Innovationserfolgsrechnung: Innovationsmanagement und Schutzrechtsbewertung, Technologieportfolio, Target-Costing, Investitionskalküle und Bilanzierung von FuE-Aktivitäten [1 ed.] 9783540776154, 354077615X [PDF]

Die die Steuerbarkeit von Forschungs- und Entwicklungsergebnissen in Innovationsprojekten kann betriebswirtschaftlich be

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German Pages 481 [482] Year 2008

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Table of contents :
Front Matter....Pages i-xix
Front Matter....Pages 1-1
Der Innovationsgrad in der Erfolgsfaktorenforschung – Einflussfaktor oder Kontingenzfaktor?....Pages 3-19
Aufbau und Durchführung der rechnerischen Bewertung von Innovationen dargestellt an einem Fallbeispiel aus der Telekommunikationsindustrie....Pages 21-43
Rating bzw. Bonitätsprüfung als Innovationserfolgsrechnung bei innovativen technologieorientierten (Gründungs-)Unternehmen (TU)....Pages 45-67
Innovationserfolgsrechnungen bei der Bewertung pharmazeutischer FuE-Projekte....Pages 69-118
Front Matter....Pages 119-119
Grundlagen der Bewertung immaterieller Vermögenswerte am Beispiel der Bewertung patentgeschützter Technologien....Pages 121-179
Bilanzierung von F&E-Aktivitäten nach IFRS....Pages 181-219
Front Matter....Pages 221-221
Strategisches IP Management zum Schutz von Innovationen....Pages 223-288
Front Matter....Pages 289-289
Technologie-Kostenanalyse....Pages 291-303
Technologie-Bilanzierung....Pages 305-324
Technologie-Portfolio als Methodik der Inventions und Innovationsbewertung – Prolegomena zu Metriken für Inventionen und Innovationen....Pages 325-346
Ressourcen-Bewertung von Innovationsprojekten zwischen „lean“ und „slack“....Pages 347-367
Front Matter....Pages 369-369
Conjointbasierte Messung von Nutzenbeiträgen von Produktfunktionen und Generierung von Zielpreisen (Target Pricing)....Pages 371-385
Zur Integration des Target Costing und der Prozesskostenrechnung in den Berliner Balanced Scorecard Ansatz bei Entwicklungs- und Konstruktionsvorhaben in der Automobil- und Maschinenbauindustrie....Pages 387-423
Front Matter....Pages 425-425
Innovationsmarketingerfolgsrechnungen im Rahmen des Berliner Balanced Scorecard Ansatzes aus der Sicht einer finanzorientierten Kundenwertanalyse....Pages 427-473
Back Matter....Pages 475-481
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Innovationserfolgsrechnung: Innovationsmanagement und Schutzrechtsbewertung, Technologieportfolio, Target-Costing, Investitionskalküle und Bilanzierung von FuE-Aktivitäten [1 ed.]
 9783540776154, 354077615X [PDF]

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Zitiervorschau

Innovationserfolgsrechnung

Wilhelm Schmeisser · Hermann Mohnkopf Matthias Hartmann · Gerhard Metze (Hrsg.)

Innovationserfolgsrechnung Innovationsmanagement und Schutzrechtsbewertung, Technologieportfolio, Target-Costing, Investitionskalküle und Bilanzierung von FuE-Aktivitäten

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Prof. Wilhelm Schmeisser FH für Technik und Wirtschaft FB 3 Wirtschaftswissenschaften Stg. Betriebswirtschaft Treskowallee 8, 10318 Berlin [email protected]

Prof. Matthias Hartmann FH für Technik und Wirtschaft FB 3 Wirtschaftswissenschaften Stg. Betriebswirtschaft Treskowallee 8, 10318 Berlin [email protected]

Dipl.-Ing. Hermann Mohnkopf An den Vogelauen 1 15834 Rangsdorf [email protected]

Prof. Gerhard Metze Fachhochschule München Lothstrasse 64, 80335 München [email protected]

ISBN 978-3-540-77615-4

e-ISBN 978-3-540-78249-0

DOI 10.1007/978-3-540-78249-0 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2008 Springer-Verlag Berlin Heidelberg Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden dürften. Sollte in diesem Werk direkt oder indirekt auf Gesetze, Vorschriften oder Richtlinien (z. B. DIN, VDI, VDE) Bezug genommen oder aus ihnen zitiert worden sein, so kann der Verlag keine Gewähr für die Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität übernehmen. Es empfiehlt sich, gegebenenfalls für die eigenen Arbeiten die vollständigen Vorschriften oder Richtlinien in der jeweils gültigen Fassung hinzuzuziehen. Satz und Herstellung: le-tex publishing services oHG, Leipzig Einbandgestaltung: WMXDesign, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier 987654321 springer.com

Herausgeber

Hartmann, Matthias, H., Prof. Dr., lehrte von 2000 bis 2007 an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft (FHTW) Berlin die Fächer Produktion und Logistik sowie Informationsmanagement. Seine Forschungsgebiete sind Innovationsmanagement, Unternehmensarchitekturen und Supply Chain Management. Er verfügt über 15 Jahre Erfahrung als Unternehmensberater und war vor seiner Berufung für die Top Management Beratung A.T. Kearney tätig. Seit 2007 ist er im Rahmen einer Nachfolgeregelung Geschäftsführer der Takticum Consulting GmbH. Metze, Gerhard, Prof. Dr., hat nach seinem Studium zum Diplom-Kaufmann in der Beratungs- und Forschungsgruppe für Innovation und Technologische Voraussage als ProjektManager gearbeitet. Anschließend war er im Hause Siemens in verschiedenen Bereichen für das Thema FuE-Bewertung/ Innovations-Management verantwortlich. Seit seiner Berufung zum Professor für Unternehmensplanung und Organisation sowie Innovations-Management an der Fachhochschule München, Fakultät Wirtschaftsingenieurwesen, hat er auf diesem Gebiet viele Projekte mit Groß-Unternehmen, KMU und ausländischen Hochschulen in England und Frankreich durchgeführt.

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Herausgeber

Mohnkopf, Hermann, Dipl.-Ing., ist in Berlin-Dahlewitz bei Rolls-Royce Deutschland für das Intellectual Property Management verantwortlich. Er ist Lehrbeauftragter für Innovationsmanagement und Gewerblicher Rechtsschutz an der FHTW Berlin, Mitglied im Vorstand des Kompetenzzentrums für Internationale Innovations- und Mittelstandsforschung (IMF) an der FHTW Berlin. Hermann Mohnkopf ist Mitinitiator der F&E Vertragsbausteine, dem sog. Berliner Vertrag. Seine Arbeit ist schwerpunktmäßig auf die Aspekte Erfindungen, Erfindervergütungsberechnung und Nutzungsrechte ausgerichtet. Er gehört dem Vorstand von LES DEUTSCHLAND an. www.mohnkopf.eu Schmeisser, Wilhelm, Prof. Dr. habil., ist Professor an der FHTW Berlin für Betriebswirtschaft und an der Universität Duisburg tätig. Direktor des Kompetenzzentrums „Internationale Innovations- und Mittelstandsforschung“, Berlin. Direktor der Forschungsstelle „Europäisches Personalmanagement und Arbeitsrecht (EPAR)“ an der Universität Paderborn. Arbeitsschwerpunkte sind FuE Controlling, finanzorientierte Personalwirtschaft, Berliner Balanced Scorecard-Ansatz, Finanzcontrolling, Innovationsmanagement und Mittelstandsforschung. www.mittelstandsforschung-berlin.de

Vorwort

Innovationserfolgsrechnung: Eine Herausforderung an die betriebswirtschaftliche Forschung und die unternehmerische Praxis In diesem Jahr wird Prof. Dr. Werner Pfeiffer, der Nestor des deutschen Innovationsund Technologiemanagements, den 75. Geburtstag feiern. Seine bekanntesten Werke sind die „Allgemeine Theorie der technischen Entwicklung als Grundlage einer Planung und Prognose des technischen Fortschritts, Göttingen 1971 und das Technologie-Portfolio von 1982 (Pfeiffer, W., Metze, G., Schneider, W., Amler, R.: Technologie-Portfolio zum Management strategischer Zukunftsgeschäftsfelder. Göttingen 1982). Zwei seiner Schüler, ein Enkel und ein Anhänger der „PfeifferSchule“, wollen mit diesem Buch „Innovationserfolgsrechnung“ ein neues Kapitel in der Innovationsforschung schreiben. Die Innovationserfolgsrechnung ist ein theoretischer Ansatz, der sich in die Tradition der betriebswirtschaftlichen Ökonomisierung des Technologie- und Innovationsmanagements einordnen lässt. Er bedient sich der klassischen Instrumente, Techniken, Kennzahlen und Daten des Rechnungswesens, d. h. methodisch der Buchhaltung, des Jahresabschlusses und der Jahresabschlussanalyse, der Kostenrechnung, der Finanzierung und Investition, aber auch der betrieblichen Steuerlehre, um diese, je nach innovationswirtschaftlicher Problemstellung, auf innovationswirtschaftliche Entscheidungskalküle anzuwenden. Damit wendet sie die „klassische Betriebswirtschaft“ im Innovationsmanagement an. Das Innovations- und Technologiemanagement war bisher eher durch das Strategische Management, (internationale) Innovationsmarketing und den Technologietransfer, Einsatz von Kreativitätstechniken und technische Prognosevoraussagen, Technikbewertungen im Rahmen einer Technikphilosophie, Wettbewerbs-, Patent- und Ordnungsfragen, organisationsund innovationsökonomische Fragestellungen sowie personalwirtschaftliche Problemstellungen geprägt. Das Ziel der Innovationserfolgsrechnung besteht primär darin, den wirtschaftlichen Erfolg in Form einer Investitionsrechnung sowie einer Balanced Scorecard

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Vorwort

und/oder den finanziellen Einnahmenüberschuss z. B. mittels einer zukunftsorientierten Free-Cash-Flow-Rechnung einschließlich der Risikofaktoren zu berechnen. Auch Hauschildt (1994, S. 1017ff.) sieht in seinem Beitrag „Die Innovationsergebnisrechnung – Instrument des FuE-Controlling“, dass eine „Innovationserfolgsrechnung“ die praktischen betriebswirtschaftlichen Anforderungen zumindest einer Entwicklungs- und Konstruktionsabteilung haben sollte, dass heißt die Funktion(en) einer Projekt-, Investitions-, Planungs- und Kontroll- sowie Erfolgsrechnung zu erfüllen hat. Hintergrund ist die Annahme, dass die meisten Innovationen eines Betriebes mittels eines FuE-Controllings oder eines Innovationsmarketings planbar, steuerbar und kontrollierbar sind (Schmeisser/ Kantner/ Geburtig/ Schindler 2006), sofern sich die technischen Innovationen in einem konkreten Entwicklungsstadium (Vgl. Beiträge in diesem Buch zur Bilanzierung nach IFRS und Patentbewertung) oder im Stadium einer montagegerechten Konstruktionsphase befinden. Anwendungsorientierte, betriebswirtschaftliche Fragestellungen, die die Instrumente und Techniken des Controllings, des Jahresabschlusses, der Jahresabschlussanalyse und des Finanzcontrollings auf ein Forschungs- und Technologiecontrolling übertragen, findet man selten, folgt man den Beitrag von Steinhoff, der den Innovationsgrad in der Erfolgsfaktorenforschung diskutiert. Genau hier will das Buch ansetzen, innovative Ingenieurleistungen von der Patentanmeldung, über die Entwicklungs- und Konstruktionsphase, über die Produktionsplanung und das Innovationsmarketing einschliesslich der Patentbe- und -verwertung mit betriebswirtschaftlichen Unternehmensrechnungen des operativen und strategischen Controllings zu begleiten und damit eine ertragreiche Innovation zu erzielen. Grundgedanke einer Innovationserfolgsrechnung ist es, ein Wertschöpfungsmanagement und eine (Wettbewerbs-)Erfolgsfaktorensteuerung im Sinne des Porterschen Ansatzes respektive eine Art ganzheitliche „InnovationsprozesskettenGesamtrechnung“ für Innovationsprozesse in Unternehmen bereitzustellen, die die einzelnen Projekt-, Investitions-, Planungs- und Kontroll- sowie Erfolgsrechnungen integrieren. Die Innovationserfolgsrechnung im Sinne eines Innovationsprozesskettenansatzes muss prospektiv als auch retrograd rechenbar sein, d. h. von der Entwicklung bis zum potenziellen Markt oder umgekehrt. Die Innovationserfolgsrechnung involviert damit auch eine integrierte Produktlebenszyklusbetrachtung, die den zukünftigen Entstehungszyklus der Innovation, den Marktlebenszyklus und den Recyclingzyklus, z. B. bei einer innovativen/neuen Autogeneration, mit einbeziehen muss. Eine derartige „Gesamtrechnungskonzeption“ kann der Berliner Balanced Scorecard Ansatz sein, der aufzeigt, dass Strategien und Erfolgsfaktoren von Innovationen steuerbar sind, z. B. mittels des Technologieportfolios und rechenbar, mit Hilfe von Wertschöpfungsrechnungen, Target-Costing und der Generierung von Zielpreisen mittels Conjointanalysen, Prozesskostenrechnungen, risikoadjustierte Cash-FlowRechnungen, Investitionsrechnungen, Humankapitalberechnungen, Deckungsbeitragsrechnungen, Budgetrechnungen Bilanzierung von immateriellen Vermögen,

Vorwort

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Kapitalflussrechnungen, etc. die unterschiedliche Problembereiche eines Innovationsprozesses betriebswirtschaftlich darstellen. Damit wollen die Autoren der betriebswirtschaftlichen Innovationsforschung einen weiteren Anwendungsbereich eröffnen, nämlich sie in das Rechnungswesen führen, das für Wirtschaftlichkeits- und Erfolgsrechnungen steht. Umgekehrt hat das Rechnungswesen einen neuen Forschungsgegenstand zu bewältigen, nämlich, wie Wirtschaftlichkeits- und Erfolgsrechnungen auf den FuE-, Technologie- und Innovationsbereich am besten anzuwenden sind, und zwar unter besonderer Berücksichtigung von Risikofaktoren einzelner entsprechender Technologiefelder und unter Berücksichtigung des Gewerblichen Rechtsschutzes respektive des Patent- und Markenrechts. Bedenkt man, dass die betriebswirtschaftliche Innovationsforschung mit Schumpeters Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung und den innovativen (Erfinder-) Unternehmer 1911 volkswirtschaftlich begonnen hat, Werner Pfeiffer, der Nestor, einer betriebswirtschaftlichen Funktion des Forschungs- und Entwicklungsmanagement sowie des Innovationsmanagements durch seine Arbeit über die Theorie des technologischen Fortschritts 1971 und seines Technologieportfolio 1982 diese in die betriebswirtschaftlichen Lehre eingeführt hat, so handelt es sich hier immer noch um eine sehr junge betriebswirtschaftliche Funktion. Ansätze zur Innovationsforschung aus dem Strategischen Management, der Organisationsforschung und der Personalökonomik und des Marketings wurden und werden vergleichend seit den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts z. B. von Brockhoff, Hauschildt, Trommsdorff und anderen analysiert. Es wird aufgezeigt: • ob und welche Erfolgsfaktoren, Dimensionen bzw. Teilaspekte des Phänomens „Innovation“ von zentraler Bedeutung für eine Erklärung (z. B. Innovation als Kontingenzfaktor) angesehen werden können, • welche Fragestellungen aufgrund des jeweiligen leitenden Erkenntnisinteresses und der theoretischen Konzeption im Mittelpunkt stehen (Technologische Voraussagen bzw. Prognoseverfahren von schwachen Signalen, Technology Assessment, Methodisches Erfinden, Kreativitätstechniken, Suchfeldanalyse, Bewertung von Forschungsprojekten und Forschungsprogrammen, Promotorenmodell, Venture Capital Management) und • ob und inwieweit Ergebnisse dieser Ansätze praxisrelevante Gestaltungshinweise für die Unternehmung bzw. für ein Forschungs- und Entwicklungsmanagement bzw. ein Innovationsmanagement bieten können. Wegen der Heterogenität der einzelnen Ansätze in der Innovationsforschung wurden die praxisrelevanten Controllingaspekte eines Entwicklungs- und Technologiemanagements eher ausgeblendet und die Forschung hatte sich seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts mehr der Innovationsökonomik (Burr 2004) als theoretischen Bezugsrahmen zugewandt. Im Buch zur Innovationserfolgsrechnung werden nun mehr betriebswirtschaftliche Themen favorisiert, die die Methoden des Rechnungswesens, der Patentbewertung und -verwertung, der Steuerbarkeit von Forschungsergebnissen in Innovations-

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Vorwort

projekten durch qualitative Vorüberlegungen diskutieren, um sie dann szenarioartig in betriebswirtschaftliche Kalküle zu überführen. Deshalb werden in diesem Buch folgende Schwerpunkte diskutiert: 1. Innovations- und Technologiemanagement als strategisches und operatives Controlling von Intangibles im Rahmen der Patentbe- und -verwertung, der Bilanzierung von Entwicklungsprojekten nach IFRS sowie im Rahmen des Berliner Balanced Scorecard Ansatzes 2. Branchen- und Unternehmensanalyse und deren Bewertung mit Hilfe ausgewählter Unternehmensbewertungsmethoden und deren Risikofaktoren, z. B. des Technologieportfolios. 3. Generierung von Zielpreisen mit Hilfe ausgewählter Methoden des Innovationsmarketings sowie die kostenrechnerische Erfassung und Kontrolle von FuE-, Produktionsplanungs- und Innovationsmarketing-Aktivitäten mit Unterstützung des Technologieportfolios, der Berliner Balanced Scorecard, des Target Costings, der Prozesskostenrechnung sowie der Budgetrechnung. 4. Innovationsprozess- bzw. Wertschöpfungskettenanalysen, damit Unternehmen in der Lage sind, zu überprüfen, ob sich eine technologische Innovation rechnet. 5. Innovationscontrolling und die Einbindung des Gewerblichen Rechtsschutzes, insbesondere des Patentgesetzes in die Innovationserfolgsrechnung, und zwar von der Idee bis zum Auslauf des Patent- und Markenschutzes. Wenn es möglich ist, im Wettbewerb überlegene innovative Leistungen zu erbringen, die für den Kunden wichtig sind und deren Nutzenvorteile auch wahrgenommen werden, dann müssen deren Erfolgsfaktoren erfassbar sein. Für diese innovativen Leistungen können dann auch Zielpreise mittels Marktforschungsinstrumenten erhoben, durch das Patent zeitlich verteidigt werden und bei der Produktentwicklung können Kosten zugeordnet werden. Dieses Credo verfolgt die Industrie in ihren praktischen Controllingansätzen und diesen Gedanken folgt auch das Buch Innovationserfolgsrechnung. Wenn Zielpreise, Umsätze, Marktpotentiale, Marktwachstum, auszahlungswirksame Kosten etc. einer Innovation zugeordnet werden können, dann sind auch Wirtschaftlichkeitsund Erfolgsrechnungen von Innovationen sowie Bilanzierungsansätze von Intangibles wie Bilanzierung von Patenten und technischem Know-how möglich. Berlin, Erfurt, Nürnberg, München 2008

Die Herausgeber

Inhaltsverzeichnis

Teil I Innovationserfolgsrechnung – Eine Forschungslücke in der Innovationsforschung 1

2

Der Innovationsgrad in der Erfolgsfaktorenforschung – Einflussfaktor oder Kontingenzfaktor? Fee Steinhoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Erfolgsfaktorenforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Messung von Innovationserfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Überblick zum Forschungsfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Zusammenhang zwischen Innovationsgrad und Erfolg . . . . . . . . . . . 1.3.1 Innovationsgrad als mehrdimensionales Konstrukt . . . . . . . . . 1.3.2 Einfluss des Innovationsgrades auf den Erfolg . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Innovationsgrad als Kontingenzvariable . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3 3 4 5 6 8 8 11 13 15 16

Aufbau und Durchführung der rechnerischen Bewertung von Innovationen Michael Erner, Volker Presse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Innovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Innovationsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Rechnerische Bewertung von Innovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Innovationen aus Sicht von Investitionsrechnungen . . . . . . . . 2.3.2 Grundlegender Aufbau von Rechnungssystemen . . . . . . . . . .

21 21 22 22 23 24 24 24

xi

xii

Inhaltsverzeichnis

2.3.3

Gestaltung und Aussagegehalt von Innovationsergebnisrechnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Ziel und Vorgehensweise bei der rechnerischen Bewertung in dem vorliegenden Beitrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Aufbau und Durchführung der marktorientierten, rechnerischen Bewertung von Innovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Bewertung von Innovationen in den verschiedenen Phasen des Innovationsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Detailkonzept für die Bewertung von Innovationen in der Konzeptphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

4

Rating bzw. Bonitätsprüfung als Innovationserfolgsrechnung Wilhelm Schmeisser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Zur wirtschaftlichen Bedeutung von innovativen Existenzgründungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Zur Entstehung von innovativen TU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Zur Bonitätsprüfung im Rahmen von Kreditentscheidungen . . . . . . . 3.4 Bonitätsmerkmale und Indikatoren von innovativen TU . . . . . . . . . . . 3.4.1 Zu den Beurteilungsbereichen der Kreditwürdigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Zur persönlichen Kreditwürdigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . 3.4.3 Zu den unternehmensbezogenen Bonitätsindikatoren . . . . . . 3.4.4 Technologische Bonitätsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.5 Zur Bewertung von innovativen Ideen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.6 Zur Beurteilung der Markt- und Wettbewerbssituation . . . . . 3.4.7 Zur Beurteilung der Gründungsorganisation . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Innovationserfolgsrechnungen bei der Bewertung pharmazeutischer FuE-Projekte Wilhelm Schmeisser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Grundlegende Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Grundlagen der pharmazeutischen Industrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Terminologische Abgrenzung: Pharmazie . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Klassifizierung der Pharmaindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Analyse pharmazeutischer FuE-Projekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Terminologische Grundlagen zu Forschung und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Entwicklungsprozess eines Medikamentes . . . . . . . . . . . . . . .

