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German Pages 930 Year 2005
Physiologie Herausgegeben von Rainer Klinke, Hans-Christian Pape und Stefan Silbernagl Mit Beiträgen von Christian Bauer Bernhard Brenner Gerrit ten Bruggencate Norbert Dieringer Andreas Draguhn Heimo Ehmke Ulf Eysel Peter Gaehtgens Michael Gekle Rainer Greger Hanns-Christian Gunga Claus Jessen Andreas Karschin Malte Kelm Karl Kirsch
Rainer Klinke Christoph Korbmacher Wolfgang Kuschinsky Karl Messlinger Hans Oberleithner Hans-Christian Pape Peter Scheid Jürgen Schrader Hobe Schröder Horst Seller Stefan Silbernagl Dominique Singer Karlheinz Voigt Barbara Walzog
Illustrationen von Rüdiger Gay und Astried Rothenburger 5., komplett überarbeitete Auflage über 700 farbige Abbildungen sowie zahlreiche Tabellen
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! R. Klinke, H-C. Pape, St. Silbernagl: Physiologie (ISBN 3-13-796005-3) © Georg Thieme Verlag Stuttgart 2005
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Illustrationen und Umschlaggrafik: Atelier Gay + Rothenburger, Sternenfels
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
1. Auflage 1994 2. Auflage 1996/2000 3. Auflage 2001 4. Auflage 2003 1. italienische Auflage 1999 1. russische Auflage nach der 4. dt. Aufl. 2004
Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handele. Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
© 1994, 2005 Georg Thieme Verlag KG Rüdigerstraße 14 D-70469 Stuttgart Unsere Homepage: http://www.thieme.de Printed in Germany Umschlaggestaltung: Thieme Verlagsgruppe Satz: Ziegler + Müller, 72138 Kirchentellinsfurt Satzsystem: 3B2 (Version 7.51) Druck: Appl, Wemding ISBN 3-13-796005-3
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Wichtiger Hinweis: Wie jede andere Wissenschaft ist die Medizin ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse, insbesondere was Behandlung und medikamentöse Therapie anbelangt. Soweit in diesem Werk eine Dosierung oder eine Applikation erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autoren, Herausgeber und Verlag große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angabe dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes entspricht. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jeder Benutzer ist angehalten, durch sorgfältige Prüfung der Beipackzettel der verwendeten Präparate und gegebenenfalls nach Konsultation eines Spezialisten festzustellen, ob die dort gegebene Empfehlung für Dosierungen oder die Beachtung von Kontraindikationen gegenüber der Angabe in diesem Buch abweicht. Eine solche Prüfung ist besonders wichtig bei selten verwendeten Präparaten oder solchen, die neu auf den Markt gebracht worden sind. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers. Autoren und Verlag appellieren an jeden Benutzer, ihm etwa auffallende Ungenauigkeiten dem Verlag mitzuteilen.
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Vorwort zur 5. Auflage
Wandel allenthalben: Die Approbationsordnung für Ärzte definiert neue Ausbildungsziele, und in der Autorenschaft steht ein Generationswechsel an. Die vorliegende 5. Auflage unseres Lehrbuches will diese beiden Aufgaben lösen. Ein Teil unserer bisherigen Autoren hat sich aus Altersgründen aus der Mitarbeit zurückgezogen. Stattdessen konnten jüngere profilierte Kollegen zur Mitarbeit gewonnen werden. Unseren ausgeschiedenen Mitautoren danken wir nochmals ganz herzlich für ihre langjährige Kooperation. Die schon bisher von uns gepflegte Orientierung des Stoffangebotes auf klinische Anwendbarkeit wurde, im Sinne der neuen Approbationsordnung, weiter verstärkt. Dezente blaue Markierungen im Text weisen auf klinische Bezüge hin, ohne den Lesefluss zu stören oder den Leser abzulenken. Bewährtes haben wir beibehalten, so etwa die prägnanten Einführungen, die die jeweiligen Abschnitte vorstellen, ohne durch Details zu verwirren. Die Texte berücksichtigen in allen Kapiteln die aktuellen Erkenntnisse und bieten so jungen Studentinnen und Studenten Grundlagen für funktionelles Denken und ärztliches Handeln. Bei alldem haben wir uns wieder um eine klare Darstellung bemüht, gepaart mit übersichtlichen und informativen Abbildungen.
Hierfür danken wir insbesondere unseren Grafikern, Frau Astried Rothenburger und Herrn Rüdiger Gay, die unsere didaktischen Ziele kenntnisreich mitverfolgt haben. Der Verlag hat das Buch wiederum mit Entgegenkommen und Tatkraft gefördert. Hier gilt unser Dank vor allem Frau Marianne Mauch, Frau Simone Profittlich und Herrn Manfred Lehnert. Für den zuverlässigen Satz danken wir Frau Annette Ziegler, für die sorgfältige Erstellung des Registers Frau Katharina Völker. Damit übergeben wir das Werk unseren Leserinnen und Lesern und wünschen ihnen Freude und Erfolg in Studium und Beruf. Rainer Klinke, Hans-Christian Pape und Stefan Silbernagl Frankfurt am Main, Münster und Würzburg, im August 2005
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Anschriften
Bauer, C., Prof. Dr. Physiologisches Institut der Universität Zürich Winterthurer Strasse 190 CH-8057 Zürich Brenner, B., Prof. Dr. Abt. Molekular- und Zellphysiologie Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Straße 1 30625 Hannover ten Bruggencate, G., Prof. Dr. vormals: Physiologisches Institut der LMU München Pforzheimer Straße 40 13469 Berlin Dieringer, N., Prof. Dr. Physiologisches Institut der LMU München Pettenkoferstraße 12 80336 München Draguhn, A., Prof. Dr. Institut für Physiologie und Pathophysiologie der Universität Heidelberg Im Neuenheimer Feld 326 69120 Heidelberg Ehmke, H., Prof. Dr. Institut für Vegetative Physiologie und Pathophysiologie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf Martinistraße 52 20246 Hamburg Eysel, U., Prof. Dr. Institut für Physiologie der Ruhr-Universität Bochum Universitätsstraße 150 44780 Bochum Gaehtgens, P., Prof. Dr. Institut für Physiologie der FU Berlin Arnimallee 22 14195 Berlin Gekle, M., Prof. Dr. Physiologisches Institut der Universität Würzburg Röntgenring 9 97070 Würzburg Greger, R., Prof. Dr. vormals: Physiologisches Institut II der Universität Freiburg/Brsg. Im Bremmengässle 3 79423 Heitersheim
Gunga, H.-C., Prof. Dr. Institut für Physiologie, Zentrum für Weltraummedizin, Charité, Campus Benjamin Franklin Arnimallee 22 14195 Berlin Jessen, C., Prof. Dr. vormals: Physiologisches Institut der Universität Gießen Redwitzstraße 5a 96191 Viereth-Trunstadt Karschin, A., Prof. Dr. Physiologisches Institut der Universität Würzburg Röntgenring 9 97070 Würzburg Kelm, M., Prof. Dr. Medizinische Klinik der Universität Düsseldorf Moorenstraße 5 40225 Düsseldorf Kirsch, K., Prof. Dr. Institut für Physiologie der FU Berlin Arnimallee 22 14195 Berlin Klinke, R., Prof. Dr. Physiologisches Institut II der Universität Frankfurt Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt Korbmacher, C., Prof. Dr. Institut für Zelluläre und Molekulare Physiologie der Universität Erlangen/Nürnberg Waldstraße 6 91054 Erlangen Kuschinsky, W., Prof. Dr. Institut für Physiologie und Pathophysiologie der Universität Heidelberg Im Neuenheimer Feld 326 69120 Heidelberg Messlinger, K., Prof. Dr. Institut für Physiologie und Exp. Pathophysiologie der Universität Erlangen/Nürnberg Universitätsstraße 17 91054 Erlangen
Oberleithner, H., Prof. Dr. Institut für Physiologie II der Universität Münster Robert-Koch-Straße 27a 48149 Münster Pape, H.-C., Prof. Dr. Institut für Physiologie I der Universität Münster Robert-Koch-Straße 27a 48149 Münster Scheid, P., Prof. Dr. vormals: Institut für Physiologie Ruhr-Universität Bochum In der Russbreite 10 37077 Göttingen Schrader, J., Prof. Dr. Institut für Herz- und Kreislaufphysiologie der Universität Düsseldorf Universitätsstraße 1 40225 Düsseldorf Schröder, H., Prof. Dr. Klinik für Geburtshilfe, Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf Martinistraße 52 20246 Hamburg Seller, H., Prof. Dr. Institut für Physiologie und Pathophysiologie der Universität Heidelberg Im Neuenheimer Feld 326 69120 Heidelberg Silbernagl, S., Prof. Dr. Physiologisches Institut der Universität Würzburg Röntgenring 9 97070 Würzburg Singer, D., PD Dr. Kinder- u. Poliklinik der Universität Würzburg Josef-Schneider-Straße 2 97080 Würzburg Voigt, K., Prof. Dr. Physiologisches Institut der Universität Marburg Deutschhausstraße 2 35033 Marburg Walzog, B., Prof. Dr. Physiologisches Institut der LMU München Schillerstraße 44 80336 München
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VII
Die Herausgeber Rainer Klinke
1936 in Schlesien geboren, nach dem Krieg in Franken aufgewachsen, verheiratet, zwei Kinder. Studium der Medizin in Erlangen, Wien und Heidelberg. Nach der Medizinalassistentenzeit, dem späteren AiP, wissenschaftliche Tätigkeit an den Physiologischen Instituten in Erlangen und an der FU Berlin; dort Habilitation und 1971 Ernennung zum Professor. Forschungsaufenthalt in England, 1977 Berufung nach Frankfurt/M. Leiter des Physiologischen Institutes II, langjähriger Geschäftsführender Direktor des Zentrums der Physiologie, Gründungsmitglied und Sprecher der abgeschlossenen Sonderforschungsbereiche 45 „Vergleichende Neurobiologie des Verhaltens“ und 269 „Molekulare und zelluläre Grundlagen neuronaler Organisationsprozesse“. Mitherausgeber mehrerer Fachzeitschriften, seit 1972 Mitarbeiter an den wichtigsten deutschsprachigen Lehrbüchern der Physiologie. Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Fachgesellschaften, Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Hals-NasenOhrenheilkunde, ausgezeichnet mit der Purkyneˇ-Medaille der Tschechischen Akademie der Wissenschaften. Seit Sommersemester 2004 emeritiert. Bei Studienantritt war ich mir über mein Berufsziel keineswegs im Klaren. Die Medizin bietet vieles, so in der Physiologie ein Betätigungsfeld für biologisch Interessierte. Die Erforschung von Körperfunktionen bringt Erkenntnisse über viele Grundeigenschaften des Lebens. Mich hat über Jahre insbesondere die Funktion des Ohres und die zentralnervöse Verarbeitung von Schallsignalen gefesselt, beruht doch auf Sprache und Gehör die zwischenmenschliche Kommunikation und damit unsere Kultur. So war es mir auch ein Anliegen, ein kultiviertes und ästhetisch ansprechendes Lehrbuch zu schaffen, das meine Erfahrungen als Hochschullehrer und Lehrbuchautor zusammenfasst, das sich einer klaren Sprache bedient und das der Leserin und dem Leser die Überzeugung vermittelt, dass man die Physiologie „packen“ kann und dass deren Verständnis die Grundlage ärztlichen Handelns ist.
Hans-Christian Pape
In Bad Oeynhausen geboren (1956) und aufgewachsen. Nach Studium der Biologie an der Ruhr-Universität Bochum Wechsel an die Medizinische Fakultät der Universität Essen und Promotion. Forschungstätigkeit an der State University of New York (Stony Brook), der Stanford University und der Yale University. 1989 Rückkehr an die Ruhr-Universität Bochum, dort Habilitation im Fach Physiologie. Berufung (1994) zum Direktor des Physiologischen Instituts der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, dort Sprecher des Sonderforschungsbereichs 426 „Limbische Strukturen und Funktionen“ und Gründungsmitglied des Hauptstudiengangs „Neurobiologie/Neurowissenschaften“ der Medizinischen und der Naturwissenschaftlichen Fakultät. Seit 2004 Direktor des Instituts für Physiologie I (Neurophysiologie) der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Lokaler Koordinator des transregionalen SFB „Mesiale Temporallappen-Epilepsie“. 1990 Bennigsen-Foerder-Preis Nordrhein-Westfalen, 1993 Heisenberg-Stipendium und 1999 Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Förderpreis der DFG. Senator der DFG (1999 – 2005). Sehr gut erinnere ich mich, dass ich als Schüler ein unbändiges Interesse an den Naturwissenschaften – insbesondere an den Grundlagen des Lebendigen – entwickelte, und dass diese Begeisterung – weil zu oft mit der Vernachlässigung anderer Fächer verbunden – nicht immer auch auf eine Begeisterung seitens der Lehrerschaft stieß. Im Studium zogen mich die Neurowissenschaften, und hier vor allem die Fragen zu höheren Hirnfunktionen, in ihren Bann. Wo besser ließ sich dieses Interesse umsetzen als in der Physiologie, in der die naturwissenschaftliche Analyse in medizinischen Fragestellungen zur Anwendung kommt und damit die traditionellen Grenzen der Fachgebiete aufgebrochen werden. Ich denke, nur durch dieses Miteinander der Disziplinen ist der menschliche Organismus zu begreifen, sind neue Formen der Diagnose und Therapie zu entwickeln, und die Diskussion von Gehirn und Geist sinnvoll zu führen. Ein erstes Verständnis für diese moderne, ebenenübergreifende Physiologie muss in klarer Sprache und übersichtlichen Illustrationen vermittelt werden – und genau das ist der Inhalt dieses Buchs.
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VIII
Die Herausgeber
Stefan Silbernagl
1939 in Berlin geboren, aufgewachsen im Allgäu. Studium der Elektrotechnik und dann der Medizin in München. Staatsexamen, Promotion, Heirat, Medizinalassistentenzeit, dann Haus- und Notarzt in München. Seit 1968 Physiologieausbildung in München, danach in Innsbruck, dort 1974 Habilitation und 1979 a. o. Professor. 1976 Geburt eines Sohnes (radfahrend auf S. 9 zu sehen). Berufung nach Würzburg, dort Vorstand am Physiologischen Institut (1981 – 2004), Dekan (1987 – 1989, 2002 – 2004) und Studiendekan (1996 – 2002) der Medizinischen Fakultät. Mitglied der Gründungskommission der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden (1991 – 1994) und Sprecher des DFG-Sonderforschungsbereiches 176 „Molekulare Grundlagen der Signalübertragung und des Stofftransportes in Membranen“ (1988 – 1999) in Würzburg. Beides, mein naturwissenschaftlich-technisches Interesse und meine Neigung zur Medizin, ließ sich in der Physiologie vereinen. Themen meiner wissenschaftlichen Arbeit in Würzburg und bei regelmäßigen Forschungsaufenthalten in den USA sind vor allem die Nierenfunktion, insbesondere der tubuläre Transport, der renale Stoffwechsel und die Pathomechanismen der Nephrotoxizität, sowie die Epithel- und Zellphysiologie. Meine langjährigen Erfahrungen aus dem studentischen Unterricht sind in die Lehrbücher eingeflossen, in denen ich (mithilfe kompetenter Zeichner) versuche, die Körperfunktionen nicht nur möglichst klar zu beschreiben, sondern sie auch bildlich darzustellen. Ich möchte physiologische Vorgänge trotz all ihrer Komplexität eindeutiger und vor allem einprägsamer und damit merkbarer machen. Als einer, dem „erschaubare“ Kunst wie Malerei und Architektur sehr nahe liegt und der gerne selbst künstlerisch photographiert, schließe ich dabei ein wenig von mir auf andere.
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IX
Inhaltsverzeichnis 1 Wer liest schon Einleitungen? S. Silbernagl 1.1 1.2 1.3
2
2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8
3.2 3.3
4
Gestörte Zell-Zell-Interaktionen sind ein typisches Merkmal maligner Tumoren Zellverbände ··· 54 Kommunikation benachbarter Zellverbände ··· 60
Membranpotenzial A. Karschin und R. Greger 4.1 4.2 4.3 4.4
5
Erregungsübertragung in Zellverbänden R. Klinke
···
79
5.1
· ··
Ärztliches und missbräuchliches Wirken an den Synapsen · ·· 80 5.2 Grundfunktionen der Synapsen · · · 80 5.3 Elektrische Synapsen · · · 80 5.4 Chemische Synapsen · ·· 81 5.5 Transmitterfreisetzung · ·· 82 5.6 Transmitterwirkung · ·· 85 5.7 Beendigung synaptischer Prozesse ··· 90 5.8 Transmittersynthese · · · 91 5.9 Pharmakologie cholinerger Synapsen ··· 92 5.10 Weitere Transmittersubstanzen · · · 92 5.11 Präsynaptische Bahnung und Hemmung ··· 98
13
Die zelluläre und molekulare Physiologie hilft Krankheitsmechanismen zu verstehen ··· 14 Subzelluläre Komponenten · · · 15 Transportwege durch die Zellmembran · ·· 21 Ionale Zusammensetzung von Intra- und Extrazellulärflüssigkeit · · · 32 Homöostatische Mechanismen ··· 34 Hormone und Mechanismen der Signaltransduktion · ·· 35 Zelluläre Motilität ··· 41 Altern und Zelltod ··· 45
3 Von der Zelle zum Organ C. Korbmacher und R. Greger 3.1
1
Physiologie: Funktion des Lebendigen ··· 2 Woher weiß man, was in diesem Buch steht? · · · 2 Ob Zelle oder Organismus: ein offenes System mit innerem Milieu ··· 7
Die Zelle als Grundbaustein C. Korbmacher und R. Greger mit Beiträgen von B. Brenner und S. Silbernagl 2.1
···
6
Muskulatur R. Brenner 6.1 6.2 6.3 6.4
···
53
···
54
7
7.2 7.3
···
63
Der Zusammenbruch des Membranpotenzials ist lebensbedrohlich · · · 64 Wozu ein Membranpotenzial? · · · 64 Das Ruhemembranpotenzial ··· 64 Aktionspotenziale · ·· 67
7.4 7.5 7.6 7.7 7.8 7.9 7.10 7.11 7.12
101
···
137
Ein mutiertes Muskelprotein und seine fatalen Folgen · ·· 102 Skelettmuskel ··· 102 Glatte Muskulatur ··· 122 Herzmuskel · ·· 130
Das Herz J. Schrader und M. Kelm 7.1
···
Klinische Bedeutung und Systematik von Herzerkrankungen · ·· 138 Bedeutung des Herzens für den Kreislauf ··· 138 Druck-Volumen-Veränderungen während des Herzzyklus ··· 139 Regulation der Koronardurchblutung · · · 143 Beziehungen zwischen Energiestoffwechsel und Herzfunktion · · · 147 Elektrophysiologische Grundlagen · · · 149 Elektromechanische Koppelung ··· 153 Regulation der Pumpleistung des Herzens · ·· 155 Erregungsausbreitung am Herzen · · · 161 Grundlagen der Elektrokardiographie ··· 163 Aussagemöglichkeiten des EKG · ·· 169 Molekulare Ursachen von Herz-Kreislauferkrankungen · ·· 172
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X
Inhaltsverzeichnis
8
Das Kreislaufsystem P. Gaehtgens und H. Ehmke 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5
8.6 8.7 8.8
···
175
Funktion des Kreislaufsystems. Eine Übersicht · ·· 176 Das geschlossene Gefäßsystem und seine Funktionselemente ··· 178 Ohm, Poiseuille, Newton: drei wichtige Gesetze für die Blutströmung · ·· 184 Stofftransport in Austauschgefäßen · ·· 193 Kreislaufregulation: zentrale Steuerung, Verbraucherkontrolle und langfristige Adaptation ··· 198 Kreislauffunktion unter Belastung: der Härtetest ··· 208 Der Lungenkreislauf ··· 215 Kreislauffunktion und Lebensalter ··· 218
11 Säure-Basen-Gleichgewicht P. Scheid 11.1 11.2 11.3 11.4 11.5 11.6 11.7
11.8 11.9
9
Blut: Ein flüssiges Organsystem C. Bauer und B. Walzog 9.1
9.2 9.3 9.4 9.5
10.10 10.11 10.12 10.13
223
···
255
Einleitung und Überblick · · · 256 Physik der Gase · ·· 259 Lungenvolumina und Atemvolumina ··· 261 Atemmechanik · ·· 262 Perfusion der Lunge · ·· 274 Ventilation, Perfusion und Gasaustausch ··· 276 Atemgastransport im Blut ··· 282 Diffusion durch die Alveolarmembran · ·· 289 Verteilung von Ventilation und Perfusion ··· 290 Blutgase: Normalwerte und Störungen · · · 294 Atmungsregulation · · · 296 Gewebeatmung ··· 301 Atmung unter ungewöhnlichen Bedingungen ··· 305
311
Einleitung und Überblick · · · 312 Chemische Pufferung ··· 312 Die Besonderheiten des Bicarbonatpuffers · · · 314 Bilanz von Säuren und Basen im Organismus · ·· 316 Blut als Indikator für den Säure-Basen-Status des Organismus · ·· 318 Diagnostik des Säure-Basen-Status im Blut und Normalwerte ··· 319 Primäre Störungen des Säure-BasenGleichgewichts und chemische Pufferung als Sofortmaßnahme · · · 320 Antwort des Organismus auf primäre Störungen · · · 322 Säure-Basen-Status des gesamten Organismus ··· 323
12 Die Funktion der Nieren S. Silbernagl
Die Untersuchung des Blutes – Ein Grundbaustein der ärztlichen Diagnostik ··· 224 Zusammensetzung und Volumen des Blutes · · · 224 Zelluläre Bestandteile des Blutes · ·· 227 Abwehrmechanismen des Körpers ··· 233 Blutstillung und Wundheilung · ·· 245
10 Atmung P. Scheid 10.1 10.2 10.3 10.4 10.5 10.6 10.7 10.8 10.9
···
· ··
···
325
12.1 Ein Überblick · ·· 326 12.2 Menge ist Volumen mal Konzentration: die Clearance · · · 329 12.3 Die Nierendurchblutung · · · 331 12.4 Die Filtration des Primärharns · ·· 336 12.5 Aktive Na+-Resorption und die Folgen ··· 339 12.6 Harnkonzentrierung und Diurese ··· 349 12.7 Tubulärer Transport organischer Stoffe ··· 355 12.8 Phosphat-, Ca2+- und Mg2+-Ausscheidung · · · 361 12.9 Die Niere im Dienst des Säure-Basen-Haushalts · ·· 365 12.10 Renin und Nierenhormone · ·· 369 12.11 Nierenstoffwechsel · · · 370 12.12 Nierenversagen und künstliche Niere · · · 372
13 Salz- und Wasserhaushalt H. Oberleithner 13.1 13.2 13.3 13.4 13.5 13.6 13.7 13.8
Die Zelle und ihr Mantel · ·· 378 Das Medium Wasser · ·· 378 Die Natriumbilanz · · · 381 Die Wasserbilanz · ·· 388 Die Säurebilanz ··· 392 Die Kaliumbilanz ··· 394 Die Calcium- und Phosphatbilanz Die Magnesiumbilanz ··· 403
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398
377
Inhaltsverzeichnis
14 Funktion des Magen-Darm-Trakts, Energiehaushalt und Ernährung M. Gekle 14.1 14.2 14.3 14.4 14.5 14.6 14.7 14.8 14.9 14.10 14.11 14.12 14.13 14.14
···
407
Der Magen-Darm-Trakt: Ein komplexes Organsystem und häufige Arztbesuche · · · 408 Einleitung und Orientierung: Ein kurzer Überblick · · · 408 Allgemeingültiges zum Magen-DarmTrakt ··· 410 Mundhöhle und Mundspeicheldrüsen · · · 422 Ösophagus und Schlucken ··· 424 Magen · ·· 426 Pankreas ··· 437 Dünn- und Dickdarm: Flüssigkeits- und Elektrolyttransport ··· 442 Dünn- und Dickdarm: Nährstoffverdauung und -absorption · · · 447 Motorik von Dünn- und Dickdarm · ·· 460 Physiologie der Leber · · · 462 Die Anforderungen des Organismus an die Ernährung · · · 472 Energiehaushalt und Kontrolle des Körpergewichts · · · 477 Regulation der Nahrungsaufnahme · ·· 483
15 Temperaturregulation und Wärmehaushalt M. Gekle, D. Singer und C. Jessen
···
493
15.1 Warum Temperaturregulation? ··· 494 15.2 Was heißt Konstanz der Köpertemperatur? · · · 494 15.3 Wärmebildung ··· 495 15.4 Wärmetransfer im Körper · · · 496 15.5 Wärmeaustausch mit der Umwelt ··· 496 15.6 Aktive Regulation · ·· 499 15.7 Physiologie und Umwelt · ·· 503 15.8 Hyperthermie, Hypothermie und Fieber · ·· 505
16 Endokrines System K. Voigt 16.1 16.2 16.3 16.4
16.5 16.6
Die Störung hormoneller Systeme führt zu Krankheiten · ·· 510 Allgemeine Endokrinologie: Hormone sind Signalstoffe · ·· 510 Der Hypothalamus als neuroendokrine Schaltstelle ··· 519 Hypothalamus-HypophysenNebennierenrinden-System: Mineralo- und Glucocorticoide ··· 535 Hypothalamus-HypophysenSchilddrüsen-System · · · 544 Der Inselapparat des Pankreas: Insulin und Glucagon · ·· 551
···
509
17 Sexualfunktionen, Schwangerschaft und Geburt H.-P. Leichtweiß, H. J. Schröder und D. Singer
···
561
···
589
· ··
611
17.1
Trotz Kinderwunsch keine Schwangerschaft: was nun? · · · 562 17.2 Sexualentwicklung. Eine Übersicht ··· 562 17.3 Reifung der Gameten · ·· 562 17.4 Geschlechtsakt (Kohabitation) · ·· 567 17.5 Befruchtung und Implantation der Eizelle · ·· 568 17.6 Plazentafunktion ··· 570 17.7 Physiologie des Fetus ··· 574 17.8 Physiologie der Schwangeren · · · 578 17.9 Geburt und Milchproduktion (Laktation) · · · 579 17.10 Anpassung des Neugeborenen an das extrauterine Leben · · · 582
18 Leistungsphysiologie K. Kirsch und H.-C. Gunga 18.1 Der Muskelapparat ··· 590 18.2 Der Sauerstofftransport ··· 595 18.3 Leistung und Ausdauer ··· 603
19 Bauelemente des Nervensystems R. Klinke 19.1 19.2 19.3 19.4 19.5
Das zentrale Nervensystem – Grundlage bewussten Menschseins ··· 612 Grundfunktionen des Nervensystems ··· 612 Nerven- und Gliazellen · ·· 612 Initiale Schritte der Informationsverarbeitung · · · 616 Reizverarbeitung in neuronalen Netzwerken · · · 619
20 Somatoviszerale Sensibilität K. Meßlinger
···
627
20.1 Wenn ich den Boden unter den Füßen nicht spüre · · · 628 20.2 Mechanische Oberflächensensibilität ··· 628 20.3 Thermosensibilität · ·· 634 20.4 Tiefensensibilität und Propriozeption ··· 635 20.5 Viszerale Sensibilität · · · 636 20.6 Nozizeption und Schmerzentstehung ··· 637 20.7 Spinale sensorische Systeme · ·· 641 20.8 Zerebrale sensorische Systeme · · · 646 20.9 Schmerzformen und Schmerzhemmung ··· 651
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XII
Inhaltsverzeichnis
21 Hören und Sprechen: Kommunikation des Menschen R. Klinke 21.1 21.2 21.3 21.4 21.5 21.6 21.7 21.8
···
Basis menschlicher Kultur – die Sprache Schall ··· 658 Hörempfindungen ··· 659 Schallleitung durch äußeres Ohr und Mittelohr · · · 660 Funktion des Innenohres ··· 662 Zentralnervöse Verarbeitung von Schallreizen ··· 668 Hörschäden und Hörprüfungen · ·· 669 Der periphere Sprechapparat ··· 672
22 Gleichgewichts-, Lage- und Bewegungssinn R. Klinke 22.1 Seekrank im Weltraum · · · 676 22.2 Physiologie des peripheren Vestibularorgans ··· 676 22.3 Das zentrale vestibuläre System
· ··
···
657
25.1 25.2 25.3 25.4 25.5
24.1 24.2 24.3 24.4
Was Schiller inspirierte · ·· 714 Die Bedeutung der Chemosensibilität Der Geschmackssinn ··· 714 Der Geruchssinn · · · 721
· ··
675
···
685
· ··
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Die Sinne – Eingang zum Bewusstsein Die Vielzahl der Sinneskanäle · · · 728 Objektive Sinnesphysiologie ··· 729 Subjektive Sinnesphysiologie · ·· 730 Kognitionsphysiologie · · · 733
···
26 Sensomotorische Systeme: Körperhaltung, Bewegung und Blickmotorik G. ten Bruggencate und N. Dieringer
23.1 Das Auge als Fenster zur Welt · · · 686 23.2 Auge und optische Abbildung · · · 686 23.3 Netzhaut und primäre sensorische Prozesse · · · 691 23.4 Signalverarbeitung in der Netzhaut · · · 695 23.5 Sehschärfe · ·· 698 23.6 Topographie der zentralen Sehbahn · ·· 699 23.7 Neurophysiologie des zentralen Sehsystems ··· 701 23.8 Räumliches Sehen · ·· 708 23.9 Farbensehen · · · 709
24 Geschmack und Geruch A. Draguhn
···
727
658
680
23 Sehsystem U. Eysel
25 Empfindungen – Wahrnehmungen Die Verarbeitungsprinzipien in Sinneskanälen R. Klinke
···
735
26.1 Lou Gehrigs Schicksal · · · 736 26.2 Sensomotorik im Überblick ··· 736 26.3 Spinalmotorische Elemente und ihre Funktionen · ·· 738 26.4 Supraspinale Kontrolle spinaler Verschaltungen · ·· 752 26.5 Motorische Areale der Großhirnrinde · ·· 758 26.6 Basalganglien: Struktur, Funktion und klinische Zeichen ··· 762 26.7 Kleinhirn: Struktur, Funktion, Symptome · · · 769 26.8 Augen- und Blickbewegungen · · · 774 26.9 Ein Gesamtkonzept der Motorik · ·· 782
27 Neurovegetative Regulationen H. Seller 27.1 27.2 27.3
713
728
27.4 27.5 27.6 27.7
···
785
Das Vegetativum – Wirkungen und Nebenwirkungen · · · 786 Peripherer Aufbau und Transmitter · · · 786 Rezeptoren der postsynaptischen Membran ··· 787 Organeffekte ··· 789 Funktionen des Rückenmarks · ·· 793 Kerngebiete in der Medulla oblongata · · · 797 Hypothalamus und limbisches System – homöostatische Regulationen und emotionelle Verhaltensweisen · ·· 799
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Inhaltsverzeichnis
28 Integrative Funktionen des Gehirns H.-C. Pape
···
801
28.1 Das Unfassbare im Leben ··· 802 28.2 Grundlage kognitiver Funktionen · · · 802 28.3 Organisation des Cortex cerebri – Assoziationscortices ··· 803 28.4 Kognition versus Emotion – Das limbische System ··· 807 28.5 Motivation – Belohnung und Abhängigkeit ··· 812 28.6 Lernen und Gedächtnis · · · 813 28.7 Lernabhängige synaptische Plastizität · · · 818 28.8 Hirnentwicklung – entwicklungsund erfahrungsabhängige Plastizität · ·· 822 28.9 Linkes Gehirn/Rechtes Gehirn – Sprache · ·· 827 28.10 (Appendix) Nicht-invasive Verfahren zur Messung von Hirnfunktionen · · · 831
30 Blut-Hirn-Schranke, Liquor cerebrospinalis, · · · 849 Hirndurchblutung und Hirnstoffwechsel W. Kuschinsky 30.1 Schlaganfall ··· 850 30.2 Blut-Hirn- und Blut-Liquor-Schranke ··· 850 30.3 Hirndurchblutung und Hirnstoffwechsel ··· 855
31 Maßeinheiten, Kurven und ein wenig Mathematik S. Silbernagl 33.1 Messgrößen und Maßeinheiten · ·· 862 33.2 Potenzen und Logarithmen ··· 868 33.3 Graphische Darstellung von Messdaten
32 Normalwerte S. Pummer und S. Silbernagl 29 Rhythmen des Gehirns: Elektroenzephalographische und neurale Korrelate des Verhaltens H.-C. Pape 29.1 Tagesmüdigkeit: Faulheit oder Krankheit? · · · 836 29.2 Das Elektroenzephalogramm · ·· 836 29.3 EEG-Korrelate von Wachen und Schlafen 29.4 Neurophysiologische Grundlagen von Wachen und Schlafen · · · 842 29.5 Der circadiane Rhythmus ··· 845 29.6 Schlafstörungen · · · 846
···
835
· ··
840
32.1 32.2 32.3 32.4 32.5 32.6 32.7
···
···
861
869
···
873
Gesamtorganismus und Zelle ··· 874 Herz und Kreislauf · · · 874 Lunge und Gastransport · · · 874 Niere und Ausscheidung · · · 874 Ernährung und Stoffwechsel ··· 875 Nervensystem und Muskel · · · 875 Blut und andere Körperflüssigkeiten ··· 875
Sachverzeichnis
···
879
Abkürzungsverzeichnis
···
927
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XIII
1
Wer liest schon Einleitungen? S. Silbernagl
1.1
Physiologie: Funktion des Lebendigen
1.2
Woher weiß man, was in diesem Buch steht? ··· 2
···
2
Beobachtung, Hypothese, Experiment, Deutung, Theorie und die Fallen · · · 3 Zu kompliziert? ··· 5
1.3
Ob Zelle oder Organismus: ein offenes System mit innerem Milieu ··· 7 Die Autonomie der Zelle ··· 7 Das Meer in uns: Milieusicherung durch Spezialisierung ··· 8 Ungeregeltes Leben gibt es nicht ··· 8 Rückkopplung kann negativ oder positiv sein · · · 10
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2
1 Wer liest schon Einleitungen?
1.1
Physiologie: Funktion des Lebendigen
Ein Virus hat bereits eine Art von Leben, eine Amöbe, ein Baum, ein Hund, ein Mensch, sie alle leben. Die Physiologie versucht, die physikalischen und chemischen Faktoren aufzuklären, die für die Entstehung, die Entwicklung und den Erhalt dieses Lebens verantwortlich sind. Dabei ist die Frage, was vor sich geht, nur der Ausgangspunkt für die Frage, wie es passiert. So fragt ein Physiologe etwa: Wie gelangen Ionen durch die Zellmembran, und mit welchen Signalen kommunizieren Zellen miteinander? Wie überlebt ein Fisch im Süßwasser, wie einer im Salzwasser? Warum muss eine Wüstenratte nichts trinken und warum kühlt der Pinguin nicht aus, wenn er jahraus, jahrein auf antarktischem Eis steht? Wie wird unser Blutdruck geregelt? Wie arbeiten unsere Nieren, unsere Muskeln, unsere Augen, ja sogar (und das fragt des Physiologen eigenes Gehirn!): Wie funktioniert unser Gehirn? Inhalt dieses Buches ist die Physiologie des Menschen. Dabei muss man sich aber vor Augen halten, dass der Großteil der Kenntnisse über die Funktionen unseres Körpers nicht von Beobachtungen am Menschen, sondern von Experimenten an Einzelzellen im Reagenzglas, an Zellkulturen, an isolierten Organen und an Tieren gewonnen wurde. Am meisten weiß man daher über die Mechanismen, die sich in der Evolution bereits seit Hunderten von Millionen Jahren bewährt haben und daher allen tierischen Zellen mehr oder weniger gemeinsam sind. Relativ viel ist auch noch bekannt über die Funktion derjenigen unserer Organe und Organsysteme, die sich von denen anderer Säuger nur unwesentlich unterscheiden. Darm- und Nierenfunktion, Atmung, Blutdruckregulation, Säure-Basen-Haushalt sind einige Beispiele dafür. Anders ist das bei höheren Gehirnfunktionen, doch können uns da unter Umständen Beobachtungen an Patienten weiterhelfen. Vergleicht man ihre Symptome mit den Befunden bei gesunden Probanden, kann man unter Umständen auf Funktionsmechanismen schließen. Die (immer noch spärlichen) Kenntnisse über die spezifischen Funktionen unseres Großhirns z. B. stammen großteils von Beobachtungen an Patienten, bei denen umschriebene Gehirnbezirke etwa durch Verletzungen oder Tumoren zerstört worden sind. Umgekehrt ist die Physiologie des Menschen, sind die Kenntnisse über die normale Funktion unseres Körpers natürlich unverzichtbare Grundlage, wenn der Arzt Fehlfunktionen des Körpers, also Krankheiten, erforschen und kausal oder zumindest symptomatisch behandeln will. Auf Aspekte der Pathophysiologie, des Grenzgebiets zwischen Physiologie und klinischer Medizin, wird daher in allen Kapiteln dieses Buches immer wieder eingegangen werden.
1.2
Woher weiß man, was in diesem Buch steht?
Ausgehend von Beobachtungen, stellt der naturwissenschaftlich arbeitende Physiologe eine überprüfbare Hypothese auf; zu ihr macht er Experimente mit gezielter Fragestellung, wobei das Bezweifeln der eigenen Hypothese wichtigstes Prinzip ist. Korrelation z. B. muss auf Kausalität überprüft werden. Eine gezielte Beobachtung kann eine Art Experiment sein, ebenso wie ein unerwartetes Versuchsergebnis eine Beobachtung sein kann. Jedes Experiment muss von einem Kontrollexperiment begleitet sein, und Versuchswiederholungen verringern die Wahrscheinlichkeit, dass ein Ergebnis zufällig war. Widerspricht das Ergebnis der Hypothese, muss sie verworfen werden; wird sie bestätigt, kann sie nach eingehender Überprüfung zur Theorie werden. Neben der Beobachtung am Patienten ist die Tierphysiologie die wichtigste Quelle, aus der die Physiologie des Menschen schöpft. Die Komplexität des Organismus zwingt den Physiologen zu Vereinfachungen, will er aussagekräftige Ergebnisse erhalten; „Modelle der Natur“ und das Arbeiten in vitro sind zwei der Möglichkeiten. Fehlschlüsse und Artefakte sind es, die die Resynthese der Einzelbefunde erschweren. Schließlich muss die Übertragbarkeit der Befunde vom Tier oder gar von der Zellkultur auf den Menschen streng geprüft werden. Schon in der Mitte des vorigen Jahrhunderts war in einem Lehrbuch der Physiologie kein Platz mehr, den experimentellen Hintergrund des behandelten Lehrstoffes zu schildern. Adolph Fick (1829 – 1901) schrieb 1860 in seinem „Compendium der Physiologie des Menschen“ (10): „Der nächste [wichtigste] Zweck dieses Buches ist, dass es den Medicin Studirenden in Stand setze, mit möglichst geringer Anstrengung sich diejenigen physiologischen Kenntnisse anzueignen, welche ein billiger [vernünftiger] Examinator von ihm verlangen muss … habe ich mich – eingedenk des ersten Zweckes – durchweg vorwiegend an die Resultate gehalten und sie mit einiger Ausführlichkeit dargestellt … das Resultat ist das Wichtigste und Interessante, und, wenn man es einmal sicher hat, d. h. jederzeit einen strengen Beweis führen kann, so kümmert man sich nicht mehr um die Methode seiner ursprünglichen Auffindung.“ Allerdings war Adolph Fick noch in der Lage, seinen Studenten dann wenigstens in der Vorlesung diejenigen Versuche zu zeigen, mit denen er das Gelehrte belegen konnte. Das ist heute nicht mehr möglich, da sich das Wissen in der Physiologie seither, grob geschätzt, verhundertfacht hat. Das heißt, auch in der Vorlesung bleibt heute praktisch keine Zeit mehr, die Wege zu schildern, an deren Ende unser (mehr oder weniger) „gesichertes Wissen“ steht. Das birgt die Gefahr in sich, dass der Student das „Wissen“ des Lehrbuchs (und der spätere Arzt oder Biologielehrer den Inhalt einer Fachzeitschrift) ohne Bedenken als feststehende Tatsache übernimmt. Kritikfähigkeit in dieser Beziehung setzt aber voraus, dass er oder sie wenigstens prinzipiell die Wege naturwissenschaftlich-medizinischer und -biologischer Wissensfin-
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1.2 Woher weiß man, was in diesem Buch steht? Beobachtung im Experiment
Beobachtung
neue Hypothese Hypothese Fragestellung Kontrollexperiment Experiment
Experiment verbessern
Hypothese verwerfen
Ergebnis
vieldeutig, variabel
Schlussfolgerung passt nicht zur Hypothese
System zu komplex
Modell der Natur Isolierung von: Organen Organteilen Zellen (Zellkultur) Zellorganellen Proteinen u. a.
passt zur Hypothese
übertragbar? Vereinfachung
Falsifizierung, Experimentum crucis
Teil-Ergebnisse
Theorie Teil-Experimente
Abb.1.1 Von der Beobachtung zur Theorie: Der Weg experimenteller Forschung. Zum Beispiel entdeckte Ernest Basil Verney (1894 – 1967, Foto) zusammen mit E. H. Starling in den zwanziger Jahren, dass eine isolierte Niere, die künstlich durchströmt wird, keinen konzentrierten Urin erzeugen kann (18, 20) (Beobachtung im Experiment). Aufgrund dieser und anderer Beobachtungen stellten sie folgende Hypothese auf: „Wir schlagen daher vor, dass irgendeine Substanz oder Substanzen mit einer Pituitrin-(Hypophysenextrakt-)ähnlichen Wirkung normalerweise im intakten Säuger vorhanden sind und dazu dienen, die Niere in ihrer wichtigen Funktion der Wasser- und Chloridausscheidung zu
dung mit all ihren Klippen kennt. Sie sollen uns daher im Folgenden kurz beschäftigen.
Beobachtung, Hypothese, Experiment, Deutung, Theorie und die Fallen Die Gegenprobe Humanphysiologie ist ein Fach der Medizin, doch als Forscher ist der Physiologe Naturwissenschaftler; er geht bei seiner Forschung daher prinzipiell genau so vor wie der „reine“ Naturwissenschaftler, also etwa der Physiker, Astronom oder Chemiker (Abb. 1.1): Er stellt Beobachtungen an, zieht seine Schlüsse daraus und stellt auf deren Basis eine Hypothese auf. Diese Hypothese muss überprüfbar sein. Eine unüberprüfbare Hypothese ist wertlos, weil sie nicht viel mehr wert ist als eine schlichte Behauptung. Mit Überprüfen ist hier vor allem gemeint, dass der Wissenschaftler seine Hypothese in Frage stellen (falsifizieren; 5) muss, d. h., ein überaus wichtiges Prinzip seines Arbeitens muss der Zweifel sein. Wichtiger als die Probe ist die Gegenprobe! Ein einfaches Beispiel: Vor einigen Jahrzehnten konnte im Elsass beobachtet werden, dass der Rückgang der
regulieren“ (18). Zur Überprüfung der Hypothese setzten sie dem Nierenperfusat einen Hypophysenhinterlappenextrakt zu (Experiment) mit dem Ergebnis, dass sich die Wasserausscheidung dadurch normalisierte. Schließlich wies Verney auch nach, dass das Blut durch den Kopf des Versuchstiers fließen muss, bevor es anschließend in der Niere antidiuretisch wirken kann. Dieser Effekt blieb aus, wenn vorher der Hypophysenhinterlappen entfernt worden war (19). Damit war bewiesen, dass die Konzentrierungsfähigkeit der Niere vom Hypophysenhinterlappen abhängt (Theorie). Heute wissen wir, dass dort Adiuretin als steuerndes Hormon sezerniert wird.
Geburtenrate sehr eng mit dem Rückgang der Anzahl der dort nistenden Störche korreliert. Bringt also der Storch die Babys? Eine Bestätigung dieser Hypothese wäre gewesen, wenn der Beobachter anschließend nach Franken gefahren wäre und dort eine ähnliche Korrelation vorgefunden hätte (Probe). Eine mögliche Gegenprobe (Entfernung eines der korrelierenden Phänomene) wäre hingegen gewesen herauszufinden, ob ein Land existiert, wo es gar keine Störche gibt und trotzdem Babys auf die Welt kommen …
Korrelation und Kausalität Wir lächeln über das Beispiel mit den Störchen, weil wir wissen, wie Kinder auf die Welt kommen. Bei der Beobachtung noch nicht erforschter Phänomene ist das anders. Trotzdem ist ein häufiges Zusammentreffen zweier oder mehrerer Phänomene oder gar eine enge quantitative Korrelation natürlich eine wichtige Beobachtung, sei es in der Astronomie, in der Physiologie oder in der praktischen Medizin. Über die Kausalität sagt eine Korrelation, wie wir an obigem Beispiel gesehen haben, allerdings nichts aus. Die Kausalität kann hier nur Hypothese sein, die es zu überprüfen, in Zweifel zu ziehen gilt.
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3
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1 Wer liest schon Einleitungen?
Beobachtung versus Experiment Zur Überprüfung seiner Hypothese greift der Wissenschaftler zum Experiment. Er „experimentiert“ nicht „herum“, sondern stellt eine Frage, von der er hofft, dass sie durch das Ergebnis seines Experiments beantwortet werden kann. Den Unterschied zwischen Beobachtung und Experiment hat der französische Physiologe Claude Bernard (1813 – 1878) so ausgedrückt: „Beobachtung ist die Erforschung natürlicher Phänomene, das Experiment ist die Erforschung eines Phänomens, das durch den Forscher verändert worden ist“ (1). Diese Veränderung, dieses Eingreifen in den natürlichen Ablauf ist es, was das Experiment einerseits zum machtvollsten Werkzeug naturwissenschaftlicher Forschung macht, andererseits aber auf Irrwege, zu Artefakten führen kann (s. u.). Beobachtung und Experiment sind nicht ganz zu trennen. Eine „gezielte“ Beobachtung, etwa die Voraussage einer Beobachtung, ist bereits eine Art Experiment. Umgekehrt kann der Wissenschaftler bei einem Experiment eine Beobachtung machen, nach der er ursprünglich gar nicht gefragt hat. Die Entdeckung der antibiotischen Wirkung des Penicillins (1928) durch den britischen Bakteriologen Sir Alexander Fleming (1881 – 1955) ist ein berühmtes Beispiel dafür. Seine Bakterienkulturen waren ihm unprogrammgemäß verschimmelt. Er hat sie sich trotzdem genau betrachtet (die „Neugierde des Forschers“), und ihm fiel auf, dass die Bakterien sich im Bereich des Schimmelpilzes (Penicilliumarten) nicht vermehrt hatten. Seine daraus abgeleitete Hypothese, dass der Schimmel einen antibakteriellen Stoff produziert, bewahrheitete sich, und das Antibiotikum Penicillin trat wenige Jahre später seinen Siegeszug um die Welt an.
Fürchtet der Arzt die Gegenprobe? Da wohl die meisten Leserinnen und Leser dieses Buches Ärzte werden wollen, hier auch ein kurzes Wort zur klinisch-medizinischen Forschung. Obwohl auch schon der Physiologe, der ja oft an Lebewesen forschen muss, nicht so frei experimentieren kann wie etwa der Chemiker, sind die experimentellen Möglichkeiten des Arztes natürlich noch viel mehr eingeschränkt. Er kann sich bei seiner klinischen Forschung oft nur auf rückschauende (retrospektive) oder, was das bessere „Experiment“ ist, auf vorausschauende, vorhersagende (prospektive) Beobachtungen an seinen Patienten stützen. Diese Beschränkung darf aber nicht dazu verleiten, die Gegenprobe, das Experimentum crucis, etwa in Form einer sog. Doppelblindstudie, zu scheuen*. Claude Bernard sagt dazu: „Es ist das post hoc, ergo propter hoc** der Mediziner, zu dem wir uns sehr leicht verleiten lassen, besonders wenn das Ergebnis eines Experimentes oder eine
* Von einer Doppelblindstudie spricht man dann, wenn z. B. beim Vergleich der Wirksamkeit zweier Medikamente (oder eines Medikaments mit einem wirkungslosen Stoff, einem Plazebo) weder der Arzt noch der Patient weiß (beide sind „blind“), welche Tablette welche Substanz enthält. ** Danach und daher dessentwegen.
Beobachtung unsere vorgefasste Meinung bestätigt“ (1). (Auch der Autor dieser Einleitung ist Mediziner).
Kein Experiment ohne Kontrolle Ein Experiment führt zu einem Ergebnis, also zu einer Reihe von Messwerten, aus denen der Wissenschaftler seine Schlüsse zieht. Zieht er die richtigen? Angenommen, ein Versuchstier, etwa eine Ratte, wird narkotisiert, die Niere wird freigelegt und ein bestimmtes Medikament wird in die Nierenarterie injiziert. Einen Tag später steigt bei der Ratte die Natriumausscheidung im Urin. Was ist der Grund dafür? Das Narkosemittel? Der Operationsstress? Oder wirklich die injizierte Substanz? Hier ist, wie bei jedem Experiment, ein Kontrollexperiment notwendig, in diesem Fall eines, bei dem zwar narkotisiert und operiert, aber nur das Lösungsmittel, in dem das Medikament gelöst war, injiziert wird. Außerdem genügt natürlich nicht ein einziges Paar von Experimenten, da die Höhe der Natriumausscheidung im Einzelfall genauso gut ein Zufall sein könnte. Erst eine Reihe gleichartiger Versuche und Kontrollexperimente und deren statistische Auswertung kann klären, ob das Versuchsergebnis (mit mehr oder wenig hoher Wahrscheinlichkeit) kein Zufall war (6).
Und das Ergebnis? Hat der Wissenschaftler aus dem Ergebnis des Experiments den richtigen Schluss gezogen, und ist damit seine Frage beantwortet? Oder ist das Ergebnis vieldeutig und damit nicht interpretierbar? Oder kommt gar jedesmal etwas anderes als Ergebnis heraus? Dann war vielleicht das Experiment von vorneherein schlecht geplant, oder es war zwar gut konzipiert, aber schlecht durchgeführt; oder war etwa das Versuchsobjekt zu komplex, um eine einfache Antwort zu erhalten? Lag es daran, muss der Physiologe sich nach einem einfacheren Experimentalobjekt für die Beantwortung seiner Frage umtun (s. u.). Bringt ihn auch das nicht weiter, ist die Frage, zumindest vorläufig, unbeantwortbar. Diese Tatsache muss der Forscher allerdings erkennen. Der englische Zoologe Peter B. Medawar (1915–1987, Nobelpreis für Medizin 1960) schreibt dazu in der Einleitung seines Buches „Die Kunst des Lösbaren“: „Kein Wissenschaftler wird bewundert, dass es ihm nicht gelungen ist, Probleme zu lösen, die er mit ihm zur Verfügung stehenden Mitteln überhaupt nicht lösen konnte… Gute Wissenschaftler nehmen normalerweise solche Probleme in Angriff, die sie für wichtig und lösbar halten. Denn schließlich ist es ihre Aufgabe, Probleme zu lösen, und nicht bloß, mit ihnen zu ringen… Und das ist genau der Grund, warum einige der wichtigsten biologischen Probleme bisher noch nicht auf der Tagesordnung unserer Forschungsvorhaben erschienen sind …“ (4). Passt das Ergebnis des Versuchs zur Hypothese, gewinnt sie an Substanz, doch muss ihre Gültigkeit (und auch ihre Allgemeingültigkeit) unter allen möglichen Bedingungen – auch von anderen Wissenschaftlern – weiterhin streng überprüft werden. Wenn dann immer noch alles zusammenpasst, wird die Hypothese zur Theorie. Sie findet dann, gewöhnlich nach einer Latenzzeit
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1.2 Woher weiß man, was in diesem Buch steht?
Zu kompliziert? Lebendiges, auch eine einzige Zelle, besteht aus unzähligen Komponenten, Reaktionen und Interaktionen. Ist es also ein hoffnungsloses Unterfangen, dieses Knäuel zu entwirren? Offenbar nicht ganz, wie die folgenden Kapitel dieses Buches zeigen. Wie seine anderen biologischexperimentell arbeitenden Kollegen vereinfacht der Physiologe das System, an dem er experimentieren will, und zwar auf ganz verschiedenen Wegen.
Innenelektrode
Meerwasser
Öl Außenelektrode Stellarganglion Riesenaxon
Aktionspotenzial
von vielen Jahren, Eingang in die Lehrbücher. Das sichert ihr zwar ein relativ langes Leben, doch sind alle Theorien, auch diejenigen, auf die dieses Buch aufbaut, nicht davor sicher, irgendwann vielleicht doch einmal vom Sockel gestürzt zu werden. Dogmen gibt es in der Wissenschaft nicht. Zeitigt das Experiment ein klares Ergebnis, das nicht zur Hypothese passt, muss sie verworfen oder zumindest revidiert werden. Das gilt für alle Ergebnisse des Experiments. Nur die zur Hypothese „passenden“ Antworten herauszusuchen, ist zwar verführerisch, hat aber nichts mehr mit Wissenschaft zu tun. Es passiert auch immer wieder, dass ein Versuchsergebnis völlig unerwartet ist (Beobachtung beim Experiment, s. oben) und auch nach Befragung der Literatur beim Wissensstand der Zeit nicht einzuordnen ist – sozusagen ein Puzzlestück ohne Puzzle. Trotzdem wird es der Wissenschaftler, wenn er sich seiner Sache sicher ist, veröffentlichen. Irgendwann, nach Monaten oder Jahrzehnten, findet sich das Puzzle dazu. Bis dahin ist das Faktum eines solchen Versuchsergebnisses allerdings wertlos, da „… es seinen Wert nur durch die Idee bekommt, mit der es verbunden ist oder durch die Antwort, die es liefert“ (1).
Reizelektroden
Abb.1.2 „Modell der Natur“: Riesenaxon des Tintenfisches Loligo. Während beim Menschen und bei den meisten Tieren die Nervenfasern weniger als 0,02 mm dick sind, hat das Riesenaxon einen Durchmesser von etwa 1 mm. Dies erlaubt das Einführen einer Silberdraht-Elektrode ins Innere des Axons (Innenelektrode) und ermöglichte es bereits Ende der 1930er-Jahre, die grundsätzlichen Mechanismen der Fortleitung von (hier mit „Reizelektroden“ ausgelösten) Impulsen in Nervenfasern aufzuklären (9,11). Im lebenden Tintenfisch gewährleistet die Dicke des Axons eine sehr rasche Impulsfortleitung und damit eine relativ synchrone Aktivierung der Mantelmuskulatur. Diese Muskeln erzeugen den Wasserstoß, der den Tintenfisch bei Überraschungen rückwärts treibt (aus 2 nach 15 und aus 12).
Modell und Experiment der Natur In Säugetieren sind Nervenfasern höchstens 0,015 mm dick. Das machte elektrophysiologische Versuche an ihnen bis vor kurzem äußerst schwierig. Der Tintenfisch hingegen besitzt ein Riesenaxon mit dem 60fach größeren Durchmesser von etwa 1 mm (Abb. 1.2). Diese Modellnervenfaser erlaubte es schon sehr früh, die grundsätzlichen Vorgänge bei der Nervenerregung mit relativ einfachen Methoden zu klären (9,11,12,15). Auch der Mechanismus einfacher Lernvorgänge (Habituation und Sensitisierung bei polysynaptischen Reflexen, Kap. 26.3.4) hat sich am Modellganglion einer Meeresschnecke (Seehase, Aplysia californica) mit seinen großen Nervenzellkörpern und seinen wenigen, gut bekannten Schaltverbindungen viel unkomplizierter klären lassen (13,14) (Abb. 1.3) als am hoch komplexen Zentralnervensystem eines Säugetiers mit seinen Milliarden von Nervenzellen. Genetische Defekte, also etwa das Fehlen eines Hormons oder eines Enzyms, stellen ebenfalls eine Vereinfachung dar, da eine physiologische Funktion ja auch durch ihr Fehlen charakterisiert werden kann. Moderne Methoden der Molekularbiologie haben es sogar möglich gemacht, durch Genmanipulation die Aminosäurensequenz eines Enzyms oder Rezeptors gezielt zu verändern (sitedirected mutagenesis), um herauszufinden, welche Antei-
le der Aminosäurensequenz und der Proteinfaltung z. B. an der Substrat- bzw. Hormonbindung beteiligt sind. Auch das experimentelle Entfernen oder Abschalten eines Gens („Knock out“), das Einschleusen eines fremden Gens (Transgen) in die Keimbahn und weitere Methoden der Genetik und der Molekularbiologie können dazu dienen, die Funktion des jeweiligen Genprodukts, z. B. bei der Lernfähigkeit (17) oder der Entstehung des Bluthochdrucks (22) aufzuklären.
Auch Zerlegen vereinfacht Der Physiologe isoliert z. B. ein Organ aus dem zu komplexen Organismus, eine Zelle aus dem Organ, bestimmte Organellen (z. B. Mitochondrien oder Stücke der Zellmembran) aus der Zelle. Will er nur ein bestimmtes Protein, etwa ein Enzym oder einen Ionenkanal der Zellmembran, untersuchen, so reinigt er das Protein von allen anderen Zellbestandteilen. Das Enzym kann er dann im Reagenzglas oder in der Photometerküvette untersuchen, das Kanalprotein in eine künstliche Lipidmembran einsetzen und dort die Kanaleigenschaften (Kap. 2.3) studieren. Hier arbeitet er also in vitro (im Glas) und
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1 Wer liest schon Einleitungen?
Mantelfalte Siphon physiologischer Reiz
Kontraktion
sensorisches Neuron
Kiemen L7
lernfähige präsynaptische Endigung
SN
Reiz- und Ableitelektrode Reiz Nr.:
Motoneuron
1
Das Modell Zellkultur
Ableitelektrode 2
15
15 min Pause 1
nicht mehr in vivo (im lebenden Organismus). Ist das Organ vom Körper, die Zelle vom Organ oder die Zellmembran von der Zelle isoliert, kann die Flüssigkeit, mit der das Organ künstlich durchströmt wird bzw. in der die Zelle oder die Membran schwimmt, vom Experimentator vorgegeben werden. Das ist deswegen eine Vereinfachung, weil dadurch die vielen unbekannten Variablen, z. B. die zahlreichen Komponenten des Bluts, eliminiert und durch die bekannten Eigenschaften der gewählten Lösung ersetzt werden. Es können also z. B. der pH-Wert, die Osmolalität, die K+-Konzentration und der Sauerstoffpartialdruck als Konstanten vorgewählt werden, während eine andere Größe, etwa das Zellpotenzial, z. B. in Abhängigkeit von der Ca2+-Konzentration gemessen wird.
2
15
0,2 s
Abb.1.3 „Modell der Natur“: das Ganglion des Seehasen Aplysia. Wird der Siphon der Mantelfalte dieser Meeresschnecke durch irgendetwas berührt, so verkleinern sich die Kiemen reflektorisch auf die rot gestrichelte Größe. An diesem Rückziehreflex sind 24 sensorische Neurone, 6 Motoneurone sowie 1 inhibitorisches und 2 exzitatorische Interneurone beteiligt. Die geringe Anzahl dieser Komponenten, die Kenntnis ihrer genauen Lokalisation und die Tatsache, dass sie relativ groß sind, machen den Seehasen zu einem idealen Modell für einfachste Lernvorgänge: Wenn der Reiz z. B. mit Schmerzen verbunden ist, wird die Reflexantwort verstärkt (Sensitisierung), oder aber, wenn der Reiz sich z. B. als unschädlich herausstellt, wird die Antwort abgeschwächt (Habituation; Kap. 25.2). Durch Einstich einer Reiz-(und Ableit-)Elektrode in eines der beteiligten sensorischen (SN) und einer Ableitelektrode in eines der motorischen Neurone (L7) kann die Habituation auf Einzelneuron-Ebene registriert werden: Auf den Reiz Nr. 1 (violette Kurve, obere Reihe von Registrierungen) erfolgt die maximale Reflexantwort (rote Kurve). Wird der Reiz alle 10 s wiederholt (Reiz Nr. 2 bis 15), so wird die motorische Antwort zunehmend kleiner. Auch noch 15 min nach diesem „Training“ hat Reiz Nr. 1 (unten) einen kleineren Effekt als Reiz Nr. 1 im „untrainierten“ Zustand (oben). Das Neuron SN hat „gelernt“, weniger Transmitter freizusetzen: akute Habituation. Bei chronischem Training (Tage bis Wochen) vermindert sich außerdem die Anzahl der sensorischen Neurone, die zu den Motoneuronen synaptischen Kontakt haben. Damit steht ein einfaches, gut definiertes Modell zur Verfügung, mit dem auch die molekularen Mechanismen eines solchen Lernvorgangs untersucht werden können (nach 13,14).
Aus dem intakten Organismus isolierte Zellen können in vitro weitergezüchtet werden (Primärkultur), doch verändern sie dabei oft ihre Eigenschaften und sterben dann ab. Will man über Monate und Jahre an Zellen mit weitgehend konstanten Eigenschaften forschen, bedient man sich Zelllinien, die unsterblich (immortal) sind, d. h. die sich immer wieder teilen, ohne dabei wesentlich zu „altern“. Solche Zellkulturen (Abb. 1.4) entstammen bestimmten Tumoren oder wurden durch Virusinfektion immortalisiert. Obwohl allein schon diese Immortalität zeigt, dass sich die Summe ihrer Eigenschaften von der einer „normalen“ Leber-, Nerven- oder Muskelzelle unterscheidet (und daher die Übertragbarkeit der experimentellen Ergebnisse hier besonders sorgfältig geprüft werden muss), können an solchen Zellen viele prinzipielle Fragen der Zellphysiologie geklärt werden.
Passen die Rädchen schließlich zusammen? Lesen wir nochmals bei Claude Bernard nach: „… wenn man einen lebenden Organismus auseinander nimmt, indem man seine verschiedenen Teile isoliert, tut man das nur zur Erleichterung der experimentellen Analyse und keineswegs, um sie getrennt zu verstehen. In der Tat, will man einer physiologischen Eigenschaft ihren Wert und ihre wirkliche Bedeutung zumessen, muss man sie immer auf das Ganze beziehen und darf endgültige Schlussfolgerungen nur im Zusammenhang mit ihren Wirkungen auf das Ganze ziehen…“ (1). Das war also das ursprüngliche Ziel der Wahl eines Modells, der Griff zur Zellkultur, der Untersuchung in vitro. Je größer allerdings, besonders in letzterem Fall, die Vereinfachung war, desto weiter hat sich der Physiologe vom lebenden Organismus entfernt und desto vorsichtiger muss er sein, die Einzelergebnisse auf ihn zu übertragen. Je größer der Eingriff des Experimentators war, desto mehr besteht die Gefahr, dass er nur die Folgen seines Eingriffs, also Artefakte misst, die mit der gesuchten physiologischen Funktion gar nichts zu tun haben. Auf der anderen Seite besteht keinerlei Chance, die eigentlichen zellulären und molekularen Mechanismen des Körpers, und das schließt auch so komplexe geistige Leistungen wie etwa das Gedächtnis mit ein, am intakten Organismus zu klären. In Zukunft wird es die größte Herausforderung für die Physiologie werden, die unendlich vielen Daten, die auf zellulärer,
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1.3 Ob Zelle oder Organismus: ein offenes System mit innerem Milieu subzellulärer und molekularer Ebene gewonnen werden, wieder zu einer Gesamtschau der Physiologie des Menschen zusammenzusetzen.
Kann Leben am Computer erforscht werden? Ja und nein. Ja, weil er riesige Datenmengen auswerten kann, zu deren Bearbeitung unsere Lebensspanne oft nicht ausreichen würde. Ja, weil mit ihm sehr rasch viele Kombinationen bekannter Einzelfunktionen des Organismus theoretisch „ausprobiert“ werden können. Das heißt, mit ihm lassen sich aus einzelnen Beobachtungen und experimentellen Befunden hypothetische Vorhersagen machen. Er kann also Bekanntes (Gespeichertes) neu kombinieren und beim Experimentieren am lebenden Organismus helfen, große Datenmengen rasch zu erfassen und zu übersichtlichen Zahlen zu kondensieren. Was er natürlich nicht kann, ist bekannte oder unbekannte Fakten, die nicht gespeichert sind, berücksichtigen. Die Wirkung einer erstmalig aus dem Blut isolierten Substanz z. B. oder eines neuartigen chemischen Stoffes auf die Zelle oder den Gesamtorganismus kann nur im Experiment an der Zelle bzw. am Tier eruiert werden, nicht am Computer.
Mikroskop
Kulturschale
Brutschrank Mikroelektroden
Riesenzelle
1.3
Ob Zelle oder Organismus: ein offenes System mit innerem Milieu
Die Zellmembran hat zugleich Schutz- und Austauschfunktion: Sie verhindert einerseits die Vermischung von äußerem Milieu und Zellinnerem, andererseits muss der Zelle als offenem System chemische Energie zugeführt werden, und gleichzeitig müssen Endprodukte die Zelle verlassen können. Spezialisierte Proteine der Membran transportieren selektiv und dem Bedarf angepasst anorganische Ionen und organische Substanzen, und Rezeptorproteine dienen der Signaltransduktion. Während ein Einzeller autonom ist, sind es beim Vielzeller die Organe, die die Barriere-, Austausch- und Kommunikationsfunktion übernehmen, wobei die Autonomie der Zelle einer erhöhten Unabhängigkeit und Leistungsfähigkeit des Gesamtorganismus geopfert wird. Für die Sicherung des inneren Milieus der Zelle sorgen die homöostatischen Regulationsmechanismen des Körpers; dabei sind Nervensystem und Kreislauf die Signal- und Transportwege. Die beteiligten Komponenten der Homöostase werden vor allem durch negative Rückkopplungssysteme geregelt, die Regelbreite wird durch Verhalten erweitert. Positive Rückkopplung ist ein physiologischer Verstärkermechanismus, der als pathologischer Teufelskreis katastrophal sein kann.
Die Autonomie der Zelle Die Grenze zwischen Ordnung und Unordnung Schon für einen Einzeller, also etwa eine Amöbe (Abb. 1.5) gilt es, zwei für sein Überleben notwendige, aber prinzipiell gegensätzliche Anforderungen zu erfüllen: Einerseits muss er die „Ordnung“ dessen, was Leben ausmacht, gegen die „Unordnung“ der unbelebten Umge-
Epithel
Abb.1.4 Das Modell Zellkultur. Bestimmte Zellen teilen sich in der Kulturschale im Brutschrank immer wieder und lassen sich daher unbegrenzt weiterzüchten, d. h., sie sind immortalisiert („unsterblich“ gemacht). Sie lassen sich sogar für lange Zeit tiefgefrieren, ohne dass ihre Vitalität (nach dem Auftauen) darunter leidet. Damit stehen der Forschung über Jahre und Jahrzehnte Zellen mit weitgehend konstanten Eigenschaften zur Verfügung, was die Klärung vieler prinzipieller Fragen der Zellphysiologie mit relativ einfacher Methodik in vitro erlaubt. Das rechte Foto zeigt unter dem Mikroskop, dass sich kultivierte Zellen, die von einem Epithel abstammen, auch in der Kulturschale wieder zu einem Epithel zusammenfinden. Damit lässt sich also auch die Physiologie eines solchen Zellverbandes studieren (Kap. 3). Das linke Foto zeigt im Zentrum eine Riesenzelle. Sie lässt sich aus etwa 50 – 100 normal großen Einzelzellen der Kultur fusionieren, ohne dass dabei die fundamentalen Zellfunktionen verloren gehen. Solch große Zellen erlauben es dann etwa, mit mehreren (z. B. Na+-, K+- und pH-) Mikroelektroden simultan in der Zelle zu messen (aus 16).
bung abschotten, andererseits ist er als – sowohl im thermodynamischen als auch im kommunikativen Sinn – „offenes System“ auf den Austausch von Wärme, Sauerstoff, Nahrungs- und Abfallstoffen sowie von Informationen mit seiner Umgebung angewiesen. Für das Abschotten sorgt die Zellmembran, deren hydrophobe Eigenschaften die wässrigen Lösungen außerhalb und innerhalb der Zelle vor der tödlichen Vermischung bewahren. Für die „Durchlässigkeit“ der Membranbarriere sorgen vor allem in ihr eingebaute Proteinmoleküle: zum einen die sog. Rezeptoren, die dem Empfang und der Weiter-
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1 Wer liest schon Einleitungen? Endozytose Nahrungsvakuole Diffusion, Carrier u.a.
Pseudopodie
Umwelt, z. B. der Nährstoffkonzentration, mit gezielten Bewegungen zu reagieren bzw. ein geeigneteres Milieu aufzusuchen. Diese Autonomie der Einzelzelle geht im vielzelligen Organismus mit seinen spezialisierten Organen weitgehend verloren. Was dafür gewonnen wird, ist eine größere Leistungs- und Überlebensfähigkeit sowie ein erhöhter Aktionsradius. Augenfälligstes Beispiel dafür ist die Entwicklung von Lebewesen, die das Meer verlassen konnten und zu Landbewohnern geworden sind.
Das Meer in uns: Milieusicherung durch Spezialisierung
Exozytose Zellkern
Abb.1.5 Versorgung und Entsorgung der Zelle. Ein Einzeller wie die Amöbe lebt im Wasser (manche auch als Parasiten in der wässrigen Umgebung des menschlichen Darms: Amöbenruhr!); er nimmt daraus Sauerstoff und Nahrung auf und gibt dorthin seine Abfallstoffe ab. Das Milieu, in dem er lebt, ändert sich dadurch praktisch nicht, da es unendlich viel größer ist als er selbst. Im Gegensatz dazu sind die Zellen im menschlichen Körper von einem Extrazellulärraum umgeben, der sogar kleiner als das Volumen dieser Zellen ist (Kap.13.2). Hier übernehmen Organe die Funktion der Sauerstoff- und Nahrungsaufnahme und der Ausscheidung (s. auch Abb.1.6) und erhalten so das „innere Milieu“ (1). Beim genaueren Hinsehen erkennt man auch schon in der Amöbe spezialisierte Zellorganellen, wie z. B. eine Nahrungsvakuole, in die größere Nahrungspartikel per Endozytose aufgenommen werden und aus der Unverdauliches per Exozytose wieder abgegeben wird, beides Mechanismen, die viele Zellen des menschlichen Körpers zur Aufnahme bzw. Abgabe von Eiweißmolekülen benützen (Abb. 2.5, S.19). Durch Ausstülpen von Pseudopodien kann sich der Einzeller auch bewegen, was Fibrozyten, die in eine Wunde einwandern, oder Leukozyten, die sich auf eingedrungene Bakterien zubewegen, im Körper ebenfalls tun.
gabe von Informationen aus der Umwelt dienen; zum anderen besitzt die Membran Transportproteine, also Poren, Carrier und „Pumpen“ (Kap. 2.3). Die Durchlässigkeit der Membran ist selektiv und häufig geregelt. So werden viele für den Zellstoffwechsel wichtige Substrate, z. B. D-Glucose und L-Aminosäuren, aktiv in die Zelle transportiert; mit L-Glucose und D-Aminosäuren hingegen kann die Zelle wenig anfangen; konsequenterweise werden solche inerten Stoffe meist auch nicht durch die Zellmembran transportiert. Auch Ionenkanäle, -pumpen und -carrier sind meist hoch spezifisch und, je nach Bedarf der Zelle, mehr oder weniger aktiviert.
Die Umwelt des Einzellers In einem See oder im Ozean umgibt den Einzeller ein weitgehend gleich bleibendes Milieu; es verändert sich praktisch nicht, wenn er sich daraus versorgt und nicht mehr Verwertbares dorthin abgibt. Solange er überhaupt lebt, d. h. die Ordnung von Struktur und Funktion (Synthese- und Energiestoffwechsel, Ionengradienten etc.) aufrechterhalten kann, ist er autonom. Ja, er ist mittels seiner Rezeptoren und seiner Beweglichkeit (Pseudopodien, Geißeln) sogar in der Lage, auf Änderungen der
Auch jede der etwa 70 Billionen Zellen unseres Körpers ist auf ein Milieu mit weitgehend konstanten Eigenschaften angewiesen. Ganz im Gegensatz zur Situation des Einzellers im Wasser ist aber das Volumen der extrazellulären Flüssigkeit, in der unsere Zellen „schwimmen“, nicht nur nicht unendlich größer, sondern sogar deutlich kleiner als das Gesamtvolumen dieser Zellen (Kap. 13.2). Angesichts der ununterbrochenen Inanspruchnahme dieser Flüssigkeit für die Ver- und Entsorgung der Zellen bedarf es daher großer Anstrengungen, dieses innere Milieu zu erhalten. Beteiligt an dieser Milieusicherung oder Homöostase sind fast alle Organe und Organsysteme, von denen dieses Buch handelt (Abb. 1.6). Gleichzeitig haben Organe die Abschottungs- und Austauschfunktionen gegenüber bzw. mit der Umwelt übernommen. Den großen Vorteilen eines solchen Staates von spezialisierten Zellgruppen, also u. a. der großen Unabhängigkeit nach außen, steht als ein wesentlicher Nachteil die gegenseitige Abhängigkeit der Organe und Organsysteme gegenüber. Fällt ein wichtiges davon aus, ist der ganze Organismus vom Tode bedroht.
Ungeregeltes Leben gibt es nicht Integration durch Infrastruktur Sinnvoll kooperieren können die spezialisierten Organe des Körpers nur, wenn ihre Funktionen aufeinander abgestimmt sind. Als Infrastruktur stehen dazu vor allem das Nervensystem und das Kreislaufsystem zur Verfügung. Die rasche Kommunikation über Nervensignale wird dabei ergänzt durch die langsamere Übermittlung humoraler Signale auf dem Blutweg. Dieser ist darüber hinaus auch der Verkehrsweg für den An- und Abtransport unzähliger anderer Substanzen, seien es Nahrungs- oder Abfallstoffe, Roh- oder Fertigprodukte der zellulären Synthese oder der fast überall benötigte Sauerstoff. Um z. B. ihn auch unter wechselnder Belastung (etwa der Skelettmuskulatur) in ausreichender Menge (aber ohne gleichzeitige Energieverschwendung) anzuliefern, bedarf es der funktionellen Integration einer ganzen Palette von Einzelfunktionen: Atemtiefe, Atemfrequenz, Blutvolumen, Blutdruck (mit den Einzelkomponenten Herzschlagvolumen, Herzfrequenz und Gefäßweite), Erythrozyten- und Hämoglobinkonzentration im Blut sind die wichtigsten davon. Schon dieses eine Beispiel zeigt, dass Leben (übrigens auch das des Einzellers) ohne Steuerung und darüber hinaus auch ohne Regelung nicht existieren kann (8, 21).
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1.3 Ob Zelle oder Organismus: ein offenes System mit innerem Milieu
Fühlen, Erleben, Erfahren, Verhalten Motorik Sexualität, Reproduktion
Sinne
Nahrungsaufnahme
Haut O2 CO2
Leber
Tastsinn Wärmeabgabe
Magen
Verteilung, Speicherung
Regulation
Atmung
(Wasser, Salze, Säuren)
Darm Niere
Ausscheidung
Ausscheidung (Harnstoff u.a.)
Abb.1.6 Organe und Organsysteme im Dienste der Homöostase und der Arterhaltung. Ob Herz, Gefäße, Lunge, Niere, Magen, Darm, Leber, Muskeln, Haut, Genitalien, Hormondrüsen, Nerven oder Gehirn, alle stehen sie entweder im Dienste der Homöostase, also der Konstanthaltung des „inneren Milieus“ (1), oder im Dienste der Arterhaltung, wozu Partnerwerbung und Schwangerschaft ebenso gehören wie die körperliche und seelische Entwicklung des Kindes.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser Mit Steuerung ist das gemeint, was ein Seemann macht, wenn er den Hafen verlassen hat: Er steuert das Schiff in die Himmelsrichtung, in der sein Ziel liegt. Wenn Karte und Kompass sehr präzis sind, das Schiff unterwegs auf keine Hindernisse trifft und der Kapitän Strömungen und Windrichtungen in seine Kursberechnung mit einbezogen hat, sollte er ohne weitere Steuerbewegung sein Ziel erreichen. Diese Bedingungen sind aber gewöhnlich nicht erfüllbar. Der Kapitän wird daher wiederholt die gewünschte Position mit der tatsächlichen vergleichen und bei Abweichungen den Kurs korrigieren. Hier wird die Steuerung also durch eine Rückmeldung des Erreichten ergänzt. Eine Steuerung mit einer in sich geschlossenen Informationsschleife nennt man Regelung. Zu einem solchen Regelkreis (Abb. 1.7) gehört der Regler, dem das Regelziel (Sollwert) vorgegeben wird und von dem aus Funktionen (Stellglieder) zur Erreichung dieses Ziels angesteuert werden. Den Kreis schließen Sensoren oder Fühler, die den tatsächlichen Wert oder Istwert der zu
Beim Menschen lassen sich das Erleben von Musik, die Freude über schöne Bilder, die Neugierde des Wissenschaftlers oder gar das Fragen nach dem „Sinn des Lebens“ im religiösen Glauben in die beiden genannten Kategorien allerdings nur recht mühsam einordnen. Das soll auch hier nicht geschehen. (Das Bild im Zentrum zeigt die Skulptur „der Denker“ von Auguste Rodin. Linkes und mittleres Foto: Lennart Nilsson; rechtes Foto vom Verfasser.)
regelnden Größe laufend messen und an den Regler zurückmelden, wo der Istwert mit dem Sollwert verglichen und von wo aus nachgeregelt wird, wenn Störgrößen den Istwert verändert haben. Regler, die eine Größe konstant halten sollen, heißen Halteregler. Bei ihnen sind es die Störgrößen, die Abweichungen des Istwertes vom Sollwert verursachen und damit die Stellglieder aktivieren. Im Organismus ist der Sollwert allerdings selten eine unveränderliche Konstante, sondern kann „verstellt“ werden, wenn übergeordnete Bedürfnisse dies erfordern. In diesem Fall ist es die Sollwertverstellung, also die Führungsgröße (Abb. 1.7), die ein Abweichen des Istwerts vom Sollwert bewirkt und damit die Stellglieder aktiviert. Hier folgt die Regelung der Führungsgröße (und nicht der Störgröße), so dass man in diesem Fall von Folge- oder Servoregelung spricht. Die Verstellung der geregelten Muskellänge durch die γ-Motoneuronen (S. 743 ff.) ist ein physiologisches Beispiel dafür. Die großen Vorteile der Regelung gegenüber der einfachen Steuerung sind zum einen, dass die Komponenten
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1 Wer liest schon Einleitungen?
Sollwert- Führungsgröße vorgabe
Sollwert = Istwert
Regler
negative Rückkopplung Regelgröße (Istwert) Fühler A
Sinnesreizen und die motorische Aktivität der Skelettmuskulatur. Solche Regelprozesse können, wie etwa bei einer gezielten Bewegung, nur Millisekunden dauern oder sich, wie beim Wachstum, über viele Jahre hinziehen. Kompliziert wird die Situation dadurch, dass die Regelkreise im Körper häufig miteinander verzahnt sind. Die Vermaschung der Kreislauf- mit der Atmungsregulation sowie die der Regelung des Natriumbestands und des Blutvolumens sind Beispiele dafür.
?
Stellgröße Stellglied 1 Stellglied 2 Stellglied n geregeltes System
Störgröße
Soll-Blutdruck = Ist-Blutdruck
?
vegetatives Nervensystem Kreislaufzentren
N.IX N.X Pressorezeptoren
Arteriolen Herzfrequenz
Blutdruck B
venöser Rückstrom
peripherer Widerstand z.B. Orthostase
Abb.1.7 Regelkreis. Die prinzipiellen Komponenten eines Regelsystems (A), das (als wesentlicher Unterschied zu einer Steuerung) eine Rückkopplungsschleife (feed back) enthält, deren Istwert (Regelgröße) vom Regler mit dem Sollwert (Führungsgröße) verglichen wird. Abweichungen des Istwerts vom Sollwert, die durch Störgrößen entstehen, werden vom Regler mit einer Stellgröße beantwortet, die den Istwert mittels Stellgliedern dem Sollwert nähert (s. auch Abb.1.8). In der Natur gibt es Regelkreise, seit es Leben gibt. Als wichtigste Mechanismen der Homöostase wurden sie allerdings erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts voll erkannt (8, 21). Die akute Regulation des Blutdrucks (B) ist eines der unzähligen Beispiele für die Regelkreise im Körper, die z. T. eng miteinander vernetzt sind.
der Steuerung relativ ungenau arbeiten dürfen, ohne dass der Sollwert (zumindest im Mittel) verfehlt wird (selbst ein unpräziser Steuermann kann sein Ziel – wenn auch nur im Zickzackkurs – erreichen); zum anderen können unerwartete Störgrößen bei der Regelung berücksichtigt werden (in obigem Beispiel ein Sturm auf hoher See oder, bei der Konstanthaltung des Blutdrucks etwa, ein Blutverlust). Geregelt sind im Körper nicht nur relativ einfache Größen wie Blutdruck, Zell-pH-Wert, Muskellänge und die Glucosekonzentration im Plasma, sondern auch – und gerade – so komplexe Abläufe wie Befruchtung, Schwangerschaft, Wachstum, Organdifferenzierung, Nahrungsaufnahme und -verdauung sowie die Verarbeitung von
Rückkopplung kann negativ oder positiv sein Die negative Rückkopplung: An/Aus ist zu primitiv In den oben beschriebenen Regelkreisen wird ein (im Vergleich zum Sollwert) zu kleiner (bzw. zu großer) Istwert mit einer Verstärkung (bzw. Abschwächung) des Signals beantwortet. Wegen dieser „Vorzeichenumkehr“ im Regelzentrum spricht man in diesem Fall von negativer Rückkopplung. Mit mehr oder weniger großen, wellenförmigen Abweichungen kann damit ein im Mittel konstanter Istwert eingehalten werden (Abb. 1.8 A). Beim plötzlichen Auftreten einer Störgröße sind die Abweichungen besonders groß, doch ebben sie in einem stabilen Regelsystem bald wieder ab. Solche Schwankungen können nur wenige Prozent betragen, in anderen Fällen aber auch recht beträchtlich sein. So schwankt der Blutzuckerspiegel im Zusammenhang mit den Mahlzeiten etwa um den Faktor 2. Offenbar soll eine intakte Blutzuckerregelung nur gefährliche, also besonders niedrige oder hohe Werte (Hypo- bzw. Hyperglykämie) sowie chronische Abweichungen verhindern. Die einfachste Form eines technischen Regelkreises mit negativer Rückkopplung ist die eines Heizkörpers, dessen Heißwasserzufluss über ein Ventil oder über eine Umwälzpumpe von einem Zimmerthermostat beim Überund Unterschreiten einer vorgewählten Temperatur abbzw. angedreht wird. Im Mittel wird die Zimmertemperatur dadurch zwar etwa auf dem gewünschten Wert gehalten, doch ergeben sich große Schwankungen durch die Trägheit des Systems, da der Heizkörper auch ohne Zufluss noch lange Wärme abströmt und die Wiederaufwärmung ebenfalls einige Zeit braucht. Diese Schwankungen können dadurch gedämpft werden, dass a) der Zuflusshahn statt an/aus nur graduell gedrosselt bzw. geöffnet wird und/oder b) die jeweilige Gegensteuerung schon einsetzt, bevor die erwünschte Temperatur erreicht ist. In der einen oder anderen Form sind solche Regelkreise auch im Organismus verwirklicht. Ein besonderes Problem ist das Auftreten von in ihrer Intensität stark unterschiedlichen Störgrößen, im Heizungsbeispiel etwa das Offenbleiben eines Fensters; trotz (a) und (b) kommt es dabei zu besonders hohen Istwertschwankungen. Hier wäre es hilfreich, wenn der Sensor nicht den Istwert selbst, sondern das voraussichtliche Ausmaß der Istwertänderung abschätzen könnte; ein Maß dafür ist die Geschwindigkeit der Änderung (im Beispiel C/min). Je größer die Störgröße, um so steiler verliefe dann die Istwertänderung und um so stärker wäre folglich die Gegensteuerung.
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1.3 Ob Zelle oder Organismus: ein offenes System mit innerem Milieu
Soll
Regler
Störgröße
Sensor Regelstrecke
Die positive Rückkopplung: Knalleffekte und Katastrophen Von positiver Rückkopplung spricht man, wenn die Erhöhung des Istwerts über die Rückkopplungsschleife verstärkt wird (Abb. 1.8 B). Während die oben genannte negative Rückkopplung ja den Istwert möglichst konstant halten sollte, ihn also bei einem Anstieg wieder erniedrigte, dient die positive Rückkopplung der Selbstverstärkung des ursprünglichen Steuerbefehls. Drei physiologische Beispiele dazu: – Im Dünndarm katalysiert Trypsin die Trypsinbildung aus Trypsinogen (S. 451): Autokatalyse. – Eine Depolarisation der Nerven- und Muskelzelle erhöht die Membranleitfähigkeit für Na+; der dadurch erhöhte Na+-Einstrom depolarisiert die Zellmembran etc. (S. 68 f.). – Luteotropes Hormon (LH) erhöht die Synthese von Östradiol. Kurz vor der Mitte des Menstruationszyklus
Soll
Regler
Sensor
Störgröße
Soll
Andere Störgrößen unserer körperinternen Regelung sind allerdings so neu, dass wir erst noch lernen müssen, uns richtig zu verhalten. Die zu hohe Kochsalz- und Fettaufnahme mit der Nahrung in westlichen Industrieländern z. B. überfordert offenbar häufig die Regelkreise für die Kochsalzbilanzierung bzw. die des Körpergewichts; Hochdruck bzw. Fettsucht sind oft die Folge (Kap. 13 bzw. 14).
Regelstrecke
Regler
Sensor Regelstrecke
Störgröße
Im Organismus können Messgrößenänderungen durch Rezeptoren (Sensoren) registriert werden, die relativ rasch adaptieren und damit auch differenziell arbeiten können (PD-Rezeptoren; Kap. 20). Typische Beispiele dafür sind die Kälterezeptoren (Thermoregulation; Kap. 15) und die arteriellen Pressorrezeptoren (akute Blutdruckregulation; Abb. 1.7 und Kap. 8). Letzteres Beispiel zeigt auch den Nachteil der Differenzialeigenschaften eines Rezeptors im Regelkreis: Sehr langsame, aber stetige Änderungen, wie etwa die Entwicklung eines arteriellen Hochdrucks (Hypertonie), können der Registrierung und damit der Regelung entgehen, ja rasche Blutdrucksenkungen bei einem Patienten mit Hypertonie werden sogar mit einer Wiederanhebung des Drucks beantwortet. Für die langfristige Blutdruckregulation sind also andere Regelkreise erforderlich (Kap. 8, 12 und 13). Regelung durch Verhalten. Auch wenn wir gesund sind, ist unsere körperinterne Thermoregulation überfordert, wenn wir z. B. versuchen, eine arktische Nacht in Hemd und Hose bzw. im Sommerkleid im Freien zu überleben; hier befinden wir uns außerhalb der Regelbreite der Thermoregulation. Die Regelbreite wird erhöht, wenn das Verhalten als Stellglied in den Regelkreis mit einbezogen wird. Viele Tiere haben in der Evolution „gelernt“, sich in Höhlen vor Kälte oder Hitze zu schützen, der Mensch hat darüber hinaus Heiz- und Kühlsysteme entwickelt, um seine Umgebungstemperatur im Regelbereich seiner internen Thermoregulation zu halten.
Regler Sensor
Führungsgröße (Sollwert)
Regelstrecke
Regelgröße (Istwert) Zeit
1 stabile Regelung
Zeit
2 starke Störgröße
Zeit 3 starke Sollwertverstellung
Regelgröße (Istwert)
A negative Rückkopplung
Zeit
B positive Rückkopplung
Abb.1.8 Negative und positive Rückkopplung. Bei der negativen Rückkopplung (A) hält der Regler den Istwert möglichst nahe am Sollwert, doch sorgen Störgrößen (s. auch Abb.1.7) immer wieder für Abweichungen, die „negative“ Nachregelungen in der Gegenrichtung auslösen, so dass der Istwert wellenförmig um den Sollwert schwankt (A,1). Bei besonders ausgeprägten Störgrößen (A, 2) oder bei plötzlicher Verstellung des Sollwertes (A, 3) kommt es initial zu relativ starken Abweichungen, doch flacht die Welle bei
stabiler Regelung in der Folge rasch wieder ab (Dämpfung). Bei der positiven Rückkopplung (B) wirkt eine Abweichung des Istwertes vom vorherigen Istwert (hier gibt es keinen Sollwert) als „positiver Reiz“ für eine noch größere Abweichung, so dass es zu einer Selbstverstärkung in diesem Regelkreis kommt. Physiologische Beispiele der positiven Rückkopplung sind im Text genannt. Als Teufelskreis (Circulus vitiosus) ist die positive Rückkopplung allerdings auch wesentlich am Fortschreiten von Krankheiten beteiligt.
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1 Wer liest schon Einleitungen? erhöht Östradiol aber auch umgekehrt die LH-Freisetzung, so dass der für die Ovulation notwendige sehr rasche LH-Anstieg zustande kommt (Abb. 17.1, S. 563). Solche positiven Rückkopplungsmechanismen müssen von außerhalb der Schleife her unterbrochen werden: im ersten Beispiel durch das Aufbrauchen des Trypsinogens, im zweiten durch die depolarisationsbedingte Inaktivierung der Na+-Kanäle (S. 68 f.) und im dritten vermutlich durch Veränderungen an den Östradiolrezeptoren der Hypophyse oder des Hypothalamus (Kap. 16 und 17). Unter pathologischen Bedingungen führen solche positiven Rückkopplungsschleifen in einem Circulus vitiosus häufig zur Katastrophe, wenn sie nicht rechtzeitig vom Arzt unterbrochen werden. Ein beginnender Kreislaufschock etwa (Kap. 8) kann mehrere solcher Teufelskreise auslösen, darunter den folgenden: Blutdruckabfall → Hypoxie und Azidose → Myokardkontraktion gestört → Herzkraft sinkt → Blutdruck sinkt noch stärker usw. Auch Gewöhnung und Sucht (Rauchen, Alkohol, Tranquilizer, Rauschgifte) entstehen in der positiven Rückkopplungsschleife eines Teufelskreises, der, wenn man vom Rauchen absieht, oft auch noch in einen sozialen Teufelskreis einmündet.
∴
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Zum Weiterlesen … 1 Bernard C. Introduction à l’étude de la médicine expérimentale. Erstausgabe Paris 1865, Nachdruck Paris: Garnier-Flammarion; 1966; Einführung in das Studium der experimentellen Medizin. Leipzig: Barth; 1961 2 Eckert R. Tierphysiologie. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2000 3 Hanson NR. Perception and Discovery. An Introduction to Scientific Inquiry. San Francisco: Freeman, Cooper; 1969 4 Medawar PB. Die Kunst des Lösbaren. Reflexionen eines Biologen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht; 1972 5 Popper KR. Logik der Forschung. Tübingen: Mohr; 1984 6 Sachs L. Angewandte Statistik, 11. Auflage. Berlin: Springer; 2004 7 Wartofsky MW. Conceptual Foundations of Scientific Thought. An Introduction to the Philosophy of Science. New York: Macmillan; 1968
… und noch weiter 8 Cannon WB. The Wisdom of the Body. New York: Norton; 1932/1939 9 Cole KS, Curtis HJ. Electrical impedance of the squid giant axon during activity. J Gen Physiol. 1939; 22: 649 – 670 10 Fick A. Compendium der Physiologie des Menschen mit Einschluss der Entwicklungsgeschichte. Wien: Braumüller; 1860 11 Hodgkin AL, Huxley AF. Action potentials recorded from inside a nerve fibre. Nature. 1939; 144: 710 – 711 12 Hodgkin AL, Huxley AF. Resting and action potentials in single nerve fibres. (Lond.) 1945; 104: 176 – 195 13 Kandel ER. Small systems of neurons. Sci Amer. 1979; 241: 60 – 70 14 Kandel ER. Classical conditioning and sensitization share aspects of the same molecular cascade in Aplysia. Cold Spring Harbor Symposia on Quantitative Biology, Vol. XLVIII. Cold Spring Harbor Laboratory; 1983 15 Keynes RD. The nerve impulse and the squid. Sci Amer. 1958; 199: 83 – 90 16 Oberleithner H, Kersting U, Silbernagl S, Steigner W, Vogel U. Fusion of cultured dog kidney (MDCK) cells. II: Relationship between cell pH and K+ conductance in response to aldosterone. J Membr Biol. 1989; 111: 49 – 56 17 Silva AJ, Paylor R, Wehner JM, Tonegawa S. Impaired spatial learning in α-calcium-calmodulin kinase II mutant mice. Science. 1992; 257: 207 – 211 18 Starling EH, Verney EB. The secretion of urine as studied on the isolated kidney. Proc Roy Soc Lond. 1925; Ser. B 97: 321 – 363 19 Verney EB. The secretion of pituitrin in mammals, as shown by perfusion of the isolated kidney of the dog. Proc Roy Soc Lond. 1926; Ser. B 99: 487 – 517 20 Verney EB, Starling EH. On secretion by the isolated kidney. J Physiol (Lond.) 1922; 56: 353 – 358 21 Wagner R. Probleme und Beispiele biologischer Regelung. Stuttgart: Thieme; 1954 22 Wagner J, Zeh K, Paul M. Transgenic rats in hypertension research. J Hypertens. 1992; 10: 601 – 605
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Die Zelle als Grundbaustein C. Korbmacher und R. Greger mit Beiträgen von B. Brenner und S. Silbernagl
2.1
Die zelluläre und molekulare Physiologie hilft Krankheitsmechanismen zu verstehen ··· 14
2.2
Subzelluläre Komponenten · · · 15 Die Plasmamembran trennt den Extrazellulär- vom Intrazellulärraum ··· 15 Das Zytoskelett ist entscheidend für die Organisation der Zellstruktur und für den intrazellulären Transport ··· 16 Der Zellkern speichert, verarbeitet und repliziert die genetische Information der Zelle ··· 17 Proteinsynthese findet an Ribosomen statt ··· 18 Das endoplasmatische Retikulum ist wesentlich für die Synthese von Membranproteinen, sekretorischen Proteinen und Lipiden · ·· 19 Im Golgi-Apparat werden Proteine modifiziert und gelangen von dort aus durch vesikulären Transport an ihren Bestimmungsort ··· 19 Lysosomen und Peroxisomen sind Abbaustationen · · · 20 Mitochondrien produzieren ATP mit Hilfe eines Protonengradienten · · · 20
2.3
2.4
2.5
Homöostatische Mechanismen · · · 34 Mechanismen der Zellvolumenregulation wirken Zellschrumpfung oder -schwellung entgegen ··· 34 Die Homöostase der Ionenkonzentrationen im Zytosol erfordert eine feine Abstimmung der Ionentransportmechanismen ··· 34 Der pH-Wert im Zytosol wird in engen Grenzen reguliert · · · 35
2.6
Hormone und Mechanismen der Signaltransduktion ··· 35 Steroidhormone, Calcitriol und Schilddrüsenhormone regulieren die Transkription ··· 36 Die hormonabhängige cAMP-Kaskade ··· 36 Die hormonabhängige IP3-Kaskade ··· 38 Enzymgekoppelte Hormonrezeptoren ··· 39 Wachstumsfaktoren · · · 40 Calcium als Botenstoff · · · 40 Stickstoffmonoxid (NO), ein besonderer Botenstoff · · · 40
2.7
Zelluläre Motilität · · · 41 Wechselwirkungen zwischen Motorproteinen und Zytoskelettstrukturen sind Grundlage zellulärer Motilität · ·· 41 Motorproteine nutzen die chemische Energie der ATP-Hydrolyse, um sich an Zytoskelettstrukturen entlang zu bewegen ··· 42 Motorproteine vermitteln den intrazellulären Transport und sind an Stoffaufnahme (Endozytose) und Stoffabgabe (Exozytose) beteiligt ··· 42 Motorproteine sind an der Dynamik der Zellstruktur beteiligt ··· 44 Motorproteine sind auch an Kriechbewegungen von Zellen beteiligt ··· 44 Motorproteine sind an zwei spezialisierten motilen Strukturen beteiligt, dem Sarkomer und dem Axonem · ·· 44
2.8
Altern und Zelltod · ·· 45 Altern und Langlebigkeit · ·· 45 Maximale Lebensspanne · ·· 46 Zelltod: Nekrose und Apoptose ··· 48
Transportwege durch die Zellmembran
· · · 21 Der Transport von Gasen (z. B. CO2, O2) und lipophilen Substanzen durch die Zellmembran erfolgt durch Diffusion · ·· 21 Nicht lipidlösliche Substanzen gelangen mit Hilfe spezifischer Membrantransportproteine durch die Membran · · · 22 Wasserkanäle (Aquaporine) ermöglichen den polaren Wassermolekülen den Durchtritt durch die Plasmamembran · ·· 22 Ionenkanäle sind selektive und komplex regulierte Poren für den Membrandurchtritt von Ionen ··· 22 Die elektrochemische Triebkraft bestimmt den passiven Transport von Ionen durch die Plasmamembran · · · 24 Der Stromfluss durch einzelne Ionenkanäle kann mit Hilfe der Patch-Clamp-Technik direkt gemessen werden · ·· 26 Carrier binden Substrate und befördern sie durch die Plasmamembran · ·· 28 Ionenpumpen transportieren „primär-aktiv“ unter Verbrauch von ATP ··· 30
Ionale Zusammensetzung von Intra- und Extrazellulärflüssigkeit
··· 32 Zwischen Extra- und Intrazellulärflüssigkeit bestehen Ionengradienten insbesondere für Na+ und K+ · ·· 32 Die zentrale Rolle der Na+-K+-ATPase ··· 32
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2 Die Zelle als Grundbaustein
2.1
Die zelluläre und molekulare Physiologie hilft Krankheitsmechanismen zu verstehen
sche zelluläre Grundmechanismen in einer Vielzahl von Organen betroffen sind. Ein Paradebeispiel für eine solche Erkrankung ist die Mukoviszidose (Zystische Fibrose), bei der es durch einen erblichen Defekt eines einzigen Membrantransportproteins, des Chloridkanals CFTR (cystic fibrosis transmembrane conductance regulator), zu krankhaften Veränderungen in so unterschiedlichen Organen wie Lunge, Bauchspeicheldrüse, Dickdarm, Nebenhoden und Schweißdrüsen kommt (S. 258, 441). Auch ein Verständnis der Wirkungen und Nebenwirkungen von Medikamenten ist nur möglich, wenn man deren zelluläre und molekulare Angriffspunkte kennt. Gerade die Ähnlichkeit der zellulären Grundmechanismen ist dabei eine ernorme Herausforderung für eine gezielte medikamentöse Therapie, bei der ein bestimmtes Medikament möglichst spezifisch nur auf ein Organsystem und dessen Zellen wirken soll. Daher muss der Arzt auch die gewebespezifischen Ausprägungen und Nuancen der zellulären und molekularen Grundelemente verstehen, um durch die Wahl des richtigen Medikaments möglichst gezielt, beispielsweise in einen Signaltransduktionsweg, eingreifen zu können. Dies ist unter anderem dadurch möglich, dass ein und derselbe Signaltransduktionsweg durch die Aktivierung unterschiedlicher Rezeptoren beeinflusst werden kann, wobei diese Rezeptoren mehr oder weniger organspezifische Verteilungsmuster zeigen
Den Funktionen des Körpers liegt das Zusammenspiel komplex organisierter Zellverbände zu Grunde, wobei die Zellen die Grundbausteine darstellen, die die funktionellen Elementarleistungen erbringen. Unser Wissen über die zellulären und molekularen Mechanismen in den einzelnen Organen und Organsystemen schreitet rasch voran (1, 3, 4, 8,11). Dabei zeigt sich, dass bestimmte zelluläre Grundprozesse in allen Organsystemen nach ganz ähnlichen Prinzipien ablaufen bei nach außen hin gänzlich unterschiedlichen Organfunktionen. So werden in allen Zellen des Körpers ähnliche oder gar identische Struktur- und Funktionselemente verwendet, wobei die individuelle Zusammensetzung der verschiedenen Bauelemente letztlich die zell- und organspezifische Funktion bestimmt. Beispiele hierfür sind Membrantransportproteine oder Signaltransduktionsmechanismen, die baugleich oder mit nur kleinen Variationen in den unterschiedlichsten Organen vorkommen. Diese Erkenntnis hat wesentlich zur Entwicklung eines organübergreifenden zellulären und molekularen Krankheitsverständnisses beigetragen. So sind viele Erkrankungen mit Manifestationen in verschiedenen Organsystemen nur dadurch zu verstehen, dass identi-
Lumen
Bürstensaum
Schlussleiste
Adhäsionsgürtel
Lysosomen raues endoplasmatisches Retikulum
Zytoplasma
Desmosom
Zellkern mit Chromatin
Zytoskelett
glattes endoplasmatisches Retikulum 1µm
Golgi-Apparat
Kernpore
Blutseite Basalmembran basolaterale Einfaltung
Hemidesmosom
Abb. 2.1 Schematische und elektronenmikroskopische Darstellung einer Epithelzelle. Mikrovilli, die dem Lumen zugewandt sind, dienen der Oberflächenvergrößerung der Zellmembran ebenso wie die basolateralen Einfaltungen auf der Blutseite der Zelle. Die einzelnen Zellen werden über die Schlussleisten (Tight Junction oder Zonula occludens, s. auch Abb. 3.2), den darunter liegenden Adhäsionsgürtel (Zonula adherens) und über punktförmige Desmosomen zusammen-
Mitochondrium Mikrotubuli
Gap Junction
gehalten. Der Zellkern ist von einer Doppelmembran (Kernhülle) umgeben, die Kernporen ausspart (s. auch Abb. 2.3). Diese Kernhülle geht in das endoplasmatische Retikulum über (s. auch Abb. 2.5). Weitere Organellen sind die ebenfalls von einer Doppelmembran abgegrenzten Mitochondrien (s. auch Abb. 2.6) sowie der Golgi-Apparat, Lysosomen (s. auch Abb. 2.5), Mikrotubuli und andere Komponenten des Zytoskeletts (Foto: W. Pfaller).
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2.2 Subzelluläre Komponenten können. Wirkt ein Medikament also bevorzugt auf einen organspezifischen Rezeptor, wird der Signaltransduktionsweg überwiegend in dem entsprechenden Organ beeinflusst werden mit nur geringen Nebenwirkungen auf andere Organsysteme. In den folgenden Abschnitten dieses Kapitels werden einige grundlegende Zellfunktionen und deren molekulare Bauelemente kurz erläutert, wobei das Hauptgewicht der Darstellung auf Membrantransportprozessen und Signaltransduktionswegen liegt, da diese für das Verständnis komplexer physiologischer Organfunktionen und deren Pathophysiologie von herausragender Bedeutung sind.
2.2
Subzelluläre Komponenten
Eine Zelle mit ihren einzelnen Komponenten und Organellen ist in Abb. 2.1 schematisch dargestellt. Die Plasmamembran trennt das Zytosol vom Extrazellulärraum. Sie regelt die Kommunikation zwischen diesen beiden Kompartimenten. Das Zytoskelett (Filamente und Mikrotubuli) durchspannt die Zelle; es ist für die Zellbewegung verantwortlich, steuert intrazelluläre Transportprozesse, sorgt für den Zusammenhalt von Zellverbänden und bestimmt den orientierten Einbau von Membranproteinen. Im Zellkern ist die genetische Information enthalten, die die Proteinsynthese der Zellen steuert. Diese findet an den Ribosomen des rauen endoplasmatischen Retikulums statt. Der Golgi-Apparat ist eine wichtige Station für die Modifizierung und Reifung der Proteine als Voraussetzung für deren gezielten Einbau in subzelluläre Kompartimente oder in Sekretionsvesikel. Lysosomen und Peroxisomen sind intrazelluläre Membranvesikel, die Hydrolasen und Katalasen enthalten. Sie dienen dem enzymatischen Abbau der in die Vesikel aufgenommenen Substanzen. Mitochondrien enthalten die Enzyme der Atmungskette. Hier wird aus den reduzierten Äquivalenten NADH + H+ und FADH2 ein chemischer und elektrischer Gradient für Protonen aufgebaut, der dann vermittels der mitochondrialen ATP-Synthetase zur ATP-Produktion dient.
Die Plasmamembran trennt den Extrazellulär- vom Intrazellulärraum Die Plasmamembran umgibt das Zytosol (auch Zytoplasma genannt) und trennt damit den Extra- vom Intrazellulärraum. Der Aufbau der Membran (Abb. 2.2) spiegelt ihre zwei gegensätzlichen Funktionen wider. Zum einen trennt die Zellmembran wässrige Lösungen ganz unterschiedlicher Zusammensetzung (S. 32, Tab. 2.1), zum anderen bestimmt die Membran das Ausmaß der Kommunikation zwischen den Kompartimenten. Die Membran besteht aus einer Doppelschicht von Lipiden (z. B. Phosphatidylcholin), wobei sich in der Membranmitte die apolaren (hydrophoben) Kohlenwasserstoffketten der Fettsäurereste gegenüberstehen und die polaren (hydrophilen) Kopfgruppen in die wässrigen Lösungen ragen. Durch die Hydrophobizität der Membran wird diese zu einer kaum überwindbaren Barriere für
Tabelle 2.1 Ionenkonzentrationen im Intra- und Extrazellulärraum (Zytosol bzw. Interstitium) (mmol/l H2O) Zytosol Na+
8 – 30
Interstitium 145
K+
100 – 155
Ca2+
< 0,001*
1,25*
Mg2+
≈ 0,8*
0,7*
Cl– HCO3– große Anionen
4 – 30
4,4
117
8 – 15 100 – 150**
27 –
Die Messwerte im Extrazellulärraum werden meist mit chemischen Methoden gewonnen. Hierdurch bestimmt man die Konzentration (c). Die intrazellulären Messungen mit Mikroelektroden erfassen dagegen die Konzentration der freien, ionisierten Teilchen, also die Ionenaktivität (a). Aus Gründen der Vereinfachung sind in der Tabelle nur Konzentrationswerte angegeben (Umrechnung S. 865). Für den Intrazellulärraum sind Bereiche anstelle von Mittelwerten angegeben, weil zum einen die Messungen noch eine gewisse Streuung aufweisen und weil zum anderen die Werte von Zellart zu Zellart erhebliche Unterschiede ergeben. So ist z. B. die Cl–-Konzentration in den meisten Nervenzellen und in quergestreiften Muskelzellen sehr niedrig, in vielen Epithelien dagegen deutlich höher. Große Anionen sind vorwiegend Proteine und organische Phosphate. Im Extrazellulärraum kommen nur sehr geringe Konzentrationen von großen Anionen vor. * ionisierter Anteil ** Ladungsäquivalent-Konzentration
Ionen, Wasser und hydrophile Moleküle. Neben Lipiden enthält die Membran Proteine und in geringem Umfang auch Kohlenhydrate. Die Proteine können an die hydrophilen Kopfgruppen der Lipide angelagert sein, oder sie können sich als integrale Proteine durch die ganze Membran spannen. Solche Transmembranproteine dienen zum Beispiel als Transportproteine und sorgen damit für die geordnete Kommunikation zwischen Extra- und Intrazellulärraum. In die Gruppe der Transportproteine gehören Ionenkanäle, Carrierproteine und Pumpen (ATPasen). In anderer Weise dienen so genannte Rezeptorproteine der Kommunikation, indem sie bestimmte Stoffe (z. B. Hormone) erkennen und dieses Signal in entsprechende intrazelluläre Botensubstanzen umsetzen (S. 35 ff.). Auch die so genannten Adhäsionsmoleküle (S. 179) gehören zur Gruppe der Transmembranproteine. So vermitteln Integrine den Kontakt der Zellen mit der extrazellulären Matrix. Daneben gibt es verschiedene Familien von Zell-Zell-Adhäsionsmolekülen, beispielsweise die Familie der Cadherine, die einen Ca2+-abhängigen Zell-Zell-Kontakt vermitteln. Adhäsionsmoleküle spielen bei so unterschiedlichen Prozessen wie der gezielten Migration von Immunzellen und dem zielgerichteten Auswachsen eines Axons im sich entwickelnden Zentralnervensystem eine wesentliche Rolle. Die physiologische Bedeutung dieser Moleküle kann auch daran abgelesen werden, dass ein Verlust von Zell-Zell- und Zell-Matrix-Adhäsionsmolekülen ein charakteristisches Merkmal metastasierender Tumorzellen ist. Ähnlich wie das Zytosol von der Plasmamembran umgeben ist, sind auch die intrazellulären Organellen von Membranen umhüllt. Auch sie bestehen aus Lipiddoppelschichten und verfügen über an- und eingelagerte
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2 Die Zelle als Grundbaustein
Extrazellulärraum
Glykosylierung
ca. 5 nm
Phospholipidkopfgruppe Fettsäurereste hydrophobe Schicht integrales Membranprotein peripheres Membranprotein
Zytoplasma
A schematischer Aufbau der Plasmamembran
B rasterkraftmikroskopische Aufnahme der Plasmamembranoberfläche
Abb. 2.2 Plasmamembran. A Schematischer Aufbau: Die Phospholipid-Doppelschicht ist so orientiert, dass sich die apolaren (hydrophoben) Fettsäurereste gegenüberstehen. Die polaren (hydrophilen) Kopfgruppen stehen in Kontakt mit der Innen- (Zytosol) bzw. Außenlösung. In die Membran sind Proteine eingelagert. Diese Proteine können auf jeweils nur einer Membranseite lokalisiert sein, oder sie können die ganze Membran durchspannen. Im letzteren Falle bezeichnet man sie als integrale Membranproteine oder Transmembranproteine. Transportproteine sind generell Transmembranpro-
Proteine. An einigen der Organellen ist die Membran doppelt gefaltet. So hat der Zellkern eine äußere und eine innere Membran (Abb. 2.3). Ähnlich verfügen die Mitochondrien über eine Außen- und eine Innenmembran (Abb. 2.6, S. 20). Die Organellenmembranen sind je nach Organelle mit ganz unterschiedlichen Proteinen ausgestattet (s. unten). Auch die Zusammensetzung der Lösung im eingeschlossenen Kompartiment kann stark von der des Zytosols abweichen.
Das Zytoskelett ist entscheidend für die Organisation der Zellstruktur und für den intrazellulären Transport Das Zytoskelett (Abb. 2.1, S. 14) dient je nach Zelltyp ganz unterschiedlichen Funktionen. Es kann, wie das Wort impliziert, in Form feiner Proteinfäden und -schläuche – Mikrofilamente, Mikrotubuli – die Zelle durchspannen und damit die Zellgestalt stabilisieren und beispielsweise zur Ausformung von Zilien und Mikrovilli beitragen. Zytoskelettfäden können auch die Membran auf der Innenseite verspannen und in Wechselbeziehung mit
5 nm
teine. Dort, wo Proteine von den Membranlipiden umgeben sind, weisen sie apolare Peptidketten (hydrophobe Aminosäuren) auf. Sowohl Proteine als auch die Lipidkopfgruppen können Kohlenhydratkomponenten enthalten. Die Lipidzusammensetzung ist für die Plasmamembranen verschiedener Zelltypen unterschiedlich. B Rasterkraftmikroskopische Aufnahme (Atomic force microscopy; 29) der Plasmamembran einer Eizelle des Krallenfrosches (Xenopus laevis). Die Membranproteine ragen 2 – 5 nm aus dem Lipid heraus (Foto: H. Oberleithner).
Membranproteinen treten (z. B. Ankyrin und Bande-3Protein bei Erythrozyten, Abb. 9.4, S. 230). Die funktionelle Bedeutung des Zytoskeletts reicht aber weit über das hinaus, was das Wort „Skelett“ impliziert. In Zellverbänden stellen besondere Zytoskelettelemente (Tonofilamente) Zellverbindungen (Desmosomen) her. Das Zytoskelett ist für Bewegungen der gesamten Zelle ebenso verantwortlich (s. auch die spezifische Funktion der Aktin-Myosin-Interaktion am Muskel), wie es intrazelluläre Transportprozesse steuert (Mikrotubuli) beispielsweise im Rahmen des axoplasmatischen Transports (S. 41 ff., 614). Ein weiteres Beispiel für gerichteten intrazellulären Transport, an dem Zytoskelettelemente maßgeblich beteiligt sind, ist der gezielte Einbau von Membranvesikeln in die Plasmamembran von Epithelzellen auf der „richtigen“ Membranseite (59). Eine Zerstörung des Zytoskeletts unterbricht daher auch den Transport dieser Vesikel.
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2.2 Subzelluläre Komponenten
Zytosol
aktiver Rezeptor inaktiver Rezeptor
Transkriptionsfaktor 160 nm
Tight Junction (Schlussleiste)
Steroidhormon Kernporen
0
RNA
Splicing
0,5 1,0 µm A AA
AA
AA
DNA
A
B Kernporen des Krallenfrosches (rasterkraftmikroskopische Aufnahme)
Zellkern
A Proteinbildung
Abb. 2.3 Kernporen als Durchlass zwischen Zytosol und Zellkern. A Epithelzelle mit Zellkern. Das Steroidhormon (rot) bindet an den inaktiven Rezeptor. Dieser besteht aus zwei Teilen, dem eigentlichen Rezeptor (blau) und der Kernlokalisationssequenz (gelb). Nach Bindung des Hormons gelangt der Komplex an die Kernpore, wird dort „überprüft“ und durch die Pore hindurchgelassen. Im Zellkern bindet der Komplex an entsprechende DNA-Sequenzen. Im Zusammenspiel mit Transkriptionsfaktoren (rosa), die ebenfalls die Kernlokalisationssequenz besitzen, werden die entsprechenden Messenger-RNAs transkribiert und weiter bearbeitet (Splicing = Herausschneiden nicht kodierender RNA-Bruch-
Der Zellkern speichert, verarbeitet und repliziert die genetische Information der Zelle Der Zellkern ist vom Zytoplasma durch eine Doppelmembran abgetrennt (Abb. 2.3 und Abb. 2.4). Er enthält in Chromosomen die genetische Information als Desoxyribonucleinsäuren (DNA). Diese Information ist mit ca. 3 · 109 Nucleotiden pro Zellkern unglaublich dicht gepackt. Man kann die DNA als eine Art Datenbank auffassen, die bei einer Zellteilung durch exakte Replikation an beide Tochterzellen weitergegeben wird. Von der DNA wird die jeweils erforderliche genetische Information abgelesen, die zur Herstellung entsprechender Genprodukte (Proteine) erforderlich ist. Dabei kommt der Regulation der Genexpression eine entscheidende Bedeutung zu für eine den jeweiligen Anforderungen angepasste Ausprägung von Zelleigenschaften und -funktionen. Das menschliche Genom enthält schätzungsweise 25 000 Gene, wobei in einer individuellen Zelle nur jeweils eine spezielle Auswahl – etwa 10 000 – dieser Gene in Proteine übersetzt wird. So enthalten beispielsweise alle Körperzellen das Gen für Albumin, aber nur Leberzellen (Hepatozyten) können Albumin synthetisieren und in die Blutbahn sezernieren. Diese gewebe- und zellspezifische Genexpression ist ein komplex regulierter Vorgang der
siehe Abb. 2.4
stücke). Die mit Polyadenin (…AAA) versehenen mRNASchwänze erlauben das Passieren der Kernporen in umgekehrter Richtung. Mit Hilfe von Ribosomen werden die Messenger-RNAs im Zytosol in Proteine umgeschrieben (s. Abschnitt Proteinsynthese) B Rasterkraftmikroskopische Aufnahme (Atomic force microscopy; 29) von Poren in der Kernhülle der Eizelle des Krallenfrosches (Xenopus laevis). Die Abbildung zeigt den dichten Besatz mit Kernporen, die mit ihrer Öffnung ins Zytosol ragen. Jede Kernpore ist ein Komplex aus mehr als hundert Proteinen, der einen zentralen Kanal bildet (43) (Foto: H. Oberleithner).
durch körpereigene Mechanismen aber auch durch äußere Faktoren beeinflusst wird. Die DNA erhält durch Interaktion mit bestimmten Kernproteinen eine hoch verdichtete räumliche Struktur, die Chromatin genannt wird. Die aneinander gereihten Grundbausteine des Chromatins sind die Nucleosomen bestehend aus etwa 200 Basenpaaren DNA und einem Proteinkern aus Histonen. Eine Aktivierung der Genexpression setzt eine Veränderung der Chromatinstruktur voraus, so dass Bereiche der DNA für die Genkontrollmechanismen frei zugänglich werden. Die Synthese von Proteinen (Abb. 2.4) beginnt damit, dass bestimmte Abschnitte der DNA durch RNA-Polymerase II zu Ribonucleinsäure (RNA) umgeschrieben werden (Transkription). Hier kann die erste Stufe der Kontrolle der Genexpression eingreifen. Dabei spielen regulatorische Bereiche der DNA eine wesentliche Rolle. So ist jedem Genabschnitt auf der DNA ein Promotor als regulatorisches Element vorgeschaltet, der für die Initiierung der Transkription erforderlich ist. Durch einen Vorgang, der alternatives Splicing genannt wird, können aus einem Gen verschiedene eng verwandte mRNAs entstehen, wodurch sich die Anzahl der möglichen Genprodukte erhöht. An der komplexen Steuerung der Genexpression sind eine Vielzahl von Transkriptionsfaktoren beteiligt. In einer
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2 Die Zelle als Grundbaustein
Zellkern
DNA
Transkription Modifikation (Splicing, Exportsignal) Inaktivierung 5Ende
mRNA Ribosom
Translation
mRNA
Ribosom
3Ende
Start wachsendes Protein
Modifikation Protein
verschiedene Zellantworten (je nach Ziel adressiert)
raues endoplasmatisches Retikulum Zytoplasma Golgi-Apparat
Modifikation
(z.B. Glykosylierung) Sekretvesikel
Exozytose
Plasmamembran
Abb. 2.4 Vereinfachte schematische Darstellung der Proteinsynthese. Im Zellkern wird DNA durch RNA-Polymerase II in Messenger-RNA (mRNA) umgeschrieben (Transkription) und modifiziert. Die mRNA verlässt den Zellkern durch die Kernporen. Ein Teil wird inaktiviert. Der andere Teil wird in den Ribosomen in eine Proteinsequenz übersetzt (Translation). Die Translation beginnt mit dem Aminoende (5'), und an das Carboxylatende (3') wird jeweils eine weitere Aminosäure angeknüpft. Anschließend wird das synthetisierte Protein modifiziert, je nach Ziel adressiert oder nach Modifikation im Golgi-Apparat zum „Export“ durch Exozytose vorbereitet.
weiteren Stufe der Kontrolle wird die Weiterverarbeitung der RNA und ihre Vorbereitung zum Export aus dem Zellkern als Messenger-RNA (mRNA) geregelt. Auf der Ebene der Ribosomen wird dann „entschieden“, welche Teile der mRNA in Proteine „übersetzt“ werden (Translation) und welche in inaktive mRNA umgebaut werden. Prinzipiell findet also die Kontrolle auf mindestens drei Ebenen statt, von denen vermutlich der ersten Ebene, d. h. der Kontrolle der Transkription z. B. durch Hormone (s. u.), die größte Bedeutung zukommt.
Kernporen bilden einen Kommunikationsweg zwischen Zytosol und Zellkern Die Kernhülle, die aus zwei Doppelschichtmembranen besteht (Abb. 2.1, S. 14 und Abb. 2.3, S. 17), ist mit Tausenden von relativ großen Kernporen ausgestattet, die aus einem Proteinkomplex von mehr als 30 Proteinen beste-
hen und einen Durchmesser von etwa 100 nm haben (43; Abb. 2.3). Im Bereich der Kernporen sind die innere und äußere Kernmembran eng miteinander verbunden. Der Proteinkomplex durchspannt beide Membranen, so dass die Poren den Kommunikationsweg zwischen Zytosol und Kerninnerem herstellen. Der Eingang einer Pore besteht wie der Ausgang aus 8 Einzelbausteinen, die kreisförmig angeordnet sind (Abb. 2.3 B). Der eigentliche Tunnel wird von einer Vielzahl von Proteinen gebildet. Die Kernporen kontrollieren den bidirektionalen Transport. Zum einen können Proteine aus dem Zytosol in den Zellkern gelangen, wenn sie eine entsprechende Kernlokalisationssequenz aufweisen. Diese Sequenz besteht aus einem Schwanz von 7 basischen Aminosäuren. In Abb. 2.3 A ist der Vorgang des Imports in den Zellkern am Beispiel des Steroidhormonrezeptors wiedergegeben. Nach Bindung des Hormons gelangt der Hormon-Rezeptor-Komplex in den Kern, kann sich dort an spezifische DNA-Sequenzen binden und unter Zuhilfenahme einiger anderer Proteine (Transkriptionsfaktoren) die Transkription der Zielgene steuern. Zum anderen werden durch die Kernporen Messenger-RNAs exportiert. Nach Transkription und Splicing (Herausschneiden nicht kodierender Sequenzen) werden bis zu 200 Adeninbausteine an die Messenger-RNAs angefügt. Dieser Poly-A(denin)Schwanz der Messenger-RNA stellt das Exportsignal dar. Schließlich können auch Ionen die Kernporen in beide Richtungen passieren. Sie scheinen dabei nicht den Haupttunnel durch die Pore, sondern parallele Seitenwege zu benutzen.
Proteinsynthese findet an Ribosomen statt Die Proteinsynthese findet an den Ribosomen statt (Abb. 2.4). Sie beginnt an einer bestimmten Startstelle der mRNA, dem so genannten Startkodon, mit einer Start-Transfer-RNA (tRNA). Ein Kodon entspricht einem Basentriplett, d. h. drei aufeinander folgenden Basen, der mRNA. Da es vier verschiedene Basen gibt, existieren 43 = 64 mögliche Kodons. Für 20 verschiedene Aminosäuren steht also eine redundante Anzahl von Codes zur Verfügung. Jede tRNA enthält unter anderem drei Basen, die das so genannte Antikodon bilden, und transportiert eine entsprechende Aminosäure. Das zu synthetisierende Peptid wächst in festgelegter Richtung weiter, indem immer an das Carboxylatende eine weitere Aminosäure angekoppelt wird. Der Prozess hört an einem von drei möglichen Stoppkodons auf. Nach der ribosomalen Synthese werden Proteine häufig noch modifiziert. Diese posttranslationale Modifikation kann z. B. darin bestehen, dass unter Verwendung von Koenzymen Aminogruppen azetyliert oder karboxyliert werden. Die Modifikation des synthetisierten Proteins kann der Vorbereitung des „Exports“ aus dem Zytosol oder der Sicherstellung einer ganz bestimmten Proteinfunktion dienen. Hierzu ist z. B. auch die Glykosylierung von Proteinen zu rechnen. Für ihre Funktion müssen Proteine die entsprechende komplexe Faltstruktur (die Tertiärstruktur) aufweisen. Für diese „Faltung“ sorgen sog. Hitzeschockproteine, die ihre Bezeichnung ihrer Fähigkeit verdanken, durch Hitze verformte Proteine wieder zurückzufalten. Hitze ist aber
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2.2 Subzelluläre Komponenten nur eine von vielen möglichen Ursachen für Missfaltungen. Die Hitzeschockproteine (HSP) gehören zur Familie der Chaperone („Anstandsdamen“), die eine Vielzahl von Aufgaben haben und insbesondere unerwünschte Interaktionen von sich faltenden Polypeptiden sowie deren Aggregation verhindern (67). Bei der Zellteilung wird jeweils das komplette genetische Material des Zellkerns repliziert, wobei der komplexe Mechanismus der Replikation sicherstellt, dass Lesefehler erkannt und repariert werden. Auch spontan im genetischen Code auftretende Defekte werden laufend repariert, so dass die im Kern enthaltene Information außerordentlich gut konserviert bleibt.
Das endoplasmatische Retikulum ist wesentlich für die Synthese von Membranproteinen, sekretorischen Proteinen und Lipiden Das endoplasmatische Retikulum (ER) (Abb. 2.1, Abb. 2.4, Abb. 2.5) wird mit Ribosomenbesatz raues ER und ohne solchen glattes ER genannt. Das ER steht mit der Kernhülle in enger Verbindung, wobei die äußere Kernmembran in die Membran des ER übergeht und somit das Lumen des ER mit dem Spalt zwischen den beiden Kernmembranen kommuniziert. Das ER ist mit seinem ribosomalen Besatz Teil der Maschinerie der Proteinsynthese, wobei an den Ribosomen des rauen ER die Synthese von Membranproteinen und von sekretorischen Proteinen stattfindet (S. 413), während zytosolische Proteine an freien Ribosomen im Zytoplasma produziert werden. Darüber hinaus werden die Proteine im ER modifiziert und damit ihre Bestimmung und ihr Bestimmungsort festgelegt. Zellen mit sekretorischer oder exkretorischer Funktion sind besonders reich an rauem ER. In diesen Zellen werden Teile des ER als Vesikel an den Golgi-Apparat abgegeben und stehen dort nach Modifikation wiederum als Vesikel für den „Export“ bereit (Abb. 2.5 und S. 413). Dieser so genannte „secretory pathway“ (51), dem die sekretorischen Proteine und auch die Membranproteine folgen, ist ein komplex regulierter Prozess mit verschiedenen Zwischenschritten, in deren Rahmen die posttranslationale Modifikation der Proteine erfolgt. Das glatte ER ist an der Lipidsynthese beteiligt.
Im Golgi-Apparat werden Proteine modifiziert und gelangen von dort aus durch vesikulären Transport an ihren Bestimmungsort Der Golgi-Apparat (Abb. 2.1, Abb. 2.4, Abb. 2.5) ist ein Membransystem, das sich in Lamellen in der Nähe des Zellkerns und des ERs gruppiert. Dieses Membransystem stellt eine wichtige weitere Station für den Export von Proteinen dar. So werden hier z. B. Proteine glykosyliert und Sekretvesikel vorbereitet. Diese Vesikel (Abb. 2.5) können dann als Folge eines entsprechenden Stimulus (z. B. cholinerge Stimulation der exkretorischen PankreasAzinuszellen) mit der Plasmamembran fusionieren und ihren Inhalt nach außen entleeren (S. 413). Die entleerten Membranen werden anschließend wieder internalisiert, um erneut für den vesikulären Transport verwendet zu werden. Vesikulärer Transport dient also der Exkretion.
Material Lumen Endozytose Rezeptorrezirkulation
Endosomen
Exozytose
Abbau des Materials
Fusion
sekundäre Lysosomen primäre Lysosomen Sekretvesikel
Zytosol
GolgiApparat
raues endoplasmatisches Retikulum
Zellkern
Abb. 2.5 Vesikeltransport am Beispiel einer Epithelzelle. Bei der Endozytose wird das Material häufig an mit besonderen Rezeptoren versehenen Plasmamembranarealen in die Zelle aufgenommen. Nach Bildung von (primären und sekundären) Endosomen, Rezeptorrezirkulation und Fusion mit primären Lysosomen entstehen sekundäre Lysosomen. Dort kommt es zum Abbau des aufgenommenen Materials. Auch abgestorbene Zellorganellen (z. B. Mitochondrien) werden lysosomal abgebaut. Die Membran der Endosomen mit den entsprechenden Rezeptoren rezirkuliert zur Plasmamembran und wird in diese wieder integriert. Bei der Exozytose von Sekretvesikeln werden die Vesikel aus dem Golgi-Apparat geliefert und fusionieren mit der Plasmamembran, um den Vesikelinhalt abzugeben.
Vesikulärer Transport in der Gegenrichtung schließt sich an die Endozytose, d. h. die Aufnahme extrazellulären Materials (Phagozytose, Pinozytose), an. Beide Prozesse müssen gezielt ablaufen, also an der „richtigen“ Membran und in der vorgesehenen Richtung, wobei das aufgenommene bzw. exportierte Material korrekt erkannt werden muss. Für die Bildung von endozytotischen Vesikeln spielt das Protein Clathrin eine wichtige Rolle. Die endozytotischen Vesikel durchlaufen mehrere Stadien (frühe, dann späte Endosomen) und rezirkulieren teilweise zur Plasmamembran oder fusionieren schließlich mit Lysosomen (Abb. 2.5). Bei der Fusion der aus dem Golgi-Apparat stammenden Membranvesikel mit der Plasmamembran kommt es zum gezielten Einbau der in der Vesikelmembran befindlichen Membranproteine in die Plasmamembran. Ebenso spielt der regulierte Ausbau von Membranproteinen aus der Plasmamembran durch Endozytose eine wichtige Rolle, beispielsweise im Rahmen der Rezeptorendozytose bei Desensitivierungsreaktionen. Ein anderes Beispiel ist die gezielte Anpassung der Transportleistung in Epithelien durch eine Regulation der Anzahl der aktiven Transportproteine in der Zellmembran. Im „steady state“ stehen Ein- und Ausbau der Membranproteine in einem
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2 Die Zelle als Grundbaustein 2+
Ca
4 +
+
3
+
H H H
ADP
2+
Ca
ATP Pyruvat
Phosphat
Ca -Speicher
NADH
Atmungskette +
ADP
+
NAD
+
[H ]
1
2+
+
H H H
+
+ +
[H ]
ATP
ADP
äußere Membran Spalt innere Membran Matrix
+
+
[H ]
[H+]
ATP ATPSynthetase
Abb. 2.6 Mitochondrienfunktion. Das Mitochondrium besitzt eine Außen- und eine Innenmembran. Durch die mitochondrialen Enzyme des Zitratzyklus und des Fettsäureabbaus werden in der Matrix reduzierte Äquivalente NADH + H+ und FADH2 (1) gebildet. Aus den reduzierten Äquivalenten werden über die Atmungskette (1) Protonen durch die innere Mitochondrienmembran in den mitochondrialen Spalt transportiert. Der so aufgebaute chemische Protonengradient, der vom Spalt in die Matrix gerichtet ist und das gleichzeitig erzeugte transmembranale elektrische Potenzial,
dynamischen Gleichgewicht. Um die Expressionsdichte in der Plasmamembran dem jeweiligen Bedarf anzupassen, kann sowohl die Insertionsrate der Transportproteine als auch deren Endozytoserate modifiziert werden. So bewirkt beispielsweise in der Niere das Hormon Adiuretin (ADH) die Insertion bestimmter Wasserkanäle (Aquaporin 2) in die apikale Zellmembran der Hauptzellen des Sammelrohrs (s. u.; S. 390, Abb. 13.14), während das Hormon Parathyrin (PTH) die Internalisierung und den anschließenden lysosomalen Abbau eines Phosphattransporters (NaPi-3) im proximalen Tubulus stimuliert (S. 362, Abb. 12.37). Über diese Mechanismen fördert ADH die renale Wasserresorption, während PTH die Resorption von Phosphat hemmt, das dadurch vermehrt ausgeschieden wird.
Lysosomen und Peroxisomen sind Abbaustationen In den Lysosomen und Peroxisomen (Abb. 2.1, Abb. 2.5) wird das endozytotisch aufgenommene Material abgebaut. Die Lysosomen sind eine Art Verdauungsapparat der Zellen und enthalten hierzu unter anderem Hydrolasen und Protonenpumpen, die das saure pH-Optimum für die Hydrolasen herstellen. Die Hydrolasen stammen aus dem endoplasmatischen Retikulum und werden über den Golgi-Apparat an die Lysosomen exportiert. Die Peroxisomen verwenden molekularen Sauerstoff und oxidieren die Substrate, insbesondere Fettsäuren, unter Bildung von Peroxiden. Das Peroxid wird vermittels des in diesen Organellen vorkommenden Enzyms Katalase zu H2O entgiftet. Ein weiterer Abbauweg, insbesondere für zytoplasmatische Proteine, ist die Degradation in so genannten Proteasomen. Diese stellen große zytoplasmatische
2
treiben H+-Ionen via ATP-Synthetase in die Matrix, wodurch ATP produziert wird (2). Ca2+ wird unter ATP-Verbrauch mit Hilfe einer Ca2+-Pumpe (Ionenpumpe, S. 30 ff.) in den Matrixraum hineintransportiert (3). Damit stellen die Mitochondrien eines der zellulären Speichersysteme für Ca2+ dar. Der Protonengradient treibt über Carriersysteme (S. 28 f.) die Aufnahme von Phosphat und Pyruvat (4) an. ATP und ADP werden mit einem Antiportsystem (S. 28) aus dem bzw. in den Matrixraum transportiert (2).
Proteinkomplexe dar, die die abzubauenden Proteine nur dann aufnehmen und proteolytisch spalten können, wenn diese zuvor mit dem kleinen Protein Ubiquitin markiert wurden. Durch die selektive Ubiquitinierung von Proteinen mit Hilfe verschiedener Ubiquitinasen erhält dieser Abbauweg einen hohen Grad an Spezifität.
Mitochondrien produzieren ATP mit Hilfe eines Protonengradienten Mitochondrien besitzen, wie in Abb. 2.6 ersichtlich, eine Doppelmembran. Die Eigenschaften der beiden Membranen sind völlig unterschiedlich. Die äußere Membran ist für kleine Moleküle (< 5 kDa) relativ gut permeabel. Die innere Membran, die die Matrix umschließt, lässt dagegen H+-Ionen, Ca2+, ATP, Phosphat und andere Substrate nur mittels spezifischer Transportproteine durch (s. u.). In den Mitochondrien werden energiereiche Substrate zur Gewinnung von ATP umgesetzt. Dementsprechend finden wir in der Matrix die Enzyme des Fettsäureabbaus und des Zitratzyklus. Die innere Mitochondrienmembran enthält die Enzyme der sog. Atmungskette. Über diese Reaktionskette werden die aus dem Energiemetabolismus anfallenden reduzierten Äquivalente NADH + H+ und FADH2 in die oxidierte Form überführt (NAD+ bzw. FAD). Dabei werden H+-Ionen durch die innere Membran aus der Matrix heraustransportiert, und es entsteht ein transmembranales elektrisches Potenzial. Die Abgabe der H+-Ionen auf der Außenseite wird durch den polarisierten Einbau der Atmungskettenenzyme in die innere Mitochondrienmembran möglich. So wird ein hoher elektrochemischer H+-Gradient erzeugt, der vom äußeren mitochondrialen Raum in den Matrixraum gerichtet ist. Dieser H+-Gradient treibt eine
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2.3 Transportwege durch die Zellmembran ATP-Synthetase an (s. u.). Sie kann als rückwärts laufende H+-Ionenpumpe aufgefasst werden: Der H+-Ionenrückfluss über die Pumpe erzeugt aus ADP und anorganischem Phosphat das energiereiche ATP. Eine Erhöhung der H+-Permeabilität der inneren mitochondrialen Membran führt zu einer „Entkoppelung“ der Atmungskette. Dabei findet zwar der H+-Transport statt, ein H+-Gradient kann aber nicht mehr aufgebaut und somit kein ATP mehr produziert werden. Diese Arbeitsweise von Mitochondrien sorgt z. B. in den Zellen des braunen Fetts dafür, dass bei Bedarf Wärme statt ATP produziert werden kann. Als Entkoppelungsproteine dienen dabei H+-Kanäle (= Thermogenin = UCP1 [Uncoupling Protein 1]), die in die innere Membran eingebaut werden. Sie bewirken einen H+-„Kurzschluss“ über die innere Membran, was den H+-Gradienten, also die Triebkraft für die ATP-Synthetase, aufhebt. Dieser Mechanismus der Wärmebildung spielt beispielsweise für die Thermoregulation bei Neugeborenen eine wichtige Rolle (S. 503 f.). Die Eigenschaften der inneren Mitochondrienmembran sind vielfältig und kompliziert. Neben der Ausstattung mit den Enzymen der Atmungskette und der H+Ionenpumpe besitzt diese Membran Transportsysteme für den ATP/ADP-Austausch, anorganisches Phosphat, Pyruvat, Proteine und viele andere Substrate. Proteine müssen importiert werden, weil das Genom der Mitochondrien nur für die wenigsten der mitochondrialen Proteine kodiert (63). Nur durch die Ausstattung mit spezifischen Transportsystemen kann gewährleistet werden, dass diese Membran die Ausbildung hoher Konzentrationsgradienten zulässt und trotzdem ausreichenden Umsatz erlaubt. Die innere Mitochondrienmembran baut neben dem H+-Ionen- und ATP-Gradienten auch einen Gradienten für Ca2+ auf, wobei die mitochondriale Ca2+Aufnahme auch der Stabilisierung der sehr niedrigen zytosolischen Ca2+-Konzentration von etwa 10–7 mol/l dient (S. 31). Für den „Bergauftransport“ von Ca2+ wird ATP verbraucht. Die Aufnahme von ADP in die mitochondriale Matrix wird durch Gegentransport von ATP getrieben. Die Aufnahme von anorganischem Phosphat oder Pyruvat treibt der H+-Ionengradient (Abb. 2.6).
2.3
Transportwege durch die Zellmembran
Die Zell- oder Plasmamembran hat einerseits Barrierefunktion als Grenzschicht zwischen dem Intra- und Extrazellulärraum. Andererseits erlaubt sie den selektiven Transport von Substanzen in die Zelle hinein und aus der Zelle heraus. Um dies zu ermöglichen, muss die Membran für solche Substanzen permeabel sein. Dabei gibt es verschiedene Transportwege, die zur Permeabilität der Zellmembran beitragen und in den folgenden Abschnitten näher erläutert werden sollen.
Der Transport von Gasen (z. B. CO2, O2) und lipophilen Substanzen durch die Zellmembran erfolgt durch Diffusion Diffusion durch die Lipidschicht der Membran ist ein wichtiger Transportmechanismus für sehr kleine Moleküle wie Gase (O2, CO2) oder für lipidlösliche Moleküle. Die Diffusion folgt einer einfachen Gesetzmäßigkeit (1. Fick’sches Diffusionsgesetz). Die Transportrate wird durch die für die Diffusion zur Verfügung stehende Fläche, den Konzentrationsgradienten und durch die Permeabilität für das entsprechende Teilchen bestimmt. Oben wurde darauf hingewiesen, dass die Lipidmembranen dazu dienen, Zellen gegen den Extrazellulärraum abzugrenzen sowie innerhalb der Zellen verschieden zusammengesetzte Kompartimente (Zellorganellen) zu umschließen. In der Tat stellt die hydrophobe Lipidmembran eine sehr effektive Trennschicht dar, die ohne die Hilfe spezieller Membrantransportproteine (s. u.) nur von solchen Molekülen überwunden werden kann, die eine hohe Lipidlöslichkeit besitzen. Dabei hängt die pro Zeiteinheit über die Lipidmembran transportierte Stoffmenge (JDiff [mol/s]) von der für die Diffusion zur Verfügung stehenden Fläche (A [m2]) und von dem Unterschied der Konzentrationen des Stoffes (∆c [mol/m3]) auf beiden Seiten der Membran ab. So wird es ohne Konzentrationsunterschied nicht zu einer Nettodiffusion des Stoffes über die Lipidmembran kommen und JDiff gleich Null sein. Die Permeabilität (P [m/s]) der Lipidmembran für den jeweils zu transportierenden Stoff geht als Proportionalitätsfaktor ein, der von den Stoffeigenschaften abhängt. Nach dem 1. Fick’schen Diffusionsgesetz (S. 194 u. Fußnote) ergibt sich folgender Zusammenhang: mol JDiff = P A c 2 sm Die Permeabilität hat damit die Dimension einer Geschwindigkeit: J mol m3 P = Diff A c s mol m2 Das beinhaltet, dass hochpermeable Substanzen die Membran mit großer Geschwindigkeit passieren und wenig permeable Substanzen mit entsprechend geringerer Geschwindigkeit. Dabei hängt die Permeabilität einer Substanz von der Beweglichkeit der Substanz und deren Löslichkeit in der Lipidschicht sowie von der Dicke der Lipidmembran ab, die für Zellmembranen aber praktisch konstant ist. Einfache Diffusion durch die Lipiddoppelschicht der Zellmembran spielt physiologisch nur für lipophile Stoffe eine Rolle. So penetrieren kleine Moleküle wie die Gase CO2, O2 und N2 die Lipidmembran vergleichsweise leicht, und auch etwas größere Moleküle können durch das Lipid diffundieren, wenn sie ausreichend lipidlöslich sind (z. B. Alkohol, Steroidhormone und bestimmte Medikamente).
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2 Die Zelle als Grundbaustein
Nicht lipidlösliche Substanzen gelangen mit Hilfe spezifischer Membrantransportproteine durch die Membran Für die meisten Substanzen, die durch die Zellmembran transportiert werden müssen, kommt einfache Diffusion als nennenswerter Permeationsweg nicht in Frage, da die Substanzen nicht ausreichend lipidlöslich sind. Vielmehr erfolgt hier der Stoffaustausch zwischen den Kompartimenten mit Hilfe spezifischer Membrantransportproteine. Dies gilt insbesondere für alle geladenen Teilchen (Ionen) aber auch für größere hydrophile Moleküle (z. B. Glucose, Aminosäuren) und für H2O selbst, das mit Hilfe spezieller Wasserkanäle (Aquaporine) durch die Zellmembran gelangt. Diese Transportproteine sind in das Membranlipid so eingelagert, dass sie durch die ganze Membran reichen (Abb. 2.2, S. 16). Entsprechend den unten näher ausgeführten funktionellen Kriterien werden Membrantransportproteine als Kanäle (Ionenkanäle und Wasserkanäle), als Carrier und als Pumpen klassifiziert. Die Aminosäuresequenzen vieler Membrantransportproteine sind in den vergangenen zwanzig Jahren aufgeklärt worden, z. B. die des spannungsgesteuerten Natriumkanals (49) – s. auch Abb. 4.6 –, des Ca2+-Kanals (60), der verschiedenen Glucosecarrier (28) und der Aquaporine (54). Auch hinsichtlich eines detaillierten Verständnisses der Funktion, Regulation und dreidimensionalen Struktur von Membrantransportprotein sind große Fortschritte erzielt worden (21, 45, 62). Insbesondere kennt man inzwischen eine Reihe von Erkrankungen, denen defekte Membrantransportprozesse zugrunde liegen (Kapitel 4, S. 74; 2, 7, 30).
