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German Pages 373 Year 2006
Modellbildung und Simulation hochdynamischer Fertigungssysteme
Oliver Zirn
Sascha Weikert
Modellbildung und Simulation hochdynamischer Fertigungssysteme Eine praxisnahe Einführung
Mit 222 Abbildungen und 33 Tabellen
123
Professor Dr. Oliver Zirn FH Gießen-Friedberg FB Elektro- und Informationstechnik Wiesenstraße 14 35390 Gießen, Deutschland e-mail: [email protected]
Dr. Sascha Weikert ETH Zürich Institut Werkzeugmaschinen und Fertigung Tannenstraße 3 8092 Zürich, Schweiz e-mail: [email protected]
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ISBN-10 3-540-25817-5 Springer Berlin Heidelberg New York ISBN-13 978-3-540-25817-9 Springer Berlin Heidelberg New York Dieses Werk ist urheberrechtlich gesch¨ utzt. Die dadurch begr¨ undeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielf¨ altigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielf¨ altigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zul¨ assig. Sie ist grunds¨ atzlich verg¨ utungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2006 Printed in Germany MATLAB© and Simulink© are trademarks of The MathWorks, Inc. and are used with permission. The MathWorks does not warrant the accuracy of the text or exercises in this book. This book use or discussion of MATLAB© and Simulink© software or related products does not constitute endorsement or sponsorship by MathWorks of a particular pedagogical approach or particular use of the MATLAB© and Simulink© software. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daß solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten w¨ aren und daher von jedermann benutzt werden d¨ urften. Satz und Herstellung: LE-TEXJelonek, Schmidt und Vöckler GbR, Leipzig Einbandgestaltung: medionet AG, Berlin Gedruckt auf s¨ aurefreiem Papier
7/3141/YL - 5 4 3 2 1 0
Vorwort
Hintergrund Fertigungseinrichtungen auf der Basis von Werkzeugmaschinen und Robotern sind die Schlüsselkomponenten moderner Fertigungstechnik und unterliegen einem steten Produktivitätsdruck. Die Entwicklung immer leistungsfähigerer Komponenten – Antriebe, Steuerungen, Führungen, Getriebe – sowie neuer Materialien und Fertigungsverfahren ermöglichen heute den Bau von Fertigungssystemen mit gleichzeitig hoher Präzision und hoher Steifigkeit bei immer weiter gesteigerten Geschwindigkeiten. Die mitteleuropäischen Werkzeugmaschinen- und Roboterhersteller nehmen hier eine weltweite Spitzenstellung ein. Besonders die Entwicklung von Direktantrieben und neue kinematische Maschinenkonzepte haben die Entwicklung von Fertigungssystemen im vergangenen Jahrzehnt stark beeinflusst. Zugleich haben sich die Anforderungen an die Ingenieure, die mit der Weiterentwicklung dieser Maschinen befasst sind, grundlegend geändert. Beherrschten vor zehn Jahren noch weitgehend die maschinenbaulich geprägten Konstrukteure mit großem Erfahrungswissen die Werkzeugmaschinenentwicklung, so erfordert heute der Betrieb vieler Anlagen an der physikalisch-technischen Machbarkeitsgrenze eine enge Abstimmung zwischen Antriebs- und Steuerungstechnik sowie dem mechanischen Anlagenentwurf. Obgleich mechatronische Systeme in der Mikrosystemtechnik oder der Automobilindustrie ebenso anspruchsvolle Anwendungen erfordern, kann der Werkzeugmaschinenbau heute mit einigem Recht als die „Mechatronische Königsdisziplin“ gelten. Blickt man in die Belegschaften der Maschinenhersteller, so fällt das geringe Durchschnittsalter der Entwicklungsingenieure auf. Der erhebliche Abbau – vor allem von erfahrenen älteren Ingenieuren – in den 1990-er Jahren und die zwischenzeitliche Erholung in dieser Branche hat einen erheblichen Bedarf an Entwicklungsingenieuren der Fachrichtungen Maschinenbau, Elektrotechnik und Informatik erzeugt. An den fertigungstechnischen Instituten und Transfereinrichtungen der mitteleuropäischen Hochschulen wird der Stand der Technik durch anwendungsnahe Forschung beständig vorangetrieben. Durch die Ausbildung einer großen Zahl junger anwendungsorientierter Ingenieurwissenschaftler,
VI
Vorwort
die anschließend meist in der mittelständischen Werkzeugmaschinenindustrie aktiv sind, leisten die Universitäten einen wesentlichen Beitrag zur Bereitstellung von Fachkräften mit den benötigten hohen analytischen Fähigkeiten. Leider muss man feststellen, dass vor allem promovierte Entwicklungsingenieure nach wenigen Jahren in Mangementfunktionen vorrücken und somit ihre an den Instituten geschulten analytisch-wissenschaftlichen Fähigkeiten nur noch in geringem Maße in die Produktentwicklung einbringen. Damit stellen praxisnah ausgebildete Ingenieure von Fachhochschulen und Berufsakademien weiterhin das Rückgrat der Entwicklung und Applikation von Fertigungseinrichtungen dar. Dieses Buch wendet sich vor allem an diese praktisch tätigen Ingenieure. Es zeigt auf, wo auch mit begrenzter theoretischer Tiefe und unter den Zeitrestriktionen der Praxis mit Hilfe der Modellbildung und Simulation wichtige Systemeigenschaften von Neuentwicklungen vorausberechnet und bestehende Systeme gezielt optimiert werden können. Die Fähigkeit zur Modellbildung ist als analytische Mindestanforderung zur Vermeidung ruinöser „Trial and Error“-Vorgehensweisen anzusehen. Im Bereich der mechanischen Konstruktion ist die Finite-Elemente-(FE-) Berechnung mittlerweile fest etabliert. Die gekoppelte Simulation von geregelten Antrieben mit FE-Modellen der Maschinenstruktur bleibt mittelfristig aufgrund erheblicher Rechenzeiten und der erforderlichen Ressourcen zur Bedienung der komplexen Werkzeuge noch unwirtschaftlich. Somit sind Simulationen auf der Basis vereinfachter Starrkörpermodelle oder aus der FE-Analyse abgeleiteter Strukturmodelle eine wertvolle und kostengünstige Ergänzung zu Prototypentests. Beispielhaft wird hier das Simulationswerkzeug MATLAB/Simulink® behandelt, das in Industrie und Hochschulen stark verbreitet und mit vertretbarem Einarbeitungsaufwand handhabbar ist. Leserkreis Die Voraussetzungen und Ideen für dieses Buch resultieren aus der projektbezogenen wissenschaftlichen Arbeit der Autoren an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich mit verschiedenen namhaften Maschinen- und Antriebsherstellern und den Erfahrungen in der Lehre auf wissenschaftlichem sowie fachhochschulspezifisch anwendungsnahem Niveau an verschiedenen Hochschulen und Fortbildungseinrichtungen. Dieses Buch soll dem praxisnahen Ingenieur als Einführung und Anleitung dienen, moderne Methoden und Werkzeuge unter den Bedingungen der betrieblichen Praxis effizient einzusetzen. Dabei stellt der Beitrag kein mechatronisches Lehrbuch dar, sondern schlägt die Brücke zwischen der
Vorwort
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klassischen Grundlagenliteratur und den Produktbeschreibungen der Komponenten einer Werkzeugmaschine. Aufbau Im ersten Kap. werden die Grundlagen zur Beschreibung mechatronischer Systeme und die Vorgehensweise bei der Modellbildung dargestellt. Sie sollen dem Praktiker zur Erweiterung bzw. Auffrischung der im Studium erworbenen Grundlagen dienen. Anhand eines Tauchspulmotors werden diese Grundlagen verdeutlicht. Dieses einfache Beispiel wurde bewusst gewählt, da es noch eine analytische Beschreibung zulässt, aber bereits alle wesentlichen Komponenten einer Servoachse enthält. Leser mit tiefen Kenntnissen der Regelungstechnik und der systemtheoretischen Grundlagen können dieses Kap. überspringen. Im zweiten Kap. werden die zentralen Komponenten zum Aufbau von Fertigungseinrichtungen modelliert. Daraus resultiert eine Modellbibliothek – ohne jedoch den Anspruch der Vollständigkeit zu erheben. Vielmehr soll der Leser durch die Herleitung der einzelnen Komponentenmodelle eine Basis bekommen, von der aus er die geeignete Modellierung für seine Anwendungsfelder ableiten kann. Im dritten Kap. werden die heute verfügbaren Simulationswerkzeuge dargestellt und eine Einführung in die Implementierung von Werkzeugmaschinenmodellen in MATLAB©/Simulink© gegeben. Die Anwendung auf verschiedene Beispiele zeigt den Umgang mit dem Simulationswerkzeug auf und soll als Hilfestellung zur Einarbeitung dienen. Leser mit Erfahrungen im Umgang mit MATLAB/Simulink können dieses Kap. überspringen. Eine zentrale Fragestellung ist die Abschätzung der erreichbaren Leistungsfähigkeit im Entwurfsstadium einer Neuentwicklung. Hierzu steht aus Zeit- und Kapazitätsgründen nicht immer die rechnergestützte Simulation zur Verfügung. Daher werden im vierten Kap. vereinfachte Modelle hergeleitet und einfache „Handformeln“ angegeben, mit denen die Einstellparameter an Vorschubachsen schnell abgeschätzt werden können. Das fünfte Kap. befasst sich mit der Modellbildung und Simulation realisierter Werkzeugmaschinen. Dabei wurde bewusst eine sehr umfangreiche Darstellung gewählt, um mit diesen Beispielen eine effiziente Einarbeitung in unterschiedliche Schwierigkeitsgrade zu ermöglichen. Danksagung Die Autoren danken dem Vorsteher des Institutes für Werkzeugmaschinen und Fertigung der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, Herrn
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Vorwort
Prof. Dr. Konrad Wegener für die aktive Unterstützung dieses Buches und die vielfältigen Anregungen sowie den Mitarbeitern des IWF, Herrn Dr. Fredy Kuster, Herrn Dr. Wolfgang Knapp, Herrn Dipl.-Ing. ETH Michael Hadorn, Herrn Dr. Zdzislaw Rak und Herrn Dipl.-Ing. ETH Sergio Bissoni für die Diskussionsbereitschaft und viele Hilfestellungen. Herrn Dipl.-Ing (FH) Tobias Schöller, Rückle GmbH, D-Römerstein sowie der Tschudin AG, CH-Grenchen und der Mikron SA, CH-Agno gilt der besondere Dank für die zur Verfügung gestellten Beispiele und die Unterstützung der messtechnischen Untersuchungen für dieses Buch. Herrn Dr. Gerhard Kehl, Heller GmbH, D-Nürtingen, sei für die Anregungen und umfangreichen Diskussionen zur FE-Integration in die dynamische Simulation gedankt. Wertvolle Anregungen zur Robotik lieferte Herr Prof. Dr. W. Weber vom Robotik-Zentrum der FH Darmstadt. Den Kollegen und Mitarbeitern der Arbeitsgruppe Mechatronik der FH Gießen-Friedberg, Herrn Prof. Dr. Uwe Probst, Herrn Prof. Dr. Klaus Wüst, Herrn Prof. Dr. Dieter Koerth, Herrn Werner Kutsche, Herrn Werner Bergen, Herrn Dipl.-Ing. (FH) Axel Hoos, Frau Dipl.-Ing. (FH) Annett Monat sowie Herrn Dipl.-Ing. (FH) Michael Claus sei für die engagierte Mitarbeit im Rahmen der zur Entstehung dieses Buches beitragenden Projekte gedankt. Unser Dank gilt nicht zuletzt der Lektorin des Verlages, Frau Eva Hestermann-Beyerle, für den Anstoß zur Entstehung dieses Buches und die engagierte Unterstützung der Konzeptionsphase. Besonders danken wir unseren Ehepartnerinnen, Frau Dr. Birgit Zirn und Frau Dr. Claudia Scheer, für ihr liebevolles Verständnis während der absorbierten Wochenenden und so manchen Motivationsschub für die termingerechte Fertigstellung des Manuskriptes. Marburg/Zürich im Sommer 2005
Oliver Zirn und Sascha Weikert
Inhaltsverzeichnis
1
2
Einführung............................................................................... 1 1.1
Grundlagen zur Beschreibung mechatronischer Systeme .......... 4 1.1.1 Beschreibung im Zeitbereich .................................................. 5 1.1.2 Beschreibung im Frequenzbereich........................................ 15 1.1.3 Zeitdiskrete Systeme............................................................. 24
1.2
Modellbildung mechatronischer Systeme ................................... 1.2.1 Modellbildungssystematik .................................................... 1.2.2 Identifikation ........................................................................ 1.2.3 Validierung ...........................................................................
1.3
Analogiebetrachtungen ................................................................ 52
32 34 46 51
Modellbildung ....................................................................... 59 2.1
Elektrische Servoantriebe ............................................................ 61 2.1.1 Elektro-mechanisches Modell............................................... 61 2.1.2 Thermisches Modell ............................................................. 71
2.2
Mechanische Übertragungsglieder.............................................. 84
2.3
Achsbezogenes Strukturmodell ................................................... 93
2.4
Steuerung und Führungsgrößengenerierung ........................... 104
2.5
Kinetische Kopplung von Achsfreiheitsgraden ........................ 2.5.1 Ebene Kinematik ................................................................ 2.5.2 Räumliche Kinematik ......................................................... 2.5.3 Erweiterungen und Anwendbarkeitsgrenzen ......................
111 117 124 140
2.6
Maschinenbezogenes Strukturmodell ....................................... 2.6.1 Formalismus zur räumlichen Starrkörpermodellierung ...... 2.6.2 Aufbau des gesamten Maschinenmodells........................... 2.6.3 Transformationen................................................................ 2.6.4 Auswertung der Strukturmodelle........................................ 2.6.5 Verfeinerung der Strukturmodellierung..............................
143 147 153 170 174 182
2.7
Modellbildungsbeispiel direktangetriebene Rundachse .......... 183 2.7.1 Elektro-mechanisches Modell............................................. 185 2.7.2 Thermisches Modell ........................................................... 188
2.8
Modellbildungsbeispiel Schleifmaschine................................... 196
X
3
4
5
Inhaltsverzeichnis
Simulation........................................................................... 205 3.1
Simulationswerkzeuge ................................................................ 206 3.1.1 Rechnergestützte Simulation dynamischer Systeme........... 207 3.1.2 Software-Werkzeuge .......................................................... 212
3.2
Einführung in MATLAB /Simulink ........................................ 3.2.1 Basisfunktionen in MATLAB ............................................ 3.2.2 Script-Dateien und Funktionen........................................... 3.2.3 Blockschaltbilder mit Simulink .......................................... 3.2.4 Kurzübersicht MATLAB/Simulink ....................................
3.3
MATLAB /Simulink für Fortgeschrittene.............................. 3.3.1 Toolboxen........................................................................... 3.3.2 Echtzeitsimulation .............................................................. 3.3.3 Kombination mit weiteren Softwarewerkzeugen................
3.4
Simulationsbeispiel Tauchspulmotor ........................................ 231 3.4.1 Implementierung................................................................. 232 3.4.2 Validierung ......................................................................... 240
3.5
Simulationsbeispiel direktangetriebene Rundachse ................ 247 3.5.1 Elektro-mechanisches Modell ............................................ 247 3.5.2 Thermisches Modell ........................................................... 252
3.6
Simulationsbeispiel Schleifmaschine......................................... 258
©
©
©
©
213 215 217 219 224 225 225 229 230
Regelung von Servoantrieben ........................................... 265 4.1
Stromregler ................................................................................. 267
4.2
Geschwindigkeitsregler .............................................................. 271 4.2.1 Elastizitäten im Geschwindigkeitsregelkreis ...................... 272 4.2.2 Dämpfungsoptimale Reglereinstellung............................... 276
4.3
Lageregelung ............................................................................... 4.3.1 Lageregelverstärkung ......................................................... 4.3.2 Vorsteuerung ...................................................................... 4.3.3 Störübertragungsverhalten..................................................
285 285 287 289
4.4
Quantisierungseffekte und Filtereinstellungen ........................ 4.4.1 Inkrementelle Positionserfassung ....................................... 4.4.2 Drehzahlsollwertfilter ......................................................... 4.4.3 Stromsollwertfilter..............................................................
292 293 296 297
4.5
Zusammenfassung ...................................................................... 299
Beispiele aus der industriellen Praxis .............................. 303 5.1
Direktangetriebene Dreh-Schwenkeinheit................................ 303
5.2
Fräsmaschine .............................................................................. 314
5.3
Parallelkinematik........................................................................ 324
Inhaltsverzeichnis
XI
Anhang ................................................................................. 339 Anhang A..................................................................................... 339 Anhang B ..................................................................................... B1 Führungsgrößengenerator für eine Positioniersteuerung .... B2 Führungsgrößengenerator für eine Bahnsteuerung ............. B3 MATLAB-Programme der Führungsgrößengeneratoren....
340 340 342 347
Anhang C..................................................................................... 353
Literatur............................................................................... 357
1 Einführung
Die Entwicklung von Werkzeugmaschinen und Robotern ist ein faszinierendes Aufgabenfeld, in dem das Zusammenwirken von Ingenieuren aus den Bereichen Maschinenbau, Informatik und Elektrotechnik die zentrale Rolle spielt. Alle Beteiligten benötigen dazu eine ausreichende Basis mechatronischen Wissens. Die Wettbewerbssituation ist in den automatisierungs- und fertigungstechnischen Branchen heute sehr angespannt. Die weitgehend erfahrungsbasierte Entwicklung der Vergangenheit mit umfangreichen Prototypenund Nullserientests ist unter den aktuellen Restriktionen bezüglich Entwicklungszeit und -kosten nicht mehr möglich. Die Erstinbetriebnahme einer neuen Maschine beim Kunden ersetzt heute oft herstellerinterne Prototypentests – eine verhängnisvolle Entwicklung, die zu hektischen „Feuerwehrübungen“, finanziellen Verlusten und einem schwindenen Vertrauen der Kunden bzw. Anwender führt. Aktuelle Beispiele hierzu sind die um die Jahrtausendwende entwickelten direkt angetriebenen Werkzeugmaschinen. Ihre Produktivität war in weit geringerem Maße gestiegen, als es die Forschungsresultate der Werkzeugmaschineninstitute in Mitteleuropa aus den 90er Jahren und die Werbung der Antriebshersteller erwarten ließ. Die Gründe hierfür werden in diesem Buch ausführlich erläutert und mögliche Abhilfen aufgezeigt. Zudem wiesen die ersten ausgelieferten Maschinen aufgrund mangelnder elektrischer Abstimmung der Antriebsketten erhebliche Ausfallwahrscheinlichkeiten auf. Dies hat neben teils verheerenden Auswirkungen auf die Bilanz der Werkzeugmaschinenhersteller zu einem erheblichen Vertrauensverlust der Anwender in diese Technik geführt, die eigentlich als zuverlässiger und produktiver eingeschätzt wurde. Die rechnergestützte Simulation bietet einen viel versprechenden Ausweg aus dieser unbefriedigenden Situation. Der Vorteil der Simulation ist in anderen Branchen (Luft- und Raumfahrt, Mikrosystemtechnik, Fahrzeugtechnik) inzwischen unbestritten. In den dort tätigen großen Unternehmen konnte die Simulation von den personell gut ausgestatteten Berechnungsabteilungen eingeführt und betrieben werden. Dennoch gab es Ende der 90er Jahre auch hier Rückschläge (unzureichende Stabilität vorwiegend simulativ entwickelter und kaum getesteter Fahrwerke in Grenzsituationen – Stichwort „Elchtest“). Heute besitzt man in diesen Bereichen eine sehr
2
1 Einführung
ausgereifte Vorstellung vom Sinn und Nutzen der Simulation und validiert die Ergebnisse an wenigen, jedoch aussagekräftigen Prototypentests. Für Werkzeugmaschinen und Roboter wurden in den vergangenen Jahren an verschiedenen Forschungsinstituten erhebliche Anstrengungen unternommen, um die dynamischen Eigenschaften der Maschinenstruktur unter Einbindung der Regelung der Achsantriebe und der Prozesslasten gekoppelt zu simulieren (Berkemer 2002, Großmann et al. 2004, Denkena et al. 2005). Aufgrund der hohen Aufwendungen für die Werkzeuge und die hohen Anforderungen an die ausführenden Berechnungsingenieure sind diese Simulationsmethoden noch nicht – oder nur in sehr großen Unternehmen mit entsprechenden Simulationsgruppen – umgesetzt (Kehl 2004). Die meisten der Roboter- und Werkzeugmaschinenhersteller sind mittelständisch geprägte Unternehmen. Hier muss die mechatronische Simulation als Zusatzaufgabe vom Antriebsspezialisten, dem Projektleiter oder dem Konstrukteur bearbeitet werden. Vielfach werden Berechnungsaufgaben auch von externen Dienstleistern bearbeitet (z.B. Finite-Elemente-Analyse, Antriebsauslegung). Um mittelfristig mechatronische Kompetenz im Unternehmen bilden und erweitern zu können, sollte die Berechnung und Simulation jedoch soweit wie möglich von den internen Entwicklungsingenieuren wahrgenommen werden. Nur so ist sichergestellt, dass die Erfahrungen aus dem praktischen Betrieb dauerhaft in die Verbesserung der Modelle und Berechnungsmethoden einfließen. Dazu sind Simulationswerkzeuge und Modellbildungsmethoden erforderlich, die unter den gegebenen Zeitrestriktionen eingesetzt werden können. Das Ziel dieses Buches ist daher die anwendernahe Einführung in die Modellbildung und Simulation von Werkzeugmaschinen und Robotern für ein mittelständisches Umfeld. Dabei wird gezeigt, wie durch Mehrkörpermodelle (anstelle von bzw. abgeleitet aus FE-Analysen) die wesentlichen Eigenschaften ausreichend genau nachgebildet werden können. Diese Mehrkörpermodelle sind mit dem heute weit verbreiteten und vergleichsweise leicht zu handhabenden Simulationswerkzeug MATLAB®/Simulink® implementier- und analysierbar. Dabei können die hier dargestellten Modelle und Beispiele nicht umfassend sein, sondern stellen vielmehr eine Modellbibliothek für Werkzeugmaschinen, Roboter und deren wichtigste Komponenten dar, die die Einarbeitung und das Verständnis für die Zusammenhänge erleichtern und entsprechend der aktuellen Aufgabenstellung zu einem effizienten Werkzeug zusammengesetzt werden können. Speziell für die Konzeptphase von Fertigungseinrichtungen, wenn neben Lastenheft und wenigen Handskizzen keine weiteren Details der zukünftigen Maschine – und schon gar keine CAD-Daten, wie sie für die FEM erforderlich sind – bekannt sind, bieten die hier eingeführten Starrkörpermodelle
1.1 Grundlagen zur Beschreibung mechatronischer Systeme
3
die Möglichkeit, schnell Aussagen zur Leistungsfähigkeit und zu den Grenzen der Maschine zu erhalten. Abbildung 1.1 zeigt die Modellbildungsschritte vom realen System über das physikalische Modell zu einem implementierten mathematischen Modell am Beispiel einer Werkzeugmaschine auf. Das in einem Simulationswerkzeug implementierte Modell erlaubt die Simulation interessierender Systemeigenschaften, wie zum Beispiel die Bahn des Werkstückes im Vergleich zur Sollbahn. Bei aller nutzbringenden Umsetzung der Modellbildung zur Simulation von Systemeigenschaften sei ein großer, jedoch schwer quantifizierbarer Vorteil gesondert hervorgehoben: Ein Ingenieur, der in der Lage ist, sein Produkt ausreichend genau zu modellieren, gewinnt damit ein sehr hohes Systemverständnis. Damit wird P h y s ik a lis c h e s M o d e ll: z .B . S ta r r k ö r p e r m o d e ll
O r ig in a ls y s te m : z .B . D re h -/S c h w e n k a c h s e
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Abb. 1.1. Modellbildung und Simulation
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4
1 Einführung
er nicht nur wesentliche Beiträge zur Weiterentwicklung leisten können, sondern auch zur kurzfristigen Problembehandlung effizient beitragen. Diese gesteigerte unternehmensinterne Kompetenz wird auch zunehmend von den Anwendern von Fertigungsanlagen eingefordert.
1.1 Grundlagen zur Beschreibung mechatronischer Systeme Zunächst werden die systemtheoretischen Grundlagen dargestellt, die zur mathematischen Beschreibung mechatronischer Systeme sinnvoll bzw. erforderlich sind. Dabei werden nur die Methoden und Darstellungsarten L a g e r e g le r ( E c h tz e its y s te m ) : m in im a le A b ta s tz e it T sx= 0 ,1 m s
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S p a n n u n g s L a g e r e g le r W ic k lu n g V e rs tä rk e r ( E c h tz e its y s te m ) U Z R L K v U s o ll x s o ll U i U I x 1 0 V
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P o s itio n s m e s s u n g
Abb. 1.2. Tauchspulmotor als mechatronisches Beispielsystem: gerätetechnischer Aufbau des Testsystems, Parametertabelle und physikalisches Modell
1.1 Grundlagen zur Beschreibung mechatronischer Systeme
5
behandelt, die in den nachfolgenden Abschnitten eingesetzt werden. Die hier angesprochenen Themen sind vollständig und teils sehr detailliert in der einschlägigen Literatur beschrieben (Unbehauen 1987, Ackermann 1988, Föllinger 1993, Lutz u. Wendt 2004), auf die verschiedentlich verwiesen wird. Zur Verdeutlichung im Rahmen der Einführung werden diese Methoden auf den Tauchspulmotor in Abb. 1.2 angewandt. Dieser Antrieb ist ein einfaches – aber bereits mechatronisches – Beispielsystem, an dem die wesentlichen Eigenschaften von Servoantrieben aufgezeigt werden können. In der in Abb. 1.2 gezeigten Ausführung wird der Antrieb für hochdynamische Direktantriebe in Verbindung mit kleinen bewegten Massen, beispielsweise für die Unrundbearbeitung oder für Bonding-Automaten in der Halbleiterverarbeitung eingesetzt. Auch der Antrieb elektrodynamischer Lautsprecher sowie die Mehrzahl der steuerbaren Ventilantriebe in Pneumatik und Hydraulik werden mit einem vergleichbaren Aktor betätigt. Der Antrieb wird mit einem einfachen Proportional-Positionsregler versehen, um einer sprungförmigen Positionsänderung folgen zu können. Dieses Beispielsystem soll in diesem Kapitel als rein lineares System behandelt werden, um die wesentlichen dynamischen Eigenschaften zu verdeutlichen. Die messtechnische Validierung in Abschn. 3.3 zeigt, dass die Reibung – und bei entsprechend angepasstem Regler auch die Stellgrößensättigung – als nichtlineare Effekte berücksichtigt werden müssen, um eine ausreichende Modellgenauigkeit zu erreichen. Die Erfahrung der Autoren in der Hochschulausbildung sowie in der berufsbegleitenden Erwachsenenbildung hat gezeigt, dass der Einstieg in die anspruchsvolle Materie der hochdynamischen Servoantriebe mit dem Tauchspulmotor vergleichsweise leicht fällt und anschaulich bleibt. Die vielen System- und Einstellparameter einer modernen Servoachse – beispielsweise in den Inbetriebnahme- und Projektierungsunterlagen der Antriebshersteller dokumentiert – erscheinen weit übersichtlicher, wenn man zur Modellbildung zunächst nur die schon für den einfachen Tauchspulmotor relevanten Parameter herausarbeitet und dann mit den für den realen Servoantrieb zusätzlich relevanten Parametern ergänzt. 1.1.1 Beschreibung im Zeitbereich Das dynamische Verhalten von Robotern und Werkzeugmaschinen wird durch ihre mechanischen, elektrischen, informationsverarbeitenden und ggf. hydraulisch/pneumatischen Teilsysteme, die miteinander in Wechselwirkung treten, bestimmt. Die Beschreibung der Teilsysteme erfolgt durch die physikalischen Basisbeziehungen
6
• • • • •
1 Einführung
Kräfte- und Momentengleichgewichte (Impuls- und Drallsatz) Ohm’sches Gesetz Induktionsgesetz Kontinuitätsgleichungen Elastizitätstheorie (Hooke’sches Gesetz)
oder durch eine gleichungsbasierte Darstellung der informations-verarbeitenden Algorithmen (z.B. das Regelgesetz). Diese Basisbeziehungen können durch lineare Differentialgleichungen der Form n
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i =1
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= b0 ⋅ u (t ) +
m< n
¦
bi ⋅
i =1
d iu (t ) dt i
(1.1)
dargestellt werden. Die Ordnung n der Differentialgleichung richtet sich nach der Zahl der „Energiespeicher“ im System. Dabei ist u(t) die Eingangsgröße und x(t) die interessierende Systemgröße (Ausgangsgröße).
Beispiel Tauchspulmotor 1: Für den Tauchspulmotor in Abb. 1.2 können folgende Basisbeziehungen angesetzt werden: • Maschenregel im elektrischen Teilsystem U (t ) =
R ⋅ I (t ) + L ⋅
dI (t ) + U i (t ) dt
(1.2)
• Ermittlung der bewegungsbedingt induzierten Spannung U i (t ) = 2 ⋅ w ⋅ c ⋅ B ⋅
dx1 (t ) = dt
KS ⋅
dx1 (t ) dt
(1.3)
Da die induzierte Spannung Ui bei permanenterregten Motoren proportional zur Geschwindigkeit des Ankers (hier der Tauchspule) ansteigt, werden die unveränderlichen Geometrie-, Wickel- und Feldparameter zur Spannungskonstante KS zusammengefasst, die üblicherweise in den Produktunterlagen eines Motors angegeben ist. • Ermittlung der Lorenz-Kraft F (t ) = 2 ⋅ w ⋅ c ⋅ B ⋅ I (t ) =
K F ⋅ I (t )
(1.4)
Die Kraft F, die der Motor entwickelt, ist proportional zum Motorstrom I. Die unveränderlichen Geometrie-, Wickel- und Feldparameter werden zur Kraftkonstante KF zusammengefasst. Spannungs- und Kraftkonstante sind bei diesem sehr einfachen Antrieb gleich. Bei etwas komplexeren Antrieben (Servo- oder Linearmotoren) sind sie näherungsweise gleich groß.
1.1 Grundlagen zur Beschreibung mechatronischer Systeme
7
• Kräftegleichgewichte an den freigeschnittenen elastisch gekoppelten Teilmassen aus Abb. 1.2 d 2 x1 (t ) (1.5) = F (t ) − k ⋅ ( x1 (t ) − x2 (t ) ) dt 2 d 2 x2 (t ) (1.6) m2 ⋅ = k ⋅ (x1 (t ) − x2 (t ) ) − FL (t ) dt 2 Dabei ist das Hooke’sche Gesetz zur Ermittlung der Federkraft Fk in den Gl. (1.5), (1.6) bereits berücksichtigt. m1 ⋅
• Regelgesetz
U (t ) = K v ⋅ ( xsoll (t ) − x1 (t ) )
(1.7)
Durch eine bereits recht aufwändige Umformung der Gl. (1.2)–(1.6) kann eine Differentialgleichung der Regelstrecke des Tauchspulmotors gemäß Gl. (1.1) angegeben werden (Ausgangsgröße x(t)=x2(t) ): dx2 (t ) d 2 x2 (t ) + R ⋅ k ⋅ (m1 + m2 ) ⋅ dt dt 2 3 d x2 (t ) (1.8) + [L ⋅ k ⋅ (m1 + m2 ) + m2 ⋅ K F ⋅ K S ]⋅ dt 3 d 4 x2 (t ) d 5 x2 (t ) L m m + R ⋅ m1 ⋅ m2 ⋅ + ⋅ ⋅ ⋅ = k ⋅ K F ⋅ U (t ) 1 2 dt 4 dt 5 Der geregelte Tauchspulmotor ist ein System 5. Ordnung mit zwei Eingangsgrößen (Sollwert xsoll und Lastkraft FL) sowie zwei relevanten Ausgangsgrößen (Lastposition x2 und gemessene spulenseitige Position x1). In der Differentialgleichung gemäß Gl. (1.8) ist nur die Stellgröße U(t) und die Lastposition x2(t) als Ausgangsgröße berücksichtigt. Zur effizienten Darstellung mehrerer Eingangs- und Ausgangsgrößen ist die nachfolgend erläuterte Zustandsdarstellung besser geeignet. ♦ 0 ⋅ x2 (t ) + k ⋅ K F ⋅ K S ⋅
Für lineare Differentialgleichungen existieren Lösungsmethoden, mit denen die Reaktion des Systems für bestimmte Anfangsbedingungen und Eingangsgrößen berechnet werden kann. In (Lutz u. Wendt 2004) werden verschiedene Beispiele 1. und 2. Ordnung mit einem vierstufigen Verfahren behandelt: 1. 2. 3. 4.
allgemeine Lösung der homogenen DGL spezielle Lösung der inhomogenen DGL allgemeine Lösung der inhomogenen DGL Berücksichtigung der Anfangsbedingungen
8
1 Einführung
Diese Lösungsmethoden sind jedoch nur für einfache Systeme und einfache Eingangsgrößen (Sprung- oder Rampenfunktionen) analytisch lösbar. Eine derart starke Vereinfachung würde allerdings wesentliche Eigenschaften realer Achsen an Robotern und Werkzeugmaschinen nicht mehr berücksichtigen. Bereits am Beispiel des noch sehr einfachen Tauchspulmotors wird deutlich, dass eine realistische Beschreibung von Antriebssystemen eine höhere Systemordnung erfordert. Für die Beschreibung von nichtlinearen Systemteilen (z.B. Sättigung, Quantisierung, nichtlineare Kennlinien) sind die Differentialgleichungen entsprechend zu erweitern. Da die Lösung von nichtlinearen Differenzialgleichungen sehr aufwändig ist, wird oft um den interessierenden Arbeitspunkt herum linearisiert. Diese Linearisierung kann bei dominanten Nichtlinearitäten, beispielsweise bei trockener Gleitreibung oder Haftreibung, bereits eine unzulässige Vereinfachung darstellen. Die analytische Lösung der das System beschreibenden Differentialgleichungen im Zeitbereich ist für den Entwicklungsingenieur offensichtlich nicht effizient. Die Differentialgleichungen bilden jedoch die Grundlage für die Systembeschreibung durch Wirkungs- oder Signalflusspläne (lineare und nichtlineare Blockschaltbilder), auf die im Rahmen der Modellbildungssystematik in Abschn. 2.1 näher eingegangen wird. Für lineare Systeme mit vielen Energieträgern sowie mehreren Ein- und Ausganggrößen bietet sich die Zustandsraumdarstellung an. Zur Herleitung der Zustandsraumdarstellung sei auf die umfangreiche Literatur zu diesem Thema verwiesen (Unbehauen 1987, Ackermann 1988, Föllinger 1993, Isermann 2003, Lutz u. Wendt 2004). Unter den Zuständen eines mechatronischen Systems versteht man zweckmäßigerweise energietragende Systemgrößen, z.B. Position und Geschwindigkeit von Starrkörpern, elektrischer Strom und elektrische Spannung sowie Druck und Strömungsgeschwindigkeit von Medien. Diese n Zustandsgrößen werden in einem Zustandsvektor x (t ) =
(x1 (t ), x2 (t ),..., xn (t ) )T ,
(1.9)
die m Eingangsvariablen des Systems – meist die Stell- und Störgrößen – werden im Eingangsvektor
u(t ) =
(u1 (t ), u2 (t ),...,um (t ))T ,
(1.10)
und die r Ausgangsgrößen werden im Ausgangsvektor y (t ) =
( y1 (t ), y2 (t ),..., yr (t ) )T
(1.11)
1.1 Grundlagen zur Beschreibung mechatronischer Systeme
9
zusammengefasst. Aus den Basisgleichungen des Systems können n Zustandsdifferentialgleichungen angegeben werden: dx1 = a11 ⋅ x1 + a12 ⋅ x2 + ... + a1n ⋅ xn + b11 ⋅ u1 + ... + b1m ⋅ u m dt (1.12) ... dxn = an1 ⋅ x1 + an 2 ⋅ x2 + ... + ann ⋅ xn + bn1 ⋅ u1 + ... + bnm ⋅ u m dt Die Ausgangsvariablen des Systems ergeben sich allgemein aus den Zustands- und Eingangsvariablen: y1 = c11 ⋅ x1 + c12 ⋅ x2 + ... + c1n ⋅ xn + d 11 ⋅ u1 + ... + d 1m ⋅ u m (1.13) ... y r = cr 1 ⋅ x1 + cr 2 ⋅ x2 + ... + crn ⋅ xn + d r 1 ⋅ u1 + ... + d rm ⋅ u m
Diese Gleichungen können in Matrixform sehr effizient dargestellt werden: d (1.14) x (t ) = A ⋅ x ( t ) + B ⋅ u ( t ) dt (1.15) y(t ) = C ⋅ x(t ) + D ⋅ u(t ) Dabei bezeichnet man die (n x n)–Matrix A als Zustands- oder Systemmatrix, die (n x m)–Matrix B als Steuer- oder Eingangsmatrix und die (r x n)–Matrix C als Ausgangsmatrix. Die Elemente der (r x m)–Durchgangsmatrix D sind bei der Mehrzahl der technischen Systeme Null, da die Stellgrößen meist nur indirekt auf die Systemzustände wirken können. In Abb. 1.3 ist die Zustandsdarstellung graphisch durch ein Signalflussbild verdeutlicht. Werden die Zustandsgrößen erfasst und zur Regelung mit dem Rückführvektor =
r
(r1 , r2 ,..., rn )T .
(1.16)
zurückgeführt, so kann das Verhalten des geregelten Systems wie folgt beschrieben werden: d (1.17) x (t ) = A + b ⋅ r T ⋅ x ( t ) + B * ⋅ u * (t ) dt
[
]
Dabei ist der Vektor b die zur Stellgröße u(t) gehörende Spalte der Steuermatrix und B* beinhaltet die restlichen Spalten. Entsprechend werden im Vektor u* die übrigen Eingangsgrößen des Systems (meist die Störgrößen) zusammengefasst. Zum Ausgleich stationärer Regelfehler durch die Rückführung muss die Vorfilterverstärkung V vorgesehen werden.
10
1 Einführung u *( t)
x
s o ll
V
u (t)
B *
x (t= 0 )
d x d t b
x C
y (t)
A r T
Abb. 1.3. Allgemeines Signalflussbild einer Zustandsraumdarstellung, Zustandsregelung
Mit dem vollständigen Zustandsregler, bei dem alle Systemzustände erfasst und zur Regelung zurückgeführt werden, kann die beste Regelgüte erreicht werden. Allerdings stehen an realen Anlagen nicht alle Zustandsgrößen als gemessene Größen zur Verfügung. Weiterhin erfordert die Auslegung eines Zustandsreglers eine genaue Kenntnis der Systemparameter und ein vergleichsweise hohes Ausbildungsniveau des Inbetriebnahmepersonals. Da Zustandsregelungen an realen Anlagen zudem empfindlich gegen Stellgrößensättigung und Parametervariationen reagieren, haben sie sich nicht für Servoantriebe durchgesetzt. In der regelungstechnischen Literatur werden Beobachter eingeführt, um schwer oder nicht messbare Zustandsgrößen zu erfassen. An Werkzeugmaschinen und Robotern wurden derartige Strukturen zwar bislang untersucht (Phillip 1992, Hagl 1992) aber aufgrund praktischer Restriktionen (Parameterempfindlichkeit, Justageaufwand) nicht in serienreife Antriebssysteme umgesetzt.
Beispiel Tauchspulmotor 2: Der Tauchspulmotor aus Abb. 1.2 besitzt fünf energietragende Systemgrößen, aus denen der Zustandsvektor gebildet werden kann: • • • • •
Position x1 der motorseitigen Masse (potentielle Energie) Geschwindigkeit v1 der motorseitigen Masse (kinetische Energie) Position x2 der lastseitigen Masse (potentielle Energie) Geschwindigkeit v2 der lastseitigen Masse (kinetische Energie) Motorstrom I (magnetische Energie)
x (t ) =
(x1 (t ), x2 (t ), v1 (t ), v2 (t ), I (t ))T
(1.18)
1.1 Grundlagen zur Beschreibung mechatronischer Systeme
11
Aus den Basisbeziehungen in Gl. (1.2)–(1.6) des Tauchspulmotors können die linearen Zustandsdifferentialgleichungen hergeleitet werden: dx1 (t ) dt dx2 (t ) dt
dv1 (t ) dt
= −
dv2 (t ) dt dI (t ) dt
=
= v1 (t )
(1.19)
= v2 (t )
(1.20)
k k K ⋅ x1 (t ) + ⋅ x2 (t ) + F ⋅ I (t ) m1 m1 m1
(1.21)
F (t ) k k ⋅ x1 (t ) − ⋅ x2 (t ) − L m2 m2 m2
(1.22)
R K U (t ) ⋅ I (t ) − S ⋅ v1 (t ) + L L L
(1.23)
= −
Als Ausgangsgrößen sind beim hier zunächst eingesetzten einfachen Proportionalregler für die Lage der motorseitigen Position nur die Zustandsgrößen x1 und x2 von Interesse. In Matrizendarstellung können diese Zustandsgleichungen und die Ausgangsgleichungen wie folgt zusammengefasst werden: d x (t ) = dt
§ U (t ) · ¸¸ A ⋅ x (t ) + B ⋅ ¨¨ © FL (t ) ¹
(1.24)
y(t ) = C ⋅ x(t )
(1.25)
mit der Zustandsmatrix
0 ª 0 « 0 0 « A = «− k / m1 k / m1 « « k / m2 − k / m2 « 0 0 ¬
1
0
0 0
1 0
0
0
− KS / L 0
0
º 0 »» K F / m1 » » 0 » − R / L »¼
(1.26)
der Steuermatrix
B =
[b1
0 º ª 0 « 0 0 »» « b2 ] = « 0 0 » « » « 0 − 1 / m2 » «¬1 / L 0 »¼
(1.27)
12
1 Einführung
und der Ausgangsmatrix C
ªc º ª1 0 0 0 0 º = « 1» = « » ¬0 1 0 0 0 ¼ ¬c 2 ¼
(1.28)
Der Rückführvektor für das Regelgesetz gemäß (1.7) lautet: r
=
(K v ,0,0,0,0 )T
(1.29)
Daraus ergibt sich die Zustandsgleichung des lagegeregelten Tauchspulmotors zu d x (t ) = dt
[A + b ⋅ r ]⋅ x (t ) + b T
1
2
⋅ FL (t )
(1.30) ♦
An diesem Beispiel wird wieder deutlich, dass die analytischen Lösungsverfahren im Zeitbereich (Lutz u. Wendt 2004) hier nicht mehr mit vertretbarem Aufwand anwendbar sind. Damit wird durch die Zustandsdarstellung zunächst lediglich eine effizientere Beschreibung des mechatronsichen Systems ermöglicht. Zur Analyse des dynamischen Verhaltens bedarf es weiterer Hilfsmittel, die nachfolgend behandelt werden. Für den lagegeregelten Tauchspulmotor ist der mit dem Modell gemäß Gl. (1.30) simulierte Verlauf der Sprungantwort (d.h. des zeitlichen Verlaufes der Istpositionen x1,2(t) bei sprungförmiger Änderung der Sollposition xsoll) für verschiedene Regelverstärkungen Kv in Abb. 1.4 dargestellt. Abbildung 1.5 zeigt die Reaktion auf einen Störgrößensprung. An den Zeitverläufen in Abb. 1.4 und Abb. 1.5 können die wesentlichen Kenngrößen des zeitlichen Systemverhaltens erläutert werden: • Aperiodische Reglereinstellung (hier Kv =150 V/m) Die aperiodische Reglereinstellung ist für Lageregelkreise oft erforderlich, um ein Überschwingen der Position und damit Kollisionen oder Beschädigungen des Werkstückes zuverlässig zu vermeiden. Diese – verschiedentlich als „konservativ“ bezeichnete – Reglereinstellung weist nur eine mäßige Störsteifigkeit auf, reagiert aber auf zeitliche Änderungen der Störgröße ebenfalls aperiodisch gedämpft. Im vorliegenden Beispiel wird eine dauerhafte Lastkraft von FL=8 N eine dauerhafte Regelabweichung an der motorseitigen Masse von ∆x1=8,9 mm erzeugen. Die Abweichung der lastseitigen Masse ist bedingt durch die Federsteifigkeit k der Kopplung noch etwas größer. Der geregelte Antrieb
1.1 Grundlagen zur Beschreibung mechatronischer Systeme
13
reagiert auf eine Lastkraft wie eine Feder. Man spricht in diesem Zusammenhang deshalb auch von der statischen Achssteifigkeit : FL Kv ⋅ K F (1.31) K stat = = ∆x1 R die hier ca. 0,9 N/mm beträgt. Diese statische Steifigkeit kann gemäß Gl. (1.31) anhand der Regelverstärkung und der Streckenparameter abgeschätzt werden. • Gut gedämpfte Reglereinstellung (hier Kv =300 V/m) Von einer gut gedämpften Reglereinstellung spricht man, wenn der Istwert zwar etwas überschwingt, sich jedoch anschließend schnell ohne weiteres Unterschwingen dem Sollwert nähert. Für viele Anwendungen, bei denen ein schnelles Erreichen des Sollwertes beabsichtigt wird (z.B. Drehzahlregelung, Stromregelung) ist dies ein brauchbares Systemverhalten. Bei einer zeitlichen Änderung der Störgröße reagiert das geregelte System vergleichbar „gutmütig“. Sprungantwort des P−lagegeregelten Tauchspulmotors 0.02
−−−xsoll, x1 in m ____x1 in m, ....x2 in m
0.018 0.016
0.014
Kv=900 V/m
0.012
Kv=300 V/m
0.01
0.008
0.006
K =150 V/m
0.004
v
0.002
0
0
0.1
0.2
0.3
0.4
0.5
t in s
Abb. 1.4. Sprungantwort des geregelten Tauchspulmotors bei einem Sollgrößensprung für verschiedene Lageregelverstärkungen Kv
14
1 Einführung Störsprungantwort des P−lagegeregelten Tauchspulmotors 0
−−−FL/kN, ____x1 in m, ....x2 in m
−0.002 Kv=900 V/m −0.004
−0.006 Kv=300 V/m −0.008
−0.01 K =150 V/m v
−0.012
−0.014
0
0.1
0.2
0.3
0.4
0.5
t in s
Abb. 1.5. Sprungantwort des geregelten Tauchspulmotors bei einem Störgrößensprung für verschiedene Lageregelverstärkungen Kv
Anregelzeit Tan Als Anregelzeit bezeichnet man die Zeitspanne, die der Istwert benötigt, um den Sollwert erstmals zu erreichen. In diesem Beispiel beträgt diese Zeit ca. 0,13 s. Ausregelzeit Taus Als Ausregelzeit bezeichnet man die Zeitspanne, die der Istwert benötigt, um dauerhaft innerhalb eines gewissen Toleranzbereiches (z.B. ± 5%) um den Sollwert herum zu verbleiben. Hier beträgt diese Zeit ca. 0,25 s. Überschwingweite ü Die Überschwingweite ü wird auf den Sollgrößensprung bezogen ü =
max (x1, 2 (t ) ) − ∆xsoll ∆xsoll
(1.32)
Im vorliegenden Beispiel beträgt ü ca. 10%. Je nach Anwendung können Überschwingweiten von 20..40% toleriert werden. • Schlecht gedämpfte Reglereinstellung (hier Kv =900 V/m) Die weitere Erhöhung der Regelverstärkung bringt zwar eine Verbesserung der Laststeifigkeit, jedoch wird dies durch ein erhebliches Schwingen des Antriebes bei zeitlichen Änderungen der Sollgröße sowie der Last
1.1 Grundlagen zur Beschreibung mechatronischer Systeme
15
erkauft. Der so eingestellte Antrieb reagiert unruhig, laut und erzeugt erhebliche Regelverlustleistungen. Für die meisten Regelkreise sind derartige Einstellungen unbrauchbar. 1.1.2 Beschreibung im Frequenzbereich
Regt man ein lineares System mit einer harmonischen Eingangsgröße an, so wird sich nach Abklingen der transienten Einschwingvorgänge eine Ausgangsgröße gleicher Frequenz, jedoch anderer Amplitude und mit einer Phasenverschiebung behaftet, einstellen (Abb. 1.6). Drückt man die sinusförmigen Signale durch komplexe Zeigergrößen aus, so kann das Übertragungsverhalten des linearen Systems durch den Quotienten von Eingangs- und Ausgangssignal – die so genannte komplexe Übertragungsfunktion G(jω) – beschrieben werden: G ( jω ) =
x ( jω ) xˆ ⋅ e j (ωt +ϕ ) xˆ jϕ = ⋅e = uˆ u ( jω ) uˆ ⋅ e jωt
= G ( jω ) ⋅ e u ( t ) = û .s i n ( w t ) K ( j w ) = û .e
j0
j ⋅ϕ ( jω )
(1.33)
= Re{G ( jω )} + Im{G ( jω )}
G ( jw )
x ( t ) = x .s i n ( w t + j ) N ( j w ) = x .e
jj
Abb. 1.6. Harmonische Anregung eines Systems
Die Übertragungsfunktion ist an Werkzeugmaschinen und Robotern oft messbar (siehe hierzu Abschn. 1.2.2). Für die Herleitung der Übertragungsfunktion kann die Differentialgleichung gemäß (1.1) folgendermaßen umgeformt werden: x ( jω ) b0 + b1 ⋅ ( jω ) + b2 ⋅ ( jω ) + ... = G ( jω ) = u( jω ) a0 + a1 ⋅ ( jω ) + a2 ⋅ ( jω )2 + ... 2
(1.34)
Für den Übergang vom Zeit- in den Frequenzbereich werden die zeitlichen Ableitungen durch die komplexe Frequenz jω ersetzt:
d i x(t ) → ( jω )i i dt
(1.35)
In der praktischen Anwendung weniger aufwändig ist jedoch die direkte Herleitung der Übertragungsfunktion über die Basisbeziehungen. Auch hier wird jede zeitliche Ableitung einer Größe durch jω ersetzt.
16
1 Einführung
Ist die Zustandsdarstellung eines Systems gegeben, so kann die Übertragungsfunktion direkt ermittelt werden (Lutz u. Wendt 2004): G ( jω ) = c T ⋅ [ jω ⋅ E + A] ⋅ b −1
(1.36)
Dabei ist der Vektor b die zur Stellgröße u(t) gehörende Spalte der Steuermatrix B und der Vektor c die zur betrachteten Zustandsvariablen x(t) gehörige Zeile der Ausgangsmatrix C. Da die komplexe Übertragungsfunktion G(jω) nicht sehr anschaulich ist, wurden graphische Darstellungen der Übertragungsfunktion eingeführt: • Bode-Diagramm Die Übertragungsfunktion kann getrennt in Betrag und Phasenverschiebung dargestellt werden. Der Betrag – auch Amplitudengang genannt – wird logarithmisch aufgetragen (Pegeldarstellung in dB):
20 ⋅ logG( jω) = 20 ⋅ log Re{G( jω)} + Im{G( jω)} 2
2
(1.37)
Der Phasengang ergibt sich zu Im{G ( jω )}½ ¾ ¯ Re{G ( jω )}¿
ϕ {G ( jω )} = arctan®
(1.38)
Beide Darstellungen werden in Abhängigkeit von der Frequenz f bzw. Winkelgeschwindigkeit ω=2πf mit logarithmischer Abszissenteilung aufgetragen. Diese Darstellung – insbesondere der Amplitudengang – wird verschiedentlich auch als „Frequenzgang“ bezeichnet. • Nyquist-Ortskurve Die komplexe Übertragungsfunktion G(jω) kann auch als Ortskurve in der komplexen Ebene dargestellt werden. Diese Ortskurve entsteht, wenn die Übertragungsfunktion als komplexer Zeiger für verschiedene Frequenzen in die komplexe Ebene eingetragen wird und anschließend die Zeigerspitzen durch eine Linie verbunden werden. Daher wird oft die Richtung zunehmender Frequenz an der Ortskurve durch einen Pfeil markiert. Der Einheitskreis der Ortskurvendarstellung entspricht der Null-Linie im Amplitudengang des Bode-Diagramms.
1.1 Grundlagen zur Beschreibung mechatronischer Systeme G ( jw ) = x ( jw ) /e ( jw ) = G e ( jw )
R e g le r G R ( jw )
u ( jw )
j w
S
B o d e -D ia g r a m m lo g |G |
( jw )
S tre c k e G S ( jw )
x ( jw ) 0
lo g A
w R
Im (G )
O rts k u rv e : N y q u is tP u n k t
( j w ) .G R
17
j 1 /A R
-1
R e (G )
0
j w
R
-p
j R
Abb. 1.7. Betrags- und Phasenreserve im Ortskurven- und Bode-Diagramm
Die Ortskurve des offenen Regelkreises kann für die Beurteilung der Stabilität des geschlossenen Regelkreises eingesetzt werden (siehe auch Abb. 1.7). Für Antriebe an Werkzeugmaschinen und Robotern wird das vereinfachte Nyquist-Kriterium (Unbehauen 1987) eingesetzt: Ein Regelkreis ist nur dann stabil, wenn der kritische Punkt (Nyquist-Punkt –1+j.0) beim Durchlaufen der Ortskurve mit wachsender Frequenz links von der Ortskurve liegt. Über die qualitative Stabilitätsaussage (stabil oder instabil) des NyquistKriteriums hinaus ermöglichen die Gütekriterien Phasenreserve ϕR und Betragsreserve AR (siehe Abb. 1.7) eine quantitative Beurteilung des geregelten Systemverhaltens. Der geschlossene Regelkreis reagiert umso besser gedämpft, je größer Betrags- und Phasenreserve sind. In der regelungs- und antriebstechnischen Literatur werden verschiedene erfahrungsbasierte Kennwerte für Betragsund Phasenreserve angegeben, um ein aperiodisches, gut gedämpftes Verhalten oder – für hohe Störsteifigkeit vereinzelt erforderlich – schlechte Dämpfung zu erreichen (Groß et al. 2000, Weck et al. 1999). Diese Kennwerte sind in Tabelle 1.1 aufgeführt und können als erste Orientierung beim Antriebsentwurf oder zur Reglereinstellung nützlich sein.
18
1 Einführung
Tabelle 1.1. Wertebereiche für Betrags- und Phasenreserve für unterschiedlich gedämpfte Einstellungen des geschlossenen Regelkreises Phasenreserve ϕR > 75° 40°–60° < 30°
Erwünschtes Systemverhalten aperiodisch gut gedämpft schlecht gedämpft
Betragsreserve AR > 10 4–10 < 3,5
Diese Gütekriterien sind auch dann anwendbar, wenn die Übertragungsfunktion eines Systems nicht bekannt ist und nur der Frequenzgang gemessen werden kann. Daher ist insbesondere die Phasenreserve ein weit verbreitetes Gütekriterium für die Reglereinstellung in der Antriebstechnik.
Beispiel Tauchspulmotor 3: Die den Tauchspulmotor beschreibenden Basisbeziehungen Gl. (1.2)−(1.6) können im Frequenzbereich wie folgt ausgedrückt werden: U ( jω ) =
( R + L ⋅ j ω ) ⋅ I ( jω ) + U i ( jω )
(1.39)
U i ( jω ) = K S ⋅ jω ⋅ x1 ( jω )
(1.40)
F ( jω ) = K F ⋅ I ( jω )
(1.41)
− ω 2 ⋅ m1 ⋅ x1 ( jω ) =
F ( jω ) − k ⋅ (x1 ( jω ) − x2 ( jω ) )
− ω 2 ⋅ m2 ⋅ x2 ( jω ) = k ⋅ ( x1 ( jω ) − x2 ( jω ) )
(1.42) (1.43)
Da für die Lageregelung die Position der motorseitigen Masse x1 zurückgeführt wird, muss auch die entsprechende Übertragungsfunktion GS(jω)=x1(jω)/U(jω) hergeleitet werden. Aus den Gl. (1.39) − (1.43) gelingt dies nach kurzer Umformung: GS ( j ω ) = =
x1 ( jω ) U ( jω )
− K F ⋅ m2 ⋅ ω 2 + K F ⋅ k (1.44) m1 ⋅ m2 ⋅ L ⋅ jω 5 + m1 ⋅ m2 ⋅ R ⋅ ω 4 − [k ⋅ (m1 + m2 ) ⋅ L + K F ⋅ K S ⋅ m2 ]⋅ jω 3 − k ⋅ (m1 + m2 ) ⋅ R ⋅ ω 2 + K F ⋅ K S ⋅ k ⋅ jω
Die Übertragungsfunktion des Reglers ist noch sehr einfach: G R ( jω ) = K v
(1.45)
Daraus folgt für die Übertragungsfunktion des gesamten offenen Regelkreises:
1.1 Grundlagen zur Beschreibung mechatronischer Systeme
19
G( jω ) = G R ( jω ) ⋅ G S ( jω ) =
− K F ⋅ K v ⋅ m2 ⋅ ω 2 + K F ⋅ K v ⋅ k
(1.46)
m1 ⋅ m2 ⋅ L ⋅ jω + m1 ⋅ m2 ⋅ R ⋅ ω 4 − [k ⋅ (m1 + m2 ) ⋅ L + K F ⋅ K S ⋅ m2 ] ⋅ jω 3 5
− k ⋅ (m1 + m2 ) ⋅ R ⋅ ω 2 + K F ⋅ K S ⋅ k ⋅ jω
Das Bodediagramm und die Ortskurve zu dieser Übertragungsfunktion sind für die ungeregelte Strecke sowie für drei exemplarische Regelverstärkungen in den Abb. 1.8 und 1.9 dargestellt. Die Phasenreserve beträgt für die aperiodische Reglereinstellung ca. 80°, für die gut gedämpfte Einstellung ca. 60° und für die höchste Regelverstärkung mit entsprechend schwacher Systemdämpfung ca. 30°. Vergleicht man die frequenzbasierte Beschreibung des Tauchspulmotors durch Bode-Diagramm und Ortskurve mit den zugehörigen Zeitverläufen des geschlossenen Regelkreises (siehe Abb. 1.4 und 1.5), so wird deutlich, welche Wirkung Betrags- und Phasenreserve auf das Systemverhalten haben. ♦ Bode−Diagramm 5
|G| in dB
Kv=900V/m K =300V/m v
0
K =150V/m v
−5 Kv= −10 0 10
1V/m 1
2
10
10
3
10
Phase in Grad
0
−100
−200
−300 0 10
1
2
10
10
3
10
f in Hz
Abb. 1.8. Bode-Diagramm des Tauchspulmotors für aperiodische, gut und schlecht gedämpfte Reglereinstellung sowie für die ungeregelte Strecke (Kv=1 V/m)
20
1 Einführung Nyquist−Ortskurve 1
0.5
Nyquist−Punkt
Im(G)
0 f −0.5 f f −1
K =900V/m v
f
K =
K =
v
v
300V/m −1.5 −1.5
−1
150V/m
−0.5
0
0.5
1
Re(G)
Abb. 1.9. Nyquist-Ortskurve und Nyquist-Kriterium der offenen Regelstrecke für aperiodische, gut und schlecht gedämpfte Reglereinstellung
Eine weitere Möglichkeit, das zeitliche Systemverhalten zu ermitteln, bietet die Laplace-Transformation: f ( s ) = L{ f (t )} =
∞
³ f (t ) ⋅ e
− st
(1.47)
dt
0
O r ig in a lb e r e ic h S y s te m b e s c h Z e itb e r e ic h m B a s is b e z ie h u D iffe r e n tia lg le A n fa n g s b e d in
r e ib u n g im it n g e n u n d ic h u n g e n , g u n g e n
B ild b e r e ic h L a p la c e T r a n s fo r m a tio n
L a p la c e B a s is b e D iffe r e n in F o r m G le ic h u
-tra n s z ie h u tia lg le a lg e b n g e n
fo n g ic ra
r m ie r te e n u n d h u n g e n is c h e r
A u flö s u n g n a c h d e r g e s u c h te n G rö ß e Z e itv e r la u f d e r g e s u c h te n G rö ß e
in v e r s e L a p la c e T r a n s fo r m a tio n
L ö s u n g fü r d ie g e s u c h te G r ö ß e im B ild b e r e ic h
Abb. 1.10. Lösung von Differentialgleichungen durch Transformation, Lösung im Bildbereich und Rücktransformation
1.1 Grundlagen zur Beschreibung mechatronischer Systeme
21
Das Verfahren ist in Abb. 1.10 graphisch verdeutlicht. Dabei werden die das System beschreibenden Basisbeziehungen oder die Differentialgleichung vom Zeitbereich (Originalbereich) in den komplexen Frequenzbereich transformiert. Dazu wird die Laplacevariable s=σ+jω eingeführt – eine komplexe Frequenz. Die so transformierten Gleichungen sind einfach nach der gesuchten Systemgröße auflösbar. Die Rücktransformation dieser Lösung im Bildbereich ergibt den gesuchten Zeitverlauf der entsprechenden Systemgröße. Die Transformation kann mit Transformationstabellen (Bronstein u. Semendjajew 1987, Lutz u. Wendt 2004) schnell durchgeführt werden. Die für mechatronische Systeme wichtigsten Transformationen sind in Tabelle 1.2 zusammengestellt. Bei Systemen höherer Ordnung erfordert die notwendige Partialbruchzerlegung allerdings häufig numerische Methoden zur Ermittlung der Nullstellen. Ist die Übertragungsfunktion G(jω) eines Systems bekannt, so kann diese Übertragungsfunktion durch die Substitution von jω durch die Laplacevariable s transformiert werden. Die Lösung im Bildbereich ergibt sich dann sehr einfach zu: x( s) = G ( s) ⋅ u ( s) =
b0 + b1 ⋅ s + ... + bm ⋅ s m ⋅ u (s) a0 + a1 ⋅ s + ... + an ⋅ s n
(1.48)
Umgekehrt kann man sich die Laplace-Transformation zunutze machen, die Differentialgleichung oder die Übertragungsfunktion eines Systems direkt aus seinen Basisbeziehungen herzuleiten. Die transformierten Basisbeziehungen sind einfache algebraische Gleichungen, die mit wenig Aufwand in die transformierte Übertragungsfunktion G(s) oder in die transformierte Differentialgleichung in der Form gemäß Gleichung (1.1) umgewandelt werden können: n
a0 ⋅ x ( s ) +
¦ a ⋅ s ⋅ x( s ) i
i
i =1
= b0 ⋅ u ( s ) +
m 30%, siehe Abb. 1.28 c): Dies ist mit meist geringem Aufwand erreichbar und genügt, wenn nur qualitative Aussagen zur Wirkung von einzelnen Systemparametern gefordert sind. Ein qualitativ mit der Realität übereinstimmendes Modell ist besser als gar kein Modell, da der Entwickler Hinweise bekommen kann, in welche Richtung er das System verändert, wenn er einen Parameter variiert!