27 29 29 29 32 42 42 45 45 46 47 48 48 50 52 54 59 62 64 66

69 69 70 70 70 72 73 73 74

Inhaltsverzeichnis

xiii

4.3.3

Erarbeitung signifikanter Charakteristika pharmazeutischer Projekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 4.3.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 4.4 Bewertungsverfahren pharmazeutischer FuE-Projekte . . . . . . . . . . . . 84 4.4.1 Projektbewertung in der Forschung anhand der Portfolio-Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 4.4.2 Projektbewertung im Entwicklungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . 92 4.4.3 Bewertung von Biotechnologieunternehmen durch Venture Capital-Geber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 4.4.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 4.5 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Teil II Innovationserfolgsrechnung als Patentbewertung und Bilanzierungsproblem 5

Grundlagen der Bewertung immaterieller Vermögenswerte Ulrich Moser, Heinz Goddar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 5.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 5.2 Grundlagen der Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 5.2.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 5.2.2 Grundlegende Bewertungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 5.2.3 Bewertungsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 5.2.4 Anlass der Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 5.3 Patente als Bewertungsobjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 5.3.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 5.3.2 Einflussfaktoren des Patentwertes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 5.3.3 Abgrenzung von Patent und zugrunde liegender Technologie 137 5.3.4 Einbindung von Patenten in Patentportfolios . . . . . . . . . . . . . 138 5.4 Bewertung patentgeschützter Technologien auf der Grundlage des Income Approach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 5.4.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 5.4.2 Analyse des Einkommensbeitrags patentgeschützter Technologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 5.4.3 Bewertungsansätze für patentgeschützte Technologien auf der Grundlage des Income Approach . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 5.4.4 Diskontierungszinssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 5.4.5 Berücksichtigung der Besteuerung bei der Bewertung immaterieller Vermögenswerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 5.5 Fallbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 5.5.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 5.5.2 Ausgangsdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

xiv

Inhaltsverzeichnis

5.5.3 Incremental Income Analysis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 5.5.4 Relief-from-Royalty-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 5.5.5 Residual Value Approach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 5.5.6 Zusammenfassung der Ergebnisse des Fallbeispiels . . . . . . . . 175 5.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 6

Bilanzierung von F&E-Aktivitäten nach IFRS Ulrich Moser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 6.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 6.2 Einführendes Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 6.3 Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 6.3.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 6.3.2 Definitions- und Ansatzkriterien für alle immateriellen Vermögenswerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 6.3.3 Spezifizierung der Ansatzkriterien in bestimmten Fällen . . . 189 6.3.4 Ansatzverbote für immaterielle Vermögenswerte . . . . . . . . . . 198 6.4 Bewertung immaterieller Vermögenswerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 6.4.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 6.4.2 Zugangsbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 6.4.3 Folgebewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 6.5 Anhangangaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

Teil III Intellectual Property (IP) Management/Patentmanagement 7

Strategisches IP Management zum Schutz von Innovationen Hermann Mohnkopf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 7.1 Einführung in das Innovationsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 7.1.1 Innovationsstandort Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 7.1.2 Terminologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 7.1.3 Problemstellung und Zielsetzung des strategischen Innovationsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 7.1.4 Ablauforganisation und strategische IP Organisation . . . . . . . 230 7.2 Ganzheitlicher Innovationsprozess als Unternehmensstrategie . . . . . 231 7.2.1 Unternehmensstrategie als strategischer Wettbewerbsvorteil 231 7.2.2 Forschungs- und Technologieprojektorganisation . . . . . . . . . . 236 7.2.3 Nationale und internationale Forschungsund Technologietrends . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 7.2.4 Innovationsbeispiel vom Problem bis zur Produktreife . . . . . 239 7.3 Wertschöpfungskette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 7.3.1 Ideenmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244

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7.3.2

Patentschutz als strategisches Tool für Investitionen, Innovationen, Patentüberwachung, Patentbewertung und Patentverwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 7.3.3 Patentmanagement und Patentinformation . . . . . . . . . . . . . . . 253 7.3.4 Grundlagen des Gesetzes über Arbeitnehmererfindungen . . . 265 7.3.5 Technologietransfer und Technologiemarketing . . . . . . . . . . . 266 7.3.6 Grundlagen des Gewerblichen Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . 269 7.3.7 Innovative Ansätze zu Patentinformation und Patentüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 7.3.8 Schutzrechtsüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 7.4 Zusammenarbeit zwischen Industrie und Wissenschaft . . . . . . . . . . . 284 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 Teil IV Qualitative Vorüberlegungen zur Innovationserfolgsrechnung im Rahmen eines Strategischen Technologiemanagements 8

Technologie-Kostenanalyse Matthias Hartmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 8.1 Einführung in die Technologie-Kostenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 8.2 Integration von Technologie- und Kostenmanagement . . . . . . . . . . . . 291 8.3 Kostendynamik innovativer Technologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 8.3.1 Technologien als Innovationspotentiale . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 8.3.2 Kostenwirkungen von Technologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 8.3.3 Bewertung von Technologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 8.4 Technologiekostenanalyse (TKA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 8.4.1 Ziel der Technologiekostenanalyse (TKA) . . . . . . . . . . . . . . . 297 8.4.2 Ablauf der Technologiekostenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 8.4.3 Ergebnisse der Technologiekostenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . 300 8.4.4 Handlungsempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 8.4.5 Opportunitätsbetrachung des Nicht-Innovierens . . . . . . . . . . . 302 8.5 Anwendungsnutzen der Technologiekostenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . 302 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303

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Technologie-Bilanzierung Matthias Hartmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 9.1 Einführung in die Technologie-Bilanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 9.2 Notwendigkeit technologischer Unternehmensbeurteilung . . . . . . . . 306 9.2.1 Problemstellung: Bewertungsdefizite finanzorientierter Kennzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 9.2.2 Ziel: Strukturierte Erfassung und Bewertung von Technologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 9.2.3 Unternehmensbeurteilung an einem Praxisbeispiel aus der Chipkartenindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307

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9.3 Technologie-Beurteilung komplementär zur Finanz-Bewertung . . . . 308 9.3.1 Perspektivenerweiterung durch das TechnologieFinanz-Portfolio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 9.3.2 Meßbarkeit der Technologie-Attraktivität eines Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 9.3.3 Technologiebilanz zur Beurteilung technologischer Unternehmensattraktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 9.4 Erstellung einer Technologie-Bilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 9.4.1 Inventur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 9.4.2 Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 9.4.3 Ermittlung des Technologieüberschusses/-fehlbetrags . . . . . . 316 9.5 Kennzahlenanalyse einer Technologiebilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 9.5.1 Statische Kennzahlenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 9.5.2 Dynamische Kennzahlenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 9.5.3 Technologisches Rating und Gesamtbeurteilung . . . . . . . . . . 321 9.6 Unternehmensbeurteilung bedarf der Technologieund der Finanz-Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 9.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 10 Technologie-Portfolio als Methodik der Inventionsund Innovationsbewertung – Prolegomena zu Metriken für Inventionen und Innovationen Gerhard Metze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 10.1 Zur Grundidee des Technologie-Portfolios im Zusammenhang mit Innovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 10.2 Anwendungen des Technologie-Portfolios . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 10.3 Technologie-Liste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 10.4 Kriterien der Technologie-Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 10.4.1 Kriterium Technologie-Attraktivität („Y-Achse“) . . . . . . . . . . 337 10.4.2 Kriterium „Relative Technologie-Position“ („X-Achse“) . . . 341 10.4.3 Kriterium „FuE-Budget“ („Z-Achse“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 10.5 Verknüpfung der Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 10.6 Richtungen der Weiterentwicklung des Technologie-Portfolios zur Verbesserung der Metriken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 11 Ressourcen-Bewertung von Innovationsprojekten zwischen „lean“ und „slack“ Peter Bauernschmid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 11.1 Forschung und Entwicklung (FuE), Innovation und slack . . . . . . . . . 347 11.2 Definition und Entstehungs-Zusammenhang von slack . . . . . . . . . . . 350 11.3 Verwendung von slack . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351

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11.4 Einflußgrößen von slack . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 11.4.1 Zur Stellung in der Technologie-S-Kurve als Determinante des FuE-Budgets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 11.4.2 Zur Stellung im technologischen Wertschöpfungs-Netz als Determinante des FuE-Budgets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 11.5 Kombination der technologischen S-Kurve und des technologischen Wertschöpfungs-Netzes als Determinanten von FuE-Budget und slack . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 Teil V Target Costing und Prozesskostenrechnung als Innovationserfolgsrechnungen des Technologiemanagements und des Innovationsmarketings 12 Conjointbasierte Messung von Nutzenbeiträgen von Produktfunktionen und Generierung von Zielpreisen (Target Pricing) Fee Steinhoff, Volker Trommsdorff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 12.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 12.2 Target Costing im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 12.3 Generierung von Target Prices und Nutzenbeiträgen von Produktfunktionen durch Conjointanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 12.3.1 Einführung zur Conjointanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 12.3.2 Prozessschritte der Conjointanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 12.3.3 Anwendungsbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 12.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 13 Zur Integration des Target Costing und der Prozesskostenrechnung in den Berliner Balanced Scorecard Ansatz bei Entwicklungs- und Konstruktionsvorhaben in der Automobil- und Maschinenbauindustrie Wilhelm Schmeisser, Sebastian Bertram . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 13.1 Weiterentwicklung der Berliner Balanced Scorecard mittels Target Costing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 13.1.1 Implementierung des Target Costing in die Kundenperspektive der Berliner Balanced Scorecard . 388 13.1.2 Veranschaulichung der Implementierung am praktischen Beispiel der imaginären Automobil AG . . . . 389 13.1.3 Verknüpfung der Kunden- mit der Finanzperspektive . . . . . . 401 13.2 Weiterentwicklung der Berliner Balanced Scorecard mittels Prozesskostenrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 13.2.1 Zusammenhang zwischen Prozesskostenrechnung und Target Costing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406

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13.2.2 Verwendung der Prozesskosten im Target Costing am praktischen Beispiel der Automobil AG . . . . . . . . . . . . . . 408 13.2.3 Verknüpfung der Prozesskostenrechnung mit der Berliner Balanced Scorecard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 13.3 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 Teil VI Zur Berechnung von Technologiestrategien und deren Umsetzung als methodisches Gesamtkonzept von Innovationsrechnungen in Form des Berliner Balanced Scorecard Ansatzes 14 Innovationsmarketingerfolgsrechnungen im Rahmen des Berliner Balanced Scorecard Ansatzes aus der Sicht einer finanzorientierten Kundenwertanalyse Wilhelm Schmeisser, Lydia Clausen, Falko Schindler . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 14.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 14.2 Kundenwertmanagement als Instrument zur Bewertung von Kundenbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 14.2.1 Kundenwertanalyse und Kundenwertmanagement . . . . . . . . . 430 14.2.2 Bestimmungsfaktoren des Kundenwerts . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 14.2.3 Methoden zur Kundenwertmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 14.2.4 Kundensegmentierung auf Grundlage von Kundenwerten . . . 434 14.3 Zum Berliner-Balanced-Scorecard-Ansatz als Grundlage einer wertorientierten Performance Messung unter besonderer Berücksichtigung eines Shareholder Value-orientierten Lösungsalgorithmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 14.3.1 Quantifizierung der Kundenperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 14.3.2 Zur Zielkostenrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 14.3.3 Hierarchiestufen der Erlös- und Kostenpositionen . . . . . . . . . 447 14.3.4 Vom Kundendeckungsbeitrag zum Kunden-Cashflow . . . . . . 451 14.3.5 Investitionsrechnerische Zusammenfassung zum Kundenwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 14.3.6 Zur Ermittlung des Kalkulationszinsfußes . . . . . . . . . . . . . . . . 453 14.3.7 Einsatzmöglichkeiten des Kundenwertes und Interpretation der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 14.3.8 Kennzahlenhierarchie der Kundenperspektive . . . . . . . . . . . . 455 14.4 Integration des FuE-Bereiches in das Modell der Berliner Balanced Scorecard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 14.4.1 Differenzierung von FuE gemäß IAS 38.8 . . . . . . . . . . . . . . . 455 14.4.2 Kennzahlenhierarchie der FuE-Perspektive der Berliner Balanced Scorecard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 14.4.3 Modell zur direkten Einbindung des FuE-Bereiches . . . . . . . 460

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14.4.4 Einbindung des FuE-Bereiches in die Finanzperspektive der Berliner Balanced Scorecard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 14.4.5 Zur Kapitalflussrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 14.5 Zur Verbindung von Shareholder Value und Berliner Balanced Scorecard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 14.6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479

Teil I

Innovationserfolgsrechnung – Eine Forschungslücke in der Innovationsforschung

Kapitel 1

Der Innovationsgrad in der Erfolgsfaktorenforschung – Einflussfaktor oder Kontingenzfaktor? Fee Steinhoff

1.1 Einführung Übergeordnetes Ziel der Innovationserfolgsrechnung besteht darin, dem Innovator bewusst zu machen, welche (immateriellen) Investitionen die Verwertung einer Innovation am Markt zu verdienen hat. Die Innovationserfolgsrechung sollte darüber hinaus eine Projekt-, Investitions-, Planungs- und Kontroll- sowie Erfolgrechnung sein (Hauschildt 1994, S. 1018 f.). Bezogen auf die Funktion der Erfolgsrechung zeigt sich ein enger Zusammenhang zur sogenannten InnovationsErfolgsfaktorenforschung. Die Erfolgsfaktorenforschung ist auf der Suche nach den relevanten Kriterien, die zwischen Erfolg und Misserfolg von Innovationen differenzieren: Aus welchen konkreten Gründen ist eine Innovation im Markt erfolgreich, während eine weitere Innovation scheitert? Ein Blick auf die Erfolgsbilanz von Innovationsideen in der Praxis macht die Relevanz der Erfolgsfaktorenforschung deutlich: In einer branchenübergreifenden empirischen Langzeitstudie über Produktinnovationen in 116 Unternehmen erwiesen sich nur 0,6 % der erhobenen 1919 Produktinnovationsideen als marktfähig und erfolgreich. Innovationsansätze durchlaufen einen spitzen Selektionstrichter: Nicht einmal 10 % der Erstideen gelangten als Produkte in den Markt, davon eliminierte der Markt noch einmal ca. 70 % als Flops. Von den im Markt verbliebenen Produkten brachten 46 % Verlust, 33 % keinen nennenswerten Gewinn und nur 21 % (letztlich 0,6 % – 11 von 1919) waren erfolgreich (Berth 1993, S. 217). Die Flopratenbefunde verdeutlichen den Bedarf der Praxis an Wissen zu Erfolgsfaktoren von Innovationen. Ein großer Teil der Misserfolge könnte vermieden werden, wenn Entscheider mehr relevante, zuverlässige und bewährte Informationen hätten und nutzen würden. Eine interessante Fragestellung in diesem Zusammenhang lautet: Welche Rolle spielt der Neuigkeitsgrad von Innovationen? Sind Innovationen eines geringen Neuigkeitsgrad (inkrementale Innovationen) oder aber Innovationen eines hohen Neuigkeitsgrades (radikale Innovationen) erfolgverspre-

W. Schmeisser, H. Mohnkopf, M. Hartmann, G. Metze (Hrsg.), Innovationserfolgsrechnung DOI: 10.1007/978-3-540-78249-0, © Springer 2008

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F. Steinhoff

chender? Beziehungsweise: Stellt der Innovationsgrad überhaupt einen Erfolgsfaktor von Innovationen dar? Oder aber vielmehr einen Kontingenzfaktor? Der vorliegende Beitrag widmet sich dieser Fragestellung. Dazu wird zunächst ein Einblick in die Erfolgsfaktorenforschung gegeben (Abschnitt 1.2). Im Abschnitt 1.2.1 wird der Stand der Forschung zur Messung des Innovationserfolges aufgezeigt. Anschließend (Abschnitt 1.2.2) werden wesentliche Erkenntnisse der Erfolgsfaktorenforschung im Überblick dargestellt. Der dritte Abschnitt widmet sich dem Zusammenhang zwischen Innovationsgrad und Erfolg. Aufbauend auf einer Vorstellung des Innovationsgrades als mehrdimensionales Konstrukt (1.3.1) erfolgt eine Synopse vorliegender empirischer Befunde zum Erfolgseinfluss des Innovationsgrades (1.3.2). Schließlich wird der Frage nachgegangen, inwieweit der Innovationsgrad als eine Kontingenzvariable im Innovationsmanagement verstanden werden kann (1.3.3). Der Beitrag endet mit einer Zusammenfassung wesentlicher Erkenntnisse (1.4).

1.2 Erfolgsfaktorenforschung Innovationsmanagement zielt auf Erfolg (Hauschildt 1991, S. 452). Durch geeignete Managementaktivitäten kann der Erfolg einer Innovation zwar nicht garantiert, jedoch können die Chancen auf einen Erfolg erheblich gesteigert werden (Lynn et al. 1996, S. 81). Sowohl die Praxis als auch die Wissenschaft hat daher ein großes Interesse an der Frage, was den Erfolg von Innovationen ausmacht. Erfolgsfaktoren stammen aus einer empirischen Forschungsrichtung, die schon in den 1960er Jahren des letzten Jahrhunderts begründet und danach bis heute kontinuierlich fortgesetzt wurde. Die Erfolgsfaktorenforschung zielt dabei sowohl auf strategische „Effektivität“ (das Richtige tun) als auch auf operative „Effizienz“ (es richtig, nämlich wirtschaftlich, tun). Die Entscheidung, eine Innovationsidee als Projekt zu etablieren, ist eine Effektivitätsentscheidung („das Richtige tun“). Über dieses „Ob“ hinaus beeinflusst die Priorität des Projekts seine Effektivität: Wie intensiv es im Verhältnis zu anderen Aktivitäten verfolgt wird, kann auch noch das Richtige oder das Falsche sein. Diese Entscheidung der Ressourcenzuweisung ist durch geeignete Analysemethoden zu stützen. Die darauf innerhalb eines Ressourcenbudgets erfolgende Produktentwicklung und -vermarktung ist dagegen keine Frage der Effektivität, sondern der Effizienz („es richtig tun“; Cooper 1999, S. 115 f.). Um eine Bewertung der Erfolgsrelevanz von Managementaktivitäten vornehmen zu können, stellt sich zunächst die Frage, was unter Innovationserfolg zu verstehen ist (Hauschildt 1991, S. 452). Der folgende Abschnitt (1.2.1) gibt einen Überblick zum Stand der Forschung zur Messung des Innovationserfolges. Anschließend werden wesentliche Erkenntnisse der Erfolgsfaktorenforschung im Überblick dargestellt (1.2.2).

