen Neuronen die Apoptose induziert, während reife Neuronen diesen Vorgang durch einen noch unbekannten Faktor verhindern können. Die Resistenz ist jedoch nicht absolut und kann durch besonders virulente Virusstämme durchbrochen werden. Offensichtlich ist dabei das virale Glycoprotein E2 von besonderer Bedeutung: Die Untersuchung von Virusmutanten, die durch ortsgerichtete Mutagenese hergestellt wurden, zeigte eine besondere Rolle der Aminosäure Histidin an Position 55 für die Virulenz.
Immunreaktion und Diagnose Die Infektion mit den equinen Encephalitisviren hinterlässt eine belastbare, langanhaltende Immunität. Die Diagnose kann über den direkten Virusnachweis im Blut
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während der Virämiephase oder post mortem in Hirnmaterial gestellt werden. Gebräuchlich ist der indirekte Nachweis der Infektion durch die Untersuchung von Serumpaaren, die zum Zeitpunkt der akuten Infektion und nach weiteren drei Wochen gewonnen werden. Die Antikörpertiter werden in Hämagglutinationshemmoder Virusneutralisationstests bestimmt.
Bekämpfung und Prophylaxe Gegen Infektionen mit allen Vertretern der equinen Encephalitisviren sind Impfstoffe verfügbar, die bei Menschen, Pferden und wertvollen Vogelarten, wie etwa dem vom Aussterben bedrohten Schreikranich (Grus americana), eingesetzt werden. Sie basieren auf abgetöteten, in Zellkultur gezüchteten Viren. Eine konsequente Impfung kann die Entstehung von Epizootien verhindern oder – nach ihrem Ausbruch – günstig beeinflussen.
14.6.7 Weiterführende Literatur Angelini, R.; Finarelli, A. C.; Angelini, P.; Po, C.; Petropulacos, K.; Silvi, G.; Macini, P.; Fortuna, C.; Venturi, G.; Magurano, F.; Fiorentini, C.; Marchi, A.; Benedetti, E.; Bucci, P.; Boros, S.; Romi, R.; Majori, G.; Ciufolini, M. G.; Nicoletti, L.; Rezza, G.; Cassone, A. Chikungunya in north-eastern Italy: a summing up of the outbreak. In: Euro. Surveill. 12 (2007) 071122.2. Banatvala, J. E.; Brown, D. W. Rubella. In: Lancet 363 (2004) S. 1127–1137. Chen, J.; Strauss, J. H.; Strauss, E. G.; Frey, T. K. Characterization of the rubella virus nonstructural protease domain and its cleavage site. In: J. Virol. 70 (1996) S. 4707–4713. Chevillon, C.; Briant, L.; Renaud, F.; Devaux, C. The Chikungunya threat: an ecological and evolutionary perspective. In: Trends Microbiol. 16 (2008) S. 80–88. Fontana, J.; Tzeng, W. P.; Calderita, G.; Fraile-Ramos, A.; Frey, T. K.; Risco, C. Novel replication complex architecture in rubella replicon-transfected cells. In: Cell Microbiol. 9 (2007) S. 875–890. Frey, T. K. Molecular biology of rubella virus. In: Adv. Virus Res. 44 (1994) S. 69–160. Gonzalez, M. E.; Carrasco, L. Viroporins. In: FEBS Lett. 552 (2003) S. 28–34. Gould, E. A.; Coutard, B.; Malet, H.; Morin, B.; Jamal, S.; Weaver, S.; Gorbalenya, A.; Moureau, G.; Baronti, C.; Delogu, I.; Forrester, N.; Khasnatinov, M.; Gritsun, T.; de Lamballerie, X.; Canard, B. Understanding the alphaviruses: Recent research on important emerging pathogens and progress towards their control. In: Antiviral Res. (2009) doi:10.1016/ j.antiviral.2009.07.007 Greene, I. P.; Paessler, S.; Austgen, L.; Anishchenko, M.; Brault, A. C.; Bowen, R. A.; Weaver, S. C. Envelope glycoprotein
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14.7 Arteriviren
14.7 Arteriviren
239
14.7.1 Einteilung und charakteristische Vertreter In der Familie der Arteriviren, die ausschließlich tierpathogene Erreger umfasst, gibt es nur eine Gattung (䉴 Tabelle 14.16). Als ein charakteristischer Vertreter gilt das equine Arteritisvirus (EAV), das bei Pferden und Eseln eine persistierende asymptomatische Infektion induziert, in den Tieren aber auch Aborte oder hämorrhagisches Fieber verursachen kann. Die Lactatdehydrogenase-induzierenden Viren (LDV) und die Simian-Haemorrhagic-Fever-Viren (SHFV) infizieren Mäuse beziehungsweise verschiedene afrikanische und asiatische Affenarten. Diese Erreger hat man bereits im 19. Jahrhundert erstmals beschrieben. Dagegen traten Infektionen von Schweinen durch das Virus des seuchenhaften Spätaborts der Schweine (Porcine-Reproductive-andRespiratory-Syndrome-Virus, PRRSV) erstmals und nahezu zeitgleich zwischen 1983 und 1988 in Europa und den USA auf.
Die Arteriviren stellen zusammen mit den Corona(䉴 Abschnitt 14.8) und den Roniviren die Ordnung Nidovirales dar. Dies ist in der Genomorganisation, in dem Gebrauch von polycistronischen mRNA-Transkripten für die virale Genexpression sowie in den Transkriptions- und Translationsstrategien begründet – also in Merkmalen und Vorgängen, in denen sich die Vertreter dieser Virusfamilien ähneln. Darauf ist auch der Name der Ordnung zurückzuführen, der seinen Ursprung im lateinischen Wort nidus für „Nest“ hat. Er bezieht sich auf die einzigartige Transkriptionsstrategie der Nidovirales: Bei der mRNA-Synthese entstehen Transkripte, die zwar alle die gleichen 5’- und 3’-Enden aufweisen, bei denen jedoch der am 5’-Ende gelegene Sequenzabschnitt mit verschiedenen RNA-Abschnitten kombiniert wird, die weiter stromabwärts lokalisert sind: Es entstehen somit Sets von polycistronischen (nested) mRNAMolekülen. Andererseits sind die Unterschiede in der Größe der Virusgenome und -partikel sowie in der Sequenz und Art der Strukturproteine so deutlich, dass man sich entschloss, sie in getrennte Familien einzuordnen. Im Vergleich zu den Corona- und Roniviren sind die Partikel und die Genome der Arteriviren deutlich kleiner. Die Vertreter der Roniviren infizieren ausschließlich Wirbellose und Insekten, sie werden daher im Rahmen dieses Lehrbuchs nicht näher besprochen.
14.7.2 Aufbau Viruspartikel Die infektiösen Partikel der Arteriviren haben einen Durchmesser vom 40 bis 60 nm und bestehen aus ikosaedrischen oder sphärischen Nucleocapsiden (Durchmesser 25 bis 35 nm), die von einer Membranhülle umgeben sind (䉴 Abbildung 14.20). Im Gegensatz zu den Coronaviren findet man bei Arteriviren Membranproteine, die nur gering (10 bis 14 nm) aus der Partikeloberfläche hervorragen. In die Hüllmembran sind vier virale Glycoproteine eingelagert: GP2, GP3, GP4 und GP5, beim lactatdehydrogenaseinduzierenden Virus (LDV) handelt es sich um GP2, GP3 GP4 und GP7. Als weitere Proteine sind die M- und E-Proteine mit der Virusmembran assoziiert. Das Nucleocapsid im Inneren
Tabelle 14.16 Charakteristische Vertreter der Arteriviren Genus
Tier
Arterivirus
equines Arteritisvirus (EAV) lactatdehydrogenaseinduzierendes Virus der Maus (LDV) Virus des seuchenhaften Spätaborts der Schweine (Porcine-Reproductive-andRespiratory-Syndrome-Virus, PRRSV) Simian-Haemorrhagic-Fever-Virus (SHFV)
14
14
240
14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
GP4-Protein GP2-Protein M-Protein GP5-Protein GP3-Protein 5´-Cap N-Protein RNA
Nucleocapsid
Hüllmembran
3´-poly A
E-Protein
14.20 Aufbau eines Arteriviruspartikels am Beispiel des Porcine-Reproductive-and-Respiratory-Syndrome-Virus (PRRSV). Im Inneren des Partikels liegt das mit N-Proteinen komplexierte RNA-Genom als helikales Nucleocapsid vor. Es ist von einer Membranhülle umgeben, in welche vier virale Glycoproteine (GP2 bis GP5) sowie das nichtglycosylierte M-Protein eingelagert sind.
der Membranhülle besteht aus dem N-Protein und dem einzelsträngigen RNA-Genom.
Genom und Genomaufbau Die Genome der Arteriviren haben eine ähnliche Organisation wie die der Coronaviren, die Aufeinanderfolge der codierenden Regionen ist im Vergleich zu diesen aber wesentlich gedrängter. Daher sind sie kürzer und umfassen zwischen 12 704 (equines Arteritisvirus) und etwa 15 000 bis 15 700 Basen beim Virus des seuchenhaften Spätaborts der Schweine (PRRSV) beziehungsweise beim Simian-Haemorrhagic-Fever-Virus. Sie bestehen aus einzelsträngiger RNA, liegen in Plusstrangorientierung vor, besitzen am 5’-Ende eine methylierte Cap-Struktur und sind am 3’-Ende polyadenyliert. Die codierenden Genombereiche werden am 5’-Ende von 156 bis 221 beziehungsweise am 3’-Ende von 59 bis 117 nichttranslatierten Nucleotiden flankiert. Zwei große Leserahmen (1a und 1b), von denen der Leserahmen 1a am 5’-Ende beginnt, überlappen an den Enden miteinander und nehmen etwa zwei Drittel des Genoms ein (䉴 Abbildung 14.21). Sie sind für die Synthese von zwei Polyproteinen (1a und 1ab) verantwortlich, aus welchen
die Nichtstrukturproteine durch proteolytische Spaltung entstehen. Eine Verschiebung des ribosomalen Leserasters während der Translation führt zum Überlesen eines Stoppcodons am Ende des 1a-Leserahmens und zur Bildung des Proteins 1ab. Durch die autokatalytische Spaltung entstehen drei Proteasen (NSP1, NSP2, NSP4), die RNA-abhängige RNA-Polymerase, eine Helicase sowie einige weitere Nichtstrukturproteine ungeklärter Funktion. Die Leserahmen 2 bis 7 (beziehungsweise 9 beim PRRSV) für die Strukturproteine befinden sich im Anschluss an die Gene für die Nichtstrukturproteine. In der Reihenfolge zum 3’-Ende codieren sie die Synthese der verschiedenen Glycoproteine sowie die des M- und des N-Proteins; das E-Protein wird durch einen intern auf der zweitlängsten mRNA gelegenen Leserahmen codiert.
14.7.3 Virusproteine Nichtstrukturproteine Bei der Translation der genomischen mRNA entstehen zwei große Vorläuferprodukte der Nichtstrukturpro-
5´-Cap
3´
Protein 1a Helicase Helicase
Protease
Protease
E
5´-Cap
5´-Cap
5´-Cap
5´-Cap
5´-Cap
5´-Cap
Transkription
Transkription
M
N
15000 GP5
GP4
GP2 GP3
+ Leserastersprung
RNA-Polymerase
15–20%
1b
Haarnadelschleife
10000
N-Protein
M-Protein
GP5 -Protein
GP4 -Protein
GP3 -Protein
GP2 -Protein, E-Protein
Genom (Plusstrang)
Genom (Negativstrang)
Translation
AAA 3´
5´
AAA 3´
14.21 Genomorganisation und Replikationsverlauf bei Arteriviren. Das RNA-Genom des Virus wirkt als mRNA und wird im Cytoplasma der Zelle translatiert. Die beiden miteinander überlappenden Leserahmen codieren für die Nichtstrukturpolyproteine 1a und 1ab. Eine Haarnadelschleife induziert bei der Translation einen Leserastersprung und ermöglicht dadurch bei etwa 15 bis 20 Prozent der Translationsvorgänge die Synthese des Nichtstrukturpolyproteins 1ab, das in seinem carboxyterminalen Bereich den Anteil der RNA-abhängigen RNA-Polymerase enthält. Sie werden durch die autokatalytische Aktivität von zwei Cysteinproteasen und einer Serinprotease in den aminoterminalen Anteilen der Vorläuferproteine gespalten. Die RNA-abhängige RNA-Polymerase schreibt das Plusstrang-RNA-Genom in einen Negativstrang um. Dieser dient als Matrize sowohl für die Synthese von neuen Plusstrang-RNA-Genomen als auch für die Transkription einer Reihe von subgenomischen mRNA-Spezies, die am 5’-Ende mit einer Cap-Gruppe modifiziert sind und bei allen mRNAMolekülen die identischen Sequenzen der Leader-Region enthalten. Von den subgenomischen mRNAs werden die verschiedenen viralen Strukturproteine translatiert, deren Leserahmen sich im 3’-orientierten Drittel des Plusstrang-RNA-Genoms befinden. Diese überlappen zum Teil miteinander.
mRNA
1a
Leader-RNA 80-85% Translation (ca. 200 Basen) nichtcodierend
5´-Cap
5000
14.7 Arteriviren
241
14
14
242
14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
¡ XendoU und NendoU Die ursprünglich bei Xenopus laevis gefundende zelluläre Endoribonuclease XendoU ist mit für die Prozessierung der nucleolären RNA-Spezies verantwortlich und zählt zu einer kleinen Proteinfamilie, zu der man auch die nidovirale Endoribonuclease NendoU rechnet. Die enzymatische Aktivität von NendoU ist Mn2+-Ionen abhängig. Sie spaltet bevorzugt
teine: Das Protein 1a weist bei den unterschiedlichen Vertretern der Arteriviren eine Molekularmasse zwischen 187 und 260 kD auf, das Protein 1ab (345 bis 421 kD) ist im aminoterminalen Bereich identisch zum Protein 1a. Die drei im aminoterminalen Bereich beider Proteine lokalisierten Proteasen (NSP1, NSP2, NSP4) spalten die Vorläuferproteine in insgesamt zwölf Nichtstrukturproteine (NSP1 bis NSP12), deren Funktion in einigen Fällen nicht geklärt ist. Bei den NSP1- und NSP2-Proteinen handelt es sich um Cysteinproteasen, die sich autokatalytisch von den Polyproteinen abspalten (䉴 Tabelle 14.17). NSP4 ist eine Serinprotease und ähnelt der 3C-Protease der Picornaviren (䉴 Abschnitt 14.1). Ihre Aktivität bedingt die weitere Prozessierung der Vorläuferproteine 1a und 1ab an bis zu acht Spaltstellen. Dadurch entstehen unter anderen die RNA-abhängige RNA-Polymerase, ein metallionenbindendes Protein MP und eine Helicase (NSP10). Letztere verfügt über eine Zn2+-Ionen bindende Domäne, welche für die Bildung der viralen mRNAs, nicht aber für die Genomreplikation notwendig ist. Das NSP11 stellt die Endoribonuclease (NendoU, nidoviral uridylate-specific endoribonuclease) dar, die bei allen Vertretern der Nidovirales vorkommt. Ihre Aktivität scheint vor allem bei der Synthese der subgenomischen RNAs notwendig zu sein. In den meisten Fällen erfolgten die funktionellen Zuordnungen durch vergleichende Sequenzanalysen und nicht durch Reinigung und direkte Charakterisierung der Proteinaktivitäten.
doppelsträngige RNA vor oder nach Uridinresten in den Sequenzfolgen GUU oder GU; es entstehen Moleküle mit 2’-3’-zyklischen Phosphatenden. Daneben scheinen die NendoU-Enzyme, die bisher ausschließlich bei Nidoviren gefunden wurden, einige weitere, aber noch nicht näher charakterisierte Aktivitäten auszuüben.
ein Ionenkanalprotein handeln könnte. Die Glycoproteine liegen in komplexen Anordnungen vor, GP5/GP7und M-Proteine bilden Heterodimere, GP2 GP3 und GP4 hingegen Heterotrimere. Daneben findet man als Zwischenprodukte der GP2- und GP4-Heterodimere, die in nachfolgenden Schritten über Cysteinbrücken mit GP3 assoziieren. Für den Einbau in die Virushüllmembran ist diese Komplexbildung mit GP3 eine Voraussetzung. Die neutralisierenden Epitope befinden sich überwiegend in den GP5- beziehungsweise GP7-Proteinen. Allerdings scheint für ihre korrekte Konformation das Vorliegen in heterodimerer Struktur mit den M-Proteinen notwendig zu sein. Das M-Protein ist das Strukturprotein der Arteriviren mit dem höchsten Konservierungsgrad. Es ähnelt dem M-Protein der Coronaviren. Die carboxyterminalen Domänen befinden sich im Partikelinneren, die kurze aminoterminale Region ist auf der Virusoberfläche lokalisiert und flankiert von hydrophoben Sequenzen, die das Protein in der Membranhülle verankern. Über einen Cysteinrest in der aminoterminalen Domäne bildet das M-Protein eine Disulfidbrücke mit dem Glycoprotein GP5 beziehungsweise dem GP7 beim lactatdehydrogenaseinduzierenden Virus aus. Das phosphorylierte N-Protein (12–15 kD) liegt gebunden an das RNA-Genom vor und bildet das Nucleocapsid.
14.7.4 Replikation Strukturproteine Die Strukturproteine der Arteriviren lassen sich in Haupt-(major-) und Neben-(minor-)Proteine unterteilen. Die Hauptproteine sind die GP5 (GP7 bei LDV), Mund N-Proteine. Zu der anderen Gruppe zählen das GP2, GP3, GP4 und E-Protein. Die Funktion des Strukturproteins E ist nicht endgültig geklärt, es ist jedoch essenziell für die Infektiosiät und es gibt Hinweise, dass es sich um
Arteriviren infizieren bevorzugt Makrophagen und gelangen über rezeptorvermittelte Endocytose in das Zellinnere. Die Rezeptoren, die von den Viren zur Adsorption verwendet werden, sind nicht endgültig bekannt. Das Virus des seuchenhaften Spätaborts der Schweine PRRSV scheint über das M-Protein mit Heparansulfat auf der Oberfläche von Makrophagen zu
14.7 Arteriviren
243
Tabelle 14.17 Bekannte Funktionen und Eigenschaften der Arterivirusproteine Protein
Größe (kD)
Eigenschaften
Funktion
GP5/GP7 (LDV)
24–44
glycosyliert
Membranprotein; major Strukturprotein neutralisierende Antikörper bildet Heterodimere mit M-Protein Apoptose-Induktion?
GP2
20–35
glycosyliert
Membranprotein; minor Strukturprotein Heterotrimer mit GP3 und GP4
GP3
27
glycosyliert
Membranprotein; minor Strukturprotein Heterotrimer mit GP2 und GP4
GP4
20
glycosyliert
Membranprotein; minor Strukturprotein Heterotrimer mit GP2 und GP3
M
16–20
–
Membranprotein; major Strukturprotein bildet Heterodimer mit GP5 bzw. GP7
N
12–15
phosphoryliert
Nucleocapsidprotein; major Strukturprotein Homodimer
E
7–8
sehr hydrophob
Ionenkanalprotein? Homooligomere
NSP1
29
–
Cysteinprotease; papainähnlich
NSP2
61
–
Cysteinprotease
NSP4
21
–
Serinprotease; Homologien zu Chymotrypsin und 3C-Proteasen der Picornaviren; Hauptenzym zur Spaltung der Polyproteine
NSP9
?
