Managementhandbuch Mittel- und Osteuropa : wie deutsche Unternehmen Ungarn und Tschechien für ihre globale Strategie nutzen [1. Aufl] 3834903922, 9783834903921 [PDF]


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Managementhandbuch Mittel- und Osteuropa : wie deutsche Unternehmen Ungarn und Tschechien für ihre globale Strategie nutzen [1. Aufl]
 3834903922, 9783834903921 [PDF]

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Zitiervorschau

Lutz Kaufmann/Dirk Panhans (Hrsg.) Managementhandbuch Mittel- und Osteuropa

Lutz Kaufmann/Dirk Panhans (Hrsg.)

Managementhandbuch Mittel- und Osteuropa Wie deutsche Unternehmen Ungarn und Tschechien für ihre globale Strategie nutzen Autoren der Landesteile Lukas Schönberger Volker Bergner Johannes Doll Ben Fischer Volker Beeck Hans Pa

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

1. Auflage November 2006 Alle Rechte vorbehalten © Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Maria Akhavan Der Gabler Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Nina Faber de.sign, Wiesbaden Druck und buchbinderische Verarbeitung: Wilhelm & Adam, Heusenstamm Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN-10 3-8349-0392-2 ISBN-13 978-3-8349-0392-1

Geleitworte

Deutsch-Tschechische Industrie- und Handelskammer in Prag

Deutsche Unternehmen sind mit ihrem Engagement in Mittel- und Osteuropa zufrieden Die Region Mittel- und Osteuropa (MOE) erlebte nach der Wende der frühen 90er Jahre einen wirtschaftlichen und politischen Strukturwandel, der in seiner Art einmalig ist. Inzwischen hat sich MOE zu einer attraktiven Zielregion für ausländische Investoren entwickelt. Die deutsche Wirtschaft erkannte frühzeitig das Potenzial und nutzte die Chancen einer sich internationalisierenden Wirtschaft. Stand anfangs vor allem die „verlängerte Werkbank“ im Interesse der Firmen, so änderte sich die Zielsetzung in den vergangenen Jahren. Heute ist die Region auch ein attraktiver Absatzmarkt für deutsche Konsum- und Investitionsgüter. In den MOE-Ländern gibt es bereits mehr als 10.000 Unternehmen mit deutscher Beteiligung. Ihre Investitionen umfassen heute rund 50 Milliarden Euro. Eine erstmals von den deutschen Auslandshandelskammern- durchgeführte Umfrage bei deutschen Unternehmen in MOE aus dem Frühjahr 2006 zeigt trotz vieler regionaler Unterschiede, dass die Unternehmen prinzipiell mit dem Investitionsklima zufrieden sind: Im Durchschnitt aller Länder berichten rund vier von fünf Firmen, dass sie ihre Investition auch heute wieder im selben Land durchführen würden. Besonders lebhafte Beziehungen entwickelten sich zwischen der Tschechischen Republik und Deutschland. Rund ein Drittel seines Außenhandels wickelt Tschechien mit Deutschland ab; Deutschland ist seit Jahren der wichtigste Handelspartner. Mit mehr als 26 Prozent der kumulierten ausländischen Direktinvestitionen in Tschechien seit 1993 liegt Deutschland an erster Stelle. Durch die Mitgliedschaft in der Europäischen Union ist mit einer stetigen Verbesserung des geschäftlichen Umfeldes zu rechnen. Dieser Umstand und die zentrale Lage des Landes in der Mitte Europas machen Tschechien zu einem attraktiven Standort, von dem aus sich weitere Länder in Mittel- und Osteuropa erschließen lassen. Unternehmen, die bereits in Tschechien oder anderen Staaten der MOE-Region investieren oder sich mit dem Gedanken tragen, dies zu tun, können sicher sein: Die hiesige Wirtschaft wächst weiter. Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt diese Länder auf der Gewinnerseite; ihnen ist es gelungen, das Know-how für moderne Produktionsverfahren mit moderaten Arbeitskosten zu kombinieren. Zudem macht Mittel- und Osteuropa in jüngster Zeit auch immer stärker als Standort für Dienstleistungen von sich reden. Tschechien nimmt hierbei

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Geleitworte

eine Vorreiterrolle ein. Für einen bedeutenden Anteil an dieser Entwicklung zeichnen deutsche Unternehmen verantwortlich; mit ihren Investitionen sorgen sie so dafür, dass auch der „Standort D“ vom Boom in Mittel- und Osteuropa profitiert. Bei einem Engagement im Ausland kommt es darauf an, sich nicht von Schlagworten wie ‚Billiglöhne’ blenden zu lassen. Potenzielle Investoren benötigen Partner, die die Bedingungen vor Ort genau kennen. Mit ihrer Hilfe ist es möglich, sich ein objektives Bild zu machen. Die deutschen Auslandshandelskammern (AHKs) sind Ansprechpartner Nr. 1 für Firmen, die den Schritt ins Ausland wagen. Die Fachleute in den AHKs verfügen über ausgezeichnete Kenntnisse der lokalen Märkte. Mit ihrer Erfahrung leisten sie deutschen Unternehmen wertvolle Unterstützung bei „Geschäften in MOE“. Profitieren auch Sie von diesem Netzwerk, sprechen Sie uns an. Wir sind gerne für Sie da: Sie erreichen die Deutsch-Tschechische Industrie- und Handelskammer schnell und einfach unter www.dtihk.cz. Wir freuen uns darauf, von Ihnen zu hören!

Jan Immel Leiter der Abteilung Unternehmenskommunikation Deutsch-Tschechische Industrie- und Handelskammer in Prag

Geleitworte

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Deutsch-Ungarische Industrie und Handelskammer Mittel- und Osteuropa ist die beliebteste Investitionsregion für deutsche Unternehmen. Dies hat in diesem Sommer eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags eindeutig belegt. Doch während einige Firmen lediglich manuelle Tätigkeiten auslagern wollen, so suchen andere Standorte, die sowohl eine gehobene Produktion als auch Forschung und Entwicklung ermöglichen. Im Dickicht der großen Zahl und Vielfalt der Standorte in den einzelnen Ländern den Überblick zu behalten und den individuell besten Platz zu finden, ist schwer. Es gibt nur wenige Quellen, die einen objektiven Vergleich über mehrere Länder bieten. Zwölf Auslandshandelskammern und Repräsentanzen der Deutschen Wirtschaft haben es in diesem Jahr zum ersten Mal versucht, indem sie unter Federführung der DeutschUngarischen Industrie- und Handelskammer (DUIHK) die Ergebnisse einer gemeinsamen Konjunkturumfrage veröffentlicht haben. Das vorliegende Werk tut dasselbe und geht sogar noch einen Schritt weiter: Es ist eine hervorragende Quelle an Erfahrungen und Einschätzungen aus erster Hand, direkt von den Investoren selbst. Damit stellt es eine beeindruckende Leitschnur für Unternehmer dar, die in Mittel- und Osteuropa investieren möchten. Die auf diese Weise geschaffene Datenbasis ist enorm. Wir als DUIHK sind glücklich und stolz, dass wir den Autoren helfen konnten, ihre aufwändige Recherchearbeit von unserem Stammsitz in Budapest aus durchzuführen. Auf diese Weise konnten wir einen Beitrag zum Gelingen des Werks leisten. Das Werk erscheint auch insofern zu einem günstigen Zeitpunkt, als Mittel- und Osteuropa momentan nicht immer für die besten Schlagzeilen sorgt. Die politischen Turbulenzen und weniger investorenfreundlichen Regierungen in Polen und der Slowakei, das lähmende Patt zwischen Regierung und Opposition im tschechischen Parlament sowie die Krise des ungarischen Staatshaushalts mit hohen Defiziten nagen am Ruf dieser Region. Aufgeklärte Investoren im Lande wissen zwar, dass diese Erscheinungen die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts nicht stark mindern und die langfristigen Perspektiven weiterhin glänzend sind; dennoch könnten sich einige potenzielle Investoren vom Medienecho abschrecken lassen. Daher freue ich mich, wenn harte Fakten belegen, dass deutsche Unternehmen in Ungarn mit dem Standort sehr zufrieden sind. Zu diesen Fakten zählen: ein anhaltend hohes Wirtschaftswachstum zwischen drei und fünf Prozent im Jahr; eine Brückenkopffunktion mit guten Geschäftsmöglichkeiten zum Balkan, der nächsten großen Wachstumsregion Europas; qualifizierte und motivierte Arbeitskräfte sowie ein bei weitem noch nicht ausgeschöpftes Innovationspotenzial. Ungarn ist auf dem Weg sich fortzuentwickeln von der verlängerten Werkbank, hin zur wissensbasierten Wirtschaft. In Biotechnologie, Informatik, Telekommunikation, Mechatronik und Elektronik präsentiert Ungarn gute Perspektiven. Dazu bietet das Land gute Voraussetzungen für weitere Logistik- und Dienstleistungszentren. Das erkennen auch die Investoren an: 2005 beliefen sich die ausländischen Direktinvestitionen auf rund 4,2 Milliarden Euro, die Hälfte davon waren Gelder von Firmen, die bereits im Land waren und ihr Engagement ausgebaut haben. Ich möchte aber betonen, dass das Ziel der

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Geleitworte

Investitionen nicht ist, um jeden Preis Arbeitsplätze in Deutschland abzubauen. Entsprechende Klagen sind unberechtigt, da die Unternehmen immer nur einen Teil ihrer Produktion verlegen. Die Produktion und der erwirtschaftete Gewinn in Ungarn ermöglichen es, dass in der Heimat die Arbeitsplätze behalten und sogar anderweitige Tätigkeiten aufgenommen werden können. Ich bin sicher, dass das Werk dazu beitragen wird, Unternehmer, die über ein Auslandsengagement nachdenken, bei ihrer Entscheidungsfindung zu unterstützen.

Gabriel A. Brennauer Geschäftsführender Vorstand der Deutsch-Ungarischen Industrie und Handelskammer

Vorwort

Am 1. Mai 2004 hat die Europäische Union mit den zehn Beitrittsstaaten Mittel- und Osteuropas einen neuen Wachstumsmotor erhalten. Deren kombinierte Wirtschaftskraft entsprach zum Beitritt zwar nur ungefähr der Bayerns, aber das Wachstum der mittel- und osteuropäischen Staaten liegt weit über dem Bayerns, Deutschlands oder der EU. Von diesem Wachstum profitieren auch deutsche Unternehmen. Sie sind maßgeblich an der Aufbauleistung beteiligt und profitieren entsprechend stark von den Chancen, die sich im Osten bieten. Diese bestehen natürlich zum einen in der Erschließung eines schnell wachsenden Absatzmarktes. Noch wichtiger allerdings ist der Aspekt, in Mittel- und Osteuropa für den gesamteuropäischen Markt zu produzieren, zu beschaffen, zu forschen. Grundlage dafür sind die vergleichsweise geringen Personalkosten bei hohem Bildungsniveau in Kombination mit geringen intraeuropäischen Handels- und Investitionsbarrieren. Von den größeren Beitrittsländern waren es zuerst Ungarn und dann Tschechien, die diese Barrieren bereits in Vorbereitung ihrer Aufnahme deutlich senkten und damit ein günstiges Investitionsklima auch für deutsche Unternehmen schufen. Entsprechend groß ist der Erfahrungsschatz, den deutsche Unternehmen dort beim Aufbau von Tochtergesellschaften, deren Entwicklung und deren Integration in ihre grenzüberschreitenden Wertschöpfungsnetzwerke bereits sammeln konnten. Und dieses Wissen ist großteils auch auf die Erschließung anderer Märkte und Standorte Mittel- und Osteuropas übertragbar. Daher zeigen wir an den Erfolgsbeispielen deutscher1 Geschäftsaktivitäten in Ungarn und Tschechien, welche strategische Ausrichtung deutschen Unternehmen in Mittel- und Osteuropa zum Erfolg verhelfen kann und welche operativen Faktoren bei der Anpassung eines Geschäftssystems an das lokale Tagesgeschäft erfolgskritisch sind. Dazu haben wir über 140 Leiter deutscher Tochtergesellschaften vor Ort in Ungarn und Tschechien interviewt. Geschäftsführer mittelständischer Unternehmen finden sich ebenso unter ihnen wie Top-Manager deutscher Konzerne. Dieser Ratgeber richtet sich primär an wirtschaftliche Entscheidungsträger. Manager, die einen Eintritt in Mittel- und Osteuropa erwägen, soll er bei der Auswahl der richtigen Expansionsstrategie unterstützen und ihnen die wichtigsten Erfolgsfaktoren der operativen Umsetzung aufzeigen. Manager, die bereits mit ihren Unternehmen in Mittel- und Osteuropa präsent sind, soll er dazu anregen, ihre eigene Strategie und operative Umsetzung kritisch zu überprüfen. Theoretische und konzeptionelle Basis unserer Untersuchungen ist ein neu entwickeltes, wissenschaftlich fundiertes Modell internationaler Expansionsstrategien. Wir untersuchen, 1

Unsere Untersuchungen beziehen sich auf Unternehmen aus dem deutschsprachigen Raum, also auf Unternehmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Der sprachlichen Einfachheit halber fassen wir diese Gruppe unter dem Begriff „deutsche Unternehmen“ zusammen.

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Vorwort

welche Strategien deutsche Unternehmen in Mittel- und Osteuropa verfolgen, welche Chancen und Risiken die Strategiewahl bedingen und welche operativen Erfolgsfaktoren Manager als besonders kritisch erachten. Unsere Aussagen stützen sich auf Fallbeispielinterviews, eine selbst durchgeführte Umfrage sowie ausgewählte Sekundärdaten. Zahlreiche Unternehmensbeispiele illustrieren unsere Befunde und zeigen jeweils, wie Unternehmen ihre Strategien in der Praxis umgesetzt haben. Diese Studie ist Teil eines weltweiten Forschungsprojekts, im Rahmen dessen wir die Expansionsstrategien deutscher Unternehmen in den BRICs-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China, den Triaden-Regionen USA, Japan und Europa sowie den südostasiatischen ASEAN-Staaten analysieren. Seit dem Start des Forschungsprojekts haben bereits über 500 Leiter deutscher Tochtergesellschaften an persönlichen Interviews im Rahmen einer dieser Länderstudien teilgenommen.2 Dabei liegt unser Branchenfokus auf der verarbeitenden Industrie, speziell dem Fahrzeugbau, dem Maschinenbau, der Elektrotechnik/Elektronik, der chemischen sowie der pharmazeutischen Industrie. Diese Studie ist jedoch mehr als nur das Ergebnis unserer eigenen Bemühungen. Wir sind einer Reihe von Institutionen und Personen zu großem Dank verpflichtet, die zum Gelingen unseres Projektes beigetragen haben. Insbesondere danken wir unseren beiden Kooperationspartnern, der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer in Budapest sowie der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer in Prag, für ihre freundliche Unterstützung unserer Recherchen. Ebenso danken wir der Herbert-Quandt-Stiftung für ihre finanzielle Unterstützung unserer Forschungsarbeiten. InPraxi, der WHU Alumniverein, hat uns den Kontakt zu vielen faszinierenden Interviewpartnern vermittelt. Ralf Dingeldein, Birgit König und Wilhelm Rall von McKinsey&Company unterstützten vor allem den konzeptionellen Teil unseres Forschungsprojektes mit wertvollen Diskussionsbeiträgen. Dr. Géza Jeszenszky, Außenminister der ersten demokratischen ungarischen Regierung, danken wir für die Durchsicht unseres Manuskriptes und insbesondere für sein aufschlussreiches Feedback zur Geschichte und Kultur Mittel- und Osteuropas. Insbesondere möchten wir uns bei unserem ungarischen Gaststudenten Zsolt Kelényi herzlich bedanken, der unsere Interviewanbahnung in Ungarn tatkräftig unterstützt hat und uns auch sonst stets mit Rat und Tat zur Seite stand. Schließlich danken wir unseren Interviewpartnern, die viele spannende Anekdoten und Erfahrungen in Ungarn und Tschechien mit uns teilten. Ihnen ist es zu verdanken, dass wir die Ergebnisse dieser Studie nicht nur mit nüchternen Zahlen belegen, sondern mit vielen Unternehmensbeispielen illustrieren und auflockern können. Für ihre bereitwilligen Auskünfte und ihre Bereitschaft zur Teilnahme möchten wir unseren Interviewpartnern herzlich danken. Ohne sie wäre diese Studie nicht möglich gewesen. Zu guter Letzt sind wir all jenen zu Dank verpflichtet, die uns bei der Erstellung dieses Buches unterstützt haben. Insbesondere danken wir Anja Meyer und Katrin Baltes für ihre organisatorische Unterstützung der

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Neben dem „Managementratgeber Mittel- und Osteuropa“ sind aus diesem Forschungsprojekt bereits die folgende Ratgeber erschienen: „China Champions”, „Investmentguide Indien“, „Brazilian Brilliance“ und „American Allstars.“ Publikationen zu den übrigen Länderschwerpunkten des Projektes folgen Ende 2006. Einen Überblick über die aktuelle Publikationsliste erhalten Sie auf unserer Homepage unter www.whu.edu/intman/ies. Zudem können Sie sich bei Fragen oder Anregungen gern auch direkt an [email protected] oder [email protected] wenden oder uns unter +49-261-6509-321 kontaktieren.

Vorwort

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Fragebogenauswertung sowie Frau Maria Akhavan und ihrem Team vom Gabler Verlag herzlichst für ihre professionelle Verlagsarbeit.

Vallendar, im August 2006

Lutz Kaufmann Dirk Panhans

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Vorwort

Inhaltsverzeichnis

Geleitworte................................................................................................................................5 Vorwort .....................................................................................................................................9 1. Einleitung..........................................................................................................................19 1.1 Ziele und Vorgehen ....................................................................................................19 1.2 Aufbau des Buches ....................................................................................................20

Teil I Geschäftsstrategien deutscher Unternehmen in Mittel- und Osteuropa 2. Bedeutung Mittel- und Osteuropas ...................................................................................27 2.1 Geschichtliche Entwicklung.......................................................................................27 2.2 Wirtschaftliche Entwicklung......................................................................................31 2.3 Bedeutung für deutsche Unternehmen .......................................................................35 2.4 Rahmenbedingungen für deutsche Unternehmen.......................................................38 3. Theoretischer Rahmen: Internationale Expansionsstrategien............................................43 3.1 Strategische Ausrichtung deutscher Auslandaktivitäten.............................................43 3.2 Asse ausspielen ..........................................................................................................49 3.3 Barrieren umgehen.....................................................................................................52

Teil II Ungarn als Markt und Standort deutscher Unternehmen 4. Einleitung: Investitionsziel Ungarn...................................................................................57 5. Strategiewahl: Exportieren oder global integrieren...........................................................59 5.1 Ungarn – Ein Paradebeispiel für Integration über Landesgrenzen .............................59

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Inhaltsverzeichnis

5.2 Keine größeren strategischen Richtungswechsel....................................................... 63 5.3 Strategische Ausrichtung im internationalen Vergleich ............................................. 63 5.4 Barrieren schränken Strategiewahl kaum ein – Asse dominieren .............................. 64 5.4.1 Marktchancen an letzter Stelle........................................................................ 65 5.4.2 Niedrige Barrieren .......................................................................................... 74 5.5 Asse treiben Strategiewahl ........................................................................................ 84 6. Funktionsstrategien: Welche Aktivitäten in Ungarn und wie integrieren?........................ 87 6.1 Unterstützungsfunktionen – Unternehmen wählen Globale Integration.................... 88 6.1.1 Nähe zur Wertschöpfung erzwingt Lokalisierung, Lohnvorteile machen Globale Integration reizvoll ............................................................................ 88 6.1.2 Wertschöpfungsnähe für die meisten, aber nicht für alle Unterstützungsfunktionen bestimmend........................................................... 90 6.2 Forschung & Entwicklung – Globale Integration und Exportorientierung verbreitet.............................................. 90 6.2.1 Günstige Talente locken F&E nach Ungarn, aber Produktionsnähe bestimmt die Standortwahl .......................................... 91 6.2.2 Herausforderungen Rekrutierung und Personalbindung ................................. 95 6.2.3 Fallbeispiel: Mitarbeiterbindung: Ein Maßnahmenbündel gegen Fluktuation .................... 95 6.3 Beschaffung – Globale Integration und Exportorientierung dominieren................... 97 6.3.1 Mengenbündelung durch Zentraleinkauf der Regelfall, lokale Lieferanten teils günstig, aber insgesamt schwach............................... 97 6.3.2 Branchen mit Fertigung in Ungarn beschaffen teils lokal............................... 99 6.3.3 Lieferantenentwicklung entscheidet über die Zukunft der ungarischen Beschaffung ........................................................................ 100 6.3.4 Fallbeispiel: CLAAS Hungaria kft – Fertigung und Einkauf in Ungarn....... 101 6.4 Produktion – Produktion folgt meist Exportorientierung oder Globaler Integration ........................................................................................ 102 6.4.1 Lohn- und Skalenvorteile bestimmen die Produktion................................... 103 6.4.2 Branchen bewerten Standortvorteile unterschiedlich.................................... 104 6.4.3 Standortwahl – Wo produzieren? .................................................................. 105 6.4.4 Automatisierungsgrad – Wie produzieren? ................................................... 108 6.4.5 Aufwertung der Wertschöpfung – Was produzieren?.................................... 109 6.4.6 Investitionen in Qualifikation stärken die Produktion .................................. 110 6.4.7 Ausblick: Produktionsverlagerung einfacher Teile weiter gen Osten ........... 113 6.4.8 Erfolgreich nach Ungarn verlagern – Best Practice ...................................... 114 6.4.9 Fallbeispiel: WET – Aufwerten und verlagern.............................................. 117 6.5 Marketing & Vertrieb – Geschäftstransfer in Marketing & Vertrieb........................ 119 6.5.1 Marktchancen erfordern Marketing & Vertrieb vor Ort ................................ 120 6.5.2 Vertriebsbüros nutzen Geschäftstransfer besonders stark ............................. 120 6.5.3 Ungarn als Sales-Hub in Osteuropa nutzen .................................................. 121 6.5.4 Kleine Anpassungen des Marketings zahlen sich aus ................................... 122

Inhaltsverzeichnis

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6.5.5 Fallbeispiel: Feinsteuerung im Vertrieb eines Chemieunternehmens ............124 7. Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien ............................................127 7.1 Fahrzeugbau – Steigender Wettbewerbsdruck zwingt zur Neuausrichtung der Wertschöpfung in Ungarn ..................................................127 7.1.1 Deutsche Automobilfirmen global integriert .................................................128 7.1.2 Branchenüberblick Pkw-Markt......................................................................129 7.1.3 Fallbeispiel: BMW – Märkte effizient entwickeln ........................................135 7.1.4 Branchenüberblick Nutzfahrzeuge – Anhaltendes Wachstum nur im Lkw-Markt...................................................137 7.1.5 Automobilproduktion in Ungarn – Stärkerer regionaler Wettbewerb............139 7.1.6 Branchenüberblick Automobilzulieferer .......................................................142 7.1.7 Fallbeispiel: Kompetenzzentrum Ungarn ......................................................147 7.2 Maschinenbau – Globale Integration im Mittelstand ...............................................148 7.2.1 Hoher Anteil Globaler Integration im Maschinenbau bleibt bestehen...........149 7.2.2 Branchenüberblick Maschinenbau ................................................................149 7.3 Elektronikindustrie – Im Umbruch ..........................................................................156 7.3.1 Elektronikindustrie global integriert..............................................................157 7.3.2 Branchenüberblick Elektronikindustrie .........................................................158 7.3.3 Fallbeispiel: Erfolgreiche Transformation eines Elektronikunternehmens ........................165 7.3.4 Fallbeispiel: Verpasste Chancen? ..................................................................166 7.4 Chemische Industrie – Im Aufwärtstrend.................................................................167 7.4.1 Chemieunternehmen größtenteils exportorientiert ........................................167 7.4.2 Branchenüberblick.........................................................................................169 7.5 Pharmaindustrie – Hart umkämpfter Markt .............................................................176 7.5.1 Pharmafirmen klar exportorientiert ...............................................................177 7.5.2 Branchenüberblick.........................................................................................178 7.5.3 Fallbeispiel: Biotest – Erfolg mit motiviertem Vertrieb.................................186 8. Erfolgsfaktoren: Operative Anpassung an Besonderheiten des ungarischen Geschäftsumfelds ..................189 8.1 Ungarische Manager rekrutieren..............................................................................190 8.1.1 Fallbeispiel: Erfolgsfaktor Unternehmenskultur ...........................................197 8.2 Strategie an alle Mitarbeiter kommunizieren – Sinn fürs Ganze vermitteln ............197 8.3 Mit einem klaren strategischen Ziel eintreten ..........................................................199 8.3.1 Fallbeispiel: Europa aus Ungarn bedienen ....................................................201 8.4 Erfolg messen – Eine Selbstverständlichkeit ...........................................................201 8.4.1 Fallbeispiel: CLAAS – Erfolgsmessung in der Produktion ...........................205 8.5 Gute Beziehungen aufbauen – Eine lohnende Investition........................................206 8.6 Erfahrene Manager transferieren – Nicht so wichtig wie vermutet..........................208 9. Empfehlungen für Manager ............................................................................................211 9.1 Strategie wählen.......................................................................................................211

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9.2 Strategie umsetzen: Operative Erfolgsfaktoren ....................................................... 213 9.3 Ausblick: Zukünftige Herausforderungen ............................................................... 214

Teil III Tschechien als Markt und Standort deutscher Unternehmen 10. Tschechien: Mitte des neuen Europas............................................................................. 219 11. Strategiewahl: mit welcher Ausrichtung nach Tschechien? ............................................ 225 11.1Strategien heute ....................................................................................................... 226 11.2Wie wird die Zukunft aussehen? ............................................................................. 228 11.3Gibt es die Erfolgsstrategie?.................................................................................... 229 12. Rahmenbedingungen Tschechiens als Markt und Standort............................................. 231 12.1Die Asse – Wovon profitieren die Deutschen in Tschechien?.................................. 231 12.1.1 Verbundvorteile – Tschechien als Vorreiter in einem neuen Markt............... 232 12.1.2 Marktchancen – Kleiner Markt mit Potenzial ............................................... 235 12.1.3 Standortvorteile – Günstige Löhne für qualifizierte Mitarbeiter ........................ 237 12.1.4 Skalenvorteile weniger wichtig..................................................................... 240 12.2Barrieren – Nicht nur eitel Sonnenschein ................................................................ 241 12.2.1 Investitionsbarrieren – Wirtschaften im Schatten der Korruption................. 241 12.2.2 Handelsbarrieren – Alles besser seit EU-Beitritt?......................................... 246 13. Die Unternehmensfunktionen – Auf eigenen Beinen oder an der Nabelschnur der Mutter?............................................. 251 13.1Evolutionärer Verlagerungsansatz von Aktivitäten nach Tschechien....................... 253 13.2Produktion ............................................................................................................... 255 13.2.1 Fertigung in Tschechien – Identische Kompetenzen zu einem Fünftel der Löhne? ................................ 256 13.2.2 Fallbeispiel Produktion: F.X. Meiller – Das Musterwerk in Tschechien.............................................. 267 13.3Beschaffung............................................................................................................. 268 13.3.1 Rolle der Beschaffung in Tschechien – Vom Lieferungsempfänger zum Chefeinkäufer in Osteuropa....................... 269 13.3.2 Fallbeispiel: Behr Group – Beschaffungszentrum für Osteuropa ................. 275 13.4Forschung & Entwicklung....................................................................................... 276 13.4.1 F&E in Tschechien – Die noch unterschätze Zukunftschance........................... 277 13.4.2 Fallbeispiel: Lurgi Praha............................................................................... 280 13.5Marketing & Vertrieb .............................................................................................. 281 13.5.1 Marketing & Vertrieb in Tschechien – Gute Beziehungen zu informierten Kunden.................................................. 282

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13.5.2 Fallbeispiel: DaimlerChrysler – Erfolg mit eigenem Vertrieb .......................289 13.6Interne Unterstützungsfunktionen ............................................................................289 13.6.1 Support aus Tschechien – Welche Aktivitäten müssen noch in Deutschland bleiben?............................290 13.6.2 Fallbeispiel: Kostal – SAP für die Mutter, tschechische Lieferanten für die Gruppe.........292 14. Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien ............................................293 14.1Automobilindustrie: Deutsche Dominanz ................................................................293 14.1.1 Branchenüberblick Automobilhersteller........................................................293 14.1.2 Branchenüberblick Automobilzulieferer .......................................................298 14.1.3 Automobilsektor Vorreiter in Globaler Integration........................................299 14.1.4 Fallbeispiel: Škoda – Der deutsche Tscheche................................................301 14.2Maschinen- und Anlagenbau: Tschechische Paradedisziplin ...................................302 14.2.1 Branchenüberblick Maschinen- und Anlagenbau ..........................................302 14.2.2 Zunehmende Globale Integration im Maschinenbau.....................................305 14.3Elektronikindustrie – Aufschwung hält an ...............................................................306 14.3.1 Branchenüberblick Elektrotechnik ................................................................306 14.3.2 Konstante Strategien in der Elektronikindustrie ............................................309 14.3.3 Fallbeispiel: Bosch – Tschechien als wichtiges Rädchen im globalen Unternehmensverbund...............................................................310 14.4Chemische Industrie: Immer noch Nachholbedarf...................................................311 14.4.1 Branchenüberblick Chemische Industrie .......................................................311 14.4.2 Beginn Globaler Integration ..........................................................................313 14.5Pharmaindustrie: Schwieriges Terrain......................................................................315 14.5.1 Branchenüberblick Pharma ...........................................................................315 14.5.2 Kaum Globale Integration in der Pharmaindustrie ........................................317 15. Erfolgsfaktoren in Tschechien: Worauf kommt es an?.......................................................319 15.1Erfolgsfaktor Erfolgsmessung und Controlling........................................................320 15.1.1 Ziele, Strategien und Kontrolle .....................................................................320 15.2Erfolgsfaktor Management ......................................................................................322 15.2.1 Tschechische Manager oder internationale Besetzung für die Führung der Tochtergesellschaft? ......322 15.3Erfolgsfaktor Strategie kommunizieren und durchhalten.........................................324 15.3.1 Bedeutung des richtigen Personalmanagements............................................324 15.3.2 Fallbeispiele ..................................................................................................329 15.4Erfolgsfaktor Beziehungen.......................................................................................331 15.4.1 Nichts geht über persönliche Beziehungen zu Geschäftspartnern .................332 15.5Erfolgsfaktor Unterstützung aus dem Stammhaus ...................................................332 15.5.1 An der Kandare oder an der langen Leine? ...................................................332 16. Blick in die Zukunft: Optimismus herrscht vor...............................................................337

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Inhaltsverzeichnis

Anhang ................................................................................................................................. 339 Literaturverzeichnis.............................................................................................................. 343 Abkürzungsverzeichnis ........................................................................................................ 347 Die Autoren .......................................................................................................................... 349 Stichwortverzeichnis ............................................................................................................ 351

1.

Einleitung

1.1

Ziele und Vorgehen

Um in Osteuropa erfolgreich sein zu können, müssen Manager zwei zentrale Fragen lösen, die nach der strategischen Ausrichtung ihre Tochtergesellschaft und die nach der operativen Anpassung an das lokale Tagesgeschäft. Beide sollen im Rahmen dieses Buches beantwortet werden. Bei der ersten Frage nach der strategischen Ausrichtung geht es darum, ob das Land primär als Absatzmarkt deutscher Produkte, eher als unabhängiges Geschäftssystem oder vielmehr als Wertschöpfungsplattform für den europäischen oder gar weltweiten Markt genutzt werden soll. Welche Funktionsbereiche sind nach Osteuropa zu verlagern und wie sind diese in das globale Unternehmensnetz zu integrieren? Wodurch ist diese Entscheidung maßgeblich getrieben, welche dieser Strategien ist in Ungarn und Tschechien derzeit am erfolgreichsten und welche wird künftig an Bedeutung gewinnen? Um diese Fragen der strategischen Ausrichtung systematisch beantworten zu können, haben wir ein Modell entwickelt, das erstmals alle relevanten Einflussfaktoren internationaler Expansion in eingängiger Form systematisiert. Es dient nicht nur der Analyse bestehender Geschäftssysteme, sondern kann darüber hinaus auch als praxistaugliches Entscheidungswerkzeug genutzt werden. Mit Hilfe dieses Modells haben wir die Internationalisierungsstrategien von weit über 100 interviewten Tochtergesellschaften analysiert und können unsere Aussagen somit auf ein solides Zahlengerüst stützen. Bei der zweiten Frage nach der operativen Anpassung des Geschäftssystems an lokalspezifische Besonderheiten geht es darum, welche Aspekte des lokalen Geschäftsumfelds im Tagesgeschäft eine besondere Herausforderung für deutsche Unternehmen darstellen und wie diese gemeistert werden können. Schließlich ist eine gute Strategie allein noch kein Garant für Erfolg. Gerade in Osteuropa erweist sich die Umsetzung oft als große Herausforderung. Leitende Manager erläutern, wie sie in diesem dynamischen Geschäftsumfeld sicher navigieren und geben Einblick in aufschlussreiche Episoden ihrer Erfahrungen in Osteuropa. Die Vielzahl dieser Fallbeispiele soll anderen Managern helfen, die operativen Herausforderungen des ungarischen und tschechischen Geschäftsumfeldes zu erkennen und dann sicher zu meistern. Hierzu wurden ausschließlich hochrangige Manager direkt „vor Ort“ an ihrem Hauptstandort in Ungarn und Tschechien befragt. Dadurch erfuhren wir aus erster Hand, welche Themen deutsche Unternehmen in Mittel- und Osteuropa derzeit am meisten bewegen. Es wurden gezielt nicht nur weltweit agierende Konzerne in direkter Nähe der Ballungszentren (Prag, Budapest) interviewt, sondern auch Unternehmen einbezogen, die sich an einem von der Hauptstadt entfernten Standort niedergelassen haben. Hierdurch wurde es möglich, die teils

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Aufbau des Buches

starken regionalen Unterschiede einfließen zu lassen und so ein differenzierteres Bild über die Erfolgsfaktoren in verschiedenen Gebieten zu zeichnen. Des Weiteren ermöglicht der hier gewählte umfassende Fokus, die Ergebnisse auch für Standortentscheidungen in anderen Ländern Mittel- und Osteuropas zu nutzen. Zudem betrachten wir die Geschäftstätigkeit deutscher Auslandstöchter nicht nur als Aggregat, sondern detaillieren unsere Analysen auch nach Branchen und Funktionsbereichen. Unser Branchenfokus liegt dabei auf der verarbeitenden Industrie, speziell dem Fahrzeugbau, dem Maschinenbau, der Elektrotechnik/Elektronik, der chemischen sowie der pharmazeutischen Industrie. Funktionell betrachten wir Forschung & Entwicklung, Beschaffung, Produktion, Marketing & Vertrieb sowie innerbetriebliche Querschnittsfunktionen gesondert. Ein Kernergebnis unserer Untersuchungen ist die Erkenntnis, dass sich gerade in Osteuropa viele Tochtergesellschaften strategisch neu ausrichten: Die kontinuierliche Aufwertung lokaler Wertschöpfung für den gesamteuropäischen Markt hat einen entscheidenden Einfluss auf die Wertschöpfungsstrukturen deutscher Unternehmen. Sie intensiviert nicht nur den Wettbewerb zwischen einzelnen Standorten eines Unternehmens, sondern ebenso den Wettbewerb zwischen den Staaten der EU.

1.2

Aufbau des Buches

Dieses Buch besteht aus drei Teilen. Der einleitende erste Teil bietet einen Überblick über die Bedeutung der zehn neuen EU-Staaten aus Sicht deutscher Unternehmen und führt in unser Modell internationaler Expansionsstrategien ein, das unserer weiteren Untersuchung zugrunde liegt. Die beiden landesspezifischen Teile bauen hierauf auf und erläutern an den Beispielen Ungarns und Tschechiens, welche Chancen sich für deutsche Unternehmen in Mittel- und Osteuropa ergeben und welche Schritte notwendig sind, um diese sinnvoll zu erschließen. Unter dem Aspekt der strategischen Ausrichtung untersuchen wir, welche Asse und Barrieren die Strategiewahl treiben, welche Wertschöpfungsprofile sich darauf für die Tochtergesellschaften ergeben und wie Unternehmen auf branchenspezifische Trends und Herausforderungen reagieren. Unter dem Aspekt der operativen Anpassung endet jeder der beiden Teile mit einer praxisnahen und unmittelbar umsetzbaren Auflistung der wichtigsten operativen Erfolgsfaktoren.

Teil I: Geschäftsstrategien deutscher Unternehmen in Mittel- und Osteuropa In Kapitel 2 stellen wir nach dieser Einleitung die Bedeutung der zehn neuen EU-Staaten dar. Wir geben Hintergrundinformationen über ihre Geschichte und ihre politische und wirtschaft-

Einleitung

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liche Entwicklung. Insbesondere vergleichen wir sie im Hinblick auf ihre Bedeutung für deutsche Unternehmen. Wir geben einen Überblick über die vorherrschenden Rahmenbedingungen, d. h. die Marktchancen und die Standortvorteile, die die neuen EU-Staaten attraktiv machen, aber auch die Handels- und Investitionsbarrieren, die es zu überwinden gilt. In diesem Zusammenhang klären wir, inwiefern unsere Ergebnisse aus Ungarn und Tschechien auch auf andere mittel- und osteuropäische Länder übertragbar sind. In Kapitel 3 präsentieren wir unser neu entwickeltes Modell internationaler Expansionsstrategien, das den terminologischen und theoretischen Rahmen unserer Studie bildet. Zunächst systematisieren wir die drei Basisstrategien Exportorientierung, Geschäftstransfer und Globale Integration und erläutern, was diese für einzelne Funktionsbereiche bedeuten und wie sie ein Unternehmen im Rahmen einer gemischten Strategie kombinieren kann. Im Anschluss systematisieren wir die Wettbewerbsvorteile, die ein Unternehmen durch internationale Expansion erlangen kann. Marktseitig unterscheiden wir zwischen Marktchancen und Standortvorteilen, effizienzseitig zwischen Skalen- und Verbundeffekten. Schließlich zeigen wir auf, wie die Wahl der Expansionsstrategie in Abhängigkeit dieser vier „Asse“ getroffen werden kann und zudem Handels- und Investitionsbarrieren diese Entscheidung beeinflussen.

Teil II: Ungarn als Markt und Standort deutscher Unternehmen Kapitel 4 bietet einige Eckdaten Ungarns und weist auf Besonderheiten der ungarischen Wirtschaft hin. Außerdem wird ein Überblick über die Präsenz deutscher Unternehmen geboten. In Kapitel 5 nutzen wir unser Modell, um die Strategien der Tochtergesellschaften in Ungarn zu analysieren. Wir untersuchen, welcher Anteil der Wertschöpfung bereits in Ungarn erbracht wird (Grad der Lokalisierung) und wie stark die wechselseitigen Abhängigkeiten mit anderen Einheiten des Unternehmensverbunds sind (Grad der Integration). Im Anschluss untersuchen wir, welche Asse und Barrieren die Strategiewahl maßgeblich beeinflussen. Schließlich leiten wir aus der Mittelfristplanung der von uns interviewten Unternehmen ab, welchen strategischen Bedeutungswandel deutsche Tochtergesellschaften in Ungarn über die kommenden fünf Jahre vollziehen werden. In Kapitel 6 untersuchen wir das Wertschöpfungsprofil der Tochtergesellschaften in Ungarn. Dazu detaillieren wir je Funktionsbereich, wie viel Wertschöpfung nach Ungarn verlagert wurde und wie diese in das internationale Unternehmensnetzwerk eingebunden ist. Einige Funktionsbereiche sind bereits mit vielen Kompetenzen ausgestattet, während andere eher rudimentär vorhanden sind. Dieses Muster erklären wir mit Hilfe unseres Modells. In Kapitel 7 verlassen wir die Funktionsperspektive und wenden uns Branchenspezifika zu. Je Industriezweig arbeiten wir die wichtigsten Trends und Besonderheiten Ungarns heraus und diskutieren, wie diese die richtige Strategiewahl beeinflussen. Zahlreiche Fallbeispiele illustrieren, wie Unternehmen in der Praxis auf diese Besonderheiten reagiert haben.

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Aufbau des Buches

In Kapitel 8 zeigen wir auf, welche operativen Erfolgsfaktoren in Ungarn besonders wichtig sind. Denn ohne die richtige Umsetzung nutzt die beste Strategie nichts. Die fünf wichtigsten Erfolgsfaktoren stellen wir im Detail dar und illustrieren sie mit Fallbeispielen. In Kapitel 9 fassen wir unsere Ergebnisse aus Ungarn in konkreten Empfehlungen für Manager zusammen. Unternehmen, die aktuell einen Eintritt in Ungarn erwägen, bieten wir praktische Hinweise zur strategischen Ausrichtung und operativen Anpassung ihres Geschäftssystems an das ungarische Geschäftsumfeld. Bereits in Ungarn tätigen Unternehmen zeigen wir auf, welche Entwicklungspfade sich für ihre Tochtergesellschaften anbieten.

Teil III: Tschechien als Markt und Standort deutscher Unternehmen Prinzipiell ist dieser dritte Teil analog dem zweiten strukturiert, weist allerdings einige landesspezifische Anpassungen auf. In Kapitel 10 beschreiben wir zunächst die historische Entwicklung Tschechiens von einem über lange Perioden fremdbestimmten Land hin zu einer prosperierenden Wachstumsregion in der neuen Mitte Europas und zu einem wichtigen Wirtschaftspartner Deutschlands. Dieses Kapitel liefert Grundlagen für das Verständnis vieler später erläuterten Besonderheiten Tschechiens. Wie schon im Ungarnteil betrachten wir auch hier die Unternehmensstrategien in Bezug auf die Lokalisierung der Wertschöpfung und die Integration der Tochtergesellschaften in den weltweiten Unternehmensverbund (Kapitel 11) sowie die dafür ausschlaggebenden Asse und Barrieren (Kapitel 12). Unser besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Frage, welche Strategie in Tschechien den größten Erfolg verspricht. In Kapitel 13 werden diese Analysen vertieft und wir untersuchen, welche Unterschiede und Besonderheiten es zwischen den einzelnen Funktionsbereichen gibt. Wir zeigen anhand verschiedener Fallbeispiele, wie die einzelnen Funktionen von den Rahmenbedingungen Tschechiens profitieren können. Dieses Kapitel wird durch einen evolutionären Verlagerungsansatz abgerundet, der die graduelle Aufwertung der Wertschöpfung deutscher Niederlassungen in Tschechien beschreibt. Hierbei zeigt sich vor allem, dass Tschechien bei weitem nicht mehr nur (im Sinne Globaler Integration) eine verlängerte Werkbank für simple Produktionsschritte ist, sondern dass zunehmend auch höherwertige Aktivitäten und sogar ganze Kompetenzfelder verlagert werden. Kapitel 14 zeigt, welche Chancen Tschechien in verschiedenen verarbeitenden Industrien zu bieten hat. In Kapitel 15 fassen wir die operativen Erfolgsfaktoren zusammen, die unsere Gesprächspartner für den Unternehmenserfolg in Tschechien am relevantesten hielten. Wir geben klare Handlungsempfehlungen, wie zum Beispiel zur Umsetzung der Erfolgsmessung, zur Besetzung des lokalen Managements oder zur Form der Unterstützung durch das Stammhaus. Außerdem fassen wir die kulturellen Einflüsse auf die Kommunikation und das Management

Einleitung

23

tschechischer Mitarbeiter zusammen und erläutern, welche Fallstricke es hier zu vermeiden gilt. Das abschließende Kapitel 16 gibt einen Ausblick auf die zukünftige Rolle und Bedeutung Tschechiens und verallgemeinert kurz, welche Chancen sich in Mittel- und Osteuropa generell bieten.

Teil II Ungarn als Markt und Standort deutscher Unternehmen

2.

Bedeutung Mittel- und Osteuropas

Was im allgemeinen Sprachgebrauch als ‚Mittel- und Osteuropa’ (MOE) oder kurz einfach nur ‚Osteuropa’ bezeichnet wird, umfasst im engeren Sinne die EU-Beitrittsländer der Erweiterung von 2004, zum Teil auch weitere Beitrittskandidaten wie Rumänien, Bulgarien oder Kroatien. Obwohl diese Staaten von vielen noch als homogener Ostblock wahrgenommen werden, weisen sie sowohl aus historisch-kultureller als auch aus wirtschaftlicher Perspektive große Unterschiede auf. Nach diesen Kriterien können die zehn neuen EU-Staaten in drei Gruppen unterteilt werden – Zentraleuropa mit Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Slowenien, das Baltikum mit Estland, Lettland und Litauen, sowie die Inselstaaten Malta und Zypern, die nicht mit zu MOE gehören. Im weiteren Sinne werden noch zwei weitere Regionen zu MOE gezählt – der Balkan mit Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro, Mazedonien und Albanien, aber auch Bulgarien und Rumänien, sowie die europäischen Länder der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) mit Russland, Weißrussland, der Ukraine und Moldawien (siehe Abbildung 1). Im Folgenden werden wir die geschichtliche und wirtschaftliche Entwicklung der zehn neuen EU-Staaaten umreißen, deren Bedeutung für deutsche Unternehmen aufzeigen und schließlich die Rahmenbedingungen diskutieren, die sie für deutsche Unternehmen bieten. In die Diskussion der geschichtlichen Entwicklung werden wir auch die anderen osteuropäischen Regionen Balkan, Südosteuropa und GUS mit einbeziehen, da sie als Nachbarländer die wirtschaftliche Entwicklung der zehn neuen EU-Staaten beeinflussen und sich daher auch auf die Ausrichtung deutscher Tochtergesellschaften auswirken.

2.1

Geschichtliche Entwicklung

Zentraleuropa: Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn und Slowenien blicken auf eine gemeinsame westlich ausgerichtete und vornehmlich durch christliche Religionen geprägte Geschichte zurück. Fast das ganze heutige Gebiet dieser Länder war für Jahrhunderte Teil des Habsburger Reiches oder des (Römisch)-Deutschen-Reiches.3 Trotzdem weisen alle diese

3

Die Habsburger waren eine deutsche Dynastie in Österreich, die die königliche Herrschaft auch in anderen Ländern – u. a. in Ungarn und Tschechien 1526-1918 – ausübten. Dies bedeutete nicht, dass diese Länder annektiert wurden. Sie wurden als eigenständige Staaten gesteuert, standen jedoch unter Habsburger Herrschaft.

28

Geschichtliche Entwicklung

Länder bereits seit dem 10. Jahrhundert eine fast durchgängige Eigenstaatlichkeit auf.4 Bis auf die Periode unter kommunistischer Dominanz im 20. Jahrhundert waren in diesen Staaten kapitalistische Wirtschaftsordnungen vorherrschend. Nach dem Fall des Kommunismus waren sie Vorreiter im politisch-wirtschaftlichen Transformationsprozess und sind mittlerweile stabile, marktwirtschaftliche Demokratien.

Abbildung 1: Lage der 10 neuen EU-Staaten Baltikum: Estland, Lettland und Litauen sind in vielen Hinsichten den zentraleuropäischen Staaten ähnlich: Der westeuropäische Einfluss ist auch hier spürbar und sie weisen ebenfalls eine Tradition der Eigenstaatlichkeit5 auf. Unter der russisch-sowjetischen Herrschaft bewahrten sie eine gewisse Autonomie und eine westlich-christliche Prägung der Kultur. Als Hanseaten haben sie eine lange Handelstradition und gewachsene Beziehungen mit deutschen Städten. Ihre Volkswirtschaften erholten sich nach der Auflösung der Sowjetunion schnell, und nach der Wiederherstellung ihrer Unabhängigkeit haben sie umgehend wirtschaftliche 4

5

Dies gilt nicht für die Slowakei, die zu Ungarn gehörte, und Slowenien, das ein Teil Österreichs war. Polen verlor 1795 zwar seine Unabhängigkeit, behielt jedoch seine Eigenstaatlichkeit. Unter Napoleons Herrschaft bestand es als Polnisches Großfürstentum; von 1815-1918 gehörte es als Polnisches Königreich zum Russischen Reich mit geringer Autonomie aber Eigenstaatlichkeit. 1918 erlangte es seine Unabhängigkeit zurück. Das ehemalige Livland (Estland und Lettland) war ein eigener Staat innerhalb des Römisch-Deutschen Reiches zwischen 1219-1583. 1583-1710 gehörte es zu Schweden und 1710-1920 zu Russland. Litauen hatte eine Personalunion mit Polen 1386-1795, 1795-1920 wurde es von Russland besetzt. Alle drei baltischen Staaten erklärten ihre Unabhängigkeit im Jahr 1920. 1939-40 wurden sie von der Sowjetunion besetzt und hatten bis 1991einen Mitgliedslandstatus innerhalb der Sowjetunion.

Bedeutung Mittel- und Osteuropas

29

und politische Reformen durchgeführt. Heutzutage sind auch ihre politischen Systeme stabile und marktwirtschaftliche Demokratien. Inselstaaten: Malta und Zypern zählen nicht zu MOE und unterscheiden sich auch gravierend von den anderen acht Beitrittsländern. Maltas Eigenstaatlichkeit begann nach der Herrschaft der Römer, Byzantiner, Araber und zahlreicher westeuropäischer Dynastien im Jahr 1530 unter der Herrschaft des Ritterordens vom Heiligen Johannes. Die Insel war aufgrund ihrer günstigen Lage seit jeher ein Handels- und Militärstützpunkt. Auch unter den 150 Jahren britischer Herrschaft prosperierte die Insel weiter.6 Insofern musste Malta seine wirtschaftlichen und politischen Strukturen kaum überarbeiten, um der EU beizutreten. Zypern unterscheidet sich ebenfalls merklich von den zentraleuropäischen Staaten, vor allem dadurch, dass sich die Bevölkerung sowohl aus griechischen als auch aus türkischen Staatsbürgern – mit unterschiedlichen religiösen und kulturellen Hintergründen – zusammensetzt. Ähnlich wie Malta gehörte Zypern erst zu Rom und Byzanz und wurde später Teil verschiedener Königreiche westeuropäischer Dynastien. Auch in den dreihundert Jahren türkischer Herrschaft (1571-1878) lebten die griechischen Einwohner in relativer Eigenständigkeit. Während der folgenden britischen Dominanz hat Zypern seine Unabhängigkeit bis 1960 graduell ausgebaut. Die blutige Auseinandersetzung (1963-1983) zwischen griechischen und türkischen Zyprern endete mit der einseitigen Ausrufung einer (nur von Ankara anerkannten) „Türkischen Republik Nordzypern“ im nördlichen Teil der Insel. Diese Isolation führte zu einer wirtschaftlichen Stagnation des nördlichen Teils von Zypern. Trotz zahlreicher Verhandlungen wurden die beiden Teile Zyperns bis zum Zeitpunkt des EU-Beitritts nicht vereinigt, wodurch der Nordteil der Insel nicht Teil der EU ist. Balkan: Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro, Mazedonien und Albanien, aber auch Bulgarien und Rumänien sind durch byzantinische und vornehmlich orthodox/christliche7 Kultur und Traditionen geprägt und befanden sich den Großteil der zurückliegenden Jahrhunderte unter türkischer Herrschaft. Abgesehen von relativ kurzen Perioden im Mittelalter8 verfügen diese Länder nur seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bzw. dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts9 über Eigenstaatlichkeit. Infolgedessen haben sie Wirtschaftssysteme mit nur wenig marktwirtschaftlicher Tradition. Rumänien und Bulgarien haben eine ähnliche politische und wirtschaftliche Transformation wie Mittel- und Osteuropa 6

7 8

9

Malta suchte den Schutz Großbritanniens nach der Besetzung durch Napoleon in 1798. Daher wurde es im Jahr 1800 auf freiwilliger Basis Mitglied im Commonwealth. 1814-1964 wurde Malta eine britische Kolonie, stand aber von 1920 an unter Selbstverwaltung mit eigener Regierung und Parlament. Mit Ausnahme von Bosnien und Albanien, wo der Islam die vorherrschende Religion ist. Das heutige Rumänien entstand aus den beiden Fürstentümern Moldau (1352-1512) und der Walachei (1324-1476). Auch andere Staaten waren zeitweise eigenständig, so zum Beispiel das Bulgarisches Reich (681-1018 und 1186-1396), das Serbische Königreich (1217-1448) oder Bosnien-Herzegowina (11541482). Unter der darauf folgenden türkischen Herrschaft besaßen einige Gebiete eine begrenzte Autonomie als Fürstentümer, waren jedoch keine unabhängigen Staaten. Rumänien: 1877; Bulgarien: 1878; Serbien: 1878; Albanien: 1912. Mazedonien und Bosnien-Herzegowina hatten teilweise Eigenstaatlichkeit erlangt, seitdem sie ab 1918 Mitgliedstaaten des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen waren (von 1929 als Jugoslawisches Königreich). Die vollständige Unabhängigkeit folgte jedoch erst in 1992. Ausnahme in dieser Reihe ist Montenegro, das schon seit dem Jahr 1689 vom Türkischen Reich unabhängig ist.

30

Geschichtliche Entwicklung

hinter sich, doch hat dieser Prozess hier bedeutend langsamer stattgefunden. Beide Länder sind NATO-Mitglieder, und werden 2007 – falls alle Beitrittsvoraussetzungen bis dahin erfüllt werden – der EU beitreten. Politisch und wirtschaftlich sind sie zwar stabil, doch sind noch einige Wirtschaftsreformen vor dem Beitritt durchzuführen. Kroatien hatte anfangs auch gute Chancen auf eine frühe Aufnahme in die EU, allerdings wurden die wirtschaftlichen und politischen Reformen durch den Serbisch-Kroatischen Krieg und das autokratischnationalistische Tudjman-Regime verzögert. Auch die anderen vier Balkanländer (Serbien, Montenegro, Mazedonien und Albanien) haben die Kriege der 90er Jahre hinter sich gelassen,10 weisen jedoch andere nationale Konflikte und politische Instabilität auf. GUS: Russland, Weißrussland, die Ukraine und Moldawien sind genau wie die Baltischen Staaten post-sowjetische Republiken, die sich jedoch in geschichtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht vom Baltikum unterscheiden. Sie sind orthodox-christlich geprägt und noch stark von Russland beeinflusst. Demokratie und Marktwirtschaft haben diese Länder in den letzten Jahrhunderten kaum erfahren, da der Zarenfeudalismus direkt von der kommunistischen Sowjetunion abgelöst wurde. Die notwendigen wirtschaftlichen Reformen wurden hier nur sporadisch begonnen. Die politischen Regime dieser Staaten sind mit Ausnahme der Ukraine autokratisch. Die Ukraine hat seit dem Machtwechsel im Jahr 2004 eine westlich orientierte und demokratisch gewählte Regierung, die sich aber auch erst am Anfang des Reformprozesses befindet. Die EU nahm 1997 Beitrittsverhandlungen mit Estland, Tschechien, Slowenien, Polen, Ungarn und Zypern auf, 1999 wurde diese Gruppe um Lettland, Litauen, die Slowakei, Rumänien, Bulgarien und Malta erweitert. Bis zur Jahrtausendwende hatten die zentraleuropäischen und baltischen MOE-Staaten sowie die Inselstaaten Malta und Zypern die Kopenhagener Kriterien erfüllt. Diese bestehen in stabilen demokratischen Institutionen, einer funktionierenden Marktwirtschaft sowie der Adaptation und Anwendung der Rechtsordnung der EU, der so genannten ‚acquis communitarie’. Die Beitrittsverträge wurden 2003 unterzeichnet, und am 1. Mai 2004 wurde die EU um diese zehn Mitglieder auf 25 erweitet. Rumänien und Bulgarien werden frühestens 2007 der EU beitreten. Das weitere Kapitel 2 bezieht sich nur auf die Gruppe der 10 neuen EU-Staaten. Die zentraleuropäischen und baltischen Staaten weisen dabei eine sehr ähnliche geschichtliche Entwicklung auf und lassen auch eine ähnliche wirtschaftliche Entwicklung erwarten. Die Inselstaaten Malta und Zypern hingegen unterscheiden sich stark von dem Rest der Gruppe und haben aufgrund ihrer geringen Größe auch kaum eine wirtschaftliche Bedeutung für deutsche Unternehmen. Im Folgenden werden sie nur der Vollständigkeit halber mitgeführt.

10

Serbisch-Kroatischer Krieg (1991), Bosnischer Krieg (1992-1995), Kosovoscher Krieg (1999).

Bedeutung Mittel- und Osteuropas

2.2

31

Wirtschaftliche Entwicklung

Dieses Unterkapitel verdeutlicht die wirtschaftliche Entwicklung der 10 Beitrittsländer vom Ostblock über die Bildung regionaler Freihandelszonen bis hin zu ihrer Aufnahme in die EU. Deren gewachsene wirtschaftliche Beziehungen prägen noch heute die Integration dieser Standorte.

Der Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) Nach dem Zweiten Weltkrieg verbot die Sowjetunion (UdSSR) den MOE-Ländern in ihrem Einflussbereich, am Marschallplan zu partizipieren, der von den USA angeboten wurde. Als sozialistisches Gegengewicht gründete die UdSSR am 25. Januar 1949 gemeinsam mit Polen, Rumänien, Bulgarien, Ungarn und der Tschechoslowakei den Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW). Anderthalb Jahre später wurde auch die Deutsche Demokratische Republik (DDR) Vollmitglied. Im Gegensatz zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) strebte der RGW aber keinen wirtschaftlichen Zusammenschluss an, sondern hatte die Ziele, einerseits eine wirtschaftliche Spezialisierung und Arbeitsteilung zwischen den sozialistischen Ländern zu erreichen und anderseits die sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen Bedingungen allmählich anzugleichen. Mit der Spezialisierung sollten Kosten für doppelte Industriebereiche eingespart werden. Infolgedessen konzentrierte sich die Produktion verschiedener Güter auf einzelne Staaten innerhalb des RGW. Zum Beispiel wurden Busse in Ungarn gefertigt, Traktoren und Dieselloks in der UdSSR und Fischverarbeitungsschiffe in der DDR. Die Produktions- und Liefermengen wurden dabei allein von Moskau bestimmt. Langfristige Verträge kennzeichneten den Außenhandel zwischen den RGW-Staaten. Die politischen Umwälzungen von 1989/1990 läuteten in Osteuropa das Ende der Planwirtschaft ein. Im Folgejahr zerfielen damit der RGW auf wirtschaftlichem Gebiet und der Warschauer Pakt auf militärischem. Das Auseinanderbrechen Osteuropas führte zu einem wirtschaftlichen wie auch politischen Machtvakuum in MOE und äußerte sich beispielsweise in einem starken Rückgang des Handels zwischen den MOE-Staaten. Seit Beginn ihrer politischen Unabhängigkeit suchten diese MOE-Staaten eine stärkere europäische Integration. Einige Länder hatten sogar schon während des sowjetischen Einflusses versucht, ihre westlichen Beziehungen auszubauen. Ungarn beispielsweise hat seit 1968 verschiedene wirtschaftliche Abkommen mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) geschlossen, ist 1973 dem Zoll- und Handelsabkommen GATT beigetreten und ist seit 1983 Mitglied des Internationalen Währungsfonds (IWF). Die Länder der so genannten Visegrád-Gruppe (Polen, Tschechoslowakei und Ungarn) haben schon 1991 Assoziierungs-

32

Wirtschaftliche Entwicklung

verträge mit der EU unterzeichnet, welche die einseitige Abnahme bestimmter EURegelungen zur Folge hatten. Damit wurde bereits der Grundstein für den späteren EUBeitritt dieser Länder gesetzt. Vier Jahre später wurden ähnliche Verträge mit den Baltischen Staaten und Slowenien abgeschlossen.

Das Zentraleuropäische Freihandelsabkommen (CEFTA) Um die Handelsbarrieren abzubauen, den freien Umlauf von Waren, Kapital und Dienstleistungen zu vertiefen und damit Handel untereinander schon vor dem EU-Beitritt zu verstärken, haben die Visegrád-Länder 1992 das Zentraleuropäische Freihandelabkommen (CEFTA) begründet. Die Anfangsjahre der CEFTA waren noch schwierig, weil sich politische Spannungen innerhalb der Visegrád-Gruppe negativ auf deren wirtschaftliche Integration auswirkten. Doch schon ab 1995 wuchs der Außenhandel zwischen den CEFTA-Ländern, da die Mitgliedsländer die Notwendigkeit der wirtschaftlichen Integration eingesehen hatten und ihr auch entsprechendes politisches Gewicht beimaßen. Der Anteil der CEFTA am Außenhandel der Mitgliedsländer wuchs von durchschnittlich 5,0 % zum Inkrafttreten der CEFTA in 1993 binnen zehn Jahren auf 8,8 % an. Dieser Erfolg machte die CEFTA in den folgenden Jahren auch attraktiv für andere Länder. Mit der Aufspaltung der Tschechoslowakei und dem Beitritt Sloweniens zur CEFTA umfasste das Freihandelsabkommen 1996 schon alle fünf zentraleuropäischen Staaten. In den Folgejahren traten auch einige wirtschaftlich stärker entwickelte Länder des Balkans bei, so Rumänien 1997, Bulgarien 1999 und Kroatien 2003. Seit dem Jahr 2000 verlief der Außenhandel innerhalb der CEFTA in fast allen Warengruppen zollfrei. Damit lassen sich enge Parallelen zur Entwicklung der EU ziehen, die mit der Montanunion auch ihren Ursprung in einer wirtschaftlichen Interessengemeinschaft hatte, die dann durch die Zollunion und die ‚Vier Freiheiten’ vertieft wurde. Allerdings waren die Handelsbarrieren innerhalb der CEFTA noch deutlich höher als innerhalb der EU. Als Ungarn, Tschechien und die Slowakei 2004 von der CEFTA zur EU wechselten, wuchs der Handel zwischen den ehemals sechs CEFTA-Staaten sprunghaft von 8,8 % auf 11,2 % an.11 Dennoch ist die CEFTA ein Beispiel endogener Kräfte in MOE, die zur beschleunigten wirtschaftlichen Integration und Entwicklung beigetragen haben.

Die Baltische Freihandelszone (BAFTA) Estland, Lettland und Litauen gründeten 1994 die Baltische Freihandelszone (BAFTA). Im Gegensatz zur CEFTA wies der BAFTA-Binnenhandel jedoch nur ein schwaches und

11

IWF (2005).

Bedeutung Mittel- und Osteuropas

33

unregelmäßiges Wachstum auf.12 Stattdessen konzentrierten sich die baltischen Staaten schon frühzeitig auf einen intensivieren Handel mit der EU.

Aufnahme in die Europäische Union (EU) Schon bei Anbahnung ihres Beitritts erlebten die zehn neuen Länder ein rasantes Wachstum von Handel und ausländischen Direktinvestitionen (FDI). Durch die Aufnahme der zehn neuen Länder in die EU fielen die Handels- und Investitionsbarrieren zu Westeuropa aber auch untereinander. Entsprechend schnell verlief deren wirtschaftliche Integration. Europäische Unternehmen nutzen die zehn neuen Länder heute als Absatzmarkt heimischer Produkte, als autarkes Geschäftssystem mit Produktion vor Ort für den jeweils lokalen Absatz, teils aber auch als Wertschöpfungsplattform für den gesamteuropäischen Markt. Aber auch Unternehmen von Übersee investierten verstärkt in Osteuropa, um von dort aus preiswert für den europäischen Markt zu produzieren. Insbesondere die acht Staaten Zentraleuropas und des Baltikums haben heute innerhalb der EU eine ähnliche wirtschaftliche Funktion für Westeuropa wie Mexiko innerhalb der NAFTA für die USA und Kanada.

400 Importe*

350

Exporte* 300

CAGR***=16%

250 200

FDI**

150 100

CAGR***=27% 50 0 1993

1994

1995

1996

1997

1998

1999

2000

2001

2002

2003

2004

* Handel von Produkten und Dienstleistungen, ** Bestand an weltweiten Direktinvestitionen im Land, *** Jährliche Wachstumsrate

Abbildung 2: Investitionen und Handel mit den 10 neuen EU-Staaten in Milliarden Euro (1993-2004)13

12 13

IWF (2005). Basierend auf UNCTAD (2005a, 2005b).

34

Wirtschaftliche Entwicklung

Sowohl die Direktinvestitionen als auch der Handel mit den 10 neuen EU-Staaten sind seit Anfang der 90er Jahren sehr robust gestiegen. Wie Abbildung 2 zeigt, wuchs der Handel zwischen 1993 und 2004 um durchschnittlich 16% pro Jahr; die Direktinvestitionen legten in den 10 neuen Ländern im Jahresdurchschnitt um 27% zu. Lediglich Ende der 90er Jahre war eine Stagnation dieses Wachstums zu verzeichnen, als die Liste der Beitrittskandidaten und deren Beitrittsdatum unsicher waren. Diese Unsicherheiten wurden jedoch Ende 1999 zerstreut, als die Beitrittsverhandlungen auf 12 Länder ausgeweitet wurden. Entsprechend gewannen auch Handel und Direktinvestitionen wieder an Schwung, der sich mit dem EUBeitritt 2004 noch einmal deutlicher verstärkt hat.

FDI*/BIP***

35

Slowakei

53

60

Malta

85

73 79

93

53

22

42

85

66

Estland

Ø Welt

59

63

33

Zypern

76

61

29

Lettland

36

66

15

Litauen

65

42

25

Polen

72

70

61

Ungarn

Exporte**/BIP*** 73

53

Tschechien

Slowenien

Importe**/BIP***

48

55

27

27

* Bestand an weltweiten Direktinvestitionen im Land, ** Handel von Produkten und Dienstleistungen, *** Bruttoinlandsprodukt

Abbildung 3: Investitionen und Handel mit den 10 neuen EU-Staaten in Prozent (2004)14 Schon mit ihrem EU-Beitritt waren die zehn neuen Länder überdurchschnittlich in die Weltwirtschaft integriert. Abbildung 3 zeigt für die zehn Beitrittsländer die relative Höhe von Handel und bezogenen Direktinvestitionen im Vergleich zum Weltdurchschnitt. Ausländische Unternehmen haben in allen zehn Ländern bis auf Slowenien überdurchschnittlich viel investiert. In Estland beispielsweise treibt der Einfluss finnischer Unternehmer den hohen Wert für Direktinvestitionen. Bei kleinen Volkswirtschaften wie Malta, Estland und Zypern kann eine hohe FDI-Rate schon aufgrund der geringen Marktgröße schnell erreicht werden, die absolute Bedeutung dieser Länder ist für internationale Unternehmen aber gering. Die weit überdurchschnittlichen Raten für Tschechien und Ungarn jedoch sprechen wirklich für ein sehr großes Interesse internationaler Unternehmen. Ungarn hat sich zuerst für ausländische Investoren 14

Basierend auf UNCTAD (2005a, 2005b).

Bedeutung Mittel- und Osteuropas

35

geöffnet, zeitlich gefolgt von Tschechien und später Polen. Diese zeitliche Abfolge spiegelt sich sehr deutlich in den FDI-Raten wider. Auch bei der weltweiten Verflechtung des Außenhandels weisen Tschechien und Ungarn deutlich höhere Werte auf als Polen. Jedoch ist allen zehn neuen EU-Staaten gemeinsam, dass sie alle überdurchschnittlich stark in den Welthandel integriert sind, was zum Teil in der vergleichsweise geringen Größe dieser Volkswirtschaften begründet liegen mag.

2.3

Bedeutung für deutsche Unternehmen

Mittel- und osteuropäische Staaten sind seit Beginn der 90er Jahre verstärkt auch das Investitions- und Expansionsziel deutscher Großunternehmen und Mittelständler. Diese profitieren von wachsenden Absatzmärkten, günstigen Standortbedingungen sowie geringen Investitions- und Handelsbarrieren und nutzen diese Länder nicht nur als Absatzmarkt, sondern auch als Beschaffungsmarkt, Produktionsstandort oder für Forschungs- & Entwicklungszwecke. Doch der Transformationsprozess hat zu einem starken Wandel der Umfeldfaktoren und entsprechend der Strategien deutscher Unternehmen bei der Erschließung dieser Länder als Absatzmarkt oder Standort geführt. Wie in Abbildung 4 zu erkennen, sind Tschechien und Ungarn die beiden Hauptinvestitionsstandorte deutscher Unternehmen in Mittel- und Osteuropa. Im volkswirtschaftlich größeren Polen sind die Direktinvestitionen bislang noch vergleichsweise niedrig geblieben. Deutsche Unternehmen investierten nach dem Zusammenbruch des Ostblocks zunächst verstärkt in Ungarn, später in Tschechien und erst gegenwärtig verstärkt auch in Polen. Diese zeitliche Abfolge ist aber nicht nur auf den gestaffelten Öffnungsprozess dieser Gastländer zurückzuführen. Sie liegt zum Teil auch an historisch gewachsenen Beziehungen deutscher Unternehmen zu Ungarn und Tschechien, die noch auf die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zurückgehen. Die Bekanntheit deutscher Marken unter ungarischen und tschechischen Verbrauchern hat die Investitionsentscheidungen deutscher Unternehmen sicher auch positiv beeinflusst. Zudem spielte die geografische Nähe zum wirtschaftlich starken Süden Deutschlands eine Rolle. Diese Aspekte führten in Kombination mit der relativ zügigen Liberalisierung dieser beiden Volkswirtschaften zu einem vergleichsweise frühen Engagement deutscher Unternehmen in Ungarn und Tschechien. Slowenien, die baltischen Staaten sowie die Inselstaaten Malta und Zypern spielen für deutsche Unternehmen eine deutlich untergeordnete Rolle. Wenn überhaupt, werden diese kleinen Märkte großteils über Exporte bedient. Dies führt dazu, dass der Anteil der 10 neuen EU-Staaten an deutschen Exporten mit 8,6% deutlich höher ausfällt als deren Anteil an deutschen Direktinvestitionen von nur 5,9%.

36

Bedeutung für deutsche Unternehmen

Deutsche FDI im Land Unternehmen in Millionen Euro (2004) Tschechien

12.381

Ungarn

12.224

Exporte ins Land Millionen Euro (2005)

561

13.581

880

21.909

3.769

Slowakei

736

18.842

9.991

Polen

Tochtergesellschaften Anzahl (2004)

200

5.924

56

Slowenien

428

Litauen

383

1.508

35

Lettland

275

887

25

Malta

213

323

16

Estland

169

965

32

Zypern

135

678

24

Anteil weltweit

5,9%

8,6%

2.943

11,3%

* Bestand an weltweiten Direktinvestitionen im Land, ** Handel von Produkten und Dienstleistungen

Abbildung 4: Aktivitäten deutscher Unternehmen in den 10 neuen EU-Staaten (2004-2005)15 Das bestimmt auch den Länderfokus dieses Buchs: In Tschechien und Ungarn kann der Erfolg zahlreicher deutscher Investitionen über einen verhältnismäßig langen Zeitraum betrachtet werden. Darüber hinaus geben die Ergebnisse entsprechend der Vorreiterrolle Ungarns und Tschechiens in Mittel- und Osteuropa einen Ausblick, welche Entwicklungen in den nächsten Jahren und anderen Ländern dieser Region zu erwarten sind. Deswegen sind unsere Ergebnisse auch weitgehend auf deutsche Geschäftsaktivitäten in anderen MOE-Staaten übertragbar. Vor allem die drei weiteren zentraleuropäischen Staaten Polen, die Slowakei und Slowenien weisen sehr ähnliche Markt- und Standortbedingungen auf. Aber auch auf das Baltikum sind unsere Ergebnisse übertragbar, auch wenn sich die geringere Marktgröße in vergleichsweise höheren Importen niederschlägt. Außerdem lassen sich die Ergebnisse mit einigen Einschränkungen auch auf die derzeitigen Beitrittskandidaten Rumänien und Bulgarien übertragen. Malta und Zypern jedoch sind aufgrund ihrer geringen Marktgröße, aufgrund ihres Inselstatus und ihres historisch wie wirtschaftlich anderen Hintergrunds nur sehr eingeschränkt mit Ungarn und Tschechien vergleichbar.

15

Basierend auf Deutsche Bundesbank (2006).

Bedeutung Mittel- und Osteuropas

37

Umsatz Millionen Euro

Bilanzsumme Millionen Euro

Tschechien

44

Ungarn

45

Slowakei 27

Litauen

26

Lettland

20

Malta

19

Estland Zypern Ø Welt

253

44

233

25 58

Slowenien

293

38

36

Polen

Mitarbeiter Anzahl

410

47

161

18

371

37

200

28

125

50

28

94

13

17

42

13

61

68

202

Abbildung 5: Größe deutscher Tochtergesellschaften der 10 neuen EU-Staaten (2004)16 Abbildung 5 zeigt, dass deutsche Unternehmen in den 10 neuen EU-Staaten bezüglich Umsatz und Bilanzsumme eher kleine Tochtergesellschaften führen. In anderen Ländern der Welt sind deutsche Tochtergesellschaften deutlich größer. Dieser Unterschied mag zum einen daran liegen, dass sich die Investitionen in MOE noch im Aufbau befinden. Zudem sind mittelständische Unternehmen überdurchschnittlich stark in den MOE-Staaten aktiv, was unter anderem in der vergleichsweise geringen physischen wie psychischen Distanz begründet liegen mag. Ein dritter Grund für die eher unterdurchschnittliche Größe der osteuropäischen Tochtergesellschaften ist die geringe Marktgröße selbst. Dies führt dazu, dass Tochtergesellschaften, die vor Ort rein für den lokalen Markt produzieren, teilweise nicht so skalenintensiv und damit nicht so effizient produzieren können wie in größeren Auslandsmärkten oder daheim in Deutschland. Folglich müssen deutsche Tochtergesellschaften in Osteuropa überdurchschnittlich stark in ihr Unternehmensnetzwerk integriert sein. Entweder sie beziehen mehr Vorleistungen vom deutschen Stammsitz oder anderen Tochtergesellschaften oder sie erbringen ihre Leistungen nicht nur für den lokalen Markt, sondern auch für andere osteuropäische Staaten, Westeuropa oder gar den Weltmarkt. Die entsprechende Spezialisierung der Tochtergesellschaften auf einzelne Funktionsbereiche oder Produktfelder kann ein Grund ihrer unterdurchschnittlichen Größe sein. Obwohl Tochtergesellschaften in Osteuropa in Bezug auf Umsatz und Bilanzsumme vergleichsweise klein sind, liegt ihre Mitarbeiterzahl zum Teil über dem Durchschnitt deutscher

16

Basierend auf Deutsche Bundesbank (2006).

38

Rahmenbedingungen für deutsche Unternehmen

Tochtergesellschaften. Dies lässt sich unter anderem dadurch erklären, dass vor allem arbeitsintensive Prozesse aufgrund niedrigerer Personalkosten nach Osteuropa verlagert wurden.

2.4

Rahmenbedingungen für deutsche Unternehmen

In diesem Unterkapitel möchten wir grob skizzieren, welche Rahmenbedingungen deutsche Tochtergesellschaften in den 10 neuen EU-Staaten vorfinden. Dazu differenzieren wir zwischen Marktchancen, Standortvorteilen, Handels- und Investitionsbarrieren. Für Ungarn und Tschechien werden wir diese Aspekte in den beiden folgenden Teilen des Buches vertiefen. Dieser einführende Überblick dient vor allem dazu, die spätere Detailbetrachtung in Perspektive zu setzen.

Marktgröße Milliarden Euro

11

241

Polen

10

37

Slowakei

6,6

27

Slowenien Litauen

10,5

21

14,2

13 3,7

4

Estland

11

Zypern

13

Deutschland

4,2

88

Ungarn

Malta

9,5

98

Tschechien

Lettland

Marktwachstum In %

2.129

10,7 4,8

1,7

Abbildung 6: Ausgewählte Marktchancen der 10 neuen EU-Staaten (2005)17 Marktchancen: Alle zehn Beitrittsländer weisen zwar ein deutlich höheres Wachstum auf als Deutschland. Jedoch ist auch deren Marktvolumen bedeutend kleiner (siehe Abbildung 6). Zum Zeitpunkt des Beitritts war die kombinierte Wirtschaftsleistung der zehn Staaten geringer als die Bayerns. Aber das Wachstum der mittel- und osteuropäischen Staaten liegt weit 17

Basierend auf Eurostat (2006).

Bedeutung Mittel- und Osteuropas

39

über dem Bayerns, Deutschlands oder der EU. Von diesem Wachstum profitieren auch deutsche Unternehmen, die nach Osteuropa exportieren oder den Markt mit einer Produktion vor Ort erschließen. Standortvorteile: Abbildung 7 zeigt eine beispielhafte Auswahl von Standortvorteilen, die für deutsche Unternehmen einen Anreiz darstellen, in Osteuropa zu produzieren. Vor allem die noch vergleichsweise geringen Personalkosten in Kombination mit einer guten Verfügbarkeit hoch qualifizierter Arbeitskräfte führen dazu, dass viele deutsche Unternehmen in Osteuropa für den gesamteuropäischen Markt produzieren. Auch Investitionskosten fallen geringer aus. Zudem unterliegen Unternehmen in Osteuropa einer geringeren Besteuerung als in Deutschland.

Steuersatz* In % (2003)

Baukosten** Euro/m² (2005) 614

31

Tschechien

376

20

Ungarn

28

Polen

3,45

465

Slowenien

25

379 ****.

Lettland

280****.

5

k.A.

22

Malta

35

Estland

35

Zypern Deutschland

28

39

5,8

5,47 4,34

25

Verfügbarkeit Ingenieure Skala 1-7 (2002)

4,09

491

Slowakei

Litauen

Lohnkosten*** Euro/h (2002)

6,2 5,3 6,4

7,73

5,2

3,86

5,7

6,31

k.A.

4,6

k.A. 294****. 493****.

690

k.A. 5,5

4,11

k.A.

k.A. 24,69

5,5

* Körperschaftssteuer, ** Ø Baukostensatz Fabrik/Lager, *** Bruttoeinkommen gelernter Industriearbeiter, **** Werte 2002

Abbildung 7: Ausgewählte Standortvorteile der 10 neuen EU-Staaten (2002-2005)18 Handelsbarrieren: Trotz des freien Handels innerhalb der EU bestehen immer noch Barrieren, die dem freien Warenfluss entgegenstehen und somit den Absatz deutscher Produkte in Osteuropa sowie die Produktion in Osteuropa für den gesamteuropäischen Markt einschränken. Transportkosten, Wechselkursrisiken und Sprachbarrieren werden beispielsweise auch weiterhin eine dämpfende Wirkung auf den EU-Binnenhandel auswirken. Zudem zeigt Abbildung 8, dass auch noch Handelsbarrieren im engeren Sinne existieren. Sicher spielen verdeckte Handelsbarrieren und die Notwendigkeit außerordentlicher Zahlungen im Im- und Export vor allem im Handel mit Drittstaaten eine Rolle. Jedoch zeigen die relativ zu Deutsch18

Basierend auf PWC (2004), Gardiner & Theobald (2006), UBS (2003) und WEF (2002).

40

Rahmenbedingungen für deutsche Unternehmen

land überdurchschnittlichen Werte auch, dass auch weiche Faktoren den Handel beeinträchtigen können. Harte Faktoren wie Zollgebühren wurden bereits in Vorbereitung des EUBeitritts deutlich abgebaut. In Polen beispielsweise wurde der Beitrag der Zollgebühren zum Steueraufkommen von 13,1% in 1994 auf 2,8% in 2002 abgesenkt. Auch in Slowenien konnten die ursprünglich 18,2% in 1993 auf 2,8% reduziert werden. Noch stärker fiel diese Reduktion für die beiden Inselstaaten Malta und Zypern aus, die im Jahr 1990 noch einen Zollbeitrag von 42,8% beziehungsweise 24,1% hatten.19

Verdeckte HandelsBarrieren (1-7) 5,4

Tschechien

Slowakei

4,1

Lettland

4,2

2,8 (2002) 2

2,7

2,8

1,9

1,5 3,8

k.A.

Estland

Deutschland

2,6 5,4

Litauen

3,2 4

5

Slowenien

2,5

2,4

4,7

Polen

Zypern

4,1

5,9

Ungarn

Malta

Unregelmäßige Zahlungen Zollgebühren in% aller im Im- und Export (1-7) Steuereinnahmen (2003)

2,1

k.A. 6

5,6 (2000) 2,6

k.A.

k.A.

1,9

1,9

0,3 (2001) 5,8 (1998)

K.A.

Abbildung 8: Ausgewählte Handelsbarrieren der 10 neuen EU-Staaten (2002)20 Investitionsbarrieren: Die stellvertretend in Abbildung 9 aufgelisteten Investitionsbarrieren verteuern die Wertschöpfung in Osteuropa. Sie behindern somit eine lokale Produktion für den lokalen Absatz oder den gesamteuropäischen Markt. Insgesamt werden die Investitionsbarrieren in Osteuropa zwar nur als geringfügig höher eingeschätzt als für ausländische Unternehmen in Deutschland. Jedoch stellen manche Aspekte deutsche Investoren in Osteuropa vor besondere Herausforderungen. Infrastrukturmängel, Plagiate und Korruption seien hier nur beispielhaft angeführt. In Polen sind in allen vier Bereichen höhere Investitionsbarrieren zu erkennen als in Ungarn oder Tschechien, was noch einmal unterstreicht, weshalb deutsche Direktinvestitionen in Polen bisher hinter dem Marktpotenzial zurückblieben. Die Ausprägung von Marktchancen, Standortvorteilen, Handels- und Investitionsbarrieren beeinflusst die strategische Ausrichtung von Tochtergesellschaften in Osteuropa. Beispiels19 20

Weltbank (2005). Basierend auf WEF (2002) und Weltbank (2005).

Bedeutung Mittel- und Osteuropas

41

weise ist eine reine Vertriebsgesellschaft weitestgehend immun gegen Investitionsbarrieren, kann allerdings auch kaum von Standortvorteilen profitieren. Wird in Osteuropa hingegen für den gesamteuropäischen Markt gefertigt, so lassen sich Standortvorteile sehr gut ausnutzen. Im folgenden Kapitel werden wir diese strategischen Optionen und Zusammenhänge konzeptionell erläutern, bevor wir dieses Konzept in den Teilen II und III dieses Buches nutzen, um die Ausrichtung deutscher Tochtergesellschaften in Ungarn und Tschechien genauer zu analysieren.

Investitionsbarrieren (1-7)

Mangelnde Infrastruktur (1-7)

2,3

Tschechien

3,5

2,6

3,9

Polen

2,6

4,0

2,2

Slowenien Litauen

2,6

Lettland

2,7

Malta

k.A.

Estland Zypern Deutschland

4,0

2,1

4,2

3,1

4,2

3 3,2

3,8

4,4

k.A. 3,8

1,2

3,3

4,7

k.A.

k.A.

k.A.

3,5

5,1

4,0

2,4

k.A.

2,9 2,7

3,7

3,2

2,8

Korruptionskosten (1-7)

3,6

Ungarn

Slowakei

Verletzungen geistigen Eigentums (1-7)

2,8

4,0

k.A. 1,7

k.A. 2,1

Abbildung 9: Ausgewählte Investitionsbarrieren der 10 neuen EU-Staaten (2002)21

21

Basierend auf WEF (2002) und Weltbank (2005).

3.

Theoretischer Rahmen: Internationale Expansionsstrategien

Die Analysen dieses Buches zu deutschen Auslandsaktivitäten in Mittel- und Osteuropa basieren auf einem neu entwickelten Modell internationaler Expansionsstrategien, welches wir in diesem Kapitel skizzieren möchten.22 Dabei beschreiben wir in diesem Kapitel noch nicht die Besonderheiten des mittel- und osteuropäischen Geschäftsumfelds. Erst in den beiden landesspezifischen Teilen I und II werden wir das Modell anwenden, um die Aktivitäten deutscher Tochtergesellschaften in Ungarn und Tschechien zu analysieren. In Unterkapitel 3.1 zeigen wir, zwischen welchen Basisstrategien internationaler Expansion unser Modell differenziert: Exportorientierung, Geschäftstransfer und Globale Integration. In Unterkapitel 3.2 präsentieren wir vier generische Vorteile, die Unternehmen durch internationale Expansion erzielen können und die wir als ‚Asse’ bezeichnen. Unterkapitel 3.3 zeigt schließlich, welche Barrieren Unternehmen von der Wahl bestimmter Strategien und damit vom Ausspielen der entsprechenden Asse abhalten.

3.1

Strategische Ausrichtung deutscher Auslandaktivitäten

Welche internationalen Expansionsstrategien sollten deutsche Unternehmen nutzen, um den osteuropäischen Markt zu betreten oder das Potenzial bestehender Tochtergesellschaften voll auszuschöpfen? Wir unterscheiden drei Basisstrategien internationaler Expansion: (1) Exportorientierung, (2) Geschäftstransfer and (3) Globale Integration (siehe Abbildung 10).23 (1) Exportorientierung bedeutet, dass das Gastland hauptsächlich als Absatzmarkt deutscher Produkte genutzt wird. Die Wertschöpfung findet in Deutschland statt, und alle Produkte werden ins Gastland exportiert. Die osteuropäische Tochtergesellschaft ist daher ein reines Vertriebsbüro, welches stark vom deutschen Stammhaus abhängt und nur Marketing, Vertrieb und in einigen Fällen Aftersales-Services umfasst. Exportorientierung ist klar eine Strategie, die primär auf lokale Marktchancen ausgerichtet ist. 22

Eine detailliertere Modellvorstellung findet sich in Kaufmann/Panhans (2004) oder Panhans/Kaufmann (2006). 23 Dies sind Expansionsstrategien innerhalb der Unternehmensgrenzen. Internationale Expansionsstrategien, die sich teilweise oder vollständig außerhalb der Unternehmensgrenzen befinden, werden in diesem Buch nicht adressiert. Diese Formen umfassen Lizenzierung & Franchising, Exportpartnerschaften, Internationales Subcontracting sowie verschiedene Joint-Venture-Lösungen. Weiterführende Informationen finden sich in Kaufmann/Panhans (2004).

44

Strategische Ausrichtung deutscher Auslandaktivitäten

1) Exportorientierung • Wertschöpfung in Deutschland • Nutzung des Gastlandes als Absatzmarkt • Im Gastland: Vertriebsbüro • Abhängigkeit der osteuropäischen Tochter

Gastland

2) Geschäftstransfer • Vollständige Wertschöpfung im Gastland • Produktion rein für den lokalen Markt • Im Gastland: Alle Funktionsbereiche • Unabhängigkeit/„Autarkie“ der Tochter

3) Globale Integration • Selektive Wertschöpfung im Gastland • (Vor-)Leistungserbringung für weitere Märkte (z.B. EU) • Im Gastland: Einzelne Funktionsbereiche oder Produktlinien • Gegenseitige Abhängigkeiten im Unternehmensverbund

Abbildung 10: Basisstrategien internationaler Expansion (2) Geschäftstransfer bedeutet, dass das Gastland als isolierter Markt betrachtet wird. Das Geschäftssystem des Unternehmens wird im Gastland repliziert, die Tochtergesellschaft umfasst alle Wertschöpfungsbereiche. Die grenzüberschreitende Integration ist auf Kontrollund Steuerungsaufgaben der Zentrale beschränkt. Die osteuropäische Tochtergesellschaft ist ein vollständiges, autarkes Geschäftssystem und umfasst alle Wertschöpfungsbereiche von Marketing & Vertrieb über Produktion, Beschaffung, Forschung & Entwicklung bis hin zu internen Unterstützungsfunktionen. Die Strategie des Geschäftstransfers dient ebenfalls primär der Erschließung des lokalen Absatzmarktes. (3) Globale Integration ist durch einen hohen Anteil ausländischer Wertschöpfung und gleichzeitig durch einen unternehmensinternen Austausch von Gütern und Leistungen gekennzeichnet. Bei dieser Strategie verbindet ein Unternehmen verschiedene Funktionsbereiche, die weltweit auf verschiedene Länder verteilt sind. Jeder Funktionsbereich einer geografisch dezentralisierten Wertschöpfungskette ist dort angesiedelt, wo er die besten Standortvoraussetzungen findet, und nicht zwangsläufig dort, wo die Endprodukte verkauft werden. So ist beispielsweise Forschung & Entwicklung an einem Standort mit hohem Ausbildungsstand und Technologieniveau angesiedelt, arbeitsintensive Produktionsschritte werden in Ländern erbracht, die vergleichsweise niedrige Personalkosten aufweisen. In Funktionsbereichen, in denen Skaleneffekte eine Rolle spielen, werden die Bedarfe mehrerer Absatzmärkte grenzüberschreitend gebündelt und nur von einem oder wenigen Standorten aus erbracht. In diesem Fall stehen die Standorte in einem hohen gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis zueinander. Im Gegensatz zu den zuvor beschriebenen Expansionsstrategien ist die Globale Integration durch weltweit verteilte und interdependente Ressourcen und Aktivitäten

Theoretischer Rahmen: Internationale Expansionsstrategien

45

charakterisiert. Sie ist zudem die einzige Strategie, die sich primär an lokalen Ressourcenund Effizienzvorteilen orientiert. Denn nur durch die grenzüberschreitende Leistungserbringung einer Tochtergesellschaft ist es möglich, landesspezifische Vorteile an Inputfaktoren auch für andere Länder nutzbar zu machen. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die Produktionsverlagerung in Niedrigkostenländer. Wie in Abbildung 11 dargestellt, unterscheiden sich diese drei Basisstrategien in ihrem Anteil lokaler Wertschöpfung im Gastland (kurz: Lokalisierung) sowie dem Ausmaß grenzüberschreitender Integration von Wertschöpfungsaktivitäten (kurz: Integration). Lokalisierung bezeichnet die Ansiedlung von Wertschöpfungsaktivitäten im Ausland. Diese kann unternehmensintern durch ausländische Direktinvestitionen oder unternehmensextern durch Joint Ventures, Kooperationen oder Lizenzvergabe erfolgen. Zum Teil wird die Verlagerung von Wertschöpfungsaktivitäten ins Ausland auch als ‚Offshoring’ bezeichnet. Sowohl der Aufbau autarker Tochtergesellschaften (Geschäftstransfer) als auch die selektive Ansiedlung von Funktionsbereichen für die Leistungserbringung für Drittmärkte (Globale Integration) erfordern den Aufbau lokaler Wertschöpfungsaktivitäten. Integration bezeichnet den grenzüberschreitenden Austausch von Wertschöpfungsaktivitäten, der sich vor allem in unternehmensinternem Handel niederschlägt. Jedoch bezieht sich grenzüberschreitende Integration nicht nur auf den unternehmensinternen Handel von Vor- oder Endprodukten, sondern auch auf den unternehmensinternen Austausch von Forschungsergebnissen und Produktentwicklungen, die gemeinsame Nutzung von Management-Know-how und internen Dienstleistungen sowie den gemeinsamen Gebrauch von Geschäftsbeziehungen, Rechten und Marken. Genau genommen entspricht sogar die bloße Etablierung eines grenzüberschreitenden Controllings oder eine Gewinnabführung an die Muttergesellschaft einer grenzübergreifenden Integration, wenngleich auch auf sehr niedrigem Niveau. Daher ist die Frage gar nicht so sehr, ob ausländische Tochtergesellschaften in den Unternehmensverbund integriert sind, sondern vielmehr wie stark. In der Strategie der Exportorientierung bezieht die Tochtergesellschaft einen Großteil der Wertschöpfung vom Stammhaus, ist also als abhängige Einheit in das Wertschöpfungsnetzwerk integriert. In der Strategie der Globalen Integration erbringt die Tochtergesellschaft einen Großteil der Wertschöpfung für die Muttergesellschaft oder andere Tochtergesellschaften, ist also als leistungserbringende Einheit in das Unternehmensnetzwerk integriert. Unternehmen, die im Gastland einer Exportorientierungsstrategie folgen, sind in der Matrix (siehe Abbildung 11) in der rechten unteren Ecke angesiedelt. Das bedeutet, dass alle im Gastland verkauften Produkte Exporte anderer Unternehmensteile sind und damit für die deutsche Tochtergesellschaft im Gastland unternehmensinterne Importe darstellen. Ein Unternehmen, das die Geschäftstransferstrategie verfolgt, ist in der Matrix in der linken oberen Ecke zu finden. Das bedeutet, dass alle im Gastland abgesetzten Waren auch durch die Tochtergesellschaft vor Ort im Gastland produziert werden. Damit ist dieser Typus der Tochtergesellschaft vollkommen autark. Im Gegensatz dazu ist ein Unternehmen, das ausschließlich die Strategie der Globalen Integration verfolgt, in der Matrix in der oberen rechten Ecke angesiedelt. Das bedeutet, dass dieser Typ der Tochtergesellschaft alle erbrachten Leistungen an

46

Strategische Ausrichtung deutscher Auslandaktivitäten

andere Unternehmensteile exportiert, z. B. in angrenzende Länder der Region, zurück nach Deutschland oder sogar für den Weltmarkt. In diesem Fall wird das Gastland gar nicht als Absatzmarkt betrachtet, sondern nur als Standort für Produktion, Beschaffung oder Forschung & Entwicklung.

Lokalisierung (von Wertschöpfung)

Funktionsbereich im Land

Angesiedelt Nicht angesiedelt

Geschäftstransfer

Globale Integration

Nationaler Fokus

Exportorientierung

Integration (über Grenzen)

Abbildung 11: Matrix internationaler Expansion Das Konzept der drei beschriebenen Basisstrategien kann auch auf die Ebene einzelner Funktionsbereiche übertragen werden. Exportorientierung steht für den Bezug einer Vorleistung von der Muttergesellschaft, Geschäftstransfer bezeichnet die Erbringung des Funktionsbereichs in Osteuropa für den osteuropäischen Markt und Globale Integration bedeutet, dass diese Geschäftsfunktion von der osteuropäischen Tochtergesellschaft für andere Teile des weltweiten Unternehmensverbundes erbracht wird. Im Folgenden unterscheiden wir fünf Funktionsbereiche – interne Unterstützungsfunktionen, Forschung & Entwicklung, Beschaffung, Produktion sowie Marketing & Vertrieb (siehe Abbildung 12). Da jeder Funktionsbereich andere Standortfaktoren beansprucht, unterschiedlich stark von grenzüberschreitender Mengenbündelung profitieren kann und auch anderen Handels- und Investitionsbarrieren ausgesetzt ist, unterscheidet sich die Wahl der internationalen Expansionsstrategie meist von Funktionsbereich zu Funktionsbereich. Es geht in unserem Modell also um das Wertschöpfungsprofil je Gastland als Ergebnis der individuellen Kombination aus Lokalisierung und Integration je Funktionsbereich. Der Aspekt der Lokalisierung beschreibt, ob und zu welchem Grad die jeweilige Wertschöpfung im Gastland erbracht wird. Der Aspekt der Integration beschreibt, ob und zu welchem Anteil Leistungserbringung und Absatz örtlich auseinander fallen.

Theoretischer Rahmen: Internationale Expansionsstrategien

Globale Integration

• Bereitstellung

Geschäftstransfer

• Bereitstellung

Exportorientierung

• Nutzung im

von Unterstützungsleistungen durch osteuropäische Tochtergesellschaft für andere Konzernteile

• Forschung oder

von Unterstützungsleistungen im Gastland rein für lokale Geschäftsaktivitäten

• Global oder Re-

Gastland erforschter oder entwickelter Produkte oder Verfahren außerhalb des Gastlandes

Entwicklung im Gastland rein für den lokalen Markt (z. B. für Produktanpassung)

gional Sourcing, d. h. Beschaffung im Gastland für Produktion oder Vertrieb außerhalb Osteuropas

• Local Sourcing, d. h. Beschaffung im Gastland für lokale Produktion und Vertrieb

47

• Produktion von

Unterstützungsfunktionen

Deutschland erforschter oder entwickelter Produkte oder Verfahren im Gastland

Forschung & Entwicklung

von Deutschland aus für Produktion oder Vertrieb im Gastland

Beschaffung

päischer Marketing- & Vertriebsabteilung für die Bearbeitung von Drittmärkten

• Produktion oder • Nutzung osteuroEndmontage im Gastland rein für den lokalen Markt (z. B. für Produktanpassung)

• Nutzung zentral • Nutzung zentral in • Central Sourcing • Produktion von in Deutschland bereitgestellter Unterstützungsleistungen für Geschäftsaktivitäten im Gastland

• Nutzung osteuro-

Zwischen- oder Endprodukten im Gastland für Weiterverarbeitung oder direkten Vertrieb außerhalb des Gastlandes

Zwischen- oder Endprodukten in Deutschland für Montage oder direkten Vertrieb im Gastland Produktion

päischer Marketing- & Vertriebsabteilungen rein für die lokalspezifische Bearbeitung des jeweiligen Gastmarktes

• Nutzung zentraler Marketing- & Vertriebsabteilungen in Deutschland für die Bearbeitung des jeweiligen Gastmarktes Marketing & Vertrieb

Abbildung 12: Bedeutung der internationalen Expansionsstrategien je Funktionsbereich Die drei beschriebenen Basisstrategien sind also konzeptionelle Extrempunkte. Die meisten Unternehmen wählen gemischte Strategien, also unterschiedliche Strategien für verschiedene Funktionsbereiche, Produktgruppen oder Gastländer. Und selbst innerhalb einzelner Funktionsbereiche lassen sich verschiedene Strategien kombinieren, wenn zum Beispiel Vorprodukte in Deutschland gefertigt (Exportorientierung), aber erst in Indien endmontiert werden (Geschäftstransfer). Somit stellt sich nicht die Frage, ob ein Unternehmen die eine oder die andere Strategie nutzt, sondern vielmehr, mit welchen Anteilen es die drei Basisstrategien kombiniert. Und diese Anteile können sich über Zeit natürlich auch verändern, wie das konzeptionelle Beispiel in Abbildung 13 beschreibt. In dieser Abbildung wird jeder Strategie-Mix durch einen Punkt in der Matrix repräsentiert. Je höher der Anteil einer bestimmten Strategie, desto näher rückt der Punkt in die entsprechende Ecke der Matrix. Die drei dunklen Vierecke grenzen die Bereiche dominanter Strategien voneinander ab. Beispielsweise repräsentieren alle Punkte im oberen linken Viereck solche gemischten Strategien, bei denen der Geschäftstransfer den höchsten Anteil einnimmt. Das untere linke Dreieck bleibt leer, da wir uns rein auf internationale Expansionsstrategien konzentrieren und somit die Strategie des Nationalen Fokus, die sich unten links in der Matrix befindet, vollkommen außer Acht lassen.

48

Strategische Ausrichtung deutscher Auslandaktivitäten

Lokalisierung (von Wertschöpfung) 100

Geschäftstransfer (4) Mischstrategie mit Anteil Globaler Integration durch Beschaffung aus Gastland für deutsche Produktion (3) Mischstrategie mit hohem Anteil Geschäftstransfer nach Aufbau lokaler Beschaffungsaktivitäten

75

50

Globale Integration (5) Mischstrategie mit hohem Anteil Globaler Integration nach Verlagerung der kompletten Produktion ins Gastland

(2) Mischstrategie aus Geschäftstransfer und Exportorientierung nach Eröffnung von Produktionsanlagen

25 Das weiße Dreieck enthält nur Strategien, die mit Nationalem Fokus gemischt sind (außerhalb der Betrachtung)

(1) Reine ExportorienExportorientierung tierung nach Eröffnung eines Vertriebsbüros im Gastland

0 0

25

50

75

100 Integration (über Grenzen)

Abbildung 13: Gemischte Strategien internationaler Expansion (1) Wenn ein deutsches Unternehmen ein Vertriebsbüro im Gastland eröffnet, so folgt es mit dieser Tochtergesellschaft zunächst rein der Strategie der Exportorientierung. Diese Position ist in der Matrix ganz rechts unten abgebildet, da die Tochtergesellschaft vollständig integriert ist (für alle Leistungen von der Muttergesellschaft abhängig), aber selbst noch keine oder nur minimale Wertschöpfung im Gastland betreibt. Kurz, die Wertschöpfung wird in Deutschland erbracht und im Gastland abgesetzt. (2) Das Unternehmen kann Produktionskapazitäten im Gastland aufbauen, sei es nur für die Endmontage in Deutschland vorgefertigter Module, sei es für den kompletten Produktionsprozess. Sind diese Produktionsaktivitäten rein auf den lokalen Absatzmarkt ausgerichtet (Lokalisierung) und werden F&E- und Beschaffungsleistungen weiterhin von der Muttergesellschaft bezogen (Integration), so entspricht dies einer Mischstrategie aus Geschäftstransfer und Exportorientierung. Dieses Beispiel ist in der Mitte der Matrix einzuordnen. (3) Die osteuropäische Tochtergesellschaft kann ein lokales Beschaffungswesen aufbauen, um aufwändige Exporte von Vorprodukten ins Gastland zu umgehen oder um von preiswerten lokalen Zulieferern zu profitieren. Damit erhöht sich ihr lokaler Wertschöpfungsanteil weiter. Die Integration reduziert sich jedoch auf die Mitnutzung deutscher Forschungs- & Entwicklungsergebnisse. Die Position in der Matrix verlagert sich entsprechend weiter nach links oben, ohne jedoch das Stadium reinen Geschäftstransfers zu erreichen, da ja noch immer Vorleistungen aus Deutschland bezogen werden. (4) Entschließt sich das Unternehmen, seine lokalen Beschaffungsaktivitäten im Gastland nun auch für seine Produktion in Deutschland zu nutzen, so vollzieht es erstmals einen Schritt in

Theoretischer Rahmen: Internationale Expansionsstrategien

49

Richtung Globaler Integration. Denn die Beschaffung im Gastland für die deutsche Produktion erhöht sowohl den Anteil lokaler Wertschöpfung als auch die Integration über Landesgrenzen. Die Tochtergesellschaft ist jetzt nicht mehr einseitig vom Stammhaus abhängig (z. B. im Bereich Forschung & Entwicklung), sondern auch das Stammhaus von der osteuropäischen Tochter (in diesem Fall im Bereich der Beschaffung). (5) Sollte sich das Unternehmen dazu entschließen, die komplette Produktion ins Gastland zu verlagern, um von dort aus auch den kompletten EU-Markt zu beliefern, so würde dies den Anteil Globaler Integration weiter erhöhen. Aber noch immer wäre dies eine Mischstrategie, denn Forschung & Entwicklung würde weiterhin der Exportorientierung folgen (da Forschungs- & Entwicklungsaktivitäten auch weiterhin in Deutschland angesiedelt wären), und ein Teil der Produktion entspräche noch immer dem Geschäftstransfer (da ein Teil der Produktion im Gastland ja noch immer für den lokalen Absatzmarkt bestimmt wäre). Dieses konzeptionelle Beispiel soll verdeutlichen, dass die meisten Unternehmen gemischte Strategien verfolgen und sich deren Anteile zudem im Zeitverlauf graduell ändern können. Unsere Aussagen zur Verbreitung der Strategien beziehen sich im Folgenden daher immer auf den Anteil, den sie im Rahmen gemischter Strategien einnehmen.

3.2

Asse ausspielen

Was hat Osteuropa deutschen Unternehmen zu bieten? Oder anders gefragt: Welche Motive stecken hinter der Wahl verschiedener Expansionsstrategien? In Abbildung 14 sind die vier ‚Asse’ abgebildet, die Unternehmen im Rahmen internationaler Expansion zu ihrem Vorteil ausspielen können. Die ersten beiden Asse, Marktchancen und Standortvorteile, bestechen output- bzw. inputseitig durch die Nutzung landesspezifischer Vorzüge des Absatz- bzw. Faktormarktes. Die anderen beiden Asse, Skalen- und Verbundvorteile, trumpfen durch positive Effizienzeffekte internationaler Expansion. Marktchancen sind absatzseitige Vorteile internationaler Expansion. Ein Zielmarkt kann durch seine Größe und sein Wachstum interessant sein, aber beispielsweise auch durch geringe Wettbewerbsintensität oder antizyklische Marktbewegungen relativ zu anderen Märkten. Zudem können Unternehmen auch einfach nur bestehenden Firmenkunden ins Ausland folgen, den Markt vor Eintritt weiterer internationaler Konkurrenz besetzen oder lokale Wettbewerber in ihrem Heimatmarkt attackieren. Marktchancen sind das wohl intuitivste Ass internationaler Expansion. Aber es gibt durchaus noch weitere. Standortvorteile sind die landesspezifischen Vorteile des Faktormarktes. Dazu gehören beispielsweise niedrige Personalkosten, Immobilien- und Beschaffungspreise sowie geringe Steuersätze, aber auch ein hohes Ausbildungsniveau, Agglomerationsvorteile in IndustrieClustern und die Nähe zu natürlichen Ressourcen. Solche Standortvorteile können jedoch nur dann zu einem wahren Wettbewerbsvorteil für Unternehmen führen, wenn diese Vorteile via

50

Asse ausspielen

Faktor-Arbitrage auch für andere Märkte nutzbar gemacht werden, z. B. durch die Leistungserbringung für Drittmärkte. Denn relativ zu anderen lokal ansässigen Unternehmen sind landesspezifische Standortvorteile eben kein unternehmensspezifischer Wettbewerbsvorteil.

Abbildung 14: Asse internationaler Expansion Skalenvorteile sind Effizienzeffekte, die aus der Mengenbündelung über Landesgrenzen hinweg herrühren. Jedoch führt die Erschließung neuer Auslandsmärkte nicht automatisch zu Skalenvorteilen, denn im Fall autarker Auslandstöchter werden keine Bündelungseffekte realisiert. Eine Art von Skalenvorteilen ist die Verteilung von Fixkosten auf eine größere Ausbringungsmenge. Beispielsweise würde sich die Entwicklung neuer Medikamente für deutsche Pharmafirmen wohl kaum rechnen, könnten diese anschließend nur auf dem deutschen Markt vertrieben werden. Aber auch der Einsatz effizienterer Technologien bei höherem Produktionsvolumen und die Entwicklung von Prozesswissen über die Zeit (der so genannte Lernkurveneffekt) sind Skalenvorteile, ebenso wie die Erhöhung von Verhandlungsmacht gegenüber Lieferanten oder anderen Marktteilnehmern. Verbundvorteile sind Effizienzeffekte, die durch die geografische Verteilung von Aktivitäten entstehen. Beispiele für geografische Verbundeffekte sind die Risikominimierung durch regional diversifizierte Geschäftsportfolios, der Aufbau von Realoptionen für künftige Expansion, Lerneffekte durch Agieren in unterschiedlichen Kulturkreisen sowie die Ausnutzung von Zeitverschiebungen in grenzübergreifenden Projekten. Wir betrachten allerdings nicht horizontale (durch Produktdiversifikation) oder vertikale Verbundeffekte (durch Vor- oder Rückwärtsintegration), da diese keinen unmittelbaren internationalen Bezug besitzen.

