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German Pages 265 [256] Year 2008
Heike Brabandt · Bettina Roß · Susanne Zwingel (Hrsg.) Mehrheit am Rand?
Politik und Geschlecht Band 19 Herausgegeben vom Arbeitskreis „Politik und Geschlecht“ in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft e. V. (DVPW)
Heike Brabandt · Bettina Roß Susanne Zwingel (Hrsg.)
Mehrheit am Rand? Geschlechterverhältnisse, globale Ungleichheit und transnationale Handlungsansätze
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Katrin Emmerich VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Satz: Anke Vogel, Ober-Olm Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15679-8
Inhaltsverzeichnis
Danksagung ........................................................................................................... 7 Heike Brabandt/Bettina Roß/Susanne Zwingel Transnationale Prozesse der Exklusion und Inklusion aus feministischer Perspektive ..................................................................................... 9
Geschlechterverhältnisse, Globalisierung, Sicherheit und internationale Ökonomie Margit Bussmann/Doreen Spörer Globalisierung und Frauen. Eine Bestandsaufnahme in Industrie- und Transformationsländern ................... 25 Cornelia Fraune Feministische Kritik an makroökonomischen Ansätzen ..................................... 51 Bettina Roß Ethnizität und Geschlecht in der internationalen Arbeitsteilung......................... 69 Christine Löw Annäherungen und Widerstände. Über das Verhältnis von feministischen und postkolonial-feministischen Überlegungen zur Globalisierung........................................................................ 87 L. H. M. Ling Borderlands. A Postcolonial-Feminist Alternative to Neoliberal Self/Other Relations ......... 105
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Inhaltsverzeichnis
Neue Formen des Ausschlusses und Einschlusses: Veränderungen der Geschlechterverhältnisse im Kontext von Arbeit und Migration Julia Lepperhoff/Alexandra Scheele „More and better jobs“? Politische Konzepte zur Qualität von Arbeit..................................................... 127 Anja Weckwert Gleichheit und Migration im Wohlfahrtsstaat ................................................... 145 Sieglinde K. Rosenberger/Birgit Sauer Freiheit – Gleichheit – Ausschluss. Werte und Prinzipien in Debatten um muslimische Kopftücher....................... 165
(Trans)nationale Handlungsansätze in einer globalisierten Welt Inderpal Grewal The Transnational in Feminist Research: Concept and Approaches................. 189 Eva Kalny Widerstand leisten, aber wie? Zwischen nationalen Eliten und regionalen Handelsabkommen im postkolonialen Guatemala. ................................................................................ 201 Claudia Derichs Frauen als Akteurinnen politischen Wandels in islamischen Transformationsstaaten...................................................................................... 217 Sylvia Braun Frauen in die Mitte. Die UN-Frauenresolution 1325 (2000).............................................................. 233
Abstrakts zu den Beiträgen................................................................................ 253 Informationen zu den Herausgeberinnen und Autorinnen ................................ 261
Danksagung
Mehrheit am Rand? Nicht nur weltweit, sondern auch in vielen Ländern des globalen Nordens reicht die Auflösung von Existenzgrundlagen zwischenzeitlich in die Mitte der Gesellschaft. Die Auswirkungen dieses Phänomens auf die Geschlechterverhältnisse und die Konstruktion von Ethnizität sind bisher kaum untersucht worden. Mit dem vorliegenden Band wollen wir nicht nur die wissenschaftliche Diskussion vorantreiben, sondern verfolgen auch das Ziel, das politische Bewusstsein für diese Prozesse zu schärfen. Einen Rahmen für solche Diskussionen bietet der Arbeitskreis Politik und Geschlecht in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW). Als dessen Sprecherinnen haben wir beim DVPW-Kongress „Staat und Gesellschaft – fähig zur Reform?“ vom 25.-29. September 2006 in Münster vier panels unter der Überschrift „The transformation of state and society: feminist perspectives on processes of global exclusion and transnationalisation“ organisiert. Auf Basis dieser panels ist das vorliegende Buch entstanden. Wir danken dem Arbeitskreis und der DVPW, dass sie diesen Rahmen ermöglicht haben, und der DVPW für die Finanzierung des Flugs und Aufenthalts unseres keynote speakers Prof. Lily H. M. Ling, Ph.D., von der New School, NY. Ganz herzlich danken wir auch unseren ehemaligen Sprecherinnenkolleginnen Ursula Degener und Beate Rosenzweig: Sie waren nicht nur an der Konzeption der panels beteiligt, sondern auch für den organisatorischen Ablauf des Tages verantwortlich. Dass er so erfolgreich war, ist zu einem großen Teil ihnen zu verdanken. Vor allem hatten wir trotz einer arbeitsreichen Sprecherinnenzeit einen sehr konstruktiven Austausch und viel Spaß miteinander! Daneben hatten eine Reihe weiterer Personen an der Entstehung dieses Buches Anteil: Wir haben nicht nur viel Zeit für Arbeitstreffen aufgewendet, sondern auch viele Wochenenden und Abende mit dem Buch verbracht. An unsere Partner und Kinder geht daher ein großes Dankeschön für ihre Geduld und Toleranz!
Heike Brabandt (Bremen) Bettina Roß (Göttingen) Susanne Zwingel (Potsdam/USA)
Transnationale Prozesse der Exklusion und Inklusion aus feministischer Perspektive
Heike Brabandt/Bettina Roß/Susanne Zwingel „Soziale Ungleichheiten nehmen zu“ (Financial Times Deutschland, 10.07.07). „EU geißelt magere Gehälter für Frauen“ (Financial Times Deutschland, 18.07.07). „Nettolöhne so tief wie vor 20 Jahren!“ (Süddeutsche Zeitung, 24.09.07).
Prekarisierung, Verelendung und Armut sind zu den Schlagwörtern in der politischen Debatte des frühen 21. Jahrhunderts geworden. Während in den 1990er Jahren über die Feminisierung von Armut im globalen Süden diskutiert wurde, ist die Armut zwischenzeitlich in den Ländern des globalen Nordens angekommen. In Deutschland wuchs die Ungleichheit in der Einkommensverteilung seit Anfang der 1990er Jahre (Financial Times Deutschland, 10.07.2007). Frauen, Alleinerziehende, Kinder und alte Menschen verarmen überdurchschnittlich häufig und langfristig. Diese Entwicklung nagt an der Selbstkonstruktion westlicher Staaten als von breiten Mittelschichten bevölkerten Wohlstandsinseln: Die Auflösung von Existenzgrundlagen reicht nun „in die Mitte der Gesellschaft“, der offenbar akzeptierte gesellschaftliche „Rand“ der Prekarisierten hat sich auf die Mehrheitsbevölkerung ausgedehnt. Die „Mehrheit am Rand“, so die Grundthese des vorliegenden Buches, kann nur adäquat beschrieben werden, wenn die politischen und sozioökonomischen Entwicklungen im globalen Norden mit denen in anderen Teilen der Welt in Zusammenhang gebracht werden. Daher beginnen wir diese Einleitung, indem wir das zu analysierende Phänomen in den globalen Kontext einordnen.
Marginalisierung im globalen Kontext Die Zeit seit dem Ende des zweiten Weltkriegs bis in die 1970er Jahre hinein lässt sich, dem britischen Historiker Eric Hobsbawm folgend, als globales „goldenes Zeitalter“ mit ungekanntem Wirtschaftswachstum und Wohlstand beschreiben, das dann u.a. durch die in den 1970er Jahren beginnende Destabilisierung der bipolaren Weltordnung in die „neuen Katastrophen“ der 1990er Jahre mündete (Hobsbawn 1998). Wohlstand- und Krisenerfahrungen waren dabei
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global unterschiedlich verteilt: Die meisten Länder des globalen Nordens erlebten von den 1950er Jahren an bis in die 1980er Jahre mit wenigen Ausnahmen einen unerwarteten Anstieg an Reichtum. Die Institutionalisierung des Wohlfahrtstaates und dessen Ausbau führte dazu, dass nicht nur das obere Segment der Gesellschaft vom Wirtschaftswachstum profitierte, sondern sich auch die Lebensbedingungen der breiten Massen verbesserten. Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherungen sicherten in einem bisher unbekanntem Maß gegen die Risiken des Lebens ab. Frühe second wave1 Feministinnen westlicher Provenienz nahmen den Wohlfahrtsstaat zur Ausgangsbasis ihrer Analysen: “Early second wave-feminists sought less to dismantle the welfare state than to transform it into a force that could help to remedy male domination” (Fraser 2006:41). In den sozialistischen Staaten und Entwicklungsländern ergab sich ein etwas anderes Bild. Einige Länder erlebten – zumindest phasenweise – einen nie da gewesenen wirtschaftlichen Aufschwung, der mit Industrialisierung und einer Steigerung an Wohlfahrt durch die Schaffung von Arbeitsplätzen, verbesserte Bildungschancen und Gesundheitsversorgung verbunden war. Die meisten Menschen „waren größer, schwerer und besser ernährt und wurden weitaus älter als ihre Eltern” (Hobsbawn 1998:26). In anderen Entwicklungsländern war die Situation jedoch von weiterer Verarmung als Folge von (Unabhängigkeits-)Kriegen, Ausbeutung ihrer Ressourcen durch die Industrienationen (z.B. im Erzabbau und in der Landwirtschaft) sowie von massiver Unterversorgung vor allem im Gesundheits- und Bildungssystem geprägt (vgl. Nohlen 2000). Die Krise im globalen System traf zuerst Entwicklungsländer. Die 1970er und 1980er Jahre mit einer Politik der Schuldenanhäufung, Strukturanpassung und neoliberalen Wirtschaftsreformen wurden für Afrika, Lateinamerika und Teile Asiens zu verlorenen Jahrzehnten. Auch die ehemaligen sozialistischen Staaten wurden von der globalen Krise getroffen: Durch den Zusammenbruch ihrer Systeme Ende der 1980er Jahre und ihre schockartige Integration in den kapitalistischen Weltmarkt verschlechterten sich die Lebensverhältnisse der Mehrheitsbevölkerung dort rapide (Stiglitz 2006:25f.). Die weltweite Krise erreichte aber auch den globalen Norden. Die Begrenztheit der Energieressourcen und die Abhängigkeit von stabilen Verhältnis1
Während eine „erste Welle“ von Frauenbewegungen in Europa, Asien, Nord- und Südamerika im späten 19. Jahrhundert einsetzte und vor allem für die politische Partizipation und den Zugang zu Bildung und menschenwürdiger Erwerbsarbeit kämpfte, bezieht sich der Begriff „zweite Welle“ auf die weltweite Mobilisierung für die Rechte von Frauen seit den 1960er Jahren. Diese war in vielen Ländern Westeuropas zunächst von einer sich vom Staat abgrenzenden, autonomen Frauenbewegung geprägt. Später wurden zunehmend Forderungen an den Staat formuliert, die sich besonders auf den gleichberechtigten Zugang zu Ressourcen sowie die aktive Verminderung bestehender, geschlechtstypischer Formen der Diskriminierung konzentrierten (Gerhard 2004).
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sen in rohstoff- und ölexportierenden Ländern führten in den 1970er Jahren zu ersten Krisenerfahrungen. In den frühen 1980er Jahren und verstärkt nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes kamen in vielen dieser Länder konservative Regierungen an die Macht. Beflügelt vom angeblichen Sieg des Kapitalismus über den Kommunismus (Fukuyama 1992) setzten sie zunehmend auf neoliberale Wirtschaftsstrategien, die das Projekt der wohlfahrtstaatlichen Umverteilung in Frage stellten und zu einer Zunahme an sozialer Ungleichheit innerhalb der OECD-Welt führten. Die internationalen Handelsbeziehungen wurden ausgeweitet und de-reguliert. Während die Bundesrepublik Deutschland noch bis in die frühen 1990er Jahre dem Projekt des Wohlfahrtstaates weitgehend treu blieb, beobachteten auch hier die politischen EntscheidungsträgerInnen die Zeichen der Zeit: Mit der zunehmenden, konservativ-liberalen Diskussion über die Eigenverantwortlichkeit der Individuen gegenüber Absicherungspflichten des Sozialstaates und spätestens mit der Agenda 2010 der Schröder-Regierung wurden neoliberale Strategien in den gesamtdeutschen Wohlfahrtsstaat eingeführt. Zusammen mit weltweiten Globalisierungsprozessen führte dies zu neuen Formen der sozialen Ungleichheit und des Ausschlusses. Die Lebensbedingungen eines wachsenden Teils der Bevölkerung sind zwischenzeitlich prekär geworden. Auch der gegenwärtige ökonomische Aufschwung in Deutschland (Stand März 2008) konterkariert diese Entwicklung nicht grundsätzlich. Die Bundesrepublik ist auf besondere Weise in den Weltmarkt eingebunden: Wirtschaftswachstum kann vor allem durch hochqualifizierte und kapitalintensive Arbeit produziert werden, wogegen die Niedrigqualifizierten und Nichtflexiblen im globalen Markt nicht wettbewerbsfähig sind (vgl. Bussmann/Spörer und Fraune in diesem Band). Die immer größer werdende Gruppe der VerliererInnen auf dem globalen Arbeitsmarkt wird für ihren Wettbewerbsnachteil zunehmend selbst verantwortlich gemacht und kaum noch durch soziale Netze aufgefangen. In verschiedener Hinsicht werden damit die Lebensbedingungen der „working poor“ oder von Arbeitslosigkeit Betroffenen in der OECD-Welt denen der Mehrheitsbevölkerung in Ländern des Globalen Südens ähnlicher. Zum Beispiel kann der wachsende Anteil von befristeten Arbeitsverhältnissen ohne (angemessene) Sozialleistungen zur Folge haben, dass sich mitten in den hoch entwickelten Ökonomien des globalen Nordens das Krankheitsniveau bestimmter Bevölkerungsteile rapide verschlechtert, da die Mittel für relativ einfach behandelbare Krankheiten von den Kranken selbst nicht aufgebracht werden können und von staatlichen Gesundheitssystemen nicht finanziert werden. Der wirtschaftliche Druck durch die globale Konkurrenz führt auf individueller Ebene zu einem Zwang zur Flexibilität, Mobilität und Selbstausbeutung. Der/die Einzelne soll die volle, individualisierte Verantwortung für seine/ihre soziale Sicherung und persönliche Entwicklung übernehmen, ohne mit verlässlichen politischen Gestaltungsspielräumen und ökonomischer Stabilität
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rechnen zu können. Diese verschärfte Konkurrenz und gesunkene Planbarkeit des eigenen Lebens lässt eine neue „Nicht-Klasse der Marginalisierten“ (Arranca 2005) entstehen, die an Bildung, Gesundheitsversorgung, sozialer Absicherung und politischer Mitbestimmung nicht angemessen teilhaben kann. Die Individualisierung gesellschaftlicher Ausgrenzung ist Teil einer weltweit wachsenden sozioökonomischen Unsicherheit. Viele OECD-Staaten reagieren auf diese Krisensituation, indem sie die Notwendigkeit innerer Sicherheit stärker betonen. Der neue Sicherheitsdiskurs hat eine Zunahme an Kontrollmaßnahmen und Sanktionierungen von unerwünschtem Verhalten zur Folge (vgl. z.B. die Videoüberwachung des öffentlichen Raumes). Als Gefahr für die nationale Sicherheit angesehene Personen (wie MigrantInnen, Jugendliche, Erwerbslose) oder chronisch Kranke werden ausgegrenzt und mit speziellen Regelungen belegt. Die Betonung „nationaler Sicherheit“ untergräbt dabei außenpolitisch nicht nur die seit dem Kalten Krieg entwickelten Ansätze zur internationalen Konfliktlösung auf der Basis von multilateralen Vereinbarungen, sondern forciert auch eine polarisierende Betonung von unterschiedlichen „Kulturen“, deren Zusammenleben zunehmend pessimistisch als Konkurrenz oder gar Kampf gesehen wird (vgl. Ling in diesem Band). Die Debatte um das Kopftuch muslimischer Frauen ist ein Beispiel hierfür (vgl. Rosenberger/Sauer in diesem Band). Zum Schutz des status quo werden „Andere“ ausgegrenzt, überwacht und ihr Alltag gesonderten Reglementierungen unterworfen. Die dichotome Konstruktion eines globalen „Anderen“ lässt neue Mechanismen der nationalen und internationalen Ausgrenzung entstehen und verursacht so mannigfaltige Formen der Prekarisierung. Die aktuellen Sicherheitspolitiken verhindern zudem eine weitere Demokratisierung der Gesellschaft. Kann diesen polarisierenden Entwicklungen etwas entgegengesetzt werden? Obwohl Prekarisierungsprozesse zur Dekonstruktion kollektiver Identitäten führen, die als Grundlage für gemeinsame Aktionen dienen könnten, entwickeln immer wieder Gruppen von Menschen Strategien, die auf mehr politische und sozioökonomische Teilhabe abzielen – sowohl auf nationaler als auch auf transnationaler Ebene. Diese vielfältigen Aktionsformen sind allerdings in die globale Logik von Konkurrenz und Individualisierung eingebettet und können sie nicht zwangsläufig unterminieren. So gehen zum Beispiel die Initiativen von zentralamerikanischen KleinbäuerInnen wirkungsvoll gegen ihre Ausbeutung durch regionale Handelsabkommen vor, aber perpetuieren dennoch geschlechtsspezifische Diskriminierungsformen (vgl. Kalny in diesem Band). Widerstandsformen gegen multiple Marginalisierung dürfen daher nicht grundsätzlich als emanzipatorisch verherrlicht werden, sondern müssen in ihrer Vernetztheit in Machtverhältnissen und den Diskursen, die diese legitimieren, analysiert werden (vgl. Grewal und Derichs in diesem Band).
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Feministische Perspektiven auf Marginalisierung Die skizzierten Entwicklungen haben gravierende Auswirkungen auf die Geschlechterverhältnisse, die in der feministischen Literatur bisher kaum aufgearbeitet wurden. Dies mag damit zusammenhängen, dass viele ForscherInnen mit dem wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsel, der weg vom Wohlfahrtstaat führte, grundlegende Annahmen, auf denen ihren Arbeiten basierten, aufgeben mussten: „Feminist movements that had earlier taken the welfare state as their point of departure, seeking to extend its egalitarian ethos from class to gender, now found the ground cut out from under their feet” (Fraser 2006:41). Zudem lässt sich ein deutlicher Mangel an makroökonomischen Analysen in feministischen Arbeiten erkennen. Das Unterfangen, die Geschlechterforschung um makroökonomische Ansätze zu erweitern, steht in der deutschsprachigen Debatte noch am Anfang (Hoppe 2002, Kurz-Scherf et al. 2005). Ebenso formuliert die Geschlechterforschung zwar bereits seit längerem den Anspruch, das Geschlecht in Zusammenhang mit anderen sozialen Kategorien zu setzen; dies geschieht jedoch bislang nur ansatzweise. Statt hier erneut eine Programmatik zu formulieren, ist es Ziel des vorliegenden Bandes Brücken zu schlagen: Wir legen erstmalig eine geschlechterkompetente Zusammenführung zentraler sozialwissenschaftlicher Felder – Makroökonomie, Arbeitsforschung, Internationale Beziehungen, Demokratie- und Postkolonialismusforschung – vor, um Formen des wirtschaftlichen, sozialen und politischen Ausschlusses sowie Perspektiven ihrer Überwindung zu analysieren. Darüber hinaus fragen wir nach den Zusammenhängen zwischen der zunehmenden Prekarisierung in den Ländern des globalen Nordens und der ansteigenden Unsicherheit und Ungleichheit im globalen Süden. Die Autorinnen analysieren diese Veränderungsprozesse vor dem Hintergrund von Globalisierung und neuen Konstruktionen von Fremdheit. Mit diesem Buch spannen wir einen Bogen zwischen den Paradigmen setzenden Publikationen der deutschsprachigen Geschlechterforschung, die sich für eine Öffnung in Richtung auf postkoloniale Theorie (Steyerl/Gutíerrez Rodriguez 2003) und intersektionale Ansätze (Knapp/Wetterer 2003; Klinger et al. 2007; Lenz et al. 2003; Morokvasic et al. 2003) aussprechen. Die von uns angestrebte komplexe und internationale Betrachtung der Geschlechterverhältnisse wurde in Deutschland bisher kaum verwirklicht (Brabandt et al. 2002; Braig/Wölte 2002; Lenz et al. 2007). Unsere Kolleginnen Ursula Degener und Beate Rosenzweig begannen im Diskussionsumfeld des Arbeitskreises „Politik und Geschlecht“ vor zwei Jahren damit, die komplexen Wandlungsprozesse der letzten Dekade in Die Neuverhandlung sozialer Gerechtigkeit. Feministische Analysen und Perspektiven (De-
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gener/Rosenzweig 2006a) aufzuarbeiten. Sie zeigen dabei auf eindrucksvolle Weise, wie sich der Diskurs über soziale Gerechtigkeit seit den späten 1990er Jahren vom wohlfahrtstaatlichen Ideal einer auf individuellen Bedürfnissen und politischen Rechten gründenden Solidargemeinschaft wegbewegt. Zwischenzeitlich dominiert in der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion ein antiegalitärer Gerechtigkeitsdiskurs, der vom Ideal individueller Autonomie und Verantwortung geprägt ist (Degener/Rosenzweig 2006b:12). Degener und Rosenzweig bieten einen ersten Überblick über die praktischen Auswirkungen dieser diskursiven Verschiebung, wobei sie den Blick auf die Entwicklungen in Deutschland und die EU-Staaten konzentrieren, ihn aber auch um globale Zusammenhänge erweitern. Mit dem vorliegenden Band bauen wir auf ihrer Arbeit auf. Unser Ziel ist es, die globalen Wandlungsprozesse der letzten Dekade aus einer Geschlechterperspektive zu analysieren. Wir fokussieren dabei auf die Bereiche ökonomische (Un)Gleichheit, Arbeit und politische Teilhabe. Die Aufnahme einer bezahlten Arbeit eröffnet nicht nur soziale Teilhabe, sondern führt auch zu einer deutlich höheren Lebensqualität und Lebenserwartung. Arbeit ist ein fundamentales Gut für das physische und psychische Wohlbefinden von Menschen. Die ökonomische und gesellschaftliche Seite der Arbeit wird in diesem Band gemeinsam mit den Möglichkeiten zur politischen Gestaltung für marginalisierte Gruppen analysiert. Durch politische Teilhabe werden Menschen in die Lage versetzt, soziale und politische Strukturen zu verändern und die Bedingungen, unter denen sie ihr Leben führen, mitzugestalten. Ohne Möglichkeiten zu dieser Teilhabe besteht für sie kaum eine Chance auf Veränderung.