–
RNA-abhängige RNA-Polymerase
NSP10
?
–
RNA-Helicase
NSP11
?
–
Endoribonuclease (NendoU)
?
Zn2+-bindend
?
MP
interagieren. Daneben fand man aber auch, dass sich das Virus an CD163 sowie an die aminoterminale, variable Ig-ähnliche Domäne von Sialoadhäsin bindet – einem Mitglied der Immunglobulin-Superfamilie auf der Makrophagenoberfläche. Welches der viralen Glycoproteine diese Wechselwirkung vermittelt, ist unklar. Der Replikationszyklus ähnelt weitgehend dem der Coronaviren; auch bei den Arteriviren laufen alle Replikationsschritte im Cytoplasma der Zelle ab. Von der genomischen RNA werden zuerst – wie bereits erwähnt – die Polyproteine der Nichtstrukturproteine 1a und 1ab unter Induktion eines ribosomalen Leserastersprungs translatiert. Das Protein 1ab enthält die RNA-abhängige RNA-Polymerase (䉴 Abbildung 14.21). Im folgenden Schritt wird durch die Polymeraseaktivität des gebildeten Enzyms und unter Verwendung der
genomischen RNA als Matrize der Gegenstrang synthetisiert. Dieser umfasst das gesamte Genom und hat eine negative Orientierung. Im weiteren Verlauf des Replikationszyklus hat er zwei Funktionen: Er dient als Matrize für die Synthese neuer Virusgenome und für die Bildung mehrerer, subgenomischer mRNA-Spezies, von welchen die verschiedenen Strukturproteine der Arteriviren translatiert werden. All diese subgenomischen mRNAs haben die gleichen 5’- und 3’-Enden, die auch denjenigen des Virusgenoms entsprechen. An den 5’-Enden befindet sich jeweils eine einheitliche Sequenzfolge, die Leader-RNA. Sie ist am 5’-Ende gecappt und entspricht der Basenfolge im nichttranslatierten Abschnitt am 5’Ende des Genoms. Diese Leader-RNA dient als Primer für die Synthese der subgenomischen mRNA-Spezies. Nahe ihrem 3’-Ende weist die Leader-RNA eine konser-
14
14
244
14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
vierte Basenfolge (UCAAC beim equinen Arteritisvirus) auf. Komplementäre Sequenzen hierzu sind in der Negativstrang-RNA an unterschiedlichen Stellen zu finden. Sie sind in der Genomregion zwischen dem Ende des Leserahmens für das Polyprotein 1ab und dem 3’-Ende des Genoms den verschiedenen Initiationsstellen für die Synthese der subgenomischen mRNA-Spezies vorgelagert: Mit ihnen kann die Leader-RNA hybridisieren und so einen kurzen doppelsträngigen Bereich mit dem 3’-OH-Ende für die Fortsetzung der Polymerisation liefern. Ähnlich wie bei den Coronaviren kann die RNAPolymerase die Synthese der subgenomischen mRNASpezies an den verschiedenen Startregionen vermutlich nicht selbst initiieren. Von diesen nested-Transkripten wird meist nur der am 5’-Ende gelegene Leserahmen in ein Protein übersetzt, nur im Fall des E-Proteins fand man die Transkription eines intern gelegenen Leserahmens. Das N-Protein komplexiert mit den genomischen RNA-Strängen zu den Nucleocapsiden und bindet sich an die carboxyterminale Domäne des in die Membran des endoplasmatischen Reticulums eingelagerten MProteins. Dies löst den Budding-Prozess aus, in dessen Verlauf das Nucleocapsid mit der die M- und Glycoproteine enthaltenden Membran umgeben wird. Die entstehenden Partikel werden in das Lumen des endoplasmatischen Reticulums abgegeben und im weiteren Verlauf über die Golgi-Vesikel zur Zelloberfläche transportiert, wo sie in die Umgebung entlassen werden.
14.7.5 Tierpathogene Arteriviren Bisher kennt man keine Arteriviren, die Menschen infizieren oder deren Infektion beim Menschen Krankheiten verursacht. Zu den wichtigsten tierpathogenen Arteriviren zählen das equine Arteritisvirus (EAV) und der Erreger des seuchenhaften Spätaborts der Schweine und Pferde (PRRSV).
Das equine Arteritisvirus Epidemiologie und Übertragung Das equine Arteritisvirus ist in Pferdepopulationen weltweit verbreitet. Es verursacht beim Pferd eine schon seit vielen Jahrzehnten bekannte Erkrankung, die heute als equine Arteritis bezeichnet wird. Sie äußert sich in Ödembildungen an Kopf und Extremitäten. Diese Manifestation hat der Krankheit auch die Synonyme „Pink Eye“ oder „Pferdestaupe“ eingebracht. Eine wirtschaftlich bedeutendere Erkrankungsform ist der seu-
chenhafte Abort, der in Gestüten epidemisch auftreten kann. Nur Pferde scheinen für die Infektion empfänglich zu sein. Die Übertragung des Virus erfolgt durch direkten Kontakt und über Aerosole. Die Infektionen treten gehäuft auf Turnieren oder Messen auf, wenn viele Pferde aus unterschiedlichen Regionen zusammenkommen. Das Virus kann eine persistierende Infektion verursachen; einige Hengste scheiden es über Jahre mit dem Ejakulat aus. Dies ist epidemiologisch wichtig und tierseuchenrechtlich außerordentlich problematisch, da das Virus auf diese Weise auch bei künstlicher Besamung in der Population verbreitet werden kann.
Klinik Nach einer Inkubationszeit von etwa drei Tagen bis zwei Wochen kommt es zu Fieber und Ödembildungen an Kopf, Extremitäten und Unterbauch (Präputial- und Skrotalödem bei Hengsten) sowie zu einer Konjunktivitis. Die Erkrankung ist in der Regel transient und Todesfälle sind selten. Bei trächtigen Stuten kann es jedoch zehn bis 30 Tage nach der Infektion zum Verfohlen (Abort) kommen. In einem seronegativen und somit empfänglichen Tierbestand können bis zu 80 Prozent der tragenden Stuten verfohlen („abortion storms“). Bei Hengsten findet man eine vorübergehende Infertilität als Komplikation der EAV-Infektion. In der Regel verläuft die Infektion jedoch subklinisch, Erkrankungen sind selten.
Pathogenese Die Zielzellen des Virus sind vor allem Makrophagen und Endothelzellen. Durch diesen Tropismus erklären sich Klinik und Pathologie, da das Virus hierdurch sehr schnell in praktisch alle Organsysteme mit Ausnahme des zentralen Nervensystems gelangt und dort über Funktionsstörungen der Gefäße die Symptome und pathologischen Veränderungen induziert. Lokale Infarzierungen und Ergüsse (Ödembildung) stehen hypovolämischen, systemischen Erscheinungen gegenüber. Die intrauterine Übertragung führt zu einer Infektion des Fetus, der ebenfalls aufgrund generalisierter Ödeme stirbt und abortiert wird. Der Abort geht in der Regel mit einer vollständigen Ablösung der Placenta einher.
Immunreaktion und Diagnose Die Diagnose kann serologisch durch Neutralisationstests erfolgen. Die Untersuchung von Serumpaaren gestattet im nachhinein die Diagnose einer akuten Infektion. Der Virusnachweis gelingt durch die Züch-
14.7 Arteriviren
tung des Erregers in equinen Zelllinien oder durch den Nucleinsäurenachweis mittels RT-PCR.
Bekämpfung und Prophylaxe Eine Immunprophylaxe ist derzeit in Deutschland nicht verfügbar. In anderen Ländern sind Impfstoffe auf der Basis von sowohl attenuierten als auch inaktiverten, abgetöteten Viren zugelassen. Beide haben sich als grundsätzlich wirksam erwiesen.
Das Virus des seuchenhaften Spätaborts der Schweine (PRRSV) Epidemiologie und Übertragung Das Virus des seuchenhaften Spätaborts der Schweine (PRRSV) ist erst seit etwa 1985 bekannt, als es nahezu zeitgleich in Europa und Nordamerika auftrat. Beim Sequenzvergleich der ersten Viren, die auf beiden Kontinenten isoliert wurden, fand man eine Sequenzidentität von nur etwa 60 Prozent, aufgrund der Divergenz werden die Isolate als Genotypen bezeichnet. Genotyp I umfasst die Isolate vom europäischen Typ, Genotyp II repräsentiert diejenigen des nordamerikanischen Typs. Der Ursprung des PRRS-Virus ist unklar. Eine Hypothese geht von einem Wirtswechsel von der Maus zum Schwein aus, der unabhängig voneinander in Europa und Nordamerika stattfand. Alternativ wird diskutiert, dass Wildschweine in Europa über wildlebende Mäuse mit einem LDV-ähnlichen Erreger infiziert und dann von Europa nach Nordamerika transportiert wurden. Da PRRSV als Virus mit der höchsten bisher bekannten Mutationsrate gilt, konnte es sich in den getrennten Schweinepopulationen dann zu den bekannten Genotypen entwickeln. Das Virus scheint nur Schweine zu infizieren und wird durch den direkten Kontakt der Tiere übertragen. Epidemiologisch von großer Bedeutung sind klinisch gesunde Schweine mit persistierender PRRSV-Infektion, die das Virus in empfängliche Herden einschleppen. Die vollständige Durchseuchung erfolgt dann innerhalb weniger Wochen.
Klinik Die durch Infektionen mit dem PRRSV verursachte Erkrankung beim Schwein ist derjenigen der equinen Arteritis sehr ähnlich. Die typischen Symptome sind Fruchtbarkeitsprobleme, die sich vor allem als Spätaborte nach einer Tragzeit von mehr als 110 Tagen (normale Trächtigkeitsdauer beim Schwein: 115 Tage) manifestie-
245
ren. Daneben werden auch abgestorbene, mumifizierte Feten abgesetzt. Im Gegensatz zur Infektion mit dem porcinen Parvovirus (䉴 Abschnitt 20.1.6) finden sich auch beim abortierenden Mutterschwein pathologische Veränderungen. Dazu zählen Endo- und Myometritiden; zudem ist die Placenta häufig hämorrhagisch verändert. Bei nichtträchtigen Tieren stellt sich die Infektion als fieberhafte Allgemeinerkrankung dar, die häufig von respiratorischen Symptomen begleitet ist. Ein klassisches Symptom ist die aufgrund von Minderdurchblutung auffällige blaue Verfärbung der Ohren, der Rüsselscheibe und der Vulva.
Pathogenese Die Zielzellen des Virus sind Makrophagen und Endothelzellen. Das Virus persistiert trotz des Vorhandenseins neutralisierender Antikörper in den Makrophagen. Diese Antikörper können im Rahmen einer antikörperabhängigen Zelltoxizität (ADCC; 䉴 Kapitel 7) zur Pathogenese der Erkrankung beitragen. Es gibt Hinweise, dass PRRSV die Induktion der Produktion von IFN-β unterbindet: Es inaktiviert den Faktor IPS-1 (IFN-β Promoter Stimulator 1), ein Adaptormolekül für die Helicase RIG-I und hemmt somit die RIG-I vermittelte Signalkaskade.
Immunreaktion und Diagnose Durch Immunfluoreszenz kann man das Virus in totgeborenen Ferkeln nachweisen. Die Züchtung des Erregers in Zellkultur ist in porcinen Makrophagen oder in der Affennierenzelllinie MA-104 möglich. Antikörper sind mithilfe kommerzieller ELISA-Tests nachweisbar. Die Serologie ist aufgrund der verbreiteten Impfung der Schweine jedoch nur von begrenzter Aussagekraft.
Bekämpfung und Prävention Es sind sowohl Lebendvakzinen zum Schutz vor Infektionen mit beiden Genotypen als auch Totimpfstoffe verfügbar, deren Wirksamkeit kontrovers diskutiert wird. Die derzeit verfügbaren Totimpfstoffe scheinen – verglichen mit den Lebendvakzinen – erheblich weniger effizient zu sein. Eine Diskussion über die Wirksamkeit der Vakzinen über die Grenzen der Genotypen hinweg und eine mögliche Rückmutation der attenuierten Impfviren beider Genotypen zu virulenten Erregern wird sehr lebhaft geführt.
14
14
246
14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
14.7.6 Weiterführende Literatur Balasriya, U. B. R.; Snijder, E. J. Arteriviruses. In: Mettenleiter, T. C.; Sobrino, F. (Hrsg.) Animal viruses. 2008 (Molecular Biology. Caister Academic Press) S. 97–148. Calvert, J. G.; Slade, D. E.; Shields, S. L.; Jolie, R.; Mannan, R. M.; Ankenbauer, R. G.; Welch, S. K. CD163 expression confers susceptibility to porcine reproductive and respiratory syndrome viruses. In: J. Virol. 81 (2007) S. 7371–7379. Delputte, P. L.; Van Breedam, W.; Delrue, I.; Oetke, C.; Crocker, P. R.; Nauwynck, H. J. Porcine arterivirus attachment to the macrophage-specific receptor sialoadhesin is dependent on the sialic acid-binding activity of the N-terminal immunoglobulin domain of sialoadhesin. In: J. Virol. 81 (2007) S. 9546– 9550. Lee, C.; Yoo. D. The small envelope protein of porcine reproductive and respiratory syndrome virus possesses ion channel protein-like properties. In: Virology 355 (2006) S. 30–43. MacLachlan, N. J.; Balasuriya, U. B. Equine viral arteritis. In: Adv. Exp. Med. Biol. 581 (2006) S. 429–433. Posthuma, C. C.; Nedialkova, D. D.; Zevenhoven-Dobbe, J. C.; Blokhuis, J. H.; Gorbalenya, A. E.; Snijder, E. J. Site-directed mutagenesis of the Nidovirus replicative endoribonuclease NendoU exerts pleiotropic effects on the arterivirus life cycle. In: J. Virol. 80 (2006) S. 1653–1661. Snijder, E. J.; Meulenberg, J. J. M. The molecular biology of arteriviruses. In: J. Gen. Virol. 79 (1998) S. 961–979. Van Marle, G.; Dobbe, J. C.; Gultyaev, A. P.; Luyties, W.; Spaan, W. J.; Snijder, E. J. Arterivirus discontinuous mRNA transcription is guided by base pairing between sense and antisense transcription-regulating sequences. In: Proc. Natl. Acad. Sci. USA 96 (1999) S. 12056–12061. Ziebuhr, J.; Snijder, E. J.; Gorbalenya, A. E. Virus-encoded proteinases and proteolytic processing in the Nidovirales. In: J. Gen. Virol. 81 (2000) S. 853–879.
14.8 Coronaviren
Die Coronaviridae fasst man heute mit den Arteri- und den Raniviridae (䉴 Abschnitt 14.7) in der Ordnung der Nidovirales zusammen. Humane Coronaviren wurden 1965 von David A. J. Tyrrell und Mitarbeitern bei Erkältungskrankheiten entdeckt und 1968 aufgrund von morphologischen Unterschieden zu anderen Viren als eigene Familie definiert. Elektronenmikroskopische Aufnahmen zeigten Viruspartikel, die von einer Membranhülle mit eingelagerten Proteinen umgeben waren, durch die sie wie von einem „Strahlenkranz“ (lateinisch corona) umgeben erschienen. Als später die molekularen Details des Genomaufbaus und der Replikationsmechanismen bekannt wurden, bestätigten sie die ursprünglich nur auf morphologischen Untersuchungen beruhende Einteilung. Coronavirusinfektionen verursachen beim Menschen überwiegend harmlose Erkältungskrankheiten und Infektionen im oberen und seltener unteren Respirationstrakt. Infektionen mit Coronaviren kennt man auch bei einigen Haussäugetieren. Im Wesentlichen stehen sie hier mit akuten Gastroenteritiden bei Rindern, Schweinen, Katzen und Hunden in Verbindung. Außer diesen kennt man aber auch andere Krankheitsbilder wie Encephalitiden bei Schweinen oder eine fatale systemische Allgemeininfektion bei der Katze, die feline infektiöse Peritonitis, verursacht durch das feline Coronavirus. Das Maus-Hepatitis-Virus, welches in den Nagetieren sowohl Leberentzündungen als auch Bronchitis auslöst, ist ein wichtiges Modellsystem für die Klärung pathogenetischer Mechanismen. Außer den verschiedenen Coronaviren, die Säugetiere infizieren, existieren einige Typen, die schwere Infektionen im Ge-
14.8 Coronaviren
14.8.2 Aufbau
flügel verursachen. Hierzu zählt vor allem das Virus der infektiösen Bronchitis des Huhns. Infektionen mit dem Virus des schweren respiratorischen Syndroms (SARS-Coronavirus, SARS-CoV), sind bei Menschen erstmals im Winter 2002/03, vorwiegend in den Ländern Südostasiens (China, Hongkong, Taiwan) und Canada aufgetreten. Dieser einmalige Ausbruch verursachte weltweit über 8 000 manifeste Infektionen und 700 Todesopfer, dies entspricht einer Mortalitätsrate von etwa 10 Prozent. Der Ursprung dieses neuen Virus war lange unklar, bis man in China ein fast identisches Virus in Fledermäusen (Rhinolophus spp., große Hufeisennase) fand. Diese übertragen die Erreger auf Schleichkatzen, welche sie auf Lebendtiermärkten wiederum an Menschen weitergeben können.
Viruspartikel Die membranumhüllten Virionen der Coronaviren haben einen Durchmesser von 80 bis 160 nm. Das einzelsträngige RNA-Genom hat Plusstrangorientierung und liegt assoziiert mit den N-Proteinen als Nucleocapsid im Inneren der Partikel vor (䉴 Abbildung 14.22). Dieser Komplex aus RNA und N-Proteinen ist helikal angeordnet. Die Helix hat einen Durchmesser von 10 bis 20 nm. Definierte Aminosäuren im N-Protein interagieren mit der carboxyterminalen Domäne des in die Membran eingelagerten M-Proteins. Das Nucleocapsid ist so über Proteinwechselwirkungen mit der Innenseite der Membran assoziiert. Neben dem M-Protein, einem am aminoterminalen Ende glycosylierten Protein von 20 bis 30 kD, sind zwei weitere virale Proteine in die Hüllmembran eingelagert: Das ebenfalls glycosylierte S-Protein (180 bis 200 kD) liegt in keulenförmigen Trimeren vor, die etwa 20 nm aus der Membranoberfläche herausragen und für das Erscheinungsbild der Corona verantwortlich sind, und das E-Protein (9 bis 12 kD), das in nur geringen Mengen vorhanden ist. Ein weiteres mit der Membran assoziiertes Protein, HE (HämagglutininEsterase), ist nur bei den meisten der Coronaviren der Gruppe 2 vorhanden. Es hat ein Molekulargewicht von 65 kD, liegt als Dimer vor und weist eine hämagglutinierende Aktivität auf.
14.8.1 Einteilung und charakteristische Vertreter Coronaviren werden in zwei Genera, Coronavirus und Torovirus, unterteilt. Die Vertreter der Gattung Coronavirus kann man nach ihren molekularen und serologischen Eigenschaften drei Gruppen zuordnen (䉴 Tabelle 14.18). Das SARS-Coronavirus wurde erst kürzlich zusammen mit den aus Schleichkatzen und Fledermäusen isolierten Coronaviren in die Gruppe 2 eingeteilt. Die Coronaviren infizieren Menschen, viele verschiedene Säugetiere, wie Huftiere und diverse Fleischfresser, sowie Vögel. Die Biologie der Toroviren und die von ihnen verursachten Krankheiten sind kaum untersucht.