Theoretischer Rahmen: Internationale Expansionsstrategien

51

Diese vier Asse sind so konzipiert, dass sie die Vorteile internationaler Expansion überlappungsfrei und vollständig abbilden. Auch andere oft in der Literatur zitierte Vorteilskategorien lassen sich gut diesen vier Assen zuordnen. Lerneffekte beispielsweise besitzen Aspekte von Marktchancen (Lernen über den lokalen Markt), Standortvorteilen (Nutzung lokalspezifischer Qualifikationen oder von Agglomerationsvorteilen in Clustern), Skaleneffekten (Verteilung von Forschungs- & Entwicklungskosten, Lernkurveneffekte) sowie Verbundeffekten (organisatorisches Lernen durch Agieren in verschiedenen Kulturkreisen). Manchmal verbergen sich hinter der Wahl einer bestimmten Expansionsstrategie und eines Ziellandes auch verhaltenspsychologische Gründe. Die persönlichen Präferenzen eines TopManagers oder sogar der Einfluss von Verwandten in einer Region können für die Standortentscheidung von Bedeutung sein. In ungünstigen Fällen führen jedoch Unwissenheit über die sich bietenden geografischen Optionen oder unternehmensinterne Machtkämpfe zu falschen Expansionsentscheidungen. Auch kann eine Art „Herdentrieb“ ausschlaggebend für die Entscheidung sein – Unternehmen expandieren nach Osteuropa, weil das „eben jeder gerade macht“. Da unser Modell präskriptiver statt nur deskriptiver Natur sein soll, vernachlässigen wir im Folgenden solche verhaltenspsychologischen Aspekte und konzentrieren uns stattdessen auf rationale24 Entscheidungsgrundlagen internationaler Expansion. Welche Strategien erlauben es nun, diese Asse internationaler Expansion zu erschließen? Exportorientierung kombiniert Marktchancen mit Skalenvorteilen. Skalenvorteile treten nicht in der osteuropäischen Tochtergesellschaft auf, sondern werden im deutschen Stammhaus realisiert, indem die Bedarfe beider Länder in einem Standort gebündelt werden. So können beispielsweise Fixkosten der Forschung & Entwicklung auf eine größere Ausbringungsmenge verteilt werden, was die Stückkosten reduziert. Geschäftstransfer profitiert von Marktchancen und Verbundvorteilen. Ähnlich der Exportorientierung ist auch hier die Erschließung neuer Märkte der primäre Treiber. Aber im Gegensatz dazu führt der Geschäftstransfer nicht zu Skaleneffekten, da die neuen Absatzmengen von separaten Kapazitäten bedient werden. Tochtergesellschaften können sogar mit Skalennachteilen zu kämpfen haben, wenn ihre anfänglichen Kapazitäten noch hinter denen des Stammsitzes zurückbleiben. Im Gegenzug entstehen Verbundvorteile durch die geografische Verteilung von Wertschöpfungsaktivitäten. Globale Integration profitiert von Skalen-, Verbund- und Standortvorteilen. Skalenvorteile können in der osteuropäischen Tochtergesellschaft realisiert werden, weil Volumina von Drittmärkten in Osteuropa gebündelt werden können. Geografische Verbundvorteile entstehen, da die Spezialisierung von Tochtergesellschaften zu einer Präsenz in verschiedenen Ländern führt, was wiederum die Chancen bietet, zum Beispiel Realoptionen für eine spätere Expansion aufzubauen, um von Lerneffekten zwischen verschiedenen Kulturkreisen zu

24

Unter rationalen Entscheidungen verstehen wir hier solche, die für das Unternehmen als Ganzes die beste Alternative auswählen. Natürlich kann die Standortwahl aufgrund persönlicher Präferenzen aus Sicht des Individuums durchaus rational begründet sein. Jedoch muss diese Wahl nicht zwangsläufig auch im Interesse des Unternehmens liegen.

52

Barrieren umgehen

profitieren. Die Globale Integration ist die einzige Strategie, die von Standortvorteilen profitiert, denn Faktorvorteile müssen lokal erschlossen (Lokalisierung) und dann in Drittländer exportiert werden (Integration), um zu einem Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Unternehmen zu führen. In der Reinform Globaler Integration spielen lokale Marktchancen keine Rolle, da die Wertschöpfung ja für Drittmärkte erbracht wird. Es gibt höchstens den sekundären Markteffekt, dass preiswerter produzierte Güter zu einer Verbesserung der Wettbewerbsposition führen können, in bestehenden wie in neuen Märkten.

3.3

Barrieren umgehen

In einer Welt ohne Grenzen und Barrieren würden Unternehmen wohl versuchen, alle vier Asse gleichzeitig zu spielen. Die Standortentscheidung (wo Wertschöpfung erbracht wird) würde vollkommen unabhängig von der Marktentscheidung (wo Produkte verkauft werden) getroffen werden können. Die Realität sieht natürlich anders aus. Aber weshalb? Der Grund ist eindeutig: Strategische Expansionsentscheidungen sind durch Handels- und Investitionsbarrieren beschränkt. Handelsbarrieren im weiteren Sinne umfassen hier auch Barrieren nichtstofflicher Integration (wie beispielsweise den Austausch von Forschungsergebnissen), und Investitionsbarrieren beziehen sich auch auf Lokalisierungsbestrebungen, die keinen Kapitalfluss voraussetzen (wie beispielsweise die Entsendung von Mitarbeitern zum Aufbau der Auslandsaktivitäten). Handelsbarrieren behindern die Integration über Landesgrenzen. Sie können sich z. B. in Form von Zöllen und Quoten, aber auch in hohen Transport- und Kommunikationskosten, Wechselkursrisiken und heterogenen Konsumentenpräferenzen äußern. Trotz fehlender EUInnenzölle gibt es also immer noch wirtschaftliche Handelsbarrieren zwischen Deutschland und den zehn neuen EU-Mitgliedsländern, die vor allem in Wechselkursrisiken sowie sprachlichen und kulturellen Unterschieden bestehen. Investitionsbarrieren behindern oder verhindern die Ansiedlung ausländischer Wertschöpfungsaktivitäten. Investitionsbarrieren können in der Diskriminierung ausländischer Firmen, in allgemeinen Nachteilen des lokalen Geschäftsumfeldes im Gastland oder in organisatorischen Schwierigkeiten beim Transfer etablierter Prozesse bestehen. Innerhalb der EU ist der Diskriminierungsaspekt natürlich gering, aber dennoch gibt es Barrieren. Beispielsweise sehen sich deutsche Unternehmen in Ungarn und Tschechien vor allem mit Korruption sowie einer Belastung durch Vorschriften und Gesetze konfrontiert, wenn auch auf vergleichsweise niedrigem Niveau. Abbildung 15 zeigt, wie sich diese Barrieren auf die Strategiewahl auswirken.

Theoretischer Rahmen: Internationale Expansionsstrategien

Lokalisierung (von Wertschöpfung)

Geschäftstransfer

Marktchancen Verbundvorteile

53

Asse Barrieren Handelsbarrieren

• Zölle • Quoten • Nationale

Globale Integration

Standortvorteile Skalenvorteile

Verbundvorteile Regularien • TransportInvestitionsbarrieren und Kommu• Diskriminierung von FDI • Abweichendes Geschäftsumfeld nikations• Kontroll- u. Steuerungsprobleme kosten • Wechselkurseffekte Nationaler Fokus Exportorientierung • Verschiedene Marktvorteile Präferenzen • SteuerungsSkalenvorteile probleme • Andere Integration (über Grenzen)

Abbildung 15: Erwarteter Einfluss der Asse und Barrieren auf die Strategiewahl Exportorientierung wird von Handelsbarrieren benachteiligt und von Investitionsbarrieren begünstigt. Die Strategie der Exportorientierung wird also v. a. dann gewählt, wenn Handelsbarrieren relativ niedrig sind. Hohe Investitionsbarrieren können zur Vermeidung der Geschäftstransferstrategie führen und somit den indirekten Effekt auslösen, dass sich Unternehmen in die Alternative der Exportorientierung flüchten. Geschäftstransfer wird von Investitionsbarrieren benachteiligt und von Handelsbarrieren begünstigt. Investitionsbarrieren reduzieren die Attraktivität des Geschäftstransfers in der Art, wie Handelsbarrieren die Attraktivität der Exportorientierung mindern. Daher halten vergleichsweise hohe Investitionsbarrieren Unternehmen von der Geschäftstransferstrategie ab, wohingegen vergleichsweise hohe Handelsbarrieren dazu führen, dass Unternehmen die Exportorientierung meiden und entsprechend auf den Geschäftstransfer ausweichen. Globale Integration ist Handels- und Investitionsbarrieren ausgesetzt, da sie eine Präsenz vor Ort in Osteuropa erfordert (Lokalisierung) und ebenso den Export von Vorleistungen oder Endprodukten in Drittländer (Integration). Daher sollte die Strategie Globaler Integration nur in Ländern mit substanziellen Standortvorteilen und niedrigen Handels- und Investitionsbarrieren genutzt werden. Die zehn neuen EU-Mitgliedsstaaten weisen aufgrund ihrer EUMitgliedschaft sehr geringe Handels- und Investitionsbarrieren für deutsche Unternehmen auf. Entsprechend müsste der Anteil Globaler Integration deutscher Tochtergesellschaften in diesen Ländern besonders hoch sein.

Teil III Tschechien als Markt und Standort deutscher Unternehmen

4.

Einleitung: Investitionsziel Ungarn

von Volker Bergner und Ben Fischer

„Auslandsinvestitionspläne auf Rekordhoch – Hauptziel EU-Beitrittsländer“ meldet der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) als wichtigstes Ergebnis seiner Umfrage zu Auslandsinvestitionen im Frühjahr 2005.25 Fast jedes zweite Unternehmen plant in diesem Jahr, in den Beitrittsländern zu investieren. Ungarn wird an diesem Trend als eines der großen Beitrittsländer zweifellos partizipieren und als Absatzmarkt und Produktionsstandort für deutsche26 Unternehmen weiter an Bedeutung gewinnen. Überdurchschnittliches Nachfragewachstum und niedrigere Lohnkosten als in Deutschland haben Unternehmen jedoch bereits in der Vergangenheit in großem Stil nach Ungarn gelockt, wie der folgende Überblick zeigt.

Überblick: Deutsche Unternehmen in Ungarn Deutsche Firmen gehören zu den wichtigsten Investoren und Arbeitgebern in Ungarn: 2003 beschäftigten sie 152.000 Mitarbeiter, die einen Umsatz von 23 Milliarden Euro erwirtschafteten.27 Die Deutsch-Ungarische Industrie- und Handelskammer schätzt, dass ihre Mitglieder rund 40 % zum ungarischen Bruttoinlandsprodukt beitragen.28 Deutschland ist mit 29 % Anteil am Gesamtbestand ausländischer Direktinvestitionen in Höhe von 33,2 Milliarden Euro (2003) mit Abstand der größte Investor vor den Niederlanden und Österreich mit 20 beziehungsweise zehn Prozent.29

25

Vgl. DIHK (2005), S. 2. Im Folgenden ist „deutsch“ mit deutschsprachig gleichzusetzen. Österreichische und schweizerische Unternehmern sind daher ebenfalls Gegenstand unserer Untersuchungen. 27 Vgl. Deutsche Bundesbank (2005), S. 16 ff. Erfasst sind Beteiligungen an Unternehmen mit einer Bilanzsumme von mindestens drei Millionen Euro. Portfolioinvestitionen mit einem Anteil von unter zehn Prozent werden nicht berücksichtigt. 28 Nicht alle Mitglieder der Deutsch-Ungarischen Handelskammer sind Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen. Gleichzeitig sind nicht alle Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen Mitglied der Handelskammer. 29 Vgl. MNB (2005a), S. 42. Bestandszahlen enthalten reinvestierte Gewinne. Der Anteil der Niederlande ist mit Vorsicht zu interpretieren, da viele nicht-niederländische Firmen Direktinvestitionen aus steuerlichen Gründen über Holding-Gesellschaften in den Niederlanden abwickeln. 26

58

Überblick: Deutsche Unternehmen in Ungarn

Ungarn gehört mit Polen und Tschechien zu den wichtigsten Investitionszielen deutscher Unternehmen in Osteuropa30 (siehe Tabelle 1). Dennoch ist der Anteil dieser Länder an den gesamten Auslandsaktivitäten deutscher Unternehmen relativ gering. Je nach verwendeter Kennzahl schwankt er zwischen einem und vier Prozent. Tabelle 1: Aktivitäten deutscher Unternehmen in ausgewählten Ländern 200331

Tabelle 2: Bestand deutscher Direktinvestitionen in Ungarn und weltweit nach Branchen 200332

Mit knapp einem Drittel aller deutschen Direktinvestitionen in Ungarn sind die Unternehmen der Automobilindustrie die wichtigsten Investoren in unserem Branchenfokus. Tabelle 2 zeigt zudem, dass Ungarn in dieser Branche besonders erfolgreich Investitionen aus dem Ausland anziehen konnte. Alle anderen Branchen haben nur einen geringen Anteil ihrer weltweiten Direktinvestitionen in Ungarn getätigt.

30

Wir sprechen im Folgenden vom Osteuropa, konzentrieren unsere Analysen aber auf die EUBeitrittsländer Ungarn, Tschechien, Polen und die Slowakei. Wo sinnvoll beziehen wir in einigen Fällen u. a. die Ukraine und Rumänien in unsere Diskussion mit ein. 31 Erfasst sind Beteiligungen an Unternehmen mit einer Bilanzsumme von mindestens drei Millionen Euro. Portfolioinvestitionen mit einem Anteil von unter zehn Prozent werden nicht berücksichtigt. Vgl. Deutsche Bundesbank (2005), S. 16ff. 32 Vgl. Deutsche Bundesbank (2005), S. 40ff.

5.

Strategiewahl: Exportieren oder global integrieren

Das in Kapitel 3 vorgestellte Modell internationaler Expansionsstrategien wollen wir nun nutzen, um genauer zu analysieren, wie deutsche Unternehmen sich in Ungarn strategisch aufstellen und welche Asse und Barrieren diese Entscheidungen beeinflussen. Dazu verwenden wir die quantitativen Ergebnisse unserer Untersuchung, die wir in 77 Interviews gewonnen haben. Zunächst veranschaulichen wir in Kapitel 5.1, welche Strategien deutsche Unternehmen in Ungarn anwenden und welche Änderungen unsere Interviewpartner für die nächsten fünf Jahre planen (Kapitel 5.2). In Kapitel 5.3 vergleichen wir die strategische Ausrichtung deutscher Unternehmen in den Ländern unseres Forschungsprojekts. Welche Motive hinter der derzeitigen Strategiewahl stehen, analysieren wir in Kapitel 5.4. Dazu präsentieren wir in aggregierter Form, welche Bedeutung Manager deutscher Tochtergesellschaften den Assen und Barrieren in Ungarn beimessen und untermauern unsere empirischen Ergebnisse zusätzlich mit Sekundärdaten. Ein internationaler Vergleich der Barrieren rundet unsere Betrachtungen ab. Schließlich zeigen wir in Kapitel 5.5, dass unser Modell die Expansionsstrategien deutscher Unternehmen in Ungarn sehr gut zu erklären vermag.

5.1

Ungarn – Ein Paradebeispiel für Integration über Landesgrenzen

In Kapitel 3 haben wir bereits die drei Strategien vorgestellt, zwischen denen Unternehmen zur internationalen Expansion wählen können. Diese Strategien lassen sich nach Grad der Lokalisierung (Anteil der Wertschöpfung im Gastland) und Integration über Landesgrenzen (Abhängigkeit der Ländergesellschaften) unterteilen. Da Unternehmen – getrieben durch unterschiedlich ausgeprägte Asse und Barrieren – für jeden Funktionsbereich eine individuelle strategische Konfiguration wählen und zudem innerhalb eines Funktionsbereichs Mischstrategien verfolgen können, ergeben sich auch auf Gesellschaftsebene Mischungen der drei grundlegenden Strategien. Eine Tochtergesellschaft kann zum Beispiel ausschließlich einige Produkte in Ungarn für den lokalen Markt fertigen (Geschäftstransfer), den Rest ihres Bedarfs jedoch über die Zentrale beziehen (Exportorientierung) oder mit ihrer Produktion vor Ort lediglich den westeuropäischen Markt bedienen (Globale Integration). Im letzten Beispiel findet ein beträchtlicher Teil der Wertschöpfung in Ungarn statt (hoher Grad der Lokalisierung). Gleichzeitig sind die westeuropäischen Gesellschaften auf die Produktion in Ungarn angewiesen, während die ungarische Tochtergesellschaft allein keine Produkte absetzen kann (hoher Grad der Integration). Diesem Schema entsprechend haben wir die Strategien der von

60

Ungarn – Ein Paradebeispiel für Integration über Landesgrenzen

uns befragten Unternehmen in Abbildung 16 veranschaulicht. Auf der vertikalen Achse ist der Grad der Lokalisierung abgetragen. Er gibt an, welchen Anteil der gesamten Wertschöpfung die ungarische Tochtergesellschaft erbringt. Die Position auf der horizontalen Achse gibt Aufschluss darüber, wie stark die Tochter in das internationale Netzwerk der gesamten Unternehmensgruppe eingebunden ist. Ein Blick auf Abbildung 16 verrät, dass Unternehmen dann Wertschöpfung lokalisieren, wenn sie sich für die Strategien des Geschäftstransfers oder der Globalen Integration entscheiden (obere Hälfte der Matrix in Abbildung 16). Somit entspricht der Anteil an Geschäftstransfer und Globaler Integration zusammen dem Grad der Lokalisation. Analog dazu bestimmt sich der Grad der Integration über Landesgrenzen als Summe der Anteile an Exportorientierung und Globaler Integration (rechte Hälfte der Matrix in Abbildung 16). Da die Anteile der drei Grundstrategien sich zu 100 % ergänzen müssen, findet sich ein Unternehmen, das eine Kombination aus Geschäftstransfer und Exportorientierung wählt, auf Globale Integration jedoch vollständig verzichtet, auf der Diagonalen in Abbildung 16 wieder.33 Mit steigendem Anteil Globaler Integration entfernt es sich jedoch von der Geraden und bewegt sich nach oben rechts. In der oberen rechten Ecke wird die gesamte Wertschöpfung in Ungarn erstellt (100 % Lokalisierung), jedoch ausschließlich für Unternehmensteile außerhalb Ungarns (100 % Integration). Dies ist der Grenzfall der reinen Globalen Integration. Da – wie eben erwähnt – verstärkte Globale Integration mit einer Bewegung hin zur oberen rechte Ecke einhergeht, verfolgen die Unternehmen im oberen rechten Feld überwiegend die Strategie der Globalen Integration. Im Geschäftstransfer-dominierten Viereck oben links betreiben die Firmen dagegen Geschäftstransfer. Unten rechts findet sich die Strategie der Exportorientierung wieder. Abbildung 16 zeigt eine starke Konzentration von Firmen entlang der Diagonalen im unteren rechten Quadranten sowie in der oberen rechten Ecke. Die befragten Tochtergesellschaften sind also – vereinfacht gesagt – entweder auf den ungarischen Markt fokussiert (geringer Anteil Globaler Integration beziehungsweise Position nahe an der Geraden) oder orientieren sich sehr stark nach außen (hoher Anteil Globaler Integration im Feld oben rechts). Zur Einordnung der Unternehmen in die Matrix haben wir zunächst für jeden Funktionsbereich empirisch erhoben, welcher Anteil der Leistungen von der Zentrale für die Tochtergesellschaft (Exportorientierung), von der Tochtergesellschaft für den ungarischen Markt (Geschäftstransfer) und von der ungarischen Tochter für ausländische Unternehmensteile (Globale Integration) erbracht wird. Zu den von uns untersuchten Funktionen gehören interne Dienstleistungen, Forschung & Entwicklung, Beschaffung, Produktion sowie Marketing & Vertrieb. Unter internen Dienstleistungen haben wir alle Geschäftsprozesse zusammengefasst, die quer zu diesen Funktionen liegen. Dazu gehören unter anderem die Verwaltung, IT, rechtliche Angelegenheiten, Öffentlichkeitsarbeit sowie Finanzen und Rechnungswesen. Bei der Aggregation auf Gesellschaftsebene haben wir vertikale Abhängigkeiten berücksichtigt. Die Beschaffungsfunktion einer Tochtergesellschaft, die Leistungen für die lokale Produktions33

Ein Unternehmen kann sich daher nie unterhalb der Geraden befinden. Dies wäre nur im Heimatland mit der Strategie des Nationalen Fokus erreichbar, die wir jedoch nicht betrachten.

Strategiewahl: Exportieren oder global integrieren

61

100

funktion erbringt, wird zum Beispiel auch als global integriert betrachtet, wenn die Produkte zum späteren Vertrieb im Ausland exportiert werden. Zudem haben wir von den befragten Unternehmen die durchschnittliche Kostenstruktur ihrer Endprodukte erhoben, um unterschiedlichen Kostenstrukturen zwischen den Unternehmen und den Industrien Rechnung zu tragen. Die angegebenen Werte stellen also einen realitätsnahen Durchschnitt über die gesamte Wertschöpfungskette dar.

90

Geschäftstransfer

Globale Integration

80

Maschinenbau

Lokalisierung (in Prozent) 40 50 60

70

Fahrzeugbau Elektronik

Chemische Industrie

30

Exportorientierung

0

10

20

Pharmaindustrie

0

10

20

30

40 50 60 Integration (in Prozent)

70

80

90

100

Abbildung 16: Internationale Expansionsstrategien aller 77 befragten Unternehmen Mit wenigen Ausnahmen beziehen diejenigen Unternehmen, die vorrangig den ungarischen Markt bedienen, einen Großteil der Leistungen von der Zentrale und erbringen nur einen geringen Teil der Wertschöpfung, typischerweise Marketing & Vertrieb. Dies kommt der Strategie der Exportorientierung gleich.

62

Ungarn – Ein Paradebeispiel für Integration über Landesgrenzen

Die ungarischen Tochtergesellschaften beeindrucken mit ihrer hohen Integration in das internationale Netzwerk der Unternehmensgruppe. Durchschnittlich 83 % der Gesamtwertschöpfung der in Ungarn entwickelten, produzierten oder vertriebenen Produkte wird im Ausland erbracht beziehungsweise von der ungarischen Tochtergesellschaft für ausländische Teile des Unternehmens bereitgestellt. Die Lokalisierung ist dagegen uneinheitlich verteilt: von null bis 100 % sind alle Werte vertreten. Neben den Expansionsstrategien einzelner Unternehmen haben wir auch die strategischen Ausrichtungen der fünf Branchen in Abbildung 16 aufgeführt. Wie schon auf Unternehmensebene zeigt sich ein eindeutiges Bild: Chemische und pharmazeutische Industrie sind klar exportorientiert, während der Maschinenbau, die Automobil- und die Elektronikindustrie in Ungarn vor allem global integriert agieren.

Globale Integration

61 61

Geschäfts- 10 10 transfer Export29 orientierung 29

63 63

21

11 11

28 28

28 28

77

88

21 22

21 21

71

71

100 43 43

43 43

17 17

17 17

40 40

40 40

76 76 15 15

12 12

13 13

12 12

13 13

Fahrzeugbau n

74 74

10 10

27 27

52 52

58 58

11 11

72

61 61

61 61

71

33 33

30 30

10 10

Maschinen- Elektronik- Chemische industrie bau Industrie 14

13

14

PharmaIndustrie

Durchschnitt

15

77

Abbildung 17: Internationale Expansionsstrategien nach Branchen 2005 und 2010e in Prozent34 Abbildung 17 zeigt die Expansionsstrategien nach Branchen in veränderter graphischer Form. Für jede Industrie gibt die linke Säule den Anteil der drei Basisstrategien in 2005 an. Die geplante Strategieverteilung in fünf Jahren wird durch die jeweils rechte Säule dargestellt. Deutlich zu erkennen ist der hohe Anteil Globaler Integration in der Fahrzeug-, Elektronikund Maschinenbauindustrie. Der Maschinenbau ist mit einem Anteil von knapp drei Vierteln Spitzenreiter. Ähnliche Werte würden bei separater Betrachtung für die Zulieferer in der Automobilindustrie gelten. In der Pharma- und Chemischen Industrie ist die Globale Integration unterrepräsentiert. Hier dominiert eindeutig die Exportorientierung.

34

Alle Abbildungen dieses Typs basieren auf den quantitativen Daten, die wir im Rahmen unserer Interviews erhoben haben.

Strategiewahl: Exportieren oder global integrieren

5.2

63

Keine größeren strategischen Richtungswechsel

An dem im vorigen Abschnitt gezeichneten Bild wird sich in Zukunft kaum etwas ändern, wie Abbildung 17 zeigt: unsere Interviewpartner erwarten nur geringe Anpassungen ihrer Strategie in den nächsten fünf Jahren. Lediglich in der Elektronikindustrie und im Maschinenbau zeichnen sich geringfügige Änderungen ab. So werden die deutschen Maschinenbauer in Ungarn ihren Anteil Globaler Integration ausweiten und deswegen auf einige Leistungen aus Deutschland verzichten können. In der Elektronikindustrie geht die Globale Integration dagegen zu Gunsten von Exportorientierung und Geschäftstransfer zurück. Dennoch bleiben die strategischen Ausrichtungen trotz des relativ langen Zeithorizonts von fünf Jahren erstaunlich konstant. Aggregierte Daten auf Unternehmens- und Branchenebene können jedoch den Blick auf Trends versperren, die nur auf Funktionsebene wirken. Daher widmen wir uns den einzelnen Funktionsbereichen gesondert in Kapitel 6.

5.3

Strategische Ausrichtung im internationalen Vergleich

Bevor wir uns in Kapitel 5.4 mit den Assen und Barrieren im Detail beschäftigen, werden wir im folgenden Abschnitt die strategischen Ausrichtungen deutscher Tochtergesellschaften in den Ländern unseres Forschungsprojekts miteinander vergleichen und dabei die Besonderheiten in Ungarn hervorheben. Wir haben bereits festgestellt, dass deutsche Tochtergesellschaften in Ungarn hauptsächlich eine Mischstrategie aus Exportorientierung und Globaler Integration verfolgen. Mit anderen Worten: Sie sind hochgradig in das internationale Unternehmensnetzwerk integriert, da sie einen Großteil der benötigten Leistungen von ausländischen Gesellschaften beziehen und ihre eigenen Leistungen primär für ausländische Gesellschaften erbringen.

Ungarische Tochtergesellschaften führend bei Globaler Integration Abbildung 18 zeigt, dass Ungarn im internationalen Vergleich den höchsten Anteil Globaler Integration aufweist. Dies geht vor allem zu Lasten der Strategie des Geschäftstransfers, die in Ungarn nur in geringem Ausmaß angewendet wird. Mit Ausnahme von Tschechien weisen alle Länder signifikant mehr Geschäftstransfer und weniger Globale Integration auf.

64

Barrieren schränken Strategiewahl kaum ein – Asse dominieren

Ungarn Tschechien Indien Brasilien China ASEAN USA Japan Russland

17

40 46

43 19

29

24 47

34

47

18 18 32

52

17

45

15 41

47

77 55 82 39 44 34 27 37 37

35

47

34

40

n

Globale Integration

Exportorientierung Geschäftstransfer

72

12 24

4

432

Abbildung 18: Strategieverteilung im internationalen Vergleich 2005 in Prozent35 Große Märkte wie die USA und Japan, die zudem geografisch weit entfernt von Deutschland sind, erschließen deutsche Unternehmen primär durch Geschäftstransfer. In Ungarn und Tschechien ist Geschäftstransfer dagegen relativ selten. Ihre relativ kleinen Märkte rechtfertigen meist nicht den Aufbau dedizierter Ressourcen und können zudem effizient aus Deutschland bedient werden. Große Bedeutung kommt in den beiden Ländern jedoch der Globalen Integration zu. Deutsche Unternehmen nutzen ihre Tochtergesellschaften in Ungarn und Tschechien als Leistungserbringer für Unternehmensteile außerhalb dieser beiden Länder.

5.4

Barrieren schränken Strategiewahl kaum ein – Asse dominieren

Bis jetzt haben wir die von deutschen Unternehmen in Ungarn angewandten Expansionsstrategien lediglich anhand unseres Modells beschrieben. Warum diese Strategien gewählt werden, haben wir dabei vernachlässigt. Dies werden wir im folgenden Abschnitt nachholen. Zunächst werden wir in Kapitel 5.4.1 die Bedeutung der wichtigsten Asse auf detaillierter Ebene herausarbeiten. Danach wenden wir uns den Investitions- und Handelsbarrieren zu, die wir in Kapital 5.4.2 genauer untersuchen werden. Unsere Analysen stützen sich auf die quantitativen empirischen Ergebnisse unserer Interviews. 77 Datenpunkte zu jeweils 35 Vorteilen und fast 50 Barrieren erlauben uns präzise und zugleich repräsentative Aussagen zu den wichtigsten Chancen und Herausforderungen, die sich für deutsche Unternehmen in Ungarn bieten. Wo es uns sinnvoll erscheint, untermauern und illustrieren wir unsere Ergebnisse mit Sekundärdaten. 35

Quelle: Forschungsprojekt Internationale Expansionsstrategien.

Strategiewahl: Exportieren oder global integrieren

5.4.1

65

Marktchancen an letzter Stelle

In Kapitel 5.1 haben wir bereits gesehen, dass ein großer Teil der Tochtergesellschaften überwiegend Leistungen für ausländische Unternehmensteile erbringt (hoher Anteil Globaler Integration). Diese Firmen orientieren sich weitgehend nach außen und messen dem ungarischen Markt nur geringe Bedeutung bei. Wie Abbildung 19 zeigt, sind Marktchancen tatsächlich im Durchschnitt das unwichtigste Ass, das deutsche Unternehmen in Ungarn ausspielen.

Völlig unwichtig 1

I)

Skalenvorteile

II)

Verbundvorteile

III)

Standortvorteile

IV)

Marktchancen

Neutral 2

Sehr wichtig

3

4

3,3 2,9 2,8 2,6

Fixkostendegression

I

3,4 3,4

Effizientere Technologie

3,2

Lernkurveneffekte

3,1 3,0

Lernen zw. Tochtergesellschaften

II

Realoptionen für künftige Expansion

2,6

Gemeinsame Managementfunktionen

3,3

Geringere Lohnkosten

III

2,6

Hohe Mitarbeiterqualifikation Geringere Immobilienkosten

2,4

2,8

Hohes Marktwachstum

IV

2,6

Hohes Marktvolumen Zugang zu ung. Leitkunden

5

2,3

n=77

Abbildung 19: Durchschnittliche und absolute Einschätzung der drei wichtigsten Argumente für jedes der vier Asse36 Marktchancen spielen also für die Expansion nur eine untergeordnete Rolle. Damit nimmt Ungarn im internationalen Vergleich eine Sonderstellung ein, da internationale Expansion

36

Die Bedeutung der Asse und Barrieren erfassten wir mit einem standardisierten Fragebogen. Jeden Vorteil und jede Barriere bewerteten unsere Interviewpartner auf einer Skala von 1 bis 5 (völlig unwichtig bis sehr wichtig). Ihre Bewertung spiegelt wider, ob der Vorteil beziehungsweise die Barriere aus ihrer Sicht in Ungarn besteht und ob sie für das Unternehmen von hoher Relevanz sind. Eine niedrige Bewertung eines Vorteils kann deswegen auf niedrige Relevanz und fehlendes Vorliegen zurückzuführen sein.

66

Barrieren schränken Strategiewahl kaum ein – Asse dominieren

immer noch sehr häufig mit Markterschließung gleichgesetzt wird.37 Doch weniger als die Hälfte der befragten Unternehmen nutzt Ungarn primär als Absatzmarkt. Für die Mehrheit der Unternehmen sind Marktchancen kein entscheidender Treiber ihrer ungarischen Geschäftsaktivitäten. Als wichtigsten Vorteil haben wir dagegen die Skalenvorteile identifiziert, die die Rangliste der wichtigsten Vorteile anführen. Durch die grenzüberschreitende Volumenbündelung in beide Richtungen erzielen Unternehmen also signifikante Kostenvorteile. Auf Platz zwei folgen die Verbundvorteile, mit denen sich Unternehmen die geografische Verteilung ihrer Aktivitäten zunutze machen können. Den dritten Platz nehmen die Standortvorteile ein. Anhand dieser Reihenfolge werden wir nun in einem zweiten Schritt die wichtigsten Argumente der vier Asse vorstellen. Zusätzlich widmen wir uns während der Diskussion der Markt- und Standortvorteile kurz den jeweils unwichtigsten Argumenten.

Skalenvorteile dominieren In den Skalenvorteilen durch grenzüberschreitende Volumenbündelung sehen unsere Interviewpartner den wichtigsten Vorteil ihrer Aktivitäten in Ungarn. Die prozentuale Verteilung der drei Grundstrategien unterstreicht die Bedeutung der Skaleneffekte: In Funktionsbereichen wie Produktion und Forschung & Entwicklung, die von hohen Skaleneffekten geprägt sind, wählen die Unternehmen unserer Studie besonders häufig die Strategien der Globalen Integration und der Exportorientierung. Anders gesagt: Entweder erbringen diese Funktionsbereiche ihre Leistungen größtenteils für andere Unternehmensteile im weitaus größeren westeuropäischen Markt oder sie werden erst gar nicht in Ungarn angesiedelt und verbleiben am Stammsitz. Ungarn ist damit nicht nur ein Paradebeispiel für grenzüberschreitende Integration. Mit der hohen Integration geht nämlich eine hohe Spezialisierung (zum Beispiel Produktion ausschließlich in Deutschland) und damit grenzüberschreitende Volumenbündelung einher. Diese Beobachtung überrascht nicht. Im Gegenteil: Skalenvorteile spielen nach unserem Modell für die Strategien der Globalen Integration und Exportorientierung, die in Ungarn besonders häufig angewandt werden, eine wichtige Rolle. Die drei wichtigsten Skalenvorteile führen wir in Abbildung 19 auf. Die Unternehmen unserer Untersuchung schätzen Fixkostendegression, Nutzung effizienterer Technologie (zum Beispiel höhere Automatisierung) und Lernkurveneffekte als besonders wichtig ein. Fixkostendegressionseffekte entstehen dann, wenn ein Unternehmen Aktivitäten, deren Kosten nicht unmittelbar mit der erbrachten Leistungsmenge steigen, an einem oder einigen wenigen 37

Auch in der wissenschaftlichen Literatur werden Marktmotive immer noch als Haupttreiber internationaler Expansion angesehen. Vgl. Panhans und Kaufmann (2004).

Strategiewahl: Exportieren oder global integrieren

67

Standorten bündelt. So muss zum Beispiel die Verwaltung eines Werks bei Verdoppelung der Produktionskapazitäten nicht zwangsläufig im selben Maße personell verstärkt werden. Außerdem sind einige Technologien und Anlagen erst ab einer gewissen Ausbringungsmenge anderen überlegen. Diese Technologien können Unternehmen zum Teil erst dann nutzen, wenn sie diese Aktivitäten auf einige weniger oder sogar einen einzigen Standort konzentrieren. Solche Maßnahmen haben zudem oft einen weiteren positiven Effekt auf die Kostenposition des Unternehmens. Mit jeder zusätzlich erstellten Einheit, insbesondere bei manuellen Tätigkeiten, baut das Unternehmen Erfahrungswissen auf. Empirisch lässt sich daher in vielen Industrien nachweisen, dass die Durchschnittskosten mit steigender kumulierter Produktionsmenge, d. h. der Produktionsmenge seit Aufnahme der Aktivität, fallen.38 Graphisch äußert sich dieser Zusammenhang in der berühmten Erfahrungskurve. Lernkurveneffekte sind also ebenfalls ein Skalenvorteil, da bei Bündelung der Aktivitäten die kumulierte Ausbringungsmenge schneller steigt und das Unternehmen somit die Erfahrungskurve schneller „nach unten reiten kann.“ Schnellere Produktentwicklung bei höherem Verkaufsvolumen und eine verbesserte Verhandlungsposition gegenüber Lieferanten sind dagegen weitaus weniger relevant (‡ 2,3 und ‡ 2,6). Dank der Nähe zum Stammsitz können Unternehmen ihren Bedarf trotz geografischer Verteilung bündeln und damit Preisvorteile erzielen.

Verbundvorteile wichtig Immer wieder betonten unsere Interviewpartner die Vorteile, die sich durch große geografische Nähe zur Zentrale in Deutschland, Tochtergesellschaften in der Region sowie potenziellen Märkten und Standorten ergeben. Dementsprechend hoch bewerten sie die geografischen Verbundvorteile, wie ein Blick auf Abbildung 19 zeigt. Gegenseitiges Lernen zwischen Tochtergesellschaften rangiert als wichtigster Vorteil in dieser Kategorie nur knapp vor der Schaffung von Realoptionen für künftige Expansion. Die osteuropäischen Staaten, insbesondere die neuen EU-Mitglieder, sind nicht nur ökonomisch recht ähnlich. Sie teilen das Erbe der sozialistischen Planwirtschaft im ehemaligen Ostblock und stehen daher immer noch in engem wirtschaftlichen Kontakt zueinander. Umso wertvoller ist daher die Fähigkeit, in einem Land gemachte Erfahrungen umgehend in der gesamten Region gewinnbringend einsetzen zu können. Die Schaffung von Expansionsoptionen durch den Aufbau einer Tochtergesellschaft in Ungarn hat in letzter Zeit an Bedeutung gewonnen. Zum einen eröffnen die EU-Osterweiterung und die wirtschaftliche Öffnung der Kandidaten für die zweite Erweiterungsrunde neue Märkte in der Region. Viele der von uns befragten Unternehmen bedienen bereits jetzt mehr als nur den ungarischen Markt. Einige Niederlassungen in Rumänien stehen gar unter der Leitung der ungarischen Gesellschaft. 38

In vielen Industrien sinken die Durchschnittskosten bei einer Verdopplung der kumulierten Produktionsmenge um zehn bis 25 Prozent. Vgl. Boston Consulting Group (1968).

68

Barrieren schränken Strategiewahl kaum ein – Asse dominieren

Zum anderen schauen die Unternehmen, die wegen geringer Lohnkosten nach Ungarn kamen, angesichts steigender Löhne bereits weiter nach Osten. Eine Verlagerung arbeitsintensiver Tätigkeiten in die Ukraine und nach Rumänien kann die Position im inter-nationalen Wettbewerb spürbar verbessern. Entsprechend hoch wird der Wert dieser Option bereits heute eingeschätzt. Auf diese beiden Expansionsmöglichkeiten werden wir in den Kapiteln Produktion und Marketing & Vertrieb näher eingehen (siehe Kapitel 6.4 und 6.5). Gemeinsame Managementfunktionen sind das drittwichtigste Argument der Verbundvorteile. Die geografische Nähe zum Firmensitz erlaubt einen engen Kontakt zwischen Top-Managern auf beiden Seiten. Nicht selten sind daher leitende Mitarbeiter aus der Zentrale eng in die Geschäftsführung der Muttergesellschaft eingebunden. Die Unternehmen tragen so dem hohen Grad der Integration Rechnung, bauen Informationsasymmetrien ab und halten die Entscheidungswege kurz. In großen Konzernen nehmen zudem für die Region verantwortliche Mitarbeiter die Rolle des „Sprachrohrs der Region“ wahr und sichern den Tochtergesellschaften in Osteuropa die Aufmerksamkeit der Konzernleitung. Gemeinsame Management-Funktionen gestalten die Unternehmen unserer Studie höchst unterschiedlich. Einige ungarische Tochtergesellschaften berichten direkt an die Zentrale, andere sind hingegen höchst unterschiedlich definierten Regionen zugeordnet.

Noch Potenzial für Verbundvorteile im Mittelstand „Verbundvorteile werden im Mittelstand viel zu wenig genutzt“, gab uns der Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens mit auf den Weg. Tatsächlich ist die Bedeutung dieses Arguments in mittelständischen Unternehmen viel kleiner als in großen Unternehmen, wie Abbildung 20 zeigt. Unsere Interviewpartner führen dies auf geringere Managementkapazitäten, zum Teil aber auch auf Versäumnisse der Geschäftsleitung zurück. Damit bleibt jedoch ein nach unseren Untersuchungen wichtiger Vorteil ungenutzt. Unsere Analyse zeigt zudem, dass Verbundvorteile unabhängig von der Anzahl der Besuche des deutschen Top-Managements bedeutsam sind. Auch mit wenig persönlichem Kontakt nimmt die Bedeutung der Verbundvorteile nicht ab. Unternehmen, die hauptsächlich eine Strategie der Globalen Integration verfolgen, legen größeren Wert auf persönlichen Austausch zwischen ihren Führungskräften in Ungarn und Deutschland. Fast die Hälfte hält mindestens jeden Monat Lagebesprechungen ab, ein weiteres Viertel alle zwei Monate. In Unternehmen mit starker Exportorientierung sind dagegen vierteljährliche Treffen mit rund 50 % am häufigsten anzutreffen. Häufigere Treffen sind die Ausnahme.

Strategiewahl: Exportieren oder global integrieren

Völlig unwichtig 1

Neutral ‡ 2

Sehr wichtig

3

Lernen zwischen Tochtergesellschaften Gemeinsame M anagementfunktionen

69

4

5

3,4 2,3

3,0 1,9

Große Unternehmen Kleine Unternehmen

‡

n=64

Abbildung 20: Verbundvorteile nach Unternehmensgröße39

Standortvorteile wichtig Die heterogene Ausprägung der Argumente des Asses Standortvorteile führt dazu, dass Standortvorteile in unserer Studie den dritten Platz einnehmen (siehe Abbildung 19). Tatsächlich rangiert der wichtigste Standortvorteil niedrigerer Lohnkosten im Vergleich aller Argumente bereits auf dem dritten Rang. Mit einer Durchschnittsbewertung von 4,5 ist er für Unternehmen mit Produktion in Ungarn sogar das wichtigste Argument für die Expansion nach Ungarn. Abbildung 21 zeigt die monatlichen Lohnkosten in den wichtigsten osteuropäischen Ländern. Ungarn ist demnach trotz der hohen Lohnzusatzkosten auch im regionalen Vergleich wettbewerbsfähig. Seinen Lohnkostennachteil kann Ungarn im Industriedurchschnitt durch einen Produktivitätsvorteil von rund 15 % gegenüber Tschechien und Polen sowie 25 % gegenüber der Slowakei wettmachen. Allerdings stehen unsere Interviewpartner aggregierten Produktivitätsmaßen skeptisch gegenüber und bevorzugen Lohnkosten bei ihrer Standortentscheidung. Nur in Industrien, in denen sich die Produktionsstruktur zwischen den Ländern nur wenig unterscheidet (zum Beispiel in der Automobilindustrie), beziehen einige unserer Interviewpartner Produktivitätsmaße in ihre Entscheidung mit ein.40 Die Rolle von aggregierten Produktivitätsniveaus bei Standortentscheidungen ist zudem in der Forschung umstritten, da davon ausgegangen wird, dass durch die Investitionen ausländischer Firmen die Produktivität ebenfalls verlagert wird. Daher gewinnen die Arbeitskosten bei Standortentscheidungen an Bedeutung. Dies ist durch Umfragen und Studien zum Teil belegt.41

39

Die Unternehmen teilten wir basierend auf dem Gruppenumsatz in kleine und große Unternehmen ein. Als Grenze legten wir 500 Millionen Euro fest. 40 Vgl. Bank Austria (2005), S. 17-19. 41 Vgl. Beyfuß und Eggert (2000), DIHK (2003) und Marin (2004).

70

Barrieren schränken Strategiewahl kaum ein – Asse dominieren

Pro Arbeitsstunde ist das Lohngefälle zu Deutschland noch deutlicher. Gegenüber Deutschland bestehen Lohnkostenvorteile von fast 90 %, wie Abbildung 22 zeigt. Dieser Abstand wird sich trotz erwarteter Lohnsteigerungen in den nächsten sechs Jahren nur unwesentlich verringern. Zudem stehen mit der Ukraine und Rumänien zwei Standorte in unmittelbarer Nähe zur Verfügung, die auch mit asiatischen Niedriglohnländern wie China mithalten können. Im vorigen Abschnitt haben wir bereits auf die interessante Option, Teile der Wertschöpfung nach Rumänien oder in die Ukraine zu verlagern, hingewiesen. Abbildung 22 führt vor Augen, warum dieser Option so viel Wert beigemessen wird: Die Lohnkosten pro Arbeitsstunde in der Ukraine betragen nur ein Sechstel des Vergleichswerts in Ungarn und Tschechien. Damit ist das Lohnniveau in der Ukraine sogar noch niedriger als in China.

Bruttolöhne Nebenkosten

776 680

681

140

113

188 527 145 588

281

568

540

81

382

200 Ungarn

T schechien

P olen

Slowakei

Rum änien

Abbildung 21: Monatliche Lohnkosten in ausgewählten Ländern 2004 in Euro42

2%

2009e 2003

Wachstum p.a.

28,33 26,56

7% 3,19

BRD

4,25

7% 4,53

3,19

6% 2,39 3,12

Ungarn Tschechien Polen

7% 2,12

3,12

8% 1,59 2,27

9% 0,53 0,85

Slowakei Rumänien Ukraine

7% 1,06 1,42

8% 0,8 1,13

Indien

China

Abbildung 22: Lohnkosten pro Stunde in ausgewählten Ländern 2003 und 2009e in EUR43 42 43

Vgl. DUIHK (2005a). Lohnkosten pro gearbeitete Stunde inklusive Lohnnebenkosten. Vgl. Boston Consulting Group (2005), S. 5 und KSH (2004a).

Strategiewahl: Exportieren oder global integrieren

71

Die Mehrzahl der Unternehmen lobt das gute Ausbildungsniveau ihrer ungarischen Mitarbeiter. Entsprechend ist die Qualifikation der ungarischen Mitarbeiter das zweitwichtigste Argument des Asses Standortvorteile. Das ungarische Bildungssystem gilt als gut entwickelt und zählt zu den besten in Osteuropa. Dies bezieht sich nicht nur auf allgemeine Schulbindung, sondern auch auf Berufs- und Hochschulbildung. Besonders Anfang der 90er Jahre zog es viele ausländische Unternehmen wegen des guten Ausbildungsniveaus nach Ungarn. Heute gelten qualifizierte Mitarbeiter sowohl in der Produktion als auch im Management als wichtigste Voraussetzung für die Aufwertung der Wertschöpfung. Ungarns Regierung investiert gemessen am Bruttoinlandsprodukt deutlich mehr in die Bildung seiner Bürger als Deutschland, Tschechien und die Slowakei (siehe Abbildung 23). Mitte der 90er Jahre lag diese Quote noch bei rund sieben Prozent.

Grundschule bis Sekundarstufe

3,8

Österreich

Deutschland

3,0

Tschechien

3,0 2,7 2,5

0,6

1,1

3,2

Ungarn

Türkei

1,4

4,1

Polen

Slowakei

Tertiäre Sonstige Ausbildung Ausbildung

1,1 1,1

1,2

5,6

5,1

0,4 4,6

0,9 0,8

0,9

0,5

5,8

0,6 0,5

4,4

4,0

3,7

Abbildung 23: Öffentliche Bildungsausgaben in ausgewählten Ländern 2001 in % des BIP44 Trotz der generell hohen Qualität steht das ungarische Bildungssystem wegen einiger Schwächen in der Kritik. Vor allem Maschinenbauunternehmen klagen, dass die praktische Ausbildung von CNC-Mechanikern und Schweißern wegen mangelhafter Ausstattung der berufsbildenden Schulen stark nachgelassen hat. Auf diese Problematik werden wir in unserer Branchenanalyse zum Maschinenbau in Kapitel 7.2 detailliert eingehen. Zudem orientiert sich das stark zentralisierte Bildungssystem nicht an der Nachfrage der Wirtschaft, sondern bildet nach eigenen Vorgaben aus. Angesichts dieser Ungleichgewichte und niedriger Arbeitslosenquoten, die in einigen Regionen nahe der Vollbeschäftigungsgrenze

44

Vgl. OECD Education Database.

72

Barrieren schränken Strategiewahl kaum ein – Asse dominieren

liegen, zeigen sich viele Unternehmen besorgt über ihre Aussichten, auch in Zukunft noch gut ausgebildete Mitarbeiter auf dem Arbeitsmarkt finden zu können. Diese Ergebnisse werden durch die aktuelle Vergütungsstudie der Deutsch-Ungarischen Handelskammer und Kienbaum Consulting bestätigt. Dazu wurden 58 Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen unter anderem zum Ausbildungsniveau der verfügbaren Arbeitskräfte befragt. Wie Tabelle 3 zeigt, ist mit 90 % die überwiegende Mehrheit mit dem Ausbildungsniveau zufrieden (befriedigend oder gut). In Westungarn, wo die Arbeitslosigkeit 2003 nur 4,3 % betrug, hat der große Bedarf an Arbeitskräften dagegen schon dazu geführt, dass sich Unternehmen deutlich kritischer zum Ausbildungsniveau verfügbarer Arbeitskräfte äußern. Tabelle 3: Ausbildungsniveau von verfügbaren Arbeitskräften 2004 in %45

Gut

Befriedigend

Ungenügend

Budapest

32

58

10

Westungarn

10

90



Ostungarn

20

60

20

Südungarn

25

63

13

Großraum Budapest (ab Stadtgrenze 30 km)

38

50

12

Insgesamt

26

64

10

Region

Schließlich führen unsere Interviewpartner geringere Immobilienkosten als wichtigen Standortvorteil an. Viele Unternehmen profitieren davon, dass sie bereits Mitte der 90er Jahre in großem Stil Immobilien gekauft haben. Doch auch heute können ausländische Investoren in Ungarn noch auf günstige Immobilien hoffen. Zum einen bieten Städte und Gemeinden günstiges Bauland an, um ausländische Investoren anzulocken. Zum anderen sind die Baukosten für Fabriken und Lagerhäuser in Ungarn geringer als in Westeuropa und in anderen mittelund osteuropäischen Ländern. So lagen im Jahr 2003 die Baukosten für Fabrik- und Lagerhallen in Ungarn zwischen 310 und 380 Euro pro Quadratmeter. In Tschechien lagen die Baukosten zwischen 345 und 788 Euro, in Polen zwischen 342 und 545 Euro und in der Slowakei zwischen 317 und 562 Euro. In Frankreich, um ein westeuropäisches Vergleichsbeispiel anzuführen, lagen die Baukosten zwischen 450 und 700 Euro pro Quadratmeter.ȱ46

Marktchancen weniger relevant In Kapitel 5.1 haben wir bereits festgestellt, dass ein beträchtlicher Anteil der ungarischen Tochtergesellschaften hauptsächlich für den ausländischen Markt produziert. Neben den 45 46

Vgl. DUIHK (2005a), S. 95. Vgl. Gardiner (2003), S.3. Für Deutschland lagen keine Vergleichswerte vor.

Strategiewahl: Exportieren oder global integrieren

73

Standortvorteilen erklären die geringen Marktchancen – genauer gesagt geringes Marktvolumen – warum diese Unternehmen „marktfern“ nach Ungarn expandiert sind.

Deutschland Weniger als 1.800

0,6

1.800 bis 3.600

1

3.600 bis 6.000

1,8

6.000 bis 12.000

Ungarn

Tschechien 0,3 68,2

3,4

Polen 7,9

13,0

25,2

36,3

23,0

8,2

13,2

22,6

38,0

12.000 bis 18.000

15,9

18.000 bis 24.000

16,9

5,0

5,1

2,5

24.000 bis 30.000

16,8

2,7

3,4

1,6

30.000 bis 36.000

12,4

36.000 bis 60.000

17,9

60.000 bis 90.000

13,4

10,1

6,2

65,3

32,2

5,5

0,6

1,3

1,0

0,0

2,1

0,6

0,0

0,2

0,4

90.000 bis 120.000

1,4

0,1

0,0

0,3

Mehr als 120.000

0,9

0,0

0,2

0,1

Haushalte (Millionen)

39,0

3,7

3,8

12,5

Einwohner (Millionen)

82,7

10,1

10,2

38,6

Personen pro Haushalt

2,1

2,7

2,7

3,1

Abbildung 24: Verteilung der Jahresnettoeinkommen der Haushalte (in Euro) in ausgewählten Ländern 2002 in Prozent47 Aber selbst die Unternehmen, die nur eine Vertriebsgesellschaft unterhalten, bewerten das Marktvolumen durchschnittlich nur mit 3,5. Dafür sind zwei Gründe relevant. Zum einen ist das verfügbare Einkommen in Osteuropa noch weit entfernt von westeuropäischen Standards. Die damit verbundene Preissensitivität der ungarischen Konsumenten engt den Kreis potenzieller Kunden, die sich die meist hochpreisigen deutschen Produkte leisten können, weiter ein. Ein Blick auf Abbildung 24 zeigt, dass in Ungarn nur knapp 20 % der Haushalte über ein Nettojahreseinkommen von über 12.000 Euro verfügen. In Deutschland sind dies – bei insgesamt zehnmal so vielen Haushalten – fast 90 %. Die Situation in den anderen osteuropäischen Ländern ist ähnlich. Zum anderen ist der Markt für Industrieprodukte viel kleiner als in Deutschland, wie der folgende Vergleich nahe legt: 2003 entsprach die gesamte Industrieproduktion Ungarns weniger als fünf Prozent der deutschen Industrieproduktion.48

47

Vgl. European Social Service (2002). Die ungarischen Nettoeinkommen wurden lt. European Social Service in abweichende Klassen eingeteilt und sind daher in den unteren Klassen nur mit einer weiter gefassten Klassengrenze vergleichbar. 48 Vgl. Deutsche Bank (2005).

74

Barrieren schränken Strategiewahl kaum ein – Asse dominieren

Ungarn wird daher auch auf absehbare Zeit ein kleiner Markt bleiben, obwohl Experten weiterhin im Vergleich zur Eurozone überdurchschnittliches Wirtschafts- und Einkommenswachstum prognostizieren. Schließlich können deutsche Unternehmen über ihre Tochtergesellschaften ungarische Leitkunden gewinnen. Insbesondere in der Chemie- und Pharmabranche benötigen sie zumindest ein Vertriebsbüro, um ihre Produkte im ungarischen Markt erfolgreich verkaufen zu können.

Starker Wettbewerb Ungarn ist kein Tummelplatz für Quasi-Monopolisten. Praktisch alle wichtigen internationalen Wettbewerber der Unternehmen unserer Studie sind in Ungarn präsent. Dazu kommen in einigen Industrien starke ungarische Wettbewerber, die mit günstigen Alternativprodukten für starken Preiswettbewerb sorgen. Auch mit älterer Technologie können deutsche Unternehmen in Ungarn nicht bestehen, da sie auf der Kostenseite mit lokalen oder regionalen Wettbewerbern nicht mithalten können. Angesichts des geringen Marktvolumens scheint es illusorisch, mit einem Engagement in Ungarn Absatzschwankungen im Heimatmarkt auffangen zu können. Dazu sind die osteuropäischen Volkswirtschaften auch zu sehr von der Konjunktur in den großen westeuropäischen Ländern abhängig.

5.4.2

Niedrige Barrieren

Bisher haben wir festgestellt, dass Unternehmen einen beträchtlichen Teil ihrer Wertschöpfung nach Ungarn verlagern (hohe Lokalisierung) und sich gleichzeitig stark über Landesgrenzen hinweg integrieren (hohe Integration). Unser Modell ließe in diesem Fall geringe Investitions- und Handelsbarrieren erwarten. Tatsächlich schränken die Barrieren die Strategiewahl kaum ein und erlauben den Unternehmen, nach Belieben Asse auszuspielen. Unsere Studie deckt jedoch einige Defizite in den Rahmenbedingungen auf, denen sich Manager bewusst sein müssen.

Investitionsbarrieren Investitionsbarrieren erschweren die Verlagerung von Wertschöpfung ins Ausland. Sie hindern Unternehmen, Strategien des Geschäftstransfers und der Globalen Integration zu verfolgen. Abbildung 25 zeigt die wichtigsten Investitionsbarrieren im ungarischen Geschäftsumfeld.

Strategiewahl: Exportieren oder global integrieren

75

Seit der politischen Wende hat Ungarn stark von seinem wirtschaftsfreundlichen Umfeld profitiert. Im Wettbewerb mit seinen osteuropäischen Nachbarn konnte Ungarn mit seinem transparenteren politischen System und einer vergleichsweise effizienten und vorhersehbaren Bürokratie punkten. Dieses Bild hat sich in den vergangenen Jahren teilweise gewandelt. Die Wettbewerber in der Region haben aufgeholt und ihr Rahmenwerk verbessert, während Ungarn nicht nur in den Augen unserer Interviewpartner etwas zurückgefallen ist.

Völlig unwichtig 1

Neutral 2

3

Belastung durch Vorschriften und Gesetze

Sehr wichtig 4

5

2,5

Korruption

2,4

Sprachbarrieren

2,4

Mangelhafte physische Infrastruktur

2,2

Inflationsrisiko

2,2

Kulturelle Unterschiede

2,1

Intransparenz des Geschäftsumfelds

2,1

n=77

Abbildung 25: Die wichtigsten Investitionsbarrieren Einerseits wurde im Zuge des EU-Beitritts eine Vielzahl von Gesetzen verabschiedet, die sich im Nachhinein als unpraktisch erwiesen haben. „Die Ungarn sind wahre EU-Enthusiasten. Allerdings möchten sie in Brüssel Musterschüler sein und setzen auch unausgegorene Richtlinien viel zu schnell um“, stellt der Geschäftsführer eines Maschinenbauunternehmens fest. Außerdem zwingt das ausufernde Staatsdefizit die Regierung, Personal abzubauen und nach neuen Einnahmequellen zu suchen. Dies geht leider in einigen Fällen zu Lasten der Unternehmen. Mangels ausreichender Personaldecke versucht die Verwaltung, durch administrative Änderungen Teile ihrer Aufgaben auf die Unternehmen abzuwälzen. Erst im Jahr 2005 sorgte die Novelle des Umsatzsteuergesetzes für Wirbel. Unternehmen können nun ihren Vorsteuerabzug nicht mehr mit ihrer Umsatzsteuerschuld verrechnen und müssen ihre Nachforderungen zudem aufwändig selbst erstellen. Damit spart die Regierung zwar Verwaltungsaufwand und kann sich durch die verzögerte Rückzahlung finanzieren, sie strapaziert damit aber auch die Ressourcen der Unternehmen.

76

Barrieren schränken Strategiewahl kaum ein – Asse dominieren

Insbesondere Tschechien hat nach den Erfahrungen unserer Interviewpartner die Effizienz seiner Verwaltung deutlich gesteigert, während Ungarn leicht nachgelassen hat. Diese Beobachtung kommt auch in den Ergebnissen einer Weltbank-Studie zum Investitionsklima zum Ausdruck. Geschäftsführer ungarischer Firmen müssen fast dreimal soviel Zeit für Behörden und Gesetze investieren wie ihre Kollegen in Tschechien (siehe Abbildung 26). Darüber hinaus sind die ungarischen Arbeits- und Gefahrschutzvorschriften in vielen Bereichen strikter als in der Europäischen Union.

Inländische U nte rnehm e n A usländische U nte rne hm en

9 ,54

9 ,36

8 ,4 5 6 ,8 9

6,88

2 ,9 5

U ngarn

7,03

2 ,7 9

T sc hec hien

P olen

S lowak ei

Abbildung 26: Zeitaufwand für Regulierung und Gesetze in ausgewählten Ländern 2002 als Anteil der Arbeitszeit des Top-Managements in Prozent49 Obwohl unsere Interviewpartner Ungarn durchweg deutliche Verbesserungen attestieren, bleibt Korruption eine wichtige Investitionsbarriere für deutsche Unternehmen.50 Ihnen verbieten in fast allen Fällen Unternehmenskodizes, Beamte oder Angestellte zu bestechen. Greifen Wettbewerber dagegen zu Korruption, werden deutsche Unternehmen zum Teil merklich benachteiligt. Im aktuellen Transparency International Ranking liegt Ungarn gleichauf mit Italien auf Platz 41. Der Abstand zu den meisten westeuropäischen Ländern ist zwar immer noch beträchtlich, den regionalen Vergleich mit Tschechien, Polen und der Slowakei braucht Ungarn jedoch nicht zu scheuen. Tabelle 4 fasst die Ergebnisse für die genannten Länder zusammen. Tabelle 4: Korruptionsperzeptionsindizes für ausgewählte Länder 2004

Ungarn

Tschechien

Polen

Slowakei

Korruptionsindex 2004 (10: korruptionsfrei, 1: hoch korrupt)

4,8

4,2

3,5

4,0

Rang 2004

41

51

67

57

Dimension

49 50

Vgl. World Bank (2002). Vgl. dazu OECD (2003), S. 2.

Strategiewahl: Exportieren oder global integrieren

77

Die überwiegende Mehrheit der befragten Unternehmen beteiligt sich nach eigenen Angaben nicht an Korruption. Dennoch können auch deutsche Unternehmen in Ungarn nicht als korruptionsfrei gelten. Fast zehn Prozent der befragten Unternehmen haben in den letzten Jahren zumindest einmal Beamte aktiv bestochen oder entsprechenden Forderungen nachgegeben. Dies reicht von Bestechungen bei Betriebskontrollen bis zu einem „Beratungsvertrag“ mit dem Polizeichef einer der zehn größten Städte Ungarns. Auf dem dritten Platz folgen Sprachbarrieren. Sie stehen einer effektiven Kommunikation zwischen Zentrale und Tochtergesellschaft und zwischen deutschen Managern und ungarischen Mitarbeitern im Wege. Ungarische Mitarbeiter tun sich schwer, Probleme direkt mit der Zentrale zu klären, wenn ihnen die entsprechenden Sprachkenntnisse fehlen. Dieses Problem tritt besonders dann auf, wenn Probleme ohne direkten Kontakt gelöst werden müssen. In solchen Fällen müssen deutsch- oder englischsprachige Kollegen zwischen beiden Seiten vermitteln. Doch nicht nur zwischen Unternehmensteilen bestehen Sprachbarrieren. Unseren Untersuchungen zufolge sprechen bei weitem nicht alle deutschen Geschäftsführer ungarisch. In der Produktion tritt dieses Problem am deutlichsten zu Tage. Dort ist der Anteil der Mitarbeiter, die der deutschen oder englischen Sprache nicht mächtig sind, am höchsten. Tatsächlich sind die Fremdsprachenkenntnisse in Ungarn nicht im gleichen Maße wie in Polen und Tschechien vorhanden. In Ungarn sprechen 13% der Bevölkerung deutsch und 14% Englisch. In Tschechien sind Sprachkenntnisse mit 27% (deutsch) 24% englisch wesentlich weiter verbreitet und auch in Polen sprechen 16% der Bevölkerung deutsch und 21% englisch.ȱ51 Zahlreiche deutsche Unternehmen bieten daher ihren Mitarbeitern vom Unternehmen bezahlte Sprachkurse an – typischerweise außerhalb der Arbeitszeiten. Einige Interviewpartner zeigen sich jedoch mit der Akzeptanz dieser Sprachkurse seitens der Mitarbeiter in der Fertigung enttäuscht. Zudem entscheiden sich immer mehr Schüler, Englisch statt Deutsch als Fremdsprache zu lernen. Daten des ungarischen Statistikamts belegen, dass Deutsch nur noch in westungarischen Schulen Englisch vorgezogen wird.52 Unsere Interviewpartner bestätigen uns, dass sie in den letzten Jahren bei den Deutschkenntnissen häufiger Kompromisse machen mussten, da die Zahl verfügbarer deutschsprachiger Arbeitskräfte offensichtlich zurückgegangen ist. Mittelfristig müssen einige Unternehmen daher entscheiden, ob sie an der Unternehmenssprache Deutsch festhalten oder zu Englisch wechseln und frühzeitig entsprechende Fortbildungsmöglichkeiten anbieten. Die physische Infrastruktur bleibt trotz umfangreicher Investitionen in den Straßenbau ein wichtiger Kritikpunkt für deutsche Investoren. Ungarns Landstraßen sind meist in schlechtem Zustand und das Autobahnnetz erreicht mit knapp 450 Kilometern Länge nicht alle Regionen.

51

Anteil der Bevölkerung, der ein Gespräch in einer Fremdsprache führen kann. Vgl. McKinsey Global Institute (2005), S.16. 52 Vgl. KSH (2004b).

78

Barrieren schränken Strategiewahl kaum ein – Asse dominieren

Zudem wird der Budapester Autobahnring voraussichtlich erst Ende 2006 die Hauptstadt unterbrechungsfrei umschließen. Insbesondere in Regionen wie Nordungarn beklagen unsere Interviewpartner die schwache Verkehrsinfrastruktur (‡ 3,5). Für Firmen mit Sitz in Budapest und Westungarn spielt das Verkehrsnetz jedoch eine weitaus geringere Rolle (jeweils ‡ 2,0). Abbildung 27 zeigt, dass dieses regionale Ungleichgewicht auch nach Abschluss der bereits begonnen Straßenbauprojekte fortbestehen wird.

Abbildung 27: Straßenbauprojekte bis Ende 200653 In den letzten Jahren konnte die ungarische Zentralbank bereits einige Erfolge im Kampf gegen andauernde Preissteigerungen vorweisen. Die jährliche Inflation ging von durchschnittlich fast 20 % bis Mitte der 90er Jahre schrittweise auf einstellige Werte zurück. Dennoch verfehlt Ungarn mit jährlichen Preissteigerungsraten von zuletzt 6,6 (2003) und 4,1 % (2004) die Maastricht-Kriterien der Eurozone deutlich. Zudem befürchten Volkswirte, dass das ausufernde Fiskaldefizit mittelfristig nicht eingedämmt werden kann und auf die Inflation durchschlagen wird. Steigende Lebenshaltungskosten zwingen die Unternehmen, die Löhne und Gehälter ihrer Mitarbeiter zu erhöhen. Können sie ihre Kostensteigerungen nicht über Preiserhöhungen an 53

Vgl. ITDH (2004).

Strategiewahl: Exportieren oder global integrieren

79

ihre Kunden weitergeben, sinken ihre Gewinne.54 Mit diesem Problem sehen sich unsere Interviewpartner weiterhin konfrontiert. Abbildung 28 zeigt die monatlichen Inflationsraten seit 1994. Trotz deutlich abnehmender Inflationsraten über die Zeit zeigen sich immer noch Preissteigerungen von über zwei Prozent in den Januarmonaten. Dies ist vor allem auf höhere Lohnabschlüsse im öffentlichen Sektor zurückzuführen, die Preissteigerungen in der ganzen Volkswirtschaft nach sich ziehen.

27,4 22,3 17,9

16,8 10,2

9,4 7,5

1994

1995

1996

1997

1998

1999

7,3

2000

2001

4

4,6

4,1

2002

2003

2004

Abbildung 28: Jährliche Inflationsraten 1994 bis 2004 in %55 Kulturelle Unterschiede spielen im Geschäftsalltag unserer Interviewpartner nach wie vor eine Rolle. Unsere Interviewpartner sehen Unterschiede zwischen Deutschen und Ungarn im Kommunikations-, Arbeits- und Führungsstil. Unsere qualitativen Untersuchungen werden zudem von einer Studie der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer (DUIHK) bestätigt. Daher greifen wir im Folgenden auf einige quantitative Ergebnisse dieser Studie zurück, um unsere Beobachtungen untermauern zu können.56 Abbildung 29 zeigt die wichtigsten kulturellen Unterschiede zwischen ungarischen und deutschen Arbeitsstilen – jeweils von deutschen und ungarischen Teilnehmern bewertet. Unsere Interviewpartner sehen einen deutlichen Unterschied in der Direktheit der Kommunikation. Deutsche Manager sind in der Regel gewohnt, Problemfelder offen anzusprechen und konstruktive Kritik zu üben. In Ungarn wird dagegen ein sehr indirekter, auf Höflichkeit bedachter Kommunikationsstil gepflegt. Konstruktive Kritik deutscher Art wird daher oft persönlich genommen. „Meine ungarischen Kollegen scheuen sich, Probleme zu benennen, 54

Bei festen Wechselkursen wie im EMS-2 kann der Forint-Wechselkurs nur in begrenztem Rahmen auf die Preissteigerungen reagieren. Werden höhere Inflationsraten als in den Exportländern nicht durch den Wechselkurs kompensiert, sinkt die Wettbewerbsfähigkeit auf den Exportmärkten. Auf die Wechselkursproblematik gehen wir auf Seite 81 gesondert ein. 55 Jährlicher Anstieg des Konsumentenpreisindex (CPI). Vgl. MNB (2005b). 56 An der Studie nahmen 75 Teilnehmer (40 Deutsche und 35 Ungarn) in sieben deutschen Großunternehmen in Ungarn teil.

80

Barrieren schränken Strategiewahl kaum ein – Asse dominieren

und tragen eventuelle Konflikte nicht offen aus. Unsere Kostensenkungsprojekte betreuen daher nach wie vor deutsche Kollegen“, bemerkt der Geschäftsführer eines Automobilzulieferers.

0

25

50

75

75

Indirekter Kommunikationsstil Kreativerer Problemlösungsstil

65 32 63 71 77

Patriarchalischer Führungsstil

85

Geringere Selbstständigkeit

Weniger Verantwortungsbereitschaft

100

57 69 42

Deutsche n=40 Ungarn n=35

Abbildung 29: Die wichtigsten kulturellen Unterschiede zwischen Ungarn und Deutschen aus deutscher und ungarischer Sicht in Prozent57 Ungarn gelten bei unseren deutschen und ungarischen Interviewpartnern als kreative Problemlöser. Vorgaben und Termine sehen sie als weniger bindend an als ihre deutschen Kollegen. Unternehmen, die großen Wert auf Termin- und Richtlinientreue legen, müssen daher besonders intensiv kommunizieren, wie wichtig die Einhaltung der Regeln und vereinbarten Termine für das Unternehmen ist, und gegebenenfalls stärker kontrollieren. Dazu ein Manager eines mittelständischen Maschinenbauunternehmens: „Vor wichtigen Deadlines muss ich den Stand der Dinge kontrollieren. Generell muss ich als Führungskraft in Ungarn eine stärkere Kontrollfunktion ausüben, als ich das aus Deutschland gewohnt bin.“ Für deutsche Manager sind vor allem der ungarische Führungsstil und das damit verbundene Arbeitsverhalten der Mitarbeiter ungewohnt. Ungarische Manager scheuen sich, Aufgaben und Entscheidungskompetenzen zu delegieren. Entscheidungen werden daher grundsätzlich auf höherer Ebene getroffen. Im Gegenzug erwarten die ungarischen Mitarbeiter, dass ihre Vorgesetzten klare Vorgaben nicht nur zu Zielen, sondern auch zu Methoden und Vorgehen geben. „Wer in Ungarn als Führungskraft nicht führt und Entscheidungen trifft, hat schon verloren“, beobachtet der Werksleiter eines Automobilzulieferers. Entsprechend sind Verantwortungsbereitschaft und Selbständigkeit in Ungarn im Vergleich zu Deutschland weniger ausgeprägt. Dazu Uwe Höfer, CFO von BMW Hungary: „BMW ist ein sehr unternehmerisch geprägtes Unternehmen. Entscheidungen werden auch auf operativer 57

Vgl. DUIHK (2002), S.18-37.

Strategiewahl: Exportieren oder global integrieren

81

Ebene, teilweise mit höherem Risiko, selbständig getroffen. Diese Kultur muss man in Ungarn als Manager gezielt fördern und aufbauen.“ Unternehmen mit hoher Exportorientierung verweisen zudem auf das intransparente Geschäftsumfeld (siehe Abbildung 25). „Marktinformationen sind in Ungarn wegen des geringen Marktvolumens kaum erhältlich“, kritisiert der Geschäftsführer eines Elektronikunternehmens. Doch dieser Herausforderung kann mit eigener Initiative begegnet werden. Einige Unternehmen befragen ihre wichtigsten Kunden zu ihrem momentanen und geplanten Einkaufsvolumen sowohl bei ihnen als auch bei den Wettbewerbern, andere tauschen Informationen mit ihren Wettbewerbern aus. Solche Maßnahmen erfordern jedoch zusätzlichen Aufwand und könnten von spezialisierten Institutionen schneller und besser erledigt werden.

Handelsbarrieren Handelsbarrieren erschweren die Integration über Grenzen und hindern Unternehmen, Strategien der Exportorientierung und der Globalen Integration zu verfolgen. Bereits im Vorfeld des EU-Beitritts wurden zahlreiche Handelsbarrieren beseitigt. Zölle, Quoten, Local-ContentAnforderungen und unterschiedliche technische Anforderungen spielen daher keine Rolle mehr. Auch einige natürliche Handelsbarrieren wie Transportzeit und Transportkosten sind durch die Vereinfachungen im Im- und Export zurückgegangen.58 Wartezeiten an der ungarisch-österreichischen Grenze von über 24 Stunden sind nun mehr die Ausnahme als die Regel. Geblieben ist jedoch das Wechselkursrisiko das viele Unternehmen immer noch als belastend empfinden, da sie sehr stark von Im- und Exporten abhängen. Daher stellt der Euro/ForintWechselkurs die mit Abstand wichtigste Barriere dar. Danach folgen Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede, die wir bereits im vorigen Abschnitt besprochen haben (siehe Abbildung 30). Bei vielen Interviewpartnern sitzt der Schock nach der fast zehnprozentigen ForintAufwertung, als die Zentralbank Anfang 2001 plötzlich den Wechselkurskorridor verschob, immer noch tief. Zudem sorgte die Hochzinspolitik der Zentralbank mit dem Ziel, die Inflationsziele der Maastricht-Kriterien zu erreichen, für eine stetige Aufwertung des Forint seit Mai 2003. Diese Entwicklung des Forint-Wechselkurses zeichnet Abbildung 31 nach, wobei eine Bewegung nach unten einer Aufwertung der ungarischen Währung entspricht. Die Aufwertung dämpft jedoch Ungarns Wettbewerbsfähigkeit auf den Exportmärkten. Ungarische Produkte sind in der Eurozone wegen des stärkeren Forints teurer geworden, was vor allem den Unternehmen mit hohem Anteil Globaler Integration schadet.

58

Eine Übersicht über Transportkosten nach Deutschland befindet sich in Anhang 3.

82

Barrieren schränken Strategiewahl kaum ein – Asse dominieren

Neutral

Völlig unwichtig 1

2

Sehr wichtig

3

Wechselkurs -risiken

4

5

2,9

Sprachbarrieren

2,2

Kulturelle Unterschiede

2,0 n=77

Abbildung 30: Die drei wichtigsten Handelsbarrieren Die Bedeutung des Wechselkursrisikos dürfte jedoch mit nahendem Beitritt zur Eurozone abnehmen. Experten rechnen mit der Einführung der europäischen Währung im Jahr 2010. Auf dieses Ziel haben sich auch die ungarischen Parteien intern geeinigt.

270 265 260 255 250 245 240 235 230 225

Jahr / Monat

Abbildung 31: Forint-Wechselkurs Januar 1999 bis April 2005 in HUF/EUR59

59

Forint-Euro-Wechselkurs am Monatsende. Vgl. MNB (2005).

2005M1

2004M7

2004M1

2003M7

2003M1

2002M7

2002M1

2001M7

2001M1

2000M7

2000M1

1999M7

1999M1

220

Strategiewahl: Exportieren oder global integrieren

83

Im Durchschnitt schätzen unsere Interviewpartner die Barrieren daher eher niedrig ein. Keine der vorgestellten Barrieren stellt deutsche Unternehmen vor unüberwindbare Hindernisse, auch wenn einige den reibungslosen Ablauf im Tagesgeschäft merklich behindern können. Tatsächlich beeinflussen die Barrieren die strategische Ausrichtung der Tochtergesellschaft kaum. Vielmehr richten sich die Unternehmen nach den Assen, wenn sie über Expansionen nach Ungarn nachdenken. Dennoch können Barrieren im regionalen Wettbewerb eine große Rolle spielen – dann nämlich, wenn ein Nachbar mit vergleichbaren Standortvorteilen lockt und wegen geringerer Barrieren letztendlich das Rennen für sich entscheidet.

Abweichende Bewertungen der Barrieren Doch werden die Barrieren von Westeuropäern und Ungarn gleichermaßen wahrgenommen? Unsere empirischen Untersuchungen widerlegen diese These. Zwar werden die Barrieren von beiden Gruppen in ihrer relativen Bedeutung recht einheitlich eingeschätzt,60 die absolute Bewertung weicht jedoch voneinander ab. Abbildung 32 zeigt, dass unsere westeuropäischen Interviewpartner die Barrieren im ungarischen Geschäftsumfeld durchweg höher bewerten als ihre ungarischen Kollegen.61

5 Ungarn

n=46

Westeuropäer n=31

4

3

2

1 Barriere

Abbildung 32: Durchschnittliche Bewertung der Barrieren nach Nationalität der Interviewpartner

60

Der Rangkorrelationskoeffizient nach Pearson zwischen den Einschätzungen der beiden Gruppen beträgt für die Investitionsbarrieren 0,8 und für die Handelsbarrieren 1,0. 61 Unsere statistischen Untersuchungen beschränken sich auch hier auf einfache deskriptive Analysen. Kontrollfaktoren wie zum Beispiel die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Industrie haben wir nicht berücksichtigt. Unsere Ergebnisse sollen vielmehr Anlass zu weiteren Untersuchungen geben.

84

Asse treiben Strategiewahl

Die wichtigste Barriere, die Wechselkursrisiken, wird von Westeuropäern sogar durchschnittlich mit 4,4 bewertet. Am größten sind die Divergenzen zwischen den Bewertungen bei den Barrieren Schwierigkeiten beim Transfer von Mitarbeitern von/nach Ungarn, Transfer von Prozessen, Transfer der Unternehmenskultur und kulturelle Unterschiede – allesamt Faktoren, die für die erfolgreiche Integration der Tochtergesellschaft in das unternehmensweite Netzwerk entscheidend sind (die Abweichung beträgt zwischen 0,7 und 0,9 Punkte auf unserer Skala). Selbst die unterschiedliche Bewertung von solchen Problemen kann zu einer Barriere werden, wenn dadurch falsche Entscheidungen getroffen oder notwendige Maßnahmen falsch umgesetzt werden. Dieser Möglichkeit sollten sich deutsche Unternehmen und ihre Manager bewusst sein.

5.5

Asse treiben Strategiewahl

Die qualitativen Aussagen unserer Interviewpartner legen nahe, dass Expansionsstrategien in Ungarn vorrangig durch die Asse getrieben werden. Doch ist diese Beobachtung auch durch unsere quantitativen Untersuchungen verifizierbar? Tatsächlich bewerten Unternehmen trotz unterschiedlicher Strategien die Barrieren einheitlich.62 Die Barrieren sind also nach unseren Analysen in Ungarn für die Strategiewahl nicht ausschlaggebend. Bei der Betrachtung der Asse zeigt sich dagegen, dass die Strategiewahl den Assen folgt, wie Abbildung 33 zeigt.63 Die nach den Aussagen unseres Modells relevanten Asse sind in der Abbildung durch Fettdruck markiert. Unternehmen, die in Ungarn die Strategie der Globalen Integration verfolgen, nutzen Skalenund Standortvorteile. Auch Verbundvorteile erachten sie durchaus für wichtig. Unternehmen, die Ungarn vorrangig als Absatzmarkt nutzen und kaum Wertschöpfung lokalisieren (Exportorientierung), orientieren sich an Marktchancen und Skalenvorteilen. Die hohe Bedeutung der Verbundvorteile ist wegen ähnlicher Marktstrukturen in anderen osteuropäischen Ländern und der Bedeutung regionaler Geschäftsstellen (siehe dazu auch den Abschnitt zu Verbundvorteilen in Kapitel 5.4.1) plausibel.

62

Unsere statistischen Analysen zeigen keinen signifikanten Einfluss der Strategiewahl auf die Bewertung der Barrieren. 63 Diese einfache Analyse dient nur als Anhaltspunkt. Eine detaillierte konfirmatorische Analyse mittels geeigneter statistischer Methoden wird in Kürze folgen. Die Ausprägung der Asse entspricht dem Durchschnitt der drei wichtigsten Argumente. Die Einteilung der Unternehmen auf die Strategien ergibt sich aus Abbildung 16. Auf Grund der geringen Verbreitung der Strategie des Geschäftstransfers beschränken wir uns auf die Strategien der Exportorientierung und der Globalen Integration.

Strategiewahl: Exportieren oder global integrieren

n=3

Trade barriers

Globale Integration n=43 Standortvorteile 3,5

Nationaler Fokus

Handelsbarrieren

Investitionsbarrieren National Focus

Gering

Lokalisierung

(von Wertschöpfung)

´Hoch

Geschäftstransfer

85

Skalenvorteile

3,4

Verbundvorteile

2,8

Marktchancen

1,9

Investitionsbarrieren Export Orientation Exportorientierung Marktchancen

Gering

n=31 3,3

Skalenvorteile

3,2

Verbundvorteile

3,0

Standortvorteile

1,9

Hoch Integration (über Landesgrenzen)

Abbildung 33: Ausprägung der Asse nach Strategien

n=77

6.

Funktionsstrategien: Welche Aktivitäten in Ungarn und wie integrieren?

Im vorausgegangenen Kapitel haben wir bereits die Gesamtstrategie der befragten Unternehmen betrachtet. Eine Beschränkung unserer Untersuchungen auf die Gesamtstrategien würde jedoch die Besonderheiten der einzelnen Unternehmensfunktionen vernachlässigen. Jedes Unternehmen entscheidet, welche Funktionen es an welchen Standorten ansiedelt und wie es diese Funktionen in den weltweiten Unternehmensverbund integriert. Deshalb wollen wir im Folgenden die Strategien deutscher Unternehmen in Ungarn differenziert nach Funktionsbereichen analysieren. Wir zeigen auf, welche Funktionen in Ungarn angesiedelt sind und für welchen Markt die Funktionsbereiche arbeiten.

12 12

G lobale Integration

44 44

45 45

51 51

51 51

47 47

47 47

47 47

47 47 49 49

G eschäftstransfer

28 28

27 27

Export28 28 orientierung

28 28

n=77

Unterstützungsfunktionen

00

00

66

66

88

88

49 49

49 49

47 47

47 47

45 45

45 45

F&E

100 15 15

Beschaffung Produktion

39 39

43 43

44 44

17 17

16 16

40 40

40 40

49 49

36 36

M arketing & Vertrieb

G ew ichteter Durchschnitt

Abbildung 34: Expansionsstrategien aller befragten Unternehmen nach Funktion 2005 und 2010e in Prozent Abbildung 34 zeigt die Strategien in den einzelnen Funktionsbereichen im Überblick. In den folgenden fünf Unterkapiteln betrachten wir jede dieser fünf Unternehmensfunktionen im Detail. Wir beginnen mit dem am weitesten vom Markt entfernten Funktionsbereich der Unterstützungsfunktionen und untersuchen dann die marktnäheren Funktionen Forschung & Entwicklung, Beschaffung, Produktion sowie schließlich Marketing & Vertrieb. Dabei gehen wir wie folgt vor: Zuerst zeigen wir die strategische Aufstellung der befragten Unternehmen. Danach analysieren wir die spezifischen Asse und Barrieren, die hinter jeder Funktionsstrategie stehen. Darauf basierend erklären wir die unterschiedliche Strategiewahl verschiedener Branchen. Anschließend zeigen wir in einem oder mehreren Abschnitten lokale Herausforderungen, Trends und andere Besonderheiten auf, die für die jeweilige Unternehmensfunktion in Ungarn von Bedeutung sind. Als Abschluss illustrieren wir jeden Funktionsbereich mit einem Fallbeispiel, das schildert, wie ein Unternehmen die Herausforderungen in dem betreffenden Funktionsbereich meistert.

88

Unterstützungsfunktionen – Unternehmen wählen Globale Integration

6.1

Unterstützungsfunktionen – Unternehmen wählen Globale Integration

Deutsche Unternehmen in Ungarn wählen für Unterstützungsfunktionen mit etwas über 40 % in den meisten Fällen die Strategie der Globalen Integration (siehe Abbildung 35). 40 % der in Ungarn erbrachten Leistungen zur Unterstützung der Wertschöpfung des Unternehmens werden entweder direkt oder indirekt für einen Unternehmensteil außerhalb Ungarns bereitgestellt. Indirekt bedeutet in diesem Zusammenhang, dass das Produkt, für das die Unterstützungsfunktion Leistungen erbracht hat, aus Ungarn exportiert wird.

Globale Integration

61 61

Geschäfts- 20 20 transfer Export19 19 orientierung

64 64

21

74

22 22

17

42 42

42 42

77

99

44 44

41 41

100 44 44

45 45

28 28

27 27

28 28

28 28

26 26 46 46

17 17

19 19

12 12

53 53

78 78

17

Fahrzeugbau n

58 58 74

12 12

46 46

50 50

49 49

15 15

21 20 21 20 77 Maschinen- Elektronik- Chemische industrie bau Industrie

99

14

13

14

PharmaIndustrie

Durchschnitt

15

77

Abbildung 35: Expansionsstrategien in Unterstützungsfunktionen 2005 und 2010e in Prozent Die Strategien des Geschäftstransfers und der Exportorientierung liegen gleichauf bei knapp 30 %. Die nach einer Strategie des Geschäftstransfers ausgerichteten Unterstützungsfunktionen werden in Ungarn für eine ungarische Wertschöpfung erbracht, die anschließend nicht exportiert wird. Die Exportorientierung fasst hingegen solche Unterstützungsfunktionen zusammen, die von Deutschland aus direkt eine Wertschöpfung in Ungarn unterstützen oder eine Wertschöpfung in Deutschland unterstützen, die anschließend nach Ungarn exportiert wird. Im Folgenden identifizieren wir die Faktoren, die diese Strategiewahl treiben.

6.1.1

Nähe zur Wertschöpfung erzwingt Lokalisierung, Lohnvorteile machen Globale Integration reizvoll

Einen lokalen Funktionsbereich für Unterstützungsfunktionen können deutsche Unternehmen in Ungarn relativ leicht aufbauen. Das größte Hindernis, das sie dabei überwinden müssen,

Funktionsstrategien: Welche Aktivitäten in Ungarn und wie integrieren?

89

besteht darin, die konkreten Prozesse nach Ungarn zu übertragen. Außerdem kann das Management am Stammsitz (eher diffuse) Bedenken haben, manche der Unterstützungsfunktionen im Ausland aufzubauen, zum Beispiel das besonderes Vertrauen erfordernde Rechnungswesen. Diese Hürden sind aber erheblich niedriger als manche der Hürden, die beim Aufbau anderer Unternehmensfunktionen in Ungarn von deutschen Unternehmen regelmäßig überwunden werden. Und selbst wenn der Aufbau von Unterstützungsfunktionen in Ungarn so einfach ist – warum sollten deutsche Unternehmen das überhaupt wollen? Für einen Teil der Unterstützungsfunktionen bleibt den Unternehmen keine andere Wahl. Die meisten internen Dienstleistungen, die zur Unterstützung der Wertschöpfungsaktivitäten notwendig sind, müssen vor Ort erbracht werden. Egal ob das ungarische Tochterunternehmen ein Vertriebsbüro oder eine Produktionsstätte ist: Die allgemeine Verwaltung kann nur direkt vor Ort und nahe an den Geschäftsprozessen erledigt werden. Die Mitarbeiter, die sich um rechtliche Angelegenheiten kümmern, müssen unbedingt die lokalen Gesetze kennen. Und genauso wird ein lokaler Geschäftsführer sein Personalmanagement kaum an eine Konzernstelle im Ausland abgeben können oder wollen. Der Handel mit diesen Unterstützungsfunktionen, also deren unmittelbare Bereitstellung vom Stammsitz aus, ist keine Option. Deutsche Unternehmen müssen daher einen Teil ihrer Unterstützungsfunktionen lokalisieren. Für zwei weitere Unterstützungsfunktionen besteht dieser Zwang zur Lokalisierung dagegen nur in sehr geringem Maße. Rechnungswesen und IT sind Unterstützungsfunktionen, die Unternehmen in weiten Teilen auch gut über Grenzen hinweg erbringen können. Die wichtigsten Prozesse in diesen Dienstleistungen sind unternehmensweit standardisierbar, und die Leistungen können mittels Kommunikationstechnik von einem Land ins andere übertragen werden. Zum Beispiel kann eine Landesgesellschaft die Rechnungsstellung für Kunden einer anderen Landesgesellschaft durchführen. Genauso können die Angestellten einer Landesgesellschaft sich bei Computerproblemen an die Hotline einer anderen Landesgesellschaft wenden. Die Lokalisierung von Rechnungswesen und IT ist also nicht unbedingt notwendig. Unternehmen können diese Unterstützungsfunktionen zentral erbringen und dabei Skalenvorteile erzielen. Trotzdem kann es besonders attraktiv sein, gerade Rechnungswesen und IT in Ungarn aufzubauen: Deutsche Unternehmen können von den ungarischen Standortvorteilen profitieren. In den sehr personalintensiven Dienstleistungen IT und Rechnungswesen können ungarische Löhne signifikante Einsparungen für deutsche Unternehmen bedeuten. Manager, die für diese Dienstleistungen eine Strategie der Globalen Integration wählen, können diese Kostenvorteile dem ganzen Konzern zugänglich machen. Gleichzeitig können Unternehmen durch die Bündelung von Rechnungswesen oder IT in Ungarn dieselben Skalenvorteile erreichen, wie wenn sie die beiden Teilfunktionen am Stammsitz zentralisieren.

90

6.1.2

Forschung & Entwicklung – Globale Integration und Exportorientierung verbreitet

Wertschöpfungsnähe für die meisten, aber nicht für alle Unterstützungsfunktionen bestimmend

Die Unternehmen der fünf untersuchten Branchen greifen zu sehr unterschiedlichen Expansionsstrategien für Unterstützungsfunktionen. Es bilden sich zwei Gruppen von Branchen, wie Abbildung 35 zeigt. Die erste Gruppe umfasst die Branchen der Chemischen und Pharmaindustrie. Die Unternehmen dieser Gruppe verfolgen größtenteils die Exportorientierung und den Geschäftstransfer für Unterstützungsfunktionen. Sie sind fast ausschließlich Vertriebsbüros, wie unsere Interviews belegen. Diese Rolle bringt mit sich, dass diese Unternehmen ihre Produkte importieren – und mit den Produkten die Unterstützungsfunktionen, die die Fertigung dieses Produktes an einem anderen Standort unterstützt haben. Daher ist der Anteil der Exportorientierung so hoch. Gleichzeitig haben diese Unternehmen umfangreiche Vertriebsaktivitäten, die lokale Unterstützung durch interne Dienstleistungen wie zum Beispiel allgemeine Verwaltung erhalten. Deshalb ist auch die Strategie des Geschäftstransfers von Unterstützungsfunktionen weit verbreitet. Die zweite Gruppe setzt sich aus Fahrzeugbau, Elektronikindustrie und Maschinenbau zusammen. Die Unternehmen dieser Branche betreiben im großen Stil die Globale Integration der Unterstützungsfunktionen. Sie fertigen Produkte in Ungarn und exportieren diese – und mit ihnen exportieren sie die internen Dienstleistungen, die die Fertigung in Ungarn unterstützt haben. Deshalb zeigt Abbildung 35 für diese drei Branchen so deutlich die Globale Integration der Unterstützungsfunktionen. Die weite Verbreitung der Strategie der Globalen Integration für Unterstützungsfunktionen entstammt bisher fast nur dem indirekten Export von Unterstützungsfunktionen in Form von in Ungarn gefertigten Produkten. Den direkten Export von Unterstützungsfunktionen wählen deutsche Unternehmen in Ungarn dagegen bislang kaum. Dabei kann ein solcher direkter Export von Rechnungswesen und IT unternehmensweit die ungarischen Standortvorteile nutzbar machen, wie wir argumentiert haben.

6.2

Forschung & Entwicklung – Globale Integration und Exportorientierung verbreitet

Abbildung 36 demonstriert, dass deutsche Unternehmen in Ungarn für ihre Forschungs- & Entwicklungsaktivitäten in der Regel entweder eine Strategie der Globalen Integration oder eine Strategie der Exportorientierung wählen. Die Strategie der Globalen Integration bedeutet, dass ein Unternehmen Forschung & Entwicklung in Ungarn betreibt, entweder für eine Produktion in Deutschland oder für eine Exportproduktion in Ungarn. Die Strategie der Exportorientierung bedeutet dagegen, dass Forschung & Entwicklung in Deutschland betrieben wird, entweder für die Produktion in Ungarn oder für die Exportproduktion in Deutschland.

Funktionsstrategien: Welche Aktivitäten in Ungarn und wie integrieren?

12 12 11

Globale Integration

Geschäftstransfer

68 68

83 83

11

Fahrzeugbau

58 58

00

00 36 36

00 17 17

31 31

87 87

87 87

49 49

49 49

00

00

51 51

51 51

90 90

90 90

42 42

00 12 13

Maschinen- Elektronik- Chemische bau Industrie industrie

21

10 10 00

88 88

00

Export31 31 orientierung

n

64 64

69 69

100

10 10 00

12 12 11

91

14

13

14

PharmaIndustrie

Durchschnitt

15

77

Abbildung 36: Expansionsstrategien in Forschung & Entwicklung 2005 und 2010e in Prozent Praktisch irrelevant ist die Geschäftstransferstrategie: Wir trafen kaum auf Fälle, in denen in Ungarn Forschung & Entwicklung stattfindet, die anschließend nur in ungarische Produktion für den lokalen Markt einfließt.

6.2.1

Günstige Talente locken F&E nach Ungarn, aber Produktionsnähe bestimmt die Standortwahl

159 132

39 13

8

Ungarn Tschechien

Polen

58 21

Brasilien

25

Mexiko Philippinen Indien

China

Abbildung 37: Bestand an für internationale Unternehmen geeignete junge Ingenieure in ausgewählten Ländern 2003 in Tausend64

64

Ingenieure mit abgeschlossenem Hochschulstudium und weniger als fünf Jahren Berufserfahrung. Vgl. McKinsey Global Institute (2005), S. 20.

92

Forschung & Entwicklung – Globale Integration und Exportorientierung verbreitet

Wie unsere empirischen Untersuchungen belegen, konzentrieren die meisten Unternehmen ihre Forschung & Entwicklung sehr stark an wenigen Standorten. Mit dieser Bündelung wollen sie Skalenvorteile realisieren. Zwar wird nur sehr selten die Forschung & Entwicklung an allen Produkten oder Produktgruppen eines Unternehmens weltweit an einem Ort zu konzentriert. Es fällt aber auf, dass die meisten Unternehmen Forschung & Entwicklung an einem Produkt oder Thema weltweit nur an einem Standort durchführen. Die untersuchten Unternehmen schließen damit die Strategie eines Geschäftstransfers für Forschung & Entwicklung aus. Stattdessen haben die Manager dieser Unternehmen die Wahl zwischen einer Strategie der Exportorientierung oder der Globalen Integration von Forschung & Entwicklung.

50

50

50

20

20

25

13

Ungarn Tschechien

Polen

Brasilien

10

Mexiko Philippinen Indien

China

Abbildung 38: Anteil an für internationale Unternehmen geeigneten Ingenieuren in ausgewählten Ländern 2003 in Prozent65 Für die Ansiedlung von Forschung & Entwicklung in Ungarn – und damit für eine Wahl der Globalen Integration – spricht die Verfügbarkeit von qualifizierten ungarischen Mitarbeitern. Besonders interessant sind für verarbeitende deutsche Unternehmen die Hochschulabsolventen der technischen Studiengänge. Nach einer Studie des McKinsey Global Institute (2005) sind in Ungarn immerhin 13.000 junge Ingenieure verfügbar, die für internationale Unternehmen geeignet sind. Als Bewertungskriterien zieht das MGI eine adäquate Ausbildung und Fremdsprachenkenntnisse, gute Erreichbarkeit durch einen Flughafen in der Nähe, den Willen zur Arbeit in einem internationalen Unternehmen und weniger als sieben Jahre Berufserfahrung heran. 13.000 junge ungarische Ingenieure erfüllen diese Kriterien. Diese Zahl ist im Vergleich mit asiatischen oder lateinamerikanischen Ländern zwar niedriger, wie Abbildung 37 zeigt. Allerdings haben diese Länder auch eine zehnmal (Mexiko) oder mehr als einhundertmal (Indien, China) größere Bevölkerung als Ungarn. Und die ungarischen Ingenieure sind im Vergleich mit den erwähnten Staaten geografisch sehr dicht konzentriert, sodass deutsche Unternehmen das Potenzial leichter ausschöpfen können. Die erwähnten 13.000 geeigneten jungen Ingenieure entsprechen einer Eignungsquote von 50 %, weitaus höher etwa als in asiatischen oder lateinamerikanischen Niedriglohnländern, wie Abbildung 38 zeigt. Deutsche Unternehmen können daher mit weniger Aufwand fähige Absolventen finden und auswählen. 65

Vgl. McKinsey Global Institute (2005), S.14.

Funktionsstrategien: Welche Aktivitäten in Ungarn und wie integrieren?

93

Verfügbare geeignete Talente allein machen Ungarn als Standort für Forschung & Entwicklung deutscher Unternehmen aber noch nicht notwendigerweise attraktiv – die Personalkosten spielen auch eine bedeutende Rolle. Die Personalkosten für Mitarbeiter in Forschung & Entwicklung sind in Ungarn niedrig, wie Abbildung 39 zeigt. Ein Ingenieur verdient in Ungarn im Jahr ein Bruttogehalt von durchschnittlich etwa 13.400. Euro. Dieses günstige Forschertalent ist für Manager ein erheblicher Anreiz, für Forschung & Entwicklung eine Strategie der Globalen Integration zu wählen und die ganze Unternehmensgruppe von den ungarischen Standortvorteilen profitieren zu lassen. 46,6

13,4

Ungarn

Deutschland

Abbildung 39: Durchschnittliches Bruttogehalt von Ingenieuren pro Mitarbeiter 2003 in tausend Euro66 Unternehmen, die ihre Expansionsstrategie nur nach den Standortvorteilen Ungarns ausrichten, vernachlässigen aber einen wichtigen Faktor: die Nähe zur Produktion. In der Produktion gibt es aus den Fertigungsprozessen und aus dem Qualitätsmanagement ohnehin bereits großes Wissen um Schwachstellen und um Verbesserungsmöglichkeiten der Produkte. Dieses Wissen kann sich die Entwicklung aber nur zunutze machen, wenn sie am gleichen Ort angesiedelt ist. Die Kommunikation mit einer Produktionsgesellschaft in einem anderen Land ist zu kompliziert: Die Mitarbeiter müssen erst aufwändig anreisen, Sprachbarrieren überwinden, und der Produktionsleiter fürchtet womöglich, dass die Gäste seine Produktionsmitarbeiter aufhalten. Unter diesen Handelsbarrieren im weiteren Sinne kann kein intensiver Austausch zwischen Forschung & Entwicklung und Produktion entstehen. Unsere Interviews belegen, dass dieser Faktor von großer Bedeutung ist und dass Manager sich in ihrer Entscheidung über eine Expansionsstrategie in vielen Fällen nach diesem Faktor richten. Sie siedeln die Forschung & Entwicklung in der Regel an dem Standort an, der ein Produkt oder eine Produktgruppe mit dem größten Volumen (oder exklusiv) fertigt. Allerdings macht eine weitere Differenzierung hier Sinn: Häufig belassen deutsche Unternehmen 66

Vgl. UBS (2003). Für einen in einer Großstadt bei einem Unternehmen der verarbeitenden Industrie beschäftigten Ingenieur mit Universitäts- oder technischer Hochschulausbildung, rund 5 Jahren Berufserfahrung, 35 Jahre alt, verheiratet, 2 Kinder.

94

Forschung & Entwicklung – Globale Integration und Exportorientierung verbreitet

die Grundlagenforschung und Produktentwicklung am Stammsitz, während sie die Anwendungsentwicklung (zuerst) ins Ausland verlagern. Für die in Ungarn untersuchten 77 Unternehmen zeigt Abbildung 40, dass die lokale Anwendungsentwicklung die Produktentwicklung bislang klar dominiert. Ein weiterer Indikator für die nach wie vor große Wichtigkeit der Forschung & Entwicklung am Stammsitz ist auch die Tatsache, dass die Produkte der untersuchten Unternehmen im Durchschnitt zu etwa 90 % auf Forschung & Entwicklung der Muttergesellschaft beruhen.

Keine Forschung und Entwicklung

21

Anwendungsentwicklung Produkt- und Anwendungsentwicklung

13

14

13

14

15

6 11

13

7

7

1

1

2

1

Fahrzeugbau

Maschinenbau

Elektronik

Chemie

15

Pharma

Abbildung 40: Forschungs- & Entwicklungskompetenzen der untersuchten deutschen Unternehmen in Ungarn

Lokale Kompetenzzentren in produzierenden Branchen Abbildung 40 macht auch die großen Unterschiede zwischen den Branchen deutlich und unterstreicht damit die Verteilung der Forschung & Entwicklungsstrategie über die verschiedenen Branchen, wie sie Abbildung 36 aufgezeigt hatte. In den Branchen Fahrzeugbau, Elektronikindustrie und Maschinenbau haben die Unternehmen bereits im großen Stil Produktion nach Ungarn verlagert. Einige der Unternehmen dieser Branchen haben in Ungarn schon Kompetenzzentren für einzelne Produkte errichtet. Die Forschung & Entwicklung ist in diesen Fällen häufig der Produktion im Rahmen einer Globalen Integration gefolgt. Dagegen ist die Produktion in der Chemischen und in der Pharmaindustrie in den allermeisten Fällen in Westeuropa geblieben und ebenso die Forschung & Entwicklung – es herrscht in diesen beiden Branchen eine deutliche Exportorientierung vor. Überhaupt nutzt keines der 77 von uns untersuchten Unternehmen Ungarn ausschließlich als Forschungsstandort.

Funktionsstrategien: Welche Aktivitäten in Ungarn und wie integrieren?

95

Die Strategiewahl wird sich nach den Meinungen der befragten Manager in Fahrzeugbau, chemischer Industrie und Pharmaindustrie kaum ändern. Die Manager der Elektronikindustrie erwarten 2010 eine etwas stärkere Exportorientierung, während die Manager im Maschinenbau einen leichten Trend zu mehr Globaler Integration sehen.

6.2.2

Herausforderungen Rekrutierung und Personalbindung

Zwei zentrale Herausforderungen, denen sich die Unternehmen gegenübersehen, die bereits in Ungarn Forschung & Entwicklung betreiben, wollen wir im Folgenden herausstellen. Erstens ist die Rekrutierung qualifizierter Hochschulabsolventen trotz der prinzipiell hohen Qualität der Ausbildung an den Universitäten nicht einfach. Der entscheidende Grund dafür ist häufig, dass die Universitätsabsolventen zwar die grundsätzlichen theoretischen Kenntnisse mitbringen, ihnen aber teilweise für das Unternehmen wichtiges Spezialwissen oder Praxisnähe fehlen. Zweitens ist es durchaus schwierig, hoch qualifizierte Forschungs- & Entwicklungsmitarbeiter im Unternehmen zu halten. Diese Mitarbeiter haben auch bei anderen Unternehmen gute Chancen auf einen attraktiven Arbeitsplatz. Die Beschäftigung in einer Forschung & Entwicklungsabteilung eines deutschen Unternehmens in Ungarn wird von konkurrierenden Arbeitgebern gar als erstklassiges Gütesiegel verstanden. Einige Unternehmen haben Wege gefunden, diesen Herausforderungen zu begegnen. Zum Beispiel führt das Unternehmen Continental zusammen mit Universitäten Forschungsprojekte durch, bei denen sich die Studenten als zukünftige Bewerber praxisrelevantes Wissen aneignen können. Ebenso setzt Continental sein Prestige als Arbeitgeber ein, um die Mitarbeiter an sich zu binden. Wie vielfältig die Mittel sind, mit denen Unternehmen diese beiden Herausforderungen meistern können, zeigt im Folgenden ein Fallbeispiel zu einem Softwareunternehmen. Dieses Beispiel vereint Lösungsansätze, die wir auch bei einer Reihe von anderen Unternehmen angetroffen haben – und da Forschung & Entwicklung das Kerngeschäft von dieses Unternehmens ist, gehen die Ansätze um einige Ideen über die anderer Unternehmen in Ungarn hinaus.

6.2.3

Fallbeispiel: Mitarbeiterbindung: Ein Maßnahmenbündel gegen Fluktuation

Ein deutsches Softwareunternehmen unterhält seit Mitte der 90er Jahre in Ungarneinen Standort, an dem Software für elektronische Geräte entwickelt wird.

96

Forschung & Entwicklung – Globale Integration und Exportorientierung verbreitet

Genauso wie die Forschungs- & Entwicklungsabteilungen der Automobilunternehmen haben Softwareunternehmen große Herausforderungen bei der Rekrutierung und Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen zu meistern. Mitarbeiter des Unternehmens gelten in der Branche als hoch qualifiziert und sind beliebte Ziele von Abwerbeversuchen.67 Gleichzeitig ist Personalkonstanz in Forschung & Entwicklung besonders wichtig, da die Einarbeitungszeiten lang sind und das implizite, firmenspezifische Wissen eine besondere Rolle spielt. „Eine bestehende Software könnten wir mit großer Fluktuation nicht am Leben erhalten. Das funktioniert einfach nicht“, stellt unser Interviewpartner fest. Umso wichtiger ist es für das Unternehmen, Mitarbeiter in Forschung & Entwicklung zu halten. Dazu setzt das Unternehmen eine ganze Reihe von Mitteln ein. Als zentralen Ansatzpunkt vieler dieser Mittel wählt man die in Ungarn im Vergleich zu Deutschland größere Bedeutung der Familie. Das Unternehmen tut viel, um auch die Familie des Mitarbeiters „mit an Bord zu holen“. So wird das (zweisprachige) Mitarbeitermagazin bewusst aufwändig an die Privatadressen der Mitarbeiter versandt, anstatt es einfach im Büro zu verteilen – in der Erwartung, dass die Familie dann auch im Heft blättert und einen positiven Eindruck als Arbeitgeber bekommt. Jährlich ist das Unternehmen Gastgeber kleinerer Events für Familienangehörige, zum Beispiel eines Kindertages, von dem sich das Unternehmen einen ähnlichen Effekt erwartet. Überhaupt hängt in den Büros an prominenter Stelle mitunter eine ganze Wand voll mit Fotos von den Kindern der Abteilungsmitarbeiter. Andere Ansätze, mit denen ebenfalls alle Mitarbeiter erreicht werden sollen, schlagen sich in der grundsätzlichen Haltung und im täglichen Verhalten des Managements nieder. Die Mitarbeiter in Ungarn sind sich durchaus bewusst, dass ihre etwas niedrigeren Löhne für Siemens ein attraktiver Standortvorteil Ungarns sind. Deshalb ist es, wie unser Interviewpartner sagt, von umso größerer Bedeutung, dass das Management Mitarbeiter in Ungarn genauso ernst nimmt und respektiert wie deutsche oder österreichische Mitarbeiter des Unternehmens. Darüber hinaus greift das Management zu verschiedenen Maßnahmen, die einzelne Personen halten sollen. Dazu gehört, dass das Unternehmen besonders wertvolle Mitarbeiter identifiziert. Diesen Schlüsselmitarbeitern zeigt das Unternehmen Entwicklungsmöglichkeiten – auch im Ausland – auf und passt gegebenenfalls ihre finanzielle Entlohnung differenziert an. Mit diesem Maßnahmenbündel ist das Unternehmen in der Mitarbeiterbindung erfolgreich. Die Fluktuation liegt deutlich unter zehn Prozent und damit weit unter den in der Branche üblichen Werten.

67

Der gleiche Sachverhalt liegt im Fall von deutschen Unternehmen aus dem Fahrzeugbau vor.

Funktionsstrategien: Welche Aktivitäten in Ungarn und wie integrieren?

6.3

97

Beschaffung – Globale Integration und Exportorientierung dominieren

Deutsche Unternehmen in Ungarn wählen für die Beschaffungsfunktion fast immer eine Strategie der Exportorientierung oder einer Strategie der Globalen Integration (siehe Abbildung 41).

Globale Integration

64 66

64 64

67 67

80 80

13 13

13 13

16 16

16 16

770 0

88 22

58 58

22

30 30

Fahrzeugbau n

21

77

44

33

Export32 32 orientierung

47 47

47 47

66

66

47 47

47 47

84 84

93 93

90 90

Geschäftstransfer

100

55

44 12 12

15 20

32 32

71 71

71 71

35 35

Maschinen- Elektronik- Chemische industrie bau Industrie 14

13

14

PharmaIndustrie

Durchschnitt

15

77

Abbildung 41: Expansionsstrategien in Beschaffung 2005 und 2010e in % Eine Exportorientierung ist für die Beschaffung so zu verstehen, dass der Stammsitz die Beschaffung für eine ungarische Produktion erbringt oder dass er eine deutsche Exportproduktion versorgt. Im Fall der Globalen Integration erbringt das ungarische Tochterunternehmen eine Beschaffungsleistung für die eigene Exportproduktion oder direkt für eine Produktion am Stammsitz oder in einem Drittland. Für eine Ausrichtung der Beschaffung nach einer Strategie des Geschäftstransfers, also für eine ungarische Beschaffung nur für die später in Ungarn verkaufte Produktion, entscheiden sich nur ganz wenige Unternehmen.