Aufbau des Buches Dieser Band ist untergliedert in drei thematische Blöcke: „Geschlechterverhältnisse, Globalisierung, Sicherheit und internationale Ökonomie“, „Veränderungen der Geschlechterverhältnisse im Kontext von Arbeit und Migration“ und „(Trans)nationale Handlungsansätze in einer globalisierten Welt“. Der erste Block beschäftigt sich mit den widersprüchlichen Auswirkungen von Globalisierungsprozessen auf die Geschlechterverhältnisse in verschiedenen regionalen und nationalen Kontexten. Dabei wählen die Autorinnen makroökonomische, intersektionale und postkoloniale theoretische Zugänge, um diese Phänomene angemessen zu erfassen. Der zweite Block fokussiert auf arbeitsmarktpolitische Entwicklungen in den Ländern des globalen Nordens, die vor dem Hintergrund ihrer Einbettung in die internationale Arbeitsteilung und mit Blick auf gegenwärtige Migrationsprozesse und xenophobe Partizipationsdiskurse analysiert wer-
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den. Im dritten Block werden nationale und grenzüberschreitende Handlungsstrategien dargestellt, die das Ziel verfolgen, Ungleichheiten zu überwinden und geschlechtssensible Alternativen zu entwickeln. Das Verhältnis von Globalisierung, globaler Ungleichheit, Sicherheit und Geschlechterordnungen wird in den Beiträgen des ersten Blocks sowohl aus makroökonomischer als auch aus postkolonialer Perspektive diskutiert. Die Autorinnen kommen dabei zu verschiedenen, zum Teil zueinander in Spannung stehenden Ergebnissen. Margit Bussmann und Doreen Spörer zeigen im Rahmen einer quantitativen Untersuchung, der makroökonomische Handelstheorien zu Grunde liegen, dass Frauen je nach ihrer sozialen Position Trägerinnen eines ‚komparativen Vorteils‘ auf dem globalen Arbeitsmarkt sein und von Liberalisierungsmaßnahmen wie z.B. Marktöffnungen profitieren können. Andere Frauen erleiden dadurch aber auch Verluste. Die These der Autorinnen, dass niedrig qualifizierte Arbeiterinnen in Transformationsländern und hochqualifizierte Arbeiterinnen in Industrieländern einen solchen komparativen Vorteil aufweisen, wird durch das Ansteigen (bzw. Nicht-Absinken) der Beschäftigungsrate dieser beiden Gruppen in der letzten Dekade bestätigt. Cornelia Fraune bezieht sich auf den gleichen makroökonomischen Analyserahmen wie Bussmann/Spörer. Fraune unterstreicht aber, dass der Blick auf Marktmechanismen zu eng ist, um adäquat beschreiben zu können, ob Menschen vom Freihandel tatsächlich profitieren. Fraune stellt insbesondere fest, dass die theoretischen Annahmen solcher makroökonomischen Analysen Blindstellen hinsichtlich der Wirkungsweisen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung aufweisen. So ist es aus ihrer Perspektive fraglich, ob die niedrig qualifizierten „Globalisierungsgewinnerinnen“ in den Ländern des globalen Südens wirklich als solche bezeichnet werden können: sie stechen zwar im Wettbewerb um Arbeitsplätze ihre Kolleginnen in den Ländern des globalen Nordens aus – allerdings auf niedrigstem Lohnniveau und unter oft gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen, so dass eine Verbesserung ihrer Lebensqualität angezweifelt werden muss. Während die Beiträge von Bussmann/Spörer und Fraune sich mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen auf makroökonomische Ansätze beziehen, analysieren Roß, Löw und Ling Globalisierungsprozesse aus postkolonialer Perspektive. Bettina Roß untersucht neue Dimensionen der internationalen Arbeitsteilung in Bezug auf Formen der Inklusion und Exklusion anhand der Kategorien Klasse, Ethnizität und Geschlecht. Sie zeigt, dass Menschen multiple soziale Orte einnehmen, an denen Frauen sowohl durch erweiterte Erwerbsmöglichkeiten Gewinnerinnen als auch Verliererinnen von Globalisierungsprozessen sein können. Roß kommt zu dem Schluss, dass Klasse, Ethnizität und Geschlecht als analytische Kategorien eigenständige, miteinander verwobene und dabei oft auch gegenläufige soziale Trennungen aufzeigen. Damit erweitert sie die Auseinandersetzung mit Globalisierungsprozessen um eine intersektionale Sichtweise.
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Christine Löw argumentiert in ihrem Beitrag an Hand einer Gegenüberstellung der Arbeiten von Ilse Lenz einerseits und Gayatri Spivak andererseits, dass aus eurozentristischer Perspektive positiv beurteiltes Empowerment von Frauen im globalen Süden neue Formen der Ausgrenzung und Ausbeutung mit sich bringen kann. Lily Ling vertritt die These, dass der Bezug auf westliche, (neo)liberale Werte in dominanten Globalisierungs- und Freihandelsdiskursen die vollständige Anpassung der „Anderen“ an diese Werte anstrebt. Ihre Disziplinierung erfolgt durch verschiedene Formen von „conditionalities“ und für den Fall, dass die „universalen“ Werte zurückgewiesen werden, durch ihre Liquidierung. Diese Dynamik führt nach Ling zu der Entstehung von „rival camps of hypermasculinity“, die die Wettbewerbslogik immer weiter eskalieren lassen. Als Alternative schlägt Ling ein gesellschaftliches Gegenmodell vor, das sich an präkolonialen asiatischen Gesellschaftsformen orientiert, und auf gesellschaftliche Multidimensionalität und Uneindeutigkeit mit Koexistenz und Anerkennung reagiert. Der zweite thematische Block beschäftigt sich mit neuen Formen des Ausschlusses und Einschlusses und der Veränderung von Geschlechterverhältnissen im Kontext von Arbeit und Migration. Der Beitrag von Julia Lepperhoff und Alexandra Scheele knüpft an die Argumentation von Fraune und Roß an, legt aber den Schwerpunkt auf die Überprüfung der Umsetzbarkeit theoretischer Konzepte. Die Autorinnen betonen, dass gerade aus Geschlechterperspektive die Bedingungen, unter denen Erwerbsarbeit stattfindet, und das Verhältnis zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit von Bedeutung sind. Lepperhoff/Scheele untersuchen die Chancen und Grenzen zweier international diskutierter Ansätze zur Qualität von Arbeit. Zum einen analysieren sie die beschäftigungspolitischen Leitlinien der Europäischen Union, die im Rahmen der Lissabon-Strategie formuliert wurden und der Arbeitsplatzqualität einen größeren Stellenwert einräumen. Zum anderen beschäftigen sie sich mit der 1999 ins Leben gerufenen Arbeitsplattform „Decent Work“ der Internationalen Arbeitsorganisation. Lepperhoff/Scheele argumentieren, dass es nicht nur einer weiteren, an Geschlechtergerechtigkeit orientierten Ausformulierung von Kriterien „guter Arbeit“ bedarf, sondern noch viel dringender einer verbesserten Umsetzung derselben im jeweiligen nationalen Kontext und zwar gerade auch vor dem Hintergrund zunehmender Prekarisierungstendenzen, um Ausschlussprozesse, von denen vor allem Frauen betroffen sind, zu vermeiden. Anja Weckwert zeigt in ihrer Analyse der Entwicklung des (bundes)deutschen Wohlfahrtsstaates, dass Migrantinnen in hohem Maße von sozialen Ausschlussprozessen betroffen sind, wenn sie als Au-Pairs, Pflegerinnen oder Putzkräfte unter prekären Bedingungen in Privathaushalten arbeiten. Damit ermöglichen oder erleichtern sie die Aufnahme einer qualitativ wertvollen Erwerbsarbeit ihrer ArbeitgeberInnen. Weckwert argumentiert, dass migrantische Haushaltsarbeiterinnen die Strukturdefizite eines Wohlfahrtsstaates kompensieren, der in der Aufgabenvertei-
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lung zwischen Staat, Markt und Familie eine geschlechtliche Arbeitsteilung voraussetzt und gezielt eine Arbeitsmigration in Arbeitsverhältnisse des Niedriglohnbereichs fördert, die sich durch eine geringe Qualität der Arbeitsbedingungen und faktische Rechtlosigkeit der Arbeitnehmerinnen auszeichnen. Mit Marginalisierung auf dem Arbeitsmarkt sind auch muslimische Migrantinnen konfrontiert, insbesondere, wenn sie sich zum Tragen eines Kopftuches entscheiden, wie Sieglinde Rosenberger und Birgit Sauer in ihrem Beitrag verdeutlichen. Muslimische Frauen mit Kopftuch sind in europäischen Gesellschaften weit von einer gesellschaftlichen und beruflichen Integration entfernt. Vielmehr werden sie mit beruflichem Ausschluss, ökonomischer Marginalisierung und sozialer Diskriminierung konfrontiert. Rosenberger/Sauer argumentieren, dass mit dem diskursiven Bezug auf vor allem liberale, vermeintlich universalistische Werte sowohl Mechanismen der Inklusion als auch der Exklusion begründet und bewirkt werden können. Vor diesem Hintergrund plädieren sie für eine Kontextualisierung der Kopftuchdebatte sowie die Anerkennung und diskursiv-partizipatorische Einbeziehung nicht nur der Werte der „Anderen“, sondern der anderen Personen selbst – in ihrem Falle also der Kopftuch tragenden Frauen. Die Beiträge des dritten Blocks fokussieren auf transnationale und nationale Kampagnen von und für Frauen in einer globalisierten Welt. Inderpal Grewals theoretische Auseinandersetzung mit transnationalen feministischen Praktiken verdeutlicht deren Einbettung in vorherschende Machtverhältnisse und dominante Diskurse. Sie entwickelt das Konzept der „connectivity“, um zu zeigen, dass transnationale Netzwerke das Produkt der Herrschaftsverhältnisse sind, die sie kritisch hinterfragen. Aus Grewals Sicht ist es daher nicht ausreichend, diesen neuartigen AkteurInnen per se ein kritisches Potenzial zu unterstellen. Vielmehr müssen die spezifischen Formen, Ziele und Diskurse der NetzwerkakteurInnen kritisch analysiert werden, um ihre inhärenten Ausschlussprozesse aufzuzeigen und emanzipatorisches Potenzial erst zu ermöglichen. Die darauf folgenden Beiträge von Eva Kalny, Claudia Derichs und Sylvia Braun untersuchen an konkreten Mobilisierungsbeispielen unter welchen Bedingungen Netzwerke und andere Strategien, die auf mehr Teilhabe abzielen, erfolgreich sind. Eva Kalny zeigt am Beispiel des Freihandelsabkommens Guatemalas mit den USA, wie marginalisierte BäuerInnen und indigene Gruppen Widerstand gegen transnationale neoliberale Wirtschaftspolitiken leisten. Sie versuchen nicht nur über die Gründung von NGOs ihre Bedürfnisse an internationale Institutionen heranzutragen, sondern unterlaufen deren neoliberale Logik auch, indem sie im Alltag Formen des nicht-monetären Austausches favorisieren, die Kalny als „generalisierte Form der Reziprozität“ bezeichnet. Kalny identifiziert allerdings auch eine Perpetuierung von Geschlechterhierarchien in den von ihr untersuchten NGOs. Ihre empirische Untersuchung unterstreicht die Bedeutung von Grewals Hinweis auf die
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Verankerung von Formen des Widerstands in den vorherrschenden Machtverhältnissen. Ähnlich ambivalent sind die Ergebnisse von Claudia Derichs. Sie analysiert die Bemühungen von Frauenrechtsgruppen in Bahrain, Malaysia und Indonesien, die sich zum Ziel gesetzt haben, repressive Familienstandsgesetze zu reformieren. Derichs zeigt, dass Reformen, die aus „westlicher“ Perspektive den Zielen der Frauenrechtsgruppen entgegen kommen sollten, wie zum Beispiel die Einführung von Meinungsfreiheit und kompetitiven Wahlen, häufig diesen Zweck nicht erfüllen. Im Gegenteil bieten sie extremen islamistischen Strömungen neue Entfaltungsmöglichkeiten, die diese zum Teil erfolgreich für ihre eigenen Ziele und unter anderem dazu nutzen, eine Reform der Familienstandsgesetze zu blockieren. Silvia Braun widmet sich der Umsetzbarkeit und den Umsetzungsstrategien der Sicherheitsratsresolution 1325 der Vereinten Nationen (VN), die erstmals in der Geschichte des VN-Sicherheitsrates die Sicherheit und Partizipation von Frauen in Konfliktsituationen anspricht. Braun argumentiert, dass die Resolution zwar zu einer bemerkenswerten Sensibilisierung der Staatengemeinschaft für die geschlechtsspezifischen Dimensionen von Konflikten geführt hat, dass aber ihre Implementierung durch die noch zu wenig reflektierte Wirkung von Geschlechterhierarchien sowohl in den VN-Mitgliedsstaaten als auch den VN selbst an ihre Grenzen stößt. Sie zeigt dies am Beispiel der UNMIL Mission in Liberia.
Die Komplexität von Ausschlussmechanismen und Bedingungen für den Erfolg von Handlungsansätzen Der rote Faden dieses Buches, der alle Beiträge verknüpft, liegt in der Analyse der Komplexität der neuen Formen von Ungleichheit. Die Gesamtheit der Beiträge verdeutlicht die Widersprüchlichkeit der vorherrschenden Prozesse von Inklusion und Exklusion: überlappende Diskriminierungsstrukturen haben zum einen die Marginalisierng bestimmter Bevölkerungsgruppen verschärft, zum anderen sind aber auch neue, früher privilegierte Teile der Bevölkerung von Formen der Ausgrenzung betroffen. Für feministische Theoriebildung und darauf basierende empirische Forschung ist es daher zentral, Geschlecht als Kategorie in intersektionale Analysen einzubetten und nicht von einer primären Ausgrenzung qua weiblichem Geschlecht auszugehen. Bussmann/Spörer identifizieren in diesem Sinne einen komparativen Vorteil für Frauen im Niedriglohnsektor in Transformationsländern, der durch Globalisierungsprozesse hervorgerufen wurde. Dieselben Prozesse wirken sich aber für Frauen in Industriestaaten, die auf Arbeit im Niedriglohnsektor angewiesen sind, nachteilig aus. In ihrer Studie führt also die Kategorie Geschlecht verknüpft mit dem nationalen Kontext zum Zugang zu oder zum Ausschluss von der Möglichkeit der eigenen Existenzsicherung.
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Alle anderen Autorinnen des ersten Blockes fokussieren auf multiple Ausschlussmechanismen; die Kategorie der „GewinnerInnen“ kommt nur am Rande vor. Fraune hinterfragt zum Beispiel die Einstufung von Frauen im Niedriglohnsektor in Transformationsländern als „Globalisierungsgewinnerinnen“, da ihr Lohnniveau die Existenzsicherung ihrer Familien unsicher erscheinen lässt. Roß unterstreicht, dass im Kontext von globalem Marktkapitalismus Machtstrukturen entlang der Kategorien Geschlecht, Klasse und Ethnie vertieft werden, und dass diese Strukturen zu komplexen, durchaus auch ambivalenten aber stets hierarchischen sozialen Ungleichheiten führen. Löw insistiert darauf, die Verstummung der mehrfach Marginalisierten in der feministischen Theoriebildung zu durchbrechen: Sie sieht hier insbesondere westliche Feministinnen in der Verantwortung, die von einer privilegierten Position aus sprechen. Lings Analyse des hypermaskulinen Kapitalismus verdeutlicht die Totalität der Ausgrenzung und Abspaltung des zurückgewiesenen Anderen. Aus ihrer Perspektive ist eine Integration in die Gemeinschaft der Nicht-Marginalisierten nur durch Anpassung und Disziplinierung möglich. Für sie ist soziale Gerechtigkeit keine wirksame Kategorie. Die Beiträge des zweiten Blockes beschäftigen sich mit unterschiedlichen Ausschlussmechanismen am Beispiel von Arbeit und Migration in Ländern des globalen Nordens. Ihre konsekutive Lektüre verdeutlicht, wie diese Mechanismen entlang der Kategorien Geschlecht (Lepperhoff/Scheele); Geschlecht, Klasse und Ethnie (Weckwert; Rosenberger/Sauer) ineinander greifen und sich gegenseitig verstärken. Insofern bestätigen diese Beiträge aus empirischer Perspektive die Bedeutung intersektionaler und postkolonialer Ansätze für Analysen von Ausschlussprozessen. Die Beiträge des dritten Blocks stellen nicht nur verschiedene Möglichkeiten des Widerstands gegen neoliberale und patriarchale Praktiken dar, sondern reflektieren auch die Macht- und Herrschaftsverhältnisse, in denen diese Widerstandspraktiken situiert sind (Grewal). Sie thematisieren die intendierten Wirkungen, aber auch die „Nebenprodukte“ dieser Handlungsansätze. Die NGOs in Guatemala, deren Ziel es ist, die Bedürfnisse der Marginalisierten an internationale Institutionen zu vermitteln, reproduzieren patriarchale Praktiken (Kalny); die zunehmende Demokratisierung in islamischen Transformationsländern führt nicht unbedingt zur Änderung patriarchaler Familienstandsgesetze, sondern vor allem zu einem Erstarken von anti-demokratischen Ideologien (Derichs); und die rhetorische Sensibilisierung der Staatengemeinschaft für die geschlechtsspezifische Unsicherheit und Unterrepräsentation von Frauen in Konfliktsituationen ist nicht nachthaltig. Die Umsetzung der Sicherheitsratsresolution 1325 scheitert daran, dass in realen Krisensituationen meistens auf „traditionelle“, nichtegalitäre Geschlechterrollen zurückgegriffen wird (Braun).
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Heike Brabandt / Bettina Roß / Susanne Zwingel
Insgesamt zeigen die handlungsorientierten Beiträge, dass theoretische Konzepte und politische Strategien zur Überwindung von Marginalisierung der Komplexität von Ungleichheit Rechnung tragen müssen, wenn sie ihre Wirkung nicht verfehlen und ins Leere laufen sollen.
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Geschlechterverhältnisse, Globalisierung, Sicherheit und internationale Ökonomie
Globalisierung und Frauen Eine Bestandsaufnahme in Industrie- und Transformationsländern Margit BussmannDoreen Spörer1 Margit BussmannDoreen Spörer
Die positiven Effekte der Globalisierung auf die makroökonomische Entwicklung eines Landes werden aus wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Perspektive kaum mehr angezweifelt. Genauso unumstritten ist aber auch die distributive Wirkung der Integration in den Weltmarkt, die sowohl Gewinner als auch Verlierer unter den ökonomischen Akteuren hervorbringt. Gewöhnlich stehen Arbeitnehmer und Arbeitgeber oder Konsumenten und Produzenten im Fokus der Forschung. Die feministische Ökonomie thematisiert dagegen den Geschlechterunterschied. In modernen Volkswirtschaften treten sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitnehmerinnen als ökonomische Agenten auf. Während erstgenannte seit jeher ein aktiver Bestandteil der produktiven Sphäre sind, hat sich die Rolle der Frauen in den vergangenen 30 Jahren markant verändert. Ihre zunehmende Integration in den Arbeitsmarkt erweist sich jedoch als hochgradig ambivalent: Zwar können weibliche Beschäftigte individuelles Einkommen generieren, doch führen die vornehmlich von Frauen wahrgenommenen versorgungswirtschaftlichen Aufgaben zu einer Verknappung ihrer zeitlichen Ressourcen. In der Folge haben Arbeitnehmerinnen im Vergleich zu Arbeitnehmern ein geringeres Erfahrungs- und/oder Qualifikationspotenzial, welches sich negativ auf die Entlohnung ihrer Arbeit auswirkt. Die feministische Ökonomie fokussiert diese zwiespältige Beziehung, indem sie die genderblinden, aber keineswegs genderneutralen handelstheoretischen Modelle, welche die Makroökonomie postuliert, kritisiert und das Verhältnis von reproduktivem und produktivem Wirtschaftsbereich gezielt ins Visier nimmt (Young 1998; Williams 2005; Fraune in diesem Band). Die Grundkritik 1
Autorinnen in alphabetischer Reihenfolge. Die Daten, die in der Analyse verwendet wurden, können von der ersten Autorin angefordert werden. Wir danken dem Gleichstellungsrat der Universität Konstanz für finanzielle Unterstützung und Nina Wiesehomeier für ihre Vertretung bei der Präsentation der Forschungsergebnisse im Rahmen des Panels des AK Politik und Geschlecht beim DVPW-Kongress 2006 in Münster.
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Margit Bussmann / Doreen Spörer
der feministischen Ökonomie an den makroökonomischen Handelstheorien richtet sich auf die Ausblendung des Geschlechts aus der Forschung, obwohl dieser Faktor zentral für die Funktionsfähigkeit der Volkswirtschaft als Ganzes ist. Darüber hinaus entlädt sich ihre Kritik nicht nur an (den Umständen) der Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen, welche die Handelstheorien in ihren Studien betonen, sondern auch an ihrer unterbewerteten Rolle in der Versorgungswirtschaft, genauer an ihrer unbezahlten Reproduktionsarbeit. Die feministische Ökonomie thematisiert und diskutiert die negativen Effekte der Weltmarktintegration auf (potenzielle) Arbeitnehmerinnen, die sich sowohl (sozio-) ökonomisch als auch politisch niederschlagen. Dagegen belegen empirische Studien oft das Gegenteil, nämlich, dass Frauen im Zuge der Globalisierung, d.h. zunehmender zwischenstaatlicher Waren-, Güter- Kapital- und Dienstleistungsströme, häufiger in neue Beschäftigungsverhältnisse gelangen, die sich wiederum positiv auf ihren sozialen Status auswirken. Der vorliegende Beitrag greift die Ambivalenz zwischen den theoretischen Erwartungen der feministischen Ökonomie und den empirischen Erkenntnissen der Makroökonomie auf. Obwohl auch wir der ökonomischen genderneutralen Annahme im Sinne einer „conceptual silence“ misstrauen (Bakker 1994; Young 1998), wertschätzen wir das Erklärungspotenzial der makroökonomischen Handelstheorien im Hinblick auf Gewinn- und Verlustverteilung. Im Einklang mit feministischen Ökonominnen wie Young (1998) und Williams (2005) argumentieren wir, dass die Globalisierung sowohl positive als auch negative Arbeitsund Lebensbedingungen für Frauen schafft. Unterschiede im Betroffenheitsgrad führen wir auf die segmentierenden Implikationen der Handelstheorien, konkret des Heckscher-Ohlin-Theorems, zurück. Empirisch konzentriert sich dieser Beitrag auf den (sozio-)ökonomischen Status von Arbeitnehmerinnen in den europäischen Industrie- und Transformationsländern im Zeitraum von 1975 bis 2000. Damit grenzen wir uns von Studien der feministischen und neoliberalen Ökonomie ab, die sich nahezu ausschließlich auf den Vergleich von Industrie- und Entwicklungsländern beschränkt (z.B. Bussmann et al. 2005; Morrisson/Jütting 2005). Unser Interesse an den Transformationsländern gründet auf vier Beobachtungen: Erstens ist die postkommunistische Welt in der feministischen Ökonomie unterrepräsentiert (Paci 2002). Zweitens traten die Effekte der Weltmarktintegration nahezu zeitgleich in allen Transformationsländern auf (Spörer 2006), die drittens in ihrer ökonomischen Entwicklung offenkundig variierten. Somit bildet das postkommunistische Sample die Basis für einen länderübergreifenden Vergleich, der den Einfluss der Globalisierung einerseits und des nationalen Entwicklungstands andererseits auf die genderspezifischen Lebensund Arbeitsbedingungen berücksichtigt. Viertens war die Geschlechtergleichheit in den kommunistischen Staaten rechtlich verankert. So nahmen Frauen aktiv am
Globalisierung und Frauen
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Arbeitsleben teil. Dabei profitierten sie von einem attraktiven Angebot an Kinderbetreuung, Gesundheitseinrichtungen und Bildung. Der Regimekollaps Ende der 1980er Jahre und der damit einhergehende weitere ökonomische Verfall tangierte die Frauen überdurchschnittlich, da sie u.a. von Einschnitten in das Sozialsystem direkt betroffen waren. Der folgende Beitrag wird die Lebens- und Arbeitssituation von Frauen in Industrie- und Transformationsstaaten vor dem Hintergrund zunehmender Globalisierung empirisch untersuchen. Zu diesem Zweck fassen wir im ersten Abschnitt die globalisierungskritische feministische Theorie zusammen. Danach leiten wir zur Diskussion einer makroökonomischen Handelstheorie, genauer des Heckscher-Ohlin-Theorems, über und formulieren schließlich unsere drei Arbeitshypothesen. Im dritten Abschnitt stellen wir das Forschungsdesign unserer deskriptiven und quantitativen Analysen vor, deren Ergebnisse wir im vierten Abschnitt ausführlich diskutieren. Abschließend fassen wir die zentralen Erkenntnisse unseres Beitrags zusammen und geben eine Bewertung ab.