Tabelle 14.18 Charakteristische Vertreter der Coronaviren Genus
Mensch
Coronavirus
Gruppe 1 humanes Coronavirus 229E humanes Coronavirus NL63
Gruppe 2 humanes Coronavirus OC43 humanes Coronavirus HKU1 SARS-Coronavirus Gruppe 3 – Torovirus
–
247
Tier Virus der transmissiblen Gastroenteritis der Schweine (TGE-Virus) felines Coronavirus (FeCoV, FIP-Virus) Fledermaus-Coronavius-HKU2, 6–8 Maus-Hepatitis-Virus (MHV), Serotypen 1–3 Coronavirus des Rindes (BHV) SARS-Coronavirus der Schleichkatze SARS-Coronavirus der Fledermaus Virus der infektiösen Bronchitis des Huhns (IBV) equines Torovirus (Bernevirus) bovines Torovirus (Bredavirus) porcines Torovirus
14
14
248
14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
HE-Protein (nur bei Virustypen der Gruppe 2)
14.22 Aufbau eines Coronaviruspartikels. Im Innern des Partikels liegt das mit N-Proteinen komplexierte RNAGenom als helikales Nucleocapsid vor. Es ist von einer Membranhülle umgeben, in welche die Glycoproteine S und HE sowie das nichtglycosylierte M-Protein eingelagert sind.
Genom und Genomaufbau Coronaviren besitzen das größte Genom aller bekannten RNA-haltigen Viren: Es hat eine Länge von 27 000 bis 32 000 Basen (humanes Coronavirus 229E: 27 317; Virus der infektiösen Bronchitis des Huhns: 27 608; Virus der transmissiblen Gastroenteritis der Schweine: 28 580 Basen; SARS-Coronavirus: 29 727 Basen; MausHepatitis-Virus: 31 357 Basen), ist einzelsträngig, liegt in Plusstrangorientierung vor, ist am 5’-Ende mit einer Cap-Gruppe modifiziert und am 3’-Ende polyadenyliert (䉴 Abbildung 14.23). Die RNA ist infektiös. Das Genom enthält mehrere codierende Regionen: Zwei relativ große, an den Enden um 40 bis 60 Nucleotide miteinander überlappende Leserahmen 1a und 1b, von denen der Rahmen 1a kurz nach dem 5’-Ende beginnt, umspannen etwa 20 000 Basen und codieren gemeinsam für ein Polyprotein 1ab (pp1ab) von theoretisch 700 bis 800 kD. Die Verschiebung des ribosomalen Leserasters (frame shift) während der Translation führt zum Überlesen eines Stoppcodons am Ende des Leserahmens 1a und ermöglicht die Proteinsynthese bis zum Ende des zweiten Leserahmens. Dieser Vorgang erfolgt in 20 bis 30 Prozent der Translationsereignisse und ermöglicht die Synthese des pp1ab, dem Vorläufer für die Nichtstrukturproteine. Erfolgt diese ribosomale Leserasterverschiebung nicht, dann endet die Translation am Ende des Leserahmens 1a und es entsteht das Polyprotein 1a (pp1a, 450 bis 500 kD). Die Produkte enthalten Sequenzabschnitte für zwei (beim SARS-Coronavirus und bei den aviären Viren der infektiösen Bronchitis) beziehungsweise drei Proteasen (bei den anderen Coronaviren), welche die Vorläuferproteine pp1a und pp1ab autokatalytisch spalten, sowie eine funktionell aktive RNA-abhängige RNA-Polymerase und eine RNA-Helicase. Die Leserahmen für die Synthese der Strukturproteine befinden sich im zum 3’-Ende orientierten Drittel
des Genoms. In der Reihenfolge vom 5’- zum 3’-Ende codieren sie für die Membranproteine S, HE (nur bei den meisten Viren der Gruppe 2, nicht beim SARSCoV), E, M und direkt vor dem 3’-Ende für das N-Protein. Zusätzlich findet man im Bereich der für die Strukturproteine codierenden Genomhälften unterschiedlich viele kleine Leserahmen (ORF 2a, 3a, 3b, 6, 7a, 7b, 8a, 8b, 9b). Die Coronaviren der unterschiedlichen Gruppen unterscheiden sich in der Existenz dieser kleinen ORFs deutlich, sie codieren überwiegend für meist sehr kleine akzessorische Proteine, davon sind die meisten für die Virusreplikation nicht essenziell.
14.8.3 Virusproteine Nichtstrukturproteine Für die Synthese der Vorläuferpolyproteine pp1a und pp1ab (486 kD und 790 kD beim SARS-Coronavirus) dient das Virusgenom als mRNA. Damit das Protein 1ab gebildet werden kann, muss eine Verschiebung des ribosomalen Leserasters induziert werden, die es ermöglicht, das Stoppcodon am Ende des ORF1a zu überlesen. Das geschieht aufgrund einer definierten Sekundärstruktur der RNA, die am Ende des ersten Leserahmens eine Haarnadelschleife bildet. Das große, experimentell nicht fassbare Vorläuferpolyprotein 1ab wird bei den verschiedenen Virustypen durch die Aktivität der Proteasen autokatalytisch in 13 bis 16 Spaltprodukte geteilt; die Funktion der entstehenden Nichtstrukturproteine (NSP) ist nicht in allen Fällen bekannt. Mit am besten untersucht sind die Aktivitäten der Nichtstrukturproteine NSP1 bis NSP16 beim SARS-Coronavirus; hier findet sich eine RNA-abhängige RNA-Polymerase (NSP12), die das Virus für die Replikation des RNA-Genoms und die
20000
10000
27200
Haarnadelschleife
AAA 3´
5´-Cap
1a Leader-RNA (60–70 Basen) nichtcodierend
14
249
14.8 Coronaviren
1b S Translation + 20-30% Leserastersprung
70-80% Translation
3b
E
Proteolyse
pp1a
M
6
7a
7b
8b
9b
8a
3a
N
NSP1 - NSP11
Transkription
Proteolyse
pp1ab
NSP1 - NSP16
5´ Genom (Negativstrang) Transkription
3´
AAA 3´
5´-Cap 5´-Cap
AAA 3´ 5´-Cap 5´-Cap
mRNA
5´-Cap 5´-Cap
Genom (Plusstrang)
Translation
S-Protein
AAA 3´
NSP3a, 3b
AAA 3´
E-Protein
AAA 3´
M-Protein
AAA 3´
NSP6
5´-Cap
AAA 3´
NSP7a, 7b
5´-Cap
AAA 3´
NSP8a, 8b
5´-Cap
AAA 3´
NSP9b
AAA 3´
N-Protein
5´-Cap
14.23 Genomorganisation und Replikationsverlauf bei Coronaviren (hier: SARS-CoV). Das RNA-Genom des Virus wirkt als mRNA und wird im Cytoplasma der Zelle translatiert. Die beiden miteinander überlappenden Leserahmen codieren für die Nichtstrukturpolyproteine 1a und 1ab. Eine Haarnadelschleife induziert bei der Translation einen Leserastersprung und ermöglicht dadurch bei etwa 20–30 Prozent der Translationsvorgänge die Synthese des Nichtstrukturpolyproteins 1ab, das in seinem carboxyterminalen Bereich den Anteil der RNA-abhängigen RNA-Polymerase enthält. Dieser wird durch die autokatalytische Aktivität einer Cysteinprotease im Zentrum des Vorläuferproteins abgespalten. Papainproteaseähnliche Sequenzanteile befinden sich in den aminoterminalen Domänen der Proteine 1a und 1ab; sie sind autokatalytisch aktiv und bewirken ihre Abspaltung von den Vorläuferpolyproteinen. Die RNAabhängige RNA-Polymerase schreibt das Plusstrang-RNA-Genom in einen Negativstrang um. Dieser dient als Matrize für die Synthese von neuen Plusstrang-RNA-Genomen sowie für die Transkription einer Reihe von subgenomischen mRNA-Spezies, die am 5’-Ende mit einer Cap-Gruppe modifiziert sind und bei allen mRNA-Molekülen die identischen Sequenzen der Leader-Region enthalten. Von den subgenomischen mRNAs werden die verschiedenen viralen Strukturproteine translatiert, deren Leserahmen sich im 3’orientierten Drittel des Plusstrang-RNA-Genoms befinden. Diese überlappen zum Teil miteinander. Neben den hier aufgeführten existieren in diesem Genombereich bei den unterschiedlichen Coronavirustypen noch einige weitere kleine Leserahmen, die meist für Nichtstrukturproteine noch unbekannter Funktion codieren und in dieser Abbildung nicht angegeben sind.
Synthese der subgenomischen mRNAs benötigt. Diese ist zusammen mit einer vermutlich Zn2+-Ionen bindenden RNA-Helicase (NSP13), einer Exoribonuclease (NSP14), einer Endoribonuclease (NSP15) und einer 2’O-Ribose-Methytransferase (NSP16) Teil des großen Vorläuferpolyproteins pp1ab. Beim SARS-Coronavirus finden sich im Vorläuferproteins pp1a (486 kD), das bei
diesem Virus in insgesamt elf Abschnitte (NSP1 bis NSP11) gespalten wird, die Sequenzen einer papainähnlichen Protease PL2pro (NSP3, papain-like protease 2) und eines der 3C-Protease der Picornaviren ähnelnden Enzyms (3CLpro, 3C-like protease, NSP5). Die 3CLpro stellt die hauptsächlich aktive Protease dar und ist für elf der Spaltungen in den Vorläuferpolyproteinen verantwort-
14
250
14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
lich. Diese beiden Proteasen findet man bei allen Coronaviren. Die meisten verfügen im aminoterminalen Bereich der Polyproteine pp1a und pp1ab über eine weitere papainähnliche Cysteinprotease (PL1pro), die autokatalytisch eine aminoterminale Domäne von den Polyproteinen abspaltet. Ihre Funktion ist nicht endgültig geklärt (䉴 Tabelle 14.19). Beim SARS-CoV findet sich statt dieser proteolytischen Aktivität im Nichtstrukturprotein nsp1 eine Funktion, die in den Stoffwechsel der Zellen eingreift und den Abbau der zellulären mRNAs bewirkt, unter anderen auch derjenigen Transkripte, die für die Synthese der Klasse-I-Interferone notwendig sind. Zusätzlich codieren die verschiedenen Coronaviren einige weitere Nichtstrukturproteine, die im Infektionsverlauf produziert werden. Die genetische Information befindet sich im Bereich der Strukturproteingene, jedoch nicht regelmäßig bei allen Virustypen. Die Funktion dieser kleinen akzessorisch wirkenden Proteine ist weitgehend ungeklärt.
Strukturproteine Drei Typen von Membranproteinen findet man bei allen Coronaviren: das M- (in älterer Nomenklatur auch E1Protein), das S-Protein (auch E2-Protein genannt) und das E-Protein (auch sM-Protein). Ein weiteres Glycoprotein HE ist nur in den meisten Viren der Gruppe 2 vorhanden (䉴 Tabelle 14.19). Das S-Protein (S steht für surface oder spike) hat ein Molekulargewicht von 180 bis 200 kD. Es ist glycosyliert und über eine Transmembranregion in der Nähe des fettsäuremodifizierten Carboxylendes in der Membran der Viruspartikel, aber auch in der Cytoplasmamembran verankert. Das S-Protein liegt als Di- oder Trimer vor und bildet in dieser Form keulenähnliche Proteinvorsprünge auf der Virusoberfläche. Im Verlauf einer Infektion werden neutralisierende Antikörper gegen das S-Protein gebildet. Drei wichtige Epitope konnte man in der Aminosäuresequenz lokalisieren. Über Domänen des S-Proteins adsorbiert das Virus an die Oberflächenmoleküle auf der Zelle. Die Tatsache, dass das Protein in der Membran der infizierten Zellen vorhanden ist, macht diese zu Zielen für die antikörpervermittelte cytotoxische Zelllyse durch Killerzellen. Im S-Protein ist zudem die Fusionsaktivität des Virus lokalisiert. Darunter versteht man die Fähigkeit der viralen Hüllmembran, mit der Cytoplasmamembran zu verschmelzen und die Fusion der Membranen infizierter Zellen mit der von nichtinfizierten und die damit verbundene Polykaryocytenbildung zu bewirken. Um die Fusionspotenz zu aktivieren, muss bei einigen Coronavirustypen (MausHepatitis-Virus, Virus der infektiösen Bronchitis der Vögel und ähnliche) eine zelluläre, trypsinähnliche Pro-
tease das S-Protein an einer stark basischen Aminosäurenfolge in der Mitte der Sequenz spalten. Dieser Vorgang erfolgt wahrscheinlich während der späten Schritte der Virusreifung im Golgi-Apparat. Er ergibt einen aminoterminalen Anteil S1, der nichtkovalent mit der carboxyterminalen Hälfte S2 verbunden ist und von der Virusoberfläche abgelöst werden kann. Die Fusionswirkung wird jedoch nicht wie bei den Paramyxoviren vermittelt, bei denen durch die Spaltung ein neues, hydrophobes aminoterminales Ende am S2-Teil gebildet wird (䉴 Abschnitt 15.3). Der molekulare Mechanismus der Membranfusion ist bei den Coronaviren noch nicht endgültig geklärt. Auch Virustypen, deren S-Protein nicht proteolytisch gespalten wird, können Zellverschmelzungen induzieren. An dem Vorgang scheinen, wie man beim Maus-Hepatitis-Virus zeigen konnte, zwei in der Aminosäuresequenz des S2-Proteins gelegene hydrophobe Abschnitte beteiligt zu sein. Werden sie durch Mutation verändert, geht die Fusionsaktivität verloren. Das HE-Protein (Hämagglutinin-Esterase) wird nur bei einigen Coronaviren der Gruppe 2 gefunden; die SARS-CoV besitzen kein entsprechendes Gen. Das HEProtein ist glycosyliert, hat ein Molekulargewicht von etwa 65 kD und ist über Disulfidbrücken zu einem Dimer verbunden. Die Viren, die für das HE-Protein codieren und es exprimieren, haben die Fähigkeit der Hämagglutination und Bindung an Erythrocyten. Hierbei interagiert das HE-Protein mit 9-O-acetylierten Neuraminsäuren (Sialylsäuren), die sich als Modifikation an Lipid- und Proteinkomponenten auf Zelloberflächen befinden. Mit dem HE-Protein assoziiert ist eine Esterase, über die das Virus die Acetylgruppen von der Neuraminsäure entfernen kann. Das HE-Protein der Coronaviren hat eine ausgeprägte Sequenzhomologie zum HEF-Protein der Influenza-C-Viren (䉴 Abschnitt 16.3). Das E-Protein (9–12 kD) findet sich in den infektiösen Viruspartikeln in unterschiedlicher Konzentration wieder, es ist für die Partikelbildung und die Morphogenese notwendig. Bei einigen Coronaviren (MausHepatitis- und SARS-Coronavirus) hat das E-Protein proapoptotische Funktion. Des Weiteren scheint das EProtein zur Gruppe der Viroporine zu zählen; es bildet Ionenkanäle und verändert die Membranpermeabilität. Das M-Protein (M steht für Matrix) ist ein an der aminoterminalen Domäne glycosyliertes Oberflächenprotein mit einem Molekulargewicht von 20 bis 30 kD. Die Zuckergruppen sind überwiegend mit Serin- oder Threoninresten verknüpft. Es liegt also im Gegensatz zu der meist üblichen N-Glycosylierung an Asparaginresten hier eine O-Glycosylierung vor. Nur wenige aminoterminale Bereiche dieses Proteins sind an der Oberfläche exponiert und es besitzt drei Transmem-
14.8 Coronaviren
251
Tabelle 14.19 Bekannte Funktionen und Eigenschaften der Coronavirusproteine codierender Leserahmen
Protein
Größe (Aminosäuren*)
ORF1a
NSP1
180 AS
NSP2
638 AS
PL1pro
?
NSP3 / PL2pro
1922 AS
Zn-Finger-Motiv; 180–200 kD
papainähnliche Cysteinprotease; spaltet pp1a und pp1ab zwischen NSP2 und NSP3; bewirkt Deubiquitinylierung von Proteinen; ADPPhopsphatase
NSP4
500 AS
membranassoziiert
beeinflusst Bildung intrazellulärer Membranvesikel; aktiv bei Virusmorphogenese?
NSP5 / 3CLpro
306 AS
30 kD; Dimer
Serinpotease mit Homologie zur 3C-Protease der Picornaviren; Hauptprotease
NSP6
290 AS
hydrophob; Transmembrandomäne
?
NSP7
83 AS
bildet zusammen mit NSP7 Superkomplexe
?
NSP8
198 AS
bildet zusammen mit NSP7 Superkomplexe; nucleinsäurebindende Eigenschaften
alternative RNA-abhängige RNA-Polymerase zu NSP12; Primase zur Synthese der RNA-Primer bei Genomreplikation und Transkription?
NSP9
113 AS
bildet Homodimere; Interaktion mit NSP8
?
NSP10
139 AS
Zn-Finger-Motiv; nuclein- ? säurebindende Eigenschaften
ORF1b
Eigenschaften
Funktion
Virulenzfaktor; Aktivität nur bei SARS-CoV beschrieben; bewirkt Abbau der zellulären RNA und ermöglicht dem Virus, sich ungestört zu replizieren; blockiert Synthese von IFN-α und IFN-β ?
unklar; Wechselwirkung mit zellulären Proteinen Prohibitin 1 und 2; Deletion hat keine Auswirkung auf Replikation papainähnliche Cysteinprotease; autokatalytische Abspaltung der aminoterminalen Domäne vom pp1a und pp1ab (nicht beim SARS-CoV)
NSP11
13 AS
?
?
NSP12/RNAabhängige RNA-Polymerase
932 AS
106 kD
Synthese der genomischen und subgenomischen RNA-Spezies
NSP13/RNAHelicase
601 AS
Zn2+-Ionen bindend, 67 kD
ss/dsRNA-Helicase; NTPase; dNTPase; notwendig für die Genomreplikation (RNA 5’-Triphosphatase; aktiv bei 5’-Capping der mRNAs)
NSP14/3’-5’527 AS Exoribonuclease (ExoN)
Exoribonuclease; aktiv bei RNA-Synthese; möglicherweise an Rekombinations- und Reparaturvorgängen beteiligt
14
14
252
14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
Tabelle 14.19 (Fortsetzung) codierender Leserahmen
Protein
Größe (Aminosäuren*)
Eigenschaften
Funktion
NSP15/Endoribonuclease (NendoU)
346 AS
uridylspezifische Endoribonuclease; aktiv bei RNA-Synthese
NSP16/2’-O298 AS Ribose-Methyltransferase
aktiv beim 5’-Capping der mRNAs und Virusgenome
ORF2a
2a-Protein 30 kD (Maus-HepatitisVirus)
Nichtstrukturprotein
cyclische Phosphodiesterase; RNA-Prozessierung
ORF2
S-Protein
180–200 kD
glycosyliertes Membran- Adsorption/Rezeptorbindung; induziert protein; Trimer; lokalisiert Membranfusion; induziert Bildung neutraliin Virus- und Cytoplasma- sierender Antikörper; ADCC-Antwort membran infizierter Zellen
ORF2,1
HE-Protein
65–70 kD
glycosyliertes Membranprotein; bei den meisten Coronaviren der Gruppe 2 vorhanden (nicht beim SARS-CoV)
ORF3
3a-Protein
274 AS
Membranprotein, Ionenkanalprotein; induziert beim SARS-CoV die O-glycosyliert; Tetramer; Produktion proinflammatorischer Cytokine Bestandteil der Viruspartikel
3b-Protein
154 AS
Transport in Zellkern
Funktion unklar; Hemmung der Produktion von IFN-α/IFN-β?