Wasserkanäle (Aquaporine) ermöglichen den polaren Wassermolekülen den Durchtritt durch die Plasmamembran Lange Zeit war unklar, wie die polaren Wassermoleküle durch die Lipidmembran von Zellen gelangen können. Experimente mit künstlichen Lipidmembranen zeigten, dass die an Zellmembranen auftretenden erheblichen Wasserflüsse durch einfache Diffusion nicht zu erklären sind. Außerdem hatte man beobachtet, dass die Wasserpermeabilität der Zellmembran je nach Zelltyp sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Während die meisten Zellen, z. B. Erythrozyten und Nervenzellen, eine hohe Wasserpermeabilität aufweisen und auf entsprechende osmotische Gradienten rasch mit einer Zellschwellung oder Zellschrumpfung reagieren (S. 34, S. 385, S. 866), gibt es beispielsweise in der Niere Tubulusepithelzellen, deren apikale Membran fast wasserundurchlässig ist (dicker aufsteigender Teil der Henle-Schleife, S. 350) oder über eine hormonell regulierbare Wasserpermeabilität verfügt (Hauptzellen des Sammelrohrs, S. 390, Abb. 13.14). Inzwischen weiß man, dass es Membranproteine gibt, die hochspezifische Wasserkanäle in der Zellmembran ausbilden. Diese so genannten Aquaporine sind eine gut konservierte Genfamilie, die in Bakterien, Pflanzen und Tieren vorkommt. In Säugetieren kommen sie in verschiedenen Isoformen vor mit gewebespezifischer Verteilung. Im Körper gibt es keine Wasserpumpen, die aktiv unter ATP-Verbrauch Wasser transportieren könnten. Wasser kann also nur dadurch gerichtet transportiert werden,
dass primär- oder sekundär-aktive Transportprozesse (s. u.) einen osmotischen Gradienten (S. 867) schaffen, dem das Wasser passiv folgt, vorausgesetzt die Zellmembran verfügt aufgrund von Wasserkanälen über eine entsprechende Wasserpermeabilität. Eine besondere Rolle spielt das Aquaporin 2 (AQP2), das in den Hauptzellen des Sammelrohrepithels der Kontrolle durch das antidiuretische Hormon Adiuretin (ADH) unterliegt (s. o. und S. 390, Abb. 13.14). Unter der Einwirkung von ADH wird Aquaporin 2 in die apikale Membran der Hauptzellen eingebaut, was eine wesentliche Voraussetzung für die renale Wasserresorption und die Harnkonzentrierung darstellt. Mutationen des Aquaporin 2 sind eine Ursache des renalen Diabetes insipidus (S. 391), einer Erkrankung, bei der die Patienten große Mengen verdünnten Urins ausscheiden. In den meisten anderen Körperzellen werden dagegen Wasserkanäle konstitutiv in der Zellmembran exprimiert. Für die Entdeckung der Aquaporine und für deren molekulare Charakterisierung erhielt Peter C. Agre 2003 den Nobelpreis für Chemie (12).
Ionenkanäle sind selektive und komplex regulierte Poren für den Membrandurchtritt von Ionen Ionenkanäle sind selektive Poren in der Zellmembran, die den Durchtritt von Ionen erlauben. Die Richtung und die Rate des Ionentransports werden von der elektrochemischen Triebkraft vorgegeben. Ionenkanäle weisen im Allgemeinen eine hohe Transportrate auf. Der Öffnungszustand von Ionenkanälen wird durch das Membranpotenzial, durch Signalstoffe oder durch sonstige Regelprozesse komplex gesteuert. Mit der PatchClamp-Technik lässt sich das Öffnungs- und Schließverhalten einzelner Ionenkanäle untersuchen. Ionenkanäle erlauben den transmembranalen Transport von Ionen und weisen im aktivierten Zustand eine hohe Transportrate auf mit 106 – 108 Ionen pro Sekunde pro Kanal. Ionenkanäle bestehen aus Transmembranproteinen mit meist mehreren helikalen Strukturen, die jeweils durch die Lipiddoppelschicht reichen und sich so anordnen, dass sie eine Art „Pore“ oder „Kanal“ umschließen (Abb. 4.4 [S. 70], 4.6 [S. 72], 4.8 [S. 74]) (5,10, 21). Mit ihrer Durchlässigkeit für geladene Teilchen tragen die Ionenkanäle entscheidend zur elektrischen Leitfähigkeit der Zellmembran bei, wobei die Einzelkanalleitfähigkeit der meisten bisher bekannten Ionenkanäle in einem Bereich von 1 bis 500 pS liegt. Die Ionenkanaldichte in der Zellmembran variiert je nach Kanal- und Zelltyp von 1 bis 1000 Kanälen pro µm2, wobei die Kanäle je nach Funktionsanforderung sehr unterschiedlich auf verschiedene Membranbereiche einer Zelle verteilt sein können. So findet man beispielsweise im Bereich der Ranvierschen Schnürringe (S. 620) eines Neurons eine viel höhere Ionenkanaldichte als in den Internodien und in der apikalen Membran einer polaren Epithelzelle meist ganz andere Ionenkanäle als in deren basolateraler Membran. Häufig besteht ein Ionenkanal aus mehreren Proteinuntereinheiten und akzessorischen Proteinen, die für die Lokalisation und Regulation der Ionenkanäle von Bedeutung sind. Dabei sind die Kanalporen jeweils hochselektiv
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2.3 Transportwege durch die Zellmembran für bestimmte Ionen, so dass man die verschiedenen Ionenkanäle nach ihrer Ionenselektivität einteilen kann, z. B. in Na+-, K+-, Ca2+- und Cl–-Kanäle. Dies ist allerdings erst eine recht grobe Unterteilung. So gibt es beispielsweise ganz verschiedene Typen (und Genfamilien) von K+-Kanälen mit jeweils unterschiedlicher Struktur, Funktion, Regulation und Gewebeverteilung (S. 69 f.). Bei einer an der Regulation der Ionenkanäle orientierten Einteilung kann man folgende Gruppen unterscheiden: 1. spannungsgesteuerte Ionenkanäle, 2. ligandengesteuerte Ionenkanäle (ionotrope Rezeptoren), 3. rezeptorgekoppelte Ionenkanäle (metabotrope Rezeptoren) sowie 4. konstitutiv aktive beziehungsweise komplex regulierte Ionenkanäle, die beispielsweise durch spezifische Kinasen phosphoryliert und dadurch aktiviert werden (z. B. der CFTR-Chloridkanal, S. 258, 441). Ionenkanäle stellen keine starren, kontinuierlich geöffneten Membranporen dar, sondern lassen nur intermittierend einen Ionenfluss durch die Membran zu. Die Kanäle schalten also ständig zwischen einem Offen- und einem Geschlossenzustand hin und her (Abb. 2.9, S. 27), wobei die Kinetik dieses so genannten Gating charakteristisch für bestimmte Ionenkanaltypen ist. So findet man bei unterschiedlichen Kanälen Offen- oder Geschlossenzeiten im Millisekunden- bis Sekundenbereich. Dabei wird der Ionenfluss durch einen Einzelkanal ganz entscheidend von seiner mittleren Offenwahrscheinlichkeit bestimmt, die je nach Aktivierungszustand des Kanals einen Wert von null bis eins annehmen kann. So bedeutet beispielsweise eine Offenwahrscheinlichkeit von 0,6, dass sich der betrachtete Kanal im statistischen Mittel jeweils 60 % der Zeit im Offen- und 40 % der Zeit im Geschlossenzustand befindet. Nur während der Kanal geöffnet ist, fließt durch den Kanal ein Ionenstrom, wobei sich die Einzelkanalströme mehrerer Kanäle summieren. Dabei ist der resultierende makroskopische Strom (I), den man über die gesamte Zellmembran messen kann, das Produkt aus der Anzahl der Kanäle (N), dem Einzelkanalstrom (i) und der Offenwahrscheinlichkeit (P0): I ¼ N P0 i Bei den spannungsgesteuerten Ionenkanälen hängt die Offenwahrscheinlichkeit der Kanäle ganz wesentlich vom Membranpotenzial ab. Prominentes Beispiel eines spannungsgesteuerten Kanals ist der so genannte schnelle Na+-Kanal, der in Neuronen und Muskelzellen entscheidend zur Entstehung des Aktionspotenzials beiträgt (S. 67 ff., Abb. 4.7 – 4.9). Ein Beispiel für einen ligandengesteuerten Ionenkanal ist der nikotinische Acetylcholinrezeptor (Cholinozeptor), der durch den Liganden Acetylcholin direkt aktiviert wird und damit an Synapsen und an der motorischen Endplatte ein chemisches in ein elektrisches Signal verwandelt (S. 85, Abb. 5.6). Das charakteristische Merkmal der ligandengesteuerten Ionenkanäle ist, dass die Kanäle selbst als Rezeptoren für die sie aktivierenden Liganden (z. B. Neurotransmitter) dienen, weshalb diese Kanäle auch als ionotrope Rezeptoren bezeichnet werden (S. 85). Im Gegensatz dazu befin-
det sich bei den rezeptorgekoppelten Ionenkanälen ein separater Rezeptor in enger funktioneller Assoziation mit dem Ionenkanal. Die Rezeptoraktivierung führt erst indirekt (z. B. über Botenmoleküle) zu einer Aktivierung der Ionenkanäle, die daher auch metabotrope Rezeptoren genannt werden (S. 88). Daneben gibt es in den meisten Zellen konstitutiv aktive K+-Kanäle, die für die Aufrechterhaltung des Ruhemembranpotenzials verantwortlich sind (S. 64). Ein Beispiel für einen komplex regulierten Ionenkanal ist der epitheliale Natriumkanal (ENaC) (s. u.; Abb. 2.9), der sich in verschiedenen Na+-resorbierenden Epithelien findet. Er spielt insbesondere im distalen Tubulus und Sammelrohr der Niere für die Feinregulation des Natriumhaushalts und damit für die Langzeitregulation des Blutdrucks eine entscheidende Rolle (S. 348) (57). Dieser Kanal unterliegt einer präzisen hormonellen Kontrolle vor allem durch das Steroidhormon Aldosteron (S. 348 u. S. 383), wobei eine Vielzahl zusätzlicher Signaltransduktionswege an seiner Regulation beteiligt sind (23). Dabei wird nicht nur die Offenwahrscheinlichkeit der in der Membran vorhandenen epithelialen Natriumkanäle beispielsweise durch Phosphorylierung reguliert (20), sondern die Regulation erfolgt auch auf der Ebene der Transkription und Translation sowie beim Einbau der Kanäle in die Membran, bei deren endozytotischem Ausbau und bei der Kanaldegradation. Unter normalen Bedingungen herrscht ein dynamisches Gleichgewicht zwischen kontinuierlichem Kanaleinbau und endozytotischem Ausbau, wobei die endozytierten Kanäle zum Teil in Lysosomen oder Proteasomen abgebaut werden (S. 20), zum Teil aber auch über endosomale Vesikel rezirkulieren und erneut in die Membran eingebaut werden. Die Dynamik des Systems erlaubt eine rasche Anpassung der Expressionsdichte des Ionenkanals in der Membran. So kann die Expressionsdichte des Kanals bei Bedarf sowohl durch eine Stimulation der Einbaurate als auch durch eine Hemmung des endozytotischen Ausbaus rasch erhöht werden. Dass diese Prozesse von entscheidender pathophysiologischer Bedeutung sind, wird durch eine seltene Form der erblichen arteriellen Hypertonie (Bluthochdruck) belegt, dem Liddle-Syndrom (S. 348). Ihm liegt eine Mutation des epithelialen Natriumkanals (ENaC) zugrunde, die seine Überfunktion („gain of function“) bewirkt. Dabei ist der zytoplasmatische Bereich der βoder γ-Untereinheit des Kanals betroffen, wodurch dessen endozytotischer Ausbau aus der Membran gestört ist. Dies führt zu einer erhöhten Kanaldichte in der Membran, wodurch es zu einer vermehrten Natriumresorption in der Niere kommt, was zu einer Volumenexpansion (S. 385) und letztlich zur Erhöhung des arteriellen Blutdrucks führt (57). Die bedarfsgerechte Steuerung der Membrandichte ist für die Langzeitregulation praktisch aller Ionenkanäle, einschließlich der spannungs- und ligandengesteuerten relevant. Auch die Kanalregulation durch Phosphorylierung ist nicht auf eine einzelne Gruppe von Ionenkanälen beschränkt. So gehört ein am Herzaktionspotenzial beteiligter Ca2+-Kanal zwar primär zur Gruppe der spannungs-
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2 Die Zelle als Grundbaustein gesteuerten Ionenkanäle. Seine Aktivität wird aber auch entscheidend durch eine hormonell gesteuerte Phosphorylierungsreaktion den physiologischen Anforderungen angepasst (Abb. 7.16, S. 151). In den vergangenen Jahren hat das funktionelle und molekulare Detailwissen über die Ionenkanäle enorm zugenommen. Dabei hat insbesondere die Erforschung seltener genetischer Erkrankungen, denen Ionenkanaldefekte zugrunde liegen („Kanalerkrankungen“, S. 74), wesentliche neue Einblicke in physiologische und pathophysiologische Zusammenhänge gewährt (2, 7, 30).
Die elektrochemische Triebkraft bestimmt den passiven Transport von Ionen durch die Plasmamembran Damit Substanztransport durch die Zellmembran stattfindet, ist neben einem Transportweg auch eine entsprechende Energiedifferenz erforderlich, die auf die zu transportierende Substanz wirkt und auch als Trieb„kraft“ bezeichnet wird. Diese Triebkraft, die den rein passiven Transport gelöster Teilchen, insbesondere von Ionen, über die Plasmamembran bestimmt, ergibt sich aus dem elektrochemischen Gradienten, der für ein bestimmtes gelöstes Teilchen zwischen Außen- und Innenseite der Membran besteht. Dieser elektrochemische Gradient wird auch als elektrochemische Potenzial(Energie-)differenz oder elektrochemische Triebkraft bezeichnet und setzt sich aus zwei Komponenten zusammen. Die eine Komponente beruht auf dem transmembranalen Konzentrationsgradienten des gelösten Teilchens (entspricht ∆C im Fick’schen Diffusionsgesetz, S. 21) und wird chemische Triebkraft genannt. Die andere Komponente ist nur für geladene Teilchen, also Ionen (z. B. Na+, Cl–), relevant. Sie wird als elektrische Triebkraft bezeichnet und hängt von der elektrischen Potenzialdifferenz zwischen Außen- und Innenseite der Membran, also vom Zellmembranpotenzial (S. 64 ff.), ab.
Im Gleichgewichtszustand sind die chemische und elektrische Triebkraft gleich groß, aber entgegengesetzt gerichtet Bei entsprechender Permeabilität der Zellmembran können gelöste Teilchen sowohl von außen in die Zelle (Influx) als auch von innen nach außen (Efflux) gelangen. Die Summe dieser beiden unidirektionalen Fluxe (Efflux und Influx) ergibt den Nettoflux. Ein Nettoflux oder Nettotransport tritt nur dann auf, wenn Influx und Efflux ungleich sind, d. h. wenn die elektrochemische Triebkraft entweder den Influx oder den Efflux begünstigt. So würde beispielsweise ein nach innen gerichteter Konzentrationsgradient eines positiv geladenen Ions (Kations) bei gleichzeitig negativem Membranpotenzial zu einem Überwiegen des Influx und damit zu einem Nettotransport des Kations in die Zelle führen. Sind dagegen die Triebkräfte für Influx und Efflux gleich groß, befindet sich das System im elektrochemischen Gleichgewicht und es findet kein Nettotransport statt. Für Ionen ist der Gleichgewichtszustand dann erreicht, wenn
chemische und elektrische Triebkraft gleich groß aber entgegengesetzt gerichtet sind. So ist beispielsweise ein negatives Membranpotenzial als einwärts gerichtete elektrische Triebkraft erforderlich, um die auswärts gerichtete chemische Triebkraft auszugleichen, die für ein Kation besteht, dessen intrazelluläre Konzentration höher ist als dessen extrazelluläre Konzentration (z. B. K+). Für einen bestimmten Konzentrationsgradienten gibt es genau ein Potenzial, nämlich das Gleichgewichtspotenzial, an dem diese Bedingung erfüllt ist und an dem sich das Ion im elektrochemischen Gleichgewicht befindet. Zeigen hingegen die elektrische und chemische Triebkraft in dieselbe Richtung, weil z. B. das Membranpotenzial negativ und die chemische Triebkraft für ein Kation (z. B. Na+ oder Ca2+) einwärts gerichtet ist, so addieren sich die beiden Triebkräfte zu einer hohen Gesamttriebkraft. Quantitativ kann man die zwischen der Innenseite (i) und Außenseite (a) einer Membran bestehende elektrochemische Potenzialdifferenz (beziehungsweise Energiedifferenz: ∆ µX) für ein gelöstes Teilchen der Substanz X folgendermaßen beschreiben: µx = R T ln
½Xi + zx F ð i ½Xa
a Þ
Elektrochemische Energiedifferenz = chemische Energiedifferenz + elektrische Energiedifferenz Wobei zX die Wertigkeit des betrachteten Ions X, T die absolute Temperatur, R die universelle Gaskonstante (8,314 J · K–1 · mol–1) und F die Faraday-Konstante (9,65 · 104 A · s · mol–1) bedeuten. Der erste Term auf der rechten Seite der Gleichung beschreibt die chemische Energiedifferenz (J/mol) für eine Bewegung der Substanz X über die Membran ohne Berücksichtigung einer eventuellen Ladung von X. Der zweite Term dagegen beschreibt die elektrische Energiedifferenz für die Bewegung eines Mol der geladenen Partikel X (je mit einer Wertigkeit von zX) über die Membran. Die Differenz (ψi – ψa) ist die Spannungsdifferenz über der Membran, die man auch als Membranpotenzial (Em) bezeichnet. Berechnet man ∆ µX, dann kann man die Richtung der elektrochemischen Energiedifferenz oder Triebkraft und damit die Richtung des passiven Nettotransports des gelösten Teilchens X durch die Membran vorhersagen. Bei einem positiven Wert für ∆ µX ist dieser einwärts, bei einem negativen Wert auswärts gerichtet. Beträgt der Wert für ∆ µX dagegen Null, befindet sich die Substanz X energetisch im Gleichgewicht, d. h. es findet kein Nettotransport statt: ∆ µX = 0. Dieser Spezialfall kann unter zwei Bedingungen eintreten. Entweder sind sowohl die chemische Triebkraft als auch die elektrische Triebkraft Null, z. B. wenn das Teilchen ungeladen ist und auf beiden Seiten der Membran in gleicher Konzentration vorliegt. Oder die chemische und elektrische Triebkraft sind gleich groß aber entgegengesetzt in der Richtung. In beiden Fällen ist die elektrochemische Triebkraft Null und die Substanz X energetisch im Gleichgewicht. In der Gleichgewichtssituation (∆ µX = 0) gilt also: µx = R T ln 0 = R T ln Ex =
½Xi + zx F ð i ½Xa
a Þ = 0
½Xi + zx F ðEx Þ ½Xa
RT ½X ln i (Nernst-Gleichung) ½Xa zx F
Ex bezeichnet man als das Gleichgewichtspotenzial des Ions X für die Konzentrationen [X]i und [X]a (Kap. 4, S. 64).
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2.3 Transportwege durch die Zellmembran
Mit Hilfe der Nernst-Gleichung lässt sich das Gleichgewichtspotenzial (Nullstrompotenzial) eines Ions berechnen Die im vorhergehenden Abschnitt hergeleitete Beziehung ist die Nernst-Gleichung, mit Hilfe derer sich das Gleichgewichtspotenzial (Ex), das auch Nernst-Potenzial genannt wird, für ein Ion X berechnen lässt (Kap. 4, S. 64). Am Gleichgewichtspotenzial sind elektrische Triebkraft und chemische Triebkraft gleich groß aber entgegengesetzt gerichtet, wodurch sie sich gegenseitig aufheben. Dadurch ist die auf das Ion einwirkende elektrochemische Triebkraft gerade Null, und es kommt weder zu einem Nettoausstrom noch zu einem Nettoeinstrom von Ionen, weshalb das Nernst-Potenzial auch Nullstrompotenzial genannt wird. Für eine Temperatur von 37 8C nimmt R · T/F den Wert von 0,027 V an. Wird mit dekadischen statt mit natürlichen Logarithmen gerechnet, muss mit 2,3 multipliziert werden, d. h. R · T/F · 2,3 = 0,061 V oder 61 mV. Unter Annahme einer Körpertemperatur von 37 8C kann man die Nernst-Gleichung daher folgendermaßen schreiben: Ex =
61 ½X log i ½mV zx ½Xa
Sind für ein Ion X die intrazelluläre ([X]i) und die extrazelluläre ([X]a) Ionenkonzentration bekannt, lässt sich anhand der Nernst-Gleichung das Gleichgewichtspotenzial EX leicht berechnen. So ergibt sich beispielsweise bei einem Konzentrationsverhältnis von [X]i/[X]a von 10/1 für ein einwertiges Kation (zX = 1) ein Gleichgewichtspotenzial (– 61 mV/zX) · log (10/1) = – 61 mV. Bei einem zweiwertigen Kation (z. B. Ca2+, Mg2+) beträgt der Wert – 30,5 mV. Bei Anionen muss das negative Vorzeichen von z berücksichtigt werden.
Die Kenntnis von Gleichgewichtspotenzial und Membranpotenzial erlaubt eine Vorhersage über die Richtung des Ionentransports durch einen Ionenkanal Bei vorgegebenen Konzentrationen für [X]i und [X]a befindet sich das Ion X in einer lebenden Zelle nur dann im elektrochemischen Gleichgewicht, wenn das Membranpotenzial Em (S. 64 ff.) dem Gleichgewichtspotenzial Ex entspricht. Kennt man das tatsächliche Membranpotenzial Em der Zelle, kann man durch Vergleich mit dem Gleichgewichtspotenzial eine Aussage darüber machen, ob sich das betrachtete Ion X im elektrochemischen Gleichgewichtszustand befindet oder ob eine elektrochemische Triebkraft für einen Nettoeinstrom oder Nettoausstrom besteht. Mit dieser Überlegung lässt sich also die Richtung des Ionentransports durch Ionenkanäle vorhersagen. Dies ist in Abb. 2.7 exemplarisch für das K+-Ion illustriert. Dabei wird in diesem Beispiel von einer intrazellulären K+-Konzentration von 120 mmol/l und einer extrazellulären K+-Konzentration von 4 mmol/l ausgegangen. Wie weiter unten ausgeführt, ist für diese Ungleichverteilung der K+-Ionen die Na+-K+-Pumpe verantwortlich (S. 30). Setzt man diese Werte in die Nernst-Gleichung
innen
außen
+
[K ]
+
[K ]
120 mmol/l
4 mmol/l
mV
Em
DE = Em EK EK = 61 · log
EK = 90 mV Em = 90 mV DE = 0 +
120 4
EK = 90 mV
+
K -Ausstrom = K -Einstrom
innen
außen
+
[K ]
innen
+
[K ]
120 mmol/l
außen
4 mmol/l +
[K ]
mV
+
[K ]
120 mmol/l
4 mmol/l
Em mV
EK = 90 mV Em = 70 mV DE = +20 mV +
K -Ausstrom
Em
EK = 90 mV Em = 100 mV D E = 10 mV +
K -Einstrom
Abb. 2.7 Die Richtung der Ionenbewegung durch den Kanal wird durch die elektrochemische Triebkraft (∆ E = Em – Ex) bestimmt. In den gezeigten Beispielen sind drei Zellen dargestellt mit jeweils unterschiedlichem Membranpotenzial (Em). Das Gleichgewichtspotenzial für K+ beträgt dagegen in allen drei Fällen – 90 mV. Im oberen Beispiel ist Em = EK und damit die Triebkraft ∆ E gleich Null. Die K+-Ionen befinden sich im Gleichgewicht. Für depolarisierte Werte des Membranpotenzials Em (links) wird ∆ E positiv, es kommt zum K+-Ausstrom. Für hyperpolarisierte Werte von Em (rechts) wird ∆ E negativ, und ein K+-Einstrom ist die Folge.
ein, errechnet sich ein Gleichgewichtspotenzial für K+ (EK) von – 90 mV.
Die auf das K+-Ion einwirkende elektrochemische Triebkraft E kann nun folgendermaßen berechnet werden: E = Em
EK
Beträgt das tatsächliche Zellmembranpotenzial (Em) ebenfalls – 90 mV und entspricht somit EK, dann befindet sich das K+-Ion über der Membran im Gleichgewicht (Em = EK). Unter dieser Bedingung ist die elektrochemische Triebkraft gleich Null (Em – EK = 0) und es kommt zu keinem Nettoflux des Ions (K+-Ausstrom = K+-Einstrom). Ist das tatsächliche Membranpotenzial dagegen negativer oder positiver als EK, kommt es zu einem Überwiegen des Einstroms (negativer Wert für ∆ E) beziehungsweise des Ausstroms (positiver Wert für ∆ E) von K+-Ionen (Abb. 2.7).
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2 Die Zelle als Grundbaustein
saugen
PatchPipette
Kanal Membran
ziehen
whole-cell cell-attached ziehen
Zelle
Tight Junction
outside-out
Badlösung
Versuchsauswertung siehe nächste Abb.
inside-out
Abb. 2.8 Patch-Clamp-Technik zur Untersuchung einzelner Ionenkanäle. Bei einem Patch-Clamp-Experiment wird zunächst eine Patch-Pipette (Spitzendurchmesser ca. 1 µm) auf die Zellmembran aufgesetzt, wobei es zu einem engen Kontakt zwischen dem Glas der Pipette und der Zellmembran kommt und ein Membranfleck (Patch) elektrisch isoliert wird („cell-attached“-Konfiguration). Durch Ziehen an der Glaspipette kann dieser Membranfleck herausgetrennt werden, so dass nun die Zytoplasmaseite der Badlösung ausgesetzt ist („inside-out“-Konfiguration). Alternativ kann man,
Der Stromfluss durch einzelne Ionenkanäle kann mit Hilfe der Patch-Clamp-Technik direkt gemessen werden Die Entwicklung der Patch-Clamp-Technik (48), für die E. Neher und B. Sakmann 1991 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden, ermöglichte es erstmals, die Aktivität einzelner Ionenkanäle zu beobachten (Abb. 2.8). Die Patch-Clamp-Technik erlaubt die genaue biophysikalische Analyse von Ionenkanälen, eine Messung ihrer Einzelkanalleitfähigkeit, ihrer Schaltkinetik und ihrer Regulation. Es ist eine faszinierende Technik, bei der man einzelne biologische Moleküle „in Aktion“ sehen kann. Sie hat unser Verständnis elektrischer Membranphänomene revolutioniert und einen wesentlichen Beitrag geleistet, die Wirkung von biologischen Botenstoffen, von Pharmaka, von Toxinen und von Ionenkanalmutationen aufzuklären (2, 5, 7,10). Bei einem Patch-Clamp-Experiment wird eine feine Glaspipette mit besonders glattem Glasrand mit einem Spitzendurchmesser von 0,3 – 3 µm auf die Zellmembran aufgesetzt und angepresst (Abb. 2.8). Dann wird ein kleines Areal (Patch) der Zellmembran mit negativem Druck etwas in die Pipettenöffnung hineingesaugt. Durch enge Interaktion der Glasoberfläche mit der Zellmembran (Seal) entsteht ein sehr hoher Abdichtungswiderstand (im Bereich von mehreren GΩ), der den Membranflecken elektrisch isoliert. Nun lassen sich entsprechend der Messanordnung
ausgehend von der „cell-attached“-Konfiguration, durch vorsichtiges Saugen an der Pipette den Membranflecken durchbrechen und damit die „whole-cell“-Konfiguration erreichen. Wird nun die Pipette von der Zelle fortgezogen und die anhaftende Membran exzidiert, kommt es häufig zu einer spontanen Fusion der Exzisionsränder und damit zur Ausbildung eines Membranbläschens. Dabei ist die Membranaußenseite nun der Badlösung zugewandt („outside-out“Konfiguration; Messdaten s. Abb. 2.9).
in Abb. 2.8 Ströme durch den isolierten Membranflecken bei vorgegebener Klemmspannung (Patch Clamp) messen. Da das Membranareal in der Pipette nur wenige µm2 groß ist, befinden sich in dem untersuchten Membranstück meist nur wenige Ionenkanäle. Dank rauscharmer Patch-Clamp-Verstärker können die Einzelkanalströme, die sich in der Größenordnung von pA (10–12 A) bewegen, verlässlich gemessen werden. Neben der so genannten „cell-attached“-Konfiguration, die der Einzelkanalregistrierung an der intakten Zelle dient, kann die Patch-ClampTechnik je nach Fragestellung noch in verschiedenen anderen Konfigurationen durchgeführt werden (10, 25). Um Ionenströme über die gesamte Zellmembran (Ganzzellströme) zu messen, kann man durch kurzes Ansaugen die Membran, die das Zellinnere vom Pipetteninneren trennt, durchbrechen und so eine Ganzzellableitung erreichen („whole-cell“-Konfiguration; Abb. 2.8). Dies erlaubt die Beurteilung der Gesamtleitfähigkeit einer Zelle, die sich aus den Leitfähigkeitswerten der vielen in der Zellmembran befindlichen Einzelkanäle zusammensetzt. Dabei kann der Beitrag der verschiedenen Ionenkanäle zur Gesamtleitfähigkeit mit Hilfe von spezifischen Inhibitoren, mit Ionensubstitutionsexperimenten oder mit Spannungspulsprotokollen analysiert werden. Ausgehend von der Ganzzellableitung, kann man durch vorsichtiges Zurückziehen der Pipette ein kleines Membranareal von der Zelle abziehen und es isoliert untersuchen. Dies wird dadurch ermöglicht, dass sich nach dem Abziehen an der Pipettenspitze ein kleines Membranbläschen bildet, wobei die ursprüngliche Zytosolseite dem Inneren der Pipette zugewandt ist (Abb. 2.8). Da in dieser „ouside-out“-Konfiguration die Außenseite der Membran zur Badlösung zeigt, kann man in solchen Experimenten den
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2.3 Transportwege durch die Zellmembran A Versuchsaufbau
Messgerät D Amilorid hemmt den Na+-Kanal (ENaC) Elektrode c
Badlösung: NaCl
Kontrolle
Pipettenlösung: KCl/K-Glukonat c
10 µmol/l Amilorid
Membranfleck outside-out 2 µm
Na+-Kanal (ENaC)
c
auswaschen 1 pA
250 ms
Oszillograph
B Einzelkanalströme Klemmspannung 0 mV
c
40 mV
c
80 mV
c
120 mV
C Auswertung 2
Stromspannungskurve
160 mV
c
200 mV
1,5 1
Spannung Pip (mV)
0,5 200 160 120 80
c
Strom (pA)
c
40
40
80
120
160
200
0,5 1 1 pA
250 ms
Oszillograph
Abb. 2.9 Einzelkanalregistrierung eines epithelialen Natriumkanals (ENaC) in einem „outside-out“-Patch der apikalen Membran einer renalen Sammelrohrepithelzelle. Mit Hilfe der schematisch dargestellten Messanordnung (A) können Einzelkanalströme in solchen isolierten Membranflecken gemessen und auf einem Oszillographen dargestellt werden. Die gezeigten Einzelkanalregistrierungen stammen von einem „outside-out“-Patch (s. Abb. 2.8) der apikalen Membran einer renalen Sammelrohrepithelzelle der Maus (M-1 Zelllinie). Die unten (B) abgebildeten Stromspuren zeigen Einzelkanalströme bei unterschiedlichen Klemmspannungen. Der Geschlossenzustand des Kanals ist jeweils mit „c“ gekennzeichnet. Kanalöffnungen führen zu negativen Stromauslenkungen (Einwärtsstrom von Na+-Ionen bei negativem Klemmpotenzial), wobei der Kanal unterschiedlich lange im Offenzustand verweilt. Die Amplitude der Einzelkanalströme
Effekt von extrazellulär applizierten Substanzen auf Einzelkanalströme untersuchen, z. B. den Effekt des Diuretikums Amilorid auf den epithelialen Natriumkanal (ENaC; Abb. 2.9). Schließlich kann man, ausgehend von der Ableitung an der intakten Zelle, das Membranareal unter der Pipette aus der Zelle herausreißen und isoliert untersuchen, wobei jetzt die ursprüngliche Zytosolseite
ENa+
1,5 2
EinzelkanalLeitfähigkeit: 7,5 pS
verändert sich in Abhängigkeit von der Klemmspannung, was in der Stromspannungskurve dargestellt ist (C). Aus der Steigung der Stromspannungskurve lässt sich die Einzelkanalleitfähigkeit des Kanals berechnen, die in diesem Fall etwa 7,5 pS beträgt. Die Stromspannungskurve ist nicht linear, weil die Natriumkonzentration in der Badlösung hoch und in der Pipette niedrig ist. Das Nullstrompotenzial, d. h. die Spannung, bei der die extrapolierte Kurve die X-Achse schneidet, liegt etwa beim Gleichgewichtspotenzial von Na+ (ENa+), was zeigt, dass es sich um einen Na+-selektiven Kanal handelt, in diesem Fall um den epithelialen Natriumkanal (ENaC; S. 23 u. 348). Die Einzelkanalregistrierungen rechts oben (D) zeigen, dass das Medikament Amilorid die Kanalaktivität reversibel hemmt, was die diuretische Wirkung von Amilorid erklärt (S. 353; Einzelkanalregistrierungen: B. Letz; 37).
der Badlösung zugewandt ist („inside-out“-Konfiguration; Abb. 2.8). Dies ermöglicht die Untersuchung des Effekts von zytosolisch applizierten Substanzen auf die Einzelkanalaktivität.
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2 Die Zelle als Grundbaustein
Carrier binden Substrate und befördern sie durch die Plasmamembran Carrier sind Membrantransportproteine, die den Durchtritt polarer Stoffe durch Membranen erleichtern. Sie transportieren spezifische Substrate unter Ausnutzung von elektrochemischen Gradienten von einer Membranseite auf die andere. Je nach Transportmodus unterscheidet man Kotransporter (Symporter), Antiporter (Austauscher) und Uniporter. Für Carrier-vermittelte Prozesse gilt gewöhnlich die Michaelis-MentenKinetik, d. h. der Transportprozess wird durch die Affinität (1/KM) und die maximale Transportrate (Jmax) charakterisiert. Carrierproteine werden z. B. durch allosterische Effekte, aber auch durch Phosphorylierung und andere Mechanismen reguliert. Carrierproteine binden ihr Substrat auf der diesseitigen Membranseite („cis“-Seite), durchlaufen eine Konformationsänderung und geben es jenseits der Membran („trans“-Seite) wieder ab. Bei den Carrierproteinen unterscheidet man Symporter (auch Kotransporter i. e. S. genannt), Antiporter (auch Austauscher genannt) und Uniporter. Letztere binden nur ein Substrat, das entsprechend seinem elektrochemischen Gradienten (also „bergab“) im Sinne einer „erleichterten Diffusion“ mit Hilfe des Uniporters über die Membran gelangt. Beispiele hierfür sind die Na+-unabhängigen Glucosetransporter der GLUT-Familie (S. 555) und verschiedene Harnstofftransporter der UT-Familie (S. 351). Das charakteristische Merkmal von Symportern ist der gemeinsame Transport mehrerer Substrate in die gleiche Richtung. Beim Antiporter dagegen werden die Substrate des Transporters sozusagen im Austausch in entgegengesetzter Richtung über die Membran transportiert. Ein gut untersuchter Antiporter ist der Cl–/HCO3–-Austauscher des Erythrozyten, der Bande-3-Protein (S. 229) oder AE1 (anion exchanger 1) genannt wird. Dieser Austauscher spielt unter anderem für die Säuresekretion in den Typ-ASchaltzellen des Sammelrohrs der Niere eine Rolle (S. 365, Abb. 12.40), und Mutationen des Transporters führen zu einer renal-tubulären Azidose (13). Symporter und Antiporter ermöglichen es, die elektrochemische Triebkraft eines Substrats (oder auch mehrerer Substrate) auszunutzen, um ein anderers Substrat entgegen seinem elektrochemischen Gradienten sozusagen „bergauf“ zu transportieren. Beispielsweise nutzen viele Carrierproteine den einwärtsgerichteten elektrochemischen Gradienten für Na+, um ein anderes Substrat im Symport in die Zelle hinein- oder im Antiport aus der Zelle herauszutransportieren. So dienen Na+-abhängige Symportsysteme beispielsweise dem Transport von Glucose (SGLTTransporter; S. 356), Aminosäuren (S. 358), Phosphat (NaPi-Symportcarrier; S. 361), Cl– (Na+-Cl–-Symporter; S. 347), und K+ (Na+-K+-2Cl–-Symporter; S. 346). Beim Peptid-H+-Symportcarrier wird dagegen die einwärtsgerichtete elektrochemische Triebkraft der H+-Ionen ausgenutzt, um Di- und Tripeptide in die Zelle zu transportieren (S. 358 u. 451). Beispiele für Na+-abhängige Antiportsysteme sind der Na+/H+-Austauscher und der 3Na+-Ca2+-Antiporter (s. u.).
Der Transport mit Hilfe von Carrierproteinen kann elektrogen oder elektroneutral erfolgen, je nachdem ob der Transport mit oder ohne Nettoverschiebung von Ladung über die Membran einhergeht. Das hängt zum einen von den transportierten Substraten und zum anderen von der Stöchiometrie des Transportes ab. So gleichen sich beispielsweise beim Na+-K+-2Cl–-Symporter die Ladungen der transportierten Ionen aus, und der Transport erfolgt elektroneutral. Dagegen sind der Na+Glucose-Symporter (S. 356 u. 449) und auch der 3Na+Ca2+-Antiporter elektrogen. Bei den elektrogenen Transportern spielt das Membranpotenzial als Triebkraft eine wichtige Rolle, während die elektroneutralen Transporter vom Membranpotenzial unabhängig sind (S. 24). Den von Symportern oder Antiportern vermittelten „Bergauf“-Transport von Substraten nennt man „sekundär-aktiv“. Dabei heißt „aktiv“ hier, dass beispielsweise beim Na+-Glucose-Symporter die Glucose gegen einen elektrochemischen Gradienten („bergauf“) transportiert wird unter Ausnutzung der elektrochemischen Triebkraft für Na+. Die Bezeichnung „sekundär“ bedeutet, dass dieser „Bergauf“-Transport nicht direkt durch die Spaltung von ATP angetrieben wird sondern indirekt. Voraussetzung für diesen „sekundär-aktiven“ Transport ist natürlich ein „primär-aktiver“ Transportvorgang, nämlich die Na+-K+-ATPase (s. u.), die unter ATP-Verbrauch für die Generierung des Na+- und K+-Konzentrationsunterschieds und damit indirekt auch für das Zustandekommen des Membranpotenzials (S. 64 ff.) sorgt. Gelegentlich spricht man auch von „tertiär-aktivem“ Transport. Dabei schafft ein „sekundäraktiver“ Transportmechanismus einen elektrochemischen Gradienten, der die Triebkraft für einen „tertiär-aktiven“ Carrier bereitstellt. So erfolgt beispielsweise die Aufnahme organischer Anionen in die proximale Tubuluszelle über einen „tertiär-aktiven“ Transportmechanismus (S. 360; Abb. 12.35 A). Ein typisches Merkmal des durch Carrierproteine vermittelten Transports ist dessen Sättigbarkeit. Da die Bindungsreaktion durch die Affinität zwischen Protein und Substrat charakterisiert ist, und die Anzahl solcher Proteine – sprich Bindungsstellen – limitiert ist, ist im einfachsten Fall mit einer Sättigungsabhängigkeit zu rechnen, wie sie durch die Michaelis-Menten-Gleichung (Abb. 2.10) dargestellt wird. J=
Jmax c ½mol/s KM + c
Hierbei sind J und Jmax die aktuelle bzw. die maximale Transportrate, c ist die Substratkonzentration und KM die Substratkonzentration, bei der Halbsättigung besteht. Ein klinisch wichtiges Beispiel für das Sättigungsverhalten von Carriern ist der Na+-gekoppelte Glucosetransport im proximalen Tubulus der Niere. Wird hier durch eine steigende Glucosekonzentration im Primärharn das Transportmaximum der SGLT-Carrier überschritten, wird die glomerulär filtrierte Glucose nicht mehr vollständig resorbiert und erscheint im Urin (Glukosurie) (S. 356 f.; Abb. 12.31). Dies tritt beispielsweise dann auf, wenn im Rahmen eines Diabetes mellitus (S. 556 ff.) die Plasmaglucosekonzentration
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2.3 Transportwege durch die Zellmembran
Transportstoff
+
Affinität (~1/ KM )
[Na ]
+
[Na ] +
Na
Membran Carrier
+
2
+
[H ]
Jmax Außenlösung
Vesikel
1
A
Transportrate J (nmol · s · cm )
+
[H ]
2
H
Jmax 2
überschießende Aufnahme 3
9
1
4
Na -Aufnahme in die Vesikel (10 mol/mg)
0
J ·c aktuelle J = max Transportrate KM + c
0
5
KM
10
1 1 KM 1 = · + J c Jmax Jmax 1
B
0,5 1 Jmax
1 KM
0
+
nur Na -Gradient + treibt Na -Aufnahme
0
0,5
1 c
1
0
1
lg
Jmax J
[H ] = n · lgc n · lgKM
1
C lg
J Jmax J 0,5 Steigung n
0 0
0,5
lg c
1
Abb. 2.10 Michaelis-Menten-Kinetik. Die Anzahl der transportierenden Carrier bestimmt die maximale Transportrate (Jmax). c ist die Konzentration des zu transportierenden Stoffes (z. B. D-Glucose). Seine Affinität zum Carrier wird durch den Kehrwert des sog. KM-Werts wiedergegeben (KM = c bei ½ Jmax), und sie bestimmt die Anfangssteilheit und die Krümmung der Kurve. Bei niedrigen Konzentrationen ist der Transport J der Konzentration fast linear proportional (fast linearer Kurvenanstieg in A). Mit zunehmender Konzentration wird der Anstieg von J immer flacher und erreicht schließlich den Sättigungswert Jmax. Um KM und Jmax zu bestimmen, werden häufig linearisierte Auftragungsweisen verwendet. Bei der Auftragung 1/J gegen 1/c (B) erhält man Jmax bzw. KM aus den y- bzw. x-Achsen-Abschnitten. In der linearisiert-logarithmischen Auftragung (C) entspricht die Steigung (n) dem sog. Hill-Koeffizienten. Letzterer ist ein Maß für die Kooperativität der Bindungsstellen, aus ihm kann also die Stöchiometrie der Substrat-Carrier-Interaktion abgelesen werden. Wird von einem Carrier 1 Substratmolekül transportiert, so beträgt die Steigung n = 1, bei 2 Substratmolekülen pro Carrier n = 2 usw.
2
3
4
5
60
Zeit (min)
[Na ] +
J
Gleichgewicht: + + Na - und H -Gradient aufgebraucht
1
+
+
2
+
1 J
+
Na - und H -Gradient + treiben Na -Aufnahme
+
+
[Na ]
Na +
H
+
Vesikel
[H ]
Abb. 2.11 Gegentransport von H+-Ionen und Na+-Ionen in Bürstensaumvesikeln von proximalen Nephronzellen. Membranvesikel werden in einer Lösung mit niedriger Na+Konzentration vorinkubiert, um eine niedrige intravesikuläre Na+-Konzentration zu erzielen. Dann wird zum Zeitpunkt Null die Na+-Konzentration in der Außenlösung erhöht. In kurzen Zeitabschnitten wird nun die Aufnahme von Na+ in die Vesikel gemessen (blaugrüne Kurve). Durch Vorinkubation der Vesikel in einer Lösung mit saurem pH-Wert und niedriger Na+-Konzentration wird die Aufnahme von Na+ stark beschleunigt (braune Kurve). In beiden Fällen kommt es nach etwa einer Stunde zum Konzentrationsausgleich für H+ und Na+ (Gleichgewicht). Die erhöhte Aufnahme im Anfangsteil der oberen Kurve wird überschießende Aufnahme (overshoot) genannt (Daten nach 46) und zeigt, dass die Na+-Aufnahme durch einen auswärtsgerichteten H+Gradienten stimuliert wird. Solche experimentellen Beobachtungen führten zum Konzept des Na+/H+-Austausch(Antiport-)Carriers, dessen molekulare Struktur und Funktion inzwischen aufgeklärt wurde und der in unterschiedlichen Subtypen in praktisch jeder Zelle des Körpers vorkommt (17).
über einen Wert von 10 mmol/l steigt. Für den Arzt ist die Glukosurie ein wichtiges Symptom bei der Diagnose und Verlaufskontrolle dieser Erkrankung. Die Funktionsweise von Carrierproteinen wurde vorwiegend mit der sog. Vesikeltechnik aufgeklärt. Dabei werden Membranen unter Zerstörung der Zellen (Homogenisation) aus ihrem natürlichen Verband herausgelöst. Solche Membranen bilden in Gegen-
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2 Die Zelle als Grundbaustein wart divalenter Kationen (Ca2+, Mg2+) spontan kleine Bläschen (Vesikel). Durch Zentrifugation werden Vesikel aus unterschiedlichen Membranregionen getrennt und angereichert. Der Inhalt der Vesikel kann durch Vorinkubation festgelegt werden. Dann kann die Aufnahme eines Substrates von der Badlösung oder die Abgabe aus dem intravesikulären Raum in Abhängigkeit von der Zeit verfolgt werden. Abb. 2.11 zeigt ein solches Experiment (46). Beim ersten Ansatz waren die Vesikel pH-äquilibriert ([H+i] = [H+a]) und Na+ wurde dem Außenmedium zugegeben. Hierdurch kam es zur Na+-Aufnahme, die nach kurzer Zeit einen konstanten Wert (Gleichgewicht) erreichte. Im zweiten Ansatz wurde ein H+Gradient vorgegeben, der von innen nach außen gerichtet war: [H+]i > [H+]a. Hierdurch wurde die initiale Na+-Aufnahme beschleunigt. Diese Daten sind so zu interpretieren, dass die Na+Aufnahme an die H+-Abgabe gekoppelt ist. In der Tat ist mit derartigen Experimenten zum ersten Mal die Existenz des – wie man inzwischen weiß (17) – ubiquitären Na+/H+-Antiporters nachgewiesen worden. Solche Versuche mit Membranvesikeln erlauben die Austestung von Hemmstoffen, die Bestimmung der kinetischen Eigenschaften und die Untersuchung der Regulation des Transportproteins. So wurde für das Na+/H+-Austauschsystem gezeigt, dass es vor allem durch pH-Änderungen auf der zytosolischen Seite so modifiziert wird, dass Azidose zu einer Steigerung der Umsatzrate, Alkalose zu einer Reduktion führen (14). Damit wird der Zell-pH reguliert – allerdings zu Lasten einer Na+-Aufnahme. Diese Na+-Aufnahme in die Zelle würde zu einer Na+-Akkumulation führen, wenn nicht durch die Beschleunigung der Pumpaktivität der Na+-K+-ATPase (s. u.) das aufgenommene Na+ wieder aus der Zelle herausgepumpt werden würde.
Ionenpumpen transportieren „primär-aktiv“ unter Verbrauch von ATP Ionenpumpen können hohe transmembranale Ionenkonzentrationsunterschiede erzeugen. Sie sind Membranproteine, die unter direktem ATP-Verbrauch Ionen transportieren und daher „primär-aktive“ Transporter oder auch ATPasen genannt werden. Ionenpumpen erzeugen Ionengradienten, die wiederum dazu dienen können, Carriersysteme „sekundär-aktiv“ zu „treiben“ oder den Ionentransport durch Kanäle sicherzustellen. Ionenpumpen sind Membrantransportproteine, die direkt ATP verbrauchen (ATPase-Aktivität) und dabei Ionen transportieren. Damit ist klar, dass solche Pumpen die Tätigkeit einstellen, wenn die ATP-Produktion in den Mitochondrien der Zelle (Abb. 2.6, S. 20) zusammenbricht. Die bestuntersuchte Pumpe dieser Art ist die Na+K+-Pumpe (33), auch Na+-K+-aktivierbare ATPase oder kurz Na+-K+-ATPase genannt, die sich in der Plasmamembran praktisch aller Zellen findet und durch intrazelluläres Na+ und extrazelluläres K+ aktiviert wird. Abb. 2.12 A zeigt ein elektronenmikroskopisches Bild einer gefriergeätzten Membran. Die einzelnen Na+-K+Pumpen sind deutlich als kleine Partikel in der Membran sichtbar (vgl. auch Abb. 2.2 A, S. 16). Pro Pumpzyklus und Verbrauch eines Moleküls ATP werden 3 Na+ aus der Zelle heraus und 2 K+ in die Zelle hinein tranportiert (Abb. 2.12 B). Damit gehört die Na+-K+-Pumpe zur Gruppe der elektrogenen Transportmechanismen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass der durch sie vermittelte Transport mit einer Nettoverschiebung von elektrischer Ladung über die Zellmembran einhergeht. Die Elektrogenizität der Na+-K+-Pumpe trägt allerdings nur gering-
fügig (5 – 10 mV) zum negativen Ruhemembranpotenzial der Zellen bei; das Ruhemembranpotenzial kommt nämlich in erster Linie dadurch zustande, dass die Na+K+-ATPase einen K+-Konzentrationsgradienten schafft, der K+-Ionen über K+-Kanäle aus der Zelle treibt (s. u.; S. 64). Die Na+-K+-Pumpe, oder auch Na+-K+-ATPase, ist ein Proteinkomplex, der aus mindestens jeweils einer α-Untereinheit (ca. 100 kDa) und einer β-Untereinheit (45 – 50 kDa) aufgebaut ist. Die katalytische Funktion und die Bindung von Na+ und K+ können der α-Untereinheit zugeordnet werden. Während zur ATP-Spaltung die Anwesenheit der β-Untereinheit nicht nötig ist, müssen zum Pumpen der Ionen beide Untereinheiten vorhanden sein. Abb. 2.12 C zeigt schematisch die einzelnen Schritte eines Pumpzyklus der Na+-K+-ATPase: Auf der Membraninnenseite bindet ATP an einer katalytischen Untereinheit, ADP wird abgespalten und eine phosphorylierte Zwischenstufe erreicht. Nun werden drei Na+-Ionen gebunden. Die Affinität dieser Bindungsstellen für Na+ ist dabei so groß, dass sehr niedrige zytosolische Na+-Konzentrationen von ca. 10 mmol/l und darunter erzeugt und gehalten werden können. Die Konfiguration der Pumpe in dieser Phase nennt man E1-Form. In dieser Phase kommt es zur Konfigurationsänderung. Die Na+-Bindungsstellen gelangen jetzt auf die Außenseite der Membran, die Phosphatbindung hat ihre Energie verloren, und nach Abgabe der Na+-Ionen werden zwei K+-Bindungsstellen frei. In dieser sog. E2-Form werden nun zwei K+-Ionen auf der Außenseite aufgenommen, auf die Membraninnenseite gebracht und dort zusammen mit dem Phosphat freigegeben.
Eine besondere Eigenschaft der Na+-K+-ATPase ist ihre Hemmbarkeit durch Ouabain (g-Strophanthin), einem so genannten Herzglykosid, das als Medikament aus Pflanzen (z. B. aus Fingerhut) gewonnen, aber auch im Körper gebildet wird (S. 349). Die Bindungsstelle für Ouabain befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu den K+-Bindungsstellen. Die Ouabainbindung wird durch erhöhtes K+ auf der Außenseite behindert und umgekehrt durch erniedrigtes K+ gefördert. Dies erklärt, warum Überdosierungserscheinungen im Rahmen einer Therapie mit Herzglykosiden insbesondere bei Patienten mit niedriger Plasmakaliumkonzentration zu befürchten sind. Die Bindung von Ouabain hält die Pumpe beim Übergang von der E2-Form in die E1-Form an (Abb. 2.12 C). Damit stellt die Na+-K+-ATPase sowohl ihre Pumptätigkeit als auch die Spaltung von ATP ein. Ouabain war nicht nur eine wertvolle Hemmsubstanz bei der Aufdeckung der physiologischen Funktionen der Na+-K+-Pumpe. Die hemmende Wirkung auf die Na+-K+-Pumpe erklärt auch die seit Jahrhunderten bekannte, herzkraftsteigernde Wirkung von Strophanthinen und anderen Herzglykosiden (Digoxin, Digitoxin), die bei der Therapie der Herzinsuffizienz eine wichtige klinische Rolle spielen. In der Herzmuskelzelle wird die zytosolische Ca2+-Konzentration nämlich u. a. dadurch gesenkt, dass Ca2+ mit Hilfe des 3Na+/Ca2+-Antiporters durch den (von der Na+-K+Pumpe erzeugten) elektrochemischen Na+-Gradienten sekundär-aktiv aus der Zelle getrieben wird (Abb. 7.20 auf S. 154). Eine teilweise Hemmung der Na+-K+Pumpe durch die Herzglykoside erhöht die zytosolische Na+-Konzentration. Dadurch sinkt der elektrochemische Na+-Gradient, d. h. die Triebkraft für den
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2.3 Transportwege durch die Zellmembran A Membranvesikel +
+
3 Na
+
B Na - K -ATPase
außen Membran 3 nm innen +
2K
ADP
ATP
C Reaktionsschema
Extrazellulärraum +
[K ]
+
[Na ]
Ouabain (g-Strophanthin)
Zustand E2
P
P
6.
P
5. +
4.
+
Na - K -ATPase b-Untera-Untereinheit einheit
Membran
7.
+
[K ] Zytosol
+
3 Na
+
2K
1. +
Na -Affinität niedrig
+
[Na ] P
+
2K
Abb. 2.12 Na+-K+-ATPase als Na+-K+-Pumpe. A Gefriergeätzte Membranvesikel bei 54 000facher Vergrößerung. Deutlich sind einzelne Na+-K+-Pumpen als Korpuskel (*) sichtbar (nach 42). B und C Reaktionsschema der Na+-K+-ATPase. Die Pumpe besteht aus mindestens zwei Untereinheiten (α und β). Zunächst wird in der sog. E1-Form der ATPase ATP gebunden und eine Stelle des Proteins mit einer energiereichen Phosphatbindung (∼P) versehen. Hierdurch ändert sich die Konformation des Moleküls: Die 3 Na+-Bindungsstellen werden freigegeben, und Na+ wird auf die andere Membran-
3Na+/Ca2+-Austauscher, so dass die zytosolische Ca2+Konzentration und damit die Herzkraft (Kontraktilität) ansteigt (S. 154). Außerdem wird neuerdings diskutiert, dass Herzglykoside möglicherweise auch durch eine Steigerung der Ca2+-Permeabilität von Na+-Kanälen die intrazelluläre Ca2+-Konzentration erhöhen. Dass Herzglykoside in höheren Dosen schnell toxisch sein können, erklärt sich aus der zentralen Bedeutung der Na+-K+-Pumpe für praktisch alle Körperzellen (s. u.). Mit zunehmender Hemmung der Na+-K+-Pumpe vermindern sich die Konzentrationsgradienten für Na+ und K+, was zu einem sukzessiven Zusammenbruch des Zellmembranpotenzials führt, wodurch wiederum andere lebenswichtige Funktionen der Zellen beeinträchtigt werden. Klinisch im Vordergrund steht bei einer Überdosierung von Herzglykosiden, neben einer Reihe von Allgemeinsymptomen (z. B. Übelkeit, Sehstörungen), das Auftreten von zum Teil lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörun-
2.
ATP
2+
Mg
P ADP
+
Na -Affinität hoch
Zustand E1
3. P +
3 Na
seite transportiert. Die Phosphatbindung hat jetzt ihre Energie verloren und K+-Bindungsstellen werden freigegeben (Zustand E2). K+ wird gebunden, auf die Zytosolseite transportiert und dort unter gleichzeitiger Abspaltung des Phosphatrestes abgegeben. Die Na+-K+-ATPase(-Pumpe) befindet sich nun wieder in der Ausgangsform. Das Herzglykosid Ouabain (g-Strophanthin) bindet in unmittelbarer Nachbarschaft zu den K+-Bindungsstellen und hemmt dadurch die Na+-K+-ATPase.
gen, die sich häufig durch einen AV-Block 1. Grades ankündigen (S. 170). Neben der Na+-K+-ATPase(-Pumpe) kommen noch zwei Arten von Ionenpumpen relativ häufig vor. Die einen sind die H+-ATPasen, die entweder unter ATP-Verbrauch H+Ionen in einem Kompartiment anreichern (z. B. Lysosomen) oder einen H+-Gradienten ausnutzen, um ATP zu produzieren (Mitochondrien; S. 20 f.). Ähnliche Pumpen, die H+-Ionen gegen K+ austauschen (H+-K+-ATPasen), kommen auch an Epithelien vor, z. B. im Magen, wo unter ATP-Verbrauch ein stark saurer Magensaft gebildet wird (S. 428 f., Abb. 14.12). Eine weitere Art sind die Ca2+ATPasen, die Ca2+ unter ATP-Verbrauch pumpen, z. B. in Zellmembranen, im sarkoplasmatischen Retikulum (SERCA-Pumpe; S. 154) oder in Mitochondrien. Mit Hilfe dieser Ca2+-Pumpen werden die enormen Ca2+-Konzentrationsgradienten (z. B. zwischen Extrazellulärraum und Zytosol) von vier Dekaden und mehr aufgebaut.
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32
2 Die Zelle als Grundbaustein
Pumpen, Carrier und Kanäle im Vergleich Pumpen, Carrier und Kanäle haben gemeinsam, dass sie ganz bestimmte Substrate mit hoher Selektivität durch die Membran transportieren. Bei Ionenkanälen treibt der elektrochemische Gradient für das betreffende Ion den Nettotransport. Bei Carrierproteinen ist es die Konzentrationsdifferenz oder (bei elektrogenen Carriern) der elektrochemische Gradient, doch besteht häufig eine Kopplung an Na+, wodurch die Triebkraft für Na+ ausgenutzt wird, um das gekoppelte Substrat entgegen seinem elektrochemischen Gradienten zu transportieren (sekundär-aktiver Transport; s. o.). Ionenpumpen können unter ATP-Verbrauch besonders große Konzentrationsdifferenzen aufbauen. Weil nur bei diesen letzteren Prozessen der ATP-Verbrauch direkt an den Transport gekoppelt ist, nennt man diese Transportvorgänge „primär-aktiv“.
2.4
Ionale Zusammensetzung von Intra- und Extrazellulärflüssigkeit
In der Intrazellulärflüssigkeit ist K+ das dominierende Kation. Die meisten Anionen dieses Kompartiments sind große impermeable Moleküle (Proteine, Phosphate). Die Konzentration an freiem, d. h. ionisiertem Ca2+ ist im Zytosol mit etwa 10–7 mol/l sehr niedrig. In der Extrazellulärflüssigkeit ist Na+ das dominierende Kation und Cl– das dominierende Anion. Die ungleiche Ionenverteilung zwischen Zytosol und Extrazellulärraum wird durch Ionenpumpen (z. B. Na+-K+-ATPase, Ca2+ATPase), durch Carriersysteme (z. B. 3 Na+/Ca2+-Antiport, Na+/H+-Antiport) und durch Ionenkanäle (z. B. Cl–Kanäle) aufrechterhalten.
Zwischen Extra- und Intrazellulärflüssigkeit bestehen Ionengradienten insbesondere für Na+ und K+ Die Ionenzusammensetzung der Extra- und Intrazellulärflüssigkeit ist unterschiedlich, was für die Funktion der Zelle von elementarer Bedeutung ist. Dabei bleibt das Prinzip der Elektroneutralität gewahrt, d. h. in einer Lösung ist die Summe der positiven Ladungen stets gleich der Summe der negativen Ladungen. Tab. 2.1 fasst die Konzentrationen für einige wichtige Ionen in der Intraund Extrazellulärflüssigkeit zusammen, wobei sich die Angaben auf die zytosolische Flüssigkeit und die interstitielle Flüssigkeit beziehen. Die Zusammensetzung der Plasmaflüssigkeit, die ebenfalls zur Extrazellulärflüssigkeit gehört, ist zwar ganz ähnlich aber nicht identisch mit der der interstitiellen Flüssigkeit. Die Unterschiede beruhen vor allem auf dem hohen Proteingehalt der Plasmaflüssigkeit, der etwa 7 % des Plasmavolumens ausmacht (S. 379 ff.; Tab. 13.1). Auch die Zusammensetzung der Flüssigkeit in den Zellorganellen kann deutlich von der der zytosolischen Flüssigkeit abweichen. Auf diese Feinheiten soll hier aber nicht eingegangen werden, sondern es soll der wesentliche Unterschied in der Zusammensetzung der Intra- und Extrazellulärflüssigkeit hervorgehoben werden. Dieser besteht darin, dass die Na+Konzentration extrazellulär hoch und intrazellulär nied-
rig ist, während umgekehrt die K+-Konzentration intrazellulär hoch und extrazellulär niedrig ist. Diese entgegengesetzt gerichteten Konzentrationsgradienten für Na+ und K+ werden durch die kontinuierliche Pumpleistung der Na+-K+-ATPase aufgebaut, die den Motor für die ungleiche Ionenverteilung zwischen Intra- und Extrazellulärflüssigkeit darstellt (s. u.). Im Extrazellulärraum ist Cl– das häufigste Anion, während im Intrazellulärraum anionische Proteine und Phosphate überwiegen. Bicarbonat ist in beiden Kompartimenten ein wichtiges Anion, wobei seine intrazelluläre Konzentration etwas niedriger ist als die extrazelluläre. In Übereinstimmung damit liegt der pH-Wert im Zytosol typischerweise um pH 7,2 und ist damit geringfügig saurer als der extrazelluläre pH von 7,4. Die Konzentration von ionisiertem Ca2+ liegt im Extrazellulärraum im Bereich von 1 – 2 mmol/l, im Zytosol dagegen normalerweise bei etwa 0,1 µmol/l (10–4 mmol/l oder 10–7 mol/l). Die meisten Zellen weisen ein Membranpotenzial im Bereich von – 50 bis – 80 mV auf (Zytosolseite negativ gegenüber Extrazellulärraum). Für dessen Zustandekommen ist die Ungleichverteilung der Ionen, insbesondere von K+, zwischen Extra- und Intrazellulärraum sowie das Vorhandensein einer dominierenden K+-Leitfähigkeit von entscheidender Bedeutung (S. 64). Die Verwendung von Konzentrationen vernachlässigt, dass in reellen, d. h. relativ konzentrierten Lösungen, die Aktivität (a) eines Ions deutlich kleiner ist als die Konzentration (c): a = f · c. Hierbei ist f der Aktivitätskoeffizient (S. 865 f.). Er beträgt z. B. für NaCl im Plasma (Osmolalität 290 – 300 mosm/l, T = 37 8C) 0,75. Üblicherweise verwendet man zumindest für die Angaben in der Extrazellulärflüssigkeit Konzentrationen, weil die meisten Bestimmungsmethoden die Konzentrationen und nicht die Aktivitäten erfassen. Hingegen misst man im Zytosol mit ionenselektiven Elektroden die Aktivitäten und nicht die Konzentrationen. Aus Gründen der Vereinfachung werden hier für beide Kompartimente bewusst Konzentrationen und nicht die Aktivitäten verwendet.
Die zentrale Rolle der Na+-K+-ATPase Im Folgenden soll kurz zusammengefasst werden, wie diese ungleiche Ionenverteilung zwischen Intra- und Extrazellulärflüssigkeit zustande kommt und welcher Zusammenhang mit dem Membranpotenzial besteht, wobei für eine ausführliche Besprechung des Membranpotenzials auf Kapitel 4 verwiesen wird. Abb. 2.13 zeigt ein Schema zur Ionenverteilung, das etwa gleichermaßen für eine ruhende Nervenzelle oder eine apolare, nicht erregbare Zelle zutrifft. Die zytosolische Na+-Konzentration ist niedrig und die von K+ hoch, weil die Na+-K+-Pumpe laufend Na+ aus der Zelle heraus- und K+ in die Zelle hineintransportiert. Die Membran der dargestellten Zelle sei, wie für die meisten Zellen des Körpers, aufgrund einer hohen Dichte und Aktivität von K+-Kanälen überwiegend für K+ permeabel, auch wenn zusätzlich in der Zellmembran Kanäle für andere Ionen existieren (z. B. für Na+, Ca2+ und Cl–). Die Akkumulation von K+ in der Zelle führt dazu, dass sich die Zellmembran entsprechend der dominierenden K+-Leitfähigkeit so polarisiert, wie es annähernd dem K+-Gleichgewichtspotenzial entspricht (S. 64); d. h. das in Abb. 2.13 gezeigte Membranpotenzial
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2.4 Ionale Zusammensetzung von Intra- und Extrazellulärflüssigkeit ist mit – 80 mV nur 10 mV von dem Potenzial entfernt, wie es aus der K+-Verteilung und der Nernst-Gleichung (S. 25) errechnet werden kann (EK = – 90 mV). Gäbe es keinerlei Na+- und Ca2+-Einstrom, könnte die Zelle dank der einmal etablierten Na+- und K+-Gradienten auch ohne fortlaufende Na+-K+-ATPase-Aktivität den Gleichgewichtszustand halten mit einem stabilen Membranpotenzial, das dem Gleichgewichtspotenzial für K+ entspräche. Im Regelfall, und besonders bei Nervenzellen oder auch bei transportierenden Epithelzellen, hat die Zelle aber laufend mit dem Na+-Einstrom über Kanäle und sonstige Na+-Aufnahmesysteme (Abb. 2.13 und Abb. 2.14) Schritt zu halten, wozu eine entsprechende Pumpaktivität der Na+-K+-ATPase erforderlich ist. Der kontinuierlich aufrechterhaltene Na+-Gradient wird von Carrierproteinen für die Aufnahme von Substraten und den Heraustransport von H+- und Ca2+-Ionen ausgenutzt. Die fein regulierten Ca2+-Kanäle lassen im Ruhezustand einen nur sehr begrenzten Ca2+-Einstrom zu. Dieser Ca2+-Einstrom, für den eine sehr hohe Triebkraft besteht (∆E = Em – ECa = – 80 mV – [+ 120 mV] = – 200 mV), wird laufend durch den Heraustransport von Ca2+ über das 3Na+/Ca2+-Gegentransportsystem sowie durch Ca2+-ATPasen ausgeglichen. Über in der Membran befindliche Cl–-Kanäle verteilen sich die intra- und extrazellulären Cl–-Ionen in der Regel so, dass sie sich im elektrochemischen Gleichgewicht befinden. Für das in Abb. 2.13 gezeigte Beispiel (Em = – 80 mV; extrazelluläre Cl–-Konzentration = 117 mmol/l) ist dies bei einer intrazellulären Cl–-Konzentration von etwa 6 mmol/l der Fall, da bei dieser Konzentration das Gleichgewichtspotenzial für Cl– dem Membranpotenzial Em entspricht. Cl– verteilt sich allerdings nicht in allen Körperzellen rein passiv entsprechend dem Membranpotenzial, sondern wird in manchen Zellen durch „sekundär-aktive“ Transportsysteme intrazellulär akkumuliert, was beispielsweise in Cl–-sezernierenden Epithelzellen funktionell von Bedeutung ist (Abb. 14.18 A, S. 440, u. Abb. 14.20, S. 445). Je nach Zelltyp kann die intrazelluläre Cl–-Konzentration also variieren. Die großen intrazellulären Anionen, insbesondere die intrazellulären Proteine, können die Zelle im Gegensatz zu Cl– nicht verlassen, da die Zellmembran keine entsprechenden Permeationswege aufweist. Die durch die Na+K+-ATPase intrazellulär akkumulierten K+-Ionen gleichen die negativen Ladungen dieser großen Anionen aus (Elektroneutralität). Somit konserviert die Zelle ihre Osmolalität durch die „Dichtheit“ der Zellmembran für große Anionen. Wird eine Zelle z. B. dadurch belastet, dass über entsprechend aktivierte Kanäle Na+ einströmt, so kommt es zu einer mehr oder weniger ausgeprägten Depolarisation, da das Membranpotenzial aufgrund der Zunahme der Na+-Leitfähigkeit der Membran dem Gleichgewichtspotenzial von Na+ von etwa + 60 mV zustrebt (S. 68). Die Folge der Depolarisation ist die intrazelluläre Anreicherung von Cl–, das sich entsprechend dem veränderten Membranpotenzial neu verteilt. Die Zelle nimmt also sowohl Na+ als auch Cl– auf. Dadurch kommt es zu einem Anstieg der intrazellulären Osmolarität, was einen osmotischen Wassereinstrom und damit eine Zellschwellung zur Folge hat. Dies tritt allerdings nur dann auf, wenn der Na+-Einstrom die Fähigkeit der
ATP-getriebene Pumpe
+
Na
+
K mV
Ionenkanal Carriermolekül 2+
Ca
+
K ATP
+
3 Na
mmol/l H2O +
[K ] + [Na ] 2+ [Ca ] [A ] [HCO3 ] [Cl ]
= 120 = 15 = 107. In diesem Beispiel wird die Reaktion durch β-Adrenozeptoren in der Zellmembran von Leber- und Muskelzellen vermittelt. Dort führt die Bindung des Hormons Adrenalin (oder anderer βAgonisten) an einem spezifischen Adrenozeptor zur Bildung von zyklischem Adenosinmonophosphat (cAMP) aus ATP (Abb. 2.15, Abb. 2.16). Die Reaktion wird von einem Enzym, der Adenylylcyclase, vermittelt. Die Kopplung derartiger Rezeptoren mit der Adenylylcyclase erfolgt über G-Proteine (24). Ihren Namen verdanken diese Proteine der Tatsache, dass sie Guanosintriphosphat (GTP) bzw. Guanosindiphosphat (GDP) binden. Diese Proteine sind membranständig und befinden sich auf der Zytosolseite. In inaktiver Form liegen sie immer als Komplex von drei Untereinheiten (Abb. 2.15) vor. In dieser „ruhenden“ Form bindet die α-Untereinheit GDP. Durch Interaktion mit dem Rezeptor-Agonisten-Komplex wird GDP durch GTP ersetzt. Nun trennt sich einerseits der RezeptorAgonisten-Komplex und andererseits die β- und γ-Untereinheit von der GTP-bindenden α-Untereinheit. Je nach Rezeptortyp und Art des interagierenden G-Proteins kann sowohl die α-Untereinheit als auch der Komplex aus βund γ-Untereinheit eines G-Proteins für die weitere Signaltransduktion von Bedeutung sein. Im Falle des β-Adrenozeptors ist es die GTP-bindende α-Untereinheit, die an die Adenylylcyclase bindet und diese aktiviert. Die Adenylylcyclase (auch Adenylatcyclase genannt) beginnt, aus ATP cAMP zu produzieren. Allerdings wird der Prozess sehr bald spontan dadurch unterbrochen, dass das GTP an der α-Untereinheit zu GDP hydrolysiert wird. Hierdurch reassoziiert das komplette G-Protein (α-β-γ) und steht für eine erneute Rezeptor-Agonisten-Komplex-Interaktion zur Verfügung. cAMP seinerseits steuert Phosphorylierungsprozesse von Proteinen, indem es Proteinkinasen vom ATyp (PKA) aktiviert. Kinasen sind phosphorylierende Enzyme, und Proteinkinasen phosphorylieren Proteine an den OH-Gruppen ihrer Tyrosin-, Serin- oder ThreoninReste (Abb. 2.18 auf S. 39). Die ubiquitäre PKA besteht aus einem Dimer von jeweils zwei regulierenden und zwei katalytischen Untereinheiten. Die regulierenden Untereinheiten binden cAMP und geben dadurch die katalytischen Untereinheiten frei, die dann ihrerseits die Proteinphosphorylierung steuern. Die phosphorylierten Proteine
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2.6 Hormone und Mechanismen der Signaltransduktion Hormon
1
außen
Rezeptor
a
b g
Rezeptor
g
Membran
b
2 G-Protein Adenylylcyclase
GDP
a Adenylylcyclase
GTP
Zytosol
GDP
7 3 b
a GDP
g
b Adenylylcyclase
a
g
Adenylylcyclase
GTP
P 5-AMP
8
Protein
P
4 cAMP
Phosphodiesterase
ATP
5
cAMP-Rezeptor regulierende Untereinheit katalytische Proteinkinase A Untereinheit
Phosphatasen
9 Protein
Protein P
6 Hormonwirkung in der Zelle
Abb. 2.15 Hormonale Steuerung über zyklisches Adenosinmonophosphat (cAMP). Die Hormonbindung führt zur Dissoziation des G-Proteins in die α-Untereinheit und die βund γ-Untereinheiten (1). Hierbei bindet die α-Untereinheit GTP und ersetzt dabei GDP (2). Die GTP-bindende α-Untereinheit reagiert nunmehr mit der eigentlichen Adenylylcyclase (3), wodurch diese aktiviert wird und aus ATP (Mg2+abhängig) cAMP bildet (4). cAMP seinerseits aktiviert eine
vermitteln dann die regulatorischen Wirkungen auf Zellfunktionen, im obigen Beispiel fördern sie die Glykogenolyse. Auch die Wirkung von cAMP und die der phosphorylierten Proteine wird ständig dadurch kontrolliert, dass einerseits cAMP über eine Phosphodiesterase zu 5′-AMP gespalten und andererseits die Proteinphosphorylierung durch Phosphatasen rückgängig gemacht wird. Auf den Verstärkungsfaktor, der durch diese komplexe Transduktion gewährleistet wird, wurde oben schon eingegangen. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass verschiedene Rezeptoren auf den gleichen intrazellulären Botenstoff (Second Messenger) konvergieren können. Mehr noch: Es kommen zwei Arten von G-Proteinen vor,
ATP ADP Phosphorylierung
Proteinkinase vom Typ A (PKA) (5), die durch Phosphorylierung eines Proteins die eigentliche Hormonwirkung in der Zelle auslöst (6). Die cAMP-Produktion wird dadurch unterbrochen, dass GTP wieder zu GDP hydrolysiert wird (7). Darüber hinaus wird cAMP durch Phosphodiesterase zu 5′AMP gespalten (8), und unabhängig davon werden die phosphorylierten Proteine durch Phosphatasen wieder dephosphoryliert (9).
fördernde, davon war eben die Rede, und hemmende. Man unterscheidet also stimulierende (Gs) und hemmende (inhibierende, Gi) G-Proteine. So kann die Adenylylcyclase von fördernden Hormonen gesteigert und von hemmenden Hormonen gebremst werden (Abb. 2.16). Ein weiterer Vorteil der Koppelung über G-Proteine besteht darin, dass die Hormoneffekte durch den spontanen Abbau von GTP schnell beendet werden und somit der Hormoneffekt rasch „abgeschaltet“ werden kann. Die ganze Transduktionskette, die bisher besprochen wurde, wird üblicherweise in wenigen Sekunden bis Minuten durchlaufen. Ihre Entdeckung ist eng mit der Erforschung pathophysiologischer Vorgänge verknüpft.
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37
2 Die Zelle als Grundbaustein
Acetylcholin (M2,M4) Adenosin (A1,A3) Adrenalin (a2) Angiotensin II Dopamin (D2,D3,D4) Melatonin Prostaglandine Serotonin (HT1) Somatostatin u. a.
Oxytocin Prostacyclin Prostaglandine Sekretin Serotonin (5-HT4, 5-HT7) VIP u. a.
stimulierende Hormone (Hs )
spezifische Rezeptoren (R)
Rs
Ri Membran
G-Proteine (G)
Forskolin Gi
Gs
as
b g
b g
Adenylylcyclase
ai
ATP cAMP Pertussistoxin hemmt GTPBindung
P
Forskolin (Abb. 2.16) aus der Wurzel von Coleus Forskohlii aktiviert die katalytische Untereinheit der Adenylylcyclase direkt. Forskolin wird daher häufig experimentell eingesetzt, um die Rolle des cAMP-Signaltransduktionsweges in Zellen zu untersuchen. Viele Peptidhormone, manche Prostaglandine, Catecholamine und Adenosin benützen den bisher geschilderten Transduktionsmechanismus. Sie wirken z.T. über G-Proteine, die die Adenylylcyclase stimulieren (Gs), z.T. über solche die sie hemmen (Gi) (Abb. 2.16, oben links bzw. oben rechts.)
Die hormonabhängige IP3-Kaskade
GTP
GTP
Choleratoxin hemmt GTPHydrolyse
maximal aktiviert wird (Abb. 2.16). Im Fall von Pertussis-(Keuchhusten-)Toxin kommt der Effekt dadurch zustande, dass das hemmende Gi-Protein nicht mehr aktiviert werden kann und somit das stimulierende Gs-Protein relativ zuviel cAMP produziert (Abb. 2.16). Im Trachealepithel (s. S. 220) führt das zu einer Steigerung der NaCl– und Wassersekretion. Der Zusammenhang mit dem Krankheitsbild Keuchhusten ist damit allerdings noch nicht befriedigend geklärt.
hemmende Hormone (H i) außen
ACTH Adenosin (A2A,A2B) Adiuretin (V2) Adrenalin (b) CRH Dopamin (D1, D5) FSH Glucagon Histamin (H2)
Zytosol
38
Proteinkinase A s. vorherige Abb.
Abb. 2.16 cAMP-fördernde und -hemmende Hormone. Hier werden der stimulierende Weg und der antagonisierende (hemmende) Weg zusammengefasst. Stimulierendes bzw. inhibitorisches Hormon (Hs, Hi) wirken über den entsprechenden Rezeptor (Rs, Ri) aktivierend auf ein stimulierendes bzw. inhibitorisches G-Protein (Gs, Gi). Das jeweilige G-Protein wirkt auf die katalytische Untereinheit der Adenylylcyclase. Choleratoxin verhindert die Hydrolyse von α-Gs-GTP zu α-Gs-GDP und steigert damit die Aktivität der Adenylylcyclase. Pertussistoxin verhindert die GTP-Bindung am Gi-Protein und hebt damit die hemmende Wirkung an der Adenylylcyclase auf. Es steigert damit ebenfalls indirekt die cAMP-Konzentration im Zytosol. Im oberen Teil werden einige bekannte stimulierende und hemmende Hormone, die über Erhöhung bzw. Erniedrigung von cAMP wirken, zusammengefasst. Forskolin stammt aus der Wurzel von Coleus Forskohlii. Unter Umgehung des Rezeptors und des G-Proteins aktiviert Forskolin die katalytische Untereinheit der Adenylylcyclase direkt und steigert damit die Produktion von cAMP.
So wurden die G-Proteine dadurch entdeckt, dass sie bestimmte Toxine (Choleratoxin und Pertussistoxin) binden und dadurch in ihrer Aktivität beeinflusst werden. Im Fall von Choleratoxin konnte der Wirkmechanismus, der zum Öffnen von Chloridkanälen in der luminalen Membran des Ileums und des Kolons und damit zu Chlorid- und letztlich auch Na+- und Wasserverlust (Diarrhö) führt (s. S. 432), so erklärt werden, dass das Toxin die Gs-α-Untereinheit in der GTPbindenden Form ribosyliert, so dass keine spontane Inaktivierung mehr eintritt und die Adenylylcyclase
Weitere Hormone, deren Rezeptorprotein ebenfalls heptahelikal (= 7-mal die Membran kreuzend) ist, benützen Inositoltrisphosphat (IP3) und, parallel dazu, Diacylglycerin (DAG) als Second Messenger. IP3 wird aus dem Phospholipid P2-Phosphatidylinositol (PIP2) mittels der Phosphodiesterase Phospholipase C (PLC) abgespalten, wobei gleichzeitig DAG entsteht (Abb. 2.17). Ähnlich wie bei der Transduktion über cAMP werden auch hier GProteine benötigt (Gq), die den Hormon-Rezeptor-Komplex an PLC koppeln. IP3 wirkt in der Zelle über eine Freisetzung von Ca2+ aus Ca2+-Speichern. Das erhöhte intrazelluläre Ca2+ ist dann der tertiäre Botenstoff (s. u.), der z. B. die Freisetzung von Sekretvesikeln (z. B. Pankreas, Mastzellen) vermittelt. IP3 wird mit einem komplexen Metabolismus zunächst zu Tetrakisphosphat (IP4) phosphoryliert und schließlich wieder in Phosphatidylinositol überführt. Auch die Metaboliten, z. B. IP4, haben offenbar eine Steuerfunktion, indem sie beispielsweise die Ca2+Aufnahme über die Plasmamembran regulieren. Das andere Spaltprodukt der Phospholipase C, Diacylglycerin (DAG), hat ebenfalls die Funktion eines zweiten Botenstoffes. DAG stimuliert die Proteinkinase C (PKC). Diese Kinase phosphoryliert dann ihrerseits Proteine. Besonders interessant ist hierbei, dass die Aktivierung der Proteinkinase C meist Ca2+-abhängig ist: Erhöhtes Ca2+ verstärkt die Kinaseaktivierung durch DAG. Auf diesem Wege unterstützen sich also DAG und das durch IP3 freigesetzte Ca2+ in ihrer Wirkung. Die Hormonwirkung wird auch hier auf mehreren Stufen begrenzt, zum einen wieder über die Inaktivierung des G-Proteins (G-GTP → G-GDP), zum anderen über den IP3-Metabolismus und schließlich über Phosphatasen, die die phosphorylierten Proteine wieder dephosphorylieren. Schon eingangs wurde erwähnt, dass IP3-vermittelte Transduktionsprozesse von den gleichen Hormonen ausgehen können wie die cAMP-vermittelte Transduktion. So übt z. B. Vasopressin (antidiuretisches Hormon, ADH) seine cAMP-vermittelte Wirkung auf die Wasserpermeabilität des Nephrons über sog. V2-Rezeptoren aus (S. 390, Abb. 13.14), wohingegen die IP3-vermittelte Kontraktion der glatten Muskelzelle durch V1-Rezeptoren initiiert wird (S. 389). Ganz analog
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2.6 Hormone und Mechanismen der Signaltransduktion
Hormon
Endothelin Gastrin Histamin (H1) Oxytocin Serotonin (HT2) u.a.
Insulin
außen
Acetylcholin (M1, M3) Adiuretin (V1) Adrenalin (a1) Angiotensin II Bradykinin CCK
a
a
b
b
Interstitium Zellmembran
Phospholipase C
GTP
PIP2
IP3-Abbau IP3
DAG
Zytosol
Gq-Protein
Proteinkinase C
P PhosphotyrosinReste
Membran
Rezeptor
P
P
P
P
Tyrosinkinase
Zytosol
Autophosphorylierung
P Tyr
P
IRS-1
SH2
ATP ADP OH
O PO32
Abtransport
intrazellulärer 2+ Ca -Speicher Ca
Proteindephosphorylierung Ca
2+
2+
Calmodulin Proteinphosphorylierung Proteinmodifikation z.B. Kinaseaktivierung
direkte Effekte
Abb. 2.17 Kaskade der Hormonwirkung über den Phosphatidylinositol-Metabolismus. Rezeptoraktivierung löst über Bindung von GTP die Aktivierung eines Gq-Proteins aus, das nicht identisch ist mit den G-Proteinen, die die katalytische Untereinheit der Adenylylcyclase regulieren. Das aktive Go-Protein aktiviert seinerseits die Phospholipase C (PIP2-Phosphodiesterase), die Phosphatidylinositol-4,5-bisphosphat (PIP2) in Inositol-1,4,5-trisphosphat (IP3) und Diacylglycerin (DAG) spaltet. IP3 setzt Ca2+ aus seinen intrazellulären Speichern frei. Ca2+ seinerseits hat zum einen direkte Wirkungen, z. B. die Erhöhung einer K+-Leitfähigkeit. Es kann seine Effekte aber auch indirekt dadurch erzielen, dass es an Calmodulin bindet. Der Ca2+-Calmodulin-Komplex gibt das Signal weiter, indem er z. B. calmodulinabhängige Proteinkinasen aktiviert. Schließlich aktivieren DAG und Ca2+ gemeinsam eine Proteinkinase C. Die Wirkung des Hormons wird limitiert durch 1. Inaktivierung des Gq-Proteins, 2. Abbau von IP3 und Resynthese von PIP2, 3. Abtransport von Ca2+ aus dem Zytosol und 4. Phosphatasen, die Phosphatreste der phosphorylierten Proteine abspalten.
sind die cAMP-vermittelten Catecholamineffekte an βRezeptoren (über Gs-Protein) bzw. an α2-Rezeptoren (über Gi-Protein) gekoppelt, wohingegen die IP3-vermittelten Effekte über α1-Rezeptoren laufen.
Enzymgekoppelte Hormonrezeptoren
Bindung von Zielproteinen mit SH2-Domäne
Abb. 2.18 Enzymgekoppelter Hormonrezeptor. Insulin bindet an einen heterotetrameren Rezeptor mit 2α- und 2βUntereinheiten. Der Insulinrezeptor ist eine Rezeptor-Tyrosinkinase, d. h. er wird dadurch aktiviert, dass sich die zytosolischen Domänen der beiden β-Untereinheiten gegenseitig an ihren Tyrosinresten phosphorylieren (Autophosphorylierung). Die Weitergabe des Signals erfolgt durch Bindung und Phosphorylierung des Proteins IRS-1 (insulin receptor substrate-1), das zytosolische Proteine phosphoryliert, die eine so genannte SH2-Domäne besitzen.
auf der zytoplasmatischen Seite Guanylylcyclase-Aktivität und gehört zur Gruppe der Rezeptor-Guanylylcyclasen, die aus Guanosintriphosphat (GTP) den Second Messenger cGMP bilden, der in der Folge die Proteinkinase G (PKG) aktiviert. Im Fall von Insulin führt die Bindung an den heterotetrameren Rezeptor (2α- und 2β-Untereinheiten) zur Autophosphorylierung der β-Untereinheiten (Abb. 2.18). Der Insulinrezeptor ist eine Rezeptor-Tyrosinkinase, d. h. er wird dadurch aktiviert, dass sich die zytosolischen Domänen der beiden β-Untereinheiten gegenseitig an ihren Tyrosinresten phosphorylieren. Die Weitergabe des Signals erfolgt anschließend durch Bindung und Phosphorylierung des Proteins IRS-1 (Insulin receptor substrate-1), das in der Folge solche zytosolische Proteine phosphoryliert, die eine sog. SH2-Domäne besitzen. Zu deren Wirkungen in der Zelle zählt dann u. a. der Einbau neuer Glucose-Carrier in die Zellmembran z. B. von Skelettmuskel-, Herzmuskel- und Fettzellen. Somatotropin (STH), Prolactin und Erythropoietin steuern die Zellfunktion über Tyrosinkinase-assoziierteRezeptoren, bei denen der Rezeptor mit Nicht-RezeptorTyrosinkinasen zusammentritt (v. a. mit Proteinen der Src-Familie), die ihrerseits dann die Zielproteine phosphorylieren.
Einige Hormone und Wachstumsfaktoren (s. u.) aktivieren Membranrezeptoren, die dadurch auf der zytosolischen Seite selbst Enzymaktivität enfalten. So besitzt beispielsweise der Rezeptor für Atriopeptin (ANF; S. 160 u. 348 f.)
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2 Die Zelle als Grundbaustein
Wachstumsfaktoren Das Zellwachstum, die Reifung, die Proliferation und die Zelldifferenzierung werden durch sog. Wachstumsfaktoren gesteuert, von denen laufend neue entdeckt werden: neuronaler Wachstumsfaktor (nerve growth-factor, NGF); Neurotrophine; „brain derived neurotrophic growth factor“ (BDGF); „platelet derived growth factor“ (PDGF); eine ständig ansteigende Anzahl von Zytokinen (z. B. Interleukine, Kap. 9.4), die u. a. für die Reifung und Funktion von Leukozyten von Bedeutung sind; Thrombopoietin; „insulin-like growth factor“ (ILGF); Somatomedine etc. Diese hormonähnlichen Signalstoffe dienen vor allem der lokalen Kommunikation zwischen verschiedenen Zellen, wobei man eine autokrine Wirkung, bei der der Signalstoff auf die ihn sezernierende Zelle selbst einwirkt, von einer parakrinen Wirkung, bei der sich die Wirkung auf benachbarte Zellen erstreckt, unterscheidet. Das Wachstumshormon STH (S. 529 f.) und die oben genannten Hormone Insulin und Erythropoietin wirken ebenfalls als Wachstumsfaktoren. Bei vielen Wachstumsfaktoren spielen für die Signalvermittlung sog. Tyrosinkinasen (s. o.), die Phosphatreste auf die OH-Gruppen von Tyrosinresten übertragen, eine Rolle. Häufig tragen die Rezeptoren für diese Faktoren auf der Zytosolseite eine Vielzahl von Tyrosinresten, und der Rezeptor selbst hat Tyrosinkinaseaktivität wie bereits für den Insulinrezeptor beschrieben (Abb. 2.18). Das Signal setzt sich über eine Kaskade von Kinasen fort und wird letztlich über Transkriptionsfaktoren in den Zellkern getragen (vgl. Abb. 2.3, S. 17), wo diese Wachstumsfaktoren die Transkription bestimmter Genabschnitte steuern.
Calcium als Botenstoff Es wurde schon gezeigt, dass Ca2+ ein wichtiger Botenstoff für die Übermittlung der IP3-induzierten Hormonantwort ist. Generell ist Ca2+ notwendig für die Sekretion von Vesikeln, also auch für die Freisetzung von Neurotransmittern. Ca2+ reguliert in vielen Zellen die K+-Leitfähigkeit derart, dass eine erhöhte zytosolische Ca2+-Aktivität die K+-Kanäle öffnet (53). Auf einige Ca2+-vermittelte Prozesse und auf die Mechanismen der Ca2+-Homöostase wurde schon weiter oben verwiesen. Viele der Ca2+-vermittelten Prozesse werden nicht durch das Ca2+-Ion selbst, sondern durch ein Ca2+-bindendes Protein, Calmodulin, ausgelöst. Calmodulin ist ein zytosolisches Protein mit 148 Aminosäuren. Es hat vier Bindungsstellen für Ca2+ und ändert durch die Ca2+-Bindung seine Konfiguration. In dieser geänderten Konfiguration kann der Ca2+Calmodulin-Komplex dann andere Proteine (Enzyme) binden und deren Aktivität (calmodulinabhängige Kinasen) steuern (Abb. 2.17). Besondere Transduktionsmechanismen vermitteln die Einflüsse äußerer Reize in dafür spezialisierten Sinnesorganen. Die Energie des Reizes muss letztlich in ein elektrisches Signal umgewandelt werden, das dann an das Zentralnervensystem weitergegeben wird. Häufig spielt dabei eine Veränderung des transmembranalen Ca2+-Einstroms eine wesentliche Rolle. Große Fortschritte wurden in den vergangenen Jahren im Verständnis des Transduktionsprozesses in den Stäbchen und Zapfen der
Retina erzielt. Hier konnte gezeigt werden, dass der Lichtreiz zur Konzentrationsabnahme des Botenstoffes zyklisches GMP (cGMP) führt. Zyklisches GMP wirkt an der Stäbchenmembran direkt als zweiter Botenstoff und löst dort die Öffnung von cGMP-gesteuerten, nichtselektiven Ionenkanälen und damit einen Na+- und Ca2+-Einstrom und eine Depolarisation aus (35). Der Lichtreiz führt zu einer Abnahme von cGMP und somit zur Hyperpolarisation. Dieser Mechanismus und seine Einbindung in den Sehvorgang werden in Kapitel 23 ausführlich besprochen (vgl. Abb. 23.9, S. 694). Transduktionsprozesse sind Mechanismen der Verstärkung und der Feinkontrolle. Inzwischen werden immer vielfältigere Mechanismen erkannt. Wichtige intrazelluläre Botenstoffe, die praktisch ubiquitär vorkommen, sind cAMP, cGMP, IP3, DAG, zyklische ADP-Ribose (cADPR) und Ca2+. Häufig bestehen komplexe Wechselbeziehungen derart, dass verschiedene Hormone an einer Zelle auf einen Botenstoff konvergieren, dass sie einen Botenstoff in gegensätzlicher Weise beeinflussen oder dass mehrere Transduktionsmechanismen miteinander interferieren. So ist Ca2+ einerseits Botenstoff, modifiziert aber andererseits die DAG-induzierte PKC-Aktivierung und steuert über die Phosphodiesterase die Konzentration von cAMP.
Stickstoffmonoxid (NO), ein besonderer Botenstoff Aus L-Arginin kann in vielen Zellen Stickstoffmonoxid, NO, gebildet werden. Das hierfür notwendige Enzym, die NO-Synthetase (NOS) kommt in mindestens zwei Formen vor. Zum einen als induziertes und zum anderen als konstitutives Enzym. Ersteres wird z. B. durch Zytokine (s. u.) induziert, letzteres durch Ca2+ aktiviert. NO ist eine sehr labile Verbindung. Die kurze Halbwertszeit von nur wenigen Sekunden hat denn auch seine Entdeckung erschwert (22). Ohne die chemische Natur zu kennen, wurde die Substanz zunächst als endothelialer vasodilatierender Faktor (EDRF) beschrieben: So wurde gezeigt, dass Acetylcholin am intakten Gefäß zur Vasodilatation führte, nach Entfernung des Endothels dagegen zur Vasokonstriktion. Acetylcholin hatte in diesem Experiment damit zwei Effekte: zum einen einen direkten vasokonstriktorischen (über die in Abb. 2.17 gezeigte Kaskade) und einen indirekten, der durch das Endothel vermittelt wurde. Inzwischen weiß man, dass dem letzteren Effekt eine Freisetzung von NO zugrunde liegt (44, 52). Für diese Entdeckung erhielten R. F. Furchgott, L. Ignarro und F. Murad 1998 den Nobelpreis für Medizin und Physiologie. NO kommt eine besondere Bedeutung bei der Kontrolle des Gefäßwiderstandes zu (vgl. Kap. 8; S. 204). Darüber hinaus scheint es bei der Steuerung einer Vielzahl anderer Funktionen eine Rolle zu spielen: Als Neurotransmitter im ZNS und eventuell als Neurotoxin, als Makrophagenzytotoxin, als Hemmer der Plättchenaggregation sowie als Modulator der renalen Autoregulation. Die Kaskade der NO-Wirkung ist in Abb. 2.19 zusammengefasst. NO aktiviert die Guanylylcyclase. Zyklisches GMP wirkt dann als zweiter Botenstoff, indem es Proteinkinasen vom G-Typ (PKG) aktiviert. An der glatten Gefäßmuskulatur führt dies zur Relaxation (S. 126 ff.).
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2.7 Zelluläre Motilität
2.7 außen
Hormon
Membran
Rezeptor
Phospholipase C
Gq-Protein GTP
IP3
intrazellulärer 2+ Ca -Speicher
NO-Synthetase NADPH,O2
Arginin
Citrullin
Zytosol
2+
Ca
NO Guanylylcyclase cGMP
GTP
Proteinkinase G
Abb. 2.19 NO als Signalstoff. Die konstitutive Stickstoffmonoxid-(NO-)Bildung wird durch die zytosolische Ca2+Konzentration kontrolliert. Im vorliegenden Beispiel wird an einer Endothelzelle durch das Hormon (z. B. Acetylcholin) Ca2+ aus zytosolischen Speichern freigesetzt (vgl. auch Abb. 2.17). Dieses aktiviert die NO-Synthetase, die in der Folge aus Arginin NO freisetzt. NO aktiviert die Guanylylcyclase, die aus GTP zyklisches GMP (cGMP) produziert. cGMP aktiviert Proteinkinasen vom G-Typ (PKG). Hierdurch kommt es an der glatten Gefäßmuskulatur zur Relaxation.
Insbesondere zur Behandlung der Angina pectoris hatte man bereits seit langem – ohne es zu wissen – den gefäßerweiternden Effekt von NO klinisch genutzt. Unter Angina pectoris versteht man charakteristische Brustschmerzen, die mit einem Engegefühl einhergehen und typischerweise durch eine unzureichende Durchblutung des Herzmuskels verursacht werden aufgrund arteriosklerotischer Verengungen der Herzkranzgefäße. Das Medikament Nitroglyzerin (z. B. als sublingual applizierte Nitrokapseln, die der Patient zerbeißt) kann akut zu einer Linderung dieser Beschwerden führen. Inzwischen weiß man, dass das wirksame Abbauprodukt von Nitroglyzerin das NO ist, das vor allem durch eine periphere Vasodilatation die Herzarbeit und damit den Sauerstoffbedarf des Herzens senkt, was der Angina pectoris entgegenwirkt.
Zelluläre Motilität B. Brenner
Intrazelluläre Transportprozesse, Formänderungen und Fortbewegungen von Einzelzellen sowie Bewegung durch Flagellen, Zilien oder Muskelzellen resultieren aus Interaktionen von Motorproteinen mit Aktinfilamenten oder Mikrotubuli des Zytoskeletts. Motorproteine nutzen die chemische Energie der ATP-Hydrolyse, um sich an Aktinfilamenten oder Mikrotubuli entlang zu bewegen. Motorproteine gehören zu drei Familien, den Myosinen, Kinesinen und Dyneinen. Myosine interagieren mit Aktinfilamenten, Kinesine und Dyneine mit Mikrotubuli. Motorproteine haben ein aktives Zentrum. Seine Aufgabe ist, während der Spaltung von ATP Strukturumlagerungen zu induzieren, die in Kräfte und Bewegungen umgeformt werden. Myosine und Kinesine bestehen aus Kopfdomäne und variabler Schwanzdomäne. Die Schwanzdomäne vermittelt die Zusammenlagerung zu Dimeren bis hin zu Filamenten, oder sie ermöglicht die Bindung an Membranelemente. Als Folge können Vesikel an Filamenten des Zytoskeletts entlang transportiert oder Membransysteme am Zytoskelett verankert werden. Motorproteine können aber auch Zytoskelettstrukturen gegeneinander verschieben oder in hochgeordneten Strukturen wie Flagellen, Zilien oder Sarkomere integriert sein, die Bewegung einzelner Zellen oder ganzer Organismen ermöglichen.
Wechselwirkungen zwischen Motorproteinen und Zytoskelettstrukturen sind Grundlage zellulärer Motilität Praktisch alle Formen zellulärer Motilität, wie Endo- und Exozytose, Transport von Vesikeln, Formänderungen und Fortbewegung einzelner Zellen bis hin zu makroskopischen Kräften und Bewegungen durch Muskulatur sind Folge der Wechselwirkung von Motorproteinen mit Aktinfilamenten oder Mikrotubuli des Zytoskeletts. Manche Motorproteine üben ihre Funktion als Monomere aus, andere als Dimere (Abb. 2.20). Manche Motorproteine bilden Filamente, z. B. die Myosinfilamente der Muskulatur, oder sie sind in komplexe Strukturen wie Zilien, Flagellen und Sarkomere integriert. Motorproteine, die mit Aktinfilamenten interagieren, gehören zur Familie der Myosine (Abb. 2.20 A). Motorproteine, die sich an Mikrotubuli entlang bewegen, gehören entweder zur Familie der Kinesine (Abb. 2.21 B) oder zu den Dyneinen (Abb. 2.21 C). In der Myosinfamilie wurden bisher über zwanzig Untergruppen identifiziert, die eine Vielzahl verschiedener Funktionen erfüllen. Sie haben alle eine nahezu identische globuläre Kopfdomäne und eine hoch variable Schwanzdomäne. Die Kopfdomäne beinhaltet das aktive Zentrum, den Ort der ATP-Hydrolyse, und sie vermittelt die Bindung an Aktin. Der Kopfdomäne sind eine unterschiedliche Anzahl von leichten Ketten angelagert. Die variable Schwanzdomäne vermittelt die Bildung von Dimeren oder Filamenten, die Bindung an Membranen für vesikulären Transport oder die Verankerung von Membranen an Aktinfilamentbündeln, beispielsweise in den Mikrovilli des Darmepithels. Alle Myosine laufen zum Plus-Ende der Aktinfilamente, mit
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2 Die Zelle als Grundbaustein Plus-Ende der Mikrotubuli gibt es auch Kinesine, die sich zum Minus-Ende der Mikrotubuli bewegen. Vesikel können deshalb auch von Kinesinen je nach Wahl des transportierenden Kinesins sowohl zur Zellperipherie als auch zurück zum Zellzentrum transportiert werden. Bei den Dyneinen sind zwei Gruppen zu unterscheiden. Die zytoplasmatischen Dyneine transportieren Vesikel zum MinusEnde von Mikrotubuli (Abb. 2.21). Die ziliären Dyneine sind in den Axonemen der Flagellen und Zilien integriert (Abb. 2.22). Sie sind Motor des Zilienschlages und der Flagellenbewegung. Dyneine sind die größten bisher bekannten Motorproteine. Sie sind makromolekulare Komplexe aus einer Gruppe von schweren und leichten Ketten. Ihre genaue molekulare Struktur ist teilweise noch nicht bekannt.
A Myosine Klasse I
monomer
Kopfdomäne
II leichte Ketten
dimer
V VI
10 nm
B Kinesine Klasse 1
Motorproteine nutzen die chemische Energie der ATP-Hydrolyse, um sich an Zytoskelettstrukturen entlang zu bewegen
dimer
14 10 nm 3
monomer
C Dynein: Vesikeltransport
Vesikel
DynaktinKomplex
25 nm
Dynein Mikrotubulus
Abb. 2.20 Molekulare Motoren. (A) Myosine der Klassen I, II, V, und VI sind Beispiele für monomere und dimere Myosine. Myosine der Klasse II lagern sich über ihre Schwanzelemente zu Filamenten zusammen. Den Kopfdomänen sind am Übergang zu den Schwanzdomänen leichte Ketten angelagert. Die Zahl der angelagerten leichten Ketten ist für die verschiedenen Klassen charakteristisch. (B) Kinesine der Klasse 1, 14 und 3 sind Beispiele monomerer und dimerer Kinesine sowie von solchen mit Motordomäne am C-terminalen Ende (Klasse 14), die zum Minus-Ende der Mikrotubuli wandern (nach 1). (C) Zytoplasmatisches Dynein mit Dynaktin-Komplex zur Verankerung des Dyneins an Vesikeln (nach 1). Siehe auch Abb. 2.21.
Ausnahme von Myosin der Untergruppe VI (Myosin VI), das sich zum Minus-Ende bewegt. Demzufolge können Vesikel, je nach Wahl des transportierenden Myosins, in beide Richtungen an den Aktinfilamenten entlang transportiert werden (Abb. 2.21). Als Plus-Ende wird bei Aktinfilamenten und Mikrotubuli dasjenige Ende bezeichnet, an welches sich bei der Filamentbildung die Aktin- bzw. Tubulinmonomere anlagern. Die Kinesin-Familie umfasst über zehn Untergruppen. Die globuläre Kopfdomäne ist für alle Kinesine ebenfalls nahezu identisch. Sie vermittelt die Bindung an die Mikrotubuli und beinhaltet ebenfalls das aktive Zentrum zur ATP-Hydrolyse. Die Schwanzdomäne der Kinesine ist ähnlich den Myosinen hoch variabel und vermittelt Dimerisierung sowie Bindung an Transportgut beispielsweise in Form von Vesikeln. Der variablen Schwanzdomäne können leichte Ketten angelagert sein. Auch die Vertreter der Kinesine können sich jeweils nur in einer Richtung an den Mikrotubuli entlang bewegen. Neben Bewegung zum
Myosine und Kinesine haben ein strukturell nahezu identisches aktives Zentrum. In diesem induziert die ATP-Hydrolyse Umlagerungen von Strukturelementen, die an der Bindung von ATP und seinen Spaltprodukten, ADP und anorganisches Phosphat, beteiligt sind. Diese ersten Umlagerungen werden in mehreren Stufen verstärkt. Bei Myosinen erfolgt ein letzter Verstärkungsschritt durch ein Hebelarm-Element (Abb. 6.2), das durch die angelagerten leichten Ketten gekennzeichnet ist. Je nach Länge dieses Hebelarm-Elements kann sich ein Myosinmolekül pro hydrolysiertem ATP-Molekül zwischen 5 nm und fast 40 nm am Aktinfilament entlang bewegen. Im Verlauf der ATP-Hydrolyse ändert sich sowohl die Konformation der Kopfdomäne von Myosinen und Kinesinen als auch ihre Affinität zur Zytoskelettstruktur. Daraus resultiert eine geregelte, zyklische Abfolge von: – hochaffine Bindung an Aktinfilament oder Mikrotubulus, – Strukturänderungen der Kopfdomäne zur Weiterbewegung des Motorproteins, – Wechsel zu niederaffiner Bindung mit Ablösen des Kopfes vom Zytoskelettelement und schließlich der – Rückkehr der Kopfdomäne zu ihrer Ausgangskonfiguration. Bei jedem dieser Zyklen bewegt sich das Motorprotein einen Schritt am zugehörigen Zytoskelettelement weiter. Die Kopfdomänen von Dimeren beeinflussen sich wechselseitig, so dass sich Motorproteine über hunderte von ATPase-Zyklen koordiniert, „Hand über Hand“, an den Zytoskelettstrukturen entlang bewegen können.
Motorproteine vermitteln den intrazellulären Transport und sind an Stoffaufnahme (Endozytose) und Stoffabgabe (Exozytose) beteiligt Eine Hauptfunktion der molekularen Motoren ist Transport und Anordnung membranärer Zellorganellen. Kinesine sind beispielsweise für den schnellen axonalen Transport (s. S. 614) verantwortlich, also dem schnellen zentrifugalen Transport von Mitochondrien, von Vorläufern sekretorischer Vesikel oder von Bestandteilen der
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2.7 Zelluläre Motilität A intrazelluläre Transportprozesse
B Zellmigration Aktinkortex Lamellipodium
Zellkern
Golgi-Komplex
Endozytose
Aktinkortex
Mikrotubuli
Aktinpolymerisation
Strom von Aktinmonomeren Golgi
Exozytose
Aktinfilamentnetzwerk
Dynein-DynaktinKomplex Mikrotubulus
Abb. 2.21 Intrazellulärer Transport und Kriechbewegungen von Zellen. (A) Kinesine und Myosine vermitteln intrazelluläre Transportprozesse einschließlich Endo- und Exozytose. Zytoplasmatische Dyneine verankern den Golgi-Apparat nahe dem Zellzentrum (s. a. Abb. 2.20C). (B) Schema zur
synaptischen Endigungen vom Perikaryon zu den präsynaptischen Bereichen am Ende des Axons. Der Rücktransport erfolgt hauptsächlich durch zytoplasmatische Dyneine. Zentrifugaler und zentripetaler Transport sind in praktisch allen Zellen, auch in weniger extrem geformten, zu finden (Abb. 2.21). Entsprechend der Ausrichtung der Mikrotubuli erfolgt der zentrifugale Transport über Kinesine mit Bewegungsrichtung zum Plus-Ende, der zentripetale Transport durch zytoplasmatische Dyneine oder Kinesine mit Bewegungsrichtung zum Minus-Ende der Mikrotubuli (Abb. 2.21). Ein Beispiel für diesen gegenläufigen Transport ist die Anordnung des Golgi-Apparates im Bereich des Zentromers in Kernnähe, im Gegensatz zum endoplasmatischen Retikulum (ER), dessen Elemente bis in die Zellperipherie reichen. Der Golgi-Apparat wird dabei von zytoplasmatischen Dyneinen im Bereich des Zentromers verankert (Abb. 2.21). Vom Golgi-Komplex abgeschnürte Vesikel werden über Motorproteine zu ihren Bestimmungsorten transportiert, beispielsweise zu den für Exozytose bestimmten Bereichen (Abb. 2.21), d. h. bei Nervenzellen über den schnellen axonalen Transport bis zu den Synapsen in der Peripherie, wo die Neurotransmitter exozytiert werden. Auswahl und Bindung der zu transportierenden Vesikel wird bei Kinesinen durch leichte Ketten vermittelt, die der Schwanzdomäne assoziiert sind. Spezifische Rezeptormoleküle in der Membran der zu transportierenden Vesikel binden selektiv an diese leichten Ketten und vermitteln dadurch die Auswahl des Motorproteins und dementsprechend Richtung und Zielort des Transports. Die Bindung von zytoplasmatischen Dyneinen an Vesikel und Golgi-Membransysteme wird durch einen makromolekularen Komplex, den so genannte Dynaktin-Komplex, vermittelt (Abb. 2.20 C).
Myosinvermittelter Transport entlang den Aktinfilamenten ist an Endo- und Exozytose sowie an Transport und Verteilung von Vesikeln beteiligt. Der myosinvermit-
Aktinfokale Kontakte depolymerisation
Kriechbewegung (Migration) von Zellen mit Aktinpolymerisation am vorderen Pol, Bildung von Haftpunkten, myosinvermittelte Verschiebung des Aktinkortex zum vorderen Pol sowie Lösen der Haftpunkte und Aktindepolymerisation am hinteren Zellpol (nach 1).
telte Vesikeltransport ist mehr für die lokale Verteilung in der Zellperipherie verantwortlich (Abb. 2.21), während ein Transport über lange Strecken zunächst an den Mikrotubuli entlang durch Kinesine erfolgt. Im Verlauf der Endozytose sind Myosine bereits an der Bildung der Vesikel über die „clathrin coated pits“ beteiligt. Anschließend ist Myosin der Klasse VI, das zum Minus-Ende der Aktinfilamente wandert, für den Transport der Vesikel in Richtung Zellzentrum zuständig. Vesikeltransport in Richtung Zellperipherie, auch im Rahmen der Exozytose, wird beispielsweise durch Myosine der Klasse V vermittelt. Beispiel für spezifische Zellfunktionen, die auf dem Kinesin/Myosin-vermittelten Vesikeltransport beruhen, ist, neben dem axonalen Transport in Neuronen, die Verteilung von melaningefüllten Vesikeln, den so genannten Melanosomen, in den Melanozyten. Der Transport der Melanosomen zur Zellperipherie erfolgt entlang den Mikrotubuli durch Kinesine. Die Verteilung der Melanosomen in der Peripherie erfolgt dagegen an Aktinfilamenten entlang und wird durch Myosin V vermittelt. Weitere Beispiele sind der Transport von Opsin zu den Außengliedern von Stäbchen und Zapfen der Retina und die Phagozytose abgestoßener Membranscheiben der Außenglieder durch die Pigmentepithelzellen (vgl. Kap. 23.3). Mutationen in Kinesinen oder Myosinen können durch Beeinträchtigung des Vesikeltransports zu Störungen motorischer und sensibler Funktionen des peripheren Nervensystems führen (angeborene periphere Neuropathie), die mit charakteristischen Pigmentierungsstörungen einhergehen können. Auch familiäre Sehstörungen, die bis zur Erblindung führen, können Folge von Mutationen in Kinesinen oder Myosinen sein. Solche Mutationen beeinträchtigen die
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2 Die Zelle als Grundbaustein Phagozytose abgestoßener Membranscheiben der Photorezeptoren des Auges durch das Pigmentepithel und führen zum Krankheitsbild der Retinitis pigmentosa mit fortschreitendem Sehverlust durch Untergang der Photorezeptoren.
Motorproteine sind an der Dynamik der Zellstruktur beteiligt Aufrechterhaltung und Änderungen der Zellform sind weitere wesentliche Funktionen des Zusammenspiels zwischen Zytoskelettstrukturen und Motorproteinen. Ein Beispiel sind die Mikrovilli von Epithelzellen. Zentral gelegene Aktinfilamentbündel bilden das Skelett der Mikrovilli. Die Oberflächenmembran ist im Bereich der Mikrovilli über Myosin I Moleküle am Aktinfilamentbündel verankert. Myosin I ist ein monomeres Myosin mit einem Schwanzbereich, der an Membranlipide binden und so Aktinfilamente in Membranen verankern kann. Die Struktur der Stereovilli (früher: Stereozilien) der Haarzellen des Gehör- und Gleichgewichtsorgans ist ebenfalls auf das Zusammenspiel von Aktinfilamentbündeln und Myosinmolekülen verschiedener Familien angewiesen. Auch die Vorspannung der so genannten tiplinks (vgl. Kap. 21.4) wird über Myosin-I-Moleküle kontrolliert. Sie verankern die tip-links an den Aktinfilamenten des benachbarten Stereovillus. Bei geringer Vordehnung der tip-links können die Myosin-I-Moleküle an den Aktinfilamentbündeln entlang in Richtung der Spitze der Stereovilli wandern und die Vorspannung der tip-links vergrößern. Über diesen Mechanismus kann die Empfindlichkeit des Gehörs an leise Töne und Geräusche angepasst werden. Aus dem Zusammenwirken verschiedener Myosine wird verständlich, dass Mutationen in verschiedenen Myosinen angeborene Taubheit verursachen können, die mit Missbildungen der Stereovilli einher gehen. Oft sind diese Störungen von einem fortschreitenden Sehverlust entsprechend der Retinitis pigmentosa begleitet. Das Krankheitsbild wird als Usher-Syndrom bezeichnet.
Motorproteine sind auch an Kriechbewegungen von Zellen beteiligt Motorproteine können auch Formänderungen von Zellen verursachen, die zu Kriechbewegungen (Migration) führen. Diese spielen in der Embryogenese eine zentrale Rolle, wo es z. B. bei der Entwicklung des Nervensystems zu zielgerichteten Wanderungen über lange Distanzen kommt. Aber auch im erwachsenen Organismus findet sich Fortbewegung bei einer Vielzahl von Zellen, beispielsweise bei Makrophagen und neutrophilen Granulozyten oder bei Fibroblasten, Osteoklasten und Osteoblasten. Auch die koordinierte Wanderung von Darmepithelzellen von den Krypten, dem Ort ihrer Bildung, bis zu den Zottenspitzen gehört hierher. Zellmigration ist ein koordiniertes Zusammenspiel von Motorproteinen und Zytoskelett, einschließlich lokaler Kontaktpunkte der Zelle mit der Unterlage (Abb. 2.21 B). Bei einer kriechenden Zelle bilden sich zwei Pole,
der vordere, flache Pol wird Lamellipodium genannt. Der hintere Pol ist abgerundet und enthält den Zellkörper mit Zellkern und Organellen. Das Aktinnetzwerk unter der Oberflächenmembran, der so genannte Aktinkortex, spielt bei der Kriechbewegung eine zentrale Rolle. Er steht durch lokale Kontaktpunkte (focal contacts) über die Zellmembran mit der Unterlage in Verbindung. Im ersten Schritt werden am vorangehenden Zellpol Aktinfilamente des Kortex durch Polymerisation verlängert. Die Verlängerung der Aktinfilamente erfolgt an ihrem zur Oberflächenmembran gerichteten Plus-Ende. Dadurch wird die Oberflächenmembran am vorangehenden Zellpol in Kriechrichtung vorgewölbt. Es entstehen flache, breite Vorwölbungen der Oberflächenmembran, die Lamellipodien. Im zweiten Schritt bilden die neugeformten Lamellipodien lokale Kontaktpunkte mit der Unterlage. Diese bleiben während der Kriechbewegung der Zelle stationär und verankern den vorangehenden Zellpol mit der Unterlage. Im dritten Schritt wird der Aktinkortex mit dem eingeschlossenen Zellkörper durch filamentbildende Vertreter der MyosinII-Klasse vom hinteren Zellpol an stationären Aktinfilamenten entlang zum vorderen Zellpol verschoben. Gleichzeitig depolymerisieren die Aktinfilamente am hinteren Zellpol, die lokalen Kontaktpunkte werden gelöst und in Vesikeln durch Myosine zum vorderen Zellpol transportiert.
Motorproteine sind an zwei spezialisierten motilen Strukturen beteiligt, dem Sarkomer und dem Axonem Motorproteine bilden schließlich zwei Typen spezialisierter motiler Strukturen. Diese bestehen aus hochgeordneten Zusammenlagerungen von Motorproteinen, die sich an Filamentschienen entlang bewegen: Eine solche Struktur ist das Sarkomer aus Myosin- und Aktinfilamenten. Es ist das Bauelement von Skelett- und Herzmuskel, und in Form von Minisarkomeren auch das der glatten Muskulatur (vgl. Kapitel 6). Die andere Struktur ist das Axonem, das kontraktile System von Flagellen und Zilien der Eukaryonten. Es ist aus Mikrotubuli, ziliärem Dynein und zusätzlichen Strukturproteinen aufgebaut und hat eine charakteristische 9 + 2-Organisation der Mikrotubuli (Abb. 2.22 A). Die Doppeltubuli tragen in regelmäßigen Abständen ziliäre Dyneine. Sie bilden die äußeren und inneren Arme der Doppeltubuli und wandern unter ATP-Hydrolyse am benachbarten Doppeltubulus entlang. Durch Querverbindungen zwischen den Doppeltubuli werden Verschiebungen zwischen benachbarten Doppeltubuli zu charakteristischen Verbiegungsmuster der Axoneme umgeformt, den wellenförmigen Flagellenbewegungen bzw. dem Zilienschlag (Abb. 2.22 C).
Angeborene Defekte in ziliären Dyneinen führt zu gestörtem Zilienschlag des respiratorischen Epithels. Dadurch wird der geregelte Schleimstrom aus den peripheren Atemwegen und den Nasennebenhöhlen Richtung Rachenraum beeinträchtigt, über den eingeatmete Bakterien und Staubpartikel abtransportiert werden. Die Folge der Dyneindefekte sind deshalb einerseits vermehrte Infektionen der Lunge und der Nebenhöhlen. Daneben ist auch die Fortbewegung der Spermien als Zeichen gestörter Flagellenfunktion beeinträchtigt. Schließlich wird als Zeichen einer gestör-
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2.8 Altern und Zelltod A Querschnitt durch ein Axonem (schematisch) Plasmamembran äußerer Dyneinarm innerer Dyneinarm radiale Speiche zentrales Tubuluspaar innere Schale äußere Doppeltubuli Nexin
B Wellenbewegung von Flagellen
Altern und Langlebigkeit
Bewegungsrichtung
C Bewegungsrhythmus eines Ziliums Aktivität
0
Erholung
80
Zeit (ms)
160
Abb. 2.22 Aufbau und Funktion von Flagellen und Zilien. (A) Schematischer Querschnitt durch ein Axonem mit zentralem Tubulus-Paar und den neun peripher angeordneten Doppeltubuli. Äußere und innere Dyneinarme bestehen aus zwei unterschiedlichen Isoformen der ziliären Dyneine. Querverbindungen zwischen Doppeltubuli und den Speichen verhindern eine Verschiebung der Doppeltubuli über große Distanzen. Verschiebung benachbarter Doppeltubuli resultiert deshalb in charakteristischen Verbiegungen der Axoneme (nach 1). (B) Wellenbewegung von Flagellen (nach 31). (C) Zilienschlag. Dargestellt ist die Form eines Ziliums alle 8 ms (modifiziert nach 15).
ten Zellmotilität in der Embryonalentwicklung gehäuft eine spiegelbildliche Anordnung der Thorax- und Bauchorgane (situs inversus) beobachtet. Das Krankheitsbild wird als Kartagener-Syndrom bezeichnet.
2.8
bestimmt und beträgt beim Menschen 112 – 115 Jahre. Die Lebenserwartung hingegen wird auch durch zahlreiche Umweltfaktoren bestimmt. Die höhere Lebenserwartung der Frau gegenüber dem Mann kann auf einen weniger riskanten Lebensstil, auf hormonelle Unterschiede sowie auf ihre Ausstattung mit zwei XChromosomen zurückgeführt werden. Altern ist auch eng mit Defiziten der genetischen Homöostase verbunden, z. B. einer unzureichenden DNA-Reparatur. Die perfekt geschützten Keimzellen sind „unsterblich“. Zellen sterben entweder an Mangel von O2, Glucose und/oder gestörter Blutversorgung, was zu Schwellung und Platzen der Zelle mit Entzündungsprozessen führt (Nekrose), oder sie räumen sich durch den programmierten Zelltod (Apoptose) selbst aus dem Weg, ein alltäglicher, physiologischer Vorgang.
Altern und Zelltod S. Silbernagl
Altern ist eine gestörte Homöostase zahlreicher Regelungs- und Instandhaltungssysteme, was mit einer verminderten Widerstandsfähigkeit gegenüber Herausforderungen der Umwelt, einer Abwehrschwäche bei Infektionen und einer Reduktion vieler Körperfunktionen verbunden ist. Eine der Folgen ist die Gebrechlichkeit des alten Menschen, die zum limitierenden Faktor wird. Die maximale Lebensspanne ist durch das Genom
Altern ist ein normaler, unvermeidlicher Prozess, der mit dem Tod endet. Die derzeit wohl beste Definition beschreibt das Altern als Verlust der Homöostase (s. S. 8), der alle metabolischen, neuroendokrinen, immunologischen und genomischen Regelungs- und Instandhaltungssysteme erfasst (41). Typische Beispiele sind die erhöhte Sterblichkeit älterer Menschen während außergewöhnlich heißer Sommer (thermoregulatorisches Defizit) oder bei viralen und bakteriellen Epidemien (immunologisches Defizit) (6). Während des Alterns kommt es zu einer Reduktion von Körperfunktionen, so des Atemgrenzwerts, des Herzzeitvolumens (HZV), des Grundumsatzes, der Nervenleitungsgeschwindigkeit (Abb. 2.23 A), der maximalen O2-Aufnahme, der glomerulären Filtrationsrate (GFR) u. v. a. m. Die Muskel- und Knochenmasse nimmt ab, während die von Fett zunimmt, was großteils endokrine Ursachen hat (sinkende Sekretion u. a. von STH, ACTH, LH und FSH). Die Osteoporose, ein Verlust von Knochensubstanz, kann in milder Form bei Frauen und Männern ab etwa dem 40. Lebensjahr nachgewiesen werden. Da der Knochenstoffwechsel bei Frauen u. a. östrogenabhängig ist und die Ausschüttung dieses Hormons nach der Menopause stark abnimmt, wird der Knochen zunehmend brüchiger (postmenopausale Osteoporose). Das betrifft meist zuerst die Wirbelkörper, kann aber so weit gehen, dass die Knochen der Beine nicht einmal mehr dem normalen Körpergewicht standhalten, d. h., es kommt zur Spontanfraktur (Abb. 2.24), ein Ereignis, das die Lebenserwartung wesentlich verkürzt. In dem Maße, wie auch Männer ein immer höheres Alter erreichen, leiden auch sie zunehmend an (seniler) Osteoporose. Für die meisten (ansonsten „gesunden“) alten Menschen ist es die allgemeine Gebrechlichkeit, die zum limitierenden Faktor für ein unabhängiges Leben bis zum Tode wird. Diese „Altersschwäche“ ist gekennzeichnet durch verminderte Muskelkraft, verlangsamte Reflexe, eingeschränkte Beweglichkeit, Gleichgewichtsstörungen und fehlende Ausdauer. Die Folgen sind Stürze, Frakturen, Einschränkung der alltäglichen körperlichen Aktivitäten
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2 Die Zelle als Grundbaustein
Nervenleitungsgeschwindigkeit
100
20
80
Grundumsatz
60
Atemgrenzwert
Zellanzahl (x105)
HZV
Funktion (%)
46
15
Lungenfibroblasten von: Neugeborenen
10
100jährigen
5
Progerie (Werner-Syndrom)
40
20
40
60
80
100
0
0
20
40
Alter (Jahre) A altersabhängige Körperfunktionen
Abb. 2.23 Altern. (A) Im Alter nehmen zahlreiche Körperfunktionen ab, neben den im Bild gezeigten auch die glomeruläre Filtrationsrate, die maximale O2-Aufnahme u. a. m. (B) Kultiviert man Lungenfibroblasten von Neugeborenen und von 100-jährigen Probanden, so endet die Tei-
und Verlust der Unabhängigkeit. Ursache der Muskelschwäche sind nicht nur physiologische Alterungsprozesse und krankhafte Prozesse (z. B. Gelenkschwäche), sondern auch ein Mangel an körperlicher Aktivität (auch bei der Osteoporose, s. o.), was zu einem Teufelskreis führt. Unklar ist, worauf das Altern eigentlich zurückzuführen ist. Wodurch ist es bedingt, dass ein Hund siebenmal schneller wächst und altert als ein Mensch? Ist Altern, ähnlich wie unsere Entwicklung, ein geordneter und genetisch regulierter, d. h. ein programmierter Prozess, oder ist es das Ergebnis einer ungeordneten „Abnutzung“, d. h., einer Ansammlung von schadhaften Molekülen wie DNA und Proteinen und eines zunehmenden Verschleißes von Zellen und Organen? Höchstwahrscheinlich liegt die Wahrheit zwischen diesen beiden Extremen. Besonders eindrucksvoll ist die im Alter zunehmende Instabilität des somatischen Genoms. So gibt es eine hochsignifikante Korrelation zwischen der maximalen Lebenszeit einer Spezies und deren Fähigkeit, ihre DNA zu konservieren und/oder zu reparieren (26). Eine ähnliche Korrelation gibt es bei Säugern z. B. zwischen der Aktivität der PolyADP-Ribose-Polymerase (PARP) und der Langlebigkeit (18). Aus all diesen und anderen Gründen bestehen wenig Zweifel, dass die maximale Lebensspanne innerhalb einer bestimmten Spezies durch ihr Genom bestimmt wird und dass die relativ hohe maximale Lebenszeit des Menschen die ausgeprägte Stabilität seines Genoms widerspiegelt (6).
Maximale Lebensspanne Den Welt„rekord“ der zuverlässig dokumentierten Lebenszeit eines Mannes, des Californiers C. M., beträgt 114 Jahre (66), der einer Frau, Jeanne Calment aus Frankreich, 122 Jahre (55). Von 53 000 100-jährigen Frauen aus 13 Industrieländern sind ca. 1000 106 Jahre alt geworden,
60
80
Teilungsgenerationen B Teilungsfähigkeit kultivierter Zellen
lungsfähigkeit der Zellen bei letzteren früher als bei den Kindern. Noch wesentlich früher endet die Teilungsfähigkeit der Zellen von Patienten mit Werner-Syndrom, bei denen das Gen mutiert ist, das für die DNA-Helicase kodiert. Sie altern vorzeitig: Progeria adultorum.
aber nur 1 Frau hat 112 Jahre erreicht (Abb. 2.25) (34). Diese und andere Studien besagen, dass die maximale Lebenszeit des Menschen etwa 112 – 115 Jahre beträgt und das Alter von Frau Calment eine extrem seltene Ausnahme ist. An der maximalen Lebenszeit des Menschen wird sich voraussichtlich auch nichts ändern, da sie offensichtlich genetisch festgelegt ist. Unterhalb dieser Grenze jedoch hat sich die Zahl der ganz Alten in den reichen Ländern der Erde seit etwa 1970 wesentlich erhöht. Grund dafür ist die gesunkene Mortalität der über 80-Jährigen, was auf die verbesserten Lebensbedingungen und die erfolgreichen medizinischen Interventionen in diesen Ländern zurückzuführen ist.
Durchschnittliche Lebenserwartung Im Gegensatz zur wohl ausschließlich genetisch fixierten, maximalen Lebensspanne, wird die durchschnittliche Lebenserwartung zumindest zur Hälfte durch Umweltfaktoren mitbestimmt (32), also hauptsächlich durch die Lebensbedingungen (Ernährung, Arbeits- und Hygienebedingungen, Erziehung, medizinische Versorgung u. a. m.). Da in den reichen Ländern mit einer homogenen Population die Lebenserwartung von Frauen seit 1840 linear angestiegen ist und heute rund 85 Jahre beträgt, wird für 2020 eine mittlere Lebenserwartung von 90 und für 2050 eine von 95 Jahren vorausgesagt (50), ein Durchschnittsalter, das dann aber wahrscheinlich nicht weiter ansteigen wird. Gründe dafür sind u. a., dass die Gen-Frequenz für Alterskrankheiten (familiäre Karzinome, Demenz, Diabetes mellitus u. a.) bis zu 1 % beträgt. Es erscheint auch wahrscheinlich, dass der für das Erreichen dieses Alters geeignete Lebensstil nicht von allen akzeptiert werden wird.
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2.8 Altern und Zelltod 100000
gesunder Knochen eines jungen Erwachsenen Frakturhäufigkeit pro 100 000 Frauen
osteoporotischer Knochen 1800
Überlebende
10000 1000 100 10 1 100
1400
1000
102
104
106
108 110 Alter (Jahre)
112
Abb. 2.25 Mortalität von 100-jährigen Frauen. Von 52 947 100-jährigen Frauen aus 13 Industrieländern sind ca. 1000 106 Jahre alt geworden, aber nur 1 Frau hat 112 Jahre erreicht (nach 34).
600
200 4 9 4 9 9 4 4 9 4 9 4 3 3 4 4 5 5 6 6 7 7 8 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80
Alter (Jahre)
Abb. 2.24 Altersabhängige Knochenfraktur-Häufigkeit wegen Osteoporose bei Frauen. Die im Alter fortschreitende Osteoporose (Verlust der Knochensubstanz) lässt die Knochenfrakturhäufigkeit exponentiell ansteigen. Dieser Anstieg scheint größtenteils auf den Östrogenmangel nach der Menopause zurückzuführen sein (postmenopausale Osteoporose). Bei Männern in hohem Alter kommt es aber ebenfalls zu einer (senilen) Osteoporose (aus 9, nach 47).
Warum leben Frauen länger als Männer? In den meisten Industrieländern leben Frauen derzeit 5 – 8 Jahre länger als Männer. Das hat eine Reihe von Ursachen, so der häufig riskantere Lebensstil von Männern (Rauchen, Alkohol, Aggressivität) und die protektive Wirksamkeit der Östrogene bei Frauen. Es gibt erste Anzeichen dafür, dass sich dieser Unterschied in der Lebenserwartung verringert. Ursache ist eine sinkende Mortalität von 25 – 59-jährigen Männern, was auf deren vermehrte Akzeptanz eines gesünderen Lebensstils und auf den medizinischen Fortschritt zurückgeführt wird. Eine attraktive Hypothese für eine weitere Ursache dieses Unterschieds ist, dass etwaige Mutationen des X-Chromosoms beim Mann 100% der Zellen betrifft, in denen dieses Gen exprimiert wird (19). Bei Frauen hingegen betrifft die zufällige Inaktivierung entweder das von der Mutter oder das vom Vater ererbte X-Chromosom, so dass ein Defekt statistisch nur 50% der Zellen betrifft. Das ist der Grund, warum Frauen nicht erkranken, wenn sie Träger eines X-chromosomalen rezessiven Gendefekts sind, während Männer mit dem gleichen Gendefekt mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % unter der Krankheit leiden. Beispiele dafür sind die Du-
chenne-Muskeldystrophie (s. S. 102) und die Hämophilie A (s. S. 250). Da das X-Chromosom auch zahlreiche Gene trägt, die verschiedene Funktionen des ZNS steuern, führen X-chromosomale Gendefekte häufig zu sensorischen Defiziten und/oder einer mentalen Retardierung. Auch hier sind nur die Männer betroffen, was auch der Grund dafür ist, dass in Institutionen für geistig Retardierte 30 % mehr Männer als Frauen sind (68). Da die Aufrechterhaltung der ZNS-gesteuerten hormonalen Homöostase (s. o.) und der kognitiven Fitness wesentliche Faktoren für ein gesundes Altern sind, haben auch hier die Frauen einen wesentlichen Vorteil.
Altern als Störung der genetischen Homöostase Wie oben bereits erwähnt, ist Altern auch eine Funktion der genetischen Homöostase (6). Es gibt eine Reihe menschlicher Gene, deren primäre Funktion der Erhalt der genomischen Stabilität ist. Sog. Care-taker-Gene erkennen und reparieren die DNA. Dieser Prozess ist hoch spezialisiert und hängt von der Art des DNA-Defekts ab. Sind diese Gene defekt, kommt es zu bestimmten Erkrankungen. So gibt es z. B. Gene der Xeroderma-pigmentosum-Gruppe, die uns gegen UV-Licht-Schäden schützen, Gene der der Ataxia-telangiectasia-Gruppe, die die durch ionisierende Strahlen verursachte Defekte reparieren sowie solche der Fanconi-Anämie-Gruppe, die unser Genom gegen alkylierende Agenzien und reaktive Sauerstoff-Spezies verteidigen. Das Werner-Syndrom (Progeria adultorum) ist das hervorstechendste Beispiel einer vorzeitigen Alterung, die durch Mutationen eines Care-taker-Gens verursacht wird. Die Patienten entwickeln sich bis zur Pubertät normal, um dann schon ab dem 20. Lebensjahr u. a. graue Haare, eine Katarakt (grauen Star) und eine Atrophie der Haut zu bekommen. Frühzeitige Arteriosklerose, Diabetes mellitus und ein stark er-
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2 Die Zelle als Grundbaustein
Hypoxie, Ischämie
Hypoglykämie
Glucosemangel
endogene Substanzen Vergiftung (z. B. Glutamat) (z. B. Oxidantien)
Zellaktivität (Erregung, Transport u.a.)
O2 -Mangel
Lactat
Phospholipase A2 +
H
mitochondriale Atmung
+
2+
Ca
Na
+
Na
ATP
anaerobe Glykolyse
K
+
K Oxidantien
H2O
Makromoleküle
Depolarisation
Cl
Entzündung
höhtes Karzinom-Vorkommen sind weitere Symptome, die sonst typisch für ältere Menschen sind. Das beim Werner-Syndrom defekte Care-taker-Gen ist eine Helicase, die insbesondere bei der DNA-Replikation für die genomische Stabilität sorgt. Dieses (glücklicherweise seltene) Syndrom zeigt beispielhaft, dass ein stabiles Genom eine entscheidende Voraussetzung für „normales“ Altern und Langlebigkeit ist.
Cl
Zellschwellung
Membranzerstörung
Abb. 2.26 Nekrose. ATP-Mangel, hervorgerufen durch Hypoglykämie, Hypoxie, Ischämie, Toxine oder eine zu hohe Na+- und/oder Ca2+-Belastung der Zelle, führt zu Zellschwel-
+
Zelltod
lung und zur Freisetzung von zytosolischen Proteinen, die die Immunabwehr und Entzündungsprozesse aktivieren (aus 11).
meiotische Rekombination tritt jede reife Keimzelle sozusagen „generalüberholt und mit TÜV-Plakette“ in die Befruchtungsphase ein. Als Nebeneffekt verdanken wir diesem Reparaturaufwand, der ja die Allelen der Großeltern neu mischt, unsere menschliche Individualität.
Zelltod: Nekrose und Apoptose Nekrose
Keimzellen sind „unsterblich“ Schon einzelne, kultivierte Zellen „altern“, d. h. sie hören nach einer bestimmten Anzahl von Zyklen auf, sich zu teilen, Lungenfibroblasten von 100-Jährigen z. B. wesentlich früher als solche von Neugeborenen (Abb. 2.23 B). Nur wenige Zelltypen sind „unsterblich“, d. h. ihre Teilungs-(Proliferations-)Fähigkeit scheint unbegrenzt zu sein. Dazu zählen hämopoetische Stammzellen des Knochenmarks, Stammzellen der Darmkrypten und Tumorzellen sowie unsere Keimzellen. Vor allem für letztere ist die Reparatur eines jeglichen DNA-Schadens mit höchstmöglicher Effektivität und Präzision notwendig. Unter diesem Aspekt ist die Chromosomen-Rekombination der Keimzellen während der Meiose ein äußerst effektiver Mechanismus, Doppelstrangbrüche und -reparaturen durchzuführen, da dabei ja das intakte homologe Chromosom als Muster zur Verfügungs steht. Durch die
Beim Altern sterben Zellen und Zellverbände ab. Während des Sterbevorgangs geschieht dies mit stark erhöhter Geschwindigkeit. Ist die primäre Todesursache ein Kreislaufstillstand, dann sterben mit vorhersagbarer zeitlicher Sequenz die einzelnen Organe. Das ZNS ist wegen seines großen O2-Bedarfs als erstes innerhalb von wenigen Minuten irreversibel geschädigt. Die anderen Organe folgen mit unterschiedlicher Zeitskala nach; so beispielsweise die Leber und die Niere nach weniger als einer Stunde. Bradytrophe Gewebe, also solche mit geringem Stoffwechsel, bleiben am längsten revitalisierbar. Der hypoxische und ischämische Zelltod läuft dabei nach einem monotonen Schema ab, bei dem das Absinken der zytosolischen ATP-Konzentration letztendlich zu einer irreversiblen Zellschwellung führt (Abb. 2.26). Die intrazelluläre Na+-Homöostase kommt aus dem Gleichgewicht, wenn ATP-Mangel die Tätigkeit der Na+-
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2.8 Altern und Zelltod CD95-L TNF-a
Ischämie Energiemangel
+
Na
Casp8
oxidativer Stress
K
+
K , Cl , HCO3 organische Elektrolyte SM
+
Ceramid
Phagozytose
2+
Ca
osmotischer Schock Gifte
O2
Bax
Cytochrom c Caspase9 APAF1 p53
Strahlen Glucocorticoide
fehlende Wachstumsfaktoren
Zellschrumpfung
Depolarisation
Endonuklease
Caspase3
Bcl2
DNAFragmentierung
Apoptose
Scramblase Phosphatidylserinumlagerung
Abb. 2.27 Apoptose ist ein programmierter, fein regulierter Zelltod, den die Zelle selbst vollzieht. Damit werden täglich Milliarden von Zellen aus dem Weg geräumt, um neuen Zellen Platz zu machen, die durch Teilung von Nachbarzellen entstehen. Dies ermöglicht Organ- und Gewebeumbauten während der Embryonalentwicklung und bei veränderten Anforderungen an ein Gewebe. Aber auch die Bindung von außen (z. B. von CD8+-T-Killerzellen) kommender Signalstoffe (CD95-Ligand, TNFα) an den CD95-Rezeptor der Zelle sowie die Einwirkung von Glucocorticoiden, oxida-
K+-ATPase beeinträchtigt. Ursachen des ATP-Mangels sind u. a. Ischämie, Hypoxie und Hypoglykämie. Die intrazelluläre K+-Konzentration sinkt dabei ab, die extrazelluläre K+-Konzentration steigt an, und die Zellmembran depolarisiert. Folglich strömt Cl– in die Zelle, und die Zelle schwillt. Auch bei normaler Energiezufuhr kann es zu diesen Störungen kommen, wenn der Na+-Einstrom so stark ansteigt, dass die Na+-K+-ATPase überfordert wird. Eine Vielzahl endogener Substanzen (z. B. der Neurotransmitter Glutamat) und exogene Gifte (z. B. Oxidantien) steigern den Na+- und/oder Ca2+-Einstrom über Aktivierung entsprechender Kanäle. Die Zunahme der intrazellulären Na+-Konzentration führt nicht nur zu Zellschwellung, sondern, über Beeinträchtigung des 3 Na+/Ca2+-Austauschers, auch zu einer Zunahme der zystolischen Ca2+-Konzentration. Ca2+ löst eine Reihe zellulärer Wirkungen aus, u. a. dringt es auch in Mitochondrien ein und führt über Hemmung der mitochondrialen Atmung zu einem ATP-Mangel. Bei O2-Mangel weicht der Energiestoffwechsel auf anaerobe Glykolyse aus. Dabei entsteht Milchsäure, die zu Lactat– und H+ dissoziiert. Es kommt so zu einer zytosolischen Azidose, die die Funktion intrazellulärer
tivem Stress, Energiemangel, Strahlen und bestimmten Toxinen können Apoptose auslösen. Die intrazelluläre Signalkaskade löst den Einbau von Ionenkanälen in die Zellmembran aus, was zum Ionen-Ausstrom und damit zur Zellschrumpfung führt, induziert die Zerstörung von Zellbestandteilen (z. B. DNA-Fragmentierung) führt zur Phosphatidylserin-Umlagerung in die äußere Phospholipidschicht. Dies erkennen die Makrophagen und nehmen daraufhin die Zellreste auf, ohne dass es, im Gegensatz zur Nekrose, zu einer Entzündung kommt (aus 11).
Enzyme stört und dabei u. a. die Glykolyse hemmt, so dass auch diese letzte ATP-Quelle versiegt. Bei Energiemangel ist die Zelle auch vermehrt oxidativen Schädigungen ausgesetzt, da die zellulären Schutzmechanismen gegen Oxidantien (O2-Radikale) ebenfalls ATP-abhängig sind. Damit droht die Schädigung der Zellmembran (Lipidperoxidation) sowie die Freisetzung intrazellulärer Proteine in den Extrazellulärraum. Da diese mit dem Immunsystem normalerweise nicht in Berührung kommen, werden sie für ein Fremdantigen gehalten, und es kommt zur Aktivierung des Immunsystems und zur Entzündung (s. S. 243 f.), die die Zelle noch weiter schädigt. Die Zeitspanne zwischen der Unterbrechung der Energiezufuhr und dem nekrotischen Zelltod hängt von der Höhe des Na+-Einstroms ab, also z. B. von der Aktionpotenzialfrequenz erregbarer Zellen oder der Transportleistung epithelialer Zellen. Da die spannungsabhängigen Na+-Kanäle erregbarer Zellen durch Depolarisation der Zellmembran aktiviert werden (s. S. 67 ff.), kann Depolarisation den Zelltod beschleunigen.
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2 Die Zelle als Grundbaustein
Apoptose Eine gänzlich andere Art von Zelltod ist die Apoptose (4, 65), mit der der Körper täglich Hunderte von Milliarden von Zellen eliminiert, um sie durch Teilung benachbarter Zellen zu ersetzen. Bei der Apoptose kommt es innerhalb von kurzer Zeit zur Zellschrumpfung, zur Bläschenbildung unter der Zelloberfläche und zur Auflösung des Chromatins. Dieser Vorgang wird auch als programmierter Zelltod bezeichnet (Abb. 2.27). Er spielt auch bei der Differenzierung eine Rolle, wenn, wie etwa im reifenden Nervensystem, bestimmte Zellen „im Weg“ sind und entfernt werden müssen. Auch Killerzellen (Lymphozyten) lösen an ihren Zielzellen Apoptose aus (s. S. 244). Die Apoptose ist kein Sterben wie der ischämische Zelltod, bei dem, wie oben dargestellt, ein Mangel an O2 oder Substraten die Zelle in den Tod treibt, sondern eigentlich ein Suizid. Die apoptotische Zelle verbraucht, wenn der Vorgang einmal angestoßen ist, ATP, um sich selbst umzubringen. Im Gegensatz zur Nekrose ist die Apoptose programmiert und stellt, ebenso wie die Zellteilung, einen fein regulierten physiologischen Mechanismus dar. Dieser programmierte Zelltod dient der Anpassung des Gewebes an wechselnde Belastungen, der Eliminierung überflüssig gewordener Zellen bei der Embryonalentwicklung sowie der Entfernung schädlicher Zellen, wie etwa Tumorzellen, virusbefallener Zellen oder solcher immunkompetenter Zellen, die sich gegen körpereigene Proteine richten. Signalkaskade der Apoptose. Proteinspaltende Caspasen aktivieren die Sphingomyelinase, die aus Sphingomyelin Ceramid abspaltet. Daraufhin kommt es zur Aktivierung der kleinen G-Proteine Ras und Rac, zur O2–Bildung und Zerstörung der Mitochondrien mit Freisetzung von Cytochrom c. Durch Aktivierung von Tyrosinkinasen führt Ceramid zur Hemmung von K+-Kanälen, zur Aktivierung von Cl–-Kanälen und letztlich zur Ansäuerung der Zelle. Bei der Apoptose spielen außerdem MAPKinase-Kaskaden und die zytosolische Ca2+-Konzentration eine Rolle. Apoptose kann durch bestimmte Gene begünstigt (z. B. bax) oder gehemmt (z. B. bcl2) werden. Die Aktivierung einer Endonuklease führt letztlich zur Zerlegung der DNA (DNA-Fragmentierung), die Zelle verliert Elektrolyte und organische Osmolyte, baut Proteine ab und schrumpft schließlich unter Abgabe kleiner Partikel, die von Makrophagen aufgenommen werden. Damit verschwindet die Zelle, ohne dass intrazelluläre Makromoleküle freigesetzt werden und eine Entzündung auslösen. Auslöser der Apoptose sind u. a. der Tumornekrosefaktor (TNFα), Glucocorticoide, eine Aktivierung des CD95(Fas/Apo1)-Rezeptors oder der Entzug von Wachstumsfaktoren. Über ein p53-Protein begünstigen DNASchäden die Apoptose. Bei Ischämie z. B. exprimieren die betroffenen Zellen bisweilen den CD95-Rezeptor und setzen sich somit der Apoptose aus. Auf diese Weise „kommen sie dem nekrotischen Zelltod zuvor“ und verhindern damit zumindest die Freisetzung intrazellulärer Makromoleküle nach außen, die ja eine Entzündung auslösen würden.
