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German Pages 515 Year 2006
Thomas Wittkop Interkulturelle Kompetenz deutscher Expatriates in Cliina
GABLER EDITION WISSENSCHAFT
Thomas Wittkop
Interkulturelle Kompetenz deutscher Expatriates in China Qualitative Analyse, Modellentwicklung und praktische Empfehlungen
Deutscher Universitats-Verlag
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnetdiese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet iiber abrufbar.
Dissertation Universitat Dortmund, 2005
I.Auflage August 2006 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitats-Verlag I GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Brigitte Siegel / Anita Wilke Der Deutsche Universitats-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Sclence+Business Media. www.duv.de Das Werk einschlieSlich aller seiner Telle ist urheberrechtlich geschiitzt. Jede Verwertung auSerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes Ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfaltigungen, Ubersetzungen, MIkroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden diJrften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Druck und Buchbinder: Rosch-Buch, ScheBlitz Gedrucktauf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN-10 3-8350-0240-6 ISBN-13 978-3-8350-0240-1
Meinen Eltem, Yujing Li und Big B, ohne die die Arbeit niemals moglich gewesen ware
Vorwort Im Jahr 2005 ist China hinter den USA, Japan und Deutschland zur viertgroBten Wirtschaftsnation aufgestiegen und hat mit seinem Bruttoinlandsprodukt Lander wie GroBbritannien und Frankreich iiberholt. Das durchschnittUche jahrliche Wachstum wird auf 10-11 Prozent geschatzt. Angesichts dieses rasanten Aufstiegs ist es fur die Industrienationen unabdingbar, ihren Handel mit China immer mehr auszubauen, in China zu investieren und auch mit ihren Expatriates vor Ort zu sein. Dies gilt natiirlich auch ftir die Exportnation Deutschland. Deshalb ist es nicht nur von fachspezifischem, sondem auch von allgemein wirtschaftlichem Interesse, den Fokus der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit auf die deutschen Expatriates in China zu richten. Von ihrer Qualifizierung, ihrem Wissen, ihrem Leistungswillen und ihrem Erfolg hangt ein Gutteil des Schicksals der deutschen Wirtschaft in den kommenden Jahren und Jahrzehnten ab. Die vorliegende Arbeit untersucht anhand einer Reihe von Interviews mit deutschen Expatriates, die in China arbeiten, ein breites Spektrum an interkultureller Kompetenz, die notig ist, um im chinesischen Umfeld und im chinesischen Markt erfolgreich zu sein. Damit soil auch die Moglichkeit geschaffen werden, die Ausbildung kunftiger Expatriates mit zu formen und zu bestimmen. Die Niederschrift dieser Arbeit wurde von Professor Dr. Hartmut H. Holzmiiller, Lehrstuhl fur Marketing an der Universitat Dortmund, kritisch und sachkundig begleitet. Hierftir mochte ich auch an dieser Stelle meinen aufrichtigen Dank aussprechen. Mein besonderer Dank gilt Frau Yujing Li, die mir manche Facetten der chinesischen Mentalitat entschlusselt hat. Dank gebtihrt femer meinen deutschen Interviewpartnem in China, die sich geme fur die Interviews zur Verfugung gestellt haben. In diesen Dank schlieBe ich auch die Firmen Daimler Chrysler, Henkel und ThyssenKrupp ein, die mir in groBziigiger Weise den Kontakt zu ihren Expatriates ermoglichten. Die wissenschaftlichen Hilfskrafte am vorgenannten Lehrstuhl fur Marketing haben mich bei der Beschaffiing der weit gestreuten Literatur tatkraftig unterstiitzt. Frau Barbara Kreyenfeld, Sekretarin am Lehrstuhl ftir Marketing und dessen gute Seele, hat mir manche biirokratischen Wege verktirzt und geebnet. Die vorliegende Arbeit wurde im Fruhjahr 2005 an der Fakultat fur Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universitat Dortmund als Dissertation angenommen. Thomas Wittkop
Inhaltsiiberblick Vorwort Inhaltsiiberblick Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis
VII IX XI XIX XXV
1
Einleitung
1
2
Problemstellung, Ziele und Aufbau der Arbeit
5
3
Genereller chinesischer Bedingungsrahmen als Bezugsfeld der Arbeit der Expatriates
11
4
Theoretische Grundlagen
41
5
Methode
65
6
Erste Analyse des Textmaterials
101
7
Zweite Analyse des Textmaterials
117
8
Dritte Analyse des Textmaterials
301
9
Interkulturelle Kompetenz
427
10 Direkte Empfehlungen fur das Handeln vor Ort
433
11 Empfehlungen fur die heimische Vorbereitung und Ausbildung von Expatriates
447
12 Zusammenfassung und Ausblick
457
Literaturverzeichnis
463
Inhaltsverzeichnis Vorwort Inhaltsiiberblick Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis
VII IX XI XIX XXV
1 Einleitung
1
2 Problemstellung, Ziele und Aufbau der Arbeit
5
2.1 2.2 2.3
Problemstellung Ziele Aufbau der Arbeit
3 Genereller chinesischer Bedingungsrahmen als Bezugsfeld der Arbeit der Expatriates 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 3.9 3.10 3.11 3.12 3.13
Das Chinabild des Auswartigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland Okonomische Rahmenbedingungen Chinas okonomischer Aufstieg Weitere Rahmenbedingungen und Konfiizianismus Transformation des SoziaHsmus zum Postsozialismus Investitionen und Investoren Administration, Gesundheitssystem, Banken Justiz, Polizei, Repressionen Kriminalitat Menschenrechte und Religionsfreiheit Tibet, Taiwan, Militaria Okologische Defizite Sinologische Forschungsrichtungen Fazit
5 7 8
11 12 14 22 25 28 30 32 34 34 36 37 38 39
XII
Inhaltsverzeichnis
4 Theoretische Grundlagen 4.1 4.2 4.3 4.4
Zur Forschungsliteratur uber Expatriates in China Zur Einschatzung der interkulturellen Kompetenz im Gang der Forschung Das Drei-Komponenten-Modell in der wissenschaftlichen Diskussion Uberiegungen zu einem variablen multidimensionalen polyfaktoriellen Modell interkultureller Kompetenz
5 Methode 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5
Qualitative Forschung Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring Das computergestiitzte qualitative Analyseverfahren GABEK nach Josef Zelger Erhebung der Daten Der Interviewleitfaden 5.5.1 Die Tatigkeit der Expatriates aus der Sicht von Betreuerinnen und von heimgekehrten Expatriates 5.5.2 Auswertung der mit den Betreuerinnen gefiihrten Interviews 5.5.3 Auswertung der mit den zuruckgekehrten Expatriates gefuhrten Interviews 5.5.4 Der Interviewleitfaden 5.5.5 Die Probandengruppe 5.5.6 Die Kontaktaufiiahme 5.5.7 Die Interviewdurchfiihrung
6 Erste Analyse des Textmaterials 6.1 6.2 6.3 6.4
Kollektives Chinawissen aus europaischer Sicht Chinabilder der Expatriates Chinabilder, Stereotypen, Zerrbilder und Klischees Fazit Chinesischer genereller Bedingungsrahmen im Alltag der Expatriates 6.4.1 Chinas okonomischer Aufstieg 6.4.2 Rahmenbedingungen 6.4.3 Transformation des Sozialismus 6.4.4 Investitionen und Investoren
41 41 44 50 55
65 65 65 67 75 77 77 77 81 85 98 98 99
101 101 105 109 110 110 110 Ill 112
Inhaltsverzeichnis 6.4.5 6.4.6 6.4.7 6.4.8 6.4.9 6.4.10
XIII Justiz, Polizei, Repressionen Kriminalitat Menschenrechte und Religionsfreiheit Tibet, Taiwan, Militaria Okologische Defizite Fazit
7 Zweite Analyse des Textmaterials 7.1
7.2
7.3
7.4
Der Gestaltenbaum 7.1.1 Durchgang durch die Hierarchic des Gcstaltcnbaumes 7.1.2 Auswertung 7.1.3 Reduziertes Gesamtfazit aus dem Gestaltenbaum 7.1.4 Fazit Auswertung der Haufigkeitsliste 7.2.1 Die Haufigkeitsliste 7.2.2 Interpretation der Haufigkeitsliste Summarische Auswertung der Bewertungsliste 7.3.1 Detaillierte Auswertung der Bewertungsliste (Ist-Zustand) 7.3.2 Gesamtfazit aus der Bewertungsliste 7.3.3 Auswertung der Wunschsituation (Desiderate) gemaB der Bewertungsliste 7.3.4 Auswertung der Meinung der Chinesen gemaB der Bewertungsliste Auswertung der Interviews gemaB der Kausalliste 7.4.1 Interpretation der Schlusselbegriffe 7.4.1.1 Kulturschock 7.4.1.2 Motivation selbst 7.4.1.3 Motivation Mitarbeiter 7.4.1.4 Esschaffen 7.4.1.5 China 7.4.1.6 Zeitdauem 7.4.1.7 Zurecht kommen 7.4.1.8 Aufenthalt in China 7.4.1.9 Deutschsein 7.4.1.10 Scheitem 7.4.1.11 Zusammenarbeit 7.4.1.12 Gegenwind 7.4.1.13 Es einfach haben 7.4.1.14 Lang da sein 7.4.1.15 Nach China gehen
112 113 113 113 114 114
117 117 120 151 153 155 155 155 156 158 164 184 188 191 195 197 197 201 204 206 209 215 219 222 225 229 231 235 238 240 244
XIV
Inhaltsverzeichnis
7.4.2
7.4.1.16 Ruckenwind 7.4.1.17 Verhandlungen 7.4.1.18 Akzeptanz Chinesen 7.4.1.19 Anstrengend psychisch 7.4.1.20 Anpassungsprozess 7.4.1.21 Interesse 7.4.1.22 Wissen was Chinesen denken 7.4.1.23 Entscheidungen treffen 7.4.1.24 Kennenlemen 7.4.1.25 Zuriickgehen 7.4.1.26 Arbeitsmentalitat Chinesisch 7.4.1.27 Richtig verstehen 7.4.1.28 Dunkle Stunden 7.4.1.29 Psychisch durchstehen 7.4.1.30 Anfangsphase 7.4.1.31 Etwaserleben 7.4.1.32 Schock 7.4.1.33 Lohn niedrig 7.4.1.34 Frausein Zusammenfassung der aus der Kausalliste erhobenen positiven und negativen Faktoren
8 Dritte Analyse des Textmaterials 8.1 8.2
Dimensionen und Faktoren Emotionale Dimension 8.2.1 Auswertung: Emotional 8.2.1 1 China 8.2.1 2 Deutschland 8.2.1 3 Kulturschock 8.2.1 4 Zeitdauem 8.2.1 5 Emotionale Schwierigkeiten 8.2.1 6 Motivation selbst 8.2.1 7 Anfangsphase 8.2.1 8 Anstrengend psychisch 8.2.1 9 Lemen 8.2.1 10 Sichaufregen 8.2.1 11 Dunkle Stunden 8.2.1 12 Mitarbeiterjung 8.2.1 13 Etwaserleben 8.2.1 14 Korruption 8.2.1 15 Chinesen
246 248 251 254 257 260 263 266 269 271 275 279 281 283 285 288 291 295 296 298
301 301 301 307 307 308 308 310 310 310 311 311 312 312 312 313 313 314 314
Inhaltsverzeichnis
8.3
8.2.2 Reduktionstabelle: Emotional 8.2.3 Fazit: Emotional Kognitive Dimension 8.3.1 Auswertung: Kognitiv 8.3.1.1 China 8.3.1.2 Vorbereitungstraining 8.3.1.3 Bild von China 8.3.1.4 Chinesen 8.3.1.5 Schwierigkeiten 8.3.1.6 Europa 8.3.1.7 Geschichte des Landes 8.3.1.8 Verhandlungen 8.3.1.9 Chinesisch sprechen 8.3.1.10 Mitarbeiter chinesisch 8.3.1.11 Zusammenarbeit 8.3.1.12 Erfolge 8.3.1.13 Ausbildung chinesisch 8.3.1.14 Lang da sein 8.3.1.15 Deutsch sein / deutscher Blick 8.3.1.16 China im Werden 8.3.1.17 Kulturanders 8.3.1.18 Gegenwind 8.3.1.19 Bereich beruflich 8.3.1.20 Firma 8.3.1.21 Geschaft 8.3.1.22 Motivation selbst 8.3.1.23 Kommunismus 8.3.1.24 Komiption 8.3.1.25 Femsehen 8.3.1.26 Erfahrung in Asien 8.3.1.27 Mentalitatsunterschied 8.3.1.28 Bejing 8.3.1.29 Besprechen 8.3.1.30 Vertrauen 8.3.1.31 Anfangsphase 8.3.1.32 Unterschiede 8.3.1.33 Auslander in China 8.3.1.34 Aufenthah in China 8.3.1.35 Meetings 8.3.1.36 Wissen lokal 8.3.2 Reduktionstabelle: Kognitiv 8.3.3 Fazit: Kognitiv
XV 316 324 329 329 329 331 332 333 334 335 336 336 337 337 338 338 338 339 339 340 340 340 341 341 341 342 342 342 343 343 343 343 343 344 344 344 344 345 345 345 346 356
XVI 8.4
8.5
8.6
Inhaltsverzeichnis Konative Dimension 8.4.1 Auswertung: Konativ 8.4.1.1 Fahigkeiten 8.4.1.2 Offensein 8.4.1.3 China 8.4.1.4 Chinesen 8.4.1.5 Motivation Mitarbeiter 8.4.1.6 Lemen 8.4.1.7 Vorbereitungstraining 8.4.1.8 Anpassungsprozess 8.4.1.9 Zuhoren 8.4.1.10 Englisch/Chinesisch sprechen 8.4.1.11 Flexibilitat 8.4.1.12 Mit Leuten umgehen 8.4.1.13 Transferable skills 8.4.1.14 Aufenthalt in China 8.4.1.15 Fehler eingestehen 8.4.1.16 Durchsetzungskraft 8.4.1.17 Zielvorgabe 8.4.1.18 Spezielle Kommunikation 8.4.1.19 RUckzug aus der Firma in China 8.4.1.20 Irritationen iiberstehen 8.4.1.21 Vorsicht 8.4.2 Reduktionstabelle: Konativ 8.4.3 Fazit: Konativ Motivational Dimension 8.5.1 Auswertung: Motivation 8.5.1.1 Motivation selbst 8.5.1.2 Motivation Mitarbeiter 8.5.1.3 Jemanden begeistem 8.5.1.4 Erfolge 8.5.1.5 Ruckenwind 8.5.1.6 Esschaffen 8.5.2 Verdichtung der Befunde 8.5.3 Reduktionstabelle: Motivation 8.5.4 Fazit: Motivation Demotivationale Dimension 8.6.1 Auswertung: Demotivation 8.6.1.1 Sichaufregen 8.6.1.2 Sozialsystem 8.6.1.3 Kompliziert 8.6.1.4 Glauben zu wissen
358 358 358 359 359 360 360 361 361 361 362 362 362 363 363 364 364 364 364 364 365 365 365 366 370 371 371 371 372 372 373 374 374 375 378 380 381 381 381 382 382 382
Inhaltsverzeichnis
8.7
8.8
8.6.1.5 Umfeld schwierig 8.6.1.6 Muttergesellschaft 8.6.1.7 Schlecht sprechen iiber China 8.6.1.8 Zollbeamte 8.6.1.9 Unzufriedenheit 8.6.1.10 Gegen Kriminalitat angehen 8.6.1.11 Hinnehmen Dinge 8.6.1.12 Augen verschlieBen 8.6.1.13 Aufgeben 8.6.2 Reduktionstabelle: Demotivation 8.6.3 Fazit: Demotivation Interaktionale Dimension 8.7.1 Auswertung: Interaktion 8.7.1.1 Chinesen 8.7.1.2 Zusammenarbeit 8.7.1.3 Chinesisch lemen / Chinesische Sprache 8.7.1.4 Deutschland 8.7.1.5 Motivation Mitarbeiter 8.7.1.6 China 8.7.1.7 Meeting 8.7.1.8 Lemen 8.7.1.9 Offensein 8.7.1.10 Verhandlungsstrategien 8.7.1.11 Schwierigkeiten 8.7.1.12 Erfolg 8.7.1.13 Scheitem 8.7.2 Reduktionstabelle: Interaktion 8.7.3 Fazit: Interaktion Analytisch-synthetische Dimension 8.8.1 Auswertung: Analytisch-synthetisch 8.8.1.1 Chinesen 8.8.1.2 China 8.8.1.3 Deutschland 8.8.1.4 Mitarbeiter chinesisch 8.8.1.5 Bild von China 8.8.1.6 Chinesische Konstanten 8.8.1.7 Verschiedene Stile 8.8.1.8 Vorbereitungsprogramm 8.8.1.9 Kontrolle 8.8.1.10 Eigennutzigkeit 8.8.1.11 Korruption 8.8.2 Reduktionstabelle: Analytisch-synthetisch
XVII 382 383 383 383 383 384 384 384 384 385 388 390 390 390 392 394 394 395 395 395 396 396 397 397 397 398 399 402 405 405 405 407 407 408 408 409 409 409 410 410 410 412
XVIII
8.9
Inhaltsverzeichnis 8.8.3 Fazit: Analytisch-Synthetisch Volitionale Dimension 8.9.1 Auswertung: Volition 8.9.1.1 Lemen 8.9.1.2 China 8.9.1.3 Deutschland 8.9.1.4 Zeitdauem 8.9.1.5 Zuruckgehen 8.9.1.6 Schwierigkeiten 8.9.1.7 Sich treu bleiben 8.9.1.8 Hartnackig sein 8.9.1.9 Verbesserung 8.9.1.10 Kontrolle 8.9.1.11 Chefspielen 8.9.1.12 Anpassungsprozess 8.9.2 Reduktionstabelle: Volition 8.9.3 Fazit: Volition
9 Interkulturelle Kompetenz 9.1
415 417 420 420 420 421 421 421 421 422 422 422 422 422 423 423 426
427
Schematische Zusammenfassung der Auswertung der Interviews ....427 9.1.1 Betreuerlnnen / Ruckkehrer 427 9.1.2 Chinabild der Expatriates bei Ausreise 427 9.1.3 Gestaltenbaum 427 9.1.4 Haufigkeitsliste 428 9.1.5 Bewertungsliste 428 9.1.6 Desiderate 428 9.1.7 Chinesenmeinung 428 9.1.8 Kausalliste 428
10 Direkte Empfehlungen fiir das Handeln vor Ort
433
11 Empfehlungen fiir die Iieimisclie Vorbereitung und Ausbildung von Expatriates
447
12 Zusammenfassung und Ausblick
457
Literaturverzeiclinis
463
*
Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7: Abb. 8: Abb. 9: Abb. 10: Abb. 11: Abb. 12: Abb. 13: Abb. 14: Abb. 15: Abb. 16: Abb. 17: Abb. 18: Abb. 19: Abb. 20: Abb. 21: Abb. 22: Abb. 23:
Investitionen und AuBenhandel 15 Chinesische Wirtschaftsdaten: Export 16 Chinesische Wirtschaftsdaten: Import 16 Wirtschaftswachstum 17 Direktinvestitionen zwischen China und Deutschland 17 Handelsvolumen Chinas 2003 18 Kraftedreieck: Determinanten des Interkulturellen Handelns 44 Faktoren interkultureller Kompetenz (ohne Synonyme) 49 Drei-Komponenten-Modell (verkiirzt) 50 Kommunikationsmodell 58 Verandertes Kommunikationsmodell 59 Durch Leerstellen geoffnetes Drei-Komponenten-Modell 62 Reduktionsablauf 66 Schritte und Teilschritte des Auswertungsprozesses in Theorie und Methode des Verfahrens GABEK 68 Schliisselbegriff „Vorbereitungstraining" mit seinen Rohdaten aus unseren Interviews 73 Tiefenstruktur der HyperHyperHypergestalt „China-Deutschland" aus unseren Interviews 74 Die einzelnen Analyseschritte zur Bestimmung interkultureller Kompetenz 76 Innerer Fortgang des Interviewleitfadens 85 Auft)au des Gestaltenbaumes mit seinen einzelnen Ebenen (Zelger2004,S.4) 118 Gestaltenbaum aus unseren Interviews 119 Die beiden Spitzen (Zusammenfassungen) unseres Gestaltenbaumes 154 Gesamtfazit aus dem Gestaltenbaum in Hinsicht auf Transformation von Deutschland nach China 155 Die Ausdrucksliste zeigt die ersten 30 Schliisselbegriffe in der absteigenden Folge ihrer Haufigkeit, einen Teil der entsprechenden Verweise auf Karteikarten und eine einzelne Karteikarte 156
XX Abb. 24: Abb. 25:
Abb. 26: Abb. 27: Abb. 28: Abb. 29: Abb. 30: Abb. 31: Abb. 32: Abb. 33: Abb. 34: Abb. 35: Abb. 36: Abb. 37: Abb. 38: Abb. 39: Abb. 40:
Abb. 41: Abb. 42: Abb. 43: Abb. 44: Abb. 45: Abb. 46: Abb. 47:
Abbildungsverzeichnis Schusselbegriffe nach ihrer Haufigkeit 157 Bewertungsliste: Summe der positiven (+), negativen (-) und neutralen (0) Einzelbewertungen unter Hinzufugung einer einzelnen angeklickten Sinneinheit 159 Bewertungsliste: Positive Bewertungen nach der Reihenfolge der Haufigkeiten 160 Bewertungsliste: Negative Bewertungen nach der Reihenfolge der Haufigkeiten 161 Bewertungsliste: Liste der Schliisselbegriffe, die ausgeglichen positiv wie negativ bewertet wurden 162 Schliisselbegriffe nach positiver und negativer Bewertung 163 Graf der Vemetzung „Offen sein" 165 Graf der Bewertung (Ist-Zustand) „Offen sein" 165 Graf der Vemetzung „Lemen" 168 Graf der Bewertung (Ist-Zustand) „Lemen" 168 Graf der Vemetzung „Schwierigkeiten" 170 Graf der Bewertung (Ist-Zustand) „Schwierigkeiten" 170 tjbersicht iiber die positiven und negativen Bewertungen der Expatriates uber ihren Chinaaufenthalt 187 Ubersicht tiber die positiven Desiderate 189 Ubersicht iiber die negativen Desiderate 190 Ubersicht iiber die positiven und negativen Desiderate der Expatriates 191 Ubersicht iiber die von den chinesischen Mitarbeitem angestrebten positiven Haltungen und vertretenen positiven Meinungen und Desiderate 192 Ubersicht iiber die angestrebten negativen Haltungen und vertretenen negativen Meinungen der chinesischen Mitarbeiter. ...194 Ubersicht iiber die positiven und negativen Positionen der Chinesenmeinung 195 Ubersicht iiber die Kausalliste mit 34 Schliisselbegriffen 196 Kausalnetzgrafik „Kulturschock" 198 Ubersicht iiber verbale Datenbasis, Einfliisse und Folgen des Schliisselbegriffs „Kulturschock" 201 Kausalnetzgrafik „Motivation selbst" 202 Ubersicht uber verbale Datenbasis, Einfliisse und Folgen des Schliisselbegriffs „Motivation selbst" 203
Abbildungsverzeichnis
XXI
Abb. 48: Abb. 49:
204
Abb. 50: Abb. 51: Abb. 52: Abb. 53: Abb. 54: Abb. 55: Abb. 56: Abb. 57: Abb. 58: Abb. 59: Abb. 60: Abb. 61: Abb. 62: Abb. 63: Abb. 64: Abb. 65: Abb. 66: Abb. 67: Abb. 68: Abb. 69: Abb. 70: Abb. 71:
Kausalnetzgrafik „Motivation Mitarbeiter" LFbersicht iiber verbale Datenbasis, Einfliisse und Folgen des Schliisselbegriffs „Motivation Mitarbeiter" Kausalnetzgrafik „Es schaffen" Ubersicht iiber verbale Datenbasis, Einfliisse und Folgen des Schliisselbegriffs „Es schaffen" Kausalnetzgrafik „China" Ubersicht iiber verbale Datenbasis, Einfliisse und Folgen des Schliisselbegriffs „China" Kausalnetzgrafik „Zeit dauem" Ubersicht iiber verbale Datenbasis, Einflusse und Folgen des Schlusselbegriffs „Zeit dauem" Kausalnetzgrafik „zurecht kommen" Ubersicht uber verbale Datenbasis, Einfliisse und Folgen des Schliisselbegriffs „zurecht kommen" Kausalnetzgrafik „Aufenthalt in China" Ubersicht iiber verbale Datenbasis, Einfliisse und Folgen des Schliisselbegriffs „Aufenthalt in China" Kausalnetzgrafik „Deutsch sein" LFbersicht uber verbale Datenbasis, Einflusse und Folgen des Schliisselbegriffs „Deutsch sein" Kausalnetzgrafik „Scheitem" Ubersicht uber verbale Datenbasis, Einflusse und Folgen des Schliisselbegriffs „Scheitem" Kausalnetzgrafik „Zusammenarbeit" Ubersicht uber verbale Datenbasis, Einfliisse und Folgen des Schlusselbegriffs „Zusammenarbeit" Kausalnetzgrafik „Gegenwind" Ubersicht iiber verbale Datenbasis, Einfliisse und Folgen des Schlusselbegriffs „Gegenwind" Kausalnetzgrafik „Es einfach haben" Ubersicht uber verbale Datenbasis, Einflusse und Folgen des Schliisselbegriffs „Es einfach haben" Kausalnetzgrafik „Lang da sein" Ubersicht uber verbale Datenbasis, Einflusse und Folgen des Schliisselbegriffs „Lang da sein"
206 207 208 209 214 216 219 220 222 223 225 226 228 230 231 232 235 236 237 239 240 241 243
XXII Abb. 72: Abb. 73: Abb. 74: Abb. 75: Abb. 76: Abb. 77: Abb. 78: Abb. 79: Abb. 80: Abb. 81: Abb. 82: Abb. 83: Abb. 84: Abb. 85: Abb. 86: Abb. 87: Abb. 88: Abb. 89: Abb. 90: Abb. 91: Abb. 92: Abb. 93: Abb. 94: Abb. 95:
^
Abbildungsverzeichnis
Kausalnetzgrafik „nach China gehen" Ubersicht iiber verbale Datenbasis, Einfltisse und Folgen des Schliisselbegriffs „nach China gehen" Kausalnetzgrafik „Ruckenwind" Ubersicht iiber verbale Datenbasis, Einflusse und Folgen des Schliisselbegriffs „Ruckenwind" Kausalnetzgrafik „Verhandlungen" Ubersicht iiber verbale Datenbasis, Einfliisse und Folgen des Schliisselbegriffs „Verhandlungen" Kausalnetzgrafik „Akzeptanz Chinesen" LFbersicht iiber verbale Datenbasis, Einfliisse und Folgen des Schliisselbegriffs „Akzeptanz Chinesen" Kausalnetzgrafik „anstrengend psychisch" Ubersicht iiber verbale Datenbasis, Einfliisse und Folgen des Schliisselbegriffs „anstrengend psychisch" Kausalnetzgrafik „Anpassungsprozess" Ubersicht iiber verbale Datenbasis, Einflusse und Folgen des Schliisselbegriffs „Anpassungsprozess" Kausalnetzgrafik „Interesse" Ubersicht iiber verbale Datenbasis, Einfliisse und Folgen des Schliisselbegriffs „Interesse" Kausalnetzgrafik „Wissen was Chinesen denken" Ubersicht iiber verbale Datenbasis, Einfliisse und Folgen des Schliisselbegriffs „Wissen was Chinesen denken" Kausalnetzgrafik „Entscheidungen treffen" Ubersicht uber verbale Datenbasis, Einfliisse und Folgen des Schliisselbegriffs „Entscheidungen treffen" Kausalnetzgrafik „Kennen lemen" Ubersicht iiber verbale Datenbasis, Einfliisse und Folgen des Schliisselbegriffs „Kennen lemen" Kausalnetzgrafik „Zuriickgehen" Ubersicht iiber verbale Datenbasis, Einfliisse und Folgen des Schliisselbegriffs „Zuriickgehen nach Deutschland" Kausalnetzgrafik „Arbeitsmentalitat chinesisch" Ubersicht iiber verbale Datenbasis, Einfliisse und Folgen des Schliisselbegriffs „Arbeitsmentalitat chinesisch"
244 245 246 247 249 250 252 253 255 256 257 260 261 263 264 266 267 268 269 270 272 275 276 278
Abbildungsverzeichnis Abb. 96: Abb. 97: Abb. 98: Abb. 99: Abb. 100: Abb. 101: Abb. 102: Abb. 103: Abb. 104: Abb. 105: Abb. 106: Abb. 107: Abb. 108: Abb. 109: Abb. 110: Abb. I l l : Abb. 112:
Abb. Abb. Abb. Abb.