1 Erfolgsfaktorenforschung

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1.2.1 Messung von Innovationserfolg Die Innovationsforschung hat sich zwar intensiv mit dem Thema Erfolgsmessung beschäftigt (siehe im Überblick Ernst 2001, S. 165 ff.; Hultink/Robben 1995, S. 393 ff.), jedoch hat sich bis dato kein einheitlicher, kontextunabhängiger Messansatz durchsetzen können (Wall et al. 2004, S. 115; Griffin/Page 1996, S. 483). Was Innovationserfolg ist, wird subjektiv sehr unterschiedlich erlebt, und Erfolg wird in der Forschung uneinheitlich operationalisiert. Wenn die Ergebnisse strategische Entscheidungen stützen sollen, genügen gängige Kennzahlen der Betriebswirtschaftslehre wie der ROI nicht. Vielmehr muss dann Erfolg auch langfristige Ziele und die Ziele des betreffenden Unternehmens bzw. Innovationsprojektes reflektieren. Vorhandene Ansätze zur Messung des Innovationserfolges lassen sich nach (1) der Betrachtungsebene, (2) den verwendeten Erfolgsdimensionen und (3) der zugrunde liegenden Datenerhebungsmethode unterscheiden (Hart 1993, S. 23; Hauschildt 1991, S. 464 ff.). Unter (1) der Betrachtungsebene versteht man das Objekt/den Bereich, auf den sich die Erfolgsmessung bezieht. In diesem Zusammenhang wird zwischen dem Erfolg auf der Unternehmensebene und dem Erfolg auf der Projektebene unterschieden. Die Betrachtung des Unternehmenserfolges (z. B. Umsatzwachstum, Profitabilität; vgl. im Überblick Venkatraman/ Ramanujam 1986, S. 802 ff.) ist aus zwei Gründen problematisch. Zum einen wird der Unternehmenserfolg nicht nur durch Innovationen, sondern durch eine Vielzahl weiterer, interner und externer Faktoren determiniert. Das heißt, eine eindeutige Kausalität zwischen einem erfolgreichen Innovationsmanagement und dem Erfolg auf der Unternehmensebene ist nicht gegeben (Cooper/ Kleinschmidt 1996, S. 19; Hart 1993, S. 26). Zum anderen stellt die Erfolgsmessung auf der Unternehmensebene einen vergangenheitsorientierten Messansatz dar: Gegenwärtige Umsatz- und Renditezahlen eines Unternehmens spiegeln nicht den Erfolg der gegenwärtigen, sondern der vergangenen Innovationstätigkeit wider (Billing 2003, S. 155). In der Konsequenz dominiert in der wissenschaftlichen Forschung die Messung des Innovationserfolges auf der Projektebene (Hart 1993, S. 26). Bezogen auf (2) die Erfolgsdimensionen wird auf der Projektebene zwischen ergebnis- und prozessbezogenen Erfolgsgrößen differenziert (Krieger 2005, S. 30 f.; Griffin/Page 1996, S. 486). Ergebnisbezogene Kriterien sind output-orientiert: Es handelt sich um die Abbildung der Resultate von Innovationsvorhaben bzw. deren Beitrag zur Veränderung der wirtschaftlichen Position eines Unternehmens (Gerpott 1999, S. 81). Wesentliche Kriterien des ökonomisch-orientierten Markterfolges sind der finanzielle Erfolg, der Marktanteil und der Imagegewinn einer Innovation (Griffin/Page 1996, S. 485; Cordero 1990, S. 188 f.; Rubenstein et al. 1976, S. 17). Der technische Erfolg einer Innovation und der Kompetenzgewinn des Unternehmens stellen hingegen wesentliche interne Erfolgskriterien dar (Billing 2003, S. 157; Cordero 1990, S. 187 f.; Rubenstein et al. 1976, S. 17). Während sich der technische Erfolg auf das gegenwärtige, physikalische Resultat des F&E-Prozesses bezieht (Olschowy 1990, S. 52), kann der strategische Aufbau von internen Kompe-

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tenzen als eine wichtige zukunftsorientierte Erfolgsgröße verstanden werden (Maltz et al. 2003, S. 189; Hart 1993, S. 25). Da ein erfolgreiches Ergebnis einen erfolgreichen Prozess voraus setzt, werden häufig (insbesondere bei lang andauernden Innovationsprozessen und in frühen Phasen) flankierend prozessbezogene Erfolgskriterien eingesetzt. Dahinter steht der Gedanke, dass Innovationserfolg auf der Erfüllung von Teilleistungen basiert, die prozessbegleitend entlang vorgegebener Projekt-Meilensteine phasenspezifisch beurteilt werden können (Billing 2003, S. 158; Hauschildt 1991, S. 471). Prozessbezogene Erfolgskriterien können durch folgendes Zieltrio abgebildet werden: Die Qualität/Leistung der Innovation, der damit verbundene Kostenaufwand und die benötigte Zeit (Krieger 2005, S. 30 f.; Scigliano 2003, S. 51; Pleschak/Sabisch 1996, S. 9). Schließlich unterscheidet die Literatur im Bereich (3) der Methode der Datenerhebung zwischen objektiver und subjektiver Erfolgsmessung. Objektive Erfolgsmessung basiert auf wertmäßigen, absoluten Größen ergebnis- bzw. prozessbezogener Erfolgskriterien (z. B. Marktanteil in %, Kostenaufwand in EUR). Subjektive Erfolgsmessung fußt hingegen auf der Erhebung des subjektiv wahrgenommenen Zielerreichungsgrades der zu Grunde gelegten Erfolgskriterien. Intuitive Einschätzungen werden dabei i. d. R. in numerische Größen umgewandelt (z. B. Einstufung des Zielerreichungsgrades auf einer Rating-Skala von 1–2; Werner/Souder 1997, S. 34 f.). Obwohl der geringere Interpretationsspielraum und die damit verbundene bessere intersubjektive Vergleichbarkeit wesentliche Vorteile objektiver Erfolgsgrößen darstellen (Venkatraman/Ramanujam 1987, S. 117 f.), dominiert in der Wissenschaft eine subjektive Erfolgsmessung (Wall et al. 2004, S. 96; Werner/Souder 1997, S. 35; Hauschildt 1991, S. 464 f.). So lässt z. B. die Informationspolitik vieler Unternehmen die Angabe sensibler objektiver Maße (z. B. Gewinn) nicht zu (Ernst 2001, S. 168). Darüber hinaus können subjektive Größen im Gegensatz zu objektiven Größen auch zur Schätzung zukünftiger Erfolgserwartungen eingesetzt werden. Das ist besonders relevant für die Bewertung von Vorhaben, in denen die Innovation noch nicht bzw. erst kürzlich am Markt eingeführt worden ist. Hier liegen verlässliche objektive Daten i. d. R. noch nicht vor (Werner/Souder 1997, S. 34 ff.). Schließlich zeigen subjektive Kriterien eine hohe Validität: In empirischen Studien werden hohe Korrelationen zwischen subjektiven und objektiven Erfolgskriterien berichtet (z. B. Wall et al. 2004, S. 112; Voss/Voss 2000, S. 76).

1.2.2 Überblick zum Forschungsfeld Wie bereits einführend dargestellt wurde, zielt die Erfolgsfaktorenforschung darauf ab, Faktoren zu identifizieren, die einen signifikanten Einfluss auf den Innovationserfolg haben. Hohe Flopraten von Innovationen im Markt führten zu einem allgemeinen Problembewusstsein und in der Managementforschung zur Suche nach Gründen für Erfolg und Misserfolg neuer Produkte. Die Erfolgsfaktorenforschung

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ist methodisch nicht normiert und umfasst eine Bandbreite empirischer Methoden von qualitativen Interviews bis hin zu standardisierten Umfragen. In der Regel wird jeweils eine Stichprobe von Fällen auf Faktoren hin untersucht, die zwischen Erfolg und Misserfolg diskriminieren. Häufig wird Erfolg durch eine oder mehrere abhängige Variablen operationalisiert und unabhängige Variablen werden multivariatstatistisch als potenzielle Erfolgsfaktoren analysiert (Trommsdorff 1991, S. 182). Der heutige Stand der Erfolgsfaktorenforschung basiert auf den Arbeiten vieler Forscher. Als frühe, bedeutsame Studien gelten die ,SAPPHO‘-Studie (Rothwell et al. 1974), das ,Stanford Innovation Project‘ (Maidique/Zirger 1984) und das kontinuierlich weiterentwickelte ,NewProd-Project‘ von Cooper und seinem Forscherteam (z. B. Cooper/Kleinschmidt 1993). Neben Studien, die eine Bandbreite potenzieller Erfolgsfaktoren betrachten, existieren auch einige, die eine tiefere Analyse einer begrenzten Anzahl von Erfolgsfaktoren vornehmen (z. B. Gruner/Homburg 2000). Mittlerweile liegt eine kaum überschaubare Anzahl an Befunden zu InnovationsErfolgsfaktoren vor. Selbst bei Vernachlässigung vieler Einzelstudien und bei Konzentration auf das Gemeinsame aus Synopsen und Metaanalysen ist die Menge an Befunden schwer fassbar. Wenn man diese jedoch qualitativ zu integrieren versucht, mit Blick auf die durchschlagenden Erkenntnisse, die sich mit verschiedenen Methoden und in unterschiedlichen Forschungskontexten immer wieder gezeigt haben, dann lassen sich drei Jahrzehnte Erfolgsfaktorenforschung generisch zusammenfassen (vgl. Abb. 1.1). Es zeigt sich, dass ein sehr großer Teil der Erfolgs-/Misserfolgsvarianz durch Faktoren verursacht wird, die in einem weiten Verständnis dem Marketing zugerechnet werden. Dazu gehören strategische und operative Marketingentscheidungen und die solchen Entscheidungen zugrunde liegenden Informationen aus der (Innovations-) Marktforschung. Die Ergebnisse der Erfolgsfaktorenforschung stiften einen hohen Nutzen für das Innovationsmanagement, sind in der Vergangenheit jedoch auch kritisch diskutiert worden. Ausgangspunkt der Kritik ist die Tatsache, dass Befunde für gleiche bzw. ähnliche unabhängige Variablen hinsichtlich ihrer Einflussstärke teilweise erheblich voneinander abweichen (van der Panne et al. 2003; Henard/Szymanski 2001). Wesentliche Kritikpunkte betreffen die Verwendung uneinheitlicher und schwacher Messmethoden, eine mangelnde theoretische Untermauerung sowie die Vernachlässigung von Kontextfaktoren (Ernst 2002; Haenecke 2002; siehe zur Kritik ausführlich Steinhoff 2006, S. 19 ff.). Darüber hinaus ist das operative Detail des Innovationsmanagement hoch komplex, so dass der Informationsbedarf für Effizienz über die Leistungen der Erfolgsfaktorenforschung hinausgeht. Das Management braucht Informationen über konkrete Bedingungen der Innovation aus der spezifischen Situationsanalyse. Dazu muss Innovationsmarktforschung die externen Informationen liefern, insbesondere über das zu erwartende Verhalten von Zielkunden, Partnern und Wettbewerbern. Dennoch können die Ergebnisse der allgemeinen Erfolgsfaktorenforschung zur Entscheidungsunterstützung in der Praxis sinnvoll verwendet werden und sind wissenschaftlich fundiert. So ist der Katalog als Checkliste nützlich, die jedes Innovationsprojekt begleiten sollte.

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Abb. 1.1 Erfolgsfaktoren von Innovationen nach 25 Jahren Forschung [Quelle: Trommsdorff/Steinhoff 2007, S. 70 (Synopse zahlreicher Studien, u. a. Montoya-Weiss/Calantone 1994, Melheritz 1999, Henard/Szymanski 2001)]

1.3 Zusammenhang zwischen Innovationsgrad und Erfolg Ein Kriterium, das den letzten Jahren zunehmend Berücksichtigung in der Erfolgsfaktorenforschung gefunden hat, ist der Neuigkeitsgrad von Innovationen (Ernst 2002, S. 33; Tidd/Bodley 2002, S. 129). Es stellt sich die Frage, welchen Einfluss der Faktor auf den Innovationserfolg hat. Sind leichte Verbesserungen, sogenannte inkrementale Innovationen, erfolgreicher als umwälzende radikale Innovationen? Die Untersuchung dieser Fragestellung verlangt zunächst eine Auseinandersetzung mit dem Konstrukt Neuigkeitsgrad. Dieser Thematik widmet sich der folgende Abschnitt (3.1). Anschließend wird ein Überblick zu Befunden zum Erfolgseinfluss des Innovationsgrades gegeben (1.3.2).

1.3.1 Innovationsgrad als mehrdimensionales Konstrukt Hersteller von Tiefkühlkost, Zigaretten, Waschmitteln bezeichnen gern als Innovation, was einer neuen Marke, Mixtur, Geschmacksrichtung, Duftnote oder gar Verpackung entspricht. Anbieter von Finanzdienstleistungen kombinieren Konditionsparameter zu „neuen Produkten“. Jede modische Variante der Produkte eines Bekleidungsproduzenten ist „Innovation“. Andererseits gab es enorme Umwälzungen in Wirtschaft und Gesellschaft durch neue Produkte wie Video und CD, PC und Internet, Fax und Mobiltelefon, Katalysator und ABS. Ziemlich innovativ mag man finden: Der Einstieg von Mannesmann in den Mobilfunk, den der Bahn AG

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in kundenorientierte Dienstleistungen wie Kellnerdienste durch den „Schaffner“ in der ersten Klasse, vieler Banken in das Direkt-Banking, die Gründung ungezählter Internet-basierter Unternehmen. Was davon ist innovativer als das andere? Eine Innovation ist mehr oder weniger neuartig, hat einen „Innovationsgrad“ auf dem Kontinuum zwischen kleinster (inkrementaler) Veränderung und völliger (radikaler) Umwälzung. Der Neuigkeitsgrad einer Innovation (bzw. synonym: Innovationsgrad) drückt den graduellen Unterschied einer Innovation gegenüber dem bisherigen Zustand aus (Hauschildt 2004, S. 14). In der (stark amerikanisch geprägten) Literatur zum Innovationsmanagement existieren sehr viele Begriffe für Innovationen mit hohen Neuigkeitsgrad: radical, really new, discontinuous, architectural, evolutionary, revolutionary, highly innovative, major, breakthrough und substantial. Problematisch ist, dass diese Begriffe meist nicht klar definiert und abgegrenzt und nicht einheitlich verwendet werden. Die Vergleichbarkeit wissenschaftlicher Forschungsergebnisse und die Anwendbarkeit der Ergebnisse in der Praxis ist dadurch stark eingeschränkt (Garcia/Calantone 2002, S. 110 f.; Danneels/Kleinschmidt 2001, S. 358). Neuere Ansätze zum Innovationsgrad konzeptualisieren und operationalisieren den Innovationsgrad basierend auf der Analyse bestehender Forschungsansätze als multidimensionales Konstrukt (z. B. Salomo 2003; Billing 2003; Garcia/Calantone 2002; Avlonitis et al. 2001; Hauschildt/Schlaak 2001; Danneels/Kleinschmidt 2001; Green et al. 1995). Insgesamt betrachtet wird deutlich, dass die Neuartigkeit einer Innovation kein eindimensionales Konstrukt ist, sondern (1) nach mehreren Perspektiven (,neu für wen?‘: Mikro- vs. Makroperspektive) und (2) nach mehreren Determinanten und Konsequenzen (,in welcher Hinsicht neu?‘: Markt, Technologie, Organisation und Umfeld) beschrieben und operationalisiert werden sollte. Basierend auf der integrierten Betrachtung des Forschungsstandes durch Salomo (2003, S. 412 ff.) und Billing (2003, S. 30 ff.) kann der Innovationsgrad mit Hilfe der folgenden vier Dimensionen konzeptualisiert werden: • Marktinnovationsgrad: Der Marktinnovationsgrad gibt Auskunft darüber, wie stark die Innovation von existierenden Angeboten im Markt abweicht. Aus der Perspektive des innovierenden Unternehmens (Mikroperspektive) ist ein hoher Marktinnovationsgrad mit der Ansprache eines neuen Marktes und neuer Kundengruppen verbunden. Daraus resultieren vergleichsweise hohe Unsicherheiten, jedoch auch die Möglichkeit, die Marktposition des Unternehmens grundlegend zu verbessern. Aus Sicht der Branche (Makroperspektive) bieten Innovationen mit einem hohen Marktinnovationsgrad einen hochgradig neuen Nutzen, sind i. d. R. aber auch mit umfangreichen Lern- und Verhaltensänderungen sowie einem erhöhten Adoptionsrisiko für potenzielle Kunden verbunden. • Technologieinnovationsgrad: Der Technologieinnovationsgrad leitet sich aus dem Umfang der technischen Neuerung ab, mit der die Innovation verbunden ist. Der Einsatz neuer technologischer Prinzipien ermöglicht sprunghafte Leistungssteigerungen und damit verbunden häufig die Verdrängung existierender Technologien. In der Konsequenz sind Innovationen mit einem hohen Technologieinnovationsgrad sowohl auf der Mikro- als auch auf der Makroebene mit vergleichsweise großen technologischen Unsicherheiten verbunden.

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• Organisationsinnovationsgrad: Der Organisationsinnovationsgrad fokussiert die innerbetriebliche Mikroperspektive. Hochgradige Innovationen sind häufig mit neuen formalen organisatorischen Strukturen und Prozessen verbunden. Sie tangieren darüber hinaus aber auch informale Charakteristika der Organisation, indem sie z. B. die Unternehmenskultur verändern. Das spiegelt sich z. B. in einer verstärkten und offeneren Zusammenarbeit mit externen Partnern wider. Auch strategische Neuorientierungen sind ein Merkmal von Innovationen mit einem hohen Organisationsinnovationsgrad. • Umfeldinnovationsgrad: Der Umfeldinnovationsgrad ist ein bisher häufig vernachlässigter Aspekt der überbetrieblichen Makroperspektive. Innovationen beeinflussen nicht nur die direkten Marktakteure (insb. Anbieter und Nachfrager), sondern auch das weiter gefasste Umfeld. Besonders radikale Innovationen verlangen häufig den Aufbau neuer Infrastrukturen sowie größere Anpassungen regulatorischer und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen. Die Konzeptualisierung des Innovationsgrades als vierdimensionales Konstrukt wird in der folgenden Abb. 1.2 zusammenfassend dargestellt. Der Innovationsgrad einer Innovation lässt sich über die beschriebenen vier Dimensionen bestimmen. Dem Ansatz von Garcia/Calantone (2002, S. 121) folgend lassen sich aus der Kombination der vier Dimensionen des Innovationsgrades unterschiedliche Innovationstypen definieren (Salomo 2003, S. 406 f.): Radikale Innovationen weisen in allen vier Dimensionen vergleichsweise hohe Diskontinuitäten. Es ist davon auszugehen, dass insbesondere das Vorliegen eines hohen Umfeldinnovationsgrades radikale Innovationen von weniger hochgradigen Innovationen unterscheidet. Die davon abzugrenzende Extremposition der inkrementalen Innovation

Abb. 1.2 Konzeptualisierung des Innovationsgrades als mehrdimensionales Konstrukt [Quelle: In Anlehnung an Krieger (2005, S. 16) und Salomo (2003, S. 406).]

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ist auf Diskontinuitäten auf der Mikro-Ebene beschränkt und zeigt i. d. R. auch nur in einer Dimension Veränderungen. Als moderat innovativ können alle Kombinationen an Diskontinuitäten in den Bereichen Markt, Technologie, Organisation und Umfeld eingestuft werden, die zwischen den beiden Extremen liegen. Zum Teil wird der Begriff der hochgradigen Innovation für moderat innovative bis radikale Innovationen verwendet.

1.3.2 Einfluss des Innovationsgrades auf den Erfolg In der allgemeinen Managementliteratur wird davon ausgegangen, dass radikale Innovationen ein von inkrementalen Innovationen abweichendes Chancen-RisikenVerhältnis aufweisen (Zirger 1997, S. 295). Danach bieten radikale Innovationen die Möglichkeit einer nachhaltigen Differenzierung vom Wettbewerb (z. B. Song/Parry 1999, S. 665) und die Chance auf einen überproportional hohen Erfolg (z. B. Baker/Sinkula 2005, S. 491). Gleichzeitig führen mit radikalen Innovationen verbundene Unsicherheiten jedoch dazu, dass sowohl die Wahrscheinlichkeit, als auch das Ausmaß des Erfolges ungewiss sind (Danneels 2002, S. 1106). Wissenschaftliche Studien zum Zusammenhang zwischen dem Innovationsgrad und dem Innovationserfolg zeigen widersprüchliche Befunde. In der Literatur finden sich Hinweise für: • einen positiven Zusammenhang (Zhou 2006, S. 399; Zhou et al. 2005, S. 52; Berth 2003, S. 18; Song/Montoya-Weiss 1998, S. 131; Zirger 1997, S. 295; Gatignon/Xuereb 1997, S. 85; Brinkmann 1997, S. 163; Booz, Allen & Hamilton 1982, S. 8), • einen negativen Zusammenhang (Min et al. 2006, S. 25 f.; Danneels/Kleinschmidt 2001, S. 369; Ali 2000, S. 158; Atuahene-Gima 1996, S. 99; Zirger/Maidique 1990, S. 878; Meyer/Roberts 1986, S. 815), • einen U-förmigen Zusammenhang (Avlonitis et al. 2001, S. 338; Kotzbauer 1992, S. 224; Kleinschmidt/Cooper 1991, S. 244 ff.), • bzw. keinen eindeutigen Zusammenhang (Krieger 2005, S. 162; Henard/Szymanski 2001, S. 367; Schlaak 1999, S. 256 ff.; Calantone et al. 1994, S. 146; Cooper/Kleinschmidt 1993, S. 109). Die empirischen Ergebnisse von Song/Montoya-Weiss (1998, S. 131) zeigen beispielsweise, dass die durchschnittliche Rentabilität radikaler Innovationen verglichen mit inkrementalen Innovationen signifikant höher ist. Zhou et al. (2005, S. 52) können empirisch nachweisen, dass Innovationen mit einem hohen Technologieinnovationsgrad bzw. einem hohen Marktinnovationsgrad den Unternehmens- und Produkterfolg positiv beeinflussen. Eine praxisorientierten Langzeitstudie (Berth 2003, S. 18) liefert konkrete Vergleichszahlen: Danach erzielen radikale Innovationsprojekte eine durchschnittliche Rentabilität von 14,7 %, während inkrementale Innovationen nur 6,9 % aufweisen können.