1
Globalisierungskritische Feminismustheorien
Die meisten ökonomischen Studien der feministischen Forschung konzentrieren sich darauf, Determinanten der Genderungleichheit, die ökonomisch, sozial oder auch politisch zum Tragen kommt, zu identifizieren und zu bewerten. Gleichwohl eine Vielzahl empirischer Studien belegt, dass Globalisierung dem Wirtschaftswachstum grundsätzlich aller Länder zuträglich ist (vgl. Sachs/Warner 1995; Frankel/Romer 1999)2, verteilen sich die aus ihr resultierenden Gewinne und Verluste ungleich auf die Geschlechter. Die feministische Forschung, die das Geschlechterverhältnis als kulturspezifisches Phänomen betrachtet und sich inhaltlich u.a. mit dem ökonomischen Status der Frau beschäftigt, unterstellt der 2
Laut der Konvergenztheorie verzeichnen Staaten, die wirtschaftlich gering entwickelt sind, höhere Wachstumsraten („advantage of backwardness“). Empirisch hat sich jedoch die konditionale Konvergenz herauskristallisiert, wonach es nur für Länder, die bestimmte Bedingungen erfüllen, zur Konvergenz mit den reichen Staaten kommen kann. Manche Studien verweisen auf Humankapital als eine solche Bedingung (Lucas 1988), weshalb nur Staaten, die über viel Humankapital verfügen, höhere Wachstumsraten erzielen können. Eine andere Bedingung kann die Integration in den Weltmarkt sein. So zeigen etwa Sachs/Warner (1995), dass besonders Entwicklungsländer, die wirtschaftlich integriert sind, schneller wachsen. Folglich ist es laut dieser Literatur eben genau der Ausschluss von Globalisierung, der die fehlende Entwicklung behindert (sei es durch die Politik der Import-Substitution, die viele Entwicklungsländer in den 1970/80er Jahren betrieben haben oder sei es durch die Handelsschranken, die von den Industrienationen gegenüber Produkten aus Entwicklungsländern aufrechterhalten werden). Ziel sollte also der Abbau von Handelsbarrieren sein, vor allem auch in den Industrieländern für Produkte aus Entwicklungsländern.
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Margit Bussmann / Doreen Spörer
Globalisierung traditionell einen negativen Effekt (z.B. Benerìa et al. 2000).3 Dieser äußere sich etwa in weniger Wohlfahrt, eingeschränktem Zugang zum Arbeitsmarkt, Lohnungleichheit und zunehmender beruflicher Separierung und fuße auf der Tatsache, dass weibliche Beschäftigte üblicherweise Reproduktionsverantwortlichkeit haben, die ihre Erfahrungs- und Qualifikationsmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt einschränkt. In den späten 1990er Jahren setzte sich jedoch eine liberalere Auffassung durch, wonach Arbeitnehmerinnen nicht mehr per se als Verliererinnen der Globalisierung gelten, sondern auch von ihr profitieren können: „However, when feminist economists and gender and trade activists examine these issues we work with a more complex, highly nuanced and sometimes disturbing picture: the good, the bad and the ugly are up for discussion. This is because the focus is not simply on ‚trade’ but on the link between trade and the spheres of production and reproduction […]“ (Williams 2005:3).4 Weibliche Beschäftigte haben infolge zunehmender Weltmarktintegration in verschiedener Hinsicht Wohlfahrtseinbußen. Die ökonomische Liberalisierung erhöht den Konkurrenzdruck auf dem nationalen Arbeitsmarkt, mit der Konsequenz, dass vor allem gering entlohnte und gering qualifizierte Arbeitnehmerinnen in die Arbeitslosigkeit abrutschen, von Armut bedroht werden und häufig informelle Beschäftigungsverhältnisse eingehen müssen (Upadhyay 2000). Auch im Prozess der ökonomischen Entwicklung sind weibliche Beschäftigte benachteiligt. So arbeiten sie besonders in Entwicklungsländern mehr als ihre männlichen Kollegen (Juster/Stafford 1991; Ilahi 2000); ferner leiden sie wegen ihrer Doppelbelastung in Familie und Beruf sowie zunehmender Einschnitte in das Sozialsystem an chronischer Zeitarmut, die sich nicht nur in geringerer Arbeitserfahrung, sondern auch geringerer Qualifikation im Vergleich zu Männern niederschlägt, da diese einfacheren Zugang zu Bildung und neuen Technologien haben (Young 1998). Verschiedene Studien setzen sich mit dem Zugang zum und der Distribution (potenzieller) Arbeitnehmerinnen auf dem Arbeitsmarkt auseinander (vgl. Cagatay 2001). Wichterich (1998) weist darauf hin, dass die Integration in den Weltmarkt „Oasen der Ausbeutung billiger weiblicher Arbeitskräfte“ schaffe. Die Zahl der Beschäftigungsmöglichkeiten nahm im Exportsektor der Entwicklungs3
4
Neben diesen Effektstudien, d.h. wie Frauen und Männer als ökonomische Akteure in den Markt integriert sind, setzt sich die ökonomische feministische Forschung auch mit den theoretischen Prämissen der Wirtschaftswissenschaft auseinander und kritisiert vor allem, dass die Ökonomie auf maskulinen Wertvorstellungen basiere (vgl. Fraune in diesem Band). Die Effektbetrachtung der Globalisierung tangiert nur eine Dimension des Zusammenwirkens von Gender und Handel, nämlich die Integration von Frauen und Männern als ökonomische Akteure in den Markt. Die zweite Dimension, welche diese Studie nicht thematisiert, bezieht sich dagegen auf den Einfluss der genderspezifischen Ungleichheit auf die Außenhandelstheorien (Engendering) und den Außenhandel (Avin 2004).
Globalisierung und Frauen
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länder zu, dagegen leiden in den Industrieländern die weniger ausgebildeten Arbeitnehmerinnen zunehmend unter Arbeitslosigkeit (Howes/Singh 1995; Randzio-Plath 2005). Fussell (2000) fand in Bezug auf export-orientierte Entwicklungsstrategien heraus, dass Unternehmen entlang der US-mexikanischen Grenze insbesondere verheiratete weibliche Beschäftigte mit Kindern einstellen, folglich ihren Arbeitsmarktnachteil ausbeuten. Andere Studien zeigen, wie eine export-orientierte Politikstrategie die Arbeitsbedingungen auf Kosten von Arbeitnehmerinnen verschlechtern kann, die hauptsächlich im industriellen Exportsektor beschäftigt sind (Standing 1999). Kabeer (2004) charakterisiert diese Beschäftigungsverhältnisse zwar als Ausbeutung, aber sie stellen ihres Erachtens auch echte Möglichkeiten für Frauen als Exportarbeiterinnen dar. Es mehren sich Zweifel, dass international ausgehandelte “soziale Bedingungen” globale Beschäftigungsstandards unterstützen können. Traditionell arbeiten weibliche Beschäftigte in arbeitsintensiven und export-orientierten Sektoren, besonders in den Entwicklungsländern Lateinamerikas und Asiens (Howes/Singh 1995); in Industrieländern sind sie dagegen in der Lehre, der Kinderund Altenpflege oder aber in Verwaltungsberufen überrepräsentiert (Lopez-Claros/Zahidi 2005). Selbst in den einstigen kommunistischen Ländern, in denen Frauen ein durchschnittlich hohes Bildungsniveau hatten, konzentrieren sie sich in eher gering qualifizierten Beschäftigungsverhältnissen, die nur wenige Aufstiegschancen bieten (Dawson 1999). Nach Majcher (2004) und Majoros (2004) erweist sich die vertikale Beschäftigungssegregation als ernstes Problem in den Transformationsländern, besonders für gut ausgebildete Arbeitnehmerinnen. Ein dritter Kritikpunkt der ökonomischen feministischen Forschungsliteratur ist neben Wohlfahrtseinbußen und eingeschränktem Zugang zum Arbeitsmarkt die Lohndiskriminierung. So wird argumentiert, dass Wachstumsergebnisse aus zunehmender Genderungleichheit, insbesondere Lohndiskriminierung, resultieren (Berik 2000; Seguino 2000). Spezialisiert sich ein Land entsprechend dem komparativen Vorteil in der Produktion arbeitsintensiver Güter, so entspricht ein Anstieg der Beschäftigungsrate von Arbeitnehmerinnen aus makroökonomischer Perspektive einem Erfolg, aus feministischer Sicht steht jedoch der Diskriminierungsaspekt im Vordergrund. Dies gilt sowohl für gering wie auch hoch qualifizierte Beschäftigungsverhältnisse (Elder/Schmidt 2004; Fraune 2006). Berik et al. (2003) unterstützen in einer Fallstudie die These, wonach Globalisierung die Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern verstärkt habe. Jüngere Studien führen jedoch auch empirische Belege für die Gegenthese an, zumindest in den USA (Black/ Brainerd 2002).
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Margit Bussmann / Doreen Spörer
Makroökonomische Handelstheorien
Ökonomische Theorien und eine Vielzahl empirischer Studien unterstützen die positiven Effekte der ökonomischen Integration auf das wirtschaftliche Wachstum (z.B. Sachs/Warner 1995; Frankel/Romer 1999). Durch den freien Austausch von Gütern, Kapital und Dienstleistungen können sich Staaten entsprechend ihres komparativen Vorteils in der Produktion spezialisieren. In der Konsequenz verteilen sie Ressourcen effizienter und erreichen eine höhere Produktivität. Für die Konsumenten bedeutet dies, dass sie Güter preiswerter erwerben können und darüber hinaus eine größere Auswahl haben. Empirische Studien zeigen ferner, dass alle gesellschaftlichen Ebenen, d.h. auch die ärmere Schicht, von Wachstum profitieren (Dollar/Kraay 2002), insbesondere im Hinblick auf Gesundheit und Bildung (Dollar/Gatti 1999). Ebenso wenig findet die These, dass internationaler Handel die Einkommensungleichheit verschärfe, empirische Unterstützung (vgl. Reuveny/Li 2003; Bussmannet al. 2005).5 Als eine genderspezifische Erweiterung der ökonomischen Theorien erwarten wir, dass (potenzielle) Arbeitnehmerinnen von der ökonomischen Integration profitieren, indem sich ihr Allgemeinwohl, das sich in der Bereitstellung besserer Gesundheitsversorgung und mehr Bildung widerspiegelt, verbessert. Der Staat hat durch eine größere Wirtschaftsleistung mehr Steuereinnahmen, die er in die Bereitstellung öffentlicher Güter umsetzen kann. Hypothese 1: Die Globalisierung erhöht die Lebensqualität der Frauen in Bezug auf den Zugang zu Gesundheitsversorgung und Schulbildung. Trotz der positiven Effekte des zunehmenden internationalen Handels und wachsender Kapitalströme auf aggregierter Ebene sind deren Vorzüge nicht einheitlich unter den verschiedenen ökonomischen Akteuren verteilt. Nach dem Heckscher-Ohlin-Theorem sollten sich Länder auf die Produktion derjenigen Waren spezialisieren, für die ihre Gesellschaften über außerordentliche Faktoren (Arbeit vs. Kapital) verfügen. Das heißt, dass sich die weniger entwickelten Länder auf die Produktion arbeitsintensiver Güter konzentrieren sollten, da ihr komparativer Vorteil in gering qualifizierter Arbeit liegt. Der komparative Vorteil der entwickelten Länder findet sich indes im Kapital und in technologischem Know-how, also in der Herstellung von Waren, für die hoch qualifizierte Beschäftigte und Kapital benötigt werden. Das Stolper-Samuelson-Theorem rechnet die Freihandelsvorzüge den Inhabern der übermäßigen Faktoren zu. Die Zunahme der rela5
Der in diesen Studien verwendete Gini-Index für die Einkommensverteilung wird auf Haushaltsebene erhoben und ist somit für die geschlechterspezifische Fragestellung der vorliegenden Studie unbrauchbar. Wir weichen stattdessen auf Einzelkomponenten des Human Development Index (Lebenserwartung, Bildung) aus.
Globalisierung und Frauen
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tiven Warenpreise, die mit Hilfe des übermäßigen Faktors produziert werden, führt zu einem disproportionalen Lohnanstieg des Faktors, der für die Herstellung dieses Gutes intensiv genutzt wird. Umgekehrt verlieren die Inhaber des knappen Faktors infolge der Handelsliberalisierung. Übertragen auf die Genderperspektive für den Arbeitsmarkt bedeutet das Heckscher-Ohlin-Modell, dass hoch qualifizierte Arbeitnehmerinnen in Industrieländern diejenigen sind, die häufiger Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten, wohingegen gering qualifizierte Arbeitnehmerinnen ihre Beschäftigungen eher verlieren. Also sollte die Globalisierung einen geringen Einfluss auf die gesamte Zahl der weiblichen Beschäftigten in Industrieländern haben, da einige gewinnen und andere verlieren. Allerdings wird der Freihandel beeinflussen, welcher Art von Arbeit weibliche Beschäftigte nachgehen. Konkret bedeutet das, dass wir in Industrienationen mit zunehmender Globalisierung mehr Arbeitnehmerinnen im Dienstleistungssektor erwarten, dafür weniger im Agrar- und Industriesektor. Die Annahme hier ist, dass die Beschäftigungsverhältnisse mit dem höchsten Qualifizierungsanspruch im Dienstleistungssektor konzentriert sind, diejenigen mit einem geringeren dagegen in der Landwirtschaft und Industrie.6 In den wirtschaftlich geringer entwickelten Transformationsländern erwarten wir mit zunehmender ökonomischer Interdependenz mehr weibliche Beschäftigte im professionellen Leben. Gering qualifizierte Arbeitnehmerinnen konzentrieren sich in Beschäftigungsverhältnissen, die für die Produktion arbeitsintensiver Güter notwendig sind. In Bezug auf den Typ der Arbeit sollten Arbeitnehmerinnen weniger in der Landwirtschaft und zunehmend im industriellen Sektor beschäftigt sein, da die Transformationsländer gegenüber den Entwicklungsländern einen deutlichen technologischen Vorsprung in der Industrie haben und gleichzeitig darin einen komparativen Kostenvorteil gegenüber den Industrieländern besitzen. Diese theoretische Erwartung sollte jedoch in der postkommunistischen Welt nur eingeschränkt zutreffen. Da es in den Planwirtschaften, die nicht auf marktwirtschaftlichen Prinzipien fußten, bereits eine verhältnismäßig hohe Arbeitsbeteiligung von weiblichen Beschäftigten gab, wird ein zusätzlicher Beschäftigungszuwachs infolge der Globalisierung schwer auszumachen sein. Ferner ist zu vermuten, dass auch viele gut qualifizierte Arbeitnehmerinnen in Beschäftigungsverhältnisse abgleiten, die unterhalb ihres Qualifikationsniveaus liegen. Dennoch
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Allerdings sei darauf hingewiesen, dass der Dienstleistungssektor selbst stark zerklüftet ist. So gehören informelle Arbeiten wie Babysitten ebenso in diesen Bereich wie etwa professionelle Politikberatung durch Frauen. Ferner spielen ethnische und geographische Faktoren eine zentrale Rolle. Die Beschäftigung ausländischer Frauen konzentriert sich im informellen oder schlecht bezahlten Dienstleistungsbereich. Darüber hinaus öffnet sich eine Stadt-Land-Kluft, wonach Dienstleistungen hauptsächlich in städtischen Gebieten angeboten und nachgefragt werden.
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Margit Bussmann / Doreen Spörer
untersuchen wir die folgenden aus den Handelstheorien abgeleiteten genderspezifischen Hypothesen. Hypothese 2: Globalisierung hat in Industrieländern keinen Effekt auf die allgemeine Beschäftigungsrate von Arbeitnehmerinnen; in den Transformationsländern steigt die Beschäftigungsrate von Arbeitnehmerinnen mit zunehmender ökonomischer Integration in den Weltmarkt an. Hypothese 3: In den Industrieländern erhöht sich durch die Globalisierung der Anteil der Arbeitnehmerinnen, die im Dienstleistungsbereich tätig sind; in den Transformationsländern erhöht die Globalisierung den Anteil der Arbeitnehmerinnen, die im Industriesektor arbeiten.
3
Forschungsdesign
Ein zentraler Kritikpunkt der feministischen Forschung bezieht sich darauf, dass makroökonomische Analysen auf aggregierten Daten basieren, die den „male bias“ verschleiern und vermeintliche Geschlechtsneutralität suggerieren (Elson 1991; Beneria 1995). Stattdessen verteilen sich Wohlstand und Beschäftigung unterschiedlich auf verschiedene gesellschaftliche Gruppen. Genau an diesem Punkt setzt unsere Forschungsarbeit an, indem wir die Effekte von wirtschaftlicher Interdependenz auf die Wohlfahrt und Arbeitssituation der Menschen disaggregiert nach Geschlecht untersuchen. In unseren empirischen Tests überprüfen wir die Auswirkungen von Globalisierung im Verständnis des Freihandels und ausländischer Direktinvestitionszuflüsse auf die Wohlfahrt und die Arbeitsmarktsituation einer ausgewählten gesellschaftlichen Gruppe: Frauen. Nach einer ersten deskriptiven Annäherung werden wir unsere Thesen mit multivariaten Regressionsanalysen testen. Unser Datensatz deckt 40 Länder in Europa und Zentralasien im Zeitraum von 1975 bis 2000 ab.7 Für die Paneldaten wenden wir fixed-effects Regressionsanalysen an. Diese fixen Effekte absorbieren länderspezifische, zeitinvariante Merkmale wie Religion, kulturelle Aspekte, koloniale oder sozialistische Vergangenheit etc., die vermutlich einen Effekt auf
7
Folgende Länder sind in unserer Untersuchung vertreten: Industrieländer = Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Griechenland, Irland, Island, Italien, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Schweiz, Spanien; Transformationsländer = Albanien, Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Estland, Georgien, Jugoslawien, Kroatien, Lettland, Litauen, Mazedonien, Moldawien, Polen, Rumänien, Russland, Slowakische Republik, Slowenien, Tschechische Republik, Ukraine, Ungarn.
Globalisierung und Frauen
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die ökonomische Situation der Frauen haben (vgl. Young 1998; Leitner/Ostner 2000; Carr/Chen 2002; Morrisson/Jütting 2005). Wir untersuchen verschiedene abhängige Variablen, die die Lebensqualität von Frauen allgemein erfassen. Wir möchten in Erfahrung bringen, ob sich ihre Situation im Hinblick auf den Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung verbessert. Bildung messen wir als Einschulungsraten der Mädchen bzw. Frauen im Primär-, Sekundär- und Tertiärschulbereich. Für die primären und sekundären Einschulungsraten nutzen wir das Netto-Verhältnis, also die Anzahl der schulpflichtigen Kinder, die tatsächlich eingeschrieben sind, relativ zur Zahl der in der jeweiligen Altersgruppe erfassten Kinder. Für die tertiäre Schuleinschreibung verwenden wir das Brutto-Verhältnis, d.h. die Einschreibung unabhängig vom Alter in Bezug auf die korrespondierende Altersgruppe. Da diese Variablen kaum jährlichen Schwankungen unterliegen, interpolieren wir die Beobachtungen, um die fehlenden Daten zu kompensieren. Die Lebenserwartung der Frauen zum Zeitpunkt der Geburt steht für den Gesundheitsaspekt.8 Weitere abhängige Variablen greifen die Situation von Arbeitnehmerinnen auf dem Arbeitsmarkt auf. Wir evaluieren die Aktivität weiblicher Beschäftigter auf dem Arbeitsmarkt mit ihrer Beschäftigungsrate als Anteil an der gesamten Anzahl an Arbeitskräften. So sehen wir, ob Globalisierung generell Beschäftigungsverhältnisse für Frauen schafft oder eher zerstört. Ferner möchten wir herausfinden, ob die meisten Beschäftigungsverhältnisse von Arbeitnehmerinnen in der Landwirtschaft, der Industrie oder im Dienstleistungssektor angesiedelt sind. Dazu untersuchen wir die Anzahl der weiblichen Beschäftigten in den verschiedenen Sektoren als Anteil an der gesamten weiblichen Beschäftigung. Als zentrale unabhängige Variablen verwenden wir zwei Indikatoren der Globalisierung: Handelsoffenheit und ausländische Direktinvestitionszuflüsse. Die operationale Definition der Handelsfreiheit ist die Summe der Exporte und Importe relativ zum Bruttoinlandsprodukt (BIP). Wir verwenden den Logarithmus, um die schiefe Verteilung der Variable auszugleichen. Ausländische Direktinvestitionen sind die Netto-Zuflüsse an ausländischen Direktinvestitionen als Anteil am BIP. In der multivariaten Regressionsanalyse halten wir zusätzliche Einflussfaktoren konstant. Einen besonders wichtigen Einfluss hat der ökonomische Entwicklungsstand, mit dem wir etwa die Modernisierung eines Landes konstant halten. Mit zunehmender ökonomischer Entwicklung und damit verbundenen zusätzlichen Einkommenssteuern verbessert sich die Kapazität des Staates, sei-
8
Die Daten für die meisten Variablen entstammen den World Development Indicators 2004, es sei denn, andere Quellen werden angegeben (World Bank 2004).
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nen Bürgern mehr soziale Leistungen anzubieten.9 Der Entwicklungsgrad wird gemessen als logarithmische Transformation des realen BIP pro Kopf auf der Basis der Kaufkraftparität in konstanten internationalen Dollars des Jahres 1995. Wir erwarten ferner, dass demokratische Länder eine bessere Lebensqualität bieten und Frauen einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen, da sie potenzielle Wählerinnen sind, die mit ihrer Wahlentscheidung unmittelbaren Einfluss auf die Wahl und Abwahl einer Regierung nehmen können. Wir verwenden den einschlägigen Polity IV-Datensatz zur Messung des Regimetyps (Jagger/Gurr 1995). Die Geburtenrate, d.h. die Gesamtzahl der Geburten pro Frau, verdeutlicht einerseits das Bevölkerungswachstum und andererseits, in welchem Ausmaß Frauen mit Kindererziehung beschäftigt sind, d.h. weniger Zeit zum Partizipieren auf dem Arbeitsmarkt und für Weiterbildungen haben. Hier wirkt selbstverständlich die Anzahl und Qualität von Kinderbetreuungseinrichtungen und die Beteiligung von Vätern an der Kindererziehung intervenierend und sollte in weiterführenden Studien genauer untersucht werden. Schlussendlich verwenden wir die oben beschriebenen Variablen für Bildung und Arbeitsmarktbeteiligung in einigen der Modelle als Kontrollvariablen.