6.3.1

Mengenbündelung durch Zentraleinkauf der Regelfall, lokale Lieferanten teils günstig, aber insgesamt schwach

Weltweit gehört es mittlerweile zum konventionellen Managementwissen, dass ein Zentraleinkauf die Kosten der Beschaffung erheblich reduzieren kann. Erstens erreichen die Unter-

98

Beschaffung – Globale Integration und Exportorientierung dominieren

nehmen dieses Ziel dadurch, dass sie ihren globalen Beschaffungsbedarf bündeln. Mit der so gewonnenen Verhandlungsmacht setzen sie bei ihren Lieferanten bessere Preise durch. Zweitens können die Unternehmen mit einem Zentraleinkauf die Fixkosten der Beschaffungsfunktion auf eine größere Beschaffungsmenge verteilen. Skaleneffekte spielen in der Beschaffung also eine beachtenswerte Rolle. Für deutsche Unternehmen mit Produktion in Ungarn sind diese Skaleneffekte über einen Zentraleinkauf gut zu realisieren. Die ungarische Produktion ist geografisch relativ nah am Stammsitz, sodass die Koordination zwischen Zentraleinkauf und lokaler Produktion vergleichsweise einfach ist. Erheblich schwieriger ist diese Abstimmung zum Beispiel im Fall einer chinesischen Produktion. Dann ist nicht nur die Entfernung größer, sondern womöglich unterscheidet sich auch der Beschaffungsbedarf der chinesischen Produktion für den lokalen Markt erheblich von dem Beschaffungsbedarf anderer Produktionsstätten. Im Fall Ungarns ist eine Strategie der Exportorientierung für die Beschaffung also durchaus sinnvoll. Viele deutsche Unternehmen werden es aber auch in Erwägung ziehen, Produkte zumindest für die ungarische Fertigung lokal einzukaufen. Damit wollen sie die ungarischen Standortvorteile nicht nur bei der eigenen Produktion, sondern auch bei den Vorprodukten ausnutzen. Wie erfolgreich eine Beschaffung in Ungarn sein kann, hängt von dem Angebot an Lieferanten ab. Zum Angebot der Lieferanten drängen sich drei einfache Fragen auf: Gibt es Lieferanten für alle Vorprodukte in Ungarn? Bieten diese Lieferanten ihre Produkte günstiger an als Lieferanten in anderen Ländern? Und stimmt die Qualität?

Verfügbarkeit von Lieferanten Qualität von Lieferanten

6,5 6,5 5,7 5,4 4,3

4,7

4,7

4,8 4,2

4,2

4,3

4,0 3,2

Ungarn Tschechien

Polen

Slowakei

Rumänien

3,7

Ukraine Deutschland

Abbildung 42: Charakteristika des Beschaffungsmarktes in ausgewählten Ländern 2002 (Skala von 1 bis 7, 7 = bestes Lieferantenangebot)68

68

Vgl. manager magazin (2003).

Funktionsstrategien: Welche Aktivitäten in Ungarn und wie integrieren?

99

Abbildung 42 zeigt, wie Manager in Ungarn und anderen Ländern in der Region nach einer Umfrage für den Global Competitiveness Report den lokalen Beschaffungsmarkt bewerten. In allen drei Ländern schätzen die befragten Manager die lokalen Lieferanten als mittelmäßig ein, sowohl in ihrer Verfügbarkeit als auch in ihrer Qualität. Die ungarischen Lieferanten schneiden insbesondere im Vergleich mit Tschechien schlechter ab. Dies bestätigt die Erfahrungen, die die von uns befragten Manager schilderten: Viele Manager beschwerten sich über das teils schwache Angebot lokaler Lieferanten. Die ungarische Lieferantenbasis ist in vielen Produkten sehr fragmentiert. Viele kleine Anbieter agieren am Markt, die häufig allein schon den Mengenbedarf eines großen oder mittleren deutschen Unternehmens nicht bewältigen können. Die von uns befragten Manager beklagen auch, dass solche Lieferanten, die einzelne Muster oder Vorserien in adäquater Qualität produzieren konnten, es oft nicht schaffen, diese Qualität auch in der großvolumigen Serienproduktion zu erreichen. Dazu tragen auch zwei Eigenschaften ungarischer Lieferanten bei: ihr Mangel an Kapital und ihr Mangel an Managementkapazitäten. Ebenso beklagen die befragten Manager, dass viele ungarische Lieferanten nicht immer termintreu liefern. Diese waren sich in vielen Fällen offenbar nicht bewusst, wie wichtig eine exakt termintreue Lieferung ist. Insbesondere bei komplexeren Vorprodukten können ungarische Lieferanten den Bedarf deutscher Unternehmen in Ungarn daher häufig nicht erfüllen. Es kann demnach für deutsche Unternehmen in Ungarn durchaus attraktiv sein, einfache Vorprodukte für die lokale Produktion vor Ort einzukaufen und damit Kostenersparnisse gegenüber einem deutschen Lieferanten zu erzielen.

6.3.2

Branchen mit Fertigung in Ungarn beschaffen teils lokal

„Lokale Beschaffung wird bei uns erst ein Erfolgsfaktor.“ - Geschäftsführer eines Unternehmens in der Automobilbranche Für Branchen mit größeren Produktionsaktivitäten in Ungarn, also Fahrzeugbau, Elektronikindustrie und Maschinenbau, zeigt Abbildung 41 deutlich, dass die Unternehmen meist die Strategie der Globalen Integration wählen, gefolgt von der Strategie der Exportorientierung. In diesen Branchen ist eine ungarische Beschaffung verbreitet. Sie kaufen in der Regel sehr einfache Produkte lokal ein. Komplizierte Teile werden dagegen häufig weiterhin von der Zentrale beschafft. Auch kaufen ungarische Tochtergesellschaften meistens nur für die eigene Exportproduktion ein: Durchschnittlich wird nur etwa ein Prozent der Beschaffungsleistung direkt für eine Produktion außerhalb Ungarns eingekauft. Eine Tochtergesellschaft mit der primären Rolle eines Beschaffungsbüros haben wir bei den 77 untersuchten Unternehmen in keinem Fall angetroffen. In der Chemischen und der Pharmaindustrie dagegen ist die Exportorientierung der Beschaffung die am häufigsten gewählte Strategie. In der Regel geht die in Deutschland erbrachte Beschaffungsleistung noch in Deutschland in die Produktion ein. Die Produkte werden dann (auch) nach Ungarn exportiert.

100

6.3.3

Beschaffung – Globale Integration und Exportorientierung dominieren

Lieferantenentwicklung entscheidet über die Zukunft der ungarischen Beschaffung

Wie bereits dargestellt, haben viele deutsche Unternehmen in Ungarn Erfahrungen mit lokaler Beschaffung gesammelt. Diese beschränken sich bislang aber meistens auf einfache Vorprodukte. Wenn deutsche Unternehmen zukünftig verstärkt von den Kostenvorteilen der lokalen Lieferanten profitieren wollen, ist es unabdingbar, dass sich die Qualität der lokalen Lieferanten steigert. Viele Lieferanten sind allein aber nicht in der Lage, den notwendigen Qualitätssprung zu schaffen. Deutsche Unternehmen in Ungarn müssen Lieferanten entwickeln. Die Entwicklung eines Lieferanten ist eine schwierige Aufgabe. Im Folgenden beschreiben wir die Herausforderungen, denen sich deutsche Unternehmen speziell bei der Entwicklung ungarischer Lieferanten gegenübersehen und wie sie diese Herausforderungen meistern. „ In Ungarn scheitert die Entwicklung eines Lieferanten häufig schon aus einem einfachen Grund: Die Zentrale handhabt den globalen Einkauf und sieht das langfristige Einsparpotenzial durch die Entwicklung ungarischer Lieferanten nicht. Damit kann das ungarische Tochterunternehmen gar nicht erst eine Beziehung mit dem Lieferanten beginnen, geschweige denn diesen entwickeln. Einen Lösungsansatz dafür hat ein Unternehmen der Automobilbranche gefunden: Bei Vorserien- und Nichtserienteilen greift die Zuständigkeit des Zentraleinkaufs in vielen Unternehmen nicht. Damit bietet sich die Chance, auf diesem Weg entwicklungsfähigen Lieferanten die Tür zum Konzern einen Spalt weit zu öffnen. „ Der bereits erwähnte Kapitalmangel vieler ungarischer Lieferanten ist eine weitere große Herausforderung. Natürlich besteht die Möglichkeit, Maschinen für den Lieferanten zu finanzieren. Die ZF Friedrichshafen AG greift zu einer interessanten Alternative dazu: Das Management von ZF begleitet den Lieferanten zu Gesprächen mit dessen Bank. Auf diese Weise bekennt sich ZF zu seinem Lieferanten und erhöht dessen Kreditwürdigkeit, ohne selbst investieren zu müssen. Andere Unternehmen begegnen dem Kapitalmangel durch frühzeitige Bezahlung und finanzieren damit die Einkäufe von Rohstoffen und Vorprodukten ihrer Lieferanten. „ Darüber hinaus wollen sich ungarische Lieferanten häufig nicht in der Nähe großer Werke deutscher Unternehmen ansiedeln, da sie opportunistisches Verhalten ihres deutschen Kunden befürchten. Diese Angst wird von den häufig kurzfristigen Verträgen gefördert, die viele deutsche Beschaffungsabteilungen abschließen. Längerfristige Verträge können erheblich dazu beitragen, diese Sorge auszuräumen, und damit die Ansiedlung lokaler Lieferanten in Werksnähe fördern. „ Die konkreten operativen Themen entscheiden ganz erheblich über den Erfolg einer Lieferantenentwicklung. Aufgrund des in vielen Fällen großen Aufholbedarfs ungarischer Lieferanten müssen deutsche Unternehmen sehr intensiv mit Lieferanten zusammenarbeiten. Erfolgreiche Unternehmen führen gemeinsam mit Lieferanten Qualitätsaudits in Produktion und Management durch und organisieren gemeinsame Probeläufe.

Funktionsstrategien: Welche Aktivitäten in Ungarn und wie integrieren?

101

Die Lieferantenentwicklung in Ungarn erfordert also eine besonders enge Kooperation und langfristiges Denken. Diese Investition mag nicht jedes Unternehmen tätigen, aber mittels dieser Investition lassen sich auch bei der Beschaffung von höherwertigen Teilen ungarische Standortvorteile in erhebliche Einsparungen ummünzen.69

6.3.4

Fallbeispiel: CLAAS Hungaria kft – Fertigung und Einkauf in Ungarn

CLAAS ist einer der weltweit führenden Hersteller von Agrarmaschinen, insbesondere von Mähdreschern, Feldhäckslern und Traktoren. Mit der Übernahme des Traktorenherstellers Renault Agriculture hat CLAAS seinen Umsatz auf über 2,2 Milliarden Euro und die Mitarbeiterzahl auf weltweit über 8.000 gesteigert. Neben einem weltweiten Netz von Vertriebspartnern unterhält das Unternehmen Produktionsstandorte in Deutschland, Frankreich, Russland, Indien, in den USA und in Ungarn.

Anfangs Komponentenproduktion mit zentralem Einkauf In Ungarn ist CLAAS seit 1997 aktiv. Damals übernahm das Unternehmen in Törökszentmiklós, etwa 110 Kilometer südöstlich von Budapest, einen ungarischen Staatsbetrieb zur Fertigung von Landmaschinen und gründete die CLAAS Hungaria kft (kurz: CLH). Anfangs fertigte das Unternehmen einzelne Komponenten für die Weiterverarbeitung an anderen Produktionsstandorten (Globale Integration). Zu diesem Zeitpunkt hatte CLAAS in Ungarn nur die Produktion als wesentlichen Funktionsbereich angesiedelt, abgesehen von Unterstützungsfunktionen. Das Management hat es sich jedoch zum Ziel gesetzt, das Engagement in Ungarn auszuweiten und mehr als nur Komponenten zu fertigen. In der Zwischenzeit konnte die CLH die Produktion systematisch erweitern und die Beschäftigtenzahl auf über 450 erhöhen. Das Unternehmen fertigt heute eigenständige Produkte, wie Schneidwerke, Mähwerke, Vorsatzgeräte und Liner. Für einige dieser Produkte ist Törökszentmiklós exklusiver Produktionsstandort im globalen Produktionsnetzwerk.

Systematische Produktionsausweitung zieht strategischen Einkauf nach Mit der Ausweitung der Produktion und der Übernahme von Produktverantwortung weitete die CLAAS Hungaria kft. ihre Aktivitäten vertikal auch auf neue Unternehmensfunktionen aus. Dazu zählt neben einer sich noch im Aufbau befindenden Forschung & Entwicklungsabteilung insbesondere der strategische Einkauf. Da zur Zeit noch nicht alle benötigten Halbfertigteile 69

Zur Entwicklung von Lieferanten vgl. Kaufmann (2001).

102

Produktion – Produktion folgt meist Exportorientierung oder Globaler Integration

in Ungarn eingekauft werden können, weil es den Lieferanten oftmals noch immer an den notwendigen Kerntechnologien und den dazu benötigten finanziellen Mitteln fehlt, hat sich die CLH entschlossen, wesentliche Kernkomponenten inhouse zu fertigen. Wie Bernd Hoffmann, Geschäftsführer der CLAAS Hungaria kft. betont, konnte die CLH sich in Ungarn beziehungsweise in der Region aber mittlerweile einen Lieferantenstamm aufbauen, aus dem knapp die Hälfte der zur Fertigung der landwirtschaftlichen Produkte benötigten Kaufteile beschafft wird. Damit kann die CLAAS Hungaria die Komponenten zu lokalen Bedingungen kostenoptimiert zukaufen; dies ist ein wesentlicher Vorteil gegenüber einer Zentralbeschaffung aus Deutschland. Mit der Weiterentwicklung von einer zentralen Beschaffung hin zu einer dezentral ungarischen Beschaffung für die überwiegende Exportproduktion hat CLAAS einen Strategiewechsel von der Exportorientierung hin zur Globalen Integration vollzogen. Diese Globale Integration hat CLAAS in den letzten Jahren jedoch noch weiter vorangetrieben: Lokale Lieferanten mit Entwicklungspotenzial werden von der CLH als möglicher Lieferant für die gesamte Unternehmensgruppe empfohlen und strategisch - in Abstimmung mit dem Zentraleinkauf - aufgebaut. Ungarische Lieferanten sollen so auch für andere Produktionsstandorte Kostenvorteile realisieren. Dafür ist in vielen Fällen aber eine deutliche Weiterentwicklung der Lieferanten notwendig. Um dem Kapitalmangel der Lieferanten zu begegnen, hat sich die CLH bereits mehrfach entschieden, Maschinen und Vorrichtungen für Lieferanten zu finanzieren und diese den Lieferanten zur Verfügung zu stellen. Durch das Beibehalten der Eigentumsrechte an den Maschinenvorrichtungen sichert sich CLAAS Hungaria das Fertigungs- und Prozess-Know-how systematisch und langfristig ab. Die Ausweitung der Globalen Integration zu einer Beschaffung einzelner Teile direkt für die deutsche Produktion setzt CLAAS konsequent fort: In Ungarn wird derzeit ein strategisches Sourcing für Osteuropa etabliert, gemäß der Devise „think global, act local“.

6.4

Produktion – Produktion folgt meist Exportorientierung oder Globaler Integration

Wie Abbildung 43 zeigt, wählen deutsche Unternehmen in Ungarn insgesamt für ihre Produktion primär eine Exportorientierung oder eine Strategie der Globalen Integration. Die meisten Unternehmen produzieren also entweder in Ungarn für den deutschen (oder einen anderen) Exportmarkt, oder sie produzieren von Deutschland aus für den ungarischen Markt. Nur ein sehr kleiner Teil der Unternehmen produziert in Ungarn primär für den ungarischen Markt, eine Strategie des Geschäftstransfers für die Produktion ist also wenig verbreitet. Wie leicht erkennbar ist, verteilen sich die Strategien auch in dieser Unternehmensfunktion sehr ungleich auf die verschiedenen Branchen. Im Folgenden zeigen wir die diesen Strategien zugrunde liegenden Einflussfaktoren.

Funktionsstrategien: Welche Aktivitäten in Ungarn und wie integrieren?

Globale Integration

66 66

66 66

64 64 80 80

11 11

11 11

16 16

16 16

770 0

770 0

Fahrzeugbau n

21

47 47

46 46

88

88

45 45

46 46

83 83

12 12

99

88 26 26

100

58 58

93 93

Geschäfts99 transfer Export25 25 orientierung

103

66 14 14

66 11 11

27 27

73 73

73 73

30 30

Maschinen- Elektronik- Chemische bau Industrie industrie 14

13

93 93

14

PharmaIndustrie

Durchschnitt

15

77

Abbildung 43: Expansionsstrategien in Produktion 2005 und 2010e in %

6.4.1

Lohn- und Skalenvorteile bestimmen die Produktion

Wenn es einen Standortvorteil gibt, wegen dem deutsche Unternehmen in der Vergangenheit nach Ungarn gekommen sind – und nach wie vor kommen – so ist dieser Vorteil das niedrigere Lohnniveau. Deutsche Unternehmen kommen maßgeblich nach Ungarn, um mit ungarischer Produktion die niedrigen Lohnkosten auszunutzen, wie die von uns befragten Manager bestätigen: Sie nennen niedrigere Lohnkosten als wichtigsten Standortvorteil ihres Engagements in Ungarn. Tatsächlich sind die ungarischen Lohnkosten in der Produktion nach wie vor gering. Ein Facharbeiter verdient in Ungarn etwa 8.300 Euro jährlich. (siehe Abbildung 44). Darüber hinaus gelten ungarische Arbeitskräfte insgesamt als gut ausgebildet, wie unsere Interviews belegen. Günstige Immobilienkosten und ein niedriges Steuerniveau sind weitere Standortvorteile Ungarns. Alle diese Standortvorteile machen eine Globale Integration der Produktion für deutsche Unternehmen in Ungarn sehr attraktiv. Gleichzeitig richten Unternehmen die weltweite Verteilung ihrer Produktionsstätten nach Skalenvorteilen aus. Insbesondere können Unternehmen, die Fertigungsvolumen an einem Ort bündeln, Fixkosten über eine größere Ausbringungsmenge verteilen und effizientere Technologie einsetzen. Damit haben Manager einen deutlichen Anreiz, eine Strategie der Exportorientierung oder der Globalen Integration zu wählen. Unternehmen, die ihre Produktion in Ungarn ansiedeln, sind lediglich niedrigen Barrieren ausgesetzt, wie wir in Kapitel 5.4.2 dargestellt haben. Durchaus ernst zu nehmen sind regionale Unterschiede in der Infrastruktur Ungarns, die wir in Kapitel 6.4.3 aufgreifen. Mögliche Probleme beim Transfer von Wissen und Prozessen meistern die Unternehmen unserer Studie recht einfach. Auf eine besonders wirkungsvolle Methode zur Übertragung von Prozessen

104

Produktion – Produktion folgt meist Exportorientierung oder Globaler Integration

nach Ungarn gehen wir in Kapitel 6.4.6 ein. Insgesamt stellen die Investitionsbarrieren ein gut überwindbares Hindernis dar.

Abbildung 44: Bruttogehälter für Facharbeiter 2003 in tausend Euro70 Der Integration einer lokalen Produktion in den Unternehmensverbund stehen ebenso nur relativ niedrige Barrieren gegenüber. Die Unterbrechung der Wertschöpfungskette kann ein Problem sein, etwa wenn ein vorgelagerter Produktionsschritt in Deutschland stattfindet, dann ein Prozessschritt in Ungarn und zum Beispiel eine Endmontage in Deutschland. In diesem Fall können die notwendige Koordination und Transportzeiten zu Problemen führen. Transportwege können auch dann die Integration behindern, wenn die Transportkosten im Verhältnis zum Wert des Produkts hoch sind.

6.4.2

Branchen bewerten Standortvorteile unterschiedlich

Die Unternehmen des Fahrzeugbaus, der Elektronikindustrie und des Maschinenbaus haben für ihre Produktionsstrategie ganz deutlich eine Globale Integration gewählt (siehe Abbildung 43). Sie produzieren größtenteils für andere Märkte als den ungarischen und machen sich insbesondere die günstigen ungarischen Lohnkosten zunutze. Gleichzeitig sind die meist im Rahmen einer Verlagerung entstandenen ungarischen Standorte häufig der europa- oder gar weltweit einzige Produktionsstandort für ein konkretes Produkt, sodass sie Skalenvorteile in Ungarn ausnutzen können. Vereinzelt gibt es auch in diesen Branchen Unternehmen, die nicht in Ungarn, sondern in Deutschland oder auch in einem anderen osteuropäischen Land produzieren und ihre Produkte nach Ungarn exportieren. Mit der Bündelung zum Beispiel in

70

Vgl. UBS (2003). Ein in einer Großstadt bei einem Unternehmen der Metallindustrie beschäftigter Facharbeiter mit ungefähr 10 Jahren Berufserfahrung, 30 Jahre alt, verheiratet, 2 Kinder.

Funktionsstrategien: Welche Aktivitäten in Ungarn und wie integrieren?

105

Deutschland erreichen sie dann ebenfalls Skalenvorteile, verzichten aber auf die Standortvorteile Ungarns beziehungsweise sie bevorzugen die Standortvorteile eines anderen Landes. Die Unternehmen der Chemischen und Pharmaindustrie verhalten sich dagegen eher wie die zuvor beschriebene Minderheit der anderen drei Branchen: Sie wählen für ihre Produktionsfunktion primär eine Exportorientierung, sie fertigen also ihre Produkte an einem anderen Standort und exportieren nach Ungarn. Auch diese Unternehmen realisieren Skalenvorteile. Offensichtlich schätzen sie die ungarischen Standortvorteile für die Produktion als weniger relevant ein – oder sie sehen größere Handels- oder Investitionsbarrieren. Die von uns untersuchten Unternehmen geben eine Mischung aus den ersten beiden Faktoren als Grund dafür an, dass sie ihre Produktion in einem anderen Land, häufig in Westeuropa, konzentrieren. Einerseits machen bei der Produktion chemischer und pharmazeutischer Güter die Personalkosten nur einen kleinen Teil aus. Daher ist eine Produktion in Ungarn nicht wesentlich günstiger, sodass die Standortvorteile von geringerer Bedeutung sind. Dazu kommt, dass dann der größere Teil der Produktionsmenge nach Westeuropa transportiert werden müsste, während im Moment für die kleineren osteuropäischen Märkte nur ein kleiner Teil der Produkte transportiert werden muss. Hier sehen die Unternehmen ihre Strategie also von Transportzeiten und -kosten beeinflusst. Dass deutsche Unternehmen in Ungarn die Strategie des Geschäftstransfers eher meiden, liegt daran, dass die Skalenvorteile – wie bereits erwähnt – bei den meisten Unternehmen das wichtigste Ass darstellen.

6.4.3

Standortwahl – Wo produzieren?

Die Landesteile Ungarns unterscheiden sich deutlich. Daher können die Standortvorteile, Investitions- und Handelsbarrieren an zwei verschiedenen Produktionsstandorten in Ungarn unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Folglich unterscheidet sich auch die Attraktivität einzelner Regionen als Investitionsziel deutlich vom Landesdurchschnitt. Einzelne der befragten Manager machten deutlich, dass regionale Besonderheiten beziehungsweise Besonderheiten des konkreten Standorts bei der Investitionsentscheidung nicht ausreichend berücksichtigt wurden und sie heute unter Nachteilen leiden. Ein Automobilzulieferer musste seine Produktion nach falscher Standortwahl noch einmal innerhalb Ungarns verlagern, weil in der Region nicht mehr genug qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung standen. Dieses Problem konnte er mit der zweiten Verlagerung nur lindern, aber nicht vollständig lösen. Da die Geschäftsführung nicht auf die bereits beschäftigten Mitarbeiter und Manager verzichten wollte, kam nur ein Standort in maximal 60 Kilometer Entfernung von der ursprünglichen Tochtergesellschaft in Frage. Nach einigen Kapazitätserweiterungen plagen das Unternehmen wieder Nachwuchssorgen, weil die lokalen Schulen nicht genügend Arbeitskräfte mit den benötigten Qualifikationen ausbilden. Solche regionalen Abweichungen in der Attraktivität als Produktionsstandort wollen wir im Folgenden aufzeigen.

Deutliche regionale Unterschiede bestehen in der Verfügbarkeit von Arbeitskräften. Wie Abbildung 45 zeigt, ist die Arbeitslosenquote in Budapest und Umgebung (Mittelungarn)

106

Produktion – Produktion folgt meist Exportorientierung oder Globaler Integration

und westlich der Hauptstadt bereits auf ein sehr niedriges Niveau zurückgegangen, teils bis auf vier Prozent. Weitaus attraktiver für einen Produktionsstandort sind nach wie vor die strukturschwächeren Regionen im Süden, Osten und Norden des Landes. Dort liegt die Arbeitslosenquote bei etwa sechs bis zehn Prozent. Deutschen Unternehmen in diesen Regionen fällt es daher deutlich leichter, Produktionspersonal zu finden. Für die Lohnkosten ergibt sich ein ganz ähnliches Bild: Bei den monatlichen Durchschnittseinkommen liegt Mittelungarn inklusive Budapest mit etwas unter 700 Euro an der Spitze. In anderen Landesteilen sind die durchschnittlichen Einkommen dagegen um ein Drittel niedriger (siehe Abbildung 45).

4

Mittelungarn, inkl. Budapest Mittleres Transdanubien

4,6

Westliches Transdanubien

4,6

Nordungarn Südliches Transdanubien Südliche Tiefebene Nördliche Tiefebene Landesdurchschnitt

9,7

686 501 490 470

7,9

466 6,5 6,8 5,9

455 449 506

Abbildung 45: Arbeitslosenquote 2003 in % und durchschnittlicher Monatslohn 2003 in EUR nach Region71 Die grundsätzlich größte Verfügbarkeit von Arbeitskräften finden produzierende Unternehmen in den weniger dicht besiedelten Regionen im Norden, Osten und Süden Ungarns. Die tatsächliche Verfügbarkeit von Arbeitskräften hängt jedoch vom Einzugsgebiet der Produktionsstätte ab. Dazu kommt, dass ungarische Arbeitskräfte aus zwei Gründen relativ immobil sind: Erstens sind sie aufgrund der Bindung an ihren Heimatort und mangels finanzieller Mittel kaum bereit, in die Nähe eines Arbeitsplatzes zu ziehen. Zweitens fehlt häufig das zweite Auto in der Familie, sodass zumindest einer der beiden Partner mangels privater oder öffentlicher Fahrgelegenheit einen selbst nur zehn Kilometer entfernten Arbeitsplatz kaum erreichen kann. Einzelne Unternehmen setzen daher eigene Busse – in einem Fall mehr als 15 – ein oder beauftragen ein lokales Busunternehmen mit dem Transport von Arbeitskräften. Deutsche Unternehmen können den Einzugsbereich ihrer Produktionsstätte damit zu relativ niedrigen Kosten deutlich erweitern. Ungarische Manager dagegen sind mobiler und können auch einen Arbeitsweg von 50 Kilometern noch mit dem eigenen Auto zurücklegen.

71

Vgl. KSH (2004c).

Funktionsstrategien: Welche Aktivitäten in Ungarn und wie integrieren?

107

Die Qualifikation der verfügbaren Mitarbeiter ist ebenfalls regional ungleich verteilt. Nach einer Studie der DUIHK sehen die Manager deutscher Unternehmen in Ungarn die Qualifikation von Arbeitskräften in West- und Mittelungarn, also auch in Budapest, als deutlich besser an als im ländlicheren Süd- und Ostungarn.72 Die Attraktivität der Landesregionen für Expatriates, die die Produktion in Ungarn leiten sollen, ist ebenfalls sehr unterschiedlich. Während Westungarn eine schnelle Verkehrsanbindung insbesondere nach Österreich hat, bietet Budapest das Leben einer westlichen Großstadt und tägliche Flugverbindungen in mehrere deutsche Städte. Dagegen fallen die ländlichen Regionen vor allem in Süd- und Ostungarn deutlich ab. Auch eine der für die Produktion wichtigsten Investitionsbarrieren ist in Ungarn ungleich verteilt: die Infrastruktur, insbesondere die Verkehrsanbindung. Für die Anlieferung von Vorprodukten und den Transport von verarbeiteten Produkten nach Deutschland wirkt eine schlechte Straßenanbindung wie eine größere Entfernung zwischen den Standorten und erhöht Transportzeiten und -kosten. Eine schlechte Straßenanbindung oder große Entfernung zum nächsten Flughafen erschwert dem Management aus Deutschland Besuche am Produktionsstandort und behindert ungarisches Management oder Expatriates bei gelegentlich notwendigen Besuchen des Stammsitzes in Deutschland. Darüber hinaus kann es in ländlichen Regionen lange dauern, wenn ein Experte zur Reparatur einer ausgefallenen Maschine aus Budapest anreisen muss. Die Verkehrsinfrastruktur ist zentralistisch auf Budapest ausgelegt. In unseren Gesprächen in Ungarn wurde dies auch insofern deutlich, als dass deutsche Unternehmen im Landesdurchschnitt die Schwere des Infrastrukturmangels durchschnittlich nur mit 2,1 bewerteten, während die Summe der Manager in Nord-, Ost- und Südungarn diese mit durchschnittlich 2,8 deutlich höher bewertete. Für deutsche Unternehmen ist es daher empfehlenswert, sich zumindest in der Nähe zu einer der sternförmig von Budapest ausgehenden Autobahnen (siehe Abbildung 27) anzusiedeln – die Reisezeiten verkürzen sich dann erheblich. Bei der Ansiedlung einer Produktionsanlage in Ungarn müssen deutsche Unternehmen sich also einer Reihe von Trade-offs bewusst sein: Dort, wo besonders viele und günstige Arbeitskräfte verfügbar sind, ist es schwieriger, qualifizierte Mitarbeiter zu finden und Management und Expatriates anzusiedeln. Gleichzeitig ist in diesen Regionen die Infrastruktur schwächer, und die Transportzeiten nach Deutschland sind etwas länger.

Standortanalyse: Ein vernachlässigter Erfolgsfaktor?73 Auf unsere Frage, ob vor Eintritt in Ungarn eine detaillierte Standortanalyse durchgeführt wurde, antworteten unsere Interviewpartner nicht einheitlich. Für die meisten Unternehmen war eine genaue Studie der Rahmenbedingungen und anschließende Standortwahl eine 72 73

Vgl. DUIHK (2005a). Erfolgsfaktoren, die nur für Unternehmen mit Produktion relevant sind, diskutieren wir bereits in diesem Kapitel.

108

Produktion – Produktion folgt meist Exportorientierung oder Globaler Integration

Selbstverständlichkeit. Rund ein Viertel der Unternehmen mit Produktionsanlagen gab jedoch an, dass die Wahl des Standorts in Ungarn ohne umfangreiche Analysen der Region erfolgte. Teilweise übernahmen Unternehmen ihre früheren Lieferanten, ohne die Besonderheiten der Region genau zu überprüfen. „Die Standortanalyse ist sehr wichtig – das wurde in unserem Fall aber versäumt“, bemerkte ein Manager eines großen Automobilzulieferers.

6.4.4

Automatisierungsgrad – Wie produzieren?

Bei keinem anderen Erfolgsfaktor gingen die Meinungen so sehr auseinander wie bei der Frage, ob der Automatisierungsgrad an das Lohnniveau in Ungarn angepasst werden sollte. 24 der insgesamt 45 Unternehmen, die über Produktionsanlagen verfügen, werten dies als wesentlichen Erfolgsfaktor. Sie arbeiten in einigen Bereichen bewusst weniger kapitalintensiv als in Deutschland, um von den niedrigen Lohnkosten zu profitieren. Besonders häufig verzichten Unternehmen in Ungarn auf Schweißroboter. Aber auch in der Zerspanung, der Bestückung von Komponenten mit Bauteilen und der Endmontage senken diese Unternehmen den Automatisierungsgrad zu Gunsten manueller Tätigkeiten ab. Dadurch können sie zum Teil auf einfachere und billigere Maschinen zurückgreifen. Einige kleinere Unternehmen haben ältere Gebrauchtmaschinen der Muttergesellschaft übernommen und nutzen diese in Ungarn weiter. Für die restlichen Unternehmen war eine Absenkung des Automatisierungsgrades kein Erfolgsfaktor. In einigen Produktbereichen bringt höhere Automatisierung Qualitäts- und Präzisionsvorteile mit sich, die in Handarbeit kaum zu erreichen sind. Automatisierung hat dort also Arbeitsplätze unabhängig von der Höhe der Lohnkosten ersetzt. Daher, so erklärten uns einige Manager, sei eine arbeitsintensivere Produktion allein aus Qualitätsgründen nicht möglich. Eine andere Gruppe von Unternehmen produziert bewusst nicht arbeitsintensiver, um die Lohnkostenvorteile möglichst lange erhalten zu können. „Früher oder später muss ich sowieso auf stärkere Automatisierung umsteigen. Dann brauche ich aber länger, um das nötige Wissen in der Produktion aufzubauen. Wir setzen deswegen auf Automatisierung, auch wenn die momentanen Lohnkosten dies nicht unbedingt rechtfertigen – vor allem um den Lohnkostenvorteil über längere Zeit zu halten“, erklärt uns der CEO eines deutschen Elektronikunternehmens (siehe dazu auch das Fallbeispiel auf Seite 165). Die Frage, ob die Produktion in Ungarn arbeitsintensiver ausgestaltet werden sollte, können wir daher nicht eindeutig beantworten. Offensichtlich spielen Qualität und die Erwartungen, wie schnell auf höhere Automatisierung zurückgegriffen werden muss, eine Rolle. Das folgende Fallbeispiel zeigt beispielhaft, welche Bedeutung dieser Entscheidung in einigen Fällen dennoch zukommt. Unternehmen sollten daher genau abwägen, welche Vor- und Nachteile eine geringe Arbeitsintensität mit sich bringt, und berücksichtigen, wie schnell der Automatisierungsgrad in Zukunft ansteigen wird.

Funktionsstrategien: Welche Aktivitäten in Ungarn und wie integrieren?

6.4.5

109

Aufwertung der Wertschöpfung – Was produzieren?

Eine der zentralen Entscheidungen, die Manager bei der Wahl einer global integrierten Produktionsstrategie treffen müssen, ist die Entscheidung darüber, welche Produktionsprozesse in Ungarn angesiedelt werden sollen: Soll nur ein Produkt oder sollen gleich mehrere Produkte in Ungarn gefertigt werden? Und soll in Ungarn nur ein Teil des Produktionsprozesses stattfinden oder soll das Produkt komplett in Ungarn hergestellt werden? Bei der Beantwortung dieser Fragen zählen zwei Dinge: Erstens soll der Produktionsprozess in Ungarn möglichst große Kosteneinsparungen generieren. Und zweitens soll der Prozess einfach zu implementieren sein, stabil laufen und die Investition mit einem möglichst geringen Risiko verbunden sein. Daher haben unter denjenigen untersuchten Unternehmen, die bereits in den frühen 90er Jahren mit Produktionsanlagen nach Ungarn gekommen sind, viele die Produktion in Ungarn mit der Lohnveredelung für ein einzelnes Produkt begonnen. Dafür mussten die Unternehmen weder im großen Stil investieren noch Mitarbeiter qualifizieren. Gleichzeitig konnten sie damit aber Produktionsschritte mit hohem Arbeitskostenanteil erheblich günstiger durchführen und damit die Standortvorteile Ungarns ausnutzen.

Produktverantwortung

n

37

31

30

63

69

70

Fahrzeugbau

Maschinenbau

Elektronikindustrie

16

10

13

Abbildung 46: Anteil der produzierenden Unternehmen mit Produktverantwortung in Prozent74

74

Wegen der geringen Zahl produzierender Unternehmen in der Chemie- und Pharmabranche bleiben diese beiden Branchen hier unberücksichtigt. Dennoch führen wir dieses Unternehmensbeispiel auf, weil die Textilindustrie besonders stark durch Kostenwettbewerb gekennzeichnet ist und daher die Entwicklung anderer verarbeitender Industrien bereits vorweggenommen hat.

110

Produktion – Produktion folgt meist Exportorientierung oder Globaler Integration

Mittlerweile haben diese Unternehmen in den meisten Fällen ihre Aufstellung aber deutlich verändert. Nachdem sie durch die Verlagerung einzelner Prozesse nach Ungarn Kostenvorteile realisieren und gleichzeitig das Risiko einer lokalen Produktion handhaben konnten, schätzten viele Unternehmen es als Erfolg versprechend ein, in Ungarn mit der Produktion von Teilen und Komponenten zu beginnen. Später, meist im Abstand von mehreren Jahren, begannen sie in Ungarn mit der Montage der Produkte und erhielten häufig sogar die Produktverantwortung. Wie Abbildung 46 zeigt, haben mittlerweile mehr als 50 % der untersuchten in Ungarn produzierenden Unternehmen Produktverantwortung. Gleichzeitig hat ein Teil der Firmen die Produktion verbreitert, also die Anzahl der in Ungarn produzierten Produktvarianten und Produkte erhöht. Zusammen mit diesen Aufwertungsschritten haben die Unternehmen erhebliche Investitionen in Anlagen und in Kompetenzen getätigt. Bei den Unternehmen, die in der Vergangenheit eher zögerlich mit einer Aufwertung waren, zeichnet sich in mehreren Fällen ab, dass eine Aufwertung der Produktion geplant oder zumindest angedacht ist. Die Unternehmen, die später nach Ungarn gekommen sind, haben dagegen häufig eine oder mehrere Stufen dieser sonst langjährigen Entwicklung übersprungen. Damit können sie von Beginn ihres Engagements in Ungarn an die Asse ihrer Expansionsstrategie besser ausspielen. Beispielsweise realisieren sie Lohnkostenvorteile von Anfang an in einem größeren Teil der Produktion. Oft haben diese Unternehmen darüber hinaus eine weitere Aufwertung ihrer Wertschöpfung in Ungarn schon bei ihrer ersten Investition geplant. Das heißt auch, dass diese Unternehmen den Ausbau ihrer Aktivitäten bei der Standortwahl berücksichtigen konnten. Heute profitieren diese Unternehmen davon. Sie haben von Anfang an sichergestellt, dass an ihrem Standort auch erst in der Zukunft benötigte Arbeitskräfte verfügbar sind, und leiden daher nicht unter einem Mangel an qualifizierten Mitarbeitern. Genauso haben sie darauf geachtet, dass ihr Grundstück über genügend bebaubare Fläche verfügt, sodass sie eine neue Produktionshalle direkt an die bestehenden Einrichtungen anschließen können. Das Fallbeispiel zu WET (Kapitel 6.4.9) beschreibt im Detail die Aufwertungsschritte eines Automobilzulieferers in den letzten zehn Jahren.

6.4.6

Investitionen in Qualifikation stärken die Produktion

Die Manager der befragten Unternehmen geben an, dass die Qualifikation der ungarischen Arbeitskräfte insgesamt gut ist. Wie wir in Kapitel 5.4.1 dargestellt haben, nennen sie die hohe Qualifikation sogar als zweitwichtigsten Standortvorteil Ungarns (hinter den günstigen Löhnen). Trotzdem investieren fast alle von ihnen in die Mitarbeiterqualifikation. Warum diese Investitionen den Managern notwendig erscheinen und wie sie diese Maßnahmen ausgestalten, stellen wir im Folgenden dar.

Funktionsstrategien: Welche Aktivitäten in Ungarn und wie integrieren?

111

Fachwissen aus Ungarn Die befragten Manager bescheinigen den Fachschulen eine theoretisch durchaus fundierte Ausbildung. Allerdings gibt es in Ungarn kein duales Ausbildungssystem wie in Deutschland. Den Absolventen der Fachschulen fehlen daher mangels Berufserfahrung in der Regel praktische Fähigkeiten. In welchem Umfang diese Fähigkeiten den Absolventen fehlen, hängt stark von der konkreten Ausbildung ab. In besonderem Maße haben die Fachschulen Nachholbedarf bei dem Training, für das sie in teure Anlagen investieren müssten, zum Beispiel in CNC-Maschinen. Darüber hinaus ist die Ausbildung der Arbeitskräfte in verschiedenen Regionen sehr unterschiedlich, wie wir schon festgestellt haben. Die ebenfalls bereits beschriebene Aufwertung der Wertschöpfung bringt zusätzlich einen steigenden Bedarf nach höher qualifizierten Fachkräften mit sich. Aus diesen Gründen haben Manager der in Ungarn produzierenden Branchen Fahrzeugbau, Elektronikindustrie und Maschinenbau in großem Umfang Kooperationen mit Fachschulen aufgebaut, wie Abbildung 47 zeigt. Diese Kooperationen sollen dazu führen, dass die Unternehmen qualifizierte Absolventen rekrutieren können. Einzelne Firmen gehen so weit, dass sie mit einer Fachschule ein duales System oder eine dazu äquivalente Ausbildung aufbauen, wie sie das öffentliche Bildungssystem nicht vorsieht. Eine größere Anzahl von Unternehmen ist eine lose Kooperation mit einer Fachschule eingegangen, die sich sehr unterschiedlich gestalten kann. Elemente dieser Kooperation können zum Beispiel Firmenbesuche oder mit der Ausbildung verzahnte Praktika sein. Von den Kooperationen mit Universitäten erhoffen die Firmen sich, die Ausbildung der Studenten dahingehend zu beeinflussen, dass diese die in der Praxis benötigten Fähigkeiten bereits während des Studiums vermittelt bekommen und damit für eine leitende Funktion in der Produktion, zum Beispiel als Produktionsingenieur, geeignet sind.

Kooperation mit Fachschule Aufbau eines dualen Systems

5

Kooperation mit Universität

5 4

4 3 2

2

1 0

n

0

0

Fahrzeugbau

Maschinenbau

Elektronik

Chemie

Pharma

21

14

13

14

15

Abbildung 47: Kooperationen der untersuchten Unternehmen mit Bildungseinrichtungen

112

Produktion – Produktion folgt meist Exportorientierung oder Globaler Integration

Prozesswissen aus Deutschland Neben den Qualifizierungsmaßnahmen in Ungarn haben viele der untersuchten Unternehmen ungarische Arbeitskräfte in Deutschland geschult. Diese Lernaufenthalte in Deutschland haben das Ziel, dass die ungarischen Mitarbeiter den Prozessablauf in Deutschland beobachten und dort in den funktionierenden Prozessablauf eingewiesen werden. Insbesondere dann, wenn ein neuer Standort aufgebaut oder um zusätzliche Produkte oder Tätigkeiten ergänzt wird, hat sich die Schulung des ungarischen Produktionspersonals in Deutschland als erfolgreich erwiesen, so auch im Fall von eupec Hungaria Kft.75. Das deutsche Elektronikunternehmen hat im Rahmen der Verlagerung einer zweiten Produktreihe nach Ungarn für seine Mitarbeiter in insgesamt 3.000 Schulungsmanntage in Deutschland investiert. Eupec hat auf diese Weise den kompletten Aufbau und die Aufnahme der zweiten Serienfertigung in Ungarn inklusive der Errichtung eines Gebäudes in nur neun Monaten realisieren können. Ein zusätzlicher Vorteil der Schulungen in Deutschland liegt darin, dass die ungarischen Mitarbeiter weitaus mehr davon mitnehmen als nur das Prozesswissen für die Fertigung in Ungarn. Tatsächlich bieten diese Schulungsaufenthalte auch die Chance, den ungarischen Mitarbeitern ein besseres Verständnis des Gesamtunternehmens und seiner Arbeitskultur zu vermitteln. Gleichzeitig kann ein Unternehmen seinen ungarischen Mitarbeitern mit einer Investition in eine Schulung in Deutschland durchaus auch eine gewisse Wertschätzung zeigen.

Meisterausbildung im Unternehmen Ein weiterer Mangel des ungarischen Ausbildungssystems besteht darin, dass eine dem deutschen System vergleichbare Meisterausbildung fehlt. Mehrere unserer Gesprächspartner beklagten sich über diesen Zustand und unterstrichen, dass ihnen damit Fachkräfte fehlen, die kleinere Aufträge kalkulieren oder Gruppen von Produktionsmitarbeitern leiten können. Diese beiden Fähigkeiten sind aber durchaus wichtig für einen reibungslosen Prozessablauf in der Fertigung. Daher sind einzelne deutsche Unternehmen in Ungarn dazu übergegangen, selbständig Meister im Unternehmen auszubilden. Andere Unternehmen verzichten auf solches Personal und haben stattdessen ihre Prozesse und ihre Hierarchien angepasst. Solche Anpassungen der Prozesse in Ungarn sind insgesamt immer noch selten.

75

Das Unternehmen firmiert mittlerweile unter Infineon Technologies Cegled Kft.

Funktionsstrategien: Welche Aktivitäten in Ungarn und wie integrieren?

6.4.7

113

Ausblick: Produktionsverlagerung einfacher Teile weiter gen Osten

Über die weit verbreitete Aufwertung der Produktion in Ungarn haben wir bereits berichtet. Gleichzeitig beginnt sich eine weitere Entwicklung abzuzeichnen: Erste deutsche Unternehmen in Ungarn entscheiden sich, von Ungarn aus einen Produktionsstandort in einem noch weiter östlich gelegenen Land aufzubauen, zum Beispiel in Rumänien oder in der Ukraine. Es kommt also zur (regionalen) Globalen Integration in der (ungarischen) Produktion. Die wesentliche Motivation, einen zusätzlichen Produktionsstandort in Rumänien oder in der Ukraine zu errichten, ist es, die dort noch niedrigeren Lohnkosten auszunutzen. Wie Abbildung 22 zeigt, sind die Lohnkosten in der Ukraine ganz besonders niedrig, sie liegen nach der Prognose von BCG sogar noch 2009 unter chinesischem Niveau.76 Für deutsche Unternehmen wäre es sehr attraktiv, diese Lohnkostenvorteile durch einen rumänischen oder ukrainischen Lieferanten auszunutzen. Wie Abbildung 42 belegt, verfehlen Lieferanten in Rumänien und in der Ukraine aber in der Regel die von deutschen Unternehmen geforderte Qualität bei weitem. Die Standortvorteile der beiden Länder können also nur mit einer eigenen Tochtergesellschaft vor Ort realisiert werden. Gleichzeitig sehen viele Unternehmen aber für die Ukraine und für Rumänien hohe Investitions- und Handelsbarrieren, die sie davon abhalten, mit einer Investition von Deutschland aus die dortigen Standortvorteile auszunutzen. Eine Weitergabe einfacher Komponenten nach Rumänien und in die Ukraine ist dagegen von Ungarn aus weitaus attraktiver. Erstens müssen deutsche Unternehmen bei der Auslagerung von einfachen, arbeitsintensiven Produktionsschritten von Ungarn nach Rumänien oder in die Ukraine dort nur geringe Investitionen tätigen. Die größere Unsicherheit in den rumänischen oder ukrainischen Rahmenbedingungen betrifft damit nur einen kleineren Teil der Investition, während der größere Teil im „sicheren Hafen“ Ungarn liegt. Zweitens erreichen Unternehmen, die einzelne besonders arbeitsintensive Produktionsschritte von Ungarn nach Rumänien verlagern, kurze Transportzeiten. Die Wertschöpfungskette dieser Unternehmen ist also nicht so stark unterbrochen, wie wenn sie eine solche Tätigkeit von Deutschland aus in die Ukraine verlagern würden. Darüber hinaus vereinfacht die kürzere Distanz zwischen Ungarn und der Ukraine beziehungsweise Rumänien die Koordination zwischen den Standorten erheblich. Drittens gibt es in den Nachbarländern Ungarns ungarische Minderheiten, wie Abbildung 48 zeigt.77 Insbesondere in Rumänien können deutsche Unternehmen in Ungarn die große ungarische Minderheit leicht als Pool für Produktionsmitarbeiter nutzen, auch in Grenznähe zu Ungarn. Mit ungarischem Management können dann Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede umgangen werden. 76 77

Vgl. Boston Consulting Group (2005) S. 5. Vgl. Amt für ungarische Minderheiten im Ausland (2005).

114

Produktion – Produktion folgt meist Exportorientierung oder Globaler Integration

Eines der Unternehmen, das die Verlagerung von einfachen Tätigkeiten bei gleichzeitiger Aufwertung der Wertschöpfung in Ungarn besonders engagiert vorantreibt, ist WET. Das Fallbeispiel zu WET schildert diese Aktivitäten im Detail (siehe Kapitel 6.4.9). Mit der Verlagerung einfacherer Aktivitäten von Ungarn zum Beispiel nach Rumänien oder in die Ukraine können deutsche Unternehmen also zusätzliche Standortvorteile ausnutzen und dabei die sonst hohen Barrieren einer Investition weiter im Osten Europas umgehen. Viele andere Unternehmen werden diese Strategie aufgreifen. Eine solche vermehrte Ansiedlung von ausländischen Unternehmen in Grenznähe könnte in Zukunft auch durch die rumänische und ukrainische Regierungen gefördert werden, um die dort hohe Arbeitslosigkeit zu reduzieren – so wie die mexikanische Regierung die Maquiladoras78 in Grenznähe zu den USA gefördert hat.

Abbildung 48: Ungarische Minderheiten im osteuropäischen Ausland79

6.4.8

Erfolgreich nach Ungarn verlagern – Best Practice

Wie schon geschildert, sind viele deutsche Unternehmen bereits in den frühen 90er Jahren mit Produktionsaktivitäten nach Ungarn gekommen. Meistens haben sie dabei den Einstieg 78

Maquiladoras sind zollbefreite Tochtergesellschaften ausländischer Unternehmen im Grenzgebiet zur USA, die Produkte aus importierten Komponenten montieren. 79 Vgl. Amt für ungarische Minderheiten (2005).

Funktionsstrategien: Welche Aktivitäten in Ungarn und wie integrieren?

115

mit einer Lohnveredelung gewählt. Diese Aktivitäten haben sie dann nach und nach aufgewertet. Für ein Unternehmen, das heute nach Ungarn kommt, sind die Investitions- und Handelsbarrieren aber bereits deutlich niedriger als damals, sodass sie auch von Anfang an umfangreiche und komplizierte Produktionstätigkeiten verlagern können. Basierend auf den Erfahrungen der Unternehmen, die Verlagerungen erfolgreich gemeistert haben, stellen wir im Folgenden eine Best Practice für die Produktionsverlagerung nach Ungarn vor. Abbildung 49 zeigt eine schematische Übersicht des Prozesses.

Zeitliche Übersicht einer Produktionsverlagerung von Deutschland nach Ungarn (exemplarisch) • Entscheidung für Ungarn • Team am Stammsitz aufbauen • Kommunikation mit Lieferanten und Mitarbeitern • Regionsanalyse und -auswahl • Standortsuche • Prozessabstimmung mit Lieferanten • Rekrutierung ung. Managements Baumaßnahmen • Rekrutierung ung. Produktionspersonals • Personalschulungen am Stammsitz • Verlagerung der Maschinen • Fertigungsbeginn • Prozessverbesserungen • Serienproduktion • Lieferantenbasis überprüfen • Aufwertung beginnen

Abbildung 49: Zeitübersicht einer Produktionsverlagerung (exemplarisch) Die Verlagerung von Produktionsaktivitäten nach Ungarn folgt in der Regel einer Vorstandsoder Geschäftsführungsentscheidung zu der internationalen Expansionsstrategie des Unternehmens. Typischerweise soll die Produktion eines deutschen Standorts verlagert werden. Es gibt aber auch Fälle, in denen mehrere Standorte, gegebenenfalls auch im europäischen Ausland, Produktionsaktivitäten an eine zu gründende ungarische Tochter abgeben. Die Motivation für die Verlagerung ist in der Regel, die ungarischen Standortvorteile im Rahmen einer Strategie der Globalen Integration für das Unternehmen zu erschließen. Bevor aber jegliche Aktivitäten in Ungarn beginnen können, muss das Unternehmen als Erstes am Stammsitz ein Team aufbauen, das die Expansion nach Ungarn vorbereitet und steuert. Dieses Team sollte General-Management- und Produktionserfahrung haben und der zukünftige Leiter des ungarischen Tochterunternehmens sollte das Team führen. Wichtig ist, dass das Team verschiedene Interessengruppen früh über die Verlagerung informiert. Insbesondere muss es Lieferanten darauf vorbereiten, dass es zu einer Verlagerung

116

Produktion – Produktion folgt meist Exportorientierung oder Globaler Integration

kommt. Auf diesem Weg kann das Team auch die Bereitschaft der bisherigen Lieferanten abklären, der Produktion nach Ungarn zu folgen. Gleichzeitig muss das Team die Produktionsmitarbeiter informieren. Natürlich ist das eine besonders unangenehme Aufgabe, aber die eindeutig beste Lösung ist es, schlechte Nachrichten so früh wie möglich in vollem Umfang auf den Tisch zu bringen. Dann besteht noch die Zeit, im Konzern alternative Verwendungen für die betroffenen Mitarbeiter zu finden oder ihnen zumindest Planungssicherheit zu geben. Als Nächstes muss das Team einen geeigneten Standort in Ungarn identifizieren. Wie bereits dargestellt, lohnt es sich aufgrund der regionalen Unterschiede, zuerst die Region mit den am besten zur Geschäftsstrategie passenden Rahmenbedingungen auszuwählen. Danach beginnt dann die eigentliche Suche nach dem konkreten Standort. Dazu ist es sinnvoll, Mitglieder des Teams einzubinden, das die ursprüngliche Investitionsrechnung und Standortbewertung durchgeführt und Ungarn empfohlen hatte. Hat das Team einen konkreten Standort ausgewählt, sind die Formalitäten zu erledigen und ist eine Gesellschaft nach ungarischem Recht zu gründen. Unbedingt sollten deutsche Manager dabei einen verlässlichen ungarischen Übersetzer, besser noch eine auf deutsche Investoren spezialisierte Anwaltskanzlei in Budapest zu Hilfe nehmen. Gleichzeitig ist ein fester Standort eine gute Voraussetzung, damit das Team beginnen kann, ungarische Führungskräfte zu rekrutieren. Diese müssen in die weiteren Planungen eingebunden werden. Zum Beispiel können bei den anstehenden Baumaßnahmen durchaus Zeitund Geldersparnisse realisiert werden, wenn ein ungarischer Manager regelmäßig den Fortschritt prüft. Der feststehende exakte Ort des Produktionsstandorts ermöglicht es dem Team ebenso, die Planungen für die Beschaffung voranzutreiben. Jetzt muss das Team definitiv untersuchen, ob lokale Lieferanten langfristig die bisherigen Lieferanten ersetzen können und sollen, ob sich die bisherigen Lieferanten in Ungarn ansiedeln sollen oder ob sie die Produktion in Ungarn von ihren bisherigen Produktionsstätten aus beliefern sollen. Für den Anfang bietet sich die letzte Variante an, da damit der Verlagerungsprozess beschleunigt wird. Hat das Managementteam ungarische Führungskräfte gewonnen, so muss das verstärkte Team mit der Rekrutierung von ungarischem Produktionspersonal beginnen. Es lohnt sich dann, diese Mitarbeiter an den deutschen Produktionsstandort zu schicken. Dort lernen sie – geführt von ihrem zukünftigen Management – an den Maschinen, die sie später selbst in Ungarn bedienen sollen. Ein Produktionsprozess kann erst dann nach Ungarn verlagert werden, wenn das ungarische Team die Linie auch beim Auftauchen kleinerer Probleme selbständig bedienen kann und die deutsche Fertigung mit dem ungarischen Team stabil läuft. Idealerweise werden in der Zwischenzeit die Baumaßnahmen abgeschlossen. Dann folgt die eigentliche Verlagerung der Produktionslinie. Dabei kann das Managementteam für Ungarn die Produktionsmitarbeiter in den Abbau, die Verpackung, den Transport und den Aufbau der Anlagen zumindest ansatzweise einbinden. Auf diesem Weg trägt es bei den ungarischen Mitarbeitern zu einem „ownership“-Gefühl für diese Linie bei. Trotzdem muss das Unternehmen für den Ab- und Aufbau der Anlage ausreichende Kapazitäten an Produktionsspezialisten vom Stammsitz einplanen. Erst nach und nach sollten dann weitere Kapazitäten in Form weiterer Linien nach Ungarn folgen.

Funktionsstrategien: Welche Aktivitäten in Ungarn und wie integrieren?

117

Nach einer Stabilisierung der Produktion in Ungarn kann das Managementteam die Möglichkeit einer Beschaffung von lokalen Lieferanten erneut prüfen. Zu diesem Zeitpunkt hat das Managementteam die wichtigsten operativen Themen im Griff und verfügt über die Kapazitäten, die für die Auditierung und die Entwicklung lokaler Lieferanten notwendig sind. Gleichzeitig muss das ungarische Management auch die Optimierung der Prozesse in Angriff nehmen, sobald sie stabil in Ungarn laufen. Dies ist insbesondere dann notwendig, wenn Produktionstätigkeiten aus unterschiedlichen Fabriken in Ungarn zusammengeführt werden. Das langfristige Ziel des Managements muss es dann sein, die Produktion in Ungarn konsequent aufzuwerten und gegebenenfalls weitere Funktionen wie zum Beispiel Forschung & Entwicklung in Ungarn anzusiedeln. Damit kann es die Standortvorteile Ungarns in noch größerem Maß dem Konzern zugänglich machen.

6.4.9

Fallbeispiel: WET – Aufwerten und verlagern

Die WET Automotive Systems AG beliefert Automobilhersteller mit Sitzheizungen, Reglerkomponenten und konfektionierten Kabeln. Das Unternehmen wurde 1968 gegründet und ist mittlerweile auf 3.800 Mitarbeiter angewachsen, die am Stammsitz in der Nähe von München, in den USA, in Mexiko, China, Japan, Südkorea, in der Ukraine und in Ungarn tätig sind. Die Verlagerung von Produktionsaktivitäten nach Ungarn war für WET absolut notwendig, da die Konkurrenz ebenfalls eine Strategie der Globalen Integration gewählt hatte und die Standortvorteile verschiedener osteuropäischer Länder mit niedrigeren Löhnen ausnutzte. Mit der Absicht, insbesondere von den niedrigeren Lohnkosten in Ungarn zu profitieren, gründete das Stammhaus 1994 die WET Automotive Systems Ungarn GmbH, die mit zunächst 30 Mitarbeitern die Kabelkonfektionierung in Pilisszentiván (Großraum Budapest) aufnahm. Die Kabelkonfektionierung ist praktisch eine Lohnveredelung und erfordert vergleichsweise sehr einfache Tätigkeiten, für die ungelernte Kräfte eingesetzt werden können, die nicht mehr als etwa drei Wochen Training benötigen.

Aufwertung von der Lohnveredelung bis zur Produktverantwortung Bei der Lohnveredelung sollte es in Ungarn aber nicht lange bleiben: Nachdem die Kabelkonfektionierung in Ungarn Erfolg gezeigt hatte, wurde bereits 1997 ein erster Aufwertungsschritt vorgenommen: Mit einer auf 90 Mitarbeiter angewachsenen Belegschaft begann WET Ungarn jetzt auch die Montage der weitaus komplexeren Sitzheizungen. Die Anforderungen an das Personal stiegen damit deutlich. Nachdem auch diese Verlagerung sich als erfolgreich herausgestellt hatte und der Kostendruck bei den Sitzheizungsprodukten ungebrochen hoch war, entschied sich WET zu einem weiteren Schritt: Schon 1998 weitete WET die Sitzheizungsproduktion in Ungarn drastisch aus. Damit erfuhr der Standort Ungarn einen deutlichen Kompetenzausbau – und große Anerkennung im Konzern.

118

Produktion – Produktion folgt meist Exportorientierung oder Globaler Integration

Um der auf 500 Mitarbeiter gewachsenen Produktion ausreichenden Platz zu bieten, eröffnete WET 1999 eine neue Produktionshalle. Gleichzeitig begann WET damit, Produktionsingenieure einzustellen. Sogar eine Forschung & Entwicklungsabteilung gründete WET Ungarn noch im gleichen Jahr. Der Trend in der Qualifikation des eingesetzten Personals zeigte also immer weiter nach oben. Aber auch die Produktion konnte das Unternehmen mit komplexen Produkten wie den Klimasitzen bis auf 950 Mitarbeiter im Jahr 2001 steigern, sodass WET Ungarn ein neues Hochregallager und eine weitere Produktionshalle errichtete. Den bisherigen Höhepunkt der Aufwertung der Wertschöpfung erreichte die WET Ungarn mit der Eröffnung eines neuen Technologiezentrums im Jahr 2002 und mit der Übernahme der Serienentwicklung der Kabel- und Sitzheizungstechnik für Europa und Asien. 2004 beschäftigte WET Ungarn über 1.200 Mitarbeiter, davon rund 80 Ingenieure. Bis heute hat WET über 30 Millionen Euro in den Standort Ungarn investiert.

Weitergabe der Lohnveredelung in die Ukraine WET hat Ende 2004 begonnen, ein Werk im ukrainischen Uzhhorod (siehe Karte auf Seite 114) zu errichten. Die neue Produktionsstätte in Grenznähe zu Ostungarn ist bereits seit Frühling/Sommer 2005 in Betrieb. Mit dem zusätzlichen Standort in der Ukraine nutzt WET die niedrigeren Lohnkosten aus, indem das Unternehmen dort die besonders arbeitsintensiven Produktionsschritte in Sitzheizungsbau und Kabelkonfektionierung ausführt. Dazu hat WET knapp 600 Mitarbeiter eingestellt. Die Expansion wird von einem ungarischen Managementteam geleitet - zusammen mit der Geschäftsführung vor Ort. Dieses rekrutiert den Personalbedarf aus der ungarischsprachigen Minderheit im ukrainischen Grenzgebiet und schult das Fertigungspersonal in Ungarn. Nachdem die ukrainischen Mitarbeiter die Produktionsabläufe beherrschten, werden die arbeitsintensiven Produkte nach der Kundenfreigabe in die Ukraine verlagert. Die Logistik für den neuen Standort steuert weiterhin das ungarische Management in Pilisszentiván. Die Koordination zwischen den beiden Standorten erfordert keine langen Reisezeiten und funktioniert bislang gut. Diese nun in der Ukraine durchgeführten Tätigkeiten wurden zuvor in Ungarn durchgeführt – am Standort Pilisszentiván sind also Arbeitsplätze abgebaut worden. Und für die Zukunft plant WET Ungarn, weitere besonders einfache Tätigkeiten in die Ukraine abzugeben. Dies ist aber nur die halbe Wahrheit, wie der vorangegangene Abschnitt zur Aufwertung der ungarischen Produktion gezeigt hat: Während mehr und mehr komplexe Tätigkeiten in Ungarn angesiedelt wurden, werden nun die einfacheren Tätigkeiten weiterverlagert – dafür spricht allein schon die begrenzte Kapazität des Standorts. Noch bedeutender ist aber, dass WET nun in Ungarn und in der Ukraine die jeweils besonders wertvollen Standortvorteile ausnutzen kann. Gleichzeitig ist das Engagement in der Ukraine erst durch das Sprungbrett Ungarn interessant geworden, da sonst die Investitions- und Handelsbarrieren prohibitiv hoch gewesen wären. Insgesamt vollzieht sich damit für WET Ungarn langsam ein Wandel vom Produktions- zum Koordinations- und Technologiestandort.

Funktionsstrategien: Welche Aktivitäten in Ungarn und wie integrieren?

6.5

119

Marketing & Vertrieb – Geschäftstransfer in Marketing & Vertrieb

Deutsche Unternehmen in Ungarn folgen in ihren Marketing- & Vertriebsaktivitäten in den meisten Fällen einer Geschäftstransferstrategie, wie Abbildung 50 zeigt. Am weitesten verbreitet ist es also, in Ungarn eine Marketing & Vertriebsfunktion anzusiedeln, die sich um den ungarischen Markt bemüht. Darüber hinaus richten viele Unternehmen ihre Marketing- & Vertriebsstrategie exportorientiert aus: Der ungarische Absatzmarkt wird dann ganz oder teilweise von der Zentrale aus bearbeitet. Globale Integration von Marketing & Vertrieb tritt in Ungarn nur in einigen Fällen auf. Darunter ist zu verstehen, dass deutsche Unternehmen eine ungarische Marketing- & Vertriebsfunktion aufbauen, die sich an einen anderen als an den ungarischen Markt richtet, also zum Beispiel an den deutschen oder einen osteuropäischen Markt.

Globale Integration

10 10

Geschäftstransfer

23 23

17 17

26 26

11 11

38 38

40 40

88

99

46 46

53 53 28 28

21

65 65

63 63

28 28

28 28

49 49

100 12 12

15 15

13

49 49

36 36

1010

Maschinen- Elektronik- Chemische bau industrie Industrie 14

49 49

39 39

26 26 10 10

n

99

8282

81 81

47 47

58 58

Fahrzeugbau

77

27 27

25 25

Export67 67 orientierung

99

14

PharmaIndustrie

Durchschnitt

15

77

Abbildung 50: Expansionsstrategien in Marketing & Vertrieb 2005 und 2010e in % Mit dieser Strategiewahl ist Marketing & Vertrieb eine Ausnahme unter den Unternehmensfunktionen. Die vorausgegangenen Unterkapitel zu Forschung & Entwicklung, Beschaffung und Produktion haben eine deutliche Dominanz von Exportorientierung und Globaler Integration gezeigt. Lediglich im Fall der Unterstützungsfunktionen war der Geschäftstransfer noch von Bedeutung. Im Folgenden zeigen wir, was den Geschäftstransfer von Marketing & Vertrieb nach Ungarn attraktiv macht.

120

6.5.1

Marketing & Vertrieb – Geschäftstransfer in Marketing & Vertrieb

Marktchancen erfordern Marketing & Vertrieb vor Ort

Für einige der untersuchten deutschen Unternehmen waren die Marktchancen in Ungarn eine zentrale Motivation der Expansion nach Ungarn. Wie in Kapitel 5.4.1 gezeigt, sehen die befragten Manager die Marktchancen Ungarns vor allem im Volumen und im Wachstum des Absatzmarkts. Wir haben zwar geschildert, dass der ungarische Absatzmarkt im Geschäftskundenbereich aufgrund einer eher schwachen lokalen Industrie begrenzt ist. Im Massenmarkt setzen die unter dem EU-Durchschnitt liegende Kaufkraft und die mit 10 Millionen Einwohnern eher kleine Bevölkerung dem Markt ein Limit. Trotzdem ist der Absatzmarkt so groß, dass viele deutsche Unternehmen ihn nicht außer Acht lassen wollen. Um den ungarischen Markt bedienen zu können, ist eine Lokalisierung der Marketing & Vertriebsfunktion meist unumgänglich. Nur in Ungarn angesiedelte Marketingmanager kennen den lokalen Markt und können qualifizierte Entscheidungen treffen. Den ungarischen Markt von Deutschland aus zu bearbeiten, würde auch einen enormen Koordinationsaufwand mit sich bringen. Darüber hinaus sind meist auch die Wettbewerber mit einer eigenen Präsenz vertreten, wie unsere Interviewpartner betonten. Bei der Entscheidung deutscher Unternehmen über eine Expansionsstrategie für Marketing & Vertrieb ziehen sie auch Skalen- und Verbundeffekte in Betracht. Ein ungarisches Vertriebsbüro kann solche Vorteile zum Beispiel dann realisieren, wenn es im Konsumgütermarketing eine Werbekampagne aus einem anderen Land mit kleinen Adaptionen übernehmen oder nachahmen kann. Im Geschäftskundenmarketing kann zum Beispiel eine technische Dokumentation zu einer Maschine nur übersetzt werden, anstatt sie neu zu verfassen. Eine neue Vertriebsgesellschaft in Ungarn kann auch ganz erheblich von der organisatorischen Aufstellung und von den internen Anreizsystemen bereits existierender und erfolgreicher Länderorganisationen lernen.

6.5.2

Vertriebsbüros nutzen Geschäftstransfer besonders stark

In den Branchen, die in Ungarn eher keine Produktionsanlagen betreiben, also in Chemischen und Pharmaindustrie, wählen deutsche Unternehmen in Ungarn den Geschäftstransfer für Marketing & Vertrieb besonders häufig. Offensichtlich bewerten sie die Verbundvorteile und Handelsbarrieren höher als die anderen Branchen. Dies lässt sich wie folgt illustrieren: Die Handelsbarrieren in der Chemischen Industrie sind unter anderem deswegen besonders hoch, weil die Geschäftskunden in der Regel Ansprechpartner vor Ort verlangen, die bei technischen Problemen mit der Weiterverarbeitung eines Produkts sofort zu den Produktionsanlagen kommen können. In den Branchen, die in Ungarn in größerem Umfang Produktionsanlagen betreiben, also in Fahrzeugbau, Elektronikindustrie und Maschinenbau, setzen die Unternehmen dagegen nur zu etwa 25 bis 45 % auf den Geschäftstransfer von Marketing & Vertrieb. Hier spielt die

Funktionsstrategien: Welche Aktivitäten in Ungarn und wie integrieren?

121

Exportorientierung eine wichtigere Rolle, insbesondere im Fahrzeugbau. Der Hauptgrund für die Exportorientierung im Fahrzeugbau ist, dass die untersuchten Unternehmen größtenteils Zulieferer für die Automobilhersteller sind. Die von diesen Unternehmen gewählte Marketingstrategie berücksichtigt, dass der Einkauf der OEMs meist in Deutschland oder in anderen Ländern ansässig ist. Global zuständige Key Account Manager betreuen daher von der Zentrale aus die OEMs. Die Zulieferer koordinieren ihren Vertrieb also eher in Deutschland als in Ungarn. Das zentrale Marketing greift auch dann, wenn die Produktion eines OEMs in Ungarn stattfindet – daher stammt die in der Automobilindustrie besonders starke Exportorientierung von Marketing & Vertrieb. Die in allen fünf untersuchten Branchen (schwach) vorhandene Globale Integration besteht fast immer darin, dass von Ungarn aus Marketing- & Vertriebsaktivitäten für andere osteuropäische Länder durchgeführt werden. Auf diese Möglichkeit gehen wir im folgenden Abschnitt ein.

6.5.3

Ungarn als Sales-Hub in Osteuropa nutzen

BIP 2003 (Milliarden EUR)

Einwohner 2003 (Millionen)

Kroatien

27,9

4,4

Slowenien

26,8

2,0

Slowakei

32,1

5,4

Ukraine Rumänien

5.940

48,5

79,1

Ø-Wachstum 98-03 (%)

3,028

13.488

3,558 3,173

901

22,3

181,8

Gesamt

Ungarn

6.306

43,7 51,3

BIP pro Kopf 2003 (EUR)

7,5

2.299

82,7

3,278

2.199

9,9

4,277

8.004

3,926

Abbildung 51: Wirtschaftsdaten zu Ungarns Nachbarstaaten80 Mehrere der von uns befragten Manager gaben an, dass sie ihre Marketing & Vertriebsorganisation auch für andere Märkte in der Region einsetzen. Mit zentralen Marketing- & Vertriebsaktivitäten in Ungarn können deutsche Unternehmen kostengünstig umliegende weniger 80

Ohne Serbien. Quelle: International Financial Statistics, IMF.

122

Marketing & Vertrieb – Geschäftstransfer in Marketing & Vertrieb

entwickelte Märkte bearbeiten. In diesen Märkten lohnt es sich bislang für deutsche Unternehmen meist nicht, jeweils eine eigene Marketing & Vertriebsgesellschaft aufzubauen. In Summe können diese Märkte jedoch durchaus attraktiv sein, und eine zentrale Marketing & Vertriebsgesellschaft in Ungarn ist dann eine effiziente Möglichkeit, diese Märkte zu bearbeiten. Bereits jetzt führen mehrere der von uns untersuchten deutschen Unternehmen in Ungarn solche Aktivitäten insbesondere für Rumänien durch. Andere kleine Märkte Ost- und Südosteuropas, die von Ungarn aus bedient werden können, sind Slowenien, Kroatien, die Ukraine sowie die Slowakei (siehe Abbildung 51). Unternehmen, die bereits jetzt durch eine zentrale ungarische Marketing & Vertriebsfunktion auf den umliegenden kleineren Märkten mit ihren Produkten präsent sind, werden einen erheblichen Startvorteil haben, wenn die Märkte wachsen und eine eigene Vertriebsgesellschaft vor Ort rechtfertigen: Das Unternehmen kennt dann bereits die lokalen Markteigenheiten – und die Kunden kennen bereits die Produkte und Marke des Unternehmens.

6.5.4

Kleine Anpassungen des Marketings zahlen sich aus

Marketing & Vertrieb richten sich immer nach den Märkten, die sie bearbeiten. Deutsche Unternehmen können ihre Marketing- & Vertriebspraktiken allerdings weitgehend aus Deutschland übernehmen, wie wir im Folgenden zeigen. Aber schon mit einzelnen kleineren Anpassungen an lokale Gegebenheiten können deutsche Unternehmen ihren Erfolg auf den ungarischen Absatzmärkten weiter steigern.

Ungarische sind deutschen Konsumenten ähnlich, aber preisbewusster Es ist grundsätzlich ein großer Vorteil für deutsche Unternehmen, dass sie die meisten ihrer Produkte unverändert in Ungarn verkaufen können. Ungarische Konsumenten sind ihren deutschen „Artgenossen“ in ihren Anforderungen und Wünschen recht ähnlich. Die Entwicklung neuer Produkte für den ungarischen Markt ist daher selten notwendig und aufgrund der begrenzten Marktgröße häufig auch nicht wirtschaftlich. Meistens reicht es schon, geringfügige Anpassungen in Marketing & Vertrieb vorzunehmen. Und auch hier gilt: Eine Werbekampagne, die in Westeuropa erfolgreich war, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in Ungarn erfolgreich sein. Fälle wie in China, in denen Werbespots, die in anderen Ländern harmlos waren, mit einer unbeabsichtigten und vorher nicht erkannten Symbolik Konsumenten verärgerten, wird es in Ungarn nicht geben. Eine Neuausrichtung von Marketing & Vertrieb ist also nicht gefragt, sondern lediglich eine Feinjustierung. Dazu zählt insbesondere eine Anpassung an die in Ungarn niedrigere Kaufkraft, die mit weitaus preissensibleren Kunden verbunden ist. Wie uns ein Manager erklärte, beobachtet er

Funktionsstrategien: Welche Aktivitäten in Ungarn und wie integrieren?

123

häufig, dass deutsche Manager in Ungarn zu sehr von der Qualität ihrer Produkte überzeugt sind – und daher die Bedeutung des Preises unterschätzen. An die etwas höhere Preissensibilität ungarischer Kunden können sich Unternehmen dabei teilweise recht einfach anpassen: Zum Beispiel wissen die Automobilhersteller um diese Problematik und bieten in Ungarn zwar ihre neuesten Fahrzeugmodelle an, aber sie statten diese häufig mit etwas weniger Ausstattung oder mit einem etwas kleineren Motor aus. Damit können auch besonders preisbewusste Kunden zu einem für den Autohersteller profitablen Preis ein Auto der entsprechenden Marke kaufen – und besonders zahlungskräftige Konsumenten können weiterhin alle Sonderaustattungen erhalten.

Kleine Firmenkunden haben Kapitalmangel und kaufen unregelmäßig ein Auch im Firmenkundengeschäft gilt, dass die Produkte deutscher Unternehmen grundsätzlich den Bedarf ungarischer Unternehmen treffen und dass Produktneuentwicklungen für Ungarn nicht unmittelbar notwendig und aufgrund der etwas schwachen ungarischen Industrie nur selten lohnend sind. Vereinzelt haben deutsche Unternehmen aber Wege gefunden, günstig beziehungsweise mit geringen Anpassungen die Eignung ihres Produktes für den ungarischen Markt erheblich zu steigern. Wie im Endkundengeschäft ist es auch im Firmenkundengeschäft meist ausreichend, Marketing- & Vertriebsaktivitäten an die Besonderheiten des ungarischen Absatzmarkts etwas anzupassen. Die geringere Kaufkraft ungarischer Konsumenten findet sich im Firmenkundengeschäft in ähnlicher Form wieder: Insbesondere kleinere ungarische Unternehmen leiden unter Kapitalmangel. Dies betrifft sowohl ungarische Wettbewerber als auch ungarische Kunden deutscher Unternehmen. Im Fall der ungarischen Wettbewerber führt der Kapitalmangel häufig dazu, dass die Wettbewerber keine Lagerhaltung finanzieren können und daher nur auf Bestellung produzieren oder womöglich sogar erst nach Vorkasse das notwendige Material einkaufen. Konkurrierende deutsche Unternehmen in Ungarn können sich also mit auf Lager verfügbaren Produkten und den entsprechend kürzeren Lieferzeiten deutlich von ihren ungarischen Konkurrenten differenzieren. Im Fall der ungarischen Geschäftskunden führt der Kapitalmangel gelegentlich dazu, dass Kunden Schwierigkeiten haben, das eingekaufte Vorprodukt zu bezahlen, bevor sie von ihrem Kunden bezahlt worden sind. Auch hier können sich mit einer entsprechenden Kapitaldecke ausgestattete deutsche Unternehmen einen Marktvorteil verschaffen, indem sie längere Zahlungsziele gewähren. Nach der übereinstimmenden Meinung vieler unserer Gesprächspartner führt der Kapitalmangel teilweise auch zu einem unvorhersehbaren Orderverhalten: In vielen Fällen konnte ein deutsches Unternehmen in Ungarn einen Kunden gewinnen, der einmalig eine beachtliche Menge bestellte, doch konnten danach selbst durch intensiven Einsatz der Vertriebsmitarbeiter

124

Marketing & Vertrieb – Geschäftstransfer in Marketing & Vertrieb

keine weiteren Umsätze mit diesem Kunden generiert werden, sodass der Kunde aufgegeben wurde. Was war passiert? Tatsächlich hatte der Kunde seinen Bedarf an Materialien für mehrere Monate oder gar einen Jahresbedarf eingekauft. Die Erfolglosigkeit der Kundenbearbeitung durch den Vertrieb in den folgenden Monaten war dann nur eine logische Konsequenz. Zu einem solchen Kaufverhalten trägt häufig bei, dass der Kunde zu diesem Zeitpunkt dann gerade einmal Kapital verfügbar hatte. Es kann sich daher für deutsche Unternehmen durchaus lohnen, einen ungarischen Kunden nicht sofort als verloren gelten zu lassen, sondern Geduld zu üben und auch nach Monaten oder nach einem Jahr nochmals bei dem Kunden vorzusprechen. Vielleicht hatte der Vertrieb auch die falschen Anreize gegeben: Womöglich ließe sich mit einem schwächeren Mengenrabatt das Kaufverhalten des Kunden glätten. Es lohnt sich in jedem Fall, die Kommunikation mit dem Kunden zu suchen, um dessen Kaufverhalten verstehen zu können. Das folgende Fallbeispiel greift mehrere der hier erwähnten Marktbesonderheiten auf und zeigt, wie ein österreichisches Unternehmen den Vertrieb erfolgreich daran angepasst hat.

6.5.5

Fallbeispiel: Feinsteuerung im Vertrieb eines Chemieunternehmens

Sehr unterschiedliche Kunden in Ungarn Ein traditionsreiches Chemieunternehmen ist seit Mitte der 90er Jahre in Ungarn tätig. Das Unternehmen bedient in verschiedenen Branchen eine Vielzahl von Kunden, die sich in vielen Aspekten unterscheiden. Unter den Kunden sind kleine wie mittlere Unternehmen, aber auch große Konzerne. Zu den Kunden zählen sowohl Niederlassungen ausländischer Firmen als auch ungarische Unternehmen. Die Kunden sind über ganz Ungarn verteilt und unterscheiden sich auch in ihrem Bestell- und Zahlungsverhalten.

Vertriebserfolg durch differenzierte Mitarbeiterbewertung gesteigert Die zuvor beschriebene Kundenstruktur hat deutliche Auswirkungen auf die Attraktivität der einzelnen Kunden für das Unternehmen. Besonders attraktive Kunden kaufen regelmäßig konstant hohe Mengen bestimmter Produkte, zahlen stets pünktlich und machen keinen übermäßig großen logistischen Aufwand notwendig. Lange Zeit spiegelten sich diese Faktoren aber nicht im Bewertungs- und Anreizsystem der Vertriebsmitarbeiter wider. Das Unternehmen belohnte nur das Volumen der eingegangenen Aufträge. Tatsächlich fielen dann bei manchen Kunden aber deutliche Zusatzkosten für weiteren oder häufigeren Transport, Stornierungen, nicht abgenommene Lieferungen und Zahlungsverzug an. Die Vertriebsmitarbeiter hatten aber aufgrund des einfachen Bewertungsund Anreizsystems kein Interesse daran, auf solche Faktoren zu achten.

Funktionsstrategien: Welche Aktivitäten in Ungarn und wie integrieren?

125

Diese Situation fand ein neuer Managing Director vor. Wie er schildert, war ihm nach einer Analyse der Profitabilität einzelner Kunden klar, dass eine Feinjustierung des Bewertungsund Anreizsystems für die Vertriebsmitarbeiter eine seiner wichtigsten Aufgaben sein würde. Mittlerweile bildet das Unternehmen mit dem System weit mehr als nur den Umsatz der eingeholten Aufträge ab, zum Beispiel die Regelmäßigkeit von Bestellungen und das Zahlungsverhalten des Kunden. Ein solches System erfordert aber ein sehr fortschrittliches Controlling, das auch erst entsprechend in einer Software umgesetzt werden muss. Diese Schritte hat der neue Managing Director getan und die Umstellung des Bewertungs- und Anreizsystems auf die wirkliche Profitabilität der eingeholten Aufträge ist vollzogen. Letztlich macht sich das Unternehmen mit dem neuen System das Wissen der Vertriebsmitarbeiter zunutze und setzt es gegen die sonst im Markt herrschende Informationsasymmetrie ein: Offensichtlich können die Vertriebsmitarbeiter nach mehrfachen Kundenbesuchen gut einschätzen, welche Kunden zum Beispiel verlässlicher pünktlich zahlen. Die Vertriebsmitarbeiter fokussieren ihre Aktivitäten jetzt stärker auf profitablere Kunden. Das Bewusstsein der Vertriebsmitarbeiter für Probleme wie eine schlechte Zahlungsmoral hat vereinzelt auch dazu geführt, dass Kunden ihr Verhalten verändert haben. Insgesamt hat das Unternehmen mit der Anpassung des Anreizsystems im Vertrieb die Geschäftsergebnisse deutlich verbessert.

7.

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

Nachdem wir in den vorangegangenen Kapiteln unser Modell Internationaler Expansionsstrategien vorgestellt und die wichtigsten Asse und Barrieren im ungarischen Markt sowie die industrieübergreifenden Strategien innerhalb der Funktionsbereiche analysiert haben, wenden wir uns im folgenden Kapitel den einzelnen Branchen zu. Durch die branchenspezifische Betrachtung werden wir aufzeigen, wie deutsche Unternehmen auf branchenspezifische Ausprägungen der Asse und Barrieren in ihrer Strategiewahl reagieren. Dazu geben wir zunächst einen kurzen Überblick über die jeweilige Branche, identifizieren die wichtigsten Trends und skizzieren die Herausforderungen, denen sich die Unternehmen in Ungarn zurzeit gegenüber sehen. Konkrete Fallbeispiele im Anschluss an jedes Branchenkapitel verdeutlichen, wie Unternehmen in der Praxis branchenspezifische Asse ausspielen und Barrieren erfolgreich überwinden.

7.1

Fahrzeugbau – Steigender Wettbewerbsdruck zwingt zur Neuausrichtung der Wertschöpfung in Ungarn

In diesem Kapitel werden wir uns mit der Fahrzeugindustrie und der verbundenen Zulieferindustrie beschäftigen. Unsere Analyse erstreckt sich auf das Segment der Personenkraftwagen (Pkw) sowie der Nutzfahrzeuge (Lastkraftwagen und Busse). Da unsere Interviewpartner immer wieder auf andere Länder in der Region sowohl als potenzielle Märkte als auch als konkurrierende Standorte hinwiesen, beziehen wir diese Länder in unsere Diskussion mit ein. Die Automobilindustrie übernahm nach der politischen Wende die Pionierrolle in der Erschließung der Märkte in Osteuropa. Dank geografischer Nähe und hoher Arbeitskosten in den Stammwerken etablierten sich die deutschen Unternehmen schnell als Vorreiter in der Region. Das im Vergleich zu den Märkten in Westeuropa höhere Marktwachstum und das niedrigere Lohnniveau bei vergleichsweise hoher Produktivität machen Osteuropa zu einem interessanten Markt sowohl auf Absatz- als auch auf Produktionsseite. Dies gilt nicht zuletzt für Ungarn, das auf stetig wachsende Neuzulassungen und eine starke Basis an Automobilproduktion verweisen kann. Allerdings wird sich Ungarn in naher Zukunft einigen Herausforderungen stellen müssen: Trotz weiterhin positiver langfristiger Prognosen zeichnet sich im Neuwagenmarkt ein zunehmender Preisdruck ab. Außerdem muss sich Ungarn im regionalen Wettbewerb um Investitionen vor allem mit Tschechien und der Slowakei behaupten. Dem steigenden Kostendruck versuchen die Unternehmen durch Aufwertung der Wertschöpfung

128

Fahrzeugbau

in der Produktion, Lokalisierung weiterer marktferner Funktionen wie zum Beispiel Forschung & Entwicklung sowie durch verstärkte lokale Beschaffung zu begegnen. Auf der Absatzseite verstärken deutsche Unternehmen momentan ihre Aktivitäten in Marketing & Vertrieb.

7.1.1

Deutsche Automobilfirmen global integriert

Unsere quantitativen empirischen Untersuchungen zeigen, dass die deutschen Automobilfirmen sich für die Strategie der Globalen Integration entschieden haben. Damit tragen sie dem geringen Marktvolumen und den großen Standortvorteilen in Ungarn Rechnung. In allen Funktionsbereichen bis auf Marketing & Vertrieb beträgt der Anteil Globaler Integration ungefähr zwei Drittel. Der restliche Anteil wird überwiegend durch andere Unternehmensteile erbracht (Exportorientierung). Nur Unterstützungsfunktionen und Produktion werden in nennenswertem Umfang von Ungarn aus für den ungarischen Markt erbracht (Geschäftstransfer). Im Marketing & Vertrieb dominieren dagegen die Strategien der Exportorientierung und des Geschäftstransfers. Der im Funktionsvergleich hohe Anteil des Geschäftstransfers erklärt sich aus der hohen Marktnähe der Marketing & Vertriebsfunktion. Allerdings verfügen nur neun der 22 befragten Unternehmen über eine Vertriebsfunktion, die außerdem in einigen Fällen nicht alle lokalen Kunden betreut. Dies erklärt die hohe Exportorientierung der Vertriebsfunktion, die auch durch die globale Organisation der Automobilhersteller und der First-Tier-Supplier erst ermöglicht wird.

Stabile Strategiewahl In den nächsten fünf Jahren erwarten unsere Interviewpartner eine leichte Zunahme Globaler Integration in Marketing & Vertrieb sowie in den Unterstützungsfunktionen. Die Bewegung in Richtung Globaler Integration wird hauptsächlich zu Lasten der Exportorientierung gehen. Angesichts geringer Veränderungen in der Ausprägung der Asse und Barrieren sehen die Automobilfirmen keinen Anlass zu größeren strategischen Richtungswechseln. Das ungarische Marktvolumen im Pkw-Markt wird trotz hohen Wachstums keine Montagewerke, die hauptsächlich für den ungarischen Markt produzieren, rechtfertigen. Ebenso gehen die Zulieferfirmen nicht davon aus, dass sich im ungarischen Markt nennenswerte Absatzmöglichkeiten für ihre Produkte bieten werden. Damit bleibt die Bedeutung des entsprechenden Asses gering. Die hohen Skalen- und Standortvorteile bleiben dagegen auch in Zukunft bestehen. Auch von den Barrieren ist in Zukunft kein größerer Einfluss auf die Strategiewahl zu erwarten.

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

129

10 10

100 16 16

23 23

Globale Integration

62 62

Geschäftstransfer

19 19

16 16

Export19 19 orientierung

19 19

65 65

Unterstützungsfunktionen

n=21

69

69

69

69

66 66

0

00

2 2

31 31

31 31

32 32

F&E

66 66

67 67

33

99

30 30

25 25

26 26

66 66

88

67 67

61 61

10 10

58 58

29 29

26 26

Beschaffung Produktion

Marketing & Vertrieb

63 63

10 10

27 27

Gewichteter Durchschnitt

Abbildung 52: Expansionsstrategien in der Fahrzeugbauindustrie 2005 und 2010e in %

7.1.2

Branchenüberblick Pkw-Markt

Langfristiges Wachstum im Pkw-Markt Der ungarische Pkw-Markt bleibt weiterhin auf Wachstumskurs. Zwischen 1998 und 2003 stieg der Pkw-Absatz in Ungarn jährlich im Durchschnitt um fast 15 %. Kein anderer Markt in der Region konnte auf ein ähnlich starkes Wachstum verweisen. In den anderen großen Beitrittsländern Polen, der Slowakei und der Tschechischen Republik war die Entwicklung dagegen uneinheitlicher. Dafür war vor allem der starke Rückgang der Pkw-Nachfrage nach dem Ende der Boomjahre ab 1997 verantwortlich (siehe Tabelle 5). Tabelle 5: Pkw-Absatz in ausgewählten Ländern 1998-200381

2003

Wachstum p.a. 98 03

173.490

207.950

14,8%

147.800

149.550

1,3%

358.400

-7,1%

1998

1999

2000

2001

Ungarn

104.490

129.300

105.200

148.130

Tschechische Republik

140.110

146.200

148.700

152.100

Polen

516.650

640.200

478.700

327.200

308.200

Land

2002

Slowakei

62.420

68.430

56.400

54.700

69.700

65.300

0,9%

Beitrittsländer (excl. Zypern und Malta)

925.640

1.078.630

876.600

778.680

777.540

862.360

-1,4%

13.905.380

14.650.310

14.277.840

14.402.000

14.406.000

13.848.000

-0,1%

EU-15

81

Vgl. Bank Austria (2005), S. 24.

130

Fahrzeugbau

Das dynamische Wachstum im Pkw-Markt ging einher mit einer steigenden Pkw-Dichte. In den letzten fünf Jahren hat sich die Pkw-Dichte jährlich um 8,2 % erhöht. Budapest konnte als wichtigster Absatzmarkt seine Automobildichte im gleichen Zeitraum sogar verdoppeln. Dennoch verfügten 2003 nur etwa 30 % der Bevölkerung über einen eigenen Pkw. Damit lag Ungarn hinter Tschechien und ein Viertel unter dem EU-Durchschnitt von 412 Pkw pro 1.000 Einwohner (siehe Abbildung 53). Somit verfügt Ungarn auch in Zukunft über ein großes Potenzial für strukturelles Wachstum, das es auszuschöpfen gilt.

1998 2003 Wachstum p.a.

+0% +8,2%

358

358

380

+5,0%

412

+2,2%

321

294 230

216

Ungarn

+1,6%

Tschechien

Polen

222

247

Slowakei

EU-15

Abbildung 53: Pkw-Dichte in ausgewählten Ländern 1998 und 2003 in Pkw pro 1.000 Einwohner82 Das Wachstum des Pkw-Marktes wird in Ungarn im Wesentlichen durch drei Faktoren getrieben. „ Zum einen besteht zwischen dem Pro-Kopf-Einkommen und den Pkw-Zulassungen ein starker statistischer Zusammenhang.83 Dank des weiterhin positiven wirtschaftlichen Ausblicks lässt sich auch in Zukunft ein im Vergleich zu den alten Beitrittsländern höheres Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens erwarten. Bei einem geschätzten Wachstum des Pro-Kopf-Einkommen um vier Prozent in den Beitrittsländern wird sich der ungarische Markt weiterhin dynamisch entwickeln. In den nächsten zehn Jahren ist allein aufgrund steigender Einkommen eine Verdoppelung der jährlichen Neuzulassungen auf über 300.000 Einheiten abzusehen.

82 83

Vgl. Bank Austria (2005), S. 24. Vgl. Bank Austria (2005), S. 24.

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

131

„ Gleichzeitig erwarten die Automobilhersteller zusätzliche Absatzsteigerungen durch Ersatzkäufe. Im Vergleich zu westeuropäischen Ländern wie Deutschland verfügt Ungarn über eine relativ alte Pkw-Flotte. Das Durchschnittsalter der ungarischen Pkw beträgt momentan 11,7 Jahre, ein Drittel mehr als das des deutschen Pkw-Bestands (7,5 Jahre). Das hohe Flottenalter erklärt sich außerdem durch die große Bedeutung des ungarischen Gebrauchtwagenmarkts, der zusammen mit den Gebrauchtwagenmärkten in Polen und Tschechien in der Vergangenheit oft als „Ventil“ für den deutschen Gebrauchtwagenmarkt diente. In den letzten Jahren hat jedoch ein verstärkter Trend zu Neuwagen eingesetzt, der sich nach Ansicht unserer Interviewpartner weiter fortsetzen wird. „ Schließlich begünstigen steigende Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur den Fahrzeugabsatz. In den letzten Jahren hat die ungarische Regierung in großem Maße in den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur investiert und einige ehrgeizige Infrastrukturprojekte angekündigt. Nicht zuletzt die erwarteten EU-Beihilfen werden die rege Investitionstätigkeit weiter fördern und einen positiven Effekt auf den Automobilmarkt haben. Das durch den Einkommenseffekt erwartete Wachstum des Pkw-Absatzes wird in Abbildung 54 gezeigt. Die beiden anderen genannten Faktoren gehen zwar üblicherweise mit steigendem Pro-Kopf-Einkommen einher, dennoch gehen unsere Interviewpartner angesichts des Ausmaßes der Investitionstätigkeiten von einem zusätzlichen Wachstumsschub aus. Marktwachstum ist für die Automobilhersteller mit Vertriebspräsenz daher der mit Abstand wichtigste Grund für ihr Engagement in Ungarn (‡ 4,0)84. Erst danach folgen das Marktvolumen (‡ 3,7) und die Skalenvorteile mit Durchschnittswerten zwischen 3,0 und 3,5.

84

Audi verfügt in Ungarn über keine eigene Vertriebsfunktion. In Ungarn produzierte Fahrzeuge werden ausschließlich über Porsche Hungaria vertrieben.

132

Fahrzeugbau

2005 2015

Wachstum p.a.

+7,0%

1.824 +7,9% +6,4%

+6,0%

926

778 +7,0%

166

309

Ungarn

201

361

Tschechien

366 67 Polen

133

Slowakei

NMS-8

Abbildung 54: Geschätzte Pkw-Neuzulassungen in ausgewählten Ländern 2005 und 2015 in tausend Einheiten85

Wettbewerb steigt – Preis und Image entscheidende Kaufkriterien Für die Mehrzahl der Kunden im ungarischen Markt ist der Kaufpreis das Hauptentscheidungskriterium. Insbesondere in den strukturschwachen ländlicheren Regionen greifen die Kunden bevorzugt zur günstigsten Alternative. Im Vergleich zu den westeuropäischen Märkten dominieren daher die Massenhersteller mit ihren günstigen Einsteigermodellen (siehe Abbildung 55). In Ungarn lag der durchschnittliche Preis eines Neuwagens 2002 etwa 30 % unter dem westeuropäischen Niveau. Damit war Ungarn in etwa gleichauf mit der Tschechischen Republik. In Polen betrug die Differenz zum westeuropäischen Durchschnittspreis dagegen weitere 15 Prozentpunkte.86 Wegen des relativ geringen Volumens der osteuropäischen Fahrzeugmärkte verkaufen die Pkw-Hersteller bis auf wenige Ausnahmen keine speziell an den lokalen Markt angepassten Fahrzeuge. Der Preissensitivität der Käufer versuchen die Hersteller vielmehr durch Modelle mit geringerer Serienausstattung und Motorisierung entgegenzukommen. Der verstärkte Preiswettbewerb im ungarischen Markt seit Beginn letzten Jahres unterstreicht die nach wie vor Bedeutung des Kaufpreises. Auch in Ungarn zeichnete sich wie in vielen anderen Märkten weltweit ein Nachlassen der Pkw-Nachfrage ab. Hersteller und Händler 85

NMS-8: EU-Beitrittsländer ohne Zypern und Malta. Annahmen: 4 Prozent reales Wachstum p. a., konstante Bevölkerungszahlen. Vgl. Bank Austria (2005), S. 25. 86 Vgl. Renault (2005).

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

133

reagierten mit Preissenkungen, um die Nachfrage zumindest auf Vorjahresniveau zu stabilisieren. Stiegen die Listenpreise der verkauften Neufahrzeuge in Ungarn 2003 noch durchschnittlich um 6,2 Prozent und damit stärker als im westeuropäischen Durchschnitt von 4,6 Prozent, machen sich nun gegenläufige Trends bemerkbar. In Ungarn fielen die Preise 2004 um 2,4 Prozent, während sie in Westeuropa trotz der schwachen Konjunktur und damit verbundenen geringen Nachfrage um 2,4 Prozent anzogen.87 Auch die europaweit mit Spannung verfolgte Einführung des 5.000-Euro-Autos Logan des rumänischen Herstellers Dacia wird nach Einschätzungen von Experten weitere Preisverfälle nach sich ziehen. In Ungarn konnte Dacia 2004 bereits 950 Exemplare des erst seit Mitte Oktober verfügbaren Modells absetzen. Absatzzahlen für das erste Halbjahr 2005 waren bis Ende Juli leider noch nicht verfügbar. 2004 setzte sich der Trend vom Small-Segment zum hochwertigeren Medium-Segment weiter fort. Das Mittelklasse-Segment gewann 2 Prozentpunkte hinzu und deckt momentan etwa 40 Prozent des Gesamtvolumens ab. 2001 lag der Anteil von Mittelklassewagen noch bei knapp 28 Prozent.88 Das Wachstum des Mittelklasse-Segments wird sich auch in Zukunft, wenn auch im geringeren Ausmaß, dank weiter steigender Einkommen fortsetzen. Ungeachtet des härter werdenden Wettbewerbs im Kompakt- und Mittelklasse-Segment konnten die Hersteller von Sport- und Luxusautos ihren Absatz um knapp ein Viertel im Vergleich zum Vorjahr steigern. Abbildung 55 zeigt die Entwicklung des ungarischen Pkw-Markts nach Segmenten.

2003 2004

-6% 116

109 +8% 65

70

+2%

+10% 14

9

8 Basic

+23%

14 3

Small

Lower Medium

Medium

3

Sport+Luxury

Abbildung 55: Pkw-Absatz in Ungarn nach Segmenten 2003 und 200489

87

Vgl. Pricewaterhouse Coopers (2005). Historische Daten vor 2003 waren nur für das gesamte Mittelklasse-Segment (Lower Medium und Medium) verfügbar. 89 Quelle: Ungarischer Verband der Fahrzeugimporteure. 88

134

Fahrzeugbau

Trotz der anhaltend hohen Preissensitivität der ungarischen Kunden ist die Bedeutung des Herstellerimages auch abseits des kleinen Premium-Segments nicht zu unterschätzen. Eine entscheidende Determinante des Herstellerimages ist die Produktion vor Ort: In praktisch allen osteuropäischen Ländern haben Pkw-Hersteller mit Werken in den jeweiligen Märkten einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren Konkurrenten. Im Industrievergleich ist der Pkw-Markt damit der einzige Markt in unserem Industriefokus, in dem es unmittelbare Rückwirkungen von der Standortentscheidung auf die Marktposition gibt. So konnte beispielsweise Suzuki in Ungarn dank seines Montagewerkes in Esztergom die Marktführerschaft erringen, während das Unternehmen in anderen osteuropäischen Märkten kaum eine Rolle spielt In den anderen großen osteuropäischen Beitrittsländern beobachten wir ähnliche Muster, wie Abbildung 56 belegt. Fiat konnte sich beispielsweise bis jetzt nur in Polen behaupten, wo seit Ende letzten Jahres die Neuauflage des Fiat Panda vom Band läuft.

Keine lokale Produktion Lokale Produktion Ungarn Suzuki Opel Renault Skoda

Polen

Slowakei

16,0 12,8

1

10,1

3,2

9,7

4,5

9,4 48,5

7,5

Volkswagen

7,5

Peugeot

6,9

Ford

6,7

Toyota

5,7

6,8

1

Seit 1998 nur Motoren

12,5

36,3 8,7 6,5

8,7

3,0

10,5

2,2

1998 nur Motoren

8,3 3

6,4

4,6

2 Seit

5,7

4,9

4,7

Fiat 1

Tschechien

2

16,7

3 Produktion

2,9 3,6

2002 beendet

Abbildung 56: Marktanteile im Pkw-Markt in ausgewählten Ländern 2004 in Prozent90 Da jedoch der Großteil der Produktion in den osteuropäischen Ländern für den Export bestimmt ist, hat der Markt bei der Standortentscheidung nur eine untergeordnete Bedeutung. Der positive Imageeffekt der Herstellung vor Ort ist deshalb nur ein Faktor unter vielen, die ein Automobilunternehmen bei seiner Standortentscheidung berücksichtigt. Die Hersteller müssen sich daher, wenn sie auf weitere Preissenkungen verzichten wollen, auf die geschickte Vermarktung ihrer Produkte konzentrieren.

90

Quelle: Lokale Verbände.

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

135

Marktentwicklung durch Händlerentwicklung Die Entwicklung des Händlernetzwerkes ist vor allem im Premium-Segment zentrales Thema in Ungarn. BMW und DaimlerChrysler nahmen Ungarns Beitritt zur EU zum Anlass, ihr Engagement in Ungarn grundlegend zu überdenken. BMW löste zum 1. Mai 2004 seinen Generalimporteur ab und trat mit einer eigenen Vertriebsgesellschaft in den Markt ein. DaimlerChrysler hat bereits ein Joint Venture mit dem bisherigen Generalimporteur aus Österreich gegründet, um Händler für weitere Konzernmarken gezielt aufzubauen. Beide Unternehmen sehen in diesen Maßnahmen einen entscheidenden Beitrag zum weiteren Ausbau ihrer Positionen im ungarischen Markt. Obwohl die Qualität des Händlernetzwerks von beiden Unternehmen generell als gut bewertet wird, bieten sich im ungarischen Markt vielfältige Ansatzpunkte für Verbesserungen. Einerseits besteht vor allem bei den Händlern außerhalb des Budapester Stadtgebietes Potenzial bei der Produktpräsentation. Dazu gehören neben der physischen Präsentation die Kompetenzen des Verkaufspersonals und unterstützende Werbemaßnahmen. Auch bei Preisstrategie und Finanzierungsdienstleistungen erhoffen sich beide Unternehmen durch intensive Betreuung und Schulungen zusätzliche Wettbewerbsvorteile. Derart umfangreiche Programme erfordern nach Meinung unserer Interviewpartner die direkte Unterstützung des Herstellers über eine eigene Vertriebsgesellschaft. Die Vertriebsgesellschaft erhält Zugriff auf den Erfahrungsschatz des Konzerns in vergleichbaren Märkten weltweit und zeichnet dafür verantwortlich, dass die notwendigen langfristigen Investitionen ins Händlernetz getätigt werden.

7.1.3

Fallbeispiel: BMW – Märkte effizient entwickeln

Die Münchner BMW Group AG erzielte 2004 einen Umsatz von 44,3 Milliarden Euro mit weltweit insgesamt 104.000 Mitarbeitern. Als einziger großer Automobilhersteller konzentriert sich BMW mit seinen drei Marken BMW, Mini und Rolls-Royce ausschließlich auf das Premium-Segment. In den letzten Jahren sorgte BMW durch stetig steigende Gewinne und Absatzrekorde in Folge für Aufsehen in einem durch Überkapazitäten und schwache Nachfrage geprägten Pkw-Markt. Fast 90 Prozent aller verkauften BMWs werden über konzerneigene Vertriebsgesellschaften in 33 Ländern vertrieben. Erklärtes Ziel des Unternehmens ist es, in allen wichtigen Märkten weltweit mit einer eigenen Vertriebsgesellschaft aktiv zu sein. BMW übernahm mit Beitritt Ungarns zur Europäischen Union die Importeuraufgaben von der Wallis AG, die bis dato als Generalimporteur für den ungarischen Markt fungierte. Seit Mai 2004 ist BMW Hungary für den Wholesale-Vertrieb der beiden Marken BMW und Mini in Ungarn verantwortlich. In Polen ist das Unternehmen bereits seit Juli 2003 mit einer eigenen Vertriebsgesellschaft präsent. Ähnliche Schritte sind in naher Zukunft für die anderen Beitrittsländer in Osteuropa geplant.

136

Fahrzeugbau

Ausschlaggebend für den Eintritt in Ungarn war die Entwicklung des lokalen Händlernetzwerkes, um am erwarteten Marktwachstum möglichst umfangreich zu partizipieren. Die Betreuung der 13 lokalen Händler ist somit eine der Hauptaufgaben für die inzwischen 29 Mitarbeiter in Budapest. Sie umfasst neben umfangreichen Trainings im eigenen Schulungszentrum Unterstützungen bei der Produkt- und Preisstrategie, im Marketing sowie im Aftersales-Bereich. Auch die in Osteuropa an Bedeutung gewinnenden Finanzierungsleistungen können in Zukunft direkt über BMW Hungary abgewickelt werden. Den Händlern steht somit ein erweitertes Spektrum an Marketinginstrumenten zur Verfügung, mit dem sie im Wettbewerb mit anderen Premiummarken wertvolle Vorteile erzielen können. Schließlich soll durch die intensive Betreuung des ungarischen Händlernetzwerkes den Kunden ein europaweit einheitlicher BMW-Standard in allen Handelsbetrieben garantiert werden. Trotz des erwarteten Wachstums bleibt Ungarn aus Sicht von BMW auch auf absehbare Zeit nur ein kleiner Markt: für 2005 plant Uwe Höfer, CFO von BMW Hungary, mit einem Absatz von etwa 1.500 Fahrzeugen, während die BMW Gruppe 2004 weltweit 1,2 Millionen Fahrzeuge absetzen konnte. BMW überlegt daher, die Aktivitäten in Osteuropa stärker zu bündeln, um Skalen- und Verbundvorteile besser auszuspielen zu können. Die osteuropäischen Marketing & Vertriebseinheiten greifen in der angedachten Strategie zur Leistungserbringung für ihren lokalen Markt zum Teil auf Ressourcen eines "Osteuropa-Hubs" zurück. Ein solcher Hub entspricht in unserem Modell Internationaler Expansionsstrategien der Strategie der (regionalen) Globalen Integration im Marketing & Vertrieb. Die Bündelung der Vertriebs- und Logistikaktivitäten verspricht Kostensenkungen über Skalenvorteile. Aus einem Osteuropa-Hub können in Zukunft weitere kleine mittel- und osteuropäische Märkte kosteneffizient bedient werden. Eine intensive Betreuung der Händler durch eine lokale Vertriebsgesellschaft wäre in diesen Ländern wegen der nochmals geringeren Marktgröße aus ökonomischer Sicht wenig sinnvoll. Allerdings bedeutete der Verzicht auf eine solche Betreuung gleichzeitig einen Verzicht auf zukünftige Marktchancen. Eine frühe Präsenz in diesen Märkten sichert, so die Erfahrung der letzten 15 Jahre, eine gefestigte Marktposition im späteren Verdrängungswettbewerb. Neben den Skalenvorteilen sprechen vor allem die Verbundvorteile für den Aufbau eines Osteuropa-Hubs. Strategien, die sich in einigen osteuropäischen Länden als besonders erfolgreich erwiesen haben, lassen sich in einer regional zentralisierten Vertriebseinheit im Sinne eines lokal optimierten Benchmarking besser auf die anderen Länder übertragen. Damit ließe sich der bereits heute bestehende enge Austausch zwischen den osteuropäischen Vertriebsgesellschaften weiter festigen und effizienter gestalten. Aus strategischer Sicht entsteht durch die Bündelung der Aktivitäten in Mittel- und Osteuropa eine Unternehmenseinheit, die nicht nur die jeweilige Länderstrategie, sondern auch die Mittel- und Osteuropastrategie verantwortet und so gegenüber der Zentrale als Sprachrohr einer gesamten Region dienen kann. Von welchem Standort aus eine solche zentrale Planungseinheit dabei agiert, ist nicht von primärer Bedeutung. Entscheidend ist, dass Informations- und Entscheidungsprozesse effizient organisiert und flexibel umgesetzt werden, um mögliche Nachteile wie zusätzliche Hierarchiestufen und Informationsasymmetrien zu minimieren.

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

137

Eine nicht unbedeutende Motivation für den Aufbau eines Osteuropa-Hubs ist die Schaffung von Optionen für zukünftige Expansion. Mit den erwarteten Beitritten weiterer osteuropäischer Länder zur Europäischen Union eröffnen sich BMW weitere Märkte, in denen das Unternehmen zumindest langfristig mit einer eigenen Vertriebsgesellschaft oder Verkaufsbüros präsent sein möchte. Die lokalen Vertretungen würden dann über den Osteuropa-Hub aufgebaut und in der Anfangsphase besonders intensiv betreut. Gleichzeitig könnte das mit dem Markteintritt erworbene Wissen bei folgenden Expansionen genutzt werden. Eine in weiten Teilen ähnliche Hub-Strategie hat BMW bereits sehr erfolgreich in Skandinavien und den baltischen Staaten umgesetzt. Der "Nordic Hub" in Stockholm übernimmt für die skandinavischen und baltischen Märkte wichtige Funktionen und erlaubt es BMW, auch in relativ kleinen Märkten Skalen- und Verbundvorteile optimal auszunutzen.

7.1.4

Branchenüberblick Nutzfahrzeuge – Anhaltendes Wachstum nur im Lkw-Markt

1997 2002

+0,3%

Wachstum p.a.