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Hinweise zu einem negativen Erfolgseinfluss des Innovationsgrades geben hingegen empirische Studien, die sich mit der Synergie neuer Projekte zu vorhandenen Unternehmensressourcen beschäftigen. Danach sind Innovationsprojekte, die auf interne Ressourcen (z. B. F&E- und Marketing Know How) zurückgreifen können (i. d. R. inkrementale Innovationsprojekte), erfolgreicher als hochgradige Projekte, die mangels Synergien den Aufbau neuer Ressourcen verlangen (Danneels/ Kleinschmidt 2001, S. 369; Zirger/Maidique 1990, S. 878). Kleinschmidt/Cooper (1991, S. 241) beschäftigen sich mit den gegensätzlichen Befunden in der Literatur und erklären diese durch zwei gegenläufige Effekte. Radikale Innovationen bieten auf der einen Seite die Chance einer nachhaltigen Differenzierung vom Wettbewerb (positiver Erfolgseinfluss), auf der anderen Seite bestehen jedoch wenige Synergien zu vorhandenen internen Ressourcen (negativer Erfolgseinfluss). Die Autoren können empirisch einen U-förmigen Verlauf des Zusammenhanges zwischen Innovationsgrad und Erfolg feststellen. Danach zeigen sowohl inkrementale als auch radikale Innovationen vergleichsweise hohe Erfolgsraten und -maße (u. a. ROI, Marktanteil), während sich moderat innovative Innovationen als deutlich weniger erfolgreich herausstellen. Ein mittlerer Innovationsgrad birgt die Gefahr einer ,stuck in the middle‘-Position: Mäßig innovative Produkte verfügen weder über einen ausreichenden relativen Vorteil im Markt noch über die Vorteile interner Synergieeffekte (Kleinschmidt/Cooper 1991, S. 244 ff.). Kotzbauer (1992, S. 186) vermutet ebenfalls eine U-förmige Beziehung zwischen dem Innovationsgrad und dem Innovationserfolg, in Abgrenzung zu Kleinschmidt/Cooper (1991) jedoch einen umgekehrt U-förmigen Zusammenhang. Aus einer abnehmerorientierten Perspektive entwickelt Kotzbauer (1992, S. 119 ff.) ein Erklärungsmodell der optimalen Innovationshöhe. Danach ist mit zunehmendem wahrgenommenem Innovationsgrad sowohl die Erwartung steigender Vorteile (Leistungsvermutung) als auch überproportional steigender Übernahmerisiken (Bedeutung und Wahrscheinlichkeit negativer Kauffolgen) verbunden. Bei gegebener Risikoaversion potenzieller Kunden leitet Kotzbauer (1992, S. 125 f.) das Vorhandensein einer optimalen Innovationshöhe ab: Danach steigen die Erfolgschancen eines Produktes mit ansteigender Innovationshöhe zunächst bis zu dem Punkt des maximal wahrgenommenen Nutzens an. Überschreitet die Innovationshöhe diesen Punkt, so ist mit sinkenden Erfolgsaussichten der Innovation zu rechnen. Es gelingt Kotzbauer (1992, S. 224) erste empirische Hinweise zu der postulierten umgekehrt U-förmigen Beziehung zwischen dem Innovationsgrad und dem finanziellen Neuprodukterfolg zu generieren (zu einem analogen Ergebnis für Service-Innovationen kommen Avlonitis et al. 2001, S. 338). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in der Literatur widersprüchliche Befunde zum Einfluss des Innovationsgrades auf den Erfolg vorliegen. Bestätigt wird diese Schlussfolgerung durch die Metaanalyse von Henard/Szymanski (2001, S. 367), in der kein signifikanter Erfolgseinfluss des Innovationsgrades festgestellt werden kann. Ein wesentlicher Grund für die Befundlage ist in der uneinheitlichen Konzeptualisierung und Operationalisierung des Innovationsgrades zu sehen (Salomo 2003, S. 401 f.). So ist davon auszugehen, dass die Perspektive der Neuartigkeit (,neu für wen?‘) Einfluss auf den Zusammenhang hat (Schlaak 1999, S. 107). Stu-

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dien, die die Perspektive des innovierenden Unternehmens einnehmen (z. B. Danneels/Kleinschmidt 2001), stellen tendenziell eher einen negativen Einfluss des Innovationsgrades fest, während ein hoher Innovationsgrad aus der Perspektive des Marktes tendenziell eher positiv mit dem Erfolg assoziiert ist (z. B. Song/MontoyaWeiss 1998). Gleichzeitig weist das Modell von Kotzbauer (1992) jedoch darauf hin, dass auch aus der Perspektive des Marktes hochgradige Innovationen mit erhöhten Risiken verbunden sind. Relativ einig ist sich die Forschung darüber, dass auf der Unternehmensebene ein langfristiger strategischer Wettbewerbsvorteil die Kombination verschiedener Innovationsarten verlangt (Han et al. 2001, S. 11; Tushman et al. 1997, S. 7; Wind/Mahajan 1997, S. 2). Auf der Projektebene stellt sich daher die Frage, ob der Innovationsgrad weniger als unabhängige Variable, sondern eher als moderierende Variable betrachtet werden sollte. Dieser Fragestellung widmet sich der folgende Abschnitt.

1.3.3 Innovationsgrad als Kontingenzvariable Vom einem Moderatoreffekt spricht man, wenn der Zusammenhang zwischen einer unabhängigen und einer abhängigen Variable durch eine dritte Variable (der Moderatorvariable) beeinflusst (verstärkt bzw. abgeschwächt) wird (Venkatraman 1989, S. 424 ff.). Die bis dato eher widersprüchlichen Befunde aus der Erfolgsfaktorenforschung weisen darauf hin, dass ein hoher Innovationsgrad keinen Erfolg garantiert. Vielmehr scheint die Entwicklung und Einführung hochgradiger Innovationen ein besonderes Innovationsmanagement zu verlangen. Das würde bedeuten, dass der Innovationsgrad weniger ein Erfolgskriterium als vielmehr eine moderierende Variable darstellt: “(. . . ) many studies have tended to overlook an important reality: that projects can differ substantially in their degree of innovativeness and that this may have an impact on what it takes to achieve success.” (de Brentani 2001, S. 170) Die in der Organisationstheorie verankerte Kontingenztheorie (vgl. im Überblick Zeithaml et al. 1988; Drazin/van de Ven 1985) bietet Potenzial für ein besseres Verständnis darüber, wie sich Kontextfaktoren auf das Innovationsmanagement auswirken. Die Kontingenztheorie verneint das Vorhandensein einer unter allen Rahmenbedingungen effektiven Organisationsstruktur. Es wird vielmehr davon ausgegangen, dass die optimale Organisationsstruktur in Abhängigkeit gegebener Kontingenzfaktoren, wie Unternehmensgröße, Strategie und Unsicherheit, variiert (Zeithaml et al. 1988, S. 39; Drazin/van de Ven 1985, S. 514). Im Kontext von Innovationsprojekten wird relativ häufig ein Brancheneinfluss vermutet. Zum Ausschluss dieses Einflusses und damit aus Gründen der Vergleichbarkeit erfolgt häufig eine Fokussierung empirischer Studien auf spezifische Industriesegmente (Hauschildt 2004, S. 49; Ernst 2001, S. 180). Branchenübergreifende Beiträge der Erfolgsfaktorenforschung können jedoch häufig keinen Einfluss der Branchenzugehörigkeit auf Erfolgsfaktoren von Innovationsprojekten feststellen

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(Ernst 2001, S. 180; vgl. z. B. Kärkkäinen et al. 2001, S. 398). Eine Vermutung für diesen Nichtbefund ist, dass die Verwendung einer Brancheneinteilung nur ungenügend Sachverhalte operationalisiert, die vermutlich einen Einfluss auf den Nachweis von Erfolgsfaktoren haben. Entsprechend wird in der wissenschaftlichen Forschung zunehmend von der Verwendung der Klassifikation Branche zu Gunsten anderer Kontingenzfaktoren abgesehen (Ernst 2001, S. 180; Melheritz 1999, S. 157). Tidd (2001, S. 175) kommt auf der Basis einer Literaturanalyse zu dem Ergebnis, dass insbesondere zwei Kontingenzfaktoren einen wesentlichen Einfluss auf das Management von Innovationen haben: Unsicherheit und Komplexität. Unsicherheit stellt ein konstituierendes Merkmal hochgradiger Innovationsprojekte dar (Lynn/Akgün 1998, S. 13) und hochgradige Innovationen sind häufig sehr komplex (Kim/Wilemon 2003, S. 19). Damit im Einklang stehend wird der Innovationsgrad in der Literatur weitgehend einheitlich als Kontingenzvariable des Innovationsmanagement verstanden (Scigliano 2003, S. 60). Es kann vermutet werden, dass der Neuigkeitsgrad einer Innovation in zweifacher Weise einen Kontingenzfaktor darstellt. Entsprechend des sog. Selektionsansatzes in der Kontingenztheorie richten Organisationen ihr Verhalten am Kontext aus (Drazin/van de Ven 1985, S. 516 f.). Hochgradige Innovationen stellen aufgrund ihrer überproportional großen Unsicherheiten besondere Herausforderungen an das Innovationsmanagement: “Is it reasonable to expect that an innovation strategy used on an incremental innovation can be equally effective for a radical innovation? Most likely not. Innovation strategies must be tailored to the nature of the innovation and the degree of uncertainties present.” (Lynn/Akgün 1998, S. 12) Darüber stellt sich die Frage, inwieweit der Innovationsgrad eine moderierende Wirkung auf den Erfolgseinfluss von Managementfaktoren aufweist. Der Interaktionsansatz der Kontingenztheorie unterliegt der Annahme, dass Erfolg mit zunehmendem Fit zwischen Kontext und Managementverhalten steigt (Drazin/van de Ven 1985, S. 517 f.). Empirische Studien zeigen, dass der Innovationsgrad zweifach, das heißt sowohl nach dem Selektions- als auch dem Interaktionsansatz einen Kontingenzfaktor darstellt. So berichten empirische Studien z. B., dass in radikalen im Vergleich zu inkrementalen Innovationsprojekten überproportional viel qualitative Marktforschungsmethoden eingesetzt werden (Adams et al. 1998, S. 418; Shanklin/Ryans 1988, S. 492 f.). Gruner (1997, S. 177 f.) weist für moderat neuartige Innovationsprojekte nach, dass Kunden vergleichsweise wenig intensiv in die Ideenfindung aber deutlich intensiver während der Markteinführung in den Innovationsprozess integriert wurden. Mit anderen Worten: In der Praxis werden bei inkrementalen und radikalen Innovationen häufig unterschiedliche Managementaktivitäten angewendet. Darüber hinaus berichten viele empirische Studien moderierende Effekte (z. B. Steinhoff 2006; Krieger 2005; Lee/O’Connor 2003; Lee/Na 1994). Lee/Na (1994) zeigen z. B. empirisch, dass die Unterstützung eines Innovationsprojektes durch einen Promotor wichtiger für den Erfolg radikaler als für den Erfolg inkrementaler Innovationen ist. Ebenso hat sich der Innovationsgrad als moderierender Faktor bezüglich des Zusammenhanges zwischen Kundenorientierung und Erfolg heraus-

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gestellt. Eine intensive (vor allem auf qualitativen Methoden basierende) Kundenorientierung hat einen positiven Erfolgseinfluss und die Stärke des Einflusses steigt mit zunehmendem Innovationsgrad. Das heißt, sehr neuartige, radikale Innovationen profitieren besonders stark von einer Orientierung an potenziellen Kunden im Markt (Steinhoff 2006).

1.4 Zusammenfassung Eine Funktion der Innovationserfolgsrechung besteht in der Erfolgsrechnung: Sie soll Ausgaben und Einnahmen sowie den Saldo als Innovationsergebnis erfassen (Hauschildt 1994). Hier zeigt sich eine inhaltliche Nähe zur Erfolgsfaktorenrechnung. Die Erfolgsfaktorenrechnung ist auf der Suche nach den Faktoren, die den Erfolg einer Innovation ausmachen. Ein potenzieller Erfolgsfaktor stellt der Innovationsgrad dar. Neue Produkte variieren hinsichtlich ihres Neuigkeitsgrades: Die Spanne erstreckt sich von minimalen Verbesserungen (inkrementale Innovationen) über moderat innovative neue Produkte bis hin zu umwälzenden Veränderungen, radikale Innovationen. Innovationsentscheidungen sind letztlich Investitionsentscheidungen (Hauschildt 1994). Ziel muss es sein, mit einem möglichst minimalen Einsatz von Ressourcen einen möglichst maximalen Output zu erzielen. Die Entscheidung, welche Innovationsideen als Projekte etabliert werden sollen und wie hoch jeweils die Ressourcenausstattung ausfallen soll, ist eine Frage der Effektivität („das Richtige tun“). In diesem Zusammenhang bedarf es für die Praxis Empfehlungen, welche Rolle der Neuigkeitsgrad in dem Auswahlprozess spielen soll. Sollen eher inkrementale oder aber eher radikale Innovationen in der Budgetverteilung präferiert werden? Der vorliegende Beitrag hat sich mit der Frage beschäftigt, inwieweit der Innovationsgrad in der Erfolgsfaktorenforschung eher einen Einflussfaktor bzw. einen Kontingenzfaktor darstellt. Aufbauend zu einem Überblick zur Erfolgsfaktorenforschung wurde der Zusammenhang zwischen Innovationsgrad und Erfolg analysiert. Dabei wurde zunächst deutlich, dass der Innovationsgrad ein mehrdimensionales Konstrukt, bestehend aus den vier Dimensionen Markt, Technologie, Organisation und Umfeld darstellt. Im Rahmen einer Synopse wurde anschließend aufgezeigt, dass empirische Studien zum Zusammenhang zwischen Innovationsgrad und Erfolg widersprüchliche Befunde zeigen. In der Literatur finden sich Hinweise für einen positiven, negativen, U-förmigem bzw. auch keinen eindeutigen Zusammenhang. Ein wesentlicher Grund ist in der uneinheitlichen Konzeptualisierung und Operationalisierung des Innovationsgrad-Konstruktes zu vermuten. Unabhängig von der Frage des Erfolgseinflusses des Innovationsgrades ist sich die Forschung einig darüber, dass ein langfristiger strategischer Wettbewerbsvorteil eine Kombination verschiedener Innovationsarten verlangt. Aus dieser Erkenntnis heraus wurde anschließend der Frage nachgegangen, inwieweit der Innovationsgrad weniger einen Erfolgsfaktor, als einen Kontingenzfaktor darstellt. Es konnte gezeigt werden, dass der Innovationsgrad in zweifacher Weise einen Kontingenzfaktor dar-

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stellt. Zum einen werden in der Praxis in Abhängigkeit vom Neuigkeitsgrad häufig unterschiedliche Innovationsmanagementaktivitäten angewendet. Zum anderen konnte in empirischen Studien häufig ein moderierender Effekt des Innovationsgrades nachgewiesen werden. Das heißt, der Zusammenhang zwischen spezifischen Managementaktivitäten und Innovationserfolg wird durch den Neuigkeitsgrad beeinflusst. Gemäß des jetzigen Standes der Forschung ist also davon auszugehen, dass der Innovationsgrad einen Kontingenzfaktor in der Erfolgsfaktorenforschung darstellt. Eine abschließende Klärung der konkreten Rolle des Innovationsgrades als Erfolgseinflussfaktor verlangt zukünftig eine einheitliche Konstruktoperationalisierung und eine damit einhergehende Vergleichbarkeit wissenschaftlicher Studien.

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Kapitel 2

Aufbau und Durchführung der rechnerischen Bewertung von Innovationen dargestellt an einem Fallbeispiel aus der Telekommunikationsindustrie Michael Erner, Volker Presse

2.1 Einleitung Durch die Globalisierung der Märkte entwickeln sich industrialisierte Volkswirtschaften zunehmend zu Wissensgesellschaften, in denen Innovationen die bedeutendste strategische Ressource im weltweiten Wettbewerb darstellen. Immer kürzer werdende Produktlebenszyklen (vgl. Gruner 1996, S. 14 f.) zwingen Unternehmen dazu, steigende Entwicklungskosten (vgl. Backhaus 1999, S. 16) immer schneller zu amortisieren. In der Automobilindustrie reduzierte sich z. B. der Produktlebenszyklus des VW Golf von neun Jahren (Golf I) auf sechs Jahre beim Golf III (vgl. Meffert 2000, S. 1350 f.). In der Telekommunikationsindustrie drängen darüber hinaus auf Grund der Öffnung und Liberalisierung vollkommen neue Anbieter auf den Markt und steigern damit ebenfalls den Wettbewerbsdruck für alle beteiligten Akteure (vgl. Büllingen, Stamm April 2003, S. 25 ff.). Dies hat zur Folge, dass sinkende Margen und Umsätze den unternehmerischen und vor allem den finanziellen Spielraum für die einzelnen Anbieter verkleinern und damit die Notwendigkeit nach Wachstum verstärkt wird. Neue Produkte und Dienste ermöglichen Unternehmen neue Umsätze zu generieren und neue Märkte zu erschließen. Innovationen sind somit auf der einen Seite die Grundlage für nachhaltiges Unternehmenswachstum, auf der anderen Seite leitet sich aus dem oben beschriebenen Kostendruck eine weitere Begrenzung der finanziellen Ressourcen ab. Folglich wird die Forderung nach Effizienz bei der Entwicklung von Innovationen immer wichtiger. Darüber hinaus gilt als Wesensmerkmal von Innovationen neben dem Aspekt der „Entwicklung“ auch die „Nutzung“ bzw. erfolgreiche Einführung am Markt (vgl. Brockhoff 1992, S. 28). Dementsprechend müssen Innovationen hinsichtlich ihrer Erfolgswirksamkeit überprüft werden (vgl. Kim, Mauborgne 2004, S. 172). Die Erfolgsfeststellung wird im Rahmen der Ermittlung des Wertbeitrages von Innovationen vorgenommen, der eine monetäre und ein strategische Komponente hat. Strategisch betrachtet kann dieser neben technologischen auch marktliche Gesichtspunkte wie zum Beispiel den strategischen Fit von neuen IPTV-Angeboten zum existierenden Produktportfolio von Telekommunikati-

W. Schmeisser, H. Mohnkopf, M. Hartmann, G. Metze (Hrsg.), Innovationserfolgsrechnung DOI: 10.1007/978-3-540-78249-0, © Springer 2008

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onsfirmen betreffen. Zusätzlich zur qualitativen Betrachtung muss der Wertbeitrag quantitativ, d. h. monetär bewertet werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Unternehmen erfolgreiche Innovationen, die einen Wert für das Unternehmen erwirtschaften, benötigen. In der betriebswirtschaftlichen Literatur wird schon seit längerer Zeit diskutiert, wie Innovationen bewertet werden können. Neben der von Hauschildt begründeten Innovationsergebnisrechnung (vgl. Hauschildt 1994) werden in jüngerer Zeit unter dem Schlagwort Innovationscontrolling strategische und rechnerische Ansätze zur markt- und technologieorientierten Bewertung von Innovationen subsumiert. Im folgenden Beitrag werden zunächst im Abschnitt 2.2 auf die Begriffe „Innovation“ sowie „Innovationsmanagement“ eingegangen. Im Abschnitt 2.3 wird die Problematik bei der rechnerischen Bewertung von Innovationen erörtert und anschließend im vierten Abschnitt die Struktur sowie die Durchführung einer marktorientierten, rechnerischen Innovationsbewertung exemplarisch dargestellt.

2.2 Innovationen Im folgenden Abschnitt werden zunächst der Innovationsbegriff sowie seine Eigenschaften und Dimensionen dargestellt. Anschließend wird auf den Begriff des Innovationsmanagements eingegangen.

2.2.1 Definition In der ökonomischen und betriebswirtschaftlichen Literatur gibt es zahlreiche Definitionen für das Konzept der „Innovation“. Die Bedeutung von Innovationen stellte u. a. Schumpeter im Rahmen seiner Theorie der ökonomischen Entwicklung bereits Anfang des 20. Jahrhunderts heraus. Aufbauend auf einem Vergleich verschiedener Definitionen des Begriffs versteht Hauschildt „Innovationen“ als „[...] qualitativ neuartige Produkte oder Verfahren, die sich gegenüber dem vorangehenden Zustand merklich – wie immer das zu bestimmen ist – unterscheiden.“ (Hauschildt 2004, S. 7). Innovationen grenzen sich von Inventionen (reinen Erfindungen) durch das Kriterium der erfolgreichen Einführung im Markt (Produktinnovation) oder den Einsatz eines neuen Verfahrens (Prozess- oder Verfahrensinnovation) ab (vgl. für eine Vielzahl von Autoren Brockhoff 1992, S. 28 sowie Bullinger 1994, S. 32 ff.). Im Gegensatz zu Inventionen erzeugen Innovationen einen ökonomischen Wert und werden einem großen Empfängerkreis zugänglich gemacht (vgl. Kumar, Phrommathed 2005, S. 7 sowie Garcia, Calantone 2002, S. 112). Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal von Innovationen ist der Grad oder die Höhe der Innovation. Während geringe Veränderungen und Neuerungen (inkrementelle Innovationen) meist kalkulierbare Auswirkungen auf das Geschäft eines

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Unternehmens haben, können radikale Innovationen (hoher Innovationsgrad) eine große Unsicherheit für das Geschäftsmodell und das gesamte Unternehmen darstellen.