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Von der Zelle zum Organ C. Korbmacher und R. Greger
3.1 3.2
Gestörte Zell-Zell-Interaktionen sind ein typisches Merkmal maligner Tumoren Zellverbände
···
3.3 ···
54
54 Gap Junctions bestehen aus Konnexonen und verbinden das Zytosol benachbarter Zellen · ·· 54 Zellen werden durch Desmosomen miteinander und durch Hemidesmosomen mit der extrazellulären Matrix verbunden ··· 56 Schlussleisten (Tight Junctions) verbinden Epithelzellen und ermöglichen einen selektiven und kontrollierten parazellulären Transport ··· 56 Der transzelluläre Transport an Epithelien erfordert eine Koordination der apikalen und basolateralen Transportschritte · · · 59 Endothelverbände zeigen gewebespezifische Unterschiede · ·· 59
Kommunikation benachbarter Zellverbände ··· 60 Regulatorischer Einfluss des Gefäßendothels auf die glatte Gefäßmuskulatur ··· 60 Funktionelle Interaktion von Endothelzellen, Gliazellen und Neuronen im Zentralnervensystem (ZNS) · · · 61
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3 Von der Zelle zum Organ
3.1
Gestörte Zell-Zell-Interaktionen sind ein typisches Merkmal maligner Tumoren
Im Gegensatz zu den Zellverbänden gesunder Organe, die sich durch eine wohl geordnete Struktur und Funktion auszeichnen, sind Tumoren Zellverbände, in denen wesentliche Mechanismen der Zellregulation und der Zell-Zell-Kommunikation defekt sind. So entstehen Tumoren durch unkontrollierte Zellteilung entarteter Tumorzellen, wobei man zwischen gutartigen (benignen) und bösartigen (malignen) Tumoren (Krebs) unterscheidet. Gutartige Tumoren sind meist von einer fibrösen Kapsel umgeben und bleiben lokal begrenzt. Sie sind daher in der Regel gut operabel und beeinträchtigen den Organismus nur dadurch, dass sie bei entsprechender Lokalisation und Größe die Funktion benachbarter Organstrukturen behindern oder durch Sekretion biologisch aktiver Substanzen ungünstige Wirkungen auf den Gesamtorganismus entfalten. Ein Beispiel dafür ist die Überproduktion von Schilddrüsenhormon (Hyperthyreose; siehe S. 551) durch ein gutartiges Schilddrüsenadenom. Maligne Tumoren zeichnen sich dagegen dadurch aus, dass die Tumorzellen Strukturbarrieren überwinden und in benachbarte Gewebe eindringen können (Invasivität). So können Tumorzellen beispielsweise die Basalmembran von Epithelien enzymatisch zerstören und dann durchwandern. Zur Invasivität der Tumorzellen trägt auch die aufgehobene Kontaktinhibition bei, die normalerweise über Zell-Zell- oder Zell-Matrix-Kontakte die Proliferation gesunder Zellen begrenzt. Einzelne Zellen maligner Tumoren können sich aus dem Tumorgewebe lösen und über den Blutweg oder die Lymphgefäße in entfernte Körperregionen gelangen, wo sie sich ansiedeln und Tochtergeschwülste bilden können, die so genannten Metastasen. Die Konsequenzen der bei Tumoren gestörten Zell-Zell-Interaktionen illustrieren die wichtige Bedeutung dieser Mechanismen für die Funktion von Zellverbänden in Organen.
3.2
Zellverbände
Damit aus Einzelzellen ein Organ entsteht, ist eine funktionelle Organisation der Zellen in Zellverbänden mit Kontakt- und Kommunikationsmechanismen zwischen den Einzelzellen erforderlich. Beispiele für hochspezialisierte Zellverbände sind Epithelien, d. h. die äußeren und inneren Auskleidungen unseres Körpers wie Haut, Darmschleimhaut, Nierentubulusepithel, exokrine Drüsenepithelien und Respirationsepithel sowie Endothelien, also die Auskleidungen des Gefäßsystems. Auch glatte Muskelzellen und Herzmuskelzellen sind in komplexen Zellverbänden organisiert. Dabei kommunizieren die Einzelzellen über Poren (Gap Junctions), so dass beispielsweise beim Herzmuskel ein sog. funktionelles Synzytium entsteht, was eine koordinierte Kontraktion des Herzens ermöglicht. Die Poren weisen Durchmesser auf, die Moleküle bis zu etwa 1000 Da passieren lassen, was sie zu wichtigen Verbindungswegen zwischen dem Zytosol benachbarter Zellen macht. Wegen ihrer guten Durchlässigkeit für Ionen werden
die Gap Junctions auch als „elektrische Synapsen“ bezeichnet. Ihr Öffnungszustand wird über komplexe Regelmechanismen kontrolliert. Punktförmige Desmosomen verbinden mit Hilfe transmembranaler Adhäsionsproteine Zellen und deren Zytoskelett, wodurch dem Zellverband mechanische Zugfestigkeit verliehen wird. Hemidesmosomen vermitteln die Verbindung der Zellen mit der extrazellulären Matrix. Die meisten Körperzellen sind in komplexen Verbänden zusammengefasst. Eindrucksvolles Beispiel ist das Nervensystem, wo eine große Zahl von Neuronen (n ≈ 1010) in streng koordinierter Weise zusammenarbeitet. Die Darstellung der Organisation und der komplexen synaptischen Verschaltung des Nervensystems soll den Kapiteln 19 – 29 vorbehalten bleiben. Weitere Beispiele sind Organe wie Herz, Niere, Lunge, Leber, Darm, Milz, Muskeln, Gefäße usw. Erst die Organisation in einem Zellverband und eine enge Koordination ermöglicht es den einzelnen Zellen, durch ihr Zusammenwirken organspezifische Leistungen zu erbringen. Zellen mit ähnlicher Funktion werden gemeinsam angesteuert und stimmen sich gegenseitig ab. Zellen unterschiedlicher Funktion, wie beispielsweise Endothelzellen und glatte Muskelzellen (Gefäßsystem), Neurone und Gliazellen (ZNS) sowie lokale Nervenplexus, glatte Muskelzellen und Epithelzellen (Gastrointestinaltrakt), kommunizieren miteinander, wodurch eine Organsteuerung möglich wird. Im Folgenden werden einige Beispiele und Mechanismen für ZellZell-Kontakte und deren Bedeutung für die funktionelle Koordination verschiedener Zelltypen besprochen.
Gap Junctions bestehen aus Konnexonen und verbinden das Zytosol benachbarter Zellen Gap Junctions beinhalten Verbindungswege für die chemische und elektrische Kommunikation zwischen benachbarten Zellen. Diese Verbindung wird durch zwei Halbkanäle (Konnexone) benachbarter Zellen gewährleistet, die axial aneinander koppeln und so eine Verbindung vom Zytosol der einen zum Zytosol der anderen Zelle schaffen. Mit wenigen Ausnahmen, z. B. Erythrozyten oder reife Skelettmuskulatur (dort sind die Einzelfasern ohnehin polynukleäre „Organellen“; vgl. Kap. 6), findet man Gap Junctions praktisch in allen Zellverbänden, so in Epithelien, glatten Muskelzellen und insbesondere im Herzmuskel. Man kann sie auch als elektrische Synapsen auffassen, weil die Größe der Poren einen ungehinderten Transport von Ionen und damit einen Stromfluss von Zelle zu Zelle ermöglicht (Abb. 3.1, vgl. auch Abb. 5.1, S. 81). So ist auch der Begriff „funktionelles Synzytium“ zu verstehen, das für die Erregungsausbreitung im Herzen und für dessen koordinierte Kontraktion eine wichtige Rolle spielt (S. 161). Auch eine Vielzahl glatter Muskelzellen kann über Gap Junctions funktionell an einen Schrittmacher gekoppelt werden. Von ihm geht die Erregung aus und pflanzt sich auf Nachbarzellen fort. Im Säugerhirn sind elektrische Synapsen dagegen eher die Ausnahme, da sie im Gegensatz zu den chemischen Synapsen keine gerichtete Erregungsausbreitung erlauben (S. 80 – 81). Gap Junctions spielen aber nicht nur für die Weiterleitung elektrischer Signale eine wichtige Rolle.
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3.2 Zellverbände Konnexons sind zueinander leicht verdreht und umschließen eine Pore, die einen funktionellen Durchmesser von ca. 1,5 nm aufweist. Die Pore ist für kleine Moleküle bis etwa 1000 Da (alle anorganischen Ionen, cAMP, IP3, ATP, Glucose, Aminosäuren etc.) leicht permeabel. Die elektrischen Eigenschaften der einzelnen Konnexone konnten inzwischen auch mit der Patch-ClampTechnik (S. 26 f.) durch gleichzeitige Strommessungen in zwei benachbarten Zellen untersucht werden. Dabei wurde ein Einzelkanalleitwert von etwa 100 pS ermittelt (15, 26).
Kanäle
Kanal (1,2 1,5 nm)
A
100 nm Zytosol 1 Zellmembranen
Gap Konnexon2 Konnexon1
Ionen, ATP, cAMP, Aminosäuren u.v. a. m.
B
Zytosol 2
C
Kanal offen
Kanal zu
Abb. 3.1 Im Bereich einer Gap Junction treten die Plasmamembranen zweier benachbarter Zellen so nahe zusammen, dass dazwischen nur noch ein schmaler Spalt besteht (engl.: Gap). In diesem Kontaktbereich sind die beiden Zellen durch zahlreiche Kanäle verbunden. Jede der beiden Zellen trägt zu jedem Kanal einen Halbkanal (Konnexon) bei, der aus sechs, zueinander leicht verdrehbaren Connexinmolekülen besteht (B, C; s. a. Abb. 5.1, S. 63). Auf der elektronenmikroskopischen Aufnahme von Gap Junctions der Rattenleber (A, aus 8) sind die Poren (Durchmesser ca. 1,5 nm) als schwarze Punkte inmitten der zahlreichen Konnexone zu erkennen (Schema aus 22).
In der Leber kann beispielsweise das Signal, das über eine sympathische Aktivierung der β-Adrenorezeptoren den Glykogenabbau stimuliert (von innervierten auf nicht innervierte Hepatozyten übertragen werden, da die Gap Junctions für den Second messenger cAMP permeabel sind. Die Anzahl der Gap Junctions pro Zelle kann enorm sein. So findet man an Hepatozyten bis zu 100 000 Gap Junctions pro Zelle (16). Der Aufbau einer Gap Junction ist in Abb. 3.1 und Abb. 5.1 (S. 81) wiedergegeben. An einer Gap Junction sind zwei benachbarte Zellen durch zahlreiche Kanäle verbunden; zu jedem dieser Kanäle trägt eine Zelle einen Halbkanal bei. Die beiden Halbkanäle (Konnexone) sind aus jeweils 6 Connexinmolekülen aufgebaut. Eine Gap Junction kann einige wenige bis zu vielen Tausenden von Konnexonen enthalten. Gewebespezifische Eigenschaften der Konnexone ergeben sich dadurch, dass der Mensch 14 verschiedene Konnexine besitzt, die von unterschiedlichen Genen kodiert werden und sich zu homomeren oder heteromeren Konnexonen verbinden können, wobei die meisten Zellen mehr als einen Connexintyp exprimieren. Die sechs Säulen eines
Regulation des Öffnungszustandes der Gap Junctions Eine Erhöhung der zytosolischen Ca2+-Aktivität und ein saurer pH-Wert in der Zelle schließen die Konnexone. So kann unter pathophysiologischen Bedingungen eine Zelle mit erheblich erhöhter zytosolischer Ca2+-Konzentration oder mit saurerem pH-Wert als ihre Nachbarzellen vom Verband ausgeschlossen werden, um die benachbarten Zellen nicht zu schädigen. Die auf diese Weise isolierte Zelle wird ihrem Schicksal überlassen, und das ist dann in der Regel ihr Untergang. Andere Regulationsmechanismen schließen Phosphorylierung (Calmodulin-, Proteinkinase-A-, Proteinkinase-C- und Tyrosinkinasen-abhängig) sowie die Steuerung durch kleine G-Proteine ein. Auch das Membranpotenzial kontrolliert Konnexone: Eine Depolarisation führt zur Verminderung der Kommunikation (15). Die Regulierbarkeit der Konnexone hat je nach Gewebe eine unterschiedliche physiologische Bedeutung. So kann beispielsweise der Neurotransmitter Dopamin, vermutlich über einen Anstieg der intrazellulären cAMP-Konzentration, die Kommunikation durch Gap Junctions zwischen bestimmten Neuronen der Retina als Reaktion auf eine erhöhte Lichtintensität verringern (1).
Bedeutung der Gap Junctions für Koordination und Entwicklung – Die Koppelung der Zellen über Gap Junctions bringt den Vorteil mit sich, dass der Zellverband „Probleme“ der Einzelzelle mit abfangen und ausgleichen kann. Dieser Vorgang findet seine Begrenzung dann, wenn die Belastung durch die vorgeschädigte Einzelzelle zu groß wird. Dann wird die Einzelzelle, wie oben erläutert, infolge des Anstiegs der Ca2+-Konzentration abgekoppelt (2). – Gap Junctions sorgen auch für die elektrische Koppelung am Herzmuskel und in Verbänden glatter Muskelzellen, was eine zeitgleiche Kontraktion ermöglicht („funktionelles Synzytium“). – Über Gap Junctions können „Schrittmacherzellen“ umgebende Zellen steuern. Man nimmt an, dass dieser Vorgang beispielsweise für β-Zellen im endokrinen Pankreas von Bedeutung ist (18). – Gap Junctions spielen eine wichtige Rolle in der Embryogenese. Im Blastulastadium wird eine Vielzahl von Gap Junctions ausgebildet. Mit zunehmender Differenzierung werden bestimmte Differenzierungskompartimente eng aneinander gekoppelt, andere Kompartimente koppeln sich ab (3, 14).
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3 Von der Zelle zum Organ
Zellen werden durch Desmosomen miteinander und durch Hemidesmosomen mit der extrazellulären Matrix verbunden Die zarte Lipiddoppelschicht der Plasmamembran ist nicht geeignet, der Zelle eine stabile Form und mechanische Widerstandskraft zu verleihen. Diese Funktion wird vom Zytoskelett übernommen (S. 16). Um in einem Zellverband mechanische Stabilität zu erreichen, ist es daher erforderlich, dass sich die Zytoskelette benachbarter Zellen miteinander verknüpfen. Dies geschieht mit Hilfe punktförmiger Kontakte, die Desmosomen (Maculae adhaerentes) genannt werden (Abb. 2.1, S. 14). Diese bestehen aus einem Proteinkomplex, der unter anderem Adhäsionsproteine enthält, die zur Familie der Cadherine (vgl. S. 15) gehören und als transmembrane Ankerproteine sich mit den entsprechenden Adhäsionsproteinen der Nachbarzelle verbinden. Gleichzeitig interagieren die Adhäsionsproteine auf der zytoplasmatischen Seite mit verschiedenen intrazellulären Ankerproteinen, die über Intermediärfilamente die Verbindung zum Zytoskelett herstellen. So vernetzen die Desmosomen die Intermediärfilamente benachbarter Zellen und sorgen für die Zugfestigkeit und mechanische Belastbarkeit des Zellverbandes. Die physiologische Bedeutung der Desmosomen kann man auch daran erkennen, dass die unter Umständen tödlich verlaufende Hautkrankheit Pemphigus vulgaris dadurch ausgelöst wird, dass die Patienten Antikörper gegen die Proteine Plakoglobin und Desmoglein bilden, die Bestandteile der Desmosomen in Haut und Schleimhäuten sind (1, 3). Dadurch werden die Desmosomen der Hautzellen (Keratinozyten) geschädigt, was zur Blasenbildung der Haut und zu deren flächenhafter Ablösung bei nur geringer mechanischer Belastung führt. Während die Desmosomen Zell-Zell-Verbindungen darstellen, dienen die sog. Hemidesmosomen oder Halb-Desmosomen der Verankerung der Zelle mit der extrazellulären Matrix. Sie ähneln in ihrer Struktur den Desmosomen, wobei die transmembranen Adhäsionsproteine der Hemidesmosomen zur Familie der Integrine (S. 179) gehören, die beispielsweise an das Protein Laminin binden, das ein Bestandteil der Basalmembran von Epithelzellen ist. Untereinander sind Epithelzellen nicht nur durch einzelne punktförmige Desmosomen mechanisch verknüpft, sondern haben direkt unterhalb der Tight Junctions (s. u.) einen praktisch durchgehenden Adhäsionsgürtel (Zona adhaerens), der den Epithelien eine besondere mechanische Stabilität verleiht (Abb. 2.1). Die molekularen Komponenten dieses Adhäsionsgürtels ähneln denen der Desmosomen, und auch hier sind die Cadherine die entscheidenden Adhäsionsmoleküle, die den Zell-Zell-Kontakt vermitteln. Im Gegensatz zu einem epithelialen Zellverband besteht Bindegewebe überwiegend aus extrazellulärer Matrix mit vergleichsweise wenigen Zellen. Hier sind die direkten Verbindungen zwischen den Zellen eher selten, und die mechanische Stabilität des Gewebes wird vor allem durch faserförmige Polymere, insbesondere Kollagene, der extrazellulären Matrixsubstanz erzielt, die von den Bindegewebszellen produziert wird. Epithelien sitzen praktisch immer auf einer sog. Basalmembran, an die sich eine mehr oder weniger komplexe Bindegewebsschicht anschließt. Diese stellt dann beispielsweise beim Darmepithel die Verbindung her mit einer darunter liegenden Muskel-
und Gefäßschicht. So verbinden sich unterschiedliche Gewebe und Zellverbände zu größeren funktionellen Einheiten, den Organen.
Schlussleisten (Tight Junctions) verbinden Epithelzellen und ermöglichen einen selektiven und kontrollierten parazellulären Transport Das funktionelle Merkmal von Epithelien ist deren Fähigkeit zu vektoriellem Transport von Substanzen von der einen auf die andere Seite des Epithels (transepithelialer Transport). Eine entsprechende asymmetrische Anordnung von Transportproteinen in der apikalen und basolateralen Membran ermöglicht den gerichteten transzellulären Transport von Substanzen. Parallel dazu können Substanzen das Epithel durch den Spalt zwischen den Zellen überqueren (parazellulärer Transport). Die einzelnen Epithelzellen sind über charakteristische Schlussleisten (Tight Junctions) miteinander verbunden, die den Stofftransport durch den Interzellularspalt kontrollieren und einen apikalen von einem basolateralen Membranbereich abgrenzen. Die Schlussleisten sind bei sog. dichten Epithelien, die sehr große Konzentrationsgefälle erzeugen, besonders komplex aufgebaut und dadurch wenig durchlässig und hochselektiv. Bei sog. lecken Epithelien hingegen sind sie einfacher strukturiert und daher durchlässiger. Vor allem in lecken Epithelien erfolgt ein erheblicher Teil des transepithelialen Transportes, z. B. von Ionen und Wasser, nicht transzellulär, sondern zwischen den Zellen (parazellulär), d. h. durch die Schlussleisten hindurch. Auch Endothelzellen sind, insbesondere im Bereich der Blut-Hirn-Schranke, über Schlussleisten miteinander verbunden und gehören damit funktionell zu den Epithelien. Epithelien bilden die zelluläre Grenzschicht zwischen dem Körperinnern und der Außenwelt beziehungsweise einem Organlumen, das mit der Außenwelt in Verbindung steht (z. B. das Darmlumen, das Lumen der Nierentubuli, das Lumen der Ausführungsgänge der Schweißdrüsen etc.) oder das ein umschriebenes, von der interstitiellen Flüssigkeit abgegrenztes Kompartiment bildet (z. B. das Lumen der Schilddrüsenfollikel; S. 546). Man unterscheidet bei Epithelien daher generell eine luminale Seite, die auch apikale oder mukosale Seite genannt wird, von einer basolateralen Seite, die auch serosale Seite oder Blutseite genannt wird. Neben ihrer Barrierefunktion ist es die wesentliche Aufgabe von Epithelien, Substanzen von der einen auf die andere Seite des Epithels vektoriell zu transportieren. Dabei bezeichnet man ganz allgemein den transepithelialen Transport von basolateral nach apikal als Sekretion und den von apikal nach basolateral als Absorption, in manchen Fällen (Nierentubulus, Darm, Speicheldrüsen- und Pankreasgänge) auch von Re(ab)sorption. Aus der Barriereund Transportfunktion ergeben sich besondere Anforderungen an die zelluläre Organisation der Epithelien, da gerade aufgrund des transepithelialen Transports die Zusammensetzung der Flüssigkeiten auf beiden Seiten des Epithels häufig sehr unterschiedlich ist. Gerichteter
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3.2 Zellverbände
luminal
Bürstensaum
Schlussleisten
1 Epithelzelle (z.B. Enterozyt)
luminal
Adhäsionsgürtel Gap Junction
Hemidesmosom basolateral
Bürstensaum
3 Querschnitt im EM
Claudine Occludin u.a.
Schlussleisten
Interzellularspalt (lateraler Spalt)
2 seitliche Aufsicht
Abb. 3.2 Schlussleisten (Tight Junctions) verbinden die Seitenwände benachbarter Epithelzellen an ihrer luminalen Kante. Dadurch bilden die Tight Junctions eine selektive und kontrollierte Barriere für den parazellulären Transport und trennen überdies die luminale von der mit unterschiedlichen Membrantransportproteinen ausgestatteten basolateralen Zellmembran. Oben links ist diese Verbindung an einer Epithelzelle der Darmmukosa schematisch gezeigt (1).
Transport und die Aufrechterhaltung transepithelialer Konzentrationsunterschiede ist nur möglich, wenn – die Eigenschaften und Transportproteine der apikalen Membran von denen der basolateralen Membran verschieden sind (polarisierte Zelle) und wenn – der Transport zwischen den Zellen hindurch (parazellulär) kontrolliert wird. An beiden Funktionen sind die sog. Schlussleisten (Tight Junctions) wesentlich beteiligt, die ein charakteristisches morphologisches und funktionelles Merkmal der epithelialen Gewebe darstellen. Innerhalb eines Epithelzellverbandes sind die Zellen am luminalen (apikalen) Pol miteinander durch Schlussleisten verbunden (Abb. 3.2). In diesem Bereich kommt es zu einem sehr engen Kontakt zwischen den Plasmamembranen der benachbarten Zellen, weshalb für die Schlussleisten auch die Begriffe Zonula occludens, Kissing Junction oder Tight Junction geprägt wurden, wobei sich letzterer als der gebräuchlichste durchgesetzt hat (9). Mit Hilfe von elektronenmikroskopischen Untersuchungen konnte man nachweisen, dass apikal oder basolateral applizierte Markermoleküle die Tight Junctions nicht überwinden können, so dass diese die eigentliche Diffusionsbarriere im Interzellular-
4 Transmembranproteine
(2) Aufsicht mit Hilfe der Gefrierbruch-Elektronenmikroskopie auf eine der beiden seitlichen Zellwände mit zahlreichen Säumen. (3) Ein elektronenmikroskopisches Transmissionsbild, in dem beide Zellen quer getroffen sind. Die schematische Zeichnung (4) illustriert, dass die Tight Junctions aus einer Aneinanderreihung benachbarter und miteinander interagierender Transmembranproteine bestehen, zu denen die Claudine und das Occludin zählen (aus 3).
spalt darstellen (25, 3, 4). Im elektronenmikroskopischen Transmissionsbild hat man den Eindruck, als verschmölzen die Plasmamembranen benachbarter Zellen im Bereich der Tight Junctions (Abb. 3.2). In der Gefrierbruch-Elektronenmikroskopie erscheinen die Tight Junctions auf der Seitenwand der Zelle als Säume (tight junctional strands), die wie ein Gürtel um die gesamte Zelle herumlaufen und mit entsprechenden Säumen der Nachbarzellen in Verbindung treten (8). Inzwischen weiß man, dass diese Säume im Wesentlichen aus einer Aneinanderreihung von transmembranalen Adhäsionsproteinen bestehen, den Claudinen (19) und dem Occludin (13). Die extrazellulären Domänen der Claudin- und Occludinproteine benachbarter Zellen interagieren und sind für die Ausbildung der abdichtenden Säume der Tight Junctions verantwortlich. Auf der intrazellulären Seite stehen sie mit einer Reihe von zytosolischen Proteinen in Verbindung, die für die Verankerung der Tight Junctions mit dem Zytoskelett und für deren Lokalisation und Regulation von Bedeutung sind (5).
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3 Von der Zelle zum Organ
Tight Junctions sind erforderlich für die epitheliale Polarität Tight Junctions haben nicht nur eine Funktion als passive Diffusionsbarriere, sondern beeinflussen auch so komplexe Prozesse wie Gentranskription, Zellproliferation und Ausbildung der epithelialen Polarität (6; 20). So behindert die nahtlose Aneinanderreihung der Claudin- und Occludinmoleküle im Bereich der Tight Junctions die laterale Beweglichkeit von Membranlipiden und Membranproteinen in der Plasmamembran. Die Tight Junctions bilden also die Grenze zwischen dem apikalen und dem basolateralen Membranbereich der Zellen. Dadurch wird eine polarisierte Anordnung von Lipiden und Transportproteinen ermöglicht (s. u.), und es wird verhindert, dass eine einmal etablierte Polarisierung durch laterale Diffusion der Membranproteine verloren geht (5; 17). Ein entscheidender Aspekt der Polarisierung besteht darin, dass dieselben Rezeptoren und Membrantransportproteine, wie wir sie in Kap. 2 für Zellen im Allgemeinen beschrieben haben, in der Membran der Epithelzellen streng sortiert sind. Manche finden sich nur luminal (apikal) und andere nur auf der Blutseite (basolateral). In den Epithelzellen existieren demnach exakte Sortiermechanismen, die Proteine nach ihrer Synthese und nach weiterer Aufarbeitung im Golgi-Apparat an die „richtige“ Membran „adressieren (25). Dabei scheint der „richtige“ Einbau zum einen bereits durch die Struktur des Proteins vorgegeben zu sein, zum anderen wird die Polarisierung aber auch durch die Unterschiede in der Lipidzusammensetzung der beiden Membranen bestimmt. Man hat sich das so vorzustellen, dass ein neu synthetisiertes Protein mehrere Molekülabschnitte besitzt, die es intrazellulär von Kompartiment zu Kompartiment weiteradressieren, bis es schließlich in der richtigen Membran seine eigentliche Funktion aufnimmt. Allgemein entspricht die Ausstattung der basolateralen Membran von Epithelzellen derjenigen von apolaren Zellen (z. B. Blutzellen, Bindegewebszellen). So finden sich in der basolateralen Membran praktisch aller Epithelien eine Na+-K+-ATPase, K+-Kanäle,
der für die pH-Homöostase notwendige Na+-H+-Austauschcarrier, Aufnahmesysteme für metabolische Substrate sowie Rezeptoren für Hormone und Autakoide (s. u.). Die luminale (apikale) Membran hat dagegen eine sehr viel variablere Ausstattung, die für das jeweilige Epithel charakteristisch ist. So besitzen der proximale Tubulus und das Jejunum spezifische Transportsysteme für die dort zu resorbierenden Substrate, also z. B. Na+Glucose- und Na+-Aminosäuren-Symportcarrier. An der korrekten intrazellulären „Zustellung“ von Membrantransportproteinen ist das Zytoskelett beteiligt. Störungen der Zytoskelettfunktion gehen mit Störungen der Proteinanlieferung und des Proteineinbaus in die Membran einher. Beispielsweise nehmen Erythrozyten mit einem Defekt des erythrozytären Membranskelett-Proteins Ankyrin Kugelform an, was sie mechanisch instabil macht und bei den betroffenen Patienten eine hämolytische Anämie verursacht (kongenitale Sphärozytose; S. 229).
Lecke und dichte Epithelien haben unterschiedlich ausgeprägte Tight Junctions und unterschiedliche Transportfunktionen Die Barrierenfunktion der Schlussleisten wird einerseits durch die Anzahl der Säume in Serie und andererseits durch deren Proteinzusammensetzung (man kennt beim Menschen 18 verschiedene Claudine) bestimmt, die je nach Gewebe unterschiedlich sein kann und damit eine gewebespezifische Selektivität des parazellulären Transports ermöglicht. So genannte dichte Epithelien verfügen über eine große Zahl von Säumen in Serie, die zudem untereinander vernetzt sind (Abb. 3.2 S. 57). Dabei nimmt die Dichtheit des parazellulären Weges für den Fluss von Ionen in der Regel logarithmisch mit der Zahl der Säume zu (7), was dafür spricht, dass jeder Saum als unabhängige Barriere wirkt. Lecke Epithelien haben nur wenige solcher Säume. Dichte Epithelien kommen überall dort
Tabelle 3.1 Lecke und dichte Epithelien. Der transepitheliale Gesamtwiderstand Rte eines Epithels setzt sich aus dem transzellulären Widerstand (apikale und basolaterale Membran: Rz) und dem parazellulären Widerstand (Schlussleiste und lateraler Spalt: Rs) zusammen und wird nach dem 2. Kirchhoff-Gesetz bestimmt: 1/Rte = 1/Rz + 1/Rs oder Rte = Rz · Rs/(Rz + Rs). Dabei hängt Rte wesentlich von der Komplexität der Schlussleisten (Tight Junctions) ab, die letztlich die Größe von Rs bestimmt. Bei lecken Epithelien ist Rte klein und Rs < Rz, bei mitteldichten und dichten Epithelien ist Rte groß und Rs > Rz. Auch die transepithelialen Potenziale (Ete) sind bei lecken Epithelien im Allgemeinen niedriger als bei mitteldichten und dichten Epithelien. Epithel proximaler Tubulus
Rte (Ω · cm2) 5
Ete (mV)*
Schlussleisten
– 3 bis + 3
leck
Gallenblase
30
–1
leck
dicker aufsteigender Teil der Henle-Schleife
34
+ 6 bis + 15
mitteldicht
Kolon
500
– 10 bis – 40
mitteldicht bis dicht
Sammelrohr
800
– 5 bis – 60
mitteldicht bis dicht
– 60
dicht
Harnblase
1500
* Ete ist die Differenz zwischen dem Potenzial auf der luminalen Seite und dem auf der basolateralen Seite, d. h. bei einem Ete von – 60 mV ist das Potenzial auf der luminalen Seite um 60 mV negativer als auf der basolateralen Seite. Ete hängt einerseits von Rte ab, andererseits von der Aktivität und der Richtung der elektrogenen transepithelialen Transportprozesse des entsprechenden Epithels. Da elektrogene Transportprozesse regulatorischen Einflüssen unterliegen (z. B. Regulation des epithelialen Natriumkanals [ENaC] im Sammelrohr durch Aldosteron; S. 348), ist Ete entsprechend variabel.
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3.2 Zellverbände im Körper vor, wo große transepitheliale Konzentrationsgradienten geschaffen und erhalten werden, also beispielsweise in der Harnblase, im Sammelrohr der Niere und im Kolon. Lecke Epithelien findet man dagegen dort, wo geringe transepitheliale Gradienten vorliegen, so z. B. im proximalen Nierentubulus, im Jejunum, im Pankreasazinus etc. Auch das maximale transepitheliale Potenzial (Ete) und der transepitheliale elektrische Widerstand (Rte, in Ω · cm2) sind ein Maß für die Leckheit oder Dichtheit eines Epithels (Tab. 3.1). So zeichnen sich sehr dichte Epithelien durch einen hohen transepithelialen Widerstand aus. Entsprechend können an elektrisch dichten Epithelien durch elektrogene Transportvorgänge auch hohe transepitheliale Potenzialdifferenzen (Ete) auftreten, die in der Größenordnung des Ruhemembranpotenzials der Zellen liegen können (Tab. 3.1). Eine transepitheliale Potenzialdifferenz ist wiederum eine wichtige Trieb„kraft“ für den parazellulären Transport von geladenen Teilchen. Dies ist beispielsweise für die parazelluläre Ca2+- und Mg2+-Resorption im dicken aufsteigenden Schenkel (TAL) der Henle-Schleife von Bedeutung, wobei in diesem Nephronabschnitt offenbar das Protein Claudin-16 (= Paracellin-1) den Tight Junctions eine selektive Permeabilität für divalente Kationen verleiht (S. 363). Mutationen des Proteins Claudin-16 sind die Ursache für ein autosomal rezessiv vererbtes renales Magnesium- und Calciumverlustsyndrom (23). Aufgrund eines defekten Claudin-16 kommt es im TAL zu einer verminderten parazellulären Resorption von Mg2+und Ca2+-Ionen und damit zu einer vermehrten Ausscheidung dieser Ionen im Urin. Dies führt bei den Patienten zu einem Abfall der Magnesiumkonzentration im Plasma, was sich durch verschiedene kardiale, neuromuskuläre (z. B. Muskelkrämpfe) und zentralnervöse Symptome äußert, die aber häufig nicht sehr ausgeprägt sind. Die Calciumkonzentration im Plasma bleibt trotz des renalen Calciumverlusts meist im Normbereich, vermutlich aufgrund einer kompensatorisch erhöhten intestinalen Calciumresorption und einer Calciummobilisation aus dem Knochen infolge Hochregulation des Parathormons (S. 400 f.; Abb. 13.25). Allerdings verursacht die vermehrte renale Calciumausscheidung (Hyperkalziurie) Verkalkungen in der Niere (Nephrokalzinose), die bei den betroffenen Patienten häufig die Ursache für ein fortschreitendes Nierenversagen sind. Die Folgen der Mutationen von Claudin-16 illustrieren die Bedeutung dieser Proteinfamilie (s. o.) für die Funktion und Selektivität der Tight Junctions. Es mag die Frage entstehen, warum es z. B. für den proximalen Tubulus vorteilhaft sein sollte, wenig ausgeprägte Tight Junctions mit einer niedrigen Anzahl von Säumen (1 – 3) und einem geringen transepithelialen Widerstand auszubilden. Eine detaillierte Erklärung dafür wird bei der Besprechung der einzelnen Epithelien und ihrer Funktion gegeben (Kap. 12 u. 14). Vorweg sei hier festgehalten, dass durch den „lecken“ Weg zwischen den Zellen, den sog. parazellulären Weg, ein erheblicher Teil des Resorptionsflusses oder Sekretionsflusses (bei exokrinen Drüsen) passiv erfolgen kann. Für diesen Transport sind dann sehr geringe transepitheliale Triebkräfte ausreichend. Dadurch kann beispielsweise im proximalen Tubulus bis zu 70% der Na+-Resorption parazellulär und damit energetisch besonders günstig erfolgen
(10, 11). Lecke Schlussleisten sind also vorwiegend dort zu finden, wo die Transportraten besonders groß sind, also z. B. im proximalen Tubulus, im Dünndarm oder in den Endstücken exokriner Drüsen, wo aber keine größeren transepithelialen Konzentrationsgradienten aufgebaut werden müssen und der Transport wenig selektiv erfolgt.
Der transzelluläre Transport an Epithelien erfordert eine Koordination der apikalen und basolateralen Transportschritte Durch Epithelien werden teilweise enorme Mengen an Wasser, Elektrolyten und organischen Substanzen transportiert (Kap. 12 u. 15). So werden beispielsweise im proximalen Tubulus der Niere täglich unter anderem ca. 1 kg NaCl, 180 g Glukose und 110 l Wasser resorbiert. Ein erheblicher Anteil des NaCl, des Wassers und praktisch die gesamte Menge an Glucose muss dabei die Tubuluszelle, d. h. deren mit besonderen Transportsystemen ausgestattete luminale sowie die basolaterale Membran, passieren. Ein solcher Transportvorgang ist nur möglich, wenn die Transportraten beider Membranen genau aufeinander abgestimmt sind (21): Jede Steigerung der luminalen Aufnahme muss praktisch verzögerungsfrei zu einer vermehrten Abgabe über die basolaterale Membran führen (vgl. Abb. 2.14, S. 35). Beteiligt an dieser Regulation sind u. a. die zytosolische Ca2+-Konzentration, der zytosolische pH-Wert und die Konzentrationen von ATP und ADP in der Zelle.
Endothelverbände zeigen gewebespezifische Unterschiede Auch bei Endothelverbänden bestimmt die Art der ZellZell-Verbindung das Ausmaß und die Route der Permeation vom Gefäßlumen ins Interstitium und zurück (s. a. S. 194 ff.). In einigen Organen sind die Endothelverbände mäßig dicht (Haut, Skelettmuskel, Lunge) oder ausgesprochen dicht (ZNS). Im Gehirn bildet das dichte Endothel der meisten Kapillarbereiche die eigentliche Barriere der Blut-Hirn-Schranke (Kap. 19 u. 30), wobei auch hier Tight Junctions zwischen den Endothelzellen für die Dichtigkeit des Endothels von entscheidender Bedeutung sind (s. u.; S. 851; Abb. 30.2). In anderen Organen sind die Endothelverbände fenestriert, wie z. B. in der Darmschleimhaut, in den Glomerula der Niere und in endokrinen Drüsen. Diese Fenestrierung erlaubt den transendothelialen passiven Transport von kleinen bis mittelgroßen Molekülen (in den Glomeruluskapillaren der Niere beispielsweise bis zu einer Molekülmasse von 6 – 15 kDa, S. 339 f.). Wesentlich größere Makromoleküle und korpuskuläre Blutbestandteile können hingegen im Normalfall nicht permeieren. Schließlich kommen auch noch losere Endothelverbände mit noch größerer Permeabilität vor, sog. diskontinuierliches Endothel beispielsweise in der Leber und im Knochenmark. Insgesamt wird also durch die Dichtigkeit der Endothelzellverbände das Ausmaß der passiven Kommunikation zwischen Blut und Interstitium bestimmt.
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3 Von der Zelle zum Organ
ATP
Histamin
Endothelin
Thrombin
Angiotensin II
transforming growth factor
ADH
Blut
Acetylcholin
P
2+
H1
ETB
T
T
Phospholipase C
Ca
GTP NO-Synthetase
Arginin
cGMP
Guanylylcyclase
AII
V1
TGF
(Prä-)Pro-Endothelin
Endothel
M
Endothelin
Citrullin
NO
AII
ETA
Guanylylcyclase 2+
Ca GTP
Phospholipase C cGMP M
Vasodilatation
Abb. 3.3 Kommunikation zwischen Endothel und glatten Gefäßmuskelzellen. Auf der Blutseite besitzen Endothelzellen Rezeptoren, beispielsweise für Acetylcholin (M), Thrombin (T), ATP (P), Histamin (H1), Endothelin (ETB), Angiotensin II (AII), ADH (= Arginin-Vasopressin; V1) und transforming growth factor (TGF). Diese Faktoren können in der Endothelzelle sowohl die Bildung von NO (= Stickstoffmonoxid), als auch die von Endothelin steigern. Auch die glatte Gefäßmus-
3.3
Kommunikation benachbarter Zellverbände
Unterschiedliche Zelltypen eines Organs treten über Transmitter und lokal wirkende Hormone (Autakoide) miteinander in Kontakt und können sich gegenseitig beeinflussen. Beispiele für das komplexe Zusammenwirken verschiedener Zelltypen in einem Zellverband sind die funktionelle Einheit aus Endothelzellen und glatten Muskelzellen oder die aus Endothelzellen, Gliazellen und Neuronen.
Regulatorischer Einfluss des Gefäßendothels auf die glatte Gefäßmuskulatur Die Kommunikation benachbarter Zellverbände mit unterschiedlicher Funktion erfolgt oft durch sog. Autakoide. Autakoide sind lokale Hormone, die ihre Wirkung unmittelbar in der Nähe ihres Ausschüttungsortes entfalten. Die Kommunikation durch Autakoide soll am Beispiel von Endothelzellen und glatten Gefäßmuskelzellen erläutert werden (12, 16). Abb. 3.3 zeigt schematisch Endothelzellen und darunter befindliche glatte Muskelzellen. Die Endothelzelle verfügt über eine Vielzahl von Rezeptoren, von denen hier solche für Thrombin, Acetylcholin, ATP (Purinrezeptoren), Histamin und Endothelin (Rezeptortyp B: ETB) sowie für Angiotensin II, antidiuretisches Hormon (= ADH = Arginin-Vasopressin = AVP) und Transforming
Gefäßmuskulatur
60
Kontraktion
kulatur besitzt zahlreiche Rezeptoren, darunter solche für Acetylcholin, Angiotensin II und Endothelin (ETA). Während NO leicht aus dem Endothel in die benachbarten Gefäßmuskelzellen diffundieren kann und dort über cGMP (S. 40) eine Vasodilatation auslöst, führen Endothelläsionen dazu, dass die Agonisten (z. B. Endothelin) die Rezeptoren der Muskelzelle selbst erreichen und infolgedessen die Vasokonstriktion überwiegt.
growth factor (TGF) beispielhaft wiedergegeben sind. Nach Bindung entsprechender Signalstoffe stimulieren diese Rezeptoren (Phospholipase-C- und IP3-vermittelt; S. 34 f.) durch einen Anstieg der zytosolischen Ca2+-Konzentration die Bildung von NO (S. 40) und Endothelin. NO wirkt in der benachbarten glatten Muskelzelle über Guanylylcyclase relaxierend. Andererseits können Agonisten wie ADH, Thrombin, Angiotensin II und TGF die Freisetzung von Endothelin bewirken, das über den Endothelinrezeptor A (ETA) an den glatten Muskelzellen eine Konstriktion auslöst. Schließlich können Agonisten wie Angiotensin II, ADH und Acetylcholin direkt an den glatten Muskelzellen wirken und dort über Ca2+-Freisetzung eine Kontraktion erzeugen. Lokale Hormone und Transmitter können so in komplexer Weise die glatten Gefäßmuskelzellen entweder direkt beeinflussen oder indirekt über die Endothelzellen. Dabei kann derselbe Transmitter, z. B. Acetylcholin, bei einer direkten Wirkung auf die glatten Muskelzellen zu einer Kontraktion führen, während er über eine durch das Endothel vermittelte NOFreisetzung relaxierend wirkt (S. 40; 12). Dies erklärt vermutlich die klinische Beobachtung, dass eine gestörte Endothelfunktion zu einem Überwiegen vasokonstriktorischer Einflüsse führt. Im Rahmen arteriosklerotischer Gefäßveränderungen kommt es schon früh zu einer verminderten NOProduktion in den geschädigten Endothelzellen und dadurch zu einem verminderten vasodilatatorischen
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3.3 Kommunikation benachbarter Zellverbände Einfluss des Endothels. Schreiten die krankhaften Veränderungen fort und kommt es zu Endotheldefekten, können vasoaktive Substanzen aus der Blutbahn direkt auf die Gefäßmuskelzellen einwirken, ohne in ihrer Wirkung durch die Endothelzellen modifiziert zu werden. Möglicherweise beruhen vorübergehende Koronarspasmen, wie sie bei der so genannten PrinzmetalAngina beobachtet werden, auf einer defekten Endothelfunktion mit verminderter NO-Freisetzung. Dafür spricht jedenfalls die Tatsache, dass bei diesen Patienten durch Infusion von Acetylcholin in die Koronararterien in der Regel ein Koronarspasmus ausgelöst werden kann, was als diagnostisches Kriterium für das Vorliegen einer Prinzmetal Angina gewertet wird. Pathophysiologisch kann man sich das so erklären, dass die Applikation von Acetylcholin bei diesen Patienten aufgrund eines Endotheleffekts nicht zu einer NOFreisetzung führt, sondern direkt an den glatten Gefäßmuskelzellen angreift und dadurch eine Vasokonstriktion auslöst.
Funktionelle Interaktion von Endothelzellen, Gliazellen und Neuronen im Zentralnervensystem (ZNS) Eine andere Interaktion von Zellverbänden existiert im ZNS zwischen Endothelzellen, Gliazellen und Neuronen (Abb. 30.2, S. 851). Dieser komplexe Verband gewährleistet eine strenge Trennung von systemischer Zirkulation und interstitiellem Raum zwischen den Neuronen. Die eigentliche Blut-Hirn-Schranke (s. auch Kap. 19 u. 30) kommt dadurch zustande, dass die Endothelzellen dieser Gefäße durch hochdifferenzierte Tight Junctions verbunden sind und daher der parazelluläre Transportweg dicht ist (Abb. 30.2). Somit hängt der Zugang zum interstitiellen Raum des ZNS von den Transporteigenschaften dieser spezialisierten Endothelzellen ab. Sie besitzen u. a. Transporter für Ionen und metabolische Substrate, die den Transport in beide Richtungen ermöglichen und genau kontrollieren. Funktionell entspricht hier das Endothel also einem Epithel (s. o.). Außerdem sorgen Gliazellen dafür, dass es trotz des geringen Volumenanteils des Interstitiums im ZNS auch bei starker neuronaler Aktivität zu keinen großen Schwankungen im extrazellulären Ionenmilieu kommt. Diese räumliche Pufferung von Ionen ist im ZNS unabdingbar, weil neuronale Aktivität mit großen Nettoionenströmen einhergeht. So verlässt während des Aktionspotenzials K+ die Neurone und Na+ wird aufgenommen (Kap. 4). Da das interstitielle Volumen im ZNS sehr klein ist, würden dort erhebliche Änderungen der extrazellulären Ionenkonzentrationen auftreten, wenn nicht geeignete Transportsysteme der Gliazellen für den Ausgleich sorgen würden. In Phasen der Ruhe kehrt sich die Transportrichtung um, und der Ausgangszustand wird wiederhergestellt. Darüber hinaus weiß man inzwischen, dass Gliazellen auch Neurotransmitter aufnehmen und metabolisieren sowie Rezeptoren für Neurotransmitter besitzen. Diese sind womöglich Teil eines Mechanismus, um die Funktion der Gliazellen auf die der umgebenden Neurone abzustimmen (S. 614 f.).
Zum Weiterlesen … 1 Alberts B, Johnson A, Lewis J, Raff M, Roberts K, Walter P. Molekularbiologie der Zelle, 4. Aufl. Weinheim: WileyVCH, 2004 2 Greger R, Windhorst U. Comprehensive Human Physiology. From Cellular Mechanisms to Integration. Berlin: Springer, 1996 3 Lodish H, Berk A, Matsudaira P, Kaiser CA, Krieger M, Scott MP, Zipursky SL, Darnell J. Molecular Cell Biology. 5th ed. New York: WH Freeman & Co; 2004 4 Wills N, Reuss L, Lewis SA (eds.). Epithelial Transport. London: Chapman & Hall; 1996
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3 Von der Zelle zum Organ 21 Schultz SG, Hudson RL. How do sodium-absorbing cells do their job and survive. News Physiol Sci. 1986; 1: 185 – 188 22 Silbernagl S, Despopoulos A. Taschenatlas der Physiologie. 6. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2003 23 Simon DB, Lu Y, Choate KA, Velazquez H, Al-Sabban E, Praga M, Casari G, Bettinelli A, Colussi G, RodriguezSoriano J, McCredie D, Milford D, Sanjad S, Lifton RP. Paracellin-1, a renal tight junction protein required for paracellular Mg2+ resorption. Science. 1999; 285: 103 – 106
24 Simons K, Wandinger-Ness A. Polarized sorting in epithelia. Cell. 1990; 62: 207 – 210 25 Spring KR. Routes and mechanism of fluid transport by epithelia. Annu Rev Physiol. 1998; 60: 105 – 119 26 Veenstra RD, DeHaan RL. Measurement of single channel currents from cardiac gap junctions. Science. 1986; 233: 972 – 974
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Membranpotenzial A. Karschin, R. Greger
4.1
Der Zusammenbruch des Membranpotenzials ist lebensbedrohlich ··· 64
4.2
Wozu ein Membranpotenzial?
4.3
Das Ruhemembranpotenzial ··· 64 Das K+-Nernst-Potenzial dominiert das Ruhepotenzial ··· 64 Goldman-Hodgkin-Katz-Gleichung zur besseren Beschreibung der Realität · · · 65 Die molekularen Korrelate der Ruheleitfähigkeit ··· 66
···
64
4.4
Aktionspotenziale · ·· 67 Eigenschaften des Aktionspotenzials · ·· 67 Verschiedene Ionenleitfähigkeiten bestimmen den Aktionspotenzialverlauf · · · 68 Die Arbeitsweise einzelner spannungsabhängiger Ionenkanäle ··· 69 Spannungsabhängige Ionenkanäle bilden eine Proteinfamilie · ·· 70 Ionenkanäle sind selektiv permeabel · · · 72 Spannungssensoren messen die Membranspannung ··· 72 Öffnen und Schließen der Kanäle ··· 74 Das Öffnen und Schließen der Kanäle ist modulierbar · · · 75 Das Zusammenspiel der verschiedenen Ionenkanäle beim Aktionspotenzial ··· 76 Unterschiedlicher Aktionspotenzialverlauf in erregbaren Zellen · · · 77 Aktionspotenzialmuster in Nervenzellen des Zentralnervensystems · ·· 78
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4 Membranpotenzial
4.1
Der Zusammenbruch des Membranpotenzials ist lebensbedrohlich
Ein älterer Patient wird auf der Intensivstation zur akuten Stabilisierung seines Elektrolyt- und Wasserhaushaltes über einen zentralen Venenkatheter dauerversorgt. Wegen einer Harnwegsinfektion soll ein Antibiotikum verabreicht werden, das vom Intensivpfleger statt in aqua dest. oder physiologischer Kochsalzlösung (0,9 %ige NaCl-Lösung) irrtümlicherweise in einer 20 ml Ampulle KCl-Lösung (25 mmol/l) gelöst und schnell intravenös zugeführt wird. Noch während der Infusion erleidet der Patient einen Herzstillstand und verstirbt. Obwohl solche Todesfälle sehr selten sind, sind die klinischen Risiken im Umgang mit intravenös appliziertem KCl bekannt, insbesondere, wenn es zu schnell oder in zu hohen Dosen verabreicht wird (therapeutischer Einsatz z. B. bei starker Hypokaliämie). Daher sind von den Gesundheitsämtern Strategien vorgeschrieben, um eine fehlerhafte Anwendung auch in der Hektik der Notfallmedizin unbedingt zu vermeiden: KCl-Lösungen sollen stark verdünnt, getrennt gelagert und als Lösung oder auf dem Etikett farbkodiert (dunkelgrün/blau) sein. Wenn man versteht, wie das negative, zelluläre Ruhepotenzial entsteht und wie es von der selektiven Membranpermeabilität für K+-Ionen dominiert wird, lässt sich erklären, warum das Herz des Patienten zu schlagen aufhörte: Durch einen plötzlichen Anstieg der extrazellulären K+-Konzentrationen bricht das Membranpotenzial der Zellen zusammen. Dies betrifft auch die kardialen Muskelzellen. Sie verlieren ihre Fähigkeit, weiterhin die Impulse zu bilden, die zur Kontraktion des Herzens führen.
4.2
Wozu ein Membranpotenzial?
Das Membranpotenzial und seine Änderung dient der Nachrichtenübermittlung im Nervensystem sowie der Auslösung der Muskelkontraktion und steuert eine Vielzahl von Zellfunktionen. Im gesamten Nervensystem werden Botschaften rasch und zum Teil über lange Strecken elektrisch vermittelt. Durch elektrische Vorgänge wird die Muskelkontraktion ausgelöst, und elektrische Vorgänge beeinflussen direkt auch die Funktion von Epithelzellen. Es hat sich trotzdem eingebürgert, von erregbaren und nicht erregbaren Zellen zu sprechen. Als erregbare Zellen sind dabei ausschließlich jene definiert, die auf eine initiale Depolarisation (Senkung des Membranpotenzials auf einen weniger negativen Wert) mit Aktionspotenzialen (also mit raschen, monoton ablaufenden Depolarisationen) antworten können. Im Folgenden wird auf die Entstehung des Membranpotenzials, dann auf das sog. Ruhemembranpotenzial und schließlich auf das Aktionspotenzial eingegangen.
4.3
Das Ruhemembranpotenzial
Die Zellmembranen der meisten Zellen unseres Körpers enthalten K+-Kanäle, die dauerhaft geöffnet sind. Da die K+-Konzentration im Zytosol durch Aktivität der Na+K+-Pumpe etwa 30-mal größer ist als im Extrazellulärraum, entsteht ein im Zytosol negatives Membranpotenzial nahe des K+-Gleichgewichtspotenzials. Oft weist das gemessene Membranpotenzial jedoch etwas weniger negative Werte auf als nach der Nernst-Gleichung für K+-Ionen zu errechnen wäre. Dies wird dadurch verursacht, dass die Membran nicht nur K+-Ionen leitet, sondern teilweise auch für Na+-Ionen permeabel sein kann. Der Beitrag der relativen Permeabilitäten aller Ionen wird quantitativ mit der Goldman-Hodgkin-KatzGleichung erfasst.
Das K+-Nernst-Potenzial dominiert das Ruhepotenzial In Kap. 2 wurde besprochen, wie durch die Aktion ATPgetriebener Ionenpumpen in der Membran (z. B. Na+K+-ATPase) Konzentrationsgradienten wichtiger Ionen wie Na+, K+, Ca2+ oder Cl– zwischen Intra- und Extrazellulärraum aufgebaut werden (Tab. 2.1, S. 15). Diese mit Energieaufwand etablierten Ionenkonzentrationsgradienten stellen somit die erste treibende „Kraft“ für die nachfolgenden Ionenbewegungen über die Membran dar („Kraft“ ist hier nicht im physikalischen Sinn verwendet). Aus den Gesetzmäßigkeiten der Diffusion ergibt sich, dass Ionen entlang dieser Konzentrationsgradienten fließen, wenn ihnen ein Passageweg durch die lipophile Phospholipidmembran, z. B. ein Ionenkanal, zur Verfügung steht (und der Diffusion noch kein Membranpotenzial entgegenwirkt). Im Falle der im Zytosol konzentrierteren K+-Ionen (ca. 120 mmol/l) bedeutet dies einen Netto-K+-Auswärtsstrom, der mit dem Verlust positiver Ladung im Zytosol, d. h. dem Aufbau eines negativen intrazellulären Potenzials einhergeht. K+-Ionen fließen nun solange über die Membran, bis die Triebkräfte der elektrostatischen Anziehung und die chemischen Diffusionskräfte sich gerade ausbalancieren. Der Wert dieses negativen Potenzials, bei dem kein Nettostrom von K+ existiert (K+-Ionen stehen „im Äquilibrium“), wird als K+Äquilibriums-, K+-Gleichgewichts- oder K+-Nernst-Potenzial (EK) bezeichnet. Auf Na+-Ionen bezogen, die im Interstitium höher konzentiert (ca. 145 mmol/l) sind als im Zytosol (ca. 15 mmol/l), bedeutet dies, dass durch Na+Einstrom über permanent offene Na+-selektive Ionenkanäle ein positives Na+-Gleichgewichtspotenzial (ENa) aufgebaut werden würde. Generell wird an einer Phospholipidmembran mit offenen Ionenkanälen für eine Ionenspezies (selektive Permeabilität, s. unten) immer das Potenzial erzeugt, das dem Konzentrationsgradienten dieses Ions über die Membran entspricht (ci, ca = Ionenkonzentrationen innen bzw. außen). Quantitativ lässt sich dieser Vorgang für jedes Ion nach den Prinzipien der Physikalischen Chemie durch die Nernst-Gleichung beschreiben (s. S. 25):
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4.3 Das Ruhemembranpotenzial EIon =
2,303
RT c log i [mV] zF ca
(4.1)
Man sieht, dass in der Gleichung die Ladung des Ions (z), die absolute Temperatur (T) und der dekadische Logarithmus (log) der Konzentrationsverhältnisse des Ions als veränderliche Parameter enthalten sind, nicht jedoch wie gut die Membran das Ion leitet. Bei Körpertemperatur (37 8C) vereinfacht sich die Nernst-Gleichung wie folgt: EIon =
61 c log i [mV] z ca
(4.2)
Ist eine Membran nur für K+-Ionen permeabel, wie dies bei vielen Zellen in Ruhe der Fall ist, errechnet sich bei einem typischen K+-Konzentrationsverhältnis von ci/ca (120 mmol/l)/(4 mmol/l) ein Membranpotenzial von – 90 mV. Für ein besseres Verständnis des Membranpotenzials sollte man sich folgende Punkte vor Augen führen: – Die Erhaltung des Gleichgewichtspotenzials kostet keine Energie, wohl aber der Aufbau und die Wiederherstellung der ionalen Konzentrationsunterschiede, z. B. durch die kontinuierlich arbeitende Na+-K+-ATPase, in Ruhe bzw. nach elektrischer Aktivität. – Die negative Ladung ist vorwiegend an der Innenseite der Phospholipidmembran lokalisiert und nicht auf das gesamte Zytosol verteilt, d. h., die Elektroneutralität im Zellinneren (Anzahl der Kationen = Anzahl der Anionen) ist nicht merklich gestört. Die Funktion der Membran als Ladungsspeicher wird durch die Membrankapazität (ca. 1 µF/cm2) beschrieben. Sie induziert bei jeder Membranumladung wegen ihrer geringen Größe nur einen kurzen kapazitiven Stromfluss. – Die Veränderung der Ionenkonzentrationen in beiden Kompartimenten bei der Neueinstellung des Membranpotenzials ist sehr gering. In der Regel ändert sich zum Erreichen des K+-Gleichgewichtspotenzials die innere K+-Konzentration nur um wenige µmol, um kurze Zeit später wieder ausgeglichen zu werden. Bei exzessiver elektrischer Aktivität, z. B. im ZNS während epileptischer Anfälle können jedoch auch kurzfristig Ionenverschiebungen im mmol-Bereich auftreten. – Ob und wie viel Ionenstrom über die Membran fließt, ist davon abhängig, wie weit das Membranpotenzial der Zelle (Em) vom Gleichgewichtspotenzial des wandernden Ions (EIon) zum jeweiligen Zeitpunkt entfernt ist. Diese Differenz (Em – EIon) wird als elektrische Trieb„kraft“ bezeichnet. Für K+-Ionen ist diese Triebkraft bei einem realen Membranpotenzial von Em = – 75 mV mit 15 mV relativ klein (EK = – 90 mV), bei der Membranumladung während des Aktionspotenzials mit > 90 mV aber sehr groß. Der K+-Strom fließt nur so lange, bis diese Differenz ausgeglichen ist und zwar abhängig von der Zahl der verfügbaren K+-Kanäle (d. h. der elektrischen Leitfähigkeit gK, Einheit S · cm–2, entspricht 1/Widerstand). Allgemein berechnet sich der Stromfluss nach dem Ohm-Gesetz IIon = gIon ðEm
EIon Þ ½A cm 2
(4.3)
und beträgt daher Null wenn die Triebkraft der Ionenbewegung (am Gleichgewichtspotenzial) oder die Leit-
fähigkeit (keine funktionsfähigen Kanäle) Null ist. Beim normalen Ruhepotenzial ist für K+-Ionen die Triebkraft gering und die Leitfähigkeit groß, für Na+Ionen sind die Verhältnisse umgekehrt.
Goldman-Hodgkin-Katz-Gleichung zur besseren Beschreibung der Realität An den meisten Zellen unseres Körpers wird in Ruhe ein Membranpotenzial Em gemessen, das dem K+-Gleichgewichtspotenzial (EK) nahe kommt. Das aktuelle Membranpotenzial kann durch Einstechen einer Mikroelektrode gemessen werden, die typischerweise aus einer Metalldrahtspitze in einer sehr fein ausgezogenen und mit Salzlösung gefüllten Glaskapillare (Spitzendurchmesser 0,1 – 0,5 µm) besteht. In Abb. 4.1 ist eine Messanordnung zur Ableitung des Membranpotenzials an einer isolierten Nervenzelle gezeigt, bei der die Referenzelektrode in der Badlösung liegt (entspricht dem Extrazellulärraum) und zwischen den Elektroden ein Spannungsmessgerät mit einem hohen Innenwiderstand (zur Vermeidung eines Kurzschlusses) geschaltet ist. In diesem Experiment wird ein Potenzial von – 75 mV gemessen, wenn die Außenlösung eine K+-Konzentration von 4 mmol/l aufweist. Der gemessene Wert weicht um – 15 mV vom errechneten K+-Nernst-Potenzial von – 90 mV ab. Um zu testen, wie die Differenz von 15 mV zustande kommt, prüft man, ob sich das gemessene Potenzial wirklich wie ein Nernst-Potenzial verhält. Wenn man schrittweise die extrazelluläre K+-Konzentration erhöht und die entsprechenden Potenzialantworten misst, so wird deutlich, dass nur bei hohen K+-Konzentrationen die Vorhersagen der Nernst-Beziehung gut erfüllt werden, bei niedrigem K+ jedoch zu positiveren Werten abweichen. Offensichtlich ist die Zellmembran nicht ausschließlich für K+-Ionen durchlässig, sondern weist auch eine geringe Permeabilität (P) für andere Ionen, vorwiegend für die in hoher Konzentration vorkommenden Na+- und Cl–-Ionen auf. Wenn wir uns vorstellen, die Membran wäre gleichermaßen durchlässig für K+- und Na+-Ionen (ENa = ca. + 60 mV), dann wäre zu erwarten, dass das Membranpotenzial bei ca. – 15 mV, d. h. genau zwischen den beiden Gleichgewichtspotenzialen liegen würde. Da das Membranpotenzial aber viel näher bei EK als bei ENa liegt, ist die Membran offensichtlich für Na+-Ionen weit weniger permeabel als für K+-Ionen.
Der quantitative Zusammenhang, der die relative Permeabilität der Membran für verschiedene Ionen berücksichtigt, wird als Goldman-Hodgkin-Katz-Gleichung (GHK) bezeichnet: Em =
RT PKþ ½Kþ a þ PNaþ ½Naþ a þ PCl ½Cl i ln F PKþ ½Kþ i þ PNaþ ½Naþ i þ PCl ½Cl a (4.4a)
Setzen wir wie bei der Nernst-Gleichung die Werte von R (8,314 J · K–1 · mol–1), F (9,65 · 104 A · s · mol–1) und T (310 K) ein und wandeln den natürlichen (ln) in den dekadischen Logarithmus (log) um, so ergibt sich:
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65
4 Membranpotenzial +
K -Konzentration im Bad
A Messanordnung
(mmol/l)
4
20
4
Registrierung 0
Messelektrode
20
C Auswertung 0
40
60
80 Referenzelektrode Bad
Einstich
0
10
20
30
Zeit (s) B Originalregistrierung
Membranpotenzial (mV)
Messgerät
Membranpotenzial (mV)
66
20 40 Messwerte 60 80
120
Zelle
61 log
PKþ ½Kþ i þ PNaþ ½Naþ i þ PCl ½Cl a ½mV PKþ ½Kþ a þ PNaþ ½Naþ a þ PCl ½Cl i (4.4b)
Die Gleichung wurde aus der Nernst-Beziehung unter der idealisierten Voraussetzung abgeleitet, dass das elektrische Feld über die Membran konstant abfällt (daher wird die GHK auch Constant-Field-Gleichung genannt). In der dargestellten Form berücksichtigt die Gleichung nur drei Ionen, sie könnte aber um beliebig viele andere einwertige Ionen in analoger Weise erweitert werden. Die PWerte [cm/s] stellen hierbei konzentrationsunabhängig die selektive Permeabilität, eine Konstante nach dem Fick’schen Diffusionsgesetz, für die einzelnen Ionen durch spezifische Ionenkanäle dar (Kap. 2, S. 22). Wir merken uns, dass die Permeabilität (P) der Leitfähigkeit (g) der Membran proportional und von der mittleren Ionenkonzentration c in der Membran unabhängig ist: P=
gRT ½m s 1 z2 F2 c
1
3
5
+
10
30 50 100
[K ]Bad (mmol/l)
Abb. 4.1 Messung des Zellmembranpotenzials. A zeigt die Messanordnung, bestehend aus dem Bad, einer kultivierten Nervenzelle, einer Mikroelektrode und einer Referenzelektrode sowie dem hochohmigen Messgerät. B zeigt eine Originalaufzeichnung. Der Pfeil markiert den Einstich in die Zelle. Das jetzt angezeigte Potenzial (Em) stabilisiert sich auf Werte um – 75 mV. Oberhalb der Registrierung ist die jeweilige K+-Konzentration in der Badlösung in mmol/l angegeben. Die Erhöhung der K+-Konzentration von 4 auf 20 mmol/l führt zu einer Depolarisation um ca. 20 mV. Bei Rückkehr zur
Em =
Nernst-Beziehung + für [K ]
100
(4.5)
Die Bedeutung der GHK-Gleichung lässt sich am besten durch praktische Beispiele veranschaulichen. Nehmen wir an, dass die Zelle in Abb. 4.1 eine dominierende K+-Permeabilität (PK = 10–7 cm/s) aufweist und dass PNa+ 500-mal und PCl– 10-mal kleiner ist. Für diesen Fall errechnet man eine Kurve, die sich optimal an die Messdaten anpasst (Abb. 4.1 C). Wenn man eine
Ausgangskonzentration (4 mmol/l) repolarisiert die Zelle auf – 75 mV. C zeigt die Abhängigkeit des Membranpotenzials von den experimentell getesteten unterschiedlichen K+-Konzentrationen im Bad. Die Messpunkte sind mit einer roten Kurve verbunden. Die gestrichelte Gerade zeigt zum Vergleich die Nernst-Beziehung für [K+]. Die Abweichung kommt dadurch zustande, dass bei niedrigen extrazellulären K+-Konzentrationen eine in der Realität geringfügige Na+Permeabilität das tatsächliche Membranpotenzial maßgeblich zu positiveren Potenzialen verschieben kann.
strikt K+-selektive Membran annimmt, entfallen die letzten beiden Teile der GHK-Gleichung, und wir erhalten wieder die Nernst-Beziehung. Es ist davon auszugehen, dass PK+, PNa+ und PCl– keineswegs immer konstant sind, sondern als Funktion z. B. der Messzeit variieren. Dann müssen wir für jeden Messzeitpunkt die aktuellen PK+-, PNa+- und PCl–-Werte einsetzen, um das aktuelle Membranpotenzial errechnen zu können.
Die molekularen Korrelate der Ruheleitfähigkeit Die K+-Leitfähigkeiten, die beim Ruhepotenzial die wichtigste Rolle spielen (und damit erregbare Zellen von der Erregungsschwelle entfernt halten), werden als K+-selektive Hintergrundleitfähigkeiten bezeichnet. Verantwortlich dafür sind hauptsächlich die am Ruhepotenzial dauerhaft geöffneten K+-Tandemporenkanäle (K2P) und einwärts gleichrichtende K+-Kanäle (KIR), deren einfache, charakteristische Strukturen in Abb. 4.4 C u. D dargestellt sind. Ihre Aktivität ist nicht so strikt vom Membranpotenzial abhängig wie dies für spannungsabhängige K+Kanäle vom Kv-Typ der Fall ist. Eine besonders hohe Dichte dieser Kanäle in der Membran wird erforderlich, wenn es sinnvoll ist, das Ruhepotenzial von Nerven- oder Muskelzellen so zu stabilisieren, dass sie vor ungewollter, spontaner Erregung durch synaptische Kontakte oder Nachbarzellen geschützt sind. Ein bekanntes Beispiel
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4.4 Aktionspotenziale stellt die hohe K+-Ruheleitfähigkeit der Muskelzellen im Arbeitsmyokard dar, die durch KIR-Kanäle dominiert wird und im Herzen einer unkoordinierten, arrhythmischen Erregungsausbreitung vorbeugt. Welche Folgen eine künstlich eingeleitete Stabilisierung des Ruhepotenzials von Neuronen im ZNS hat, wird bei der Einleitung und Aufrechterhaltung einer Inhalationnarkose sehr anschaulich demonstriert. Generell stellt die Aktivierung von K+-Kanälen einen idealen Mechanismus dar, Neurone durch K+-Ausstrom zu hyperpolarisieren, und damit ihre Aktivität im neuralen Netzwerk zu dämpfen. Neuere molekularphysiologische Untersuchungen haben gezeigt, dass geringe Konzentrationen verschiedener Inhalationsnarkotika, z. B. Chloroform, Isofluran oder Halothan, die Offenwahrscheinlichkeit einiger K2P-Kanäle stark erhöhen und damit die Bereitschaft der Nervenzellen reduzieren, Aktionspotenziale zu generieren (19). Aus der hohen K2P-Kanalexpression in einzelnen Neuronenpopulationen im Gehirn wird so das komplexe Wirkprofil dieser Narkotika verständlicher. Man vermutet, dass z. B. die K2P-Aktivierung in den Motoneuronen von Hirnstamm und Rückenmark sowie in Raphé-Neuronen immobilisierend und sedativ wirkt. Eine Kanalaktivierung in Zellen des Locus coeruleus vermittelt eher die analgetische und hypnotische Komponente der Narkose. Andererseits spiegelt die Blockade des sensorischen Informationsflusses und der Bewusstseinsverlust während der Narkose die Ruhigstellung sensorischer Neurone im Spinalganglion wider. Sind die K+-Ruheleitfähigkeiten relativ klein, kann sich das Ruhepotenzial durch depolarisierende Kationenleckströme (Na+ oder Ca2+) u. U. um 20 – 30 mV vom K+Gleichgewichtspotenzial entfernen. So wird im Dunkeln das Potenzial von Photorezeptoren in der Netzhaut unter dem Einfluss von nichtselektiven Kationenkanälen (CNGTyp; Abb. 4.4 B 3) depolarisiert, deren Aktivität vom zytosolischen Konzentrationsniveau der zyklischen Nukleotide cGMP und cAMP abhängt (CNG: cyclic nucleotidegated) (Abb. 23.9 A, S. 694). Eine andere Gruppe Nukleotid-gesteuerter Kationenkanäle (HCN-Typ, Abb. 4.4 B 3) ist verantwortlich für die Schrittmachercharakteristik z. B. in Stammhirnneuronen (Abb. 4.10 D, S. 77) oder Zellen des Erregungsleitungssystems im Herzen (S. 153). Schrittmacherzellen besitzen kein echtes Ruhepotenzial, sondern nähern sich unter dem depolarisierenden Einfluss der Ströme durch HCN-Kanäle (Ih oder If), die bei negativen Membranpotenzialen aktiv sind (HCN: hyperpolarization- and cyclic nucleotide-gated), wiederholt spontan der Erregungsschwelle für die Auslösung eines neuen Aktionspotenzials (langsames diastolisches Potenzial, S. 153). Einen anderen Sonderfall stellen Epithel- und Muskelzellen dar, bei denen Cl–-Leitfähigkeiten mit 70 – 80 % der Gesamtruheleitfähigkeit für die Regulation des Zellvolumens, für Sekretionsprozesse bzw. für den Schutz vor Übererregung eine wichtige Rolle spielen.
Die Bedeutung der Cl–-Leitfähigkeit zur Stabilisierung des Skelettmuskelpotenzials, wird besonders bei verschiedenen vererbten Skelettmuskelerkrankungen offenkundig. So sind Mutationen im CLCN1-Gen des muskulären Cl–-Kanals für zwei Muskelerkrankungen, die dominante Thomsen- und die rezessiv vererbte Becker-Myotonie (Myotonia congenita), verantwortlich (20). Hier kommt es infolge der bis heute mehr als 40 beschriebenen Gendefekte zu einer abnormen Verminderung der Cl–-Leitfähigkeit. Dies geht mit einer Übererregbarkeit der Muskelfasermembran einher, die sich in Spontanentladungen des Muskels, auch nach Ende der Aktivierung durch das Motoneuron, äußern kann. In der klinischen Diagnostik lassen sich bei den Erkrankten durch Beklopfen des Muskels repetitive Entladungsserien im Elektromyogramm hervorrufen. Symptomatisch fällt bei den betroffenen Patienten neben einer allgemeinen Muskelschwäche auf, dass die Muskulatur zu Beginn einer Willkürbewegung sich auffallend leicht versteift und krampft, was sich durch Wiederholung der Bewegung verbessert („Warm-upPhänomen“).
4.4
Aktionspotenziale
Erregbare Nerven- und Muskelzellmembranen reagieren auf eine Vordepolarisation, wenn diese einen bestimmten Schwellenwert erreicht, mit monotonen Potenzialantworten, den Aktionspotenzialen. Diese bestehen in der Regel aus drei Phasen: rasche Depolarisation und Potenzialumkehr, langsame Repolarisation und Nachhyperpolarisation. Der Kurvenverlauf kommt dadurch zustande, dass sich in der erregbaren Membran zeit- und potenzialabhängig die Ionenleitfähigkeiten ändern. In Ruhe dominiert die K+-Leitfähigkeit. Bei Depolarisation und, stark vermehrt, bei Erreichen der Schwelle öffnen sich Na+-Kanäle. Dadurch kommt es zur raschen Depolarisation und Potenzialumkehr. Diese Na+-Kanäle gehen nach sehr kurzer Zeit in einen inaktiven Zustand über. Deshalb kommt es zur Repolarisation der Membran. Ein weiterer Grund für die Repolarisation und vor allem für die Nachhyperpolarisation ist die (etwas verzögerte) Zunahme der K+-Leitfähigkeit. Aktionspotenziale gehorchen dem Alles-oder-Nichts-Gesetz, d. h., sie treten nur mit obigem programmhaften Ablauf auf.
Eigenschaften des Aktionspotenzials Sticht man eine Mikroelektrode in eine Nerven- oder Skelettmuskelzelle ein, wie in der Versuchsanordnung für die Messung von Ruhepotenzialen gezeigt (Abb. 4.1), lässt sich bei Erregung, z. B. durch einen kurzen depolarisierenden Strompuls, der Verlauf von Aktionspotenzialen auf einem Oszilloskop darstellen (Abb. 4.2). Wenn das Membranpotenzial gegen die Zeit aufgetragen wird, kann man im Potenzialverlauf bestimmte, wiederkehrende Teile identifizieren. Typischerweise kommt es vom Ruhemembranpotenzial nach einer gewissen Vordepolarisation, die die Erregungsschwelle erreicht, zu einer raschen Depolarisation (Aufstrich) auf positive Potenzialwerte von ca. + 20 bis + 40 mV (Potenzialumkehr, „Over-
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4 Membranpotenzial nach dem „Alles-oder-Nichts-Gesetz“ ausgelöst. Entweder kommt es also zur Auslösung von Aktionspotenzialen, dann haben sie in etwa den hier gezeigten Verlauf, oder sie unterbleiben ganz. Das Gesetz schließt jedoch nicht aus, dass Form und Größe des Aktionspotenzials in unterschiedlichen, erregbaren Zellen variieren können (Abb. 4.9). Die elektrischen Vorgänge an der Nervenzelle, die mit dem Aktionspotenzial verknüpft sind, wurden von Hodgkin u. Huxley (9) um 1950 mit Akribie an Riesenaxonen (ca. 1 mm Durchmesser) des Tintenfisches untersucht (Abb. 1.2, S. 5) und quantitativ treffend beschrieben. Inzwischen lassen sich stabile intrazelluläre Ableitungen mit Glasmikroelektroden auch an kleinen Säugerneuronen (10 – 30 µm Durchmesser) und deren Fasern durchführen. Sie demonstrieren, dass vieles, was zuvor in Invertebraten gemessen wurde, auch direkt auf den Menschen übertragbar ist.
A Aktionspotenzialverlauf in einer Nervenzelle Strompuls
20
Overshoot
Potenzialumkehr
0
Repolarisation
Membranpotenzial Em (mV)
68
20
40
rasche Depolarisation Nachhyperpolarisation
60
Verschiedene Ionenleitfähigkeiten bestimmen den Aktionspotenzialverlauf
80
100
0
5
10
Zeit (ms) B fortgesetzte Strominjektion Ableitungselektrode Strominjektion
Registrierung
Reiz 0
Aktionspotenziale
Abb. 4.2 Typischer Aktionspotenzialverlauf in einer Nervenzelle bei hoher zeitlicher Auflösung. A Das Aktionspotenzial wird durch einen kurzen Strompuls z. B. über eine Reizelektrode ausgelöst und über eine Ableitelektrode registriert. Es beginnt mit einer raschen Depolarisation bis zur Potenzialumkehr („Overshoot“). Dann schließt sich die Repolarisation an, die schließlich in eine längerdauernde Nachhyperpolarisation übergeht. B Fortgesetzte Strominjektion führt in der Nervenzelle zu einer anhaltenden Salve gleichförmiger Aktionspotenziale.
shoot“). Im Anschluss daran kehrt das Potenzial rasch, innerhalb 1 – 2 ms, wieder zum Ausgangswert zurück oder sinkt sogar kurzfristig unter diesen ab (Nachhyperpolarisation, „undershoot“; Unterschied zum Herzmuskel Abb. 4.9). Die Aktionspotenzialform ist monoton, d. h., wenn für eine bestimmte Zellart einmal der Schwellenwert erreicht wird, läuft das Aktionspotenzial immer nach dem gleichen „Programm“ ab. Dies wird deutlich wenn man kontinuierlich depolarisierenden Strom in die Nervenzelle injiziert, und die Zelle darauf mit einer Serie von Aktionspotenzialen antwortet (Abb. 4.2 B). Die Aktionspotenziale werden auf eine solche Dauerreizung
Um zu verdeutlichen, dass Aktionspotenziale durch eine stereotyp verlaufende Sequenz von Ionenbewegungen, d. h. durch Umverteilung elektrischer Ladung über die Membran, charakterisiert sind, schalten wir in einem Gedankenexperiment die Leitfähigkeiten für die einzelnen Ionen willkürlich an und aus. Am Ruhepotenzial, wenn also die K+-Leitfähigkeit dominiert, stabilisiert sich das Membranpotenzial Em beim K+-Gleichgewichtspotenzial von – 90 mV (Em = EK), d. h. die Triebkraft für K+-Ionen und der Stromfluss IK = gK (Em-EK) sind Null. In diesem Moment ist die elektrochemische Triebkraft für Na+Ionen jedoch sehr groß (Em – ENa = – 90 – [+ 60] = – 150 mV). Werden jetzt schlagartig viele Na+-Kanäle geöffnet (wie dies durch Strominjektion über die Mikroelektrode geschieht), so strömen Na+-Ionen „explosionsartig“ solange in die Zelle, bis sich das Membranpotenzial umpolarisiert und sich an ENa annähert. Um die abfallende Phase des Aktionspotenziales zu simulieren, genügt es jetzt, die Na+-Leitfähigkeit schnell wieder zu vermindern und die K+-Kanäle geöffnet zu halten, damit die dominante Ionenleitfähigkeit wieder von Na+ auf K+ zurückwechselt. Der K+-Ausstrom aus der Zelle repolarisiert dann das Aktionspotenzial unterschiedlich schnell, je nachdem, wie viele K+-Kanäle zur Verfügung stehen. Welche Leitfähigkeiten in einem Neuron den zeitlichen Verlauf des Aktionspotenziales tatsächlich bestimmen, lässt sich im Experiment durch Strommessung mit der von Hodgkin und Huxley benutzten Spannungsklemm-(Voltage-Clamp-)Apparatur (Abb. 4.3) bestimmen. Wird mit dieser Anordnung das Potenzial vom Ruhewert auf einen beliebigen depolarisierten Wert (z. B. – 15 mV) „geklemmt“, kommt es zu einer komplexen Stromkurve. Initial wird ein Einwärtsstrom beobachtet, der dann in einen anhaltenden Auswärtsstrom übergeht. Durch Austausch der am Stromfluss beteiligten Ionen bzw. spezifische Blockade der selektiven Ionenkanäle lassen sich die einzelnen Komponenten der Stromkurve leicht differenzieren. So kann man z. B. Na+ in der Außenlösung entfernen und durch ein großes impermeables Kation ersetzen. Die Stromkurve, die man unter dieser Bedingung erhält, weist jetzt keine rasche negative Stromkomponente mehr auf, sondern zeigt lediglich die langsame positive Komponente. Daraus ist zu folgern, dass die rasche negative Stromkomponente (Einwärtsstrom) durch den Einstrom von Na+ verursacht wird.
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Spannungsklemme
Em (mV)
4.4 Aktionspotenziale 0
Spannungsverlauf
40
1 80
Em 2
I (mA /cm )
2
Spannungsmessgerät
Ec Rückkopplungsverstärker
Gesamtstrom
1
Auswärtsstrom
0 1
Einwärtsstrom
2
2 2
I (mA /cm )
2 Strommessgerät
1
+
K -Stromanteil
1
Tetrodotoxin
+
Na -Kanäle blockiert
0
3
2 2
I (mA /cm )
Bad Axon
A
B
2 1
+
Na -Stromanteil
0 1 2
+
K -Kanäle blockiert
Tetraethylammonium
4 0
2
4
6
8
10
Zeit (ms)
Abb. 4.3 Ionenstromanalyse in einem Neuron mit der Spannungsklemme. A zeigt schematisch die Apparatur. Die transmembranale Spannung (Em) wird mit dem Voltmeter durch zwei Elektroden gemessen, von denen sich eine in der Nervenzelle und die andere im Bad befindet. Das Spannungssignal wird in einen Eingang eines Rückkopplungsverstärkers geleitet und dort mit einer vorgegebenen Testspannung (Ec) verglichen. Weichen Em und Ec voneinander ab, produziert der Verstärker einen Ausgangsstrom (I, messbar über das Strommessgerät), der über die Stromelektrode wieder in die
Eine ganz ähnliche Kurve erhält man durch Applikation von Tetrodotoxin (TTX), dem Gift des japanischen Kugelfisches, das die Na+-Leitfähigkeit in sehr geringen Konzentrationen durch Blockade der Ionenpore hemmt (Abb. 4.3 B). Tetraethylammonium (TEA+) ist ein Blocker für spannungsabhängige K+-Kanäle. Wird das Spannungsklemmexperiment in Anwesenheit von TEA+ durchgeführt, dann fehlt der Stromkurve die positive Komponente. Dies bedeutet, dass der im Kontrollexperiment beobachtete langsame positive Stromanstieg durch eine zunehmende K+-Leitfähigkeit verursacht wird.
Damit kann in genauer Übereinstimmung mit der theoretischen Vorhersage von Hodgkin und Huxley (9) das Aktionspotenzial von erregbaren Zellen als ein vorgegebenes „Programm“ von zeitabhängigen Leitfähigkeitsänderungen aufgefasst werden. Nach ihrem etwas vereinfachten Modell sollten die hier beteiligten Na+- und K+Kanalporen wie „Tore“ in der Membran durch Depolarisation einen unterschiedlich schnellen potenzialabhängigen Aktivierungsprozess durchlaufen, um bei fortwährender Depolarisation geöffnet zu bleiben (K+-Kanäle) oder einen inaktiven Zustand erreichen (Na+-Kanäle). Diese Vorstellung lässt sich bis heute aufrechterhalten und wird durch die molekulare und funktionelle Charakterisierung der Kanalproteine bestätigt.
Zelle eingespeist wird, um die Membranspannung Em auf Ec zu „klemmen“. B1 Vom Ruhemembranpotenzial aus wird die Spannung (Em) auf – 15 mV depolarisiert und dort geklemmt. B2 Mit der Depolarisation kommt es zu einem messbaren Einwärtsstrom, der nach wenigen Millisekunden auf Null zurückkehrt und sogar seine Richtung ändert (Auswärtsstrom). B3 zeigt den Stromverlauf nach Blockierung der Na+-Kanäle durch Tetrodotoxin. B4 zeigt den Stromverlauf nach Blockierung der K+-Kanäle durch Tetraethylammonium.
Die Arbeitsweise einzelner spannungsabhängiger Ionenkanäle Verschiedene Entwicklungen haben dazu beigetragen, dass die ionalen Mechanismen der spannungsabhängigen Leitfähigkeitsänderungen der Membran heute weitgehend verstanden sind: – Die Gen- und Aminosäuresequenzen der am Aktionspotenzial beteiligten Kanalproteine wurden mittels rekombinanter Gentechnologie identifiziert. – Ionenströme durch einzelne Kanäle (nativ oder nach Einschleusen in eine Wirtszelle) lassen sich mit der Patch-clamp-Technik messen. – Erste dreidimensionale Strukturen von Ionenkanälen werden durch biochemische Aufreinigung der Membranproteine, Kristallisation und Röntgenstrukturanalyse aufgeklärt. – Künstlich erzeugte und natürlich vorkommende Mutationen in Ionenkanälen sowie die Untersuchung gendefizienter Organismen (z. B. „Knockout-Mäuse“) geben Hinweise auf die physiologische Kanalfunktion.
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70
4 Membranpotenzial
Abb. 4.4 Einteilung spannungsabhängiger Kationenkanäle. In der Abbildung ist schematisch dargestellt, wie sich die porenbildenden α-Untereinheiten spannungsabhängiger Kationenkanäle in der Membran falten und zu einer Ionenpore zusammentreten. (A) Spannungsabhängige Na+- und Ca2+-Kanäle (heute gebräuchliche Abkürzung Nav, Cav) (4); (B) Spannungs- und Ca2+-abhängige K+-Kanäle (Kv, KCa), sowie Kationenkanäle, die durch zyklische Nukleotide aktivierbar sind (CNG/HCN) (18); (C) K+-Tandemporen-Kanäle (K2P) (19); (D) Einwärts gleichrichtende K+-Kanäle (KIR) (23). Wie in den Porenaufsichten rechts veranschaulicht, bestehen Nav- und Cav-Kanäle aus vier Domänen (I – IV), von denen jede wiederum aus sechs hydrophoben α-helikalen Segmenten (S1 – S6) aufgebaut ist. Die rot markierten S4 Segmente stellen dabei die Spannungssensoren für die Kanalöffnung
Spannungsabhängige Ionenkanäle bilden eine Proteinfamilie Die hydrophoben Proteinuntereinheiten (Abb. 4.4 B – D) und -pseudountereinheiten (Abb. 4.4 A), die sich in der Membran zu Kanalproteinen zusammenlagern, werden aufgrund ihrer Aminosäuresequenz (Primärstruktur), der daraus ableitbaren Membranfaltung (Topologie) und ihrer Funktion verschiedenen Ionenkanalfamilien zugeordnet. Für ein Verständnis des Aktionspotenzials genügt es zunächst, dass wir uns auf die Familie der spannungsabhängigen (syn. spannungsgeschalteten) Kationenka-
dar (Abb. 4.6 C), die P-Regionen zwischen S5 und S6 sind an der Bildung des Selektivitätsfilters beteiligt (Abb. 4.6 B). Bei allen anderen Kanälen, deren Untereinheiten aus Einzeldomänen (bzw. als Dublette bei K2P) bestehen, wird die Pore durch Zusammenlagerung gleicher (Homomere) oder verschiedener Subtypen (Heteromere) gebildet. In der hochauflösenden Röntgenstruktur im Einsatzbild (E) sind vier gleiche, um eine Zentralpore angeordnete Untereinheiten eines KvKanales mit ihren außen angeordneten S4-Segmenten deutlich zu erkennen (15). Aus einer Analyse der HydropathieWerte der Aminosäuren im Kanalprotein werden die gemeinsamen Strukturmerkmale (vier α-helikale transmembranäre (M-)Segmente, zwei P-Regionen in Tandemstellung) der Unterfamilie der K2P-Kanäle ersichtlich.
näle konzentrieren, nämlich die Na+-, Ca2+- und K+Kanäle, deren Aktivität primär von einer Verschiebung des Membranpotenzials abhängig ist (Abb. 4.4). Daneben gibt es aber noch eine Reihe anderer Kationenkanäle, die einem gemeinsamen, evolutionär konservierten Bauplan entstammen. Bei TRP-Kanälen (aktivierbar durch H+-Ionen, Hitze oder Druck) oder CNG/HCN-Kanälen (aktivierbar durch zyklische Nukleotide) steht aber die Aktivierung über extra- oder intrazelluläre Stimuli und daher ihre Rolle bei der sensorischen Signalentstehung im Vordergrund (z. B. im Auge, S. 693). Für eine Beschreibung ganz anders strukturierter Membrankanäle wie Porine
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4.4 Aktionspotenziale
Mutation Punktmutationen, Deletionen, Hybride
DNA
heterologe Expression Säugerzellen, Froschoozyten, Hefen, Bakterien
transgene Tiere Verhaltenstests, Microarray-Technologie, Proteomik
3 Ionenkanal: biologische Funktion Sekundärstruktur, Membranfaltung, funktionelle Segmente
6
1
Messung Elektrophysiologie, Pharmakologie
5 2
mRNA
4
Massenproduktion Kristallstruktur
Verteilung im Gewebe Immunzytochemie, In-situ-Hybridisierung
Röntgenstrukturanalyse
Abb. 4.5 Molekularphysiologische Charakterisierung von Ionenkanälen. Aus der genetischen Information der isolierten cDNA lassen sich mit modernen molekularphysiologischen Methoden Vorhersagen zur Funktion und dreidimensionalen Struktur von Ionenkanälen treffen. Die DNA oder davon transkribierte mRNA kann direkt oder in unterschiedliche Vehikel verpackt (z. B. Plasmide), durch Injektion, Infektion oder Transfektion in Wirtszellen eingeschleust werden (1; heterologe Expression). Bilden sich in der fremden Umgebung funktionelle Membranproteine, lässt sich deren Funktion mittels zellulärer Assays (z. B. patch-clamp-Messungen) bestimmen (2). Um die funktionelle Rolle einzelner Abschnitte im Protein zu untersuchen, verändert man gezielt die cDNA mittels rekombinanter DNA-Technologie (Mutagenese)
(Aquaporin), Konnexone, Anionenkanäle (CLC- und CFTRCl–-Kanäle) und Neurotransmitter-aktivierte Kanäle (z. B. nikotinischer Cholinozeptor) wird auf die Kap. 2, 3 und 5 verwiesen. Aus Rekonstitutionsversuchen lässt sich schließen, dass in spannungsabhängigen Kanälen die eigentlichen Ionenporen aus jeweils vier symmetrisch angeordneten, primären -Untereinheiten gebildet werden. Bei den in Abb. 4.4 abgebildeten K+-Kanälen (KIR, K2P, Kv, KCa) finden die Untereinheiten bei der Proteinassemblierung zusammen, bei Na+-(Nav-) oder Ca2+-(Cav-)Kanälen sind sie als Domänen, also gewissermaßen als PseudoUntereinheiten im Quartett bzw. bei K+-Tandemkanälen (K2P) als Dublette auf dem Gen abgelegt. In der Regel werden Lokalisation und Einbettung in der Membran, sowie die Funktion der αUntereinheiten noch durch eine Reihe eng assoziierter akzessorischer oder -Untereinheiten unterstützt, die aber nicht an der Bildung der Kanalpore beteiligt sind.
(3), und vergleicht die möglicherweise dadurch veränderte Eigenschaft mit der Vorhersage. Falls es gelingt, das Kanalprotein in ausreichender Menge zu produzieren, biochemisch aufzuarbeiten und messbare Kristalle herzustellen, lassen sich die aussagekräftigsten Strukturinformationen mittels der Röntgenstrukturanalyse gewinnen (4). Die physiologische Funktion eines Kanalproteins im Gesamtorganismus lässt sich manchmal auch dadurch erschließen, dass man die Verteilung der mRNA bzw. des Proteins im Gewebe analysiert (z. B. im histologischen Hirnschnittpräparat) (5). Seit einigen Jahren kann der Phänotyp genetisch veränderter oder zerstörter Ionenkanäle auch gezielt durch Gentransfer im Tiermodell (z. B. „Knockout“-Maus) untersucht werden (6).
Die einzelnen Abschnitte der Porenuntereinheiten durchspannen mit einer charakteristischen und für die Klassifikation wichtigen Anzahl von α-helikalen Segmenten die Membran komplett (S-Segmente) oder teilweise als so genannte Porenschleife oder P-Domäne. Diese ist als Teil des Selektivitätsfilters bei der Auswahl der Ionen beteiligt, die den Kanal passieren können. Molekularphysiologische Untersuchungen, bei denen bestimmte Abschnitte des Moleküls gentechnisch modifiziert (Mutagenese) und nach Einschleusen in eine Wirtszelle (heterologe Expression) gemessen werden, liefern uns zusammen mit ersten Röntgenstrukturdaten und der Phänotypisierung transgener Tiere genaue Vorstellungen über die Funktionsweise der verschiedenen Kanalproteine und ihre Aufgaben im Organismus (Abb. 4.5).
So ist mittlerweile gut verstanden, (a) wie bewerkstelligt wird, dass sich nur eine Ionenspezies durch die wassergefüllte Pore bewegt (Selektivität), (b) über welchen Mechanismus („Sensor“) spannungsabhängige Ionenka-
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71
4 Membranpotenzial näle das Membranpotenzial wahrnehmen, und (c) wie der Kanal geöffnet und wieder geschlossen wird (Schaltverhalten; gating).
Ionenkanäle sind selektiv permeabel Dass die meisten Ionenkanäle selektiv nur eine bestimmte Ionenart passieren lassen, ist von entscheidender Bedeutung für die Charakteristik des Aktionspotenzials. Dabei diskriminieren Ionenkanäle die hindurchtretenden Ionen nach Größe und Ladung. Roderick MacKinnon und seinen Kollegen an der Harvard Medical School gelang es 1998 mit der ersten Kristallstruktur eines einfachen bakteriellen K+-Kanales (Abb. 4.6) eine Region im extrazellulären Drittel des Kanales darzustellen, die zuvor bereits als Selektivitätsfilter erkannt worden war (22). Aus der Röntgenstrukturanalyse wurde ersichtlich, wie sich durch Zusammenlagerung hochkonservierter Abschnitte (Aminosäuresequenz Glycin-Tyrosin-Glycin) in den vier Porenschleifen eine engste Stelle (ca. 0,3 nm) bildet, bei der die Carbonylstrukturen der Glycine die Passage der Ionen koordinieren. Nach einer heute allgemein akzeptierten Vorstellung werden die Hydrathüllen der einströmenden K+-Ionen am Selektivitätsfilter abgestreift und durch den Carbonylsauerstoff der Glycine ersetzt. Dieser energetische Trick, K+-Ionen (Radius 133 pm) weiterzutransportieren, funktioniert jedoch mit
A Röntgenstruktur einer Pore
den kleineren Na+-Ionen (Radius 95 pm) aufgrund der stabilen Packform des Filters nicht (> 1000-fach niedrigere Permeabilität). Anders ausgedrückt, täuscht der Kanal durch die Passgenauigkeit des Selektivitätsfilters den passierenden K+-Ionen eine kontinuierliche wasserförmige Umgebung vor.
Spannungssensoren messen die Membranspannung Die initiale Depolarisation für die Auslösung des Aktionspotenzials kann sehr unterschiedliche Ursachen haben und sowohl in der Zelle selbst (z. B. Sinneszellen oder Schrittmacherzellen) entstehen als auch von außerhalb (elektrotonische Ausbreitung, synaptischer Kontakt etc.) kommen. Der Vorgang der Erregungsentstehung und Erregungsausbreitung am Skelettmuskel und in Nervenzellen wird in Kap. 5 ausführlich besprochen. Warum reagieren aber spannungsabhängige Ionenkanäle überhaupt so hochsensitiv auf kleine Änderungen im Membranpotenzial? Hodgkin und Huxley sagten bereits voraus, dass eine geladene Domäne in der Membran die Spannungsänderung registrieren und dies auf unbekannte Weise in Änderungen der Ionenpermeabilität übersetzen müsste. Mutationsanalysen im rekombinanten Protein zeigen, dass diese Eigenschaft auf dem Vorhandensein von intrinsischen Spannungssensoren beruht. Darunter werden
B Selektivitätsfilter (schematisches Detail)
Kaliumionen
Kaliumionen Gly-Tyr-GlySequenz
Selektivitätsfilter Porenhelix S5 Helix Aktivierungstor S6 Helix
C Formänderung des Kanalproteins durch Spannungssensoren
S4
S1
S2
S3
+ + + S4 + + +
S5
innen
S6
S4 S4
DV
Pore
+ + +
+ + +
S4
a-Untereinheit N
Spannungssensoren + + +
außen
+ + +
72
C
4 mal a-Untereinheit
Abb. 4.6 Strukturmodell spannungsabhängiger K+-Kanäle. Spannungsabhängige K+-Kanäle stellen einen tetrameren Zusammenschluss von α-Untereinheiten dar, die jeweils aus sechs α-helikalen Segmenten, einem Spannungssensor (S4) und den porenbildenden Schleifen des Selektivitätsfilters aufgebaut sind. A Die Röntgenstruktur verdeutlicht die Orientierung der verschiedenen Kanalsegmente bei der Bildung einer wassergefüllten Pore. Auf der extrazellulären Seite befindet sich der Selektivitätsfilter, auf der Zellinnenseite ist das über einen Potenzialsensor gesteuerte Tor lokalisiert. Auf der Membraninnenseite ist das Kanalprotein über ein Verankerungsprotein mit dem Zytoskelett verbunden und mit β-
Untereinheiten assoziiert. B In der Detailaufnahme des Selektivitätsfilters wird deutlich, wie an der engsten Stelle (ca. 0,3 nm) die Karbonylstrukturen der Gly-Tyr-Gly-Sequenz in die wassergefüllte Pore hineinragen und die passierenden K+-Ionen (die eine Distanz von ca. 0,75 nm zueinander haben) dirigieren. C Modell der Formänderung des Kanals durch Membrandepolarisation. Wenn sich die geladenen Spannungssensoren in den S4-Segmenten durch das Spannungsfeld der Membran bewegen, öffnet sich das Kanaltor durch diese Formänderung. Da viele positive Ladungen durch die Membran transportiert werden, ist dieser Prozess sehr sensitiv (13, 15)
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4.4 Aktionspotenziale B Messung Klemmspannung 20 mV
A prinzipielle Messanordnung
+
Na -Einzelkanalströme
Oszillograph Messverstärker
+
2 pA
Na -Kanal
Saugelektrode
C Auswertung
2 pA
Referenzelektrode gemittelter Einzelkanalstrom (aus ca. 300 Einzelströmen)
Bad 0
10
20
Zeit (ms)
30
Muskelzelle
Abb. 4.7 Originalregistrierung von Na+-Einzelkanalströmen mit der Patch-Clamp-Technik an einer Muskelfaser. Der mit der Saugelektrode abgegrenzte Ionenkanal im Membranfleck („patch“) kann mit der Elektrode aus der Zellmembran herausgerissen werden und sozusagen „zellfrei“ durch Anlegen eines Potenzials vermessen werden (A). Nach wiederholter Depolarisation (B) von – 65 mV auf – 45 mV kommt es mit unterschiedlicher Verzögerung zu kurz anhaltenden, negativen (nach unten gerichteten) Stromereignissen (grün). Die Amplitude dieser (Einzelkanal-)Ströme beträgt etwa 1 – 2 pA. Mittelt man viele solcher Experimente, so erhält man
Proteinanteile im Membranfeld verstanden, die imstande sind, eine veränderte Membranspannung in eine Formänderung des Kanals zu übersetzen, und so die Schwelle für die Kanalöffnung festlegen. Noch ist es nicht gelungen, für alle spannungssensitiven Ionenkanäle diese Sensoren zu identifizieren. In den spannungsabhängigen Na+-, K+oder Ca2+-Kanälen stellen jedoch 4 bis 7 regelmäßig angeordnete positive Ladungen (meistens von positiv geladenen Argininresten) in der vierten α-Helix (S4) jeder Untereinheit einen idealen Kandidaten für diese Funktion dar (Abb. 4.6 C). Wieder waren es die Strukturanalysen
eine Stromkurve (C), die qualitativ mit der in Abb. 4.3 B (unterste Spur) übereinstimmt. Die gemittelte Kurve kommt so zustande, dass einzelne Na+-Kanäle auf eine Depolarisation mit einer kurz andauernden Öffnung (1 – 2 ms) reagieren, um dann im Geschlossenzustand zu verweilen, solange das Membranpotenzial depolarisiert ist. Bei einem Versagen der schnellen Inaktivierung würde sich bei nur einem offenen Na+-Kanal mit einer Passagerate von 107 Ionen/s die Na+Konzentration in der Muskelzelle innerhalb einer Sekunde verdoppeln.
der Arbeitsgruppe von MacKinnon, die zeigten, wie sich bei einer Potenzialänderung die geladene hydrophobe Domäne spannungsabhängiger K+-Kanäle im Inneren der Membran von einer Seite auf die andere bewegt und dabei den Kanal öffnen könnte (15).
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73
0
1
1 2 3
3
4
2
4 2 Zeit (ms) 3
1
Na+-Kanal
4
Repolarisation
Depolarisation
4 Membranpotenzial
Strom (pA)
Mittelwert, dann sollte man qualitativ wieder das Verhalten, das die gesamte Zelle gezeigt hat, reproduzieren können. Abb. 4.7 C zeigt eine aus 300 Einzelregistrierungen gemittelte Summenkurve. Sie entspricht exakt der Aktivierungs- und Inaktivierungskurve der Na+-Leitfähigkeit (Abb. 4.9). Quantitativ wird der Stromfluss durch die ganze Zelle (I) als Funktion der Anzahl aller Kanäle (N), deren Offenwahrscheinlichkeit (po), und der Einzelkanalstromamplitude (i) beschrieben (S. 26 f.)
+
Na
I ¼ N po i A cm
außen Membran
geschlossen, aktivierbar
geschlossen, nicht aktivierbar
offen
innen
geschlossen, aktivierbar
74
Abb. 4.8 Vereinfachtes Reaktionsschema der Funktionsweise spannungsabhängiger, inaktivierender Ionenkanäle. Vom geschlossenen, aber aktivierbaren Zustand (1), wie er beim Ruhepotenzial und, noch ausgeprägter, bei hyperpolarisiertem Membranpotenzial vorliegt, wird der Kanal durch Depolarisation geöffnet (2). Vom Offenzustand gelangt der Kanal während der Depolarisation innerhalb von Millisekunden zum inaktivierten Zustand, indem eine globuläre Ballstruktur des Proteins von innen die Pore verschließt (3). Dieser Übergang kann durch Batrachotoxin oder Veratridin verzögert oder unterbunden werden. Aus dem inaktivierten Zustand wird der Kanal durch Repolarisation wieder zum aktivierbaren Zustand zurückgeführt – die Ballstruktur wird durch Repolarisation von ihrer Bindestelle verdrängt und der Kanal kann sich schließen (Deinaktivierung; 1). Tetrodotoxin verhindert unter anderem die Aktivierung des Na+-Kanals.
Öffnen und Schließen der Kanäle Mit der im Labor von Erwin Neher und Bert Sakmann am Göttinger Max-Planck-Institut entwickelten PatchClamp-Technik (14) lässt sich das schnelle, spannungsinduzierte Öffnen einzelner Kanäle „online“ beobachten. Wie auf S. 26 beschrieben, wird bei dieser Methode die Spitze einer hitzepolierten Glaselektrode so auf die Zellmembran aufgesetzt, dass ein Membranfleck mit idealerweise einem Ionenkanal elektrisch vom Außenmedium abgedichtet wird (Abdichtwiderstand > 109 Ω). In Abb. 4.7 ist ein Experiment gezeigt, bei dem einzelne Na+-Kanäle an der isolierten Nervenzelle untersucht wurden (17). Das Potenzial wurde über die Patch-Clamp-Elektrode von – 80 auf – 40 mV depolarisiert. Die Stromaufzeichnungen zeigen einzelne, ca. 1 ms andauernde Ereignisse mit Amplituden von etwa 1 – 2 pA. Besonders häufig sind die Ereignisse kurz nach Beginn der Depolarisation. Dann werden sie immer seltener, und nach wenigen Millisekunden sind trotz noch bestehender Depolarisation keine Ereignisse mehr nachweisbar. Das einzelne Ereignis entspricht der Öffnung eines Na+-Kanals. Nachdem der einzelne Kanal für sehr kurze Zeit Ionen hat passieren lassen (ca. 107 Na+-Ionen/s), schließt er spontan. Addiert man nun viele dieser Einzelbeobachtungen und bildet den
2
(4.6)
Damit ist bewiesen, dass das Phänomen der Aktivierung so zustande kommt, dass sich eine Vielzahl von einzelnen Na+-Kanälen in der Membran (50 – 500/µm2) öffnet. Der individuelle Zeitpunkt der Einzelkanalöffnung ist statistisch um ein Maximum verteilt. Einmal offen, fallen die Kanäle sehr rasch wieder zu und werden sich erst dann wieder öffnen können, wenn das Membranpotenzial für eine gewisse Zeit den Ruhewert eingenommen hat. Dieser Prozess des raschen „Zuschlagens“ des Na+-Kanals wird Inaktivierung genannt. Es gibt mehrere Erklärungsmöglichkeiten für die schnelle Inaktivierung, so etwa, dass der Kanal von den durchtretenden Ionen blockiert wird oder dass das Kanalprotein selbst seine Konformation ändert. Wie ein solches „Inaktivierungstor“ funktionieren könnte, ist in Abb. 4.8 vereinfacht dargestellt. Dabei verschließt eine zytosolische, globuläre Struktur (hier am aminoterminalen Ende des Kanals), die durch einen Proteinfaden mit dem Ionenkanalprotein verbunden ist, nach Öffnung des Kanals die Pore von innen. Repolarisiert das Membranpotenzial, löst sich die globuläre Struktur von ihrer Bindestelle, und der Kanal schließt sich durch die Formänderung des Kanalproteins (Lösung der Inaktivierung).
Der Kanal hat also mindestens drei Zustände: vom aktivierbaren Geschlossenzustand (1) geht er durch Depolarisation in den Offenzustand (2) und spontan in den inaktivierten Geschlossenzustand (3) über und ist nur durch Repolarisation zum aktivierbaren Geschlossenzustand rückführbar. Prinzipiell gilt dieses Funktionsschema bei den meisten spannungsabhängigen Ionenkanälen, allerdings in unterschiedlichem Maße. Viele K+-Kanäle hingegen inaktivieren nicht, sondern folgen dem Membranpotenzial, werden also erst durch die Repolarisation wieder geschlossen. Der exakte zeitliche Ablauf der spannungsabhängigen Kanalinaktivierung ist pharmakologisch modifizierbar. So verzögern eine Reihe tierischer und pflanzlicher Gifte die Na+-Kanal-Inaktivierung, verlängern dadurch das Aktionspotenzial und verursachen so bei Vergiftung eine massive Übererregung von Muskelzellen mit einer augenblicklich einsetzenden Muskelstarre. Batrachotoxin, ein Neurotoxin aus der Haut eines tropischen Frosches, δConotoxin (PVIA) aus marinen Kegelschnecken oder Veratridin aus einer Lilienart sind bekannte Beispiele. Die Verzögerung der Inaktivierung von Na+-Kanälen durch Mutation kann auch Ursache verschiedener Erbkrankheiten sein (z. B. Paramyotonia congenita, s. u.).
Ionenkanalerkrankungen: Die wichtige Rolle spannungsabhängiger Ionenkanäle beim Ruhe- und Aktionspotenzial in erregbaren Zellen lässt vermuten, dass Fehlfunktionen dieser Kanäle eine Reihe von ZNS-, Muskel- oder Herzerkrankungen zur Folge haben. Die
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4.4 Aktionspotenziale Kanalfunktion kann durch immunologische (Autoimmunerkrankungen, z. B. Myasthenia gravis), toxische (z. B. Tier- und Pflanzengifte) oder genetische Ursachen (Punktmutationen, Deletionen etc.) gestört sein. Erkrankungen aufgrund von Genmutationen werden heute als „Kanalerkrankungen“ i. e. S. bezeichnet und führen oft zu einem Funktionsverlust des Kanals oder der ganzen Zelle. Bekannte Beispiele sind die Einschränkungen der Skelettmuskelfunktion durch die Myotonia congenita (Cl–-Kanäle) oder Lähmungsattacken durch eine Form der periodischen Paralyse (Ca2+Kanäle). Durch Veränderung der Selektivität, des Schaltverhaltens (dauerhafte Aktivierung oder verzögert eintretende Inaktivierung bei Na+-Kanälen, Paramyotonia congenita), des Membrantransports (LiddleSyndrom, S. 23 u. 348) oder der pharmakologischen Ansprechbarkeit kann im Phänotyp aber auch eine Überfunktion zu Tage treten, die sich in gesteigerter Erregbarkeit von Neuronen (Epilepsien) oder Herzmuskelzellen (Kammerflimmern) ausdrücken kann. Bei komplexen, multikausalen Krankheitsbildern können durchaus auch mehrere, für die Funktion eines Organs wichtige Kanalproteine durch genetische Veränderungen betroffen sein. So sind beim Long-QT-Syndrom, bei dem ein verlängertes Aktionspotenzial in Herzmyozyten zu ventrikulärer Arrhythmie und plötzlichem Herztod führen kann, verschiedene α- und β-Untereinheiten von K+-Kanälen (KCNQ1, HERG, KCNE1/2, Kir2.1), Na+-Kanälen (SCN5A) und Ca2+-Kanälen (RYR2) in ihrer Funktion beeinträchtigt. Die Auflösung der Inaktivierung braucht soviel Zeit, dass bei repetitiver Reizung einer Zelle höchstens eine Frequenz von etwa 500 – 1000/s erreicht werden kann, wie sie z. B. in Motoneuronen vorkommt. Wird der zweite Reiz zu einem Zeitpunkt gesetzt, zu dem die Na+-Kanäle noch nicht aktivierbar sind, dann bleibt der Reiz ohne Antwort. Die Zelle ist refraktär. Man unterscheidet deskriptiv eine absolute Refraktärzeit, innerhalb der auch eine weitaus überschwellige Reizung kein Aktionspotenzial auslösen kann, von der relativen Refraktärzeit, innerhalb der auf überschwellige Reizung Aktionspotenziale mit kleinerer Amplitude beobachtet werden (zur Refraktärität im Herzen s. S. 152).
Das Öffnen und Schließen der Kanäle ist modulierbar Um die Arbeitsweise der Zellen an unterschiedliche Bedingungen anzupassen, kann die Spannungsabhängigkeit von Ionenkanälen durch physikalische Faktoren (z. B. Hitze oder mechanische Zugspannung) und chemische Modulatoren verändert werden. In der Regel kommt es als Antwort auf ausgeschüttete Neurotransmitter oder Wachstumsfaktoren zur Aktivierung intrazellulärer Signalkaskaden, die in der Phosphorylierung/Dephosphorylierung der Kanalproteine resultieren (12). Ein bekanntes Beispiel ist die Steigerung der Aktivität (genauer: der Offenwahrscheinlichkeit po) spannungsabhängiger Ca2+Kanäle im Herzmuskel (Cav1-Kanäle) als Folge der Freisetzung von Noradrenalin durch das sympathische Nervensystem (Abb. 7.16, S. 151). Hier führt (über Mechanis-
men, die auf S. 36 ff genau beschrieben werden) die Stimulation von α1-Adrenozeptoren zum cAMP-Anstieg und zur Aktivierung der Proteinkinase A, gefolgt von einer Phosphorylierung des Ca2+-Kanalproteins. Die Bedeutung dieser Kanalregulation ist hier an der Verbesserung der elektromechanischen Kopplung direkt ablesbar. Ein einfacherer Regulationsmechanismus steuert dagegen die parasympathische Hemmung der Herzfunktion durch Acetylcholin. Im Unterschied zur Sympathikusaktion führen aktivierte muskarinische M2-Cholinozeptoren in Sinusknotenzellen zur Abspaltung von βγ-Untereinheiten aus dem trimeren G-Protein und zu deren direkten Anbindung an einen Subtyp der moderat spannungssensitiven KIR-Kanäle (Abb. 4.4 D, S. 70). Diese Acetylcholin-aktivierten KIR-Kanäle stehen somit unter der obligaten Kontrolle durch freie G-Proteine. Wie eng die Kanalaktivität auch an den Energiestoffwechsel der Zellen gekoppelt sein kann, wird an einer anderen Gruppe von KIR-Kanälen demonstriert, die durch zytosolisches ATP in ihrer Aktivität gebremst und durch ADP stimuliert werden (sie werden deshalb als KATPKanäle bezeichnet). Respiratorische Neurone im Hirnstamm, der Muskeltonus koronarer Widerstandsgefäße, und die Insulinsekretion in den B-Zellen des Pankreas werden beispielsweise durch diesen Mechanismus gesteuert. In der B-Zelle führt der durch Hyperglykämie hervorgerufene Anstieg der ATP-Konzentration zu einer Hemmung der K+-Kanalaktivität und bedingt dadurch eine Membrandepolarisation, die zur Freisetzung von Insulin führt (S. 554). Therapeutisch ist die Modulation der pankreatischen ATP-sensitiven Kanäle durch orale Antidiabetika von zentraler Bedeutung beim Typ-IIDiabetes mellitus. Dabei wirken die zur Blutzuckersenkung eingesetzten Medikamente der Sulfonylharnstoffgruppe (z. B. Glibenclamid, Tolbutamid) durch Hemmung der K+-Kanalfunktion (d. h. Destabilisierung des Ruhepotenzials der B-Zelle) über den mit dem Kanal assoziierten Sulfonylharnstoffrezeptor (SUR). Von umgekehrter Wirkung am Kanal ist die strukturell sehr heterogene Substanzklasse der Kaliumkanalöffner (z. B. Pinacidil, Chromakalim), die sekretorische Zellen und Muskelzellen hyperpolarisieren. Neben ihrem Einsatz bei Hypoglykämiezuständen finden sie Verwendung bei der Therapie von koronarer Herzerkrankung, Asthma oder Ischämien. Wie aus der ATP-Abhängigkeit der KATP-Kanäle zu erwarten ist, kann eine vererbte Fehlfunktion sowohl des Kanalproteins als auch des Sulfonyharnstoffrezeptors bereits im Kindesalter zur unregulierten Insulinhypersekretion und Hypoglykämie führen. Weitere wichtige Funktionen als zytosolische Modulatoren sind auch für Phosphoinositolphosphate (PIP2, IP3), zyklische Nukleotide, Protonen (H+) oder Ca2+-Ionen beschrieben. Zytosolisches Ca2+, der vielseitigste sekundäre Botenstoff, verändert in der Regel durch direkten Kontakt mit dem Kanalprotein oder über Ca2+-bindende Proteine (Calmodulin, Calbindin) die Kanalaktivität. In Ca2+-aktivierten
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75
4 Membranpotenzial A Nervenzelle
Zeit (ms) 1
2
3
0 4
Zeit (ms)
400
+40
+40
AP Aktionspotenzial
40
70
Repolarisation
0
Depolarisation
Membranpotential (mV)
0
Kalium-Leck- repolarisierende depolarisierende leitfähigkeiten Leitfähigkeiten Leitfähigkeiten (g)
76
B Herzmuskelfaser gCa 70 +40
gNa
AP
gCa
C Sinusknotenzelle
gCa 70 +40
gKv
gKIR
gKCa
gK2P
Abb. 4.9 Molekulare Grundlagen des Aktionspotenzials und zeitlicher Verlauf der relativen Ionenleitfähigkeiten in erregbaren Zellen. A Dargestellt ist der Kurvenverlauf des Aktionspotenzials in einer typischen Nervenzelle und die dabei maßgeblich beteiligten Ionenkanäle und -leitfähigkeiten. Der zeitliche Verlauf der depolarisierenden (rot), repolarisierenden (blau) und Leckleitfähigkeiten (grün) wird durch das charakteristische, stark oder moderat spannungsabhängige Schaltverhalten der beteiligten Kanäle beschrieben. Die initiale Zunahme der Gesamtleitfähigkeit der Zelle entspricht hier weitgehend der Zunahme der Na+-Leitfähigkeit. Im
K+-Kanälen (KCa, Abb. 4.4 B, S. 70), z. B., verschiebt der Einstrom von Ca2+-Ionen aus dem Extrazellulärraum oder aus internen Speichern die Aktivierungsschwelle der Kanäle zu negativeren Potenzialen. Diese Mechanismen sind entscheidend wichtig in glatten Muskelzellen bei der Gefäßdilatation oder der Rhythmik der Magen-Darmperistaltik. Von einem spannungsabhängigen Kanalblock spricht man, wenn Ionen, für die der Kanal nicht durchgängig ist, von der Membranspannung in die Kanalpore getrieben werden und so den Durchtritt permeabler Ionen blockieren. Im Falle der einwärts gleichrichtenden K+-Kanäle (KIR; engl. inwardly rectifying; Abb. 4.4 D) wirken Mg2+-Ionen sowie die positiv geladenenen, dem L-Ornithinstoffwechsel entstammenden Polyamine Spermin4+, Spermidin3+ und Putreszin2+ als Kanalblocker. Diese bewirken eine Geichrichtung des Ionenstroms, d. h. die K+-Ionen gelangen leichter in die Zelle hinein als heraus. Bei Membrandepolarisation werden die Kanalblocker nämlich aufgrund ihrer Ladung bis in den Porenfilter der KIR-Kanäle hineingetrieben und blockieren so die Auswärtspassage für die ansonsten permeablen K+-Ionen. Wird das Membranpotenzial hingegen negativer als EK, verdrängen die jetzt einströmenden K+-Ionen die Blocker wieder von ihrer Bindestelle.
AP
gCa D glatte Muskelzelle
gKCa
70 0
Zeit (ms)
4
weiteren Verlauf bestimmt die K+-Leitfähigkeit die Gesamtleitfähigkeit. Zum Vergleich sind typische Aktionspotenziale einer Herzmuskelzelle (B), einer Sinusknotenzelle (C) und einer glatten Muskelzelle (D) gezeigt mit den zugrundeliegenden Ca2+-abhängigen Leitfähigkeiten. In der Herzmuskelzelle wird das lange Depolarisationsplateau durch eine temporäre Erhöhung der Ca2+-Leitfähigkeit hervorgerufen, in Aktionspotenzialen des Sinusknotens und der glatten Muskelzellen wird die Aufstrichphase durch einen schnellen Ca2+Einstrom getragen. Zu beachten sind die unterschiedlichen Zeitskalen.
Das Zusammenspiel der verschiedenen Ionenkanäle beim Aktionspotenzial Aus der Funktionscharakteristik der beteiligten Kanalproteine lassen sich jetzt die einzelnen, wiederkehrenden Teile des stereotyp ablaufenden Aktionspotenzials erklären, wie es typischerweise in Neuronen oder im Skelettmuskel zu beobachten ist (Abb. 4.9 A): – Ruhephase: Das Ruhepotenzial wird durch offene K+Kanäle vom KIR- und K2P-Typ nahe EK stabilisiert. – Schwelle: Das Aktivierungspotenzial für die Öffnung spannungsabhängiger Na+-Kanäle (Nav) wird durch eine initiale Depolarisation erreicht, die meistens von außerhalb der Zelle getriggert wird. – Aufstrich: Wegen der großen elektrochemischen Triebkraft für Na+-Ionen kommt es durch positive Rückkopplung schnell zum explosionsartigen, depolarisierenden Na+-Einstrom (regenerativer Prozess). – Overshoot: Aufgrund der gegenüber dem Ruhepotenzial ca. 40-fach erhöhten Na+-Leitfähigkeit der Membran strebt das Membranpotenzial in Richtung ENa (+ 60 mV).
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4.4 Aktionspotenziale – Abfall: Infolge einer intrinsischen Eigenschaft inaktivieren die Nav-Kanäle innerhalb 1 – 2 ms spontan (und bleiben inaktiviert, solange die Depolarisation besteht; Refraktärphase). Gleichzeitig öffnen sich mit einer geringen Verzögerung spannungsabhängige K+-Kanäle (Kv). Die große Triebkraft für K+-Ionen nach außen bedingt einen K+-Ausstrom und die Repolarisation der Membran. – Nachhyperpolarisation: Bei eintretender Repolarisation können sich in Neuronen die noch offenen Kv-Kanäle und v. a. die durch Ca2+-Akkumulation langsam aktivierten KCa-Kanäle zusammen mit KIR- und K2P-Kanälen zu einer großen K+-Ruheleitfähigkeit summieren, so dass die Repolarisation kurzfristig „überschießt“ (5 – 15 ms). Nach dem zeit- und potenzialabhängigen Schließen von Kv- und KCa-Kanälen wird das Ruhepotenzial wieder nur noch durch KIR- und K2P-Kanäle stabilisiert.
Unterschiedlicher Aktionspotenzialverlauf in erregbaren Zellen Die Aktivierung und Inaktivierung verschiedener Kanaltypen mit unterschiedlichen Zeit- und Spannungscharakteristika führt dazu, dass sich die prototypischen Aktionspotenziale in in den verschiedenen erregbaren Geweben z.T. stark unterscheiden (Abb. 4.9 B). Während das Aktionspotenzial im Nerv und Skelettmuskel typischerweise sehr kurz ist (1 – 2 ms), wird in Herzmuskelzellen das auffällige, lang andauernde Depolarisationsplateau durch einen starken Einstrom von Ca2+ (Konzentrationsverhältnis [Ca2+]a/[Ca2+]i ≈ 10 000) in die Zelle getragen (S. 149 f.). Zunächst kommt es aber auch hier zum Na+-Einstrom und zur raschen Inaktivierung von Na+-Kanälen. Dann öffnen sich, bedingt durch die Depolarisation, Cav-Kanäle. Dieser Vorgang hält ca. 200 ms an. Auch hier wird die Repolarisation durch K+-Kanäle getragen. In den Schrittmacherzellen des Sinusknotens (Abb. 4.9 C) sowie in manchen Neuronen und glatten Muskelzelltypen ist die Aufstrichphase der Aktionspotenziale deutlich langsamer als im Nerv. Hier fehlen spannungsabhängige Na+-Kanäle und die Verzögerung spiegelt die langsamere Kinetik der gating-Prozesse spannungsabhängiger Ca2+-Kanäle wider (sog. „Ca2+-spikes“). In viszeralen glatten Muskelzellen z. B. von Darm, Blase, Uterus oder der Gefäßwand (Single-unit-Typ) kann die Entstehung und der Zeitverlauf von Aktionspotenzialen besonders variabel sein. So lassen sich neben getriggert ausgelösten, schnellen Aktionspotenzialen auch längere Aktionspotenziale mit ausgeprägtem Plateau erkennen (ca. 100 – 200 ms). Diese können in Salven auftreten und langsamen, spontanen Depolarisationswellen aufgelagert sein (Abb. 4.9 D). Auch hier wird der langsame Aufstrich des Aktionspotenzials durch einen Ca2+-Einstrom getragen. Die oft mehrere Sekunden andauernden, langsamen Oszillationen des Membranpotenzials erklärt man sich heute durch ein synchronisiertes Zusammenspiel spannungsabhängiger Ca2+-Kanäle (Cav) und Ca2+-aktivierter K+-Kanäle (KCa). Fließt bei der spannungsabhängigen Auslösung von Aktionspotenzialen ein großer regenerativer Ca2+-Strom, steigt [Ca2+]i und aktiviert KCa-Kanäle. Diese repolarisieren die Membran der glatten Muskelzelle,
A lineare Kodierung
Strompuls Pyramidalzelle 2
B Adaptation Kortex Pyramidalzelle 1
Thalamus
C
Burst-Modus
Hirnstamm D
tonischer Modus
Schrittmacher
Abb. 4.10 Aktionspotenzialmuster von Neuronen im menschlichen ZNS. Auf Stimulation hin generieren Neurone in unterschiedlichen Gehirnregionen ein diverses Spektrum an Aktionspotenzialmustern. Typisch sind AntwortPulsmuster mit gleichbleibender (A) oder abnehmender (B) Frequenz (Adaptation) und die Aneinanderreihung von Pulssalven („bursts“, C). Eine Reihe von Nervenzellen ist durch ihre Schrittmacherfunktion auch zur spontanen Bildung von niederfrequenten Aktionspotenzialen fähig (D). Man beachte die unterschiedliche Ausbildung der Nachhyperpolarisation.
sodass es sekundär wieder zum Schließen der Cav-Kanäle und Abfall von [Ca2+]i kommt. Wenn daraufhin die Aktivität der KCa-Kanäle sinkt, kann wieder eine neue, langsame Depolarisationswelle des myotonen Rhythmus beginnen (6). Die Öffnungskinetik kardialer Cav1-Kanäle (auch als LTyp-Ca2+-Kanäle bzw. Dihydropyridin-Rezeptoren bezeichnet), die, wie oben beschrieben, von Noradrenalin geregelt wird, ist für die Entstehung des Aktionspotenzials im Erregungsleitungssystem und in Kardiomyozyten für den Prozess der elektromechanischen Kopplung unabdingbare Voraussetzung. Eine Reihe selektiver, organischer Cav1-Kanalblocker („Ca2+-Antagonisten“) aus den Substanzklassen der Dihydropyridine (Nifedipin), Benzothiazepine (Diltiazem) und Phenylalkylamine (Verapamil) können so verwendet werden, um die Kontraktilität des Herzens herabzusetzen, den Sinusrhythmus zu senken oder die AV-Knoten-Überleitungszeit zu verlängern. Sie sind daher in der Behandlung der Herzinsuffizienz, der koronaren Herzkrankheit oder von Herzrhythmusstörungen von großer klinischer Bedeutung Kap. 7). Beim Einsatz von
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4 Membranpotenzial Cav1-Blockern in der Hochdruck-Therapie wird ebenfalls versucht, die energetische Belastung des Herzens zu reduzieren. Hier wird durch den verringerten Ca2+Einstrom in die glatte Muskulatur des koronaren und peripheren Gefäßsystems der myogene Tonus verringert und dadurch der periphere Widerstand gesenkt (S. 202).
Aktionspotenzialmuster in Nervenzellen des Zentralnervensystems Um die vielseitigen Funktionen bei der Signalübertragung wahrzunehmen, ist auch in Neuronen ein unterschiedliches Repertoire spannungsabhängiger Ionenkanäle auf Somata, Dendriten und Axonen verteilt. Elektrophysiologische Messungen, z. B. im lebenden Gehirnschnittpräparat, haben gezeigt, dass Nervenzellen mit diesem Kanalrepertoire imstande sind, spontan oder bei Reizung durch andere Zellen sehr unterschiedliche Aktionspotenzialmuster zu generieren (Abb. 4.10). Am häufigsten werden bei kontinuierlicher Reizung in regelmäßigen Abständen Aktionspotenziale ausgelöst, und zwar umso mehr, je größer der depolarisierende Strom ist. Dieser lineare Zusammenhang zwischen Reizstärke und Impulsfrequenz (1 – 400 Hz) stellt ein Kodierungsprinzip der Informationsübertragung im Nervensystem dar und ist z. B. typisch für Stammhirnneurone, dornlose Sternzellen im Kortex oder α-Motoneurone im Vorderhorn des Rückenmarks. In kortikalen oder hippokampalen Pyramidalzellen ist dabei zu beobachten, dass sich die Aktionspotenzialfrequenz mit der Zeit verlangsamt (Adaptation), häufig eine Folge intrazellulärer Ca2+-Akkumulation und der langsam sich vergrößernden Nachhyperpolarisation durch KCa-Kanäle. Große Pyramidalzellen im Hippocampus und besonders Thalamusneurone erzeugen aber auch komplexere Muster. Dabei organisieren sich Salven von Aktionspotenzialen, wiederum verursacht durch ein Zusammenspiel niederschwelliger, spannungsabhängiger Cav-Kanälen und Nukleotid-geschalteter Kationenkanäle vom HCN-Typ, was zu rhythmischen Entladungssalven, sogenannten „Burst-Clustern“ führt. Thalamokortikale Relais-Neurone wechseln sogar je nach Aufmerksamkeitszustand des Gehirns zwischen zwei ausgeprägten Zuständen hin- und her: tonische Aktivität von aufeinanderfolgenden Einzelpulsen registriert man im desynchronisierten Zustand (Wachheit), Entladungssalven von 2 bis 8 Aktionspotenzialen sind typisch für die synchronisierte Gehirnaktivität (Schlaf, Absence-Epilepsien), die man im EEG an δ-und ϑ-Wellen erkennt (Schlafspindeln; S. 841). Der globale Aktivitätszustand des Gehirns wird u. a. von der geringen Zahl weit projizierender Stammhirnneurone kontrolliert, die mit einer Aktionspotenzialfrequenz von 1 bis 10 Hz Schrittmacherfunktion (S. 843) haben und konstant langsam wirkende Neurotransmitter wie Acetylcholin, Serotonin oder Noradrenalin ausschütten.
Zum Weiterlesen … 1 Kandel ER, Schwartz JH, Jessell TM. Principles of Neural Science. New York: McGraw-Hill; 2000 2 Nicholls JG, Martin AR, Wallace BG. From Neuron to Brain. Sunderland, Mass.: Sinauer Associates; 1992 3 Byrne JH, Schultz SG. An Introduction to Membrane Transport and Bioelectricity. 2nd ed. New York: Raven Press; 1994 4 Caterall WA, Chandy KG, Gutman GA. The IUPHAR Compendium of Voltage-gated Ion Channels. Leeds, UK: IUPHAR Media; 2002 5 Hille B. Ion Channels of Excitable Membranes. 3rd ed. Sunderland/Mass.: Sinauer Associates; 2001 6 Boron WF, Boulpaep, EL. Medical Physiology. Philadelphia: Saunders; 2003 7 Lodish H, Baltimore D, Berk A, Zipursky SL, Matsudaira P, Darnell J. Molecular Cell Biology. 3rd ed. New York: Scientific American Books; 1995
… und noch weiter 8 Catterall WA. Cellular and molecular biology of voltagegated sodium channels. Physiol Rev. 1992; 72: S15-S48 9 Hodgkin AL, Huxley AF. A quantitative description of membrane current and its application to conduction and excitation in nerve. J Physiol. 1952; 117: 500 – 544 10 Armstrong CM, Hille B. Voltage-gated ion channels and electrical excitability. Neuron. 1998; 20 : 371 – 380 11 Jan LY, Jan YN. Voltage-gated and inwardly rectifying potassium channels. J Physiol. 1997; 505: 267 – 282 12 Levitan IB. Modulation of ion channels by protein phosphorylation and dephosphorylation. Ann Rev Physiol. 1994; 56: 193 – 212 13 Yellen G. The voltage-gated potassium channels and their relatives. Nature. 2002; 419: 35 – 42 14 Hamill OP, Marty, A, Neher E, Sakmann B, Sigworth FJ. Improved patch-clamp techniques for high-resolution current recording from cells and cell-free membrane patches. Pflügers Arch. 1981; 391: 85 – 100 15 Jiang Y, Lee A, Chen J, Ruta V, Cadene M, Chait BT, MaKKinnon R. X-ray structure of a voltage-dependent K+ channel. Nature. 2003; 423: 33 – 41 16 Clapham DE. TRP channels as cellular sensors. Nature. 2003; 426: 517 – 524 17 Waldmann R, Lazdunski M. H+-gated cation channels: neuronal acid sensors in the NaC/DEG family of ion channels. Current Biology. 2003; 8: 418 – 424 18 Kaupp UB, Seifert R. Cyclic-Nucleotide-Gated Ion Channels. Physiol Rev. 2002; 82: 769 – 824 19 Lesage F, Lazdunski M. Molecular and functional properties of two-pore-domain potassium channels. Am J Physiol. 2000; 279: 793 – 801 20 Lehmann-Horn F, Jurkatt-Rott K. Voltage-gated ion channels and hereditary disease. Physiol Rev. 1999; 79: 1317 – 1372 21 Sigworth FJ, Neher E. Single Na+ channel currents observed in cultured rat muscle cells. Nature. 1980; 287: 447 – 449 22 Doyle DA, Cabral JM, Pfuetzner RA, Kuo A, Gulbis JM, Cohen SL, Chait BT, MacKinnon R. The structure of the potassium channel: molecular basis of K+ conduction and selectivity. Science. 1998; 280 : 69 – 77 23 Fakler B, Ruppersberg JP. Functional and molecular diversity classifies the family of inward-rectifier K+ channels. Cell Physiol Biochem. 1996; 6: 195 – 209
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Erregungsübertragung in Zellverbänden R. Klinke
5.1
Ärztliches und missbräuchliches Wirken an den Synapsen · · · 80
5.2
Grundfunktionen der Synapsen
5.3
Elektrische Synapsen
···
80
5.4
Chemische Synapsen
···
81
5.5
Transmitterfreisetzung
5.6
Transmitterwirkung
···
5.7
Beendigung synaptischer Prozesse · · · 90
5.8
Transmittersynthese
5.9
Pharmakologie cholinerger Synapsen
···
91
80 ···
92
5.10 Weitere Transmittersubstanzen
· ··
82
··· 85 Das exzitatorische postsynaptische Potenzial (EPSP) ist ein Resultat der Transmitterbindung · ·· 86 Neben dem Transmitter können auch andere Substanzen das Rezeptorprotein beeinflussen ··· 87 An metabotropen Rezeptoren öffnet der Ligand den Ionenkanal nicht direkt, sondern indirekt über Botenmoleküle · ·· 88 Transmitter können auch inhibitorische postsynaptische Potenziale (IPSP) auslösen ··· 89 EPSP und IPSP an einer Zellmembran beeinflussen sich gegenseitig · · · 89
· ·· 92 Glutamat ist im Gehirn der wichtigste Transmitter für exzitatorische Synapsen · ·· 93 Glycin wirkt als Transmitter an inhibitorischen Synapsen und als Neuromodulator ··· 94 GABA ist der Transmitter vieler inhibitorischer Interneurone · · · 94 Monoaminerge Synapsen sind häufig bei psychischen Erkrankungen gestört · ·· 95 Auch ATP, NO und CO können transmitterähnliche Funktionen übernehmen ··· 96 Oligopeptide, die als Transmitter oder Neuromodulatoren wirken, nennt man Neuropeptide ··· 96
5.11 Präsynaptische Bahnung und Hemmung
···
98
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80
5 Erregungsübertragung in Zellverbänden
5.1
Ärztliches und missbräuchliches Wirken an den Synapsen
Ein Organismus kann in seiner Gesamtheit nur dann funktionieren, wenn zwischen seinen verschiedenen Komponenten Nachrichten ausgetauscht und beachtet werden. Dieser Informationsaustausch kann über Hormone oder über das Nervensystem erfolgen. Sinnesorgane nehmen z. B. Informationen aus der Umwelt auf in Form von Schall, Licht, Duftstoffen etc. Über zugehörige Nerven wird die Information ans Gehirn weitergeleitet und dort ausgewertet. Als Resultat werden dann wieder Informationen und Befehle an die Peripherie zurückgegeben, etwa an bestimmte Effektororgane wie Muskeln und Drüsen, womit die Umweltreize beantwortet werden können. Der zentralnervöse Auswertungsprozess ist im Prinzip ein Rechenvorgang, der an den Kontaktstellen verschiedener Neurone, den Synapsen, stattfindet. Die Funktion der Synapsen kann durch eine Vielzahl von Naturstoffen, Bakterientoxinen, Pilz-, Tier- und Pflanzengiften (z. B. Nicotin), oder synthetischer Verbindungen beeinflusst werden. Praktisch jeder von uns ist durch Gebrauch im täglichen Leben oder in der ärztlichen Anwendung davon betroffen. Man denke z. B. an Narkosen, Schmerzbehandlung, Therapie von Depressionen oder motorischen Störungen usw. Missbrauch ist häufig, der bis zu körperlicher Abhängigkeit und Tod führen kann. So ist die Synapse sehr häufig der Angriffsort privaten, aber vor allem ärztlichen Wirkens.
5.2
Grundfunktionen der Synapsen
Die in bisherigen Kapiteln geschilderten Einzelleistungen der Zellen ergeben nur dann ein sinnvolles Ganzes, wenn die Zellen kooperieren können. Dazu müssen Nachrichten ausgetauscht werden. Dies geschieht insbesondere mit Hilfe des Nervensystems. Die Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen, die Synapsen, spielen bei der Nachrichtenverarbeitung eine große Rolle. An einer Synapse müssen Nachrichten, die als Serien von Aktionspotenzialen einlaufen, vom ersten (präsynaptischen) Neuron auf ein zweites (postsynaptisches) Neuron übertragen werden. Dies ist entweder direkt durch Ionenströme oder, weit häufiger, indirekt durch chemische Überträgerstoffe möglich. Bei der Informationsverarbeitung im Zentralnervensystem geht es nicht um die bloße Weitergabe von Information, etwa vom Ohr zum Gehirn; vielmehr wird die im Zentralnervensystem eingehende Information kritisch verarbeitet. Dazu müssen Millionen von Nervenzellen miteinander interagieren. Erst auf der Grundlage dieser kritischen Verarbeitung sind Entscheidungen möglich, Zuwendung oder Abwendung, Flucht oder Angriff. Aus diesen Gegensatzpaaren wird schon deutlich, dass die kritischen Verarbeitungsprozesse im Gehirn manche der grundsätzlich gegebenen Möglichkeiten positiv auswählen, also fördern, andere ausschließen, also unterdrücken oder hemmen. Orte dieser kritischen Interaktionen sind die Kontaktstellen zwischen Nervenzellen, die Synapsen. Ihre Funktion wird im Folgenden besprochen. Im Übrigen sind von ebenso großer Bedeutung auch die Kontakt-
stellen von Sinneszellen zu Nervenfasern und von Nervenfasern zu Effektororganen, wie Drüsen und Muskeln. Sie werden auch als Synapsen bezeichnet. Die Synapse zwischen dem Axon eines Motoneurons und der Skelettmuskelfaser trägt die spezielle Bezeichnung „motorische Endplatte“ oder neuromuskuläre Endplatte. Im Kap. 4 wurde gezeigt, dass ein erregtes Neuron ein Aktionspotenzial ausbildet. Serien von Aktionspotenzialen sind Träger der Information. Aufgabe der Synapse ist es, dieses Signal von einem Neuron auf ein anderes oder auf Effektorzellen zu übertragen. In der Regel entstehen dort als Resultat einer Umkodierung auch wieder Aktionspotenziale, oder es müssen Aktionspotenziale unterdrückt werden, die von einer anderen Quelle verursacht wurden. Letztlich führt die synaptische Übertragung also wiederum zu elektrischen Erscheinungen. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten: Sehr schnell in der Signalübertragung sind die elektrischen Synapsen, langsamer die chemischen Synapsen, bei denen ein chemischer Überträgerstoff die Signalübertragung übernimmt. Aber auch hier gibt es wieder grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Einmal kann die chemische Überträgersubstanz unmittelbar elektrische Erscheinungen an der nachfolgenden Zelle auslösen; hier ist die Aktion wieder relativ schnell. In anderen Fällen löst der Überträgerstoff erst eine Kette weiterer chemischer Prozesse aus, die danach ihrerseits zu elektrischen Erscheinungen an der Membran des nachfolgenden Neurons führen; dies ist mit einem größeren Zeitbedarf verbunden. Folgende Fachausdrücke sind üblich: Die Zelle, die in der Richtung der Informationsübertragung gesehen, vor der Synapse liegt, heißt präsynaptisch, die hinter der Synapse liegende postsynaptisch.
5.3
Elektrische Synapsen
Elektrische Synapsen sind offene Poren zwischen zwei benachbarten Zellen, die aus Proteinkomplexen (Konnexonen) aufgebaut sind. Sie erlauben einen Ionenstrom, wenn ein Potenzialgefälle zwischen beiden Zellen besteht. Bei der elektrischen Synapse liegen die Zellmembranen benachbarter Neurone eng aneinander, so dass nur ein winziger Spalt von 2 nm Breite übrigbleibt. Im Bereich dieser Membranannäherungen, die als Gap Junctions bezeichnet werden, sind Proteinkomplexe in jede der beiden Membranen eingelagert. Sie bestehen aus sechs Untereinheiten aus Connexin, die so angeordnet sind, dass in ihrer Mitte eine mit Wasser gefüllte Pore entsteht, die die Doppelschicht der Zellmembranen durchdringt. Diese Proteinkomplexe in den beiden Zellmembranen, Konnexone genannt, liegen sich so gegenüber, dass die Poren der einen Zelle mit den Poren der anderen offene Verbindungen bilden, also „Kanäle“ entstehen (Abb. 5.1). Derartige Gap Junctions kommen insbesondere im Embryonalstadium sehr häufig vor und dienen ganz allgemein dem interzellulären Austausch von Ionen und kleinen Molekülen. Im adulten Leben nehmen sie an Zahl ab, aber dennoch sind viele erregbare und auch nicht erregbare Zellverbände mit Gap Junctions ausgestattet, etwa der Herzmuskel, die glatte Muskulatur sowie Epi-
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5.4 Chemische Synapsen
Zelle 1
Spalt
Proteinkomplex 2 nm 4 nm
Gap Junction
Mikroelektrode Stromfluss
Zelle 2 8 nm
Zelle 1 präsynaptisch
Kanal
elektrische Synapse
Konnexon der Zelle 1
Austausch kleinmolekularer Stoffe
je sechs Untereinheiten
Konnexon der Zelle 2
Abb. 5.1 Elektrische Synapse in einer Gap Junction. Proteinkomplexe, Konnexone genannt, bilden Kanäle, die das Zytoplasma zweier benachbarter Zellen verbinden und durch die ein Austausch kleinmolekularer Substanzen, vor allem von Ionen, möglich ist (nach 6).
thel- und Gliazellen. Auch in der Retina kommen an den amakrinen Zellen elektrische Synapsen vor. Wird eine der durch Gap Junctions verbundenen Zellen durch ein Aktionspotenzial depolarisiert, so entsteht ein Potenzialgefälle zwischen der depolarisierten (präsynaptischen) und der nicht depolarisierten (postsynaptischen) Zelle. Durch die Konnexone werden positive Ionen entlang des Potenzialgefälles in die postsynaptische Zelle (oder Anionen in die Gegenrichtung) fließen (Abb. 5.2). Erreicht die daraus resultierende Depolarisation dieser postsynaptischen Zelle den Schwellenwert, so kommt es auch hier zu einem Aktionspotenzial. Die geschilderten Ionenströme entstehen praktisch ohne Zeitverzögerung (Größenordnung 10–5 s), so dass auch eine große Zahl von Zellen, die durch Gap Junctions miteinander verbunden sind, zuverlässig miteinander synchronisiert werden können. Der Vorgang ist der elektrotonischen Erregungsausbreitung an einer nicht myelinisierten Nervenfaser ähnlich, die in Kap. 19 näher beschrieben ist. Die Konnexone sind normalerweise in beide Richtungen elektrisch leitend. Somit kann die Erregungsübertragung in beide Richtungen erfolgen, ganz im Gegensatz zur chemischen Synapse. Dort ist die Erregungsübertragung immer nur in eine Richtung möglich. An manchen Zellen kann die Durchlässigkeit der Konnexone jedoch über die intrazelluläre Ca2+-Konzentration, den intrazellulären pH oder das Membranpotenzial reguliert werden. So ist es möglich, eine Stromrichtung zu sperren. Obwohl die elektrischen Synapsen einen sehr einfachen Weg der Erregungsübertragung darstellen, haben
Zelle 2 postsynaptisch
Abb. 5.2 Bei Stromeinspeisung in eine Zelle mit einer elektrischen Synapse durch eine Mikroelektrode fließt durch die Konnexone auch ein Strom in die benachbarte „postsynaptische Zelle“ (2). In gleicher Weise beeinflusst im normalen Zellverband eine depolarisierte präsynaptische Zelle auch ihre Nachbarin.
sie offenbar wegen der Stereotypie ihrer Aktion große Nachteile. So können mit einer Zelle nur wenige andere Zellen unmittelbar kommunizieren. Die direkte Erregungsübertragung ist auf weit entfernte Zellen nicht möglich. Insbesondere sind bei elektrischen Synapsen prä- und postsynaptische Zellen immer im gleichen Erregungszustand. Das Entstehen von Hemmung aus einer Erregung ist ausgeschlossen. Wegen dieser Nachteile stellen die elektrischen Synapsen im Säugerhirn Ausnahmen dar. Sie sind etwa in der Retina, im Hirnstamm, in den Vestibulariskernen oder in der unteren Olive zu finden. Einen ähnlichen aber pathologischen Erregungsmechanismus gibt es bei Erkrankungen, in denen die Markscheiden von Axonen degeneriert sind. Zwar entstehen keine Gap Junctions, aber durch das Fehlen der Isolationsschicht können sich nackte Axone so dicht aneinanderlegen, dass praktisch kein Extrazellulärraum mehr existiert. Der elektrische Widerstand zwischen den Axonen sinkt so weit, dass Aktionspotenziale von einem Axon auf das andere überspringen können, was normalerweise nicht der Fall ist. Einen derartig pathologisch veränderten Bereich nennt man Ephapse. Das Überspringen der Erregung von einem Axon auf das andere führt zu Fehlmeldungen, z. B. zu Schmerzempfindungen, obwohl periphere Schmerzrezeptoren nicht erregt sind.