ORF4
E-Protein
9–12 kD
Membranprotein
notwendig für Partikelbildung; Ionenkanalprotein (Viroporin); bei einigen Coronaviren proapoptotisch
ORF5
M-Protein
20–30 kD
Glycosyliertes Membran- Interaktion mit N-Protein; initiiert die virale protein; lokalisiert in Morphogenese durch Budding in das ER-Lumen viraler und ER-Membran infizierter Zellen
ORF6
ORF6-Protein
63 AS
Coronoaviren, Gruppe 2 Funktion unklar; Wechselwirkung mit (SARS-CoV): mit MemKaryopherin-α2, dadurch Hemmung des branen des ER und der Kerntransports von Stat1? Golgi-Vesikel assoziiert; Teil der Viruspartikel. Coronaviren, Gruppen 1 und 3: Nichtstrukturprotein unklarer Funktion
ORF7
7a-Protein
122 AS
ER/ERGIC/Golgi, auch Induktion von Apoptose; Aktivierung zellulären Teil der Viruspartikel; Kinasen; Interaktion mit BiP und Proteasom Interaktion mit M-/E-Proteinen, anderen akzessorischen Proteinen und zellulären Proteinen
7b-Protein
44 AS
Membranprotein Funktion unklar (SARS-CoV); in Viruspartikeln nachweisbar; in infizierten Zellen in GolgiVesikeln
Hämagglutinin-Esterase; Hämagglutinin und Esterase verantwortlich für sekundäre Adsorption (Hämadsorption) an acetylierte Neuraminsäurereste
14.8 Coronaviren
253
Tabelle 14.19 (Fortsetzung) codierender Leserahmen
Protein
Größe (Aminosäuren*)
Eigenschaften
Funktion
ORF8a
8ab-Protein, 8a-Protein, 8b-Protein
ORF9
N-Protein
50—60 kD
phosphoryliert; stark basisch; Dimere; Lokalisation zelltypspezifisch auch im Kern
Bindung an RNA-Genom unter Bildung des helikalen Nucleocapsids; Interaktion mit cytoplasmatischer Domäne des M-Proteins; Induktion von Apoptose; Aktivierung von Caspasen und Prozessierung durch Caspasen smad3, damit Eingriff in zelluläre Transkription und Zellzyklusregulation
9b-Protein
?
assoziiert mit intrazellulären Membranvesikeln (SARS-CoV)
Funktion unklar, Morphogenese?
SARS-CoV Isolate aus Funktion unklar Tieren (Schleichkatzen, Fledermäuse) enthalten einen durchgehenden ORF8 und produzieren ein 8ab-Protein; in aus Menschen isolierten SARSCoV ist der ORF8 durch eine Deletion von 29 Basen in ORFa und ORFb getrennt
*Angaben beziehen sich, falls nicht anders angegeben, auf das SARS-CoV. Die Auflistung der Proteine entspricht der Anordnung der sie codierenden Leserahmen im Virusgenom. ER: endoplasmatisches Reticulum; ADCC: antikörpervermittelte cytotoxische Zellreaktion.
branregionen. Das carboxyterminale Ende befindet sich im Inneren des Viruspartikels und interagiert mit dem N-Protein des Nucleocapsids. Das M-Protein wird nicht über den Golgi-Apparat zur Cytoplasmamembran transportiert, sondern bleibt während des gesamten Infektionszyklus in der Membran des endoplasmatischen Reticulums. An diesen Stellen erfolgen durch die Wechselwirkung des M-Proteins mit dem Nucleocapsid die ersten Schritte des Virus-Assembly, die das Budding in das Lumen des endoplasmatischen Reticulums einleiten. Ebenfalls an der Virusmorphogenese beteiligt ist das E-Protein. Werden die M- und E-Proteine über gentechnologische Methoden isoliert in eukaryotischen Zellen produziert, dann lagern sie sich zu virusähnlichen Partikeln zusammen. Das N-Protein (N steht für nucleinsäurebindend), das in Wechselwirkung mit dem viralen Genom vorliegt, ist reich an basischen Aminosäuren und phosphoryliert. Außerdem kann es spezifisch mit den carboxyterminalen Regionen des M-Proteins interagieren. Phylogenetische Stammbäume, die auf der Nucleinsäuresequenz des N-Gens beruhen, korrelieren gut mit der Einteilung der
Coronaviren in verschiedenen Gruppen. N-Proteine sind sowohl im Cytoplasma als auch im Nucleolus der infizierten Zellen nachweisbar. Aufgrund der zelltypspezifischen Lokalisation im Nucleus/Nucleolus vermutet man, dass die N-Proteine in verschiedene zelluläre Prozesse eingreifen.
Akzessorische Proteine Außer den klassischen Strukturproteinen sind etliche Produkte, die in den kleinen Leserahmen in der 3’-orientierten Hälfte des Genoms im Bereich der Strukturgene codieren, ebenfalls in den Viruspartikeln nachweisbar. Hierzu zählen die Proteine 3a, 7a, 7b und das ORF6Protein. Überwiegend handelt es sich dabei um Genprodukte mit akzessorischen Funktionen: Man kann die entsprechenden Gene deletieren, ohne dass die Infektiosität oder die Replikationsfähigkeit in vitro grundlegend eingeschränkt ist. Vermutlich haben diese Proteine aber wichtige Aufgaben als Virulenzfaktoren, wenn Menschen oder Tiere infiziert werden. Über die Funktion dieser Proteine ist nur wenig bekannt (䉴 Tabelle 14.19).
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14.8.4 Replikation Humane Coronaviren 229E adsorbieren durch Wechselwirkung nicht näher charakterisierter Domänen des SProteins mit der Zink-Metalloprotease CD13 (Aminopeptidase N) auf der Zelloberfläche. Es gibt keinen Hinweis, dass die CD13-Protease bei der Bindung das S-Protein spaltet. Auch das feline Coronavirus verwendet eine Aminopeptidase als Rezeptor. Das SARS-Coronavirus und auch das humane Coronavirus NL63 binden sich hingegen über eine Domäne der S1-Proteine an eine andere Metalloprotease, nämlich an das Protein ACE-2 (angiotensin-converting enzyme 2). Dieses findet man auf der Oberfläche von Pneumocyten, aber auch auf Enterocyten und Zellen anderer Gewebe und Organe (Herz, Niere, Endothel). Zusätzlich verstärkt die Bindung an einige Lektine wie DC-SIGN, L-SIGN oder LSECtin den Zelleintritt des SARS-CoV. Dem MausHepatitis-Virus dienen verschiedene Isoformen des CEA-Antigens (carcinogenic embryonic antigen), die zur Gruppe der Immunglobulinsuperfamilie gerechnet werden, als zelluläre Rezeptoren. Coronaviren, die zusätzlich zum S-Protein das HE-Protein in der Membran enthalten, können außerdem mit 9-O-acetylierten Neuraminsäureresten auf der Zelle interagieren. Diese erste Wechselwirkung des HE-Proteins mit den Zuckergruppen reicht jedoch für die Infektion der Zelle nicht aus. Sie muss durch spezifische Bindung des S-Proteins mit noch nicht identifizierten Zellproteinen verstärkt werden. Die Aufnahme der Partikels scheint durch eine rezeptorvermittelte Endocytose und nachfolgende Fusion der Endosomen- mit der Virusmembran (wie bei den Flaviund Togaviren; 䉴 Abschnitte 14.5 und 14.6) zu erfolgen. Beim SARS-CoV ist beschrieben, dass die Bindung zwischen dem S1-Protein und dem ACE-2 konformationelle Veränderungen der S-Proteine bewirkt, wodurch eine fusogene Region im S2-Anteil bei niedrigem pH-Wert ihre Aktivität entfaltet und die Verschmelzung von Virus- und Zellmembran einleitet. Eine mit den Endosomenmembranen assoziierte Protease, L-Cathepsin, welche noch ungespaltene S-Proteine in die Anteile S1 und S2 prozessiert, fördert die Infektiosität der Viren. Alle Replikationsschritte laufen im Cytoplasma der Zelle ab. Das RNA-Genom der Coronaviren ist am 5’-Ende mit einer Cap-Struktur versehen, welche die Bindung der Ribosomen vermittelt. Von der genomischen RNA werden zuerst – wie bereits erwähnt – die Polyproteine der Nichtstrukturproteine pp1a und unter Induktion eines ribosomalen Leserastersprunges das Vorläuferprotein pp1ab translatiert, das die RNA-abhängige RNA-Polymerase enthält (䉴 Abbildung 14.23).
Das Vorläuferprotein pp1ab, das hierbei gebildet wird, hat ein Molekulargewicht von 700 bis 800 kD. Bisher konnte man es im Verlauf der Virusinfektion in der Zelle nicht direkt nachweisen. In vitro-Translationsexperimente, bei denen man die genomische RNA als Matrize einsetzte, ergaben jedoch, dass dieses Translationsprodukt tatsächlich entsteht. Die in seiner Sequenz enthaltenen Proteasen (PL1pro, PL2pro und 3CLpro) spalten das pp1ab in 16 Nichtstrukturproteine, von denen eines die RNA-abhängige RNA-Polymerase (NSP12) ist. Im folgenden Schritt wird durch die Aktivität der gebildeten RNA-abhängigen RNA-Polymerase sowie der RNA-Helicase (NSP13), Exoribonuclease (NSP14), und Endoribonuclease (NSP15) unter Verwendung der genomischen RNA als Matrize der Gegenstrang synthetisiert. Dieser umfasst das gesamte Genom und hat eine negative Orientierung. Im weiteren Verlauf des Replikationszyklus hat er zwei Funktionen: Er dient als Matrize für die Synthese neuer Virusgenome und für die Bildung von subgenomischen mRNA-Spezies. Beim SARS-CoV findet man insgesamt acht dieser subgenomischen mRNAs, von denen die verschiedenen akzessorischen und Strukturproteine translatiert werden. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie diskontinuierlich synthetisiert werden: Alle haben das gleiche 3’-Ende, ihre Startpunkte sind jedoch unterschiedlich und befinden sich in der Genomregion zwischen dem Ende des Leserahmens für das Polyprotein 1ab und dem 3’-Ende des Genoms. Trotz ihrer unterschiedlichen Startpunkte haben alle subgenomischen mRNA-Moleküle am 5’-Ende eine einheitliche, etwa 60 bis 90 Nucleotide lange Sequenz: die Leader-RNA. Sie ist am 5’-Ende gecappt und komplementär zum 3’-Ende des Negativstranges. Man vermutet, dass diese Leader-RNA als Primer für die subgenomischen mRNA-Spezies dient; ob für die Synthese dieser kurzen RNA-Abschnitte die Aktivität des nsp8 benötigt wird, ist unklar. Nahe ihrem 3’-Ende weisen die LeaderRNAs eine konservierte Basenfolge (UCUAAAC) auf. Komplementäre Sequenzen hierzu sind in der Negativstrang-RNA an unterschiedlichen Stellen zu finden. Sie sind den verschiedenen Initiationsstellen für die Synthese der subgenomischen mRNA-Spezies vorgelagert: Mit ihnen kann die Leader-RNA hybridisieren und so einen kurzen doppelsträngigen Bereich mit dem 3’-OHEnde für die Fortsetzung der Polymerisation liefern. Die RNA-Polymerase kann die Synthese der subgenomischen mRNA-Spezies an den verschiedenen Startregionen vermutlich nicht selbst initiieren. Daher musste das Virus wohl diesen Mechanismus des Transfers einer Leader-RNA entwickeln. Der Befund, dass die konservierte Heptamersequenz vor einigen Transkriptionsstartpunkten mehrfach wiederholt vorliegt – beispielsweise vor dem Beginn der für das N-Protein codie-
14.8 Coronaviren
renden Sequenzfolgen – weist darauf hin, dass an diesen Stellen die RNA-Synthese bevorzugt initiiert wird und so auch die Menge der verschiedenen Proteine kontrolliert werden kann. Diese nested-Transkripte werden durch die 2’ORibose-Methyltransferase (NSP16) am 5’-Ende mit einer Cap-Gruppe versehen; diese vermittelt die Bindung der Ribosomenuntereinheiten und die Translation des jeweiligen, am 5’-Ende gelegenen Leserahmens in ein Protein. Bei den verschiedenen Coronavirustypen sind unterschiedlich viele der subgenomischen RNAs jedoch bi- oder auch tricistronisch, von ihnen werden also zwei oder drei Proteine translatiert. Beim SARSCoV sind insgesamt fünf der subgenomischen RNA bicistronisch, beim Virus der infektiösen Bronchitis des Huhns fand man eine tricistronische mRNA. Die Translation der Leserahmen, die nicht benachbart zum 5’gecappten Ende der subgenomischen mRNAs vorliegen, erfolgt dann in einem alternativen Mechanismus, häufig durch eine Verschiebung des ribosomalen Leserasters. Im Fall der subgenomischen RNAs 3 und 5 des Virus der infektiösen Bronchitis des Huhns beziehungsweise des Maus-Hepatitis-Virus dient hingegen eine IRES-ähnliche Sekundärstruktur der RNA zur Anlagerung der Ribosomen vor dem Start der stromabwärts gelegenen Leserahmen. Es scheinen jedoch neben diesen noch andere Wege zu existieren, welche eine Translationsinitiation alternativ genutzter Leserahmen ermöglichen. Diese sind jedoch meist nicht sehr effektiv und bewirken, dass die entsprechenden Proteine in nur geringen Mengen gebildet werden. Welche Mechanismen bei der Regulation der Proteinsynthese außerdem eine Rolle spielen, ist nicht geklärt. Mengenmäßig wird in der infizierten Zelle am meisten das N-Protein gebildet, das von der kürzesten mRNA translatiert wird. Bei der Virusmorphogenese komplexieren die NProteine mit den genomischen RNA-Strängen zu den helikalen Nucleocapsiden und binden sich an die carboxyterminalen Domänen der in die Membran des endoplasmatischen Reticulums eingelagerten M- und E-Proteine. Dieser Vorgang löst den Budding-Prozess aus, in dessen Verlauf das Nucleocapsid mit der M-, S-, und – soweit vorhanden – HE-Proteine enthaltenden Membran umgeben wird. Die entstehenden Partikel werden in das Lumen des endoplasmatischen Reticulums abgegeben und im weiteren Verlauf über die Golgi-Vesikel zur Zelloberfläche transportiert, wo sie in die Umgebung entlassen werden.
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14.8.5 Humanpathogene Coronaviren Die humanen Coronaviren HCoV-229E und HCoVOC43 Epidemiologie und Übertragung Die humanen Coronaviren der Subtypen HCoV-229E und HCoV-OC43 sind bereits seit 1966 und 1967 bekannt; die Subtypen HCoV-NL63 und –HKU1 wurden erst vor einigen Jahren identifiziert, als man als Folge der SARS-Epidemie verstärkt nach humanen Coronaviren suchte. Alle diese Coronavirustypen kommen weltweit vor: Bereits 75 beziehungsweise 65 Prozent der Kinder im Alter von dreieinhalb Jahren und bis zu 90 Prozent der Erwachsenen haben Antikörper gegen die Viren – ein Hinweis auf ihre weite Verbreitung. Man schätzt, dass weltweit zehn Prozent aller Infektionen der oberen und unteren Atemwege durch sie verursacht werden. Coronaviren werden von infizierten Personen durch Tröpfcheninfektion übertragen. Wie bei anderen Tröpfcheninfektionen kann eine Übertragung bei ungenügender Hygiene auch über Schmierinfektionen erfolgen. Die Infektionen treten gehäuft während des Winterhalbjahres auf. Reinfektionen – auch mit dem gleichen Virusstamm – sind häufig, verlaufen aber meist symptomlos.
Klinik Coronaviren verursachen Erkältungserkrankungen der oberen und seltener der unteren Atemwege. Die Infektionen verlaufen häufig inapparent oder haben überwiegend harmlose Auswirkungen. Die Inkubationszeit beträgt zwei bis fünf Tage, die Erkrankungsdauer mit Schnupfen, Husten, Hals- und Kopfschmerzen in Verbindung mit leichtem Fieber etwa eine Woche. Bei Säuglingen und Kleinkindern kann die Infektion einen deutlich schwereren Verlauf nehmen und mit Croupähnlichen Symptomen verbunden sein. Hier kann es zu asthmatischen Anfällen und in Einzelfällen auch zu Bronchitis und Lungenentzündung kommen. Bei vorbestehenden respiratorischen Grundkrankheiten wie Asthma und chronischer Bronchitis können diese sowohl bei Kindern als auch Erwachsenen verstärkt werden. Humane Coronaviren werden auch mit Erkrankungen des gastrointestinalen Systems in Verbindung gebracht. Dies gilt besonders für immunologisch geschwächte Personen, zum Beispiel AIDS-Patienten, bei denen auch länger andauernde Durchfallerkrankungen beobachtet wurden.
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Pathogenese
Therapie und Prophylaxe
Die humanen Coronaviren vermehren sich in den Flimmerepithelzellen des Respirationstraktes, die entsprechende Rezeptormoleküle ACE-2 oder CD13 aufweisen. Elektronenmikroskopische Untersuchungen weisen darauf hin, dass sie sich auch im Darmepithel vermehren. Die Infektion beschränkt sich in aller Regel auf die Epithelzellen dieser Organe. Fälle, in denen das Virus während der Erkrankung Makrophagen und Lymphocyten infiziert, sich in diesen vermehrt, über die Blutbahn verbreitet wird und in der Folge Leber-, Endothel-, Glia- und Nierenepithelzellen befällt, sind nur von tierischen Coronaviren und dem SARS-CoV bekannt. Inwieweit das HE-Protein bei der Infektion dieser Zelltypen und der Pathogenese der Erkrankung eine Rolle spielt, ist nicht bekannt. Mutationen im S-Protein verändern den Tropismus, das heißt die Spezifität für verschiedene Zelltypen, und die Virulenz. Neben virusspezifischen scheinen auch genetische Merkmale des Menschen für die Etablierung der Coronavirusinfektion wichtig zu sein: So ist die Empfänglichkeit für HCoV-229E-Infektionen offenbar durch einen Faktor bedingt, der auf dem Chromosom 15 codiert wird.
Da eine Coronavirusinfektion weitgehend harmlos verläuft, hat man bisher nicht versucht, einen Impfstoff zu entwickeln. Eine antivirale Therapie gibt es nicht.