113: 114: 115: 116:
Abb. 117: Abb. 118:
Kausalnetzgrafik „richtig verstehen" Ubersicht iiber verbale Datenbasis, Einflusse und Folgen des Schliisselbegriffs ,/ichtig verstehen" Kausalnetzgrafik „dunkle Stunden" Ubersicht uber verbale Datenbasis, Einflusse und Folgen des Schltisselbegriffs „dunkle Stunden" Kausalnetzgrafik „psychisch durchstehen" Ubersicht iiber verbale Datenbasis, Einflusse und Folgen des Schlusselbegriffs „psychisch durchstehen" Kausalnetzgrafik „Anfangsphase" Ubersicht iiber verbale Datenbasis, Einfliisse und Folgen des Schlusselbegriffs ,Anfangsphase" Kausalnetzgrafik „etwas erleben" Ubersicht iiber verbale Datenbasis, Einfliisse und Folgen des Schliisselbegriffs „etwas erleben" Kausalnetzgrafik „Schock" Ubersicht iiber verbale Datenbasis, Einflusse und Folgen des Schliisselbegriffs „Kulturschock" Kausalnetzgrafik „Lohn niedrig" Ubersicht iiber verbale Datenbasis, Einfliisse und Folgen des Schliisselbegriffs „Lohn niedrig" Kausalnetzgrafik „Frau sein" Ubersicht iiber verbale Datenbasis, Einflusse und Folgen des Schliisselbegriffs „Frau sein" Zusammenfassung der positiven und negativen Einflusse und der positiven und negativen Folgen, extrahiert aus der Kausalliste Gesamtstruktur der Emotionstypen Prozentuale Verteilung der Emotionen nach Arten Geflecht der erhobenen Emotionen Reduktionsliste erhobener Faktoren gemafi der kognitiven Dimension Zusammenfassung der faktoriellen Fahigkeiten von Expatriates und Locals Dynamisches Modell motivationaler Faktoren der Expatriates-Aktivitaten
XXIII 279 281 282 283 284 285 286 288 289 291 292 294 295 296 297 298
299 305 323 328 357 370 380
XXIV
Abbildungsverzeichnis
Abb. 119: Dynamisches Modell demotivationaler Faktoren der Expatriates-Aktivitaten Abb. 120: Auswirkungen der Interaktion der Expatriates auf die Seite derChinesen Abb. 121: Auswirkungen der Interaktion der Chinesen auf die Seite der Expatriates Abb. 122: Von den Expatriates analytisch-synthetisch erworbene Sicht auf die chinesische Wirklichkeit Abb. 123: Bildhafte Vorstellung des Willens Abb. 124: Verteilung der Volitionsakte auf die verschiedenen Volitionsfelder Abb. 125: Ubersicht iiber die aus den Interviews erhobenen Dimensionen und Faktoren interkultureller Kompetenz
389 403 404 416 419 426 430
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15: Tabelle 16:
Jahresgehalter fur Manager (in US$, Stand: 2000) Interviewleitfaden Ubersicht iiber die Probanden Detaillierte Auswertung Bewertungsliste (Ist-Zustand) Reduktionstabelle: Emotional Befiinde aus der Reduktionstabelle Emotional Klassifizierung der ereignisfundierten Emotionen Klassifizierung der Attributions- und Verbindungs-Emotionen Klassifizierung der Beziehungs-Emotionen Kognitiv Reduktionstabelle Konativ Reduktionstabelle Motivation Reduktionstabelle Demotivation Reduktionstabelle Interaktion Reduktionstabelle Analytisch-synthetisch Reduktionstabelle Volition Reduktionstabelle
5 87-97 98 175-183 316-319 320-321 322 322 323 346-355 366-369 378 385-386 399-401 412-414 423-425
1 Einleitung Das modeme, okonomisch prosperierende China mit seiner groBen Ausdehnung (9,5 Mio. kni2) und mit seinen Menschenmassen von 1,3 Milliarden Einwohnem kann kiinftig „sowohl konstruktive Weltmacht als auch obstruktive Chaosmacht" sein, zumal da „manche Okonomen inzwischen von einer auf China zentrierten Weltwirtschaft sprechen" (Gap 2004, S. 28). Dieses China lost im Westen widerspruchliche Reaktionen aus, die von schweren Schocks^ und geradezu apokalyptischer Angst bis zu uneingeschrankter okonomischer Begeisterung reichen. Und so hat sich China bis heute die „Faszination des Anderen, des Ratselhaften und Reizvollen, aber auch des Beangstigenden [bewahrt]", das ihm in europaischen Augen schon immer anhaftete (Schubert 2001, S. 11). In dieses Klima von Begeisterung und Angst sind auch die derzeit in China arbeitenden Expatriates eingebunden. Im Wettlauf der westlichen Firmen um Anteile am chinesischen Markt haben inzwischen mehr als zweitausend deutsche Untemehmen in China eine Niederlassung gegrUndet. Fiir diese Firmen ist eine betrachtliche Zahl deutscher Expatriates tatig, deren Gelingen oder Scheitem fur das kiinftige Wohl oder Wehe ihrer Mutterhauser und bis zu einem gewissen Grade auch der gesamten deutschen Wirtschaft von entscheidender Bedeutung sein dtirfte. Es ist also nicht nur von rein akademischem Interesse, sondem auch von praktischem Nutzen, sich im Folgenden iiber die Expatriates und die ihnen fur eine erfolgreiche Tatigkeit abverlangte interkulturelle Kompetenz Aufschluss zu verschaffen. Trotz der groBen Fortschritte, die die Erforschung der interkulturellen Kompetenz gemacht hat, fehlt es doch nicht am Eingestandnis, dass in dieser Hinsicht
Folgender Leserbrief in der FAZ vom 23.10.2003, Nr. 246, S. 11 schafft diesem paradigmatischen Schock Luft, nachdem am 16.10.2003 die gegluckte Landung des ersten Taikonauten gemeldet worden war: „Es zeichnete sich in den letzten Jahren bereits ab, dass China eine neue Supermacht wird. Maos Enkel sind inzwischen weltgroBter Produzent von Getreide, Steinkohle, Stahl, Zement, Mineraldiinger und TV-Geraten. Und nirgendwo gibt es so viele Handynutzer wie im Reich der Mitte. Kein anderes wichtiges Land kann sich wohl so sehr iiber die Welt Meinung hinwegsetzen wie die Volksrepublik China - bisher wurde die rote Garde nie fiir das Massaker bei der Niederschlagung der Demokratisierungsbewegung 1989 zur Verantwortung gezogen, nicht mal emsthafte Sanktionen gab es. Der nun erfolgte Weltraumflug Pekings erscheint mir wie ein Menetekel, eine Art zweiter Sputnik-Schock fur den Westen, denn aus der ehemals gelben Gefahr der funfziger Jahre, entwickelt sich, durch marktwirtschaftliche Methoden, der groBe Herausforderer der westlichen Welt im 21. Jahrhundert (Dr. Karsten Strey, Hamburg)".
2
1 Einleitung
noch grofier Forschungsbedarf besteht (Herbrand 2000, S. 280 ff.). Zur Erfiillung dieses Desiderats ware es wtinschenswert, iiber die interkulturellen Erlebnisse der Expatriates genauere Erkenntnisse zu gewinnen. Absicht der vorliegenden Arbeit ist es dazu beizutragen, dieses Forschungsdefizit zu verkleinem. Am Beispiel von Expatriates, die im Auftrag der Firmen Daimler Chrysler, Henkel und ThyssenKrupp in China arbeiten, soil ein bestehendes theoretisches Modell zur Erklarung der interkulturellen Kompetenz iiberpruft und ausgeweitet werden. Im Einzelnen ergeben sich fur diese Arbeit eine Reihe von Untersuchungspunkten, die letztlich alle die kulturelle Kompetenz deutscher in China wirkender Expatriates betreffen. Personliche Interviews soUen dabei die Grundlage fiir alle auszufuhrenden Analysen bilden. Dabei treten zwei Hauptgesichtspunkte in den Mittelpunkt, namlich erstens die Herausforderungen, die der Chinaaufenthalt an die interkulturelle Kompetenz der Expatriates stellt; und zweitens die Notwendigkeit, das bisher in der Fachliteratur etablierte theoretische Analysemodell weiter zu entwickeln. Die erste Herausforderung, die Klarung der interkulturellen Kompetenz der Expatriates, fiihrt im Verlauf der Arbeit zu folgenden Einzelfragen: - Welche Stereotypen pragen das europaische Chinabild? - Uber welches Chinawissen verfiigen die Expatriates bevor sie nach China ausreisen? - Wie wurden sie auf ihren Chinaaufenthalt vorbereitet? - Uber welche interkulturelle Kompetenz verfiigen die Expatriates selber? - Wo liegen die Schwerpunkte der von ihnen als notig erachteten interkulturellen Kompetenz? - Welche Ausbildungswiinsche melden die Expatriates fur die kiinftigen Generationen von Expatriates an? Die zweite Herausforderung, namlich eine Erweiterung des Analysemodells fuhrt zu folgenden Fragen: - Was vermag die qualitative Methode zur Herausarbeitung von zugrunde liegenden und durchzuarbeitenden Textbelegen zu leisten? - Inwieweit ist es notig, die qualitative Methode fiir die Belange der vorliegenden Arbeit zu spezifizieren? - Welcher Nutzen lasst sich aus der von Josef Zelger entwickelten GABEKMethode zur Spezifizierung der qualitativen Durcharbeitung der Referenztexte Ziehen? - Welchen Stand hat die theoretische Modelldiskussion iiber interkulturelle Kompetenzanforderung erreicht?
1 Einleitung
3^
- Wie weit vermag das in der Literatur etablierte Analysemodell mit den drei Dimensionen Kognition, Konation und Affekt das interkulturelle Kompetenzverhalten der Expatriates abzubilden? - Inwieweit ist es notig, den bisherigen theoretischen Modellbeflind zu flexibilisieren bzw. durch ein umfassenderes Modell zu ersetzen? Aus den betreffenden individuellen Befunden sind generelle SchlUsse iiber die Struktur von kultureller Kompetenz zu ziehen und schliefilich Empfehlungen fur die einheimische Ausbildung ktinftiger Expatriates zu formulieren.
2 Problemstellung, Ziele und Aufbau der Arbeit 2.1 Problemstellung Die Intemationalisierung, die Globalisierung und die Transnationalisierung der okonomischen Markte stellen an das Management stetig steigende Anforderungen. Dabei spielen die Expatriates in ihrer Anbindung an das Mutterhaus und in ihrer Tatigkeit im neuartigen, fremden Umfeld die entscheidenden Bindeglieder dar. Ihre Erfolge und Misserfolge schlagen sowohl im Mutterhaus wie auch im Zielland zu Buche, und dies nicht zuletzt deshalb, weil die Personalkosten inzwischen durchschnittlich bei 250.000 Euro pro Expatriate per annum liegen. Schon im Jahr 2000 erreichten die Expatriates in der Position eines Chief Executives bis 230.000 US$, im oberen Management bis zu 150.000 Dollar. Die prozentualen Schatzungen hinsichtlich des Scheitems der Expatriates gehen weit auseinander und umfassen etwa 10-50 % der Ausgesandten. Es muss also der Forschung daran gelegen sein, herauszuarbeiten, uber welche Kompetenz jene Expatriates verfugen, die an ihrem auslandischen Arbeitsplatz mit gutem Erfolg arbeiten. Nur so wird es moglich sein, die Abbrecherrate zu senken, Kosten zu minimieren und die Auswahl kiinftiger Expatriates zu optimieren. Die bisherige Literatur iiber deutsche Expatriates in China ist entgegen dem ersten Anschein weder umfangreich noch sehr detailliert. Dementsprechend bleiben die erhobenen Analysen hinter den Ertragserwartungen zuriick, so dass noch immer groBer Forschungsbedarf besteht (Herbrand 2000, S. 280). Dies gilt umso mehr, wenn man nicht nur hoch abstrahierte Auskunfte, sondem zugleich Erkenntnisse aus dem individuellen Chinaerleben der Probanden erwartet. Das Problem liegt also darin, faktoriell moglichst abgesichert allgemeingiiltige Ergebnisse zu erzielen, ohne dabei aber die individuellen Befiinde verschwinden zu lassen, um dem von philosophischer Seite her (Kuhn 1995; Kiihn 1996) in letzter Zeit gegen die Sozialwissenschaften nachdriicklich erhobenen Vorwand zu beTabelle 1: Jahresgehalter flir Manager (in US$, Stand: 2000) (Quelle: bfai -Bundesagentur fur AuBenwirtschaft, 20.02.2002) Chief Executive
Oberes Mittleres Management Management 110.000 bis 230.000 60.000 bis 150.000 94.000 bis 157.000 64.000 bis 94.000 24.000 bis 46.000
Expatriate Chinesischer Riickkehrer Lokalkraft (Beijing) 27.000 bis 63.000 Lokalkraft (Shanghai) 36.000 bis 72.000
22.000 bis 54.000 19.000 bis 43.000
10.000 bis 42.000 10.000 bis 34.000
2 Problemstellung, Ziele und Aufbau der Arbeit gegnen, die von ihnen verwendeten abstrahierenden Untersuchungsmethoden brachten genau das zum Verschwinden, was sie zu eruieren suchten. In unserem konkreten Falle bedeutet das, die interkulturelle Kompetenz als Ausdruck taglich gelebten Lebens im chinesischen Umfeld zu erforschen. Diese Analyse berucksichtigt auch die fortdauemde, sich bald verstarkende oder sich bald abschwachende Rtickbindung an die deutsche Mutterfirma und generell an die deutsche intemalisierte Sozialisation. Die vorliegende Arbeit begnugt sich nicht damit die vorliegenden Interviews nach den herkommlichen qualitativen Methoden zu interpretieren. Vielmehr wird groBer Wert darauf gelegt, den konkreten Arbeitshorizont, in dem die Expatriates tatig sind, auszuleuchten oder, bescheidener, wenigstens zu umreiUen und zu kontextualisieren. Mit solcher Kontextualisierung ist zum einen die diachrone Dimension gemeint, namlich die Historizitat, wie sie im Bewusstsein und in der taglichen Arbeit der Expatriates und auch in ihren Desideraten eine emorme Rolle spielt. Diese Historizitat ist vor allem in der chinesischen Geschichte, aber auch in einem gewissen Dammerlicht, in einer Art von untergriindigem Bewusstsein des europaischen Chinabildes latent greifbar, wie es sich in den letzten Jahrhunderten entwickelt und stereotypisiert hat. Es ware also ein gravierendes Versaumnis, diese diachrone Achse, die den gebildeten Chinesen im Umgang mit Europaem und Amerikanem stets prasent ist (zumindest in Hinsicht auf den Imperialismus der europaischen Machte im 19. und 20. Jh.) auBer Acht zu lassen. Auch der kontextuelle synchrone Aspekt ist nicht zu umgehen, zumal wenn man darunter nicht nur die rein okonomischen Daten und Rahmenbedingungen versteht, sondem auch die komplexe Mischung von Sozialismus, Postsozialismus und Kapitalismus auf den die Expatriates heute treffen. Dieser synchrone Rahmen ist weiter zu fullen mit administrativen, juridischen, ethischen, militarischen und okologischen Andeutungen, die allesamt wie in einem pointillistischen Gemalde in den Interviews allusiv auftauchen und mehr oder minder in das AUtagsgeschehen eingreifen. Um den Reichtum der Erhebungen mit ihren Details zu prasentieren, aber diese auch in einen hohen Grad von Abstraktion transformieren zu konnen, musste eine Theorie gefunden werden, um den inzwischen aufierst reduktionistischen Status des faktoriellen interkulturellen Kompetenzmodells aus seiner Erstarrung zu losen und beweglich zu machen. Daniber hinaus musste nach einer Moglichkeit gesucht werden, die erprobten qualitativen Reduktionsmechanismen durch weitere Schnittmoglichkeiten zu erganzen, um hierdurch das Analysematerial zu vermehren. Dieser Absicht dient die Heranziehung der von Josef Zelger entwickelten GABEK-Methode. Die gewonnen Ergebnisse sollen schlieBlich die Basis dazu bilden, die fur Expatriates notwendige interkulturelle Kompetenz faktoriell zu defmieren und Trainingsempfehlungen abzuleiten.
2.2 Ziele
7
2.2 Ziele Fur die Arbeit ergeben sich zwei zentrale Oberziele: eine Uberprufling und Ausweitung des bisher in der Forschung etablierten Analysemodells und eine Erarbeitung der Dimensionen und Faktoren der interkulturellen Kompetenz, uber die die befragten Expatriates verfugen und tiber die die kiinftigen Expatriates fur eine erfolgreiche Arbeit in China verfugen sollten. In theoretischer Hinsicht ist der Diskussionsstand uber interkulturelle Kompetenz darzustellen, wie er sich in der Forschung herauskristaUisiert hat. Im Verlauf der kontroversen Diskussion hatte sich im letzten Jahrzehnt ein Drei-Komponenten-Modell durchgesetzt, das die Dimensionen Kognition, Konation und Affekt umfasst. Da dieses Modell als ein statisches komplexe Texte jedoch nicht auszudifferenzieren vermag, muss es flexibilisiert und ausgeweitet werden. Dies geschieht in der Transformierung des statischen Modells zu einem multifaktoriellen polydimensionalen dynamischen Modell. Diese Transformation muss sich auf die Befunde der Analysen der Interviews stiitzen. Um eine moglichst breite Ausdifferenzierung der Analysen zu erreichen, ist die GABEK-Methode heranzuziehen, die es erlaubt, eine vielstufig hierarchisierte Abfolge von Dimensionen und Faktoren zu etablieren. Das zweite Hauptziel, die Herausarbeitung der seitens der Expatriates benotigten interkulturellen Kompetenz, erfordert die sukzessive Erarbeitung einer Reihe von Teilzielen. Zunachst gilt es, den allgemeinen Fundus an europaischem Chinawissen zu erhellen, das wiederum das Chinawissen der Expatriates beeinflusst. Ein weiteres Teilziel ist dann erreicht, wenn es gelingt, das Ausgangswissen der Expatriates tiber China zu fixieren, das seinerseits mit der initialen interkulturellen Kompetenz korreliert. Die anschlieUende Analyse der Interviews verfolgt das Ziel, die in den Interviewtexten enthaltenen, von den Expatriates ftir wesentlich erachteten Dimensionen und Faktoren ihrer im Chinageschaft jeweils realisierten interkulturellen Kompetenz zu isolieren und zu strukturieren. Die aus den theoretischen Reflexionen und die aus den Analysen der praktizierten Anwendung interkultureller Kompetenz gewonnenen Einsichten sind schlieBlich in einem obersten Gesamtziel dergestalt zu btindeln, dass die am konkreten Material erhobenen Faktoren und Dimensionen in das dynamisierte Theoriemodell eingestellt werden, um auf diese Art die Praktikabilitat des Zusammenspiels von Theorie und konkreter Textanalyse nachzuweisen. Aus den gewonnenen Erkenntnissen uber die Strukturiertheit interkultureller Kompetenz sind dann Postulate ftir eine bessere Vorbereitung und systematisierte Ausbildung kiinftiger Expatriates auf ihre Auslandstatigkeit abzuleiten.
2 Problemstellung, Ziele und Aufbau der Arbeit
2.3 Aufbau der Arbeit Um diese Ziele zu erreichen umfasst die Arbeit folgende Schritte. Das folgende dritte Kapitel soil es dem Leser ermoglichen den Bedingungsrahmen kennen zu lemen in dem sich die Arbeit der Expatriates abspielt und auf sich die interkulturelle Kompetenz der Expatriates einzustellen hat. In diesem Sinne umreilJt das dritte Kapitel einige Faktoren von Chinas okonomischem Aufstieg, die damit verbundenen postsozialistischen Transformationen, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, das Geflecht juridischer Gegebenheiten. Ein Blick fallt auch auf heikle Gesprachspunkte wie Tibet, Taiwan und Militarisches, aber auch auf die Menschenrechte. Da die okologischen Defizite fur das Alltagleben in den chinesischen Stadten nicht ohne Belang sind, finden auch sie hier Erwahnung. Das vierte Kapitel legt die theoretischen Grundlagen der Arbeit. Hierzu wird zunachst die Forschungsliteratur iiber die Expatriates in China ausgewertet. Der Gang der Forschung wird soweit verfolgt, dass der gegenwartige Stand der Theoriebildung zu verstehen ist. Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit vor allem auf das von Muller-Gelbrich (1999) zusammengestellte Drei-KomponentenModell (Affekt, Kognition, Konation), wie es sich als vorlaufiges Ergebnis aus der untibersichtlichen Gemengelage mehr oder minder empirisch gesicherter Faktoren kompiliert wurde. Um das starre Korsett des Drei-Komponenten-Modells mit insgesamt kaum mehr als 15 Faktoren und drei Dimensionen aufzubrechen, wird ein variables, multidimensionales polyfaktorielles Modell (cf die Details in 4.4) interkultureller Kompetenz postuliert, um es dann bei der Analyse der Interviews zu erproben und zu verifizieren. Das funfte Kapitel legt die methodische Grundlage der Arbeit, die sich qualitativer Techniken bedient. Dabei bleiben zwar die bekannten Mayringschen Verfahren im Hintergrund prasent. Fiir die Analysen allerdings wird speziell Josef Zelgers GABEK-Verfahren plus WinRelan herangezogen, das sich einer auf neurologischen, textlinguistischen, philosophischen und semantischen Theoremen beruhenden Textanalyse bedient. Die nachsten Schritte bestehen in der Darstellung der Erhebung der Daten und der Ausarbeitung der Pilotleitfaden. Um den Hauptleitfaden moglichst genau auf die Probanden abzustimmen, werden Interviews mit den Betreuerinnen der Expatriates und mit heimgekehrten Expatriates gefuhrt und ausgewertet. Zusatzliche Angaben iiber die Probandengruppe und Interviewdurchftihrung beschlieBen dieses Kapitel. Das sechste Kapitel breitet eine Reihe von Chinabildem der Expatriates aus, die ihrerseits wiederum deren Vorstellung von China und in der Folge ihren Umgang mit den chinesischen Partnem beeinflussen. Dazu dient zuerst ein Blick auf das Chinawissen, wie es sich im neuzeitlichen Europa allmahlich herausgebildet hat. Denn nur aus diesem diachronen, sich seit der friihen Neuzeit akkumulierenden mehr oder minder subkonszienten europaischen Chinawissen ist das synchrone, also das gegenwartige Chinawissen der Expatriates zu verstehen, iiber
2.3 Aufbau der Arbeit das sie zum Zeitpunkt ihrer Ausreise verfiigten. Volkerpsychologische Bilder und Klischees tiber China haben in Europa eine zahe Tradition, die erst im letzten Jahrzehnt sich stark zu verandert beginnt und doch noch nicht aus den Urteilsschemata der Expatriates voUstandig verschwunden ist. Mit dieser diachronen und synchronen Schnittstelle ist ein Ausgangspunkt gewonnen, von dem erst die Rede der Expatriates von der Verschiebung ihres urspriinglichen Chinabildes zu verstehen ist. Im siebten Kapitel werden die mit den Expatriates gefuhrten Interviews ausgewertet. Dazu werden insbesondere analytische Verfahrensweisen herangezogen, wie sie von der Zelgerschen Analysemethode zur Verfiigung gestellt werden. Insbesondere erweist sich dabei auch Zelgers Idee als fruchtbar, von der Textbasis ausgehend zu immer hoheren thematischen Aussagestufen zu gelangen, um diese dann in einem so genannten Gestaltenbaum zusammenzufassen. Im achten Kapitel werden die einzelnen Dimensionen und Faktoren ausgewertet, die das Material fur die Erweiterung des Dimensionenmodells zur Verfugung stellt. Alle gefundenen Dimensionen werden theoretisch defmiert, um auf dieser Basis dann die Auswertung zu vollziehen. Das neunte Kapitel fasst die Ergebnisse faktorieller und dimensionaler Art zusammen und fugt sie in ein entsprechendes Gesamtmodell ein. Daran schliefien in Kapitel zehn direkte Handlungsempfehlungen an, wie sie von den Expatriates in den Interviews direkt zu ProtokoU gegeben wurden. Das elfte Kapitel gibt ein Kondensat an Vorbereitungsempfehlungen, die in der Ausbildung kiinftiger Expatriates ihren festen Platz haben soUten. Von Interesse sind dabei nicht zuletzt der Blick auf die Auffassung der Chinesen von ihrer Geschichte sowie ihre Beherrschung der „Dreizehn Gebote der Kriegskunst" und der „Katalog der 36 Strategeme", die im chinesischen Geschaftsleben eine bedeutende RoUe spielen. Das zwolfte Kapitel fasst die Ergebnisse zusammen und gibt einen Ausblick auf unerledigte Desiderate und klinftige Arbeitsfelder.
3 Genereller chinesischer Bedingungsrahmen als Bezugsfeld der Arbeit der Expatriates Eine der Schwachen der bisherigen Literatur uber Expatriates besteht darin, dass dem Leser nicht ausreichend vermittelt wird, in welchem generellen Bedingungsrahmen sie ihre Arbeit zu verrichten haben. Dieser generelle Bedingungsrahmen umfasst politische und die wirtschaftspolitische, rechtlichen, wirtschaftliche, soziale, technische, geografische und lokale Bedingungen.^ Erst die Kenntnis zentraler Aspekte dieses generellen Bedingungsrahmens macht es moglich, die Interviews, die wir mit Expatriates der oben genannten Firmen gefuhrt haben, in ihrer Aussage vertieft zu verstehen, da die Interviews sich naturgemafi auf einige deutsche und in hohem MaBe auf chinesische Bedingungen beziehen, die ihrerseits wiederum die Aussagen und Urteile der Expatriates formen und auch vielfach erst begninden. Interkulturelle Kompetenz, auf die hin ja letztlich die Interviews ausgewertet werden sollen, ist fur die Interviewten kein Abstraktum, sondem eine Realitat, eine Bewahrungsprobe, der sie sich taglich neu zu stellen haben. Die fordemden und hemmenden Auswirkungen des Bedingungsrahmens werden in den Interviews unmittelbar angesprochen oder formen auch einen Hintergrund an Realitaten und Handlungen und Mentalitaten, die die Erlebnisse und Urteile bei Expatriates konditionieren. Soweit der generelle Bedingungsrahmen fur die Auswertung der Interviews von Bedeutung ist, soil im Verlauf der Arbeit ein Umriss desselben gegeben werden. - Da es sich bei der Analyse der Interviews dariiber hinaus herausgestellt hat, dass nicht zuletzt auch die in der deutschen Gesellschaft vorhandenen Chinabilder fur einzelne Expatriates dazu beigetragen haben, sich fiir einen Chinaaufenthalt zu interessieren und zu entschlieBen; und da die politische Position der deutschen Bundesregierung eine wichtige und gtinstige Einflussquelle darstellt, die die Arbeit der Expatriates in China, wie auch immer, beeinflusst, weil also die politische Schonwetterlage zwischen Deutschland und China die Arbeit der Expatriates durchaus unterstutzt, gilt - der erste Blick dem vom Auswartigen Amt der Bundesrepublik Deutschland propagierten Chinabild, - der zweite Blick den okonomischen Rahmenbedingungen von Chinas okonomischen Aufstieg, - zusatzlich sind, soweit notig, die Rahmenbedingungen auf staatlichen, politischen, gesellschaftlichen, juridischen, administrativen, sozialen und sonstigen Feldem zu skizzieren, in die die Expatriates bei ihrem Tun eingebunden sind. Vgl. Scheuch, S. 546 f
12
3 Genereller chinesischer Bedingungsrahmen als Bezugsfeld der Arbeit
3.1 Das Chinabild des Auswartigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland Das Bild von einem prosperierend-strahlenden China wird in Deutschland nicht nur von der Presse, sondem auch von diplomatischer Seite hochgehalten. Die Aussagen des Auswartigen Amtes (AA) der Bundesrepublik entwerfen ein schonfarberisches, poliertes und selektives Tableau, das vor allem die guten politischen Beziehungen zwischen der Volksrepublik China (VRC) und Deutschland ruhmend hervorhebt. Das AA schreibt auf seiner offiziellen Webseite (Auswartiges Amt der Bundesrepublik Deutschland 2003) im Mai 2003 uber die politischen Beziehungen zwischen beiden Landem: „Die Bundesrepublik Deutschland und die Volksrepublik China haben 1972 diplomatische Beziehungen aufgenommen. In den zuriickliegenden Jahren haben sich die Beziehungen zwischen beiden Staaten zu groBer Vielfalt, beachtlicher Dichte und zunehmender politischer Substanz entwickelt - sie sind freundschaftlich und gut. China ist mittlerweile der wichtigste Wirtschaftspartner Deutschlands in Asien, Deutschland ist Chinas wichtigster Handelspartner in Europa. Deutschland vertritt ebenso wie seine EU-Partner eine Ein-China-Politik." Weiter weist das AA darauf hin, dass diese engen Bindungen auch ihren Ausdruck darin fanden, dass Bundeskanzler Schroder China wiederholt besuchte und dass der damalige Staatsprasident und Vorsitzende der zentralen Militarkommission, Jiang Zemin, im April 2002 Deutschland mit seinem Besuch beehrte. Dieser politische Austausch werde von einem bilateralen Menschenrechtsdialog begleitet. Anfang des Jahres 2003 wurden seitens des Bundeskanzlers, Gerhard Schroder und des Ministerprasidenten des Staatsrates der VRC, Wen Jiabao, diese offiziellen Positionen zwischen den beiden Staaten nochmals bestatigt und vertieft.^ Schroder: „Deutschland und China verbindet eine lange und traditionsreiche wirtschaftliche Zusammenarbeit, deren Anfange ins 19. Jh. zuruckreichen. Schon damals konnten sich deutsche Firmen einen Ruf als kompetente Technologie- und Infrastrukturanbieter erwerben (...) Wir wollen alles Notwendige dafiir tun, damit dies auch in Zukunft so bleibt (...) In den letzten Jahren hat sich der gegenseitige Austausch von Waren und Dienstleistungen hervorragend entwickelt. Inzwischen ubersteigt das Handelsvolumen mit China sogar den Warenaustausch mit Japan. Auch in Zukunft bestehen fiir das Wachstum des Handels gate Aussichten" (WirtschaftsWoche 2003, S. 3). Wen Jiabao antwortete mit Ruckgriff auf die deutsche Geistesgeschichte: „Die Freundschaft, bzw. der Wirtschafts- Kulturaustausch zwischen China und Deutschland konnen auf eine lange Geschichte zuriickblicken. Schon im Jahre 1679 schilderte der berUhmte deutsche Philosoph Gottft-ied Wilhelm Leibniz in seinem Werk „Novissima sinica" ausfuhrlich die damaligen wirtschaftlichen und sozialen Verhaltnisse in China (...) Umgekehrt hat China viel von fortschrittlichen Gedanken und Technologien aus Deutschland gelemt. Der Marxismus, den die Deutschen Karl Marx und Friedrich En-
3.1 Das Chinabild des Auswartigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland
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Das AA sttitzt sein ungetriibtes Bild darauf, dass China, noch vor Japan, far Deutschland zum wichtigsten asiatischen Exportmarkt geworden ist und dass sich Deutschland fur China zum groBten europaischen Handelspartner entwickelt hat, der jahrlich Waren im Werte von uber 21 Milliarden Dollar abnimmt, wahrend der deutsche Export bei rund der Halfte dieses Wertes liegt. Deutschland ist auch dasjenige Land in der EU,"^ das am meisten Investitionen^ in China tatigt.^ Somit ist Deutschland aus chinesischer Sicht einer der wichtigsten Exportmarkte geworden.
gels begrundet haben, verlieh China ein neues Antlitz. Heute konnen sich deutsche Untemehmen wie Volkswagen, Siemens, BASF und Bayer der Friichte ihrer Investitionen in China erfreuen" (WirtschaftsWoche 2003, S. 3). Femer geht Wen Jiabao auf die Entwicklung des deutsch chinesischen Handelsvolumens seit dem Jahre 1972 ein, das sich seither um das Hundertfache gesteigert habe. „Das bilaterale Handelsvolumen belief sich 2002 auf die Rekordhohe von 27,8 Mrd. US$. Unter den zehn groBten FDIHerkunftslandem flir China ist Deutschland das einzige europaische Land und weltweit hinter Japan und den USA das Land, das am meisten Technologic nach China transferiert (...) Wir hoffen, dass diese Zusammenarbeit noch substanzieller und intensiver gestaltet und die Kooperationsfelder noch erweitert werden konnen" (ebda). Die Europaische Union (Luther und Opitz 2000), wenigstens in der Handelspolitik, von den Chinesen als eine Art Gegengewicht gegen die ubermachtigen USA verstanden, wahrend die EU in politischer Hinsicht durch ihre vielstimmige Undeutlichkeit in den Augen der Chinesen nicht an ihr wirtschaftliches Gewicht heranreicht. Die Europaische Union ist hinter Japan und den USA der drittstarkste Handelspartner Chinas. Die EU hat die beiden vorgenannten Staaten bei den Direktinvestitionen sogar uberholt. Die EU importiert zur Zeit fiir ca. 70 Mrd. Euro Waren aus China und exportiert rund 25 Mrd. Euro dorthin. Das Minus der europaischen Exporte nach China ftihrte zu einer Reihe von Importrestriktionen, die durch Chinas Aufnahme in die WTO uberfliissig werden soUen. Ein Grofiteil der deutschen Investitionen in China flieBt in den Automobilsektor. Neben dem Automobilsektor suchen vor allem die deutsche Chemische Industrie und der Maschinenbau und Produzenten elektronischer Produkte ihre Handelschancen durch Investitionen zu verbessem. Zu den groBten Firmen zahlen u.a. Siemens, Thyssen Krupp, Bayer, BASF u.a.m. Das AA hebt hervor, dass es neben den Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und China eine intensivierte wissenschaftlich-technologische Kooperation gibt. Ihr dient auch das „Chinesisch-Deutsche Zentrum fur Wissenschaftsfbrderung", das seit dem Jahr 2000 in Peking arbeitet. Solche Zahlen konnen, was das AA natiirlich verschweigt, allerdings auch negativ gelesen werden: Von deutscher Seite ist der AuBenhandel mit China bisher nicht uber rund 2 Prozent des Gesamtvolumens der deutschen Exporte hinausgekommen. (Taube 2001). Es ist Deutschland nicht gelungen, dieses Ungleichgewicht von Import und Export auszugleichen, auch nicht dadurch, dass China an der Spitze der Empfanger deutscher Entwicklungshilfe steht (von 1985 bis 2000 ca. 6 Mrd. DM fur fmanzielle und technische Zusammenarbeit) (Tomsa 1997, S. 997 ff; Xu 1999; Schiiller 2000, S. 1401; Heilmann 2002, S. 271).