5.4
Chemische Synapsen
Das Membranpotenzial einer Zelle ist kein statischer Zustand, sondern beruht auf einem energieabhängigen dynamischen Gleichgewicht. Ioneneinstrom und Ionenausstrom halten sich die Waage. Werden nun vorhandene Ionenkanäle durch chemische Substanzen geöffnet oder geschlossen, so ändert sich das Fließgleichgewicht und damit das Membranpotenzial.
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5 Erregungsübertragung in Zellverbänden Zunächst gilt es festzuhalten: An chemischen Synapsen kann die Informationsübertragung nur in einer Richtung erfolgen, von der präsynaptischen auf die postsynaptische Seite. Aber auch die chemische Synapse hat die Aufgabe, Signale von einem Neuron auf ein anderes zu übertragen. Das heißt letztlich, es müssen Mechanismen bereitstehen, die das Membranpotenzial der postsynaptischen Zelle verändern. Da das Ruhemembranpotenzial jeder Zelle ein Fließgleichgewicht zwischen verschiedenen Ionenströmen darstellt, kann es leicht gestört werden, wenn eine bestimmte Ionenart plötzlich besser durch die Zellmembran diffundieren, d. h. ihrem elektrochemischen Gradienten folgen kann. Würde z. B. die Zellmembran für Na+-Ionen plötzlich durchlässiger, so würden diese, dem elektrochemischen Gradienten folgend, in die Zelle einströmen. Dadurch würde das Membranpotenzial positiver, die Zelle also depolarisiert (GoldmanHodgkin-Katz-Gleichung S. 65). Genau dies geschieht an der postsynaptischen Membran einer Synapse, und zwar dadurch, dass Überträgerstoffe (Neurotransmitter) präsynaptisch freigesetzt werden und an der postsynaptischen Membran Ionenkanäle öffnen. Damit ist schon ein wichtiges Funktionsprinzip dargestellt: Die Änderung der Leitfähigkeit für bestimmte Ionen ist Grundlage der Funktion chemischer Synapsen. Ionenströme verändern das Membranpotenzial der postsynaptischen Zelle. Diese Potenzialveränderungen nennt man daher postsynaptische Potenziale. Da am Ruhemembranpotenzial jedoch mehrere Ionen beteiligt sind, kann das Gleichgewicht durch Leitfähigkeitsänderung für verschiedene Ionen „gestört“ werden. So kann z. B. bei zusätzlichem K+-Ausstrom oder bei Cl–-Einstrom das vorhandene Ruhemembranpotenzial verstärkt, d. h. hyperpolarisiert werden. Dies ist das Gegenteil einer Erregung; geeignete chemische Vorgänge an der postsynaptischen Membran können ein Neuron also auch hemmen. In dieser Möglichkeit zur Umkehr des Signals ist ein wesentlicher evolutionärer Vorteil chemischer Synapsen zu sehen. Es liegt auf der Hand, dass die hier zunächst nur grob skizzierten chemischen Prozesse ihrerseits wiederum durch weitere chemische Substanzen modifiziert werden können. Dies geschieht einmal durch körpereigene Substanzen, die Neuromodulatoren oder durch Pharmaka (s. später). Es sei schließlich noch betont, dass Neurotransmitter neben den im Folgenden zu schildernden Aufgaben bei der Informationsübertragung noch eine andere wichtige Bedeutung haben: Während der fetalen und frühkindlichen Hirnentwicklung spielen sie eine unverzichtbare Rolle bei der Organisation zerebraler Strukturen (S. 822 ff.). Da die meisten Rauschgifte mit der Wirkung von Neurotransmittern interferieren (s. Tab. 5.1 u. 5.2), hat ein Drogenkonsum der Mutter während der Schwangerschaft und Stillzeit deletäre Folgen für die fetale bzw. frühkindliche Hirnentwicklung!
5.5
Transmitterfreisetzung
In der präsynaptischen Nervenendigung sind chemische Überträgerstoffe, die Transmitter, in den synaptischen Vesikeln gespeichert. Wird die Endigung durch ein Aktionspotenzial depolarisiert, kommt es u. a. zu einem Ca2+-Einstrom. Das Ca2+ aktiviert eine Verschmelzung der Vesikel mit der präsynaptischen Membran. Sie öffnen sich dann und schütten ihren Inhalt in den synaptischen Spalt aus. Läuft entlang eines Axons eine Serie von Aktionspotenzialen, so werden diese schließlich auch die Endigung erreichen und den präsynaptischen Bereich depolarisieren (Abb. 5.3). Bei dieser Depolarisation kommt es nicht nur, wie entlang des Axons, zum Einstrom von Na+. Die Axonmembran verfügt über mehrere Typen spannungsabhängiger Ca2+-Kanäle, durch die beim Ankommen eines Aktionspotenzials Ca2+-Ionen in die synaptische Endigung einströmen. Die dort in Ruhe sehr niedrige Konzentration von Ca2+ (ungefähr 10–7 mol/l) steigt daher um einige Größenordnungen an. Aus dem endoplasmatischen Retikulum kann evtl. zusätzliches Ca2+ freigesetzt werden. In jedem Fall bedarf es einiger Zeit (ca. 0,2 ms), bevor der Ca2+-Spiegel auf wirksame Konzentrationen gestiegen ist. In der synaptischen Endigung (Abb. 5.4) liegt eine große Zahl sogenannter synaptischer Bläschen (Vesikel). Sie bestehen, ähnlich wie die Zellmembran, aus einer Phospholipid-Doppelschicht und enthalten eine Flüssigkeit, die mit der chemischen Überträgersubstanz, dem Transmitter, angereichert ist. Dieser Transmitter überträgt schließlich die Erregung auf die postsynaptische Membran, daher sein Name. Viele verschiedene Substanzen finden als Transmitter Verwendung, eine davon ist Acetylcholin (Formel Abb. 5.10). Wir wollen im Folgenden den chemischen Übertragungsprozess grundsätzlich betrachten und dazu als Beispiel eine Synapse verwenden, die Acetylcholin (ACh) als Transmitter ausschüttet. Eine solche Synapse nennt man cholinerge Synapse. Das Paradebeispiel einer cholinergen Synapse ist die motorische Endplatte. Die zu schildernden Mechanismen gelten aber grundsätzlich auch für andere Synapsen und andere chemische Transmitter, die ab S. 92 näher beschrieben sind. Die synaptischen Vesikel liegen in drei Populationen vor. Zum einen gibt es einen Pool von Vesikeln, die über das Protein Synapsin an das Zytoskelett gebunden sind und eine ruhende Vesikelreserve darstellen (s. Abb. 5.3). Über eine Phosphorylierung können sie im Bedarfsfall mobilisiert und dem zweiten Pool zugeführt werden. Dieser Bedarfsfall kann starke synaptische Aktivität oder Veränderung von Synapsen als Grundlage synaptischer Plastizität sein (s. Kap. 28.8). Bei der Bildung und Stabilisierung von Synapsen und beim Neuritenwachstum spielen die Synapsine eine weitere wichtige Rolle. Die zweite Population von Vesikeln liegt in unmittelbarer Nähe der sogenannten aktiven Zone, einem präsynaptischen Membranbezirk, der direkt gegenüber der postsynaptischen Membran liegt. Sie besteht aus Vesikeln, die zwar auch nicht sofort für die Transmitterausschüttung benutzt werden, aber sehr kurzfristig dafür
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5.5 Transmitterfreisetzung
Aktionspotenzial
+
Na
Synapsin
Phosphorylierung Zytoskelett Vesikel Überträgerstoff (Transmitter)
2+
synaptische Endigung
Ca
Exozytose des Transmitters synaptischer Spalt
postsynaptische Membran
a muscarinischer Rezeptor
Abb. 5.3 Mechanismus der Transmitterfreisetzung an einer präsynaptischen Endigung. Das Einlaufen der Aktionspotenziale depolarisiert die Membran. Es werden spannungsabhängige Ca2+-Kanäle geöffnet, Ca2+ strömt ein. Das Kalzium wird an Synaptotagmin gebunden, dadurch werden die
nicotinischer Rezeptor
an die Zellmembran gebundenen, „angedockten“ Vesikel entsperrt, es kommt zur Exozytose des Vesikelinhalts in den subsynaptischen Spalt. Bei erhöhtem Bedarf können durch Vermittlung des Ca2+ über eine Phosphorylierung auch Vesikel des Reservepools vom Synapsin abgelöst werden.
synaptische Vesikel präsynaptisches Faserende
postsynaptische Membranverdichtung
Spine eines postsynaptischen Neurons
Abb. 5.4 Elektronenoptisches Bild einer Synapse (Pfeil) an einem Spine (Sp) aus dem Hippocampus. Die präsynaptische Faserendigung ist dicht mit klaren synaptischen Vesi-
keln angefüllt. Die postsynaptische Membranverdichtung ist deutlich zu sehen. Vergrößerung ca. 20 000 fach (Aufnahme Prof. M. Frotscher, Freiburg).
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5 Erregungsübertragung in Zellverbänden
präsynaptisches Neuron Vesikel Exozytose des Überträgerstoffes synaptischer Spalt postsynaptische Membran postsynaptisches Neuron Position der ACh-Rezeptoren Einfaltung der postsynaptischen Membran
Abb. 5.5 Exozytose von synaptischen Vesikeln an einem synaptischen Spalt. Das Präparat wurde durch blitzartiges Einfrieren von Nervengewebe innerhalb einer Millisekunde
bereitgestellt werden können. Der dritte Pool schließlich besteht aus Vesikeln, die an die aktive Zone angelagert, „angedockt“, sind. Nur diese angedockten Vesikel sind der Teil, der unmittelbar für eine Transmitterausschüttung genutzt werden kann. Bei dieser Transmitterausschüttung handelt es sich um eine sorgfältig kontrollierte Exozytose. An dieser Exozytose und an der anschließenden Rückgewinnung der Vesikel sind etwa 20 verschiedene Proteine regulatorisch beteiligt, die zum Teil an der Plasmamembran der synaptischen Endigung, zum Teil an den Vesikeln anliegen, bzw. in sie integriert sind. Sie sollen hier nicht im einzelnen benannt werden. Ferner sind energiereiche Verbindungen wie ATP und GTP zur Transmitterfreisetzung nötig. Zur Transmitterausschüttung müssen die angedockten Vesikel zunächst vorbereitet werden (Priming). Dazu durchlaufen sie einen Reifungsprozess, in dem aus zwei Proteinen der Plasmamembran (Syntaxin und SNAP-25) und einem der Vesikelmembran (Synaptobrevin = VAMP) ein Komplex gebildet wird, der als Kernkomplex (auch core-Komplex oder SNARE-Komplex) bezeichnet wird. Bei diesem Prozess spielen andere Proteine eine wichtige regulatorische Rolle. Unter Vermittlung durch ATP resultiert als Ergebnis eine partielle Fusion der Vesikelmembran mit der präsynaptischen Membran. Die Bildung des Kernkomplexes kann durch die Bakterientoxine Botulinumtoxin (an nikotinischen Synapsen, s. S. 85) bzw. Tetanustoxin (an den Renshaw-Zellen, s. S. 748) verhindert werden. DIe genannten Toxine sind Proteasen, die bestimmte, am Vorgang beteiligte Proteine spalten. So verhindern diese Toxine letztlich eine Transmitterausschüttung. Ein weiteres integrales Membranprotein der Vesikelmembran ist das Synaptotagmin. Es ist ein Ca2+-Rezeptor. Ist in der präsynaptischen Endigung wegen vorangegangener Aktionspotenziale die Konzentration von Ca2+ in ausreichender Höhe, werden kooperativ Ca2+-Ionen gebunden und Synaptotagmin öffnet unter Vermittlung weiterer Proteine die präsynaptische Membran, ermöglicht also die Exozytose (s. Abb. 5.3). Dabei wird der Kernkomplex aufgelöst. Durch die Exozytose werden ca.
nach einem elektrischen Reiz erhalten. Vergr. ca. 200 000 fach (Aufnahme Dr. J. E. Heuser, Washington University, St. Louis, Mo.).
8000 – 10 000 Transmittermoleküle als kleinstmögliche Memge (1 „Quant“) in den subsynaptischen Spalt ausgeschüttet. Innerhalb der Vesikel liegt die Transmitterkonzentration in der Größenordnung von etwa 100 mmol/l und selbst im subsynaptischen Spalt werden nach einer Transmitterfreisetzung Konzentrationen in der Größenordnung eines millimolaren Bereichs erreicht. Wichtig für den Vorgang der exozytotischen Transmitterausschüttung ist nicht die Depolarisation der Endigung, sondern der Einstrom von Ca2+. Das Ca2+ dient dabei als Botenstoff, der die Exozytose der Vesikel auslöst. Zusätzlich kann auch das Ca2+ eine weitere Ca2+-Freisetzung aus präsynaptischen Calciumspeichern triggern. Eine Erhöhung der extrazellulären Ca2+-Konzentration erhöht den Ca2+-Einstrom und damit die Transmitterfreisetzung. Umgekehrt führt eine künstliche Erhöhung der extrazellulären Mg2+-Konzentration durch Verdrängung zu einer Verringerung des Ca2+-Einstroms und damit zu einer Verringerung des Transmitterausstoßes. Nach Beendigung des präsynaptischen Aktionspotenzials wird das Ca2+ über aktive Pumpen (Ca2+-ATPasen) und im Austausch gegen Na+ (3 Na+/Ca2+-Carrier) wieder aus der Präsynapse entfernt. Durch Beeinflussung des Ca2+-Einstroms bzw. des Ca2+-Gehalts der präsynaptischen Endigung kann der Organismus die Effektivität von Synapsen variieren. Schon eine mehrmalige starke Erregung des präsynaptischen Neurons führt zu einer minutenlangen Erhöhung der Ca2+-Konzentration und damit zu erhöhter Transmitterfreisetzung. Wir haben hier die einfachste Form eines „Gedächtnisses“ vorliegen (S. 818 ff.). Dieser Vorgang wird synaptische Potenzierung oder posttetanische Potenzierung (nach repetitiver, d. h. tetanischer Reizung) genannt. Die Exozytose der Vesikel steigt mit der 4. Potenz der Ca2+-Konzentration. Daher ist die Erhöhung des Ca2+Spiegels in der präsynaptischen Endigung sehr wirksam. Aber offensichtlich sind auch noch andere Mechanismen an der posttetanischen Potenzierung beteiligt. Die geschilderten Mechanismen erhöhen die Effektivität einer Synapse. Andererseits kann der Ca2+-Einstrom auch durch Beeinflussung der Ca2+-Kanäle gesteuert wer-
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5.6 Transmitterwirkung den. Sie können häufiger oder wenig häufig geschlossen oder geöffnet werden (Kap. 4). Eines der Coniotoxine (Schneckengifte) beispielsweise blockiert Ca2+-Kanäle. Schließlich ergibt sich hier auch die Möglichkeit einer pharmakologischen Beeinflussung. Mg2+ verdrängt Ca2+Ionen und reduziert so die Transmitterausschüttung. Die präsynaptische und die postsynaptische Membran sind durch einen Spalt von 20 – 50 nm voneinander getrennt. In diesen Spalt werden die Transmittermoleküle ausgeschüttet. Sie diffundieren an die gegenüberliegende postsynaptische Membran, ein Vorgang, der etwa 0,1 ms benötigt. Die Membran des nach Transmitterausschüttung leeren Vesikel ist ein wertvoller Rohstoff für die präsynaptische Endigung. Daher wird die Vesikelmembran innerhalb weniger Sekunden rezykliert, also einer Endozytose unterworfen. Die leeren Vesikel werden dazu mit einer Clathrinhülle überzogen (Abb. 5.7) und als „coated vesicles“ in die präsynaptische Endigung wieder zurückverlagert. Sie streifen dort ihre Hülle wieder ab, über Protonenpumpen erhalten sie einen saueren pH und schließlich fusionieren sie mit Endosomen. Durch Knospung (budding) werden von den Endosomen dann wieder Vesikel abgespalten (s. Abb. 5.8). Diese werden mit Transmitter gefüllt, der im Zytoplasma der endoplasmatischen Endigung synthetisiert bzw. aus dem präsynaptischen Spalt wieder gewonnen wurde (s. später). Die Füllung der Vesikel mit dem Transmitter wird über Transporter in der Vesikelmembran besorgt, die elektrische bzw. chemische Gradienten ausnutzen, die über Protonenpumpen aufgebaut werden. Der gefüllte Vesikel wird dann, vermutlich über die Vermittlung von Aktin (s. Kap. 6) wieder dem Pool der fusionsbereiten bzw. angedockten Vesikel zugeführt. Viele Einzelheiten des hier geschilderten Vorgangs sind noch ungeklärt. Im übrigen scheint es auch die Möglichkeit zu geben, entleerte Vesikel wieder unmittelbar zu füllen (sog. kiss and run). Die hier skizzierten Prozesse der Vesikelexozytose bzw. -endozytose können durch die pauschal genannten weiteren beteiligten Proteine reguliert und in ihrer Geschwindigkeit moduliert werden. Dies ist ein weiterer der Mechanismen, mit denen der Organismus die Effektivität jeder einzelnen Synapse beeinflussen kann.
5.6
Transmitterwirkung
In die postsynaptische Membran sind Proteine eingebaut, die Ionenkanäle bilden. Sie sind normalerweise selten geöffnet. Binden aber Transmittermoleküle an diese Proteine, so ändert sich deren Konfiguration, und die Ionenkanäle öffnen sich häufiger. Dann können bestimmte Ionen vermehrt durch die Zellmembran hindurchtreten. In die elektronenoptisch verdickte postsynaptische Membran, speziell subsynaptische Membran genannt, sind Proteine eingelagert, die Transmittermoleküle binden und deswegen Rezeptoren genannt werden. Man beachte: Der Begriff Rezeptor wird in zweifacher Bedeutung verwendet. In der Zell- und Molekularbiologie bezeichnet er eine Bindungsstelle für Moleküle, die Sig-
Kanal
AChBindungsstellen
Strukturproteine
postsynaptische Zelle
Abb. 5.6 Dreidimensionales Modell von nicotinischen Acetylcholinrezeptoren, die in der Lipiddoppelschicht der Zellmembran schwimmen. Das Protein besteht aus fünf Untereinheiten, von denen zwei identische die Bindungsstellen für das Acetylcholin tragen. Sind diese Stellen besetzt, öffnet sich ein trichterförmiger Ionenkanal zum Zellinneren.
nale übertragen, etwa Hormone und Transmitter. So ist der Begriff hier gebraucht. In der Sinnesphysiologie (s. Kap. 19 ff.) versteht man unter einem Rezeptor die Sinneszelle bzw. ihren rezeptiven Teil. Manchmal wird in diesem Zusammenhang auch der Begriff Sensor benutzt, der eigentlich technische Messfühler bezeichnet. Bei cholinergen Synapsen gibt es zwei Typen von Rezeptoren. Hier soll zunächst das Beispiel einer sog. nicotinischen Synapse besprochen werden, wie sie z. B. an der motorischen Endplatte vorkommt (weiteres zur neuromuskulären Endplatte S. 112). Das Rezeptorprotein für ACh besteht aus fünf Untereinheiten (Abb. 5.6), die zusammen einen Kanal bilden, der die Zellmembran durchspannt. Jeder dieser Kanäle hat zwei Zustände, offen oder geschlossen und im offenen Zustand eine ganz bestimmte Durchlässigkeit für Ionen. Meistens ist dieser Kanal geschlossen. Binden aber zwei ACh-Moleküle an dieses Protein, so kommt es zu Ladungsverschiebungen innerhalb des Makromoleküls und in deren Folge zu einer allosterischen Formveränderung. Der zentrale Kanal weitet sich, hat dann etwa einen inneren Durchmesser von 0,65 nm und wird durchgängig für die Kationen Na+ und K+ (Abb. 5.7). Für Anionen ist der Kanal jedoch nicht durchgängig wegen der im Inneren vorhandenen Wandladungen. Es handelt sich also um einen unspezifischen Kationenkanal. Wir haben hier einen Ionenkanal vor uns, der direkt durch den Liganden, d. h. also durch die Anlagerung des Transmittermoleküls, geöffnet wird (ligandengesteuerte Kanäle). Derartige Rezeptoren nennt man auch ionotrope Rezeptoren. Fälle, in denen bis zur Öffnung eines
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5 Erregungsübertragung in Zellverbänden
Endosom
Neuromodulatoren oder Medikamente
Neuromodulation Heterozeptoren
Neuromodulatoren
sekundäre Botenstoffe ranMembcling recy
Rückkopplung
Na
+
Transmitter
Autorezeptor
Neuromodulation
a GTP GDP
Neuromodulation
muscarinische Synapse
+
K
Transmitter öffnet Ionenkanal
Transmitter katalysiert Reaktionen von G-Proteinen
Abb. 5.7 Interaktion von Transmittermolekülen mit ihren spezifischen Rezeptoren im synaptischen Spalt. Postsynaptisch ist auf der rechten Seite ein nicotinischer Rezeptor dargestellt, der durch den Liganden selbst geöffnet wird; die linke postsynaptische Seite zeigt einen muscarinischen Rezeptor. Bei diesem wird ein Ionenkanal erst über eine
Ionenkanals noch weitere chemische Prozesse zwischengeschaltet sind – die beteiligten Rezeptoren nennt man auch metabotrope Rezeptoren –, werden wir auf S. 88 kennenlernen. An der präsynaptischen Endigung, etwa einer neuromuskulären Endplatte, werden durch ein Aktionspotenzial mehrere Vesikel freigesetzt. Der synaptische Spalt wird wegen der hohen Konzentration des Transmitters im Vesikel (∼ 100 mmol/l) mit einer großen Zahl von ACh-Molekülen überschwemmt. So wird auch eine große Zahl von ACh-Rezeptoren besetzt. Im Übrigen gibt es an vielen Synapsen auch in der präsynaptischen Membran Rezeptoren für den Transmitter, sog. Autorezeptoren (Abb. 5.7). Je nach Synapsentyp kann durch ihre Wirkung die Transmitterausschüttung entweder verstärkt oder beendet werden (positive oder negative Rückkopplung). Über diese Autorezeptoren kann auch der Ca2+-Einstrom in die präsynaptische Endigung beeinflusst werden.
Normalerweise finden sich die Rezeptoren für den Transmitter nur im Bereich der subsynaptischen Membran. Dies gilt auch für die motorische Endplatte, wo außerhalb des synaptischen Bereichs auf der Oberfläche der Muskelzelle nur wenige ACh-Rezeptoren
nicotinische Synapse
Kaskade von chemischen Reaktionen geöffnet. Die Membran des entleerten Vesikels wird mit einer Clathrinhülle versehen und in die präsynaptische Endigung zurückverlagert. danach wir ddie Clathrinhülle wieder abgelöst, der Vesikel fusioniert mit einem Endosom.
vorkommen. Wird der motorische Nerv aber etwa durch eine Verletzung durchtrennt, dann bilden sich auf der gesamten Oberfläche der Muskelzelle AChRezeptoren aus, der Muskel wird für ACh hypersensitiv.
Das exzitatorische postsynaptische Potenzial (EPSP) ist ein Resultat der Transmitterbindung Die Öffnung von unspezifischen Kanälen für Kationen durch ACh führt zu einem starken Na+-Einstrom und zu einem schwächeren K+-Ausstrom an der postsynaptischen Membran. Im Endeffekt fließen also mehr positive Ladungen in die Zelle. Es entsteht eine lokale Depolarisation, die als exzitatorisches postsynaptisches Potenzial (EPSP) bezeichnet wird. ACh-Moleküle öffnen Ionenkanäle in der postsynaptischen Zellmembran, so dass sich deren Leitfähigkeit für einwertige Kationen unspezifisch erhöht. Welche Kationen fließen, ist wie immer (Kap. 4) abhängig von den elektrochemischen Gradienten. Das Gleichgewichtspotenzial für Na+ ist + 55 mV, das Membranpotenzial der
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5.6 Transmitterwirkung postsynaptischen Zelle liegt aber bei etwa – 60 bis – 80 mV. Somit bestehen starke treibende Kräfte für Na+, und es werden Na+-Ionen ins Zellinnere strömen und die Zelle depolarisieren (Abb. 5.7, 5.9). Andererseits ist der Kanal auch durchlässig für K+-Ionen, für die ein, wenn auch geringer, elektrochemischer Gradient von innen nach außen besteht. Da das K+-Gleichgewichtspotenzial bei etwa – 90 mV liegt, werden daher gleichzeitig K+-Ionen durch die postsynaptische Membran austreten und damit der durch den Na+-Einstrom bedingten Depolarisation in gewissem Umfang entgegenwirken. Dennoch, die Öffnung der beschriebenen Kanäle führt netto zu einem Einstrom positiver Ionen, also zu einer Depolarisation der postsynaptischen Membran, die als exzitatorisches postsynaptisches Potenzial (EPSP) bezeichnet wird. An der motorischen Endplatte nennt man das EPSP auch Endplattenpotenzial. Da die beteiligten Ionenströme von der Differenz ihres Gleichgewichtspotenzials und dem Membranpotenzial abhängen (s. S. 65), wird der Na+Strom bei verringertem Ruhemembranpotenzial immer kleiner, der K+-Strom größer. Damit wird die Amplitude des EPSP kleiner. Die am Zustandekommen des EPSP beteiligten Ionenströme verhalten sich anders als die Na+- und K+-Ströme während eines Aktionspotenzials (S. 678 f.). Dies liegt daran, dass andere Ionenkanäle mit anderen Eigenschaften daran beteiligt sind. Während beim Aktionspotenzial die Ionenkanäle spannungsabhängig sind und mit fortschreitender Depolarisation weitere Kanäle geöffnet werden, der Depolarisationsprozess sich also selbst verstärkt, hängt die elektrische Leitfähigkeit der transmittergesteuerten Kanäle nur von der Zahl der gerade mit Transmitter besetzten und daher offenen Ionenkanäle ab. Die Amplituden eines EPSP liegen im Bereich von 100 µV bis eventuell 10 mV. Die Gesamtdauer eines EPSP beträgt, je nach der speziellen Art der Synapse, 5 ms bis zu einigen 100 ms. Das zunächst lokal im Synapsenbereich ausgebildete EPSP breitet sich passiv elektrotonisch (Kap. 19) über die gesamte postsynaptische Zellmembran aus. Es gehorcht nicht dem Alles-oder-nichts-Gesetz. Sind viele benachbarte exzitatorische Synapsen gleichzeitig oder kurz nacheinander aktiviert, überlagern sich die Ströme (örtliche bzw. zeitliche Summation). Es entsteht ein EPSP wesentlich größerer Amplitude, das die gesamte postsynaptische Zelle depolarisieren kann. Erreicht diese Depolarisation am Axonhügel einer Nervenzelle oder im Bereich einer motorischen Endplatte einen gewissen Schwellenwert (10 mV und mehr), so werden schlagartig spannungsabhängige Natriumkanäle geöffnet, die Zelle bildet ein Aktionspotenzial aus, das entlang ihres Axons weitergeleitet wird oder – im Falle der motorischen Endplatte – eine Muskelkontraktion einleitet (Kap. 6). Von Ausnahmen abgesehen, z. B. der neuromuskulären Endplatte, genügt ein einzelnes präsynaptisches Aktionspotenzial nicht, um auch postsynaptisch ein Aktionspotenzial auszulösen. Es ist die Summation mehrerer präsynaptischer Eingänge nötig. Vom Beginn des EPSP bis zur Ausbildung des Aktionspotenzials vergehen nochmals etwa 0,3 ms, so dass bei ausreichender Transmitterausschüttung das postsynaptische Aktionspotenzial schon etwa 0,5 – 0,6 ms nach dem präsynaptischen erscheinen kann. Doch hängt ganz all-
gemein die als Zeitbedarf zwischen prä- und postsynaptischem Aktionspotenzial definierte Synapsenzeit sehr vom jeweiligen Synapsentyp ab.
Neben dem Transmitter können auch andere Substanzen das Rezeptorprotein beeinflussen Zum postsynaptischen Rezeptorprotein für den Transmitter haben auch bestimmte andere Substanzen eine hohe Affinität. Wenn sie den gleichen Effekt haben wie der Transmitter, nennt man sie Agonisten. Verhindern sie dagegen durch ihre Bindung die Wirkung des Transmitters, nennt man sie Antagonisten. Wir haben gesehen, dass ein ganz bestimmtes Transmittermolekül an das Kanalprotein bindet und dessen Ionenkanal öffnet. Das Protein besitzt dafür eine Bindungsstelle, den Rezeptor. Dieser Rezeptor ist aber nicht absolut spezifisch. Für die meisten Synapsen gibt es eine ganze Reihe körperfremder (evtl. auch körpereigener) Substanzen, die ebenfalls an den Rezeptor binden können. Sie werden häufig als Medikamente verwendet. Am Beispiel einer nicotinischen Synapse ist der natürliche Transmitter ACh. An dessen Stelle können chemisch ähnlich gebaute Substanzen, wie etwa Succinylcholin, gebunden werden, die die Wirkung von ACh entfalten und ein EPSP ausbilden. Aber auch chemisch sehr andersartige Moleküle können evtl. mit dem Rezeptor interagieren, wie z. B. das Nicotin. Alle diese Stoffe wirken wie der Transmitter und werden deshalb als Agonisten bezeichnet. Häufig werden solche Substanzen zur genaueren Charakterisierung des Rezeptors benutzt. So ist in diesem Fall hier der Name nicotinische Synapse entstanden. Neben den Agonisten gibt es aber auch chemische Verbindungen, die zwar am Rezeptormolekül binden, die aber nicht gleichzeitig den Ionenkanal öffnen können. Ja, sie verhindern durch ihre Gegenwart sogar, dass der natürliche Transmitter binden und wirken kann. Diese Substanzen blockieren daher den Ionenkanal, d. h. sie verhindern dessen Öffnung. Man nennt sie Antagonisten. Für die nicotinischen Synapsen ist z. B. das im indianischen Pfeilgift Curare enthaltene d-Tubocurarin ein solcher kompetitiver Blocker. Es tritt mit dem echten Transmitter in Kompetition, bindet an den ACh-Rezeptor an der motorischen Endplatte und verhindert so willkürliche Muskelkontraktionen. Auf diese Weise haben Indianerstämme ihre Beutetiere und Kriegsgegner gelähmt, was durch Atemstillstand zum Tode führt. Da das Curarin weder die Darmwand durchdringen und so an die Muskelendplatten gelangen kann, noch gar die Blut-Hirn-Schranke durchdringt, war der Genuss der so gefangenen Tiere auch nicht schädlich. Curare-ähnliche Substanzen werden heute in der Anästhesie zur Muskelrelaxation verwendet (s. Tab. 5.1, S. 92). Eine andere Substanz, die hochspezifisch und kompetitiv an nicotinische ACh-Rezeptoren bindet, ist das Schlangengift α-Bungarotoxin. Es wirkt schon in nanomolarer Konzentration und kann experimentell dazu verwendet werden, die ACh-Rezeptoren auf Zelloberflächen zu markieren.
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5 Erregungsübertragung in Zellverbänden
Endosom Transmitterspeicherung Cholinacetyltransferase
Knospung
Andocken
Synthese reuptake-Hemmer Esterasehemmer Esterase
Cholin
Wiederaufnahme Hyperpolarisation
Transmitterspaltung
+ ++ ++ ++ +
+ ++ + aGTP
+
muscarinische Synapse
K
b g
HOH
CH3 Botenstoff a-GTP öffnet Ionenkanal
Abb. 5.8 Späte Prozesse an Synapsen. Metabolische Prozesse öffnen Ionenkanäle an denjenigen Synapsen, an denen der Rezeptor selbst keinen Ionenkanal darstellt. Dies ist im dargestellten Fall einer muscarinischen Synapse eine an GTP gekoppelte Untereinheit eines G-Proteins. Im synaptischen Spalt wird der Transmitter inaktiviert, entweder durch Wiederaufnahme oder durch enzymatische Spaltung und nach-
An metabotropen Rezeptoren öffnet der Ligand den Ionenkanal nicht direkt, sondern indirekt über Botenmoleküle Bei manchen Synapsen stellt das Rezeptorprotein selbst keinen Ionenkanal dar. Bei Bindung von Transmittermolekülen löst dieses Protein aber eine Kaskade chemischer Reaktionen aus, als deren Folge benachbarte Ionenkanäle durch einen Botenstoff geöffnet werden. Man spricht von metabotropen Rezeptoren. Im Gegensatz zu den bisher geschilderten Synapsen, bei denen der Transmitter direkt den Ionenkanal öffnet, gibt es andere Rezeptorproteine, die nicht selbst einen Ionenkanal darstellen. Ein Beispiel dafür ist die cholinerge Synapse vom muscarinischen Typ, so genannt, weil dort das Gift des Fliegenpilzes, Muscarin, als Agonist wirkt. Dort ist der ACh-Rezeptor ein Protein, das, vom Aspekt der Evolution her interessant, große chemische Ähnlichkeit zum Sehfarbstoff Rhodopsin (S. 693 f.), zu den α- und β-adrenergen und anderen Rezeptoren besitzt. Die zur Ausbildung eines EPSP notwendigen Ionenkanäle werden
+
CH3 N
O CH2 CH2
O
C CH3
Acetyl Cholin CH3 Wirkung der Esterase auf ACh
folgende Wiederaufnahme der Bruchstücke. In der präsynaptischen Endigung wird der Transmitter wieder resynthetisiert. Durch Knospung (budding) löst sich vom Endosom wieder ein Vesikel ab. Dieser nimmt Transmittersubstanz auf und wird an die präsynaptische Membran verlagert. Dort dockt er bei Bedarf an.
erst durch einen Stoffwechselprozess geöffnet. Wegen des beteiligten Metabolismus nennt man die zugehörigen Rezeptoren metabotrope Rezeptoren. Der Vorgang ist jeweils links in Abb. 5.3, 5.7 und 5.8 illustriert. Sobald der Transmitter an den Rezeptor gebunden ist, bildet ein trimeres G-Protein mit dem Rezeptor einen Komplex. Auch hierin sind sich Rhodopsin, der Muscarinrezeptor und die übrigen, mit G-Proteinen vergesellschafteten Rezeptoren ähnlich. Das an das G-Protein gebundene GDP wird gegen GTP ausgetauscht (s. a. S. 37). Dann entsteht ein aktiviertes G-Protein, bestehend aus GTP und der αUntereinheit (Abb. 5.7 u. 5.8), das schließlich einen K+Kanal öffnet. In diesem Beispiel würde der Agonist also die postsynaptische Zelle hyperpolarisieren, d. h. hemmen (s. nächster Abschnitt). Für eine Beeinflussung von Ionenkanälen durch sekundäre Botenstoffe gibt es viele Möglichkeiten. Es können verschiedene Botenstoffe verwendet werden, um Ionenkanäle zu öffnen oder zu schließen. Neben der beschriebenen Öffnung eines Kanals durch die aktivierte α-Untereinheit des G-Proteins kann an manchen Synapsen auch die β-γ-Untereinheit durch GTP aktiviert werden, z. B. am Herzen. An anderen metabotropen Synapsen
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5.6 Transmitterwirkung können sekundäre Botenstoffe zwischengeschaltet sein. So können Ionenkanäle durch cAMP/IP3 oder durch Phosphorylierung über die Proteinkinase C geöffnet werden. Dieser Vorgang geht wieder von einem G-Protein aus, das die Phospholipase C aktiviert. Dies führt zur Bildung von IP3. Zusätzlich wird über die Bildung von Diacylglycerin (DAG) die Proteinkinase aktiviert. Die Wirkungsmechanismen sekundärer Botenstoffe sind auf S. 37 näher beschrieben und bei der Besprechung von Effektorsynapsen im Kap. 27 genauer dargestellt.
Bei den muscarinischen Synapsen – weitere werden später besprochen – sind die Bindungsstelle für den Transmitter und der Ionenkanal nicht im selben Membranprotein lokalisiert. Dieser Umstand ergibt eine weitere Möglichkeit zur Beeinflussung der Synapsenfunktion. Zunächst gibt es am Rezeptor wieder kompetitive Blocker, bei der muscarinischen Synapse etwa das Gift der Tollkirsche, das Atropin (s. Tab. 5.1, S. 92). Häufig kennt man aber auch Substanzen, die den Ionenkanal selbst verlegen und ihn so blockieren. Diese Substanzen konkurrieren nicht mit der Bindungsstelle, sind also nichtkompetitive Blocker. Noch wichtiger ist der Umstand, dass manche Bakteriengifte wie das Cholera-Toxin oder das Pertussis-Toxin (Keuchhusten) mit den G-Proteinen interagieren (s. S. 37). Es liegt auf der Hand, dass Synapsen, die derartige Mechanismen benutzen, sehr langsam sind. Es müssen ja erst mehrere chemische Reaktionen ablaufen, bevor die Membranleitfähigkeit geändert werden kann. Die Übertragungszeiten liegen daher in der Größenordnung von 100 ms. Muscarinische Synapsen kommen postganglionär parasympathisch, als Autorezeptoren sowie im ZNS vor. Über muscarinische Rezeptoren, die von Axonen des Nucleus basalis (Meynert) ausgebildet werden, werden insbesondere Lernvorgänge gesteuert. Bei der AlzheimerKrankheit geht die Zellzahl im Meynert-Kern zurück.
Transmitter können auch inhibitorische postsynaptische Potenziale (IPSP) auslösen Entscheidend für den Effekt eines Transmitters ist, welche Art von Ionenkanälen letztlich geöffnet werden. Sind es Kanäle, die selektiv nur für K+ oder Cl– durchlässig sind, so kann der entstehende Ionenstrom das vorhandene Ruhemembranpotenzial negativer machen und damit einer Erregung entgegenwirken. Dieses Potenzial hemmt die Zellerregung und wird daher als inhibitorisches postsynaptisches Potenzial (IPSP) bezeichnet. Entscheidend für die Ionenströme an Membranen sind der aktuelle Wert des Membranpotenzials und Zahl und Art der geöffneten Ionenkanäle. Würde also eine Transmittersubstanz nicht den oben beschriebenen nicotinischen ACh-Rezeptor öffnen, sondern einen Ionenkanal mit einer anderen Ionenspezifität, so würden andere Ströme fließen und damit auch ein anderes Endergebnis entstehen. Entscheidend ist die Art des durch den Transmitter betätigten Kanalproteins. So gibt es an manchen
Synapsen Kanäle für K+, an anderen für Cl–. Letztere sind viel häufiger. Betrachten wir zunächst einen Rezeptor, der nach Bindung eines Transmitters metabotrop die Leitfähigkeit für K+ stark erhöht. Liegt ein normales Membranpotenzial vor, wird es zum Ausstrom weiterer K+-Ionen kommen, und entsprechend der Goldmann-Gleichung (S. 65 f.) wird durch die Permeabilitätserhöhung das Membranpotenzial hyperpolarisiert (Abb. 5.9). Es entsteht ein sog. inhibitorisches postsynaptisches Potenzial (IPSP). Es ist so benannt, weil die dabei auftretende Hyperpolarisation einer Depolarisation und damit einer Erregung entgegenwirkt, also die Zelle hemmt (inhibiert). Grundsätzlich ähnliche Verhältnisse liegen vor, wenn der Hyperpolarisationsstrom von Cl–-Ionen getragen wird. Weil das Gleichgewichtspotenzial für Cl– zwischen – 70 und – 75 mV liegt, strömt Cl– in die Zelle und hyperpolarisiert sie, wenn das aktuelle Membranpotenzial weniger negativ ist als dieser Wert. Dies ist bei sehr vielen Zellen der Fall.
EPSP und IPSP an einer Zellmembran beeinflussen sich gegenseitig Werden an einer Zellmembran gleichzeitig erregende (exzitatorische) und hemmende (inhibitorische) Synapsen aktiviert, dann reduziert ein Ionenstrom wechselseitig den Effekt des anderen. Somit besitzt der Organismus die Möglichkeit, erregende bzw. hemmende Einflüsse auf die Nervenzelle wirksam zu unterdrücken. Eine Nervenzelle ist mit Tausenden von synaptischen Endigungen, teils exzitatorischer, teils inhibitorischer Natur, besetzt. Werden benachbarte exzitatorische und inhibitorische Synapsen aktiviert, so überlagern sich die entstehenden Ströme und heben sich z. T. wechselseitig auf. Das resultierende postsynaptische Potenzial ist kleiner als das eines EPSP oder eines IPSP allein (Abb. 5.9). Bei gleichzeitiger Aktivierung einer inhibitorischen Synapse vermag ein EPSP die Zelle nur in geringerem Umfang zu depolarisieren, die Zelle wird weniger stark erregt, also gehemmt. Dabei ist nicht die Hyperpolarisation durch das IPSP, sondern die Erhöhung der Membranleitfähigkeit für K+ bzw. Cl– das Wesentliche. Dadurch nämlich wird das Membranpotenzial in der Nähe des Gleichgewichtspotenzials für K+ (bzw. Cl–), also bei stark negativen Werten, festgehalten, und der depolarisierende Effekt des Na+-Einstroms wird reduziert. Der Na+-Einstrom wird durch einen K+-Ausstrom oder einen Cl–-Einstrom kompensiert. Zusammengefasst: Ein EPSP kommt netto durch einen Na+-Einstrom zustande, ein IPSP durch einen K+-Ausstrom oder einen Cl–-Einstrom. Dann könnte man vermuten, dass eine Absenkung der Leitfähigkeit für K+ die Zelle ebenfalls depolarisieren sollte, wogegen eine Verringerung der Leitfähigkeit für Na+ zu einer Hyperpolarisation führen müsste. Dies ist tatsächlich so, und die Natur nutzt auch diesen Mechanismus, nämlich das Schließen von Ionenkanälen durch Transmitterbindung. Synapsen, bei denen zur Depolarisation die K+-Leitfähigkeit reduziert wird, gibt es in autonomen Ganglien. Hauptsächlich kommen dort nicotinische Synapsen vor, bei denen ACh über einen Na+-Einstrom ein EPSP auslöst. Es
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5 Erregungsübertragung in Zellverbänden A erregende Synapse (1) hemmende Synapse (2)
B
1
2 1
C
+
K
+
Na
+
KAusstrom
ENa
+
+40
+
K
+
K
Cl
+
Na
+40
0
40
Reiz
+
K
Cl
0
Aktionspotenzial (AP) 40
2
Na+Einstrom
+80
Membranpotenzial (mV)
APSchwelle
80
Reiz
EPSP
80
EK
IPSP
+
120
1 ms
EPSP
120
1 ms
IPSP
EPSP + IPSP IPSS
Strom
90
EPSS EPSS
IPSS
EPSS + IPSS
Zeit
Abb. 5.9 A Vorgänge bei Auslösung eines EPSP nach einem elektrischen Reiz (Pfeil) auf eine präsynaptische Endigung. Dargestellt ist der exzitatorische postsynaptische Strom (EPSS) und das zugehörige exzitatorische Potenzial (EPSP). Überschreitet dieses die Schwelle, so wird zusätzlich ein Aktionspotenzial (AP) ausgelöst, das über spannungsabhängige Na+-Kanäle das Membranpotenzial in Richtung ENa, dem Gleichgewichtspotenzial für Na+, depolarisiert. B Auslösung eines IPSP, dargestellt ist wieder der inhibitorische postsynaptische Strom (IPSS) und das zugehörige inhibitorische Potenzial (IPSP). Dabei ist angenommen, der
finden sich aber auch andere, bei denen das ACh eine vorhandene K+-Leitfähigkeit vermindert und so ebenfalls ein (langandauerndes) EPSP auslöst. Die Reduktion einer vorhandenen Na+-Leitfähigkeit zur Hyperpolarisation einer Zelle ist an den Stäbchen und Zapfen der Retina zu beobachten (S. 692 f.). Noch etwas sollte man jetzt schon festhalten: Der Mechanismus der Entstehung von postsynaptischen Potenzialen entspricht weitgehend der Entstehung von sog. Rezeptorpotenzialen an den Sinneszellen (Rezeptorzellen) eines Sinnesorgans, wo Ionenkanäle durch bestimmte chemische oder physikalische Reize geöffnet oder geschlossen werden (S. 619). Die Ähnlichkeit nimmt nicht wunder. Eine Synapse ist ein hochspezialisiertes „Sinnesorgan“, das hochspezifisch auf bestimmte chemische Substanzen reagiert.
Strom sei durch K+-Ionen getragen. Cl–-Ionen können eine Rolle spielen, wenn das Membranpotenzial positiver ist, als das Gleichgewichtspotenzial für Cl–, das bei – 75 bis – 70 mV liegt. C Membranströme bei der Aktivierung exzitatorischer (EPSS) und inhibitorischer Synapsen (IPSS) und die daraus resultierenden postsynaptischen Potenziale (EPSP, IPSP). Bei gleichzeitiger Aktivierung exzitatorischer und inhibitorischer Synapsen überlagern sich die entstehenden Membranströme und heben sich teilweise auf. Das resultierende postsynaptische Potenzial (rot) wird daher sehr klein.
5.7
Beendigung synaptischer Prozesse
Der synaptische Übertragungsprozess muss schnell beendet werden, um für neuerliche Benutzung zur Verfügung zu stehen. Langdauernde Wirksamkeit des Überträgerstoffs würde bei vielen Synapsen zu einer Abnahme der erforderlichen Übertragungsraten führen. Daher wird der postsynaptische Rezeptor sehr schnell gegenüber dem Transmittermolekül desensitisiert. Der Transmitter kann auch enzymatisch abgebaut oder von der präsynaptischen Endigung oder Gliazellen wieder aufgenommen werden. Der synaptische Prozess muss schnell wieder beendet werden, sonst könnten neu eintreffende Signale nicht beantwortet werden, man spricht von einem Depolarisationsblock. Er tritt z. B. unter Succinylcholin an der motorischen Endplatte auf. Diese Substanz wird von
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5.8 Transmittersynthese Esterasen (s. später) nur langsam gespalten und führt daher zu einer Muskelerschlaffung, deren Mechanismus grundsätzlich anders ist als bei den kompetitiven Blockern vom Curaretyp (S. 74). Der Organismus besitzt drei Mechanismen, den synaptischen Strom zu beenden. Als erstes ist die Desensitisierung zu nennen. Dabei kommt es trotz fortdauernder Bindung des Transmitters an den Rezeptor erneut zu einer Konfigurationsänderung im Kanalprotein, es wird wieder für Ionen undurchlässig. Damit ist der synaptische Strom abgeschaltet, der Übertragungsvorgang beendet. Die Desensitisierung ist ein häufig benutzter, schneller Mechanismus. An manchen Synapsen kann es dann jedoch Minuten dauern, bis sich der Kanal rekonfiguriert und so wieder erregbar wird. Um eine zu lang dauernde Desensitisierung zu verhindern, gibt es zwei weitere Möglichkeiten, die Transmitterwirkung zu beenden. Der Transmitter kann entweder schnell chemisch abgebaut und in unwirksame Komponenten zerlegt oder aber durch Wiederaufnahme in die präsynaptische Endigung mit hoher Affinität aus dem synaptischen Spalt entfernt werden (Abb. 5.8). Im Zentralnervensystem können auch Gliazellen den Transmitter aufnehmen (Kap. 19). Dazu ist an glutamatergen (s. später) Synapsen der synaptische Bereich dicht von Astrozytenfortsätzen eingehüllt. Welcher der Inaktivierungsmechanismen an einer Synapse die größere Rolle spielt, hängt vom jeweiligen Synapsentyp ab. ACh wird beispielsweise durch ACh-Esterasen außerordentlich schnell hydrolytisch gespalten. Es entsteht ein Acetylrest und Cholin; Letzteres wird durch einen hochspezifischen Carriermechanismus, ein Na+-Cholin-Kotransport, wieder in die präsynaptische Endigung aufgenommen und erneut zur Bildung von ACh verwendet. Hier bietet sich bei cholinergen Synapsen wieder die Möglichkeit der pharmakologischen Beeinflussbarkeit. Die ACh-Esterase kann durch Substanzen wie Eserin (Physostigmin) gehemmt werden. Die Wirksamkeitsdauer des ausgeschütteten ACh wird daher verlängert. Therapeutisch wird dies genutzt, wenn man zur Beendigung einer Muskelrelaxation nach einer Narkose mit Hilfe einer hohen ACh-Konzentration kompetitive Blocker vom Curaretyp entsprechend dem Massenwirkungsgesetz von den ACh-Rezeptoren verdrängen will. So kann die Muskelrelaxation schnell wieder aufgehoben werden. Auch bei der Muskelerkrankung Myasthenia gravis werden Blocker der ACh-Esterase erfolgreich eingesetzt. Diese Krankheit ist eine Autoimmunerkrankung, bei der der Organismus Antikörper gegen den nicotinischen ACh-Rezeptor bildet (S. 112). Wegen der Bindung der Antikörper an den Rezeptor nimmt am Muskel die Zahl der verfügbaren ACh-Rezeptoren ab. Die ungenügende synaptische Depolarisation reduziert die Zahl der postsynaptischen Aktionspotenziale und führt damit zu einer Muskelschwäche. Diese kann durch Eserin behoben werden. Viele Insektizide, wie etwa Paraxon, der aktive Metabolit des Parathions (E 605) oder Sarin, sind ACh-Esterase-Hemmer. Die geschilderten Wiederaufnahmemechanismen an den präsynaptischen Endigungen nehmen entwe-
der die Transmitterbruchstücke (z. B. Cholin) oder das gesamte Transmittermolekül auf (z. B. Serotonin). Dazu liegen in der präsynaptischen Membran spezifische Transporterproteine. Dieser Mechanismus der Wiederaufnahme von Transmitterbruchstücken bzw. des gesamten Transmittermoleküls kann an vielen Synapsen wiederum wirksam beeinflusst werden. Manche Psychopharmaka greifen gerade an diesem synaptischen Mechanismus an. So blockiert z. B. die antidepressive Substanz Imipramin die Wiederaufnahme von Catecholaminen an adrenergen Synapsen (S. 96). Dadurch wird die Wirksamkeit des Transmitters gesteigert. Derartige Substanzen, allgemein Reuptake-Hemmer genannt, werden in der Psychopharmakologie häufig eingesetzt.
5.8
Transmittersynthese
Die präsynaptische Endigung besitzt den enzymatischen Apparat zur Synthese des Transmitters. So können die Vesikel schnell wieder aufgefüllt werden. Die notwendigen Enzyme müssen aber im Zellkörper synthetisiert werden und gelangen durch axonalen Transport in die Endigung. Häufig produziert eine Endigung mehrere Transmitter (Cotransmitter). Der gelegentlich hohe Bedarf an Transmittermolekülen erzwingt in der Regel eine Synthese am Ort des Bedarfs, in der präsynaptischen Endigung. Allerdings werden die zur Synthese notwendigen Enzyme im Zellkörper synthetisiert und durch axonalen Transport in die synaptische Endigung gebracht. Da die Transmittersynthese somit von der Art des Transmitters abhängt, soll hier zunächst beispielhaft wieder eine cholinerge Synapse dargestellt werden. Andere Transmittersubstanzen haben selbstverständlich ihre eigenen Synthesewege. Das ACh entsteht mit Hilfe der Cholinacetyltransferase durch Acetylierung des Cholins, wobei der Essigsäurerest aus dem Acetylcoenzym A stammt. Cholin ist im Körper weit verbreitet und wird von der Nervenendigung durch zwei verschiedene Transportmechanismen aufgenommen, von denen einer eine sehr hohe Affinität besitzt (sog. High Affinity Uptake). Dieser Weg wird durch Hemicholinium blockiert. Ist die Nervenendigung depolarisiert, d. h. aktiviert, so wird die Cholinaufnahme beschleunigt. Das im Zytoplasma synthetisierte ACh wird durch Transporter aktiv in die synaptischen Vesikel transportiert und gespeichert. Es kommt dort in sehr hoher Konzentration von 100 mmol/l und mehr vor, was einigen tausend Molekülen pro Vesikel entspricht. Allgemein kann man sagen, dass niedermolekulare Transmittersubstanzen in kleinen (40 – 50 nm), elektronenoptisch transparenten Vesikeln gespeichert werden, wogegen die großen (> 70 nm) elektronenoptisch dichten Vesikel Proteine und Peptide enthalten. Diese Substanzen werden nicht in der präsynaptischen Endigung, sondern im Zellkörper gebildet und gelangen über axonalen Transport in die präsynaptische Endigung. Es soll schon hier gesagt sein, dass die Synapsen zwar nach ihrem Haupttransmitter benannt werden (z. B. cholinerg), dass aber fast alle synaptischen Terminale nicht nur eine einzige Transmittersubstanz freisetzen, sondern
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92
5 Erregungsübertragung in Zellverbänden wesentlich unterscheiden (s. Tab. 5.3 und Abb. 5.12, S. 97). Schließlich sind manche Pharmaka an Synapsen des Zentralnervensystems nur deswegen unwirksam, weil sie die Blut-Hirn-Schranke nicht durchdringen und so nicht an den möglichen Wirkort gelangen können. Der Depolarisationsblock bei Succinylcholin (Suxamethonium) und ähnlichen Substanzen kommt durch die geringfügige Depolarisation an der motorischen Endplatte zustande. Sie wird durch diese Stoffe wegen des länger andauernden Na+-Einstroms verursacht. Nach einer anfänglichen Aktivierung der Muskelzelle, die zu fibrillären Zuckungen führt, können die spannungsabhängigen Na+-Kanäle (s. S.70) nicht wieder reaktiviert werden. Dadurch wird die Entstehung weiterer Muskelaktionspotenziale verhindert. Schließlich kommt es auch zu einer Densitisierung der AChRezeptoren.
eine ganze Reihe von biologisch aktiven Stoffen gleichzeitig. Beispiele sind ATP, GTP, Oxytocin, Substanz P, Enkephaline und andere. Man nennt sie Cotransmitter. Auch mehrere der klassischen Transmitter (S. 92 ff.), z. B. Glycin und GABA oder Glycin und Glutamat, kommen gleichzeitig vor. Die Cotransmitter können den synaptischen Prozess modulieren. Sofern sie in den großen elektronendichten Vesikeln gespeichert sind, können sie auch eine eigene Freisetzungskinetik besitzen, z. B. erst auf hochfrequente präsynaptische Aktionspotenziale hin ausgeschüttet werden.
5.9
Pharmakologie cholinerger Synapsen
Kompetitive Blocker an nicotinischen Synapsen sind Pharmaka vom Curaretyp. Diese sind an muscarinischen Synapsen unwirksam. Dort ist Atropin der klassische kompetitive Blocker. An vielen Stellen wurde bereits die Möglichkeit zur pharmakologischen Beeinflussung cholinerger Synapsen angedeutet. Diese für den Arzt wichtigen Daten sollen in der Tab. 5.1 noch einmal zusammengefasst werden. Die Tabelle gibt auch Auskunft über das Vorkommen einzelner Synapsentypen. Man beachte, dass wesentliche Unterschiede zwischen nicotinischen und muscarinischen Rezeptoren bestehen, und dass auch innerhalb eines Rezeptortyps Untertypen vorkommen, die sich manchmal in ihren Eigenschaften
5.10
Weitere Transmittersubstanzen
Neben ACh sind Aminosäuren (Glutamat, Glycin und γ-Aminobuttersäure), Monoamine (Serotonin, Histamin, Dopamin, Noradrenalin und Adrenalin) und schließlich eine Reihe von Oligopeptiden als Transmitter bekannt (Abb. 5.10).
Tabelle 5.1 Auswahl von Stoffen, die die verschiedenen Funktionsschritte an cholinergen nicotinischen und muscarinischen Synapsen beeinflussen Nicotinische Synapsen
Muscarinische Synapsen
Rezeptortypen
N1, N2; viele Subtypen
m1 – m5
Vorkommen
N1 motorische Endplatte; N2 präganglionär in autonomen Ganglien, ZNS
postganglionär parasympathisch, ZNS, Autorezeptoren
Transmittersynthese
kein spezifischer Hemmer der Cholinacetyltransferase bekannt Hemicholinium hemmt Cholinwiederaufnahme ! Speicherentleerung
Transmitterfreisetzung verstärkt abgeschwächt
β-Bungarotoxin (Schlangengift) Botulinumtoxin, Mg2+
keine spezifischen Substanzen bekannt Mg2+
Nicotin (N1, N2)
Muscarin (Fliegenpilz) Methacholin Oxytremorin Pilocarpin
Bindung an postsynaptischen Rezeptor Agonisten = Cholinomimetika
N1: Succinylcholin Dekamethonium Antagonisten – kompetitive Blocker
motorische Endplatte: Depolarisationsblock
N1: α-Bungarotoxin (Schlangengift)
Atropin (Tollkirsche) Scopolamin
N1: d-Tubocurarin Gallamin
motorische Endplatte: Muskelrelaxanzien
Pirenzepin (M1)
N2: Hexamethonium
autonome Ganglien
– nichtkompetitive Blocker
keine spezifischen Substanzen bekannt
Chinidin (Herz)
Spaltung des ACh
gehemmt durch ACh-Esterase-Hemmer wie Eserin, E 605, Sarin; Tacrin (im ZNS)
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5.10 Weitere Transmittersubstanzen
Glutamat ist im Gehirn der wichtigste Transmitter für exzitatorische Synapsen Synapsen, die Glutamat verwenden, finden sich an etwa 50 % der Neurone des ZNS, besonders im Telenzephalon und im Hippocampus. Die von Glutamat beeinflussten ligandengesteuerten Rezeptorkanäle sind exzitatorisch. Die genannten Bahnen bilden die wichtigsten erregenden Eingänge von den Sinnessystemen zum Kortex. Insbesondere sind sie an Lernvorgängen beteiligt. Glutamat ist somit der wichtigste zentralnervöse Transmitter! Dementsprechend wird der Glutamatantagonist Ketamin (s. Tab. 5.2) als Narkosemittel verwendet. Die Freisetzung von Glutamat erfolgt, ebenso wie für ACh beschrieben, in Abhängigkeit von Ca2+, die Beendigung der synaptischen Prozesse aber nicht durch enzymatische Spaltung, sondern durch Wiederaufnahme („reuptake“) des Transmitters. Vorwiegend die präsynaptischen Endigungen nehmen das Glutamat auf, aber auch Astroglia (S. 616) ist daran beteiligt. Glutamat öffnet direkt einen unspezifischen Ionenkanal für Kationen. Der postsynaptische Rezeptor kommt in mindestens drei verschiedenen Haupttypen vor, von denen wiederum viele Subtypen existieren. Sie unterscheiden sich in ihrer Empfindlichkeit gegenüber synthetischen Agonisten (Tab. 5.2). Ein Typ wird durch N-Methyl-D-Aspartat (NMDA) erregt und daher NMDA-Rezeptor genannt. Viele der mit diesem Rezeptortyp ausgestatteten Synapsen besitzen gegenüber den gewöhnlichen Synapsen einen zusätzlichen Mechanismus. An ihnen wirkt nämlich das in der extrazellulären Flüssigkeit vorhandene Mg2+ als nichtkompetitiver Blocker und verlegt den zugehörigen Ionenkanal (Abb. 5.11). Somit ist zunächst eine Transmitterausschüttung unwirksam. Wird
CH3 +
CH3 N
O
CH3 H3
+
N
O
CH2 CH2
HO
C CH3
CH2 COO
COO
HO
+
H3
N
N
+
N
+
CH2 CH2 NH3
NH Histamin
+
CH2 CH2 NH3
HO
Dopamin
CH2 CH2 CH2 COO
CH CH2 NH3
HO
OH
HO Glycin
Neurotransmitter
Leu-Enkephalin Noradrenalin
HO
CH2 COO
Neuropeptide
+
HO
GABA
H3
C
5-HT
Glutamat +
Exzessive Reizung von manchen NMDA-Synapsen kann die postsynaptische Zelle aber auch irreversibel schädigen (sog. Exzitotoxizität), was möglicherweise durch den starken Ca2+-Einstrom zustande kommt. Offenbar tritt an Rezeptoren diesen Typs die Desensitisierung sehr langsam ein. Exzitotoxizität verstärkt manche neurologische Erkrankungen wie Hörschäden, Morbus Alzheimer oder Nachfolgeschäden bei Schlaganfall, die primär durch Hypoxie bedingt sind.
CH2 CH2 NH3
N H
Acetylcholin
CH CH2
C
das Membranpotenzial der postsynaptischen Zelle jedoch durch exzitatorische Synapsen anderen Typs (AMPA-Rezeptor, AMPA = α-Amino-3-hydroxy-5-methyl-4-isoxazol-propionsäure) ein klein wenig vordepolarisiert, dann nehmen die Bindungskräfte für Mg2+ ab, das Mg2+ diffundiert vom Ionenkanal weg, Na+-Ionen können in die Zelle eindringen und so eine starke Depolarisation auslösen. Durch denselben Ionenkanal können jetzt zusätzlich aber auch noch Ca2+-Ionen in das Zellinnere gelangen. Sie tragen dort über sekundäre Botenstoffe und Proteinveränderungen zur Ausbildung langanhaltender Potenzierungen der synaptischen Effektivität bei (Langzeitpotenzierung). Sie bilden so eine Grundlage für Lernvorgänge (S. 818). Auch eine Reduzierung synaptischer Aktivität (Langzeitdepression) ist über einen ähnlichen Mechanismus möglich. Da der Eingang über die NMDA-Synapse nur wirksam ist, wenn gleichzeitig andere Synapsen aktiv sind, die die Zelle depolarisieren, können an solchen postsynaptischen Neuronen logische Funktionen geschaltet werden. Das Stickoxid NO (S. 204) wirkt an NMDA-Synapsen als retrograder Messenger auf die Präsynapse zurück. Es entsteht vermehrt in der Postsynapse, wenn durch den Ca2+-Einstrom bei Depolarisation die NO-Synthase aktiviert wird.
CH OH
CH2
TyrGlyGlyPheLeu
+
NH2
Met-Enkephalin TyrGlyGlyPheMet
CH3 Adrenalin
Substanz P Arg Pro Lys Pro Gln Gln Phe Phe Gly Leu Met NH2
Abb. 5.10 Strukturformeln der wichtigsten Neurotransmitter und einiger Neuropeptide. Man beachte die chemische Verwandtschaft von Dopamin, Noradrenalin und Adrenalin!
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94
5 Erregungsübertragung in Zellverbänden
A
Aktionspotenzial
kein Reiz
NO
B AMPARezeptor
Aktionspotenzial
Aktionspotenzial
NMDARezeptor 2+
Mg
2+
Mg Ruhepotenzial
+
Na
offener Kanal 2+ durch Mg blockiert: kein Ionenstrom
postsynaptische Zelle
2+
Ca
+
Na
Kanalfreigabe
Vordepolarisation +
K
+
K
NMDA-Kanal offen: Ionenstrom
Abb. 5.11 Synaptische Mechanismen an NMDA-Rezeptoren von Zellen des Hippocampus. A Mg2+ verlegt nichtkompetitiv den Ionenkanal des NMDA-Rezeptors, so dass auch nach Bindung von Glutamat kein Ionenstrom fließen kann. B Hat zuvor eine exzitatorische AMPA-Synapse an dieser Zelle das Membranpotenzial leicht vordepolarisiert,
An manchen der geschilderten Synapsen wird statt Glutamat Aspartat verwendet. Häufig ist an NMDA-Rezeptoren Glycin ein obligater Cotransmitter. Das zur Narkose verwendete Ketamin ist ein nichtkompetitiver Blocker von NMDA-Rezeptoren.
Aus dem synaptischen Spalt wird Glutamat entweder durch Aufnahme in die Präsynapse oder in Gliazellen entfernt (s. Glia, S. 616). Neben den ionotropen Glutamatrezeptoren gibt es noch eine Reihe metabotroper Glutamatrezeptoren (mGLU-R, s. Tab. 5.3, S. 97).
Glycin wirkt als Transmitter an inhibitorischen Synapsen und als Neuromodulator Glycin scheint vorwiegend für spezifische inhibitorische Aufgaben eingesetzt zu werden. Die meisten RenshawZellen, über die die α-Motoneurone des Rückenmarks (S. 748 f.) gehemmt werden, schütten Glycin aus. Strychnin ist dort ein kompetitiver Antagonist, und seine Verabreichung führt wegen des Wegfalls der Hemmung der α-Motoneurone zu Krämpfen. Das Tetanustoxin (s. S. 84) verhindert die Vesikelexozytose und führt deswegen ebenfalls zu Krämpfen, dem Wundstarrkrampf (Tetanus). Die Glycinrezeptoren öffnen einen Cl–-Kanal und führen so zu einem IPSP. Die Wirkung wird durch Wiederaufnahme beendet. 30 % der Renshaw-Zellen schütten aber GABA als inhibitorischen Transmitter aus.
dann kann das Mg2+-Ion nicht mehr am NMDA-Kanal binden. Der Mg2+-Block wird aufgehoben und Na+ und Ca2+ können in die Zelle einströmen. Das Ca2+ kann als intrazellulärer zweiter Botenstoff verwendet werden und weitere Prozesse, z. B. Lernvorgänge, einleiten. NO moduliert die Präsynapse retrograd.
Im Zentralnervensystem spielt Glycin auch die Rolle eines Cotransmitters bzw. Neuromodulators, wo es z. B. im Hippocampus die im vorigen Abschnitt beschriebenen NMDA-Rezeptoren beeinflusst.
GABA ist der Transmitter vieler inhibitorischer Interneurone Viele inhibitorische Interneurone, die an praktisch allen Stellen des Zentralnervensystems vorkommen, und die Axone der Purkinje-Zellen des Zerebellums schütten γ-Aminobuttersäure (GABA) als Transmitter aus. GABA wirkt hemmend auf postsynaptische Strukturen, bewirkt also eine Inhibition. Es gibt wieder mindestens zwei verschiedene postsynaptische Mechanismen, die durch verschiedene Rezeptoren (GABAA, GABAC einerseits; GABAB andererseits) ausgelöst werden. GABAA- und GABAC-Rezeptoren öffnen direkt einen Cl–-Kanal, es kommt zum Cl–-Einstrom und damit zu einer Hyperpolarisation, also zu einem IPSP. Die Barbituratnarkotika, die Steroidanästhetika und die Tranquilizer (Beruhigungsmittel) aus der Klasse der Benzodiazepine (z. B. Diazepam) verstärken die inhibitorische Wirkung von GABAA-Rezeptoren. Dies liegt daran, dass die genannten Substanzklassen zusätzlich zu GABA am Protein des Ionenkanals binden können und so die GABA-Wirkung verstärken. Das Kanalprotein ist auch hier wieder aus mehreren Untereinheiten aufgebaut. Eine dieser Untereinheiten bindet GABA, eine andere kann zusätzlich Benzodiazepine, eine andere Barbiturate, wieder eine andere die Steroide binden. Es ist derzeit nicht klar, welche natürli-
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5.10 Weitere Transmittersubstanzen chen Stoffe (etwa Neuromodulatoren) am sog. Benzodiazepinrezeptor bzw. Barbituratrezeptor angreifen. Die genannten Untereinheiten können unterschiedliche chemische Eigenschaften besitzen, was zu unterschiedlichen pharmakologischen Eigenschaften führt. Bicucullin ist ein kompetitiver Blocker für den GABAA-, nicht aber für den GABAC-Rezeptor. Das Krampfgift Picrotoxin ist ein nichtkompetitiver Blocker, der den Cl–-Kanal schließt. Die GABAB-Rezeptoren öffnen K+-Kanäle über G-Proteine. Ein Agonist ist Baclofen. Präsynaptische GABAB-Rezeptoren schließen Ca2+-Kanäle und hemmen die Transmitterfreisetzung.
Die GABA-Wirkung wird dadurch beendet, dass GABA durch die präsynaptische Endigung und durch Gliazellen aufgenommen wird.
Monoaminerge Synapsen sind häufig bei psychischen Erkrankungen gestört Serotonin (5-Hydroxytryptamin = 5-HT) ist im Körper weit verbreitet. Im Gehirn ist es besonders in den Raphekernen zu finden. Von dort gibt es viele Projektionen ins limbische System, zum Thalamus und Hypothalamus, ins Vorderhirn, ins Kleinhirn und ins Rückenmark. Über diese Bahnen werden offenbar viele neuronale und letztlich psychische Funktionen kontrolliert. So versteht man, dass eine Substanz wie Lysergsäurediethylamid (LSD), das teilweise als Agonist, teilweise als Antagonist von 5-HT wirkt, schwerste psychische Veränderungen wie z. B. Halluzinationen auslöst. Im Rückenmark ist Serotonin an der endogenen Schmerzhemmung beteiligt (s. Kap. 20.9, S. 655). Die Transmitterfreisetzung erfolgt auf die übliche Weise. Postsynaptisch sind mehrere verschiedene Rezeptoren gefunden worden, die meist über sekundäre Botenstoffe Ionenkanäle für K+ und Ca2+ öffnen. Die Transmitterwirkung wird durch Wiederaufnahme beendet. Dieser Mechanismus wird durch manche Psychopharmaka gehemmt (Reuptake-Hemmer). Ein weiteres Monoamin, das als Transmitter verwendet wird, ist Histamin. Es spielt im Gehirn des Säugers eine wichtige Rolle als Modulator. Histaminerge Neurone gehen vom hinteren Hypothalamus aus und ziehen an viele Stellen des Gehirns, wo sie den Wachheitszustand, motorische Aktivität, Nahrungsaufnahme, Sexualverhalten und den Hirnstoffwechsel beeinflussen. Wegen der Beteiligung dieser Neurone an der Schlaf-wach-Regulation (s. S. 842 ff.) erzeugen viele Antihistaminika Müdigkeit. Vor allem wird Histamin an vielen Effektoren eingesetzt, z. B. bei der Sekretion von Magensaft, und ist daher dort abgehandelt (S. 428 ff.) Bei Entzündungsvorgängen spielt es ebenfalls eine große Rolle. Die Catecholamine sind strukturell nah miteinander verwandt (Abb. 5.10). Das Dopamin kommt insbesondere in den Basalganglien vor, wo Neurone aus der Substantia nigra eine dopaminerge Bahn zum Striatum bilden. Bei der sog. Parkinson-Krankheit (Schüttellähmung) gehen viele dieser Neurone zugrunde. Die vom Striatum auf die Motorik ausgeübte Kontrollfunktion ist dann gestört (S. 767). Therapeutisch wird dann eine Vorstufe von Dopamin, das L-Dopa, verabreicht. Es kann im Gegensatz zu Dopamin die Blut-Hirn-Schranke durchdringen und
führt nach Verstoffwechselung zu einem Anstieg der zerebralen Dopaminspiegel, was die Symptome bessert. Es gibt mehrere verschiedene Dopaminrezeptoren. Alle wirken über sekundäre Botenstoffe, die postsynaptische Wirkung kann inhibitorisch oder exzitatorisch sein. Dopamin wird aus dem synaptischen Spalt sehr schnell wieder in die präsynaptische Endigung aufgenommen. Dort kann es durch Monoaminoxidasen abgebaut werden. Außerhalb des Neurons wird es durch Catechol-OMethyltransferase metabolisiert. Therapeutisch wird Dopamin als β1-Agonist bei kardiogenem Schock eingesetzt. Bei der Ausbildung einer Sucht spielen die dopaminergen Bahnen, die von der Area ventralis tegmentalis ausgehen und zum Nucleus accumbeus projizieren, eine wichtige Rolle.
Noradrenalin wird im ZNS vor allem von den Neuronen des Locus coeruleus als Transmitter verwendet. Dieser Kern besteht aus nur etwa 1000 Zellen, deren Axone sich jedoch so vielfach verzweigen, dass die zugehörigen adrenergen Endigungen an vielen Stellen des ZNS zu finden sind. Sie haben modulierenden Einfluss z. B. auf Reifungsprozesse und Lernvorgänge, Verarbeitung von Sinnesreizen, Schlafregulation (s. S. 843 f.) und endogene Schmerzhemmung. Im peripheren Nervensystem sind Noradrenalin (und, in geringerem Maße, Adrenalin) ferner Überträgerstoffe der sympathischen postganglionären Endigungen, wichtig z. B. am Herzen und an der Gefäßmuskulatur (S. 789). An einigen zentralen Synapsen kommt auch Adrenalin als Transmitter vor. Für Catecholamine gibt es vier Haupttypen von Rezeptoren, α1, α2 sowie β1 und β2. Sie unterscheiden sich in ihrem Ansprechen auf verschiedene Agonisten bzw. Antagonisten, aber auch in ihren postsynaptischen Effekten. Die α1-Rezeptoren steuern über den sekundären Botenstoff IP3 (Kap. 2) die Ca2+-Kanäle und erhöhen bei Aktivierung das intrazelluläre Ca2+. α2-Rezeptoren führen zu einer Konzentrationsverminderung des sekundären Botenstoffs cAMP, was seinerseits unterschiedliche Wirkungen auslösen kann. β-Rezeptoren, z. B. an den Purkinje-Zellen des Kleinhirns, erhöhen über den sekundären Botenstoff cAMP die K+-Leitfähigkeit und bilden so ein IPSP. In Bezug auf die Wirkungen an Herz und Gefäßen s. Abb. 27.2, S. 788. Wiederaufnahme und Abbau ähneln denen des Dopamins. Tab. 5.2 stellt die wichtigsten Möglichkeiten zur Beeinflussung verschiedener Synapsen zusammen. Die Tabelle 5.3 gibt einen Überblick über die Wirkungsmechanismen verschiedener Rezeptoren. Es soll noch einmal betont werden, dass sehr viele psychotrope Drogen mit serotonergen, dopaminergen oder adrenergen Synapsen interagieren, z. B. das Kakteengift Mescalin oder die Designerdroge Ecstasy. Viele postsynaptische Rezeptoren kommen überdies in verschiedenen Subtypen vor, die eine spezifische Verteilung im Gehirn aufweisen (Abb. 5.12). Deren biologische Bedeutung liegt darin, dass diese Subtypen verschieden schnell auf den Transmitter reagieren. So kann der Organismus damit schnellere und langsamere Synapsen realisieren. Biochemische Grundlage sind Varianten im Rezeptorprotein. Man
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5 Erregungsübertragung in Zellverbänden
Einflüsse auf
Tabelle 5.2
Auswahl von Stoffen, die an verschiedenen Synapsentypen den Funktionsablauf verändern Glutamat
Glycin
GABA
5-HT = Serotonin
Dopamin
Noradrenalin Adrenalin
Opioidpeptide
Rezeptoren
NMDA AMPA Kainat mGluR1 – 5
GlyR
GABAA GABAB GABAC
5-HT1 – 7
D1 – D5
α1, α2, β1, β2
µ, δ, κ
Transmittersynthese
–
–
Allylglycin hemmt GAD
–
α-Methylα-Methylmetatyrosin DOPA ! falscher Transmitter
Transmitterspeicherung
–
–
–
– Mg2+
– Mg2+
– Mg2+
Transmitterfreisetzung verstärkt abgeschwächt Agonisten
Einflüsse an postsynaptischen Rezeptoren
96
Reserpin Speicherentleerung durch Hemmung der Vesikelbeladung
– Mg2+, LSD
Mg2+
Amphetamin Mg2+
GABAA Muscimol LSD indirekt: Benzodiα-methyl-5-HT azepine,Barbiturate GABAB Baclofen GABAC CACA
Bromocriptin
α1: Phenylephrin, Dopamin α2: Clonidin β1: Dobutamin Isoproβ2: Salbutamol terenol
APV CNQX
Strychnin
Bicucullin (GABAA) Gabazin Phaclofen (GABAB)
Cyproheptadin Methysergid LSD
Haloperidol
nicht kompetitiv
Mg2+ Kynureninsäure Ketamin (NMDA)
Picrotoxin
Picrotoxin (GABAA GABAC)
–
–
α1: Prazosin α2: Yohimbin β1: Atenolol β2: Butoxamin –
Inaktivierung des Transmitters
–
–
Wiederaufnahme gehemmt durch 4-Methyl-GABA
Wiederaufnahme gehemmt durch Imipramin, Amitriptylin, Fluoxetin (Antidepressiva)
Aminooxyessigsäure hemmt GABA-Transaminase
–
–
NMDA Taurin AMPA Kainat AP4 (mGluR)
Antagonisten kompetitiv
–
µ: Morphin
Phenoxy- Naloxon benzamin Propranolol
Cocain, Imipramin hemmen Wiederaufnahme
Enkephalinasehemmer verstärken Wirkung
Catechol-O-Methyltransferase-Hemmer verzögern Abbau Monoaminoxidasehemmer hemmen Abbau
–: Spezifische Substanzen fehlen
hofft, an diesem Subtypen auch durch neu zu entwickelnde Neuropharmaka (hochspezifische Agonisten oder Antagonisten) gezielt therapeutisch eingreifen zu können.
Auch ATP, NO und CO können transmitterähnliche Funktionen übernehmen Alle synaptischen Vesikel enthalten ATP, das mit dem Haupttransmitter ausgeschüttet wird. Es wirkt entweder direkt als Cotransmitter oder die Abbauprodukte ADP bzw. AMP übernehmen diese Rolle. Entsprechende Rezeptoren, die Purinozeptoren, sind entweder ligandengesteuert oder metabotrop. Sie modulieren die Antworten auf die klassischen Transmittersubstanzen. Auch das leicht diffusible Radikal NO (Stickstoffmonoxid) bzw. CO (Kohlenstoffmonoxid) können trans-
mitterähnliche Funktionen übernehmen. Dabei können z. B. präsynaptische Prozesse in einer Art Rückkopplung beeinflusst werden (s. Abb. 5.11). Auch H2O2 scheint eine derartige Rolle spielen zu können. Es mag sein, dass diese Art der Informationsübertragung im ZNS eine sehr große Rolle spielt. Die Wirkungsabläufe lassen sich dabei aber nicht in das klassische Synapsenschema einordnen (s. a. Kap. 2).
Oligopeptide, die als Transmitter oder Neuromodulatoren wirken, nennt man Neuropeptide Mit den bisher beschriebenen Stoffen ist die Liste der Transmitter noch immer nicht vollständig. Bestimmte Oligopeptide bzw. kurzkettige Polypeptide, bestehend aus 2 – 30 Aminosäuren, werden auch als Transmitter
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5.10 Weitere Transmittersubstanzen
Abb. 5.12 Verteilung von Subtypen eines NMDA-Rezeptors im Rattenhirn. Mit einer molekularbiologischen Methode (In-situ-Hybridisation) sind hell Subtypen von NMDARezeptoren im Gehirn markiert. Man sieht, dass manche
Tabelle 5.3 Beispiele von Transmitterwirkungen an verschiedenen Rezeptortypen [nach 33, modifiziert]. Die beeinflussten sekundären Botenstoffe können ihrerseits wieder verschiedene Effekte auslösen Transmitter
Rezeptortyp
Wirkung über
Acetylcholin
N1 (Muskeltyp) N2 (neuronale Typen)
ligandengesteuerte Kationenkanäle
m1, m3, m5 m2
IP3/DAG Gα-GTP, GK+ ↑
NMDA, AMPA
ligandengesteuerte Kationenkanäle
mGluR1 – 8
IP3/DAG
Glycin
GlyR
Anionenkanal
GABA
GABAA, GABAC
Cl–-Kanal
GABAB
cAMP ↑, GK+ ↑, Ca2+ ↑
Glutamat
Serotonin
5-HT1
cAMP ↓
5-HT2
IP3/DAG
5-HT3
ligandengesteuerter Kationenkanal
5-HT4 – 7
cAMP ↑
D1, D8
cAMP ↑
D2, D3, D4
cAMP ↓
Noradrenalin
α1
IP3/DAG
Adrenalin
α2
cAMP ↓, Ca2+ ↓, GK+ ↑
β1, β2
cAMP ↑
Dopamin
Opioide
µ, δ
cAMP ↓, GK+↑
κ
Ca2 ↓
Subtypen dieses Rezeptors praktisch nur in bestimmten Hirnteilen, z. B. im Hippocampus (Mitte) oder im Kleinhirn (rechts), vorkommen (Aufnahme: Frau Prof. H. Monyer, Heidelberg).
oder Cotransmitter eingesetzt bzw. zur Modulation synaptischer Vorgänge verwendet. So sind Enkephalin, Endorphin und Dynorphin Transmitter an denjenigen Synapsen, an denen auch Opiate angreifen. Opiate (z. B. Morphin) sind starke Schmerzmittel. Die oben genannten Opioidpeptide hemmen ebenso wie Opiate die Weiterleitung von Schmerzen im Rückenmark (s. S. 655). Sie spielen außerdem in limbischen, autonomen und motorischen Systemen eine Rolle. Andere Neuropeptide sind die Substanz P, das Angiotensin II, das Somatostatin, das Thyrotropin-Releasing-Hormon (TRH), das Vasoaktive Intestinale Polypeptid (VIP), das Neuropeptid Y und viele andere. Die meisten der genannten Substanzen wurden zunächst an anderer Stelle des Körpers als Hormone entdeckt, bevor ihre Rolle bei der synaptischen Übertragung erkannt wurde, daher die Namen. Die Wirkung eines Hormons und eines Transmitters sind auch sehr ähnlich (S. 37 ff.). Wie schon gesagt, werden die Neuropeptide häufig zusammen mit anderen Transmittern aus den großen, elektronenoptisch dichten Vesikeln (Dense-Core-Vesikel) ausgeschüttet und modulieren, d. h. verändern dann präoder postsynaptisch deren Wirkung (Cotransmitter). Dies kann präsynaptisch durch eine Beeinflussung der Transmittersynthese bzw. -freisetzung geschehen. Auf der postsynaptischen Seite besteht die Möglichkeit einer direkten Wirkung auf Kanalproteine durch Phosphorylierung oder indirekt über Beeinflussung sekundärer Botenstoffe. Mit diesen Mechanismen kann die Transmitterwirkung über Minuten verstärkt oder abgeschwächt werden. Die Forschung ist hier noch sehr im Fluss, und man kann erwarten, dass sich auch hier ein weites Feld für die Neuropharmakologie auftun wird. Auch Steroide haben auf viele Rezeptortypen eine modulierende Wirkung.
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97
98
5 Erregungsübertragung in Zellverbänden
Neuron 2: Interneuron Neuron 1: primäre Afferenz Aktionspotenzial
mV
+
Na
Cl
Neuron 3: andere Afferenz
Inaktivierung +
K
2+
Ca
sekundäre Botenstoffe
2+
Ca -Einstrom
Modulation
mV
EPSP Neuron 3
postsynaptisches Neuron
Abb. 5.13 Schema verschiedener Möglichkeiten präsynaptischer Hemmung und Bahnung. Die Wirksamkeit der primären Afferenz (Neuron 1) auf das postsynaptische Neuron kann durch die Aktivität des Interneurons (Neuron 2) selektiv vermindert (oder erhöht) werden (s. Text). Das Membranpotenzial des postsynaptischen Neurons und die
5.11
Präsynaptische Bahnung und Hemmung
An der präsynaptischen Endigung können auch Synapsen angelagert sein. Diese axoaxonischen Synapsen können die Transmitterausschüttung hemmen oder verstärken. Eine weitere Möglichkeit, Synapsenfunktionen zu verändern, besitzt der Körper in der präsynaptischen Hemmung bzw. präsynaptischen Bahnung. Dabei wird eine synaptische Endigung (Neuron 1 in Abb. 5.13) ihrerseits von einer axoaxonischen Synapse beeinflusst. Dies kommt z. B. an Eingängen zu den α-Motoneuronen des Rückenmarks, aber auch an vielen anderen Synapsen des ZNS vor. Durch unterschiedliche Mechanismen kann über diese zusätzlichen Synapsen der Transmitterausstoß vermindert oder vergrößert werden. Am α-Motoneuron z. B. wird bei Aktivierung der zusätzlichen Synapse (Neuron 2 in Abb. 5.13) an der präsynaptischen Endigung über GABAB-Rezeptoren ein G-Protein aktiviert, das über cAMP die Leitfähigkeit für Ca2+ herabsetzt. Es strömt weniger Ca2+ in die synaptische Endigung (Neuron 1), was seinerseits die Transmitterausschüttung reduziert. In anderen Fällen kann durch eine Vordepolarisation der präsynaptischen Endigung die Amplitude des einlaufenden Aktionspotenzials verringert werden, was ebenfalls den Ca2+Einstrom reduziert. Ganz allgemein wird bei einer präsynaptischen Hemmung die Leitfähigkeit für Ca2+ reduziert, bei der Bahnung erhöht. Schließlich kann über eine
nA mV
EPSP Neuron 1
Wirksamkeit anderer synaptischer Eingänge (Neuron 3) sind unbeeinflusst. Für Neuron 1 ist die Amplitude des Aktionspotenzials, des Ca2+-Einstroms und das entstehende EPSP in Schwarz für den Normalfall dargestellt, in Rot bei gleichzeitiger Aktivierung von Neuron 2, d. h. bei präsynaptischer Hemmung.
Blockade von K+-Kanälen die Repolarisation nach einem Aktionspotenzial verzögert werden. Auch dadurch kann mehr Ca2+ in die synaptische Endigung strömen. Das Membranpotenzial der postsynaptischen Zelle wird durch die präsynaptische Hemmung in keiner Weise beeinflusst. Dies bietet den Vorteil, dass die Zelle für andere Eingänge voll sensibel ist, die Hemmung betrifft ganz ausschließlich die Nervenendigungen, an denen die präsynaptischen Endigungen ansetzen. In Kap. 19 wird näher ausgeführt werden, wie die geschilderten synaptischen Prozesse bei der Funktion neuronaler Netzwerke eingesetzt werden.
Zum Weiterlesen … 1 Herdegen T, Tölle T, Bähr M. Klinische Neurobiologie. Heidelberg: Spektrum; 1997 2 Kandel ER, Schwartz JH, Jessel TM, eds. Principles of Neural Science. 4th ed. New York: McGraw-Hill; 2000 3 Li L, Chin LS. The molecular machinery of synaptic vesicle exocytosis. Cell Mol Life Sci. 2003; 60: 942 – 960 4 Murthy VN, de Camilli P. Cell biology of the presynaptic terminal. Annu Rev Neurosci. 2003; 26: 701 – 728 5 Mutschler E, Geisslinger G, Kroemer HK, Schäfer-Korting M. Mutschler Arzneimittelwirkungen. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft; 2001 6 Shepherd GM. Neurobiology. 3rd ed. London: Oxford University Press; 1994 7 Südhof TC. The synaptic vesicle cycle: a cascade of proteinprotein interactions. Nature. 1995; 375: 645 – 653
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5.11 Präsynaptische Bahnung und Hemmung 8 Südhof TC. The synaptic vesicle cycle revisited. Neuron. 2000; 28: 317 – 320 9 Zimmermann H. Synaptic Transmission. Cellular and Molecular Basis. Stuttgart: Thieme; 1993
… und noch weiter 10 Auld DS, Robitaille R. Glial cells and neurotransmission: an inclusive view of synaptic function. Neuron. 2003; 40: 389 – 400 11 Barbour B, Häusser M. Intersynaptic diffusion of neurotransmitter. TINS. 1997; 20: 377 – 384 12 Bennett MR. The concept of long term potentiation of transmission at synapses. Prog Neurobiol. 2000; 60: 109 – 137 13 Bennett MR. The concept of transmitter receptors: 100 years on. Neuropharmacology. 2000; 39: 523 – 546 14 Bennett MV, Contreras JE, Bukauskas FF, Saez JC. New roles for astrocytes: gap junction hemichannels have something to communicate. Trends Neurosci. 2003; 26: 610 – 617 15 Brenman JE, Bredt DS. Synaptic signaling by nitric oxide. Curr Opin Neurobiol. 1997; 7: 374 – 378 16 Choi DW. Glutamate receptors and the induction of excitotoxic neuronal death. Prog Brain Res. 1994; 100: 47 – 51 17 Darlison MG, Richter D. Multiple genes for neuropeptides and their receptors: co-evolution and physiology. TINS. 1999; 22: 81 – 88 18 Dexcarries L, Mechawar N, Aznavour N, Watkins KC. Structural determinants of the roles of acetylcholine in cerebral cortex. Prog Brain Res. 2004; 145: 45 – 58 19 Ferreira A, Rapoport M. The synapsins: beyond the regulation of neurotransmitter release. Cell Mol Life Sci. 2002; 59: 589 – 595 20 Fossier P, Tauc L, Baux G. Calcium transients and neurotransmitter release at an identified synapse. TINS. 1999; 22: 161 – 166 21 Geppert M, Südhoff T. Rab3 and Synaptotagmin. Annu Rev Neurosci. 1998; 21: 75 – 95 22 Hatt H, Franke C, Dudel J. Synaptic-like activation of excitatory membrane channels (acetylcholine, glutamate). In: Elsner N, Penzlin H. Synapse, Transmission, Modulation. Stuttgart: Thieme; 1991: 119 – 129
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99
101
Muskulatur B. Brenner
6.1
Ein mutiertes Muskelprotein und seine fatalen Folgen ··· 102
6.2
Skelettmuskel · ·· 102 Morphologische Organisation des Skelettmuskels ··· 102 Molekulare Grundlagen der Kontraktion des Skelettmuskels ··· 104 Muskelkontraktion beruht auf der zyklischen Wechselwirkung von Myosinköpfen mit Aktinfilamenten unter Hydrolyse von ATP (Querbrückenzyklus) ··· 105 Elektromechanische Koppelung ··· 108 Die Freigabe des Querbrückenzyklus wird durch Ca2+-abhängige Umlagerungen der Regulatorproteine Troponin und Tropomyosin kontrolliert · ·· 109 Zur Erschlaffung (Relaxation) muss die Ca2+-Konzentration im Sarkoplasma wieder unter 10–7 mol/l gesenkt werden · · · 111 Neuromuskuläre Erregungsübertragung · ·· 111 Zeitlicher Verlauf und Formen der Muskelkontraktion (Muskelmechanik) ··· 113 Muskelmechanik · ·· 116 Muskelenergetik ··· 120
6.3
Glatte Muskulatur
6.4
Herzmuskel ··· 130 Morphologische Organisation des Herzmuskels ··· 130 Elektromechanische Koppelung im Myokard · · · 131 Erregung des Herzmuskels ··· 133
· ·· 122 Molekulare Grundlagen der Kontraktion glatter Muskulatur · · · 123 Besonderheiten des Querbrückenzyklus bewirken eine hohe Halteökonomie des glatten Muskels · · · 124 Molekulare Mechanismen der Regulation glattmuskulärer Kontraktion · · · 124 Der Phosphorylierungsgrad der regulatorischen leichten Myosinkette kann durch Transmitter oder Pharmaka auch bei konstanter sarkoplasmatischer Ca2+-Konzentration verändert werden · · · 126 Im glatten Muskel kann ein Anstieg der intrazellulären Ca2+-Konzentration über Ca2+-Einstrom durch die Zellmembran und Ca2+-Freisetzung aus Vesikeln des sarkoplasmatisches Retikulums erfolgen ··· 126 Mechanische und funktionelle Eigenschaften der glatten Muskulatur · ·· 128
6 Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! R. Klinke, H-C. Pape, St. Silbernagl: Physiologie (ISBN 3-13-796005-3) © Georg Thieme Verlag Stuttgart 2005
102
6 Muskulatur
6.1
Ein mutiertes Muskelprotein und seine fatalen Folgen
„Als mein Junge etwa 3 Jahre alt war fiel mir auf, dass er im Vergleich zu anderen Kindern sehr unsicher ging und häufig hingefallen ist. Und schnell laufen konnte er auch nicht. Erst dachte ich, er sei einfach ein Spätentwickler. Doch dann bekam er Schwierigkeiten beim Aufstehen, wenn er mal wieder hingefallen war, und fing mit dieser merkwürdigen Angewohnheit an, sich beim Aufstehen mit den Händen an Knien und Oberschenkeln abzustützen. Auch Treppen rauf- oder runter zu gehen fiel ihm immer schwerer. Ach ja, und anfangs hat er immer mal wieder über Schmerzen in den Waden geklagt, wenn er ein Stück gehen musste.“ Diese Symptome sind charakteristisch für eine fortschreitende Muskelschwäche, die Duchenne-Dystrophie, die sich bei Kleinkindern beginnend zunächst im Bereich des Beckengürtels bemerkbar macht. Die Erkrankung führt im Verlauf von etwa 10 Jahren zu vollständiger Geh- und Stehunfähigkeit. Lebensbegrenzend sind schließlich die Beeinträchtigung der Atemmuskulatur, die eine künstliche Beatmung erfordert, und die Mitbeteiligung der Herzmuskulatur, die eine zunehmende Herzmuskelschwäche zur Folge hat. Die Erkrankung wird durch Mutationen in einem Strukturprotein der Muskulatur, dem Dystrophin, verursacht. Bei Fehlen dieses Strukturproteins wird bei Muskelkontraktionen die Oberflächenmembran der Muskulatur geschädigt. Die betroffenen Muskelfasern gehen zugrunde und können nur anfangs durch Regeneration neuer Muskelfasern ersetzt werden.
6.2
Skelettmuskel Morphologische Organisation des Skelettmuskels
Kleinste morphologische Einheit des Skelettmuskels ist das Sarkomer. Zwei Proteine des Sarkomers, Aktin und Myosin, bewirken unmittelbar die Kontraktion des Muskels. Durch Zusammenlagerung von Myosinmolekülen entstehen bipolar aufgebaute Myosinfilamente. Ketten von Aktinmonomeren bilden Aktinfilamente, an die sich die Regulatorproteine Tropomyosin und Troponin anlagern. Troponin ist ein Komplex aus drei Untereinheiten, Troponin C, Troponin I und Troponin T. Die Querstreifung des Skelettmuskels kommt durch die charakteristische Anordnung von Aktin- und Myosinfilamenten zustande, die lichtmikroskopisch zu dunkler erscheinenden A-Banden und helleren I-Banden führt. Diese werden jeweils durch eine H-Zone bzw. Z-Scheibe in der Mitte geteilt. Myosinfilamente sind über Titinmoleküle beidseitig an den Z-Scheiben elastisch aufgehängt und im Sarkomer zentriert. Aktinfilamente sind am α-Aktinin der begrenzenden Z-Scheiben verankert. Der Skelettmuskel ist aus vielkernigen Muskelfasern mit einem Durchmesser von 10 – 100 µm und einer Länge von bis zu mehreren Zentimetern aufgebaut (Abb. 6.1; vgl. Tab. 6.2, S. 134). Bei der Entwicklung des Skelettmuskels
ordnen sich einkernige Myoblasten in Ketten an. Die Myoblasten fusionieren zu vielkernigen Myotuben, die zu Muskelfasern ausdifferenzieren. Einzelne einkernige Zellen bleiben als Satellitenzellen erhalten. Sie ermöglichen die Neubildung von Muskelfasern bei Verletzungen oder anderen Schädigungen der Skelettmuskulatur. Jede Muskelfaser besteht aus einem Bündel dichtgepackter Myofibrillen mit einem Durchmesser von ca. 1 µm, die sich über die gesamte Länge einer Muskelfaser erstrecken. Zwischen den Myofibrillen liegt das Zytoplasma der Muskelfasern, auch Sarkoplasma genannt. Die Oberflächenmembran der Muskelfasern wird als Sarkolemm bezeichnet.
Die Skelettmuskulatur ist lichtmikroskopisch quergestreift Im Lichtmikroskop zeigen Skelettmuskelfasern eine charakteristische Streifung aus hellen und dunklen Banden (Abb. 6.1; vgl. Tab. 6.2, S. 134). Sie entstehen durch regelmäßige Anordnung von dicken und dünnen Myofilamenten, die entsprechend des jeweils wichtigsten Proteinanteils als Myosinfilamente bzw. Aktinfilamente bezeichnet werden. Die dunkel erscheinenden Banden sind aufgrund der hohen Dichte parallel angeordneter Myosinfilamente im polarisierten Licht stark doppelbrechend (anisotrop). Sie werden A-Banden genannt. Die hellen Banden sind wenig doppelbrechend (isotrop). Sie werden entsprechend I-Banden genannt. Im Zentrum der A-Bande ist ein hellerer Bereich zu erkennen, die H-Zone. Jede IBande wird durch eine dunkle Linie, die Z-Linie oder ZScheibe, in der Mitte geteilt. Der Abschnitt zwischen zwei Z-Scheiben ist das Sarkomer. Das Sarkomer ist die morphologische Untereinheit des Skelettmuskels, das Halbsarkomer die funktionelle. Die Länge der Sarkomere liegt unter physiologischen Bedingungen zwischen 2,2 und 2,4 µm. Viele hintereinander geschaltete Sarkomere bilden die Myofibrille. Die Querstreifung entsteht dadurch, dass die Z-Scheiben aller Myofibrillen etwa auf gleicher Höhe liegen und alle Sarkomere etwa gleich lang sind. Innerhalb eines Sarkomers sind Myosin- und Aktinfilamente in charakteristischer Weise angeordnet (Abb. 6.1). Die Myosinfilamente sind 1,6 µm lang, nehmen die ABande im Zentrum des Sarkomers ein. Sie sind über weitere, filamentäre Proteine, die Titinmoleküle, beidseits in den benachbarten Z-Scheiben verankert und im Sarkomer elastisch zentriert. Die 1,1 µm langen Aktinfilamente sind am α-Aktinin, dem Hauptanteil der Z-Scheiben, verankert. Die Aktinfilamente bilden jeweils eine Hälfte der I-Bande und reichen zwischen die im A-Band gelegenen Myosinfilamente bis an die Grenzen der HZone. Im Bereich der H-Zone fehlen Aktinfilamente zwischen den Myosinfilamenten. Die H-Zone wird in der Mitte durch die M-Linie geteilt, in der die Myosinfilamente über Strukturproteine (z. B. Myomesin) verankert sind. Mit der M-Linie assoziiert ist eine Kreatinkinase, die bei der Muskelkontraktion zur Regeneration von verbrauchtem ATP beiträgt. Die Myofibrillen einer Muskelfaser mit Sarkomeren und darin charakteristisch angeordneten Aktin- und Myosinfilamenten werden als kontraktiler Apparat der Muskelfaser bezeichnet.
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6.2 Skelettmuskel
Sehne
Muskel
Muskelfasern
Myosinfilamente Aktinfilamente
Muskelfaser (=Zelle)
C Z-Scheibe
A-Band H-Zone
A Myofibrille
B
Myosinfilament Aktinfilament Titinfilament Z-Scheibe
I-Band
M-Linie
A-Band H-Zone
Abb. 6.1 Morphologische Organisation des quergestreiften Skelettmuskels in Muskelfasern und Myofibrillen mit Anordnung der dicken Myosin- und dünnen Aktinfilamente im Sarkomer. Der vergrößerte Ausschnitt einer Myofibrille (A) illustriert die lichtmikroskopisch sichtbaren Elementen der Querstreifung. Der elektronenmikroskopische Längsschnitt eines Sarkomers (B) zeigt die Zuordnung der Querstreifung zur Anordnung der Aktin- und Myosinfilamente. Der Querschnitt (C) verdeutlicht die hexagonale Anordnung der Myosin- und Aktinfilamente (modifiziert nach 11).
len (Abb. 6.2 C). Das einzelne Myosinmolekül (Abb. 6.2 E) besteht aus zwei schweren Myosinketten (MW 220 kDa) und insgesamt vier leichten Myosinketten (MW ca. 20 kDa). Die beiden schweren Ketten bestehen jeweils aus einem α-helikalen Schwanzteil und einer globulären Kopfdomäne (Myosinkopf). Die α-helikalen Schwanzteile der beiden schweren Ketten sind umeinander gewunden und bilden eine stabförmige Struktur mit Myosin-Schaft und -Hals. Der Übergang zwischen Schaft und Hals ist elektronenmikroskopisch oft als Knick zu erkennen (Abb. 6.2 E). Der distale Teil des Kopfes ist die katalytische Domäne, die an Aktin binden und in ihrem aktiven Zentrum ATP hydrolysieren kann. Der proximale Teil des Kopfes mit zwei angelagerten leichten Ketten wird als Leichte-Ketten-Domäne bezeichnet. Dieser Teil übt bei der Kontraktion die Funktion eines Hebelarms aus. Bei physiologischen Ionenkonzentrationen lagern sich Myosinmoleküle im Bereich des Schaftes und Halses zusammen und bilden das Rückgrat der Myosinfilamente, aus dem seitlich die Kopfdomänen herausragen (Abb. 6.2 C, D). Die seitlich aus dem Myosinfilament herausragenden Köpfe binden im Verlauf des Kontraktionsprozesses an die Aktinfilamente und bilden die sog. „Querbrücken“ zwischen Myosin- und Aktinfilament. Die Aggregation der Myosinmoleküle erfolgt nach einem festen Muster, so dass bipolare Myosinfilamente mit einer kopffreien Zone in der Filamentmitte entstehen (Abb. 6.2 C). Daran anschließend ragen alle 14,3 nm die Kopfpaare von jeweils drei Myosinmolekülen in einem Winkelabstand von 120o seitlich aus dem Filament. Die drei in einer Ebene gelegenen Myosinkopfpaare werden als Krone bezeichnet. Aufeinanderfolgende Kronen sind um jeweils 40o gegeneinander verdreht, so dass die aus dem Filament ragenden Myosinköpfe alle 3 × 14,3 nm identische räumliche Orientierung haben.
An jeder Hälfte eines Myosinfilaments sind außerdem in Längsrichtung, an der M-Linie beginnend, 3 – 6 Titinmoleküle angelagert, die über die freien Enden der Myosinfilamente hinausragen und diese in der Z-Linie elastisch verankern (Abb. 6.2 A). Im Verlauf der A-Bande sind die Titinmoleküle an den Myosinfilamenten angelagert. Im IBand dagegen verlaufen sie frei und haben in diesem Bereich eine hohe elastische Dehnbarkeit.
Dünne Filamente bestehen aus Aktin und Regulatorproteinen Im Überlappungsbereich zwischen Aktin- und Myosinfilamenten bilden die Myofilamente im Querschnitt ein hexagonales Gitter (vergrößerter Querschnitt in Abb. 6.1). Jedes dicke Myosinfilament ist dabei von 6 dünneren Aktinfilamenten umgeben bzw. jedes Aktinfilament von 3 Myosinfilamenten. Daraus ergibt sich im quergestreiften Muskel ein 2 : 1-Verhältnis von Aktin- zu Myosinfilamenten.
Dicke Filamente bestehen hauptsächlich aus Myosin und sind im quergestreiften Muskel bipolar aufgebaut Ein Myosinfilament (Durchmesser ca. 12 nm) entsteht durch Zusammenlagerung von ca. 300 Myosinmolekü-
Ein Aktinfilament hat einen Durchmesser von ca. 10 nm. Es entsteht durch Zusammenlagerung von etwa 400 globulären Aktinmonomeren (G-Aktin; MW 42 kDa) zu einer doppelsträngigen Helix (Abb. 6.2 B). Auf jede Windung entfallen dabei 2 × 7 Aktinmonomere. Diese Grundstruktur wird auch F-(filamentäres-)Aktin genannt. Im Bereich der beiden helikalen Längsrillen sind dem F-Aktin die Regulatorproteine, das filamentäre Tropomyosin und der eher globuläre Troponinkomplex, in regelmäßigem Abstand angelagert. Ein Tropomyosinmolekül erstreckt sich über 7 Aktinmonomere und jedes Tropomyosinmolekül ist mit einem Troponinkomplex assoziiert. Der Troponinkomplex besteht aus drei Untereinheiten, dem Troponin C (Calcium-bindende Untereinheit), Tro-
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6 Muskulatur A Sarkomer
Aktin
H-Zone
Myosin
extrazelluläre Matrix
Titinfilament
Kollagenfibrillen Z-Scheibe
Z-Scheibe
M-Linie
B Aktinfilament
37 nm Tropomyosin
Troponinkomplex
Merosin
G-Aktin
Sarkoglykane
Sarkolemm
5,5 nm
C Myosinfilament
Myosinköpfe
kopffreie Zone
Dystrophin D Anordnung der Myosinmoleküle
Aktinfilament aktives Zentrum Aktinbindung
katalytische Domäne
E Myosinmolekül
leichte Ketten-Domäne
Schaft
Hebelarm
Abb. 6.3 Verbindung des kontraktilen Apparates mit Sarkolemm und Kollagenfibrillen der extrazellulären Matrix. Dystrophindimere verankern Aktinfilamente des kontraktilen Apparates an Sarkoglykanen in Proteinkomplexen des Sarkolemms. Diese sind über Merosin an Kollagenfibrillen der extrazellulären Matrix gebunden (nach 24).
Hals Kopf
Abb. 6.2 Aufbau von Myosin- und Aktinfilamenten. Anordnung im Sarkomer (A). Aktinfilament mit Tropomyosin und Troponinkomplex (B). Myosinfilament mit Anordnung der Myosinkopfpaare und kopffreier Zone in der Mitte des Myosinfilaments (C). Vergrößerter Ausschnitt mit helikaler Anordnung der Myosinkopfpaare (D). Myosinmolekül mit Schaft, Hals und den beiden globulären Köpfen (E). Bei den globulären Köpfen werden katalytische Domäne und leichte-Ketten-Domäne unterschieden. Die katalytische Domäne weist je ein aktives Zentrum zur ATP-Hydrolyse und einen Aktinbindungsbereich auf (F).
ponin T (Tropomyosin-assoziierte Untereinheit) und Troponin I (inhibitorische Untereinheit).
Der kontraktile Apparat ist über verschiedene Proteine mit dem Sarkolemm und Kollagenfibrillen der extrazellulären Matrix verbunden Der kontraktile Apparat der Muskelfasern und das Sarkolemm stehen mit dem umgebenden Binde- und Stützgewebe in enger Verbindung (Abb. 6.3). Das Protein Dystrophin spielt dabei eine zentrale Rolle. Dystrophindimere verankern auf der intrazellulären Seite des Sarkolemms Aktinfilamente an Sarkoglykanen, die Bestandteil von Proteinkomplexen im Sarkolemm sind. Diese Membranproteinkomplexe sind ihrerseits über Merosin an Kollagenfibrillen der extrazellulären Matrix gekoppelt.
Muskeldystrophien sind charakteristische Krankheitsbilder, die auf funktionelle Beeinträchtigung dieser Verankerungskomplexe zurückzuführen sind. Beispiele hierfür sind die durch Dystrophin-Mutationen verursachte Duchenne-Dystrophie, durch SakroglykanMutationen hervorgerufene Gliedergürteldystrophie und durch Merosin-Mutationen bedingte kongenitale Dystrophie. Bei Störungen der Verbindung zwischen kontraktilem Apparat, Sarkolemm und umgebendem Bindegewebe wird das Sarkolemm bei Muskelkontraktionen geschädigt, so dass es zum Untergang von Skelettmuskelfasern kommt. Hauptsymptom der Dystrophien ist daher die zunehmende Muskelschwäche durch chronisch fortschreitende Degeneration von Muskelfasern mit erhöhter Serumkonzentration der muskulären Kreatinkinase als Zeichen des Untergangs von Muskelfasern. Der Erbgang der Duchenne Dystrophie ist X-chromosomal rezessiv. Das DystrophinGen ist das größte bekannte Gen und seine Größe hat eine hohe Rate von Spontanmutationen zur Folge. Die Häufigkeit der Erkrankung liegt bei etwa 1 : 3000 männlichen Neugeborenen. Eine Behandlung des Gendefekts ist bis heute nicht möglich.
Molekulare Grundlagen der Kontraktion des Skelettmuskels Bei Längenänderungen des Muskels, Dehnung oder Verkürzung, verschieben sich Myosin- und Aktinfilamente relativ zueinander, ohne dass die beiden Filamente ihre absolute Länge ändern. Dadurch wird die Länge der Sarkomere (Abstand der Z-Scheiben) bei
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6.2 Skelettmuskel konstanter Breite der A-Banden (= Länge der Myosinfilamente) und konstantem Abstand zwischen Z-Linie und Grenze der H-Zone (= Länge der Aktinfilamente) verändert. Die passiven Kräfte bei Dehnung eines nicht aktiven Muskels werden durch Dehnung der Titinmoleküle verursacht.
Titinfilament Aktinfilament Myosinfilament
Bei Längenänderungen des Muskels gleiten Aktinfilamente an den Myosinfilamenten entlang (Gleitfilamenttheorie) Bei Längenänderungen des Muskels, Dehnung oder Verkürzung, bleibt die Länge der Myosin- und Aktinfilamente konstant. Statt dessen entsteht der Eindruck, dass Aktin- und Myosinfilamente aneinander entlang gleiten (Gleitfilamenttheorie). Dies führt zu charakteristischen Änderungen des Querstreifungsmusters. Bei aktiver Verkürzung werden die Aktinfilamente weiter zwischen die Myosinfilamente gezogen. Dadurch verschmälern sich HZone und I-Bande in gleichem Ausmaß, während die Länge der A-Bande (entspricht der Länge der Myosinfilamente) konstant bleibt (Abb. 6.4). Durch serielle Anordnung der Sarkomere (400 – 450 pro mm Faserlänge) addiert sich die Verkürzung der einzelnen Sarkomere zu makroskopisch sichtbarer Verkürzung des entsprechenden Muskels. Bei Dehnung eines Muskels werden die Aktinfilamente aus den Räumen zwischen den Myosinfilamenten herausgezogen, d. h. H-Zone und I-Banden werden breiter, während das A-Band in seiner Länge konstant bleibt. Wird ein Muskel aus dem Organismus isoliert, nimmt er in Ruhe die so genannte Gleichgewichtslänge ein. Im Organismus ist ein ruhender Muskel normalerweise etwas über die Gleichgewichtslänge hinaus vorgedehnt. Bei Dehnung über die Gleichgewichtslänge hinaus werden die Titinmoleküle elastisch gedehnt und produzieren entsprechend elastische Rückstellkräfte, die für die passiven Rückstellkräfte bei Dehnung von Muskelfasern verantwortlich sind.
Muskelkontraktion beruht auf der zyklischen Wechselwirkung von Myosinköpfen mit Aktinfilamenten unter Hydrolyse von ATP (Querbrückenzyklus) Aktive Verkürzung und die Erzeugung von Muskelkraft beruhen auf zyklischen Wechselwirkungen zwischen Myosinköpfen und Aktinfilamenten (Querbrückenzyklus). Die wesentlichen Schritte des Querbrückenzyklus sind 1. die Anlagerung von ATP an den Myosinkopf und daraus resultierende Lösung der hochaffinen Bindung von Myosinkopf und Aktin, 2. die Hydrolyse von ATP, 3. die niederaffine und 4. die hochaffine Anlagerung des Myosinkopfes an Aktin, 5. das Kippen des Hebelarms mit Phosphatabdissoziation und 6. ein weiteres Kippen des Hebelarms bei ADP-Abgabe. Das Kippen des Hebelarms führt zu Filamentverschiebung und Muskelverkürzung.
Sarkomer Länge 2,00µm
Länge 2,20µm
Länge 2,50µm
M-Linie
Z-Scheibe
H-Zone I-Band
A-Band
Abb. 6.4 Lage der Myosin- und Aktinfilamente im Sarkomer bei verkürztem und gedehntem Muskel und ihre Beziehung zum Querstreifungsmuster. Die Länge der Aktin- und Myosinfilamente bleibt bei Längenänderungen des Muskels konstant. Bei Dehnung über die Gleichgewichtslänge hinaus werden die Titinfilamente gedehnt.
Wird durch äußere Bedingungen ein Verschieben der Aktinfilamente gegen die Myosinfilamente verhindert, führen die Strukturumlagerungen im Myosinkopf zur Entwicklung von Muskelkraft. Bei jedem Zyklusdurchlauf wird pro Myosinkopf ein Molekül ATP im aktiven Zentrum des Myosinkopfes hydrolysiert. Bei ATP-Verarmung besetzen alle Myosinköpfe den hochaffin gebundenen, nucleotidfreien Zustand (Rigorkomplex; z. B. bei Totenstarre = Rigor mortis). Durch Zugabe von ATP kann die hochaffine Bindung im Rigor durchbrochen werden und der Muskel erschlafft (Weichmacherwirkung von ATP). Die molekulare Grundlage der Muskelkontraktion ist die zyklische Wechselwirkung zwischen Myosinkopf und Aktinfilament, der sog. Querbrückenzyklus, in dessen Verlauf ATP hydrolysiert wird. Die bei der ATP-Hydrolyse freigesetzte chemische Energie kann vom Myosinmolekül in aktive Muskelkraft und/oder Verkürzung des Muskels umgeformt werden. Das Myosin wird demzufolge als Motorprotein des Muskels bezeichnet. Nach derzeitigem Kenntnisstand werden im Verlauf des Querbrückenzyklus folgende Schritte durchlaufen (Abb. 6.5). – Schritt 1: Die Bindung eines ATP-Moleküls in das aktive Zentrum des Myosinkopfes durchbricht die feste, hochaffine Bindung zwischen nucleotidfreiem Myosinkopf und Aktinfilament. Der Myosinkopf löst sich vom Aktinfilament ab. – Schritt 2: Die Spaltung des ATP-Moleküls in ADP und anorganisches Phosphat induziert eine Strukturumlagerung des Myosinkopfes mit Umklappen des Hebelarms. Dadurch wird die katalytische Domäne in Rich-
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6 Muskulatur A Querbrückenzyklus
3
2 ATP-Spaltung
niederaffine Bindung ADP Pi
ATP
ADP Pi
4
Z-Scheibe
1
Ablösung
6
5
2. Kraftschlag
1. Kraftschlag
ADP
6 8 nm
2 4 nm
B Kraft eines Moleküls
Detektor
Aktin Laserfalle
hochaffine Bindung
Pi
Kraft (pN)
106
1mM ATP
6 4 2 0
Laserfalle Myosinköpfchen
Abb. 6.5 Der Querbrückenzyklus. (A) Schematische Darstellung der zyklischen Wechselwirkung zwischen Myosinkopf und Aktinfilament. Kraftentwicklung bzw. Filamentverschiebung sind Folge von Strukturumlagerungen im Komplex aus Myosinkopf und Aktinfilament. Erster Beitrag zur Strukturumlagerung erfolgt in Schritt 5 durch Umorientierung des Hebelarms bei der Abdissoziation des anorganischen Phosphats. Zweiter Beitrag erfolgt durch weiteres Umklappen des Hebelarms bei Abdissoziation von ADP (Schritt 6). Das Rückumklappen des Hebelarms erfolgt bei Spaltung des ATPMoleküls (Schritt 2). Die gestrichelten Linien verdeutlichen das Ausmaß der Filamentverschiebung. Insets in 1 und 2: Röntgenkristallographisch ermittelte Struktur des Myosin-
tung Z-Linie verschoben und kommt in Höhe eines neuen Aktinmonomers zu liegen. – Schritt 3: Der Myosinkopf geht mit Aktin eine Bindung niedriger Affinität ein (niederaffiner Aktomyosinkomplex). – Schritt 4: Strukturumlagerungen im Myosinkopf führen zu fester, hochaffiner Bindung des Myosinkopfes an Aktin (hochaffiner Aktomyosinkomplex). – Schritt 5: Umorientierung des Hebelarms und Abdissoziation des anorganischen Phosphats aus dem aktiven Zentrum des Myosinkopfes. Durch die Umorientierung des Hebelarms werden Aktin- und Myosinfilament etwa 6 – 8 nm gegeneinander verschoben. Diese
0
0,5
1
1,5
2
2,5
3
3,5
4
Zeit (s)
kopfes vor und nach ATP-Hydrolyse mit Rückumklappen des Hebelarms bei Spaltung von ATP (Schritt 2; nach 3). (B) Messungen der von einem einzelnen Myosinmolekül erzeugten Kräfte bei Wechselwirkungen mit einem Aktinfilament. Hierzu wird ein Aktinfilament mit Hilfe von zwei fokussierten Laserstrahlen, so genannten Laserfallen, zwischen zwei Plastikkügelchen aufgespannt. Zur Messung von Kräften und Bewegungen wird ein Kügelchen zur Messung seiner Position auf einem Detektor abgebildet. Die dargestellte Registrierung zeigt mehrere Wechselwirkungen zwischen aufgespanntem Aktinfilament und einem Myosinmolekül auf einem dritten, am Kammerboden festhaftenden Kügelchen (nach 15).
Verschiebung stellt den ersten Teilschritt des sogenannten Kraftschlags dar. – Schritt 6: Die Abdissoziation von ADP geht mit einem weiteren Umklappen des Hebelarms einher. Durch diesen zweiten Teilschritt des Kraftschlags werden Aktin- und Myosinfilament um weitere 2 – 4 nm gegeneinander verschoben. Nach Abdissoziation von ADP ist der Myosinkopf wieder im nucleotidfreien Zwischenzustand, der ebenfalls hochaffin an Aktin gebunden ist (hochaffiner Aktomyosinkomplex). Bei physiologischen ATP-Konzentrationen wird sehr schnell (< 1 ms) ein neues ATP Molekül in das aktive
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6.2 Skelettmuskel Zentrum des Myosinkopfes binden, die feste Bindung zwischen nucleotidfreiem Myosinkopf und Aktin lösen und den Querbrückenzyklus erneut starten (s. Schritt 1). Bei Verarmung von ATP, insbesondere nach dem Lebensende, binden schließlich alle Myosinköpfe mit sehr hoher Affinität an Aktin. Der Muskel ist starr. Der nucleotidfreie Komplex aus Aktin und Myosinkopf wird deshalb auch als Rigorkomplex bezeichnet (Totenstarre = Rigor mortis). Bei Zugabe von ATP kann durch Bindung von ATP an den Myosinkopf die hochaffine Bindung zwischen Myosinkopf und Aktin durchbrochen werden. Der totenstarre Muskel erschlafft wieder (Weichmacherwirkung von ATP). Mg2+ ist an der Bindung der ATP-Moleküle in das aktive Zentrum des Myosinkopfes beteiligt und ist deshalb essenziell für die Bindung und Hydrolyse von ATP. MgATP wird deshalb als Substrat des Myosins bezeichnet. Werden die Enden des Muskels nicht in ihrer Position festgehalten, kann ein Myosinkopf in jedem Zyklus Aktinund Myosinfilamente etwa 10 nm gegeneinander verschieben. Bei mehrfachem Durchlaufen des Querbrückenzyklus werden die Aktinfilamente teleskopartig zwischen die Myosinfilamente gezogen. Das Resultat ist eine Längenänderung des Muskels. Eine Kontraktion, bei der sich ein Muskel ohne Last oder bei konstanter Last verkürzt, wird isotonische Kontraktion genannt. Sind die Muskelenden hingegen in ihrer Position fixiert, d. h. können Aktin- und Myosinfilamente nicht gegeneinander verschoben werden, muss die Position der Aktinbindungsstelle relativ zur Verankerung des Hebelarms über das Halssegment des Myosinmoleküls im Myosinfilament konstant bleiben. Die Umorientierungen des Hebelarms in den Schritten 5 und 6 können dann nicht mehr so ablaufen, wie bei freier Filamentverschiebung. Statt dessen führen die Umorientierungen zu elastischer Verformung des Myosinkopfes im Bereich der Verankerung des Hebelarms in der katalytischen Domäne. Elastische Verformung dieses Abschnittes führt zu einer Rückstellkraft, die einer „Verschiebekraft“ entsprechend an den Muskelenden als aktive Muskelkraft wahrgenommen wird. Eine Kontraktion, bei der ein Muskel bei konstanter Länge Muskelkraft entwickelt, wird isometrische Kontraktion genannt. Verkürzung des Muskels und Generierung von isometrischer Muskelkraft beruhen also auf ein und demselben Grundprozess. Im intakten Skelettmuskel durchläuft ein Myosinkopf den Querbrückenzyklus ca. 5 – 50-mal pro Sekunde. Mit Hilfe der Proteinkristallographie sind atomare Strukturen von Aktinmonomer, Aktinfilament sowie einigen Zwischenzuständen des Myosinkopfes aufgeklärt worden. Da bisher jedoch nur die freie, nicht an Aktin gebundene Myosinkopfdomäne kristallisiert werden kann, beschreiben die bekannten Strukturen lediglich die Umlagerung in Schritt 2 (Abb. 6.5). Dabei können selbst Kräfte und Bewegungen, die von einem einzelnen Myosinmolekül erzeugt werden, gemessen werden (Abb. 6.4 B). Hierzu wird ein Aktinfilament über zwei etwa 1 µm große Plastikkügelchen aufgespannt, die jeweils in einer so genannten Laserfalle festgehalten werden. Eines der beiden Kügelchen wird auf einem Detektor abgebildet, um seine Position zu verfolgen. Wird das Aktinfilament in die Nähe eines dritten Kügelchens gebracht, auf dem ein Myosinmolekül immobilisiert wurde, treten Wechselwirkungen zwischen Myosinmolekül und Aktinfilament auf, die mit einem Detektor registriert werden können. Damit konnten
Kräfte bis zu 5 pN und Verschiebungen des Aktinfilaments von 5 – 10 nm gemessen werden.
Makroskopische Längenänderungen ergeben sich aus der seriellen Anordnung der Sarkomere und mehrfachem Durchlaufen des Querbrückenzyklus, makroskopische Kräfte resultieren aus der parallelen Anordnung vieler Myosinmoleküle Die Strukturumlagerung im Verlauf des Querbrückenzyklus ergeben eine Filamentverschiebung von ca. 10 nm pro Zyklus. Durch mehrfachen Zyklusdurchlauf können größere Filamentverschiebungen erreicht werden. Dies erlaubt die Gesamt-Längenänderungen des Muskels von über 10% der Ausgangslänge. Durch asynchrone Tätigkeit der Myosinköpfe und parallele Anordnung von über 1010 Myosinköpfen pro Halbsarkomer einer Muskelfaser addieren sich die winzigen, von einzelnen Myosinköpfen entwickelten Kräfte von 2 – 5 pN zu den von Muskeln erzeugten hohen aktiven Kräfte von bis zu 4 × 105 N/m2.
Möglichst langer Kraftbeitrag bei hoher Halteökonomie steht nur scheinbar im Widerspruch mit schneller Verkürzung Die ADP-Abdissoziation ist während elastischer Verformung des Myosinkopfes bei festgehaltener Filamentposition erheblich verzögert. Dadurch wird die Verweildauer in den festgebundenen Zwischenzuständen an äußere Bedingungen angepasst. Dies erlaubt ein und demselben Muskel sowohl Kraftentwicklung bei günstigem ATP-Verbrauch als auch schnelle Verkürzung. Wird ein Verschieben der Aktin- und Myosinfilamente verhindert, so dass statt Filamentverschiebung eine Muskelkraft entwickelt wird (isometrische Kontraktion), ist die Abdissoziation von ADP (Schritt 5) bis zu 100fach langsamer, als unter schneller Muskelverkürzung bei freier Filamentverschiebung. Die Dauer des Kraftbeitrags im Verlauf eines Querbrückenzyklus ist entsprechend bis zu 100fach länger als die Anheftungsdauer des Myosinkopfes am Aktinfilament bei schneller Verkürzung. Demzufolge kann pro hydrolysiertem ATP-Molekül auch über einen längeren Zeitraum ein aktiver Kraftbeitrag aufrecht erhalten werden (hohe Halteökonomie). Hieraus folgt auch, dass ein Muskel über lange Zeit bei möglichst niedrigem ATP-Verbrauch Kraft entwickeln kann (z. B. Haltemuskulatur des Rückens), wenn die Abdissoziation von ADP möglichst lange verzögert wird. In der Tat existieren „langsame“ Myosinisoformen, in denen die ADP-Abdissoziation verlangsamt ist. Soll sich dagegen ein Muskel sehr schnell verkürzen, so ist sicherzustellen, dass sich nach Abschluss der Strukturumlagerungen (Kraftschlag) der jeweilige Myosinkopf rechtzeitig vom Aktinfilament ablöst, bevor er eine weitere Filamentverschiebung durch andere Myosinköpfe behindert. Die ADP-Abdissoziation muss demzufolge möglichst schnell erfolgen, wenn der Kraftschlag abgeschlossen ist. Entsprechend findet sich bei Muskeln, die zu besonders schneller Verkürzung fähig sind, „schnelle“ Myosinisoformen, die sich durch eine besonders schnelle ADP-Abgabe auszeichnen. Bei diesen Isoformen ist dann allerdings auch die ADP-Abdissoziation bei blockierter Filamentverschiebung schneller als bei den langsamen Isoformen und entsprechend ist die Halteökonomie ungünstiger.
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6 Muskulatur T-Tubulus terminale Zisternen T-Tubulus
sarkoplasmatisches Retikulum: longitudinales System terminale Zisternen
junctional feet Sarkolemm Myofibrille
Triade
I-Band
Abb. 6.6 Transversale Tubuli und sarkoplasmatisches Retikulum im Skelettmuskel. Zuordnung von transversalen Tubuli (T-Tubuli) und den Komponenten des sarkoplasmatischen Retikulums (longitudinales System, terminale Zister-
Elektromechanische Koppelung Die Kontraktion des Skelettmuskels wird durch Erregung des Sarkolemms und Freigabe des Querbrückenzyklus reguliert. Die vermittelnden Prozesse werden unter dem Begriff „elektromechanische Koppelung“ zusammengefasst. Im quergestreiften Muskel wird das Aktionspotenzial über Einstülpungen des Sarkolemms (T-Tubuli) bis in das Innerste der Fasern fortgeleitet. Die T-Tubuli stehen im Bereich der Triaden mit den terminalen Zisternen des sarkoplasmatischen Retikulums in engem Kontakt. Über Koppelung von zwei spezialisierten Ca2+-Kanälen, dem DihydropyridinRezeptor in der Membran der T-Tubuli und dem Ryanodin-Rezeptor in der Membran der terminalen Zisternen des sarkoplasmatischen Retikulums, werden bei Depolarisation der T-Tubuli Ca2+-Ionen aus den terminalen Zisternen des sarkoplasmatischen Retikulums freigesetzt. Die in das Sarkoplasma freigesetzten Ca2+-Ionen kontrollieren die Freigabe des Querbrückenzyklus.
Transversale Tubuli und deren Kontakte zum sarkoplasmatischen Retikulum sind morphologische Voraussetzungen für die elektromechanische Koppelung Die Aktivität des Skelettmuskels wird durch Aktionspotenziale am Sarkolemm kontrolliert, die zu einer Freigabe des Querbrückenzyklus führen. Die zwischen Aktionspotenzial am Sarkolemm und Freigabe des Querbrückenzyklus eingeschalteten Prozesse werden als elektromechanische Koppelung bzw. Erregungs-KontraktionsKoppelung bezeichnet. Das Aktionspotenzial des Skelettmuskels zeigt wie beim Nerv eine steile Depolarisation und Umpolarisation durch Öffnung schneller, spannungsgesteuerter Na+-Kanäle (vgl. S. 75 f.). Die Repolarisation erfolgt durch Inaktivierung der Na+-Kanäle und
A-Band
nen) zum kontraktilen Apparat. Vergrößerter Ausschnitt zeigt Triadenstruktur aus T-Tubulus mit beidseits gelegenen terminalen Zisternen. Im Spaltraum zwischen T-Tubulus und terminalen Zisternen sind die Junctional Feet zu erkennen.
Öffnung von K+-Kanälen. Röhrenförmige Einstülpungen des Sarkolemms, die transversalen Tubuli (T-Tubuli), ermöglichen die Fortleitung des Aktionspotenzials bis in das Innerste der Fasern (Abb. 6.6). Diese senkrecht zur Faseroberfläche zwischen den Myofibrillen laufenden Röhren bilden in jedem Sarkomer zwei Netzwerke, die an den Grenzen zwischen A- und I-Banden gelegen sind. Sie werden als transversales tubuläres System bezeichnet. Das sarkoplasmatische Retikulum stellt ein intrazelluläres Membransystem dar, in dem Calciumionen (Ca2+) in hoher Konzentration gespeichert sind. Im quergestreiften Muskel bildet das sarkoplasmatische Retikulum ein intrazelluläres Netzwerk (Abb. 6.6) mit parallel zur Faseroberfläche angeordneten Röhren (longitudinales tubuläres System) und erweiterten Endbezirken (terminale Zisternen). Dieses Netzwerk geht in jedem Sarkomer von zwei Seiten enge Kontakte mit den Röhren des transversalen tubulären Systems ein, ohne dass die Lumina der beiden Systeme direkt kommunizieren (Abb. 6.6). Die räumliche Anordnung eines transversalen Tubulus mit beidseits gelegenen terminalen Zisternen ist in Längsschnitten als Triaden-Struktur zu erkennen (Abb. 6.6). Im Bereich dieser Triaden sind in der Membran der transversalen Tubuli modifizierte spannungsgesteuerte Ca2+-Kanäle angeordnet. Diese Kanäle werden auch Dihydropyridin-Rezeptoren (DHPR; Abb. 6.7) genannt, da sie Pharmaka der Dihydropyridin-Klasse binden. Sie stehen im Kontakt mit einer zweiten Klasse von spezialisierten Ca2+-Kanälen, die in der Membran der terminalen Zisternen lokalisiert sind. Sie werden als Ryanodin-Rezeptoren (RyR; Abb. 6.7) bezeichnet, da sie das Pflanzenalkaloid Ryanodin binden. Der Ryanodin-Rezeptor ist sehr groß und überbrückt den Spalt zwischen den Membranen der transversalen Tubuli und den terminalen Zisternen des sarkoplasmatischen Retikulums (Abb. 6.7). Aufgrund der regelmäßigen Anordnung dieser Rezeptorpaare im Kontaktbereich zwischen transversalen Tubuli und termina-
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6.2 Skelettmuskel len Zisternen sind im Spalt zwischen T-Tubuli und terminalen Zisternen im Elektronenmikroskop regelmäßige Verdichtungen, so genannte Junctional Feet zu erkennen (Abb. 6.6 und Abb. 6.7). Familiäre Myotonien, angeborene Kontraktionsstörungen des Skelettmuskels, und periodische Lähmungen können durch Mutationen im schnellen Na+-Kanal des Skelettmuskels verursacht sein, die zu einer verzögerten Inaktivierung der Na+-Kanäle führen. Die Folge sind gesteigerte Erregbarkeit, Serien von Aktionspotenzialen mit entsprechend länger anhaltenden Muskelkontraktionen und verzögerter Muskelerschlaffung (Myotonie). Solche Mutationen haben bei anhaltender Muskeltätigkeit einen verstärkten K+-Verlust aus den Muskelfasern zur Folge. Dies ist an einer erhöhten K+Konzentration im Serum (Hyperkaliämie) zu erkennen und führt zu ausgeprägter Depolarisation des Sarkolemms und der T-Tubuli. Dadurch können schnelle Na+-Kanäle soweit inaktiviert werden (vgl. Kap. 4.4), dass keine Aktionspotenziale mehr auslösbar sind und eine vorübergehende, ausgedehnte (generalisierte) Muskellähmung (Paralyse) auftritt. Das Krankheitsbild wird dementsprechend familiäre hyperkaliämische periodische Paralyse genannt.
Der Anstieg des Calciums im Sarkoplasma ist beim Skelettmuskel überwiegend auf die Ca2+Freisetzung aus intrazellulären Speichern des sarkoplasmatischen Retikulums zurückzuführen Die über die T-Tubuli fortgeleiteten Aktionspotenziale führen aufgrund der starken Membrandepolarisation zu molekularen Umlagerungen der in den Triaden lokalisierten Dihydropyridin-Rezeptoren (Abb. 6.7 B). In der Folge werden an die Dihydropyridin-Rezeptoren gekoppelte Ryanodin-Rezeptoren in der Membran der terminalen Zisterne geöffnet. Das in den terminalen Zisternen gespeicherte Ca2+ strömt in das umgebende Sarkoplasma mit den darin gelegenen Myosin- und Aktinfilamenten. Ein direkter Ca2+-Einstrom während des Aktionspotenzials über Ca2+-Kanäle im Sarkolemm ist beim Skelettmuskel von untergeordneter Bedeutung (vgl. Tab. 6.2, S. 134).
Die Freigabe des Querbrückenzyklus wird durch Ca2+-abhängige Umlagerungen der Regulatorproteine Troponin und Tropomyosin kontrolliert Beim quergestreiften Muskel erfolgt die Freigabe des Querbrückenzyklus über das Tropomyosin, das diejenigen Bindungsstellen am Aktin kontrolliert, die eine hochaffine Anlagerung der Myosinköpfe ermöglichen. Bei niedriger Ca2+-Konzentration im Sarkoplasma sind diese Bindungsstellen durch Tropomyosin blockiert. Bei hoher Ca2+-Konzentration sind sie freigegeben, so dass der Querbrückenzyklus durchlaufen werden kann. Die Umlagerungen des Tropomyosins werden von Troponin gesteuert. Bindung von 2 Ca2+-Ionen an die Troponin-CUntereinheit induziert die Umlagerung von Tropomyosin mit Freigabe der hochaffinen Myosinbindungsstellen am Aktin.
A Aktionspotenzial transversales tubuläres System
sarkoplasmatisches Retikulum: longitudinales tubuläres System
junctional feet: DHPR RyR
Sarkolemm
terminale Zisterne
Sarkoplasma Ca2+-ATPase 2+
2+
Ca
Ca2+
Ca
Ca2+
Ca2+ Ca2+
Ca2+
Myosin Aktin
B
terminale Zisterne
Ca2+
T-Tubulus
RyR
Sarkoplasma
+ +
DHPR
+ + + + +
+ + RyR
Ca2+
Aktionspotenzial
DHPR
+ + + + +
Abb. 6.7 Elektromechanische Koppelung im Skelettmuskel. (A) Freisetzung von Ca2+ aus terminalen Zisternen nach Ausbreitung des Aktionspotenzials in den T-Tubuli. Signalübertragung von Dihydropyridin-Rezeptor (DHPR) zu Ryanodin-Rezeptor (RyR), der den Spalt zwischen T-Tubulusmembran und terminaler Zisterne überbrückt. Rücktransport von Ca2+ in das longitudinale System des sarkoplasmatischen Retikulums durch primär aktive Ca2+-Pumpen. (B) Schema zur Koppelung zwischen Aktionspotenzial-induzierter Umlagerung des Dihydropyridin-Rezeptors und Öffnung des Ryanodin-Rezeptors mit Ca2+-Freisetzung aus den terminalen Zisternen (nach 1).
Die Kontraktion des Skelettmuskels wird durch Ca2+abhängige Aktivierung des Querbrückenzyklus reguliert. Die Kontrolle des Querbrückenzyklus wird durch die Regulatorproteine Tropomyosin und Troponin vermittelt, die den Aktinfilamenten angelagert sind (Abb. 6.2 B, S. 104). Ca2+-Sensor ist die Troponin-C-Untereinheit. Sie hat insgesamt 4 Bindungsstellen für Ca2+-Ionen, von denen 2 auch im relaxierten Muskel mit Ca2+-Ionen besetzt sind, während die beiden anderen Ca2+-Bindungsstellen erst bei Ca2+-Konzentrationen über 10–7 mol/l von Ca2+-Ionen besetzt werden. Bei niedrigen sarkoplasmatischen Ca2+-Konzentrationen (unterhalb 10–7 mol/l) sind am Aktinfilament des quergestreiften Muskels nur Bindungsstellen für schwache Wechselwirkungen mit den Myosinköpfen (niederaffine Bindungsstellen) zugänglich (Abb. 6.8 B). Die Bindungsstellen für hochaffine Wechselwirkungen sind durch Tropomyosin blockiert. Dadurch ist der Schritt 4 des Querbrückenzyklus blo-
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6 Muskulatur ckiert, d. h. die Myosinköpfe sind mit den ATP-Spaltprodukten ADP + Pi beladen, können aber lediglich niederaffine Wechselwirkungen mit Aktin eingehen. Da die hochaffinen Bindungsstellen blockiert sind, bleibt das Fortschreiten im Zyklus aus. Der Muskel entwickelt keine aktive Kraft und bei Dehnung sind nur passive Kräfte durch Dehnung der Titinmoleküle zu beobachten. D. h. der Muskel ist erschlafft. Steigt die sarkoplasmatische Ca2+-Konzentration über 10–7 mol/l, so binden zwei zusätzliche Ca2+-Ionen an die Troponin-C-Untereinheit. Dies führt zu Konformationsänderungen des Troponin-Komplexes, die dem assoziierten Tropomyosinmolekül eine Umlagerung auf der Oberfläche der Aktinfilamente erlauben (Abb. 6.8 B). Durch diese Umlagerung werden die hochaffinen Bindungsstellen für die Myosinköpfe zugänglich und somit der weitere Ablauf des Querbrückenzyklus freigegeben. Mit steigender Ca2+-Konzentration werden die hochaffinen Bindungsstellen immer häufiger freigegeben, so dass ein Myosinkopf, der mit den ATP-Spaltprodukten beladen ist, immer schneller den weiteren Zyklusdurchlauf erreicht. Demzufolge erreichen mit steigender Ca2+-Konzentration die Myosinköpfe schneller die elastisch verformten, kraftgenerierenden Zwischenzustände. Dadurch entwickelt der Muskel mit steigender Ca2+-Konzentration einerseits höhere aktive Kräfte (Abb. 6.8 C; vgl. Tab. 6.2, S. 134),
A
andererseits wird die Kraftanstiegsgeschwindigkeit schneller (Abb. 6.8 D), bis schließlich eine Sättigung erreicht ist. Durch die Ausbreitung der Aktionspotenziale über das transversale tubuläre System bis in das Zentrum der Muskelfasern werden unabhängig vom Faserdurchmesser die Diffusionswege für Ca2+ auf den Querschnitt einzelner Myofibrillen reduziert. Dadurch wird gleichzeitige Aktivierung und gleichzeitiger Kontraktionsbeginn für oberflächliche wie tiefe Myofibrillen sichergestellt.
Von Kontraktur spricht man, wenn die Muskulatur ohne reguläre Aktionspotenziale aktiviert wird, beispielsweise durch lokale Depolarisation mit Ca2+-Einstrom über Ca2+Kanäle oder durch Ca2+-Freisetzung aus dem sarkoplasmatischen Retikulum mittels Pharmaka. Zum Beispiel aktiviert Koffein in vitro die Ryanodin-Rezeptoren und kann dadurch ohne Aktionspotenzial eine Ca2+-Freisetzung aus den Ca2+-Speichern des sarkoplasmatischen Retikulums verursachen. Die Folge ist eine Kontraktur. Langsame Muskelfasern in Muskelspindeln (vgl. Kap. 26.3.2) können durch graduelle Depolarisation ohne Aktionspotenzial abgestuft aktiviert werden. Erbliche Defekte durch Mutationen im Ryanodin-Rezeptor können bei Allgemeinnarkosen besonders mit Inhalationsnarkotika (z. B. Halothan) zu massiver Ca2+Freisetzung aus dem sarkoplasmatischen Retikulum
C
Myosin
100
Aktin Kraft (%)
75
Schnittebene B
Tropomyosin Troponin
Herzmuskulatur 50 Skelettmuskulatur 25 0
B Myosinkopf
[Ca2+]
107
10 6 10 5 Calciumkonzentration (mol/l)
D 100%
Ca2+ Troponin C Tropomyosin
Aktin
Kraft (%)
110
66%
25%
[Ca2+] niederaffine Bindungsstellen
hochaffine Bindungsstellen
Abb. 6.8 Ca2+-abhängige Aktivierung des kontraktilen Apparates beim quergestreiften Muskel. (A) Anordnung der Aktinfilamente mit den Regulatorproteinen Troponin und Tropomyosin relativ zu den Myosinköpfen im kontraktilen Apparat. (B) Umlagerung von Tropomyosin relativ zu niederund hochaffinen Bindungsstellen für Myosin an der Oberfläche der Aktinmonomere. Bei Anstieg der sarkoplasmatischen Ca2+-Konzentration auf > 10–7 mol/l werden mit Ca2+Bindung an Troponin C und Umlagerung des Tropomyosins die hochaffinen Bindungsstellen an den Aktinmonomeren
0
1
Zeit (s)
häufiger freigegeben. In der Folge können sich Myosinköpfe sowohl an niederaffine als auch hochaffine Bindungsstellen anlagern, und der Querbrückenzyklus kann vollständig durchlaufen werden (nach 28). (C) Aktive Kraft als Funktion der sarkoplasmatischen Ca2+-Konzentration einer Skelett- und Herzmuskelfaser. (D) Verlauf der Kraftentwicklung bei drei Ca2+-Konzentrationen von 0,9, 1,5 und 32 × 10–6 mol/l, die zu 25%, 66% und 100% der maximalen Kraftentwicklung führen.
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6.2 Skelettmuskel der Skelettmuskulatur führen. Daraus resultieren anhaltende massive Kontraktionen der Skelettmuskulatur mit massiver Wärmebildung und entsprechend schnellem Anstieg der Körpertemperatur (maligne Hyperthermie).
Zur Erschlaffung (Relaxation) muss die Ca2+-Konzentration im Sarkoplasma wieder unter 10–7 mol/l gesenkt werden Zur Erschlaffung des Muskels werden Ca2+-Ionen durch aktive Ca2+-Pumpen aus dem Sarkoplasma in das longitudinale System des sarkoplasmatischen Retikulums zurückgepumpt. In der Folge sinkt die sarkoplasmatische Ca2+-Konzentration, und Ca2+-Ionen dissoziieren von Troponin C ab. Durch Rückumlagerung der Tropomyosinmoleküle an der Aktinfilamentoberfläche werden die hochaffinen Bindungsstellen für Myosin wieder blockiert und die Myosinköpfe können nicht mehr die hochaffin gebundenen Zustände erreichen. Sinkt die sarkoplasmatische Ca2+-Konzentration unter etwa 10–7 mol/l ist der Muskel wieder vollständig erschlafft. Für alle Muskeltypen erfordert die Erschlaffung ein Absenken der sarkoplasmatischen Ca2+-Konzentration auf Werte unter etwa 10–7 mol/l. Im Skelettmuskel werden Ca2+-Ionen durch primär aktive Ca2+-Pumen (Ca2+-ATPasen) in der Membran des sarkoplasmatischen Retikulums in das longitudinale System gepumpt und dort bis zu Konzentrationen von etwa 1 mmol/l angereichert (Abb. 6.7 A; vgl. Tab. 6.2, S. 134). Unter Spaltung von einem ATPMolekül transportieren die Ca2+-ATPasen 2 Ca2+-Ionen gegen einen Konzentrationsgradienten von bis zu vier Zehnerpotenzen. Mit Abnahme der sarkoplasmatischen Ca2+-Konzentration dissoziiert Ca2+ von Troponin-C ab. Die Folge ist eine Rückumlagerung des Tropomyosins mit Blockierung der Bindungsstellen für die hochaffine Anlagerung von Myosinköpfen an Aktin (Abb. 6.8). Damit wird der Querbrückenzyklus vor der hochaffinen Bindung von Myosin an Aktin gestoppt (vgl. Abb. 6.5 A). Die aktive Muskelkraft sinkt aber erst wenn ADP von bereits hochaffin an Aktin gebundenen, kraftgenerierenden Myosinköpfen abdissoziiert und die Bindung eines neuen ATP-Moleküls die hochaffine Bindung des Myosinkopfes an Aktin löst (Relaxation). Die Erschlaffungsgeschwindigkeit eines Muskels wird demzufolge zum einen durch die Geschwindigkeit beeinflusst, mit der die sarkoplasmatische Ca2+-Konzentration gesenkt werden kann. Diese hängt vor allem von den Diffusionswegen und damit der Lage und Ausdehnung des sarkoplasmatischen Retikulums sowie der Aktivität der Ca2+-Pumpen ab. Zum anderen beeinflusst die Geschwindigkeit der Abdissoziation von ADP die Erschlaffungsgeschwindigkeit. Langsame Abdissoziation von ADP (Schritt 6) verlängert den Beitrag einer Querbrücke zur aktiven Kraft und verzögert somit das Abklingen der aktiven Kraft nach Absenken der sarkoplasmatischen Ca2+-Konzentration. Langsame Myosinisoformen mit verzögerter Abdissoziation von ADP führen deshalb neben reduzierter Verkürzungsgeschwindigkeit auch zu einer verzögerten Erschlaffung langsamer Muskelfasern.