52
1 Einführung
a )
b )
c ) M g e e m s e s s u s en n g S s i i m m u u l i l ae r t t i o n
g e m e sse n s im u lie rt
g e m e sse n s im u lie rt
t
t
t
Abb. 1.28. Genauigkeitsklassen zur Beurteilung der Validierung
In wissenschaftlichen Publikationen ist die Validierung zu Recht ein wichtiger und immer abzuhandelnder Punkt. Meist wird die Qualität des Modells durch Gegenüberstellung von gemessenen und simulierten Zeitverläufen relevanter Systemgrößen verdeutlicht. Dabei ist es in den letzten Jahren üblich geworden, nur noch sehr exakte Übereinstimmungen zwischen Messung und Simulation zu zeigen. Ein möglicher Grund könnte darin liegen, dass die Beiträge von Dritten (Vorgesetzte, Reviewer) überflogen und teils ohne tiefere Sachkenntnis beurteilt werden, wobei sich eine „glatte“ Verpackung, zu der auch die möglichst gute Übereinstimmung der Darstellungen von Messung und Simulation zählt, von Vorteil ist. Dies führt zu unschönen Praktiken, wie dem Nacharbeiten von Messresultaten oder dem Weglassen der Darstellung weniger gut übereinstimmender Systemgrößen. Unter Berücksichtigung der für die konkrete Problemstellung wirklich erforderlichen Simulationsgenauigkeit erscheinen diese Auswüchse unsinnig.
1.3 Analogiebetrachtungen Modellbildung und Entwurf von mechatronischen Systemen erfordern eigentlich eine ganzheitliche Betrachtungsweise des mechanischen, elektrischen und thermischen Verhaltens. Eine mögliche Verkettung der verschiedenen physikalischen Einflüsse kann wie folgt aussehen: Die an den Motorklemmen anliegende Spannung erzeugt einen Motorstrom; die durch diesen Strom hervorgerufenen ohmschen Verluste erwärmen benachbarte Strukturbauteile; die thermisch bedingte Ausdehnung der Struktur führt wiederum zu Spannungen und Störkräften, ... etc.
Die Analogien zwischen elektrischen, hydraulischen, thermischen und mechanischen Systemen zeigen, dass alle Bereiche mit gleichen analytischen und numerischen Hilfsmitteln sowie vergleichbarer methodischer Vorgehensweise behandelt werden können. Damit ist eine gekoppelte Simulation auf dem Komplexitätsniveau 1 oder 2 gemäß Abschn. 1.2 leicht umzusetzen.
1.3 Analogiebetrachtungen Tabelle 1.7. Modelle elektrischer und thermischer Systeme erster Ordnung Wärmeleitung:
Kupfer-Luftspule: I(t)
a
A P (t)
U (t) D
J J
1. Vorgaben sammeln: ρ – spezifischer Widerstand µo – Permeabilitätskonstante D – Spulendurchmesser A – Drahtquerschnittsfläche a – Spulenlänge w – Windungszahl I(0) – Anfangsbedingung U(t), I(t) – Ein- und Ausgangsgröße 2. Wirkzusammenhänge ergründen: Schaltbild (phys. Modell):
0
1. Vorgaben sammeln: – spezifischer Wärmeleitwert A – Außenfläche c – spezifische Wärmekapazität m – Masse ϑ(0) – Anfangsbedingung P(t) – Eingangsleistung, -größe ϑ (t) – Ausgangsgröße
κ
2. Wirkzusammenhänge ergründen: Schaltbild (phys. Modell):
R U
U (t)
1
P
R
C
U
P (t)
L L
J
I(t)
Widerstand (zylindrischer Leiter)
w ⋅π ⋅ D U R = R= ρ⋅ A I Induktivität (Luftspule) w2 ⋅ π ⋅ D 2 UL = L = µo ⋅ 4⋅L dI / dt
P R
1
(t) C
(t) R
J
J (t)
0
Thermischer Widerstand ϑ 1 R= = κ ⋅ A PR Wärmekapazität
C = c⋅m =
³ P (t )dt C
ϑ
2. Kirchhoff’sche Regel (Maschenregel) U(t) = UL(t)+UR(t)
1. Kirchhoff’sche Regel (Knotenregel) P(t) = PR(t)+PC(t)
3. Quantitatives Modell
3. Quantitatives Modell
U (t ) = R ⋅ I (t ) + L ⋅
dI (t ) dt
4. Gleichungen aufbereiten PT1-Block 1 /R mit Tel=L/R U (t)
T
P(t ) =
e l
I(t)
ϑ (t ) dϑ (t ) +C⋅ R dt
4. Gleichungen aufbereiten PT1-Block R T mit Tth=RC P (t)
th
J (t)
53
54
1 Einführung
Tabelle 1.8. Modelle hydraulischer und mechanischer Systeme erster Ordnung Feder-Dämpfer:
Hydraulikzylinder:
k
V p (t) d
F (t) x (t)
Q (t)
1. Vorgaben sammeln: σ – hydraulischer Leitwert B – Kompressibilitätsmodul V – Volumen p(0) – Anfangsbedingung Q(t) – Volumenstrom (Eingangsgr.) p(t) – Druck (Ausgangsgröße)
1. Vorgaben sammeln: k – Federkonstante d – Dämpfungskonstante x(0) – Anfangsbedingung F(t) – Kraft (Eingangsgröße) x(t) – Position (Ausgangsgröße)
2. Wirkzusammenhänge ergründen: Im Kleinsignalbereich (laminare Strömung) gilt: . Qstat =σ p Volumenänderung der Hydraulikflüssigkeit unter Druck:
2. Wirkzusammenhänge ergründen: Federkraft:
∆V = p ⋅
V B
.
Fd = d dx/dt
Der Volumenstrom Q setzt sich aus einem statischen Strömungsanteil Qstat und einem dynamischen kompressionsbedingten Anteil zusammen:
Q =σ ⋅ p +
.
Fk = k x Dämpfungskraft (viskose Dämpfung):
d∆V dt
F = Fk + Fd
3. Quantitatives Modell
Q(t ) = σ ⋅ p(t ) +
Aus dem dynamischen Kräftegleichgewicht der (hier als masselos angenommenen) Plattform ergibt sich:
3. Quantitatives Modell
V dp(t ) ⋅ B dt
4. Gleichungen aufbereiten PT1-Block 1 /I mit Thy=V/(σB) Q (t) T
F (t ) = k ⋅ x(t ) + d ⋅
h y
p (t)
dx(t ) dt
4. Gleichungen aufbereiten 1 /k PT1-Block mit Tm=d/k F (t) T
m
x (t)
1.3 Analogiebetrachtungen
55
Tabelle 1.9. Mechanisches und elektrisches System mit zwei Energieträgern Mechanischer Schwinger:
Elektrischer Schwingkreis:
k
R U
U (t) U I(t)
R
U
C
L L
m d
F (t) x (t)
C
1. Vorgaben sammeln: R – Widerstand C – Kapazität L – Induktivität UC(0), I(0) – Anfangsbedingungen U(t) – Eingangsspannung, -größe UC(t) – Ausgangsgröße
1. Vorgaben sammeln: k – Federkonstante d – Dämpfungskonstante m – Masse x(0), v(0) – Anfangsbedingungen F(t) – Eingangskraft, -größe x(t) – Ausgangsgröße
2. Wirkzusammenhänge ergründen: Bauteilspannungen: . . UL= L dI/dt UR=R I
2. Wirkzusammenhänge ergründen: . Federkraft: Fk = k x . Dämpfungskraft: Fd = d dx/dt Dynamischen Kräftegleichgewicht der Plattform: . 2 2 m d x/dt = F - Fk - Fd
UC = UC0 +
1 ⋅ I dt C
³
2. Kirchhoff’sche Regel: U = UC + UL +UR 3. Quantitatives Modell
3. Quantitatives Modell 2
dx (t ) d 2 x (t ) = F (t ) − k ⋅ x (t ) − d ⋅ 2 dt dt
UC R dU C d U C U + ⋅ + = 2 L ⋅ C L dt L⋅C dt
m⋅
4. Gleichungen aufbereiten
4. Gleichungen aufbereiten R /L
U (t)
d /m
1 /L C U 1 /L C
C
(t)
x (t)
F (t) k /m
56
1 Einführung
Obgleich in diesem Buch vor allem die elektrischen und mechanischen Eigenschaften von Werkzeugmaschinen und Robotern betrachtet werden, können thermische und – ganz vereinzelt – hydraulische Fragestellungen ebenfalls eine Rolle spielen. Daher sind die Analogien zwischen elektrischen, thermischen, hydraulischen und mechanischen Systemen für das Verständnis der Zusammenhänge sehr hilfreich. In den Tabellen 1.7 und 1.8 ist die Modellbildung einfacher Systeme mit jeweils einem Energieträger unter Berücksichtigung des Phasenplans (Tabelle 1.3) dargestellt. In Tabelle 1.9 ist die Modellbildung schwingfähiger elektrischer und mechanischer Systeme mit zwei unabhängigen Energieträgern beschrieben. Die Aufbereitung des mathematischen Modells mit Hilfe der Beobachtungsnormalform macht die Analogien sichtbar: • Die in der Feder gespeicherte potentielle mechanische Energie entspricht der im Kondensator gespeicherten ladungsgebundenen elektrischen Energie, die ebenfalls als potentielle Energie interpretiert werden kann. • Die mechanische Dämpfung entzieht dem System Energie und wandelt sie in Wärme um; in gleicher Weise erzeugt der elektrische Widerstand Stromwärmeverluste. • Die in der bewegten Masse gespeicherte kinetische Energie verhält sich analog zur magnetischen Energie in der Induktivität mit dem Strom als Energieträger.
Leitet man alternativ dazu die Blockschaltbilder der Systeme 2. Ordnung direkt aus den Basisbeziehungen her, oder formt man die Beobachtungsnormalform entsprechend um, so ergeben sich die anschaulicheren Darstellungen in Abb. 1.29: E le k tr is c h e r S c h w in g k r e is : 1 /R
T
1 /C
e l
I(t)
U
M e c h a n is c h e r S c h w in g e r : d F d(t) C
(t)
v (t)
1 /m
x (t)
F (t) k F k(t)
Abb. 1.29 anschauliche Darstellung der Blockschaltbilder zu den Systemen 2. Ordnung aus Tabelle 1.9
1.3 Analogiebetrachtungen
57
In Abb. 1.29 kann jedem Bauteil ein eigener Block zugeordnet werden. Zudem sind die energietragenden Größen (Strom und Spannung bzw. Geschwindigkeit und Position) explizit an den Ausgängen der entprechenden Integratoren ersichtlich. Damit können später bei der Simulation die Anfangswerte leicht vorgegeben werden. Auch eine Erweiterung durch Zusammensetzen verschiedener Teilsysteme ist auf der Basis dieses Blockschaltbildes recht anschaulich machbar.
2 Modellbildung
Zur Modellbildung von Werkzeugmaschinen und Robotern sind verschiedene Modellierungstiefen – Komponentenebene, Subsystemebene und Gesamtsystemebene – zu unterscheiden: Auf der Komponentenebene wird das Verhalten der einzelnen Bauteile (Motoren, Leistungsmodule, mechanische Übertragungsglieder, Führungen und Lager, Strukturbauteile) detailliert untersucht. Hierzu existieren verschiedene Simulationswerkzeuge, mit denen die elektrischen, thermischen oder mechanischen Eigenschaften der Einzelkomponenten untersucht werden können. Diese Eigenschaften sind meist aus den Produktunterlagen der Komponentenhersteller zu entnehmen, weshalb auf die Komponentenebene hier nur insoweit eingegangen werden soll, als dies für die Modellierung der gesamten Werkzeugmaschine erforderlich ist. Auf der Subsystemebene werden verkettete Komponenten zu Funktionseinheiten zusammengefasst. Abbildung 2.1 zeigt eine Übersicht der für das mechanische Verhalten maßgeblichen Komponenten und Subsysteme einer Werkzeugmaschine oder eines Roboters. Die Antriebsketten der Vorschubachsen sowie der Greifer sind Beispiele für Subsysteme. Dabei sind S te u e ru n g M M I A
s o ll
C N C z
S a tz v e ra rb e itu n g F ü h ru n g s g rö ß e n g e n e ra to r
S P S
R o b o te r / W e r k z e u g m a s c h in e
U m r ic h te r
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R e g le r L e is tu n g s A m o d u l A c h s e A -A c h s e j
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R e g le r L e is tu n g s Z m o d u l A c h s e Z -A c h s e j
z
R e g le r L e is tu n g s X m o d u l A c h s e X -A c h s e x
A M a s c h in e n s tru k tu r
j y
j x
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M o to r Y -A c h s e
R e g le r L e is tu n g s Y m o d u l A c h s e Y -A c h s e
M o to r A -A c h s e
X
Y
M o to r X -A c h s e
B a s is
Abb. 2.1. Übersichtsdarstellung zu den Komponenten einer numerisch gesteuerten Maschine
60
2 Modellbildung
abhängig vom Modellierungsziel Vereinfachungen gegenüber der Komponentenebene erforderlich, um den Implementierungsaufwand und die Simulationszeit zu begrenzen. Auf der Gesamtsystemebene wird das Zusammenwirken der Subsysteme untersucht. Das Modell der Gesamtmaschine kann schnell aus der Kombination der Subsystemmodelle unter Berücksichtigung der Verkopplungen aufgebaut werden. Auch hier können im Sinne des Modellierungszieles weitere Vereinfachungen vorgenommen werden, wenn die aus mehreren Subsystemmodellen zusammengesetzten Modelle zu aufwändig oder rechenzeitintensiv werden. Dieses Kapitel beginnt zunächst mit der Modellbildung der Servoachsen als geregelte Subsysteme. Nachfolgend wird dann die Wirkung der Maschinenstruktur (Elastizitäten) und der kinematischen Kopplung berücksichtigt, um damit das Verhalten ganzer Maschinen zu beschreiben. Beispielhaft werden diese Modellbildungsgrundlagen dann auf eine numerisch gesteuerte Achse und eine komplette Werkzeugmaschine angewandt. Das Modellbildungsziel ist hier überwiegend das mechanische Verhalten (Zeitverläufe von Positionen, Geschwindigkeiten und Kräften) der betrachteten Maschine. Zur Auslegung der elektrischen Komponenten und zur Ermittlung des Energiebedarfes können auch elektrische Antriebsgrößen von Interesse sein. Zudem spielt das thermische Verhalten der Maschine eine Rolle. Typische Fragestellungen hierzu sind der Kühlleistungsbedarf oder die thermische Zeitkonstante, mit der die Erwärmungszeit abgeschätzt werden kann. Die exakte elektrische Modellierung von Antriebs- und Anlagenkomponenten sowie vor allem die vollständige thermische Modellbildung von Werkzeugmaschinen würde jedoch den Umfang dieses Buches sprengen. Auf diese Aspekte wird nachfolgend insoweit eingegangen, als dies für die Dimensionierung der Antriebe von Bedeutung ist. Der interessierte Leser sei bezüglich der elektrischen Modellierung von Motoren und Umrichtern auf (Schröder 1995, Fischer 1995) verwiesen. Die Simulation des thermischen Verhaltens von Werkzeugmaschinen ist in (Jungnickel 2000, Großmann u. Jungnickel 2003) sehr detailliert beschrieben. Meist sind die thermischen und thermoelastischen Problemstellungen aufgrund vieler Einflussfaktoren und schwer beschreibbarer Randbedingungen derart komplex, dass Messungen an Prototypen oder FE-Untersuchungen durchgeführt werden müssen. Mit den hier dargestellten Modellen aus wenigen diskreten Teilkörpern kann immerhin mit verhältnismäßig geringem Aufwand eine Aussage über die zu erwartenden Erwärmungen und zur Größenordnung der auftretenden geometrischen Arbeitspunktverlagerungen erreicht werden. Hydraulische Servoantriebe sind zwar bei Werkzeugmaschinen mit sehr vielen numerisch gesteuerten Achsen eine kostengünstige Alternative zu elektrischen Antrieben, erreichen aber mit den heute verfügbaren Regeloder Servoventilen bei weitem nicht dieselbe Regelgüte wie elektrische
2.1 Elektrische Servoantriebe
61
Servoantriebe. Aufgrund des Schwerpunktes bei hochdynamischen Fertigungssystemen wird in diesem Buch auf die Modellbildung hydraulischer Servoantriebe nicht näher eingegangen. Der interessierte Leser findet jedoch eine sehr vollständige und zugleich praxisnahe Beschreibung hydraulischer Systeme in (Beater 1999, Jelali u. Kroll 2003) sowie beispielhafte Modelle in (Schmutz 1985, Zirn 2002).
2.1 Elektrische Servoantriebe Der Servoantrieb soll den von der numerischen Steuerung (NC) generierten Positionssollwerten möglichst verzögerungsfrei folgen und eine hohe Steifigkeit gegenüber prozessbedingten Lasten aufweisen. Die hier hergeleiteten Antriebsmodelle sollen daher das dynamische Antriebsverhalten und die thermischen Verhältnisse ausreichend genau wiedergeben können. Auf die elektro-magnetischen und leistungselektronischen Zusammenhänge wird hier nur soweit für das Verständnis erforderlich und für das dynamische Verhalten relevant eingegangen. Der interessierte Leser sei auf die umfangreiche Literatur zur elektronischen Antriebstechnik und zur Theorie der elektrischen Maschinen (z.B. Fischer 1995, Schröder 1995, Müller 1977) verwiesen. 2.1.1 Elektro-mechanisches Modell 1 Vorgaben sammeln Der prinzipielle Aufbau der Antriebskette ist in Abb. 2.2 dargestellt. Moderne Servoantriebe sind vollständig mikroprozessorgesteuert und werden kaskadiert lagegeregelt. Der Kaskadenregler kann mit Hilfe von Inbetriebnahme-Softwarewerkzeugen auch von geringer qualifiziertem Personal eingestellt werden, ist robust und nutzt dennoch die Leistungsfähigkeit des Systems weitgehend – im Vergleich zu anderen untersuchten Regelungsansätzen – aus. Daher dürfte diese Regelungsstruktur auch längerfristig bei allen Antriebsherstellern dominieren. Meist ist heute der komplette Regler im Umrichter der Achse untergebracht (Groß et al. 2000, Rexroth 2004). Die Steuerung übergibt die Sollwerte über eine Busschnittstelle an den Umrichter. Vereinzelt werden Regelkreise auch in der Steuerung realisiert (Heidenhain 2004; Kuka 2004) und die Stellgrößen über analoge Schnittstellen oder einen Feldbus an den Umrichter übertragen. Für die Modellbildung der Servoachse ist dies nur dann von Bedeutung, wenn an den Eingängen der analogen Schnittstellen zusätzliche Filterzeitkonstanten zu berücksichtigen sind oder die Kommunikation über den Feldbus zu Totzeiten führt.
F ü h ru n g s g rö ß e n g e n e ra to r
62
2 Modellbildung F w
V o rs te u e ru n g v
s o ll
j
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K v
p
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T n
f
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M +
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L e is tu n g s m o d u l
G e s c h w in d ig - S o llw e r tk e its r e g le r filte r A b ta s tz e it T
M , j
M o to r
v
j
M L
, M R
R e g le r
Abb. 2.2. Antriebskette und Regelungsstruktur des Servoantriebs
Der Stromregelkreis wird meist mit der Pulsweitenmodulations-(PWM-) Frequenz von mehreren Kilohertz abgetastet. Die Abtastzeiten in Geschwindigkeits- und Lageregelkreis müssen – um Synchronisationsverluste und Aliasing-Effekte zu vermeiden – ganzzahlige Vielfache der Abtastzeit im Stromregler sein. Weiterhin haben alle gängigen Antriebsregler Momenten- bzw. Stromsollwertfilter, mit denen versucht wird, die Anregung der Maschinenstruktur durch die Stellgröße des Geschwindigkeitsreglers zu vermindern. In Kap. 4 wird die geeignete Wahl der Regelverstärkungen, Nachstellzeiten, Filterzeitkonstanten und Abtastzeiten eingehend behandelt. Als Motoren werden heute meist permanentmagnetisch erregte Synchronmaschinen eingesetzt, da mit diesen Antrieben eine hohe Dynamik bei vergleichsweise geringer Erwärmung erreicht wird. Alternativ werden bei kostengünstigeren Achsantrieben und Hauptantrieben Asynchronmaschinen eingesetzt. In Verbindung mit der feldorientierten Regelung (Schröder 1995) erreichen Asynchronmaschinen unterhalb des Feldschwächbereichs für Servoantriebe ausreichende dynamische Eigenschaften. Sie verhalten sich im für Achsantriebe relevanten Bereich kleiner Geschwindigkeiten (siehe auch Abb. 2.5) analog wie die nachfolgend detailliert beschriebenen elektronisch kommutierten Synchronmaschinen (Abb. 2.3). Weitere selten eingesetzte Bauformen elektrischer Antriebe, wie z.B. Reluktanzmotoren, Elektromagnete, elektrodynamische Linearmotoren und Mehrkoordinatenantriebe sind in (Stölting u. Kallenbach 2001) beschrieben und bereits sehr anwendungsnah als physikalische Modelle aufbereitet. In der nachfolgenden Tabelle 2.1 sind die Daten eines Servoantriebes aufgelistet, die aus den Produktunterlagen des Motors, des Umrichters sowie der Steuerung entnommen werden können, oder bei der Inbetriebnahme eingestellt werden müssen:
2.1 Elektrische Servoantriebe
63
Tabelle 2.1. Modellparameter eines Servoantriebes Motordaten: Rotorrotationsträgheitsmoment * Ohm’scher Wicklungswiderstand Wicklungsinduktivität Momentenkonstante des Motors Spannungskonstante des Motors Reibungsmoment der Motorlagerung Messsystemauflösung der Rotorpositionserfassung Leistungsteil: Pulsweitenmodulations- (PWM-) Frequenz Zwischenkreisspannung Maximalstrombegrenzung Regler: Lageregelverstärkung (auch Kv-Faktor genannt) Abtastzeit des Lageregelkreises Vorsteuerfaktor Proportionalverstärkung im Geschwindigkeitsregler Nachstellzeit im Geschwindigkeitsregler Abtastzeit des Geschwindigkeitsregelkreises Zeitkonstante des Sollwertfilters Proportionalverstärkung im Stromregler Nachstellzeit im Stromregler Abtastzeit des Stromregelkreises
2
J in kgm R in Ω L in H KM in Nm/A KS in Vs/rad MR in Nm ∆ϕ in rad fPWM in Hz UZ in V Imax in A -1
Kv in s Tx in s Fv Kp in Nms/rad Tn in s Tv in s Tf in s Kpi in Nms/rad Tni in s Ti in s
*
gemessen zwischen zwei Motoranschlussklemmen
Verschiedentlich ist die elektrische Zeitkonstante gemäß Gl. (1.66) anstelle der Wicklungsinduktivität in den Produktdaten der Antriebshersteller zu finden. Am Beispiel des Tauchspulmotors in Kap. 1 wurde deutlich, dass Kraftund Spannungskonstante gleich sein müssen. Bei komplexeren elektrischen Maschinen ergeben sich abhängig von der Wicklungsgeometrie kleine Unterschiede zwischen Momentenkonstante und Spannungskonstante. Die Herstellerangaben sollten jedoch hinterfragt werden, wenn sich diese beiden Konstanten um mehr als 20% voneinander unterscheiden. 2 Wirkzusammenhänge ergründen Abbildung 2.3 zeigt den prinzipiellen Aufbau der leistungselektronischen Ansteuerung einer elektronisch kommutierten Synchronmaschine. Verschiedentlich wird diese Anordnung als „EC-Motor“ (engl. für electronic commutation) bezeichnet. Ebenfalls in Abb. 2.3 dargestellt ist das daraus
64
2 Modellbildung
abgeleitete physikalische Modell. In diesem „modifizierten physikalischen Modell“ wurden die signalverarbeitenden sowie die nichtlinearen Systemteile bereits durch Blockschaltbilder nachgebildet. Das Versorgungsmodul richtet die Netzspannung gleich und versorgt ein oder mehrere Leistungsmodule mit der Zwischenkreisspannung UZ. Der Zwischenkreiskondensator CZ stabilisiert die Zwischenkreisspannung und dient zur Zwischenspeicherung generatorischer Bremsenergie. Mittels M o to r
P r in z ip s c h a ltb ild : F T
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I
U
L
M w , j J i
M R
Abb. 2.3. Prinzipschaltbild und physikalisches Modell der elektronisch kommutierten permanentmagnetisch erregten Synchronmaschine (EC-Motor)
2.1 Elektrische Servoantriebe
65
einer sechspulsigen Transistorbrücke kann die Drehfeldwicklung im Stator pulsweitenmoduliert so bestromt werden, dass ein magnetisches Drehfeld (Drehfeldvektor Φ) entsteht. Der mit Permanetmagneten beklebte Rotor versucht, sich nach diesem Drehfeld auszurichten. Das auf den Rotor wirkende Moment wird für eine Verdrehung des Drehfeldes gegenüber der magnetischen Rotorachse von β = 90° maximal und ist näherungsweise proportional zum Motorstrom I: M ≈ KM . I . sin β
(2.1)
In der Momentenkonstante KM sind die elektromagnetisch wirksamen Einflüsse (Motorgeometrie, Materialdaten) zusammengefasst. Soll ein positionsunabhängiges Moment mit minimalem Strom erzeugt werden, muss die Rotorposition erfasst werden, damit durch entsprechendes Ansteuern der Transistorbrücke über den Kommutierungsautomaten der Verdrehwinkel β immer bei 90° liegt. Gl. (2.1) macht deutlich, dass die Rotorlageerfassung nicht sehr genau sein muss, da ein Fehler von wenigen Grad keine nennenswerten Momenteinbußen ergibt. Daher kann die für die Kommutierung erforderliche Positionsinformation auch durch Hall-Sensoren oder die Rotorlageidentifikation (z.B. Messung der geringfügig positionsabhängigen Wicklungsinduktivität) gewonnen werden. Da für die Geschwindigkeitsermittlung ohnehin ein hochauflösender Geber erforderlich ist, arbeitet der Kommutierungsautomat heute überwiegend mit diesem Positionssignal. Damit ist das Motormoment näherungsweise proportional zum Motorstrom. Wird der Motor allerdings bei derart hohen Strömen betrieben, dass magnetische Sättigungseffekte auftreten, dann sinkt die Momentenkonstante KM. Allerdings kann es in diesem Betriebsbereich auch zu irreversieblen Entmagnetisierungserscheinungen der Permanentmagnete kommen. Umrichter und Motor sollten daher so kombiniert werden, dass diese absolute Belastungsgrenze des Motors gar nicht erreicht werden kann. Meist ist der zulässige Maximalstrom eher durch die zulässige Wicklungserwärmung oder die Umrichterkosten (die wesentlich vom Maximalstrom abhängen) begrenzt. Ein anderer magnetischer Effekt bei permanetmagnetisch erregten Motoren ist die Reluktanz. Durch das gezahnte Statorblechpaket entstehen positionsabhängige periodische Momente, die die magnetischen Pole des Rotors nach den Statorzähnen auszurichten versuchen. Diesen Effekt nutzt man bei Schrittmotoren. Das Reluktanzmoment kann sehr leicht veranschaulicht werden indem man mit der Hand die Welle eines abgeklemmten Servomotors andreht. Der Mittelwert des Reluktanzmomentes über eine Polteilung ist Null, jedoch wirkt das Reluktanzmoment als Teil des Lastmomentes auf den Motor. Obgleich die Reluktanzmomente moderner Servomotoren wesentlich kleiner als die Nennmomente sind, kann es in
66
2 Modellbildung
Verbindung mit einem schwach eingestellten Geschwindigkeitsregelkreis zu unerwünschten Welligkeiten kommen (Zirn et al. 1997). Die Reluktanz kann im physikalischen Modell bzw. im Blockschaltbild durch einen nichtlinearen Funktionsblock (siehe Tabelle 1.6) nachgebildet werden. In den Herstellerangaben wird die Reluktanz nicht oder nur als Maximalwert angegeben. Sie müsste, falls eine genaue Erfassung des Effektes gefordert ist, aufwändig gemessen werden. Ist ein Maximalwert bekannt, so kann das Reluktanzmoment auch durch eine mit der Polteilung periodische Sinusfunktion angenähert werden. Betrachtet man in der Prinzipdarstellung in Abb. 2.3 eine Rotorposition und damit einen Schaltzustand der Transistorbrücke (z.B. T1,4 durchgeschaltet) so wird deutlich, dass hier das Wicklungsmodell des Tauchspulmotors aus Abb. 1.2 übernommen werden kann. Die Eingangsspannung U wird durch eine entsprechende Pulsweite aus der Zwischenkreisspannung gebildet. Die Eingangsspannung ist durch die Zwischenkreisspannung begrenzt, –UZ ≤ U ≤ UZ
(2.2)
was durch ein Sättigungsglied im physikalischen Modell berücksichtigt ist. Während einer Pulsperiode kann das Leistungsteil nicht auf eine Änderung der geforderten Sollspannung Usoll reagieren. Im Sinne einer „worst-case“Abschätzung kann dies durch ein Totzeitglied mit Ttot = 1/fPWM
(2.3)
nachgebildet werden. Der Stromregler hat die Aufgabe, den Motorstrom I einer Änderung des Stromsollwertes Isoll möglichst verzögerungsfrei nachzuführen und geschwindigkeitsunabhängig einzuhalten. Der Proportionalanteil Kpi sorgt dabei durch eine geeignet hohe Spannungsvorgabe für eine schnelle Stromänderung. Der Integralanteil (Nachstellzeit Tni) erhöht die Störfestigkeit gegenüber der in den Stromregelkreis einkoppelnden bewegungsbedingt induzierten Spannung Ui. Wird als Sollgröße für das Leistungsmodul ein Moment Msoll vorgegeben, so muss dieses noch in einen entsprechenden Sollstrom Isoll = Msoll/KM
(2.4)
umgerechnet werden. Gibt der Geschwindigkeitsregler einen Sollstrom vor, so kann auf die Umrechung in Gl. (2.5) verzichtet werden. In diesem Fall trägt der Proportionalanteil Kp des Geschwindigkeitsreglers abweichend von Tabelle 2.1 die Einheit As/m. Da die Reibung der Motorlager im für Servoantriebe typischen niedrigen Drehzahlbereich vor allem durch die Kunststoffdichtungen erzeugt wird (trockene Gleitreibung, siehe Abb. 1.21), kann dieser Effekt durch ein
2.1 Elektrische Servoantriebe
67
konstantes Reibmoment MR entgegen der Bewegungsrichtung nachgebildet werden. Obgleich die hier behandelten Wirkzusammenhänge an einem rotierenden Servomotor verdeutlicht wurden, gelten sie in gleicher Weise auch für permanentmagnetisch erregte Synchron-Linearmotoren und vektorgeregelte Asynchron-Linearmotoren. Anstelle des Sollmomentes wird dann eine Sollkraft Fsoll vorgegeben, die Einheit der Kraftkonstante KF ist N/A, die Spannungskonstante KS trägt die Einheit Vs/m und der Proportionalanteil Kp des Geschwindigkeitsreglers wird in Ns/m angegeben. 3 Quantitatives Modell Analog zur Herleitung des quantitativen Modells des Tauchspulmotors in Gln. (1.2)–(1.5) können die linearen Systemteile des Servomotors durch folgende Gleichungen beschrieben werden: U (t ) =
R ⋅ I (t ) + L ⋅
U i (t ) =
KS ⋅
dI (t ) + U i (t ) dt d ϕ (t ) dt
M (t ) = K F ⋅ I (t )
J⋅
d 2ϕ (t ) dt 2
= M (t ) − M R − M L
(2.5)
(2.6) (2.7)
(2.8)
4 Gleichungen aufbereiten Setzt man das mathematische Modell der linearen Systemteile in Gl. (2.5) – (2.8) in ein Blockschaltbild analog zum Vorgehen beim Tauchspulmotor in Abschn. 1.2.1/Abb. 1.23 um, und ergänzt dieses Blockschaltbild durch den Kaskadenregler (Abb. 2.2) sowie die zuvor erläuterten Blöcke im modifizierten physikalischen Modell (Abb. 2.3) nebst Reibung, so ergibt sich das vollständige Blockschaltbild des Servomotors in Abb. 2.4. In diesem Blockschaltbild können alle Blöcke sehr anschaulich den in Abb. 2.1–2.3 dargestellten Antriebskomponenten zugeordnet werden. Die Zuordnung ist durch gestrichelt umrandete Bereiche in Abb. 2.4 gekennzeichnet.
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j
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K p
M e s s g rö ß e j m
M e ß s y s te m
1 /K
i, T
L e is tu n g s m o d u l
n i
D j
T to t
U Z
S tr o m r e g e lk r e is
U U i
1 /R 1 + s .T e l
Im a x
I
K
K
S
M
M o to r
M M L L a s t
M R
1 /J
M R
-M R
R e ib u n g
w
j
68 2 Modellbildung
Abb. 2.4. Vollständiges Blockschaltbild des lagegeregelten Servomotors
2.1 Elektrische Servoantriebe
69
Dieses Blockschaltbild beschreibt den gesamten Betriebsbereich des EC-Motors, der in Abb. 2.5 anhand der statischen Drehmomenten-Drehzahlkennlinie dargestellt ist: M th e o r e tis c h e s M a x im a lm o m e n t
M 'm M
a x
E n tm a g n e tis ie r u n g s g r e n z e ty p is c h e r B e tr ie b s b e r e ic h v o n S e rv o m o to re n a n V o rs c h u b a c h s e n
M
m a x
F e ld s c h w ä c h b e r e ic h
N e n n p u n k t N
M
M
M m a x
M N
M m a x
Abb. 2.5 Motorkennlinie des EC-Motors
Die theoretische Leerlaufdrehzahl bzw. Winkelgeschwindigkeit
ω max
=
UZ KS
(2.9)
ist dann erreicht, wenn die induzierte Spannung Ui gleich der Zwischenkreisspannung UZ ist. Aufgrund der Reibung und der Belastung kann diese Drehzahl nicht erreicht werden. Als praktisch sinnvolle Drehzahlgrenze sollte daher die Nenndrehzahl ωN angesetzt werden, bei der noch das Nennmoment MN des Antriebes zur Verfügung steht:
ωN
= ω max −
MN ⋅R KS ⋅ KM
(2.10)
Das Nennmoment und die Nenndrehzahl definieren den Nennbetriebspunkt, d.h. den Betriebspunkt in dem der Antrieb dauerhaft ohne Überhitzung betrieben werden kann. Dieser Nennpunkt ist damit von der Kühlung des Antriebs abhängig worauf im nachfolgenden Abschn. im Rahmen des thermischen Modells näher eingegangen wird. Der grau unterlegte Betriebsbereich in Abb. 2.5 kann anhand der Drehzahl
ωM max
= ω max −
M max ⋅ R , KS ⋅ KM
(2.11)
70
2 Modellbildung
bei der das Maximalmoment gerade noch erreicht wird, in zwei Bereiche unterteilt werden. Bei niedrigen Drehzahlen (ωωMmax) werden nur für Eilgangbewegungen oder bei Einsatz als Hauptspindelantrieb (ggf. mit Feldschwächung) erforderlich. Vernachlässigt man die induzierte Spannung im Blockschaltbild in Abb. 2.4, so ist der Stromregelkreis nur vom elektrischen Streckenteil abhängig. Der nachfolgende mechanische Streckenteil beeinflusst die Regelgüte des Stromregelkreises nicht. Damit kann der Stromregelkreis mit guter Näherung durch ein Übertragungsglied erster Ordnung, ein Totzeitglied und eine Momentenbegrenzung nachgebildet werden. Für die angestrebte gut gedämpfte Stromreglereinstellung (siehe hierzu auch Abschn. 4.1) kann die Zeitkonstante Telr des stromgeregelten Motors wie folgt abgeschätzt werden (Zirn 1996): ≈ Tel ⋅
Telr
R , K pi
(2.12)
Während die elektrische Zeitkonstante des ungeregelten Motors bedingt durch die hohen Wicklungsinduktivitäten bei Werten von Tel = 2..20 ms liegt, beschleunigt der Stromregelkreis das Reaktionsvermögen, so dass Zeitkonstanten im Bereich unter einer Millisekunde erreichbar sind. Das unter diesen Voraussetzungen vereinfachte Blockschaltbild ist in Abb. 2.6 dargestellt. In diesem Modell sind alle relevanten Parameter eines Vorschubantriebes enthalten. Die Erfahrung im Rahmen vieler Antriebs-
R e g le r w
L e is tu n g s m o d u l F v
j
R e ib u n g
V o rs te u e ru n g
s o ll
K
M o to r
K p, T v
M 1
1 + s T n
M
s o ll
L a g e r e g le r
w m
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f
T
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M
1
m a x
R
-M
1 + s T .
R
1 /J
e lr
j
s o ll
M D r e h z a h lr e g le r d /d t
M R
L a s t M
w L
M e ß s y s te m M e s s g rö ß e j m
D j
Abb. 2.6. Vereinfachtes Blockschaltbild des Servomotors im für Vorschubantriebe typischen Betriebsbereich
2.1 Elektrische Servoantriebe
71
auslegungen zeigt, dass mit diesem Modell fast immer eine ausreichende Simulationsgenauigkeit erreicht wird. Einzig die Abtastung der kaskadierten Regelkreise muss bei extremer Antriebsdynamik noch berücksichtigt werden (siehe hierzu Kap. 4). Marktgängige Umrichter besitzen noch weitere zusätzliche Filter und Einstellparameter, die für die Antriebsoptimierung in seltenen Fällen nützlich sein könnten. Diese in Abb. 2.6 nicht berücksichtigten Erweiterungen sind in den Produktunterlagen meist schon als Blockschaltbild erläutert und können leicht nachgetragen werden. 2.1.2 Thermisches Modell Um sicherzugehen, dass der Servoantrieb im vorgesehenen Betrieb nicht durch Überhitzung ausfällt, muss auch das thermische Verhalten der Servoantriebe für eine kostenoptimale und zuverlässige Antriebsdimensionierung betrachtet werden. Speziell bei Antrieben mit enger mechanischer Ankopplung an die Maschinenstruktur, wie Linearmotoren und Einbaumotoren für rotative Direktantriebe (sog. Torque-Motoren), ist auch der Wärmeeintrag und die resultierende Ausdehnung der mechanischen Bauteile von Interesse. Meist kann dieser Effekt durch wicklungsnahe Flüssigkühlung weitgehend unterdrückt werden. Hier stellt sich die Frage nach der erforderlichen Kühlleistung. Neben dem Motor gibt es auch noch weitere Wärmequellen (Lager, Übertragungsglieder, Bearbeitungsprozess), die neben der Antriebsdimensionierung die erforderliche Kühlleistung bestimmen. Diese Fragestellungen können – wenn sie nicht messtechnisch an geeigneten Prototypen untersucht werden können – mit einem ausreichend detaillierten thermischen Modell beantwortet werden. Grundsätzlich ist die genaue Ermittlung der thermischen Verhältnisse an einer kompletten Werkzeugmaschine sehr komplex. Verschiedentlich wird versucht, das thermische Verhalten mit Hilfe der FEM nachzubilden (Müller u. Groth 1999, Jungnickel 2000). Da jedoch die Strömungen von Medien im Arbeitsraum von vielen Einflüssen abhängen, die dazu noch zeitvariant sind und oft nur durch grobe Abschätzungen quantifiziert werden können, ist die Beurteilung des thermischen Maschinenverhaltens auf rein simulativer Basis heute aufwändig und von begrenztem Aussagewert. Daher beziehen sich die hier dargestellten Modellbildungsansätze auf eine Beschreibung der thermischen Verhältnisse im Nahbereich des Motors. Hier kann der Wärmefluss durch eine weitgehende Diskretisierung von Bauteilen in thermische Widerstände und Kapazitäten recht anschaulich und mit ausreichender Genauigkeit beschrieben werden. Die thermischen Zeitkonstanten von Werkzeugmaschinen und Robotern liegen meist mehrere Größenordnungen über den mechatronischen Zeitkonstanten. Hier kann die Erwärmung mit vergleichsweise geringem Aufwand aus der statischen
72
2 Modellbildung
Betrachtung des thermischen Netzwerkes gewonnen werden (statische Modellierung). Systeme mit hohen Anforderungen an die Genauigkeit und gleichzeitig hoher Packungsdichte von Antrieben und Prozessen bedürfen einer exakten thermischen Analyse hinsichtlich des Zeitverhaltens der Erwärmung. Dabei stellt sich neben dem Temperatur- und Ausdehnungsverhalten im Verharrungszustand die Frage nach dem zeitlichen Einschwingverhalten („Wärmegang“). Daher steht hier die dynamische Modellierung im Vordergrund. Die Analyse anhand eines Mehrkörpermodelles ist mit deutlich weniger Zeitaufwand machbar als die messtechnische Untersuchung von Prototypen. Allerdings erfordert die Modellierung mit diskreten Teilkörpern Vereinfachungen, deren Randbedingungen bei jeder Anwendung zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen sind (s.a. Stölting u. Kallenbach 2001). Zur Erhöhung der Modellsicherheit ist zumindest ein Plausibilitätstest mit Hilfe der FEM anhand eines Lastfalles oder eine messtechnische Validierung anhand geeigneter (verwandter) Prototypen wünschenswert. 1 Vorgaben sammeln Die wesentlichen Vorgaben zur thermischen Modellbildung sind: • Ort und Zeitverlauf der in das System eingebrachten thermischen Leistungen (z.B. Verlustleistungen von Motoren, Übertragungsgliedern, ...); • Ort und Zeitverlauf der aus dem System abgeführten thermischen Leistungen (z.B. Kühlwasserkreisläufe, Umgebungsluft, Klimatisierung,...); • Materialdaten, Massen und geometrische Maße der Systemkomponenten (z.B. spezifische Wärmekapazität, spezifischer Wärmeleitwert, thermisch wirksame Längen, Querschnittsflächen, geometrisch wirksame Längen, ...); Die geometrisch wirksame Länge ist die Länge eines Bauteiles, die für die thermische Ausdehnung wirksam ist. Sie kann im Allgemeinen aus den Konstruktionsdaten einer Maschine entnommen werden, ist jedoch gegebenenfalls abhängig von der jeweiligen Schlitten- bzw. Achsposition. Vereinzelt ist der Wärmeübergangswiderstand sowie die thermische Zeitkonstante in den Produktunterlagen von Standard-Servomotoren angegeben. Aufgrund der unterschiedlichen möglichen Einbauverhältnisse vermeiden die Antriebshersteller diese Angaben jedoch oft. Im Anhang A sind die wichtigsten thermischen Stoffdaten tabellarisch aufgeführt. Ausführliche Kennzahlen und Berechnungshinweise für technisch relevante Oberflächengeometrien, Strömungsverhältnisse und Medien sind im VDI-Wärmeatlas (VDI 2002) zusammengefasst.
2.1 Elektrische Servoantriebe
73
2 Wirkzusammenhänge ergründen Zur anschaulicheren Darstellung der thermischen Wirkzusammenhänge sollen zunächst die Mechanismen der Wärmeleitung in Medien, des Wärmeübergangs an Oberflächen und der Wärmespeicherung erläutert werden: • Wärmeleitung in Medien Der Wärmetransport in einem zylinderförmigen Bauteil hängt von dessen Geometrie (Querschnittsfläche A und Länge L) sowie vom Material des Bauteils ab. Aus Materialtabellen (z. B. Anhang C) kann der spezifische Wärmeleitwert λ von technischen Stoffen entnommen werden: L
R
A
P J
P J
J 1
J 1
C
1 0
J
1 0
= J 1- J
0
0
0
Abb. 2.7. Wärmeleitung in Medien, Wärmewiderstand
P=λ⋅
A A ⋅ (ϑ1 − ϑ0 ) = λ ⋅ ⋅ ϑ10 L L
(2.13)
Analog zum elektrischen Widerstand wird die Eigenschaft von Bauteilen, den Wärmeleistungstransport nur bei einer Temperaturdifferenz zuzulassen (zweiter Hauptsatz der Thermodynamik), durch den thermischen Widerstand R beschrieben: R=
ϑ10 P
=
1 L ⋅ λ A
(2.14)
Gl. (2.14) wird auch als das "Ohm'sche Gesetz der Wärmeleitung" bezeichnet. • Wärmeübergang an Grenzflächen Grenzflächen sind Übergänge von festen Bauteilen zu umgebenden Medien (z.B. Luft, Öl, Wasser). Der Wärmetransport an solchen Grenzflächen kann den Effekten Wärmestrahlung und Konvektion beschrieben werden: Wärmestrahlung Der wärmere Körper strahlt mehr Wärme an das kältere umgebende Medium ab als das kältere Medium in den wärmeren Körper und umgekehrt, so dass ein Wärmetransport durch Strahlung auch bei umgebendem Vakuum funktioniert (Dobrinski 1996). Wärmestrahlen sind elektromagnetische Wellen und damit nicht an ein Übertragungsmedium gebunden. An der Oberfläche des Körpers mit höherer Temperatur wird Wärmeenergie in Strahlungsenergie (Photonen)
74
2 Modellbildung
umgewandelt (Emission). An der Oberfläche des Körpers oder Mediums mit niedrigerer Temperatur wird die Strahlungsenergie in Wärmeenergie umgewandelt (Absorption). Emission und Absorption hängen von der Beschaffenheit (v.a. der Farbe) der strahlenden Oberfläche ab. Gleich beschaffene (gleichfarbige) Oberflächen besitzen identische Absorptionsund Emissionseigenschaften. Für die abgestrahlte Wärmeleistung gilt:
(
P = ε ⋅ σ ⋅ A ⋅ ϑ1 − ϑ0 4
4
)
(2.15)
mit ε – Emissions-/Absorptionskoeffizient (siehe Anhang C) σ – Strahlungskonstante (5,67.10-8 W/(K4.m2)) ϑ1 – Temperatur der Oberfläche (absolut in K) ϑ0 – Umgebungstemperatur (absolut in K) Führt man anstelle der Temperatur ϑ1 die Temperaturdifferenz ϑ10=ϑ1–ϑ0 ein, so kann für Umgebungstemperaturen im Bereich der Raumtemperatur (ϑ0= 273 .. 313 K) folgende Vereinfachung für Gl. (2.15) angegeben werden:
(
)
P = ε ⋅ σ ⋅ A ⋅ (ϑ0 + ϑ10 ) − ϑ0 ≈ 4 ⋅ ε ⋅ σ ⋅ A ⋅ ϑ0 ⋅ ϑ10 4
4
3
(2.16)
Die abgestrahlte Leistung ist somit näherungsweise proportional zur Temperaturdifferenz. Daraus folgt für das flächenbezogene Wärmestrahlungsvermögen αs: P 3 (2.17) αS = ≈ 4 ⋅ ε ⋅ σ ⋅ A ⋅ ϑ0 A ⋅ ϑ10 Oberflächen mit beschichteter, matter Oberfläche besitzen Emissionskoeffizienten in der Größenordnung von ε ≅ 0,9 (Anhang C). Damit ergibt sich ein typischer Wert für αs von ca. 5 W/(K.m2). Das Strahlungsvermögen polierter, glänzender Oberflächen ist deutlich kleiner und kann oft vernachlässigt werden.
P
G re n z s c h ic h t
M e d iu m J 0
G r e n z flä c h e A J
J
d
1 0
= J 1- J
1
0
Abb. 2.8. Wärmeübergang an einer Grenzschicht
2.1 Elektrische Servoantriebe
75
Konvektion Das an der Grenzfläche vorbeiströmende Medium nimmt Wärmeleistung vom wärmeren Körper ab oder erwärmt ihn, wenn er kälter als das umgebende Medium ist. Man unterscheidet hierbei − freie Konvektion, d.h. die am Körper erwärmte Luft steigt aufgrund des Dichteunterschiedes auf und erzeugt so einen laminaren Kühlluftstrom, sowie − erzwungene Konvektion, d.h. das Medium wird z.B. durch Lüfter oder Umwälzpumpen bewegt. Besonders effizient ist die Kühlung, wenn eine turbulente Konvektion erzwungen wird. Anschaulich betrachtet berühren bei großer Strömungsgeschwindigkeit mehr kühle Fluid- oder Gasteilchen die Oberfläche und verbessern damit den Wärmeübergang. Der Wärmeübergang an der Grenzschicht zwischen Oberfläche und vorbeiströmendem Medium kann durch die zuvor bereits erläuterte Wärmeleitung beschrieben werden:
P=
ϑ10 R
=λ⋅
A
δ
⋅ ϑ10 = α K ⋅ A ⋅ ϑ10
(2.18)
Das flächenbezogene Wärmeabfuhrvermögen
αK =
λ λ = Nu ⋅ δ L
(2.19)
ist somit abhängig von der Wärmeleitfähigkeit λ des Mediums und der Breite δ der Grenzschicht. Die Grenzschichtbreite ist von der Strömungsgeschwindigkeit, der Strömungsart und den geometrischen Abmessungen (charakteristische Länge oder Breite L) der das Medium führenden Kanäle abhängig. Hierzu wird die sogenannte Nußelt-Zahl Nu eingeführt. Ausführliche Kennzahlen und Berechnungshinweise für technisch relevante Oberflächengeometrien, Strömungsverhältnisse und Medien sind im VDI-Wärmeatlas (VDI 2002) zusammengefasst. In Tabelle 2.2 sind daraus einige praktische Näherungswerte und Handformeln für die Berechnung des Wärmeabfuhrvermögens durch Konvektion zusammengestellt: Tabelle 2.2 Näherungswerte für das Wärmeabfuhrvermögen durch Konvektion Medium Wärmeabfuhrvermögen αk durch (Strömungsgeschwindigkeit v in m/s) Konvektion in W/(K.m2) . 1/2 Wasser (v>0) 580 + 2100 v Luft, Gase (v=0) 2 .. 10 . 1/2 Luft, Gase (v>0) 2 + 12 v
76
2 Modellbildung
Die Berechnung genauer Werte über die oben angegebenen Näherungsformeln hinaus ist aufwändig, hier sind Messungen und Erfahrungen mit vergleichbaren Anordnungen zielführender. Beide Effekte – Strahlung und Konvektion – werden im spezifischen Wärmeabfuhrvermögen von Oberflächen α zusammengefasst: P (2.20) α = αS + αK = A ⋅ ϑ10 Dabei ist P die über die Grenzfläche transportierte Leistung, A der Flächeninhalt der Oberfläche und ϑ10 die Temperaturdifferenz zwischen Oberfläche und umgebendem Medium. Bei freier Konvektion in Luft kann ein Daumenwert von α = 15 W/(m2.K) angesetzt werden (ca. 1/3 Strahlung, 2/3 Konvektion). Bei erzwungener Konvektion werden je nach Strömungsgeschwindig keit, -art oder Kühlmedium wesentlich höhere Werte erreicht (α = 20..15000 W/(m2.K)). Somit lohnt sich die Zwangsbelüftung aus thermischer Sicht immer, da hier auch bei kleinen Oberflächen erhebliche Wärmeleistungen abgeführt werden können. Analog zum elektrischen Widerstand wird die Eigenschaft von Grenzflächen, den Wärmeleistungstransport nur bei einer Temperaturdifferenz zuzulassen, ebenfalls durch den thermischen Widerstand beschrieben: ϑ 1 (2.21) R = 10 = P α⋅A Man nennt den Daumenwert für Strahlung und freie Konvektion auch "Kachelofenkonstante", weil damit die Wärmeabgabe von Kachelöfen und anderen flächigen Raumheizungen (z.B. auch unbelüftete Kühlkörper in der Elektronik) recht anschaulich und ausreichend genau beschrieben werden kann: α = 15 W/(m2.K) bedeutet, dass eine Oberfläche von 1 m2, die um 1 K wärmer als die Umgebungsluft ist, etwa 15 W Wärmeleistung an diese Umgebung abgibt.
• Wärmekapazität Die Fähigkeit eines Körpers, Wärmeenergie W zu speichern, hängt von seiner Masse m sowie von seiner materialspezifischen Wärmekapazität c und der Temperaturdifferenz ϑ10 ab, mit der der Körper thermisch "aufgeladen" wurde. Aus Materialtabellen (z.B. Anhang C) kann die spezifische Wärmekapazität von technischen Stoffen entnommen werden: W = P( t ) dt = c ⋅ m ⋅ (ϑ1 − ϑ0 ) = c ⋅ m ⋅ ϑ10
³
(2.22)
2.1 Elektrische Servoantriebe C P J
77
J 1
J
1 0
= J 1- J
0
0
Abb. 2.9. Wärmekapazität
Analog zur elektrischen Kapazität wird die Eigenschaft von Bauteilen, Energie bei Erwärmung zu speichern, durch die thermische Kapazität – oder Wärmekapazität – C beschrieben: W (2.23) C= = c⋅m ϑ10 dϑ10 d (ϑ1 − ϑ0 ) (2.24) =C⋅ dt dt Gl. (2.24) beschreibt den Wärmetransport an einer Wärmekapazität, der nur bei einer zeitlich veränderlichen Temperaturdifferenz stattfindet. Die Analogie zwischen elektrischem Stromfluss und thermischem Wärmeleistungsfluss in Abschn. 1.3 legt es nahe, die analytische Beschreibung von elektrischen Netzwerken auf thermische Netzwerke zu übertragen. Man kann thermische Zusammenhänge sehr anschaulich durch ein Ersatzschaltbild als physikalisches Modell beschreiben. Das einfachste thermische System ist ein Körper, der durch seine Wärmekapazität, zwei Wärmewiderstände und eine in den Körper eingebrachte Wärmeleistung beschrieben wird. Analog zur Punktmasse in der Mechanik spricht man hier von einer thermischen Punktmasse, deren räumliche Ausdehnung als sehr klein angenommen werden kann. Wärmetransportvorgänge innerhalb des Körpers sind sehr schnell, so dass von einer konstanten Temperatur im gesamten Körper ausgegangen werden kann. Der Körper ist somit ein Temperaturknoten: P =C⋅
L e is tu n g s flu s s :
p h y s ik a lis c h e s M o d e ll: P
z u g e fü h r te L e is tu n g P 1
1
P
R
1 2
U m g e b u n g s lu ft J
P
1 2
J J
1 0
1 0
1 0
U m g e b u n g s lu ft J
1 0
1 2
1
C
1 0
P P
R J
b e n a c h b a rte r K ö rp e r J 2 J
1
0
- "E rd k n o te n "
0
Abb. 2.10. Thermisches Einmassenmodell, Ersatzschaltbild
2
78
2 Modellbildung
Der Widerstand R10 beschreibt die Wärmeabgabe P10 der Punktmasse über die Oberfläche an die Umgebung. Ist ein Körper gegenüber der Umgebung gut isoliert, so nimmt R10 sehr große Werte an oder kann gegebenenfalls auch im Netzwerk weggelassen werden. Der Widerstand R12 beschreibt den Wärmetransport P12 zu einem benachbarten Körper (Temperaturknoten 2). Für eine räumliche Anordnung kann ein Wärmetransport an mehrere benachbarte Körper erfolgen. Die Wärmekapazität wird immer auf den Knoten 0 der Umgebungsluft oder des umgebenden Kühlmittels bezogen. Dies kann einfach veranschaulicht werden, wenn man davon ausgeht, daß ein Körper mit Umgebungstemperatur keine Wärmeenergie – bezogen auf die Umgebung – mehr speichert. Damit ist die Temperaturdifferenz eines Körpers zum kalten Zustand (also der Umgebungstemperatur) der für die gespeicherte Wärmeenergie relevante Parameter. In Anlehnung an elektrische Schaltungen wird die Umgebungsluft auch oft als "Erdknoten" bezeichnet1. Interessieren die Wärmetransportvorgänge in einem Körper oder ist ein System räumlich verteilt, aus verschiedenen Materialien aufgebaut oder wird von verschiedenen Punkten Wärmeleistung zu- bzw. abgeführt, so kann dies durch eine Verkettung von thermischen Einmassensystemen P
K n o te n m
R m
J R
K n o te n j P
J
i0
R
R i
K n o te n i J
i
C
i0
J 0
i0
P
J
ij
R
R j
ij
J j
C
j0
J 0
R
jm
j0
m
J
J
K n o te n n
m n
m 0
m 0
0
jk
J
C
m n
K n o te n k
jk
R
jp
P
R
R p
K n o te n p J
p
C
p 0
J
p 0
J
p q
K n o te n q
p q
0
Abb. 2.11. Thermisches Mehrmassenmodell, Ersatzschaltbild
1
Bei streng physikalischer Betrachtung müsste als Erdknoten für die Wärmekapazitäten der absolute Nullpunkt ϑ0’= 0 K =-273°C gewählt werden, da ein Körper erst bei dieser Temperatur keine Wärmeenergie mehr besitzt. Man „erkauft“ sich den ersparten zusätzlichen Erdknoten u.U. durch – physikalisch sinnlose – negative Wärmeenergien in Kapazitäten, die kühler als die Umgebungsluft sind.
2.1 Elektrische Servoantriebe
79
angenähert werden. Daraus entsteht ein diskretisiertes Mehrmassenmodell (Abb. 2.11) des eigentlich räumlich verteilten Systems. In Abschn. 2.7 wird ein solches Mehrmassenmodell beispielhaft für einen kompletten Direktantrieb hergeleitet. Als Wärmequellen treten ohmsche Verluste und Ummagnetisierungsverluste (Wicklungen, Servomotoren), Reibungsverluste (Übertragungsglieder, Lager) sowie prozessbedingte Wärmeleistungen (Reibung, Umformung, ..) auf. Diese Wärmeleistungen können wie folgt abgeschätzt werden: Die elektrischen Verluste sind vom Motorstrom und vom Wicklungswiderstand (bei Betriebstemperatur!) abhängig.