14
3 Genereller chinesischer Bedingungsrahmen als Bezugsfeld der Arbeit
Auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit werden von deutscher Seite Umweltpolitik, Aufbau der Marktwirtschaft, Wassermanagement und Schienenverkehr gefordert. Ein Hinweis auf den fiinktionierenden Kulturaustausch (seit 1979) rundet diese Darstellung seitens des AA ab. Dieses Heile-Welt-Bild konnte durch einige weitere Hinweise sogar noch etwas vervoUstandigt werden, wenn man hinzufligt, dass die deutschen Beziehungen zu China (Leutner und Trampedach 1995) durch das „Asien-Konzept" der Bundesregierung anno 1993 enger gestaltet wurden. Dieses „Asien-Konzept" unterstreicht den Wunsch nach vorrangigen Beziehungen zur VRC (Friedrich 1998, S. 668-682). Zu gleicher Zeit wurde der Asien-Pazifik-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft gegnindet. Und schlieBlich ware daran zu erinnem, dass im Jahr 2000 deutsch-chinesische Abmachungen zur Rechtszusammenarbeit getroffen wurden, deren Ziel es ist. Chinas Rechtsstaatlichkeit zu fordem. Unter politischen Auspizien stehen also den deutschen Expatriates in China Tiir und Tor offen. Das politische Klima schafft fur sie eine gunstige Atmosphare, in der sie ihrer Arbeit nachgehen und ihre interkulturelle Kompetenz entfalten konnen.
3.2 Okonomische Rahmenbedingungen - Chinas okonomischer Aufstieg Von seinen Bewunderem wird Chinas schier unaufhaltsamer Aufstieg an die okonomische Weltspitze „als eine der spannendsten, wenn nicht gar die spannendste (Wirtschafts-)Story unserer Zeit iiberhaupt" angesehen (WirtschaftsWoche 2003, S. 5). Diesem Urteil schlieBen sich zwei Drittel der deutschen Topmanager an, die China „als besonders attraktiven Investitionsstandort [preisen]. Keinem anderen Land wird so einhellig ein so gutes Urteil ausgestellt" (WirtschaftsWoche 2003, S. 14). Ebenso wird von den westlichen Wirtschaftsfachleuten positiv vermerkt, dass China es verstanden habe, die ,Asienkrise' und das Scheitem der New Economy, die Turbulenzen des Irakkrieges und die Auswirkungen der Lungenkrankheit SARS okonomisch fast unbeschadet zu Uberstehen. Als Bestatigung hierfiir wird angefiihrt, dass die Pekinger Wirtschaftsministerialen sich seit langerem unter den auslandischen Investoren die ihnen angenehmsten aussuchen konnen, um den Strom der Investitionsgelder zu lenken und die entsprechenden Genehmigungen zu erteilen.^
„Weltkonzeme mussen Schlange stehen und diirfen erst vortreten, wenn sie von der Zentralen Planungskommission aufgerufen werden (...). Es gibt keine Alternative. Auf der Suche nach neuen Absatzchancen und Kostenvorteilen im weltweiten Verdrangungswettbewerb ftihrt kein Weg an dem Reich der Mitte vorbei" (WirtschaftsWoche 2003, S. 20).
3.2 Okonomische Rahmenbedingungen - Chinas okonomischer Aufstieg
15
Anteil der Investitionen am Bruttoinlandsprodukt 48
(in Prozent)
44 40
• 32 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03
Chinas Auftenhandel mit Waren im Vergleich zur Entwicklung des Welthandels
China Welt
7000 6000 5000 4000 3000 2000 1000
m »4-^-T^T^
—±^
0 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03
Abb. 1:
Investitionen und AuBenhandel (Institute for International Economics)
Fiir die geschichtsbewussten Betrachter kehrt China somit dorthin zuruck, wo es im Laufe seiner groBen Geschichte fast immer gestanden hatte, namlich „an die Spitze der flihrenden Machte dieser Erde. Die langste Zeit in der Geschichte war China die Wirtschaftsweltmacht Nr. 1. Noch in der ersten Halfte des 19. Jh. war China ebenso hoch entwickelt, wie die fortschrittlichste Region Europas, England" (WirtschaftsWoche 2003, S. 20). In den Augen vieler Analysten konnte China, dank seines Wiederaufstiegs, der das Land schon heute zur Nummer 7 vor Italien gefiihrt hat, bereits im Jahr 2015 zur groBten Volkswirtschaft der Welt aufgeriickt sein, und dies, obwohl die Chinesen bis dahin nur ein Viertel des USPro-Kopf-Einkommens erreicht haben werden. Unter diesem Blickwinkel ist das „Comeback des Reichs der Mitte das bedeutendste welthistorische Ereignis dieses Jahrhunderts (...) kein Land der Welt (entwickelt) sich dynamischer" (WirtschaftsWoche 2003, S. 21).
16
3 Genereller chinesischer Bedingungsrahmen als Bezugsfeld der Arbeit ...stimuliert Export... (in Milliarden US-Dollar) 1
———— r^hin
Unind
— — — - ueui&uiiiciiiu
SA
800 ^.••'
1^
700 600
•*
500
^^
"^
400 300 200 100 0 1996
Abb. 2:
1997
1998
1999
2000
2001
2002
Chinesische Wirtschaftsdaten: Export (International Monetary Fund)
...stimuliert Import... (in Milliarden US-Dollar) 1 lOA
1400 1200 •••••**
1000
••'
800 600 400 200 0 1996
Abb. 3:
1997
1998
1999
2000
2001
2002
Chinesische Wirtschaftsdaten: Import (International Monetary Fund)
3.2 Okonomische Rahmenbedingungen - Chinas okonomischer Aufstieg
17
Starkes Wirtschaftswachstum... (in Prozent zum Vorjahr)
• Welt • China • USA D Deutschland 9n
rr~
87-
Ll
5-
f • H.
432-
^^p
1-
•
~^B|
^ki
01999 Abb. 4:
- | -
T^ J J^ H
6-
2000
2001
2002
2003
2004
Wirtschaftswachstum (International Monetary Fund, Consensus, Goldman Sachs)
Direktinvestitionen zwischen China und Deutschland (in Millionen Euro) Chinesische Investition in Deutschland
Deutsche Investition in China
1999 ^ 129 5741
2000 ! 157 6934
6301 Abb. 5:
2001 :^ 177 2002 % 162
Direktinvestitionen zwischen China und Deutschland (Deutsche Bundesbank, Frankftirt a.M.)
3 Genereller chinesischer Bedingungsrahmen als Bezugsfeld der Arbeit Handelsvolumen Chinas 2003 im Vergleich Die grodten Exporteure Land
Wachstum in %
in Milliarden Dollar
Deutschland
i
22
Ver. Staaten
••i
Japan
1 £.*\
4 13
China
•••1472 • • • • 458
34
Frankreich
• •
17
Grofibritannien
• 305
9
Niederlande
• 294
20
Italien
• 292
15
Kanada
I 273
8
Belgien
255
18
387
Die groftten Importeure Land
Wachstum in %
in Milliarden Dollar
Ver. Staaten Deutschland
1
9 23
1437
40
Frankreich
1 3Q1
13
Groftbritannien
1 :^ci1
China
Japan Italien Niederlande
Abb. 6:
1 748 602
Kanada
1
Belgien
1
19
1 383 =1 291
14
] 263
20
1
18
245
8
234
18
Handelsvolumen Chinas 2003 (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. November 2004, S. 12)
Als Treibsatz solcher wirtschaftlichen Dynamik erweisen sich die in China platzierten w^estlichen hohen Direktinvestitionen, die im Jahre 2002 rd. 53 Mrd. US$ betrugen, wahrend in die USA nur 44 Mrd. US$ geflossen sind. Im Jahre 2003 wurden sogar 63 Mrd. US$ investiert. Auslandische Investoren bewerten im Investitionsklimaindex China am hochsten, gefolgt von den USA (WirtschaftsWoche 2003, S. 24). Im letzten Jahrzehnt glanzte China mit Wachstumsraten von 7-9 % und in Shanghai sogar mit 14 %, was sich entsprechend auch auf die kontinuierlich steigenden chinesischen Ex- und Importe auswirkte.
3.2 Okonomische Rahmenbedingungen - Chinas okonomischer Aufstieg
19
Diese Wirtschafsdynamik erlaubte es den Chinesen, anno 2002 ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 1200 Mrd. US$ zu erwirtschaften, was einem BIP von rund 900 - 1000 $ pro Einwohner entspricht (job 2003, S. 6) und in den letzten Jahren 350 Mrd. US$ Devisen zu thesaurieren. Die Staatsverschuldung ist mit 14 % des BIP und mit kurzer Laufzeit gering. Die Inflation liegt nur bei 1 %. Auf den Sparkonten der Chinesen liegen Guthaben im Wert von 1,2 Billionen Euro. In einzelnen Produktionssektoren nimmt China schon die absolute Weltspitze ein.^ Der Index des verfugbaren Einkommens pro Kopf ist in den stadtischen Gebieten von 100 (1978) auf 312 (1997) Prozent und der Index des Nettoeinkommens pro Kopf in landlichen Gebieten sogar von 100 (1978) auf 437 (1997) (Taube 2001, S. 137) Prozent gewachsen. Dabei spielten die „in den Produktionsprozess eingehenden Faktoren Arbeit und Kapital den groBten Anteil an dem seit Ende der siebziger Jahre zu beobachtenden Wirtschaftswachstum hatte." (Taube 2001, S. 143). Diese Faktorakkumulation hatte vor 1978 noch fur 80 % des jahrlichen Wirtschaftswachstums gesorgt. Nun aber ist diese Akkumulation fiir die Halfte des Wachstums verantwortlich. Die andere Halfte ist auf die Produktivitatssteigerung und die vermehrte Effizienz zurlickzufuhren (Taube 2001, S. 144). Weiter ist darauf zu verweisen, dass technokratische Bewegungen und „halbautonome Machtzentren, wie sie z.B. kapitalistisch arbeitende GroBuntemehmen" darstellen, staatlich gefbrdert werden (Kristof und WuDunn 1995, S. 270). Modeme Wachstumsbranchen wie etwa die Biogenetik werden privatwirtschaftlich von Fachleuten und nicht mehr von Parteigenossen vorangetrieben. Zur Exportdynamik tragt iiberdies bei, dass die chinesischen Arbeiter noch zu auBerst niedrigen Lohnen arbeiten. Sie verdienen nur etwa 3 bis 5 % dessen, was ein japanischer oder deutscher Arbeiter nach Hause bringt. „Kombiniert mit dem Dies gilt z.B. fur die Produktion von Mountainbikes, Mikrowellen, Meerestieren, Stahl, Klimaanlagen, Schuhen, Kinderspielzeug, Textilien und Notebooks. In der Computerproduktion liegt China bereits auf dem zweiten Platz. In der Autoproduktion iiberholte China im Jahre 2003 Frankreich und wird voraussichtlich im Jahre 2006 auch Deutschland hinter sich lassen. Zugleich hat sich China zum groBten Importeur entwickelt, um die zahllosen neuen Fabriken mit modemen Maschinen auszustatten. Es fehlt nicht mehr an chinesischen Weltfirmen, die die Konkurrenz bereits heute auf die Platze verweisen, so etwa der Computerhersteller Legend, der die Spitzenposition auf dem weltweiten Computermarkt eingenommen hat. Chinesische Energieuntemehmen treten gleichberechtigt neben die Royal Dutch / Shell und die chinesische Gazprom, um mit Hilfe einer 4.000 Kilometer langen Gasleitung die westchinesischen Gasvorkommen auszubeuten. Ausdruck der Wirtschaftskrafl und der innovativen chinesischen Technologic ist auch der riesige Yangtse-Staudamm, der in der Nahe von Hangzhou gebaut wird und 18.000 Megawatt, d.h. 10% der chinesischen Elektrizitat produzieren soil. Der erste chinesische Astronaut besiegelte vor kurzem den chinesischen Technologiesprung auch in diesem Sektor auf spektakulare Weise.
20
3 Genereller chinesischer Bedingungsrahmen als Bezugsfeld der Arbeit
riesigen Absatzmarkt und der zunehmenden technologischen Kompetenz macht das den Standort China unschlagbar" (Kristof und WuDunn 1995, S. 26).^ In wenigen Jahren haben insbesondere die zentralen Areale des chinesischen Kapitalismus schier immense Dimensionen erreicht. Hier ware vor allem das Perlfluss-Delta in der Provinz Guangdong (Siidchina) zu nennen, das sich im Dreieck von Hongkong, Makau und Kanton erstreckt und als das groBte Industriezentrum der Welt anzusehen ist. Hier ist eine Megalopolis von rd. 50 Millionen Menschen entstanden, deren Bruttosozialprodukt bereits 150 Mrd. Euro erreicht hat und jahrlich um 14 % weiter wachst.'^ Das wirtschaftlich unterentwickelte West-China soil nach dem Willen der Zentralregierung moglichst rasch an die Modemisierung des Ostens herangeflihrt werden. Davon profitiert nicht zuletzt die Megalopolis Chongquing (31 Mio. Einwohner am oberen Yangtse), deren Infrastruktur mit 22 Mrd. US$ modemisiert wird, wie denn tiberhaupt der Westen durch den Bau von StraBen, Kanalen, Staudammen, Eisenbahnen und Stromnetzen den wirtschaftlichen Ruckstand zu verringem im Begriff ist. China ist also nicht mehr nur eine Werkbank der Welt. Zumeist unter Mithilfe der westlichen Investoren sind vielerorts High-Tech-Zentren entstanden.'' Dank dieser Dynamik hat sich im Giiteraustausch zwischen China und den USA ein Handelsbilanzdefizit von mehr als 100 Mrd. US$ zuungunsten der USA aufgebaut. Die chinesischen Gesamtexporte sind von Januar bis JuH 2003 um mehr als 30 % und die Einfuhren sogar mehr als 40 % gestiegen. Unter Einschluss Hongkongs erreicht das Perlflussdelta sogar ca. 280 Mrd. US$. In Shanghai, einem weiteren Brennpunkt, haben 29.000 auslandische Untemehmen eine Reprasentanz aufgebaut, darunter auch zahlreiche deutsche Untemehmen, die die intemationale Urbanitat der Stadt zu schatzen wissen. Zu diesen Untemehmen zahlen Daimler-Chrysler, Thyssen Kmpp, Bayer, Henkel, Siemens, VW usw. In Shanghai wird demnachst das weltweit modemste German Center im Dienste der deutschen AuBenwirtschaftsfbrdemng eingeweiht, nachdem „das seit tiber acht Jahren bestehende heutige German Center auf dem Gelande der Tongji-Universitat mehr als 130 deutsche Untemehmen erfolgreich in den chinesischen Markt" begleitet hatte (Kristof und WuDunn 1995, S. 67). Die Attraktivitat Shanghais lasst sich auch daran ablesen, dass 20 % aller auslandischen Direktinvestitionen hierher geflossen sind und das BSP anno 2002 um 14 % zugenommen hat. Peking, wirtschaftstechnisch hinter den beiden vorgenannten Metropolen zuruckgeblieben, sucht diesen Nachteil durch den Aufbau eines eigenen Finanz- und Geschaftszentmms am Ostrand der Stadt auszugleichen, nachdem schon 3.000 auslandische Untemehmen in Peking ihr Headquarter aufgeschlagen haben. Im Yang-Tse-Delta investiert z.B. der japanische Konzem Canon 500 Mio. US$ in eine riesige Produktionsanlage fur digitale Kameras, und im Yangtse-Delta in Suzhou produzieren „80 der 500 groBten Untemehmen der Welt in einem der beiden Industrieparks der Stadt, deren BSP mit rd. 25 Mrd. US$ deutlich iiber dem der Slowakei liegt" (Kristof und WuDunn 1995, S. 77). In den vergangenen Jahren und in den kommenden Jahren sollen hier fast 40 Mrd. US$ investiert werden. Zusatzlich zu den traditionellen
3.2 Okonomische Rahmenbedingungen - Chinas okonomischer Aufstieg
21
Die riesige Zahl an potenziellen Konsumenten lockt schlieBlich auch die groBten intemationalen Handelsketten an. Die Umsatze der Supermarkte wachsen jedes Jahr um ca. 60 %.^^ Die auslandischen Versicherungen und Banken versprechen sich in ahnlicher Weise groBe Geschafte. Besonders die deutsche Chemieindustrie hat sich auf China als neuen Schwerpunkt ihrer Weltproduktion festgelegt.^^ Volkswagen wird in den nachsten Jahren ca. 6 Mrd. Euro in seine Chinawerke investieren, denn fur viele Hersteller ist China momentan der profitabelste Markt der Welt, zumal die jahrlichen Zuwachsraten der Verkaufszahlen in manchen Untemehmen zwischen 60 und 80% liegen. (Che 2003, S. 14). In den Augen vieler, die gewillt sind, die negativen Seiten diese Entwicklung nicht zu unterschlagen, ist China mit seiner spezifischen Mischung aus Sozialismus und Turbokapitalismus zum Land der unbeschrankten wirtschaftlichen Moglichkeiten geworden. China ist das Land, das im Begriff steht, alle anderen Volkswirtschaften in sich aufzusaugen oder nach Belieben gar zu vemichten. Die Optimisten konnen noch ins Feld fuhren, dass in den letzten zwanzig Jahren in China 200 Mio. Menschen die Armutsgrenze uberwunden haben, wenn es hierbei auch zu groBen Verzerrungen^'* gekommen ist. 200 Millionen Menschen High-Tec-Firmen suchen auch Biotec-Firmen und pharmazeutische Untemehmen davon zu profitieren, dass eine chinesische Elite junger Forscher herangewachsen ist, die wesentlich billiger als amerikanische und europaische Kollegen arbeitet und die Bedurfnisse des chinesischen Marktes besser als Auslander abzuschatzen weiB. „So verdoppelt Siemens derzeit sein F&E-Personal in China. 500 Mitarbeiter forschen und entwickeln jetzt im Shanghaier Handy-Joint-Venture, an dem das munchener Unternehmen 60 % halt" (Kristof und WuDunn 1995, S. 78). Die auslandischen Firmen konnen sich dabei auf die hunderttausend IT-Spezialisten stutzen, die jahrlich die chinesischen Universitaten verlassen. ^^ So fmdet man in China neben Wal Mart und Carrefour auch die deutsche METRO, die derzeit fur ihre Expansion 600 Mio.$ ausgibt. ^^ „Deutsche Untemehmen wie BASF und Bayer planen, ganz Asien vorwiegend aus China zu versorgen und dort einen GroBteil ihrer Umsatze zu generieren. Von gut 2.000 in China vertretenen deutschen Untemehmen kommen fast 190 aus der Chemiebranche (...) insgesamt 1,1 Mrd. Euro pro Jahr setzt die Bayer AG in Greater China heute schon um (...) noch viel ehrgeiziger sind die Planungen bei BASF" (Kristof und WuDunn 1995, S. 84), wo man sich bis zum Ende des Jahrzehnts einen Verkauf von 20 Mrd. US$ erhofft. ^"^ Wahrend Shanghai z.B. 1999 ein Pro-Kopf-BIP von mnd 30.000 RMB erzielte, erwirtschaftete die Region Gouizhou nur 2.500 RMB (Heilmann 2002, S. 169). In Peking ist der Index der menschlichen Armut auf 9% zuruckgegangen, er liegt aber in den Westprovinzen noch bei 44% und in der Provinz Gouizhou sogar bei 54%. Dabei ist die von der Regiemng markierte Armutsgrenze extrem niedrig angesetzt, namlich mit 635 RMB Yuan pro Kopf pro Jahr. Unter dieser Schwelle leben noch mindestens 230 Mio. Chinesen (Heilmann 2002, S. 221). Die groBe Armee von Arbeitslosen oder Unterbeschaftigten aus den Belegschaften von aufgegebenen Staatsuntemehmen und von Arbeitnehmem, die noch ein gewisses
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3 Genereller chinesischer Bedingungsrahmen als Bezugsfeld der Arbeit
konnen einer kaufkraftigen Mittelschicht zugeordnet werden. Sie stiitzen sich vor allem auf die aufbliihende Privatwirtschaft, in der allein im Zeitraum von 19901997 die Zahl der in Kleinbetrieben Beschaftigten von 13 auf 28 Millionen stieg und die Zahl der Privatuntemehmen von rund 100.000 auf rund 1 Millionen zunahm (Fischer 2001, S. 305). Das groBe Einkommensgefalle zwischen den prosperierenden Kustenregionen und der verdeckten Arbeitslosigkeit bzw. der offenen Arbeitslosigkeit vor allem im nord-westlichen Landesinneren fuhrte zu riesigen Wanderbewegungen von mehr als 200 Millionen Arbeitssuchenden, eine Erscheinung, die viel sozialen Sprengstoff in sich birgt.
3.3 Weitere Rahmenbedingungen und Konfuzianismus Neben den rein okonomischen Daten sind weitere Rahmenbedingungen zu berticksichtigen, die fur das Gelingen oder Misslingen der Arbeit der Expatriates von grofier Bedeutung sind. China ist ein Land, dessen Kultur selbst erfahrenen westlichen Geschaftsleuten viele Ratsel aufgibt. Langjahrige Expatriates berichten immer wieder davon, wie schwierig es fiir einen Europaer sei, die Chinesen zu verstehen und das chinesische Leben rational zu erfassen.'^ Einen der Griinde der Undurchdringlichkeit sehen manche Kenner darin, dass „Chinesen groBe Schauspieler" seien (Hildemann 2000, S. 163) und dass es kaum moglich sei, die chinesischen Netzwerke zu durchdringen - gewiss eine allzu monokausale Erklarung. Die westlichen Geschaftsleute treffen in China auf eine alte, selbstbewusste und hoch ausdifferenzierte Kultur. Die Eigenart der geschichtlichen, politischen, philosophischen, religiosen, sprachlichen, schriftlichen und geografischen Verhaltensquellen Chinas beeinflussen bis heute die Handhabung von Status, Fiihrungsstil, Befi)rderung, Menschenbildem, Biirokratie, Problemperspektiven, Gruppenbediirfnissen, Kommunikation und Missverstandnissen, Logikunter-
„(IJber)-Lebensgeld" (shenghuofei) erhalten (Fischer 2001, S. 308), konnte bisher nur zu einem Teil durch xiahei, d.h. durch das „ins Meer [des privaten Marktes] Hinabsteigen" aufgefangen werden (Fischer 2001, S. 306). Qualifizierungs- und Weiterbildungsprogramme aus dem Projekt „Wiederbeschaftigung" sind bisher meist ohne durchschlagenden Erfolg geblieben (Fischer 2001, S. 316). „Wir Europaer haben keine MogHchkeit, China rational zu fassen. Man muss versuchen mit dem Instinkt aufzunehmen, was passiert. Und man muss sich abgewohnen, Dinge zu interpretieren. Die Kunst ist, nur das wahrzunehmen, was existent ist. [...] Wir verstehen die Kultur nicht. Wir konnen Sinologie studieren, wir konnen fliefiend chinesisch sprechen, doch wir werden die Menschen nicht verstehen. Ich lese Bucher liber China, ich rede auch mit Chinesen dariiber, aber begreifen werde ich diese Kultur nie" (Hildemann 2000, S. 161).
3.3 Weitere Rahmenbedingungen und Konfuzianismus
23^
schieden, Gesprachs- und Informationsflussen, Zeiteinschatzungen, Qualitatsanmutung, Entscheidungswegen, Organisations- und Kontrollmanagement. Noch immer ist der Einfluss von Konfuzius spiirbar. Seine „neun klassischen Biicher" werden nach wie vor von den Chinesen gelesen und intemalisiert (Gu 1999). In vier Schliisselprinzipien werden die Lehren des Konfuzius kondensiert. 1) Die Beziehungen zwischen den Menschen sind ungleich. Dies fiihrt zu fiinf hierarchischen Grundbeziehungen (wu lun): Dem Verhaltnis von Fiihrer und Gefuhrten, Vater und Sohn, alterer Bruder und jungerer Bruder, alterer Freund und jungerer Freund, Mann und Frau, wobei die Gefuhrten ihrem Fiihrer Gehorsam schulden und dafur dessen Fursorge geniefien. 2) Die Familie ist das Vorbild fur alle groBeren sozialen Organisationen, wobei Hierarchie und Harmonie sich ausgehend von der Familie durch alle Organisationen hindurch ziehen soil. 3) Als Kardinalstugenden gelten: Pietat, Loyalitat, Zuverlassigkeit, Bescheidenheit und richtiges Tun. 4) Das Individuum muss sich bilden, hart arbeiten, geduldig Handeln und mit dem Geld sorgsam umgehen. Ftir Chinesen sind also Hierarchien und Ungleichgewichtige Machtverteilungen im Konfuzianismus begriindet, was sich dann auch im Geschaftsleben pointiert niederschlagt. Der Vorgesetzte hat Anweisungen zu geben, die bedingungslos befolgt werden. Von Emanzipation und europaischer Selbstverwirklichung kann nicht die Rede sein. Europaische Individualisierung bildet gegen diese Art von Konfuzianismus den genauen Gegenpol. Die Verhaltensquellen sind vor allem durch religiose und philosophische Traditionen aus Konfuzianismus (Weggel 1997, S. 118), Taoismus und einige andere Systeme bestimmt. Hinzukommen tradierte politische Erfahrungen und Uberzeugungen. Desgleichen tragen die chinesische Sprachstruktur und die damit verbundene eigene Logik zur Distanz von der westlichen Logozentrik bei. Gesellschaftlich liegen westliche protestantische Arbeitsethik (Ich, Konfliktbereitschafl etc.) und chinesisches Ren (Wir in der Familie, in Danwei (cf. unten 3.6) etc.) im Konflikt (Peill-Schoeller 1994, S. 187). Historische Erklarungsmuster pragen die Vorstellungen von gesellschaftlicher Harmonie, geringerer Bewertung der individuellen Rechte, von politischen Ritualen, von Personenkult und politischem Zentralismus und einer zentralisierten Staatsadministration. Historische Traumata gehoren zum kollektiven Gedachtnis der chinesischen Bevolkerung (Heilmann 2002, S. 18) und pflegen jeweilige Gegenreaktionen hervorzurufen.'^ '^ Traumatische Spuren hinterUeBen etwa die Perioden des starken Bevolkerungswachsturns im 18. und 19. Jh. sowie von 1950-1990, die zugleich von schweren Hungerepidemien gepragt waren. Die Ein-Kind-Politik ware dazu als Gegenreaktion zu lesen.
