Logik als die Frage nach dem Wesen der Sprache (Sommersemester 1934)
 9783465027645, 3465027647 [PDF]

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Zitiervorschau

Martin Heideg'ger

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oder so, hindurch, sind entschieden oder unentschieden. Irgendeine Entschiedenheit macht unser Selbst jetzt aus. Das kleine und enge Wir des Augenblicks der Vorlesung hat uns mit einem Schlag in das Volk versetzt, besser: uns klargemacht, daß und wie wir in das Volk versetzt sind. Es gilt also, statt weitläufiger Beschreibungen unseren Augenblick aufzugreifen, um allein ihm uns zu fügen, damit wir uns selbst in ihm auffinden. Einer Reflexion bedarf es dabei nicht. Wir sehen deutlich, daß all das mit Wissenschaft nichts zu tun hat. Wir brauchen hier keine Tatsachen, noch stellen wir irgend etwas in seinem so und so vorhandenen Sein fest. Es läßt sich in objektivem Sinn nicht beweisen, ob wir aus dem Augenblick heraus mitgesprochen haben, durch die Entscheidung hindurchgegangen sind, ob wir eingelassen sind in das Geschehen. Die Rede hört sich an wie eine Feststellung, etwa die: Die Felder. sind in diesen regenlosen Wochen zu trocken. Die Rede kann ja überdies auch eine bloße Redensart sein, die wir ohne Gedanken, auch ohne Willen mitgeredet haben. Oder aber wir sagten »Wir sind da, wir sind eingelassen« wirklich aus uns heraus und uns einlassend in den Augenblick. Kein einzelner unter Ihnen kann von irgendeinem einzelnen in irgendeiner Weise feststellen, wie er sich entschieden hat. Auch Sie können nicht sagen, wie ich selbst meinen Vortrag gehalten habe, ob entscheidungsgemäß oder nur berichtend oder als Redensart. Dementsprechend sind wir selbst wir, je nachdem, wie wir sind, bei Gleichheit und Selbigkeit des Wortlautes. Wir sind eigentlich wir nur in der Entscheidung, und zwar jeder vereinzelt. Es hat den Anschein, als müßten jetzt erst hinterher die einzelnen zusammengeschoben werden in die Mehrzahl. So ist es aber nicht. Die Entscheidung rückt den einzelnen nicht auf das Ich zurück, sondern weitet ihn zum Selbst-Dasein in der Erziehung. Indem er er selbst sein will, wird er gerade über sich hinausgeschickt in die Zugehörigkeit, der er sich in der Entscheidung fügt. In der Entscheidung ist jeder von jedem so

getrennt, wie nur ein Mensch getrennt sein kann. Das ist in jeder Entscheidung so, sogar in einer Entscheidung, die allein eine Gemeinschaft betrifft, etwa das Schaffen einer Freundschaft. Auch diese Entscheidung entfernt die sich Entscheidenden so weit, als nur eine Entfernung möglich sein kann. Solche Beziehungen gründen ja nicht in äußerer Nähe, so daß die Unselbständigen, die sich an andere anschmiegen, die für Freundschaft Geeigneten wären. Freundschaft erwächst nur aus der größtmöglichen inneren Selbständigkeit jedes einzelnen, die freilich etwas ganz anderes als Ichsucht ist. Trotz der entscheidungsmäßigen Trennung der einzelnen vollzieht sich hier ein verborgener Einklang, dessen Verborgenheit eine wesentliche ist. Dieser Einklang ist im Grunde immer ein Geheimnis. Wo stehen wir jetzt in unserem Fragen? - Wir sahen, daß jetzt auch das Wir, von dem wir glaubten, wir könnten es beschreiben, sich nur in der Entscheidung bestimmt. Jetzt sehen wir, daß das Wir mehr ist als etwas bloß Verneinendes: das Wir ist kein Zusammenschieben von Personen zu einer bloßen Summe, das Wir ist ein entscheidungshaftes. Wie das Wir jeweils ist, ist abhängig von unserer Entscheidung, gesetzt, daß wir uns entscheiden. In dem Augenblick, in dem wir das Wir als entscheidungshaftes begriffen haben, ist auch die Entscheidung über unser Selbstsein gefallen. Es fiel bereits eine Entscheidung, wer wir selbst sind, nämlich das VOlk. Wir sind aber im Verlaufe unserer Untersuchungen hellhöriger und achtsa~er geworden, und so steigen uns auch hier Bedenken auf, wir könnten schon wieder aus der Bahn gekommen und aus der Richtung abgebogen sein. Wer sind wir selbst? Antwort: das Volk. Wir haben zu dieser Antwort eine Reihe von Bedenken und Zweifeln anzumelden. 1. Diese Antwort scheint reichlich rasch und daher oberflächlich gewonnen zu sein, aus der augenblicklichen Besinnung gegeben und gewonnen ohne nähere Begründung. 2. Die Antwort scheint unrichtig zu sein, denn wir, die wenigen,