83

82

+2,7%

-0,9%

-1,1% 19

18

Ungarn

19

21

Tschechien

11

Polen

11

Slowakei

Abbildung 57: Busbestand in ausgewählten Ländern 1997 und 2002 in tausend Einheiten91 Im ungarischen Nutzfahrzeugmarkt zeigt sich ein uneinheitliches Bild. Während der Bestand an Lastkraftwagen (Lkw) in den letzten fünf Jahren stark expandierte, musste der Busbestand einen leichten Rückgang verzeichnen.92 Grund dafür sind die bedeutenden Investitionen in den Straßenbau, die oft zu Lasten der Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr gingen. Ungarn ist in diesem Zusammenhang keine Ausnahme. Auch in der Slowakei ging der Bestand an Bussen leicht zurück, während er sich in Tschechien und Polen nur in sehr geringem Maße erhöhte (siehe Abbildung 57).

91 92

Vgl. Bank Austria (2005), S. 34. Aktuelle Daten zum Absatzmarkt lagen für Ungarn nicht vor. Deshalb weichen wir für unsere Analyse auf Bestandsdaten aus. Unsere Interviews in der Nutzfahrzeugbranche stützen unsere Analyse.

138

Fahrzeugbau

Drastische Ausgabenkürzungen im Rahmen der anstehenden Haushaltskonsolidierungen lassen in naher Zukunft nur verhaltenes Wachstum im Bus-Segment erwarten. Der Lkw-Markt verzeichnete in den letzten Jahren dank des Transportbooms in Osteuropa ein dynamisches Wachstum. In den fünf neuen Mitgliedsländern expandierte der Lkw-Markt insgesamt sogar stärker als der Pkw-Markt. Treiber des Wachstums war das gestiegene Transportaufkommen zwischen West- und Osteuropa. 2005/2006 werden bereits etwa 80 Prozent aller Straßentransporte zwischen den beiden Regionen von osteuropäischen Speditionsunternehmen abgewickelt. Diese profitieren von der starken Exportorientierung der osteuropäischen Werke und den hohen Volumina an Importen von Vorleistungen und Konsumgütern aus Westeuropa. Insbesondere Polen konnte dank niedriger Löhne und großer geografischer Nähe zu Westeuropa besonders stark vom steigenden Transportverkehr profitieren. Aber auch Ungarn und Tschechien zeigten dynamische Wachstumsraten, wie Abbildung 58 zeigt.

1997 2002 Wachstum p.a.

+5,8% 2.115

+3,9% 342

414

Ungarn

+3,9% 361

1.595

435

Tschechien

+2,8% 160

Polen

182

Slowakei

Abbildung 58: Lkw-Bestand in ausgewählten Ländern 1997 und 2002 in tausend Einheiten Branchenexperten sehen weiterhin großes Potenzial in allen osteuropäischen Lkw-Märkten. Neben dem gesamten Transportaufkommen auf Straße und Schiene als wichtigstem Wachstumstreiber wird in Zukunft die Verlagerung von Schienenverkehr auf die Straße entscheidend zur Steigerung des Lkw-Bestands beitragen. Im Vergleich zu Westeuropa wird in den osteuropäischen Beitrittsländern noch ein großer Anteil des Transportverkehrs über die Schiene abgewickelt. Experten erwarten für Osteuropa mittelfristig eine Angleichung an westeuropäische Verhältnisse. Dazu sind insbesondere in Ungarn weitere Verbesserungen der Autobahninfrastruktur notwendig. Die Lkw-Hersteller haben bereits frühzeitig auf diese Entwicklungen reagiert und praktisch ohne Ausnahme eigene Vertriebsgesellschaften in Ungarn gegründet. Da im Lkw-Segment ein kleineres Händlernetzwerk zur Abdeckung eines kleinen Landes wie Ungarn oder Tschechien ausreicht, übernehmen die Niederlassungen zusätzlich teilweise den Vertrieb der Fahrzeuge an die Endkunden. Diese sind in Ungarn häufig Tochtergesellschaften von deutschen und österreichischen mittelgroßen bis großen Speditionsunternehmen, die aus Kostengründen

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

139

eigene Tochtergesellschaften gegründet oder ungarische Speditionen übernommen haben. Die Bündelung der Einkaufsvolumina aller Unternehmensteile seitens der Kunden und die Gefahr von Reimporten erfordert auf Herstellerseite eine enge Koordination der Preispolitik bei allen betroffenen Vertriebsgesellschaften. Gleichzeitig muss die Preispolitik den Gegebenheiten des jeweiligen Marktes entsprechen. Dies stellt unsere Interviewpartner nicht selten vor große Herausforderungen, da sich im ungarischen Markt Phasen starken Preiswettbewerbs mit Phasen höherer Preise abwechseln. Verbundvorteile, die zum Beispiel durch stärkeren Austausch zwischen den Tochtergesellschaften und über regionale Geschäftsstellen ausgespielt werden, spielen daher eine entscheidende Rolle.

7.1.5

Automobilproduktion in Ungarn – Stärkerer regionaler Wettbewerb

Ungarn konnte bei seiner Öffnung für ausländische Investoren nach der politischen Wende im Gegensatz zu Tschechien, Polen und der Slowakei auf keine nennenswerte Pkw-Industrie verweisen. Ungarn hatte sich auf die Produktion von Nutzfahrzeugen spezialisiert und belieferte die Länder des RGW mit Ikarus-Bussen und Rába-Lkws. Beide Unternehmen gerieten jedoch nach Zusammenbruch ihrer wichtigsten Exportmärkte unter großen Druck und mussten in großem Umfang Arbeitskräfte freisetzen. Für die ausländischen Pkw-Hersteller bot sich damit die Gelegenheit, trotz fehlender Pkw-Industrie aus einem großen Angebot qualifizierter Mitarbeiter aus der Nutzfahrzeugindustrie zu schöpfen. Gegenüber anderen Ländern in der Region besaß Ungarn zu Beginn der 90er Jahre durch sein liberales Wirtschaftssystem und seine konsequente politische Öffnung einen entscheidenden Standortvorteil. GM/Opel und Suzuki reagierten auf diese Möglichkeit und eröffneten bereits 1991, ein bis zwei Jahre vor ihren Wettbewerbern in Polen und der Tschechischen Republik, ihre Werke in Ungarn. Ford produziert bereits seit 1990 in Ungarn Kupplungen und Getriebe für Ford-Werke in Europa, Südamerika und Japan. Als bislang letzter Pkw-Hersteller folgte Audi 1993 mit der Eröffnung seines Motorenwerks im westungarischen Györ, in dem außerdem Teile der A3Serie und der Audi TT montiert werden. Alle Hersteller haben seit ihrer ersten Investition die Kapazitäten stark ausgebaut und planen mit weiter steigenden Produktionszahlen.93 Dennoch konnte Ungarn am bedeutenden Wachstum der Investition in zusätzliche Kapazitäten im osteuropäischen Raum ohne zusätzliche Werkseröffnungen nur unterproportional teilhaben. Abbildung 59 zeigt, wie sich die Anteile der Produktionskapazitäten in den kommenden Jahren verschieben werden. Allen voran wird die slowakische Automobilproduktion innerhalb der nächsten drei Jahre den größten Wachstumsschub durch die Eröffnung der Werke von Hyundai und Peugeot Citroën (PSA) verzeichnen und bis Ende 2007 die Slowakei zum wichtigsten Montagestandort in Osteuropa machen. Ungarn wird dagegen trotz Produktionsausweitungen im Suzuki-Werk in Esztergom im regionalen Vergleich als Pkw-Produzent 93

Die Ausnahme hierzu stellt das Opel-Werk in Szentgotthard dar. Opel beendete 1998 die Fertigung und wandelte das Werk in ein reines Motorenwerk um. Die Motorenproduktion wurde seitdem kontinuierlich ausgeweitet.

140

Fahrzeugbau

weiter an Bedeutung verlieren. Daraus ergeben sich wichtige Implikationen für die Zulieferindustrie, wie wir im folgenden Abschnitt sehen werden. Die Beschränkung auf die PkwFertigung vernachlässigt allerdings die Komponentenproduktion von Seiten der Hersteller, die in Ungarn mit Audi, Opel und Ford relativ stark ausgeprägt ist. Dennoch ist diese Darstellung zweckmäßig, da bei der Motorenfertigung nur geringe Vorleistungen durch externe Zulieferer erbracht werden und Motorenwerken daher aus Sicht der Zulieferindustrie weniger Bedeutung beigemessen wird.

Produktion 2004 Ausbaustufen und geplante W erke bis 2007

PSA Trnava

Toyota / PSA Kolin

Suzuki Esztergom

300

H yundai Zilina

448

516

Tschechien

Polen

300

15.773

200 125

292

160 Ungarn

Slowakei

EU-25 (2003)

Abbildung 59: Pkw-Produktionskapazitäten in ausgewählten Ländern 2004 und 2007 in tausend Einheiten94 Unsere Analyse zeigt auch, dass Polen keinen der letzten Standortwettbewerbe für sich entscheiden konnte. Was sind die Gründe für diese Entscheidungen? Warum bekennen sich in Ungarn präsente Unternehmen weiterhin zu ihrem Standort, obwohl andere Unternehmen Tschechien und die Slowakei bevorzugen? Wichtigster Nachteil im Wettbewerb um weitere Fertigungsstandorte ist Ungarns niedrige Arbeitslosenquote. Die Automobilindustrie in Ungarn konzentriert sich momentan in Westund Zentralungarn in Regionen, in denen sich in manchen Berufen bereits ein Mangel an ausgebildeten Fachkräften abzeichnet. In diesen Regionen beträgt die Arbeitslosenquote sogar nur knapp über vier Prozent und liegt damit noch unter dem Landesdurchschnitt von 5,9 Prozent. Automobilhersteller legen größeren Wert auf das verfügbare Angebot an Arbeitskräften als Zulieferer und Unternehmen aus den anderen vier Industrien, da sie für neue Werke meist von Beginn an mehr als 1.000 Beschäftigte benötigen. Eine solche Anzahl an Arbeitskräften ist in Regionen mit niedriger Arbeitslosenquote meist nicht verfügbar. Die Regionen östlich von Budapest verfügen zwar noch über ein ausreichend großes Angebot an Arbeitskräften, aber nur über eine relativ schlecht ausgebaute Infrastruktur und ein niedrigeres Qualifizierungsniveau (siehe dazu auch unsere Ausführungen zur Standortwahl innerhalb Ungarn in Kapitel 6.4.3). 94

Quelle: Unternehmenswebseiten.

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

141

Diese Nachteile dürften die Standortwahl für das Endmontagewerk des MAN-Konzerns in Osteuropa entscheidend beeinflusst haben. Ende Juni des Jahres 2005 strich MAN den potenziellen Standort Miskolc in Ostungarn und engte den Kandidatenkreis auf zwei Standorte im polnischen Krakau und im slowakischen Kostice ein. In beiden Ländern liegt die Arbeitslosenquote im Landesschnitt mit ungefähr 18 Prozent mehr als dreimal so hoch wie in Ungarn (siehe Abbildung 60). In der Slowakei verzeichnete 2003 nur die Region Bratislava mit knapp neun Prozent eine Arbeitslosenquote von unter 15 Prozent. Auch der Arbeitsmarkt in Tschechien wird zunehmend enger, in den wichtigen Industriegebieten liegt die Arbeitslosigkeit mit 7 bis 8 Prozent aber noch weit von der Vollbeschäftigungsgrenze entfernt.

18,8

5,9

Ungarn

18,0 9,0

8,3

Tschechien

Polen

Slowakei

EU-25

Abbildung 60: Arbeitslosenquote in ausgewählten Ländern 2004 in Prozent95 Der Mangel an Fachkräften macht es für Unternehmen schwerer, den im Automobilbereich wichtigen Standortvorteil niedriger Lohnkosten auszuspielen. Insbesondere im Automobilsektor herrscht in (West-)Ungarn seit Jahren ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften, was in der Vergangenheit zu höheren Lohnabschlüssen als im restlichen verarbeitenden Gewerbe geführt hat. So liegen die Löhne im Automobilbereich bereits um mehr als 20 Prozent höher als die Durchschnittslöhne in der Industrie. Für neue Montagewerke bleibt Ungarn angesichts der Situation auf dem Arbeitsmarkt und der starken regionalen Konkurrenz wenig attraktiv. Dagegen bietet die Slowakei sehr niedrige Lohnkosten bei gleichzeitig hoher Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften. Polen erscheint dagegen aufgrund seiner weniger entwickelten Industriestruktur und dem damit einhergehenden Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften weniger attraktiv. Bereits aktive Investoren können dagegen die wichtigen Standortvorteile niedrige Lohnkosten und hohe Mitarbeiterqualifikation voll ausspielen. Den weiterhin bestehenden Lohnkostenvorteil und die hohe Qualifikation der Mitarbeiter machen sich sowohl die deutschen Automobilhersteller als auch, wie wir in Kapitel 7.1.6 sehen werden, die Zulieferer zunutze, indem sie ihre lokale Wertschöpfung konsequent aufwerten und ihre Kompetenzen weiter ausbauen.

95

Quelle: KSH.

142

Fahrzeugbau

7.1.6

Branchenüberblick Automobilzulieferer

Nachdem wir uns im letzten Abschnitt den Automobilherstellern gewidmet haben, wenden wir uns nun den Automobilzulieferern zu. Die ungarische Zulieferindustrie profitierte in den Jahren 2003 bis 2005 durch den steigenden Kostendruck der Hersteller auf die Zulieferfirmen. Die Herstellerfirmen reagierten auf den Einbruch der Nachfrage im Automobilmarkt und schwächere Auslastungen mit aggressiven Preissenkungen und Rabattschlachten. Ihren Kostendruck gaben sie dank ihrer großen Marktmacht an ihre Zulieferer weiter, die angesichts geringerer Auftragseingänge und schwindender Profitabilität verstärkt Einsparungen realisieren mussten, um nicht dem harten Wettbewerb zum Opfer zu fallen. Die deutschen Zulieferer weiteten daraufhin ihre Verlagerungsaktivitäten nach Osteuropa aus, wovon auch Ungarn in bedeutendem Maße profitierte. Anhaltende Migration von Produktionskapazitäten nach Osten half, das schwache Wachstum 2001 und 2002 zu überwinden und führte zu kräftiger Expansion der Produktion in den beiden folgenden Jahren (siehe Abbildung 61).

Einer der bedeutendsten Industriezweige Parallel dazu gewann die Zulieferindustrie im Vergleich zur Fahrzeugproduktion an Gewicht: Wie Abbildung 61 zeigt, entspricht die Produktion in der Zulieferindustrie bereits 84 Prozent der Gesamtproduktion im Automobilsektor. Dieser bereits seit einigen Jahren bestehende Trend wird sich auch nach der geplanten Kapazitätserweiterung im Suzuki-Werk in Esztergom nicht umkehren. Die Zulieferindustrie bleibt also die treibende Kraft im Automobilsektor.

Fahrzeugproduktion Komponentenproduktion

1.314

1.319

1.571

1.476

5.469

5.412

6.233

6.927

2001

2002

2003

2004

16% 84%

Abbildung 61: Produktion im Fahrzeugbau und der Zulieferbranche 2001 bis 2004 in Milliarden EUR96 96

Quelle: KSH.

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

143

Die Zulieferindustrie beschäftigte 2003 etwa 90.000 Mitarbeiter und ist mit einem Anteil von zehn Prozent an der gesamten Industrieproduktion eines der wichtigsten Standbeine der ungarischen Wirtschaft. Die meisten der etwa 350 Zulieferer konzentrieren sich auf die Produktion von Metallteilen (Press- und Zerspanungsteile). Mit größerem Abstand folgen Unternehmen, die sich auf elektronische Bauteile sowie Plastik- und Gummiteile spezialisiert haben. Abbildung 62 veranschaulicht die Anteile der wichtigsten Produktgruppen an der Gesamtproduktion der Zulieferindustrie. Deutsche Unternehmen sind vor allem in der Produktion von Metall- (überwiegend Zerspanung) und Plastikteilen vertreten. Die ungarischen Zulieferer fertigen dagegen hauptsächlich einfache Metall-, Plastik- und Gummiteile mit technisch veralteten oder in Westeuropa ausgemusterten Maschinen. Daher zerfällt der Zuliefersektor in die wenig produktiven lokalen Unternehmen und die hochproduktiven Tochtergesellschaften ausländischer Unternehmen, die mit moderner Technologie Produkte für den westeuropäischen Markt herstellen.

Gussteile

Andere

0,5

Federn, Schrauben

4,2 7,2

Gummiteile

Plastikteile

Elektronische Bauteile

10,9

35,7

Zerspanungsteile

11,7

12,1 17,6 Pressteile

Abbildung 62: Die ungarische Zulieferindustrie nach Produkten 200297

Starke regionale Konzentration – aber noch keine Agglomerationsvorteile Die Zulieferindustrie konzentriert ihre Aktivitäten in West- und Zentralungarn (siehe Abbildung 63). Für das strukturschwächere Ost- und Südungarn, das allerdings mit niedrigeren 97

Vgl. ITDH (2003). ITDH gibt kein Bezugsjahr an. Die Veröffentlichung 2003 legt nahe, dass die Daten sich auf 2002 oder 2003 beziehen.

144

Fahrzeugbau

Löhnen und besserer Verfügbarkeit von Mitarbeitern punkten kann, haben sich noch verhältnismäßig wenige Unternehmen entschieden. Trotz der relativ hohen regionalen Konzentration haben sich noch keine größeren Automobilcluster in Ungarn entwickelt. Die Zulieferer produzieren mit Ausnahme der meist japanischen Zulieferer von Suzuki fast ausschließlich für den Exportmarkt und beziehen einen Großteil ihres Beschaffungsvolumens außerhalb Ungarns. Audi und Opel produzieren größtenteils Motoren und bieten damit nur geringe Marktchancen für die lokalen Automobilzulieferer. Im regionalen Vergleich fehlt in Ungarn ein Automobilhersteller mit einem großen Endmontagewerk. In den Nachbarländern hat besonders der Volkswagen-Konzern mit Lieferantenansiedlungsprogrammen eine starke lokale Zuliefererstruktur geschaffen. Dort stehen die Zulieferer zum einen mit dem Montagewerk und zum anderen teilweise untereinander über Lieferantenbeziehungen in Verbindung. Dies ist in Ungarn jedoch nur selten der Fall. Daher bewerten unsere Interviewpartner die im Automobilsektor typischerweise stark ausgeprägten Agglomerationseffekte als in Ungarn unterdurchschnittlich ausgeprägten Vorteil (‡ 1,7). Einzig die Region Györ könnte sich in Zukunft zu einem wichtigen Automobilcluster im osteuropäischen Raum entwickeln.

Ukraine Slo wakei Ö sterreich

Un garn

Slo wenien

R um ä nien

Kroatien

Abbildung 63: Regionale Verteilung der wichtigsten Automobilzulieferer in Ungarn 200298

Auch andere Marktchancen weniger wichtig Marktchancen waren für die von uns befragten Zulieferer bei der Standortentscheidung für Ungarn kaum ausschlaggebend. Ohne eine nennenswerte Zahl lokaler Montagewerke sind die Absatzmöglichkeiten in Ungarn relativ beschränkt (‡ 1,7). Angesichts des bisherigen Kapazitätsaufbaus in Tschechien und der Slowakei erwarten unsere Interviewpartner keine Wachstumsschübe in den kommenden Jahren (‡ 1,8). 98

Vgl. ITDH (2003).

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

145

Standortvorteile und niedrige Barrieren treiben Produktionsverlagerung Niedrige Lohnkosten bleiben die wichtigste Motivation für ein Engagement in Ungarn. Diese Beobachtungen werden durch unsere empirischen Untersuchungen gestützt: Alle Zulieferer bewerten den Vorteil niedrigerer Lohnkosten mit wichtig oder sogar sehr wichtig (‡ 4,4). Selbst die in der Vergangenheit hohen Steigerungen der Lohnkosten waren nicht überraschend und lagen unter den hohen Produktivitätszuwächsen von jährlich über 15 Prozent in den letzten 5 Jahren. Standortvorteile lassen sich jedoch nur dann nutzen, wenn die Verlagerung der Wertschöpfung nicht durch Investitionsbarrieren verhindert wird. Da die von uns befragten Zulieferer mit einem Exportanteil der Produktion von fast 90 Prozent primär Absatzmärkte in Westeuropa nutzen, spielen die Handelsbarrieren ebenfalls eine große Rolle bei der Strategiewahl. Durch die geografische Nähe zu den Absatzmärkten in Westeuropa und den konsequenten Abbau von Investitions- und Handelsbarrieren können Unternehmen trotz geringen Marktvolumens die Standortvorteile Ungarns durch marktferne Expansion ausnutzen.

Kostendruck wird sich weiter erhöhen Dennoch spüren alle Zulieferer den immensen Kostendruck, den ihre größtenteils deutschen und westeuropäischen Kunden auf sie ausüben. Praktisch jeder große Automobilhersteller hat umfangreiche Kostensenkungsprogramme gestartet, die zum überwiegenden Teil an den Beschaffungskosten ansetzen. Anfang Juli 2005 kündigte Volkswagen Einsparungen in Höhe von sieben Milliarden Euro jährlich bis Ende 2007 an, die zu einem großen Teil von den Zulieferern getragen werden müssen. Die Botschaft an die Zulieferindustrie ist damit klar: Das Ende der Einsparungsbemühungen ist durch Verlagerung lohnintensiver Komponenten in Länder mit niedrigerem Lohnniveau noch lange nicht erreicht. Vielmehr müssen diese Einsparpotenziale stärker genutzt werden, um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben.

Aufbau von Kompetenzzentren für einzelne Produkte Etwa die Hälfte der befragten Zulieferer begann ihr Engagement in Ungarn in der ersten Hälfte der 90er Jahre, oft durch Übernahme eines bereits bestehenden Zulieferers von Einzelteilen oder Lohnveredelungsleistungen. Nach der Übernahme produzierten die Tochtergesellschaften einfache, lohnintensive Teile oder verrichteten einfache manuelle Tätigkeiten an Zwischenprodukten, die zum größten Teil aus der Zentrale nach Ungarn geliefert wurden und zum Verkauf reexportiert wurden. Dieses Modell wurde jedoch weithin aufgegeben. Lohnveredelung wird nur noch von 10% der in Ungarn angesiedelten Automobilzulieferindustrie betrieben, reine Teilefertigung von 23%. Mit steigendem Wissensstand und steigender Qualifikation in den ungarischen Tochtergesellschaften

146

Fahrzeugbau

bauen die erfolgreichsten Automobilzulieferer ihr Engagement in Ungarn aus. Die Entwicklung vollzieht sich dabei stärker in die Tiefe als in die Breite: Statt zusätzlich Komponenten oder Teile ähnlicher Produkte zu produzieren, übernehmen Unternehmen verstärkt vor- und nachgelagerte Fertigungsprozesse des gleichen Produkts. Etwa zwei Drittel (65%) der befragten Zulieferer haben bereits die Verantwortung für ganze Produkte übernommen.99 Zusätzlich nutzen die großen Zulieferer die Verlagerung nach Ungarn für eine Neuausrichtung der europäischen Produktionsstruktur. Einzelne Produkte, die vorher an mehreren europäischen Standorten gefertigt wurden, werden nun ausschließlich in Ungarn gefertigt. Weitere Kostensenkungen durch Skaleneffekte sind die Folge.

Ergänzung der Produktion um produktionsnahe Entwicklung Solange sich die Verlagerung nur auf technisch einfache Teile oder die Endmontage beschränkte, drohte kein Verlust an wichtigem Know-how. Mit der Verlagerung ganzer Produkte hat sich diese Situation grundlegend geändert. Die Unternehmen reagieren darauf mit der Ansiedlung von produktionsnaher Entwicklung, die Produktionsprozesse plant und die Weiterentwicklung der Produkte nach Beginn der Serienproduktion übernimmt. Diese Tendenz ist in der Automobilindustrie im ungarischen Industrievergleich am stärksten. Mit neun Unternehmen besitzen bereits über die Hälfte der befragten Tochtergesellschaften Kompetenzen in der Anwendungsentwicklung. Bedingung für den Beginn von Entwicklungsaktivitäten ist die Übernahme von Produktverantwortung: Ausschließlich solche Unternehmen verfügen über eine Entwicklungsabteilung. Trotz der hohen Kompetenz der ungarischen Tochterunternehmen engagierte sich nur ein befragtes Unternehmen in der Produktentwicklung. Wir erwarten jedoch, dass weitere Zulieferer diesem erfolgreichen Beispiel folgen und ebenfalls Produktentwicklungszentren in Ungarn eröffnen.

Ausweitung der lokalen Beschaffung Die lokale Zuliefererstruktur kritisieren unsere Interviewpartner in der Automobilzulieferindustrie im Vergleich zu den anderen vier Branchen besonders stark. Geeignete Zulieferer in Ungarn zu finden stellt viele Unternehmen vor beträchtliche Herausforderungen. Daher können sie ihre teuren westeuropäischen Zulieferer nicht gegen lokale Zulieferer austauschen, die die niedrigen ungarischen Lohnkosten ausnutzen können und zudem näher am eigenen Standort fertigen. Etwa drei Viertel ihres Bedarfs beziehen sie momentan über die Unternehmenszentrale, die typischerweise kaum in Ungarn einkauft. Gleichzeitig werden nur etwa 99

Unter Produktverantwortung verstehen wir die Produktion eines Endprodukts durch die ungarische Tochtergesellschaft. Endprodukte sind die von dem Unternehmen an den Kunden gelieferten Produkte. Diese können natürlich wieder Zwischenprodukte für andere Unternehmen darstellen.

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

147

zwei Prozent des Einkaufsvolumens in Ungarn für andere Unternehmensanteile abgewickelt. Die Abhängigkeit von der Zentrale wird sich in den nächsten fünf Jahren nur geringfügig ändern. Gleiches gilt für die ungarische Beschaffung für die Zentrale: Der Anteil des ausländischen Beschaffungsbedarfs wird sich nur auf etwa vier Prozent steigern. Somit bleibt lokale Beschaffung ein wichtiger Ansatzpunkt für weitere Kostensenkungen.

Expansion ungarischer Tochtergesellschaften nach Osten WET begegnet dem steigenden Kostendruck mit einer teilweisen Verlagerung ihrer Produktion nach Rumänien und in die Ukraine. Ihre ungarischen Tochtergesellschaften haben in unmittelbarer Nähe zur ungarischen Grenze Produktionsstandorte aufgebaut, die besonders arbeitsintensive Komponenten fertigen. Freie Kapazitäten in Ungarn werden abgebaut oder zum Teil durch die Verlagerung weiterer Produkte aus Deutschland ausgelastet (siehe dazu auch Kapitel 6.4). Mit bereits drei Unternehmen, die die weitere Expansion nach Osten gewagt haben, nimmt die Zulieferindustrie im Branchenvergleich die Vorreiterrolle ein. Viele Unternehmen erwägen zurzeit ähnliche Schritte, stehen allerdings noch am Anfang der Analysephase oder wollen zunächst nach geeigneten Partnern oder Lieferanten in Rumänien und der Ukraine suchen. Der Wert dieser Option, von Ungarn ausgehend Standorte mit weitaus geringeren Lohnkosten zu erschließen, ist viel höher, als die geringe Zahl an Unternehmen, die weiter nach Osten expandieren nahe legt. Unsere empirische Untersuchung identifizierte die Schaffung von Realoptionen für künftige Expansion als eine der wichtigsten Vorteile für Zulieferer im ungarischen Markt. Mit einer durchschnittlichen Bewertung von 3,6 haben sie bereits zu den beiden wichtigsten Skalenvorteilen der Fixkostendegression und Nutzung effizienterer Technologie aufgeschlossen. Weitere Expansionen nach Osten werden daher mit Sicherheit folgen.

7.1.7

Fallbeispiel: Kompetenzzentrum Ungarn

Direkt nach der Wende hat ein deutscher Automobilzulieferer ein Joint Venture mit einem lokalen Partner gegründet. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war das große Marktpotenzial in den RGW-Ländern, das das Unternehmen aus Ungarn zu erschließen plante. Der Zusammenbruch der Ostblock-Wirtschaft zwang das Unternehmen jedoch nur einige Monate später zur strategischen Neuausrichtung des Engagements in Ungarn. Statt für den osteuropäischen Markt produziert die Tochtergesellschaft seitdem fast ausschließlich für den westeuropäischen Markt. Mit dem strategischen Richtungswechsel traten die Standortvorteile in den Vordergrund, die das Unternehmen seitdem konsequent ausgenutzt hat. Die ungarische Tochtergesellschaft hat eine beeindruckende Entwicklung hinter sich und gilt als ein besonders attraktives und innovatives Unternehmen in Ungarn. Der Unternehmenschef

148

Maschinenbau – Globale Integration im Mittelstand

sieht in der konsequenten Aufwertung der lokalen Wertschöpfung und dem Aufbau von Kompetenzen entlang der gesamten Wertschöpfungskette den Schlüssel zum Erfolg. Nach Abschluss der Umstrukturierung zu Beginn der 90er Jahre übernahm das ungarische Tochterunternehmen die Fertigung einzelner Teile sowie die Montage und die Qualitätskontrolle für einzelne Elemente. Einige Jahre später folgte die Produktion vollständiger Systeme, die vor allem aus Westeuropa verlagert wurden. Heute produziert die Tochtergesellschaft ausschließlich komplette Systeme und verfügt über vier der insgesamt sechs Kompetenzzentren der Unternehmensgruppe. Mit der Übernahme von Produktverantwortung baute das ungarische Managementteam zunächst Logistik und Beschaffung auf. Es folgte die Marketing & Vertriebseinheit, die alle Verkäufe in Zentral- und Osteuropa verantwortet. Der Aufbau einer neuen Produktionsstätte in Russland wurde ebenfalls von Ungarn aus gesteuert. Da Produkte in der Unternehmensgruppe grundsätzlich nur an einem Standort produziert werden, erfolgte der Einstieg in die Produkt- und Anwendungsentwicklung. In Budapest unterhält das Unternehmen auch ein Forschungs- & Entwicklungszentrum, das elektronische Systeme für die gesamte Gruppe entwickelt und über enge Beziehungen zur Technischen Universität Budapest den Zugang zu Ingenieurnachwuchs sichert. Für die Zukunft hat sich das Führungsteam den Aufbau von Kompetenzen in strategisch wichtigen Technologien wie der Mechatronik als Ziel gesetzt. Mit bereits vier von sechs möglichen Kompetenzzentren soll der Kompetenzaufbau nun statt in die Breite stärker in die Tiefe gehen. Schon 2005 hat die Tochter in der Ausbildung seiner Mitarbeiter auf diese Entwicklung reagiert. Neue Mitarbeiter werden nun verstärkt in Schlüsseltechnologien wie der Mechatronik geschult. Andere, in naher Zukunft nicht mehr verwendete Technologien sind dagegen aus dem Ausbildungs- und Schulungsprogramm gestrichen worden.

7.2

Maschinenbau – Globale Integration im Mittelstand

Dieser Abschnitt befasst sich mit dem Maschinenbau, einer Industrie, in der Deutschland als weltweit führend gilt. Deutsche Firmen haben die Möglichkeiten konsequent ausgenutzt, in und über Ungarn neue Märkte zu erschließen und durch Produktionsverlagerungen ihre Kostenposition zu verbessern. Daher leistet der ungarische Standort für viele der häufig mittelständischen Unternehmen einen entscheidenden Beitrag zum Unternehmenserfolg. Praktisch alle der von uns befragten Unternehmen haben Ungarns Potenzial als Produktionsstandort erkannt und erzielen mit lokaler Produktion beträchtliche Kostenvorteile. Die Nähe zum Mutterhaus und zu den wichtigen Märkten in Westeuropa erlaubt eine enge Verzahnung der Produktionsprozesse sowie kurze Lieferzeiten bei hoher Flexibilität. Damit bleibt der osteuropäische Raum für den Maschinenbau als Produktionsstandort für die Belieferung der

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

149

europäischen Märkte weitaus interessanter als China, das vor allem mit beeindruckendem Marktwachstum lockt. Nur im Segment der Standardmaschinen, die aber größtenteils nicht von deutschen Unternehmen oder deren Tochtergesellschaften, sondern von einheimischen Unternehmen in Ungarn, Tschechien und Slowakei hergestellt werden, erwarten unsere Interviewpartner größere Marktanteilsgewinne chinesischer Unternehmen. Auch der ungarische Absatzmarkt bleibt für deutsche Maschinenbauer interessant. Verstärkte Investitionen in der verarbeitenden Industrie treiben das Absatzwachstum in Ungarn und der Region. Die geplante zweite Runde der EU-Osterweiterungen eröffnet trotz nach wie vor geringem Marktvolumen zusätzliche Wachstumschancen. Darauf hat ein Großteil der deutschen Unternehmen bereits reagiert: Aus Ungarn heraus bedienen sie weitere Märkte in der Region und nutzen Skalenvorteile in Marketing & Vertrieb. Trotz der positiven Aussichten bleibt die Situation auf dem Arbeitsmarkt ein Hemmnis für weiteres Wachstum. Für weitere Expansionen stehen nicht genug Nachwuchskräfte zur Verfügung, deren praktische Ausbildung zudem teilweise zu wünschen übrig lässt.

7.2.1

Hoher Anteil Globaler Integration im Maschinenbau bleibt bestehen 100

Globale Integration 74 74

78 78

83 83

Geschäftstransfer 17 Export17 orientierung 9 9

n=14

15 15

7 7

Unterstützungsfunktionen

00 17 17

88 88

0 12 0 12

F&E

80 80

55 15 15

84 84

44 12 12

80 80

96 14 14

26

26

26

26

46 46

47 47

28 28

27 27

74 74

83 83

66 11 11

Marketing Beschaffung Produktion & Vertrieb

13 13

77 77

13 13

13 13

10 10 Gewichteter Durchschnitt

Abbildung 64: Expansionsstrategien in der Maschinenbauindustrie 2005 und 2010e in Prozent Die Maschinenbauindustrie ist von den fünf untersuchten Branchen am deutlichsten global integriert. Dafür sind hauptsächlich die unterschiedlich ausgeprägten Asse und Barrieren für die einzelnen Komponenten einer Maschine verantwortlich. Einige Komponenten sind sehr lohnkostenintensiv, während die Herstellung anderer Komponenten hochgradig automatisiert erfolgt oder in hohem Maße besondere Qualifikationen und Erfahrungswissen benötigt. Da sich diese Gegebenheiten in den nächsten fünf Jahren kaum ändern werden, planen die von uns befragten Tochtergesellschaften keine grundlegenden Änderungen ihrer Strategien. In den nächsten fünf Jahren wird lediglich ein geringer Teil der Unternehmensleistung, der momen-

150

Maschinenbau – Globale Integration im Mittelstand

tan noch von anderen Unternehmensteilen für die ungarische Tochtergesellschaft bereitgestellt wird (Exportorientierung) durch Leistungen der Tochtergesellschaft für ausländische Unternehmensteile und Märkte ersetzt (Zunahme Globaler Integration). Abbildung 64 zeigt die Expansionsstrategien für die einzelnen Funktionsbereiche und im gewichteten Durchschnitt.

7.2.2

Branchenüberblick Maschinenbau

Die ungarische Maschinenbaubranche ist wie in den anderen Beitrittsländern stark mittelständisch geprägt. Große Staatsbetriebe sind vielen kleinen Betrieben gewichen, die sich hauptsächlich im Raum Budapest angesiedelt haben. Auf dem Gelände der Csepel Müvek am Rande der Innenstadt hat sich das einzige größere Maschinenbaucluster des Landes entwickelt. Dort arbeiten etwa 9.000 Mitarbeiter in über 100 Betrieben. Nur eine Handvoll der ungarischen Firmen wie zum Beispiel der Werkzeugmaschinenhersteller Excel Csepel sind international wettbewerbsfähig. Der überwiegenden Mehrheit fehlen dagegen die finanziellen Mittel, um in Produktivität und Qualität zum internationalen Wettbewerb aufzuschließen. Die einheimischen Firmen konzentrieren sich auf Standardmaschinen für die Textil- und Nahrungsmittelindustrie sowie für die Metallverarbeitung. Viele kleine Betriebe betätigen sich zudem (im Sinne Globaler Integration) als Teilelieferant oder verlängerte Werkbank für ausländische Maschinenbauunternehmen. Viele ausländische Unternehmen haben sich angesichts des Modernisierungsbedarfs für eine Beteiligung an einem lokalen Unternehmen entschieden. So existierten 2002 in Ungarn etwa 1.160 Maschinenbaufirmen mit ausländischer Beteiligung. Die Bedeutung des Maschinenbaus für die Gesamtindustrie hat in Ungarn und in den anderen Beitrittsländern mit Ausnahme von Slowenien seit 1990 kontinuierlich abgenommen. Andere Industriebranchen, insbesondere die Automobil- und Elektronikbranche, erreichten weit höhere Wachstumsraten. In Ungarn trägt der Maschinenbau etwa vier Prozent zur gesamten Produktion des verarbeitenden Gewerbes bei, während die traditionsreiche tschechische Branche mit rund acht Prozent etwa das Doppelte zur Gesamtproduktion beiträgt. Der Vergleich mit dem deutschen Maschinenbausektor, der 2001 mit 11,5 Prozent zur Gesamtproduktion im verarbeitenden Gewerbe beitrug, zeigt jedoch, dass die ungarische Maschinenbauindustrie nicht nur im regionalen Vergleich als relativ klein gilt.

Nachfrage steigt wieder – Export gleicht temporäre Schwäche der inländischen Nachfrage aus Im Jahr 2004 profitierten die lokalen Maschinenbauer vom europaweiten Aufschwung in der verarbeitenden Industrie und verzeichneten 2004 ein kräftiges Produktionswachstum von fast acht Prozent (von 2,7 Mrd. EUR im Jahr 2003 auf 2,9 Mrd. EUR im Jahr 2004) nach Stagnation

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

151

in den beiden Jahren zuvor.ȱ100 Maßgeblicher Treiber dieser Entwicklung war der seit Jahren kontinuierlich steigende Export. Die ausländische Nachfrage nach ungarischen Maschinen und Teilen stieg im Jahr 2004 um fast 30 Prozent. Die Importe gingen im selben Zeitraum um acht Prozent zurück. Die Schwäche der inländischen Nachfrage wird jedoch nur von kurzer Dauer sein. Experten erwarten in Zukunft dynamisches Wachstum auf dem ungarischen Absatzmarkt. Viele Produzenten im verarbeitenden Gewerbe sehen sich gezwungen, ihre Produktionsanlagen zu modernisieren, um den strengeren EU-Standards gerecht zu werden. Ausländische Investitionen in zusätzliche oder neue Kapazitäten, insbesondere bei den Automobilzulieferern, werden die Nachfrage zusätzlich ankurbeln. Dennoch sind Marktmotive für das Engagement deutscher Firmen in Ungarn nachrangig. Nur einige wenige spezialisierte Unternehmen erwarten in ihren Nischen größere Absatzmöglichkeiten für ihre Produkte. Dementsprechend bewerten unsere Interviewpartner im Durchschnitt sowohl Marktvolumen als auch Marktwachstum mit jeweils 2,0 als weniger relevante Vorteile.

Regionale Marktchancen Die EU-Erweiterung und die Beitrittsbemühungen von Kroatien, Bulgarien und Rumänien haben den Handel in der Region sehr erleichtert. Die ungarischen Tochtergesellschaften sehen dies als Chance, ihre Absätze in der Region weiter zu steigern.101 Bereits 2005 wurden knapp ein Drittel der ungarischen Marketing- & Vertriebsaktivitäten für das Ausland bereitgestellt, ein beträchtlicher Teil davon geht in die osteuropäische Region. Durch (regionale) Globale Integration in Marketing & Vertrieb eröffnet sich für die ungarischen Tochtergesellschaften die Möglichkeit, ihr Wachstum auf eine breitere Marktbasis zu stellen und Skalenvorteile auszuspielen.

Starke Verflechtungen mit Deutschland Charakteristisch für die ungarische Maschinenbauindustrie sind die engen Beziehungen zu ihrem deutschen Gegenstück. Die Verflechtungen beschränken sich dabei nicht auf den Handel zwischen den beiden Ländern. Vielmehr sind sogar die einzelnen Unternehmensteile in der Produktion äußerst eng miteinander verwoben. Deutschland ist mit einem Anteil von rund 40 Prozent an Im- und Exporten unangefochtener Spitzenreiter. Erst mit großem Abstand folgen Italien und Frankreich. Die Dominanz deutscher Firmen erstreckt sich auf alle osteuropäischen Beitrittsländer: In der Tschechischen Republik kommen sogar über 55 Prozent der importieren Maschinen aus Deutschland. 100 Quelle: KSH. 101 Zwölf der 14 befragten Unternehmen im Maschinenbau verfügen über eine Marketing- und Vertriebsfunk-

tion in Ungarn.

152

Maschinenbau – Globale Integration im Mittelstand

Der hohe Anteil an den Exporten erklärt sich vor allem durch das umfangreiche Engagement deutscher Firmen in Ungarn. 13 der 14 von uns befragten Maschinenbauer produzieren in Ungarn. Sie stehen somit stellvertretend für viele andere deutsche Maschinenbauer, die Ungarn als Produktionsstandort nutzen. Wie wichtig Ungarn und Osteuropa in diesem Zusammenhang bereits geworden sind, zeigt Abbildung 65. Nicht nur das rasante Wachstum der Direktinvestitionen spricht für Ungarn, sondern auch die Höhe der Investitionen im Vergleich zu anderen EU-Ländern. Erst der Vergleich zu anderen Ländern offenbart das Ausmaß der Investitionen, da der Maschinenbau weit weniger kapitalintensiv produziert als etwa die Automobilindustrie. Mit über 200 Millionen Euro zum Jahresende 2001 halten die deutschen Unternehmen über ein Drittel des gesamten FDI-Bestands der Branche und sind somit auch im Maschinenbau der wichtigste ausländische Investor.

1995 2001 2003

330

313

298 270

245

211 164 80

67

52 15

Ungarn

Tschechien

Polen

-

Slowakei

27

46

-

Portugal

Abbildung 65: Bestand deutscher Direktinvestitionen im Maschinenbau in ausgewählten Ländern 1995 bis 2001 in Millionen Euro KPMG (2004) befragte 180 Maschinenbauunternehmen und identifizierte Osteuropa als zweitwichtigstes Investitionsziel hinter China, das zurzeit mit rasantem Nachfragewachstum für Furore sorgt. Die Direktinvestitionen deutscher Unternehmen dürften daher seit 2001 weiter beträchtlich gewachsen sein. Wie bereits angesprochen geht die Verflechtung mit Deutschland weit über bilaterale Handelsbeziehungen hinaus. Im Durchschnitt exportieren die deutschen Tochtergesellschaften fast 90 Prozent ihrer Produktion. Über 60 Prozent der Jahresproduktion werden konzernintern exportiert, d. h. zur Montage oder zum weiteren Vertrieb an die Zentrale geliefert. Der Vergleichswert in der Automobilindustrie, die wir im vorigen Kapital analysiert haben, liegt nur bei 45 Prozent.

Worauf ist die stärkere Abhängigkeit von der Zentrale zurückzuführen? Die Antwort dazu liegt im geringeren Kompetenzniveau der lokalen Produktion. Der Großteil der befragten Unternehmen übernimmt nur Montagetätigkeiten oder fertigt Teile für Produkte der Zentrale. Zwar haben manche Tochtergesellschaften auch Produktverantwortung, doch erstreckt sich diese oft nur auf einfache Produkte, die nur einen geringen Teil zum Gesamtumsatz des Tochterunternehmens beitragen.

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

153

Lohnniveau, niedrige Barrieren und Produkteigenschaften für Integration der Produktion maßgeblich Wenn Marktchancen nur eine untergeordnete Rolle bei der Expansion nach Ungarn gespielt haben, müssen Standortvorteile ausschlaggebend gewesen sein. Tatsächlich nimmt der Vorteil geringer Lohnkosten und damit ein Standortvorteil den Spitzenplatz ein (‡ 4,4). Bereits nach den drei wichtigsten Skalenvorteilen (‡ 3,3 – 3,8) folgt auf dem fünften Platz das Ausbildungsniveau der Mitarbeiter. Integration über Grenzen bei verteilter Produktion ist jedoch nur bei niedrigen Barrieren möglich. Zum einen dürfen die Investitionsbarrieren der (teilweisen) Verlagerung der Produktion nicht entgegenstehen, zum anderen würden prohibitiv hohe Handelsbarrieren die Unternehmenseinheiten zu mehr Eigenständigkeit zwingen. Beides ist in Ungarn jedoch nicht der Fall. Mit Ausnahme des Wechselkurses erhalten alle Barrieren eine Durchschnittsbewertung unter 2,5, meistens sogar unter 2,0. Dank kurzer Transportzeiten und einfacher Kommunikation zwischen den Unternehmensteilen können die Tochtergesellschaften äußerst flexibel auf die Vorgaben der Zentrale reagieren. Schließlich tragen die Produkteigenschaften entscheidend zur geografischen Verteilung der Produktionsprozesse bei. Im Produktportfolio der von uns interviewten Unternehmen finden sich größtenteils Maschinen, deren Komponenten in höchst unterschiedlichen Prozessen gefertigt werden. Ein Großteil der mechanischen Teile ist wenig bis mittel komplex und erfordert viele manuelle Tätigkeiten. Sondermaschinenbauer benötigen sogar für jeden Auftrag anders ausgelegte Teile, deren Produktion daher nur in sehr geringem Maße automatisiert werden kann. Bei hochkomplexen Teilen, bei denen Präzision und Qualität im Vordergrund stehen, spielen die Lohnkosten eine weitaus geringere Rolle. Teilweise kann die Fertigung aus Qualitätsgründen nur äußerst kapitalintensiv erfolgen. Schließlich muss die elektronische Steuerung programmiert und an die besonderen Anforderungen des Kunden angepasst werden. Dies erfordert nicht selten entweder unmittelbaren Kontakt zum Kunden oder speziell ausgebildete Arbeitskräfte. Für jede Komponentengruppe sind daher andere Asse von Bedeutung. Darin unterscheidet sich der Maschinenbau von der Automobilzulieferbranche. Diese hat sich stärker auf aus Produktionssicht homogenere Komponenten und Systeme spezialisiert.

Anwendungsentwicklung im Maschinenbau weit verbreitet Unternehmen mit Produktverantwortung übernehmen für ihre Produkte typischerweise die Anwendungsentwicklung. Die Entwicklungskompetenzen variieren jedoch unter den Unternehmen sehr stark. Während einige Tochtergesellschaften die eigene Fertigungsplanung und Prozessentwicklung übernehmen, fertigen die Entwicklungsabteilungen anderer Unternehmen

154

Maschinenbau – Globale Integration im Mittelstand

lediglich Konstruktionsmodelle für die Produktion. Insgesamt betreiben sieben Tochtergesellschaften Anwendungsentwicklung. In nahezu allen Fällen verantwortet die Zentrale die Produktentwicklung. Ein Unternehmen aber hat mit der Technischen Universität Budapest ein neues Produkt entwickelt, das die Produktpalette des Unternehmens im Einstiegssegment vervollständigt. Das Produkt ist nicht nur in Ungarn gut aufgenommen worden. Dieses Beispiel zeigt, wie auch mit geringen Ressourcen anspruchsvolle Entwicklungsleistungen erbracht werden können. Auch drei weitere Unternehmen sind Entwicklungskooperationen mit Universitäten eingegangen.

Nachwuchsprobleme stehen weiterer Entwicklung entgegen Seit einigen Jahren kämpfen Maschinenbauer mit sinkendem Ausbildungsniveau beim Nachwuchs und niedrigen Absolventenzahlen in den relevanten Berufen. Noch viele Jahre nach der politischen Wende konnten sie aus einem großen Pool gut ausgebildeter Fertigungsmitarbeiter, die ihre Jobs nach Zusammenbruch der staatlichen Großbetriebe verloren hatten, schöpfen. Diejenigen Unternehmen, die über Akquisitionen nach Ungarn kamen, übernahmen außerdem ausreichend Personal, um einige Jahre ohne größere Einstellungen auszukommen. Mit ersten Eintritten in den Ruhestand und steigendem Personalbedarf offenbarten sich jedoch einige Missstände auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt. Das Problem wird in den nächsten fünf bis zehn Jahren noch größere Ausmaße erreichen, wenn weitere Teile der Belegschaft in den Ruhestand treten. Unsere Interviewpartner kritisieren besonders das ungarische Ausbildungssystem. Die finanziellen Anreize der staatlichen Mittelschulen (Berufschulen) richten sich nach den Absolventenzahlen und nicht nach dem Bedarf der Wirtschaft nach einzelnen Berufen. Für die Schulen teure Ausbildungsberufe wie Dreher und CNC-Operator werden daher gemieden. Außerdem mangelt es den Berufsschulen an modernen Maschinen, an denen Schüler ihr theoretisches Wissen in der Praxis anwenden können. Gerade CNC-Dreh- und Fräsmaschinen, die aus der Produktion mechanischer Metallteile nicht mehr wegzudenken sind, finden sich nur in wenigen Schulen. Da ein duales Ausbildungssystem wie in Deutschland nicht existiert, können die Unternehmen die Ausbildungsdefizite erst nach Abschluss aufwändig beheben. Außerdem gelten den Unternehmensangaben zufolge diese Berufe als wenig attraktiv. Viel lieber ergreifen die Jugendlichen Berufe im Dienstleistungssektor, die allerdings nicht zwangsläufig besser bezahlt werden. So hat die Knappheit in den vorher genannten Berufen bereits zu Einstiegsgehältern geführt, die zum Teil über denen in klassischen Büroberufen liegen, berichtet uns ein Interviewpartner. Ungarn droht somit, seinen wichtigsten Standortvorteil an regionale Wettbewerber zu verlieren. Außerdem erweist sich mangelnde Qualifikation als großes Hindernis für die Aufwertung der Wertschöpfung. Mit einfachen Produktionstätigkeiten allein werden sich die lokalen Tochter-

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

155

gesellschaften im Wettbewerb mit Niedriglohnstandorten in den zukünftigen Beitrittsländern schwer tun.

Eigenes Engagement als wirksame Gegenmaßnahme Die sich abzeichnenden Probleme am Ausbildungsmarkt haben die Initiative der deutschen Maschinenbauer geweckt. Durch Kooperationen mit den lokalen Fachschulen, duale Ausbildung und eigene Qualifizierungsmaßnahmen engagieren sie sich aktiv in der Ausbildung ihres Nachwuchses. Dennoch zeigen unsere Interviews, dass längst nicht alle Unternehmen auf dieses Problem reagiert haben. So verzichten vier Unternehmen vollständig auf gezielte Schulungsmaßnahmen, um ausbildungsbedingte Defizite der Nachwuchsmitarbeiter zu beheben. Da den Ankündigungen der Regierung, das Ausbildungssystem zu reformieren, bisher nur wenig Taten gefolgt sind und Maßnahmen im Bildungssystem in der Regel erst in fünf bis zehn Jahren ihre Wirkung entfalten, gehen diese Unternehmen ein hohes Risiko ein. Denn Ungarn wird sich im internationalen Vergleich nur behaupten können, wenn die hohen Lohnsteigerungen von Produktivitätsverbesserungen in ähnlicher Höhe begleitet werden. In der Ausbildung aktive Unternehmen setzen überwiegend auf eigene Schulungsmaßnahmen. Neue Mitarbeiter werden anhand eines klar definierten Ausbildungsplans an ihre zukünftige Aufgabe herangeführt. Einige Unternehmen haben dazu eigene Lehrgänge entwickelt, in denen die Teilnehmer lernen, wie sie ihre theoretischen Kenntnisse auf modernen Maschinen in der Praxis umsetzen können. Die Lehrgänge sind dabei sehr unterschiedlich gestaltet. Das Format reicht von intensiven, bis zu mehreren Monaten dauernden Lehrgängen, von denen Teile in Deutschland durchgeführt werden, bis zu mehrstündigen wöchentlichen Kursen, die in den ersten sechs Monaten von den neuen Mitarbeitern belegt werden. Darüber hinaus kooperieren deutsche Maschinenbauer mit Fachschulen in der Umgebung. Sie stiften moderne Maschinen zur Verbesserung der Ausbildung in den Schulen oder unterhalten an ihren Standorten kleine Werkstätten, in denen die Schulen ihren praktischen Unterricht durchführen können. Zwei Unternehmen berichten uns von speziellen Vereinbarungen, die es ihnen erlauben, den praktischen Teil der Ausbildung analog zum deutschen System selber zu übernehmen. Dadurch erhalten die Schüler eine moderne Ausbildung und die Unternehmen können ihre zukünftigen Mitarbeiter bereits frühzeitig gezielt auf ihre spätere Tätigkeit hin ausbilden. Um CNC-Dreh- und Fräsmechaniker zu gewinnen, hat ein Unternehmen sogar monatliche Stipendien ausgelobt, die nicht zurückgezahlt werden müssen, wenn der Stipendiat sich nach Schulabschluss für eine Tätigkeit im Unternehmen entscheidet. Die Geschäftsleitung hofft, damit der gesunkenen Attraktivität beider Berufe entgegenwirken zu können. Unsere Interviewpartner zeigten sich mit ihren Ausbildungsmaßnahmen zufrieden. Dennoch kritisieren sie häufig die mangelnde Kooperationsbereitschaft seitens der Schulen. Hier sehen sie eindeutig noch Verbesserungsbedarf. Abbildung 66 fasst die Ausbildungsmaßnahmen zusammen.

156

Elektronikindustrie – Im Umbruch

38

38

15

Eigene Qualifizierung

Kooperation mit Fachschule

„duale“ Ausbildung

n=13

Abbildung 66: Ausbildungsmaßnahmen für neue Mitarbeiter in der Fertigung in der Maschinenbauindustrie in Prozent (Mehrfachnennungen möglich)

7.3

Elektronikindustrie – Im Umbruch

Die ungarische Elektronikindustrie befindet sich am Scheideweg. Bedeutende Ausweitungen der Produktion, nicht zuletzt Ergebnis ausländischer Investitionen, manifestieren die Attraktivität des Standorts Ungarn. Die Kombination aus geografischer Nähe zu den wichtigen Absatzmärkten in Westeuropa und niedrigen Lohnkosten hat sich in Ungarn als Schlüssel zum Erfolg erwiesen. Allerdings zeigen die Erfahrungen der letzten Jahre, dass weite Teile der Produktion angesichts steigender Lohnkosten anfällig für Verlagerungen nach Asien geworden sind. China hat sich nicht nur in der Unterhaltungselektronik zu einem ernsthaften Konkurrenten entwickelt. Auf der anderen Seite bestehen für Ungarns Elektronikindustrie weiterhin große Chancen, in Zukunft Neuinvestitionen und Verlagerungen aus Westeuropa anzulocken, um die Abwanderung nach Asien auszugleichen. Für bereits in Ungarn aktive Unternehmen besteht die Möglichkeit, durch die Aufwertung der lokalen Wertschöpfung und teilweise Verlagerung in angrenzende Niedriglohnländer, ihre Basis zu nutzen und weiter kostengünstig zu produzieren. Unser Fallbeispiel zu Flextronics zeigt beispielhaft die wichtigsten Möglichkeiten auf. Wie zwingend diese Neuausrichtung ist, zeigt das abschließende Beispiel. In der ungarischen Elektronikindustrie rechnen wir daher mit zunehmender Dynamik. Einige Firmen werden weiter nach Osteuropa und Asien ziehen, während andere Unternehmen ihr Engagement in Ungarn erweitern oder erst beginnen. Im Schatten dieser Entwicklung wird der lokale Markt im Zuge der Angleichung der Lebensstandards und Einkommen weiter überdurchschnittliche Wachstumsraten erreichen. Die Elektronikindustrie bleibt also spannend.

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

7.3.1

157

Elektronikindustrie global integriert

Die ungarische Elektronikindustrie exportiert rund 90 Prozent ihrer Produktion. Für die deutschen Tochtergesellschaften lässt sich also ein hoher Anteil Globaler Integration erwarten, da die Mehrzahl der befragten Unternehmen in Ungarn über Produktionsanlagen verfügt (zehn von 13). Tatsächlich ist dies der Fall, wie Abbildung 67 zeigt. Dennoch ist die Elektronikindustrie die einzige der fünf untersuchten Branchen, in der der Anteil Globaler Integration in den nächsten fünf Jahren zurückgehen wird. Tatsächlich wird die Bedeutung des ungarischen Absatzmarkts zunehmen: Der Anteil der für Märkte außerhalb Ungarns produzierten Produkte wird sich in den ungarischen Tochtergesellschaften von momentan 88 Prozent auf 83 Prozent verringern. Dies äußert sich mit einem Rückgang der Globalen Integration und der Zunahme an Geschäftstransfer in der Produktion. Gleichzeitig wird der Anteil von anderen Konzernteilen für den Absatz in Ungarn bezogener Produkte bei rund 30 Prozent verharren. Entsprechend den vertikalen Abhängigkeiten ergibt sich in fünf Jahren daher ein höherer Anteil an Geschäftstransfer und Exportorientierung, da der inländische Markt in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird.

99 Globale Integration 58 58

53 53

Geschäftstransfer 22 22

Export20 orientierung 20 n=13

26 26

64 64

00 36 36

58 58

00 44 42 42

21 21

Unterstützungsfunktionen

64 64

F&E

32 32

58 58

64 64

77 99 35 35

27 27

58 58

38 38

11 11

100

58 58

40 40

12 12

12 12 53 53

15 15

49 49 30 30

30 30

Beschaffung Produktion

52 52

Marketing & Vertrieb

33 33

Gewichteter Durchschnitt

Abbildung 67: Expansionsstrategien in der Elektronikindustrie 2005 und 2010e Unsere empirischen Ergebnisse können jedoch nicht zwangsläufig auf alle in Ungarn präsenten Unternehmen der Elektronikindustrie übertragen werden. Die Elektronikindustrie besteht zum einen aus vielen heterogenen Segmenten, sodass nicht alle Trends in unserer Stichprobe zwangsläufig für den gesamten Branchendurchschnitt gelten müssen und umgekehrt. Zudem spielen deutsche Unternehmen in der ungarischen Elektronikindustrie nicht die Rolle, die sie in den anderen vier Branchen innehaben.

158

Elektronikindustrie – Im Umbruch

7.3.2

Branchenüberblick Elektronikindustrie

Die Elektronikindustrie hat sich in den 90er Jahren dank jährlicher Wachstumsraten von bis zu 50 Prozent zur Stütze der ungarischen Industrie entwickelt. Die Branche zeichnet mittlerweile für über ein Viertel der Industrieproduktion verantwortlich und ist damit mit weitem Abstand vor der Fahrzeugindustrie treibende Kraft des gesamten verarbeitenden Gewerbes. Umfassende Restrukturierungen im Zuge der Privatisierung der oft maroden Staatsbetriebe haben eine beeindruckende Wirkung entfaltet. So haben sich einige Unternehmen, die vor der Wende Unterhaltungselektronik für den Ostblock produzierten, neu aufgestellt und sind zu den wichtigsten Contract Manufacturers102 im osteuropäischen Raum aufgestiegen. Daneben haben zahlreiche multinationale Unternehmen wie General Electric, Philips, Nokia, Sony und Samsung Fabriken in Ungarn aufgebaut, um von dort aus den westeuropäischen Markt zu beliefern. Insgesamt stellten die über 450 ausländischen Unternehmen der Branche mit 105.000 Mitarbeitern den Löwenanteil der Arbeitsplätze bereit.

Starke geografische Verteilung

Ukraine Slowakei Österreich

Ungarn

Slowenien

Rumänien

Kroatien

Abbildung 68: Regionale Verteilung der Elektronikindustrie103

102 Contract Manufacturer betreiben Auftragsfertigung von Komponenten oder ganzen Produkten für externe

Kunden. In der Elektronikindustrie wird in diesem Zusammenhang auch von EMS-Unternehmen gesprochen (electronic manufacturing service companies). 103 Vgl. ITDH (2003).

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

159

Die Elektronikindustrie ist in Ungarn kaum regional konzentriert. Nur im Raum Budapest betreiben verhältnismäßig viele Unternehmen ihre Fabriken (siehe Abbildung 68). Die Verteilung der Produktionsstätten über ganz Ungarn ist zum Teil auch Ergebnis der sozialistischen Planwirtschaft, da die Vorläuferunternehmen der heutigen Tochtergesellschaften von der Verwaltung gezielt über das ganze Land verteilt wurden.

Wenig Direktinvestitionen aus Deutschland Deutsche Elektronikunternehmen haben im Branchenvergleich bislang relativ wenig in Ungarn investiert. Ihr Anteil am gesamten FDI-Bestand der Industrie betrug 2004 weniger als zehn Prozent. Amerikanische und asiatische Unternehmen haben sich in der Elektronikindustrie weitaus stärker engagiert. Nur in der Fahrzeugelektronikbranche, die in Ungarn noch wenig zur Gesamtleistung der Industrie beiträgt, spielen deutsche Unternehmen eine wichtige Rolle. Daher sind zwangsläufig nicht alle Trends in der gesamten Branche für deutsche Firmen relevant und umgekehrt.

Chancen im Absatzmarkt Der ungarische Elektronikmarkt gilt mit einem Volumen von zehn Milliarden Euro (2002) zusammen mit dem tschechischen Markt als der zweitgrößte Markt unter den Beitrittskandidaten. Der Abstand zum Spitzenreiter Polen ist viel kleiner, als ein Vergleich der Einwohnerzahlen nahe legt. Zwei Gründe sind hierfür ausschlaggebend: Erstens verfügt Polen über eine weitaus kleinere industrielle Basis, was das geringe Marktvolumen in der Industrieelektronik erklärt. Zweitens entspricht die Versorgung mit elektrischen Geräten in der polnischen Bevölkerung nur einem Drittel des Vergleichstandards in Tschechien und Ungarn. Dies ist im Wesentlichen auf den dort höheren Anteil ländlicher Gebiete zurückzuführen. Die größere Verbreitung elektronischer Produkte in Tschechien und Ungarn wird in Zukunft dafür sorgen, dass diese Märkte in ihrem Wachstum hinter dem polnischen Markt zurückbleiben werden. Dennoch stehen die Signale in Ungarn auf Wachstum. Obwohl bereits Sättigungseffekte in einigen Segmenten der Unterhaltungselektronik sichtbar geworden sind, hat Ungarn im Vergleich zu seinen westeuropäischen Nachbarn sowohl in der Ausstattung mit Unterhaltungselektronik als auch mit elektrischen Haushaltsgeräten noch einiges aufzuholen. In der industriellen Elektronik und der Elektrotechnik wirkten sich das Wachstum der Industrie – insbesondere im Fahrzeugbau – und der Modernisierungsbedarf in den ungarischen Unternehmen positiv auf die Marktprognosen aus. Drei der 13 von uns befragten Unternehmen haben auf diese Prognosen bereits frühzeitig reagiert und den Markt mit einer eigenen Vertriebsgesellschaft betreten. Dementsprechend wichtig sind Marktchancen: Sowohl Volumen als auch Wachstum erachten sie als wichtigen Vorteil (‡ 4,3 und 4,0). Doch auch Unternehmen mit Produktion in Ungarn sehen das

160

Elektronikindustrie – Im Umbruch

Absatzpotenzial im lokalen Markt. Nur in den von Vertriebsgesellschaften dominierten Chemie- und Pharmabranchen wird den Marktchancen mehr Bedeutung beigemessen.

Inländischer Markt wird durch Importe bedient Die drei genannten Unternehmen folgen damit dem typischen Muster der Branche. Da nur etwa zehn Prozent der ungarischen Elektronikproduktion im Inland verbleiben und das Marktvolumen in etwa dem Importvolumen entspricht, wird der überwiegende Teil der inländischen Nachfrage aus dem Ausland befriedigt. Deutschland muss sich mit knapp 15 Prozent Anteil am Importvolumen Ungarns nur China geschlagen geben, das 2003 einen Anteil von fast 20 Prozent hielt. Die Marktanteile der beiden Länder sind jedoch äußerst unterschiedlich über die beiden wichtigsten Importgüter verteilt: Während Deutschland in der Automatisierungs- und Installationstechnik sowie bei Schweißgeräten führend ist, beliefert China Ungarn mit elektronischen Bauteilen, Unterhaltungs- und Kommunikationsgeräten sowie Batterien. Die größten Veränderungen werden sich jedoch nicht im Absatzmarkt ereignen. Tiefgreifende Umwälzungen erwarten Experten vielmehr am Produktionsstandort Ungarn. Daher werden wir uns im folgenden Teil der Analyse besonders detailliert mit diesem Thema befassen.

Dynamisches Wachstum in der Produktion Über die letzten fünf Jahre konnte die Elektronikindustrie in der Produktion ein beachtliches Wachstum von jährlich 20 Prozent verbuchen. Abbildung 69 zeigt diese beeindruckende Entwicklung in graphischer Form. Lediglich im Jahr 2002 mussten die Unternehmen ihre Wachstumsprognosen revidieren und übertrafen den Vorjahreswert nur um einige wenige Millionen Euro. Im Jahr 2004 erreichte die Elektronikindustrie sogar ein Wachstum von über 25 Prozent und trug damit über die Hälfte des Gesamtwachstums der ungarischen Industrieproduktion.

Wachstum p.a.

11,1

+20%

18,6

12,8

12,8

2001

2002

14,6

7,4

1999

2000

2003

2004

Abbildung 69: Produktion in der ungarischen Elektronikindustrie 1999 bis 2004 in Milliarden Euro104

104 Vgl. DUIHK(2005b), ITDH (2003). Daten für 2003 und 2004 vorläufig, teilweise extrapoliert.

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

161

Export treibt Produktionswachstum – Importe bleiben 2003 stabil Die starke Expansion der Produktion erklärt sich fast ausschließlich durch die rege Exportnachfrage, die 90 Prozent der ungarischen Produktion absorbiert. Umso schmerzhafter war der große Nachfrageeinbruch in der Kommunikationstechnologie, der maßgeblich zum Rückgang der Exporte zwischen 2002 und 2003 beigetragen hat. Die vorläufigen aggregierten Exportstatistiken für 2004 legen jedoch nahe, dass dieser Einbruch nur vorübergehender Natur war. Ganz anders in der Unterhaltungselektronik: In diesem Segment erwarten unsere Interviewpartner, dass die Exporte sich auch in Zukunft negativ entwickeln werden, da diese Produkte besonders stark von steigendem Wettbewerbsdruck betroffen sind. Die ungarische Nachfrage nach ausländischen Elektroerzeugnissen blieb 2003 dagegen stabil, wie Abbildung 70 zeigt. Importdaten für 2004 waren noch nicht verfügbar.

Exporte

Importe

+26%

-21%

13,0

13,0 Kommunikationstechnologie

3,2

10,3

Elektronische Bauteile

1,0

1,1

Unterhaltungselektronik

2,7

2,0

Informationstechnologie

2,4

Andere

3,6

+0% 12,3

12,3

1,1

1,7

4,3

2,5

4,0

4,2

2,2

1,7

4,7

4,8 -

2002

2003

2004e

2002

2003

2004

Abbildung 70: Außenhandel in der Elektronikindustrie 2002 bis 2004 in Milliarden EUR105

Steigender internationaler Wettbewerb um Produktionskapazitäten Die sinkenden Exporte in der Unterhaltungsindustrie stehen in engem Zusammenhang mit der überraschenden Verlagerung der X-Box-Produktion von Ungarn nach China. Die Erfahrungen des X-Box-Herstellers Flextronics stehen beispielhaft für die Herausforderungen, gegen die sich weite Teile der ungarischen Elektronikindustrie in Zukunft wappnen müssen.

105 Vgl. DUIHK(2005b), ZVEI (2005).

162

Elektronikindustrie – Im Umbruch

Exkurs: Flextronics und die X-Box – Menetekel für die ungarische Elektronikindustrie?106 Flextronics ist mit 12,8 Milliarden Euro Umsatz (2004) der weltweit größte Electronic Manufacturing Service (EMS) Provider. Flextronics übernimmt für führende Unternehmen der Automobil- und Elektronikindustrie sowie der Medizintechnik die Entwicklung, Fertigung und Qualitätskontrolle ganzer Produkte. Aus der Konzernzentrale in Singapur steuert das Unternehmen ein Netzwerk von über 80 Fabriken in 29 Ländern auf allen fünf Kontinenten, in denen über 92.000 Mitarbeiter beschäftigt sind. Fünf Standorte beliefern die westeuropäischen Märkte mit hochvolumigen Elektronikprodukten und Plastikteilen. In Ungarn unterhält Flextronics zwei Industrieparks in Nyíregyháza (Ostungarn) und Zalaegerszeg (Westungarn) sowie eine Fabrik in Tab (Südungarn). 80 Prozent der Gesamtinvestitionen von über 750 Millionen Euro in der Region gingen nach Ungarn. 2003 erwirtschafteten die 10.600 Mitarbeiter von Flextronics Hungary einen Umsatz von 3,2 Milliarden Euro. Mit Exporterlösen in gleicher Höhe ist Flextronics knapp hinter Audi der zweitgrößte Exporteur Ungarns und belegt den dritten Platz in der Liste der umsatzstärksten Unternehmen. Im November 2001 startete Flextronics Hungary die Produktion der Microsoft Spielkonsole X-Box für den europäischen Markt. Auf der anderen Seite des Atlantiks begannen Mitarbeiter in Mexiko, die vollen Auftragsbücher aus den USA abzuarbeiten. In Ungarn plante die Geschäftsleitung mit über 2.000 Neueinstellungen, Microsoft-Manager sagten gar einen „XBox-Effekt“ von sechs bis sieben Prozent auf das Bruttoinlandsprodukt voraus. „Game over“ titelten einschlägige Zeitschriften nach dem schnellen Ende der Produktion nur ein halbes Jahr später. Flextronics verlagerte die gesamte ungarische X-BoxProduktion nach China. Was war passiert? Nur einen Monat zuvor hatte Sony als Reaktion auf den Eintritt von Microsoft in den Spielkonsolenmarkt den Verkaufspreis seiner Playstation 2 von 299 US-Dollar auf 199 USDollar gesenkt. Eine Woche später zog Microsoft nach. Nintendo hatte seinen im November 2001 gestarteten Game Cube bereits für 199 US-Dollar angeboten, um seinen ärgsten Konkurrenten Sony sofort zu unterbieten. Analystenschätzungen zufolge musste Microsoft bei einem Verkaufspreis von 199 US-Dollar Verluste von 75 bis 100 US-Dollar je verkaufte X-Box hinnehmen. Damit drohte dem amerikanischen Software-Riesen, seine selbst gesetzte Grenze für Anfangsverluste, die Experten zwischen ein und zwei Milliarden Dollar schätzten, in absehbarer Zeit zu überschreiten.

106 Flextronics ist kein deutsches Unternehmen und hat entsprechend nicht an unserer Studie teilgenommen.

Dieses Fallbeispiel haben wir aus öffentlich zugänglichen Quellen zusammengestellt. Vgl. dazu AmCham (2002a), AmCham (2002b) und UNCTAD (2002), S. 170.

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

163

Über 500 Millionen US-Dollar hatte das Unternehmen bereits in die kostspielige Werbekampagne zur X-Box-Einführung gesteckt. Dank größerer Zuliefererbasis und geringeren Lohnkosten in China versprach sich Flextronics durch die Verlagerung große Einsparungen bei der X-Box-Produktion.

Das X-Box-Debakel von Flextronics unterstreicht den steigenden Wettbewerb in der Unterhaltungselektronik, den die Elektronikunternehmen in den anderen Segmenten bereits zunehmend zu spüren bekommen. Chinas Elektronikindustrie hat sich in den letzten Jahren zu einem ernst zu nehmenden Wettbewerber für die ungarische Branche entwickelt.107 Eine beträchtliche Zahl an Arbeitsplätzen ist bereits aus Ungarn nach China verlagert worden. Die wichtigsten Fabrikschließungen in der Elektronikindustrie führt Tabelle 6 auf. Tatsächlich sind Verlagerungen nach China für 5.400 der 5.600 zwischen 2002 und 2003 weggefallenen Arbeitsplätze verantwortlich. Im Oktober 2002 beendete IBM die Festplattenproduktion im westungarischen Székesfehérvár, wo zuletzt fast 4.000 Mitarbeiter beschäftigt waren. Anfang 2003 folgte Philips mit der Verlagerung seiner Produktion von CRT-Monitoren nach China, bei der 500 der insgesamt 800 Mitarbeiter ihren Job verloren. Diese Beispiele zeigen, dass der Kostendruck, dem die ungarische X-Box-Produktion zum Opfer fiel, bereits auf andere Segmente übergegriffen hat. Wie ihre internationalen Wettbewerber sind die deutschen Unternehmen wegen des Lohngefälles zu Westeuropa nach Ungarn gekommen. Geringere Lohnkosten sind mit einem Durchschnittswert von 4,0 der wichtigste Vorteil eines Engagements in Ungarn. Daher müssen auch sie Wege finden, um im harten Kostenwettbewerb mit Niedriglohnländern wie China und der Ukraine zu bestehen. Einige erfolgreiche Strategien zeigen die folgenden Abschnitte auf. Tabelle 6: Standortschließungen in der ungarischen Elektronikindustrie 2002-2003108

Unternehmen

Maßnahme

betroffene Arbeitsplätze

Flextronics (X-Box)

Verlagerung nach China

1.000

Oktober 2002

IBM

Verlagerung nach China

3.700

Oktober 2002

TDK

teilweise Verlagerung in die Ukraine

200

Kenwood

Konsolidierung

200

Philips

Verlagerung nach China

500

Datum Mai 2002

Dezember 2002 Januar 2003 Gesamt

107 Für eine tief greifende Analyse des chinesischen Marktes siehe Kaufmann et al (2005). 108 Vgl. UNCTAD (2003), S. 229.

5.600

164

Elektronikindustrie – Im Umbruch

Selektiv nach Ungarn verlagern Tabelle 7 relativiert die Angaben aus Tabelle 6. Zwischen 2002 und Anfang 2003 entstanden bei den wichtigsten Elektronikfirmen dank Verlagerungen aus Westeuropa und Kapazitätserweiterungen über 8.000 zusätzliche Arbeitsplätze. Unsere Analysen zeigen, dass diese Unternehmen die Zeichen der Zeit nicht verkannt haben. Vielmehr produzieren sie in ihren Werken Produkte, die in Westeuropa nicht mehr wirtschaftlich gefertigt werden können, deren Verlagerung nach Asien aber nicht in Frage kommt. Hohe Transportkosten und die geringe Flexibilität eines Produktionsstandortes in Übersee überwiegen die Lohnkostenvorteile gegenüber Ungarn in einigen Segmenten bei weitem. Hohe Barrieren in Asien verhindern also, mit den dort besonders hohen Standortvorteilen aufzutrumpfen.

Tabelle 7: Verlagerungen nach Ungarn und Kapazitätserweitungen in der Elektronikindustrie 2002-2003109 Unternehmen

Maßnahme

geschaffene Arbeitsplätze

2002/2003

Robert Bosch

Verlagerung und Kapazitätserweiterungen

1.150

2002/2003

Flextronics

Kapazitätserweiterungen

2.100

Juni 2002

Foxconn

Kapazitätserweiterungen

2.100

Januar 2003

GE

Kapazitätserweiterungen

100

Januar 2003

Jabi

Verlagerung aus England

600

Philips

Verlagerung aus Frankreich und Kapazitätserweiterungen

1.500

Samsung

Verlagerungen aus Westeuropa

500

Datum

Januar / Mai 2003 Februar 2003 Gesamt

8.050

Kompetenzen aufbauen Die Erfahrungen der letzen beiden Jahre zeigen weiterhin, dass Ungarn in der Elektronikindustrie besonders dann Verlagerungen und zusätzliche Kapazitäten anziehen konnte, wenn Kompetenzvorteile die zweifellos wichtigen Vorteile hoher Flexibilität und geografischer Nähe komplettierten. Einfache Montagetätigkeiten, bei denen selbst geringe Lohnkostenvorteile sich fast immer in niedrigeren Fertigungskosten niederschlagen, werden daher zunehmend von höherwertigen Aktivitäten verdrängt. Flextronics entwickelte seine ungarischen Standorte daher von reinen Montagefabriken zu Entwicklungs- und Designzentren, die zudem nur noch höherwertige

109 Vgl. UNCTAD (2003), S. 229.

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

165

Fertigungsarbeiten übernehmen. Gleichzeitig investierte das Unternehmen verstärkt in Automatisierungstechnik und minderte so den Effekt der Lohnsteigerungen auf die Gesamtkosten. Die in unserer Studie vertretenen deutschen Unternehmen haben jedoch nur teilweise auf diese Entwicklungen reagiert. Ein beträchtlicher Anteil der befragten Unternehmen fertigt immer noch Teile oder erbringt Lohnveredelung für die Zentrale (jeweils 20%, wobei Mehrfachnennungen möglich waren). Darüber hinaus haben sich erst zwei Unternehmen dazu entschieden, Anwendungsentwicklung an ihren ungarischen Standorten zu betreiben. Die Fallbeispiele im Anschluss an dieses Kapitel zeigen jedoch, wie dringend höhere Kompetenzen benötigt werden.

(Regionale) Globale Integration in der Produktion noch wenig verbreitet In Kapitel 6.4.7 haben wir das Potenzial der (regionalen) Globalen Integration bereits hervorgehoben. Gerade in der arbeitsintensiven Montage können Unternehmen durch Expansion in die Ukraine oder nach Rumänien weitere Lohnkostenvorteile ausnutzen. Allerdings sehen unsere Interviewpartner in der Elektronikbranche dafür nur wenig Potenzial. Mit einem Durchschnittswert von 2,5 stufen sie den Verbundvorteil einer Realoption für künftige Expansion deutlich geringer ein als Unternehmen der Automobil- und Maschinenbaubranche. Auch in diesem Bereich hat sich Flextronics als Vorreiter etabliert (siehe folgenden Exkurs).

Exkurs: Flextronics regionale Expansion Bereits Anfang 2001 begann Flextronics, einfache Montagetätigkeiten (sog. Sub-assembly) in die Ukraine zu verlagern, die vorher für eine größere Investition nicht in Frage kam. In unmittelbarer Nähe zur ungarischen Grenze werden in einem Pilotprojekt besonders arbeitsintensive Fertigungsschritte für das Flextronics-Werk im ungarischen Nyíregyháza abgewickelt. Kapitalintensivere Produktionsprozesse werden dagegen weiterhin in Ungarn bleiben. Durch die Integration des ukrainischen Standorts, der unabhängig keine vollwertige Geschäftseinheit darstellen würde, in das ungarische Geschäft können weitere Kostenvorteile gehoben werden. Zwischen beiden Standorten besteht ein geschätztes Lohnkostengefälle von 1:5.

7.3.3

Fallbeispiel: Erfolgreiche Transformation eines Elektronikunternehmens

Ein Unternehmen der Elektronikindustrie unterhält neben der zentralen Fertigung in Deutschland und einem kleineren Produktionsstandort in den USA eine Fertigung in Ungarn.

166

Elektronikindustrie – Im Umbruch

Schwerpunkt im Produktportfolio sind elektronische Komponenten, die bei der Steuerung von Maschinen und in Fahrzeugkomponenten zum Einsatz kommen. Das Ungarn-Engagement des Unternehmens begann Ende der 90er Jahre mit der Eröffnung eines Standortes in Westungarn. Zunächst wurden jedoch nur einfache Arbeitsschritte nach Ungarn verlagert. Alle Fäden liefen weiterhin in der deutschen Zentrale zusammen, die die ungarische Tochtergesellschaft ausschließlich als verlängerte Werkbank (im Sinne Globaler Integration) nutzte. Hohe Transport- und Koordinationskosten, die die unterbrochene Wertschöpfungskette mit sich brachte, führten jedoch zunächst zu hohen Verlusten. Nach drei Jahren anhaltender Verluste kam mit einem neuen Geschäftsführer frischer Wind ins Unternehmen. Er hauchte dem Standort Veszprém neues Leben ein, indem er zunächst die Fertigungsprozesse grundlegend reorganisierte. Die unattraktive Lohnveredelung wich der Verlagerung von ganzen Produktbereichen. Heute produziert die ungarische Tochtergesellschaft ganze Komponenten für die etablierten Standardprodukte, während die Fertigung in Deutschland sich auf Produkte spezialisiert hat, deren Fertigung nur mit viel Erfahrungswissen und hoher Automatisierung möglich ist. Neue Produkte werden dagegen nach erfolgreichem Serienstart in Hannover komplett in Ungarn produziert. Bei Zubehörteilen ist die ungarische Gesellschaft sogar für die Entwicklung verantwortlich. „Als Mittelständler können wir nicht ständig weiterziehen“, fügt der Geschäftsführer hinzu. Daher produzieren wir in Ungarn mit einer zu Deutschland vergleichbaren Kapitalintensität, um die Steigerungen der Lohnkosten zu antizipieren. Schließlich benötigt ein Standort mit Produktverantwortung entsprechend qualifiziertes Verwaltungspersonal, das zudem in Westungarn einfacher und günstiger als in Budapest rekrutiert werden kann. Dies mindert die Abhängigkeit von der Zentrale und verhindert Kapazitätsengpässe in der Geschäftsleitung. Das Unternehmen ist mit der Entwicklung des ungarischen Standorts äußerst zufrieden. Die Entwicklung der Nass Magnet zeigt also beispielhaft, wie Unternehmen durch gezielten Kompetenzaufbau die geringen Barrieren in Ungarn ausnutzen und Standortvorteile voll ausspielen können. Im nächsten Fallbeispiel werden wir jedoch sehen, dass ohne eine solche Standortentwicklung der Erfolg des Unternehmens aufs Spiel gesetzt wird.

7.3.4

Fallbeispiel: Verpasste Chancen?

Ein Elektronikunternehmen entschied sich 1990 aus Kostengründen für die Verlagerung der arbeitsintensiven Montage nach Ungarn (Globale Integration). Seit 1995 fertigt die ungarische Tochtergesellschaft zusätzlich für externe Kunden in Lohnarbeit. Bis in die jüngste Vergangenheit erwirtschaftete sie knapp 40 Prozent ihres Gesamtumsatzes mit Aufträgen eines Automobilzulieferers. Im Gegensatz zu anderen Unternehmen reagierte das Unternehmen jedoch nicht auf das sich ändernde Umfeld und verzichtete auf einen Ausbau der lokalen Kompetenzen. Auch dem

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

167

Drängen des wichtigsten externen Kunden, Teile der ungarischen Produktion nach Rumänien zu verlagern, gab das Unternehmen nicht nach. Dieser hat sich jedoch angesichts des steigenden Kostendrucks entscheiden, gemeinsam mit einem rumänischen Partner ein eigenes Werk in Rumänien aufzubauen. Die Option, es seinem Kunden gleich zu tun, hat das Unternehmen damit verloren: Die nun stark gesunkene Auslastung rechtfertigt zurzeit keine Verlagerung nach Rumänien. Den verlorenen Umsatz und die dazugehörigen Skaleneffekte durch lokale Kunden zu ersetzen gestaltet sich ebenfalls sehr schwierig. Ein bedeutender Elektronikhersteller winkte nach ersten Sondierungsgesprächen ab, da reine Lohnveredelung für ihn nicht in Frage kam. Das Unternehmen bemüht sich seitdem, mehr Kompetenzen in Ungarn aufzubauen, und hat bereits einige wichtige Grundtechnologien übernommen (u. a. Löttechnologie). Dennoch hat das Unternehmen wertvolle Zeit verloren, die es im harten internationalen Wettbewerb nur schwer aufholen kann.

7.4

Chemische Industrie – Im Aufwärtstrend

Nachdem wir mit Automobilindustrie, Maschinenbau und Elektronikindustrie Branchen analysiert haben, in denen deutsche Unternehmen Ungarn vor allem als Produktionsstandort nutzen, wenden wir uns nun zwei Branchen zu, in denen deutsche Unternehmen bisher nur selektiv Produktionskapazitäten aufgebaut haben. Den Anfang macht die chemische Industrie, die pharmazeutische Industrie folgt in Kapitel 7.5. Wir beginnen unsere Analyse mit einem Überblick über die strategische Ausrichtung deutscher Unternehmen in Ungarn. In der folgenden Analyse des ungarischen Chemiemarktes geben wir zunächst einen Überblick über die ungarische Chemieproduktion. Danach wenden wir uns dem Absatzmarkt zu und arbeiten die wichtigsten Entwicklungen und Besonderheiten heraus. Wir zeigen, wie deutsche Unternehmen gegenüber ihren lokalen und regionalen Wettbewerbern Vorteile erringen.

7.4.1

Chemieunternehmen größtenteils exportorientiert

Deutsche Chemieunternehmen verfolgen in Ungarn überwiegend die Strategie der Exportorientierung, nutzen Ungarn also primär als Exportmarkt für deutsche Produktion. Skaleneffekte zwingen die Hersteller chemischer Grundstoffe und Petrochemikalien, ihre Produktion am Stammsitz zu belassen. Ungarns Markt entspricht weniger als einem Prozent des gesamten EU-Markts für Chemikalien (Deutschland rund ein Viertel) und rechtfertigt daher keine eigenen Produktionsanlagen. Eine Verlagerung nach Ungarn und anschließende Exporte nach Westeuropa und die Region ist wirtschaftlich nicht sinnvoll, weil die kapitalintensive Produk-

168

Chemische Industrie – Im Aufwärtstrend

tion von niedrigen Lohnkosten kaum profitiert und ein Großteil der Produktion dann teuer nach Westeuropa transportiert werden müsste. Die im Stammland getätigten Investitionen stellen „Sunk Costs“ dar und lassen sich im Gegensatz zu den Produktionsanlagen in anderen Industrien nicht ohne großen Aufwand ins Ausland verlagern. Eine Ausnahme stellen die Industriegasproduzenten dar, die einen Großteil ihrer Produkte vor Ort herstellen. Hohe Transportkosten relativ zum Wert der Gase begrenzen den Markt auf 200 bis 250 Kilometer um den Produktionsstandort. Außerdem können sie ihre Produktion bereits mit geringen Kapazitäten wirtschaftlich effizient betreiben. Ähnliches gilt für die Verarbeitung von Gummi und Kunststoff. Skalenvorteile spielen hier eine geringere Rolle, während die Unternehmen durch Verlagerung ihrer Produktion vom Vorteil niedriger Lohnkosten profitieren. Die befragten Unternehmen in diesem Segment exportieren einen Großteil ihrer Produktion nach Westeuropa und zeichnen daher für den Anteil Globaler Integration im Branchendurchschnitt verantwortlich.

Globale Integration Geschäftstransfer

12 12

42 42

12 12

12 12 11

13 13

11 11

11 11

16 16

16 16

16 16

16 16

71 71

71 71

73

73

13 13

99

81 81

87 87 73

100

11 11

11 11

28 28

28 28

61 61

61 61

82

82

73

46 46

10 10

n=14

88

42 42

87 87 Export46 46 orientierung

12 12 11

Unterstützungsfunktionen

F&E

Beschaffung Produktion

10 10

Marketing & Vertrieb

Gewichteter Durchschnitt

Abbildung 71: Expansionsstrategien in der chemischen Industrie 2005 und 2010e in Prozent Wie Abbildung 71 zeigt, schlägt sich die unterschiedliche Ausprägung der Asse und Barrieren in den einzelnen Segmenten in der Strategiewahl im Branchendurchschnitt nieder. Mit rund 60 Prozent ist die Strategie der Exportorientierung die am weitesten verbreitete Strategie, gefolgt von der Strategie des Geschäftstransfers. Der hohe Anteil von ausländischen Unternehmensteilen bezogener Leistungen erklärt sich vor allem über die Produktion. Fehlt diese Funktion, erscheint es kaum sinnvoll, Funktionen wie Beschaffung und Forschung & Entwicklung in Ungarn aufzubauen. Für eine effektive Betreuung des lokalen Marktes benötigen die deutschen Tochtergesellschaften eine Marketing & Vertriebsfunktion vor Ort. Wie uns mehrere Manager schilderten, gilt das selbst im Fall von Kunden, die International Key Accounts sind und die von einem Key Account Manager am Stammsitz betreut werden: Auch diese Kunden benötigen einen zusätzlichen lokalen Ansprechpartner. Beide Manager müssen sich dann eng miteinander

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

169

abstimmen und den Kunden in Ungarn gemeinsam betreuen. Entsprechend wichtig sind die Verbundvorteile in Marketing & Vertrieb.

Stabile Strategiewahl In den nächsten fünf Jahren planen die Unternehmen unserer Studie keine Änderungen ihrer strategischen Ausrichtung. Wir führen dies auf geringe Veränderungen in den Ausprägungen der Asse und Barrieren und die langfristige Orientierung weiter Teile der Branche zurück. An einem Standort neue Kapazitäten aufzubauen ist insbesondere in der Petro- und Grundstoffchemie eine äußerst langfristige Entscheidung, die Unternehmen erst dann treffen, wenn sie eine Mindestauslastung mit hinreichender Sicherheit erwarten können.

7.4.2

Branchenüberblick

Die chemische Industrie hat in Ungarn wie in anderen osteuropäischen Ländern eine tief greifende Transformation vollzogen. Vor der Wende konzentrierte sich die ungarische chemische Industrie auf die Produktion von Grundchemikalien für die Schwerindustrie. Zunehmende Importe höherwertiger Produkte aus Westeuropa und der Niedergang der Schwerindustrie zwangen die Unternehmen jedoch Anfang der 90er Jahre, ihre Produktionskapazitäten zu reduzieren und sich strategisch neu zu orientieren. Im Jahr 2005 exportierte die ungarische Chemieindustrie über die Hälfte ihrer Produktion und trägt rund fünf Prozent zur gesamten ungarischen Wirtschaftsleistung bei. Der Absatzmarkt wächst seit Ende der 90er Jahre im Gleichschritt mit der Gesamtwirtschaft. Sollten die geplanten regulatorischen Änderungen in ihren jetzigen Fassungen umgesetzt werden, können westeuropäische Unternehmen zudem mit verbesserten Marktchancen rechnen.

Die ungarische Chemieproduktion 2003 erreichte die Produktion der chemischen Industrie Ungarns einen Wert von 5,9 Milliarden Euro. Davon entfielen jeweils etwa ein Drittel auf Petrochemie, Chemie im engeren Sinn und die Verarbeitung von Gummi und Kunststoffen (siehe Abbildung 72). Die Chemie im engeren Sinn wird mit 70 Prozent von der Produktion chemischer Grundstoffe dominiert. Wichtige Produkte in diesem Segment sind Kunststoffe in Primärformen, Industriegase und Düngemittel. Im regionalen Vergleich ist Ungarn damit zweitwichtigster Chemieproduzent hinter Polen, das 2002 chemische Produkte im Wert von 7,8 Milliarden Euro produzierte.110 Dank laufender Neuinvestitionen in Höhe von rund einer Milliarde Euro wird Polen auch in absehbarer Zukunft der größte osteuropäische Chemiehersteller bleiben. 110 Vgl. IKB (2004a), S. 32.

170

Chemische Industrie – Im Aufwärtstrend

Sonst. chem. Erzeugnisse Schädlingsbekämpfung Kunstfasern

Verarbeitung von Gummi und Kunststoff 1.856

51 44 41

Anstrichmittel, Druckfarben, Kitte

117

Reinigungs-, Körperpflegemittel, Duftstoffe

336

Chemie im engeren Sinne 2.063 Chemische Grundstoffe 1.474

Petrochemie 1.996

Abbildung 72: Chemische Produktion 2003 (ohne Pharmazeutika) in Millionen EUR111

Mittelfristiges Produktionswachstum erwartet Bedingt durch einen leichten Rückgang in der Petrochemie sank die Gesamtproduktion chemischer Produkte im Jahr 2003 leicht. Die Verarbeitung von Gummi und Kunststoff sowie die chemische Produktion im engeren Sinn stagnierten. In den wichtigsten chemischen Kernprodukten gab es keine wesentliche Veränderung der Produktion. Lediglich einige weniger bedeutende Produkte verzeichneten ein starkes Wachstum (zum Beispiel Reinigungs- und Körperpflegemittel). Besonders stark war der Produktionsrückgang im seit Jahren schrumpfenden Kunstfasersegment.ȱ112 Zwei Faktoren werden in den nächsten Jahren das Wachstum der ungarischen Chemieindustrie treiben. Erstens planen die großen ungarischen Chemieproduzenten umfangreiche Kapazitätserweiterungen. Bis 2008 werden sich die Produktionskapazitäten für einige wichtige chemische Produkte fast verdoppeln, wie aus Abbildung 73 hervorgeht. Zweitens haben die ungarischen Anbieter in effizientere Technologie investiert, sodass es ihnen leichter fallen wird, ihre Produkte zu wettbewerbsfähigen Preisen auf Exportmärkten zu platzieren. Dass 2003 etwas mehr als die Hälfte der ungarischen (im engeren Sinne) chemischen Produktion exportiert wurde, ist ein guter Beleg dieser Exportorientierung ungarischer Firmen. Besonders hoch ist der Exportanteil bei Reinigungs- und Körperpflegemitteln (75 Prozent). Dagegen werden Düngemittel, Industriegase sowie Farben und Lacke überwiegend für den heimischen Markt produziert. Die Abhängigkeit von dem Wachstum der ungarischen Nachfrage wird durch den hohen Exportanteil reduziert. Schätzungen zufolge wird das 111 Vgl. KSH (2004a). 112 Vgl. KSH (2004a).

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

171

Wachstum – vor allem exportbedingt – zumindest im Bereich der im engeren Sinn chemischen Produkte wieder an Fahrt gewinnen und bis 2008 bei durchschnittlich vier Prozent liegen.

610

350

2000 2004 2008e

610

360

360 299 231

E th y le n

PE

280

320 264

PP

310

310

PVC

Abbildung 73: Produktionskapazitäten wichtiger Produkte der chemischen Industrie in Ungarn 2000 bis 2008e113

Hohe Konzentration der Produktionskapazitäten Die Produktionskapazitäten in den drei größten Segmenten Petrochemie, chemische Grundstoffe sowie Verarbeitung von Gummi und Kunststoffen konzentrieren sich auf wenige große Anbieter, die zudem fast den gesamten Exportmarkt bedienen. In der Petrochemie dominiert der ehemalige Staatskonzern MOL, der mittlerweile zu 90 Prozent privatisiert wurde. Tiszai Vegyi Kombinát (TVK), ein von MOL beherrschtes Unternehmen, produziert Petrochemie und chemische Grundstoffe. TVK ist gleichzeitig der einzige Produzent von Polymeren in Ungarn. Darüber hinaus ist das Unternehmen der größte Anbieter von Polyethylen (PE) und Polypropylen (PP) in Zentral- und Osteuropa. Im Kunststoff-Segment verfügt BorsodChem über den größten Anteil der Kapazitäten. So ist das Unternehmen zum Beispiel der einzige Produzent von Polyvinylchlorid (PVC) in Ungarn.

Starke Fragmentierung und Kapitalmangel im übrigen Angebot Abgesehen von einigen wenigen Großunternehmen ist das übrige Angebot stark fragmentiert: Von den offiziell gemeldeten 750 Chemieunternehmen beschäftigen mehr als zwei Drittel weniger als zehn Mitarbeiter. Bei nur 13 Unternehmen liegt der Personalbestand über 500 Mitarbeiter. Die kleineren Unternehmen produzieren fast ausschließlich für den ungarischen Markt. Ihr Produktportfolio umfasst in der Regel qualitativ schwächere, einfache Produkte. 113 Quelle: Ungarischer Verband der chemischen Industrie. PE: Polyethylen, PP: Polypropylen, PVC: Polyvi-

nylchlorid.

172

Chemische Industrie – Im Aufwärtstrend

Da sie nach Angaben eines Interviewpartners mit viel günstigeren Lohnkosten arbeiten und ihre Verkäufe teilweise gegenüber den Steuerbehörden nicht deklarieren, können sie trotz veralteter Technologie und schlechterer Qualität mit niedrigen Preisen wettbewerbsfähig bleiben. Daher kam es trotz der ineffizienten Produktion in den letzten Jahren nicht zu einer Marktbereinigung unter den kleinen Chemieunternehmen. Eine ähnliche Strategie verfolgen die so genannten Non-traditional Supplier. Neue Wettbewerber und Handelshäuser aus Asien, aber auch aus südosteuropäischen Nicht-EU-Ländern, betraten in den letzten Jahren den ungarischen Markt und stellen seither die etablierten Unternehmen vor neue Herausforderungen. Ihre Produkte sind ähnlich preiswert wie die ihrer kleinen ungarischen Wettbewerber, allerdings erreichen manche fast das Qualitätsniveau der großen Chemieunternehmen. Wie Szilard Riederauer von Lanxess Hungaria betont, haben sich die deutschen Wettbewerber an die „alte“ Konkurrenz gewöhnt – auf die non-traditional supplier müssen sich viele Konzerne dagegen erst noch einstellen. Im Gegensatz zu ihren Wettbewerbern verfügen die kleinen Chemieunternehmen nur über eine geringe Kapitaldecke. Daher können sie kaum in Forschung & Entwicklung oder in Produktionstechnologie investieren. Produziert wird deshalb in der Regel auf Bestellung, um den Lagerbestand und damit das gebundene Kapital möglichst gering zu halten. Westeuropäischen Unternehmen bietet sich also eine mit relativ einfachen Mitteln zu realisierende Chance: Setzen sie genug Kapital ein, um – wie in Westeuropa üblich – Standardprodukte auf Lager und damit sofort verfügbar zu haben, können deutsche Unternehmen ihren ungarischen Kunden kürzere Lieferzeiten bieten. Kurze Wartezeiten sind ein nicht zu unterschätzendes Differenzierungsmerkmal und damit ein Wettbewerbsvorteil, der deutschen Unternehmen praktisch in den Schoß fällt, wenn sie mit der in ihren Heimatländern üblichen Lagerhaltung in Ungarn aktiv sind. Der Manager eines deutschen Produzenten chemischer Grundstoffe bezeichnet Kapital sogar als seine „Kernkompetenz“ im ungarischen Markt.

Regulierung in Ungarn und der EU Die chemische Produktion ist aufgrund der Verwendung gefährlicher Stoffe weltweit immer der Regulierung in den Feldern Umweltschutz, Arbeitssicherheit und Transportsicherheit ausgesetzt. Zwischen den Ländern weichen die betreffenden Regelungen und Normen aber weit voneinander ab – manche Länder gelten dank laxer oder wenig forcierter Vorschriften als attraktive Investitionsstandorte. Ungarn kann aber keinesfalls als ein Paradies niedriger Standards gelten. Im Gegenteil: Wie uns mehrere Manager versicherten, gibt es in Ungarn in allen der drei genannten Felder teilweise Regelungen, die weitaus strikter sind als in westeuropäischen Ländern. „Bestimmte Gefahrguttransporte“, erklärt uns Johann Ringhofer, Managing Director der Messer Hungaria, „werden an der österreichischen Grenze problemlos durchgewunken, können die ungarische Grenze aber wegen strikterer Regelungen nicht passieren.“

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

173

Neue EU-Regulierung könnte Marktbereinigung auslösen Die Mitgliedschaft in der EU bringt für die chemische Industrie auch die REACH-Initiative mit sich, die für „Registration, Evaluation and Authorization of Chemicals“ steht und seit Ende 2003 in Brüssel diskutiert wird. Die Initiative sieht vor, dass Chemieunternehmen in der EU die Verwendung von Substanzen aufwändig registrieren müssen und eigenständiger als zuvor für die mit der Produktion verbundenen Risiken Sorge zu tragen haben. Sollte REACH in seiner aktuellen Fassung verabschiedet werden und ab 2007 greifen, erwarteten unsere Interviewpartner eine Marktbereinigung unter den ungarischen Kleinunternehmen. Kleine Unternehmen verfügen nicht über die nötigen finanziellen Mittel und würden so aus dem Markt gedrängt. Aber auch die großen Wettbewerber müssten mit steigenden Produktionskosten rechnen. Das polnische Institut für chemische Industrie rechnet mit zusätzlichen Investitionen von 600 Millionen Euro und um 20 Prozent höheren Produktionskosten in der polnischen Chemieindustrie. In Tschechien rechnet das Industrieministerium mit Mehrinvestitionen von bis 175 Millionen Euro über die nächsten zehn Jahre.114 Diese Zahlen dienen als Anhaltspunkt für die ungarische Chemieindustrie, da vergleichbare Studien in Ungarn noch nicht vorliegen. Sicher ist jedoch, dass auch die ungarischen Unternehmen, die bereits in den letzten Jahren ihre Produktionsanlagen an neue Umweltstandards anpassen mussten, weitere Investitionen tätigen müssten. Der Geltungsbereich von REACH erstreckt sich in der aktuellen Fassung auch auf Importeure aus Drittländern, die ebenfalls mit steigenden Kosten rechnen müssen. Deutsche Unternehmen in Ungarn könnten von dieser Entwicklung profitieren, da sich die Mehraufwendungen dank größerer Produktionsvolumina nur unwesentlich auf deren Durchschnittskosten auswirken.

Deutsche Unternehmen mit geringen Produktionskapazitäten in Ungarn Mit einigen wenigen Ausnahmen haben deutsche Unternehmen bisher nur sehr zögerlich in Produktionskapazitäten investiert. Die Deutsche Bundesbank (2005) gab den Bestand deutscher Direktinvestitionen in der chemischen Industrie 2003 mit 262 Millionen Euro an. Zudem verfügen deutsche Unternehmen nur in einigen Segmenten über Produktionskapazitäten. Auf dieses selektive Investitionsverhalten gehen wir näher ein, wenn wir die Strategiewahl analysieren.

114 Vgl. bfai (2004), S. 238, S. 204.

174

Chemische Industrie – Im Aufwärtstrend

Absatzmarkt wächst im Tempo der Gesamtwirtschaft Das Volumen des – weit gefassten – ungarischen Chemiemarktes betrug 2004 etwa 4,5 Milliarden Euro (siehe Abbildung 74). Damit liegt Ungarn im regionalen Vergleich hinter Polen und Tschechien, die 2002 ein Marktvolumen von rund 13 beziehungsweise 5,5 Milliarden Euro erreichten. Rund die Hälfte des ungarischen Markts entfällt auf petrochemische Produkte und rund ein Fünftel auf Gummi- und Kunststoffprodukte. Die Nachfrage nach chemischen Produkten im engeren Sinn trug 2004 mit 1,6 Milliarden Euro ein Drittel des Marktvolumens. In den letzten vier Jahren wuchs der ungarische Chemiemarkt mit durchschnittlich 3,8 Prozent in etwa genauso stark wie das ungarische Bruttosozialprodukt. Die heimische Produktion deckt allerdings nur rund ein Drittel des ungarischen Bedarfs. Neben einigen chemischen Grundstoffen, die in Ungarn nicht produziert werden, führt Ungarn einen Großteil seines Bedarfs an Endprodukten aus dem Ausland ein. Rund ein Fünftel der Chemieimporte stammt aus Deutschland.

Unterschiedliche Entwicklungen in den Marktsegmenten Petrochemische Produkte sind die wichtigsten Ausgangsstoffe in der Kunststoffproduktion. Die lokalen Kunststoffproduzenten stellen damit eine wichtige Kundengruppe der petrochemischen Industrie. Branchenexperten erwarten nach zwei schwachen Jahren in 2001 und 2002 wegen der positiven Aussichten in der lokalen Kunststoffindustrie eine Rückkehr zum langfristigen Wachstumstrend.

950 Petrochem ische Produkte

808

867

889

Chemische Produkte im engeren Sinn

1.376

1.444

1.457

Verarbeitete Gummiund Kunststoffprodukte

1.705

1.572

1.473

2001

2002

2003

1.592

1.978

2004

Abbildung 74: Inländischer Absatzmarkt für chemische Produkte 2001 bis 2004 in Millionen Euro115 115 Vgl. KSH (2004a).

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

175

Der ungarische Markt für chemische Produkte im engeren Sinn profitiert ganz erheblich von der lokalen Pharmaindustrie, die zwischen 2001 und 2003 ihre Produktion jährlich um über 14 Prozent steigern konnte. Wie wir in der Branchenanalyse zur Pharmaindustrie darstellen, ist die lokale Produktion von Pharmazeutika weit entwickelt und eine der stärksten in Zentral- und Osteuropa. Die Pharmaindustrie benötigt diverse chemische Grundstoffe für ihre Produkte und stellt damit eine wichtige Kundengruppe in diesem Segment. Die Automobil- und Elektronikindustrie treiben die ungarische Nachfrage nach Kunststoffund Gummiprodukten. Welches langfristige Potenzial im Kunststoffmarkt steckt, zeigt die Prognose in Abbildung 75: Aktuell verbraucht ein Osteuropäer noch rund ein Achtel der Menge an Kunstoffen, die in Westeuropa zum Einsatz kommt. Diese Lücke wird sich in Zukunft allerdings verkleinern und das Wachstum auf den osteuropäischen Märkten und in Ungarn treiben. Die Inlandsnachfrage in den anderen Segmenten verläuft weitgehend parallel zur Entwicklung des Bruttosozialprodukts.

Westeuropa Osteuropa

136

-82%

97

-87% 44 9

1990

-80%

24

13

2002

2010p

Abbildung 75: Pro-Kopf-Verbrauch an Kunststoffwerkstoffen in West- und Osteuropa 1990 bis 2010p in Kilogramm pro Kopf und Jahr116

Besondere Chancen in der Agrochemie Ein Marktsegment mit großer expansiver Dynamik ist das Segment der Düngemittel- und Schädlingsbekämpfungsprodukte: Während der Zeit der RGW-Planwirtschaft war Ungarn eine der wichtigsten Kornkammern des Ostblocks. Nach dessen Zusammenbruch haben die ungarischen Bauern einen Großteil ihres Exportmarkts und einen Großteil ihrer Subventionen verloren. Infolgedessen verringerte sich die landwirtschaftliche Produktion um 30 Prozent, der Einsatz von Düngemitteln halbierte sich sogar.

116 Vgl. IKB (2004a), S. 31.

176

Pharmaindustrie – Hart umkämpfter Markt

Seit Mitte der 90er Jahre wächst die landwirtschaftliche Produktion dank der Erschließung von Exportmärkten stetig. Mit dem EU-Beitritt haben sich die Agrarsubventionen von etwa 30 Euro pro Hektar auf etwa 150 Euro pro Hektar verfünffacht. Weitere Steigerungen der Subventionen sind in den nächsten Jahren zu erwarten.117 Mit den Subventionen steigt auch der Bedarf ungarischer Landwirte nach Düngemitteln und Schädlingsbekämpfungsprodukten. Dazu kommt eine weitere ungarische Eigenheit: Die ehemaligen sozialistischen Betriebe waren gemessen an der Anbaufläche häufig sehr groß, was sich auch auf die heute privaten Betriebe übertragen hat. Für den Vertrieb westeuropäischer Anbieter von Agrochemikalien besteht damit die Chance, mit der gleichen Anzahl an Kundenbesuchen eine größere Nutzfläche und damit einen größeren potenziellen Bedarf an Agrochemikalien abzudecken. Das schweizerische Unternehmen Syngenta hat sich an diese Landeseigenheit weitgehend angepasst: Während der Vertrieb sich in anderen Ländern primär auf die Zwischenhändler konzentriert, um die Produkte mit Hilfe der Händler in den Markt zu drücken, setzt Syngenta in Ungarn direkt bei den Großbauern an. Eine kleine Vertriebsmannschaft besucht regelmäßig alle großen Betriebe, um diese zur Bestellung von SyngentaProdukten zu ermuntern. Wie in den anderen Segmenten des Chemiemarkts herrscht in der Agrochemie ein ausgeprägter Preiswettbewerb.

Kapitalmangel auch bei Kunden Kapitalmangel herrscht auch bei einem großen Teil der zumeist kleinen Kunden. Während ein in Ungarn ansässiger Automobilzulieferer in der Regel über eine solide Kapitalausstattung verfügt und innerhalb der üblichen Fristen bezahlt, sind Lieferantenkredite für viele kleine Unternehmen überlebenswichtig. Dazu tragen auch die hohen Zinsen bei, die unsere Interviewpartner zum Teil für die geringe Liquidität ihrer Kunden verantwortlich machen. Ein gutes Beispiel dafür sind landwirtschaftliche Betriebe, die den verwendeten Dünger teilweise erst 200 Tage nach Erhalt der Ware bezahlen – nämlich erst nach der Ernte. Aber auch in anderen Segmenten warten Chemieunternehmen teilweise 60 Tage oder länger auf die Bezahlung der Ware. Lange Zahlungsfristen können also ein weiteres Differenzierungsmerkmal deutschsprachiger Chemieunternehmen sein. In einigen Fällen gehen Liquiditätsengpässe jedoch mit niedriger Solvenz einher, sodass Unternehmen genau prüfen müssen, welchen Kunden sie längere Zahlungsziele gewähren können.