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3 Genereller chinesischer Bedingungsrahmen als Bezugsfeld der Arbeit
Von diesen historischen Grundmustem zeugen bis heute auch die Strukturen von Untemehmen. So spielen gerontokratische, hierarchische, autoritare und biirokratieorientierte Organisationsstrukturen (Perlitz 1995, S. 488 ff.) noch immer eine zentrale Rolle (was zumindest fiir jiingere Expatriates zu Komplikationen fiihren kann, die wegen des Altersunterschiedes von alteren, aber untergeordneten chinesischen Kollegen nicht akzeptiert werden). Chinesische Untemehmen sind in der Regel biirokratieorientiert. Controlling und Logistik sind hingegen oft noch recht schwach entwickelt (Chung 1995, S. 23). Die Kommunikation im Untemehmen verlauft personlich und hierarchisch. Sie wird indirekt vorgetragen, erstreckt sich uber einen langeren Zeitraum und erfordert eine angenehme Atmosphare des Austauschs (Chung 1995, S. 23). Ein chinesischer Mitarbeiter, dem Fiihmngsaufgaben iibertragen werden, hat oft mit Schwierigkeiten seitens der Gmppe zu kampfen, denn Teamarbeit widerspricht der Fuhmng durch einen aus dem Team herausgehobenen Kollegen. Auch wo es sachdienlich ware, umgeht die chinesische Seite den Konflikt zugunsten des Harmonieprinzips. Um nicht respektlos zu wirken, vermeiden chinesische Untergebene oft Rtickfi-agen bei den Vorgesetzten. Vor individueller Verantwortungsiibemahme scheut man zuruck, um bei Misslingen nicht sein Gesicht zu verlieren. Denn ein etwaiger Gesichtsverlust gilt als sehr schwerwiegend. Die mangelnde Identifikation mit der auslandischen Firma schlagt sich in Absentismus nieder. Aspekte der Umwelt dienen als Erklamng fiir missgliicktes Handeln. Zeitaufwand und zu erwerbende Freundschaften bedingen einander. Sitzungen dauem oft lange und erbringen nicht immer die erft)rderlichen Inft)rmationen. Die chinesische Seite versucht, sich bei Verhandlungen nach Moglichkeit nicht prazise festzulegen. Die Gliltigkeit von Vertragen wird in China eher als interpersonell-relativ angesehen. Beziehungsnetze zu Behorden haben Vorrang vor dem Buchstaben des Gesetzes. Renzhi (willkiirliche Vorschriften) und Fazhi (gesetzliche Vorschriften) gehen dabei eine Symbiose ein (Kristof und WuDunn 1995, S. 87).^^ Als weiteres Trauma gelten seit dem Taiping-Aufstand anno 1850 ff. schwere Ordnungszusammenbruche. Diese Traumata geben auch Explikationsmuster dafiir ab, dass politisch abweichende Gruppen bis heute rucksichtslos verfolgt werden. Das imperiale Auftreten westlicher Machte im 19. Jh. und das Herabsinken Chinas auf eine Quasikolonie fmdet heute seinen Niederschlag in Chinas multipolarer AuBenpolitik mit dem Femziel, Amerikas Weltmachtstellung zu konterkarieren. Die Modemisierungsschube ab der Revolution 1911 hatten ungeheure Opfer an Menschenleben gefordert. Vor allem Maos „Grol3er Sprung nach vom" und die Kulturrevolution sind den alteren Chinesen in grausamer Erinnerung geblieben. Rastlose Arbeit unter kapitalistischen Vorzeichen soil die Bevolkerung heute davor bewahren, in jene Zeiten ideologischer Raserei und epidemischer Hungersnote zuriickzufallen. '^ „Als die konkreten Merkmale des Begviffs fazhi werden hervorgehoben: 1) Die Leitung des Staates geschieht auf der Basis von Gesetzesnormen eines differenzierten Rechtssystems, (und nicht auf der Basis von Erlassen von Fuhrerpersonlichkeiten);
3.4 Transformation des Sozialismus zum Postsozialismus
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Hinter der offiziell propagierten chinesischen Klassenlosigkeit verbirgt sich ein tief in der chinesischen Geschichte verwurzeltes rassistisches Uberlegenheitsgefuhl gegeniiber Auslandem (Kristof und WuDunn 1995, S. 16). Chongyang meiwai (Katzbuckeln vor den Auslandem) wird deshalb verdammt (Kristof und WuDunn 1995, S. 29). Die Politik wehrt Einblicke seitens der Auslander durch neijin, waisong (nach auBen weich, nach innen hart) ab, eine Abwehr, die auch ein Erbe der schmerzlichen Erfahrungen mit dem europaischen und japanischen Imperialismus des 19. und 20. Jahrhunderts ist.
3.4 Transformation des Sozialismus zum Postsozialismus All die genannten Rahmenbedingungen wurden in den letzten zwanzig Jahren mit einbezogen in die mit der „Reform-Ara" (seit 1979) einsetzende Transformation (Merkel 1999, S. 76; Herrmann-Pillath 2001, S. 183 ff.) vom Sozialismus zum Postsozialismus (Naughton 1995). Zu den Neuerungen in der „Reform-Ara" zahlte unter anderem die Verwandlung der Ein-Parteiherrschaft mit diktatorischen Vollmachten aus der Zeit Mao Tse-tungs zu einer eher koUegialen Leitung unter Jiang Zemin. Die Diktatur der Pekinger Machtzentrale mit ihrer „militant propagierten exklusiven Ideologic mit dem Ziel der revolutionaren Umgestaltung" (Heilmann 2002, S. 63)^^ und mit einer schrankenlosen Agitierung der Massen verwandelte sich zu einem fragmentierten Autoritarismus im Gefiige eines autoritaren Systems. Staat und Gesellschaft befmden sich seither in einem komplizierten Ubergangsprozess (Schubert 2001) vom Agrar- zum Industriestaat, von der Planwirtschaft zu einer ,sozialistischen Marktwirtschaft', von der Verwaltungsabteilung in den Staatsunternehmen zur Kapitalgesellschaft (Heuser 1999, S. 48),^^ von der innenzentrierten 2) Stabilitat und Fortdauer der Gesetze, d.h. deren Kontinuitat gelten ohne Rucksicht auf Wechsel von Regierungen und Fuhrungspersonlichkeiten; 3) das Regierungshandeln erfolgt nach festgelegten Verfahren und Normen, d.h. Gesetze sind nicht nur Instrument der Herrschaft, sondem sind fur diese MaBstab und Beschrankung; 4) die Offentlichkeit der Gesetze; 5) ein hohes MaB der „Verrechtlichung", d.h. die Gesetzgebung bezieht sich auf alle wichtigen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens" (Heuser 1999, S. 163). ^^ „Eine Revolution ist ein Festmahl, kein Aufsatz schreiben, kein Bildermalen oder Deckensticken ... Die Revolution ist ein Aufstand, ein Gewaltakt, durch den eine Klasse eine andere sturzt" (Heuser 1999, S. 143). ^^ „Derzeit existieren noch etwa 300.000 Staatsuntemehmen, in denen rd. 60 % aller Beschaftigten angestellt sind. Nach verschiedenen, wenig erfolgreichen Bemiihungen, diese Untemehmen auf Marktverhaltnisse umzustellen, wurde auf dem 15. Parteitag der KP im September 1997 die Umwandlung samtlicher Staatsuntemehmen in Kapital-
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3 Genereller chinesischer Bedingungsrahmen als Bezugsfeld der Arbeit
Produktion zur weltweiten Verflechtung des Ex- und Imports und zu einer interkulturellen globalen Kommunikation (Bohn et al. 1998, S. 5). Deng Xiaopings „Vier Modemisierungen" akzentuierten die sozialistische Modemisierung der Wirtschaft mit dem Ziel, die Armut der Massen zu beheben (Goodman 1994) und den politischen Aufstieg und Machtanspruch auf eine solide Basis zu stellen. Damit einher ging eine Schwachung der marxistisch-leninistisch-maoistischen Theorie. Okonomie wurde wichtiger als Ideologie.^^ Zwar haben sich das staatliche Machtmonopol, die fehlende Gewaltenteilung, die Abhangigkeit des Sicherheitsapparates von der Staatspartei seit der maoistischen Hoch-Zeit wenig geandert. Aber die zentrale Wirtschaftsplanung hat ihre allmachtige Steuerungskraft zuriickgenommen. Das Ziel der sozialen Gleichheit unter wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aspekten gilt nicht mehr als eines der zentralen gesellschaftlichen Ziele. Das System der sozialen Sicherung befmdet sich in einem diffizilen Umbruchsprozess (Schadler 2001, S. 267 ff.), in dem die alten Arbeitsversicherungsbedingungen durch neue Regelungen ersetzt wurden, die die stadtische gegeniiber der landlichen Bevolkerung eklatant bevorzugen (Heuser 1999, S. 314 f.)^^ Wahrend eine dunne Schicht Neureicher entstangesellschaften mit Ausnahme von rd. 1000 Schliisselbetrieben beschlossen." (Heuser 1999,8.49). ^° Oder mit den Formulierungen aus der Praambel der chinesischen Verfassung von 1982: Man wolle „angeleitet durch den Marxismus-Leninismus, [durch] die Mao-Zedong-Ideen und [durch] die Theorien Deng Xiaopings (...) an der Demokratischen Diktatur des Volkes, am sozialistischen Wegen sowie an Reform und Offnung [festhalten]". Man musse „ununterbrochen die sozialistischen Institutionen vervollkommnen, die sozialistische Marktwirtschaft und die sozialistische Demokratie entwickeln, um schrittweise die Modemisierung von Industrie, Landwirtschaft, Landesverteidigung sowie Wissenschaft und Technik zu verwirklichen und China zu einem wohlhabenden, demokratischen und hochzivilisierten sozialistischen Land machen." (Heilmann 2002, S. 74). Man befmde sich allerdings noch im „Anfangsstadium des Sozialismus". Damit konnte dann okonomischen Praferenzen Raum gegeben werden. Im Ubergang von einem sozialistischen zu einem postsozialistischen System sollte die „sozialistische Marktwirtschaft" anvisiert werden (Heuser 1999, S. 71-174). ^^ Das alte, auf den Arbeitsversicherungsbestimmungen (laodong tiaoli) von 1951 beruhende System war durch einen engen Geltungsbereich und eine einsetige Untemehmensfinanzierung gekennzeichnet. Es war nur auf Staats- und grofie Kollektivunternehmen, nicht auf den Privatsektor und die Untemehmen auslandischer Direktinvestitionen anwendbar, was die Mobilitat der Arbeitskrafte, insbesondere ein Uberwechseln von Staats- in auslandisch investierte Untemehmen behinderte. AuBerhalb des Systems stand auch die bauerliche Bevolkemng. (Heuser 1999, S. 312) - „Uber 70 % der Gesamtbevolkemng sind von dem auf die Inhaber eines stadtischen (chen-zhen hukou begrenzten Versichemngssystem angeschlossen. Da die traditionelle, von den Familien und im Notfall von den dorflichen Kollektivorganisationen getragene Lebens- und Altersvorsorge durch Agrarreformen und Familienplanungspolitik geschwacht wurde die Kinderzahl ist gesunken, 75 % der alten Bevolkemng lebt auf dem Land, da viele
3.4 Transformation des Sozialismus zum Postsozialismus
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den ist und sich allmahlich auch eine neue Mittelschicht herausbildete, wurden vor allem in der nordchinesischen Schwerindustrie Millionen von Arbeitem und Angestellten schon im Alter von 40-50 Jahren mit einer geringen Rente entlassen: „Etwa 22 Millionen Stadter erhalten bereits Sozialhilfe der Regierung (...) Sozialwissenschaftler schatzen die Zahl der stadtischen Armen auf dreifiig Millionen" (Kolonko 2003b, S. 12). Die Aushohlung der ideologischen LFberzeugungen der Funktionare durch das zunehmende Ubergewicht okonomischer Gesichtspunkte fuhrte einerseits zu einer Wirtschaftsordnung mit staatswirtschaftlichen Bestandteilen und andererseits mit wildwiichsigen, staatlich kaum „oder uneinheitlich regulierten privatwirtschaftlichen Elementen" (Heilmann 2002, S. 37). Mit dieser Transformation verbunden ist der Aufstieg einer neuen technokratisch gebildeten Elite (Lee 1991; Heuser 1999, S. 53), die durch Spezialisten auf juristischem, wirtschaftswissenschaftlichem und fmanzwissenschaftlichen Gebiet erganzt wurde. Insgesamt brachte dieser Transformationsprozess einen spezifischen Kaderkapitalismus hervor. Die Parteikader mutierten zu Kaderkapitalisten. Sie Ziehen aus ihrer politischen Macht okonomische Potenz. Die Korruption ist dadurch fur die Kommunistische Partei Chinas zu einem Grundproblem geworden (Lii 2000).^^ Dank dem engen Biindnis von staatlichen Eliten und Wirtschaftseliten wurde aus Staatsbesitz zunehmend Privatbesitz, aus politischer Macht zunehmend okonomische Macht. Besonders auch der Zoll ist eine der Schaltstellen, an denen sich massive Korruption manifestiert. Bestechungen und Dokumentenfalschungen gehen hier Hand in Hand und ermoglichen Schmuggel in groBem Umfang (Heilmann et al. 2004).^^ Unstrittig gilt, dass, wer Geschafte in China machen Junge in die Stadte ,wandem' -, bereitet der Staatsrat seit 1991 fur die Dorfbevolkerung ein im Wesentlichen nach dem Kapitaldeckungsverfahren strukturiertes Alterssicherungssystem auf freiwilliger Basis vor, das bisher in iiber tausend Landkreisen eingefuhrt wurde." (Heuser 1999, S. 315). Im Jahr 2000 wurden 45.000 Korruptionsfalle untersucht. Dabei wurden auch Todesstrafen verhangt (Ritter 2001). Die Korruptionsbekampfting wird dadurch unterlaufen, dass „die Tiefenstrukturen der chinesischen Reformpolitik aus einem Geflecht von Tauschbeziehungen, Begtinstigungen und Manipulationen [bestehen], in dem politische Akteure die fuhrende Rolle spielen" (Heilmann et al. 2004, S. 182). Die Einflussnahme der Parteifunktionare und der staatlichen Administration erstreckt sich auf Vertragsabschltisse ebenso wie auf die Hohe von Steuerzahlungen und reicht bis zur Festlegung der Produktion. Die Fachwelt unterscheidet verschiedene Varianten der politischen Korruption, namlich die konfiskatorische Korruption, durch die offentliche und private Finanzen und Vermogenswerte abgezweigt werden. Femer die sog. Dividendeneintreibung, wobei die Politiker von den Untemehmen fur administrative Leistungen Gegenleistungen erwarten. Und schlieBlich die organisierte Kriminalitat, bei der es sowohl um konfiskatorische Korruption wie auch um Dividendeneintreibung geht, wobei sich Politik und Kriminalitat durchdringen.
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3 Genereller chinesischer Bedingungsrahmen als Bezugsfeld der Arbeit
will, nicht durch objektive Leistungen allein zum Erfolg kommen kann. Er muss vielmehr politische, gesellschaftliche und personliche Beziehungen kniipfen, um dadurch biirokratische Htirden aller Art zu iiberwinden. Solche „T(iroffnungen" sind mit der Offnung „tiefer Taschen" verbunden, aus denen verdeckte Zuwendungen flieBen.^"^
3.5 Investitionen und Investoren Im Laufe der Reform-Ara hat China damit begonnen, sich auch gesellschaftsrechtlich fiir Investoren zu offnen (Bittmann 2002).^^ Bis vor kurzem hatten die Investoren die Pflicht, gemaB der geltenden planwirtschaftlichen Ordnung ihre Produktionsplane und Betriebsplane zu prasentieren. Die Investoren waren gezwungen, die von ihnen benotigten Rohstoffe und sonstigen Giiter nach Moglichkeit in China selbst zu erstehen. Auch waren sie verpflichtet, in ihrer Devisenbilanz Einnahmen mit Ausgaben auszugleichen. Fiir „Wholly Foreign Owned Enterprises" hatte bis vor kurzem noch die Regel gegolten, 50 % ihrer jahrlichen Produktion exportieren zu mtissen. Erst seit kurzem gilt nun fur die Zulassung dieser Untemehmen die Regel, dass ihre Tatigkeit „der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas zugute kommen muss". Seit neuestem kann auch das Stammkapital der „Foreign Investment Enterprises" niedriger angesetzt werden als bisher. Die Sacheinlagen mtissen nicht mehr in China produziert worden sein. Obwohl der „Foreign Investment Industrial Guidance Catalogue" noch immer „In China mussen Sie schmieren", wie es ein deutscher Untemehmer in Peking drastisch formulierte. „Mit einem korruptionsfreien Geschaftsstil kann man sich in China nicht durchsetzen". In der Korruptionsskala der Lander der ganzen Welt nimmt China nach Einschatzung der unabhangigen Organisation Transparency International deshalb den 57. Platz ein: „Dort sind Partei und Staat in einer Weise korrupt, dass Korrumpierer bei uns im Lande nur davon traumen konnen" (Wickert 2002). Wer als Auslander Geschafte machen will, mietet deshalb einen Agenten, dem eine bestimmte ,Tur6ffnungssumme' ausgehandigt wird. Diese wird an die Beamten und Parteifunktionare weitergeleitet, die uber das Wohl und Wehe eines Antrags auf Erteilung einer Konzession zu entscheiden haben. Ohne solche ,Gefalligkeiten' wird der Antragsteller lange Zeit vergebens auf die Konzession warten. Die Konzessionserteilung wird auch dann beschleunigt, wenn es eine auslandische Firma ubemimmt, die Kinder hoher Funktionare im Ausland kostenlos studieren zu lassen. So durften sich (nach Schatzungen der Investmentbank Morgan Stanley Dean Witter) die Korruptionssummen ungefahr auf 3% des chinesischen Bruttoinlandsproduktes belaufen. Fiir das Jahr 2004 konnte China einen Rekordzufluss an auslandischen Investitionsgeldem vermelden, namlich 60,6 Mrd. Dollar, indes die USA nur 53,5 Mrd. Dollar an auslandischen Direktinvestitionen zu verzeichnen hatte. Insgesamt, so verlautet aus dem Handelsministerium in Peking, sind bisher rund 560 Mrd Dollar nach China geflossen. Die insgesamt zugesagten Investitionsgelder belaufen sich auf 1,1 Billionen Dollar.
3.5 Investitionen und Investoren
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zahlreiche Investitionsverbote enthalt, so ist doch abzusehen, dass es in den nachsten Jahren fiir die Investoren sehr viel leichter als bisher sein wird, sich den chinesischen Markt zu erschlieBen. Allerdings sind noch lange nicht alle Behinderungen ausgeraumt, zumal die juridische Seite trotz zahlreicher Veranderungen (Heuser 1999) keineswegs den modemen Erfordemissen geniigt.^^ Der chinesische Staat und die chinesische Gesellschaft scheuen nicht davor zuruck, die Auslander durch horrende Mieten und tiberhohte Steuerabgaben zur Ader zu lassen. Rasche Gewinne sind nach Meinung mancher Beobachter vor Ort auch deshalb nicht zu erzielen, weil die durchschnittliche Kaufkraft des chinesischen Konsumenten, wie erwahnt, jahrHch nur etwa bei 900-1.000 € liegt. Die chinesische Administration verstehe es virtuos, das auslandische Eindringen in den chinesischen Markt durch komplizierte administrative Vorschriften zu verlangsamen. Die Skeptiker unter den Analytikem verweisen weiter auf die Komplikationen in Hinblick auf die Infrastruktur, die geringe Beweglichkeit von Staatsuntemehmen und die Verschleierung von Marktdaten. Die Rechtsgrundlagen seien schwer zu durchdringen, zumal sich zwischen geschriebenem und gelebtem Recht bisweilen eine grofie Kluft auftue. Auch unterscheide sich die chinesische Jorg-M. Rudolph, der Delegierte der deutschen Wirtschaft in Peking (th 2001, S. 14), prophezeite vielen der Mittelstandler, die jetzt hofften, auf dem vermeintlichen Riesenmarkt rasche Geschafte zu machen oder in diesem Land mit seinen niedrigen Lohnen sofort die Produktion aufhehmen zu konnen, „eine schlimme Bauchlandung". Bis zur Gewinnschwelle mussten langere Durststrecken iiberwunden werden, was oft nur der GroBindustrie moglich sei. Besonders negativ schlage die mangelhafte Rechtssicherheit zu Buche. Die Mittelstandler konnten sich, anders als die GroBfirmen, nicht gegen lokale Erpressungen zur Wehr setzen^^. Hinzu komme eine schamlose Produktpiraterie, gegen die sich selbst Weltfirmen kaum absichem konnten. Solche Misshandlungen auslandischer Firmen seien umso unverstandlicher, als China einen betrachtlichen Teil seines wirtschaftlichen Aufschwungs den auslandischen Investitionen zu verdanken habe. Von den real rund 7 % jahrlichen Wachstums, so Rudolph, gingen nicht weniger als 2,7 % auf die Gesamtinvestitionen von ca. 450 Mrd. Dollar zuruck. Obwohl in China nur sehr wenige Auslander wohnen, namlich nur 0,02 % der Bevolkerung, erbrachten diese Auslander nicht weniger als 20 % der Steuereinnahmen. Die Ausbildung chinesischer Mitarbeiter stelle eine zusatzliche finanzielle Leistung dar. Hinzu kamen Schulungen, die auf Kosten von Entwicklungshilfe durchgefuhrt wurden. Unterstutzung werde seitens der Investoren bzw. der Entwicklungshilfe auch durch zinsgunstige Kredite und vom Ausland garantierte Kredite geleistet. Dass sich westliche Firmen in kaum einem Sektor wesentliche Marktanteile eroberten, spiegele sich auch darin, dass die deutsche Ausfuhr am chinesischen Gesamtimport kaum mehr als 4-5 % betrage. Nur eine wirkliche Offnung des chinesischen Marktes konne hier zu tiefgreifenden Anderungen fuhren (Kolonko 2001, S. 17). Deshalb fehlt es nicht an Stimmen, die die hochgestimmte Euphoric iiber die Chancen von Investoren in China zu dampfen suchen. Vor allem die Mittelstandler, die in China investieren woUen, miissen sich unter Umstanden auf schwere Enttauschungen einstellen.
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3 Genereller chinesischer Bedingungsrahmen als Bezugsfeld der Arbeit
Bedurfnisstruktur wesentlich von der europaischen. In der chinesischen Bediirfnispyramide gelte als oberstes Ziel die Statusbestatigung. Dann folge das Bediirfhis nach Anerkennung in der Gruppe, nach Harmonie, nach sozialer Einordnung und nach Sicherheit der physischen Grundbedurfhisse. Auch werde von den Westlem der Grad der Verwestlichung der chinesischen Gesellschaft bei weitem iiberschatzt. Selbst, wenn sich in den zunehmend prosperierenden chinesischen GroBstadten eine gewisse verwestlichende Anderung der Werte und Normen abzeichne, so spreche doch alles dafiir, dass diese Verwestlichung „nicht den Kern der Personlichkeit" erfasse (Reisach et al. 1997, S. 290), weil „im allgemeinen die Kulturstandards in China noch sehr stark in der Tradition verankert sind" (Hamisch 1996, S. 145). Die erfolgreiche Fuhrung chinesischer Mitarbeiter erfordere deshalb nach wie vor die Berucksichtigung des chinesischen Senioritatsprinzips, der sozialen Beziehungen und der Herkunft der Einbettung der chinesischen Mitarbeiter in eine High-context-Gesellschaft sowie der kollektivistischen Gruppenzugehorigkeit und der Erwartungen an einen patemalistischen Fuhrungsstil. Zu beachten sei femer das Bediirfhis nach komplexer Gruppenabstimmung, nach auBertariflichen Sach- und Nebenleistungen und Versorgung mit Wohnraum, die zeitaufwendige Verhandlungstechnik mit chinesischen Verhandlungspartnem (Usunier und Walliser 1993, S. 259; Reisch und Zang 1995, S. 95f.; Zhang 1997, S. 88 ff.; Thomas 1997, S. 117) und die in chinesischen Augen relative Unverbindlichkeit von Vertragen. Dies alles mache den Markteintritt kompliziert und risikoreich.
3.6 Administration, Gesundheitssystem, Banken Als auBerst reformbediirftig gilt der tiberbesetzte administrative Sektor. Die Administration bzw. die Staatsbediensteten einschlieBlich der Dienstleister in Krankenhausem, Schulen und sonstigen offentlichen Einrichtungen erreichen in China eine hohe Dichte. Auf rund 30 Personen kommt ein Staatsbediensteter. Uber ganz China hat sich ein Geflecht aus Behorden gelegt, das trotz wiederholter Anlaufe seitens der chinesischen Regierung nicht reduziert werden konnte. Im Jahr 2000 umfasste das gesamte Staatspersonal 41 Mio. Bedienstete (Heilmann 2002, S. 114 f.). Durch wiederholte Besoldungserhohungen wurde versucht, die Korruptionsneigung zu reduzieren, wenn auch ohne groBen Erfolg. Die Wirtschaftsburokratie war auf das Aufkommen der Privatwirtschaft nicht eingerichtet, worunter z.B. dann die Besteuerung der Privatbetriebe bis heute leidet, die ihre Steuem bis an ein Dutzend Behorden entrichten miissen (Heilmann 2002, S. 118). Ahnlich reformbediirftig ist Chinas Gesundheitssystem. Wer heute in China in ein Krankenhaus als Patient aufgenommen werden will, muss in der Regel mindestens 2000 Yuan (250 € Kostenvorschuss) hinterlegen. In Peking muss der Erkrankte, der in ein Krankenhaus aufgenommen werden will, sogar 10.000 Yuan
3.6 Administration, Gesundheitssystem, Banken
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(1.250 €) vorstrecken, um iiberhaupt Patient sein zu diirfen, und dies ungeachtet der Tatsache, dass der Monatslohn fiir die meisten Chinesen bei etwa 1.000 Yuan liegt. Grund fur die finanziellen Forderungen der Krankenhauser ist die vollige Unterfinanzierung und Unterentwicklung des gesamten chinesischen Gesundheitssystems. Seitens der Zentralregierung wurde bisher kaum in das offentliche Gesundheitssystem investiert. Im alten sozialistischen System hatte es eine kostenlose Einheitsversorgung gegeben. Fur den erkrankten Arbeitnehmer war damals der Betrieb bzw. die Behorde, d.h. die „Arbeitseinheit" (danwei) (Heuser 1999, S. 49 f.) eingestanden. Danwei sind Arbeitseinheiten, die schon vor 2.500 Jahren in AuBenprovinzen entwickelt wurden. Mehrere Familien schlossen sich zusammen, um selbstverwaltet und selbstgefuhrt zu arbeiten. Dieses Prinzip wurde dann wirtschaftlich und sozial in ganz China angewandt und vor allem dann auch wahrend der Mao-Zeit ausgebildet. GroBe Untemehmen verfugen ebenso iiber einen Danwei, das ein Wohngebiet ausweist in dem die Untemehmensangehorigen wohnen. Auch Universitaten verfug(t)en iiber Danwei, also ein spezifisches Wohngebiet mit medizinischen Einrichtungen, Freizeitangeboten, Heiratsgenehmigungen und einer niedrigen Jurisdiktion und einer insgesamt durchorganisierten Hierarchie. Nun aber, im Zeichen der Marktwirtschaft, beginnen auch diese Danweis ihre Bindungskraft zu verlieren. Nun soil z.B. die medizinische Versorgung aus Danwei ausgegliedert werden. Auch „Arzte und Kliniken sollen nach Profit streben" (Kolonko 2003d, S. 1). Von der chinesischen Bevolkerung sind bisher erst 15 % krankenversichert, und dies nur auf einem sehr niedrigen Niveau, so dass die Kranken weitgehend fur sich selber aufkommen miissen.^^ Ein weiteres Sorgenkind stellen die Banken dar (Weidel 2004, S. 251). Das mit rund 600 Mrd. Dollar iiberschuldete Bankensystem steht erst am Anfang dringender Reformen und wird den chinesischen Steuerzahler noch ungeheure Summen kosten: „Die Situation der Banken in China ist die groBte Gefahr fiir das Land" (Hein 2003, S. 13).
Wahrend es in den groBen Ballungszentren vorztigHche Krankenhauser mit sehr gut ausgebildeten Arzten und Krankenschwestem gibt, sinkt die Quahtat mit zunehmender Entfemung von diesen Zentren ab. Die Kreiskrankenhauser sind nur noch diirflig bestuckt, und die Dorfer weisen bestenfalls einen Sanitater und eine Notapotheke aus. Fur die Bauem mit ihren niedrigen Einkommen von monatlich ca. 25-30 € ist es unmogHch, sich arztHch betreuen zu lassen: „70 % der Bevolkerung konnen nur 30 % aller medizinischen Ressourcen Chinas nutzen" (Kolonko 2003c, S. 2), zumal es die „Barfu6arzte", die unter Mao eine kostenlose Grundversorgung sicherstellten, heutzutage nicht mehr gibt. China gibt derzeit nur zwischen 5-6 % seines BSP fur das Gesundheitssystem aus. Das Projekt, wonach der Staat fiir den einzelnen Bauem 10 Yuan an einen Krankheitsfonds uberweist, steht noch ganz am Anfang. Insofem ist das modeme China in der Versorgung seiner Bevolkerung noch weitgehend als Entwicklungsland einzustufen.
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3 Genereller chinesischer Bedingungsrahmen als Bezugsfeld der Arbeit
3.7 Justiz, Polizei, Repressionen Auch in diesem Sektor hinkt China westlichem Standard weit hinterher. Gegen die Willktir von Justiz und Polizei gibt es keinen wirksamen Schutz. Die Abwehrrechte des Individuums gegen die Staatsorgane sind nicht garantiert. In der VRC dienten die Gerichte ab origine dazu, die Herrschaft der KPC und die offentliche Ordnung repressiv zu sichem. Dennoch musste in den letzten 20 Jahren die chinesische Regierung ein groBes Interesse daran haben, das Gerichtswesen zu modemisieren, um den auslandischen Investoren ein MindestmaB an Rechtssicherheit zu gewahren. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die politische Lenkung der Gerichte, der Staatsanwaltschaft und der Polizei aufgehoben ware. Diese Organe bleiben nach wie vor der Kommission flir Politik und Recht unterworfen. Parteikomitees fuhren und beaufsichtigen die Polizeiorgane. Die Polizeiarbeit ist gekennzeichnet durch ungesetzliche Verhaftungen, Folterungen und Bestechlichkeit (Heilmann 2002, S. 140 ff.). KP-Funktionare beeinflussen solche Gerichtsentscheidungen, die sowohl politische als auch wirtschaftliche Belange betreffen. In wichtigen Verfahren legt ein Rechtsprechungsausschuss in Riickkoppelung zu Partei und Regierungen den Gang des Verfahrens fest (Heuser 1999). Die juristische Schulung der Richter ist nicht selten rudimentar.^^ Nur ein geringer Teil von ihnen besitzt eine akademische Ausbildung. Die Korruptionsanfalligkeit der schlecht bezahlten Richter ist notorisch. Prozesse, die Belange lokaler Untemehmen betreffen, werden durch lokale Behorden im Interesse der Untemehmer gelenkt. Die Staatsanwalte (Heuser 1999, S. 249) sind der Polizei gegenuber meistens nachgeordnet. Die Ausbildung der Rechtsanwalte hat sich in den letzten Jahren zwar wesentlich verbessert, aber dennoch verfiigt erst die Halfte der Anwalte iiber einen formalen Abschluss. Die Stellung der Anwalte ist ungesichert. Denn sie miissen bei Konflikten mit Behorden mit „schweren Repressalien bis hin zu schweren Haftstrafen" (Heilmann 2002, S. 146) rechnen. Der chinesische StrafvoUzug ist gepragt durch „willkurliche Verhaftungen, gewaltsame Verhore, mangelnde Verteidigungsmoglichkeiten, unberechenbare Verfahren, politisch beeinflusste Urteile und eine exzessive Anwendung der So hatte Deng Xiaoping im Januar 1980 in seinem Bericht uber die gegenwartige Situation und Aufgabe festgestellt, dass ein Justizpersonal von wenigstens einer Millionen Personen (einschliefilich Rechtsanwalten) rekrutiert werden musse. In Grundund Mittelstufengerichten besteht die Richterschaft auch heute noch zu 90 bis 100 % aus demobilisierten Militars. Selbst Richter in Oberstufengerichten haben nicht selten einen solchen Hintergrund. Dies reflektiert die Nachwirkung der Vorstellung von Recht (wie des Militars) als eines „Instruments der Diktatur", was auch die an Polizei und Militar erinnemde Uniformierung des Gerichtspersonals zum Ausdruck bringt. Viele Vorsitzende Richter sind nicht in der Lage, Prozessverfahren gemaB gesetzlichen Verfahrensordnungen durchzufuhren, Gerichtsschreiber sind unfahig, bei der Verhandlung Protokoll zu fuhren. Haufig miissen daftir Grundschullehrer eingesetzt werden (Heuser 1999, S. 246 ff.).