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können doch nicht mit dem Volk gleichgesetzt werden. Sie zeigt, wenn nicht Anmaßung, so doch Mangel an nötiger Unterscheidung. 3. Wenn schon unser Selbstsein in Zusammenhang gebracht wird mit dem Volk, so wäre doch zunächst zu sagen: Wir sind ein Volk, nicht das Volk. Diese drei Gedanken laufen offensichtlich in eine Schwierigkeit zusammen: daß wir nämlich hier von etwas gesprochen haben, ohne zu sagen, was wir damit meinen. Es ergibt sich also die Frage: Was ist das, ein Volk? Noch ein anderes erschwert das Verständnis. Wir sagten, das Wir ist ein entscheidungsmäßiges Wir. Nun ist aber doch.gerade nicht in unseren Willen gestellt, ob wir zum Volk gehören oder nicht; das kann doch durch unsere Beschlußfassung nicht entschieden werden. Denn darüber ist schon immer, ohne unseren Willen, entschieden aufgrund unserer Abstammung, über die wir selbst nicht entschieden haben. Staatsangehörigkeit kann man vielleicht wollen, aber Volkszugehörigkeit nie. Was soll hier also eine Entscheidung? Es treten hier also zwei wesentliche Zwischenfragen auf: 1. Was ist ein Volk? 2. Was heißt Entscheidung? Wir werden sehen, daß beide Fragen in sich zusammenhängen. Wir nehmen jetzt also im Fortgang unserer Leitfrage »We.r sind wir selbst?« einen für die Beantwortung der Zwischenfragen nötigen Aufenthalt.

§ 14. Beantwortung der ersten Zwischenfrage: Was ist das, ein Volk? Die erste Frage läßt sich auf verschiedenen Wegen in Gang setzen. Wir nehmen absichtlich einen äußerlichen Ausgangspunkt, nämlich bei dem Wort »Volk«. Wir verfolgen kurz den Tatbestand, daß das Wort »Volk« in eine Mannigfaltigkeit von

§ 14. Erste Zwischenfrage: Was ist das, ein VOlk?

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Bedeutungen auseinanderläuft; hierfür geben wir Beispiele des geläufigsten Wortgebrauchs. Bei der Umschau des Wortes »Volk« bleibt uns aber bewußt, daß wir durch das Zusammennehmen der Wortbedeutungen und das Herausnehmen einer durchschnittlichen Bedeutung das Wesen des Volkes nicht zu fassen vermögen. Wir hören Volkslieder und sehen Volkstänze, besuchen ein Volksfest. Wir beteiligen uns am Austragen der Listen in die Häuser zum Zwecke der Volkszählung. Maßnahmen werden getroffen zur Hebung und Sicherung der Volksgesundheit. Die völkische Bewegung will das Volk zur Reinheit seiner Stammesart zurückbringen. Friedrich der Große nennt das Volk einTier mit vielen Zungen und wenig Augen. Am 12. November 1933 wurde das Volk befragt. Ein Polizeioberst kommandiert: »Jagt das Volk mit Knüppeln auseinander!« Am 1. August 1914 stand das Volk in Waffen. Vom deutschen Volk wohnen 18 Millionen außerhalb der Staatsgrenzen. »Volk« nennt Karl Marx die Gesamtheit der Werktätigen im Unterschied zu den Müßiggängern und Ausbeutern. Der Volksgeist ist in der Romantik der Wurzelgrund für Glaube, Dichtung und Philosophie. Religion ist Opium für das Volk. Was heißt in all diesen Redewendungen »Volk«? Wenn einer von Volksbefragung redet und wenn die Polizei das Volk auseinanderjagt, meint dann »Volk« dasselbe? Bei der Volksbefragung am 12. November 1933 ist das ganze Volk befragt worden. Freilich, befragt wurden nur die Stimmberechtigten. 'Gehören die anderen, die Minderjährigen, nicht zum Volk? Meinen wir nur die in den Listen abzählbare Summe der Wahlberechtigten? Wird bei einer Volkszählung das Volk gezählt, dessen Volkslieder wir hören? Oder ist das Volk der Volkskunst überhaupt nicht zählbar, so daß wir im ersten Falle nur die Bevölkerung zählen? Liegt im Volksgeist der Romantik das Moment, das auch zum Volk gehört, das gesund erhalten bleiben soll? Betrifft die Volksgesundheit das Volk im Sinne von Karl Marx, oder gehören

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Wiederholung

die Bürger auch dazu? Ist das Volk in Waffen das Volk das Friedrich der Große das Tier mit vielen Zungen und ~enig Augen nennt?

richtungen herausholen, die sich in den verschiedenen Wortbedeutungen bekunden. Bei diesen verschiedenen Blickrichtungen wollen wir es jedoch nicht bewenden lassen; wir wollen vielmehr zu sehen versuchen, wie diese verschiedenen Blickrichtungen doch eine bestimmte Einheit dessen geben, was im Wort »Volk« zusammengehört. So besteht nicht die Gefahr einer bloßen begrifflichen Zergliederung. Um uns auf diesem Weg nicht zu verwirren, zu verwirren durch Auflösung der Sache in Wortbedeutungen, werden wir aus unmittelbarer Erfahrung ausweisend und verstehend sprechen müssen.