4
Analyse
Um einen ersten Eindruck von den Daten zu gewinnen, betrachten wir die einzelnen Variablen und ihre Veränderung im Laufe der Jahre differenziert nach OECD und Nicht-OECD-Mitgliedsländern.10 Die ersten beiden Graphen (Abb. 1-2) zeigen den Jahresdurchschnitt der Handelsoffenheit und ausländischen Direktinvestitionen.
9
10
Verschiedene Studien bestätigten, dass Zunahmen des Pro-Kopf-Einkommens die Genderungleichheit in Bezug auf Bildung und Gesundheit senken (Dollar/Gatti 1999, Brown 2004). Hinsichtlich der Arbeitsmarktpartizipation identifizierte die Forschungsliteratur zwar eine kurvilineare Beziehung (z.B. Cagatay/Ozler 1995), da unser Sample hauptsächlich aus Ländern mit einem relativ hohen Pro-Kopf-Einkommen besteht, erwarten wir einen positiv linearen Zusammenhang. Die Aufteilung in OECD und Nicht-OECD-Staaten entspricht in etwa der Unterteilung in Industrie- und Transformationsländer, wie in Fußnote 6 aufgelistet. Lediglich die Tschechische Republik (seit 1995), Polen und Ungarn (seit 1996) und die Slowakische Republik (seit 2000) wechselten in die Gruppe der OECD Staaten.
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Globalisierung und Frauen
110 105
non-OECD
100
OECD
95 90 85 80 75 70 65 60 1975
1980
Abbildung 1:
1985
1990
1995
2000
Entwicklung der Handelsoffenheit (Handel/BIP, in %)
90 80
non-OECD
70
OECD
60 50 40 30 20 10 0 1975
Abbildung 2:
1980
1985
1990
1995
Entwicklung der Zuflüsse infolge ausländischer Direktinvestitionen/BIP (in %)
2000
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Für die OECD-Staaten zeigt der Graph einen beständigen Aufwärtstrend, der besonders nach 1990 stark ausgeprägt ist. Für die Nicht-OECD-Staaten lässt sich in den 1980er Jahren ein leichtes Ansteigen der durchschnittlichen Handelsoffenheit beobachten, die nach 1990 zuerst rapide zunimmt und dann wieder leicht rückläufig ist. Diese Entwicklung reflektiert die wirtschaftliche Performanz der postkommunistischen Staaten, die unmittelbar nach dem Regimekollaps eine schnelle Marktöffnung vollzogen, danach aber wieder protektionistisch agierten. Zu Graph 1 ist anzumerken, dass erst ab 1980 Daten für mehrere kommunistische Staaten zur Verfügung stehen; die gestrichelte Linie kennzeichnet deswegen lediglich die Entwicklung in Ungarn, das überdurchschnittlich stark in den Weltmark integriert war. Das Absinken der Handelsoffenheit im Jahr 1980 ist also auf eine Erhöhung der Länderzahl in diesem Sample zurückzuführen. Der Trend hinsichtlich der ausländischen Investitionszuflüsse ist konsistenter und verläuft in den OECD und Nicht-OECD-Staaten ähnlich mit einem starken Anstieg in den frühen 1990er Jahren. 81 80
non-OECD OECD
79 78 77 76 75 74 73 1975
Abbildung 3:
1980
1985
1990
1995
2000
Entwicklung der Lebenserwartung von Frauen (in Jahren)
Ein visueller Abgleich der Graphen gibt uns den Hinweis, dass die Beziehung zwischen Globalisierung und den verschiedenen Indikatoren für Lebensqualität sowie Arbeitsmarktpartizipation nicht durchgängig geradlinig ist. In Bezug auf die Lebenserwartung der Frauen (Abb. 3) beobachten wir ein kontinuierliches
37
Globalisierung und Frauen
Wachstum in beiden Samplen, wobei die Lebenserwartung in den OECD-Staaten nicht nur auf einem höheren Niveau startet, sondern auch schneller zunimmt. Eine sehr diffizile Entwicklung zeigt sich bei der Einschreibung von Frauen für die primäre Schulbildung in den Nicht-OECD-Ländern (Abb. 4). Hier beobachten wir einen deutlichen Abfall von 1980 bis in die frühen 1990er Jahre, bevor die Einschulungsrate wieder stetig ansteigt, aber klar unter dem Niveau der OECD-Länder bleibt. Die Entwicklung in den einzelnen Ländern bestätigt den Trend, wonach der Grad der Einschreibung für primäre Schulbildung in den 1980er Jahren sinkt.11 Ein genauer Blick auf einzelne Länder mit Hilfe von Fallstudien könnte uns eine Erklärung dieses Musters liefern, die jedoch für die vorliegende Studie nicht von zentraler Bedeutung ist. Die Entwicklung der Einschulung in Grundschulen im OECD-Sample ist relativ stabil auf einem hohen Niveau. In Bezug auf die sekundäre und tertiäre Schulbildung nehmen die Einschulungsraten in beiden Samples über die Jahre sehr ähnlich zu, aber mit leichtem Vorteil für die OECD-Staaten (Abb. 5-6). 98 96 94 92 90 88 non-OECD
86
OECD
84 1975
Abbildung 4:
11
1980
1985
1990
1995
2000
Entwicklung der Primarschuleinschreibung von Frauen (in %)
Es ist schwierig, den exakten Wendepunkt in der weiblichen Primärschuleinschreibung zu bestimmen, da die Einschulungsdaten nur alle 5 Jahre vor dem Jahr 1990 erhoben wurden.
38
Margit Bussmann / Doreen Spörer
95 non-OECD
90
OECD
85 80 75 70 65 60 55 50 1975
1980
Abbildung 5:
1985
1990
1995
2000
Entwicklung der Sekundarschuleinschreibung von Frauen (in %)
70 60
non-OECD OECD
50 40 30 20 10 0 1975
Abbildung 6:
1980
1985
1990
1995
2000
Entwicklung der Tertiärschuleinschreibung von Frauen (in %)
39
Globalisierung und Frauen
Abbildung 7 zeigt die Entwicklung der weiblichen Arbeitsmarktpartizipation und bestätigt, dass in den Transformationsländern von 1975 bis zum Jahr 2000 deutlich mehr Arbeitnehmerinnen auf dem Arbeitsmarkt beschäftigt waren als in den OECD-Ländern; die Wachstumsrate für den postkommunistischen Raum fällt über den gesamten Beobachtungszeitraum eher gering aus. Im Gegensatz dazu nimmt die Präsenz der weiblichen Beschäftigten in den OECD-Ländern kontinuierlich zu (35 % im Jahr 1975, 43 % im Jahr 2000), ohne aber das Niveau der Nicht-OECD-Länder zu erreichen. 48 46 44 42 40 38 non-OECD 36 34 1975
Abbildung 7:
OECD
1980
1985
1990
1995
2000
Entwicklung der weiblichen Arbeitsmarktpartizipation (in %)
Die Abbildungen 8 bis 10 zeigen an, in welchen Sektoren Arbeitnehmerinnen tätig sind. Der Anteil der weiblichen Beschäftigten stieg im Dienstleistungssektor durchschnittlich in beiden Vergleichsgruppen. In den OECD-Ländern arbeiten weibliche Beschäftigte zunehmend weniger in der Landwirtschaft und der Industrie. Insofern stimmen die empirischen Erkenntnisse mit den theoretischen Erwartungen überein. In den Nicht-OECD Ländern liegt der Fall anders. Der Anteil der Arbeitnehmerinnen, die in der Landwirtschaft tätig sind, nimmt dort bis zum Jahr 1994 ab und steigt seitdem wieder an. Andererseits geht der Anteil der weiblichen Beschäftigten im Industriesektor seit dem Jahr 1990 zurück. Entsprechend unserer Hypothese erwarteten wir jedoch für die Transformationslän-
40
Margit Bussmann / Doreen Spörer
der, dass mit intensiverer Weltmarktintegration mehr Arbeitnehmerinnen im Industriesektor arbeiten. Die Marktverzerrung in der Beschäftigungspolitik der kommunistischen Staaten könnte, neben anderen, eine mögliche Erklärung für diese Entwicklung bieten. Mit der Einführung der Marktwirtschaft fand eine Freisetzung vieler Arbeitskräfte vor allem in nicht-konkurrenzfähigen Bereichen der Ökonomie statt, wobei Frauen von diesen Wettbewerbsmaßnahmen überdurchschnittlich betroffen waren. Infolge der Liberalisierung gingen viele Staatsbetriebe, die international nicht wettbewerbsfähig und lediglich durch staatliche Subventionen überlebensfähig waren, bankrott. Damit ging der Verlust von Arbeitsplätzen in der Industrie einher. 35 non-OECD
30
OECD 25 20 15 10 5 0 1980
Abbildung 8:
1985
1990
1995
2000
Entwicklung der Frauenbeschäftigung im Agrarsektor (in %)
41
Globalisierung und Frauen
40 non-OECD
35
OECD
30
25
20
15
10 1980
Abbildung 9:
1985
1990
1995
2000
Entwicklung der Frauenbeschäftigung im Industriesektor (in %)
90
80
70
60
50 non-OECD
40
30 1980
OECD
1985
1990
1995
2000
Abbildung 10: Entwicklung der Frauenbeschäftigung im Dienstleistungssektor
42
Margit Bussmann / Doreen Spörer
Die multivariaten Tests bestätigen das allgemeine Bild, welches wir bereits in den deskriptiven Statistiken identifiziert haben. Tabelle 1 fasst die Ergebnisse für die Indikatoren der Lebensqualität von Frauen zusammen. Die Lebenserwartung steigt mit zunehmender ökonomischer Entwicklung und nimmt mit einer hohen Geburtenrate ab. In der ersten Spalte korreliert der Regimetyp positiv mit der Lebenserwartung, d.h. je demokratischer ein Land ist, desto höher ist die Lebenserwartung der Frauen, ein Ergebnis das jedoch nicht robust ist, wenn für Bildung kontrolliert wird. In Bezug auf die Globalisierung zeigt sich, dass die Handelsoffenheit einen positiven Effekt auf die Lebenserwartung hat, wohingegen die ausländischen Direktinvestitionen statistisch nicht signifikant sind. Sobald wir jedoch in der zweiten Spalte für die Einschulungsraten der Frauen kontrollieren, ist der positive Effekt der Handelsoffenheit statistisch nicht mehr signifikant. Diese Ergebnisse verweisen auf eine indirekte Beziehung zwischen Handelsoffenheit und Lebenserwartung durch den Faktor Bildung, den wir als nächstes analysieren. Tabelle 1: Globalisierung und die Lebensqualität von Frauen, 1975-2000
Log (Handel/BIP) ADI/BIP Log (BIP pro Kopf) Regimetyp Geburtenrate Weibliche Primärbildung Weibliche Sekundärbildung Weibliche Tertiärbildung Konstante Beobachtungen Länderzahl R2
(1) Weibliche Lebenserwartung 1.0218*** (0.2122) -0.0089 (0.0123) 5.2410*** (0.2352) 0.0436*** (0.0163) -1.2046*** (0.1475)
25.7506*** (2.3712) 601 37 0.69
(2) Weibliche Lebenserwartung -0.4008 (0.2533) -0.0093 (0.0143) 2.1337*** (0.3610) -0.0006 (0.0143) -1.4344*** (0.1425) 0.0116 (0.0105) 0.0404*** (0.0065) 0.0298*** (0.0040) 56.4876*** (3.7353) 403 32 0.85
(3) Weibliche Primärbildung -0.6327 (1.1473) 0.2749*** (0.0614) 3.3470*** (1.1077) -0.2585*** (0.0624) 0.5821 (0.6180)
(4) Weibliche Sekundärbildung 3.5857* (2.0899) 0.2805** (0.1281) 24.5017*** (2.2226) 0.7398*** (0.1291) -7.5754*** (1.2624)
(5) Weibliche Tertiärbildung 11.1775*** (2.3493) 0.7064*** (0.1363) 58.6745*** (2.6124) 0.2504 (0.1798) -2.0329 (1.6315)
66.5395*** (11.5907) 466 36 0.14
-160.078*** (24.2877) 420 33 0.63
-563.422*** (26.3902) 586 37 0.67
Die Zahlen stellen Koeffizienten dar; die Standardfehler sind in Klammern angegeben. * signifikant auf 10%-Niveau; ** signifikant auf 5%-Niveau, *** signifikant auf 1%-Niveau
43
Globalisierung und Frauen
Wir bewerten die Auswirkung der Globalisierung auf den Bildungszugang für Frauen, nämlich in Bezug auf die Schuleinschreibung für primäre, sekundäre und tertiäre Bildung. Die Ergebnisse belegen einen klaren positiven Effekt der wirtschaftlichen Integration auf die Bildung von Frauen. Zuflüsse ausländischer Direktinvestitionen korrelieren auf allen Bildungsebenen positiv mit den weiblichen Einschulungsraten. Handelsoffenheit korreliert nicht signifikant mit mehr Primärbildung, aber mit sekundärer und tertiärer. Die Ergebnisse unterstützen die Hypothese, dass Globalisierung die Lebensqualität der Frauen steigert. Mit zunehmender Handelsoffenheit und ausländischen Direktinvestitionszuflüssen haben Frauen eine höhere Einschulungsrate und indirekt wegen der besseren Bildung eine höhere Lebenserwartung. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit anderen Studien (z.B. Gray et al. 2006). Tabelle 2: Globalisierung und weibliche Arbeitsmarktpartizipation, 1975-2000
Log (Handel/BIP) ADI/BIP
(1)
(2)
3.4407*** (0.5367) 0.1839*** (0.0295)
-0.7377 (0.5635) -0.0491 (0.0346) 9.2272*** (0.6854) 0.0410 (0.0361) -1.3032*** (0.3547) 0.0815*** (0.0137) -48.5013*** (6.8842) 420 33 0.72
Log (BIP pro Kopf) Regimetyp Geburtenrate Weibliche Sekundärbildung Konstante Beobachtungen Länderzahl R2
26.5831*** (2.2756) 630 39 0.15
(3) OECD -1.7761** (0.7785) 0.0266 (0.0469) 10.4445*** (0.7952) 0.3707*** (0.0829) -0.8182** (0.3958) 0.0828*** (0.0152) -64.0228*** (8.4181) 326 20 0.80
(4) Nicht-OECD -0.0913 (0.0911) -0.0094 (0.0060) 0.2450 (0.1617) 0.0242*** (0.0046) 0.0475 (0.1563) 0.0230*** (0.0031) 42.1476*** (1.5121) 94 16 0.74
Die Zahlen stellen Koeffizienten dar; die Standardfehler sind in Klammern angegeben. * signifikant auf 10%-Niveau; ** signifikant auf 5%-Niveau, *** signifikant auf 1%-Niveau
Nun untersuchen wir den Effekt der Globalisierung auf die Arbeitsmarktbeteiligung der Frauen. In Tabelle 2 analysieren wir zunächst das komplette Sample, bevor wir es in OECD- und Nicht-OECD-Länder zum Test unserer Thesen aufteilen. In der ersten Spalte sehen wir, dass ohne jegliche Kontrollvariable sowohl die ausländischen Direktinvestitionen als auch die Handelsoffenheit die Partizipation der Arbeitnehmerinnen am Arbeitsmarkt signifikant positiv beeinflussen. Sobald wir allerdings einige Kontrollvariablen in Spalte 2 hinzufügen, haben
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Margit Bussmann / Doreen Spörer
beide Globalisierungsvariablen keinen signifikanten Effekt auf die Arbeitsmarktteilnahme. Stattdessen erhöhen die ökonomische Entwicklung sowie die Sekundärbildung der Frauen deren Anteil an den Beschäftigten. Die Fruchtbarkeitsrate hat erwartungsgemäß einen negativen Einfluss. Sobald wir unser Sample aufteilen, sehen wir, dass die Handelsoffenheit die Partizipation der Arbeitnehmerinnen am Arbeitsmarkt in den OECD-Ländern senkt, wobei dieses Ergebnis unseren Erwartungen widerspricht. Die ausländischen Direktinvestitionen bleiben weiterhin statistisch insignifikant. Im Hinblick auf die Arbeitsmarktpartizipation in den Nicht-OECD-Ländern hat die Handelsoffenheit keinen signifikanten Einfluss. Dieses Resultat entspricht auch nicht unseren theoretischen Erwartungen, wonach ein Anstieg der Beschäftigungsverhältnisse in den Nicht-OECD-Ländern postuliert wurde. Eine mögliche Erklärung hierfür liegt in der bereits oben beschriebenen Zusammensetzung des Nicht-OECD-Samples aus ehemaligen kommunistischen Ländern, deren Ökonomien nicht nach Wettbewerbsprinzipien funktionierten, sondern staatlich reglementiert wurden. Dieser negative Effekt und der von uns erwartete positive Effekt der Globalisierung heben sich möglicherweise gegenseitig auf. Tabelle 3: Handelsoffenheit und Frauenbeschäftigung nach Sektoren (1) Landwirtschaft Log (BIP pro Kopf) Weibl. Arbeitsmarktpartizipation Log (Handel/BIP) Konstante Beobachtungen Länderzahl R2
OECD (2) Industrie
(3) Dienstleistungssektor
(4) Landwirtschaft
Nicht-OECD (5) Industrie
4.9170*** (1.6125) -1.566*** (0.1063)
-5.1846*** (1.3169) -0.6528*** (0.0868)
-1.0943 (2.5561) 2.1594*** (0.1684)
-14.32*** (3.5653) 6.3177*** (2.3013)
-4.6608 (3.5202) -7.2569*** (2.2722)
(6) Dienstleistungssektor 18.9543*** (3.6169) 0.9954 (2.3346)
-1.3368 (1.1380) 28.1353** (10.9223) 283
-1.0881 (0.9294) 98.8756*** (8.9200) 283
3.7331** (1.8039) -17.5533 (17.3136) 283
5.7809** (2.2186) -175.219* (98.2936) 76
-6.8221*** (2.1905) 434.088*** (97.0497) 76
1.0776 (2.2507) -161.5785 (99.7165) 76
21 0.63
21 0.60
21 0.65
17 0.27
17 0.36
17 0.41
Die Zahlen stellen Koeffizienten dar; die Standardfehler sind in Klammern angegeben. * signifikant auf 10%-Niveau; ** signifikant auf 5%-Niveau, *** signifikant auf 1%-Niveau
Globalisierung und Frauen
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In Tabelle 3 brechen wir die aggregierte Arbeitskraft der Arbeitnehmerinnen auf, indem wir untersuchen, ob sie vornehmlich in der Landwirtschaft, der Industrie oder im Dienstleistungsbereich arbeiten und wie sich die Beschäftigungsmuster im Zuge zunehmender Handelsoffenheit verändern. Wir integrieren die ökonomische Entwicklung und Arbeitsmarktpartizipation der weiblichen Beschäftigten als Kontrollvariablen. In den OECD-Ländern hat die zunehmende Handelsoffenheit keinen signifikanten Effekt auf den Anteil der Arbeitnehmerinnen in der Landwirtschaft und der Industrie, jedoch sind beide Koeffizienten negativ. Allerdings ist die Handelsoffenheit positiv mit der Beschäftigung im Dienstleistungsbereich verbunden. Das entspricht unseren theoretischen Erwartungen. In Bezug auf die Beschäftigungsmuster in den Nicht-OECD-Ländern unterstützen die Ergebnisse unsere These nicht, was jedoch nicht völlig überraschend ist. Mehr Handelsoffenheit erhöht den Anteil der weiblichen Beschäftigten in der Landwirtschaft und reduziert ihn in der Industrie. In den sozialistischen Staaten waren viele Arbeitnehmerinnen in nicht-wettbewerbsfähigen Industrien beschäftigt. Mit der wirtschaftlichen Öffnung gingen diese Arbeitsplätze verloren, und die Beschäftigten wichen auf Arbeitsplätze in der Landwirtschaft aus.
5
Resümee
Dieser Beitrag beschäftigte sich mit der Frage, welche Auswirkungen die Globalisierung im Sinne von Handelsoffenheit und ausländischen Direktinvestitionszuflüssen auf die Lebens- und Arbeitsumstände von Frauen in Industrie- und Transformationsländern hat. Unsere Ergebnisse stehen teilweise im Einklang mit den Handelstheorien. Die Weltmarktintegration beeinflusst die Lebensumstände von Frauen positiv, weil sie einen besseren Zugang zu Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen erhalten haben und zwar sowohl in Industrie- als auch in Transformationsländern. Unsere Resultate weisen diesbezüglich Frauen als Gewinnerinnen im absoluten Sinne aus, sagen jedoch nichts aus darüber, ob sich das „gender gap“ schließt. Erste Studien zeigen jedoch, dass durch Globalisierung die Lebenserwartung und Alphabetenrate von Frauen nicht nur absolut sondern auch im Vergleich zu Männern steigt (Gray et al. 2006). Allerdings sind wir auch mit unerwarteten Ergebnissen konfrontiert, wie die Entwicklung der Teilnahme der Arbeitnehmerinnen am Arbeitsmarkt belegt. So scheint die Globalisierung die Zahl der weiblichen Beschäftigten grundsätzlich nicht zu erhöhen. Unterscheiden wir jedoch nach Wirtschaftssektoren, arbeiten infolge zunehmender Globalisierung, wie nach den Handelstheorien erwartet, in den OECD-Ländern mehr weibliche Beschäftigte im Dienstleistungsbereich. In den Transformationsländern nimmt der Anteil der Arbeitnehmerinnen dagegen
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in der Landwirtschaft zu, wohingegen derjenige der Beschäftigten in der Industrie sinkt. Eine mögliche Erklärung dafür ist in der Marktverzerrung der sozialistischen Planwirtschaften zu finden. Nach einer Anpassungsphase gehen wir auch für die Transformationsländer davon aus, dass sich die Beschäftigungsverhältnisse hin zum Industrie- und schließlich zum Dienstleistungssektor entwickeln. Unsere Ergebnisse suggerieren also, dass sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen für Frauen durch die ökonomische Globalisierung verbessern können, zumindest im produktiven Sektor (zu den Ambivalenzen vgl. Roß in diesem Band). Eine verstärkte Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt durch Globalisierung darf zudem auch als Chance gesehen werden, die zur Verbesserung im häuslichen Bereich beiträgt, weil Arbeiten in der reproduktiven Sphäre zunehmend in den Dienstleistungssektor transferiert werden. Allerdings bedarf es im Zuge weiterer empirischer Studien zusätzlicher Anstrengungen, um vor allem der Qualität der Beschäftigungsverhältnisse von Arbeitnehmerinnen Rechnung zu tragen (vgl. Lepperhoff/Scheele in diesem Band). Ferner gilt es auch, die Entwicklung der weiblichen Beschäftigungsverhältnisse im Verhältnis zur allgemeinen Entwicklung inklusive der Erwerbsbeteiligung von Männern zu bewerten. Ein zentraler Kritikpunkt der feministischen Literatur an der markoökonomischen Forschung ist jedoch die komplette Ausblendung des reproduktiven Bereichs aus den Untersuchungen. So schreibt Fraune (2006) von einem „male bias“, da die sozialen Kosten des ökonomischen Strukturwandels infolge der Globalisierung auf Frauen umverteilt würden; dieses Faktum bliebe aber von den Handelstheorien unberücksichtigt. Generell können wir uns der Forderung anschließen, dass neben der privaten Warenwirtschaft und dem staatlichen Dienstleistungssektor auch der reproduktive und ehrenamtliche Sektor in quantitative und qualitative Studien aufgenommen wird. Künftige Forschung sollte sich also mit diesem Aspekt eingehend beschäftigen, um zu ergründen, wie sich Globalisierung auf die Situation von Frauen im reproduktiven Sektor auswirkt.12 Das Ziel unseres Beitrags bestand darin, die Ambivalenz zwischen den theoretischen Erwartungen der feministischen Ökonomie und der Makroökonomie am Beispiel europäischer Industrie- und Transformationsländer aufzugreifen und empirisch zu überprüfen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die feministische Ökonomie die Lebens- und Arbeitssituation der Frauen unter dem Einfluss der Globalisierung zu negativ bewertet, die Handelstheorien die feministische Kritik dagegen zu wenig ernst nehmen, wie die mangelnde Berücksichtigung der vornehmlich von Frauen wahrgenommenen Reproduktionsarbeit zeigt. Nähmen 12
In diesem Zusammenhang sollten sich künftige theoretische Arbeiten auch damit auseinandersetzen, ob das rationale Akteursverhalten im produktiven und reproduktiven Sektor unterstellt werden kann. Die feministische Ökonomie hegt Zweifel für den reproduktiven Sektor, da dort vornehmlich Frauen in ein altruistisches Verhaltensmuster verfielen (Fraune 2006).