2.2.2 Innovationsmanagement Das Innovationsmanagement hat sich in den letzten Jahren zu einem eigenständigen Ansatz in der Managementtheorie entwickelt. Hauschildt definiert Innovationsmanagement als Planung, Durchführung und Kontrolle von Aktivitäten entlang des gesamten Innovationsprozesses (vgl. Hauschildt 2004, S. 30). Koen et al. identifizieren drei aufeinander folgende Kernphasen des Innovationsprozesses (s. Abb. 2.1): „Front-End of Innovation“, „New Product and Process Development“ und die abschließende „Kommerzialisierungsphase“ (vgl. Koen et al. 2001). Die einzelnen Phasen unterscheiden sich hinsichtlich der Ausgestaltung der Aufgaben, des Informationsbedarfs, der eingesetzten Managementinstrumente sowie schließlich hinsichtlich ihres Beitrags zur Bewertung von Innovationen (vgl. für die folgenden Ausführungen Koen et al. 2001). Die erste Phase („Front-End of Innovation“) zielt vor allem auf die Generierung neuer Ideen und Initiativen. Sie ist häufig durch ein hohes Maß an fehlender Struktur und Unsicherheit gekennzeichnet, so dass Produkt- und resultierende Umsatzerwartungen noch nicht konkret formuliert werden können. Am Ende dieser Phase liegen detaillierte Entwicklungsprojektvorschläge vor. Innerhalb der zweiten Phase („New Product and Process Development“) liegt der Aufgabenschwerpunkt auf der Selektion und Entwicklung neuer Produkte und Prozesse mit dem Ziel, greifbare Produkt- und Servicekonzepte zu erstellen. Diese werden häufig durch Prototypen und Demonstratoren veranschaulicht. Typischerweise

Abb. 2.1 Innovationsprozess nach Koen et al. 2001

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werden diese im Rahmen einer strukturierten und klar budgetierten Projektorganisation durchgeführt. Bei steigendem Reifegrad der Innovation wird in dieser Phase der Wertbeitrag der Investition für die Unternehmung prognostiziert, wobei i. d. R. die unterschiedlichen Produkt- und Servicekonzepte bewertet werden. Nach dem erfolgreichen Abschluss des Produktentwicklungsprozesses folgt in einem letzten Schritt die Kommerzialisierung der Innovation mit Hilfe standardisierter Markteinführungsprozesse z. B. in Form der Planung von Marketing- und Werbemaßnahmen. Dazu greift das Innovationsmanagement auf die klassischen Instrumente des Marketingmix wie Vertriebs-, Kommunikations-, und Preispolitik zurück, um im Ergebnis einen vollständigen Marketingplan zu erhalten. In dieser Phase wird der Wertbeitrag weiter detailliert.

2.3 Rechnerische Bewertung von Innovationen In diesem Abschnitt wird die Behandlung von Innovationen aus der Sichtweise von Rechnungssystemen sowie deren Aufbau diskutiert. Anschließend werden Zielsetzung und Vorgehensweise für Aufbau und Durchführung der rechnerischen Bewertung von Innovationen im Rahmen des vorliegenden Beitrages dargestellt.

2.3.1 Innovationen aus Sicht von Investitionsrechnungen Innovationen zielen durch die erfolgreiche Markteinführung auf das nachhaltige Wachstum von Umsätzen eines Unternehmens ab. Jedoch ist der Erfolg einer Innovation mit Risiko behaftet. Die Durchführung von Innovationsprojekten gleicht demnach einer langfristigen Bindung von Finanzmitteln (Entwicklungskosten) mit dem Ziel, aus deren späterer Nutzung Finanzmittel zu erwirtschaften (vgl. Mensch 2002, S. 1). Innovationen können somit als Investitionen angesehen werden. Die Investitionsrechnung beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit der rechnerischen Bewertung von Investitionen, d. h. mit der kosten- und erlösmäßigen Betrachtung von Projekten, Produkten und Prozessen. Bevor aufgezeigt werden kann, ob und welche Investitionsrechenverfahren sich für Innovationsprojekte anwenden lassen, soll im ersten Schritt zunächst die grundlegende Logik und Struktur von Rechnungssystemen dargestellt werden.

2.3.2 Grundlegender Aufbau von Rechnungssystemen Der grundlegende Aufbau betriebswirtschaftlicher Rechnungssysteme basiert auf vier Kernelementen: Erhebung, Bewertung, Zurechenbarkeit und Verrechnungsmethodik.

2 Rechnerische Bewertung von Innovationen

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2.3.2.1 Erhebung Der Bereich der Erhebung untersucht die Frage, welche Bezugsobjekte und Datenpunkte für das Rechnungssystem erfasst werden müssen. Bezugsobjekte stellen dabei im Wesentlichen die Innovationsprojekte sowie die daraus resultierenden Produkte und abgeleiteten Bewertungsobjekte dar. Bei den Innovationsprojekten fallen kostenseitig neben den „direkten“ Projektkosten für die Entwicklung, Integration und Einführung wie z. B. Personalkosten zusätzlich auch Overheadkosten (z. B. Labor- oder Lizenzkosten) an. Erstere lassen sich i. d. R. einfach durch ein funktionierendes Projektcontrolling erfassen. Die Gemeinkosten werden zunächst für die Gesamtorganisation erfasst. Zusätzlich müssen die Kosten für die Anschaffung (CAPEX) und den Betrieb (OPEX) bzw. die Nutzung der Innovation erhoben werden. Vor allem technologisch radikale Innovationen benötigen häufig kostenintensive Neuanschaffungen. So wurden beispielweise durch den neuen Mobilfunkstandard UMTS hohe Kapitalinvestitionen zum Aufbau des neuen Netzes erforderlich. Die Bezugsobjekte der Erlöserfassung sind grundsätzlich dieselben wie die der Kostenerfassung, wobei weitere marktliche Differenzierungen wie z. B. Kundengruppen oder Marktsegmente hinzukommen können. Die wichtigsten Erlösgrößen sind die Umsätze, die durch die Innovationen induziert werden. Weitere Erlöse sind durch den Verkauf von Beratungsleistung, die Lizenzierung oder die Nutzung von Patenten möglich. Die Entstehung der Erlöse liegt zeitlich betrachtet größtenteils nach den Kosten, da Innovationsprojekte während ihrer Laufzeit meist keine Erlöse erzielen. Erlöse können erst bei Nutzung der Innovation generiert und als Istgrößen erfasst werden. Trotzdem muss so früh wie möglich versucht werden, Erlösgrößen zu prognostizieren und als Plangrößen zu erfassen.

2.3.2.2 Zurechenbarkeit Der zweite Aspekt bezieht sich auf die Zurechenbarkeit von Kosten und Erlösen zu einer Innovation oder einem Innovationsprojekt. Bei der Zurechnung der Kosten und Erlöse ist die Innovationsart maßgeblich. Kosten lassen sich i. d. R den Innovationen der Verfahrens-, Prozess- und Infrastruktur ebenso zurechnen (vgl. Gemünden, Littkemann 2007, S. 3) wie Produktinnovationen. Das gilt für die Investitionsausgaben ebenso wie die später durch Verbesserungen erzielbaren Kosteneinsparungen. Auf der Kostenseite bildet die Zurechenbarkeit der Gemeinkosten die größte Schwierigkeit. Das Aufschlüsseln und dedizierte Erheben erleichtert grundsätzlich die spätere Zurechnung zu den jeweiligen Innovationsprojekten, ist jedoch mit erhöhtem Aufwand verbunden. Neben den klassischen Gemeinkosten wie Personalkosten, kann insbesondere aus der Verbundproblematik der Produkte Gemeinkostencharakter erwachsen. Sollten mehrere Produkte etwa auf die gleiche „Innovationsinfrastruktur“ z. B. beim

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Aufbau des UMTS-Netzes zurückführbar sein, so müssen diese Kosten den einzelnen Innovationen zugerechnet werden. Die erlösseitige Zurechnung gestaltet sich deutlich aufwendiger als die kostenseitige Betrachtung. Inkrementelle Innovationen verbessern existierende Produkte und können damit den Nutzen für den Kunden und somit die Umsätze des Produktes erhöhen. Ob und vor allem im welchem Maße die Steigerungen jedoch tatsächlich durch die jeweilige Innovation ausgelöst wurden, ist schwierig zu bestimmen. Bei sinkenden Umsätzen muss es bereits als Erfolg betrachtet werden, wenn Produktverbesserungen zum Erhalt der bestehenden Erlöse beitragen. Bei radikalen Innovationen ist die Zurechnungsfrage oft einfacher zu beantworten, da diese Innovationen eine für den Kunden deutlich erkennbare Neuerung darstellen. Häufig führen radikale Innovationen zu einem vollständig neuen Produktangebot, so dass hierdurch generierte Erlöse eindeutig der jeweiligen Innovation zurechenbar sind. Wie oben erwähnt ist neben dem Innovationsgrad auch die Art der Innovation für die Zurechnung von Bedeutung. Während sich Erlöse einfacher den Produktinnovationen eines bestimmten Produktes zuordnen lassen, ist dies für Prozessinnovationen i. d. R. nicht direkt, sondern nur durch Hilfskonstruktionen möglich. Innovationen der Verfahrens, Prozess- und Infrastruktur können jedoch ebenso zu einem positiven Beitrag, z. B. durch verbesserte Qualität, schnellere Zugriffszeiten, höhere Robustheit, auf der Marktseite führen (vgl. Gemünden, Littkemann 2007, S. 3) und müssen deswegen auch erlösmäßig abgebildet werden.

2.3.2.3 Bewertung Nachdem festgelegt wurde, welche Rechengrößen zu betrachten sind (Erhebung) und wie diese zugeordnet werden können (Zurechenbarkeit), ist im dritten Schritt die Frage des Wertansatzes zu klären. Die Bewertung ist grundsätzlich frei von gesetzlichen und sonstigen Vorschriften und erfolgt im Wesentlichen nach unternehmerischen Gesichtspunkten und damit marktorientiert. Die Bewertung der Kostenseite ist im Gegensatz zur Erlösseite einfacher. Bezüglich der Projektkosten gilt, dass im Projektverlauf die tatsächlich entstandenen Kosten erfasst und in der verausgabten Höhe angesetzt werden. Die Kosten für die Anschaffung (CAPEX) und den Betrieb der Innovation (OPEX) sind dagegen schon schwieriger zu bewerten, da es sich hier um reine Planwerte handelt. Bei inkrementellen Innovationen kann häufig auf vergangenheitsbezogene Anschaffungs- und Einstandskosten zurückgegriffen werden. Noch schwieriger ist Bewertung indes bei radikalen Innovationen, da hier je nach Fall vollkommen neue Technologien eingesetzt werden, für die noch gar keine Marktpreise vorliegen. Für die OPEX kann dagegen bei inkrementellen Innovationen sowie ebenfalls auch bei vollkommen neuen Technologien häufig auf Erfahrungswerte zurückgegriffen werden. Vertriebs- und Marketingkosten, Call-Center- oder Servicekosten können aus dem bestehenden Geschäft übernommen und angepasst werden, wobei hier häufig mit Pauschalgrößen gerechnet wird.

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Die Bewertung der Erlöse stellt aufgrund ihres rein prognostischen Charakters das größte Risiko dar. Hier ist ebenfalls die Unterscheidung zwischen radikalen und inkrementellen Innovationen von Bedeutung. Bei radikalen Innovationen lassen sich häufig nur schwierig Kundenbefragungen und Markttest durchführen, da die Nutzer i. d. R. zu geringe Kenntnis über die neuen Technologien besitzen, so dass diese keine oder nur begrenzt Aussagen über den erwarteten Nutzen treffen können. Dies erschwert es, Prognosen über Zahlungsbereitschaften und Nutzungsverhalten von Kunden zu treffen. Eine Möglichkeit die Befragung von Nutzern zu umgehen ist, Vergleichsfälle aus anderen Branchen oder Auslandsmärkten heranzuziehen und zu übertragen. Als Beispiel ist hier die Einführung von mobilen Datendiensten zu nennen. So haben europäische Mobilfunkanbieter, allerdings mit wenig Erfolg versucht, Rückschlüsse aus dem asiatischen Markt bei der Einführung von i-mode oder EDGE ziehen. Jedoch müssen bei solchen länderübergreifenden Vergleichen regionale und vor allem kulturelle Besonderheiten bei der Übertragbarkeit von Produkten und Diensten beachtet werden. Die erlösseitige Bewertung von inkrementellen Innovationen kann einerseits auf existierende Daten und Vergangenheitswerte zurückgreifen. Andererseits ist vor allem in schrumpfenden Märkten die Quantifizierung des durch die Neuerung induzierten Erlösanteils schwierig, da die Preise in solchen Märkten ebenfalls einem starken Verfall ausgesetzt sind. Dies verdeutlicht z. B. die Entwicklung der Endkunden-Preise für einen breitbandigen Internetzugang (DSL-Zugang). So kostete eine 2 Mbit/s-Zugang z. B. im Jahr 2005 ca. 42 Euro, während ein Jahr später ein 6 Mbit/s-Zugang nur noch ca. 43 Euro kostete (vgl. Schwab April 2007, S. 8).

2.3.2.4 Verrechnungsmethodik Nachdem die Rechengrößen definiert, abgegrenzt und bewertet wurden, stellt sich die Frage nach der systematischen Verarbeitung. Wie eingangs in diesem Abschnitt bereits dargestellt, können Innovationen bzw. Innovationsprojekte als Investitionen aufgefasst werden. Dementsprechend können die statischen (wie z. B. Kosten-, Gewinn- oder Rentabilitätsvergleichsrechnung) und dynamischen (wie z. B. Kapitalwert-, Annuitäten-, Internet-Zinsfuß- oder die Vermögensendwertmethode) Methoden der Investitionsrechnung angewandt werden (vgl. Götze 2006, S. 49 ff.).

2.3.3 Gestaltung und Aussagegehalt von Innovationsergebnisrechnungen Das Ziel von Innovationsergebnisrechnungen ist, entsprechend den eingangs gemachten Ausführungen, die Wertermittlung von Innovationen bzw. von Innovati-

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onsprojekten, um damit eine Entscheidungsgrundlage für die Weiterverfolgung oder Beendigung dieser Projekte bereitzustellen (vgl. zur Bedeutung der Projektselektion sowie der Abbruchsentscheidung die zentralen Aufgaben des F&E-Controlling Gaiser et al. 1989, S. 33 ff.). Das Innovationscontrolling erweitert das Verständnis und die Aufgaben der Innovationsergebnisrechnung. Bürgel ergänzt in seiner Auffassung von Innovationscontrolling die strategische Komponente der zukünftigen Markt- und Technologiebetrachtung (vgl. Bürgel 1994, S. 102). Dazu zählen neben den klassischen Aufgaben, Finanzierung und Budgetierung, Projektcontrolling und Berichtwesen die Aufgaben des strategischen Innovationscontrolling und der Projektauswahl bzw. Bewertung (vgl. Bürgel 1994, S. 103). Die Gestaltung der Innovationsergebnisrechnung basiert auf drei grundlegenden Anforderungen: dem Projekt-, dem Erfolgs- und dem Zukunftsbezug von Innovationen (vgl. Littkemann 2005). Die Durchführung der Innovationsentwicklung in der Organisationsform eines Projektes gibt den internen Abrechnungsrahmen vor, so dass die entstehenden Kosten dem Bezugsobjekt direkt zugeordnet werden können. Gleichzeitig terminiert der Projektrahmen auch die Dauer des Innovationsvorhabens. Dies erleichtert gleichzeitig die rechnerische Abgrenzung. Der Erfolgsbezug fordert die Erweiterung der Kostenrechnung zur Ergebnisrechnung. Zum einen werden Einnahmen und Ausgaben als Rechnungsgrößen eingeführt und zum anderen durch Saldierung dieser Größen ein Innovationsrechnungsergebnis und damit eine Erfolgsbewertung ermöglicht. Gerade die erlösseitige Betrachtung und die Berücksichtigung von Einnahmen über das Projektende hinaus gestatten eine sinnvolle Bewertung von Innovationsvorhaben. Ohne diesen Zukunftsbezug würde die Bewertung von Innovationsprojekten fast immer negativ ausfallen, da teilweise erst deutlich nach Projektabschluss die durch die Innovation induzierten Umsätze entstehen (vgl. Gemünden, Littkemann 2007, S. 8 f.). In der Praxis werden diese Anforderungen jedoch häufig nur unzureichend umgesetzt. So überwiegt meistens ein durch den Budgetgedanken getriebener Kostenstellenfokus, der projektbezogene Betrachtungsweisen erschwert (vgl. Gaiser et al. 1989, S. 37 f.). Andererseits führt falsch verstandene Projektorientierung häufig zur Fokussierung auf die Erfassung von Kosten und stellt damit das Kosten- und Zeitcontrolling in den Vordergrund. So wird häufig nicht in ausreichendem Maß beachtet, dass Innovationen auch Erlösquellen sind. Die Projektauswahl erfolgt dementsprechend meistens nicht unter Berücksichtigung von zukünftigen Erfolgen, sondern durch pauschal vergebene Budgets. Aber auch in der Theorie herrscht trotz anders lautender Forderungen eine Fokussierung auf die Projekt- und Kostenorientierung vor. Der Konstruktion von Erlösund Marktmodellen wird dagegen nur wenig Platz eingeräumt. Generell bleibt festzuhalten, dass in Theorie und Praxis sowohl der Erfolgs- als auch der Zukunftsgedanke häufig in einem zu geringen Ausmaß in der Innovationsergebnisrechnung verankert sind.

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2.3.4 Ziel und Vorgehensweise bei der rechnerischen Bewertung in dem vorliegenden Beitrag In diesem Beitrag wird die rechnerische Bewertung von Innovationen vorgestellt und an einem Projekt exemplarisch durchgeführt. Neben der reinen Kostenbetrachtung wird die Erlös- und Marktperspektive hinzugefügt und somit die Nutzung und Verwertung der Innovation frühzeitig in Betracht gezogen. Zunächst werden dazu Problematik und Verrechnungsmöglichkeiten der Kosten und Erlöse in den einzelnen Phasen des Innovationsprozesses dargestellt. Anschließend wird anhand eines Beispiels eine detaillierte Darstellung der Konzeptphase gegeben. Dazu wird ein im Rahmen der unternehmerischen Praxis entwickeltes Marktmodell dargestellt und erläutert.

2.4 Aufbau und Durchführung der marktorientierten, rechnerischen Bewertung von Innovationen Die im Folgenden gemachten Ausführungen zur rechnerischen Innovationsbewertung zielen insbesondere auf die Hauptaufgaben der Projektbewertung und -selektion auf der Basis des ermittelten Innovationserfolges. Dies verlangt die kontinuierliche Ermittlung und Überwachung des Wertbeitrages von Innovationen bzw. Innovationsprojekten. In den folgenden Abschnitten werden die einzelnen Phasen des Innovationsprozesses dargestellt und in Bezug auf die in Abschnitt 2.3 aufgestellten Kriterien (Erhebung, Zurechnung, Bewertung und Verrechnung) hin analysiert. Im Anschluss wird detailliert auf die Konzeptphase eingegangen, wobei ein dreiteiliges Modell aus Angebot, Nachfrage und der aus deren Interaktion resultierender Wirtschaftlichkeitsbetrachtung aufgezeigt wird.

2.4.1 Bewertung von Innovationen in den verschiedenen Phasen des Innovationsmanagement Im folgenden Abschnitt soll auf Bewertung von Innovationen in den verschiedenen Phasen des Innovationsmanagement, der Initiierungs- („Fuzzy Front End“), der Konzeptions- („New Product and Process Development“) und der Kommerzialisierungsphase eingegangen werden (siehe hierzu Tabelle 2.1).

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Tabelle 2.1 Übersicht Innovationsphasen

2.4.1.1 Initiierungsphase Innerhalb der Initiierungsphase ist der Einfluss von Innovationsideen i. d. R. noch sehr unklar und dementsprechend ist auch der Erfolg sowohl technisch als auch ökonomisch schwer abzuschätzen. Ökonomische Abschätzungen existieren nur sehr grobgranular und die Datenerhebung konzentriert sich vor allem auf Umsatzvolumina von Gesamt- und Teilmärkten sowie die Aufteilung der Marktanteile. Häufig werden in der Initiierungsphase Risikoanalysen hinsichtlich der technischen Machbarkeit sowie des ökonomischen Erfolges durchgeführt (vgl. Gaiser et al. 1989, S. 34). Genaue Aufwands- sowie Ertragsabschätzungen und -zurechnungen können noch nicht vorgenommen werden, da die Verwendung der Innovation und der damit verbundenen Produkte oder Services noch nicht spezifiziert ist. Die Zurechenbarkeit der erhobenen Werte auf die Innovation kann hier noch nicht vorgenommen werden. Die Erhebung zeigt nur den möglichen Handlungsraum auf. Inwieweit dieser von der Innovation ausgefüllt werden kann, bleibt in dieser Phase offen. Die Bewertung der Innovation basiert in der ersten Phase vor allem auf einer Abschätzung der Gesamtinvestitionskosten mit dem prognostizierten Marktpotenzial. Potenzialanalysen geben Auskunft darüber, welches Umsatzpotenzial durch die Innovation im Markt adressiert werden könnte und wie sich dadurch die Wettbewerbssituation des Unternehmens verändert (vgl. Gaiser et al. 1989, S. 34). Die Ausschöpfung des Potenzials bleibt zunächst noch offen. Die Analyse bleibt bewusst auf einer

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oberflächlichen Ebene, da eine genauere Analyse zuviel Zeit und Ressourcen benötigen und in den späteren Phasen ohnehin wiederholt werden würde. In diesem frühen Stadium finden die Methoden der Investitionsrechnung noch keine Anwendung, da diese wesentlich detailliertere Informationen über den zeitlichen Anfall der Eingangsgrößen benötigen. Die Abschätzung beschränkt sich auf die bloße Gegenüberstellung von Investitionskosten und dem Umsatz- und Wachstumspotenzial des adressierten Marktes ergänzt um risikobezogene Aussagen. Die Kostenaufstellung soll dabei eine Vorstellung über den zu erwartenden finanziellen und organisatorischen Aufwand geben.