PVel = R ⋅ I 2
(2.25)
Die Ummagnetisierungsverluste setzen sich aus den magnetischen Hystereseverlusten und den Wirbelstromverlusten zusammen. In erster Näherung steigen sie quadratisch mit der Ummagnetisierungsfrequenz f und damit mit der Drehzahl bzw. Geschwindigkeit des Motors: PVUm = PVUmN
§ f · ¸¸ ⋅ ¨¨ © fN ¹
2
(2.26)
Die Ummagnetisierungsverluste PVUmN bei Nennfrequenz fN bzw. Nenndrehzahl sind Grundlage für die Motorauslegung und müssen meist beim Motorhersteller nachdrücklich erfragt werden. Die Getriebeverluste hängen vom Getriebewirkungsgrad η = 0,92 ..0,98 und von der übertragenen Leistung ab.
PVG = (1 − η ) ⋅ M ⋅ ω
(2.27)
Das Lagerreibungsmoment kann insbesondere bei hohen Drehzahlen erhebliche Reibungswärmeverluste erzeugen: PVR = M R ⋅ ω
(2.28)
Die Ermittlung der Verlustleistungen gemäß Gl. (2.25)–(2.28) setzt die genaue Kenntnis der Bewegungs- und Stromverläufe voraus; letztere hängen bei geregelten Antrieben zudem noch von der Reglereinstellung ab. Hier bietet sich gegebenenfalls die Simulation mit Hilfe von vereinfachten Achsmodellen an. Oft ist die Zykluszeit T von Bearbeitungsvorgängen deutlich kleiner als die Zeitkonstanten (2.29) Ti = Ri 0 ⋅ C i 0
80
2 Modellbildung
der erwärmten Bauteile. In diesem Falle genügt die Annahme einer beim Starten der Bearbeitung sprungförmig einsetzenden Verlustleitung an den entsprechenden Knoten: T
T
³
³
1 1 Pi = ⋅ PVi ( t ) dt = ⋅ (PVel i + PVUm i + PVG i + PVR i )dt T 0 T 0
(2.30)
Die Wärmeabfuhr wird durch Kühlschmiermittel, Wasserkühlkreise und die Umgebungsluft bewerkstelligt. Es ist daher sinnvoll, die Nenntemperatur von Flüssigkeitskühlaggregaten auf die Raumtemperatur ϑo einzustellen, da bei tiefer eingestellten Nenntemperaturen ein unnötiger Leistungsbedarf (Kühlung der Umgebungsluft) und weitere Probleme (z.B. Kondensationseffekte etc.) auftreten. Für die Modellbildung können daher alle Maschinenteile, die gekühlt werden oder Wärme an die Umgebungsluft abgeben, an eine Äquipotentialfläche, den Knoten 0, der im weiteren Umgebungsluft oder "Erdknoten" genannt wird, verbunden werden. Analog zu elektrischen Netzwerken gelten im thermischen Netzwerk gemäß Abb. 2.11 die Kirchhoff’schen Regeln, d.h. die Summe aller in einen Knoten einfließenden Leistungen ist Null:
¦P
k
=0
(2.31)
k
Weiterhin muss die Summe aller Temperaturdifferenzen in einer Masche Null sein:
¦ϑ
k
=0
(2.32)
k
Dabei gilt für die Leistung Pij, die zwischen den Knoten i und j transportiert wird das "Ohm'sche Gesetz" der Wärmeleitung: Pij =
1 ⋅ ϑij Pij
(2.33)
Das Ausdehnungsmodell kann prinzipiell analog zum thermischen Modell aufgebaut werden. Hierzu sind zwischen den Knoten die geometrisch wirksamen Bauteillängen (lijx,y,z) zu definieren, sowie der zwischen zwei Knoten wirksame Temperatur-Ausdehnungskoeffizient αij. Für die thermische Ausdehnung (∆ijx,∆ijy,∆ijz) soll eine gleichmäßige Erwärmung der Einzelmassen und damit eine kongruente Formänderung angenommen werden. Hierbei wird vereinfachend davon ausgegangen, dass die zwischen zwei Knoten für die Längenausdehnung wirksame
2.1 Elektrische Servoantriebe
81
Temperatur ϑij dem Mittelwert zwischen den Knotentemperaturen ϑi und ϑj entspricht. §∆ · § lijx · ¨ ijx ¸ ¨ ¸ ϑi − ϑ j ¨ ∆ ijz ¸ ≈ α ij ⋅ ¨ lijz ¸ ⋅ 2 ¨ ¸ ¨ ¸ © ∆ ijz ¹ © lijz ¹
(2.34)
Dabei kann das Ausdehnungsmodell oft gegenüber dem thermischen Modell vereinfacht werden. Die Zusammenfassung von mehreren thermisch einzeln modellierten Körpern zu einem für die Ausdehnung relevanten Körper ist vor allem dann zulässig, wenn sich die Knotentemperaturen eines Teilsystems nur unwesentlich unterscheiden.
3 Quantitatives Modell Die Anwendung der Knotenregel Gl. (2.31) auf jeden Knoten ergibt mit Gln. (2.24) und (2.33) die Differentialgleichung in Laplace-transformierter Form2: − 1 /R1 n § Po · §1 /R11 + 1 /R12 + .. : · ¨ ¸ ¨ ¸ § ϑ10 · − 1 /R 21 : : ¨ P1 ¸ ¨ ¸ ¨ ¸ ¨ : ¸=¨ ¸⋅¨ : ¸ : : : ¨ ¸ ¨ ¸ ¨©ϑn0 ¸¹ ¨P ¸ ¨ ¸ − + + 1 /R : 1 /R 1 /R .. n1 nn n1 © n¹ © ¹ § C10 : 0 · ¸ § ϑ10 · ¨ ¨ 0 : : ¸ ¨ ¸ + s ⋅¨ ⋅¨ : ¸ : : : ¸ ¨ ¸ ¸ ©ϑn0 ¹ ¨ ¨ 0 : C ¸ n0 ¹ ©
P = G ⋅ϑ + s ⋅ C ⋅ ϑ
bzw.
(2.35)
mit P n G C
– Leistungsvektor – Anzahl diskreter Teilkörper – Leitwertmatrix – Kapazitätsmatrix ϑ – Temperaturvektor
Dabei sind in den Diagonalelementen 1/Rii alle am Knoten i angeschlossenen Leitwerte aufaddiert.
2
Die Herleitung der Differentialgleichung erfolgt analog zur Herleitung des Bader-Schemas zum Knotenpotentialverfahren für komplexe elektrische Netzwerke (Führer et al. 1997)
82
2 Modellbildung
4 Gleichungen aufbereiten Aus Gl. (2.35) ergibt sich für s→0 ein Gleichungssystem zur direkten Berechnung des thermischen Beharrungszustandes, welches zu Beginn dieses Abschnitts als statisches Modell bezeichnet wurde:
ϑ = R −1 ⋅ P
(2.36)
Die Zustandsdarstellung eignet sich besonders bei thermischen Modellen, die aus vielen Teilkörpern aufgebaut werden und bei denen im Wesentlichen nur die Temperaturverläufe von Interesse sind. Sie ist in vielen Simulationswerkzeugen sehr effizient zu implementieren: s ⋅ ϑ = A ⋅ϑ + B ⋅ P
(2.37)
A = −C −1 ⋅ G
(2.38)
B = C −1
(2.39)
mit der Zustandsmatrix
und der Eingangsmatrix
Im Sinne der Anschaulichkeit und der Modularität können Modelle, die überwiegend aus Reihenschaltungen von thermischen Grundelementen bestehen, auch aus den Blockschaltbildern einzelner Körper zusammengesetzt werden. Das Grundelement aus Abb. 2.10 bestehend aus Wärmekapazität Ci0 und den Wärmeübergangswiderständen Ri0 und Rij kann wie folgt als Blockschaltbild dargestellt werden: 1 /R
P P
1 0
1 /C
1 0
J
1 0
1
1 /R P
1 2
1 2
J 0
J 1
1 0
J
1 2
J 2
Abb. 2.12. Blockschaltbild eines thermischen Einkörpermodelles (Punktmasse)
Beispielhaft ist in Abb. 2.13 das Blockschaltbild zu den drei in Abb. 2.11 hervorgehoben gezeichneten Körpern (Knoten i, j und p) dargestellt.
2.1 Elektrische Servoantriebe
1 /R
P P
i0
1 /C
i0
J
J 0
J i
J 0
J j
J 0
J p
i0
T e ilk ö r p e r i i0
i
1 /R P
J
ij
ij
1 /R
P P
ij
j0
1 /C
j0
J
j0
T e ilk ö r p e r j j0
j
1 /R P
J
jp
jp
1 /R
P P
jp
p 0
1 /C
p 0
J
p 0
T e ilk ö r p e r p p 0
p
1 /R P
p q
J
p q
p q
J q
Abb. 2.13. Blockschaltbild eines Dreikörpersystems
83
84
2 Modellbildung
Die thermische Arbeitspunktverschiebung (∆x,∆y,∆z) kann durch systematische Addition der Längenänderungen des Ausdehnungsmodells (∆ijx,∆ijy,∆ijz) ermittelt werden. In Matrizendarstellung lautet dies: § ∆x · § l12 x ⋅ α 12 ¨ ¸ ¨ ¨ ∆y ¸ = ¨ l12 y ⋅ α 12 ¨ ∆z ¸ ¨ l ⋅ α © ¹ © 12 z 12
.. lijx ⋅ α ij .. lijx ⋅ α ij .. lijx ⋅ α ij
§ (ϑ1 + ϑ2 ) / 2 · ¸ .. l( n−1) nx ⋅ α ( n−1) n · ¨ ¸ ¨ . ¸ (2.40) .. l( n−1) ny ⋅ α ( n−1) n ¸ ⋅ ¨ ¸ . ¸ ¨ ¸ .. l( n−1) nz ⋅ α ( n−1) n ¹ ¨ ¸ © (ϑn−1 + ϑn ) / 2 ¹
mit n – Körperzahl des Ausdehnungsmodells Im Übungsbeispiel in Abschn. 2.7 wird auf das thermische Verhalten eines Direktantriebes unter Berücksichtigung der Einbauverhältnisse mittels eines thermischen Mehrmassenmodells eingegangen.
2.2 Mechanische Übertragungsglieder Das vom Motor erzeugte Moment muss mit Übertragungsgliedern (Getriebe, Zahnbänder, Gewindetriebe, Schubstangen etc.) auf die zu bewegenden Maschinenelemete übertragen werden. Weiterhin wird mit den Übertragungsgliedern eine Bewegungsumwandlung (z.B. Rotation – Translation) realisiert. Allen Übertragungsgliedern gemeinsam ist eine begrenzte mechanische Steifigkeit. Antrieb, Übertragungsglieder und angetriebene Maschinenelemente können damit als System elastisch gekoppelter Massen aufgefasst werden. Beispielhaft wird die Modellbildung von Antrieben mit elastischen Übertragungsgliedern anhand eines Kugelgewindetriebes mit direkter Kupplung an die Gewindespindel (Abb. 2.14, Prinzipskizze a) verdeutlicht.
1 Vorgaben sammeln Aus den Produktdaten des Kugelgewindetriebes, der Kupplung, der Linearführung und des Servomotors können die in Tabelle 2.3 aufgelisteten Daten entnommen werden. Die Steifigkeit kS einer Kugelgewindespindel setzt sich aus der ZugDruck-Steifigkeit der zylinderförmigen Spindel und der über die Gewindesteigung in eine Zug-Druck-Steifigkeit umgerechnenten Torsionssteifigkeit zusammen. Die Spindeltorsion macht sich vor allem bei großer Gewindesteigung bemerkbar. Da für die Wirkung auf die Achse nur die Zug-DruckSteifigkeit von Interesse ist, werden in den Produktdaten beide Steifigkeitsanteile zusammengefasst. Die Spindelsteifigkeit kS ist von der Position der Mutter abhängig. Im Sinne einer „worst-case“- Betrachtung sollte der kleinste Steifigkeitswert
2.2 Mechanische Übertragungsglieder
85
(Mutterposition für Fest-Los-Lagerung beim Loslager und für Fest-FestLagerung zwischen Mittelstellung und kupplungsfernem Festlager) für die Simulation angesetzt werden. In allen anderen Mutterpositionen wird der geregelte Antrieb eine bessere Regelgüte aufgrund der dort höheren mechanischen Eigenfrequenz (siehe Kap. 4) aufweisen. Die Festlagersteifigkeit (inkl. Festlagerbock) kF sollte bei sinnvoller Achsauslegung wesentlich größer als die übrigen Steifigkeiten des Antriebes sein, so dass das Festlager als ideal steif angenommen werden kann. P r in z ip s k iz z e : a ) D ir e k te K u p p lu n g G e b e r
M o to r
b ) R ie m e n g e tr ie b e
S c h litte n p o s itio n x
F e s tla g e r
K u p p lu n g
S c h litte n r
2
S p in d e l M u tte r a
u n te r la g e r te S tr u k tu r b a u te ile
M o to rp o s itio n j
P h y s ik a lis c h e s M o d e ll: M o to r k
k
k u p p lu n g s s e itig e S p in d e lh ä lfte
K to r
k
k
S c h litte n , M u tte r M
S
m u tte r s e itig e S p in d e lh ä lfte F
u n te r la g e r te S tr u k tu r b a u te ile P h y s ik a lis c h e s M o d e ll m it tr a n s la to r is c h b e w e g te n E r s a tz m a s s e n : x
x 1
k F F
m R M
1
x 2
k
d
1 2
1 2
m F
R F
k
2 3
d 2
x 3
2 3
m
d
F
3
4
F L
F R
3 4
3 4
m 4
R S
Abb. 2.14. Prinzipskizze und physikalische Modelle des Kugelgewindetriebes
86
2 Modellbildung Tabelle 2.3. Modellparameter einer Servoachse mit Kugelgewindetrieb Servomotordaten (siehe auch Tabelle 2.1): Motorträgheitsmoment Reibungsmoment der Motorlagerung Kupplung: Trägheit der Kupplung Drehsteifigkeit der Kupplung relative Dämpfung der Kupplung Kugelgewindetrieb: Gewindesteigung Trägheit der Gewindespindel Zug-Druck-Steifigkeit der Spindel Zug-Druck-Steifigkeit der Mutter Zug-Druck-Steifigkeit des Festlagers / der Festlager Masse der Mutter Spiel des Kugelgewindetriebes relative Dämpfung der Spindel und der Mutter Reibung der Spindellagerung Mechanische Daten, Achsaufbau: Schlittenmasse Lastkraft Reibung der Linearführung
2
JM in kgm MRM in Nm 2
JK in kgm kKtor in Nm/rad DK hS in m 2 JS in kgm kS in N/m kM in N/m kF in N/m mM in kg xback in m DS MRS in Nm m in kg FL in N FR in N
2 Wirkzusammenhänge ergründen Obgleich vor allem die Gewindespindel ein räumlich verteiltes System darstellt, kann der Kugelgewindetrieb ausreichend genau durch das physikalische Modell in Abb. 2.14 beschrieben werden3. Die Spindel wird dazu in eine kupplungsseitige und eine mutterseitige Rotationsträgheit aufgeteilt die durch die Spindelsteifigkeit kS gekoppelt werden. Auch die Kupplung wird in zwei Hälften aufgeteilt die wiederum mit der Kupplungssteifigkeit kKtor gekoppelt sind. Die Elastizität kM der Mutter rührt von der Deformation der Wälzkörper her. Daher kann die Muttermasse – einen ausreichend steifen Mutterflansch vorausgesetzt – mit guter Näherung zur Schlittenmasse hinzuaddiert werden. 3
In der Literatur sind verschiedene Ansätze einer sehr detaillierten Nachbildung von Antriebssystemen mit elastischen Übertragungsgliedern zu finden (Eubert 1992, Simon 1986). Dabei werden Feder-Masse-Systeme sehr hoher Ordnung oder Finite-Elemente-Modelle eingesetzt. Alle Arbeiten kommen jedoch zum Schluss, dass zur Nachbildung der im Sinne der Lageregelung kritischen Einflüsse ein Modell mit wenigen elastisch gekoppelten Punktmassen ausreicht.
2.2 Mechanische Übertragungsglieder
87
Prinzipiell könnte man von diesem noch sehr systemnahen physikalischen Modell ausgehend das mathematische Modell bereits herleiten. Verschiedene Antriebseigenschaften, wie beispielsweise die erreichbare Regelgüte, sind jedoch schon mit einem weit weniger aufwändigen Modell ermittelbar. Zur Vereinfachung der Darstellung werden daher zunächst alle Torsionssteifigkeiten in Zug-Druck-Steifigkeiten und alle Rotationsträgheiten in linear bewegte Ersatzmassen umgewandelt, woraus sich das physikalische Modell mit vier translatorisch bewegten Einzelmassen in Abb. 2.14 ergibt. Damit müssen die Rotationsträgheitsmomente Ji über die Gewindesteigung und allfällige Getriebeübersetzungen in auf die Schlittenseite bezogene Ersatzmassen mers,i umgerechnet werden: mers ,i
§ 2π = ¨¨ © hS
2
· ¸¸ ⋅ J i ¹
(2.41)
Ebenso müssen die als Torsionsfedersteifigkeit ktor,i angegebenen Elastizitäten in auf die Schlittenseite bezogene Zug-Druck-Steifigkeiten ki umgerechnet werden: 2
§ 2π · ¸¸ ⋅ ktor ,i ki = ¨¨ © hS ¹
(2.42)
Damit ergibt sich für die Zug-Druck-Steifigkeiten in Abb. 2.14:
§ 2π k12 = ¨¨ © hS
2
· ¸¸ ⋅ k Ktor ¹
(2.43)
k 23 = k S
(2.44)
k34 = k M
(2.45)
Die erste Masse m1 setzt sich aus der Ersatzmasse von Motor- und halber Kupplungsträgheit zusammen: 2
§ 2π · ¸¸ ⋅ ( J M + J K / 2 ) m1 = ¨¨ © hS ¹
(2.46)
Die zweite Masse m2 besteht aus der Ersatzmasse der zweiten Kupplungshälfte und einer Gewindespindelhälfte. § 2π m2 = ¨¨ © hS
2
· ¸¸ ⋅ (J S / 2 + J K / 2 ) ¹
(2.47)
88
2 Modellbildung
Die dritte Masse m3 stellt die Ersatzmasse der zweiten Spindelhälfte dar: § 2π m3 = ¨¨ © hS
2
· JS ¸¸ ⋅ ¹ 2
(2.48)
Die Muttersteifigkeit kM trennt die Masse m4, bestehend aus Schlittenund Muttermasse, vom Rest der Antriebskette m4 = mM + mS
(2.49)
Die Dämpfungen dij können aus der relativen – materialabhängigen – Dämpfung Dij gemäß dem Lehr’schen Dämpfungsmaß (Hagedorn 1990) abgeschätzt werden: d ij = 2 ⋅ Dij ⋅ m j ⋅ kij
(2.50)
Erfahrungsgemäß sind die geringen Dämpfungsbeiträge der Bauteile aus Stahl oder Aluminium (D23,34 = 0,5..2%) vernachlässigbar. Nur bei Einsatz einer Klauenkupplung mit einem Polymer-Zwischenelement (Hamann et al. 1993) oder eines Riemengetriebes ist eine signifikante Dämpfung d12 zu erwarten. Die Reibungsmomente MRM,S und das Motormoment M müssen in entsprechende Ersatzkräfte umgerechnet werden: § 2π FRM , S = ¨¨ © hS
§ 2π F = ¨¨ © hS
· ¸¸ ⋅ M RM , S ¹
(2.51)
· ¸¸ ⋅ M ¹
(2.52)
Dieses – noch recht detaillierte Modell – könnte bereits zur Simulation eingesetzt werden. Damit können die ersten drei niederfrequenten Eigenschwingungen des Kugelgewindetriebes nachgebildet werden. Beispielsimulationen und Vergleichsmessungen mit Hilfe der Modalanalyse an Kugelgewindetrieben (Zirn 1996) haben jedoch gezeigt, dass für die regelungstechnisch relevanten Einflüsse vor allem die niederfrequenteste Eigenschwingung von Bedeutung ist. Damit kann das Modell aus 4 Teilmassen mit ausreichender Näherung zu einem System zweier Massen, die durch eine zusammengefasste Elastizität gekoppelt sind, vereinfacht werden (Abb. 2.15):
2.2 Mechanische Übertragungsglieder F
F
R 1
R 1
-F
1 /m
R 1
1
x
F x
x 1
2
d
k F F
m 1
R 1
m o to r s e itig e T r ä g h e it
d
F m
F
L
2
89
F
v
1
1
d
R 2
k
la s ts e itig e T r ä g h e it F 1 /m F
k
2
x
L
F
R 2
F
v
R 2
-F
2
2
R 2
Abb. 2.15. Vereinfachtes physikalisches Modell und Blockschaltbild für Antriebe mit elastischen Übertragungsgliedern
Dabei werden die Trägheiten beidseits der dominanten, d.h. kleinsten Steifigkeit zusammengefasst. In gleicher Weise verfährt man mit den Reibungsanteilen (FR1 ist die motorseitige und FR2 die schlittenseitige Reibung). Für die resultierende Steifigkeit des vereinfachten Modells kann die Reihenschaltung aller Steifigkeiten in der Antriebskette angesetzt werden: k=
1 1 1 1 + + k12 k 23 k34
(2.53)
Der Dämpfungsbeitrag von Gliedern der Antriebskette ist dann besonders relevant, wenn in diesen Gliedern eine besonders große Relativbewegung stattfinden kann. Für die resultierende Dämpfung d ist daher die relative Dämpfung Dij am Ort der dominanten Steifigkeit kij relevant: d = 2 ⋅ Dij ⋅ m2 ⋅ k
(2.54)
Maßnahmen zur Erhöhung der Systemdämpfung durch Elastomerkupplungen (KTR 2004) oder Zahnriemengetriebe sind somit nur dann sinnvoll, wenn die dominante Elastizität auch in der Kupplung bzw. im Riemengetriebe zu finden ist (Hamann et al. 1993).
90
2 Modellbildung
Die Federkraft Fk dieses so vereinfachten Modells in Abb. 2.15 hängt von der relativen Lage der beiden Massen zueinander ab: Fk = k ⋅ ( x1 − x2 )
(2.55)
Die Dämpfungskraft Fd ist von der Relativbewegung der beiden Massen abhängig. Bei linearer Abhängigkeit (viskose Dämpfung) gilt: Fd = d ⋅ (
dx1 dx2 − ) dt dt
(2.56)
3 Quantitatives Modell Aus dem dynamischen Kräftegleichgewicht für die freigeschnittenen Massen m1 und m2 ergeben sich folgende Differentialgleichungen für den linearen Systemteil (d.h. ohne Berücksichtigung von Reibung und Spiel): m1 ⋅ m2 ⋅
dx dx d 2 x1 = F − Fk − Fd = F − k ⋅ ( x1 − x2 ) − d ⋅ ( 1 − 2 ) (2.57) 2 dt dt dt
dx dx d 2 x2 = Fk + Fd − FL = k ⋅ ( x1 − x2 ) + d ⋅ ( 1 − 2 ) − FL (2.58) 2 dt dt dt
4 Gleichungen aufbereiten Für die Ableitung des Blockschaltbildes aus Gln. (2.57), (2.58) bietet sich das in Abschn. 1.2.1, Abb. 1.23 dargestellte anschauliche Vorgehen an: Jede der beiden Differentialgleichungen stellt eine angetriebene Punktmasse dar und kann im Blockschaltbild als Doppelintegrator dargestellt werden. Für die motorseitige Punktmasse m1 wirkt die Antriebskraft F beschleunigend, während die motorseitige Reibung FR1 bremst. Für die schlittenseitige Masse m2 wirken Lastkraft FL und Reibung FR2 bremsend. Bei einer Positions- oder Geschwindigkeitsdifferenz zwischen den beiden Massen, wird eine Feder- oder Dämpfungskraft entwickelt, die die motorseitige Masse bremst und die schlittenseitige Masse beschleunigt (oder umgekehrt). Damit ist es sinnvoll, die Blöcke zur Ermittlung von Dämpfungs- und Federkraft in Abb. 2.15 zwischen die beiden Punktmassenmodelle (Doppelintegrator mit Proportionalglied) zu platzieren. Die Summe der beiden Kräfte Fk und Fd wird negativ an die motorseitige Masse und positiv an die schlittenseitige Masse gekoppelt. Man kann sich das Blockschaltbild in Abb. 2.15 sehr anschaulich am Bild eines Abschleppvorganges zweier Kraftfahrzeuge mit einer Abschleppstange vorstellen:
2.2 Mechanische Übertragungsglieder
91
Die Antriebskraft F des Motors des ziehenden Fahrzeuges (m1) beschleunigt im Anfahrmoment zunächst nur sich selbst. Dadurch ergibt sich eine Relativbewegung zwischen den Fahrzeugen (x1>x2), die die Abschleppstange dehnt. Diese Dehnungskraft Fk beschleunigt das abgeschleppte Fahrzeug (m2) und verzögert gleichzeitig das ziehende Fahrzeug (m1). Umgekehrt wirkt ein Tritt auf das Bremspedal des abgeschleppten Fahrzeuges zunächst nur auf dieses Fahrzeug. Die dadurch erzeugte Relativbewegung (x1>x2) dehnt die Abschleppstange und wirkt damit indirekt bremsend auf das ziehende Fahrzeug. Das Modell für elastische Übertragungsglieder kann in das Modell des Servomotors aus Abb. 2.6 integriert werden. Dadurch entsteht ein gemischtes Modell (Abb. 2.16) aus einer rotativ bewegten motorseitigen Trägheit J1 und einer translatorisch bewegten lastseitigen Trägheit m2. Das Ersatzmassenträgheitsmoment J1 wird aus m1 durch sinngemäße Umstellung von Gl. (2.46) ermittelt. Die Bewegungswandlung zwischen rotierendem und translatorischem Systemteil wird über Proportionalglieder (dimensionsbehafteter Übersetzungsfaktor hS/2π) im Modell realisiert.
w
R e g le r
L e is tu n g s m o d u l F v
V o rs te u e ru n g
s o ll
j
K
M o to r u n d m o to r s e itig e T r ä g h e it
K p, T v
M 1 1 + s .T
n
M
s o ll
L a g e r e g le r
w m
f
T
to t
M
1 1 + s .T
m a x
M
R 1
R 1
-M
1 /J
e lr
R 1
w 1
1
j
s o ll
1
M D r e h z a h lr e g le r d /d t
M e s s g rö ß e j m
h
h S 2 p
M o to rm e ß s y s te m
S
2 p d v
D j
1
h k
S
2 p x 1
x 2
Ü b e rtra g u n g s g lie d 1 /m S c h litte n m e ß s y s te m M e s s g rö ß e x m
D x
2
L a s t F L F
R 2
F
v
R 2
-F
2
R 2
S c h litte n u n d la s ts e itig e T r ä g h e it
Abb. 2.16. Blockschaltbild des Servoantriebs mit spielfreiem Kugelgewindetrieb
92
2 Modellbildung m o to r s e itig e R e ib u n g M
M
R 1
R 1
-M
1 /J
R 1
w 1
m o to r s e itig e P o s itio n j 1 1
M h
2 p
S
d h S 2 p d /d t
x k
1 /m
b a c k
x 1
2
L a s t F L F
x R 2
s c h litte n s e itig e R e ib u n g
F
v
R 2
-F
2
2
s c h litte n s e itig e P o s itio n
R 2
Abb. 2.17. Modifiziertes Blockschaltbild für einen spielbehafteten Kugelgewindetrieb
Soll zusätzlich zur Elastizität des mechanischen Übertragungsgliedes noch ein Getriebespiel xback (engl. „backlash“) berücksichtigt werden, so kann man das Blockschaltbild aus Abb. 2.16 durch einen Totzonen-Block (siehe auch Tabelle 1.6) erweitert werden. Diese Erweiterung ist sehr anschaulich: Dämpfung oder Steifigkeit des Antriebes können nur wirken, wenn das Getriebespiel xback überwunden wird. Bei Positionsdifferenzen innerhalb des Getriebespieles sind die beiden Teilmassen nicht gekoppelt. Daher muss die Geschwindigkeitsdifferenz direkt aus der schon spielbereinigten Positionsdifferenz durch zeitliche Ableitung gewonnen werden. Wird der Motor anstelle der Kupplung mit einem Zahnriemengetriebe angekoppelt (Abb. 2.14, Prinzipskizze b), so kann anstelle der Kupplungssteifigkeit die auf die Kugelgewindespindel bezogene Steifigkeit des vorgespannten Zahnriemengetriebes gesetzt werden (Zirn 2002): 2
kK =
r2 ⋅ kR a
(2.59)
2.3 Achsbezogenes Strukturmodell
93
Dabei ist r2 der Radius der spindelseitigen Riemenscheibe und kR die „Trumsteifigkeit“ des Zahnriemens, mit der in den Herstellerangaben die Zugsteifigkeit eines Riemenstückes von einem Meter Länge gekennzeichnet wird. Die freie Riemenlänge a kann durch den Achsabstand zwischen Servomotor und Gewindespindelachse abgeschätzt werden. Da die Riemendämpfung im Bereich von D = 0,1..0,2 vergleichsweise hoch ist, muss sie dann im Modell berücksichtigt werden, wenn der Zahnriemen die kleinste Steifigkeit der Antriebskette darstellt. Für die Umrechnung der Motorträgheit auf die Spindelachse muss nun noch die Getriebeübersetzung ü berücksichtigt werden: JM ' = ü2 ⋅ J M
(2.60)
Das hier für den Kugelgewindetrieb hergeleitete Modell kann prinzipiell auf alle Antriebe mit elastischen oder spielbehafteten Übertragungsgliedern (z.B. Zahnbandantrieb, Zahnstange-Ritzel, Reibradantrieb, Getriebestufen) übertragen werden. Da diese kostengünstigeren Antriebe für hochgenaue und steife Werkzeugmaschinen oder Roboter jedoch nicht leistungsfähig genug sind, werden sie hier nicht weiter diskutiert.
2.3 Achsbezogenes Strukturmodell In diesem Abschnitt wird die Modellbildung des für die Servoantriebe wirksamen Maschinenaufbaus von Werkzeugmaschinen behandelt. Sie bestehen aus Strukturbauteilen, die durch Führungen bzw. Lager (nachfolgend Koppelelemente genannt) gekoppelt sind. Strukturbauteile und Koppelelemente sind – im Gegensatz zu einfacheren automatisierten Anlagen und vielen Robotern – aufgrund der hohen Anforderungen an die Bearbeitungspräzision nicht als ideal steif anzusehen. Bearbeitungslasten sowie Gewichts- oder Antriebskräfte deformieren die Maschinenstruktur in der Größenordnung der geforderten Bearbeitungsgenauigkeit. Die elastische Struktur wirkt einerseits als flexibel angekoppelte Last auf die Servoantriebe zurück und beeinflusst die mögliche Regelgüte der Achsen. Bei Direktantrieben ist diese Rückwirkung besonders stark. Andererseits können durch die räumliche Anordnung der Strukturbauteile durch die Bewegung einer Achse oder Gewichts- bzw. Lastkräfte andere Freiheitsgrade angeregt werden (Transversalabweichungen, Torsions-schwingungen). Beide Fragestellungen lassen sich – allerdings unter hohem Implementierungsaufwand – durch die gekoppelte FE-Analyse simulieren (Niveau 3 in Abschn. 1.2). Für die Antriebsauslegung erscheint dies jedoch unverhältnismäßig aufwändig. Daher wird in diesem Abschn. zunächst aufgezeigt,
94
2 Modellbildung
wie mit Hilfe weniger diskreter Teilmassen die für den Antrieb relevanten Einflüsse der Maschinenstruktur nachgebildet werden können. Die Elastizität der Strukturbauteile ist meist aufgrund der FE-Analyse zur Bauteiloptimierung bekannt oder kann mittels Balken- bzw. Plattentheorie abgeschätzt werden. Meist stellen jedoch die Koppelelemente den Minimumfaktor für die Steifigkeit dar. Damit kann ein – allerdings räumliches – Modell gebildet werden, das aus den sehr steifen Strukturbauteilen (Starrkörper mit je sechs Freiheitsgraden) und elastischen Koppelstellen besteht. Dies wird in nachfolgenden Abschn. 2.6 detailliert beschrieben. Steht die Analyse einer einzelnen Achse im Vordergrund, so genügt es meist, die Maschinenstruktur durch wenige elastisch gekoppelte Punktmassen mit je einem Freiheitsgrad oder ebene Starrkörper nachzubilden.
1 Vorgaben sammeln Zur Führung der Bewegungen werden Koppelelemente (in der Robotik allgemein als Gelenke – engl. „links“ bezeichnet) benötigt, die die Relativbewegung der Strukturbauteile auf die vorgesehenen Freiheitsgrade – bei Werkzeugmaschinen entweder Translation oder Rotation – begrenzen. Diese Koppelelemente werden heute aus vorgefertigten Komponenten aufgebaut. Führungen und Lager mit Wälzkörpern haben sich zu Basiskomponenten entwickelt, die bezüglich Genauigkeit, Belastbarkeit, Steifigkeit, Lebensdauer, Schmierung und Kosten genau definierbare Eigenschaften haben (s.a. Abschn. 2.6). Den Herstellerangaben der Koppelelemente kann man die gemessenen Einfederungen ∆x,y in Abhängigkeit von den zugehörigen Belastungen FLx,y y F F ü h ru n g s w a g e n
L y
F F ü h ru n g s s c h ie n e
F x
z
F L a g e rz a p fe n
L x
L a g e rk ä fig
L a s tb e d in g te A b w e ic h u n g e n , x ,y , y (F
L y
L y
)
, x (F F
L x
)
L x
d
F ü h ru n g s w a g e n / L a g e r k ä fig y
k y
k d
x
x
F ü h ru n g s s c h ie n e / L a g e rz a p fe n
Abb. 2.18. Herstellerangaben zur Belastungsreaktion von Führungen und Lagern, Nachbildung durch ein Feder-Dämpfermodell
2.3 Achsbezogenes Strukturmodell
95
entnehmen. Damit kann das in Abb. 2.18 dargestellte Federersatzmodell mit den charakteristischen Federkonstanten kx = ky =
FLx ∆x FLy
∆y
(2.61) (2.62)
zur Nachbildung der Koppelelemente angesetzt werden. Die Federkonstante kx wird bei Lagern als Axialsteifigkeit und bei Führungen als Quersteifigkeit bezeichnet. Die Federkonstante ky wird bei Lagern als Radialsteifigkeit und bei Führungen als Last- oder Normalsteifigkeit bezeichnet. Wälzlager und Wälzführungen weisen als 5-wertige Lager auch Steifigkeiten gegenüber den in Abb. 2.18 für die Führung gestrichelt angedeuteten Momenten auf. Da an Werkzeugmaschinen meist 4 oder 6 Führungswagen je Schlitten eingesetzt werden sowie an Robotern ebenfalls meist zwei Wälzlager zur Führung eines Gelenkes vorgesehen sind, spielen diese Drehsteifigkeiten bei starren Strukturbauteilen keine Rolle. Die größte Unsicherheit liegt in der Ermittlung der materialspezifischen Dämpfung bzw. der Dämpfungseigenschaften von Führungen und Lagern. Üblicherweise liegen hier relative Dämpfungswerte D von weniger als 1..2% vor. Im Sinne einer „worst-case“-Abschätzung durch die Simulation liegt es nahe, diese geringe Dämpfung ganz zu vernachlässigen. Prinzipiell können die Schwachstellen der Strukturbauteile mit Hilfe der statischen FEM recht detailliert quantifiziert werden. Für die Steifigkeitsund Schwachstellenanalyse bestehender Roboter und Werkzeugmaschinen kann zudem die Modalanalyse eingesetzt werden (Weck 1995).
2 Wirkzusammenhänge ergründen Antriebe wirken auf die mechanischen Strukturbauteile ein, wobei zur Modellbildung zwei Fälle unterschieden werden können: • Angetriebene elastische Strukturen Die Antriebe beschleunigen Türme oder Ausleger an Werkzeugmaschinen, Arme von Robotern etc.; die dabei wirkenden Antriebs- und Trägheitskräfte führen zu einer Deformation der elastischen Strukturbauteile und damit zu einer Abweichung der vom geregelten Antrieb vorgegebenen Position. Angetriebene elastische Strukturen können analog zu den elastischen Übertragungsglieder im vorhergehenden Abschn. behandelt werden. • Elastisch aufgehängte Basis Die Reaktion der Antriebskräfte und -momente muss von der dem Antrieb kinematisch unterlagerten Struktur aufgenommen werden. Ist diese Struktur elastisch an das Maschinenfundament angekoppelt, so kommt es bei
96
2 Modellbildung
Beschleunigungsvorgängen zu Positionsverlagerungen und gegebenenfalls zu unerwünschten Oszillationen. Da mit einem Linearmaßstab die Position einer Achse nicht absolut, sondern relativ zur unterlagerten Struktur gemessen wird, koppeln diese Oszillationen in den Regelkreis ein (siehe hierzu auch Abschn. 4.2). Für die Antriebsauslegung und unter den Zeitrestriktionen der Praxis hat sich die Vereinfachung von Strukturen in wenige diskrete, elastisch gekoppelte Massenpunkte als vorteilhaft erwiesen. Damit kann die erreichbare Regelgüte an Produktionsmaschinenachsen quantifiziert werden. Die wesentlichen Teilsysteme einer Produktionsmaschinenachse können folgendermaßen zusammengefasst werden (siehe auch Abb. 2.21):
• Elastisch aufgehängte Maschinenbasis • Antrieb (ggf. mit elastischen Übertragungsgliedern) • Elastische Maschinen- und Gestellstruktur Es ist bei Anwendung dieser verhältnismäßig einfachen Nachbildung zuvor immer zu prüfen, ob die zur Diskretisierung der Massepunkte und Elas, x
, x F
h
F h
L a s tfa ll 1 k
k b
k x
k y
x y
b k y
b /2
b /2 b b L a s tfa ll 2 k y
h h F
F , x
, x
Abb. 2.19. Federersatzmodelle zur Berechnung der Wirkung der Führungs- bzw. Lagersteifigkeit auf die Struktursteifigkeit eines Schlittens
2.3 Achsbezogenes Strukturmodell
97
tizitäten vorausgesetzten Randbedingungen und Vernachlässigungen der Realität entsprechen, um sinnvolle und zuverlässige Resultate zu erzielen. Unter der Voraussetzung weitgehend optimierter Strukturbauteile dominiert der Einfluss der Koppelelemente auf die Steifigkeit der Maschinenstruktur. Mit Hilfe der Federersatzmodelle in Abb. 2.19 kann die Wirkung der Koppelelementsteifigkeit auf die resultierende Steifigkeit im TCP recht anschaulich abgeschätzt werden (Zirn 2002). Die resultierende Steifigkeit kS im Angriffspunkt der Kraft F für den ersten Lastfall beträgt: kS =
1 F = 2 ǻx 2 §h· 1 ⋅¨ ¸ + k y © b ¹ 2 ⋅ kx
(2.63)
Bei einem (ungünstigen) Verhältnis von h/b >1 oder für den zweiten Lastfall in Abb. 2.19 kann der Einfluss der Quersteifigkeit/Axialsteifigkeit kx vernachlässigt werden: 2
§b· k (2.64) kS ≈ ¨ ¸ ⋅ ©h¹ 2 Die Gesamtsteifigkeit kges der von einer Achse angetriebenen Struktur, bestehend aus n über Führungen bzw. Lager gekoppelten Gestellbauteilen, ergibt sich somit zu 1 (2.65) k ges = 1 1 + n k Sn n k fn
¦
¦
mit kS – führungs- bzw. lagerbedingte Steifigkeiten kf – Struktursteifigkeiten (z.B. über die FEM ermittelt) Die Anwendung der Federersatzmodelle in Abb. 2.19 kann mit Hilfe der Portalfräsmaschine (oder des Portalroboters) in Abb. 2.20 verdeutlicht werden. Unter der Voraussetzung einer ideal steif festwertgeregelten x-Achse ergibt sich durch die Verkettung der beiden Lastfälle aus Abb. 2.19 eine antriebsseitige Struktursteifigkeit (d.h. die Steifigkeit zwischen x-Schlitten und TCP) von k ges =
1 −1
2 § § b ·2 k · § · ¨ ¨ 2 ¸ ⋅ 2 ¸ + ¨ §¨ b1 ·¸ ⋅ k1 ¸ ¨ ¸ ¨ ¸ ¨ © h( z ) ¹ 2 ¸ ¨ © h( z ) ¹ 2 ¸ © ¹ © ¹
−1
.
(2.66)
Der Antrieb der x-Achse leitet die Reaktion der den Schlitten antreibenden Kraft und der Schlittenreibung in den Portalbalken als unterlagerte Struktur ein.
98
2 Modellbildung
Beim Kugelgewindetrieb wirkt ein Reaktionsmoment MB in der Größe des Motormomentes M auf die unterlagerte Struktur. Aufgrund des Übersetzungsverhältnisses kann dieses Moment meist vernachlässigt werden. Zudem wirkt MB orthogonal zum betreffenden Achsfreiheitsgrad. Bei Robotern ist diese Vernachlässigung jedoch zu prüfen (Sciavicco u. Siciliano 1996), da das Reaktionsmoment direkt auf den entsprechenden Achsfreiheitsgrad oder andere Achsfreiheitsgrade zurückwirken kann. Relevant hingegen ist die Reaktionskraft FB, die vom Festlager in die unterlagerte Struktur eingebracht wird. Sie kann in ersten Näherung durch die Federund Dämpfungskraft Fk+Fd des Antriebsmodells in Abb. 2.15 abgeschätzt werden. Bei einem Direktantrieb geht die gesamte Vorschubkraft F (bzw. das Antriebsmoment M) als Reaktion in die unterlagerte Struktur. Kann die Aufhängung kB des Portalbalkens in Abb. 2.20 nicht als sehr steif angesehen werden, so muss die unterlagerte Struktur als elastisch an das Fundament angekoppelte Teilmasse nachgebildet werden. Das allgemeine physikalische Modell einer Achse in Abb. 2.21 ergibt sich recht anschaulich durch die Erweiterung des Achsmodells in Abb. 2.15. Dabei repräsentieren k40 und d40 die elastische Aufhängung der unterlagerten Struktur. k23 und d23 bilden die Ankopplung der angetriebenen Struktur nach. b k
S c h litte n x -A c h s e
k B
k
S c h litte n z -A c h s e 1
k
1
k 2
k 2
k 2
k 2
b
1
2
k 1
1
P o r ta lb a lk e n
k
h (z )
B
H a u p ts p in d e l x T C P z
M a s c h in e n b e tt
Abb. 2.20. Feder-Ersatzmodell am Beispiel einer Portalfräsmaschine
2.3 Achsbezogenes Strukturmodell S tru k tu re la s tiz itä t
Ü b e rtra g u n g s g lie d e r x F m F
x
1
1
k
1 2
d
1 2
2
F
R 2
R 1
k F u n d a m e n t
x
d
4 0
4 0
m
4
F 4
x
2
m
F
99
B
k
2 3
d
2 3
m
3
3
F L
T C P s e itig e T r ä g h e it
R 2
e la s tis c h a u fg e h ä n g te B a s is
Abb. 2.21. Mehrmassenmodell unter Berücksichtigung der elastisch aufgehängetn Basis, der elastischen Übertragungsglieder sowie der elastisch angekoppelten Maschinenstruktur
Die lastseitige Trägheit wird dazu in eine schlittenseitige und eine TCPseitige Trägheit aufgeteilt. Die Aufteilung der Massen richtet sich nach dem der Ort der für k23 relevanten dominanten Elastizität. Bei der Implementierung der Regelkreise ist auf den Montageort der Positionsmesssysteme zu achten. Wird beispielsweise die Position des Schlittens (Punktmasse m2) mit einem an die Maschinenbasis montierten Linearmaßstab gemessen, ist die Differenz zwischen der Position x2 des Schlittens und der Position x4 der Basis als Positionswert für den Lageregelkreis zurückzuführen (siehe auch Kap. 4).
3 Quantitatives Modell Aus dem dynamischen Kräftegleichgewicht für die Teilmassen in Abb. 2.21 ergeben sich folgende Differentialgleichungen: m1 ⋅
d 2 x1 d = F − FR 1 − k12 ⋅ ( x1 − x2 ) − d 12 ⋅ ( x1 − x2 ) 2 dt dt
(2.67)
d d 2 x2 = − k 23 ⋅ ( x2 − x3 ) − d 23 ⋅ ( x2 − x3 ) 2 dt dt d + k12 ⋅ ( x1 − x2 ) + d12 ⋅ ( x1 − x2 ) − FR 2 dt
(2.68)
d 2 x3 d = k 23 ⋅ ( x2 − x3 ) + d 23 ⋅ ( x2 − x3 ) − FL 2 dt dt
(2.69)
d 2 x4 dx = − FB + FR 2 − k40 ⋅ x4 − d 40 ⋅ 4 2 dt dt
(2.70)
m2 ⋅
m3 ⋅
m4 ⋅
100
2 Modellbildung
4 Gleichungen aufbereiten Analog zum Vorgehen in Abb. 1.23 kann das Blockschaltbild direkt aus den Teilmodellen der Punktmassen (Doppelintegrator mit Proportionalglied) zusammengestellt werden, die durch entsprechende Proportionalglieder für die Federsteifigkeiten und Dämpfungskonstanten gemäß Gln. (2.67) – (2.70) verknüpft werden. Das daraus resultierende Blockschaltbild ist in Abb. 2.22 dargestellt. Abbildung 2.22 macht jedoch auch deutlich, dass die sehr anschauliche Darstellung des Blockschaltbildes nur für Modelle mit wenigen diskreten Trägheiten geeignet ist. Für eine detaillierte Nachbildung der Maschinenstruktur, wie dies im nachfolgenden Abschn. dargelegt wird, erscheint die Zustandsraumdarstellung besser geeignet. Zur Herleitung der Zustandsraumdarstellung können die Gln. (2.68) – (2.71) zunächst in Matrizenform zusammengefasst werden: § x1 · § x1 · ¨ ¸ ¨ ¸ d2 d ¨ x2 ¸ ¨ x2 ¸ K ⋅¨ ¸ + D ⋅ ¨ ¸ + M ⋅ 2 x dt x3 dt ¨ 3¸ ¨ ¸ ¨x ¸ ¨x ¸ © 4¹ © 4¹
§ x1 · ¨ ¸ ¨ x2 ¸ T (2.71) ¨ x ¸ = S ⋅ (F , FB , FR1 , FR 2 , FL ) ¨ 3¸ ¨x ¸ © 4¹
Diese Darstellung kann direkt aus dem physikalischen Modell gewonnen werden. Dazu sind folgende Regeln zu beachten:
• Die Diagonalelemente mii der Massenmatrix M sind die Massen der Teilkörper; die Nebenelemente sind Null.
M
§ m1 ¨ ¨0 =¨ 0 ¨ ¨0 ©
0
0
m2 0 0
0 m3 0
0 · ¸ 0 ¸ 0 ¸ ¸ m4 ¸¹
(2.72)
• Die Diagonalelemente kii der Steifigkeitsmatrix K beinhalten die Summe aller am Teilkörper i angekoppelten Elastizitäten. Die Nebenelemente kij bestehen aus der negativen Federkonstante, die die Verbindung zwischen den Teilkörpern i und j bildet.
K
§ k12 ¨ ¨ − k12 =¨ 0 ¨ ¨ 0 ©
− k12
0
k 23 + k12 − k 23 0
− k 23 k 23 0
0 · ¸ 0 ¸ 0 ¸ ¸ k40 ¸¹
(2.73)
2.3 Achsbezogenes Strukturmodell
b a s is s e itig w ir k s a m e R e a k tio n d e r A n tr ie b s k r a ft F B F
d
4 0
k
4 0
v
1 /m
4
4
e la s tis c h a u fg e h ä n g te B a s is
x 4
R 2
F
F
R 1
R 1
-F
1 /m
R 1
1
x
F
F
1 /m
F
1 2
k
1 2
1 2
d
F
v
R 2
L
s c h litte n s e itig e T r ä g h e it
2
2 3
k
3
2
R 2
d
F
Ü b e rtra g u n g s g lie d e r
x
R 2
1 /m
1
2
-F
L a s tk ra ft
v
m o to r s e itig e T r ä g h e it 1
S tru k tu re la s tiz itä t
2 3
v 3
x 3
T C P - s e itig e T r ä g h e it
Abb. 2.22. Blockschaltbild des Strukturmodells einer Achse
101
102
2 Modellbildung
• Die Dämpfungsmatrix D wird analog zur Steifigkeitsmatrix aufgestellt. § d12 ¨ ¨ − d12 D =¨ 0 ¨ ¨ 0 ©
− d12
0
d 23 + d12 − d 23 0
− d 23 d 23 0
0 · ¸ 0 ¸ 0 ¸ ¸ d 40 ¸¹
(2.74)
• Die Steuermatrix S, die den Eingriff der Antriebs-, Reaktions-, Lastund Reibungskräfte beschreibt, muss fallspezifisch aufgestellt werden.
S
0 · §1 0 −1 0 ¨ ¸ 0 −1 0 ¸ ¨0 0 =¨ 0 0 0 0 − 1¸ ¨ ¸ ¨0 − 1 0 1 0 ¸¹ ©
(2.75)
Jeder Teilkörper kann durch zwei Zustände (Position und Geschwindigkeit) gekennzeichnet werden. Dadurch ergibt sich der Zustandsvektor des mechanischen Systemteils zu: x = (x1 , x2 , x3 , x4 , v1 , v2 , v3 , v4 )
T
(2.76)
In Matrizendarstellung können diese Zustandsgleichungen und die Ausgangsgleichungen wie folgt zusammengefasst werden: d x = dt y =
A ⋅ x + B ⋅ (F , FB , FR1 , FR 2 , FL )
(2.77)
(x3 , x1 , x2 , v1 , v2 )
(2.78)
T
= C⋅x
mit der Zustands- bzw. Systemmatrix ª 0 « 0 « « 0 « « 0 « k 12 « m A = « 1 k «− 12 « m2 « « 0 « « « 0 ¬
0 0
0 0
0 0
1 0
0 1
0 0
0 0 k − 12 m1 k 12 + k 23 m2 k − 23 m3
0 0
0 0 0
0 0 d − 12 m1 d 12 + d 23 m2 d − 23 m3
1 0
0
0 0 d 12 m1 d − 12 m2
0
k 23 m2 k 23 m3
−
0
0 0
0
k 40 m4
0
0
0 d 23 m2 d 23 m3
−
0
0 º 0 »» 0 » » 1 » 0 » (2.79) » » 0 » » » 0 » » d 40 » m4 »¼
2.3 Achsbezogenes Strukturmodell
103
der Steuermatrix ª0 º B = « » ¬S ¼
(2.80)
und der Ausgangsmatrix
C
ª0 «1 « = «0 « «0 «¬0
0 1 0 0
0 0
0 0 0 0 0 0
0º 0 »» 1 0 −1 0 0 0 0 » » 0 0 0 1 0 0 0» 0 0 0 0 1 0 − 1»¼
(2.81)
Der Aufbau der Zustandsmatrix in Gl. (2.79) macht deutlich, dass die Zustandsraumdarstellung des linearen Teils des Achsmodells direkt aus dem physikalischen Modell oder unter Zuhilfenahme von Gl. (2.71) möglich ist. Die Zustandsdarstellung gemäß Gln. (2.80) – (2.82) wird auch als Steuerungsnormalform bezeichnet. Sie ermöglicht eine sehr effiziente Einbindung auch komplexer Strukturmodelle, wie in Abschn. 2.6 behandelt, in das mathematische Modell. Die auf die Struktur wirkenden Kräfte werden nachträglich in das Modell integriert. Abbildung 2.23 zeigt eine solche Zustandsdarstellung für das physikalische Modell in Abb. 2.21. In Abb. 2.23 ist zudem der lagegeregelte Antrieb integriert. Dabei wurde davon ausgegangen, dass Schwingungen der elastisch aufgehängten Basis keine Auswirkungen auf die R e g le r v
F v
V o rs te u e ru n g
s o ll
K x
L e is tu n g s m o d u l, M o to r w ic k lu n g
K p, T v
1
1 + s .T n
F
s o ll
L a g e r e g le r
v
1 m
f
T
to t
F
S tr u k tu r m o d e ll F
1
1 + s .T
m a x
R 1
F
G e s c h w in d ig k e its r e g le r d /d t
M e s s g rö ß e x 1m
, x
F 1
L
F
v 2-v
R 2
R 2
F B
1
4
R 2
x (t= 0 )
d x d t B
M o to rm e ß s y s te m
R 1
-F
e lr
F
s o ll
v
R 1
-F
F
x
x C
A x 1
S c h litte n m e ß s y s te m M e s s g rö ß e x 2m
, x 2
x 2-x 4
Abb. 2.23. Zustandsraumdarstellung des Achsmodells mit Lageregelung
3
104
2 Modellbildung
Motorposition und die motorseitige Reibung, wohl aber auf die relativ zur unterlagerten Struktur gemessene Schlittenposition und die Schlittenreibung haben. Die auf die unterlagerte Struktur wirksame Reaktionskraft FB wurde nur andeutungsweise eingezeichnet. Sie ist entsprechend der Antriebskonfiguration noch im Blockschaltbild zu ergänzen.
2.4 Steuerung und Führungsgrößengenerierung Die in einer Datei abgelegte Bewegungsinformation (NC- oder RoboterProgramm) muss von der Steuerung in entsprechende Führungsgrößen für die Antriebe umgewandelt werden. In diesem Abschn. sollen die grundlegenden Eigenschaften des Führungsgrößengenerators numerischer Steuerungen behandelt werden, um deren Einfluss auf die Bahnbewegung von Werkzeugmaschinen und Roboter im Modell ausreichend genau quantifizieren zu können. Bezüglich der inzwischen sehr umfangreichen Funktionalität moderner Steuerungen sei auf die Literatur (Weck 1995) und die entsprechenden Handbücher (Siemens 2004, Heidenhain 2004, Rexroth 2004) verwiesen. Auch auf die bei der Roboterprogrammierung bevorzugt eingesetzte Punkt-zu-Punkt- (PTP-) Programmierung, die den Eilgangbewegungen bei Werkzeugmaschinen (G00) entspricht, soll hier nicht näher eingegangen werden, da Oszillationen und Bahnabweichungen dabei nicht von Interesse sind. Interpolationsverfahren zu PTP und deren Umsetzung in MATLAB sind sehr anschaulich in (Weber 2003) beschrieben. Abbildung 2.24 zeigt das Prinzip der Führungsgrößengenerierung in numerischen Steuerungen am Beispiel einer Stufenbahn auf. Das NC- oder Roboterprogramm ist satzweise aufgebaut, wobei jeder Satz die geforderte Bewegung von einen Stützpunkt zum nächsten in Basiskoordinaten beschreibt. Aus diesen Sätzen werden zunächst im Grobinterpolationstakt Tgrob=2..10 ms Grobinterpolationspunkte erzeugt, die entsprechend der Kinematik in Achs- bzw. Gelenkkoordinaten transformiert werden. Der Feininterpolator erzeugt daraus die für den Lageregelkreis erforderlichen Sollwerte. Feininterpolationstakt und Lageregeltakt sind synchronisiert. Die in Abb. 2.24 dargestellten Führungsgrößen berücksichtigen die physikalischen Begrenzungen der Achsen noch nicht. So wird bei den Punkten P2,3 ein Geschwindigkeitssprung verlangt, dem die Achsen nur verzögert folgen können. Bei schwacher Lageregelverstärkung wirkt der Lageregelkreis wie ein Tiefpass, so dass die daraus resultierende Stellgröße (ωsoll oder vsoll) wieder „weich“ ist und der Geschwindigkeitsregelkreis diesem
2.4 Steuerung und Führungsgrößengenerierung
105
Sollwerten gut folgen kann. Dieses Tiefpassverhalten des Lagereglers erkauft man sich mit einem Schleppfehler σ.
σ=
1 d ⋅ x soll K v dt
(2.82)
Der Schleppfehler kann als Maß für die geschwindigkeitsabhängige Konturverzerrung (z.B. bei einer Eckenfahrt ohne Halt) aufgefasst werden. Der Maximalstrom des Umrichters wird zum Schutz der Leistungshalbleiter überwacht und ist damit begrenzt. Die meisten Regler sehen zudem für die Sollgeschwindigkeit oder den Stromsollwert ein Stellgrößenfilter vor. Damit können die in den Antrieb eingebrachten Kräfte und Momente zusätzlich begrenzt und „geglättet“ werden. Diese Maßnahmen greifen allerdings in den geschlossenen Regelkreis ein, womit die Phasenreserve sinkt und der Regelkreis entdämpft wird. Damit ist durch die reglerinternen Filter nur dann eine Anpassung an „rauhe“ Sollwerte möglich, wenn die dazu notwendigen Filterzeitkonstanten deutlich kleiner als die Zeitkonstanten der entsprechenden Regelkreise sind. Um eine Werkzeugmaschine oder einen Roboter mit größeren Regelverstärkungen sowie Vorsteuerung – und damit mit einer besseren Bahntreue – betreiben zu können, müssen die physikalischen Grenzen der Achsantriebe bei der Führungsgrößengenerierung berücksichtigt werden:
• Maximalgeschwindigkeit vmax Die Maximalgeschwindigkeit ist physikalisch durch die Zwischenkreisspannung und die Spannungskonstante des Motors (siehe Abb. 2.5) oder die zentrifugalkraftbedingt begrenzte Rotordrehzahl gegeben. Außer bei Eilgangbewegungen sind die prozessbedingt geforderten Geschwindigkeiten meist deutlich kleiner als die antriebsseitig mögliche Geschwindigkeit. • Maximalbeschleunigung amax Der Motorstrom ist aufgrund der Belastungsgrenze der Leistungshalbleiter im Umrichter oder aufgrund der zulässigen Erwärmung des Motors begrenzt. Die daraus resultierende Maximalkraft Fmax limitiert zusammen mit der zu beschleunigenden Gesamtträgheit m die mögliche Achsbeschleunigung amax. a max =
Fmax K F ⋅ I max = m m
(2.83)
• Maximalruck rmax Wie bereits in Abschn. 2.1.1 dargestellt, wird der Stromregelkreis benötigt, um die reglerseitig geforderte Stellgröße möglichst verzögerungsarm in
106
2 Modellbildung y in m
S o llb a h n :
P
0 .1
P
v 3
P 1
b a h n
= 0 .1 m /s P
x in m 2
0 .1 N C -P ro g ra m m : (D IN -IS O -C o d e ) ...
G 0 G 0 G 0 G 0 ...
0 X 1 X 1 Y 1 X
0 .2 R o b o te r-P ro g ra m m : (K R L - K u k a R o b o t L a n g u a g e ) ...
0 Y 0 F 3 0 0 0 0 1 0 0 F 6 0 0 0 1 0 0 2 0 0
G r o b in te r p o la tio n :
4
P T L IN L IN L IN ...