Immunreaktion und Diagnose Im Verlauf einer Coronavirusinfektion werden IgM-, IgG- und IgA-Antikörper gebildet. Immunglobuline gegen das S-Protein sind neutralisierend. Im Nasensekret sezernierte IgA-Antikörper und Interferone scheinen für den Schutz vor einer Infektion wichtig zu sein. Über die Bedeutung der zellulären Immunantwort im Verlauf der Infektion beim Menschen ist kaum etwas bekannt. Vom Maus-Hepatitis-Virus weiß man, dass cytotoxische T-Zellen an der Eliminierung des Virus aus dem Organismus beteiligt sind. Coronaviren lassen sich bedingt in Kultur züchten. HCV-227E kann man in Organkulturen der embryonalen Trachea, menschlichen Rhabdomyosarcomzellen oder der Linie MA-177, einer diploiden Darmepithelzelllinie, vermehren. Die Anzucht von HCoV-OC43 ist deutlich schwieriger. Die Diagnose einer Coronavirusinfektion erfolgt meist retrospektiv durch Nachweis von virusspezifischen IgM- und IgG-Antikörpern im ELISA-Test. Alternativ hierzu kann man heute aus geeigneten klinischen Materialien die viralen Nucleinsäuren mit der Polymerasekettenreaktion amplifizieren und nachweisen.
Das Virus des schweren akuten respiratorischen Syndroms (SARS-Virus) Epidemiologie und Übertragung Die ersten Infektionen mit dem SARS-Coronavirus traten im November 2002 in Foshan und Heyuan in der Provinz Guangdong in China auf. Die Mehrzahl der Patienten hatte direkte oder indirekte Kontakte zu Märkten, auf denen mit lebenden Tieren gehandelt wurde. Bis Januar 2003 hatten sich die Infektionen durch Übertragungen von Mensch zu Mensch bis nach Guangzhou, die Hauptstadt der Provinz Guangdang ausgebreitet; es erkrankten nun überwiegend Personen, die im Gesundheitsdienst tätig waren. Man sprach von einer „infektiösen, atypischen Lungenentzündung“ und hatte eine Reihe von Infektionserregern, unter anderem auch Chlamydien, als mögliche Auslöser im Verdacht. Als sich die Zahl der Erkrankten auf über 300 erhöht hatte, darunter 100 Krankenpfleger und Ärzte, und fünf davon verstarben, wurde am 11. Februar 2003 die WHO von dieser neuen Infektion informiert. Im März 2003 hielt sich ein infizierter Nephrologe aus der Provinz Guangdong in einem Hotel in Hongkong auf und infizierte dort nachweislich mindestens zehn andere Hotelgäste. Diese wiederum trugen die Infektion in diverse Länder, einschließlich Singapur, Vietnam, Irland, USA und Kanada. In Hongkong und den oben genannten Ländern wurden in einer zweiten Infektionswelle vor allem Ärzte und Krankenschwestern infiziert, welche die Infektion wiederum in den Kliniken und innerhalb ihrer Familien weitergaben und auch in weitere Länder exportierten. Hierdurch gelangte der Erreger über Singapur auch nach Deutschland. Am 10. März 2003 gab man dieser neuen Erkrankung die Bezeichnung severe acute respiratory syndrome (SARS; schweres akutes respiratorisches Syndrom). In den folgenden Monaten bis 5. Juli 2003 trat die SARS-Erkrankung bei weltweit über 8 400 Patienten in 29 Ländern auf, etwa 800 davon verstarben. Infolge der massiven Gegenmaßnahmen durch die WHO gelang es aber, die Infektion relativ schnell einzudämmen. Diese Maßnahmen umfassten Isolierung/ Quarantäne, Einreiseverbote/Reisebeschränkungen, Kontrollen an Flughäfen und sowohl offene als auch aktuelle Informationspolitik. Bereits im März 2003 gelang es
14.8 Coronaviren
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q Carlo Urbani verstarb an SARS Der Arzt Carlo Urbani war einer der ersten, die erkannten, dass es sich bei SARS um eine neue, ungewöhnliche Lungenentzündung handelt, von der eine erhebliche Gefahr für die menschliche Gesundheit ausgehen könnte. Er war einer der Experten der WHO für infektiöse Erkrankungen. Urbani veranlasste zusammen mit der WHO und den Regierungen
Christian Drosten vom Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg und weiteren internationalen Forschergruppen unabhängig voneinander, ein Coronavirus als ursächlich für die Erkrankung zu identifizieren und seine Genomsequenz vollständig zu entschlüsseln. Dies ermöglichte die Entwicklung von spezifischen diagnostischen Testsystemen. Eine Besonderheit war, dass damals alle Informationen sofort zugänglich und beispielsweise über das Internet bekannt gemacht wurden. Da man vermutete, dass dieses neue humane Virus im Rahmen von Zoonosen auf Menschen übertragen worden war, untersuchte man verschiedene Tierspezies, die auf Lebendtiermärkten in Guangdong gehandelt wurden, auf entsprechende Infektionen. In Nasenabstrichen und Kotproben von Schleichkatzen (Paguma larvata) und von Waschbären (Nyctereutes procyonoides) fanden sich Coronaviren, deren Genome fast identisch zum humanen SARS-Coronavirus waren. Auch wiesen Tierhändler gehäuft Antikörper auf, die mit den Proteinen des SARS-Coronavirus reagierten. Es zeigte sich, dass das Virus auch eine Reihe anderer Tiere wie Katzen, Mäuse, Frettchen und Makakken infizieren kann, jedoch waren wildlebende Schleichkatzen und Waschbären nicht infiziert. Dies legte die Vermutung nahe, dass es sich bei diesen Tieren nicht um die natürlichen Wirte handeln konnte. Dies sind vermutlich Fledermäuse der Gattung Rhinolophus spp. (große Hufeisennase). Bei ihnen konnte man die SARS-Viren in großen Konzentrationen nachweisen. Sie scheiden die Erreger über ihre Exkremente aus. Die Fledermäuse haben die Viren unter den Bedingungen der engen Haltung auf den Lebendtiermärkten auf die Schleichkatzen übertragen, von denen aus die Weitergabe auf die Tierhändler, -käufer und -verwerter (Köche, Pelzverarbeiter) erfolgte. Dabei erfolgte durch weitere Mutationen die Anpassung an menschliche Wirte, sodass das Virus von infizierten Patienten an andere Menschen weitergegeben werden konnte. Die Übertragung unter den Menschen erfolgt überwiegend durch Tröpfcheninfektion, wobei man
der von SARS betroffenen Länder, dass bereits im Februar/ März 2003 in Vietnam und Südostasien Maßnahmen ergriffen wurden, die geeignet waren, die Ausbreitung der Infektion einzudämmen und zu verhindern. Leider infizierte er sich dabei selbst mit dem SARS-Virus und verstarb am 29. März 2003.
zunächst davon ausging, dass jeder Infizierte auch innerhalb von zehn Tagen Symptome entwickelt. Es gibt jedoch klare Hinweise, dass das Virus auch über den Stuhl ausgeschieden wird und fäkal-orale Schmierinfektionen zur Verbreitung beitragen können. Mit Ausnahme einiger weniger Infektionen im Januar 2004 in Guangdong, die wiederum mit Tierkontakten verbunden waren, sowie von einigen Fällen, die auf Laborkontakte mit dem SARS-Coronavirus zurückgeführt werden konnten, traten seit dem SARS-Ausbruch im Jahr 2003 keine weiteren SARS-Infektionen und Erkrankungen auf.
Klinik Das Virus wird durch Tröpfchen- oder Schmierinfektion von Mensch zu Mensch übertragen. Die Inkubationszeit beträgt zwei bis maximal zehn Tage, die Erkrankungen beginnen mit grippeähnlichen Symptomen, Lymphknotenschwellung und Fieber. Die Patienten entwickeln einen trockenen Husten verbunden mit Schnupfen, Glieder-, Muskel-, Hals- und Kopfschmerzen. In diesem Stadium ist die Erkrankung klinisch praktisch nicht von einer Influenzavirusinfektion unterscheidbar. Häufig sind mit den gravierenden respiratorischen Symptomen auch Erkrankungen des gastrointestinalen Systems (Durchfall, Übelkeit) sowie Thrombocytopenien verbunden. Etwa eine Woche nach Auftreten der ersten Symptome entwickelt sich bei einem Teil der Patienten eine schwere Lungenentzündung, die häufig mit Lungenfibrose, Herzinfarkt, akutem Nierenversagen und schließlich Multiorganversagen verbunden ist.
Pathogenese Vermutlich vermehrt sich das SARS-Coronavirus initial ähnlich wie die anderen humanen Coronaviren in den Epithelzellen des Respirationstraktes. Die Rezeptorproteine ACE-2, an die sich das Virus durch die S-Proteine
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bindet, findet man auf der Oberfläche von Zellen in vielen Geweben; sie sind ein Bestandteil des Renin-Angiotensin-Systems und regulieren dieses. Durch die Wechselwirkung mit den S-Proteinen wird die Konzentration von ACE-2 auf der Zelloberfläche gesenkt. Dies induziert in den infizierten Patienten möglicherweise eine besondere Empfänglichkeit für Entzündungen und Versagen der Lungenfunktion. Außer an ACE-2 haben die S-Proteine die Fähigkeit, sich an DC-SIGN (dendritic cell-specific ICAM-3-grabbing non integrin) anzulagern. Dies sind Rezeptorproteine, die man auf der Oberfläche von dendritischen Zellen findet. Die Bindung an DCSIGN ermöglicht den Viren allerdings nicht die Aufnahme in diese Zellen, sie werden jedoch zusammen mit den dendritischen Zellen in die Lymphknoten und in andere Gewebe transportiert. Hier finden die Viren ACE-2-positive infizierbare Zellen. Das Virus scheint sich auf diesem Wege über die Blutbahn im Körper zu verbreiten, es infiziert in der Folge – ähnlich wie die tierischen Coronaviren – Endothel-, Lungen, und Nierenund Darmepithelzellen. Zahlreiche Patienten entwickeln während der Erkrankung einen Herzinfarkt. Möglicherweise ist dies mit der Bindung der viralen S-Proteine an die ACE-2-Rezeptoren auf der Oberfläche von Myocyten verbunden. In der frühen Infektionsphase findet man in den Patienten eine schnelle Aktivierung von unspezifischen Immunreaktionen mit erhöhter Produktion von verschiedenen CC-Chemokinen und Chemokinrezeptoren, von proinflammatorischen Interleukinen und von tolllike-Rezeptor 9. Dies bewirkt eine schnelle Mobilisierung von Monocyten und Makrophagen, die in die infizierten Organe, vor allem in die Lunge einwandern und den Entzündungsvorgang einleiten. Zugleich findet man in der Akutphase der Infektion in den Patienten eine schnelle Abnahme der CD4+- und CD8+-T-Lymphocyten, deren Ursache unklar ist. Das SARS-Coronavirus kann Lymphocyten selbst nicht infizieren, deswegen kann die Zerstörung der T-Zellen keine direkte Folge der Infektion sein. Möglicherweise sind daran durch die Infektion eingeleitete apoptotische Prozesse beteiligt. Man fand, dass mehrere SARS-CoV Proteine, wie beispielsweise das im Leserahmen 7a codierte Protein, in vitro in Zelllinien, die aus unterschiedlichen Geweben (Lunge, Leber, Niere) etabliert wurden, die Apoptose in einem caspaseabhängigen Mechanismus induzieren können. Auch genetische Merkmale der infizierten Patienten scheinen für die Etablierung der symptomatischen SARS-Coronavirusinfektion wichtig zu sein. Individuen, die nur geringe Mengen des Mannose-bindenden Lectins (MBL) produzieren, scheinen eine Prädisposition für die Etablierung einer symptomatischen Infek-
tion zu haben. MBL zählt zusammen mit den Surfactant-Proteinen A und D der Lunge zu den Collektinen. Dabei handelt es sich um Proteine, die sich an glycosylierte Bereiche der S-Proteine auf der Virusoberfläche anlagern, die Aufnahme der Partikel in Granulocyten erleichtern und so möglicherweise die Interaktion mit den Zielzellen verhindern. In anderen Studien fand man, dass SARS-Patienten gehäuft die Haplotypen HLA-B*0703 und *4601 sowie HLA-DRB1*0301 aufwiesen. Allerdings sind diese Daten zum Teil widersprüchlich.
Immunreaktion und Diagnostik Im Verlauf einer SARS-CoV-Infektion werden IgM-, IgG- und IgA-Antikörper gegen die N- und S-Proteine gebildet. Sie sind frühestens ab dem vierten Tag nach Einsetzen der Symptome, bei vielen Patienten jedoch erst deutlich später nachweisbar. Hauptsächlich Immunglobuline gegen das S-Protein sind neutralisierend, sie sind überwiegend gegen Epitope der Domäne um die Aminosäurereste 441 bis 700 gerichtet. Über die Bedeutung der zellulären Immunantwort im Verlauf der Infektion beim Menschen ist wenig bekannt. ELISA-Teste zum Nachweis spezifischer Antikörper gegen die S- und N-Proteine sind verfügbar. Die Virusisolierung und Züchtung ist zeitaufwändig, nicht immer erfolgreich und darf nur in Laboratorien der Sicherheitsstufe 3 und höher durchgeführt werden. Die Diagnose der akuten SARS-Coronavirusinfektion erfolgt daher üblicherweise durch den Nachweis der Virusgenome in Sputum, Rachenspülwasser, Stuhl oder Serum mittels RT-PCR, meist wird ein Abschnitt aus dem Leserahmen 1b, der für die RNA-Polymerase des Virus codiert, amplifiziert. Ein positiver Nachweis muss in weiteren Testen und Referenzlaboratorien bestätigt werden. SARS-Coronaviren sind sehr gut in einer Reihe von Zelllinien anzüchtbar und weisen abhängig vom Zelltyp eine stark lytische oder eher persistente Infektion auf.
Bekämpfung und Prophylaxe Einen Impfstoff zur Prävention der SARS-Infektion gibt es nicht. Während des SARS-Ausbruchs im Jahr 2003 wurden die infizierten Patienten mit Ribavirin therapiert. Da die Symptomatik zumindest zum Teil immunpathogenetisch bedingt ist, hat man bei den schweren Fällen zusätzlich Corticosteroide zur Behandlung eingesetzt. Auch wurde versucht, mit hoch dosierten Immunglobulinen die Viruslast im Patienten zu senken. Hemmstoffe der viralen Proteasen sind in Entwicklung.
14.8 Coronaviren
14.8.6 Tierpathogene Coronaviren Die Familie der Coronaviridae umfasst viele Viren, die in Tieren Krankheiten verursachen. Zu den bedeutendsten zählt man die Erreger der transmissiblen Gastroenteritis des Schweines (TGE) und das feline Coronavirus, das in Katzen Peritonitis und Polyserositis verursachen kann. Auf diese Viren wird im Folgenden detailliert eingegangen. Weiterhin gibt es das hämagglutinierende Encephalomyelitis-Virus der Schweine (Porcine-Hemagglutinating-Encephalomyelitis-Virus), das bei neugeborenen Ferkeln eine Encephalitis verursachen kann. Gelegentlich ist damit auch eine Diarrhoe verbunden. Die Infektion des zentralen Nervensystems erfolgt dabei über periphere Nerven, in denen das Virus vom Ort der ersten Vermehrung, der Mucosa von Respirations- und Gastrointestinaltrakt, transportiert wird, ohne dass man eine Virämie beobachtet. Eine Immunprophylaxe ist hier nicht verfügbar. Eine weltweit bedeutsame Erkrankung des Geflügels wird durch das Virus der infektiösen Bronchitis hervorgerufen. Neben einer akuten Erkrankung des Respirationstraktes können hier über Schädigungen des Eileiters und der damit verbundenen verminderten Legeleistung erhebliche wirtschaftliche Schäden entstehen. Weit verbreitet in den Mauspopulationen ist das Maus-Hepatitis-Virus. Es ist ein wichtiges Modellsystem für die Untersuchung der Biologie und Pathogenese durch Coronavirusinfektionen und verursacht ein breites Spektrum von klinischen Erscheinungen, die von gastrointestinalen, hepatischen und respiratorischen bis zu zentralnervösen Symptomen reichen können. Eine Einschleppung in Versuchstierkolonien erfolgt über die Einstellung von Mäusen mit persistierenden Infektionen. Die Diagnose kann histopathologisch oder durch Anzucht der Erreger erfolgen. Die Eliminierung des Virus aus infizierten Kolonien ist nahezu unmöglich. Meist muss man die Kolonie vernichten und den Bestand mit virusfreien Tieren neu aufbauen. Deswegen sind regelmäßige Untersuchungen der Mäusekolonien auf Infektionen mit dem Maus-Hepatitis-Virus unumgänglich. Coronavirusinfektionen anderer Tierarten, insbesondere des Hundes, sind beschrieben, aber aufgrund der geringen klinischen Relevanz nicht von veterinärmedizinischer Bedeutung. Die Infektion mit dem bovinen Coronavirus ist eine wesentliche Ursache des Kälberdurchfalls in den ersten Lebenstagen. Die Infektion verläuft lokal, die Virusreplikation ist auf die Enterocyten beschränkt. Eine Impfung ist in Form einer sogenannten „Muttertierprophylaxe“ verfügbar, bei der das Muttertier vor dem Geburtstermin zweimal geimpft wird. Der eigentliche Immunschutz besteht dabei in der Aufnahme von Antikörpern mit dem Kolostrum.
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Das Virus der transmissiblen Gastroenteritis des Schweines Epidemiologie und Übertragung Die transmissible Gastroenteritis ist eine Erkrankung der Ferkel mit hoher Morbidität, aber geringer Mortalität. Werden Tiere im Alter von nur wenigen Tagen infiziert, kann die Letalitätsrate allerdings sehr hoch sein. Das Virus wird über einen Zeitraum von circa 14 Tagen mit dem Kot ausgeschieden, persistierende Infektionen und Dauerausscheider sind sehr selten. In letzteren scheint das Virus in Lungenmakrophagen zu persistieren. Die Übertragung erfolgt in der Regel durch direkten Kontakt, jedoch sind auch aerogene Übertragungen nachgewiesen worden. Die natürliche Infektion hinterlässt eine belastbare Immunität, die etwa ein bis zwei Jahre anhält. Sie basiert auf einer lokalen mucosalen Immunität. Eine parenterale Impfung induziert systemische Antikörper, die aber nicht vor einer Infektion schützen. Auch stimuliert eine systemische Impfung der Sau nicht die Abgabe von Immunglobulinen über die Milch.
Klinik Die Infektion mit dem Virus der transmissiblen Gastroenteritis verursacht als Hauptsymptom hochgradigen Durchfall und Erbrechen. Andere Symptome sind selten, wie auch andere Organsysteme außer dem Dünndarm in der Regel nicht betroffen sind.
Pathogenese Das Virus wird oral aufgenommen und infiziert nach einer Magenpassage die Enterocyten. Diese werden lytisch infiziert, zerstört und durch Enterocyten aus den Lieberkühnschen Krypten ersetzt. Dieser Vorgang erklärt die typischen Symptome des transienten, nicht blutigen Durchfalls. Histologisch ist eine akute Enteritis (in den hinteren Dünndarmabschnitten) mit Zottenatrophie das klassische Bild. Die Magenpassage des an sich säurelabilen Coronavirus wird durch die pH-puffernde Wirkung der Milch erreicht und durch den schwach sauren pH-Wert im Magen der Jungtiere unterstützt. Es existiert eine natürlich vorkommende Mutante des Virus der transmissiblen Gastroenteritis, bei der Teile des Gens, welches für das S-Protein codiert, deletiert sind. Diese Virusmutante hat den Enterotropismus vollständig verloren und repliziert sich vornehmlich in Makrophagen des Respirationstraktes. Sie verursacht keine oder nur milde Krankheitssymptome, stört aber
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die serologische Überwachung im Rahmen der Bekämpfung der transmissiblen Gastroenteritis empfindlich.