2.4.1.2 Konzeptionsphase Die Konzeptionsphase („New Product and Process Development“) dient der Aufstellung und Ausarbeitung des Produkt- und Servicekonzeptes. Die ausgearbeiteten Produkt- und Servicekonzepte stellen in dieser Phase den Rahmen für die zu betrachtenden Größen dar. Prognostizierte, potenzielle Umsätze von Produkten und Diensten und OPEX bilden die Grundlage für die Berechnung. Abhängig von der Beschaffenheit und Ausgestaltung der Innovation können Umsätze auch auf detaillierte Bezugsgrößen wie Kundengruppen oder Teilsegmente heruntergebrochen werden. Aufgrund der Projektorganisation können die Projektkosten direkt durch das Projektcontrolling erfasst und zugeordnet werden. Die schwierigere Aufgabe ist die Abgrenzung von Gemeinkosten gegenüber anderen Projekten und Innovationsvorhaben und Gemeinerlösen von anderen Produkten. Insbesondere auf der Erlösseite ist eine Analyse von anderen ähnlichen Produkten zentraler Bestandteil der Erlösanalyse und -prognose. Im Kontext von Verbund- oder Netzwerkprodukten ist die Ermittlung und Zurechnung des Wertbeitrages der Innovation von besonderer Bedeutung, worauf später im Text spezieller eingegangen wird. Bei der Bewertung müssen die projektinduzierten Einnahmen mit den Investitionsausgaben im Zeitverlauf gegenübergestellt werden. Daten für die prognostizierten Einnahmen und die Investitionskosten sollten mit den Produktverantwortlichen abgestimmt werden. Bei Verbund- und Netzwerkprodukten ist dies schwierig, da meist mehrere Produktverantwortliche existieren. Die Finanzmathematik stellt hier mit der Barwertberechnung vor allem die Kapitalwertmethode als dynamisches Investitionsrechenverfahren zur Verfügung. Hierbei werden die Ein- und Auszahlungen entlang des Produktlebenszyklus gegenübergestellt und zeitlich abgezinst. Der unternehmerische Lohn und das Innovationsrisiko werden hier mit Hilfe des vorgegebenen Zinssatzes gesteuert.

2.4.1.3 Kommerzialisierungsphase Die spezifizierten Produktkonzepte werden mit Hilfe des klassischen Marketingistrumentariums sowie auf der Basis von Produkteinführungsprozessen innerhalb

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der Kommerzialisierungsphase im Markt lanciert. Das interne Rechnungswesen stellt für diese Phase als Informationsbasis die Kosten- und Leistungs- sowie die Planungsrechnung zur Verfügung. Die Innovationsergebnisrechnung fokussiert in dieser Phase auf einzelne Produkte, Serviceangebote, Produktbundles, dedizierte Kundensegmente sowie Vertriebsgebiete. Klare Vorstellungen über Produktionskosten und Zahlungsbereitschaften liegen vor, so dass eine detaillierte Erhebung sämtlicher Daten möglich ist. Sukzessive werden mit der verbesserten Datenbasis auch die Erkenntnisse über die Zusammenhänge von Innovation und Kostenverursachung klarer. Die Innovationen können vor allem auf Grund der vorliegenden Detailtiefe und Spezifität der Daten einfacher zugerechnet werden. Insbesondere hinsichtlich der OPEX und der Bestimmung von Pauschalen bietet die Kostenrechnung zunehmend Hilfestellung und präzisere Informationen. Die Integration mit dem internen Rechnungswesen löst in diesem Zusammenhang jedoch nur die kostenseitige Zuordnung, die erlösseitige Planung und Bewertung der Innovation ist weiterhin problematisch. So bleibt insbesondere die Schwierigkeit, den durch die Innovation induzierten Erlösanteil zu identifizieren, was vor allem durch die erwähnte Verbundproblematik erschwert wird. Bei den Wertansätzen gilt ebenfalls, dass die Datenqualität kontinuierlich ansteigt. Hinsichtlich der Kostenbewertung kann zunehmend, wie schon oben angedeutet, auf Istgrößen als Vergleichsmaßstab zurückgegriffen werden. Trotz der erwähnten Verbundproblematik der Erlöse steigt insbesondere die Kenntnis über die Zahlungsbereitschaft der Kunden durch Markt- und Akzeptanztest. Das betriebliche Rechnungswesen, sowie die betrieblichen Planungssysteme stellen in dieser Phase umfangreiche Tools zur Verfügung, mit denen sowohl eine kosten- als auch erlösseitige Planung und Kontrolle erreicht wird.

2.4.2 Detailkonzept für die Bewertung von Innovationen in der Konzeptphase Nach der Vorstellung der Besonderheiten der rechnerischen Bewertung von Innovationen in den einzelnen Phasen des Innovationsprozesses fokussiert der vorliegende Beitrag im Folgenden auf die Ausgestaltung der rechnerischen Bewertung von Innovationen innerhalb der Konzeptionsphase. Eingangsparameter sind hierbei die bereits erhobenen und analysierten Informationen der Initiierungsphase, wobei die Datenpunkte sukzessive entlang des gesamten Innovationsprozesses präzisiert werden.

2.4.2.1 Überblick Ziel der Innovationsergebnisrechnung in der Konzeptionsphase ist die marktorientierte Bewertung von Innovationen, die zur Vorproduktreife entwickelt werden. Da-

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zu ist neben der kostenseitigen Betrachtung im Besonderen die markt- und erlösseitige Analyse und Bewertung notwendig. Diese Analyse bezieht sich sowohl auf die Seite des Angebots als auch die der Nachfrage. Das Ergebnis drückt sich letztlich in der Wirtschaftlichkeit des Innovationsprojektes aus, die im Business Case ermittelt wird (s. Abb. 2.2). Aufgrund der hohen Interdependenz der Bereiche Angebot, Nachfrage und der Wirtschaftlichkeit als Resultante lassen sich diese nur schwierig separat betrachten, jedoch hilft die inhaltliche Trennung die Unterschiede zu verdeutlichen. Die Innovation, die im folgenden Beispiel bewertet werden soll ist keine Produktinnovation. Vielmehr handelt es sich im eingangs definierten Sinne um eine Innovation mit Infrastrukturcharakter, die in der Telekommunikationsbranche als „Enabler“ bezeichnet wird. „Enabler“ sind keine direkten Marktprodukte, sondern ermöglichen lediglich deren „Produktion“. Es handelt sich dabei vereinfacht gesagt um Infrastrukturkomponenten, die zwischen der reinen Netzebene und der Anwendungs-, also Produktebene liegen. Im Folgenden wird zunächst auf das Angebots- und Nachfragemodul und schließlich auf die Wirtschaftlichkeit als resultierendes Ergebnis eingegangen. Anhand eines Innovationsprojektes aus dem Bereich der Übertragung von multimedialen digitalen Objekten (z. B. Videos, Musikstücke, . . . ) wird das Vorgehen exemplarisch dargestellt.

2.4.2.2 Angebotsmodul Das Ziel in der Konzeptionsphase ist es nicht, ein in allen Details definiertes und differenziertes Produktangebot zu beschreiben, sondern vielmehr das grundsätzliche Leistungsspektrum in Form von Produkt- und Servicekonzepten zu bestimmen. Zur

Abb. 2.2 Konzept zur Bewertung von Innovationen

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Evaluation der Innovation ist angebotsseitig zunächst der zu adressierende Markt zu identifizieren. Dieser ist häufig schon durch die Grundbeschaffenheit der Innovation bestimmt. Anschließend wird analysiert, welche Produkte und Services durch die Innovation angeboten, verbessert oder erweitert werden können. Dieser Prozess führt schließlich zur Festlegung eines potenziellen Angebotes. Abschließend muss das Angebot in einem Geschäftsmodell verankert werden, das die Wertschöpfungskette und die Aufteilung der Wertschöpfung auf die beteiligten Partner einschließlich des eigenen Anteils beschreibt. Im ersten Schritt ist der relevante Markt zu identifizieren. Dann muss die Marktgröße durch die quantitative Bestimmung des Marktvolumens bestimmt werden. Dazu wird mit Hilfe von eigener Recherche und der Konsultation von aussagekräftigen Studien eine quantitative Aussage über die Größe und die Entwicklung getroffen. Zusätzlich sollte eine qualitative Analyse erfolgen. Entscheidend sind hier vor allem Informationen bzgl. allgemeiner Trends, die die Struktur und Beschaffenheit des identifizierten Marktes betreffen und beeinflussen. Dies umfasst auch die Berücksichtigung von technologischen Entwicklungen. Für das Beispielprojekt wurde der digitale Multimediaverteilmarkt identifiziert und nach Trends untersucht. Es konnten drei übergreifende Entwicklungstendenzen festgestellt werden: • Internetinhalte werden stetig multimedialer • Leistungsfähigkeit von Endgeräten steigt • Zahl der breitbandigen Internetzugänge wächst Diese Tendenzen wirken sich allesamt positiv auf die Entwicklung des digitalen Verteilmarktes aus und bekräftigten die positive Markteinschätzung. Nachdem der relevante Markt quantitativ und qualitativ evaluiert wurde, dient der nächste Schritt der Verfeinerung bzw. Spezialisierung des Angebotes. Dazu müssen die Handlungsoptionen in Form eines potenziellen Angebotes („Virtual Service Portfolio“) aufgezeigt werden. Das potentielle Angebot ergibt sich aus der Bewertung der Innovationsbeschaffenheit. Folgende Fragen sind in diesem Kontext zu beantworten: Welche Produkte können ursächlich auf der Basis der Innovation erzeugt werden? Welchen Einfluss hat die Innovation auf Produkte und Services? Wo leistet die Innovation einen Mehrwert in Form einer Verbesserung? Im Beispielprojekt wurden vier Produktgruppen mit den jeweiligen Ausgestaltungen identifiziert (s. Abb. 2.3). Im dargestellten Beispiel gibt es aufgrund des oben beschriebenen Enablercharakters der Innovation eine Besonderheit, die sich auf das Verhältnis des Virtuellen Service Portfolios und des später noch näher zu betrachtenden Service Offerings als endgültigem Angebot auswirkt. Das Virtuelle Service Portfolio ist in diesem spezifischen Falle nicht nur als potentiell i. S. von „vorläufig“, sondern auch insofern als virtuell zu betrachten, als dass es durch die Innovation gar nicht direkt bereitgestellt, sondern lediglich indirekt unterstützt werden kann. Die Festlegung eines virtuellen Portfolios ist aber deswegen notwendig um eine markt- und erlösseitige Bewertung der Innovation überhaupt vornehmen zu können.

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Abb. 2.3 Virtuelles Service Portfolio

Nach der Entwicklung des potenziellen Angebotes, konzentrieren sich die Aktivitäten auf die Ausgestaltung des Geschäftsmodells. Ein Geschäftsmodell besteht nach Auffassung von Timmers aus drei grundlegenden Bausteinen (vgl. Timmers 1998, S. 4): • Architektur der Produkte und Dienste, dies beinhaltet die Darstellung der verschiedenen Akteure und deren Rollen • Beschreibung des Nutzens der beteiligten Partner und potenziellen Kunden • Erlöstreiber und -quellen. Zentraler Punkt bei der Bestimmung des Geschäftsmodels ist damit die Aufstellung und Analyse der Wertschöpfungskette, die das Zusammenspiel der verschiedenen Partner bei der Wertschöpfung beschreibt. Im digitalen Verteilmarkt besteht die Delivery Chain aus vier elementaren Modulen: dem Content, dem Transport, dem Access und dem Service (vgl. Erner et al. im Druck). Eine Vielzahl von Akteuren ist an der Entstehung dieser Wertschöpfungskette beteiligt. Aktuelle Entwicklungen zeigen, dass die Grenzen zwischen den jeweiligen Akteuren und Angebotsbereichen verschwimmen und sich damit der Wettbewerb über die ganze Wertschöpfungskette erstreckt. Umso bedeutender wird die Bestimmung der Anteile an der Wertschöpfung, die die verschiedenen Partner erlangen können und des Anteils, den man selber erlangen will.

Abb. 2.4 Wertschöpfungskette

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Bei der Entwicklung des Geschäftsmodells wird klar, wie interdependent und eng verknüpft die verschiedenen Module und Teilmodule sind, die in diesem Abschnitt dargestellt werden. Das Geschäftsmodell baut zum einen auf dem Leistungsangebot sowie zum anderen auf der Analyse der Nachfrage auf, denn ohne eine detaillierte Analyse der Nachfragesituation sind die Erlösquellen nicht zu quantifizieren.

2.4.2.3 Nachfragemodul Nach der Bestimmung des Angebotes, muss die Nachfrageseite untersucht werden. Dazu wird der potenzielle Nutzen für die einzelnen Kundengruppen analysiert, die für die Bedarfsprognose in Segmente eingeteilt werden. Dieser Prozess interagiert in einem hohen Maße mit der späteren Angebotsgestaltung, da aus der Nutzenanalyse erkennbare Produktanforderungen abgeleitet werden können und somit die Produktgestaltung nachhaltig beeinflusst wird. Die Nutzenanalyse findet bei der Innovationsentwicklung in der Regel in Form von Use Cases statt. Das „potenzielle Angebot“ skizziert wie im vorherigen Abschnitt dargestellt, den Möglichkeitsraum für die Entwicklung konkreter Angebote und bildet damit die Grundlage für den ersten Segmentierungsschritt – die Grobsegmentierung. Ziel der Segmentierung ist es, Bedarfe und Nutzungsverhalten für die einzelnen noch zu spezifizierenden Produkte und Services zu ermitteln. Häufig dient die Unterscheidung zwischen Privat- und Geschäftskunden als Anhaltspunkt für die Grobsegmentierung. Für das Beispielprojekt wurden drei Kundengruppen, nämlich Konsumenten, Geschäftskunden und Wholesale (so wird in der Telekommunikationsbranche das Geschäft zwischen Telkommunikationsbetreibern und Service Providern genannt) identifiziert, die nach weiteren Unterkriterien unterschieden werden (s. Abb. 2.5). Diese Kundengruppen werden nun in einem weiteren Schritt in eine „Feinsegmentierung“ überführt. Für die Gruppe der Konsumenten existiert eine Vielzahl von Segmentierungskriterien. Neben geographischen und soziodemographischen Kriterien sind verhaltensorientierte sowie psychographische Merkmale von großer Be-

Abb. 2.5 Grobsegmentierung der Zielgruppe

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deutung (vgl. Meffert 2000, S. 188 f.). In der deutschen Unternehmenspraxis weit verbreitet sind die Sinus Milieus® , da sie die aufgestellten Merkmale in einem Ansatz vereinen. Neuere Ansätze beziehen auch Aspekte der Interaktion von Personen mit Produkten und Dienste in sog. „Usability Taxonomien“ mit ein (vgl. Herrmann et al. 2007). Im Beispielprojekt wurde mit Hilfe der Sinus Milieus® und diversen Marktforschungsstudien der relevante Zielkorridor ermittelt. Auf Basis aller in Deutschland lebender Personen, die älter als 14 Jahre sind, konnte die Zielgruppe unter der Nutzung verschiedener telekommunikationsspezifischer Eigenschaftsfilter (Breitbandnutzer, Multimediaaffinität und „offen neuen Services gegenüber“) auf 5,2 Millionen Nutzer fixiert werden (s. Abb. 2.6). Im Gegensatz zur Privatkundensegmentierung steht die Geschäftskundensegmentierung weniger im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. In unserem Beispiel wurde auf die in der Praxis weit verbreitete Segmentierung nach Umsätzen, Mitarbeiteranzahl oder Wachstumsraten verzichtet. Stattdessen wurden wie bei der Privatkundensegmentierung auf Basis von Marktforschungsstudien telekommunikationsspezifische Kriterien und Eigenschaftsparameter wie Breitbandzugang zum Internet, Multimediaaffinität und Produktportfolio sowie Mitarbeiterservices, zwei Zielgruppen zugrunde gelegt. Use Cases untersuchen zum einen die Nutzung des potentiellen Produktes durch die Kunden. Dabei wird die Frage gestellt, wie und in welchen Situationen die Kunden das Produkt bzw. den Service nutzen. Daraus ergeben sich dann unmittelbar Anhaltspunkte für die Häufigkeit und Dauer der Nutzung, die insbesondere auch für die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung relevant sind. Zum anderen

Abb. 2.6 Privatkundensegmentierung

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Abb. 2.7 Geschäftskundensegmentierung

Abb. 2.8 Use Case – Mobile TV

lassen sich aus dieser kundenbezogenen Nutzungsbetrachtung direkte Anforderungen an die Produktgestaltung ableiten. Für alle Services bzw. Produktgruppen des potentiellen Service Portfolios wurden Use Cases entwickelt. Im Folgenden ist exemplarisch der Use Case für ein mobiles TV Szenario dargestellt (s. Abb. 2.8).

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2.4.2.4 Wirtschaftlichkeitsbetrachtung Die Analyse des Angebotsmoduls gab Aufschluss über den relevanten Markt sowie dessen Entwicklung und führte als Ergebnis schließlich zum, durch die Innovation induzierten, potenziellen Angebot. Weiterhin wurde das Businessmodell in seinen Grundzügen festgelegt. Demgegenüber wurden auf der Nachfrageseite die Zielgruppen und Segmente bestimmt und die Use Cases entwickelt. Aufgabe der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung ist es nun Nachfrage und Angebot unter monetären Gesichtspunkten aufeinander abzustimmen und zu optimieren. Dazu werden die der Nachfrage entsprechenden endgültigen Angebote (Service Offerings) entwickelt, mit Erlösmodellen hinterlegt und schließlich erfolgsmäßig bewertet. Nachdem im Angebotsmodul zunächst nur das virtuelle Serviceportfolio i. S. eines potentiellen Angebotes entwickelt wurde, muss im nächsten Schritt das endgültige Produktangebot festgelegt werden. Hier ist entsprechend der oben gemachten Ausführungen zur Besonderheit von Enablertechnologien zu beachten, dass das virtuelle Service Portfolio nur den Produktraum beschreibt, der durch die Innovation verbessert bzw. unterstützt werden kann. Die eigentlichen Dienste wie z. B. mobiles Fernsehen werden nicht ursächlich auf der Basis der betrachteten Innovation produziert. Service Offerings bestehen grundsätzlich aus den einzelnen Bausteinen und Bestandteilen des auf die Innovation zurückführbaren Produktes bzw. Enablers, die im Rahmen einer bestimmten Wertschöpfungskettenkonstellation realisiert werden können. Service Offerings müssen dabei auf die identifizierten Zielgruppen zugeschnitten werden. Im vorliegenden Beispiel bestand das System aus fünf, auf der Wertschöpfungskette basierenden und durch die Innovation nachhaltig beeinflussten Komponenten, die in drei verschiedenen Bundles bzw. Produktpaketen für die einzelnen Zielgruppen angeboten wurden. Das „Full Service Package“ als die gesamte Verteilkette umfassendes Komplettpaket war insbesondere auf Konsumenten zugeschnitten, das „Technical Service Package“ auf Geschäftskunden, die bereits ihre eigene Contentverwaltung besitzen und das „Supporting Service Package“ auf Wholesalekunden, die ihren eigenen Content über ihre eigenes Verteilnetz ausspielen. Die folgenden Ausführen und Abbildungen beziehen sich exemplarisch auf das „Full Service Package“ (s. Abb. 2.9), wobei die Vorgehensweise für die anderen Service Offerings analog ist. Neben dem Kostenmodell ist das Markt- und Erlösmodell zentraler Bestandteil des Business Case. Das Erlösmodell erklärt die Beziehungen zwischen der Innovation, d. h. den darauf aufbauenden Produktkonzepten und den resultierenden Erlöswirkungen. Dazu ist es notwendig, die in Verbindung mit der Innovation stehenden Erlösquellen und Erlöstreiber zu identifizieren und deren Wirkung auf die Erlöskomponenten resp. die Erlösstruktur zu untersuchen. Abbildung 2.10 zeigt das potenzielle Angebot und die Verknüpfung zu den Erlösquellen Datenverkehr, Abonnement, Content pro Nutzung, Service Bundles und Werbung. Auf Grundlage dieser Quellen konnten mit den Erlöstreibern drei Hebel identifiziert werden, die sich positiv auf den Erlös auswirken. Dies sind zum einen eine häufigere Nutzung, eine größere Anzahl an Nutzern und schließlich die Einführung von zusätzlichen oder sog. Premium-Diensten.