Neuromuskuläre Erregungsübertragung Willkürlich oder reflektorisch ausgelöste Kontraktionen des Skelettmuskels erfordern intakte nervale Verbindung zum Nervensystem. Skelettmuskelfasern werden durch motorische Nervenfasern über eine synaptische Verbindung, die neuromuskuläre Endplatte, innerviert. An der neuromuskulären Endplatte wird präsynaptisch der Transmitter Acetylcholin (ACh) freigesetzt. Bindung von ACh an den nikotinischen Acetylcholin-Rezeptor in der subsynaptischen Membran löst das Endplattenpotenzial aus, ein exzitatorisches postsynaptisches Potenzial (EPSP). Unter physiologischen Bedingungen ist am Skelettmuskel jedes EPSP überschwellig, und jedes Aktionspotenzial des Motoneurons wird auf die Muskelfaser übertragen. Motorische Nervenfasern verzweigen sich an ihrem Ende mehrfach und innervieren entsprechend mehrere Muskelfasern. Eine motorische Nervenfaser mit den von ihr innervierten Muskelfasern werden als ,motorische Einheit‘ bezeichnet.
Motorische Nervenfaser und Skelettmuskelfaser bilden eine charakteristische synaptische Verbindung, die neuromuskuläre Endplatte Kontraktionen des Skelettmuskels erfordern die nervale Verbindung zum Nervensystem. Dort ausgelöste Aktionspotenziale werden an der Kontaktstelle zwischen motorischer Nervenfaser und Skelettmuskelfaser, der neuromuskulären Endplatte, auf die Muskelfaser übertragen (vgl. Tab. 6.2, S. 134). Die motorische Nervenfaser verliert an ihrem Ende ihre Myelinscheide, verzweigt sich mehrfach bevor sie mit der innervierten Muskelfaser die neuromuskuläre Endplatte bildet. Im Bereich der neuromuskulären Endplatte bildet das verzweigte Axon multiple Auftreibungen, die präsynaptischen Endknöpfchen, und steht dort im synaptischen Kontakt mit der innervierten Muskelfaser (Abb. 6.9). An der neuromuskulären Endplatte erfolgt die Übertragung der Aktionspotenziale vom Motoneuron auf die Muskelfaser mit Hilfe des chemischen Transmitters Acetylcholin (ACh). Ein am Ende des Motoneurons einlaufendes Aktionspotenzial führt über spannungsgesteuerte Ca2+-Kanäle zum Einstrom von Ca2+-Ionen und damit zum Anstieg des intrazellulären Calciums. Als Folge wird die Exozytose präsynaptischer Vesikel mit Freisetzung von Acetylcholin induziert (vgl. Kap. 5.4). Die Freisetzung erfolgt im Bereich der aktiven Zonen. Dort sind acetylcholinhaltige Vesikel in Doppelreihen mit der präsynaptischen Membran assoziiert. Acetylcholin diffundiert durch den synaptischen Spalt und bindet an die in der subsynaptischen Membran gelegenen nikotinischen Acetylcholinrezeptoren (vgl. Kap 5.5; vgl. Tab. 6.2, S. 134). Durch charakteristische Auffaltungen des Sarkolemms im Bereich der motorischen Endplatte wird eine vergrößerte Oberfläche mit hoher Rezeptorendichte in der postsynaptischen Membran erreicht. Die Acetylcholinrezeptoren liegen bevorzugt gegenüber den aktiven Zonen an den Rändern der subsynaptischen Einfaltungen. Die nikotinischen Acetylcholinrezeptoren zählen zu den ionotropen Rezeptoren (vgl. Kap. 5.5). Nach Bindung des Liganden wird der zuge-
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111
112
6 Muskulatur
präsynaptische Membran synaptischer Spalt postsynaptische Membran
Myelinscheide Axon vom Motoneuron
aktive Zone synaptische Vesikel (ACh) Ca2+-Kanäle
Schicht aus Schwann-Zellen
präsynaptische Endknöpfchen Muskelfaser neuromuskuläre Endplatte
ACh-Rezeptoren
Mitochondrium subsynaptische Einfaltungen
Muskelfaser
Abb. 6.9 Neuromuskuläre Endplatte. Aufbau einer neuromuskulären Endplatte mit präsynaptischen Endknöpfchen und charakteristischer Auffaltung der subsynaptischen Mem-
hörige Ionenkanal geöffnet, der für kleine Kationen permeabel ist. In Folge strömen besonders Na+-Ionen durch die subsynaptische Membran und lösen eine lokale Depolarisation aus, ein exzitatorisches postsynaptisches Potenzial, EPSP (vgl. S. 86). Dieses Potenzial wird an der neuromuskulären Endplatte Endplattenpotenzial genannt. Das Endplattenpotenzial breitet sich über die postsynaptische Membran der Skelettmuskelfaser aus und aktiviert dort gelegene spannungsgesteuerte Na+Kanäle (vgl. Kap. 4.4). Dadurch wird ein Aktionspotenzial ausgelöst, das sich von der motorischen Endplatte ausgehend über die gesamte Muskelfaser ausbreitet. An der neuromuskulären Endplatte führt normalerweise jedes präsynaptische Aktionspotenzial zur Auslösung eines fortgeleiteten postsynaptischen Aktionspotenzials (1:1Übertragung). Das in den synaptischen Spalt freigesetzte Acetylcholin wird dort von der Cholinesterase durch Spaltung in Acetat und Cholin inaktiviert. Das entstandene Cholin wird für Resynthese von Acetylcholin über einen Na+/Cholin-Kotransporter wieder in die Nervenendigung aufgenommen. Die neuromuskuläre Endplatte mit nicotinischem Acetylcholin-Rezeptor ist eine für den Skelettmuskel spezifische synaptische Verbindung. Kompetitive Hemmung der nicotinischen Acetylcholin-Rezeptoren, z. B.
bran zur Oberflächenvergrößerung. Aktive Zentren mit membranassoziierten, acetylcholinhaltigen, präsynaptischen Vesikeln (modifiziert nach 21).
durch d-Tubocurarin, wirkt auf die Skelettmuskulatur, nicht jedoch auf Herztätigkeit oder Tätigkeit der glatten Muskulatur. Acetylcholinrezeptoren des zentralen Nervensystems werden nicht gehemmt, da die Blut-Hirn-Schranke für d-Tubocurarin undurchlässig ist. d-Tubocurarin kann deshalb als selektives Muskelrelaxans eingesetzt werden. Die Muskelrelaxation kann durch Substanzen aufgehoben werden, welche die Cholinesterase hemmen (Cholinesterase-Blocker, z. B. Eserin). Durch Cholinesterase-Blocker steigt die Acetylcholinkonzentration im synaptischen Spalt an und das d-Tubocurarin wird vom nikotinischen Acetylcholin-Rezeptor verdrängt. Botulinumtoxin A und verwandte Substanzen werden bei Lebensmittelvergiftungen an der motorischen Endplatte wirksam. Das Andocken der Vesikel an der präsynaptischen Membran wird unter dem Einfluss von Botulinumtoxin A durch Abbau der zum Andocken notwendigen Proteine verhindert. Damit wird die neuromuskuläre Erregungsübertragung blockiert. Ist die Atemmuskulatur mitbetroffen, wird die Erkrankung lebensbedrohlich. Botulinumtoxin kann andererseits therapeutisch zur Minderung eines überhöhten Muskeltonus eingesetzt werden. Die Bildung von Autoantikörpern gegen den nicotinischen Acetylcholin-Rezeptor führt zum Krankheits-
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6.2 Skelettmuskel bild der Myasthenia gravis, einer schweren fortschreitenden Muskelschwäche. Aufgrund vermehrten Abbaus der durch Antikörper markierten Acetylcholinrezeptoren ist deren Zahl stark reduziert. Die Erregungsübertragung auf die Muskelfasern ist eingeschränkt, d. h. nicht mehr jedes Aktionspotenzial des Motoneurons führt zu einem überschwelligen Endplattenpotenzial. Die Folge ist eine fortschreitende Muskelschwäche. Therapeutisch kann durch Hemmstoffe der Cholinesterase der Abbau von Acetylcholin verzögert werden, so dass trotz reduzierter Zahl von nicotinischen Acetylcholinrezeptoren die Endplattenpotenziale wieder die Schwelle für fortgeleitete Aktionspotenziale erreichen können.
Die Skelettmuskulatur ist in motorischen Einheiten organisiert Durch Aufzweigung der Motoneurone im innervierten Muskel bildet eine Nervenfaser Endplatten mit mehreren Muskelfasern, die dadurch zu einer funktionellen Einheit, der motorischen Einheit werden (vgl. Tab. 6.2, S. 134). Die Anzahl an Muskelfasern einer motorischen Einheit ist durch die Aufzweigung der Neurone fest vorgegeben. Sie bestimmt die Abstufbarkeit der Kräfte und Bewegungen: je weniger Muskelfasern pro motorischer Einheit, desto feiner können Kräfte und damit die Motorik abgestimmt werden. Die Anzahl von Muskelfasern pro motorischer Einheit beträgt z. B. in den äußeren Augenmuskeln etwa 5 – 10, in der Rumpfmuskulatur über 1000. Ein Übergreifen der Erregung auf benachbarte Muskelfasern ist beim Skelettmuskel nicht zu beobachten, da, anders als bei Herz- und glatter Muskulatur, keine niederohmigen Verbindungen (Gap Junctions; vgl. Kap. 3.2) zwischen Muskelfasern bestehen, über die sich eine Depolarisation auf benachbarte Fasern ausbreiten könnte.
Zeitlicher Verlauf und Formen der Muskelkontraktion (Muskelmechanik) Der zeitliche Verlauf einer Muskelkontraktion wird im Mechanogramm anhand von Latenzzeit, Gipfelzeit und Erschlaffungszeit charakterisiert. In Skelettmuskeln können schnell zuckende und langsame Fasern unterschieden werden. Sie sind durch den Gehalt an Myoglobin, glykolytischen und oxidativen Enzymen, Mitochondriendichte sowie verschiedene Myosinisoformen gekennzeichnet. Im Skelettmuskel kann Erhöhung der Aktionspotenzialfrequenz im Motoneuron zur Überlagerung der mechanischen Antworten führen. Mit zunehmender Aktionspotenzialfrequenz verschmelzen Einzelzuckungen zunächst zu unvollständigen und schließlich vollständigen, glatten tetanischen Kontraktionen. Die Muskelkraft von Willkürbewegungen kann durch Überlagerung der einzelnen mechanischen Antworten (zeitliche Summation) und durch Rekrutierung zusätzlicher motorischer Einheiten gesteigert werden.
Das Mechanogramm beschreibt den zeitlichen Ablauf der Kontraktion schneller und langsamer Fasern Wird die Kontraktion einer motorischen Einheit der Skelettmuskulatur durch ein einzelnes Aktionspotenzial ausgelöst, so spricht man von einer Einzelzuckung. Beim Skelettmuskel ist die Amplitude der Einzelzuckung praktisch konstant, da jedes Aktionspotenzial des Motoneurons zu einer Erregung aller Muskelfasern einer motorischen Einheit führt, und jede Faser bei Erregung praktisch immer mit gleicher Kontraktionsamplitude antwortet. Dementsprechend zeigt der Skelettmuskel sowohl für Einzelfasern als auch motorische Einheiten ein Allesoder-Nichts-Verhalten. Der genaue zeitliche Verlauf einer Muskelzuckung wird durch das so genannte Mechanogramm beschrieben, in dem die Muskelkraft bzw. -spannung gegen die Zeit aufgetragen wird (Abb. 6.10 A). Bei einer Einzelzuckung werden verschiedene Abschnitte unterschieden: – Die Latenzzeit ist die Zeit zwischen Beginn des Muskelaktionspotenzials und Beginn des Kraftanstiegs bzw. der Verkürzung des Muskels. In dieser Phase erfolgen die Aktivierungsprozesse, die unter dem Begriff der elektromechanischen Koppelung zusammengefasst sind, bis zur Freigabe des Querbrückenzyklus durch Umlagerung des Tropomyosinmoleküls. Beim Skelettmuskel mit stark ausgeprägten intrazellulären Ca2+-Speichern ist die Latenzzeit deutlich unter 10 ms. – Die Gipfelzeit ist die Zeit, in der die aktive Kraft bzw. die aktive Verkürzung ihre Maxima erreichen. – Die Erschlaffungszeit ist die Zeit des Kraftabfalls vom Maximum bis zu vollständiger Erschlaffung bzw. die Zeit der Verlängerung des Muskels von maximal erreichter Verkürzung zurück zur Ausgangslänge. Sie wird wesentlich bestimmt durch die Geschwindigkeit mit der Ca2+ aus dem Sarkoplasma eliminiert werden kann, und von der Geschwindigkeit der ADP-Abdissoziation vom Myosinkopf. Entsprechend ist die Erschlaffungszeit eine für die verschiedenen Myosinisoformen charakteristische Größe. Generell ist die Erschlaffungszeit länger als die Gipfelzeit (Abb. 6.10 A), und sie ist bei Ermüdung – im Gegensatz zur Gipfelzeit – weiter verlängert.
Innerhalb fast aller Skelettmuskeln können rasch zuckende und langsame Fasertypen anhand des Zeitverlaufs der Kontraktion im Mechanogramm unterschieden werden (Abb. 6.10 A; Tab. 6.1). Langsame Muskelfasern (Typ I in Tab. 6.1) sind reich an Myoglobin („rote“ Muskeln) und exprimieren so genannte langsame Myosinisoformen. Fast alle Schritte des Querbrückenzyklus und somit der ATP-Umsatz sind verlangsamt. Langsame Myosinisoformen zeichnen sich durch einen längeren Kraftbeitrag pro verbrauchtem ATP-Molekül aus (hohe Halteökonomie). Langsame Muskelfasern sind dort zahlreich, wo Haltefunktionen erforderlich sind. Sie bauen Nährstoffe vor allem aerob ab, ermüden daher nicht so schnell, sind aber empfindlich gegen Sauerstoffmangel und haben entsprechend ein dichtes Kapillarnetz. Schnelle Muskelfasern (Typ IIA und IIB in Tab. 6.1) besitzen deutlich weniger Myoglobin („weiße“ Muskeln) und exprimieren schnelle Myosinisoformen. Fast alle Schritte des Querbrückenzyklus werden beschleunigt durchlaufen, entsprechend ist der Kraftbeitrag pro verbrauchtem ATP kürzer (geringe
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6 Muskulatur A
B
Aktionspotenzial
Kraft in % der Maximalkraft
100
Reizserie:
elektrischer Doppelreiz Einzelreiz
niederfrequent
hochfrequent
M. soleus
0
0
100
200
1s
Kontraktion
M. gastrocnemius
300
400
Einzelzuckung
Zeit (ms)
Superposition
[Ca ] 10 µmol/l
elektrischer Reiz
C
2+
100
tetanische Kontraktionen: unvollständig vollständig
elektrische Reize
D
Kraft und Lichtsignal in %
2+
[Ca ] berechnet
Kraftentwicklung Lichtsignal
2
Lichtsignal
0
20 N/cm
114
Einzelzuckung
Spannungsentwicklung
200 ms
2s
vollständige tetanische Kontraktion
Abb. 6.10 Mechanogramm, Superposition und Tetanus. (A) Mechanogramme schneller und langsamer Skelettmuskelfasern im Vergleich zum Aktionspotenzial (nach 29). (B) Mechanische Antwort des Muskels (Kontraktion) bei direkter elektrischer Reizung. Einzelzuckung bei Einzelreiz, Superposition bei Doppelreiz, unvollständiger und vollständiger Tetanus bei niederfrequenten und hochfrequenten Reizserien (nach 29). (C, D) Zeitverläufe der sarkoplasmatischen Ca2+Konzentration und der aktiven Kraftentwicklung bei Einzel-
Tabelle 6.1
zuckung (C; nach 10), und bei vollständiger tetanischer Kontraktion (D; nach 7). Zur Messung der sarkoplasmatischen Ca2+-Konzentration wurde das Licht-emittierende Ca2+-Indikatorprotein Äquorin der Leuchtqualle Aequorea forskalea in einzelne Muskelfasern injiziert. Das Lichtsignal ist ein Maß für die sarkoplasmatische Ca2+-Konzentration (vgl. Beziehung zwischen Lichtemission und berechneter Ca2+Konzentration in D).
Einteilung und Eigenschaften von Skelettmuskelfasern
Fasertyp
I
IIA
IIB
Kontraktionsverlauf
langsam
schnell
schnell
Isoform der schweren Myosinkette
Typ I
Typ IIA
Typ IIB
Myosin-ATPase-Aktivität
niedrig
hoch
hoch
Farbe
rot
rot/rosa
weiß
Myoglobingehalt
hoch
hoch
niedrig
Mitochondriendichte
hoch
hoch
niedrig
Stoffwechsel
oxidativ
glykolytisch und oxidativ
glykolytisch
Laktatdehydrogenase-Aktivität Ermüdbarkeit
niedrig gering
mittel oder hoch mittel
hoch schnell
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6.2 Skelettmuskel Halteökonomie). Schnelle Muskelfasern kommen bei schnellen Bewegungen (schnelle Verkürzung) zum Einsatz. Sie gewinnen ihre Energie vorwiegend anaerob aus dem Kreatinphosphatspeicher und durch Glykolyse. In den meisten Skelettmuskeln sind beide Fasertypen zu finden, jedoch in unterschiedlichen Anteilen. In „roten“ Muskeln (z. B. M. soleus) überwiegen die langsamen, myoglobinreichen Fasern, in „weißen“ Muskeln (z. B. M. gastrocnemius) überwiegen die schnellen Fasern. Der Fasertyp wird durch das Impulsmuster der Motoneurone festgelegt. Eine motorische Einheit besitzt daher einen einheitlichen Fasertyp (vgl. Tab. 26.1, S. 740). Stimuliert man eine motorische Einheit schneller Muskelfasern mit dem Impulsmuster, das für eine langsame motorische Einheit typisch ist, so kommt es innerhalb weniger Wochen durch Umprogrammierung der Genexpression zu einer Umwandlung in Richtung langsamer Muskelfasern. Auch umgekehrte Umwandlung von langsamer zu schneller Faser ist möglich. Das Grundmuster der Verteilung von schnellen und langsamen Fasern eines Muskels ist zwar genetisch festgelegt, die Differenzierung erfolgt aber erst nach der Geburt und kann durch Änderung der Erregungsmuster (Training) beeinflusst werden. Passendes Muskeltraining fördert die ererbten Anlagen deutlich. Durch Muskelbiopsien können entsprechende Veranlagungen (z. B. Sprinttalent) frühzeitig erkannt und gezielt trainiert werden.
Bei schnell aufeinanderfolgenden Aktionspotenzialen können sich Einzelzuckungen zu Kontraktionen mit gesteigerter Amplitude überlagern Ein einzelnes Aktionspotenzial führt im Skelettmuskel zu einer Einzelzuckung (Alles-oder-Nichts-Verhalten). Das Aktionspotenzial kann dabei indirekt durch Aktivierung des innervierenden Motoneurons oder experimentell durch direkte elektrische Reizung des Skelettmuskels ausgelöst werden. Das Aktionspotenzial des Skelettmuskels ist viel kürzer (wenige ms) als die mechanische Antwort (Dauer der Einzelzuckung 50 – 500 ms; Abb. 6.10 A), so dass noch während einer Einzelzuckung ein weiteres Aktionspotenzial ausgelöst werden kann. Ist der Abstand zwischen zwei Aktionspotenzialen kleiner als die Dauer einer Einzelzuckung, kommt es durch Überlagerung (Superposition) zu einer vergrößerten mechanischen Antwort (Abb. 6.10 B; vgl. Tab. 6.2, S. 134). Serien von Aktionspotenzialen führen zu langanhaltenden mechanischen Antworten, die in Abhängigkeit von der Aktionspotenzialfrequenz noch Schwankungen im Reiztakt zeigen. Sie werden unvollständige tetanische Kontraktion genannt. Wird der Abstand zwischen aufeinanderfolgenden Aktionspotenzialen kleiner als etwa 1⁄3 der Dauer einer Einzelzuckung, der so genannten Verschmelzungsfrequenz, kommt es zu einer vollständigen Verschmelzung der einzelnen Antworten. Diese Antwort wird vollständige (glatte) tetanische Kontraktion („glatter Tetanus“) genannt. Die Kraft im Tetanus kann je nach Muskeltyp den 3- bis 10fachen Wert der Einzelzuckung erreichen.
Messungen mit Ca2+-sensitiven Farbstoffen (Ca2+-Indikatoren) ermöglichen eine Darstellung der freien sarkoplasmatischen Ca2+-Konzentration in Beziehung zur Kraftentwicklung des Muskels. Bei Einzelzuckungen ist das Signal der erhöhten sarkoplasmatischen Ca2+-Konzentration deutlich kürzer als die mechanische Antwort (Abb. 6.10 C) und erreicht auch nicht die für maximale Kraftentwicklung notwendige Höhe (vgl. Abb. 6.8 C). Bei einer Einzelzuckung erreicht der Skelettmuskel deshalb nur ca. 1⁄4 bis 1⁄5 der maximal möglichen Kräfte. Die Abnahme der Muskelkraft, d. h. die Erschlaffung, erfolgt nicht schon unmittelbar nach Abdissoziation der Ca2+-Ionen von Troponin C sondern erst nachdem ADP von der kraftgenerierenden Querbrücke abdissoziiert ist und eines neues ATP-Molekül gebunden hat (vgl. Abb. 6.5 A, S. 106). Auch bei Superposition von Einzelzuckungen überlagern sich die einzelnen intrazellulären Ca2+-Signale noch nicht. Erst im glatten Tetanus überlagern sich auch die Ca2+-Signale als Zeichen höherer sarkoplasmatischer Ca2+-Konzentration (Abb. 6.10 D; vgl. Tab. 6.2), deren Folge die Zunahme der Kontraktionsamplitude ist.
Die Muskelkraft von Willkürbewegungen kann durch Erhöhung der Aktionspotenzial-Frequenz in den einzelnen motorischen Einheiten (zeitliche Summation) und Rekrutierung zusätzlicher motorischer Einheiten gesteigert werden Im intakten Organismus sind Einzelzuckungen von Muskelfasern nur als Antwort bei Dehnungsreflexen zu beobachten (vgl. Kap. 26.3). Alle willkürlichen Bewegungen hingegen sind längeranhaltende Kontraktionen. Bei schwachen willkürlichen Bewegungen treten in den Motoneuronen Aktionspotenziale mit Frequenzen von 6 – 8 Hz auf. Einzelfasern bzw. einzelne motorische Einheiten zeigen entsprechend repetitive Kontraktionen mit beginnender Superposition. Da bei Willkürbewegungen die einzelnen motorischen Einheiten jedoch asynchron erregt werden, ergibt die Summe aller motorischen Einheiten einen nahezu glatten Kontraktionsverlauf. Eine Steigerung der Impulsrate der Motoneurone von z. B. 8 auf 50 Hz führt zu einer zunehmenden Superposition der Einzelantworten jeder Muskelfaser bzw. jeder einzelnen motorischen Einheit (zeitliche Summation; vgl. Tab. 6.2, S. 134). Entsprechend kann die Kontraktionskraft im Maximum auf das 5- bis 10-fache ansteigen. Durch Aktivierung zusätzlicher motorischer Einheiten (Rekrutierung) kann die entwickelte Muskelkraft und Kontraktionsgeschwindigkeit unter Last ebenfalls erhöht werden (vgl. Tab. 6.2). Die Abstufbarkeit der Muskelfunktion ist dabei um so feiner, je kleiner die motorischen Einheiten sind, d. h. je geringer der zusätzliche Kraftbeitrag der einzelnen motorischen Einheit ist. Die Aktivität motorischer Einheiten lässt sich mit Hilfe der Elektromyographie registrieren (Abb. 6.11). Im Elektromyogramm (EMG) werden Summenaktionspotenziale (vgl. S. 623) von Skelettmuskelfasern registriert. Die Elektroden werden entweder in die Muskulatur eingestochen (Nadelelektroden) oder liegen an der Hautoberfläche (transkutanes EMG). Im Nadel-EMG lässt sich z. B. die Aktivität einzelner motorischer Einheiten verfolgen.
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116
6 Muskulatur
Muskelruhe
1 2
100 mV 10ms
leichte Willküraktivierung
mV 100
1 2
300 10ms
stärkere Willküraktivierung
1
100
2
300 10ms
maximale Willküraktivierung
1 1000 2 200ms
Abb. 6.11 Elektromyographie bei Muskelruhe und Willkürmotorik unterschiedlicher Intensität. Signale von zwei motorischen Einheiten abgeleitet mit zwei Nadelelektroden. In Muskelruhe keine Aktionspotenziale. Bei Steigerung der Willkürmotorik Rekrutierung einer zweiten motorischen Einheit (Spur 1) und Erhöhung der Aktionspotenzialhäufigkeit in beiden motorischen Einheiten (nach 13).
Muskelmechanik Myosinköpfe im kontraktilen Apparat des Muskels können sowohl aktive Verkürzung induzieren als auch Kraft entwickeln. Kontraktionen, bei denen ohne Änderung der Kraft nur eine Verkürzung erfolgt, heißen isotonisch. Kontraktionen, bei denen der Muskel ohne Änderung der Länge ausschließlich Kraft generiert, werden isometrisch genannt. Die auxotonische Kontraktion ist eine Mischform, bei der sich unter Verkürzung auch die entwickelte Kraft ändert. Schließlich gibt es Kombinationen beider Grundformen wie die Unterstützungsund Anschlagskontraktion. Mit steigender Last wird die Verkürzungsgeschwindigkeit in der isotonischen Phase einer Unterstützungskontraktion geringer. Die Zusammenhänge werden in der Kraft-Geschwindigkeits-Beziehung beschrieben. Wird ein Muskel passiv gedehnt, so ändern sich in charakteristischer Weise aktive Kraft und maximale Verkürzung. Diese Beziehungen werden im Arbeitsdiagramm des Muskels zusammengefasst. Die mit steigender Vordehnung zunehmenden passiven Kräfte sind Grundlage der Ruhe-Dehnungs-Kurve des Muskels.
Das Arbeitsdiagramm des Muskels beschreibt das Verhalten von Muskelkraft und Muskelverkürzung bei unterschiedlicher Länge des Muskels Ein nicht erregter isolierter Muskel nimmt seine Gleichgewichtslänge ein. Diese ist meist etwas kürzer als die Muskellänge im Verband des Skeletts in Ruhestellung
(Ruhelänge des Muskels). Wird der Muskel über seine Gleichgewichtslänge hinaus gedehnt, werden passive Rückstellkräfte beobachtet. Die gemessene passive Rückstellkraft steigt mit zunehmender Dehnung nicht linear, sondern in etwa exponentiell an. Ursache dieser passiven Kräfte sind im Wesentlichen die Titinmoleküle in den Sarkomeren. Extrazelluläre Strukturen wie elastische und kollagene Fasern des Bindegewebes sind von untergeordneter Bedeutung, außer bei sehr großen Dehnungen, die im intakten Organismus jedoch nicht erreicht werden. Trägt man die gemessenen passiven Kräfte gegen die Muskellänge auf, so erhält man die Ruhe-DehnungsKurve (Abb. 6.12 A). Mit steigender Dehnung entfalten sich mehr und mehr die im Titinmolekül vordefinierten Domänen, die sich bei Entdehnung wieder neu falten. Die Neufaltung erfolgt bei geringeren Längen als die Entfaltung. Als Folge zeigt die Ruhedehnungskurve eine Hysterese. Die Entdehnungskurve liegt unter der Kurve für zunehmende Dehnung, und ein gedehnter Muskel erreicht unter Entdehnung nicht mehr ganz seine ursprüngliche Ausgangslänge. Dieser Dehnungsrückstand wird unter aktiver Verkürzung wieder rückgängig gemacht. Sowohl die Ruhe-Dehnungs-Kurve als auch die Abhängigkeit der verschiedenen Kontraktionsformen von der Muskellänge müssen am isolierten Muskel gemessen werden, da sich in situ der Arbeitsbereich von Skelettmuskeln nur über etwa ± 10% der Ruhelänge erstreckt. Einerseits lässt sich der Abstand zwischen Ursprung und Ansatz eines Muskels im Skelett nur wenig ändern, andererseits ist in situ die Muskelaktivität über Längensensoren (Muskelspindeln; vgl. S. 743) reflektorisch auf diesen schmalen Arbeitsbereich limitiert.
Bei einer isotonischen Kontraktion verkürzt sich der Muskel unter konstanter Kraftentwicklung Bei isotonischer Kontraktion verkürzt sich der Muskel bei konstanter Kraftentwicklung bzw. unter konstanter Belastung (Abb. 6.12 C). Diese Kontraktionsform wird beispielsweise beobachtet, wenn an einen relaxierten, isolierten Skelettmuskel ein Gewicht gehängt wird, das den Muskel zunächst passiv dehnt, bis die passiven Dehnungskräfte der Gewichtskraft des angehängten Gewichtes entsprechen. Das Anheben des Gewichtes bei Stimulation des Muskels entspricht einer isotonischen Kontraktion, da die Last während der aktiven Verkürzung konstant bleibt und der Muskel beim Anheben stets eine Gesamtkraft entwickeln muss, die der anzuhebenden Last betragsmäßig gleich, ihr aber entgegengesetzt gerichtet ist. Dementsprechend werden die Begriffe Last und Muskelkraft häufig sinngleich benutzt. Bei genauer Betrachtung wird allerdings erkennbar, dass mit abnehmender Dehnung der Titinmoleküle und somit abnehmenden passiven Kräften die vom Muskel aktiv entwickelten Kräfte während isotonischer Verkürzung zunehmen müssen, da die Summe von passiven plus aktiven Kräften der konstanten Last des Gewichtes entgegenwirken (Abb. 6.12 A).
Trägt man von der Ruhe-Dehnungs-Kurve ausgehend die bei der jeweiligen Ausgangslänge im glatten Tetanus maximal mögliche Verkürzung waagerecht (isotonisch) und nach links (Verkürzung) auf, so ergibt die Verbin-
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6.2 Skelettmuskel dung der Endpunkte die Kurve der isotonischen Maxima (Abb. 6.12 B).
A Arbeitsdiagramm des Skelettmuskels isometrische Maxima
Bei isometrischer Kontraktion entwickelt ein Muskel Kraft ohne seine Länge zu ändern
Die isometrisch entwickelte Kraft hängt von der Muskellänge ab Die Ausgangslänge beeinflusst zum einen die passiven Kräfte eines Muskels (Ruhe-Dehnungs-Kurve) und zum anderen die bei Stimulation zusätzlich entwickelte aktive isometrische Kraft (Abb. 6.12 B; senkrechte Pfeile). Aktive und passive Kräfte addieren sich bei jeder Ausgangslänge zur isometrischen Maximalkraft. Die Ursache hierfür ist die parallele Anordnung der Titin- und Aktinfilamente, die einerseits passive Kräfte verursachen (Titin) und andererseits die von den Querbrücken produzierten aktiven Kräfte übertragen (Aktinfilamente). Die im glatten Tetanus entwickelte aktive isometrische Kraft ist im Bereich der Gleichgewichtslänge maximal und fällt sowohl mit steigender Länge oberhalb des Maximums als auch mit abnehmender Länge des Muskels ab. Trägt man von der Ruhe-Dehnungs-Kurve ausgehend die jeweils im glatten Tetanus entwickelte aktive isometrische Kraft senkrecht nach oben (isometrische Kontraktion) auf, so ergibt die Verbindung der Endpunkte die Kurve der isometrischen Maxima (Abb. 6.12 B). Bei Einzelzuckungen werden geringere isometrische Kräfte erreicht als bei Superposition oder bei tetanischer Kontraktion. Die Kurve isometrischer Maxima ist für Einzelzuckungen deshalb flacher als die in Abb. 6.12 B gezeigte Kurve.
Die Längenabhängigkeit der aktiv entwickelten isometrischen Kraft lässt sich aus der Gleitfilamenttheorie erklären Wird die aktiv entwickelte isometrische Kraft gegen die Sarkomerlänge aufgetragen und mit dem jeweiligen Ausmaß an Überlappung zwischen Aktin- und Myosinfilamenten verglichen, kann der charakteristische Verlauf des aktiven Kraft-Längen-Diagramms aus Gleitfilamenttheorie und zyklischer Querbrückentätigkeit erklärt werden (Abb. 6.13). Bei Sarkomerlängen über 2,2 µm sinkt die aktive isometrische Kraft linear mit abnehmender Über-
Kurve der Unterstützungsmaxima
Kraft
Ruhedehnungskurve angehobene Last
Arbeit Hubhöhe
Gleichgewichtslänge
Muskellänge (cm)
B isotonische und isometrische Kontraktion Kurve der isometrischen Maxima Ruhedehnungskurve
Kraft
Kurve der isotonischen Maxima
Kraft
Bei einer isometrischen Kontraktion sind die Muskelenden fixiert (Abb. 6.12 C), so dass keine Änderung der Muskellänge stattfinden kann. Ein Beispiel dafür ist die Funktion von Haltemuskeln. Bei dieser Kontraktionsform bleibt die Länge der Sarkomere konstant, sofern die Dehnung der Sehnen vernachlässigbar ist. Die Strukturumlagerungen beim „Kraftschlag“ im Verlauf des Querbrückenzyklus führen bei festgehaltener Filamentposition zu elastischer Verformung des Myosinkopfes, aber auch zu Dehnung der Aktin- und Myosinfilamente. Die Summe der so erzeugten elastischen Rückstellkräfte ist die außen messbare aktive Muskelkraft. Die maximale Muskelkraft ist somit abhängig von der Zahl parallel angeordneter Myosinköpfe und entsprechend um so größer, je größer der Gesamtquerschnitt aller Fasern eines Muskels ist (physiologischer Muskelquerschnitt).
isotonische Maxima
Muskellänge
Muskellänge Ruhedehnungskurve
C verschiedene Kontraktionsformen
isotonisch
isometrisch
auxotonisch
Unterstützungszuckung
Anschlagszuckung
Abb. 6.12 Kontraktionsformen im Kraft-Länge-Diagramm (Arbeitsdiagramm). (A) Arbeitsdiagramm mit Ruhedehnungskurve, Kurven der isometrischen und isotonischen Maxima sowie Kurve der Unterstützungsmaxima für einen Arbeitspunkt (x). Eingezeichnet sind isometrische und isotonische Kontraktion für diesen Arbeitspunkt sowie Unterstützungskontraktionen für 3 verschiedene Lasten. Für eine der Unterstützungskontraktionen ist die physikalische Arbeit eingezeichnet. Sie entspricht dem Produkt aus angehobener Last und Hubhöhe und ist gleich der von diesen beiden Größen eingeschlossenen Fläche. (B) Konstruktion der Kurven der isotonischen und isometrischen Maxima. (C) Verlauf einer isotonischen, isometrischen, positiv auxotonischen, Unterstützungs- und Anschlags-Kontraktion im Arbeitsdiagramm.
lappung zwischen Myosin- und Aktinfilamenten ab, da mit abnehmender Überlappung entsprechend weniger Myosinköpfe mit den Aktinfilamenten interagieren können. Gleichbleibend maximale aktive Kraft wird bei Sarkomerlängen zwischen 2,2 und 2,0 µm erreicht. In diesem Bereich können stets alle Myosinköpfe mit Aktin interagieren. Wegen der kopffreien Zone im Zentrum der Myosinfilamente bleibt die Zahl von Myosinköpfen, die mit Aktinfilamenten interagieren, mit abnehmender Sarkomerenlänge im Bereich von 2,2 bis 2,0 µm konstant. Der Abfall der aktiven isometrischen Kraft bei Längen
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6 Muskulatur unterhalb von 2,0 µm beruht auf mehreren Faktoren: beginnende Doppelüberlappung der Myosinfilamente mit Aktinfilamenten beider Sarkomerhälften, Kollision der Myosinfilamente mit den Z-Scheiben sowie reduzierte Ausbreitung der Aktionspotenziale in den T-Tubuli. Die meisten isolierten Muskeln können sich deshalb nur auf ca. 50 – 70% ihrer Ausgangslänge verkürzen. Weitergehende Verkürzungen führen zu irreversiblen Veränderungen in der Sarkomerstruktur.
eine Phase isotonischer oder auxotonischer Kontraktion. Das Hochheben eines Gegenstandes ist eine typische Unterstützungskontraktion (Abb. 6.12 C). In der ersten Phase muss der Muskel zunächst soviel Kraft entwickeln, bis diese dem Gewicht des Gegenstandes entspricht. Dann kann der Gegenstand in der zweiten Phase angehoben werden. In der ersten Phase wird unter konstanter Muskellänge die aktive Kraft ansteigen (isometrische Phase), in der zweiten Phase wird unter Muskelverkürzung der Gegenstand angehoben (isotonische Phase). Bei Unterstützungskontraktionen im intakten Organismus ist die zweite Phase aufgrund der Veränderung der wirksamen Hebelarme häufig nicht exakt isotonisch sondern vielmehr auxotonisch. Kaubewegungen (mit Kieferschluss) sind typische Anschlagskontraktionen (Abb. 6.12 D). In der ersten isotonischen bzw. auxotonischen Phase führt die Muskelverkürzung zum Kieferschluss (Anschlag), in der zweiten, isometrischen Kontraktionsphase wird ohne Längenänderung Muskelkraft entwickelt (Kaudruck).
Bei der auxotonischen Kontraktion ändern sich gleichzeitig Länge und Kraft Gelenkbewegungen verändern häufig die Länge des wirksamen Hebelarmes. Dadurch wird auch beim Anheben eines konstanten Gewichtes die tatsächliche Belastung des Muskels während der Verkürzung verändert. Beim Anheben einer Last kann sich beispielsweise der Winkel zwischen Unterarm und Oberarm und somit der wirksame Hebelarm für den M. bizeps brachii ändern. Kontraktionen, bei denen sich während der Verkürzung die Muskelkraft bzw. Muskelbelastung ändert, werden auxotonische Kontraktionen genannt. Bei positiv auxotonischer Kontraktion steigt die Last mit der Verkürzung an (Abb. 6.12 C), bei negativ auxotonischer Kontraktion hingegen fällt sie.
Mit zunehmender Last nimmt die Längenänderung (Hubhöhe) während einer Unterstützungskontraktion ab Die Hubhöhe bei einer Unterstützungskontraktion ist um so größer, je kleiner die anzuhebende Last ist (Abb. 6.12 A). Wird für verschiedene Gewichte, bei vorgegebener Ausgangslänge des Muskels, die in der isotonischen Phase jeweils erreichte Endlänge gegen die zum Anheben des Gewichtes notwendige Muskelkraft in das Arbeitsdiagramm des Muskels eingetragen, ergibt die Verbindungslinie der Endlängen die Kurve der Unterstützungsmaxima. Dabei sind die von der vorgegebenen Ausgangs-
Unterstützungskontraktion und Anschlagskontraktion sind zusammengesetzte Kontraktionsformen Bei der Unterstützungskontraktion und der Anschlagskontraktion können zwei Phasen unterschieden werden, die nacheinander ablaufen: eine isometrische Phase und
B
100
Sarkomerlänge (µm) 1,60
C A
80
Kraft in % vom Maximum
118
A
2,00
D B
60
2,20 C
40
Kraftentwicklung beim Skelettmuskel
2,50 D
20
3,60 0
E
E
0 1,2 1,4 1,6 1,8 2,0 2,2 2,4 2,6 2,8 3,0 3,2 3,4 3,6
Sarkomerlänge (µm)
Abb. 6.13 Einfluss der Sarkomerlänge auf aktive isometrische Kraft. Aufgetragen ist die im glatten Tetanus entwickelte aktive isometrische Kraft (isometrische Maximalkraft minus passive Kraft entsprechend der Ruhedehnungs-
Titinfilament
Myosinfilament
Aktinfilament
kurve) gegen die jeweilige Sarkomerlänge. Die einzelnen charakteristischen Abschnitte lassen sich durch unterschiedliches Überlappungsverhalten der Aktin- und Myosinfilamente erklären (nach 16).
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6.2 Skelettmuskel A
B
Die Verkürzungsgeschwindigkeit eines Muskels nimmt mit zunehmender Last ab Wird die unter isotonischen Bedingungen gemessene Verkürzungsgeschwindigkeit des Muskels gegen die jeweils angehobene Last bzw. die zum Anheben notwendige Muskelkraft aufgetragen, erhält man die Last-Geschwindigkeits-Beziehung bzw. Kraft-Geschwindigkeits-Beziehung (Abb. 6.14 A). Ohne äußere Last verkürzt sich der Muskel mit seiner maximalen Geschwindigkeit. Diese wird von der Geschwindigkeit des Gleitens der Aktinund Myosinfilamente im Sarkomer sowie von der Gesamtzahl hintereinander geschalteter Sarkomere (Muskellänge) bestimmt. Die Verkürzungsgeschwindigkeit nimmt mit zunehmender Last hyperbolisch ab. Entsprechend werden leichte Lasten schneller angehoben als schwere. Entspricht die anzuhebende Last der halben isometrischen Maximalkraft, erreicht die Verkürzungsgeschwindigkeit noch etwa 1⁄4 der unter lastfreier Verkürzung beobachteten Maximalgeschwindigkeit. Ist die Last gerade gleich der isometrischen Maximalkraft, ist die Verkürzungsgeschwindigkeit Null, d. h. der Muskel kann sich nicht mehr verkürzen.
0
P0
Kraft bzw. Last
Vmax
0 absorbiert
Leistung
erzeugt
Die physikalische Muskelarbeit entspricht dem Produkt aus Last und Hubhöhe Da die vom Muskel zu entwickelnde Gesamtkraft gleich der anzuhebenden Last ist, wird die physikalische Muskelarbeit bei einer Unterstützungskontraktion im KraftLängen-Diagramm durch die Fläche des Rechtecks repräsentiert, dessen Seiten der angehobenen Last (= der zum Anheben der Last notwendige Muskelkraft) und der Hubhöhe entsprechen (Abb. 6.12 A). Die Arbeit erreicht im mittleren Lastbereich ein Maximum und wird für niedrige und höhere Lasten kleiner. Sie erreicht für Lasten gleich der isometrischen Maximalkraft (Hubhöhe = 0) bzw. bei lastfreier Verkürzung (Last = 0) den Wert Null, da jeweils eine Größe des Produkts gleich Null ist. Obwohl bei isometrischer Kontraktion und lastfreier Verkürzung die physikalische Muskelarbeit gleich Null ist, wird im Verlauf beider Kontraktionsformen ATP im Querbrückenzyklus umgesetzt. Die bei der Hydrolyse von ATP freigesetzte chemische Energie wird dabei vollständig in Form von Wärme abgegeben.
Verkürzung
Geschwindigkeit
Die Endpunkte werden erreicht, wenn das anzuhebende Gewicht schwerer ist als die isometrisch mögliche Maximalkraft (rein isometrische Kontraktion), bzw. wenn das Gewicht gerade den passiven Muskelkräften bei der vorgegebenen Ausgangslänge entspricht (rein isotonische Kontraktion). Die Kurve der Unterstützungsmaxima entspricht in erster Näherung der Verbindungsgeraden zwischen den Endpunkten der zugehörigen isometrischen und isotonischen Kontraktion. Für jede Ausgangslänge des Muskels muss vom entsprechenden Punkt auf der Ruhe-Dehnungs-Kurve ausgehend die Kurve der Unterstützungsmaxima neu bestimmt werden.
Vmax
Verlängerung
länge möglichen rein isometrischen bzw. rein isotonischen Kontraktionen die Endpunkte der Kurve der Unterstützungsmaxima.
Kraft bzw. Last P0
Abb. 6.14 Die Beziehung zwischen Muskelkraft bzw. Last und Verkürzungs- bzw. Dehnungsgeschwindigkeit (A) und Leistung (B). (A) Ist die äußere Last gleich Null wird die maximale Verkürzungsgeschwindigkeit (Vmax) erreicht. Entspricht die Last der isometrischen Maximalkraft (Po) erfolgt keine Verkürzung. Bei Lasten über Po wird der Muskel verlängert bzw. gedehnt. (B) Die Leistung (Produkt aus Muskelkraft bzw. Last und Verkürzungsgeschwindigkeit) entspricht dem jeweiligen Rechteck unter der Kraft-Geschwindigkeits-Beziehung. Die maximale Leistung wird bei Lasten/Kräften von ca. 1⁄3 der isometrischen Maximalkraft (Po) erreicht. Bei Dehnung kann ein Muskel Kräfte entwickeln, die das doppelte der isometrischen Maximalkraft erreichen, und es können hohe Leistungen absorbiert werden (Bremswirkung bei Dehnung; nach 13).
Bei Verlängerung bzw. Dehnung eines aktivierten Muskels werden die höchsten Kräfte erreicht Übersteigt die Last die isometrische Maximalkraft, wird der Muskel verlängert (Abb. 6.14 A, negative Verkürzungsgeschwindigkeit). Auch hier entspricht die vom Muskel der Verlängerung bzw. Dehnung entgegengesetzten Kraft gleich der einwirkenden Last. Dieser Funktionsbereich ist für Bremsbewegungen, zum Beispiel beim Bergabgehen, von großer Bedeutung. Unter Verlängerung werden vom aktiv kontrahierenden Muskel Kräfte erzeugt, die das Doppelte der maximalen isometrischen Muskelkraft erreichen können. Bei hohen Kräften können im Muskelgewebe Mikroläsionen auftreten. Nach ungewohnten Muskelbelastungen, insbesondere solchen, die mit Bremsfunktionen der Muskulatur einhergehen (z. B. Bergabgehen), treten verzögert Muskelschmerzen auf, die nach 24 bis
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6 Muskulatur 48 Stunden ihr Maximum erreichen (Muskelkater). Ursache ist eine entzündliche Reaktion der Muskelfasern mit Anschwellen und Schmerz aufgrund von Mikroläsionen, die zum Beispiel im Bereich der ZScheiben und den Verankerungen des kontraktilen Apparates über membranassoziierte Strukturproteine in den extrazellulären Kollagenfibrillen auftreten können.
Auch die Muskelleistung nimmt mit steigender Last ab Die von einem Muskel bei Verkürzung erzeugte mechanische Leistung ist das Produkt aus Kraft (angehobene Last) und Verkürzungsgeschwindigkeit. Die Leistung entspricht daher dem jeweiligen Rechteck unter der KraftGeschwindigkeits-Beziehung (Abb. 6.14 B). Die mechanische Leistung ist bei lastfreier Verkürzung (Last = 0) und isometrischer Kontraktion (Hubhöhe = 0) gleich Null. Das Leistungsmaximum liegt bei Lasten, die eine Hubkraft von etwa 30 % der isometrischen Maximalkraft erfordern. Die Kraft-Geschwindigkeits-Beziehung lässt auch erkennen, dass ein Muskel schon bei relativ langsamen Dehnungen eine erhebliche mechanische Leistung absorbieren kann (Bremsfunktion), die in Form von Wärme abgegeben wird (Abb. 6.14 B).
Verkürzungsgeschwindigkeit und Muskelleistung können durch zeitliche Summation und Rekrutierung motorischer Einheiten an wechselnden Bedarf angepasst werden Soll ein Gegenstand angehoben werden, kann durch Erhöhung der Aktionspotenzialfrequenz, mit der motorische Einheiten angesteuert werden (zeitliche Summation), und durch Rekrutierung motorischer Einheiten die aktive Gesamtkraft erhöht werden. Bei gleichem anzuhebendem Gewicht wird die relative Belastung der einzelnen Muskelfaser reduziert. Entsprechend der Kraft-Geschwindigkeits-Beziehung kann der Gegenstand schneller angehoben werden. Analog lässt sich die Geschwindigkeit von Bewegungen durch Dehnung und damit erzeugter Bremswirkung der kontrolliert mitaktivierten, antagonistisch wirkenden Muskeln genau dosieren (vgl. Abb. 6.14 A und S. 744). Die Hubgeschwindigkeit wird darüber hinaus auch von den aktivierten Muskelfasertypen (Tab. 6.1, S. 114) mitbestimmt. Die meisten Skelettmuskeln haben sowohl langsame als auch schnelle Muskelfasern, jedoch in unterschiedlichen Anteilen. Dies bedeutet, dass nicht nur durch Rekrutierung und Summation sondern auch durch Auswahl schneller oder langsamer motorischer Einheiten die Hubgeschwindigkeit dem Bedarf angepasst werden kann.
Muskelenergetik Die zur Muskelkontraktion notwendige Energie stammt aus der Hydrolyse von ATP. Aufgrund effizienter Nachlieferung sinkt die ATP-Konzentration bei Muskelarbeit praktisch nicht ab. Die Regeneration von ATP erfolgt aus Kreatinphosphat, durch Glykolyse und durch oxidative Phosphorylierung. Zu Beginn einer Muskeltätigkeit
wird ATP ohne Sauerstoffverbrauch über Kreatinphosphat bereitgestellt. Die eingegangene Sauerstoffschuld in Form ansteigender Kreatinkonzentration muss in der Erholungsphase über oxidative Phosphorylierung und Regeneration des Kreatinphosphats ausgeglichen werden. Der Wirkungsgrad der Muskulatur bei der Umformung der chemischen Energie in mechanische Arbeit kann 50 % erreichen. Einschließlich der chemischen Prozesse zur Regeneration von ATP beträgt der Gesamtwirkungsgrad ca. 25 %. Die Muskeltätigkeit wird durch zentrale und periphere Ermüdungserscheinungen begrenzt. Im Muskel selbst führt der pH-Abfall bei Laktatproduktion zur Abnahme der Muskelkraft. Im Verlauf der Muskelkontraktion und in der Erholungsphase wird Wärme freigesetzt. Die Initialwärme ist der im Verlauf der Kontraktion freigesetzte Anteil, die Erholungswärme wird nach Ende der Kontraktion freigesetzt. Die Myosinkopfdomänen besitzen ATPase-Aktivität. ATP ist dementsprechend direktes Substrat der Myosinköpfe, und die chemische Energie der Hydrolyse von ATP ist unmittelbare Energiequelle der Muskelkontraktion. Bei der Muskelkontraktion hydrolysiertes ATP wird ständig mit so hoher Effizienz nachgeliefert, dass praktisch kein Absinken der normalen ATP-Konzentration (ca. 5 mMol/l) im Sarkoplasma eintritt. Die ATP-Regeneration erfolgt im Wesentlichen über drei Mechanismen: – 1. ATP wird aus Kreatinphosphat nachgeliefert, entsprechend der Lohmann-Reaktion: Kreatinphosphat + ADP ↔ Kreatin + ATP. Die ATP-Konzentration bleibt dabei unverändert bis die Kreatinphosphat-Konzentration von ca. 20 mmol/kg Muskelgewebe in Ruhe auf unter 2,5 mmol/kg abgesunken ist (Abb. 6.15 A). Die ATP-Regeneration aus Kreatinphosphat erfolgt ohne Sauerstoffverbrauch und ohne Bildung von Laktat (Milchsäure) ist also anaerob-alaktazid. Die Einstellung des Gleichgewichtes wird durch Kreatinkinase katalysiert. Die Kreatinkinase ist in der M-Linie integriert und bildet im Bereich der I-Bande mit glykolytischen Enzymen einen Komplex, der mit den Aktinfilamenten assoziiert ist. Diese Lokalisation sichert ein schnelles Nachliefern von ATP aus ADP mit kürzesten Diffusionsstrecken.
– 2. ATP entsteht anaerob beim Abbau von Glukose über die Glykolyse. Die Glukose stammt überwiegend aus dem Glykogenabbau. 3 Mol ATP/Mol Glukose werden beim Abbau aus Glykogen gewonnen, bei Abbau freier Glukose nur 2 Mol ATP/Mol Glukose. Der Glykogenvorrat entspricht ca. 100 mM Glukoseeinheiten pro kg Muskelgewebe. Bei der anaeroben Glykolyse entsteht Laktat, d. h. die ATP-Bereitstellung erfolgt anaeroblaktazid. – 3. Durch die oxidative Phosphorylierung in den Mitochondrien werden 36 Mol ATP/Mol Glukose gewonnen. Energieliefernde Substrate sind Kohlenhydrate und Fettsäuren. Bei Fettsäuren hängt die Energieausbeute vom Fettsäuretyp ab. Die ATP-Bereitstellung ist entsprechend aerob-alaktazid. Das in den Mitochondrien gebildete ATP kann nicht direkt die Mitochondrien verlassen. Über die Lohmann-Reaktion wird das energiereiche Phosphat auf Kreatin übertragen und gelangt in
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6.2 Skelettmuskel
A
B
Kontraktion
Erholung
Reiz
Kraft
ATPase-Aktivität Konzentration Energie
CrP
CrP-Gehalt
ATP Sauerstoffverbrauch 0
10
20
freigesetztes Pi (mmol/kg )
(äquivalent der alaktazid geleisteten Arbeit)
Abb. 6.15 Energieumsatz während Muskelkontraktion. (A) Konzentrationen von ATP und Kreatinphosphat (CrP) in Abhängigkeit von der freigesetzten Menge an anorganischem Phosphat, Pi, während anaerober alaktazider Phase der Energiegewinnung (nach 25). (B) Verhalten von Kraftentwicklung, ATPase-Aktivität, Kreatinphosphat (CrP)-Gehalt
Form von Kreatinphosphat in das Sarkoplasma, wo es der Regeneration von ATP aus ADP dient.
Zu Beginn einer Muskeltätigkeit ist die anaerobe Regeneration von ATP notwendig, da die Anpassung des Stoffwechsels (oxidative Phosphorylierung) an den gesteigerten Bedarf eine Anlaufzeit erfordert. In dieser Phase wird ATP zunächst über die Lohmann-Reaktion aus Kreatinphosphat regeneriert. In dieser Anfangsphase sinkt der Kreatinphosphatgehalt des Muskels bei praktisch konstanter ATP-Konzentration (Abb. 6.15 A, B). Das Kreatinphosphat-Defizit wird nach Ende der Muskeltätigkeit, zu Beginn der Erholungsphase über die umgekehrte Lohmann-Reaktion aus ATP regeneriert, das über die oxidative Phosphorylierung produziert wird. Der dazu in der Erholungsphase notwendige Sauerstoff entspricht einer Sauerstoffschuld, die bei Belastungsbeginn über Abbau von Kreatinphosphat eingegangen wurde. Für die meisten Tätigkeiten reicht diese anaerob alaktazide Energiegewinnung aus (Abb. 6.15 B). Bei schnellen Muskelfasern (vgl. Tab. 6.1, S. 114) mit geringer Kapazität der oxidativen Phosphorylierung muss bei Bedarf zusätzlich ATP über anaerobe Glykolyse mit Laktatproduktion bereitgestellt werden. Absinken des Kreatinphosphats sowie Laktat- und Phosphat-Anreicherung führen bei diesen Fasern zu schneller muskulärer Ermüdung. Bei anhaltender Tätigkeit von langsamen Muskelfasern mit hoher Kapazität der oxidativen Phosphorylierung sinkt zunächst der Kreatinphosphatspiegel solange, bis die oxidative Phosphorylierung ausreichend angestiegen ist, um den ATP-Bedarf zu decken (ca. 1 – 2 min). Dann erfolgt die ATP-Regeneration aerob. Das System ist stationär (im Fließgleichgewicht), wenn die ATP-Regeneration mit dem ATP-
10 s
5 min Zeit
und Sauerstoffverbrauch vor, während und nach einer kurzfristigen tetanischen Kontraktion (anaerobe alaktazide Energiegewinnung). Zu beachten ist die Änderung der Zeitskala mit Beginn der Erholungsphase. Gestrichelte, waagerechte Linien repräsentieren Ruhewerte von ATPase-Aktivität und Sauerstoffverbrauch (nach 5).
Verbrauch Schritt hält. In diesem Fließgleichgewicht bleiben die intrazelluläre Konzentration von ATP und Kreatinphosphat konstant.
Die Rate der ATP-Spaltung kann bei körperlicher Belastung auf das 50- bis 100fache des Ruheumsatzes ansteigen. Entsprechend ist der Sauerstoffverbrauch ebenfalls auf das 50- bis 100fache gesteigert, da der Sauerstoffbedarf pro ATP konstant bleibt, solange ATP ausschließlich durch oxidative Phosphorylierung bereitgestellt wird. Die Dauerleistungsgrenze, bis zu der die ATP-Regeneration über die oxidative Phosphorylierung gedeckt wird, kann kurzfristig überschritten werden, wenn ATP zusätzlich anaerob über Glykogenabbau gebildet wird. Durch anaerobe Glykolyse kann die ATP-Regeneration allerdings nur kurzfristig gesteigert werden, da die Glykogenvorräte begrenzt sind und das Endprodukt Laktat in Muskelfasern und Blutplasma angereichert wird. Folge des Laktatanstiegs ist ein pH-Abfall, der beispielsweise durch Verschiebung der Kraft-Calcium-Kurve (Abb. 6.8 C, S. 110) zu reduzierten Muskelkräften und daraus resultierenden Leistungseinschränkungen führt. Mit einer Halbwertszeit von etwa 15 Minuten wird Laktat aus der Muskulatur über das Blut abtransportiert und in Leber und Herzmuskel verstoffwechselt.
Zentrale und periphere Effekte führen zur Ermüdung von Willkürbewegungen Die Abnahme der Muskelkraft bei anhaltenden willkürlichen Bewegungen ist im ersten Stadium auf eine Reduktion der Willkürinnervation zurückzuführen (zentrale
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121
122
6 Muskulatur Ermüdung). Unter elektrischer Stimulation des efferenten Nervs kann die anfängliche Muskelkraft wieder erreicht werden. Bei fortgesetzter Stimulation des efferenten Nervs sinkt die Muskelkraft erneut ab, kann aber durch direkte Stimulation der Muskulatur wieder gesteigert werden. Demzufolge ist dieser erneute, zweite Kraftabfall Folge der Ermüdung der neuromuskulären Erregungsübertragung durch Transmitterverarmung. Erst eine Abnahme der Muskelkraft bei fortgesetzter direkter Stimulation des Muskels mit Abfall des intrazellulären pH-Wertes durch Anhäufung von Laktat bei anaerober Energiebereitstellung, oder der Anstieg von Phosphat und in geringerem Maße von ADP führen zur Ermüdung des Muskels selbst (periphere Ermüdung). Ursachen für die reduzierten Muskelkräfte bei peripherer Ermüdung sind Abnahme der Ca2+-Freisetzung aus dem sarkoplasmatischen Retikulum sowie reduzierte Ca2+-Empfindlichkeit des kontraktilen Apparates bei reduziertem pH-Wert und Anstieg des Phosphats. Zunehmende Abweichungen vom pH-Optimum der ATP-Hydrolyse durch Myosin oder der an ATP-Bereitstellung und -Regeneration beteiligten Enzymsysteme können zur Reduktion der Muskelkraft bei Ermüdung beitragen.
Die Muskulatur kann chemische Energie mit hohem Wirkungsgrad in mechanische Arbeit umformen Die bei der Hydrolyse von ATP durch die Myosinköpfe freigesetzte chemische Energie kann unter optimalen Bedingungen zu 40 – 50 % in mechanische Arbeit umgeformt werden (maximaler Wirkungsgrad). Die Muskelleistung erreicht ein Maximum bei Lasten, die etwa 30 % der isometrischen Maximalkraft entsprechen (Abb. 6.14). In diesem Bereich ist der Wirkungsgrad am günstigsten. Zum Beispiel kann beim Radfahren mit Hilfe einer Gangschaltung die Belastung der Muskulatur auch bei wechselnden äußeren Bedingungen in diesem Bereich verbleiben. Andererseits werden selbst unter optimalen Bedingungen 50 – 60% der umgesetzten chemischen Energie als Wärme freigesetzt. Darüber hinaus geht auch die Regeneration von ATP über oxidative Phosphorylierung von Glukose bzw. Fettsäuren in der Erholungsphase mit Wärmebildung einher. Werden diese Wärmeverluste mit berücksichtigt, liegt der Gesamtwirkungsgrad der Muskulatur bei 20 – 30 %, d. h. selbst bei optimalem Gesamtwirkungsgrad werden 70 – 80 % des Gesamtumsatzes in Form von Wärme freigesetzt.
Die Wärmeproduktion des aktiven Muskels erfolgt in zwei Phasen, die als Initialwärme und Erholungswärme bezeichnet werden Wie alle Gewebe hat auch der Muskel einen Ruheumsatz, der von einer Wärmeproduktion begleitet ist, der so genannten Ruhewärme. Wird der Muskel stimuliert, so lassen sich global zwei Phasen der Wärmeproduktion unterscheiden. Die Phase der Initialwärme während der Kontraktion, die mit Ende der Erschlaffung abgeschlossen ist, und die Phase der Erholungswärme, die nach Ende der Erschlaffung über mehrere Minuten anhält. Bei länger anhaltendem glatten Tetanus sinkt die Wärmeproduktion im Tetanus nach einem initialen Maximum auf einen
konstanten Wert ab. Die während der länger anhaltenden tetanischen Kontraktion produzierte Wärme wird auch als Erhaltungswärme bezeichnet. Ein Teil der Initial- bzw. Erhaltungswärme ist auch bei langanhaltender tetanischen Kontraktion der Zahl aktiver Querbrücken proportional. Auch unter isometrischer Kontraktion wird der Querbrückenzyklus im Muskel kontinuierlich durchlaufen. Demzufolge wird laufend chemische Energie umgesetzt, auch wenn die mechanische Arbeit gleich Null ist. Bei isometrischer Kontraktion wird dementsprechend die gesamte chemische Energie der ATP-Hydrolyse nur in Wärme umgeformt. Der von Querbrücken unabhängige Teil von Initial- bzw. Erhaltungswärme ist anderen Prozessen zuzuschreiben, beispielsweise dem aktiven Rücktransport von Ca2+-Ionen in das sarkoplasmatische Retikulum durch die Ca2+-ATPasen. Die Erholungswärme ist schließlich das Begleitprodukt all derjenigen Prozesse, die in der Erholungsphase zur Wiederherstellung des Ausgangszustandes des Stoffwechsels beitragen. Die Erholungswärme ist in ihrer Summe etwas größer als die Initial- bzw. Erhaltungswärme.
6.3
Glatte Muskulatur
Die glatte Muskulatur erzeugt Kräfte und Bewegungen innerer Organe. Ihre Funktion wird durch das vegetative Nervensystem und humorale Einflüsse gesteuert. Der kontraktile Apparat des glatten Muskels kann über einen größeren Längenbereich aktiv sein als der des Skelettmuskels, wodurch eine effektive Volumenkontrolle von Hohlorganen ermöglicht wird. Die glatte Muskulatur von Hohlorganen kann bei Füllung gedehnt werden, ohne anhaltende passive Rückstellkräfte zu entwickeln (plastisches Verhalten), so dass ein Rückstau in die vorgeschalteten Organe vermieden wird. Die glatte Muskulatur ist darüber hinaus in der Lage bei möglichst geringem ATP-Verbrauch dauerhaft aktiv zu sein und dadurch einen Tonus aufrecht zu erhalten. Solche für den glatten Muskel spezifischen Eigenschaften bedingen eine weit größere funktionelle Vielfalt als beim quergestreiften Muskel. Glatte Muskulatur spielt in fast allen Organsystemen eine wichtige Rolle. Glatte Muskeln sind Hauptkomponenten der Atemwege, des Verdauungstraktes, des Urogenitaltraktes und des Gefäßsystems. Die vielfältigen Funktionen erfordern eine Reihe von Besonderheiten gegenüber der Skelettmuskulatur. – In Hohlorganen dient die glatte Muskulatur der Volumenkontrolle. Der kontraktile Apparat und das kraftübertragende Zytoskelett müssen dazu über einen großen Längenbereich aktiv sein, woraus sich deren anders als im Skelettmuskel gestaltete, nicht-lineare und nicht-parallele Anordnung begründet. – Glatte Muskulatur darf bei der Füllung von Hohlorganen einer Dehnung praktisch keinen Widerstand entgegensetzen, um Rückstau in vorgeschaltete Organe zu vermeiden. In den Widerstandsgefäßen mancher Abschnitte des großen Kreislaufs ist dagegen sicherzustellen, dass Änderungen des Innendrucks möglichst keine Querschnitts- und damit Widerstandsveränderungen verursachen. Dort muss die glatte Muskulatur direkt, reflexartig einer Längenänderung gegensteuern. – In manchen Organsystemen muss glatte Muskulatur bei möglichst geringem ATP-Verbrauch kontinuierlich
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6.3 Glatte Muskulatur aktiv sein, um über ihren Tonus die Funktion des Organsystems zu kontrollieren. Ein Beispiel hierfür ist die glatte Muskulatur der Widerstandsgefäße im Kreislauf (vgl. Kap. 8.5). Andererseits müssen glatte Muskeln unter Kontrolle des vegetativen Nervensystems ihren Tonus sehr schnell geänderten Anforderungen anpassen können. Ein Beispiel hierfür ist die Aktivität des M. ciliaris bei der Nah- und Fernakkomodation des Auges (vgl. S. 689). – Die Funktion der glatten Muskelzellen muss durch neurale und humorale Einflüsse koordiniert und an wechselnde Anforderungen angepasst werden. In manchen Organsystemen ist hierzu eine ausgedehnte Kommunikation und Koordination zwischen den einzelnen glatten Muskelzellen erforderlich. Entsprechend dieser vielfältigen Anforderungen an die glatte Muskulatur findet man beim Vergleich verschiedener Organsysteme eine Vielfalt von morphologischen und funktionellen Anpassungen. Aus den vielfältigen Funktionen erklärt sich auch, dass therapeutisch sehr häufig in die Funktion der glatten Muskulatur einzugreifen ist. Dabei ist es essenziell, die funktionelle Vielfalt im Detail zu kennen. Nur so können die jeweils relevanten glatten Muskelzellen gezielt und selektiv angesprochen werden, ohne unerwünschte oder gar bedrohliche Nebenwirkungen durch Mitansprechen anderer glattmuskulärer Zellen zu provozieren.
A glatte Muskelzelle Gap Junction
dense bodies
Myosin
Aktin
B Myosinfilament
C Minisarkomere
Aktinfilament
1 entspannt
2 kontrahiert
Minisarkomer
Myosinfilament
dense body
Molekulare Grundlagen der Kontraktion glatter Muskulatur Die glatte Muskulatur besteht aus spindelförmigen, einkernigen Zellen. Sie stehen häufig durch Gap Junctions in funktionellem Kontakt. Aktin- und Myosinfilamente sind länger als beim Skelettmuskel und in Form von Minisarkomeren organisiert. Auch im glatten Muskel sind Längenänderungen durch Verschiebung der Aktinfilamente gegen die Myosinfilamente verursacht. Bei den bandförmigen Myosinfilamenten des glatten Muskels ragen die Myosinköpfe an Vorder- und Rückseite in entgegengesetzter Richtung aus dem Filamentrückgrat. Dies ermöglicht den Aktinfilamenten am gesamten Myosinfilament vorbeizugleiten. In Folge kann glatte Muskulatur über einen weit größeren Längenbereich aktiv sein als die quergestreifte Muskulatur. Den Aktinfilamenten sind die fadenförmigen Proteine Tropomyosin und Caldesmon angelagert. Im Zytoplasma gelöstes Calmodulin ist das Ca2+-Sensorprotein des glatten Muskels.
Glatte Muskulatur ist aus spindelförmigen Zellen aufgebaut, die ein funktionelles Synzytium bilden können Die glatte Muskulatur ist aus einkernigen, spindelförmigen Zellen mit zentralem Zellkern aufgebaut (vgl. Tab. 6.2, S. 134). Die meisten glatten Muskelzellen haben einen Durchmesser von etwa 5 – 10 µm bei einer Länge von bis zu mehreren 100 µm. In vielen Organen stehen die glatten Muskelzellen durch Gap Junctions (vgl. Kap. 3.2) in funktionellem Kontakt (funktionelles Synzy-
Abb. 6.16 Organisation von Aktin- und Myosinfilamenten in glatten Muskelzellen. (A) Glatte Muskelzellen mit Gap Junctions und Anordnung der Aktin- und Myosinfilamente. (B) Schema eines Myosinfilaments mit seitenpolarer bzw. antiparalleler Anordnung der Myosinmoleküle. (C) Organisation von Aktin- und Myosinfilamenten in Minisarkomeren, deren Anordnung in glatten Muskelzellen und Mechanismus der Zellverkürzung über Annäherung der dense bodies durch Gleiten der Aktinfilamente entlang der Myosinfilamente.
tium; Abb. 6.16 A; vgl. Tab. 6.2). Die Zellmembran weist Invaginationen auf, die wahrscheinlich den T-Tubuli der Skelettmuskulatur entsprechen.
Aktin- und Myosinfilamente sind im glatten Muskel in Minisarkomeren angeordnet In glatten Muskelzellen sind Aktin- und Myosinfilamente in Form so genannter Minisarkomere organisiert (Abb. 6.16 A, C). Die Minisarkomere werden durch die sogenannten „dense bodies“ begrenzt, die -Aktinin enthalten und entsprechend der Z-Scheiben der quergestreiften Muskulatur die Aktinfilamente verankern. Die dense bodies sind durch Mikrofilamente miteinander verbunden und bilden ein elastisches Zytoskelett, das an das extrazelluläre Bindegewebe gekoppelt ist. Durch die unregelmäßige Anordnung der dense bodies sind die Minisarkomere des glatten Muskels gegeneinander versetzt und
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6 Muskulatur nicht exakt parallel ausgerichtet. Entsprechend fehlt eine Querstreifung (vgl. Tab. 6.2, S. 134). Die Anzahl der Aktinfilamente, die in einem Minisarkomer um ein Myosinfilament angeordnet sind, ist variabel und im Mittel weit größer als im Skelettmuskel. Im Querschnitt einer glatten Muskelzelle ist keine hexagonale Organisation der Myofilamente zu erkennen. Der glatte Muskel besitzt nach bisherigen Erkenntnissen keine Titinfilamente. Die Aktinfilamente des glatten Muskels sind in ihrem Grundaufbau den Aktinfilamenten der Skelett- und Herzmuskulatur ähnlich, jedoch um ein Vielfaches länger. Auch hier sind entlang der helikalen Längsrillen Tropomyosinmoleküle den Aktinmonomeren angelagert. Troponin konnte im glatten Muskel nicht nachgewiesen werden. Statt dessen finden sich Caldesmon, Calponin und Calmodulin. Caldesmon ist ein fadenförmiges Protein, das parallel zu Tropomyosin den Aktinfilamenten angelagert ist und 7 – 14 Aktinmonomere eines Stranges überspannt. Calponin kann ebenfalls an das Aktinfilament binden, die Bindungsstelle ist jedoch unklar. Calmodulin ist ein Ca2+-Sensorprotein, das im Zytoplasma gelöst ist und nach Bindung von 4 Ca2+-Ionen als (Ca2+)4Calmodulinkomplex an seine Zielproteine bindet. Die Myosinfilamente des glatten Muskels sind im Querschnitt rechteckförmig und um ein Vielfaches länger als die des Skelettmuskels. Anstelle der helikalen Geometrie sind die Myosinmoleküle bandförmig angeordnet und besitzen einen seitenpolaren bzw. antiparallelen Aufbau (Abb. 6.16 B). Dabei sind die beiden Filamenthälften so orientiert, dass die Köpfe der Myosinmoleküle auf Vorder- und Rückseite in entgegengesetzter Richtung aus dem Rückgrat des Filaments ragen. Auch beim glatten Muskel sind den schweren Myosinketten im Hebelarmbereich der globulären Kopfdomäne zwei leichte Ketten, eine essenzielle und eine regulatorische Kette, angelagert.
Der seitenpolare Aufbau der Myosinfilamente ermöglicht große Verschiebungen zwischen Aktin- und Myosinfilamenten Grundlage von Längenänderungen des glatten Muskels ist wie beim Skelettmuskel der Gleitfilamentmechanismus. Bei aktiver Kontraktion oder passiver Dehnung gleiten die Aktinfilamente an den Myosinfilamenten entlang, ohne dass Aktin- oder Myosinfilamente ihre Länge ändern. Bei aktiver Kontraktion verkürzen sich dadurch die Minisarkomere. Die dense bodies werden dabei einander angenähert. Da die Minisarkomere überwiegend in Längsrichtung der spindelförmigen Zellen angeordnet sind, führt die Annäherung der dense bodies zu einer Verkürzung der glattmuskulären Zellen überwiegend in Längsrichtung (Abb. 6.16 C). Der seitenpolare Aufbau der Myosinfilamente ermöglicht große Verschiebungen zwischen Aktin- und Myosinfilamenten, da Aktinfilamente beim Entlanggleiten an den Myosinfilamenten nicht auf entgegengesetzt orientierte Myosinmoleküle treffen, wie dies im Skelettmuskel bei Sarkomerlängen unter etwa 2,0 µm der Fall ist (vgl. Abb. 6.13). Aufgrund der Länge der Aktinfilamente werden die dense bodies erst nach entsprechend ausgedehnten Filamentverschiebungen mit den Myosinfilamenten kollidieren und erst dann eine
weitere Verkürzung behindern. Dementsprechend kann glatte Muskulatur über einen weit größeren Längenbereich aktiv sein als die Skelettmuskulatur. Darüber hinaus erlaubt die größere Länge von Aktin- und Myosinfilamenten einer größeren Zahl von Myosinköpfen Wechselwirkungen mit einem Aktinfilament einzugehen. Damit können pro Minisarkomer mehr Myosinköpfe parallel aktiv sein. Entsprechend kann ein glatter Muskel auch größere aktive Kräfte entwickeln als ein Skelettmuskel.
Besonderheiten des Querbrückenzyklus bewirken eine hohe Halteökonomie des glatten Muskels Die Grundlagen von Kraftentwicklung und Verkürzung sind auch beim glatten Muskel zyklische Wechselwirkungen zwischen Myosinkopf und Aktinfilament. Das Myosin des glatten Muskels zeichnet sich durch sehr langsame ADP-Abdissoziation von der kraftgenerierenden Querbrücke aus. Dementsprechend ist die Halteökonomie des glatten Muskels sehr hoch. Die molekulare Grundlage von Kraftentwicklung und Verkürzung im glatten Muskel ist die zyklische Wechselwirkung der Myosinköpfe mit Aktinfilamenten. Der Querbrückenzyklus zwischen Myosinkopf und Aktinfilament verläuft ähnlich wie im Skelettmuskel, weist jedoch einige Besonderheiten auf. Die Affinität des Myosinkopfes für ADP ist sehr hoch, die ADP-Abdissoziation (Schritt 6 in Abb. 6.5 A, S. 106) ist stark verzögert und geht mit einer größeren zusätzlichen Umlagerung des „Hebelarms“ einher. Verzögerung der ADP-Abgabe bedeutet, dass ein glattmuskulärer Myosinkopf länger zu aktiver Kraft beiträgt, als im quergestreiften Muskel. Insgesamt ist der ATP-Umsatz im glatten Muskel 100- bis 1000fach langsamer als im schnellen Skelettmuskel. Tatsächlich kann ein glatter Muskel, bezogen auf gleichen Querschnitt, bei 100- bis 500fach geringerem ATP-Umsatz höhere Kräfte entwickeln und aufrechterhalten als ein Skelettmuskel. Gleichzeitig ist allerdings die maximale Verkürzungsgeschwindigkeit glatter Muskelzellen um mehrere Größenordnungen langsamer als im Skelettmuskel, was ebenfalls aus der verzögerten ADP-Abdissoziation selbst unter isotonischen Bedingungen verständlich wird (Abb. 6.5 A). Insgesamt kann der glatte Muskel unter sehr geringem Verbrauch von ATP langanhaltend Kräfte entwickeln. Er hat eine sehr hohe Halteökonomie und ist deshalb für lange Haltefunktionen besonders geeignet. Beispielsweise muss die glatte Muskulatur der Arterien des Kreislaufsystems permanent kontrahieren, um der gefäßweitenden Wirkung des Blutdruckes standzuhalten (vgl. Kap. 8).
Molekulare Mechanismen der Regulation glattmuskulärer Kontraktion Die Kontrolle des Querbrückenzyklus erfolgt im glatten Muskel überwiegend am Myosinkopf durch Phosphorylierung der regulatorischen leichten Kette mit Hilfe der Myosin-leichte-Ketten-Kinase (MLCK). Erst nach Phosphorylierung der regulatorischen leichten Kette kann der Myosinkopf den Querbrückenzyklus durchlaufen. Zunehmende Phosphorylierung der regulatorischen
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6.3 Glatte Muskulatur A Querbrückenzyklus beim glatten Muskel inaktiv
100
[Ca2+]i > 107 M
MLCK
2+
Calmodulin
Calmodulin
aktiv
B
Kraft (%)
[Ca2+]i < 107 M
Ca
MLCK Pi
ATP
ADP
niederaffine Bindung
100 % phosphorylierte regulatorische leichte Ketten
Querbrückenzyklus freigegeben ATP
Querbrückenzyklus blockiert
Pi
C 2+
Ca Sensitivierung 50
ADP MLCP
Kraft (%)
100
ADP Pi
Pi
0
hochaffine Bindung ADP Pi
10-12 nm
Pi 0
Abb. 6.17 Regulation des Querbrückenzyklus beim glatten Muskel. (A) Schema der Regulation auf Querbrückenebene. Mit dephosphorylierter regulatorischer leichter Kette kann sich der Myosinkopf des glatten Muskels nicht hochaffin an Aktin anlagern. Der Querbrückenzyklus ist blockiert, und der glatte Muskel dementsprechend relaxiert. Ca2+-Aktivierung führt über den Ca2+-Calmodulin-Komplex ([Ca2+]4CaMKomplex), Aktivierung der Myosin-leichte-Ketten-Kinase (MLCK) und Phosphorylierung der regulatorischen leichten Kette des glattmuskulären Myosins zur Freigabe des Querbrückenzyklus. Erschlaffung bei Dephosphorylierung der regulatorischen leichten Kette durch die Myosin-leichte-Ketten-Phosphatase (MLCP). Bei [Ca2+] < 10–6 mol/l resultiert
leichten Ketten führt zum Anstieg der glattmuskulären Kraftentwicklung. Die Dephosphorylierung durch die Myosin-leichte-Ketten-Phosphatase (MLCP) führt zur Abnahme der glattmuskulären Kontraktion. Die Kontraktion des glatten Muskels kann wie im quergestreiften Muskel über Änderungen der intrazellulären Ca2+Konzentration reguliert werden. Der Ca2+-Sensor ist das Calmodulin, das nach Bindung von 4 Ca2+-Ionen die MLCK aktiviert.
Im glatten Muskel wird der Querbrückenzyklus überwiegend durch Ca2+-aktivierte Phosphorylierung der regulatorischen leichten Myosinkette kontrolliert Ähnlich der Regulation im Skelettmuskel (vgl. Kap. 6.2) führt im glatten Muskel eine Erhöhung der intrazellulären Ca2+-Konzentration über ca. 10–7 mol/l zur Aktivierung des Querbrückenzyklus (Abb. 6.17 A). Als Ca2+-Sensor fungiert das im Zytoplasma gelöste Protein Calmodulin (vgl. Tab. 6.2, S. 134). Bei Ca2+-Konzentrationen über 10–7 mol/l bildet Calmodulin mit 4 Ca2+-Ionen einen
2+
Ca -Desensitivierung
10
7
10
6
10
5
Calciumkonzentration (mol/l)
10
4
eine Dissoziation von Ca2+ aus dem (Ca2+)4CaM-Komplex und Inaktivierung der MLCK. Die Aktivität der MLCP überwiegt. (B) Beziehung zwischen aktiver Kraft und Phosphorylierungsgrad der regulatorischen leichten Ketten. (C) Kraft-CalciumKurve des glatten Muskels. Auswirkung einer Aktivierung oder Hemmung von MLCK oder MLCP. Linksverschiebung der Kraft-Calcium-Kurve bedeutet Ca2+-Sensitivierung bei verstärkter Phosphorylierung der regulatorischen leichten Ketten, Rechtsverschiebung entspricht Ca2+-Desensitivierung bei verminderter Phosphorylierung. Bei unveränderter Ca2+Konzentration wird bei Ca2+-Sensitivierung eine höhere Kraft entwickelt, bei Ca2+-Desensitivierung eine geringere (modifiziert nach 8).
(Ca2+)4-Calmodulin-Komplex. Dieser aktiviert die Myosin-leichte-Ketten-Kinase (MLCK = myosin light chain kinase), die ihrerseits die regulatorischen leichten Myosinketten phosphoryliert. Erst nach dieser Phosphorylierung der regulatorischen leichten Kette kann das Myosin des glatten Muskels den Querbrückenzyklus durchlaufen (Abb. 6.17 A). Der dephosphorylierte Myosinkopf kann sich nicht hochaffin an Aktin anlagern, so dass der Querbrückenzyklus vor Schritt 4 (Abb. 6.5 A) blockiert ist. Sinkt die Ca2+-Konzentration unter etwa 10–6 mol/l, dissoziiert der Ca2+-Calmodulin-Komplex und die MLCK wird wieder inaktiv. Die Unterbrechung des Querbrückenzyklus erfolgt jedoch erst durch Dephosphorylierung der regulatorischen leichten Kette des Myosins durch die Myosin-leichte-Ketten-Phosphatase (MLCP = myosin light chain phosphatase; vgl. Tab. 6.2).
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6 Muskulatur
Der Phosphorylierungsgrad der regulatorischen leichten Myosinkette kann durch Transmitter oder Pharmaka auch bei konstanter sarkoplasmatischer Ca2+-Konzentration verändert werden Neben der Ca2+-gesteuerten Phosphorylierung kann der Kontraktionsgrad des glatten Muskels auch bei konstanter Ca2+-Konzentration erhöht oder vermindert werden. Durch Transmitter oder Pharmaka können über Aktivierung oder Hemmung der MLCK oder MLCP die regulatorischen leichten Ketten vermehrt phosphoryliert oder dephosphoryliert und somit der Querbrückenzyklus bei konstanter sarkoplasmatischer Ca2+-Konzentration vermehrt angeschaltet (Ca2+-Sensitivierung) bzw. abgeschaltet werden (Ca2+-Desensitivierung). MLCK und MLCP sind Zielproteine verschiedener Signalkaskaden, die dementsprechend den Kontraktionsgrad (Tonus) der glatten Muskulatur beeinflussen können. Der Kontraktionsgrad der glatten Muskulatur hängt vom Grad der Myosinphosphorylierung ab (Abb. 6.17 B). Dabei behält die glatte Muskulatur in vielen Organen einen Zustand bei, in dem phosphorylierende und dephosphorylierende Prozesse gleichzeitig ablaufen. Demzufolge kann eine Modulation der MLCK- und MLCP-Aktivitäten bei konstanter sarkoplasmatischer Ca2+-Konzentration den Phosphorylierungsgrad der regulatorischen leichten Ketten und damit den Kontraktionsgrad des glatten Muskels verändern. In der Konsequenz wird dadurch die Ca2+-Empfindlichkeit des glatten Muskels verändert (Abb. 6.17 C). Bei Inaktivierung der MLCK bei konstanter Ca2+-Konzentration werden weniger leichte Ketten phosphoryliert und somit die Aktivität des glatten Muskels vermindert. Dies führt zu einer Rechtsverschiebung der Beziehung zwischen aktiver Kraft und sarkoplasmatischer Ca2+-Konzentration, der Kraft-Calcium-Kurve (Calcium-Desensitivierung; Abb. 6.17 C; vgl. Tab. 6.2, S. 134). Umgekehrt bewirkt eine Hemmung der MLCP bei konstanter Ca2+-Konzentration einen erhöhten Phosphorylierungsgrad der regulatorischen leichten Myosinketten und damit bei konstanter Ca2+-Konzentration eine höhere Kraftentwicklung und dementsprechend eine Linksverschiebung der Kraft-Calcium-Kurve (Calcium-Sensitivierung; Abb. 6.17 C; vgl. Tab. 6.2). MLCK und MLCP sind Zielproteine zahlreicher intrazellulärer Signalkaskaden, die über diesen Weg den Kontraktionsgrad (Tonus) des glatten Muskels beeinflussen können (Abb. 6.19). MLCK und MLCP werden dabei über Proteinkinasen am Ende dieser Signalkaskaden in ihrer Aktivität moduliert. Ein Beispiel ist die Hemmung der MLCK durch die Proteinkinase A über den Adenylylzyklase-cAMP-Weg nach Aktivierung von β2-Adrenozeptoren (vgl. Kap. 2.6). Folgen sind eine reduzierte Phosphorylierung der regulatorischen leichten Ketten, Ca2+Desensitivierung und Relaxation des glatten Muskels bei unveränderter intrazellulärer Ca2+-Konzentration. Auch Stickstoffmonoxid (NO), das von Endothelzellen der Blutgefäße freigesetzt wird, kann nach Diffusion in glatte Muskelzellen eine Relaxation auslösen. Durch NO-vermittelte Aktivierung der Guanylylzyklase wird über cGMP die Proteinkinase G aktiviert (vgl. S. 40). Diese
aktiviert durch Phosphorylierung die MLCP. Folgen sind die reduzierte Phosphorylierung der regulatorischen leichten Ketten und eine Tonusabnahme der glatten Muskulatur. Beispiele für vermehrte Aktivierung des glatten Muskels (Tonuszunahme) über Ca2+-Sensitivierung sind α1-Adrenozeptoren- und Rho/RhoKinase-vermittelte Hemmung der MLCP. Bindung von Agonisten an α1Adrenozeptoren führt zur Aktivierung des Phospholipase-C-Proteinkinase-C-Signalweges (vgl. Kap. 2.6). Proteinkinase C aktiviert durch Phosphorylierung einen Inhibitor der MLCP. Folge ist ein Anstieg der Phosphorylierung der regulatorischen leichten Ketten mit Tonuszunahme der glatten Muskulatur. Der Rho/RhoKinase-Weg vermittelt die tonussteigernde Wirkung verschiedener Neurotransmitter und Hormone. Bindung der Agonisten an Rezeptoren in der Zellmembran führt über das GProtein Rho zur Aktivierung der RhoKinase. Die RhoKinase hemmt durch Phosphorylierung die MLCP. Folge ist auch hier eine Tonuszunahme des glatten Muskels durch Ca2+-Sensitivierung (Abb. 6.19). Die Aktivierung des glatten Muskels über die dünnen Filamente ist weniger gut verstanden. An diesen Mechanismen sollen die Proteine Caldesmon und Calponin beteiligt sein. Caldesmon, das parallel zum Tropomyosin an die Aktinfilamente binden kann, blockiert die niederaffine Anlagerung der Myosinköpfe an Aktin (Schritt 3 in Abb. 6.5 A, S. 106). Tropomyosin blockiert die hochaffine Bindung (Schritt 4 in Abb. 6.5 A). Die Blockierung beider Bindungstypen verhindert den weiteren Ablauf des Querbrückenzyklus. Experimentellen Befunden zufolge induziert der (Ca2+)4-Calmodulin-Komplex bei Ca2+-Konzentrationen über 10–7 mol/l die Abdissoziation der Caldesmon-Moleküle vom Aktinfilament und hebt dadurch die blockierende Wirkung auf. Andere Ergebnisse zeigen eine Ca2+-abhängige Phosphorylierung von Caldesmon und resultierende Aufhebung der Blockierung. Darüber hinaus sind Wirkungen von Caldesmon auf die Position des Tropomyosins beschrieben worden, ähnlich der von Troponin im Skelettmuskel. Die genauen molekularen Wechselwirkungen sind allerdings zu Zeit nicht geklärt. Noch weniger gesichert ist die Bedeutung von Calponin.
Im glatten Muskel kann ein Anstieg der intrazellulären Ca2+-Konzentration über Ca2+-Einstrom durch die Zellmembran und Ca2+-Freisetzung aus Vesikeln des sarkoplasmatisches Retikulums erfolgen Der Anstieg der intrazellulären Ca2+-Konzentration wird durch Freisetzung von Ca2+ aus dem sarkoplasmatischen Retikulum oder Einstrom durch Ca2+-Kanäle in der Zellmembran erreicht. Auslösende Mechanismen für den intrazellulären Ca2+-Anstieg können zum einen die Depolarisation der Zellmembran sein (,elektromechanische Koppelung‘), zum anderen die Wirkung von Transmittern und Pharmaka (,pharmakomechanische Koppelung‘). Ein Absinken der intrazellulären Ca2+-Konzentration wird durch Ca2+-ATPasen erreicht, die Ca2+Ionen in das sarkoplasmatische Retikulum oder in den extrazellulären Raum pumpen. Auch über einen 3Na+/ 1Ca2+-Austauschcarrier kann Ca2+ in den extrazellulären Raum transportiert werden. In der ruhenden, relaxierten glatten Muskelzelle ist die Ca2+-Konzentration bei etwa 10–7 mol/l. Ein Anstieg der
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6.3 Glatte Muskulatur Aktionspotenzial
Gap Junction
spannungsgesteuerter Ca2+-Kanal
Ca2+ 2+
Ca -ATPase
Ca2+
Aktivierung elektromechanische Koppelung
ligandengesteuerter Ca2+-Kanal
glatte Muskelzelle
+
2+
Ca
[Ca2+]i > 107 M RyR G
+
3 Na 2+
Ca
Ca2+
[Ca2+]i < 107 M Ca2+
Proteinkinase A
Ca2+ sarkoplasmatisches Retikulum
IP3R
Phospholipase C a1-Rezeptor
Catecholamin cAMP ATP
IP3
2+
3 Na -Ca Austauscher
pharmakomechanische Koppelung
Ca2+
Catecholamin
Relaxation
G
Adenylylcyclase b2-Rezeptor
Abb. 6.18 Mechanismen zur Auslösung von Kontraktion und Relaxation im glatten Muskel. Zwei Wege zur Erhöhung der sarkoplasmatischen Ca2+-Konzentration: zum einen über Ca2+-Einstrom durch spannungs- und ligandengesteuerte Ca2+-Kanäle; zum anderen über Ca2+-Freisetzung aus dem sarkoplasmatischen Retikulum, sowohl bei Aktivierung des Ryanodin-Rezeptors (RyR; Ca2+-induzierte Ca2+-Freisetzung) als auch bei Aktivierung des Inositoltrisphosphat-Rezeptors
intrazellulären Ca2+-Konzentration kann durch zwei Mechanismen erreicht werden (Abb. 6.18): 1. Einer elektromechanischen Koppelung entsprechend werden bei Depolarisation der Zellmembran spannungsgesteuerte Ca2+-Kanäle geöffnet, durch die Ca2+ aus dem extrazellulären Raum in das Sarkoplasma einströmt (vgl. Tab. 6.2, S. 134). Bei manchen glatten Muskeltypen kann dieser Einstrom von Ca2+-Ionen eine zusätzliche Freisetzung von Ca2+-Ionen aus dem sarkoplasmatischen Retikulum induzieren. Die Freisetzung erfolgt über die Ca2+-induzierte Öffnung von Ca2+-Kanälen in der Membran des sarkoplasmatischen Retikulums, den Ryanodin-Rezeptoren (Ca2+-induzierte Ca2+-Freisetzung). 2. Ein Anstieg der intrazellulären Ca2+-Konzentration kann auch ohne Depolarisation der Zellmembran beispielsweise durch Neurotransmitter, Hormone und Pharmaka vermittelt werden (pharmakomechanische Koppelung; vgl. Tab. 6.2). Hierzu existieren zwei Signalwege: Die Bindung von Agonisten an ligandengesteuerte Ca2+Kanäle der Zellmembran führt zu einem Ca2+-Einstrom in das Myoplasma. Dieser Ca2+-Einstrom induziert eine zusätzliche Ca2+-Freisetzung über Ryanodin-Rezeptoren des sarkoplasmatischen Retikulums. Beim zweiten Signalweg führt die Bindung von Agonisten an ihre Membranrezeptoren (z. B. α1-Adrenozeptoren), über G-Protei-
(IP3R; α1-Adrenozeptor-cAMP-Signalweg). Abnahme der sarkoplasmatischen Ca2+-Konzentration über Ca2+-ATPasen im sarkoplasmatischen Retikulum und Sarkolemm sowie über einen 3Na+/1Ca2+-Austauschcarrier im Sarkolemm. Beschleunigte Relaxation durch β2-Adrenozeptor-cAMP-Signalweg über Aktivierung der Ca2+-ATPasen des sarkoplasmatischen Retikulums.
ne vermittelt, zur Aktivierung der Phospholipase C. Unter deren Wirkung werden Phospholipide in Inositoltrisphosphat (IP3) und Diacylglyzerol (DAG) gespalten (vgl. Kap. 2.6). Die Bindung des intrazellulären Botenstoffes IP3 an spezialisierte Ca2+-Kanäle des sarkoplasmatischen Retikulums, die IP3-Rezeptoren, induziert ebenfalls die Freisetzung von Ca2+ aus dem sarkoplasmatischen Retikulum.
Die Abnahme der intrazellulären Ca2+-Konzentration wird durch ATP-abhängige Ca2+-Pumpen und einen 3Na+/1Ca2+-Austauschcarrier erreicht Zur Abnahme der intrazellulären Ca2+-Konzentration tragen ein aktiver Rücktransport in das sarkoplasmatische Retikulum mit Hilfe von ATP-getriebenen Ca2+-Pumpen sowie ein aktives Ausschleusen von Ca2+ durch die Oberflächenmembran über ATP-getriebene Ca2+-Pumpen und einen 3Na+/1Ca2+-Austauschcarrier bei (vgl. Tab. 6.2). Die Ca2+-Pumpen des sarkoplasmatischen Retikulums sind ebenfalls Zielproteine einiger Signalkaskaden, die über diesen Weg den intrazellulären Ca2+-Spiegel senken können.
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6 Muskulatur Ein Ansatz zur Behandlung des Bluthochdrucks ist die Reduktion des Tonus der glatten Gefäßmuskulatur durch Pharmaka, die den Anstieg der intrazellulären Ca2+-Konzentration vermindern. Dabei kann sowohl an der elektromechanischen und pharmakomechanischen Koppelung der glatten Gefäßmuskelzelle eingegriffen werden, als auch an der Transmitterfreisetzung des Sympathikus. Entsprechend werden zum Beispiel Blocker spannungsgesteuerter Ca2+-Kanäle (so genannte Ca2+-Antagonisten) oder α1-AdrenozeptorAntagonisten eingesetzt. NO-freisetzende Medikamente (Nitroglyzerin) werden zur Erschlaffung der glatten Gefäßmuskulatur zum Beispiel bei Angina pectoris genutzt.
Dehnung des Muskels, können diese rhythmische Aktivität modulieren und dadurch den Tonus des glatten Muskels erhöhen (so genannter „Bayliss-Effekt“). Beim Multi-unit-Typ stehen nur wenige Zellen in kleinen motorischen Einheiten in funktionellem Kontakt. Spontane Aktivität ist nicht vorhanden, und die Reaktion auf Dehnung ist gering. Die glattmuskulären Zellen des Multi-unit-Typs werden direkt durch das vegetative Nervensystem innerviert. Der Muskeltonus ist entsprechend neurogen und die Kontraktionen sind aufgrund der kleinen motorischen Einheiten fein abstufbar. Die nicht spontan aktiven glatten Muskelzellen zeigen bei Dehnung ausgeprägtes viskoelastisches bzw. plastisches Verhalten.
Mechanische und funktionelle Eigenschaften der glatten Muskulatur Gemessen am zeitlichen Verlauf werden beim glatten Muskel langanhaltende tonische und kurze phasische Kontraktionen unterschieden. Funktionell ist die glatte Muskulatur in zwei Haupttypen organisiert, den „Single-unit“-Typ und den „Multi-unit“-Typ. Beim Singleunit-Typ bilden benachbarte Zellen über Gap Junctions ein funktionelles Synzytium. Myogene Schrittmacherzellen sorgen für organspezifische, spontane rhythmische Aktivität. Das vegetative Nervensystem, aber auch
In Abhängigkeit von der Kontraktionsdauer werden beim glatten Muskel tonische und phasische Kontraktionen unterschieden Langanhaltende Dauerkontraktion des glatten Muskels (tonische Kontraktionen) erhalten die aktive Muskelkraft unter geringstem ATP-Verbrauch über lange Zeit aufrecht. Sie werden vor allem durch Prozesse der pharmakomechanischen Koppelung ausgelöst. Ein Beispiel ist die glatte Muskulatur der Gefäße des Kreislaufsystems. Kurze, oft rhythmische Kontraktionen (phasische Kontraktionen) sind überwiegend durch elektromechanische
2+
2+
Ca -Desensitivierung
Ca -Sensitivierung Tonus
Tonus
Myosin-LC-Phosphorylierung
Proteinkinase A
Myosin-LC-Phosphorylierung
MLCK Pi
cAMP
Catecholamin
inaktiv
aktiv G
Adenylylcyclase
G
Proteinkinase G
Rho-Kinase
MLCP
Liganden
Rho Catecholamin G
b2-Rezeptor
cGMP
Phospholipase C NO
a1-Rezeptor
Guanylylcyclase Proteinkinase C
Abb. 6.19 Tonusänderungen durch Ca2+-Sensitivierung und Ca2+-Desensitivierung des kontraktilen Apparates. Ca2+-Sensitivierung und Ca2+-Desensitivierung durch Änderung der Aktivitäten von MLCK und MCLP bei konstanter sarkoplasmatischer Ca2+-Konzentration. MLCK und MCLP sind Zielproteine von vier Signalwegen: α1-Adrenozeptor-Diacylglyzerol (DG)-Proteinkinase C (PKC)-Signalweg und der Rho-
DG
RhoKinase-Signalweg. Beide hemmen die MCLP und resultieren in Ca2+-Sensitivierung des kontraktilen Apparates. β2Adrenozeptor-cAMP-Proteinkinase A (PKA)-Signalweg mit Hemmung der MLCK, und Stickstoffmonoxid (NO)-cGMPProteinkinase G (PKG)-Signalweg mit Aktivierung der MLCP. Beide führen zu verminderter Phosphorylierung der regulatorischen leichten Ketten und somit Ca2+-Desensitivierung.
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6.3 Glatte Muskulatur Koppelung gesteuert. Ein Beispiel ist die rhythmisch tätige Darmmuskulatur.
Aufgrund der funktionellen Organisation kann die glatte Muskulatur zwei Haupttypen zugeordnet werden, dem „Single-unit-Typ“ und dem „Multi-unit-Typ“
A 20 mV
Membranpotenzial
Kraft 20 mN
Den sehr unterschiedlichen Anforderungen entsprechend ist die glatte Muskulatur in unterschiedliche funktionelle Typen organisiert (vgl. Tab. 6.2, S. 134). Im „Singleunit-Typ“ sind benachbarte Zellen durch Gap Junctions (vgl. Kap. 3.2) elektrisch gekoppelt und bilden ein funktionelles Synzytium. Zu diesem Typ der glatten Muskulatur gehören z. B. die Darmmuskulatur, die glatte Muskulatur von Ureteren und Uterus sowie mancher Blutgefäße. Glatte Muskulatur vom Single-unit-Typ ist aufgrund eigener Schrittmacherzellen spontan rhythmisch aktiv (myogener Tonus). Diese myogene rhythmische Aktivität wird über das vegetative Nervensystem moduliert sowie durch Dehnung der glatten Muskelzellen verstärkt. Die Schrittmacherzellen unterscheiden sich strukturell nicht von anderen glattmuskulären Zellen zeigen jedoch charakteristische elektrophysiologische Merkmale. Die Membran wird durch Präpotenziale (Schrittmacherpotenziale) vordepolarisiert. Bei Erreichen des Schwellenpotenzials werden durch Öffnung spannungsgesteuerter Ca2+-Kanäle der Zellmembran Ca2+-Aktionspotenziale (Spikes) ausgelöst. Die Repolarisation bei Abklingen eines Aktionspotenzials geht in ein erneutes spontanes Schrittmacherpotenzial über, so dass Spikesalven entstehen. Spontane Schwankungen des Membranpotenzials solcher Schrittmacherzellen im Sekunden- bis Minutenrhythmus („slow waves“) modulieren die Frequenz der Spikesalven. Bei Depolarisation treten höhere Spikefrequenzen auf. Hyperpolarisation resultiert in niedrigeren Spikefrequenzen oder einer Unterbrechung der Spikesalven (Abb. 6.20 A). Diese Rhythmen sind organspezifisch und werden demzufolge als basale, organspezifische Rhythmen bezeichnet. Die Rhythmen können durch das vegetative Nervensystem moduliert werden. Zum Beispiel wird nach Bindung von Acetylcholin an muscarinische Acetylcholinrezeptoren (vgl. Kap. 5.9) die Membran depolarisiert. Dadurch steigt die Frequenz der Schrittmacherpotenziale und der Spikesalven. Infolge der Steigerung des Ca2+-Einstroms und der Ca2+-induzierten Ca2+Freisetzung aus Vesikeln des sarkoplasmatischen Retikulums nimmt die Kontraktionsamplitude der glatten Muskulatur zu. Adrenalin oder Noradrenalin bewirken über Aktivierung von β2-Adrenozeptoren eine Hyperpolarisation der glattmuskulären Schrittmacherzellen. Die Folge ist eine Verlangsamung der Spikefrequenz oder Unterbrechung der Ca2+-Spikes mit resultierender Abnahme der Kontraktionsamplitude des glatten Muskels. Bei Dehnung spontan aktiver glatter Muskulatur werden die Schrittmacherzellen zunehmend depolarisiert, d. h. die Frequenz der Spikesalven nimmt zu. Entsprechend steigt der Ca2+Einstrom und damit der Tonus der glatten Muskulatur. Diese dehnungsreaktive Tonuszunahme (Bayliss-Effekt) ist Grundlage für die Autoregulation zum Beispiel der Arteriolen (vgl. Kap. 8.5).
60 s
B intrazelluläres Ca2+
Kraft 2 mN 40 s
Abb. 6.20 Membranpotenziale, intrazelluläres Ca2+ und Kontraktion glatter Muskulatur mit myogenem Tonus. (A) Rhythmische Spikesalven bei spontaner Depolarisation bewirken rhythmische Kontraktionen. (B) Parallele Registrierung von intrazellulärer Ca2+-Konzentration und Muskelkontraktion zeigen, dass rhythmische Schwankungen der aktiven Kontraktion auf Änderungen der intrazellulären Ca2+-Konzentration beruhen. Intrazelluläres Ca2+ wurde mit einem Ca2+-sensitiven Farbstoff gemessen (nach 17).
In manchen Organen bilden glatte Muskelzellen an Stelle der Spikepotenziale langanhaltende Aktionspotenziale mit einer Plateauphase. Folge sind lang anhaltende Kontraktionen. Beispiel sind die Aktionspotenziale in Ureteren und Uterus.
Der „Multi-unit-Typ“ der glatten Muskulatur (vgl. Tab. 6.2) zeigt gewöhnlich keine Spontanaktivität und reagiert nur wenig auf Dehnung. Statt dessen werden die glatten Muskelzellen durch zahlreiche vegetative Nervenfasern innerviert, die aus Varikositäten erregende oder hemmende Neurotransmitter freisetzen. Der Tonus dieser glatten Muskeln ist entsprechend neurogen. Die zahlreichen Verzweigungen der vegetativen Nervenfasern erreichen dabei fast jede Zelle. Nur kleine Zellgruppen stehen durch Gap Junctions in elektrischer Verbindung und bilden entsprechend kleine funktionelle Einheiten. Die Kontraktion dieser glatten Muskeln ist deshalb fein abstufbar (vgl. Tab. 6.2). Beispiele für diesen Typ der glatten Muskulatur sind Iris- und Ziliarmuskeln sowie Samenleiter und Pilomotoren. Bei nicht spontan aktiver glatter Muskulatur führt eine Dehnung nur vorübergehend zu passiven Rückstellkräften, die zunächst rasch, dann immer langsamer abklingen (viskoelastisches Verhalten). Im Verlauf von Minuten sind passive Rückstellkräfte praktisch nicht mehr messbar. Ein einmal gedehnter glatter Muskel bleibt deshalb verlängert (plastisches Verhalten) und kann nur durch aktive Verkürzung seine
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129
130
6 Muskulatur
Z-Linie
M-Linie
Glanzstreifen Zonula adhaerens
Sarkomer
Gap junction
2,1µm 1,6µm
Abb. 6.21 Morphologische Organisation des Herzmuskels. Schematischer Längsschnitt mit parallel angeordneten, verzweigten Ketten aus einkernigen Zellen. Die Zellgrenzen sind als Glanzstreifen erkennbar. Der vergrößerte Ausschnitt
Ausgangslänge wieder erreichen. Diese Eigenschaft erlaubt Hohlorgane, z. B. Harn- oder Gallenblase, ohne wesentliche Drucksteigerung zu füllen, so dass sich bei Füllung kein Rückstau in die davor gelegenen Organe (Niere bzw. Leber) aufbaut. Die Entleerung erfolgt nur unter aktiver Kontraktion. Viele glatte Muskeln lassen sich nicht eindeutig einem dieser beiden Typen zuordnen, sondern stellen Mischformen dar. Der spontane myogene Tonus wird in unterschiedlichem Maße durch den neurogenen, vom vegetativen Nervensystem gesteuerten Tonus überlagert. Entsprechend sind Innervationsdichte und Dichte der Gap Junctions unterschiedlich. Schließlich kann der Tonus der glatten Muskulatur auch durch im Blut zirkulierende Hormone oder lokale Hormone und Stoffwechselprodukte beeinflusst werden. Glatte Gefäßmuskulatur ist für diese Gruppe typisch.
6.4
Herzmuskel Morphologische Organisation des Herzmuskels
Herzmuskelzellen sind einkernig und stehen mit benachbarten Zellen durch Gap Junctions in Kontakt. Der Herzmuskel ist wie der Skelettmuskel aus regelmäßig angeordneten Sarkomeren aufgebaut. Er ist deshalb ebenfalls quergestreift. Der Aufbau der Myosin- und Aktinfilamente und die zyklische Wechselwirkung zwischen Myosinkopf und Aktinfilament sind praktisch identisch mit denen des Skelettmuskels, obwohl nahezu alle sarkomerische Proteine des Myokards herzmuskelspezifische Isoformen sind.
1,0µm
Mitochondrium
Myosinfilament Aktinfilament
zeigt die Anordnung der Myofibrillen mit Reihen von Mitochondrien sowie Glanzstreifen mit Zonulae adhaerentes und Gap Junctions (modifiziert nach 20).
Die Herzmuskulatur ist aus einkernigen Zellen aufgebaut, die über Gap Junctions ein funktionelles Synzytium bilden Wie bei der Entwicklung des Skelettmuskels ordnen sich auch beim Herzmuskel die Myoblasten in Ketten an (vgl. S. 102). Anders als beim Skelettmuskel verschmelzen die einkernigen Myoblasten jedoch nicht. Statt dessen bilden sie für den Herzmuskel charakteristische Zellgrenzen, die Glanzstreifen (Abb. 6.21). Dort verbinden die Zonulae adhaerentes die Aktinfilamente benachbarter Zellen und stellen die Übertragung kontraktiler Kräfte von Zelle zu Zelle sicher. Über Gap Junctions in den Glanzstreifen stehen benachbarte Zellen auch in elektrischer Verbindung (funktionelles Synzytium), so dass sich Aktionspotenziale von Zelle zu Zelle ausbreiten können. Die Zellen einer solchen Kette verzweigen sich oft und stehen mit benachbarten Zellsträngen in Verbindung. Insgesamt gleicht die Anordnung der Zellstränge einem in die Länge gezogenen Netzwerk. Die einkernigen Herzmuskelzellen sind etwa 100 µm lang bei einem Durchmesser von etwa 15 µm.
Durch regelmäßige Anordnung der Sarkomere ist der Herzmuskel ebenfalls quergestreift Die Herzmuskelzelle besteht aus einem Bündel von Myofibrillen mit zahlreichen zwischen den Myofibrillen gelegenen Mitochondrien und einem zentral gelegenen Zellkern (Abb. 6.21 vgl. Tab. 6.2, S. 134). Die Myofibrillen sind wie beim Skelettmuskel aus hintereinander gelegenen Sarkomeren aufgebaut (vgl. Abb. 6.1, S. 103). Die Anordnung der Aktin- und Myosinfilamente in den Sarkomeren ist mit der Anordnung im Skelettmuskel identisch. Auch
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6.4 Herzmuskel bei der Herzmuskelzelle liegen die Z-Scheiben aller Myofibrillen auf gleicher Höhe. Deshalb ist auch der Herzmuskel quergestreift (vgl. Tab. 6.2). Die Titinmoleküle des Herz- und Skelettmuskels unterscheiden sich in ihrer molekularen Struktur. Die kardialen Titinmoleküle sind weniger dehnbar. Der Arbeitsbereich der Herzmuskelzellen liegt deshalb bei Sarkomerlängen zwischen 1,8 und 2,0 µm und damit im ansteigenden Teil des Länge-KraftDiagramms (vgl. Abb. 6.13, S. 118).
Die sarkomerischen Proteine des Myokards sind herzmuskelspezifische Isoformen mit Eigenschaften ähnlich denen des Skelettmuskels Der Herzmuskel besitzt mit Myosin, Aktin, Troponin und Tropomyosin sarkomerische Proteine, die in Aufbau und Funktion mit denen des Skelettmuskels grundsätzlich vergleichbar sind (vgl. S. 102 f.). Auch die Wechselwirkungen zwischen Myosinkopf und Aktinfilament (Querbrükkenzyklus) sind im Prinzip identisch mit denen des Skelettmuskels (vgl. S. 104 ff.). Allerdings stellen die meisten Proteine des Sarkomers herzspezifische Isoformen dar, sind also Produkte anderer Gene als die Proteine des Skelettmuskels. Zum Beispiel ist im kardialen Troponin C durch Mutation eine Ca2+-Bindungsstelle verloren gegangen. Das kardiale Troponin I besitzt im Gegensatz zur skelettmuskulären Isoform eine Phosphorylierungsstelle. Die Aktivierung des Herzmuskels ist demzufolge, im Gegensatz zum Skelettmuskel, über Phosphorylierung des Troponin I modulierbar. Bei der Diagnostik des Herzinfarktes werden die Plasmakonzentrationen der Kreatinkinase sowie der kardialen Isoformen von Troponin T und I ermittelt. Letztere sind spezifisch für den Herzmuskel und erlauben die Abgrenzung eines Myokarduntergangs durch Herzinfarkt von Läsionen der Skelettmuskulatur, beispielsweise durch eine intramuskuläre Injektion. Plötzlicher Herztod ohne erkennbare Ursache bei Jugendlichen ist häufig Zeichen einer familiären hypertrophischen Kardiomyopathie. Dabei handelt es sich um eine genetisch bedingte Vergrößerung (Hypertrophie) des Herzmuskels mit einer Häufigkeit von etwa 1 in 500 Familien. Bei jeder zweiten betroffenen Person ist diese Erkrankung auf Mutationen in sarkomerischen Proteinen des Herzens zurückzuführen, vor allem in der Kopfdomäne der kardialen schweren Myosinkette, aber auch in Regulatorproteinen und Aktin. Folgen sind Herzrhythmusstörungen sowie zunehmende Unfähigkeit des Herzens, einen bedarfsgerechten Blutfluss aufrecht zu erhalten (Herzinsuffizienz). Zur Vorbeugung des plötzlichen Herztodes durch Rhythmusstörungen kann ein Defibrillator implantiert werden. Fortschreitende Herzinsuffizienz kann schließlich eine Transplantation erforderlich machen. Andere Mutationen in Regulatorproteinen und Aktin können dagegen Ursache dilatativer Kardiomyopathie sein, einer Veränderung des Herzmuskels, die ohne vorangehende Wandverdickung zur Erweiterung (Dilatation) der Herzkammern mit fortschreitender Herzinsuffizienz führt.
Elektromechanische Koppelung im Myokard Auch im Herzmuskel vermitteln Ca2+-Ionen die Koppelung zwischen Aktionspotenzial und kontraktiler Antwort, die so genannte elektromechanische Koppelung. Das Aktionspotenzial des Herzmuskels ist mehrere 100 ms lang und breitet sich ähnlich dem Skelettmuskel über Einstülpungen des Sarkolemms (T-Tubuli) bis in das Innere der Myokardzelle aus. An den Kontaktstellen zwischen T-Tubuli und terminalen Zisternen des sarkoplasmatischen Retikulums sind herzmuskelspezifische Dihydropyridin-Rezeptoren in die Membran der T-Tubuli integriert. Bei Depolarisation im Verlauf eines Aktionspotenzials strömen Ca2+-Ionen durch die Dihydropyridin-Rezeptoren der T-Tubuli, aber auch der Oberflächenmembran, in das Sarkoplasma. Die eingeströmten Ca2+-Ionen induzieren die Öffnung von RyanodinRezeptoren in den terminalen Zisternen und damit eine für den Kontraktionsablauf entscheidende, zusätzliche Ca2+-Freisetzung aus den terminalen Zisternen des sarkoplasmatischen Retikulums (Ca2+-induzierte Ca2+Freisetzung). Auch beim Herzmuskel gibt eine Umlagerung des Tropomyosins nach Bindung von Ca2+-Ionen an Troponin C den Querbrückenzyklus frei. Die Höhe der kontraktilen Antwort ist ähnlich dem glatten Muskel nicht nur von der erreichten sarkoplasmatischen Ca2+Konzentration abhängig sondern kann darüber hinaus auch durch Ca2+-Sensitivierung bzw. Ca2+-Desensitivierung des kontraktilen Apparates verändert werden. Im Herzmuskel wird, ähnlich wie im Skelettmuskel (vgl. S. 108 ff.) die Kontraktion durch die sarkoplasmatische Ca2+-Konzentration kontrolliert. Während die Vorgänge der elektromechanischen Koppelung in beiden Muskeltypen grundsätzlich ähnlich ablaufen, existieren spezifische Unterschiede bezüglich der Quellen für den Anstieg der sarkoplasmatischen Ca2+-Konzentration. Auffällig ist zunächst, dass das Aktionspotenzial des Herzmuskels etwa 100fach länger ist als die Aktionspotenziale von Skelettmuskel und Nerv. An die Depolarisation und Umpolarisation der Zellmembran durch Aktivierung herzmuskelspezifischer schneller Na+-Kanäle schließt sich eine Plateauphase von 200 – 300 ms an (vgl. Kap. 7.6). In dieser Phase bleibt die Zellmembran auf etwa Null mV depolarisiert, bevor durch verzögerte Repolarisation das Membranruhepotenzial wieder erreicht wird. Während der Plateauphase sind Ca2+-Kanäle geöffnet, so genannte L-Typ Ca2+-Kanäle, die sich durch lange Öffnungsdauer auszeichnen. Demzufolge können Ca2+-Ionen während der gesamten Plateauphase in die Zelle einströmen. Darüber hinaus werden die Aktionspotenziale durch röhrenförmige Einstülpungen der Oberflächenmembran, die transversalen Tubuli (T-Tubuli), in die Tiefe der einzelnen Zellen fortgeleitet (Abb. 6.22). Die T-Tubuli liegen im Myokard in der Nähe der Z-Scheiben. Das sarkoplasmatische Retikulum ist ebenfalls in Form eines longitudinalen Systems mit Endauftreibungen, den terminalen Zisternen, angeordnet. Anders als bei den Triaden des Skelettmuskels (vgl. S. 108) stehen im Herzmuskel in der Regel terminale Zisternen nur einzeln mit einem T-Tubulus in engem Kontakt. Diese Kontaktstellen werden deshalb Diaden genannt (Abb. 6.22). Im Bereich der Diaden
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131
6 Muskulatur Noradrenalin
+
3 Na /Ca2+-Austauscher
Calciumkanal 2+
2+
Ca
b1-Adrenozeptor
Ca
Aktionspotenzial
2+
Ca -ATPase
Adenylylcyclase transversaler Tubulus
ATP cAMP
Proteinkinase
P
ATP
3Na+
ADP
Ca2+ Diade
Sarkoplasma
2+
Ca -ATPase
sarkoplasmatisches Retikulum
Ca2+
Ca2+
Sarkoplasma
Abb. 6.22 Elektromechanische Koppelung im Herzmuskel. Anordnung der T-Tubuli und des sarkoplasmatischen Retikulums (SR) im Myokard. T-Tubuli liegen in Höhe der ZLinien. Sie stehen mit einer terminalen Zisterne in engem Kontakt und bilden die so genannten Diaden (Inset). Die kardialen Ryanodin-Rezeptoren (RyR) in der Membran der terminalen Zisternen bilden in regelmäßigen Abständen die so genannten Junctional feet. Im Gegensatz zum Skelettmuskel stehen die Ryanodin-Rezeptoren der Junctional feet nicht
sind herzmuskelspezifische Dihydropyridin-Rezeptoren (DHPR) in die Membran der T-Tubuli integriert (vgl. Kap 7.6). Diese DHP-Rezeptoren stellen L-Typ Ca2+-Kanäle dar. Sie werden, anders als im Skelettmuskel (vgl. S. 109; Abb. 6.7 B), durch die Depolarisation der Tubulusmembran in Verbindung mit den fortgeleiteten Aktionspotenzialen geöffnet. In Folge strömen Ca2+-Ionen in das Zellinnere. Diese induzieren zusammen mit den Ca2+-Ionen, die während des Aktionspotenzials durch L-Typ Ca2+Kanäle im Sarkolemm in die Herzmuskelzelle einströmen, eine Öffnung von herzmuskelspezifischen Ryanodin-Rezeptoren (RyR) in der Membran der terminalen Zisternen (Abb. 6.22). Dadurch können in den terminalen Zisternen gespeicherte Ca2+-Ionen in das Sarkoplasma ausströmen (Ca2+-induzierte Ca2+-Freisetzung beim Herzmuskel; vgl. Tab. 6.2).
AP
DHPR
+
+
transversaler Tubulus
RyR sarkoplasmatisches Retikulum
132
Ca2+
in direktem Kontakt zu den Dihydropyridinrezeptoren (DHPR). Der Ca2+-Einstrom durch die Dihydropyridinrezeptoren induziert die Öffnung der Ryanodin-Rezeptoren und die Ausschüttung von Ca2+ aus den terminalen Zisternen. Abnahme der sarkoplasmatischen Ca2+-Konzentration erfolgt durch Ca2+-ATPasen in der Membran des sarkoplasmatischen Retikulums und im Sarkolemm, sowie durch den 3Na+/ 1Ca2+-Austauscher. β1-Adrenozeptorstimulation mit verbessertem Ca2+-Einstrom durch Ca2+-Kanäle.
Der Anstieg des Calciums im Sarkoplasma ist auch beim Myokard überwiegend auf die Ca2+-Freisetzung aus dem sarkoplasmatische Retikulum zurückzuführen Der Anstieg der intrazellulären Ca2+-Konzentration in der Herzmuskelzelle resultiert zum überwiegenden Teil aus der Ca2+-induzierten Ca2+-Freisetzung durch die Ryanodin-Rezeptoren in den terminalen Zisternen des sarkoplasmatischen Retikulums. Der Ca2+-Einstrom über die LTyp Ca2+-Kanäle in der Oberflächenmembran und die DHP-Rezeptoren der T-Tubuli trägt nur wenig zum Gesamtanstieg der sarkoplasmatischen Ca2+-Konzentration bei. Die Funktion des Ca2+-Einstroms ist die Freisetzung von Ca2+ durch die Ryanodin-Rezeptoren der terminalen Zisternen durch Ca2+-induzierte Ca2+-Freisetzung (Triggerfunktion des Ca2+-Einstroms).
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6.4 Herzmuskel
Der Querbrückenzyklus wird auch im Herzmuskel durch Ca2+-Bindung an Troponin C freigegeben Auch im Herzmuskel wird der Querbrückenzyklus über die mit dem Aktinfilament assoziierten Regulatorproteine Troponin und Tropomyosin kontrolliert. Mit steigender Ca2+-Konzentration über 10–7 mol/l werden durch Umlagerung der Tropomyosinmoleküle vermehrt die hochaffinen Myosinbindungsstellen an den Aktinfilamenten freigegeben. Die hochaffin gebundenen Querbrückenzustände werden dementsprechend schneller erreicht. Die Höhe der entwickelten isometrischen Kraft und die Geschwindigkeit der Kraftentwicklung nehmen zu (vgl. Abb. 6.8 C, S. 110). Zwei Unterschiede existieren im Vergleich zum Skelettmuskel. Zum einen besitzt die kardiale Isoform der Troponin-C-Untereinheit insgesamt nur drei Bindungsstellen für Ca2+-Ionen. Von diesen sind zwei Bindungsstellen auch im relaxierten Muskel mit Ca2+Ionen besetzt, während eine Bindungsstelle lediglich beim Anstieg der sarkoplasmatische Ca2+-Konzentration über 10–7 mol/l ein Ca2+-Ion binden kann. Zum anderen besitzt die kardiale Isoform der Troponin-I-Untereinheit eine Phosphorylierungsstelle, die durch cAMP-abhängige Proteinkinasen phosphoryliert werden kann.
Beim Herzmuskel tragen zur Absenkung der Ca2+-Konzentration im Sarkoplasma neben Ca2+-ATPasen im sarkoplasmatischen Retikulum auch ein Ca2+-Abtransport in den extrazellulären Raum durch Ca2+-ATPasen und einen 3Na+/1Ca2+-Austauschcarrier bei Wie beim Skelettmuskel (vgl. Kap. 6.2) erfordert auch die Relaxation des Herzmuskels ein Absenken der sarkoplasmatischen Ca2+-Konzentration auf unter 10–7 mol/l. Die Ca2+-Ionen dissoziieren von Troponin C ab, durch Umlagerung der Tropomyosinmoleküle werden die hochaffinen Bindungsstellen der Myosinköpfe am Aktinfilament wieder unzugänglich, und der Querbrückenzyklus ist blockiert. Der Abfall der sarkoplasmatischen Ca2+-Konzentration im Herzmuskel wird zum einen durch Ca2+ATPasen in der Membran des sarkoplasmatischen Retikulums vermittelt (Abb. 6.22). Zum anderen tragen, anders als beim Skelettmuskel (vgl. S. 111), auch Ca2+ATPasen und ein 3Na+/1Ca2+-Austauschcarrier in der Oberflächenmembran bei (Abb. 6.22, Tab. 6.2, S. 134). Bei manchen Formen der Herzmuskelschwäche werden Digitalisglykoside zur Steigerung der Muskelkraft eingesetzt. Digitalisglykoside hemmen die 3Na+/2K+Pumpe (vgl. S. 30). Dadurch wird der Na+-Gradient über der Zellmembran reduziert, der den Antrieb des 3Na+/ 1Ca2+-Austauschcarriers liefert. Bei der Relaxation wird dementsprechend weniger Ca2+ aus der Zelle abtransportiert und mehr in das sarkoplasmatische Retikulum aufgenommen (Ca2+-Beladung). Bei nachfolgenden Kontraktionen kann dadurch mehr Calcium aus dem sarkoplasmatischen Retikulum freigesetzt werden, so dass die sarkoplasmatische Ca2+-Konzentration höhere Werte erreicht und damit eine verstärkte Kontraktionskraft erzielt wird.
Die aktiv entwickelten Kräfte können beim Herzmuskel über Förderung des Ca2+-Einstroms bzw. der Ca2+-Freisetzung aus dem sarkoplasmatischen Retikulum und über Ca2+-Sensitivierung bzw. Ca2+-Desensitivierung des kontraktilen Apparates moduliert werden Ein Weg, die aktiven Kräfte des Myokards einem veränderten Bedarf anzupassen, sind Änderungen der unter Aktivierung erreichten sarkoplasmatischen Ca2+-Konzentration (vgl. Kap. 7.7). Stimulation von β1-Adrenozeptoren führt über den Adenylylzyklase-cAMP-Proteinkinase A Signalweg zur Phosphorylierung der L-Typ Ca2+Kanäle (Abb. 6.22). Dies erhöht deren Offenwahrscheinlichkeit. Infolge strömen vermehrt Ca2+-Ionen in die Herzmuskelzelle ein. Stimulation von α1-Adrenozeptoren führt über die Phospholipase C-Inositoltrisphosphat(IP3)Signalkaskade zu vermehrter Ca2+-Freisetzung aus dem sarkoplasmatischen Retikulum (vgl. Kap. 2.6). Beide Mechanismen resultieren dementsprechend in einer verstärkten kontraktilen Antwort des Myokards (positiv inotrope Wirkung). Zum anderen kann, ähnlich dem glatten Muskel (vgl. S. 125, Abb. 6.17), auch im Herzmuskel bei gleicher sarkoplasmatischer Ca2+-Konzentration der kontraktile Apparat verstärkt oder vermindert aktiviert werden (Ca2+Sensitivierung bzw. Ca2+-Desensitivierung). Phosphorylierung der kardialen Troponin I-Untereinheit führt zu beschleunigter Abdissoziation der Ca2+-Ionen von Troponin C. Folge ist zum einen eine schnellere Erschlaffung. Zum anderen wird, einer Ca2+-Desensitivierung entsprechend, die halbmaximale Kraftentwicklung erst bei höheren Ca2+-Konzentrationen erreicht. Beispiele für eine Ca2+-Sensitivierung sind die Phosphorylierung der regulatorischen leichten Myosinkette über den β1-Adrenozeptor-cAMP-Signalweg, oder zunehmende Ausgangslänge der Myokardzellen. Ca2+-Sensitivierung, also eine Linksverschiebung der Kraft-Calcium-Beziehung (vgl. Abb. 6.17) durch zunehmende Vordehnung der Myokardzellen ist beispielsweise Grundlage des so genannten Frank-Starling Mechanismus (vgl. S. 155 ff.).
Erregung des Herzmuskels Die regelmäßigen Kontraktionen des Herzmuskels werden durch Aktionspotenziale ausgelöst, die in spezialisierten Zellen, den Schrittmacherzellen des Sinusknotens entstehen. Diese breiten sich über Gap Junctions von Zelle zu Zelle über das gesamte Herzmuskelgewebe aus. Der Herzmuskel entspricht daher einer einzelnen motorischen Einheit. Die Muskelkraft des Myokards kann deshalb nicht durch Rekrutierung zusätzlicher Muskelzellen gesteigert werden. Die Dauer einer einzelnen Kontraktion ist beim Myokard nur wenig länger als das Aktionspotenzial. Superposition von Einzelkontraktionen ist deshalb praktisch nicht möglich, so dass Kontraktionen des Herzmuskels ausschließlich Einzelzuckungen sind. Kontraktionen des Herzmuskels werden durch Aktionspotenziale ausgelöst, die von Schrittmacherzellen erzeugt werden (vgl. S. 150 ff.). Die Schrittmacherpotenziale ent-
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134
6 Muskulatur Tabelle 6.2
Skelett- Herz- und glatter Muskel im Vergleich Skelettmuskel
glatter Muskel
Herzmuskel
Morphologie
vielkernige Faser, Querstreifung
einkernige Zellen, Gap Junctions, keine Querstreifung
einkernige Zellen, Gap Junctions, Querstreifung
funktionelle Organisation
viele motorische Einheiten (Multi-Unit)
Single-Unit, Multi-Unit
Single-Unit
Erregung
neurogen: über neuromuskuläre Endplatte auf Muskelfaser übertragen
Single-Unit Typ: Automatie durch Schrittmacherzellen, Ausbreitung über Gap Junctions, Modulation über Neurotransmitter; Multi-unit-Typ: neurogen über synaptische Übertragung
myogene Automatie durch Schrittmacherzellen, Ausbreitung über Gap Junctions; neurogene Modulation durch Neurotransmitter
Ca2+ im Sarkoplasma
Ca2+-Freisetzung aus SR über Dihydropyridin/RyanodinRezeptor-Interaktion; Ca2+-Bindung an Troponin C, Umlagerung Tropomyosin, Freigabe hochaffiner Myosinbindungsstellen an Aktin
Ca2+-Einstrom über Sarkolemm und Ca2+-Freisetzung aus SR bei Depolarisation (elektromechanische Koppelung); Ca2+-Einstrom über ligandengesteuerte Ca2+-Kanäle; Ca2+-Freisetzung aus SR über second messengers (pharmakomechanische Koppelung); Ca2+-Bindung an Calmodulin, Phosphorylierung der regulatorischen leichten Myosinkette
Ca2+-Einstrom über Sarkolemm und T-Tubuli (L-Typ Ca2+-Kanal, Dihydropyridinrezeptor) triggert Ca2+-induzierte Ca2+-Freisetzung aus SR; Ca2+-Bindung an Troponin C, Umlagerung Tropomyosin, Freigabe hochaffiner Myosinbindungsstellen an Aktin
Regulation [Ca2+]i
Überlagerung (Summation), abhängig von Frequenz der Aktionspotenziale
abgestufte Depolarisation; abgestufte Ligandenaktivierung über Transmitterkonzentration; Senkung durch Aktivierung von Ca2+-Pumpen und 3Na+/1Ca2+Austauschcarrier
Verstärkung des Ca2+-Einstroms (β1-Adrenozeptorstimulation, cAMPabhängige Phosphorylierung der L-Typ Ca2+-Kanäle); Verstärkung der Ca2+-Freisetzung aus SR bei vermehrter Ca2+-Beladung des SR
Abstufung der Kontraktionsamplitude
Superposition, Tetanisierbarkeit; Rekrutierung motorischer Einheiten
Single-unit-Typ: Superposition, Tetanisierbarkeit; Ca2+-Sensitivierung/ -Desensitivierung. Multi-unit-Typ: Superposition, Tetanisierbarkeit; Rekrutierung motorischer Einheiten
Ca2+-Beladung des sarkoplasmatischen Retikulums; Ca2+-Sensitivierung/-Desensitivierung
Erschlaffung
Ende der Aktionspotenziale im Motoneuron; Ca2+-Pumpen in der Membran des SR; ADP-Abdissoziation von Myosinköpfen
Ende der Aktionspotenziale, Ca2+-Pumpen in Sarkolemm und SR; 3Na+/1Ca2+-Austauschcarrier im Sarkolemm; Ca2+-Desensitivierung. Dephosphorylierung der regulatorischen leichten Myosinkette; ADPAbdissoziation von Myosinköpfen
Ende des Aktionspotenzials, Ca2+Pumpen in Sarkolemm und SR; 3Na+/1Ca2+-Austauschcarrier in Sarkolemm; Ca2+-Desensitivierung; ADP-Abdissoziation von Myosinköpfen
Rezeptoren für Liganden/ Hormone
nicotinischer AcetylcholinRezeptor in motorischer Endplatte
Rezeptoren für Vielzahl von Transmittern und Hormonen (z. B. Katecholamine, Acetylcholin, Histamin, Serotonin, NO)
muscarinischer Acetylcholin-Rezeptor (Parasympathikuswirkung), β1-Adrenozeptoren (Sympathikuswirkung)
SR= sarkoplasmatisches Retikulum
stehen, ähnlich wie im Single-unit-Typ des glatten Muskels, auch ohne Innervation (vgl. S. 129). Sympathikus und Parasympathikus modulieren die Frequenz der Schrittmacherpotenziale (vgl. S. 153). Die Aktionspotenziale der Schrittmacherzellen breiten sich beim Herzmuskel über die Gap Junctions (Abb. 6.21) in den Zellgrenzen (Glanzstreifen) von Zelle zu Zelle aus, bis sämtliche Herzmuskelzellen erregt sind. Dies bedeutet, dass der gesamte Herzmuskel einer einzelnen motorischen Einheit entspricht (Single-Unit; vgl. Tab. 6.2, S. 134), auch wenn durch Verzögerung der Erregungsausbreitung Vorhöfe und Ventrikel nicht gleichzeitig, sondern nacheinander
kontrahieren (vgl. Kap. 7.6). Da jedes Aktionspotenzial der Schrittmacherzellen stets alle Herzmuskelzellen erregt, kann das Myokard, anders als der Skelettmuskel (vgl. Kap. 6.2), seine Kontraktionskraft nicht durch Rekrutierung zusätzlicher motorischer Einheiten erhöhen. Die lange Dauer der Aktionspotenziale hat auch zur Folge, dass eine Kontraktion als Antwort auf ein Aktionspotenzial nur wenig länger dauert als das Aktionspotenzial selbst (vgl. Abb. 6.23). Dies hat zur Folge, dass sich mechanische Antworten kurz aufeinanderfolgender Aktionspotenziale beim Herzmuskel, im Gegensatz zum Skelettmuskel (vgl. S. 115), nicht überlagern. Der Herz-
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6.4 Herzmuskel
… und noch weiter
Reiz
0
Aktionspotenzial
mV
80
[Ca2+] 1 µmol/l
Ca2+-Konzentration
102 N
Kontraktionskraft [N]
0
0
400 ms
Abb. 6.23 Zeitliche Beziehungen zwischen Aktionspotenzial, sarkoplasmatischer Ca2+-Konzentration und Mechanogramm des Herzmuskels. Die mechanische Kraftentwicklung dauert nur wenig länger als das Aktionspotenzial. Zur Messung der sarkoplasmatischen Ca2+-Konzentration wurden Myokardzellen mit dem Licht-emittierenden Ca2+-Indikatorprotein Äquorin beladen. Das Lichtsignal ist ein Maß für die sarkoplasmatische Ca2+-Konzentration (modifiziert nach 22).
muskel ist also nicht tetanisierbar. Dementsprechend ist jede Kontraktion des Herzmuskels eine Einzelzuckung. Dies gewährleistet, dass sich an jede Kontraktion der Herzkammern eine Phase der Füllung anschließt, bevor eine erneute Kontraktion folgen kann. Aufgrund fehlender Superposition bzw. fehlender Tetanisierbarkeit kann das Myokard, im Gegensatz zum Skelettmuskel seine Kontraktionskraft nicht durch Superposition dicht aufeinanderfolgender Kontraktionen erhöhen.
Zum Weiterlesen … 1 Alberts B, Johnson A, Lewis J, Raff M, Roberts K, Walter P. Molecular Biology of the Cell, 4th ed. New York: Garland Science; 2002 2 Bagshaw CR. Muscle Contraction, 2nd ed. London: Chapman and Hall; 1993 3 Geeves MA, Holmes KC. Structural mechanism of muscle contraction. Annu Rev Biochem. 1999; 68: 687 – 728 4 Katz AM. Physiology of the Heart, 3rd ed. Philadelphia: Lippincott Williams & Wilkins; 2001 5 Kushmerick MJ. Energetics of Muscle Contraction. Bethesda: American Physiological Society; 1983. 6 Rüegg JC. Calcium in Muscle Contraction, 2nd ed. Berlin: Springer; 1992
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135
137
Das Herz J. Schrader, M. Kelm
7.1
Klinische Bedeutung und Systematik von Herzerkrankungen ··· 138
7.2
Bedeutung des Herzens für den Kreislauf · · · 138
7.3
Druck-Volumen-Veränderungen während des Herzzyklus · ·· 139
7.8
Regulation der Pumpleistung des Herzens
···
155
Frank-Starling-Mechanismus ··· 155 Herzsympathikus · ·· 157 Herzhypertrophie · · · 158 Beziehungen zwischen Herzzeitvolumen und venösem Rückfluss ··· 160 Das Herz als endokrines Organ · ·· 160
7.9
Phasen der Herzaktion · · · 140 Herztöne ··· 140 Echokardiographie · ·· 141 Mechanismen der Ventrikelfüllung · · · 142 Arbeitsdiagramm des Herzens · · · 142
Erregungsausbreitung am Herzen
··· 161 Hierarchie der Erregungsausbreitung · · · 162 Beeinflussung des Herzrhythmus durch das vegetative Nervensystem ··· 162
7.10 Grundlagen der Elektrokardiographie · ·· 163 7.4
Regulation der Koronardurchblutung
···
143
Anatomische Voraussetzungen ··· 143 Koronarfluss (Koronardurchblutung) ··· 143 Myokardialer Sauerstoffverbrauch · · · 145 Determinanten der Koronardurchblutung · ·· 145 Koronare Herzkrankheit · ·· 146
7.5
Beziehungen zwischen Energiestoffwechsel und Herzfunktion · ·· 147
7.6
Elektrophysiologische Grundlagen
· ··
149
Ruhepotenzial · · · 150 Herzaktionspotenzial · · · 150 Automatie ··· 153
7.7
Elektromechanische Koppelung
Entstehung des EKG · · · 164 Vektorkardiographie · · · 166 Bipolare Standardableitung · ·· 167 Unipolare EKG-Ableitungen ··· 168
7.11 Aussagemöglichkeiten des EKG
· ·· 169 Der normale Sinus-Rhythmus ··· 169 Extrasystolen · ·· 170 Atrioventrikuläre Leitungsstörungen ··· 170 Vorhofflimmern, Vorhofflattern · ·· 171 Kammerflimmern · · · 171 Herzinfarkt ··· 172
7.12 Molekulare Ursachen von Herz-Kreislauferkrankungen · ··
···
172
153
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138
7 Das Herz
7.1
Klinische Bedeutung und Systematik von Herzerkrankungen
Die Kenntnis der zentralen Aufgaben des Herzens für den Kreislauf und das Verständnis der zugrunde liegenden Mechanismen stellt eine wesentliche Voraussetzung für die Anwendung von diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen bei Herzkreislauferkrankungen dar. Für die Erbringung der lebensnotwendigen Pumpleistung des Herzens in Ruhe und bei Belastung sind vier Kenngrößen wichtig: 1. Das Myokard mit den Mechanismen der Kontraktion und Relaxation, 2. das Endokard und die Herzklappen zur Strukturierung der Phasen der Herzaktion, 3. der Koronarkreislauf zur bedarfsgerechten Versorgung des Myokards, 4. das Erregungsbildungs- und -leitungssystem zur Koordination und Rhythmisierung von Erregung, Kontraktion und Relaxation unterschiedlicher Myokardareale. Entsprechend werden Herzerkrankungen in vier wesentliche Gruppen eingeteilt: myokardiale, endokardiale, koronare und rhythmologische Krankheitsbilder. Sie stellen die mit Abstand häufigste Krankheitsgruppe und Todesursache in industrialisierten Ländern dar. Fast jede zweite Notaufnahme in Krankenhäuser ist auf kardiovaskuläre Erkrankungen zurückzuführen. Die koronare Herzkrankheit (KHK), die wiederum auch myokardiale und rhythmologische Störungen zur Folge haben kann, stellt die epidemiologisch und klinisch wichtigste Herzerkrankung dar.
7.2
Bedeutung des Herzens für den Kreislauf
Funktionell betrachtet, besteht das Herz aus zwei hintereinander geschalteten Pumpen, wobei die Pumpleistung jeweils identisch ist. Das linke Herz pumpt sein Schlagvolumen in die Aorta und den großen Körperkreislauf, das rechte Herz pumpt das Blut über die Arteria pulmonalis in den Lungenkreislauf. Die Herzklappen haben Ventilfunktion und erlauben den Blutfluss nur in eine Richtung. Bei jeder Kontraktion (Systole) kommt es zu einem Tiefertreten der Ventilebene. Dem Herzen kommt im Kreislauf eine zentrale Funktion zu, indem es die Energie bereitstellt, mit der Blut von der venösen Seite auf die arterielle Seite des Kreislaufs gepumpt wird. In funktioneller Hinsicht besteht das Herz aus zwei getrennten Pumpensystemen, wobei der rechten und linken Herzkammer (Ventrikel) je ein Vorhof vorgeschaltet ist (Abb. 7.1). Das rechte Herz fördert das aus der V. cava inferior und superior stammende venöse Blut durch die Kontraktion des rechten Ventrikels über die A. pulmonalis in den Lungenkreislauf. Das linke Herz pumpt das mit Sauerstoff gesättigte Blut durch Kontraktion des linken Ventrikels über die Aorta in den Körperkreislauf. Die Kontraktion von linkem und rechtem Herzen erfolgt gleichzeitig. Die Pumpwirkung des Herzens beruht auf der rhythmischen Abfolge von Kontraktion
Aorta
V. cava superior Pulmonalvene linker Vorhof Pulmonalarterie
Ventilebene Aortenklappe
rechter Vorhof
Mitralklappe
Pulmonalklappe
Trikuspidalklappe
linker Ventrikel
rechter Ventrikel V. cava inferior
Abb. 7.1 Blutfluss durch das Herz. Venöses Blut gelangt über die V. cava superior und inferior in den rechten Vorhof, arterialisiertes Blut fließt über die vier Pulmonalvenen in den linken Vorhof. Nach Öffnung der Segelklappen (Trikuspidal- und Bikuspidalklappen) gelangt das Blut in der Diastole in den rechten und linken Ventrikel und wird in der nächsten Systole nach Öffnung der Taschenklappen in die Pulmonalarterie bzw. Aorta ausgeworfen. Alle Herzklappen liegen in einer Ebene, der Ventilebene.
(Systole) und Entspannung (Diastole). In der Diastole werden die Herzkammern mit Blut gefüllt, in der Systole werden ca. 2⁄3 des in den Ventrikeln vorhandenen Bluts, das Schlagvolumen (normalerweise ca. 70 ml), ausgeworfen. Die Stellung des Herzens in einem geschlossenen Kreislaufsystem macht deutlich, dass die Förderleistung des rechten und linken Herzens gleich sein muss (Abb. 7.2). Geringste Unterschiede im Schlagvolumen zwischen rechtem und linkem Ventrikel hätten mit der Zeit erhebliche Störungen des Druck- und Volumenverhältnisses in den einzelnen Kreislaufabschnitten zur Folge. Dass der linke Ventrikel wesentlich muskelstärker als der rechte Ventrikel ist, liegt in der Tatsache begründet, dass der linke Ventrikel das gleiche Schlagvolumen gegen einen hohen arteriellen Druck (systolischer Druck 120 mmHg) pumpen muss. Der muskelschwächere, rechte Ventrikel hingegen muss lediglich den Druck in der Pulmonalarterie (systolischer Druck 20 mmHg) überwinden. Die Richtung des Blutflusses ist durch die Anordnung der Herzklappen gegeben, die Ventilfunktion haben und den Transport von Blut nur in eine Richtung erlauben. Die Herzklappen sind zwischen Vorhof und Ventrikel in der sog. Ventilebene angeordnet (Abb. 7.1). Der Trikuspidalund der Bikuspidal-(Mitral-)Klappe kommt hierbei die Funktion von Einlassventilen zu. Das entsprechende Auslassventil für die rechte und linke Herzkammer ist die Pulmonal- und Aortenklappe (Semilunarklappen). Öffnen und Schließen der Herzklappen erfolgen rein passiv durch das Blut, das entsprechend dem im Herzen herrschenden Druckgradienten immer von Orten hohen Drucks zu Orten niedrigen Druckniveaus fließt.
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7.3 Druck-Volumen-Veränderungen während des Herzzyklus
CO2
O2 Lunge
rechtes Herz
linkes Herz
arterielles System
venöser Rückstrom
peripheres Gewebe
CO2
O2
Abb. 7.2 Herz und Kreislauf. Schematische Darstellung der wesentlichen Funktionselemente des Herzens in ihrer Stellung im Blutkreislauf. Sauerstoff (O2) wird im Lungenkreislauf aufgenommen und über die Kapillaren des Körperkreislaufs an das Gewebe abgegeben. CO2 nimmt den umgekehrten Verlauf. Die Stellung der Herzklappen entspricht der Austreibungsphase während der Systole (Segelklappen geschlossen, Taschenklappen geöffnet).