3.7 Justiz, Polizei, Repressionen
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Todesstrafe" (Amnesty International Report 2001, S. 69-73; Heilmann 2002, S. 146). Die Polizei ihrerseits kann ohne Gerichtsverfahren Haftstrafen von mehreren Jahren verhangen, um die Inhaftierten durch Arbeit „bessem".^^ Im westlichen Sinne ist China also kein Rechtsstaat, weil die Rechtsprechung politisiert ist und insgesamt zur politischen Kontrolle der Bevolkerung dient. Die politische Kontrolle der Partei uber die Bevolkerung funktioniert in abgeschwachter Form noch immer mittels der „Danwei", der „Basiseinheiten", durch die die Untemehmen, Behorden, Schulen und StraBenviertel tiberwacht werden. Zugleich dienen die „Danwei" der Wohnungsversorgung, Krankenversicherung, der Eheberatung, der Familienplanung und der WohnsitzkontroUe, wodurch die landliche Bevolkerung an ihren Wohnorten festgehalten wird. Die Wanderarbeiter dtirfen ihren Wohnsitz nicht dauerhaft in der Stadt nehmen, um die Ausbreitung von Slums und sozialen Unruhen zu unterbinden. Die sozialen Kontrollen sind gelockert, aber nicht aufgehoben. Dies zeigt sich u.a. an der Geburtenkontrolle und an der Ein-Kind-Politik (Scharping 2002), die bisweilen durch „strengste Sanktionen bis hin zu Zwangssterilisationen und Zwangsabtreibungen (auch im Spatstadium der Schwangerschaft verhangt)" (Heilmann 2002, S. 193) durchgesetzt wird. ^^
„Fallt schon die Moglichkeit zur Verlangerung einer Polizeihaft von einem bis 15 Tagen ( § 6 Sicherheitsverwaltungsstrafgesetz) ohne richterlichen Beschluss aus dem Rahmen eines rechtsstaatlich vertretbaren Sanktionssystems heraus, so wird dieser Rahmen durch das seit den fiinfziger Jahren praktizierte System der „Umerziehung durch Arbeit" (laodong jiaoyang) - „a form of tyranny that is hard to parallel in dynastik law" - gesprengt. GemaB Bestimmungen von 1957 und 1979 konnen die bei den Regierungen der Provinzen und groBeren Stadten angesiedelten „Verwaltungsausschusse fur Umerziehung durch Arbeit" (bestehend aus Vertretem der Polizeibehorde, nominell auch der Zivil- und Arbeitsverwaltungen) auf Antrag einer Polizeibehorde, einer Wohn- und Arbeitseinheit {danwei) oder eines Familienoberhauptes (Jiangzhang) Personen, „die keiner geregelten Arbeit nachgehen, sich herumtreiben, stehlen oder betrugen, ohne dass ein strafrechtlich zu verfolgender Sachverhalt vorliegt...", des weiteren Personen, „die konterrevolutionare Handlungen geringeren Umfangs begehen, so dass sie nicht strafrechtlich zu verfolgen sind, und die von ihrer Einheit (Behorde, Untemehmen, Schule etc.) relegiert wurden und keine Existenzmoglichkeit haben", fiir ein bis drei Jahre in ein Arbeitslager einweisen (Heuser 1999, S. 338). Oder im offiziellen Text: „Die Geburtenplanung ist eine grundlegende politische Leitlinie unseres Landes und eine langfristige strategische Aufgabe der sozialistischen Sache; sie steht in direkter Beziehung zur Entwicklung der Volkswirtschaft, zur Beschleunigung des Modemisierungsprozesses und zum Wohlergehen und Gedeihen der gesamten Nation". (Scharping und Heuser 1995, S. 204).
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3 Genereller chinesischer Bedingungsrahmen als Bezugsfeld der Arbeit
3.8 Kriminalitat Sieht man von Straftaten im Gefolge von Politkkampagnen ab („Gro6er Sprung", „Kulturrevolution"), so gehorte China bis in die mittleren achtziger Jahre hinein zu den Staaten mit verhaltnismaBig geringer Kriminalitat, ein BefUnd, der sich seither deutlich verschlechtert hat. Die Gewalt-, Drogen-, und Wirtschaftskriminalitat ist sprunghaft angewachsen. Korruption, Unterschlagung, Schmuggel, Steuerhinterziehung, Fakes (McKinsey 2004, S. 58), Falschgeldkriminalitat, Prostitution, Bandenkriminalitat und Umweltsunden sind zu Hauptfeldem krimineller Energie geworden (Heuser 1999, S. 55). Als Grund fur die Entwicklung werden die klaffende Einkommensschere, die Arbeitslosigkeit, der Verlust traditioneller moralischer Werte, der Zerfall der Sozialkontrolle durch die Nachbarschaft und die „Anbetung des Geldes" angegeben (Kang 1986, S. 55). Summa summarum wird die erhohte Kriminalitat der Ersetzung der Planwirtschaft durch die Marktwirtschaft und der Ablosung der passiven durch eine „partiell selbstbestimmte" Gesellschaft im Rahmen eines ansatzweise „partizipatorischen Staates" (Heuser 1999, S. 55) angelastet.
3.9 Menschenrechte und Religionsfreiheit Die Volksrepublik China hatte in der Vergangenheit und hat bis in die Gegenwart hinein in der westlichen Offentlichkeit das Image, ein Land zu sein, in dem die Menschenrechte wenig beachtet und die Religionsfreiheit standig verletzt werden.^^ Politische Dissidenten erfahren immer wieder, dass die kommunistische Partei Chinas ihr in der Verfassung verankertes Monopol auf die politische und ideologische Fiihrung mit niemandem teilen will, weder z.B. mit dem ,verderblichen Kult' der Falun-gong-Bewegung noch mit den Christen der verschiedenen Konfessionen.^^
Im Gegensatz zum chinesischen Gulag der Mao-Zeit (Domenach 1995; Seymour und Anderson 1998) hat sich die Zahl der politischen Gefangenen ganz wesentlich verringert. Fur die endneunziger Jahre wurde mit etwa 20.000 politischen Haftlingen gerechnet (Seymour und Anderson 1998). Allerdings waren auch „Administrativstrafen" zu benicksichtigen, d.h. Verhaftungen ohne Gerichtsverfahren, Zwangseinweisungen in die Psychiatric, Zwangsarbeit in Fabriken zur „Besserung" der Delinquenten. Deren Zahl hat sich in den letzten Jahren ganz wesentlich durch die Anhanger der FalungongBewegung wieder erhoht (Heilmann 2002, S. 196), wie denn alle Vereinigungen mit eigenen politischen bzw. religiosen Zielen und oder mit Verbindungen zum Ausland vom chinesischen Geheimdienst unterdruckt werden (Ding 2000; Kolonko 2003a, S.5). Christen in der VR China, die sich weigem, ihren Glauben nur in den staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften unter staatlicher Kontrolle zu leben, also vor allem auch die romtreuen Katholiken der Untergrundkirche, werden regelmaBig verfolgt.
3.9 Menschenrechte und Religionsfreiheit
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Ihrerseits behauptet die chinesische Regierung, dass in der VRC die Menschenrechte „im Rahmen der chinesischen Verfassung und der Gesetzgebung" respektiert werden (Evers et al. 2002, S. 8), wobei allerdings betont wird, „dass in der chinesischen Tradition vor den Rechten des Individuums die Verpflichtungen des Einzelnen gegeniiber der Gemeinschaift stehen. Der Einzelne wird erst zur Person durch seinen Platz innerhalb der Gemeinschaft. Bevor er als Einzelner Rechte in Anspruch nehmen kann, hat er zuerst seinen Verpflichtungen innerhalb der Familie, der Gruppe und der Gesellschaft im Ganzen nachzukommen. Kommt es zu Konflikten, hat der Einzelne sein Recht und seinen Anspruch zuruckzustellen".^^ China negiert also die naturrechtliche bzw. die transzendent verankerte Autonomic des Individuums. Menschenrechte sind in chinesischen Augen interdependent mit dem Gang des sozialen und wirtschaftlichen Fortschritts bzw. deren Bedrohung.^^ Ihre Kirchen und Gebetstatten werden geschlossen oder zerstort, ihre Priester und Pastoren verhaftet" (Evers et al. 2002, S. 8). China versteht unter Religionsfreiheit etwas anderes als der Westen. Art. 36 der Verfassung von 1982 der VRC lautet: „Die Burger der VR China geniefien die Glaubensfreiheit. Kein Staatsorgan, keine gesellschaftliche Organisation und keine Einzelperson darf Burger dazu zwingen, sich zu einer Religion zu bekennen oder nicht zu bekenne, noch durfen sie jene Burger benachteiligen, die sich zu einer Religion bekennen oder nicht zu bekennen. Der Staat schutzt die normalen religiosen Tatigkeiten. Niemand darf eine Religion dazu benutzen, Aktivitaten durchzufuhren, die offentliche Ordnung storen, die korperliche Gesundheit von Burgem schadigen oder das Erziehungssystem des Staates beeintrachtigen. Der religiosen Organisation und Angelegenheiten diirfen von keiner auslandischen Kraft beherrscht werden." (Heuser 1999, S. 282). Da sich der Staat vorbehalt, zu definieren, was „die offentliche Ordnung storende Aktivitaten" sind, firmiert die Christenverfolgung, die seit 1949 verschiedenartige Formen und Grade der Repression durchlaufen hat, als „Einschreiten gegen kriminelle Elemente" (Evers et al. 2002). ^^ (Paul 1997, S. 4-17) - (Puhl 1996, S. 367-414) - „Im 2. Kapitel der Verfassung wird die Gleichheit vor dem Gesetz ebenso konstatiert wie die Rede-, Publikations-, Versammlungs-, Vereinigungs-, Demonstrations-, und Glaubensfreiheit, der Schutz vor willkiirlicher Verhaftung {habeas corpus) ebenso wie die Unverletzlichkeit der Wohnung, die Freiheit der Korrespondenz, der wissenschaftlichen Forschung und einer Reihe justizieller, sozialer und kultureller Rechte. Art. 51 weist die Schranken auf: „Die BUrger durfen bei der Ausiibung ihrer Freiheiten und Rechte nicht die Interessen des Staates (und) der Gesellschaft ... verletzen." (Heuser 1999, S. 280). - (Kolonko 2004a; Kolonko 2004d) ^^ „Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte seien genauso hoch anzusiedeln wie die btirgerlichen und politischen Rechte des Individuums. Nur der Staat konne die materiellen Voraussetzungen fur die Verwirklichung der Menschenrechte schaffen. Die Menschenrechtsfrage durfe femer nicht als Instrument zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates missbraucht werden." (Evers et al. 2002, S. 9).
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3 Genereller chinesischer Bedingungsrahmen als Bezugsfeld der Arbeit
Aus planwirtschaftlicher Tradition unterliegt die chinesische Bevolkerung weiterhin strengen staatlichen KontroUen. Jeder Chinese wird uber hukou (Aufenthaltsgenehmigung), uber dangan (allgemeine Personalakte), tiber gongzuo dangan (Arbeitsakte) und liber danwei (Arbeitseinheit) iiberwacht und ,gesteuert' (Kristof und WuDunn 1994, S. 32 f.). Nach wie vor steht die chinesische Gesellschaft unter dem Druck, fur Konflikte mit dem Staat hohe Strafen zu riskieren (Kristof und WuDunn 1994, S. 75). Das fuhrt zu geringerer Neigung, Eigenverantwortung zu tragen. Gleichzeitig wird aber nachlassende KontroUe fur Schwache gehalten. Im Gegensatz zum chinesischen Gulag der Mao-Zeit (Domenach 1995; Seymour und Anderson 1998), hat sich die Zahl der politischen Gefangenen ganz wesentlich verringert. Ftir die endneunziger Jahre wurde mit etwa 20.000 politischen Haftlingen gerechnet (Seymour und Anderson 1998). Die heutigen Zahlen diirften hoher liegen.
3.10 Tibet, Taiwan, Militaria Flachendeckend arbeitet der Repressionsapparat auch in jenen geografischen Gebieten, in denen es religios-politisch motivierten Widerstand gegen die Sinisierungspolitik der Zentralregierung gibt, so etwa in Tibet, das von der chinesischen Regierung als eine authentische chinesische Provinz angesehen wird, weil Tibet seit dem 13. Jh. zur Yuan-Dynastie gehort hatte.^^ Volkerrechtlich bildet die Tibetfrage eine delikate Angelegenheit, die inzwischen eher einer volligen Sinisierung als einer Kompromisslosung zuneigt.^^
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Die Menschenrechte waren in der VRC somit stets dem „sozialistischen Aufbau" nachgeordnet, und dies auch dann, als ab 1979 dem „Klassenkampf' nicht mehr oberste Prioritat zukam. In der Verfassung von 1982 bheben die genannten burgerlichen Rechte den „Interessen des Staates, der Gesellschaft und des Kollektivs" (Heilmann 2002, S. 195) unterworfen, eine Position, die durchaus Uberlieferten Positionen hinsichtlich der nicht absoluten Rechte des Einzelnen entsprach und sich in der Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Tienanmen-Platz (4.6.1989) manifestierte (Liang etal. 2001). Die VRC rechtfertigt die Besetzung Tibets mit dem Stichwort der Befreiung der Bevolkerung aus Feudalismus und Leibeigenschaft, indes sich der latente Widerstand der tibetischen Bevolkerung gegen die Sinisierung im exilierten Dalai Lama personifiziert (Bamett 1994; Hoppe 1997; Heilmann 2002, S. 227 ff.). „Eine Kompromissformel, die Verhandlungsmoglichkeiten mit Bejing nicht verschutten wurde, konnte darin bestehen, dass Tibet, d.h. das „politische Tibet" mit einem in Lhasa (nicht in Bejing) residierenden Dalai Lama, die „nominelle Suzeranitat" Chinas, d.h. die Zugehorigkeit zum chinesischen Territorium anerkennt, sich aller politischen Souveranitatsanspruche auf die anderen Telle des tibetischen Siedlungsraumes enthalt und die politische und religiose Autonomic und Selbstbestimmung zuruckerhielte, wie es sie bis zur chinesischen Invasion von 1950-51 genoss" (Hoppe 1997, S. 40).
3.11 Okologische Defizite
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Der Konflikt um Taiwan (Weggel 2001, S. 405 ff.) ist ein weiterer neuralgischer Punkt in der chinesischen Politik (Gu 1997, S. 11). Die VRC verlangt die kompromisslose Wiedervereinigung mit dem „abtrunnigen" Taiwan. Dieser Wiedervereinigung dient die „Ein-China-Politik", die sich als Option auch militarische Gewalt offen halt. Taipeh hingegen sieht sich als „Republik China", inzwischen nicht mehr auf dem Alleinvertretungsanspruch ftir das gesamte China beharrt. Heute verlangt Taipeh eine Wiedervereinigung „im Rahmen eines demokratischen, freien und wohlhabenden Chinas" (Heilmann 2002S. 259). Obwohl es Peking gelungen ist, Taipeh international zu isolieren, bildet Taiwan dennoch „ein de facto unabhangiges Regime mit den Attributen eines demokratischen Staates" (Heilmann 2002S. 259), zu dem die USA und andere westliche Machte, darunter auch Deutschland, informelle diplomatische Beziehungen unterhalten. Peking hingegen lehnt konfbderative Losungen des Konfliktes ab und bietet stattdessen die Formel an: „Ein China, zwei Systeme". Trotz der gegenwartig diplomatisch einigermaBen ruhigen Lagen bleibt die Taiwanfrage ein gefahrlicher Ztinder fiir die Beziehungen zwischen der VRC und den USA wie auch fflr den Weltfrieden (Mccormick 2000, S. 329 ff.; Shaozhi und Sullivan 2000, S. 284 ff.) und also auch fur das Handelsgluck der westlichen Investitionen in China. Auf Dauer jedenfalls sind die politischen Risiken, die aus dem militarisch rasanten Aufstieg Chinas, aus der Modemisierung der chinesischen Luftwaffe, Marine und Armee folgen, nicht zu ubersehen, die bereits zu einem militarischen Ungleichgewicht mit seinen Nachbam gefuhrt haben und den Anspriichen Chinas auf Ruckgewinnung strittiger Gebiete Gewicht verleihen.^^
3.11 Okologische Defizite Jenseits seiner politischen, wirtschaftlichen, fmanziellen, juridischen und gesellschaftlichen Probleme sieht sich China schliefilich mit gravierenden okologischen Lasten (Heck 2001, S. 235) konfrontiert. Grol3e Sorgen bereiten die schlechte Wasserversorgung und die sehr hohe Umweltverschmutzung. Chinas Bevolkerung, die ungefahr 22 % der Weltbevolkerung ausmacht, lebt auf kaum mehr als 6,5 % der weltweiten Landflache. Ein GroBteil der chinesischen Bevolkerung siedelt in den Fluss- und Kiistenregionen. Damit ist eine intensive Vernutzung von Wasser und Rohstoffen verbunden. Der Weltbevolkerung stehen pro Kopf statistisch 0,8 ha Wald und rund 9.000 m^ Frischwasser zur Verfiigung, Das chinesische Budget fur Militarausgaben stieg in den vergangenen Jahren um jeweils 17 %, so anno 2002 auf 25,2 Milliarden Yuan, wobei der zusatzliche Grofiteil der Ausgaben sich in anderen Budgets versteckt. China gilt derzeit als der groBte Waffenimporteur der Welt. Russland liefert derzeit u.a. 8 Diesel U-Boote der 636-KiloKlasse, die mit Klub-Raketen bestiickt sind und sich gegen die siebte amerikanische Flotte eingesetzt werden konnten. In ahnlicher Weise wird Taiwan von den USA aufgerustet. (Strittmatter 2002; Kolonko 2004c, S. 5).
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3 Genereller chinesischer Bedingungsrahmen als Bezugsfeld der Arbeit
der chinesischen Bevolkerung hingegen nur 0,1 ha Wald und 2.500 m^ Frischwasser. Die chinesische Energiegewinnung sttitzt sich zu einem groBen Teil auf Kohle und 01. Dies alles fiihrt zu einer intensiven Luft- und Wasserverschmutzung, zu einer Zerstorung der Walder und zu einer Verknappung der Wasserressourcen(Heilmann 2002, S. 151 f.). Die chinesische Umweltpolitik hat bisher, trotz StilUegungen im Bereich der Schwerindustrie und der schmutzigen Kleinindustrie, die Erosionsschaden nur wenig verringert(Liu et al. 2004).
3.12 Sinologische Forschungsrichtungen Diese gesamte Entwicklung hat in der sinologischen Forschung zu verschiedenartigen Forschungsschwerpunkten und kontroversen Richtungen gefiihrt. Die Behauptung einer in China gegebenen poltisch-kulturellen Kontinuitat, die sich auf den Konfuzianismus stutzt, sieht hinter dem Vordergrund der kommunistischen Diktatur die ungebrochene Pragekraft der traditionellen Patronagen, Beziehungsnetze, Autoritatsabhangigkeiten und Politsymbole am Werk (Weggel 1997). Gegen diesen konfiizianistischen Ansatz wird eingewandt, dass eine solch exklusive Akzentuierung wichtige andere Stromungen wie Legismus, Daoismus, Buddhismus und Volksreligion iibersieht und dass oft als spezifisch chinesisch ausgegeben wird, was eher dem allgemeinen Status von Entwicklungslandem und insbesondere dem Status von sozialistischen Landem zuzuschreiben ist. Bei den sinologischen Auguren, die die Auseinandersetzungen in der chinesischen Machtzentrale beobachten, herrscht die Neigung, die Entscheidungen in der Fuhrungsspitze zu sehr zu betonen und daftir Stromungen in der Wirtschaftsbiirokratie oder auf regionaler Ebene zu vemachlassigen. Ein weiterer Analyseschwerpunkt wird von jener Forschungsrichtung gesetzt, die die Wandlungen der Politik nicht so sehr von der Spitze her als von Tiefenstromungen in der Gesellschaft erklart, die sich von den Vorstellungen der Partei lost und in Ansatzen miindig wird. An diesen Tiefenstromungen nehmen dann etwa Bauem (Zhou 1996), Wanderarbeiter (Solinger 1999) und andere Bevolkerungsgruppen wesentlichen Anteil, wobei es jedoch seitens der Forschung tendenziell zur Uberschatzung solcher Stromungen kommt. Im Bereich der Wirtschaft richten manche Forscher ihr Augenmerk auf die Art und Weise, wie die sozialistisch verfassten okonomischen Staatsstrukturen durch Verhandlungen der groBen biirokratischen Apparate allmahlich verandert werden. Andere Forscher sagen einen Zusammenbruch der Diktatur und der Planwirtschaft zugunsten einer Demokratie und Marktwirtschaft im Sinne einer Systemtransformation voraus (Merkel 1999). Allerdings treffen Analysen, die mit westlichen Vorstellungen von Diktatur, Demokratie, Marktwirtschaft, Planwirtschaft etc. hantieren, oft nicht das Eigentiimliche dieses Transformationsprozesses. Dieser Aspekt tritt eher durch die Analysen der Neuen Politischen
3.13 Fazit
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Okonomie zutage, eine Analyse, die die „Anreize und Beschrankungen [untersuchen]), die auf politische und wirtschaftliche Akteure einwirken" und entsprechende Verhaltensmuster evozieren (Heilmann 1998, S. 35 ff.). Da alle diese Forschungsansatze ihre spezifischen Schwachen haben, hat sich schlieBlich ein analytischer Pluralismus herausgebildet, der je nach Untersuchungsfeld die Methoden wechselt. Ein solcher Pluralismus miindet in die ijberzeugung, dass in China das heutige Zusammenspiel von Politik und Wirtschaft in einem Parallelogramm von politischen und okonomischen Veranderungen vor sich geht, wobei die rein politische Ideologic sich durch Okonomisierung des Denkens verandert und sich die Okonomie durch politische Einflussnahmen relativ unreguliert ausdehnt, bisher jedenfalls sich nicht zu einer „schrittweisen marktinduzierten Transformation" (Heilmann 1998, S. 279 ff.) weiterentwickelt hat.
3.13 Fazit Wenn man nun alle bis hierher skizzierten Aspekte zu einem Fazit zusammenfasst, so ergibt sich ein zwiespaltiges Bild vom modemen China: einerseits die glanzende Vorderseite eines okonomisch prosperierenden, rasant wachsenden Riesen und andererseits die Rtickseite mit vielerlei Schatten, die teils aus der zeitentiefen Geschichte des Landes, teils aus den verbliebenen Strukturen der Diktatur herriihren und schlieBlich dem gegenwartigen stiirmischen Transformationsprozess zur „sozialistischen Marktwirtschaft" geschuldet sind. Was in diesen Widerspruchen als unvereinbar erscheint, wird in der chinesischen Gesellschaft durch strikte Sprachregelungen geglattet. An der politischen Semantik, in deren Zentrum Mao-Tse-tung als der entriickte weise Ftihrer steht, ist nicht zu rutteln, insbesondere nicht von Seiten der Expatriates. Wer also in China Geschafte machen will, muss die semantischen Tretminen sorgsam umgehen, zumal er merfach auf das Wohlwollen der Behorden auf lokaler und uberregionaler Ebene angewiesen ist. Er muss lemen, sich in einer Zwischenzone zu bewegen, die zwischen offenkundiger Unwahrheit und offiziellen oder offiziosen Sprachregelungen changiert. Fast alle dieser umrissenen Chinaaspekte kommen, wie zu zeigen sein wird, in den Interviews der befragten deutschen Expatriates implizit oder explizit zur Sprache. Die chinesische Lebenswirklichkeit des modemen China dringt unabweisbar, taglich in das geschaftliche oder private Handeln und Erfahren der Expatriates ein. Nur die Militarpolitik wird kaum beriihrt, und ebenso bleibt die religiose Dimension unberuhrt. Denn der Europaer hat gelemt. Religion als Intimum zu behandeln.
4 Theoretische Grundlagen 4.1 Zur Forschungsliteratur iiber Expatriates in China -ttbereinige allgemeine Positionen Die Anforderungen, die an die Expatriates wahrend ihres Chinaaufenthaltes gestellt werden, werden in der Literatur durchgehend als ausnehmend hoch eingeschatzt, schon allein um das finanzielle Engagement der Investoren nicht zu enttauschen. In dem von der einschlagigen Literatur entworfenen Anforderungsprofil an die Expatriates stehen die Fahigkeiten zu interkultureller Kompetenz, interkulturellem Management und die Fahigkeit zur Verhandlungsftihrung ganz obenan. In absteigender Linie folgen Kenntnisse des Vertragsrechts, der Sprache, der Kommunikation, des Personalmanagements, des Projektmanagements, Kenntnisse hinsichtlich des politischen Umfeldes und des Marketing (Reisach et al. 1997, S. 205). Nicht zu vergessen ist auch die Fahigkeit zur Improvisation, da die Expatriates in der Praxis immer wieder vor ungeahnte Probleme gestellt werden, zu deren Losung sie sich unkonventioneller Losungen bedienen mtissen, die im Stammhaus bisweilen „fur verruckt" gehalten werden (Schmidt et al. 1998, S. 50). Mit den Expatriates steht und fallt das Engagement des Mutterhauses in China. Vor allem kleinere und mittlere Untemehmen (Haas und Rehner 1998, S. 15 ff.) tun sich schwer, Mitarbeiter fur die Bedingungen im Reich der Mitte zu qualifizieren und zu finanzieren, zumal die Kosten ffir einen Expatriate pro Jahr auf 150.000 € bis 250.000 € veranschlagt werden und bis zu 40 % der Expatriates vorzeitig scheitem (Wenn auch diese Zahl umstritten ist) (Stahl 1998, S.Kl).'' Gut ausgebildete Expatriates, die sich nicht nur in der Theorie, sondem in der Praxis vor Ort in China bewahren, sind also ein kostenspieliges und kostbares Gut, das seit langerem schon das Interesse der wissenschaftlichen Analytiker auf sich gezogen hat (Sader 1999, S. 178)) . Das prononcierte Interesse an diesen Expatriates beruht u.a. darauf, dass ihnen auch „Schlusselfunktionen" hinsichtlich des Informationsaustauschs (Lichtenberger 1992, S. 3) und der „Integration
Aufgrund der gestiegenen Nachfrage nach Expatriates gibt es bereits eine Reihe von spezialisierten Studiengangen, die qualifiziertes Personal ausbilden, so etwa die FH Ludwigshafen mit dem Studiengang ,Marketing China' und der ,International Campus Cologne' mit einem Studiengangschwerpunkt Asien (Asien Betriebswirt). Ahnliche Studiengange bieten der Fachbereich Wirtschaft der Hochschule Bremen und die Universitat Passau an. An der Universitat Duisburg wird das Fachgebiet Ostasienwirtschaft / China angeboten.
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4 Theoretische Grundlagen
der Niederlassung in die Gesamtorganisation"(Sader 1999, S. 2) zugeschrieben werden. Femer interessiert sich die Forschung flir die Probleme und Risiken, die mit der Entsendung der Expatriates verbunden sind.^^ Femer richtet sich die Aufmerksamkeit auf Ursachen von Schwierigkeiten, die sich mutmaBHch aus dem kulturellen Schock ergeben, den die Expatriates in der ihnen fremden Kultur erleiden. Von diesem Schockerlebnis fallt dann Licht auf die Suche nach der Minimierung des Schocks durch sorgfaltige Schulung der Expatriates vor ihrer Aussendung. Damit verkniipft stellt sich fur die Forschung die Frage, welche Empfehlungen den Expatriates fur ein effizientes und angemessenes Verhalten mit auf den Weg zu geben sind. Dieses Verhalten wird unter dem Blickwinkel von Anpassungsmodi gemessen. Und dahinter erhebt sich die grundsatzliche Diskussion iiber die Einschatzung einer fremden Kultur und iiber die Notwendigkeit, inwieweit die Expatriates die eigene Kultur verabsolutieren oder relativieren zu sollen. Denn die Expatriates konnen sich anhand der Differenz zwischen der deutschen und chinesischen Kultur entweder auf ihre eigenen Werte zuriickziehen oder sich moglichst eng an die fremden Werte anpassen oder variante Mischformen ausbilden. Damit gehen interpersonelle und intrapersonelle Prozesse einher, die wiederum von Graden der Anpassung, der Beibehaltung und der Mischformen von Akkulturationsmustem, aber auch von identitatsvergewissemden Erfolgskriterien (Lober 1984, S. 102; Frey und HauBer 1987) abhangen, anhand derer sich die Expatriates situieren. Die Identitatsgewissheit der Expatriates wird im Akkulturationskonflikt angefochten. Als Bemessungsparameter hinsichtlich akkultureller Schwierigkeiten werden auf psychologischer, emotionaler, kognitiver und aktionaler Ebene Stressoren herangezogen, denen die Expatriates in wechselnden Situationen ausgesetzt sind. Dabei sucht sich die Forschung vor allem kritische Situationen zunutze zu machen, denen die Expatriates ausgesetzt sind (Thomas und Schenk 1996; Sader 1999, S. 106 ff.). Konflikte in der Kommunikation, der Attribution, der Kooperation, der Arbeitsqualitat und der Hierarchieorientierung sind solche kritischen Interaktionssituationen, die als Schltissel zur Erhellung der Befmdlichkeit der Expatriates verwandt werden (Thomas und Schenk 1996). In diese Bemessung gehen die Dauer des Aufenthaltes, das Alter der Expatriates und als weitere Anhaltspunkte die hierarchischen Positionen derselben mit ein. SchlieBlich konnen die Grade der Akkulturation unter dem Gesichtspunkt intrapsychischer Prozesse (Sader 1999, S. 151 ff.) behandelt werden.
39
Die Zahl der Abbrecher schwankt hinsichtlich der amerikanischen Expatriates bis zu 50 %, liegt hinsichtlich der europaischen Expatriates aber nur bei etwa 5-7 %. (Harzing 1995, S. 457 ff, bes. S. 468, 271). Weiterfiihrend und differenzierend: (Forster 1997, S. 414 ff; Selmer 2004, S. 794-813.).