Globalisierung und Frauen
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makroökonomische Studien diese Kritik zum Anlass, ihre theoretischen Modelle zu adaptieren, wäre ein weiterer Erkenntnisgewinn zu erwarten.
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Feministische Kritik an makroökonomischen Ansätzen Cornelia Fraune
Internationaler Handel als eine bedeutende Ausprägung der Globalisierung birgt sowohl Vorteile als auch Nachteile für die Verwirklichung des Ziels der Geschlechtergerechtigkeit in sich (UNCTAD 2004:2). So ist es wenig verwunderlich, dass Studien, die der Frage nachgehen, wie Geschlechterverhältnisse und internationaler Handel aufeinander einwirken, je nach dem Fokus ihrer Analyse zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen (Bussmann/Spörer, in diesem Band; Staveren 2003; Cagatay 2001; Bhagwati 2004). Ungeachtet der teilweise sehr unterschiedlichen Argumentationen ist den verschiedenen Standpunkten im Diskurs eines gemein – sie alle bleiben in den grundlegenden Argumentationsstrukturen der Außenhandelstheorien verhaftet. Gemäß den Ansätzen der Außenwirtschaftslehre ist der Abbau von Handelshemmnissen positiv zu beurteilen, da die Aufnahme von freiem, grenzüberschreitendem Außenhandel die ökonomische Wohlfahrt aller daran beteiligten Länder erhöht (Pugel 2004:54). Eine häufig vorgebrachte Kritik hieran ist, dass die ökonomische Globalisierung die Prämisse eines „freien“ Wettbewerbs nicht erfüllt, da weiterhin Machtasymmetrien, insbesondere zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, bestehen (Greven/Scherrer 2005). Während diese wichtige Perspektive aktuell stattfindende Globalisierungsprozesse kritisch hinterfragt, geht sie aber in einem Punkt nicht über das theoretische Fundament der Freihandelslehre hinaus: Sie basiert ebenfalls auf der Annahme, die Außenhandelstheorie sei generell geschlechtsneutral. Allerdings ist diese postulierte Geschlechtsneutralität aus mehreren Gründen zu hinterfragen. Zum einen vor dem Hintergrund der Erkenntnisse der feministischen Ökonomie, welche belegen, dass eine Erweiterung mikroökonomischer und makroökonomischer Theorien um die Kategorie Gender notwendig ist, um die Realität zutreffender zu erfassen (Cagatay et al. 1995:1827f.). Diese Kritik an der auf den Binnenhandel bezogenen Ökonomik lässt sich auf die Außenhandelstheorie übertragen, weil diese mit der Annahme operiert, dass die Motive und Verhaltensweisen von Individuen im Außenhandel die gleichen wie im Binnenhandel sind und somit die gleichen analytischen Instrumente verwendet (Krugman/Obstfeld 2004:27). Zum anderen liegen die Zweifel an der Geschlechtsneu-
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tralität von Außenhandelstheorien darin begründet, dass Studien existieren, die einen Zusammenhang zwischen Geschlechterverhältnissen und internationalem Handel belegen (UNCTAD 2004; Staveren 2003; Cagatay 2001). Im Verlauf meines Textes wird zunächst der Zusammenhang zwischen Geschlechterverhältnissen und Makroökonomik aufgezeigt. Dieser Untersuchung liegt die Prämisse zu Grunde, dass makroökonomische Entscheidungen und somit auch die damit verbundenen Verteilungsinteressen und -konflikte auf gesellschaftlichen Strukturen basieren, die in die Analyse der Makroökonomie miteinbezogen werden müssen, um die Realität exakter zu erfassen. In einem zweiten Schritt werden die Ergebnisse des ersten Teils auf die reale Außenwirtschaftslehre1 übertragen. Diese begründet die Effizienz von freiem, grenzüberschreitendem Austausch für die Produktion und Allokation von Gütern mit dem Prinzip des komparativen Kostenvorteils. Diesem liegen die Opportunitätskosten in der Produktion zu Grunde2. Somit spiegeln sich die mit internationalem Handel verbundenen Entwicklungen auf der staatlichen Ebene vor allem in der jeweiligen Produktionsspezialisierung der nationalen Ökonomie und in der auf der globalen Ebene aus dieser nationalen Produktionsspezialisierung resultierenden internationalen Arbeitsteilung wider. Daher wird der mit der ökonomischen Globalisierung einhergehende Wandel von Macht- und Verteilungsstrukturen anhand der Entwicklungen auf den Arbeitsmärkten untersucht.
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Der Nexus zwischen Makroökonomik und Geschlechterverhältnissen „Um vernünftige wirtschaftspolitische Entscheidungen treffen zu können, müssen die zugrunde liegenden ökonomischen Zusammenhänge bekannt sein. Diese Zusammenhänge aufzuspüren, ist Aufgabe der Makroökonomik“ (Mankiw 2000:4).
Mit dem Begriff Makroökonomik wird die Wissenschaft von den gesamtwirtschaftlichen Vorgängen bezeichnet. Ihr Untersuchungsgegenstand sind gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge und Prozesse auf der Basis aggregierter Größen, 1
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Neben den Modellen der realen Außenwirtschaftstheorie gibt es auch noch die Modelle der monetären Außenwirtschaftstheorie. In den Modellen der realen Außenwirtschaftstheorie wird von der Existenz des Geldes abstrahiert. Diese Modelle konzentrieren sich auf die Fragen der Allokation und Effizienz. Die monetäre Außenhandelstheorie hingegen rückt die Rolle des Geldes in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung, sie widmet sich vorwiegend dem Stabilitätsproblem (Dieckheuer 2001). Als Opportunitätskosten werden in der Ökonomik entgangene Erträge oder Nutzen im Vergleich zu einer Handlungsalternative bezeichnet. Opportunitätskosten fallen also dann an, wenn mit der Wahl einer Handlungsalternative auf eine andere verzichtet werden muss (Frantzke 1999, S. 16).
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wie dem Bruttoinlandsprodukt, Investitionen und Ersparnissen, Importen, Exporten und der Handelsbilanz sowie der optimalen Allokation der Ressourcen, Effizienz und Produktivität. Durch das Aggregationsverfahren, der Zusammenfassung der einzelwirtschaftlichen Beziehungen, lässt sich die Vielfalt dieser reduzieren. Es trägt somit zur Überschaubarkeit der gesamtwirtschaftlichen Prozesse bei. Andererseits kann diese Zusammenfassung zur Folge haben, dass makroökonomische Ereignisse, wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit, abstrakt erscheinen. Dennoch wirken sich diese Ereignisse auf große Teile einer Gesellschaft und somit auch auf die Gesellschaft im Ganzen aus. Weil makroökonomische Entwicklungen somit Folgen für die Gesamtgesellschaft nach sich ziehen, nimmt die makroökonomische Theorie in der politischen Debatte als Basis für die Diskussion der wichtigsten aktuellen wirtschaftspolitischen Themen eine zentrale Rolle ein (Mankiw 2000:3). Gesamtwirtschaftliche Entwicklungen, welche aus der Bündelung der einzelwirtschaftlichen Beziehungen resultieren, sind also das Ergebnis einzelwirtschaftlicher Entscheidungen. Diese wiederum stehen im Fokus der Mikroökonomik, welche einzelne Wirtschaftssubjekte zum Ausgangspunkt ihrer Analyse hat. Mit den Begriffen Makroökonomik und Mikroökonomik werden verschiedene wirtschaftswissenschaftliche Methoden bezeichnet, die einander ergänzen in der Wirtschaftswissenschaft spricht man von der mikroökonomischen Fundierung der Makroökonomie (Frantzke 1999:14f.). Es sind somit zwei Faktoren, die einer Analyse der Makroökonomik aus der Sicht feministischer Kritik zugrunde liegen: Zum einen die analytische Methode der Makroökonomik, zum anderen die mikroökonomische Fundierung der Makroökonomie (Fraune 2006:36; Evers 2003:6f.). Eine feministische Kritik der Makroökonomik enthält somit auch immer mikroökonomische Argumente: Eine rein makroökonomische Argumentation würde die Makroökonomik nicht in Gänze erfassen. Feministische ÖkonomInnen haben wesentlich dazu beigetragen, dieses Beziehungsgeflecht von Theorie, Methode und Erfassung der ökonomischen Realität zu strukturieren. Hierzu ist die Einteilung in Epistemologie, Methodologie und Methode nützlich (MacDonald 1995:160). Die Epistemologie als Wissenschaftslehre legt das wissenschaftliche Denkmuster, also das wissenschaftliche Paradigma, dar. Mittels des Paradigmas wird definiert, welche Kategorien und Daten als wissenschaftlich relevant zu erachten sind. Das vorherrschende wissenschaftliche Paradigma der Ökonomik ist das neoklassische (MacDonald 1995:160). Dieses wiederum definiert, welche Methodologie, also welche Verfahrensweisen als wissenschaftlich gelten und darauf aufbauend, welche Methode, also welche Verfahren zur Erlangung von wissenschaftlichen Erkenntnissen, erlaubt sind.
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„In neoclassical economics the methodology is to use quantitative statistical analysis to test rigorous mathematical models of economic behaviour. […]. Econometrics and statistically rigorous data collection techniques make up the method of neoclassical economics” (MacDonald 1995:161).
Die für die Neoklassik relevante Analyseeinheit ist das Individuum. Individuen treten als ProduzentInnen und KonsumentInnen in der Ökonomie auf. Aus Sicht der Neoklassik verfügen alle Individuen über gleiche Wahlmöglichkeiten. Unterschiede hinsichtlich des ökonomischen Status, des Einkommens usw. sind lediglich Folge unterschiedlicher Wahlentscheidungen. Dass die Wahlmöglichkeiten der Individuen aufgrund der geschlechtsspezifischen gesellschaftlichen Genderordnung (Young 1998:176-180), welche sich unter anderem in der institutionellen Ausgestaltung der Ökonomie widerspiegelt (bspw. durch unterschiedliche Behandlung von Frauen und Männern hinsichtlich der Verfügbarkeit über Eigentum) unterschiedlich ausfallen können, wird nicht beachtet (Sparr 1994:14). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Gender lediglich eine Kategorie unter vielen ist, die es ermöglicht zu zeigen, dass Individuen auf verschiedenste Weise in die Ökonomie eingebunden sind (Young 1999; 2000:48)3. Ausgehend von dieser fundamentalen Kritik der Neoklassik, kann die feministische Kritik an der auf dieser Prämisse basierenden konventionellen Makroökonomik in drei Bereiche gegliedert werden (MacDonald 1995:163): 1. 2. 3.
Ausblendung der reproduktiven Sphäre; Ausblendung von Macht- und Verteilungsasymmetrien; geschlechtsspezifische Strukturierung des formalen Arbeitsmarktes.
1.1 Ausblendung der reproduktiven Sphäre Die Arbeitsteilung zwischen der reproduktiven Sphäre und der produktiven Sphäre ist für die feministische Ökonomik ein zentraler Aspekt, da diese Arbeitsteilung in den meisten Gesellschaften auf der Kategorie Gender basiert. Die Ausblendung der reproduktiven Sphäre hat somit zur Folge, dass die zum größten Teil von Frauen geleistete Reproduktionsarbeit systematisch unterschätzt wird (Cagatay/Elson/Grown 1995:1828)4. Die Ausblendung ist auf die mikro3
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Eine weitere Kategorie ist z.B. Ethnie (Young 1999/2000:48). Die Konzentration auf die Kategorie Gender in diesem Beitrag sagt nichts über den Stellenwert der einzelnen Kategorien aus. Um eine vollständig die Realität widerspiegelnde Ökonomik zu erarbeiteten, müssten sämtliche Differenzierungskriterien analysiert und miteinander verschränkt werden. Die Nichterfassung von nicht mit monetären Strömen verbundenen wirtschaftlichen Aktivitäten wird auch in den Wirtschaftswissenschaften als theoretisches Manko betrachtet und disku-
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ökonomische Fundierung der Makroökonomie zurückzuführen, da sich die neoklassische Mikroökonomik lediglich auf die kapitalistische Organisation von Produktion und Reproduktion bezieht (Sparr 1994:16): „This theory considers work performed, services rendered, and products made that do not have an explicit price to have no economic value (price and value are conflated). […] Thus, much of what society deems as women’s work […] is rendered invisible and unimportant for understanding how economies work” (Sparr 1994:16).
Reale ökonomische Prozesse werden somit von der Makroökonomik nur unzureichend erfasst. Wichtige strukturelle Sachzwänge und einige Kosten des ökonomischen Wandels werden verdeckt. So wird der Produktionsfaktor Arbeit als gegeben betrachtet. Dessen eigene Produktion wird nicht berücksichtigt. Dieser wird in der Analyse von anderen Produktionsfaktoren, z.B. Land, nicht unterschieden. Ferner wird sogar unterstellt, dass Arbeit als Produktionsfaktor zwischen verschiedenen ökonomischen Aktivitäten transferiert werden kann, ohne dass etwaige Kosten auftreten (Elson 1991:10; Sparr 1994:16). Darüber hinaus impliziert die Vernachlässigung des reproduktiven Sektors die Annahme von MakroökonomInnen, dass das Angebot an weiblicher Arbeitskraft in diesem Sektor völlig elastisch sei. Das heißt, dass die Zeit von Frauen für ihre Tätigkeiten in diesem Sektor in unerschöpflichen Mengen zur Verfügung steht und zwar unabhängig davon, wie viel in diesen investiert worden ist (Bakker/Elson 1998:51f.). Auch wirkt sich die Ausblendung des reproduktiven Sektors auf die Aussagefähigkeit ökonomischer Variablen aus. So kann erstens eine Maßnahme fälschlicherweise als effizient bewertet werden, weil sich im Zuge dieser Maßnahme das Bruttoinlandsprodukt ceteris paribus erhöht. Dass diese gesteigerte Effizienz möglicherweise zu großen Teilen lediglich auf einer Verlagerung realer Kosten, in Form von erhöhtem Zeit- und Arbeitsaufwand, vom staatlichen Sektor in den Sektor der privaten Haushalte beruht, wird in der Analyse nicht in Erwägung gezogen, da die Kosten durch die Verlagerung in die private Sphäre externalisiert werden (UNIFEM 2000:7f.). Externe Kosten treten in keiner Kalkulation auf, was zur Folge hat, dass die in Betracht gezogenen Kosten hinter den tatsächlichen Kosten zurückbleiben. In der konventionellen Ökonomik wird das Problem der externen Kosten durchaus wahrgenommen und diskutiert. Allerdings wird in dieser Diskussion fälschlicherweise davon ausgegangen, dass die Existenz externer Kosten für die private Sphäre lediglich mit Nutzeneinbußen und nicht mit tatsächlich zusätzlichem Aufwand verbunden sei (Frantzke tiert. Für die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung wurden bereits einige Ansätze zur Behebung dieses konzeptionellen Mangels entwickelt. Diese sind jedoch noch nicht in der Lage die gesellschaftliche Wirklichkeit vollständig abzubilden (Schaffer/Stahmer 2006:309).
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1999:298f; 389). Auch dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass durch die Ausblendung der reproduktiven Sphäre die real existierenden ökonomischen Prozesse nur unzureichend erfasst werden.
1.2 Ausblendung von Macht- und Verteilungsasymmetrien Auch die Ausblendung von Macht- und Verteilungsasymmetrien ist im Prinzip auf die Missachtung der reproduktiven Sphäre zurückzuführen und resultiert somit auch aus der mikroökonomischen Fundierung der Makroökonomik, genauer gesagt, aus dem in der Neoklassik vorherrschenden Menschenbild des rationalen, nutzenmaximierenden und autonomen Homo oeconomicus (Hoppe 2002:101). Demnach handeln ökonomische AgentInnen in der produktiven Sphäre, also auf Märkten, autonom, rational und nutzenmaximierend. Der Haushalt, die reproduktive Sphäre, wird in der neoklassischen Theorie als eine harmonische Einheit betrachtet, was in der gemeinsamen Haushaltsnutzenfunktion5 zum Ausdruck kommt. Das für diese Sphäre vorherrschende Menschenbild gleicht dem eines altruistischen Individuums. Die ökonomischen AgentInnen weichen somit in der reproduktiven Sphäre von ihrem eigentlichen Verhaltensmuster ab und verhalten sich altruistisch (Sparr 1994:17). Es sind diese beiden polarisierenden Annahmen über das Verhalten der ökonomischen AgentInnen, welche die benachteiligte Position von Frauen als ökonomische AgentInnen in der produktiven und in der reproduktiven Sphäre verschleiern (Ferber/Nelson 1993:14). Konkret spiegelt sich dies in der geschlechtsspezifisch strukturierten Abhängigkeit von Einkommenstransfers wider. Denn diejenigen ökonomischen AgentInnen, die neben den reproduktiven Tätigkeiten keine produktiven Tätigkeiten aufnehmen können oder wollen, sind auf Einkommenstransfers von denjenigen angewiesen, für die sie reproduktive Tätigkeiten mit ausführen. Dies ist vor allem deshalb problematisch, weil Haushalte sich nicht nur als eine Einheit darstellen, die von Reziprozität und Kooperation geprägt ist, wie fälschlicherweise von der konventionellen Betrachtungsweise angenommen, sondern ebenso als eine Einheit, die von Ungleichheit, Dominanz, Konflikt und Gewalt geprägt ist (Elson 1995:260). Amartya Sen (1987) spricht in diesem Zusammenhang vom „kooperativen Konflikt“. Demnach erweist sich das Zusammenleben von Indivi5
Der private Haushalt wird als die kleinste Entscheidungseinheit bei der Konsumgüternachfrage betrachtet. Es wird nicht zwischen Ein- und Mehrpersonenhaushalten unterschieden. Die Nutzenfunktion stellt sich als eine Rangliste über alle verfügbaren Güterbündel dar, bei der eine Güterkombination, die einer anderen vorgezogen wird, auch einen höheren Nutzenindexwert erhält. Es wird davon ausgegangen, dass der Haushalt eine gemeinsame Nutzenfunktion hat und dass sich die einzelnen Mitglieder in ihrer Zeitallokation effizient im Verhältnis zu dieser Nutzenfunktion verhalten (Frantzke 1999:95f; Hoppe 2002:56).
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duen in einem Haushalt als vorteilhaft, weil sich durch Kooperation die Leistungsfähigkeit erhöht. Allerdings führt die Verteilung des Erlöses, welcher sich aus dieser durch Kooperation gesteigerten Leistungsfähigkeit ergibt, zu Konflikten (Sen 1987:12; Elson 1993:537). Die Verhandlungsposition von Frauen ist bei der Verteilung des gemeinsam erwirtschafteten Ertrages aufgrund der geschlechtsspezifisch geprägten ökonomischen und gesellschaftlichen Struktur gegenüber der Position von Männern oft schwächer, da sie nicht die gleichen Rückzugsmöglichkeiten haben. Wenn sie die Kooperation lösen und ein unabhängiges Leben anstreben, müssen sie im Vergleich zu Männern mit einer größeren Verschlechterung ihrer ökonomischen sowie sozialen Situation rechnen, wobei das Ausmaß dieser Verschlechterung wiederum von vielen anderen Faktoren, wie z.B. Klasse und Ethnie, abhängig ist (Elson 1993:537). Neben der Haushaltsnutzenfunktion drängt sich im Zusammenhang mit Macht- und Verteilungsasymmetrien zweitens die Frage auf, welche Aussagekraft das gesamtgesellschaftliche Wohlfahrtsoptimum in Bezug auf die individuelle Wohlfahrt des Menschen besitzt. Der Marktmechanismus ist das zentrale Element in der neoklassischen Theorie. Dieser koordiniert die differenten Einzelinteressen der Wirtschaftssubjekte und stellt ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage her, was „den Zustand des gesellschaftlichen Wohlfahrtsoptimums“ ausdrückt (Caglar 2004:183, 182). Das gesellschaftliche Wohlfahrtsoptimum ist gegeben, wenn die Wohlfahrt eines Individuums durch eine Re-Allokation der Ressourcen nicht erhöht werden kann, ohne gleichzeitig die eines anderen Individuums zu verringern (Frantzke 1999:257). Dieses Konzept des gesellschaftlichen Wohlfahrtsoptimums stellt eine reine Effizienzbetrachtung dar, welche nichts darüber aussagt, wie die individuelle Wohlfahrt der Menschen in der Gesellschaft ausgestaltet ist (Elson 1994:43). Auf diese Problematik wird auch in der neoklassischen Lehre verwiesen (Frantzke 1999:259), allerdings ohne diese eingehender zu diskutieren. Ein Grund hierfür dürfte darin bestehen, dass für konventionelle ÖkonomInnen vor allem die Frage nach der Effizienz von Austausch und Produktion und weniger die Frage nach der Verteilung im Mittelpunkt der Analyse steht. 1.3 Geschlechtsspezifische Strukturierung des formalen Arbeitsmarktes “The formal and informal rules which structure the operation of labor markets are instantiations of the gender relations of the society in which the labor market is embedded” (Elson 1999:612).
Bei diesem Kritikpunkt kommt vor allem die analytische Methode der Makroökonomik zum Tragen. Denn die der makroökonomischen Analyse zugrunde
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liegenden aggregierten Größen verschleiern zum einen den diesen innewohnenden geschlechtsspezifischen Bias, zum anderen führen sie dazu, dass Frauen als ökonomische Agentinnen nicht wahrgenommen werden (Elson 1991:8f.). So werden Arbeitsmärkte in der konventionellen Makroökonomik als geschlechtsneutrales Terrain betrachtet, auf dem Arbeitsnachfrager und Arbeitsanbieter als geschlechtsneutrale Kategorien miteinander interagieren. Die geschlechtsspezifische Strukturierung von Arbeitsmärkten zeigt sich zum einen im residualen Gender Wage Gap6, welcher sich für viele Länder nachweisen lässt (ILO 2005b:1). Zum anderen zeigt sich die geschlechtsspezifische Strukturierung von Arbeitsmärkten in unterschiedlichen geschlechtsspezifischen Erwerbsquotienten, sowie in der Segregation der Arbeitsmärkte. “Another significant trend in the global labour market is evidenced by higher female employment elasticities […] than in the corresponding elasticities for men. This result appears to indicate a “catching up” in terms of women’s labour force participation relative to men’s, however this result may also be indicative of women’s continued disproportionate representation in low-wage and low-productivity jobs” (ILO 2005a:18).