P P P 2 P 3 P 4
1 v v e v e v e
e l= l= 0 l= 0 l= 0
1 0 .1 .1 .1
0 % m /s m /s m /s
0 .2
P D C P C P C P
A T D A T D A T D A T
x ( t) in m y ( t) in m
0 .1
T
t in s
g ro b
1 0
2
3
K o o r d in a te n tr a n s fo r m a tio n ( R ü c k tr a n s fo r m a tio n ) F e in in te r p o la tio n : x
s o ll
(t) T
g ro b
T
fe in
t
Abb. 2.24. Prinzip der Führungsgrößengenerierung numerischer Steuerungen für Roboter und Werkzeugmaschinen
2.4 Steuerung und Führungsgrößengenerierung
107
einen entsprechenden Motorstrom umzusetzen. Der schnellstmögliche Stromanstieg ist durch die Zwischenkreisspannung UZ und die Motorinduktivität L gegeben: UZ dI (2.84) = dt max L Daraus folgt für den möglichen antriebsseitigen Ruck (s.a. Weck u.a. 1999): rmax =
da dt
K F dI ⋅ m dt
= max
b e s c h le u n ig u n g s b e g r e n z te F ü h ru n g s g rö ß e n x x 2
x 1
v v
ru c k b e g re n z te F ü h ru n g s g rö ß e n x
s o ll
t1
t2
(2.85) max
t
t3
x 2
x 1
s o ll
t1 t2 t3 v
s o ll
v
m a x
t
t4 t5 t6 t7
s o ll
m a x
t a
a
s o ll
t a a
m a x
s o ll
m a x
t -a
t -a
m a x
r
m a x
r
s o ll
m a x
t
r
s o ll
t -r
m a x
Abb. 2.25. Zeitverläufe von Ruck, Beschleunigung, Geschwindigkeit und Position für eine Positionierbewegung
108
2 Modellbildung
Für Test, Reglereinstellung und Auslegung einer einzelnen Vorschubachse wird eine Positionierbewegung betrachtet, deren zeitlicher Verlauf in Abb. 2.25 dargestellt ist. Oft werden in Umrichtern für Einzelachsanwendungen recht einfache Führungsgrößengeneratoren vorgesehenen, die nur beschleunigungsbegrenzte Sollwerte erzeugen. Hier wird der Achse ein unendlich hoher Ruck abverlangt. Der Stromregelkreis oder der Stellgrößenfilter des Geschwindigkeitsreglers begrenzt dann den Ruck „hardwaremäßig“. In Anhang B1 wird ein Führungsgrößengenerator einer Einachssteuerung beschrieben und in MATLAB implementiert, mit dem positionsstetige, geschwindigkeits- und beschleunigungsbegrenzte sowie ggf. ruckbegrenzte Sollwerte für Positionierbewegungen erzeugt werden können. Für die Vorsteuerung werden zudem die zeitlichen Verläufe der Sollgeschwindigkeit und – seltener – der Sollbeschleunigung benötigt. In (Weber 2003) ist die bei Robotern oft eingesetzte Methode zur ruckbegrenzten Führungsgrößenerzeugung mit Hilfe von sinoidenförmigen Beschleunigungsverläufen beschrieben. Der ruckbegrenzte Führungsgrößenverlauf in Abb. 2.25 ist positionierzeitoptimal, da er die Leistungsgrenzen des Antriebes voll ausnutzt. Da jedoch die Zeitinterwalle zum Beschleunigungsauf- und abbau sehr klein sind, ergeben sich mit dem vereinfachten Führungsgrößengenerator gemäß Anhang B1 oder mit den sinoidenförmigen Sollwerten (Weber 2003) vernachlässigbar kleine Positionierzeitunterschiede. Diese, von der Entwicklungs- und Inbetriebnahmeerfahrung vieler Servoachsen gestützte Erkenntnis legt nahe, im Sinne der Simulationseffizienz keine allzu exakte Nachbildung des jeweiligen Führungsgrößengenerators anzustreben. Zur Beschreibung der TCP-Bahn von Robotern wie Werkzeugmaschinen werden Geradenstücke (G01 bzw. LIN) und Kreissegmente (G02/G03 bzw. CIRC) benutzt. Andere Bahnformen (z.B. für Freiformflächen) werden durch stückweise gerade oder kreissegmentförmige Bahnabschnitte angenähert (Bahnsegmente). Um den Bearbeitungsprozess definiert zu führen, ist eine möglichst konstante Bahngeschwindigkeit erforderlich. Dazu sind jedoch an den Stützpunkten der Geradenübergänge sprunghafte Geschwindigkeitsänderungen und an Geraden-Kreis- sowie Kreis-KreisÜbergängen Beschleunigungssprünge erforderlich. Diese „rauen“ Führungsgrößen können von der Maschine nicht ideal umgesetzt werden. Um ruck- und beschleunigungsbegrenzte „weiche“ Führungsgrößen zu erzeugen, sehen moderne Bahnsteuerungen (Siemens 2004, Heidenhain 2004, Rexroth 2004) folgende Strategien vor (Abb. 2.26):
2.4 Steuerung und Führungsgrößengenerierung
S p lin e - B a h n
109
B a h n m it G e n a u h a lt B a h n m it Ü b e r s c h le ife n
Ü b e r s c h le ifk u g e l
S ta rtp u n k t
E n d p u n k t
Abb. 2.26. Strategien von Bahnsteuerungen
• Genauhalt nach jedem Bahnsegment Die Bewegung wird an jedem Bahnsegmentübergang kurz angehalten und dann – mit oder ohne Wartezeit – ruck- und beschleunigungsbegrenzt wieder fortgesetzt. (Sollwertverläufe wie in Abb. 2.25). Die programmierte Kontur wird so exakt nachgefahren, ohne die Leistungsfähigkeit der Maschine zu überfordern. Allerdings liegt dann keine konstante Bahngeschwindigkeit vor, was bei Fräsmaschinen an den Segmentenden zu Freischneidmarken führt. Die Oberfläche ist dann zwar sehr konturgenau jedoch optisch oft nicht befriedigend glatt und muss nachgearbeitet werden (z.B. Polieren von Hand). Ein Lackierroboter würde an den Segmentenden bei Genauhalt einen dickeren Farbauftrag erzeugen. Gerade bei schnell abgefahrenen Polygonzügen kann es zudem zu einer unerwünschten Anregung der schwingfähigen Struktur kommen. • Überschleifen der Segmentübergänge Hierzu werden die Segmentübergänge innerhalb eines Toleranzbereiches (dem sog. Überschleifradius) verrundet. Dies kann durch eine Satzweiterschaltung nach Erreichen eines Positionierfensters oder durch das Einfügen von verrundeten Bahnsegmenten an Konturecken geschehen. Die Sollbahn wird damit gegenüber der programmierten Kontur verändert. Dafür entsteht durch die kontinuierliche Bahngeschwindigkeit eine gleichmäßige Oberfläche beim Fräsen bzw. eine konstanter Farbauftrag beim Lackieren. Für sehr klein gewählte Überschleifradien kann es jedoch zu einer Überforderung der Maschine kommen, aus der eine zusätzliche Abweichung der Bahn vom Sollwert und möglicherweise auch eine Schwingungsanregung der Struktur resultiert.
110
2 Modellbildung
• Spline-Interpolation Sollen die Stützpunkte genau und mit definierter Geschwindigkeit durchfahren werden, wird die Führungsgröße mit (meist kubischen) Splines interpoliert (s.a. Weck 1995). Daraus entstehen krümmungsstetige Sollbahnen, die an die dynamischen Möglichkeiten der Maschine angepasst werden können. • Vorausschauende Geschwindigkeitsanpassung (look ahead) Mit dieser Funktion ermittelt die numerische Steuerung für die programmierte und ggf. überschliffene Kontur vorab die erforderlichen Beschleunigungen und passt die Bahngeschwindigkeit an die dynamischen Möglichkeiten der Maschine an. Durch die Geschwindigkeitsanpassung abweichend von der programmierten Geschwindigkeit kommt es an Ecken und engen Konturradien zu optischen Abweichungen des Bearbeitungsergebnisses, die jedoch meist toleriert werden können Oft ist beim Entwurf einer Werkzeugmaschine die Steuerung noch nicht festgelegt oder es sind die genauen Zusammenhänge der Führungsgrößenerzeugung einer Steuerung über die Eingabeparameter hinaus nicht offengelegt bzw. nicht mit vertretbarem Aufwand zu beschaffen und zu implementieren. Auch wird die simulative Untersuchung mit wenigen typischen Sollwertverläufen aussagekräftig sein, so dass die umfangreichen Programmierhilfen, Überwachungsalgorithmen und Sonderfunktionen von Steuerungen nicht im Modell berücksichtigt werden müssen. Daher genügt für die Simulation ein vereinfachter und vergleichsweise schnell zu implementierender Führungsgrößengenerator, der die wesentlichen Fahrbefehle (Geradeninterpolation, Kreisinterpolation und Warten) interpretiert. In Anhang B2 ist ein solcher Führungsgrößengenerator einer Bahnsteuerung beschrieben und in MATLAB implementiert, mit dem positionsstetige, geschwindigkeits- und beschleunigungsbegrenzte Sollwerte für ebene Konturen erzeugt werden können. Für den schleppfehlerfreien Betrieb durch geeignete Vorsteuerung werden zudem die zeitlichen Verläufe der Sollgeschwindigkeit und – seltener – der Sollbeschleunigung benötigt. Damit kann das dynamische Verhalten der gesamten Antriebskette sehr gut abgeschätzt werden. Aktuelle Steuerungen sind so leistungsfähig und schnell, dass das NCProgramm in Echtzeit („Online“) verarbeitet werden kann. Dies ist vor allem für die Überwachungsfunktionen und die Betriebssicherheit der Steuerung vorteilhaft. Für die Simulation genügt es hingegen völlig, die Sollwerte vor dem Simulationsstart (also „Offline“) zu berechnen.
2.5 Kinetische Kopplung von Achsfreiheitsgraden
111
2.5 Kinetische Kopplung von Achsfreiheitsgraden Die bisher dargestellten Modelle können für die Simulation von mehrachsigen Systemen eingesetzt werden, wenn die kinetischen Kopplungen zwischen den Achsfreiheitsgraden vernachlässigbar sind. Für Werkzeugmaschinen mit kartesischer Achsanordnung oder Portalroboter mit drei bis vier Freiheitsgraden (engl. degrees of freedom – DOF) trifft dies auch weitgehend zu. Hier können mehrere Achsmodelle parallel oder einzeln nacheinander simuliert werden, um die so erzeugten TCP-Positionen anschließend zu einer Bahn zusammenzusetzen. Bei Werkzeugmaschinen mit vier bis fünf Freiheitsgraden, Industrierobotern und insbesondere bei parallelkinematischen Manipulatoren erzeugt die Bewegung einer Achse erhebliche Koppelkräfte und -momente für die anderen Achsen. Sehr anschaulich sind diese Kopplungen für die vierachsige Werkzeugmaschine in Abb. 2.1 zu beschreiben: Eine beschleunigte Schwenkbewegung der A-Achse wird – wenn der Massenschwerpunkt der Hauptspindel nicht in der Drehachse A liegt – Lastkräfte in die Lagerung der Rundachse, und damit in die Struktur der Y-Achse einleiten. Am Positionsmesssystem des Y-Achsantriebs wird während der Schwenkbewegung eine Abweichung sichtbar sein. Andersherum wird eine dynamische Positionierbewegung der Y-Achse ihrerseits zu Lastmomenten in der A-Achse führen, die vom A-Achsantrieb ausgeregelt werden müssen. Dies macht deutlich, dass eine komplette Werkzeugmaschine wie ein Roboter simuliert werden muss, d.h. als Parallelsimulation der zu den einzelnen DOF hergeleiteten Achsmodellen inklusive der entsprechenden Kopplungen zwischen den Achsen. Die prinzipielle Struktur eines solchen Gesamtmodells ist in Abb. 2.27 dargestellt. Dabei sind nur die auf die Teilkörper der Antriebe wirksamen Koppelterme, nicht jedoch die durch die Lager und Führungen aufgebrachten Zwangskräfte von Interesse. q
1 s o ll
J
F ü h ru n g s g rö ß e n g e n e ra to r
J 2 s o ll
q
q 1
k 1
K o p p e lte rm e
q
G e le n k v a r ia b le 1 q 1
A c h s e 1 1
d y n a m is c h e s M o d e ll q
k 2
A c h s e 2
2
J q
ä u ß e re L a s te n L
2
q 2
G e le n k v a r ia b le 2
Abb. 2.27. Prinzipdarstellung des Gesamtmodells einer Werkzeugmaschine bzw. eines Roboters mit mehreren DOF
112
2 Modellbildung
Das dazu erforderliche dynamische Modell der Werkzeugmaschine ist dem „Inversen Modell“ (auch als inverses Problem der Mechanik bezeichnet) verwandt, das die für gegebene Gelenkpositionen q, -geschwindigkeiten dq/dt und -beschleunigungen d2q/dt2 erforderlichen Gelenkmomente und -kräfte τq ermittelt (Weber 2003, Craig 1989). Die Herleitung der Kopplungen τk kann sehr aufwändig werden, da es sich im allgemeinen Fall um eine räumliche Aufgabenstellung handelt. Zur Herleitung des „Inversen Modelles“ werden in der Literatur zur Roboterdynamik (Tsai 1999, Pfeiffer 1992, Craig 1989, Weber 2003) verschiedene Ansätze vorgestellt, die alle von einem Starrkörpermodell, d.h. von einem aus starren Gliedern und idealen Gelenken aufgebauten Roboter ausgehen:
• Gleichgewichtsbedingungen an freigeschnittenen Manipulatorgliedern Hierzu werden alle Manipulatorglieder an den Gelenken oder den Elastizitäten freigeschnitten. Die an den Gelenken wirksamen Zwangskräfte/momente, die Feder- und Dämpfungskräfte sowie die Antriebs-, Reibungsund Trägheitskräfte/ -momente werden mit Hilfe der dynamischen Kräfteund Momentengleichgewichte nach Newton und Euler zusammengefasst. Durch die Elimination der Zwangskräfte können die Gleichgewichtsbeziehungen zur Beschreibung der Achsdynamik hergeleitet werden. In (Czichos u. Hennecke 2004) wird dieses Vorgehen als „synthetische Methode“ bezeichnet. Diese Methode kann mit Basiskenntnissen der Technischen Mechanik angewandt werden, führt aber bereits bei vergleichsweise einfachen ebenen Manipulatoren zu einem erheblichen analytischen Aufwand (Zirn 2002). Für räumliche Manipulatoren wird diese Methode schnell unübersichtlich und fehleranfällig. • Lagrange’sche Gleichungen Mit Hilfe der Lagrange’schen Gleichungen (Tsai 1999, Sciavicco u. Siciliano 1996) kann die Beschreibung der Manipulatordynamik direkt aus den Beziehungen für die kinetische und die potentielle Energie der Manipulatorglieder hergeleitet werden. Die Zwangskräfte in den Gelenken müssen nicht explizit berücksichtigt werden. Die Einbindung von Reibungs- und Dämpfungskräften unterliegt gewissen Einschränkungen. Obgleich zum Verständnis der Lagrange’schen Gleichungen tiefe Kenntnisse der Technischen Mechanik erforderlich sind, kann die Herleitung der Gleichungen zur Manipulatordynamik weitgehend systematisiert erfolgen. Der mathematische Aufwand kann durch geeignete Softwarehilfsmittel zur partiellen Differenzierung und analytischen Umformung von Gleichungen begrenzt werden.
2.5 Kinetische Kopplung von Achsfreiheitsgraden
113
• Rekursives Newton-Euler-Verfahren Hierzu werden zunächst die kinematischen Größen des Starrkörpermodells beginnend mit der ruhenden Basis bis hin zum TCP mit Hilfe der Relativkinematik ermittelt. Die daraus resultierenden Beschleunigungen führen zu dynamischen Kräften auf die Starrkörper. Zusammen mit den Zwangs-, Last-, Gewichts- und Antriebskräften zwischen den Gliedern können für jeden Starrkörper die Gleichgewichtsbedingungen (Impuls- und Drallsatz) aufgestellt werden. Die Lösung nach den gesuchten Gelenkkräften und -momenten erfolgt rekursiv, beginnend mit dem TCP bis hin zur ruhenden Basis. Dieses in (Weber 2003, Tsai 1999) sehr detailliert beschriebene Verfahren eignet sich nur für serielle Manipulatorkinematiken. Es ist vergleichsweise rechenzeiteffizient, weswegen dieses Verfahren bei der modellbasierten Regelung von Industrierobotern eingesetzt wird, wo die Rechenleistung des Steuerungsprozessors noch immer gewisse Grenzen setzt. • Verallgemeinerte Anwendung von Impuls- und Drallsatz Die auf den Manipulator einwirkenden Kräfte und Momente können mit Hilfe der Jacobi-Matrix auf ihre Wirkung an den Achsantrieben umgerechnet z i
q
z q
i- 1
D i
M
m i, J
J
p i
y i
O 'i i
= i
O a z
G 0
d O
x 0
y 0 B a s is k o o r d in a te n s y s te m
i
y
G lie d i+ 1
i
p i
G lie d i- 1
i+ 1
i
x i
i
i i- 1
0
x
i- 1
Abb. 2.28. Starrkörperglied i mit Gliedkoordinatensystem und äußeren Kräften sowie Gliedkoordinatensystemen gemäß Denavit-Hartenberg-Konvention
114
2 Modellbildung
werden. Dadurch wird mit Hilfe von Impuls- und Drallsatz eine Darstellung der Manipulatordynamik in Form von Vektor-Differentialgleichungen ermöglicht (Pfeiffer 1992), bei der die Zwangskräfte in den Gelenken nicht mehr explizit berücksichtigt werden müssen. Diese Methode systematisiert die Herleitung der Gleichungen zur Manipulatordynamik und verlagert den analytischen Aufwand auf die Matrizenrechnung, die mit entsprechenden Softwarehilfsmitteln vereinfacht werden kann. Für die Herleitung des dynamischen Modells von Werkzeugmaschinen erscheint das Verfahren der verallgemeinerten Anwendung von Impulsund Drallsatz gemäß (Pfeiffer 1992) besonders geeignet. Einerseits sind die Glieder des Starrkörpermodells aus den Achsmodellen weitgehend definiert, andererseits kann daraus für ebene Manipulatoren eine besonders einfache Herleitungs-Systematik angegeben werden. Oft ist es möglich, eine Werkzeugmaschine mit räumlichen DOF durch zwei Teilmodelle mit ebenen DOF nachzubilden, so dass dieser Vorteil für die praktische Modellbildung sehr hoch einzuschätzen ist. Gemäß (Pfeiffer 1992) ergibt sich für ein System aus n mit idealen Gelenken gekoppelten Starrkörpern gemäß Abb. 2.28 folgender Ansatz: n
¦J
T Ai (q)
i =1
(
)
(
)
⋅ τ pi − mi ⋅ vi + J Ri (q)T ⋅ Ș pi − J i ⋅ ω i − ω~i ⋅ J i ⋅ Ȧi = 0 (2.86)
mit – Nullvektor mit n Elementen – Masse des Starrkörpers i (Punktmasse) – translatorische Geschwindigkeit des Starrkörpers i in Basisbzw. Maschinenkoordinaten; vi – translatorische Beschleunigung des Starrkörpers i in Basisbzw. Maschinenkoordinaten; JAi(q) – Jacobimatrix (∂vi ∂q ) der Geschwindigkeiten, entspricht der analytischen Jacobimatrix (∂pi ∂q ) bezüglich den Translationen für den Starrkörper i τpi – externe Kräfte auf den Starrkörper i in Basis- bzw. Maschinenkoordinaten ωi – Winkelgeschwindigkeit des Starrkörpers i im Gliedkoordinatensystem Oi. Sei oRi die Rotationsmatrix, die das Basiskoordinatensystem Oo in das Gliedkoordinatensystem Oi dreht, dann ergibt sich die Winkelgeschwindigkeit ωi in Gliedkoordinaten aus der Winkelgeschwindigkeit ωo in Basiskoordinaten zu 0 mi vi
Ȧi =
( R)
T
o
i
⋅ Ȧ0
2.5 Kinetische Kopplung von Achsfreiheitsgraden
115
Ȧ i – Winkelbeschleunigung des Starrkörpers i in Gliedkoordinaten JRi(q) – Jacobimatrix (∂ωi ∂q ) der Winkelgeschwindigkeiten ηpi – externe Momente auf den Starrkörper i in Gliedkoordinaten. Sei ηpo das Moment auf den Starrkörper i in Basiskoordinaten, so
( )
ergibt sich ηpi zu η pi = o Ri
~ Ȧ i Ji
T
⋅η po
§ 0 − Ȧiz Ȧiy · ¨ ¸ ~ =¨ Ȧ − Ȧix ¸ Ȧ 0 i iz ¨ ¸ − Ȧiy Ȧix 0 ¹ © – Winkelgeschwindigkeitsmatrix – Trägheitstensor des Starrkörpers i in Gliedkoordinaten, bei geschickter Wahl der Starrkörper meist nur aus Hauptträgheitsmomenten bestehend.
Der oben dargestellte Ansatz zur Starrkörpermodellierung erlaubt die Beschreibung aller translatorischen Freiheitsgrade in Basiskoordinaten und die Beschreibung der rotatorischen Freiheitsgrade in Gliedkoordinaten. Er hat sich in der praktischen Anwendung als sehr effizient und „fehlerfreundlich“ erwiesen. Schon für einfache Manipulatoren ergeben sich oft recht komplexe analytische Darstellungen der dynamischen Modelle. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die dynamischen (positions-, geschwindigkeits- und beschleunigungsabhängigen) Terme vom Ingenieur anschaulich interpretiert werden können. In den nachfolgenden Beispielen wird auf diesen Gesichtspunkt besonders eingegangen. Bei wenig Erfahrung mit dynamischen Modellen und insbesondere bei räumlichen Problemstellungen fällt die Interpretation der Ergebnisse oft schwer. Zur Ergebniskontrolle kann dann die Methode der Lagrange’schen Gleichungen – gegebenenfalls mit einem vereinfachten Starrkörpermodell – angewandt werden. Voraussetzung für die Methode der Lagrange’schen Gleichungen sowie der verallgemeinerten Anwendung von Impuls- und Drallsatz mittels JacobiMatrix ist ein analytischer Zusammenhang zwischen den Gelenkkoordinaten q und den Koordinaten pi (Position, Orientierung) der Starrkörperglieder. Dieser analytische Zusammenhang wird auch als Vorwärtstransformation bezeichnet. Für die Steuerung (Positionsanzeige, Kollisionsüberwachung, ...) wird die Vorwärtstransformation zum TCP ohnehin benötigt, wobei man sich hier oft auch mit numerischen Algorithmen behilft (Hebsacker 2000). Die Modellbildung erfordert jedoch die analytische Vorwärtstransformation zu jedem Gelenk, Starrkörper und Lastkraftangriffspunkt. Die Herleitung dieser Vorwärtstransformationsvorschriften ist für serielle Kinematiken
116
2 Modellbildung
vergleichsweise einfach mit Hilfe der Denavit-Hartenberg- (D-H-) Konvention möglich, die z.B. in (Weber 2003, Tsai 1999, Sciavicco u. Siciliano 1996) ausführlich beschrieben ist. Die D-H-Konvention führt durch eine geschickte Wahl der Gliedkoordinatensysteme zu Transformationsvorschriften zwischen den Gliedern, die durch je zwei Rotationen und Translationen beschrieben werden können. In homogenen Koordinaten können Rotationen und Translationen in einer Transformationsmatrix zusammengefasst werden. Die Verkettung der Transformationen von Glied zu Glied ergibt dann die gesamte Transformationsvorschrift. Durch entsprechende Koeffizienzenvergleiche zwischen Soll-Transformationvorschrift und den verketteten Gliedtransformationen kann die Vorwärtstransformationsvorschrift sehr einfach und die Rücktransformationsvorschrift mit etwas größerem Aufwand analytisch hergeleitet werden. Für den Ansatz gemäß Gl. (2.86) ist vor allem bei räumlichen Augabenstellungen die vorherige Definition und Herleitung der Transformationsvorschriften gemäß D-H-Konvention nützlich. In Abb. 2.28 ist dies verdeutlicht. Einerseits können die Koordinatensysteme Oi’ im Massenschwerpunkt oder in den relevanten Kraftangriffspunkten durch einfache Translationen aus den Gliedkoordinatensystemen Oi der D-H-Konvention abgeleitet werden. Andererseits resultieren die Rotationsvorschriften direkt aus den Rotationsanteilen der verketteten Transformationsmatrizen, was die Herleitung der entsprechenden rotativen DOF und der Jacobi-Matrizen vereinfacht. G lie d i+ 1 y F
y
J i.= i
i
= m
G lie d i- 1 q
i
.
x i
i
.
y
i
i+ 1
F
ix
O i G lie d k o o r d in a te n s y s te m im M a s s e n s c h w e r p u n k t d e s G lie d e s i
i
m M
q
iy
i
i
O 0 B a s is k o o r d in a te n s y s te m x
x i
Abb. 2.29. Momente und Kräfte an einem Starrkörperglied im ebenen Fall
2.5 Kinetische Kopplung von Achsfreiheitsgraden
117
Bei Parallelkinematiken ist die Anwendung der D-H-Konvention prinzipiell auch möglich (Tsai 1999), jedoch ist hier die Herleitung der Rücktransformation recht einfach, wohingegen die Vorwärtstransformation oftmals nur noch numerisch ermittelt werden kann. Hier ist es meist effizienter, analytische Vorwärtstransformationsbeziehungen mit einem vereinfachten (z.B. ebenen) Manipulatormodell oder unter Ausnutzung von Symmetrien durch einfache Vektorrechnung herzuleiten. Dieses Verfahren wird in (Tsai 1999) als „Vector-Loop-Methode“ bezeichnet. Hochdynamische Werkzeugmaschinen und Industrieroboter werden auf absehbare Zeit überwiegend mit seriellen Kinematiken oder hybrid in Kombination mit einfachen Parallelkinematiken aufgebaut sein. Daher wird nachfolgend die dynamische Modellbildung an seriellen Kinematiken (Abschnitte 2.5.1 und 2.5.2) verdeutlicht. Möglichkeiten zur Herleitung des dynamischen Modells für Parallelkinematiken werden in Abschn. 2.5.3 diskutiert und auf eine einfache räumliche Parallelkinematik in Abschn. 5.3 angewandt. 2.5.1 Ebene Kinematik Die Herleitung des dynamischen Modells ist für Werkzeugmaschinen und Roboter mit ebener kinematischer Struktur vergleichsweise einfach und kann sehr gut schematisch – entsprechend dem phasenweisen Vorgehen in Abschn. 1.2.1, Tabelle 1.3 – umgesetzt werden. Für das Starrkörperglied einer ebenen Kinematik in Abb. 2.29 kann der der Ansatz gemäß Gl. (2.86) wesentlich vereinfacht werden:
• Der Trägheitstensor Ji wird auf das Hauptträgheitsmoment Jizz in der z-Achse reduziert: J i → J i = J izz
(2.87)
• Die z-Achse des Gliedkoordinatensystems ist parallel zur z-Achse des Basiskoordinatensystems. Damit ist die Winkelgeschwindigkeit ωi des Starrkörpergliedes in Gliedkoordinaten identisch mit der Änderungsgeschwindigkeit α i der Orientierung in Basiskoordinaten. Die übrigen Winkelgeschwindigkeiten ωix,y sind Null. • Von der Jacobimatrix der Winkelgeschwindigkeiten JRi(q) bleibt nur noch ein Zeilenvektor mit den partiellen Ableitungen der Winkelgeschwindigkeit ωi bzw. α i nach den Gelenkkoordinaten qi übrig. • Die Jacobimatrix der Geschwindigkeiten JAi(q) wird um einen Zeilenvektor verkleinert.
118
2 Modellbildung
Damit vereinfacht sich Gl. (2.86) zunächst zu (Czichos u. Hennecke 2004) n
¦J
T Ai (q)
i =1
§ § Fix · § xi · · ⋅ ¨ ¨¨ ¸¸ − mi ⋅ ¨¨ ¸¸ ¸ + J Ri (q)T ⋅ (M i − J i ⋅ αi ) = 0 . (2.88) ¨ Fiy © yi ¹ ¸¹ ©© ¹
Im ebenen Fall besitzt der Drallsatz dieselbe Form wie der Impulssatz. Daher kann man den rotatorischen Freiheitsgrad αi mit den beiden translatorischen Freiheitsgraden xi und yi zu einem Vektor pi zusammenfassen, der Lage und Orientierung des Gliedes i in Basiskoordinaten beschreibt.
§ xi · ¨ ¸ pi = ¨ yi ¸ ¨α ¸ © i¹
§ xi · ¨ ¸ pi = ¨ yi ¸ ¨ α ¸ © i¹
§ xi · ¨ ¸ p i = ¨ y i ¸ ¨ α ¸ © i¹
(2.89)
Entsprechend beinhalten die zeitlichen Ableitungen dieses GliedPositionsvektors pi die Geschwindigkeit bzw. Beschleunigung in Basiskoordinaten. Die verbleibenden Jacobimatrizen JRi(q) und JAi(q) können zu einer analytischen Jacobimatrix kombiniert werden, in der die partiellen Ableitungen der translatorischen DOF und des rotatorischen DOF nach den Gelenkkoordinaten zusammengefasst sind: ª ∂xi « « ∂q1 ∂y J Ai ( q ) = « i « ∂q « 1 « ∂α i «¬ ∂q1
∂xi ∂q2 ∂yi ∂q2 ∂α i ∂q2
∂xi ∂q3 ∂yi ∂q3 ∂α i ∂q3
∂xi º » ∂qn » ∂yi » .. ∂qn » » ∂α i » .. ∂qn »¼ ..
(2.99)
Dadurch vereinfacht sich Gl. (2.88) weiter zu n
¦ i =1
§ § Fix · ªmi ¨¨ ¸ J Ai ( q ) ⋅ ¨ ¨ Fiy ¸ − «« 0 ¨¨ M ¸ « 0 ©© i ¹ ¬ T
0 mi 0
0 º § xi · · ¨ ¸¸ 0 »» ⋅ ¨ yi ¸ ¸ = 0 . J i »¼ ¨© αi ¸¹ ¸¹
(2.100)
Mit der analytischen Jacobimatrix können die Gelenkgeschwindigkeiten in Gliedgeschwindigkeiten umgerechnet werden (Tsai 1999): p i = J Ai ( q ) ⋅ q .
(2.101)
Die zeitliche Ableitung ergibt die Gliedbeschleunigungen pi = J Ai (q) ⋅ q + J Ai (q ) ⋅ q
(2.102)
2.5 Kinetische Kopplung von Achsfreiheitsgraden
119
mit der zeitlichen Ableitung der Jacobi-Matrix d J Ai (q) = J Ai (q) dt
(2.103)
Damit ergibt sich für das dynamische Modell eines ebenen Manipulators, bestehend aus n über ideale Gelenke gekoppelten Starrkörpern folgender Ansatz: n
¦ i =1
§ § Fix · ªmi ¨¨ ¸ J Ai ( q ) ⋅ ¨ ¨ Fiy ¸ − «« 0 ¨¨ M ¸ « 0 ©© i ¹ ¬
0
T
mi 0
0º 0 »» ⋅ J Ai (q ) ⋅ qi + J Ai (q ) ⋅ qi J i »¼
(
· ¸ ¸ = 0 (2.104) ¸ ¹
)
Diese Darstellung ist mit wenig Aufwand in die Zielform gemäß Abb. 2.27 überführbar. Dazu können die am jeweiligen Gelenkantrieb fest angekoppelten Trägheiten zusammengefasst und mit den dazugehörigen Antriebskräften aus der Summe in Gl. (2.104) herausgelöst werden. Diese Antriebsträgheiten bilden zusammen mit den Antriebskräften den mechanischen Modellteil der Servoachse. Die in der Summenformel verbleibenden Terme bilden das dynamische Modell, aus dem die auf die Servoachsen wirkenden Koppelterme ermittelt werden können.
Beispiel Zylinderroboter: Die Anwendung des Ansatzes gemäß Gl. (2.104) kann am Zylinderroboter in Abb. 2.30 sehr anschaulich demonstriert werden. Dieser Roboter besteht aus zwei direktangetriebenen Achsen (Torque-Motor in der Rundachse ϕ, y 0
F M a y a
y s
L
T C P
r
M
a
L x
L in e a r a c h s e
x j
L y
A u s le g e r j
R
F F
F
M
R
s
x a
x 0
R u n d a c h s e
Abb. 2.30. Ebener Zylinderroboter mit direktangetriebenen Achsen
120
2 Modellbildung
Linearmotor in der Linearachse a) und kann aus 3 Starrkörpern (Rundachse, Ausleger und Linearachse) zusammengesetzt werden. Tabelle 2.4. Modellparameter des Zylinderroboters
Parameter Trägheitsmoment der Rundachse (Rotorträgheitsmoment) Masse der Rundachse (Rotormasse) Trägheitsmoment des Auslegers Masse des Auslegers inklusive Sekundärteil des Linearmotors Gesamtmasse der Linearachse inklusive Primärteil des Linearmotors Trägheitsmoment der Linearachse Reibmoment der Lager (trockene Gleitreibung) Reibkraft der Führungen (trockene Gleitreibung) Maximalmoment der Rundachse Maximalkraft des Linearantriebs Abstand des Ausleger-Massenschwerpunktes von der Drehachse Lastkräfte und -moment auf den TCP
Formelzeichen Jϕ mϕ JS mS ma Ja MR FR Mmax Fmax r FLx, FLy, ML
1 Vorgaben sammeln Neben den in Tabelle 2.4 genannten Modellparametern sollen folgende Annahmen gelten: • Führungen, Lager und die mechanische Struktur des Auslegers seien als ideal steif angenommen. • Die Gewichtskraft wirke senkrecht zur Bewegungsebene des Roboters und spielt somit keine Rolle für das Manipulatormodell. • Neben dem Antriebsmoment Mϕ auf die Rundachse und der Antriebskraft Fa auf die Linearachse wirken die Lastkräfte FLx,y und das Lastmoment ML im TCP als äußere Kräfte. • In der Lagerung der Rundachse wirke das trockene Gleitreibungsmoment MR. Die Führung sei ebenfalls reibungsbehaftet mit der trockenen Gleitreibungskraft FR (Coulomb’sche Reibung). 2 Wirkzusammenhänge ergründen Da der Roboter nur 2 Achsen besitzt, §ϕ · (2.105) q = ¨¨ ¸¸ , ©a¹ kann zwar die Position des TCP beliebig vorgegeben werden, hingegen ist die Orientierung α vom Schwenkwinkel ϕ der Grundachse abhängig. Die
2.5 Kinetische Kopplung von Achsfreiheitsgraden
121
Vorwärts- und Rücktransformation ist noch relativ einfach herzuleiten („Vector-Loop-Methode“ gemäß (Tsai 1999)). x = a ⋅ cos ϕ x = a ⋅ cos ϕ α = ϕ (2.106) § y· ©x¹
ϕ = arctan ¨ ¸
a = x2 + y 2
(2.107)
Tabelle 2.5 Vorwärtstransformation und Jacobi-Matrizen
pi (q)
J Ai (q )
J Ai (q )
§0 0· ¨ ¸ ¨0 0¸ ¨1 0¸ © ¹
§0 0· ¨ ¸ ¨0 0¸ ¨0 0¸ © ¹
§ − r ⋅ sin ϕ 0 · ¨ ¸ ¨ r ⋅ cos ϕ 0 ¸ ¨ 1 0 ¸¹ ©
§ − rϕ cos ϕ 0 · ¨ ¸ ¨ − rϕ sin ϕ 0 ¸ ¨ 0 0 ¸¹ ©
§ − a ⋅ sin ϕ ¨ ¨ a ⋅ cos ϕ ¨ 1 ©
§ − a sin ϕ − aϕ cos ϕ ¨ ¨ a cos ϕ − aϕ sin ϕ ¨ 0 ©
Rundachse § xϕ · § 0 · ¨ ¸ ¨ ¸ pϕ = ¨ yϕ ¸ = ¨ 0 ¸ ¨ ¸ ¨ ¸ ©αϕ ¹ ©ϕ ¹
Ausleger § x s · § r ⋅ cos ϕ · ¨ ¸ ¨ ¸ pϕ = ¨ y s ¸ = ¨ r ⋅ sin ϕ ¸ ¨α ¸ ¨ ϕ ¸ © s¹ © ¹
Linearachse, TCP § xa · § a ⋅ cos ϕ · ¨ ¸ ¨ ¸ pa = ¨ y a ¸ = ¨ a ⋅ sin ϕ ¸ ¨α ¸ ¨ ϕ ¸ © a¹ © ¹
cos ϕ · ¸ sin ϕ ¸ 0 ¸¹
− ϕ sin ϕ · ¸ ϕ cos ϕ ¸ ¸ 0 ¹
Der Zylinderroboter gemäß Abb. 2.30 kann durch 3 Starrkörper nachgebildet werden: 1. Grundachse An der Grundachse greifen Trägheitsmoment, Antriebsmoment und Reibung an. Der Massenschwerpunkt der Grundachse ruht auf der Drehachse und beeinflusst die Dynamik der Grundachse nicht. 2. Ausleger Am Massenschwerpunkt des Auslegers greifen neben Trägheitsmoment und -kräften hier die Reaktion der Antriebskraft der Linearachse sowie der Reibung in den Führungen an. 3. Linearachse/TCP Am Massenschwerpunkt des Schlittens greifen neben Trägheitskräften hier die Lasten im TCP an.
122
2 Modellbildung
Die jeweilige mechanische Kopplung der Glieder wird durch die Transformationsvorschriften berücksichtigt. Hier können Grundachse und Ausleger getrennt berücksichtigt werden, obgleich sie fest miteinander verbunden sind. Die zu den relevanten Bezugspunkten gehörigen Vorwärtstransformationen und die daraus abgeleiteten Jacobi-Matrizen sind in Tabelle 2.5 zusammengefasst.
3 Quantitatives Modell Der Ansatz gemäß Gl. (2.104) lautet für dieses Beispiel ausformuliert: §0 · ¨¨ ¸¸ = ©0 ¹ §§ · ªmϕ 0 ¨¨ ¸ « J Aϕ ( q ) ⋅ ¨ ¨ 0 ¸−« 0 ¨¨ ¨ ¸ « − M M R¹ ¬0 ©© ϕ T
0 mϕ 0
0º » 0 » ⋅ J Aϕ (q ) ⋅ q + J Aϕ (q) ⋅ q Jϕ »¼
§ § − (Fa − FR )cos ϕ · ªms ¨¨ ¸ + J As ( q )T ⋅ ¨ ¨ − (Fa − FR )sin ϕ ¸ − «« 0 ¨¨ ¸ «0 0 ¹ ¬ ©©
§ § (Fa − FR )cos ϕ − FLx · ªma ¨¨ ¸ + J Aa ( q )T ⋅ ¨ ¨ (Fa − FR )sin ϕ − FLy ¸ − «« 0 ¨¨ ¸ «0 - ML ¹ ¬ ©©
(
0 ms 0 0 ma 0
· ¸ ¸ ¸¸ ¹
)
0º 0 »» ⋅ J As (q) ⋅ q + J As (q ) ⋅ q J s »¼
(
¸ ¹
0º 0 »» ⋅ J Aa (q ) ⋅ q + J Aa (q ) ⋅ q J a »¼
(
(2.108)
· ¸
)¸ · ¸
)¸ ¸ ¹
Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Zerlegung der Antriebskraft Fa sowie der Führungsreibung FR in die Komponenten des Basiskoordinatensystems. Eine weitere Umformung ergibt: § J ϕ ⋅ ϕ · § M ϕ − M R · ¨¨ ¸¸ = ¨¨ ¸¸ © ma ⋅ a¹ © Fa − FR ¹ § 2 ⋅ ma ⋅ a ⋅ a ⋅ ϕ − ma ⋅ a 2 ⋅ ϕ − J a ⋅ ϕ · ¸ + ¨¨ ¸ ma ⋅ a ⋅ ϕ 2 © ¹ § − FLx · ¨ ¸ + J Aa ( q )T ⋅ ¨ − FLy ¸ ¨-M ¸ L ¹ ©
§ § − (Fa − FR )cos ϕ · ª ms ¨¨ ¸ + J As ( q ) ⋅ ¨ ¨ − (Fa − FR )sin ϕ ¸ − «« 0 ¨¨ ¸ «0 0 ¹ ¬ ©© T
0 ms 0
(2.109)
0º 0 »» ⋅ J As (q ) ⋅ q + J As (q ) ⋅ q J s ¼»
(
· ¸ ¸ ¸ ¹
)
2.5 Kinetische Kopplung von Achsfreiheitsgraden
123
Die überwiegend als Vektordifferentialgleichung verbliebenen Koppelterme können in gängigen Simulationswerkzeugen meist in dieser Form verarbeitet werden. A n tr ie b s m o m e n t M
M
M R
R
-M
M
1 /J
m a x
R u n d a c h s e R
g e s
j
j K o p p e lM m o m e n t
j k
G e le n k v a r ia b le 1
j
T r ä g h e its m o m e n t d e r L in e a r a c h s e M
= m k
. a
a
2 .
j - 2 .m
+ a .F
L x
.
a
.
a .a .j
C o r io lis k r a ft
s i n j - a .F
L y
c o s j - M .
F
L
L a s tm o m e n te F
= m k
a
.
a .j
- F 2
L x
.
c o s j - F
1 /m
a a
.
R
F
L y L
s in j
a a
F
M
L a s tk rä fte
Z e n tr ifu g a lk r a ft K o p p e lk r a ft F k A n tr ie b s - F m a x k ra ft F a
L y
L x
F
G e le n k v a r ia b le 2
L in e a r a c h s e R
-F R
Abb. 2.31. Blockschaltbilddarstellung des dynamischen Modells, Interpretation der Koppelterme
4 Gleichungen aufbereiten Die anschauliche Interpretation wird sehr erleichtert, wenn Gl. (2.109) als Blockschaltbild dargestellt wird, wie dies in Abb. 2.31 gezeigt ist. Dabei wurden alle positionsunabhängigen Trägheitsmomente zu einer für die Rundachse wirksamen Gesamtträgheit zusammengefasst: J ges = J ϕ + J s + r 2 ⋅ m s + J a
(2.110)
♦
124
2 Modellbildung
Weitere ebene serielle Kinematiken (z.B. Schwenkarm-Portalroboter, Portalfräsmaschine) sind in (Zirn 2002) ausführlich beschrieben und beispielhaft simuliert. Das dynamische Modell ebener Parallelkinematiken kann ebenfalls leicht hergeleitet werden, da hier die Vorwärtstransformation zu den Gliedern (Beine, Plattform) noch analytisch angegeben werden kann. Beispiele zu ebenen Parallelkinematiken sind in (Zirn 2002) sowie (Stengele 2003) beschrieben. 2.5.2 Räumliche Kinematik Industrieroboter mit Rotationsgelenken („Knickarmroboter“) und fünfachsige Werkzeugmaschinen müssen zumindest teilweise als räumliche Aufgabenstellung behandelt werden. Eine Trennung der Achsen in ausschließlich ebene Teilsysteme und eine spätere Überlagerung der getrennt ermittelten Simulationsergebnisse kann zu einem großen Modellierungsfehler aufgrund vernachlässigter Kopplungen führen. An direktangetriebenen Hochgeschwindigkeits-Werkzeugmaschinen versucht man durch Aufteilung der Achsen auf die Werkstück- und Werkzeugseite lange kinematische Ketten im Sinne der Antriebsdynamik bei begrenzter Motorgröße zu vermeiden. Typische Fräsmaschinen weisen seriell verkettet werkzeugseitig zwei Linearachsen (Y- und Z-Achse) und werkstückseitig eine Linearachse (X-Achse) sowie zwei Rotationsachsen (B- und C-Achse) auf. Die werkzeugseitigen Achsen sind dann vollständig entkoppelt und können durch Einzelachsbetrachtungen leicht modelliert und simuliert werden. Anspruchsvoller ist die Modellbildung der werkstückseitigen Achsen in Abb. 2.32 aufgrund der erheblichen kinematischen Kopplungen und positionsabhängigen gewichtskraftbedingten Lasten.
Beispiel Dreh-Schwenkeinheit: Modellbildungsziel ist die Nachbildung der drei werkstückseitig verketteten Achsen hinsichtlich der bei direktem Antrieb und schnellen Achsbewegungen resultierenden Bahnfehler und der daraus resultierenden Forderungen an die Regler und die Steuerung. Diese Fragestellungen werden in Abschn. 5.1 anhand praxisnaher Verhältnisse vertieft behandelt. 1 Vorgaben sammeln Aufgrund der kompakten Bauweise der werkstückseitigen Schwenkeinheit kann zunächst von sehr steifen Lagern und Führungen ausgegangen werden. Analog zur Modellbildung von Robotern (Pfeiffer 1992) reicht daher
2.5 Kinetische Kopplung von Achsfreiheitsgraden
125
R u n d a c h s e C W e rk s tü c k T o rq u e m o to r B
R u n d a c h s e B
T o rq u e m o to r C
L in e a r a c h s e X
L in e a r m o to r X M a s c h in e n b a s is
Abb. 2.32. Prinzipieller Aufbau der werkstückseitigen Achsen einer direkt angetriebenen Dreh-Schwenkeinheit für Fräsmaschinen
ein Starrkörpermodell mit drei Gelenkfreiheitsgraden (auch Achskoordinaten genannt) aus: q = (ξ , β , γ )
T
(2.111)
Der Schwenktisch gemäß Abb. 2.32 wird zunächst in 3 Starrkörper aufgeteilt (Abb. 2.33): 1. Schlitten der X-Achse, Gehäuseblock und Stator der B-Achse 2. Rotor und Tisch der B-Achse sowie der Gehäuseblock der C-Achse 3. Rotor der C-Achse, Tisch und Aufspannvorrichtung mit Werkstück Zudem muss der TCP als relevanter Bezugspunkt (d.h. als Starrkörper ohne Masse und Massenträgheitsmoment) berücksichtigt werden, da hier die Lastkräfte des Bearbeitungsprozesses angreifen. Momente sollen hier nicht in den TCP eingeleitet werden. Prinzipiell können anstelle der drei zusammengefassten Starrkörper auch mehrere Starrkörper in einer Achse modelliert werden. Der Aufbau des Starrkörpermodells entsprechend der realen physikalischen Anordnung wird dann anschaulicher – aber auch aufwändiger. Bei unterschiedlichen Werkstückgrößen ist beispielsweise eine Trennung zwischen Rotor, Tisch und Aufspannvorrichtung der C-Achse einerseits und dem Werkstück andererseits sinnvoll. Diese beiden Starrkörper unterscheiden sich vom hier behandelten Starrkörper 3 nur durch unterschiedliche translatorische Parameter.
126
2 Modellbildung y x
C =
=
S ta rrk ö rp e r 2
=
= N
@
@
T C P
@
>
@
!
>
C
>
S ta rrk ö rp e r
=
3
@
!
C
M a s s e n s c h w e rp u n k t S ta rrk ö rp e r 1 N
N z
Abb. 2.33. Starrkörpermodell des Schwenktisches
Die feste Kopplung der Teilkörper wird wie im Beispiel des Zylinderroboters in Abschn. 2.5.1 durch die Transformationsvorschrift automatisch berücksichtigt. x x 0
z
C 0
y
=
z !
0
x 3
3
y
C N =
y
y
z 1
z x
1
y 2
@ 3
2
x
!
>
2
>
@
1
z Abb. 2.34. Achskoordinatensysteme der Schwenkachse gemäß DH-Konvention
2.5 Kinetische Kopplung von Achsfreiheitsgraden
127
Die Modelparameter (Massen, Trägheitsmomente, Reibung, Positionen der Achsen und Massenschwerpunkte) können verhältnismäßig schnell mit Hilfe moderner CAD-Werkzeuge ermittelt werden oder sind aus den Unterlagen der eingesetzten Komponenten abschätzbar. Da in diesem Abschn. das räumliche dynamische Modell von Interesse ist, werden in Tabelle 2.6 zunächst nur die mechanischen Parameter aufgelistet. Die weiteren Modellparameter der Achsen, Umrichter sowie der Steuerung sind dann im Simulationsbeispiel in Abschn. 5.1 ausgeführt. Tabelle 2.6. Mechanische Modellparameter
Parameter Starrkörper 1 – X-Achse mit Schlitten/Turm: Masse, Trägheitstensor Abstand von Massenmittelpunkt zur x-y-Ebene Abstand von Massenmittelpunkt zur x-z-Ebene Starrkörper 2 – B-Achse mit Tisch: Masse, Trägheitstensor Abstand von Massenmittelpunkt zur B-Achse in x1 Abstand von Massenmittelpunkt zur x-z-Ebene Starrkörper 3 – C-Achse mit Werkstück: Masse, Trägheitstensor Abstand von Massenmittelpunkt zur C-Achse in x2 Abstand von Massenmittelpunkt zur B-Achse in z2 Geometrieparameter gemäß DH-Konvention: Abstand von der B-Achse zur x-y-Ebene Abstand von der C-Achse zur x-z-Ebene Abstand von der C-Achse zum TCP Abstand von der B-Achse zum TCP Antriebsparameter: Reibmoment der Lager (trockene Gleitreibung) Reibkraft der Führungen (trockene Gleitreibung) Maximalkraft des Linearantriebs ξ Maximalmoment der Rundachse β Maximalmoment der Rundachse γ Lastkräfte auf den TCP
Formelzeichen mξ, Jξ aξ dξ mβ, Jβ aβ dβ mγ, Jγ aγ dγ a1 d2 a3 d3 MRγ,β FRξ Fmaxξ Mmaxβ Mmaxγ FLx, FLy, FLz
128
2 Modellbildung Tabelle 2.7. DH-Parameter des Schwenktisches
Achse/Typ
θi
di
ai
αi
1 – linear 2 – rotativ 3 – rotativ
π β+π/2 γ
ξ d2 d3
a1 a2 a3
π/2 –π/2 0
2 Wirkzusammenhänge ergründen Zunächst soll die räumliche Transformationsvorschrift für den Schwenktisch hergeleitet werden. Abbildung 2.34 zeigt die Achskoordinatensysteme des „Roboters“ entsprechend der DH-Konvention (Weber 2003). Die DHParameter sind in Tabelle 2.7 aufgelistet. Die Koordinatensysteme O1,2,3 sind bereits entsprechend den Hauptachsen der o.g. Starrkörperglieder orientiert. Zwischen den Achskoordinatensystemen ergeben sich folgende Transformationsmatrizen (mit den Abkürzungen: sin(β)=s1, sin(γ)=s2, cos(β)=c1, cos(γ)=c2): §0 ¨ ¨1 0 A1 = ¨ 0 ¨ ¨0 ©
0 1 - a1 · ¸ 0 0 0 ¸ 1 0 ξ ¸ ¸ 0 0 1 ¸¹
§ - s1 0 - c1 0 · ¨ ¸ ¨ c1 1 - s1 0 ¸ 1 A2 = ¨ 0 - 1 0 d2 ¸ ¨ ¸ ¨ 0 0 0 1 ¸¹ © § c2 - s2 ¨ ¨ s2 c2 2 A3 = ¨ 0 0 ¨ ¨0 0 ©
0 a3 ⋅ c2 · ¸ 0 a3 ⋅ s2 ¸ 1 d3 ¸ ¸ 0 1 ¸¹
(2.112)
(2.113)
(2.114)
Die Transformation vom gegebenen Koordinatensystem OR(x,y,z) in das Basiskoordinatensystem Oo(xo,yo,zo) wird – abweichend von der DHKonvention – durch eine 90°–Drehung um die y-Achse erreicht: §0 ¨ ¨0 R A0 = ¨ -1 ¨ ¨0 ©
0 1 0· ¸ 1 0 0¸ 0 0 0¸ ¸ 0 0 1 ¸¹
(2.115)
2.5 Kinetische Kopplung von Achsfreiheitsgraden
129
Die Transformationsmatrix für den TCP bzw. das Gliedkoordinatensystem O3(x3,y3,z3) der γ-Achse im gegebenen Maschinenkoordinatensystem OR(x,y,z) lautet: § c1 ⋅ c2 - c1 ⋅ s2 - s1 a3 ⋅ c1 ⋅ c2 − d 3 ⋅ s1 + ȟ · ¨ ¸ 0 - a3 ⋅ s2 + d 2 − c2 ¨ - s2 ¸ R A3 = ¨ - s1 ⋅ c2 s1 ⋅ s2 - c1 - a3 ⋅ s1 ⋅ c2 − d 3 ⋅ c1 + a1 ¸ ¨ ¸ ¨ 0 ¸ 0 0 1 © ¹
(2.116)
Die Transformation vom Maschinenkoordinatensystem in das Gliedkoordinatensystem O2 der β-Achse lautet: § c1 0 - s1 ξ · ¨ ¸ ¨ 0 − 1 0 d2 ¸ R A2 = ¨ - s1 0 - c1 a1 ¸ ¨ ¸ ¨ 0 0 0 1 ¸¹ ©
(2.117)
Die Transformation vom Maschinenkoordinatensystem in das Gliedkoordinatensystem O1 der Linearachse ξ ist recht einfach: §0 ¨ ¨0 R A1 = ¨ 1 ¨ ¨0 ©
1 0
ξ·
¸ 0 1 0¸ 0 0 a1 ¸ ¸ 0 0 1 ¸¹
(2.118)
Durch Substitution der Geometrieparameter a1, a3, d2, d3 können die gliedspezifischen Koordinatensysteme Oi’ der Starrkörper gemäß Abb. 2.33 mit geringem Aufwand aus den Transformationen RAi der Achskoordinatensysteme Oi hergeleitet werden. Dabei verändern sich nur die translatorischen Anteile der Transformationsmatrizen, die Orientierung bleibt erhalten.