Immunreaktion und Diagnostik Das Virus ist leicht zu isolieren. Alternativ kann man es durch Immunfluoreszenz in Darmschnitten verendeter Tiere nachweisen. Eine Untersuchung von Serumpaaren auf ihren Antikörpergehalt erlaubt die indirekte Diagnose. Serologisch kann der Infektionsstatus eines Bestandes im Rahmen epidemiologischer Untersuchungen durch ELISA-Tests oder Neutralisationstests festgestellt werden.
Bekämpfung und Prophylaxe Die erfolgreiche Bekämpfung der Infektion basiert auf der Eliminierung seropositiver Tiere sowie der Etablierung und Einhaltung strenger Hygiene- und Haltungsvorschriften. Eine Vakzine auf Basis abgetöteter, in Zellkultur gezüchteter Viren ist verfügbar, aber wenig effizient. Für einen wirksamen Schutz ist die lokale immunologische Abwehr im Darm der Ferkel wichtig, die am effektivsten über das Kolostrum von natürlich infizierten Muttersauen auf die Saugferkel übertragen und aufgebaut wird.
Das feline Coronavirus (Virus der felinen infektiösen Peritonitis) Epidemiologie und Übertragung Die sogenannte feline infektiöse Peritonitis (FIP) wird durch Infektion der Katzen mit dem felinen Coronavirus (FeCoV) verursacht. Infektionen mit diesem Erreger sind in den Katzenpopulationen weit verbreitet. Das Virus kann in den Katzen persistieren und wird vor allem mit dem Kot ausgeschieden. Die Katzen infizieren sich in der Regel im frühen Welpenalter durch Sozialkontakt mit dem Muttertier oder anderen persistierend infizierten Katzen. Das genaue Wirtsspektrum dieses Virus ist unbekannt. Es infiziert Haus- und Großkatzen und wahrscheinlich auch Hunde, da einige Isolate des felinen Coronavirus identifiziert wurden, die Rekombinanten zwischen dem felinen und dem caninen Coronavirus darstellen.
Klinik Das Virus verursacht meist eine subklinische Infektion oder milde und transiente Enteritiden. Das die Enteritis verursachende Virus kann sich durch Mutation verän-
dern, wodurch ein neuer Biotyp mit verändertem Gewebstropismus entsteht. Diese Virusvariante repliziert sich nicht mehr nur in Enterocyten, sondern infiziert auch Makrophagen und induziert somit eine systemische Infektion. Mit den Makrophagen wird die Variante in praktisch alle Organe verteilt und kann in diesen ausgehend von einer Vaskulitis pseudogranulomatöse Entzündungen setzen. Dieses Krankheitsbild wird als feline infektiöse Peritonitis bezeichnet. Aus pathologischer Sicht handelt es sich dabei um eine generalisierte Polyserositis und Vaskulitis/Perivaskulitis.
Pathogenese Das Virus bindet sich an die Aminopeptidase N auf Katzen-, Hunde- und Schweinezellen. Die Peritonitis verursachende Virusvariante entsteht offensichtlich in der Katze bei jedem individuellen Ausbruch neu. Dabei verändert sich das persistierende Virus durch Mutation zu einer virulenten Variante. Die Übertragung des mutierten Virus von Katze zu Katze wird gelegentlich beobachtet, scheint aber ohne wesentliche epidemiologische Bedeutung zu sein. In der Virusmutante findet man die Deletion einiger Nucleotide im Gen 3c. Dieses codiert für ein Nichtstrukturprotein, dessen Funktion während des viralen Replikationszyklus nicht geklärt ist, das aber vermutlich die Virulenz der Isolate beeinflusst. Die Deletionen sind jedoch bei allen FIP verursachenden Mutanten nicht einheitlich, sondern in allen Viren der verschiedenen Ausbrüche leicht unterschiedlich. Die molekularbiologischen Grundlagen dieser Veränderungen sind weitgehend unklar.
Immunreaktion und Diagnostik Die virologische Diagnostik gestaltet sich außerordentlich schwierig, da die Unterscheidung zwischen den beiden Virusvarianten mit den zurzeit verfügbaren Techniken nicht möglich ist. Die eindeutige Diagnose FIP kann daher nur die pathohistologische Untersuchung leisten.
Bekämpfung und Prophylaxe Ein Impfstoff auf der Basis einer attenuierten Lebendvakzine, die eine temperatursensitive Mutante des felinen Coronavirus enthält, ist verfügbar, seine Wirksamkeit jedoch umstritten. Insgesamt bestehen bei der Verwendung einer Lebendvakzine mit einem wenig untersuchten, aber breiten Wirtsspektrum zur Verhinderung einer Infektionskrankheit mit nicht geklärter (Immun-)Pathogenese grundsätzliche Sicherheitsbedenken. Auch konnte man zeigen, dass Coronaviren unterschiedlicher Spezies miteinander rekombinieren.
14.8 Coronaviren
Bei Rekombination mit dem Impfvirus ist die Entstehung von Virusvarianten mit einer veränderten Rezeptorbindung möglich, die unter Umständen verschiedene andere Tierarten infizieren.
Das Virus der infektiösen Bronchitis des Huhnes
261
der Kreuzimmunität ist für einzelne Stämme unterschiedlich. Die Diagnostik erfolgt durch Virusnachweis (Virusisolierung in Zellkultur, Polymerasekettenreaktion) oder Immunfluoreszenz mit Nachweis der Virusproteine in Geweben infizierter Tiere oder auf Bestandsebene durch Nachweis virusspezifischer Antikörper mittels Neutralisations- und Hämagglutinationshemmungstests oder ELISA.
Epidemiologie und Übertragung Auch die infektiöse Bronchitis des Huhnes wird durch ein Coronavirus hervorgerufen. Es ist weltweit verbreitet. Das Huhn ist der einzig bekannte Wirt, nur im Huhn verursacht das Virus eine Erkrankung. Dem Virus der infektiösen Bronchitis des Huhns ähnliche Coronaviren hat man aus Puten und Fasanen isoliert, sie gelten aber als eigene Spezies. Von besonderer Bedeutung ist die große antigene Diversität dieses Virus. Basierend auf Unterschieden in der Sequenz des S-Proteins werden zahlreiche Sero- und Genotypen unterschieden. Das Virus ist sehr kontagiös, es verbreitet sich durch virushaltige Faezes und Nasalsekrete sehr schnell innerhalb einer Herde. Zwischen den Herden wird das Virus vor allem indirekt über betreuendes Personal verbreitet.
Klinik Das Virus der infektiösen Bronchitis des Huhns verursacht Läsionen in der Niere, im Eileiter und im Respirationstrakt. Die Art der klinischen Manifestation ist abhängig von dem Virusstamm und vom Wirt. Insbesondere das Alter und die Rasse der Hühner beeinflusst das Krankheitsbild. Die Erkrankung ist bei wenigen Tage alten Küken besonders ausgeprägt. Die Morbidität ist hoch, praktisch alle Vögel einer Herde sind infiziert. Die Mortalität dagegen ist generell gering (null bis 25 Prozent).
Pathogenese Das Virus repliziert zunächst in den Epithelien des Respirations- oder Gastrointestinaltraktes und gelangt in einer sich anschließenden Virämie in viele Organe, vor allem in die Nieren und Eileiter. In der Regel wird das Virus durch die einsetzende Immunantwort eliminiert, in seltenen Fällen kann die Infektion jedoch über Wochen persistieren.
Immunreaktion und Diagnostik Die Infektion hinterlässt eine belastbare, protektive Immunität gegen das homologe Virus, die in der Regel auf Antikörpern gegen das S-Protein beruht. Der Grad
Bekämpfung und Prophylaxe Die infektiöse Bronchitis des Huhns wird tierseuchenrechtlich nicht gemaßregelt. Verschiedene Lebendvakzinen und Totimpfstoffe sind verfügbar und werden in der Regel serotypspezifisch eingesetzt.
14.8.7 Weiterführende Literatur Brian, D. A.; Baric, R. S. Coronavirus genome structure and replication. In: Curr. Top. Microbiol. Immunol. 287 (2005) S. 1–30. Cheng, V. C.; Lau, S. K.; Woo, P. C.; Yuen, K. Y. Severe acute respiratory syndrome coronavirus as an agent of emerging and reemerging infection. In: Clin. Microbiol. Rev. 20 (2007) S. 660–694. Clementz, M. A.; Kanjanahaluethai, A.; O’Brien, T. E.; Baker, S. C. Mutation in murine coronavirus replication protein nsp4 alters assembly of double membrane vesicles. In: Virology 375 (2008) S. 118–129. Cornillez-Ty, C. T.; Liao, L.; Yates, J. R. 3rd.; Kuhn, P.; Buchmeier, M. J. SARS Coronavirus nonstructural protein 2 interacts with a host protein complex involved in mitochondrial biogenesis and intracellular signaling. In: J. Virol. 83 (2009) S. 10314– 10318 Deming, D. J.; Graham, R. L.; Denison, M. R.; Baric, R. S. Processing of open reading frame 1a replicase proteins nsp7 to nsp10 in murine hepatitis virus strain A59 replication. In: J. Virol. 81 (2007) S. 10280–10291. Diemer, C.; Schneider, M.; Seebach, J.; Quaas, J.; Frösner, G.; Schätzl, H. M.; Gilch, S. Cell type-specific cleavage of nucleocapsid protein by effector caspases during SARS coronavirus infection. In: J. Mol. Biol. 376 (2008) S. 23–34. Enjuanes, L.; Almazán, F.; Sola, I.; Zuñiga, S. Biochemical aspects of coronavirus replication and virus-host interaction. In: Annu. Rev. Microbiol. 60 (2006) S. 211–230. Drosten, C.; Günher S.; Preiser, W.; van der Werf, S.; Brodt, H. R.; Becker, S.; Rabenau, H.; Panning, M.; Kolesnikova, L.; Fouchier, R. A. Identification of a novel coronavirus in patients with severe acute respiratory syndrome. In: N. Engl. J. Med. 348 (2003) S. 1967–1976. Guo, Y.; Korteweg, C.; McNutt, M. A.; Gu, J. Pathogenetic mechanisms of severe acute respiratory syndrome. In: Virus Res. 133 (2008) S. 4–12. Hofmann, H.; Simmons, G..; Rennekamp, A. J.; Chaipan, C.; Gramberg, T.; Heck, E.; Geier, M.; Wegele, A.; Marzi, A.;
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14
262
14 Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom in Plusstrangorientierung
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15 Viren mit einzelsträngigem, kontinuierlichem RNAGenom in Negativstrangorientierung Die Viren, die ein einzelsträngiges, durchgängiges RNAGenom in Negativstrangorientierung haben, fasst man in der Ordnung der Mononegavirales zusammen. Zu
15.1 Rhabdoviren
ihnen zählen die Familien Rhabdoviridae, Bornaviridae, Paramyxoviridae und Filoviridae.
tiösen Partikel sind stäbchenförmig und ähneln einer Gewehrpatrone. Zu den Rhabdoviridae zählen sehr viele verschiedene Viren, von denen etwa die Hälfte pflanzenpathogen ist. Die tierpathogenen Rhabdoviren besitzen ein weites Wirtsspektrum und können unterschiedliche Organismen infizieren. Sie werden entweder durch Insektenstiche oder durch Bisse infizierter Tiere übertragen. Die Rabies- oder Tollwutviren aus dieser Virusfamilie rufen bei Mensch und Tier schwere, tödliche Erkrankungen hervor.
15.1.1 Einteilung und charakteristische Vertreter
Die Familie der Rhabdoviridae umfasst Erreger, die als Erbinformation eine einzelsträngige, nichtsegmentierte RNA in Negativstrangorientierung enthalten. Ihre infek-
Die tierischen Rhabdoviren – bis heute sind über 70 Typen bekannt – hat man in vier Genera unterteilt: Vesiculoviren, Lyssaviren, Ephemeroviren und Novirhabdoviren; letztere verursachen Erkrankungen bei Fischen (䉴 Tabelle 15.1). Hinsichtlich der Molekularbiologie und der Replikationsmechanismen ist das Vesicular-Stomatitis-Virus gut untersucht, das auf dem amerikanischen Kontinent durch Stechmücken und Sandfliegen
15
264
15 Viren mit einzelsträngigem, kontinuierlichem RNA-Genom in Negativstrangorientierung
Tabelle 15.1 Charakteristische Vertreter der Rhabdoviren Genus
Mensch/Tier
Vesiculovirus
Lyssavirus
Tier
Pflanze
Vesicular-Stomatitis-Virus Cocalvirus Piryvirus Rabiesvirus Mokolavirus Lagos-Bat-Virus Duvenhage-Virus europäisches FledermausLyssavirus Typ 1 und 2 australisches FledermausLyssavirus
Ephemerovirus
Ephemeral-Fieber-Virus der Rinder Adelaide-River-Virus Berrimah-Virus
Novirhabdovirus
Virus der viralen hämorrhagischen Septikämie der Salmoniden Virus der infektiösen hämatopoietischen Nekrose der Salmoniden Hirame-Rhabdovirus
Nucleorhabdovirus
Sonchus-Yellow-Net-Virus Mais-Mosaik-Virus
Cytorhabdovirus
Lettuce-Necrotic-Yellows-Virus Strawberry-Crinkle-Virus
übertragen wird und bei Pferden und Rindern schwere Tierseuchen (Bläschenkrankheit) verursacht (䉴 Abschnitt 15.1.6). Man kann es ohne Probleme in gut etablierten Zellkultursystemen wie der menschlichen HeLa- oder der murinen L-Linie vermehren. Eine Übertragung auf den Menschen wurde nur in Verbindung mit Laborkontaminationen bei Autopsien infizierter Tiere beobachtet; es traten dabei grippeähnliche Symptome auf. Auch die Vertreter des Genus Ephemerovirus werden durch Insekten übertragen. Sie sind in den tropischen Gebieten Afrikas, Asiens und Australiens verbreitet, infizieren Rinder und verursachen bei den Tieren eine fieberhafte Erkrankung. Zu den humanpathogenen Vertretern der Lyssaviren gehören das Rabiesvirus und das Mokolavirus sowie die in Fledermäusen und Flughunden vorkommenden europäischen und australischen Fledermaus-Lyssaviren und das Duvenhage-Virus in afrikanischen Fledermäusen. Vom LagosBat-Virus wurden bisher keine Infektionen beim Menschen beschrieben. Lyssaviren werden durch Tierbisse auf Menschen übertragen und verursachen praktisch immer tödliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Die Virustypen unterscheiden sich durch eine
unterschiedliche serologische Erkennung ihrer G-Oberflächenproteine.
15.1.2 Aufbau Viruspartikel Die Virionen der tierischen Rhabdoviren sind geschossähnlich geformt und haben eine Länge von etwa 180 nm bei einem Durchmesser von 65 nm; Partikel der Pflanzenrhabdoviren können bis zu doppelt so lang sein. Die Virusstruktur ist beim Vesicular-Stomatitis-Virus gut untersucht und bei den anderen tierischen Rhabdoviren wohl ähnlich. Die infektiösen Partikel bestehen aus zwei Komponenten: einem Nucleocapsid und einer Membranhülle. Das Nucleocapsid ist in enge helikale Windungen gefaltet – 35 beim Vesicular-Stomatitis-Virus – und besteht aus den viralen Proteinen N (60 kD), P oder NS (40 kD) und L (190 kD) sowie dem RNA-Genom (䉴 Abbildung 15.1). Das L-Protein ist die RNA-abhängige RNA-Polymerase, die bei den Negativstrangviren ein Bestandteil des Virions ist. Das Nucleocapsid ist von
15.1 Rhabdoviren
265
15.1 Aufbau eines Rhabdoviruspartikels. Das Genom besteht aus einer einzelsträngigen RNA, die mit den N-, P- und L-Proteinen zu einem helikalen Nucleocapsid interagiert. Das Nucleocapsid ist von einer Membranhülle umgeben, in welche die G-Proteine eingelagert sind. Mit der Innenseite der Membran ist das M-Protein assoziiert, das gleichzeitig auch in Bindung mit den Nucleocapsidkomponenten vorliegt.
einer Hüllmembran umgeben, in welche die viralen Glycoproteine G (64–68 kD) eingelagert sind, deren trimere Komplexe etwa 10 nm aus der Partikeloberfläche herausragen. Mit der Innenseite der Membran ist das Matrixprotein M (25–26 kD) assoziiert, das gleichzeitig über basische Aminosäuren mit den Proteinen des Nucleocapsids wechselwirkt und dessen enge Packung im Partikelinneren gewährleistet. Die Hüllmembran des Virus weist im Vergleich zur Zellmembran einen höheren Gehalt an Cholesterin, Aminophospholipiden und Sphingomyelin auf und ist aufgrund dieser Zusammensetzung wesentlich flexibler. Die Größe des Genoms bestimmt die Länge der Virionen. In allen Präparationen findet man nichtinfektiöse Partikel (auch defectiveinterfering particles, DI particles genannt), die bei gleichem Durchmesser nur 60 bis 90 nm lang sind. Die Genome der defekten Viren können bis zu 80 Prozent verkürzt sein.
Genom und Genomaufbau Das einzelsträngige RNA-Genom der meisten Rhabdoviren ist etwa 12 000 Basen lang (11 162 beim VesicularStomatitis-Virus, 11 932 beim Rabiesvirus, Stamm PV) und hat eine Negativstrangorientierung, es kann also nicht direkt als mRNA verwendet werden und ist nicht infektiös. Es weist fünf offene Leserahmen auf, die in 3’→ 5’-Orientierung in der Reihenfolge N-P-M-G-L
angeordnet sind (䉴 Abbildung 15.2). Am 3’-Ende ist dem N-Gen eine kurze, nichtcodierende Leader-Region (47 Basen beim Vesicular-Stomatitis-Virus, 55 Basen beim Rabiesvirus) vorgeschaltet. Am 5’-Ende befindet sich ebenfalls ein nichtcodierender kurzer Abschnitt (57 beziehungsweise 70 Basen beim Vesicular-StomatitisVirus und beim Rabiesvirus). Beide Regionen enthalten cis-aktive Sequenzelemente, die für die Initiation von Transkription und Replikation essenziell sind. Die einzelnen Gene besitzen an ihren 3’- und 5’-Enden konservierte Basen, die den Start und das Ende der Transkription signalisieren. Zwischen den einzelnen Genen befinden sich nichtcodierende, intergenische Abschnitte variabler Länge: Beim Vesicular-Stomatitis-Virus handelt es sich in allen Fällen um Guanosin-Adenosin-Dinucleotide. Das Genom ist bei diesem Virus hochkondensiert und weist kaum Regionen auf, die nicht für Proteine codieren. Bei den Rabiesviren sind zwei Nucleotide nur zwischen dem N- und P-Gen zu finden, in anderen intergenischen Abschnitten handelt es sich um Pentanucleotide. Zwischen den Genen für die G- und L-Proteine findet man einen relativ großen nichtcodierenden Abschnitt von 423 Basen, dessen Funktion unbekannt ist und der als Pseudogen ψ bezeichnet wird. Beim Virus der infektiösen hämatopoetischen Nekrose der Salmoniden – einem Vertreter der Gattung Novirhabdovirus – wird von diesem Bereich eine mRNA-Spezies gebildet. Ungeklärt ist
15
266
15.2 Genomorganisation der Rhabdoviren. A: Vesicular-Stomatitis-Virus; B: Rabiesvirus (Stamm PV). Die Längenangaben für die verschiedenen Gene beziehen sich auf die mRNAs, die im Replikationsverlauf gebildet werden (B = Basen). Die nichtcodierenden Regionen, das heißt die intergenischen Sequenzen, die bei der Bildung der mRNAs übersprungen werden, sind hellgrau, die Leader- und Trailer-Regionen am 3’- beziehungsweise 5’-Ende rot wiedergegeben. Im Rabiesvirusgenom findet man im Bereich des Gens für das G-Protein eine nichtcodierende Region, die als Pseudogen oder ψ-Gen bezeichnet wird (dunkelgrau dargestellt). Sie ist von den G-Sequenzen durch ein Stoppsignal für die Transkription getrennt, das jedoch nicht in allen Fällen zum Einsatz kommt. Daher findet man auch Transkripte, die bis zum Ende des Pseudogens durchgehen.