7.5

Pharmaindustrie – Hart umkämpfter Markt

Den Abschluss unser Branchenanalysen bildet die Pharmaindustrie. Die ungarische Pharmabranche gilt dank ihrer starken lokalen Unternehmen als eine der interessantesten Industrien 117 Diese Aussagen basieren auf den Angaben unserer Interviewpartner.

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

177

in Osteuropa. Zunächst geben wir einen Überblick über den ungarischen Pharmamarkt und die wichtigsten lokalen Hersteller. Danach analysieren wir, wie das rechtliche Rahmenwerk das Wettbewerbsverhalten der Unternehmen beeinflusst. Wir schließen das Kapitel mit Fallbeispielen zu zwei Unternehmen, die mit ganz unterschiedlichen Ansätzen in Ungarn erfolgreich sind.

7.5.1

Pharmafirmen klar exportorientiert

Deutsche Pharmaunternehmen unterhalten in Ungarn in der Regel Vertriebsbüros. Nur einige Medizingerätehersteller produzieren in Ungarn einfachere Komponenten und Verbrauchsmaterialien (siehe Abbildung 76). Maßgeblich für den hohen Anteil der Strategie der Exportorientierung sind ähnlich wie in der Chemiebranche die geringen Standort- und hohen Skalenvorteile. Standortvorteile können sie dagegen bei der Durchführung klinischer Tests ausnutzen. Diese lassen sich im Vergleich zu Westeuropa relativ günstig durchführen und sind EUweit gültig. Zudem sind klinische Tests noch nicht so sehr wie in Westeuropa verbreitet, sodass genug Patienten zur Verfügung stehen, die nicht wegen eines anderen, nur einige Monate zurückliegenden Tests für weitere klinische Tests gesperrt sind. Diese Vorteile nutzen bereits eine Vielzahl der befragten Unternehmen. Zu den gesamten Forschungs- & Entwicklungskosten tragen klinische Tests jedoch nur relativ wenig bei.

Globale Integration

Geschäftstransfer

7 7

44 44

99

10 10 00

88 22

77 33

7 7

0

77 0

7 7

65 65

Export49 49 orientierung

99

100

77

88

22 22

21 21

71 71

71 71

41 41

90 90

n=15

10 10 00

90 90

90 90

90 90

93 93

63 63

93 93

50 50

Unterstützungsfunktionen

28 28

F&E

Beschaffung Produktion

28 28

Marketing & Vertrieb

Gewichteter Durchschnitt

Abbildung 76: Expansionsstrategien in der pharmazeutischen Industrie 2005 und 2010e in Prozent Betrachtet man die Strategien für die einzelnen Unternehmensfunktionen, so fällt auf, dass in Forschung & Entwicklung, Beschaffung und Produktion die Exportorientierung klar dominiert – auch deutlicher als in jeder anderen untersuchten Branche. In Marketing & Vertrieb haben die Unternehmen mehrheitlich die Strategie des Geschäftstransfers gewählt, um näher an den Marktchancen zu sein und um Lernmöglichkeiten zwischen verschiedenen Länderge-

178

Pharmaindustrie – Hart umkämpfter Markt

sellschaften auszunutzen. Unterstützungsfunktionen, insbesondere Öffentlichkeitsarbeit, ITSupport und Finanzcontrolling, werden teilweise von der Zentrale bereitgestellt. In den nächsten fünf Jahren wird sich dieses Bild nur wenig ändern: Ledigleich ein sehr schwacher Trend weg von der Strategie des Geschäftstransfers hin zu Globaler Integration ist zu erkennen. Der Grund der geringen Strategiedynamik ist in den Assen und Barrieren zu suchen: Sie lassen keine großen Veränderungen erwarten, sodass die befragten Manager von unveränderten Strategien ausgehen.

Hohe Investitionsbarrieren – Größtenteils durch Regulierung bedingt Die von den befragten Managern wahrgenommenen Investitionsbarrieren sind zwar im Vergleich zu anderen Ländern immer noch relativ niedrig, aber im Vergleich zu den anderen in Ungarn untersuchten Branchen durchaus höher. Wichtigste Investitionsbarriere ist Korruption mit einer durchschnittlichen Bewertung von 3,2 (im Gesamtdurchschnitt über alle Branchen nur 2,5). Darauf folgen auf Rang 2 und 3 Intransparenz des Geschäftsumfelds und Belastungen durch Vorschriften und Gesetze (beide ‡ 2,7). Als ebenfalls wichtig werden verzerrende Regierungsaktivitäten zu Gunsten nationaler Unternehmen (‡ 2,5) und politische Instabilität (‡ 2,5) genannt. Alle wichtigen Barrieren stehen somit in Zusammenhang mit der (naturgemäß) stärkeren Regulierung der Pharmabranche. Politische Instabilität spielt interessanterweise nur in der Pharmabranche eine Rolle. Dies ist einerseits auf die bereits erwähnten kurzfristigen Kehrtwenden der Gesundheitspolitik zurückzuführen, andererseits aber auch darauf, dass bei Minister- und Regierungswechseln große Teile des Personals im Gesundheitsministerium ausgetauscht werden, was die Zusammenarbeit mit den Pharmafirmen erschwert.

7.5.2

Branchenüberblick

Im ungarischen Pharmamarkt haben es deutsche Unternehmen nicht einfach. Starke lokale Konkurrenz und eine aggressive, aber nicht immer transparente Preispolitik drücken auf ihre Margen. Trotzdem bleibt der ungarische Markt dank hoher Wachstumsraten weiterhin interessant.

Respektabler Markt mit hohen Wachstumsraten Das ungarische Gesundheitssystem hat noch nicht den EU-Standard erreicht: Die Lebenserwartung liegt mit 70 Jahren noch deutlich unter deutschem Niveau (etwa 77 Jahre), ein ähnliches Bild zeigen die Statistiken zur Säuglingssterblichkeit.118 118 Vgl. KSH (2004a).

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

179

In Ungarn wurden 2004 etwa 7,5 Milliarden Euro für Gesundheit ausgegeben. Darunter fällt auch der Markt für pharmazeutische Produkte mit rund 1,5 Milliarden Euro. Wie in Abbildung 77 zeigt, ist der Pharmamarkt im regionalen Vergleich deutlich kleiner als in Tschechien und Polen. Im Pro-Kopf-Vergleich liegt Ungarn mit 151 Euro jedoch nur knapp hinter Tschechien und weit vor Polen, dessen Pharmamarkt noch relativ wenig entwickelt ist (siehe Abbildung 77). Gemessen am Bruttoinlandsprodukt erreichen die Ausgaben für pharmazeutische Produkte mit 1,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts fast das deutsche Niveau, das bei 2,0 Prozent liegt.

Marktvolumen

Pro-Kopf-Ausgaben in EUR

in Milliarden EUR

Deutschland

37,4 3,4

Polen

1,8

Tschechien

1,5

Ungarn

0,6

Slowakei

453 85 180 151 104

Abbildung 77: Marktvolumen Pharmazeutika in ausgewählten Ländern 2004119

Erstattungssatz entscheidet über Wettbewerbsfähigkeit Drei Viertel der Gesundheitsausgaben werden vom staatlichen Versicherungssystem gedeckt. Dieser Anteil schwankte Mitte der 90er Jahre nur geringfügig und wird auch in Zukunft bei rund 75 Prozent liegen. Ein Trend hin zu privat finanzierter Gesundheitsversorgung ist in Ungarn also bis zum Ende dieses Jahrzehnts nicht zu erkennen. Die große Abhängigkeit von staatlichen Geldern erhöht allerdings auch die Abhängigkeit der Medikamentenumsätze von staatlichen Maßnahmen und Regulierungen. Abbildung 78 zeigt das große Wachstum des Pharmamarkts, das in der Periode von 1999 bis 2004 bei durchschnittlich 9,7 Prozent pro Jahr lag. Im Zuge der Modernisierung des Gesundheitssystems und der Öffnung der Märkte wurden alte, billige Medikamente durch neue, zum Teil erheblich teurere Produkte ersetzt.

119 Quelle: Ungarischer Verband der Pharmaindustrie.

180

Pharmaindustrie – Hart umkämpfter Markt

In Zukunft wird sich das Wachstum der Ausgaben für Gesundheit aufgrund einer Vielzahl an Faktoren weiter fortsetzen. Zu diesen Faktoren zählen die Alterung der ungarischen Bevölkerung, ein größeres gesellschaftliches Bewusstsein für das Gesundheitswesen und infolgedessen zunehmender Druck auf die Politiker, die Qualität des öffentlichen Gesundheitssystems zu verbessern. Tatsächlich bestätigt einer unser Interviewpartner, dass viele Menschen in der Bevölkerung zunehmend das Gefühl haben, das Gesundheitssystem habe unter dem Systemwechsel gelitten. Außerdem treibt die Einführung neuer und hochpreisiger Medikamente die Ausgaben weiterhin nach oben. Dies wird sogar dazu führen, dass die Ausgaben für Pharmaprodukte schneller wachsen werden als die Gesamtausgaben im Gesundheitssystem. Im Jahr 2009 erwarten Experten einen Anstieg der Umsätze mit pharmazeutischen Produkten auf etwa 2,5 Milliarden Euro. Dies entspricht einem Pro-Kopf-Konsum von rund 250 Euro. Das Wachstum der letzten fünf Jahre wird sich in den nächsten vier Jahren also sogar noch leicht verstärkt fortsetzen. Wie Abbildung 78 zeigt, wird es über zehn Prozent liegen. Wie wir bereits im vorausgegangenen Teil zu Marketing & Vertrieb sowie in den weiteren Branchenbeschreibungen betont haben, sind ungarische Märkte darüber hinaus generell preissensitiver. Dies gilt in ähnlicher Form auch für pharmazeutische Produkte: Die ungarische Bevölkerung ist günstige Medikamente gewohnt. Dies schlägt sich zum einen darin nieder, dass rezeptfreie Medikamente („over the counter“, OTC) nur 10,5 Prozent des Gesamtmarkts ausmachen und in den nächsten Jahren auch deutlich schwächer wachsen werden als verschreibungspflichtige und damit erstattungsfähige Medikamente, sodass sich der Marktanteil der OTC-Medikamente weiter verringern wird (siehe Abbildung 79).

1999 2004 2009e

+4,6% Wachstum p.a.

+6,2%

6,0 4,8

+10,5% +9,7% 1,0

3,6 2,5

1,5

Ausgaben für Pharmazeutika

Gesundheitsausgaben insgesamt

Abbildung 78: Ausgaben im ungarischen Gesundheitswesen 1999 bis 2009 in Milliarden EUR120

120 Quelle: OECD (2000), S. 12.

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

181

Zweitens äußert sich die Preissensitivität darin, dass Patienten stärker auf die notwendigen Zuzahlungen zu verschreibungspflichtigen Präparaten achten als in Deutschland. Im Gegensatz zur Bundesrepublik sind prozentuale Zuzahlungen zu Medikamenten in Ungarn auch nicht mit einem Höchstbetrag „gedeckelt.“ Der Patient hat also ein besonders großes Interesse daran, Zuzahlungen zu minimieren, und entscheidet bei gleichwertigen Produkten fast immer nach dem Preis. Aus dem hohen Anteil öffentlich finanzierter Gesundheitsversorgung und der besonderen Preissensibilität der ungarischen Bevölkerung folgt, dass es für Pharmaunternehmen in Ungarn besonders wichtig ist, im staatlichen System zur Erstattung von Medikamentenkosten Fuß zu fassen.

1999 2004 2009e

24 22

15

14 11 7

Ungarn

-

Tschechien

-

Polen

-

Slowakei

Abbildung 79: Marktanteil der OTC-Medikamente in ausgewählten Ländern 1999 bis 2009e in Prozent (gemessen in Wertgrößen)

Aber den richtigen Erstattungssatz zu erhalten ist nicht einfach Das öffentliche System zur Erstattung von verschreibungspflichtigen Medikamenten sieht für den Patienten fünf Erstattungsstufen von 100, 90, 70, 50 und Null Prozent des Medikamentenpreises vor. Die Höhe der Erstattung steigt mit der Schwere der mit dem Medikament behandelten Krankheit: Viele Präparate in der Krebstherapie werden zum Beispiel voll erstattet. Welche Erstattungsstufe ein Medikament zugewiesen bekommt, entscheidet sich in gemeinsamen Verhandlungen des Herstellers mit der staatlichen Einheitsversicherung OEP („Nationaler Krankenversicherungsfonds“) und dem Finanzministerium. Neben der Schwere der Erkrankung spielen allerdings auch weitere Kriterien eine Rolle, die nach Angaben unserer Interviewpartner die Verhandlungen zum Teil intransparenter machen und den Handlungsspielraum der Regierung erhöhen. Die Verhandlungen betreffen gleichzeitig auch den Preis des Präparats. Preisänderungen nach Markteinführung müssen durch erneute Verhandlungen bestätigt werden.

182

Pharmaindustrie – Hart umkämpfter Markt

Der Erstattungssatz des eigenen Produkts im Vergleich zu konkurrierenden Produkten legt gleichzeitig fest, welchen Preis ein Pharmaunternehmen am Markt erzielen kann. Damit sind die Verhandlungen mit der OEP entscheidend für die Profitabilität eines Produktes. Kann ein Unternehmen für ein Produkt nicht den gleichen Erstattungssatz wie die Konkurrenz erhalten, muss es seinen eigenen Preis entsprechend herabsetzen, um im Wettbewerb bestehen zu können. Verhandlungen mit dem OEP sind daher entscheidend für den finanziellen Erfolg eines Medikaments. Gleichzeitig eröffnen die zum Teil intransparenten Regelungen in der Erstattungspraxis den verantwortlichen Beamten erheblichen Spielraum und ebnen den Weg für Korruption. Einige Unternehmensvertreter berichten uns von wenig stringenten Entscheidungen der Behörden und Unregelmäßigkeiten bei der Einführung neuer Produkte. Einem konkurrierenden Pharmaunternehmen, so erklärt uns der Geschäftsführer eines großen deutschen Pharmaunternehmens, sei es gelungen, seine Preise kurz nach Bekanntgabe der genehmigten Preise für das folgende Halbjahr noch einmal zu ändern, was eigentlich nach Publikation der Preise unzulässig ist. Unser Interviewpartner erklärte sich diese Unregelmäßigkeit als Reaktion auf die Einführung eines neuen Produkts durch sein Unternehmen. Da sein Unternehmen seine Preise erst ein halbes Jahr später anpassen konnte, misslang die Einführung gründlich. Unsere Interviewpartner in der Pharmaindustrie sehen Korruption daher als wichtigste Barriere im ungarischen Geschäftsumfeld (‡ 3,2). Aufgrund der hohen Regelungsdichte treffen Unternehmen und staatliche Institutionen häufiger aufeinander, sodass sich mehr „Gelegenheiten“ für Korruption bieten.

Häufige Politikwechsel belasten Pharmaindustrie Die Möglichkeit, den Herstellern durch mehrjährige Verträge über die zulässige Preisentwicklung Planungssicherheit zu geben, hat die Regierung bisher kaum genutzt. Im Gegenteil: Ein 2001 mit den Herstellern geschlossener Rahmenvertrag über zulässige Preissteigerungen in den nächsten drei Jahren wurde nach dem Regierungswechsel 2002 angesichts des hohen Budgetdefizits einseitig von der neuen Regierung gekündigt, sodass neue Verträge über geringere Preissteigerungen geschlossen werden mussten. 2004 kam es darüber hinaus zu erzwungenen Neuverhandlungen beziehungsweise zu einem „Einfrieren“ (Regierungserklärung) der Preise zu 85 bis 90 Prozent des damaligen Niveaus, also de facto zu erzwungenen Preissenkungen. Die häufigen Kurswechsel in der Gesundheitspolitik erklären sich zum einen durch die ebenso häufigen Regierungswechsel. Diese Problematik verstärkt sich durch die in Ungarn übliche Praxis, den Wechsel an der Spitze mit einem Austausch von Regierungsbeamten bis tief in die operativen Ebenen hinab zu verbinden. Dadurch ändert sich nicht nur die Politik, sondern auch deren Umsetzung. Pharmaunternehmen müssen sich daher besonders intensiv um gute Beziehungen zu Schlüsselpersonen sowohl in der Regierung als auch in der Opposition bemühen.

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

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Zum anderen muss Ungarn Wege finden, um sein klaffendes Haushaltsloch mit den Maastricht-Kriterien in Einklang zu bringen. Preisreduktionen erschien als probates Mittel zu diesem Zweck, zumal die Gesundheitsausgaben die Staatskasse stark belasten und unter den Kürzungen vor allem große internationale Pharmakonzerne leiden. Die heimischen Produzenten sind dagegen dank reger Exporttätigkeit von diesen Maßnahmen weniger betroffen. Zusätzlich zu den Preisverhandlungen kontrolliert die Regierung die Ausgaben für Medikamente über ein jährlich vom Finanzministerium festgelegtes Budget. Überschreiten die Kosten das festgelegte Maß nicht um mehr als fünf Prozent, so trägt die Regierung die Mehrkosten allein. Zwischen zehn und 15 Prozent Überschreitung tragen Pharmafirmen und Regierung gemeinsam. Wird das Budget um mehr als 15 Prozent verfehlt, so muss die Pharmaindustrie die gesamte Abweichung ersetzen. In den letzten beiden Jahren wurde das Budget nach Angaben unserer Interviewpartner nicht stark genug angepasst, um mit den steigenden Verschreibungsraten und Medikamentenpreisen Schritt zu halten. Welchen Beitrag die einzelnen Pharmafirmen für 2003 leisten müssen, ist allerdings noch nicht sicher. Der zu zahlende Gesamtbetrag wird mittels eines komplizierten mathematischen Verfahrens auf die einzelnen Unternehmen aufgeteilt. Diese potenziellen Verbindlichkeiten aus der Vergangenheit erhöhen das Risiko für die Pharmaunternehmen zusätzlich. Dennoch kann die ungarische Regierung nicht dauerhaft Druck auf die Pharmaindustrie ausüben, wenn sie eine kontinuierliche Versorgung ihrer Bürger mit den neusten Medikamenten sicherstellen will. Branchenexperten bestätigen deshalb trotz des momentan hohen Drucks seitens der Regierung ihre positiven Marktprognosen.

Schwacher Patentschutz hat lokale Anbieter gestärkt Tabelle 8: Die wichtigsten ungarischen Pharmaunternehmen121

Unternehmen

Mehrheitseigner

Kombinierter Marktanteil 2002

Produktion in Ungarn 2002 (in Millionen EUR)

Richter Gedeon

(keiner)

9%

409

Chinoin

Sanofi-Aventis, Frankreich, nahe 100%

9%

253

Egis

Servier, Frankreich, > 50%

8%

228

Biogal, Human

jeweils Teva Pharmaceuticals, Israel, je nahe 100%

6%

249

Die traditionsreiche ungarische Pharmaindustrie belieferte während des Sozialismus zusammen mit der bulgarischen Pharmaindustrie im Rahmen des RGW die Ostblockstaaten. Nach der Wende haben sich die privatisierten Pharmafirmen erstaunlich gut im freien Wettbewerb behaupten können und zählen zu den stärksten in Osteuropa. 2003 exportierten die ungarischen Pharmaunternehmen mit rund einer Milliarde Euro fast drei Viertel ihrer Gesamtproduktion. 121 Vgl. bfai (2003), S. 280-282.

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Pharmaindustrie – Hart umkämpfter Markt

Mit wenigen Ausnahmen sind die ungarischen Pharmaunternehmen allerdings in ausländischen Händen, wie Tabelle 8 zeigt. Nicht nur bei der Produktion, sondern auch bei den Marktanteilen liegt Richter Gedeon vorn und steht damit exemplarisch für weitere starke ungarische und ehemals ungarische Unternehmen. Die Stärke der ungarischen Pharmaindustrie erklärt sich auch durch den schwachen Patentschutz. Bis Ende der 90er Jahre wurden zwar Prozesspatente, nicht aber Produktpatente vergeben. Ein Prozesspatent schützt nur das Herstellungsverfahren eines Präparats, während ein Produktpatent anderen Unternehmen verbietet, den gleichen Wirkstoff in ihren Präparaten zu verwenden. Ungarische Pharmaunternehmen haben es mit gut ausgebildetem Personal immer wieder geschafft, ähnliche Herstellungsverfahren zu entwickeln, um den gleichen Wirkstoff herzustellen. Damit können in Ungarn legal Wirkstoffe als Generika verkauft werden, die in anderen Ländern noch auf Jahre patentrechtlich geschützt sind. So ist in Ungarn bereits ein „verfrühtes“ Generikum zu dem Cholesterinsenker Sortis (Pfizer) am Markt, das als eines der profitabelsten Medikamente weltweit gilt und in Deutschland noch bis 2012 geschützt ist. Deutsche Hersteller von Generika orientieren sich jedoch bei der Entwicklung von neuen Produkten an den Patentlaufzeiten in Westeuropa. Der laxe Patentschutz und die ungewohnt starke Konkurrenz durch günstige Generika haben es den internationalen Originalanbietern schwer gemacht, in Ungarn Fuß zu fassen. Einige ungarische Hersteller haben sogar sehr erfolgreich eigene Marken für ihre Generikaprodukte lanciert und somit den Patienten die Unterscheidung zwischen Original und Generikum erschwert. Ein deutsches Pharmaunternehmen hat Ungarn sogar als letzten osteuropäischen Markt betreten, da es den hohen Wettbewerbsdruck meiden wollte. Aber auch ausländische Generikaanbieter mussten sich erst auf den lokalen Wettbewerb einstellen.

Integration in die EU stärkt innovative Anbieter Die Integration in die EU hat dazu geführt, dass mittlerweile wie in Westeuropa Produktpatente vergeben werden. Medikamente, die erst nach der Umstellung des Patentrechts zugelassen wurden, müssen daher keine Konkurrenz durch „verfrühte“ Generika fürchten. Bei vor dem Wechsel zugelassenen Medikamenten greift dagegen nach wie vor nur das Prozesspatent, sodass noch bis etwa 2010 neue „verfrühte“ Generika am Markt erhältlich sein werden. „Verfrühte“ Generika werden etwa in diesem Zeitraum von den „normalen“ Generika abgelöst werden, sodass sich der ungarische Generikamarkt an den westeuropäischen Generikamarkt angleichen wird. Die lokalen Hersteller bereits eingeführter Generika werden jedoch für diese konkreten Wirkstoffe einen Startvorteil gegenüber Herstellern neuer Generika behalten. Die Regierung wird weiterhin auf den Einsatz günstiger Generika drängen, sodass der Generikamarkt sogar etwas stärker wachsen wird als der Markt der Originalpräparate. Aber trotzdem ist als Folge des EU-Beitritts eine radikale Veränderung des Umfelds des ungarischen Pharmamarks abzusehen, die ein hohes Marktwachstum von Originalpräparaten ermöglichen wird. Wie Abbildung 80 zeigt, wird der Markt für Originalpräparate jährlich um durchschnittlich

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etwa 125 Millionen Euro wachsen. Damit wird es für westeuropäische Pharmaunternehmen weitaus größere Chancen geben, in Ungarn innovative Originalpräparate zu angemessenen Preisen zu verkaufen.

Mögliche Ansätze für deutsche Pharmaunternehmen Bis dahin wird der ungarische Pharmamarkt ein herausfordernder Markt bleiben, in dem Pharmahersteller nicht ausschließlich auf ihre Wirkstoffe vertrauen können. Aber welche Strategien sind in Ungarn erfolgsversprechend? „ Selektive Produkteinführung: Nicht jedes in Deutschland erfolgreiche Medikament wird sich auch in Ungarn bewähren. Deutsche Pharmaunternehmen müssen daher genau prüfen, ob bereits „verfrühte“ Generika oder günstigere „normale“ Generika erhältlich sind. „ Innovative Darreichungsformen: „Mit dem x-ten Aspirin-Generikum kann ich in Ungarn nicht erfolgreich sein. Dafür gibt es schon zu viele Anbieter, die dank ihrer langen Erfahrung äußerst günstig produzieren können“, erklärt uns erklärt uns der Geschäftsführer eines Pharmaunternehmens. „Mit innovativen Darreichungsformen wie zum Beispiel Tabletten mit verzögerter Wirkstofffreisetzung können wir uns dagegen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.“ „ Gute Beziehungen zum öffentlichen Sektor: Die Pharmaindustrie ist wie keine andere der von uns untersuchten Branchen von der staatlichen Regulierung abhängig. Daher zahlt es sich trotz häufig wechselnder Ansprechpartner aus, sich um gute Beziehungen zu den staatlichen Behörden zu bemühen. Gerade jetzt, da sich Pharmafirmen großem Druck der Regierung gegenübersehen, können gute Beziehungen helfen, eigene Argumente an die Entscheidungsträger heranzutragen. „ Exzellenter Vertrieb: Ähnlich wie im deutschen Gesundheitssystem verschreiben ungarische Ärzte nicht nur den Wirkstoff, sondern ein spezifisches Medikament. Pharmafirmen können durch gezielte Marketingaktivitäten über die Ärzte die Wahl der Patienten beeinflussen – vorausgesetzt ihr Preis ist wettbewerbsfähig. Dabei müssen sie jedoch zwei Besonderheiten beachten: Zum einen reagieren Ärzte unterschiedlich auf verschiedene Vertriebsansätze, wie uns unsere Interviewpartner erklärten. Bei einem Teil der Ärzte ist ein wissenschaftlich orientierter Ansatz, der die Besonderheiten des Produkts herausstellt, erfolgreicher. Andere Ärzte können Vertriebsmitarbeiter dagegen eher mit einem beziehungsgetriebenem Ansatz für ihre Produkte gewinnen. Im deutschen Markt ist diese Zweiteilung dagegen eher unüblich: Größtenteils ist wissenschaftliche Überzeugungsarbeit erfolgreicher. Im ungarischen Markt variiert die Erfolgsrate der beiden Ansätze zudem mit den angebotenen Produkten. Generika lassen sich besser über den Aufbau guter Beziehungen platzieren, während sich bei Verkäufen von Diagnostika und medizinischen Geräten der wissenschaftliche Ansatz bewährt hat. Bei Originalpräparaten ist die Verteilung interessanterweise nicht eindeutig.

186

Pharmaindustrie – Hart umkämpfter Markt

Die Fallbeispiele am Ende des Kapitels zeigen beispielhaft, wie zwei Unternehmen ihren Vertriebsansatz an diese Besonderheit angepasst haben. „ Passende Vertriebsmitarbeiter: Bis vor einigen Jahren durften nur ausgebildete Ärzte und Apotheker Medikamente vertreiben. Seitdem wurde diese Beschränkung teilweise gelockert: Nun dürfen auch Krankenschwestern und -pfleger diese Aufgaben übernehmen. Die Pharmaunternehmen können daher zwischen zwei Strategien wählen. Entweder sie beschäftigen weiterhin Ärzte oder sie suchen zunächst geeignete Vertriebsmitarbeiter und bilden diese zu Pflegern aus. Weiterhin auf ausgebildete Ärzte zu setzen hat den Vorteil, dass einige praktizierende Ärzte besser auf „Kollegen“ ansprechen. Andererseits hat die Arbeit als Vertriebsmitarbeiter nach den großen Gehaltssteigerungen im Gesundheitswesen der letzten Jahre an Attraktivität verloren. Zudem sind gute Ärzte nicht immer auch gute Vertriebsmitarbeiter. Dieses Manko haben Firmen wie Hexal umgangen, indem sie nur noch die am besten für die Vertriebsarbeit geeigneten Hochschulabsolventen einstellen und dann zu Krankenpflegern weiterbilden.

2004

+8,8%

2009e

1,9

Wachstum p.a. +10,8%

1,2 0,7 0,4

Originalpräparate

Generika

Abbildung 80: Marktvolumen von Generika und Originalpräparaten 2004 und 2009e in Milliarden EUR122

7.5.3

Fallbeispiel: Biotest – Erfolg mit motiviertem Vertrieb

Die 1946 in Frankfurt gegründete Biotest hat sich der Verhütung von Schäden durch krankheitserregende Keime verschrieben. Dazu entwickelt, produziert und verkauft Biotest in der Sparte Pharma vor allem Präparate aus Blutplasma und in der Sparte Diagnostik Reagenzien und Geräte zur Blut- und Gewebeanalyse. Das Unternehmen konzentriert sich auf die vier Indikationsgebiete Transfusionen, Transplantationen, Infektionen und Hygienekontrolle. Biotest erwirtschaftet mit 1.100 Mitarbeitern einen Umsatz von 220 Millionen Euro (2004).

122 Quelle: Ungarischer Verband der pharmazeutischen Industrie.

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

187

Obwohl Biotest damit nicht zu den Pharmariesen zählt, ist das Unternehmen in 11 Ländern vertreten – darunter in Ungarn. Bereits 1988 wurde eine Repräsentanz eröffnet, seit 1994 ist Biotest mit einer eigenen Vertriebsgesellschaft in Ungarn aktiv. Biotest Hungaria beschäftigt 22 Mitarbeiter und erreichte 2004 einen Umsatz von 10 Millionen Euro. Wichtigste Kunden sind ungarische Krankenhäuser, die die Produkte in den genannten vier Indikationsgebieten einsetzen. Biotest zeigt, wie auch ein Pharmaunternehmen mittlerer Größe in Ungarn erfolgreich sein kann – in diesem Fall mit einer fein abgestimmten Vertriebs- und Personalstrategie. Über die Auswahl der Produkte entscheiden in erster Linie die einzelnen Krankenhäuser – an sie wendet sich der Außendienst von Biotest auf mehreren Ebenen: an die behandelnden Ärzte und an die Krankenhausapotheken, die die Medikamente bereithalten und dem behandelnden Arzt mit Ratschlägen und Empfehlungen zur Seite stehen. Wie Dr. Szolnoky, Managing Director der Biotest Hungaria, betont, legen diese Ärzte und Apotheker besonders großen Wert darauf, „auf gleicher Augenhöhe“ und umfassend beraten zu werden – sie erwarten also einen Vertriebsmitarbeiter mit dem entsprechenden Fachwissen, einem Doktortitel und mit größtmöglicher Praxiserfahrung. Biotest Hungaria hat sich durch eine herausragende Personalstrategie an diese Anforderungen angepasst: Alle zehn Außendienstmitarbeiter sind Ärzte und Experten mit mehrjähriger Krankenhauserfahrung. Dies stellt Biotest jedoch vor besondere Herausforderungen: Erstens sind die Gehälter im öffentlichen Gesundheitswesen nach den jüngsten Erhöhungen von bis zu 50 Prozent nicht mehr weit von den Gehältern der Pharmaunternehmen entfernt und werden durch inoffizielle Zuwendungen von Patienten oder deren Angehörigen noch erhöht.123 Zweitens wird die Arbeit im Außendienst eines Pharmaunternehmens – insbesondere im Vergleich zur Patientenbehandlung – häufig als „unter der Würde eines Arztes“ angesehen. Aus diesen beiden Faktoren folgt, dass Ärzte für den Vertrieb nur schwer zu gewinnen und noch sehr viel schwieriger zu halten sind. Im Gegensatz zu anderen Pharmaunternehmen erreicht Biotest Hungaria seit Jahren eine sehr niedrige Fluktuation und eine konstant hohe Motivation der Mitarbeiter. Die hohe Motivation der Mitarbeiter hat dabei nur teilweise ihre Ursache in finanziellen Anreizen: Die erfolgsorientierte Entlohnung beträgt im Höchstfall 30 Prozent und wird personenabhängig festgelegt, sodass viele Mitarbeiter einen flexiblen Gehaltsanteil von 20 oder sogar nur 10 Prozent haben. Wichtiger sind zusätzliche Sozialleistungen. Unter anderem erhalten alle Mitarbeiter zu Hause einen freien Internetzugang, den sie dann letztlich auch aus eigener Initiative intensiv zur Weiterbildung nutzen. Noch wichtiger sind aber die Möglichkeiten zur Entwicklung und zur Selbstverwirklichung, die sich positiv auf die Motivation der Mitarbeiter auswirken. Es ist der Regelfall, dass die Mitarbeiter von Biotest wissenschaftliche Artikel für Fachzeitschriften schreiben, die in Zusammenhang mit den Indikationsgebieten der Produkte stehen. Mit der Gründung einer eigenen (kostenlosen) Zeitschrift stellt das Unternehmen sogar das passende Forum bereit. Gleichzeitig bietet dieses Medium den Ärzten in den Krankenhäusern wertvolle Informationen über den aktuellen Stand der 123 In Ungarn erhalten Ärzte nach der Behandlung von Patienten oder deren Angehörigen üblicherweise ein

Trinkgeld.

188

Pharmaindustrie – Hart umkämpfter Markt

Forschung. Die Zeitschrift hilft ihnen durch eine Auswahl lesenswerter Artikel, im zeitlich begrenzten Alltag ein nicht zu unterschätzender Mehrwert. Darüber hinaus reisen die Mitarbeiter auf eigene Initiative zu Fachkongressen und Tagungen – dafür verfügen sie über ein eigenes Budget. Der Erfolg dieser fein abgestimmten Personal- und Vertriebsstrategie stellt sich seit Jahren ein, wie niedrige Fluktuation und stetiges Umsatzwachstum beweisen.

8.

Erfolgsfaktoren: Operative Anpassung an Besonderheiten des ungarischen Geschäftsumfelds

„So ist denn in der Strategie alles sehr einfach, aber darum nicht auch alles sehr leicht“ – Carl von Clausewitz (1832).

Bisher haben wir uns ausschließlich mit der Strategiewahl beschäftigt. Wir haben gezeigt, wie Asse und Barrieren die Auswahl der geeigneten internationalen Expansionsstrategie beeinflussen. Im vorangegangenen Kapitel haben wir zudem branchenspezifische Trends und Herausforderungen analysiert und ihre Auswirkungen auf die strategische Ausrichtung deutscher Tochtergesellschaften in Ungarn untersucht. Die richtige Strategie ist aber noch keine Erfolgsgarantie. Nur wenn die richtige Strategie exzellent umgesetzt wird, manifestiert sich der versprochene Erfolg. Allzu oft scheitern gute Strategien an mangelhafter Umsetzung – die Beispiele dafür sind zahlreich. Deshalb untersuchten wir im Rahmen unserer Studie auch, welche operativen Erfolgsfaktoren in Ungarn besonders wichtig sind. Dazu legten wir unseren Interviewpartnern eine umfangreiche Liste möglicher Erfolgsfaktoren vor. Auf die wichtigsten Erfolgsfaktoren gingen wir im Anschluss genauer ein. Zusätzlich gaben wir ihnen die Möglichkeit, eventuell nicht erfasste Erfolgsfaktoren zu benennen. Die fünf wichtigsten Erfolgsfaktoren werden wir in diesem Kapitel vorstellen. Konkrete Beispiele zeigen, wie deutsche Unternehmen in Ungarn ihre Strategie erfolgreich umgesetzt haben. Quantitative Sekundärdaten untermauern unsere Aussagen. Die aufgeführten Erfolgsfaktoren stehen beispielhaft für die Erfahrungen, die Manager deutscher Unternehmen in Ungarn gemacht haben. Abbildung 81 listet die zehn wichtigsten Erfolgsfaktoren auf, von denen wir fünf in den folgenden Unterkapiteln genauer untersuchen werden. Zudem werden wir anschließend auf einen weiteren Erfolgsfaktor eingehen, der entgegen unserer Erwartung nicht zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren zählt. Die entscheidenden Erfolgsfaktoren sehen unsere Interviewpartner durchweg im Personalmanagement und in klassischen Themen der Betriebswirtschaft wie Controlling und Planung. Aber auch Beziehungen spielen in Ungarn eine bedeutende Rolle, wie unsere Studie belegt (siehe Abbildung 81).

190

Ungarische Manager rekrutieren

Völlig unwichtig 1

Neutral 2

Sehr wichtig

3

4

5

4,2

Rekrutierung ungarischer Manager

4,1

Kommunikation der Strategie Eintritt mit klarem strategischen Ziel

4,0

Solides System zur Erfolgsmessung

4,0

Aufbau guter Beziehungen zu Geschäftspartnern Setzen klarer Performanceziele

3,8 3,7 3,6

Durchhalten der Strategie

3,6

Markt- und Standortanalyse vor Eintritt Unterstützung durch Top-Management Aufbau guter Beziehungen zum öffentlichen Sektor

3,5 3,3 im Folgenden näher betrachtet

n=77

Abbildung 81: Die zehn wichtigsten Erfolgsfaktoren

8.1

Ungarische Manager rekrutieren

Kein Unternehmen kann es sich leisten, alle ausländischen Führungsposten auf Dauer mit Managern aus der Zentrale zu besetzen. Lokale Manager sind daher für die langfristige Entwicklung der Tochtergesellschaft unerlässlich – und nicht nur aus Kostensicht. Sie kennen die lokalen Gepflogenheiten und bilden die Brücke zu den Mitarbeitern auf den unteren Ebenen. Doch nicht in allen Ländern sind bestens ausgebildete Manager mit Berufserfahrung in internationalen Konzernen einfach verfügbar. Meistens herrscht bei Mitarbeitern mit diesen Qualifikationen das größte Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt. Unternehmen müssen ihre Nachwuchskräfte daher besonders sorgfältig auswählen, intensiv auf ihre Führungsaufgaben vorbereiten und dauerhaft an das Unternehmen binden. Besonders in Ländern mit hohem Wachstum und zahlreichen Eintritten internationaler Firmen in den letzten Jahren ist die Mitarbeiterfluktuation eines der wichtigsten Probleme im Personalmanagement, mit dem sich ausländische Unternehmen auseinander setzen müssen. Ungarn ist in allen angesprochenen Facetten keine Ausnahme. Trotz des vergleichsweise hohen Qualifikationsniveaus der Arbeitnehmer sind längst nicht alle Universitätsabsolventen für Aufgaben in internationalen Unternehmen geeignet. Zudem müssen Unternehmen ihren Mitarbeitern ein attraktives Umfeld und eine wettbewerbsfähige Vergütung gewähren, um sie nicht an andere Firmen oder gar Wettbewerber zu verlieren. Wie einige Unternehmen diese Herausforderungen gemeistert haben, werden wir hier genauer untersuchen. Doch zunächst

Erfolgsfaktoren

191

werden wir genauer herausarbeiten, warum ungarische Manager langfristig unverzichtbar sind und warum Unternehmen es sich nicht leisten können, ihr Personalmanagement in Ungarn zu vernachlässigen. Über die Hälfte der Unternehmen begründet ihr Engagement in Ungarn mit geringen Lohnkosten. Doch dieser Kostenvorteil wird nur unvollständig genutzt, wenn das Management größtenteils aus Expatriates besteht, die Unternehmen mit teuren Sonderleistungen im Gepäck – zusätzlich zu ihrem deutschen Gehalt – nach Ungarn entsenden müssen. Geschäftsführer in deutschen Unternehmen mit 500 bis 1000 Mitarbeitern verdienen nach einer aktuellen Studie im Durchschnitt 285.000 Euro pro Jahr.124 Die marktübliche Vergütung liegt in Unternehmen mit deutscher Beteiligung in Ungarn nach einer aktuellen Studie der DeutschUngarischen Industrie- und Handelskammer bei rund 45.000 Euro pro Jahr.125 Ein ungarisches Managementteam aufzubauen lohnt sich aber nicht nur aus Kostengründen. Ungarische Manager verfügen über wichtige Fähigkeiten, die für den Erfolg des Unternehmens von großer Bedeutung sind. Unternehmen, die sich auf den ungarischen Absatzmarkt fokussieren, profitieren von den Sprach- und Ortskenntnissen ihrer Mitarbeiter. „Für den erfolgreichen Vertrieb von Produkten benötigt man Mitarbeiter, die sich mit den Gepflogenheiten und den Besonderheiten des jeweiligen Marktes auskennen“, ist sich Gábor Zalai, General Manager bei Boehringer Ingelheim, sicher. In Unternehmen mit Produktion in Ungarn fungieren ungarische Manager als Vermittler zwischen dem oft deutschen Top-Management und den ungarischen Mitarbeitern auf den unteren Ebenen. „In der Fertigung sprechen nur wenige unserer Mitarbeiter Deutsch, auch die Meister nicht. Ich bin daher bei Gesprächen, die über einfache Konversationen hinausgehen, gezwungen, über unseren Produktionsleiter mit den Mitarbeitern zu kommunizieren“, erklärt uns ein Geschäftsführer eines Automobilzulieferers, der in Ungarn über 1.000 Mitarbeiter beschäftigt. Ungarische Manager kommen dank ihres höheren Bildungsniveaus besser als ihre Produktionsmitarbeiter mit den kulturellen Unterschieden zwischen Ungarn und Deutschen zurecht und können so als Brücke zwischen beiden Nationalitäten vermitteln – auch wenn in der Verwaltung Mitarbeiter Anfragen an die Zentrale richten oder von dort Anweisungen erhalten. Doch wenn die Vorteile offenkundig sind, warum stellt die Rekrutierung einheimischer Manager Unternehmen oft vor Herausforderungen? Zum einen sind Manager mit Qualifikationen, wie sie ausländische Unternehmen benötigen, in Ungarn nicht einfach zu finden. Ungarns Wirtschaftswachstum hat in den letzten Jahren zu einem aus Unternehmenssicht zunehmend schwierigen Arbeitsmarkt geführt. Ausländische Unternehmen bekommen dies verstärkt zu spüren.ȱ126

124 Vgl. Kienbaum (2005). 125 Vgl. Kienbaum (2005a). 126 Vgl. DUIHK (2005a), S. 91.

192

Ungarische Manager rekrutieren

Auf dem Nachwuchsmarkt herrscht eine ähnliche Situation: in den Ingenieurwissenschaften sind die Absolventenzahlen seit 1999 leicht gesunken. In den Wirtschaftswissenschaften wurden 2002 fast 60 Prozent mehr Diplome vergeben – allerdings „stark zu Lasten der Qualität“, wie uns ein Interviewpartner im Maschinenbau anvertraut. In der ebenfalls von Nachwuchssorgen geplagten Tschechischen Republik sind die Absolventenzahlen in Wirtschaft und Technik sogar leicht zurückgegangen. Einzig in der Slowakei beendeten 2002 mehr Studenten erfolgreich ihr Ingenieursstudium als noch drei Jahre zuvor (siehe Abbildung 82).

Wirtschaftswissenschaften Ingenieurwissenschaften

10,1 12,0 10,0

8,4

17,1 10,8

1999

2002

Ungarn

7,8 4,9

6,7

6,7

1999

2002

Tschechien

4,2

5,1

1999

2002

Slowakei

Abbildung 82: Zahl der Universitätsabsolventen in Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften in ausgewählten Ländern 1999 und 2002 in tausend127 Der Kreis potenzieller Nachwuchsmanager engt sich jedoch weiter ein, wenn man bedenkt, dass nur ein Teil der Absolventen für eine Karriere in einer internationalen Firma gerüstet ist. Das McKinsey Global Institute (2005) ermittelte, dass nur 30 Prozent der ungarischen Absolventen diese Kriterien prinzipiell erfüllen. Wie schaffen es nun erfolgreiche Unternehmen, ein besonders schlagkräftiges Team aufzubauen? Ein Erfolgsfaktor ist die Auswahl geeigneter Mitarbeiter aus dem Pool von Bewerbern. Eine Reihe unserer Interviewpartner haben wir daher zu den wichtigsten Kriterien befragt, die sie bei der Auswahl von Bewerbern anlegen. Erstens muss der Bewerber mit der deutschen Arbeitskultur und mit den westlichen Führungsstilen vertraut sein. Idealerweise sollte er in Deutschland studiert oder bereits in einem deutschen Unternehmen gearbeitet haben. Solche Kandidaten sind allerdings rar: Wie Abbildung 83 zeigt, sammeln nur knapp sieben Prozent aller ungarischen Studenten Studienerfahrung im Ausland – davon allerdings fast 60 Prozent in Deutschland oder Österreich. Und im regionalen Vergleich liegt Ungarn weit vor Polen und der Tschechischen Republik, deren Studenten weitaus seltener im Ausland studiert haben. 127 Quelle: OECD Education Database.

Erfolgsfaktoren

193

Anteil der Studenten mit Studienaufhalten im Ausland (in Prozent) Ungarn Tschechien Slowakei

6,8

Zielländer (in Prozent) Deutschland

Andere

26

3,6

41

3,2 Österreich

16 17

USA

Abbildung 83: Anteil der Studenten mit Studienaufenthalten im Ausland und Zielländer128 Zur Vertrautheit mit der westeuropäischen Kultur gehört nach einhelliger Meinung die Fähigkeit, konstruktive Kritik üben zu können und zu akzeptieren. In ungarischen Unternehmen gilt konstruktives Feedback – im Gegensatz zu westeuropäischen Unternehmen – oft als offene Kritik und wird daher möglichst vermieden. Genauso wichtig sind die Führungsqualitäten der Nachwuchsmanager. Unsere Interviewpartner sehen vor allem bei der Fähigkeit und Bereitschaft, Aufgaben und Entscheidungen an Mitarbeiter zu delegieren, noch Verbesserungspotenzial. Die besten Fachkräfte sind in europäischen Unternehmen meist nicht in einer Führungsposition. In Ungarn werden Mitarbeiter dagegen häufig auf Basis ihrer Fachkenntnisse auf Managementposten befördert.129 Diese in Westeuropa unübliche Praxis wirkt sich jedoch entscheidend auf den Führungsstil aus: Vorgesetzte treffen die meisten Entscheidungen selber, während ihre Mitarbeiter diese nur ausführen. Als zweitwichtigstes Kriterium nennen unsere Interviewpartner die Sprachkenntnisse der Bewerber. Mit guten Deutschkenntnissen ist es jedoch nicht getan: „Wir testen die Sprachkenntnisse unserer Bewerber schon im Assessment-Center, um sicherzustellen, dass unsere Mitarbeiter alltägliche Aufgaben auch in einer deutschsprachigen Umgebung bewältigen können“, weist uns der Geschäftsführer eines Unternehmens in der Automobilbranche, auf die Auswahlkriterien seines Unternehmens hin. Das Beispiel eines Maschinenbauunternehmens zeigt, welche Folgen Kompromisse bei den Sprachkenntnissen nach sich ziehen können. Die Geschäftsführerin des Unternehmens berichtete uns von einigen Führungskräften im mittleren Management, deren Unternehmen zu Gunsten anderer Fähigkeiten bei den Deutschkenntnissen weniger strenge Kriterien anlegte. 128 Vgl. McKinsey Global Institute (2005), S. 17. Das Bezugsjahr ist in McKinsey Global Institute (2005)

nicht angegeben. Das Veröffentlichungsdatum der von MGI zitierten Studie legt jedoch 2002 oder 2003 nahe. 129 Vgl. DUIHK (2002), S. 35.

194

Ungarische Manager rekrutieren

„Mangelnde Sprachkenntnisse behindern die Entwicklung von Führungskräften. Sie können sich in Unternehmen mit engen Beziehungen zur deutschen Zentrale schwerer integrieren und bauen ihr Netzwerk im gesamtem Unternehmensverbund viel langsamer auf.“ Erst auf dem dritten Rang folgen Fachkenntnisse. Dies liegt unter anderem daran, dass Mitarbeiter mit speziellen Kenntnissen in einer Branche in Ungarn sowieso selten sind. Unternehmen haben ihre Personalpolitik darauf angepasst und rekrutieren meistens Generalisten und bilden diese zu den von ihnen benötigten Spezialisten weiter. Deshalb machen die Unternehmen unserer Studie bei Fachkenntnissen eher Kompromisse als bei den anderen genannten Fähigkeiten. Am meisten haben deutsche Unternehmen mit der Fluktuation im mittleren Management zu kämpfen. Gerade im Raum Budapest ist der Arbeitsmarkt für gut ausgebildete Führungskräfte sehr eng und konkurrierende Unternehmen sind zum Teil bereit, für entsprechendes Personal hohe Gehälter zu zahlen. Mit dem Weggang erfahrener Manager verlieren Unternehmen wichtiges Wissen, das sich nicht ohne weiteres ersetzen lässt. Gerade Produktionsleiter sind in Budapest und Umgebung begehrte Mitarbeiter. „Ingenieure, die wir zwei Jahre mühsam aufgebaut haben, werden von kleineren Unternehmen als leitende Angestellte mit hohen Gehältern und der Aussicht, den Produktionsleiterposten zügig übernehmen zu können, aggressiv abgeworben“, beschwert sich der technische Geschäftsführer eines großen Automobilzulieferers im Großraum Budapest. Zu einer erfolgreichen Personalpolitik gehört in Ungarn also auch die Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen, insbesondere im Management. Da die Gehälter in Ungarn nicht nur nominal, sondern auch real immer noch weit unter dem westeuropäischen Niveau liegen, sind viele Mitarbeiter bereit, für ein höheres Gehalt zu einem Wettbewerber zu wechseln.

Mögliche Maßnahmen Wie können deutsche Unternehmen diesem Druck entgehen und ihre wichtigste Ressource effektiv binden? Natürlich besteht immer die Möglichkeit, attraktiven Angeboten der Konkurrenz mit einem höheren Angebot seinerseits zu begegnen. Doch statt üppigen Gegenangeboten und saftigen Halteprämien haben einige der teilnehmenden Unternehmen nachhaltigere Ansätze entwickelt, die sich positiv auf die Mitarbeiterfluktuation ausgewirkt haben. Die folgenden sechs Maßnahmen haben sich als besonders erfolgreich erwiesen.

(1) Schlüsselpersonenkreis identifizieren Für besonders wichtige Nachwuchskräfte haben zwei Automobilzulieferer einen Schlüsselpersonenkreis eingerichtet. Manager, die in diesen Kreis aufgenommen werden, bieten die Unternehmen die Perspektive, mittelfristig ins obere Management aufzurücken. Sie werden zudem gezielt für ihre zukünftigen Aufgaben weiterqualifiziert und zum Teil durch Mentoren betreut. Bereits frühzeitig übernehmen sie die Verantwortung für kleinere strategische Projek-

Erfolgsfaktoren

195

te und Analysen. Damit steigt zwar auch ihr Marktwert auf dem Arbeitsmarkt, allerdings üben Angebote, Führungspositionen in kleineren Unternehmen zu übernehmen, dank der Aussicht auf eine langfristige Karriere in einem internationalen Unternehmen einen geringen Reiz aus. „Bisher hat sich diese Initiative gut bewährt. Wir verlieren derzeit kaum noch Mitglieder aus diesem Mitarbeiterkreis“, freut sich ein Geschäftsführer. Äußert ein Mitarbeiter dennoch konkrete Abwanderungswünsche, bemühen sich die Unternehmen besonders um seinen Verbleib.

(2) Karrierepfade aufzeigen Eine klare Zukunftsperspektive motiviert viele Mitarbeiter, deutlich lukrativere Angebote der Konkurrenz auszuschlagen. Auf dieses Verhalten setzen Unternehmen, die möglichst allen Mitarbeitern einen langfristigen Karrierepfad aufzeigen. Den Aufstieg durch die Hierarchien begleiten festgelegte Seminare und Trainings. „Trainings- und Weiterbildungsmaßnahmen sind für uns von größter Bedeutung“, beschreibt der Personaldirektor eines Automobilzulieferers seine Personalentwicklungspolitik. „Sie sind Teil eines Baukastens aus verbindlichen und fakultativen Qualifizierungsmaßnahmen, die unsere Mitarbeiter nach den Phases Ihres Karrierepfades absolvieren.“ Die aufwändigen Planungsarbeiten haben sich dennoch gelohnt: Das besagte Unternehmen gilt in Sachen Mitarbeiterfluktuation als Benchmark für andere Großunternehmen in der Branche.

(3) Emotionale Bindung fördern „Social Events haben in Ungarn einen deutlich höheren Stellenwert als in Deutschland“, erklärt uns der Geschäftsführer eines Automobilunternehmens. Daher bietet das Unternehmen häufiger Veranstaltungen für die Belegschaft und ihre Familien an. Im Jahr 2004 kochten und verspeisten alle Mitarbeiter gemeinsam mit ihren Familien Gulaschsuppe und trafen sich zum gemeinsamen Sportfest. ZF Hungaria organisiert mehrmals im Jahr Aktivitäten für Mitarbeiter und Familien. Dazu gehören Fußballturniere genauso wie vom Unternehmen organisierte Ausflüge und Reisen für Kinder. Alle diese Initiativen haben eines gemeinsam. Sie tragen Ungarns Kultur, in der Persönliches und Privates immer auch im Job Platz hat, in besonderem Maße Rechnung. So ist es nicht verwunderlich, dass gemeinsame Aktivitäten in Ungarn auf höhere Beteiligung und Zuspruch stoßen.

(4) Rückkehrer rekrutieren Die Firma Eckerle stellt bevorzugt junge Führungskräfte und Ingenieure ein, die aus persönlichen Gründen und familiären Bindungen nach dem Studium oder ersten Jahren im Beruf in

196

Ungarische Manager rekrutieren

Budapest in ihre Heimat zurückkehren möchten. „Generell ist die Mobilität in Ungarn noch geringer als zum Beispiel in Deutschland. Diesen Aspekt kann man sich aber auch zunutze machen. Ungarn sind sehr stark mit ihrer Familie und ihrem Freundeskreis verbunden. Mit Mitarbeitern, die es zurück in ihre Heimat zieht, haben wir bei Eckerle gute Erfahrungen gemacht. Hat ein Mitarbeiter erst einmal hier Wurzeln geschlagen, locken ihn Angebote anderer Unternehmen viel weniger“, stellt Bernd Kaiser, Produktionsleiter bei Eckerle, fest. Daher achtet das Unternehmen wie einige andere Teilnehmer unserer Studie besonders darauf, ob Bewerber mit der Stadt oder Region eine besondere Verbindung haben.

(5) Langfristig denken „Ein gutes Managementteam aufzubauen braucht seine Zeit“, gibt die Chef-Controllerin eines großen Automobilzulieferers zu bedenken. „Da greift man auch einmal daneben.“ Deutsche Unternehmen müssen Führungskräfte oft von der Universität rekrutieren und über Jahre hinweg aufbauen. Nicht alle Nachwuchstalente entwickeln sich aber so, wie das Unternehmen es zu Beginn erwartet. Darauf muss das Unternehmen vorbereitet sein und seine Planung entsprechend gestalten. Auch wenn eine Führungskraft seiner Aufgabe nicht gewachsen ist, darf das Top-Management nicht zusehen, sondern muss sie versetzen oder ihr nahe legen, das Unternehmen zu verlassen. Welche Folgen auftreten, wenn eine solche Entscheidung ausbleibt, zeigt das Beispiel eines anderen großen Automobilzulieferers. Dort wurde ein Nachwuchsmanager mit einer Aufgabe betraut, die er wider Erwarten nicht bewältigen konnte. „Mit der Zeit entwickelte sich ein stiller, aber heftiger Konflikt zwischen ihm und seinen Kollegen, der irgendwann dazu führte, dass einige fähige Manager unser Unternehmen verließen. Danach brauchten wir eine ganze Weile, bis wir den Verlust kompensieren konnten“, erklärt uns der Geschäftsführer des Unternehmens, der erst nach diesem Vorfall zum Unternehmen stieß.

(6) Unternehmenskultur anpassen Ungarn legen großen Wert auf persönlichen Umgang und eine angenehme Arbeitsatmosphäre. Unternehmen, die ihrer Tochtergesellschaft nicht starr die deutsche Unternehmenskultur aufzwingen, sondern sie mit den Besonderheiten der ungarischen Kultur kombinieren, können sich der Loyalität und Motivation ihrer Mitarbeiter sicher sein. Oft sind es nur kleine Änderungen im persönlichen Umgang, die ein Unternehmen für ungarische Mitarbeiter besonders attraktiv machen, wie das folgende Fallbeispiel vor Augen führt. Es macht sich also durchaus bezahlt, nicht nur westeuropäische Werte wie offener Umgang miteinander und selbständiges Arbeiten und Entscheiden in der Unternehmenskultur zu verankern, sondern genauso einige ungarische Werte bewusst zu übernehmen. Gerade deutsche Unternehmen mit ihrem förmlichen und distanzierten Umgang laufen in Ungarn Gefahr, im Wettbewerb um die besten Mitarbeiter gegenüber amerikanischen und niederländischen Unternehmen an Boden

Erfolgsfaktoren

197

zu verlieren. Daher spielt die Unternehmenskultur für die Mitarbeiterbindung eine entscheidende Rolle.

8.1.1

Fallbeispiel: Erfolgsfaktor Unternehmenskultur

Ein deutscher Automobilzulieferer hat großen Wert darauf gelegt, trotz starken Wachstums seine eigene Kultur zu bewahren. Selbst Außenstehenden fällt die persönliche und freundliche Atmosphäre sofort auf. „Wir pflegen hier einen sehr offenen und familiären Umgang miteinander“, erzählt uns der Geschäftsführer bei der Besichtigung der Produktion, während er Hände schüttelt und mit Kollegen scherzt. Das Unternehmen hat damit ein Arbeitsumfeld geschaffen, das die Mitarbeiter zu schätzen wissen und mit großer Loyalität und Motivation honorieren. Trotz der Nähe zu dem Werk eines anderen Automobilzulieferers macht sich das Unternehmen keine Sorgen um seinen Nachwuchs. Es gilt dank seines angenehmen Umfelds als attraktiver Arbeitgeber. Dieses Image macht sich das Unternehmen bei der Gewinnung von neuen Mitarbeitern zu nutze: Bewerber, die von Mitarbeitern empfohlen werden, bevorzugt das Unternehmen bei der Auswahl zum Vorstellungsgespräch. Mittlerweile hat sich diese Methode als so erfolgreich erwiesen, dass klassische Stellenmarktanzeigen und Headhunter nur noch selten zum Einsatz kommen. Außerdem stellt die Empfehlung durch einen Mitarbeiter sicher, dass die Unternehmenskultur erhalten bleibt, da Mitarbeiter gut beurteilen können, ob der Bewerber zum Unternehmen passt. Alle Mitarbeiter sind sich ihrer Verantwortung bewusst, wenn sie eine Empfehlung geben. Daher kann trotz vieler freundschaftlicher und verwandtschaftlicher Verbindungen unter den Kollegen von Nepotismus keine Rede sein. Mit diesem Ansatz ist das Unternehmen übrigens in Ungarn nicht allein. Der Geschäftsführer eines Chemieunternehmens äußert sich ebenfalls sehr positiv zu seinen Erfahrungen mit diesem System.

8.2

Strategie an alle Mitarbeiter kommunizieren – Sinn fürs Ganze vermitteln

Nicht nur die Wahl der richtigen Strategie ist entscheidend – sie muss für die erfolgreiche Umsetzung kommuniziert werden. Strategiekommunikation darf nach Aussagen unserer Interviewpartner nicht an der obersten Führungsebene Halt machen. Vielmehr muss ein Großteil, besser sogar die ganze Belegschaft mit einbezogen werden. Die Erfolgswirkung intensiver Strategiekommunikation wurde bereits in mehreren Studien nachgewiesen. Die internationale Unternehmensberatung Hay Group fand 2003 heraus, dass sich Top-Unternehmen von ihren Wettbewerbern unter anderem durch eine effektivere Strate-

198

Strategie an alle Mitarbeiter kommunizieren – Sinn fürs Ganze vermitteln

giekommunikation unterscheiden.130 Sie kommunizieren die Unternehmensstrategie häufiger an das Management und an die Belegschaft als deren Vergleichsgruppe. In Ungarn, so betonen einige unserer Teilnehmer, ist es sogar noch wichtiger als in Deutschland, die Strategie an alle Mitarbeiter der Tochtergesellschaft zu kommunizieren. Dies erfüllt zwei Funktionen: Zum einen verstehen die Mitarbeiter, welche Rolle sie im gesamten Unternehmensverbund einnehmen und welche Abhängigkeiten zwischen den Gesellschaften des Unternehmens bestehen. Ziele für das Gesamtunternehmen werden so transparent in Ziele für die Tochtergesellschaft übersetzt. Diese Botschaft vermittelt den Mitarbeitern einen „Sinn fürs Ganze“, wie uns ein Manager aus der Automobilindustrie erklärt. „Gerade weil Verantwortungsbereitschaft und Selbständigkeit in Ungarn nicht so stark ausgeprägt sind, müssen die Führungskräfte mehr Kommunikationsarbeit leisten. Die Mitarbeiter müssen verstehen, welche Ziele das Unternehmen verfolgt, welche Rolle die Tochtergesellschaft in Ungarn dabei spielt und wie sie selber dazu beitragen können, dass diese Ziele auch erreicht werden.“ Intensive Kommunikation der Strategie ist weiterhin notwendig, um die Mitarbeiter von der Richtigkeit der Strategie zu überzeugen. Unsere Interviewpartner beobachten oft Skepsis und Zweifel bei strategischen Richtungswechseln oder größeren Veränderungen. Zweifel lösen sich aber zum Teil auf, wenn sich Manager die Zeit nehmen, die wesentlichen Neuerungen und die Gründe dafür vorzustellen. Gerade wenn wichtige Entscheidungen größtenteils in der Zentrale getroffen werden, haben ungarische Mitarbeiter verstärkt das Gefühl, nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Änderungen stehen sie daher – verständlicherweise – skeptisch gegenüber. Diese Problematik verschärft sich, wenn strategische Initiativen trotz bestehender Zweifel vom deutschen Management durchgesetzt werden. Anfängliche Skepsis wandelt sich dann zu „stillem Widerstand“, mit dem sich viele deutsche Manager nach eigenen Angaben schwer tun. Eine Studie der DUIHK (2002) zur Arbeit und Kommunikation in deutsch-ungarischen Teams identifiziert diese Form des Widerstands als eine der häufigsten Ursachen für Konflikte zwischen Deutschen und Ungarn im Arbeitsalltag. Deutsche sind offene Kritik gewohnt, während Ungarn Konflikten lieber ausweichen oder nur beiläufig erwähnen. Diese Signale werden von deutschen Managern dagegen leicht übersehen. Sie nehmen nur wahr, dass der ungarische Mitarbeiter offensichtlich – wenn auch bisweilen etwas widerwillig – seine Zustimmung gegeben hat. Tatsächlich hat er sich dazu jedoch nur gezwungen gefühlt, weil auf seine Bedenken nicht eingegangen wurde. Bei größeren Differenzen weichen ungarische Mitarbeiter daher auf passiven Widerstand aus. In der Folge werden Ziele nicht erreicht oder wichtige Meilensteine verfehlt. Im Extremfall, so einer unsere Interviewpartner, eskaliert der Konflikt bei wiederholter Kritik wegen „schlechter Leistung“ urplötzlich und gipfelt in emotionalen Ausbrüchen oder sogar der Kündigung durch den Mitarbeiter. Strategiekommunika-

130 Die weiteren Erfolgsfaktoren sind nach der Studie der Hay Group eine klare Rollenverteilung im Mana-

gement, Erfolgskontrolle der Strategieumsetzung, persönliche Verantwortung in der Strategieumsetzung, Korrektur der Strategie bei Fehlschlägen sowie Teamwork und Unternehmenskultur. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Studie findet sich in Financial Times Deutschland (2003).

Erfolgsfaktoren

199

tion ist daher auch notwendig, um Mitarbeiter auf neue Ziele und Initiativen einzuschwören und eventuellen Konflikten vorzubeugen. Zum anderen zeigt die Unternehmensstrategie den Mitarbeitern eine Zukunftsperspektive auf. Angesichts steigenden Kostendrucks in vielen Branchen und der Abwanderung einiger Firmen in den Osten stellen sich viele Mitarbeiter die Frage, welche Aussichten im Unternehmen für sie noch bestehen. Ein klares Bekenntnis des Managements, welche Aktivitäten langfristig in Ungarn verbleiben werden, kann hier Abhilfe schaffen. Aber auch wenn Teile der Tochtergesellschaft in Ungarn mittelfristig Aktivitäten an andere osteuropäische Standorte verlieren, erweist es sich als vorteilhaft, Fakten zu schaffen, statt Gerüchten und Spekulationen Vorschub zu leisten. Ein Automobilzulieferer plant beispielsweise, umfangreiche Produktionsaktivitäten in die Ukraine zu verlagern. Die Unternehmensleitung rechnet daher mit dem Abbau von rund 80 Prozent der ungarischen Arbeitsplätze in der Produktion innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre. Diese Planung wurde allen Mitarbeitern bereits kurz nach Beschlussfassung vorgestellt und erklärt. Trotz der unangenehmen Nachricht haben die Mitarbeiter nun Gewissheit darüber, wie sich das Untenehmen mittelfristig entwickeln wird. Von der Verlagerung ist nämlich nicht der Standort in Gänze betroffen, sondern nur große Teile der Produktion. Nach eigenen Angaben greifen Unternehmen auf verschiedene Instrumente zurück, um die Strategie des Unternehmens an die Mitarbeiter zu kommunizieren. Auf Management-Ebene wird in vielen Unternehmen regelmäßig die Strategie kritisch bewertet und diskutiert. Die restliche Belegschaft wird unter anderen durch Betriebsversammlungen und Aushänge über die Strategie der Unternehmensleitung informiert. Größere Unternehmen publizieren zudem Mitarbeitermagazine, in denen die Strategie ihren festen Platz hat.

8.3

Mit einem klaren strategischen Ziel eintreten

Ein klares strategisches Ziel bei Markteintritt ist für deutsche Unternehmen ein weiterer wichtiger Erfolgsfaktor. Zum einen, weil das Marktpotenzial oft besonders schlanke Aktivitäten vor Ort erfordert, zum anderen, weil Ungarn nicht für alle Aktivitäten als Standort in Frage kommt. Wir haben bereits erwähnt, dass die ungarischen Kunden außerordentlich preissensitiv sind. Entsprechend engt sich der potenzielle Markt für Unternehmen mit qualitativ hochwertigen, aber vergleichsweise teuren Produkten weiter ein. Auf der Absatzseite gilt es daher, nur die Funktionen in Ungarn zu lokalisieren, die für die Erschließung des Marktpotenzials nötig sind. In vielen Fällen ist es wegen fehlender Skalenvorteile daher nicht sinnvoll, vor Ort zu produzieren.

200

Mit einem klaren strategischen Ziel eintreten

Für Unternehmen, deren Aktivitäten in Ungarn über Marketing & Vertrieb hinausgehen, ist dieser Erfolgsfaktor noch bedeutender (Rang drei statt Rang fünf in der Vergleichsgruppe). Als Produktionsstandort ist Ungarn nämlich im Vergleich mit Westeuropa und Standorten in Asien und Südosteuropa nicht für alle Produkte der attraktivste. Die Boston Consulting Group (2005) fand zum Beispiel heraus, das nicht alle Produktkategorien gleich stark von der Abwanderung aus Westeuropa betroffen sind. Für einige Kategorien sind nur wenig bis keine Kosteneinsparungen durch Verlagerungen zu erwarten. Andere sind dagegen bereits zum größten Teil abgewandert oder werden gerade erst von der Verlagerungswelle erfasst. Zudem unterscheiden sich die Kostenvorteile zwischen Osteuropa und beispielsweise China zum Teil erheblich. Vor allem wenn der Anteil der Arbeitskosten nur gering ist oder Transportkosten wegen hohem Gewicht oder kurzen Lieferfristen eine Rolle spielen, ist China oftmals teurer als osteuropäische Standorte. Daher müssen Unternehmen vor Markteintritt genau prüfen, für welche Produkte eine Verlagerung nach Ungarn Kostenvorteile erwarten lässt. In der Vergangenheit waren Unternehmen dann erfolgreich, wenn sie besonders arbeitintensive Produkte oder Fertigungsschritte nach Ungarn verlagerten. Die Erzeugnisse waren jedoch meistens nicht für den lokalen Markt bestimmt – vielmehr suchte man in Ungarn einen günstigen Produktionsstandort für die Belieferung der westeuropäischen Märkte. Unternehmen, die erst in den letzten Jahren Produktionsanlagen in Ungarn aufgebaut haben, begründen ihre Entscheidung für Ungarn durchweg mit der Motivation, die Fertigung ganzer Produktbereiche und nicht nur einzelner Komponenten nach Ungarn zu holen. Die meisten Unternehmen nahmen mit dieser Entscheidung den Lohnkostennachteil gegenüber Ländern wie Rumänien und der Ukraine bewusst in Kauf. Für sie war das erklärte Ziel der Expansion nach Ungarn, schnell die Fertigung ganzer Produkte oder sogar Produktbereiche übernehmen zu können. Eine schnelle Aufwertung der Wertschöpfung war damit bereits Bestandteil des ursprünglichen Geschäftsplans. Anders gesagt: Wenn Unternehmen aus Marktmotiven nach Ungarn kommen, müssen sie sich an das erwartete Marktpotenzial anpassen. In vielen Fällen ist eine separate Produktion vor Ort wegen der großen Nähe zu den westeuropäischen Standorten nicht nötig. Wird Ungarn als Standort für die Produktion erwogen, müssen alle Vor- und Nachteile für jedes Produkt genau überprüft werden. Nur dann wird sich die Entscheidung lohnen, nach Ungarn zu kommen. Unsere Interviews zeigen, dass praktisch alle Unternehmen ein strategisches Ziel vor Augen hatten, als sie sich für Ungarn entschieden. Kein Unternehmen hat nach eigenen Angaben überdimensionierte Kapazitäten für den lokalen Markt aufgebaut. Auf den Exportmarkt fokussierte Unternehmen haben sich konsequent auf diesen Markt ausgerichtet und sich nicht vom lokalen Marktgeschehen ablenken lassen. Tatsächlich haben nur ganz wenige Unternehmen ihre Strategie seit Markteintritt grundlegend ändern müssen – ein klares Zeichen, dass sie ein strategisches Ziel bereits bei Markteintritt hatten. Unsere quantitativen Analysen in Kapitel 5.5 belegen zudem, dass Unternehmen die für sie relevanten Vorteile ausnutzen und die dazu passenden Strategien wählen.

Erfolgsfaktoren

201

Wie wichtig ein strategisches Ziel für den Unternehmenserfolg ist, zeigt das Beispiel eines Automobilzulieferers. „Das Werk wurde Ende der 90er Jahre als Niedriglohnstandort geplant und aufgebaut. Verlagert wurden daher fast ausschließlich einfache, lohnintensive Produkte. Ungarn ist aber kein Niedriglohnland mehr, vor allem nicht im Großraum Budapest. Um konkurrenzfähig produzieren zu können, bräuchten wir andere Produkte und entsprechende Kompetenzen. So sind wir im Werksvergleich zu teuer und verlieren Aufträge an andere Werke. Durch den Kostennachteil ist unsere Auslastung gesunken, was unsere Wettbewerbsfähigkeit weiter einschränkt“, erklärte uns der Geschäftsführer der Tochtergesellschaft.

8.3.1

Fallbeispiel: Europa aus Ungarn bedienen

Ein großes Elektronikunternehmen produziert in Ungarn elektronische Bauelemente für weitere Werke und für externe Kunden im europäischen Raum. Als so genanntes Fertigungswerk ist das ungarische Werk hauptsächlich für die effiziente und kostengünstige Produktion zuständig. Fertigungswerke übernehmen innerhalb der Unternehmensgruppe von einem Leitwerk entwickelte Produktionsprozesse. Für einige wenige Produkte hat das ungarische Werk bereits Leitwerksfunktionen inne, wird allerdings weiterhin überwiegend als Fertigungswerk fungieren. Mit Eröffnung des ungarischen Werks hat die Unternehmensgruppe ihre Strategie, Produktionskapazitäten regional zu konzentrieren, vollständig umgesetzt. Das ungarische Werk ist eines der weltweit drei Fertigungswerke, die die Unternehmensgruppe auf die drei wichtigsten Regionen Europa, Asien und Amerika verteilt hat. Der amerikanische Markt wird von einem Fertigungswerk in Mexiko bedient, während Kunden in Asien ihre Lieferungen aus China erhalten.

8.4

Erfolg messen – Eine Selbstverständlichkeit

Ein solides System zur Erfolgsmessung gehört gemeinhin in jedes moderne Unternehmen. „What you cannot measure you cannot control“, lautet eine jedem Manager auf der ganzen Welt geläufige Binsenweisheit. Diese Aussage gilt jedoch auf der ganzen Welt. Wieso sollte ein Controlling-System in Ungarn dann einen der wichtigsten Erfolgsfaktoren darstellen? Fünf Gründe kristallisierten sich in unseren Interviews als Erklärung für diesen scheinbaren Widerspruch heraus.

202

Erfolg messen – Eine Selbstverständlichkeit

(1) Erfolg auch ohne Marktpreise messbar machen Unternehmen mit Produktion in Ungarn haben meist nur wenig direkten Marktkontakt und müssen ihren Erfolg daher besonders stark an internen Kennzahlen messen. Im Fahrzeugund Maschinenbau sowie der Elektronikindustrie exportieren die Tochtergesellschaften mit Produktionsanlagen mehr als 85 Prozent ihrer Produktion. Über 60 Prozent der Gesamtproduktion wird konzernintern exportiert. Für die meisten Produkte besteht somit kein Marktpreis, an dem sich die ungarische Gesellschaft messen kann. Transferpreise legt die Zentrale üblicherweise so fest, dass in Ungarn nur geringe Gewinne anfallen. Daher kann sich zwischen den Gesellschaften kein interner Markt entwickeln, der bei entsprechender Gestaltung zumindest in Grundzügen einem Wettbewerbsmarkt gleichkäme. Zudem stehen für Produktionsvorgänge seit der Einstellung der Verlagerung nach Ungarn oder Einstellung der Parallelproduktion in Deutschland keine Vergleichswerte mehr zur Verfügung. Ebenfalls besteht die Gefahr, dass durch die Verrechnungsmodalitäten ein erfolgreiches Tochterunternehmen Ineffizienzen in anderen Bereichen subventioniert und dass so weder gute noch schlechte Ergebnisse transparent gemacht werden. Die Manager der Tochtergesellschaft müssen sich daher auf ihre Kostenposition konzentrieren, um ihren Beitrag zum Unternehmenserfolg zu leisten. Gerade in Industrien mit hohem Kostendruck hilft ein gut ausgestaltetes Controlling-System, Kostentreiber aufzuspüren und konsequent zu eliminieren.

(2) Qualität, Lieferzeiten und Mitarbeiterzufriedenheit messen Ein solides System zur Erfolgsmessung erfasst mehr als nur die Fertigungskosten. Fortgeschrittene Unternehmen erweitern den Erfolgsbegriff um Dimensionen wie Qualität, Lieferzeit und Mitarbeiterzufriedenheit. Keines der von uns befragten Unternehmen mit Produktionsanlagen in Ungarn kann es sich mehr leisten, niedrigere Qualität als westeuropäische Firmen anzubieten. Die überwiegende Mehrheit produziert nach eigenen Angaben mit Qualitätsstandards, die mit denen in Deutschland absolut vergleichbar sind. Dennoch räumen einige Interviewpartner ein, dass Qualitätsdenken, vor allem in seiner besonders ausgeprägten Form im Fahrzeugbau („Zero Defects“), noch nicht in der ganzen Belegschaft verbreitet sei. Konsequente Überprüfung der Qualität und schnelles Feedback direkt an die Betroffenen hilft, diese Schwächen auszumerzen. Ein ähnliches Problem sehen Unternehmen in der Auslegung von Lieferterminen. Dies hat zum einen mit den kulturellen Unterschieden zu tun, auf die wir bereits in Kapitel 5.4.2 eingegangen sind. Andererseits waren eng abgestimmte Beziehungen zwischen Abnehmer und Lieferanten, wie sie vom Fahrzeugbau ausgehend nun in vielen Industrien Einzug gefunden haben, in lokalen Firmen weitgehend unbekannt. In Regionen mit wenig verarbeitender Industrie tritt dieser Mangel noch stärker zutage, wie unsere Interviews belegen. Liefer- und Durchlaufzeiten müssen daher konsequent kontrolliert werden, wobei ein IT-gestütztes System Hilfe leisten kann.

Erfolgsfaktoren

203

Mitarbeiterzufriedenheit ist ein weiteres wichtiges Erfolgskriterium. Gerade in Ungarn werden der persönliche Kontakt und ein angenehmes Arbeitsumfeld besonders geschätzt. Schon kleine Änderungen können sich positiv auf die Zufriedenheit auswirken, wie das folgende Beispiel zeigt. Ein Automobilzulieferer hat auf die in Mitarbeiterbefragungen geäußerten Wünsche reagiert und das Angebot sowie die Öffnungszeiten der Kantine erweitert. Zu Beginn und Ende jeder Schicht können Mitarbeiter nun in der Kantine aus einem großen Sortiment wählen. Zudem ist für jeden Mitarbeiter ein warmes und kaltes Essen pro Tag frei. Seit Einführung dieses Systems ist die Mitarbeiterzufriedenheit merklich angestiegen, wie das Unternehmen in den folgenden Befragungen feststellen konnte.

(3) Ziele kommunizieren Außerdem können Manager über ein Erfolgsmessungssystem Ziele und deren Erreichungsgrad transparent machen und direkt an ihre Mitarbeiter kommunizieren. Alle Mitarbeiter erhalten so Informationen darüber, welche Ziele sie bereits erreicht haben und welcher Weg noch vor ihnen liegt. Unsere Interviewpartner sehen darin ein wichtiges Führungsinstrument. In Kapitel 5.4.2 haben wir bereits erklärt, dass Ungarn im Vergleich zu Deutschen eher Vorgaben von ihren Vorgesetzten erwarten. Andererseits geraten sie wegen ihres kreativen Arbeitsstils tendenziell eher in Terminschwierigkeiten. Führungskräfte müssen daher verstärkt kontrollieren, was aber oft negativ wahrgenommen wird. „To-do-Listen der Mitarbeiter zu überprüfen ist hier sehr unbeliebt“, erklärt uns Tamas Csonth, kaufmännischer Leiter bei MAN. Werden wichtige Ziele dagegen erfasst und im System abgebildet, können Führungskräfte sich ohne direktes Nachfragen und persönliche Kontrolle vergewissern, dass alle Vorgaben termingerecht erreicht werden. Ein Geschäftsführer eines großen Automobilzulieferers hat beobachtet, dass „schriftliche und formelle Vorgaben bei unseren ungarischen Kollegen als sehr verbindlich gelten, während dies bei mündlichen Vereinbarungen weniger der Fall ist“. Das heißt natürlich nicht, dass persönliche Kommunikation nicht weniger wichtig ist – hier scheint es aber nach unseren Beobachtungen öfter zu Missverständnissen zu kommen.

(4) Leistungsbasierte Vergütung unterstützen Unternehmen können leistungsgerechte Vergütungssysteme nur dann einführen, wenn entsprechende Systeme zur Erfolgsmessung etabliert sind. Das Fallbeispiel in Kapitel 6.5.5 zeigt, wie komplexe Vergütungssysteme den Besonderheiten des ungarischen Markts angepasst werden können. Grundlage dafür ist immer ein fortgeschrittenes Controlling-System, das entsprechende Informationen bereitstellt. Dies gilt nicht nur für den Vertrieb. Auch in der Produktion erhalten Mitarbeiter in vielen Unternehmen mehrmals im Jahr leistungsbezogene Boni, die sowohl Team- als auch Einzelkomponenten erhalten. Einige Manager zeigen sich erfreut über ihre sehr leistungs- und erfolgsorientierten Mitarbeiter. Einfache Kennzahlensysteme erlauben dagegen nicht, die Leistung der einzelnen Mitarbeiter getrennt zu erfassen. Gerade eine Einzelkomponente kann jedoch die Motivation und Leistungsbereitschaft spür-

204

Erfolg messen – Eine Selbstverständlichkeit

bar steigern. Sicherlich sind monetäre Anreize allein noch kein Garant für höhere Leistung – viele Arbeiter in der Fertigung erzielen jedoch auch im nationalen Vergleich geringe Gehälter und sind daher auf zusätzliche Einkommensquellen angewiesen. Gleichzeitig, so betont der Geschäftsführer eines Maschinenbauunternehmens, dürfen Qualitätskennzahlen bei der Einführung leistungsbezogener Bezahlung nicht vernachlässigt werden: „Sonst laufen Sie Gefahr, auf Kosten der Qualität Ihre Stückzahlen zu erhöhen – was den Vorteil der geringeren Stückkosten sofort wieder aufhebt.“

(5) Weiterentwicklung der Produktion in der Erfolgmessung abbilden Schließlich stehen viele der von uns untersuchten Branchen unter hohem Kostendruck und müssen nach Wegen suchen, ihre Kosten auch nach der Verlagerung der Produktion oder weiterer Funktionen in Länder mit geringem Lohnniveau weiter zu senken. Dazu müssen Produktionsabläufe und die damit verbundenen Kosten genau analysiert und Alternativen gegeneinander abgewogen werden. Mit der Verlagerung ganzer Produkte ist zudem die Komplexität in der Fertigung spürbar gestiegen. Konnte vorher die Zentrale die Leistungskontrolle der Teilefertigung oder Montagearbeiten sogar selber übernehmen, tragen die Tochtergesellschaften nun eine viel weiter reichende Verantwortung. Entsprechend müssen die unterstützenden Systeme mit der steigenden Komplexität der Aktivitäten mithalten. Eine höhere Kostentransparenz hilft dabei auch der Zentrale und deutschen Managern bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Tochter in Ungarn, wie uns der Geschäftsführer eines Automobilzulieferers erklärt: „In Ungarn ist die Kostenstruktur aufgrund der niedrigen Löhne ganz anders als in Deutschland. Entsprechend haben Hebel, die in Deutschland äußerst effektiv sind, in Ungarn viel weniger Bedeutung. Aber die Zentrale kann das oft nicht nachvollziehen, da sie die Verhältnisse in Ungarn nur unzureichend kennt.“ Transparenz in der Erfolgsmessung kann dazu beitragen, solche Missverständnisse zu vermeiden. Aus diesen fünf Gründen kann ein solides System zur Erfolgsmessung die Wettbewerbsfähigkeit der Tochtergesellschaft erhöhen und einen wichtigen Erfolgsfaktor darstellen. Doch wie gestalten erfolgreiche Unternehmen diese Systeme? Ein Beispiel zu Unternehmen, die in Ungarn nur ein Vertriebsbüro unterhalten, haben wir bereits im Zusammenhang mit der Anreizgestaltung im Marketing & Vertrieb gegeben (siehe Kapitel 6.5). Im folgenden Fallbeispiel zu CLAAS Hungaria präsentieren wir daher ein besonders fortschrittliches System zur Erfolgsmessung für Unternehmen, die auch Produktionsanlagen in Ungarn unterhalten.

Erfolgsfaktoren

8.4.1

205

Fallbeispiel: CLAAS – Erfolgsmessung in der Produktion131

CLAAS ist einer der weltweit führenden Hersteller von Agrarmaschinen, insbesondere von Mähdreschern, Feldhäckslern und Traktoren. Mit der Übernahme des Traktorenherstellers Renault Agriculture hat CLAAS seinen Umsatz auf über 2,2 Milliarden Euro und die Mitarbeiterzahl auf weltweit über 8.000 gesteigert. Neben einem weltweiten Netz von Vertriebspartnern unterhält das Unternehmen Produktionsstandorte in Deutschland, Frankreich, Russland, Indien, in den USA und in Ungarn. Die konsequente Einführung des gruppenweiten CLAAS Produktionssystems (kurz: CPS) ein synchrones Erfolgsmessungssystem - ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor der CLAAS Hungaria kft. im globalen Produktionsnetzwerk. Die CLH setzt dabei auf ein umfassendes Kennzahlensystem sowie unmittelbares und transparentes Feedback. Die ungarische Tochtergesellschaft misst ihren Erfolg analog zur Balanced Scorecard132 in vier Dimensionen. Jede Dimension gliedert sich in einzelne Kennzahlen auf, die CLAAS Hungaria aus verschiedenen Quellen erhebt: „ Qualität: Wichtige Qualitätsindikatoren, wie zum Beispiel i.O. Rate, DPU und Produktaudits „ Kosten: Kostenkennzahlen in allen Bereichen des Unternehmens „ Logistik: u. a. Einhaltung der Liefertermine und des Bestandsniveaus „ Motivation: Motivation der Mitarbeiter und Attraktivität des Arbeitsumfelds „Über diese vier Dimensionen bilden wir alle wesentlichen Erfolgskriterien ab“, erklärt uns CEO Bernd Hoffmann während der Besichtigung der Produktion in Törökszentmiklos. Ein Übersichtschart im Eingangsbereich zeigt allen Mitarbeitern, in welchen Bereichen die CLH bereits ihre Ziele erreicht hat und wo noch Verbesserungspotenzial besteht. In der Fertigung setzt die CLAAS Hungaria kft. auf kleine Teams, die eng zusammenarbeiten und weitgehend selbständig agieren. Jedes Team setzt sich gemeinsam mit dem Gruppensprechern Jahresziele in den vier zu beeinflussenden Dimensionen. Freitags treffen sich alle Teammitglieder zum wöchentlichen 20- minütigen Teamgespräch und diskutieren die Ergebnisse der aktuellen Woche. Dazu erhalten sie zusätzlich Vergleichsdaten zu ihrer eigenen Leistung in den zurückliegenden Wochen sowie die Ergebnisse aller anderen Teams. Die Entwicklung aller Teams wird durch ein monatliches CPS Audit festgestellt und hängt zudem öffentlich einsehbar im Eingangsbereich aus. „Alle Mitarbeiter erhalten so sehr schnell Feedback zu ihrer Leistung – sowohl absolut als auch im Vergleich zu ihren Kollegen“, fügt B. Hoffmann hinzu. In den Endmontagebahnen dienen großflächige Bildschirme als Montageleitsystem (kurz: MLS). Diese informieren die Mitarbeiter über Tages-, Monats- und Jahresstand der montierten 131 Siehe dazu auch unser Fallbeispiel zu Claas auf Seite 101. 132 Für eine Einführung zur Balanced Scorecard vgl. Kaplan und Norton (1996) und Kaufmann (1997).

206

Gute Beziehungen aufbauen – Eine lohnende Investition

Produkte sowie die nach Plan bis zum Ende des Geschäftsjahres zu montierenden Einheiten. Auch wie viele Produkteinheiten die Montagebahnen in der geforderten Qualität verlassen, können alle Mitarbeiter auf den Bildschirmen zeitaktuell nachvollziehen. Auf Basis der individuellen Teamleistungen hinsichtlich Qualität, Produktivität und persönlicher Leistungsbeurteilung hat jeder Mitarbeiter jeden Monat aufs Neue die Möglichkeit, eine entsprechende Erfolgsprämie zu erzielen. Änderungen in der Leistung schlagen sich so unmittelbar in der Bezahlung nieder – das ist zwar mit höherem Verwaltungsaufwand verbunden, erhöht jedoch die Motivationswirkung. Für umgesetzte Verbesserungsvorschläge zahlt das Unternehmen spezielle Klein-Incentives, die in die Teamkasse des verantwortlichen Teams fließen. Über die Verwendung, wie zum Beispiel für einen gemeinsamen Grillabend mit Partnern, entscheiden die Teammitglieder gemeinsam. Die Liste aller gemachten und bereits umgesetzten Vorschläge liegt zudem für alle zugänglich aus. So wird ein positiver kontinuierlicher Wettbewerb zwischen den Gruppen gewährleistet. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor bei der Einführung, so B. Hoffmann, war die intensive Kommunikation mit den Mitarbeitern. Derart umfassende Änderungen erfordern in Ungarn wesentlich mehr Kommunikations- und Überzeugungsarbeit als etwa in westeuropäischen Ländern, auch weil sich Widerstand und Ablehnung nicht nur verbal, sondern erst mit Verzögerung in der Leistung und Motivation äußern. „Die Mitarbeiter müssen zunächst verstehen, wie das System im Detail funktioniert und müssen gleichzeitig überzeugt werden, dass es für die zukünftige Entwicklung des Unternehmens von höchster Bedeutung sein wird“, ist sich B. Hoffmann sicher. Nur dann weicht die anfängliche Skepsis der Einsicht, dass das neue System für alle Beteiligten von Vorteil sein wird. Und tatsächlich: Heute ist es in der Belegschaft weitestgehend akzeptiert und trägt einen wesentlichen Teil zum Erfolg der CLAAS Hungaria kft. bei.

8.5

Gute Beziehungen aufbauen – Eine lohnende Investition

“Hungary is a small country. So networking is very important.” Manager eines Chemieunternehmens Gute Beziehungen – insbesondere zu Geschäftspartnern und Lieferanten – sind in Ungarn ein nicht zu vernachlässigender Erfolgsfaktor. Beziehungen spielen in jedem Land eine Rolle, aber gerade wenn man als ausländisches Unternehmen den „Heimvorteil“ der Konkurrenz wettmachen muss, können sie entscheidend zum Erfolg oder Misserfolg der Expansion ins Ausland beitragen. Ungarn ist hier keine Ausnahme. Dennoch: Unsere Interviewpartner sind sich einig, dass Beziehungen in Ungarn einen höheren Stellenwert genießen als in Deutschland. Für Unternehmen, die in Ungarn nur Vertriebsgesellschaften unterhalten, sind gute

Erfolgsfaktoren

207

Beziehungen zu Geschäftspartnern sogar der wichtigste Erfolgsfaktor. Erfolgreiche Unternehmen nutzen ihre Beziehungen, um wichtige Kunden zu binden, wichtige Informationen zu erhalten und ihre Interessen gegenüber den Behörden „auf dem kurzen Dienstweg“ wahrzunehmen.

(1) Mit Beziehungen auch bei preissensiblen Kunden punkten Deutsche Unternehmen sind mit ihren Produkten meistens erst am oberen Ende der Preisskala zu finden. Mit den Kostenstrukturen lokaler Wettbewerber können sie nicht mithalten. Sie müssen sich daher auf besonders anspruchsvolle Kunden konzentrieren, für die der Preis ein weniger wichtiges Kaufkriterium ist. Daher können gute Beziehungen schon einmal den Ausschlag zum Kauf geben. Entsprechend sollten Unternehmen in ihre Beziehungen zu ihren Kunden investieren. Die meisten der von uns befragten Unternehmen versuchen, dies durch bessere Betreuung und exzellenten Service zu erreichen. Einem Kunden ein dringend benötigtes Produkt besonders schnell liefern zu können oder im Fall der Fälle unbürokratisch unter die Arme zu greifen, kann sich bezahlt machen. Viele ungarische Unternehmen schätzen – trotz hoher Preissensitivität – gute Beziehungen mit ihren Lieferanten.

(2) Mit Beziehungen Marktinformationen sammeln Einige teilnehmende Unternehmen erbringen aufgrund des geringen Marktvolumens nicht alle Vertriebsleistungen selber und greifen daher auf Vertriebspartner zurück. Diese Partner erbringen Logistikdienstleistungen oder übernehmen den Großhandelsvertrieb. Auch hier können sich gute Beziehungen bezahlt machen. In Kapitel 5.4.2 haben wir bereits erwähnt, dass Unternehmen sich fehlende Marktinformationen in einigen Fällen von Großhändlern oder ihren Vertriebspartnern beschaffen. Vertriebspartner können mangels öffentlich verfügbarer Informationen als „Horchposten“ fungieren, die wichtige Informationen an ihre Partner weitergeben. Da zum Teil vertrauliche Daten zwischen den Unternehmen ausgetauscht werden müssen, ist ein gutes Verhältnis meistens unerlässlich. Ein gut vernetztes Unternehmen, das in der gesamten Branche Vertrauen und Ansehen genießt, kann daher einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil besitzen, da es auf sich abzeichnende Trends schneller reagieren kann.

(3) Mit Beziehungen Image aufbauen und Behördengänge vereinfachen Gute Beziehungen zum öffentlichen Sektor zu unterhalten, schätzen die von uns befragten Unternehmen dagegen als weniger wichtig ein. Für Unternehmen, die in Ungarn produzieren, rangiert dieser Erfolgsfaktor nur auf dem 14. Platz. Diese Unternehmen haben nach eigenen Aussagen nur sehr wenige Kontaktpunkte mit dem öffentlichen Sektor. Zudem wird der Auf-

208

Erfahrene Manager transferieren – Nicht so wichtig wie vermutet

bau von Beziehungen zu Beamten in den Landesbehörden durch häufige Regierungswechsel erschwert: Nach Regierungsübernahme tauschen Minister Personal bis in die unteren Ebenen hinab aus. Die Unternehmen unserer Studie nutzen viele verschiedene Instrumente, um Beziehungen zum öffentlichen Sektor zu knüpfen und ihr Ansehen bei den örtlichen Behörden zu steigern. So werden zum Beispiel Sponsoring-Aktivitäten im Lokalsport und Engagements in Kunst und Kultur in Ungarn gerne gesehen. Mehrere Unternehmen unterstützen den lokalen Fußballverein oder tragen zur Finanzierung von Museen und Theatern bei. In vielen ländlichen Regionen sind die von uns befragten Unternehmen die wichtigsten Arbeitgeber der Region. Manager, die sich neben ihrer Arbeit die Zeit nehmen und in Wirtschaftsauschüssen aktiv werden, sind gefragte und angesehene Experten. In stark regulierten Industrien wie der Pharmabranche sind Beziehungen zum öffentlichen Sektor dagegen unverzichtbar. Unternehmen solcher Industrien müssen trotz der erwähnten Widrigkeiten in Beziehungen investieren. Nur so können sie ihren Einfluss geltend machen und Gesetzen und Vorgaben, die ausländische Unternehmen benachteiligen könnten, entgegenwirken.

8.6

Erfahrene Manager transferieren – Nicht so wichtig wie vermutet

Überraschendweise war der Transfer von erfahrenen globalen Managern kein entscheidender Erfolgsfaktor (Rang 11). Was erklärt diese offensichtliche Diskrepanz, zumal Ungarn für viele mittelständische Unternehmen unserer Studie einen der wichtigsten Standorte darstellt? Unsere Interviewpartner nannten dafür drei wesentliche Gründe. Erstens entsenden die meisten der von uns befragen Unternehmen nur ein bis zwei deutsche Expatriates, die gemeinsam mit ungarischen Managern die Tochtergesellschaft aufbauen. Den entscheidenden Einfluss auf den Erfolg in Ungarn übt der Transfer von Managern daher nicht aus. Zudem bewerten Unternehmensvertreter Ungarn nicht als ein derart schwieriges Umfeld wie beispielsweise China. Zweitens besucht das Management die ungarischen Gesellschaften regelmäßig. Nach unseren Auswertungen bestehen von zahlreichen deutschen Flughäfen (Frankfurt, Hamburg, Dortmund, München) täglich Direktverbindungen nach Budapest – in vielen Fällen sogar jeweils eine Verbindung morgens und abends. Für die Tochtergesellschaft wichtige Managementkapazitäten müssen deshalb nicht zwangsläufig nach Ungarn transferiert werden. Vielmehr reicht es aus, wenn erfahrene Manager Präsenz zeigen und bei Bedarf schnell vor Ort sein können.

Erfolgsfaktoren

209

Drittens werden Vertriebsbüros zumeist von ungarischen Managern geleitet, die den lokalen Markt besser kennen und zudem besser mit ungarischen Kunden umgehen können (73 Prozent der befragten Unternehmen mit Vertriebsbüros in Ungarn wurden von Ungarn geleitet). Diese Unternehmen bewerten den Transfer „globaler“ Manager deutlich niedriger als Unternehmen, die in Ungarn Produktionsanlagen unterhalten (‡ 2,8 statt ‡ 3,4). In der marktfernen Produktion sehen unsere Interviewpartner im Transfer von ausländischen Managern daher einen größeren Vorteil. Dies überrascht nicht, da ungarische Manager mit ausreichender Erfahrung in modernen Fabriken immer noch schwer zu finden sind. Allerdings kann die Erfolgswirkung des Transfers erfahrener Manager aus der Zentrale über die Entwicklungsphasen der Tochtergesellschaft variieren. Die Mehrheit der interviewten Manager hat die Entwicklung der Gesellschaft nicht von der Gründung an verfolgt. Im Mittel waren die befragten Unternehmen bereits seit elf Jahren in Ungarn tätig. Die Bewertung des Erfolgsfaktors heute muss also nicht zwangsläufig mit seiner Relevanz zu Beginn des Engagements übereinstimmen.

9.

Empfehlungen für Manager

In den vorausgegangenen Kapiteln haben wir im Detail die Rahmenbedingungen Ungarns, die von deutschen Unternehmen in verschiedenen Branchen und Funktionen gewählten Strategien und kritische Erfolgsfaktoren analysiert. Abschließend stellen wir kurz und prägnant die für Manager wichtigsten Empfehlungen heraus.

9.1

Strategie wählen

Ungarn bietet eine Vielzahl wertvoller Chancen, wie unsere Analyse zeigt. Deutsche Unternehmen, die über eine internationale Expansion nachdenken, können sich diese Vorteile zunutze machen – wenn sie die richtige Strategie wählen. Dafür müssen sich expansionsinteressierte Manager den Herausforderungen ihres Unternehmens und den Chancen eines Engagements in Ungarn bewusst werden. Marktchancen für ein Engagement in Ungarn umfassen primär die Marktgröße und das Marktwachstum. Zwar ist der ungarische Absatzmarkt in seiner Größe nicht mit westeuropäischen Märkten vergleichbar, aber er bietet doch für deutsche Unternehmen erhebliche Chancen und wird mit der langfristigen Annäherung der ungarischen Kaufkraft an den EUDurchschnitt weiter wachsen. Zu den Standortvorteilen Ungarns zählen insbesondere die günstigen Lohnkosten, die befragten Manager sehen aber auch Vorteile in der Qualifikation der ungarischen Mitarbeiter. Skaleneffekte spielen für die Strategieentscheidung ebenfalls eine zentrale Rolle. In erster Linie zählen dazu die Verteilung von Fixkosten über ein größeres Volumen und der Einsatz effizienterer Technologie. Verbundeffekte können deutsche Unternehmen in Ungarn durch Lernen zwischen Tochtergesellschaften in mehreren Ländern realisieren. Außerdem können sie das Engagement in Ungarn als Realoption für eine weitere Expansion in die Nachbarländer Ungarns sowohl auf Absatz -als auch auf Produktionsseite nutzen. Die zuvor beschriebenen Chancen können Manager relativ leicht ausnutzen, da die niedrigen Handels- und Investitionsbarrieren ihnen großen Spielraum bei der Strategiewahl lassen. Trotzdem dürfen diese Barrieren nicht vernachlässigt werden. Manager müssen sich über die genaue Höhe der Barrieren für einen konkreten Standort und über die Möglichkeiten zu deren Überwindung klar werden. Investitionsbarrieren bestehen in Ungarn in erster Linie in Form von Bürokratie und Korruption. Weiterhin besteht noch ein gewisses Inflationsrisiko, und die physische Infrastruktur ist

212

Strategie wählen

– mit großen regionalen Unterschieden – teils schwach. Außerdem treffen deutsche Unternehmen auf kulturelle Unterschiede und Sprachbarrieren. Handelsbarrieren zwischen Deutschland und Ungarn treten in Form von (zuletzt geringen) Wechselkursschwankungen sowie in Form von kulturellen Unterschieden und Sprachbarrieren auf.

Chancen nutzen Basierend auf den beschriebenen Assen und Barrieren müssen deutsche Unternehmen ihre Strategie für eine Expansion nach Ungarn entwickeln. Es lohnt sich, diese Strategiewahl mit großem Bedacht vorzunehmen – Funktion für Funktion und Produkt für Produkt, denn nicht für jeden Teil des Unternehmens sind die gleichen Asse und Barrieren gleich relevant: Es gibt daher keine „one size fits all“-Strategie für die Expansion nach Ungarn. Bei der Entwicklung einer Expansionsstrategie für Ungarn lohnt es sich ebenso, davon zu lernen, wie andere Unternehmen die Chancen Ungarns nutzen. Die folgenden Strategien sind teilweise bereits jetzt unter deutschen Unternehmen in Ungarn verbreitet, teilweise sind sie erst in jüngster Vergangenheit von Vorreitern entwickelt worden und werden in der Zukunft eine weite Verbreitung finden.

(1) Ungarn-Engagement konsequent weiterentwickeln Die Investitions- und Handelsbarrieren für deutsche Unternehmen in Ungarn sind bereits vor Jahren auf ein niedriges Niveau abgesunken. Deshalb hat sich das Ungarn-Engagement vieler deutscher Unternehmen in den letzten Jahren weit reichend verändert. Der Beitritt Ungarns zur EU hat die niedrigen Barrieren vielen Unternehmen noch einmal vor Augen geführt und dadurch diesen Trend verstärkt. Viele Unternehmen werten ihre Wertschöpfung in Ungarn erheblich auf: Ehemals strikt lohnveredelnde Betriebe haben sich zu Kompetenzzentren mit Produktverantwortung und Anwendungsentwicklung gewandelt. Diese Unternehmen realisieren durch die Ausnutzung der ungarischen Standortvorteile in weitaus mehr als nur in den besonders arbeitsintensiven Produktionsschritten Einsparpotenziale. Deutsche Unternehmen, die erst jetzt nach Ungarn kommen, müssen sich bewusst sein, dass sie diese Chancen von Anfang an nutzen können und dass sie damit Wettbewerbsvorteile gegenüber Konkurrenten aufbauen können.

(2) Einfache Produktion weiterreichen und koordinieren Gleichzeitig birgt ein Produktionsstandort in Ungarn die Option, einzelne besonders arbeitsintensive Prozesse in noch günstigere Länder zu verlagern, zum Beispiel nach Rumänien oder in die Ukraine. Die Koordination des neuen Standorts erfolgt dann von Ungarn aus und

Empfehlungen für Manager

213

umgeht damit hohe Investitions- und Handelsbarrieren, wie sie bei einem Engagement in einem dieser Länder von Deutschland aus auftreten würden. Insbesondere die ständig unter einem hohen Kostendruck stehenden Automobilzulieferer haben diesen Weg bereits in mehreren Fällen schon gewählt. Für deutsche Unternehmen aus anderen Branchen kann diese Option genauso attraktiv sein.

(3) Ungarn effizient als Absatzmarkt und regionale Verkaufsplattform nutzen Der ungarische Absatzmarkt ist in seiner Größe mit den westeuropäischen Märkten nicht zu vergleichen. Ein Engagement in Ungarn mit einem Vertriebsbüro erfordert daher eine besonders effiziente Marketing & Vertriebsfunktion. Deutsche Unternehmen können von der zentralen Lage Ungarns in Osteuropa profitieren, wenn sie mit einer Marketing & Vertriebsorganisation in Ungarn die umliegenden Märkte bedienen. Diese Märkte sind größtenteils noch deutlich kleiner als Ungarn und rechtfertigen eigene Marketing & Vertriebsorganisationen nicht immer. In Summe sind sie jedoch durchaus attraktiv, wenn deutsche Unternehmen sie effizient von Ungarn aus bedienen.

9.2

Strategie umsetzen: Operative Erfolgsfaktoren

Die Wahl einer auf die Herausforderungen des Geschäfts und die ungarischen Asse und Barrieren abgestimmten Strategie ist noch kein alleiniger Garant für den Erfolg in Ungarn. Damit sich dieser Erfolg einstellt, müssen deutsche Unternehmen die operative Umsetzung ihrer Strategie an das ungarische Geschäftsumfeld anpassen. Die folgenden sind die wichtigsten fünf operativen Erfolgsfaktoren. Die Rekrutierung ungarischer Manager ist der wichtigste operative Erfolgsfaktor. Nur mit ungarischen Führungskräften können deutsche Unternehmen in Ungarn erfolgreich sein: In einem personalreichen Produktionsunternehmen mit vielfältigen Personalführungsaufgaben trifft dies genauso zu wie in einem Vertriebsbüro, das detaillierte Kenntnisse des lokalen Markts erfordert. Die Kommunikation der Strategie an alle Mitarbeiter ist ebenfalls für den Erfolg in Ungarn essenziell und von deutschen Managern unbedingt sicherzustellen. Auch den Mitarbeitern in der Produktion muss der Sinn für das Ganze des Unternehmens vermittelt werden, damit dieser seine Rolle im Unternehmen kennt. Strategieänderungen erfordern eine besonders intensive Kommunikation, damit die ungarischen Mitarbeiter die Neuausrichtung voll unterstützen.

214

Ausblick: Zukünftige Herausforderungen

Die Expansion nach Ungarn muss mit einem klaren strategischen Ziel erfolgen. Es sind grundsätzlich verschiedene Wege, ein Engagement in Ungarn mit einem Vertriebsbüro oder mit einem Produktionsstandort zu beginnen. Ein Vertriebsbüro in Ungarn muss aufgrund der Preissensitivität und der begrenzten Größe des Markts besonders effizient sein. Bei der Eröffnung eines Produktionsbetriebs in Ungarn muss ein deutsches Unternehmen wissen, welche Standortvorteile es wie ausnutzen will. Ein solides System zur Erfolgsmessung ist ein weiterer operativer Erfolgsfaktor, den deutsche Manager in Ungarn nicht unterschätzen dürfen. Von besonders großer Bedeutung ist eine solide Erfolgsmessung, wenn nur marktferne Aktivitäten in Ungarn angesiedelt sind und das Unternehmen nur über die Kostenseite zu steuern ist. Deutsche Manager müssen mit einem System zur Erfolgsmessung auch Ziele transparent machen. Beziehungen spielen im ungarischen Geschäftsumfeld eine besondere Rolle. Deutsche Manager in Ungarn müssen weitaus mehr Zeit und Energie in die Entwicklung von Beziehungen investieren als ihre Kollegen in Deutschland. Sowohl in der Zusammenarbeit mit staatlichen Institutionen wie auch mit ungarischen Geschäftspartnern können kleinere Probleme durch den Aufbau guter Beziehungen einfacher gelöst werden.

9.3

Ausblick: Zukünftige Herausforderungen

Für die Zukunft erwarten wir, dass die folgenden drei Herausforderungen verstärkt auf der Tagesordnung von Managern deutscher Unternehmen in Ungarn stehen werden.

Ungarische Lieferanten entwickeln Bislang war die wesentliche Motivation deutscher Unternehmen in Ungarn, die die Strategie der Globalen Integration gewählt haben, mit Produktionsaktivitäten in Ungarn vor allem die günstigeren ungarischen Lohnkosten für personalintensive Fertigungsschritte auszunutzen. Wie erste Unternehmen bereits erkannt haben, können deutsche Unternehmen diese Lohnkostenvorteile aber nicht nur in den selbst gefertigten Produkten nutzen, sondern auch in den eingekauften Vorprodukten. Da ungarische Lieferanten bislang aber meist die für deutsche Unternehmen erforderliche Qualität nicht oder nicht konstant bieten können, wird die Entwicklung ungarischer Lieferanten in der Zukunft deutlich an Bedeutung gewinnen. Damit haben Manager die Chance, auch den Block der Materialkosten auf die günstige Basis der ungarischen Standortvorteile zu stellen. Dazu ist es nicht unbedingt notwendig, die Beschaffungsfunktion in Ungarn anzusiedeln oder sie zu dezentralisieren und damit Skaleneffekte aufzugeben. Aber das ungarische

Empfehlungen für Manager

215

Tochterunternehmen muss die Möglichkeiten haben, in die Entwicklung lokaler Lieferanten zu investieren, und diese Chance intensiv nutzen.

Unterstützungsfunktionen verstärkt integrieren Interne Dienstleistungen sind bisher nur begrenzt in Ungarn angesiedelt worden. In den meisten Fällen sind diejenigen internen Dienstleistungen in Deutschland geblieben, die dort Wertschöpfung unterstützen, während in Ungarn interne Dienstleistungen vor Ort erbracht werden, die die lokale Wertschöpfung unterstützen. Diese Ansiedlung von internen Dienstleistungen fast ausschließlich nach der Nähe zur Wertschöpfung wird in der Zukunft längst nicht mehr die einzige Strategie sein. Natürlich werden rechtliche Angelegenheiten auch weiterhin lokal gelöst werden müssen. Aber konzernweit standardisierbare Unterstützungsfunktionen wie zum Beispiel die IT werden deutlich stärker an einem Ort konzentriert werden, um Skalenvorteile zu erreichen. Deutsche Unternehmen haben mit der Verlagerung von Unterstützungsfunktionen begonnen. Dieser Trend wird sich verstärken, und Manager deutscher Unternehmen in Ungarn werden in Zukunft die Standortvorteile auch bei einzelnen Unterstützungsfunktionen dem Unternehmen zugänglich machen müssen.