Wir merken ohne weiteres hier ganz deutliche Unterschiede heraus, vermögen aber doch nicht sogleich, den Charakter dieser Unterschiede hinreichend zu fassen. Aber so weit die Bedeutungen auch auseinanderfallen, so gewiß spüren wir doch verschwommen eine verborgene Einheit. Es liegt jetzt nahe, nach den Regeln der alten Logik die verschiedenen Begriffe aufzureihen, um auszusondern, was allen gemeinsam ist. So kommen wir zu einer ganz leeren Vorstellung: Volk als Menschenverband oder Volk als Lebewesen oder Organismus. Aber weshalb lassen wir dem Wort nicht seine Vieldeutigkeit? Ist es denn notwendig, alles in die Zwangsjacke der Begriffe zu zwängen? Wir verstehen doch, was mit »Volk« gemeint ist. Gewiß, das kann genügen, etwa für die Ansprüche eines Verstehens auf der Ebene eines schnellen Zeitungslesers. Wenn diese Ebene entscheidend und maßgebend sein soll, dann könnten wir unsere Betrachtungen abbrechen. Wenn diese geläufige und in gewissen Grenzen berechtigte Art des Verstehens aber nicht zureicht, was soll dann geschehen? Keineswegs wollen wir ein Gesetz zur Normung der Sprache anstreben und befürworten, sondern wir wollen uns klarwerden, daß hier eine innere Vielfalt des Seienden zum Vorschein kommt. Dies eine, genannt»Volk«, erzwingt von uns, es nach verschiedenen Hinsichten zu erfahren und auszudeuten. Diese Zerfahrenheit ist das Zeichen für die verborgene Fülle des Wesens, aber auch für die Mannigfaltigkeit seines Unwesens. Um so strenger müssen wir darauf sehen, die gefragte Einheit hinreichend zu treffen. Statt die Mannigfaltigkeit der Wortbedeutungen logisch zusammenzusehen und damit auf Begriffe zu sehen, soll ein vorbereitender Schritt nun so getan werden, daß wir auf das mit dem Wort gemeinte Seiende zu blicken suchen und die Blick-

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Wiederholung

Wir hatten die Frage »Wer sind wir selbst?« so weit vorbereitet, daß wir versuchen konnten, uns eine Antwort zu beschaffen. Der erste Schritt war, daß wir das Wir näher zu bestimmen suchten: 1. durch eine Orts- und Zeitbestimmung, 2. durch den Versuch einer Darstellung des »Biologischen«. Wir kamen auf diesem Wege aber nur dazu, das Wir gewissermaßen von außen - als eine Ansammlung einzelner Menschen - zu sehen. Wir versuchten dann einen anderen Weg, nämlich aus dem Augenblick heraus. Wir sagten: Wir sind da, eingelassen in das Erziehungsgeschehen dieser Hochschule und damit eingefügt in den Beruf den wir mit seinen Berufsaufgaben wollten, damit eingefügt in' die Ordnung und den Willen eines Staates. Wir sind da, eingefügt in dieses Geschehen heute, wir sind da in der Zugehörigkeit zu diesem Volk, wir sind dieses Volk selbst. Dies hört sich an wie eine beschreibende Feststellung über uns selbst, trotzdem hat es einen anderen Charakter. Der Mitvollzug dieser Lage ist eine Folge von Entscheidungen, durch die wir hier gehen, eine Folge, die jeder einzelne für sich vollzieht, so daß keiner von uns mit Bezug auf den anderen feststellen kann, ob die

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§ 14. Erste Zwischenfrage: Was ist das, ein Volk?

Entscheidung vollzogen ist. Trotzdem wir uns in der Entscheidung vereinzeln, werden wir in dieser Entscheidung nicht auf uns selbst im Sinne eines Egoismus zurückgedrückt; durch diese Entscheidung werden wir vielmehr über uns hinaus- und in die Zusammengehörigkeit zum Volk hineingeschickt. In dieser Lage erwächst ein verborgener Einklang von uns selbst, so daß wir in der Tat »wir« sagen könnten.

a) Volk als Körper

Das Ergebnis»Wir sind das Volk« unterliegt nun wesentlichen Bedenken. Man kann sagen, daß wir mit dieser Frage zu rasch vorgegangen sind, daß wir einen Sprung gemacht haben, nämlich von uns selbst zum Ganzen des Volkes. Alle, die wir hier sind, die wenigen, beanspruchen, das Volk zu sein. Und schließlich müßten wir doch sagen: nicht das Volk, sondern ein Volk. Das alles kann nicht entschieden werden, solange unbestimmt bleibt, was »Volk« heißt. So kamen wir vor die Frage: »Was heißt >Volk