15 15 Viren mit einzelsträngigem, kontinuierlichem RNA-Genom in Negativstrangorientierung
15.1 Rhabdoviren
ihre Funktion und ob sie für ein sechstes Virusprotein codiert. Das Gen hat eine ähnliche Länge wie das HNGen der Paramyxoviren (䉴 Abschnitt 15.3), das sich bei diesen Viren an einer vergleichbaren Position im Genom befindet. Man schließt daraus, dass das Virus der infektiösen hämatopoetischen Nekrose der Salmoniden ein evolutionäres Bindeglied zwischen den Vesiculo- und den Paramyxoviren darstellt. Durch Sequenzvergleiche der Pseudogene, die als nichtcodierende Region besonders anfällig für Mutationen sind, lässt sich die Evolution der verschiedenen Vertreter der Rhabdoviren nachvollziehen.
15.1.3 Virusproteine Proteine des Nucleocapsids N-Protein Das N-Protein ist die Hauptkomponente des Nucleocapsids. Es ist mit der Nucleinsäure in ihrer ganzen Länge assoziiert und für die helikale Faltung des Nucleocapsids verantwortlich. Aufgrund elektronenmikroskopischer Daten schätzt man, dass pro Partikel 1 800 N-Proteine mit der RNA komplexiert sind. Das N-Protein hat ein Molekulargewicht von circa 60 kD und ist phosphoryliert. Untersuchungen von Monique Lafon und Kollegen ergaben, dass das N-Protein des Tollwutvirus als Superantigen wirken kann (䉴 Tabelle 15.2). Es kann epitopunabhängig MHC-Klasse-II-Proteine mit bestimmten Vβ-Ketten der T-Zell-Rezeptoren auf der Oberfläche von CD4+-Zellen verbinden und deren Proliferation und Cytokinausschüttung dauerhaft einleiten (䉴 Kapitel 7 und Abschnitt 15.1.5). Das N-Protein ist zugleich das gruppenspezifische Antigen der Rhabdoviren: Antikörper und T-Helferzellen, die gegen N-proteinspezifische Epitope der Rabiesviren gerichtet sind, reagieren auch mit den N-Proteinen anderer Vertreter des Genus Lyssavirus, jedoch nicht mit Vesiculoviren und umgekehrt. Das weist darauf hin, dass bei Vertretern der jeweiligen Genera viele Aminosäuren in den NProteinen konserviert sind. P-Protein Dieses Protein wird in der älteren Literatur auch als NS-(Nichtstruktur-) oder M1-Protein bezeichnet. Es hat ein Molekulargewicht von 40 bis 45 kD und liegt in etwa 900 Einheiten mit dem Nucleocapsid assoziiert vor. Das P-Protein ist an etwa 20 bis 30 Serin- und Threoninresten phosphoryliert. Dieses hohe Ausmaß der Modifikation mit sauren Gruppen ist für das ungewöhnliche Laufverhalten des Proteins im SDS-Polyacrylamidgel verantwortlich: Danach entspricht sein Molekulargewicht nur etwa 33 kD. Das P-Protein liegt in Wechselwirkung sowohl mit N- als auch mit L-Proteinen vor und scheint die Interaktion der N-Proteine mit
267
dem RNA-Genom zu reduzieren und die Nucleinsäure so für den Polymerasekomplex zugänglich zu machen. P-gendefiziente Rabiesvirusmutanten, die mittels der Methode der reverse genetics generiert wurden, können in den infizierten Zellen nur die primären Transkriptionsschritte durchführen – die hierfür notwendigen P-Proteine bringen sie als Teile der Viruspartikel in die Zellen mit; sie sind jedoch zur Genomreplikation und zur Bildung von infektiösen Nachkommenviren nicht befähigt, weil die de novo Synthese von P-Proteinen unterbleibt. Die P-Proteine sind nicht nur Komponenten der Nucleocapside und bei der Transkription und Replikation des Virusgenoms aktiv. Sie sind auch an der Unterdrückung der unspezifischen Immunreaktionen beteiligt und hemmen die Phosphorylierung des Faktors IRF-3 (interferon regulatory factor 3). Dadurch unterdrücken sie die Expression der IFN-Gene und verhindern den Kerntransport der Stat-1-Proteine, die als Teil der IFN-vermittelten Signalkaskade die unspezifische Immunantwort induzieren (䉴 Kapitel 8). L-Protein Das L-Protein ist eine RNA-abhängige RNAPolymerase. Etwa 30 bis 60 Kopien des Enzyms befinden sich in Interaktion mit den P-Proteinen des Nucleocapsids. Das L-Protein ist mit 2 142 Aminosäuren sehr groß; die codierende Region umfasst bei einigen Rhabdovirustypen über die Hälfte des Genoms. Es besitzt theoretisch ein Molekulargewicht von über 244 kD, experimentell findet man eines von 190 kD. Es entspricht dem aktiven Enzym. Ob Proteasen zur Bildung einer verkürzten Form führen oder ob Modifikationen für das unterschiedliche Molekulargewicht verantwortlich sind, ist unklar. Die Sequenzen der L-Proteine sind zwischen den Vesiculo- und Lyssaviren stark konserviert, die zentrale Region des Proteins weist einen Homologiegrad von 85 Prozent auf. Das L-Protein besitzt neben seiner Aktivität als RNA-Polymerase auch die einer RNA:GDP-Polyribonucleotidyltransferase und ist am RNA-Capping beteiligt. Vermutlich wirkt es weiterhin an der Polyadenylierung der primären Transkripte sowie an der Phosphorylierung der P-Proteine mit.
Membranproteine M-Protein Das M-Protein (M = Matrix) ist kein integrales Membranprotein. Es ist nicht glycosyliert und besitzt keine hydrophoben Sequenzfolgen mit den charakteristischen Eigenschaften von Transmembranregionen. Sein Molekulargewicht beträgt 25 bis 26 kD. Das M-Protein enthält sehr viele basische Aminosäuren, über die es sich mit seiner aminoterminalen Domäne an die phosphorylierten N- und P-Proteine des Nucleocapsids
15
15
268
15 Viren mit einzelsträngigem, kontinuierlichem RNA-Genom in Negativstrangorientierung
Tabelle 15.2 Übersicht über die molekularen Eigenschaften der Proteine des Rabiesvirus Proteine
Molekulargewicht (kD)
Modifikation
Funktion
N
60
phosphoryliert
Bestandteil des Nucleocapsids, circa 1 800 Einheiten pro Partikel; RNA-bindendes Protein, verantwortlich für Genomkondensation im Virion; Superantigen
P
40–45
phosphoryliert
Bestandteil des Nucleocapsids, circa 900 Einheiten pro Partikel; Cofaktor bei der Transkription
L
190
nicht bekannt
Bestandteil des Nucleocapsids, circa 30–60 Einheiten pro Partikel; RNA-abhängige RNA-Polymerase; Capping und Polyadenylierung der viralen mRNA-Spezies; Methyltransferase, Proteinkinase zur Modifikation des P-Proteins?
M
25–26
–
Matrixprotein; an der Innenseite der Virusmembran lokalisiert; wichtig bei Virusmorphogenese
G
64–68
N-glycosyliert
Membranprotein; vermittelt Adsorption, Fusion, Hämagglutination; induziert Synthese neutralisierender Antikörper
bindet. Über ähnliche ionische Wechselwirkungen scheint der carboxyterminale Bereich des M-Proteins mit den sauren Phosphatgruppen der Membranlipide zu interagieren. Das M-Protein wirkt also gewissermaßen als Klebstoff zwischen der Membran und dem Nucleocapsid. Die M-Proteine lagern sich allein an die Cytoplasmamembran an und sind in der Lage, von sich aus virusähnliche membranhaltige Vesikel zu bilden, die sich von der Zelloberfläche abschnüren. Sie sind essenziell für den Zusammenbau der verschiedenen Viruskomponenten zu infektiösen Partikeln und bestimmen über ihre intrazelluläre Lokalisation den Ort des Knospungsvorgangs. G-Protein Das virale G-Protein ist glycosyliert und in der Virusmembran über eine hydrophobe Domäne im Bereich des carboxyterminalen Endes verankert. Eine kurze Aminosäurefolge von 44 Resten am Carboxyterminus, die am membranverankerten Protein in das Cytoplasma orientiert ist, ist vermutlich an der Aggregation der G-Proteine zu Trimeren beteiligt. Das monomere G-Protein hat, abhängig vom Ausmaß seiner Glycosylierung, ein Molekulargewicht von 64 bis 68 kD. Die Aminosäuresequenzen der G-Proteine verschiedener Rhabdoviren sind sehr heterogen, es gibt aber Hinweise, dass sie sich trotzdem hinsichtlich ihrer Konformation und Struktureigenschaften ähneln. Biologisch aktiv ist das G-Protein nur als Trimer: So vermittelt es die Adsorption der Viruspartikel an die jeweiligen zellulären Rezeptoren und ist an Membranfusionen beteiligt, die durch Ansäuerung des Endosomeninneren nach der Partikelaufnahme durch die Zelle induziert werden und zur Entlassung des Nucleocapsids in das Cytoplasma
führen. Zur Induktion der Fusionsaktivität muss das GProtein nicht proteolytisch gespalten werden, wie man es von den Para- und Orthomyxoviren oder den Retroviren kennt (䉴 Abschnitte 15.3.3, 16.3.3 und 18.1.3). Strukturanalysen ergaben, dass sich die G-Proteine hinsichtlich ihrer Konformation im Prä- und Postfusionsstadium deutlich unterschieden. Im Postfusionstadium weisen die G-Proteine der Vesicular-Stomatitis-Viren Homologien zum Glycoprotein gB der Herpes-SimplexViren (䉴 Abschnitt 19.5) auf. Weiterhin ist das G-Protein für die Hämagglutinationsfähigkeit des Virus erforderlich. Gegen definierte Epitope des G-Proteins werden im Verlauf der Infektion neutralisierende Antikörper gebildet. Mittels monoklonaler Antikörper konnten bei verschiedenen Rabiesvirusisolaten fünf Epitope charakterisiert werden, die für die Bindung von neutralisierenden Immunglobulinen verantwortlich sind. So lassen sich auch die sieben verschiedenen Rabiesvirustypen unterscheiden.
15.1.4 Replikation Im ersten Schritt des Vermehrungszyklus adsorbieren die Rhabdoviren über die G-Proteine auf der Partikeloberfläche an zelluläre Rezeptoren. Sowohl für das Vesicular-Stomatitis-Virus als auch für die Rabiesviren ist nicht endgültig geklärt, welche zellulären Strukturen für die Adsorption verantwortlich sind. Beim VesicularStomatitis-Virus gab es aus in vitro-Experimenten mit infizierten Vero-Zellen (Nierenzellkulturen Grüner Meerkatzen) Hinweise, dass die Bindung durch Phos-
15.1 Rhabdoviren
phatidylserinmoleküle in der Cytoplasmamembran vermittelt wird; jüngere Untersuchungen zeigten hingegen, dass Phosphatidylserin nicht als Rezeptor wirkt, sondern erst nach der Adsorption an der Aufnahme der Viruspartikel mitwirkt. Auch bei den Rabiesviren hat man Phospholipide und Glycolipide der Zellmembran als Interaktionspartner identifiziert. Zusätzlich scheinen auch bei ihnen jedoch weitere Komponenten der Cytoplasmamembran an der spezifischen Bindung des GProteins beteiligt zu sein. Weil man die Adsorption des Rabiesvirus an Neuronen durch Inkubation mit Neurotoxinen wie α-Bungarotoxin hemmen kann und das G-Protein im Bereich der Aminosäuren 189 bis 214 zu Neurotoxinen homolog ist, geht man von der Beteiligung der nicotinsäureabhängigen Acetylcholinrezeptoren (nAChR) an der Bindung der Viren an die Zelloberfläche neuronaler Zellen aus. Daneben wurde die Bindung des Rabiesvirus an das Zelloberflächenprotein CD56, auch als NCAM (neural cell adhesion molecule) bekannt, beschrieben. Dieses Protein wird vor allem im Nervensystem erwachsener Tiere produziert. Der NeurotrophinRezeptor p75NTR, ein Mitglied der TNF-Rezeptorfamilie, wurde ebenfalls als beteiligt an der Wechselwirkung der Zellen mit Tollwutviren beschrieben. Jedoch ist die Bindung der viralen G-Proteine an p75NTR nicht für die Aufnahme der Viren ausreichend. Der folgende Schritt der Partikelaufnahme durch die Zelle erfolgt durch rezeptorvermittelte Endocytose. Die Ansäuerung des Vesikelinneren durch eine ATPabhängige H+-Ionenpumpe in der Endosomenmembran ändert die Konformation des G-Proteins und aktiviert so seine Fusionsaktivität; die Membranen verschmelzen und das Nucleocapsid gelangt in das Cytoplasma. Die mit dem Nucleocapsid komplexierten N-, Pund L-Proteine sorgen anschließend für die primäre Transkription des RNA-Negativstranggenoms. Dieser Prozess beginnt am 3’-Ende des Genoms (䉴 Abbildung 15.3). Hier befindet sich die einzige Initiationsstelle für die RNA-Synthese. Zuerst wird eine kurze RNA synthetisiert, die komplementär zur Leader-Region ist. Dieses RNA-Molekül wird nicht gecappt und nicht polyadenyliert, es codiert für kein Protein. Die Aufgabe der LeaderRNA, die in großen Mengen gebildet wird, kennt man nicht genau. In Zellen, die mit dem Vesicular-Stomatitis-Virus infiziert sind, scheinen die RNA-Moleküle in den Kern transportiert zu werden und die DNA-abhängige RNA-Polymerisation zu stören. Hierdurch stoppt die Transkription der Wirtszelle und damit auch die Synthese der Zellproteine und die Replikation. Der zelluläre Stoffwechsel dient nun ausschließlich der Virusvermehrung. Die molekularen Details dieses Vorgangs hat man noch nicht aufgeklärt. Im Unterschied zum Vesicular-Stomatitis-Virus ist das Abschalten der zellu-
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lären Funktionen bei Rabiesviren nicht sehr stark ausgeprägt. Die Transkription des viralen Genoms stoppt am Ende der Leader-Region, und die intergenischen Nucleotide werden überlesen. Die RNA-abhängige RNA-Polymerase nimmt am Beginn des N-Gens ihre Aktivität wieder auf und synthetisiert die hierzu komplementäre mRNA, die gecappt wird. Am Ende des N-Gens befindet sich eine uridinreiche Sequenzfolge, die als Signal für die Polyadenylierung dient (5’-AGU7CAUA-3’). Auch an den anderen Endpunkten der für Proteine codierenden Regionen hat man diese Sequenzfolge entdeckt. Der Polymerasekomplex überliest die intergenischen Sequenzen und nimmt seine Aktivität am Beginn des P-Gens wieder auf – ein Vorgang, der sich an allen weiteren Übergängen wiederholt. Dieser Prozess des Überspringens und der Reinitiation ist nicht immer erfolgreich, sodass sich in der Folge ein Gradient unter den neusynthetisierten mRNA-Spezies ausbildet, der in Richtung 5’-Ende des Genoms kontinuierlich abnimmt (䉴 Abbildung 15.3). Da die mRNA-Sequenzen cotranskriptionell translatiert werden, liegen in der infizierten Zelle die NProteine in der größten, die L-Proteine in der geringsten Menge vor. Das Umschalten vom Transkriptionsmodus mit der Synthese einzelner monocistronischer mRNA-Spezies zum Replikationsmodus mit der Bildung eines durchgehenden RNA-Moleküls, das als Zwischenprodukt für die Bildung neuer Virusgenome in negativer Orientierung dient, hängt von der Menge der in der Zelle gebildeten N-Proteine ab. Das N-Protein interagiert mit den RNASequenzen während ihrer Synthese und verhindert, dass die Transkription an den jeweiligen Genenden abbricht, sodass ein durchgehendes RNA-Molekül in Positivstrangorientierung entsteht (䉴 Abbildung 15.3). An seinem 3’Ende, das heißt in der Sequenzfolge im Anschluss an das L-Gen, wird die Synthese neuer Genome initiiert, die wiederum mit N-Proteinen komplexieren. P- und LProteine binden sich an die mit N-Proteinen bedeckte Negativstrang-RNA und bilden die Nucleocapside, die im nächsten Schritt mit M-Proteinen wechselwirken. Das Anlagern der M-Proteine an die Nucleocapside induziert die Kondensation zu helikalen Strukturen. Die Synthese des G-Proteins beginnt mit der Translation des aminoterminalen Signalpeptids und wird nach Assoziation mit einem signal-recognition-particle an der Membran des endoplasmatischen Reticulums fortgesetzt. Das Signalpeptid wird durch die zelluläre Signalase entfernt und das G-Protein in das Lumen eingeschleust, über die carboxyterminale hydrophobe Region in der Membran verankert und während des weiteren Transports durch den Golgi-Apparat zur Cytoplasmamembran glycosyliert. Über die M-Proteine interagiert der Ribo-
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15.3 Verlauf der Genomreplikation der Rhabdoviren. Das Minus- oder Negativstranggenom der Rhabdoviren liegt im Cytoplasma der infizierten Zellen komplexiert mit den viralen Proteinen N, P und L vor. Zuerst erfolgt – katalysiert durch die RNA-abhängige RNA-Polymeraseaktivität des L-Proteins – die Synthese von mRNAs, von denen im Weiteren die entsprechenden Proteine translatiert werden. Die kurze Leader-RNA codiert nicht für Proteine und hat vermutlich regulatorische Funktionen. An Kontrollsequenzen zwischen den einzelnen Genen stoppt die Transkription, überliest die intergenischen Bereiche und startet erneut. Dieser Vorgang ist nicht immer erfolgreich. Es bildet sich ein Konzentrationsgradient an Transkripten, der mit fortschreitender Transkriptionsrichtung kontinuierlich abnimmt. Liegt in der Zelle eine ausreichende Menge neusynthetisierter N-Proteine vor, dann bewirken sie zusammen mit den P- und L-Proteinen, dass die Kontrollelemente an den Übergängen zwischen den Genen überlesen werden. Es entsteht ein durchgehender RNA-Plusstrang, der über seine ganze Länge mit N-Proteinen komplexiert ist. Er dient als Antigenom und somit als Matrize für die Bildung der RNA-Minusstränge, also genomischer RNA.
nucleoproteinkomplex mit Regionen der Membran des endoplasmatischen Reticulums und der Cytoplasmamembran, die eine hohe Konzentration an G-Proteinen besitzen. Dadurch wird der Knospungsvorgang (Budding) initiiert, währenddessen das Nucleocapsid von der Membran umgeben und in das Lumen des endoplasmatischen Reticulums – vor allem beim Rabiesvirus – von der Zelloberfläche abgegeben wird. Das Abschalten des Wirtszellmetabolismus ist in Zellen, die mit dem Vesicular-Stomatitis-Virus infiziert sind, stark ausgeprägt. Die Zellen zeigen einen deutlichen cytopathischen Effekt, der ein Anzeichen für die Schädigung ist (䉴 Kapitel 5). Er ist in rabiesvirusinfizierten Zellkulturen bei weitem nicht so ausgeprägt, was
möglicherweise auf eine geringere Replikation hindeutet, bei der weniger Nachkommenviren entstehen.