Es ist also von der Arbeitsteilung zwischen der produktiven und der reproduktiven Sphäre in den einzelnen Ökonomien abhängig, wie die Einbeziehung von Frauen in den Arbeitsmarkt ausgestaltet ist, da sie den Großteil der reproduktiven Tätigkeiten übernehmen. Die Übernahme dieser Tätigkeiten spiegelt sich darüber hinaus nicht bzw. wenn überhaupt, dann negativ, im Lohn wider. “They [labor markets, C.F.] reflect existing problems of gender domination and subordination, and also the tensions, contradictions and potential for change which is characteristic of any pattern of gender relations, no matter how unequally power is distributed” (Elson 1999:612).
Damit stellt die geschlechtsspezifische Segregation der Arbeitsmärkte einen wichtigen Bezugspunkt für die Analyse der Makroökonomik aus der Perspektive der feministischen Ökonomik dar.
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Mit diesem Begriff wird der geschlechtsspezifische Lohnunterschied bezeichnet, der sich nicht mit einem unterschiedlichen Bildungs- und Qualifikationsniveau, z.B. in Form unterschiedlicher Dauer der bereits gesammelten Arbeitserfahrung, begründen lässt (Black/Brainerd 2004:544).
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1.4 Zusammenfassung Es konnte gezeigt werden, dass sowohl die analytische Methode als auch die die mikroökonomische Fundierung der konventionellen Makroökonomik zwar geschlechterblind aber keineswegs geschlechtsneutral sind. “An analysis that does not say anything about male privilege and male power over women and about strategies for reducing these is ultimately biased towards men” (Elson 1992:36).
Die konventionelle Makroökonomik vernachlässigt mit der Ausblendung von Reproduktionsarbeit eine für das Funktionieren einer Ökonomie wichtige Sphäre. Darüber hinaus werden gesellschaftliche Macht- und Verteilungsasymmetrien ignoriert, wie bspw. die geschlechtsspezifische Struktur, auf der die Arbeitsteilung zwischen der produktiven und reproduktiven Sphäre basiert. Diese Kritik verdeutlicht, dass tatsächliche geschlechtsspezifische Verzerrungen von Märkten und somit auch von der Produktionsstruktur nicht in Betracht gezogen werden. Dies kann selbst gemäß konventionellen ökonomischen Bewertungsmaßstäben nicht als optimal erachtet werden, da eine effiziente Produktion und eine optimale Abstimmung zwischen Konsumentenwünschen und Produktionsaktivitäten nur dann gewährleistet ist, wenn die Güter- und Faktorpreise alle anfallenden Kosten und Erträge beinhalten (Frantzke 1999:389). Im Folgenden wird diese Kritik an der Makroökonomik auf die Außenwirtschaftslehre übertragen.
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Geschlechterverhältnisse und Globalisierung “[I]n most nations women are still at a disadvantage in terms of their role and position in the economic and political arenas. Against this background, the forces of globalization of which international trade is one of the most important channels, may bring additional challenges and opportunities. […]. There is therefore a need to assess the impact of trade on gender equality in order to assist countries in designing appropriate strategies and policies to support the objective of gender equality in the context of an open multilateral trading system” (UNCTAD 2004:iii).
Internationaler Handel tangiert das Leben aller Menschen (Avin 2004:489). Frauen und Männer sind auf vielfältige Weise in die globalen und binnenwirtschaftlichen Märkte eingebunden – als KonsumentInnen, ProduzentInnen, HändlerInnen, ArbeiterInnen sowie als EntscheidungsträgerInnen. Parallel zur Intensivierung der ökonomischen Globalisierung, mit welcher der Außenhandel im Zuge der interna-
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tionalen Arbeitsteilung untrennbar verbunden ist (Greven/Scherrer 2005:27)7, verändern sich die Strukturen der globalen und binnenwirtschaftlichen Märkte. Folglich impliziert die Intensivierung der ökonomischen Globalisierung auch eine Veränderung der Art und Weise wie Frauen und Männer als ökonomische AkteurInnen in den Markt eingebunden sind und somit eine Veränderung der (geschlechtsspezifischen) Macht- und Verteilungsstrukturen (UNCTAD 1999:61). Im Mittelpunkt der Diskussion steht die Frage, inwiefern sich Außenhandel auf den ökonomischen Status von Frauen auswirkt (Avin 2004:489). Dabei herrscht unter feministischen ÖkonomInnen Einigkeit darüber, dass ein Zusammenhang zwischen Geschlechterverhältnissen und ökonomischer Globalisierung auf zweifache Weise besteht: Zum einen wirkt sich Außenhandel unterschiedlich auf den ökonomischen Status von Frauen und Männern aus, zum anderen wirkt sich die auf der Kategorie Gender beruhende Ungleichheit des ökonomischen Status auf die Struktur des Außenhandels aus (Cagatay 2001:6; Grown/Elson/Cagatay 2000:1145; Staveren 2003:127). Um diesen zweifachen Zusammenhang zwischen Geschlechterverhältnissen und Außenhandel sichtbar zu machen und erklären zu können, fordern feministische ÖkonomInnen ein „Engendering“ der Außenhandeltheorien (Avin 2004:489). Dieser Forderung soll im Folgenden nachgekommen werden, indem vor allem die mit der ökonomischen Globalisierung einhergehende Dynamik von Macht- und Verteilungsasymmetrien in den Fokus der Analyse gerückt wird.
2.1 Der Nexus zwischen Außenwirtschaftslehre und Geschlechterverhältnissen Im Mittelpunkt der internationalen Wirtschaftsanalyse stehen die grenzüberschreitenden ökonomischen Transaktionen zwischen souveränen Nationalstaaten (Dieckheuer 2001:1). Die Außenwirtschaftslehre hat die Fragen zum Gegenstand, die durch die besonderen Probleme der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen souveränen Staat aufgeworfen werden (Krugman/Obstfeld 2004:27). Den verschiedenen theoretischen Ansätzen der Außenwirtschaftslehre ist im Ergebnis gemein, dass Außenhandel für den wirtschaftlichen Wohlstand der daran beteiligten Länder vorteilhaft ist. In ihrer Argumentation greifen hierbei alle Ansätze auf das Prinzip des komparativen Kostenvorteils zurück, welches im 7
Ursächlich hierfür ist, wie Greven und Scherrer erläutern, die kapitalistische Wirtschaftsordnung. Da diese auf Privateigentum und freier Lohnarbeit basiert, neigt sie zur Internationalisierung. „Für Kaufentscheidungen ist […] nicht die Herkunft […] der jeweiligen Warenbesitzerin ausschlaggebend, sondern das Preis-Leistungs-Verhältnis ihrer Waren im Vergleich zur Konkurrenz. Die Aussicht auf Profit und der Konkurrenzdruck schaffen Anreize, Unterschiede zwischen einzelnen Wirtschaftsräumen auszunutzen“ (Greven/Scherrer 2005:27f.).
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frühen 19. Jahrhundert von dem englischen Ökonomen David Ricardo entwickelt wurde. Ricardos Innovation bestand in der Übertragung von Opportunitätskosten auf den Außenhandel, denn er zeigte, dass Handel zwischen Ländern auch die wirtschaftliche Wohlfahrt dieser fördert, wenn keine absoluten Kostenvorteile existieren, sofern in den miteinander handelnden Ländern nur bestimmte Güter mit relativen Kostenvorteilen produziert werden (Pugel 2004:39-42). Die verschiedenen theoretischen Ansätze der Außenwirtschaftslehre unterscheiden sich allerdings in ihrer Argumentation hinsichtlich der Faktoren, welche die ökonomische Vorteilhaftigkeit von Außenhandel bedingen. Ein Erklärungsansatz hierfür ist das Heckscher-Ohlin Theorem, welches nach wie vor als eines der einflussreichsten Modelle auf dem Gebiet des Außenhandels gilt (Krugman/Obstfeld 2004:105) und welches daher häufig zur Argumentation herangezogen wird (vgl. Bussmann/Spörer, in diesem Band; Busse/Spielmann 2005). Heckscher und Ohlin führen komparative Kostenvorteile auf die unterschiedliche Ressourcenausstattung der Länder zurück. Die Quintessenz des Modells lautet dementsprechend, dass Außenhandel vorteilhaft ist, wenn sich jedes Land auf die Produktion der Güter spezialisiert, deren Herstellung einen relativ hohen Einsatz vom reichlich vorhandenen Produktionsfaktor erfordert und dafür jene Güter importiert, deren Herstellung einen relativ hohen Einsatz des knappen Produktionsfaktors beansprucht (Krugman/Obstfeld 2004:105). Während für konventionelle ÖkonomInnen vor allem die Frage nach der Effizienz von Austausch und Produktion im Mittelpunkt der Analyse des Außenhandels steht (Schirm 2004:43), gehen feministische ÖkonomInnen der Frage nach, wie sich die Veränderung von Austausch und Produktion im Zuge der Aufnahme von Außenhandel auf den ökonomischen Status von Frauen im Haushalt und in der Gesellschaft auswirken (Avin 2004:490 f.). Damit steht eine Analyse des Außenhandels aus der Perspektive der feministischen Ökonomik der Analyse aus dem Blickwinkel der Internationalen Politischen Ökonomie sehr nahe. Diese fokussiert in erster Linie die Frage nach der Verteilung von Wohlstand und nach dem Einfluss auf die Gestaltung ökonomischer Spielregeln (Schirm 2004:43).8 Dementsprechend wird im Folgenden untersucht, wie sich Außenhandel und die damit einhergehende Veränderung von Austausch und Produktion zum einen auf die Geschlechtverhältnisse auswirken und zum anderen selbst von diesen beeinflusst werden. 8
Zwar beschäftigt sich die Außenhandelstheorie auch zunehmend mit der Frage, inwiefern sich die Existenz und Struktur des internationalen Handels auf die heimische Einkommensverteilung auswirkt, allerdings nur hinsichtlich der funktionellen sowie der sektoralen und regionalen Einkommensverteilung (Krugman/Obstfeld 2004:29). Die personelle Einkommensverteilung, v.a. die zwischen den Geschlechtern, die im Zentrum der Analyse des Außenhandels aus der Perspektive der feministischen Ökonomik steht, bleibt weiterhin unbeachtet.
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2.2 Geschlechterverhältnisse und komparativer Kostenvorteil Gemäß der Hypothese des Heckscher-Ohlin-Theorems besitzt ein Land, das relativ reichlich mit dem Produktionsfaktor Arbeit und relativ knapp mit dem Produktionsfaktor Kapital ausgestattet ist, einen komparativen Kostenvorteil in der Produktion von Gütern, deren Herstellung einen relativ hohen Einsatz des Produktionsfaktors Arbeit erfordert. Ist das Verhältnis der Produktionsfaktoren umgekehrt, so besitzt ein Land einen komparativen Kostenvorteil in der Produktion von Gütern, für deren Herstellung ein relativ hoher Einsatz des Produktionsfaktors Kapital benötigt wird (vgl. Busse/Spielmann 2005:8). Folgt man dieser Hypothese, so ist aus der Perspektive der konventionellen Ökonomik in Bezug auf die Situation in Industrieländern anzunehmen, dass hoch qualifizierte Frauen verstärkt am Arbeitsmarkt partizipieren werden, da der Produktionsfaktor Kapital nur in Verknüpfung mit der Ressource Wissen produktiv eingesetzt werden kann. Andererseits ist davon auszugehen, dass gering qualifizierte Frauen ihre Beschäftigung verlieren werden, da gering qualifizierte Arbeit als Produktionsfaktor im Zuge der Produktionsspezialisierung nur noch im abnehmenden Maße Verwendung findet. Gemäß dieser Perspektive wird also davon ausgegangen, dass die gesamte Zahl der Beschäftigungsverhältnisse von Frauen in Industrieländern im Zuge der Globalisierung stabil bleiben wird (vgl. Bussmann/Spörer in diesem Band). Gemäß dieser Logik wirkt sich Außenhandel nicht auf die Beschäftigungsrate von Frauen in Industrieländern aus. Betrachtet man die Situation allerdings aus der Perspektive der feministischen Ökonomik und wendet das Heckscher-Ohlin-Theorem unter der Annahme einer geschlechtsspezifischen Segregation der Arbeitsmärkte an Frauen sind im Bereich der gering qualifizierten Beschäftigung überrepräsentiert (ILO 2005a:18) , so folgt daraus, dass Frauen in Industrieländern unter denjenigen, die Verluste hinnehmen müssen, überproportional vertreten sind. Bedenkt man zudem, dass die Beschäftigungsrate von Frauen unter derjenigen von Männern liegt (ILO 2007:14), so folgt außerdem, dass Frauen in Industrieländern unter denjenigen, die gewinnen, unterrepräsentiert sind. Diese Annahmen decken sich mit den Ergebnissen von Bussmann und Spörer, die in ihrer multivariaten Regressionsanalyse herausgefunden haben, dass Handelsoffenheit die Arbeitsmarktpartizipation von Frauen in den OECD-Ländern senkt (Bussmann/Spörer in diesem Band). Aus dieser Perspektive ist somit ein negativer Einfluss von Außenhandel auf Frauenerwerbstätigkeit in Industrieländern und insofern auch auf Geschlechterverhältnisse festzustellen9. 9
Da in modernen Ökonomien ein mittels produktiver Aktivitäten generiertes Einkommen die Basis für den freien Zugang zu Ressourcen bildet (Bergmann 1986, S. 8), wirkt sich der Verlust dieses Einkommens negativ auf den ökonomischen Status des betroffenen Individuums aus.
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Darüber hinaus lässt sich mit Hilfe des von Stolper und Samuelson entwickelten Theorems ein Argument dafür finden, dass Außenhandel sich zudem auf die Entlohnung von Frauen und somit auch auf die Geschlechterverhältnisse in Industrieländern auswirkt. Dieses Theorem basiert auf dem von Heckscher und Ohlin entwickelten Faktorpreisausgleichstheorem, welches aus deren Theorie über den Außenhandel folgt. Gemäß dieser Theorie werden sich Länder im Zuge der Aufnahme von Außenhandel auf die Produktion der Güter spezialisieren, zu deren Herstellung eine verhältnismäßig große Menge des reichlich vorhandenen Produktionsfaktors erforderlich ist und die Produktion der Güter, zu deren Herstellung der Einsatz des knappen Produktionsfaktors in einer verhältnismäßig großen Menge notwendig ist, einstellen oder zumindest erheblich verringern. Damit steigt die Nachfrage nach dem reichlich vorhandenen Produktionsfaktor und die Nachfrage nach dem knappen Produktionsfaktor sinkt (Ohlin 1971 (1930/31) :35). Angewandt auf die Frage nach den Auswirkungen der internationalen Faktorausstattungen auf die Realeinkommensverteilung kommt das Stolper-Samuelson-Theorem zu dem Ergebnis, dass infolge der Aufnahme von Außenhandel der jeweils relativ knappe Produktionsfaktor Einkommensverluste hinnehmen muss, weil die Nachfrage nach dem jeweils knappen Produktionsfaktor sinkt und somit die Knappheit des Produktionsfaktors verringert wird (Scherrer/Greven/Frank 1998:54f.). Wiederum unter der Annahme einer geschlechtsspezifischen Segregation lässt sich zeigen, dass Frauen in Industrieländern von diesen Auswirkungen intensiver betroffen sind als Männer, weil sie im Bereich der gering qualifizierten Beschäftigung überproportional vertreten sind (ILO 2005a:18). So weisen Scherrer/Greven/Frank darauf hin, dass das StolperSamuelson-Theorem, auf den Handel zwischen Industrie- und Entwicklungsländer angewendet, den Schluss nahe legt, dass sich die Entlohnung der gering qualifizierten Arbeitskräfte in Industrieländern dem Niveau der Entlohnung in Entwicklungsländern auf Dauer anpassen wird (Scherrer/Greven/Frank 1998:54f.). Die Ergebnisse einer Studie hinsichtlich des internationalen Handels mit Dienstleistungen von Young stärken diese Argumentation. Sie fand heraus, dass durch den temporären grenzüberschreitenden Verkehr von natürlichen Personen im Rahmen der Erbringung einer Dienstleistung die Entlohnung gering qualifizierter Arbeitskräfte in der Europäischen Union sinken wird (Young 2007:257). In Industrieländern sind Frauen also unter denjenigen, die Realeinkommenseinbußen im Zuge der Aufnahme von Außenhandel zu erwarten haben, überproportional vertreten. Auch für die aus dem Heckscher-Ohlin-Theorem resultierende spiegelbildliche Argumentation im Hinblick auf die Beschäftigungssituation von Frauen in Ländern, die relativ reich mit dem Produktionsfaktor Arbeit ausgestattet sind und die einen komparativen Kostenvorteil in der Produktion arbeitsintensiver Güter
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besitzen, gibt es empirische Belege. So fand Meyer heraus, dass die Beschäftigungsrate von Frauen in Entwicklungsländern, anders als in Industrie-, Transformations- und in am wenigsten entwickelten Ländern, in Folge der Ausdehnung von Außenhandel steigt (Meyer 2006:113). Eine Erhöhung der Frauenerwerbsquote eines Landes entspricht einer Erhöhung der Verfügbarkeit des Produktionsfaktors Arbeit und somit gemäß der Hypothese des Heckscher-Ohlin-Modells einem komparativen Kostenvorteil in der Produktion arbeitsintensiver Güter. Generell ist davon auszugehen, dass eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen zur Gleichstellung der Geschlechter beiträgt, da Frauen sich durch ein eigenes Einkommen Zugang zu Ressourcen verschaffen und somit ihren ökonomischen Status verbessern. Im Zusammenhang mit dem Heckscher-Ohlin-Theorem ist aus der Perspektive der feministischen Ökonomik allerdings zu fragen, worin sich die Vorteilhaftigkeit einer Erhöhung der Frauenerwerbsquote im Zusammenhang mit der Aufnahme von Außenhandel begründet. Denn diese ist nicht allein aus dem Grund von Vorteil, weil sich dadurch die Verfügbarkeit des Produktionsfaktors Arbeit erhöht, sondern auch dadurch, dass Frauen als Arbeitskraft aufgrund des residualen Gender Wage Gaps kostengünstiger sind als Männer und somit ihre vermehrte Beschäftigung einer Erhöhung des komparativen Kostenvorteils gleichkommt (Kerkmann/Young 2007:80). Darüber hinaus ist der Frage nachzugehen, wie sich eine Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit im Zusammenhang mit internationalem Handel auf den ökonomischen Status der Frauen auswirkt. Da eine vermehrte Nachfrage nach weiblichen Arbeitskräften vor allem darauf beruht, dass Frauen als Arbeitskräfte einen geringeren Kostenfaktor als Männer darstellen, und insofern davon auszugehen ist, dass eine gleiche Entlohnung, welche eine Erhöhung der Geschlechtergleichheit darstellen würde, nicht zu erwarten ist, da dies einer Minderung des komparativen Kostenvorteils gleichkommen würde, haben Frauen somit trotz einer zunehmenden Erwerbsquote tendenziell einen geringern Zugang zu Ressourcen als Männer aufgrund ihres geringeren Reallohnes (Fraune 2006:84f; Stotsky 2006:37). Ihr untergeordneter ökonomischer Status bleibt somit bestehen. „Beschäftigungseffekte sind daher nur eine Seite der Medaille, denn aus GenderPerspektive sind die weltweit existierenden Lohndifferenzen zwischen Frauen und Männern sowie die jeweiligen Arbeitsbedingungen ebenfalls von entscheidender Bedeutung. Die wachsende Zahl der weiblichen Beschäftigungsverhältnisse ist in vielen Fällen eine Folge der ungleichen Entlohnung von Frauen und Männern. Vor allem in den Niedriglohnsektoren der Entwicklungsländer greifen Industrie- und Dienstleistungsunternehmen verstärkt auf weibliche Arbeitskräfte zurück, die aufgrund der bestehenden geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede kostengünstiger sind als männliche Arbeitskräfte“ (Kerkmann/Young 2007:80).
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Im Hinblick auf die Geschlechterverhältnisse in Industrie- und Entwicklungsländern ist also nicht davon auszugehen, dass sich diese im Zuge der ökonomischen Globalisierung aufgrund der Veränderung der Produktionsstruktur verbessern, indem mehr Frauen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten, sondern im Gegenteil es sogar innerhalb der neoklassischen Logik Argumente dafür gibt, dass sich der Realeinkommensunterschied zwischen Frauen und Männern sogar noch verschärft (Fraune 2006:86).
3
Resümee
Tendenziell mag die ökonomische Globalisierung zwar Frauen neue Erwerbschancen eröffnen, allerdings ist zu hinterfragen, ob diese Chancen auch den Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit frei machen. Dieser Beitrag zeigt, dass die konventionelle Außenwirtschaftslehre keineswegs geschlechtsneutral ist. Es konnte nachgewiesen werden, dass der Zusammenhang zwischen der Makroökonomik (und somit auch der Außenwirtschaftslehre) und Geschlechterverhältnissen paradox ist: Auf der einen Seite blendet diese Geschlechterverhältnisse, die sich unter anderem im untergeordneten ökonomischen Status der Frau widerspiegeln, aus. Auf der anderen Seite wird immer wieder deutlich, dass die existierenden Geschlechterverhältnisse den Theorien immanent sind. Daraus kann unter anderem der Schluss gezogen werden, dass mit der Intensivierung von Außenhandel sich zwar die Strukturen der globalen und binnenwirtschaftlichen Märkte verändern und sich folglich auch die Weise der Einbindung von Frauen und Männern als ökonomische AkteurInnen in den Markt wandelt. Allerdings werden die Genderregime, definiert als institutionalisierte Geschlechterpraktiken und Formen, die als ein Geflecht von Normen, Regelungen und Prinzipien in den Strukturen gesellschaftlicher Praktiken verankert sind (Young 1998:177), von diesen Veränderungen nicht in dem Sinne beeinflusst, dass diese mehr Geschlechtergerechtigkeit zur Folge haben. Dies ist wiederum darauf zurückzuführen, dass die konventionelle Makroökonomik Geschlechterverhältnisse weder mittels der dieser zu Grunde liegenden mikroökonomischen Fundierung noch mittels ihrer wissenschaftlichen Methode erfasst und somit die Realität nur unvollständig abbildet. Dies ist problematisch, weil die Theorien der Außenwirtschaftslehre die Basis der bi- und multilateralen Abkommen und Regelwerke, welche den internationalen Handel regulieren, bilden. Somit gelten auch diese, wie die konventionelle Makroökonomik generell, als geschlechtsneutral. Vor dem Hintergrund der hier dargelegten Analyse ist diese Annahme anzuzweifeln. Dies impliziert jedoch nicht ein Plädoyer für die Einschränkung von Freihandel, sondern ist ein Plädoyer für ein
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„Engendering“ der Außenhandelstheorien im Sinne einer Rekonstruktion, erweitert um Kategorien, die eine Einbeziehung geschlechtsspezifischer Auswirkungen erlauben. Um eine Analyse des internationalen Handels auf Basis einer die Realität umfassender abbildenden Außenwirtschaftslehre vornehmen zu können, muss in Zukunft ein „Engendering“ der Außenhandelstheorien noch geleistet werden.