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Abb. 2.9 Service Offerings

Abb. 2.10 Erlösmodell

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Abb. 2.11 Bewertung der Erlöstreiber

Nachdem die allgemeinen Ursache-Wirkungsbeziehungen des Erlösmodells identifiziert wurden, ist nun der spezifische Einfluss der Innovation auf die Erlöstreiber zu bestimmen. Da es sich bei der vorliegenden Innovation um eine inkrementelle Verbesserung bestehender Multimediaverteilsysteme handelt, existiert demnach eine bereits vorhanden Erlösbasis, die durch die Innovation lediglich verbessert wird. Zur Evaluation und Berechnung des monetären Einflusses wird die Auswirkung der Innovationsbestandteile auf die drei aufgestellten Erlöstreiber untersucht. Dabei werden vier Intensitätsstufen unterschieden, denen unterschiedliche Effekte, dargestellt durch die unterschiedlichen %-Staffeln, zugeordnet werden. Abbildung 2.11 zeigt das Ergebnis der Bewertung in einer Matrix. Durch Anwendung dieser Effekte auf die Erlösausgangsbasis ist es möglich, die Auswirkung auf die existierenden Erlöse über die Erlöstreiber zu berechnen. Weiterhin wird bei der Betrachtung der Erlösstruktur deutlich, dass die Innovation aufgrund ihres „Enablercharakters“ lediglich zum einem „Enhancement“ also zu einer Verbesserung des bereits realisierten Erlöses beiträgt. Auf Basis der Marktgröße, den dedizierten Zielgruppen sowie dem Einfluss der Innovation auf die Erlöstreiber und damit auf das existierende Angebot, lässt sich die Umsatzentwicklung für die kommenden Jahre prognostizieren. Unter Hinzunahme der Innovationskosten (siehe dafür ausführlich Abschnitt 2.3.2) ist es möglich, mit Hilfe der Kapitalwertmethode über einen festzulegenden Betrachtungszeitraum einen Kapitalwert der Innovation und damit der Investition zu berechnen. Dieser ist als Maßstab zur Bewertung von Innovationen zu betrachten.

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2.5 Fazit Das unternehmerische Streben nach werthaltigem Wachstum ist im Zeitalter kürzer werdender Produktlebenszyklen und steigendem Wettbewerb zu einem ambitionierten Ziel geworden. Die erfolgreiche Entwicklung und Einführung von Innovationen scheint in diesem Zusammenhang zumindest ein Schlüssel zum Erfolg. Begrenzte Ressourcen und die hohen Erwartungen an neue Produkte und Dienste verlangen dabei zunehmend eine kontinuierliche quantitative und qualitative Bewertung der Innovationen und der Innovationsprojekte. Auf der Basis der grundlegenden Kriterien von Rechungssystemen wurden zunächst allgemein die Möglichkeiten sowie Beschränkungen der rechnerischen Bewertung von Innovation dargelegt, die durch eine innovationsphasenspezifische Betrachtung ergänzt wurde. Auf der Basis einer Anforderungsanalyse wurden im Anschluss Projekt-, Zukunfts- und Erfolgsorientierung als maßgebliche Leitlinien für die rechnerische Bewertung von Innovationen identifiziert, deren Einhaltung in Theorie und Praxis jedoch häufig nur unzureichend gewährleistet ist. Basierend auf diesen Leitlinien wurde im Rahmen dieses Beitrags ein konzeptionelles Vorgehen zur rechnerischen Bewertung von Innovationen vorgestellt und die Methodik anhand eines Beispielprojekts verdeutlicht. Dazu wurde ein mehrstufiges Verfahren vorgestellt, das ausgehend von verschiedenen Aspekten der Angebots- und Nachfrageseite schließlich eine monetäre Abstimmung beider Seiten im Business Case vornimmt und den Wertbeitrag der Innovation bestimmt. Das zentrales Ergebnis dieses Beitrags und Leitlinie für das gesamte Vorgehen ist die Erkenntnis, dass für eine ganzheitliche Innovationsbewertung die rein kostenund projektorientierte Betrachtung nicht ausreicht, sondern dass durchgängig eine marktorientierte Bewertung in allen Phasen des Innovationsprozesses erfolgen muss.

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Kapitel 3

Rating bzw. Bonitätsprüfung als Innovationserfolgsrechnung bei innovativen technologieorientierten (Gründungs-)Unternehmen (TU) Wilhelm Schmeisser

3.1 Zur wirtschaftlichen Bedeutung von innovativen Existenzgründungen Die Leistungen junger Technologieunternehmen in den USA an der Entstehung und Weiterentwicklung einzelner High-Tech-Industrien haben dazu geführt, daß in der Bundesrepublik seit Anfang der achtziger Jahre die technologieorientierten Unternehmensgründungen und von 1997–2001 durch den Neuen Markt zunehmend Beachtung in der Innovationspolitik auf Bundes- und Länderebene fanden. Durch gezielt betriebene Innovationspolitik entstanden Erfinderzentren, Technologieparks und Innovationsberatungsstellen, um insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen zu helfen, ihre Ideen technisch und wirtschaftlich zu realisieren.1 Gemäß Licht/Nerlinger ist die Anzahl von Unternehmen, Beschäftigten und Gründungen in Hochtechnologie-Branchen in der ersten Hälfte der neunziger Jahre eher rückläufig. Aufgrund dieser Entwicklung und der großen Bedeutung innovativer Unternehmen für die Verbreitung neuer Technologien wurden in den meisten EUMitgliedsländern spezielle Förderprogramme bis heute gestartet, die die Gründungen in diesem Bereich stimulieren sollen.2 Die Vermittlung der Förderprogramme erfolgt durch die Hausbank. Dieses Hausbankprinzip hat aber auch zur Folge, daß die Hausbank für alle gewährten Finanzierungshilfen außer der Eigenkapitalhilfe im Obligo steht. Daher erfolgt eine sorgfältige Auswahl der Gründungsvorhaben, die durch die Bank begleitet werden.3 1 Vgl. Breuel, B., Venture Capital. In: Christians, F. W. (Hrsg.): Finanzierungshandbuch, Wiesbaden 1988, S. 585. 2 Vgl. Ridinger, R., Mittelstandsförderung in der EU. In: Ridinger, R./Steinröx, M., (Hrsg.): Mittelstandsförderung in in der Praxis, Köln 1996, S. 25 ff; Licht, G./Nerlinger, E., Junge innovative Unternehmen in Europa: Ein internationaler Vergleich. In: Harhoff, D. (Hrsg.): Unternehmensgründungen – Empirische Analysen für die alten und neuen Bundesländer, Baden-Baden 1997, S. 203–204. 3 Vgl. Albach, H./Albach, R., Das Unternehmen als Institution: rechtlicher und gesellschaftlicher Rahmen. Eine Einführung, Berlin 1989, S. 93; Schmeisser, W.: Zur Genese neuer Geschäfte in

W. Schmeisser, H. Mohnkopf, M. Hartmann, G. Metze (Hrsg.), Innovationserfolgsrechnung DOI: 10.1007/978-3-540-78249-0, © Springer 2008

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3.2 Zur Entstehung von innovativen TU Nach Picot/Laub/Schneider4 liegt die Besonderheit von innovativen Unternehmensgründungen in dem Neuheitsgrad der Problemlösung, der den gesamten Umsetzungsprozess beeinflußt. Danach ist es umso schwieriger die Gründungsidee, die Gründerperson und die Gründerorganisation zu beurteilen, je ausgeprägter der Neuigkeitsgrad der Problemlösung ist. Bei der Bewertung des Unternehmens ist es notwendig zu wissen, in welcher Phase des Entstehungsprozesses sich das Unternehmen befindet.5 Die Abb. 3.1 skizziert das Innovations-Prozeß-Zyklus-Modell. In der

Abb. 3.1 Innovations-Prozeß-Zyklus-Modell der Unternehmensentstehung [Quelle: Laub, U. D., Innovationsbewertung, 1991, S. 28]

der Industrieunternehmung. Ein multikontextualer Erklärungsansatz für technische Innovationen. Aachen 1997. 4 Vgl. Picot, A./Laub, U. D./Schneider, D., Innovative Unternehmensgründungen: eine ökonomisch-empirische Analyse, Berlin u. a. 1989, S. 28–55. 5 Vgl. Laub, U. D., Innovationsbewertung. Ein Bewertungskonzept für innovative Unternehmensgründungen. In: Laub, U. D./Schneider, D. (Hrsg.): Innovation und Unternehmertum. Perspektiven, Erahrungen, Ergebnisse, Wiesbaden 1991, S. 28.

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Literatur6 wird der Wachstumszyklus eines innovativen Technologieunternehmens in die folgenden Investitions- und Finanzierungsphasen unterschieden: Seed-financing In dieser Phase wird Grundlagenforschung betrieben, darauf aufbauend Prototypen erstellt. Die Finanzierung erfolgt überwiegend aus Eigenmitteln und öffentlichen Förderprogrammen. Die Risiken sind hier stark ausgeprägt, so erreichen z. B. nur ein geringer Prozentsatz aller technisch möglichen Innovationen den Markt. Start-up-financing Dies ist die Phase, in der die Innovationen zur Marktreife weiterentwickelt und die entsprechenden Marketingkonzepte auf Basis von Marktanalysen erstellt werden. Meist erfolgt zu diesem Zeitpunkt die Gründung First-stage-financing In diese Phase fällt die Markteinführung der Produkte, Fertigung, Vertrieb und der organisatorische Rahmen werden aufgebaut. Insbesondere im Personal der Entwicklungsabteilung liegt ein wichtiger strategischer Schlüssel für die Zukunft des Unternehmens. Second-stage-financing Hier erfolgt die Durchdringung des Marktes und der Ausbau der Vertriebskanäle. In dieser Phase nimmt der Finanzierungsbedarf aufgrund der steigenden Umsätze ab. Third-stage-financing Um das gesamte Marktpotential ausnutzen zu können, wird in dieser Phase der Produktions- und Vertriebsapparat ausgebaut. Daraus ergibt sich, daß sich die Gründer JTU meist in der Finanzierungsphase des seed-financing oder second-financing befinden, wenn sie bei ihrer Hausbank öffentliche Mittel beantragen. In diesen Phasen weisen JTU zahlreiche Besonderheiten auf.

3.3 Zur Bonitätsprüfung im Rahmen von Kreditentscheidungen Die Kreditvergabe stellt formal einen Entscheidungsprozeß dar, der in das bankbetriebliche Zielsystem eingebettet ist. Für die Kreditentscheidung selbst existieren aber nur wenig verschiedene Handlungsalternativen. Sie bestehen aus der Möglichkeit einer Genehmigung, einer Genehmigung unter Vorbehalt (d. h. mit Auflagen, Einschränkungen etc.) oder einer Ablehnung.7 Die Wahl der Handlungsalternative bestimmt sich nach den Zielen der Kreditpolitik bzw. Risikopolitik. Dabei spielen 6 Vgl. Stedler, H. R., Venture Capital in der Bundesrepublik Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der Rolle des geregelten Freiverkehrs in der Desinvestition, Stuttgart 1987, S. 42–46; Breuel, B., Venture Capital. In: Christians, F. W. (Hrsg.): Finanzierungshandbuch, Wiesbaden 1988, S. 583–584; Servatius, H.-G., New Venture Management: Erfolgreiche Lösung von Innovationsproblemen für Technologieunternehmen, Wiesbaden 1988, S. 49–50. 7 Vgl. Staudt, E./Hafkesbrink, J./Lewandowitz, T., Kompetenz und Kreditwürdigkeit. Bestandsaufnahme der Kreditwürdigkeitsprüfung in Theorie und Praxis bei Existenzgründern und innovativen Klein- und Mittelbetrieben. In: Berichte aus der angewandten Innovationsforschung, hrsg. von Staudt, E., Bochum 1996, S. 21.

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Abb. 3.2 Bankbetriebliche Entscheidungskriterien für eine Innovationsfinanzierung [Quelle: Hierl, W., Venture Capitalfinanzierung, 1986, S. 89]

bei der Kreditentscheidung nach Süchting8 vor allem die Gewinnmaximierung bei gleichzeitiger Einhaltung von Nebenbedingungen die entscheidene Rolle. Hierl9 hingegen bezeichnet die Kreditpolitik als eingebettet in ein multivariables Zielsystem. Danach spielen neben monetären Zielen auch nichtmonetäre Ziele eine Rolle. In der nachfolgenden Abb. 3.2 sind die maßgeblichen Subziele für die bankbetriebliche Aktivität im Bereich der Innovationsfinanzierung dargestellt. Danach haben die Kreditinstitute aufgrund des veränderten Wettbewerbs ein Interesse, sich von der Konkurrenz abzuheben, um dadurch eine bessere Ausschöpfung des eigenen Kundenpotentials zu erreichen. Dies bedeutet im Falle von JTU vor allem eine Intensivierung der mit dem Absatz verbundenen Beratung. Das ausschlaggebende Kriterium im Wettbewerb ist danach die Beratungsqualität.

3.4 Bonitätsmerkmale und Indikatoren von innovativen TU 3.4.1 Zu den Beurteilungsbereichen der Kreditwürdigkeitsprüfung Die Voraussetzung für die Gewährung von Krediten ist die Bonität des Kreditnehmers. Die Kreditentscheidung basiert auf der Prüfung der Kreditwürdigkeit. Diese Prüfung erfolgt durch selektive und gewichtete Bündelung von Informationen, 8

Vgl. Süchting, J., Bankmanagement, Stuttgart 1992, S. 313–315. Vgl. Hierl, W., Banken und Venture Capitalfinanzierung – Determinanten bankbetrieblichen Entscheidungsverhaltens zur situationsgerechteren Beteiligung an einer Venture-Capital-Gesellschaft, Unterföhring 1986, S. 87–91.

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so daß es zu einer entscheidungsbedingten Beurteilung des Kreditwunsches kommen kann.10 Um diese Informationen für die Kreditentscheidung zu gewinnen, müssen zunächst die Beurteilungsbereiche definiert werden. Innerhalb dieser Bereiche wiederum müssen Bestimmungsfaktoren benannt werden, die für die Bonität ausschlaggebend sind. Um diese zu überprüfen, werden Indikatoren benötigt.11 Eine Übersicht über die Beurteilungsbereiche zeigt die Abb. 3.3. Der rechtliche Beurteilungsbereich wird im nachfolgenden nicht weiter betrachtet, weil Sicherheiten bei innovativen Unternehmensgründungen i. d. R. nicht das hohe Risiko dieser Gründungen kompensieren können. Ausschlaggebend ist vielmehr das Fortbestehen des Unternehmens und die Höhe seiner zukünftigen Erträge. Aus diesem Grund sind alle Faktoren zu erfasssen und zu bewerten, die den Erfolg des Unternehmens bestimmen, was nach Kirchhoff12 mit einer zukunftsorientierten, dynamische Kreditwürdigkeitsprüfung realisiert werden kann, die eine ganzheitliche Unternehmensanalyse vornimmt. Laub13 hat daraus für innovative Unternehmensgründungen abgeleitet, daß solche Faktoren bei der Analyse wesentlich sind, die für die Bestimmung des Unternehmenserfolgs am aussagekräftigsten sind. Daraus folgt, daß es zunächst notwendig ist, die zentralen Einflußfaktoren zu erfassen, auf die der gesamte innovative Gründungsprozeß zurückgeführt werden kann. Als Bestimmungsfaktoren mit der höchsten Bedeutung für den Gründungserfolg innovativer Existenzgründungen ha-

Abb. 3.3 Allgemeine Beurteilungskriterien für die Bonität [Quelle: Deckers, M., Kreditentscheidung, 1990, S. 87; Schmoll, A., Kreditüberwachung, 1992, S. 147–148] 10

Vgl. Kronheim, L., Bonitätseinstufung und -prognose. In: Die Bank (1984) Heft 4, S. 190. Vgl. Rommelfanger, H./Bagus, T./Zerres, B., Persönliche Kreditwürdigkeit eines mittelständischen Unternehmens. In: Kreditpraxis 17. Jhg. (1991) Heft 5, S. 24. 12 Vgl. Kirchhoff, U., Wachsender Wettbewerb der Kreditwirtschaft um mittelständische Unternehmen. Aktuelle Problemlösungsmöglichkeiten durch Sparkassen und Landesbanken. In: Sparkasse (1990) Heft 8, S. 359. 13 Vgl. Laub, U. D., Innovationsbewertung. Ein Bewertungskonzept für innovative Unternehmensgründungen. In: Laub, U. D./Schneider, D. (Hrsg.): Innovation und Unternehmertum. Perspektiven, Erfahrungen, Ergebnisse, Wiesbaden 1991, S. 36–38. 11

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Abb. 3.4 Erfolgsfaktoren innovativer Unternehmensgründungen [Quelle: Laub, U. D., Innovationsbewertung, 1991, S. 37]

ben Picot/Laub/Schneider14 in einer empirischen Untersuchung die Gründerperson, die Gründungsidee sowie die Gründungsorganisation identifiziert. Diese Faktoren bilden nach Laub15 die Erfolgsfaktoren-Triangel innovativer Unternehmensgründungen, die in Abb. 3.4 dargestellt ist. Diese Erfolgsfaktoren bilden die Grundlage des weiteren Vorgehens. Anhand der nachfolgend ausgearbeiteten Bestimmungsfaktoren können die Kreditinstitute eine innovative Existenzgründung bewerten.

3.4.2 Zur persönlichen Kreditwürdigkeitsprüfung Aufgrund der besonderen Bedeutung des Eigentümerunternehmers für das Fortbestehen von KMU bzw. JTU hat die persönliche Kreditwürdigkeit in der Bonitätsanalyse einen besonderen Stellenwert, da der Eigentümer u. a. oft allein für das Management verantwortlich ist. Zudem haben Untersuchungen16 ergeben, daß die persönliche Kreditwürdigkeit vor allem dann eine große Bedeutung hat, wenn die materielle Kreditwürdigkeit nur unzureichend geprüft werden kann. Dies ist insbesondere bei Existenzgründungskrediten der Fall. Betrachtet man den innovativen Unternehmensentstehungsprozess vereinfacht, so erkennt man nach Laub17, daß die Gründerpersönlichkeit dabei eine zentrale Rolle spielt und zugleich die Antriebskraft einer Gründung darstellt. 14 Vgl. Picot, A./Laub, U. D./Schneider, D., Innovative Unternehmensgründungen: eine ökonomisch-empirische Analyse, Berlin u. a. 1989, S. 258–261. 15 Vgl. Laub, U. D., Innovationsbewertung. Ein Bewertungskonzept für innovative Unternehmensgründungen. In: Laub, U. D./Schneider, D. (Hrsg.): Innovation und Unternehmertum. Perspektiven, Erfahrungen, Ergebnisse, Wiesbaden 1991, S. 37. 16 Vgl. Rommelfanger, H./Bagus, T./Himmelsbach, E., Merkmale der persönichen Kreditwürdigkeit bei Kreditanträgen mittelständischer Unternehmen. Eine empirische Untersuchung. In: Österreichisches Bankarchiv (1990) Heft 10, S. 796. 17 Vgl. Laub, U. D., Innovationsbewertung. Ein Bewertungskonzept für innovative Unternehmensgründungen. In: Laub, U. D./Schneider, D. (Hrsg.): Innovation und Unternehmertum. Perspektiven, Erfahrungen, Ergebnisse, Wiesbaden 1991, S. 30.

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Ausgangspunkt für weitere ökonomische Aktivitäten ist die Gründungsidee. Die Umsetzung dieser Idee wird durch zahlreiche Möglichkeiten der Organisation beeinflußt. Dabei ist der Gründer zentraler Koordinator des Gründungsprozesses. Den dritten wesentlichen Bestandteil bildet der Markt, der hier als Informationsquelle und letzte Endscheidungsinstanz über den Erfolg der Gründung fungiert.18 Daraus folgt, daß der persönlichen Kreditwürdigkeit zu Recht ein besonderer Stellenwert bei der Kreditwürdigkeitsprüfung von innovativen Existenzgründungen eingeräumt wird. Der Begriff der persönlichen Kreditwürdigkeit wird in der Literatur unterschiedlich weit ausgelegt. So verstehen Jährig/Schuck19 z. B. darunter nur die persönliche Vertrauenswürdigkeit. Andere wiederum beziehen die Qualifikation des Unternehmers mit ein, wobei sowohl die fachliche Qualifikation als auch die Unternehmensführung und -organisation beurteilt werden.20 Die Abb. 3.5 enthält eine Übersicht über die Bestimmungsfaktoren der persönlichen Kreditwürdigkeitsprüfung.

Abb. 3.5 Bestimmungsfaktoren der persönlichen Kreditwürdigkeit [Quelle: Rommelfanger/Bagus/Zerres, Persönliche Kreditwürdigkeit, 1991, S. 25; Schmoll, A., Kreditüberwachung, 1992, S. 147]

18

Vgl. Laub, U. D., Innovative Unternehmensgründungen, 1989, S. 71–72. Vgl. Jährig, A./Schuck, H., Handbuch des Kreditgeschäfts, Berlin 1990, S. 336. 20 Vgl. z. B. Schmoll, A., Kreditprüfung (I), 1983, S. 94–96; Kreim, E., Kreditentscheidung, 1988, S. 100 ff. 19

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Obwohl nach Rommelfanger/Bagus/Himmelsbach21 die Mehrheit der Theoretiker und Praktiker der Aussage zustimmen, daß zu den Grundvoraussetzungen eines jeden Kreditgeschäfts gehört, daß dem Kreditnehmer vertraut wird, besteht auf beiden Seiten Zurückhaltung in der Erforschung der persönlichen Kreditwürdigkeit.