4.1 Zur Forschungsliteratur uber Expatriates in China
43^
Die gewonnenen Theoreme munden in praktische Vorschlage hinsichtlich der Vorbereitung und Durchflihrung der Auslandsaufenthalte."^^ Aus dieser Literatur abgeleitet, haben sich zur Beschreibung der Situation und der Situierung der Expatriates in China einige allgemein akzeptierte Anhaltspunkte und Modelle zur Einschatzung Chinas herausgebildet: Zu nennen ist etwa Geert Hofstedes Definition von Kultur als „the collective programming of the mind which distinguishes the members of one group of category of people from another" (Hofstede 1991, S. 5) und das damit verbundene Zwiebeldiagramm, das eine Reihe von Kulturschichten (wie z.B. Symbole, Heldenrituale, Werte) herausarbeitet (Hofstede 1991, S. 9). Das Modell des Person-Rollen-Konflikts soil verstehen helfen, wie ein Expatriat aus der eigenen Kultur Werte, Einstellungen, Verhalten und Rollenerwartungen nach China mitnimmt und wie er sich im Gastland mit ungewohnten Werten, Einstellungen, Verhaltensmustem und Rollenerwartungen konfrontiert sieht (Duffy 1991, S. 27). Desgleichen liefem Hofstedes bekannte (aber inzwischen wohl nicht mehr allgemein akzeptierte) Kulturdimensionen mit den Begriffspaaren Kollektivismus vs. Individualismus, Maskulinitat vs. Femininitat, Unsicherheitsvermeidung und schlieBlich Langzeit- vs. Kurzzeitorientierung Anhaltspunkte zur differenzierenden Bewaltigung deutscher und chinesischer Kulturmuster seitens der Expatriates (Bimbaum-More et al. 1995; Sader 1999, S. 28 ff.). Mit Hilfe von Hofstedes Dimension der Machtdistanz (Hofstede 1993) wird China auf dem Machtdistanzindex weit oben positioniert, in der Dimension Individualismus vs. Kollektivismus wird der Kollektivismus hoch veranschlagt, und dem Dimensionspaar Maskulinitat (Leistungsbezogenheit, Ausfechtung von Konflikten) und Feminitat (Kompromisse, Kooperation) neigt sich fur China die Waage wohl eher auf die Seite der Feminitat. Gemafi Trompenaars Ansatz interpersoneller Beziehungen wird China im Begriffspaar Universalismus gegen Partikularismus als partikularistisch eingeschatzt (Hochwertung der Familie, der Freunde etc.). Dem Chinesen wird in der Regel extemalisierte Emotionalitat abgesprochen. Hinsichtlich spezifischer vs. diffuser (d.h. die Privatsphare abschirmender) Kulturraume wird China eher zu letzterem Typ gerechnet. Und schlieBlich beruht in China das Ansehen nicht unbedingt allein auf Leistung, sondem eher auf Ansehen, d.h. auf Adscription (Bildung. Alter, Klasse etc.). Zu solcher opinio communis in der Forschung gehoren schlieBlich auch Determinanten und Konstanten interkulturellen Handelns. Thomas und Hagemann haben zu ihrer Erfassung ein Kraftedreieck aus kulturellen Unterschieden, individuellen Unterschieden und interkulturellen Erfahrungen entwickelt.
"^^ So haben etwa Thomas und Schenk gewisse Kulturassimilatoren erarbeitet, die auf China ausgerichtet sind (Thomas und Schenk 1996), und dies mit dem Ziel, die Expatriates in die Lage zu versetzen, die subjektive Eigeninterpretation mit einer objektiven zu verbinden.
4 Theoretische Grundlagen
44
Interkulturelles Handeln #
Interkulturelle Erfahrung Abb. 7:
Kraftedreieck: Determinanten des Interkulturellen Handelns (Thomas und Hagemann 1996, S. 175).
Der Kulturschock z.B. gilt anhand dieses Kraftedreiecks als eine Deskriptionskonstante, die nach dem Grad der Distanz zwischen Heimat- und Gastkultur, nach dem Vorwissen, nach dem beruflichen Gefordertsein und nach der interkulturellen Kompetenz des Expatriates gemessen wird (Oberg 1960, S. 177 ff; Thomas und Hagemann 1996, S. 177). Eine gewisse Ubereinstimmung herrscht auch uber den Verlauf der von den Expatriates zu erbringenden Anpassungsleistungen in ihrem interkulturellen Handeln. Die einzelnen Stufen, die sie zu durchlaufen haben, sind: Entschlussfreude zur Ausreise, Ausreisebefiirchtungen, Anfangsbegeisterung, psychologische Eingewohnung, Anpassungskrise und schlieBlich Anpassung (Berry 1985, S. 253). Aus diesem vielseitigen Gang der Forschung hat sich mit der Zeit ein zentraler Aufmerksamkeitsfokus herausgebildet, namlich die von den Expatriates zu erbringenden Fahigkeiten, die als MalJstabe ftir interkulturelle Kompetenz gelten konnen.
4.2 Zur Einschatzung der interkulturellen Kompetenz im Gang der Forschung Es wird heute kaum noch bestritten, dass ein Expatriate auch iiber interkulturelle Kompetenz verftigen muss, nachdem die einschlagige Forschung in den letzten Jahrzehnten immer nachdriicklicher auf die Rolle der interkulturellen Kompetenz aufmerksam machte und deren Stellenwert zugleich in ein Beziehungsgefuge sonstiger Kompetenzen eingliederte. Fachwissen, soziale Kompetenz, Beziehungskompetenz (Raeber 1996, S. 568), Verantwortungsbewusstsein (Faix und
4.2 Zur Einschatzung der interkulturellen Kompetenz im Gang der Forschung
45
Laier 1996, S.llO), Flexibilitat (Katz und Seifer 1996), visionares Denken (Schneidewind 1996; Hatzmann et al. 1997, S.29 ff.), mussen stets durch interkulturelle Kompetenz (Ingelfinger 1995) erganzt werden. Als interkulturelle Kompetenz gilt dabei zunachst die Fahigkeit eines Expatriates, in einer fremden Kultur seine Arbeit mit der notwendigen Effektivitat auszufuhren sowie sich der fremden Kultur entsprechend angemessen zu verhalten (Miiller und Gelbrich 1999, S. 1). Solche Angemessenheit ist jedoch nicht leicht auszutarieren, wie die bei Verhaltensstrategien auftretenden Probleme beweisen. Probleme entstehen z.B. durch den Verzicht auf die Verhaltensanpassung, femer durch die Beibehaltung der eigenen als der dominierenden Denk- und Verhaltensweise. Auch wirken sich die Flucht vor der andersartigen Kultur des Gastlandes oder die gegenlaufige vollige Anpassung und Integration in dieselbe (Casse 1980, S. 87; Moosmtiller 1996, S. 289; Hofstede 1997, S. 330; Studlein 1997, S. 297) kontraproduktiv aus. Eine Reihe spezialisierter Untersuchungen geht dem Scheitem von Expatriates nach, denen ihr Mangel an interkultureller Kompetenz zum Verhangnis wird, wobei die Entfemung der Zielkultur von der Ausgangskultur eine groBe RoUe beim Scheitem spielt (Black und Mendenhall 1990). Das Scheitem der Expatriates korreliert oft mit dem Gelingen oder Scheitem der verbalen, paraverbalen und nonverbalen Kommunikation im interkulturellen Kontext. Hier kommt es oft zu kulturbedingten Differenzen, die bisweilen schwer zu uberwinden sind (Knapp 1996, S. 59 ff.). Schwierigkeiten bereiten auch kulturell bedingte Unterschiede von Motivationen (Scherm 1995, S. 280). Aus der Differenz kultureller Eigenarten lassen sich sowohl negative als auch positive Folgemngen fur die Teamarbeit ziehen (Harbig 1994, S. 91; Zeutschel 1996; Dreesmann 1996, S. 106). Ein weiteres Augenmerk richtet sich auf die Moglichkeit interkultureller Synergien, wenn in einem Team kulturell verschieden gepragte Mitarbeiter zusammenfmden und aus dem positiven Zusammenspiel der groBtmogliche gemeinsame Leistungsnenner hervorgeht (Bittner und Reisch 1994, S. 32; Zeutschel 1996, S. 4). Zugleich werden auch Probleme eines interkulturell zusammengesetzten Teams erforscht, in denen Schwierigkeiten auftauchen beziiglich der Erwartungen und Ziele, der gmppendynamischen Entwicklungen, der kommunikativen Fehlleistungen und der Reduktion des Leistungspotentials (Herbrand 2000, S. 76). Trotz solcher Fortschritte ist es bis heute noch nicht endgiiltig gelungen, interkulturelle Kompetenz zu operationalisieren und die faktorielle Summe fiir einen erfolgreichen Auslandsaufenthalt festzulegen, wie ein Blick auf den Gang der Forschung zeigt. Die ersten Ansatze zur Erforschung der interkulturellen Kompetenz reichen bis in die funfziger Jahre zuriick. Die erste Stufe wurde als „OverseamanshipAnsatz" bekannt. Es waren vor allem amerikanische Sozialwissenschaftler und Sozialpsychologen, die damals zu klaren suchten, aufgmnd welcher Traits und Skills die einzelnen Expatriates wahrend ihrer Auslandsaufenthalte ihre Aufga-
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4 Theoretische Grundlagen
ben zufriedenstellend und erfolgreich losen konnten. Nach und nach gerieten Studenten, Geschaftsleute, Mitglieder von Friedenstruppen, technisches Personal und Militars ins Blickfeld (Kealey und Ruben 1983; Dinges 1983; Muller und Gelbrich 1999, S. 15). Allerdings wurden die Eigenschaften, die (technischen) Fahigkeiten und die Lebensbedingungen erst nach erzieltem Erfolg festgestellt, ohne dass es schon moglich gewesen ware, eine umfassende Theorie zu formulieren. Man musste sich auf einzelne Teilaspekte beschranken. Dieses Ungentigen suchte man in den siebziger Jahren u.a. durch den Einbezug des attributionstheoretischen Ansatzes zu tiberwinden (Triandis 1977). Hier richtete sich der Fokus auf den kognitiven Aspekt. Ein weiterer Zugang wurde iiber den lemtheoretischen Ansatz eroffhet. Nun interessierten vor alien Dingen die Lemprozesse, denen die Expatriates im Laufe ihres Auslandsaufenthaltes unterworfen sind (Guthrie 1975) und die sukzessiven Veranderungen, die sie durch das Eintauchen in die fremde Kultur erfahren. SchlieBlich trug auch die Kommunikationswissenschaft ihren Teil dazu bei, das Phanomen der interkulturellen Kompetenz zu erhellen. Die Begegnung der Expatriates mit einer anderen Kultur wurde hier als ein Prozess von Enkodieren und Dekodieren und somit als das Fundament von interkultureller Kompetenz angesehen. Kommunikation gah zunehmend als der kulturelle Schliissel erfolgreichen Verhaltens (Hall 1976). Unter dem Einfluss der Kommunikationswissenschaft ruckten die affektiven, die kognitiven und die konativen Strukturdimensionen in den Mittelpunkt, denen verschiedene Autoren jeweils einzelne Faktorenbiindelungen zubilligten. Der Strukturdimension des Affekts wurden die Faktoren Einfiihlungsvermogen, geringer Ethnozentrismus und Unvoreingenommenheit askribiert. Die Kognition wurde auf Faktoren wie kognitive Komplexitat, Verfiigen iiber Cultural Rules, isomorphe Attribution und Introspektion basiert. Der Konation wurden faktoriell Einfiihlungsvermogen, Flexibiltat, Ambiguitatstoleranz und angemessene Self-Disclosure zugewiesen. SchlieBlich wurde auch nach den Konsequenzen (Anpassung, Zufi*iedenheit, Effektivitat, Angemessenheit) gefragt, die aus der interkulturellen Kompetenz folgten. Im Gefolge dieser partial-fokussierten Forschungsrichtung ergab sich ein Ausufem der erschlossenen und untersuchten Faktoren, deren Zahl schliefilich hundert Einzelnennungen tiberstieg (Spitzberg und Cupach 1989). Das gleiche Splitting wurde auch auf die AuBenkriterien bezogen, deren Aufspreizung ebenfalls zu keiner einheitlichen Linie fiihrte. Deshalb untemahmen die Kommunikationswissenschaften in den achziger und neunziger Jahren groBe Anstrengungen, um diese zersplitterten Ansatze in ein integratives Modell zu iiberfiihren. Entscheidend war dabei, dass zahlreiche Faktoren auf die drei Strukturdimensionen"^^ Affekt, Kognition und Konation aufgeteilt wurden und dass die Strukturdimensionen ihrerseits als Kondition der "^^ Zum Drei-Komponenten-Modell aus der Einstellungsdiskussion cf. (Stroebe et al. 2002, S. 267 f).
4.2 Zur Einschatzung der interkulturellen Kompetenz im Gang der Forschung
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interkulturellen Kompetenz aufgefasst wurden, wobei Letztere wiederum durch Aufienkriterien bestatigt werden sollte. Die kognitive Komponente enthalt Gedanken und Ideen iiber das Verhaltensobjekt, femer Meinungen, Wissen, Vermutungen, Uberzeugungen, Schlussfolgerungen etc. Die ajfektive Komponente betrifft Gefuhle, Emotionen, Launen und wohl auch die Aktivitat des sympathetischen Nervensystems. Die konative Komponente besteht aus offenen Handlungen, die sich auf das Einstellungsobjekt beziehen. Nachhaltigen Einfluss auf die Ausbildung eines solchen Modells gewann dabei der Syntheseversuch von (Chen und Starosta 1996) mit der Hervorhebung des affektiven Prozesses bzw. der affektiven Perspektive: „The affective process especially carries a notion that interculturally competent persons are able to project and receive positive emotional responses before, during, and after intercultural interactions. These positive emotional responses will in turn lead to acknowledgement of and respect for cultural differences." (Chen und Starosta 1996, S.362). Dieser Ansatz der zentrierenden affektivischen Strukturdimension nahm gro6en Einfluss auf den Versuch einer Gesamtmodellierung von interkultureller Kompetenz, insofem sich Chen/Starosta bemuhten, ihren „effective process" naher zu bestimmen, indem sie „four personal attributes" hinsichtlich der Grundierung der affektiven Perspektive der interkulturellen Kommunikationskompetenz ansetzten: 1) das Selbst-Konzept (Self-Concept): die Art und Weise, wie eine Person sich selber sieht, sich dementsprechend kommunikativ verhalt und sich zur Welt in Bezug setzt. Als wichtigstes Element des Selbstkonzeptes wird die Selbstachtung angesehen. 2) Offenheit (Open-Mindness): Sie bezeichnet die Bereitwilligkeit einer Person, sich selber einem anderen gegeniiber zu offnen und ebenso offen dessen Erklarung entgegenzunehmen. Darin eingeschlossen sollte auch die Bereitwilligkeit sein, andere Lebensmuster unter der Pramisse zu akzeptieren, dass es in der Welt verschiedene Moglichkeiten gibt, ein und dasselbe auf verschiedene Weise auszudriicken. 3) Unvoreingenommenheit (Being nonjudgemental): Darunter ist eine Haltung zu verstehen, jemand anderem ohne Vorurteile wahrend einer interkulturellen Kommunikation zuzuhoren und diesem anderen dadurch ein Gefiihl der Zufriedenheit zu verschaffen. 4) Entspanntheit (Social Relaxation): Darunter wird die Fahigkeit subsumiert, den interkulturellen Kommunikationsakt moglichst angstfrei zu absolvieren, also der neuen Situation in fremder Umgebung und unter fremden Kommunikationsbedingungen nicht zu erlauben, die Kommunikationsqualitat wesentlich zu vermindem.
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4 Theoretische Grundlagen
Diese vier Faktoren sind auch zu erganzen durch 5) Nicht-Ethnozentrizitat (Lack of ethnocentrism): Damit wird auf die Uberzeugung abgehoben, dass die eigene Kultur nicht das Mali angibt, an dem alle anderen zu messen waren. 6) Empathie (Empathy): Dieser Faktor bezeichnet die Fahigkeit, sich aus dem eigenen Standpunkt heraus zu bewegen, sich in das Schicksal eines anderen Menschen hinein zu versetzen und seine Emotionen nachzuempfmden. Die Uberzeugungskraft dieses Ansatzes wurde allerdings durch die Mehrdeutigkeit der affektiven Strukturdimension geschwacht, insofem dieses auf eine Art interkultureller Hellhorigkeit, Hellsichtigkeit, Empfmdsamkeit und positiver Gefiihlsfahigkeit reduziert wurde, mittels der, kulturelle Divergenzen zu erfassen und zu achten sind. Uberdies wurde auch kritisch darauf hingewiesen, dass in einer in diesem Sinne ausgelegten affektiven Strukturdimension „nicht nur Emotionen, sondem auch solche Faktoren [enthalten sind], die eher kognitiver Natur sind" (Miiller und Gelbrich 1999, S. 28). Vor allem aber ware einzuwenden gewesen, dass aus der restringierten Auffassung von „Affekt" die eigentliche Affektsubstanz ausgedunnt worden war. Nicht weniger kritisch vermerkt wurden auch die Schwankungen in der Bewertung von Kontextfaktoren, die ihrerseits die perspektivische Einschatzung von Faktoren beeinflussen (Spitzberg und Brunner 1991), wobei zusatzlich etische und emische Bewertungskriterien ins Spiel gebracht wurden. Die Modelldiskussion der Messung von interkultureller Kompetenz wandte sich femer dem Gegensatz von molaren und molekularen Abstraktionsgraden zu. Schliefilich wurden im Zuge der Konstruktvalidierung Antezedenzen als BeeinflussungsgroBen des Erfolgs interkultureller Kompetenz bedacht (Muller und Gelbrich 1999, S. 65). Muller und Gelbrich formulierten schlieBlich unter Berticksichtigung der Qualitat einzelner faktorieller Forschungsergebnisse ein geschlossenes Drei-Dimensionen-Modell/ Drei-Komponenten-Modell. Die in dieses Modell aufgenommenen Faktoren werden in der Literatur wie folgt beschrieben (Miiller und Gelbrich 1999, S. 56). Dieses Drei-Komponenten-Modell stellt auf seine Art den logischen Endpunkt dar, um die Fiille der verschiedenartigsten Faktoren zu reduzieren und dadurch erst anwendbar zu machen. Soweit zu sehen verfehlt die entschlossene Reduktion dort ihr Ordnungsziel, wo damit komplexe Texte geordnet werden soUen. Der auf drei Komponenten reduzierte Schematismus erweite sich als ungentigend, weil er wesentliche Dimensionen und Faktoren komplexer Texte nicht mehr zu erfassen weiB. Aus diesem Grund ist im Folgenden das Drei-Komponenten-Schema einerseits naher zu beleuchten, andererseits aber auch daran zu erinnem was auf dem Wege seiner Fixierung verloren gegangen ist, welche Sei-
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4.2 Zur Einschatzung der interkulturellen Kompetenz im Gang der Forschung
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as ist sehr individuell und das kommt aufdie Personlichkeitsstruktur an und wenn man da den Weg gefunden hat, wenn man da die Fdhigkeiten des Mitarbeiters kennt, dann weifi man nachher auch, wie man ihn motivieren kann, wie man ihn locken kann, wie man das Bestefiir sich, fiir die Firma, fiir den Mitarbeiter herausholen kann." [GABEK, KK:A98]. Deutsche Schemata und deutsche Anforderungen sollten nicht unverandert auf die chinesischen Mitarbeiter iibertragen werden: ,J^ur, ich denke, mit den Leuten umgehen muss man ganz anders als man das in Deutschland machen wiirde. Ah, mal ein bisschen uberspitzt ausgedrilckt, ist das hier so wie im Kindergarten. Also, meine Truppe ist auch sehr Jung, und die sind auch von ihrer Art her, ich sage mal, sehr unreif, aber ganz anders. Von der Art, wie sie mit Leuten umgehen." [GABEK, KK:C20]. Mancher Expatriate entschlieBt sich deshalb die deutsche Einstellung und Arbeitsweise nicht hart durchzusetzen: „Man muss halt nicht gleich als Deutscher kommen und gleich also auf den Tisch knallen, was [ich] zum Teil hier auch tu, aber das ist zum Beispiel sehr schlecht" [GABEK, KK:C72]. Die Haltung, nach einer volligen Anpassung zu streben, wird jedoch ebenfalls abgelehnt. Die Bewahrung des eigenen Profils wird mit der Kritik an Formen der Selbstaufgabe mancher Expatriates gekoppelt: ,JJnd ich bin auch nicht so, dass ich 100 %, wie sagt man das ... going native. Wie ich schon gesagt habe, ich bin ziemlich direkt... Und ich werde das auch nicht so viel dndern. Ich bin, wie ich bin. Aber es gibt Leute hier, die auch hundred percent native, you know ... Going native. Und das finde ich ... Nein, die Balancen sind also ..." [GABEK, KK:H98/O57/O58/S10/T84]. Einer mittleren Linie folgen jene Expatriates, die eine tolerantere Linie bevorzugen, worin das heimisch Identische, das Deutsche, beibehahen, zugleich aber auch spezifisch Chinesisches aufgenommen wird, „we/7 ichja Gast in diesem Land bin undmich dann anzupassen hab und nicht gegen alles anzukdmpfen und zu sagen, das ist Scheifie, und das vertrage ich nicht, sondern das als positiv zu sehen und es war ja meine Entscheidung, hierher zu kommen. Und von daher, ichfinde, mein Denken ist ziemlich, istpositiver geworden" [GABEK, KK:V80]. Als wichtiger Schritt zu einer Balance der Interessen gilt eine zumindest partielle Ubemahme des chinesischen Indirektheitsstils: ,J)ass man nicht mehr mit der Tur, mit der Tilr ins Hausfdllt." [GABEK, KK:R49]. Von chinesischer Seite
7.4 Auswertung der Interviews gemafi der Kausalliste
259
her werden die deutschen Expatriates im AUgemeinen freundlich aufgenommen, weil man ihnen ,^wei herausragende Eigenschaften, sehr fleifiig und sehr ehrlich, unddass wir viel Bier trinken konnen" zuschreibt [GABEK, KK:X16]. Zum Anpassungsprozess gehort eine stete Lembereitschaft. Strikt abgelehnt wird deshalb der Standpunkt: Jch will auch nicht mehr lernen. Ich schalte mich vom Lernen ab. Und das habe ich alles schon erlebt, alle Situationen. Und ich glaube, wer das tut, ja, der soil doch lieber nach Hause gehen. Aber der wird zu Hause dieselben Probleme haben." [GABEK, KK:E12]. Dabei erweist es sich, dass ein regelmaBiger kommunikativer Kontakt mit den Mitarbeitem fiir beide Seiten von Gewinn ist. In der Kommunikation mit den Mitarbeitem entfalten sich die vorgenannten verschiedenen Grade von strikter Identitatswahrung bis zur Selbstaufgabe. Zum einen wird grolies Gewicht darauf gelegt, die eigene Linie hartnackig beizubehalten: ,Jch gehe mit Arbeitern, denke ich mir mal so, da milssten Sie die mal befragen, genauso um wie mit direkten Angestellten und auch mit meinem Chefs gehe ich, das kann ich so nicht sagen, das ware gelogen, genauso um, aber ich bin kein Fahrradfahrer und das habe ich frilh in meinem Leben entschieden, dass ich bei meiner Linie bleibe und immer meine Meinung sage'' [GABEK, KK:031]. In Opposition hierzu wird von anderen Expatriates eine moglichst nahtlose Identifikation mit dem Arbeitsstil der Chinesen angestrebt. ,JJm sie weniger hdufig vor den Kopfzu stofien. Mit Fragen, die man stellt. Wie man die Fragen stellt. Ich mochte mehr angepasst sein als sie, im Umgang mit ihnen. Dass man nicht mit der Tiir, mit der TUr ins Haus fdllt." [GABEK, KK:R49]. Dazwischen richten sich jene Expatriates ein, die den Respektverlust der Mitarbeiter durch zu enge Anlehnung befurchten und deshalb mit .Jklaren Vorgaben" operieren: ,^ehr klar sagen, was man erwartet, und dann wird es aber genauso umgesetzf [GABEK, KK:S12]. Fazit Verbale Daten Uber die Grade der Anpassung der Expatriates an den chinesischen Arbeitsstil herrscht Uneinigkeit. Die Meinungen reichen von der Beibehaltung der deutschen Gewohnheiten uber Anpassungsgrade bis hin zu volliger Angleichung an den chinesischen Stil. Einfliisse und Folgen Gelassenheit beeinflusst positiv den Anpassungsprozess. Detailbesessenheit, Griindlichkeit und Punktlichkeit nach deutscher Art wirken negativ. Der gelungene Anpassungsprozess erleichtert spiirbar die Erfolge, die KontroUen, die Motivation der Mitarbeiter, den Umgang mit den Chinesen und vermindert auch die Gefahr des Scheitems.