3 Quantitatives Modell Für das mathematische Modell werden nun die Beiträge der drei Starrkörper sowie des TCP als Wirkstelle der Bearbeitungslasten zum Ansatz gemäß Gl. (2.86) hergeleitet. Auch der Beitrag des Starrkörpers 1 – obgleich recht einfach und offensichtlich auch direkt angebbar – wird hier systematisch hergeleitet, um die grundsätzliche Vorgehensweise zu demonstrieren. Die Position des Starrkörpers 1 kann aus den translatorischen Anteilen der Transformationsmatrix RA1 entnommen werden, wobei der Geometrieparameter a1 durch den Positionsparameter aξ substituiert wird und der
130
2 Modellbildung
Massenschwerpunkt um dξ in Richtung der y-Achse verschoben wird: §ȟ · ¨ ¸ pξ = ¨ dξ ¸ ¨ ¸ © aξ ¹
(2.119)
Die Jacobi-Matrix und ihre zeitliche Ableitung ist: ∂pξx ∂ϕ ∂pξy ∂ϕ
§ ∂pξx ∂ȟ ¨ J Aξ (q) = ¨ ∂pξy ∂ȟ ¨ © ∂pξz ∂ȟ
∂pξz ∂ϕ
∂pξx ∂β · § 1 0 0 · ¸ ¨ ¸ ∂pξy ∂β ¸ = ¨ 0 0 0 ¸ ¸ ∂pξz ∂β ¹ ¨© 0 0 0 ¸¹
§0 0 0 · ¸ ¨ d J Aξ (q) = J Aξ (q) = ¨ 0 0 0 ¸ dt ¨0 0 0 ¸ ¹ ©
(2.120)
Daraus ergibt sich der Geschwindigkeitsvektor § ȟ · ¨ ¸ vξ = J Aξ (q) ⋅ q = ¨ 0 ¸ ¨¨ ¸¸ ©0 ¹
(2.121)
(2.122)
x x 0
z
C 0
y N
a
a N
y a 1
y
z 1
z x 1
d z
1
D
d
y J 2
m
p N N
, J N
x
x 3
3
d
y
3
x
3
2
2
> 2
p N
y N
z 3
0
z
1 N 1 N
1 N
Abb. 2.35. Starrkörper 1 (Linearachse) mit Gliedkoordinatensystem, Winkelgeschwindigkeit und äußeren Kräften und Momenten
2.5 Kinetische Kopplung von Achsfreiheitsgraden
131
und der Beschleunigungsvektor
§ ȟ· ¨ ¸ vξ = J Aξ (q) ⋅ q + J Aξ (q) ⋅ q = ¨ 0 ¸ ¨¨ ¸¸ ©0 ¹
(2.123)
Der Vektor der äußeren Kräfte, die auf diesen Starrkörper einwirken besteht aus Gewichtskraft, Führungsreibung und Antriebskraft:
IJ pξ
§ Fξ − FRξ · ¨ ¸ =¨ 0 ¸ ¨ ¸ © mξ ⋅ g ¹
(2.124)
Als äußeres Moment wirkt die Reaktion des Antriebsmoments Mβ, dem die Lagerreibung MRβ entgegenwirkt. In Gliedkoordinaten ausgedrückt ergibt sich:
Ș pξ
§ · 0 ¨ ¸ =¨ 0 ¸ ¨ ¸ © - M ϕ + M Rϕ ¹
(2.125)
Winkelgeschwindigkeit und Winkelbeschleunigung sind Null, womit der gesamte Rotationsanteil (Drallsatz) im Beitrag des Starrkörpers in Gl. (2.86) verschwindet. Der Beitrag zum dynamischen Modell ist somit:
(
J Aξ (q) ⋅ IJ pξ T
§ - mȟ ⋅ ȟ + Fȟ − FR ξ · ¸ ¨ ¸ - mξ ⋅ vξ = ¨ 0 ¸¸ ¨¨ 0 ¹ ©
)
(2.126)
Etwas aufwändiger ist der Beitrag des zweiten Starrkörpers zum Ansatz gemäß Gl. (2.86). Die Position des Starrkörpers 2 kann aus den translatorischen Anteilen der Transformationsmatrix RA2 in Gl. (2.117) entnommen werden, wobei der Geometrieparameter d2 durch den Positionsparameter dβ substituiert wird und die von β abhängige Verlagerung des Massenschwerpunktes ergänzt wird: § ȟ + aβ ⋅ s1 · ¨ ¸ pϕ = ¨ dβ ¸ ¨ ¸ © a1 + aβ ⋅ c1¹
(2.127)
132
2 Modellbildung x x 0
z
C 0
y
a
N y a 1
y 1
z x
d
a
1
d 1
z y
y
>
z
m J
y d
x
3
2
2
> 2 >
D
>
z
3
3
2 2 >
x 3
2
x
2 >
z 3
0
>
, J
p >
>
p >
Abb. 2.36. Starrkörper 2 (B-Achse) mit Gliedkoordinatensystem und äußeren Kräften und Momenten
Die Jacobi-Matrix zum Starrkörper 2 sowie deren zeitliche Ableitung ist: § ∂pβx ∂ȟ ¨ J Aβ (q) = ¨ ∂p βy ∂ȟ ¨ © ∂pβz ∂ȟ
∂pβx ∂β ∂p βy ∂β ∂pβz ∂β
∂pβx ∂γ · § 1 aβ ⋅ c1 0 · ¸ ¸ ¨ ∂p βy ∂γ ¸ = ¨ 0 0 0 ¸ (2.128) ¸ ¸ ¨ ∂pβz ∂γ ¹ © 0 - aβ ⋅ s1 0 ¹
§ 0 - aβ ⋅ s1 ⋅ β 0 · ¸ ¨ d J Aβ (q) = J Aβ (q) = ¨ 0 0 0¸ dt ¸¸ ¨¨ © 0 - aβ ⋅ c1 ⋅ β 0 ¹
Daraus ergibt sich der Geschwindigkeitsvektor § ȟ + aβ ⋅ c1 ⋅ β · ¸ ¨ ¸ 0 v β = J Aβ (q) ⋅ q = ¨ ¸¸ ¨¨ © - aβ ⋅ s1 ⋅ β ¹
(2.129)
(2.130)
und der Beschleunigungsvektor
§ ȟ + aβ ⋅ c1 ⋅ β - aϕ ⋅ s1 ⋅ β 2 · ¨ ¸ ¸ (2.131) vβ = J Aβ (q) ⋅ q + J Aβ (q) ⋅ q = ¨ 0 ¨¨ 2 ¸ ¸ © - aβ ⋅ s1 ⋅ β - aϕ ⋅ c1 ⋅ β ¹
2.5 Kinetische Kopplung von Achsfreiheitsgraden
133
Der Vektor der äußeren Kräfte, die auf diesen Starrkörper einwirken besteht nur aus der Gewichtskraft: IJ pβ
§ 0 · ¨ ¸ =¨ 0 ¸ ¨ ¸ © mβ ⋅ g ¹
(2.132)
Als äußeres Moment wirkt das Antriebsmoment Mβ, dem die Lagerreibung entgegenwirkt. In Gliedkoordinaten ausgedrückt ergibt sich: Ș pβ
· § 0 ¨ ¸ = ¨ M β + M Rβ ¸ ¨ ¸ © - M γ + M Rγ ¹
(2.133)
Die Winkelgeschwindigkeit ist in Basiskoordinaten ausgedrückt Ȧβ R
§0· ¨ ¸ = ¨ β ¸ ¨0¸ © ¹
(2.134)
bzw. in das Gliedkoordinatensystem transformiert: Ȧβ =
(
R
R2
)
T
⋅ ȦβR
§ 0 · ¨ ¸ = ¨ - β ¸ ¨ 0 ¸ © ¹
(2.135)
R R Dabei ist R2 der Rotationsanteil der Transformationsmatrix A2 aus Gl. (2.117), da sich das Gliedkoordinatensystem Oβ (x2β,y2β,z2β) von Starrkörper 2 aus der Translation des Koordinatensystems O2 (x2,y2,z2) in Abb. 2.34 herleiten lässt. Die Winkelgeschwindigkeitsmatrix ist sehr spärlich:
§ 0 ¨ ~ Ȧβ = ¨ Ȧβz ¨ © − Ȧβy
− Ȧβz 0 Ȧβx
Ȧβy · § 0 0 − β · ¸ ¸ ¨ − Ȧβx ¸ = ¨ 0 0 0 ¸ ¸ ¸ ¨ 0 ¹ ¨© β 0 0 ¸¹
(2.136)
Ebenso ist die sich daraus ergebende Jacobi-Matrix der Winkelgeschwindigkeiten spärlich § ∂ωβx ∂ȟ ∂ω βx ∂β ¨ J Rβ (q) = ¨ ∂ω βy ∂ȟ ∂ωβy ∂β ¨¨ © ∂ωβz ∂ȟ ∂ω βz ∂β
∂ω βx ∂γ · § 0 0 0 · ¸ ¨ ¸ ∂ω βy ∂γ ¸ = ¨ 0 1 0 ¸ (2.137) ¸ ∂ω βz ∂γ ¸¹ ¨© 0 0 0 ¸¹
134
2 Modellbildung
Die Winkelbeschleunigung folgt aus der zeitlichen Ableitung der Winkelgeschwindigkeit: § 0 · ¨ ¸ Ȧ β = ¨ - β ¸ ¨ 0 ¸ © ¹
(2.138)
Der Beitrag zum dynamischen Modell ist somit:
(
)
(
)
~ ⋅ J ⋅ Ȧ (2.139) J Aβ (q)T ⋅ IJ pβ - mβ ⋅ v β + J Rβ (q)T ⋅ Ș pβ − J β ⋅ Ȧ β − Ȧ β β β bzw. § · − mβ ȟ − mβ a β c1 ⋅ β + mβ aβ s1 ⋅ β 2 ¨ ¸ ¨ M β − M Rβ − J βyy + mβ aβ 2 ⋅ β − mβ aβ c1 ⋅ ȟ − mβ aβ s1 ⋅ g ¸ (2.140) ¨¨ ¸¸ 0 © ¹ Die Position des Starrkörpers 3 kann aus den translatorischen Anteilen der Transformationsmatrix RA3 in Gl. (2.116) entnommen werden, wobei die Geometrieparameter a3, d3 durch die Positionsparameter aγ, dγ des Massenschwerpunktes substituiert werden:
(
)
§ ȟ − d γ ⋅ s1 + aγ ⋅ c1 ⋅ c2 · ¸ ¨ pγ = ¨ d 2 − aγ ⋅ s2 ¸ ¸ ¨ © a1 − dγ ⋅ c1 − aγ ⋅ s1 ⋅ c2 ¹
(2.141)
x x 0
z
b 0
y
a
x y a
y
z 1
x
1
d
y
x 3
3
y d
3
a 1
z
z
z 3
0
x g
3
2
2
d z
2
x
3 g
g
j
3 g
2
y 1
m b
3 g
, J
h b
t
p g
p g
Abb. 2.37. Starrkörper 3 (C-Achse und Werkstück) mit Gliedkoordinatensystem, äußeren Kräften und Momenten
2.5 Kinetische Kopplung von Achsfreiheitsgraden
135
Die Jacobi-Matrix und ihre zeitliche Ableitung ist:
§ 1 - d γ ⋅ c1 - aγ ⋅ s1 ⋅ c2 - aγ ⋅ c1 ⋅ s2 · ¨ ¸ 0 - aγ ⋅ c2 ¸ J Aγ (q) = ¨ 0 ¨ ¸ © 0 dγ ⋅ s1 - aγ ⋅ c1 ⋅ c2 aγ ⋅ s1 ⋅ s2 ¹
(2.142)
J Aγ (q) =
§ 0 - (aγ ⋅ c1 ⋅ c2 - dγ ⋅ s1) ⋅ β + aγ ⋅ s1 ⋅ s2 ⋅ γ aγ ⋅ s1 ⋅ s2 ⋅ β − aγ ⋅ c1 ⋅ c2 ⋅ γ · (2.143) ¨ ¸ ¨0 0 aγ ⋅ s2 ⋅ γ ¸ ¨¨ + a ⋅ c1 ⋅ s2 ⋅ γ a ⋅ c1 ⋅ s2 ⋅ β + a ⋅ s1 ⋅ c2 ⋅ γ ¸¸ ( ) ⋅ + ⋅ ⋅ ⋅ 0 d c1 a s1 c2 β γ γ γ γ γ © ¹
Daraus ergibt sich der Geschwindigkeitsvektor § ȟ − (dγ ⋅ c1 + aγ ⋅ s1 ⋅ c2 )⋅ β − aγ ⋅ c1 ⋅ s2 ⋅ γ · ¨ ¸ ¸ (2.144) vγ = J Aγ (q) ⋅ q = ¨ - aβ ⋅ c2 ⋅ γ ¨¨ ¸¸ © (d γ ⋅ s1 - aγ ⋅ c1 ⋅ c2 ) ⋅ β + aγ ⋅ s1 ⋅ s2 ⋅ γ ¹
und der Beschleunigungsvektor vγ = J Aγ (q) ⋅ q + J Aγ (q) ⋅ q
§ ȟ − (d γ ⋅ c1 + aγ ⋅ s1 ⋅ c2 ) ⋅ β - aγ ⋅ c1 ⋅ s2 ⋅ γ · ¨ ¸ ¨ - (a ⋅ c1 ⋅ c2 - d ⋅ s1) ⋅ β 2 - a ⋅ c1 ⋅ c2 ⋅ γ 2 ¸ γ γ γ ¨ ¸ ¨ + 2 ⋅ aγ ⋅ s1 ⋅ s2 ⋅ γ ⋅ β ¸ ¨ ¸ ¨ ¸ ¨ ¸ 2 =¨ - aγ ⋅ c2 ⋅ γ + aγ ⋅ s2 ⋅ γ ¸ ¨ ¸ ¨ ¸ ¨ (d γ ⋅ s1 - aγ ⋅ c1 ⋅ c2 ) ⋅ β + aγ ⋅ s1 ⋅ s2 ⋅ γ ¸ ¨ ¸ ¨ + (d γ ⋅ c1 + aγ ⋅ s1 ⋅ c2 ) ⋅ β 2 + aγ ⋅ s1 ⋅ c2 ⋅ γ 2 ¸ ¨ ¸ ¨ + 2 ⋅ aγ ⋅ c1 ⋅ s2 ⋅ γ ⋅ β ¸ © ¹
(2.145)
Der Vektor der äußeren Kräfte, die auf diesen Starrkörper einwirken besteht nur aus der Gewichtskraft:
IJ pγ
§ 0 · ¨ ¸ =¨ 0 ¸ ¨ ¸ © mγ ⋅ g ¹
(2.146)
136
2 Modellbildung
Als äußeres Moment wirkt das Antriebsmoment Mγ, dem die Lagerreibung entgegenwirkt. In Gliedkoordinaten ausgedrückt ergibt sich: Ș pγ
§ · 0 ¸ ¨ =¨ 0 ¸ ¨ ¸ © M γ − M Rγ ¹
(2.147)
Die Winkelgeschwindigkeit ist in Basiskoordinaten ausgedrückt § - γ ⋅ s1 · ¸ ¨ = ¨ β ¸ ¨ - γ ⋅ c1¸ ¹ ©
Ȧγ R
(2.148)
bzw. in das Gliedkoordinatensystem transformiert: Ȧγ =
(
R
R3
)
T
§ - β ⋅ s 2 · ¸ ¨ ⋅ ȦγR = ¨ - β ⋅ c 2 ¸ ¨¨ ¸¸ © γ ¹
(2.149)
Dabei ist RR3 der Rotationsanteil der Transformationsmatrix RA3 aus Gl. (2.116), da sich das Gliedkoordinatensystem Oγ (x3γ,y3γ,z3γ) von Starrkörper 3 aus der Translation des Koordinatensystems O3 (x3,y3,z3) in Abb. 2.34 herleiten lässt. Die Winkelgeschwindigkeitsmatrix lautet: § 0 ¨ ~ Ȧγ = ¨ Ȧγz ¨ © − Ȧγy
− Ȧγz 0 Ȧγx
Ȧγy · ¸ − Ȧγx ¸ ¸ 0 ¹
(2.150)
Die sich daraus ergebende Jacobi-Matrix der Winkelgeschwindigkeiten ist: §0 - s2 0 · ¨ ¸ J Rγ (q) = ¨ 0 - c 2 0 ¸ ¨0 0 1¸ © ¹
(2.151)
Die Winkelbeschleunigung folgt aus der zeitlichen Ableitung der Winkelgeschwindigkeit: § - β ⋅ s 2 - ϕ ⋅ γ ⋅ c 2 · ¸ ¨ Ȧ Ȗ = ¨ - β ⋅ c 2 + ϕ ⋅ γ ⋅ s 2 ¸ ¸¸ ¨¨ γ ¹ ©
(2.152)
2.5 Kinetische Kopplung von Achsfreiheitsgraden
137
Der Beitrag zum dynamischen Modell ist somit:
(
)
(
)
~ ⋅ J ⋅ Ȧ (2.153) J Aγ (q)T ⋅ IJ pγ - mγ ⋅ vγ + J Rγ (q)T ⋅ Ș pγ − J γ ⋅ Ȧ γ − Ȧ γ γ γ
Mit den Abkürzungen N 1 = mγ ⋅ (d γ ⋅ c1 + aγ ⋅ s1 ⋅ c2 )
((
)
2
)
(2.154)
N 2 = J γxx − J γyy − mγ aγ ⋅ c2 ⋅ s2
(2.155)
N 3 = mγ ⋅ (aγ ⋅ c1 ⋅ c2 - d γ ⋅ s1)
(2.156)
§ · − mγ ȟ + N 1 ⋅ ȕ + mγ aγ c1s2 ⋅ γ + N 3 ⋅ ȕ 2 ¨ ¸ 2 ¨ ¸ + mγ aγ c1c2 ⋅ γ − 2mγ aγ s1s2 ⋅ γ ⋅ ȕ ¨ ¸ ¨ ¸ ¨ ¸ 2 2 2 2 2 ¨ − J γxx s2 + J γyy c2 + mγ aγ c2 + d γ ⋅ ȕ + N 1 ⋅ ȟ ¸ ¨ − m a d s2 ⋅ γ - m a d c2 ⋅ γ 2 − 2N ⋅ ȕ ⋅ γ - N ⋅ g ¸ γ γ γ γ γ γ 2 3 ¨ ¸ ¨ ¸ ¨ ¸ M γ − M Rγ + mγ aγ c1s2 ⋅ ȟ - mγ aγ d γ s2 ⋅ ȕ ¨ ¸ ¨ ¸ 2 2 − J γzz + mγ aγ ⋅ γ + N 2 ⋅ ȕ + mγ aγ s1s2 ⋅ g ¨ ¸ ¨ ¸ © ¹
(2.157)
ergibt sich
(
(
(
))
)
Die Position des TCP kann direkt aus den translatorischen Anteilen der Transformationsmatrix RA3 in Gl. (2.116) entnommen werden: pTCP
§ ȟ − d 3 ⋅ s1 + a3 ⋅ c1 ⋅ c2 · ¨ ¸ =¨ d 2 − a3 ⋅ s2 ¸ ¨ a − d ⋅ c1 − a ⋅ s1 ⋅ c2 ¸ 3 3 © 1 ¹
(2.158)
Die Jacobi-Matrix zum TCP ist: § 1 - d 3 ⋅ c1 - a3 ⋅ s1 ⋅ c2 - a3 ⋅ c1 ⋅ s2 · ¨ ¸ 0 - a3 ⋅ c2 ¸ J ATCP (q) = ¨ 0 ¨ 0 d ⋅ s1 - a ⋅ c1 ⋅ c2 a ⋅ s1 ⋅ s2 ¸ 3 3 3 © ¹
(2.159)
138
2 Modellbildung
Auf den TCP wirken die Lastkräfte entgegen den Achsen des Maschinenkoordinatensystems:
IJ pTCP
§ - FLx · ¨ ¸ = ¨ - FLy ¸ ¨- F ¸ © Lz ¹
(2.160)
Ansonsten ist der TCP trägheitslos und es wirken keine Lastmomente. Damit beschränkt sich der Beitrag dieses relevanten Bezugspunktes auf J ATCP (q)T ⋅ IJ pTCP = · § - FLx ¸ ¨ ¨ (d 3 ⋅ c1 + a3 ⋅ s1 ⋅ c2 ) ⋅ FLx − (d 3 ⋅ s1 - a3 ⋅ c1 ⋅ c2 ) ⋅ FLz ¸ ¸ ¨ © a3 ⋅ c1 ⋅ s2 ⋅ FLx + a3 ⋅ c2 ⋅ FLy − a3 ⋅ s1 ⋅ s2 ⋅ FLz ¹
(2.161)
4 Gleichungen aufbereiten Fasst man alle Beiträge der Starrkörper (Gln. (2.126), (2.150), (2.157), (2.161)) zusammen, so folgt eine relativ übersichtliche Darstellung des dynamischen Modells: mȟges ⋅ ȟ = Fȟ − FRξ
+ (N1 − mβ aβ c1) ⋅ ȕ + mγ aγ c1s2 ⋅ γ
+ (N 3 + mβ aβ s1) ⋅ ȕ 2 + mγ aγ c1c2 ⋅ γ 2
(2.162)
− 2m ȕ a ȕ s1s2 ⋅ ȕ ⋅ γ − FLx J βges ⋅ β = M β − M Rβ
+ (N 1 − mβ aβ c1)⋅ ȟ − mγ aγ d γ s2 ⋅ γ
(
)
2 − J γxx s2 2 + J γyy c2 2 + mγ aγ c2 2 ⋅ β
- mγ aγ dγ c2 ⋅ γ 2 − 2N 2 ⋅ γ ⋅ ȕ - (mβ aβ s1 + N 3 )⋅ g
+ (d 3 ⋅ c1 + a3 ⋅ s1 ⋅ c2 ) ⋅ FLx − (d 3 ⋅ s1 - a3 ⋅ c1 ⋅ c2 ) ⋅ FLz
(2.163)
2.5 Kinetische Kopplung von Achsfreiheitsgraden
139
J γges ⋅ γ = M γ − M Rγ + mγ aγ c1s2 ⋅ ȟ - mγ aγ d γ s2 ⋅ β + N 2 ⋅ β 2
(2.164)
+ mγ aγ s1s2 ⋅ g + a3 ⋅ c1 ⋅ s2 ⋅ FLx + a3 ⋅ c2 ⋅ FLy − a3 ⋅ s1 ⋅ s2 ⋅ FLz
mit den zusammengefassten Trägheiten: mȟges = mȟ + m ȕ + mγ 2
J ȕges = J ȕyy + m ȕ a ȕ + mγ d γ J γges = J γzz + mγ aγ
2
(2.165) 2
(2.166) (2.167)
Die achsbezogenen Differentialgleichungen in Gln. (2.162)–(2.164) sind gleichartig angeordnet. Die jeweils erste Zeile gleicht dem mathematischen Modell einer Servoachse (wie in Abschn. 2.1.1) mit einer konstanten Antriebsträgheit. Der Stellgröße des Antriebs (Antriebskraft oder –moment) wirkt zunächst die Reibung entgegen. Dann folgen die dynamischen Koppelterme (Beschleunigungskopplungen, Zentrifugal- und Coriolisterme), die gewichtskraftabhängigen Terme und die Wirkungen der Lastkräfte im TCP auf die jeweilige Achse. Die Darstellung des dynamischen Modells in Abb. 2.38 hat den großen Vorteil, dass Achsregler, Steuerung und gegebenenfalls Antriebselastizitäten leicht nachträglich dem Blockschaltbild hinzugefügt werden können. Werden anstelle von Direktantrieben getriebebehaftete Servoantriebe eingesetzt, muss das dynamische Modell um jeweils einen Starrkörper je Rotor erweitert werden (Sciavicco u. Siciliano 1996). Die Vorwärtstransformation zum Massenmittelpunkt der Rotoren der Servomotoren lässt sich leicht aus der Position des Starrkörpers herleiten, an dem der Servomotor befestigt ist. Auf diesen Starrkörper wirkt auch das Reaktionsmoment des Servomotors zurück. Die Winkelgeschwindigkeit des Rotors ist um die Getriebeübersetzung größer als die Winkelgeschwindigkeit der angetriebenen Achse. Dieser Aufwand ist jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn der schnell rotierende Motor an Starrkörpern befestigt ist, deren Bewegungen zu schnellen Orientierungsänderungen der Rotorachse führen. Im hier behandelten Beispiel wäre dies nur für die C-Achse der Fall. Die hier behandelte Schwenkachse zeigt, wie aufwändig das vollständige mathematische Modell bereits für wenige Freiheitsgrade wird. Durch die bei seriellen Werkzeugmaschinenkinematiken oft vorgesehene Trennung
140
2 Modellbildung
zwischen werkzeug- und werkstückseitigen Achsen kann die gesamte Maschine allerdings meist mit zwei Teilmanipulatoren beschrieben werden (z.B. Y-Z-Achse werkzeugseitig als ebenes Modell, X-B-C-Achse werkstückseitig als räumliches Modell). Damit wird die Modellkomplexität für serielle Werkzeugmaschinen die des hier behandelten Beispieles selten überschreiten. F A n tr ie b s k ra ft F x
F
R x
-F
F
1 /m
x m a x
R x
x x
L in e a r a c h s e X
k x
M
M
x g e s
x F
A n tr ie b s m o m e n t
R x
M
R b
R b
M
-M
1 /J
m a x j
R u n d a c h s e B
R b
b g e s
j
b
M
b b
k b
B e r e c h n u n g d e r K o p p e lte r m e F g e m ä ß G ln . ( 2 .1 6 2 - 2 .1 6 4 )
k x
, M
k b
, M
F k g
L x
F
L y
F g
A n tr ie b s M m o m e n t M g
M
k g
1 /J
m a x g
g
g g e s
L z
g
M
g R g
M
R u n d a c h s e C
R g
-M
R g
Abb. 2.38. Blockschaltbild des dynamischen Modells der Dreh-/Schwenkeinheit mit 3 DOF
2.5.3 Erweiterungen und Anwendbarkeitsgrenzen Bei räumlich ausgedehnten Manipulatoren ist es erforderlich, biegsame Strukturbauteile oder Elastizitäten in den Koppelgliedern (Führungen, Lager) zu berücksichtigen. Für die Maschinendynamik relevant sind meist wenige dominante Elastizitäten, deren Nachbildung für ein hinreichend
2.5 Kinetische Kopplung von Achsfreiheitsgraden
141
genaues Modell genügt. Wo immer möglich, sollte versucht werden, diese Elastizitäten durch achsbezogene Modelle zu berücksichtigen (siehe dazu Abschn. 2.3). Wird die dominante Elastizität jedoch durch nicht vernachlässigbare kinetische Kopplungen angeregt, so muss die dominante Elastizität in das Starrkörpermodell integriert werden. Hierzu wird an der Wirkstelle ein fiktives Gelenk und damit ein zusätzlicher Gelenkfreiheitsgrad eingeführt. Gegebenenfalls wird ein elastisch zu modellierendes Bauteil durch das fiktive Gelenk in zwei Teilkörper aufgeteilt. Der zusätzliche Gelenkfreiheitsgrad wird durch Federn entsprechend der nachzubildenden Elastizität fixiert. Die vom zusätzlichen Freiheitsgrad abhängigen Federkräfte werden zu den dynamischen Koppeltermen hinzugefügt. Besonders für ebene Starrkörpermodelle ist eine dominante Elastizität mit vertretbarem Aufwand modellierbar. In (Zirn 2002) ist dies am Beispiel einer Portalfräsmaschine mit dem in Abb. 2.20 gezeigten Aufbau dargestellt. Dazu wird ein fiktives Gelenk in der Mitte des Schlittens mit einem zusätzlichen Drehfreiheitsgrad eingeführt. Diese Rotation wird von einer Torsionsfeder beschränkt, die sich aus der geometrischen Anordnung der Führungssteifigkeiten ermitteln lässt. Nimmt man an, dass bei einer ausreichend steifen Feder die Amplituden dieses zusätzlichen Drehfreiheitsgrades im Vergleich zu den beiden numerisch gesteuerten Freiheitsgraden gering sind, so kann das dynamische Modell wesentlich vereinfacht werden. In diesem Fall sind dann die Kopplungen relativ schwach, so dass eine getrennte Modellierung der Achsen der Portalfräsmaschine gemäß Abschn. 2.3 vergleichbare Ergebnisse liefert. Für räumliche Manipulatoren mit elastischen Teilkörpern ist in (Bremer u. Pfeiffer 1992) sowie (Shabana 2003) eine Erweiterung des Ansatzes gemäß Gl. (2.86) beschrieben. Dies ist jedoch ohne starke Beschränkung der Anzahl von elastischen Freiheitsgraden ausgesprochen aufwändig. Gerade bei räumlichen Problemstellungen sind vereinfachende Beschränkungen oft nicht möglich oder führen, z.B. aufgrund der Biege-Torsionskopplung, zu verfälschten Resultaten. Elastizitätsbedingte Deformationen der Strukturbauteile oder an Koppelstellen sind bei Werkzeugmaschinen immer wesentlich kleiner als die numerisch gesteuerten Starrkörperbewegungen. Daher ist es oft sinnvoll, die Modellierung von Struktur- und Achsfreiheitsgraden zu trennen, wie dies im nachfolgenden Abschn. 2.6 ausgeführt ist. Serielle Kinematiken an Werkzeugmaschinen können mit der hier dargestellten Methode sehr effizient modelliert werden. Wenn keine Trennung in ebene Teilmodelle möglich ist, sind meist sind nur 2..3 DOF räumlich gekoppelt zu behandeln, so dass hier mit vertretbarem Aufwand immer eine analytische Darstellung und somit ein sehr anschauliches mathematisches Modell herzuleiten ist.
142
2 Modellbildung
Allgemein können für räumliche Parallelkinematiken nur numerische Lösungen (Hebsacker 2000) für die Vorwärtstransformation und damit für das dynamische Modell angegeben werden. In (Tsai 1999) wird die Methode des rekursiven Newton-Euler-Verfahrens auf parallele Kinematiken angewandt und den rechenzeiteffizienteren Methoden der virtuellen Arbeit und den Lagrange’schen Gleichungen gegenübergestellt. Alle drei Methoden erlauben die Berechnung der Dynamik, nicht jedoch ihre anschauliche Darstellung gemäß Gl. (2.86). Damit ist das hier beschriebene Verfahren zunächst nur für ebene Kinematiken (Zirn 2002) und wenige räumliche Fälle anwendbar, soweit die Vorwärtstransformation analytisch hergeleitet werden kann. Man kann sich jedoch die Eigenschaft parallelkinematischer Manipulatoren zu Nutze machen, dass deren Rücktransformationsvorschrift zum TCP immer mit vertretbarem Aufwand analytisch herleitbar ist. Dementsprechend lässt sich die geometrische Jacobi-Matrix analytisch angeben: J ( p) = (J A (q ) ) = (∂q ∂p ) −1
(2.168)
Die analytische Jacobi-Matrix JA ist die Inverse der geometrischen Jacobi-Matrix J und kann (z.B. mit MATLAB) leicht numerisch ermittelt werden. Mit der geometrischen Jacobimatrix können die TCP-Geschwindigkeiten in Gelenkgeschwindigkeiten umgerechnet werden (Tsai 1999): q = J ( q ) ⋅ p .
(2.169)
Die zeitliche Ableitung ergibt die Gelenkbeschleunigungen q = J ( p) ⋅ p + J ( p) ⋅ p
(2.170)
mit der zeitlichen Ableitung der geometrischen Jacobi-Matrix d J ( p) = J ( p) , dt
(2.171)
die meist mit einigem Aufwand noch analytisch angegeben werden kann. Formt man Gl. (2.170) nach den TCP-Beschleunigungen um,
(
p = J −1 ( p) ⋅ q − J ( p) ⋅ p
)
(2.172)
und vergleicht das Resultat mit Gl. (2.102), so wird durch Koeffizientenvergleich deutlich, dass die zeitliche Ableitung der analytischen Jacobimatrix numerisch ermittelt werden kann: J A (q ) = − J −1 ( p) ⋅ J ( p) ⋅ J −1 ( p)
(2.173)
2.6 Maschinenbezogenes Strukturmodell
143
Bei Parallelkinematiken für Werkzeugmaschinen und Roboter dominiert die Trägheit der als ideal starr modellierbaren Plattform gegenüber der Trägheit der Beine. Durch die Vernachlässigung der Beinträgheiten erspart man sich deren aufwändige Transformationsvorschrift ohne signifikanten Verlust an Modellgenauigkeit (Codourey 1998, Honegger 1999). Damit kann das dynamische Model mit guter Näherung aus den Gelenkachsen (mit je einem DOF) und der Plattform als Starrkörper mit 3 oder 6 DOF aufgebaut werden. Die Transformationsvorschrift für den Massenschwerpunkt der Plattform kann aus der Transformationsvorschrift für den TCP hergeleitet werden, womit die analytische Jacobi-Matrix gemäß Gln. (2.168), (2.173) numerisch aus der geometrischen Jacobi-Matrix ermittelt werden kann. Können zudem rotative DOF ausgeschlossen werden, so vereinfacht sich der Ansatz gemäß Gl. (2.86) für das dynamische Modell auf den Impulssatz: n
¦J i =1
T Ai (q)
(
[
])
⋅ IJ pi − mi ⋅ J Ai (q) ⋅ qi + J Ai (q) ⋅ qi ≈ 0
(2.174)
Für den praktischen Ingenieur besteht eine Alternative im Einsatz entsprechender Softwarewerkzeuge zur Verkopplung von Starrkörperanordnungen (Mathworks 2003) und deren direkter Simulation ohne „Umweg“ über die dynamischen Gleichungen – allerdings unter Verlust des tiefen Einblicks, den die analytische Darstellung der dynamischen Koppelterme bietet
2.6 Maschinenbezogenes Strukturmodell Die Deformationen der Struktur außerhalb der Lageregelkreise sind bei Hochgeschwindigkeitsbearbeitung die Hauptursache von Bahnabweichungen. In der Folge soll aufgezeigt werden, wie die gesamte Struktur nachgebildet werden kann, um die Auswirkungen der Strukturdeformationen auf die TCP-Bahn in die Simulation mit einzubeziehen. Bei dynamischen Belastungen von Werkzeugmaschinen treten neben Biege- und Torsionsverformungen der Gestellbauteile auch Schwingungsformen auf, bei denen die Deformationen im Wesentlichen in den Koppelstellen (Fügestellen, Führungen, Aufstellelemente) stattfinden. Die einzelnen Komponenten sind in weitaus geringerem Masse an der Gesamtdeformation beteiligt (Alberts 1991). Wie experimentelle Modalanalysen zeigen, sind bei den für HSMAnwendungen verwendeten Konstruktionen bei Frequenzen unterhalb 250 Hz primär solche Starrkörperschwingungen für die auftretenden Deformationen verantwortlich. Die Schwingungsformen sind dadurch gekennzeichnet, dass die einzelnen Komponenten fast ausschließlich in den
144
2 Modellbildung
Koppelstellen schwingen. Zur Beschreibung des dynamischen Verhaltens sind also nur die Trägheitseigenschaften der einzelnen Körper und deren räumliche Ausdehnung von Bedeutung. Die Modellbildung der Struktur mit den daran angreifenden Antrieben ist durch folgende Annahmen gekennzeichnet:
• Die zueinander bewegten Maschinenkomponenten und die Gestelle werden als starr angenommen (Starrkörpermodelle). Die Körper des Modells geben die Massen und Trägheiten der ihnen entsprechenden Strukturkomponenten wieder. • Diese starren Körper sind mittels viskoelastischen Feder-DämpferElementen (engl.: Stiffness-Damping-Element SDE) untereinander verbunden. • Die Koppelstellen benachbarter Körper, die durch ein SDE verbunden sind, fallen zusammen. Dies ist bei der geringen Dimension der Führungselemente im Vergleich zu den Dimensionen der beteiligten Körper zulässig. • Die Verschiebungen der Körper sind sehr klein im Vergleich zur Größe der Körper. Die physikalischen Daten der Koppelstellen (Steifigkeiten, Dämpfungen) werden aus Konstruktionsdaten und aus Angaben der Komponentenhersteller abgeleitet. Die Trägheiten der einzelnen Körper gehen aus den Konstruktionsdaten hervor. Abbildung 2.39 zeigt das physikalische Modell einer Einzelachse, bestehend aus einem Gestell und einem darauf linear beweglichen Schlitten. S bezeichnet den Schwerpunkt des Schlittens. In X-Richtung, d.h. in Führungs-Längsrichtung, ist keine Steifigkeit vorhanden. Aus den gegebenen
S c h lit t e n S L B
Z X
G e s t e ll Y
Abb. 2.39. Physikalisches Modell einer Einzelachse. Die zueinander bewegten Komponenten werden als starre Körper wiedergegeben. Die Führungselemente werden als Feder-Dämpfer-Elemente dargestellt
2.6 Maschinenbezogenes Strukturmodell
145
Steifigkeiten, Dämpfungen, Trägheiten und der geometrischen Konfiguration lassen sich die Gesamtsteifigkeits-, Dämpfungs- und Massenmatrizen berechnen und in die Zustandsraumdarstellung des Gesamtsystems überführen. Der Kernpunkt der Vorgehensweise zur Strukturmodellierung liegt darin, aus der gegebenen Konfiguration automatisiert die Systemmatrizen zu erstellen.
Linearführungen Als Führungselemente für Linearachsen werden typischerweise vorgespannte Wälzführungseinheiten (Abb. 2.40) verwendet. Hierbei rollen Wälzkörper (Kugeln, Zylinder) auf einer Führungsschiene und gleichzeitig am Führungswagen ab. Nach ihrem Kontakt werden die Wälzkörper an der Außenseite an den Beginn des Kontaktbereichs zurückgeführt. Die zum Schutz gegen Verschmutzungen verwendeten Abstreifer und Dichtungen verursachen einen Grossteil der Reibung. Die Vorteile derartiger Wälzführungseinheiten sind • • • •
Geringe Haft- und Gleitreibung, kein Stick-Slip-Effekt Hohe mögliche Geschwindigkeiten Kompakte Konstruktion Günstige Kosten durch Standardisierung
Als Nachteile sind zu nennen • Geringe Dämpfung • Probleme der Lebensdauer bei kleinen Hüben • Ggf. Stöße durch Wälzkörperein- und -austritt
(B )
(A )
F ü h r u n g s s c h ie n e ru n d k ö rp e r) F ü h ru n g s w a g e n D ic h tu n g e n u . A b s tr e ife r g e g e n V e rs c h m u tz u n g D = K u g e lb a h n e n
Z C A
(D )
A = (G B = C =
(C )
X B
Y
Abb. 2.40. Linearführungseinheit (NSK 1990) Vergleichbar mit einem linearen Kugellager rollt der Führungswagen (B) der Führungsschiene (A) entlang. Zum Schutz der in den Kugelbahnen (D) rollenden Kugeln werden Abstreifer (C) verwendet
146
2 Modellbildung
Da in Längsrichtung der Schiene keine Steifigkeit vorliegt, werden Wälzführungseinheiten im Modell in Form von fünf Steifigkeits-komponenten und sechs Dämpfungskomponenten berücksichtigt (Abb. 2.40). Außer der translatorischen Komponente in Längsrichtung (X-Richtung), der nur die Reibung als Dämpfung zugeordnet ist, sind alle Bewegungsfreiheitsgrade der Relativbewegung mit Steifigkeiten und Dämpfung ausgestattet. Abbildung 2.41 zeigt den Kraftfluss, wie er modellhaft bei einer beschleunigten Bewegung auftritt: Am Motor wird ein Moment eingeleitet, das auf die Vorschubspindel wirkt. Das Motormoment wird über den Motorflansch, reduziert um ein allfälliges Reibmoment des Motors, auf die unterlagerte Struktur abgesetzt. Auf den Tisch wird ebenfalls ein Reibmoment eingeleitet. Da von der Kupplung keine axialen Kräfte aufgenommen werden können, wird vorausgesetzt, dass die gesamte Vorschubkraft über das Festlager auf die unterlagerte Struktur abgeleitet wird. Für die Gestaltung des Gesamtsimulationsmodells gilt bei der Interaktion von Antrieb und Struktur:
• Die Antriebe treten als von außen wirkende Kräfte und Momente auf die Struktur in Erscheinung. • Die in Achsrichtung an Festlager und Mutterflansch auftretenden Kräfte bilden die Deformationskraft der Spindel. • Das Motormoment, reduziert um das Reibmoment im Motor und in der Spindelmutter wird am Motorflansch abgesetzt. • Das Reibmoment in der Spindel wird als proportional zur axial wirkenden Kraft angenommen. Die Vorschubkraft wirkt auf den Tisch und über den Festlagerflansch auf die unterlagerte Struktur. Dazu treten an Tisch und Motor Reibmomente auf, die an die unterlagerte Struktur und den Tisch eingeleitet werden. M o to r fla n s c h
F e s tla g e r fla n s c h
B e s c h le u n ig u n g a T is c h a m
M
M o t.
F
S p .
M
T is c h
R e ib .
U n te r la g e r te S tr u k tu r M o to r
M u tte r fla n s c h
S p in d e l
Abb. 2.41. Modellhafter Fluss der Kräfte und Momente bei Beschleunigung Das von Motor aufgebrachte Moment wird am Motorflansch abgesetzt
2.6 Maschinenbezogenes Strukturmodell
147
2.6.1 Formalismus zur räumlichen Starrkörpermodellierung In der Folge wird ein Formalismus beschrieben, der die Eigenschaften der einzelnen Koppelstellen beschreibt und auf effiziente Weise die Erstellung der Gesamtsteifigkeitsmatrix erlaubt (Wsp 1999). Die Grundidee bei der Strukturmodellierung liegt darin, die Elastizitäten auf die Koppelstellen zu begrenzen. Die Verschiebungen in den einzelnen Koppelstellen lassen sich aufgrund der Relation zum Massenmittelpunkt der jeweils angrenzenden Starrkörper beschreiben. Im Vergleich zu FEM oder Balken-Modellen werden die Schwierigkeiten, die sich bei diesen Verfahren für den Einbezug der Koppelstellen bieten, eliminiert. Der erste Schritt der Systemerstellung ist die Aufteilung des Systems in Komponenten, die als Energiespeicher wirken (Massen, Federn) und in solche, in denen dem System Energie entzogen wird (Dämpfungselemente). Die Kräfte, die zwischen diesen Elementen wirken, sind innere Kräfte des Systems. Die visko-elastische Verbindung von zwei Starrkörpern, bezeichnet mit Indices i und j, nachgebildet durch ein einzelnes FederDämpfer-Element (SDE), wird wie in Abb. 2.42 dargestellt angenommen:
C = X
S t a r r k ö r p e r 'i'
Z ' Z
>
In e r tia le s K o o r d in a te n s y s te m
X ' Z
P ' i,0 P ' i1
Y X
P
i,0
P S D E
i1
u n d e fo r m ie r t
(v e rs c h o b e n u . g e d re h t)
Y
Y ' S t a r r k ö r p e r 'i'
( A u s g a n g s la g e ) S D E
d e fo r m ie r t
S t a r r k ö r p e r 'j' Abb. 2.42. Die Längenänderung eines Feder-Dämpfer-Elements SDE zwischen zwei sich bewegenden Starrkörpern i und j
Für kleine Deformationen kann die Längenänderung δli,k des SD-Elements k durch Bewegung des Körpers mit dem Index i erhalten werden durch: δli,k = zi + yi,k αi – xi,k βi (2.175) mit
zi yi,k
Verschiebung des Koordinatensystems des Körpers i in z-Richtung Y-Koordinate des Kontaktpunkts des k-ten SD-Elements
148
2 Modellbildung
αi Rotation des Körpers i um die X-Achse des Körperinertialsystems xi,k X-Koordinate des Kontaktpunkts des k-ten SD-Elements βi Rotation des Körpers i um die Y-Achse des Körperinertialsystems Die Koordinaten yi,k und xi,k, sind im körpereigenen Koordinatensystem des Körpers i anzugeben. Allgemein kann die Gesamtheit der Längenänderungen jedes elastischen Elements zwischen zwei Körpern i und j durch eine Verschiebung des Körpers i folgendermaßen beschrieben werden {δli,k } = {lik (qi)}, k = 1, 2, ..., n; (2.176) wobei n die Anzahl der SD-Elemente ist. Die Längenänderungen werden in Abhängigkeit der generalisierten Koordinaten qi = {xi, yi, zi, αi, βi, γi} bestimmt. Hierbei bezeichnet qi die Verschiebungen und Rotationen des Körpers i im Körperinertialsystem. Die Kräfte zwischen den Körpern i und j sind direkt abhängig von deren Lageänderungen und können, ausgehend von den Verschiebungen in generalisierten Koordinaten Li(qi) in folgender Form geschrieben werden : T (2.177) [Li(qi)] = [li1, li2, ..., lim] Der Exponent T bezeichnet die Ausführung einer Transponierung der als Basis bezeichneten Matrix. Wird die Verschiebung eines Körpers j in gleicher Weise ausgedrückt, so erhält man unter Verwendung von L aus Gl. (2.177) als Ausdruck für die potentielle Energie Uij zwischen den beiden Körpern 1 T (2.178) U ij qi , q j = Li − L j [ K SDE ] Li − L j , 2 wobei KSDE die diagonale Steifigkeitsmatrix der SD-Elemente zwischen den beiden Körpern i und j ist. In analoger Weise lässt sich die dissipierte Energie zwischen den Körpern i und j darstellen. Im Unterschied zur potentiellen Energie ist diese Energie proportional zu den auftretenden Geschwindigkeiten: T 1 (2.179) Dij qi , q j = Li − L j [C SDE ] Li − L j 2 Hierbei ist CSDE die diagonale Dämpfungsmatrix der SD-Elemente zwischen den beiden Körpern i und j. Die kinetische Energie Ti der einzelnen Starrkörper ist gegeben durch: 1 (2.180) Ti (qi ) = {qi }T [ M i ]{qi } , 2 wobei Mi die diagonale Massenmatrix des Starrkörpers ist. Die Summe der kinetischen, der potentiellen und der Dämpfungsenergie über m Starrkörper des Systems liefert einen Ausdruck für die Gesamtenergie des betrachteten Systems. Ausgehend von der zweiten
(
) [
]
[
]
(
) [
]
[
]
2.6 Maschinenbezogenes Strukturmodell
149
Lagrange-Gleichung unter Einbezug des nichtkonservativen Dämpfungsterms, erhält man die Bewegungsgleichungen für die generalisierten Koordinaten. ª δ Ti º δ Ti δ Dij δ U ji d « i » − i g + i g + i g = {Qk } g » « dt δ qk δ qk δ qk » δ qk « ¼ ¬
¦
¦
¦
¦
(2.181)
für i,j = 1, 2, ... m; i C-Rotation Moment durch Antriebskräfte um die Z-Achse => C-Moment Drehsteifigkeit um Z-Achse => C-Steifigkeit
kC FAntrieb Antriebskraft in X-Richtung d Y , Antrieb Y-Abstand des Antriebs zum Schwerpunkt dxki kYi
X-Abstand der Führungssteifigkeit Y-Steifigkeit der Führungssteifigkeiten.
Für die Auswirkung der Kippbewegung in TCP ist die Lage des TCP relativ zum Schwerpunkt relevant: aSoll
δyTCP =
¦m
i
i
(2.253)
dxTCP
¦ dx
2 ki kYi
i
Hierbei sind: δyTCP
Y-Verlagerung des TCP in Y-Richtung
aSoll mi dxTCP
translatorische Sollbeschleunigung Einzelmassen
die
beschleunigt
werden
X-Abstand des TCP zum Schwerpunkt
Gleichungen (2.252) und (2.253) machen deutlich, dass als „freie“ Parameter die Konfiguration und die Steifigkeit des Führungssystems zur @ x d x
S
T C P
@ y
T C P
T C P
T C P
d y
Y
d x k
d x
k 1
X
k 2
k
Y 1
= F
A n tr ie b
A n tr ie b
Y 2
+
@ x
A n tr ie b
Abb. 2.56. Geometrieparameter für die Entstehung von cross-talk
180
2 Modellbildung
Verfügung stehen. Die Beschleunigung kann zumeist nicht frei gewählt werden und ist bestimmend für die Produktivität. Während die zu beschleunigende Masse linear eingeht, hat der axiale Führungsabstand quadratischen Einfluss auf die resultierende Auslenkung. Abbildung 2.56 zeigt die geometrischen Parameter für die Entstehung von cross-talk.
Dynamische Nachgiebigkeit Um den Einfluss der Anregungsfrequenz auf die resultierende Auslenkung zu bestimmen, kann aus der Steifigkeits- und Massenmatrix, zusammen mit der Dämpfungsmatrix die dynamische, frequenzabhängige Steifigkeit gebildet werden. Insbesondere die Dämpfungswerte sind hierbei mit großen Parameterunsicherheiten behaftet, weswegen primär die Lage der Resonanzen und weniger die auftretenden Amplituden bei der Interpretation im Vordergrund stehen sollte. G (ω ) = − Mω 2 + D iω + K
Hierbei sind: G(ω) M iω D K
(2.254)
die frequenzabhängige Steifigkeitsmatrix die Massenmatrix des Systems . die imaginäre Kreisfrequenz die Gesamtdämpfungsmatrix die Gesamtsteifigkeitsmatrix des Systems
Die frequenzabhängigen, phasenbehafteten Verlagerungen in den Systemfreiheitsgraden resultieren analog zum frequenzunabhängigen Fall zu: x(ω ) = G (ω ) −1 F
(2.255)
Eine Betrachtung von Gl. (2.254) zeigt dass für eine Frequenz von 0 Hz Gl. (2.255) in Gl. (2.251) übergeht, d.h. die Dämpfung und die vorliegenden Trägheiten verlieren ihren Einfluss. Hingegen dominieren für hohe Frequenzen die Beträge durch die Massenträgheiten. Abbildung 2.57 zeigt den Verlauf der dynamischen Nachgiebigkeit für das Beispiel des 2DSchlittens aus Abb. 2.51. Aufgetragen sind die frequenzabhängigen Verlagerungen in X-Richtung infolge einer am TCP angreifenden Kraft in XRichtung (Gxx) und die TCP-Verlagerungen in Y-Richtung (Gyy) infolge einer, ebenfalls im TCP angreifenden Y-Kraft. Deutlich sind die Resonanzstellen zu erkennen. Darstellungen entsprechend Ab. 2.57 lassen sich anhand der Systemmatrizen für beliebige Lastfälle darstellen. In Abb. 2.58 ist die Frequenzabhängigkeit des dynamischen cross-talks für das Beispiel des 2D-Schlittens dargestellt.
2.6 Maschinenbezogenes Strukturmodell 1 0 1 0
G x x , G y y [m /N ]
1 0 1 0 1 0 1 0 1 0 1 0
181
-5
G x x (d u rc h g e z o g e n )
-6
-7
-8
-9
G y y (g e s tr ic h e lt)
-1 0
-1 1
-1 2
0
5 0
1 0 0
1 5 0
2 0 0
2 5 0
3 0 0
F re q u e n z [H z ]
3 5 0
4 0 0
4 5 0
5 0 0
Abb. 2.57. Verlauf der dynamischen Nachgiebigkeiten am Beispiel des 2DSchlittens gemäß Abb. 2.51 ausgeführt mit indirekter Lageregelung 1 0
3
1 0 2
E Y X b e s c h l. [m m /m /s e c 2 ]
1 0 1 1 0 0 1 0 -1 1 0 -2 1 0 -3
1 0 -4 0
5 0
1 0 0
1 5 0
2 0 0
2 5 0
F re q u e n z
3 0 0
3 5 0
4 0 0
4 5 0
5 0 0
[H z ]
Abb. 2.58. Beispielhafter Verlauf des dynamischen cross-talks am Beispiel des 2D-Schlittens gemäß Abb. 2.51
Um die Anregung von Schwingungen durch Bahnbewegungen und die daraus resultierenden Bahnabweichungen grundsätzlich zu reduzieren wird oftmals eine Ruckbegrenzung eingesetzt. Neben der Verlagerung der angeregten Frequenzen hin zu niedrigeren Werten steht die Verringerung der effektiv erreichten Maximalbeschleunigung, insbesondere bei kurzen Verfahrbewegungen im Vordergrund. Dadurch, dass die nominell erreichten Beschleunigungswerte nicht erreicht werden, treten entsprechend die strukturbedingten Abweichungen nur vermindert auf.
182
2 Modellbildung
2.6.5 Verfeinerung der Strukturmodellierung In der Konzeptphase einer Werkzeugmaschinenentwicklung ist es sinnvoll eine begrenzte Anzahl von Starrkörpern (in der Regel je einen bis zwei für jeden Gelenkfreiheitsgrad) sowohl für das Modell der Maschinenstruktur gemäß Abschn. 2.6 als auch für das dynamische Modell gemäß Abschn. 2.5 anzusetzen. Beide Modelle können kombiniert werden, wie Abb. 2.59 zeigt: g e s c h w in d ig k e its b e d in g te K o p p e lk r ä fte /- m o m e n te
q
F ü h ru n g s g rö ß e n g e n e ra to r, R ü c k tra n s fo r m a tio n Ä u ß e re L a s te n
d y n a m is c h e s M o d e ll q
q
S tr u k tu r m o d e ll m it g e s c h lo s s e n e n R e g e lk r e is e n u *( t) B *
s o ll x
s o ll
V
u (t)
x (t= 0 )
d x
d t b
x C
y (t)
p
T C P
r
A
T
Abb. 2.59. Kombination des dynamischen Modells der gekoppelten Gelenkachsen und des Starrkörpermodells der elastischen Maschinenstruktur
Die gemäß Abschn. 2.6 um die Achsregelkreise erweiterte Zustandsraumdarstellung des Starrkörpermodells der Maschinenstruktur berücksichtigt bereits alle beschleunigungsbedingten Kopplungen. Bei Werkzeugmaschinen dominieren diese Kopplungen gegenüber den geschwindigkeitsbedingten Kopplungen (z.B. Zentrifugalkräfte), was auch im Praxisbeispiel in Abschn. 5.1 deutlich wird. Die geschwindigkeitsbedingten Kopplungen können – wo erforderlich – mit dem dynamischen Modell gemäß Abschn. 2.5 ermittelt und in das Strukturmodell als äußere Kräfte eingeführt werden. Meist genügt hier ein stark vereinfachtes dynamisches Modell, das nur eine Punktmasse je Gelenkfreiheitsgrad berücksichtigt. Die Anpassung des Strukturmodells an den Arbeitspunkt kann aus den Führungsgrößen, die bei sinnvoller Achsregelung nur wenig von den Istgrößen abweichen, abgeleitet werden. Sind die Änderungen des Strukturmodells im betrachteten Arbeitsraum gering, so kann auch auf die Anpassung verzichtet werden (siehe Praxisbeispiel in Abschn. 5.3). Aus einem FE-Modell der Maschinenstruktur kann eine sehr detaillierte Zustandsraumdarstellung gemäß Abb. 2.59 gewonnen werden. Dazu sollte eine Modellreduktion auf wenige dominante Eigenschwingungsformen
2.7 Modellbildungsbeispiel direktangetriebene Rundachse
183
(Eigenmodes) erfolgen, um eine im Sinne der Rechenzeit handhabbare Zustandsraumdarstellung zu erhalten. Liegen die FE-Ergebnisse als Frequenzgänge zwischen dem Kraftangriffspunkt der Antriebe und den Messpunkten der Positionserfassung sowie dem TCP vor, so kann die Zustandsraumdarstellung für Abb. 2.59 identifiziert werden (Delzer 2004). Für achsbezogene Strukturmodelle können mit dem in Abb. 1.27 prinzipiell skizzierten Verfahren Übertragungsfunktionen aus FE-Frequenzgängen ermittelt werden. Die Modellreduktion erfolgt durch die Vorgabe der Ordnung des zu identifizierenden Systems. In (Kehl 2004) ist ein Verfahren vorgestellt, bei dem der FEFrequenzgang der offenen Strecke um das Regelgesetz des Geschwindigkeitsreglers erweitert wird. So kann eine Abschätzung der erreichbaren Regelgüte mit Betrags- und Phasenreserve erfolgen. Für die Untersuchung der erreichbaren Regelverstärkungen und Führungsgrößen erscheint dies eine sehr effiziente Einbindung der FE-Resultate. Bei komplexer aufgebauten FE-Modellen mit starken strukturmechanischen Kopplungen ist eine recht hohe Systemordnung erforderlich. Die bislang gemachten Erfahrungen mit Identifikationsverfahren auf der Basis von Frequenzgängen sind widersprüchlich. Hier erscheint die Herleitung der Zustandsraumdarstellung des mechanischen Systemteils aus den Eigenwerten und Eigenvektoren der FE-Analyse wesentlich besser. Die Grundlagen dazu sind sehr ausführlich in (Hatch 2000) beschrieben. Auch hier ist eine Modellreduktion im Sinne handhabbarer Zustandsraumdarstellungen erforderlich. Mit einiger Erfahrung mit einem Maschinentyp oder mittels FE-Modalanalyse können die dominanten Schwingungsformen zu einem reduzierten Modell zusammengefasst werden. Werkzeuge zur automatisierten Generierung von Zustandsraumdarstellungen aus FEModellen sind Gegenstand aktueller Arbeiten (Denkena et al. 2005). Ein alternativer Ansatz zur gekoppelten Simulation von Anriebsregelkreisen und Strukturmechanik in (Berkemer 2002) sieht Aktorelemente an den Kraftangriffspunkten der Servoantriebe im FE-Modell vor. Gemäß dem Regelgesetz des Lagereglers werden die Normalspannungen dieser Aktorelemente aus den Verschiebungen an den Messpunkten ermittelt. Diese sehr detaillierten FE-Modelle eignen sich für Stabilitätsbetrachtungen (z.B. durch die Analyse der Pole und Nullstellen des geregelten Systems).
2.7 Modellbildungsbeispiel direktangetriebene Rundachse Am Beispiel der in Abb. 2.60 dargestellten direktangetriebenen Rundachse soll aufgezeigt werden, wie die zu erwartenden Eigenschaften hinsichtlich
184
• • • •
2 Modellbildung
Positioniergenauigkeit Positioniergeschwindigkeit und -zeitbedarf Laststeifigkeit Erwärmung und Kühlleistungsbedarf
mit Hilfe der Simulation quantifiziert werden können. j
T is c h R o lle n la g e r
D re h g e b e r R o to r K ü h lu n g
S ta to r
B a s is
Abb. 2.60. Prinzipskizze einer direktangetriebenen Rundachse mit Außenläufer, Werkfoto Rückle GmbH, Römerstein (Schöller 2003)
Die Servoachse besteht aus einem permanentmagnetisch erregten Außenläufer-Motor sowie einem Umrichter mit Gleichspannungszwischenkreis, kaskadierter Strom-, Drehzahl-, Lageregelung und intergriertem Positionsspeicher nebst Führungsgrößengenerator. j (t)
M L
(t)
3 0 °
2 0 0 N m 0
0 ,2 s
t 0 ,6 s
0 ,8 s
1 ,0 s
Abb. 2.61. Testzyklus mit Sollposition ϕ(t) (Führungsgröße) und Last ML(t) (Störgröße)
2.7 Modellbildungsbeispiel direktangetriebene Rundachse
185
Tabelle 2.9. Modellparameter der direktangetriebenen Rundachse
Parameter Motordaten: Rotorträgheitsmoment Ohm’scher Wicklungswiderstand (bei 20°C) Wicklungsinduktivität Momentenkonstante Spannungskonstante Positionsmesssystem: Gitterteilungen je Umdrehung Interpolation Leistungsteil: Pulsweitenmodulations- (PWM-) Frequenz Zwischenkreisspannung Maximalstrombegrenzung Regler: Abtastzeit des Lageregelkreises Abtastzeit des Geschwindigkeitsregelkreises Abtastzeit des Stromregelkreises mechanische Achsdaten: Rundtisch- und Werkstückträgheit Durchmesser der Rundachse Reibungsmoment
Wert JM R L KM KS
2
= 0,5 kgm = 2,5 Ohm = 30 mH = 36 Nm/A = 34 Vs/rad
16384 1024-fach fPWM = 16 kHz UZ = 560 V Imax = 25 A Tsx Tsv Tsi
= 1 ms = 125 µs = 62,5 µs 2
JT = 4,0 kgm D = 0,5 m MR = 40 Nm
Der Testzyklus in Abb. 2.61 zeigt den Verlauf der Führungs- und Störgrößen, die für die Beurteilung der Servoachse zugrundegelegt werden sollen. Für die thermischen Fragestellungen kann davon ausgegangen werden, dass die Achse periodisch positioniert und belastet wird. Das Lastmoment (z.B. von einem Fräsprozess) setze immer nach erfolgter Positionierung ein. 2.7.1 Elektro-mechanisches Modell Die elektro-mechanische Modellbildung des Servomotors ist in Abschn. 2.1.1 allgemein beschrieben und kann so auch auf die hier behandelte direktangetriebene Achse angewandt werden. Nachfolgend werden daher nur die für dieses Beispiel spezifischen Ergänzungen erläutert.
186
2 Modellbildung
1 Vorgaben sammeln Die aus den Produktunterlagen entnommenen bzw. am Prototypen gemessenen Motor-, Regler-, Umrichter- und Messsystemparameter sowie die aus den Konstruktionsunterlagen ermittelten mechanischen Parameter der Achse sind in Tabelle 2.9 aufgelistet (Schöller 2003). 2 Wirkzusammenhänge ergründen Der Rotor des Motors kann als ideal steif an die Tisch- und Werkstückträgheit angekoppelt angesehen werden. Daraus resultiert die gesamte Rotationsträgheit J: J=JM+JT
(2.256)
Das optische Gitter des Positions- bzw. Winkelmesssystems (Drehgeber) hat 16384 Teilungen. Berücksichtigt man die 1024-fache Interpolation des optischen Signals und die Auswertung von 4 Flanken des aus dem optischen Signal interpolierten elektrischen Signals (Ernst 1998), so ergibt sich eine Positionsauflösung von ǻϕ m =
2π = 9,36 ⋅ 10 - 8 rad 16384 ⋅ 1024 ⋅ 4
(2.257)
Der Führungsgrößengenerator für die beschleunigungs- und geschwindigkeitsbegrenzten Sollwerte in Abb. 2.62 kann gemäß Abschn. 2.4 bzw. Anhang B1 modelliert werden. Abweichend vom allgemeinen Modell in Abschn. 2.1.1 soll hier auch die Abtastung der Regelkreise mit betrachtet werden (obgleich die Abtastzeiten in Tabelle 2.9 klein genug sind, um mit einer quasikontinuierlichen Näherung arbeiten zu können). Die Abtastzeit des Stromreglers kann alternativ zur Totzeit der Pulsweitenmodulation hinzuaddiert werden: Ttot ≅
1 f PWM
+ Tsi = 93,75 µs
(2.257)
Durch die diskrete Differenzierung zur Geschwindigkeitsermittlung aus dem gemessenen Positionssignal kann es allerdings zu Quantisierungsbrummen kommen. Da dieser Effekt beim vorliegenden Simulationsbeispiel mit betrachtet werden soll, ist das diskrete Lage- und Geschwindigkeitsreglermodel hier durchaus sinnvoll. Für den zeitdiskreten PIGeschwindigkeitsregler gilt das Regelgesetz gemäß (Lutz u. Wendt 2004): x(k ) = x(k − 1) + K p ⋅ [u (k ) − (1 − Tsv / TN ) ⋅ u (k − 1)]
(2.258)
2.7 Modellbildungsbeispiel direktangetriebene Rundachse
187
bzw. z-transformiert: x( z ) z − (1 − Tsv / TN ) = Kp ⋅ u( z) z −1
GPI ( z ) =
(2.259)
Die diskrete Differenzierung kann wie folgt beschrieben werden: x(k ) = R e g le r w
F
u (k ) − u (k − 1) Tsv
v
k .T
s o ll
− transformiert ⎯z⎯ ⎯⎯⎯ ⎯→ GD ( z ) =
s o ll
K
H a lte g lie d v
K w
d ig ita le r L a g e r e g le r T
k T .
z -1 s v
p
.
1 1 + s .T H a lte - M g lie d
z -(1 -T sv/T n) z -1
1 /K f
M
Iso
s o ll
ll
.
m
d is k r e te D iffe r e n z ie r u n g z
k .T s x
(2.260)
s v
d ig ita le r D r e h z a h lr e g le r j
z −1 z ⋅ Tsv
s v
M e s s g rö ß e j m
D j j
Abb. 2.62. Blockschaltbild des Reglers der direktangetriebenen Rundachse (Modifikation von Abb. 2.4)
Die Übertragungsfunktion des diskreten Lage-Proportionalreglers bleibt eine Konstante (Kv). Neben diesen Übertragungsfunktionen müssen im Blockschaltbild noch Abtastglieder (z.B. von der A/D-Wandlung) für die diskrete Messwerterfassung sowie Halteglieder zur Anpassung der unterschiedlichen Abtastfrequenzen eingefügt werden.
3 Quantitatives Modell / 4 Gleichungen aufbereiten Die vorgängig beschriebenen Besonderheiten können durch eine Modifikation des Regelungsteils im Blockschaltbild in Abb. 2.4 gemäß Abb. 3.37 und Abb. 3.38 in Kap. 3.5.1 berücksichtigt werden.
188
2 Modellbildung
2.7.2 Thermisches Modell In Abschn. 2.1.2 sind die Grundlagen für thermische Mehrmassenmodelle allgemein beschrieben. Wie detailliert das Modell sein soll, hängt wesentlich von der Fragestellung ab: Sollen Wicklungserwärmung, Kühlleistungsbedarf und Erwärmungszeitkonstante abgeschätzt werden, so genügt meist ein thermisches Einoder Zweikörpermodell. Soll zusätzlich die thermische Ausdehnung der Achse abgeschätzt werden können, so ist ein aufwändigeres Modell erforderlich, das den Temperaturverlauf in den Strukturbauteilen detaillierter auflöst. Auf Basis dieses thermischen Modells kann dann ein entsprechend detailliertes Ausdehnungsmodell hergeleitet werden. In diesem Beispiel soll ein ausreichend detailliertes thermisches Modell der direktangetriebenen Rundachse dargestellt werden, mit dem alle oben genannten Fragestellungen bearbeitet werden können.
1 Vorgaben sammeln Neben den in Tabelle 2.9 dargestellten Parametern müssen weitere Informationen über die Geometrie und die Beschaffenheit der Achsstruktur und der Motordimensionierung ermittelt werden. Diese Parameter sind in Tabelle 2.10 aufgelistet und in Abb. 2.63 anhand der Prinzipskizze der Achse verdeutlicht. 2 Wirkzusammenhänge ergründen Aufgrund der axialsymmetrischen Anordnung und der am Motorumfang und im Lager als gleichmäßig anzunehmenden Wärmeleistungsentwicklung kann auf eine räumliche Modellierung der Wärmeleistungsflüsse verzichtet werden. Die ebene Modellbildung der Leistungsflüsse in einem als "Kuchenstück" gedachten Teil der Rundachse ist dann ausreichend genau (dies illustrieren Wärmebildaufnahmen, z.B. in (Kummetz 2005) sehr anschaulich). Die thermischen Zeitkonstanten gemäß Gl. (2.30) werden wesentlich größer als die Periodendauer des Bearbeitungszyklus gemäß Abb. 2.61. Damit reicht es aus, den zeitlichen Mittelwert der elektrischen Verluste sowie der Ummagnetisierungs- und Reibungsverlustleistungen gemäß Gl. (2.31) als statische Leistungsquellen im thermischen Modell anzusetzen. Diese Mittelwerte können durch die Simulation weniger Bearbeitungszyklen mit dem elektro-mechanischen Modell ermittelt werden.