Forschung & Entwicklung ausbauen Viele Unternehmen waren in der Vergangenheit zögerlich, Forschungs & Entwicklungsaktivitäten von ihrem Stammsitz ins Ausland zu verlagern. Im Fall von Ungarn haben aber viele Unternehmen das günstige lokale Forschungs & Entwicklungs-Talent erkannt, sodass sie in Ungarn schon bis zur Anwendungsentwicklung Verantwortung übernommen haben. Der erhebliche Druck auch auf die Forschungs & Entwicklungsausgaben und das hohe ungarische Bildungsniveau werden dazu führen, dass ungarische Unternehmen auch den Schritt von der Anwendungs- zur Produktentwicklung gehen werden. Deutsche Manager in Ungarn werden sich daher in Zukunft verstärkt um die Rekrutierung und Bindung von Forschungs & Entwicklungsmitarbeitern bemühen müssen. Gleichzeitig wird es damit eine ihrer zentralen Aufgaben, durch erstklassige Innovationen das ganze Konzernunternehmen im globalen Wettbewerb nach vorne zu bringen.

Teil III Tschechien als Markt und Standort deutscher Unternehmen

10.

Tschechien: Mitte des neuen Europas

von Johannes Doll und Lukas Schönberger

Die fortschreitende Globalisierung macht es für deutsche Unternehmen immer bedeutsamer, ihre Aktivitäten für die Zukunft wettbewerbsfähig zu halten. Eine internationale Ausrichtung des Absatzes hat schon in vielen Fällen stattgefunden, doch vor allem in Bezug auf die Kostenstruktur steht für viele Manager und Unternehmer eine weitere Internationalisierung der Wertschöpfung weit oben auf der Agenda. Hierbei stehen zumeist zahlreiche Optionen in verschiedenen Regionen der Welt zur Auswahl. Da sich aber große Niedriglohnländer wie Indien und China häufig als stark risikobehaftet erweisen, betrachten wir im Folgenden mit Tschechien ein EU-Land, dessen Wirtschaftszentren vom deutschen Stammsitz zum Teil sogar weniger weit entfernt sind als Städte am anderen Ende Deutschlands. Dabei werden wir klären, welche Teile der Wertschöpfungskette in Tschechien effektiv realisiert werden können, etwa inwieweit die Tschechische Republik als „China Europas“ als günstiger Produktionsstandort dienen kann und ob sie – wie Indien – in den Ingenieursdisziplinen zu Deutschland aufzuschließen kann und somit einen Entwicklungsstandort der Zukunft darstellt. Da das Land noch heute in vielen Punkten von seiner Geschichte beeinflusst wird, werden wir zunächst kurz die historische Entwicklung Tschechiens und seine Bedeutung für die deutsche Wirtschaft betrachten.

Historie und Bedeutung Tschechiens Epochen der Fremdbestimmung Die Tschechische Republik blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. In ihrer Historie musste sie zahlreiche Perioden der Fremdbestimmung ertragen. Bis 1918 waren Böhmen und Mähren Teil der österreichischen Monarchie. Hierauf folgte eine kurze Epoche der Eigenständigkeit, die 1938 mit der Errichtung des „Protektorats Böhmen und Mähren“ endete. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Tschechien Teil der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik (ýSSR), deren liberale Tendenzen – gipfelnd im Prager Frühling 1968 – stets von sowjetischer Seite im Keim erstickt wurden. Dennoch gehörte Tschechien zu den mittel- und osteuropäischen Ländern, die bereits im ehemaligen Ostblock für dessen Verhältnisse relativ hochwertige Konsum- und Investitionsgüter

220

Ausblick: Zukünftige Herausforderungen

herstellten, wodurch standortspezifische Kompetenzen ausgeprägt und die Entwicklung eines hoch qualifizierten ArbeitskräftePotenzials ermöglicht wurden.133

Der Weg ins Hier und Jetzt Der Weg hin zu der heutigen Form der Tschechischen Republik wurde erst am 17. November 1989 eingeschlagen. Ähnlich wie in den sozialistischen Nachbarstaaten fand zu Beginn des Umbruchs eine von der Polizei aufgelöste Studentendemonstration statt. Die Nachwirkungen dieser Aktion gipfelten zehn Tage später in einem Generalstreik, der erst nach dem Rücktritt des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei zum Jahreswechsel endete. Aufgrund der relativen Gewaltlosigkeit gingen die Ereignisse als „samtene Revolution“ in die tschechische Geschichte ein. Bis zu den Neuwahlen im Juni 1990 leitete eine Übergangsregierung unter dem Interimspräsidenten Václav Havel die Geschicke der Tschechoslowakischen Föderationsrepublik (ýSFR) mit der Tschechischen und der Slowakischen Republik als gleichberechtigte Föderationen.

Der steinige Weg von der samtenen Scheidung zum Aufschwung In ihrer heutigen Form als Staat mit eigener Währung existiert die Tschechische Republik erst seit dem 31.12.1992, dem Zeitpunkt der „samtenen Scheidung“ von der Slowakei. Von diesem Tag an verfolgte die Tschechische Republik einen konsequenten Öffnungskurs. Zu diesem gehörten unter anderem der WTO- und OECD-Beitritt der Tschechischen Republik im Jahr 1995 sowie die Freigabe der Währungskonvertibilität als „managed float“ (freie Kurse mit korrigierenden Eingriffen der Zentralbank) im gleichen Jahr. Wie in Abbildung 84 zu sehen, ermöglichten der Öffnungskurs nach der Erlangung der Eigenständigkeit und die konsequente Ausrichtung auf westliche Marktwirtschaft ein starkes Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 5,9% im Jahr 1995 und 4,2% im Jahr 1996134. Dieses verringerte sich jedoch in den zwei Folgejahren erheblich, als die tschechische Zentralbank trotz Verkaufs substanzieller Devisenreserven in Höhe von 3 Milliarden US-Dollar nicht in der Lage war, die tschechische Krone gegen den Abwertungsdruck zu verteidigen. Folge hiervon war eine Abwertung der Krone, die ein striktes Sparprogramm der Regierung nötig machte. Nach Überwindung der Krise im Jahr 1997 kehrte die Krone wieder zu einem „managed float“ zurück – zunächst gebunden an die Deutsche Mark und nun an den Euro – und weist seitdem sehr geringe Inflationsraten auf.

133 Vgl. Dauderstädt (2004), S.15-24. 134 Vgl. Trampisch (2005), S.3ff.

Tschechien: Mitte des neuen Europas

221

Veränderung zum Vorjahr in Prozent BIP in Mrd. CZK

6

2.000

5 1.600

4 3

1.200

2 800

1 0

400

-1 -2

0 1995

1996

1997

1998

1999

2000

2001

2002

2003

2004

Abbildung 84: BIP und Veränderung zum Vorjahr135 Nachdem die Nachwirkungen der Währungskrise 1999 abgeebbt waren, kehrte die Tschechische Republik wieder auf einen stabilen Wachstumskurs zurück, den sie seitdem fortsetzt (siehe Abbildung 84). Dieser wurde in erster Linie durch Direktinvestitionen ausländischer Investoren und steigende Exportleistungen vorangetrieben.

Eine Nation auf Wachstumskurs Die wirtschaftlichen Erfolge, der EU-Beitritt im Mai 2004 und die Hoffnung, den Euro bis zum Ende dieses Jahrzehnts übernehmen zu können, sind relevante Gründe dafür, dass das Selbstbild Tschechiens sich innerhalb der letzten 15 Jahre von einem fremdbestimmten Ostblockstaat zu einem erfolgreichen Mitglied der Europäischen Gemeinschaft mit herausragenden Wachstumsaussichten wandeln konnte. Auch die subjektiv gefühlte Lage Tschechiens ist keinesfalls die eines ehemaligen Ostblockstaates, sondern vielmehr die eines aufstrebenden Staates in der Mitte der neuen EU 25, der aus eigener Kraft und mit beachtlichem Tempo dabei ist, zu den übrigen europäischen Staaten aufzuschließen. Um diesem Gefühl Ausdruck zu verleihen, wird in Tschechien häufig darauf hingewiesen, dass Prag kaum östlicher als Berlin liegt. Insofern wurde und wird die Entwicklung der Wirtschaft auch von einem Wandel der Mentalität vorangetrieben.

135 Quelle: Trampisch (2005), S.4.

222

Ausblick: Zukünftige Herausforderungen

Erfolg durch Kooperation Das rapide Aufschließen Tschechiens ist in vielerlei Hinsicht auf ein „Upgrading“ der Angebotsstruktur zurückzuführen. Nicht nur durch Direktinvestitionen, sondern vor allem auch durch die Einbindung Tschechiens in internationale Produktionsverbünde fanden umfassende Wissenstransfers in die Tschechische Republik statt. Diese Einbindung Tschechiens wurde zu einem Großteil von deutschen Partnern vorangetrieben, wie aus den Direktinvestitionen sowie den Außenhandelsbeziehungen zwischen Deutschland und Tschechien zu erkennen ist. Die erwähnten Direktinvestitionen, die seit der Eigenständigkeit Tschechiens ins Land geflossen sind (siehe Tabelle 9), haben mittlerweile zu engen Verflechtungen der deutschen und der tschechischen Wirtschaft geführt. Auch im internationalen Vergleich kann Deutschland mit fast 30% aller Direktinvestitionen als mit Abstand wichtigster Investor in Tschechien bezeichnet werden.136 Dieses Engagement deutscher Unternehmen erklärt teilweise auch die Entwicklung des deutsch-tschechischen Handels. Tabelle 9: Kumulierte ausländische Direktinvestitionen in Tschechien (1993-2004) 137 Land

Mio. Euro

%

Deutschland

12 166

29,7%

Niederlande

6 134

15,0%

Österreich

4 277

10,4%

Frankreich

3 537

8,6%

USA

2 806

6,8%

Schweiz

2 054

5,0%

Belgien

2 011

4,9%

Großbritannien

1 792

4,4%

Japan

779

1,9%

Schweden

599

1,5%

Sonstige

4 830

11,8%

Gesamt

40 985

100,0%

Wie in Abbildung 85 zu erkennen ist, sind Deutschland und die Tschechische Republik enge Handelspartner. Innerhalb des letzten Jahrzehnts sind die Importe und Exporte Tschechiens aus bzw. nach Deutschland mit knapp 15% pro Jahr gestiegen. Parallel zu diesem starken Anstieg ist auch das Ausmaß des Handels mit Deutschland relativ zum tschechischen BIP gestiegen. Während im Jahr 1994 nur 11,3% des Bruttoinlandsprodukts mit Exporten nach

136 Zumal das zweitwichtigste Ursprungsland von Direktinvestitionen in Tschechien – die Niederlande – auch

aus dem Blickwinkel zu betrachten sind, dass hier viele Finanzholdinggesellschaften ihren Stammsitz haben, die oft auch zusätzliches Kapital deutscher Investoren in Tschechien investieren. 137 Quelle: Trampisch (2005), S.8f.

Tschechien: Mitte des neuen Europas

223

700

40%

600

35%

500

30% 25%

400

20%

300

15%

200

10%

100

5%

0

Prozent

Mrd. CZK

Deutschland erwirtschaftet wurden, waren es im Jahr 2004 bereits 35%. Das bedeutet, jeder dritte Arbeitsplatz in Tschechien hängt unmittelbar vom Absatz deutscher Unternehmen ab.

0% 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 Tschechische Importe Anteil Exporte am BIP

Tschechische Exporte Anteil Importe am BIP

Abbildung 85: Deutsch-tschechische Handelsbeziehungen138 Doch auch jenseits von Direktinvestitionen und Handel ist Tschechien ein wichtiger Wirtschaftspartner für deutsche Unternehmen. Von Mittelständlern in Familienhand bis hin zu global agierenden Konzernen wird die Tschechische Republik nicht nur als attraktiver Produktions- und zunehmend auch als bedeutender Entwicklungsstandort, sondern auch als attraktiver Absatzmarkt gesehen.

138 Trampisch, Alexander (2005), S.9.

Strategiewahl: mit welcher Ausrichtung nach Tschechien?

100

11.

Globale Integration

80

90

Geschäftstransfer

60

Maschinenbau

50

Elektronik

40

Chemische Industrie Pharmaindustrie

30

Lokalisierung (in Prozent)

70

Automobil

0

10

20

Exportorientierung

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

Integration (in Prozent)

Abbildung 86: Strategische Positionierung der 55 befragten Unternehmen Basierend auf unseren persönlichen Interviews in Tschechien sowie dem dabei erstellten Datensatz beleuchten wir die Aktivitäten deutscher Unternehmen in Tschechien nun aus der strategischen Perspektive. Hierzu analysieren wir zunächst, welcher der drei Internationalisierungsstrategien aus dem letzten Kapitel die Tochtergesellschaften in ihrer heutigen Form zuzuordnen sind, um dann in einem zweiten Schritt herauszufinden, wie sich die Strategien innerhalb eines 5-Jahreshorizonts verändern werden.

226

Strategien heute

11.1 Strategien heute Abbildung 86 zeigt die strategische Ausrichtung aller 55 befragten Unternehmen im Überblick. Jedes befragte Unternehmen wird dabei durch einen Datenpunkt dargestellt, dessen Lage sich durch das Gewicht der einzelnen Strategien bestimmt. Die Werte ergeben sich aus den Ergebnissen unserer Gespräche, in denen wir die Unternehmensvertreter für jede Unternehmensfunktion nach lokaler Wertschöpfung und Vorleistungen durch die Mutter befragten. Unternehmen, die Tschechien als abgeschlossenen Markt betrachten, den Großteil der Wertschöpfung also lokal realisieren, keine internationalen Absatzmärkte von Tschechien aus bedienen und sehr unabhängig von der Muttergesellschaft agieren, liegen tendenziell nah an der linken oberen Ecke (Geschäftstransfer). Je stärker Unternehmen in ein internationales Unternehmensnetzwerk eingebunden sind, also eine klar definierte Rolle in der global integrierten Wertschöpfung des Unternehmens übernehmen, desto weiter verschiebt sich der entsprechende Punkt in Richtung der rechten oberen Ecke (Globale Integration). Lässt sich ein Tochterunternehmen primär als Vertriebsgesellschaft beschreiben, die keine oder nur wenig Wertschöpfung für das Gesamtunternehmen erbringt, findet es sich in der Matrix nahe der rechten unteren Ecke wieder (Exportorientierung). Die größeren weißen Punkte repräsentieren die heutigen Branchendurchschnitte, an den Pfeilen ist die geplante Entwicklung innerhalb der nächsten fünf Jahre abzulesen.

Exportorientierung noch führend Es ist auf den ersten Blick erkennbar, dass die beiden Strategien Exportorientierung und Globale Integration in Tschechien klar dominieren. Der Geschäftstransfer spielt lediglich in Einzelfällen eine Rolle. Dies lässt bereits erste Schlüsse über die klassischen Rollen deutscher Tochtergesellschaften in Tschechien zu. Tschechien ist vom reinen Marktvolumen nicht attraktiv genug, um ein eigenes Geschäft mit sämtlichen Wertschöpfungsstufen zu rechtfertigen. Daher stehen im Prinzip zwei Strategien zur Auswahl. Entweder übernimmt der Stammsitz in Deutschland den Großteil der Wertschöpfung und versorgt das kleine Nachbarland mit den entsprechenden Vorleistungen, sodass dort hauptsächlich Vertriebsfunktionen angesiedelt sind. Oder aber die Standortvorteile in Tschechien rechtfertigen die Verlagerung wichtigerer Wertschöpfungsstufen, sodass Tschechien die Rolle eines Rädchens in der globalen Wertschöpfung des Unternehmens übernimmt.

Strategiewahl: mit welcher Ausrichtung nach Tschechien?

227

Abbildung 87: Entwicklung der Strategien in Tschechien nach Branchen Abbildung 87 lässt die Entwicklung der Strategien deutscher Unternehmen in Tschechien in den fünf untersuchten Branchen erkennen. Dabei steht jeweils die linke Säule für die strategische Ausrichtung zum heutigen Zeitpunkt, die rechte stellt die (geplante) Strategie in fünf Jahren dar, die wir auf Basis der Planung unserer Interviewpartner ermitteln konnten. Die Strategien unterscheiden sich in den einzelnen Branchen recht deutlich. Am weitesten fortgeschritten ist die Globale Integration im Automobilsektor, der weiterhin seinen Anteil an Exportorientierung abbauen und sich schrittweise auf den Archetyp Global Integrierter Unternehmen zubewegen wird. Eine ähnliche Entwicklung wird der Maschinenbau nehmen, der ebenfalls schon einen signifikanten Anteil Globaler Integration aufweist. Die Elektrotechnik weist dagegen eine deutlich höhere Exportorientierung auf und ist die Branche, die im Durchschnitt die geringsten Veränderungen erwarten lässt. In der Chemiebranche liegt der Fokus zwar noch klar auf Exportorientierung, allerdings kann man sich hier auf einen Anstieg Globaler Integration einstellen. Eine umgekehrte Entwicklung ist hingegen im Pharmabereich zu erwarten. Die Branche zeigt schon heute eine klare Dominanz exportorientierter Strategien und wird diese Tendenz noch verstärken. Im Durchschnitt aller Unternehmen erreicht die Exportorientierung heute mit 44% den Spitzenplatz unter den Strategien, allerdings schon jetzt recht dicht gefolgt von Globaler Integration mit einem Anteil von 37%. Aufgrund der vollkommen unterschiedlichen Charakteristika der einzelnen Branchen und damit jeweils anderen Assen und Barrieren, die den Ausschlag für eine bestimmte Strategie geben, überraschen die strategischen Unterschiede zwischen den einzelnen Sektoren nicht. Eine detaillierte Diskussion der Branchenspezifika erfolgt in Kapitel 5.

228

Wie wird die Zukunft aussehen?

11.2 Wie wird die Zukunft aussehen? Mit Blick auf den Durchschnitt aller Industrien zeigt sich ein Anstieg der Globalen Integration zu Lasten der Exportorientierung, der hauptsächlich durch die Automobilindustrie, den Maschinenbau und die Elektronikbranche getrieben wird (Abbildung 88). Da eine Verschiebung im niedrigen Prozentbereich vielleicht zunächst wenig beeindruckend erscheinen mag, rufen wir uns nochmals die Einteilung der Unternehmen aus Abbildung 86 ins Gedächtnis. Während heute 28 primär exportorientierte Unternehmen 24 global integrierten gegenüberstehen, wird sich dieses Verhältnis in fünf Jahren deutlich verschoben haben. Während dann nur noch 26 Unternehmen in erster Linie exportorientiert sein werden, werden 27 den Status global integrierter Tochtergesellschaften erreicht haben139. Die Anzahl der Geschäftstransfers wird voraussichtlich von drei auf dann zwei Unternehmen sinken. Dies spricht für eine deutliche Aufwertung der Aktivitäten in Tschechien. Auch Unternehmen, für die Tschechien bislang nur als Absatzmarkt eine Rolle spielt, scheinen also die Standortvorteile des kleinen Nachbarlandes erkannt zu haben, und planen, höherwertige Wertschöpfungsstufen nach Tschechien zu verlagern. Tschechien wird im internationalen Unternehmensverbund also eine zunehmend wichtige Stellung einnehmen.

2%

-1% -1%

Alle Branchen

5% Automobilindustrie

-1%

-4%

3% Maschinen- & Anlagenbau

1% -4% 1%

-1%

Elektronikindustrie

4% Chemische Industrie

-3%

-1% -1%

Pharmaindustrie

-2% 3%

Veränderung Globale Integration

Veränderung Geschäftstransfer

Veränderung Exportorientierung

Abbildung 88: Entwicklung der Strategien in den nächsten 5 Jahren 139 Diese Zahlen basieren auf der Einschätzung unserer Gesprächspartner, welcher der drei Strategien die

Ausrichtung ihres Unternehmens heute und in fünf Jahren am nächsten kommt.

Strategiewahl: mit welcher Ausrichtung nach Tschechien?

229

Repräsentative Beispiele für dieses Phänomen lassen sich leicht finden. Zum Beispiel trägt man sich bei Leitz, einem Hersteller von Werkzeugen für holz- und metallverarbeitende Maschinen, der bislang nur mit einem Vertriebsbüro mit kleinen Montagetätigkeiten in Tschechien vertreten ist, mit dem Gedanken, Teile der Produktion aus Deutschland nach Tschechien zu verlagern.

11.3 Gibt es die Erfolgsstrategie? Besteht ein Zusammenhang zwischen gewählter Strategie und finanziellem Erfolg? Haben die deutschen Unternehmen in Tschechien vielleicht die globale Integration als finanziell lukrativere Alternative erkannt und lässt sich so der Trend in der Strategiewahl erklären? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, befragten wir die Unternehmen auch nach ihrem finanziellen Erfolg der Tochtergesellschaft und zwar zu dessen zeitlicher Entwicklung und im Vergleich zur Konkurrenz. Dabei scheinen primär exportorientierte Unternehmen sowohl bei Umsatzrendite als auch bei Kapitalrendite leicht erfolgreicher zu sein als global integrierte Tochtergesellschaften. Lediglich im Maschinenbausektor sind global integrierte Unternehmen leicht besser – und entsprechend wird ausgerechnet hier der Anteil global integrierter Unternehmen in 5 Jahren deutlich steigen. Allerdings sind solche Aussagen mit großer Vorsicht zu genießen. Zum einen hat ein Großteil der Unternehmen Schwierigkeiten, seinen eigenen Erfolg im Vergleich zum Wettbewerb zu beurteilen, da gerade die Profitabilität ein bei nicht börsennotierten Unternehmen gut gehütetes Geheimnis darstellt. Eine weitere Verzerrung der Ergebnisse tritt dadurch auf, dass global integrierte Tochterunternehmen im typischen Fall einen wichtigen Produktionsstandort des Unternehmens darstellen, von dem aus auch andere Konzernteile mit den Produkten versorgt werden. Da diese Art unternehmensinterner Exporte meist zu Vollkosten abgerechnet wird, werden die Gewinne für die in Tschechien erbrachte Wertschöpfung im Empfängerland realisiert. Dies führt zu einer systematischen Unterbewertung des finanziellen Erfolgs der tschechischen Töchter. Die beobachtete Entwicklung lässt sich also nicht auf harte Zahlen zurückführen. Die Wahl der Strategie ergibt sich vielmehr aus der individuellen Situation des Unternehmens. Geschäftstransfer tritt beispielsweise ausschließlich in der Chemischen Industrie auf, in der bestimmte Produkte prohibitiv hohe Transportkosten verursachen, was eine Integration der Produktion über Landesgrenzen hinweg unmöglich macht. Die Wahl zwischen Exportorientierung und Globaler Integration vollzieht sich anhand der Entscheidung, wie Erfolg versprechend die Verlagerung einzelner Aktivitäten nach Tschechien ist. Dabei ist wiederum die individuelle Wahrnehmung der Asse und Barrieren entscheidend, die im Folgenden näher diskutiert werden. Festzuhalten bleibt dennoch, dass der Standort Tschechien für höherwertige Wertschöpfungsaktivitäten zunehmend an Attraktivität gewinnt.

12.

Rahmenbedingungen Tschechiens als Markt und Standort

Welche Gründe geben den Anstoß für die Aktivitäten deutscher Unternehmen in der Tschechischen Republik? Welche Asse spielen erfolgreiche Unternehmen aus, um aus ihrer Präsenz in Tschechien den maximalen Nutzen zu ziehen? Wird Tschechien primär als attraktiver Absatzmarkt betrachtet, oder lassen sich höherwertige Teile der Wertschöpfungskette in Tschechien effizienter durchführen als im Heimatland? Was sind die wichtigsten Hindernisse und Barrieren, mit denen sich deutsche Firmen in Tschechien auseinander setzen müssen? Antworten auf diese zentralen Fragen zum tschechischen Geschäftsumfeld zu finden, war ein zentraler Bestandteil unserer Unternehmerinterviews.

12.1 Die Asse – Wovon profitieren die Deutschen in Tschechien?

Völlig unwichtig 1

I)

Verbundvorteile

II)

Marktchancen

III)

Standortvorteile

IV)

Skalenvorteile

Neutral 2

4

2,5 2,1 2,0 1,8

Lernen zw. Tochtergesellschaften

I

Sehr wichtig

3

3,3

Realoptionen für künftige Expansion

3,0

Gemeinsame Managementfunktionen

3,0

3,6

Hohes Marktwachstum

II

2,7

Hohes Marktvolumen

2,5

Kernkompetenzen nutzen

3,8

Geringere Lohnkosten

III

3,1

Hohe Mitarbeiterqualifikation

2,6

Günstigere Grundstückspreise

Lernkurveneffekte

IV

Fixkostendegression Effiziente Technologie

1,9 1,9 1,9

Abbildung 89: Bedeutung der Asse in Tschechien (alle Unternehmen)

5

232

Die Asse – Wovon profitieren die Deutschen in Tschechien?

Verbundvorteile, und damit Synergien über Landesgrenzen hinweg, werden von deutschen Unternehmen in Tschechien als wichtigstes Ass eingeschätzt (siehe Abbildung 89). Die Attraktivität Tschechiens als Absatzmarkt und die Standortvorteile folgen mit etwas Abstand nahezu gleichauf. Dabei profitieren Unternehmen, die in Tschechien einen Produktionsstandort unterhalten, tendenziell eher von den Standortvorteilen, während alle übrigen Unternehmen die Marktchancen höher bewerten (siehe Abbildung 90). Skalenvorteile spielen aufgrund der geringen Marktgröße im Kontext globaler Absatzmärkte eine eher untergeordnete Rolle. Dieses Ergebnis gibt Aufschluss über die Rolle, die tschechische Tochtergesellschaften in vielen Fällen im internationalen Unternehmensverbund spielt. Tschechien wird nicht als isolierter Standort betrachtet, der durch das eigene Marktpotenzial besticht, sondern nimmt in vielen Fällen eine Vorreiterrolle innerhalb der zunehmend lukrativer werdenden mittel- und osteuropäischen Region ein. In der Tat wurden und werden in vielen Fällen osteuropäische Märkte über das tschechische Sprungbrett erschlossen oder die gesamte Region von Tschechien aus koordiniert.

Völlig unwichtig

Neutral

1

I)

2

3

Marktchancen

III)

Standortvorteile

IV)

Skalenvorteile Produktion in Tschechien

5

2,7

Verbundvorteile

II)

Sehr wichtig 4

2,3 2,0 2,3 2,4 1,7 2,0 1,6 Keine Produktion in Tschechien

Abbildung 90: Bedeutung der Asse in Abhängigkeit von Produktion in Tschechien

12.1.1 Verbundvorteile – Tschechien als Vorreiter in einem neuen Markt Quer durch alle untersuchten Branchen werden Verbundvorteile als das wichtigste Ass bewertet. Selbst bei produzierenden Unternehmen stehen sie höher im Kurs als die tschechischen Standortvorteile. Aber was bedeutet das konkret? Welche Synergien werden länderübergreifend genutzt, und wie profitieren Unternehmen innerhalb eines überregionalen Verbundes? Als wichtigster Verbundaspekt wird die Möglichkeit genannt, im Unternehmensverbund von anderen Tochtergesellschaften zu lernen. Mit etwas Abstand folgt die Bedeutung Tschechiens als Option für weitere Expansion und die Chance, von gemeinsamen Management- und Supportfunktionen über Landesgrenzen hinweg zu profitieren (siehe Abbildung 89).

Rahmenbedingungen Tschechiens als Markt und Standort

233

Lernen zwischen Tochtergesellschaften Die Märkte Mittel- und Osteuropas gelten als die derzeit wichtigste Wachstumsregion Europas. Kaum ein international ausgerichtetes Unternehmen kann es sich daher leisten, auf Präsenz in den neuen Märkten zu verzichten. Auch wenn teils deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Märkten bestehen und die Entwicklung zu modernen Marktwirtschaften in unterschiedlichem Tempo voranschreitet, bieten sie doch erhebliches Potenzial, Synergien zwischen den einzelnen Ländern zu realisieren. In diesem Zusammenhang halten es knapp 75% der von uns befragten Unternehmen für wichtig, dass zwischen den verschiedenen Tochtergesellschaften ein reger Austausch von Marktwissen und Erfahrungen stattfindet. Dabei befindet sich Tschechien in der überwiegenden Zahl der Fälle in einer Art Lehrmeisterrolle für die übrigen Märkte. Nicht selten sind Töchter im osteuropäischen Unternehmensverbund mit Problemen konfrontiert, die in Tschechien bereits erfolgreich überwunden werden konnten. Von den Tschechen lernen bedeutet daher oft, auftretende Barrieren schneller und effizienter zu überwinden. Auch bei einem Hersteller von Sicherheitsausrüstung ist Tschechien den übrigen Märkten in Mittel- und Osteuropa stets einen Schritt voraus. Meist werden neue Produkte zuerst in Tschechien auf den Markt gebracht und man muss sich mit neuen Wettbewerbern oder geänderten Marktbedingungen auseinander setzen, bevor dies im Rest der Region der Fall ist. In regelmäßigen Meetings wird das erworbene Wissen transferiert, um die anderen Tochtergesellschaften für die kommenden Herausforderungen zu rüsten. So offensichtlich derartige Vorteile erscheinen mögen, besteht bei dieser Art des Wissensaustauschs bei zahlreichen Unternehmen noch Nachholbedarf. Selbst bei namhaften Unternehmen gibt es keine oder nur mangelhafte Abstimmung zwischen den einzelnen Ländern Osteuropas. Oftmals geschieht Kooperation über Landesgrenzen hinweg eher zufällig und ist hauptsächlich vom guten Verhältnis der Geschäftsführer untereinander getrieben. An diesem Punkt ist die Zentrale in Deutschland gefragt, entsprechenden Wissensaustausch zu institutionalisieren. Freilich sind die Möglichkeiten, voneinander zu lernen, stark von der Branche abhängig. Während man bei Škoda beispielsweise überzeugt ist, dass sich die Ostmärkte hinreichend ähnlich sind, um zahlreiche Synergien zu nutzen, sieht man dies bei einem Halbleiterhersteller völlig anders. Im Halbleitergeschäft ist Tschechien seiner Region so weit voraus, dass Synergien in erster Linie mit Westeuropa oder Japan, nicht aber mit Ungarn oder Polen zu realisieren sind.

Realoption für weitere Expansion – Der Weg nach Osten führt über Tschechien Ein führender Anbieter von Automatisierungs- und Energieverteilungstechnik, verstärkt derzeit seine Präsenz in Osteuropa. Die Expansion des Unternehmens wird nicht etwa aus der Zentrale

234

Die Asse – Wovon profitieren die Deutschen in Tschechien?

koordiniert, sondern von der tschechischen Tochtergesellschaft. Ähnliches gilt für B.Braun: der Medizinausrüster aus Melsungen baut bei seiner Osteuropaexpansion stark auf den die Erfahrungen und Ergebnisse der tschechischen Dependance bei der Ausweitung der Geschäfte gen Osten. Das gleiche Bild bietet sich einem Spezialmaschinenbauer: Während früher West- und Südeuropa die wichtigsten Absatzmärkte waren, wird mittlerweile 80% des Umsatzes in Osteuropa und Russland generiert. Koordinator des Osteuropageschäfts ist wiederum Tschechien. Diese Beispiele sind typisch für die Osteuropastrategien deutscher Unternehmen. Die Option, von Tschechien aus weiter in Richtung Osten zu expandieren, ist der zweitwichtigste Verbundvorteil, der sich aus unseren Gesprächen herauskristallisiert. 60% erwähnten diesen Punkt als wichtiges oder sogar sehr wichtiges Motiv für die Aktivitäten in Tschechien. Vorreiter in diesem Bereich ist die Automobilbranche, die einer Osteuropaexpansion über das Sprungbrett Tschechien mit Abstand die höchste Bedeutung beimisst. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Tatsache interessant, dass sich die Automobilproduktion und somit auch die Zulieferer zunehmend weiter nach Osten verschieben. Offenbar geben die Unternehmenszentralen in Deutschland die Verantwortung für diese Veränderungen zunehmend in die Hände der tschechischen Töchter.

Management über Landesgrenzen hinweg Das bereits diskutierte hohe Potenzial, von Verbundvorteilen zwischen den aufstrebenden Märkten im Osten zu profitieren, lässt sich auch an der Bedeutung ablesen, die die befragten Manager gemeinsamen Management- und Supportfunktionen über Landesgrenzen hinweg beimessen. Bei der Mehrheit internationaler Unternehmen ist Tschechien in eine übergeordnete Regionalorganisation eingebunden, die die verschiedenen Märkte koordiniert. Dabei läuft Prag als Standort für die Regionalführung den anderen Metropolen Mittel- und Osteuropas Budapest, Warschau oder auch Wien zunehmend den Rang ab. Dieses Phänomen unterstreicht nochmals deutlich den Führungsanspruch Tschechiens in der Region. Sowohl exportorientierte als auch global integrierte Unternehmen schätzen die Bedeutung dieses länderübergreifenden Managements hoch ein. Allerdings scheint die Koordination von Absatzmärkten dabei von höherer Bedeutung zu sein als die Koordination grenzüberschreitender Wertschöpfungsketten. Auch im Bereich der einzelnen Unternehmensfunktionen kommt dem länderübergreifenden Management zunehmend Bedeutung zu. Beispielsweise ist die tschechische Tochter des Automobilzulieferers Behr im Begriff, den Osteuropaeinkauf für die Gesamtgruppe zu übernehmen.

Rahmenbedingungen Tschechiens als Markt und Standort

235

12.1.2 Marktchancen – Kleiner Markt mit Potenzial Trotz gerade einmal 10 Millionen Einwohnern und einem Bruttoinlandsprodukt, das etwa 3,6% des deutschen Niveaus erreicht, sind Marktvolumen und insbesondere das Marktwachstum die wichtigsten marktseitigen Motive in Tschechien. Darüber hinaus nutzen deutsche Unternehmen ihre Kernkompetenzen gezielt gegen schwächere tschechische Wettbewerber und sehen darin einen wichtigen Vorteil (siehe Abbildung 89).

Marktgröße und Wachstum Der tschechische Absatzmarkt mag zwar absolut betrachtet im globalen Kontext eher klein sein. Dennoch birgt er Wachstumspotenzial und ist insbesondere im Vergleich zu den übrigen mittel- und osteuropäischen Ländern attraktiv. So lässt sich das Ergebnis unserer Interviews im Bereich der Marktchancen deuten. Tschechiens Wirtschaft ist in den letzten Jahren trotz einiger Rückschläge kontinuierlich gewachsen. 2004 wuchs das Bruttoinlandsprodukt um 4%.140 Die meisten Prognosen lassen auch für die kommenden Jahren Wachstumsraten in ähnlicher Größenordnung erwarten. Ganz im Gegensatz zum stagnierenden Heimatmarkt eröffnen sich für deutsche Unternehmen auf dem tschechischen Markt in allen betrachteten Industrien weiterhin interessante Perspektiven, die im Kapitel der Branchenanalysen detaillierter diskutiert werden. Der Grundtenor der Interviews in den einzelnen Branchen war der folgende: Im Automobilsektor besteht aufgrund der noch deutlich unter EU-Durchschnitt liegenden Automobildichte noch erhebliches Wachstumspotenzial. Zusätzlich verschiebt sich die Nachfragestruktur aufgrund der steigenden Einkommen langsam hin zu höherwertigen Fahrzeugen, wodurch der Markt insbesondere für deutsche Hersteller interessanter wird. Auch im Maschinenbau sieht man optimistisch in die Zukunft. Unternehmen in Tschechien werden in den nächsten Jahren gezwungen sein, hohe Investitionen in ihren Maschinenbestand zu tätigen, um EU-Standards einzuhalten und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Hinzu kommt eine starke Nachfrage nach Maschinen, die von der zunehmenden Zahl ausländischer Direktinvestoren generiert wird. Trotz des dynamischen Aufholprozesses, der in den letzten Jahren etwa bei Fernsehern und CD-Playern die elektrotechnische Branche bestimmt hat, bieten auch in diesem Markt viele Teilbereiche noch erhebliches Wachstumspotenzial. Insbesondere bei PCs, Unterhaltungselektronik und weißer Ware liegt der Konsum in Tschechien noch deutlich unter EUDurchschnitt. Auch der Kommunikations- und Informationsbereich wird zunehmend an Umsatz gewinnen.

140 Vgl. Tschechisches Statistikamt (2005).

236

Die Asse – Wovon profitieren die Deutschen in Tschechien?

Zuversicht herrscht dank steigender Gesundheitsausgaben und zunehmendem Medikamentenkonsum auch im Pharmabereich – trotz diverser Herausforderungen im tschechischen Geschäftsumfeld. Die Attraktivität des tschechischen Marktes ist natürlich nicht unbemerkt geblieben. Gerade einmal 7% der befragten Unternehmen gaben an, in Tschechien einem geringeren Wettbewerb ausgesetzt zu sein als im Heimatmarkt. Das erwartete zusätzliche Marktvolumen wird also hart umkämpft sein.

Überlegene Kernkompetenzen: Mit deutschem Know-how gegen die tschechische Konkurrenz Das Klischee der deutschen Wertarbeit scheint sich in Tschechien zu bestätigen. 98% der befragten Unternehmen versuchen, sich in erster Linie durch überlegene Qualität vom Wettbewerb abzuheben. Gerade einmal ein Fünftel versucht, auch durch Preisführerschaft erfolgreich zu sein. Tatsächlich scheinen die Rollen in vielen Sektoren klar definiert. In den oberen Marktsegmenten liefern sich internationale Unternehmen einen harten Wettbewerb um die Vorherrschaft, während die Niedrigpreissegmente oftmals noch in der Hand lokaler Firmen sind, seien es die tschechischen Generikahersteller im Pharmabereich oder ehemals führende tschechische Traditionsunternehmen wie der Lkw-Hersteller Tatra im Automobilsektor. Obwohl lokale Wettbewerber damit teilweise in anderen Marktsegmenten operieren, sieht ein Großteil der Unternehmen einen wichtigen Aspekt im Bereich Marktchancen darin, Kernkompetenzen des Unternehmens gezielt gegen tschechische Wettbewerber einzusetzen. Natürlich hat dieser Punkt gerade im Vergleich zur ersten Phase nach der Öffnung des tschechischen Marktes mittlerweile etwas an Bedeutung verloren, da in einigen Branchen ein Großteil der lokalen Unternehmen bereits von der übermächtigen Internationalen Konkurrenz verdrängt oder akquiriert wurde und somit kaum noch eine Rolle spielt. Trotzdem verspricht die Strategie, den lokalen Wettbewerb auf der Qualitätsschiene zu attackieren, auch heute noch in vielen Branchen mehr Erfolg, als den Preiskampf zu suchen. Ein gutes Beispiel gibt hierbei die Firma Leitz ab, die Werkzeuge für Holz- und Metallverarbeitungsmaschinen herstellt und sich dabei in Tschechien dem Wettbewerb mit einer Reihe lokaler Billigproduzenten ausgesetzt sieht. Anstatt sich komplett über den Preis anzupassen, setzt die Firma auf die Haltbarkeit ihrer Produkte und versucht, den Kunden somit die langfristig günstigere Alternative zu bieten. Finanzierungsmöglichkeiten wie die Bezahlung nach Laufmeter anstatt eines Fixpreises für ein Werkzeug machen es dabei den preissensitiven Kunden leichter, ihre Kaufentscheidung nicht allein vom Anschaffungspreis abhängig zu machen.

Rahmenbedingungen Tschechiens als Markt und Standort

237

12.1.3 Standortvorteile – Günstige Löhne für qualifizierte Mitarbeiter Niedrige Löhne bei gleichzeitig sehr guter Mitarbeiterqualifikation und günstige Grundstücks- und Immobilienpreise, um Produktionsstätten aufzubauen – das sind laut unseren Gesprächspartnern die wichtigsten Standortvorteile in Tschechien (siehe Abbildung 89).

Niedriglohnland Tschechien: Das China in der Nachbarschaft? Für die Entscheidung, in Tschechien einen Produktionsstandort aufzubauen, waren in nahezu allen Fällen die im Vergleich zu Deutschland deutlich niedrigeren Lohnkosten ausschlaggebend. Rückblickend gilt bei vielen die Verlagerung der Produktion nach Tschechien als letztendlich entscheidende Maßnahme, um dem zunehmenden Preisdruck auf den Absatzmärkten standhalten zu können und somit das Überleben der Firma zu sichern. Nicht selten klang in unseren Gesprächen durch, dass das Unternehmen wohl nicht mehr existieren würde, wenn man die komplette Produktion in Deutschland belassen hätte. Aber wie sieht die Situation heute aus? Sind die Tage von Tschechien als Billiglohnland gezählt? Wird sich der Lohnunterschied zu den westeuropäischen Ländern in den nächsten Jahren schließen, wie vielerorts gemutmaßt wird? Tabelle 10: Lohnkosten in der tschechischen Automobilindustrie in Euro/Monat141

Position Plant Manager Produktionsleiter Meister/Supervisor Prozessingenieur QS-Leiter Konstrukteur EDV-Leiter Leiter der Logistik HR-Manager Hauptbuchhalter Finanzcontroller Montagearbeiter Maschineneinrichter

Unterer Bereich 3.000 € 1.900 € 1.100 € 1.100 € 1.400 € 710 € 1.200 € 1.500 € 1.400 € 1.100 € 1.800 € 280 € 470 €

Mittlerer Bereich 4.600 € 2.800 € 1.400 € 1.400 € 1.800 € 1.100 € 1.800 € 1.800 € 1.800 € 1.600 € 2.500 € 380 € 630 €

Oberer Bereich 10.000 € 4.700 € 1.800 € 2.000 € 3.800 € 1.800 € 2.800 € 3.100 € 3.800 € 2.100 € 4.700 € 530 € 780 €

Im Durchschnitt liegen die tschechischen Löhne mit etwas über 19.000 Kronen (ca. 630 Euro) monatlich immer noch nur knapp über 20% des deutschen Niveaus.142 Ein guter Indikator für das Lohnniveau in der verarbeitenden Industrie ist der Automobilsektor, der in Tschechien als Leitbranche gilt. 141 Quelle: Deutsch-Tschechische Industrie- und Handelskammer (2004), S. 18. 142 Vgl. Tschechisches Statistikamt (2005) und Statistisches Bundesamt Deutschland (2005).

238

Die Asse – Wovon profitieren die Deutschen in Tschechien?

Tabelle 10 zeigt zwar deutliche Unterschiede in den einzelnen Positionen, das aber im Vergleich zu deutschen Löhnen auf einem sehr niedrigen Niveau stattfindet. Allerdings muss man beim tschechischen Lohnniveau deutlich nach den verschiedenen Regionen differenzieren. Während ein IT-Spezialist in Prag mittlerweile annähernd ein westeuropäisches Gehalt fordern und auch bekommen wird, ist Produktionspersonal in Regionen abseits der Hauptstadt weiterhin günstig. Dieses Phänomen wird in Tabelle 11 deutlich. Sie zeigt das jeweilige Lohnniveau verschiedener Funktionen in der teuersten Region (in der Regel Prag) relativ zur jeweils günstigsten Region des Landes. Tabelle 11: Regionale Lohndiskrepanzen in Tschechien143

Position Hochrangiger Angestellter in Führungsfunktion Angestellter mit Hochschulabschluss Techniker Qualifizierter Arbeiter Service-Personal

Arbeitskosten in der teuersten Region in % der jeweils günstigsten Region 202% 149% 142% 137% 135%

Auch wenn zahlreiche Unternehmen in Tschechien wie in vielen Ländern unter der Last der Lohnnebenkosten stöhnen, bestehen hier keine Nachteile im Vergleich zu anderen Ländern der Region. KPMG bescheinigte Tschechien in einem Vergleich mit Polen, Ungarn und der Slowakei den geringsten Abstand von Netto- und Bruttolöhnen (Tabelle 12). Tabelle 12: Unterschiedliche Arbeitskosten für den gleichen Nettolohn in Euro/Monat144 Arbeitskostenvergleich

Tschechien

Ungarn

Polen

Slowakei

Nettolohn Einkommensteuer Pflichtbeiträge (Arbeitnehmeranteil) Bruttolohn

500 € 74 € 82 € 656 €

500 € 220 € 112 € 832 €

500 € 111 € 141 € 752 €

500 € 69 € 88 € 657 €

Pflichtbeiträge (Arbeitgeberanteil) Gesamtkosten für den Arbeitgeber

230 € 886 €

295 € 1.127 €

152 € 904 €

231 € 888 €

Beim Blick in die Zukunft gehen die Meinungen stark auseinander. Während die Mehrheit der befragten Unternehmen Tschechien schon heute nicht mehr als wirkliches Niedriglohnland bezeichnen will und einige die Zukunft Tschechiens eher als attraktiver Forschungs- denn als Produktionsstandort sehen, ist man in den einschlägigen Studien meist anderer Meinung. Die Boston Consulting Group prognostiziert etwa nur einen verhältnismäßig langsamen Aufholprozess und schätzt den Stundenlohn eines Produktionsarbeiters auch für das Jahr 2009 auf

143 Quelle: Price Waterhouse Coopers (2005), S. 29. 144 Quelle: CzechInvest (2004a), S. 2.

Rahmenbedingungen Tschechiens als Markt und Standort

239

gerade einmal 16% des deutschen Niveaus. Ein tschechischer Ingenieur käme 2009 nach derselben Vorhersage auf knapp ein Viertel seines deutschen Berufskollegen.145 Absolut betrachtet geht die Lohnschere zwischen Deutschland und Tschechien in zahlreichen Unternehmen sogar noch weiter auseinander. Aufgrund der unterschiedlichen Ausgangsbasis müssten die tschechischen Löhne in vielen Fällen über 10% p. a. ansteigen, um den absoluten Abstand zu Deutschland tatsächlich zu verkürzen. Der Lohnkostenunterschied ist und bleibt also ein wichtiger Standortvorteil Tschechiens. Daher muss das tschechische Lohnkostenniveau im Kontext der Mitarbeiterqualifikation gesehen werden. Tschechien ist kein Standort für einfachste Produktionsprozesse oder anspruchslose Komponentenfertigung. Sobald allerdings ein gewisses technisches Know-how und gut ausgebildete Mitarbeiter nötig sind, behält Tschechien seine Attraktivität auch in Zukunft – gerade im Vergleich zu Deutschland.

Qualifizierte Mitarbeiter Die ehemalige Tschechoslowakei war über viele Jahre hinweg das Land mit dem weltweit höchsten Anteil an Absolventen naturwissenschaftlicher und technischer Studienrichtungen.146 Somit verwundert es nicht, dass deutsche Unternehmer die hohe Mitarbeiterqualifikation gerade bei Ingenieuren und Fertigungspersonal als zweitwichtigsten Standortvorteil des Landes sehen. Kleinere Abstriche müssen laut unseren Interviewpartnern bei kaufmännischen Berufen, insbesondere beim Vertriebspersonal, gemacht werden. Viele Unternehmer führten dies in unseren Gesprächen auf die sozialistische Vergangenheit des Landes zurück, in der anstelle des Verkaufens stets nur das Verteilen stand. Nicht wenige Unternehmen setzen daher im Vertrieb und in Managementfunktionen fast ausschließlich auf die junge Generation, die weniger im alten Regime verwurzelt ist und annähernd das Niveau deutscher Absolventen erreicht. Als einziges Manko beklagen viele Unternehmen beim tschechischen Managementnachwuchs die noch mangelnde internationale Erfahrung. Die Ergebnisse unserer Interviews decken sich mit einer Studie der Boston Consulting Group, in der Tschechien unter 15 Ländern in Europa, Amerika und Asien die zweitbeste Verfügbarkeit von qualifizierten Ingenieuren und immerhin die viertbeste Verfügbarkeit fähiger Arbeiter bescheinigt wird. In beiden Dimensionen rangiert Tschechien deutlich vor den übrigen mittel- und osteuropäischen Ländern wie Ungarn, Polen, Slowenien oder der Slowakei. Defizite bestehen allerdings auch laut dieser Studie bei kompetentem Managementpersonal.147 Die Anzahl der an Universitäten eingeschriebenen Studenten steigt seit Jahren, und zunehmend internationaler ausgerichtete Abschlüsse bereiten den Nachwuchs gezielt auf den Einsatz in internationalen Unternehmen vor. 145 Vgl. The Boston Consulting Group (2005), S. 5. 146 Vgl. The Economist Intelligence Unit (2005). 147 Vgl. The Boston Consulting Group (2005), S. 7.

240

Die Asse – Wovon profitieren die Deutschen in Tschechien?

Auch wenn die steigende Arbeitslosigkeit in Tschechien Gegenteiliges impliziert, muss doch erwähnt werden, dass der Arbeitsmarkt in einigen Branchen bereits annähernd geräumt ist. Gerade bei gefragten Berufen wie Maschinenbauern existiert quasi keine Arbeitslosigkeit, sodass es für Unternehmen zunehmend schwieriger wird, offene Stellen zu besetzen. Der vielfach prognostizierte Exodus tschechischer Fachkräfte in andere EU-Staaten wird von den meisten Unternehmen als weniger problematisch angesehen. Tatsächlich verlassen momentan nur etwa 1.000 Arbeitskräfte pro Jahr ihr Land, sodass die befürchtete Abwanderung der Qualifizierten offensichtlich ausbleibt.148

Billige Grundstücke Auch niedrigere Gründstücks- und Immobilienpreise sind ein hoch geschätzter Standortvorteil in Tschechien, wie unsere Gespräche ergaben. Erwartungsgemäß erhält dieser Aspekt bei Unternehmen, die in Tschechien einen Produktionsstandort unterhalten und somit große Landflächen besitzen, eine noch deutlich höhere Bewertung als bei reinen Vertriebsgesellschaften, die ihre Büros meist in repräsentativen Gebäuden in der Prager Innenstadt ansiedeln. Natürlich gibt es regional große Unterschiede. In Prag und der unmittelbaren Umgebung kann im Vergleich zu Deutschland von keinerlei Kostenvorteil mehr die Rede sein, da die hohe Nachfrage Immobilienpreise und Mieten deutlich in die Höhe getrieben hat. In ländlichen Regionen ist allerdings auch mit guter Autobahnanbindung und Infrastruktur sehr günstiges Land erhältlich. Darüber hinaus gibt es für ausländische Unternehmen in Tschechien zahlreiche Investitionsanreize durch den tschechischen Staat. Neben Steuerbefreiungen und sonstigen Vergünstigungen spielen dabei auch die günstige Abgabe von Land oder Zuschüsse für die Errichtung von Produktionsanlagen eine wichtige Rolle.

12.1.4 Skalenvorteile weniger wichtig Skalenvorteile sind bei einer Betrachtung der Internationalisierungsaktivitäten von Unternehmen häufig einer der wichtigsten Gründe für die Internationalisierung des Geschäfts. Fixkosten können durch Konzentration auf ein höheres Volumen verteilt werden, die höhere Ausbringungsmenge erlaubt effizientere Technologie und stärkt die Verhandlungsmacht gegenüber Lieferanten. Betrachtet man die gesamten internationalen Aktivitäten der befragten Unternehmen, spielen diese Vorteile selbstverständlich eine entscheidende Rolle. Richtet man den Blick allerdings nur auf Tschechien, erklärt sich die relativ niedrige Bewertung mit dem vergleichsweise geringen Marktvolumen (siehe Abbildung 89). Bei den meisten internationalen Firmen, die Tschechien primär als Absatzmarkt betrachten, liegt das Tschechiengeschäft im Bereich von 148 Vgl. Tschechisches Statistikamt (2005).

Rahmenbedingungen Tschechiens als Markt und Standort

241

etwa 1 bis 2% des Konzernumsatzes, sodass allein durch die Aktivitäten in Tschechien hier keine nennenswerten Skaleneffekte auftreten. Firmen, die in Tschechien einen Produktionsstandort unterhalten, haben in fast allen Fällen Produktion verlagert und eben nicht mehrere Produktionsstätten in Tschechien konzentriert. Die auftretenden Skaleneffekte existierten also schon an den vorherigen Standorten und sind kein Motiv für die Aktivitäten in Tschechien.

12.2 Barrieren – Nicht nur eitel Sonnenschein Wie bei jeder internationalen Expansion stellt auch der Standort Tschechien ausländische Investoren vor zahlreiche Barrieren, die den Erfolg der internationalen Geschäfte behindern können. In unseren Gesprächen versuchten wir herauszufinden, welche Barrieren deutschen Unternehmen das Leben besonders schwer machen und wie sie mit diesen Herausforderungen umgehen. Dabei konzentrieren wir uns auf Investitions- und Handelsbarrieren. Mit Investitionsbarrieren sind Probleme gemeint, die ein Unternehmen daran hindern können, sich auf dem Markt zu etablieren oder mit der Präsenz in Tschechien langfristig erfolgreich zu sein. Handelsbarrieren beziehen sich auf Probleme beim Im- und Export von Zwischen- und Endprodukten sowie allgemeine unternehmerische Probleme, die durch die Koordination zwischen Ländern entstehen.

12.2.1 Investitionsbarrieren – Wirtschaften im Schatten der Korruption Nahezu jeder Gesprächspartner konnte eine Reihe von Investitionshindernissen aufzählen, mit denen sich sein Unternehmen auseinander setzen musste oder immer noch muss. In unseren Interviews untersuchten wir insbesondere allgemeine Diskriminierung ausländischer Firmen in Tschechien, Nachteile im tschechischen Geschäftsumfeld sowie interne Kontrollprobleme, die Aktivitäten in Tschechien von der Konzernzentrale aus zu steuern und zu kontrollieren. Dabei wird die Korruption als wichtigstes Problem angesehen, fast ebenso viele Unternehmen klagen über Belastungen durch Bürokratie und Regierungsaktivitäten, die den Unternehmenserfolg behindern. Im Verhältnis zwischen Mutter und Tochter führen in erster Linie Informationsasymmetrien zu Schwierigkeiten (siehe Abbildung 91).

242

Barrieren – Nicht nur eitel Sonnenschein

Völlig unwichtig 1

Neutral 2

3

4

Korruption

2,9

Informationsasymmetrien

2,9

Belastung durch Vorschriften und Gesetze

2,8

Sprachbarrieren

2,8

Rechtsprechung

2,7

Kulturelle Unterschiede

2,7

Intransparenz des Geschäftsumfelds

5

Fokus im Folgenden

2,2

Konflikte mit der Mutter

2,1

Transfer der Unternehmenskultur

2,1

Mitarbeitertransfer

Sehr wichtig

2,0

Abbildung 91: Die wichtigsten Investitionsbarrieren in Tschechien

Korruption Als der Geschäftsführer eines deutschen Medizingeräteherstellers bei einer Ausschreibung für Monitoringausstattung für ein tschechisches Krankenhaus feststellte, dass sein Gebot nicht nur das günstigste war, sondern bei vergleichbaren Geräten ganze 6 Millionen Kronen (200.000 Euro) unter dem zweitniedrigsten Gebot lag, wusste er sofort, dass seine Firma in dieser Ausschreibung chancenlos sein würde. Der Grund: In den übrigen Geboten war das Schmiergeld für die Entscheidungsträger bereits einkalkuliert. Den offiziellen Kaufpreis würde sich also der Anbieter mit dem Einkäufer teilen. Solche Anekdoten sind leider keine Ausnahme im tschechischen Geschäftsleben. In der aktuellen Ausgabe des jährlich veröffentlichten Korruptionsindex von Transparency International konnte sich Tschechien im Vergleich zum Vorjahr nur unwesentlich verbessern und teilt sich nun mit El Salvador sowie Trinidad und Tobago einen wenig schmeichelhaften 51. Rang (siehe Abbildung 92). Korruption ist alltägliche Realität in Tschechien, kaum ein befragter Unternehmer wusste keine Anekdoten über zweifelhaftes Geschäftsgebaren von Mitbewerbern, Zulieferern oder Behörden zu berichten. Teilweise führten unsere Gesprächspartner dieses Phänomen auf die Zeit kommunistischer Unterdrückung zurück, in der jeder als Held galt, der den Staat bestahl.

Rahmenbedingungen Tschechiens als Markt und Standort

243

Allerdings muss bei diesem Problem feiner differenziert werden. Es bestehen gravierende Unterschiede zwischen den untersuchten Branchen. Tendenziell ist der Automobil- und Maschinenbausektor weniger betroffen, während die übrigen Branchen Chemie, Pharma und Elektrotechnik in der Korruption das wichtigste Problem ihrer Aktivitäten in Tschechien sehen. Insgesamt ist die Situation am problematischsten, wo staatliche oder halbstaatliche Institutionen an den Geschäften beteiligt sind oder der Markt stark reguliert ist, also wichtige Zertifizierungen und Genehmigungen von staatlichen Stellen abhängen wie etwa im Pharmabereich. Ausschreibungen durch die öffentliche Hand verglich der Geschäftsführer eines Elektronikunternehmens mit Zuständen auf dem Balkan.

Rang 9,7

Finnland

9,1

Schweiz

8,4

Österreich

8,2

Deutschland

4,8

Ungarn

1 7 13 15 42

Trinidad und Tobago

4,2

51

El Salvador

4,2

51

Tschechien

4,2

51

4,0

Slowakei

3,5

Polen

2,9

Rumänien Haiti

1,5

57 67 87 145

Abbildung 92: Corruption Perceptions Index 2004149 Prinzipiell haben die Töchter deutscher Unternehmen klare Anweisungen, jegliche Praxis zu unterlassen, die negativ auf das Image der Mutter abstrahlen könnte. Selbst im Vergleich mit anderen ausländischen Investoren gelten die Deutschen in Tschechien als die „Konservativsten.“ Beispielsweise hat Bayer für seine Tochterunternehmen einen strengen Moralkodex aufgestellt, in dem exakt definiert ist, wo sich der fließende Übergang zwischen Werbegeschenken

149 Vgl. Transparency International (2004).

244

Barrieren – Nicht nur eitel Sonnenschein

und Bestechung befindet oder welche Restaurants für Geschäftsessen mit Kunden angemessen sind. Korruption, egal ob passiv oder aktiv, ist bei den meisten deutschen Unternehmen also tabu. Problematisch wird dies dann, wenn sich die Moralvorschriften zu einem Wettbewerbsnachteil auswachsen, etwa in Märkten, in denen die Abnehmer sich derart an Bonuszahlungen für ihre Aufträge gewöhnt haben, dass ohne persönliche Zuwendungen kaum noch ein Geschäft zu machen ist. Einige Unternehmen behelfen sich mit legalen Formen der Beschenkung. So hat ein Schweizer Pharmakonzern – ähnlich wie es Airlines für Vielflieger anbieten – etwa ein Prämiensystem für besonders treue Ärzte entwickelt, andere unterstützen ihre Kunden mit Fachbüchern oder (fachgebundenen) Reisen zu Seminaren und Fortbildungen. Obwohl die Regierung diverse Initiativen zur Bekämpfung der Korruption auf den Weg gebracht hat, rechnet kaum ein befragter Unternehmensvertreter in absehbarer Zeit mit spürbaren Veränderungen. Auch auf die Europäische Union wird beim Thema Korruptionsbekämpfung wenig Hoffnung gesetzt.

Informationsasymmetrien zwischen Mutter und Tochter Unterschiedliche Informations- und Wissensstände werden von den befragten Unternehmen als annähernd ebenso wichtige Investitionsbarriere angesehen wie Korruption. Zu einem gewissen Grad ist es sicherlich normal, dass sich ein Tochterunternehmen ein besseres Verständnis für den lokalen Markt angeeignet hat oder über Geschäftspraktiken vor Ort besser informiert ist als die Mutter. Ab einem gewissen Punkt können diese Informationsasymmetrien zwischen Mutter und Tochter den Unternehmenserfolg in Tschechien allerdings behindern. Ein häufig genanntes Problem besteht darin, dass Strategievorgaben aus der Zentrale oftmals auf einem unzureichenden Marktverständnis basieren und somit zu wenig auf lokale Charakteristiken des Marktes abgestimmt sind. Die Ursachen liegen meist an einem stockenden Informationsfluss zwischen Tochter und Mutter oder an mangelndem Wissensmanagement. In Einzelfällen klagen tschechische Tochtergesellschaften auch darüber, dass das lokale Wissen und Know-how von der Mutter komplett ignoriert wird und Marktstrategien nach dem „one size fits all“-Prinzip oktroyiert werden. Teilweise wird auch das Tochterunternehmen aus der Zentrale nicht mit ausreichend Informationen versorgt. Insbesondere in Unternehmen, bei denen die Zentrale eine zunehmende Abwanderung ihrer Kompetenzen nach Tschechien beobachtet, werden zum Teil bewusst Informationen zurückgehalten, um den Führungsanspruch aufrechtzuerhalten. Der Geschäftsführer eines Maschinenbauers berichtet beispielsweise davon, dass sogar technisches Know-how und Prozesswissen vorenthalten wird, da Mitarbeiter in Deutschland die Verlagerung weiterer Produktionsteile nach Tschechien befürchten.

Rahmenbedingungen Tschechiens als Markt und Standort

245

Am wenigsten Probleme mit Informationsasymmetrien haben tendenziell Unternehmen, die lokales Marktwissen im Stammsitz mit Hilfe eines allgemein zugänglichen Wissensmanagementsystems zentral sammeln, auswerten und in die Strategie einfließen lassen.

Vorschriften, Gesetze und andere Belastungen durch die Regierung Auch der Unmut gegenüber der Regierung wächst unter einem Teil der befragten Unternehmer in Tschechien. Instabile Mehrheiten im Parlament, häufige Machtwechsel und jüngste Koalitionsumbildungen verhindern notwendige Reformen und lassen überholte Regelungen zunehmend zu Belastungen werden. In einigen Branchen werden der Regierung sogar offen wettbewerbsverzerrende Entscheidungen und Maßnahmen vorgeworfen. Insgesamt wird auch dieses Thema von unseren befragten Unternehmen als ähnlich schwerwiegend angesehen wie die Korruption. Im Zentrum der Kritik am unzureichenden Rechtssystem steht das überholte Insolvenzrecht, unter dem insbesondere Gläubiger leiden. Geklagt wird vor allem über unzureichende Verfolgung von Insolvenzverschleppung, langwierige Bearbeitungszeiten durch die zuständigen Behörden (siehe Abbildung 93) und die Tatsache, dass eine Insolvenz in Tschechien unweigerlich zur Auflösung des Unternehmens führt, was die Aussicht der Gläubiger auf Eintreibung ihrer Schulden vermindert. Auch die OECD moniert das Insolvenzrecht in einer aktuellen Publikation als eines der drei dringlichsten Probleme im Rechtsumfeld Tschechiens.150 Auch in Bezug auf das tschechische Steuersystem, das dem deutschen in punkto Komplexität kaum nachsteht, herrscht teilweise große Unsicherheit. Der Geschäftsführer eines Automobilzulieferers gab an, annähernd jede Woche Sachverhalte mit dem Finanzamt klären zu müssen, um den drakonischen Strafen bei Steuervergehen zu entgehen. Nicht selten widersprechen sich dabei die zuständigen Beamten gegenseitig, weil ihr Steuersystem sie schlichtweg überfordert. Insbesondere im Pharmabereich und mit etwas Abstand auch in der Elektronikindustrie muss sich die Regierung vorhalten lassen, sogar aktiv verzerrend in den Wettbewerb einzugreifen. Ein großes Thema sind dabei öffentliche Ausschreibungen, bei denen bisweilen mit Hilfe von obskuren Kriterienkatalogen ausländische Firmen aus formalen Gründen vom Verfahren ausgeschlossen werden. Diese Erfahrung machte unter anderem ein deutscher Elektrotechnik- und IT-Anbieter bei der Ausschreibung für ein Projekt, das die Ausstattung von Hauptschulen mit Internetzugängen vorsah. Alle Bewerber außer dem tschechischen Anbieter blieben aufgrund zweifelhafter Kriterien unberücksichtigt. Ähnlich erging es einem deutschen Maschinenbauer bei der Vergabe einer Bioethanol-Lizenz. In einem intransparenten Verfahren, das nach Ansicht des Geschäftsführers in mehr als einem Punkt gegen Europarecht verstieß, wurde der spätere tschechische Lizenznehmer klar bevorzugt und die internationale Konkurrenz ausgeschlossen. 150 Vgl. OECD (2004), Kapitel 4.

246

Barrieren – Nicht nur eitel Sonnenschein

12.000 10.000 8.000 6.000 4.000 2.000 0 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 Eingang an Anträgen Erklärte Insolvenzen

Nicht abgeschlossene Fälle Abgeschlossene Fälle

Abbildung 93: Bearbeitung von Insolvenzverfahren in Tschechien151

12.2.2 Handelsbarrieren – Alles besser seit EU-Beitritt?

Völlig unwichtig

Neutral

1

2

3

Sehr wichtig 4

5

2,8

Sprachbarrieren Kulturelle Unterschiede

2,6

Wechselkursschwankungen

2,4

Koordinationskosten

1,7

Produktanforderungen

1,7

Transportkosten

1,6

Transportzeit

1,5

Versteckte Barrieren

1,3

Zölle

1,2

Local Content

1,2

Abbildung 94: Die wichtigsten Handelsbarrieren in Tschechien 151 Quelle: OECD (2004), Kapitel 4.

Fokus im Folgenden

Rahmenbedingungen Tschechiens als Markt und Standort

247

Mit dem EU-Beitritt Tschechiens 2004 sind die wichtigsten Handelsbarrieren wie Zölle und Quoten endgültig gefallen. Daher überrascht es nicht, dass die Handelsbarrieren generell relativ niedrige Wertungen bekommen (siehe Abbildung 94). Mit Sprachbarrieren und kulturellen Unterschieden stehen daher eher allgemeine unternehmerische Probleme an erster Stelle, die bei der Koordination des Geschäfts zwischen den Ländern auftreten. Wechselkursrisiken folgen auf dem dritten Platz.

Sprachbarrieren Als Deutscher in der tschechischen Sprache ein für die Herausforderungen des Geschäftslebens ausreichendes Niveau zu erreichen, ist nur mit sehr viel Mühe und Zeit möglich. Daher überrascht es nicht, dass die Kommunikation zwischen deutscher Zentrale und tschechischer Tochtergesellschaft in erster Linie auf Deutsch oder Englisch abläuft. Genau darin sehen die befragten Unternehmen die größten Hindernisse bei den Beziehungen mit der tschechischen Dependance.

Deutsch

52%

Englisch

60% 33%

18-29

46%

30-39

28%

22%

40-49

30% 10%

50-59

Abbildung 95: Sprachkenntnisse in Tschechien nach Altersgruppen152 Die Qualität der Sprachausbildung in der Tschechischen Republik liegt mittlerweile auf annähernd westeuropäischem Niveau. 2004 startete die Regierung eine Initiative, die Fremdsprachenausbildung in der Schule, insbesondere in Englisch, noch zu verbessern. Die Sprachkenntnisse steigen mit dem allgemeinen Bildungsstand, bei Studenten sprechen 76% mindestens eine Fremdsprache. Trotzdem sind weder Englisch noch Deutsch bei älteren Arbeitnehmern sehr verbreitet (siehe Abbildung 95), was insbesondere bei der Kommunikation zwischen Mutter und Tochter zu Problemen führt. Viele Unternehmen bieten für ihre Mitarbeiter daher Sprachkurse an oder transferieren sie für einige Zeit nach Deutschland.

152 Vgl. CzechInvest (2004b), S. 2.

248

Barrieren – Nicht nur eitel Sonnenschein

Kulturelle Unterschiede Neben den Sprachbarrieren sorgen auch kulturelle Unterschiede mitunter für Probleme in der täglichen Zusammenarbeit zwischen Tschechen und Deutschen, sowohl bei der Koordination der Aktivitäten in Tschechien von der deutschen Zentrale aus als auch beim Transfer deutscher Manager nach Tschechien. Der typische Tscheche existiert natürlich genauso wenig wie der stereotype Deutsche. Dennoch ähneln sich die Erfahrungen deutscher Manager im persönlichen Umgang mit tschechischen Kollegen unabhängig von Unternehmen und Branche. Ebenso sind sich tschechische Manager und Angestellte weitgehend einig, welche Eigenarten der Deutschen die Zusammenarbeit erschweren können. Gewisse Tendenzen kultureller Reibungspunkte lassen sich also durchaus ableiten. Ursache vieler Missverständnisse und Konflikte ist die in Tschechien vorherrschende Personenorientierung, die den oftmals eher sachorientierten Deutschen ein Umdenken in ihrem gewohnten Arbeits- und Führungsstil abverlangt. Für tschechische Mitarbeiter steht bei der täglichen Zusammenarbeit stets die persönliche Beziehung mit den Kollegen im Mittelpunkt. Das Verständnis für die sachliche Notwendigkeit einer Aufgabe hält sich daher oftmals in Grenzen. Viele deutsche Manager berichteten in unseren Gesprächen von ihrer Erfahrung, dass die Erfüllung von Aufträgen viel eher davon abhängt, für wen sie ausgeführt werden, als davon, ob auf der Sachebene Sinn und Zweck der Maßnahme erläutert wurden. An diesem Punkt klagen Tschechen nicht selten über mangelnde Empathie deutscher Vorgesetzter, die Entscheidungen lieber mit eindrucksvollen Zahlenwerken begründen, als auf die Persönlichkeit der Mitarbeiter einzugehen. Aus der Wichtigkeit persönlicher Beziehungen leitet sich in vielen Fällen ein starkes Harmoniebedürfnis ab, das oftmals mit Konfliktvermeidung einhergeht. Insbesondere wenn Schwierigkeiten einzelnen Personen zugeordnet werden können, werden Konflikte lieber ignoriert, als die Beziehung zu belasten. Offene Kritik oder auch nur eine konstruktive FeedbackKultur ist daher weit weniger verbreitet als in Deutschland. Erklärungen für dieses Phänomen werden meist in dem noch aus dem Kommunismus stammenden Gefühl gesucht, eher den Nächsten als das System zu schützen. Dieses Unwohlsein bei persönlich gespannten Beziehungen gipfelt nicht selten in spontanen Kündigungen, sobald die Harmonie gestört scheint. Der Geschäftsführer eines Pharmaunternehmens berichtet etwa davon, dass allein durch die Einführung eines VertriebscontrollingSystems zwei seiner Außendienstmitarbeiter das Unternehmen verließen, da sie bereits die Messung ihrer Leistungen als persönliche Kritik auffassten. Generell sind die Präferenz für Improvisation und das Verschieben von Aufgaben auf die letzte Minute in Tschechien recht verbreitet. Gründliche deutsche Planung und Gliederungen mit mehreren Entscheidungsebenen stoßen daher auf weniger Gegenliebe. Im Scherz bescheinigen tschechische Angestellte ihrer deutschen Geschäftsführung gerne, dass sie mit ihrer Vorliebe für detaillierte Pläne durchaus mit dem abgelegten kommunistischen Regime konkurrieren können.

Rahmenbedingungen Tschechiens als Markt und Standort

249

Insgesamt sind sich deutsche Manager mit Erfahrung in Tschechien allerdings weitgehend einig, dass kulturelle Unterschiede kein Hinderungsgrund für Geschäftserfolg in Tschechien sein dürfen, sobald man die gewohnten Managementattitüden aus Deutschland auf die neue Umgebung anpasst.

Wechselkursrisiken

0,036

EUR/CZK

0,034

0,032

0,030

0,028

Ja n. 0 Ap 0 r. 00 Ju l. 00 O kt .0 0 Ja n. 01 Ap r. 01 Ju l. 01 O kt .0 1 Ja n. 0 Ap 2 r. 02 Ju l. 02 O kt .0 2 Ja n. 0 Ap 3 r. 03 Ju l. 03 O kt .0 3 Ja n. 0 Ap 4 r. 04 Ju l. 04 O kt .0 4 Ja n. 0 Ap 5 r. 05 Ju l. 05

0,026

Abbildung 96: Kursentwicklung der tschechischen Krone seit 2000153 Im globalen Kontext kann der Kurs der tschechischen Krone wohl als relativ stabil bezeichnet werden. Gegenüber dem Euro hat die Währung seit 2000 rund 20% an Wert gewonnen, seit 2002 pendelt sich der Wert eines Euros bei etwa 30 tschechischen Kronen ein, mit Abweichungen von selten mehr als 5% nach oben und unten (siehe Abbildung 96). Aber auch diese Kursbewegungen, etwa die jüngste Aufwertung der Krone im ersten Halbjahr 2005 können natürlich ergebnisrelevant sein. Daher zählen Wechselkursrisiken bei unseren befragten Unternehmen zu den drei wichtigsten Handelsbarrieren. Vollständig eliminiert wird dieses Risiko erst mit der Euroeinführung, für die allerdings noch kein verbindlicher Termin feststeht. Experten rechnen mit einer Währungsumstellung nicht vor dem Jahr 2010.

153 Quelle: www.oanda.com.

13.

Die Unternehmensfunktionen – Auf eigenen Beinen oder an der Nabelschnur der Mutter?

Für eine erfolgreiche internationale Expansion sollte sowohl vor der Expansionsentscheidung als auch kontinuierlich während der Geschäftstätigkeit die Frage gestellt werden, welche Funktionen das Tochterunternehmen erfüllen soll, um die aktuellen Rahmenbedingungen an seinem Standort optimal zu nutzen. Soll die Präsenz lediglich eine verlängerte Werkbank (im Sinne Globaler Integration) für die Mutter darstellen, die mit einer günstigeren Kostenstruktur produziert, die Zwischen- und Endprodukte zu Vollkosten oder unter Umständen mit geringer Fixmarge an die Mutter weitergibt und dadurch deren Wettbewerbsfähigkeit erhöht? Soll das Tochterunternehmen einzig und allein eine selbst geleitete Vertriebspräsenz in Tschechien darstellen? Oder ist geplant, lokale Fähigkeiten zu entwickeln und Funktionen der Mutter zu übernehmen, sobald diese in Tschechien effizienter bereitgestellt werden können? In letzterem Fall ist eine optimale Ausnutzung der spezifischen Standortvorteile möglich, die hierbei auch aktiv vom Unternehmen gemanagt und entwickelt werden müssen. Im Extremfall sieht sich das Mutterunternehmen sogar damit konfrontiert, dass es auf Dauer selbst unter Rechtfertigungsdruck gegenüber Investoren oder auch gegenüber Leitern von Tochtergesellschaften gerät und erklären muss, weshalb verschiedene Aktivitäten am Stammsitz ausgeführt werden und noch nicht – zu weitaus günstigeren Kosten – in einer Tochtergesellschaft abgewickelt werden.

100 16 16

Globale Integration

38 38

40 40

Geschäftstransfer

30 30

28 28

41 41

43 43

1 1

11

58 58

Export32 32 orientierung

56 56

39 39

8 8

53 53

41 41

88

51 51

38 38

39 39

7 7

77

55 55

24 24

F&E

56 56

54 54

32 32

Unterstützungsfunktionen

60 60

22 22

Beschaffung Produktion

37 37

39 39

19

19

18 18

44 44

43 43

22 22

Marketing & Vertrieb

Gewichteter Durchschnitt

Abbildung 97: Entwicklung der Strategien nach Unternehmensfunktionen in Prozent 2005 und 2010e in Prozent

252

Barrieren – Nicht nur eitel Sonnenschein

Dieses ab einem gewissen Autonomiegrad des Tochterunternehmens gespannte Verhältnis zwischen Stammsitz und Auslandsstandorten wurde von einem Interviewpartner prägnant auf den Punkt gebracht: „Es ist wie im Leben: Manchmal ist die Tochter eben schöner als die Mutter. Manche Mütter freuen sich darüber, manche werden neidisch.“ Um einen Überblick darüber geben zu können, welche Funktionen von den einzelnen Tochterunternehmen zurzeit ausgeführt werden und inwieweit diese Tätigkeiten für den Stammsitz übernommen werden, diskutierten wir mit unseren Gesprächspartnern, inwieweit in den einzelnen Funktionen zum heutigen Zeitpunkt wechselseitige Abhängigkeiten zwischen Mutter und Tochter bestehen. Zusätzlich wurden geplante Veränderungen der Funktionsstruktur abgefragt. Die Leiter der Unternehmen kommentierten ihre diesbezügliche Prognose in einem 5-Jahreshorizont. Dies erlaubt es, Veränderungen funktionaler Kompetenzen zu antizipieren. Wie in Abbildung 97 zu erkennen, lösen sich die Tochtergesellschaften in Bezug auf alle Funktionen langsam vom „Tropf der Mutter.“ In der obigen Abbildung entspricht dieses Phänomen der Zunahme Globaler Integration auf Kosten der Exportorientierung. Im Rahmen der Exportorientierung werden immer noch zahlreiche Vorleistungen in Deutschland erbracht, wohingegen bei der Globalen Integration die Tochterunternehmen zunehmend größere Teile der Wertschöpfungskette lokal abwickeln. Die Funktionen F&E, Beschaffung und Produktion weisen bereits einen hohen Anteil Globaler Integration auf, der aber in Zukunft weiterhin steigen wird, während die Exportorientierung sinkt. Der überdurchschnittlich hohe Anteil von Geschäftstransfers bei der Funktion Marketing & Vertrieb ist darauf zurückzuführen, dass Unternehmen zumeist eine unabhängige Landesgeschäftseinheit für diese Funktion besitzen, also lediglich eine geringe Abhängigkeit von der Mutter besteht. Diese Landesgeschäftseinheit erhält bis auf zentral erstellte Image- und Werbekampagnen nicht viele Vorleistungen aus dem Unternehmensverbund, ist aber auch nicht für den Vertrieb in anderen Ländern Osteuropas zuständig. Im Folgenden werden wir Produktion, Beschaffung, Forschung & Entwicklung sowie Marketing & Vertrieb und abschließend interne Unterstützungsfunktionen betrachten. Jede dieser Funktionen und ihre jeweiligen Entwicklungen werden anhand der Auswertung der in Tschechien erfassten Daten analysiert und anhand eines konkreten Unternehmensbeispiels illustriert. Für die Ermittlung der quantitativen Werte wurden die einzelnen Interviewpartner zu den unternehmensinternen Abhängigkeiten der einzelnen Funktionsbereiche befragt. Für den Bereich Beschaffung beispielsweise wurde gefragt, ob 1) in der tschechischen Niederlassung überhaupt eine Beschaffungsfunktion existiert, 2) wenn ja, welcher Anteil des in Tschechien abgewickelten Beschaffungsvolumens für andere Unternehmensteile beschafft wird und 3) welcher Anteil des Beschaffungsbedarfs in der Tschechischen Republik durch andere Unternehmensteile (z. B. zentral) bezogen wird. Hierbei indizieren ein hoher Anteil fremdbezogener Wertschöpfung (siehe Punkt 3) Exportorientierung, ein hoher Anteil für andere Unternehmensteile übernommene Wertschöpfung (Punkt 2) Globale Integration und geringe gegenseitige Abhängigkeiten (weder Punkt 2 noch 3) einen Fall von Geschäftstransfer.

Die Unternehmensfunktionen – Auf eigenen Beinen oder an der Nabelschnur der Mutter? 253

Abschließend werden Gemeinsamkeiten bei der Verlagerung von Funktionsbereichen vorgestellt. Es wird analysiert, ob es Eigenschaften der Funktionsverlagerung gibt, die unternehmensübergreifend anzutreffen sind, und ob sich der Aufbau von funktionalen Kompetenzen in einer häufig ähnlichen Sequenz abspielt.

13.1 Evolutionärer Verlagerungsansatz von Aktivitäten nach Tschechien In den vorherigen Kapiteln über die einzelnen Funktionen und ihre Bedeutung in Tschechien wurde dargelegt, in welcher Art und Weise die Funktionen aufgebaut wurden und wie weit die Verlagerung in den einzelnen Branchen fortgeschritten ist und fortschreiten wird. Bei einer Betrachtung der Einzelfälle hat sich gezeigt, dass die Entwicklung der Kompetenzen der tschechischen Niederlassungen stets einem ähnlichen Muster folgt, das im Folgenden in einem evolutionären Ansatz des Kompetenzaufbaus in Tschechien wiederzugeben versucht werden soll.

Zeit

Forschung 2009 &2004 Entwicklung

Marketing 2004 2009 & Vertrieb

Beschaffung 2004 2009

Produktion 2004 2009

Produktanpassung für den tschechischen Markt

Lokaler Zukauf einfacher Materialien und Werkzeuge

Endmontage der Produkte in Tschechien

Kein eigener Vertrieb, nur zentrales Marketing

Produktionsbegleitende Weiterentwicklung von Produkten mit Kundenkontakt

Lokaler Einkauf auch strategisch wichtiger Komponenten

Produktion einzelner Teile/Komponenten als verlängerte Werkbank

Eigener Vertrieb für Tschechien mit angepasstem Marketing

Forschung, Projektierung sowie Konzept- und Neuproduktentwicklung

Übernahme des Osteuropaeinkaufs für den Gesamtkonzern

Produktion ganzer Produktlinien mit Kundenkontakt

Eigener Vertrieb für mehrere Länder mit angepasstem Marketing

Abbildung 98: Evolutionärer Verlagerungsansatz Es ist jedoch zu betonen, dass es sich hierbei um eine Verallgemeinerung mit hierfür nötigen Vereinfachungen handelt. Der in Abbildung 98 gezeigte Ablauf hat keinesfalls bei allen

254

Evolutionärer Verlagerungsansatz von Aktivitäten nach Tschechien

befragten Unternehmen in dieser Form stattgefunden, gibt aber eine vor allem bei produzierenden Unternehmen zu beobachtende Entwicklungsrichtung wieder, bei der nicht alle Unternehmen ein gleich hohes Niveau erreicht haben. Zumeist kann davon ausgegangen werden, dass die dritte Stufe des Funktionstransfers jeweils nur von einigen wenigen Unternehmen erreicht wurde, sich aber zahlreiche andere auf dem Weg dorthin befinden. In Abbildung 98 ist zu erkennen, wie der Kompetenzaufbau in den einzelnen Funktionen im Verlauf der Aktivitäten in Tschechien vorangetrieben wurde. Die Verlagerung von Forschung & Entwicklung beginnt mit einfachen Anpassungen der Produkte für den tschechischen Markt und entwickelt sich hin zur maximalen Ausprägung, F&E-Projekten mit Kundenkontakt inklusive Projektierung, Konzeptentwicklung und produktionsbegleitenden Weiterentwicklungen. Die Beschaffungsfunktion entwickelt sich von einem Zukauf von einfachen Materialien und Werkzeugen hin zum Aufbau von Global-Sourcing-Kompetenzen in Tschechien für den Gesamtkonzern. Bei der Produktion erfolgt die Evolution ausgehend von reiner Endmontage in Tschechien über die Nutzung des Standorts als verlängerte Werkbank (im Sinne Globaler Integration) hin zu umfassender Verantwortung für ganze Produktlinien. Hierbei ist aufgrund der hohen Bedeutung Tschechiens als Produktionsstandort zu erwähnen, dass in vielen Fällen die erste Stufe übersprungen wurde. Aufgrund positiver Erfahrungen anderer Unternehmen war hier die Nutzung des tschechischen Standorts als verlängerte Werkbank für Deutschland oft der Beginn der Präsenz. Die Marketing- & Vertriebsfunktion fällt ein wenig aus dem bisherigen Bild heraus, da die drei anderen Funktionen zumeist parallel oder zeitlich versetzt aufgebaut wurden. Bei der Vertriebsfunktion gibt es jedoch Fälle von reinen Vertriebsgesellschaften, die sich vor allem in der Pharmaindustrie ausschließlich in dieser Spalte bewegen. Der Aufbau von Kompetenzen beginnt hier zumeist mit einer Niederlassung, die lediglich als Bestellannahme dient und sich komplett auf internationale Marketinginstrumente oder die Reputation des Unternehmens verlässt. Diese Stufe ist oft gefolgt vom Aufbau eines eigenen Vertriebs mit angepasstem Marketing, der zuerst nur Kompetenzen für Tschechien besitzt, dann aber – je nach Vertriebsstruktur des Unternehmens – in einigen Fällen auch Verantwortung für mehrere Länder übernimmt. Die zuvor in Fallbeispielen herausgegriffenen Unternehmen – F.X. Meiller, Behr, Lurgi Lentjes, DaimlerChrysler und Kostal – haben jeweils die dritte Stufe im Funktionstransfer der jeweiligen Funktion erreicht. Dies zeigt, dass auch sehr hochwertige Unternehmensfunktionen in Tschechien in einem sehr vorteilhaften Preis-Leistungs-Verhältnis mit weltweit wettbewerbsfähiger Qualität ausgeführt werden können. In den Fällen von F.X. Meiller, Behr, und DaimlerChrysler erfolgte der Aufbau entsprechend dem evolutionären Ablauf. Zumindest eine oder beide der ersten Stufen wurden hier aufgebaut, bevor der aktuelle Status quo erreicht wurde. Lurgi Lentjes fällt jedoch aus diesem Konzept. Hier war das klare strategische Ziel, direkt auf der dritten Stufe einzusteigen. Das

Die Unternehmensfunktionen – Auf eigenen Beinen oder an der Nabelschnur der Mutter? 255

Beispiel von Lurgi Lentjes zeigt, dass es – vor allem angesichts der bereits stark vorangeschrittenen Aufwertung der Unternehmensaktivitäten in Tschechien der präsenten Unternehmen154 und der weitgehend geräumten Arbeitsmärkte für Arbeitskräfte der zwei ersten Stufen – durchaus sinnvoll sein kann, den Einstieg direkt auf einer höheren Stufe zu wählen. So sollte beispielsweise in Bezug auf die Beschaffungsfunktion abgewogen werden, welche Vorund Nachteile ein in Deutschland oder ein in Tschechien zentralisierter Osteuropaeinkauf mit sich bringt. Das Beispiel von Lurgi Lentjes zeigt außerdem, dass Tschechien vor allem in den Ballungszentren durchaus ein attraktiver Standort für Entwicklungs- und IT-Zentren ist, ohne dass zuvor produktionsbegleitende Entwicklungsaktivitäten stattfinden müssen. Auch kann es beispielsweise sinnvoll sein, nicht schrittweise vorzugehen und den Osteuropaeinkauf – aufgrund der in Kapitel 13.5 beschriebenen Standortvorteile – direkt in Prag zu zentralisieren. Abschließend ist zu erwähnen, dass sich abhängig von der Unternehmenskultur in Einzelfällen neue Problemfelder ergeben, wenn die dritte Stufe einer Funktion in Tschechien erfolgreich erreicht wurde. Gemeint ist hiermit ein großer Bedeutungszuwachs der tschechischen Niederlassung gegenüber dem Mutterunternehmen. Da sich diese Entwicklung schrittweise vollzieht, wird erst ab einem gewissen Zeitpunkt im Stammhaus bemerkt, dass die tschechische Niederlassung beginnt, ihm in traditionellen Stammhausfunktionen Konkurrenz zu machen. Dies kann zu einer erfolgreichen Globalen Integration entsprechend einer Kompetenzcenterstruktur führen. Im schlechtesten Fall kann das Resultat aber auch sein, dass einzelne Personen in der Zentrale, die den Transfer ihrer eigenen Funktion befürchten, eine verstärkte Kontrolle und Anbindung des tschechischen Tochterunternehmens fordern oder sogar aktiv die Tschechienaktivitäten behindern.

13.2 Produktion Das produzierende Gewerbe ist eine der historischen Stärken der Tschechischen Republik. Böhmen und Mähren gehörten zu den europäischen Zentren der Industrialisierung. Zwischen 1918 und 1938 erlebte Tschechien eine technologische Blütezeit, während der es zu den technologisch am weitesten entwickelten Ländern der Welt gezählt wurde.155 Trotz einer begrenzten Ausnutzung des Potenzials während des kommunistischen Regimes existierte nach der Wende eine attraktive Kombination von Standortfaktoren, die Tschechien für viele deutsche Unternehmen als Produktionsstandort attraktiv machten.

154 First-Mover-Vorteile bei Aktivitäten der ersten Stufen sind kaum mehr vorhanden, was einen Einstieg auf

diesen Stufen erschwert. 155 Vgl. The Economist Intelligence Unit (2005).

256

Produktion

15

Globale Integration

48

69

40

40

1

1

12

53

14

9

38

39

7

7

55

54

68 5

95

6

73

Geschäftstransfer

100

19

59 15

16

Exportorientierung 16

16

Fahrzeugbau

47

72

59

41

Maschinen- Elektronik- Chemische bau Industrie industrie

PharmaIndustrie

Durchschnitt

Abbildung 99: Expansionsstrategien in der Produktion 2005 und 2010e in Prozent Wie in Abbildung 99 zu sehen, wird Tschechien auch als Produktionsstandort vermehrt in das weltweite Unternehmensnetzwerk einbezogen. Der Anteil Globaler Integration steigt auf Kosten von Geschäftstransferstrategien. Jedoch ist diese Entwicklung stark von der Branchenzugehörigkeit der betrachteten Tochterunternehmen abhängig. Im Folgenden wird zuerst branchenübergreifend und anschließend branchenspezifisch auf die Besonderheiten der Produktionsfunktion in Tschechien eingegangen, die bei der Entwicklung hin zu Globaler Integration eine Vorreiterrolle einnimmt. Im Anschluss werden wichtige Erfolgsfaktoren anhand des Fallbeispiels des Kipper- und Kippaufbautenherstellers F. X. Meiller verdeutlicht.

13.2.1 Fertigung in Tschechien – Identische Kompetenzen zu einem Fünftel der Löhne? Bei der Verlagerung der Produktion von Deutschland nach Tschechien ist eines der am häufigsten genannten Argumente, dass die Löhne sowohl für Facharbeiter als auch für Ingenieure bei ungefähr 20 bis 25% des deutschen Niveaus liegen. Dennoch wäre eine reine Reduktion auf die Kostenseite eine zu große Vereinfachung. Die Qualifikation der tschechischen Mitarbeiter in der Produktion wurde von allen Interviewpartnern zumindest identisch mit der der Arbeitskräfte am Heimatstandort eingeschätzt. Häufig wurde auch geäußert, dass die tschechischen Mitarbeiter teilweise sogar einen höheren Qualifikationsstand besitzen als die deutschen, da in Deutschland aufgrund des insgesamt höheren Lohnniveaus oft auf schlechter ausgebildete Mitarbeiter zurückgegriffen wird, um Kosten zu sparen.

Die Unternehmensfunktionen – Auf eigenen Beinen oder an der Nabelschnur der Mutter? 257

Diese Erfahrungen in Kombination mit interessanten Investitionsanreizen für produzierende Unternehmen wie CzechInvest156 haben namhafte Unternehmen wie Bosch Diesel dazu bewegt, ihren größten Produktionsstandort in der Tschechischen Republik zu betreiben. Im Folgenden wird auf die Facetten und Erfolgsfaktoren der Unternehmensfunktion Produktion in Tschechien eingegangen. Zu Beginn wird die Produktion in Tschechien im Allgemeinen betrachtet, danach wird gesondert auf Eigenheiten der Produktion in den fünf erfassten Branchen eingegangen.

Standortwahl – Entscheidung über den Erfolg, bevor die Bänder laufen Die Verlagerung der Produktion in die Tschechische Republik stellte bei den befragten Unternehmen zumeist den Beginn der eigenen Tschechien-Präsenz dar (es sei denn der Eintritt erfolgte mit einer reinen Vertriebsgesellschaft). Aus diesem Grund wird in diesem Kontext einer der grundlegenden Erfolgsfaktoren für Tschechien-Aktivitäten analysiert: die Standortwahl. Diese stellte vor allem in Bezug auf das Arbeitskräftepotenzial häufig einen inhärenten Wettbewerbsvorteil oder -nachteil für die befragten Unternehmen dar. Das Angebot an Arbeitskräften in Tschechien zeichnet sich (noch) durch eine gewisse Immobilität aus: Analysen „zeigen, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung vielseitig mit dem Leben im jeweiligen Ort oder in der jeweiligen Region verbunden ist. Die befragten Personen sind mit ihrer persönlichen Mikrowelt im Wesentlichen zufrieden und wollen diese nicht ändern oder verlassen.“157 Dementsprechend wohlüberlegt sollte die Entscheidung sein, in welcher Lage die tschechische Produktionsstätte aufgebaut werden soll. Vor allem in ländlicheren Lagen, bei denen die Pendeldauer zum nächsten Ballungszentrum bei mehr als einer Stunde liegt, sind die Anwohner bereit, einen gewissen Lohnabschlag in Kauf zu nehmen. Deshalb kann hier von wesentlich niedrigeren Lohnkosten ausgegangen werden als im direkten Umkreis von Ballungszentren, aber auch von Produktionsstandorten großer internationaler Unternehmen. Letztere bieten zumeist überdurchschnittliche Löhne, erhöhen dadurch zum einen das Lohnniveau der ganzen Region und schöpfen durch hohe Löhne zum anderen die am besten qualifizierten Arbeitnehmer der Region ab. Im Extremfall kann dies sehr negative Auswirkungen haben: Ein Verpackungshersteller hat sein tschechisches Werk in einer Kleinstadt im Einzugsgebiet von Mladá Boleslav. Die Nähe zum Škoda-Werk hat in den letzten Jahren zu einem kontinuierlichen Preisanstieg beim Faktor Arbeit geführt. Schwerer wiegt jedoch, dass der Arbeitsmarkt – vor allem für Fachkräfte – in Regionen wie dieser quasi geräumt ist. Dies führt dazu, dass Unternehmen einige „unzurei156 Vgl. www.czechinvest.com 157 Quelle: BaštýĜ, Ivo (2001), S. 11.

258

Produktion

chend motivierte und qualifizierte Mitarbeiter, die man trotzdem nicht entlässt weil es einfach keinen Ersatz gibt“ (Geschäftsführer eines Chemieunternehmens) weiter beschäftigen. In solchen Regionen kommt es auch häufig vor, dass ein hoher Teil der Fertigungsarbeiter bereits von Zeitarbeitsfirmen aus anderen Ländern, wie der Ukraine, Slowakei oder Moldawien nach Tschechien gebracht werden muss. Eine schnelle Lösung bei der Standortsuche versprechen häufig selbsternannte tschechische Standortscouts oder Expansionspartner. In dieser Berufsgruppe gibt es mit Sicherheit zahlreiche gewissenhafte und qualifizierte Dienstleister, die ihre Auftraggeber affektiv unterstützen. Doch wurde in einigen Gesprächen auch deutlich, dass es in dieser Branche etliche schwarze Schafe gäbe, die sich opportunistisch verhielten und mit Blick auf den eigenen Vorteil zu schlechten Entscheidungen rieten. Aus diesem Grund lässt es sich als Erfolgsfaktor identifizieren, eine so grundlegende Entscheidung wie die Standortwahl zumindest nicht vollständig aus den eigenen Händen zu geben. Nach den zuvor erwähnten Schwierigkeiten soll nun aufgezeigt werden, welche tschechienspezifischen Chancen sich bei der Standortwahl ergeben. Die relative Immobilität kann zum Vorteil des Unternehmens genutzt werden. Die erfolgreichsten Standortentscheidungen wurden strategisch so getroffen, dass die Unternehmen Regionen mit ehemaligen Staatsbetrieben auswählten, die vor kurzer Zeit wegen des Falls derer Monopole, nicht etwa wegen fehlender Qualifikationen der Arbeitnehmer, zahlreiche Arbeitsplätze abbauten oder ihre Betriebe ganz schließen mussten. In derartigen Fällen können Unternehmen, die Region und Eintrittszeitpunkt gezielt auswählen, nicht nur direkt von der ersten Stunde an ein geschätzter und verantwortungsvoller Arbeitgeber in der Region werden, sondern auch das enorme Fachkräftepotenzial der Region abschöpfen. Hierbei war beispielsweise Mahr Messgerätetechnik sehr erfolgreich. Es gelang dem Unternehmen, eine Region ausfindig zu machen, in der bis zur Wende ein kommunistischer Messgerätehersteller seine Fertigung betrieb. Jedoch wurde uns in vielen Gesprächen häufig berichtet, dass bei Übernahmen ehemals staatlicher Betriebe häufig ein relevanter Teil der übernommenen Mitarbeiter von der Mentalität und der Leistungsbereitschaft her noch nicht bereit war, die Kombinatszeiten zu verlassen, und sich die Unternehmen kurz nach Beginn ihrer Aktivitäten von diesen trennen mussten. Die relative Immobilität der Tschechen führt zusätzlich zu einer erfreulich geringen Fluktuation einmal ausgebildeter Mitarbeiter, vor allem in ländlicheren Regionen. Ein Beispiel hierfür ist Kemmler Electronics. Hier wurde der Standort Rožmitál pod TĜemšínem – eine ehemalige Bergbaugemeinde südlich der Autobahn zwischen Prag und Pilsen – gewählt. Das Unternehmen profitiert noch heute von einem gemäßigten Lohnniveau, qualifizierten Arbeitskräften und geringer Fluktuation. Eine intelligente Standortwahl, die man selbst vorantreibt, ist also eine der grundlegenden Voraussetzungen einer erfolgreichen Expansion in die Tschechische Republik. Die besten Erfolge hatten diejenigen der befragten Unternehmer, die eine Vertrauensperson der Unternehmensführung zur Standortrecherche für einige Wochen nach Tschechien schickten.

Die Unternehmensfunktionen – Auf eigenen Beinen oder an der Nabelschnur der Mutter? 259

Gute Beziehungen zu Fertigungsmitarbeitern – Nutzen des tschechischen Potenzials In Kapitel 15 wird zwar noch vertieft auf die Beziehungsaspekte einer Geschäftstätigkeit in Tschechien eingegangen, doch sollen schon an dieser Stelle die für die Produktion relevanten Aspekte dieses Themenbereiches beleuchtet werden. In der Fertigung kommt Personenorientierung und Kommunikation insofern große Bedeutung zu, als dass Prozesse auch den Fertigungsmitarbeitern richtig erklärt (und nicht einfach vorgegeben) werden müssen und mit einer respektierten und geschätzten Person verknüpft werden sollten, um vollständig akzeptiert zu werden. Falls sich Unternehmer und Manager diese Mühe nicht machen, laufen sie Gefahr, dass ihre sach- und fachlich richtigen Prozesse durch „stillen Widerstand“ behindert werden. Wenn es aber gelingt, die tschechischen Fertigungsmitarbeiter „zur deutschen Mentalität hinführen“, wie es einer unserer Gesprächspartner ausdrückte, dann sind enorme Verbesserungen möglich. Ebenfalls ist es von großer Bedeutung, dass in der Fertigung die „Deutschen in Tschechien nicht als Polizei wahrgenommen werden“ (Geschäftsführer eines Maschinenbauunternehmens), was für den alltäglichen Geschäftsablauf förderliche persönlichere Beziehungen verhindert. Dies steht in gewissem Widerspruch dazu, dass in Deutschland das „Management häufig durch Kritik und Druckmittel Einfluss ausübt, was in Tschechien undenkbar“ (Geschäftsführer eines Maschinenbauunternehmens) ist. In Bezug auf die Fertigung im Speziellen ist der Beziehungsaspekt aber in einem weiteren Bereich von großer Bedeutung. Gute Beziehungen zu den tschechischen Mitarbeitern können dafür sorgen, Gewerkschaften aus den Betrieben zu halten. Den Gewerkschaften wird in Tschechien eine grundlegende Skepsis entgegengebracht, da sie unter dem kommunistischen Regime ein Instrument des Zentralkomitees waren. Gute Beziehungen zwischen Management und Mitarbeitern, sei es durch Offenheit (Open Door Policy), Diskussionsbereitschaft (im Gegensatz zu strikten Weisungen) oder eine persönliche Vorbildfunktion des Managers („Leading by Example“) können Gewerkschaftsaktivitäten in der Tschechischen Republik zu einem hohen Grad überflüssig machen. Sprachprobleme zwischen Management und Fertigungsmitarbeitern treten zwar auf, ihnen ist aber mit mehrsprachigen Schichtleitern relativ einfach beizukommen. Je einfacher die von den Fertigungsmitarbeitern auszuführenden Tätigkeiten sind, desto weniger problematisch wurden von unseren Gesprächspartnern die Sprachprobleme bewertet.

Automatisierungsgrad – Anpassung an die jetzigen oder die zukünftigen Lohnkosten? Bezüglich der Produktionsmodalitäten haben wir in den Interviews diskutiert, wie der Automatisierungsgrad in Tschechien im Vergleich zu Deutschland zu wählen ist. Einige Gesprächspartner erwähnten, dass es von Vorteil sei, den Automatisierungsgrad an das Lohnni-

260

Produktion

veau in Tschechien anzupassen. Außerdem gibt es Beispiele, in denen dies zwar nicht geschehen ist und der deutsche Automatisierungsgrad einfach übernommen wurde, ein niedrigerer Automatisierungsgrad jedoch durchaus rentabel gewesen wäre. Jedoch vertreten viele der befragten Manager den Standpunkt, dass angesichts der von einigen erwarteten Angleichung der Lohnverhältnisse durchaus auch schon jetzt der Grundstein für einen höheren Automatisierungsgrad gelegt werden sollte. Im Folgenden werden nach Branchen geordnet die Besonderheiten und spezifischen Faktoren der Produktion dargelegt, da sich die einzelnen Industrien in der Entwicklung der Produktionsfunktionen stark unterscheiden.

Automobilindustrie Um einen möglichst umfassenden Überblick über die tschechische Automobilbranche geben zu können, wurden 13 führende deutsche Unternehmen aus der Automobilbranche interviewt. Hierbei wurden sowohl Großkonzerne und Mittelständler als auch Zulieferer und Vertriebsgesellschaften der großen Marken befragt. Generell besitzen alle befragten Unternehmen bis auf MAN und die VW Import Group Produktionsanlagen in Tschechien. Tschechien ist zwar zurzeit einer der attraktiveren Produktionsstandorte in Osteuropa, doch auch Ungarn, die Slowakei, Slowenien, Rumänien und die Ukraine buhlen um diesen Titel und werden in Zukunft mit Sicherheit weitere Erfolge verbuchen können. Einige Automobilzulieferer berichten bereits jetzt, dass im Rahmen des in der Branche üblichen Kostendrucks bei Ihnen angefragt wurde, „weshalb sie noch für 2,50€ pro Stunde in Tschechien fertigen und noch nicht für 1€ pro Stunde in Slowenien produzieren“. Diese Tendenz ist vor allem bei Produkten mit überdurchschnittlich hohem Anteil an manueller Arbeit zu erkennen. Generell arbeitet die tschechische Automobilindustrie aber gezielt an einer Aufwertung der eigenen Aktivitäten, um den Standort Tschechien angesichts billigerer Konkurrenz weiter östlich auch langfristig zu sichern. Es wäre sicherlich eine einseitige und falsche Sichtweise, Tschechien und östlichere Länder als reine Bedrohung für westeuropäische Standorte zu sehen. Durch die oft für das deutsche Mutterunternehmen sehr vorteilhaft gewählten Transfer- und Verrechnungspreise für Güter und Leistungen von der tschechischen Tochter sichern Unternehmen durch die Produktion in Tschechien die Wettbewerbsfähigkeit des Gesamtverbundes und dadurch auch Arbeitsplätze in Deutschland. So sieht man die Dinge zum Beispiel bei einem der befragten Automobilzulieferer: „Wenn wir den Standort in Tschechien nicht hätten, würden im Stammwerk in Deutschland nur noch halb so viele Menschen arbeiten.“ Um sich ein genaueres Bild der Produktionsaktivitäten und ihrer Ziele in der Automobilbranche zu verschaffen, erfassten wir im Rahmen unserer Befragung, welcher Anteil in Tschechien produzierter Güter für welchen Empfänger produziert werden. Die Ergebnisse sind in Abbildung 100 zu sehen. Zusätzlich wurde abgefragt, wie die Manager die Entwicklung dieser Werte innerhalb der nächsten fünf Jahre einschätzen.

Die Unternehmensfunktionen – Auf eigenen Beinen oder an der Nabelschnur der Mutter? 261

100 28 28

Endkunde

46 46

52 52 75 75

100

72 72 54 54

24 24

49 49

75 75

Konzern

29 29

51 51

71 71

76 76 48 48

25 25

25 25

Automobil

Maschinen- Elektronik- Chemische bau industrie Industrie

PharmaIndustrie

Abbildung 100: Empfänger der in CZ produzierten Produkte 2005 und 2010e in Prozent158 Wie in Abbildung 100 zu erkennen, produzieren tschechische Tochtergesellschaften zu ähnlichen Teilen für den eigenen Konzern (54%) und direkt für Endkunden (46%). In unseren Gesprächen war zu erkennen, dass die Lieferungen an Endkunden vermehrt bei Automobilzulieferern und die konzerninternen Lieferungen bei OEMs dominieren. Dementsprechend lässt sich der Anstieg der Lieferungen an Endkunden (auf 49%) dadurch erklären, dass tschechische Automobilunternehmen vermehrt die Verantwortung für ganze Komponenten übernehmen und diese dann auch direkt an den Abnehmer liefern. Dies lässt auf eine Zunahme an Verantwortung durch direkte Bedienung von Endkunden, die von den jeweiligen Gesprächspartnern zumeist in den Wachstumsmärkten in Mittel- und Osteuropa gesehen wurden, der tschechischen Tochterunternehmen schließen. Diese große Chance wurde von Interviewpartnern häufig so beschrieben, dass Tschechien im Unternehmensverbund das „Sprungbrett für weitere Expansionen nach Osten“ (Behr) darstellt, beziehungsweise als „neue Mitte Europas und als eine gute Plattform für Exporte nach Osten gesehen wird.“ (DaimlerChrysler). Bezüglich der in Abbildung 101 dargestellten primären Zielmärkte (hierbei erfolgt die Betrachtung aller befragten Automobilunternehmen) halten sich hier die Unternehmen, die ihre Produkte primär in Tschechien absetzen, und die, die eher auf die angrenzenden Länder zielen, mit jeweils 23 % die Waage. Den mit 54 % bedeutendsten Anteil halten aber die vom Absatz her weltweit ausgerichteten Unternehmen. Diese Gruppe besteht größtenteils aus Automobilzulieferern, die Tschechien als global integrierten Produktionsstandort in einem weltweit verkaufenden Konzern sehen und zahlreiche Kunden in verschiedenen Ländern 158 Hierbei wurden nur die Unternehmen mit Produktionsanlagen in Tschechien betrachtet. Dies erklärt auch

die Ergebnisse der Pharmaindustrie, in der nur ein Unternehmen eine Lohnfertigung in Tschechien besitzt, diese aber in den nächsten 5 Jahren zu schließen plant.

262

Produktion

beliefern. Auch hierbei sind die produzierenden Unternehmen internationaler orientiert als die reinen Vertriebsgesellschaften, deren Hauptziel die Bedienung des tschechischen Marktes ist.

100 23 23 42 42

Weltweit

54 54

88 70 70

100 Angrenzende Länder

23 23

Tschechien

23 23

Automobil

58 58

69 69

30 30

Maschinen- Elektronik- Chemische bau industrie Industrie

PharmaIndustrie

Abbildung 101: Zielmärkte des Absatzes der Tochterunternehmen Dies ist auch im Kontext der Entwicklung zum CKD („completely knocked down“)-Design in der Automobilbranche zu sehen, welches eine Produktion in Tschechien besonders attraktiv macht. CKD bedeutet, dass Autos nicht nur modular gebaut, sondern mittlerweile auch so entwickelt werden. Dies erlaubt zusätzlich zu operativen Vorteilen, dass die Endmontage quasi weltweit beliebig verschoben werden kann. Hierdurch werden interessante Möglichkeiten eröffnet, wenn in den einzelnen Zielmärkten nationale Regelungen einen gewissen Anteil der Fertigung im eigenen Land begünstigen (bzw. sein Fehlen mit Zöllen bestrafen). Aus diesem Grund stellt Tschechien beispielsweise für Škoda einen exzellenten Standort dar, um dort die komplette Fertigung der Module zu betreiben, aber zusätzlich in zahlreichen anderen Ländern wie der Ukraine, Bosnien oder Indien Endfertigungseinrichtungen zu unterhalten.

Maschinen- und Anlagenbau Nach Einschätzung unserer Interviewpartner stellt Tschechien traditionell einen der attraktivsten Produktionsstandorte für Maschinen- und Anlagenbau weltweit dar. In dieser Branche besitzen die tschechischen Arbeiter und Ingenieure enorme Kompetenzen, die auch für die Selbstwahrnehmung der Tschechen von großer Bedeutung sind. In diesem Bereich es ihnen möglich, „zu demonstrieren, dass sie alles können. Und das mit einer unglaublichen Flexibilität und Improvisationsgabe. Das haben die Tschechen im Blut“(Geschäftsführer eines Maschinenbauunternehmens).