Was die Lage des Herzens im Thorax anbetrifft, so wird aus der Betrachtung eines Röntgenbildes deutlich, dass der überwiegende Teil des rechten Ventrikels zur Vorderseite orientiert ist, wobei große Teile des rechten und linken Ventrikels breit dem Zwerchfell aufliegen (Abb. 7.3). Die Schräglage des Herzens im Thorax macht verständlich, dass bei einem Tiefertreten des Zwerchfells, z. B. bei tiefer Einatmung, das Herz in eine steilere Lage übergeht. Neben der Veränderung der Herzachse in Abhängigkeit von der Atmung kommt es bei jeder Kontraktion zu Formveränderungen des Herzens selbst. Die spiral- und ringförmige Anordnung der Muskelfasern in den Ventrikeln bewirkt, dass sich das Herz bei jeder Kontraktion, sowohl in der Längs- als auch in der Querachse, verkürzt. Dies hat zur Folge, dass bei jeder Systole die Ventilebene des Herzens (Abb. 7.1) tiefer tritt.
7.3
Druck-Volumen-Veränderungen während des Herzzyklus
Nach Erregung des Ventrikelmyokards steigt der intraventrikuläre Druck zunächst isovolumetrisch an. In diese Anspannungsphase fällt der 1. Herzton. Nach Öffnen der Aorten- und Pulmonalklappen wird das Schlagvolumen bei weiterem Druckanstieg ausgeworfen (auxotone Austreibungsphase). Mit dem Schluss der Semilunarklappen (2. Herzton) endet die Ventrikelsystole. Sie wird gefolgt von der Entspannungsphase (isovolumetrisch) und der Füllphase. Für die diastoli-
V. cava superior A. coronaria dextra
Aortenbogen Pulmonalisbogen A. coronaria sinistra V. cordis magna
Abb. 7.3 Röntgenbild des Thorax in posterioanteriorer Projektion. Aus der Schemazeichnung ist zu ersehen, dass die rechte Seite des Herzens (vom Probanden aus gesehen) durch die V. cava superior und den rechten Vorhof begrenzt wird. Auf der linken Seite sind es von kranial nach kaudal Aortenbogen, Pulmonalisbogen, linker Vorhof und linker Ventrikel. Beachte, dass das Herz mit dem rechten Ventrikel und Teilen des linken Ventrikels breit dem Zwerchfell aufliegt.
sche Ventrikelfüllung ist neben dem Druckgradienten und der Vorhofkontraktion der Ventilebenenmechanismus von Bedeutung. Die graphische Auftragung von ventrikulären Druck- und Volumenänderungen während des Herzzyklus ergibt das Druckvolumendiagramm, aus dem die vom Herzen geleistete Druckvolumenarbeit abgelesen werden kann. Die Fähigkeit des Herzens, ein Schlagvolumen gegen einen bestimmten Druck in der Aorta auszuwerfen, wird durch die Lage der Ruhedehnungskurve sowie den Verlauf der Kurve für die isovolumetrischen und isobarischen Maxima bestimmt. Die im Herzen und in der Aorta sich abspielenden Druckveränderungen im Wechsel zwischen Systole und Diastole können auch am Menschen mit Hilfe eines über eine periphere Arterie eingeführten Katheters im Rahmen diagnostischer Herzkatheteruntersuchungen gemessen werden. Zusammen mit dem Druckverlauf im linken Vorhof lässt sich die Systole in Anspannungsphase und Austreibungsphase, die Diastole in Entspannungsphase
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7 Das Herz 2 Austreibung 1 Anspannung
3 Entspannung 4 Füllung
120
Aortendruck C
80
mmHg
B
Druck im linken Ventrikel 40
Druck im linken Vorhof
D
A
ml/s
0 500
Stromstärke (Aortenwurzel)
250 0 120 Schlagvolumen
ml
140
Volumen des linken Ventrikels
40 Restvolumen 0
EKG Herztöne I
II
III
Systole 0
0,2
Diastole 0,4
0,6
0,8 s
Abb. 7.4 Herzzyklus. Zeitliche Korrelation von Druck, Fluss, Ventrikelvolumen, EKG und Herztönen (I – III) in Systole und Diastole in Ruhe (Herzfrequenz 75/min), 1. isovolumetrische Anspannungsphase, 2. auxotone Austreibungsphase, 3. isovolumetrische Entspannungsphase, 4. Füllungsphase. Punkte A und D kennzeichnen den Schluss bzw. die Öffnung der Atrioventrikularklappen, Punkte B und C die Öffnung bzw. den Schluss der Aortenklappen.
und Füllungsphase unterteilen (Abb. 7.4). Obwohl die gleiche Unterteilung natürlich auch für das rechte Herz gilt, sollen der Einfachheit halber im Folgenden die Verhältnisse am linken Ventrikel beispielhaft besprochen werden.
Phasen der Herzaktion Die Anspannungsphase und damit die Ventrikelsystole beginnt mit dem Schluss der Atrioventrikularklappen. Der Klappenschluss kommt dadurch zustande, dass der Ventrikeldruck den Vorhofdruck überschreitet. Damit wird der Rückfluss von Blut in den Vorhof verhindert (Abb. 7.4 A). Da auch die Aortenklappe in dieser Phase geschlossen ist, steigt jetzt der Druck im Ventrikel steil an, ohne dass sich dort das Volumen (enddiastolisch ca. 120 ml) ändert. Der Druckanstieg erfolgt also isovolumetrisch. Die Anspannungsphase endet, wenn der Ventrikeldruck den Druck in der Aorta überschreitet und sich die Aortenklappe öffnet (Abb. 7.4 B). Jetzt beginnt die Aus-
treibungsphase, die durch einen weiteren Druckanstieg in Ventrikel und Aorta charakterisiert ist. Dementsprechend nimmt das Volumen im Ventrikel jetzt ab, und zwar um den Betrag, der als Schlagvolumen (ca. 80 ml) in die Aorta gepumpt wird. Ein Restblutvolumen von ca. 40 ml bleibt im Ventrikel zurück. (Der Quotient aus Schlagvolumen und enddiastolischem Volumen heißt Ejektionsfraktion und beträgt 0,6 – 0,75, in diesem Fall 0,67.) Da sich in der Austreibungsphase sowohl der Druck als auch das Volumen im Ventrikel verändert, bezeichnet man die Kontraktionsform als auxoton. Die Austreibungsphase endet, wenn der Ventrikeldruck den Aortendruck wieder unterschreitet, was zum Schließen der Aortenklappen führt (Abb. 7.4 C). In der Druckregistrierung der Aorta findet man synchron zum Klappenschluss eine kurze Druckschwankung (Inzisur). Sie lässt sich mechanisch durch das kurzzeitige Schwingen der Blutsäule über der Aorta bei Klappenschluss erklären. Die isovolumetrische Erschlaffungsphase ist der Zeitabschnitt zwischen Schluss der Aorten- und der Wiederöffnung der Mitralklappe (Abb. 7.4 D). In dieser Phase nimmt der Ventrikeldruck rasch ab, unterschreitet den Vorhofdruck, und die Füllungsphase beginnt. Wie aus Abb. 7.4 zusätzlich zu ersehen ist, nimmt bereits im ersten Drittel der Füllungsphase das Ventrikelvolumen um etwa 80 % des Schlagvolumens zu. Diese rasche Füllung hat zur Folge, dass selbst bei gesteigerter Herzfrequenz, die mit einer Abnahme der Diastolendauer einhergeht, eine adäquate Ventrikelfüllung garantiert ist. Ein Vergleich der ventrikulären Druckentwicklung mit dem EKG zeigt, dass zum Zeitpunkt des Öffnens der Aortenklappen das Ventrikelmyokard bereits vollständig erregt ist (Abb. 7.4). Trotzdem nimmt der Ventrikeldruck zu Beginn der Austreibungsphase noch deutlich zu. Dieser paradox erscheinende Befund erklärt sich aus den geometrischen Veränderungen des Ventrikels während der Austreibungsphase. Durch das ausgeworfene Schlagvolumen nimmt nämlich der Ventrikelradius ab, und gleichzeitig nimmt die Wanddicke des Ventrikels zu. Entsprechend dem Gesetz von Laplace (S. 159) kommt es aufgrund dieser Größenveränderungen rein physikalisch zu einer zusätzlichen Druckentwicklung.
Herztöne Synchron zum Herzzyklus entstehen im Herzen „Töne“, die über dem Thorax am besten mit Hilfe eines Stethoskops wahrgenommen werden können. Selbst der Ungeübte kann leicht einen 1. und 2. Herzton hören. In der Medizin werden die normalen Herztöne von krankhaften Herzgeräuschen abgegrenzt. Im physikalischen Sinne handelt es sich aber bei den Herztönen nicht um Töne, sondern auch um Geräusche, die ein breites Frequenzspektrum von 15 – 400 Hz aufweisen und die aus unterschiedlichen Einzelkomponenten bestehen. Der 1. Herzton entsteht als niederfrequentes, dumpfes Geräusch während der Anspannungsphase (Abb. 7.4, I). Er kommt dadurch zustande, dass der Ventrikel sich um das Blut, das als Flüssigkeit inkompressibel ist, anspannt und dadurch zusammen mit den Atrioventrikularklappen in Schwingung gerät. Deshalb spricht man beim 1. Herzton vereinfacht auch von einem Muskel- oder Anspannungs-
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7.3 Druck-Volumen-Veränderungen während des Herzzyklus
EKG Schallkopf
I
Phonokardiogramm
II
III
rechter Ventrikel
Brustwand linker Ventrikel
Aorta
linker Vorhof
Ventrikelseptum offen
A
4
C
3
aortales Segel der Mitralklappe
E geschlossen
B
D
2 1 0 cm
Wand des linken Vorhofs
Abb. 7.5 Echokardiographie. Der linke Teil der Abbildung zeigt die Lage des Schallkopfes, der als Sender und Empfänger fungiert. Im rechten Teil der Abbildung ist ein typisches Echokardiogramm dargestellt, zeitlich synchronisiert mit EKG und Phonokardiogramm. Am Ende der isovolumetrischen Entspannungsphase kommt es zu einem raschen
ton. Er kann insbesondere gut im 4. bis 5. Interkostalraum links medioklavikulär gehört werden. Der 2. Herzton fällt mit dem Schluss der Aorten- und Pulmonalklappe zusammen (Abb. 7.4, II). Es ist ein heller „Ton“ mit höherfrequenten Anteilen. Seinem Entstehungsmechanismus zufolge ist der 2. Herzton ein Klappenton, der besonders gut im 2. Interkostalraum rechts und links vom Sternum gehört werden kann. Mit besonderer elektronischer Verstärkung (Phonokardiogramm) lässt sich noch ein 3. Herzton nachweisen, der durch das während der frühen Ventrikelfüllung einströmende Blut zustande kommt (Abb. 7.4, III). Bei einer herzgesunden Person ist dieser 3. Herzton nicht auszukultieren. Der auskultatorische Nachweis des 3. Herztones ist pathognomonisch (krankheitskennzeichnend) für eine gestörte Ventrikelfüllung bei Patienten mit Herzinsuffizienz. Der 1. und 2. Herzton können in der Intensität und dem Zeitabstand ihrer Einzelkomponenten bei Stenosen und Leckagen (Insuffizienzen) an den Herzklappen und bei Kurzschlüssen (Shunts) zwischen linkem und rechtem Herzen moduliert werden. Ferner führen diese kardialen Vitien je nach betroffener Herzklappe zu zusätzlichen interponierten typischen Herzgeräuschen, anhand derer man die Art des Herzklappenfehlers diagnostizieren kann. Während früher die durch rheumatische Endokarderkrankungen bedingte Mitralstenose und Aortenklappeninsuffizienz die häufigsten Klappenfehler (Vitien) darstellten, sind heute die relative Mitralinsuffizienz aufgrund einer Dilatation des linken Ventrikels bei Herzinsuffizienz und die
Öffnen der Mitralklappe bis zu einer maximalen Stellung (A). Dann kehren die Klappen zu einer Mittelstellung zurück (B), um sich kurz vor der Systole durch Vorhofkontraktion erneut zu öffnen (C). In der sich anschließenden Austreibungsphase schließt sich die Klappe (D) und wölbt sich in den Vorhof (E) (aus 20).
degenerative (arteriosklerotisch bedingte) Aortenklappenstenose bei älteren Patienten die klinisch wichtigsten Vitien.
Echokardiographie Die Echokardiographie ist eine nichtinvasive Methode, mit der in vielen Fällen eine exakte Beurteilung sowohl der kardialen Morphologie (z. B. Verdickung der Mitralsegel bei Mitralklappenstenose) als auch der Funktion (z. B. Wandbewegungsstörungen im Bereich einer Herzinfarktnarbe) möglich ist. Zusätzlich lässt sich mit ihr die Flussgeschwindigkeit des Blutes im Herzen und die Zusammensetzung des Herzgewebes, d. h. der Anteil an Bindegewebe und Myokardzellen, bestimmen (Doppler-Technik). Die Echokardiographie beruht auf dem Prinzip des Echolots, wobei durch den Schallkopf, der dem Thorax aufliegt, Ultraschallwellen (2,2 – 12 MHz) ausgesendet werden. An Grenzflächen unterschiedlich schalldichter Strukturen – wie beispielsweise zwischen Gewebe und Blut – entstehen Reflexionen, die vom Schallkopf registriert werden. Das Empfangssignal wird aufgearbeitet und auf einem Monitor dargestellt. Der Untersucher kann zwischen verschiedenen Darstellungsformen wählen: zweidimensionale Schnittbilder durch das Herz, ggf. mit eingeblendetem, farbkodiertem Doppler-Signal, Flussprofildarstellung einzelner Areale sowie die so genannte M-Mode-Darstellung. Im M-Mode werden die Reflexionen einer Schnittlinie gegen die Zeit aufgetragen, um z. B. das Öffnungsverhalten der Mitralklappe darzustellen (Abb. 7.5).
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7 Das Herz
U-Kurve
isovolumetrische Maxima
B
Ventilebene 300
rechtes Herz
A Auswurfphase
Verschiebung der Ventilebene
Ventrikeldruck (mmHg)
142
isobarische Maxima 200
äußere Herzarbeit C
120
Ruhedehnungskurve
80
B A
0 0
D 40
A 120
Ventrikelvolumen (ml)
B Füllphase
Abb. 7.6 Ventilebenenmechanismus. Schematische Darstellung (für das rechte Herz) der Veränderung der Ventilebene im Herzzyklus als Mechanismus der diastolischen Ventrikelfüllung. A Durch Kontraktion tritt die Ventilebene tiefer und saugt damit Blut in den Vorhof. Zustand am Ende der Systole. B In der Diastole stülpt sich der Ventrikel durch Höhertreten der Ventilebene über das in den Vorhöfen liegende Blut. Dies trägt wesentlich zur Füllung des Ventrikels bei.
Mechanismen der Ventrikelfüllung Wie oben bereits erwähnt, wird der Ventrikel im Wesentlichen zu Beginn, d. h. im ersten Drittel der Diastole, gefüllt (Abb. 7.4). Für die Füllung sind drei Faktoren verantwortlich. Die Druckdifferenz zwischen Vorhof und Ventrikel während der Füllphase stellt eine der treibenden Kräfte dar, mit der Blut in der Diastole in die Ventrikel fließt. Hinzu kommt am Ende der Diastole die Kontraktion der Vorhöfe, die die Druckdifferenz zusätzlich vergrößert, aber nur zu einer geringfügigen zusätzlichen Füllung des Ventrikels führt (Abb. 7.4). Wichtig, insbesondere für die frühe diastolische Füllung, ist der sog. Ventilebenenmechanismus. Er beruht darauf, dass sich das Herz bei jeder Systole in seiner Längsachse verkleinert (Spiralmuskulatur). Da die Herzspitze auf dem Zwerchfell aufliegt und damit fixiert ist, senkt sich dabei die Ventilebene (Abb. 7.6). Dadurch kommt es über eine Dehnung der Vorhöfe zu einer gewissen Sogwirkung, mit der Blut aus den zentralen Körpervenen angesaugt wird. In der sich anschließenden Entspannungsphase geht das Herz aufgrund seiner elastischen Rückstellkräfte wieder in seine Ausgangsform zurück. Dabei stülpen sich sozusagen die Ventrikel über das in den Vorhöfen liegende Blutvolumen, wodurch der Ventrikel gefüllt wird. In der nun folgenden Systole schließen sich die Segelklappen und das Schlagvolumen wird nach Öffnung der Taschen-
Abb. 7.7 Druck-Volumen-Diagramm des linken Ventrikels. Die Werte A, B, C und D sind aus Abb. 7.4 entnommen. A – B = Anspannungsphase, B – C = Austreibungsphase, C – D = Entspannungsphase, D – A = Füllungsphase. Die von den Punkten A, B, C, D umschriebene, hellrote Fläche entspricht der äußeren Herzarbeit. Die orange Fläche unterhalb des Kurvenabschnitts D – A kennzeichnet diejenige Arbeit, die zur Wiederauffüllung des Ventrikels in der Diastole aufgewendet wird.
klappen ausgeworfen. Das Herz pumpt also während der Austreibungsphase nicht nur Blut in die Aorta, sondern saugt gleichzeitig Blut aus den großen Venen an und wirkt so in gewisser Weise wie eine Druck-Saug-Pumpe. Der Ventilebenenmechanismus spielt insbesondere bei höheren Herzfrequenzen eine wichtige Rolle.
Arbeitsdiagramm des Herzens Trägt man die in Abb. 7.4 wiedergegebenen Werte A, B, C und D der Ventrikeldruckkurve gegen die entsprechenden Werte des Ventrikelvolumens auf, so erhält man das Druck-Volumen-Diagramm des linken Ventrikels (Abb. 7.7). In diesem Diagramm kennzeichnet die Strecke A – B die isovolumetrische Anspannungsphase, der Abschnitt B – C die auxotone Austreibungsphase, die Strecke C – D stellt die isovolumetrische Erschlaffungsphase dar, während der Abschnitt D – A der Füllphase entspricht. Die von den Punkten A, B, C, D umschriebene, hellrote Fläche hat als Produkt von Druck und Volumen die Dimension einer Arbeit und entspricht somit der vom Herzen geleisteten Druck-Volumen-Arbeit. Die Kenntnis der DruckVolumen-Schleife ist wichtig für das Verständnis wesentlicher Myokarderkrankungen, wie der Herzinsuffizienz und der linksventrikulären Hypertrophie (s. S. 158 ff.). Die in Abb. 7.7 dargestellte Fläche unter dem diastolischen Kurvenanteil D – A stellt diejenige Arbeit dar, die
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7.4 Regulation der Koronardurchblutung durch Dehnung des Ventrikels in der Füllungsphase aufgebracht wird. Diese Energie wird bei jeder Systole wieder in das System zurückgeführt, so dass die gesamte Arbeit die Differenz beider Flächen darstellt. Da bei jeder Systole die Stromstärke in der Aorta von 0 auf 500 ml/s erhöht wird (Abb. 7.7), addiert sich zur Druck-Volumen-Arbeit die sog. Beschleunigungsarbeit. Die vom ganzen Herzen geleistete Arbeit wird also im Wesentlichen von der Größe des Schlagvolumens und der Höhe des Aortendrucks bestimmt. Der Anteil der Beschleunigungsarbeit an der äußeren Herzarbeit beträgt am linken Ventrikel ca. 1 %. Dieser Wert liegt am rechten Ventrikel wesentlich höher (bis zu 10%), da die DruckVolumen-Arbeit dort nur ca. 1⁄5 der des linken Ventrikels beträgt, die Beschleunigungsarbeit jedoch ähnlich ist. Der Anteil der Beschleunigungsarbeit nimmt bei Steigerung der Herzarbeit und bei eingeschränkter Windkesselfunktion (s. Kap. 8) der Aorta (Arteriosklerose) zu. Hierbei fällt ins Gewicht, dass die beschleunigte Blutmasse größer ist als die Masse des Schlagvolumens. Eine einfache Betrachtung zweier extremer Fälle veranschaulicht dies. Würde das Schlagvolumen in ein großes nachgiebiges Reservoir ausgetrieben, so wäre praktisch nur die Masse des Schlagvolumens zu beschleunigen. Erfolgte aber die Austreibung in ein langes, mit Blut gefülltes starres Rohr, so müsste die gesamte im Rohr enthaltene Flüssigkeitssäule beschleunigt werden. Hinzu kommt, dass außer der Volumenarbeit, die den größten Teil der Arbeit pro Herzschlag darstellt, auch die noch zur Erzeugung der Pulswelle erforderliche Arbeit berücksichtigt werden muss. Diese beträgt für den linken Ventrikel 10 bis 20 % der gesamten Arbeit und besteht zu weniger als der Hälfte aus der kinetischen Energie und zu mehr als der Hälfte aus potenzieller Energie.
Wie Abb. 7.7 zeigt, liegt Punkt A des Arbeitsdiagramms (Beginn der Ventrikelkontraktion) auf der Ruhedehnungskurve. Der Kurvenverlauf macht deutlich, dass der Ventrikeldruck im rechten Teil der Kurve mit zunehmender Ventrikelfüllung sehr stark zunimmt. Im linken Teil der Kurve, d. h. im physiologischen Bereich, kommt es hingegen nur zu geringfügigen Veränderungen des Füllungsdrucks bei Zunahme des Kammervolumens. Der normale enddiastolische Füllungsdruck (A in Abb. 7.4 und Abb. 7.7) liegt beim Erwachsenen bei 5 – 8 mmHg. Für die passive Kraftentwicklung bei Dehnung (Ruhedehnungskurve) sind in erster Linie die Titinfilamente – ein drittes Filamentsystem neben den dicken und dünnen Filamenten – verantwortlich. Bei Titin handelt es sich um extrem lange elastische Molekülstränge („molekulare Federn“), die als Stützproteine auch zur Aufrechterhaltung einer hohen aktiven Spannung bei isometrischer Kontraktion beitragen (s. a. S. 105 ff.). Das Arbeitsdiagramm des Herzens soll durch einige wichtige Hüllkurven der Ventrikelfunktion ergänzt werden, die allerdings nur experimentell zu erheben sind. Bei extrem hohem Aortendruck erreicht die isovolumetrische Ventrikelkontraktion ein Druckmaximum B‘, ohne dass sich die Aortenklappen öffnen (Abb. 7.7). Ist auf der anderen Seite der Aortendruck gleich dem enddiastolischen Füllungsdruck, so wird das Schlagvolumen isotonisch ausgeworfen, und Punkt A‘ kennzeichnet den Endpunkt dieser Kontraktion.
Die Verbindungslinie von B‘ bis A‘ ist die sog. Kurve der Unterstützungsmaxima (U-Kurve). Sie gilt nur für Punkt A auf der Ruhedehnungskurve. Jeder andere Punkt auf der Ruhedehnungskurve hat seine eigene U-Kurve und ist durch eigene Maximapunkte A‘ und B‘ charakterisiert. Die Verbindungslinie der verschiedenen Punkte A‘ ergibt die Kurve der isobarischen (isotonischen) Maxima, die der Punkte B‘ die Kurve der isovolumetrischen Maxima (Abb. 7.7).
7.4
Regulation der Koronardurchblutung
Die arteriovenöse Sauerstoffdifferenz am Herzen ist bereits in Ruhe mit 140 ml/l Blut sehr hoch. Folglich kann das Herz die mit einer Steigerung der Herzarbeit einhergehende Erhöhung des Sauerstoffverbrauchs nur durch eine Zunahme des Koronarflusses (Koronardurchblutung) decken. Wegen der systolischen Kompression des Ventrikelmyokards erfolgt die Durchblutung im Wesentlichen in der Diastole (phasischer Koronarfluss). Der mittlere Koronarfluss beträgt 70 – 80 ml/ min pro 100 g Gewebe und kann maximal auf das 4- bis 5fache des Ruhewerts gesteigert werden: Koronar (fluss)reserve. Für die Anpassung des Koronarflusses an die Herzarbeit sind metabolische Faktoren von entscheidender Bedeutung. Hinzu kommen physikalische, neurohumorale und endotheliale Faktoren. Veränderungen des Gleichgewichts zwischen myokardialem Sauerstoffverbrauch und dem Sauerstoffangebot über das Koronarsystem kommen bei der Pathophysiologie der koronaren Herzkrankheit eine große Bedeutung zu.
Anatomische Voraussetzungen Die Abgänge für die rechte und linke Koronarseite liegen kurz über der Aortenklappe, so dass der treibende Druck, mit der die Koronararterien durchblutet werden, dem Druck in der Aortenwurzel entspricht. Die großen Koronararterien verlaufen epikardial und geben von dort nahezu rechtwinklig Versorgungsäste, die bis zum Endokard reichen, in den Herzmuskel ab. Wie die rasterelektronenmikroskopische Aufnahme der Abb. 7.8 zeigt, ist das Myokard außerordentlich gut kapillarisiert. Jede Muskelfaser ist im Mittel von vier Kapillaren umgeben, so dass insgesamt auf jede Muskelfaser eine Kapillare entfällt. Die hohe Kapillardichte von ca. 4000 Kapillaren/mm2 garantiert, dass insbesondere der Sauerstoff und das CO2 nur kurze Diffusionsstrecken zu überwinden haben. Die Koronarvenen verlaufen mit den epikardialen Koronararterien zusammen und münden über den Koronarsinus in den rechten Vorhof. Ein geringer Anteil des koronarvenösen Blutes entleert sich über sog. Thebesius-Venen direkt in die Ventrikel.
Koronarfluss (Koronardurchblutung) Unter Ruhebedingungen beträgt der Koronarfluss (CF) im Mittel 70 – 80 ml/min pro 100 g Gewebe. Innerhalb jedes Herzzyklus treten jedoch erhebliche Flussschwankungen auf. Die in Abb. 7.9 wiedergegebene Registrierung des phasischen Koronarflusses zeigt, dass der Fluss in der
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143
7 Das Herz Systole 120
linker Ventrikel
80
Druck (mmHg)
40
0
Aorta
120
100
80
100
Abb. 7.8 Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme großer epikardialer Arterien und der Kapillaren des Ventrikels der Ratte. Für diese Darstellung wurden die Koronargefäße mit einem polymerisierenden Kunststoff gefüllt. Nach Abdauung des Gewebes bleibt das dargestellte Ausgusspräparat des Gefäßbaums übrig (aus 10).
Systole erheblich absinkt, initial sogar unter Null, während der wesentliche Anteil der Durchblutung in der Diastole erfolgt. Der Grund für die systolische Flussabnahme liegt darin, dass die Koronargefäße, insbesondere die Kapillaren, in der Phase der systolischen Kraftentwicklung durch den Herzmuskel selbst so komprimiert werden, dass der Blutfluss sistiert. Die gleiche Schlussfolgerung lässt sich aus den in Aorta und Ventrikel herrschenden Druckwerten ableiten: In der Austreibungsphase übersteigt der linksventrikuläre Druck den Aortendruck, d. h. der Druck im Myokard, insbesondere in den endokardnahen Schichten, ist größer als der treibende Druck für den Koronarfluss. Folglich kollabieren die Gefäße, und der Fluss sistiert. Die systolische Kompression der Gefäße hat außerdem zur Folge, dass das Herz, ähnlich einem Schwamm, das venöse Blut während der Systole in den Koronarsinus auspresst (Abb. 7.9). Umgekehrt ist in der Diastole der Ventrikeldruck und damit der Druck in der Wand des Ventrikels deutlich niedriger als der Aortendruck. Dadurch öffnen sich die Gefäße, und der Herzmuskel wird nun durchblutet. Da in den endokardnahen Schichten des Myokards, insbesondere im linken Ventrikel, die systolische Druckentwicklung am höchsten ist, ist es auch dieser Bereich, der in der Systole am schlechtesten mit Sauerstoff versorgt wird und der bei einer Einschränkung der Myokarddurchblutung mit einer Kontraktilitätsabnahme am empfindlichsten reagiert. Dies erklärt auch den klinischen Befund, dass eine pathologisch verminderte Koronardurchblutung bevorzugt zu Innenwandschäden führt.
linke Koronararterie
80 60 40
Blutfluss (ml/min)
144
20 0 100
Sinus coronarius 50
0
0
0,2
0,4
0,6
0,8
Zeit (s)
Abb. 7.9 Koronardurchblutung. Gleichzeitige Registrierung des Druckverlaufs in der Aorta, in der linken Koronararterie, im Sinus coronarius (venöser Ausstrom) und im linken Ventrikel. Während der Systole sinkt der Koronarfluss stark ab, und die Durchblutung erfolgt im Wesentlichen in der Diastole. Durch die systolische Kompression der Koronargefäße bedingt, erfolgt die Flusssteigerung im Sinus coronarius nur während der Systole.
Die hier durchgeführten Überlegungen gelten für den linken Ventrikel. Da die systolischen Druckwerte im rechten Ventrikel wesentlich niedriger liegen, bedeutet dies, dass der Druck in der Aorta, d. h. der treibende Druck, mit der die Koronargefäße auch des rechten Ventrikels durchblutet werden, immer höher als der rechtsventrikuläre Druck ist. Folglich kommt es hier nicht zu einer Flussunterbrechung während der Systole.
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7.4 Regulation der Koronardurchblutung
Myokardialer Sauerstoffverbrauch Die Funktion der Koronardurchblutung besteht, wie bei jedem anderen Gefäßsystem auch, darin, das Sauerstoffangebot und die Substratversorgung des Herzens über einen breiten Arbeitsbereich zu gewährleisten. Gleichzeitig werden über das Koronarsystem CO2 und andere Stoffwechselendprodukte abtransportiert. Die Besonderheit des Koronarsystems ist seine hohe O2-Extraktionsrate. Die arteriovenöse Sauerstoffdifferenz, AVDO2, die sich aus der Differenz zwischen dem Sauerstoffgehalt des arteriellen Bluts (200 ml O2/l Blut) und dem koronarvenösen Sauerstoffgehalt (60 ml O2/l Blut) errechnet, beträgt 140 ml O2/l Blut. Das heißt, bei einmaliger Passage durch das Herz werden aus 1 l Blut 140 ml Sauerstoff vom Herzen aufgenommen und verbraucht. Aus AVDO2 lässt sich durch Multiplikation mit dem Koronarfluss (CF) der myokardiale Sauerstoffverbrauch (MVO2) berechnen, entsprechend der Formel MVO2 – AVDO2 · CF. Der MVO2 beträgt unter Ruhebedingungen 10 – 11 ml O2/min pro 100 g Gewebe. Bei körperlicher Belastung steigt die vom Herzen geleistete Arbeit und damit der myokardiale Sauerstoffverbrauch auf das 4- bis 5fache des Kontrollwerts an. Prinzipiell kann ein blutdurchströmtes Organ eine Zunahme des Sauerstoffverbrauchs entweder durch eine gesteigerte Sauerstoffextraktion und/oder durch eine Steigerung des Flusses decken. Da am Herzen die Sauerstoffextraktionsrate mit 140 ml O2/l Blut bereits sehr hoch ist, erfolgt die Anpassung des Sauerstoffangebots an den myokardialen Sauerstoffverbrauch nahezu ausschließlich über eine Steigerung des Koronarflusses. Aufgrund dieser Gegebenheiten nimmt der Koronarfluss proportional mit der Erhöhung des myokardialen Sauerstoffverbrauchs zu. Bei starker Stimulation des Herzens im Rahmen einer körperlichen Belastung steigt daher auch der Koronarfluss maximal bis auf das 4- bis 5fache des Ruhewerts an. Eine maximale Koronardilatation lässt sich auch pharmakologisch durch Gabe eines Koronardilatators, z. B. Adenosin, auslösen. Der Quotient von maximal möglichem Koronarfluss und der Koronardurchblutung unter Ruhebedingungen nennt man die Koronarflussreserve (CFR). Sie kennzeichnet gleichermaßen auch das Verhältnis von maximal möglichem Sauerstoffangebot zu demjenigen unter Ruhebedingungen. Genauer definiert errechnet sich CFR aus dem Quotienten (Koronarwiderstand in Ruhe)/(Koronarwiderstand nach max. Dilatation). Um ihn nach dem Ohm-Gesetz in den Quotienten aus den Koronarflüssen (s. o.) umzurechnen, muss neben der Koronardurchblutung im linken Ventrikel (in Ruhe normalerweise ca. 70 ml/min pro 100 g Gewebe) auch die jeweilige koronare Perfusionsdruckdifferenz bekannt sein, die in Ruhe normalerweise ca. 80 mmHg beträgt.
Determinanten der Koronardurchblutung Die Parallelität zwischen myokardialem Sauerstoffverbrauch und Koronarfluss lässt sich auch am denervierten Herzen nachweisen. Dies zeigt, dass das Signal für die Koronardilatation von den arbeitenden Myokardzellen stammt. Man nimmt daher an, dass metabolische Faktoren für die Anpassung der Koronardurchblutung von
epikardiales Leitungsgefäß
Perfusionsdruck
autonome Kontrolle Sympathikus a-Rezeptoren b-Rezeptoren Vagus
endotheliale Kontrolle
Epikard Myokard
Widerstandsgefäße
metabolische Kontrolle Adenosin + + K ,H PO , PCO 2
Abb. 7.10 flussen.
2
Faktoren, die die Koronardurchblutung beein-
entscheidender Bedeutung sind. Allerdings herrscht noch nicht völlige Klarheit darüber, welche gefäßaktiven Substanzen im Einzelnen beteiligt sind. Neben Veränderungen der Konzentration von H+ und K+ scheinen auch solche von CO2, Stickstoffmonoxid (NO) und Adenosin eine wichtige Rolle zu spielen. Diejenigen Faktoren, die insgesamt die Höhe der Myokarddurchblutung beeinflussen, lassen sich in vier Gruppen zusammenfassen, die in Abb. 7.10 schematisch zusammengestellt sind. Neben den bereits besprochenen metabolischen Faktoren sind es physikalische Faktoren. Dazu zählen der Aortendruck als die treibende Kraft für die Koronardurchblutung und die Kompression der Koronargefäße bei jeder Systole. Unter neurohumoralen Faktoren versteht man die Überträgerstoffe des vegetativen Nervensystems, die das Herz entweder auf nervösem Wege (Noradrenalin) oder, wie im Fall von Adrenalin (und Noradrenalin) aus dem Nebennierenmark, auch auf humoralem Wege erreichen. Die Wirkung von Noradrenalin auf die Koronarien selbst besteht in einer durch αAdrenozeptoren vermittelten Vasokonstriktion. Da Noradrenalin aber über β-Adrenozeptoren positiv inotrop wirkt, was mit einem gesteigerten Sauerstoffverbrauch einhergeht, werden gleichzeitig metabolische Faktoren freigesetzt, die die Vasokonstriktion überspielen, so dass dosisabhängig eine Koronardilatation resultiert. Eine alleinige β-adrenerge Stimulation der Koronargefäße führt ebenso wie eine Reizung des N. vagus (Acetylcholin) zu einer Gefäßdilatation, deren Ausmaß jedoch nur gering und physiologisch weniger bedeutsam ist. Endotheliale Faktoren spielen bei der Interaktion zwischen Gefäßendothel und glatter Gefäßmuskulatur eine wichtige Rolle. Koronare Endothelzellen werden nach Stimulation z. B. durch Acetylcholin, Noradrenalin, Histamin und ATP zur Freisetzung des gefäßdilatierenden NO angeregt, das sei-
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145
7 Das Herz nerseits die glatte Gefäßmuskulatur über einen cGMPabhängigen Mechanismus relaxiert (Abb. 3.3, S. 60). Außerdem können Endothelzellen das Prostaglandin PGI2 sowie Adenosin freisetzen, beide stark koronardilatierende Substanzen. Endotheliale Faktoren scheinen für die Regulation des Gefäßtonus auch von der Gefäßinnenseite her von Bedeutung zu sein. So setzen Thrombozyten bei ihrer Aktivierung u. a. ATP, ADP und Serotonin frei (S. 246 ff.), die dann unter Vermittlung des Gefäßendothels die glatte Gefäßmuskulatur dilatieren (S. 203 ff.).
Koronare Herzkrankheit Etwa ein Drittel aller Todesfälle in den westlichen Industrieländern beruhen auf den Auswirkungen einer akuten oder chronischen Einschränkung der Koronardurchblutung, die klinisch unter dem Begriff der koronaren Herzkrankheit zusammengefasst werden. Wichtig für das Verständnis dieses Krankheitsbildes ist es, dass am gesunden Herzen unter Ruhebedingungen immer ein Gleichgewicht zwischen Sauerstoffangebot über das Koronarsystem und dem Sauerstoffverbrauch des Myokards besteht. Eine Zunahme des koronaren Gefäßwiderstandes kann bedingt sein durch eine koronare Makroangiopathie bei der es zu einer Einschränkung der Koronardurchblutung auf der Ebene der koronaren Leitungsgefäße kommt. Die häufigste Ursache ist ein arteriosklerotischer Plaque und eine dadurch bedingte Einengung des Gefäßlumens („fixierte Koronarstenose“), die insbesondere bei Belastungen einen adäquaten Anstieg des koronaren Blutflusses verhindert. Diese Einschränkung der Koronarreserve (Abb. 7.11A) führt belastungsabhängig zu einer Sauerstoffmangelsituation mit Verminderung der Pumpfunktion des Herzens und klinischen Zeichen der Angina pectoris (Brustschmerz) und Dyspnoe (Luftnot). In gleicher Weise kann die Lumeneinengung eines Koronargefäßes durch einen Spasmus der glatten Muskulatur epikardialer Gefäße zu einer Reduktion der Koronardurchblutung in Ruhe und unter Belastung („dynamische Stenose“) führen. Ferner kann eine Ruptur einer koronaren Plaque zur Anlagerung von Thromben führen bis hin zum vollständigen Gefäßverschluss und einer begleitenden Embolisation von thrombotischem Material in die nachgeschaltete Mikrostrombahn (Mikroembolisation, Abb. 7.11B). Klinisch äußern sich diese Vorgänge des progredienten Gefäßverschlusses in instabiler Angina pectoris, dem nicht transmuralen und dem transmuralen Myokardinfarkt, welche heute unter dem Begriff des akuten Koronarsyndroms zusammengefasst werden. Bereits 20 Minuten nach einem Verschluss einer Koronararterie kommt es zur Desintegration von Kardiomyozyten mit nachfolgender Freisetzung von Zellbestandteilen und Proteinen, die heute bereits frühzeitig und spezifisch im Blut nachgewiesen werden können (z. B. Troponin). Bleibt die Flussunterbrechung länger als 6 Stunden bestehen, wird das betroffene Gewebe irreversibel geschädigt. Ein Herzinfarkt ist heute definiert durch den positiven Nachweis von Troponin im Serum. Zusätzlich müssen entweder eine typische Angina pectoris oder ischämietypische EKG-Veränderungen vorlie-
A Koronarstenose Stenose
Koronar(Fluss)reserve (CFR)
146
Minderversorgung 5 4 3 2 1 20
0
40
60
80
Stenosegrad (%)
B Kapillarverschluss
Verschluss
embolisierte Kapillare
Plaque Zelluntergang
Abb. 7.11 Häufige Ursachen einer Reduktion des koronaren Blutflusses bei koronarer Herzerkrankung. Normalerweise kann die Koronardurchblutung bei Bedarf durch Dilatation peripherer (distaler) Koronargefäße um den Faktor 4 – 5 erhöht werden: Koronar(fluss)reserve (CFR). (A) Eine Stenose großer (proximaler) Koronargefäße führt bei einem Stenosegrad > 60% durch die Einengung des Lumens zu einer progredienten Reduktion von CFR, da dann schon in Ruhe die proximale Widerstandserhöhung durch eine teilweise Dilatation der distalen Gefäße kompensiert wird, d. h. CFR sinkt ab (Knick in CFR-Kurve). Bei starker Belastung (Zunahme des myokardialen Sauerstoffverbrauchs) kommt es damit zu einer Minderversorgung (Sauerstoffmangel) des nachgeschalteten Myokards, die bei hohen Stenosierungsgraden auch schon bei leichter Belastung oder in Ruhe auftritt (CFR erreicht 1). (B) Arteriosklerotische Plaques können durch Ruptur destabilisiert werden, so dass Plaquematerial und sich daran anlagernde Thromben in das Gefäßlumen prolabieren. Dies kann dazu führen, dass distal liegende Gefäße embolisiert werden und es zum Gefäßverschluss mit anschließendem Untergang von Myokardzellen kommt.
gen. Neben dem ischämiebedingten Funktionsausfall sind es insbesondere Rhythmusstörungen (Extrasystolen, Kammerflimmern), die als Komplikationen auftreten können und den Verlauf und die Prognose eines Herzinfarkts verschlechtern. Auch eine koronare Mikroangiopathie kann zur Einschränkung der Koronar(fluss)reserve und zu belastungsabhängiger Angina pectoris führen. Durch eine Hypertrophie der Media in der Gefäßwand und eine vermehrte periarterioläre Fibrose können die Widerstandsarterien nicht mehr
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7.5 Beziehungen zwischen Energiestoffwechsel und Herzfunktion entsprechend weit dilatieren. Dies tritt besonders häufig bei einer arteriellen Hypertonie und einem Diabetes mellitus auf.
7.5
Beziehungen zwischen Energiestoffwechsel und Herzfunktion
Der Herzmuskel ist für seine Energiegewinnung hauptsächlich auf die oxidative Phosphorylierung angewiesen. ATP-verbrauchende Reaktionen (Kontraktion, Ionengradienten, Strukturerhaltung) und ATP-synthetisierende Reaktionen sind gewöhnlich im Gleichgewicht. Als Substrate verbrennt das Herz normalerweise freie Fettsäuren (50 – 60 %), gefolgt von Glucose (30 %) und Lactat (20 %). Der relative Substratanteil hängt von der arteriellen Substratkonzentration ab. Bei Gewebehypoxie als Folge unzureichender Koronardurchblutung ist die oxidative ATP-Gewinnung eingeschränkt. Gleichzeitig kommt es über eine Stimulation der Glykolyse zu einer Steigerung der anaeroben ATP-Synthese durch Substratkettenphosphorylierung. Als Ausdruck der Gewebehypoxie wird nicht mehr Lactat verbraucht, sondern Lactat gebildet und aus dem Herzen freigesetzt. Die Energie, mit der das Herz seine Pumparbeit leistet, steht ihm in Form von ATP zur Verfügung. Der normale Vorrat der Myokardzelle an ATP (4 – 5 µmol/g Gewebe) reicht jedoch nur für wenige Herzschläge. Nach ca. 10 s wäre er erschöpft, und das Herz würde seine Funktion einstellen, wenn nicht laufend mit hoher Geschwindigkeit ATP aus seinem Abbauprodukt, dem ADP, resynthetisiert würde. Die ATP-Bildung erfolgt am Herzmuskel hauptsächlich durch oxidative Phosphorylierung in den Mitochondrien, den „Kraftwerken“ der Zelle. Die anaerobe, glykolytische ATP-Synthese spielt normalerweise quantitativ eine untergeordnete Rolle. Wie aus dem elektronenmikroskopischen Bild in Abb. 7.12 zu ersehen ist, ist der Anteil der Mitochondrien sehr hoch. Bezogen auf die Gesamtzelle beträgt deren Volumenanteil 36 %. Dies unterstreicht, dass im Herzmuskel den aeroben Energie bildenden Prozessen in den Mitochondrien eine hohe Bedeutung zukommt. Der bei weitem größte Anteil des vom Herzen verbrauchten ATP, ca. 80%, wird für die eigentliche Kontraktion und die Erschlaffung (Aktin-Myosin-Interaktion und Ca2+-Pumpen) benötigt. Für strukturerhaltende Prozesse werden weitere 15 – 20% benötigt, während in die Aufrechterhaltung der elektrischen Erregbarkeit (Na+-K+-Pumpe) nur 0,5 – 1 % des gesamten ATPVerbrauchs eingehen (Tab. 7.1).
Tabelle 7.1
Mitochondrien
Abb. 7.12 Elektronenmikroskopisches Bild des Arbeitsmyokards (Längsschnitt). Man erkennt die Zellgrenzen einer Muskelfaser mit treppenförmig angeordneten Glanzstreifen (D). Der Sauerstoff gelangt aus dem (hier teilweise sichtbaren) Erythrozyten im Kapillarlumen (Cap) durch Diffusion zu den sehr zahlreichen Mitochondrien, den Orten der oxidativen Phosphorylierung. Die Mitochondrien sind in Faserrichtung palisadenförmig angeordnet; damit gelangt das dort synthetisierte ATP unmittelbar zu den kontraktilen Elementen, dem Ort des ATP-Verbrauchs.
Die Grundzüge des Energiestoffwechsels am Herzen sind in Abb. 7.13A für das normale Myokard zusammengefasst. Die Substrate, die vorzugsweise im Herzen verstoffwechselt werden, sind Fettsäuren, Glucose und Lactat. Normalerweise stellen die freien Fettsäuren mit ca. 50 – 60 % den Hauptanteil an der Energiegewinnung, gefolgt von Glucose mit 30% und Lactat mit 20%. Der relative Anteil der verbrauchten Substrate hängt jedoch ganz entscheidend von ihrer Blutkonzentration ab. Bei erhöhten Plasmaglucosekonzentrationen, z. B. infolge einer kohlenhydratreichen Nahrung, kann der Anteil der Glucoseverbrennung bis auf 70% ansteigen. Erhöht sich auf der anderen Seite bei körperlicher Belastung der Lactatspiegel im Blut, so wird nun Lactat bevorzugt verstoffwechselt. Das Herz ist also in der Lage, entsprechend der arteriellen Konzentration der jeweiligen Substrate seine Energiegewinnung umzustellen. Dies ist auch der
Anteil der ATP-verbrauchenden Prozesse am Gesamtenergieverbrauch des Herzens
Energie
Energie benötigende Strukturen und Prozesse
Funktion
Anteil am Energieverbrauch
ATP
kontraktile Proteine
Kontraktion
80%
Ionenpumpen
2+
Ca Na+, K+
Synthese (Proteine, Nucleinsäuren)
Erschlaffung elektrische Aktivität Strukturerhaltung
0,5 – 1% 15 – 20%
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148
7 Das Herz
Lipide
freie Fettsäuren
Acetyl-CoA
Lactat
NADH NADH
Acetyl-CoA +
+
H
H
Pyruvat
Lactat
Pyruvat NAD NAD
Lipide
freie Fettsäuren
ATP
Citratzyklus
ADP
NAD
NADH
NAD
NADH
G-1,3-P Ox
G-3-P
Glucose
G-6-P H2O
Glykogen
O2
G-6-P
Ox Elektronen- Red transport O2
Glykogen ADP
ADP normale Kontraktion
ADP
G-1,3-P NAD Red FAD NADP
G-3-P Glucose
ATP
ATP
ATP
ADP
geringe Kontraktion
CrP extrazellulär
Zytoplasma
ATP
ATP
ADP
CrP Mitochondrien
A normaler Energiestoffwechsel
Abb. 7.13 Grundzüge der Energiegewinnung am Herzen. A Normalerweise steht dem Herzen genügend Sauerstoff zur Verbrennung seiner Substrate, freie Fettsäuren, Glucose und Lactat, zur Verfügung. Die oxidative Energiegewinnung in den Mitochondrien liefert genügend ATP für die Muskelkontraktion. B Bei Sauerstoffmangel kommt es zu Gewebehypoxie, und die oxidative Energiegewinnung sistiert. Da die anaerobe, glykolytische Energiegewinnung unzureichend ist
Grund dafür, dass selbst bei eingeschränkter Koronardurchblutung das Substratangebot an das Herz nie zur limitierenden Größe wird, wie dies z. B. beim Sauerstoff der Fall ist. Im Gegensatz zum Gehirn, das im Wesentlichen nur Glucose verstoffwechselt, ist das Herz also ein „Allesfresser“. Die gemeinsame Endstrecke aller Substrate im Stoffwechsel ist das Acetyl-CoA, das in den Citratzyklus eingeschleust wird (Abb. 7.13A). Die dort in Form von NADH und NADPH zur Verfügung stehenden Reduktionsäquivalente werden dann in der Atmungskette bei Anwesenheit von O2 zu H2O oxidiert. Die hierbei frei werdende Energie (Protonengradient über die innere Mitochondrienmembran) wird in einem letzten Schritt zur Synthese von ATP aus ADP herangezogen. Das ATP wird über die Mitochondrienmembran in das Zytoplasma transportiert und steht dort für die vielfältigen Energie verbrauchenden Prozesse zur Verfügung.
B anaerober Energiestoffwechsel
und Kreatinphosphat nur einen kurzfristigen Energiespeicher darstellt, nimmt der ATP-Gehalt und damit die Kontraktionskraft ab. Als Ausdruck der Gewebehypoxie dreht sich die Richtung der von der Lactatdehydrogenase katalysierten Reaktion um, so dass das Myokard Lactat jetzt nicht mehr aufnimmt, sondern sogar ins Blut abgibt. Da für jedes gebildete Lactat ein H+ entsteht (aus Milchsäure), kommt es auch zu einer Azidose der Myokardzelle.
Bei Sauerstoffmangel infolge unzureichender Koronardurchblutung kommt es zu charakteristischen Umstellungen im Herzstoffwechsel. Als Folge eines verminderten Sauerstoffangebots über den Koronarkreislauf wird die oxidative Phosphorylierung gehemmt, die ATP-Konzentration sinkt ab, und es kommt zum Rückstau von Reduktionsäquivalenten, die in Form von NADH im Zytoplasma akkumulieren (Abb. 7.13B). Dies hat zwei Konsequenzen: – Durch die Abnahme der ATP-Konzentration wird die anaerobe Glykolyse stimuliert, und Glucose und Glykogen werden vermehrt abgebaut. Die glykolytische Energieausbeute ist jedoch nur gering und kann den ATP-Abfall nicht kompensieren. – Durch den erhöhten Gehalt an NADH und Pyruvat, das aus der Glucose vermehrt entsteht, aber nicht mehr im Citratzyklus weiter verstoffwechselt werden kann, dreht sich das Gleichgewicht der von der Lactatdehydrogenase katalysierten Reaktionen um: Aus Pyruvat entsteht nun Lactat. Gleichzeitig nimmt damit der pH-Wert ab, d. h. eine Gewebeazidose entwickelt sich.
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7.6 Elektrophysiologische Grundlagen Während also am gut durchbluteten Herzen Lactat aufgenommen wird, kommt es bei Hypoxie des Herzens zu einer vermehrten Lactatabgabe in das koronarvenöse Blut. In klinischen Studien wird häufig die Lactatfreisetzung als ein Maß für die Ausdehnung und den Schweregrad einer Myokardhypoxie herangezogen. Neben dem ATP steht dem Herzmuskel im Kreatinphosphat (CrP) eine zusätzliche energiereiche Phosphatverbindung zur Verfügung. Über die Kreatinkinasereaktion steht ATP mit dem Kreatinphosphat im Gleichgewicht: ADP + CrP ↔ ATP + Cr. Das Kreatinphosphat stellt einen schnell mobilisierbaren Energiespeicher dar, der insbesondere bei vorübergehendem Sauerstoffmangel ein zu rasches Absinken des ATP-Gehalts verhindert. Normalerweise besteht am Herzen ein Gleichgewicht zwischen ATP-verbrauchenden und ATP-bildenden Reaktionen. Beide Prozesse sind, wie in Abb. 7.14 schematisch dargestellt, eng aufeinander abgestimmt. Welches sind nun die Mechanismen, die ATP-Synthese und ATP-Verbrauch miteinander koppeln? Nimmt z. B. primär die Herzarbeit und damit der ATP-Verbrauch durch Aktivierung des Sympathikus zu, so kommt es bei gleicher ATPSyntheserate zu einem Abfall von ATP und zu einem Anstieg der dephosphorylierten Abbauprodukte ADP und AMP. ADP ist wahrscheinlich ein wichtiger Faktor, der die oxidative Phosphorylierung in den Mitochondrien stimuliert und im Sinne eines Rückkopplungskreises die ATPSyntheserate steigert. Hinzu kommt, dass die bei Sympathikustimulation erhöhte zytosolische Ca2+-Konzentration durch Stimulation von Enzymen des Citratzyklus die oxidative Phosphorylierung ebenfalls direkt stimulieren kann (Abb. 7.14). Wird die ATP-Synthese durch eine mittelgradige Verminderung des Koronarflusses (relativer O2-Mangel) reduziert, so besitzt das Herz die Fähigkeit, seinen ATPVerbrauch (Kontraktionskraft) über noch unbekannte Mechanismen ebenfalls zu reduzieren. Netto resultiert dann wieder ein Gleichgewicht zwischen ATP-Synthese und ATP-Verbrauch auf einem niedrigeren Niveau. In Analogie zum Winterschlaf von Tieren nennt man dieses Phänomen „Hibernation“. Eine gesteigerte ATP-Synthese setzt voraus, dass das Sauerstoffangebot ausreichend ist. Am Herzen ist dafür der Koronarkreislauf verantwortlich. Wie oben besprochen, sind es metabolische Faktoren, die die Anpassung des Koronarflusses an eine gesteigerte Herzarbeit besorgen. Abb. 7.14 gibt darüber hinaus Auskunft, wie bei zwei dieser Faktoren, CO2 und Adenosin, der Energiestoffwechsel des Herzens mit dem Koronarfluss verknüpft sein könnte. So entsteht in der Myokardzelle proportional zur Zunahme des Sauerstoffverbrauchs auch vermehrt CO2, das seinem Konzentrationsgradienten entsprechend die Myokardzelle verlässt und koronare Widerstandsgefäße dilatiert. Aus dem bei Mehrarbeit in erhöhten Mengen anfallenden ADP entsteht durch eine weitere Dephosphorylierung AMP und daraus Adenosin, ebenfalls eine koronardilatierende Substanz. Bei einer Steigerung des Strömungsgeschwindigkeit wird außerdem vermehrt NO gebildet, welches durch eine schubspannungsabhängige Aktivierung der endothelialen NO-Synthase zustan-
Koronarfluss
O2
Myokardzelle
Substrate
Erregung
O2 Ca
Substratkettenoxidative Phosphorylierung CO2
2+
Kontraktion
ATP
»
ATP-Synthese Dilatation
ATP-Verbrauch ATP
Adenosin
AMP
ADP
Abb. 7.14 Zusammenhang zwischen ATP-verbrauchenden und ATP-synthetisierenden Prozessen im Myokard. Bei ausreichendem Sauerstoffangebot über das Koronarsystem besteht ein Gleichgewicht zwischen ATP-Synthese und ATP-Verbrauch. Ein Ungleichgewicht resultiert immer dann, wenn entweder der ATP-Verbrauch die Resynthese überschreitet (Steigerung der Herzarbeit) oder bei gleichbleibendem ATP-Verbrauch die ATP-Synthese abfällt (Sauerstoffmangel). Als Folge wird ATP (über ADP und AMP) vermehrt bis zum Adenosin abgebaut, einer koronardilatatorisch wirksamen Substanz.
de kommt. Darüber hinaus ist NO für die Aufrechterhaltung des Ruhetonus der Koronargefäße wichtig.
7.6
Elektrophysiologische Grundlagen
Das Aktionspotenzial des Ventrikelmyokards (ca. 300 ms) wird durch einen lawinenartigen Na+-Einstrom in das Faserinnere (Depolarisation und Over-shoot) ausgelöst, gefolgt von der Plateauphase (Ca2+-Einstrom) und Repolarisation (K+-Ausstrom). Die Dauer der absoluten Refraktärzeit ist gleich groß wie die Dauer der mechanischen Spannungsentwicklung, so dass der Herzmuskel praktisch nicht tetanisierbar ist. Im Unterschied zu dem konstanten Ruhepotenzial des Ventrikelmyokards (– 85 mV) findet sich an den spontan tätigen Sinus- und AV-Knoten eine diastolische Depolarisation. Das sich anschließende Aktionspotenzial wird durch die Einwärtsströme if, iCa und iK getragen. Um in rhythmischer Folge, d. h. im Wechsel von Systole und Diastole, Blut durch das Kreislaufsystem zu pumpen, müssen Mechanismen vorhanden sein, die die Leistungen der vielen Millionen Herzmuskelzellen zeitlich und räumlich aufeinander abstimmen. Diese Koordination erfolgt mit Hilfe von elektrischen Signalen, die normalerweise im Sinusknoten des Herzens entstehen, von
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149
7 Das Herz
Herzaktionspotenzial
Potenzial (mV)
+40
Plateauphase
0
Repolarisation
schnelle Depolarisation
40
80 0
150
300
Zeit (ms) +
Zytosol der Herzmuskelzelle
2+
+
Na 12 mmol/l
Ca < 0,0015mmol/l
K 150mmol/l
145mmol/l
1,25 mmol/l
4 mmol/l
Zellmembran
Herzmuskelzellen reagieren auf einen Reiz, der die Membran bis auf ca. – 65 mV (das sog. Schwellenpotenzial) depolarisiert, mit einem Aktionspotenzial. Dieser Reiz stammt normalerweise aus dem Sinusknoten (primärer Schrittmacher des Herzens); im Falle eines künstlichen Schrittmachers ist dieser Reiz ein kurzer Stromstoß. Das Besondere des Aktionspotenzials des Ventrikelmyokards ist seine lange Dauer von ca. 300 ms. Es hat eine charakteristische Form und wird in verschiedene Phasen eingeteilt (Abb. 7.15): – schnelle Phase der Depolarisation mit einem Überschießen des Potenzials zu positiven Werten (Overshoot), – Plateauphase, – Phase der Repolarisation.
EZR
+
2+
Na relative Permeabilität
150
K
Ca
+
10
1,0
0,1 0
150
300
Zeit (ms)
Abb. 7.15 Ionale Grundlagen für das Zustandekommen des Aktionspotenzials einer Herzmuskelzelle des Arbeitsmyokards. Die zeitlichen Veränderungen der Permeabilität für Na+, Ca2+ und K+ sind den einzelnen Phasen des Aktionspotenzials zugeordnet. Die intrazelluläre Ca2+-Konzentration von 0,0015 mmol/l (= 1,5 µmol/l) ist der Maximalwert während der Plateauphase, in Ruhe beträgt er 0,1 µmol/l.
dort über das Erregungsleitungssystem die Ventrikel erreichen, um dann von Zelle zu Zelle weitergeleitet zu werden, bis schließlich das gesamte Ventrikelmyokard erregt ist. Um das komplexe Zusammenspiel von elektrischen Phänomenen und Herzkontraktion besser zu verstehen, ist es zunächst notwendig, die Elementarprozesse der Erregung an einer einzelnen Herzmuskelzelle zu besprechen.
Ruhepotenzial In gleicher Weise wie Nervenzellen besitzt auch jede Zelle des Arbeitsmyokards in der Diastole ein Ruhemembranpotenzial, das ca. – 85 mV beträgt. Das Ruhepotenzial entspricht weitgehend dem K+-Gleichgewichtspotenzial. Sein Zustandekommen ist in Kap. 4 (S. 64) ausführlich erläutert.
Für das Zustandekommen des Aktionspotenzials sind zeit- und potenzialabhängige Veränderungen der Membranleitfähigkeit für Na+, Ca2+ und K+ verantwortlich. Die grundsätzlichen Einzelmechanismen sind in Kap. 4 (S. 75 f.) sowie auf S. 133 ff. besprochen. Das für das Verständnis der elektrischen Erregung Wesentliche ist im Folgenden zusammengefasst. Die rasche Depolarisation kommt durch die vorübergehende Öffnung (Aktivierung) der Natriumkanäle der Membran zustande, die von einem lawinenartigen Einstrom von Na+ in das Faserninnere gefolgt ist. Trieb„kraft“ ist das hohe elektrochemische Potenzial für Na+ (Na+ extrazellulär 145 mmol/l, intrazellulär 12 mmol/l; innen negatives Membranpotenzial). Der Natriumeinwärtsstrom führt zu einer Umpolarisierung der Membran (auf ca. + 40 mV) in Form eines „Over-shoot“. Die Anstiegssteilheit der Membrandepolarisation ist hierbei ein direktes Maß für die Geschwindigkeit des Na+-Einstroms. Der Einwärtsstrom dauert nur etwa 1 – 2 ms. Danach sind die Natriumkanäle inaktiviert und können erst wieder geöffnet werden, wenn die Membran vom Plateau aus auf Potenziale negativer als – 50 mV repolarisiert ist. An die rasche Depolarisation schließt sich die Plateauphase an, in der es zu einer Erhöhung der Membranleitfähigkeit für Ca2+ und damit zu einem langsamen, depolarisierenden Ca2+-Einstrom in die Muskelfasern kommt. Die freie extrazelluläre Ca2+-Konzentration beträgt 1,25 mmol/l, der entsprechende zytosolische Wert am ruhenden Muskel liegt mit rund 0,1 µmol/l mehr als 10 000fach und während des Aktionspotenzials immer noch 1000fach niedriger (Abb. 7.15). Neben der elektrischen Triebkraft (Membranpotenzial) besteht also eine erhebliche chemische Triebkraft für den Ca2+-Einstrom durch die Myokardzellmembran. Im Vergleich zu dem schnellen Na+-Einwärtsstrom ist aber die Amplitude dieses Ca2+-Stroms etwa 50fach kleiner. Die K+-Permeabilität nimmt zu Beginn des Aktionspotenzials zunächst rasch ab, um dann zu Beginn der Phase der Repolarisation wieder zuzunehmen (Abb. 7.15). Dies führt zu einem repolarisierenden K+-Ausstrom aus den Myokardzellen, da während der Plateauphase die nach innen gerichtete, elektrische Triebkraft für K+-Ionen kleiner war als die nach außen gerichtete chemische Triebkraft (K+ extrazellulär 4 mmol/l, intrazellulär 150 mmol/l).
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7.6 Elektrophysiologische Grundlagen
Klemmspannung 2+
Ca
Klemmspannung
0
0
mV
mV
40
40 2+
2+
Ca - Einzelkanalströme
Ca - Einzelkanalströme
Kanal geschlossen
1 mmol/l Adrenalin
Kanal offen
2+
Ca
1pA
1pA
0,24pA
0,24pA
A Kontrolle Auswertung
100ms
Abb. 7.16 Analyse von Ca2+-Einzelkanalströmen mit der Patch-Clamp-Technik vor und nach Gabe von Adrenalin. Der Ca2+-Kanal befindet sich normalerweise mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit im geschlossenen oder offenen
Die genaue Analyse der Ionenströme ist durch Anwendung der Spannungsklemmtechnik („voltage-clamp“) möglich geworden (Abb. 4.1, S. 66). Hierbei wird wie bei einer intrazellulären Ableitung eine Mikroelektrode in das Faserinnere eingestochen. Das Besondere der Spannungsklemmtechnik besteht darin, dass über die Mikroelektroden unter Verwendung eines Regelverstärkers Strom appliziert werden kann. Dadurch ist es möglich, das Membranpotenzial sprunghaft auf beliebige Potenziale zu bringen und dort konstant zu halten (zu „klemmen“). Die hierbei durch die Membran fließenden Ionenströme (I) kann man messen. Durch Vergleich der vorgegebenen Sollspannung mit der gemessenen Istspannung ist es möglich, die Netto-Ionenströme in ihre Teilkomponenten (IK+, INa+, ICa +) zu zerlegen (s. auch Kap. 4). Ein erheblicher Fortschritt bei der Analyse von Membranströmen wurde in neuerer Zeit erreicht, als es gelungen war, aus dem Herzen durch Kollagenasebehandlung funktionell und metabolisch stabile Herzmuskelzellen zu isolieren. An diesen enzymatisch isolierten Einzelzellen können mit Hilfe der PatchClamp-Technik Einzelkanalströme analysiert werden (S. 26 f.). Dazu wird eine Saugpipette (innerer Durchmesser ca. 2,5 µm) auf die Zellmembran aufgesetzt und eine kleine Membranfläche („patch“) elektrisch abgedichtet. Mit dieser Anordnung ist es möglich, durch Klemmpulse das Potenzial z. B. auf 0 mV zu halten, wodurch die Aktivität eines einzelnen Ca2+-Kanals gemessen werden kann. 2
Wie aus Abb. 7.16 zu ersehen ist, besteht die Aktivität des myokardialen Ca2+-Kanals aus schnellen Stromfluktuationen zwischen zwei Leitfähigkeitsniveaus (offen und geschlossen) und ist gefolgt von einer längeren Ruheperiode. Substanzen, die die Leitfähigkeit der Myokardzellmembran für Ca2+ erhöhen, z. B. Adrenalin oder der sympathische Überträgerstoff Noradrenalin, führen zu einer
B nach Adrenalingabe
Auswertung
100ms
Zustand (A). Nach Gabe von Adrenalin (B) nimmt die Öffnungswahrscheinlichkeit des Ca2+-Kanals deutlich zu. Im unteren Teil der Abbildung (Auswertung) sind die Mittelwerte von ca. 400 Ca2+-Einzelkanalströmen aufgetragen (nach 30).
Zunahme der Öffnungswahrscheinlichkeit der Ca2+-Kanäle. Dementsprechend gelangt bei jedem Aktionspotenzial eine größere Menge Ca2+ in das Faserinnere. Dieser erhöhte Ca2+-Einstrom führt zur besseren Ca2+Beladung des sarkoplasmatischen Retikulums und ist damit für die herzkraftsteigernde Wirkung dieser Substanzen verantwortlich. Auf der anderen Seite führen Substanzen, die den Ca2+-Einstrom hemmen, z. B. die sog. Ca2+-Antagonisten, zu einer Abnahme der Öffnungswahrscheinlichkeit der Ca2+-Kanäle, sie setzen die Herzkraft herab. An der glatten Muskulatur der Koronararterien führt eine Hemmung des Ca2+-Einstroms zu einer Relaxation, d. h. zu einer Vasodilatation. Da Ca2+-Antagonisten am Herzen also gleichzeitig den Koronarfluss erhöhen und die Herzarbeit herabsetzen, wird diese Substanzgruppe zur Therapie der koronaren Herzkrankheit (s. u.) eingesetzt. Die Zahl der Natriumkanäle, die sich bei einer Erregung öffnen, hängt in entscheidendem Maß von der Höhe des Membranpotenzials vor der Erregung ab. Wie Abb. 7.17 zeigt, führt eine Senkung des Membranpotenzials von – 90 mV auf – 80, – 65 und – 60 mV, z. B. durch Erhöhung der extrazellulären K+-Konzentration, zu einer progredienten Abnahme der Anstiegssteilheit der Depolarisation. Bei einem Membranpotenzial von ca. – 55 mV ist das Natriumsystem nahezu vollständig inaktiviert, und es lässt sich kein normales Aktionspotenzial mehr auslösen. Die Tatsache, dass die Anstiegsgeschwindigkeit des Auf-
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151
7 Das Herz
+40 0 40 80
Anstiegssteilheit (V/s)
Membranpotenzial (mV)
10 ms
400
200
0
120
100
80
60
40
Ruhepotenzial (mV)
Abb. 7.17 Die Anstiegssteilheit des Herzaktionspotenzials ist vom Ruhepotenzial abhängig. Die Steilheit des Erregungsanstiegs (Geschwindigkeit der Depolarisation) nimmt mit der Verminderung des Ruhepotenzials ab, weil das Na+-System inaktiviert wird. Die Kurve im unteren Teil der Abbildung wurde aus Versuchen gewonnen, wie sie im oberen Teil dargestellt sind (nach 31).
+45mV
Aktionspotenziale 0 mV
90mV
Refraktärzeit
absolut
relativ
10
7
Reizstrom (10 A)
152
Reize 5
0
100
200
300
400
500
600
ms
Abb. 7.18 Refraktärität. In der absoluten Refraktärphase löst selbst ein starker Reiz keine neue Erregung aus. In der relativen Refraktärphase kann eine erneute Erregung ausgelöst werden; dafür sind jedoch erhöhte Reizintensitäten notwendig (nach 31).
strichs des Aktionspotenzials eine Funktion der Höhe des anfänglichen Membranpotenzials ist, hat zwei wichtige Konsequenzen: 1. Wenn die Membran vollständig depolarisiert ist, d. h. wenn alle Na+-Kanäle inaktiviert (geschlossen) sind, ist es nicht möglich, selbst durch hohe Reizintensitäten eine erneute Erregung auszulösen (Abb. 7.18). Der Herzmuskel befindet sich in der absoluten Refraktärphase. Erst wenn das Membranpotenzial deutlich negativer als – 50 mV ist, kann mit erhöhten Reizintensitäten eine erneute Erregung ausgelöst werden. Der Herzmuskel befindet sich dann in der relativen Refraktärphase. Die funktionelle Bedeutung der Refraktärphase wird durch einen Vergleich zwischen der Dauer des Aktionspotenzials und dem zeitlichen Ablauf der dazugehörigen Muskelkontraktion ersichtlich (Abb. 6.23, S. 135). Das Maximum der mechanischen Spannungsentwicklung liegt innerhalb der Plateauphase des Aktionspotenzials, d. h. in der absoluten Refraktärphase. Der Herzmuskel kann also erst dann wieder neu erregt werden, wenn die Kontraktion bereits abgeschlossen ist. Somit ist der Herzmuskel nicht tetanisierbar. Im Unterschied dazu beträgt am Skelettmuskel die Dauer des Aktionspotenzials nur 2 – 4 ms bei sonst gleicher Dauer der mechanischen Antwort. Dies ist der Grund dafür, dass der Skelettmuskel tetanisierbar ist (Kap. 6). Am Herzen schützt hingegen die lange Dauer der absoluten Refraktärzeit vor zu rascher Neuerregung und garantiert damit, dass die Pumpfunktion des Herzens im Wechsel zwischen Systole und Diastole nicht beeinträchtigt wird. 2. Das Ruhemembranpotenzial ist, wie bereits dargelegt, im Wesentlichen vom transmembranalen K+-Konzentrationsgradienten abhängig. Entsprechend führt eine Erhöhung der Plasmakonzentration von K+ zu einer Depolarisation und hat damit Störungen der Erregungsausbreitung zur Folge. Klinisch führt eine Hyperkaliämie daher zu einer Verlangsamung der Erregungsausbreitung über das Herz und im Fall einer schweren Hyperkaliämie evtl. sogar zu lebensbedrohlichen Rhythmusstörungen. Steigt die extrazelluläre K+-Konzentration auf Werte von über 25 mmol/l an, so kommt es zum sofortigen Herzstillstand. Diese pathophysiologischen Zusammenhänge macht man sich in der Herzchirurgie zunutze, um das Herz für operative Eingriffe vorübergehend ruhig zu stellen. Dabei wird der Kreislauf durch eine extrakorporale Pumpe aufrechterhalten (Herz-Lungen-Maschine) und das Herz mit einer K+reichen Pufferlösung (kardioplege Lösung) durchströmt. Der resultierende Herzstillstand in Kombination mit einer Kühlung des Herzens vermindert den myokardialen Energieverbrauch drastisch. Dies führt zu einer deutlichen Verbesserung der Funktionserhaltung vor und der Stabilität des Herzens nach dem Wiederanschluss an die Körperzirkulation. Die Einflüsse von Hyper- und Hypokaliämie auf das Membranpotenzial normaler und hypoxämischer Myokardzellen sind auf S. 396 geschildert.
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Einwärts- Auswärtsstrom strom
7.7 Elektromechanische Koppelung Frequenz, mit der z. B. der Sinusknoten tätig ist. Die Plateauphase ist ebenfalls weniger ausgeprägt als im Arbeitsmyokard (Abb. 7.19 B) und fällt zeitlich mit den Veränderungen der Membranpermeabilität für Ca2+ zusammen. Welchen Einfluss die Überträgerstoffe des Sympathikus und Parasympathikus auf die Automatie und damit auf die Herzfrequenz haben, wird auf S. 162 besprochen werden.
IK 0
IF ICa
7.7 A 200
400
ms
Membranpotenzial (mV)
40
B
20 0 20
Schwelle 40 60 80
Abb. 7.19 Ionenströme während des Schrittmacherpotenzials. Den spontanen Änderungen des Membranpotenzials (B) im Sinusknoten liegen prinzipiell drei Ströme (und daher drei Leitfähigkeitsänderungen) zugrunde (A): 1. Ein nicht-selektiver Einwärtsstrom, iF, der vor allem von Kationen getragen wird und nicht TTX-hemmbar ist, 2. ein langsamer Ca2+-Einwärtsstrom (iCa) und 3. ein K+-Auswärtsstrom, iK. Die Ionenkanäle für IF werden am Ende der Repolarisationsphase aktiviert, wenn das Membranpotenzial negativer als ca. – 50 mV wird; IF leitet die spontane Depolarisation ein. Der zweite für die spontane Depolarisation verantwortliche Strom, iCa, wird aktiviert, wenn das Membranpotenzial wieder positiver als etwa – 55 mV wird, wobei die einströmenden Kationen die Zelle zunehmend depolarisieren. Dies entspricht dem Aufstrich des Membranpotenzials. Gleichzeitig öffnen sich nun K+-Kanäle, die den Auswärtsstrom iK fließen lassen, was die Repolarisation der Zelle erlaubt (nach 13).
Automatie Im Unterschied zur Arbeitsmuskulatur ist das Ruhepotenzial des Sinusknotens (SA-Knoten) nicht konstant (Abb. 7.19 B). An die Repolarisation (maximales diastolisches Potenzial) schließt sich die Phase der diastolischen Depolarisation an. Voraussetzung für das Entstehen dieser Spontandepolarisation ist das Fehlen der stabilisierenden Kaliumleitfähigkeit (gK). Der Schrittmacherstrom (IF; Abb. 7.19 A) wird durch Hyperpolarisation aktiviert und von Na+-Ionen getragen, die durch die nichtselektiven Kationenkanäle einströmen. Erreicht die diastolische Depolarisation die Schwelle, entsteht ein neues Aktionspotenzial. Im Unterschied zur Arbeitsmuskulatur besitzen der Sinusknoten und der Atrioventrikular-(AV-)Knoten keine raschen Na+-Kanäle. Der Aufstrich ist folglich langsamer und wird durch den Ca2+-Einstrom erzeugt. Die Anstiegssteilheit der diastolischen Schrittmacherdepolarisation, d. h. die Zeit, die bis zum Entstehen eines neuen Aktionspotenzials verstreicht, bestimmt daher die
Elektromechanische Koppelung
Während der Plateauphase des myokardialen Aktionspotenzials strömt Ca2+ aus dem extrazellulären Raum über L-Typ-Ca2+-Kanäle in das Faserinnere und erhöht zusammen mit Ca2+ aus dem sarkoplasmatischen Retikulum (Aktivierung von Ryanodin-Rezeptoren) die intrazelluläre Ca2+-Konzentration von 10–7 auf 10–5 mol/l. Die Höhe der zytosolischen Ca2+-Konzentration bestimmt das Ausmaß der Kontraktion. Die positiv inotrope Wirkung von Adrenalin und Noradrenalin kommt durch eine cAMP-vermittelte Steigerung des transmembranalen Ca2+-Einstroms zustande. In der Diastole wird Ca2+ aktiv in das sarkoplasmatische Retikulum zurückgepumpt (SERCA) sowie über die Zellmembran nach außen transportiert. Die Erregung der Herzmuskelzelle, die ihren Ausdruck in einem Aktionspotenzial hat, ist ein elektrisches Phänomen, das über die Zellmembran abläuft. Die Kontraktion hingegen ist ein mechanischer Prozess, der sich an den kontraktilen Strukturen im Inneren der Zelle abspielt. Diejenigen Mechanismen, die die Koppelung zwischen Membrandepolarisation und Kontraktion bedingen, werden unter dem Begriff der elektromechanischen Koppelung zusammengefasst. Hierbei spielen Ca2+-Ionen die Schlüsselrolle. So kann man im Experiment zeigen, dass nach Umschalten auf ein Ca2+-freies Nährmedium zwar noch Aktionspotenziale ausgelöst werden können, doch sind diese von keiner Kontraktion mehr gefolgt. Ca2+Entzug führt also zu einer elektromechanischen Entkoppelung. Das Ausmaß der Aktivierung des kontraktilen Apparats des Herzens wird im Wesentlichen durch die zytosolische Ca2+-Konzentration bestimmt. Diese ist in der ruhenden Herzmuskelzelle mit 10–7 mol/l außerordentlich niedrig. Bei einer Erregung steigt sie kurzzeitig bis auf das rund 15fache des Ruhewerts an. Das Maximum der Kraftentwicklung wird bei einer zytosolischen Ca2+Konzentration von etwa 10–5 mol/l erreicht. Den zeitlichen Zusammenhang zwischen Veränderungen der zytosolischen Ca2+-Konzentration und der Myokardkontraktion kann man experimentell sehr elegant durch intrazelluläre Injektionen eines Ca2+-Indikatorproteins, des Äquorins, oder Ca2+-empfindlicher Fluoreszenzindikatoren messen (Abb. 6.23, S. 135). Für die zyklischen Veränderungen der zytosolischen Ca2+-Konzentration sind eine Reihe von inzwischen gut analysierten Einzelmechanismen verantwortlich. Wie Abb. 7.20 zeigt, strömt während der Plateauphase des Aktionspotenzials Ca2+ entlang seines elektrochemischen Gradienten über L-Typ-Ca2+-Kanäle (DHPR = Dihydropyridinrezeptoren) in das Faserinnere ein und triggert durch
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153
Na+- Ca2+- Austauscher +
Na - K - ATPase +
Na
ATP
K
Ca2+- ATPase +
[Ca2+]a =1,5 ·10 3 mol/l
2+
Na Ca
ATP
+
Intrazellulärraum
+
Calmodulin Mitochondrium (Ca2+-Puffer)
Extrazellulärraum
7 Das Herz
T-Tubulus
154
2+
Ca [Ca2+]i =107105 mol/l 2+
Ca -ATPase (SERCA)
Troponin C
2+
Ca2+
Calsequestrin 2+
2
[Ca ] =10 mol/l
sarkoplasmatisches Retikulum
Ca
RyR2
+
2+
Ca
DHPR
Kontraktion
Abb. 7.20 Ca2+-Austauschvorgänge an der Myokardzelle. Die Erhöhung der zytosolischen Ca2+-Konzentration vor der Kontraktion erfolgt durch den Ca2+-Einstrom (L-TypCa2+-Kanal, Dihydropyridin-Rezeptor, DHPR) aus dem Extrazellulärraum und durch Ca2+-Freisetzung aus dem sarkoplasmatischen Retikulum über einen weiteren Ca2+-KanalTyp (Ryanodinrezeptor, RyR2). Hierbei kommt es zu einer zeitlichen und räumlichen Summation einer großen Zahl von lokalen Ca2+-Freisetzungsereignissen in Form so genannter „Calcium sparks“. Eine Verminderung der Ca2+Konzentration (Relaxation) erfolgt durch primär-aktiven Rücktransport in das sarkoplasmatische Retikulum und über die Zellmembran nach außen (Ca2+-ATPasen). Zusätzlich wird über den 3 Na+/1 Ca2+-Austauscher, der letztlich von der Na+-K+-ATPase getrieben wird, Ca2+ aus der Zelle transportiert (sekundär-aktiver Transport).
Aktivierung von Ca2+-Kanälen des sarkoplasmatischen Retikulums (Ryanodin-Rezeptoren, RyR2) eine zusätzliche Ca2+-Freisetzung aus dem sarkoplasmatischen Retikulum (Ca2+-induzierte Ca2+-Freisetzung). Dieses Ca2+ induziert dann den Kontraktionszyklus durch Bindung an Troponin C. Mitochondrien sind ebenfalls in der Lage, am intrazellulären Ca2+-Austausch teilzunehmen, indem sie bei einer Ca2+-Überladung der Zelle Ca2+ aufnehmen und damit puffern. Im sarkoplasmatischen Retikulum ist das Ca2+ hauptsächlich an Calsequestin, einem Ca2+-Speicherprotein gebunden. Viele der biologischen Wirkungen von Ca2+ werden wahrscheinlich durch seine Interaktion mit Calmodulin vermittelt. Der Informationsgehalt, der in Veränderungen von Amplitude, Frequenz und Dauer der Ca2+-Veränderungen während des Herzzyklus steckt, kann durch Calcium/Calmodulin-abhängige Enzyme, Ionenkanäle und Transkriptionsfaktoren wahrgenommen und in Signale umgemünzt werden, so dass z. B. eine Herzhypertrophie resultiert.
Trotz ähnlicher Funktionsabläufe bei der elektromechanischen Koppelung bestehen folgende, funktionell wichtige Unterschiede zwischen Herz- und Skelettmuskel: Der Herzmuskel ist bei jeder Kontraktion auf das während des Aktionspotenzials aus dem Extrazellulärraum einströmende Ca2+ angewiesen (Triggereffekt). Die Höhe dieses Ca2+-Einstroms bestimmt über die Ca2+Beladung des intrazellulären Speichers (sarkoplasmatisches Retikulum) letztlich die Kontraktionskraft. Am Skelettmuskel hingegen sind die intrazellulären Ca2+-Speicher in Form des sarkoplasmatischen Retikulums wesentlich stärker ausgeprägt und stellen die wichtigste Quelle für das kontraktionswirksame Ca2+ dar. Die Kontraktionsamplitude einer einzelnen Skelettmuskelfaser ist im Unterschied zum Herzmuskel nicht graduierbar. Die Kraftentwicklung am Skelettmuskel wird daher durch Rekrutierung einer verschieden großen Anzahl von Muskelfasern erreicht (Kap. 6). Die Unterschiede im Ca2+-Stoffwechsel von Herz- und Skelettmuskel erklären auch den Befund, dass bei Ca2+-freier Perfusion eines Skelettmuskels die durch elektrische Reizung auslösbare Kontraktionsamplitude erst nach einiger Zeit abnimmt (Erschöpfung der Speicher). Beim Herzmuskel hingegen führt der gleiche Eingriff bereits nach wenigen Schlägen zum Herzstillstand. Der Herzmuskel relaxiert, wenn die zytosolische Ca2+Konzentration absinkt. Dafür sind zwei Mechanismen verantwortlich. Zum einen ist es die rasche Wiederaufnahme von Ca2+ in das sarkoplasmatische Retikulum. Hierbei handelt es sich um einen direkt ATP-abhängigen Prozess (primär-aktiver Transport), der durch eine Ca2+ATPase (SERCA = Sarcoplasmic Endoplasmic Reticulum Calcium-transporting ATPase) getragen und durch Phospholamban (PLB) moduliert wird. Die Phosphorylierung von Phospholamban durch cAMP-abhängige Proteinkinasen enthemmt die Aktivität von SERCA und steigert dadurch die Ca2+-Aufnahme in das sarkoplasmatische Retikulum. Die dadurch rascher sinkende zytosolische Ca2+Konzentration erklärt, dass nach β-adrenerger Stimulation des Herzens (cAMP-Anstieg) die Relaxationsgeschwindigkeit gegenüber Kontrollen gesteigert ist (Abb. 7.21, S. 156). Zum anderen wird Ca2+, ebenfalls durch eine primär-aktiv transportierende Ca2+-ATPase, über die Zellmembran nach außen transportiert. Wie in Abb. 7.20 dargestellt ist, beeinflusst außerdem ein 3 Na+/ 1 Ca2+-Austauschcarrier die zelluläre Ca2+-Konzentration. Das entlang seines elektrochemischen Gradienten einströmende Natrium treibt dabei Ca2+ (sekundär-aktiv) aus der Zelle. Hiermit steht ein dritter Mechanismus zur Verfügung, die zytosolische Ca2+-Konzentration auf niedrigen Werten zu halten. Vom energetischen Gesichtspunkt wird der Na+/Ca2+-Austausch indirekt von der membranständigen Na+-K+-ATPase getrieben. (S. 30). Die in Abb. 7.20 dargestellten Zusammenhänge erklären wahrscheinlich auch den Wirkungsmechanismus von Digitalisglykosiden, einer Gruppe von Pharmaka, die klinisch zur Steigerung der Herzkraft eingesetzt werden. Digitalisglykoside hemmen nämlich die Na+K+-ATPase (S. 30 f.). Dadurch kommt es über eine Zunahme der intrazellulären Natriumkonzentration zu einer Verminderung des Na+-Ca2+-Austauschs. Letzt-
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7.8 Regulation der Pumpleistung des Herzens lich steigt also die zytosolische Ca2+-Konzentration an, was wahrscheinlich für die unter Digitalisglykosiden beobachtete Steigerung der Herzkraft verantwortlich ist. Eine weitere prinzipielle Möglichkeit, die Herzkraft zu beeinflussen, besteht in der unmittelbaren Erhöhung oder Senkung des transmembranalen Ca2+-Einstroms während des Aktionspotenzials. Wie oben bereits erwähnt, führt der sympathische Überträgerstoff Noradrenalin und das Nebennierenmarkhormon Adrenalin über eine Zunahme der Öffnungswahrscheinlichkeit der L-Typ-Ca2+-Kanäle zu einem gesteigerten Einstrom von Ca2+ in das Faserinnere. Dies ist gefolgt von einer Zunahme der Kontraktionskraft (Inotropie). Die molekularen Mechanismen, die der hormonellen Regulation des Ca2+-Kanals zugrunde liegen, sind in Abb. 6.22 (S. 132) schematisch zusammengefasst. Adrenalin bzw. Noradrenalin binden zunächst an den β1-Adrenozeptor, der auf der Außenseite der Myokardzellmembran lokalisiert ist. Dadurch kommt es unter Mitwirkung eines Gs-Proteins zu einer Aktivierung der membrangebundenen Adenylylcyclase, in deren Folge cAMP in der Zelle akkumuliert (Abb. 2.15, S. 37); cAMP als Second Messenger der Hormonwirkung bewirkt die Umwandlung einer Proteinkinase aus der inaktiven in die aktive Form. Die so aktivierte cAMP-abhängige Proteinkinase führt dann zu einer Phosphorylierung von Membranproteinen des Ca2+-Kanals. Dies hat zur Folge, dass der Ca2+-Kanal sich häufiger öffnet und entsprechend mehr Ca2+ in das Faserinnere gelangen kann. Der parasympathische Überträgerstoff, Acetylcholin, antagonisiert am Herzvorhof die inotrope Wirkung von Adrenalin und Noradrenalin. Dieser inhibitorische Effekt lässt sich über eine Hemmwirkung auf das Adenylylcyclasesystem erklären, die über einen muskarinergen (M2-)Cholinozeptor und ein Gi-Protein vermittelt wird. Gemeinsame Endstrecke ist wieder das cAMPSystem der Zelle, das eine zentrale Rolle bei der Vermittlung der inotropen Wirkung einnimmt. Einzelheiten s. Abb. 2.16 rechts (S. 38). Am nichtstimulierten Herzen wirkt Acetylcholin lediglich am Vorhof negativ inotrop und hat keinen direkten Einfluss auf die Inotropie des Ventrikelmyokards. Die Wirkung auf den Vorhof (wie auch die negativ chrono- und dromotrope Wirkung auf Sinus- bzw. AV-Knoten, Abb. 7.29 u. 7.30, S. 163) wird durch eine M3-Cholinozeptor- und ebenfalls Gi-Protein-vermittelte Aktivierung von K+-Kanälen verursacht. Eine Zunahme der K+-Leitfähigkeit im Vorhof bedeutet einen vergrößerten repolarisierenden K+-Strom, der das Aktionspotenzial verkürzt und die Repolarisation beschleunigt.
7.8
Regulation der Pumpleistung des Herzens
Das Herzzeitvolumen als Produkt aus Schlagvolumen und Herzfrequenz beträgt in Ruhe 4,5 – 6 l/min und kann bei körperlicher Belastung bis auf 25 l/min ansteigen. Eine Erhöhung des Schlagvolumens erfolgt über den Frank-Starling-Mechanismus und, insbesondere bei Arbeit, über den Sympathikus. Beim Frank-Starling-Mechanismus ist die Vordehnung des Herzmuskels die entscheidende Größe, die es dem Herzen erlaubt, ein erhöhtes Schlagvolumen auszuwerfen, wenn sich der
venöse Rückstrom erhöht (erhöhte Vordehnung), oder ein unverändertes Schlagvolumen gegen einen erhöhten Blutdruck auszuwerfen. Bei gleicher Vordehnung steigert der Herzsympathikus die Herzkraft durch Erhöhung des Ca2+-Einstroms. Die Geschwindigkeit des Druckanstiegs und des Druckabfalls ist unter Sympathikuseinfluss gesteigert, so dass sich die Systolendauer verkürzt. Bei chronischer Druck- und Volumenbelastung kommt es zu Herzhypertrophie. Bei einer Herzinsuffizienz ist die ventrikuläre Kraftentwicklung vermindert, so dass ein normales Herzzeitvolumen nur bei erhöhtem Vorhofdruck gefördert werden kann. Die Pumpfunktion des Herzens wird normalerweise so reguliert, dass das pro Zeiteinheit über die Aorta ausgeworfene Volumen, das Herzzeitvolumen (l/min), zu jedem Zeitpunkt genau die Bedürfnisse der zu versorgenden Gewebe deckt. Bei körperlicher Arbeit nimmt das Herzzeitvolumen zu, in Ruhe sinkt es ab. Die Größe des Herzzeitvolumens beträgt beim Erwachsenen in Ruhe ca. 4,5 – 6 l/min und errechnet sich aus dem Produkt aus Schlagvolumen (ca. 80 ml) und Herzfrequenz (ca. 70/ min). Dieses kann am Patienten kontinuierlich durch Katheter bestimmt werden, welche über die V. brachialis bis in die Pulmonalarterie vorgeschoben werden (invasive Bestimmung), oder zumindest mit Doppler-Echokardiographie über der Aortenklappe abgeschätzt werden (nicht invasive Bestimmung). Die Größe des Herzzeitvolumens hängt insbesondere von der Körpergröße, genauer von der Körperoberfläche, ab. Um die Förderleistung des Herzens bei allen individuellen Unterschieden besser vergleichbar zu machen, wird das Herzzeitvolumen daher auf 1 m2 Körperoberfläche normiert. Der daraus resultierende Herzindex beträgt im Mittel 3,4 l · min–1 · m–2. (Das auf die Körperoberfläche bezogene Schlagvolumen beträgt im Mittel 47 ml · m–2.) Die dynamische Anpassung des Herzzeitvolumens an die wechselnden Bedürfnisse des Körpers kann prinzipiell durch eine Änderung des Schlagvolumens und/oder der Herzfrequenz hervorgerufen werden. Das Schlagvolumen, oder genauer, die Kraft, die notwendig ist, um ein Schlagvolumen zu fördern, kann über zwei unterschiedliche Mechanismen gesteigert werden: den Frank-Starling-Mechanismus und den Sympathikustonus. Beide Einflussgrößen sollen im Folgenden ausführlich besprochen werden.
Frank-Starling-Mechanismus Bereits im Jahre 1895 hat Otto Frank die bahnbrechende Beobachtung gemacht, dass die Spannungsentwicklung des Herzmuskels entscheidend von seiner Vordehnung abhängig ist. In einem bestimmten Bereich führt eine Zunahme der Vordehnung des Muskels zu einer Steigerung der entwickelten Muskelspannung (Abb. 7.21 oben links). Da sich der Zeitpunkt der maximalen Spannungsentwicklung bei unterschiedlicher Vordehnung nicht verändert, nimmt die Geschwindigkeit der Spannungsentwicklung (dP/dt) ebenfalls zu (Abb. 7.21 links unten). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat der englische Physiologe Starling zusätzlich zeigen können, dass die von Frank zunächst für das Froschherz gezeigten Gesetzmäßigkei-
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155
7 Das Herz Vordehnung
Noradrenalin
4,0
4,0
+ Noradrenalin (50 µg/l)
Spannung (g)
Spannung (g)
5g
3g
Kontrolle
1g 0
0
+30
+30
+20 +10 0
dP/dtmin 10 20
dP/dtmax
+20
dP/dtmax
dP/dt (g/s)
dP/dt (g/s)
156
+10 0 10
0
0,5
1,0
Zeit (s)
Abb. 7.21 Inotropiemechanismen. Wird ein isolierter Papillarmuskel elektrisch stimuliert, so kommt es bei einer Zunahme der Vordehnung (Frank-Starling-Mechanismus) sowie nach Gabe von Noradrenalin zu einer Steigerung der Kontraktionsamplitude. Die Vordehnung wird über das An-
ten in gleicher Weise auch für das Warmblütermyokard gelten. Man spricht daher heute vom Frank-StarlingMechanismus. Inzwischen wissen wir, dass die ultrastrukturelle Basis für den Frank-Starling-Mechanismus in den Myofilamenten liegt. Innerhalb gewisser Grenzen wird die Kontraktionsamplitude am Herzmuskel wie auch am Skelettmuskel (S. 117 f.; Abb. 6.13, S. 118) mit zunehmender Vordehnung erhöht. Der Zusammenhang zwischen Vordehnung und Herzkraft ist auch aus dem Vergleich der in Abb. 7.7 (S. 142) wiedergegebenen Ruhedehnungskurve mit der Kurve der isovolumetrischen Maxima zu ersehen. Mit zunehmendem Ventrikelvolumen nimmt die Amplitude der isovolumetrischen Kontraktion zunächst stark zu, durchläuft ein Maximum, um danach wieder abzunehmen. Am Schnittpunkt der Ruhedehnungskurve mit der Kurve der isovolumetrischen Maxima ist die aktive Spannungsentwicklung wieder gleich null. Bei der in Abb. 7.7 gewählten Art der Auftragung stellt das Ventrikelvolumen ein indirektes Maß für die Vordehnung des Herzmuskels dar. Mit steigendem enddiastolischen Volumen nimmt nämlich der enddiastolische Druck und damit die Vordehnung zu. Der enddiastolische Druck beträgt normalerweise ca. 7 mmHg und wird klinisch zur Beurteilung der Vordehnung herangezogen. Selbst unter pathologischen Bedingungen steigt er jedoch kaum über 20 mmHg an und erreicht damit nie Werte, die notwendig wären, um das Optimum der Kraftentwicklung zu überschreiten. Der normale Vordehnungsbereich des Ventrikelmyokards liegt also im aufsteigenden Schenkel der Kurve, die die aktive Kraftentwicklung mit der Sarkomerenlänge korreliert (Abb. 6.13, S. 118; s. a. S. 117 f.). Die zunehmende Kraftentwicklung kommt z.T. durch eine Änderung der Aktin-Myosin-Überlappung, z.T. durch eine
20
dP/dtmin 0
0,5
1,0
Zeit (s)
hängen von Gewichten im Bereich von 1 – 5 g eingestellt. Die Geschwindigkeit der Spannungsentwicklung (dP/dt) im unteren Teil der Abbildung bezieht sich im linken Bild auf die Spannungsentwicklung bei größter Vordehnung (5 g), im rechten Bild auf die bei Gabe von Noradrenalin (nach 28).
dehnungsabhängige Empfindlichkeitsänderung der Myofilamente für Ca2+ zustande. Mit Hilfe des Frank-Starling-Mechanismus ist das Herz in der Lage, bei erhöhtem enddiastolischen Volumen eine gesteigerte Spannung in der nachfolgenden Systole zu entwickeln. Die genaue Analyse einer akuten Volumenbelastung („preload“, Vorlast), z. B. bei gesteigertem venösen Rückstrom, ergibt, dass im Arbeitsdiagramm des linken Ventrikels (Abb. 7.22 A) der Arbeitspunkt A auf der Ruhedehnungskurve nach rechts zu Ax verschoben wird. Dem neuen Arbeitspunkt Ax entspricht ein eigener Punkt auf der Kurve der isovolumetrischen Maxima (Bx,) und der isotonischen Maxima (Ax‘). Unter Zugrundelegung der entsprechenden U-Kurve für den Arbeitspunkt Ax resultiert eine neue, größere Druck-Volumen-Fläche (DxAx-Bx-Cx). Dies bedeutet, dass die vom Herzen bei akuter Volumenbelastung geleistete Arbeit größer ist, wobei ein erhöhtes Schlagvolumen gegen einen unveränderten Aortendruck gepumpt wird. In gewisser Weise funktioniert das Herz also wie eine Servopumpe: Wird ihm ein erhöhtes Volumen angeboten, so pumpt es dies mit dem nächsten Schlag auch weiter in die Körperperipherie. In ähnlicher Weise lassen sich die Folgen einer Druckbelastung („afterload“, Nachlast) im Arbeitsdiagramm analysieren (Abb. 7.22 B). Bei einer akuten Erhöhung des diastolischen Aortendrucks von z. B. 80 auf 120 mmHg öffnen sich die Aortenklappen erst bei dem erhöhten Druck. Da die U-Kurve bei gleichem Arbeitspunkt A auf der Ruhedehnungskurve nicht verändert ist, nimmt das Schlagvolumen zunächst ab, so dass das Ventrikelvolumen am Ende der Systole erhöht ist. Dies gilt jedoch nur für die erste Herzaktion nach der Druckerhöhung. In der sich anschließenden Füllphase addieren sich nämlich das normale Füllvolumen und das endsystolisch erhöhte Ven-
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7.8 Regulation der Pumpleistung des Herzens
Bx
10
HZV (l/min)
Ventrikeldruck (mmHg)
300
200
5
150 Cx
C
120 100 80
0 B
Bx
D
0 Ax 0 40
Dx
SV
A
Ax
80
120
0
+4
+8
+12
Druck im Vorhof (mmHg)
SVx
50
4
160 Ventrikelvolumen (ml)
Abb. 7.23 Ventrikelfunktionskurve. Der Druck im Vorhof bestimmt die Füllung des Ventrikels und über den FrankStarling-Mechanismus die Höhe des Herzzeitvolumens (HZV).
A Volumenbelastung Bx
Ventrikeldruck (mmHg)
300
200 Cü
Cx
C
120
Bü
Bx
B
80
D
0 0
Ax
40
SV Dx
80
SVx A
120
Ax
160 Ventrikelvolumen (ml)
B Druckbelastung
Abb. 7.22 Druck-Volumen-Diagramm des linken Ventrikels bei einer akuten Volumenbelastung und einer akuten Druckbelastung. A Bei einer Volumenbelastung verschiebt sich der Arbeitspunkt A auf der Ruhedehnungskurve nach rechts (Ax). Es ergibt sich eine neue Kurve der Unterstützungsmaxima (U-Kurve A‘x, B‘x). Bei gleichbleibendem Druck in der Aorta (Bx) ist das resultierende Schlagvolumen größer (SVx > SV). B Bei einer akuten Druckbelastung durch Erhöhung des Aortendrucks sinkt das Schlagvolumen zunächst ab, da sich der Arbeitspunkt A auf der Ruhedehnungskurve nicht verändert. Daraus resultiert ein erhöhtes endsystolisches Volumen (Dx). Wird bei der darauffolgenden diastolischen Füllung ein normales Volumen aufgenommen, so verschiebt sich der Punkt A auf der Ruhedehnungskurve nach rechts (Ax). Durch die erhöhte Vordehnung kann das Herz nun wieder ein nahezu unverändertes Schlagvolumen gegen den erhöhten Aortendruck auswerfen (SVx ≈ SV).
Volumenbelastung kann das Herz über den Frank-Starling-Mechanismus jetzt ein nahezu gleiches Schlagvolumen gegen einen erhöhten Aortendruck auswerfen. Das Herzzeitvolumen kann somit konstant gehalten werden, obwohl der Druck in der Aorta angestiegen ist. Bei einem arteriellen Mitteldruck von über 170 mmHg sinkt das Herzzeitvolumen allerdings ab. In energetischer Hinsicht ist die Druckarbeit gegenüber einer Volumenarbeit energieaufwändiger, gemessen am vergleichsweise höheren Sauerstoffverbrauch des Herzens. Dies hat seine Ursache in der bei Druckarbeit erhöhten Wandspannung des linken Ventrikels. Eine andere, weit verbreitete Art, die Gesetzmäßigkeit des FrankStarling-Mechanismus darzustellen, besteht darin, die Abhängigkeit des Herzzeitvolumens vom Vorhofdruck in Form der sog. Ventrikelfunktionskurve aufzutragen (Abb. 7.23). Durch Erhöhung des Drucks im Vorhof nimmt nicht nur die diastolische Ventrikelfüllung, sondern auch der Ventrikeldruck und damit die Vordehnung zu. Bei gleichbleibender Herzfrequenz resultiert daraus eine Steigerung des Herzzeitvolumens. Aus Abb. 7.23 wird außerdem deutlich, dass allein durch den Frank-Starling-Mechanismus das Herzzeitvolumen auf über das Doppelte des Kontrollwerts (5 l/min) gesteigert werden kann.
Die physiologische Bedeutung des Frank-Starling-Mechanismus besteht in der langfristigen genauen Abstimmung zwischen Herzzeitvolumen und venösem Rückstrom. Außerdem ist der Frank-Starling-Mechanismus für die präzise Abstimmung der Pumpleistung des rechten und linken Ventrikels verantwortlich. Bei den normalerweise geringen Unterschieden in der Pumpleistung zwischen rechtem und linkem Ventrikel verhindert er langfristig Volumenverschiebungen und damit Druckveränderungen im großen und kleinen Kreislauf.
Herzsympathikus
trikelvolumen, so dass der Arbeitspunkt für die nächste Herzaktion auf der Ruhedehnungskurve nach rechts zu Ax verschoben ist. In Analogie zu den Verhältnissen bei einer
Bei starker körperlicher Belastung nimmt das Herzzeitvolumen maximal bis auf 25 l/min zu, was einer 4- bis 5fachen Steigerung des Ruhewerts entspricht. Bei Leistungssportlern kann dieser Wert sogar bis auf 35 l/min ansteigen. Entscheidend für diese Zunahme der Förder-
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7 Das Herz
SV (ml)
Sympathikusstimulation
Schlagvolumen
80 40
Vorhofstimulation 0
Herzzeitvolumen
16 14 12
HZV (l/min)
158
10 8 6 4 2 0
0
50
100
150
200
250
Herzfrequenz (Schläge/min)
Abb. 7.24 Sympathikusstimulation, nicht aber Vorhofstimulation, steigert frequenzabhängig das Schlag- und Herzzeitvolumen. Bei gleichbleibendem Schlagvolumen (violette Kurven) steigt das Herzzeitvolumen als Funktion der Herzfrequenz linear an. Bei einer alleinigen Frequenzerhöhung ohne positiv inotrope Wirkung, z. B. ausgelöst durch eine künstliche Vorhofstimulation (blaue Kurven), sinkt das Schlagvolumen mit zunehmender Herzfrequenz ab, weil die diastolische Füllung unzureichend wird. Entsprechend nimmt das Herzzeitvolumen im mittleren Frequenzbereich nur mäßiggradig zu, um bei höheren Frequenzen sogar wieder abzusinken. Bei Sympathikusstimulation hingegen nimmt mit Steigerung der Herzfrequenz (chronotrope Wirkung) auch das Schlagvolumen zu (zusätzliche inotrope Wirkung, rote Kurven), so dass insgesamt ein stark gesteigertes Herzzeitvolumen resultiert.
leistung des Herzens ist die Aktivierung des Sympathikus durch seine herzkraft- und herzfrequenzsteigernde Wirkung. Im Unterschied zum Frank-Starling-Mechanismus ist die positiv inotrope Wirkung des Sympathikus unabhängig von der Vordehnung. Wie Abb. 7.21 rechts oben zeigt, steigert der sympathische Überträgerstoff Noradrenalin die Herzkraft bei unveränderter Vordehnung. Hinzu kommt, dass unter dem Einfluss von Noradrenalin und Adrenalin die Kraftentwicklung deutlich schneller erfolgt und das Maximum der Kraftsteigerung früher erreicht wird. Dies ist typisch für Änderungen der Muskelkontraktilität (Kap. 6). Dieser Sachverhalt drückt sich in der ersten Ableitung des ventrikulären Drucksignals aus (Abb. 7.21, rechts unten). Vergleicht man die maximale Druckanstiegsgeschwindigkeit, dP/dtmax, bei sympathischer Stimulation mit der der Vordehnung (Abb. 7.21 links unten), so ist ersichtlich, dass bei ähnlicher Steigerung der Kontraktionsamplitude dP/dtmax im Fall einer Sympathikusstimulation wesentlich stärker ansteigt. Zusätzlich zeigt Abb. 7.21, dass unter Sympathikuseinfluss
auch die maximale Relaxationsgeschwindigkeit, dP/dtmin, zunimmt. Dies beruht auf einer beschleunigten Wiederaufnahme von Ca2+ in das sarkoplasmatische Retikulum. Verantwortlich hierfür ist die cAMP-abhängige Phosphorylierung von Phospholamban (S. 154). Bezogen auf das gesamte Herz verkürzt sich unter Sympathikuseinfluss die Dauer der Systole bei starker körperlicher Arbeit um maximal 40%. Parallel dazu nimmt auch die Diastolendauer erheblich ab. Nur aufgrund der Tatsache, dass die Ventrikelfüllung hauptsächlich im ersten Drittel der Füllungsphase erfolgt (Abb. 7.4, S. 140), kommt es auch bei erhöhter Herzfrequenz zu einer ausreichenden diastolischen Ventrikelfüllung. Bei der sympathikusbedingten Steigerung des Herzzeitvolumens kommt neben der positiv inotropen besonders der positiv chronotropen Wirkung eine wichtige Bedeutung zu. Unter der Annahme eines konstanten Schlagvolumens nimmt das Herzzeitvolumen entsprechend der Beziehung HZV = Schlagvolumen × Frequenz linear mit der Frequenz zu (violette Kurven in Abb. 7.24). Wird in einem Versuch die Herzfrequenz durch künstliche Reizung des Vorhofs erhöht, ohne dass die Kontraktionskraft sich gleichzeitig verändert, so kommt es frequenzbedingt zu einer Einschränkung der Füllphase, das Schlagvolumen nimmt ab, so dass das Herzzeitvolumen insgesamt nur mäßiggradig ansteigt, um bei höheren Frequenzen wieder abzufallen (blaue Kurven in Abb. 7.24). Bei Aktivierung des Sympathikus, z. B. durch körperliche Arbeit, steigt hingegen aufgrund der positiv inotropen Sympathikuswirkung auch das Schlagvolumen an und vergrößert das schon durch den Frequenzanstieg erhöhte Herzzeitvolumen noch zusätzlich (rote Kurven in Abb. 7.24). Lediglich bei Frequenzen über 200/min nimmt das Schlagvolumen wegen der dann zu kurz werdenden Füllungsphase ab und ist von einer steilen Abnahme des Herzzeitvolumens gefolgt. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass insgesamt vier Faktoren die Größe des Herzzeitvolumens bestimmen: – Vordehnung (preload) – wichtige Determinante ist der enddiastolische Druck; – Nachlast (afterload) – entspricht im Wesentlichen dem Druck in der Aorta, der bei jeder Systole überwunden werden muss; – Herzfrequenz; – Inotropie. Herzfrequenz und Inotropie werden im Wesentlichen vom vegetativen Nervensystem (Sympathikus, Parasympathikus) beeinflusst. Für die Anpassung des Herzens an gesteigerte Arbeit ist der Sympathikus von entscheidender Bedeutung. Vereinfachend gesagt, liegt der durch Nervenaktivität vermittelten Steigerung des Herzzeitvolumens eine Bedarfssteigerung zugrunde, wogegen der Frank-Starling-Mechanismus bei einer Veränderung des Angebots zum Zuge kommt.
Herzhypertrophie Die Steigerung der Herzkraft durch Vordehnung oder durch Sympathikusstimulation stellt Anpassungsmechanismen dar, die akut, d. h. von einem Herzschlag zum
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7.8 Regulation der Pumpleistung des Herzens nächsten, zur Verfügung stehen. Wird das Herz über einen längeren Zeitraum einer erhöhten Arbeitsbelastung ausgesetzt, z. B. beim Leistungssportler, bei erhöhtem Blutdruck oder bei Herzklappenfehlern, so kommt es zu strukturellen Veränderungen des Herzmuskels in Form einer Herzhypertrophie. Hierbei bleibt die Zahl der Herzmuskelzellen konstant, lediglich ihre Dicke und ihre Länge nehmen zu, so dass insgesamt die Dicke der Ventrikelmuskulatur und das Herzgewicht (von normalerweise 250 – 300 g auf maximal 500 g) zunehmen. Typischerweise ist beim Sportlerherz das diastolische Ventrikelvolumen und das Schlagvolumen in Ruhe gegenüber Untrainierten erhöht. Da der Sportler außerdem eine niedrige Herzfrequenz aufweist (Folge der gesteigerten Aktivität des N. vagus), bleibt sein basales Herzzeitvolumen aber unverändert. Eine Herzhypertrophie ist normalerweise ein reversibler Prozess; sie kann sich binnen weniger Wochen zurückbilden, wenn die Auslösefaktoren, die zu der erhöhten Arbeitsbelastung des Herzens führten, beseitigt sind bzw. nicht weiter bestehen. Wenn allerdings eine lang anhaltende Herzhypertrophie zur strukturellen Veränderung im Sinne einer Fibroseentstehung geführt hat, ist die Herzhypertrophie nur partiell reversibel. Bei der Herzhypertrophie kann man drei Stadien unterscheiden: 1. Entwicklung der Hypertrophie, wenn die Arbeitsbelastung des Herzens die für die normale Muskelmasse des Herzens typische Herzarbeit überschreitet. 2. Phase der Kompensation, wenn durch das belastungsinduzierte Herzwachstum das Verhältnis von Herzmuskelmasse zu Herzarbeit ausgeglichen ist (Abb. 7.25, Mitte). Obwohl in dieser Phase keine schwerwiegenden Einschränkungen der Herzmechanik festzustellen sind, findet man mit verfeinerten Methoden eine Verminderung der Verkürzungs- und Relaxationsgeschwindigkeit des Herzmuskels. 3. Phase des Herzversagens, wenn das Herz progredient dilatiert (Abb. 7.25, rechts) und nicht mehr in der Lage ist, ein normales Herzzeitvolumen zu fördern. Für den Übergang zwischen den einzelnen Phasen sind geometrische Faktoren von großer Wichtigkeit. Geht man vereinfachend davon aus, dass das Herz ein kugelförmiger Hohlkörper ist mit bestimmtem Innenradius r (m), einer Wanddicke d (m) und dem transmuralen Druck Ptm (Pa), der normalerweise dem Innendruck entspricht, so gilt: Die Wandspannung K, d. h. die Kraft/Wandquerschnitt (N · m–2), nimmt proportional mit dem Innendruck und dem Radius zu. Daher gilt auch: Je dicker die Wand, desto geringer ist bei gleichem Innenradius die Wandspannung. Diese zwischen Wandspannung und Innendruck geltenden Gesetzmäßigkeiten wurden erstmals von dem französischen Mathematiker und Physiker Laplace (1749 – 1827) beschrieben: r Nm K ¼ Ptm 2d
2
bzw. Ptm ¼ K 2d r ½Pa
Auf das Herz übertragen gestattet diese Beziehung, folgende Phänomene der Herzfunktion zu erklären. Wie aus Abb. 7.25 zu ersehen ist, kommt es bei Druckbelastung zu einer Zunahme der Wandspannung, die den Hypertro-
d
d Ventrikeldruck P
konzentrische Hypertrophie
Wandspannung K
Wandspannung normalisiert
K =
P ·r d
r
r
r
K=
P ·r d
d Hypertrophie mit Dilatation
Wandspannung K
K =
P ·r d
Abb. 7.25 Herzhypertrophie. Bei einer Druckbelastung des Ventrikels (z. B. linker Ventrikel bei Aortenstenose oder Hypertonie) kommt es zunächst zu einer konzentrischen Hypertrophie des Ventrikels und deswegen zu einer normalisierten Wandspannung: Stadium der Kompensation. Wenn der Ventrikel dilatiert wird, also bei starker oder langjähriger Druckbelastung, entwickelt sich wegen der ungünstigen energetischen Situation eine Herzinsuffizienz.
phieprozess auslöst. Dabei verdickt sich die Ventrikelwand, doch steigt der Kammerradius nicht an: sog. konzentrische Hypertrophie. (Bei einer chronischen Volumenbelastung, z. B. bei einer Aorteninsuffizienz, hypertrophiert das Kammermyokard ebenfalls, doch wird die Kammer dabei dilatiert, d. h. der Radius steigt, was eine wegen des Laplace-Gesetzes von vornherein ungünstigere Situation darstellt: sog. exzentrische Hypertrophie.) Im Stadium der Kompensation ist definitionsgemäß die Wanddicke vergrößert, aber die Wandspannung – d. h. die Kraft pro Muskelquerschnitt – ist wieder normal (Laplace). Wenn das hypertrophierte Herz zusätzlich noch dilatiert, nimmt die Wandspannung proportional mit dem Radius zu, und es resultiert eine Herzinsuffizienz. In dieser Situation benötigt das Herz mehr Energie, um ein gleiches Schlagvolumen zu fördern, dementsprechend nimmt der Wirkungsgrad – d. h. das Verhältnis von aufgewendeter Energie zu äußerer Arbeit – ab. Eine therapeutisch ausgelöste Verkleinerung des Herzens, z. B. durch Digitalis, würde in dieser Situation zu einer Ökonomisierung der Herzarbeit führen und die Herzinsuffizienz in einen Zustand der kompensierten Hypertrophie überführen. Für den Übergang vom Stadium der Kompensation zur Herzinsuffizienz sind eine Reihe von Faktoren wichtig. So kommt es mit zunehmendem Durchmesser der Einzelmyofibrillen bei gleichbleibender Kapillarisierung zu einem ungünstigeren Verhältnis von Muskelmasse und Sauerstoffversorgung. Die Diffusionsstrecken für O2 werden immer größer und begrenzen damit die Größenzunahme des Herzens, so dass man auch von einem kritischen Herzgewicht (ca. 500 g) spricht. Andere beteiligte Faktoren sind eine Abnahme der Koronarreserve (s. u.) und eine Zunahme des Gehalts an Kollagen mit interstitieller Fibrose.
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159
7 Das Herz Herzzeitvolumen
Sympathikus
25
20 venöser Rückstrom
Kontrolle
B
Herzinsuffizienz
15
l/min
160
10
5
C
A
Sympathikus Kontrolle 0
0
4
8
12
16
Druck im Vorhof (mmHg)
Abb. 7.26 Beziehungen zwischen Druck im Vorhof als Maß für die Ventrikelvordehnung und Herzzeitvolumen bzw. venösem Rückstrom. Durch Erhöhung des Drucks im Vorhof und die dadurch erhöhte Ventrikelfüllung nimmt über den Frank-Starling-Mechanismus das Herzzeitvolumen zu. Gleichzeitig nimmt durch Rückstau der venöse Rückstrom ab. An Punkt A befindet sich das Kreislaufsystem im Gleichgewicht: Das Herzzeitvolumen entspricht dem venösen Rückstrom. Bei Sympathikusstimulation ist die Ventrikelfunktionskurve nach links verschoben und verläuft steiler. Da die Kurve für den venösen Rückstrom gleichzeitig nach oben verschoben ist (Tonisierung der Venen), liegt der Gleichgewichtspunkt bei Sympathikusstimulation bei B. Bei Herzinsuffizienz verläuft die Ventrikelfunktionskurve als Ausdruck der eingeschränkten Pumpleistung abgeflacht. Ein gegenüber der Kontrolle unverändertes Herzzeitvolumen kann nur dann gefördert werden, wenn der Druck im Vorhof erhöht ist (Gleichgewichtspunkt C).
Beziehungen zwischen Herzzeitvolumen und venösem Rückfluss Da das Herz seine Pumpfunktion in einem geschlossenen Kreislauf ausübt, fließt in der Zeiteinheit genausoviel Blut zum Herzen zurück, wie das Herz auswirft. Das Herzzeitvolumen und der venöse Rückstrom sind also identisch. Eine graphische Darstellung dieser Zusammenhänge anhand der bereits bekannten Ventrikelfunktionskurve (Abb. 7.23) zeigt Abb. 7.26 (violette Kurve). Am Schnittpunkt A der Ventrikelfunktionskurve mit der Kurve, die den venösen Rückstrom in Abhängigkeit vom Druck im Vorhof charakterisiert (gestrichelte violette Kurve), befindet sich das System im Gleichgewicht (Gleichgewichtspunkt A). Der Verlauf der Kurve für den venösen Rückstrom zeigt, dass mit Zunahme des Vorhofdrucks der venöse Rückstrom abnimmt. Der Schnittpunkt der Kurve mit der X-Achse liegt bei 8 mmHg. (Dieser Wert stellt sich ein, wenn das Herzzeitvolumen und der venöse Rückstrom gleich null sind, d. h. bei Herzstillstand: sog. statischer Blutdruck; S. 177.)
Bei adrenerger Stimulation ist die Ventrikelfunktionskurve steiler (Abb. 7.26, rote Kurve). Bei gleichem Druck im Vorhof, d. h. gleicher Vordehnung der Ventrikel, ist das Herzzeitvolumen gesteigert. Gleichzeitig kommt es unter sympathischem Einfluss zu einer Tonisierung der Venen, so dass die Kurve für den venösen Rückstrom zu höheren Werten verschoben ist (gestrichelte rote Kurve) und der neue Gleichgewichtspunkt bei B liegt. Bei einer Herzinsuffizienz ist die Kontraktionskraft der Ventrikel herabgesetzt. Ursache hierfür können toxische Einflüsse oder eine kritische Einschränkung der Koronardurchblutung sein. Die Ventrikelfunktionskurve verläuft gegenüber der Kontrolle deutlich flacher (Abb. 7.26, blaugrüne Kurve). Kompensatorisch tritt bei einer Herzinsuffizienz durch Wasserretention eine Zunahme des Blutvolumens ein. Hinzu kommt, dass sich durch die verminderte Pumpfunktion das Blut vor dem rechten Herzen staut und zu einer Erhöhung des Vorhofdrucks führt. Beide Faktoren zusammen bewirken, dass die Kurve für den venösen Rückstrom nach oben verschoben ist und in dem in Abb. 7.26 gegebenen Beispiel mit der Kurve unter Sympathikuseinfluss identisch ist. Dies hat zur Folge, dass trotz reduzierter Pumpleistung der Gleichgewichtspunkt bei Herzinsuffizienz bei C liegt. Vergleicht man Gleichgewichtspunkt C mit A eines Kontrollherzens, so wird deutlich, dass das Herzzeitvolumen bei Herzinsuffizienz im kompensierten Zustand etwa gleich groß ist, doch wird dies erkauft durch eine stärkere Vordehnung.
Das Herz als endokrines Organ Im Vorhof des Herzens wird ein Peptidhormon, das Atriopeptin (Synonym: atrialer natriuretischer Faktor [ANF], atriales natriuretisches Peptid) synthetisiert, das u. a. an der Niere die Natriumausscheidung steigert und damit einen Einfluss auf den Volumenhaushalt des Körpers ausübt (Kap. 13). Atriopeptin wird in membrangebundenen sekretorischen Granula des Vorhofs gespeichert; seine Freisetzung erfolgt durch Muskeldehnung infolge einer Steigerung des Blutvolumens. Das zirkulierende Atriopeptin besteht aus 28 Aminosäuren und enthält eine über eine Disulfbrücke geschlossene Ringstruktur, die für die biologische Wirkung entscheidend ist. Die natriuretisch-diuretische Wirkung von Atriopeptin führt zu einer Erniedrigung des Plasmavolumens und kann somit den zur Hormonfreisetzung führenden primären Reiz, die erhöhte Vorhofdehnung, wieder vermindern (negativ rückgekoppelter Regelkreis). Bei Herzinsuffizienz sind die Atriopeptinplasmaspiegel erheblich erhöht und korrelieren mit den überhöhten kardialen Füllungsdrücken. Diese Beziehung konnte auch für das BNP (brain natriuretic peptide) nachgewiesen werden, welches derzeit hinsichtlich seiner diagnostischen Wertigkeit als „endokriner“ Parameter einer Herzinsuffizienz geprüft wird. Erste Studien zeigen, dass Erhöhungen der Serumkonzentration an BNP und seinen Derivaten mit einer einge-
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7.9 Erregungsausbreitung am Herzen
Aktionspotenziale
Sinusknoten
Vorhofmyokard
AV-Knoten His-Bündel
Kammerschenkel
Purkinje-Fäden Ventrikelmyokard 0
Abb. 7.27 Herzerregung. Erregungsbildung und Erregungsausbreitung sowie die an den entsprechenden Orten gemessenen Aktionspotenziale. Sinus- und AV-Knoten zeigen eine spontane diastolische Depolarisation des Membranpoten-
schränkten kardialen Prognose assoziiert sind. Ferner kommt dem Nachweis eines normalen BNP-Spiegels eine hohe Spezifität beim Ausschluss einer kardialen Ursache einer akuten Luftnot (Dyspnoe) in Notaufnahmesituationen zu (hoher negativer prädiktiver Wert).
7.9
Erregungsausbreitung am Herzen
Die Erregung des Herzens breitet sich, ausgehend vom Sinusknoten (primärer Schrittmacher), über Vorhof, AV-Knoten, His-Bündel, Kammerschenkel und PurkinjeFasern aus und erreicht das Ventrikelmyokard, wo die Erregung von einer Myokardzelle auf die nächste weitergeleitet wird. Bei der Überleitung im AV-Knoten (sekundärer Schrittmacher) ist die Leitungsgeschwindigkeit stark vermindert. Der AV-Knoten wirkt wie ein Frequenzsieb, das eine zu rasche Neuerregung der Ventrikel verhindert. Die Ausbreitungszeit der Erregung im Ventrikel (140 ms) ist wesentlich kürzer als die Dauer eines Aktionspotenzials (300 ms), so dass der Herzmuskel sich wegen der langen Refraktärzeit nicht wieder selbst erregen kann (kein „reentry“). Der Herzsympathikus (Noradrenalin) wirkt über eine Zunahme der Steilheit der spontanen diastolischen Depolarisation im Sinusknoten herzfrequenzsteigernd (positiv chronotrop). Am AV-Knoten beschleunigt der Sympathikus die Überleitungszeit (positiv dromotrop). Die Wirkungen der parasympathischen Fasern des N. vagus sind dem Sympathikus entgegengesetzt: Acetylcholin wirkt negativ chronotrop und dromotrop.
Zeit (ms)
500
zials. Die Aktionspotenzialdauer ist an den Kammerschenkeln und Purkinje-Fäden am längsten. Man beachte die Verzögerung der Erregungsausbreitung im AV-Knoten (nach 18).
Die Herzfrequenz eines Erwachsenen beträgt in Ruhe etwa 70 Schläge pro Minute. Bei körperlicher Arbeit steigt dieser Wert bis auf 180 – 200 Schläge pro Minute an. Ausgangspunkt für die rhythmische Erregung des Herzens ist der Sinusknoten, eine ca. 3 × 10 mm große Struktur, die im rechten Vorhof an der Einmündungsstelle der V. cava superior lokalisiert ist. Der Sinusknoten ist automatisch tätig und durch eine spontane diastolische Depolarisation charakterisiert (Abb. 7.19, S. 153, und Abb. 7.27). Morphologisch handelt es sich beim Sinusknoten, wie auch bei den anderen Strukturen der Erregungsleitung im Herzen, um spezialisierte Herzmuskelzellen, die myofibrillenarm und sarkoplasmareich sind. Biochemisch sind sie durch ein Überwiegen des glykolytischen Stoffwechsels gekennzeichnet. Vom Sinusknoten breitet sich die Erregung zunächst fächerförmig über die Vorhöfe aus. Die Erregungsübertragung erfolgt von einer Myokardzelle auf die nächste über Gap Junctions. Gap Junctions sind kommunizierende Verbindungen zwischen zwei Zellen (S. 54), die am Herzen auf Höhe der Z-Streifen (Glanzstreifen) lokalisiert sind und Orte erniedrigten Membranwiderstands darstellen. Deswegen kann das Myokardgewebe auch als ein funktionelles Synzytium bezeichnet werden. Die Geschwindigkeit der Erregungsausbreitung in der Vorhofwand beträgt 0,3 – 0,6 m/s (Abb. 7.28). Dieser Wert ist etwas kleiner als die Leitungsgeschwindigkeit einer marklosen Nervenfaser (0,5 – 2 m/s) und natürlich wesentlich geringer als die in markhaltigen Nervenfasern, die bei 100 m/s liegt (S. 619).
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161
162
7 Das Herz
70
Sinusknoten
70 0,3 0,6
Vorhof
0,04
60
AV-Knoten kranial
40 50
0,1
AV-Knoten kaudal
1,0
His-Bündel
20
1,0
25 40
1,5 4,0 0,5
Kammerschenkel
Purkinje- Fäden 60
Ventrikelmyokard
Leitungsgeschwindigkeit (m/s) Ausbreitungszeit (ms) 1
Schrittmacherfrequenz (min )
Abb. 7.28 Geschwindigkeit der Erregungsausbreitung. Wegen der starken Abnahme der Leitungsgeschwindigkeit im AV-Knoten wirkt dieser wie ein Frequenzsieb. Die Erregung benötigt insgesamt 210 ms, um vom Sinusknoten aus das Ventrikelmyokard vollständig zu erregen.
Ausgehend vom Sinusknoten und den beiden Vorhöfen, ist der AV-Knoten die nächste Station der Erregungsausbreitung (Abb. 7.28). Der AV-Knoten ist auf Höhe des Septums auf der Grenze zwischen Vorhof und Kammer lokalisiert und stellt die einzige leitende Verbindung zwischen Vorhof und Ventrikel dar, die durch die „Isolierplatte“ Ventilebene zum His-Bündel führt. Bei der Erregungsübertragung am AV-Knoten kommt es zu einer erheblichen Verzögerung (Abb. 7.28). Die Leitungsgeschwindigkeit geht im kranialen Knotenabschnitt auf etwa 10% von derjenigen am Vorhof zurück, steigt aber im kaudalen Abschnitt des AV-Knotens wieder an. Die Gründe für die langsame Leitungsgeschwindigkeit sind neben dem Faserdurchmesser in der Tatsache zu suchen, dass das „schnelle Natriumsystem“ am AV-Knoten nur schwach exprimiert wird, wodurch eine verlangsamte Aufstrichsgeschwindigkeit des Aktionspotenzials resultiert (Abb. 7.27). Die funktionelle Bedeutung der Verzögerung der Erregungsausbreitung ist darin zu sehen, dass der AV-Knoten abnorm gesteigerte Frequenzen, z. B. bei Vorhofflimmern (s. u.) nicht überleitet, da sie in die Refraktärphase des jeweils vorangegangenen Aktionspotenzials fallen, das sich ja relativ langsam über den AVKnoten ausbreitet. Der AV-Knoten wirkt folglich wie ein Frequenzsieb, durch das die Herzventrikel vor zu hohen Frequenzen der Vorhöfe geschützt werden. Zum anderen
hat die verlangsamte Überleitung im AV-Knoten zur Folge, dass für die diastolische Füllung der Ventrikel durch die Kontraktion der Vorhöfe ein genügend langes Zeitintervall zur Verfügung steht. Wie aus den in Abb. 7.28 wiedergegebenen Daten zu ersehen ist, nimmt die Leitungsgeschwindigkeit im HisBündel, den beiden Kammerschenkeln, besonders aber in den Purkinje-Fäden wieder deutlich zu (1,0 – 4,0 m/s). Die Dauer der Erregungsausbreitung vom Sinusknoten zum Ventrikelmyokard beträgt ca. 150 ms, so dass nach insgesamt 210 ms das gesamte Herz erregt ist. Ein Vergleich der Dauer eines Aktionspotenzials (ca. 300 ms) mit der Zeit, die ein Impuls benötigt, um vom AV-Knoten das Ventrikelmyokard zu erregen (140 ms), zeigt, dass die Erregungsausbreitung bereits weit vor dem Ende eines Aktionspotenzials abgeschlossen ist. Für eine Neuerregung des Herzens hat dieser Zusammenhang eine wichtige Konsequenz: Die Erregungsausbreitung im Ventrikel ist zu einem Zeitpunkt abgeschlossen, an dem sich das erregte Gewebe noch in der absoluten Refraktärphase befindet. Die Erregung kommt somit zu Ende, eine erneute Erregung durch Wiedereintritt (Reentry; S. 172) der Erregungsfront in bereits repolarisiertes Myokard ist normalerweise nicht möglich. Die lange Dauer des Aktionspotenzials schützt somit das Herz vor einer vorzeitigen Erregung während des Herzzyklus. Die Aktionspotenzialdauer an den Purkinje-Fäden unmittelbar vor dem Übergang der Erregung auf den Herzmuskel ist mit ca. 450 ms am längsten, so dass hier ein besonders guter Schutz gegen eine Reentry-Erregung besteht.
Hierarchie der Erregungsausbreitung Nicht nur der Sinusknoten, sondern auch tiefer liegende Strukturen der Erregungsleitung sind zu spontaner, d. h. automatischer Impulsbildung befähigt. Jedoch nimmt die Eigenfrequenz vom Sinusknoten über den AV-Knoten bis zu den Purkinje-Fäden laufend ab (Abb. 7.28). Der Sinusknoten ist nur deshalb der primäre Schrittmacher (sog. nomotopes Automatiezentrum), weil er von allen Strukturen die höchste Eigenfrequenz besitzt und den AVKnoten erregt, bevor dieser selbst automatisch tätig wird. Fällt aber der Sinusknoten aus bzw. kommt es zu einer Unterbrechung der Überleitung seiner Erregung auf den AV-Knoten, so übernimmt der AV-Knoten selbst Schrittmacherfunktion mit einer Eigenfrequenz von ca. 40 – 50 pro Minute (sekundärer Schrittmacher). Liegt die Unterbrechung der Erregungsausbreitung unterhalb des AVKnotens, so stellt sich ein Kammerrhythmus von 25 – 40 Schlägen pro Minute ein. Bei einer Störung der Erregungsausbreitung ist es also immer die Struktur mit der dann höchsten Eigenfrequenz, die als heterotopes Automatiezentrum Schrittmacherfunktion übernimmt.
Beeinflussung des Herzrhythmus durch das vegetative Nervensystem Das Herz ist gut mit sympathischen und parasympathischen (vagalen) Fasern versorgt. Die sympathischen Nerven entstammen den oberen 5 – 6 Thorakalsegmenten des Rückenmarks und werden im rechten bzw. linken Ganglion stellatum auf postganglionäre Fasern umge-
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7.10 Grundlagen der Elektrokardiographie Acetylcholin
Adrenalin
Noradrenalin
Acetylcholin
A 0
mV
120
20 40 60 100 ms
80
Vagusstimulation
20 0
mV
B 60 20
Leitungszeit ab Sinusknoten (ms)
Schwelle 100
80
60
40
20
Sympathikusstimulation
Vorhof
0
mV
0
C
0
2
AV-Knoten 4
6
His-Bündel 8
10
Entfernung vom Sinusknoten (mm) 60
Abb. 7.29 Einfluss von sympathischen und parasympathischen Überträgerstoffen auf die Herzfrequenz. A Adrenalin führt zu einer Zunahme, Acetylcholin zu einer Abnahme der diastolischen Depolarisation im Sinusknoten. Dadurch wird die Schwelle im Fall von Acetylcholin später (negativ chronotrop), im Fall von Adrenalin früher (positiv chronotrop) erreicht. B Stimulation des N. vagus senkt die Schrittmacherfrequenz. C Sympathikusstimulation erhöht die Schrittmacherfrequenz (B und C nach 19).
schaltet. Der sympathische Überträgerstoff am Herzen ist Noradrenalin, das bei Reizung aus den terminalen Nervenendigungen freigesetzt wird. Während der Herzsympathikus Vorhof und Ventrikelmyokard gleichmäßig versorgt, ziehen die vagalen Nerven bevorzugt zu den Vorhöfen, zum Sinus- und zum AV-Knoten. Stimulation des N. vagus induziert eine Abnahme der Herzfrequenz. Diese durch Acetylcholin ausgelöste sog. negative Chronotropie beruht auf einer Abnahme der Schrittmacherfrequenz im Sinusknoten. Sie kommt dadurch zustande, dass Acetylcholin die K+-Permeabilität der Zellmembran steigert, so dass die diastolische Depolarisation verlangsamt abläuft. Abb. 7.29 zeigt, dass dadurch die Steigung der diastolischen Depolarisation flacher und somit die Schwelle für die Neuerregung später erreicht wird. Der Schrittmacher des Herzens steht in Ruhe unter dem hemmenden Einfluss des N. vagus (Vagotonus), und im Experiment führt eine Durchtrennung des rechten Herzvagus zu einer Frequenzsteigerung. Der zweite funktionell wichtige Angriffspunkt des N. vagus ist der AV-Knoten. Wie in Abb. 7.30 dargestellt, führt Acetylcholin am AV-Knoten zu einer Verminderung der Anstiegssteilheit im Aktionspotenzial, d. h. zu einer zusätzlichen Verzögerung der Erregungsausbreitung von den Vorhöfen auf die Ventrikel, und wirkt somit negativ dromotrop. Eine sehr starke Stimulation beider Nn. vagi kann sogar zu einer vollständigen Blockierung der Über-
Abb. 7.30 Leitungszeiten im AV-Knoten wurden gemessen, nachdem über eine am Sinusknoten platzierte Elektrode der Vorhof erregt worden war (Entfernung = Abstand zur Reizelektrode). Beachte: Acetylcholin und Noradrenalin beeinflussen die Leitungszeit nur im Bereich des AV-Knotens.
leitung im AV-Knoten führen. Ein momentaner Herzstillstand (Asystolie) ist die Folge, der so lange anhält, bis nach wenigen Sekunden ein heterotropes Zentrum, z. B. in den Purkinje-Fäden, erneut Schrittmacherfunktion übernimmt. Die Wirkung einer Stimulation des Herzsympathikus ist der einer Vagusstimulation entgegengesetzt. Die positiv chronotrope Wirkung sympathischer Überträgerstoffe kommt durch ein Steilerwerden der diastolischen Depolarisation am Sinusknoten zustande (Abb. 7.29). Am AV-Knoten beschleunigt Noradrenalin die Anstiegssteilheit des Aktionspotenzials; dadurch wird die Überleitungszeit vom Vorhof auf den Ventrikel beschleunigt: positiv dromotrope Wirkung (Abb. 7.30). Neben der Wirkung auf die Herzfrequenz und die Überleitungszeit besteht eine weitere wesentliche Wirkung des Sympathikus in einer Steigerung der Herzkraft (positive Inotropie), auf die weiter oben ausführlich eingegangen wurde. Zunächst soll aber besprochen werden, wie die Ausbreitung der Erregung über das Herz anhand von typischen Potenzialschwankungen an der Körperoberfläche verfolgt werden kann.
7.10
Grundlagen der Elektrokardiographie
An der Grenzlinie zwischen erregtem Muskelgewebe (Außenseite negativ) und unerregtem Muskelgewebe (Außenseite positiv) entsteht eine Potenzialdifferenz (Dipol), deren elektrisches Feld sich im Körper ausbreitet. Auf der Körperoberfläche sind die bei der Erregung des Herzmuskels auftretenden Potenzial-
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163
164
7 Das Herz
+ + + + + + + + + ++ + 1
Herzmuskelfaser Erregungswelle
+ + + + + + + ++ ++ + 2
+ + + + + + + ++ + + +
3
+ + + + + + + + + + + + 5
+ + + + + + + + + + + + 4
Abb. 7.31 Biphasisches Aktionspotenzial. Veränderungen der extrazellulär gemessenen Potenzialdifferenz, wenn eine Erregung von links nach rechts über eine Muskelfaser abläuft. Sowohl im voll erregten (3) als auch im nicht erregten
schwankungen (Vektoren) in Form des EKG nachweisbar. Es entsprechen sich: P-Welle und Vorhoferregung, PQ-Intervall und Überleitungszeit, QRS-Komplex und Kammererregung, ST-Strecke und vollständige Ventrikelerregung, T-Welle und Ventrikelrepolarisation. Die Vektorkardiographie ermöglicht eine räumliche Darstellung der Vektorveränderungen zu jedem Zeitpunkt der Herzaktion. Mit Hilfe der bipolaren Standardableitung nach Einthoven (I, II, III) kann im Einthoven-Dreieck die elektrische Herzachse und damit annäherungsweise die Herzlage bestimmt werden. Zusätzlich gibt es die unipolaren Ableitungen nach Goldberger (aVR, aVL, aVF) und die Brustwandableitungen nach Wilson (V1 – V6), die heute zur EKG-Routinediagnostik gehören. Das Elektrokardiogramm (EKG) ist ein klinisch häufig eingesetztes diagnostisches Verfahren, das Auskunft über die Ausbreitung der elektrischen Erregung über Vorhof und Ventrikelmyokard gibt. Bei der Registrierung eines EKG werden Veränderungen der Potenzialdifferenz zwischen zwei Punkten auf der Körperoberfläche gegen die Zeit aufgezeichnet. Zunächst ist es wichtig zu verstehen, wie es, ausgehend von den einzelnen Aktionspotenzialen an den Millionen Muskelfaserzellen im Herzen, zu einer auf der Körperoberfläche messbaren Potenzialdifferenz kommt.
Entstehung des EKG Betrachtet man die Potenzialdifferenz an einer Muskelfaser im nicht erregten Zustand, so beträgt diese bei intrazellulärer Ableitung zwar – 85 mV (Membranpoten-
Gewebe (1, 5) lässt sich keine Potenzialdifferenz messen. Nur wenn der Muskel teilweise erregt (2) bzw. teilweise repolarisiert ist (4), entsteht ein Messsignal.
zial), bei einer extrazellulären Ableitung über zwei, der Faser außen aufgelegte Elektroden jedoch gleich Null (Abb. 7.31,1). Läuft nun an dieser Muskelfaser ein Aktionspotenzial ab, so entsteht eine Potenzialdifferenz zwischen bereits erregten und noch nicht erregten Faserabschnitten (Abb. 7.31, 2). Wenn die gesamte Faser depolarisiert ist, so lässt sich, wie an der ruhenden Faser, bei extrazellulärer Ableitung keine Potenzialdifferenz mehr nachweisen (Abb. 7.31, 3). Erst bei Repolarisation entsteht wieder eine Potenzialdifferenz, nun aber in umgekehrter Richtung (Abb. 7.31, 4). Die mit Hilfe der beschriebenen Elektrodenanordnung gemessenen Potenzialschwankungen stellen ein sog. biphasisches Aktionspotenzial dar. Die hier für die Einzelfaser angestellten Überlegungen gelten in gleicher Weise für Muskelfasern im Verbund, d. h. im Gewebe bzw. am gesamten Herzen. Die Potenzialdifferenzen an jeder Muskelfaser addieren sich hierbei zu einer Summenpotenzialdifferenz. Da ein Vektor ganz allgemein eine gerichtete Größe ist und hier die Richtung und Größe einer Potenzialdifferenz darstellt, kann man auch sagen, die Einzelvektoren addieren sich zu einem Summen- oder Integralvektor. Erregte Herzmuskelzellen verhalten sich also zu unerregten wie ein Dipol, wobei die jeweilige Richtung durch die Lage des Vektors, seine Größe hingegen durch die Länge des Vektors symbolisiert wird. Der Vektorpfeil zeigt definitionsgemäß von Minus nach Plus, d. h. von erregtem zu unerregtem Gewebe. Wie Abb. 7.32 zeigt, entsteht um einen elektrischen Dipol ein elektrisches Feld. Unter der Annahme eines homogenen Leiters greifen die Feldlinien in typischer Weise in den Raum aus (schwarze Linien in Abb. 7.32).
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7.10 Grundlagen der Elektrokardiographie mV mV Feldlinie
mV mV
2 mV
+
+2 mV
1,5 mV
mV mV
+1,5 mV Isopotenziallinie
0,5 mV
+0,5 mV 0 mV
Abb. 7.32 Ausbreitung eines elektrischen Feldes in einem homogenen Leiter. In einem elektrischen Feld stehen die Linien gleichen Potenzials (Isopotenziallinien, rote Linien) senkrecht auf den Feldlinien (schwarze Linien). Liegt die Ableitungsebene (wie im hier gewählten Beispiel) parallel zum elektrischen Vektor, so ergibt sich, in Abhängigkeit von der Entfernung, eine Potenzialdifferenz von 1,0 bzw. 4,0 mV. Wird senkrecht zum Vektor abgeleitet, so liegen die Ableitungsorte auf der Isopotenziallinie, d. h. die Potenzialdifferenz ist gleich Null. Das Beispiel zeigt, dass sowohl die Lage als auch die Entfernung der Ableitelektroden die Größe des Ausschlages im EKG bestimmen.
Senkrecht auf den Feldlinien stehen die Linien gleichen Potenzials, d. h. die Isopotenziallinien (rot in Abb. 7.32). Die Größe der im elektrischen Feld messbaren Potenzialdifferenzen ist von folgenden Faktoren abhängig: – Spannung des Dipols. Je größer die Anzahl der erregten Muskelfasern (bei gleicher Richtung), desto größer ist die Potenzialdifferenz und der im EKG gemessene Ausschlag. – Lage der Ableitelektroden in Bezug auf den Dipol. Befinden sich beide Ableitelektroden parallel zum Dipol (Abb. 7.32, obere Ableitungen), so ist die gemessene Potenzialdifferenz am größten. Sie geht gegen null, wenn die Lage der Ableitelektroden senkrecht zum Dipol angeordnet ist (Abb. 7.32, rechte Ableitung). – Entfernung der Ableitelektroden vom Dipol. Je weiter vom Dipol entfernt die Messung erfolgt, desto kleiner sind die Werte für die dort vorherrschenden Isopotenziallinien, und desto geringer ist die gemessene Potenzialdifferenz (Abb. 7.32, obere Ableitungen). Die Amplitude des Potenzials fällt hierbei mit dem Quadrat der Entfernung vom Dipol. Die im normalen EKG registrierten Potenzialschwankungen müssen daher elektrisch verstärkt werden; sie betragen (unverstärkt) bei den Extremitätenableitungen (s. u.) ca. 1 mV.
Die bisherige Betrachtung ging davon aus, dass der Leiter, in dem sich das elektrische Feld ausbreitet, homogen ist. Übertragen auf den Körper des Menschen, ist diese Annahme aber nur z.T. gerechtfertigt. Die in Abb. 7.33 auf den Thorax projizierten Isopotenziallinien während der Phase der Ventrikeldepolarisation zeigen ein nicht völlig symmetrisches Feld. Dies beruht auf der Tatsache, dass Herz, Lunge und Leber sowie Binde- und Fettgewebe das elektrische Feld in seiner Ausbreitung unterschiedlich beeinflussen. Außerdem kommt es auch dadurch zu einer Randverzerrung des elektrischen Feldes, dass die Isopotenziallinien dort, wo die Extremitäten ansetzen, von der Rumpfwand in Arme und Beine hineinlaufen. Insbesondere bei starkem subkutanem Fettgewebe breitet sich das elektrische Feld nur schlecht aus und hat zur Folge, dass die im EKG gemessenen Potenzialschwankungen nur klein sind. Ein sog. Niederspannungs-EKG ist auch typisch für Perikarderkrankungen; es findet sich insbesondere beim Perikarderguss, dem Kurzschlusswirkung zukommt. Die Höhe der Ausschläge bei sonst normal konfiguriertem EKG lässt aber keine Rückschlüsse auf etwaige Störungen der Erregungsbildung und -ausbreitung zu. Das EKG erlaubt natürlich auch keine direkte Beurteilung der Kontraktionskraft des Herzens. Wie die Ausschläge im EKG im Einzelnen zustande kommen, ist in Abb. 7.34 verdeutlicht. Wenn die Erregung, ausgehend vom Sinusknoten, auf das Vorhofmyokard übergreift, entsteht ein herzspitzenwärts gerichteter Integralvektor. Die Projektion dieses Vektors auf eine Ableitungsebene, die als Beispiel derjenigen zwischen rechtem Arm und linkem Fuß entsprechen soll (Ableitung II nach Einthoven, Abb. 7.37, S. 168), ergibt einen positiven
2,0 1,5 1,0 0,5 0
+2,0 +1,5 +1,0 +0,5 0
Abb. 7.33 Isopotenziallinien. Projektion der Isopotenziallinien auf den Thorax während der Phase der Ventrikelerregung (R-Zacke im EKG) (nach 29).