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Cornelia Fraune
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Ethnizität und Geschlecht in der internationalen Arbeitsteilung1 Bettina Roß
Feministische Theorie sieht sich seit den 1980er/1990er Jahren mit Kritiken an binärem und universalistischem Denken konfrontiert. Insbesondere der Black Feminism (Davis 1982; hooks 1981) und postkoloniale AutorInnen (vgl. Lewis/ Mills 2003; Spivak 1990) haben kritisch angemahnt, dass bedeutende AkteurInnen, insbesondere MigrantInnen und BewohnerInnen des geopolitischen Südens und Ostens2, überhaupt erst zur Sprache kommen müssen, wenn über die Überwindung von sozialer Ungleichheit und Diskriminierung diskutiert werden soll (vgl. Anthias/Yuval-Davis 1996; Fuchs/Habinger 1996; Steyerl/Gutiérrez Rodriguez 2003; vgl. Löw in diesem Band). Seit einigen Jahren lässt sich nun das Anliegen erkennen, die soziale Frage neu zu beleuchten. Dabei wird die Forderung nach Differenzierung in der Analyse von Geschlechterverhältnissen in Verbindung mit anderen Ebenen sozialer Ungleichheit ernst genommen. (Acker 1999; Grewal 2005; Grewal/Kaplan 1994; Klinger et al. 2007; Knapp 2005; Marx Ferree/Tripp 2006). Nancy Fraser und Cornelia Klinger formulieren beispielsweise pointiert die Notwendigkeit, die soziale Frage wieder in den Blick zu nehmen und erneute Ausgrenzungen zu vermeiden (Fraser 1994; Klinger 2003). Dabei lautet die zentrale Frage, wie Kategorien gesellschaftlicher Ungleichheit miteinander in Bezug zu setzen sind. Wenn komplexe Wechselwirkungen verschiedener Ebenen sozialer Strukturierung die Chancen und die Verletzbarkeit3 einer Person ausmachen, richtet sich der Blick auf das Zusammenwirken und die Ambivalenzen sozialer Ungleichheiten. Ressourcen, Verletzbarkeiten und Handlungsoptionen einer Person ergeben sich in dieser Perspektive aus der komplexen und oft widersprüchlichen Verortung im sozialen Gefüge.
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Ich danke Heike Brabandt für ihre Anmerkungen zu diesem Text. Diese Begriffe verweisen auf ökonomische und politische Ungleichheiten zwischen dem Norden/Westen als hegemonialem und dem Süden/Osten als marginalisiertem geopolitischem Raum (vgl. Marchand/Sisson Runyan 2000, Sassen 2000). Zur Vulnerability vgl. Dow 1992 und Castro Varela 2004.
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Bettina Roß
Klinger hat in ihrem Modell sozialer Ungleichheit eine Zuspitzung der analytischen Kategorien auf Klasse, Rasse und Geschlecht vorgeschlagen.4 Diese Begrenzung vermeidet ein „usw.“ bei der Aufzählung von Herrschaftsverhältnissen (aufgrund von Klasse, Ethnie, Nationalität, Geschlecht, sexueller Orientierung, Alter, Behinderung, usw.), das in den Diskussionen der letzten Jahre eher zur Stagnation denn zur Weiterentwicklung geführt hatte. Ihre Fokussierung auf genau drei Kategorien begründet sie mit deren jeweiliger Verbindung zur Strukturierung von Arbeit und zur Legitimierung der Ausbeutung dieser Arbeit (vgl. Klinger 2003; Roß 2008). Ich möchte im Weiteren auf Klingers Ansatz aufbauen, weil dieser eine analytische Schärfung und Weiterführung der Diskussion bietet. Dabei verstehe ich Geschlecht und Ethnizität als soziale Konstruktionen, die in Interaktionen hergestellt werden, auf Erfahrungswissen und kulturellen Vereinbarungen beruhen und sich in politischen wie wirtschaftlichen Institutionen verfestigen. In Bezug auf die Konstruktion von Geschlecht (Gendering) werden exakt zwei, aufeinander bezogene Geschlechter angenommen, denen unterschiedliche Eigenschaften (sei es auf biologischer oder sozialer Basis) unterstellt werden. Dementsprechend werden Frauen und Männer mit differierenden Verhaltenserwartungen konfrontiert und unterschiedlich wahrgenommen. Die Zuweisung von geschlechtstypischen Merkmalen ist dabei stets mit einer geschlechtstypischen und hierarchischen Verortung in der Gesellschaft verbunden. Ethnizität lässt sich als hierarchisierendes Unterscheidungsmerkmal beschreiben, das auf der Basis institutionalisierter wie alltäglicher rassistischer Ein- und Ausschließungsmechanismen entsteht. Nicht-Staatsangehörige oder phänotypisch unterschiedene Personen werden als Außenstehende kategorisiert und unabhängig von ihrer individuellen Biographie mit Verhaltenserwartungen konfrontiert (Ethnisierung). Dabei wirken „Ethnizität“ und/oder die Nationalität ebenfalls als soziale Platzanweiser. Klasse wiederum betrachte ich als gesellschaftliche Zuordnung anhand der Verfügungsmacht über ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital. Alle drei verwende ich als Analysekategorien, ohne sie gleich zu setzen: Sie wirken nach je spezifischen Modi, beeinflussen sich wechselseitig und sind in ihren Auswirkungen von historischen und geopolitischen Prozessen abhängig. Gemeinsam ist ihnen, dass sie stets eine gesellschaftliche (auf der 4
Klinger verwendet den Begriff der „Rasse“, während ich im Folgenden von „Ethnizität“ spreche, weil dieser Begriff weniger auf Vorstellungen von unterscheidbaren „Rassen“ zurückgreift und deutlicher ausdrückt, dass Prozesse der Ethnisierung, also soziale Zuweisungen, stattfinden, in denen mit Hilfe von Vorurteilen und administrativen Maßnahmen eine Wir-Gruppe und unterscheidbare Gruppen der „Anderen“ erst entstehen und sich verfestigen. Ethnizität ist also zu verstehen als die Konstruktion einer Gruppe von Menschen aufgrund des Glaubens an eine gemeinsame Herkunft, Geschichte und Kultur. Auch dieser Begriff kann die Gefahr nicht ganz aufheben, zur Konstruktion unterscheidbarer und damit qualifizierbarer „Anderer“ beizutragen (vgl. Knapp 2005).
Ethnizität und Geschlecht in der internationalen Arbeitsteilung
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Ebene von Normen, Zugangschancen und institutionellen Arrangements) und eine individuelle (auf der Ebene von Interaktionen Wahrnehmungsmustern und Vorurteilen) Dimension haben. Über Klasse, Ethnizität und Geschlecht werden gesellschaftliche Positionierungen, Zugangschancen, Handlungsoptionen, soziale wie ökonomische Ungleichheiten verwirklicht und legitimiert, auf deren Basis die Arbeitsteilung (bezogen auf Erwerbsarbeit und Reproduktionsarbeit) zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen realisiert wird. In dieser differenzierten Sicht des Zusammenwirkens von Klasse, Ethnizität und Geschlecht lassen sich auch Ambivalenzen und Durchkreuzungen5 der sozialen Platzanweiser zeigen, z.B. die Zugewinne von Frauen bei der Erwerbsbeteiligung (Gewinne auf der Ebene von Klasse trotz der im Erwerbsbereich oftmals vorherrschenden Diskriminierung anhand von Geschlecht), die erhöhten Chancen von Mittelschichtangehörigen in „Schwellenländern“ beim Zugang zu Bildung und Reichtum (Gewinne auf der Ebene von Klasse trotz der Benachteiligung aufgrund von Ethnizität als Farbige6 im Süden/Osten) oder die Verluste in der Erwerbsbeteiligung von nicht-verwertbar-qualifizierten Männern in den Industriestaaten (Verluste anhand von Geschlecht und Klasse trotz relativ priviligierter Ethnizität als Weiße im Norden/Westen). Insbesondere der in den letzten Jahren auch in der deutschsprachigen Debatte diskutierte Ansatz der Intersektionalität nimmt Klasse, Ethnizität und Geschlecht als jeweils spezifische und dabei miteinander verwobene Elemente gesellschaftlicher Strukturierung in den Blick.7 Der Anspruch auf Intersektionalität als theoretischem Ansatz wird bereits seit langem formuliert aber erst in Teilen umgesetzt (vgl. Bednarz-Braun/Heß-Meining 2004; Castro Varela/Dhawan 2005; Klinger et al. 2007; Knapp/Wetterer 2003; Lenz et al. 2003; Lutz 1992; Morokvasic et al. 2003). Um zu zeigen, dass von Ansätzen der Intersektionalität auch ein produktiver Blick auf globale Prozesse sozialer Ungleichheit erwartet werden kann, betrachte ich im Folgenden soziale Ungleichheiten anhand von Geschlecht, Ethnie und Klasse im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung am 5
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Mit Durchkreuzungen umschreibe ich Widersprüche und Ambivalenzen innerhalb der sozialen Verortungen. Diese entstehen, wenn Privilegien und Diskriminierungen sich mischen, wenn also jemand z.B. als Frau schlechtere Chancen hat, Premierministerin eines patriarchalen Landes zu werden, aber zugleich als Mitglied der Oberschicht bessere Chancen hat als die Frauen und Männer der verarmten Schichten. Beides zusammen macht den sozialen Ort der Person aus – die Ambivalenz der Orte erzeugt Brüche und Widersprüche. Die Großschreibung verdeutlicht, dass es sich um einen analytischen Begriff handelt: „Farbig“ bezieht sich auf alle Personen, die aufgrund von Hautfarbe, Ethnizität oder Staatsangehörigkeit diskriminiert oder ausgegrenzt werden (vgl. Hügel et al 1999). Der Begriff bezieht sich nicht nur auf die Attribuierung als „Farbig“ sondern auch auf die Zuweisung von Privilegien und Grenzen aufgrund ethnisierender Trennungen (zur Unterscheidung vgl. Becker-Schmidt 2007). Zur Begrifflichkeit der Intersectionality vgl. Crenshaw 1991, zur Übertragbarkeit vgl. Knapp 2005.
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Beispiel der Textilindustrie. Hierzu werden zu Beginn zentrale Wandlungsprozesse im Zuge der Globalisierung erläutert sowie deren Auswirkungen bezogen auf Geschlechterverhältnisse und auf Ethnizitäten gezeigt. Am Beispiel der Einkommensverteilung in der Textilindustrie werden schließlich das Zusammenwirken und die Ambivalenzen dieser Hierarchisierungsprozesse aus einer intersektionalen Perspektive verdeutlicht.
Ungleichheiten in neoliberalen Globalisierungsprozessen Zunächst werde ich den Kontext verdeutlichen, in dem der Wandel internationaler Arbeitsteilung steht. Ich spreche von „Globalisierung“ als vielschichtigen Veränderungsprozessen u.a. in der globalen Ökonomie8, obwohl es bereits zu Zeiten der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert in großem Ausmaß Welthandel gab. Allerdings handelte es sich dabei zumeist um nationalstaatlich reglementierten Handel. Es wurden Rohstoffe aus den Kolonien in die Industriestaaten eingeführt sowie verarbeitete Produkte aus Nordamerika und Europa exportiert bzw. zwischen den Industrienationen gehandelt. Heute jedoch sind die Akteure zumeist multi- bzw. transnationale Konzerne, die ihren Sitz in den Industriestaaten haben, aber ihre Produktion weltweit abwickeln (Bundestag 2002; Müller et al. 2004; Young 1998). Insbesondere Altvater und Mahnkopf (1999) verweisen darauf, dass es sich um qualitativ neue Entwicklungen handelt. Aufgrund politischer Entscheidungen in den 1970er bis 90er Jahren sind wirtschaftspolitische Maßnahmen und Prozesse in Gang gesetzt worden, die eine Liberalisierung (durch den Abbau von Zöllen und Einfuhrbeschränkungen sowie die Öffnung des Aktien- und Wertpapierhandels) in der heutigen Form ermöglicht haben. In Folge des Wechsels zu konservativen Regierungen, u.a. in den USA, Großbritannien und Deutschland, und des Wegfalls des staatssozialistischen Gegenmodells wurden wirtschaftspolitische Weichen im Sinne einer Reduzierung des Sozialstaates und der Deregulierung des Handels neu gestellt. Dies erhöhte den weltweiten Run auf die billigsten Möglichkeiten, Arbeit und Dienstleistungen einzukaufen. Dabei entstand kein fairer Wettbewerb: Multinational agierende Konzerne können Länder als Firmensitz oder als Produktionsstätte wählen, in denen sie Strukturen vorfinden, die sie für besonders investitionsfreundlich halten. Dies ist ein komplexer Prozess, der sich keineswegs darauf beschränkt, möglichst in Ländern mit niedrigen Löhnen zu investieren. Vielmehr setzt sich ein sog. „gutes Investitionsklima“ aus Faktoren wie Lohnhöhe, Qualifikationsniveau, soziale Strukturen und kulturelles Umfeld, Stärke der Arbeiter8
Globalisierungsprozesse umfassen auch massive kulturelle Veränderungen, die u.a. durch neue und weltweit verbreitete Informationstechnologien gefördert werden.
Ethnizität und Geschlecht in der internationalen Arbeitsteilung
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organisationen, Verkehrsanbindung, Zeitzonen, Nähe zu VerbraucherInnen und dergleichen zusammen. Demgegenüber sind die AnbieterInnen der Arbeitskraft durch soziale Bindungen, fehlende Ressourcen und die repressive Immigrationspolitik vieler Länder weniger mobil (vgl. Stiglitz 2006). Die politischen und ökonomischen Veränderungen finden ihren politischen Ausdruck in der Transformation des GATT (seit 1948 gültiges Zoll- und Handelsabkommen) zur Welthandelsorganisation (WTO). Die WTO überwacht die Einhaltung von Zoll- und Handelsvereinbarungen, soll Streitfälle zwischen den Mitgliedsstaaten beilegen und sich für eine weitere Liberalisierung des Welthandels einsetzen. Die WTO ist das zentrale, politische Beschlussgremium für Weichenstellungen zur weiteren Liberalisierung des Handels, während der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank eher mittelfristige Projekte verwirklichen (vgl. zur WTO Mildner 2004; zum IWF Altmann/Kulessa 1998a; zur Weltbank Altmann/Kulessa 1998b). Die Weltbank ist der größte Kreditgeber der Welt und vergibt Kredite unter der Bedingung sog. Strukturanpassungsmaßnahmen an das jeweilige Land. Diese „Strukturanpassungsprogramme“ zielen darauf, die Produktion auf den Export zu konzentrieren, d.h. in den Welthandel zu integrieren. Die Versorgung der Bevölkerung ist demgegenüber nachrangig. Mit der Strukturanpassung sind meist Privatisierung, Lohnsenkungen, Währungsabwertung, Sozialabbau, Monokultur zum Export, Technisierung und damit Abhängigkeit von technischen Kooperationen mit den Industrieländern verbunden. Derartige Maßnahmen bewirken einen massiven Wandel in den jeweiligen Ländern mit vielfältigen Auswirkungen auf die Geschlechterverhältnisse und das soziale Gefüge des Landes (vgl. Parnreiter et al. 2005). Die meisten Beschlussgremien von WTO, IWF und Weltbank sind undemokratisch strukturiert. Zwar gilt in der WTO das Prinzip „ein Land eine Stimme“, aber durch die Art der Ausübung des Konsensprinzips und durch die Praxis sog. „Green Rooms“9, an denen nur ausgewählte Delegierte teilnehmen können, ist es für die sog. Entwicklungsländer nur sehr schwer möglich, grundsätzliche Änderungen herbei zu führen und die Dominanz der Industrienationen zu mindern. In den meisten Ausschüssen der WTO sind zudem nur 20-30 Länder mit einem deutlichen Vorrang für die Industrieländer vertreten. Im IWF und in der Weltbank werden die Stimmen gar nicht pro Land oder nach Bevölkerungsgröße verteilt, sondern entsprechend der außenwirtschaftlichen Verpflichtungen eines 9
Green Rooms sind Besprechungen außerhalb der Tagesordnung, an denen nur eingeladene Personen teilnehmen können. Meist ist der Zutritt nur für Mitglieder der Industrienationen plus ggf. einzelnen VertreterInnen weiterer Staaten möglich. In den Green Rooms sind offenere Aussprachen jenseits des Zeremoniells möglich, die dazu dienen, die Meinungen anderer zu erfahren und Vorabsprachen zu treffen. Durch die undemokratische Gestaltung des Zugangs sind sie problematisch (vgl. Mildner 2004).
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Landes (Altmann/Kulessa 1998a). Auf diese Weise haben im IWF acht der insgesamt 182 Länder 47,5 % aller Stimmen. Die 8 reichsten Industrienationen, die auch als G8 regelmäßig tagen10, besitzen letztendlich die entscheidenden Einflussmöglichkeiten. Weitere Hierarchien entstehen dadurch, dass viele der Trikont-Staaten (Trikont: Afrika, Asien und Lateinamerika) seit der Verschuldungskrise in den 1970er Jahren bei diesen acht Industriestaaten hoch verschuldet sind. Debatten um Schuldenerlass sind in den letzten Jahren in Gang gekommen, haben aber in den verschuldeten Ländern bislang nur geringfügige Auswirkungen. Zumeist ist der Schuldenerlass ohnehin nur für die ärmsten Länder vorgesehen, so dass die meisten der sog. Entwicklungsländer immer noch immense Ressourcen für die Zinstilgung aufbringen müssen, ohne ihre Kredite wesentlich abbauen zu können. Die seit den 1970er Jahren zu verzeichnenden Globalisierungsprozesse sind von den Auswirkungen des Kolonialismus gezeichnet und basieren auf erheblichen politischen und ökonomischen Ungleichheiten entlang von Besitz und Einfluss.
Internationale Arbeitsteilung im Wandel Die massive Zunahme und Veränderung transnationalen Handels führte zu mehreren nur scheinbar widersprüchlichen Prozessen bei der internationalen Arbeitsteilung: Während in den Industriestaaten zahlreiche Arbeitsplätze in produzierenden Gewerbezweigen verloren gingen und in sog. „Schwellenländer“ verlegt wurden, entstanden durch erweiterte Kommunikationstechnologien neue Berufe, die zumeist dem Dienstleistungsbereich zuzuordnen sind und hochqualifizierten MitarbeiterInnen Erwerbsmöglichkeiten bieten (vgl. Baethge et al. 1991). Ein Arbeitsmarkt für nicht-verwertbar-qualifizierte oder ältere MitarbeiterInnen aus traditionellen Erwerbsbereichen (z.B. Bergbau) besteht in den „Industrienationen“ kaum noch. An dieser Stelle wird deutlich, dass die Hierarchien aufgrund von Klasse, Ethnie und Geschlecht sich auch durchkreuzen: InländerInnen des globalen Norden/Westens können, wenn es der Senkung von Produktionskosten dient, ihre Arbeitsplätze verlieren. Umgekehrt gewinnen MigrantInnen in bestimmten Arbeitsmarktsegmenten Erwerbschancen (z.B. im Niedriglohnbereich des Baugewerbes) oder finden InländerInnen des globalen Südens/Ostens neue Erwerbsmöglichkeiten (z.B. in Weltmarktfabriken oder Dienstleistungsunternehmen). Trotz bestehender Diskriminierung auf der Ebene der Ethnisierung entstehen hier also Gewinne, die zudem oft eine Geschlechterkomponente haben, 10
Zu den G8 gehören die USA, Frankreich, Deutschland, Japan, Großbritannien, Canada, Italien und Russland.
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die im Folgenden noch erläutert wird und beinhaltet, dass insbesondere Frauen Erwerbszugewinne erlangt haben. In den Schwellenländern hängt die Entwicklung sehr stark von der Positionierung und vom Erfolg des Landes im Welthandel ab: Einige Länder (wie Indien) konnten sich im Dienstleistungsbereich etablieren, andere (wie China) konzentrieren sich (noch) auf die Massenproduktion, während schließlich so manches Land nach einem erfolgreichen Boom, auf den Währungs- oder Börsenkrisen folgten, in instabile Verhältnisse mit hoher Arbeitslosigkeit und einer extremen Informalisierung des Wirtschaftens geriet (wie Indonesien). Auch nicht-ökonomische Einflussfaktoren wie Bürgerkriege und instabile politische Machtverhältnisse (wie Nigeria, Republik Kongo) spielten für die Verortung des jeweiligen Landes innerhalb der internationalen Arbeitsteilung eine große Rolle (vgl. Hauchler et al. 2002; Le Monde Diplomatique 2003). Diese komplexen Globalisierungsprozesse bilden die Grundlage für eine veränderte Arbeitsteilung. Dabei können unterschiedliche Dimensionen identifiziert werden:
die geschlechtliche Arbeitsteilung, die Erwerbs- und Reproduktionsarbeit nach Geschlecht ungleich verteilt (Geschlecht; vgl. Wetterer 2002), die gesellschaftliche Arbeitsteilung, die die Teilung des Zugangs zu Branchen bzw. zu Positionen u.a. durch den Zugang zu sozialem und kulturellem Kapital verwirklicht (Klasse; vgl. Bourdieu 1991) und ethnisierende Arbeitsteilung, die ausdrückt, dass auch mittels Staatsangehörigkeit und Hautfarbe gesellschaftliche Zugangschancen und Ausgrenzungen (z.B. zum Bildungssystem, zu hochqualifizierten Berufen) ermöglicht werden (Ethnizität; vgl. Castro Varela/Clayton 2003).
Aus diesen Prozessen entsteht eine innergesellschaftliche (also regionale oder nationale) und eine internationale Arbeitsteilung. Letztere zeichnet sich durch die Spezialisierung einzelner Länder, (z.B. auf die Produktion von Zuckerrohr, Kaffee oder Öl) aus. Sie wird aber auch durch Auswirkungen des Kolonialismus, z.B. durch die Beschränkung auf den Export von Rohstoffen ohne eigenes produzierendes Gewerbe und daraus resultierende Überschuldung sowie durch Handelsbeschränkungen (wie Importverbote oder Exportsubventionen) bedingt (vgl. Arango 2002; Wichterich 2005). Im Rahmen dieser Arbeitsteilung kann davon ausgegangen werden, dass die Auswirkungen der Globalisierung sehr unterschiedlich auf Männer und Frauen sowie auf Menschen unterschiedlicher Herkunft und sozialer Klasse wirken (vgl. Arango 2002; Bundestag 2002; Marchand/Sisson Runyan 2000; Ramírez et al. 2005; Randeria/Klingebiel 1998; Ward 1990; Wichterich 1998; Wichterich
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2003; Young 1998). Innerhalb der sozialen, geschlechtlichen und ethnisierenden Stufung von Ausbeutung, Privilegien und Verletzbarkeiten lässt sich erkennen, dass Frauen und bei Frauen besonders verarmte und/oder migrierte bzw. Farbige Frauen die schlechtesten Chancen, die geringste Sicherheit und die meisten Risiken haben, weiter zu verarmen, an heilbaren Krankheiten vorzeitig zu sterben, über geringe Bildungschancen zu verfügen und von Gewalt, inkl. Vertreibung betroffen zu sein. Soziale Herkunft, Ethnizität und Geschlecht verdeutlichen zusammen den sozialen Ort von Personen in einem komplexen Gefüge sozialer Ein- und Ausschlüsse. Im Folgenden betrachte ich zunächst geschlechtstypische Auswirkungen der globalen Arbeitsteilung, um dann Aspekte der Ethnisierung zu behandeln. Ich schließe mit der Illustrierung des Zusammenwirkens von Klasse, Ethnizität und Geschlecht anhand der Arbeitsteilung und Einkommensverteilung in der internationalen Textilindustrie.