2.7 Modellbildungsbeispiel direktangetriebene Rundachse Tabelle 2.10. Thermisch relevante Modellparameter
Parameter Abmessungen: Blechpaketlänge Statoraußendurchmesser Statorringbreite (Blechpaket ohne Kühlmantel) Gesamte Achshöhe Lagerbreite (Wälzkörperlänge) Lagerhöhe mittlere Tischhöhe mittlere Basisplattenhöhe Massen: Kupferwicklung Blechpaket Kühlmantel und Statorhaltering Basisplatte Basisring Lager Tischplatte Rotor (Außenläuferring, Magnete) Materialdaten: „Kachelofenkonstante“ Wärmeleitwert von Eisen Wärmeleitwert Luft Spezifische Wärmekapazität Stahl, Blechpaket Spezifische Wärmekapazität Kupfer Widerstands-Temperaturkoeffizient Kupfer Motordaten: Nenndrehzahl Nennstrom elektrischer Kaltwiderstand bei 20 °C Verlustleistung im Nennbetrieb Nenntemperatur der Wicklung Zulässige Wicklungstemperatur
Wert hM = 75 mm DM =0,41 m bM = 35 mm H =0,3 m bL =30 mm HL =30 mm HAT =70 mm HBP =30 mm mcu mFe mK mB mBT mL mT mA
= 6 kg = 20 kg = 40 kg = 40 kg = 50 kg = 5 kg = 70 kg = 15 kg
α = 15 W/Km² λFe = 58 W/Km λL = 0,034 W/Km cF e= 465 Ws/kgK cCu = 381 Ws/kgK αCu = 0,004 1/K nN IN R0 PVN
ϑN ϑmax
= 80 Umdr./min = 10 A = 2,5 Ω = 570 W = 90 °C < 120 °C
189
190
2 Modellbildung D
T
T is c h H T
b L
R o to r
H L
H
K ü h lm a n te l
H
O B
h
B a s is r in g b
B P
B a s is p la tte
L
O M
B
M
A M
L A
A
A
D
B
@ H
O
O
K
S ta to rh a lte r in g O
B
B
B P
O
A
B P
B P
Abb. 2.63. Prinzipskizze zum thermischen Modell
Für das thermische Modell kann die Rundachse in acht Teilkörper aufgeteilt werden, deren geometrische Parameter in Abb. 2.63 skizziert sind:
Kupferwicklung (Knoten 1) Der effektive Motorstrom erzeugt die elektrischen Verluste PVel in der Wicklung. PVel = R0.(1+αcu.(ϑ1 –20°C)) . Ieff 2
(2.261)
Abweichend von Gl. (2.26) wird in Gl. (2.261) der Widerstand der warmen Wicklung angesetzt. Im Nennbetrieb ist die Wicklungstemperatur auf Nenntemperatur (ϑ1=ϑN) und es fallen somit folgende elektrische Nennverluste PVelN an: PVelN = R0 (1+αcu (ϑN –20°C)) IN = 320 W .
.
.
2
(2.262)
Diese Verluste können zunächst nur über die Wicklungsisolation an das Statorblechpaket abgeführt werden. Die thermischen Widerstände von den Wickelköpfen zu benachbarten Bauteilen sind aufgrund weiter Luftstrecken sehr groß, so dass der Wärmeabfluss über die Wickelköpfe vernachlässigt werden kann. Wird mit großen Sperrluftströmungen gearbeitet, ist diese Vereinfachung nochmals zu prüfen, da dann Wärme aus den Wickelköpfen und dem Luftspalt des Motors durch die Sperrluft abgeführt würde.
Statorblechpaket (Knoten 2) Im Statorblechpaket werden die drehzahlabhängigen Ummagnetisierungsverluste PVUm gemäß Gl. (2.27) erzeugt. Da sich die Verlustleistung PVN im
2.7 Modellbildungsbeispiel direktangetriebene Rundachse
191
Nennbetrieb aus den Nenn-Ummagnetisierungsverlusten PVUmN und den elektrischen Nennverlusten PVelN zusammensetzt, folgt: PVUmN = PVN –PVelN = 250 W
(2.263)
Die Wärme kann vom Stator über den Luftspalt in den Rotor sowie über den Kühlmantel in das Kühlwasser sowie in die Basisplatte abfließen.
Kühlmantel und Statorhaltering (Knoten 3) Wird der Kühlmantel von Kühlwasser (temperaturgeregelt auf die Außenlufttemperatur ϑ0) durchflossen, so ist diese Teilmasse mit einem sehr kleinen Wärmewiderstand mit der Umgebungsluft (Knoten 0) verbunden. Die dabei abgeführte Kühlleistung P30 heizt das Kühlwasser zwar auf, jedoch sei der Durchfluss so groß, dass diese Kühlwassertemperaturerhöhung im Bereich weniger K liegt. Falls nicht flüssiggekühlt wird, ist dieser Wärmewiderstand sehr groß, so dass die in diesen Teilkörper eingeleitete Wärmeleistung in die Basisplatte fließt. Basisplatte (Knoten 4) Die Basisplatte ist mit einem Maschinenfundament oder einem Schlitten verschraubt, so dass die Wärmeleistung P40 teilweise in dieses unterlagerte Bauteil sowie in die Umgebungsluft abfließt. Hier sei im Sinne einer "worst-case"-Betrachtung angenommen, dass nur ein Wärmetransport über die Oberfläche der Basisplatte an die Umgebungsluft (Knoten 0) stattfindet. Basisring (Knoten 5) Der fest mit der Basisplatte verbundene Basisring trägt den Lagerring und gibt über die Außenfläche Wärme P50 an die Umgebungsluft (Knoten 0) ab. Im Ausdehnungsmodell ist dieses Bauteil vor allem für das Wachsen der Rundachse in axialer Richtung verantwortlich. Lager (Knoten 6) Das Lager besitzt gegenüber dem Basisring oder der Tischplatte eine fast vernachlässigbare Wärmekapazität. Im Lager werden die drehzahlabhängigen Lagerverluste PVR erzeugt: PVR = MR. ω
(2.264)
Tischplatte (Knoten 7) In die Tischplatte werden Teile der Lagerverluste eingeleitet. Die Tischplatte leistet einen weiteren Beitrag zum thermischen Wachsen der Achse in axialer Richtung. Bei exzentrischer Position des Werkstückes wird auch ein thermisches Verlagern in radialer Richtung erzeugt.
192
2 Modellbildung
Außenläufer (Knoten 8) Im Außenläuferring werden bei einer permanentmagnetisch erregten Synchronmaschine nur vernachlässigbare Verluste zu erwarten sein. Bei Einsatz eines Asynchronmotors ist diese Vernachlässigung nicht zulässig (Fischer 1995), da hier im Kurzschlusskäfig Verluste in der Größenordnung der Wicklungsverluste im Stator erzeugt werden. Die thermische Ausdehnung des Außenläuferringes wirkt sich nicht auf die Werkstückposition aus.
J K ü h lm a n te l, S ta to r r in g C J
J 0
3
C 0
0
R
3 4
2
V U m
R J
C J 0
B a s is p la tte 4
W ic k lu n g 1
R
4 0
J 0
4 0
J 0
C
J
8 0
6 7
P
J
J
J
L a g e r 6
8
P C
1 2
C
J
R
7 8
7 0
2 0
R o to r
J P
3 0
R
7 0
R C
2 3
7
0
B le c h p a k e t R
3 0
R
J
T is c h
J J
0
V R
6 0
J 0
0
R
5 6
V e l
R
1 0
4 5
J
B a s is r in g R
5
C
5 0
J 0
5 0
J 0
Abb. 2.64. Thermisches Ersatzschaltbild der Rundachse
Auf der Basis dieser Wirkzusammenhänge kann das in Abb. 2.64 dargestellte thermische Ersatzschaltbild als physikalisches Modell zugrundegelegt werden. Nachfolgend werden die einzelnen Wärmekapazitäten und die Wärmeübergangswiderstände der Teilkörper quantifiziert. Aus den Massen der Teilkörper und den spezifischen Wärmekapazitäten in Tabelle 2.11 folgen die Wärmekapazitäten des physikalischen Modells:
2.7 Modellbildungsbeispiel direktangetriebene Rundachse
193
Tabelle 2.11. Wärmekapazitäten der Bauteile der Rundachse
Parameter Kupferwicklung Blechpaket Kühlmantel und Statorhaltering Basisplatte Basisring Lager Tischplatte Rotor (Außenläufer)
Wert . C10 = ccu mcu = 2286 J/K . C20 = cFe mFe = 9300 J/K . C30 = cFe mK = 18600 J/K .
C40 = cFe mB . C50 = cFe mBT . C60 = cFe mL . C70 = cFe mT . C80 = cFe mL
= 18600 J/K = 23250 J/K = 2325 J/K = 33550 J/K = 6975 J/K
Die Oberfläche des Kühlmantels zum Kühlwasser hin beträgt aufgrund der gerippten Oberfläche der Tangentialnuten OK=0,05 m2. Dies entspricht näherungsweise auch dem Querschnitt, mit dem Kühlmantel und Statorhaltering mit der Basisplatte verbunden sind. Bei Flüssigkühlung kann von einer sehr guten Wärmeabfuhr αKühl = 10000 W/(K.m2) von der Oberfläche des Kühlmantels ausgegangen werden4. Daraus ergibt sich für Flüssigkühlung:
R30=1/(OK.αKühl)=0,002 K/W
(2.265)
Falls nicht gekühlt wird, muss die Wärmeleistung P23 vollständig in die Basisplatte fließen. Dazu ist der Widerstand R30 auf sehr hohe Werte zu setzen.
4
Für das Wärmeabfuhrvermögen wurde gemäß Tabelle 2.2 hier eine Strömungsgeschwindigkeit von v =22 m/s angesetzt. Bei einem Querschnitt der Kühlkanä2 le von ca. 4 cm ergibt sich ein Kühlwasserstrom von ca. dmH2O/dt=0,088 l/s = 0,5 l/min. Wird mit diesem Kühlwasserstrom die Leistung P30=200 W abgeführt, so ergibt sich eine Kühlwassererwärmung zwischen Vor- und Rücklauf . von ∆ϑ=P30/( cH2O dmH2O/dt)≅5K, was für praktisch ausgeführte Kühlkreisläufe an Direktantrieben und Hauptspindeln einen üblichen Wert darstellt. Kühlaggregate reagieren auf einen Anstieg der Temperaturdifferenz zwischen Vorund Rücklauf mit einer Erhöhung des Kühlwasserstromes, so dass genau genommen der Wärmewiderstand R30 auch noch vom temperaturgeregelten Kühlwasserstrom des Kühlaggregates abhängt. Weiterhin stellt die hier angenommene Kühlwassertemperatur (Umgebungstemperatur ϑ0) nur einen Mittelwert zwischen Vor- und Rücklauf dar. Bei räumlich ausgedehnten Systemen muss dies durch Einführung unterschiedlich warmer Umgebungsknoten berücksichtigt werden. Auf eine so detaillierte Modellierung sei hier verzichtet.
194
2 Modellbildung
Für den Widerstand durch den Statorhaltering hindurch in die Basisplatte kann
R34=LK/(OK.λFe)=0,04 K/W
(2.266)
angesetzt werden. Dabei ist die mittlere Länge des Halterings LK=0,1 m vorausgesetzt. Der Wärmewiderstand zwischen Kupferwicklung und Blechpaket, bedingt durch die elektrische Isolation und die Vergussmasse ist nicht berechenbar. Er ist jedoch mit der Messung der Wicklungserwärmung bei Stillstand unter Last und Wasserkühlung abschätzbar (Schöller 2003). Bei einem Laststrom von 5 A wird eine Wicklungstemperaturzunahme von ca. 10 K erreicht. Zwischen Kühlring und Wicklung ist somit ein Wärmewiderstand von R12 + R23 ≅ 10 K / (R0.(1+α..10 K).I2) = 0,15 K/W.
(2.267)
Der Widerstand R23 zwischen Blechpaket und Kühlring (Ringfläche A ≅ 0,1 m2, Blechpaketdicke bM) kann zu
R23=bM/(A.λFe)=0,007 K/W (2.268) abgeschätzt werden, womit der Wert gemäß Gl. (2.267) näherungsweise für R12 alleine gilt. Die Basisplatte besitzt eine Oberfläche von ca. OBP=0,2 m2 zur umgebenden Luft. Daraus folgt für den Wärmeübergangswiderstand: R40=1/(OBP.α)=0,34 K/W (2.269) Für den zylindersymmetrischen radialen Wärmewiderstand durch die Basisplatte vom Statorhaltering zum Basisring kann eine mittlere Querschnittsfläche ABP beim halben Basisplattendurchmesser angesetzt werden: . . . (2.270) R45= D/2/(ABP λFe)=D/2/(π HBP D/2 λFe)= 1/(π HBP λFe)=0,2 K/W 2 Der Basisring besitzt eine Oberfläche von ca. OB=0,3 m zur umgebenden Luft. Daraus folgt für den Wärmeübergangswiderstand: .
.
.
R50=1/(OB.α)=0,22 K/W (2.271) 2 Der Basisring hat eine Ringfläche von AB = 0,2 m . Die Höhe des zylinderförmigen Querschnitts ist die Basisringhöhe HB = 0,17 m. Daraus folgt der Wärmewiderstand R56= HB/(AB.λFe)≅ 0,02 K/W (2.272) Derselbe Wert kann für den Wärmeübergang durch das Lager (verringerter Querschnitt für die Wärmeleitung durch die Wälzkörper) und in den Tisch hinein angesetzt werden. R67≅ R56
(2.273)
2.7 Modellbildungsbeispiel direktangetriebene Rundachse
195
Der Wärmewiderstand vom Blechpaket durch den Luftspalt in den Außenläufer kann durch die Luftspaltfläche AL=0,1 m2 und die Luftspalthöhe δ=1 mm abgeschätzt werden:
R28= δ/(AL.λL)=0,3 K/W
(2.274)
Für den Wärmewiderstand durch den Außenläufer in den Tisch kann eine mittlere Querschnittsfläche von AA=0,01 m2 bei einer mittleren Länge des "Wärmeleiters" von ca. LA=0,2 m angesetzt werden: R78= LA/(AA λFe)=0,4 K/W .
(2.275)
Schließlich ist noch der Wärmeübergangswiderstand des Tisches an die Umgebungsluft zu ermitteln. Der Tisch besitzt eine Oberfläche von ca. OT = 0,3 m2 zur umgebenden Luft. Daraus folgt für den Wärmeübergangswiderstand:
R70=1/(OT.α)=0,22 K/W.
(2.276)
3 Quantitatives Modell / 4 Gleichungen aufbereiten Das physikalische Modell in Abb. 2.64 könnte analog zu Abb. 2.13 als Blockschaltbild von acht Einzelkörpern dargestellt werden. Da dies bereits erheblichen Implementierungsaufwand erzeugt, bietet sich hier eher die Darstellung in Matrizenform nach Gl. (2.36) und daraus abgeleitet die Zustandsraumdarstellung gemäß Gl. (2.38) an. Der Temperatur – bzw. Zustandsvektor lautet: ϑ = (ϑ10, ϑ20, ϑ30, ϑ40, ϑ50, ϑ60, ϑ70, ϑ80)T
(2.277)
Für den Leistungsvektor gilt: P = (PVel, PVum, 0, 0, 0, PVR, 0, 0)T
(2.278)
Die Leitwertmatrix ist mit den Leitwerten Gij=1/Rij:
G= § G 12 ¨ ¨ − G12 ¨ 0 ¨ ¨ 0 ¨ ¨ 0 ¨ 0 ¨ ¨ 0 ¨ 0 ©
− G12
0
0
0
0
0
G12 + G 28 + G 23
− G 23
0
0
0
0
− G 23
G 23 + G 34 + G 30
− G 34
0
0
0
0
− G 34
G 34 + G 45 + G 40
− G 45
0
0
0
0
− G 45
G 45 + G 56 + G 50
− G 56
0
0
0
0
− G 56
G 56 + G67
− G67
0
0
0
0
− G67
G67 + G78 + G70
− G 28
0
0
0
0
− G78
0
· ¸ ¸ ¸ 0 ¸ 0 ¸ ¸ 0 ¸ ¸ 0 ¸ − G78 ¸ G 28 + G78 ¸¹ − G 28
(2.279)
196
2 Modellbildung
Die Kapazitätsmatrix lautet: § C10 ¨ ¨ 0 ¨ 0 ¨ ¨ 0 C =¨ ¨ 0 ¨ 0 ¨ ¨ 0 ¨ 0 ©
0
0
0
0
0
0
C20 0
0 C30
0 0
0 0
0 0
0 0
0
0
C40
0
0
0
0 0
0 0
0 0
C50 0
0 C60
0 0
0 0
0 0
0 0
0 0
0 0
C70 0
0 · ¸ 0 ¸ 0 ¸ ¸ 0 ¸ ¸ 0 ¸ 0 ¸ ¸ 0 ¸ C80 ¸¹
(2.280)
Mit Gl. (2.39) und Gl. (2.40) können Zustandsmatrix A und Eingangsmatrix B bestimmt werden.
2.8 Modellbildungsbeispiel Schleifmaschine Am Prototyp einer Spitzenlos-Schleifmaschine für das Durchgangs- und Einstechschleifen soll die Modellierung mittels Starrkörpern gezeigt werden. In Kap. 3.6 werden dann die aus diesem Modell erhaltenen Simulationsergebnisse dargestellt und diskutiert.
Maschinenaufbau Das patentierte Maschinenkonzept (Tschudin ECOLINE) für die spitzenlose Rundschleifmaschine für das Durchgangs und Einstechschleifen beliebiger Werkstücke ist in Abb. 2.65 neben dem Bild des Prototypen dargestellt. Der Aufbau besteht aus einer ersten angetriebenen Positionierachse XS für den Schleifspindelstock (2) mit einer Schleifscheibe (1) und eine
"
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& %
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4
#
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Abb. 2.65. Konzept des Maschinenaufbaus, untersuchter Prototyp (Werkfoto Tschudin, CH-Grenchen)
2.8 Modellbildungsbeispiel Schleifmaschine
197
zweite parallel zur Positionierachse XS verlaufende angetriebene Positionierachse XR für einen Regelspindelstock (4) mit einer Regelscheibe (3). Die Positionierachsen XS und XR sind rechtwinklig zu den Rotationsachsen (5, 6) der Schleifscheibe (1) und der Regelscheibe (3) angeordnet. Zwischen Schleifspindelstock (2) und dem Regelspindelstock (3) sind auf einem Schlitten (12) eine Werkstückauflage (7) und eine beidseitig wirksame Abrichtvorrichtung (9) angeordnet. Der Schlitten (12) ist in einer rechtwinklig zu XS und XR verlaufenden angetriebenen Positionierachse YW auf der Schlittenbahn (13) verstellbar. Durch die Integration der Abrichtbewegungen der Schleif- und Regelscheibe in einen gemeinsamen Schlitten kann die Zahl der gesamthaft erforderlichen Maschinenachsen reduziert, die Gesamtgröße der Maschine d.h. der Basisplatte (14) verringert und somit erheblich an Kosten gespart werden. Für die Simulation wurde das Verhalten der Positionierachsen der Schleif- und Regelscheibe XS und XR untersucht, da das Bewegungsverhalten der Bewegungsachse YW als unkritsch erachtet werden kann (sehr kompakter Aufbau, geringe Dynamik, untergeordneter Einfluss auf die Werkstückgeometrie). Daraus resultiert der schematische Starrkörperaufbau in Abb. 2.66. Ein Grundriss der Maschine mit der Anordnung der verschiedenen Komponenten ist in Abb. 2.67 dargestellt. Die drei Stellelemente stellen die Anbindung zum Inertialsystem dar. Die Wälzführungseinheiten (WFEs) verbinden die Schlitten mit der Basisplatte, wobei die Freiheitsgrade in Bewegungsrichtung durch die geregelten Antriebe gesperrt werden. Zwischen den Schlitten und den parallel angeordneten, rotierenden
Z
S c h le ifs c h e ib e n S c h litte n
R e g e ls c h e ib e n s c h litte n
Y X S c h le ifs c h e ib e
R e g e ls c h e ib e
B a s is p la tte
Abb. 2.66. Schematischer Aufbau der Körper der Maschinenstruktur
198
2 Modellbildung S te lle le m e n t 1
W F E s
R e g e lS c h e ib e n w e lle W F E s
S c h le ifs c h e ib e n w e lle
S c h le ifs c h e ib e n s c h litte n
X
X S
R e g e ls c h e ib e n s c h litte n R
L e s e k o p f L e s e k o p f S
A n tr ie b
S te lle le m e n t 3
T C P S
W F E s
S c h le ifs c h e ib e
R
R e g e lS c h e ib e
W F E s
A n tr ie b R
B a s is p la tte S te lle le m e n t 2
Abb. 2.67. Anordnung der Antriebe, Messsysteme und Führungen, Grundriss
Wellen werden je vier radiale, eine axiale und einer rotative Steifigkeit zur Nachbildung der Lagerungen bzw. der Spindelantriebe verwendet. Die Position der Leseköpfe und die Lagen der Kraftein-leitungen der Linearmotoren sind ebenfalls dargestellt. Wie zu erkennen, fluchten die Antriebe mit der Lage des angenommenen TCP, während die Leseköpfe hierzu seitlich versetzt, in der Mitte der Führungen angeordnet sind. Abbildung 2.68 zeigt den Seitenriss der untersuchten Konfiguration. Der TCP wird an der Peripherie der Schleifscheibe auf Höhe des Zentrums angenommen. Für die Ergebnissdarstellung wird die Verlagerung dieses Punkts der Schleifscheibe im Regelscheibenkoordinatensystem verwendet. Hierbei ist insbesondere die auftretende horizontale Relativverlagerung von Interesse. T C P
X S c h w e rp u n k t L e s e k o p f
X S
R
S c h w e rp u n k t S
L e s e k o p f S
A n tr ie b S
B a s is p la tte
A n tr ie b
R
R
R
Abb. 2.68. Anordnung der Antriebe, Messsysteme und Führungen, Seitenriss
2.8 Modellbildungsbeispiel Schleifmaschine
199
Tabelle 2.12 zeigt die Modellparameter, deren Zusammensetzung nachfolgend erläutert wird. Tabelle 2.12. Modellparameter
Parameter Aufstellung: kStellelement, horizontal kStellelement, vertikal dStellelement, horizontal dStellelement, vertikal Maschinenkomponenten: MSchleifscheibe ISchleifscheibe,xx , ISchleifscheibe,zz ISchleifscheibe,yy MRegelscheibe IRegelscheibe,xx , IRegelscheibe,zz IRegelscheibe,yy MBasisplatte IBasisplatte,xx IBasisplatte,yy IBasisplatte,zz MSchleifschlitten ISchleifschlitten,xx ISchleifschlitten,yy ISchleifschlitten,zz MRegelschlitten IRegelschlitten,xx IRegelschlitten,yy IRegelschlitten,zz Führungen: kvertikal khorizontal dhorizontal, dhorizontal FReib, WFE Spindellagerungen: kvertikal,z khorizontal,x, khorizontal,y khorizontal,rotativ Motor- und Reglerparameter: Fmaximal TI,geregelt Kv,Schleifschlitten, Kv,Regelschlitten Kp,Schleifschlitten, Kp,Regelschlitten TN,Schleifschlitten, TN,Regelschlitten kAntrieb,Ersatz
Wert
35 N/µm 250 N/µm m 23 kNs/m 60 kNs/m 135 kg 2 3.1 kgm 2 1 kgm 70 kg 2 1.6 kgm 2 0.2 kgm 3300 kg 2 560 kgm 2 960 kgm 2 1480 kgm 425 kg 2 16 kgm 2 27 kgm 2 32 kgm 390 kg 2 14 kgm 2 23 kgm 2 27 kgm 1200 N/µm m 1300 N/µm m 3000 Ns/m 50 N 4000 N/µm m 4000 N/µm m 1000 Nm/µrad rad (•starr) 3000 N 2 ms -1 130 s 280’000 Ns/m 30 ms 36.4 N/µm m
200
2 Modellbildung
1 Vorgaben sammeln Tabelle 2.12 zeigt die Modellparameter, deren Zusammensetzung nachfolgend erläutert wird: Aufstellung Die Aufstellung erfolgt durch drei rohrförmige Beine, wie in Abb. 2.65 zu erkennen. Als Ersatzsteifigkeiten wurden hier nur die translatorischen Komponenten verwendet, da die Basisplatte nur als aufliegend betrachtet wird und Momente somit nicht übertragen werden sollten. Die Ersatzsteifigkeiten resultieren aus dem Beinquerschnitt, der Länge und aus einer angenommenen Steifigkeit des Fundamentes der Aufstellung. Die Dämpfung wurde gemäß Lehr’schem Dämpfungsmaß (relative Dämpfung 5%, Gesamtgewicht der Maschine 4400 kg) abgeschätzt. Maschinenkomponenten Für die Massen und Trägheiten der Basisplatte der Schlitten und der Scheiben konnte auf CAD-Angaben zurückgegriffen werden. Durch die sehr einfache Geometrie zeigt die Nachbildung der Körper durch Quader und Zylinder sehr ähnliche Resultate. Als Materialien wird Naturgranit, Stahl und Schleifscheibenmaterial verwendet, wofür jeweils Angaben zur Dichte zur Verfügung stehen. Die rotationssymmetrischen Körper, die Schleif- und die Regelscheibe werden aufgrund ihrer Dichte und Ausdehnung als Vollmaterial modelliert. Es resultieren die in Tabelle 2.12 aufgeführten Werte. Linearführungen Gemäß Herstellerangaben werden die Werte in Tabelle 2.12 angesetzt. Für die vertikale Steifigkeit wird die Steigung der Tangente des KraftDeformations-Diagramms bei Zugbelastung nahe dem Nullpunkt verwendet, um den worst-case (minimale Steifigkeit) nachzubilden. Die Wälzführungseinheiten, die zur Aufnahme der Passivkräfte der Linearmotoren üppig dimensioniert sind, weisen je Wälzführungseinheit einen gemessenen Verschiebewiderstand von 50 N auf, der als externe trockene Gleitreibungskraft in der Simulation berücksichtigt werden muss. Die Auswirkung dieser Reibungskräfte in einem seitlichen Abstand zur Motorkraft wird im Kap. 3.6 erläutert. Für die Dämpfung in Querrichtung der Linearführung wurde horizontal und vertikal jeweils 3000 Ns/m angenommen, was einer relativen Dämpfung von weniger als 0.5% entspricht. Spindellagerung Für die Steifigkeitswerte der Spindellagerung konnte auf Steifigkeitsmessungen am Prototypen zurückgegriffen werden. Die Lagerungen der Schleif- und der Regelscheibe wurden als paarweise horizontale und vertikale Steifigkeiten im Abstand von 200 mm nachgebildet. Grundsätzlich ist auch für die Vorgabe der Steifigkeit von rotativen Lagerungen auf
2.8 Modellbildungsbeispiel Schleifmaschine
201
Herstellerangaben zurückzugreifen (INA 2005). Wichtig ist hierbei in jedem Fall der Einfluss der Anschlusskonstruktionen. Für die Berechnung der Steifigkeit von rotativen Lagern finden sich detaillierte Angaben in (Pruvot 1993). Hierbei wird, ausgehend vom Wälzkontakt der einzelnen Wälzkörper in Abhängigkeit von den lokalen Kontaktverhältnissen die Lagersteifigkeit für Lager mit Zylindern, Kugeln und Kegeln als Wälzkörper abgeschätzt. Allerdings beeinflussen die Lagergeometrien und die vorliegende Vorspannung die Ergebnisse erheblich, sodass die Unsicherheit der so erhaltenen Steifigkeitswerte zu berücksichtigen ist.
Motor- und Reglerparameter Für die Regelung der beiden Linearantriebe wurden die in Kap. 4 hergeleiteten Einstellparameter als Ausgangswerte für die simulative Inbetriebnahme verwendet. Für die Steifigkeit im Prozesspunkt (Steifigkeit von Schleifscheiben und Werkstück seriell verkettet) wurde 100 N/µm m ang angenommen.
R e g e ls c h e ib e
R e g e ls c h e ib e n S c h litte n
S c h le ifs c h e ib e
S c h le ifs c h e ib e n S c h litte n
B e tt
Messsystem Die Anordnung der verwendeten Glasmaßstäbe konnte anhand von CADDaten nachvollzogen werden und wurde in die Messmatrix integriert. Auf eine Nachbildung von Quantisierungen der Maßstabswerte wurde verzichtet, obwohl infolge der Zustellbewegungen im Sub-µm-Bereich dies eventuell sinnvoll sein könnte.
B e tt L a g e ru n g S c h le ifs c h e ib e
S c h le ifs c h e ib e n S c h litte n S c h le ifs c h e ib e R e g e ls c h e ib e n S c h litte n
P ro z e s s
R e g e ls c h e ib e L a g e ru n g R e g e ls c h e ib e
Abb. 2.69 Schematischer Aufbau der Systemsteifigkeitsmatrix der SpitzenlosSchleifmaschine. Die ggf. besetzten Bereiche der Matrix sind grau hinterlegt. Die Kopplung über den Prozess ist speziell gekennzeichnet
202
2 Modellbildung
2 Wirkzusammenhänge ergründen Die resultierende Systemsteifigkeitsmatrix ist in Abb. 2.69 dargestellt. Die Kopplung durch den Prozess wurde für die Simulation zunächst nicht durchgeführt, kann jedoch für die Untersuchung im Frequenzbereich leicht berücksichtigt werden. 3 Quantitatives Modell / 4 Gleichungen aufbereiten Das resultierende mathematische Modell ist – bereits als Blockschaltbild in Simulink implementiert – in Abb. 2.70 dargestellt. Zu erkennen ist der Zusatzblock Reibung, der die Reibungskräfte der Führung wiedergibt, die als zusätzliche Eingangsgrößen in die Zustandsdarstellung eingeführt werden. Da das Lagemesssystem in der Mitte der beiden Linearführungen angebracht ist, kann als Näherung die dort auftretende Geschwindigkeit als Basis der Berechnung der gesamthaften Reibung in Verfahrrichtung verwendet werden. Als externe Last wird ein an Schleif- und Regelscheibe entgegengesetzt wirkender Kraftsprung aufgebracht. A n tr ie b _ S [ts o ll,x s o ll1 ]
S _ S o ll_ x S _ Is t_ x
S ta te -S p a c e S _ M o t_ F
x ' = A x + B u y = C x + D u
S _ Is t_ v A n tr ie b _ R [ts o ll,x s o ll2 ]
R _ Is t_ x
R e ib u n g R S S
R _ S o ll_ x
R S
w e rte
R _ M o t_ F
In 1 R R S
R _ Is t_ v
T C P x y x
Abb. 2.70. Blockschaltbild (Simulink Modell) der Spitzenlos-Schleifmaschine
Die Regelstruktur wird im Sinne der Übersichtlichkeit vereinfacht nachgebildet (Abb. 2.71), da hier die mechanischen Fragestellungen im Vordergrund stehen.
2.8 Modellbildungsbeispiel Schleifmaschine K p v
K v 1
1
S _ S o ll_ x
1
T .s + 1 1 2
s
S _ Is t_ x
203
-K -
F m a x
S _ M o t_ F
S _ Is t_ v 3
Abb. 2.71. Blockschaltbild (Simulink Modell) zum Antrieb des Schleifscheibenschlittens
In Kap. 3.6 werden die Simulationsergebnisse diskutiert, die anhand des oben dargestellten Modells erhalten wurden.
3 Simulation
Zur Simulation der im vorherigen Kap. hergeleiteten Modelle werden Softwarewerkzeuge benötigt, die die Differentialgleichungen des betrachteten Modells lösen und die Lösungen anschaulich darstellen können. Zunächst wird in Abschn. 3.1 ein Überblick zum grundsätzlichen Aufbau dieser Werkzeuge und zu den heute gängigen Produkten gegeben. Hier sollen die wesentlichen Eigenschaften und Lösungsalgorithmen dargestellt werden, um dem praktischen Ingenieur das für die effiziente Anwendung erforderliche Verständnis zu erleichtern. In diesem Rahmen ist es nicht möglich oder sinnvoll, die mathematisch-numerischen Methoden oder die softwareinternen Daten- und Schnittstellenstrukturen detailliert zu erläutern. Obgleich es viele – im Einzelfall oft eher an die konkrete Problemstellung angepasste – kommerzielle Simulationswerkzeuge gibt, hat sich zunächst im Hochschulbereich und inzwischen in der industriellen Entwicklung das Simulationswerkzeug MATLAB©/Simulink© als „Quasi-Standard“ etabliert. Mittlerweile gibt es verschiedene Lehrbücher (Hoffmann 2000, Angermann et al. 2002, Beucher 2002, Biran u. Breiner 1995) sowie hervorragend dokumentierte – teils animierte – Einführungen zu diesem Werkzeug im Internet (Mathworks 2004). Durch die Anwendungsbreite und die inzwischen stark gestiegene Komplexität der aktuellen Softwareversionen ist die Einarbeitung anhand der vorhandenen Literatur und Produktunterlagen jedoch aufwändig. Daher wird in Abschn. 3.2 eine speziell auf die Bedürfnisse der antriebstechnisch-mechatronischen Aufgabenstellungen beschränkte Einführung in MATLAB/ Simulink ausgeführt. Inzwischen existieren für viele Branchen und Anwendungsgebiete spezielle Toolboxen mit vorgefertigten Modellen. Soweit für Werkzeugmaschinen und Roboter sinnvoll, werden diese fortgeschrittenen Toolboxen und die möglichen Erweiterungen bzw. Schnittstellen zu weiteren Softwarewerkzeugen in Abschn. 3.3 dargestellt. Es genügt jedoch der Funktionsumfang der Studentenversion (MATLAB Student Edition mit Simulink und Symbolic Math Toolbox) völlig, um die hier behandelten antriebstechnisch-mechatronischen Fragestellungen zu bearbeiten. Anschließend wird die Modellimplementierung, Simulation und Ergebnisaufbereitung anhand der Modellbildungsbeispiele aus den Kap. 1 und 2 beispielhaft ausführlich erläutert. Anwender, die bereits über Erfahrung im Einsatz von MATLAB/Simulink verfügen, dürften diese Beispiele
206
3 Simulation
alleine ausreichen, um das Werkzeug auf mechatronische Aufgabenstellungen anzuwenden.
3.1 Simulationswerkzeuge In diesem Abschn. werden die grundsätzliche Funktionsweise eines Simulationswerkzeuges und die wesentlichen numerischen Integrationsalgorithmen sowie die Anforderungen an die Integrationsschrittweite der numerischen Simulation anhand der bekannten Systemzeitkonstanten aufgezeigt. Die rechnergestützte Simulation dynamischer Systeme basiert auf der numerischen Lösung von Differentialgleichungen. Anhand der Randbedingungen (Anfangswerte der Zustandsgrößen) und der Eingangsgrößen kann das Zeitverhalten eines Systemes berechnet und dargestellt (simuliert) werden (Abb. 3.1). Die ersten Werkzeuge zur numerischen Lösung von Differentialgleichungen waren rein mechanische und elektromechanische Modelle. Die Differentialgleichungen wurden mechanisch durch bewegte Massenträgheiten, Seilwinden, Pendel und Getriebestufen nachgebildet1. Die damit bearbeitbare Systemordnung war durch den materiellen Aufwand limitiert. Die Genauigkeit war durch die Reibung begrenzt. Zudem bedeutete die Implementierung eines neuen Modells umfangreiche mechanische Umbauarbeiten. Mit der Einführung elektronischer Halbleiterelemente, vor allem dem Operationsverstärker, wurden Analogrechner möglich, mit denen eine Differentialgleichung durch elektrische Größen nachgebildet werden konnte. Systemordnung, Genauigkeit und Geschwindigkeit konnten derart gesteigert werden, dass Analogrechner bis in die 80-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts eingesetzt wurden. Mit der zunehmenden Leistungsfähigkeit der Digitalrechner entstanden Programme zur numerischen Lösung von Differentialgleichungen ohne Begrenzung der Ordnung sowie mit hoher Genauigkeit. Daraus entwickelten sich die ersten Simulationswerkzeuge (Beetz 2000) mit einer Funktionalität gemäß Abb. 3.1, deren zeilenorientiertes Eingabeformat jedoch noch wenig komfortabel war. In dieser Zeit war zur rechnergestützten Simulation dynamischer Systeme ein erheblicher Aufwand für die Implementierung der
1
Eindrucksvolle Beispiele solcher mechanischer Modelle sind der Manchester University Differential Analyser (1962) sowie der erste Differential Analyser von V. Bush am MIT in Boston (1936), die im London Science Museum ausgestellt sind.
3.1 Simulationswerkzeuge M o d e llb e s c h r e ib u n g ( z .B . B lo c k s c h a ltb ild , Ü b e r tr a g u n g s fu n k tio n )
Im p le m e n tie r u n g
207
M o d e llp a r a m e te r S im u la tio n s p a r a m e te r A n fa n g s b e d in g u n g e n N u m L ö s u D iffe g le ic
e r is c h e n g d e r r e n tia lh u n g e n
E r g e b n is d a r s te llu n g
S im u la tio n s w e r k z e u g
Abb. 3.1. Funktionalität eines Simulationswerkzeuges
entsprechenden Modelle und Lösungsalgorithmen notwendig. Das Beispiel im nachfolgenden Abschn. zeigt, welchen Implementationsaufwand bereits das Simulieren eines einfachen RL-Gliedes in einer höheren Programmiersprache erzeugt. Erst in den 90-er Jahren wurden grafische Eingabeformate entwickelt, die die Implementierung von Modellen deutlich vereinfacht haben. Zur Simulation dynamischer Systeme existieren heute verschiedene rechnergestützte Hilfsmittel mit einer Funktionalität gemäß Abb. 3.1, die es dem Ingenieur erlauben, seine Arbeit auf die Modellbildung und die Auswertung der Simulationsergebnisse zu konzentrieren. Bei allem Fortschritt der Softwarewerkzeuge und ihrer Benutzerführung kann es bei „ungeschickter“ Wahl der Modell- oder Simulationsparameter dennoch zu numerischen Problemen kommen – der Rechner gibt Zahlen aus, die offensichtlich, oder bei näherer Untersuchung nicht korrekt sind. Daher ist ein Grundverständnis der rechnergestützten Simulation auch für den reinen Anwender wichtig im Sinne eines effizienten Einsatzes. 3.1.1 Rechnergestützte Simulation dynamischer Systeme Die umfängliche Darstellung der numerischen Integrationsalgorithmen zur Lösung von Differentialgleichungen, die in rechnergestützten Simulationswerkzeugen implementiert sind, ist hier nicht beabsichtigt. Der interessierte Leser sei dazu auf die weiterführende Literatur verwiesen (Bronstein 1987, Feindt 1999). Beispielhaft soll hier gezeigt werden, wie der Zeitverlauf des Stromes beim Einschalten einer Spannung an einer Kupferspule (auch widerstandsbehaftete Induktivität oder RL-Glied genannt) mit einer höheren Programmiersprache simuliert werden kann:
208
3 Simulation U R
R U
L U
0
U L
I
Abb. 3.2. Elektrische Größen am RL-Glied
Aus der Maschenregel U (t ) = R ⋅ I (t ) + L ⋅
d I (t ) dt
(3.1)
ergibt sich durch analytische Integration: I(t) =
t
t
³
³
1 R U(t)dt − ⋅ I(t)dt L 0 L0
(3.2)
Basierend auf der Rechteckintegration (siehe Abb. 3.3 a) können die Integralterme als Summen mit der Integrationsschrittweite T ausgedrückt werden: I(kT) = I(k) =
k
k
1 L
¦U(i ⋅ T) ⋅ T − L ⋅ ¦ I(i ⋅ T) ⋅ T
1 L
¦U(i) ⋅ T − L ⋅ I(k) ⋅ T − L ⋅ ¦ I(i) ⋅ T
R
i =1
bzw.
k
i =1
R
R
i =1
k-1
(3.3)
i =1
Dabei ist k die Zählvariable, die ausdrückt, wie viele Integrationsschritte bereits durchgeführt wurden bzw. wie weit die Simulation schon berechnet wurde. a )
b )
T
U (t)
t T
U (t)
t
Abb. 3.3. Integrationsverfahren: a) Rechteckintegration – b) Trapezintegration
3.1 Simulationswerkzeuge
209
Durch Umformung nach I(k) folgt
1 L
k
R
k-1
¦U(i) ⋅ T − L ⋅ ¦ I(i) ⋅ T
i =1 = R 1 + ⋅T L k-1 k- 2 1 R U(i) ⋅ T − ⋅ I(i) ⋅ T U(k) ⋅ T − R ⋅ T ⋅ I(k-1 ) L i =1 L i =1 L L + R R 1 + ⋅T 1 + ⋅T L L
I(k) =
¦
i =1
¦
U(k) ⋅ T R ⋅ T ⋅ I(k-1 ) − L L bzw. I(k) = I(k − 1 ) + R 1 + ⋅T L
(3.4)
Gl. (3.4) ist als Lösungsalgorithmus in einer höheren Programmiersprache implementierbar (z.B. C, Pascal, Basic, MATLAB oder Fortran). Auch mit Hilfe einer einfachen Excel-Tabelle könnte man den Stromverlauf gemäß Gl. (3.4) berechnen. In Abb. 3.4 sind die Ergebnisse der numerischen Lösung gemäß Gl. (3.4) für verschiedene Integrationsschrittweiten der analytischen Lösung gegenübergestellt. Dabei wurde ein Spannungssprung von 0 V auf 10 V bei Bauteilwerten von R=1 Ohm und L=1 mH vorausgesetzt. Der Vergleich der Ergebnisse für sprungförmige Eingangsspannung U(t) mit der analytischen Lösung der Differentialgleichung in Abb. 3.4 zeigt deutlich, dass kleine Integrationsschrittweiten T besonders präzise Ergebnisse ermöglichen. Auch ist die Konvergenz, d.h. die numerische Stabilität der Simulationsresultate bei ausreichend kleinen Integrationsschritten mit großer Sicherheit gewährleistet. Die Rechenzeit steigt allerdings mit kleinen Integrationsschrittweiten an, so dass sich für die Simulationspraxis allgemein folgende Regel angeben lässt: Die Integrationsschrittweite T sollte deutlich kleiner (1/5..1/20) als die kleinste Zeitkonstante des Modells sein Zeitkonstanten sind neben den Systemzeitkonstanten (elektrisch, thermisch, mechanisch, hydraulisch) auch Totzeiten und Abtastzeiten. Bei stark nichtlinearen Einflüssen (z.B. schaltende Regler, Reibung, Sättigung, Quantisierung etc.) müssen u.U. noch kleinere Integrationsschrittweiten vorgesehen werden. Im obigen Beispiel ist die kleinste Zeitkonstante die elektrische Zeitkonstante des RL-Gliedes mit Tel=L/R=1 ms. Damit sind
210
3 Simulation 11 U(t)
10 analytisch ermittelt
9 8
I(t) für
T=0.1ms
T=2ms T=1ms
I in A, U in V
7
T=0.5ms
6 5
T=0.2ms
4 3 2 1 0
0
2
4
6 t in s
8
10 −3
x 10
Abb. 3.4. Numerische Ermittlung des Stromverlaufes an einem RL-Glied bei sprungförmiger Eingangsspannung für verschiedene Integrationsschrittweiten T
für Integrationsschrittweiten T> a=2; Æ der Variablen a wird der Wert 2 zugewiesen § 1· ¨ ¸ ¨ 3¸ >> a=[1 3 4 2];Æ a = ¨ ¸ Zeilenvektor 4 ¨ ¸ ¨ 2¸ © ¹ >> a=[1;3;4;2];Æ a = (1 >> A=[1 3 4 2;0 1 0 0; §1 ¨ Æ A = ¨0 ¨4 ©
3 4 2 ) Spaltenvektor 4 80 5 0]; 3 4 2· ¸ 1 0 0 ¸ 4×3-Matrix 80 5 0 ¸¹
Zeilenvektoren (z.B. zur Erzeugung einer Werte- oder Zeitbasis) können linear mit >> T=0:0.1:10; Æ 101 Elemente, Schrittweite 0,1 und mit logarithmischer Teilung mit >> T=logspace(-4,1,100); -4 1 Æ 100 Elemente, Wertebereich von 10 bis 10 erzeugt werden. Der Abschluss einer Eingabe mit dem Semikolon (;) unterdrückt die Quittierung der Eingabe. Mit „whos“ zeigt MATLAB eine Liste der bekannten Variablen und deren Größe (Zahl, Vektor oder Matrix) an. Dieser Befehl ist eine große Hilfe bei der Fehlersuche, da man auf einen Blick sieht, ob eine Variable überhaupt bekannt bzw. definiert ist und ob die bei der Simulation entstehenden Ergebnisvektoren auch die passende Länge haben, etc. Mathematische Operationen werden mit den elementaren Operatoren oder dem entsprechenden Funktionsbefehl und der Übergabe von Funktionsparametern ausgeführt:
216
3 Simulation
>> a=b+c; ..b-c; ..b*c; ..b/c; Æ Addition, Subtraktion, Multiplikation, Division 2 >> a=x^2; Æa=x b >> a=exp(b); Æa=e 1/2 >> a=sqrt(b); Æ Wurzel-Funktion a = x >> a=cos(b); Æ Cosinus-Funktion >> a=atan(y/x); Æ Arcuscosinus-Funktion >> a=min([1 4 5 6 2]); ..max(); Æ Minimum- und Maximumfunktion Für die Behandlung von Matrizen stehen ebenfalls umfangreiche Funktionsbibliotheken zur Verfügung: >> B=inv(A); Æ Inverse Matrix B=A-1 >> B=det(A); Æ Determinante von A T >> B=A‘; Æ Transponierte B=A >> b=A*a; Æ Matrizenmultiplikation Die Funktionen „length(a)“ und „size(A)“ geben die Länge des Vektors a bzw. die Zahl der Spalten und Reihen der Matrix A als Ergebnis aus. Zur graphischen Darstellung von Vektoren mit linearer Achsskalierung dient die „plot“-Funktion. Im nachfolgenden Beispiel wird ein Zeitvektor T und ein dazugehöriger Wertevektor X eingegeben und mit einer schwarzen durchgezogenen Linie in einem Diagramm dargestellt (Abb. 3.7). Die Funktionen „xlabel“, „ylabel“ und „title“ erlauben die Beschriftung des Diagramms. Der Befehl „axis“ erlaubt die Definition der darzustellenden Wertebereiche der Achsen. >> >> >> >> >> >> >> >>
T=0:1:14; X=[0 1 2 3 2 3 4 5 6 4 2 3 1 0 4] ; figure(1); plot(T,X,‘k‘); xlabel(‘t in s‘); ylabel(‘x in mm‘); title(‘Darstellung Weg-Zeit-Diagramm‘); axis([0 10 –1 7]);
Logarithmische Achsskalierungen können mit den Funktionen „semilogx“, „semilogy“ und „loglog“ erzeugt werden. Räumliche Darstellungen von Ergebnissen (z.B. aus Parameterstudien) sind mit den Funktionen „plot3“, „mesh“ und „surf“ möglich. Sollen mehrere Darstellungen gleichzeitig am Bildschirm behandelt werden, so sind die Darstellungen mit „figure(x)“ mit der Nummer x zu kennzeichnen. Ohne die Kennzeichnung der entsprechenden Darstellung beziehen sich alle Darstellungsfunktionen auf die letzte definierte Darstellung (figure(1), wenn keine weiteren Darstellungen definiert wurden).
3.2 Einführung in MATLAB©/Simulink©
217
Darstellung Weg−Zeit−Diagramm 7 6 5
x in mm
4 3 2 1 0 −1
0
2
4
6
8
10
t in s
Abb. 3.7. MATLAB-Plot
Die Darstellungen können über den Menü-Befehl „Edit/Copy Model“ an der MATLAB-Grafik und den Befehl „Einfügen“ in Textverarbeitungsprogramme importiert und dort als Grafik behandelt werden. Alternativ dazu können diese Grafiken auch in verschiedene Datenformate exportiert und zwischengespeichert werden (z.B. *.eps). Mit den Befehlen „load“ und „save“ können z.B. ASCII-Dateien imund exportiert werden. 3.2.2 Script-Dateien und Funktionen MATLAB stellt einen ASCII-Editor zur Verfügung, in dem Befehlsfolgen editiert werden können. Diese Befehlsfolgen werden als so genannte Script-Dateien (Erweiterung „*.m“, daher auch „M-File“ genannt) abgespeichert und stehen in der MATLAB-Workspace als Befehle zur Verfügung. Der Aufruf erfolgt ohne die Erweiterung „*.m“. Es können zum Editieren der Script-Dateien auch andere Editoren (z.B. unter DOS oder Windows-Zubehör) eingesetzt werden, wobei darauf zu achten ist, dass sich die Script-Dateien im aktuellen MATLABVerzeichnis befinden. Dieses Verzeichnis kann in der MATLABWorkspace mit dem Menüpunkt File/Set_Path oder mit dem „path“Befehl definiert werden. Die Script-Dateien erleichtern einerseits die interaktive Eingabe. Andererseits ermöglichen sie zusammen mit den Schleifen „while“, „for“ und den Verzweigungen „if“, „else“ die Erstellung vollwertiger Simulations- und Ausgabeprogramme. Die Programmierung erfolgt ähnlich wie
218
3 Simulation
bei einem Compiler für höhere Programmiersprachen (z.B. C++), wobei aus Script-Dateien in der Regel keine ausführbaren (.EXE-) Programme generiert werden. Die Script-Dateien werden lediglich von MATLAB interpretiert. Daher laufen größere Rechenoperationen langsamer ab als bei einer Implementierung in C. MATLAB bietet die Möglichkeit, C-Code zu integrieren, um Simulationszeit zu optimieren (Mathworks 2004). Mit der inzwischen verfügbaren Prozessorleistung wird dies jedoch kaum mehr erforderlich. Andererseits können MATLAB-Programme auch in ausführbare Dateien umgewandelt werden und so auf Rechnern ohne installierte MATLAB-Version ablaufen. Für die Simulation mit MATLAB/Simulink hat sich folgender Aufbau von Script-Dateien als nützlich erwiesen: • • • • •
Kopf mit Namen, Zweck/Kurzbeschreibung, ggf. Ersteller/Datum Definition der Modellparameter, Reglereinstellungen, Sollgrößen Definition der Simulationsparameter Simulationssteuerung, ggf. über Schleifen Auswertung und Darstellung der Simulationsergebnisse
Mit „%“ können Kommentare in die Script-Datei eingefügt werden, da MATLAB die Zeichen dahinter ignoriert. Auf die gleiche Weise können Teile der Script-Datei schnell und einfach aktiviert bzw. inaktiviert werden. Wie im Umgang mit höheren Programmiersprachen ist auch bei der Script-Datei-Programmierung die Kommentierung sehr wichtig, um längere Abläufe und Algorithmen les- und editierbar zu halten. Tipp: Jeder Modellparameter sollte mit einem kurzen, formelzeichennahen Namen definiert und mit einem Kommentar dahinter bezüglich Einheit und Bedeutung des Parameters beschrieben werden. Beispielsweise sollte der Wicklungswiderstand einer Motorwicklung, der bei Raumtemperatur den Wert 2,5 Ω hat, folgendermaßen definiert werden: „R=2.5;
% Ohm Wicklungswiderstand“
Auf diese Weise ist auch nach längerer Unterbrechung der Simulationsarbeit oder bei Übergabe der Modelle an einem Kollegen sofort klar, um welchen Parameter es sich handelt und welche Einheit daraus interpretiert wird. Neben Befehlsfolgen können auch Funktionen definiert werden, die Ergebnisse an die MATLAB-Workspace zurückliefern. Im Prinzip sind alle MATLAB-Befehle solche Funktionen, die wiederum aus gemeinsam genutzten Unterfunktionen zusammengesetzt sind. Damit kann der Anwender eigene Befehls-Funktionen generieren, um z.B. immer wiederkehrende aufwändige Darstellungen zu ermöglichen o.ä.
3.2 Einführung in MATLAB©/Simulink©
219
Nicht im Funktionskopf übergebene Variable müssen als globale Variable in der MATLAB-Workspace und in der Funktion definiert werden, um innerhalb der Funktion verwendet werden zu können. 3.2.3 Blockschaltbilder mit Simulink Der Befehl „Simulink“ im Workspace-Fenster (oder ein Doppelklick auf das Simulink-Symbol im MATLAB-Fenster) ruft die SimulinkModellbibliothek für Blockschaltbilder auf. In der Modellbibliothek, die auf verschiedene Ordner aufgeteilt ist, sind vordefinierte Blöcke („Blocks“) enthalten, die durch Mausklick und Halten der linken Maustaste auf das Eingabefenster kopiert („gezogen“) werden können. Die Ausrichtung von mit einem Mausklick markierten Blöcken kann – zur Verbesserung der Übersichtlichkeit – mit der Tastenkombination „CTRL/STRG“+“R“ angepasst werden. Die Parameter der vordefinierten Blöcke können durch Doppelklick in einem eigenen Fenster geöffnet und angepasst werden. Blockparameter können auf der MATLAB-Workspace definierte Variablen oder Zahlenwerte sein (Groß- und Kleinschreibung beachten!). S im u la tio n s s ta r t
Abb. 3.8. Simulationsparameter und interaktiver Simulationsstart
220
3 Simulation
Die wichtigsten für mechatronische Systemmodelle relevanten Simulink-Blöcke sind in Abschn. 3.2.4 zusammengefasst dargestellt. Die Blöcke werden mit der linken Maustaste von den Aus- zu den Eingängen durch Pfeile verbunden. Verzweigungen werden mit der rechten Maustaste aus bestehenden Verbindungspfeilen herausgezogen. Damit kann ein Blockschaltbild aufgebaut – implementiert – werden. Ein vollständiges Blockschaltbild besteht aus Eingängen („sources“), dem eigentlichen Modell und Ausgängen („sinks“), in denen die Simulationsergebnisse abgelegt werden. Ein Simulink-Modell wird mit der Erweiterung „*.mdl“ abgespeichert. Es kann über die Modellbibliothek, offene Modellfenster (Menü: File/Open) oder die MATLAB-Workspace direkt durch Eingabe des Modellnamens (ohne Erweiterung) aufgerufen werden. Es muss vermieden werden denselben Namen für eine Script-Datei und ein dazugehöriges Simulink-Modell oder Variablen (Modellparameter) zu vergeben. Um die Zusammengehörigkeit von Script-Datei und Modell zu kennzeichnen hat sich folgende Benennung als günstig (aber nicht zwingend) erwiesen: • Simulink-Modell: • Script-Datei:
„Name_mod.mdl“ “Name_dat.m”
Die Simulation kann interaktiv vom entsprechenden Simulink-Modell aus erfolgen. Dazu sind zunächst die Simulationsparameter zu definieren (Menü: Simulation/Parameters, Abb. 3.8): • Simulationszeit bzw. Start- und Stoppzeit • Integrationsalgorithmus (Der Algorithmus mit fester Schrittweite „ode5“ entspricht dem Verfahren nach Runge-Kutta und hat sich für die hier behandelten Modelle bewährt) • Integrationsschrittweite (deutlich kleiner als die kleinste Zeitkonstante des Modells) Die Simulation wird über das Start-Menü (Simulation/Start) oder den Start-Button gestartet und kann mit dem Stopp-Menü (Simulation/Stop) oder dem Stopp-Button unterbrochen werden. Komplexere Berechnungen können in Blöcke integriert werden (z.B. mit dem „MATLAB–Function-Block“). Mehrere Ein-/Ausgänge werden mit Multiplexern („Mux- und Demux-Blocks“) zu Vektoren zusammengefasst bzw. aufgegliedert. Um die grafischen Ausgabemöglichkeiten von MATLAB nutzen zu können, empfielt sich die Ausgabe der interessierenden Simulationsergebnisse auf die MATLAB-Workspace. Dies erfolgt mit dem „To WorkspaceBlock“. Die entsprechenden Simulationsergebnisse können unter dem im Block erscheinenden Variablennamen (z.B. mit dem „plot“-Befehl)
3.2 Einführung in MATLAB©/Simulink©
221
weiterverarbeitet werden. Wichtig ist die Definition des Speicherformats des Blocks als Matrix (ältere Versionen) oder als Array (neuere Versionen), damit MATLAB die Simulationsergebnisse wie einspaltige Vektoren behandelt. Der Simulationsstart vom Simulink-Modellfenster aus ist für erste Simulationsversuche sicherlich sinnvoll. Wenn aber viele Simulationen durchgeführt werden, ist es umständlich, immer wieder in die MATLAB-Workspace zurückzukehren, um die Simulationsresultate darzustellen. Alternativ dazu kann daher die Simulation auch von der MATLABWorkspace – und damit in einer Script-Datei – aufgerufen werden. Hierzu sind zunächst die Simulationsparameter zu definieren: >> sim_parameter=simset('Solver','ode5', 'FixedStep',1e-5); (siehe auch: >> help simset). Der Aufruf >> [x,y,t]=sim('Beispiel_mod',0.1, sim_parameter); veranlasst eine Simulation des Modells „Beispiel_mod“ von 0.1 s Dauer mit dem Integrationsalgorithmus „ode5“ mit 0,01 ms Schrittweite. Mit den Script-Dateien können so Simulationsreihen und Parameterstudien automatisiert werden. Energieträger werden im Blockschaltbild mit „Integrator-Blocks“ dargestellt. Die Energie zu Beginn einer Simulation kann durch die Definition eines Anfangszustandes („Initial Condition“, d.h. der Ausgangswert des Integrators zum Zeitpunkt t=0) berücksichtigt werden (Abb. 3.9).
A n fa n g s b e d in g u n g
Abb. 3.9. Integratorblock und Anfangsbedingung
222
3 Simulation
O u tp u t 1
0 0 s
0 ,1 s
0 ,3 s
T im e
Abb. 3.10. Repeating Sequence-Block zur Führungsgrößenvorgabe
Die Vorgabe von zuvor unter MATLAB erzeugten Größen (z.B. Sollwerte) kann durch den „Repeating-Sequence-Block“ erfolgen. Dieser Block benötigt einen Zeit- und einen Wertevektor gleicher Länge. Jedem Punkt des Zeitvektors wird ein Wert des Wertevektors zugeordnet, woraus eine Zeitsequenz entsteht. Nach Ablauf der Sequenz wiederholt der Block diese Sequenz bis zum Simulationsende (Abb. 3.10). Zeitdiskrete Systemteile werden durch den „Discrete-Transfer-FcnBlock“ in Simulink implementiert. Als Blockparameter werden Nenner und Zähler der z-transformierten Übertragungsfunktion sowie die Abtastzeit eingegeben. Zeitkontinuierliche Übertragungsglieder werden durch den „TransferFcn-Block“ implementiert. In Abb. 3.11 ist die Vorgabe der Koeffizientenvektoren für Zähler und Nenner verdeutlicht:
Z ä h le r N e n n e r
Abb. 3.11. Transfer-Function-Block, Parametereingabe als Koeffizientenvektoren in Zähler und Nenner der Übertragungsfunktion
3.2 Einführung in MATLAB©/Simulink©
m = 1 k g
223
F (t)
x (t)
Abb. 3.12. Physikalisches Modell, Script-Datei, Simulink-Modell und Ergebnisdarstellung zur Simulation einer sprungförmig beschleunigten Punktmasse
Um unter MATLAB eine Simulationszeitbasis zur Verfügung zu haben, ist es sinnvoll, die Modelle mit einem „Clock-Block“ in Verbindung mit einem z.B. als ts benannten „To Workspace-Block“ zu versehen. Ein einfaches Beispiel für eine MATLAB/Simulink-Simulation ist in Abb. 3.12 dargestellt. Ausgehend vom physikalischen Modell (angetriebene Punktmasse) wird ein Blockschaltbild in Simulink implementiert. Die Modell- und Simulationsparameter werden in einer Script-Datei definiert, die die Simulation startet und die Ergebnisse darstellt. In diesem Beispiel ist die Validierung noch sehr einfach, da eine konstante Kraft zu einer gleichförmigen Beschleunigung führt, die wiederum eine lineare Geschwindigkeitszunahme mit der Zeit bzw. eine quadratische Positionszunahme mit der Zeit erzeugt. Für erste Simulationsversuche hat sich dieses Beispiel sehr bewährt, da bereits alle Funktionen von Matlab/Simulink genutzt werden und die wesentlichen Modell- und Simulationsparameter noch anschaulich variiert und interpretiert werden können. Für die Antriebs- und Regelungstechnik sowie mechatronische Systeme stellt die Punktmasse das zentrale physikalische Teilmodell dar, mit dem auch komplexere Modelle (z.B. Starrkörpermodelle gemäß Abschn. 2.2, 2.3 oder 2.5) aufgebaut werden können.