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7 Das Herz SA-Knoten
1 +
linker Vorhof
2
AV-Knoten
EKG
PQ-Strecke
rechter Arm
P-Welle < 0,1 s
+
linker Ventrikel
P
+ Aktivierung Vorhof
linker Fuß
P
+
Q
Aktivierung Septum
+
P
T-Welle
R
+
T
QS
P
R
+
Q
Aktivierung Ventrikelmyokard
+
Repolarisierung Ventrikelmyokard
4
+
PQ-Intervall < 0,2 s
3
5 ST-Strecke
166
QRS-Komplex < 0,1 s
P
QS
+
Aktivierung posterobasaler Ventrikel (links)
Abb. 7.34 Sequenz der Vorhof- und Ventrikelerregung und die Entsprechung im EKG. Die in den einzelnen Phasen auftretenden Integralvektoren sind auf Ableitung II nach
Ausschlag. Im EKG entspricht dem ein Ausschlag nach oben, die P-Welle. Die P-Welle ist folglich Ausdruck der Vorhoferregung. Wenn die Vorhöfe vollständig erregt sind, besteht kein Potenzial mehr, die P-Welle ist zu Ende, das EKG befindet sich auf der Nulllinie (Isopotenziallinie; PQ-Strecke). In der sich anschließenden Phase wird die Erregung vom AV-Knoten auf den Ventrikel übergeleitet. Der atrioventrikulären Überleitungszeit entspricht im EKG das PQ-Intervall und umfasst den Zeitraum vom Beginn der Vorhoferregung bis zum Beginn der Kammererregung. Erst wenn die Erregung das Ventrikelmyokard erreicht hat, entsteht wieder ein messbares Potenzial. Die Erregung des Ventrikels beginnt auf der linken Seite des Septums und breitet sich zunächst herzbasiswärts aus. Dem entspricht in der genannten Ableitung ein Ausschlag nach unten, der Q-Zacke. Wenn weite Teile der Herzbasis erregt sind, dreht sich die Ausbreitungsrichtung der Erregungsfront und verläuft nun in Richtung Herzspitze. Da hierbei große Muskelmassen beteiligt sind, die bereits erregt sind bzw. noch erregt werden müssen, entsteht eine große Potenzialdifferenz, die R-Zacke im EKG. Die letzten Abschnitte des Ventrikels, die erregt werden, sind posterobasale Teile des linken Ventrikels. Aufgrund der Lage des Integralvektors in dieser Phase der Erregungsausbreitung resultiert in Ableitung II ein Ausschlag nach unten, die S-Zacke. Am Ende der S-Zacke ist das Ventri-
Einthoven (rechter Arm – linker Fuß) projiziert. Die angegebenen Zeiten gelten für eine Herzfrequenz von 70/min.
kelmyokard vollständig erregt. Die Repolarisation des Ventrikels, deren Ausdruck die T-Welle darstellt, beginnt an der Herzspitze und schreitet herzbasiswärts fort. Dem entspricht der positive Ausschlag der T-Welle im EKG. Der Grund, warum die Erregungsrückbildung in umgekehrter Reihenfolge wie die Erregungsausbreitung erfolgt, ist darin zu suchen, dass die Geschwindigkeit der Repolarisation in verschiedenen Ventrikelregionen ungleich ist. Die Repolarisation der Vorhöfe fällt in die Phase der Ventrikeldepolarisation (QRS-Komplex) und ist normalerweise nicht sichtbar. Hinzu kommt, dass der Spannungswert der Vorhofrepolarisation nur sehr gering ist. In elektrischer Hinsicht müssen Vorhöfe und Ventrikel getrennt gesehen werden. Sie sind nämlich voneinander durch elektrisch kaum leitendes Bindegewebe auf der Ebene der Herzklappen (Ventilebene) isoliert, so dass kein messbares Potenzial entsteht, wenn z. B. die Ventrikel erregt und die Vorhöfe unerregt sind.
Vektorkardiographie Die in Abb. 7.34 in Einzelphasen zerlegte Erregungsausbreitung besteht in Wirklichkeit aus einer Vielzahl von Summationsvektoren, die zu jeder Zeit der Herzaktion ihre Größe und Richtung ändern. Die Verbindungslinie der jeweiligen Spitze des Vektors zu jeder Phase der
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7.10 Grundlagen der Elektrokardiographie
Ableitung I P
QRS 1 cm
rechter Arm
+
linker Arm
1 mV
Herzachse
R
2m
90°
Ableitung III
mV
Ableitung II
0°
V 2c m
1,0
0 ,9
180°
cm
T
+ + linkes Bein
Abb. 7.35 Vektordiagramm. Messanordnung zur Erfassung des Vektorkardiogramms mit Hilfe eines Kathodenstrahloszillographen. Die Lage des Vektors zum Zeitpunkt der R-Zacke im EKG ist eingezeichnet. (Der QRS-Vektor kann sich, individuell- und altersbedingt, u. U. auch gegen den Uhrzeigersinn bewegen.)
Abb. 7.36 EKG-Dreieck nach Einthoven. Die bipolaren Extremitätenableitungen I, II, III werden zur Bestimmung der elektrischen Herzachse herangezogen, indem die in jeder Ableitung gemessene Potenzialdifferenz zur Zeit der R-Zacke auf die entsprechende Seite des gleichseitigen Einthoven-Dreiecks aufgetragen werden (nach 22).
Herzerregung resultiert in einer dreidimensionalen Figur, der sog. Vektorschleife. Messtechnisch wird sie dadurch gewonnen, dass gegenüberliegende vertikal und horizontal angeordnete Paare von Ableitelektroden, die auf Höhe des Herzens angebracht sind, über einen Verstärker mit den entsprechenden Auslenkplatten eines Oszillographen verbunden werden (Abb. 7.35). Der Integralvektor projiziert sich hierbei auf die Ableitelektroden und bewirkt eine Auslenkung des Kathodenstrahls. Die Größe der Auslenkung hängt von der Größe und der Richtung des Integralvektors zu jedem Zeitpunkt ab. Die Vorhoferregung (P-Welle) manifestiert sich in der Vektorkardiographie als Vorhofschleife. Entsprechend ist die Ventrikeldepolarisation durch eine Ventrikelschleife charakterisiert. Die Repolarisationsschleife entspricht der T-Welle. Der Vorteil der Vektorkardiographie besteht darin, dass sie ein getreues Abbild der Erregungsausbreitung und -rückbildung zu jeder Phase der Herzaktion liefert. Auf der anderen Seite ist dieses Verfahren technisch aufwändig und erlaubt nicht ohne weiteres die Analyse der zeitlichen Abfolge mehrerer Herzaktionen, was insbesondere bei Rhythmusstörungen von praktischer Bedeutung ist.
seitigen Dreiecks, des Einthoven-Dreiecks, darzustellen (Abb. 7.37). Die beiden Arme und das linke Bein wirken in dieser Darstellung wie verlängerte Elektroden. Ableitung I betrifft die Verbindung zwischen rechtem und linkem Arm. Ableitung II bezieht sich auf die Verbindung zwischen rechtem Arm und linkem Fuß, Ableitung III auf die Verbindung zwischen linkem Arm und linkem Fuß. Bei den Standardableitungen nach Einthoven (I, II, III) handelt es sich also um bipolare Extremitätenableitungen. In den drei verschiedenen Ableitungen ändert sich nicht die zeitliche Abfolge der Potenzialschwankungen, wohl aber deren Amplitude und unter Umständen die Ausschlagrichtung. Aus den Extremitätenableitungen lassen sich Rückschlüsse auf die Herzlage ziehen. Während der Erregungsausbreitung in die Herzspitze zur Zeit der R-Zacke stimmt nämlich die elektrische Herzachse (R-Vektor) mit der Lage des Herzens im Thorax (anatomische Herzachse) normalerweise weitgehend überein. Daher kann man aus der Kenntnis der elektrischen Herzachse Schlüsse auf die anatomische Herzachse ziehen. Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass bei einer Hypertrophie des linken Ventrikels (z. B. beim Bluthochdruck) aufgrund der Zunahme der zu erregenden linksventrikulären Muskelmassen die Lage des R-Vektors entscheidend beeinflusst wird, ohne dass sich die Lage des Herzens im Thorax nennenswert ändert. Gleiche Überlegungen gelten auch für eine Hypertrophie des rechten Ventrikels, die z. B. durch eine Lumeneinengung (Stenose) der Pulmonalklappe oder durch einen zu hohen Druck im Lungenkreislauf ausgelöst werden kann. Als zusätzlicher Punkt muss be-
Bipolare Standardableitung Einthoven hat 1906 in Leiden das erste menschliche EKG abgeleitet. Auf ihn bezieht sich die heute noch geübte Konvention, die Ableitorte am rechten und linken Arm sowie am linken Fuß vereinfacht als Ecken eines gleich-
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167
168
7 Das Herz nach Einthoven rechter Arm
Brustwandableitung nach Wilson
linker Arm
+
+
linker Fuß
I
+
II
+
III
nach Goldberger
V1 V6
+
+
V1 aVR
aVL
V3
+
aVF
V2 V4 V 5 V6
Abb. 7.37 EKG: Extremitäten- und Brustwandableitungen. Messpunkte und Verschaltungen bei den EKG-Ableitun-
rücksichtigt werden, dass die R-Zacke definitionsgemäß der erste positive Ausschlag im EKG ist, so dass die RZacken in den verschiedenen Ableitungen nicht notwendigerweise synchron zueinander verlaufen. Die elektrische Herzachse wird mit Hilfe des Einthoven-Dreiecks bestimmt. Hierbei wird – wie Abb. 7.27 zeigt – vereinfachend so vorgegangen, dass man die Höhe der R-Zacken von mindestens zwei Ableitungen ausmisst und die ermittelte Lage auf die entsprechende Seite des Einthoven-Dreiecks aufträgt. Durch Fällung des Lots von den Anfangs- und Endpunkten der aufgetragenen Strecken entstehen Schnittpunkte innerhalb des Dreiecks, deren Verbindung die Richtung des resultierenden Vektors anzeigt (Abb. 7.36). Der Winkel α, den die elektrische Herzachse mit der Horizontalen einnimmt, bildet die Grundlage für die Einteilung der verschiedenen Lagetypen des Herzens. Beim Indifferenztyp beträgt der Winkel + 308 bis + 608. Beim Linkstyp (+ 308 bis – 308) ist die R-Zacke in Ableitung I am größten, während beim Rechtstyp (+ 908 bis + 1208) die Ableitung III die größten Werte aufweist. Beim Steiltyp (+ 608 bis + 908) sind die R-Zacken in Ableitung II und III etwa gleich groß (Gradeinteilung s. Abb. 7.38 B). Allgemein gilt: Ausschlag in Ableitung II = Ausschlag in Ableitung I + Ausschlag in Ableitung III (Vorzeichen beachten: Ausschlag nach oben +, nach unten –). Daraus folgt, dass für die Konstruktion der elektrischen Herzachse aus dem EKG mittels des Einthoven-Dreiecks zwei Ableitungen genügen. Der Lagetyp des Herzens ist atmungsabhängig. Bei starker Inspiration kommt es aufgrund eines Tiefertretens des Zwerchfells zu einer Versteilerung der Herzachse. Dieser Übergang (z. B. vom Indifferenz- zum Steiltyp)
gen nach Einthoven und Goldberger sowie bei der Brustwandableitung nach Wilson (nach 26).
lässt sich im EKG gut nachweisen. Außerdem kommt es atmungsabhängig zu einer deutlichen Veränderung des Herzrhythmus (s. u.).
Unipolare EKG-Ableitungen Die oben besprochenen bipolaren Standardableitungen messen die Potenzialdifferenzen zwischen zwei Punkten der Körperoberfläche und erfassen nur die frontale Projektionsebene der Vektorschleife. Schaltet man alle drei Extremitäten über hochohmige Widerstände zusammen, so entsteht eine indifferente Elektrode, gegen die verschiedene Orte der Körperoberfläche abgeleitet werden können. Diese Art der Ableitung nennt man unipolar oder V-Ableitung. Werden Ableitelektroden präkordial an genau definierten Stellen des Thorax angebracht (Abb. 7.37, rechts), so entstehen die sog. Brustwandableitungen nach Wilson V1 – V6. Diese Ableitungen geben Auskunft über die horizontale Vektorprojektion. Ein positiver Ausschlag im EKG wird dabei immer dann gemessen, wenn die Spitze des Vektors auf die Ableitelektrode hinzeigt, ein negativer Ausschlag, wenn die Vektorspitze von der Ableitelektrode wegzeigt. Mit der differenten V-Elektrode können auch die Potenziale gemessen werden, die an der Spitze des Einthoven-Dreiecks, d. h. am rechten Arm (VR), am linken Arm (VL) und am linken Fuß (VF), herrschen. Die resultierenden Amplituden von VR, VL und VF sind jedoch nur klein. Einem Vorschlag von Goldberger entsprechend, können die Amplituden jedoch um ca. 50 % vergrößert werden, wenn z. B. bei Ableitung VR der rechte Arm (differente Elektrode) gegen den Zusammenschluss der
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7.11 Aussagemöglichkeiten des EKG
90º 120º rechter Arm
+
I
+
+
aVR
linker Arm
60º
aVR
aVL 30º
+
+
aVL
QRS-Schleife
II
+
III
T-Schleife
aVF
+30º +120º
+
I
+ A
0º
+ III
Fuß
+
+ +90º
+
+60º
II
aVF
B
Abb. 7.38 EKG: Richtung und Polarität der Extremitätenableitungen (nach 16). In A sind die unipolaren Ableitungen nach Goldberger (Abb. 7.37) in das Einthoven-Dreieck (Abb. 7.36) eingezeichnet. Durch Parallelverschiebung können nun die Ableitungslinien der bipolaren Ableitungen (Dreieckseiten) und der unipolaren Ableitungen (Winkelhalbierende) so gelegt werden, dass sie in einem Kreis (Cabrera) liegen (B), dessen Mittelpunkt dem Ursprung der Vektorschleifen (Abb. 7.35) entspricht. (Die P-Schleife ist hier weg-
beiden anderen Elektroden (indifferente Elektrode) abgeleitet wird (Abb. 7.37). Es entsteht ein verstärktes (augmented) Messsignal: aVR. Bei dieser Ableitungsart entspricht die Ableitungsrichtung der Winkelhalbierenden zwischen Ableitung I und II im Einthoven-Dreieck. In analoger Weise werden bei der heute gebräuchlichen unipolaren Ableitung nach Goldberger neben aVR die Ableitungen aVL und aVF gemessen. Messtechnisch erlauben moderne EKG-Geräte die gleichzeitige Registrierung der Standardableitungen, der Ableitungen nach Goldberger und der Brustwandableitungen nach Wilson. Auf den insgesamt 12 Kanälen kann ein Geübter einen umfassenden Überblick über die Erregungsausbreitung am Herzen und seine Störungen gewinnen.
7.11
gelassen.) Mit diesen sechs Ableitungen in der Frontalebene können die Vektorschleifen aus sechs um jeweils 308 versetzten „Blick“-Winkeln registriert werden. So wird z. B. ersichtlich, dass der Maximalvektor der T-Schleife (roter Pfeil, zeigt nach ca. + 358) als hohe T-Welle in aVR, I und II erscheint. In Ableitung III hingegen ist die T-Welle sehr flach, weil sie zu diesem Vektor fast senkrecht steht. (Die T-Welle in aVR zeigt nach unten, da aVR in Richtung + 308 negativ ist.)
fluss nehmen, können ebenfalls im EKG nachgewiesen werden, wie z. B. Elektrolytveränderungen, Arzneimittel (Digitalis) und Störungen der Myokarddurchblutung. Beim Myokardinfarkt gibt das EKG Anhaltspunkte über Lokalisation, Ausdehnung und Verlauf. Aus der Natur der EKG-Entstehung ergibt sich, dass mit Hilfe des EKG nur Störungen der Erregungsbildung und der Erregungsausbreitung diagnostiziert werden können. Das EKG ist also primär Ausdruck der Herzerregung, nicht aber der Herzkontraktion. Im Zusammenhang mit dem klinischen Bild erlauben aber EKG-Veränderungen auch Hinweise auf hämodynamische Veränderungen. Im Folgenden soll kurz auf einige klinisch relevante Veränderungen des EKG eingegangen werden.
Aussagemöglichkeiten des EKG
Das auf der Körperoberfläche ableitbare EKG erlaubt Aussagen über die Herzfrequenz (Tachykardie > 80/min, Bradykardie < 60/min) sowie über Veränderungen der Erregungsbildung und -ausbreitung. Bei Rhythmusstörungen kann zwischen ventrikulären und supraventrikulären Extrasystolen, Vorhof- und Kammerflimmern bzw. -flattern unterschieden werden. Nach Grad und Lokalisation differenziert man Störungen der Erregungsleitung in einen AV-Block 1., 2. und 3. Grades. Faktoren, die auf Erregungsbildung und -leitung Ein-
Der normale Sinus-Rhythmus Aus dem in Abb. 7.39 oben wiedergegebenen normalen EKG ist zu ersehen, dass jede Vorhoferregung (P-Welle) von einer Kammererregung (QRS-Komplex) gefolgt ist. Bei der gegebenen Registriergeschwindigkeit lässt sich die Herzfrequenz einfach aus dem Abstand der R-Zacken (R-R) bestimmen: f (min–1) = Registriergeschwindigkeit (cm/min)/R-R-Abstand (cm). Bei Frequenzen über 80/min spricht man von Sinustachykardie. Eine Sinustachykardie tritt z. B. bei sportlicher Belastung auf und ist Folge
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7 Das Herz RR-Intervall 2
3
3,5
50
registrierte Zeit: 3 s
normales EKG (Herzfrequenzberechnung)
1,1 60 0,9
1
1
Herzfrequenz (min )
0
Alter: 22 Jahre 1,3
RR-Intervall (s)
170
70
x
x
P
Alter: 79 Jahre
< 2x
P
P
P
P
P
Ableitung II
supraventrikuläre Extrasystole
P
x P
15
30
Zeit (s)
45
60
Abb. 7.40 Respiratorische Arrhythmie bei einem jungen und einem älteren gesunden Mann. Die Atmungsfrequenz betrug 5/min. Bei jeder Inspiration nimmt das R-R-Intervall ab, d. h. die Herzfrequenz nimmt zu (aus 25).
Extrasystole
x
0
2x P
P
P
Ableitung I Extrasystole
ventrikuläre Extrasystole
Abb. 7.39 EKG: Herzfrequenzbestimmung, supraventrikuläre und ventrikuläre Extrasystole. Aus dem Abstand der R-Zacken (R-R) und der Registriergeschwindigkeit (cm/ min) lässt sich die Herzfrequenz f (min–1) errechnen. Im vorliegenden Fall beträgt sie 70 min–1. Bei den supraventrikulären Extrasystolen liegt der Reizbildungsort im Vorhof. Dabei ist der Abstand vom letzten normalen P zum P der Extrasystole kleiner als das normale P-P-Intervall (= x), und das nachfolgende P-P-Intervall ist vergrößert (postextrasystolische Pause). Insgesamt aber ist der Abstand zwischen dem P vor und dem nach der Extrasystole kleiner als normal, d. h. < 2 ×. Bei den ventrikulären Extrasystolen entsteht die Extrasystole in der Kammer (im Beispiel in der rechten Kammer) und ist von einer kompensatorischen Pause gefolgt, d. h. der Abstand zwischen dem R vor und dem nach der Extrasystole ist gleich 2 × (nach 23).
der positiv chronotropen Wirkung des Sympathikus am Sinusknoten. Auch bei Fieber beobachtet man eine Steigerung der Herzfrequenz um ca. 8 – 12 Schläge/min pro Grad Temperaturerhöhung. Von einer Bradykardie spricht man bei Frequenzen unter 60/min. Häufig findet man bei Sportlerherzen Frequenzen zwischen 40 und 50 Schlägen/min in Ruhe. Dies ist Folge der bei Sportlern erhöhten Aktivität des Parasympathikus (Vagotonus). Auch bei der respiratorischen Arrhythmie handelt es sich um ein physiologisches Phänomen. Während einer Inspiration steigt die Herzfrequenz an, bei Exspiration fällt sie ab (Abb. 7.40). Dies beruht auf atmungsabhängigen Veränderungen des Parasympathikus-Einflusses auf das Herz. Bei Inspiration kommt es nämlich über eine Dehnung der Lungen zu einer Hemmung des Vagotonus auf das Herz, was die Herzfrequenz ansteigen lässt.
Extrasystolen Bei Extrasystolen treten Herzschläge außerhalb des regulären Grundrhythmus auf, die ihren Ursprung nicht im Sinusknoten haben (ektopischer Herd). Nach dem Entstehungsort unterscheidet man supraventrikuläre und ventrikuläre Extrasystolen. Fällt bei sehr langsamem Grundrhythmus die Extrasystole zwischen zwei normale Sinusaktivierungen, so kommt es zu keiner Störung der Grundfrequenz. Es liegt eine sog. interponierte Extrasystole vor. Bei höherer Grundfrequenz folgt auf eine ventrikuläre Extrasystole eine kompensatorische Pause (Abb. 7.39, unten). Die nachfolgende reguläre Kammererregung fällt nämlich aus, da die vom Sinusknoten ausgehende Erregung in die absolute Refraktärzeit der Extrasystole fällt. Erst bei der nächsten regulären Sinusaktion ist die P-Welle von einem normalen QRS-Komplex gefolgt. Bei einer ventrikulären Extrasystole – z. B. im AV-Knoten oder im Kammermyokard – erfolgt die Erregungsausbreitung retrograd, d. h. vom Ventrikel über den AV-Knoten auf den Vorhof, so dass im EKG ein deformierter Kammerkomplex mit negativer P-Welle resultiert (Abb. 7.39, unten).
Atrioventrikuläre Leitungsstörungen Normalerweise stellt der AV-Knoten das Nadelöhr dar, in dem die Überleitung der Erregung vom Vorhof auf den Ventrikel stark verzögert wird. Von einem AVBlock 1. Grades spricht man, wenn im EKG das PQIntervall 200 ms überschreitet (Abb. 7.41). Klinisch macht dieser Block keine Symptome. Man findet ihn z. B. bei Sportlern, wo er Ausdruck der negativ dromotropen Wirkung der erhöhten Aktivität des Vagus ist. Ein AV-Block 1. Grades kann aber auch als Folge einer Infektion, bei degenerativen Veränderungen und bei Digitalisintoxikation auftreten.
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7.11 Aussagemöglichkeiten des EKG
Vorhofflimmern, Vorhofflattern verlängerte PQ-Dauer
> 0,2 s
Dem Vorhofflattern und -flimmern liegt eine unkoordinierte Erregungsausbreitung zugrunde. Der normale Ablauf der Erregung ist derart gestört, dass benachbarte Faserbezirke nicht mehr synchron, sondern unabhängig voneinander erregt werden. Von Flattern spricht man bei Frequenzen zwischen 220 – 350/min, von Flimmern, wenn die Frequenz zwischen 350 – 600/min liegt. Da der AV-Knoten, wie oben ausgeführt, als Frequenzsieb wirkt, werden bei Vorhofflattern und -flimmern die Vorhofaktionen nur in unregelmäßigen Abständen übergeleitet (Abb. 7.42). Es resultiert das Bild einer absoluten Arrhythmie. Diese ist durch einen irregulären Pulsrhythmus charakterisiert. Zusätzlich ist auch die Pulsamplitude irregulär, da es als Folge der Frequenzschwankungen zu einer wechselnden diastolischen Ventrikelfüllung kommt.
Erregungsbildung normal
Ableitung I
AV-Block 1.Grades
intermittierend fehlendes QRS
partieller AV-Block
P
P
P
P
P
P
Ableitung I
AV-Block 2.Grades
totaler AV-Block
Vorhöfe und Kammern schlagen getrennt R
R P
P T
Ableitung I
eigener Kammerrhythmus
R
P
P
P
P
T
AV-Block 3.Grades
Abb. 7.41 Atrioventrikulärer Block. Bei normaler Reizbildung im Sinusknoten ist die PQ-Dauer entweder verlängert (AV-Block 1. Grades), es fehlt intermittierend ein Kammerschlag (AV-Block 2. Grades) oder Vorhöfe und Kammern schlagen getrennt voneinander (AV-Block 3. Grades). Wird nur jede zweite oder dritte Vorhoferregung übergeleitet, spricht man von einem 2 : 1- bzw. 3 : 1-Block.
Bei einem AV-Block 2. Grades liegt ein partieller Leitungsblock vor (Abb. 7.41). Wenn die Blockade jede zweite oder dritte Vorhoferregung betrifft, spricht man von einem 2 : 1- bzw. 3 : 1-Block. Bei einem AV-Block 3. Grades liegt eine vollständige Blockierung der atrioventrikulären Überleitung vor. Vorhof und Kammer schlagen unabhängig voneinander mit der für sie jeweils typischen Eigenfrequenz (Abb. 7.41). Der Eintritt eines AV-Blocks 3. Grades ist klinisch ein sehr dramatisches Ereignis. Nach akuter Blockierung der Überleitung kommt es vorübergehend zum Herzstillstand mit Kreislaufkollaps, bis ein tertiäres Zentrum z. B. im Ventrikel mit einer Frequenz von 25 – 40/min erneut Schrittmacherfunktion übernimmt (Adams-Stokes-Anfall). Ein AV-Block 3. Grades ist Indikation für das Legen eines künstlichen Herzschrittmachers.
Kammerflimmern Im EKG manifestiert sich Kammerflimmern als irreguläre Ausschläge ohne erkennbare EKG-typische Form (Abb. 7.42). Hämodynamisch entspricht Kammerflimmern einem Herzstillstand. Da keine wirksame Füllung und Entleerung des Ventrikels mehr zustande kommt, resultiert daraus ein sofortiger Kreislaufstillstand. Kammerflimmern kann als Komplikation bei einem Herzinfarkt (s. u.) auftreten. Eine sehr häufige Ursache ist auch der Elektrounfall, z. B. durch Kontakt mit dem Haushaltsstromnetz (50 Hz, 220 V). Fällt der Stromstoß in die aufsteigende Flanke der T-Welle, so trifft er das Herz in der sog. vulnerablen Phase, und Kammerflimmern ist die Folge. Von selbst wandelt sich Kammerflimmern nicht in einen normalen Herzrhythmus zurück. Eine Normalisierung des Rhythmus ist nur durch elektrische Defibrillierung möglich. Hierbei wird über zwei großflächige Elektroden, die über dem Herzen auf den Thorax aufgelegt werden, ein kurzer Stromstoß (einige tausend Volt für einige wenige Millisekunden) durch Kondensatorentladung appliziert. Dadurch kommt es zu einer momentanen Depolarisierung des gesamten Herzens, und normalerweise übernimmt dann der Sinusknoten als primärer Schrittmacher wieder die Erregung. Defibrillatoren befinden sich innerhalb des Krankenhauses auf jedem „Notfallwagen“ und nahezu jeder Station. Ferner werden diese heute auch zunehmend in Flughäfen und öffentlichen Gebäuden aufgestellt, damit Laien im Notfall Patienten mit Kammerflimmern defibrillieren und reanimieren können. Patienten mit rezidivierenden ventrikulären Tachykardien und Kammerflimmern können diese Systeme heute auch in miniaturisierter Form implantiert werden, so dass der interne automatische Defibrillator (ICD) den Patient nach spezifischer Detektion der Rhythmusstörungen therapieren kann. Als Ursache für die Entstehung von Kammerflimmern werden zwei Hypothesen diskutiert: – Es liegt eine Störung der automatischen Erregungsbildung dadurch vor, dass mehrere ektopische Automatiezentren aktiv sind.
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171
172
7 Das Herz kreisende Erregung
bei rascher Kammerreaktion
bei langsamer Kammerreaktion
Vorhofflimmern Frequenzsieb
hämodynamische Folge ist, dass das Herzzeitvolumen absinkt und das Bild des kardiogenen Schocks resultiert (S. 209). Eine weitere Gefahr bei einem Herzinfarkt ist die Entstehung von Arrhythmien. Im Ischämiegebiet kommt es zur Akkumulation von extrazellulärem K+ und dadurch zur Depolarisation. In diesem Gebiet können insbesondere unter dem Einfluss von Adrenalin und Noradrenalin (Stress) Aktionspotenziale ausgelöst werden, die von Ca2+-Ionen getragen werden. Es entsteht eine Arrhythmie, durch die die Pumpleistung des Infarktherzens weiter eingeschränkt wird.
7.12
Kammerflimmern multifokale Reizbildung
Abb. 7.42 EKG bei Vorhof- und Kammerflimmern. Bei Vorhofflimmern durch regellose kreisende Erregung in den Vorhöfen wirkt der AV-Knoten als Frequenzsieb und lässt nur in unregelmäßigen Abständen eine Erregung zu den Ventrikeln durch. Wegen der hohen Vorhoffrequenz verschmelzen im EKG die P-Wellen zu einem breiten Band. Bei Kammerflimmern durch multifokale Erregungsbildung in heterotopen ventrikulären Zentren kommt es zu unregelmäßigen Ausschlägen im EKG.
– Die Störung betrifft die Erregungsausbreitung. Durch Verkürzung der Refraktärzeit des Aktionspotenzials und Verlangsamung der Leitungsgeschwindigkeit kommt es zu einem Wiedereintritt (Reentry) der Erregung. Die Erregung im Ventrikel kommt von selbst nicht zum Stillstand, es resultiert ein Kreisen der Erregung.
Herzinfarkt Bei einem Herzinfarkt kommt es durch Verschluss eines Astes einer Koronararterie zu einem Durchblutungsstopp im Versorgungsgebiet des betreffenden Koronargefäßes. Da im ischämischen Myokardgewebe die Energie zur Aufrechterhaltung der transmembranalen Ionengradienten fehlt, vermindert sich das Membranruhepotenzial. Infolgedessen fließt ein Verletzungsstrom von den umliegenden, normal durchbluteten Myokardgeweben in das ischämisch geschädigte Myokard. Im EKG manifestiert sich eine derartige Störung in einer Veränderung des QRS-Komplexes, wobei insbesondere ein hoher ST-Abgang für einen frischen Infarkt typisch ist (Abb. 7.43). Für eine genaue Lokalisation des Herzinfarkts sind insbesondere die Brustwandableitungen des EKG hilfreich. Fällt bei einem größeren Infarkt ein wesentlicher Teil des Myokards für die Kontraktion aus, so kann das verbleibende Restmyokard diesen Ausfall nicht kompensieren, und die Pumpleistung des Gesamtherzens fällt ab. Die
Molekulare Ursachen von Herz-Kreislauferkrankungen
Lediglich 30 000 Gene sind für die Kodierung der Proteine verantwortlich, welche letztlich die Funktionstüchtigkeit eines so komplexen Organismus wie dem Menschen garantieren. Die hohe biologische Komplexität von Organ- und Körperfunktionen bei vergleichbar geringer Zahl von Genen lässt sich wahrscheinlich auf drei grundsätzliche Mechanismen zurückführen. 1. Durch differenzielles Spleißen können aus einem Gen mehrere Proteine gebildet werden. 2. Proteine können vielfältig posttranslational modifiziert werden (z. B. durch Phosphorylierung, Nitrosylierung) wodurch eine neue Funktionalität entsteht. 3. Proteine treten untereinander in vielfältige Wechselwirkungen (Protein-Protein-Interaktion) wodurch ebenfalls neue funktionelle Eigenschaften auftreten. Allerdings sind die zugrunde liegenden molekularen Regelkreise und ihre Verknüpfung mit der jeweiligen Organfunktion noch weitgehend unverstanden. Ihre Aufklärung ist ein wichtiges Ziel in allen Biowissenschaften nachdem das humane Genom im Jahre 2001 vollständig sequenziert wurde. Darüber hinaus haben genetische Studien an Tieren den überraschenden Befund erbracht, dass der Verlust eines Gens (Knockout-Mutante) häufig nicht zu funktionellen Veränderungen führt, weil kompensatorische Mechanismen den Genverlust ausgleichen können. Dies hat zu dem Konzept geführt, dass wichtige Organfunktionen häufig durch eine große Zahl von Genen getragen und abgesichert sind. Verlust eines Gens z. B. durch Mutation führt also nicht notwendigerweise zu einer funktionellen Einschränkung. Erst wenn mehrere Gene mutiert sind, d. h. wenn mehrere Regelkreise ausfallen, tritt mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Funktionsdefizit auf, das wir Krankheit nennen. Darüber hinaus können Umweltfaktoren wie z. B. Ernährung und Sport eine Genfunktion beeinflussen ebenso wie andere, vom Genort entfernte genomische Abschnitte (genetic modifiers). Typisch für Herz-Kreislauferkrankungen ist es, dass sie meist eine polygenetische Ursache haben. Durch moderne Genotypisierungstechniken (genomweite Suche nach Einzelnukleotid-Polymorphismen, Expressionsanalyse von Genen) konnten in jüngster Zeit GenPolymorphismen aufgedeckt werden, die eine Zuord-
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7.12 Molekulare Ursachen von Herz-Kreislauferkrankungen
anterobasaler Infarkt
4
12 24 Stunden nach Infarkt
48
Abb. 7.43 EKG bei akutem Myokardinfarkt. Bei einem akuten Myokardinfarkt, z. B. durch Verschluss eines Seitenastes der linken Koronararterie (anterobasaler Infarkt), kommt es in der ersten Stunde zu einer Hebung der STStrecke. In den folgenden 24 Stunden entwickelt sich eine tiefe Q-Zacke, die meist dauerhaft bestehen bleibt. Wenige Tage nach dem Infarkt kehrt die ST-Strecke zur Nulllinie zurück, und es kann eine T-Negativierung auftreten.
nung von sog. Kandidatengenen zu einem Herzinfarkt, der koronaren Herzkrankheit (KHK) und der Herzinsuffizienz erlauben. Allerdings müssen diese sog. Assoziationsstudien vorsichtig interpretiert werden, da sie keine unmittelbaren mechanistischen Einsichten in das Krankheitsgeschehen vermitteln. Eine detaillierte krankheitsbezogene Genotypisierung ist jedoch eine wichtige Grundlage für zukünftige molekulare Diagnosen und neue Behandlungsstrategien. In den letzten Jahren wurden eine Reihe monogenetischer Krankheiten des Herzens identifiziert, die in der Regel selten sind, aber dennoch erste wichtige Einsichten in verschiedene Herzkrankheiten gestatten. Bei dem Krankheitsbild der hypertrophen Kardiomyopathie (HCM), die durch ventrikuläre Hypertrophie, Septumsverdickung und Vorhofvergrößerung charakterisiert ist, wurden bisher mehr als 130 Mutationen in 9 Genen, die für unterschiedliche kontraktile Proteine kodieren, beschrieben. Sie betreffen u. a. das Troponin T und I, Aktin, α-Tropomyosin, Titin und den Kopf des β-Myosins. Je nach Lokalisation der Mutation sind der Beginn der Symptome und die Schwere des Krankheitsverlaufes unterschiedlich. Die hypertrophe Kardiomyopathie, die autosomal dominant vererbt wird, ist die häufigste monogenetische Erkrankung des Herzens und für den plötzlichen Herztod, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, verantwortlich. Auch bei Genen, die für Ionenkanäle kodieren und für das Aktionspotenzial am Herzen verantwortlich sind, wurden Mutationen identifiziert, die für einige seltene Rhythmusstörungen verantwortlich sind. Für die Repolarisation des Aktionspotenzials nach der Plateauphase ist bekanntlich der K+-Auswärtsstrom (IK) verantwortlich, wobei die entsprechenden Ionenkanäle durch drei Gene kodiert werden (HERG, minK, KVLQT1α). Mutationen dieser Gene führen zu einer verlangsamten Repolarisation und zu schnellen Kam-
mertachykardien (sog. Langes QT-Syndrom). In ähnlicher Weise wurden Mutationen in dem für die αUntereinheit des schnellen Natriumkanals kodierenden Gens (SCN5A) beschrieben. Da dieses Genprodukt für das Auslösen des Aktionspotenzials verantwortlich ist, erklärt seine Mutation verschiedene Formen von familiär auftretenden Überleitungsstörungen. Schließlich kommt es durch Mutationen des Gens für den Ryanodin-Rezeptors (RyR2) zu Störungen der elektromechanischen Kopplung, was klinisch einige seltene Formen der ventrikulären Tachykardie erklärt. Es ist davon auszugehen, dass in Zukunft weitere Gendefekte von Herz-Kreislauferkrankungen aufgedeckt werden, die die Diagnose verbessern und bessere prognostische Aussagen erlauben sowie langfristig auch neue Therapieoptionen, z. B. durch Gentransfer, eröffnen.
Zum Weiterlesen … 1 Berne RM, Levy MN. Cardiovascular Physiology. 8th ed. St. Louis: Mosby; 2001 2 Page E, Fozzard HA, Solaro RJ. The Cardiovascular System. Oxford: Oxford University Press; 2002 3 Hille B. Ionic Channels of Excitable Membranes. 3nd ed. Sunderland: Sinauer; 2001 4 Levick, JR. An Introduction to Cardiovascular Physiology. 4rd ed. London: Butterworths; 2004. In deutscher Übersetzung: Seller H. Physiologie des Herz-Kreislauf-Systems. Heidelberg: Hüthig/Barth; 1998 5 Marcus ML. The Coronary Circulation in Health and Disease. New York: McGraw-Hill; 1983 6 Opie LH. The Heart Physiology: From Cell to Circulation. Philadelphia: Lippincott-Raven; 2003 7 Nabel EG. Genomic Medicine: Cardiovascular disease. N Engl J Med. 2003; 349: 60 – 72
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Danksagung Den Herren Professoren Isenberg, Halle, Busse, Frankfurt, Priv.-Doz. Decking, Düsseldorf, möchte ich für die konstruktive Kritik bei der Revision dieses Kapitels danken.
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Das Kreislaufsystem P. Gaehtgens, H. Ehmke
8.1
Funktion des Kreislaufsystems. Eine Übersicht ··· 176
8.5
Was passiert, wenn der Kreislauf versagt? ··· 176 Zwei Transportmechanismen arbeiten Hand in Hand: Konvektion und Diffusion ··· 176 Was leistet der Kreislauf: Eine quantitative Betrachtung · · · 176 Funktionsprinzip des Kreislaufsystems · ·· 177
8.2
8.3
Die Regulation des arteriellen Blutdrucks bedient sich nicht nur der Stellglieder des Kreislaufsystems selbst · ·· 198 Regulation der Durchblutung: Ergebnis zahlreicher konkurrierender Einflüsse auf die Widerstandsgefäße · ·· 202 Regulation und Verteilung des Blutvolumens · · · 207
Das geschlossene Gefäßsystem und seine Funktionselemente · · · 178 Zelluläre und nichtzelluläre Bestandteile der Gefäßwand · · · 179 Die Innervation der Gefäße: Übermittler zentraler Steuerkommandos ··· 181 Die Verzweigung des Gefäßbaums · ·· 182 Gefäßwandmechanik: passives und aktives Dehnungsverhalten von Blutgefäßen ··· 182
8.6
Ohm, Poiseuille, Newton: drei wichtige Gesetze für die Blutströmung · ·· 184
8.7
Der Lungenkreislauf ··· 215 Gefäßarchitektur und Hämodynamik der Lunge unterscheiden sich stark vom Körperkreislauf · · · 215 Regulation der pulmonalen Strombahn: überwiegend druckpassiv ··· 217 Austauschfläche und Flüssigkeitsbalance: wichtige Voraussetzungen für den Gasaustausch ··· 218
8.8
Kreislauffunktion und Lebensalter ··· 218 Eine ganz andere Blaupause: der fetale Kreislauf · ·· 219 Kreislaufumstellung während der Geburt ··· 219 Vom Neugeborenen zum Erwachsenen: postnatale Anpassung der Kreislauftätigkeit ··· 220 Der schleichende Strukturumbau bestimmt den Kreislauf im höheren Lebensalter · · · 221
Der arterielle Blutdruck: Antrieb für die Blutströmung · ·· 184 Blutdruckmessung: eine der wichtigsten Methoden der Kreislaufuntersuchung · ·· 185 Der zentralvenöse Druck ist eine wichtige Größe zur Beurteilung von Blutvolumen und Herzleistung ··· 186 Der totale periphere Widerstand ist der Gesamtwiderstand aller Gefäßgebiete im Körperkreislauf ··· 187 Pulsation von Druck und Strömung im Gefäßsystem · ·· 192
8.4
Kreislaufregulation: zentrale Steuerung, Verbraucherkontrolle und langfristige Adaptation ··· 198
Stofftransport in Austauschgefäßen · · · 193 Wichtigste Barriere für den Stoffaustausch zwischen intra- und extravasalem Raum ist das Gefäßendothel ··· 195 Wasser und wasserlösliche Stoffe werden durch sog. Porensysteme der Endothelbarriere ausgetauscht · · · 196 Filtration von Flüssigkeit: hydrodynamische Strömung durch die poröse Kapillarwand · · · 196 Stofftransport im Interstitium · ·· 197 Drainage des Interstitiums: Bildung und Transport der Lymphe · · · 198
Kreislauffunktion unter Belastung: der Härtetest · ·· 208 Der Preis für den aufrechten Gang: Kreislaufbelastung bei Lagewechsel ··· 210 Kreislauffunktion bei körperlicher Arbeit ··· 212 Hitze und Kälte: Kreislauffunktion bei thermischer Belastung ··· 214
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8 Das Kreislaufsystem
8.1
Funktion des Kreislaufsystems. Eine Übersicht Was passiert, wenn der Kreislauf versagt?
Ein funktionierendes Kreislaufsystem ist für das Überleben unabdingbar. Mit seiner Hilfe werden Sauerstoff (O2) und Nährsubstrate zu den Körperzellen angeliefert und die Abfallprodukte des Zellstoffwechsels sowie Kohlendioxid (CO2) wieder abtransportiert. Wie lebensnotwendig diese Versorgungs- und Entsorgungsleistung ist, wird deutlich, wenn der Kreislauf einmal versagt: Nach nur wenigen Sekunden einer unzureichenden Blutversorgung des Gehirns verlieren wir das Bewusstsein. Dies kann zum Beispiel nach einem plötzlichem Aufstehen aus dem Liegen passieren. Langes, bewegungsloses Stehen kann ebenfalls einen solchen orthostatischen Kollaps hervorrufen. Weitaus gefährlicher ist es, wenn die Minderversorgung des Gehirns länger bestehen bleibt. Ursache hierfür ist meist ein akuter Verschluss einer Hirnarterie, in deren Versorgungsgebiet es dann zu einem ischämischen Insult (Schlaganfall) kommt, oder ein plötzlicher Herzstillstand mit einer globalen Minderversorgung des Gehirns. In beiden Fällen können sich bereits nach 3 – 4 min irreversible Hirnschäden einstellen. Häufig ist das Herz auch selbst von einer Minderversorgung mit Blut über die Koronararterien betroffen. Es kommt dann zu den typischen Zeichen einer Angina pectoris oder sogar zum Herzinfarkt. Im Prinzip ist aber jedes Organ in seiner Funktion bedroht, wenn auf Dauer keine ausreichende Durchblutung gewährleistet ist. Tatsächlich führen Herz-Kreislauf-Erkrankungen weltweit die Todesursachenstatistik an. Hieran sind nicht zuletzt die Zivilisationskrankheiten hoher Blutdruck (Hypertonie) und Arteriosklerose beteiligt. Neben der Versorgungs- und Entsorgungsfunktion dient das Kreislaufsystem auch der interzellulären Kommunikation. So werden mit dem zirkulierenden Blut Hormone vom Ort ihrer Bildung zum Ort ihrer Wirkung transportiert und vermitteln auf diese Weise die chemische Kommunikation zwischen den spezialisierten Organen. Schließlich ist das Kreislaufsystem insbesondere über die Regulation der Hautdurchblutung ganz entscheidend an der Temperaturregulation beteiligt. Versagt diese, kann es zu lebensbedrohlichen Hyper- oder Hypothermien kommen. Um seine physiologischen Funktionen zu erfüllen, ist das Kreislaufsystem seinerseits von der normalen Funktion einer Vielzahl von Organen abhängig. Unmittelbar einleuchtend ist hierbei der Beitrag einer intakten Pumpfunktion des Herzens. Kommt es zum Herzstillstand, bleibt auch der Kreislauf stehen. Eine schleichende Abnahme der Pumpfunktion des Herzens, z. B. bei Vorliegen einer chronischen Herzinsuffizienz, lässt den Kreislauf ebenfalls nicht unbeeinflusst, woran auch das Nervensystem mit seinen Kreislaufreflexen beteiligt ist. Durch die Kombination von abnehmender Pumpfunktion, erhöh-
ter Aktivität des autonomen Nervensystems und des Renin-Angiotensin-Systems sowie einer renalen Retention von Kochsalz und Wasser kann es zu einer erheblichen Zunahme des Plasmavolumens und damit des venösen Druckes kommen. Der dadurch erschwerte Rückstrom von Lymphflüssigkeit und der erhöhte Filtrationsdruck in den Gewebskapillaren kann zu extravasalen Flüssigkeitsansammlungen in verschiedenen Geweben führen (sog. Ödeme, z. B. „geschwollene Beine“, „Wasser in der Lunge“). Schließlich existiert ein enges Wechselspiel zwischen der Niere und der Kreislauffunktion. Dies betrifft nicht nur die Regulation des Salz- und Volumenhaushalts, sondern auch des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems und des arteriellen Blutdrucks.
Zwei Transportmechanismen arbeiten Hand in Hand: Konvektion und Diffusion Um besser zu verstehen, wie das Kreislaufsystem seine Hauptaufgabe, den schnellen Substanztransport über lange Wege, erfüllt, müssen wir zunächst die physikalischen Prinzipien betrachten, auf denen dieser Transport beruht. Über kurze Distanzen (µm-Bereich) ist die Diffusion der Haupttransportmechanismus. Sie ist unabhängig von der Zufuhr von Stoffwechselenergie, wobei der Transport immer vom Ort der höheren zum Ort der niedrigeren Konzentration eines Stoffes erfolgt. Diffusionsprozesse sind zum Beispiel entscheidend für den Austausch von O2 und CO2 zwischen dem Alveolarraum und den Lungenkapillaren sowie für den Stoffaustausch zwischen Zellen und Kapillaren. Die pro Zeiteinheit transportierte Stoffmenge nimmt jedoch mit der Strecke, über die der Transport erfolgt, stark ab. Dies hat zur Folge, dass für Entfernungen von mehr als 0,1 mm ein anderes physikalisches Prinzip benötigt wird, die Konvektion. Beim konvektiven Transport werden die Teilchen in einem Trägermedium durch externe Energiezufuhr bewegt. Im menschlichen Körper finden wir Konvektion zum Beispiel beim Zu- und Abstrom der Atemluft während der Ventilation des Alveolarraums und beim Gas- und Stofftransport mit dem Blutstrom. Wie wichtig der konvektive Transport für das Überleben ist, wird bei seinem Versagen deutlich: sowohl ein Ausfall der Ventilation (z. B. Atemstillstand oder vollständige Verlegung der Atemwege durch einen Fremdkörper) als auch ein Versagen des Kreislaufsystems (z. B. durch Herzstillstand) sind akut lebensbedrohlich, weil die O2-Versorgung sowie die Zu- und Abfuhr von Substraten und Produkten des Stoffwechsels durch Diffusion über die große Distanz zwischen Außenwelt und dem Intrazellularraum allein nicht ausreicht.
Was leistet der Kreislauf: Eine quantitative Betrachtung Das Herz eines gesunden Menschen befördert in körperlicher Ruhe 3,4 (2,8 – 4,2) Liter Blut pro min und m2 Körperoberfläche (Herzzeitvolumen) durch die Gefäße des „großen Kreislaufs“ (zwischen linkem Ventrikel und rechtem Vorhof). Das gleiche Herzzeitvolumen durchströmt auch den „kleinen Kreislauf“ (zwischen rechtem Ventrikel und linkem Vorhof), wobei die in den Körper-
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8.1 Funktion des Kreislaufsystems. Eine Übersicht
Windkessel Aorta und große Arterien
Hochdrucksystem
Niederdrucksystem
variable Pumpleistung Herzkammern
variabler Widerstand
variable Kapazität
kleine Arterien und Arteriolen
Venen und Lungengefäße
Austauscher Kapillaren und Venolen
Abb. 8.1 Allgemeiner Funktionsplan des Blutkreislaufs (ohne Unterscheidung von „großem“ bzw. „kleinem“ Kreislauf). Die Gliederung orientiert sich an der Höhe des intra-
organen dem Blut entnommene (extrahierte) O2-Menge aus der eingeatmeten Luft wieder zugeführt wird. Bei einer O2-Konzentration im arteriellen Blut von etwa 0,2 l O2/l Blut ergibt sich eine O2-Transportleistung von etwa 1 l O2/min. Da ein erwachsener Mensch in körperlicher Ruhe etwa 0,25 l O2 pro Minute verbraucht, bedeutet dies, dass etwa drei Viertel des aufgenommenen O2 „ungenutzt“ zur rechten Herzkammer zurückkehren. Die sog. O2-Extraktion beträgt daher unter Ruhebedingungen nur etwa 25 %. Bei körperlicher Arbeit wird die O2-Extraktion dagegen deutlich größer und kann Werte von 75 % erreichen, was wesentlich zur Deckung des erhöhten O2-Bedarfs beiträgt, der auf das 10 – 20fache des Ruhewertes ansteigen kann. Gleichzeitig steigt das Herzzeitvolumen beim Gesunden um das 3 – 4fache des Ruhewertes an. Die Bedarfssteigerung erfolgt allerdings nicht in allen Organen und Geweben, sondern vor allem in der Skelettmuskulatur. Diese Überlegung macht deutlich, dass neben einer raschen Steigerung der globalen Transportleistung und einer erhöhten O2-Extraktion als dritter Faktor eine gezielte Verteilung der Blutströmung wichtig ist für die Kreislaufanpassung bei körperlicher Belastung. Hierfür stehen dem Körper mehrere Mechanismen zur Verfügung, die gemeinsam eine äußerst flexible Kreislaufregulation ermöglichen.
Funktionsprinzip des Kreislaufsystems Das Blutgefäßsystem umschließt ein Blutvolumen von etwa 5 l unter einem Innendruck, der bei stillstehendem Herzen in allen Gefäßen etwa 6 – 8 mm Hg (ca. 1 kPa) betragen würde (sog. statischer Blutdruck). Das Herz
vasalen Drucks und den wesentlichen Funktionen der verschiedenen Abschnitte des Gefäßsystems.
entnimmt unter Ruhebedingungen mit jeder Diastole etwa 80 ml Blut, das Schlagvolumen, aus den herznahen Venen und drückt es mit jeder Systole in die Arterien. In den Arterien des großen Kreislaufs steigt dadurch der Druck auf über 100 mm Hg (ca. 13 kPa) an. Dies ist Folge der relativ geringen Dehnbarkeit der Arterien und des hohen Strömungswiderstandes in den peripheren Abschnitten des Arteriensystems. Nach Passage dieser Widerstandsgefäße kehrt das vom Herzen geförderte Volumen über die kleinsten Gefäße des Austauschsystems (Kapillaren) wieder in das venöse System zurück, in dem der Druck durch die Entnahme des Schlagvolumens nur wenig (auf etwa 5 mm Hg = ca. 0,7 kPa) abgesunken ist. Dieser Vorgang, durch den die für den „Kreislauf“ des Blutes notwendige Druckdifferenz zwischen Arterien und Venen erzeugt wird, wiederholt sich bei körperlicher Ruhe etwa 70-mal in der Minute (Herzfrequenz). Der in Abb. 8.1 schematisch dargestellte, vereinfachte Funktionsplan enthält somit ein sog. Hochdrucksystem, das aus dem Windkessel1 zur Dämpfung der rhythmischen Druck- und Stromschwankungen sowie einem variablen Widerstand besteht. Daran schließt sich das System der Austauschgefäße an, in dem der für die Verund Entsorgung der Organzellen wesentliche Stoffaustausch stattfindet. Darauf folgt das sog. Niederdrucksystem mit seiner großen Kapazität. 1
Ein Windkessel war ein luftgefüllter Aufsatz auf dem Wassertank früherer Feuerwehrwagen. Die Luft darin wurde bei jedem Pumpstoß komprimiert, um sich zwischen zwei Pumpstößen wieder auszudehnen, so dass trotz der nur stoßweisen Druckerhöhung ein kontinuierlicher Strahl des Löschwassers erreicht wurde.
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8 Das Kreislaufsystem Der relativ hohe arterielle Blutdruck ermöglicht eine schnelle, bedarfsorientierte und damit ökonomische Umverteilung des Herzzeitvolumens zugunsten einzelner Organe durch gezielte Änderungen der lokalen Widerstände. Dennoch ließe sich das gleiche Herzzeitvolumen im Prinzip auch mit einem viel niedrigeren Druck und damit geringeren energetischen Anforderungen an das Herz fördern, wenn der periphere Widerstand insgesamt deutlich niedriger wäre. Tatsächlich ist der arterielle Blutdruck nicht bei jedem Menschen gleich hoch, sondern zeigt selbst innerhalb der Normgrenzen eine beachtliche Variabilität. Dabei können aber nicht beliebig niedrige Blutdruckwerte ohne Funktionseinbußen toleriert werden. Zum einen erfordert der aufrechte Gang, dass das Herz einen ausreichend hohen arteriellen Druck erzeugt, um das Blut gegen die Schwerkraft zum Gehirn zu pumpen. Zum anderen wird für die Aufrechterhaltung einer normalen Filtrationsleistung der Niere (glomeruläre Filtrationsrate, S. 336 f) ebenfalls mindestens ein mittlerer arterieller Druck von 50 – 60 mm Hg benötigt. Interessanterweise befinden sich, wie wir noch später sehen werden, genau an diesen kritischen Stellen des Kreislaufs (Karotissinus, afferente Arteriole) Blutdrucksensoren, die einer zu starken Drucksenkung sehr effektiv entgegenwirken können (S. 198 f. und S. 369 f.). Der hohe Blutdruck im Arteriensystem bringt allerdings auch eine erhebliche Belastung des Wandmaterials der Arterien mit sich. Das damit verbundene Risiko zeigt sich daran, dass die Todesursachenstatistik an erster Stelle kardiovaskuläre Störungen (z. B. Herzinfarkt, Schlaganfall) nennt, die als Folge von Wandveränderungen auftreten und mit der Höhe des arteriellen Drucks zunehmen. Daher treten sie besonders häufig bei Men-
Wandstärke (w)
schen mit dauerhafter Blutdruckerhöhung (arterielle Hypertonie) auf.
8.2
Das geschlossene Gefäßsystem und seine Funktionselemente
Die Gliederung des Kreislaufs in ein Hochdrucksystem, ein Niederdrucksystem und die Mikrozirkulation folgt aus den Funktionen dieser Teilsysteme als Druck- bzw. Volumenreservoir und als Austauschersystem. Diesen Funktionen sowie der Höhe des Innendrucks entspricht auch der Wandaufbau der Gefäße. Die zellulären Bauelemente der Gefäßwände, vor allem Endothel und glatte Gefäßmuskulatur, regulieren Weite und Durchlässigkeit der Gefäße. Das geschieht durch die vegetative Innervation sowie durch Freisetzung chemischer Wirkstoffe. Das Hochdrucksystem umfasst den linken Ventrikel (in Systole), die großen Arterien, die als Windkessel und als Zuleitungen für die Organe und Gewebe dienen (sog. Leitarterien), und die kleinen Arterien und Arteriolen, die den größten Teil des Strömungswiderstandes bedingen (Widerstandsgefäße). Im gesamten arteriellen System herrscht ein hoher Innendruck („Druckreservoir“); dementsprechend sind die arteriellen Gefäße relativ dickwandig (Abb. 8.2). Wegen des relativ niedrigen Innendrucks werden die Venen, die gesamte Lungenstrombahn, beide Herzvorhöfe, der rechte Ventrikel und der linke Ventrikel (in Diastole) als Niederdrucksystem zusammengefasst. Dieses System repräsentiert ein „Volumenreservoir“, dessen
Aorta
Arterie
Arteriole
Venole
1 mm
20 µm
10 µm
Vene 0,5 mm
V. cava
2,5 mm
1,5 mm
w ri
Innenradius (ri ) relative Wanddicke (w/ri )
12,5 mm
2 mm
20 µm
30 µm
2,5 mm
15 mm
0,2
0,5
1,0
0,3
0,2
0,1
Kollagen
relative Wandzusammensetzung
glatte Muskulatur
Elastin
Abb. 8.2 Schematische Darstellung der relativen Wanddicke und der relativen Wandzusammensetzung verschiedener Blutgefäße (w/ri, Verhältnis zwischen Gefäß-
wanddicke und Innenradius). Arterien sind relativ dickwandig (besonders die kleinen) und muskelstärker als Venen (nach 2).
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8.2 Das geschlossene Gefäßsystem und seine Funktionselemente relativ dünnwandige Gefäße (Abb. 8.2) den größten Teil (etwa 85 %) des Blutvolumens enthalten. Unter dem Begriff der Mikrozirkulation fasst man Arteriolen, Kapillaren, kleine Venolen und Venen sowie die im Gewebe liegenden Lymphgefäße zusammen. Hier findet der weitaus überwiegende Teil des Stoffaustauschs zwischen Blut und Interstitium statt (Austauschgefäße).
Zelluläre und nichtzelluläre Bestandteile der Gefäßwand Aufbau und Zusammensetzung der Gefäßwand variieren in den verschiedenen Abschnitten des Gefäßsystems. Während das Endothel eine überall einschichtige „Zelltapete“ darstellt, sind die Dicke der Muskelschicht und der Gehalt der Gefäßwand an Faserstrukturen sehr unterschiedlich (Abb. 8.2). Zwischen dem Endothel und der glatten Gefäßmuskulatur besteht eine enge funktionelle Beziehung. Der Tonus der glatten Gefäßmuskulatur wird durch Signalübermittlung an myoendothelialen Kontaktstellen (Gap Junctions) und durch eine Vielzahl von Substanzen beeinflusst, die von Endothelzellen gebildet werden (Abb. 3.3, S. 60).
Das Endothel: eine aktive Barriere In allen Blutgefäßen hat das Endothel die Funktion einer regulierbaren Barriere zwischen Intravasalraum und Gefäßwand bzw. interstitiellem Raum. Die Barrierenfunktion beruht auf seiner selektiven Permeabilität, die die Passage insbesondere von großmolekularen oder von wasserlöslichen Substanzen nur begrenzt zulässt. Die Ursache hierfür liegt in dem strukturellen Aufbau von Endothelzellen und ihrer Verknüpfung zu einem einschichtigen Verband (strukturelle Barriere), aber auch in der hohen Stoffwechselaktivität von Endothelzellen, die permeationsfähige Substanzen um- und abbauen können (metabolische Barriere). Das normale Endothel bildet Substanzen, die die Adhäsion und Aggregation von Thrombozyten sowie die Blutgerinnung hemmen, z. B. PGI2, NO, Heparin, tPA (S. 245 ff.). Dadurch wird normalerweise eine spontane Thrombusbildung verhindert (Antithrombogenität). Lokale Schädigung, erst recht aber Verlust der „Endotheltapete“, kann daher zu lokalen Hämostasevorgängen (Thrombose) führen. Endothelschäden begünstigen auch die Entwicklung einer Arteriosklerose. Das Endothel ist durch einen regulierbaren Oberflächenbesatz von Rezeptoren und Adhäsionsmolekülen auch an vielen physiologischen und pathophysiologischen Reaktionen aktiv beteiligt. Dass das Endothel an der Regulation des Gefäßtonus teilnimmt und dabei z. B. auch auf die mechanische Stimulation durch den Blutstrom aktiv antwortet, wird weiter unten (S. 206) besprochen. Endotheliale Adhäsionsmoleküle vermitteln z. B. im Rahmen von Entzündungsvorgängen (S. 252 f.) die Adhäsion der weißen Blutzellen vor allem in postkapillären Venolen, von wo diese Zellen schließlich in das umgebende Gewebe emigrieren. Die daran beteiligten Adhäsionsmoleküle werden bei Bedarf in den Endothelzellen neu gebil-
det oder aus intrazellulären „Vorräten“ entnommen und an die luminale Oberfläche transportiert und/oder auf ihrer Oberfläche aktiviert; dies geschieht unter dem Einfluss lokal – aus dem Endothel selbst (autokrin) oder aus Zellen des umgebenden Gewebes (parakrin) – freigesetzter Zytokine und Entzündungsmediatoren. Man kennt mehrere Klassen von adhäsionsvermittelnden Molekülen, unter denen die vaskulären (endothelialen) Selektine (Pund E-Selektin) für die frühe, reversible Anheftung von Leukozyten („Leukozytenrollen“), die leukozytären Integrine (vor allem β2-Integrine) für ihre anschließende feste Adhäsion verantwortlich sind. Von einigen dieser Moleküle weiß man bereits, dass ihre Bindung an entsprechende Liganden nicht nur die mechanische Adhäsion vermittelt, sondern auch eine Signaltransduktionskaskade auslöst, die zu biologischen Antworten der beteiligten Zellen führt, z. B. der Freisetzung von Inhaltsstoffen intrazellulärer Granula, der Bildung reaktiver Sauerstoffspezies, oder gesteigerter Phagozytoseaktivität. Bestimmte Klassen von endothelialen Integrinen (vor allem β1- und β3-Integrine) sind aber auch an der Haftung der Endothelzellen an der Basalmembran beteiligt und spielen eine Rolle bei der Angiogenese und Wundheilung. Die Kenntnis dieser komplizierten molekularen Mechanismen ist von großer klinischer Bedeutung. Zum Beispiel geht eine fehlende Expression von β2-Integrinen mit einer stark reduzierten Adhäsion und Chemotaxis von Neutrophilen und Monozyten einher. Entsprechend kommt es bei Patienten mit Mutationen im Bereich des CD-18-Gens, welches für β2-Integrine kodiert, zum Auftreten sehr schwerer bakterieller und Pilzinfektionen im Bereich der Haut und der Schleimhäute, die nur langsam abheilen. Ein Fehlen von Selektin-Liganden (CD 15) führt neben Immundefekten zusätzlich zu neurologischen Symptomen mit psychomotorischen Störungen und einer Wachstumsverlangsamung. Umgekehrt begünstigt eine übermäßige Expression von Adhäsionsmolekülen die Einwanderung von Entzündungszellen in die Gefäßwand. So ist beim Menschen wahrscheinlich eine gesteigerte endotheliale Expression von P-Selektin maßgeblich an der Pathogenese der Atherosklerose beteiligt.
Motor der Gefäßwand: die glatte Gefäßmuskulatur Die glatte Muskulatur der Gefäße reguliert durch aktive Spannungsentwicklung (Tonus) die Gefäßweite. Der Ruhetonus der Gefäßmuskulatur wird durch den konkurrierenden Einfluss von zahlreichen Wirkstoffen bestimmt, die mit dem Blut zirkulieren oder aus den vegetativen Gefäßnerven und den Endothelzellen freigesetzt werden. Der Ruhetonus der Widerstandsgefäße bestimmt die Größe der sog. Durchblutungsreserve (S. 202). Selbst in Abwesenheit aller äußeren Einflüsse ist die Gefäßmuskulatur jedoch nicht völlig erschlafft, sondern besitzt einen sog. myogenen Basistonus. Auf zellulärer Ebene wird der Tonus des glatten Gefäßmuskels durch den Phosphorylierungsgrad der leichten Kette des Myosins (MLC) bestimmt (Abb. 8.3). Je höher der Anteil an phosphoryliertem MLC ist, um so
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8 Das Kreislaufsystem Noradrenalin (a1-Rez.) Dehnung (Depolarisation)
EDHF NO
Endothelin (ETA-Rez.)
Venolen
ATP
Innenradius (%)
glatte Gefäßmuskelzelle
Adenosin Angiotensin II
2+
[Ca ]i glattes ER (Ca2+-Speicher)
Histamin (H2-Rez.) VIP
100
(Hyperpolarisation)
maximal dilatiert
50
Arteriolen
2+
Ca -CalmodulinKomplex
Adrenalin (b2-Rez.)
mäßig kontrahiert
NO
PGF2
Proteinkinase A
0
Kontraktion
Proteinkinase G 3000
MLC-Kinase
MLC-P
MLC P
Kraft
Kraft
P
NO
Rho/Rho-Kinase MLC-Phosphatase
Abb. 8.3 Zelluläre Mechanismen der Regulation des glatten Gefäßmuskeltonus. Der Tonus der glatten Gefäßmuskulatur ist umso größer, je höher der Phosphorylierungsgrad der leichten Kette des Myosins (MLC) ist. Dieser wird durch die Myosin-Leichte-Ketten-Kinase (MLC-Kinase) erhöht und die Myosin-Leichte-Ketten-Phosphatase (MLCPhosphatase) vermindert. Sämtliche physiologischen Regulationsprozesse, die den glatten Gefäßmuskeltonus betreffen, entfalten ihre Wirkung letztlich über eine Veränderung der Aktivität dieser beiden Enzyme.
größer ist die von der glatten Gefäßmuskelzelle entwickelte Kraft. Das Verhältnis von phosphorylierter und dephosphorylierter MLC wird durch die Aktivität zweier Enzyme geregelt, der Myosin-Leichte-Ketten-Kinase (MLC-Kinase) und der Myosin-Leichte-Ketten-Phosphatase (MLC-Phosphatase). Sämtliche physiologischen Regulationsprozesse, die den glatten Gefäßmuskeltonus betreffen, entfalten ihre Wirkung letztlich über eine Veränderung der Aktivität dieser beiden Enzyme. Die MLCKinase wird durch Ca2+-Calmodulin aktiviert und ist damit abhängig von der zytosolischen Ca2+-Konzentration. Ein physiologisch sehr wichtiger Modulator der zytosolischen Ca2+-Konzentration im glatten Gefäßmuskel ist das Membranpotenzial: Je stärker die Membran depolarisiert ist, desto mehr Ca2+ strömt in die Zelle. Darüber hinaus kann Ca2+ aus intrazellulären Speichern freigesetzt werden. Schließlich ist auch die Aktivität von Ca2+-Pumpen an der Regulation der zytosolischen Ca2+-Konzentration beteiligt. Zahlreiche Modulatoren des Gefäßmuskeltonus (z. B. Noradrenalin, Angiotensin II, Stickoxid, EDHF, Prostacyclin, Endothelin; S. 204) entfalten ihre Wirkung über die Beeinflussung der zytosolischen Ca2+-Konzentration.
Strömungswiderstand (%)
180
Arteriolen
maximal kontrahiert
2000
1000
Venolen 0
25
50
75
100
Länge der Muskelzellen (%)
Abb. 8.4 Eine Verkürzung der Muskelzellen in der Gefäßwand hat wegen der unterschiedlichen Wandstärken einen größeren Einfluss auf Innenradius (oben) und Strömungswiderstand (unten) von Arteriolen als von Venolen. Aus diesem Grund ist der „Motor der Gefäßwand“ in arteriellen Gefäßen wirkungsvoller als in venösen (nach 3).
Erst seit kurzem ist deutlich geworden (34), dass auch die Aktivität der MLC-Phosphatase einer physiologischen Regulation unterliegt. So wird sie über den Rho/Rho-KinaseSignalweg gehemmt (Tonuszunahme) und durch Stickoxid stimuliert (Relaxation). Das Lumen einer relativ wandstarken Arteriole verengt sich bei Kontraktion der Gefäßmuskulatur deutlich stärker als das einer dünnwandigen Venole (Abb. 8.4). Daher steigt der Strömungswiderstand von Arteriolen selbst bei gleicher Verkürzung der glatten Muskelzellen viel stärker an als der von Venolen. Kleine Arteriolen können sogar bis zu völligem Verschluss konstringieren, weil sich dabei die im Übrigen sehr dünne Endothelschicht erheblich verdickt und schließlich das verbleibende Lumen völlig ausfüllt (Abb. 8.5). Ein kompletter Verschluss ist sonst nur bei den sehr dickwandigen arteriovenösen Anastomosen der Haut möglich. Die Gefäßmuskulatur vor allem der kleineren Arterien und Arteriolen zeigt eine spontane Kontraktionsrhythmik (Vasomotion), die auf der Tätigkeit lokaler Schrittmacherzellen beruht und durch das Entladungsmuster der vegetativen Gefäßnerven moduliert werden kann.
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8.2 Das geschlossene Gefäßsystem und seine Funktionselemente Endothel
Erythrozyten
Lumen
Endothel
Restlumen
4 mm
zunehmende Konstriktion
Abb. 8.5 Arteriolen des Skelettmuskels in von links nach rechts zunehmendem Kontraktionszustand der glatten Muskulatur. Die Lumeneinengung kommt in diesen kleinen
Die Gefäßwand besteht nicht nur aus Zellen Die nichtzellulären Bestandteile der Gefäßwand, also Basalmembran, elastische und kollagene Fasern, Grundsubstanz, sind für das mechanische Verhalten der Gefäßwand und für die Versorgungsbedingungen der eingebetteten Gefäßwandzellen wesentlich. Während zumindest für die äußeren Wandschichten der großen Arterien ein eigenes Versorgungssystem (Vasa vasorum) besteht, werden die kleineren Gefäße wie auch die Innenschichten der größeren nur durch Diffusion vom Lumen her versorgt. Die Diffusionsbedingungen innerhalb der Gefäßwand hängen von der Durchlässigkeit von Endothel und Basalmembran sowie von den physikochemischen Eigenschaften der interzellulären Grundsubstanz ab. Funktionsstörungen der Gefäßwandzellen können daher als Folge ungünstiger Versorgungsbedingungen auftreten, wenn Zusammensetzung und Eigenschaften der nichtzellulären Wandbestandteile altersbedingt oder durch krankhafte Prozesse verändert sind.
Die Innervation der Gefäße: Übermittler zentraler Steuerkommandos Alle Anteile des Gefäßsystems sind von Fasern des vegetativen Nervensystems innerviert, die zum Teil an den Gefäßwänden entlangziehen und an zahlreichen Kontaktstellen dort gespeicherte Transmitter freisetzen können. In der terminalen Strombahn nimmt der Einfluss vasomotorischer Fasern auf den Gefäßtonus von proximal nach distal ab, so dass die neurogene Beeinflussbarkeit der präkapillären Gefäße hier geringer wird (S. 202 f.). Eine besonders hohe Innervationsdichte findet sich an den arteriovenösen Anastomosen der Haut, die bei der Thermoregulation eine große Rolle spielen. Über die efferente Gefäßinnervation wird der Tonus der glatten Muskulatur gesteuert; daher bezeichnet man die entsprechenden Nervenfasern auch als Vasomotoren. Sie gehören überwiegend dem sympathischen Nervensystem an und bewirken eine Vasokonstriktion. Daneben gibt es in einigen Gefäßprovinzen eine sympathische
Gefäßen vor allem durch die sich nach innen vorwölbenden Endothelzellen zustande (nach 28).
Innervation mit dilatierender Wirkung. In einigen Organen (äußeres Genitale, Pia mater, Drüsen des Verdauungstrakts) wirken auch cholinerge Fasern des Parasympathikus gefäßerweiternd. Einige vasomotorische Nerven schließlich sind weder dem adrenergen (sympathischen) noch dem cholinergen (parasympathischen) System zuzuordnen. Diese als NANC (non-adrenergic, non-cholinergic) Nerven bezeichneten Fasern wirken ebenfalls vasodilatatorisch und verwenden unter anderem Stickstoffmonoxid oder ATP als Neurotransmitter. Bei akuter Unterbrechung der sympathischen Innervation (z. B. durch chirurgische oder pharmakologische Denervierung) nimmt die Ruhedurchblutung der meisten Organe zu (deutlich in der Haut, weniger im Skelettmuskel, praktisch nicht im Myokard). Dies weist auf den anhaltenden, konstriktorischen Einfluss der sympathischen Gefäßnerven auf den Ruhetonus der Gefäße hin. Dem entspricht eine tonische Aktivität in Form von Aktionspotenzialen niedriger Frequenz (1 – 3/s), die bei sympathischer Aktivierung bis auf etwa 20/s zunehmen oder bei Deaktivierung völlig verschwinden kann. Die Gefäßnerven beeinflussen den Gefäßtonus durch Freisetzung verschiedener Transmitter. Aus Varikositäten und Endigungen der postganglionären sympathischen Axone wird Noradrenalin freigesetzt. Seine kontraktionsauslösende Wirkung wird durch die Bindung an 1-Adrenozeptoren in der Membran der Gefäßmuskelzellen eingeleitet. Der Rezeptorbindung folgt eine Aktivierung mehrerer paralleler Signaltransduktionswege – Stimulation von Phospholipase C mit vermehrter Bildung der Second Messenger Inositoltrisphosphat (IP3) und Diacylglycerat (DAG; S. 38), Öffnung von Rezeptor-gesteuerten Kationenkanälen in der Zellmembran sowie Aktivierung des Rho/ Rho-Kinase-Signalwegs –, die zusammen schließlich eine Kontraktion infolge eines Anstiegs der intrazellulären Ca2+-Konzentration und einer Hemmung der Myosinleichtketten-Phosphatase auslösen. Bei starker Aktivierung bindet Noradrenalin außerdem an 2-Adrenozeptoren der präsynaptischen Membran (cAMP sinkt) und hemmt dadurch seine eigene Freisetzung. Das aus dem Nebennierenmark stammende Adrenalin hingegen för-
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181
Gesamtoberfläche (%)
40
Gesamtvolumen (%)
20
Oberfläche
30 20 10 0
Volumen
10
0
30
Querschnitt
20 10 0
kle i un ne d Art Ar er te ie rio n le n K ap po illa st ka re p n un illä r d e kle Ve in no e le Ve n ne gr n un oße d V Vv en . c en av ae
d
gr
oß
e Ao Ar r te ta rie n
Gesamtquerschnitt (%)
relativer Anteil an
8 Das Kreislaufsystem
un
182
Abb. 8.6 Verteilung von Gesamtoberfläche, -volumen und -querschnitt in den verschiedenen Abschnitten des Gefäßsystems. Die Oberflächenzunahme findet sich vor allem in den Gefäßen des Austauschsystems, das Kapillaren und Venolen umfasst.
dert durch Bindung an präsynaptische 2-Adrenozeptoren die Freisetzung von Noradrenalin und kann in niedrigen Konzentrationen durch Bindung an postsynaptische 2-Adrenozeptoren zu einer Abnahme des Gefäßtonus führen, wobei beide Effekte durch einen Anstieg der intrazellulären cAMP-Konzentration vermittelt werden. An den Gefäßnerven werden neben Noradrenalin auch andere Transmitter sowie Kotransmitter gefunden, deren Freisetzung zu spezifischen lokalen Wirkungen führen kann; hierzu zählen neben ATP auch Neuropeptid Y, Substanz P, Kinine und Serotonin. In fast allen Anteilen des Gefäßsystems findet sich auch eine afferente Innervation, deren physiologische Funktion allerdings weitgehend unbekannt ist.
in den Kapillaren und postkapillären Venolen ein Maximum von etwa 1000 m2. Diese für den Stoffaustausch zwischen Blut und Gewebe wichtige Fläche ist damit etwa 8-mal größer als die des Epithels im Magen-DarmTrakt, etwa 12-mal größer als die aller Alveolen und etwa 500-mal größer als die äußere Körperoberfläche. Die Verzweigung des arteriellen Gefäßbaums führt in verschiedenen Organen zu unterschiedlicher Gefäßdichte. Diese ist ein indirektes Maß für die maximal mögliche Durchblutung und die maximal mögliche Größe des Sauerstoffaustauschs: Gewebe mit hohem Stoffwechsel zeigen meist eine größere Kapillardichte als solche mit geringerer Stoffwechselaktivität. Wird ein Organ oder Gewebe über längere Zeit funktionell stark beansprucht, so findet eine Wachstumsveränderung des Gefäßsystems statt. So beobachtet man eine vermehrte Kapillarsprossung in Herz- und Skelettmuskel bei gesteigerter Aktivität, aber auch bei relativem O2-Mangel, z. B. während eines längeren Aufenthalts in großen Höhen. Neben der Wirkung lokal freigesetzter Wirkstoffe, so genannter Angiogenesefaktoren wie VEGF und Angiopoietin-1, ist auch die längerfristig gesteigerte Durchblutung selbst ein Reiz für das Gefäßwachstum. Diese Wachstumsantwort ist beispielsweise für die Wirkung körperlichen Trainings, aber auch für die Entwicklung von Kollateralgefäßen nach einem lokalen Gefäßverschluss von großer Bedeutung. Die Beeinflussung des Gefäßwachstums ist aus therapeutischer Sicht, z. B. bei der Behandlung von Durchblutungsstörungen, Tumoren oder chronischen degenerativen Erkrankungen, von großem Interesse (14).
Gefäßwandmechanik: passives und aktives Dehnungsverhalten von Blutgefäßen Entsprechend ihrem unterschiedlichen Wandaufbau verhalten sich arterielle und venöse Gefäße bei passiver Dehnung verschieden. Die Volumenänderungen der dünnwandigeren Venen bei Änderungen des transmuralen Drucks sind größer als die von Arterien; dies spielt für die Blutvolumenverteilung im Niederdrucksystem eine große Rolle. Arteriolen reagieren auf passive Dehnung mit einer myogenen Kontraktion; dies ist die Grundlage der Autoregulation der Durchblutung, die besonders in Niere, Gehirn und Darm ausgeprägt ist. Der passive Dehnungszustand eines Gefäßes wird von der Differenz zwischen intra- und extravasalem Druck (Pi bzw. Pe) bestimmt, die als transmuraler Druck Ptm bezeichnet wird: Ptm = Pi
Die Verzweigung des Gefäßbaums Das dichotome Verzweigungsmuster des arteriellen Gefäßbaums führt zu einer Zunahme des Gesamtquerschnitts (Abb. 8.6). Besonders groß ist der Gesamtquerschnitt in den postkapillären Venolen und kleinen Venen, in denen sich auch der größte Anteil des Blutvolumens befindet. Die gewaltige Zunahme der Oberfläche, die durch die Gefäßverzweigung zustande kommt, erreicht
Pe
(8.1)
Änderungen des transmuralen Drucks beruhen meist auf Änderungen des Innendrucks Pi, während der außerhalb der Gefäße wirkende Druck (Gewebedruck Pe) sich in der Regel nur wenig ändert. Funktionell wichtige Ausnahmen von dieser Regel sind die Gewebe von Lunge und Muskel. In den Lungengefäßen kommt es zu großen Änderungen des transmuralen Drucks (und damit der regionalen Durchblutung), da der Druck im Alveolarraum, der als
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8.2 Das geschlossene Gefäßsystem und seine Funktionselemente Außendruck für die Gefäßmechanik wirksam wird, erheblich variieren kann (S. 215 ff.). In der Muskulatur entstehen während der Muskelkontraktion so hohe Gewebedrücke, dass die transmurale Druckdifferenz negativ wird und die Gefäße daher zeitweilig komprimiert werden können. Aus diesem Grund wird z. B. das Myokard praktisch nur während der Diastole durchblutet (S. 144). Der transmurale Druck Ptm erzeugt eine tangentiale Spannung St in der Gefäßwand, die umso größer ist, je größer der Innenradius ri und je kleiner die Wanddicke w ist: (8.2)
Diese Spannung müssen die Gefäßwandelemente auffangen, wenn das Gefäß dem dehnenden Einfluss des transmuralen Drucks nicht nachgeben soll. Arterielle Gefäße, die wegen ihres hohen Innendrucks unter großer Dehnungsbelastung stehen, haben daher eine dickere Wand als Venen, deren Innendruck gering ist. Innerhalb des arteriellen Gefäßbaums nimmt die Dehnbarkeit von den großen Leitungsarterien in Richtung auf die Arteriolen ab. Dies entspricht dem von proximal nach distal abnehmenden Gehalt an elastischen Fasern und dem Zuwachs an glatter Muskulatur und Kollagen (Abb. 8.2). Die passive Dehnbarkeit der Aorta spielt für die Dämpfung des Druck- und Strompulses, der durch die rhythmische Tätigkeit des linken Ventrikels entsteht, eine große Rolle (Windkesselfunktion; Abb. 8.10). Dehnungsabhängige Änderungen von Gefäßdurchmesser und -länge werden zusammengefasst beschrieben durch die Compliance, d. h. die Volumenänderung ∆V bei Änderung des transmuralen Drucks, ∆Ptm; ihr Kehrwert ist der Volumenelastizitätskoeffizient E′: Compliance =
relative Volumenänderung DV/V
St = Ptm
ri w
3
1 V = E0 Ptm
ð8:3Þ
Das passive Dehnungsverhalten der Blutgefäße spiegelt die für jeden Gefäßabschnitt typische Zusammensetzung der Gefäßwand aus den drei mechanisch wesentlichen Bestandteilen Kollagen, elastischen Fasern und glatter Muskulatur wider (Abb. 8.2); die Gefäßdehnung ist aber auch stark von der aktiven Spannung der glatten Gefäßmuskulatur abhängig: je höher der Muskeltonus, desto geringer die Compliance. Mit steigender Wandspannung St nimmt der Gefäßradius durch Dehnung zu; dabei wird die Gefäßwand zunehmend steifer. Bei länger anhaltender Druckbelastung kann es vor allem in Venen zu einem langsamen Nachgeben der Gefäßwand und damit zu einer wachsenden Volumenspeicherung im Gefäß kommen. Dies ist eine der Ursachen für die „ausgeleierten“ Hautvenen des Unterschenkels bei Menschen („Krampfadern“), die aus z. B. beruflichen Gründen lange stehen müssen. Die Compliance der Venen ist bei niedrigen physiologischen Innendrücken größer als die der Arterien, die des gesamten venösen Systems etwa 25-mal größer als die des arteriellen. Dies beruht weniger auf der elastischen Dehnbarkeit der Venenwand als auf einer Formänderung
2
1
Pi 20
Pe
10 10
20
transmuraler Druck Ptm (mmHg)
1
Abb. 8.7 Beziehung zwischen transmuralem Druck Ptm (Pi-Pe) und der relativen Volumenänderung ∆V/V der V. cava. Die Zeichnungen neben der Kurve verdeutlichen die Formveränderungen des Gefäßquerschnitts. Ein großer Teil des Volumenzuwachses kommt dadurch zustande, dass der ovale Querschnitt zunehmend kreisrund wird (nach 28).
des zunächst elliptischen Venenquerschnitts (Abb. 8.7). Die große Compliance der Venen ist für den Kreislauf deswegen wichtig, weil selbst bei relativ geringen Änderungen des Venendrucks erhebliche Blutvolumina im Niederdrucksystem (einschließlich der Lungenstrombahn) ge- bzw. aus ihm entspeichert werden können. Aus dem gleichen Grund führt eine Vergrößerung (z. B. durch Infusion) oder Verminderung (z. B. bei Blutspende) des Blutvolumens zu einer viel größeren Änderung des Volumens im Niederdruck- als im arteriellen System. Ohne Beteiligung der Gefäßnerven, d. h. als direkte Folge der Dehnung der glatten Muskelzellen, reagieren vor allem arterielle Gefäße bei Erhöhung von Ptm mit einer Kontraktion. Auf zellulärer Ebene kommt es dabei durch die Öffnung von mechanosensitiven Kationenkanälen zu einer Depolarisation, die ihrerseits einen Einstrom von Ca2+-Ionen über spannungsgesteuerte Ca2+-Kanäle auslöst. Diese aktive, myogene Tonusentwicklung verringert den Gefäßradius u.U. sogar unter seinen Ausgangswert. Damit wird die tangentiale Wandspannung wieder in die Nähe ihres Anfangswerts zurückgeführt (Abb. 8.8). Diese als Bayliss-Effekt bezeichnete myogene Antwort von Widerstandsgefäßen findet nur in einem mittleren Dehnungsbereich statt und ist nicht in allen Gefäßprovinzen gleich ausgeprägt. Die Vasa afferentia der Niere und die arteriellen Gefäße des Gehirns und des Darms zeigen diese myogene Reaktion auf Änderung der transmuralen Druckdifferenz besonders deutlich. Sie ermöglicht die sog. Autoregulation der Durchblutung in diesen Organen (S. 189) und ist u. a. auch für die lokale Durchblutungsregulation bei Änderungen der Körperlage von Bedeutung (S. 210).
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8 Das Kreislaufsystem Nach dem Ohm-Gesetz
A
transmuraler Druck Ptm
P Q_ = R
Erhöhung Senkung Gefäßradius r i
Zeit
Zeit Gefäßmuskeltonus hoch mittel gering
B passive Dehnung bzw. Entdehnung
Wandspannung
184
1a
aktive myogene Antwort
2
Ptm = 120 mmHg
1 3
100 mmHg 80 mmHg
1b
Gefäßradius
Abb. 8.8 Passive und aktive Antwort eines Gefäßes auf Dehnung. A Einer plötzlichen Erhöhung des transmuralen Drucks Ptm (links) folgt nach vorübergehender passiver Zunahme des Gefäßradius ri eine aktive Verringerung unter den Ausgangswert. Das Umgekehrte geschieht bei Senkung von Ptm (rechts). Die Darstellung B zeigt die Beziehung zwischen Gefäßradius und Wandspannung für drei verschiedene Tonuslagen der glatten Muskulatur. Vom Ausgangspunkt 1 führt Hebung bzw. Senkung des Drucks passiv zu den Punkten 1a bzw. 1b und die anschließende myogene Antwort zu den Endpunkten 2 bzw. 3. Dieser zweite Schritt führt die Wandspannung des Gefäßes wieder in die Nähe ihres Ausgangswertes zurück.
8.3
Ohm, Poiseuille, Newton: drei wichtige Gesetze für die Blutströmung
Für die Strömung des Blutes durch das Gefäßsystem gelten die allgemeinen Strömungsgesetze der Physik. Das vom Herzen ausgeworfene Blut fließt infolge der arteriovenösen Druckdifferenz durch den peripheren Widerstand ab und wird entsprechend den regionalen Strömungswiderständen auf die Organe verteilt. Der arterielle Druck (im Mittel etwa 100 mm Hg = 13,3 kPa) zeigt charakteristische Pulsationen, wobei der systolische Druck vor allem durch das Schlagvolumen, der diastolische vor allem durch den peripheren Widerstand bestimmt wird. Der zentralvenöse Druck (etwa 3 mm Hg = 0,4 kPa) hängt vor allem vom Füllungsvolumen des Niederdrucksystems ab.
ð8:4Þ
nimmt das Stromzeitvolumen (Stromstärke Q˙) linear mit der treibenden Druckdifferenz ∆P zu und mit dem Strömungswiderstand R ab. Der bei der Strömung zu überwindende Widerstand entsteht durch die innere Reibung der strömenden Flüssigkeit. Die Tätigkeit des linken Ventrikels, der in Ruhe etwa 70-mal pro Minute ein Schlagvolumen von etwa 80 ml und damit ein Herzzeitvolumen (HZV) von etwa 5,6 l/ min (3,4 l/min pro m2 Körperoberfläche) auswirft, erzeugt in der Aorta einen Druck (Pa) von im Mittel etwa 100 mm Hg (= 13,3 kPa), durch den der Strömungswiderstand des Gefäßsystems des Körperkreislaufs (totaler peripherer Widerstand, TPR) überwunden wird. Das Blut kehrt unter einem sehr niedrigen Druck (zentralvenöser Druck Pv) von etwa 2 – 4 mm Hg (0,3 – 0,5 kPa) in den rechten Vorhof zurück. Die für den Körperkreislauf entscheidende Druckdifferenz zwischen Aorta und rechtem Vorhof beträgt somit etwa 97 mm Hg (ca. 12,9 kPa). Für den großen Kreislauf gilt demnach HZV =
Pa PV TPR
ð8:5Þ
Für den totalen peripheren Widerstand ergibt sich ein Wert von etwa 17,3 mm Hg · l–1 · min (2,3 kPa · l–1 · min). Die analoge Berechnung für den Lungenkreislauf (S. 215 ff.) ergibt bei einem mittleren Druck in der Pulmonalarterie von etwa 15 mm Hg (2,0 kPa) und im linken Vorhof von etwa 5 mm Hg (0,7 kPa) einen Gesamtwiderstand von etwa 1,8 mm Hg · l–1 · min (0,24 kPa·l–1 · min). Der linke Ventrikel fördert also das gleiche Blutvolumen pro Zeit wie der rechte Ventrikel, aber gegen einen rund 10-mal höheren Strömungswiderstand und daher auch mit wesentlich höherem Energieaufwand; dem entspricht auch seine größere Muskelmasse.
Der arterielle Blutdruck: Antrieb für die Blutströmung Der Druck in der Aorta zeigt entsprechend der zeitlichen Abfolge von Systole und Diastole des linken Ventrikels deutliche Pulsationen (Abb. 8.9). Dem steilen Druckanstieg bei Auswurf des Schlagvolumens folgt nach Überschreiten eines Druckmaximums (systolischer Blutdruck PS) die durch den plötzlichen Schluss der Aortenklappen verursachte Inzisur. Nach einem zweiten kleinen Druckanstieg (Dikrotie), der durch die Reflexion der Druckwelle in der Kreislaufperipherie verursacht wird, fällt der Druck infolge des Abströmens des Blutes aus dem arteriellen Windkessel bis auf ein Minimum (diastolischer Blutdruck PD) ab. Die Amplitude des Druckpulses beträgt beim gesunden Jugendlichen in körperlicher Ruhe etwa 40 mm Hg = 5,4 kPa (PS ca. 120, PD ca. 80 mm Hg). Der über die Zeit gemittelte Druck (arterieller Mitteldruck) liegt, wie Abb. 8.9 zeigt, nicht genau in der Mitte zwischen PS und PD, sondern ist wegen der Asymmetrie des Druckpulses etwas niedriger.
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8.3 Ohm, Poiseuille, Newton: drei wichtige Gesetze für die Blutströmung
B
bei erhöhtem Schlagvolumen
Klappe offen
Druck in der Aorta
Klappe geschlossen
120
80
A
140
arterieller Druckpuls
arterieller Blutdruck (mmHg)
120 100
systolischer Druck arterieller Mitteldruck diastolischer Druck
80 60
Entdehnung: Abstrom in die Peripherie
40 20 0
Austreibung des Schlagvolumens: Ausdehnung
C Zeit
bei erhöhtem peripheren Widerstand 120
80
Abb. 8.9 Schematische Darstellung des arteriellen Druckpulses. A Definition des arteriellen Mitteldrucks (violette Flächen über der Mitteldrucklinie gleich groß wie die darunter), des systolischen und des diastolischen Blutdrucks. B Erhöhung des Schlagvolumens führt überwiegend zur Steigerung des systolischen Blutdrucks (Pfeil). C Erhöhung des totalen peripheren Widerstandes steigert überwiegend den diastolischen Blutdruck (Pfeil).
Der Druck in der Aorta hängt von der Größe des Schlagvolumens und des totalen peripheren Widerstandes ab. Eine Steigerung des Schlagvolumens führt zu einer Zunahme besonders des systolischen Drucks, während eine Steigerung des peripheren Widerstandes vor allem den diastolischen Druck erhöht (Abb. 8.9). Form und Amplitude des Druckpulses in der Aorta werden auch von der Dehnbarkeit des arteriellen Gefäßsystems beeinflusst. Aorta und große Arterien wirken während der Ventrikelsystole wie ein Windkessel (Abb. 8.10), indem sie die durch das Herz erzeugten Druckschwankungen dämpfen. Je steifer daher die Arterien, desto größer ist die Blutdruckamplitude und um so höher ist die Belastung des Herzens, das eine größere Beschleunigungsarbeit leisten muss (S. 192). Da sich die Dehnbarkeit der Arterien nicht akut ändert, kann die Blutdruckamplitude als ein qualitatives Maß des Schlagvolumens des Ventrikels gelten. Bei vermindertem Herzschlagvolumen findet man daher auch eine verminderte Blutdruckamplitude, z. B. nach einem Blutvolumenverlust.
Abb. 8.10 Windkesselwirkung der Aorta. Der ansteigende Druck während der Austreibung des Schlagvolumens führt zu passiver (hier übertrieben gezeichneter) Dehnung der Aorta (links). Das dabei gespeicherte Volumen fließt nach Schluss der Aortenklappe weiter in die Kreislaufperipherie (rechts). Die Windkesselwirkung erstreckt sich über die gesamte Aorta und die großen Arterien, nicht nur (wie hier gezeichnet) über den Aortenbogen.
Blutdruckmessung: eine der wichtigsten Methoden der Kreislaufuntersuchung Mit der klinisch üblichen, indirekten Methode wird der Blutdruck nicht in der Aorta, sondern in einer großen Leitarterie (A. brachialis, A. femoralis) gemessen (Abb. 8.11). Eine um den Oberarm (Oberschenkel) gelegte Manschette wird aufgeblasen, bis der Manschettendruck M sicher über dem erwarteten systolischen Druck liegt (Verschwinden des Radialis-Pulses), und dann langsam (2 – 4 mm Hg/s) wieder abgelassen. Liegt der Manschettendruck zwischen PS und PD, so hört man bei der gleichzeitigen Auskultation der Brachial-Arterie distal der Manschette charakteristische Klopfgeräusche (sog. Korotkoff-Geräusche), weil nur während der arteriellen Druckspitzen Blut in die peripheren Gefäße einströmen kann. Unterschreitet der Manschettendruck den diastolischen Druck, so verschwinden die Geräusche oder werden merklich leiser (sofern man nicht durch zu festes Andrücken des Stethoskops das Gefäß komprimiert). Aus Gründen, die auf S. 210 besprochen werden, sollte dabei der Messort etwa in Herzhöhe liegen; wenn man am Oberschenkel misst, sollte der Patient daher liegen. Die ambulante 24-h Blutdruckmessung spielt für die klinische Diagnostik der arteriellen Hypertonie eine große Rolle, denn wie viele andere physiologische Größen unterliegt auch der arterielle Blutdruck einer
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186
8 Das Kreislaufsystem
Manschettendruck M > PS PS
M = PS
PD keine Geräusche Stethoskop
Geräusche treten auf
PD
Manschette Pumpe
A Aufblasen der Manschette
B PS ³ Manschettendruck >> PD
PS
Geräusche sehr deutlich
M > PD PD
PS PD M < PD kaum noch Geräusche
C PS > Manschettendruck > PD D Manschettendruck < PS und PD
Abb. 8.11 Indirekte Blutdruckmessung nach Riva-Rocci. Geräusche entstehen, wenn der Manschettendruck M den systolischen Blutdruck (PS) unterschreitet (B), und werden
circadianen Rhythmik (Abb. 8.12 A; vgl. S. 518 f.). Dabei sinkt der Blutdruck nachts deutlich ab. In der Frühphase der Entwicklung einer Hypertonie ist insbesondere diese Nachtabsenkung abgeschwächt oder fehlt ganz (Abb. 8.12 B). Die dargestellte indirekte Methode wird nach ihrem Beschreiber Riva-Rocci benannt; daher werden im klinischen Sprachgebrauch die Angaben des systolischen und diastolischen Drucks meist mit „RR“ abgekürzt (typische Eintragung im Krankenblatt: „RR 120/ 80“). Präziser als diese indirekte sind die direkten Methoden, bei denen eine Kanüle in eine Arterie eingestochen und mit einem Druckmessgerät verbunden oder ein sog. Kathetertipmanometer in das Gefäß eingeführt wird. Diese invasiven Verfahren sind jedoch besonderen Situationen (z. B. Intensivmedizin) vorbehalten.
Der zentralvenöse Druck ist eine wichtige Größe zur Beurteilung von Blutvolumen und Herzleistung Als zentralvenöser Druck wird der im rechten Vorhof herrschende Blutdruck bezeichnet; er ist dem Druck in den großen herznahen Venen praktisch gleich und be-
wieder leiser oder verschwinden, wenn der diastolische Blutdruck (PD) unterschritten wird (D).
trägt etwa 2 – 4 mm Hg (0,3 – 0,5 kPa). Der zentralvenöse Druck zeigt wegen der rhythmischen Tätigkeit des Herzens (Abb. 8.31, S. 199) und der Atmung charakteristische Schwankungen. Wenn der Druck im Thorax bei Inspiration abfällt, so führt dies auch zu einer Senkung des Drucks im rechten Vorhof; umgekehrt ist es bei Exspiration. Diese atemabhängigen Druckschwankungen werden bei forcierter Atmung (gegen erhöhten Atemwiderstand) deutlicher. Daher schwellen die großen sichtbaren Halsvenen beim Oboisten im Orchester ebenso wie beim schreienden Säugling sichtbar an. Darüber hinaus hängt die Höhe des zentralvenösen Drucks vor allem vom Füllungsvolumen des venösen Systems ab, d. h. von der Größe des Blutvolumens. Übermäßige Transfusion führt zu einer Zunahme, Blutvolumenverlust zu einer Abnahme des zentralvenösen Drucks. Die kontinuierliche Beobachtung des Drucks in den zentralen Venen, z. B. über einen Katheter in der V. cava thoracalis, ermöglicht daher auch eine indirekte Überwachung des sog. präkordialen Blutvolumens. Ein erhöhter Füllungszustand der großen Halsvenen kann den aufmerksamen Beobachter auch auf das Vorliegen einer Herzinsuffizienz hinweisen. Ein erhöhtes Füllungsvolumen im venösen System
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8.3 Ohm, Poiseuille, Newton: drei wichtige Gesetze für die Blutströmung A normal
B Frühstadium Hypertonie
arterieller Blutdruck (mmHg)
240
240
tagsüber
210
nachts
180
150
PS
120 90
120
60
30
30 1200
1500
1800
2100
000
300
600
900
Normalbereich
90
PD
60
Uhrzeit
0 900
1200
1500
1800
Nachtabsenkung
PS 127 PD 69
nachts
180
150
0 900
tagsüber
210
127 70
20% 19%
101 57
Abb. 8.12 Ambulante 24-Stunden Blutdruckmessung. Dargestellt sind zwei typische 24-Stunden-Blutdruckprofile einer Person mit normalem systolischen (PS) und diastolischen (PD) arteriellen Blutdruck (A) und einer Person im Frühstadium einer Hypertonie (sog. „borderline“ Hypertonie;
und damit ein erhöhter zentralvenöser Druck ist eine typische Begleiterscheinung der chronischen Herzinsuffizienz. Ursache für die Volumenzunahme ist dabei nicht so sehr die Stauung des Blutes vor dem geschwächten Herz, sondern vielmehr eine gesteigerte renale Flüssigkeitsretention, die durch eine erhöhte Aktivität des Nierensympathikus und des Renin-Angiotensin-Systems ausgelöst wird.
Der totale periphere Widerstand ist der Gesamtwiderstand aller Gefäßgebiete im Körperkreislauf Der Strömungswiderstand beruht auf der inneren Reibung des durch die Gefäße strömenden Blutes. Infolge der Verzweigungsarchitektur des Gefäßsystems entsteht der größte Teil des gesamten Widerstandes in den Arteriolen. Daher sind diese Gefäße die wesentlichen Regulatoren für Durchblutung und Kapillardruck. Der Strömungswiderstand und damit auch die Durchblutung sind ferner von der scheinbaren Viskosität des Blutes abhängig, die infolge des ungewöhnlichen rheologischen Verhaltens nicht konstant, sondern strömungsabhängig ist. Gegen den totalen peripheren Widerstand (TPR) wirft der linke Ventrikel das Herzzeitvolumen aus, das sich dann entsprechend den recht unterschiedlichen regionalen Strömungswiderständen auf die verschiedenen Organe verteilt. In körperlicher Ruhe (Abb. 8.13 links) entfallen die größten Anteile auf Leber- und Darmkreislauf (20 – 25 %), Niere (20 %) und Skelettmuskel (15 – 20 %). Diese Verteilung verändert sich bei körperlicher Arbeit (Abb. 8.13 rechts), weil der Strömungswiderstand in der
2100
000
300
600
900
Nachtabsenkung fehlt
PS 154 PD 100
150 95
1% 1%
152 94
B). Der Verlust des circadianen Rhythmus und damit der Nachtabsenkung des Blutdrucks geht häufig der Entwicklung eines dauerhaft erhöhten arteriellen Blutdrucks voraus (nach 11).
Lunge Lunge
100%
rechtes Herz
14%
Gehirn
Gehirn Herz Darm
linkes Herz
5% 25%
Herz
19%
Darm
Niere 22% Skelettmuskel Haut
Niere
6%
Skelettmuskel
sonstige
in Ruhe
Haut sonstige bei körperlicher Arbeit
Abb. 8.13 Verteilung des Herzzeitvolumens (HZV) in Ruhe und bei körperlicher Arbeit auf die verschiedenen Organe. Die Flächen der Pfeile entsprechen dem prozentualen Anteil der Organdurchblutung am gesamten HZV. Die Fläche „Lunge“ macht deutlich, dass das HZV bei Arbeit natürlich viel größer ist als in Ruhe. Der Löwenanteil des HZV fließt nun durch die arbeitende Skelettmuskulatur, und auch die Herz-(Koronar-) und Hautdurchblutung sind angestiegen, während die Nieren- und Darmdurchblutung abgesunken ist (→ Abb. 8.34, S. 202).
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187
8 Das Kreislaufsystem
Blutdruck
Regulation der Durchblutung. Erst in zweiter Linie hängt die Durchblutung von der Viskosität des Blutes ab.
Anteil am Widerstand
20
80
60
15
40
10
20
5
0
0
Anteil am Gesamtwiderstand (%)
100
intravasaler Druck (mmHg)
188
n n n n e en en rta rien re rie le ne va ol en lla te rio Ao rte Ve . ca en e V pi Ar rte A V e v a e A e K re lein oß V in d oß gr und illä k kle un gr ap und d k st un po
Abb. 8.14 Die Verteilung des Blutdrucks in den verschiedenen Abschnitten des Gefäßsystems (rote Kurve) ist ein Spiegelbild des jeweiligen Anteils am gesamten Strömungswiderstand. Der größte Druckabfall findet sich in den Gefäßabschnitten mit dem höchsten Teilwiderstand.
arbeitenden Muskulatur stark abfällt, in anderen Organen dagegen u. U. sogar zunimmt (S. 212 f.). Der Widerstand der einzelnen Organkreisläufe hängt von dem Verzweigungsgrad des arteriellen und venösen Gefäßbaums und von dem Tonus der glatten Gefäßmuskulatur ab. Nach den Kirchhoff-Regeln addieren sich für hintereinander geschaltete Gefäßabschnitte die Einzelwiderstände, für parallel geschaltete Gefäßabschnitte die Leitwerte (Kehrwerte der Widerstände). Der Gesamtwiderstand eines Gefäßbaums lässt sich daher ermitteln, wenn man die Einzelwiderstände aller Gefäßsegmente kennt. In jedem einzelnen Gefäßabschnitt mit dem Radius r und der Länge l errechnet sich der Strömungswiderstand R, der durch die innere Reibung (Viskosität h) der strömenden Flüssigkeit entsteht, nach R=
8 l 4 r
ð8:6Þ
Durch Kombination mit dem Ohm-Gesetz (Q˙ = ∆P/R) ergibt sich das Hagen-Poiseuille-Gesetz: 4
1 r Q_ = P 8 l
ð8:7Þ
Die wesentliche Aussage dieser Gleichung ist, dass bei einer gegebenen Druckdifferenz ∆P die Höhe der Durchblutung vor allem vom Gefäßradius (r4) bestimmt wird. Damit erhält die Regulierung des Gefäßradius durch die glatte Muskulatur eine dominierende Bedeutung für die
Strömungswiderstand und intravasaler Druck sind im Gefäßsystem nicht gleichmäßig verteilt Nicht alle Abschnitte des Gefäßsystems liefern den gleichen Beitrag zum totalen peripheren Widerstand (Abb. 8.14). Vielmehr ist der größte Teil des Widerstandes in den präkapillären Arteriolen und kleinen Arterien lokalisiert, die daher auch als Widerstandsgefäße bezeichnet werden. Der Anteil insbesondere der venösen Gefäße am totalen peripheren Widerstand des Kreislaufsystems ist vergleichsweise gering. Wenn daher der Strömungswiderstand in verschiedenen Organen unterschiedlich ist, so ist dies zwar auch Folge der unterschiedlichen Gefäßdichte dieser Gewebe, vor allem aber Folge eines unterschiedlichen Tonus der präkapillären Widerstandsgefäße. Die Durchblutung und ihre Verteilung innerhalb eines Gewebes wird somit weitgehend durch Veränderung des Arteriolendurchmessers reguliert. Durchblutungsregulation heißt im Wesentlichen Regulation des Muskeltonus kleiner Arterien und Arteriolen. Da die Stromstärke in allen hintereinandergeschalteten Abschnitten des Gefäßsystems gleich (Kontinuitätsprinzip), der Strömungswiderstand aber verschieden ist, muss sich nach dem Ohm-Gesetz auch eine typische Verteilung der intravasalen Drücke im Kreislaufsystem ergeben (Abb. 8.14). Erwartungsgemäß findet in den großen Leitarterien nur ein relativ geringer, in den kleinsten Arterien und Arteriolen jedoch ein sehr großer Druckabfall statt. Während in kleinen Arterien von etwa 100 µm Innendurchmesser noch ein Druck von etwa 70 – 80 mm Hg (9 – 10 kPa) herrscht, beträgt er in den Kapillaren noch ungefähr 20 – 25 mm Hg (2,5 – 3 kPa); für das gesamte venöse System steht dementsprechend nur noch ein sehr geringer treibender Druck zur Verfügung. Diese Druckverteilung ist allerdings eine Idealisierung, da infolge lokaler Unterschiede im Strömungswiderstand innerhalb eines Gefäßgebietes der intravasale Druck in den einzelnen Kapillaren sehr unterschiedlich ist. Darüber hinaus gibt es in einigen Organen typische Abweichungen von der Druckverteilung in Abb. 8.14. So ist beispielsweise der Druckabfall in den großen Arterien, die das Gehirn versorgen, deutlich größer (etwa 35 % des gesamten arteriovenösen Druckgefälles) als in den großen Arterien anderer Organe.
Passive und aktive Änderungen der Gefäßweite bestimmen Druck- und Widerstandsverteilung in einem Gefäßgebiet Wir haben schon auf S. 183 erörtert, dass passives Dehnungsverhalten und aktive, myogene Antwort die Änderung des Gefäßradius bei Änderungen des transmuralen Drucks Ptm bestimmen. Dies hat natürlich Folgen für den Strömungswiderstand des Gefäßes (s. Gleichung 8.6). Steigt Ptm, so nimmt der Radius dehnbarer Gefäße bei ausschließlich passivem Verhalten zu und der Strömungswiderstand dementsprechend ab (Abb. 8.15 A) – der Widerstand verhält sich somit dem transmuralen
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8.3 Ohm, Poiseuille, Newton: drei wichtige Gesetze für die Blutströmung
2
B passives Verhalten bei erhöhtem transmuralen Druck
2
1
1
0
0
3 2
3 Widerstand sinkt
1 0
dehnbares, aber druckpassives Gefäßsystem (z. B. Lunge, Skelettmuskel)
aktives Verhalten bei erhöhtem transmuralen Druck
Widerstand sinkt kurzzeitig, steigt dann über Ausgangswert: myogene Antwort
starres Rohr
Durchblutung
Strömungswiderstand
Gefäßradius
A
dehnbares, aber autoregulierendes Gefäßsystem (z. B. Gehirn, Darm, Niere)
kritischer Verschlussdruck
2 1
Zeit
0
Zeit
Abb. 8.15 Wirkung des transmuralen Drucks auf Gefäßradius und Strömungswiderstand. Eine Erhöhung des transmuralen Drucks bewirkt bei rein passivem Dehnungsverhalten eines Gefäßes eine Abnahme (A), bei aktiver myogener Antwort der Gefäßmuskulatur eine Zunahme des Strömungswiderstandes (B).
Druck entgegengesetzt. Bei aktivem Verhalten der Gefäßmuskulatur sind die Widerstandsänderungen hingegen – nach Abschluss des vorübergehenden Einstellungsvorgangs – gleichsinnig wie die Druckänderungen, d. h. bei Druckzunahme resultiert eine Widerstandszunahme (Abb. 8.15 B). Daher wird auch die Durchblutung Q eines Organs von der arteriovenösen Druckdifferenz ∆P in einer Weise abhängen, die davon bestimmt wird, ob sich die durchströmten Widerstandsgefäße passiv oder mehr oder weniger aktiv verhalten. In jedem Falle wird die Beziehung zwischen ∆P und Q bei einem Gefäßgebiet nicht linear sein, wie sie es bei einem nicht dehnbaren Rohr wäre (schwarze Kurve, Abb. 8.16). Vielmehr steigt die Durchblutung bei rein druckpassivem Verhalten der Widerstandsgefäße überproportional an, wenn ∆P erhöht wird (orange Kurve, Abb. 8.16); dieses Verhalten findet sich typischerweise in der Lunge. Im Gegensatz dazu ändert sich die Durchblutung von Niere, Gehirn und intestinalem Gefäßsystem, in denen die myogene Gefäßantwort ausgeprägt ist, bei Änderungen der arteriovenösen Druckdifferenz zumindest in einem begrenzten Druckbereich nur wenig (blaue Kurven, Abb. 8.16). Diese Unabhängigkeit der lokalen Durchblutung von der treibenden Druckdifferenz wird als Autoregulation bezeichnet. Der Druckbereich, in dem die Autoregulation stattfindet, liegt beim Gehirn etwa zwischen 50 und 120 mm Hg (6,5 – 16 kPa), bei der Niere zwischen 60 und 180 mm Hg (8 – 24 kPa; Abb. 12.11, S. 334). Außerhalb dieser Druckbereiche verhalten sich die Gefäße auch dieser Organe druckpassiv. Bei vielen Organen zeigt die Druck-Stromstärke-Beziehung einen charakteristischen Schnittpunkt mit der Abszisse (Abb. 8.16). Die Durchblutung fällt auf Null, obwohl noch eine Druckdifferenz zwischen Arterie und
0
0
arteriovenöse Druckdifferenz
Abb. 8.16 Druck-Stromstärke-Beziehungen für ein starres Rohrsystem, passiv dehnbare Gefäßsysteme und verschieden stark autoregulierende Gefäßsysteme, die sich durch die Grenzen des Autoregulationsbereichs und das Ausmaß der Konstanterhaltung der Durchblutung unterscheiden.
Vene besteht. Die Ursache dieses Phänomens ist nicht ganz geklärt. Sowohl ein Kollaps von Widerstandsgefäßen bei niedrigem Innendruck („kritischer Verschlussdruck“) als auch die Fließeigenschaften des Blutes (S. 190 f.) sind zur Erklärung herangezogen worden. Besonders groß ist diese Druckdifferenz im intrarenalen Gefäßbett. Vermutlich ist dies vor allem die Folge des hohen Gewebedrucks im renalen Interstitium, der durch die feste Nierenkapsel aufrechterhalten wird (S. 333). Konstriktion oder Dilatation der Widerstandsgefäße führt nicht nur zu einer Veränderung des Gesamtwiderstandes und damit der Durchblutung, sondern auch zu einer veränderten Druckverteilung im Gefäßsystem (Abb. 8.17). Bei Dilatation der Arteriolen steigt der Druck in allen distal davon gelegenen Gefäßabschnitten an und umgekehrt. Daher reguliert der Arteriolentonus nicht allein die Größe der Organdurchblutung, sondern auch die Höhe des Drucks in den Kapillaren. Trotz der überragenden Bedeutung der Arteriolen für den Gesamtwiderstand des Gefäßsystems ist auch der Widerstand der größeren Leitarterien, vor allem bei einer Durchblutungszunahme, nicht zu vernachlässigen. Bei maximaler Arteriolendilatation kann somit der normalerweise nur geringe Widerstandsanteil der großen Leitarterien oder auch der Venen eine Durchblutungssteigerung begrenzen. Dies ist besonders dann wichtig, wenn, wie etwa bei einer krankhaften Verengung (Stenose) der Leitarterien, deren Widerstand noch zunimmt. Es kommt dann zu einer Einschränkung der Durchblutungsreserve, d. h. bei gesteigerter Beanspruchung des betroffenen Organs kann die Durchblutung nicht angemessen erhöht werden.
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189
8 Das Kreislaufsystem 100
Fläche (F) maximale Konstriktion der Widerstandsgefäße
intravasaler Druck (mmHg)
80
Kraft (K) dr = Schichtdicke
normaler Gefäßtonus
ebene Strömung
maximale Dilatation der Widerstandsgefäße
60
dv = relative Verschiebung Schubspannung t = K/F Schergrad g = dv/dr Viskosität h = t/g
40
Kapillardruck
Druck
20
dr = Schichtdicke
0
d
gr un oße d V Vv en . c en av ae
gr
oß
e Ao Ar rt te a rie kle n in e un A d rt Ar er te ien rio le n Ka pi lla po re st n ka pi l l ä un re d kle Ven in ol e en Ve ne n
Röhrenströmung
un
190
Abb. 8.17 Druckverteilung im Gefäßsystem im Normalzustand sowie bei maximaler Dilatation bzw. Konstriktion. Bei maximaler Dilatation der Arteriolen wird der größte Druckabfall nach distal verschoben, bei Konstriktion nach proximal. Damit steigt bzw. fällt der Kapillardruck.
Einschränkung der Funktion und plötzliche Schmerzen im betroffenen Organ sind die typischen Folgen dieser Situation, die bei Koronararterienstenose oder Stenose einer großen Extremitätenarterie auftreten können.
Das ungewöhnliche Fließverhalten des Blutes Das Hagen-Poiseuille-Gesetz (Gl. 8.7, S. 188) ist nur für sog. Newtonsche Flüssigkeiten gültig, deren Viskosität η eine konstante Materialeigenschaft ist und nur von der Temperatur abhängt. Für solche Flüssigkeiten, z. B. für Wasser, gilt das Newton-Gesetz =
(8.8)
demzufolge eine lineare Beziehung zwischen der auf die strömende Flüssigkeit einwirkenden Schubspannung τ und dem daraus resultierenden Schergrad γ besteht (Abb. 8.18). Das Blut ist jedoch eine nichthomogene Suspension von Zellen in Plasma, deren Viskosität von der Größe der einwirkenden Schubspannung abhängt; man spricht daher von der sog. apparenten oder scheinbaren Viskosität (ηapp). Diese beträgt bei hohen Schubspannungen (schneller Strömung) etwa 3,5 mPa · s und nimmt mit abnehmender Schubspannung, d. h. bei verlangsamter Strömung, deutlich zu (Abb. 8.19). Im Gegensatz dazu ist das Plasma eine Newtonsche Flüssigkeit mit einer Viskosität von etwa 1,2 mPa · s. Bei der Beschreibung des Fließver-
dv = relative Verschiebung = Geschwindigkeitsdifferenz
Abb. 8.18 Definition der Schubspannung und des Schergrades in der ebenen Strömung (oben) bzw. der Röhrenströmung (unten). Das Ausmaß der relativen Verschiebung der gedachten Flüssigkeitslamellen hängt nach Newtons Gesetz von dem Zähigkeitskoeffizienten der Flüssigkeit, d. h. ihrer Viskosität ab. In der Röhrenströmung entsteht ein Geschwindigkeitsprofil, weil die Reibungsfläche zwischen zwei benachbarten Flüssigkeitslamellen nicht wie in der ebenen Strömung überall gleich groß ist, sondern zur Rohrachse hin kleiner wird.
haltens des Blutes wird oft auch die sog. relative Viskosität angegeben, d. h. der Quotient aus der scheinbaren Blutviskosität und der Plasmaviskosität. Ursachen für das rheologische Verhalten (Fließverhalten) des Blutes sind Deformierung und Orientierung der Erythrozyten in schneller Strömung sowie die Bildung von vernetzten Erythrozytenaggregaten (Geldrollen, Rouleaux) bei langsamer Strömung (Abb. 8.19). Bei extrem niedriger Schubspannung steigt die scheinbare Viskosität gegen Unendlich an; das bei höheren Schubspannungen dünnflüssige Blut wird nun zu einem gelartigen Festkörper. Bei künstlich hergestellten Suspensionen ist dieses Fließverhalten vielfach erwünscht. So sollen Dispersionsfarben während des Streichens (hohe Schubspannungen) möglichst dünnflüssig sein, aber dann, wenn man sie in Ruhe lässt (niedrige Schubspannungen), zähflüssig werden und nicht spontan wieder ablaufen. Beim Ketchup ist es weniger erwünscht als überraschend, wenn aus der umgedrehten Flasche spontan nichts herausläuft (Festkörperverhalten bei geringer Schubspannung), nach dem Faustschlag auf den Flaschenboden (hohe Schubspannung) sich aber unerwünscht viel in Bewegung setzt. Die Viskosität des Blutes ist ferner von dem Durchmesser des durchströmten Gefäßes abhängig (Fåhraeus-Lindqvist-Effekt, Abb. 8.20). Dies ist eine Folge der sog. Axialmigration, d. h. der Eigenschaft deformierbarer Erythrozyten, sich in einem durchströmten Gefäß in
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8.3 Ohm, Poiseuille, Newton: drei wichtige Gesetze für die Blutströmung
relative Viskosität
1000
100
Hämatokrit 0,95 0,75 0,60 0,40
10
0,25 1
Plasmaviskosität 0,1 0,1
1
10
100
1000
Schubspannung (Pa)
niedrige Schubspannung: Bildung von vernetzten Erythrozytenaggregaten
hohe Schubspannung: Desaggregation und Deformierung
Abb. 8.19 Die scheinbare Viskosität des Blutes steigt mit abnehmender Schubspannung und mit zunehmendem Hämatokrit deutlich an. Hier dargestellt ist die relative Viskosität, d. h. der Quotient aus der scheinbaren Viskosität
4
relative Viskosität
3
2
1
Plasmaviskosität 0
1
10
100
1000
Abb. 8.20 Mit Fåhraeus-Lindqvist-Effekt wird die Abnahme der Viskosität des Blutes mit sinkendem Gefäßdurchmesser bezeichnet. Ursache ist die Axialmigration der Erythrozyten. In Gefäßen mit Durchmessern < 10 µm wird allerdings bald die Verformbarkeitsgrenze der Erythrozyten erreicht, und die Viskosität steigt wieder stark an. Dargestellt ist auf der Ordinate die relative Viskosität, d. h. der Quotient aus scheinbarer Viskosität des Blutes und Plasmaviskosität.
Richtung auf die Gefäßmitte zu bewegen. Dieser Effekt wird erst in Blutgefäßen mit Durchmessern von weniger als etwa 300 µm deutlich. Daher ist die effektive Viskosität des Blutes im Gefäßsystem der Mikrozirkulation geringer (etwa nur halb so groß!) wie in den großen Leitarterien oder -venen.
des Blutes und der des Plasmas. Die wesentlichen Ursachen dieses Fließverhaltens sind die Aggregation von Erythrozyten bei niedrigen Schubspannungen und ihre Deformierung bei hohen Schubspannungen.
Von großer, auch klinischer Bedeutung ist die starke Abhängigkeit der scheinbaren Blutviskosität vom Hämatokrit (Abb. 8.19). Dementsprechend ist der periphere Widerstand bei Anämie erniedrigt und bei Polyzythämie erhöht. Beides bedeutet eine Mehrbelastung für das Herz, weil im einen Fall das Herzzeitvolumen wegen der verminderten Nachlast (S. 156) bei gleichzeitig reduziertem Sauerstoffgehalt des Blutes deutlich steigt, im anderen der vom Herzen zu überwindende periphere Widerstand zunimmt (siehe auch mittel- und langfristige Blutdruckregulation; S. 201). Bei Abweichungen vom normalen Hämatokrit ändern sich das Herzzeitvolumen (wegen der Viskositätsänderung) und die O2-Kapazität des Blutes (wegen der veränderten Hämoglobinkonzentration) gegensinnig. Daher ergibt sich für die globale O2-Transportleistung (HZV × arterielle O2-Konzentration) ein Hämatokritoptimum, das leicht unter dem normalen Hämatokrit des Blutes liegt (Abb. 8.21). Bei einem nichttrainierten Menschen führt deshalb – normale Leistungsfähigkeit des Herzens vorausgesetzt – eher eine künstliche Blutverdünnung bei konstantem Blutvolumen (isovolämische Hämodilution) als eine Transfusion von Erythrozytenkonzentrat zu einer Steigerung der Organdurchblutung. Für einen trainierten Sportler andererseits kann eine Hämatokriterhöhung – etwa durch ein (erlaubtes) Höhentraining oder die (unerlaubte) Verwendung von Erythropoetin (S. 227) – leistungssteigernd wirken, weil das gut trainierte Sportlerherz den durch die Bluteindickung erhöhten peripheren Widerstand verkraften kann. Das Hagen-Poiseuille-Gesetz (Gl. 8.7, S. 188) besagt, dass der Strömungswiderstand linear von der Blutvisko-
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191
8 Das Kreislaufsystem
h app
Blutviskosität
O2-Transportleistung 120
Hämatokrit
100
80
60 O2 -Konzentration im Blut 40
[O2]
transportierte O2 - Menge (%)
192
normaler Hämatokritwert
20
Hämatokrit 0
0
0,2
0,4
0,6
0,8
Hämatokrit
Abb. 8.21 Einfluss des Hämatokrits auf den O2-Transport. Die mit dem Herzzeitvolumen durch das gesamte Gefäßsystem transportierte O2-Menge nimmt bei hohem Hämatokrit wegen der Steigerung der scheinbaren Blutviskosität und bei niedrigem Hämatokrit wegen der Verminderung der O2-Konzentration im Blut deutlich ab. Die maximale O2-Transportleistung (Hämatokritoptimum) liegt leicht unterhalb des normalen Hämatokritwertes (nach 26).
sität abhängig ist. Dies trifft nur dann zu, wenn die Strömung laminar ist, weil nur dann die potenzielle Druckenergie ausschließlich durch innere Reibung in Wärme überführt wird. Bei turbulenter Strömung entstehen zusätzliche Energieverluste durch die Trägheit der Flüssigkeit, weil Flüssigkeitsbewegungen nicht allein in Stromrichtung, sondern auch quer zu ihr erfolgen und daher ständige Beschleunigung bzw. Abbremsung von Flüssigkeitselementen stattfindet. Die Strömung im Gefäßsystem ist jedoch unter physiologischen Bedingungen weitgehend laminar. Turbulenz tritt normalerweise nur kurzfristig (während der Austreibung des Schlagvolumens) im Anfangsteil des Aortenbogens auf, kann aber auch in weiteren Anteilen des arteriellen Systems entstehen, wenn, etwa bei hohem Herzzeitvolumen und stark erniedrigter Blutviskosität (z. B. bei Anämie), sehr hohe Strömungsgeschwindigkeiten auftreten. Unter solchen Bedingungen, ebenso wie bei pathologischen Gefäßveränderungen (Stenosen), macht sich die turbulente Strömung gelegentlich durch mit dem Stethoskop hörbare Strömungsgeräusche bemerkbar.
Pulsation von Druck und Strömung im Gefäßsystem Druck und Strömung im Arteriensystem zeigen charakteristische Pulsationen, deren Form und Amplitude von der Dehnbarkeit (Windkesselwirkung) der Gefäße bestimmt und durch Palpation von Arterien untersucht werden können. Venöse Druck- und Strömungsschwankungen werden von der Sogwirkung des Herzens und der Atmung verursacht. Die Form des Druckpulses in der Aorta (Abb. 8.9, S. 185), der sich als Druckwelle auch in die peripheren Gefäße fortpflanzt, ändert sich wegen der nach distal abnehmenden Dehnbarkeit der Gefäßwände und wegen der Überlagerung mit reflektierten Druckwellen, die aus der Kreislaufperipherie zurückkehren (Abb. 8.22). In den großen muskulären Arterien (A. femoralis, A. subclavia etc.) nimmt die Druckpulsamplitude zunächst zu, wird dann aber in noch weiter peripheren Arterien zunehmend gedämpft. In den Kapillaren finden sich nur relativ geringe pulsatorische Druckschwankungen, die bei maximaler Vasodilatation deutlicher werden. Die vom linken Ventrikel erzeugte Druckwelle läuft mit einer Geschwindigkeit von etwa 3 – 5 m/s in der Aorta und von etwa 5 – 10 m/s in den großen Leitarterien, aber nur von etwa 1 – 2 m/s in den Venen über das Gefäßsystem. Diese Geschwindigkeiten der Druckpulswelle sind deutlich höher als die in den gleichen Gefäßen herrschenden Strömungsgeschwindigkeiten (Abb. 8.23). Durch Betasten (Palpation) einer Arterie (z. B. der A. radialis) kann man Form und Amplitude des sich über das Arteriensystem ausbreitenden Druckpulses untersuchen. Anhand der sog. Pulsqualitäten lässt sich neben der absoluten Höhe des Innendrucks auch die Geschwindigkeit des Druckanstiegs sowie die Druckamplitude und damit indirekt das Schlagvolumen und die Dehnbarkeit des arteriellen Windkessels qualitativ bewerten. Diese einfache Untersuchungsmethode ist auch an anderen peripheren Arterien, z. B. bei Verdacht auf das Vorliegen einer durchblutungsmindernden Gefäßstenose, aufschlussreich. Die diskontinuierliche Fördertätigkeit des Herzens erzeugt im Gefäßsystem auch eine pulsierende Strömung, die infolge der Windkesselfunktion elastischer Gefäße von zentral nach peripher zunehmend gedämpft wird (Abb. 8.23). Schon in den peripheren Arterien fällt die „diastolische“ Stromgeschwindigkeit daher nicht mehr auf Null, und in den Kapillaren ist die Strömung praktisch kontinuierlich. Der linke Ventrikel muss in der Austreibungsphase nicht das gesamte Blutvolumen, sondern nur das Schlagvolumen und den Inhalt des Anfangsteils der Aorta von einer Geschwindigkeit von nahe Null auf einen Spitzenwert von etwa 1,5 m/s beschleunigen. Die mit zunehmendem Lebensalter auftretende Versteifung der großen arteriellen Gefäße (Abb. 8.56, S. 220) hat daher auch Folgen für die Leistungsanforderung an das Herz. Je geringer die Dehnbarkeit und daher die Windkesselwirkung der Gefäße, desto größer ist das vom linken Ventrikel mit jedem Schlag zu beschleunigende Blutvolumen und damit die zu leistende Beschleunigungsarbeit (S. 143 f, S. 221).
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8.4 Stofftransport in Austauschgefäßen werden. Daher ist die Form venöser Strompulse von denjenigen im Arteriensystem sehr verschieden (vgl. Aortendruck und zentralvenösen Druck in Abb. 8.31, S. 199).
160
systolische Maxima
Druck (mmHg)
120
8.4
Die wichtigste Barriere für die überwiegend passiven Austauschvorgänge durch die Gefäßwand ist das Endothel, dessen Struktur und Durchlässigkeit in verschiedenen Organen sehr unterschiedlich ist. Ist die Permeabilität des Endothels für einen Stoff hoch, wird die austauschbare Stoffmenge durch die Durchblutung begrenzt; ist sie gering, so wirkt die Diffusion begrenzend. In jedem Fall ist die riesige Oberfläche (im Wesentlichen der Kapillaren und postkapillären Venolen) bestimmend für die Größe des Stoffaustauschs.
80
Mitteldruck diastolische Minima 40
0
Ao
r ta
e asc
nd
en
s
Ao
r ta
th o
rac
i ca Ao
r ta
d ab
om
in a
li s
A.
fe
ra mo
li s A.
ti b
sa ia li
n te
r io
r
Abb. 8.22 Änderung des Druckpulses im Verlauf der großen Leitarterien. Die Zunahme der Druckamplitude ist Folge des Anstiegs des systolischen (PS) und der (geringeren) Abnahme des diastolischen Drucks (PD). Der arterielle Mitteldruck, der sich annäherungsweise aus PD + 1⁄3 (PS – PD) errechnet, fällt entlang dieser Leitarterien nur wenig ab (nach 9).
Die Abschwächung der Druck- und Strompulse in den peripheren Abschnitten des Gefäßsystems wird von der Höhe des Strömungswiderstandes bestimmt. Bei hoher Durchblutung und niedrigem Widerstand können Druckbzw. Strompulse beispielsweise in den Fingerspitzen deutlich subjektiv wahrnehmbar sein. In den größeren Venen überlagert sich der durch den linken Ventrikel erzeugte, schon stark abgeschwächte Strompuls mit den Druckschwankungen, die durch die rhythmische Ansaugung des Blutes in den Thorax, durch die Atmung und durch die Pumptätigkeit des rechten Herzens erzeugt
Der Stoffaustausch durch die Wand der Blutgefäße dient der Versorgung der Organzellen mit Stoffwechselsubstraten und ihrer Befreiung von Stoffwechselendprodukten, aber auch der Verteilung von Wirkstoffen, sowohl körpereigenen (z. B. den Hormonen) als auch zugeführten (z. B. Medikamenten), zwischen intra- und extravasalem Raum. Der größte Teil des Stoffaustauschs erfolgt in den Kapillaren und postkapillären Venolen (Austauschsystem, Abb. 8.1) wegen der dort sehr großen Austauschfläche, die sich durch die starke Verzweigung ergibt (S. 182 f. und Abb. 8.6). Für gut lipidlösliche Stoffe wie etwa die Atemgase CO2 und O2 ist die Gefäßwand praktisch kein Hindernis, so dass solche Stoffe auch durch die Wand der Arteriolen ins Gewebe diffundieren können. Die entscheidenden Austauschvorgänge durch die Gefäßwand sind überwiegend passiv. Aktive Transportmechanismen, die an Epithelien (z. B. der Darmschleimhaut oder der Nierentubuli) eine große Rolle spielen, finden zwar auch am Endothel statt. Sie sind jedoch für den Stoffaustausch durch die Gefäßwand nur dort wesentlich, wo, wie im Gehirn, wegen besonders ausgeprägter Undurchlässigkeit der Gefäßwand (Blut-Hirn-Schranke, S. 850 f.) der passive Transport stark behindert ist.
150 4 100
3
50
(cm/s)
Strömungsgeschwindigkeit (cm/s)
Stofftransport in Austauschgefäßen
2 1
0 0 50
A
ort
sc aa
en
de
ns A
ort
ho at
ra c
ic a A
o rt
b aa
do
m in
a li s
A
. fe
ra mo
li s A
.t
l is ib ia
an
te r
io r
Abb. 8.23 Strompulse im arteriellen System. Die am Eingang des arteriellen Systems noch pulsierende Strömung nimmt mit zunehmender Entfernung von der Aortenklappe
A rt
o le e ri
60
µm A rt
o le eri
30
µm A rt
o le eri
20
µm A rt
o le eri
µ 12
m Ka
ar p i ll
e7
µm
immer mehr kontinuierlichen Charakter an. In den Kapillaren ist der Strompuls fast völlig gedämpft (nach 9 und 19).
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193
8 Das Kreislaufsystem dünnes Endothel
dickes Endothel
Kapillarwand
ci
ca
co
cv Interstitium kontinuierlich (z. B. Skelettmuskel)
ca 1 diffusionslimitierter Stoffaustausch 2
Stoffkonzentration c
194
fenestriert (z. B. Niere) durchblutungslimitierter Stoffaustausch
3 4 co Kapillarlänge
Abb. 8.24 Diffusion eines Stoffes aus einer Kapillare. Die Konzentration des Stoffes innerhalb der Kapillare (ci) nimmt in deren Längsrichtung ab. Ist die Gefäßwand nur wenig für den Stoff durchlässig, so wird dessen Konzentration am venösen Ende (cv) sich kaum von der am arteriellen (ca) unterscheiden (Diffusionslimitierung; Kurve 1). Je höher die Wanddurchlässigkeit ist (Kurven 2 – 4), desto schneller sinkt die Innenkonzentration auf die Konzentration im umgebenden Interstitium (co) ab. Bei hoher Durchlässigkeit der Wand wird ein Austauschäquilibrium erreicht (Kurven 3 und 4); der Stofftransport ist dann nur noch durchblutungslimitiert.
Sowohl durch die Gefäßwand als auch innerhalb des interstitiellen Raumes werden Wasser und alle gelösten Stoffe durch Diffusion transportiert. Dies geschieht nach dem Fick’schen Diffusionsgesetz dn c c0 =DA i dt x
ð8:9Þ
Dabei ist dn/dt die Zahl der pro Zeiteinheit diffundierenden Moleküle, D der Diffusionskoeffizient des gelösten Stoffes, (ci – co) die Konzentrationsdifferenz zwischen der Innenseite (i) und der Außenseite (o) der Gefäßwand, x deren Dicke und A die Größe der Austauschfläche1. Diffundiert ein bestimmter Stoff aus einem Blutgefäß in das umgebende Gewebe, so fällt bei gegebener Stoffkonzentration im Interstitium (co) die Stoffkonzentration
1
Ersetzt man ci – co durch ∆c, dn/dt durch JDiff. und D/x durch die Permeabilität P und bringt man A auf die linke Seite, ergibt sich die auf S. 21 gezeigte Form des Fick’schen Diffusionsgesetzes.
diskontinuierlich (z. B. Leber)
Abb. 8.25 Schematische Darstellung verschiedener Typen des Kapillarendothels. Die Darstellungen rechts und links unterscheiden sich im Wesentlichen durch die Dicke des Endothels. Als äußerste Wandschicht ist hier die Basalmembran dargestellt (nach 5).
im Gefäß (ci) exponentiell über die Gefäßlänge ab (Abb. 8.24). Ist die Durchlässigkeit der Gefäßwand für einen Stoff hoch, so kann bis zum Kapillarende ein Austauschäquilibrium erreicht werden (cv = co). In diesem Fall wird die maximal austauschbare Stoffmenge vom „Nachschub“, d. h. von der Durchblutung begrenzt; man nennt den Transport solcher Stoffe daher perfusionsoder durchblutungslimitiert (Kurve 3 und 4 in Abb. 8.24). Dies gilt für alle lipidlöslichen und kleine wasserlösliche Moleküle (O2, Glucose, Na+ und andere Elektrolyte). Ist dagegen die Gefäßwand für einen Stoff wenig durchlässig, so wird die ausgetauschte Stoffmenge im Verhältnis zu ihrer Nachlieferung im Blutstrom gering sein; ein Austauschäquilibrium wird nicht erreicht (cv >> co). In diesem Fall hängt die Menge des austauschbaren Stoffes vor allem von seiner Diffusionsgeschwindigkeit durch die Wand ab; man nennt den Transport solcher Stoffe diffusionslimitiert (Kurve 1 und 2 in Abb. 8.24). Dies gilt für wasserlösliche großmolekulare Stoffe, z. B. die Plasma-Proteine. Durch Diffusion werden im gesamten Kreislaufsystem etwa 75 000 l Wasser pro Tag in beiden Richtungen durch die Gefäßwand ausgetauscht, ebenso etwa 20 000 g Glucose. Die Nettobewegung dieser beiden Stoffe von der
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8.4 Stofftransport in Austauschgefäßen Blutbahn ins Gewebe, also die Differenz zwischen „Einwärts-“ und „Auswärts“diffusion, ist hingegen vergleichsweise sehr klein (für Glucose etwa 400 g pro Tag). Wasser kann allerdings auch durch Filtration durch die Gefäßwand ins Gewebe übertreten.
Wichtigste Barriere für den Stoffaustausch zwischen intra- und extravasalem Raum ist das Gefäßendothel Dicke, Kontinuität und Feinstruktur des Endothels können in verschiedenen Organen sehr unterschiedlich sein, so dass man verschiedene Typen des Kapillarendothels differenziert (Abb. 8.25), die sich durch die Größe und Häufigkeit von potenziellen Durchtrittsstellen (Interzellularfugen, Fenestrationen, intraendotheliale Lücken) unterscheiden. Da Zellmembranen zu wesentlichen Teilen aus Lipiden bestehen, können lipidlösliche Stoffe relativ leicht durch die luminale und abluminale Membran der Endothelzellen (transzellulär) hindurchdiffundieren (Abb. 8.26); ihrem Austausch steht daher auch die gesamte Gefäßoberfläche zur Verfügung. Für wasserlösliche Stoffe hingegen ist nur ein sehr kleiner Teil (< 0,5%) der Gefäßoberfläche durchlässig; diese Stoffe werden überwiegend durch die Interzellularfugen (parazellulär) ausgetauscht (Abb. 8.26). Als weitere, jedoch umstrittene Passagewege gelten die membranumschlossenen Vesikel (Durchmesser etwa 50 nm), die mit der luminalen und abluminalen Zelloberfläche, teilweise aber auch miteinander in Verbindung stehen (Abb. 8.26).
Wasser und wasserlösliche Stoffe werden durch sog. Porensysteme der Endothelbarriere ausgetauscht Je größer das Molekulargewicht eines Stoffes, desto mehr ist seine Passage durch die Poren behindert (molekulare Siebung). Die Filtration von Wasser wird von hydrostatischen und kolloidosmotischen Druckdifferenzen sowie von der Größe der Oberfläche und von der hydraulischen Leitfähigkeit der Gefäßwand bestimmt. Ein Filtrationsäquilibrium wird nur annähernd erreicht, und die Differenz zwischen Auswärts- und Einwärtsfiltration (etwa 10 %) wird durch den Lymphstrom ausgeglichen. Da die Zellmembran für wasserlösliche Substanzen sehr wenig durchlässig ist, können diese Stoffe nur durch „Lücken“ passieren. Man stellt sich dabei zwei verschiedene funktionelle „Porensysteme“ vor: kleine Poren (2 – 5 nm Durchmesser) und wesentlich weniger zahlreiche, große Poren (Durchmesser 20 – 80 nm), deren Anzahl in Richtung auf das venöse Kapillarende zunimmt (Permeabilitätsgradient). Es ist wahrscheinlich, dass die kleinen Poren im Wesentlichen den Interzellularfugen entsprechen, während Fenestrationen und Vesikel wahrscheinlich das große Porensystem darstellen (Abb. 8.26). Je nach der Größe der diffundierenden Moleküle (Tab. 12.3, S. 338) kann ihre Diffusion durch die Poren mehr oder weniger stark behindert sein. Kleine Moleküle, z. B. Glucose (Radius etwa 0,4 nm) zeigen weitgehend
Passage durch Fenestrationen mit Diaphragma transzelluläre Diffusion (lipidlösliche Stoffe)
transzellulärer Kanal durch Vesikelfusion Passage durch Interzellularfuge (parazellulär)
Basalmembran Gefäßendothel
Abb. 8.26 Wege für die Stoffpassage durch das Gefäßendothel. Die Verfügbarkeit dieser Passagewege im Endothel einer Gefäßprovinz bestimmt dessen Leitfähigkeit.
freie Diffusion durch die Membranporen; bei Albumin (Radius 3 – 4 nm) ist die Behinderung schon erheblich und bei noch größeren Proteinen so stark, dass sie die Endothelbarriere kaum passieren können. Das Ausmaß der Passagebehinderung verschiedener Stoffe in ein und demselben Gefäßgebiet wird in Abb. 8.27 durch den Permeabilitätskoeffizienten P P=
D FP x F
ð8:10Þ
ausgedrückt, wobei der Anteil der gesamten Querschnittsfläche der Poren (Fp) an der gesamten Austauschfläche (F) berücksichtigt ist (x = Dicke der Gefäßwand, D = Diffusionskoeffizient).
Filtration von Flüssigkeit: hydrodynamische Strömung durch die poröse Kapillarwand Das Endothel verfügt über so große Poren, dass Wasser und darin gelöste niedermolekulare Stoffe weitgehend ungehindert hindurchfließen können. Da der intravasale Druck meist höher ist als der extravasale Druck im Interstitium, würde die Blutflüssigkeit völlig durch die undichte Gefäßwand in das extravasale Gewebe versickern, wenn der hydrostatischen Druckdifferenz ∆P zwischen Innen- und Außenseite der Kapillarwand nicht eine osmotische Druckdifferenz ∆π entgegenstünde. Da die Gefäßwand Proteine je nach Molekulargewicht in begrenztem Umfang passieren lässt, muss die gesamte osmotische Druckdifferenz mit dem sog. osmotischen Reflexionskoeffizienten σ korrigiert werden (S. 866 f.). Dieser hat den Wert 1 für Moleküle, die von der Gefäßwand zurückgehalten (reflektiert) werden, und den Wert 0 für solche, die frei passieren können. Der tatsächliche Wert für Plasmaproteine liegt im Mittel aller Gewebe etwa bei 0,85. Die transmurale Flüssigkeitsströmung
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195
8 Das Kreislaufsystem 40 +
Na , Cl
30 30
Druck (mmHg)
Harnstoff
20
Hexosen
DPDp =0 3
Dp Filtrationsgleichgewicht
10
0
1
2
Albumin 3
4
Molekülradius (nm)
Abb. 8.27 Durchlässigkeit (Permeabilität) der Kapillarmembran. Sie nimmt mit steigendem Molekülradius verschiedener wasserlöslicher Stoffe stark ab; dies beruht auf der zunehmenden Behinderung des Stoffdurchtritts bei der Passage durch die Porensysteme (molekulare Siebung; s. a. Tab. 12.3, S. 338).
kann je nach Höhe der hydrostatischen und osmotischen Drücke entweder gewebewärts (Auswärtsfiltration) oder lumenwärts (Einwärtsfiltration = Reabsorption) gerichtet sein (Abb. 8.28). Nach dem sog. Starling-Gesetz ist der effektive Filtrationsdruck Peff, der die Filtration treibt, gleich der Differenz von hydrostatischen (P) und osmotischen (π) Drücken innerhalb (i) und außerhalb (o) des Gefäßes: Peff = P
= ðPi
Po Þ
ð i
o Þ
ð8:11Þ
Das filtrierte Flüssigkeitsvolumen Q˙ f hängt außerdem von der hydraulischen Leitfähigkeit der Gefäßwand und von der Filtrationsfläche ab. Das Produkt dieser beiden Größen wird durch den Filtrationskoeffizienten Kf beschrieben: Q_ = K P = K ðP Þ ð8:12Þ f
eff
Filtrationskoeffizient (rel. Einheiten)
Myoglobin
filtriertes Volumen
Inulin
f
DP
2 1
Saccharose
10
0
20
DPDp >0
Druck (kPa)
6
Permeabilitätskoeffizient (10 cm/s)
196
0
0
2
1
auswärts 0 einwärts
.