Die Unternehmensfunktionen – Auf eigenen Beinen oder an der Nabelschnur der Mutter? 263

Sieben von zehn der befragten Unternehmen konnten aus diesem Grund auch mindestens einen Produktionsstandort in Tschechien aufweisen. Auch Unternehmen wie der Werkzeugund Maschinenhersteller Leitz, die zurzeit nur eine Vertriebsorganisation in Tschechien besitzen, haben Überlegungen angestellt, Teile der Produktion dorthin zu verlagern. Für die Maschinen- und Anlagenbauunternehmen mit Fertigungskapazitäten in Tschechien haben diese zumeist auch konzernintern eine hohe Bedeutung. Auch mit Blick in die Zukunft wird die Produktion im Maschinen- und Anlagenbau weiterhin sehr wichtig für die Tochterunternehmen bleiben. Ein Maschinenbauer in der Nähe von Prag konzentriert die Produktionsverantwortung für Osteuropa in Tschechien. Das tschechische Werk wurde so geplant, dass eine in den nächsten Jahren vorgesehene Kapazitätserweiterung möglich ist. Relevant beim Ausbau der Produktion in Tschechien ist überdies, dass diese mit den Märkten wandert und wächst. So konnte ein anderer Spezialmaschinenbauer die Produktion in Tschechien optimal nutzen, da sich die Hauptmärkte – vormals primär West- und Südeuropa – mittlerweile zum Großteil (70-80% des Umsatzes) in Russland und Osteuropa befinden und von Tschechien aus bedient werden. Ähnlich wie in der Automobilbranche besteht bei Fachkräften und Ingenieuren im Maschinenbau in Tschechien annähernd keine Arbeitslosigkeit. Es herrscht in bestimmten Regionen sogar ein Mangel. Wie bei der Betrachtung der Produktion der Automobilbranche bereits erwähnt, kann dieses Problem mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen durch Unternehmenszukäufe, Standortwahl oder auch Personalberater gelöst werden. Dieser Nachfrageüberhang, vor allem nach qualifizierten und erfahrenen Kräften, hat im Maschinen- und Anlagenbau zu einer fortschreitenden Lohnkostenanpassung an westliche Verhältnisse geführt, wobei in allen Bereichen des Maschinenbaus, in denen die Lohnsteigerung am größten ist, Lohnkosten nicht der größte Optimierungshebel der Produktion sind. Ein Spezialmaschinenbauer beschreibt diese Entwicklung wie folgt: „Die Lohnkosten haben sich sehr stark angeglichen. Anfangs war das Verhältnis zu Deutschland noch 1:10, mittlerweile liegt es bei 1:3, bestenfalls bei 1:4. Letztendlich entsprechen die Stundensätze ungefähr 50% des deutschen Niveaus, das aber bei niedrigerer Produktivität. Insgesamt bleibt eine Ersparnis von ca. 20%, welche zwar attraktiv ist, aber nicht überschätzt werden sollte. Gute Ingenieure und leitende Fertigungsarbeiter sind überall teuer. Zumal unsere Produkte so speziell sind, dass sie nicht überall produziert werden können. Daher ist eine reine Lohnkostenminimierung nicht möglich.“ Die von uns befragten Maschinen- und Anlagenbauer gaben die in Abbildung 100 gezeigten Informationen. Im Moment liefern die Unternehmen mit Produktionsanlagen bereits 75% ihrer Produktion direkt an Endkunden und nur 25% werden unternehmensintern weitergegeben. Eine Veränderung dieser Verteilung wird innerhalb der nächsten 5 Jahre nicht erwartet. Dies spricht für die hohe Maschinenbaukompetenz Tschechiens: In dieser Branche liegt in vielen Fällen bereits die Verantwortung für die Endmontage in Tschechien, wodurch viele Direktlieferungen an Endkunden erfolgen.

264

Produktion

Bezüglich der Absatzseite ist in Abbildung 101 zu erkennen, dass 30% der befragten Unternehmen beim Absatz einen reinen Tschechienfokus verfolgen, was zumeist in Konzernen, in denen eigene Vertriebsgesellschaften in praktisch allen anderen europäischen Ländern existieren, der Fall ist. Die verbleibenden 70% setzen ihre Produkte primär weltweit ab, wie es vor allem bei Spezialmaschinen häufig der Fall ist.

Elektronikindustrie Die Produktion elektrotechnischer Produkte ist mit 9 Milliarden Euro im Jahr 2002 ebenfalls ein relevanter Industriezweig in Tschechien, wobei ein klarer Produktionsschwerpunkt bei Geräten der Elektrizitätserzeugung und Produkten für die Automobilindustrie liegt.159 Teilweise waren die Vertreter der befragten Unternehmen sogar der Meinung, dass eine so starke Fokussierung der Elektronikproduktion auf die Automobilindustrie eine Einschränkung der Produktionspotenziale in Tschechien mit sich bringt. Bei den Elektrotechnik-Unternehmen in Tschechien trifft man häufig auf Vertriebsgesellschaften, die Produkte internationaler Konzerne auf den tschechischen Markt bringen, ohne eine eigenen Produktion zu betreiben. Von den 12 befragten Tochtergesellschaften verfügen nur 5 über Produktionsanlagen. Eng im Zusammenhang hiermit steht, dass die Unternehmen der Elektronikbranche von einem der wichtigsten Asse weniger profitieren als andere Branchen wie der Automobil- oder Maschinen- und Anlagenbau. Niedrige Lohnkosten werden von Unternehmen der Elektrotechnik als weniger relevant bewertet, als dies in anderen Branchen der Fall ist (siehe Kapitel 3). Dies ist zumindest zum Teil durch die wesentlich kapitalintensivere Produktion und den erwarteten Lohnkostenanstieg in Tschechien zu erklären. So ist bei einem Hersteller von IT- und Schaltschranklösungen eine Verlagerung der Produktion beispielsweise nicht absehbar, da diese zu fast 100% automatisiert ist. Unser Gesprächspartner bei einem Halbleiterhersteller brachte diese Thematik wie folgt auf den Punkt: „Wegen der Lohnkosten allein nach CZ zu gehen, ist kurzsichtig. So ein Werk hätte in 5 bis 10 Jahren keinen Sinn mehr. Aus diesem Grund verwendet das tschechische Werk dieselbe Technologie, wie sie auch in Deutschland im Einsatz ist.“ Wie in Abbildung 100 zu erkennen ist, erfolgt nur ein geringer Teil (28%) der in Tschechien stattfindenden Elektronikproduktion auch wirklich mit dem Ziel, Endkunden zu beliefern. Wesentlich häufiger werden andere Konzernteile beliefert (72%). In den nächsten 5 Jahren wird auch hier nur eine marginale Veränderung erwartet. Der hohe Anteil konzerninterner Transfers lässt auf eine hochgradige Globale Integration der Produktion in dieser Branche schließen. Die Zielmärkte der in der Tschechischen Republik aktiven Elektrotechnikunternehmen zeigen ein ähnlich einheitliches Bild, wie in Abbildung 101 zu erkennen: 58% (sieben von sieben nicht produzierenden Unternehmen) haben als reine Vertriebsgesellschaften primär Tschechien 159 Vgl. IKB (2004), S.25 f.

Die Unternehmensfunktionen – Auf eigenen Beinen oder an der Nabelschnur der Mutter? 265

und in einigen Fällen zusätzlich noch die Slowakei im Fokus, während die produzierenden Unternehmen allesamt auf den Weltmarkt abzielen (42%).

Chemische Industrie Die Verteilung der befragten Chemieunternehmen, bei denen 4 von 13 eine Produktion in Tschechien unterhalten, spiegelt auch die reale Situation wider. Chemische Produktion findet in der Tschechischen Republik nur insofern statt, als dass eine Anmischung der Endprodukte aus zentral hergestellten Komponenten und wenigen Grundstoffen erfolgt. Die zentrale Produktion findet in den meisten Fällen in Deutschland statt, wo zumeist im Stammwerk umfangreiche Produktionsanlagen mit sehr hohem Automatisierungsgrad und ausreichender Kapazität im Einsatz sind. Eine Verlagerung der Produktion ist somit uninteressant, da zum einen hohe horizontale Verbundvorteile bei der Bündelung an einem Ort erzielt werden können (etwa durch Wiederverwendung von Abfällen eines Produktes direkt vor Ort in anderer Produktion) und zum anderen lediglich wenige Mitarbeiter mit hoher Qualifikation und Verantwortung benötigt werden, die auch in Tschechien nicht wesentlich günstiger wären. Dies wird zum Beispiel durch die Aussagen unseres Gesprächspartners bei BASF Tschechien gestützt: „Die BASF baut in der Regel Anlagen im Weltmaßstab. Durch unsere Verbundstrategie haben wir große, hoch vernetzte Produktionsstandorte in Westeuropa etabliert, die uns enorme Kostenvorteile bringen. BASF produziert z. B. in Ludwigshafen, in einer ‚Stadt in der Stadt’ mit 10 km² und mehr als 34.000 Mitarbeitern, wo genügend Kapazitäten vorhanden sind. Von diesen bestehenden Produktionsstandorten können wir unsere Kunden in Zentraleuropa innerhalb von zwei Tagen beliefern. Von Ludwigshafen nach Prag sind es beispielsweise nur 480 Kilometer.“ Die Produktion, die trotzdem in der Tschechischen Republik stattfindet, betrifft lediglich einzelne Prozessschritte oder Produktgruppen. Zum einen die chemische Produktion, die stark von den gut ausgebildeten Maschinenbauingenieuren in Tschechien profitiert, da zum Beispiel einfache Kunststoffe mit komplexen wartungs- und kalibrierungsintensiven Maschinen hergestellt werden. Dies ist zum Beispiel bei Rekufol (Lebensmittelfolie) und Sico (Gummiformteile) der Fall. Zum anderen finden bei technischen Gasen (Bohemia Gas, Linde Technoplyn) Produktionsaktivitäten statt. Dies jedoch nicht, weil die Standortvorteile so relevant für die Produktion160 sind, sondern weil die Gasflaschen wegen des enormem Gewichts möglichst lokal befüllt werden müssen, um Logistikkosten zu sparen.161 Wie in Abbildung 100 zu erkennen ist, werden nur 24% der in der Tschechischen Republik hergestellten Güter der chemischen Industrie direkt an Endkunden geliefert. Der Großteil von 76% wird jedoch konzernintern abgesetzt. 160 Die Produktion erfordert primär Luft und Strom, aber kaum Arbeitseinsatz. 161 In diesem Unterbereich existieren somit relevante Handelsbarrieren.

266

Produktion

In der chemischen Industrie erwarten die Manager der produzierenden Betriebe jedoch eine relevante Veränderung innerhalb der nächsten fünf Jahre. Es wird damit gerechnet, dass der konzerninterne Absatz (48% in 2010e) von dem Absatz an Endkunden überholt wird (52% in 2010e). Dieser große Anstieg der Lieferungen direkt an die Endkunden ist dadurch zu erklären, dass die produzierenden Tochtergesellschaften in der Chemischen Industrie verstärkt osteuropäische Märkte adressieren wollen. Zusätzlich übernehmen die Tochterunternehmen zunehmend Marktverantwortung, die früher beim Mutterunternehmen lag. Hierdurch sinken konzerninterne Lieferungen und endkundenorientierte steigen, wodurch die chemische Industrie ein Vorreiter der Entwicklung weg von Exportorientierung hin zu Globale Integration ist. Bezüglich der Zielmärkte des Absatzes bedienen rund zwei Drittel (69%) der in Tschechien aktiven Unternehmen primär auch den tschechischen Markt, während 8% der Unternehmen vor allem in angrenzenden Ländern agieren und 23% auf den Weltmarkt abzielen. Hierbei sind nicht produzierende Unternehmen vollständig als reine Vertriebsgesellschaften für Tschechien allein aufgestellt. Produzierende Unternehmen haben eine weitaus internationalere Ausrichtung.

Pharmaindustrie Die deutsche Pharmaindustrie ist fast ausschließlich durch Vertriebsaktivitäten in Tschechien vertreten. Es gibt kein großes Pharmawerk eines deutschen Unternehmens in Tschechien, lediglich Boehringer Ingelheim lässt in Lizenzproduktion in Tschechien fertigen. Davon abgesehen hat keines der befragten Unternehmen Produktionsanlagen in Tschechien. Auch bei Boehringer Ingelheim wird ein Rückgang oder eine Auflösung der Lohnherstellung erwartet. Produktion in Tschechien ist für die Pharmaindustrie ähnlich wie für die chemische Industrie nicht relevant, da die Produktion zentralisiert und ohne relevanten Arbeitsanteil stattfindet. Hinzu kommt, dass auch in dieser Branche die zentralen Fertigungsstraßen nicht so ausgelastet sind, dass es dringend nötig wäre, neue Kapazitäten zu schaffen. Die Aussagekraft von Abbildung 100 ist somit nur begrenzt repräsentativ, da sie lediglich auf der vom Volumen her unbedeutenden Lohnfertigung eines einzelnen Unternehmens (Boehringer Ingelheim) basiert. Wie bereits erwähnt, sind alle in Tschechien vertretenen Pharmaunternehmen primär auf den tschechischen Markt fokussiert. International und in angrenzenden Ländern wird der Vertrieb von eigenen Landesgesellschaften übernommen.

Die Unternehmensfunktionen – Auf eigenen Beinen oder an der Nabelschnur der Mutter? 267

13.2.2 Fallbeispiel Produktion: F.X. Meiller – Das Musterwerk in Tschechien F.X. Meiller ist seit über 150 Jahren ein Münchner Familienunternehmen, das qualitativ hochwertige Kippaufbauten und Kippanhänger herstellt und seit 1993 auch in der Tschechischen Republik präsent ist. Seitdem wurden über 40 Millionen Euro in Tschechien investiert, um in Slany bei Prag einen Produktionsstandort aufzubauen, an dem im Jahr 2005 900 der rund 1700 F.X. Meiller-Mitarbeiter beschäftigt waren. Anhand des Beispiels von F.X. Meiller werden im Folgenden verschiedene Erfolgsfaktoren erfolgreicher Produktion in Tschechien genauer erläutert, denn ohne das richtige Management wäre es nicht möglich gewesen, innerhalb von 12 Jahren zu einem der wichtigsten Produktionsstandorte innerhalb der Meiller Gruppe aufzusteigen.

Schlüsselerfolgsfaktor: Standortwahl F.X. Meiller hat zum Aufbau seines Produktionsstandorts ein Teil kurz vor dem Bankrott stehendes Stahlbauwerkes in Slany (30 km nordöstlich von Prag) übernommen, das sogar eine eigene Schweißerschule besaß. Hierdurch war es möglich, eine große Anzahl qualifizierter Mitarbeiter zu übernehmen. Außerdem wurden durch die Sicherung der Arbeitsplätze in der Region eine starke Bindung und Loyalität der Mitarbeiter zum Unternehmen aufgebaut. Dies ist ein starker Motivator für die tschechischen Mitarbeiter. Auch „Drei- bis VierSchichtbetrieb wird problemlos akzeptiert, nur an Weihnachten steht das Werk still.“ Diese Motivation der Mitarbeiter ermöglicht zusammen mit der hohen in der tschechischen Mentalität verankerten Grundflexibilität auch Last-Minute-Aufträge. Nach einem Gespräch, das mit einem potenziellen Kunden in Prag geführt wurde, war es für den F.X. MeillerMitarbeiter möglich, nach dem Abendessen noch ins Werk zu fahren und eine bisher noch nicht gefertigte vom Kunden gewünschte Produktspezifikation in der Schweißerei in der Nachtschicht in Auftrag zu geben. Am nächsten Morgen konnte er dem Kunden sein „Wunschprodukt“ nicht nur auf der Blaupause zeigen, sondern es ihm sogar schon vorführen.

Erfolgsfaktor: Interkulturell angepasste Unternehmensführung Das Führungsteam von F.X. Meiller besteht aus zahlreichen tschechischen Managern, die unter der Führung des deutschen und tschechischen Geschäftsführers übernommen oder eingestellt und intern entwickelt wurden. Kommunikationsprobleme werden durch Tschechen im Management stark verringert. Dennoch wird bei F.X. Meiller die Bedeutung von Deutschen im Top-Management als hoch angesehen, um die in Tschechien häufige Konsensorientierung sinnvoll zu begrenzen. Bezüglich der in Tschechien sehr wichtigen Personenorientierung setzt F.X. Meiller mit dem deutschen Geschäftsführer nicht nur einen unternehmensintern angesehenen Kenner der Meiller-Gruppe (34 Jahre Unternehmenszugehörigkeit) in

268

Beschaffung

Tschechien ein, sondern auch einen Manager, der moderne Qualitätsmanagementmethoden kommuniziert und implementiert und enge Beziehungen zu Stadt und Mitarbeitern pflegt. Er hat im Betrieb das Bewusstsein hergestellt, dass Teamorientierung eng mit Qualität zusammenhängt, die bei F.X. Meiller sehr erfolgskritisch ist. Selbst geringer Ausschuss erfordert bei Kippaufbauten oftmals 60-80 Stunden Nacharbeit, wodurch sich die Bedeutung von Qualität einfach auf den Punkt bringen lässt: „Schrott kann man sich nicht leisten.“ Effizientere Produktion ist auch einer der Erfolgsfaktoren, die Tschechien im Moment noch gegenüber anderen östlicheren Ländern hat und auch noch einige Zeit haben wird.

Erfolgsfaktor: Effiziente Produktion Abgesehen von den interkulturellen Aspekten kann die Fertigung von F.X. Meiller einen weiteren vom Management beeinflussten Erfolgsfaktor aufweisen: eine mit deutschen Erfahrungen entwickelte und kontinuierlich im laufenden Betrieb verbesserte Produktionsanlage. Kaum eine der in Slany verwendeten Maschinen und keiner der dort eingesetzten Prozesse ist älter als 12 Jahre, was bei den wenigsten Produktionsstätten in Deutschland der Fall ist. Aufgrund der Größe und des Gewichts (25.000 t Stahl werden pro Jahr bewegt) der Produkte setzt F.X. Meiller state-of-the-art Logistikprozesse für die Just-in-time Belieferung aller Montagewerke der Kunden in Europa ein. Außerdem setzt F.X. Meiller auf eine langfristige Osteuropa-Ausrichtung. Dies bedeutet, dass es zu den Unternehmen zählt, die mit Blick auf die zukünftig erwartete Lohnentwicklung in Tschechien bereits über Pläne verfügen, den Automatisierungsgrad zu erhöhen und in Tschechien Handarbeit durch Maschinen zu ersetzen, sobald es wirtschaftlich sinnvoll wird.

13.3 Beschaffung Die Bedeutung, die die Beschaffungsfunktion eines Tochterunternehmens in Tschechien hat, hängt einerseits von der Wertschöpfungstiefe der jeweiligen Branche und andererseits vom Beschaffungsumfang der Tochtergesellschaft ab. Wir haben von Tochterunternehmen, für die sogar das Corporate-Identity-Schreibmaterial zentral eingekauft wird, bis zu solchen, die kurz davor sind, eine zentrale Rolle in der Gesamtbeschaffung der Gruppe durch Einkaufsleitung für Mittel- und Osteuropa zu übernehmen, die unterschiedlichsten Ausprägungen der Beschaffungsfunktionen angetroffen. Wie in Abbildung 97 zu sehen, ist die Beschaffungsfunktion der tschechischen Tochterunternehmen stark global integriert. Gemeinsam mit der Forschung & Entwicklung ist die Beschaffung eine der beiden am weitesten ins globale Unternehmensnetzwerk eingebundenen Funktionen. Abbildung 102 zeigt, dass ähnlich wie bei den anderen Funktionen, die Beschaf-

Die Unternehmensfunktionen – Auf eigenen Beinen oder an der Nabelschnur der Mutter? 269

fungsfunktion der Automobil- und die Maschinenbaubranche stärker eingebunden ist, als es in anderen Branchen der Fall ist.

Globale Integration

48 71

75

1 12

Geschäftstransfer Exportorientierung

40

40

52

16

19

15

14

87

12

23

59 7

40

7

1

69 6

4 9

59

100 38

41

9

8

53

51

93

67

35

18

Fahrzeugbau

Maschinen- Elektronik- Chemische bau Industrie industrie

PharmaIndustrie

Durchschnitt

Abbildung 102: Expansionsstrategien in der Beschaffung 2005 und 2010e in Prozent Im Folgenden werden die Besonderheiten der Beschaffungsfunktion in Tschechien zunächst branchenübergreifend und anschließend branchenspezifisch betrachtet. Im Anschluss daran werden wichtige Themenfelder anhand des Fallbeispiels des Automobilzulieferers Behr Group vertieft.

13.3.1 Rolle der Beschaffung in Tschechien – Vom Lieferungsempfänger zum Chefeinkäufer in Osteuropa Vergleichbar mit der Entwicklung der Produktionsfunktion befindet sich auch die Beschaffung in Tschechien in einem Transformationsprozess. Während zum Zeitpunkt, als die deutschen Unternehmen ihre Präsenz in Tschechien als verlängerte Werkbank (im Sinne Globaler Integration) ausbauten, die meisten Lieferanten noch aus Deutschland stammten, hat sich mittlerweile die Lieferantenstruktur geändert. Die deutschen Zulieferer sind entweder auch nach Tschechien oder Osteuropa gefolgt oder sie wurden durch lokale Anbieter ersetzt. In beiden Fällen stiegen die Bedeutung des Einkaufs in der Tschechischen Republik und somit auch die Bedeutung der Einkaufsfunktion in den befragten Tochtergesellschaften. Teilweise sind auch schon Tendenzen zu erkennen, dass der lokale Einkauf verstärkt Einkaufsaktivitäten für den Konzern übernimmt, zusehends weiter gen Osten ausgerichtete Beschaffungsaktivitäten betreibt und zum Kompetenzzentrum für Osteuropa wird.

270

Beschaffung

In 5 Jahren

Beschaffung von CZ für CZ selbst

93%

36% Beschaffung durch andere Unternehmensteile

Für Tschechien abgewickeltes Beschaffungsvolumen

64%

Von Tschechien abgewickeltes Beschaffungsvolumen

Für Tschechien abgewickeltes Beschaffungsvolumen

7%

Beschaffung für andere Unternehmensteile 12%

71%

Beschaffung von CZ für CZ selbst

88%

29% Beschaffung durch andere Unternehmensteile

Von Tschechien abgewickeltes Beschaffungsvolumen

Heute Beschaffung für andere Unternehmensteile

Abbildung 103: Funktion Beschaffung 2005 und 2010e162 Auf der linken Seite von Abbildung 103 ist zu sehen, dass zurzeit 36% des für die tschechische Niederlassung abgewickelten Beschaffungsvolumens durch andere Unternehmensteile eingekauft wird. Das heißt, dass mehr als ein Drittel der in Tschechien benötigten Güter durch einen außerhalb des Landes liegenden Einkauf beschafft werden (Exportorientierung). Ebenfalls werden von dem Beschaffungsvolumen, das das tschechische Tochterunternehmen verwaltet, lediglich 7% für ausländische Unternehmensteile eingekauft (Globale Integration). Bei einer Betrachtung der rechten Hälfte fällt jedoch auf, dass in Zukunft mit einer maßgeblichen Verschiebung dieser Verteilung zu rechnen ist. Der Anteil der Beschaffung durch andere Unternehmensteile wird sich innerhalb der nächsten fünf Jahre um knapp ein Fünftel auf 29% verringern, während die Beschaffung für andere Unternehmensteile sich von 7% auf 12% fast verdoppeln wird. Basierend auf den von uns geführten Gesprächen lässt sich dieser Bedeutungszuwachs des tschechischen Einkaufs erklären und konkretisieren. Der Beschaffungsbedarf der in Tschechien produzierenden Unternehmen lässt sich zumeist in drei Hauptgruppen unterteilen. Erstens existiert ein strategisch bedeutsames Kernbeschaffungsvolumen (A-Komponenten), bei dem höchste Ansprüche an Qualität und Termintreue gestellt werden. Dieses wird sowohl zurzeit als auch in Zukunft größtenteils in Deutschland beschafft und von einer zentralen Konzernfunktion koordiniert (Exportorientierung). Zweitens existiert eine Untergruppe von Teilen, die zwar spezifisch und relevant sind und bei denen auch Qualität ein bedeutsames Thema ist, denen aber nicht die gleiche erfolgskritische Bedeutung zukommt wie der ersten Gruppe. Diese Teile werden in vielen Fällen bereits in Tschechien vom lokalen Einkauf 162 Nur Unternehmen mit Beschaffungsfunktion in Tschechien wurden betrachtet.

Die Unternehmensfunktionen – Auf eigenen Beinen oder an der Nabelschnur der Mutter? 271

beschafft (B-Komponenten), in manchen Fällen sogar auch für andere Unternehmensteile (Globale Integration). Drittens werden Massengüter benötigt, die zu konstanter oder quantifizierbarer Qualität global beschafft werden können (C-Komponenten), was zumeist, um Skalenvorteile auszunutzen, vom zentralen Einkauf am Stammsitz übernommen wird. Die tschechische Tochter bezieht diese Güter dann vom globalen Einkauf (Exportorientierung). Der Wandel von Exportorientierung zu Globaler Integration ist innerhalb dieser Struktur wie folgt zu erklären: Zum einen werden in Tschechien kontinuierlich Kompetenzen auf- und ausgebaut, um für A-Komponenten aus der ersten Gruppe als Lieferant in Frage zu kommen. Vor allem Unternehmen in Tschechien, die von einem Wissenstransfer innerhalb eines internationalen Unternehmensverbundes profitieren konnten, sind immer mehr in der Lage, Qualitäts- und Logistikstandards wie in Deutschland anzubieten. Hierdurch sinkt das Einkaufsvolumen, das für das tschechische Tochterunternehmen zentral beschafft wird. Diese Entwicklung befindet sich zwar noch in einem früheren Stadium, wird sich aber mit fortschreitender Aufwertung der Aktivitäten in Tschechien weiter fortsetzen. Zum anderen sinkt innerhalb der zweiten Gruppe (B-Komponenten) das Volumen der bisher in Deutschland beschafften Produkte, da diese häufig günstiger lokal beschafft werden und somit deutsche durch tschechische Lieferanten ausgetauscht werden, beziehungsweise deutsche Lieferanten ihre Fertigung nach Tschechien verlagern. Darüber hinaus kommt den tschechischen Tochterunternehmen in einigen Fällen auch schon eine Bedeutung für den Einkauf von C-Komponenten (der dritten Gruppe) zu. Sie übernehmen zunehmend Einkaufsverantwortung in mittel- und osteuropäischen Märkten, in denen sie oft für die gesamte Unternehmensgruppe Komponenten beschaffen. Vor Beginn der Analyse der Beschaffungsfunktion nach Branchen ist zu erwähnen, dass reine Vertriebsgesellschaften in keinem der Fälle Beschaffungskompetenzen besitzen. Aus diesem Grund bezieht sich die Diskussion der Beschaffung zwangsläufig nur auf die Unternehmen mit Produktionsfunktion. Diese Beobachtung ist konform mit unseren Hypothesen über die Entwicklung der Unternehmensfunktionen in Tschechien, die in Kapitel 13.1 weiter erläutert werden.

Automobilindustrie Der Beschaffungsfunktion kommt wohl in keiner anderen Branche eine so hohe Bedeutung zu wie im Automobilsektor. Nur hier entfallen mehr als die Hälfte der Kosten der Geschäftstätigkeit (58%) auf das Beschaffungsvolumen. In der Darstellung der Beschaffungsfunktion der Automobilindustrie ist zu erkennen, dass die Automobilbranche bereits heute einen sehr geringen Anteil an Beschaffung aufweist, der durch andere Konzernteile übernommen wird. Die 23% des für Tschechien abgewickelten Beschaffungsvolumens, die von anderen Konzernteilen abgewickelt werden, sind der mit Abstand niedrigste Wert aller Branchen. In Bezug auf den Anteil der von Tschechien aus

272

Beschaffung

abgewickelten Beschaffung, werden im Moment 9% des Beschaffungsvolumens für andere Unternehmensteile eingekauft. Die Automobilbranche zeigt sich hier als Branche mit den hochwertigsten Beschaffungskompetenzen. Dieser Trend wird sich in Zukunft weiter verstärken. Die tschechischen Tochterunternehmen werden noch mehr Beschaffungsverantwortung übernehmen, wodurch die Exportorientierung der Beschaffungsfunktion sinkt. Die Unterstützung bei der Beschaffung, die andere Unternehmensteile für Tschechien mit leisten, sinkt knapp um ein Drittel auf 16%, und die Bedeutung der tschechischen Beschaffungsfunktion für andere Unternehmensteile steigt mit 22% auf den branchenübergreifend höchsten Wert. Die Industriepraxis der Plattformstrategien ermöglicht es, die tschechischen Beschaffungsaktivitäten für andere Unternehmensteile dadurch zu erhöhen, dass tschechische Lieferanten, sobald einmal für eine bestimmte Komponente einer Plattform freigegeben ist, mit relativ geringem Aufwand für andere Standorte freigegeben und von Tschechien aus betreut werden können (z. B. Škoda). Die Freigabe lokaler Lieferanten tschechischer Unternehmen, die im Anschluss auch als Konzernlieferanten freigegeben werden, wird vor allem auch von Automobilzulieferern als große Chance gesehen. Bei der Zusammenarbeit mit tschechischen Zulieferern gibt es allerdings auch einige Probleme. Qualitätsprobleme werden immer noch als ein wiederkehrendes Problem angesehen, das zwar nicht den Ausbau einer tschechischen Lieferantenstruktur verhindert, ihn aber verlangsamt. Als eines der größten Probleme wird in der Beschaffung im Automobilsektor jedoch die Korruption gesehen. Bei den befragten Tochtergesellschaften werden häufige Versuche konstatiert, die Einkäufer zu bestechen. Aus diesem Grund war es für die tschechischen Niederlassungen oft erfolgskritisch, strikte Regeln einzuführen und die Beschaffung unternehmensintern hoch aufzuhängen. Abschließend lässt sich sagen, dass die Probleme, mit denen sich die Automobilindustrie in der Beschaffung konfrontiert sieht, durchaus auch Themen sind, mit denen sich andere Branchen auf ihrem Weg zu Globaler Integration auseinander setzen müssen. Die Automobilbranche in ihrer Vorreiterrolle bei der Übertragung von Kompetenzen nach Tschechien hat diese lediglich früher bemerken und teilweise bereits ausräumen können.

Maschinen- und Anlagenbau Der Beschaffungsanteil an den Kosten ist bei Maschinen- und Anlagenbauern mit 42% von großer Bedeutung. In dieser Branche sind aufgrund der landesspezifischen Maschinenbaukompetenzen Zulieferer gut zu finden. Trotzdem werden auch hier noch zahlreiche strategische Teile aus Deutschland bezogen. Der Maschinen- und Anlagenbau ist in Bezug auf die Beschaffungsfunktion weniger eigenständig als der Automobilbau. Zurzeit wird noch ein großer Teil (38%) der in Tschechien

Die Unternehmensfunktionen – Auf eigenen Beinen oder an der Nabelschnur der Mutter? 273

benötigten Teile und Materialien durch andere Unternehmensteile beschafft, während mit 3% ein sehr geringer Prozentsatz der in Tschechien ansässigen Beschaffungsaktivitäten für andere Unternehmensteile erfolgt. Innerhalb der nächsten 5 Jahre bewegt sich die Beschaffungsfunktion in dieser Branche eindeutig von Exportorientierung weg, da die Einkaufsverantwortung der tschechischen Tochterunternehmen steigt (nur noch 28% Beschaffung durch andere Unternehmensteile). Die Beschaffungsverantwortung, die im Unternehmensverbund für andere Unternehmensteile übernommen wird, steigt zwar auch (5%), aber der hier erreichte Grad an Globaler Integration ist weit niedriger als beispielsweise beim Automobilbau. In den Gesprächen mit den Unternehmern stellte sich heraus, dass bei Beschaffungsaktivitäten für andere Unternehmensteile mehr Verantwortung übernommen werden wird. Ein Spezialmaschinenbauer beabsichtigt, die Beschaffungsaktivitäten von Stahlbau, der bereits lokal zugekauft wird, zunehmend auf ganze Produktkomponenten auszuweiten. Zusätzlich zeigte sich in vielen Gesprächen, dass sich für Maschinenbauunternehmen interessante Möglichkeiten durch Einkauf in Tschechien eröffnen, wenn nicht nur Güter, sondern auch beispielsweise Bearbeitungsleistungen eingekauft werden. Zwar ist es standortabhängig, ob man diese Chance nutzen kann (lokale Anbieter müssen vorhanden sein). Wenn dies aber der Fall ist, so ist es möglich, verschiedene Bearbeitungsschritte – etwa von Metallteilen – extern günstiger auszuführen zu lassen, als dies aufgrund geringen Volumens intern möglich gewesen wäre. Hier werden die Themengebiete Standortwahl und die lange Maschinenbautradition Tschechiens in Verbindung gebracht. Einen guten Überblick über Themen und Problemfelder der Beschaffung im Maschinen- und Anlagenbau in Tschechien gibt die folgende Aussage vom tschechischen Geschäftsführer eines Messgeräteherstellers: „Anfangs wurden alle Teile in Deutschland eingekauft, mittlerweile gewinnen aber tschechische Lieferanten zusehends an Bedeutung, die auch von einem eigenen Einkauf betreut werden. Besonders wichtige Teile, bei denen Qualität oder Termineinhaltung von großer Bedeutung sind, werden aber weiterhin und auch langfristig über Deutschland bezogen. Teilweise ist ein auf Unternehmensebene erfolgender Einkauf auch aufgrund von Skalenvorteilen einfach günstiger.“

Elektronikindustrie Die Elektronikbranche unterscheidet sich insofern von den beiden vorherigen, da sie aufgrund wesentlich höherer anteiliger Produktions- und F&E-Ausgaben (höhere Wertschöpfungstiefe) an der Gesamtkostenstruktur nur einen Beschaffungsanteil an den Kosten von 32% und auch sonst andere Beschaffungseigenheiten aufweist. Der Anteil der Beschaffung für Tschechien, der durch andere Unternehmensteile übernommen wird, ist mit 46% heute und mit 45% in fünf Jahren einer der höchsten über alle Branchen hinweg, was auf eine konstant hohe Exportorientierung der Beschaffung in dieser Branche schließen lässt. Gründe hierfür sind zum einen ein hohes Kernbeschaffungsvolumen

274

Beschaffung

(strategisch wichtige Teile) und zum anderen der Bedarf an weltweit relativ identischen Teilen in hohen Stückzahlen in der Elektrotechnik, die mit hohen Skalenvorteilen zentral für sämtliche Unternehmensteile eingekauft werden können. Transportkosten sind bei zentral eingekauften Elektronikkomponenten wesentlich unbedeutender als beim Automobil- oder Maschinen- und Anlagenbau. Aus diesem Grund spielt zentrales Global Sourcing in der Elektrotechnik eine große Rolle. Anders ist dies jedoch bei dem Beschaffungsvolumen, das Tschechien für andere Unternehmensteile übernimmt. Die beachtlichen in Tschechien vorhandenen Produktionskapazitäten in der Elektrotechnik kombiniert mit der globalen Einsetzbarkeit von Produkten und Material haben dafür gesorgt, dass der Ausgangswert hier mit 13% der höchste aller Branchen ist. Der in fünf Jahren erwartete Wert von 17% wird nur von der Automobilbranche übertroffen, die hier ebenfalls mit einem hohen Wachstum rechnet. Insofern ist in diesem Bereich eine deutliche Tendenz in Richtung Globale Integration zu erwarten. Carl Zeiss in Tschechien unterstützt beispielsweise „nebenher“ die zentrale Einkaufsabteilung dabei, günstige Lieferanten für global beschaffbare Massengüter wie Magnesiumdruckguss zu finden.

Chemische Industrie Bei der chemischen Industrie mit einem vergleichsweise hohen Beschaffungsanteil an den Kosten von 43% zeigt sich eine der Elektrotechnik entgegengesetzte Situation. In dieser Branche ist es nicht der Fall, dass die tschechische Tochter zu großen Teilen Beschaffungsaktivitäten für andere Unternehmensteile übernimmt, wie dies bei Unternehmen der Elektrotechnikbranche zunehmend üblich ist. Im Bereich Beschaffung für andere Unternehmensteile wird keine Veränderung erwartet. Sowohl heute als auch in Zukunft werden lediglich 4% des Beschaffungsvolumens für andere Unternehmensteile in Tschechien abgewickelt. Es wird sogar erwartet, dass der Anteil der Beschaffung, der von anderen Unternehmensteilen für Tschechien mit übernommen wird, in den nächsten fünf Jahren um ein Viertel von 43% auf 31% sinkt. Die Gründe dafür, dass in Tschechien kein Einkauf für andere Konzernteile übernommen wird, sind die zentralisierte Produktion und das begrenzte Rohstoffvorkommen in Tschechien. Sämtliche Grund- und Rohstoffe werden von den wenigen Produktionsstandorten selbst oder zentral eingekauft. Jedoch übernehmen die tschechischen Tochterunternehmen zusehends mehr Verantwortung für ihre eigenen Beschaffungsbedarfe übernehmen und werden in dieser Hinsicht eigenständiger (Geschäftstransfer). Diese wachsende Eigenständigkeit beschränkt sich in der chemischen Industrie allerdings vor allem auf die Kunststoffverarbeiter, die bezüglich der Beschaffung autark von der Zentrale arbeiten wollen, um flexibler zu sein. Es gibt jedoch in der chemischen Industrie auch gegenteilige Tendenzen weg von Globaler Integration, hin zu stärkerer Exportorientierung.

Die Unternehmensfunktionen – Auf eigenen Beinen oder an der Nabelschnur der Mutter? 275

Pharmaindustrie Die Pharmaindustrie fällt komplett aus der Betrachtung der Beschaffungsfunktion heraus. Zum einen liegt hier der Beschaffungsanteil an den Kosten mit 27,7% auf dem niedrigsten Wert von allen Branchen, da die Hauptkostenblöcke hier Forschung & Entwicklung sowie Marketing & Vertrieb sind. Zum anderen erfolgt der Großteil der Beschaffungsaktivitäten genauso zentralisiert wie die Produktion, was auf eine sehr hohe Exportorientierung der Beschaffung schließen lässt. Es wird sogar erwartet, dass die Exportorientierung hier weiter ansteigt. Dies ist deshalb der Fall, da einige tschechische Töchter eigene Beschaffungsaktivitäten aufgeben und diese Kompetenzen bei den jeweiligen Regionalgesellschaften (in Österreich oder Deutschland) zentral ausgeführt werden. Der tschechische Einkauf wird weder heute noch in Zukunft eine Bedeutung für die Beschaffung für andere Unternehmensteile haben (jeweils 0% heute und in 5 Jahren). Globale Integration der Beschaffung ist insofern in der Pharmabranche überhaupt nicht festzustellen.

13.3.2 Fallbeispiel: Behr Group – Beschaffungszentrum für Osteuropa Die in Stuttgart gegründete Behr GmbH und Co. KG ist ein Systempartner der internationalen Automobilindustrie. Mit einem Produktschwerpunkt auf Fahrzeugklimatisierung und Motorkühlung zählt die Behr Gruppe mit einem jährlichen Umsatz von rund 3 Milliarden Euro weltweit (2005) zu den führenden Erstausrüstern bei Pkw und Nutzfahrzeugen. Von den weltweit 18.000 Mitarbeitern werden 700 am tschechischen Standort Mnichovo Hradiste in direkter Nähe zu Mladá Boleslav (Škoda Auto) beschäftigt. Behr ist seit 1999 in der Tschechischen Republik aktiv, wobei der Markteintritt in Form eines Joint-Ventures mit Hella, einem seit 1993 in Tschechien vertretenen Hersteller von Lichtelementen, erfolgte. Auch bei Behr entfällt der Großteil der Produktkosten auf die Beschaffung. Vor allem der Trend, dass Automobilzulieferer – auf Wunsch der Automobilhersteller – die Front-EndSysteme als Komplettpakete anbieten, lässt die Bedeutung der Beschaffungsfunktion weiter wachsen, da hierzu mehr Komponenten zugekauft werden müssen und die Produktion der einzelnen Lieferanten koordiniert werden muss. Den Auftrag von Skoda Auto hat das JV Hella-Behr deshalb erhalten, weil die lokale Produktion und Montage des Klimagerätes und des Frontendmoduls für den Skoda Fabia unweit des Automobilwerkes zugesagt worden ist. Seit einem Jahr wird der tschechische Produktionsstandort auch verstärkt für Beschaffungsaktivitäten für die gesamte Behr-Gruppe genutzt. Das hat mehrere Vorteile. Zum einen kann die tschechische Niederlassung ein tschechisch besetztes Führungsteam aufweisen, dessen Mitglieder Erfahrung in verschiedenen osteuropäischen Ländern mitbringen. Zum anderen wurde eine klare Einteilung vorgenommen, welche der zu beschaffenden Teile

276

Forschung & Entwicklung

aufgrund von strategischer Wichtigkeit oder Skalenvorteilen zentral von Deutschland aus und welche nach Möglichkeit von günstigeren Standorten aus beschafft werden sollen. Zusätzlich wird das Beschaffungsumfeld in Tschechien als „kleiner, überschaubarer Markt“ beschrieben. Sowohl bei der Suche nach Vertriebsmitarbeitern als auch bei der Akquisition von Zulieferern „kommen die, die wir eh schon kennen, wodurch schwache Firmen leicht erkannt werden können“. Dadurch, dass die Automobilbranche in Tschechien eine relativ enge Gemeinschaft zumeist deutscher Unternehmen ist, „spricht man eben miteinander“, wodurch eine sehr gute Marktübersicht über Vor- und Nachteile möglicher Zulieferer entsteht. Auch wird durch eine solche Informationsstruktur opportunistisches Verhalten tschechischer Zulieferer eingedämmt, da eine Verschlechterung ihrer Reputation negative Folgen für sie haben würde. Unter anderem durch ihre Kompetenzen in der Beschaffung und im Management von Zulieferern war es für Behr und Hella in Tschechien möglich, den Auftrag für die gemeinsame Entwicklung und Lieferung des Frontendmoduls für den Skoda Fabia zu erhalten.

13.4 Forschung & Entwicklung Die Tschechische Republik ist dabei, für ausländische Investoren weit mehr als nur eine verlängerte Werkbank (im Sinne Globaler Integration) zu werden. Immer mehr Unternehmen gehen dazu über, Forschungs- & Entwicklungskompetenzen in Tschechien aufzubauen. Dennoch ist diese Entwicklung noch nicht so weit vorangeschritten wie der Transfer der Funktion Produktion oder Beschaffung. Bei den beiden Letzteren können die befragten Unternehmen in mehr als der Hälfte der Fälle die Funktion in Tschechien aufweisen163, während zurzeit lediglich knapp 30% der Unternehmen (primär aus der Automobilbranche) F&E-Aktivitäten in der Tschechischen Republik betreiben. Wie in Abbildung 97 zu sehen, ist die Funktion Forschung & Entwicklung der tschechischen Tochterunternehmen stark global integriert. Die Forschung & Entwicklung ist die am weitesten ins globale Unternehmensnetzwerk eingebundene Funktion. Hierbei ist zu beachten, dass es sich bei Forschung & Entwicklung um eine stark vernetzte Funktion handelt. Aus diesem Grund gibt es praktisch nie die Expansionsstrategie „Geschäftstransfer“, bei der eine eigenständige Forschung aufgebaut werden würde in diesem Bereich. Abbildung 104 zeigt, dass ähnlich wie bei den anderen Funktionen, auch die Forschung & Entwicklung der Automobilund die Maschinenbaubranche stärker eingebunden ist, als es in anderen Branchen der Fall ist.

163 52% der befragten Unternehmen verfügen über Produktion, 59% über Beschaffung in Tschechien.

Die Unternehmensfunktionen – Auf eigenen Beinen oder an der Nabelschnur der Mutter? 277

18

40

Globale Integration

56

70

40

3

10

7

1

Exportorientierung

90

79

2 59

3 42

29

43

1

1

58

56

71

2

1

41

60 1

Geschäftstransfer

100

23

93

76

60

38

26

Fahrzeugbau

Maschinen- Elektronik- Chemische industrie bau Industrie

PharmaIndustrie

Durchschnitt

Abbildung 104: Expansionsstrategien in Forschung & Entwicklung 2005 und 2010e in Prozent Im Folgenden wird auf die Besonderheiten der Funktion Forschung & Entwicklung in Tschechien eingegangen. Im Anschluss werden wichtige Themenfelder anhand des Fallbeispiels von Lurgi Lentjes, einer Tochter der ehemaligen Metallgesellschaft (mittlerweile umbenannt in MG Technologies), die Großanlagenplanung in Prag betreibt, vertieft.

13.4.1 F&E in Tschechien – Die noch unterschätze Zukunftschance Forschung & Entwicklung gehören eher zu den Unternehmensaktivitäten, die von den von uns befragten Unternehmen im Vergleich zu Produktion und Vertrieb erst seit kürzerer Zeit in Tschechien ausgeführt werden. Das ist dadurch zu erklären, dass F&E-Aktivitäten zumeist erst dann nach Tschechien transferiert werden, sobald alle anderen Funktionen bereits verlagert worden sind (siehe auch Kapitel 13.1). Und genauso wie in der Produktion mit wachsender Erfahrung immer umfassendere und anspruchsvollere Komponenten gefertigt werden, hat auch bei F&E eine Aufwertung der Aktivitäten stattgefunden. Von dem Ausgangspunkt aus, dass die gesamte Produktion in Tschechien auf den Ergebnissen deutscher F&E beruhte, wurden zunächst Anpassungen der Produkte vorgenommen, die hauptsächlich auf den tschechischen Markt abzielten. Mittlerweile ist aber auch zu beobachten, dass erste Unternehmen die komplette Projektierung und Ausführung einzelner Forschungs- & Entwicklungsprojekte in die Tschechische Republik auslagern. Gründe hierfür sind die Standortvorteile, die Tschechien in Bezug auf F&E-Aktivitäten zu bieten hat. Neben guten Mitarbeiterqualifikationen (vor allem in den traditionell starken Branchen Maschinen- und Anlagenbau sowie Automobil) sind die Lohnkosten als moderat einzustufen. Qualifizierte Hochschulabsolventen in Ingenieurs- oder IT-Disziplinen, die eine

278

Forschung & Entwicklung

Tätigkeit bei einer ausländischen Firma aufnehmen, erhalten in der Regel ein monatliches Salär von mindestens 625 Euro. Erfahrene Fachkräfte kommen auf ein durchschnittliches Monatsgehalt von 1.250 Euro.164 Diese Löhne mögen zwar für tschechische Verhältnisse hoch sein, machen aber nur einen kleinen Teil der Gehälter aus, die in den Stammländern der Unternehmen für die jeweiligen Berufsgruppen angemessen sind. Vor allem im Vergleich zu anderen so genannten „Entwicklungsstandorten der Zukunft“ wie Indien oder China schätzen Unternehmen das „Abflussrisiko“ bei Wissenstransfers nach Tschechien weitaus geringer ein. Auch die weit größere geografische und mentale Nähe zum Stammsitz sorgt häufig dafür, dass eine Verlagerung von so erfolgskritischen Aktivitäten wie F&E eher zu verantworten ist. Vor allem seit dem EU-Beitritt ist die Tschechische Republik durch die dadurch gestiegene Rechtssicherheit beim Schutz geistigen Eigentums zu einem noch attraktiveren F&E-Standort geworden. Aufgrund der Natur von F&E-Aktivitäten ist die Integration über Landesgrenzen (Exportorientierung und Globale Integration) bei dieser Funktion sehr hoch (siehe auch Abbildung 97). Forschung & Entwicklung in einem Unternehmensverbund erfolgen zumeist zentralisiert an einem oder wenigen Standorten mit dem Ziel, die Ergebnisse möglichst für alle Unternehmensteile nutzbar zu machen. Der Anteil lokaler oder regionaler F&E beschränkt sich zumeist auf die Anpassung zentral entwickelter Produkte. Wie in Abbildung 104 zu erkennen ist, zeigt sich bei einer Betrachtung der F&E-Funktion in allen Branchen, dass langfristig ein Trend weg von der Exportorientierung hin zu Globaler Integration gesehen wird. Der Grad an Globaler Integration, für die der Wert der in Tschechien generierten F&E-Ergebnisse repräsentativ ist, steigt von 41% heute auf 43% in 5 Jahren. Die Exportorientierung, dargestellt durch die F&E-Aktivitäten, die durch andere Unternehmensteile übernommen werden, sinkt von 58% auf 56%.

Automobilindustrie Wie Abbildung 104 deutlich macht, sind relevante F&E-Aktivitäten in Tschechien vor allem in der Automobilbranche zu beobachten. Hier betreibt – im Gegensatz zum Rest der Branchen – der Großteil der befragten Unternehmen Forschung & Entwicklung in Tschechien. Dies lässt sich dadurch erklären, dass Forschungs- & Entwicklungsaktivitäten in dieser Branche zu einem großen Teil eng mit Produkten und Kunden verbunden sind. So werden zum Beispiel von Automobilzulieferern Komplettsysteme (z. B. Front-Ends) für die Automobilbauer hergestellt, die während der Lebensdauer des Modells kontinuierlich weiterentwickelt werden. Aus diesem Grund ist es hier sinnvoll, einen großen Teil der F&E-Aktivitäten dort auszuführen, wo auch produziert wird. In den in Tschechien besuchten Tochtergesellschaften ist es häufig so, dass die F&E-Verantwortung für die Entwicklung der neuen Systeme und Module noch am Stammsitz ausgeführt wird, die produktionsbegleitenden Weiterentwicklungen

164 Vgl. Strohbach, Uwe (2004).

Die Unternehmensfunktionen – Auf eigenen Beinen oder an der Nabelschnur der Mutter? 279

allerdings zumeist schon komplett in Tschechien angesiedelt ist. Dies wird jedoch nicht die letzte Stufe des Transfers von Forschung & Entwicklung nach Tschechien sein. Auch die Geschäftsführer sehen einen verstärkten Ausbau von Forschung & Entwicklung in Tschechien als eine gute Möglichkeit an, den Standort langfristig im Unternehmensverbund attraktiv zu halten und zu sichern. Erste Unternehmen übernehmen auch hier vormalige Kernkompetenzen des Mutterunternehmens. Im Automobilbau werden 40% der in Tschechien generierten F&E-Ergebnisse von ausländischen Unternehmensteilen mitgenutzt, wobei dieser Anteil in den nächsten fünf Jahren auf 49% steigen soll. Im Gegenzug wird die Bedeutung von F&E-Aktivitäten ausländischer Unternehmensteile für die Produkte der Tochtergesellschaft sinken (Anteil der Produkte der Tochtergesellschaft, die auf F&E ausländischer Unternehmensteile beruhen, sinkt von 85% auf 73%). Somit bewegt sich auch hier der Automobilbau im Forschungsbereich von der Exportorientierung weg in Richtung Globaler Integration und nimmt auch hier eine Vorreiterrolle ein, wenngleich die Exportorientierung der Forschungs- & Entwicklungsfunktion auf einem branchenübergreifend hohen Niveau ist und bleibt.

Maschinen- & Anlagenbau An den Werten in Abbildung 104 ist zu erkennen, dass – branchenübergreifend betrachtet – der Grad der Globalen Integration der F&E-Aktivitäten im Maschinenbau überdurchschnittlich hoch und die Exportorientierung sehr niedrig ist. Die in Tschechien generierten Forschungs- & Entwicklungsergebnisse werden oft im Unternehmensverbund genutzt, was auf die hohen landesspezifischen Kompetenzen in diesem Bereich zurückzuführen ist. Tschechien ist im Gegenzug bezüglich F&E aber relativ selbständig. Ein Erklärungsansatz hierfür ist, dass der Maschinen- und Anlagenbau weit mehr auf Projektbasis erfolgt als andere Branchen. Dies ist der Grund, weshalb F&E und Projektierung als eng verbundene Vorstufe und Begleitung der Produktion gesehen werden können und somit auch im besten Fall in ihrer Nähe liegen. Die befragten Manager und Geschäftsführer erwarten keine Veränderung dieser beiden Relationen, auch nicht bei einem Anstieg des absoluten F&E-Volumens in der Tschechischen Republik. Zusätzlich ist zu erwähnen, dass F&E im Maschinen- und Anlagenbau nach Meinung der Gesprächspartner weniger schrittweise verlagert werden kann, als dies zum Beispiel im Automobilbau der Fall ist. Da eine Aufteilung nach Produktserien oder Komponenten hier schwieriger ist, ist der Zentralisierungsgrad der Forschungs- & Entwicklungsaktivitäten hier höher (vor allem bei Spezialmaschinen- und Anlagenbau). Somit erfolgt die Verlagerung hier weniger graduell, sondern vielmehr in Sprüngen. Ungeachtet dessen haben bereits einige Unternehmen relevante Teile der F&E-Aktivitäten nach Tschechien transferiert. So betreibt der Spezialmaschinenbauer Dalaker mittlerweile seine kompletten Entwicklungsaktivitäten in Tschechien und der Getriebe- und Elektromotorenhersteller SEW Eurodrive besitzt ein Designzentrum bei Pilsen.

280

Forschung & Entwicklung

Elektronikindustrie – Chemische Industrie – Pharmaindustrie Diese drei Branchen weisen einen so hohen Zentralisierungsgrad der Forschung auf, dass in keiner von ihnen relevante F&E-Aktivitäten in der Tschechischen Republik durchgeführt werden. Lediglich die tschechischen Forschungs- & Entwicklungsaktivitäten von Bosch sind im Konzernverbund eingebunden und werden unternehmensübergreifend genutzt, genauso wie die Bosch-Niederlassung in Tschechien auch intensiv Wissen und F&E-Ergebnisse anderer Konzernteile nutzt. In der chemischen Industrie ist Linde Technoplyn die einzige Tochtergesellschaft, die F&E besitzt und im Linde Unternehmensverbund einen hohen Grad an Globaler Integration aufweisen kann. Hier beruht jedoch die Existenz der Funktion F&E darauf, dass ein selbständiges Unternehmen mit allen Funktionen übernommen wurde und ein umfassender Transfer von Wissen in die jeweiligen Funktionen und aus ihnen hinaus stattfindet. In der Pharmaindustrie erfolgt in Tschechien ebenfalls keine umfassende Forschung im eigentlichen Sinn. Vielmehr wurde bei Boehringer Ingelheim eine Stufe im Entwicklungsprozess neuer Medikamente nach Tschechien verlagert, die hier besonders gut zu verrichten ist. Die Rede ist hierbei von den klinischen Studien, die in Tschechien wesentlich einfacher zu realisieren sind als beispielsweise in Deutschland. Teilnehmer sind viel einfacher zu rekrutieren und von den Kosten her sind die Studien auch wesentlich günstiger. Der Weg, Tschechien in globale F&E-Aktivitäten zu integrieren, wurde auch von anderen Geschäftsführern als interessante Möglichkeit bewertet.

13.4.2 Fallbeispiel: Lurgi Praha Lurgi Praha ist ein in Prag ansässiges Unternehmen der ehemaligen Metallgesellschaft (mittlerweile umbenannt in GEA Group Aktiengesellschaft), das innerhalb des Konzernsegments Plant Engineering insbesondere für die Muttergesellschaft Lentjes GmbH, Großanlagenplanung mit dem Schwerpunkt Detail Engineering betreibt (mit einer Spezialisierung auf Müllverbrennungsanlagen und Rauchgasreinigungsanlagen). Die Gründung von Lurgi Praha erfolgte im Jahr 1993 mit dem Ziel, günstige Ingenieurleistungen für die Gruppe bereitzustellen. Insofern folgt Lurgi Praha als einziges befragtes Maschinen- und Anlagenbauunternehmen nicht dem Ablauf, dass Forschung & Entwicklung der Produktion gefolgt sind. Von den 43 Mitarbeitern, die zurzeit in Prag beschäftigt sind, sind dementsprechend lediglich 5 keine Ingenieure. Außerdem gibt es in der Niederlassung auch keinen Deutschen außer dem Geschäftsführer. Sämtliche Projekt- und Teamleiter kommen aus Tschechien. Aus diesem Grund ist es für Lurgi Praha auch von großer Bedeutung, auf exzellente Sprachkenntnisse der Mitarbeiter Wert zu legen, damit sie die Projekte auf der ganzen Welt direkt und eigenständig, ohne zwischengeschaltete Konzernfunktionen, betreuen und abwickeln können. Für alle

Die Unternehmensfunktionen – Auf eigenen Beinen oder an der Nabelschnur der Mutter? 281

Mitarbeiter gibt es Kurse in berufsrelevantem Englisch, und Projektleiter müssen sowohl Deutsch als auch Englisch beherrschen. Doch nicht allein die reinen Sprachkenntnisse tragen zum Geschäftserfolg bei. Vor allem in kreativen Disziplinen sind kulturelle Unterschiede von großer Bedeutung. Hier sind in erster Linie die große Freiheitsliebe der Mitarbeiter in Bezug auf das Herangehen an Probleme und die relative Obrigkeitshörigkeit zu erwähnen. Letztere zeigt sich zum Beispiel darin, dass, sobald ein Projektleiter seinen Lösungsansatz äußert, dieser als finale Lösung angesehen wird und der Prozess der Lösungsfindung damit beendet ist. Dies gerät dann jedoch manchmal mit der Freiheitsliebe in Konflikt: Die Mitarbeiter fühlen sich eingeengt, was zu Unzufriedenheit führen kann. Das Team von Lurgi Praha leistete zum Befragungszeitpunkt in Prag 50.000 auf Aufträge zurechenbare Ingenieursstunden pro Jahr, was verglichen mit den 160.000 h der Muttergesellschaft Lentjes GmbH in Deutschland bereits ein bedeutender Anteil ist. Auch der Trend des Funktionstransfers ist eindeutig. Die Anzahl der 40 Mitarbeiter könnte bei entsprechender Auftragslage langfristig auf 80 knapp verdoppelt werden, wodurch die tschechische Niederlassung ihre Kompetenzen beträchtlich ausweiten würde. Auf dem tschechischen Arbeitsmarkt sind zurzeit jedoch nur noch schwer geeignete Mitarbeiter zu finden. Des Weiteren hat die tschechische Niederlassung bereits verschiedene Softwareanwendungen selbst programmiert, die auch in anderen Unternehmensbereichen genutzt werden. Ein Beispiel hierfür ist ein in Prag erstelltes Programm, das es ermöglicht, die Angebote für Anlagen – in Abhängigkeit von den einzelnen Modulen – innerhalb weniger Stunden zu erstellen anstatt wie zuvor in zwei Wochen. Diese Entwicklung bietet ein eindeutiges Bild bezüglich des Erfolgs und der Erfolgserwartungen von Forschung & Entwicklung in Tschechien. Als Grund für die oben beschriebene Verlagerung wird angeführt, dass die konzerninternen Verrechnungskosten von Ingenieuren vergleichbarer Qualifikation in Tschechien bei 27 Euro und in Deutschland bei fast 150 Euro liegen. Vertriebskosten fallen in Prag nicht an. Alle Möglichkeiten der Kostenreduzierung wurden in der Vergangenheit genutzt. Selbst der bestbezahlte Direktor in Prag befindet sich vom Gehalt her immer noch unter 2.500 Euro brutto im Monat. Von diesen Kostenvorteilen profitiert aber nicht primär die tschechische Tochtergesellschaft, sondern die Unternehmensgruppe, da Ingenieursleistungen konzernintern zu Vollkosten bei 100% Auslastung abgerechnet werden. Die Mitarbeiter der Lurgi Praha sind allerdings über eine Bonusregelung am Ergebnis der Lentjes GmbH beteiligt.

13.5 Marketing & Vertrieb Die Tschechische Republik ist angesichts des bedeutenden Zuwachses an Produktionskapazitäten und der zunehmenden Lokalisierung der Beschaffung ein attraktiver Absatzmarkt für

282

Marketing & Vertrieb

Industrieprodukte geworden. Doch auch die rund 10,2 Millionen Einwohner des Landes stellen als Endverbraucher mit wachsendem Einkommen und teilweise großem Aufholbedarf im Vergleich zu Westeuropa einen attraktiven und schnell wachsenden Zielmarkt dar. Dies hat zur Folge, dass knapp 90% aller befragten Unternehmen eine Marketing- & Vertriebsfunktion besitzen, um den tschechischen Markt zu bedienen und teilweise auch, um von Tschechien aus andere Märkte zu erschließen.

Globale Integration

100 17

11

21

22

70

69

9

9

13

18

11

14

24

16

22

34

Geschäftstransfer

30 67

26

Exportorientierung

65

60

62

55

20

21

85

79

4

7

56

53 40 22

Fahrzeugbau

22

Maschinen- Elektronik- Chemische bau Industrie industrie

24

PharmaIndustrie

22

Durchschnitt

Abbildung 105: Expansionsstrategien in Marketing & Vertrieb 2005 und 2010e in Prozent Wie in Abbildung 97 zu sehen, ist die Funktion Marketing & Vertrieb der tschechischen Tochterunternehmen kaum global integriert. Es überwiegen Geschäftstransferstrategien, bei denen eine dem Heimatstandort ähnliche Struktur in Tschechien aufgebaut wird. Abbildung 105 zeigt, dass es auch hier branchenspezifische Unterschiede gibt. Im Fahrzeugbau dominiert noch Exportorientierung von Marketing & Vertrieb. Doch wird hier innerhalb der nächsten 5 Jahre mit einem starken Rückgang dieser Strategie zu Gunsten Globaler Integration gerechnet. Dieser Trend hin zu Globaler Integration ist auch in den anderen Branchen zu erkennen, wenn auch weniger stark. Im Folgenden werden die Besonderheiten der Funktion Marketing & Vertrieb in Tschechien dargestellt. Im Anschluss daran werden wichtige Themenfelder anhand des Fallbeispiels der DaimlerChrysler Vertriebgesellschaft behandelt.

13.5.1 Marketing & Vertrieb in Tschechien – Gute Beziehungen zu informierten Kunden Um einen möglichst umfassenden Überblick über wichtige Themenfelder von Marketing & Vertrieb geben zu können, wird im Folgenden zunächst die Grundlage eines erfolgreichen

Die Unternehmensfunktionen – Auf eigenen Beinen oder an der Nabelschnur der Mutter? 283

Vertriebs dargestellt, nämlich die Vertriebsmitarbeiter. Im Anschluss daran werden die gewonnenen Erkenntnisse über Besonderheiten von Industriekunden und Endkunden zusammengefasst. Abschließend werden die für einige Branchen und Produkte sehr relevanten, aber ebenfalls sehr schwierigen Geschäfte mit der öffentlichen Hand beurteilt. Abschließend werden branchenspezifische Erkenntnisse analysiert.

Vertriebsmitarbeiter Die Zufriedenheit der befragten Unternehmen mit ihren tschechischen Vertriebsmitarbeitern muss differenziert betrachtet werden. Bezüglich der rein fachlichen Qualifikationen sind die Unternehmen sehr zufrieden. Als Vertriebsmitarbeiter kann man in der Tschechischen Republik zumeist Universitätsabsolventen gewinnen, wohingegen man in Deutschland aus Kostengründen für dieselbe Tätigkeit oft auf niedriger qualifizierte Mitarbeiter zurückgreift. Dennoch kann es oft hilfreich sein, so zu verfahren wie ein Beleuchtungshersteller, der beim Aufbau seiner Vertriebspräsenz mit neuen tschechischen Mitarbeitern startete, diese aber in Deutschland schulen ließ. Wichtig ist hierbei, dass – auch wenn die fachlichen Qualifikationen der Mitarbeiter exzellent sind – vor allem bei älteren Mitarbeitern die Vertriebskultur fehlt. Die starke tschechische Konsensorientierung in Kombination damit, dass als Relikt kommunistischer Zeiten nur begrenzte Erfahrungen mit harten Preisverhandlungen bestehen, wurden in vielen Gesprächen als problematisch für den Vertrieb beschrieben. Insofern kann es in diesem Bereich sinnvoll sein, spezielle Schulungen anzusetzen und Ziele möglichst genau zu kommunizieren. Die in der tschechischen Kultur verankerte Personenorientierung ist jedoch im Vertrieb in anderen Bereichen auch von großem Vorteil. Tschechische Vertriebsmitarbeiter pflegen langjährige Beziehungen und enge persönliche Kontakte mit ihren Kunden. So wurde von unseren Gesprächspartnern beschrieben, wie Vertriebsmitarbeiter bei Kunden, die sie schon sehr lange persönlich kennen und in deren Familienangelegenheiten sie umfassenden Einblick haben, nach stundenlanger Unterhaltung über die Person und das Leben des anderen den wirklichen Geschäftsabschluss innerhalb von einer Minute abwickeln. Diese persönliche Form des Vertriebs gezielt zu nutzen, um Kunden zu binden, aber auch um gute Abschlüsse zu erzielen, ist ein noch von wenigen Unternehmen genutzter Erfolgsfaktor in der Tschechischen Republik. Ein weiterer Aspekt bezüglich der Auswahl der Vertriebsmitarbeiter ist außerdem von Bedeutung (vor allem im Endkundengeschäft). Durch starke regionale Mentalitätsunterschiede (zum Teil auch ein Grund für die zuvor erwähnte Immobilität der Tschechen) werden häufig Vertriebsmitarbeiter aus anderen Regionen nur begrenzt akzeptiert, vor allem wenn die Herkunftsregion Prag und die Zielregion eine ländliche ist. Bezüglich der unterschiedlichen Mentalität ist es sogar noch problematischer, tschechische Vertriebsmitarbeiter in die Slowakei zu schicken. Insofern ist es sinnvoll, auch wenn der Vertrieb von Prag aus gesteuert wird, das Vertriebsteam möglichst mit Mitarbeitern aus den jeweiligen Regionen zu besetzen.

284

Marketing & Vertrieb

Industriekunden Einleitend ist in Bezug auf tschechische Industriekunden zu sagen, dass diese von unseren Interviewpartnern als nicht grundlegend verschieden von denen in anderen Ländern eingeschätzt wurden. Dies ist dadurch zu erklären, dass es sich hierbei zumeist um Geschäfte zwischen internationalen Konzernen, die in allen Ländern ähnliche Standards haben, handelt. Bei primär tschechischen Industriekunden kommen jedoch die bereits erwähnten Besonderheiten zum Tragen. Langjährige Bekanntschaft, gemeinsame Trinkabende und persönliche Beziehungen zwischen Vertriebsmitarbeitern und Kunden sind in diesem Bereich an der Tagesordnung und von großer Bedeutung. Weitere vertriebsrelevante Themen beim Industriekundengeschäft in Tschechien sind Zahlungsmoral und Pricing. Da die Zahlungsmoral von allen Gesprächspartnern als sehr schlecht angesehen wird, sind zahlreiche Firmen dazu übergegangen, in den Verträgen häufigere kleine Zahlungen festzuschreiben. Dies ist auch im Rahmen des Pricings zu berücksichtigen. Das Pricing bietet – bei kreativer Nutzung – auch Möglichkeiten, mit eher qualitativ hochwertigen und entsprechend teuren Produkten im höchst preissensitiven tschechischen Markt zu bestehen. Zahlreiche Untenehmen bestätigten, dass bei Kaufentscheidungen gerade in Tschechien der Preis als wichtigstes Kriterium andere Verkaufsargumente dominiert.

Endkunden Auch bei dem Endkundengeschäft ist es für Marketing- & Vertriebsaktivitäten wichtig, einige landesspezifische Besonderheiten zu beachten. So kann es von großem Vorteil sein, ein etabliertes Vertriebsnetz oder eine bekannte und akzeptierte Marke zu übernehmen (Linde Technoplyn und Škoda). Bei der Übernahme der Marke ist auch zu berücksichtigen, ob diese Marke bereits in anderen osteuropäischen Märkten bekannt und etabliert ist und somit zusätzliche Vorteile mit sich bringt. Ebenfalls wurde branchenübergreifend festgestellt, dass tschechische Endkunden im Vergleich zu Kunden anderer Länder eine überdurchschnittlich hohe Technologieaffinität aufweisen und sehr für Produkteigenschaften oder Zusatzfunktionen zu begeistern sind.165 Im Endkundengeschäft kommt zusätzlich – wie in vermutlich fast allen Ländern – psychologischen Preisschwellen eine hohe Bedeutung zu. Es ist für die tschechische Niederlassung gewöhnlich nicht schwierig, diese Schwellen zu erkennen. Schwieriger ist es jedoch, der Unternehmenszentrale in Deutschland zu kommunizieren, dass diese Schwellen bei Preisvorgaben berücksichtigt werden sollten. Bezüglich der Verpackungen von Produkten ist zu erwähnen, dass es sich bei einigen befragten Unternehmen als Vorteil erwies, im internationalen Vergleich kleinere Packungsgrößen zu

165 Beispielsweise herrscht ein überdurchschnittlich hohes Interesse an Extras bei Autos.

Die Unternehmensfunktionen – Auf eigenen Beinen oder an der Nabelschnur der Mutter? 285

wählen, damit der Endpreis einer Verkaufseinheit nicht zu hoch wird und ein Kaufhemmnis darstellt. Ebenfalls kommen deutsche (vormals ein Zeichen von Qualität) oder zweisprachige (für Tschechien und die Slowakei) Packungsaufschriften zusehends aus der Mode. Es werden jeweils Packungsaufdrucke in Landessprache bevorzugt. Um die Präferenzen und Eigenheiten von Endkunden besser zu erfassen, gibt es natürlich auch in Tschechien Marktforschungsinstitute, die zwar eine Vielzahl von Studien anbieten, die aber selbst von Profis im Endkundenmarkt als nicht unbedingt verlässlich angesehen werden. Beobachtete oder an Absätzen abgelesene Kundenpräferenzen scheinen wenig mit den Umfragen zu korrelieren. In Bezug auf den Endkundenmarkt sehen viele Manager vor allem die Möglichkeit, im Vertrieb in Tschechien gewonnene Erfahrungen an andere Landesgesellschaften zu übermitteln. Andere osteuropäische Landesgesellschaften können davon profitieren, dass die tschechische Niederlassung viele Probleme, die die anderen erst noch antreffen werden, bereits gelöst hat. Aber auch der Vertrieb in Deutschland kann auf Erfahrungen aus Tschechien zurückgreifen. In Tschechien kann beobachtet werden, wie es ist, zwischen harter Konkurrenz von oben (Luxussegment) und konkurrenzlos billigen Discountern von unten wirtschaftlich zu bestehen. Erfahrungen in diesen Bereichen führen zu Preisparadoxen, etwa dass Nivea-Produkte in Tschechien teils höhere Preise erzielen als in Deutschland. Bei einer Betrachtung aller 49 befragten Unternehmen, die Marketing & Vertrieb in Tschechien betrieben, ist ein Trend in Richtung globale Integration festzustellen. Zurzeit werden 18% der von der tschechischen Niederlassung betriebenen Marketing- & Vertriebsaktivitäten für Verkäufe außerhalb Tschechiens genutzt. Es wird jedoch ein Anstieg dieses Wertes auf 25% innerhalb der nächsten 5 Jahre erwartet. Der Anteil an Marketing & Vertrieb in Tschechien, der durch ausländische Unternehmensteile abgewickelt wird, sinkt nur marginal von 19% auf 18%. Im Folgenden wird betrachtet, inwiefern dieser Gesamttrend von den einzelnen Branchen getragen wird.

Automobilindustrie Bei der Funktion Marketing & Vertrieb lässt sich ein weiteres Mal feststellen, dass die Automobilbranche eine Vorreiterrolle bezüglich des Kompetenzaufbaus und der Übernahme von Verantwortung einnimmt. Wie in Abbildung 105 zu sehen ist, wird von den Interviewpartnern erwartet, dass sich vor allem die grenzüberschreitende Integration der Marketing- & Vertriebsfunktion weiter fortsetzt, was in dieser Branche einen klaren Trend in Richtung Globale Integration zeigt.166 Der Anteil der von anderen Konzernteilen in Tschechien abgewickelten

166 Der Anteil von Marketing & Vertrieb der Tochtergesellschaften, der außerhalb Tschechiens erfolgt, ver-

doppelt sich innerhalb der nächsten 5 Jahre von 24% auf 49%.

286

Marketing & Vertrieb

Marketing- & Vertriebsaktivitäten geht mit dem Aufbau eigener Kompetenzen von 35% auf 25% zurück (Exportorientierung sinkt). Zu den generellen Attributen des Vertriebs – vor allem der Zulieferer der Automobilbranche in Tschechien – gehört, dass es sich um eine räumlich begrenzte, eher kleine „Community“ handelt, in der man Kunden, Wettbewerber und auch deren Vertriebsleute sehr gut kennt. Dies sorgt für eine relativ hohe Transparenz der Vertriebssituation innerhalb der Tschechischen Republik, die durchweg positiv beurteilt wird. Diese Transparenz endet jedoch, wenn man von den Zulieferern zu den Automobilbauern wechselt, die für den internationalen Vertrieb auf Importeure zurückgreifen müssen. Hier kritisierte beispielsweise ein deutsch-tschechischer Automobilkonzern, dass es Intransparenzen bezüglich der Eigentumsverhältnisse gäbe. Es wäre häufig unklar, wer hinter welchem Unternehmen stehe. Dennoch sehen viele tschechische Tochterunternehmen bedeutende Chancen durch mehr Mitverantwortung für den Vertrieb in anderen zentral- und osteuropäischen Ländern. Hier werden bedeutende Synergien von den Tochtergesellschaften gesehen, wobei diese Wahrnehmung nicht immer von der Konzernzentrale geteilt wird. Doch kann auch ein zentral von der Konzernzentrale ausgeführter internationaler Vertrieb erfolgreich sein, vor allem wenn das Unternehmen in einem Segment mit hoher Konzentration bei den Kunden agiert.

Maschinen- und Anlagenbau Abbildung 105 zeigt, dass beim Maschinen- und Anlagenbau keine relevante Veränderung bezüglich der Marketing- & Vertriebsstruktur auftritt. Der Anteil an Marketing & Vertrieb, der für Verkäufe außerhalb Tschechiens genutzt wird (Globale Integration) liegt zurzeit bei rund einem Fünftel, wobei hier keine bedeutende Veränderung erwartet wird.167 Ebenfalls bei knapp einem Fünftel (19%) liegt der Anteil des Marketings in Tschechien, der durch ausländische Konzernteile abgewickelt wird (Exportorientierung). Insofern tritt hier zwar keine bedeutende Veränderung auf, aber Maschinen- und Anlagenbau weisen im branchenübergreifenden Vergleich ein konstant hohes Niveau bei beiden Werten auf. Eine wichtige Erkenntnis, die von allen befragten Unternehmen in diesem Sektor mitgeteilt wurde, ist, dass im Maschinenbau alle Produkte praktisch als Weltprodukte gesehen werden können. Aus diesem Grund „wäre der Versuch, in Tschechien ältere Technologie zu verkaufen, tödlich“ (CEO eines Maschinenbauunternehmens). Tschechien als Standort für internationale Marketing- & Vertriebsaktivitäten muss differenziert betrachtet werden. Für osteuropäische Märkte ist es sehr wichtig, in Tschechien aktiv zu sein, zum einen wegen der guten Reputation in Bezug auf Technologie, zum anderen, weil die 167 21% heute und 22% in 5 Jahren.

Die Unternehmensfunktionen – Auf eigenen Beinen oder an der Nabelschnur der Mutter? 287

Sprachfähigkeiten der Vertriebsmitarbeiter durchaus für die Kommunikation mit Kunden anderer östlich angrenzender Länder geeignet sind. So verfügt beispielsweise knapp die Hälfte aller Tschechen über Russischkenntnisse (mehr als ein Viertel sogar fließend), da Russisch zu den in den Schulen üblichen Fremdsprachen gehört und vor allem unter dem kommunistischen Regime stark forciert wurde.168 Für den Auftritt auf den Weltmärkten wird jedoch ein dem Anschein nach aus Deutschland stammendes Angebot zumeist als vorteilhafter angesehen. Aus diesem Grund sitzt bei manchen Maschinenbauern, die ihre Produktion schon komplett nach Tschechien verlagert haben, nur noch der internationale Vertrieb in Deutschland. Der geschäftsführende Eigentümer von Dalaker, der mittlerweile auch nach Tschechien übergesiedelt ist, fasste dies wie folgt zusammen: „Deutscher Maschinenbau kommt in Wahrheit immer häufiger aus Tschechien.“ Abschließend zu erwähnen ist noch das Problem, dass Unternehmen, die bei Ausschreibungen Pläne als Teil eines Angebotes herausgegeben haben, erleben mussten, wie der Auftrageber lokale Konkurrenz beauftragte, anhand der Pläne eine Billigversion der Konstruktion zu bauen. Im Vertrieb erfolgreiche Unternehmen haben Verfahren entwickelt, den Detailgrad ihrer Angebote so zu wählen, dass sie den Auftrag letztendlich doch erhalten.

Elektronikbranche Bezüglich der strategischen Ausrichtung wird bei der Marketing- & Vertriebsfunktion der Elektronikbranche innerhalb der nächsten 5 Jahre ein Anstieg sowohl der Globalen Integration (der Anteil des für Verkäufe außerhalb Tschechien genutzten Vertriebs steigt von 12% auf 15%) als auch der Exportorientierung (der Vertriebsanteil in Tschechien, der durch ausländische Unternehmensteile abgewickelt wird, steigt leicht von 19% auf 20%) erwartet. Dennoch liegt das erreichte Niveau auch nach diesem Anstieg immer noch im Mittelfeld, weit hinter der Automobilbranche. Auch hier kommen die oben genannten Vorteile von gut ausgebildetem Vertriebspersonal und die Schwierigkeiten bei öffentlichen Aufträgen zum Tragen. In der Elektronikbranche wird jedoch zusätzlich erwähnt, dass vor allem bei Medizintechnik und bei öffentlichen Aufträgen ein höheres Qualifikationsniveau der Vertriebsmannschaft nicht essenziell besser ist. Hier wurde beispielsweise von einem Medizintechnikhersteller festgestellt, dass Ärzte als Vertriebspersonal durchaus anzuwerben waren („Höhere Gehälter als die Krankenhäuser zu zahlen, ist nicht schwierig.“), sich aber geringerer Akzeptanz erfreuten. Technische Mitarbeiter, die dem Kunden eher das Gefühl vermittelten, der kompetente Fachmann zu sein, haben sich hier als bessere Verkäufer erwiesen.

168 Vgl. CzechInvest (2004b).

288

Marketing & Vertrieb

Chemische Industrie Im Vertrieb der chemischen Industrie wird, wie in Abbildung 105 zu sehen ist, ebenfalls ein Anstieg Globaler Integration erwartet. Der Anteil des in Tschechien ansässigen Vertriebs, der für Verkäufe in anderen Ländern genutzt wird, soll innerhalb der nächsten 5 Jahre von 20% auf 26%, den zweithöchsten Wert nach der Automobilbranche, steigen. Vor allem die Produzenten von Kunststoffprodukten erwarten einen starken Anstieg ihrer internationalen Aktivitäten. Die Exportorientierung dieser Branche steigt ebenfalls, wenn auch nicht so stark wie die Globale Integration. Der Anteil an Marketing & Vertrieb in Tschechien, der von anderen Unternehmensteilen abgewickelt wird, steigt von 15% auf 16%. Ingesamt steigt die grenzüberschreitende Integration (Exportorientierung und Globale Integration) aber an. Je nach Zielsegment des Vertriebs der chemischen Industrie ist Korruption auch ein nahezu unumgängliches Problem. Beispielsweise ist es in der Landwirtschaft beinahe unmöglich, ohne zumindest „Aufmerksamkeiten oder Prämien“ (Fernseher etc.) zu verteilen, Aufträge zu erhalten.

Pharmaindustrie Wie in Abbildung 105 zu erkennen ist, weisen Marketing & Vertrieb in der Pharmaindustrie am ehesten von allen Branchen eine Geschäftstransferstruktur auf. Die Globale Integration, gemessen am Vertriebsanteil, der für Verkäufe außerhalb Tschechiens genutzt wird, mit 6% der niedrigste aller Branchen, steigt auch innerhalb der nächsten 5 Jahre nur unwesentlich auf 9%. Der Anteil der von anderen Unternehmensteilen in Tschechien durchgeführten Marketing- & Vertriebsaktivitäten ist mit 11% heute niedrig und steigt nur geringfügig auf 14% an (Exportorientierung). Somit kann angesichts der relativen Autarkie und der geringen Bedeutung Tschechiens im Unternehmensverbund von einer Geschäftstransferstrategie ausgegangen werden. Das Vertriebsumfeld der Pharmaindustrie in Tschechien ist – vergleichbar mit vielen zentralund osteuropäischen Ländern – ein typischer Generikamarkt. Das bedeutet, dass sich die internationalen Pharmaunternehmen in starker Konkurrenz zu lokalen Billiganbietern ohne eigene Forschung & Entwicklung sehen. Generell wird der Vertrieb in Tschechien von Unternehmen wie B.Braun als strategisch wichtig für die weitere Osteuropa-Expansion angesehen, da in Tschechien Wissen und Erfahrungen gewonnen werden, von denen für den weiteren Weg nach Osten andere Landesgesellschaften lernen können. Eine der wichtigsten Erkenntnisse ist, dass „in Märkten wie Tschechien die Tochtergesellschaft über hohe Flexibilität verfügen muss, um im Wettbewerb bestehen zu können“ (CEO

Die Unternehmensfunktionen – Auf eigenen Beinen oder an der Nabelschnur der Mutter? 289

eines Pharmaunternehmens). Aus diesem Grund ist es sinnvoll, die Niederlassung primär über Ziele zu steuern und möglichst wenig operative Vorgaben oder Eingriffe vorzunehmen.

13.5.2 Fallbeispiel: DaimlerChrysler – Erfolg mit eigenem Vertrieb DaimlerChrysler, einer der weltweit führenden Automobil- und Nutzfahrzeughersteller, unterhält eine eigene Vertriebsniederlassung im Süden von Prag und verkauft jährlich 2.000 Personenkraftwagen, 1.900 Vans und 1.500 Lastkraftwagen in der Tschechischen Republik. In den ersten Jahren seiner Präsenz in Tschechien war das Unternehmen lediglich durch einen tschechischen Importeur vertreten, bis 1994 die strategische Entscheidung fiel, eine eigene Tochtergesellschaft aufzubauen. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand. Ein eigenes, durch den Hersteller gesteuertes Händlernetz, boten deutlich bessere Möglichkeiten, die Attraktivität des Tschechischen Absatzmarktes auszuschöpfen. Man rückte durch die Aufnahme des Retail-Betriebes näher an die Kunden heran und erhielt so die nötige Marktnähe, um auf die speziellen Kundenbedürfnisse in Tschechien reagieren zu können. So berichtet der deutsche Geschäftsführer beispielsweise von den hohen Ansprüchen seiner Kunden: Die Tschechen seien sehr technikorientiert und legten höchsten Wert darauf, stets die neuesten Modelle und Sonderausstattungen zu bekommen. Die Option, Tschechien als Absatzmarkt für ältere Modelle zu nutzen, um so den Produktlebenszyklus zu verlängern, steht somit gar nicht erst zur Diskussion.

13.6 Interne Unterstützungsfunktionen Interne Unterstützungsfunktionen umfassen in dieser Studie Back-Office-Funktionen, wie die allgemeine Verwaltung, IT, rechtliche Angelegenheiten, Personalmanagement, Rechnungswesen und Öffentlichkeitsarbeit. Es sollte in unserer Studie ermittelt werden, inwieweit die einzelnen befragten Unternehmen diese Tätigkeiten nur für sich selbst bereitstellen, inwieweit sie dabei von der Konzernzentrale unterstützt werden und inwieweit die Tochterunternehmen bereits begonnen haben, Unterstützungsfunktionen für die Zentrale bereitzustellen. Wie in Abbildung 97 zu sehen, sind die Unterstützungsfunktionen relativ stark global integriert. Abbildung 106 zeigt, dass es auch hier branchenspezifische Unterschiede gibt und ein weiteres Mal die Automobilbranche Vorreiter bei der Globalen Integration ist.

290

Interne Unterstützungsfunktionen

18

Globale Integration

Geschäftstransfer

46 66

17

Export17 orientierung

39 49

35

29

24

22

14

Fahrzeugbau

27

26

34

34

47

15

7

48

47

40

71

30

8

100

21 38

40

30

28

32

32

32

47

Maschinen- Elektronik- Chemische bau industrie Industrie

44

46

PharmaIndustrie

Durchschnitt

Abbildung 106: Expansionsstrategien bei Unterstützungsfunktionen 2005 und 2010e in Prozent Im Folgenden werden die Ergebnisse der Befragung bezüglich den Unterstützungsfunktionen in Tschechien dargelegt. Im Anschluss werden wichtige Themenfelder anhand des Fallbeispiels des Elektronikzulieferers für die Automobilindustrie Kostal erläutert.

13.6.1 Support aus Tschechien – Welche Aktivitäten müssen noch in Deutschland bleiben? Zu Beginn der Geschäftstätigkeit der befragten Unternehmen in Tschechien wurden Unterstützungsfunktionen häufig noch zum Großteil aus Deutschland bereitgestellt (Exportorientierung). Mit der Zeit wurde es jedoch attraktiv, aus operativen Überlegungen (Nähe, Kommunikation) und aus Kostengründen erste Aktivitäten nach Tschechien zu verlagern (Geschäftstransfer). Hierdurch ging die Bedeutung der zentral bereitgestellten Unterstützungsfunktionen für die Tochterunternehmen zurück. Mit wachsender Erfahrung und immer noch relevanten Kostenunterschieden stiegen aber auch die Kompetenzen der tschechischen Niederlassungen derart, dass teilweise schon Unterstützungsfunktionen in Tschechien so weit ausgebaut wurden, dass sie beginnen, für andere Unternehmensteile bereitgestellt zu werden (Globale Integration). Mittlerweile muss sich angesichts des Zuwachses an Aufgaben und Kompetenzen mancher Stammstandort eines Unternehmens die Frage gefallen lassen, weshalb diese oder jene Unterstützungsfunktion noch in Deutschland ausgeführt werden muss oder weshalb sie nicht kostengünstiger in Osteuropa verrichtet werden kann. Bei der Befragung hat sich gezeigt, dass alle einbezogenen Unternehmen Unterstützungsfunktionen in der einen oder anderen Form zumindest für den tschechischen Eigenbedarf

Die Unternehmensfunktionen – Auf eigenen Beinen oder an der Nabelschnur der Mutter? 291

besitzen. Im Folgenden wollen wir jedoch die Fälle betrachten, bei denen vom traditionellen Modell, dass an jedem Standort Unterstützungsfunktionen für ebendiesen bereitgestellt werden, abgewichen wird. Es wird analysiert, welche Funktionen häufig noch zentral ausgeführt werden (Exportorientierung) und welche schon von der tschechischen Niederlassung für andere Unternehmensteile mit übernommen werden (Globale Integration). Der Primärfokus von Unterstützungsfunktionen in Tschechien ist immer noch die Versorgung des eigenen Standorts (Geschäftstransfer). Der Anteil der Unterstützungsfunktionen, die in Tschechien bereitgestellt werden und von anderen Unternehmensteilen genutzt werden, ist in keiner Branche höher als 10%. Vor allem im Maschinenbau, der chemischen Industrie und der Pharmaindustrie ist dieser Anteil völlig bedeutungslos und wird es auch künftig bleiben (1% sowohl heute als auch in Zukunft). Lediglich in der Automobil- und Elektronikbranche ist eine gewisse konzerninterne Nutzung tschechischer Unterstützungsfunktionen zu erkennen, die auch in Zukunft steigen wird.169 Funktionen, die in Tschechien für andere Konzernteile ausgeführt werden, sind hierbei vor allem SAP-Programmierung, sonstige ITDienstleistungen, rechtliche Angelegenheiten (Europarecht und Rechtsberatung für Osteuropa) sowie Druckleistungen und Übersetzungen. Škoda hat beispielsweise anteilige Verantwortung für die IT-Lösungen der VW-Gruppe, und es wird überlegt, im Rahmen der Markengruppensynergie umfassend Unterstützungsfunktionen nach Tschechien zu verlagern. Bei dem Anteil der internen Dienstleistungen, die von anderen Unternehmensteilen für Tschechien bereitgestellt werden, wird in den nächsten 5 Jahren keine relevante Veränderung erwartet. Der Wert der Automobilbranche sinkt von 17% auf 16% und die Branche Maschinenbau zeigt sich als am selbständigsten, aber auch am wenigsten eingebunden (7% heute und in 5 Jahren). Die Werte von Elektrotechnik und chemischer Industrie steigen von 16% auf 17% beziehungsweise von 25% auf 27%, was einen leichten Trend in Richtung steigende Exportorientierung andeutet. In der Pharmabranche werden heute und in Zukunft nur 12% der Unterstützungsfunktionen von anderen Unternehmensteilen bereitgestellt, was nach dem Maschinenbau der zweitniedrigste Wert ist und darauf schließen lässt, dass die reinen Vertriebsorganisationen der Pharmaindustrie verhältnismäßig unabhängig sind. Zu erwähnen ist ebenfalls, dass produzierende Tochtergesellschaften weniger Unterstützungsfunktionen als nicht produzierende (Vertriebsgesellschaften) in Anspruch nehmen, da im Rahmen der Produktionsaktivitäten bereits auch zahlreiche Unterstützungsfunktionen nach Tschechien transferiert worden sind. Hinzu kommt, dass bei nicht produzierenden Tochtergesellschaften der Anteil an zentral für sie bereitgestellten Unterstützungsfunktionen steigen wird (21% auf 22%), wohingegen bei Niederlassungen mit Produktion erwartet wird, dass der Anteil von 12% auf 11% sinkt. Dies zeigt, dass der Trend bei produzierenden Unternehmen hier in Richtung Globale Integration und bei nicht produzierenden in Richtung Exportorientierung geht. Die Erwartungshaltung, in Zukunft mehr Unterstützungsfunktionen für

169 In der Automobilbranche steigt dieser Wert von 3% heute auf 8% in fünf Jahren. In der Elektronikindustrie

erfolgt ein Anstieg von 5% auf 6%.

292

Interne Unterstützungsfunktionen

andere Unternehmensteile zu übernehmen, ist bei produzierenden Unternehmen ebenfalls stärker.170

13.6.2 Fallbeispiel: Kostal – SAP für die Mutter, tschechische Lieferanten für die Gruppe Der Hersteller von Automobilelektronik Kostal betreibt im tschechischen Zdice 40 km östlich von Prag seit 1993 einen der bedeutendsten Standorte der Unternehmensgruppe. Knapp 2.000 der weltweit auf 22 Standorte verteilten 11.000 Kostal Mitarbeiter waren im Jahr 2005 in Zdice beschäftigt. Die Entscheidung für diesen Standort wurde bei Kostal nicht nur wegen des Lohnkostenniveaus sondern auch aufgrund der Qualifikation der Arbeitskräfte und der logistisch an das europäische Verkehrsnetz gut angebundenen Nähe zu Deutschland getroffen. Doch Zdice ist im Unternehmensverbund weit mehr als ein reiner Produktionsstandort. Es wurde hier nicht nur ein technologisches Zentrum in Tschechien aufgebaut, das auch für andere Konzernteile Entwicklungsaufgaben übernimmt, sondern auch in Bezug auf Unterstützungsfunktionen wurden Kompetenzen in Tschechien aufgebaut. Die tschechische Niederlassung ist dabei erfolgreich in der SAP-Programmierung und -Beratung. die in enger Zusammenarbeit mit der Muttergesellschaft für die Gesamtgruppe angeboten wird und ist in weltweite Projekte eingebunden, die zum Teil von Tschechien aus betreut werden. Der Aufbau eines "osteuropäischen" Lieferantennetzes für die Gesamtgruppe und die Eigenverantwortung für Kundenprojekte zeigt, dass Tschechien durch attraktive Standortvorteile langfristig zu einem eigenständigen Standort heranwächst. Kostal zeigt somit auf, dass erfolgreiche Globale Integration Vorteile nicht nur für den Standort Tschechien hat sondern auch einen Beitrag leistet für die komplette Gruppe. Erwähnt werden muss, dass dieser Wandel in der Tschechischen Republik Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben wird. Zurzeit besteht in einigen Bereichen in der Tschechischen Republik Vollbeschäftigung, mit einer Restarbeitslosigkeit, die statistischen Charakter hat, die aber verstärkt der Gefahr der Zweiklassengesellschaft mit unterschiedlicher Entwicklung ausgesetzt sein wird. Für qualifizierte Teilnehmer am Arbeitsmarkt werden die "goldenen Zeiten" weitergehen, die gering qualifizierten Teilnehmer werden dafür umso stärker dem Verdrängungswettbewerb mit den neuen "Ostnachbarn" um einfache Tätigkeiten ausgesetzt sein.

170 Eine Steigerung von 2% auf 5% der für andere bereitgestellte Unterstützungsfunktionen wird erwartet,

während dieser Anteil bei Unternehmen ohne Produktion konstant bei 3% bleibt.

14.

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

In diesem Kapitel konzentrieren wir uns auf die spezifischen Charakteristika der fünf untersuchten Branchen Automobil, Maschinenbau, Elektrotechnik, Chemie und Pharma. Dabei gehen wir jeweils in einem Branchenüberblick auf die gegenwärtigen Trends des Sektors ein und stellen die zentralen Themen vor, die das Geschehen in den Industrien zum gegenwärtigen Zeitpunkt bestimmen. Außerdem bauen wir wiederum auf unsere persönlichen Gespräche auf, um zu analysieren, welche Asse deutsche Unternehmen in den einzelnen Branchen ausspielen und welche Barrieren sie überwinden müssen. Um die Erkenntnisse noch besser zu veranschaulichen, stellen wir am Ende jeder Branchenanalyse exemplarische Fallbeispiele von Unternehmen vor, die sich branchentypischen Herausforderungen gegenübersahen und aus deren Erfahrungen man heute lernen kann.

14.1 Automobilindustrie: Deutsche Dominanz 14.1.1 Branchenüberblick Automobilhersteller Die Automobilindustrie hat Tradition in Tschechien. Schon während der österreichischungarischen Monarchie wurde bei der Firma Nesselsdorfer Wagenbau in KopĜivnice der „President“ gefertigt, der erste Wagen mit Verbrennungsmotor. Ebenfalls Anfang des 20. Jahrhunderts brachte die Firma Laurin & Klement ihr erstes Automobil auf den Markt. Beide Firmen existieren noch heute. Aus Nesselsdorfer Wagenbau wurde der Lkw-Hersteller Tatra, Laurin & Klement war der Vorgänger des heute größten tschechischen Unternehmens: Škoda. Die Öffnung Tschechiens nach den politischen Umwälzungen im Jahr 1989 änderte die Struktur der tschechischen Automobilindustrie von Grund auf. Im Zuge der Privatisierung wurden tschechische Unternehmen attraktive Übernahmeziele für ausländische Investoren, allen voran der führende Hersteller Škoda, der von Volkswagen übernommen wurde. Noch heute spricht man in Branchenkreisen vom Ausverkauf der tschechischen Automobilindustrie. In der Tat sind heute annähernd 80% der tschechischen Automobilhersteller und Zulieferbetriebe in ausländischer Hand.171

171 Vgl AIA CR (2005a).

294

Automobilindustrie: Deutsche Dominanz

Steigende Kapazitäten in der Automobilproduktion Das Stammwerk von Škoda in Mlada Boleslav, in dem jährlich über 400.000 Autos vom Band rollen, machen Tschechien zu einem der wichtigsten Standorte für Automobilproduktion in Mittel- und Osteuropa (siehe Abbildung 107).

600.000 2002

2003

2004

400.000

200.000

0 Tschechien Wichtigste Hersteller

Škoda

Slowakei Volkswagen

Polen Fiat, Opel

Slowenien Renault

Ungarn Audi, Suzuki

Abbildung 107: Automobilproduktion in Mittel- und Osteuropa172 Die komparativen Kostenvorteile in der Herstellung, die in Tschechien nicht mit Abschlägen bei der Qualität einhergehen und auch Škoda zur erfolgreichsten Marke innerhalb des VWKonzerns machten, bringen nun neue Investoren ins Land. Nur 50 km von Škoda entfernt eröffnete ein Joint Venture aus PSA und Toyota Anfang 2005 in Kolin ein neues Werk für die Produktion von Kleinwagen. Mit Hilfe von Investitionen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro sollen ab 2006 jährlich 300.000 Einheiten der Modelle Toyota Aygo, Peugeot 107 und Citroën C1 in Kolin produziert werden, die allesamt auf der gleichen Plattform basieren. Das Investment ist ein wichtiges Signal für den Standort Tschechien, nachdem in der jüngsten Vergangenheit zwei weitere Großprojekte von PSA und Hyundai aufgrund von günstigeren Löhnen und Steuern an den kleinen Nachbarn Slowakei verloren wurden.

172 Quelle: VDA (2005), S. 39.

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

295

Absatzmärkte fest in deutscher Hand Der tschechische Neuwagenmarkt wird seit Jahren von Lokalmatador Škoda dominiert. Trotz eines leichten Rückgangs trägt weiterhin fast jedes zweite in Tschechien zugelassene Auto das Emblem mit dem geflügelten Pfeil (siehe Abbildung 108).

VW 7%

Hyundai Peugeot Ford Renault 4% Opel 5% 5% 5% 3% Toyota 3% andere Hersteller 20%

Škoda 48%

Abbildung 108: Marktanteile auf dem tschechischen Neuwagenmarkt 2004 in Prozent173

Škoda Fabia Škoda Octavia VW Golf Peugeot 206 Škoda Superb Hyundai Getz Ford Fiesta TOYOTA Yaris 0

10.000

20.000

30.000

Abbildung 109: Die beliebtesten Modelle in Tschechien174

173 Quelle: AIA CR (2005b). 174 Quelle: AIA CR (2005b).

40.000

50.000

60.000

296

Automobilindustrie: Deutsche Dominanz

Zusammen mit den übrigen in Tschechien präsenten Marken VW, Audi und Seat kontrolliert die Volkswagen Gruppe annähernd 60% des Marktes. Bei den Zulassungen dominieren wie in den übrigen mittel- und osteuropäischen Ländern die Mini- und Kleinwagen. Allein die Varianten des Škoda Fabia repräsentieren ein knappes Drittel des Gesamtmarktes (siehe Abbildung 109). Für Modelle oberhalb der unteren Mittelklasse und somit für die traditionell wichtigen Segmente der deutschen Marken ist der tschechische Markt daher noch nicht sonderlich attraktiv. Mercedes verkauft etwa 1.600 Fahrzeuge pro Jahr, Konkurrenz BMW ist in Tschechien gar nicht mit einer eigenen Tochtergesellschaft vertreten. Die Preissensitivität der Kunden erklärt auch den schwunghaften Gebrauchtwagenmarkt, der annähernd das Volumen des Neuwagengeschäfts erreicht. Etwas ausgeglichener gestalten sich die Marktanteile auf dem tschechischen Lkw-Markt. Aber auch hier gehören die deutschen Hersteller Mercedes Benz und MAN zu den führenden Anbietern (siehe Abbildung 110). Der Markt ist mittlerweile fast komplett in ausländischer Hand. Die traditionellen tschechischen Hersteller wie Tatra und Liaz steigern zwar nach wie vor den Unterhaltungswert auf tschechischen Autobahnen, spielen aber beim Absatzvolumen keine nennenswerte Rolle mehr.

Renault 12%

DAF 11%

Scania 10% Volvo 10%

MAN 12%

Iveco 16%

andere 11% Mercedes 18%

Abbildung 110: Marktanteile auf dem tschechischen Lkw-Markt 2004 in Prozent175

Weiterhin Wachstumspotenzial auf dem Inlandsmarkt Im ersten Jahr nach dem tschechischen EU-Beitritt erlitt der Absatzmarkt einen deutlichen Dämpfer. Um ganze 12,6% ging der Neuwagenabsatz 2004 im Vergleich zum Vorjahr zurück. 175 Quelle: AIA CR (2005b).

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

297

Der Grund hierfür liegt zu einem guten Teil am Wegfall der Zölle auf Gebrauchtwagen aus der Europäischen Union, der den ohnehin starken Gebrauchtwagenmarkt nochmals beflügelte und die relative Attraktivität von Neuwagen senkte. Dennoch spricht vieles für weiteres Wachstum in Tschechien. Die Automobildichte liegt weiterhin deutlich unter westeuropäischem Niveau (siehe Abbildung 111), sodass eine Fortsetzung des Aufholtrends wahrscheinlich ist. Bis 2015 rechnet man damit, dass die mittelund osteuropäischen Staaten das heutige Niveau Westeuropas von 425 Fahrzeugen je 1.000 Einwohner erreichen werden, was deutliches Wachstumspotenzial impliziert176. Im globalen Kontext betrachtet gehört Mittel- und Osteuropa somit zu den wichtigsten Wachstumsregionen des Automobilsektors (siehe Abbildung 112).

Kfz-Bestand / 1.000 Einwohner

Neuzulassungen / 1.000 Einwohner

Deutschland 41 Slowenien 31 Tschechien

13

Polen

8

Ungarn

21

Slowakei

11 0

100

200

300

400

500

600

700

Abbildung 111: Fahrzeugdichte in ausgewählten Märkten 2004177 Noch mehr Grund für Optimismus gibt es im Bereich der Nutzfahrzeuge. Dank der anhaltenden Dynamik des Wirtschaftswachstums und der Investitionen steigt der Transportbedarf in Tschechien stetig an. Darüber hinaus nutzen mittlerweile immer mehr ausländische Firmen mit Sitz in Tschechien günstigere lokale Speditionen, die ihren westeuropäischen Konkurrenzen in puncto Zuverlässigkeit und Termintreue in nichts mehr nachstehen. Deren Bedarf an Lkws nimmt folglich ständig zu. Diese Entwicklungen geben der Nutzfahrzeugsparte in Tschechien weiterhin kräftig Auftrieb. Im Jahr 2004 stieg das Umsatzvolumen um stolze 19%. Die Absatzzahlen im ersten Halbjahr 2005 lassen für das Gesamtjahr auf Zuwächse in ähnlicher Größenordnung schließen.178 176 Vgl. VDA (2005), S. 84. 177 Vgl. VDA (2004), S. 21. 178 Vgl. AIA CR (2005b).

298

Automobilindustrie: Deutsche Dominanz

700

Pkw pro 1,000 Einwohner

600

Deutschland Italien

500

Frankreich

Slowenien

400

Spanien Portugal

Tschechien

300

UK Japan Belgien Niederlande

USA Schweiz

Sättigung

Litauen Polen

200

Russland Brasilien Mexiko Südafrika Türkei China

100 0 0

Südkorea

Wachstumspotenzial

10.000

20.000

30.000

40.000

BIP pro Einwohner [US-Dollar]

Abbildung 112: Potenzial globaler Pkw-Märkte179

14.1.2 Branchenüberblick Automobilzulieferer Dem allgemeinen Zug nach Osten haben sich natürlich längst auch die Zulieferbetriebe angeschlossen. Der zunehmende Kostendruck zwang viele Unternehmen, sich nach kostengünstigeren Alternativen im Osten umzusehen und Teile der Produktion zu verlagern. Tschechien nahm dabei insbesondere für deutsche Unternehmen eine herausragende Rolle ein. Mittlerweile haben über 200 Zulieferfirmen den Weg nach Tschechien gefunden, ein Großteil davon aus Deutschland.180 Dabei ist Tschechien nicht nur auf Grund der Nähe zu Škoda interessant. Die geografische Lage macht auch die Automobilhersteller in Süddeutschland innerhalb weniger Stunden erreichbar. Nicht selten sind Lieferungen aus Tschechien mittlerweile schneller beim Kunden als dies vom deutschen Stammsitz aus der Fall war. Aus diesem Grund avancierte die Region Nordböhmen zum wichtigsten Standort für die Zulieferindustrie.

179 Vgl. VDA (2005), S. 84. 180 Vgl. AIA CR (2005a).

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

299

3.500 2000

Millionen Euro

3.000

2001

2002

2003

2.500 2.000 1.500 1.000 500 0 Tschechien

Polen

Ungarn

Abbildung 113: Entwicklung deutscher Direktinvestitionen in der Automobilindustrie181 Dieser Trend hält weiterhin an, wie die steigenden deutschen Direktinvestitionen in Tschechien zeigen (siehe Abbildung 113). Weitere Wachstumsimpulse erwartet die Branche aufgrund des neuen Werks in Kolin.

14.1.3 Automobilsektor Vorreiter in Globaler Integration Immer mehr Wertschöpfung in Tschechien Von allen betrachteten Branchen weist der Automobilsektor mit Abstand den höchsten Anteil Globaler Integration auf. In den befragten Unternehmen wird also ein weitaus größerer Anteil der Gesamtwertschöpfung in Tschechien realisiert, als dies in den anderen Branchen der Fall ist (siehe Abbildung 114). Besonders bei den Zulieferern sind die tschechischen Tochterunternehmen oftmals die wichtigsten Produktionsstandorte im Konzern, die einen großen Teil der Wertschöpfung in den Bereichen Forschung & Entwicklung, Beschaffung und Produktion für das Gesamtunternehmen erbringen. Doch das Ende der Fahnenstange ist hier noch längst nicht erreicht, wie die 5-Jahrespläne der befragten Unternehmen implizieren. Der Trend weg von Exportorientierung hält ungebrochen an, die in Tschechien erbrachten Leistungen werden also immer noch weiter aufgewertet. Bei 181 Vgl. Deutsche Bundesbank (2005), S. 38.

300

Automobilindustrie: Deutsche Dominanz

einigen Zulieferern ist sogar angedacht, nur noch einige Konzernfunktionen in Deutschland zu belassen und die restliche Wertschöpfung komplett nach Tschechien zu verlagern.

100 17 17

34 34

Globale Integration 66 66

71 71

70 70

71 71

71 71

75 75

69 69

68 68

30 30

66 66 70 70 26 26

Geschäftstransfer 17 17

Exportorientierung 17 17

11 15 15

33

29 29

26 26

14 14

Unterstützungsfunktionen

F&E

66 23 23

77 18 18

15 15

16 16

16 16

16 16

Beschaffung Produktion

99

53 53 40 40

25 25

10 10

10 10 Marketing & Vertrieb

Gewichteter Durchschnitt

Abbildung 114: Strategien in der Automobilindustrie 2005 und 2010e Getrieben wird diese Entwicklung primär durch zwei Faktoren. Zum einen bauen die Tochterunternehmen ihre Beschaffungskompetenzen weiter aus und sind zunehmend für den Osteuropaeinkauf des Gesamtunternehmens verantwortlich. Noch deutlicher ist der Trend zur globalen Integration beim Vertrieb, der bislang noch zum Großteil im Verantwortungsbereich der Mutter liegt. Auch hier gewinnen nun aber die Töchter zunehmend an Eigenständigkeit. So werden zukünftig Kunden auch außerhalb Tschechiens vermehrt direkt vom tschechischen Produktionsstandort betreut, ohne den Umweg über die Zentrale zu nehmen.

Lohnkosten besonders wichtig Die Asse im Automobilsektor unterscheiden sich teils deutlich von den übrigen Industrien. Insbesondere zeichnet sich die Branche durch überdurchschnittliche Bewertung der Asse Standortvorteile und Skalenvorteile aus. So profitiert beispielsweise kein anderer Sektor so stark von den niedrigen Lohnkosten. Da meist ein großer Teil der Produktion in Tschechien konzentriert ist, spielen auch Fixkostendegression und Lernkurveneffekte eine überdurchschnittlich wichtige Rolle. Auffällig ist auch die hohe Bedeutung, die Tschechien bei der weiteren Expansion zugeschrieben wird. Das ist auf die steigende Bedeutung von Billigstlohnländern wie Rumänien oder die Ukraine für einfache Komponentenfertigung, zum anderen aber auch auf das von deutschen Zulieferern noch weitgehend ungenutzte Potenzial der russischen Automobilhersteller zurückzuführen.

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

301

Interessanterweise treten in der Automobilindustrie am häufigsten divergierende Ziele und Konflikte mit dem Mutterunternehmen auf. Dies könnte ein weiteres Indiz für die Bedeutung der tschechischen Tochterunternehmen sein, die sich längst vom Befehlsempfänger zu gleichberechtigten Partnern mit entsprechendem Wunsch nach Mitsprache gewandelt haben.