224
3 Simulation
3.2.4 Kurzübersicht MATLAB/Simulink Tabelle 3.2. Häufig verwendete MATLAB-Befehle/Funktionen Funktion abs axis clear figure for grid gtext help hold on/off imag, real
Beschreibung Betrag Darstellungsbereich der Achsen Variablen löschen Bestimmung des Darstellungs-fensters For-Schleife (vgl. C++) Gitternetz Text in Grafik setzen (Platzierung mit der Maus) Hilfefunktion Überschreiben ohne/mit Löschen
Imaginär- und Realanteil einer komplexen Zahl if, else Bedingte Verzweigung (vgl. C++) inv Matrixinversion length Zahl der Elemente in einem Vektor max, min Maximum / Minimum von Vektorelementen phase Phasenwinkel einer komplexen Zahl plot Darstellung von Wertevektoren i.e. Diagramm round Rundung auf den nächsten Integer-Wert save Speichert Daten z.B. auf ein ASCII-File sim
Simulink Simulationssteuerung
simset
Simulationsparametereinstel-lung
sin, Trigonometrische Funktionen cos, tan size Anzahl der Spalten- und Reihen einer
Beispiel abs(a) axis([0 5 –2 6]) clear all figure(2) for i=1:1:100; k=k+b; b=b*3; end grid gtext(‘title of the line‘) help save hold on a=1+2i; real(a)=1; imag(a)=2;
length(a) a=[1 2 3 2 5]; max(a)=5; phase(a) plot(t,a,‘r:‘)
save simdaten a b c –ascii [x,y,t]=sim(Model, T_end,opts) opts=simset(‘Solver ‘,‘ode5‘, ..) sin(a) size(a)
title
Matrix Betitelung einer Darstellung
while
While-Schleife (vgl. C++)
whos xlabel, ylabel
Anzeige aller Variablen in der Workspace xlabel(‘time in Achsenbezeichnungen
title(‘title of the figure‘) while(i < 10);i=i+1; b(i)=b(i)*3;end
seconds‘)
3.3 MATLAB©/Simulink© für Fortgeschrittene
225
Abb. 3.13. Häufig verwendete Simulink-Blöcke
©
©
3.3 MATLAB /Simulink für Fortgeschrittene Dieser Abschn. gibt eine Übersicht über die gängigen Erweiterungen (Toolboxes) und Schnittstellen von MATLAB/Simulink zu anderen Simulationswerkzeugen und Echtzeitanwendungen, die für die Behandlung mechatronischer Systeme bei Werkzeugmaschinen und Robotern hilfreich sein können. 3.3.1 Toolboxen Als Toolbox bezeichnet man eine Gruppe von Funktionen und Programmen, die aus den Grundfunktionen von MATLAB für einen bestimmten Anwendungsfall entwickelt wurden. Da MATLAB inzwischen an allen Hochschulen und sehr vielen Industriezweigen verbreitet ist, existieren naturgemäß verschiedenste Toolboxen für unterschiedlichste Anwendungsgebiete von Mathematik über Finanzwirtschaft und neuronale Netze
226
3 Simulation
bis hin zu verfahrenstechnischen Anlagen. Einen Überblick über die inzwischen über 300 Toolboxen ist unter www.mathworks.com zu finden. So gesehen ist auch Simulink eine Toolbox, die MATLAB mit einer graphischen Benutzer- und Eingabeoberfläche verknüpft. Weitere Beispiele für mechatronisch relevante Toolboxen sind: • Control Systems Toolbox©: Hier werden die aus der Regelungstheorie bekannten Methoden und Darstellungen zusammengefasst, z.B. Bodeund Nyquist-Diagramme, Pol-Nullstellenverteilung, Wurzelortskurven, Sprungantworten von Systemen, Zustandsdarstellungen. • System Identification Toolbox©: Sie beinhaltet verschiedene Identifikationsalgorithmen für lineare Systeme, die eine Übertragungsfunktion aus gemessenen Aus- und Eingangsmessdaten liefern. • Symbolic Math Toolbox©: Damit werden symbolische Behandlungen von Gleichungen möglich. Die Symbolic Math Toolbox nutzt die Funktionen des Softwarewerkzeuges Maple (Hörhager 1996). • SimMechanics©: Hier wird in Verbindung mit Simulink ein „Baukasten“ mechanischer Bauelemente (Stäbe, Gelenke, Lager, Balken …) mit einer graphischen Oberfläche zur Verknüpfung der Elemente zur Verfügung gestellt, um so mechanische Systeme simulieren zu können, ohne sich mit den mechanischen Grundgleichungen auseinandersetzen zu müssen (Mathworks 2004). • SimPowerSystems©: Hier wird in Verbindung mit Simulink ein „Baukasten“ elektrischer und leistungselektronischer Bauelemente aus der Energietechnik (Leitungen, Generatoren, Transformatoren …) mit einer graphischen Oberfläche zur Verknüpfung der Elemente zur Verfügung gestellt, um so energietechnische Systeme simulieren zu können. • Virtual Reality Toolbox©: Mittels VRML-Objekte (Virtual Reality Modelling Language) können Bewegungen mechatronischer Systeme räumlich visualisiert werden. Damit können beispielsweise die Bewegungen eines Roboters in einer Montagezelle animiert werden. Auf die Möglichkeiten der Symbolic Math Toolbox soll nachfolgend noch etwas näher eingegangen werden, da mit ihrer Hilfe größere analytische Umformungen effizienter als mit Bleistift und Papier vorgenommen werden können. Das macht sich vor allem bei komplexeren dynamischen Modellen (z.B. Robotermodelle) vorteilhaft bemerkbar. Um Variablen symbolisch behandeln zu können, müssen diese zunächst als Symbole definiert werden: >> syms a t
3.3 MATLAB©/Simulink© für Fortgeschrittene
227
Es können nun Funktionen dieser symbolischen Variablen definiert werden, z.B. die Funktion x=f(a,t)=2.a.t2: >> x=2*a*t^2;
Die Ableitung dieser Funktion nach der Zeitvariable t wird mit dem „diff“-Befehl, unter Angabe der Variablen, nach der abgeleitet werden soll, ausgeführt: >> dx=diff(x,t)
was als differenzierte Funktion dx(a,t) folgende Antwort liefert: dx = 4*a*t.
Gleichungen können auch analytisch gelöst werden. Die Nullstellen der Funktion y=2x2+32 liegen auf der imaginären Achse bei x1,2=±j.4. Dies kann mit Hilfe der „solve“-Funktion berechnet werden: >> Nullstelle=solve(’2*x^2+32’)
liefert: Nullstelle = [ 4*i] [ –4*i]
Soll eine etwas aufwändigere Matrizengleichung symbolisch berechnet werden, z.B. ein Kraftvektor Fqp : Fqp
§§ 0 · § mp ¨¨ ¸ ¨ = J A (q) ⋅ ¨ ¨ − m p ⋅ g ¸ − ¨ 0 ¨¨ 0 ¸ ¨ 0 ¹ © ©© T
0 mp 0
0· ¸ 0 ¸ ⋅ J A (q) ⋅ q + J A (q) ⋅ q 0 ¸¹
(
· ¸ ¸ (3.6) ¸ ¹
)
mit den Matrizen und Vektoren: §a· § a · § a · q = ¨¨ ¸¸ q = ¨¨ ¸¸ q = ¨¨ ¸¸ ©ϕ ¹ © ϕ ¹ © ϕ ¹
(3.7)
§ 1 − L ⋅ sin ϕ · § 0 − L ⋅ ϕ1 ⋅ cosϕ · ¸ ¸ ¨ dJ A (q) ¨ J A(q) = ¨ 0 L ⋅ cosϕ ¸ J A (q) = = ¨ 0 − L ⋅ ϕ1 ⋅ sinϕ ¸ (3.8) dt ¸ ¸ ¨0 ¨0 1 0 ¹ ¹ © ©
228
3 Simulation
dann kann das mit der nachfolgend dargestellten Script-Datei (Abb. 3.14) erfolgen: % "symbolic_calc.m" Symbolische Berechnung der % Matrizengleichungen (3.6) bis (3.8) clear all % Symbole syms a phi va vphi aa aphi F M syms mp ma J_p h L g % Achskoordinaten q=[a;phi]; dq=[va;vphi]; d2q=[aa;aphi]; % Jacobi-Matrizen: Jp=[1 –L*sin(phi);0 L*cos(phi);0 1]; JpT=[1 0 0;-L*sin(phi) L*cos(phi) 1];% transp. Jacobi dJp=[0 –L*vphi*cos(phi);0 –L*vphi*sin(phi);0 0]; % Kraftvektor: Fpp=[0;-mp*g;0]; % Massenmatrix: Mp=[mp 0 0;0 mp 0;0 0 0]; % Resultierende Kraft aus (3.6): Fqp=simplify(JpT*(Fpp-Mp*(Jp*d2q+dJp*dq))) Abb. 3.14. Symbolische Berechnung der Matrizengleichung Gl. (3.6)
Hilfreich kann hierbei die Funktion „simplify“ sein, um möglichst einfache Ausdrücke zu erhalten. Allerdings gelingt es von Hand oft besser, komplexe Gleichungen zusammenzufassen, da den einzelnen Termen – mit etwas Erfahrung – physikalische Bedeutungen zugemessen werden kann und damit in der Regel anschaulichere Darstellungen resultieren. Auf die Verwendung von Toolboxen für mechatronische Systeme wird in diesem Buch bewusst verzichtet. Einerseits können alle mechatronischen Fragestellungen mit der – auch in der Studentenversion enthaltenen – Grundversion von MATLAB mit Simulink und der Symbolic Math Toolbox behandelt werden. So erhält der Anwender ein gutes Fundament der Basisfunktionen. Er muss dann im jeweiligen Anwendungsfall entscheiden, ob für das Problem eigene Modelle entwickelt oder eine passende Toolbox beschafft werden soll. Andererseits „verführen“ Toolboxen den Anwender zu „Black-Box-Denken“, d.h. er kann nicht mehr beurteilen, was genau in einer Toolbox an Algorithmen abläuft und ist darauf angewiesen, dass der Ersteller der Toolbox seinen Anwendungsfall ausreichend bedacht hat. Toolboxen sind wie alle Softwareprogramme nicht fehlerlos und manchmal sehr grob unter Zeitdruck „zusammengestrickt“. Zu bedenken bleibt immer eines: Wenn es zu einer bestimmten Anwendung eine Toolbox gibt, dann kann sie auch von der Konkurrenz verwendet werden.
3.3 MATLAB©/Simulink© für Fortgeschrittene
229
3.3.2 Echtzeitsimulation Die Simulation und die Entwicklung von Programmen zur Regelung realer Systeme (z.B. mit PC oder Mikroprozessoren) ist in der industriellen Anwendung häufig gekoppelt. Ziel dieser Kopplung ist es, die Entwicklung von Steuerungs- und Regelungsalgorithmen soweit möglich anschaulich unter Simulink durchzuführen und dann aus den Simulink-Modellen lauffähigen Code (z.B. C) „auf Knopfdruck“ zu erzeugen, mit dem dieselben Regelungsalgorithmen von einem Prozessor umgesetzt werden können (MATLAB Real Time Workshop©). Zum einen kann durch den so erzeugten C-Code eine sehr schnelle Abarbeitung der Algorithmen erfolgen. Falls sehr große Modelle simuliert werden sollen und die Simulationszeit unter MATLAB/Simulink zu lange wird, kann durch Simulationen auf C-Code-Basis erheblich Zeit eingespart werden. Zum anderen können Regelalgorithmen im Sinne geistigen Eigentums geschützt werden, indem nur ausführbarer Code an Dritte weitergegeben wird.
D i scre te T ra n sfe r F cn 1
vm 3 RT I Da ta
z-1
d i ffe re n zi e rte G e sch wi n d i g ke i t
Ab b _3 _ 15 _ m od
T s.z
Di scre te S ta te -S p a ce B e o b a ch te r
vb 6
y(n )=C x(n )+ Du (n ) x(n +1 )= A x(n )+ B u (n )
b e o b a ch te te G e sch wi n d i g ke i t 4 xso l l -K -
1 Cl o ck
1
Kv
R e p e a ti n g S e q u e n ce
Ze ro -O rd e r Ho l d
tm
Kp
z-1 *(1 -T s/T n )
U - FA n p a ssu n g
1
1
z
1
z-1
z
Kv
Uni t Del ay
Kp
D i scre te T ra n sfe r F cn 2
U n i t D e l a y1
Ze ro -O rd e r Ho l d 1
S te l l g rö ß e n a u sg a n g
DA C D S 1 1 0 4 D A C_ C 1
A DC
2
0 .0 5
xm D S 1 1 0 4 A DC _ C 5
A DC D S 1 1 0 4 A DC _ C 6
W e g p ro p .-fa kto r
-K S tro m p ro p .-fa kto r
g e m e sse n e P o si ti o n 5 Im g e m e sse n e r S tro m
Abb. 3.15. Echtzeit-Regelalgorithmuns in Simulink sowie die Bedienoberfläche „Control-Desk“ (DSPACE 2001) zur Steuerung für die Lageregelung des Tauchspulmotors aus Abb. 1.2 (hier mit kaskadierter Lage- und Geschwindigkeitsregelung mit Geschwindigkeitsbeobachter)
230
3 Simulation
Hauptsächlich wird die automatische Generierung von C-Code jedoch eingesetzt, um sogenannte „Hardware-in-the-loop“-Simulationen durchzuführen. Dabei ist die Regelstrecke oder Teile davon real vorhanden und soll durch Simulink angesteuert werden. Für sehr langsame Applikationen (z.B. Heizungsregelung) kann dies an einem PC mit entsprechenden Schnittstellen (Analog-Digital-Wandlerkarten, Parallelschnittstelle, etc.) direkt von MATLAB aus erfolgen (z.B. mit Hilfe der Data Acquisition Toolbox). Bei hohen Anforderungen an die Zugriffs- und Rechengeschwindigkeit (z.B. Positionsregelung an Servomotoren, Automobilelektronik) muss ein eigener Prozessor dafür eingesetzt werden. Hierzu gibt es käufliche – leider sehr kostenintensive – Lösungen (z.B. das DSPACE©-Echtzeitsystem (DSPACE 2001)), die mit leistungsfähigen Signalprozessoren und schnellen Ein- und Ausgabeschnittstellen die Regelung realer Systeme von der Simulink-Oberfläche aus ermöglichen. In Abb. 3.15 ist der auf einem DSPACE-Echtzeitsystem implementierte Regelalgorithmus zur Lageregelung des Tauchspulmotors dargestellt. Die Kopplung zwischen Simulink und den Hardwareschnittstellen erfolgt durch die Schnittstellenblöcke des Real-Time-Workshops. 3.3.3 Kombination mit weiteren Softwarewerkzeugen MATLAB ist an Hochschulen und in Entwicklungsabteilungen der Industrie weit verbreitet, so dass in diesen Bereichen alle Beteiligten mit dem Werkzeug vertraut sind oder dies mit geringem Einarbeitungsaufwand werden können. Sollen MATLAB-Programme oder die Darstellungsmöglichkeiten von MATLAB in anderen Unternehmensbereichen verwendet werden, so kann es günstig sein, die Eingabe der Parameter tabellenorientiert unter Excel zu realisieren und mit dem MATLAB-EXCEL©-Link (eine weitere Toolbox) die Auswertung unter MATLAB vorzunehmen. Auch die Berechnung nach der Finite-Elemente-Methode (FEM) kann mit MATLAB/Simulink verknüpft werden. Dies bietet sich dann an, wenn eine weitgehende Diskretisierung, wie sie für die Aufstellung der Differentialgleichungen erforderlich ist, nicht – oder nur mit großen Verlusten an Simulationsgenauigkeit – möglich ist. Die Software FEMLAB© ermöglicht statische Berechnungen von elektromagnetischen, thermischen, mechanischen oder strömungsdynamischen Aufgabenstellungen. Abb. 3.16 zeigt das ebene FE-Modell von Schlitten und elastisch angekoppelter Last am Tauchspulmotor aus Abb. 1.2. Damit kann die neben der Grundschwingung auftretende Oberschwingung sehr anschaulich dargestellt werden (siehe hierzu auch Abschn. 3.4.2). Zudem besteht die Möglichkeit, über das FEMLAB-Simulink-Interface Subsysteme bzw. Funktionen analog zu MATLAB-Funktionsblöcken in ein Simu-
3.4 Simulationsbeispiel Tauchspulmotor
231
Abb. 3.16. Finite-Elemente-Modell (FEMLAB 2003) des mechanischen Systemteils am Tauchspulmotor, animierte Darstellung von Grund- und Oberschwingung
linkmodell zu integrieren. Dies ist anhand animierter Tutorials sehr anschaulich in (FEMLAB 2003) beschrieben. MATLAB-Schnittstellen sind auch bei stärker in der Konstruktion von Produktionsmaschinen verbreiteten FEM-Werkzeugen vorhanden (Hatch 2000, Berkemer 2003, Denkena et al. 2005), um eine gekoppelte Simulation von Strukturdynamik und Regelung zu ermöglichen. Allen ausgeführten Arbeiten gemeinsam ist aber der immense Bedarf an Rechenzeit und der erhebliche Einarbeitungsaufwand. Auf absehbare Zeit erscheint es wirtschaftlicher, die FE-Analyse mit den bewährten CAD-FEM-Werkzeugen quasistatisch mit einem hohen Detaillierungsgrad auszuführen (Kehl 2004) und daraus reduzierte Modelle für die Achsdynamik zu identifizieren oder daraus Zustandsdarstellungen abzuleiten, die in MATLAB/ Simulink effizient mit den Regelkreisen gekoppelt und simuliert werden können (Hatch 2000, Denkena et al. 2005).
3.4 Simulationsbeispiel Tauchspulmotor In diesem Abschschnitt wird am Beispiel des Tauchspulmotors aus Abschn. 1.2.1 gezeigt, wie das als Blockschaltbild gegebene mathematische Modell in MATLAB/Simulink zu implementieren ist, auf der Basis dieses Modells Simulationen durchgeführt und die Simulationsresultate
232
3 Simulation
dargestellt werden können. Zur Validierung des Modells werden anschließend Probesimulationen mit Messungen am realen System verglichen. Die noch verbleibenden Abweichungen zwischen Simulation und Messung können teilweise durch ein detaillierteres physikalisches Modell (d.h. eine Wiederholung der Modellbildungsschritte 2 und 3 gemäß Phasenplan in Tabelle 1.3) eliminiert werden. 3.4.1 Implementierung Da in diesem Abschnitt die Demonstration des Umgangs mit MATLAB/ Simulink im Vordergrund steht, soll zunächst nur die spannungsgesteuerte Strecke (sprungförmige Spannungsvorgabe an den Motorklemmen) simuliert werden. Dazu wird eine Script-Datei zur Vorgabe der Modellparameter, zur Simulationssteuerung und zur Darstellung der Resultate sowie ein Simulink-Modell benötigt (Abb. 3.17 und 3.18). % Abb_3_18_dat.m MATLAB-Script-Datei zur Simulation der % Sprungantwort des Tauchspulmotors Zirn 28.11.04 clear all % Modellparameter k=8e3; % N/m Federkonstante m1=1; % kg motorseitige Masse m2=1; % kg lastseitige Masse L=2e-3; % H Wicklungsinduktivität R=2; % Ohm Wicklungswiderstand Tel=L/R; % el. Zeitkonstante KF=12; % N/A Kraftkonstante KS=12; % Vs/m Spannungskonstante FR=1; % N Reibungskraft U0=12; % V Eingangsspannung % Simulationsparameter definieren simulation_opt=simset('Solver','ode5','FixedStep',1e-4); Tsim=0.35; % Simulationszeit % Simulation starten [x,y,t]=sim('Abb_3_18_mod',Tsim,simulation_opt); % Simulationsergebnisse darstellen figure(1);plot(ts,v1s,'k'); grid; % erste Grafik xlabel('t in s');ylabel('motorseitige Geschwindigkeit v in m/s'); title('Anlaufsimulation des Tauchspulmotors'); axis([-0.01 0.3 0 max(v1s)]); figure(2);plot(ts,Is,'k'); grid; % zweite Grafik xlabel('t in s');ylabel('Strom in A'); title('Anlaufsimulation des Tauchspulmotors'); axis([-0.01 0.3 min(Is) max(Is)]);
Abb. 3.17. Script-Datei des Tauchspulmotors zur Simulation eines Eingangsspannungssprungs
3.4 Simulationsbeispiel Tauchspulmotor
233
Abb. 3.18. Kommentiertes Simulink-Modell des Tauchspulmotors zur Simulation eines Eingangsspannungssprungs
Zur Verdeutlichung des Simulink-Modells aus Abb. 3.18 seien die Eingabefenster einiger Blöcke (Sie öffnen sich automatisch bei einem Doppelklick auf den jeweiligen Block) nachfolgend detailliert dargestellt. Es können die von Simulink automatisch vergebenen Namen für die Blöcke verwendet werden. Simulink nummeriert mehrfach verwendete Blöcke, z.B. hier die Integratoren oder Summationsblöcke, automatisch durch, um sicherzustellen, dass kein Block denselben Namen trägt, wie ein anderer. In Abb. 3.18 wird deutlich, wie mit Hilfe dieser eigentlich frei wählbaren Namen die Lesbarkeit des Modells noch verbessert werden kann. • Summationsblock “Sum” Der Summationsblock ist Teil der Blockbibliothek der mathematischen Funktionen (siehe auch Abschn. 3.2.4). In der „List of signs“ gibt man die Anzahl und die Vorzeichen der Eingänge des Summationsblockes vor. Die Zeichenfolge “+−“ führt dazu, dass der Summationsblock den ersten von zwei Ausgängen als positiven Eingang interpretiert und davon den zweiten Eingang subtrahiert. Mit dem vorangestellten Zeichen “|“ kann man Einfluss auf die graphische Darstellung der Eingänge nehmen. Wenn sehr viele Größen (>3) summiert werden sollen, sind runde Summationsblöcke etwas unübersichtlich. Hier könnte man als „Icon shape“ die Rechteckdarstellung wählen und den Block entsprechend vergrößern.
234
3 Simulation
Abb. 3.19. Parameter am Summationsblock
• Integratorblock “Integrator” Den Integratorblock findet man in der Blockbibliothek der zeitkontinuierlichen Funktionen (siehe auch Abschn. 3.2.4).
Abb. 3.20. Parameter am Integrator-Block
3.4 Simulationsbeispiel Tauchspulmotor
235
Die energietragende Größe ist der Ausgang des Integratorblocks. Mit der „Initial condition“ gibt man den Anfangszustand des Tauchspulmotors vor. Im hier behandelten Beispiel sind alle vier Anfangsbedingungen Null, da der Motor aus der Ruhe an der Nullposition gestartet wird. • Proportionalglied “Gain” Der Proportionalblock (linearer Verstärker) befindet sich in der Blockbibliothek der zeitkontinuierlichen Funktionen (siehe auch Abschn. 3.2.4). Als Verstärkungsfaktor „Gain“ gibt man den entsprechenden Modellparameter oder einen algebraischen Ausdruck ein. Wenn der Gain-Block ausreichend groß im Blockschaltbild dargestellt ist, erscheint der Verstärkungsfaktor explizit im Innern des Blocks, was die Lesbarkeit des Modells sehr verbessert. Ist der Gain-Block zu klein dargestellt, wird nur “-K-“ im Innern des Blockes wiedergegeben.
Abb. 3.21. Parameter am Gain-Block (Kraftkonstante KF)
• Übertragungsglied “Transfer Fcn” Das allgemeine Übertragungsglied (Transfer Function) findet man in der Blockbibliothek der zeitkontinuierlichen Funktionen (siehe auch Abschn. 3.2.4). Hier soll die Übertragungsfunktion erster Ordnung der Wicklung wiedergegeben werden: G(s) =
Daraus folgt als Zählervektor und als Nennervektor
1 /R 1 + s ⋅ Tel
Numerator=[1/R] Denominator=[Tel 1]
(3.9)
236
3 Simulation
Abb. 3.22. Parameter am TransferFcn-Block
• Reibungsblock “Coulombic & Viscous Friction” Den Block zur Nachbildung der trockenen Gleitreibung sowie der viskosen Reibung findet man in der Blockbibliothek der nichtlinearen Funktionen (in manchen MATLAB-Versionen auch „Discontinuities“ genannt, siehe auch Abschn. 3.2.4). Der trockene Gleitreibungsanteil ist hier die Reibungskraft FR. Der viskose Reibungsanteil kann bei den kleinen hier behandelten Geschwindigkeiten vernachlässigt werden. Daher ist ein sehr kleiner Koeffizient für die viskose Reibung eingegeben. Eigentlich sollte dieser Koeffizient Null sein, jedoch hat die Erfahrung gezeigt, dass dann gehäuft numerische Probleme bei der Simulation zu beobachten sind. Dieselben numerischen Probleme treten auf, wenn man die trockene Gleitreibung durch einen Signum-Block „sign“ (aus den mathematischen Funktionen) und einen Proportionalblock „Gain“ nachbildet.
Abb. 3.23. Parameter am Coulombic &Viscous Friction-Block
3.4 Simulationsbeispiel Tauchspulmotor
237
• Schrittförmige Eingangsgröße “Step” Den Block zur Nachbildung der schrittförmig ansteigenden Eingangsspannung findet man in der Blockbibliothek der Quellen (siehe auch Abschn. 3.2.4). Man gibt zunächst den Zeitpunkt vor, wann der Schritt stattfinden soll, („Step time“). Hier springe die Spannung zum Zeitpunkt t=0, d.h. zu Simulationsbeginn. Zuvor ist keine Spannung am Tauchspulmotor anliegend, daher ist der Anfangswert („Initial value“) Null. Der Endwert („Final value“) ist die angelegte Spannung U0. Defaultmäßig schlägt Simulink einen Schrittzeitpunkt von 1 (Sekunde) vor. Wenn man vergisst, diesen Wert anzupassen und z.B. eine Simulationsdauer wählt, die kleiner als eine Sekunde ist, dann bewegt sich im Modell natürlich nichts – ein immer wieder vorkommender Anfangsfehler.
Abb. 3.24. Parameter am Step-Block
• Ergebnisübergabeblock an MATLAB “To Workspace” Den Block zur Übergabe der Simulationsresultate an die MATLABWorkspace findet man in der Blockbibliothek der Senken (siehe auch Abschn. 3.2.4). Es ist darauf zu achten, dass alle Ergebnisübergaben als Vektoren gespeichert werden, d.h. als „Save format“ Array oder (in älteren Versionen) Matrix gewählt wird. Simulink schlägt hier defaultmäßig das Speicherformat Struktur vor, welches aber von der „plot“-Funktion nicht bearbeitet werden kann.
238
3 Simulation
Um sicher zu gehen, dass es zwischen Modellparametern, simulierten Resultaten, intern von MATLAB erzeugten Größen und gegebenenfalls Messgrößen nicht zu Namenskonversionen kommt, hat sich folgende Benennung der Systemgrößen bewährt: • alle simulierten Größen bekommen ein „s“ am Namensende angehängt (z.B. Is, x1s) • alle Messgrößen bekommen ein „m“ am Namensende angehängt (z.B. Im, x1m) • alle Modellparameter werden möglichst nah an ihrer Indizierung benannt (z.B. Kv wird zu Kv oder ∆xm wird zu dxm)
Abb. 3.25. Parameter am To Workspace-Block
Der Aufruf der Script-Datei „Abb_3_18_dat.m“ in der MATLABWorkspace mit >> Abb_3_18_dat
oder der direkte Start vom MATLAB-Editor (in sehr aktuellen MATLABVersionen mit der Funktionstaste F5) startet die Simulation und erzeugt zwei Ergebnisdiagramme.
3.4 Simulationsbeispiel Tauchspulmotor
239
− − −U/12V v1 in m/s ____Simulation, ....Messung
Sprungantwort des Tauchspulmotors
1
0.8
0.6
0.4
0.2
0
0
0.05
0.1
0.15
0.2
0.25
t in s
Abb. 3.26. Geschwindigkeitssimulation des anlaufenden Tauchspulmotors bei sprungförmig einsetzender Spannung, Messung (bis zum Endanschlag)
In Abb. 3.26 ist der Verlauf der motorseitigen Geschwindigkeit dargestellt. Es stellt sich – wie erwartet – nach einer Beschleunigungs- und Ausschwingphase eine konstante Geschwindigkeit ein. Bei einer Spannung von U0=12 V und einer Spannungskonstante von KS=12 Vs/m dürfte Sprungantwort des Tauchspulmotors 7
I in A, ____Simulation, ....Messung
6 5 4 3 2 1 0 −1
0
0.05
0.1
0.15
0.2
0.25
t in s
Abb. 3.27. Stromsimulation des anlaufenden Tauchspulmotors bei sprungförmig einsetzender Spannung, Messung (bis zum Endanschlag)
240
3 Simulation
eigentlich eine Endgeschwindigkeit von ca. 1 m/s zu erwarten sein. Dass das simulierte Resultat etwas kleiner ist, liegt an der Reibung FR der Führung. Abb. 3.27 zeigt den Zeitverlauf des Stromes. Hier sieht man deutlich, dass der Stromanstieg durch die Induktivität verzögert wird. Gegen Ende des Beschleunigungsvorganges wird die angelegte Spannung U0 fast völlig durch die induzierte Gegenspannung Ui=Kv.v kompensiert, so dass nur noch der Strom fließt, der zur Deckung der Reibung erforderlich ist. 3.4.2 Validierung Die direkte messtechnische Validierung der in Abb. 3.26 und 3.27 dargestellten Zeitverläufe ist an der realen Strecke nur bedingt möglich, da der Verfahrweg bis zum Endanschlag nicht ausreicht, um die Endgeschwindigkeit zu erreichen. Alternativ dazu kann die Validierung mit dem geschlossenen Lageregelkreis gemäß Abb. 1.2 erfolgen. Abbildung 3.28 zeigt die Sprungantwort der Motorposition für verschiedene Lageregelverstärkungen. Der Vergleich mit den gemessenen Resultaten zeigt, dass die sinnvollen Einstellwerte des Lageregelkreises schon mit diesem Modell abgeschätzt werden können. Die Abweichungen resultieren bei schwacher Reglereinstellung aus der im Modell als ideal trocken und konstant angenommenen Führungsreibung, die an der realen Strecke aufgrund von Maßtoleranzen und Verschleiß orts- und zeitabhängig im Bereich von ca. 20..30% variiert. Sprungantwort des P−lagegeregelten Tauchspulmotors Kv=900 V/m
−−−xsoll, x1 in m ____Simulation, ....Messung
0.012
0.01
0.008
K =300 V/m v
0.006 Kv=150 V/m 0.004
0.002
0
0
0.1
0.2
0.3
0.4
0.5
t in s
Abb. 3.28. Sprungantwort des lagegeregelten Tauchspulmotors für verschiedene Regelverstärkungen
3.4 Simulationsbeispiel Tauchspulmotor
241
Der zeitliche Verlauf des Motorstromes in Abb. 3.29 zeigt bei hoher Regelverstärkung eine merkliche Abweichung zwischen Simulation und Messung. Dies ist in der antriebstechnischen Praxis wesentlich aussagekräftiger, da durch das Tiefpassverhalten der doppeltintegrierenden Strecke – vor allem hochfrequente – Modellfehler im Positionssignal nahezu nicht mehr sichtbar sind. Der in Abb. 1.5 simulierte Lastkraftsprung ist nur sehr aufwändig am realen System (Abb. 1.2) umsetzbar. Daher wurde das Systemverhalten für einen sprungförmigen Lastabwurf simuliert und gemessen. Die statische Belastung ist durch ein Gewicht realisierbar, dessen Gewichtskraft über eine reibungsarme Rolle und eine dünne Schnur auf die lastseitige Masse wirkt. Trennt man die Schnur mit einer Schere auf, so entsteht ein nahezu sprungförmiger Lastabwurf. Der Vergleich von gemessenem und simuliertem Positionsverlauf in Abb. 3.30 zeigt eine befriedigende Übereinstimmung. Deutlich sichtbar wird die von der Regelverstärkung abhängige Anfangsauslenkung. Wird anstelle des zeitkontinuierlichen Lagereglers ein Abtastregler implementiert (Halteglied 0. Ordnung, zeitdiskrete Übertragungsfunktion mit der Lageregelverstärkung im Zähler, Abtastratenanpassung), so kann die in Abb. 1.15 anhand der Zeitkonstanten der Strecke vorausgesagte Verschlechterung der Regelgüte simuliert werden. Der Vergleich mit den an der realen Anlage gemessenen Daten in Abb. 3.31 zeigt auch hier eine befriedigende Übereinstimmung. Sprungantwort des P−lagegeregelten Tauchspulmotors 4 Kv=900 V/m
I in A, ____Simulation, ....Messung
3
2
Kv=300 V/m K =150 V/m
1
v
0
−1
−2
−3
0
0.1
0.2
0.3
0.4
0.5
t in s
Abb. 3.29. Motorstromverlauf für die Sprungantwort gem. Abb. 3.28
242
3 Simulation −3
−−−FL/kN, x1 in m ____Simulation ....Messung
6
x 10
Lastabwurf des P−lagegeregelten Tauchspulmotors
5
4
3
2
Kv=150 V/m Kv=300 V/m
1
0 Kv=900 V/m
−1 0
0.1
0.2
0.3
0.4
0.5
t in s
Abb. 3.30. Positionsverlauf für einen sprungförmigen Lastabwurf bei verschiedenen Regelverstärkungen
−−−xsoll, x1 in m ____Simulation, ....Messung
Sprungantwort des P−lagegeregelten Tauchspulmotors
0.016 0.014
Tsx=30 ms
0.012 T =10 ms sx
0.01 0.008
Tsx=1 ms
0.006 0.004 0.002 0
0
0.1
0.2
0.3
0.4
0.5
t in s
Abb. 3.31. Sprungantwort des lagegeregelten Tauchspulmotors für verschiedene Abtastzeiten (Regelverstärkung Kv=300 V/m)
Die hier dargestellten Zeitverläufe können gemäß Abb. 1.28 als „gut übereinstimmend“ gekennzeichnet werden. Während bei kleinen Regelverstärkungen die nicht modellierte Reibungsvariation die Simulationsgenauigkeit
3.4 Simulationsbeispiel Tauchspulmotor
243
beeinflusst, werden bei hohen Regelverstärkungen Schwingungsformen des mechanischen Systemteils angeregt, die durch das ZweimassenFedersystem im physikalischen Modell in Abb. 1.2 nicht erklärbar sind. Wenn im Rahmen der Simulation genauere Aussagen getroffen werden sollen, muss das Modell verfeinert werden. Dies bedeutet, dass die Modellbildungsschritte 2 („Wirkzusammenhänge ergründen“) und 3 („Quantitatives Modell“) wiederholt werden müssen um daraus dann ein besser angepasstes Modell zu implementieren. P h y s ik a lis c h e s M o d e ll: x 2 x 1-x
la s ts e itig e r j S ta rrk ö rp e r m 2
x 2
M
J j
B lo c k s c h a ltb ild d e s m e c h a n is c h e n T e ils y s te m s 1 /m 1
x 1(t)
F (t) 2
F
k k
k
F L(t)
B ie g e fe d e r L
1 /m 2
x 2(t) k
k .L k / 2
k .L k / 2 m o to r s e itig e r S ta rrk ö rp e r F m 1
x
1 /J M k
k
1
x
F
k .L k
2
/3
1
Abb. 3.32. Verfeinertes physikalisches Modell des mechanischen Systemteils, Blockschaltbild
Das zunächst angesetzte Zweimassen-Federsystem im physikalischen Modell in Abb. 1.2 geht von punktförmigen Massen aus. Für die in einem Freiheitsgrad x1 geführte motorseitige Masse m1 ist diese Annahme auch hinreichend genau. Für die Lastmasse m2 wird jedoch der rotative Freiheitsgrad ϕ, der durch die Deformation der Biegefeder zusätzlich zum translatorischen Freiheitsgrad x2 auftritt, nicht berücksichtigt. Bei einer kleinen Ausdehnung der Lastmasse wäre dies sicherlich vernachlässigbar. Bei der hier vorliegenden Strecke kann das Massenträgheitsmoment J jedoch nicht vernachlässigt werden und bewirkt vor allem zwei Effekte:
244
3 Simulation
• Neben der Biegeschwingung (Grundschwingung) kann die Lastmasse auch eine Torsionsschwingung um ihre eigene Achse ausführen. In Abb. 3.16 ist dies mit Hilfe des FE-Modells anschaulich dargestellt. • Durch die Kopplung von rotatorischem und translatorischem Freiheitsgrad über die Biegelinie der Biegefeder wird die Wirkung Massenträgheit der Lastseite vergrößert, ohne die translatorisch bewegte Masse m2 zu vergrößern. So ist es zu erklären, dass die Eigenfrequenz der Grundschwingung mit ca. 12 Hz deutlich tiefer ist, als es beim ZweimassenFedermodell zu erwarten wäre, wenn man die Eigenfrequenz mit der Biegesteifigkeit und den translatorischen Massen ermitteln würde (ca. 25 Hz). Diese Zusammenhänge sind im verfeinerten physikalischen Modell in Abb. 3.32 berücksichtigt. Gemäß (Knaebel 1992) gilt für die Federkraft Fk und das Federmoment Mk der Biegefeder: Fk =
12 ⋅ E ⋅ I a
Mk = −
mit
Lk
3
⋅ ( x1 − x2 ) −
6 ⋅ E ⋅ Ia Lk
2
6 ⋅ E ⋅ Ia Lk
2
⋅ϕ
4 ⋅ E ⋅ Ia ⋅ ( x1 − x2 ) + ⋅ϕ Lk
(3.10)
Ia
– axiales Flächenmoment 2. Ordnung der Biegefeder . -11 4 (hier 1,33 10 m ) – effektive Biegebalkenlänge (hier 0,1 m) Lk . 9 2 E – Elastizitätsmodul der Biegefeder (hier ca. 70 10 N/m ) 2 J – Massenträgheitsmoment der Lastmasse (hier 29 kgcm ) Aus dem dynamischen Kräfte- und Momentengleichgewicht der freigeschnittenen ebenen Teilkörper folgt: k ⋅ Lk ⋅ ϕ − FL 2 2 k ⋅ Lk k ⋅ Lk J ⋅ ϕ = − M k = ⋅ ( x1 − x2 ) − ⋅ϕ 3 2 k ⋅ Lk m1 ⋅ x1 = F − Fk = F − k ⋅ ( x1 − x2 ) + ⋅ϕ 2 m2 ⋅ x2 = Fk − FL = k ⋅ ( x1 − x2 ) −
(3.11)
mit k=
12 ⋅ E ⋅ I a Lk
3
(3.12)
3.4 Simulationsbeispiel Tauchspulmotor
245
Sprungantwort des P−lagegeregelten Tauchspulmotors
−−−xsoll, x1 in m ____Simulation, ....Messung
0.012
Kv=900 V/m
0.01
0.008 K =300 V/m v
0.006 K =150 V/m v
0.004
0.002
0
0
0.1
0.2
0.3
0.4
0.5
t in s
Abb. 3.33. Sprungantwort des lagegeregelten Tauchspulmotors für verschiedene Regelverstärkungen, Simulation mit dem verfeinerten Modell
Das Federmoment Mk, das in die motorseitige Masse eingeleitet wird, wird von der Linearführung aufgenommen und bleibt damit für diesen Starrkörper ohne Wirkung. Sprungantwort des P−lagegeregelten Tauchspulmotors 4 Kv=900 V/m
I in A, ____Simulation, ....Messung
3
2
K =300 V/m v
K =150 V/m
1
v
0
−1
−2
0
0.1
0.2
0.3
0.4
0.5
t in s
Abb. 3.34. Motorstromverlauf für die Sprungantwort gem. Abb. 3.33
246
3 Simulation
Das Blockschaltbild zum mathematischen Modell im Gl. (3.11) ist in Abb. 3.32 dargestellt. Dieses Blockschaltbild kann mit geringem Aufwand im Simulink-Modell (Abb:3.18) als mechanisches Teilsystem implementiert werden. Alternativ dazu könnten die Federkraft und das Federmoment als Koppelkräfte zwischen den beiden Starrkörpern aufgefasst werden und mit einer MATLAB-Funktion (wie für Robotermodelle in Abschn. 2.5.1 dargestellt) zusammengefasst werden. In Abb. 3.33 ist die mit diesem verfeinerten Modell simulierte Sprungantwort des Lageregelkreises dargestellt. Abbildung 3.34 zeigt den dazugehörigen Stromverlauf. Gemäß Klassifizierung der Modellgenauigkeit in Abb. 1.28 kann hier schon von einer „sehr guten Übereinstimmung“ zwischen Modell und Realität gesprochen werden. Der Gewinn an Modellierungsgenauigkeit wird auch durch den Frequenzgang in Abb. 3.35 zwischen Eingangsspannung und motorseitiger Geschwindigkeit verdeutlicht. Durch die Anpassung der Steifigkeit k könnte zwar auch für das physikalische Modell gemäß Abb. 1.2 eine gute Übereinstimmung mit der Realität für die Grundschwingung bei ca. 12 Hz erreicht werden, jedoch bildet dieses Modell die Oberschwingung – im Gegensatz zum physikalischen Modell gemäß Abb.3.32 – nicht nach. Zusammenfassung Das dynamische Verhalten der hier behandelten Tauchspulmotor-Achse kann sehr genau simuliert werden, wodurch zuverlässige Aussagen zum Bode−Plot G(s)=v1(s)/U(s) −20
|G| in dB
−30 −40 Messung Modell Abb. 3.32 Modell Abb. 1.2
−50 −60 0 10
1
10
2
10
phase in Grad
50 0 −50 −100 −150 0
10
1
10
2
10
f in Hz
Abb. 3.35. Frequenzgang zwischen Eingangsspannung und motorseitiger Geschwindigkeit
3.5 Simulationsbeispiel direktangetriebene Rundachse
247
Systemverhalten (Regelgüte, Steifigkeit) möglich werden. Bereits an diesem einfachen System wird jedoch deutlich, dass ein erheblicher Modellierungsaufwand getrieben werden muss, um eine sehr gute Übereinstimmung zwischen Simulation und Realität zu erreichen. Hierzu müssen die Modellbildungsschritte 2 und 3 im Rahmen der Validierung gegebenenfalls mehrfach durchlaufen werden, um so iterativ ein angepasstes, ausreichend genaues Modell zu erhalten.
3.5 Simulationsbeispiel direktangetriebene Rundachse 3.5.1 Elektro-mechanisches Modell Die Implementierung des Modells gemäß Abschn. 2.7.1 zeigen die Abb. 3.36–3.38. Dabei wurde der Regler zu besseren Übersichtlichkeit als Subsystem zusammengefasst. Die geeigneten Reglereinstellungen können mittels Simulation durch sukzessives Optimieren der Regelkaskaden anhand von Sprungantworten ermittelt werden. Dieses Vorgehen ist in den Inbetriebnahmehandbüchern der Antriebshersteller oder simulativ in (Zirn 2002) beschrieben. Die am realen System einstellbaren Reglerparameter variieren aufgrund subjektiver Einflüsse (v.a. Geräuschentwicklung durch Anregung der umgebenden Struktur, Quantisierungsbrummen), wie die Werte in Klammern in Tabelle 3.3 verdeutlichen. Die Nachstellzeit Tn im Geschwindigkeitsregler war mit 4 ms etwas klein gewählt, was bei größeren Lastträgheitsschwankungen zu einer nicht ausreichend robusten Reglereinstellung führte. Daher wurde ein größerer Wert (Tn=15 ms) vorgegeben. Ansonsten passen die simulativ ermittelten Reglereinstellungen gut zu den am realen System (Schöller 2003) erreichten Einstellungen, wie Tabelle 3.3 zeigt. Tabelle 3.3. Einstellungen für Simulation und reales System Parameter
Simulation
Reales System (möglich)
Kpi in V/A Tni in ms Kp in Nms/rad Tn in ms KV in 1/s FV 2 amax in rad/s ωsoll in rad/s
70 2 5000 4 250 0 60 7,27
70 (10 .. 70) 2 (1,5 .. 10) 5000 (3500 .. 5000) 15 (5 .. 15) 250 (220 .. 260) 0 (0 .. 1) 60 (0 .. 170) 7,27 (0 .. 12)
248
3 Simulation
% Abb_3_36_dat.m MATLAB-Script-Datei zur Simulation des % dynamischen Verhaltens der Servoachse % in Abb. 3.39 ff Zirn 11.2.05 clear all % alle Parameter löschen % Modellparameter J=5; % kgm2 Rotationsträgheit (Motor, Tisch, Werkstück) R=2.5; % Ohm Wicklungswiderstand L=30e-3; % H Wicklungsinduktivität KM=36; % Nm/A Momentenkonstante Komega=34; % Vs/rad Spannungskonstante Imax=25; % A Maximalstrom UZ=560; % V Zwischenkreisspannung MR=40; % Nm Lagerreibmoment dxm=1e-7; % rad Meßsystemauflösung Tel=L/R; % s Zeitkonstante des elektrischen Systemteils Mmax=Imax*KM; % Nm Maximalmoment fPWM=16e3; % Hz PWM-Frequenz %Reglereinstellungen Kv=250; % 1/s Lageregelverstärkung Kp=5000; % As/rad Drehzahlregelverstärkung Kpi=70; % V/A Stromregelverstärkung Tn=0.015;% s Nachstellzeit im Geschwindigkeitsregler Tni=0.002;% s Nachstellzeit im Stromregler Fv=0; % Proportionalitätsfaktor zur Geschwindigkeitsvorsteuerung % Abtastzeiten Tsi=62.5e-6; % s Abtastzeit des Stromreglers Tsv=2*Tsi; % s Abtastzeit des Geschw.reglers Tsx=20*Tsi; % s Abtastzeit des Lagereglers Ttot=1/fPWM+Tsi; % s Totzeit % Führungsgrößen xpos=5*pi/180; % rad Positionierweite vbahn=7.272; % rad/s Sollgeschwindigkeit amax=61.08; % rad/s Maximalbeschleunigung Tgrob=1.25e-3; % s Grobinterpolationszeit [Phisoll, Omegasoll, aXsoll, Tsoll]= Positioniersteuerung(xpos,vbahn,amax,Tgrob); % Störgröße ML=[0 0 0]; % Lastmoment TML=[0 0.2 0.6]; % Zeitbasis für den Lastmomentverlauf % Simulationsparameter Tsim=max(Tsoll); % Simulationszeit dt=Tsi/2; % Integrationsschrittweite ein_opts=simset('MaxRows',100000,'Solver','ode5','FixedStep ',dt); % Simulationsaufruf [x,y,t]=sim('Abb_3_37_mod',Tsim, ein_opts); % Darstellung...
Abb. 3.36 MATLAB-Script-Datei zur Simulation der lagegeregelten direktangetriebenen Rundachse
3.5 Simulationsbeispiel direktangetriebene Rundachse
249
Abb. 3.37. Simulink-Modell zur Simulation der lagegeregelten direktangetriebenen Rundachse
Abb. 3.38. Lageregler als Simulink-Subsystem 5°−Positionierung der direktangetriebenen Rundachse 0.1 0.09 0.08
Position in rad
0.07 0.06 0.05 0.04 0.03 0.02 Sollwert Simulation Messung
0.01 0
0
0.02
0.04
0.06 t in s
0.08
0.1
0.12
Abb. 3.39. Vergleich von gemessener und simulierter Position
Zunächst soll das Modell validiert werden. Dazu stehen Messungen der realen Rundachse zur Verfügung (Schöller 2003), die u.a. für eine 5°– Positionierbewegung der Achse mit den in Tabelle 3.3 aufgeführten Parametern aufgenommen wurden:
250
3 Simulation 5°−Positionierung der direktangetriebenen Rundachse 2.5 Sollwert Simulation Messung Winkelgeschwindigkeit in rad/s
2
1.5
1
0.5
0 0
0.02
0.04
0.06 t in s
0.08
0.1
0.12
Abb. 3.40. Vergleich von gemessener und simulierter Geschwindigkeit
Betrachtet man den Zeitverlauf der Position, so ergibt sich eine sehr gute Übereinstimmung zwischen Simulation und Messung. Die Übereinstimmung der gemessenen und simulierten Geschwindigkeit ist ebenfalls noch gut. Am Ende der Positionierbewegung wird jedoch ein gedämpftes Schwingen der gemessenen Geschwindigkeit sichtbar. Die Ursache hierfür ist die endlich steife Ankopplung der Rundachse an der darunter liegenden Struktur, die hier nicht im Modell berücksichtigt wurde. Die Beschränkung der Regelgüte durch eine elastische Basisaufhängung wird in Abschn. 4 vertieft diskutiert. Zur Vorhersage der mit dieser Servoachse ohne Berücksichtigung der Struktureinbindung erreichbaren Leistungsdaten ist das hier validierte Modell jedoch ausreichend genau. Simuliert man nun den in Abb. 2.61 gegebenen Bearbeitungszyklus, so fällt zunächst auf, dass die Taktzeit von einer Sekunde aufgrund der begrenzten Beschleunigungsfähigkeit der Achse nicht ganz erreichbar ist. Zudem muss sichergestellt sein, dass der Bearbeitungsprozess erst dann beginnt, wenn die Achse zuverlässig positioniert ist. Dadurch muss eine weitere Wartezeit – typischerweise in der Größenordnung eines oder zweier SPS-Zyklustakte – vorgesehen werden, um auf die Meldung der positionierten Achse mit dem Bearbeitungsprozess zu beginnen. Das erste Simulationsergebnis ist damit eine Verlängerung der Taktzeit gegenüber der theoretischen Vorgabe von ca. 20 ..40%. Optimierungsmöglichkeiten durch die Verringerung der Wartezeit zwischen Positionierung und Prozessbeginn sowie einer höheren Positioniergeschwindigkeit können leicht simulativ untersucht und quantifiziert werden.
3.5 Simulationsbeispiel direktangetriebene Rundachse
251
Bearbeitungszyklus der direktangetriebenen Rundachse 0.6 Soll Ist 0.5
Position in rad
0.4
0.3
0.2
0.1
0
−0.1
0
0.5
1
1.5
t in s
Abb. 3.41. Simulation des Führungsverhaltens für einen Bearbeitungszyklus Bearbeitungszyklus der direktangetriebenen Rundachse 20 Strom Winkelgeschw.
Winkelgeschw. in rad/s, Strom in A
15 10 5 Bearbeitung 0 −5 −10 −15 −20
0
0.5
1
1.5
t in s
Abb. 3.42. Simulation von Winkelgeschwindigkeit und Motorstrom
Der in Abb. 3.42 dargestellte Verlauf von Winkelgeschwindigkeit und Motorstrom dient zur Ermittlung der mittleren Lagerreibungs- und Ummagnetisierungsverluste gemäß Gln. (2.26) und (2.28) sowie des Effektivwertes des Motorstromes zur späteren Berechnung der elektrischen Verluste
252
3 Simulation Bearbeitungszyklus der direktangetriebenen Rundachse 0.15
lastbedingte Abweichung in mrad
0.1
0.05
0
−0.05
−0.1
0.4
0.5
0.6
0.7 t in s
0.8
0.9
1
Abb. 3.43. Simulation der Positionsabweichung durch die Prozesslast (Störverhalten)
im thermischen Modell. Der zeitliche Verlauf des Motorstromes zeigt deutlich den Strom- bzw. Momentenbedarf zur Bewegung (Beschleunigung, Verzögerung) der Achse sowie das Haltemoment gegen die Prozesslast. In Abb. 3.43 ist die lastbedingte Positionsabweichung dargestellt. Dabei wird die zeitverzögerte Ausregelung der Störung durch den Integralanteil im Geschwindigkeitsregler deutlich. Ausgehend von einer maximalen Abweichung von ca. 0,1 mrad und einem Lastmoment von ca. 200 Nm ergibt sich eine Laststeifigkeit der Achse von ca. 2.106 Nm/rad. 3.5.2 Thermisches Modell Die Implementierung des Modells gemäß Abschn. 2.7.2 zeigen die Abb. 3.44 und 3.45. Letztere macht deutlich, wie kompakt größere Mehrkörpermodelle mittels Zustandsdarstellung zusammengefasst werden können. Zur Validierung des Modells stehen die Messwerte der Wicklungstemperatur sowie der Tisch-Oberflächentemperatur für verschiedene Lastströme bei stillstehender Achse zur Verfügung (Schöller 2003). Beide Temperaturen wurden bei Luft- und bei Flüssigkühlung erfasst. Während die in die Wicklung eingegossenen Temperatursensoren eine sehr präzise Erfassung der mittleren Wicklungstemperatur ermöglichen, unterliegen die an der Oberfläche mit einem werkstattüblichen Kontakt-Thermometer gemessenen Werte einer Unsicherheit von 1...2 K.
3.5 Simulationsbeispiel direktangetriebene Rundachse
253
% Abb_3_44_dat.m MATLAB-Script-Datei zur Simulation des % thermischen Verhaltens der Servoachse % in Abb. 3.46 ff Zirn 12.2.05 clear all % alle Parameter löschen Abb_3_41_dat; % Simulation eines Bearbeitungszyklus % Modellparameter (thermisches Modell) PVumN=250; % W Nenn-Ummagnetisierungsverluste omegaN=8.5; % rad/s Nenn-Drehzahl alpha=0.004; % Temperaturkoeffizient Kupfer C10=2286; % J/K Wärmekapazität Wicklung C20=9300; % J/K Wärmekapazität Blechpaket ... C80=6975; % J/K Wärmekapazität Rotor G30=1/0.002; % K/W Wärmewiderstand Kühlmantel-Umgebung Kuehlart=1; % Kühlart festlegen (luftk.->0; flüssigk.>1) G30=Kuehlart*G30; G40=1/0.34; % K/W Wärmewiderstand Basisplatte-Umgebung G50=1/0.22; % K/W Wärmewiderstand Basisring-Umgebung ... G67=1/0.02; % K/W Wärmewiderstand Lager-Tisch G78=1/0.4; % K/W Wärmewiderstand Tisch-Außenläufer % Eingangsgrößen (Wärmeleistungen) PVum=PVumN*(omegaeff/omegaN)^2;% Ummagnetisierungsverluste PVR=MR*omega_m; % Reibungswärme im Lager % Leitwertmatrix G=[G12 –G12 0 0 0 0 0 0;-G12 G12+G28+G23 –G23 0 0 0 0 –G28]; G=[G;0 –G23 G23+G34+G30 –G34 0 0 0 0;0 0 –G34 G34+G45+G40 –G45 0 0 0]; G=[G;0 0 0 –G45 G45+G56+G50 –G56 0 0;0 0 0 0 –G56 G56+G67 –G67 0]; G=[G;0 0 0 0 0 –G67 G67+G78+G70 –G78;0 –G28 0 0 0 0 –G78 G28+G78]; % Kapazitätsmatrix Kap=diag([C10 C20 C30 C40 C50 C60 C70 C80]); % –> Zustandsdarstellung A=-inv(Kap)*G; B=inv(Kap); C=diag([1 1 1 1 1 1 1 1]); D=diag([0 0 0 0 0 0 0 0]); % Simulationsparameter Tsim=3600; % Simulationszeit dt=1; % Integrationsschrittweite ein_opts=simset('MaxRows',1e8,'Solver','ode5','FixedStep',d t); % Simulationsaufruf [x,y,t]=sim('Abb_3_45_mod',Tsim, ein_opts); % Darstellung...
Abb. 3.44. MATLAB-Script-Datei zur thermischen Simulation der lagegeregelten direktangetriebenen Rundachse
254
3 Simulation E r m ittlu n g d e r o h m s c h e n V e r lu s te
A b b _ 3 _ 4 5 _ m o d .m d l
T 1 s s im u lie r te T e m p e r a tu r 1
R * ( 1 + a lp h a * u [1 ]) * u [2 ]^ 2
T 2 s ts C lo c k
s im u lie r te T e m p e r a tu r 2
T o W o rk s p a c e 1
T 3 s
Ie ff
s im u lie r te T e m p e r a tu r 3 T 4 s
x ' = A x + B u y = C x + D u
P V u m
s im u lie r te T e m p e r a tu r 4
S ta te -S p a c e P V R
T 5 s
0
s im u lie r te T e m p e r a tu r 5
C o n s ta n t
T 6 s s im u lie r te T e m p e r a tu r 6 T 7 s s im u lie r te T e m p e r a tu r 7 T 8 s s im u lie r te T e m p e r a tu r 8
Abb. 3.45. Simulink-Modell zur thermischen Simulation der direktangetriebenen Rundachse
Abb. 3.46 zeigt die gemessenen und simulierten Temperaturen in der Wicklung bei Flüssigkühlung. Auch der Vergleich von Messung und Simulation bei Luftkühlung in Abb. 3.47 zeigt eine befriedigende Übereinstimmung. Die Erwärmung der Struktur ist, wie in Abb. 3.46 und 3.47 Erwärmungsverhalten der direktangetriebenen Rundachse 90 I = 13,2 A 80
Temperaturzunahme in K
70 I = 11,4 A
60 50 40 30
I = 7,3 A 20 Wicklung (Sim.) Wicklung (Mess.) Basisring, Tisch
10 0
0
500
1000
1500
2000 t in s
2500
3000
3500
4000
Abb. 3.46. Vergleich von gemessenen und simulierten Temperaturänderungen bei Flüssigkühlung für verschiedene Motorströme und stillstehende Achse
3.5 Simulationsbeispiel direktangetriebene Rundachse
255
Erwärmungsverhalten der direktangetriebenen Rundachse 140 Wicklung (Sim.) Wicklung (Mess.) Basisring, Tisch
120
Temperaturzunahme in K
I = 13,2 A 100 Grenze der zulässigen Wicklungserwärmung 80 I = 11,4 A 60
40 I = 7,3 A 20
0
0
500
1000
1500
2000 t in s
2500
3000
3500
4000
Abb. 3.47. Vergleich von gemessenen und simulierten Temperaturänderungen bei Luftkühlung für verschiedene Motorströme und stillstehende Achse
dargestellt, sehr gering und konnte qualitativ mit der o.g. Messunsicherheit nachgewiesen werden. Weitere Untersuchungen, bei denen die Lager- und Ummagnetisierungsverluste als dominierende Verlustquellen betrachtet wurden, liefern vergleichbare Ergebnisse, so dass hier von einem ausreichend genauen Modell zur Abschätzung von Beharrungstemperatur und transientem Erwärmungsverhalten ausgegangen werden kann. Die Simulation des Bearbeitungszyklus (Abb. 3.42) liefert die Eingangsgrößen für die thermische Simulation. Die mittleren Ummagnetisierungs- und Lagerverluste sind weitgehend temperaturunabhängig. Aus dem Effektivwert des Motorstromes können die elektrischen Verluste mit dem temperaturabhängigen Wicklungswiderstand ermittelt werden, was im Simulink-Modell in Abb. 3.45 mit einem Funktionsblock realisiert wurde. In Abb. 3.48 und 3.49 sind die simulierten Knotentemperaturen von Wicklung, Tisch, Basisring und Lager für einen Dauerbetrieb mit dem Bearbeitungszyklus gemäß Abb. 3.42 dargestellt. Diese Ergebnisse zeigen, dass die flüssiggekühlte Achse schnell einen Beharrungszustand erreicht und die Temperaturerhöhung in den für die Ausdehnung relevanten Bauteilen (Tisch, Basisring) vernachlässigbar klein bleibt. Spart man sich den Aufwand für die Kühlung, so wird dies mit einer deutlicheren Erwärmung der ausdehnungsrelevanten Bauteile und einer wesentlich längeren thermischen Zeitkonstante erkauft.
256
3 Simulation Erwärmungsverhalten der direktangetriebenen Rundachse Wicklung Tisch Basisring Lager
8
Temperaturzunahme in K
7 6 5 4 3 2 1 0
0
500
1000
1500
2000 t in s
2500
3000
3500
Abb. 3.48. Simulierte Knotentemperaturen für den Bearbeitungszyklus gemäß Abb. 3.42 bei Flüssigkühlung Erwärmungsverhalten der direktangetriebenen Rundachse Wicklung Tisch Basisring Lager
Temperaturzunahme in K
10
8
6
4
2
0
0
500
1000
1500
2000 t in s
2500
3000
3500
Abb. 3.49. Simulierte Knotentemperaturen für den Bearbeitungszyklus gemäß Abb. 3.42 bei Luftkühlung
Eine häufige Fragestellung bei direktangetriebenen Rundachsen ist die Fähigkeit zur Drehbearbeitung (Drehen, Drehfräsen). Dabei sind die erreichbaren Drehzahlen nicht nur durch die Zwischenkreisspannung begrenzt.