15.1.5 Human- und tierpathogene Rhabdoviren Das Tollwutvirus (Rabiesvirus) Epidemiologie und Übertragung Die Tollwut war weltweit verbreitet: Man bezeichnet sie auch als Rabies oder Lyssa – letzteres aufgrund des wolfsähnlichen Heulens erkrankter Hunde. Epidemiologisch
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q Die Tollwut ist als übertragbare Erkrankung lange bekannt Die Tollwut war bereits im Altertum bekannt. Bereits im dritten Jahrtausend vor Christi Geburt wusste man, dass „tollwütige“ Hunde die Krankheit durch Bisse übertragen können. So ist im babylonischen Gesetzbuch des Eshnunna, das noch vor dem des Königs Hammurapi (etwa 2 300 vor Christi Geburt) galt, nachzulesen, dass die Halter tollwütiger Hunde für durch sie verursachte Todesfälle mit Geldstrafen rechnen mussten. Aulus Cornelius Celsus erkannte bereits im ersten Jahrhundert vor Christus die Bedeutung von Wildtieren und Hunden für die Übertragung. Er empfahl das Ausschneiden und Ausbrennen der Bisswunden. 1804 hat Georg Gottfried Zinke in Jena die Tollwut durch Einreiben des Speichels tollwütiger Hunde in frische Wunden von Kaninchen übertragen. Louis Pasteur hat 1882 erstmals die Tollwut intracerebral auf Kaninchen übertragen und durch fortlaufende Passagierung des Virus in Kaninchen einen Impfstoff entwickelt. Das Impfvirus (virus fixe) zeichnete sich durch eine konstante Inkubationsperiode aus, beim Wildtypvirus (virus de rue) war sie dagegen variabel. Das
sind grundsätzlich die urbane Wut und die sylvatische Wut oder Wildtollwut voneinander zu unterscheiden. Diese Einteilung beruht auf den Wirten, welche die Endemie tragen. Auf der nördlichen Halbkugel überwiegt die sylvatische Wut. Hier sind beziehungsweise waren vornehmlich Landraubtiere wie Füchse, Wölfe sowie Dachse in Europa und Asien beziehungsweise Stinktiere und Waschbären auf dem nordamerikanischen Kontinent mit Rabiesviren infiziert und können sie auf den Menschen übertragen. Auf der südlichen Halbkugel, vor allem in Indien, Ostasien, Afrika und Südamerika, herrscht die urbane Wut vor. Hier sind streunende, herrenlose Hunde die Hauptübertragungsquelle des Rabiesvirus auf den Menschen. Jährlich werden der WHO circa 1 600 Tollwuterkrankungen des Menschen gemeldet. Die Dunkelziffer ist jedoch sehr hoch – die tatsächliche Zahl wird auf 40 000 bis 70 000 geschätzt. In den westlichen Ländern spielen Hunde aufgrund der weit verbreiteten Impfung als Überträger der Erkrankung auf den Menschen kaum noch eine Rolle. Als virusfrei gelten unter anderem Großbritannien, Schweden, Norwegen, Finnland, die Schweiz, Frankreich, Belgien und – seit April 2008 – auch Deutschland. Infizierte Hunde, die gelegentlich von Urlaubern aus Endemiegebieten mitgenommen werden, können in Einzelfällen die Tollwut nach Mitteleuropa importieren und an nicht geimpfte Tiere weitergeben.
Impfmaterial bestand aus dem Rückenmark infizierter Kaninchen, das zerrieben und zwei Wochen lang getrocknet wurde. Es war nicht mehr infektiös, aber immunogen und erzeugte bei Hunden Schutz vor der Infektion. Am 6. Juli 1885 wurde Joseph Meister aus dem Elsaß als erster Mensch gegen die Tollwut geimpft. Auf der Basis von Pasteurs Impfstoff entwickelte man den viele Jahrzehnte benutzten „Semple“-Impfstoff, der durch Phenolbehandlung abgetötete Viren enthielt. Die in den Entwicklungsländern noch heute verwendete „Hempt“-Vakzine enthält mit Äther extrahierte Viren aus dem Rückenmark infizierter Kaninchen. Seit 1980 gibt es Impfstoffe, die in vitro gezüchtete, abgetötete Rabiesviren enthalten und in der Humanund Tiermedizin eingesetzt werden (䉴 Abschnitt 15.1.5). Seit 1954 immunisiert man Patienten mit Bisswunden von möglicherweise tollwütigen Tieren zusätzlich zur aktiven Impfung passiv mit Immunglobulinpräparaten, die Antikörper gegen das Rabiesvirus enthalten.
In Südamerika ist das Rabiesvirus endemisch in blutsaugenden und früchte- oder insektenfressenden Fledermäusen. „Vampiros“ – blutsaugende Fledermäuse – sind die Hauptüberträger der Tollwuterkrankung auf Rinder und andere Haustiere in Süd- und Mittelamerika, selten erfolgt durch sie auch eine Infektion des Menschen. Auch sind Fledermäuse in Holland, Dänemark und in Teilen des Ostseegebiets mit den europäischen Fledermaus-Lyssaviren (Typ 1 und 2) infiziert. Die Epidemiologie der Fledermaustollwut ist unabhängig von der restlichen Wildtollwut. Hier scheinen spezielle Infektionsketten vorhanden zu sein, bei denen es nur sehr selten zu Übertragungen auf Menschen oder auf Haus- und Wildtiere kommt. Die Virusisolate aus Fledermäusen lassen sich mittels monoklonaler Antikörper serologisch und mittels Nucleinsäuresequenzierung genetisch eindeutig unterscheiden. Tollwutfälle durch Fledermaustollwutviren sind sowohl bei Menschen als auch bei Tieren beschrieben, und insbesondere kranke, flugunfähige Fledermäuse sind infektionsverdächtig. Kinder sollten eindringlich auf diese Gefahr hingewiesen werden. Mitunter gibt es aber bei Erkrankten keinen Hinweis auf eine Bissverletzung. Infektiöse Viren sind auch im Fledermauskot nachgewiesen worden. Das Einatmen von virushaltigem Staub ist daher eine denkbare Möglichkeit zur Infektion des Menschen, insbesondere für Höhlenforscher. In Australien, das als
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Übertragung der Tollwut durch Organtransplantation In den Jahren 2004 und 2005 wurden in den USA beziehungsweise in Deutschland insgesamt sieben Todesfälle durch Tollwutvirusinfektionen bei Transplantatempfängern bekannt. Die Patienten infizierten sich über die transplantierten Organe (Leber, Lunge, Nieren, Bauchspeicheldrüse), die aus zwei Spendern stammten. Beide waren an klinisch weniger auffälligen Symptomen einer Tollwuterkrankung verstorben. Der Fall aus dem Jahr 2004 ereignete sich in den USA. Ein 20-jähriger drogenabhängiger US-Amerikaner stellte sich in der Notfallambulanz eines Klinikums mit Übelkeit, Erbrechen und Schluckbeschwerden vor. Kurze Zeit später wurde er desorientiert mit Fieber von einem anderen Krankenhaus aufgenommen und verstarb kurze Zeit später. Als Todesursache wurde eine durch den Drogenmissbrauch verursachte Gehirnblutung diagnostiziert. Seine Organe (Lunge, Nieren, Leber, Bauchschlagader) wurden fünf Patienten übertragen: Vier verstarben an Tollwut, einer an transplantationsbedingten Komplikationen. Retrospektive Recherchen ergaben, dass der Organspender einige Zeit vor dem Auftreten der Symptome von einer Fledermaus gebissen und vermutlich durch den Biss mit Tollwutviren infiziert worden war. Bei dem zweiten Fall wurden in Deutschland die Organe (Leber, Lunge, Niere, Bauchspeicheldrüse, Augenhornhaut)
tollwutfrei gilt, wurde das australische Fledermaus-Lyssavirus aus fruchtfressenden Fledermäusen und Flughunden isoliert. Um den Status „tollwutfrei“ offiziell nicht einschränken zu müssen, hat man es als „Australian Bat Lyssavirus“ be-zeichnet. Die Übertragung erfolgt überwiegend durch Bisse infizierter Tiere, die das Virus bereits bis zu zwölf Tage vor Erkrankungsbeginn im Speichel ausscheiden. Die Übertragung durch virushaltige Aerosole (Fledermaushöhlen) stellt eine Ausnahme dar, zumal hier auch der infektiöse Titer deutlich niedriger ist. Das Tollwutvirus kann grundsätzlich alle warmblütigen Tiere infizieren. Die verschiedenen Spezies sind jedoch unterschiedlich empfänglich für die Infektion mit den Rabiesviren. Füchse – in Europa die wichtigste Tierart für die Übertragung der Tollwut –, Wölfe und Schakale sind besonders gefährdet und übertragen die Infektion auch sehr effektiv, während Fledermäuse, Hauskatzen, Waschbären oder Hunde weniger empfänglich sind; auch Pferde und Menschen gelten als sehr wenig empfänglich und das Opossum gilt als weitgehend resistent.
einer 26 Jahre alten Frau, die an Verhaltensstörungen, Kopfschmerzen und Fieber litt und verstarb, sechs Patienten implantiert. Auch bei dieser Organspenderin war Kokainmissbrauch diagnostiziert worden; als Todesursache wurde eine toxische Psychose dokumentiert. Es zeigte sich jedoch auch in diesem Fall, dass die Patientin an Tollwut erkrankt und vermutlich durch den Hundebiss während eines einige Wochen zurückliegenden Indienaufenthalts infiziert worden war. Drei der Transplantatempfänger verstarben in den folgenden Wochen an Tollwut, der Empfänger der Leber überlebte – er war in den Vorjahren gegen Tollwut geimpft worden und neutralisierende Antikörper gegen das G-Protein waren im Serum nachweisbar. Auch die beiden Empfänger der Augenhornhaut überlebten; ihnen wurden die Transplantate – sie erwiesen sich in PCR-Analysen als virusfrei – vorsorglich entfernt. Die beiden Fälle zeigen beispielhaft, dass die Symptome der Tollwuterkrankung mitunter sehr unklar sein können und aufgrund ihrer Seltenheit von den behandelnden Klinikern nicht erkannt werden. Außerdem zeigen sie, dass bei der Organspende potenziell eine Reihe von Infektionserregern übertragen werden kann, die mit den jetzigen Nachweistests bei den Organspendern nicht diagnostiziert werden können.
Klinik Die Inkubationszeit der Tollwut kann bei Menschen und Tieren stark variieren (von zehn bis zwölf Tagen bis zu mehreren Monaten). Überwiegend beträgt sie zwischen zwei bis sieben Wochen. Nur in zehn Prozent der Fälle vergehen mehr als drei Monate bis zur Entwicklung der Symptome. Es sind jedoch Einzelfälle beschrieben, bei denen die Tollwut erst nach einigen Jahren auftrat. Die Infektionen verlaufen, sobald erste Krankheitssymptome nachweisbar sind, nahezu ausnahmslos tödlich. Im Vergleich zu anderen Säugetieren gilt der Mensch als relativ unempfänglich für die Tollwuterkrankung. Vor Einführung der passiven und aktiven Impfung starben etwa 15 Prozent der Personen, die von tollwütigen Hunden gebissen worden waren. Oft zeigen sich trotz des Bisses eines nachweislich tollwütigen Tieres keine Krankheitsanzeichen, die Infektion konnte sich dann vermutlich nicht etablieren. Bisswunden im Gesichtsund Kopfbereich bergen ein wesentlich höheres Erkrankungsrisiko als solche an Armen oder Beinen. Die Entfernung der Bissstelle zum Gehirn, wo sich die Erkran-
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Unbehandelt ist die Tollwut beim Menschen (fast) immer tödlich Ob es asymptomatische Formen der Tollwuterkrankung gibt, ist unklar. Bei Reihenuntersuchungen an geimpften Tierärzten und Waschbärjägern in den USA fand man bei gesunden Personen in einigen Fällen niedrige Konzentrationen von rabiesvirusspezifischen Antikörpern. Diese Daten könnten ein Hinweis darauf sein, dass in seltenen Fällen inapparente Tollwutinfektionen möglich sind. Da die beobachteten Antikörperkonzentrationen jedoch sehr niedrig lagen, ist nicht auszuschließen, dass sie auf unspezifische
kung manifestiert, die Virusmenge, die dabei übertragen wird, und die möglicherweise unterschiedliche Virulenz verschiedener Isolate sind entscheidend für die Länge der Inkubationszeit und den Ausbruch der Tollwut. Die ersten Anzeichen einer Tollwuterkrankung sind ein Ziehen und Brennen an der Bissstelle, oft in Verbindung mit Kopfschmerzen, Gelenksteife und Fieber. Die akuten neurologischen Symptome äußern sich durch Hyperaktivität, Konvulsionen, Hyperventilation und Lähmungserscheinungen. Diese können in eine etwa zwei bis sieben Tage andauernde Phase der „rasenden Wut“ mit Hydrophobie (Wasserscheu), Schluckkrämpfen, steigendem Fieber, erhöhtem Speichelfluss und geistiger Verwirrtheit übergehen. Bei 20 Prozent der Patienten schließt sich daran die Phase der „stillen Wut“ an, die durch Lähmungen, Bewusstlosigkeit und Koma gekennzeichnet ist. Der Tod erfolgt durch Atemstillstand. Der Erkrankungsverlauf der durch Fledermausbisse übertragenen Tollwut unterscheidet sich von der durch z. B. Wolfsbisse. Jedoch entwickeln auch in diesen Fällen die Patienten mit manifester Infektion neurologische Symptome und versterben. Bei den Wild- und Haustieren sind die Symptome vielseitig. Im Vordergrund stehen zu Beginn der Erkrankung Verhaltensänderungen und häufig Aggressivität („rasende Wut“). Im fortgeschrittenen Stadium der „stillen Wut“ stellen Lähmungen und Krämpfe die Hauptsymptome dar. Charakteristische Symptome sind Larynxkrämpfe und eine daraus folgende scheinbare Hydrophobie, die Aufnahme von Steinen oder anderen Gegenständen (Allotriophagie) sowie sehr häufig Krämpfe der glatten Muskulatur (Tenesmus) und anhaltendes Brüllen. Die symptomatische Erkrankung verläuft bei allen genannten Wirten tödlich.
Reaktivitäten zurückzuführen sind. Gesichert ist bisher nur der Fall eines nicht gegen Tollwut geimpften 15-jährigen Mädchens, das von einer Fledermaus gebissen worden war und danach fieberhafte Symptome entwickelte. Bei Einweisung in das Krankenhaus fand man in ihrem Blut und Liquor hohe IgG-Titer gegen das virale G-Protein, aber kein Virus. Diese Patientin wurde in ein künstliches Koma versetzt; sie hatte offensichtlich die Erreger immunologisch kontrolliert und erholte sich ohne weitere Folgen von der Infektion.
Pathogenese Die Pathogenese der Infektion ist bei Menschen und Tieren ähnlich. Beim Biss gelangt das Virus in die Haut, das subkutane Bindegewebe und die Muskulatur. Es repliziert sich initial in den Haut-, Bindegewebs- oder Muskelzellen an der Bissstelle oder infiziert direkt durch Bindung an die Acetylcholin- und CD56-Rezeptoren die Nervenendigungen und Nervenfasern, die das entsprechende Gewebe versorgen. Zumindest in den Fällen mit kurzer Inkubationszeit ist davon auszugehen, dass das Virus sehr schnell direkt in die peripheren Nerven gelangt. Auch zeigten Infektionsversuche in Cokulturen von Muskel- und Nervenzellen, dass sich das Rabiesvirus sehr rasch an den neuromuskulären Kontaktstellen anreichert. Auch dies weist auf eine direkte Infektion der Nervenzellen hin. In den peripheren Nerven angelangt, wandert es im Axon mit einer Geschwindigkeit von acht bis zwanzig Millimetern pro Tag retrograd zum Rückenmark, vermehrt sich dort in den sekundären Neuronen, überwindet den synaptischen Spalt zwischen 2. und 1. Motoneuron und gelangt so in das Gehirn. Dabei werden nicht die kompletten Partikel, sondern die Nucleocapside von Zelle zu Zelle weitergegeben. Wie dabei die Synapsen überwunden werden, ist nicht bekannt. Es stellte sich heraus, dass für den transsynaptischen Übergang wohl infektiöse Viren vorliegen müssen, da dieser Vorgang von der Anwesenheit der G-Proteine in der Virushüllmembran abhängig ist. Bei Verwendung von Rabiesvirusmutanten, die keine G-Proteine produzieren, bleibt die Virusinfektion auf die Nerven an der Inokulationsstelle beschränkt und der transsynaptische Übertritt in sekundäre und primäre Neuronen unterbleibt. Erfolgt der Biss im Gesichtsbereich und das Virus hat direkten Zugang zu Hirnnerven, wird das Gehirn viel schneller erreicht.
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Die Hauptreplikationsorte im Gehirn sind Ammonshorn, Hippocampus und Hirnstamm. Es entsteht eine Encephalomyelitis. Die geweblichen Veränderungen sind gering, erst gegen Ende der Krankheit treten perivaskuläre Infiltrate auf. Es werden fast nur Neurone zerstört. Nach der Vermehrung im Gehirn wandert das Rabiesvirus anterograd entlang der einzelnen Hirnnerven in die Augenbindehaut und in die Speichel- und Hautdrüsen – es ist dann in Mengen von 106 Partikeln pro Milliliter in Speichel und Tränenflüssigkeit vorhanden. Zugleich erfolgt eine anterograde Ausbreitung in viele periphere Organe, etwa in die Nebennieren. Erst in dieser späten Infektionsphase bildet das Virus infektiöse Partikel. Auf welche Weise die klinischen Symptome entstehen, ist nicht bekannt. Man vermutet eine Störung der Neurotransmittersysteme. Es gibt Hinweise darauf, dass die Lähmungen immunpathologisch durch den Angriff cytotoxischer T-Lymphocyten auf die infizierten Nervenzellen hervorgerufen werden. Möglicherweise geschieht das über einen interferonvermittelten Mechanismus, da Interferon-γ und Interferon-α während der Frühphase der Infektion von stimulierten T-Helferzellen und Makrophagen sezerniert werden. Auch werden in den infizierten Gehirnzellen apoptotische Prozesse eingeleitet. Da Gehirnzellen nicht regenerationsfähig sind, können die Symptome auch hierdurch zumindest mitverursacht sein. Des Weiteren scheint im infizierten Gewebe die Synthese der induzierbaren NO-Synthase eingeleitet zu werden, welche zum Absterben der Gehirn- und Nervenzellen beiträgt. Wird ihre Aktivität gezielt durch Aminoguanidin gehemmt, folgt in vitro die Hemmung der Caspase-1 sowie eine verzögerte Apoptose und in vivo ei