14.1.4 Fallbeispiel: Škoda – Der deutsche Tscheche Für die meisten Tschechen ist Škoda die Erfolgsstory der tschechischen Wirtschaft und das Symbol für die Neuausrichtung des Landes nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Regimes. Tatsächlich hat kein Ereignis in der jüngeren Geschichte die tschechische Automobilindustrie so nachhaltig geprägt wie die Übernahme der Traditionsmarke durch den Volkswagen Konzern im Jahr 1991. Schon vor der Übernahme galt Škoda als bester Automobilhersteller des Ostblocks. Trotzdem war offensichtlich, dass die Marke angesichts der übermächtigen Konkurrenz aus dem Westen nicht lange bestehen würde, sodass die Suche nach einem strategischen Partner begann. Nachdem sich zunächst sechs Konzerne um den Zuschlag bemüht hatten, fiel die Entscheidung schließlich zwischen Renault und VW. Renault war insbesondere an den bestehenden Produktionsanlagen in Mladá Boleslav nördlich von Prag interessiert, um Teile der Clio- und Twingo-Produktion zu verlagern. Bei Volkswagen hatte man dagegen die Bedeutung des traditionsreichen Unternehmens für Tschechien erkannt und versprach, die Marke Škoda und somit den Stolz der tschechischen Automobilindustrie zu erhalten. Auf diese Weise sicherten sich die Deutschen das Wohlwollen der tschechischen Regierung, bei der letztendlich die Entscheidungsmacht lag. Die Produktion wurde von 170.00 Fahrzeugen im Jahr 1991 auf über 494.000 im Jahr 2005 aufgestockt. Mittlerweile ist Škoda das wichtigste Unternehmen der tschechischen Industrie und ist für zirka 9% der tschechischen Expore verantwortlich. Obwohl die Investition in Tschechien offiziell nie mit Kostenvorteilen begründet wurde, profitiert man heute insbesondere von den immer noch günstigen Lohnkosten. Darüber hinaus spart die Modul- bzw. Plattformstrategie, dank derer die Modulen bzw. Plattformen sämtlicher Škoda-Modelle in Wolfsburg entstehen, Entwicklungskosten vor Ort. Die tschechischen Arbeitsgesetze ermöglichen außerdem die Produktion rund um die Uhr, sodass die kapitalintensiven Anlagen besser genutzt werden können als in Deutschland. All dies führt dazu, dass Škodas Ergebnissituation im Konzernvergleich äußerst zufrieden stellend ausfällt. Die Entscheidung, den Markennamen Škoda zu behalten, machte sich insbesondere in den neuen Absatzmärkten bezahlt. Nicht nur im Heimatmarkt, den Škoda mit annähernd 50% Marktanteil klar dominiert, erfreuen sich die kostengünstigen und dennoch mit deutscher Technik bestückten Modelle größter Beliebtheit. Die Präsenz in Tschechien steigert auch das Ansehen in den mittel- und osteuropäischen Nachbarstaaten. So war Škoda beispielsweise in 2005 auch in der Slowakei, Polen, Bulgarien und Bosnien und Herzegowina die Nummer eins.

302

Maschinen- und Anlagenbau: Tschechische Paradedisziplin

Innerhalb der Volkswagen Gruppe gewinnt Škoda nicht zuletzt dank der guten Ergebnisse in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung. Škoda ist nicht nur für die Osteuropastrategie des Konzerns zuständig, sondern übernimmt auch in anderen Bereichen zunehmend Verantwortung für den Gesamtkonzern. So betreut Škoda etwa den Osteuropaeinkauf auch für andere Unternehmensteile. Auch Teile der Forschung & Entwicklung werden mittlerweile aus Wolfsburg nach Tschechien verlagert. 300 zusätzliche Ingenieure sollen künftig die Entwicklungsabteilung in Mladá Boleslav verstärken. Insofern kann Škoda innerhalb der Volkswagen Gruppe als Musterbeispiel erfolgreicher globaler Integration gelten.

14.2 Maschinen- und Anlagenbau: Tschechische Paradedisziplin 14.2.1 Branchenüberblick Maschinen- und Anlagenbau

Spezialmaschinen 31% Werkzeuge 12% Landw irtschaftsmaschinen 5%

Waffen 2% Maschinen für mechanische Antriebe 18%

Universalmaschinen 26%

Haushaltsmaschinen 6%

Abbildung 115: Maschinenproduktion in Tschechien (Anteile nach Umsätzen 2002) Ähnlich wie in Deutschland blickt man in Tschechien auf eine lange Maschinenbautradition zurück. Obwohl die Bedeutung der Branche in Mittel- und Osteuropa insgesamt sinkt, spielt der Maschinenbau mit rund 8% des produzierenden Gewerbes nach wie vor eine wichtigere Rolle als in Ungarn oder Polen.182

182 Vgl. IKB (2004), S. 21.

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

303

Der Branchenschwerpunkt liegt traditionell auf Investitionsgütern und kompletten Produktionsanalagen, beispielsweise Anlagen für die Metallerzeugung, Bau- und Bergbaumaschinen sowie Anlagen für die Nahrungsmittel- und Textilindustrie. Zunehmend gewinnt auch die Herstellung von Maschinenwerkzeugen in Tschechien an Bedeutung (siehe Abbildung 115). In den nächsten Jahren ist überdies damit zu rechnen, dass auch tschechische Hersteller zunehmend in technisch komplexere Bereiche vordringen und zu ernsthafter Konkurrenz im Spezialmaschinenbau werden.

Steigende Investitionen deutscher Unternehmen

400

Millionen Euro

2000

2001

2002

2003

300 200 100 0 Tschechien

Polen

Ungarn

Abbildung 116: Entwicklung deutscher Direktinvestitionen im Maschinenbau183 Der Maschinen- und Anlagenbau beruht wie in Deutschland auf einer Vielzahl mittelständischer Unternehmen. Da die Finanzkraft vieler Betriebe beschränkt ist und viele notwendige Modernisierungsinvestitionen damit gezwungenermaßen ausbleiben, ist die Produktivität in der Branche noch relativ gering. Hier ergibt sich ein deutlicher Wettbewerbsvorteil für Unternehmen, die – oftmals mit Hilfe ausländischer Investoren – schon heute mit Ausstattung auf westeuropäischem Niveau produzieren. Gleiches gilt für ausländische Unternehmen, die Tschechien als verlängerte Werkbank (im Sinne Globaler Integration) oder sogar weitgehend als selbständigen Produktionsstandort (je nach Zielregion der Produkte Globale Integration oder Exportorientierung) nutzen. Insbesondere deutsche Investoren erkennen in steigendem Maße die günstigen Lohnkosten der gut ausgebildeten Arbeitskräfte im Nachbarland, wie die steigenden Direktinvestitionen zeigen (siehe Abbildung 116). Selbstverständlich liegt das Investitionsvolumen im Maschinenbau 183 Vgl. Deutsche Bundebank (2005), S. 38.

304

Maschinen- und Anlagenbau: Tschechische Paradedisziplin

auf deutlich niedrigerem Niveau als im sehr viel kapitalintensiveren Automobilsektor. Trotzdem steigt es in Tschechien wie auch in Ungarn in den letzten Jahren deutlich an und hat auch im Vergleich zu westeuropäischen Investitionsstandorten bereits eine durchaus beachtliche Größenordnung erreicht. Insbesondere für deutsche Mittelständler ist Tschechien als Standort interessant, da die Hemmschwelle der Internationalisierung aufgrund der geografischen und kulturellen Nähe gerade für traditionell geprägte Unternehmen noch vergleichsweise niedrig ist.

Auch als Absatzmarkt zunehmend interessant Die zunehmende Bedeutung der gesamten mittel- und osteuropäischen Region als Investitionsstandort für ausländische Firmen und die damit verbundene steigende Nachfrage nach Investitionsgütern machen Tschechien auch als Absatzmarkt zunehmend interessanter. Darüber hinaus besteht bei den lokalen Unternehmen nach wie vor ein enormer Investitionsbedarf, um den oftmals veralteten Maschinenbestand auf die gestiegenen Produktivitäts- und Qualitätsanforderungen in Europa anzupassen. Auch EU-Projekte zur Verbesserung der Infrastruktur in den Beitrittsländern lassen positive Auswirkungen auf den Maschinenbedarf erwarten. Insbesondere Baumaschinen und Anlagen in den Bereichen Umwelt- und Kraftwerkstechnik dürften sich steigender Nachfrage erfreuen. Der Trend lässt sich schon jetzt an teilweise zweistelligen Zuwachsraten in einigen Bereichen ablesen.

Veränderung

Anteil

Deutschland

+18%

46%

Italien

+12%

10%

Österreich

+20%

6%

Japan

+48%

6%

Frankreich

+2%

6%

+13%

3%

-19%

2%

Großbritannien

2004 2003

USA 0

500

1.000

1.500

2.000

2.500

3.000

3.500

4.000

Abbildung 117: Maschinenimporte in Tschechien nach Herkunftsländern184

184 Quelle: Eigene Auswertung eines Datenbankauszugs des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau

e.V. (VDMA).

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

305

Die deutschen Maschinen- und Anlagenbauer sind in einer optimalen Ausgangslage, von diesen Entwicklungen zu profitieren. Auf dem stark steigenden Importmarkt ist Deutschland mit großem Abstand führend. Annähernd die Hälfte aller tschechischen Maschinenimporte kommt derzeit aus Deutschland (siehe Abbildung 117). Allein im Jahr 2004 konnte das Exportvolumen nach Tschechien um 18% gesteigert werden.

14.2.2 Zunehmende Globale Integration im Maschinenbau Aufwertung der Aktivitäten in allen Unternehmensbereichen Der Maschinen- und Anlagenbau zeigt bei der Strategiewahl ein uneinheitliches Bild. Von zehn befragten Unternehmen überwiegt zum heutigen Zeitpunkt bei fünf die Exportorientierung, bei den übrigen fünf die Globale Integration. Das Spektrum reicht von der reinen Vertriebsgesellschaft ohne weitere Wertschöpfung bis hin zu lokaler Abwicklung sämtlicher Wertschöpfungsstufen bis auf einige Verwaltungstätigkeiten, die noch in Deutschland verblieben sind.

100 21 21

Globale Integration

Geschäftstransfer

46 46

30 30

Export24 orientierung 24

49 49

56 56

60 60

48 48

12 12

22

22

29

29 42 42

38 38

40 40

53 53

48 48

5 5

12 12

35 35

47 47

52 52

66

70 70

9 9

F&E

69 69

42 42

22 22

Unterstützungsfunktionen

22 22 45 45

48 48

18 18

18 18

37 37

34 34

99

Marketing Beschaffung Produktion & Vertrieb

Gewichteter Durchschnitt

Abbildung 118: Strategien im Maschinen- und Anlagenbau Prozentual betrachtet stellt die globale Integration schon heute mit 45% den höchsten Anteil der Strategien dar (Abbildung 118), wenn auch auf niedrigerem Niveau als in der Automobilindustrie. Eine Ausnahme bildet auch hier der Vertrieb, bei dem niedrige gegenseitige Abhängigkeiten zwischen Mutter und Tochter vorherrschen, was einer Geschäftstransferstrategie am nächsten kommt. Wie in den meisten anderen Branchen sind die Zuständigkeiten von Mutter und Tochter im Vertrieb recht deutlich getrennt.

306

Elektronikindustrie – Aufschwung hält an

In sämtlichen Unternehmensbereichen lässt sich ein anhaltender Trend zur Aufwertung der Aktivitäten erkennen, sodass sich das Verhältnis der Strategien weiter in Richtung Globaler Integration verschiebt. Diese Entwicklung lässt sich am deutlichsten daran ablesen, dass zwei heute überwiegend exportorientierte Unternehmen nach derzeitiger Planung in fünf Jahren die Wandlung zur globalen Integration vollzogen haben werden.185

Verbundvorteile weniger wichtig Der Maschinenbausektor liegt bei fast allen Assen und Barrieren verhältnismäßig nah am Durchschnitt. Erwähnenswert ist allenfalls, dass die Marktchancen hier die geringste Wertung halten. Insbesondere das Marktwachstum spielt im Maschinenbau nach Einschätzung unserer Gesprächspartner eine geringere Rolle als in den anderen Branchen. Ebenso wird die Bedeutung von Verbundvorteilen recht niedrig eingestuft. Im Maschinenbau sind Regionalorganisationen also offensichtlich weniger bedeutsam als in den übrigen Sektoren. Dafür scheint der Maschinenbausektor am wenigsten vom Problem der Korruption betroffen zu sein, sie erhält hier die niedrigste Wertung aller Industrien. Mit kulturellen Unterschieden haben Maschinenbauer dagegen am meisten zu kämpfen. Insbesondere bei Problemlösungsansätzen führt dies immer wieder zu Differenzen.

14.3 Elektronikindustrie – Aufschwung hält an 14.3.1 Branchenüberblick Elektrotechnik Obwohl Ungarn ohne Zweifel wichtigster Standort der elektrotechnischen Industrie in Mittelund Osteuropa ist, hat sich auch in Tschechien ein durchaus beachtliches Produktionsvolumen entwickelt. Zuwachsraten von zuletzt 20% führten dazu, dass die Branche mittlerweile für 13% der verarbeitenden Industrie in Tschechien verantwortlich ist.186 Mit über 40% der Produktion traditionell wichtigstes Segment der tschechischen Elektrotechnikproduktion sind Geräte zur Elektrizitätserzeugung und -verteilung wie Generatoren, Transformatoren sowie Verteilungs- und Schalteinrichtungen. Zunehmend gewinnen in diesem Bereich auch Produkte für die Automobilindustrie an Bedeutung. Elektronische Komponenten und Geräte wie etwa Telekommunikationstechnik und Unterhaltungselektronik liegen mit etwa einem Viertel der Produktion an zweiter Stelle. Das stärkste Wachstum erfährt derzeit die Computertechnik. Aufgrund mehrerer Großinvestitionen, allen voran durch den taiwanesischen Hersteller Hon Hai Precision, konnte das Produktionsvolumen in den letzten Jahren verdoppelt werden (siehe Abbildung 119). 185 Eigene Einschätzung der Interviewpartner. 186 Vgl. IKB (2004), S. 25.

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

5.000

Millionen Euro

4.000 3.000

307

Starkstromtechnik Instrumente und Automation Elektronische Komponenten und Geräte Computertechnik

2.000 1.000 0 1997

1998

1999

2000

2001

2002

2003

Abbildung 119: Produktion der tschechischen Elektroindustrie 2003187

Tschechien wichtigster Investitionsstandort deutscher Firmen in Mittel- und Osteuropa Neben niedrigeren Lohnkosten lockte vor allem das Wachstumspotenzial der Absatzmärkte ausländische Investoren nach Mittel- und Osteuropa. Deutsche Unternehmen aus dem Bereich Elektrotechnik konzentrieren sich dabei primär auf Tschechien. Tschechien vereint rund 50% des deutschen Engagements in Mittel- und Osteuropa auf sich und verzeichnet nach wie vor hohe Zuwachsraten deutscher Investitionen (Abbildung 120).

600 2000

2001

2002

2003

Millionen Euro

500 400 300 200 100 0 Ts c h e c h ie n

Po le n

Un g a r n

Abbildung 120: Entwicklung deutscher Direktinvestitionen in der Elektronikindustrie188 187 Vgl. Czech and Moravian Electrical and Electronic Association (2005). 188 Vgl. Deutsche Bundesbank (2005), S. 38.

308

Elektronikindustrie – Aufschwung hält an

Dabei werden sowohl lokale Hersteller übernommen als auch komplett neue Produktionsstätten errichtet. Teilweise führte das dazu, dass einheimische Traditionsmarken mittlerweile vollständig vom Markt verschwunden sind. In besonders arbeitsintensiven Bereichen wie etwa einfachen Montagetätigkeiten verliert Tschechien als Standort langsam an Attraktivität gegenüber noch deutlich günstigeren osteuropäischen Ländern wie Rumänien, Bulgarien oder Ukraine. Allerdings können die unbestrittenen logistischen Vorteile nach wie vor den Ausschlag für Tschechien als Produktionsstandort geben.

Weiterhin Wachstumspotenzial auf dem tschechischen Absatzmarkt Der enorme Nachholbedarf der tschechischen Konsumenten nach der Öffnung des Marktes führte insbesondere in der Elektrotechnikbranche zu dynamischem Wachstum in den letzten Jahren (siehe Abbildung 121). Erwartungsgemäß sind daher in einigen Bereichen wie etwa bei Fernsehern oder CD-Playern erste Sättigungstendenzen zu beobachten. Wachstumspotenzial besteht allerdings noch in Segmenten, in denen die Marktdurchdringung noch deutlich unter EU-Durchschnitt zurückbleibt. Dies ist beispielsweise bei der Ausstattung mit weißer Ware, PCs und Unterhaltungselektronik (DVD-Player) der Fall. Ebenso wird im Telekommunikations- und Informationstechnikbereich starkes Wachstum prognostiziert.189

5.000

Millionen Euro

4.000 3.000

Starkstromtechnik Elektronische Komponenten und Geräte Instrumente und Automation Computertechnik

2.000 1.000 0 1997

1998

1999

2000

2001

2002

Abbildung 121: Umsätze in den Marktsegmenten der Elektronikindustrie190

189 Vgl. IKB (2004), S. 29. 190 Vgl. Czech and Moravian Electrical and Electronic Association (2005).

2003

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

309

14.3.2 Konstante Strategien in der Elektronikindustrie Überwiegend exportorientierte Strategien Trotz eines immer noch beachtlichen Anteils der Globalen Integration von 38% überwiegt im Bereich der Elektrotechnik deutlich die Exportorientierung. Anders als in den bisher diskutierten Branchen ist auch kein Trend hin zur Globalen Integration erkennbar, das Verhältnis der Strategien wird nahezu konstant bleiben (siehe Abbildung 122). Dies gilt nicht nur für den Durchschnittswert. Keines der von uns befragten Unternehmen erwartet in den nächsten fünf Jahren nennenswerte Änderungen der Strategie.

100 11 11

Globale Integration

39 46

Geschäftstransfer

27 30

26 29

Exportorientierung

34 24

34 22

40 49

40 40

40 40

40 40

40 40

40 40

40 40

11

11

11

11

1 1

11

59 59

59 59

59 59

59 59

59 59

59 59

67 67

22 22

Unterstützungsfunktionen

F&E

Beschaffung Produktion

13 13

65 65

38 38

38 38

15 15

14 14

47 47

48 48

22 22

Marketing & Vertrieb

Gewichteter Durchschnitt

Abbildung 122: Strategien in der Elektronikindustrie Das unterstreicht die vielfach in der Branche vertretene Meinung, dass Tschechiens Attraktivität insbesondere bei arbeitsintensiven Tätigkeiten nachlässt. Unternehmen, die Tschechien bisher nur als Absatzmarkt schätzen, haben also zunehmend weniger Anreiz, andere Teile der Wertschöpfungskette zu verlagern.

Asse und Barrieren ohne Besonderheiten Weder Asse noch Barrieren heben sich in der Elektrotechnik nennenswert vom Durchschnitt ab. Lediglich kulturelle Unterschiede werden schwerwiegender empfunden als in den übrigen Industrien.

310

Elektronikindustrie – Aufschwung hält an

14.3.3 Fallbeispiel: Bosch – Tschechien als wichtiges Rädchen im globalen Unternehmensverbund Führender Anbieter von Kraftfahrzeugtechnik, Industrietechnik, Gebrauchsgütern und Gebäudetechnik ist die Bosch-Gruppe weltweit mit rund 270 Tochtergesellschaften, 230 davon außerhalb in Deutschland. Sämtliche Unternehmensfunktionen sind in hohem Maße global integriert. So unterhält die Firmengruppe etwa einen Fertigungsverbund von 260 Standorten in annähernd 50 Ländern. Die Forschungs- & Entwicklungsfunktion ist auf zahlreiche internationale Standorte verteilt. Auch auf der Marktseite ist die Bosch-Gruppe global präsent. 72% des Umsatzes wurden 2004 außerhalb Deutschlands generiert.

Starke Präsenz in Tschechien Auch der Standort Tschechien ist als wichtiges Rädchen in das globale Unternehmensnetz eingebunden. Die Bosch-Gruppe beschäftigte zum Zeitpunkt der Befragung in Tschechien 8.500 Beschäftigte im Elektronik-, Automobil- und Maschinenbausektor an den sechs Standorten Brünn, Budweis, Jihlava, Prag, Albrechtice und Krnov. Mit Investitionen in Höhe von 500 Millionen Euro wurde das seit 1993 bestehende Bosch Diesel-Werk in Jihlava auf halber Strecke zwischen Prag und Brünn von einer klassischen verlängerten Werkbank zum Hightech-Werk ausgebaut. Mit 5.800 Mitarbeitern ist Jihlava der bedeutendste Produktionsstandort für Einspritzausrüstung für Dieselmotoren und Kompetenzzentrum für Mittel- und Osteuropa. Einen weiteren Produktionsstandort unterhält Bosch in Budweis, wo Kraftfahrzeugausrüstung für Benzinmotoren hergestellt wird. Auch die Maschinenbausparte Bosch Rexroth ist mit einem Sitz in Brünn vertreten. Hier werden hydraulische Aggregate montiert und der Inlandsmarkt mit dem gesamten Rexroth-Sortiment versorgt. Darüber hinaus hat Bosch in Tschechien eine Vertriebsgesellschaft mit Sitz in Prag, die den tschechischen Markt mit den so genannten Handelsgütern aus den Bereichen Automotive, Power Tools, Car Multimedia und Navigation und Thermotechnik versorgt.

„One Voice Policy to the public “ In einer komplexen Matrixorganisation unterstehen sämtliche tschechischen Dependancen einem Mutter - Geschäftsbereich in Deutschland, sodass fast jeder Standort an unterschiedliche Stellen im Stammland berichtet. Darüber hinaus existieren einige rechtliche Einheiten in Tschechien, die der Organisation entgegenlaufen. Um trotz der Vielzahl an Gesellschaften einen konsistenten Öffentlichkeitsauftritt zu sichern, übernimmt der Bosch-Repräsentant für Tschechien eine Art Botschafterrolle für das Gesamtunternehmen und vertritt die Bosch -Gruppe in Tschechien nach außen.

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

311

Synergien im Unternehmensverbund Die Vielzahl der Gesellschaften eröffnet großes Potenzial, von Verbundvorteilen zu profitieren. Regelmäßig finden Meetings und Workshops statt, die je nach Bedarf nach Produkten, Ländern oder Funktionen organisiert werden. Auch sonst findet rege Kommunikation zwischen den Unternehmensteilen statt, da dem Wissenstransfer zwischen den einzelnen Töchtern eine große Erfolgswirkung zugeschrieben wird. Noch greifbarer sind die Synergien im Bereich Unterstützungsfunktionen. Allein durch Einführung von Shared Services in den verschiedenen tschechischen Präsenzen konnten die Fixkosten für externe Dienstleistungen bis zu 40% gesenkt werden.

14.4 Chemische Industrie: Immer noch Nachholbedarf 14.4.1 Branchenüberblick Chemische Industrie Wie die übrigen ehemaligen Ostblockstaaten dominierte in der tschechischen Chemieindustrie während der sowjetischen Besatzungsphase die Grundstoffchemie, die in hohem Maße von russischen Erdöl- und Erdgaslieferungen abhängig war. Nach dem Zusammenbruch des russischen Regimes, brach der Handel mit Russland ein und höherwertige westliche Produkte drängten auf die geöffneten Märkte, was zu einem drastischen Rückgang der Chemieproduktion in Tschechien führte.

Rohölverarbeitung 21%

Grundchemikalien Pestizide 1% 75% Lacke/Farben 4% Chemikalien 33%

Gummi und Plastik 47%

Kosmetik/ Reinigungsmittel 8% Faserstofffe 4% andere 8%

Abbildung 123: Umsatzverteilung in der tschechischen Chemischen Industrie191

191 Quelle: Association of Chemical Industry of the Czech Republic (2004), S. 9 (um Pharmaumsätze bereinigt).

312

Chemische Industrie: Immer noch Nachholbedarf

Mit der fortschreitenden Privatisierung der Industrie und dank ausländischer Investoren erholte sich die Industrie seit Mitte der 90er Jahre stetig, sodass das Niveau vor der Wende wieder erreicht wurde. Dabei dominiert die Herstellung von Polymeren und chemischen Grundstoffen (siehe Abbildung 123).

Ausländische Investitionen vor allem im Konsumbereich Verglichen mit den bisher betrachteten Branchen ist Tschechien als Produktionsstandort für ausländische Investoren weniger interessant, da Lohnkosten aufgrund der hohen Kapitalintensität weniger ausschlaggebend für Standortentscheidungen sind. Deshalb sind Investitionen im Chemiebereich eher von Marktmotiven als von Standortvorteilen getrieben. Daher sind ausländische Unternehmen primär in Bereichen aktiv, in denen der größte Nachholbedarf zu erwarten war. Dies gilt insbesondere für konsumnahe Segmente wie Reinigungsmittel, Körperpflege oder Farben und Lacke, in denen führende Markenartikler wie Unilever, Henkel oder Procter & Gamble aktiv sind.

600 2000

2001

2002

2003

Millionen Euro

500 400 300 200 100 0 Tschechien

Polen

Ungarn

Abbildung 124: Entwicklung deutscher Direktinvestitionen in der Chemieindustrie192 Für deutsche Unternehmen scheint Tschechien weniger attraktiv zu sein als der Nachbar Polen, der im Chemiebereich mit einem höheren Marktvolumen aufwarten kann (siehe Abbildung 124). Trotzdem ist Deutschland mit 34% der Chemieimporte mit Abstand wichtigster Lieferant Tschechiens.193 192 Vgl. Deutsche Bundesbank (2005), S. 38. 193 Vgl. Association of Chemical Industry of the Czech Republic (2004), S. 15.

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

313

Positive Entwicklung auf den Absatzmärkten erwartet Beim Verbrauch chemischer Produkte liegt Tschechien im internationalen Vergleich auf verhältnismäßig niedrigem Niveau (siehe Abbildung 125). Beispielsweise liegt der Pro-KopfVerbrauch von Kunststoff lediglich bei einem Bruchteil des europäischen Durchschnitts. Aus dieser Statistik lässt sich durchaus realistisches Wachstumspotenzial ableiten, sodass die in Branchenkreisen prognostizierten Zuwachsraten zwischen 5 und 10% durchaus realistisch scheinen.

P ro -K o p f K o n su m ch em isch er P ro d u kte 2003 Deuts c hland Italien Frankreic h Slow akei Ös terreic h Ts c hec hien Polen 0

200

400

600

Eu r o

800

1000

1200

1400

Abbildung 125: Pro-Kopf-Konsum chemischer Produkte in Tschechien 2003194 Abzuwarten bleibt jedoch, welche Auswirkungen das restriktive und daher umstrittene Regelwerk REACH (Registration, Evaluation and Authorisation of Chemicals) haben wird, das im Rahmen der Verbraucherschutzpolitik der EU erlassen wurde. Insbesondere kleine lokale Unternehmen fürchten um ihre Wettbewerbsfähigkeit, da sie die Erfüllung der Regelungen als kostspielig einschätzen und um ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Großunternehmen fürchten.

14.4.2 Beginn Globaler Integration Noch klare Dominanz exportorientierter Strategien In der chemischen Industrie überwiegen die exportorientierten Strategien, Globale Integration ist dagegen relativ schwach ausgeprägt (Abbildung 126). Dies liegt daran, dass man aufgrund 194 Quelle: Association of Chemical Industry of the Czech Republic (2004), S. 8.

314

Chemische Industrie: Immer noch Nachholbedarf

der hohen Kapitalintensität durch eine Verlagerung der Produktion weniger von den tschechischen Standortvorteilen profitieren kann, als das in den anderen Industrien der Fall ist. Entsprechend ist die Produktion oftmals in Deutschland zentralisiert und die tschechische Präsenz ist ein reines Vertriebsbüro. In einigen Teilbereichen der Chemie sind die Transportkosten für die Produkte allerdings prohibitiv teuer, was eine Zentralisierung der Produktion unmöglich macht und die Unternehmen zwingt, den tschechischen Markt mit einem eigenständigen Geschäft zu bearbeiten, das fast alle Wertschöpfungsstufen selbst ausführt. So lässt sich der relativ hohe Anteil der sonst eher unbedeutenden Geschäftstransferstrategie erklären. Insgesamt haben 30% der von uns befragten Unternehmen in Tschechien Produktionsanlagen.

100 18 18

21 21

Globale Integration

23 23

33 35 35

11

16 16 15 15

19 19

14 14

15

15 12 12

19 19

18 18

76 76

69 69

67 67

73 73

27 27

24 24

56 56

55 55

72 72

20 20

F&E

21 21

65 55

47 47

Unterstützungsfunktionen

17 17

99

62 62 79 97 47 47

24 24

32 32

Geschäftstransfer

Exportorientierung

18 18

Beschaffung Produktion

21 21

Marketing & Vertrieb

Gewichteter Durchschnitt

Abbildung 126: Strategien in der Chemieindustrie Trotz der bisher geringen Verbreitung ist doch ein deutlicher Trend in Richtung globaler Integration zu beobachten, der zu gleichen Teilen zu Lasten der beiden anderen Strategien geht. Die Treiber für diese Entwicklung sind in sämtlichen Unternehmensfunktionen zu finden. In Tochtergesellschaften, die nicht rein exportorientiert sind, werden Forschungsergebnisse zunehmend in anderen Unternehmensteilen genutzt, die Beschaffung wird autarker und tschechische Produktionsstandorte produzieren zunehmend auch für Kunden außerhalb des tschechischen Marktes.

Marktchancen wichtiger als Standortvorteile Erwartungsgemäß fallen Marktvorteile in der Chemieindustrie bedeutsamer aus als Standortvorteile, was nochmals verdeutlicht, dass Tschechien bis auf relativ wenige Ausnahmen eher als Absatzmarkt denn als Produktionsstandort interessant ist. Die Qualifikation der tschechischen Mitarbeiter erhält die schlechteste Wertung aller Branchen, was den allgemeinen Eindruck stützt, dass gute Vertriebsmitarbeiter in Tschechien rar sind.

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

315

14.5 Pharmaindustrie: Schwieriges Terrain 14.5.1 Branchenüberblick Pharma Tschechien ist alles andere als ein einfaches Pflaster für die Pharmaindustrie. Die politischen Unsicherheiten im Geschäftsumfeld sind zahlreich und der Wettbewerbsdruck hoch. Zum einen kämpfen internationale Pharmaunternehmen, die allesamt mit Vertriebsgesellschaften in Tschechien vertreten sind, erbittert um Marktanteile in dem fragmentierten Markt. Darüber hinaus sehen sich die traditionellen Hersteller ungewöhnlich hoher Konkurrenz durch lokale Generikahersteller ausgesetzt, die in Tschechien eine noch deutlich gewichtigere Rolle spielen als in Deutschland. Mittlerweile sind 45% aller verschriebenen Medikamente Generika. Mit einem Marktanteil von über 40% beherrscht die tschechische Firma Zentiva diesen Bereich. Das Unternehmen ging 2003 aus einem Merger zwischen Leciva und Slovakofarma hervor und wird vom US-Unternehmen Warburg Pincus kontrolliert.195 Neben den verschreibungspflichtigen Medikamenten (Rx) unterscheidet man zwei weitere Hauptsegmente des Marktes. OTC-Medikamente sind ohne Verschreibung erhältlich, werden aber in einigen Fällen rückerstattet. Die dritte Gruppe von Medikamenten ist auch außerhalb von Apotheken erhältlich.

Gesundheitspolitik bereitet Probleme

8.000

Millionen Euro

Priv at Staatlic h 6.000

4.000

2.000

0 2000

2001

2002

Abbildung 127: Entwicklung der Gesundheitsausgaben in Tschechien196 195 Vgl. U. S. & Foreign Commercial Service (2005). S. 4. 196 Quelle: U. S. & Foreign Commercial Service (2005), S. 3.

2003

316

Pharmaindustrie: Schwieriges Terrain

Das tschechische Gesundheitssystem bietet im internationalen Vergleich ein hohes Niveau an Leistungen, stellt aber auch zunehmend ein ernsthaftes Finanzierungsproblem für die tschechische Regierung dar. Wie in anderen Industrienationen sieht sich Tschechien dem Problem der Überalterung gegenüber, die die staatlich finanzierten Gesundheitsausgaben in die Höhe treibt (siehe Abbildung 127). Nach 40 Jahren Kommunismus sind die Tschechen an billige Medikamente gewöhnt und beanspruchen kostenlose Gesundheitsleistungen als selbstverständliches Recht. Eine Änderung der Rückerstattungsregeln ist daher schwer durchsetzbar. Im Jahr 2005 wurden über 7% des Bruttosozialprodukts für den Gesundheitsbereich ausgegeben, ein signifikanter Anteil dafür für pharmazeutische Produkte. Zwar sind hohe Gesundheitsausgaben zunächst erfreulich für Pharmaunternehmen, allerdings gilt das System als nicht mehr finanzierbar, was für erhebliche politische Unsicherheit sorgt. Allein im Jahr 2004 sah das Land drei verschiedene Gesundheitsminister, alle mit unterschiedlichen Zielen und Konzepten. Die überfällige Reform des Gesundheitswesens verzögert sich also weiter. Auf verlässliche Regelungen wartet die Industrie nach wie vor vergeblich.

Leidiges Thema Rückerstattung Seit 1997 verwendet die tschechische Regierung ein komplexes Referenzpreissystem für die Bestimmung der Rückerstattungshöhe für bestimmte Medikamente. Dabei werden alle Produkte eines bestimmten Therapiegebiets in Medikamentengruppen eingeteilt. Meist wird die Höhe der Erstattung durch die staatliche Krankenversicherung für die gesamte Gruppe auf Basis des billigsten Medikaments in der Gruppe festgesetzt, ohne Rücksicht darauf, ob es sich um ein patentiertes Medikament oder ein Generikum handelt. Dieses System bevorzugt natürlich systematisch die Hersteller der billigeren Generika. Die endgültige Entscheidung über die Rückerstattung trifft das Gesundheitsministerium. Dieser Prozess stößt nicht zuletzt deshalb auf allgemeine Kritik, weil der Sohn der derzeitigen Gesundheitsministerin Vorstand des Generikaherstellers Zentiva ist. Schließlich ist auch das Finanzministerium in den Prozess involviert, indem es Preisgrenzen für die einzelnen Medikamente festsetzt. Der gesamte Vorgang gilt als intransparent, willkürlich und wettbewerbsverzerrend.

Trotz allem positive Zukunftsaussichten Der tschechische Konsum an Medikamenten ist seit Jahren im Aufwind (siehe Abbildung 128). Diese Entwicklung führen die Anbieter auf einen nach wie vor vorhandenen Nachholbedarf zurück. Insbesondere der OTC-Bereich sorgt für beträchtliche Zuwachsraten und entsprechenden Optimismus in der Branche.

Branchenanalysen: Fallbeispiele verarbeitender Industrien

317

Medikamentenkonsum in Tschechien Umsatz pro Einw ohner 200

Euro

150 100 50 0 2000

2001

2002

2003

Abbildung 128: Entwicklung des Medikamentenkonsums pro Einwohner in Tschechien197

14.5.2 Kaum Globale Integration in der Pharmaindustrie Höchster Anteil von Exportorientierung aller Industrien Die Pharmaindustrie weist den niedrigsten Grad Globaler Integration aller betrachteten Branchen auf (siehe Abbildung 129). Die tschechischen Töchter sind in allen Bereichen in hohem Maße von Vorleistungen durch die Mutter abhängig und beschränken sich auf ihre Kernkompetenz Vertrieb. Der Vertrieb zeigt allerdings den höchsten Grad von Geschäftstransfer aller Sektoren. Im Klartext bedeutet dies, dass sehr wenige Abhängigkeiten zwischen Mutter und Tochter bestehen, also Vertrieb über Landesgrenzen hinweg kaum stattfindet. Dies lässt sich durch das teilweise unterschiedliche Preisniveau der Medikamente in verschiedenen Ländern erklären, sodass grenzüberschreitender Handel verhindert werden muss. Der ohnehin geringe Anteil Globaler Integration ist weiter rückläufig, die Exportorientierung dagegen im Vormarsch. Die Gründe sind wiederum in allen Funktionen zu finden. Forschung & Entwicklung, die in Tschechien ohnehin nur in Form vereinzelter klinischer Studien zu finden ist, wird an Bedeutung verlieren, Beschaffung wird künftig komplett aus dem Kompetenzbereich der tschechischen Töchter verschwinden. Ebenso wird Boehringer Ingelheim die in Tschechien noch präsente Lizenzproduktion aufgeben, sodass in fünf Jahren keines der befragten Unternehmen mehr Produktion in Tschechien lokalisiert haben wird.

197 Quelle: U. S. & Foreign Commercial Service (2005), S. 5.

318

Pharmaindustrie: Schwieriges Terrain

88

7 7

77

10 10

4

99

88

100

4 1

11 11

14 14

Globale Integration 48 48

Exportorientierung

55

30 30

28 28

64 64

67 67

47 47

Geschäftstransfer

90 90

44 44

66

93 93

87 87

92 92

95 95

100

85 85

79 79

46 46

4 4 Unterstützungsfunktionen

F&E

77

Marketing Beschaffung Produktion & Vertrieb

Gewichteter Durchschnitt

Abbildung 129: Strategien in der Pharmaindustrie

Asse und Barrieren vom schwierigen Umfeld beeinflusst Wie nicht anders zu erwarten, schätzt die Pharmaindustrie den Wettbewerb deutlich schärfer ein als die übrigen Branchen. Auch die Bedrohung durch Substitute hat in diesem Bereich aufgrund der starken Generikahersteller am meisten Relevanz. Trotzdem rechnet man sich im Pharmabereich im Vergleich zu den anderen Branchen die größten Vorteile aus dem erwarteten Marktwachstum aus. Keine andere Branche sieht Mitarbeiterqualifikationen in Tschechien als wichtigeren Standortvorteil an. Dies kann dadurch erklärt werden, dass aufgrund des niedrigen Lohnniveaus Ärzte und Pharmazeuten als Vertriebsmitarbeiter eingestellt werden können, was in Deutschland niemals bezahlbar wäre. Allerdings geht der Trend mittlerweile auch schon zu etwas geringer qualifizierten Vertriebsmitarbeitern wie Krankenpflegern. Als einziger Sektor wirft die Pharmaindustrie der tschechischen Regierung spürbar verzerrende Aktivitäten vor, die die lokalen Firmen bevorzugen. Dies ist insbesondere auf die Verwandtschaft von Gesundheitsministerin mit dem Zentiva-Vorstand sowie auf die fragwürdigen Rückerstattungsprozesse zurückzuführen. Entsprechend werden Intransparenz des Geschäftsumfelds und Korruption als belastender angesehen als in den übrigen Branchen. Das schwierige Umfeld in Tschechien sorgt offenbar auch dafür, dass große Informationsasymmetrien zwischen Tochter und Mutter entstehen. Tatsächlich bestätigen viele Geschäftsführer, dass die Mutter von den Geschäftspraktiken in Tschechien oftmals nur ansatzweise etwas ahnt.

15.

Erfolgsfaktoren in Tschechien: Worauf kommt es an?

Die Summe der meist langjährigen Tschechien-Erfahrung unserer 55 Gesprächspartner aus den unterschiedlichsten Unternehmen und Industrien ergibt einen reichen Wissensschatz über lokale Besonderheiten des tschechischen Geschäftsumfelds und die Eigenheiten des Standorts Tschechien. Diese Expertise nutzten wir, um in unseren Interviews die wichtigsten operativen Aspekte zu diskutieren, die für die Anpassung des jeweiligen Geschäftssystems an die Eigenheiten des tschechischen Geschäftsumfeldes ausschlaggebend sind, und um daraus operative Erfolgsfaktoren für den tschechischen Standort abzuleiten. Selbstverständlich unterscheiden sich die Erfolgsfaktoren je nach Industrie, Unternehmensgröße und Firmenphilosophie deutlich. Außerdem führt in den seltensten Fällen nur ein Königsweg zum angestrebten Ziel, sodass sich kein allgemein gültiges Kochrezept für den Erfolg erstellen lässt. Dennoch werden hier diejenigen Aspekte der Geschäftstätigkeit in Tschechien diskutiert, die von der überwiegenden Mehrheit unserer Interviewpartner als besonders erfolgskritisch genannt wurden (siehe Abbildung 130), sodass aus den Erfahrungen erfolgreicher deutscher Unternehmen Schlüsse für die eigene Strategiewahl gezogen werden können. Dabei werden wir nicht jeden Erfolgsfaktor einzeln betrachten, sondern die verschiedenen Aspekte zu Themenfeldern zusammenfassen, die im aktuellen tschechischen Geschäftsleben besondere Relevanz haben.

95%

Solide Erfolgsmessung

91%

Tschechische Manager einstellen

85%

Strategie an alle Mitarbeiter kommunizieren

82%

Durchhalten der Strategie

78%

Klare Performanceziele

76%

Gute Beziehungen zu Geschäftspartnern

67%

Klares strategisches Ziel

64%

„Globale Manager“

62%

CEO-Unterstützung

56%

Gute Beziehungen zum öffentlichen Sektor

53%

Marketing anpassen

44%

Technologietransfer

42%

Aufwertung der Aktivitäten über die Zeit

40%

Marktanalyse vor Markteintritt Fokus auf Marktanteil statt Margen

31% im Folgenden näher betrachtet

Abbildung 130: Erfolgsfaktoren in Tschechien198 198 Nennung als „wichtiger“ oder „sehr wichtiger“ Erfolgsfaktor.

320

Erfolgsfaktor Erfolgsmessung und Controlling

Die Ergebnisse belegen, dass sowohl die Mutter als auch die tschechische Tochter ihren wichtigen Beitrag für den Erfolg leisten müssen. Aspekte wie ein solides System zur Erfolgsmessung oder klare Zielvorgaben werden zumindest zum großen Teil aus dem Stammhaus bestimmt. Auch die richtige Form der Unterstützung für die Tochter wirkt sich auf den Erfolg aus. Das Management vor Ort, Beziehungspflege mit lokalen Geschäftspartnern oder effektive Kommunikation mit den Mitarbeitern liegen dagegen großteils im Verantwortungsbereich der Tochtergesellschaft. Bei erstaunlich wenigen Unternehmen wurde vor Eintritt in den tschechischen Markt eine solide Marktanalyse durchgeführt. Gerade der Großteil der Unternehmen, die Anfang der 90er Jahre den Schritt nach Tschechien wagten, hielt es oft wie der Manager eines Elektronikherstellers: „Da gab es plötzlich dieses große Vakuum im Osten, das gefüllt werden wollte – ohne sich lange mit Marktpotenzialen und Zukunftsprognosen aufzuhalten.“ So erklärt sich, dass solide Planung des Markteintritts in den seltensten Fällen als wirklich entscheidender Erfolgsfaktor genannt wurde.

15.1 Erfolgsfaktor Erfolgsmessung und Controlling 15.1.1 Ziele, Strategien und Kontrolle 95% der befragten Unternehmen nannten ein solides System zur Erfolgsmessung als wichtigen oder sogar sehr wichtigen Erfolgsfaktor für die Aktivitäten in Tschechien. Eng damit einher geht die Formulierung klarer Zielvorgaben, die mit 78% ebenfalls zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren gehört. In der überwiegenden Zahl der Fälle liegen beide Kompetenzen zu einem Großteil im Stammhaus, an das die Tochtergesellschaft berichtet. Gerade in Tschechien ist die Implementierung komplexer Ziel- und Kontrollsysteme nicht ganz unproblematisch. Mentalitätsbedingt versuchen Tschechen oftmals, offene Kritik an den Untergebenen oder Mitarbeitern zu vermeiden. Auch ein Controlling-System und damit die Messbarmachung der Leistungen einzelner Abteilungen oder gar Individuen trifft daher oft auf eine gewisse Skepsis. Daher sind vor allem bei der Umsetzung vor Ort in vielen Fällen tschechienspezifische Anpassungen der existierenden deutschen Systeme vonnöten. Ein Unternehmen ohne Erfolgsmessung zu führen ist unbestreitbar kaum möglich und insbesondere im Falle von Tochterunternehmen im Ausland ist dies aufgrund der physischen Distanz unverzichtbar. So betrachtet scheint die hohe Bewertung wenig überraschend, kann die Relevanz von Controlling-Systemen doch als allgemein gültig deklariert werden. Trotzdem kommt ihnen gerade in Tschechien eine besondere Bedeutung zu.

Erfolgsfaktoren in Tschechien: Worauf kommt es an?

321

Positives Ergebnis reicht nicht „Als wir hier angefangen haben, herrschte noch keinerlei Kostenbewusstsein. Die Lohnkosten waren im Vergleich zu Deutschland so niedrig, dass man sich um die schwarze Zahl am Ende sowieso nie sorgen musste.“ Diese Weisheit aus den Anfangsjahren eines Maschinenbauers ist mittlerweile überholt. Für deutsche Unternehmen, die in Tschechien einen Produktionsstandort unterhalten oder andere Wertschöpfungsteile aus Kostengründen nach Tschechien verlagert haben, haben die Aktivitäten der Tochtergesellschaft meist erheblichen Einfluss auf das finanzielle Gesamtergebnis. In vielen Fällen gaben die Geschäftsführer der Tochterunternehmen sogar an, dass das Gesamtunternehmen nur dank des tschechischen Standorts profitabel sein könne. Typisch ist hier das Beispiel eines Elektronikherstellers mit Produktionsstandorten in Tschechien und Deutschland, bei dem die Verluste des deutschen Werks durch die tschechischen Deckungsbeiträge subventioniert werden. Daher reicht es natürlich nicht aus, in Tschechien nur positive Deckungsbeiträge zu generieren. Auch und gerade hier ist stringentes Kostenmanagement nötig, da aus der Konzernperspektive jeder unnötig ausgegebene Euro über schwarze oder rote Zahlen entscheiden kann. Dem Controlling eine zu geringe Bedeutung beizumessen wäre hier fehl am Platz. Besonders für Produktionsstandorte, die (im Sinne Globaler Integration) als reine verlängerte Werkbank dienen, ist ein gutes Controlling unabdingbar. In den meisten dieser Fälle werden die Produkte konzernintern zu Verrechnungspreisen, fast immer zu Vollkosten, exportiert. Die Festlegung und Steuerung der Verrechnungspreise können nur auf Basis effektiver Kontrollsysteme erfolgen. Aber auch in Unternehmen, die nicht global integriert sind und sich in Tschechien ausschließlich auf den Vertrieb konzentrieren, spielt Erfolgsmessung eine große Rolle. Der Geschäftsführer eines Chemieunternehmens bringt die Problematik auf den Punkt: „Bei meinen Vertrieblern merkt man ganz deutlich, dass sie aus dem Kommunismus noch gewohnt sind, dass Produkte verteilt und nicht verkauft werden. Wenn ich ihnen keine Profitziele setzte und entsprechend kontrollierte, würden sie meine Produkte am Ende noch verschenken. Controlling finden sie zwar nicht lustig, aber ohne geht es gar nicht.“ Generell sprachen viele Unternehmen von einem stark ausgeprägten Harmoniebedürfnis vieler Tschechen, das oft dazu führt, dass Trittbrettfahrer lieber stillschweigend geduldet werden, als den offenen Konflikt zu suchen. Gerade vor diesem Hintergrund erlangt ein Erfolgsmessungssystem nochmals höhere Bedeutung.

Freiheiten lassen und die Tochter nicht erdrücken So notwendig Erfolgsmessung und die damit verbundenen Berichte auch sind – in vielen unserer Interviews klagten insbesondere tschechische Gesprächspartner über die Belastungen, die ihnen in diesem Zusammenhang zugemutet werden. Einige verglichen die deutsche

322

Erfolgsfaktor Management

„Planwut“ mit den Zeiten vor 1989 oder meldeten Zweifel an, ob in Deutschland der Kunde oder die Zahlen die meiste Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Zielvorgaben und Kontrolle sind unverzichtbar, allerdings ist in Tschechien schnell der Punkt erreicht, an dem die positive Wirkung ins Negative umschlägt und die einzureichenden Zahlenwerke beginnen, die tschechischen Mitarbeiter von ihren eigentlichen Tätigkeiten abzuhalten und die allgemeine Motivation deutlich zu senken. Am erfolgreichsten sind hier tendenziell Unternehmen, die zwar im Dialog mit der Tochtergesellschaft klare Zielvorgaben vereinbaren, dann aber dem Management vor Ort die Freiheit lassen, die Ziele auf eigenen Wegen zu erreichen. So sieht man dies beispielsweise auch bei einem Automobilzulieferer: Nach Meinung unseres Gesprächspartners muss die Mutter lediglich ihre strategische Ausrichtung kommunizieren, und somit, welche Ziele das Gesamtunternehmen in einem gewissen Zeitrahmen erreichen will. Die Tochtergesellschaft kann dann – ohne allzu viele Vorgaben durch die Mutter – eigenständig im Sinne der Mutter handeln. Unsere übrigen Interviews bestätigen diese Ansicht. In zwei Drittel aller Gespräche wurde eine klare Strategie als wichtiger Erfolgsfaktor genannt. Oftmals wiesen unsere Gesprächspartner explizit darauf hin, dass eine übergeordnete Strategie als sehr viel hilfreicher empfunden wird als operative Handlungsanweisungen.

15.2 Erfolgsfaktor Management 15.2.1 Tschechische Manager oder internationale Besetzung für die Führung der Tochtergesellschaft? Bei der Besetzung des Chefsessels und den oberen Führungsebenen in den tschechischen Tochtergesellschaften scheiden sich die Geister. Wem ist der Vorzug zu geben? Dem tschechischen Manager, der meist das Geschäftsumfeld besser kennt, problemlos mit den Mitarbeitern kommuniziert und schnell gute Kontakte zu Geschäftspartnern und öffentlichem Sektor aufbauen kann? Oder doch eher dem Deutschen, der oftmals tief im Unternehmen verwurzelt ist, beste Kontakte zum Stammsitz hat und seine internationale Erfahrung in den jungen Markt einbringen kann? Vor die Wahl gestellt, ob in ihrem Fall lokale oder globale Manager einen wichtigeren Erfolgsfaktor darstellen (was natürlich nicht nur die Chefposition einschließt), gibt die Mehrheit der von uns befragten Unternehmen den lokalen Managern den Vorzug. Tatsächlich werden 60% der Unternehmen von tschechischen Managern geführt, lediglich 40% haben einen deutschen Geschäftsführer. Ab der zweiten Führungsebene ist man sich weitgehend einig, dass diese Posten von Tschechen am besten ausgefüllt werden können.

Erfolgsfaktoren in Tschechien: Worauf kommt es an?

323

Strategien beeinflussen Personalentscheidungen Die Entscheidung zwischen deutscher und tschechischer Führung ist in hohem Maße von der strategischen Ausrichtung des Unternehmens abhängig. Unternehmen, in deren Strategie-Mix die Exportorientierung überwiegt, werden zu fast 80% von Tschechen geführt. Offensichtlich sind hier die bessere Kenntnis der tschechischen Geschäftspraktiken und die deutlich erleichterte Kommunikation mit Kunden und der Öffentlichkeit ausschlaggebend. Ganz anders stellt sich die Situation bei global integrierten Unternehmen dar. Knapp zwei Drittel von diesen haben einen deutschen Geschäftsführer. Da diese Tochtergesellschaften im internationalen Unternehmensverbund tendenziell eine wichtigere Rolle einnehmen und mehr Wertschöpfung vor Ort realisiert wird, ist die Interaktion mit anderen Unternehmensteilen, insbesondere mit dem Stammsitz in Deutschland, entscheidend. Diese Herausforderung wird oftmals besser von Managern gemeistert, die bereits über langjährige Erfahrung im Unternehmen verfügen und die Abläufe und Ansprechpartner in der Firmenzentrale besser kennen.

Globale Integration wird primär von ausländischen Managern vorangetrieben Viele der befragten Unternehmer halten Expatriates in Führungspositionen für unverzichtbar. Gerade in Ländern, in denen Probleme wie Korruption eine besondere Herausforderung an die Integrität der Führungsmannschaft darstellen, gibt man Managern aus dem Stammsitz den Vorzug. Schließlich sehen diese – so eine häufige Argumentation - die Tätigkeit im Ausland oft nur als Übergangsphase an und haben ihre Zukunft in der Unternehmenszentrale. Daher sind jegliche Verstöße gegen die Firmenphilosophie für sie mit deutlich höherem Risiko verbunden als für lokale Manager, die seltener Ambitionen im Stammsitz pflegen. Ähnlich sieht man die Situation bei Bosch. Für die oberste Hierarchiestufe ist auch hier eine tiefe Verwurzelung im Unternehmen entscheidend, um den Transfer der Unternehmenswerte in das Tochterunternehmen sicherzustellen. Schon die zweite Führungsebene, der systematisch Firmenphilosophie und Prozesswissen vermittelt wird, ist überwiegend tschechisch. Nach dem „Train-the-trainer-Prinzip“ dient die zweite Ebene als Sprachrohr ins Unternehmen, sodass ein Großteil der Mitarbeiter erreicht wird. Um die zwangsläufigen Kommunikationsprobleme zu mildern, stellen viele Unternehmen dem deutschen Chef ein tschechisches Pendant zur Seite. So hat bei einem Automobilzulieferer beispielsweise jeder deutsche Manager einen auf dem Papier gleichberechtigten tschechischen Betriebsleiter an der Hand, der quasi den Kommunikationskanal zu den tschechischen Mitarbeitern darstellt. Einer der Vorreiter ist in diesem Zusammenhang Škoda, wo längst wichtige Leitungspositionen in Tandemfunktion organisiert wurden.

324

Erfolgsfaktor Strategie kommunizieren und durchhalten

In Vertriebsgesellschaften überwiegen mittlerweile tschechische Chefs Gerade im Umgang mit Kunden haben tschechische Manager deutliche Vorteile, da weder kulturelle noch sprachliche Barrieren einem erfolgreichen Geschäftsabschluss im Wege stehen. Nicht selten wurden Vertriebsgesellschaften zunächst von deutschen Managern aufgebaut, um die notwendigen Prozesse, Kenntnisse und Fähigkeiten in der Organisation zu verankern und um die Führung dann nach einer ein- bis zweijährigen Anlaufphase an einen tschechischen Manager zu übertragen.

Personalentwicklung wichtig Bei tschechischen Managern setzen viele Unternehmen auf gezielte Personalentwicklung. Tschechische Mitarbeiter erhalten oftmals intensive Trainings in Deutschland, bevor sie wichtige Funktionen übernehmen. Dies bringt Know-how ins Land und erleichtert die spätere Kommunikation zwischen Mutter und Tochter.

15.3 Erfolgsfaktor Strategie kommunizieren und durchhalten Sensibilität bei Kommunikation und kulturellen Aspekten wird von vielen Managern als so selbstverständlich wahrgenommen, dass sie denken, die Geschäftstätigkeit in Tschechien müsste – auch durch die geografische Nähe – nach den selben Standards wie in Deutschland ablaufen. Dies führt jedoch zu gravierenden Fehlern und Unstimmigkeiten mit Geschäftspartnern und Mitarbeitern. Die deutschen und die tschechischen Kulturstandards unterscheiden sich relevant in Wahrnehmung, Denk- und Handlungsweisen. „Kulturelle Unterschiede“ wurden ebenfalls von unseren Gesprächspartnern als zweitwichtigste Handelsbarriere genannt. Aus diesem Grund werden wir in diesem Kapitel darauf eingehen, welche wichtigen Eigenheiten von Deutschen und Tschechen zu beachten sind, damit das Aufeinanderprallen der Mentalitäten sanft und ohne größere Verletzungen vonstatten geht.

15.3.1 Bedeutung des richtigen Personalmanagements Kultur und Kommunikation erlangen vor allem beim Thema Personalmanagement eine große Bedeutung. Aus diesem Grund sehen 85% der befragten Führungskräfte eine gezielte Kommunikation von Strategie und Zielen an alle Mitarbeiter als wichtig oder sehr wichtig an.

Erfolgsfaktoren in Tschechien: Worauf kommt es an?

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Vor allem für neue deutsche Manager stellen die Reaktionen und Befindlichkeiten der tschechischen Mitarbeiter und Kunden oft ein Buch mit sieben Siegeln dar. Weshalb reagieren tschechische Mitarbeiter anders als Deutsche? Weshalb versagen bisher erfolgreiche Werkzeuge der Mitarbeiterführung? Und wie sind tschechische Mitarbeiter zu motivieren? All das sind Fragen, die die folgende Betrachtung der einzelnen Aspekte der tschechischen Kommunikationskultur beantworten werden. Zuerst werden die Hauptaspekte herausgegriffen und erläutert. Im Anschluss gehen wir anhand von kurzen Fallbeispielen auf die einzelnen Aspekte in der Praxis ein. Einleitend ist hierbei zu betonen, dass die Aspekte lediglich eine verallgemeinernde Wiedergabe von generellen Tendenzen sind. Sie beziehen sich keinesfalls auf alle tschechischen Bürger, sondern nur auf von Einzelpersonen beobachtete Besonderheiten. Als Grundlage dieses Kapitels dienen die Aussagen unserer Gesprächspartner genauso wie Auszüge aus Führungskräftetrainings der DTIHK Prag, die im Wesentlichen auf den Publikationen von Sylvia Schroll-Machl und Ivan Nový basieren. Auf diese Art wird ein theoretischer Überblick mit fundiertem Praxisbezug gegeben.

Aspekt Personenbezug statt Sachbezug Der am häufigsten von unseren Gesprächspartnern genannte kulturelle Unterschied zwischen Tschechen und Deutschen ist eindeutig der starke Personenbezug im tschechischen Geschäftsleben. Während die Deutschen im internationalen Vergleich zu einem hohem Maß Sach- und Beziehungsebene trennen, ist dies in Tschechien weder der Fall noch überhaupt gewollt. Ob und wie ein tschechischer Mitarbeiter seine Aufgaben erfüllt, hängt somit nur begrenzt von der sachlichen Notwendigkeit der Aufgabe ab, sondern vielmehr davon, für wen sie zu erledigen ist. Dies hat im Geschäftsleben sowohl Vor- als auch Nachteile. So werden bei gespannten Beziehungen Arbeitsabläufe und Produktivität weit mehr beeinträchtigt, als dies bei höherer Sachorientierung der Fall wäre. Dies kann im schlimmsten Fall sogar zu Kündigungen von sonst produktiven Mitarbeitern führen. Dieses Thema wird unter dem Aspekt Konfliktvermeidung detaillierter erläutert. Jedoch ist eine starke Personenorientierung auch von Vorteil, da unter der Leitung einer charismatischen Führungskraft große Erfolge erzielt werden können. So sind Mitarbeiter beispielsweise weit besser zu motivieren, auch Wochenend- oder Nachtschichten einzulegen, wenn sie nicht für die Erreichung eines Zieles, sondern für eine von ihnen geschätzte und respektierte Person arbeiten. Arbeit außerhalb der normalen Arbeitszeiten wird in Tschechien grundlegend stärker akzeptiert als in Deutschland. In Tschechien ist eine stärkere Vermischung von privatem und beruflichem Leben üblich. Hierdurch wird zwar die normale Arbeitszeit auch von der ein oder anderen privaten Aktivität durchsetzt, aber die Akzeptanz, auch in der Freizeit in seiner beruflichen Rolle einzuspringen ist größer. Zusätzlich führt die Personenorientierung zumeist zu einem sehr angenehmen Betriebsklima und tschechische Mitarbeiter werden als ausgesprochen freundlich wahrgenommen.

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Erfolgsfaktor Strategie kommunizieren und durchhalten

Die wichtigsten Erfolgsfaktoren, die erfolgreiche deutsche Manager in Tschechien bezüglich der Personenorientierung nennen, sind konsistentes und authentisches Verhalten. Vor allem bei der Kommunikation der Unternehmensstrategie wird es überhaupt nicht akzeptiert, wenn Manager verschiedene Rollen vertreten. Das Verhalten als Person muss mit dem als Manager konsistent sein. Unterschiedliche Kommunikation während der Arbeitszeiten als Manager und abends als Privatmann wird insofern nicht als „Der Mann ist privat sehr nett und im Büro professionell.“ aufgefasst. Vielmehr entsteht eine grundlegende Skepsis aufgrund von fehlender Authentizität der Person. Als Empfehlung ist hier jedoch keine absolute Vermischung von privater und beruflicher Identität zu nennen, die auch zu einer sehr weit reichenden Verbrüderung mit den Mitarbeitern führen würde. Vielmehr ist es empfehlenswert, den Mitarbeitern mit Offenheit und Wertschätzung zu begegnen. Ebenfalls erschwert der Personenbezug eine klare Kommunikation, wenn Feedback oder Mitarbeitergespräche anstehen. Sachlich gemeinte Kritik von Deutschen wird schnell auch als persönliche verstanden. Aus diesem Grund sind Kritik und Rügen ein in Tschechien ungeeignetes Instrument zur Mitarbeitersteuerung. Und wenn von Tschechen sachliche Kritik erbeten wird, kommt in vielen Fällen lediglich höfliches persönliches Lob anstatt einer Bewertung der fachlichen Kompetenzen. Wenn man diese Eigenheiten im Voraus kennt und dementsprechend kommuniziert, lassen sich viele Schwierigkeiten durch Kommunikationsfehler im Vorhinein vermeiden.

Aspekt Konfliktvermeidungstendenz Probleme in Tschechien scheint es weit seltener zu geben als Probleme in Deutschland. Das ist zumindest der Schluss, wenn ein deutscher Manager Aussagen von deutschen und tschechischen Mitarbeitern gleich behandelt. In Wahrheit aber treten Probleme weder seltener noch häufiger auf. Die Art und Weise, wie Probleme thematisiert und kommuniziert werden, ist jedoch eine grundlegend andere. Grundsätzlich werden Probleme in Tschechien als weniger tragisch betrachtet, da sowieso erwartet wird, dass sich bis zum Stichtag noch eine Lösung findet (siehe hierzu auch Aspekt Improvisationspräferenz). Aber auch wenn keine Lösung in Sicht ist, werden Konflikte und Probleme verschwiegen. Dies ist vor allem der Fall, wenn sie bestimmten Personen zuzuordnen sind, die durch eine offene Kommunikation zumindest mit dem Problem verbunden würden. Hier bedarf es Subtilität von Seiten des Managements, so nach Problemen zu fragen, dass sie auch kommuniziert werden. Ein Pharmaunternehmen drückte diese Problematik wie folgt aus: „Wenn ich frage, wer ein Problem hat, läuft alles fantastisch. Wenn ich frage, ob Projekte Schwierigkeiten machen, gibt es keine. Sobald ich mich aber erkundige, welches Projekt denn tapfer gegen besonders widrige Umstände von außen kämpft, gibt es immer mindestens eins.“

Erfolgsfaktoren in Tschechien: Worauf kommt es an?

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Selbst wenn dann letztendlich ein Problem so brisant geworden ist, dass es zwingend mitgeteilt werden muss, geschieht dies in der sprichwörtlichen „letzten Minute“. Ebenfalls wird bei der Kommunikation von Problemen eine möglichst indirekte Mitteilungsform bevorzugt. Probleme werden eher per Fax oder E-Mail übermittelt als direkt mitgeteilt. Ebenfalls zeigt sich, dass Druck ungeeignet ist, die Mitarbeiter dazu zu bringen, Probleme offen anzusprechen. In diesem Fall wird häufig geschwiegen oder entsprechend dem tschechischen Sprichwort gehandelt: „Lieber eine angenehme Lüge als eine schmerzhafte Wahrheit.“ Eine weitere Fußangel, die es bei der Kommunikation mit tschechischen Mitarbeitern zu vermeiden gilt, resultiert auch aus der Tendenz zur Konfliktvermeidung. Um keine Probleme mit Vorgesetzten zu provozieren, wird eine von einem Vorgesetzten geäußerte Meinung häufig akzeptiert, auch wenn die Mitarbeiter nicht mit der Meinung übereinstimmen. Der Geschäftsführer eines Automobilzulieferers formulierte es wie folgt: „Eine gewisse Obrigkeitshörigkeit ist schon da. Sobald ich meine Meinung in einem Meeting geäußert habe, werden abweichende nicht mehr geäußert. Da das viele gute Ideen von meinen Mitarbeitern verhindert, warte ich immer bis ganz zum Schluss, bis ich sage, was ich denke.“

Aspekt Improvisationspräferenz Ein weiterer wichtiger Bereich der tschechischen Arbeitsweise ist die Verteilung der Arbeit auf die Gesamtzeit eines Projektes. Während in Deutschland (zumindest im Idealfall) ein Projektplan erstellt und im Zeitverlauf abgearbeitet wird, herrscht in Tschechien ein größerer Freiheitsdrang. Probleme kreativ und durch teils Improvisation kurzfristig (d. h. zumeist kurz vor der Deadline) zu lösen, wird von Tschechen positiv bewertet. Der akzeptierte Planungszeitraum ist in Tschechien somit deutlich kürzer. Uns wurde häufig berichtet, dass der Löwenanteil der Arbeit in den letzten Tagen erledigt wird – unabhängig davon, wie viel Zeit zur Verfügung steht. Diese Vorgehensweise ist im tschechischen Sprichwort „Das, was einen nicht verbrennt, muss man nicht löschen“199 treffend beschrieben. Die Aktivität beginnt erst wirklich, sobald das Problem vor der Tür steht, dann aber mit aller Energie. Mit dieser Last-Minute-Mentalität lässt sich auch die hohe Bedeutung erklären, die dem Durchhalten der Strategie von den befragten Managern beigemessen wird. Unsere Interviews haben ergeben, dass 82% aller Manager konsequentes Durchhalten der Strategie auch in schwierigen Zeiten für wichtig oder sehr wichtig halten. Da die Arbeit auf mehr kürzere Planungsperioden verteilt wird, ist es von großer Bedeutung, trotz einer Vielzahl von Einzelschritten das strategische Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Dies ist auch deshalb von Bedeutung, da die deutsche Arbeitsweise eher als sequenziell zu bezeichnen ist während die tschechische eher als simultan angesehen werden kann. Bei einer Vielzahl gleichzeitig ablaufender Aktivitäten ist es wichtig, dass das Management eine konsequente strategische Richtung vorgibt und in diese steuert. 199 „Nehas co tČ nepálí.”

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Erfolgsfaktor Strategie kommunizieren und durchhalten

Diese Improvisationspräferenz führt auch häufig zu einer unzureichenden Vorbereitung von Meetings, vor allem von solchen, deren Sinn nicht eingesehen wird. So wurden zum Beispiel bei einem Unternehmen der chemischen Industrie monatliche Info-Meetings abgeschafft, da sie einfach durch schlechte Vorbereitung boykottiert wurden. Dieser Fall ist repräsentativ dafür, dass in Tschechien vorgegebene Strukturen häufiger als in Deutschland angezweifelt oder nicht akzeptiert werden. Dies ist aus dem historischen Kontext der Fremddominanz zu erläutern. Vorgeschriebene Strukturen waren stets ein Teil des alltäglichen Lebens, den man versuchte zu umgehen, wenn dies nötig und möglich schien. Insofern werden unzureichend vermittelte Systeme häufig missachtet, jedoch nicht durch direkte Kommunikation (offener Protest oder Argumentation) sondern auf stilleren Wegen.

Aspekt stiller Widerstand Bei unzureichend akzeptierten Strukturen oder Vorgaben kommt die Protestform „stiller Widerstand“ ins Spiel. Wir haben von vielen Gesprächspartnern von ihren eigenen Erfahrungen mit diesem Thema gehört. Die erste Stufe geht normalerweise ohne jegliches Wissen des Managements vonstatten. Konflikte werden, sobald sie für die Mitarbeiter offensichtlich sind, nicht thematisiert. Hierbei herrscht auch eine hohe Bereitschaft der Mitarbeiter, Trittbrettfahrer im Kollektiv mit zu tragen, wodurch die Gesamtproduktivität absinkt. Die zweite Stufe wird zumeist nur von erfahrenen deutschen Managern bemerkt. Eine höhere Eskalationsstufe des Problems wird erreicht. Es ist für die tschechischen Mitarbeiter nicht mehr auszuschließen, dass sich das Problem ausweitet und dadurch publik wird. Eine direkte Kommunikation erfolgt auch hier nicht. Vielmehr werden Kontextsignale eingesetzt, um auf das Problem aufmerksam zu machen, sei es durch Andeutungen, Körpersprache, Anspielungen auf widrige externe Faktoren oder andere Zeichen. Der tschechische Mitarbeiter ist sich auf dieser Stufe sicher, dass er auf vielfältige Art und Weise angedeutet hat, dass es ein Problem gibt. Die dritte Stufe ist leichter zu erkennen. Sobald diese aber bemerkt wird, bestehen nur noch verschiedene mehr oder minder ungünstige Möglichkeiten, den Konflikt zu beenden. „ Der Mitarbeiter entscheidet sich, dem Konflikt weiterhin aus dem Weg zu gehen. Er kündigt. Das Problem wird entweder von seinem Nachfolger entdeckt oder erst durch seine Eskalation bekannt. „ Das Problem wird in letzter Sekunde entdeckt, sehr zum Ärger des Managements. Es folgt eine offene Thematisierung der Verfehlungen, die zumeist die arbeitsfähige persönliche Beziehung zwischen den Akteuren beendet. Der Mitarbeiter kündigt, wird gekündigt oder zieht sich vollkommen zurück. „ Das Problem eskaliert, es kann aber eine Lösung gefunden werden und es erfolgt eine Aussprache. Die Aussprache vereint die beiden Parteien wieder so weit, dass arbeitsfähige persönliche Beziehungen zwischen den Akteuren erhalten bleiben.

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Angesichts dieses Ablaufs ist es ein sehr wichtiger Erfolgsfaktor für deutsche Manager, gezielt auf Kontextsignale zu achten. Wenn diese früh genug erkannt werden und danach das Problem thematisiert wird, ohne dabei die persönlichen Beziehungen zu stark zu beschädigen, ist eine Lösung möglich, bevor die dritte Stufe erreicht wird. Wie bereits erläutert können Controlling-Systeme hier als Frühwarnsystem dienen.

Aspekt gespaltenes Selbstwertgefühl Von zahlreichen Gesprächspartnern wurde uns die Beachtung des gespaltenen Selbstwertgefühls tschechischer Mitarbeiter als ein wichtiger Aspekt erfolgreichen Personalmanagements genannt. Die Selbsteinschätzung pendelt hierbei von unangemessener Bescheidenheit und Zurückhaltung bis hin zu enormem Selbstbewusstsein und einem Überlegenheitsgefühl als „Helden Osteuropas“. Problemfelder, die sich hieraus ergeben, sind beispielsweise die bereits erwähnten Schwierigkeiten tschechischer Mitarbeiter in Vertriebspositionen. Doch kann ein gezieltes Eingehen auf diese Besonderheit ein Erfolgsfaktor sein. Wenn Manager es schaffen, das Selbstbewusstsein gezielt und angemessen aufzubauen, können beispielsweise Potenziale von fachlich brillanten Mitarbeitern, die aber aufgrund ihrer Meinung nach unzureichender Sprachfähigkeiten Zurückhaltung üben, viel besser genutzt werden. Aus diesem Grund sind Stolz und Identifikation mit der eigenen Arbeit – aber auch mit Personen, für die gearbeitet wird – wichtige Motivatoren in Tschechien. Vor allem öffentliche und persönliche Ehrungen werden hierbei als hilfreich gesehen. Ungeachtet dessen waren sich die Gesprächspartner in Tschechien sehr einig, dass Geld immer noch ein herausragend wichtiger Motivator ist. Dennoch sind andere Motivatoren vor allem bei höher qualifizierten Berufen dabei, auch an Bedeutung zu gewinnen. Insofern ist Motivation über Anerkennung und Wertschätzung heute vielleicht noch nicht der primäre Motivator, wird es aber mittelfristig werden.

15.3.2 Fallbeispiele Im folgenden Abschnitt werden die fünf oben ausgeführten Kultur- und Kommunikationsaspekte jeweils anhand kurzer Beispiele ausgeführt und es werden erfolgreiche Maßnahmen vorgestellt, mit ihnen umzugehen.

Personenorientierung Bei vielen Unternehmen spielt die Identifikation mit dem Unternehmen, das in vielen Fällen einer der wichtigsten Arbeitgeber in der Region ist, eine wichtige Rolle. Noch bedeutsamer ist aber die Identifikation mit der Person des Geschäftsführers. Wenn dem „Jednatel“ (Direktor) Kopf und Herz, das Unternehmen zu führen, zugestanden werden, sind Motivation und

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Identifikation der Belegschaft mit dem Unternehmen und seinen Zielen völlig andere, als wenn keine persönliche Beziehung zu dem Repräsentanten besteht. Aber nicht nur persönliche Beziehungen zwischen Geschäftsführung und Belegschaft sind bedeutsam. Auch bei den Mitarbeitern ist es Erfolg versprechend, persönliche und familiäre Beziehungen zu fördern. Häufig arbeiten Mitglieder einer Familie zusammen, was die Bindung zum Unternehmen und Motivation erhöht. Dieses Phänomen wurde vom Geschäftsführer von F.X. Meiller in einem konkreten Fall – bei dem ein Ehepar direkt zusammenarbeitet – wie folgt beschrieben: „Seit seine Frau dort Stapler fährt, läuft die ganze Verladestation besser.“

Konfliktvermeidung Der Aspekt der Konfliktvermeidung wurde uns von vielen Gesprächspartnern beschrieben. Im Folgenden wird ein Beispiel herausgegriffen, das einen besonders guten Einblick in diesen Themenkomplex gibt. Bei einem Hersteller von Nutzfahrzeugzubehör wurde berichtet, dass tschechische Manager und Vorarbeiter grundsätzlich „sehr nett“ zu ihren Mitarbeitern sind. So nett sogar, dass selbst bei grobem Fehlverhalten keine Sanktionen ergriffen werden. Hierdurch werden beispielsweise Trittbrettfahrer, die nur unzureichende Arbeit leisten, von produktiveren Mitarbeitern mitgetragen, um dem Konflikt einer Aussprache zu entgehen. Durch gezielten Einsatz hoch qualifizierter tschechischer Führungskräfte („Bei uns arbeitet die nordböhmische Elite.“), die sowohl Verständnis für die tschechische Mentalität als auch deutsche Zielorientierung aufwiesen, ließen sich diese Probleme jedoch in den Griff bekommen.

Improvisationspräferenz Bei einem Hersteller von Gummiformteilen und den dafür notwendigen Spezialmaschinen werden die Vorliebe für Improvisation und der geradezu sportliche Ehrgeiz der tschechischen Ingenieure, ein Problem in der Nacht vor der Deadline zu lösen, optimal genutzt. Das Unternehmen hat sich als Expresszulieferer für Gummiformteile für in kleineren Mengen benötigte Teile positioniert. Der Arbeitsanteil, um die Maschinen für jede Produktionsserie neu anzupassen, ist hoch und eine Automatisierung kaum möglich, was perfekt mit der lösungs- statt prozessorientierten tschechischen Arbeitsweise harmoniert. Aus diesem Grund wäre die Produktion in Deutschland nicht mit derselben Flexibilität zu verrichten, und in Ländern wie der Unkraine würden den Mitarbeitern die nötigen Qualifikationen fehlen. In Tschechien hingegen ist es durchaus möglich, auch eine Zeit lang mit 130% Auslastung zu arbeiten: „Wenn etwas wirklich gemacht werden muss, machen die Tschechen das auch noch in der Nacht fertig.“

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Stiller Widerstand Stiller Widerstand wurde bei vielen Unternehmen in der einen oder anderen Form angetroffen. Dieses Problemfeld wurde von einem Maschinenbauunternehmen wie folgt beschrieben: „Wenn etwas auf rein sachlicher Ebene kommuniziert wird und der Mitarbeiter es weder einsieht noch den Auftraggeber mag, wird alles zugesagt, aber nichts getan. Fast jeder unserer Manager hatte dieses Problem zumindest einmal.“ Diese Art und Weise, Probleme einfach zu ignorieren, in der Hoffnung, dass sie sich von alleine erledigen oder jemand anderes damit beauftragt wird, wurde von unseren Gesprächspartnern als die häufigste Form von Widerstand von tschechischen Mitarbeitern bezeichnet.

Gespaltenes Selbstwertgefühl Bei Schwankungen des Selbstbewusstseins gibt es die Fälle, dass zu niedriges aufgebaut oder dass zu hohes gesenkt werden muss. Um das Selbstwertgefühl seiner Mitarbeiter zu stärken, hat ein Spezialmaschinenbauer tschechische Ingenieure und Fertigungsmitarbeiter am Entwicklungsstandort in Deutschland einen Durchlaufofen bauen lassen, zum einen, damit die Ingenieure in Deutschland das fertige Produkt sehen können, vielmehr aber, damit die tschechischen Mitarbeiter sich profilieren können. Bei einem Spezialmaschinenbauer ist es andererseits manchmal nötig, die tschechischen Höhenflüge im Sinne der Effizienz etwas zu begrenzen. Der Geschäftsführer drückte es wie folgt aus: „Unsere tschechischen Ingenieure denken zu kompliziert. Sie würden viel lieber größere und komplexere Maschinen bauen, als die einfachste Lösung zu wählen.“ Die oben aufgeführten Fälle zeigen, dass es für eine erfolgreiche Führung des Unternehmens von großem Nutzen sein kann, die genannten Aspekte der Kommunikation und des Personalmanagements zu beachten. Hierdurch können viele Probleme vermieden und zahlreiche zusätzliche Chancen genutzt werden, denn das Potenzial der tschechischen Mitarbeiter ist hoch.

15.4 Erfolgsfaktor Beziehungen Wie im vorigen Kapitel diskutiert, ist die tschechische Geschäftswelt im Vergleich mit der sachorientierten deutschen wesentlich personenorientierter. Die gilt natürlich nicht nur unternehmensintern, sondern auch über die Grenzen des Unternehmens hinweg. Da in Kapitel 13.5 schon weitgehend auf Kunden und Vertriebsbeziehungen eingegangen wurde, wird in diesem Kapitel vor allem auf die persönlichen Aspekte eingegangen, die alle Beziehungen von Unternehmen und Außenwelt betreffen.

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Erfolgsfaktor Unterstützung aus dem Stammhaus

15.4.1 Nichts geht über persönliche Beziehungen zu Geschäftspartnern Gute Beziehungen zu Geschäftpartnern sind in jedem Unternehmensumfeld von großer Bedeutung. Doch gibt es in Tschechien einige landesspezifische Besonderheiten, die diese Relevanz sogar noch erhöhen. Wegen dieser Besonderheiten stuften 76% der befragten Manager gute Beziehungen zu tschechischen Geschäftspartnern als wichtig oder sehr wichtig ein. Vor allem in Vertrieb und Einkauf kommt den Beziehungen zu tschechischen Partnern große Bedeutung zu. Hier kann verstärkt der hohe Personenbezug der tschechischen Gesellschaft zum guten Gelingen der Geschäfte beitragen. Vor allem bei deutschen Unternehmen, die als Qualitätsanbieter nicht über Preis verkaufen, kann ein Verkäufer, der seit langer Zeit mit den Kunden in engem Kontakt steht, über die persönliche Ebene vermitteln, dass sich die „Anschaffung der Produkte auch bei höherem Anschaffungspreis lohnt“. Ebenfalls mussten viele Unternehmen angesichts des unzureichenden tschechischen Insolvenzrechts große Verluste mit Kunden, die in Konkurs gegangen sind, verbuchen. In diesem Bereich können gute persönliche Beziehungen mit Leitung und Mitarbeitern der Geschäftspartner als Frühwarnsystem dienen, wenn die eigenen Mitarbeiter die Kontextsignale zu deuten wissen. Auch überbrücken persönliche Beziehungen in Tschechien mehr als in anderen Ländern mögliche Vertragslücken, da der Vertragspartner sich nicht nur aufgrund von Gesetzen verpflichtet fühlt, sondern auch mit seiner persönlichen Integrität mit dem Geschäft verbunden ist.

15.5 Erfolgsfaktor Unterstützung aus dem Stammhaus 15.5.1 An der Kandare oder an der langen Leine? Immerhin 62% unserer Gesprächspartner halten direkte Unterstützung aus dem TopManagement des Mutterunternehmens für einen entscheidenden Erfolgsfaktor. Allerdings gehen die Meinungen stark auseinander, in welcher Form die Mutter am besten helfen kann – etwa durch physische Präsenz, häufige und direkte Kommunikation oder regelmäßiges Coaching für das lokale Managementteam. Es ist nicht verwunderlich, dass das Interesse der Unternehmensführung an der tschechischen Tochtergesellschaft von Unternehmen zu Unternehmen stark differiert. Freilich nimmt Tschechien beim Geschäftsführer eines Automobilzulieferers, dessen einziger Produktionsstandort in Tschechien angesiedelt ist, einen weit wichtigeren Platz auf der Agenda ein als beim Vorstand eines internationalen Pharmakonzerns, in dem das tschechische Vertriebsbüro nicht einmal ein halbes Prozent des Umsatzes verantwortet.

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Besuch aus Deutschland wenig hilfreich? Unterstützung durch die Mutter wurde in den wenigsten Fällen mit häufiger persönlicher Präsenz des Top-Managements am tschechischen Standort gleichgesetzt. Dabei sind Geschäftsreisen nach Tschechien gerade für deutsche Unternehmen absolut problemlos. Prag und Brünn lassen sich in einer Flugstunde erreichen, aus München erreicht man Prag in drei Stunden mit dem Auto. Trotzdem steht Tschechien tendenziell eher selten auf den Reiseplänen des Top-Managements, wie uns die Mehrzahl der Interviewpartner berichtete. Ein Manager aus dem Maschinenbaubereich gab etwa an, seinen deutschen Vorgesetzten vor drei Jahren das letzte Mal gesehen zu haben. Allerdings wird dies in vielen Unternehmen weniger kritisch gesehen. Natürlich sendet der Besuch des Vorstands ein Signal, dass Tschechien im Unternehmensverbund einen wichtigen Rang einnimmt, und zeugt von Wertschätzung. Über diese Motivationswirkung hinaus hinterlässt die Stippvisite in Tschechien allerdings manchmal wenig inhaltliche Resultate. Gerade in Vertriebsgesellschaften kennen die lokalen Manager ihr Geschäftsumfeld so viel besser, sodass aus der Zentrale nur wenig Hilfestellung geleistet werden kann. Der Geschäftsführer der Vertriebsgesellschaft eines Medizintechnikherstellers schilderte uns dieses Phänomen auf seine Weise: „Wenn ich Besuch aus der Zentrale bekomme, denken die Deutschen immer, sie könnten mich bei Kundenbesuchen unterstützen. Ich kenne meine Kunden teilweise seit 20 Jahren. Wenn mir der Krankenhausdirektor dann vom Alkoholproblem seiner Frau und der Drogensucht seiner Tochter erzählt, kann ich das meiner deutschen Begleitung nicht übersetzen. Wenn ich mich aber nur auf Tschechisch unterhalte, sind auch die Deutschen pikiert.“

An der langen Leine In den meisten Interviews klang durch, dass die Geschäftsführung in Deutschland meist gut beraten ist, sich aufgrund der zahlreichen Eigenheiten des tschechischen Geschäftsumfelds aus dem operativen Geschäft weitgehend herauszuhalten und die Tochtergesellschaft „an der langen Leine“ zu führen. Ein überzeugendes Beispiel dafür, dass übertriebene Vorschriften durch die Mutter und eingeschränkte Eigenständigkeit der Tochtergesellschaft schaden, liefert ein deutsches Maschinenbauunternehmen, das in Tschechien einen Produktionsstandort mit 750 Mitarbeitern unterhält. Tschechien spielt dabei die Rolle einer reinen verlängerten Werkbank ohne die Möglichkeit, auf andere Wertschöpfungsstufen Einfluss zu nehmen. Der Großteil der lokalen Aktivitäten wird von der Zentrale vorgeschrieben, Zielvorgaben oder Problemfelder werden nicht diskutiert, sondern lediglich Erwartungen formuliert – in der personenfixierten Welt Tschechiens undenkbar. Selbst der Vertrieb in Tschechien wird von der Mutter gesteuert, sodass man vor Ort meist nicht einmal die Kunden im eigenen Land kennt. Auch hilfreiche Informationen werden zum Teil bewusst zurückgehalten, um die vermeintlich deutschen Kompetenzfelder nicht zu gefährden.

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Erfolgsfaktor Unterstützung aus dem Stammhaus

Die Auswirkungen auf die Motivation der Mitarbeiter vor Ort und das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter sind verheerend. Die Mitarbeiter sehen zwar ihre Wertschöpfung vor Ort, allerdings wird die gesamte Produktion zu Vollkosten von der Mutter abgenommen, sodass Produktivitätssteigerungen vor Ort keine positiven Konsequenzen haben, da auch entsprechende Anreizsysteme fehlen. Der Deckungsbeitrag muss für die Subventionierung unrentabler Aktivitäten in Deutschland verwendet werden, die Identifikation mit der Muttergesellschaft tendiert in Tschechien gegen Null – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Produktivität. Für die Rolle des unselbständigen und willenlosen Befehlsempfängers ist Tschechien in internationalen Unternehmen der falsche Standort, zumal unsere Interviews reihenweise Beispiele zu Tage förderten, dass tschechische Tochtergesellschaften weitgehend unabhängig von der Mutter hervorragende Ergebnisse erreichen.

Wie kann die Mutter unterstützen? Eine gewisse Autonomie der Tochtergesellschaft ist also richtig und wichtig. Aber wo kann und sollte die Mutter noch erfolgskritische Unterstützung leisten? Aus unseren Gesprächen kristallisieren sich hier drei Themenfelder von besonderer Bedeutung heraus: direkte Kommunikation, Wissensmanagement und Personalentwicklung. Das Management der Muttergesellschaft muss nicht ständig präsent sein, aber es soll ständig erreichbar sein. So lässt sich die Anspruchshaltung der meisten befragten Unternehmen zusammenfassen. Auftretende Probleme oder Unsicherheiten direkt durch einen Anruf in der Zentrale klären zu können, wird dabei als besonders wichtig empfunden. Dies klingt selbstverständlich, trotzdem bestehen hier in vielen Unternehmen noch Defizite. Gerne werden tschechische Anliegen herunterpriorisiert und unnötig verzögert, was in Tschechien nicht nur Frustration, sondern auch ein Gefühl der Minderwertigkeit verursacht, wie wir in zahlreichen Gesprächen feststellten. Insbesondere in internationalen Großkonzernen, in denen die Kommunikation mit der Unternehmensführung oft den Umweg über eine Regionalleitung nehmen muss, wünschen sich viele Tochtergesellschaften weniger bürokratische und stattdessen direktere Kommunikationskanäle. Auch im Bereich Wissensmanagement kann die Mutter wichtige Unterstützungsaufgaben übernehmen. Ein gutes Beispiel hierfür ist Rittal. Der führende Anbieter von Schaltschrankund Gehäusetechnologie ist mit 54 Tochtergesellschaften global vertreten. Regelmäßig werden internationale Teams für bestimmte Strategieaufgaben für Produkt-, Marketing- oder Vertriebsthemen formiert. Die Ergebnisse und das neue generierte Wissen werden genauso wie lokales Marktwissen mit Hilfe eines internen Kommunikationssystems an die Mutter übermittelt, die diesen Expertise-Pool zentral verwaltet und den dezentralen Tochterunternehmen in aller Welt zugänglich macht. Die vielleicht wichtigste Aufgabe der Mutter wird in der Personalentwicklung gesehen. Dabei reicht das Spektrum von Produktionsexperten aus dem Stammwerk, die die Mitarbeiter vor

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Ort mit dem nötigen Know-how und dem Verständnis für innovative Prozesse ausstatten, bis hin zu Top-Management-Coaching, im Rahmen dessen Geschäftsführer der tschechischen Tochter in der deutschen Zentrale ein intensives Training erhalten und Netzwerke in der Zentrale knüpfen können. Auch auf niedrigeren Hierarchieebenen gilt ein vorübergehender Transfer der tschechischen Mitarbeiter nach Deutschland als sehr probates Mittel, die Unternehmensphilosophie in der Tochter zu verankern und künftige Kommunikation zu erleichtern.

16.

Blick in die Zukunft: Optimismus herrscht vor

Unsere Gespräche in Tschechien haben neben der heutigen und künftigen strategischen Ausrichtung der befragten Unternehmen, den Freuden und Leiden im tschechischen Geschäftsumfeld und den entscheidenden Erfolgsfaktoren ein weiteres Ergebnis hervorgebracht: Die Stimmung ist gut bei den meisten deutschen Unternehmen in Tschechien, und fast überall blickt man optimistisch in die Zukunft. Wie die zahlreichen Fallbeispiele gezeigt haben, stehen viele Tochtergesellschaften momentan vor herausfordernden Aufgaben, die eine Aufwertung der lokalen Aktivitäten mit sich bringen werden, sei es die Verlagerung weiterer Teile der Produktion, die Übernahme von Forschungs- & Entwicklungsaktivitäten, die Ausweitung der Verantwortung im Beschaffungsbereich, die eigenständige Eroberung neuer Märkte oder lediglich das Ziel, am erwarteten Marktwachstum überproportional zu partizipieren. Wie jedes Land, dessen Transformationsprozess zur westlich orientierten Marktwirtschaft noch nicht vollständig abgeschlossen ist und dessen Vergangenheit das heutige Geschehen noch auf die eine oder andere Art beeinflusst, hat auch der Investitionsstandort Tschechien noch deutlich sichtbare Schönheitsfehler. Zu den dringlichsten Problemen gehören sicherlich die Korruption, die den geregelten Geschäftsablauf mitunter stark behindert, die teils noch vorherrschenden Defizite im Rechtssystem und die politische Instabilität, die dringend nötige Reformen verzögert und in vielen Bereichen den Unternehmen die Planungssicherheit entzieht. Hier besteht für künftige Regierungen erheblicher Handlungsbedarf, um Tschechiens Wettbewerbsfähigkeit nicht zu gefährden. Dennoch haben sich die erfolgreichen deutschen Unternehmen auf diese Probleme eingestellt und gelernt, mit ihnen umzugehen, wie unsere Fallbeispiele gezeigt haben. Auch die kulturellen Unterschiede, die trotz der geografischen Nähe unbestreitbar bestehen, lassen sich mit Lernwillen, Sensibilität und Fingerspitzengefühl überwinden. Angesichts der vielen Chancen, die Tschechien bietet, können die genannten Problemfelder den optimistischen Blick in die Zukunft nicht trüben. Allerorten existieren für die tschechischen Tochtergesellschaften große Pläne, die vom Potenzial des Landes, aber auch vom Vertrauen der deutschen Investoren in den Standort Tschechien zeugen. Ohne Zweifel: Das tschechische Rädchen im internationalen Unternehmensverbund wird in den untersuchten Branchen sukzessive größer und wichtiger werden. Tschechien hat das Potenzial, zum starken Motor einer aufstrebenden Region in Mittel- und Osteuropa zu werden – und gleichzeitig zur idealen Ausgangsbasis, um vom Aufschwung der gesamten Region bestmöglich zu profitieren.

Anhang

Anhang 1 Internationale Expansionsstrategien außerhalb der Unternehmensgrenzen Die in diesem Buch untersuchten Strategien von Exportorientierung, Geschäftstransfer und Globaler Integration beziehen sich ausschließlich auf Expansionsformen innerhalb der Unternehmensgrenzen. Doch wie in Abbildung 131 ersichtlich, besitzen diese auch Pendants außerhalb der Unternehmensgrenzen, die wir nicht mit in unsere Untersuchungen einbezogen haben.200 Als Exportpartnerschaft bezeichnen wir das externe Pendant der Exportorientierung. Im Rahmen der Exportpartnerschaft werden in der Regel lokal ansässige Vertriebsfirmen mit dem Marketing & Vertrieb exportierter Güter betraut. Diese Form wird vor allem in den Exportmärkten eingesetzt, deren Erschließung ein stark lokalspezifisches Know-how erfordert, deren Vertriebskanäle stark reguliert sind bzw. deren Marktvolumen eine eher untergeordnete Rolle spielt. Lizenzierung & Franchising nutzen das heimische Geschäftssystem in Auslandsmärkten durch externe Partner. Ähnlich dem Geschäftstransfer wird dabei die komplette Wertschöpfungskette im Ausland repliziert, mit dem Unterschied, dass die Kontrolle ausländischer Aktivitäten durch Vertrag und nicht durch Anteilsbesitz ausgeübt wird. Unter Internationalem Subcontracting verstehen wir die Auslagerung spezifischer Unternehmensfunktionen an Auslandspartner. Damit bilden sie das externe Pendant zur Globalen Integration, denn auch hier werden lokale Standortvorteile im Ausland genutzt, um Leistungen für andere Landesgesellschaften zu erbringen. Eine gängige Form Internationalen Subcontractings im Funktionsbereich Produktion ist die passive Lohnveredelung, bei der heimische Vorprodukte zur Be- oder Weiterverarbeitung an einen Subunternehmer ins Ausland versandt werden, um dann die bearbeitenden Produkte wieder zurückzukaufen und zu reimportieren.201 Neben diesen rein externen Expansionsformen nutzen Unternehmen natürlich auch noch Mischformen anteiligen Anteilsbesitzes, so genannte Joint-Ventures. Ähnlich unserer Grund-

200 Für eine ausführliche Darstellung der unternehmensexternen Expansionsformen siehe Kaufmann/Panhans

(2004) und Panhans/Kaufmann (2004). 201 Vgl. Kaufmann (2001), S. 44-45.

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Anhang

typologie können auch Joint-Ventures vor allem dem Export, dem Transfer des kompletten Geschäftssystems bzw. der selektiven Leistungserbringung für Drittmärkte dienen.

Lokalisierung (von Wertschöpfung)

Unternehmensinterne Formen

Unternehmensexterne Formen JointVentures

Geschäftstransfer

Lizensierung & Franchising

Globale Integration Inländisches Subcontracting

Nationaler Fokus

Internationales Subcontracting

ExportPartnerschaft

Fremdvergabe (von Leistungen)

Exportorientierung Integration (über Grenzen)

Abbildung 131: LUDI's cube internationaler Expansionsstrategien202 Diese (teil-)externen Expansionsformen verhalten sich zueinander natürlich ähnlich wie die in diesem Buch vorgestellten unternehmensinternen Expansionsformen, d. h., sie unterliegen denselben Assen und Barrieren. Hinzu kommen „lediglich“ noch Vor- und Nachteile des Outsourcings. Nur unter Einbeziehung dieser (teil-)externen Formen ist das Instrumentarium auch wirklich komplett, welches Unternehmen für ausländische Aktivitäten nutzen können. Als entsprechend lohnend erachten wir daher weiterführende Untersuchungen unter Einbeziehung aller Expansionsstrategien, sowohl interner als auch externer.

Anhang 2 Methodologie und Datenbeschreibung Unsere Studie stützt sich auf semi-strukturierte Interviews und quantitative Daten, die wir mittels eines standardisierten Fragebogens erhoben. Im Rahmen der Studie führten wir im Sommer 2005 Interviews mit Top-Managern deutscher Tochtergesellschaften vor Ort.

202 Studenten prägten diese Bezeichnung gemäß unserer Vornamen Lutz und Dirk.

Anhang

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Diese Interviews führten wir persönlich in den Büros unserer Interviewpartner durch. Die typische Dauer eines Interviews betrug zwei Stunden. Der persönliche Kontakt erlaubte uns, firmenspezifische Aspekte zu vertiefen und unsere Erkenntnisse mit interessanten Anekdoten und persönlichen Erfahrungen der befragten Manager zu ergänzen. Außerdem konnten wir so alternative Expansionsstrategien, besondere Herausforderungen im Geschäftsumfeld und aktuelle Ereignisse mit Entscheidungsträgern erörtern. Alle an uns herangetragenen unternehmensspezifischen Informationen wurden streng vertraulich behandelt und erst nach expliziter Freigabe seitens der Unternehmen veröffentlicht. Die Fallbeispiele haben wir aus den Aussagen der Manager und öffentlich verfügbaren Quellen zusammengestellt. Wir folgten in unserer Vorgehensweise der üblichen Praxis in der Management-Forschung. Eine Einführung in fallstudienbasierte Forschung findet sich in Yin (2002).

Recherche Schließlich recherchierten wir in öffentlich zugänglichen Datenbanken und Quellen Hintergrundinformation zu Ungarn und Tschechien, den fünf Zielbranchen sowie den einzelnen Unternehmen. Zudem unterhielten wir mit freundlicher Unterstützung der DUIHK und der DTIHK Zugang zu weiteren Datenbanken und Publikationen. Vor jedem Interview versuchten wir, uns anhand öffentlich zugänglicher Quellen einen möglichst detaillierten Überblick über das Unternehmen, die Tochtergesellschaft sowie deren Entwicklung zu verschaffen. Dabei griffen wir vor allem auf öffentlich zugängliche Quellen wie Geschäftsberichte und Homepages der Unternehmen zu.

Interviewdurchführung Neben der Beantwortung des Fragebogens umfassten unsere Interviews folgende Themenbereiche: „ Geschichte und Entwicklung des Engagements: Unser Interview begann nach einer Vorstellung des Forschungsprojekts mit der Geschichte der Tochtergesellschaft und deren Entwicklung. Dabei versuchten wir nachzuvollziehen, wie das Unternehmen in der Vergangenheit auf sich ändernde Rahmenbedingen reagiert hat. „ Brancheninformationen: Sofern wir nicht bereits über detaillierte Informationen zur Branche verfügten, widmeten wir uns der Branchenstruktur und befragten unsere Interviewpartner zu den wichtigsten Trends in der Branche.

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Anhang

„ Erwartete Anpassungen der Strategie: Wie Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen auf Branchentrends und allgemeine Entwicklungen reagieren werden, war ebenfalls Teil unseres Interviews. „ Unternehmensspezifische Fragen: Hatten sich bereits während unserer Recherchen im Vorfeld unternehmensspezifische Fragen ergeben oder stießen wir während des Interviews auf besonders interessante Fragestellungen, gingen wir an passender Stelle oder gegen Ende des Interviews auf diese Aspekte ein. Detaillierte quantitative Angaben erfassten wir mit einem standardisierten Fragebogen, der in allen Länderstudien unseres Forschungsprojekts angewandt wurde. Der Fragebogen basierte auf dem vom Forschungsteam entwickelten Modell Internationaler Expansionsstrategien.

Anhang 3 Transportkosten nach Deutschland

2.942

1.406 714

690 359

Ungarn

Tschechien

Polen

731

562

Slowakei

Spanien

Frankreich

China

Abbildung 132: LKW-/Seefrachtkosten nach Deutschland aus ausgewählten Ländern 2002 in EUR pro 20-Fuß-Container203

203 Quelle: McKinsey.

Literaturverzeichnis

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Abkürzungsverzeichnis

AmCham

American Chamber of Commerce

ASEAN

Association of South-East Asian Nations (Vereinigung südostasiatischer Staaten)

B2B

Business to business (Geschäftskundenmarkt)

B2C

Business to consumer (Endkundenmarkt)

BCG

Boston Consulting Group

bfai

Bundesagentur für Außenwirtschaft

BAFTA

Baltic Free Trade Area (Baltische Freihandelszone)

CAGR

Compound annual growth rate (Durchschnittliche jährliche Wachstums-rate)

CEFTA

Central European Free Trade Agreement (Zentraleuropäisches Freihan-delsabkommen)

CNC

Computerized numerically controlled (computerunterstützte numerische Maschinensteuerung)

CRT

Cathode ray tube (Kathodenstrahlröhre)

DIHK

Deutscher Industrie- und Handelskammertag

DTIHK

Deutsch-Tschechische Industrie- und Handelskammer

DUIHK

Deutsch-Ungarische Industrie- und Handelskammer

EMS-2

European Monetary System 2

EU-15

EU-Mitgliedsstaaten vor Osterweiterung zum 1. Mai 2004

EU-25

EU-Mitgliedsstaten nach Osterweiterung zum 1. Mai 2004

EWG

Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (Vorgängerin der EU)

FDI

Foreign direct investment (ausländische Direktinvestitionen)

GATT

General Agreement on Tariffs and Trade (Zoll- und Handelsabkommen, Vorgänger der WTO)

GUS

Gemeinschaft unabhängiger Staaten (ehemals UdSSR)

HUF

Hungarian Forint (ungarische Währung)

IKB

Deutsche Industriebank AG

348

Abkürzungsverzeichnis

IMF, IWF

International Monetary Fund (Internationaler Währungsfond)

ITDH

Ungarische Gemeinnützige Gesellschaft für Investitions- und Handelsförderung

KSH

Központi Statisztikai Hivatal (Ungarisches Statistikamt)

MGI

McKinsey Global Institute

MNB

Magyar Nemzeti Bank (Ungarische Zentralbank)

MOE

Mittel- und Osteuropa

NACE

Nomenclature générale des activités économiques (Warenklassifizie-rungssystem der Europäischen Union)

NAFTA

North American Free Trade Agreement (Nordamerikanisches Freihan-delsabkommen)

NMS-5

Polen, Ungarn, Slowenien, Tschechien, Slowakei

NMS-8

EU-Beitrittsländer ohne Malta und Zypern

OECD

Organization for Economic Cooperation and Development

OEM

Original Equipment Manufacturer (Hersteller, dessen Produkte unter einem Markennamen als Einheit verkauft werden)

OEP

Országos Egészségbiztosítási Pénztár (Nationaler Krankenversicherungsfonds)

OTC

Over the counter-Medikamente (rezeptfreie Medikamente)

PE

Polyethen/Polyethylen

PP

Polypropen/Polypropylen

PVC

Polyvinylchlorid

PPP

Purchasing power parity (Kaufkraftparität)

PSA

Peugeot Citroën S. A.

REACH

Registration, Evaluation and Authorization of Chemicals

RGW

Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe

UNCTAD

United Nations Conference on Trade and Development

VDMA

Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e. V.

WEF

World Economic Forum

WKO

Wirtschaftskammer Österreichs

WTO

World Trade Organization (Welthandelsorganisation)

ZVEI

Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e. V.

Die Autoren

Univ.-Professor Dr. Lutz Kaufmann leitet den Herbert-Quandt-Stiftungslehrstuhl für Internationales Management an der WHU -Otto Beisheim School of Management. Er führte die Pilotinterviews für das Projekt Internationaler Expansionsstrategien (IES) und verfeinerte dabei das Forschungsmodell, das diesem Buch zugrunde liegt. Er ist ferner Mitbegründer von Navardo, Frankfurt am Main und San Francisco, sowie Aufsichtsratsmitglied des Automobilzulieferers Veritas AG, Gelnhausen.

Dirk Panhans ist Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationales Management der WHU und Unternehmensberater im Frankfurter Büro einer Managementberatung. Er entwickelte das Forschungsmodell Internationaler Expansionsstrategien und trug damit vor allem zur konzeptionellen Basis dieses Buches bei. Er studierte an der Handelshochschule Leipzig (HHL), dem INSEAD in Fontainebleau, der École Supérieure de Commerce de Paris (ESCP) sowie der Universität Bayreuth. Volker Bergner ist Unternehmensberater im Münchner Büro einer Managementberatung. Im Rahmen seiner Tätigkeit am Lehrstuhl für Internationales Management an der WHU führte er zahlreiche Interviews mit Leitern deutscher Tochtergesellschaften in Ungarn und trug damit maßgeblich zur empirischen Basis dieses Buches bei. Er studierte an der WHU, der University of Texas at Austin sowie der EGADE in Monterrey, Mexiko.

350

Die Autoren

Johannes Doll ist ebenfalls Unternehmensberater im Münchner Büro einer Managementberatung. Im Rahmen seiner Tätigkeit am Lehrstuhl für Internationales Management an der WHU führte er zahlreiche Interviews mit Leitern deutscher Tochtergesellschaften in Tschechien und trug damit maßgeblich zur empirischen Basis dieses Buches bei. Er studierte an der WHU, der University of Texas at Austin sowie der ESC Rouen, Frankreich.

Ben Fischer arbeitet als Vorstandsassistent bei einem MDAX-Unternehmen. Im Rahmen seiner Tätigkeit am Lehrstuhl für Internationales Management an der WHU führte er zahlreiche Interviews mit Leitern deutscher Tochtergesellschaften in Ungarn und trug damit maßgeblich zur empirischen Basis dieses Buches bei. Er studierte an der WHU, der University of Western Ontario, Kanada, sowie dem ITESM in Guadalajara, Mexiko.

Lukas Schönberger ist Doktorand am Lehrstuhl für Internationales Management der WHU und beim Bundesverband für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e. V. tätig. Im Rahmen seiner Tätigkeit am Lehrstuhl für Internationales Management an der WHU führte er zahlreiche Interviews mit Leitern deutscher Tochtergesellschaften in Tschechien und trug damit maßgeblich zur empirischen Basis dieses Buches bei. Er studierte an der WHU, der ESC in Rouen, Frankreich, sowie am Indien Institute of Management (IIM) in Kalkutta, Indien.

Letztendlich ist diese Autorenliste jedoch nur vollständig, wenn auch die über 140 Manager und Geschäftsführer genannt werden, die uns im Durchschnitt über zwei Stunden ihrer Zeit Rede und Antwort standen und von ihren Erfahrungen und Kenntnissen berichtet haben. Somit wurden von ihnen als virtuellen Autoren knapp 40 Manntage beigesteuert, die diesem Buch Praxisorientierung und Praxisrelevanz geben.

Stichwortverzeichnis

A Anpassung, operative ...............19 Arbeitslosenquote ..................141 Arbeitslosenquote, Ungarn.....106 Asse, Definition .......................49 Ausbildung, Ungarn .................71 Ausrichtung, strategische .........19 Automatisierungsgrad, Tschechien........................259 Automatisierungsgrad, Ungarn .............................108 Automobilindustrie, Tschechien........................293 Automobilindustrie, Ungarn .............................127

Direktinvestitionen, Tschechien....................... 222 E Elektronikindustrie, Ungarn............................. 156 Erfolgsfaktoren, Tschechien....................... 320 Estland .................................... 28 EU-Osterweiterung ................. 33 EU-Staaten, neue..................... 28 Evolutionärer Verlagerungsansatz.......... 253 Expansionsstrategien............... 43 Exportorientierung, Definition .......................... 51

B BAFTA.....................................32 Balkan ......................................29 Baltikum...................................28 Barrieren, Definition ................52 Barrieren, Tschechien.............242 Barrieren, Ungarn ....................74 Beschaffung, Ungarn ...............97

F FDI .......................................... 34 Forschung & Entwicklung, Tschechien........................ 277 Forschung & Entwicklung, Ungarn............................... 90 Fremdsprachkenntnisse, Ungarn............................... 77

C CEFTA .....................................32 Chemische Industrie, Ungarn .............................167 Chemischen Industrie, Tschechien........................311

G Geschäftstransfer, Definition .......................... 51 Globale Integration, Definition .......................... 51 GUS ........................................ 30

D Direktinvestitionen Ungarn......58

H Handelsbarrieren, Mittel- und Osteuropa ....... 39

352

Handelsbarrieren, Tschechien ....................... 246 Handelsbarrieren, Ungarn........ 81 Historie, Mittel- und Osteuropa........ 27 Historie, Tschechien .............. 219 I Inflation, Tschechien ............. 251 Inflation, Ungarn ..................... 79 Ingenieure, Ungarn .................. 91 Investitionsbarrieren, Mittel- und Osteuropa........ 40 Investitionsbarrieren, Tschechien ....................... 242 Investitionsbarrieren, Ungarn ............................... 74 K Karte, Ungarn .......................... 78 Korruptionsperzeptionsindex........ 76, 243 L Lettland ................................... 28 Lieferantenentwicklung, Ungarn............................. 100 Litauen..................................... 28 Lohnkosten, Osteuropa............ 70 M Malta ....................................... 29 Marketing & Vertrieb, Tschechien ....................... 282 Marketing & Vertrieb, Ungarn............................. 119 Marktchancen, Mittel- und Osteuropa........ 38 Marktchancen, Tschechien .... 235 Marktchancen, Ungarn ............ 65 Maschinenbau, Tschechien .... 303 Maschinenbau, Ungarn.......... 148

Stichwortverzeichnis

Minderheiten ......................... 114 P Patentschutz, Ungarn ............. 183 Pharmaindustrie, Tschechien . 315 Pharmaindustrie, Ungarn ....... 176 Pkw-Dichte ............................ 130 Pkw-Neuzulassungen............. 132 Produktion, Tschechien.......... 256 Produktion, Ungarn ............... 102 R Rahmenbedingungen Osteuropa........................... 36 RGW........................................ 31 S Skalenvorteile, Tschechien .... 240 Skalenvorteile, Ungarn ............ 66 Standortvorteile, Mittel- und Osteuropa........ 39 Standortvorteile, Tschechien .... 237 Standortvorteile, Ungarn.......... 69 Standortwahl, Tschechien ...... 257 Standortwahl, Ungarn ............ 105 Strategien Strategische Ausrichtung, Tschechien ....................... 225 Strategische Ausrichtung, Ungarn ............................... 63 U Unterstützungsfunktionen, Tschechien ....................... 289 Unterstützungsfunktionen, Ungarn ............................... 88 V Verbundvorteile, Tschechien.. 232 Verbundvorteile, Ungarn ......... 67 Z Zypern ..................................... 29