Geschlechterverhältnisse und Globalisierung Globalisierungsprozesse wirken auf Männer und Frauen sehr ungleich, gerade weil sie jeweils unterschiedlichen Ausgangsbedingungen unterliegen:11 Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Development Programme (UNDP)) vergleicht die Lebensbedingungen von Menschen anhand des Human Development Index (HDI). Der HDI zeigt an, in welchem Maß in einem Land eine hohe durchschnittliche Lebenserwartung, der Zugang zu Bildung für alle und ein angemessener Lebensstandard erreicht werden. Der auf dem HDI aufbauende Gender Development Index (GDI) differenziert diese drei Messkriterien nach Geschlecht und misst die Abweichungen zwischen den Geschlechtern. Ein GDI bei 1 sagt, dass Männer und Frauen etwa die gleichen Lebenschancen haben, eine Abweichung unter 1 macht deutlich, dass Frauen durchschnittlich schlechtere Lebensbedingungen haben. Von 146 untersuchten Ländern haben nur 43 einen GDI von mehr als 0,8 (Bundestag 2002:310 auf Basis des UN-Human Development Report von 2001). In keinem Land der Welt stehen Frauen als sozialer Gruppe die gleichen Chancen wie Männern offen: 70 % der Armen weltweit sind Frauen, 2/3 der Analphabeten ebenfalls (UNIFEM 2000; Bundestag 2002). Insbesondere in Ländern mit niedrigem Lebensstandard sind im Allgemeinen die Bedingungen für Frauen schlechter als für Männer. Neben dem GDI wurde als zweiter Indikator im Human Development Report der UN der Gender Empowerment Measure (GEM) entwickelt. Er versucht 11
Die folgenden Daten sind dem Enquete-Bericht zur Globalisierung (Bundestag 2002, bes. Kapitel 6) und Ruppert (2001, bes. Seite 122–124) entnommen.
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die Beteiligung von Frauen an Wirtschaft und Politik eines Landes zu messen und berücksichtigt den Anteil von Frauen in der Legislative, in den Führungsebenen der Wirtschaft, unter den FacharbeiterInnen sowie die geschlechtsspezifische Verteilung von Einkommen und Privatbesitz. Der GEM zeigt, dass der Männeranteil im gehobenen Management weltweit 80 % beträgt, bei den VorarbeiterInnen und MeisterInnen sogar 90 %; der Frauenanteil an Regierungsämtern liegt bei 8 %. Trotz der These, dass es die Frauen sind, die den Aufbau der Versorgung von Familien und Gemeinschaften sichern (vgl. Ruppert 2001:115), liegt der GEM noch niedriger als der Entwicklungsindex GDI. Die Lebensbedingungen und Entwicklungschancen von Frauen sind also weltweit systematisch schlechter als die von Männern. Sie führen zu schlechteren Startchancen von Frauen im neuen globalen „Wettbewerb“. Die geschlechtstypischen Unterschiede der Folgen von Globalisierung für das Individuum (also Klasse in Verbindung mit Geschlecht) sollen hier anhand der Bereiche Familieneinkommen sowie öffentliche Sicherung deutlich gemacht werden. Dabei konzentriere ich mich auf die Auswirkungen in Ländern des globalen Nordens/Westens (insbesondere Europas), um zu zeigen, dass Globalisierungsprozesse spezifische Folgen entlang der Kategorien Geschlecht, Klasse und Ethnizität haben. In den sozialen Marktwirtschaften Europas mit ihrem Massenkonsum und dem sog. Kompromiss zwischen Arbeitnehmern und Unternehmern galten erwerbstätige Männer lange Zeit als Familienernährer (vgl. für die Thesen dieses Teilkapitels: Baatz et al. 2004). Frauen wurden und werden als sog. Zuverdienerinnen um ein Drittel schlechter bzw. für reproduktive Aufgaben nicht bezahlt. Das Ehegattensplitting im deutschen Steuerrecht spiegelt dieses Bild der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern bis heute wider. Durch den Abbau der Vollerwerbsarbeitsplätze und durch kulturellen Wandel ist dieses Familienernährermodell heute weitgehend obsolet geworden. Auch in vielen Ländern des Nordens/Westens sinkt die Erwerbsbeteiligung der Männer. Zudem steigt die Zahl der Erwerbsarbeitsstellen, von deren Gehalt eine Familie nicht mehr ernährt werden kann. Auch wenn Frauen zunehmend oder ganz die Ernährerinnen der Familien sind, existiert das Leitbild der erwerbstätigen Frau als „Zuverdienerin“ jedoch sowohl in Europa als auch weltweit fort. Auch in der Textilindustrie Asiens und Osteuropas wird dieses Leitbild als Rechtfertigung dafür genutzt, Frauen weniger Lohn zu bezahlen, auch wenn die Betroffenen in vielen Fällen für das Familieneinkommen sorgen. Durch neoliberale Globalisierungsprozesse bedingte Privatisierungsmaßnahmen haben in fast allen Ländern der Welt außerdem zu einem massiven Abbau der öffentlichen Sphäre geführt. Der Abbau der öffentlichen Sicherung wirkt sich auf mehreren Ebenen besonders nachteilig für Frauen aus:
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Frauen, RentnerInnen und Kinder sind weltweit von größerer Armut betroffen. Dadurch haben Frauen einen erhöhten Bedarf an öffentlicher Unterstützung und werden vom Sozialabbau und dem Wegfall dieser Hilfen besonders stark getroffen. Durch den Abbau öffentlicher Hilfen werden zudem in Europa ehemals staatlich unterstützte Versorgungs- und Pflegeaufgaben in den privaten Bereich verwiesen. Da Frauen immer noch überdurchschnittlich für reproduktive Aufgaben zuständig sind, gleichen sie den Abbau von Gesundheitsversorgung und die Reprivatisierung der Altenpflege häufig durch ihre unbezahlte Arbeit aus. Dadurch hat sich ihr Arbeitsvolumen massiv gesteigert. Zudem können Frauen, die kleine Kinder versorgen und ihre Eltern plus Schwiegereltern pflegen, nur erschwerten Zugang zum Erwerbsarbeitsmarkt finden. Die Tendenz der Verarmung von Frauen und der späteren Rentnerinnen nimmt also zu. Schließlich trifft die Privatisierung Frauen besonders, weil damit auch der Abbau des öffentlichen Sektors verbunden ist, der in Europa das Arbeitsmarktsegment bildete, in dem Frauen besser beteiligt und abgesichert waren als im privaten Arbeitsmarkt. Viele Erfolge der Gleichstellungspolitiken wie an Elternpflichten angepasste Teilzeitregelungen und die Förderung einer Rückkehr in den Beruf nach der Geburt von Kindern werden mit dem Abbau des öffentlichen Sektors zurückgenommen.
Mit der Globalisierung geht zudem ein Wandel der Arbeitsbereiche einher, der für Männer/Frauen sowie StaatsbürgerInnen des Nordens/Südens unterschiedliche Konsequenzen hat: In den Industrienationen sind traditionelle Arbeitsbereiche, vor allem im öffentlichen Dienst und in arbeitsintensiver Produktion (z.B. Bekleidungsindustrie mit vielen Frauenarbeitsplätzen und Bergbau mit vielen Männerarbeitsplätzen) weggefallen. In anderen Bereichen sind aber Arbeitsplätze für Frauen und hier insbesondere für Frauen mit Migrationshintergrund neu entstanden. Dies geht vor allem auf Dienstleistungsbereiche (wie Call-Center, Tourismus, Unterhaltung, Prostitution), den Agrarsektor Osteuropas und internationalisierte arbeitsintensive Produktion in Schwellenländern (Bekleidungs-, Elektro-, Spielwarenindustrie) zurück. Die neue Mobilität und Beschleunigung des Austausches von Produkten, Nachrichten, Kapital und Arbeitskräften wird begleitet von einer weltweiten Zunahme der Frauenerwerbsbeteiligung. Auf Basis dieses Befundes macht der Begriff der „Feminisierung“ von Arbeit durchaus Sinn: Nicht wenige Frauen konnten im Zuge des globalen Wandels Chancengewinne bei der Erwerbs- und Bildungsbeteiligung erlangen (vgl. Bussmann/Spörer in diesem Band). Die meisten Frauen arbeiten allerdings in flexibilisierten, ungesicherten Jobs mit niedrigen Löhnen, oft unter krank ma-
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chenden Bedingungen (vgl. Ruppert 2001; Wichterich 1998; Lepperhoff/Scheele in diesem Band).
Ethnizität in der internationalen Arbeitsteilung Verarmung, die geschlechtsspezifische Zuordnung von Arbeitsbereichen und rassistische Klischees wirken zusammen und legitimieren Praxen der klassenspezifischen Nutzung bzw. Erbringung von Dienstleistungen. Dies ermöglicht das prekäre Überleben der MigrantInnen und ihrer Familien sowie einen gehobenen Lebensstandard für die Ober- und Mittelschichten – sprich wohlhabenden Männer und Frauen – der Einwanderungsländer (wie USA, Kanada, Saudi Arabien, Deutschland; vgl. Bundestag 2002:315). Zugleich zeigt sich hier erneut die Durchkreuzung der Ebenen sozialer Ungleichheit: Die fortwirkende Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern im Bereich der Reproduktionsarbeit (Geschlecht) wird von wohlhabenden Frauen (und Männern) dadurch kompensiert (Klasse), dass MigrantInnen für diese Arbeiten eingesetzt werden (Ethnizität). Dadurch erhalten diese Erwerbschancen. Zugleich sind in diesem Erwerbsfeld fast ausschließlich MigrantInnen beschäftigt, die schlecht bezahlt bzw. im Fall von sog. „Dienstboten“ unsicheren, nicht selten gewaltförmigen Lebensbedingungen ausgesetzt sind (vgl. Lutz 2007). Hier wird deutlich, dass wohlhabende InländerInnen die Benachteiligung als Frau (im Sinne von Mehrarbeit und geringeren Zeitressourcen) durch ihre Zugehörigkeit zu einer mehr oder weniger wohlhabenden Klasse ausgleichen können und hierzu auf Ethnisierungsprozesse zurückgreifen, die niedrige Löhne ermöglichen (z.B. asiatische „DienstbotInnen“ in Saudi-Arabien oder osteuropäische Haushaltshilfen in Deutschland). Entlang dieser ethnisierenden Arbeitsteilung ist in den letzten Jahren die ungleiche Ressourcenverteilung zwischen Frauen unterschiedlicher Herkunft verschärft worden. Brigitte Young spricht in diesem Zusammenhang von einem neuen Genderregime, das inländischen, wohlhabenden, meist Weißen Frauen des globalen Nordens und Westens erlaubt, mehr denn je am Bildungssystem und am Erwerbsleben auf Kosten der Arbeit und Unsicherheit zehntausender ImmigrantInnen in Europa, Nordamerika oder in Arabischen Ländern teilzuhaben. Die zunehmende Gleichberechtigung von Männern und Frauen in den Mittelschichten wurde durch mehr Ungleichheit zwischen Frauen unterschiedlicher sozialer Positionen und Ethnizität erreicht. Gerade die nicht-wohlhabenden Frauen des globalen Südens/Ostens finden ihre Erwerbsmöglichkeiten häufig in niedrig entlohnten, ungesicherten Jobs. Zudem leisten sie überwiegend die Reproduktionsarbeit und arbeiten, wenn das
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Einkommen nicht reicht, oft noch zusätzlich im informellen Sektor als Haushaltshilfe, Kleinstunternehmerin, Heimarbeiterin oder dergleichen. Aus der doppelten Vergesellschaftung der Frauen in Lohnarbeit und Reproduktion ist also weltweit heute häufig eine Triple Shift geworden (vgl. Young 1998). Durch die sich verändernde internationale Arbeitsteilung stiegen die Migration insgesamt und der Anteil von Frauen unter den Migrierenden sowohl regional als auch international an. Inzwischen sind in Europa etwa die Hälfte der EinwanderInnen Frauen (vgl. Ruppert 2001). Gerade aus Ländern, die von den implosionsartigen Krisen der 1990er Jahren betroffen waren, wandern massenhaft Frauen aus, um durch legale oder illegale Migration für das Überleben ihrer Familien oder ganzer Gemeinschaften zu sorgen. Die Philippinen und Thailand sind auf die Rücküberweisungen ihrer MigrantInnen angewiesen: für die Philippinen z.B. bilden die Rücküberweisungen die drittgrößte Einnahmequelle überhaupt (vgl. Bundestag 2002:318). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Zuordnungen zu konstruierten Ethnien mit Verhaltenserwartungen verknüpft und in feste Strukturen eingebunden werden, aus denen sich ergibt, wer welche Arbeit machen kann bzw. soll. So teilt sich auch der Arbeitsmarkt in Deutschland unter anderem entlang von Ethnisierungen: in den Krankenhäusern finden sich viele Asiatinnen, vor allem Koreanerinnen, in der Reinigungsbranche Einwanderinnen aus Europa und Südamerika, während für Afrikanerinnen aufgrund rassistischer Zuweisungen die Chancen auf einen geregelten Arbeitsplatz in Deutschland sehr gering sind (vgl. Castro Varela/Clayton 2003). Die ethnisierende Teilung des Arbeitsmarktes abstrahiert von den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Arbeitskräfte. In den meisten Fällen werden sie weit unterhalb ihrer Qualifikation eingesetzt. Um die Unterschiede innerhalb der heterogenen ”Gruppen” und das Zusammenwirken verschiedener Herrschaftsformen wie Rassismus, Sexismus und soziale Ungleichheit sowie die regionalen Unterschiede betrachten zu können, stellt sich also die Frage wie sich Gender, Klasse und Ethnizität strukturierend und hierarchisierend verbinden und durchkreuzen.
Produktionsbeziehungen anhand der Textilindustrie Dies soll am Beispiel der Textilindustrie verdeutlicht werden (zur Textilindustrie vgl. Ascoly/Musiolek 2005; Barendt 2006; Duval 2005). Die globalen Verflechtungen von Produktion und Handel sind extrem komplex, zumal viele Teile des ursprünglich firmeneigenen Produktionsprozesses auch bei der Produktion von Textilien an Subunternehmen delegiert werden. Transnationale Konzerne produzieren häufig nicht mehr selbst, sondern kaufen Waren ein, lassen diese mit dem
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Firmenlogo versehen und vermarkten die Produkte dann. Zugespitzt ausgedrückt war bis in die 1980er Jahre hinein die internationale Arbeitsteilung durch Großfabriken mit sozialen Kompromissen in den Industrienationen einerseits und die Ausbeutung des Reichtums aus den ehemaligen Kolonien andererseits geprägt. Demgegenüber kann die Wirtschaftsweise heute als eine „Netzwerkökonomie“ von parallel laufenden, flexiblen und informalisierten Produktionseinheiten beschrieben werden, deren Produkte von transnationalen Firmen weltweit gekauft und vermarktet werden (vgl. Altvater/Mahnkopf 1999;Young 1998). Das Mittel des Outsourcing führt heute zu einem Mix verschiedenster Formen der Produktion, die von großen Fabrikkomplexen bis zu vollständig flexibilisierter und ungeschützter Heimarbeit reichen (vgl. Arango 2002; Parnreiter et al. 1999). Dabei lässt sich vor allem aber nicht nur in Asien der Trend erkennen, dass immer mehr Menschen in Kleinstbetrieben oder in Heimarbeit arbeiten und ihre Produkte zu Billigstpreisen an Zwischenhändler verkaufen. Das Risiko von Bedarfsschwankungen, der Druck auf die Preise und die Folgekosten werden so direkt bei den ProduzentInnen belassen. Die transnationalen Unternehmen lagern auf diese Weise einen Teil der Risiken der globalisierten Produktion aus. Subunternehmer, die zueinander in Konkurrenz stehen, sind gezwungen immer preisgünstiger und schneller zu produzieren. Für die HeimarbeiterInnen ist es zudem nur schwer möglich, organisiert und schlagkräftig bessere Arbeitsbedingungen zu erkämpfen. Es bestehen also unmittelbare Zusammenhänge zwischen der Gestaltung der Arbeit und den Möglichkeiten der betrieblichen wie gesellschaftlichen Partizipation (vgl. Müller et al. 2004). Die transnationale Produktion von Bekleidung ist davon gekennzeichnet, dass 40-60 % des Einzelhandelspreises bei den Marken- und Discountfirmen verbleiben, die die Waren kaufen und vermarkten, aber nicht produzieren.12 Diese Firmen haben ihren Hauptsitz hauptsächlich im globalen Norden/Westen. Dort werden die höchsten Tantiemen und Löhne gezahlt (Klasse und Ethnizität/Nationalität). In Produktionsländern des globalen Südens oder Ostens wiederum ist sehr häufig zu beobachten, dass sich eine Oligarchie reicher und meist männlicher Großhändler etabliert, die die Umsetzung der Nachfrage aus den Industrieländern sichern (Klasse und Ethnizität). Ca. 20-35 % des Preises in der Textilindustrie bekommen diese lokalen Großhändler und Einkäufer. 5-7 % verdienen die lokalen Händler und Vorarbeiter, die direkten Kontakt zu den ProduzentInnen haben und das Angebot kanalisieren. Diese, zumeist inländischen, Männer agieren weitgehend prekär: Bei einem massiven Wechsel oder der Stornierung der Nachfrage verlieren sie ihre Existenzgrundlage. Entsprechend viel 12
Ich danke Bettina Musiolek für ihren Vortrag bei der Tagung gendering work – working gender an der Universität Marburg 2005. Die in diesem Abschnitt verwendeten Prozentzahlen stammen aus ihren Erfahrungen mit der Textilindustrie Asiens und Osteuropas (Musiolek 2005).
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Druck üben sie auf die Näherinnen aus (Klasse und Geschlecht). 0,1-1 % des Preises schließlich bekommen die Produzentinnen im globalen Süden/Osten. Hire and fire und Einkommen unterhalb der Lebenshaltungskosten sind hier häufig zu finden. Diese (einheimischen oder eingewanderten) Näherinnen steht aber immer noch mehr Einkommen zur Verfügung als ImmigrantInnen, die im informellen Sektor oder als DienstbotInnen in den privaten Haushalten arbeiten (Ethnizität und Klasse). Ein solches Grundschema der sozialen, geschlechtlichen und ethnischen Stufung der Ausbeutung und der Verletzbarkeit lässt sich für viele Bereiche der globalen Produktion erkennen. Armut, das Geschlecht „Frau“ und die ethnisierende Zuordnung als MigrantIn bzw. BewohnerIn des globalen Südens/Ostens wirken also wechselseitig verstärkend: Je prekärer die Arbeitssituation, schlechter die Bezahlung, niedriger der Organisationsgrad in politischen Organisationen umso mehr sind migrierte bzw. Farbige Frauen vertreten. Durchkreuzungen werden ebenfalls deutlich: z.B. können sich einige wenige wohlhabende Personen auch dann in den Führungsspitzen halten, wenn sie Frauen sind (Klasse und Ethnizität versus Geschlecht). Sichtbar wird dies auch an den lokalen Händlern, die als Inländer gegenüber Migrierten (Ethnizität) und als zumindest geringfügig Besitzende gegenüber Nichts-Besitzenden (Klasse) und als Männer gegenüber Frauen (Geschlecht) einer handlungsfähigen und Macht ausübenden gesellschaftlichen Gruppe angehören. Zugleich ist ihre Position jedoch prekär, weil sie die Risiken des internationalen Handels tragen und diese nur schlecht kompensieren können (als geringfügig Besitzende gegenüber Kapitalbesitzenden, Klasse). Zudem dürften sie als Bewohner des globalen Südens/Ostens keineswegs die gleichen Aufstiegschancen wie Mitarbeiter aus dem Norden/Westen haben (Ethnizität gegenüber Nord-West-StaatsbürgerInnen). Auch die Durchkreuzung innerhalb des gleichen Geschlechtes wird illustriert: sowohl zwischen Männern unterschiedlichen materiellen Besitzes (Klasse) und unterschiedlicher Ethnizität als auch zwischen Frauen, je nachdem ob diese wohlhabend sind (Klasse), welche Staatsbürgerschaft sie haben, ob sie migriert sind und wo sie leben (Ethnizität). Eine intersektionale Analyse von Ungleichheitsverhältnissen ist also dazu geeignet, soziale Orte so zu beschreiben, dass sowohl die differenzierten, komplexen und ambivalenten gesellschaftlichen Positionen entlang der Linien Klasse, Geschlecht und Ethnizität als auch die stets mit diesen verbundenen Hierarchisierungen, Privilegierungen, Ausschlüsse, Verletzbarkeiten und Widerstandspotenziale deutlich werden. In der Forschung wurde zwar bisher der Anspruch formuliert, das Geschlecht mit anderen Faktoren sozialer Strukturierung in Bezug zu setzen. Diesem wurden jedoch nur wenige empirische Untersuchungen gerecht (wie im Teilbereich Hausarbeit oder Prostitution vgl. Anderson 2006; Karnofsky 2005; Lutz 2007; Rerrich 2006), obwohl sich entlang der ethnisierenden Arbeits-
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teilung in den letzten Jahren die ungleiche Ressourcenverteilung zwischen Frauen unterschiedlicher Herkunft verschärft hat. Aus der Sichtung von Intersektionalität und postkolonialer Theorie ist eine perspektivische Weiterentwicklung der politischen, feministischen Theorie zu erwarten, die einen Beitrag dazu leistet, den Wandel adäquater zu beschreiben und fruchtbare sowie kritische Verbindungen zwischen theoretischen Ansätzen herzustellen. Die Debatte über globale Gerechtigkeit kann so durch wissenschaftliche Expertise bereichert werden. Mit der Untersuchung des Zusammenwirkens von Ungleichheitslagen wird ein Beitrag zur Analyse der komplexen und oftmals ambivalenten Globalisierungsprozesse geleistet, indem mit der innergesellschaftlichen und internationalen Arbeitsteilung zentrale Aspekte sozialer Ungleichheit in den Fokus des Interesses gerückt und damit Möglichkeiten der Verbesserung von sozialer Partizipation und Gerechtigkeit ausgelotet werden. Dabei muss und kann betrachtet werden, dass Frauen und Männer, Reiche und Arme, Schwarze und Weiße sowie verschiedene Teilgruppen der Gesellschaft in unterschiedlichem Maß von der Verweigerung grundlegender Rechte und Zugangschancen betroffen sind. Auf diese Weise ist es möglich, die Konkurrenzsituationen zwischen Menschen unterschiedlichen Geschlechts und unterschiedlicher Lebenslagen zu durchbrechen und gemeinsame Kampagnen zur Verwirklichung besserer Arbeits- und Lebensbedingungen zu entwickeln (vgl. Marburger Gender Kolleg 2008).
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