3.5 Simulationsbeispiel direktangetriebene Rundachse
257
Häufig kommt es auch trotz Flüssigkühlung zu einer unzulässigen Lagererwärmung (mit erheblichen Folgen für die Lebensdauer des Lagers). Das hier behandelte Modell eignet sich, um diese Frage zu diskutieren. In Abb. 3.50 und Abb. 3.51 sind die simulierten Knotentemperaturen der Erwärmungsverhalten der direktangetriebenen Rundachse 40 Wicklung Tisch Basisring Lager
35
Temperaturzunahme in K
30 25 20 15 10 5 0
0
2000
4000
6000 t in s
8000
10000
Abb. 3.50. Simulierte Knotentemperaturen für eine Drehbearbeitung bei Flüssigkühlung Erwärmungsverhalten der direktangetriebenen Rundachse 90 Wicklung Tisch Basisring Lager
80
Temperaturzunahme in K
70 60 50 40 30 20 10 0
0
2000
4000
6000 t in s
8000
10000
Abb. 3.51. Simulierte Knotentemperaturen für eine Drehbearbeitung bei Luftkühlung
258
3 Simulation
Rundachse für eine Drehbearbeitung mit einer konstanten Drehzahl von 100 U/min und einer Prozesslast von 200 Nm dargestellt. Bei Luftkühlung ist ein Dauerbetrieb der Achse nicht möglich, da die Wicklung zu heiß würde. Bei Flüssigkühlung ist zwar der Motor ausreichend gekühlt, jedoch steigt die Lagertemperatur um über 30 K an. Dies würde besondere Vorkehrungen zur Schmierung der Lager erfordern. Die recht erhebliche Erwärmung der Strukturbauteile um ca. 30..40 K im Dauerbetrieb würde zu einem axialen Wachsen der Achse von über 100 µm führen, was steuerungsseitig im Sinne der Bearbeitungsgenauigkeit kompensiert werden müsste.
3.6 Simulationsbeispiel Schleifmaschine Nachfolgend werden die Ergebnisse diskutiert, die mit dem in Kap. 2.8 aufgestellten Modell der Spitzenlos-Schleifmaschine erhalten wurden.
Abb. 3.52. Darstellungen einer Eigenschwingungsform (bei 93 Hz) des Maschinenaufbaus mit Berücksichtigung der Prozeßsteifigkeit
Eigenmode-Darstellung Die Gesamtsteifigkeitsmatrix wurde um Ersatzsteifigkeiten der lagegeregelten Antriebe an den Stellen der Krafteinleitungen der Antriebe ergänzt. Durch Lösen der Eigenwertgleichung Gl. (2.246) für das ungedämpfte
3.6 Simulationsbeispiel Schleifmaschine
259
System erhält man die Eigenfrequenzen und die dazugehörigen Eigenvektoren, die sich für die Darstellung der Eigenformen eignen. Tabelle 3.4 listet die ersten 12 Eigenformen der Konfigurationen mit und ohne Prozeßsteifigkeit auf. Teilweise weisen beide Varianten die gleichen Eigenformen auf. Bei der Variante mit Prozeßsteifigkeit liegen jedoch bei 86 und 93 Hz zwei Modi sehr nahe beieinander. Bei Messungen und Prozeßprobeläufen an der Prototypenmaschine wurden bei einer Frequenz von ca.85 Hz kritische Schwingungen festgestellt. Eine Abhilfe wurde zunächst in der Erhöhung der mechanischen Dämpfung gesucht und teilweise auch gefunden. In Abb. 3.52 ist beispielhaft dieser kritische Eigenmode der Schleifmaschine dargestellt. Tabelle 3.4. Eigenschwingungsformen Freq. 23 Hz 24 Hz
40 Hz 42 Hz
51 Hz 61 Hz 87 Hz
Ohne Prozeßsteifigkeit, Beschreibung gesamthaft X-Y-Bewegung + A-Rotation gesamthaft X-Y-Bewegung A-Rotation, Phasenlage zu erstem Mode geändert. Schleif- und Regelschlitten in Gegenphase X + B (+C) Schleif- und Regelschlitten in Gegenphase X + Y (+C) Schleif- und Regelschlitten in Phase X + B (+C) gesamthaft Z-A-Bewegung (+C-Rotation,Gegenphase). gesamthaft A-Rotation, +B-CBewegung in Gegenphase.
121 Hz gesamthaft B-C-Bewegung (X, Z Bew. Gegenphase). 130 Hz A + C Bewegung in Phase (X, Y, Z Gegenphase). 158 Hz B –Bewegung in Phase, C in Gegenphase 161 Hz B + C + XBewegung in Gegenphase 203 Hz B–Bewegung, Gegenphase
Freq. 23 Hz
Mit Prozeßsteifigkeit, Beschreibung vgl. ohne Proz. Steifigkeit
24 Hz
vgl. ohne Proz. Steifigkeit
42 Hz 50 Hz
gesamthafte C-Rotation (+ A gesamthaft) Schleif- u. Regelschlitten in Phase X + B (Y in Gegenphase)
61 Hz
vgl. ohne Proz. Steifigkeit
86 Hz
gesamthaft A-Rot., X, B, C in Gegenphase 94 Hz gesamthaft A-Rot., X, B, C in Gegenphase 121 Hz vgl. ohne Proz. Steifigkeit 134 Hz vgl. ohne Proz. Steifigkeit 158 Hz vgl. ohne Proz. Steifigkeit 172 Hz vgl. ohne Proz. Steifigkeit 203 Hz vgl. ohne Proz. Steifigkeit
260
3 Simulation 1 0
N a c h g ie b ig k e it G x x [m m /N ]
1 0
1 0
1 0
1 0
1 0
1 0
1
4 0 H z V e r lä u fe o h n e P r o z e s s s te ifig k e it
-0
V e r lä u fe m it P r o z e s s s te ifig k e it 1 6 2 H z
9 3 H z -1
1 3 0 H z
1 7 2 H z 1 3 4 H z
-2
-3
-4
-5
0
5 0
1 0 0
1 5 0 F re q u e n z [H z ]
2 0 0
2 5 0
Abb. 3.53. Dynamische Übertragungsfunktion eines Kräftepaares zwischen Schleif- und Regelscheibe mit einer Variation der Dämpfungswerte um +/–50%; Berechnung mit und ohne Prozeßsteifigkeit
In Abb. 3.53 sind die ersten vier Eigenmodes der Schleifmaschine als Nachgiebigkeitsfrequenzgang dargestellt. Die Absolutverlagerungen können aus diesen Darstellungen nicht abgeleitet werden, jedoch lassen sich die unterschiedlichen Modes in Bezug auf deren Beeinflussung des Bearbeitungsergebnisses beurteilen. Für den Prozess sind primär Eigenformen ausschlaggebend, bei denen es am TCP zu Relativbewegungen zwischen Werkstück und Werkzeug kommt. Im vorliegenden Fall befindet sich das Werkstück zwischen Schleif- und Regelscheibe. Daher sind gegenphasige Bewegungen dieser beiden Körper als kritisch zu betrachten. Dynamische Steifigkeit Zur Untersuchung der dynamischen, frequenzabhängigen Steifigkeit wurde die resultierende Relativsteifigkeit zwischen der Schleif- und der Regelscheibe in horizontaler Richtung betrachtet. Als weitere Untersuchungsparameter sind in Abb. 3.53 die Dämpfungen der Aufstellung und der Wälzführungseinheiten jeweils um 50% erhöht, resp. verringert worden. Dies zeigt die (geringe) Bandbreite der Ergebnisse infolge der bestehenden Unsicherheit der Dämpfungswerte. In Abb. 3.53 erkennt man die statisch deutlich geringere Steifigkeit der Konfiguration ohne Prozeßsteifigkeit. Eingeleitete statische Prozesskräfte haben bei realen Werkzeugmaschinen tendenziell eine Erhöhung der Steifigkeit zur Folge, Dies ist durch eine vergrößerte Vorspannung der Kontaktstellen zu erklären. In vorliegenden Fall wurden die lastabhängigen
3.6 Simulationsbeispiel Schleifmaschine
261
Steifigkeiten nicht berücksichtigt. Daher ist die zusätzliche Steifigkeit alleine der Grund für die Steifigkeitsänderung. Durch die Serienschaltung der zusätzlichen Steifigkeit mit einer ganzen Reihe von Steifigkeiten wird die Steifigkeitserhöhung reduziert. Wie in Tabelle 3.4 zu sehen, erscheinen die ausgeprägten Eigenfrequenzen bei Berücksichtigung einer Prozeßsteifigkeit etwas nach oben verschoben. Während ohne Prozeßsteifigkeit die erste klar erkennbare Resonanzüberhöhung bei 40 Hz auftritt, ist dies mit Prozeßsteifigkeit erst bei 93 Hz der Fall. Diese Tatsache stimmt gut mit der Beobachtung überein, dass bei Schleifversuchen Schwingungen gegen 86 Hz auftraten, jedoch nur beim Schleifen selber, nicht, wenn kein Werkstück im Eingriff war. Positionierbewegung Die Hauptschwierigkeit bei der Parametrierung der Linearachsen an dieser Maschine ist die erhebliche Reibung von 200 N. Einerseits ist die Reibung für den Prozess unbedingt erforderlich um die nötige Dämpfung zu erreichen, andererseits macht sich der zur statischen Einhaltung der Sollposition erforderliche Integral-Anteil im Regler bei der Positionierbewegung bemerkbar. Als Abhilfe bietet sich die Verwendung verschiedener Nachstellzeiten für die verschiedenen Betriebszustände an. Abbildung 3.54 zeigt den Einfluss verschiedener Nachstellzeiten auf die Positionierung.
8
D iffe r e n z z u E n d p o s itio n [m m ]
6 4 T 2
N
= 1 5 m s
T N
= 3 0 m s
T N
= 6 0 m s
S o llk o n tu r 0
-2 -4 -6 -8 0
0 .5
1
1 .5 Z e it [S e k .]
2
2 .5
3
Abb. 3.54. Verlauf einer simulierten Positionierbewegung über 20 mm Hub mit 2 6 m/min Vorschub und 2 m/s . Beschleunigung
262
3 Simulation
Gieren Die Auswirkung der exzentrischen Reibungskraft und der ebenfalls exzentrischen Schwerpunktslage ist in Abb. 3.55 zu erkennen. Infolge exzentrischer Reibung kommt es zu einer Gierbewegung, die über den axialen Abstand zum Drehzentrum zu einer seitlichen Bewegung führt. In Abb. 3.56 ist der zeitliche Verlauf der C-Rotationslage ECX (C-Verlagerungen bei X-Bewegung) während der in Abb. 3.55 dargestellten Pendelbewegung gezeigt. Bei der Hinbewegung dreht sich der Aufbau nach der Beschleunigungsphase um andauernd 0.6 µm/m, m/m, was mit der lateralen lat Hysterese von 0.3 µm m auf einen Abstand von 0.5 m zum Drehzentrum führt. Bei der Herbewegung findet, entsprechend der nun umgekehrten Richtung der Reibungskraft eine Rotation in der Gegenrichtung statt. In den Beschleunigungs- und Abbremsphasen kommt es in der X-YEbene zu Auslenkungen, die schwach gedämpft ausklingen. Die hier auftretenden Frequenz liegt bei ca. 130 Hz, einem Mode, bei dem C-Rotationen auftreten. cross-talk Während sich die exzentrische Reibungskraft in der X-Y-Bewegung bemerkbar macht, ist die Auswirkung der ebenfalls exzentrischen Schwerpunktslage in Abb. 3.57 zu erkennen. Die Ursache in diesem Fall sind Nickbewegungen um die Y-Achse (B-Rotationen). Die Größe der Nickbewegungen EBX (B-Verlagerungen bei X-Bewegung), dargestellt in 2 1 .5
Y -B e w e g u n g [m m ]
1
H in -B e w e g u n g
0 .5 0 -0 .5
H e r-B e w e g u n g
-1 -1 .5 -2 0
1 0
2 0 3 0 X -B e w e g u n g [m m ]
4 0
5 0
Abb. 3.55. X-Y-Verlauf einer X-Pendelbewegung über 50 mm mit 1.2 m/min 2 Vorschub und 1 m/s Beschleunigung.
3.6 Simulationsbeispiel Schleifmaschine
263
Abb. 3.58, lässt wieder auf einen Abstand des TCP zum Drehzentrum von etwa 0.5 m schließen. Das Ausklingen der Auslenkung zum jeweiligen Beginn der Bewegung erfolgt mit etwa 25 Hz. 6
R o ta tio n e n E C X
[m m /m ]
4
2
0
-2
-4
-6 0
1
2
3
4 Z e it [s e c .]
5
6
7
8
Abb. 3.56. Verlauf der C-Rotationen bei einer X-Pendelbewegung über 50 mm 2 mit 1.2 m/min Vorschub und 1 m/s Beschleunigung 3
Z -B e w e g u n g [m m ]
2 H in -B e w e g u n g
1 0 -1
H e r-B e w e g u n g
-2
-3 0
1 0
2 0 3 0 X -B e w e g u n g [m m ]
4 0
5 0
Abb. 3.57. X-Z-Verlauf einer X-Pendelbewegung mit dem Schleifschlitten über 2 50 mm mit 1.2 m/min Vorschub und 1 m/s Beschleunigung
264
3 Simulation 6
R o ta tio n e n E B X
[m m /m ]
4
2
0
-2
-4
-6 0
1
2
3
4
5
6
7
8
Z e it [s e c .]
Abb. 3.58. Verlauf der B-Rotationen bei einer X-Pendelbewegung über 50 mm 2 mit 1.2 m/min Vorschub und 1 m/s Beschleunigung
Zusammenfassung Die Analyse eines Maschinenkonzeptes mittels Antriebs- und Struktursimulation konnte verdeutlicht werden. Die Beeinflussung des Maschinenverhaltens durch die zusätzliche Prozeßsteifigkeit wurde praxisnah eingebunden. Die Nachbildung der Steuerungsfunktionalitäten erfolgte hier nur rudimentär, da auch bei der Versuchsmaschine die Möglichkeiten für steuerungsseitige Eingriffe nur sehr beschränkt gegeben waren. Die aus der Simulation erkennbare Größe des reibungsbedingten Gierens wurde an der Versuchsmaschine bestätigt.
4 Regelung von Servoantrieben
Die Modellbildung in Kap. 2 und die Simulationsbeispiele in Kap. 3 haben bereits gezeigt, dass der Servoantrieb die Schlüsselkomponente für die Leistungsfähigkeit einer numerisch gesteuerten Fertigungsanlage darstellt. Der Servoantrieb ist neben dem Führungsgrößengenerator zudem meist die einzige Komponente, an der an bestehenden Anlagen schnell Parameter verändert werden können, um auf Probleme im Betrieb der Maschine zu reagieren. Daher werden in diesem Abschnitt die wichtigsten Regler- und Streckenparameter, die das Verhalten des Servoantriebs beeinflussen, behandelt. Dazu werden Einstellregeln hergeleitet, die einerseits eine überschlägige Abschätzung des zu erwartenden Antriebsverhaltens (Laststeifigkeit, Regelgüte, Führungsübertragungsverhalten) zulassen, und andererseits als Startwerte für die Optimierung an vorhandenen Anlagen oder detaillierten Modellen dienen. e la s tis c h e S tr u k tu r k o m p o n e n te n , L a s ttr ä g h e it
j
S o llw e r tg e n e ra to r, F ilte r K s o ll
v
P o s itio n s r e g le r
j
K p, T s o ll
d /d t
T C P P o s itio n
n
w 0, l M
s o ll
G e s c h w .r e g le r
M o to rS tr o m r e g e lk r e is p o s itio n ( E r s a tz z e itk o n s ta n te T ) , F ilte r , M o to r tr ä g h e it
D j
w
0 m
, D
e la s tis c h e E n c o d e ra n k o p p lu n g
e rfa s s te P o s itio n
Q u a n tis ie r u n g
Abb. 4.1. Prinzipieller Aufbau einer positionsgeregelten Servoachse
266
4 Regelung von Servoantrieben
Den prinzipiellen Aufbau eines positionsgeregelten Servoantriebs zeigt Abb. 4.1. Die für die Einstellung wesentlichen Regelparameter sind dabei: • Lageregelverstärkung Kv • Geschwindigkeitsregelverstärkung Kp • Nachstellzeit Tn im Geschwindigkeitsregler Die erreichbaren Regelparameter sind begrenzt durch • Ersatzzeitkonstante T des Stromregelkreises • Eigenfrequenz ω0 und Trägheitsverteilung λ einer elastisch angekoppelten Last • Eigenfrequenz ω0m und Dämpfung D einer elastischen Encoderanordnung • Auflösung ∆ϕ der am Encoder gemessenen Position Die Einstellung des Stromregelkreises kann weitgehend unabhängig vom mechanischen Systemteil erfolgen. Sind die Wicklungsdaten des Motors bekannt, so kann mit den Empfehlungen des Umrichterherstellers zur Stromreglereinstellung ein befriedigendes Anregelverhalten erreicht werden. Im nachfolgenden Abschn. 4.1 wird die Stromreglereinstellung erläutert. Für die weiteren Betrachtungen können die Zeitkonstante des Stromregelkreises, Totzeiten durch die Pulsweitenmodulation oder Rechenzeitverzögerungen des digitalen Stromreglers sowie die Zeitkonstante der vielfach eingesetzten Stromsollwert-Glättungsfilter zu einer Ersatzzeitkonstante T zusammengefasst werden. Mit dieser Ersatzzeitkonstante wird die zeitlich verzögerte Umsetzung des Sollmomentes Msoll in ein physikalisch wirksames Motormoment M ausreichend genau beschrieben. Die heute an Servoantrieben und Steuerungen erreichten Abtastzeiten sind so klein, dass deren Wirkung auf die Regelkreise weitgehend vernachlässigt werden kann (siehe auch Abschn. 1.1.3). Nachfolgend wird daher mit quasikontinuierlichen Betrachtungen der Regelkreise gearbeitet. Die wesentlichen Einstellparameter eines Servoantriebes sind damit die Proportionalanteile in Lage- und Geschwindigkeitsregler. Mit ihnen liegt das Führungs- und Störübertragungsverhalten der Achse weitgehend fest. Können diese Parameter anhand der mechanischen Eigenschaften einer Achse überschlägig bestimmt werden, so bekommt der Entwickler einen schnellen Überblick über die erreichbare Leistungsfähigkeit. Weiterhin sind Schätzwerte der oben genannten Reglerparameter wertvoll, um die Inbetriebnahmezeit zu verkürzen. Dies wird in den Abschn. 4.2 und 4.3 vertieft behandelt. Die Meßsystemauflösung ∆ϕ kann aufgrund der diskreten Differenzierung des Positionssignals zur Geschwindigkeitsermittlung in Verbindung mit sehr hohen Regelverstärkungen zu Quantisierungsbrummen führen (Glattfelder/Zirn, 1998). Hierauf wird in Abschn. 4.4 eingegangen.
4.1 Stromregler
267
4.1 Stromregler
1 /K M 1 + s T M
s o ll
f
K Iso
ll
T
p i
U
s o ll
T
to t to t
' =
+ 2 T
1 /R 1 + s T
s i
K
e l
M
U
M o to rs tro m
M
m e c h a n is c h e r S y s te m te il
G e s c h w in d ig k e its r e g le r
Der Stromregelkreis hat die Aufgabe, die Stellgröße (d.h. die stromproportionale Antriebskraft bzw. das Antriebsmoment) der vom Geschwindigkeitsregler geforderten Sollgröße nachzuführen und den Einfluss der bewegungsbedingt induzierten Gegenspannung auf die Stellgröße soweit möglich zu unterdrücken. Prinzipiell könnte der Stromregelkreis auch durch eine entsprechend angepasste Vorgabe der Motorspannung ersetzt werden. Dann reagiert der Motorstrom jedoch verzögert um die elektrische Zeitkonstante. Die Zeitkonstanten eisenbehafteter Servomotorwicklungen liegen im Bereich von 5.20 ms. Für anspruchsvolle Regelungen ist dies zu langsam. Nur bei Luftspaltwicklungen (z.B. beim Tauchspulmotor in Abschn. 1) kann auf einen Stromregelkreis verzichtet werden. Um analytische Näherungen für die einzustellenden Reglerparameter zu erhalten, wird der lineare Systemteil des Stromregelkreises aus Abb. 2.4 betrachtet:
I
Abb. 4.2. Blockschaltbild des linearen Systemteils mit P-Stromregler
Die Regelstrecke besteht aus einer Totzeit und einem Übertragungsglied erster Ordnung für die induktivitätsbehaftete Motorwicklung. Die Totzeit Ttot’ muss in dieser Näherung die PWM-bedingte Verzögerung gemäß Gl. (2.4) und – bei einem digitalen Stromregler – die Abtastung berücksichtigen. Die Verzögerung durch die Abtastung und die Rechenzeit im Stromregler kann mit der zweifachen Abtastzeit Tsi ausreichend gut berücksichtigt werden (Groß et al. 2000). An heutigen Servoantrieben liegt die Totzeit im Bereich von 50..250 µs und ist damit eine Größenordnung kleiner als die elektrische Zeitkonstante. Der Ersatz des Totzeitgliedes durch eine Näherung erster Ordnung nach Padé (Geering u. Shafai 2004)
268
4 Regelung von Servoantrieben
ergibt für diesen Größenordnungsunterschied zwischen Ttot’ und Tel eine hervorragende Näherung für die Übertragungsfunktion der Regelstrecke:
I(s) 1/R 1 − sTtot ' 1/R Ttot ' Ttot ' T K pi = R ⋅ ¨¨ el tot − 1 ¸¸ ⎯⎯ ⎯⎯→ R ⋅ el 2 ⋅ Ttot ' © 4 ⋅ Tel ⋅ Ttot ' ¹
(4.3)
In der Inbetriebnahmepraxis hat sich die „konservative“ Näherung gemäß Gl. (4.3) als brauchbarer – und vor allem schnell ermittelbarer – Startwert erwiesen. Für Tel>>Ttot ist die Stromregelverstärkung Kpi wesentlich größer als der Wicklungswiderstand R. Damit bietet sich die in Abb. 2.6 dargestellte Näherung des Stromregelkreises mit der Zeitkonstante Telr des stromgeregelten Motors gemäß Gl. (2.13) an. Die Steigerung der Stromanstiegsgeschwindigkeit durch den Proportionalanteil des Stromreglers ist zusätzlich durch die Zwischenkreisspannung UZ begrenzt:
dI(t) I U = max ≤ Z dt max Telr L
(4.4)
Mit Gl. (4.3) und Gl. (2.13) folgt für die zwischenkreisspannungsbedingte Obergrenze der Stromregelverstärkung:
K pi ≤
UZ I max
(4.5)
4.1 Stromregler
269
M
1 /K M 1 + s T s o ll
f
K Iso
p i
.
(1 + 1 /s T
n i
1 /R 1 + s T ) U
ll
K
e l
M
s o ll
M o to rs tro m
M
m e c h a n is c h e r S y s te m te il
G e s c h w in d ig k e its r e g le r
Werden hohe Motorströme abgefordert, so ist eine erhebliche Steigerung der Stromregelverstärkung über den Grenzwert gemäß Gl. (4.5) hinaus ist nicht sinnvoll, da dies sättigungsbedingt zu einer weiteren Entdämpfung des Regelkreises führen kann. Für die Einstellung der Nachstellzeit Tni des Integralanteiles im Stromregler kann die verhältnismäßig kleine Totzeit ganz vernachlässigt werden. Daraus folgt das mathematische Modell in Abb. 4.3 zur Auslegung des PIStromregelkreises. Die Übertragungsfunktion lautet: K pi ⋅ (s ⋅ Tni + 1) I(s) R (4.6) Gi (s) = = K pi /R + 1 K pi I soll (s) 2 s + ⋅s + Tel R ⋅ Tni ⋅ Tel
I
Abb. 4.3. Vereinfachtes Blockschaltbild des Stromregelkreises mit PI-Regler
Für die analytische Auslegung des I-Anteils empfiehlt sich wiederum der Ansatz eines aperiodisch gedämpften Regelkreises („konservative Reglereinstellung“): K pi / R R K >> R (4.7) Tni = 4 ⋅ ⋅ Tel ⎯⎯pi ⎯ ⎯→ 4 ⋅ ⋅ Tel 2 K pi K pi / R + 1
(
)
Für die in Abschn. 5.1 behandelte Servoachse (C-Achse) ergibt sich gemäß Gl. (4.3) ein Wert von Kpi = 170 V/A, der deutlich über der zwischenkreisspannungsbedingten Grenze gemäß Gl. (4.5) von 22,5 V/A liegt. Da die der Achse abgeforderte Beschleunigung jedoch wesentlich kleiner als die mit dem Maximalstrom mögliche Beschleunigung ist, spielt die begrenzte Zwischenkreisspannung hier für den Stromregelkreis keine Rolle. Die Nachstellzeit gemäß Gl. (4.7) beträgt dann Tni = 1,5 ms. In Abb. 4.4 ist die Sprungantwort des Stromregelkreises mit den so ermittelten Reglereinstellungen dargestellt. Die Simulation unterstreicht beispielhaft die Erfahrung an vielen unterschiedlichen Servoantrieben, dass die analytische Reglereinstellung gemäß Gln. (4.3 u. 4.7) passende Schätzwerte für einen
270
4 Regelung von Servoantrieben Sprungantwort des Stromregelkreises einer Servoachse 1.2
1
I/Isoll
0.8
0.6
0.4 Sollwert Messung Simulation des vollst. Motormodells PT1−Glied mit Ersatzzeitkonstante T
0.2
0 −0.1
0
0.1
0.2
0.3
0.4
0.5
0.6
t/Tel
Abb. 4.4. Sprungantwort des Stromregelkreises für die Servoachse aus Abschn. 5.1 mit den analytisch hergeleiteten Regelparametern gemäß Gln. (4.3, 4.7)
M
1 1 + s T s o ll
M
m e c h a n is c h e r S y s te m te il
G e s c h w in d ig k e its r e g le r
gut gedämpften Stromregelkreises liefert. Der Vergleich mit der gemessenen Sprungantwort zeigt weiterhin, dass das vollständige Motormodell gemäß Abb. 2.4 den Stromregelkreis ausreichend genau nachbildet. Für den stromgeregelten Motor im für Servoantriebe typischen Betriebsbereich wird in Abb. 2.6 ein vereinfachtes Blockschaltbild, bestehend aus Stellgrößenfilter, Stellgrößensättigung, Totzeitglied und einem Übertragungsglied erster Ordnung für den Stromregelkreis angegeben. Für beschleunigungsbegrenzte Führungsgrößen ist die Stellgrößensättigung im praktischen Betrieb nicht wirksam und kann daher für die Reglereinstellung vernachlässigt werden. Somit kann der ausreichend gedämpft eingestellte stromgeregelte Motor mit Stellgrößenfilter bezüglich seiner Wirkung auf die überlagerten Regelkreise mit guter Näherung durch ein Übertragungsglied erster Ordnung nachgebildet werden (Abb. 4.5). Die Ersatzzeitkonstante T
Abb. 4.5. Vereinfachtes Modell des stromgeregelten Antriebs
4.2 Geschwindigkeitsregler
271
ergibt sich aus der Addition der Zeitkonstante Telr des stromgeregelten Motors, der Totzeit Ttot’ und gegebenenfalls der Filterzeitkonstante eines Stellgrößenfilters Tf (Groß et al. 2000): T = Telr+ Ttot’+ Tf
(4.8)
Die Sprungantwort dieses vereinfachten Modells ist beispielhaft in Abb. 4.4 dem simulierten Verlauf mit dem vollständigen Motormodell an einer Servoachse gegenübergestellt. Die zeitverzögerte Stellgrößenerzeugung wird durch das vereinfachte Modell bereits gut nachgebildet. Vergleicht man zusätzlich den zeitlichen Verlauf der mechanischen Systemgrößen (Position, Geschwindigkeit), so sind die Abweichungen zwischen detailliertem Motormodell bzw. Messung einerseits und vereinfachtem Motormodell andererseits äußerst gering. Das vereinfachte Modell des stromgeregelten Antriebs gemäß Abb. 4.5 kann somit den nachfolgenden analytischen Betrachtungen zugrunde gelegt werden.
4.2 Geschwindigkeitsregler Die Geschwindigkeitskaskade legt maßgeblich die Dämpfung des positionsgeregelten Systems fest. Zudem ist der Geschwindigkeitsregler für die schnelle Ausregelung von statischen oder niederfrequenten Störgrößen zuständig. Damit kommt der Einstellung dieses Regelkreises ganz besondere Bedeutung zu. Die erreichbare Regelgüte wird begrenzt durch die Ersatzzeitkonstante des unterlagerten Stromregelkreises, die elastische Maschinenstruktur sowie die gegebenenfalls elastische Anbringung des Positionsmeßsystems. Während die Ersatzzeitkonstante des stromgeregelten Systems heute meist so klein ist, dass der begrenzende Einfluß für den Geschwindigkeitsregler nahezu nicht mehr spürbar ist, spielen elastisch angekoppelte Strukturbauteile eine wesentliche Rolle. Insbesondere die Erfahrungen mit den bislang ausgeführten Direktantrieben an Werkzeugmaschinen und Robotern zeigen, dass die Vorteile der Direktantriebe in der Praxis nur ungenügend im Sinne einer höheren Maschinenproduktivität umgesetzt werden können. Eine wesentliche Ursache für die Leistungseinbußen von Direktantrieben in Werkzeugmaschinen im Vergleich zu den an Einzelachsprüfständen erreichten Eigenschaften ist in der endlichen Steifigkeit der Maschinenstruktur zu suchen. Der Ersatz eines Antriebes mit elastischen Übertragungsgliedern durch einen Direktantrieb beseitigt nur eine Elastizität in der Antriebskette. Die nachfolgenden Betrachtungen sind jedoch für alle Servoantriebe (Direktantriebe, Kugelgewindetriebe, Zahnbandantriebe, ..) gültig.
272
4 Regelung von Servoantrieben
4.2.1 Elastizitäten im Geschwindigkeitsregelkreis Die Einflüsse von Strukturelastizitäten lassen sich bezüglich Ihrer Wirkung auf den Servoantrieb in elastisch angekoppelte Strukturbauteile und die Positions- bzw. Geschwindigkeitserfassung an elastisch angekoppelten Messpunkten aufteilen, wie dies in Abb. 4.6 dargestellt ist. a )
v
m o to r s e itig e T r ä g h e it
s o ll
v
R e g le r 1
F m
1
b )
la s ts e itig e k T r ä g h e it d
e la s tis c h e K o p p lu n g
m 2
v
m e ß s y s te m s e itig e k T r ä g h e it
m o to r s e itig e T r ä g h e it
s o ll
v
R e g le r
2
F m
1
d m
2
e la s tis c h e K o p p lu n g
Abb. 4.6. Strukturelastizitäten im Geschwindigkeitsregelkreis
Zunächst soll der geschwindigkeitsgeregelte Antrieb unter Berücksichtigung elastisch angekoppelter Trägheiten betrachtet werden, deren Freiheitsgrade messtechnisch nicht erfasst werden (Abb. 4.6 a). Grundsätzlich existieren – bedingt durch die vielfältigen Konstruktionsvarianten von Werkzeugmaschinen und Robotern – beliebig viele Anordnungsmöglichkeiten von Elastizitäten. Für die Rückwirkung auf den geregelten Antrieb können diese Anordnungsmöglichkeiten jedoch in vier grundsätzliche Fälle eingeteilt werden, deren physikalische Modelle in Tabelle 4.1 dargestellt sind: 1. Flexibel angekoppelte Lastträgheit: Die Flexibilitäten resultieren beispielsweise aus einer verjüngten Werkstückaufspannung bei einer direktangetriebenen Rundachse oder aus den Elastizitäten von Riemengetriebe und Gewindespindel bei einem Kugelgewindetrieb. 2. Antrieb mit unsymmetrischem Kraftangriffspunkt: Wenn die Antriebskraft F nicht im Massenschwerpunkt der angetriebenen Last angreift, kommt es bei Beschleunigungsvorgängen zu einer Einfederung von Führungen und Lagern (Weikert 2000). Man muss dann zwischen der Schlittenposition (gemessene Position nahe des Kraftangriffspunktes) und der Position des Massenschwerpunktes unterscheiden. Im ebenen Fall kann die angetriebene Last als Starrkörper mit dem Massenträgheitsmoment J und der Punktmasse m im Massenschwerpunkt beschrieben werden. Die Führungssteifigkeit kann mit guter Näherung durch ein Federersatzmodell beschrieben werden (siehe hierzu auch Abb. 2.20) und wirkt in der hier skizzierten Anordnung wie eine Torsionsfeder. 3. Elastisch aufgehängte Maschinenbasis: Die vom Antrieb erzeugte Stellgröße muss von der unterlagerten Struktur aufgenommen werden (siehe
4.2 Geschwindigkeitsregler
273
auch Abb. 2.21). Dadurch kann eine elastisch aufgehängte Maschinenbasis zu Schwingungen angeregt werden. Da als Achsposition die Relativposition zu Basis gemessen wird, koppeln deren Schwingungen direkt in den Regelkreis. Vereinzelt wird durch gezielte konstruktive Maßnahmen eine flexibel aufgehängte Teilbasis für hochdynamische Achsen vorgesehen, um Anregungen der gesamten Maschine durch hohe Achsbeschleunigungen zu vermeiden (Stoiber u. Knorr 2000). 4. Anregung von Lateralelastizitäten: Die Beschleunigung von Rundachsen mit exzentrischem Massenschwerpunkt führt aufgrund der endlichen Führungs- und Lagersteifigkeit zu Positionsabweichungen und Schwingungen in einem dazu senkrecht stehenden Freiheitsgrad (Lateralabweichung). Im ebenen Starrkörpermodell in Tabelle 4.1 sind die motor- und lastseitigen Trägheiten zu einer angetriebenen Trägheit J zusammengefasst. Dies ist zulässig, wenn die Eigenfrequenz der Lateralschwingungen deutlich kleiner ist, als die Eigenfrequenz der angekoppelten Last (Fälle 1,2) oder der Basis (Fall 3). Das Übertragungsverhalten soll zunächst für den augenfälligsten Fall einer elastischen Maschinenstruktur – eine über eine verjüngte Aufspannvorrichtung angekoppelte Lastträgheit (Fall 1) – einer Rundachse ermittelt werden. Dabei wird der Geschwindigkeitsregler zunächst als reiner Proportionalregler angenommen und von einer verzögerungsfreien Erzeugung der Stellgröße ausgegangen. Im physikalischen Modell in Tabelle 4.1 sind die fest mit dem Direktantrieb gekoppelten Trägheiten zum motorseitigen Trägheitsmoment J1 und die fest mit der Last gekoppelten Trägheiten zur lastseitigen Trägheit J2 zusammengefasst. Auf der Basis des dynamischen Momentengleichgewichtes kann das mathematische Modell wie folgt formuliert werden: J 1 ⋅ ϕ1 = M − k ⋅ (ϕ1 − ϕ 2 )
(4.9)
J 2 ⋅ ϕ2 = k ⋅ (ϕ1 − ϕ 2 )
(4.10)
Die sehr kleinen Dämpfungswerte des Materials bzw. der Lager und Führungen können gegenüber der durch die Regelung eingebrachten Dämpfung vernachlässigt werden. Für die Geschwindigkeitsregelung wird die motorseitige Position differenziert: M = K p ⋅ (ϕ soll − ϕ1 )
mit Kp ϕ soll
(4.11)
– Proportionalanteil der Geschwindigkeitsregelverstärkung – Geschwindigkeitssollwert
274
4 Regelung von Servoantrieben
Tabelle 4.1. Klassifikation der antriebsseitig wirksamen Strukturelastizitäten Anordnung der Elastizität in der Antriebskette 1 Flexibel angekoppelte Lastträgheit: M o to r
L a s t
Systemparameter
λ=
J1 J1 + J 2
k M J
J 1
j
Ȧ0 = k ⋅ 2
j 1
ț= 2
2 Antrieb mit unsymmetr. Kraftangriffspunkt: y
λ=
a fik tiv e s D r e h g e le n k m it T o r s io n s fe d e r
x
k
m ,J
a F
p r is m a tis c h e s G e le n k
3 Elastisch aufgehängte Basis: B a s is k J
M B
M
j
J j B
ț=
λ=
M o to r, L a s t
4 Anregung von Lateralelastizitäten: y
k
M ,j
m ,J
ț= Ȝ=
J J + m⋅r2 k J
Kp m JB J + JB k JB
Kp J J J + m ⋅ r2
Ȧ0 =
r e la s tis c h a u fg e h ä n g te s D r e h g e le n k
J1 + J 2
Ȧ0 =
a x
Kp
Ȧ0 =
r
ț=
J1 + J 2 J1 ⋅ J 2
k m Kp
J + m ⋅ r2
4.2 Geschwindigkeitsregler
275
Aus Gl. (4.9), (4.10), (4.11) folgt für die Übertragungsfunktion des Geschwindigkeitsregelkreises:
(
Kp
ϕ (s) = Gv ( s ) = 1 ϕ soll (s)
)
⋅ J2 ⋅ s2 + k J1 ⋅ J 2 Kp ⋅k K p 2 k ⋅ (J 1 + J 2 ) ⋅s + ⋅s+ s3 + J1 ⋅ J 2 J1 ⋅ J 2 J1
(4.12)
Führt man als Kenngrößen das Trägheitsverhältnis λ, die Eigenfrequenz ω0 und die auf die Gesamtträgheit bezogene Geschwindigkeitsregelverstärkung κ gemäß Tabelle 4.1 ein, so vereinfacht sich die Übertragungsfunktion des Geschwindigkeitsregelkreises zu:
ț
2
⋅ s + Ȧ0 ⋅ ț ϕ (s) Ȝ Gv ( s ) = 1 = ϕ soll (s) s 3 + ț ⋅ s 2 + Ȧ 2 ⋅ s + Ȧ 2 ⋅ ț 0 0 2
(4.13)
Ȝ
Führt man die Kenngrößen λ, ω0 und κ wie in Tabelle 4.1 dargestellt für die übrigen Fälle 2–4 ein, so ergibt sich dieselbe Übertragungsfunktion der geschwindigkeitsgeregelten Systeme gemäß Gl. (4.13). Offenbar wirken sich elastisch angekoppelte Lasten einheitlich auf den Geschwindigkeitsregelkreis aus. Folglich genügt es für die nachfolgend behandelte Regleroptimierung, den dominanten Einfluss zu berücksichtigen, d.h. den auftretenden Fall mit der kleinsten Eigenfrequenz ω0 oder dem ungünstigsten (kleinsten) Trägheitsverhältnis λ. Die Kenngrößen λ, ω0 sowie die Gesamtträgheit beschreiben eine Achse hinsichtlich ihrer dominaten elastischen Kopplungen und sind heute meist aus Steifigkeitsbetrachtungen (z.B. statische FE-Analyse) in der Entwurfsphase oder mittels Modalanalyse an Prototypen ermittelbar. Wenn, wie in Abb. 4.6 b dargestellt, nicht die motorseitige Position, sondern nur eine an einem flexibel angekoppelten Bauteil gemessene Position zur Geschwindigkeitsermittlung zur Verfügung steht, spielt die Dämpfung dieser Ankopplung eine große Rolle. Geht man zunächst von einem reinen Proportionalanteil im Geschwindigkeitsregler sowie einer verzögerungsfrei erzeugten Stellgröße aus, so folgt aus dem mathematischen Modell in Abb. 4.6 die Übertragungsfunktion:
Gv ( s ) =
v2 (s) = vsoll (s)
(
K p ⋅ m2 ⋅ s 2 + d ⋅ s + k
(
)
(4.14)
)
m1m2 s 3 + d (m1 + m2 )s 2 + k (m1 + m2 ) + K p d s + K p ⋅ k
276
4 Regelung von Servoantrieben
Führt man wiederum als Kenngrößen das Trägheitsverhältnis λ, die Eigenfrequenz ω0m und die auf die Gesamtträgheit bezogene Geschwindigkeitsregelverstärkung κ ein,
λ=
m1 m1 + m2
ω0 m = k ⋅
m1 + m2 m1 ⋅ m2
κ=
Kp m1 + m2
(4.15)
so vereinfacht sich die Übertragungsfunktion des Geschwindigkeitsregelkreises zu:
§ s2 d · ¨ + Ȧ0m 2 + Ȧ0m 2 ¸ ⋅ κ ¨ Ȝ k ¸ © ¹ Gv ( s ) = d d · § 2 2 2 s 3 + Ȧ0m ⋅ s 2 + Ȧ0m ¨ 1 + ⋅ κ ¸ ⋅ s + Ȧ0m ⋅ κ k ¹ k ©
(4.16)
Die Dämpfung d der Meßsystemankopplung kann mit dem Lehr’schen Dämpfungsmaß (Hagedorn 1990) abgeschätzt werden: d = 2 ⋅ D ⋅ k ⋅ m2
(4.17)
Die relative Dämpfung D richtet sich nach den Materialdaten und steht nach der Modalanalyse bzw. nach der Eigenmode-Berechnung mit der statischen FE-Analyse explizit zur Verfügung. 4.2.2 Dämpfungsoptimale Reglereinstellung Analog zum empfohlenen Vorgehen in Umrichter- und Steuerungshandbüchern (Groß et al. 2000) sollen zunächst analytische Zusammenhänge für die Proportionalverstärkung Kp des Geschwindigkeitsreglers hergeleitet werden. Anschließend wird die Nachstellzeit Tn des I-Anteils ermittelt. Dabei wird im Sinne des Anregelverhaltens und der Laststeifigkeit ein gut gedämpftes Überschwingen der Sprungantwort von ca. 20–40% des Geschwindigkeitsregelkreises zugelassen (Heidenhain 2004, Groß et al. 2000). Alle nachfolgend dargestellten Sprungantworten wurden mit den Modellparametern des Simulationsbeispiels aus Abschn. 3.5 simuliert. Ist die Ersatzzeitkonstante T des stromgeregelten Motors mit Stellgrößenfilter größer als die Periodendauer elastisch gekoppelter Streckenteile, so begrenzt sie dominant die Regelgüte des Geschwindigkeitsregelkreises. In diesem Fall kann das System mit dem mathematischen Modell in Abb. 4.7 ausreichend genau beschrieben werden. Meist ist die Abtastzeit Tsv des digitalen Geschwindigkeitsreglers wesentlich kleiner als die Ersatzzeitkonstante T und kann damit vernachlässigt werden. Eine relativ langsame Abtastung
4.2 Geschwindigkeitsregler
277
im Geschwindigkeitsregler kann im vereinfachten Modell in Abb. 4.7 durch Hinzuaddieren der doppelten Abtastzeit zur Ersatzzeitkonstante berücksichtigt werden. Die gesamte Antriebsträgheit J beinhaltet dabei alle auf die Motorseite umgerechneten Trägheiten der Antriebskette. Im
j
K s o ll
p
M
1 1 + s T s o ll
M
k = k
1 /J j j
k
j/2 T
o p t
k k k
k = k
o p t
k = 0 1 /2 T
R e
- j/2 T
Abb. 4.7. Mathematisches Modell des Geschwindigkeitsregelkreises und Polvorgabe zur Ermittlung der P-Verstärkung bei dominanter Ersatzzeitkonstante
Die Übertragungsfunktion des Regelkreises gemäß Abb. 4.7 lautet:
Gv ( s ) =
ϕ(s) κ = 2 ϕ soll (s) T ⋅ s + s + κ
(4.18)
Dabei wird die Proportionalverstärkung Kp im Geschwindigkeitsregler auf die gesamte Trägheit J bezogen.
κ=
Kp J
(4.19)
Die in Abb. 4.7 gezeigte Pollage bei
κ = κ opt =
1 2 ⋅T
(4.20)
genügt den oben genannten Einstellregeln für den Geschwindigkeitsregelkreis. Die Proportionalverstärkung Kp hängt damit proportional von der angetriebenen Trägheit J und umgekehrt proportional von der Ersatzzeitkonstante T des Stromregelkreises ab. Der Vergleich der simulierten Zeitverläufe des vollständigen Motormodells gemäß Abb. 2.4 mit dem vereinfachten Modell gemäß Abb. 4.7 zeigt, dass die erreichbare Regelverstärkung mit der analytischen Näherung gemäß Gl. (4.19) recht präzise zu ermitteln ist. Die kleinere Endgeschwindigkeit in Abb. 4.8 ist durch die im vollständigen Motormodell berücksichtigte Reibung bedingt.
278
4 Regelung von Servoantrieben Sprungantwort des Geschwindigkeitsregelkreises einer Servoachse
omegas/Omegasoll
1
0.8
0.6
0.4
0.2
0
Simulation des vollst. Motormodells Sollwert vereinf. Modell gem. Abb. 4.7 0
1
2
3
4
5
t/Tv
Abb. 4.8. Sprungantwort des Geschwindigkeitsregelkreises (vollständiges Motormodell gemäß Abb. 2.4, vereinfachtes Modell gemäß Abb. 4.7)
Stellt die elastischen Maschinenstruktur die dominierende Begrenzung des Geschwindigkeitsreglers dar (Abb. 4.6 a), so kann das System mit dem mathematischen Modell in Gl. (4.13) beschrieben werden. Der prinzipielle Verlauf der Wurzelortskurve ist in Abb. 4.9 dargestellt. Diese Wurzelortskurve macht deutlich, dass der ungeregelt nahezu nicht gedämpfte Regelkreis durch die Regelverstärkung κ zunächst eine bessere Dämpfung erfährt. Für sehr große Regelverstärkungen nimmt die Dämpfung jedoch wieder ab. Dabei wird die von ausgeführten Antrieben Im k k = k
o p t
k = 0 k
jw 0
jw 0
l
s k = k
k o p t
k = 0
R e
Abb. 4.9. Wurzelortskurve des Geschwindigkeitsregelkreises unter Berücksichtigung der elastischen Maschinenstruktur
4.2 Geschwindigkeitsregler
Näherung gemäß Gl.(4.21)
279
f0=500Hz
3
10
f0=200Hz
Kopt in 1/s
f0=100Hz f0=50Hz 2
10
f0=20Hz f0=10Hz
numerische Lösung 1
10
0
0.2
0.4 0.6 Trägheitsverhältnis lamda
0.8
1
Abb. 4.10. Dämpfungsoptimale trägheitsbezogene Geschwindigkeitsregelverstärkung κ in Abhängigkeit von der Trägheitsverteilung λ für verschiedene Eigenfrequenzen fo
mit elastischen Übertragungsgliedern bekannte Zusammenhang deutlich, dass zu kleine Regelverstärkungen aufgrund des "langsamen " Pols auf der reellen Achse ein sehr träges Regelverhalten erzeugen. Bei zu stark "angezogenem" Regler hingegen gehen die komplexen Pole gegen die Nullstellen und werden so stark entdämpft. Die optimale Reglereinstellung κopt ist bei einer maximalen relativen Dämpfung (bzw. minimalem Dämpfungswinkel σ) gegeben. Ermittelt man diese optimale Regelverstärkung numerisch, so ergibt sich eine offensichtlich lineare Abhängigkeit von der Eigenfrequenz ω0 sowie eine exponentielle Abhängigkeit von der Trägheitsverteilung λ (siehe Abb. 4.10). Die analytische Näherung
κ opt ≈ Ȧ0 ⋅ Ȝ
1 2
(4.21)
ergibt eine sehr gute Übereinstimmung mit den numerisch ermittelten Werten, wie die kreisförmig eingezeichneten Näherungswerte in Abb. 4.10 verdeutlichen. Gl. (4.21) stellt somit eine sehr nützliche Beziehung zur Ermittlung der optimalen Geschwindigkeitsregelverstärkung von Servoantrieben an einer elastischen Struktur dar.
280
4 Regelung von Servoantrieben Sprungantwort des Geschwindigkeitsregelkreises einer Servoachse
omegas/Omegasoll
1.5
1
Eigenfrequenz der angekoppelten Last f0=50Hz Trägheitsverteilung lamda=0,5
0.5
motorseitige Geschwindigkeit Sollwert lastseitige Geschwindigkeit 0
0
2
4
6
8
10
t/Tv
Abb. 4.11. Sprungantwort des Geschwindigkeitsregelkreises mit elastisch angekoppelter Last
Der beispielhafte Zeitverlauf der Sprungantwort des Geschwindigkeitsregelkreises mit einer Proportionalverstärkung gemäß Gl. (4.21) zeigt allerdings, dass dies keine „konservative“ Abschätzung mehr darstellt. Lastseitig tritt ein gerade noch tolerierbares Überschwingen auf, das Abklingverhalten ist für einen nahezu aperiodisch eingestellten Lageregelkreis (siehe hierzu Abschn. 4.3, Abb. 4.18) sowie eine gedämpfte Reaktion auf Störungen gerade noch ausreichend. Dominiert die elastische Meßsystemankopplung (Abb. 4.6 b), so kann der Geschwindigkeitsregelkreis durch das mathematische Modell gemäß Gl. (4.16) nachgebildet werden. Die Wurzelortskuve in Abb. 4.12 zeigt, dass die Regelverstärkung zu einer Entdämpfung des Geschwindigkeitsregelkreises führt: Im k = k k = 0
k = k
g re n z
k jw
k g re n z
k = 0
0
R e
Abb. 4.12. Wurzelortskurve für verschiedene Dämpfungswerte
4.2 Geschwindigkeitsregler
281
Dies macht deutlich wie wichtig – auch die verhältnismäßig kleine – Dämpfung für die Meßsystemanbringung ist. Es kann keine optimale Regelverstärkung angegeben werden, da jede von Null verschiedene Regelverstärkung zu einer Entdämpfung führt. Mit dem Hintergrund der Praxiserfahrung, dass die durch elastische Meßsystemaufhängung erzeugten Stabilitätsprobleme überwiegend hochfrequent (f0m>100 Hz) sind, ist der Einfluss auf das Großsignalverhalten des Antriebs vernachlässigbar gering. Allerdings erzeugen Regelverstärkungen an der Stabilitätsgrenze eine unerwünschte Lärmentwicklung, zusätzliche Antriebserwärmung sowie gegebenenfalls eine verminderte Oberflächengüte des Bearbeitungsergebnisses. Daher kann für eine praxisnahe Abschätzung der möglichen Regelverstärkung Kp die Stabilitätsgrenze angesetzt werden. Ermittelt man numerisch die Regelverstärkung an der Stabilitätsgrenze, so ergibt sich eine lineare Abhängigkeit von der Eigenfrequenz und der relativen Dämpfung (Abb. 4.13). Setzt man für die bezogene Regelverstärkung κgrenz an der Stabilitätsgrenze die Näherung
κ grenz ≤ 2 ⋅ Ȧ0m ⋅ D
(4.22)
an, so ergibt sich eine sehr gute Übereinstimmung mit den numerisch ermittelten Werten in Abb. 4.13. Gl. (4.22) stellt somit eine sehr nützliche D=10%
2
D=5%
Näherung gem. Gl.(4.22)
10
Kgrenz in 1/s
D=2% D=1% D=0,5% 1
10
D=0,2% D=0,1% 0
10
numerische Lösung
2
10 f0 in Hz
Abb. 4.13. Grenzwerte der trägheitsbezogenen Geschwindigkeitsregelverstärkung κ in Abhängigkeit von der Eigenfrequenz fo für verschiedene Dämpfungen D Meßsystemaufhängung (λ ≅1, T=0,1/ω0m)
282
4 Regelung von Servoantrieben
analytische Näherung zur Ermittlung der erreichbaren Geschwindigkeitsregelverstärkung von Servoantrieben mit elastischer Encoderankopplung dar. Die Trägheitsverteilung λ spielt, wie im Nenner von Gl. (4.16) ersichtlich, keine Rolle für die Stabilitätsgrenze. Die Parameteruntersuchungen haben weiterhin gezeigt, dass Ersatzzeitkonstanten T, die größer als die Periodendauer der zum elastisch angekoppelten Meßsystem gehörigen Eigenfrequenz ω0m sind, zu einer Bedämpfung dieses Effektes führen. Damit kann die Stabilitätsgrenze gemäß Gl. (4.22) als „konservative“ Abschätzung für die Antriebsauslegung angesetzt werden. K j
s o ll
p
.
(1 + 1 /s T n) M
s o ll
M
1 /J j j
Abb. 4.14. Mathematisches Modell zur Ermittlung der Nachstellzeit
Für die Wahl der Nachstellzeit Tn des Integralanteils kann bei einer ausreichend gedämpften Strecke oder entsprechend hohen Eigenfrequenzen elastischer Streckenteile das mathematische Modell in Abb. 4.14 angesetzt werden. Die Erfahrung an praktisch ausgeführten Servoantrieben zeigt, dass die Ersatzzeitkonstante T meist wesentlich kleiner als die erreichbare Nachstellzeit Tn ist. Somit kann für den verhältnismäßig langsamen Integralanteil von einer nahezu verzögerungsfreien Stellgrößenerzeugung ausgegangen werden. Ebenso sind die Eigenschwingungen eventuell zu berücksichtigender elastischer Streckenteile vergleichsweise schnell und werden durch den langsamen Integralanteil nur unwesentlich beeinflusst. Die Übertragungsfunktion des Regelkreises gemäß Abb. 4.14 lautet:
Gv ( s) =
ϕ(s) κ ⋅ (1 + Tn ⋅ s ) = ϕ soll (s) Tn ⋅ s 2 + κ ⋅ Tn ⋅ s + κ
(4.23)
Dabei wird die Proportionalverstärkung Kp im Geschwindigkeitsregler wieder auf die gesamte Trägheit J bezogen. Da der Integralanteil nicht zu einer weiteren Entdämpfung des Geschwindigkeitsregelkreises führen sollte, muss für eine konservative Auslegung der Nachstellzeit ein aperiodisches Verhalten des Systems in Abb. 4.14 gefordert werden, was mit
Tn =
4
κ
(4.24)
4.2 Geschwindigkeitsregler
283
erreicht wird. Geht man von einem dominanten Einfluss der Ersatzzeitkonstante aus (d.h. sehr steife Ankopplung der Last), so folgt durch Einsetzen von Gl. (4.20) in Gl. (4.24):
Tn = 8 ⋅ T
(4.25)
Gl. (4.25) verdeutlicht die Gültigkeit der für das mathematische Modell in Abb. 4.14 angenommenen verzögerungsfreien Stellgrößenerzeugung (Tn>>T). Geht man von einem dominanten Einfluss der elastischen Ankopplung aus, so folgt durch Einsetzen von Gl. (4.21) in Gl. (4.24):
Tn =
4
ω0 ⋅ λ
1
2
=
4 T ⋅ 102 2π λ
mit T0 =
2π
(4.26)
ω0
Damit liegt die erreichbare Nachstellzeit in der Größenordnung der Periodendauer der Eigenfrequenz. Da der Integralanteil erst nach einem Mehrfachen der Nachstellzeit wirksam gegenüber Regelabweichungen reagiert, wird auch mit dieser Betrachtung die Gültigkeit von Abb. 4.14 zur überschlägigen – und konservativen – Reglerauslegung verdeutlicht. In Abb. 4.15 ist die Sprungantwort des Servoantriebs aus Abschn. 2.7/ 3.5 dargestellt: Sprungantwort des Geschwindigkeitsregelkreises einer Servoachse
omegas/Omegasoll
1
0.8
0.6
0.4
0.2
0
Simulation des vollst. Motormodells Sollwert vereinf. Modell gem. Abb. 4.16 0
2
4
6
8
10
t/Tv
Abb. 4.15. Sprungantwort des PI-Geschwindigkeitsregelkreises (vollständiges Motormodell gemäß Abb. 2.4, vereinfachtes Modell gemäß Abb. 4.16)
284
4 Regelung von Servoantrieben
Die z.B. in (Lutz u. Wendt 2004, Groß et al. 2000) vorgeschlagenen analytischen Näherungen für die Einstellwerte im Integralanteil des Geschwindigkeitsreglers nach dem Betragsoptimum bzw. nach dem „Symmetrischen Optimum“ erscheinen, wie in (Weck et al. 1999) auch beschrieben, zu „optimistisch“ hinsichtlich der Umsetzbarkeit an realen Servoantrieben. Der gut gedämpft eingestellte geschwindigkeitsgeregelte Antrieb kann bezüglich seiner Wirkung auf den überlagerten Lageregelkreis mit guter Näherung durch ein Übertragungsglied erster Ordnung nachgebildet werden (Abb. 4.16). Dieses sehr einfache Ersatzmodell kann aus der Darstellung in Abb. 4.14 unter Vernachlässigung des Integralanteils hergeleitet werden. Die Ersatzzeitkonstante Tv des geschwindigkeitsgeregelten Antriebs beträgt: Tv ≅ 1/κ
M
s o ll
v
M
m e c h a n is c h e r S y s te m te il
L a g e r e g le r
1 1 + s T
(4.27)
Abb. 4.16. Vereinfachtes Modell des geschwindigkeitsgeregelten Antriebs
Zusammenfassung Da die wesentlichen Streckenparameter einer Servoachse bereits im Entwurfsstadium einer Werkzeugmaschine zur Verfügung stehen, kann die erreichbare Regelverstärkung im Geschwindigkeitsregler mit den analytischen Näherungen Gln. (4.20,4.21 u. 4.22) abgeschätzt werden:
1 ½ ° 2 ⋅T ° ° ° K p = J ⋅ min ® ω0 ⋅ λ1 2 ¾ °2 ⋅ ω ⋅ D ° 0m ° ° ¿ ¯ mit
T J
ω0, ω0m λ D
(4.28)
– Ersatzzeitkonstante gemäß Gl. (4.8) – Gesamtträgheit der Strecke (auf die Motorseite bezogen) – Eigenkreisfrequenzen der elastischen Streckenteile – Trägheitsverteilung gemäß Tabelle 4.1 – relative Dämpfung der Meßsystemankopplung
4.3 Lageregelung
285
Aus dieser Proportionalverstärkung ergibt sich mit Gl. (4.24) ein analytischer Schätzwert für die Nachstellzeit des Integralanteils:
Tn =
4⋅J Kp
(4.29)
4.3 Lageregelung Der Lageregelkreis bestimmt das Führungsübertragungsverhalten sowie zusammen mit dem Geschwindigkeitsregler das Störübertragungsverhalten einer Servoachse. Der Lageregler soll die Achsposition der Führungsgröße (Positionssollwert) möglichst verzögerungsarm nachführen und aperiodisch gedämpft auf Stör- und Führungsgrößen reagieren. In diesem Abschn. wird daher zunächst die Einstellung der Proportionalverstärkung (auch „KvFaktor“ genannt) und dann die geeignete Einstellung der Vorsteuerung anhand des Führungsübertragungsverhaltens diskutiert. Anschließend wird das so erreichbare Störübertragungsverhalten behandelt, um eine Abschätzung der reglerseitig erzielbaren Laststeifigkeit zu erhalten 4.3.1 Lageregelverstärkung Werden die physikalischen Grenzen der Servoachse hinsichtlich Maximalgeschwindigkeit und Maximalbeschleunigung durch die Führungsgrößen eingehalten und liegt eine optimal gedämpfte Geschwindigkeitsreglereinstellung vor, so ist die erreichbare Regelgüte im Wesentlichen durch die Ersatzzeitkonstante Tv des geschwindigkeitsgeregelten Antriebs begrenzt. Daher kann für die analytische Bestimmung der möglichen Lageregelverstärkung das vereinfachte Modell in Abb. 4.17 angesetzt werden. Die Ersatzzeitkonstanten liegen typischerweise im Bereich von 2 .. 20 ms, so dass die Abtastung des Lageregelkreises deutlich langsamer erfolgen kann als die Abtastung der unterlagerten Regelkreise. Typische Lagereglerabtastzeiten Tsx liegen im Bereich von 0,25 .. 2 ms. Um näherungsweise zu berücksichtigen, wie die Regelgüte durch die Abtastung vermindert wird, kann die K j
s o ll
1 1 + s T v
w
s o ll
v
w j
Abb. 4.17. Vereinfachtes Modell des Lageregelkreises
286
4 Regelung von Servoantrieben
doppelte Abtastzeit Tsx zur Ersatzzeitkonstante Tv hinzuaddiert werden (Gl. (4.31)). Die Übertragungsfunktion des Regelkreises gemäß Abb. 4.17 lautet:
Gx ( s ) =
Kv ϕ (s) = 2 ϕ soll (s) Tv ⋅ s + s + K v
(4.30)
Diese Übertragungsfunktion weist ein aperiodisches Verhalten für die maximale Lageregelverstärkung
Kv =
1 1 bzw. K v = für Tsx