Qf
Kapillarlänge
Abb. 8.28 Flüssigkeitsaustausch entlang eines Austauschgefäßes nach dem Starling-Prinzip. Der hydrostatische Druck in der Kapillare fällt kontinuierlich ab. Gleichzeitig nehmen in der Längsrichtung sowohl die hydraulische Leitfähigkeit der Gefäßwand (wegen der Dichte und Größenverteilung hydrophiler Durchtrittsporen) als auch die Austauschoberfläche vor allem im venösen Kapillarschenkel stark zu. Dennoch kommt es nach Erreichen des Filtrationsgleichgewichts (im gezeigten Fall nach etwa 2⁄3 der Kapillarlänge) nicht zu einer Umkehr des Flüssigkeitsaustausches, da parallel zum Absinken des hydrostatischen Kapillardrucks der interstitielle kolloidosmotische Druck ansteigt, weshalb ∆π ebenfalls absinkt und der effektive Filtrationsdruck (∆P – ∆π) bei Null bleibt.
f
In der Niere (S. 336) und im Dünndarm ist Kf besonders hoch (fenestriertes Endothel), im Skelettmuskel (kontinuierliches Endothel) etwa 100fach niedriger. Der hydrostatische Druck in den Kapillaren (Pi; für den Körperkreislauf im Mittel etwa 25 mm Hg = 3,3 kPa, für den Lungenkreislauf etwa 10 mm Hg = 1,3 kPa) ändert sich bei Änderungen des Arteriolentonus (Abb. 8.17, S. 190). Daher hat eine Durchblutungssteigerung durch Dilatation der Arteriolen auch eine vermehrte Filtration ins Gewebe zur Folge. Da der postkapilläre Strömungswiderstand meist niedrig und nur wenig veränderlich ist, beeinflussen vor allem venöse Druckänderungen den Kapillardruck und daher die Filtration. Dies kann z. B. bei manchen Menschen, selbst bei gesunden, zum Anschwellen der Füße nach langem
Stehen, vor allem bei warmem Wetter (hoher venöser Druck, niedriger arterieller Widerstand) führen und macht verständlich, dass z. B. bei Patienten mit Herzinsuffizienz (S. 186 f.) Ödeme vor allem an den Beinen entstehen können. Der hydrostatische Druck im Interstitium (Po) ist normalerweise sehr gering; die Werte variieren je nach Messmethode zwischen + 5 und – 6 mm Hg. Der Druck im Interstitium ist auch wegen der großen Compliance des interstitiellen Gewebes relativ konstant. Ausnahmen hiervon sind in feste Kapseln eingeschlossene Organe (Gehirn, Niere, Knochenmark), in denen der Gewebedruck sich proportional den intravasalen Drücken ändern kann. Der kolloidosmotische Druck des Plasmas (πi) ist im Wesentlichen von der Plasmaproteinkonzentration ab-
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8.4 Stofftransport in Austauschgefäßen
Wir haben schon gesehen, dass am Anfangsteil der Kapillaren eine Auswärtsfiltration stattfindet, weil hier die hydrostatische Druckdifferenz die kolloidosmotische übersteigt. Nun könnte man erwarten, dass sich dies mit weiter abfallendem hydrostatischem Druck in der Kapillare am venösen Ende und in den postkapillären Venolen umkehrt und es zu einer Reabsorption von Flüssigkeit kommt, so dass proximale Auswärtsfiltration und distale Reabsorption im Gleichgewicht stehen. Genaue Messungen zeigen aber, dass in der Regel in allen Gefäßen praktisch nur eine Auswärtsfiltration stattfindet (Abb. 8.28). Die Erklärung hierfür ist, dass bei Unterschreiten einer bestimmten Höhe des Kapillardrucks durch die zunächst einsetzende minimale Reabsorption sofort der interstitielle kolloidosmotische Druck lokal ansteigt, ∆π deshalb ebenfalls sinkt und eine weitere Reabsorption verhindert wird (∆P – ∆π = 0). Die Proteine im Interstitium sammeln sich insbesondere am äußeren Ende der Durchtrittsporen für das Wasser an, so dass dort lokal ein hoher kolloidosmotischer Druck herrscht, der die weitere Reabsorption verhindert. Wie aber gelangt nun die filtrierte Flüssigkeit wieder aus dem Interstitium in das Gefäßsystem zurück? Hierfür ist einerseits der Lymphfluss verantwortlich; seine Bedeutung für die Flüssigkeitshomöostase des Gewebes wird besonders bei Störungen der Lymphdrainage deutlich, die z. B. bei metastasierenden Tumoren gehäuft auftreten und zu starken Schwellungen der betroffenen Gewebsareale führen. Ein weiterer wichtiger Mechanismus der Flüssigkeitshomöostase ist die rhythmische Kontraktion der Arteriolenmuskulatur (Vasomotion). Damit wird der Kapillardruck intermittierend auf die Höhe des venösen Drucks abgesenkt und ermöglicht so kurzfristig eine Reabsorption, bevor der bereits beschriebene Anstieg des kolloidosmotischen Drucks im Interstitium eingesetzt hat (Abb. 8.29). Diese für eine effektive Volumenregulation wichtigen Mechanismen der Selbstregulation funktionieren weit weniger gut, wenn etwa bei übermäßiger Flüssigkeitsansammlung im Interstitium dessen Compliance durch Nachgeben des interstitiellen Fasergerüsts zunimmt. Wie wir schon gesehen haben, kann ein solcher Zustand, der als Ödem bezeichnet wird, durch Erhöhung des Kapillaroder venösen Drucks, durch Behinderung des Lymphabflusses oder durch die Kombination von Vasodilatation und Permeabilitätssteigerung zustande kommen, die das
auswärts
40
Steady state: Messung einige Minuten nach Einstellung des Drucks: Filtration, aber keine Reabsorption
20
Filtrationsrate/Fläche, nm · s1
Filtrationsgleichgewicht und Filtrationsbilanz
60
0 10
20
30
40
Kapillardruck, cmH2O
20
einwärts
hängig (Abb. 31.1, S. 867). Als normaler Mittelwert gilt ein Druck von etwa 25 mm Hg (3,3 kPa). Bei Proteinmangel im Plasma ist der kolloidosmotische Druck vermindert und die Auswärtsfiltration daher gesteigert (Ödeme bei Eiweißmangelernährung). Der kolloidosmotische Druck im Interstitium (πo) ist entsprechend der unterschiedlichen Eiweißpermeabilität der Austauschgefäße in verschiedenen Organen sehr variabel. Da mit Ausnahme der Leber und (bedingt) auch des Magen-Darm-Trakts nur wenig Protein im Interstitium enthalten ist (etwa 10% der Plasmakonzentration), wird der kolloidosmotische Druck des Interstitiums meist als nahe Null angesetzt.
40
initiale Antwort: Messung unmittelbar nach Einstellung des Drucks: Filtration und Reabsorption
Abb. 8.29 Beziehung zwischen Kapillardruck und Flüssigkeitsfiltration. Sind arterieller Druck und präkapillärer Widerstand konstant (steady state), so erfolgt eine auswärtsgerichtete Flüssigkeitsbewegung (Filtration) ausschließlich in den frühen Kapillarabschnitten mit einem hohen Kapillardruck. Eine einwärtsgerichtete Flüssigkeitsbewegung (Reabsorption) findet lediglich initial nach einer Absenkung des hydrostatischen Drucks durch dem Kapillarbett vorgeschaltete Prozesse statt, z. B. bei einem Abfall des arteriellen Blutdrucks, einer Sympathikusaktivierung mit Konstriktion der Arteriolen oder durch Vasomotion (nach 27).
typische Wirkungsspektrum von Entzündungsstoffen (Histamin, Bradykinin, bestimmte Eikosanoide) kennzeichnen.
Stofftransport im Interstitium Das Interstitium ist kein homogenes Kompartiment, sondern stellt ein Sol-Gel-Gemisch dar, dessen wesentliche Bestandteile das kollagene und elastische Fasermaterial sowie die makromolekularen Komponenten (Proteoglykane) der sog. Grundsubstanz sind. Infolge der hohen Wasserbindungskapazität dieser Makromoleküle ist nur wenig „freies Wasser“ verfügbar; daher ist sowohl die Diffusion (vor allem von großen Molekülen) als auch die konvektive Strömung von Wasser stark behindert. Die Beweglichkeit von gelösten Teilchen in den wassergefüllten Kanälchen (Mikrocanaliculi) zwischen den Gel-Inseln ist sehr eingeschränkt und nicht homogen verteilt. Bei Steigerung des interstitiellen Wassergehalts (z. B. durch vermehrte Auswärtsfiltration) wird der Diffusionswiderstand des Interstitiums geringer. Im Einzelnen ist die Bedeutung der physikochemischen und strukturellen Organisation des Interstitiums für den Substanztransport aber nicht geklärt.
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197
198
8 Das Kreislaufsystem Hoch- und Niederdrucksystems ausgelöst und über das vegetative Nervensystem vermittelt. Die längerfristige Blutdruckregulation umfasst Veränderungen des Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts, die durch verschiedene Hormonsysteme gesteuert werden.
Drainage des Interstitiums: Bildung und Transport der Lymphe Die Gesamtfördermenge des Lymphgefäßsystems beträgt etwa 2 – 3 l pro Tag; sie nimmt bei Zunahme der Auswärtsfiltration erheblich, u. U. auf das 20- bis 100fache zu. Die Strömung im Lymphgefäßsystem entsteht durch rhythmische Kontraktionen der glatten Wandmuskulatur der größeren Lymphgefäße; die Strömungsrichtung wird durch Klappen festgelegt. Da die Passage aus dem Intravasalraum durch die Kapillarwand in das Interstitium für Proteine eine Einbahnstraße ist, stellt der Lymphfluss die einzige Möglichkeit für deren Rückführung dar; eine Behinderung des Lymphflusses führt daher auch zu Proteinverlust aus dem Plasma. Die Proteinkonzentration in der Lymphe ist in den verschiedenen Organen entsprechend der Eiweißpermeabilität der Austauschgefäße sehr verschieden: etwa 60 g/l in der Leber, weniger als 5 g/l im Skelettmuskel. Die Lymphe ist wegen ihres Gehalts an Fibrinogen und anderen Gerinnungsfaktoren gerinnungsfähig.
8.5
Unter Kreislaufregulation versteht man die Summe aller Vorgänge, durch die alle für die Organdurchblutung wesentlichen hämodynamischen Größen (arterieller Blutdruck, Herzzeitvolumen, totaler und regionaler Strömungswiderstand, Blutvolumen) aufeinander abgestimmt werden. Eine Kreislaufregulation ist schon in Ruhe ständig erforderlich, verlangt aber vor allem bei verändertem Bedarf (z. B. Stoffwechselsteigerung bei Muskelarbeit) oder veränderten Umgebungsbedingungen (z. B. Temperatureinwirkungen) eine gezielte Anpassung. Sie umfasst eine Reihe von zentralen Steuerungsvorgängen, die neurogen (über die vegetativen Nerven) oder hormonal (über zirkulierende Hormone) übermittelt werden. In der Peripherie des Kreislaufsystems werden diese Vorgänge ergänzt durch humorale (mit Hilfe von lokal gebildeten Wirkstoffen) oder myogene Einflüsse.
Kreislaufregulation: zentrale Steuerung, Verbraucherkontrolle und langfristige Adaptation
Die Regulation des arteriellen Blutdrucks bedient sich nicht nur der Stellglieder des Kreislaufsystems selbst
Die Ver- und Entsorgung der Gewebe wird dem aktuellen Bedarf durch eine Vielzahl von Regulationsmechanismen angepasst, durch die der arterielle Druck, das Herzzeitvolumen und der periphere Widerstand eingestellt werden. Die kurzfristige Regulation des arteriellen Blutdrucks erfolgt reflektorisch; sie wird durch Dehnungsrezeptoren in den zentralen Abschnitten des
Im Allgemeinen dominiert bei schnellen und kurzfristig (Sekunden bis Minuten) erfolgenden Regulationsvorgängen die neurogene Signalvermittlung, während eine Regulation durch fern vom Wirkort gebildete Hormone längere Zeit (Minuten bis Stunden) benötigt. An mittelfristigen (Stunden bis Tage) Regulationsvorgängen sind in
Regelgröße arterieller Mitteldruck
Stellglieder Zunahme
Gefäße totaler Herz peripherer Widerstand
Abnahme
Karotissinus
Schlagvolumen
venöser Rückstrom
Verlust von Blutvolumen
Frequenz Steigerung
Messfühler verminderte Erregung
Steigerung
Pressorezeptoren
Aortenbogen
Regler
verminderte Hemmung vegetative Strukturen im Hirnstamm Kreislaufzentren
Abb. 8.30 Regelkreis für die kurzfristige Regulation des arteriellen Mitteldrucks. Der primäre Abfall des arteriellen Drucks, der hier als Folge eines Blutverlustes angenommen wurde, setzt eine Kette von Regulationsvorgängen in Gang,
die über die Pressorezeptoren zur Sympathikusaktivierung und damit zu vermehrter Herztätigkeit und Gefäßkonstriktion führen.
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der Regel nicht allein die Effektoren des Kreislaufsystems (Herz, Gefäßsystem), sondern auch andere Funktionssysteme (z. B. Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt, Atmung, Thermoregulation) beteiligt. Sehr langfristige (Wochen und Monate) Regulationsvorgänge umfassen zusätzlich Wachstumsveränderungen von Gefäßsystem und Herzmuskulatur.
mmHg
8.5 Kreislaufregulation: zentrale Steuerung, Verbraucherkontrolle und langfristige Adaptation 120
Aortendruck 100
80
Die kurzfristige Blutdruckregulation beruht weitgehend auf reflektorischer Veränderung von Herztätigkeit und Gefäßtonus
zentralvenöser Druck
6
mmHg
Dies geschieht über sog. Kreislaufreflexe, die nach Erregung von Rezeptoren (z. B. Dehnungsrezeptoren der Gefäßwand) über afferente Nerven, vegetative Kerngebiete im Zentralnervensystem und efferente Nerven schließlich zu einem Effektor (glatte Gefäßmuskulatur, Herzmuskulatur) führen (Prinzip eines Regelkreises mit negativer Rückkopplung; Abb. 8.30). Dabei spielen die sog. Presso- (oder Baro-)rezeptoren, die sich im Hochdrucksystem im Bereich des sog. Karotissinus, nahe der Teilungsstelle der Aa. carotides communes, und am Aortenbogen finden, eine besonders wichtige Rolle. Diese sinoaortalen Pressorezeptoren liegen als freie Nervenendigungen in der Media und Adventitia, wo sie in Abhängigkeit von der Gefäßdehnung erregt werden. Die Impulsfrequenz der hier beginnenden afferenten Neurone, die sich über den Karotissinus- bzw. den Aortennerv dem N. glossopharyngeus bzw. dem N. vagus anschließen, wird sowohl vom absoluten Dehnungszustand des Gefäßes als auch von seinen zeitlichen Änderungen bestimmt. Man bezeichnet dies auch als PD-Verhalten, wobei P die proportionale Antwort auf die absolute Größe des Dehnungszustandes der Gefäße beschreibt, während D der differentiellen Antwort bei Änderungen des Dehnungszustandes entspricht (S. 619). Der pulsatile Druck in den großen Arterien führt daher zu rhythmischen Impulsmustern der afferenten Nerven (Abb. 8.31 oben). Die mittlere Impulsfrequenz steigt dabei mit der Höhe des arteriellen Mitteldrucks, aber auch mit der Druckamplitude, der Herzfrequenz und der Anstiegssteilheit des systolischen Druckpulses. Da kurzfristige Schwankungen der Druckamplitude vor allem durch Änderungen des Schlagvolumens bedingt sind und die Anstiegssteilheit des systolischen Druckpulses daher auch die Kontraktionskraft des linken Ventrikels abbildet, werden im Impulsmuster der Pressorezeptorafferenzen Informationen über alle wichtigen physiologischen Größen der Herzfunktion – Herzfrequenz, Schlagvolumen, Schlagkraft und erzeugter mittlerer arterieller Blutdruck – kodiert und an das Gehirn weitergeleitet. Die Pressorezeptorenafferenzen üben einen ständigen hemmenden Einfluss auf diejenigen vegetativen Kerngebiete im Hirnstamm aus, die die tonische sympathische Innervation bestimmen (s. Kap. 27.5, S. 798). Werden die Pressorezeptoren weniger erregt, wie etwa bei einem Abfall des arteriellen Drucks oder des Schlagvolumens, kommt es also zu einer Disinhibition der im Hypothalamus gebildeten und zur Medulla oblongata weitergeleiteten Sympathikusaktivität. Als Folge dieser Disinhibition nimmt der periphere Sympathikotonus zu, und es kommt sowohl zu einer Zunahme von Schlagvolumen
sinoaortale Pressorezeptoren
c
a
v
3
y x
0
A-Rezeptoren der Herzvorhöfe
B- Rezeptoren der Herzvorhöfe
Abb. 8.31 Phasische Erregungsmuster der sinoaortalen Pressorezeptoren sowie der Vorhofrezeptoren und ihre zeitliche Beziehung zu dem Druck in der Aorta bzw. dem zentralvenösen Druck. Dessen typische Wellen haben folgende Ursachen: Die c-Welle entsteht v. a. durch die Vorwölbung der Trikuspidalklappe während der Anspannungsphase, die Drucksenkung x durch die Verschiebung der Ventilebene (Abb. 7.6, S.142). Die v-Welle spiegelt die Vorhoffüllung während der Entspannungsphase der rechten Kammer wider, die y-Senke den Druckabfall im Vorhof nach Öffnen der Trikuspidalklappe, und die a-Welle entsteht durch die Vorhofkontraktion.
und Frequenz des Herzens als auch zu einer Zunahme des peripheren Widerstands. Die neurogene Konstriktion der Widerstandsgefäße findet vor allem im Skelettmuskel und im Mesenterialkreislauf, weniger in der Haut statt (differenzierte sympathische Aktivierung). Bei starker Sympathikusaktivierung kann es auch zu einer Konstriktion vor allem der kleinen Kapazitätsgefäße des Niederdrucksystems kommen, die zu Blutvolumenverlagerung nach zentral und damit zu einem größeren venösen Angebot an das Herz führt. In der Summe wirken diese Veränderungen dem auslösenden arteriellen Druckabfall entgegen und stellen damit den normalen Mitteldruck weitgehend wieder her (Abb. 8.30). Neben dem hemmenden Einfluss auf die Sympathikusaktivität übt der Zustrom aus den Pressorezeptorafferenzen zusätzlich einen direkt stimulierenden Einfluss auf die Motoneurone der zum Herzen ziehenden vagalen Efferenzen aus, die sich im Ncl. ambiguus befinden. Diese reziproken Effekte auf Vagus und Sympathikus wirken bei der reflektorischen Regulation der Herzfrequenz synergistisch. Ein weiterer wichtiger Aspekt des vagalen Schenkels des Pressorezeptorenreflexes ist seine besonders schnelle Wirkung auf die Herzfrequenz (innerhalb von 1 – 2 Sekunden; s. Abb. 7.29 B, S. 163). Die oben genannten sympathischen Effekte entfalten dagegen erst
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199
8 Das Kreislaufsystem
A
B
12
+
normal nach Denervierung der sinoaortalen Pressorezeptoren
3
relatives Vorkommen (%)
6
relatives Vorkommen (%)
200
9
normal
nach zusätzlicher Denervierung der Afferenzen aus dem Niederdrucksystem
6
3
0
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arterieller Blutdruck (mmHg)
Abb. 8.32 Auswirkung der Blockade der sinoaortalen Pressorezeptoren. Nach isolierter Ausschaltung der sinoaortalen Pressorezeptoren (rote Kurve in A) zeigt die Häufigkeitsverteilung (Histogramm) der Blutdruckwerte eine ver-
nach frühestens 5 – 10 Sekunden ihre volle Wirkung. Vagal vermittelte Einflüsse auf die Herzfrequenz sind beispielsweise in der frühen Phase der Orthostase (S. 211) oder bei plötzlichen Blutdruckanstiegen funktionell von großer Bedeutung. Der Pressorezeptorenreflex ermöglicht somit eine schnelle, kontrollierte Gegenregulation bei kurzfristigen Veränderungen des Drucks in den großen Leitungsarterien. Trotz dieses reflektorisch ablaufenden Regulationsvorgangs kann der arterielle Druck durchaus auch größere Veränderungen zeigen, z. B. bei körperlicher Arbeit oder psychischer Erregung. Solche Veränderungen können entweder über nichtpressorezeptorische Afferenzen (z. B. Propriozeptoren des Bewegungsapparats, Chemorezeptoren, Schmerzrezeptoren) oder auch von höher gelegenen Hirnstrukturen (Limbisches System, Kortex) ausgelöst werden. Umgekehrt beeinflusst eine Änderung der Pressorezeptorenafferenzen auch andere vegetative Funktionen (z. B. Atmung, Schweißsekretion, Darmmotilität) ebenso wie höhere Funktionen des Zentralnervensystems (Skelettmuskeltonus, Wachheitszustand). Dies zeigt, dass der Pressorezeptorenreflex keineswegs ein isolierter, in sich geschlossener Regelmechanismus ist, sondern in einen Zusammenhang mit anderen Regulations- und Steuerungsvorgängen gestellt ist. Ob die sinoaortalen Pressorezeptoren auch an der langfristigen Regulation des Blutdrucks beteiligt sind, ist bis heute umstritten. So wurde nach vollständiger Durchtrennung des Reflexbogens zwar eine starke Zunahme der Blutdruckvariabilität, jedoch keine Änderung des arteriellen Mitteldrucks beobachtet (Abb. 8.32 A). Mögli-
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arterieller Blutdruck (mmHg)
größerte Schwankungsbreite, aber einen unveränderten mittleren Blutdruck. Das mittlere Blutdruckniveau steigt erst nach zusätzlicher Denervierung der Afferenzen aus dem Niederdrucksystem an (B; nach 16 und 31).
cherweise können unter diesen Umständen Afferenzen aus dem Niederdrucksystem einen Teil der Aufgaben der sinoaortalen Pressorezeptoren übernehmen (Abb. 8.32 B). Außerdem kommt es bei dauerhaften Veränderungen des mittleren arteriellen Blutdrucks (z. B. bei arterieller Hypertonie) zu einer Anpassung des Arbeitspunktes des Pressorezeptorenreflexes an das neue Blutdruckniveau (sog. „Resetting“). Dies ermöglicht, dass der Pressorezeptorenreflex auch bei einem dauerhaft veränderten Druckniveau seine volle Wirkung beibehält. Ein Resetting des Pressorezeptorenreflexes spielt auch bei der Anpassung des Kreislaufs bei körperlicher Arbeit eine wichtige Rolle (Abb. 8.33 u. S. 214).
Weitere Dehnungs- und Chemorezeptoren finden sich im Herzen, in den Lungengefäßen und in den Glomera carotica und aortica Reflektorisch wird der arterielle Blutdruck auch bei Erregung von Dehnungsrezeptoren im Niederdrucksystem beeinflusst, die sich in der Wand der großen, in das Herz einmündenden Venen, der A. pulmonalis, der Vorhöfe und Ventrikel selbst befinden. Die Vorhofrezeptoren werden je nach der zeitlichen Lage der Maxima ihrer stark phasischen Entladungsmuster als A-Rezeptoren (während der Vorhofsystole) oder als B-Rezeptoren (während der Vorhoffüllung) bezeichnet (Abb. 8.31). Ihrer Lokalisation entsprechend stellen sie Messfühler für den Füllungszustand der herznahen Anteile des Niederdrucksystems und damit indirekt für die Größe des Blutvolumens dar. Die Erregung vor allem der B-Rezeptoren führt
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8.5 Kreislaufregulation: zentrale Steuerung, Verbraucherkontrolle und langfristige Adaptation
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mittelschwere Arbeit 150
Herzfrequenz (min1)
– ähnlich wie die der sinoaortalen Dehnungsrezeptoren – zu einer Hemmung des Sympathikotonus. Eine Erregung der Chemorezeptoren in den Glomera carotica und aortica (s. a. S. 297 f.) beeinflusst ebenfalls kurzfristig den arteriellen Blutdruck. Sinkt der arterielle PO2, so kommt es zu einer reflektorischen Konstriktion der Widerstandsgefäße, die jedoch meist durch die direkte dilatierende Wirkung der Hypoxie sowie durch die Wirkung des aus dem Nebennierenmark freigesetzten Adrenalins auf die Gefäße überspielt wird. So ist, auch infolge einer Zunahme des Herzzeitvolumens, der arterielle Blutdruck in akuter Hypoxie zunächst gesteigert, fällt dann jedoch bei anhaltender Hypoxie wegen der hypoxischen Vasodilatation ab.
leichte Arbeit 100
Ruhe 50
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Die mittel- und langfristige Blutdruckregulation hängt eng mit Veränderungen des extrazellulären Volumens zusammen Wir haben gesehen, dass bei akuter Änderung des arteriellen Blutdrucks die Herztätigkeit und der periphere Widerstand reflektorisch beeinflusst werden. An der mittelfristigen Regulation des Blutdrucks ist darüber hinaus auch der Renin-Angiotensin-Mechanismus beteiligt, durch den bei Blutdruckabfall eine periphere Vasokonstriktion bewirkt wird (S. 369 f.). Änderungen des arteriellen Blutdrucks und anhaltende Änderungen des peripheren Widerstandes haben aber auch einen Einfluss auf die Größe des intravasalen Volumens. Zunächst erfolgt eine Flüssigkeitsverschiebung zwischen Intra- und Extravasalraum. Eine Abnahme des hydrostatischen Kapillardrucks (bei Zunahme des peripheren Widerstandes) vermindert die Filtration und vergrößert so das intravasale Volumen und umgekehrt. Eine Zunahme des Volumens und damit des Füllungszustandes des Niederdrucksystems fördert ihrerseits das venöse Angebot und damit das Herzzeitvolumen. Zur langfristigen Einstellung des arteriellen Blutdrucks sind aber vor allem die funktionellen Beziehungen zwischen Blutdruckregulation und Salz-Wasser-Haushalt wesentlich (S. 385 f.). In diesen Zusammenhang gehören alle Vorgänge, die die gesamte Na+- und Flüssigkeitsaufnahme und -ausscheidung aufeinander abstimmen; dazu gehören die Nierenfunktion und ihre Beeinflussung durch den arteriellen Blutdruck (Druckdiurese) sowie die Hormone Adiuretin (antidiuretisches Hormon = ADH = Vasopressin), Aldosteron und Atriopeptin (atriales natriuretisches Peptid = ANP). Berücksichtigt man den Zusammenhang dieser Einzelmechanismen, so wird die langfristige Adaptation der Kreislauffunktion verständlich: Bei anhaltender Steigerung des peripheren Widerstandes nimmt der arterielle Blutdruck zwar zunächst zu, kehrt aber schon nach Stunden bzw. Tagen zum Ausgangswert zurück. Dies ist Folge einer Abnahme des Herzzeitvolumens, die ihrerseits durch ein vermindertes venöses Angebot entsteht, weil durch Druckdiurese (siehe S. 334) eine erhöhte Flüssigkeitsausscheidung zustande kommt. Umgekehrt führt die bei anhaltender Senkung des peripheren Widerstandes (z. B. bei Anämie) zunächst auftretende Abnahme des arteriellen Blutdrucks zu einer Volumenretention, und die daraus entstehende Zunahme des Blutvolumens bewirkt über Steigerung von Herzfüllung
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Carotissinus-Blutdruck (mmHg) mittlere Herzfrequenz vor experimenteller Isolation des Carotissinus (reversibler Gefäßverschluss)
Abb. 8.33 Resetting des Pressorezeptorenreflexes. Dargestellt ist die Beziehung zwischen dem arteriellen Blutdruck im Karotissinus und der Herzfrequenz in Ruhe, bei leichter und bei mittelschwerer körperlicher Arbeit (Laufband) am wachen Hund. In Abhängigkeit von der Stärke der körperlichen Arbeit kommt es zu einer zunehmenden Verschiebung der Beziehung zwischen Karotissinusdruck und Herzfrequenz. Diese Verschiebung dokumentiert eine Anpassung des Funktionsbereichs (Resetting) des Pressorezeptorenreflexes an die jeweilige neue physiologische Situation. Das Resetting stellt sicher, dass der Pressorezeptorenreflex auch bei veränderten physiologischen Bedingungen (erhöhtes Schlagvolumen, erhöhte Herzfrequenz, erhöhter arterieller Blutdruck) seine Wirksamkeit beibehält.
und Herzzeitvolumen eine Normalisierung des Blutdrucks. Die chronische Adaptation der Kreislauffunktion ist somit durch das reziproke Verhalten von peripherem Widerstand und Herzzeitvolumen bei praktisch konstantem Blutdruck gekennzeichnet. Dies setzt allerdings eine normale Nierenfunktion voraus. Bei gestörter Nierenfunktion oder anhaltend vergrößertem Extrazellulärvolumen (etwa infolge anhaltend hoher Kochsalzzufuhr mit der Nahrung) kann es zu einer merklichen Steigerung des arteriellen Mitteldrucks über den Normalwert hinaus kommen (Hypertonie). Dies ist weniger Folge einer reflektorischen Beeinflussung von Herzzeitvolumen oder Gefäßtonus als Folge von Verschiebungen in Stoffwechsel und Elektrolytbilanz der Herz- sowie vor allem der Gefäßmuskulatur, die einen anhaltend erhöhten Tonus aufweist (S. 385 f.). Bei langanhaltender Erhöhung des arteriellen Drucks kommt es zu trophischen Veränderungen sowohl im Myokard als auch in den Gefäßen, deren Wandstärke zunimmt (Hypertrophie). Dabei steigt im Allgemeinen der periphere Widerstand weiter an. Solche strukturellen Veränderungen können daher eine zunächst nur funktionelle Blutdrucksteigerung dauerhaft fixieren. Der genaue Mechanismus dieser
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8 Das Kreislaufsystem Die große Zahl der Mechanismen, die den Tonus der Gefäßmuskulatur beeinflussen und dadurch die regionale und lokale Durchblutung regulieren, ist in Abb. 8.35 auszugsweise dargestellt. Diese Einflüsse wirken nicht auf alle Abschnitte des Gefäßbaums in gleichem Maße. Die lokalchemischen (humoralen) Regulationsvorgänge, die auch die sog. metabolische Dilatation bei Steigerung des Gewebestoffwechsels hervorrufen, werden vor allem an den kleinsten präkapillären Arteriolen wirksam, während die neurogenen Einflüsse wohl mehr an den kleinen Arterien und größeren Arteriolen überwiegen.
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Ruhedurchblutung = 100 %
maximale Durchblutung (%)
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Durchblutungssteuerung durch Gefäßnerven 250 80 90
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% des Herzzeitvolumens
Ruhedurchblutung (ml/min pro 100 g)
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Ruhedurchblutung (ml/min)
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Abb. 8.34 Ruhedurchblutung und Durchblutungsreserve verschiedener Organe und Gewebe. Die Zahlen im untersten Diagramm geben den ungefähren prozentualen Anteil am Herzzeitvolumen an.
druckabhängigen Vorgänge, die bei bestimmten Formen der Hochdruckkrankheit bedeutsam werden, ist nicht bekannt.
Regulation der Durchblutung: Ergebnis zahlreicher konkurrierender Einflüsse auf die Widerstandsgefäße Die Durchblutungsregulation beruht auf Veränderungen des Muskeltonus der arteriellen Widerstandsgefäße und wird durch neurogene, myogene, humoralhormonale und endothelvermittelte Mechanismen bewirkt. An physiologischen Durchblutungsänderungen sind meist mehrere dieser Vorgänge beteiligt. Dies gilt vor allem für die funktionelle Hyperämie (bei Steigerung der Stoffwechselaktivität) und für die reaktive Hyperämie (im Anschluss an eine Unterbrechung der Durchblutung). Die Ruhedurchblutung des Gewebes ist in verschiedenen Organen sehr unterschiedlich (Abb. 8.34). Eine hohe Durchblutung zeigen Gewebe mit hohem Ruhestoffwechsel, aber auch solche, deren Durchblutung spezifischen Funktionen und nicht allein der Gewebeversorgung dient (z. B. Niere; S. 332). Die maximal mögliche Durchblutungssteigerung (Durchblutungsreserve) ist ebenfalls von Organ zu Organ verschieden (Abb. 8.34).
Eine Erregung postganglionärer sympathischer Neurone bewirkt im Allgemeinen eine Durchblutungsabnahme durch Konstriktion arterieller Widerstandsgefäße. Die Kontraktion der Gefäßmuskulatur ist in erster Linie Folge der Freisetzung von Noradrenalin aus terminalen Varikositäten und seiner Bindung an postjunktionale α1-Adrenozeptoren. Daneben werden ATP und Neuropeptid Y (NPY) als sog. Kotransmitter freigesetzt und reagieren mit entsprechenden postsynaptischen Rezeptoren. Die Freisetzung aller dieser Transmitter und damit ihre Wirkung auf die Gefäßmuskulatur wird modifiziert durch ihre Bindung an präsynaptischen Rezeptoren sowie durch andere Neuromodulatoren, zu denen auch lokal freigesetzte Hormone gehören (Autakoide, Kap. 3). Daher hängt die Wirksamkeit einer neurogenen Stimulation stark von dem lokalen Milieu im Gewebe ab. Wegen der charakteristischen Verteilung der sympathischen Gefäßnerven ist ihre konstriktorische Wirkung an den großen Leitarterien und an den terminalen Arteriolen relativ geringer als in den dazwischenliegenden Abschnitten des arteriellen Gefäßbaums. Da im Allgemeinen nur Spuren des aus sympathischen Nervenendigungen freigesetzten Noradrenalins in die Blutbahn gelangen, bleiben neurogene Durchblutungsänderungen meist auch lokal begrenzt. Stärkere sympathische Aktivierung bewirkt auch eine, wenn auch geringere, Konstriktion von Venolen und Venen; dies führt zwar zu einer Verminderung des Volumens dieser Kapazitätsgefäße, hat aber nur geringen Einfluss auf die Durchblutung. Eine Vasodilatation wird im Zusammenhang mit Schmerzempfindungen in der Haut beschrieben; hier sind wahrscheinlich Substanz P und CGRP (calcitonin gene-related peptide) als Transmitter beteiligt (S. 641). Eine allgemeine parasympathische Gefäßinnervation mit physiologischer Funktion gibt es nicht. Neurogene Durchblutungszunahmen sind daher im Allgemeinen auf ein Nachlassen der tonischen sympathischen Innervation zurückzuführen. Ausnahmen von dieser Regel sind die Speichel- und Schweißdrüsen sowie die Genitalorgane; hier kommt es bei Stimulation parasympathischer Fasern zu einer Erweiterung der Gefäße, die durch Acetylcholin, aber auch durch andere Transmitter vermittelt wird (z. B. NANC Transmitter; S. 181). Eine cholinerge parasympathische Innervation mit bislang unbekannter Funktion gibt es auch in den Gehirngefäßen. Die physiologische Bedeutung der vegetativen Innervation ist vor allem in der Haut, in den Nieren, im Gastrointestinaltrakt und im Skelettmuskel groß, wäh-
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8.5 Kreislaufregulation: zentrale Steuerung, Verbraucherkontrolle und langfristige Adaptation
aszendierende Dilatation
vasodilatorische Gefäßnerven
vasokonstriktorische Gefäßnerven
endotheliale Wirkstoffe
myogene Antwort auf Dehnung
Erregungsübertragung an myoendothelialen Kontaktstellen
Metaboliten aus Parenchymzellen
Gewebe- bzw. Blut- PO , - PCO , 2
+
+
2
2
H , K , Osmolarität, PO4 myogene Aktivität (Schrittmacherzellen) im Blut zirkulierende Wirkstoffe (Hormone)
Abb. 8.35 Schematische Übersicht über die zahlreichen Regulationsmechanismen des Tonus der Widerstandsgefäße. Diese sind annähernd nach ihrer Bedeutung den großen und kleinen Arterien sowie den Arteriolen zugeordnet.
rend sie im Koronarsystem und im Gehirn relativ gering zu sein scheint. Im Gegensatz zur Haut wird die Durchblutungsabnahme in Muskel und Darm bei länger anhaltender Sympathikusstimulation nach einiger Zeit schwächer (sog. Escape-Phänomen). Diese Reaktion, der eine langsame Zunahme des Gefäßdurchmessers der Arteriolen zu Grunde liegt, wird vor allem durch eine starke Abnahme des lokalen PO2 ausgelöst. Die ausgeprägte und differenzierte Beeinflussbarkeit der Hautdurchblutung durch neurogene Mechanismen bei emotionalen Erregungen findet ihren beredten Niederschlag in den zahlreichen literarischen Beschreibungen des Wechsels der Hautfarbe (von „puterrot“ über „apfelblütenrosa“ bis zu „wachsbleich“).
Beeinflussung der Durchblutung durch endokrine und parakrine Hormone Zu den gefäßaktiven Hormonen, die mit dem Blutstrom zirkulieren und daher systemische Wirkung erzielen, zählt in erster Linie das Catecholamin Adrenalin, das bei starker sympathischer Erregung aus dem Nebennierenmark (zusammen mit geringen Mengen Noradrenalin) freigesetzt wird. Eine Erhöhung des zirkulierenden Adrenalins wirkt sich insbesondere auf die Herzfunktion aus.
Dort bewirkt Adrenalin über eine Aktivierung von β1Adrenozeptoren eine Zunahme von Herzfrequenz und Inotropie. Die Wirkung von Adrenalin auf die Widerstandsgefäße ist dagegen komplexer. Dies hat sowohl mit den Bindungseigenschaften von Adrenalin an den adrenergen Rezeptoren als auch mit deren sehr variabler lokaler Verteilung zu tun. Adrenalin besitzt eine deutlich höhere Affinität zu den vasodilatierenden β2-Adrenozeptoren, kann aber bei hohen Konzentrationen auch α1-Adrenozeptoren aktivieren. Daher ist die Wirkung von Adrenalin stark dosisabhängig, wobei niedrige Konzentrationen eine Durchblutungssteigerung und hohe Konzentrationen eine Durchblutungsabnahme hervorrufen. Die Abhängigkeit der physiologischen Wirkung des Adrenalins von der lokalen Verteilung und Dichte der α1- bzw. β2-Adrenozeptoren erklärt auch, weshalb seine Effekte in verschiedenen Organen unterschiedlich sind. In den Hautgefäßen sowie in der Niere überwiegen die α1-Adrenozeptoren. In diesen Gefäßprovinzen verursacht Adrenalin praktisch nur eine Vasokonstriktion (Abb. 27.2, S. 788). In Koronargefäßen überwiegen dagegen die β2-Adrenozeptoren, weshalb eine mäßige Erhöhung des zirkulierenden Adrenalins die Koronardurchblutung steigern kann – eine physiologisch sehr sinnvolle Reaktion, da Adrenalin gleichzeitig die Herzfrequenz und die Inotropie, also den Sauerstoffbedarf des Myokards erhöht. In Gefäßen der Muskulatur und des Darmes finden sich schließlich sowohl α1- wie β2-Adrenozeptoren, die physiologischen Anworten sind hier entsprechend variabel. Eine genaue Kenntnis dieser Unterschiede ist von klinischer Bedeutung, da man durch unselektive oder selektive Stimulation oder Blockade von α- und βAdrenozeptoren die Organdurchblutung pharmakologisch gezielt beeinflussen kann. Hierbei muss natürlich immer berücksichtigt werden, dass bei einer Rezeptorblockade auch die nerval vermittelten Effekte des Sympathikus beeinflusst werden. Die konstriktorische Wirkung von Angiotensin II, Adiuretin (antidiuretisches Hormon = ADH = Vasopressin) und Atriopeptin (atriales natriuretisches Peptid = ANP) auf die Widerstandsgefäße wird im Zusammenhang mit der Blutvolumenregulation dargestellt (S. 207 f.). Lokal begrenzte Durchblutungsänderungen können nach mechanischen Reizen (Druck, Verletzung), Temperatureinwirkung, im Zusammenhang mit der Blutstillung oder mit entzündlichen Vorgängen auftreten. Dabei spielen sog. lokal (parakrin) freigesetzte Hormone eine Rolle, die aus Zellen des Stützgewebes, aus Makrophagen oder auch aus Parenchymzellen freigesetzt werden, aber nicht zu systemischer Wirkung kommen. Diese Signalstoffe werden auch Autakoide genannt. Ihre Wirkung ist unter physiologischen Umständen auf spezielle Gefäßprovinzen begrenzt. So ist etwa ein Teil der Vasodilatation in der Haut bei Temperaturerhöhung ebenso wie die physiologische Durchblutungsregulation der Drüsen des Verdauungstrakts im Zusammenhang mit ihrer sekretorischen Aktivität auf die Wirkung von Bradykinin und Kallidin zurückzuführen, die durch das Enzym Kallikrein aus Kininogenen des Blutplasmas abgespalten werden
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8 Das Kreislaufsystem maximale Arbeit Maximaldurchblutung
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schwere Arbeit
Koronar(fluss)reserve
Durchblutung (ml/min pro 100 g Myokardgewebe)
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O2-Verbrauch (ml/min pro 100 g)
Abb. 8.36 Beziehung zwischen O2-Verbrauch und Durchblutung des Myokards. Vom Ruhezustand über leichte, mäßige, schwere und schließlich maximale, nur Hochleistungsathleten mögliche körperliche Arbeit nimmt der O2-Verbrauch des Herzens zu. Ein präziser Regulationsmechanismus passt die Koronardurchblutung dem gesteigerten Bedarf so an, dass über einen weiten Arbeitsbereich die myokardiale O2-Extraktion nur wenig geändert wird (s. a. Kap. 7.4, S.143).
und durch Peptidasen abgebaut werden. Diese Stoffe bewirken ebenso wie das bei entzündlichen Reaktionen aus Gewebezellen freigesetzte Histamin nach Bindung an entsprechende Membranrezeptoren nicht nur eine Durchblutungszunahme, sondern führen auch zur Steigerung der lokalen Kapillarpermeabilität und damit zur Entstehung lokaler Ödeme. Unter den Metaboliten der Arachidonsäure, die durch die Wirkung der Cyclooxygenasen entstehen, wirken die Prostaglandine PGE2 und Prostacyclin (PGI2), das aus Endothelzellen freigesetzt wird und überdies hemmend auf die Thrombozytenaggregation wirkt, stark vasodilatierend. Umgekehrt sind die Prostaglandine der FGruppe (PGF2) ebenso wie die aus den Thrombozyten stammenden Thromboxane (TXA2, TXB2) stark vasokonstriktorisch wirksam. Ob und in welchem Umfang und Zusammenhang diese Substanzen an der physiologischen Durchblutungsregulation beteiligt sind, ist nur zum Teil bekannt; ihre Beteiligung an den Gefäßreaktionen im Rahmen der Hämostase (S. 245 ff.) und bei entzündlichen Durchblutungsänderungen ist gesichert.
Lokalchemische Einflüsse auf die Gewebedurchblutung Die Spannungsentwicklung der glatten Gefäßmuskulatur ist stark von der Zusammensetzung des extravasalen Milieus abhängig, die durch die Stoffwechselaktivität der Parenchymzellen verändert werden kann. Dilatierende
Produkte des Energiestoffwechsels, wie die Nucleotide ADP, AMP und Adenosin, werden in einigen Gefäßprovinzen, z. B. im Myokard, als wichtige Mediatoren der Durchblutungsregulation angesehen. Dies erklärt die enge Korrelation zwischen Stoffwechselaktivität und Durchblutung (Abb. 8.36), die nicht nur in diesem Organ dafür sorgt, dass das O2-Angebot mit dem erhöhten Bedarf über einen weiten Bereich Schritt hält. Vasodilatierende Wirkung hat auch die Erhöhung der interstitiellen Konzentration von K+- und H+-Ionen, die bei Aktivitätszunahme von Parenchymzellen zu erwarten ist (Abb. 18.12, S. 601), sowie eine Steigerung der Gewebeosmolalität, eine Zunahme des PCO2 oder eine Abnahme des PO2 im Gewebe.
An der regionalen Durchblutungsregulation ist auch das Endothel beteiligt Endothelzellen setzen zahlreiche Stoffe frei, die einen dilatierenden Einfluss auf die Blutgefäße ausüben. Dazu gehört vor allem NO (= Stickstoffmonoxid = endothelium derived relaxing factor = EDRF), das aus Arginin entsteht und extrem kurzlebig (Sekunden) ist. Über eine cGMP-Erhöhung in den Gefäßmuskelzellen löst es deren Erschlaffung aus. Die Bildung von NO aus Endothelzellen ist abhängig von der Wandschubspannung (s. u.) und wird durch eine Vielzahl von physiologischen Agonisten und Antagonisten moduliert (Acetylcholin, Bradykinin, Serotonin, Endothelin [s. u.], ADP, ATP und viele andere mehr) (S. 40). Unabhängig von endothelialen Prozessen wird NO auch aus einer Bindung an das Hämoglobin (Snitroso-Hämoglobin) freigesetzt. Physiologisch wichtig ist ferner die Bildung und Freisetzung von Prostacyclin (PGI2), das die Adenylylzyklase aktiviert und über die Erhöhung von cAMP eine Relaxation der glatten Gefäßmuskulatur bewirkt. Ein weiteres vasodilatierendes Prinzip ist der „Endothelium-derived hyperpolarizing factor“ (EDHF). Dabei handelt es sich wohl nicht um eine definierte chemische Substanz, sondern vielmehr um eine Folge von zellulären Reaktionen, die im Endothel ihren Ausgang nehmen und an deren Ende eine Relaxation von glatten Gefäßmuskelzellen steht. Ausgelöst wird die EDHF-Antwort durch einen Anstieg der endothelialen Ca2+-Konzentration, die über eine Öffnung von Ca2+-aktivierten Kaliumkanälen eine endotheliale Hyperpolarisation induziert. Diese Hyperpolarisation wird dann je nach Gefäßabschnitt über verschiedene Wege – Freisetzung von EETs (Epoxyeicosatrienate = Cytochrom P450-abhängige Metabolite der Arachidonsäure), Anstieg der lokalen extrazellulären K+-Konzentration, elektrotonische Weiterleitung der Hyperpolarisation über Gap Junctions – an die glatte Gefäßmuskulatur weitergegeben und führt dort zum Schließen spannungsabhängiger Ca2+-Kanäle. Der verminderte Ca2+Strom in die glatte Gefäßmuskelzelle lässt schließlich das zytosolische Ca2+ absinken und induziert somit eine Relaxation. Das Endothel setzt auch vasokonstriktorische Autakoide frei, zu denen die Endotheline (ET) gehören. Die Peptide ET-1, ET-2 und ET-3 haben außer einer sehr starken konstriktorischen Gefäßwirkung verschiedene andere Effekte in vielen Organen (z. B. Proliferation glatter Gefäßmuskelzellen, Wachstum von Herzmuskelzel-
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len). ETs üben über ETA-Rezeptoren der Gefäßmuskulatur in vielen Gefäßabschnitten einen tonischen vasokonstringierenden Einfluss aus, nehmen aber auf Grund ihrer langen biologischen Halbwertszeit nicht an der schnellen physiologischen Regulation der Durchblutung teil. Indirekt kann ET-1 über ETB-Rezeptoren des Endothels auch NO freisetzen und damit vasodilatorisch wirken. ETs spielen bei vielen Erkrankungen eine große pathophysiologische Rolle (pulmonale Hypertonie, Herzhypertrophie, Urämie). In den letzten Jahren ist deutlich geworden, dass an der physiologischen Regulation des Gefäßmuskeltonus durch das Endothel auch Metaboliten des Sauerstoffs, die sog. „reactive oxygen species“ (ROS), beteiligt sind. ROS, zu denen unter anderem O2– und Wasserstoffperoxid (H2O2) zählen, entstehen durch die Aktivität einer Vielzahl von zellulären Enzymen, so z. B. der NADPH-Oxidase und der Cyclooxygenase. Im glatten Gefäßmuskel bewirken sie eine Tonuserhöhung, können allerdings auch die Freisetzung von NO aus Endothelzellen stimulieren. Ein wichtiger Stimulus für die Generierung von ROS in Endothelzellen ist die Wandschubspannung, weshalb man annimmt, dass sie an der Regulation des Gefäßmuskeltonus durch hämodynamische Faktoren beteiligt sind. Eine Störung der Endothelfunktion (endotheliale Dysfunktion) ist pathophysiologisch von größter Bedeutung. Eine Vielzahl kardiovaskulärer Erkrankungen wie Atherosklerose, Hypertonie, diabetische Angiopathie und Herzinsuffizienz gehen mit einer endothelialen Dysfunktion einher. Hierbei lässt sich insbesondere eine verminderte Freisetzung von NO aus dem Endothel nachweisen. Der Mangel an NO hat nicht nur einen gesteigerten Gefäßmuskeltonus (Vasokonstriktion) zur Folge, sondern führt auch über eine Abnahme der Unterdrückung des proinflammatorischen Transkriptionsfaktors NF-κB zu einer vermehrten Expression von Adhäsionsmolekülen (z. B. Interleukin-1, PSelektin; S. 179) und begünstigt damit die Bildung von Thromben und die Einwanderung von Monozyten in die Gefäßwand (Entzündungsreaktion). Auch eine vermehrte Bildung von ROS, die durch Rauchen und erhöhte Cholesterinwerte im Blut verursacht werden kann, führt zu einer Abnahme des biologisch aktiven NO. Es ist zu erwarten, dass die Bestimmung der endothelialen Funktion in der klinischen Routine eine zunehmende Bedeutung erlangen wird.
Das Zusammenspiel verschiedener Mechanismen der Durchblutungsregulation Wie wir gesehen haben, folgt die Durchblutung in Organen mit stark wechselnder Stoffwechselaktivität (Herzund Skelettmuskel, Drüsen) weitgehend dem aktuellen Bedarf (Abb. 8.36). Für diese funktionelle Hyperämie sind zunächst überwiegend die lokalchemischen Dilatationsmechanismen verantwortlich, wahrscheinlich jedoch nicht ein einzelner, sondern mehrere chemische Wirkstoffe („metabolischer Cocktail“). Dabei überspielt die direkte Wirkung der humoralen Gefäßdilatatoren den neurogenen konstriktorischen Einfluss der sympathischen Gefäßinnervation (Abb. 8.37). Dies erklärt das
Strömungswiderstand 1 (mmHg · ml · min · 100g)
8.5 Kreislaufregulation: zentrale Steuerung, Verbraucherkontrolle und langfristige Adaptation 80
initial Skelettmuskel in Ruhe
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bei anhaltender Reizung
initial
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arbeitender Skelettmuskel
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bei anhaltender Reizung 0
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Impulsfrequenz (s )
Abb. 8.37 Konkurrenz zwischen neurogener Vasokonstriktion und lokalchemischer Dilatation. Reizung der sympathischen Fasern eines Skelettmuskels in Ruhe (oben) mit steigender Impulsfrequenz führt zunächst zu deutlichem Anstieg des Strömungswiderstandes (blaue gestrichelte Kurve), der dann bei anhaltender Reizung wieder etwas abfällt („Escape“ rote Pfeile). Beim arbeitenden Muskel (unten) ist die initiale Widerstandserhöhung durch die Nervenreizung geringer (blaue durchgezogene Linie) und lässt dann schnell und erheblich (rote Pfeile) nach, so dass die Wirkung anhaltender Reizung letztlich nur sehr schwach ist. Dies zeigt, dass die lokalchemische Dilatation eine neurogene Konstriktion sehr wirksam überspielen kann (nach 22).
scheinbare Paradox einer maximalen Durchblutung des Muskels während körperlicher Arbeit trotz maximaler Steigerung des Sympathikotonus. An der Koordinierung von lokaler Durchblutung (Sauerstoffzufuhr) und lokalem Metabolismus (Sauerstoffbedarf) ist wahrscheinlich auch die erhöhte Freisetzung von NO aus Hämoglobin bei Erniedrigung des Sauerstoffpartialdrucks beteiligt. Dies bedeutet, dass in Geweben mit einem hohen Sauerstoffverbrauch NO aus dem Blut in die glatte Gefäßmuskulatur diffundiert und dort gezielt eine Vasodilatation und damit eine Erhöhung der Blutzufuhr hervorruft. Das Hämoglobinmolekül fungiert hier also als „Sauerstoffsensor“. Dieser Mechanismus scheint bei einigen wichtigen Erkrankungen gestört zu sein (33). So zeigen Patienten mit Diabetes und pulmonaler Hypertonie eine abgeschwächte Hämoglobin-abhängige Vasodilatation, die mit einer verminderten Bindung von NO an Hämoglobin (pulmonale Hypertonie) oder Freisetzung von NO aus Hämoglobin (Diabetes) einhergeht. Eine gestörte Interaktion von NO und Hämoglobin wurde auch bei herzinsuffizienten Patienten gefunden. Um die volle Durchblutungsreserve z. B. des Skelettmuskels auszuschöpfen, genügt jedoch nicht die Dilatation der terminalen Widerstandsgefäße. Vielmehr werden auch vorgeschaltete größere Arterien, die dem direkten Einfluss dilatierender Metaboliten nicht unmittelbar zugänglich sind, erweitert. Dazu können zwei unterschiedliche Mechanismen beitragen. Zum einen führt die Stei-
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Einzelkapillare
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Unterarm
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Durchblutung (ml/min pro 100 g Gewebe)
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Durchblutungs - Stopp
8 Das Kreislaufsystem
Strömungsgeschwindigkeit (mm/s)
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30 s
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10 min
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60
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Zeit (s)
Abb. 8.38 Reaktive Hyperämie im Anschluss an eine Ischämie. Links: Verhalten der Strömungsgeschwindigkeit in einer einzelnen Kapillare nach Durchblutungsstopp verschiedener Dauer. Rechts: Durchblutung des menschlichen Unter-
gerung der Stromstärke infolge der Dilatation terminaler Widerstandsgefäße zu einer erhöhten Wandschubspannung in den vorgeschalteten zuführenden Arterien. Durch die mechanische Endothelstimulation kommt es zur vermehrten Bildung von NO und PGI2 und damit zur sog. flussabhängigen Dilatation. Ein davon unabhängiger zweiter Mechanismus ist die fortgeleitete Antwort, bei der sich die zunächst nur lokal ausgelöste Dilatation nach stromaufwärts ausbreitet, so dass größere Abschnitte des Gefäßnetzwerks erfasst werden. Dies ist wohl Folge einer elektrotonisch vermittelten Hyperpolarisation, die sich über Gap Junctions (S. 54) auf dem Endothelzellverband ausbreitet und über myoendotheliale Gap Junctions auf die glatte Gefäßmuskulatur übergeleitet wird. Durch flussabhängige und/oder fortgeleitete Mechanismen entsteht so eine aszendierende Vasodilatation. Diese ermöglicht eine koordinierte Reaktion auf einen zunächst nur örtlich begrenzten Stimulus und bewerkstelligt durch Einbeziehung vorgeschalteter, u. U. sogar außerhalb des Organparenchyms liegender Widerstandsgefäße eine wirksame Mehrdurchblutung. Der normalerweise geringe, bei distaler Dilatation aber zunehmende Anteil vorgeschalteter Arterien am Gesamtwiderstand wird auf diese Weise gesenkt und eine maximale Durchblutungssteigerung ermöglicht. Eine Störung dieses komplexen Zusammenspiels zwischen verschiedenen Mechanismen an verschiedenen Gefäßabschnitten kann Ursache einer ungenügenden Durchblutungssteigerung sein und dadurch bei Mehrbelastung Schmerzen (Muskelschmerzen, Angina pectoris) infolge der Erregung von Nozizeptoren durch ungenügend entsorgte Gewebemetaboliten auslösen.
0
15 min 0
1
2
3
4
5
Zeit (min)
arms nach Unterbrechung der Durchblutung durch Aufblasen einer Manschette um den Oberarm. Dauer und Ausmaß der postokklusiven Mehrdurchblutung nehmen mit steigender Ischämiedauer zu (nach 23 und 29).
Im Anschluss an eine Unterbrechung der Durchblutung (Ischämie) kommt es zu einer vorübergehend überschießenden Durchblutungssteigerung, deren Ausmaß mit der Dauer der Durchblutungsunterbrechung zunimmt (Abb. 8.38). Auch diese reaktive (postokklusive) Hyperämie ist überwiegend Folge einer Dilatation der Widerstandsgefäße durch die lokale Metabolitenanhäufung und den PO2-Abfall im Gewebe während der Ischämie. Zusätzlich sind, vor allem nach kurzdauernder Ischämie, eine myogene Tonusabnahme, die durch die verminderte Gefäßdehnung während der Ischämie entsteht, sowie eine endothelvermittelte Dilatation infolge der erhöhten Stromstärke (s. o.) beteiligt. Da die Durchblutung während einer reaktiven Hyperämie Maximalwerte erreichen kann, ist diese zur Beurteilung der Durchblutungsreserve eines Gewebes geeignet. Als venovasomotorische Reaktion bezeichnet man die Konstriktion präkapillärer Widerstandsgefäße bei einer Erhöhung des venösen Drucks. Hierbei ist auf Grund des Anstiegs des venösen Drucks der Druckabfall über den arteriellen Gefäßbaum geringer, was zu einem Druckanstieg in den Arteriolen führt. Die daduch ausgelöste Zunahme der Gefäßwanddehnung löst schließlich eine myogene Antwort der Widerstandsgefäße (S. 183 f.) mit Abnahme ihres Durchmessers aus. Auch lokale neurogene Mechanismen im Sinne eines sog. Axonreflexes, die auf der Stimulation hypothetischer Dehnungsrezeptoren an peripheren Venen beruhen sollen, werden zur Erklärung herangezogen. Die venovasomotorische Reaktion ist wesentlich an der physiologischen Durchblutungsregulation in den Extremitäten bei Auftreten hydrostatischer Drücke beim Lagewechsel beteiligt (S. 210).
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8.5 Kreislaufregulation: zentrale Steuerung, Verbraucherkontrolle und langfristige Adaptation
Regulation und Verteilung des Blutvolumens Die Leistungsbreite des Kreislaufsystems hängt wesentlich von der präzisen Regulation des Blutvolumens ab, und damit kurzfristig von den Mechanismen, die das Filtrationsgleichgewicht zwischen intra- und extravasalem Volumen steuern. Längerfristig wird das Blutvolumen über eine hormonelle Steuerung der Flüssigkeits- und Elektrolytbilanz reguliert. Dabei sind vor allem das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System, das antidiuretische Hormon (ADH) und das Atriopeptin (ANP) beteiligt. Das Blutvolumen korreliert mit der fettfreien Körpermasse und beträgt etwa 3,6 l bei Frauen und 4,5 l bei Männern. Der weitaus größte Teil dieses Volumens, etwa 85 %, befindet sich beim Gesunden im Niederdrucksystem (Abb. 8.39), in dem bei Änderung der Druckverteilung oder des Venentonus erhebliche Volumenverschiebungen stattfinden können. Die Regulation des Blutvolumens beruht einerseits auf Veränderungen des Plasmavolumens. Wir haben schon gesehen, dass Flüssigkeitsverschiebungen zwischen intravasalem und interstitiellem Raum ziemlich rasch auftreten können. Daneben aber folgt die Größe des Plasmavolumens auch den Änderungen des gesamten extrazellulären Flüssigkeitsbestands. Dabei sind die Regulationsvorgänge des Salz-Wasser-
8% Kapillaren
7%
Arterien
Venen
Niederdrucksystem
15% große Venen
Hochdrucksystem
2%
2%
rechtes Herz
linkes Herz
100
10%
große Arterien
11%
27%
kleine Arterien und Arteriolen
12% kleine Venen und Venolen
mittlere Impulsfrequenz (%) (normal: 100%)
6%
Haushalts beteiligt, d. h. die Steuerung der Zufuhr durch die Nahrungsaufnahme ebenso wie die der Ausscheidung durch die Nieren (s. Kap. 13.3). Schließlich wird das Blutvolumen bestimmt durch Mechanismen der Erythropoiese, durch die das gesamte Erythrozytenvolumen reguliert wird (S. 227 f.). Eine akute Verminderung des Blutvolumens (z. B. bei einer Blutung) führt zu einer über venöse Dehnungsrezeptoren und arterielle Pressorezeptoren ausgelösten Sympathikusaktivierung (Abb. 8.40). Die reflektorisch eintretende Widerstandserhöhung durch Arteriolenkonstriktion hat eine Abnahme des effektiven Kapillardrucks zur Folge, so dass kurzfristig eine Reabsorption von Flüssigkeit aus dem Interstitium stattfindet („innere Infusion“). Dies ermöglicht eine relativ schnelle (in Minuten), wenn auch nicht unbedingt vollständige Ergänzung des intravasalen Volumens (bei gleichzeitiger Blut„verdünnung“). Die Sympathikusaktivierung kann auch mit einer Drosselung der Nierendurchblutung und damit mit einer Verminderung der Wasserausscheidung verbunden sein. Bei akutem Volumendefizit begrenzten Ausmaßes wird die Sympathikusaktivierung vor allem durch die venösen Dehnungsrezeptoren (Volumenrezeptoren) ausgelöst. Bereits relativ geringfügige Volumenmangelzustände verursachen jedoch, bedingt durch die Reduktion des kardialen Füllungsdrucks, über den Frank-Starling-Mechanismus auch eine Abnahme des Schlagvolumens. Die damit verbundene verminderte Stimulation der arteriellen Pressorezeptoren führt zu einer Abnahme des hemmenden Einflusses des Pressorezeptorenreflexes auf die Sympathikusaktivität (Disinhibition), die Sympathikusaktivität steigt also an. Dies macht deutlich, dass bei einem langsam zunehmenden Volumenverlust auch auf der arteriellen Seite gegenregulatorische Vorgänge bereits lange stattfinden, bevor der arterielle Blutdruck erheblich abfällt. Mittel- bis langfristig werden Veränderungen des Blutvolumens über verschiedene Hormonsysteme korrigiert (Abb. 8.41). Hierzu zählt das Adiuretin (antidiuretisches
arterielle Pressorezeptoren
50
Vorhofrezeptoren
0
0
10
20
30
Blutvolumenänderung (%) Kapillaren
Abb. 8.39 Verteilung des Blutvolumens in den Gefäßen des großen und kleinen Kreislaufs. Der weitaus größte Teil des Blutvolumens befindet sich im Niederdrucksystem (violett).
Abb. 8.40 Bei Verminderung des Blutvolumens nimmt die Impulsfrequenz der arteriellen (sinoaortalen) und die der Vorhofrezeptoren ab. Dabei sprechen zunächst die Dehnungsrezeptoren in den Vorhöfen an und erst bei stärkerer Abnahme des Blutvolumens auch die arteriellen (nach 4).
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207
208
8 Das Kreislaufsystem
verminderte Dehnung herznaher Anteile des Niederdrucksystems
Dehnungrezeptoren: verminderte Erregung
Sympathikotonus: Steigerung ADH: vermehrte Freisetzung aus Hypophysenhinterlappen
Niere: Vasokonstriktion
ANP: Hemmung der Freisetzung aus Vorhöfen
Renin: gesteigerte Freisetzung
Angiotensin I und II: vermehrte Bildung
Aldosteron: vermehrte Freisetzung aus der Nebennierenrinde
+
Na und H2O: gesteigerte Retention
Abb. 8.41 Hormonale Mechanismen der Blutvolumenregulation, die bei Volumenverlust von Dehnungsrezeptoren im Niederdrucksystem ausgelöst werden.
Hormon = ADH = Vasopressin), dessen Freisetzung aus dem Hypophysenhinterlappen bei Erregung der Dehnungsrezeptoren in den Herzvorhöfen gehemmt wird, so dass eine gesteigerte Wasserausscheidung durch die Nieren die Folge ist (zum Einfluss der Plasmaosmolalität auf die ADH-Sekretion siehe S. 389). Über diesen sog. GauerHenry-Reflex wird umgekehrt bei verminderter Füllung der Vorhöfe Flüssigkeit vermehrt zurückgehalten. ADH hat neben seiner Wirkung auf die Wasserpermeabilität der Sammelrohre der Niere (V2-Rezeptoren; S. 390) bei höherer Konzentration auch eine konstriktorische Wirkung (V1-Rezeptoren) auf die Widerstandsgefäße sowie auf die kleinen Gefäße des Niederdrucksystems (daher der Name Vasopressin, von dem auch die Rezeptorenbezeichnung abgeleitet ist). Bei verminderter Vorhoffüllung kommt es folglich auch zu einer Umverteilung des Blutvolumens von peripher nach zentral. Wir haben schon gesehen, dass es bei Volumenmangel zu einer besonders ausgeprägten Aktivierung der Nierensympathikusaktivität kommt. Diese Sympathikusaktivierung ist ein starker Stimulus für die Freisetzung des Enzyms Renin aus den Zellen des juxtaglomerulären Apparats (S. 369 f.). Renin spaltet aus Angiotensinogen (einem α2-Globulin des Blutplasmas) Angiotensin I ab,
aus dem wiederum durch ein im Plasma und in Endothelzellen (vor allem der Lunge) vorhandenes „converting enzyme“ (ACE) Angiotensin II entsteht (S. 369 f.). Neben einer starken vasokonstriktorischen Wirkung fördert Angiotensin II vor allem die Freisetzung von Aldosteron aus der Nebennierenrinde. Da Aldosteron die Resorptionsmechanismen für Na+ in den Hauptzellen von Verbindungstubulus und Sammelrohr der Niere stimuliert, trägt auch dieser Vorgang zur Wiederauffüllung des Extrazellulärvolumens bei (s. a. S. 384 f.). Schließlich wird in besonderen Zellen der Wand der Herzvorhöfe Atriopeptin (atriales natriuretisches Peptid = ANP) gebildet und gespeichert, das bei vermehrter Dehnung der Vorhöfe (erhöhtes Extrazellulärvolumen) freigesetzt wird und durch Förderung der Nierenmarkdurchblutung und Hemmung der Na+Resorption in den Verbindungstubuli und den Sammelrohren der Niere den extrazellulären Flüssigkeitsbestand senkt. Alle erwähnten Hormone sind darüber hinaus wohl auch an der Entstehung des Durstgefühls beteiligt, so dass nicht allein die Flüssigkeitsausscheidung, sondern auch die Zufuhr beeinflusst wird. Diese hormonellen Mechanismen führen zu Veränderungen des gesamten Extrazellulärvolumens und sind nicht speziell auf die Erhaltung oder Regulierung des Plasmavolumens gerichtet. Dieses ergibt sich aber indirekt aus dem Filtrationsgleichgewicht zwischen Intra- und Extravasalraum. Wichtig ist, dass nicht die absolute Größe des Blutvolumens, sondern der Dehnungszustand der zentralen Abschnitte des Niederdrucksystems die beschriebenen Regulationsmechanismen in Gang setzt. Dieser Dehnungszustand ist aber kein eindeutiges Maß für die Größe des Blutvolumens. Daher kommt es durch die dargestellten Regulationsvorgänge auch dann zu einer Volumenverminderung, wenn z. B. infolge verminderter Leistungsfähigkeit des rechten Herzens (Rechtsinsuffizienz) der zentralvenöse Druck angestiegen ist. Da im Liegen das Blutvolumen zugunsten der dann gut gefüllten herznahen Abschnitte des Niederdrucksystems verteilt ist, vermindert sich das Blutvolumen auch nach langer Bettlägerigkeit; dass dies die Kreislaufregulation im Stehen beeinträchtigt, werden wir noch sehen (S. 210 f.).
8.6
Kreislauffunktion unter Belastung: der Härtetest
Es sind im Wesentlichen zwei Arten von Zuständen, in denen es einer integrativen Abstimmung lokaler und systemischer Regulationsmechanismen bedarf, um die Funktionstüchtigkeit des gesamten Kreislaufsystems zu erhalten. Dies ist einmal erforderlich, wenn das venöse Angebot an das Herz so vermindert ist, dass das Herzzeitvolumen zur Erhaltung des arteriellen Blutdrucks nicht ausreicht. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn bei orthostatischer Belastung, d. h. bei einem Wechsel von der horizontalen in die vertikale Körperstellung, ein erheblicher Teil des verfügbaren Blutvolumens in die peripheren Abschnitte des Niederdrucksystems „versackt“. Zum anderen ist eine integrierende Abstimmung von Kreislauffunktionen erforderlich, wenn infolge maximaler Dilatation der Gefäße in einem oder mehreren Orga-
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8.6 Kreislauffunktion unter Belastung: der Härtetest r·g·h h
Indifferenzebene
0
r = Dichte der Flüssigkeit (Blut ~ 1,06 kg/l ) g = Erdbeschleunigung 2 (9,81m/s ) h = senkrechte Höhe der Flüssigkeitssäule
venöser Kollaps Herz
+h +r·g·h A starres Gefäß r·g·h h
wenig dehnbare Arterien stark dehnbare Venen
0
+h
starke venöse Füllung
Indifferenzebene +r·g·h B dehnbares Gefäß
Abb. 8.42 Hydrostatische Drücke bei Lagewechsel führen zu Volumenverschiebungen. A In einem mit Flüssigkeit gefüllten Hohlkörper mit starrer Wand treten beim Wechsel von der horizontalen zur vertikalen Lage Druckveränderungen an allen Stellen auf, die sich unterhalb (+ h) oder oberhalb (–h) der Indifferenzebene befinden: Darunter erhöht sich, darüber erniedrigt sich der Druck um den hydrostatischen Druck der Flüssigkeitssäule (± ρ · g · h). Achtung: Der intravasale Druck muss in Höhe der Indifferenzebene keineswegs Null sein; tatsächlich ist er in den Venen geringfügig, in den Arterien erheblich höher. Entscheidend ist nur, dass er sich durch den Lagewechsel in der Indifferenzebene nicht
nen der totale periphere Widerstand stark abfällt. Dies würde zu einem für die Durchblutung lebenswichtiger Organe (z. B. Gehirn oder Myokard) bedrohlichen Abfall des arteriellen Drucks führen, wenn nicht durch abgestimmte Vasokonstriktion in anderen Organen und/oder durch Steigerung des Herzzeitvolumens gegengesteuert würde. Eine solche Situation ist z. B. gegeben, wenn bei maximaler Muskelarbeit die Durchblutung der Skelettmuskulatur, des nach Gewicht größten Organs des Körpers, so stark gesteigert wird, dass sie etwa 80 % des Herzzeitvolumens ausmacht (Abb. 8.13, S. 187). Eine solche Situation ist auch gegeben, wenn im Rahmen der Thermoregulation die Durchblutung der Haut zur Steigerung der Wärmeabgabe erheblich zunimmt. Lagewechsel, Muskelarbeit und thermische Belastung stellen somit physiologische Belastungen des Kreislaufsystems dar, die alle Regulationsmechanismen maximal fordern. Mäßige Störungen der Kreislaufregulation machen sich daher zunächst unter diesen Belastungsbedingungen, nicht aber in körperlicher Ruhe, bei Indifferenztemperatur oder im Liegen bemerkbar. Die massivste und dann lebensbedrohliche Störung liegt vor, wenn die Kreislaufregulation entweder unzureichend ist oder trotz maximaler Rekrutierung aller Teilmechanis-
C Kreislaufsystem
ändert. B Sind die Wände des Hohlkörpers (wie die der Blutgefäße) dehnbar, so kommt es zu einer Volumenverschiebung von den oberen in die unteren Partien; in Letzteren ist der transmurale Druck Ptm um den Betrag ρ · g · h gestiegen. In den oberen Partien ist Ptm gleichzeitig um ρ · g · h abgefallen. C Besteht der Hohlkörper aus zwei unterschiedlich dehnbaren Anteilen (wie die Venen und Arterien des Kreislaufsystems), die miteinander kommunizieren, so findet die Volumenverschiebung in die abhängigen Partien vorwiegend in dem leichter dehnbaren Venensystem (violett) statt.
men nicht genügt, um den Perfusionsdruck wenigstens für die unmittelbar lebenswichtigen Organe (Gehirn, Herz) zu gewährleisten. So ist es im sog. Kreislaufschock, bei dem entsprechend massive Veränderungen der zentralen hämodynamischen Größen (arterieller Druck, Herzzeitvolumen, peripherer Widerstand) auftreten. Man unterscheidet nach ihrer Entstehung verschiedene Schockformen: kardiogen (bei plötzlicher Einschränkung der kontraktilen Leistungsfähigkeit des Herzens), hämorrhagisch oder hypovolämisch (bei plötzlichem Volumenverlust, z. B. infolge einer Blutung oder große intestinaler Flüssigkeitsverluste), septisch (bei bakterieller Infektion), traumatisch (bei ausgedehnten Verletzungen) und anaphylaktisch (bei massiv auftretenden Antigen-Antikörper-Reaktionen). Wenngleich die hämodynamischen Veränderungen bei diesen Schockformen durchaus unterschiedlich sein können (hoher peripherer Widerstand und niedriges Herzzeitvolumen beim hypovolämischen, niedriger Widerstand und eher hohes Herzzeitvolumen beim septischen Schock), ist ihnen letztlich eine kritische Minderung der Organversorgung und ein Regulationsversagen infolge maximaler Aktivierung vieler Mediatorsysteme (Sympathikusaktivierung, Kininsystem, Gerinnungskaskade, Eikosanoide,
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209
8 Das Kreislaufsystem
arteriell
venös
46 41
(49) Indifferenzebene
arterieller Druck
95 95
100
95
2 (+83)
210
venöser Druck
91
178 8
3
im Liegen
8 Drücke in mmHg
im Stehen
Abb. 8.43 Arterielle und venöse Drücke (in mm Hg) beim liegenden und stehenden Menschen mit einer Körperlänge von etwa 180 cm. In allen Gefäßen ändert sich der Druck im Stehen entsprechend der Entfernung von der Indifferenzebene. Der venöse Druck im Kopfbereich ist allerdings wegen des Venenkollapses am Hals (Unterbrechung der Blutsäule) weniger negativ als aufgrund der Höhe über der Indifferenzebene zu erwarten wäre (nach 2).
Komplementsystem etc.) gemeinsam, die Herzleistung, Gefäßtonus und Fließfähigkeit des Blutes beeinflussen. Man spricht bei diesen lebensbedrohlichen Zuständen daher heute von einem Multi-Organ-Versagen (MOV), mehr mit Blick auf die kompromittierte Gewebefunktion als auf die zentrale Hämodynamik.
Der Preis für den aufrechten Gang: Kreislaufbelastung bei Lagewechsel Die Kreislaufbelastung im Stehen gegenüber dem Liegen ist Folge der veränderten Blutvolumenverteilung im Niederdrucksystem, der Verminderung des venösen Rückstroms und damit des Schlagvolumens. Die über den Pressorezeptorenreflex vermittelte Erhöhung der Sympathikusaktivität bestimmt die Veränderung der zentralen Hämodynamik; sie dient der Aufrechterhaltung des arteriellen Blutdrucks. Änderungen von lokaler Durchblutung und Filtrationsgleichgewicht sind Folge der veränderten intravasalen Druckverteilung.
Druck und Volumen verteilen sich im Stehen anders als im Liegen Wir haben auf S. 184 ff. gesehen, dass in jedem Gefäß des Kreislaufsystems ein hydrodynamischer Druck herrscht, der eine Folge der Pumptätigkeit des Herzens und des ihr entgegenstehenden Strömungswiderstandes ist. Als Folge des Einwirkens der Schwerkraft treten bei einem Wechsel der Körperlage zusätzlich hydrostatische Drücke auf, die der Höhe der Flüssigkeitssäule relativ zu der sog. hydrostatischen Indifferenzebene entsprechen; diese ist da-
durch definiert, dass der Druck sich hier auch bei Lageänderung nicht ändert (Abb. 8.42). Die Indifferenzebene liegt beim Menschen kurz unterhalb des Zwerchfells. Da das Blutgefäßsystem ein System kommunizierender Röhren ist, wird beim Aufrichten aus der Horizontalen in den unterhalb der Indifferenzebene liegenden Gefäßen der jeweils herrschende Innendruck um eine hydrostatische Druckkomponente vermehrt, in den oberhalb liegenden vermindert (Abb. 8.43). Wegen der sehr verschiedenen Compliance der arteriellen und venösen Gefäße (S. 183 f.) führen die lageabhängigen Änderungen des Innendrucks zu starken Veränderungen der Volumenverteilung im venösen Gefäßsystem, jedoch nur unwesentlich in den Arterien. Dies ist an den Hautvenen der Hand deutlich zu sehen. Die oberflächlichen Venen können beim Anheben über die Indifferenzebene unter fast völliger Entleerung kollabieren, während sie an der herabhängenden Hand prall gefüllt sind. Diese sichtbaren Änderungen der Gefäßfüllung spielen sich in gleicher Weise an den tiefer liegenden Venen ab. Bei negativem transmuralen Druck kollabieren auch die Venen oberhalb etwa des Halsbereichs, so dass die Kontinuität der Blutsäule unterbrochen wird. Daher ist der intravasale Druck in den Venen der erhobenen Hand oder des Kopfbereichs höher (weniger negativ) als nach der Höhe über der Indifferenzebene zu erwarten wäre. Beim Aufrichten des Körpers aus der Horizontalen findet der größte Volumenzuwachs (etwa + 500 ml) natürlich in den unteren Extremitäten statt, wo auch der Druckanstieg am größten ist. Umgekehrt wird das sog. intrathorakale Blutvolumen zugunsten des extrathorakalen um etwa 600 ml vermindert. An dieser Umverteilung ist das Blutvolumen in der Lunge entscheidend beteiligt. Dies hängt mit der großen Compliance der Lungenstrombahn zusammen, die zwar wegen des elastischen Zugs des Lungengewebes nicht völlig kollabieren kann, aber wegen der geringen interstitiellen Strukturfestigkeit sehr große Volumina bei schon geringen Druckänderungen aufnehmen bzw. entspeichern kann (S. 215).
Wie reagiert die Kreislaufregulation auf die veränderte Körperlage? Die Verminderung des kardialen Füllungsdrucks beim Übergang vom Liegen zum ruhigen Stehen verursacht initial über den Frank-Starling-Mechanismus eine Abnahme des Schlagvolumens. Die dann einsetzende verminderte Erregung der arteriellen Pressorezeptoren führt zu einer Steigerung des Sympathikotonus, deren Wirkung wir schon kennen (S. 199). Neben einer Zunahme der Herzfrequenz (+ 25 %) findet eine Erhöhung des peripheren Widerstandes (+ 40%) statt, vor allem in der Muskulatur, aber auch in der Haut und im Splanchnikusgebiet. Wegen der Lage der sinoaortalen Pressorezeptoren oberhalb der Indifferenzebene kann der arterielle Mitteldruck leicht über den Normalwert im Liegen erhöht sein. Während der systolische in der Regel kaum verändert ist, findet sich ein Anstieg des diastolischen Drucks (+ 10%), der zu der anhaltenden Verminderung des Schlagvolumens (– 40%) infolge Erhöhung der Nachlast (S. 156) beiträgt.
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8.6 Kreislauffunktion unter Belastung: der Härtetest Umgebungstemperatur:
900
44°C
35°C 100
Volumenzuwachs (ml)
Kippversuch normal mit aufgeblasener Oberschenkelmanschette
1
Herzfrequenz (min )
80
600
18°C
300
60
Beinvenendruck im Liegen
40
0 0
20
0
20
40
Zeit (min)
Abb. 8.44 Lageabhängigkeit der Herzfrequenz. Herzfrequenz eines gesunden, gut trainierten Probanden im Liegen, beim ruhigen Stehen, bei Kopftieflagerung und wieder im Liegen. Während des zweiten Kippversuchs wurde die Verlagerung von Blutvolumen aus den Beinen durch Aufblasen von Manschetten um die Oberschenkel verhindert. Die deutlich geringere Änderung der Herzfrequenz zeigt die Bedeutung der Volumenverschiebung entlang der Körperachse für die Reflexantwort beim Lagewechsel (nach 1).
Diese Schilderung der Kreislaufbelastung in Orthostase gilt allerdings für einen eigentlich unphysiologischen, sog. passiven Lagewechsel. Das normale Aufstehen aus dem Liegen ist meist mit mehr oder minder großer Muskeltätigkeit verbunden, die ohnehin zur Aktivierung des Sympathikotonus führt (S. 213). Herzfrequenz, peripherer Widerstand und Blutdruck zeigen daher beim Übergang vom Liegen zum Stehen im täglichen Leben häufig noch deutlichere Änderungen. Auch das sog. ruhige Stehen ist eigentlich unphysiologisch, da jeder Mensch im Stehen unwillkürlich von einem Bein auf das andere tritt (aktive Orthostase) und so durch die Muskelpumpe den venösen Rückstrom des Blutes zum Herzen fördert, wie wir noch sehen werden. Das Ausmaß der Kreislaufbelastung durch Orthostase hängt vor allem von der Minderung des venösen Angebots an das Herz ab. Neben der Größe des Blutvolumens ist dafür die Volumenverlagerung in die abhängigen Gefäßabschnitte entscheidend (Abb. 8.44). Diese hängt auch stark vom Venentonus ab, der seinerseits von der Umgebungstemperatur beeinflusst wird. Mit zunehmender Temperatur sinkt der Venentonus, und damit
0
20
40
Beinvenendruck im Stehen
60
80
100
venöser Druck (mmHg)
Abb. 8.45 Blutvolumenzuwachs der unteren Extremitäten bei verschiedenen Umgebungstemperaturen. In der Wärme wird bei venöser Druckerhöhung ein wesentlich größeres Volumen in den Beinvenen gespeichert als in der Kälte, weil der Venentonus mit steigender Temperatur nachlässt. Wenn beim Übergang vom Liegen zum ruhigen Stehen der Venendruck in den Beinen von etwa 10 auf etwa 70 mm Hg steigt, so würde ein Volumen von 400 ml (bei 18 8C) bzw. 650 ml (bei 44 8C) in den abhängigen Partien „versacken“ (nach 4).
nimmt die Compliance des Venensystems zu (Abb. 8.45). Da zusätzlich die durch die Pressorezeptoren ausgelöste Vasokonstriktion in der Haut mit steigenden Umgebungstemperaturen an Wirksamkeit verliert, kann die Kombination von orthostatischer und Wärmebelastung leicht die Regulationsbreite des Kreislaufs übersteigen. Die Folge kann ein sog. orthostatischer Kollaps (ungenügende Hirndurchblutung infolge Blutdruckabfalls) mit plötzlichem Tonusverlust der Skelettmuskulatur, u. U. sogar Bewusstlosigkeit, sein. Es gibt viele Menschen, die – ohne gleich zu kollabieren – längeres Stehen „kreislaufmäßig“ nicht gut vertragen, vor allem bei auch sonst beeinträchtigter Gesundheit und mangelndem körperlichen Training. Infolge einer „orthostatischen Dysregulation“ neigen sie zur arteriellen Hypotonie.
Durchblutung und Flüssigkeitsfiltration in abhängigen Körperpartien Die lageabhängigen Änderungen des Innendrucks der Gefäße sollten für die Durchblutung des Gewebes eigentlich unerheblich sein, da sie sowohl auf der arteriellen als auch auf der venösen Seite auftreten und daher die treibende Druckdifferenz nicht beeinflussen. Tatsächlich
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211
150
arterieller Druck
SV (%)
8 Das Kreislaufsystem
Schlagvolumen 40
1
Herzfrequenz (min )
100
100
200
Kapillardruck
intravasaler Druck (mmHg)
venöser Druck
Herzfrequenz 100
50 0
0
20
40
60
80
100
O2-Verbrauch (%)
Männer Frauen
30
0
0
50
100
Höhe unter der Indifferenzebene (cm)
Abb. 8.46 Erhöhung des transmuralen Drucks in einem Gefäßgebiet führt zu einer myogenen Steigerung des Strömungswiderstandes. Dies hat zur Folge, dass der Kapillardruck in abhängigen Körperpartien weniger stark als der arterielle oder venöse Druck ansteigt, wenn das Gefäßgebiet beim Aufstehen wachsenden hydrostatischen Drücken ausgesetzt wird (nach 8 und 24).
Herzzeitvolumen (l/min)
212
20
Herzzeitvolumen
10
0
0
1
2
3
4
5
O2-Verbrauch (l/min)
bleibt aber die Durchblutung nicht konstant, weil der veränderte transmurale Druck zu myogener Tonusveränderung der Arteriolen führt und sich damit der Strömungswiderstand ändert (s. Abb. 8.15, S. 189). Daher nimmt z. B. bei Hängenlassen der Arme zwar die Blutfülle der Hand zu, die Durchblutung der Haut jedoch eher ab. An der erhobenen Hand sinkt andererseits die arteriovenöse Druckdifferenz durch den Venenkollaps, so dass die Durchblutung trotz myogener Tonusverminderung nicht erheblich gesteigert, sondern sogar vermindert ist. Trotz einer hydrostatischen Druckzunahme in den Gefäßen der abhängigen Körperpartien kommt es beim Gesunden dort in der Regel nicht zu Ödemen. Das wird einerseits dadurch verhindert, dass der Kapillardruck bei Lageänderung nicht in gleichem Maße ansteigt wie der arterielle und venöse Druck (Abb. 8.46), weil die myogene Arteriolenkonstriktion immer dann den hydrodynamischen Druck in den Kapillaren senkt, wenn der hydrostatische zunimmt, und umgekehrt. Andererseits bewirkt die Arteriolenkonstriktion eine Abnahme des kapillären Filtrationskoeffizienten durch Verminderung der Austauschoberfläche. Ein weiterer, für die lokale Homöostase in den abhängigen Geweben und für die Gesamtfunktion des Kreislaufs wesentlicher Mechanismus ist die sog. Muskelpumpe. Rhythmische Kontraktionen der Skelettmuskulatur fördern den venösen Rückstrom, so dass der Druck in den Venensegmenten zwischen den Venenklappen in der Erschlaffungsphase der Muskulatur deutlich abfällt. Dieser Vorgang trägt ebenfalls dazu bei, den Anstieg des effektiven Filtrationsdrucks und damit die Auswärtsfiltration in Grenzen zu halten.
Abb. 8.47 Bei körperlicher Arbeit nimmt das Herzzeitvolumen fast linear mit dem O2-Verbrauch zu (unten, rote Kurve). Dies beruht auf dem linearen Anstieg der Herzfrequenz und der Steigerung des Schlagvolumens SV (oben, violette bzw. blaue Kurve). In den oberen beiden Teilabbildungen ist der O2-Verbrauch in % des Maximalwerts jedes einzelnen Probanden dargestellt, unten in Absolutwerten. Die Ordinate in der obersten Teilabbildung gibt die % des maximalen Schlagvolumens der jeweiligen Versuchsperson an (nach 1).
Sowohl die Zunahme des Arteriolenwiderstandes als auch die Funktion der Venenklappen bei der Muskelpumpe sind bei bestimmten Formen chronischer Gefäßerkrankungen (z. B. chronische venöse Insuffizienz) deutlich gestört. Dann tritt bei gesteigerter Füllung der häufig ausgeweiteten Beinvenen („Krampfadern“) auch eine vermehrte Schwellung der Füße infolge erhöhter Filtration auf.
Kreislauffunktion bei körperlicher Arbeit Die Kreislaufanpassung bei körperlicher Arbeit (s. a. Kap. 18) erfordert eine Abstimmung zwischen lokalen und systemischen Regulationsmechanismen. Die allgemeine sympathische Aktivierung durch die zentrale Mitinnervation wird durch Rückmeldungen aus der arbeitenden Skelettmuskulatur so präzise ergänzt, dass das Herzzeitvolumen annähernd proportional mit dem gesteigerten O2-Verbrauch zunimmt. Begrenzend für
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8.6 Kreislauffunktion unter Belastung: der Härtetest die Steigerung der Kreislauftätigkeit ist das venöse Angebot, das durch Muskelpumpe und Sogwirkung der Atmung gefördert, bei vermindertem Blutvolumen, Flüssigkeitsverlust oder extrathorakaler Blutvolumenspeicherung reduziert ist. Bei körperlicher Arbeit nimmt das Herzzeitvolumen von in Ruhe rund 5 l/min auf 20 – 25 l/min (also auf das 4- bis 5fache!) zu (s. Abb. 8.47); seine Verteilung ist zugunsten der arbeitenden Skelettmuskulatur verändert (s. Abb. 8.13, S. 187). Dabei steigt die Durchblutung nicht nur in der Skelettmuskulatur (s. Abb. 8.37, S. 205), sondern auch im Myokard (s. Abb. 8.36, S. 204) und in der Haut an, während sie in anderen Organen abnehmen kann (Niere, Darm) oder unverändert bleibt (Gehirn). Die Herzfrequenz steigt mit zunehmender Leistung fast linear bis auf maximal etwa 200/min an, das Schlagvolumen wird bis auf maximal das Doppelte erhöht (s. Abb. 8.47). Der arterielle Mitteldruck steigt bei stark vergrößerter Blutdruckamplitude um 20 – 50 mm Hg an. Diese Veränderungen sind das Resultat von lokalen Regulationsvorgängen in der arbeitenden Muskulatur und einer differenzierten, neurogenen Steuerung durch das vegetative Nervensystem. Beim Zusammenwirken dieser Regulationsmechanismen finden aus dem arbeitenden Gewebe über afferente Nervenfasern Rückmeldungen statt, die die erstaunliche Präzision ermöglichen, mit der die Kreislauftätigkeit auf die Steigerung des Stoffwechsels abgestimmt ist.
Skelettmuskeldurchblutung bei Arbeit: O2 für den Motor Wir hatten schon gesehen, dass die mindestens 10- bis 15fache Zunahme der Skelettmuskeldurchblutung bei maximaler Arbeit auf der lokalchemischen Dilatation der Widerstandsgefäße beruht, durch die der konstriktorische Einfluss der sympathischen Innervation völlig überspielt wird (s. Abb. 8.37, S. 205). Daran sind viele Mediatoren beteiligt, so z. B. Adenosin, H+, K+, Histamin, CO2, Lactat, sowie möglicherweise auch NO, das durch das Enzym nNOS (NOS-1 = neuronaler Typ der NO-Synthase) in der arbeitenden Muskulatur entsteht. Die Durchblutung der Beinmuskulatur nimmt bei Arbeit in senkrechter Körperstellung (z. B. Rad fahren) besonders deutlich zu (s. Abb. 8.48), weil der arterielle Druck um die hydrostatische Komponente erhöht ist, der venöse Druck aber wegen der verstärkten Tätigkeit der Muskelpumpe niedrig bleibt. Die Muskelpumpe wirkt allerdings auch schon bei der Arbeit im Liegen durchblutungsfördernd, weil sie die treibende arteriovenöse Druckdifferenz steigert. Der O2-Bedarf des arbeitenden Skelettmuskels wird allerdings nicht allein durch die Mehrdurchblutung gedeckt, sondern auch durch eine Steigerung der O2-Extraktion, die von etwa 30% in Ruhe auf etwa 90 % zunehmen kann. Während der O2-Verbrauch der Muskulatur in körperlicher Ruhe etwa 2 – 5 ml min–1 kg–1 beträgt (etwa 15 – 20% des gesamten Ruhe-O2-Verbrauchs), kann er bei maximaler Arbeit auf das 20- bis 50fache (über 90 % des gesamten, stark erhöhten O2-Verbrauchs) ansteigen.
0 50 100 Muskeldurchblutung der Beine (ml/min pro 100 g Muskulatur)
Abb. 8.48 Durchblutung der Beinmuskulatur in Ruhe (oben), bei Muskelarbeit im Liegen (Mitte) und in vertikaler Körperlage (unten). Der Durchblutungsanstieg in vertikaler gegenüber horizontaler Körperlage ist Folge der unterhalb der Indifferenzebene erhöhten arteriovenösen Druckdifferenz.
Die Anpassung der Kreislauftätigkeit bei Muskelarbeit geschieht auch durch neurogene Steuerungsvorgänge Schon vor Beginn einer körperlichen Arbeit findet eine Veränderung der vegetativen Innervation statt („Startreaktion“). Dabei kommt es zu einer Hemmung des in Ruhe überwiegenden Parasympathikotonus bei einer gleichzeitigen Steigerung des Sympathikotonus. Während dadurch am Herzen schon alle auch für die tatsächliche Körperarbeit typischen Veränderungen auftreten, nimmt der totale periphere Widerstand wegen der Vasokonstriktion vor allem in der Haut und wohl auch im Darm zunächst eher zu. Daher ist auch der arterielle Blutdruck meist erhöht. Mit Beginn der Körperarbeit nimmt infolge zentraler Mitinnervation der sympathische Kreislaufantrieb deutlich zu. Dabei steigt auch die Konzentration von Adrenalin im Blut, das aus dem Nebennierenmark freigesetzt wird. Die jede motorische Aktivierung begleitende sympathische Stimulation ist nicht durch die tatsächlich geleistete Muskelarbeit, sondern durch den Umfang des Erregungsprogramms motorischer Neurone bestimmt; daher tritt sie auch bei nur intendierter Muskelarbeit auf, z. B. bei Vorliegen einer Muskellähmung. Die neurogene Vasokonstriktion betrifft nicht das Gehirn und die arbeitende Herz- und Skelettmuskulatur, aber fast alle anderen Organe. Sie wird als kollaterale Vasokonstriktion bezeichnet, weil sie den Widerstand der der Muskulatur parallel geschalteten Organkreisläufe erhöht und so die arteriovenöse Druckdifferenz aufrecht
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8 Das Kreislaufsystem erhält. Von dieser Widerstandserhöhung wird auch die Haut ausgenommen, wenn die Thermoregulation eine Mehrdurchblutung der Haut erzwingt. Die Venokonstriktion in der Haut bleibt jedoch auch dann erhalten; dies verhindert eine übermäßige Blutvolumenspeicherung und erleichtert den venösen Rückstrom zum Herzen. Die genaue Korrelation zwischen Kreislaufantrieb und geleisteter Arbeit setzt eine Abstimmung zwischen lokalen und systemischen Regulationsmechanismen voraus. Die aus der arbeitenden Muskulatur stammenden Informationen über die Stoffwechselaktivität des Gewebes und über die Muskelmechanik werden über afferente Nerven an das Zentralnervensystem zurückgemeldet. Dort werden sie für die Steuerung der efferenten vegetativen Aktivität verwertet. Dabei scheinen neben den Afferenzen der motorischen Steuerung (Muskelspindeln und Sehnenorgane) auch bisher nicht eindeutig identifizierte, durch Metaboliten im Muskelgewebe erregbare sog. Stoffwechselrezeptoren beteiligt zu sein; deren Aktivität wird überwiegend über C-Fasern nach zentral vermittelt. Die genauen Mechanismen dieser Rückmeldung sind im Einzelnen nur ungenügend aufgeklärt; doch müssen die vegetativen Steuerungszentren ein recht präzises Bild der peripheren Stoffwechselsituation haben, um die lineare Steigerung etwa der Herzfrequenz mit der geleisteten Arbeit (Abb. 8.47) zu ermöglichen. Entsprechend dem Sauerstoffbedarf der arbeitenden Muskeln kann es bei schwerer körperlicher Arbeit zu einer Vervielfachung des Herzzeitvolumens kommen. Obwohl der mittlere arterielle Blutdruck bei nicht erschöpfender körperlicher Arbeit meist unverändert ist, könnte man erwarten, dass es auf Grund der Zunahme von Blutdruckamplitude (großes Schlagvolumen), Herzfrequenz und Anstiegssteilheit des systolischen Druckpulses (erhöhte Inotropie) zu einer Aktivierung des Pressorezeptorenreflexes und daraus resultierend zu einer Hemmung der Sympathikusaktivität kommen. Tatsächlich wird jedoch der Funktionsbereich des Pressorezeptorenreflexes bei körperlicher Arbeit zu deutlich höheren Werten verschoben (Resetting; s. Abb. 8.33, S. 201). Das Resetting verhindert eine reflektorische Limitierung der Sympathikusaktivität und erhält gleichzeitig die Wirksamkeit des Pressorezeptorenreflexes auch bei starker körperlicher Arbeit.
Was bestimmt die Grenzen der Kreislaufleistung bei körperlicher Arbeit? Die Steigerungsfähigkeit der Herzleistung wird u. a. von einer ausreichenden Füllung der Ventrikel begrenzt. Daher ist sowohl das absolute Blutvolumen als auch seine Verteilung im Niederdrucksystem (das venöse Angebot) für ein maximales Herzzeitvolumen wesentlich. Zur beschleunigten Rückkehr des Blutes in das intrathorakale Reservoir trägt die Muskelpumpe ebenso bei wie die Sogwirkung der Atmung und der Ventilebenenmechanismus (s. Abb. 7.6, S. 142). Da der Füllungsdruck des Herzens von der Größe des Blutvolumens abhängt, wird verständlich, dass das erhöhte Blutvolumen des trainierten Sportlers der Steigerungsfähigkeit seines Herzzeitvolumens zugute kommt oder umgekehrt ein Volumendefizit diese einschränkt. Hieraus ergibt sich die Bedeutung
eines ausgeglichenen Flüssigkeitshaushalts für die Leistungsfähigkeit des Kreislaufsystems. Wie schon betont wurde, deckt die Zunahme der globalen Transportleistung durch das Kreislaufsystem nur einen Teil des gesteigerten O2-Bedarfs bei Arbeit ab. Der gesamte O2-Verbrauch des Körpers bei schwerer Arbeit kann etwa auf das 10- bis 20fache ansteigen, das Herzzeitvolumen jedoch „nur“ um einen Faktor 4 – 5. Ebenso wesentlich wie die Begrenzung der Herzförderleistung ist also die der O2-Extraktion. Im arbeitenden Gewebe ist diese maximal erhöht, so dass für die Gesamtbilanz das Ausmaß der Vasokonstriktion in den nicht arbeitenden Geweben entscheidend ist. Die Mehrdurchblutung der Haut bei der thermoregulatorischen Wärmeabgabe stellt einen Links-rechts-Kurzschluss für den O2Transport dar, der die Förderleistung des Herzens beansprucht, ohne das O2-Angebot an den entscheidenden Verbraucher, den arbeitenden Muskel, zu erhöhen. Dies macht verständlich, dass die Leistungsgrenzen des Kreislaufs während körperlicher Arbeit bei hoher Umgebungstemperatur, vermindertem Blutvolumen und bei Flüssigkeitsverlust sehr viel enger sind.
Hitze und Kälte: Kreislauffunktion bei thermischer Belastung Die Veränderungen der Kreislauffunktion bei veränderter Umgebungs- oder Körperkerntemperatur spielen sich vor allem in der Haut als dem für den Wärmeaustausch mit der Umgebung wichtigsten Organ ab. Sie umfassen lokale, auf direkter Gefäßwirkung beruhende und systemische, über das vegetative Nervensystem vermittelte Veränderungen der Durchblutung.
Lokale und neurogene Regulation der Hautdurchblutung Die Haut ist ein poikilothermes Organ, das Änderungen der Umgebungstemperatur zwischen etwa 0 8C und 45 8C bei kurzer Exposition ohne dauernden Schaden toleriert, wenn auch unterhalb von etwa 8 8C und oberhalb von etwa 44 8C Schmerzempfindungen als Warnsignale auftreten. Eine lokale Temperaturabnahme senkt die Durchblutung infolge der unmittelbaren Wirkung der Kälte auf die glatte Gefäßmuskulatur („Kältekonstriktion“) und der Zunahme der Blutviskosität (bei 8 8C etwa doppelt so hoch wie bei 32 8C). Die Durchblutungsabnahme kann die Dauer der lokalen Kälteeinwirkung überdauern und benachbarte Hautregionen erfassen; so kommt es bei manchen Menschen zu anhaltender Vasokonstriktion („abgestorbene Finger“) beim Anfassen eines Glases mit Eiswasser. Bei Temperaturen unter etwa 10 8C kann es, bevorzugt an den Akren, zu einem oft von Schmerzempfindungen begleiteten Durchblutungsanstieg kommen, der im Wesentlichen auf der Dilatation von arteriovenösen Anastomosen beruht. Die Mechanismen dieser Kältedilatation sind nicht genau bekannt; als Mediatoren werden aus Gewebezellen oder Nervenendigungen freigesetzte Stoffe (Kinine, Substanz P, ATP, Prostaglandine, Histamin) diskutiert. Hier ist es schwierig, klare Grenzen zu der sog. entzündlichen Mehrdurchblutung zu ziehen, an der die gleichen Mediatoren beteiligt sind. Erhöhung der lokalen
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8.7 Der Lungenkreislauf Hauttemperatur führt zu lokaler Gefäßdilatation und Mehrdurchblutung des nutritiven Kapillarsystems der Haut. Alle lokalen Temperaturwirkungen sind wesentlich deutlicher an der Haut der Extremitäten (Akren) als am Rumpf. Der Umfang der durch lokale Kühlung oder Erwärmung eintretenden Durchblutungsänderungen ist relativ begrenzt (etwa 50 – 500 ml · min–1 · kg–1). An ihrem Zustandekommen werden neben der direkten Temperatureinwirkung auf die Gefäßmuskulatur auch lokale neurogene Mechanismen in Form sog. Axonreflexe (S. 206) angenommen. Weit größere Änderungen der Hautdurchblutung treten auf, wenn bei veränderter Umgebungsoder Körperkerntemperatur thermoregulatorische Veränderungen in Gang gesetzt werden. Diese in Kap. 15 näher besprochenen Vorgänge führen zu einer veränderten vegetativen Innervation der Hautgefäße. Die vor allem an den Akren sehr zahlreichen arteriovenösen Anastomosen werden überwiegend durch die sympathische Innervation kontrolliert. Ihre Dilatation bzw. Konstriktion (wegen der großen Wanddicke bis zum völligen Verschluss) macht extreme Änderungen der Durchblutung möglich. Maximale sympathische Konstriktion bei niedriger Umgebungstemperatur reduziert die Durchblutung der Haut (Gesamtgewicht etwa 2 kg) auf Minimalwerte von 20 ml/min; umgekehrt kann die Durchblutung bei hoher Umgebungstemperatur bis auf etwa 3 – 4 l/min ansteigen. Die bei Überwärmung auftretende Mehrdurchblutung ist größer als durch Wegnahme der sympathischen Innervation allein erklärbar; hier wird eine zusätzlich dilatierende Wirkung lokaler Mediatoren, u. a. des Kininsystems, angenommen, die bei der sympathisch-cholinergen Stimulation der Schweißdrüsen entsteht. Die lokal differenzierte sympathische Innervation der Haut beeinflusst nicht nur die arteriovenösen Anastomosen und die Arteriolen des nutritiven Gefäßsystems der Haut, sondern auch den Tonus der Kapazitätsgefäße und bestimmt damit das nicht unerhebliche Blutvolumen in den ausgedehnten oberflächlichen und tiefen Venenplexus der Haut.
Zentrale Hämodynamik bei hoher Umgebungstemperatur Die extreme Widerstandsabnahme in der Haut bei hoher Umgebungstemperatur bedeutet eine erhebliche Belastung für die Kreislauffunktion, zumal die gleichzeitige Verlagerung von Blutvolumen in die Hautvenen auch das intrathorakale Blutvolumen vermindert. Die thermoregulatorische Sympathikusaktivierung bewirkt eine deutliche Zunahme der Herzfrequenz und des Herzzeitvolumens (bis auf Werte von etwa 15 l/min). Durch die Senkung des Strömungswiderstandes in der Haut, die durch eine gleichzeitige geringe Vasokonstriktion im Darm, u. U. sogar in der Muskulatur, nicht aufgewogen wird, nimmt der totale periphere Widerstand deutlich ab, so dass der diastolische Blutdruck sinkt. Da die Hautdurchblutung über den Pressorezeptorenreflex nur wenig beeinflusst werden kann, ist die Funktion des Kreislaufsystems bei thermischer Belastung weit mehr gefährdet als etwa bei körperlicher Arbeit oder in Orthostase allein.
So kann es zu einem „Hitzekollaps“ insbesondere dann kommen, wenn bei hoher Umgebungstemperatur zusätzlich eine orthostatische Belastung den venösen Rückstrom zum Herzen mindert. Langes Stehen an der Kasse des Kaufhauses im Sommerschlussverkauf oder ein ausgedehntes Ortsgespräch in der durch Sonneneinstrahlung erwärmten Telefonzelle sind typische Beispiele für diese Belastung.
8.7
Der Lungenkreislauf
Die Hämodynamik der pulmonalen Strombahn, die Teil des Niederdrucksystems ist, zeichnet sich durch eine starke Abhängigkeit der Gefäßmechanik von der Höhe des intraalveolären Drucks, durch einen niedrigen, weitgehend druckpassiven Strömungswiderstand und durch eine relativ geringe Tonusentwicklung der spärlichen Gefäßmuskulatur aus. Die Lungendurchblutung ist stark inhomogen und lageabhängig. Unter den Regulationsvorgängen in der pulmonalen Strombahn ist die Vasokonstriktion bei alveolärer Hypoxie von großer Bedeutung. Das Filtrationsgleichgewicht im pulmonalen Kapillargebiet ist durch ständige Drainage des für den Gasaustausch wichtigsten Gewebes gekennzeichnet.
Gefäßarchitektur und Hämodynamik der Lunge unterscheiden sich stark vom Körperkreislauf Das Herzzeitvolumen wird vom rechten Ventrikel mit einer im Vergleich zum Körperkreislauf geringen treibenden Druckdifferenz durch die Lungenstrombahn gefördert. Systolischer und diastolischer Druck in der A. pulmonalis betragen in Ruhe etwa 20 bzw. 7 mm Hg, der Mitteldruck etwa 12 mm Hg (1,6 kPa). Der geringe Strömungswiderstand im pulmonalen Gefäßsystem ist auf die arteriellen und venösen Gefäßabschnitte ziemlich gleich verteilt. Der Kapillardruck liegt daher mit etwa 7 – 8 mm Hg (1 kPa) ungefähr in der Mitte zwischen arteriellem Zustrom (13 mm Hg) und venösem Abstrom (5 mm Hg). Die im Vergleich zum Körperkreislauf deutlich kürzeren Gefäße sind dünnwandiger und weisen weniger glatte Muskulatur auf. Der arterielle Gefäßbaum versorgt ein ausgedehntes Kapillarnetzwerk in den interalveolären Septen (Abb. 8.49), dessen Oberflächen wie Decke und Boden einer Parkhausetage mit Pfeilern verbunden sind, zwischen denen das Blut seinen Weg nimmt (Abb. 8.50 Mitte). Das hydrodynamische Verhalten dieser Art von Blutströmung wird nicht angemessen durch die Hagen-Poiseuille-Gleichung beschrieben. Man spricht von einer sog. Schichtenströmung im Gegensatz zu der Röhrenströmung in den zylindrischen Kapillaren anderer Organe. Eine für die Hämodynamik wesentliche Eigenschaft des pulmonalen Gefäßsystems ist neben seinem niedrigen Strömungswiderstand die große Dehnbarkeit. Diese beruht darauf, dass die pulmonalen Gefäße, vor allem das Kapillarsystem in den interalveolären Septen, nicht oder fast nicht von einem mechanisch stützenden Interstitium umgeben sind. Daher wird der transmurale Druck und
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8 Das Kreislaufsystem
Kapillare Pfeiler
30 µm
Venole Pfeiler Kapillare
Abb. 8.49 Interalveolarsepten der Lunge. Querschnitt (oben) und Flachschnitt (unten). Länge und Durchmesser einer „Kapillare“ im Interalveolarseptum sind etwa gleich; daher gleicht die Strömung des Blutes in diesem „Kapillar“netzwerk eher dem Verkehr von Autos in einer Parkhausetage (s. Abb. 8.50) als der Strömung in zylindrischen Röhren (aus 7 [oben] und 34 [unten]).
Interalveolarseptum
transmuraler Druck erhöht
Blutstrom transmuraler Druck normal
transmuraler Druck erniedrigt
Abb. 8.50 Schichtenströmung in den Interalveolarsepten. Schematische Darstellung der Geometrie bei unterschiedlichem transmuralen Druck. Sie soll anschaulich machen, dass sowohl das intrapulmonale Blutvolumen als auch der pulmonale Strömungswiderstand stark von Änderungen des transmuralen Drucks beeinflusst werden.
damit der Dehnungszustand der Lungenkapillaren erheblich vom Druck im Alveolarraum beeinflusst. Pulmonaler Strömungswiderstand und pulmonales Blutvolumen hängen stark von der Ventilation ab. Das Absinken des Pleuradrucks während einer normalen Inspiration bewirkt daher einen Anstieg des transmuralen Drucks (Ptm; S. 182) und somit einen Kapazitätszuwachs des intrathorakalen Niederdrucksystems, also auch der Herzvorhöfe und der Ventrikel in Diastole. Daher steigt der venöse Rückstrom in den Thorax und infolge vermehrter Vor- und verminderter Nachlast das Schlagvolumen des rechten Ventrikels. Anders ist die Situation des linken Ventrikels, dessen Schlagvolumen bei Inspiration abnimmt. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens steigt die diastolische Füllung des linken Ventrikels nicht wesentlich an, weil die gesteigerte Füllung des rechten Ventrikels dies verhindert (Interdependenz der beiden Herzventrikel) und die Volumendehnbarkeit (Compliance) der Lungengefäße größer ist als die des erschlafften linken Ventrikels. Zweitens und vor allem wirkt der niedrige Pleuradruck bei der Inspiration wie eine Erhöhung der Nachlast des linken Ventrikels, weil er dessen Volumenabnahme in der Systole behindert. Da der rechte Ventrikel somit mehr auswirft als der linke, kommt es bei der Inspiration zu einer gesteigerten Blutfülle in den Lungengefäßen. Bei Exspiration (und damit Steigerung des Pleuradrucks) treten diese Effekte in umgekehrter Richtung auf. Solange normale Atemdrücke und -widerstände herrschen, sind die Wirkungen der Atmung auf Herz und Kreislauf gering; sie nehmen aber deutlich zu, wenn z. B. wegen erhöhter Atemwegswiderstände In- und Exspiration forciert und die Schwankungen aller Drücke im Thorax größer werden. So hat auch der Alveolardruck, der z. B. beim sog. Valsalva-Versuch (S. 268) oder bei positiver Druckbeatmung erhöht ist, eine deutliche Wirkung auf die pulmonale Kapazität und damit auf intrathorakales Blutvolumen, venösen Rückstrom, Herzzeitvolumen und arteriellen Blutdruck. Änderungen des Innendrucks der Pulmonalgefäße sind in analoger Weise wirksam. Dies ist wichtig, weil es dazu führt, dass bei Steigerung des Herzzeitvolumens (z. B. bei Arbeit), d. h. bei Steigerung der treibenden Druckdifferenz (zwischen A. pulmonalis und linkem Vorhof), der pulmonale Strömungswiderstand geringer wird (Abb. 8.51). Auch hydrostatische Drücke sind für die Gefäßweite und damit für Strömungswiderstand und intrapulmonales Blutvolumen bestimmend. Daher ist die Durchblutung bei aufrechter Körperhaltung nicht in allen Lungenabschnitten gleich, sondern zwischen Lungenspitzen und Lungenbasis sehr verschieden, und das ist wichtig für den Gasaustausch (S. 277). Man unterscheidet mehrere Zonen, die sich durch die Höhe der Durchblutung und ihre Abhängigkeit vom alveolären Druck unterscheiden (Abb. 8.52). In Zone I, den Lungenspitzen, sind die pulmonalen Gefäße praktisch völlig kollabiert, weil der alveoläre Druck fast während des gesamten Herzzyklus größer ist als der um die hydrostatische Komponente verminderte pulmonalarterielle Druck (Abb. 8.52 oben). Die Durchblutung ist sehr gering und findet ausschließlich während der systolischen Druckspitze in den Pulmonalarterien statt.
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Druck in der A. pulmonalis 0,6
Ppa
0,4
0,2
0 10
Druck in der V. pulmonalis
Druck im Alveolarraum
PA
Zone I Kapillardurchmesser (mm)
pulmonaler Strömungswiderstand 1 (mmHg · ml · min)
8.7 Der Lungenkreislauf
Ppv
PA > Ppa > Ppv
10
5
Ppa 0
0 20 transmuraler Druck (mmHg) 12
14
PA
Zone II 16
18
Ppv
20
Ppa > PA > Ppv
pulmonaler Perfusionsdruck (mmHg)
Abb. 8.51 Schon bei geringen Änderungen des pulmonalen Perfusionsdrucks kommt es zu erheblichen Änderungen des Strömungswiderstandes, weil, wie die kleine Zeichnung zeigt, der Durchmesser der interalveolären Kapillaren stark vom transmuralen Druck Ptm abhängt (nach 6 und 18).
Ppa Zone III
Ppv PA Ppa > Ppv > PA
In Zone II ist der pulmonalarterielle Druck größer als der alveoläre, dieser aber größer als der pulmonalvenöse (Abb. 8.52 Mitte); die Differenz von Alveolardruck und Gefäßinnendruck (= transmuraler Druck, Ptm) bestimmt die Höhe des Strömungswiderstandes. Daher hängt die Höhe der Durchblutung von der Druckdifferenz zwischen Pulmonalarterie und Alveolarraum ab, während sie vom pulmonalvenösen Druck praktisch unbeeinflusst ist. Diese ungewöhnliche hämodynamische Situation wird mit der eines Wasserfalls verglichen, dessen Stromstärke ebenfalls unabhängig ist von der Tiefe der Schlucht, in die das Wasser fällt. Innerhalb der Zone II nimmt die Durchblutung von oben nach unten zu, da der Gefäßinnendruck mit abnehmender Höhe ansteigt, während der Alveolardruck überall gleich ist. In Zone III, den untersten Lungenpartien, ist der pulmonalvenöse Druck größer als der Alveolardruck (Abb. 8.52 unten), so dass alle Gefäße eröffnet sind und der Strömungswiderstand gering ist. Hier ist die Durchblutung von der arteriovenösen Druckdifferenz abhängig, die innerhalb der ganzen Zone III gleich ist. Dennoch steigt die Durchblutung auch innerhalb dieser Zone von oben nach unten an, da mit wachsendem Innendruck der Strömungswiderstand sinkt. Eine Erhöhung des Alveolardrucks führt zu einer Vergrößerung der Zone I auf Kosten der Zone II und umgekehrt. Bei körperlicher Arbeit steigt der Druck in der A. pulmonalis bis auf maximal das Doppelte. Damit nimmt die ungleichmäßige Verteilung der Lungendurchblutung ab, da Zone I verschwindet und Zone II in Richtung auf die Lungenspitzen vergrößert ist. Auch im Liegen besteht ein, wenn auch geringer, intrapulmonaler Durchblutungsgradient, dem eine ungleichmäßige Verteilung des intrapulmonalen Blutvolumens entspricht. Dass die Lungendurchblutung insgesamt im Liegen größer ist als im Stehen, ergibt sich aus der lageabhängigen Veränderung des Herzzeitvolumens (S. 210 ff.).
Abb. 8.52 Die drei Zonen der Lunge. Sie unterscheiden sich durch die relative Höhe des Drucks in der A. pulmonalis (Ppa), V. pulmonalis (Ppv) und im Alveolarraum (PA). In Zone I ist die Durchblutung Null, weil der Strömungswiderstand infolge der Kompression der Lungengefäße hoch ist; in Zone II hängt die Durchblutung im Wesentlichen von der Druckdifferenz Ppa–PA ab; in Zone III findet sich die höchste Durchblutung und das größte intravasale Volumen.
Regulation der pulmonalen Strombahn: überwiegend druckpassiv Sowohl die arteriellen als auch die venösen Gefäße der pulmonalen Strombahn sind reichlich efferent innerviert. Zu dem in Ruhe vorhandenen, nur geringen Tonus der Pulmonalgefäße trägt diese Innervation jedoch nur wenig bei. Stimulation konstriktorischer sympathischer Fasern bewirkt unter Freisetzung von Noradrenalin über α1Adrenozeptoren-Erregung zwar eine Abnahme des Lungengefäßvolumens, aber kaum eine wesentliche Widerstandszunahme. Die physiologische Bedeutung der sympathischen Stimulation liegt daher eher in einer verminderten Volumenspeicherung und in dem damit erhöhten Füllungsangebot an das Herz. Eine große Zahl von Substanzen, die an den Gefäßen des Körperkreislaufs wirksam sind, erzeugen auch in der Lungenstrombahn konstriktorische oder dilatierende Wirkungen. Ob und inwieweit sie auch bei physiologischen Regulationsvorgängen beteiligt sind, ist unklar. Die Größe des Strömungswiderstandes ist somit weitgehend von druckpassiven Änderungen der Gefäßweite bestimmt. Von physiologischer Bedeutung ist die Zunahme des pulmonalen Strömungswiderstandes, die durch aktive Gefäßkonstriktion bei alveolärer Hypoxie ausgelöst wird. Senkung des PO2 in der Alveolarluft, entweder als Folge eines erniedrigten PO2 in der Einatmungsluft oder einer verminderten Ventilation von Alveolen, führt zu deutlicher pulmonaler Vasokonstriktion. Diese auch als Lilje-
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8 Das Kreislaufsystem abnehmende Kontaktzeit
1,2
mittlere Kontaktzeit des Blutes in den Lungenkapillaren (s)
218
0,9
0,6
zunehmende Arbeit
0,3
0
0
5
10
15
20
25
Herzzeitvolumen (l/min)
Abb. 8.53 Die mittlere Kontaktzeit im pulmonalen Kapillarbett nimmt mit steigendem Herzzeitvolumen (bei körperlicher Arbeit) deutlich ab. Bliebe das intrapulmonale Volumen konstant, so wäre dieser Abfall, der im Übrigen die volle O2-Sättigung des Blutes normalerweise nicht in Frage stellt, noch erheblich größer (nach 21).
strand-Euler-Effekt bezeichnete hypoxische Vasokonstriktion wird bei Unterschreitung eines alveolären PO2 von etwa 60 – 70 mm Hg wirksam (S. 276). Die hypoxische Vasokonstriktion wird wahrscheinlich durch das Schließen von O2-sensitiven K+-Kanälen ausgelöst, wodurch es zu einer Reduktion des Kaliumausstroms aus der glatten Muskulatur der Lungengefäße und damit zu einer Depolarisation mit nachfolgender Öffnung von spannungsgesteuerten Ca2+-Kanälen kommt. Die erhöhte zytosolische Ca2+-Konzentration führt schließlich zu einer Zunahme des Gefäßtonus. Betrifft die Vasokonstriktion die gesamte Lunge, so führt dies zu einem deutlichen Anstieg des Pulmonalarteriendrucks. Dies wird bei Aufenthalt in großen Höhen beobachtet und kann akut zu einem Lungenödem und nach längerem Aufenthalt zu einer deutlichen Vermehrung der glatten Gefäßmuskulatur der Pulmonalarterien mit chronischem pulmonalen Hochdruck führen.
Austauschfläche und Flüssigkeitsbalance: wichtige Voraussetzungen für den Gasaustausch Der pulmonale Gasaustausch findet in den interalveolären Septen statt, deren Kapillarsystem insgesamt eine Austauschfläche von ewa 70 – 80 m2 in Ruhe und etwa 100 m2 bei maximaler Durchblutung, d. h. bei Verschwinden der Zone I (S. 216), aufweist. Dies sind nur etwa 10% der Fläche, die für den Austausch der gleichen Menge von O2 oder CO2 in den systemischen Kapillaren zur Verfügung steht. Hieran wird die große Bedeutung der Diffusionsstrecken erkennbar, die in den peripheren Organen bei Kapillarabständen zwischen 20 µm (Myokard) und 80 µm (Skelettmuskel) um mehrere Größenordnungen über denen der Lunge liegen, wo nur die außerordentlich
dünne (0,1 – 1 µm) Alveolarmembran zu überwinden ist (S. 289 f.). Das in den Lungenkapillaren enthaltene Blutvolumen entspricht mit etwa 100 – 150 ml ungefähr 20 – 30 % des Lungenblutvolumens von etwa 500 ml. Im Vergleich enthält das gesamte Kapillarsystem des Körperkreislaufs etwa 4 – 5 % des gesamten Blutvolumens oder 200 – 250 ml. Diese Zahlenangaben weisen noch einmal auf die verschiedene Struktur der Kapillarsysteme in Lungenund Körperkreislauf hin. Für die Dynamik des O2-Austauschs nimmt man vereinfachend eine funktionelle Kapillarlänge von etwa 350 µm (etwa der halbe Umfang einer Alveole) an. Dies ergibt rechnerisch eine Kontaktzeit von etwa 0,7 – 0,8 s, die bei körperlicher Arbeit auf 0,3 s verkürzt sein kann (Abb. 8.53), ohne dass darunter der Gasaustausch leidet (Perfusionslimitierung; S. 194). Unter Arbeitsbedingungen wird der O2-Austausch außerdem durch die Vergrößerung der Austauschfläche infolge der Homogenisierung der Durchblutungsverteilung erleichtert (S. 291 ff.). Die Aufrechterhaltung des normalen Filtrationsgleichgewichts in der Lunge ist für den physiologischen Gasaustausch sehr wichtig, weil eine vermehrte Ansammlung von Flüssigkeit in dem spärlichen Interstitium oder in den Alveolen zu zusätzlichen Diffusionswiderständen führt. Trotz der eminenten Bedeutung der Flüssigkeitsbalance ist ihr Zustandekommen nicht völlig geklärt. Da der kolloidosmotische Druck des Plasmas etwa 3-mal höher ist als der Druck in den pulmonalen Kapillaren, ist anzunehmen, dass das pulmonale Interstitium durch einen negativen effektiven Filtrationsdruck ständig drainiert wird. Eine Flüssigkeitsansammlung in den Interalveolarsepten bei geringer Erhöhung des Drucks im pulmonalen Kapillarsystem wird durch den Flüssigkeitsstrom aus dem septalen in das extraalveoläre (perivaskuläre) Interstitium sowie durch Steigerung des Lymphstroms verhindert. Ein stärkerer Anstieg des pulmonalen Kapillardrucks (z. B. bei Insuffizienz des linken Ventrikels) führt jedoch trotz erhöhten Lymphabstroms zum manifesten Lungenödem, bei dem vermehrte Flüssigkeitsansammlungen in allen Teilen des Interstitiums und sogar in den Alveolen auftreten. Hiervon sind die basalen Lungengebiete der Zone III stets stärker betroffen als die apikalen.
8.8
Kreislauffunktion und Lebensalter
Die dramatischsten Änderungen der Kreislauftätigkeit während eines Menschenlebens spielen sich am Übergang vom intra- zum extrauterinen Leben ab (s. a. Kap. 17). Dabei vollzieht sich eine Veränderung des Funktionsplans des Kreislaufsystems, die eng mit der Übernahme des Gasaustauschs durch die Lunge und dem Wegfall der Plazenta zusammenhängt; es differenziert sich das Hoch- und Niederdrucksystem, und beide Ventrikel werden in Serie geschaltet. Mit dem Wachstum des Organismus nimmt das extrazelluläre Flüssigkeitsvolumen relativ zum Körpergewicht ab, das Gefäßsystem wird zunehmend „wasserdicht“, der Strö-
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8.8 Kreislauffunktion und Lebensalter Lunge (nicht entfaltet)
Lunge (entfaltet)
Ductus arteriosus Botalli
Foramen ovale
rechte Kammer
linke Kammer
obere Körperhälfte untere Körperhälfte Ductus venosus Arantii
Ductus arteriosus Botalli
Leber Plazenta
Körperorgane Körperorgane Körperorgane Körperorgane Körperorgane 3 Endzustand: Herzhälften in Serie
Körperorgane 2 Kreislauf nach der Geburt
1 fetaler Kreislauf: Herzhälften parallel
Abb. 8.54 Entwicklung des Blutkreislaufs. Im fetalen Blutkreislauf (1) sind beide Herzventrikel noch teilweise parallel geschaltet. Unmittelbar nach der Geburt (2) schließt sich das
mungswiderstand im Körperkreislauf steigt. Dieser Prozess setzt sich mit zunehmendem Lebensalter fort und wird durch den Umbau der Gefäßwand sowie durch arteriosklerotische Veränderungen verstärkt.
Eine ganz andere Blaupause: der fetale Kreislauf Die beiden Ventrikel des fetalen Herzens sind funktionell nicht in Serie, sondern parallel geschaltet (Abb. 8.54) (1). Der rechte Ventrikel, dessen Zeitvolumen etwa um 20 % größer ist als das des linken, versorgt zu etwa einem Drittel die Lungenstrombahn. Der linke Ventrikel versorgt die Organe der oberen Körperhälfte (vor allem Myokard und Gehirn) mit Blut relativ hoher O2-Sättigung. Arterielles Mischblut von linkem und (über den Ductus arteriosus Botalli) rechtem Ventrikel strömt in den Körperkreislauf. Das Zeitvolumen beider Ventrikel beträgt gegen Ende der Schwangerschaft zusammen etwa 600 ml/min. Davon fließen etwa 55 % in die Plazenta, in der das Blut erneut oxygeniert wird. Etwa 10% (aus dem rechten Ventrikel) fließen zur Lunge, die restlichen 35 % zu den Körperorganen. Der Strömungswiderstand der noch nicht entfalteten Lunge ist hoch, der der Plazenta sehr gering. Das aus der Plazenta über die Umbilikalvene zurückkehrende, arterialisierte Blut fließt zu einem kleineren Teil direkt zur Leber, zum größeren Teil durch den Ductus venosus Arantii über die V. cava inf. in den rechten Vorhof und von dort durch das Foramen ovale in den linken Vorhof. Nieren, Darm, Milz und Lunge werden im Vergleich zum Kreislauf des Erwachsenen geringer
Sauerstoffgehalt des Blutes: hoch
mittel
niedrig
Foramen ovale, die Strömungsrichtung im Ductus arteriosus Botalli wird umgekehrt. Erst nach dessen Verschluss (3) sind beide Herzhälften funktionell in Serie geschaltet.
durchblutet, während Myokard und Gehirn deutlich höhere Durchblutungswerte aufweisen. Der mittlere arterielle Blutdruck beträgt gegen Ende der Schwangerschaft etwa 40 – 60 mm Hg, die Herzfrequenz 140 – 160/min. Die Entwicklung der reflektorischen Steuerung des fetalen Kreislaufs über die vegetative Innervation zeigt sich an der Reaktion auf eine durch plazentare Minderperfusion oder Nabelschnurabklemmung entstehende Asphyxie (Anstieg von PCO2 und Abfall von PO2). Gegen Ende der Schwangerschaft führt eine Asphyxie zu Blutdruckerhöhung beim Fetus, die ihrerseits über Erregung der Pressorezeptoren eine deutliche fetale Bradykardie bewirkt. Durch die gleichzeitige Vasokonstriktion im Körperkreislauf wird die fetusseitige Plazentadurchblutung erhöht. Regelmäßige, vorübergehende Bradykardien („dips“) sind während der Geburtsphase bei jeder Wehe der Uterusmuskulatur zu beobachten.
Kreislaufumstellung während der Geburt Die entscheidende Veränderung der Kreislauffunktion durch die Geburt besteht in der plötzlichen Umverteilung der Strömungswiderstände zwischen Lungen- und Körperkreislauf. Durch diese Veränderung entsteht die Differenzierung von Hoch- und Niederdrucksystem. Auf das Körpergewicht bezogen, entspricht das vom linken Ventrikel unmittelbar nach der Geburt ausgeworfene Zeitvolumen von etwa 540 – 600 ml/min dem eines Erwachsenen bei mittelschwerer Arbeit.
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8 Das Kreislaufsystem 150
150
Druck und Volumen in der Aorta mit 30 50 60 80 Jahren 200
1
systolischer Blutdruck diastolischer 50
50
Blutdruck (mmHg)
100
100
Aortendruck (mmHg)
Herzfrequenz
Herzfrequenz (min )
220
DP
100
DV
0
0
100
200
300
Aortenvolumen (ml) = altersgemäßer Mitteldruck
G
u eb
0 rt
5
Jah
re 10
Jah
re 15
Jah
re E rw
h ac
se
ne
0
Abb. 8.55 Altersabhängigkeit von systolischem und diastolischem Blutdruck und Herzfrequenz. Von der Geburt bis zum Erwachsenenalter steigt der arterielle Druck als Folge schleichender Widerstandszunahme und Elastizitätsverlustes stetig an.
Die Unterbrechung der Umbilikalarterien beim Abnabeln erhöht plötzlich den Strömungswiderstand und hat daher eine Drucksteigerung in der Aorta zur Folge. Die Asphyxie, die durch den Wegfall der Plazentafunktion entsteht, bewirkt einen Atemantrieb, so dass mit den ersten Atemzügen die Lunge entfaltet wird. Wegen des noch großen Atemwegswiderstandes entsteht bei der Inspiration ein starker Unterdruck im Thorax und damit ein starker Sog auf das Blut in den Vv. cavae. Der Druck in diesen Gefäßen sinkt – auch infolge der Unterbrechung der Umbilikalvenen – deutlich ab, so dass das Foramen ovale funktionell verschlossen wird. Die Entfaltung der Lunge senkt den pulmonalen Strömungswiderstand auf weniger als 20 %, so dass die Lungendurchblutung auf etwa das Fünffache zunimmt. Der erniedrigte pulmonale Widerstand senkt den Druck in der Pulmonalarterie unter den Aortendruck, so dass sich die Strömungsrichtung im Ductus arteriosus Botalli umkehrt. In dieser Situation (Abb. 8.54) (2) versorgt der linke Ventrikel auch teilweise die Lungenstrombahn. Innerhalb von 10 – 30 Minuten kontrahiert sich die starke Wandmuskulatur des Ductus arteriosus als Folge des ansteigenden arteriellen PO2 und einer Synthesehemmung von dilatierenden Prostaglandinen im Gefäßendothel. Der völlige Verschluss tritt erst nach mehreren Stunden oder Tagen ein. Damit ist die Parallelschaltung der beiden Herzventrikel endgültig aufgehoben (Abb. 8.54) (3).
Abb. 8.56 Druck-Volumen-Beziehung der Aorta. Mit zunehmendem Alter steigt ihr Volumen. Im Bereich des altersgemäßen Innendrucks (Pfeile) nimmt auch die Steilheit der Kurven, d. h. die Steifheit der Gefäßwand, zu. Das bewirkt eine abnehmende Windkesselfunktion mit Folgen für Herzarbeit und arteriellen Blutdruck (nach 12).
Vom Neugeborenen zum Erwachsenen: postnatale Anpassung der Kreislauftätigkeit Die langsame Veränderung zahlreicher hämodynamischer Größen in den Wochen und Monaten nach der Geburt zeigt, dass der Übergang aus dem intrauterinen in das extrauterine Leben manche Ähnlichkeit mit dem Landgang der Säugetiere in der Phylogenese widerspiegelt. Kreislauf- und Volumenregulation des im Uterus schwimmenden Fetus („niedriger Druck, großes Volumen“) verändern sich in der postnatalen Periode zunehmend, bis die Verhältnisse denen des adulten Systems („hoher Druck, geringes Volumen“) entsprechen. Nicht allein das Blutvolumen, das beim Neugeborenen bis zu 120 ml/kg betragen kann, sondern das gesamte extrazelluläre Flüssigkeitsvolumen nehmen relativ zum Körpergewicht ab. Gleichzeitig wird das noch relativ „undichte“ Gefäßendothel zunehmend „dichter“. Der totale periphere Widerstand nimmt zu, und der arterielle Blutdruck steigt an, während Herzfrequenz und Herzzeitvolumen absinken (Abb. 8.55). Die neurogene, insbesondere die reflektorische Steuerung von Kreislauffunktionen ist schon beim Neugeborenen weitgehend vollständig ausgebildet; dies gilt zumindest für die Presso- und Chemorezeptorenreflexe. Allerdings ist die Beeinflussung der Herzfrequenz, obwohl deutlich geringer als beim Erwachsenen, sowohl beim Fetus als auch beim Neugeborenen stets stärker als die des peripheren Widerstandes. Erst mit dem altersabhängig zunehmenden peripheren Gefäßtonus steigt dann auch die Beteiligung von Durchblutungsreaktionen an der reflektorischen Kreislaufsteuerung.
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8.8 Kreislauffunktion und Lebensalter 60
Blutdruck
10 bis 29 Jahre
40
Medianwert der Verteilung
20
systolischer diastolischer Blutdruck
0
Häufigkeit (%)
40
30 bis 49 Jahre 20
0
50 bis 69 Jahre 20
0
älter als 70 Jahre 20
0
40
80
120
160
200
240
Blutdruck (mmHg)
Abb. 8.57 Häufigkeitsverteilung des systolischen (orange) und diastolischen (blau) Blutdrucks mit zunehmendem Lebensalter. Der zunehmende periphere Widerstand und die abnehmende Gefäßdehnbarkeit sind die Ursachen für die deutliche Altersabhängigkeit des arteriellen Blutdrucks (nach 4).
Der schleichende Strukturumbau bestimmt den Kreislauf im höheren Lebensalter Die physiologischen Änderungen der Kreislauffunktion im höheren Lebensalter beruhen weitgehend auf den Strukturveränderungen in Gefäßwänden und Herzmuskulatur, die im Prinzip schon mit der Geburt einsetzen. In der postnatalen Wachstumsphase kommt die langsam abnehmende Elastizität des Gefäßsystems der Erhöhung der Strömungsgeschwindigkeit zugute, so dass die mittlere Transitzeit des gesamten Körperkreislaufs (Kreislaufzeit) trotz erheblichen Längenzuwachses des Gefäßsystems etwa konstant bleibt. Infolge des physiologischen Umbaus der Gefäßwand (Zunahme des Kollagens, Fragmentierung elastischer Fasern) sowie durch arteriosklerotische Veränderungen werden Aorta und große Arterien mit zunehmendem Alter steifer. Damit ändert sich auch die charakteristische Wellenform von Druck und Strömung im Arteriensystem (S. 192 f.). Die typische Altersveränderung der Aorta besteht in einer Zunahme der Steifheit und einer Vergrößerung des Volumens (Abb. 8.56). Mit zunehmendem Lebensalter finden sich daher charak-
teristische Veränderungen des arteriellen Blutdrucks: Die Blutdruckamplitude wird größer, und der arterielle Mitteldruck steigt an (Abb. 8.57). Die verminderte Windkesselwirkung der großen Leitarterien erhöht die Beschleunigungsarbeit des Herzens. Die Mehrbelastung des Herzens trifft ein Organ, dessen kontraktile Leistungsfähigkeit durch den gleichen Prozess, nämlich Ersatz von Myozyten durch kollagenes Bindegewebe, ebenfalls abnimmt. Die Erhöhung des arteriellen Drucks führt zu einer gleichförmigeren Perfusion auch der apikalen Lungenpartien, was sich jedoch wegen der altersveränderten Lungengewebestruktur (Emphysem) eher negativ auf die Arterialisierung des Blutes auswirkt. Entscheidende Altersveränderungen des Kreislaufsystems resultieren aus der zunehmenden Arteriosklerose der großen arteriellen Gefäße, die zur Unterversorgung der Gewebe führen kann, wenn in zuführenden Leitarterien eine wesentliche Gefäßverengung auftritt. Die offenbar genetisch programmierte Abnahme der Wachstumsund Regenerationsfähigkeit lässt die Entwicklung überbrückender Kollateralgefäße im hohen Alter nicht mehr im gleichen Maße zu. Darüber hinaus kommt es zu einer Abnahme der Gefäßdichte im Gewebe, wodurch die Versorgungsbedingungen weiter eingeschränkt werden.
Zum Weiterlesen … 1 Astrand PO, Rodahl K. Textbook of Work Physiology. New York: McGraw-Hill; 1986 2 Burton AC. Physiology and Biophysics of the Circulation. Chicago: Year Book; 1966 3 Folkow B, Neil E. Circulation. London: University Press; 1971 4 Gauer OH. Kreislauf des Blutes. In: Gauer OH, Kramer K, Jung R. Physiologie des Menschen, Bd. 3. München: Urban & Schwarzenberg; 1972 5 Hammersen F. Bau und Funktion der Blutkapillaren. In: Meesen H. Handbuch der allgemeinen Pathologie, Bd. III/7. Berlin: Springer; 1977 6 Johnson PC. Peripheral Circulation. New York: Wiley; 1978 7 Kaley G, Altura BM. Microcirculation. Baltimore: University Park Press; 1977 8 Levick JR. An Introduction to Cardiovascular Physiology. London: Arnold; 2003 9 McDonald D. Blood Flow in Arteries. London: Arnold; 1960 10 Rowell LB. Human Cardiovascular Control. Oxford: Oxford University Press; 1993 11 Swales JD (Editor). Textbook of Hypertension. Oxford: Blackwell; 1994
… und noch weiter 12 Bader H. Dependence of wall stress in the human thoracic aorta on age and pressure. Circ Res. 1967; 20: 354 – 361 13 Busse R, Fleming I. Regulation of endothelium-derived vasoactive autacoid production by hemodynamic forces. Trend Pharmacol Sci. 2003; 24: 24 – 29 14 Carmeliet P. Angiogenesis in health and disease. Nat Med. 2003; 9: 653 – 660 15 Cowley AW. Long-term control of arterial blood pressure. Physiol Rev. 1992; 72: 231 – 300
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8 Das Kreislaufsystem 16 Cowley AW, Liard JF, Guyton AC. Role of baroreceptor reflex in daily control of arterial blood pressure and other variables in dogs. Circ Res. 1973; 32: 564 – 576 17 Eckberg DL. Carotid baroreflex function in young men with borderline blood pressure elevation. Circulation. 1979; 59: 632 – 636 18 Edwards WS. The effects of lung inflation and epinephrine on pulmonary vascular resistance. Amer J Physiol. 1951; 167: 756 – 762 19 Gaehtgens P. Pulsatile pressure and flow in the mesenteric vascular bed of the cat. Pflügers Arch. 1970; 316: 140 – 151 20 Guyton AC. Blood pressure control – special role of the kidneys and body fluids. Science. 1991; 252: 1813 – 1816 21 Johnson RL, et al. Pulmonary capillary blood volume, flow and diffusing capacity during exercise. J Appl Physiol. 1960; 15: 893 – 902 22 Kjellmer I. Studies on exercise hyperemia. Acta Physiol Scand. 1965; 64 (Suppl. 244): 1 – 27 23 Klabunde RE, Johnson PC. Reactive hyperemia in capillaries of red and white skeletal muscle. Amer J Physiol. 1977; 232: H411-H417 24 Levick JR, Michel CC. The effects of position and skin temperature on the capillary pressures in the fingers and toes. J Physiol. (Lond.) 1978; 274: 97 – 109 25 Melcher A, Donald DE. Maintained ability of carotid baroreflex to regulate arterial pressure during exercise. Amer J Physiol. 1981; 241: H838 – H849 26 Meßmer K, et al. Circulatory significance of hemodilution: rheological changes and limitations. Advanc Microcirc. 1972; 4: 1 – 77
27 Michel CC, Philips ME. Steady-state fluid filtration at different capillary pressures in perfused frog mesenteric capillaries. J Physiol. (Lond.) 1987; 388: 421 – 435 28 Moreno AH, et al. Mechanics of distension of dog veins and other very thinwalled tubular structures. Circ Res. 1970; 27: 1069 – 1080 29 Patterson GC, Whelan RF. Reactive hyperaemia in the human forearm. Clin Sci. 1955; 14: 197 – 211 30 Persson PB. Modulation of cardiovascular control mechanisms and their interaction. Physiol Rev. 1996; 76: 193 – 244 31 Persson P, Ehmke H, Kirchheim H, Seller H. Effect of sinoaortic denervation in comparison to cardiopulmonary deafferentiation on long-term blood pressure in conscious dogs. Pflügers Arch. 1988; 411: 160 – 166 32 Segal SS. Integration of blood flow control to skeletal muscle: key role of feed arteries. Acta Physiol Scand. 2000; 168: 511 – 518 33 Singel DJ, Stamler JS. Blood traffic control. Nature. 2004; 430: 297 34 Somlyo AP, Somlyo AV. Ca2+ sensitivity of smooth muscle and nonmuscle myosin II: modulated by G proteins, kinases, and myosin phosphatase. Physiol Rev. 2003; 83: 1325 – 1358 35 Weibel ER. Morphometry of the Human Lung. Berlin: Springer; 1963
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Blut: Ein flüssiges Organsystem C. Bauer und B. Walzog
9.1
Die Untersuchung des Blutes – Ein Grundbaustein der ärztlichen Diagnostik · ·· 224
9.2
Zusammensetzung und Volumen des Blutes · · · 224 Das Blutvolumen ist eine Funktion des Körpergewichts · ·· 224 Blutplasma ist aus vielen Komponenten zusammengesetzt ··· 225 Plasmaelektrolyte · ·· 226
9.3
9.4
Abwehrmechanismen des Körpers · ·· 233 Wichtige Abwehrmechanismen sind bereits bei der Geburt voll ausgebildet · · · 233 Die Merkmale des spezifischen Abwehrsystems · ·· 237
9.5
Blutstillung und Wundheilung ··· 245 Thrombozytenfunktion ··· 245 Die Gerinnung des Blutes führt zu einem stabilen Wundverschluss ··· 249 Die Wundheilung wird von Entzündungszeichen begleitet · · · 252
Zelluläre Bestandteile des Blutes · · · 227 Aus einer hämatopoietischen Stammzelle entstehen verschiedene Blutzelltypen · · · 227 Erythrozyten dienen vor allem dem Gastransport · · · 229
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9 Blut: Ein flüssiges Organsystem
9.1
Die Untersuchung des Blutes – Ein Grundbaustein der ärztlichen Diagnostik
Das Leben eines Menschen hängt kritisch davon ab, dass sein Blut unablässig durch den Körper zirkuliert und somit mit sämtlichen Organen in Verbindung steht. Die Organe entnehmen dem Blut Substanzen, die sie für ihre geregelte Funktion benötigen (Sauerstoff, Nährstoffe, hormonelle Botenstoffe) und geben an das Blut sowohl Stoffwechselprodukte als auch Hormone ab. Auch Wärme wird mit dem Blut transportiert. Es ist also ein Transport- und Kommunikationssystem, das für die Aufrechterhaltung der normalen Körperfunktionen unerlässlich ist. Obwohl das Blut mit allen Organen in ständiger Wechselwirkung steht, ist seine Zusammensetzung normalerweise relativ konstant: Abweichungen von der Norm deuten daher auf krankhafte Veränderungen einzelner Organe (z. B. Niereninsuffizienz) oder des Blutes selbst (z. B. Anämie, Leukämie) hin. Während jedoch die inneren Organe einer Funktionsuntersuchung nicht direkt zugänglich sind, kann eine Blutprobe schnell und problemlos entnommen werden. Eine sorgfältige Analyse des Blutes kann Rückschlüsse auf eine gestörte Funktion verschiedenster Organe wie der Lunge, der Niere und des endokrinen Systems liefern. So sind die Veränderungen der Partialdrücke von O2 und CO2 im arteriellen Blut ein Indikator für eine gestörte Lungenfunktion, die Erhöhung der Konzentration von Kreatinin im Plasma deutet auf eine eingeschränkte Nierenfunktion hin, und veränderte Hormonkonzentrationen im Blut zeigen endokrinologische Störungen an. Neben diesen Transport- und Kommunikationsaufgaben hat das Blut aber auch Abwehrfunktionen gegen Viren, Bakterien, Pilze und pathologisch veränderte Körperzellen. Eine hochspezialisierte Gruppe von Blutzellen, die Leukozyten, erkennt über spezifische Signalsysteme fremde Eindringlinge oder entfremdete Körperzellen und macht sie in der Regel durch ausgeklügelte Abwehrmaßnahmen bereits im Gewebe unschädlich. Sollten diese Eindringlinge es dennoch schaffen, sich bis ins Blut „vorzuarbeiten“, kann es zur lebensbedrohlichen Sepsis kommen, bei der sich die Bakterien mit dem Blutstrom (hämatogen) im gesamten Organismus verteilen. Überschießende oder fehlgeleitete Abwehrreaktionen sind für Allergien, Autoimmunerkrankungen und chronisch entzündliche Erkrankungen verantwortlich. Fallen wichtige Abwehrfunktionen aus (z. B. Acquired Immune Deficiency Syndrome, AIDS), können an sich harmlose Infektionen zum Tode führen. Das Gerinnungssystem schützt vor Blutverlusten bei Verletzungen, indem es für die Reparatur der Blutgefäße sorgt. Dies wird durch die Zusammenarbeit von plasmatischen Gerinnungsproteinen und Thrombozyten bewerkstelligt. Patienten mit krankhaften Veränderungen der Blutgefäße (z. B. Arteriosklerose) erhalten zur Vorbeugung von Thrombosen und koronaren Gefäßverschlüssen (z. B. Herzinfarkt) Medikamente, die die Gerinnungsneigung des Blutes vermindern.
9.2
Zusammensetzung und Volumen des Blutes Das Blutvolumen ist eine Funktion des Körpergewichts
Blut besteht hauptsächlich aus Wasser, in dem Elektrolyte, wasserlösliche Nährstoffe und Vitamine sowie Gase gelöst sind. Diese wässrige Lösung enthält außerdem Proteine, an die z. T. schlecht wasserlösliche Stoffe angelagert sind,