260
7 Zweite Analyse des Textmaterials - Angleichung an chinesischen Arbeitsstil /+\
- Beharrung auf deutschem / \ Arbeitsstil
• Gelassenheit
• Erfolge • Erieichterung der Kontrollen • Motivation der Locals
•Einflusse^P^ssungs-LFolgen prozess (-)' • deutsche Grundlichkeit
Abb. 83: Ubersicht uber verbale Datenbasis, Einfliisse und Folgen des Schltisselbegriffs „Anpassungsprozess" 7.4.1.21 Interesse Als eine der grundlegenden Voraussetzungen in China zu retissieren gilt ein nachhaltiges Interesse fiir das Land: „Ich sehe das eigentlich ziemlich schnell. [Wie schnell?] Also, es ist immer so, wenn mal jemand herkommt, der sich grundsatzlich flir die Destination China interessiert, sprich, der sich mit dem Gedanken schon einmal beschaftigt hat, gehe ich nach China, der kommt hierher und hat einen so genannten Look-and-See-Trip." [GABEK, KK:T73]. Die weit iiberwiegende Zahl der Expatriates nennt denn auch ein schon in Deutschland vorhandenes Interesse an China - neben dem entsprechenden Angebot ihrer Firma, in China arbeiten zu konnen - als eine der Triebfedem fiir den Entschluss in China zu arbeiten und einen langem Aufenthalt dort auch durchzustehen. Der eine Expatriate „war jung und egoistisch und wollte neue Sachen lemen" [GABEK, KK:A08]. Ein anderer ftihlt sich unvoreingenommen von der Neuartigkeit der Eindrlicke angezogen [GABEK, KK:C19]. Das Interesse und die Neugier fflhren dazu, das mitgebrachte Chinabild mit der Realitat zu vergleichen: „Das heiBt, es war fur mich also schon, ich wollte es wissen, wie es da eigentlich aussieht in China. Mich hat es wirklich interessiert. Ich hab es mir ein bisschen romantischer vorgestellt, so, mit so Lehmhutten mit irgendeinem geschwungenen Strohdach drauf oder so. Ich war also doch iiberrascht. Ich hatte es mir einfach anders vorgestellt als es tatsachlich ist. Obwohl ich keine konkrete Vorstellung hatte, aber es ist einfach europaischer als ich dachte, vom Aussehen her." [GABEK, KK:W59]. Diese an China genuin interessierten Expatriates beurteilen
7.4 Auswertung der Interviews gemafi der Kausalliste
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8.3 Kognitive Dimension
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8.3 Kognitive Dimension Unter Kognition werden in einem sehr weiten Rahmen alle „Prozesse des Wahrnehmens, Schlussfolgems, Erinnems, Denkens, Problemlosens und Entscheidens sowie die Strukturen des Gedachtnisses, der Begriffe und Einstellungen (Zimbardo 1995, S. 11) verstanden. In einem etwas engeren Rahmen wird eine kognitive Komponente defmiert als „irgendeine Kategorie, die im menschlichen Denken verwendet wird" bzw. als eine Folge von Wahmehmungsurteilen, insbesondere von „verbal geauBerten Uberzeugungen" (Triandis 1975, S. 4 f.). Dabei spielt dabei die „Zentralitat" (bzw. „Ich-Beteiligung") eine bestimmende Rolle, insofem es Uberzeugungen eines Individuums gibt, die zentraler Natur sind (Triandis 1975, S. 13). Innerhalb der Diskussion uber interkulturelle Kompetenz (Mtiller und Gelbrich 1999, S. 67) wird Kognition mit den Faktoren „kulturelles Bewusstsein", „Wissen tiber das Land", „Selbstbewusstsein" und „realistische Erwartungen" verkniipft. Der fiinfte Faktor „Selbstbewusstsein" („Self-concept") wird in der Literatur entweder ebenfalls der Kognition oder aber auch der Dimension Affekt zugewiesen. (Chen und Starosta 1996, S. 362). Wir folgen hier Chen / Starosta, die den Faktor „Self-concept" dem affektiven Prozess zurechnen, insofem „Self-concept" als ein wesentliches Element von „intercultural sensitivity" zu gelten hat. Die folgende Auswertung der Interviews legt den Hauptakzent nicht auf den prozessualen Aspekt, in dessen Verlauf die genannten Faktoren erst noch zu erwerben sind bzw. erworben werden. Vielmehr richtet sich das Augenmerk auf den kogn\\\\-possessiven Aspekt, d. h. auf den Besitz an Wissen, der von den Expatriates bereits erworben worden ist. Somit wird hier unter kognitiv nicht der Prozessbeginn, nicht der Prozessverlauf, sondem der durch kognitive Prozesse bereits erhobene VxozQssgewinn ins Auge gefasst. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die kognitiven Prozessverlaufe auCer Acht gelassen werden soUen, vielmehr werden die Interviews unter dem Blickwinkel „analytisch-deskriptiv" durchgesehen. Dort wird es darum gehen, das Prozessuale in den Vordergrund zu riicken. 8.3.1 A uswertung: Kognitiv 8.3.1.1
China
Zu den unabdingbaren Kenntnissen iiber China zahlen der maandrische Aufbau von Gesprachen, das Zustandekommen von Entscheidungen und der Umgang der Chinesen mit der Zeit: ,^eit gibt es genug" [GABEK, KK:N86]. Ein „Verhandlungsprozess dauert viel longer in China. Es kann leicht 6 Monate gehen, bis man wichtige, in diesem Fall haben wir verhandelt eineinhalb Jahre"" [GABEK, KK:A21]. Ebenso sind Geschaftstermine wegen andauemder Anderungswunsche der Gesprachspartner oft nicht einzuhalten: „Es ist schwer, den normalen Zeitplan zu halten in China, weil die Termine werden immer durcheinander geworfen durch verschiedene Sachen" [GABEK, KK:A28]. Das gleitende Zeit-
330
8 Dritte Analyse des Textmaterials
gefuhl ist Teil allgemein gleitender Lebensprozesse, die stets neue Abstimmungen, Verhandlungen und auch Feilschen notwendig machen: ,^lso, alles ist moglich in China. Das glaube ich auch. Es ist so ein Beispiel. Alles ist moglich, es geht alles" [GABEK, KK:B99]. Aspekte der Unsicherheit und Vagheit ergeben sich auf dem Gesetzessektor, auf dem Gebiet der KriminalitatsbekampfUng, der Gerichtsverfahren, aber auch der Versicherungen, die sich „noch sehr im Anfangsstadium" [GABEK, KK:E24] befinden. Hier gibt es noch fortdauemde Restriktionen, die den Aufbau auslandischer Versicherungen und Banken behindem: „Ma« wird westlichen Banken hier nicht eine totale Freiheit geben, auch lokale Loans anzubieten, das wird man nach wie vor nur den chinesischen Banken" [GABEK, KK:E24]. Die Expatriates sehen sich hinsichtlich Handel, Recht und Gerichtsbarkeit formaliter durch Eingriffe der Regierung zur Durchsetzung der Gesetze und der Verordnungen unterstiitzt, die aber die unter der Oberflache bestehende faktische Ungeregeltheit in keiner Weise aufheben: ,,Und das ist bis heute auch nicht substanziell anders. Es ist hier ungeregelt" [GABEK, KK: N71]. Das „eigenwillige Verhalten von Geschdftspartnern [kannj bis hin zu sehr schwarzen Aktivitdten [reichen], nicht nur von Geschdftspartnern, sondern auch derLeute im eigenen Geschdft" [GABEK, KK:N72]. Zu diesen Unsicherheitszonen wird von den Expatriates auch der uniibersehbar groBe Markt der Fakes gerechnet: ,J)as ist etwas, was derzeit in China in vielen, in vielen Bereichen stattfindet. Sie konnen also gefdlschte Motorrdder von Yamaha kaufen, Sie kaufen Batterien von Unternehmen, die eigentlich nie Batterien hier nach China verkauft haben, ah, sie ah ... konnen ... alles kriegen" [GABEK, KK:E38]. Der sehr ungenaue Umgang mit den Gesetzen wird von manchen Expatriates bisweilen auch als eine Erleichterung angesehen: ,^s gibt auch in China Gesetze, aber keiner halt sich so strikt daran, und trotzdem ist das Leben miteinander viel einfacher. Also, es ist manchmal einfacher als auf dem Dienstweg Sachen zu regeln. Und ich finde, dass es funktioniert hdufig auch hier, wider Erwarten" [GABEK, KK:R41]. Wo ein Gesetz den Weg versperrt, lasst sich am Ende doch immer eine Losung finden: „Tausend Gesetze, aber es gibt immer einen Ausweg, wenn man nur lange genug sucht" [GABEK, KK: VI2]. Dies schlieBt bisweilen einen langen Gang durch die verwickelte Administration mit ein: „Was immer Sie angehen im administrativen Teil, im steuerlichen Teil, im personellen Teil, iiberall braucht man eine Lizenz, braucht man einen Stempel und weifi der Teufel was" [GABEK, KK:W73]. Die dunkle Kehrseite des groBzugigen Umgang mit gesetzlichen Vorschriften ist die Korruption: ,X>as bleibt immer [...] jeder weiss, warum in China so viele mit einem Mercedes rumfahren" [GABEK, KK:V05]. Die kulturelle Differenz zwischen Deutschland und China - ,,Es ist eine ganz andere Kultur" [GABEK, KK:A77] - schlagt sich besonders im gegensatzlichen Spannungsverlauf von Verhandlungen nieder. In europaischen Besprechungen werden zuerst die Hauptpunkte und erst danach der Kleinkram besprochen. In China ist der Verlauf genau kontrar: ,,Und hier [in China], hier geht es [bei Ver-
8.3 Kognitive Dimension
331
handlungen] einfach vollig anders zu'' [GABEK, KK:W81]. Zunachst wird uberhaupt nicht uber das Geschaft geredet. Man springt von Punkt zu Punkt: .Man kommt quasi nie zur Sache [.,.] also eine total andere Welf [GABEK, KK: Q06]. ^JJnd wenn Sie ganz zum Schluss dann ankommen, dann kommen eigentlich erst die richtigen Themen und das sind sozusagen Punkte, die, ich sage mal, unabhdngig von Zeit, in welcher Zeit wir leben in China, die sind einfach da. Das ist die Art der chinesischen Verhandlungsfiihrung.''' [GABEK, KK:064]. Dabei wird auf chinesischer Seite nicht allein nach Sachgesichtspunkten, sondem vor allem auch „enorm auf emotionaler Basis'' [GABEK, KK:W81] entschieden. China wird zugleich als ein groBer Verwandlungsprozess erlebt: ,,Was vor einem Jahr da war, ist heute schon total ilberholf [GABEK, KK:062]. Dieser Wandel schlagt sich u.a. auch darin nieder, dass die chinesischen Handelspartner Jmmer professioneller in unserem Sinne" werden [GABEK, KK:085], wobei allerdings die staatseigenen Firmen stark hinterher hinken [GABEK, KK:095]. Andererseits bereitet die Zusammenarbeit auch mit jenen Firmen Schwierigkeiten, „die auf eine schnelle Mark aus sind [...J dasfuhrt immer wieder dazu, dass Sie an einigen Ecken immer wieder von vorne anfangen" [GABEK, KK:095]. Dass deutsche Firmen in China einen recht guten Stand haben, verdanken sich vor allem dem ,,deutschen Qualitdtsimage. Das hilft uns viel in China" [GABEK, KK:A66]. Der gute Stand muss sich aber auch auf ein gutes Arbeitsteam stutzen konnen: „Wenn man ein gutes Team hat, dann hilft hier das durchstehen die Leute" [GABEK, KK:A67]. Bei der Einstellung von Hochschulabsolventen zeigt es sich aber immer noch, dass diese Graduates ^mental Kinder" sind: ,J)as ist von ganz wenigen Schulen und Universitdten abgesehen bei uns wie im vergangenen Jahrhundert [...] kein eigenes Denken, keine eigenen Entscheidungen" [GABEK, KK:N74]. Fazit Durch die Begegnung mit China haben die Expatriates eine Reihe von Grundkenntnissen erworben, die naturgemaB ihren Schwerpunkt im geschaftlichen Bereich haben, aber auch in einigen Punkten daruber hinaus reichen und auch grundsatzliche Unterschiede zu Deutschland betreffen. 8.3.1.2
Vorbereitungstraining
Das Training soil die Expatriates auf die andersartigen Arbeitsbedingungen und die chinesischen Eigenheiten vorbereiten. Dazu zahlt die Beobachtung, dass ein Expatriate bei einem dreijahrigen Aufenthalt seine voile Leistung und den entsprechenden Erfolg in der Regel erst in den letzten 8-10 Monaten erzielen kann [GABEK, KK:D60]: ,Jedes Jahr, dass ich in China bin, wird meine Arbeit effektiver. Ich kennejetzt die ganzen Haupt...[...] Schliisselfiguren, die auftreten, die kenne ich [...] da braucht man auch ein personliches Verhdltnis, dann wird es viel, viel einfacher in der Zukunft, wenn man neue Produkte entwickelt" [GA-
332
8 Dritte Analyse des Textmaterials
BEK, KK:V17]. Ein langer Aufenthalt versetzt den Expatriate in die Lage, ,,uber die Knackpunkte, wo kann gemauschelt werden" und uber den Abfluss von Geldem und das Drehen ,,krummer Dinger" Bescheid zu wissen [GABEK, KK: N94]. Die heimischen Schulungen soUten die indirekte Art der chinesischen Gesprachsfuhrung einbeziehen [GABEK, KK:A91]: „wie zum Beispiel Chinesen bestimmte Probleme angehen" [GABEK, KK:C31]. Durchzuspielen sind „die chinesische Art der Verhandlungsfilhrung [und] Verhandlungstaktik. Die ist unglaublich unterschiedlich von unserer" [GABEK, KK:063]. Dabei muss eine gewisse Art von Vorsicht eingescharft werden, die den unerfahrenen Expatriate vor Betrug schutzt [GABEK, KK:W65]. Einzuscharfen ist femer die Bedeutung des „Gesichts'\ d.h. die „extrem geringe Toleranzschwelle, wenn hier einer sein Gesicht verliert [GABEK, KK:W96]. Bei Gesichtsverlust „bricht alles zusammen [...J wenn hier einer sein Gesicht verliert, das ist das Schlimmste, was man machen kann'' [GABEK, KK:W96]. Der heimische Lemprozess hat darauf hinzuweisen, dass in China dem hierarchischen Gefflge in einer Firma ein unvergleichlich starkeres Gewicht beigemessen wird als in Deutschland: Jn China, da schnippe ich mit dem kleinen Finger, dann ist der draufien. Und das ist natUrlich eine vollig andere Basis. Viele Dinge im Geschdftsalltag ist Hierarchie zum Beispiel. Hierarchie wird ganz schlicht in dieser Gesellschaft absolut akzeptierf [GABEK, KK:W97]. Chinesen werden „rollengefiihrt [...J haben eine natUrliche Tendenz, Autoritdt zu akzeptieren und nicht zu hinterfragen" [GABEK, KK: Sll]. Durch einen Verstofl gegen die Hierarchie stellt sich der Chinese ,,massiv aufierhalb [der Gesellschaft], und wegen dem sind die Leute eben obrigkeitsdienlich und was weifi ich" [GABEK, KK:W98]. Diese Gesichtspunkte sollen den Expatriates im Rahmen der heimischen Vorbereitung zusammen mit einigen wichtigen Grundziigen der chinesischen Geschichte, besonders der letzten Jahrzehnten vermittelt werden: ,JEin bisschen Geschichte sollte man eigentlich wissen, was so die letzten dreifiig Jahre, so ab der Kulturrevolution ... und das ist auch ein Fettndpfchen, wo man ein bisschen vorsichtig mit erkldren muss" [GABEK, KK:R29], zumal von einigen Expatriates noch die Meinung vertreten wird, dass „J^r Kommunismus hier noch stark rauskommt" [GABEK, KK:V41], allerdings mit der Einschrankung, dass die „Ma«ager-Chinesen [...] nicht stark von der Regierungsform, sprich Maoismus, Kommunismus geprdgt" sind [GABEK, KK:N67]. Der chinesische Weg zum Kapitalismus wird dabei nicht als das Umlegen eines Rebels (wie in Russland) verstanden, sondem als ein langsamer windungsreicher Prozess ,,nach chinesischer Art" [GABEK, KK:D27]. 8.3.1.3
Bild von China
Das Bild von China und den Chinesen, das die Expatriates von zu Hause mitbringen, halt der vor Ort erfahrenen Wirklichkeit selten stand: „China-Bild hat man nur Government, die Army exzerzieren, viele Menschen und Fahrrdder" [GABEK, KK:B27]. Aus der Nahe losen sich viele Klischees auf oder behalten
8.3 Kognitive Dimension
333
nur einen Teil ihrer Giiltigkeit: ,^s gibt naturlich den kommunistischen Hintergrund, aber es ist ein sehr kapitalistisches Land. Jeder der Leute hier, die hier arbeiten, jeder will sein eigenes Geschdft machen. Jeder. Wirklich jeder. Wir haben viele Leute, die horen hier bei uns auf, jetzt auch wieder, in zwei Wochen geht einer, der hat sich selbstdndig gemacht, der verkauft dann irgendwelche gammeligen Kleider oder sonstige Sachen." [GABEK, KK:W14]. Entgegen der befiirchteten diktatorischen Pragung des Alltags werden die freiheitlichen Moglichkeiten mit Oberraschung zur Kenntnis gekommen: ,jL>as war das Einzige, wo ich wirklich uberrascht war, wiefrei im Prinzip dieses Land ist" [GABEK, KK: 055]. Zur Auflosung der Klischees tragt bei, dass sich die Armut in den letzten 10 Jahren abgemildert hat: „D/e Leute, zumindest jetzt hier, wo ich leb, in diesem Gebiet, sind sie nicht so arm''' [GABEK, KK:W39]. Dabei wird das groBe Wohlstandsgefalle zwischen Stadt und Land nicht tibersehen: ,,Vielleicht ein bisschen hart ausgedriickt, ein bisschen riickstdndig, veraltet, und dass sie nicht die neueste Technologic haben. Wie halt meistens im Fernsehen gezeigt wurde, die Leute arbeiten auf dem Land noch mit Axt, mit Pferd, also ein wenig riickstdndig.'' [GABEK, KK:Q01]. 8.3.1.4
Chinesen
Im taglichen Umgang lemen die Expatriates allmahlich, die chinesischen Charakterziige kennen: ,,die Chinesen sind wesentlich individualistischer, die Gruppe zdhlt nicht viel, jeder kdmpft um sein eigenes Uberleben und nach mir die Sintflut ein bisschen." [GABEK, KK:B31]. Als weitere Zuge werden groBer FleiB [GABEK, KK:E07], rucksichtloser Eigennutz [GABEK, KK:S19] und hohe Egozentriertheit genannt: „D/e Chinesen meinen halt, es gibt nur sie" [GABEK, KK:V31]. Das ,^ehr stark ausgeprdgte Hierarchieverstdndnis" fiihrt zu einem .permanenten Abtastungsprozess [...] Geht man ess en, wird die jeweilige Bedienung relativ respektlos behandelt, der Taxifahrer wird respektlos behandelt" [GABEK, KK:S16]. Hierarchische Uberlegenheit wird rigoros hervorgekehrt, wohingegen es unter Gleichrangigen ,^ehr, sehr formlos [zugehtj. Da gibt es also keinen besonderen Benimm [...] gar nichts" [GABEK, KK:W30]. Um notiges Geschaftsvertrauen aufzubauen, sind endlose Meetings notig [GABEK, KK:X61]: ,^ber das ganze Thema ist zum Schluss naturlich nicht die Fragestellung, kann ich diesem Menschen trauen, [sondern] geht dieser Mensch mit mir durch alle Phasen des Projektes" [GABEK, KK:W84]. Um zusammen mit den chinesischen Kollegen ein bestimmtes Ziel zu erreichen, genugt es nicht, eben dieses Ziel anzuvisieren, sondern es ist notwendig, das Ziel weit hoher zu stecken, um am Ende dann das urspriinglich gemeinte Ziel tatsachlich zu erreichen: ,/« China, wenn das Ziel 100 ist und Sie haben nur 50 erreicht, sind Sie ein toller Hecht" [GABEK, KK:T02]. Die Geschaftstuchtigkeit der Chinesen ist durch ihre Freilassung aus der okonomischen Diktatur entfesselt: ,Jch bewundere die Chinesen, wie sie Geschdfte machen, obwohl esja immer noch ein Einparteienstaat ist, finden Sie hier Leute, die im Park Haare schneiden, und auch
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8 Dritte Analyse des Textmaterials
sicherlich einen Schwarzmarkt, den es hier auch gibt. Hier versucht jeder zu ilberleben, undwenn Sie nach Indonesien, Malaysia oder Thailand gucken, dann ist dort eine kleine Elite, welche die Geschdfte macht. In China sind es 2-3 %, die 90% des Umsatzes von China machen. Das zeigt, welches Geschick die Chinesen haben im Umgang mit Geschdften." [GABEK, KK:S92]. Fur westliche Firmen aber ist in China nicht mit sofortigem Gewinn zu rechnen: „Um einen wirtschaftlichen Erfolg, einen profitablen Erfolg umzusetzen, das dauert 3-4 Jahre" [GABEK, KK:D34]. Manchmal dauert es sogar 5-10 Jahre, bis die Gewinnschwelle erreicht ist. [GABEK, KK:E30]. 8.3.1.5
Schwierigkeiten
Das Geschaftsleben und der Alltag werden von vielerlei chinaspezifischen Schwierigkeiten erschwert. Die komplizierte und schwerfallige Biirokratie erweist sich als ein Hauptproblem: ,J^iirjedes Dokument branch ichja einen Stempel darauf, und ohne Stempel geht gar nichts. Geschdft ist kein Problem, aber diese wahnsinnige Biirokratie obendrauf macht das Leben viel schwieriger." [GABEK, KK:Q28]. Der komplizierten Burokratie tritt die alles durchdringende Korruption zu Seite. Diese Korrumpiertheit schlagt sich im Betrieb in der Gewohnheit nieder, von den Lieferanten Bestechungsgelder zu verlangen und zu erhalten: „Da ist es normal, Gelder einzustecken von Lieferanten. Es wird danach ausgesucht, wer am meisten zahlt. Das heifit, wenn du zehn Prozent von dem Produkt pro Produkt bekommst, dann nimmst du eben den Lieferanten'' [GABEK, KK:V40]. Durch die starke Konkurrenz, nicht zuletzt der westlichen Firmen untereinander, ist es oft schwierig, keine Verluste zu machen, was dann in der heimischen Zentrale auf voUiges Unverstandnis stoBt: „Was es mir personlichfur mich gebracht hat, vorher zu nachher, ist eine andere Sichtweise meines eigenen Unternehmens, das heifit die Perspektive eines internationalen Unternehmens aus Sicht von verbundenen Unternehmen oder Joint- Ventures oder was auch immerfur Konstrukte oder Lander, in denen wirklich grofie Schwierigkeiten von der geschdftlichen Situation her sich darstellen, well die meisten Firmen machen hier Verluste und im Headquarter in Diisseldorf ist man doch sehr erfolgreich und sehr stark erfolgsverwohnt." [GABEK, KK:S45]. Dieses Unverstandnis der heimischen Zentrale wird von den Expatriates durchweg kritisiert. Schon Geschafte in China anzubahnen, erweist sich als ungewohnlich schwierig: ,yDer anfdngliche Kontakt ist schwer, bis man an einem Punkt ankommt, wo man sagt, okay... man akzeptiert mit Freundschaft, das dauert schon etwas Idnger, well man den Chinesen auch erst kennen lernen muss, viel mehr." [GABEK, KK:R76]. Vor der chinesischen Realitat wird das von zu Hause aus mitgebrachte Kostenkonzept, Terminkonzept, personelle Konzept rasch zur Makulatur: „Und nun kommen Siejetzt her mit den besten Vorsdtzen und wollen das alles jetzt in die Tat umsetzen und dann stofien Sie an unglaubliche Grenzen." [GABEK, KK: W72]. Eine dieser Grenzen ist das chinesische Festhalten an den Hierarchiestufen und der Festsetzung der Gehalter gemaB dem Anciennitatsprinzip: ,J)as
8.3 Kognitive Dimension
335
Gehalt hier geht nicht nach Leistung, niemals. Das Gehalt in China geht, wie lange man bei der Firma ist. Das ist ein Problem. Das heifit, die Leute sitzen nur da und denken, ich bin schon funf Jahre dabei oder sechs Jahre oder sieben Jahre, was willst Du von mir. Das ist ein Problem.'' [GABEK, KK:W10]. Zu den groBten Schwierigkeiten zahlt schlieBlich die chronische Unterfinanziertheit vieler chinesischer Projekte, die dann rasch zu eklatanten Zahlungsschwierigkeiten und Verzogerungen ftihrt: ,^s gibt immer Probleme mit diesen Zahlungsbedingungen [...] Die sind nie durchfinanziert. Die haben immer wahnsinnsgrofie Projekte und mochten moglichst 15% nach Erhalt der Ware bezahlen. Und da muss man sehr, sehr genau aujpassen. [Wie verhandeln Sie bei Schwierigkeiten?] Also, wenn es vor das Gericht geht, meistens geht es sehr lange fur uns beide. Also, wir versuchen eine Art Kompromiss zu finden. Vielleicht, wenn es unverschuldet, dem vielleicht zwolf Monate mehr Zeit geben ... solche Moglichkeiten gibt es immer.'' [GABEK, KK:U86]. Durch die niedrigen Lohne der einfachen Arbeiter erweisen sich ins Auge gefasste kostspielige RationalisierungsmaBnahmen oft als groteske Fehlentscheidungen: ,J^as Argument, man kann halt Leute einsparen, wenn man das halt wirklich ausrechnet, ist ein Lacher " [GABEK, KK:Q30]. Im privaten Bereich, vor allem im Wohnungsbereich, vermag der schone Schein der Oberflache oft nicht die darunter liegende Bruchigkeit zu verdecken: ,^lles sehr teuer, alles an der Oberflache sehr schon, aber darunter ist immer der Wurm drin. Das heifit, jede Woche haben Sie irgendein Problem zu Hause. Relativ anfangs fiel mir eine Kachelwand von der KUche herunter, die Klimaanlage weder Heizung noch sonst irgendetwas fiinktioniert. Es gibt keine einstellbaren Ventile an der Heizung, Das Wasser fiinktioniert so hdufig nicht. Die Liste ist unbegrenzt lang." [GABEK, KK:N76]. 8.3.1.6
Europa
Oft werden die chinesischen Verhaltnisse nicht mit Deutschland, sondem mit Europa/Amerika verglichen. Im Gegensatz zu Europa muss man in China bei Vertragsverhandlungen alles ,,aufschreiben [...J und man muss alles absichern hier" [GABEK, KK:A17]. Dabei niitzt es nur sehr wenig und ftihrt oft zu groBen Irrtiimem, wenn groBe Internationale Consultinggruppen mit europaischen oder (USA-) Modellen operieren: ,J)ann kommt natiirlich eine Abbildung der Oberflache heraus" [GABEK, KK:N95], doch ohne dass die ..chinesischen Knackpunkte" [GABEK, KK:N96] erfasst wiirden. Es ist nicht chinesischer Stil, auf Nachfragen im europaischen Stil klare Antworten zu geben: ,J)as passt einfach nicht mit deren Kultur" [GABEK, KK:Q19]. Andererseits zeigt sich China, zumindest aus dem Blickpunkt der groBen stadtischen Zentren doch als „europdischer [...J vom Aussehen her" [GABEK, KK:W59] als man es von Deutschland her erwartet hatte.
336 8.3.1.7
8 Dritte Analyse des Textmaterials Geschichte des Landes
Zu den Kenntnissen, liber die jeder Expatriate verfiigen sollte, zahlen, wie schon oben unter dem Stichwort „Vorbereitungstraining" erwahnt, einige Grunddaten der jungsten Geschichte Chinas. Uber Politik, Wirtschaft und die groBen Richtungstendenzen der gegenwartigen Politik sollte jeder Bescheid wissen, urn ,,das politische Umfeld einschdtzen zu konnen" [GABEK, KK:A93]. Auch umrissartige Kenntnisse der Kulturrevolution bewahren den Expatriate davor, in eines der zahlreichen ,J^ettndpfcherj" [GABEK, KK:R29] zu treten. Und schon eine oberflachliche Beschaftigung mit Konfuzius setzt den Expatriate instande, seinen Einfluss ,,auch heute noch in der chinesischen Gesellschaft [...] zu bemerken, warum Chines en so sind, wie sie sind, warum man, ich sag mal, Nein beim Chinesen oder eine indirekte Aussage eines Chines en anders interpretieren muss als speziell die eines Europders" [GABEK, KK:S05]. 8.3.1.8
Verhandlungen
Bei Verhandlungen muss die deutsche/europaische Seite zuerst einmal herausfinden, wer von den Verhandlungspartner befugt ist, die Entscheidungen zu treffen: ,JEs ist nicht unbedingt der GeschdftsfUhrer. Manchmal ist es eine andere Person in der Gruppe" [GABEK, KK:A18], und im Hintergrund ,^teht immer noch eine Partei. Dieses Einparteiensystem beeinflusst die wichtigen Entscheidungen. Insofern laufen die Entscheidungsprozesse hier anders'' [GABEK, KK: S94]. Nicht selten werden von chinesischer Seite auch nach langerer Zeit Verhandlungen wieder an den Ausgangspunkt zuruckgefiihrt, um noch mal den Verhandlungsprozess von vome zu beginnen: ,J)ann muss neu diskutiert werden, weil irgendeine Person sagt: ,Nein, das geht nicht. Wir miissen das anders machen'" [GABEK, KK:A21]. Aber auch bei stockenden und in sich kreisenden Verhandlungen ,^oll man nie den Eindruck geben, dass man bose oder aufgeregt ist" [GABEK, KK:A22]. Falls ein Ubersetzer heranzuziehen ist, muss man ihm genug Zeit geben fur eine richtige und genaue Ubersetzung [GABEK, KK:A56]. Generell gilt, dass bei Verhandlungen zunachst einmal private Unverbindlichkeiten ausgetauscht werden, bevor iiberhaupt langsam mit den ersten, d.h. mit den leichteren Sachthemen begonnen wird [GABEK, KK:Q06]: ,^s wird mehr indirekt gesprochen. Man geht nicht konkret aufdie Punkte ein, man ist sehr hoflich und auch sehr ausschweifencf' [GABEK, KK:S99]. So kommt man nur mit Zeit, Geld und Geduld ans Ziel, wobei manchen europaischen Verhandlungspartnem bis zum Schluss unklar bleibt, nach welchen Werten die chinesische Seite sich ausrichtet: ,JDas istfiir uns unverstdndlich" [GABEK, KK:Q05]. Die lange hinausgeschobene schlussendliche Zustimmung auf chinesischer Seite ist nicht zuletzt darauf zuruckzufiihren, dass es ,ysehr wenige wirkliche, echte Entscheider [gibtj. Alsojemand [...], der [...] das Recht und die Kraft und Autoritdt hat zu entscheiden.'' [GABEK, KK:071]. Diese Entscheidungstrager sitzen zumeist in der Regierung und machen dann bei Verhandlungen „50 % unseres Erfolges"
8.3 Kognitive Dimension
337
aus [GABEK, KK:S95/U76]. Die chinesische Verhandlungsfflhrung legt den Hauptschwerpunkt und die Hauptschwierigkeiten ganz ans Ende: ,J)as Wichtigste kommt immer am Schluss" [GABEK, KK:063]. 8.3.1.9
Chinesisch sprechen
Chinesisch sprechen zu konnen, bringt fur einen Expatriate groBe Vorteile. Selbst liickenhafte Kenntnisse wirken als Tiiroffner bei Verhandlungen: „Wenn ich sage, es ist jemand... ich kannja chinesisch, dann will ich meine Karte so uberreichen, dass meine chinesische Schrift oben ist, Eine hdufige Reaktion ist es dann, dass der Chinese oder die Chinesin mich dann auf Chinesisch anspricht und ich kann auf Chinesisch antworten. Und das finde ich, ist schon mal eine ganz, ganz wichtige Anfangsbriicke ...zu bauen, erst mal." [GABEK, KK:R67]. Selbst bei missgliickten Versuchen ,/nerkt man sofort, sie [die Chinesen] offnen sich" [GABEK, KK:T53]. Und schlieBlich lassen sich Hintergrunde geschaftlicher Schwierigkeiten weit besser ausloten, wenn man auf Chinesisch nachfragen kann [GABEK, KK:U83]. 8.3.1.10 Mitarbeiter chinesisch Das erste Zusammenfinden von Expatriates und chinesischen Mitarbeitem kommt manchmal einem Kulturschock gleich, und es dauert manchmal ein gauzes Jahr ,Ms Sie wissen, wie die Chinesen oder die chinesische Organisation funktionierf [GABEK, KK:D51]. Was den Expatriates im Umgang mit den chinesischen Mitarbeitem, und zwar vor allem mit den Alteren zu schaffen macht, ist deren vollige Abhangigkeit von den Weisungen des Chefs und deren Unfahigkeit, eigene Entscheidungen und eigene Verantwortung auf sich zu nehmen [GABEK, KK:P15]. Manchmal gleicht dann der Umgang einem Umgang mit Kindem, es sei denn, es wurde viel Geld in Trainingsprogramme gesteckt, durch die die Mitarbeiter zur Eigenstandigkeit erzogen wurden [GABEK, KK: N83]. Indem Chinesen ,,eine natUrliche Tendenz [habenj, Autoritdt zu akzeptieren und nicht zu hinterfragen'\ neigen sie dazu, ,,Verstdndnis und Diskussionsbereitschaft auch als Schwdche zu interpretieren'' [GABEK, KK:S11]. Ihre Unselbstandigkeit zwingt sie ofters zur Verschleierung nicht erledigter Arbeiten: ,,Und spdter stellt sich heraus, dass er es noch gar nicht gemacht hat. J a, es gibt also [...] eine Masse von Details, dass ich es gar nicht mehr richtig beschreiben kann. Es sindsehr, sehr viele Sachen" [GABEK, KK:B53]. Eine andere Facette der chinesischen Arbeitnehmermentalitat besteht darin, dass sich viele nicht an ihren Betrieb gebunden tuhlen, sondem in dem „dynamischen Chaos" der chinesischen Wirtschaft ihr Heil im Betriebswechsel suchen: ,jSie haben hier nicht die Mitarbeiter, die seit zehn Jahren in der Firma arbeiten, sondern wenn die Leute ein, zwei Jahre bei Ihnen bleiben, dann ist das schon eine lange Zeit. Das heifit, die Loyalitdt zum Unternehmen ist manchmal, sage ich mal, in meinen Augen, wird sich noch entwickeln. Sie haben die Situation, dass einer die Stelle wechseln mochte. Kann man den Leuten aber nicht verden-
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8 Dritte Analyse des Textmaterials
ken, weil einfach diese dynamische Wirtschaft noch viele Moglichkeiten bietet.'' [GABEK,KK:X01]. 8.3.1.11 Zusammenarbeit Hingegen fallt dort, wo die chinesischen Mitarbeiter fur eine eigenstandige Zusammenarbeit geschult sind und wo die gutausgebildete Generation heutiger Hochschulabsolventen in die Betriebe kommt, das Urteil uber die Zusammenarbeit .jiberraschend guf aus: ,^s wdchst eine Generation nachjung, gut ausgebildet, sehr offen. Also, das sind positive Uberraschungen'' [GABEK, KK:089]. Diese Urteile losen offenbar allmahlich die Vorbehalte ab, die manche Expatriates hinsichtlich der geringen Teamfahigkeit der chinesischen Seite bis jetzt gesammelt hatten: ,JEs ist nicht so leicht, die Leute dazu zu bringen, dass sie arbeiten zusammen in eine Richtung'' [GABEK, KK:A62]. Die Zusammenarbeit verbessert sich, ,,wenn man mit den Leuten dann ein Verhdltnis aufgebaut haf [GABEK, KK:C22]. Im Btiroalltag halten sich die Chinesen lange an die Kegel, nicht iiber private Probleme oder tiber Familiares zu sprechen: ,J)ie chinesischen Leute sind unheimlich zuriickhaltend in alien ihren personlichen Aufierungen, und es ist eben, es kommt auch von der alten Kultur her oder noch von Konfuzius, dass eben die Dinge, die sich eben in der Familie abspielen, so etwas soil bleiben in derFamilie'' [GABEK, KK:W95]. Einen heiklen Balanceakt hat die chinesische Sekretarin eines leitenden Angestellten zu vollfuhren. Einerseits muss sie Partei fur ihren Chef ergreifen. Andererseits aber sollte sie nicht Partei gegen die chinesischen KoUegen sein: ,X>as [enge Zusammenarbeiten mit dem Chef/ bringt der Sekretarin auch natiirlich einen ganz besonderen Status in der Organisation. Diese Organisation... dieser Status kann sehr schnell missbraucht werden, wenn sie sich immer unter den Schirm des Chefs stellt." [GABEK, KK:F18]. 8.3.1.12 Erfolge Der geschaftliche Erfolg hangt oft am Aufl^au der Netzwerke: ,^s hilft sehr viel im Berufhier, wenn man gute Kontakte hat" [GABEK, KK:C76]. Uberaus wichtig sind Beziehungen zu Politikem, also das sog. „Politic-Engeneering" [GABEK, KK:S95]: .^eziehungen zu Entscheidungstrdgern, zur Regierung [machenj 50% unseres Erfolges [aus]. Wenn Sie hier mit der rein westlichen Vorgehensweise rangehen [...J dann gehen Sie am besten gleich wieder nach Hause." [GABEK, KK:S95]. 8.3.1.13 Ausbildung chinesisch In den Augen einiger Expatriates sind die .M^nschen in China substantial anders als alle anderen Chinesen'', die sonst irgendwo in der Welt leben. ,,Alle sind ganz, ganz anders [...] das hat nichts damitzu tun, meine ich, primdr, dass es ein kommunistisches System ist, sondern ich glaube, es hat mehr zu tun, mit [...] Ausbildung [...] Erziehung und Familienleben.'' [GABEK, KK:N73]. Bis zum
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Alter von 23 Jahren, dem Zeitpunkt des Universitatsabschlusses, sind die Absolventen oft noch wie ,JCinder [...J Das ist wie hei uns im vergangenen Jahrhundert [..,] kein eigenes Denken, keine eigenen Entscheidungen, weder zu Hause noch in der Schule" [GABEK, KK:N74]. Deshalb fehlt diesen Absolventen die Eigeninitiative, die Eigenverantwortung, die erst durch ein On-the-Job-Training im Betrieb geweckt werden miissen [GABEK, KK:N88], um die lange Zeit von der Partei vorgegebene Entmiindigung zu durchbrechen: „Und vor allem miissen Sie diesen Leuten zuerst mal beibringen, eigene Verantwortung und ein eigenes Denken, was bei uns gefordert wird, was in den chinesischen Einheiten damals nicht gefordert wurde, wo der Chefimmer gesagt hat: Ich denkefur sie, und sie fuhren nur das aus, was ich ihnen sage. Das ist parteipolitische Instruktion gewesen, seit das Kind ja in den Windeln gelegen hat, in chinesischen, und dann hinterher in die Schule gegangen ist.'' [GABEK, KK:D48]. Vor allem muss das Arbeiten in chinesischen Arbeitseinheiten iiberwunden werden, worunter zu verstehen ist, dass man von Kindesbeinen in einer groBeren Arbeitseinheit aufgewachsen ist, in der auch schon die Eltem arbeiten. Zu einer solchen Einheit gehort oft eine eigene Universitat, nach deren Durchlaufen man dann in die Fabrik dieser Arbeitseinheit hiniiber wechselt: ,^rst die Eltem und dann auch sie [ihre Kinder]" [GABEK, KK:D49]. AUerdings hat sich die Ausbildung der chinesischen Studenten und Nachwuchskrafte in letzter Zeit stark verandert: ,,China ist im Wandel jetzt, Mitarbeiter kommen nach oben und aus den Universitdten heraus, die kompetent sind und auch einen westlichen Fuhrungsstil schon gewohnt sind." [GABEK, KK:A89]. Diese eigenstandige junge Generation ist flir .positive Uberraschungen [gut]. Negative Uberraschungen eigentlich nicht" [GABEK, KK:089]. Die neue Offenheit ist ein Zeichen dafiir, dass die von der kommunistischen Partei lange geforderte Xenophobic allmahlich uberwunden ist: ,J)as war ja jruher auch so, wenn ein Aus lander zu einem Chinesen nach Hause [ging], dann hat es sein konnen, dass der Nachbar bei der Polizei angerufen [hat], weil der durfte sich da eigentlich nicht aufhalten, und deswegen haben die naturlich ein Stuckweit, sage ich mal, auch fast... Angst ist zu viel gesagt, aber doch einen Respekt, und da muss man, ja, das Vertrauen, wie gesagt, ist ganz wichtig am Anfang" [GABEK, KK:T89]. 8.3.1.14 Lang da sein Bei den Expatriates, die langere Zeit in China verbringen und allmahlich 45-50 Jahre alt werden, stellt sich die Einsicht ein, es sei ihnen unmoglich, .^ichjemals wieder in Deutschland anzupassen" [GABEK, KK:E13] oder in wenigen Jahren dann flir ein ,fur ein europdisches Haus uneinstellbar" zu sein [GABEK, KK: E14]. 8.3.1.15 Deutsch sein / deutscher Blick Der Blick aus China auf Deutschland scharft die Auffassung vom Eigenen vor dem Hintergrund des Fremden, so, wenn ein Expatriate in China auf sich alleine
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8 Dritte Analyse des Textmaterials
gestellt ist und dabei entdeckt, dass er in Deutschland doch eine gute Ausbildung erhalten hat [GABEK, KK:018], dass aber die deutsche hundertprozentige Grundlichkeit in China „«wr Idcherlich" wirkt [GABEK, KK:Q32]. Die deutsche Mentalitat unterscheidet sich von der chinesischen durch groBeren Ehrgeiz, offeneres Denken, groBere Ehrlichkeit und Achtung vor der Umwelt: ,^uf unsere Umwelt sind wir wesentlich bewusster eingestellt als die Chinesen [...] wir leben bewusster mit unserer Umwelt.'' [GABEK, KK:W46]. Andererseits erscheint die deutsche Sorge .fiber unwichtige Sachen oder Kleinigkeiten'' aus der chinesischen Optik .^iemlich kleinkariert [GABEK, KK:V81]. 8.3.1.16 China im Werden Expatriates erleben China als einen Giganten, der in raschem Wachsen und Wandel begriffen ist. Die Wirtschaft prasentiert sich als ,,dynamisches Chaos" [GABEK, KK:X01] und China selber als „ein Sechstel von der Welt-Population, und die werden immer starker" [GABEK, KK:A77]. 8.3.1.17 Kulturanders Die chinesische Kultur wird als denkbar groBter Gegensatz erfahren. Sie Jstja komplett unterschiedlich zu unserer, das Denken und Handeln ist komplett unterschiedlich, die Werte sind komplett unterschiedlich" [GABEK, KK:Q05]. Die kulturelle Differenz erschwert in manchen Betrieben das Zusammenwirken: ,,Gut, ich denke, die Zusammenarbeit mit den Chinesen hier ist denkbar schwer, weil Sie, wie eben gesagt, die Kultur ist ganz anders, ich hab das schon beschrieben, mit den Kindern und so weiter, wenn Sie das durchgestanden haben, in Asien, mit Chinesen speziell, das ist wirklich ein spezielles Volk" [GABEK, KK: W52]. Solches Anderssein schlagt sich in sozialer Hinsicht als Zufriedenheit mit den gegebenen, wenn auch langst nicht zufriedenstellenden wirtschaftlichen Verhaltnissen nieder: ,J)ie ganze Kultur einfach, wie die Menschen hier leben, dass sie total unterschiedlich sind wie wir. Dass die mit dem Standard total zufrieden sind, dass hier mit dem Leben. Die Leute hier wissen ja genau, wie es in den westlichen Ldndern ist, der Luxus und so weiter. Dass sie dies trotzdem alle, ich denk, hier merkt man ziemlich deutlich, dass Geld verdienen, dass das der Grund ist, dass man glucklich ist." [GABEK, KK:V27]. 8.3.1.18 Gegenwind Im Marktgeschehen gibt es immer wieder erhebliche Widerstande, die die Arbeit erschweren. Dazu zahlt die riesige Falschungsindustrie [GABEK, KK:E34], die den Verkauf von Originalprodukten ruiniert, wodurch beispielsweise westliche Waschmittelhersteller Verluste einfahren [GABEK, KK:C59]. Ebenso kontraproduktiv wirken sich Geschaftsbeziehungen aus, die nur auf den Augenblick berechnet sind: Jch hab mal einen Freund von mir [gehabt], der verkauft Computer hier, und der hatte einen Riesenauftrag, war von einer Bildungsbehorde oder
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so etwas, und ganz toll, die sollten alles ganz neu ausstatten, alle moglichen Institute und, und, und. Und die erste Lieferung fur irgendein Institut haben die schon nicht bezahlt. So, istjetzt eine Frage, wahrscheinlich freuen die sich, dass sie nicht bezahlt haben:, Oh, wie toll, wir haben die erste Lieferung umsonst bekommen.' Aber die Idee, die dahinter steckt, eine langfristige Beziehung einzugehen, auch mit einer Computerfirma, um dann hinterher auch Service und alles zu haben, das fehlt noch an vielen Ecken. Und das ist naturlich [... ] wirklich Gegenwind, wie Sie sagen." [GABEK, KK:096]. Hinzu kommen sehr hohe Importzolle: „Wenn Sie hier einen Wagen importieren wollen... dann haben Sie den Einfuhrzoll und miissen noch eine Lizenzgebilhr bezahlen. Dann wird der Wagen 2,5'3mal so teuer wie in Deutschland. 80% unserer Kunden fahren S-Klasse. Reiche Chinesen, die es hier auch gibt." [GABEK, KK:T13]. Auf dem „hier in China am hdrtesten umkdmpften Aufzugsmarkt" [GABEK, KK:V10] wird mit Uberkapazitat und Dumpingpreisen zur Sache gegangen [GABEK, KK:V10]. Die allgegenwartige Korruption verhindert sinnvolle Entscheidungen [GABEK, KK:W33]. Und zusatzlich miissen die Expatriates nicht eben selten mit dem Unverstandnis ihrer Heimatzentrale kampfen: ,yAlso Gegenwind, und da mochte ich mal einfach fur alle meine Kollegen sprechen, Gegenwind ist oftmals ein sehr scharfer aus dem eigenen Haus. Ich sage mal, Sie miissen Ihre Artikel zweimal verkaufen. Sie miissen sie einmal Ihrem chinesischem Kunden verkaufen, anschliefiend Ihrem Haus verkaufen, wie Sie es dem chinesischen Kunden verkauft haben." [GABEK, KK:E25]. 8.3.1.19 Bereich beruflich Im Berufsleben wirkt, wie schon in 7.2.1.8 vermerkt, die Kenntnis der chinesischen Sprache als integrativer Faktor. Um die Chinesen richtig verstehen zu konnen, ..miissen Sie deren Sprache sprechen konnen." [GABEK, KK:T16]. 8.3.1.20 Firma Es herrscht Ubereinstimmung unter den Expatriates, dass eine Firma erst dann von ihren Expatriates voUen Nutzen zieht, wenn diese iiber langere Zeit hin in China tatig sind: ,J)enn wenn man immer einen nach China schicktfur zwei, drei Jahre, der brauchtja auch zwei, drei Jahre bis er sich zurecht findet [...] Wenn jetzt einer Idnger bleibt, so wie ich, dann ist das ein bisschen effektiver" [GABEK, KK:V16]. Bei Joint Ventures sollte das chinesische Element die deutsche Prasenz nicht vollig dominieren. Nur so ist es moglich, gewisse negative chinesische Elemente, wie etwa die Neigung zur Korruption, zu zilgeln, denn .J^reund-, Vetterchen-Geschdfte" hindem eine Firma daran, ..richtigfrei zu sein" [GABEK, KK:V78]. 8.3.1.21 Geschaft Eine der wesentlichen Grundlagen produktiver Geschaftstatigkeit in China ist der Aufbau von Beziehungen [GABEK, KK:A44]. Fur die Anfanger gilt es in den
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ersten drei bis sechs Monaten deshalb erst einmal zuzuhoren und sich uber die Situation und die geschaftlichen Verfahrensweisen ins Bild zu setzen. Dabei macht es einen groBen Unterschied, ob man in Peking oder Shanghai geschaftlich tatig ist: ,JPekmg hat eine gam andere Atmosphdre, eine Verwaltungsmentalitdt, weniger eine Business-Atmosphdre wie sie hier ist. Hat ein gam anderes Esprit, ist auch nicht so weit entwickelt im Sinne von Infrastruktur. Das heifit, wenn man da ein Taxi nimmt, dann wird man nicht nur ofter beschissen, sondern, ich sag mal so, die Fdhigkeit, den Weg zufinden, ist eine andere, ist rilckstdndiger. Also, der Motor in China ist Shanghai. Wer Business machen will, die Entscheidung ist richtig gewesen, in China nach Shanghai zu gehen, der sollte hiersein. Hier wird Business gemacht' [GABEK, KK:S02]. 8.3.1.22 Motivation selbst Die Selbstmotivation der Expatriates kommt aus verschiedenen Antrieben, aus dem guten Gehalt [GABEK, KK:B01], aus selbstgesteckten Zielen [GABEK, KK:B01], aus der Differenz zwischen deutscher und chinesischer Kultur [GABEK, KK:W42], aber auch aus dem Willen, die z. T. enormen Widerstande im Umgang mit der Administration zu iiberwinden. Und schlieBlich beflugelt es die Expatriates, wenn die Chinesen ihrem deutschen Vorgesetzten grofies Vertrauen entgegenbringen: ,Jch sag mal, die nehmen mein Gehirn ernst [...] und das ist, glaube ich, die grope Motivation" [GABEK, KK:P16]. 8.3.1.23 Kommunismus Die Expatriates bringen von Hause aus Bilder liber China mit, die zu Zeiten der Kulturrevolution um die Welt gegangen waren und sich unausloschlich eingebrannt hatten: ,Ja, ja aus den Zeiten, aus den Zeiten der Kulturrevolution 66 bis 67 ja, ein totaler Staat. Bilder aus dem Fernsehen, mit blauen Miitzen und blauenJacken. Ja totaler steifer Kommunismus'' [GABEK, KK:D25]. Demgegentiber zeigt sich die Mehrzahl der Expatriates von der Entideologisierung des geschaftlichen Sektors angenehm beriihrt [GABEK, KK:D27/N67]. AUerdings scheint im Geschaftlichen, so bei der Besetzung der hoheren Positionen, der Einfluss der Partei immer noch ausschlaggebend zu sein: Jch weiss auch gar nicht, nach was hier beurteilt wird' [GABEK, KK:V42]. 8.3.1.24 Korruption Immer wieder ist von den Expatriates die Klage iiber Korruption zu horen. Als korrupt erweisen sich die Entscheidungstrager, die vorsichtshalber im Hintergrund bleiben [GABEK, KK:U78], indes die Zollbeamten ihren Wohlstand offen zur Schau tragen [GABEK, KK:V06A^11]. Soweit die Geschaftsflihrung chinesisch ist, toleriert sie die Korruption im eigenen Betrieb: ,,Und deshalb denke ich, es ist sinnlos, weil wahrscheinlich einer mit dem anderen zusammenarbeitet [GABEK, KK:V40].
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8.3.1.25 Femsehen Der Wissensstand der chinesischen Bevolkerung wird heute schon wesentlich vom Internet gepragt: Jch denke, fur 95 % der Chinesen bis 99% ist das die einzige Quelle der Information" [GABEK, KK:N81]. Aber auch das Internet wie auch die Zeitung und das Femsehen werden noch sehr stark vom Staat kontrolliert: ,J)as ist immer das gleiche" [GABEK, KK:N81]. 8.3.1.26 Erfahrung in Asien Die Begegnung mit den chinesischen Gegebenheiten ruft in manchen Expatriates/Managem einen tiefen Bewusstseinswandel hervor, und zwar dergestalt, dass sie nicht mehr eine vorbestimmte, starre Handlungsstrategie verfolgen, sondem ,,aus den Gegebenheiten das Beste" zu machen suchen [GABEK, KK:X18]. 8.3.1.27 Mentalitatsunterschied Die Problemauffassung aus chinesischer oder deutscher Perspektive kommt bisweilen zu weit auseinanderlegenden Schliissen: „M?«c/7e Probleme sieht ein Chinese anders wie ein Deutscher" [GABEK, KK:U83]. 8.3.1.28 Bejing Wer in Peking/Bejing arbeitet, soUte Mandarin lemen, wer aber in Shanghai arbeitet, Kantonesisch: „D/e Sprache ist sehr wichtig" [GABEK, KK:A37]. Beide Stadte haben ihre spezifischen Eigenschaften: Wer einen Arbeitsplatz in Peking oder Shanghai annimmt, soUte sich zuvor daruber im Klaren sein, dass diese Riesenstadte „a« einer Luftverpestung leiden, die also ganz besonders im Winter wirklich katastrophal ist. Also Luft, die schwerzu atmen ist.'' [GABEK, KK:E09/ S83]. Peking ist nicht nur Regierungssitz mit einer allgegenwartigen „Verwaltungsmentalitdf\ sondem auch eine Hochburg der Produktion von Fakes: ,J^akes die kommen aus Peking, die machen die gleichen Punkte wie wir, verkaufen sie an anderer Stelle, benutzen unsere Warenzeichen, unsere Formeln und alles mogliche" [GABEK, KK:N92]. 8.3.1.29 Besprechen Bei Verhandlungen muss mit den Geschaftspartnem alles durchgesprochen werden ,,und [man muss] das in Schwarz- Weiss aufschreiben", wohingegen in Europa eine mundliche Absprache unter vertrauensvollen Partnem gentigt. Anstatt in grofien Meetings wie in Europa werden in China kritische Punkte eher in Zweiergesprachen bereinigt, um einen saumigen Partner nicht das Gesicht verlieren zu lassen [GABEK, KK:C45]. Die chinesische Geschaftsgesellschaft ist ,^ehr stark verbal" orientiert und orientiert sich nicht so sehr an Reports und Statistiken. An die Stelle genereller Beschliisse in Meetings tritt ein Netzwerk von Zweiergesprachen, die sich wiedemm mit anderen Reihen von Zweiergesprachen multiplizieren: ,^lso es ist immer so, immer zwei Leute sitzen zusammen und
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dann rennen die wieder los und versuchen wieder mit anderen Leuten zu reden. Je zwei-zwei. Es ist sehr ausgeprdgt [GABEK, KK:P01]. 8.3.1.30 Vertrauen Es gehort zu den Uberraschungen des europaischen Managers, dass chinesische Kollegen oder iiberhaupt chinesische Geschaftsleute Geschafte machen, von ihrem geschaftHchen Rahmen und ihrer Arbeitsweise her alien Regeln der Gediegenheit und Reprasentativitat widersprechen und kein Europaer in sie je Vertrauen setzen wiirde: ,J)asfdngt schon an, wenn man in diese Firma reinkommt. Also, eine gute anstdndige Firma hat ein sauberes Bilro, Toilette. Wenn man zum Chairman kommt, dann sieht es nach einem Filhrer aus, da steht ein Computer rum. Aber bei manchen Leuten ist es eine schdbige Bude, man sieht die Federn im Sofa, und es sieht iiberhaupt nicht nach Arbeit aus, und es stinkt zum Himmel. [Kein Geschdftsabschluss?] J a, wenn dieser Mann so die Geschafte durchfuhrt, ohne irgendwelche PCs oder Biicher oder so... das sieht gar nicht nach Arbeit aus. Der Herr gehtjeden Tag aus, trinkt mit jemandem, es ist komisch, dass er dann ein Millionengeschdft machen kann.'' [GABEK, KK:U87]. 8.3.1.31 Anfangsphase Die Anfangsphase beinhaltet offensichtlich einen komplexen Lemprozess, der am raschesten von einem ,^uten soliden Multitalenf zu bewaltigen ist [GABEK, KK:D46]. Zum Lemprozess gehort ebenso ,,nicht zu schnelle Entscheidungen zu machen iiber die Leute, sondern manchmal es ist schwer, die Menschen zu lesen" [GABEK, KK:D46]. In der Anfangsphase fehlt auch jedes „Gefuhlfur die Preise [...] das dauert halt ein bisschen, bis Sie als Aus lander, als Langnase, einmal dahinter kommen, das Preisniveau. Wo muss ich hin? Wem musst du das Produktzeigen?" [GABEK, KK:V09]. 8.3.1.32 Unterschiede Aus der Perspektive der Expatriates ergeben sich eine Reihe von frappanten Unterschieden zwischen der chinesischen und der deutschen Seite. Dies betrifft nicht nur die erwahnte chinesische Art der Verhandlungsfuhrung [GABEK, KK: 63/Q06], sondern auch solche Punkte, die zwar aus europaischer Sieht keinerlei Schwierigkeiten bereiten, aber flir Chinesen nur unter groBer Anstrengung und unter Umgehung einer komplizierten Gesetzeslage zu losen sind [GABEK, KK: VI2]. Die Expatriates konnen in China ihre Weisungsbefugnisse kraft der Moglichkeit, missliebigen Angestellten sofort die Gehalter zu kiirzen, weit radikaler durchsetzen als das in Deutschland moglich ware [GABEK, KK:V38]. 8.3.1.33 Auslander in China Auslander, die in China arbeiten, werden, nach Uberzeugung mancher Expatriates, Jmmer guest sein" [GABEK, KK:D63]. Um dennoch akzeptiert zu werden.
8.3 Kognitive Dimension
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ist es notwendig, ,^ich wirklich in das lokale Umfelcf' tief einzumischen [GABEK, KK:D63]. Ein weiterer wichtiger Schritt besteht im Aufbau von Netzwerken: ,J)as habe ich schon gesehen in den letzten zwei Jahren. Am Anfang hatten wir uberhaupt kein [guanxi], und ich kann mir auch nicht mehr vorstellen, ohne das zu arbeiten." [GABEK, KK:I28]. Die auslandischen Manager konnen dabei von einer gewissen Sympathie bei den Chinesen profitieren: Jm privaten Bereich, ilberall, dadurch wird man selber positiv stimuliert, den Ausldnder nach vorne zu kehren oder hier den Deutschen nach vorne zu kehren" [GABEK, KK:017]. 8.3.1.34 Aufenthalt in China Im Laufe ihres Chinaaufenthaltes verharten oder verandem sich oft die mitgebrachten Bilder uber China. Die Urteile, die sich bei den Expatriates einstellen, umfassen somit eine polare Spannweite. Im negativen Urteil werden die Chinesen „ein bisschen trdge" [GABEK, KK:R35] und ,,nicht besonders interessant und auch nicht besonders gut gebildef [GABEK, KK:S30] empfiinden. Andererseits werden sie als Jnteressante Menschen" gelobt, auch wenn „an der Oberfldche sehr, sehr viel klappert, im Staat, in der Firma [und] die Leute nicht auf diesem intellektuellen Niveau sind, wie Sie das normalerweise kennen" [GABEK, KK:N89]. Bewundert werden die Chinesen von manchen Expatriates dafiir, dass sie trotz armlicher Verhaltnisse so ,,gliicklich sind\ wohingegen sich die Deutschen trotz des Luxus einer sauberen Wohnung, einer Krankenversicherung, einer medizinischen Betreuung im Krankenhaus uber jede Kleinigkeit aufzuregen pflegen [GABEK, KK:V82]. 8.3.1.35 Meetings Meetings in China folgen, wie bekannt, anderen Regeln und haben ein anderes Gewicht als Meetings in Europa. Desgleichen kommt in China auch schriftlichen Vereinbarungen weniger Bindekraft zu als in Europa: ,,Wir hatten [das] hier schriftlich vereinbart, nur ist das Problem, dass das in der Kegel sowieso nicht so richtig funktioniert. Also, auch die Mitarbeiter hier nehmen das, das, sag ich mal, nicht, nicht so ernst." [GABEK, KK:C42]. Fehlleistungen sind nur sehr zuriickhaltend zu behandeln, um nicht dem Schuldigen das Gesicht zu nehmen [GABEK, KK:C45]. Das redundante Reden in den Meetings endet oft ohne konkrete Ergebnisse: „Da wird zwanzig Minuten geredet, und dannfrage ich nach der Ubersetzung, und dann kriege ich einen Satz als Ubersetzung und ichfrage: , Wie, das kann doch nicht alles sein. Ein Satz.' ,Doch, das ist alles" [GABEK, KK:X61]. 8.3.1.36 Wissenlokal In China ist es unbedingt notig, die kritischen Punkte in Verhandlungen und im chinesischen Geschaftsleben zu kennen, an denen die chinesischen Partner moglicherweise „krumme Dinge machen" konnen [GABEK, KK:N94]. Ein Briefing
8 Dritte Analyse des Textmaterials
346
nach europaischer oder amerikanischer Art deckt die Schwachpunkte nicht auf: ,X>as kann man nur dann, wenn man die chinesischen Knackpunkte kennt und da spezifisch hineingeht und da mal nachbohrt, was ist da eigentlich los" [GABEK, KK:D96]. Dazu braucht der Expatriate allerdings ein sehr spezifisches Jokales Wissen" [GABEK, KK:R98], das ihm hilft, die unsichtbaren Faden zu entwirren. 8.3.2 Reduktionstabelle: Kognitiv Tabelle 10: Kognitiv Reduktionstabelle
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Erfolge
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8 Dritte Analyse des Textmaterials
Motivation selbst In der Selbstreflexion uber die Quellen ihrer Motiviertheit verweisen die Expatriates zunachst auf sich selbst. Ihre Motivation schopfl aus der Eigenvorgabe von Zielen, aus einer erhohten Verantwortung fur die Mitarbeiter, aus dem Ehrgeiz, die Vorgaben der einheimischen Zentrale einzuhalten, und aus dem Wunsch, vor den Kollegen bestehen zu konnen. Als Antrieb wird die Aussicht, die eigene finanzielle Situation zu verbessem und sich einen erhohten Luxus leisten zu konnen. Eine gediegene hausliche Atmosphare wirkt als zusatzliche Motivation. Als weiterer Antrieb wird auch die Ausbildung junger chinesischer Mitarbeiter angegeben, denen hierdurch bessere berufliche Perspektiven eroffnet werden. Motivation Mitarbeiter Urn die Mitarbeiter zu motivieren, steht den Expatriates eine Fulle von Einwirkungsmoglichkeiten zur Verfugung. Zu nennen waren das Angebot von Englischsprachkursen, Gesprache mit hierarchisch nachgeordneten Mitarbeitem, das Teilhabenlassen an erzielten Erfolgen, kontinuierliche KontroUe, indirekte Gehaltserhohungen, verbesserter Informationsfluss und die Belohnung mit einen Deutschlandaufenthalt. Die Motivierung der chinesischen Mitarbeiter wird erhoht, wenn man ihnen die Motiviertheit vorlebt, nach erzieltem Erfolg die Zufriedenheit durch kleine Feste und Ausfluge zeigt und durch Lob die emotionale Seite weiter aktiviert. Jemanden begeistem Die Erfullung quantitativer Ziele verlangt in China einen Fiihrungsstil, der es versteht, Emotionen freizusetzen, es sei denn, man entscheidet sich fur einen imparativen Fiihrungsstil, der ungeniert Zwang ausubt. Zwischen solchem Zwang und der Evokation von Emotionen scheint es keinen Mittelweg im westlichen Sinne zu geben. Erfolge Um die von der deutschen Zentrale gewiinschten Erfolge zu erreichen, braucht der Expatriate nicht nur Eigenmotivation und Mitarbeitermotiviertheit, sondem auch ein fmanzielles Bonussystem, das an Erfolge gekoppelt ist. Nach aufien hangen die Erfolge oft am Aufbau von politischen Netzwerken, deren Reichweite nach oben letztlich tiber Erfolg und Misserfolg entscheidet. Gegentiber den Geschaftspartnem erweist es sich als besonders vorteilhaft, anstehende Zahlungen punktlich zu erledigen. Das so erworbene Kapital an Vertrauen schlagt sich in erhohter Lieferpunktlichkeit der Gegenseite nieder. Befliigelt wird das Erreichen von Erfolgen durch Fahigkeiten wie Ehrgeiz, Gelassenheit, Zusammenarbeit und ebenso durch die Fahigkeit, sich in Chinesen hineinzudenken, Kritik
8.5 Motivationale Dimension
377
anzunehmen, ein effizientes Team aufzubauen und die Leistung der chinesischen Mitarbeiter anzuerkennen. Schliefilich wird eine Liste von kontraproduktiven Handlungen aufgeblattert, die zu unterdriicken sind, um die Erfolge nicht zu gefahrden. Als Kontraprodukte sollen Ungeduld, westliche Arroganz, deutsche Pingeligkeit, lautes Auftreten und die Geringschatzung der chinesischen Mentalitat tunlichst vermieden werden. Riickenwind Zusatzlichen Riickenwind verspiiren die Expatriates durch ihre gute Ausbildung in Deutschland, durch das deutsche QuaHtatsimage, die Neugier der Konsumenten, auf neue Produkte, die Uberlegenheit der eigenen Produkte und durch die allmahlich ansteigende Planungssicherheit in China sowie den WTO-Beitritt Chinas. Es schaffen Um in China zu den notwendigen Erfolgen zu kommen, d. h. „es zu schaffen", sind zusatzlich zu den schon aufgezahlten Eigenschaften noch weitere Qualitaten erforderlich. Der Expatriate muss willens und fahig sein, sich durch die taglichen Widrigkeiten einer mangelhaften Infrastruktur nicht entmutigen zu lassen. Die familiaren Angelegenheiten sind so zu regeln, dass sie dem Expatriate in seiner taglichen Arbeit nicht zur Last fallen. Der Expatriate muss die Kraft haben, auf das zu Hause gewohnte gehobene soziale Umfeld zu verzichten und (wo notig) Einsamkeit durchzustehen. Ermutigung kann er dabei aus der vorbildlichen Arbeit und Haltung anderer Expatriates schopfen und auch aus der beispielhaften Befahigung der chinesischen Bevolkerung, hohem Leidensdruck mit noch hoherer Leidenskraft zu begegnen. Der nachste Reduktionsschritt lasst sich zu Tabelle 12 zusammenfassen.
8 Dritte Analyse des Textmaterials
378 8.5.3 Reduktionstabelle: Motivation Tabelle 12: Motivation Reduktionstabelle
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8 Dritte Analyse des Textmaterials
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8 Dritte Analyse des Textmaterials
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