3.4.3 Zu den unternehmensbezogenen Bonitätsindikatoren In der Fachliteratur findet man einige wenige Vorschläge für Kriterienkataloge zur Bestimmung der persönlichen Kreditwürdigkeit.22 Um eine Wertung der nötigen Kompetenzen vornehmen zu können, werden Insolvenzstatistiken herangezogen, in denen über die Konkursgründe festgestellt werden kann, in welchem Umfang Qualifizierungsmängel vorlagen, die das Scheitern verursacht haben. Danach kommen sowohl Keiser23 als auch Reske/Brandenburg/Mortsiefer24 sowie Hierl25 zu dem Schluß, daß der persönliche Bereich die bedeutendste Ursache für Insolvenzen im Bereich der KMU ist. Die in Abb. 3.6 aufgeführten Faktoren aus dem persönlichen Bereich werden dabei als insolvenzverursachend bezeichnet. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß die Charaktermängel und die mangelnde Unternehmer-qualifikation als Insolvenzursache mit steigender Betriebsgröße abnehmen. Das die Fehler im Führungsbereich insbesondere bei jungen Betrieben Insolvenzursache sind, belegen dieselben ebenfalls in ihrer Studie. Danach spiegelt sich in dieser Tatsache die mangelnde Praxiserfahrung der Existenzgründer wider. Abschwächend muß aber bemerkt werden, daß auch bei älteren Unternehmen Führungsmängel als Insolvenzursache immer noch sehr stark vertreten sind, was wiederum die zentrale Bedeutung der Betriebsführung verdeutlicht.26

21

Vgl. Rommelfanger, H./Bagus, T./Himmelsbach, E., Merkmale der persönichen Kreditwürdigkeit bei Kreditanträgen mittelständischer Unternehmen. Eine empirische Untersuchung. In: Österreichisches Bankarchiv (1990) Heft 10, S. 786. 22 Vgl. z. B. Heigl, A., Die direkte Prüfung der persönlichen Kreditwürdigkeit. In: Linhardt, H./ Penzkofer, P./Scherp, P. (Hrsg.): Dienstleistungen in Theorie und Praxis, Stuttgart 1970; Bellinger, B., Neue Grundlagen und Verfahren der Kreditwürdigkeitsprüfung. In: Passardi, A. (Hrsg.): Führung von Banken, Bern/Stuttgart 1973; Hierl, W., Banken und Venture Capitalfinanzierung Determinanten bankbetrieblichen Entscheidungsverhaltens zur situationsgerechteren Beteiligung an einer Venture-Capital-Gesellschaft, Unterföhring, 1986 23 Vgl. Keiser, H., Betriebswirtschaftliche Analyse von Insolvenzen bei mittelständischen Einzelhandlungen, Köln/Opladen 1966, S. 102. 24 Vgl. Reske, W./Brandenburg, A./Mortsiefer, H.-J., Insolvenzursachen mittelständischer Betriebe. Eine empirische Analyse, Göttingen 1976, S. 66. 25 Vgl. Hierl, W., Banken und Venture Capitalfinanzierung Determinanten bankbetrieblichen Entscheidungsverhaltens zur situationsgerechteren Beteiligung an einer Venture-Capital-Gesellschaft, Unterföhring, 1986, S. 196–197. 26 Vgl. Reske, W./Brandenburg, A./Mortsiefer, H.-J., Insolvenzursachen mittelständischer Betriebe. Eine empirische Analyse, Göttingen, 1976, S. 67.

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Abb. 3.6 Insolvenzverursachende Faktoren in der Betriebsführung [Quelle: Reske/Brandenburg/ Mortsiefer, Insolventursachen, 1976, S. 66]

Hesselmann/Stefan27 warnen jedoch in diesem Zusammenhang vor der pauschalierten Aussage der Unternehmensführung die zentrale und alleinige Auslösefunktion für die Unternehmenskrise zuzuschreiben. Danach führt eine differenzierte Betrachtung zu dem Ergebnis, daß die grundsätzlichen Managementfehler oft nur in einzelnen Bereichen anzusiedeln sind, so z. B. in der kurzfristigen Planung und Kontrolle sowie der strategischen Planung. Jährig/Schuck28 unterscheiden die folgenden drei Hauptfelder von Management- und Unternehmerfehlern, die für KMU relevant sind. 1. Fehlende oder mangelhafte Transparenz der Unternehmenssituation Dies wird durch den zu geringen Stellenwert der kaufmännischen Komponente in der Geschäftsleitung mit der Folge eines unterentwickelten betrieblichen Rechnungswesen und einer fehlenden Deckungsbeitragsrechnung verursacht. 2. Fehlende oder mangelhafte Kenntnis der relevanten Märkte Gründe dafür sind mangelnde Konkurrenzbeobachtung, unzureichende Reaktionen auf Marktveränderungen, die mangelhafte Kenntnis über die Branchensituation der wesentlichen Abnehmer sowie bestehende Abhängigkeiten von Abnehmern oder Lieferanten. 3. Mängel im Führungsverhalten Als Beispiele werden hier die Gliederung der Zuständigkeiten, die Abgrenzung der Ergebnisverantwortung, die unzureichende Aufgabendelegation, das Controlling, die Unternehmensplanung, die Mitarbeiterführung sowie das Nichtbeachten von Finanzierungsgrundsätzen genannt. Zusätzlich zu diesen unternehmensbezogenen Bonitätsmerkmalen spielt aber auch der private Bereich durch die enge Verbindung des Eigentümer-Unternehmers mit 27

Vgl. Hesselmann, S./Stefan, U., Sanierung oder Zerschlagung insolventer Unternehmen: Betriebswirtschaftliche Überlegungen und empirische Ergebnisse, Stuttgart 1990, S. 36. 28 Vgl. Jährig, A./Schuck, H., Handbuch des Kreditgeschäfts, Berlin 1990, S. 523–526.

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seinem Unternehmen für die persönliche Kreditwürdigkeitsprüfung von KMU eine große Rolle.

3.4.4 Technologische Bonitätsanalyse Die Bewertung der im Unternehmen geplanten Produkt- oder Prozeßtechnologien ist nach Heim/Kuhn29 vor allem wegen der langfristigen zukunftsbezogenen Wirkungen dieser Technologien von großer Bedeutung. Dies führt dazu, daß die Verknüpfung von finanzwirtschaftlichen und technischen Erkenntnissen immer mehr in den Vordergrund einer zukunftsorientierten Kreditentscheidung rückt. Zur Technologiebewertung bestehen aus betriebswirtschaftlicher Sicht nach Baaken30 eine Vielzahl von Ansätzen, wobei hier insbesondere • die Kosten-Nutzen-Analyse, • die Kosten-Wirksamkeits-Analyse, • die Nutzwertanalyse sowie das Scoring-Verfahren zu nennen sind. In Bezug auf die Situation der Gründung ist hierzu aber anzumerken, daß sich die Verfahren alle darauf beziehen, die Auswirkung der Einführung einer bestimmten Technik in einem bestehenden Unternehmen zu untersuchen, d. h. bestimmte Randbedingungen, Gegebenheiten und Strukturen müssen zur Bewertung vorhanden sein. Für die Bewertung im Rahmen von Gründungen sind insbesondere das Technologie-Lebenszyklus-Konzept von Ford/Ryan und die TechnologiePortfolioanalyse von Pfeiffer anwendbar. Beim Technologie-Lebenszyklus sind Paralellen zum traditionellen ProduktLebenszyklus festzustellen. Er beginnt mit der Phase der Technologieentwicklung, bei der die Grundlagenforschung bereits abgeschlossen ist und darauf aufbauend eine marktfähige Technologie entwickelt wird. In der Phase „Beginn der Technologieanwendung“ beginnt die Kurve anzusteigen und erreicht mit der Phase der „alternden Technologie“ ihren Scheitelpunkt. Obwohl das Konzept z. B. nicht herausgearbeitet hat, wann eine Technologie durch eine neue substituiert wird und mit welchen Meßgrößen und Indikatoren die Position einer Technologie eindeutig bestimmt werden kann, leistet es Anhaltspunkte, welchen Reifegrad die zu beurteilende Technologie besitzt. In der Phase eins befindet sich die Technologie in der Anfangsphase, in der Phase fünf und sechs ist davon auszugehen, daß bereits Subsitutionen drohen. Die Phasen zwei, drei und vier hingegen deuten auf Wachstum der Technolgie hin. 29

Vgl. Heim, E./Kuhn, W., Technologiebeurteilung – ein wichtiger Baustein der Kreditwürdigkeitsprüfung. In: Kreditpraxis (1987) Heft 2, S. 23. 30 Vgl. Baaken, T., Bewertung technologieorientierte Unternehmensgründungen. Kriterien zur Bewertung von Gründerpersönlichkeit, Technologie und Markt für Banken und Venture-CapitalGesellschaften sowie für die staatliche Wirtschafts- und Technologieförderung, Berlin 1989, S. 177–184.

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Abb. 3.7 Technologie-Lebenszyklus nach Ford/Ryan [Quelle: Ford, D./Ryan, C., Taking Technology to market, 1981, S. 120 zitiert nach Baaken, T., Bewertung TOU, 1989, S. 182]

Nach Kuhn31 sind viele unternehmerische Schwierigkeiten und Insolvenzen auf einen verlorenen Marktanschluß zurückzuführen. Bevor es jedoch zu finanzwirtschaftlichen Problemen kommt, treten in den meisten Fällen Krisensignale im Absatz-, Produktions- und Managementbereich auf. Als Gründe werden vor allem Versäunisse im Technologiebereich angeführt. Durch die immer länger werdende FuE-Zyklen bei gleichzeitig kürzer werdenden Markt- bzw. Produktzyklen ist die zeitnahe Anwendung neuer Technologien von entscheidener Bedeutung. Der Unternehmenserfolg hängt heute somit wesentlich davon ab, ob technologische Entwicklungen frühzeitig erkannt und in ihren Chancen und Risiken richtig bewertet werden. An die Kreditinstitute stellt sich somit die Anforderung, die Bonitätsprüfung vorrangig an den zukünftigen Chancen der Unternehmen am Markt, dem technologischen Potential, auszurichten. Als wesentliche Punkte müssen danach auch Patente, Lizenzen und generelles Industrie-Know-how in die Bewertung mitaufgenommen werden. Heim/Kuhn32 betonen aber auch, daß das Problem, anhand welcher Kriterien die Kreditinstitute einen Einblick in die technologische Situation eines Unternehmens erhalten können, bisher nur ansatzweise gelöst ist. Ein umfassender Ansatz, Techno31

Vgl. Kuhn, W., Zukunftsorientierte Bonitätsanalyse. Den technologischen Stand bewerten, In: Kreditpraxis (1992) Heft 5, S. 15–16. 32 Vgl. Heim, E./Kuhn, W., Technologiebeurteilung – ein wichtiger Baustein der Kreditwürdigkeitsprüfung. In: Kreditpraxis (1987) Heft 2, S. 24.

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Abb. 3.8 Technologie-Portfolio nach Pfeiffer [Quelle: Pfeiffer, W./Metze, G./Schneider, W./Amler, R., Technologie-Portfolio, 1985 zitiert nach Kuhn, W., Bonitätsanalyse, 1992, S. 17]

logien strategisch zu erfassen und zu bewerten, stellt das Konzept des TechnologiePortfolios nach Pfeiffer33 dar, welches in Abb. 3.8 dargestellt ist. Mit dieser Portfolioanalyse werden komplexe Zusammenhänge zwischen Unternehmen und Markt auf eine zweidimensionale Ordnungsstruktur reduziert und eine Aussage über die zukünftige technologische Entwicklung getroffen. In Anlehnung an das Markt-Portfolio-Konzept bezeichnen die Achsen der Matrix unternehmensexterne (Technologie-Attraktivität) und unternehmensinterne (Ressourcenstärke) Größen. Die Größen werden entsprechend ihrer Gewichtung in die Kategorie „gering“, „mittel“ oder „hoch“ eingeteilt.34 Beurteilungsmaßstäbe bei dieser Unternehmensanalyse sind die Technologieattraktivität und die Ressourcenstärke der vom Unternehmen angewandten Technologien, die sich aus einer Verdichtung einer Vielzahl interner und externer Faktoren ergeben. Ausgangsbasis ist dabei die verwendete Technologie. Miteinbezogen werden dann die möglichen Alternativen, d. h. künftig konkurrierende Technologien. Diese Alternativen sind meist aufgrund ihres Weiterentwicklungspotenials besonders attraktiv. Die zukünftige Position wird dann anhand der konkurrienden Technologien relativiert. Zur Ermittlung der Technologieattraktivität werden sowohl potentialorientierte als auch bedarfsorientierte Indikatoren herangezogen. Die potentialorientierten Indikatoren beziehen sich dabei auf die Weiterentwickelbarkeit der Technologie als auch auf den Zeitfaktor, der angibt, welche Zeitspanne bis zu der nächsthöheren Stufe der Technologie vergeht. Die bedarfsorientierten Indikatoren berücksichtigen die möglichen Anwendungsbereiche und

33

Vgl. Pfeiffer, W./Metze, G./Schneider, W./Amler, R., Technologie-Portfolio zum Management strategischer Zukunftsgeschäftsfelder, Göttingen 1985 zitiert nach Kuhn, W., Zukunftsorientierte Bonitätsanalyse. Den technologischen Stand bewerten, In: Kreditpraxis (1992) Heft 5, S. 17; Heim, E./Kuhn, W., Technologiebeurteilung – ein wichtiger Baustein der Kreditwürdigkeitsprüfung. In: Kreditpraxis (1987) Heft 2, S. 24–26. 34 Vgl. Baaken, T., Bewertung technologieorientierte Unternehmensgründungen. Kriterien zur Bewertung von Gründerpersönlichkeit, Technologie und Markt für Banken und Venture-CapitalGesellschaften sowie für die staatliche Wirtschafts- und Technologieförderung, Berlin 1989, S. 185–188.

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-mengen sowie den Diffusionsverlauf einer Technologie, das heißt ihre Durchdringungsgeschwindigkeit im Zeitverlauf.35 Dabei müssen die zur Kreditbeantragung erstellten Beurteilungen der entsprechenden Fachinstitutionen dem Kreditinstitut u. a. die folgenden Fragen beantworten: 1. 2. 3. 4.

Wie entwickelt sich die Zahl der Anwendungsarten in der Zukunft? Wie entwickelt sich die Anwendungsmenge? In welchem Entwicklungsstadium befindet sich die Technologie? Gibt es Substitutionstechnologien?36

Die Ressourcenstärke wird anhand des Potentials des Unternehmens in finanzieller, personeller, fachspezifischer und rechtlicher Hinsicht ermittelt. Die finanzielle Ressourcenstärke bezieht sich auf die Höhe der vorhandenen oder beschaffbaren Mittel und kann daher durch die traditionellen Instrument der Finanzanalyse beurteilt werden. Kuhn hebt aber hervor, daß stabile Ertrags- und Liquiditätszahlen die notwendige Voraussetzung für eine Finanzierbarkeit von langfristig angelegten Forschungs- und Entwicklungsarbeiten darstellen, weil bei langfristig angelegten FuE-Projekten keine gesicherten Erkenntnisse über die Kapitalrückflüsse vorhanden sind. Nun wird die so ermittelte Ist-Situation in die Zukunft transformiert. Die technologische Bonitätsanalyse verbessert somit die Entscheidungsgrundlage der Kreditinstitute, weil das Ergebnis dieser Prognose zeigt, ob Chancen vorhanden sind, bestehende Technolgiepotentiale zu nutzen und inwieweit Risiken bestehen, Vorsprung oder Anschluß zu verlieren.37 Endres/Koch38 sprechen ausdrücklich davon, daß mit der technologischen Bonitätsanalyse auch die zukünftigen Ertragschanchen eines Unternehmen bewertet werden können. Unter technischer Bonität werden hierbei die gesamten Einschätzungen der materiellen und immateriellen Werte und Chancen verstanden, die aus den technisch beeinflußten Einflußfaktoren resultieren. Diese Einflußfaktoren bestehen sowohl aus inner- als auch aus außerbetrieblichen Faktoren und stützen sich auf die folgenden Unternehmensfelder: Produkt und Markt (Attraktivität und Risiko der Markt- und Technologieposition), Leistungswirtschaft (Produktion und -entwicklung) (Technologie-, Innovationspotential, Organisationsniveau, Effizienz, Schnelligkeit), 35

Vgl. Heim, E./Kuhn, W., Technologiebeurteilung – ein wichtiger Baustein der Kreditwürdigkeitsprüfung. In: Kreditpraxis (1987) Heft 2, S. 24. 36 Vgl. Heim, E./Kuhn, W., Technologiebeurteilung – ein wichtiger Baustein der Kreditwürdigkeitsprüfung. In: Kreditpraxis (1987) Heft 2, S. 25; Kuhn, W., Bonitätsanalyse, 1992, S. 18. 37 Vgl. Kuhn, W., Zukunftsorientierte Bonitätsanalyse. Den technologischen Stand bewerten, In: Kreditpraxis (1992) Heft 5, S. 18. 38 Vgl. Endres, D. J./Koch, P., Technische Bonität – Erfolgsmaß für Unternehmen und Kreditindikator für Banken. In: Sparkasse, 111. Jhg. (1994) Heft 9, S. 408–411.

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Humanressourcen (Management, Personalentwicklung, Organisation), Umfeld (Technologieentwicklung, Standort). Endres/Koch stützen ihre Bonitätsprüfung somit auf qualitative Erfolgsfaktoren, von denen ausgehend die Auswirkungen dieser qualitativen Faktoren auf die quantitativen Größen wie Umsatz, Ertrag, Rentabilität, Eigenkapital oder Kapitaldienstfähigkeit dann separat analysiert werden. Aus diesen Einzelurteilen werden zunächst komplexe Werturteile gebildet, die nun in Bewertungstabellen und Portfoliodarstellungen verdeutlicht werden. Die o. g. Felder (Produkt/Markt, Leistungswirtschaft; Humanressourcen; Umfeld) werden mittels einer Skala von eins (schwach) bis fünf (stark) bewertet. Dabei können die Schwächen eines Feldes nicht mit den Stärken eines anderen Feldes verrechnet werden. Die Ermittlung der technischen Bonität erfolgt somit über vier verschiedene Phasen: 1. 2. 3. 4.

Vorstudie und Statusanalyse Einschätzung der strategischen Erfolgsfaktoren Konzeption zur Ermittlung der strategischen Erfolgsfaktoren Ermittlung der technischen Bonität.

Um tatsächlich eine Einschätzung der Erfolgsperspektiven vornehmen zu können, müssen Szenarien entwickelt werden, die sich auf objektiv nachvollziehbare Planungsrechnungen beziehen. Ablauf der Bewertung Nach Pleschak/Sabisch39 sind Merkmale der Innovation und der Ausgangssituation Grundlage beim Bewertungsprozeß. Es kann zwischen technischen, organisatorischen, arbeitswissenschaftlichen, zeitlichen und wirtschaftlichen Merkmalen unterschieden werden. Vom Charakter der Innovation ist dann die konkrete Ausprägung dieser Merkmale abhängig. Die Festlegung der Ziele stellt einen der inhaltlich wichtigsten Schritte bei der Bewertung dar. Methodisch ist jedoch die Ermittlung der komplexen Gesamtausssage über den Grad der Zielerfüllung am schwierigsten. Bewertungsverfahren Die einsetzbaren Bewertungsverfahren sind in der Abb. 3.9 dargestellt. Die quantitative Bewertung setzt voraus, daß für die Merkmale des Bewertungsobjekts Meßvorschriften existieren und die tatsächliche Merkmalsausprägung gemessen werden kann. Die Bewertung ist immer dann einfach, wenn nur ein Ziel vorgegeben ist (eindimensionale Bewertung). Oft haben die Projekte aber mehrere z. T. auch konkurrierende Ziele (mehrdimensionale Bewertung). Je größer diese Zahl ist, desto unschärfer wird die Bewertungsaussage, so daß es sinnvoll ist, die Bewertung auf entscheidungsrelevante Bewertungsmerkmale einzuschränken. Die Kriterien der qualitativen Bewertung sind nicht objektiv meßbar. Die

39

Vgl. Pleschak, F./Sabisch, H., Innovationsmanagement, Stuttgart 1996, S. 175–176.

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Abb. 3.9 Innovationsbewertungsverfahren [Quelle: Pleschak, F., Sabisch, H., Innovationsmanagement, 1996, S. 178) Zur Erläuterung der mehrdimensionalen Bewertung vgl. Pleschak, F./Sabisch, H., Innovationsmanagement, 1996, S. 179–183]

qualitative Bewertung kann sich z. B. auf die subjektive Wertung einer repräsentativen Gruppe von Personen beziehen. Als Beispiele lassen sich Expertenbefragungen und Kundenbefragungen nennen.

3.4.5 Zur Bewertung von innovativen Ideen Stroetmann/Steinle40 betonen, daß Innovationen keinesfalls nur technische Phänome sind, sondern daß sie als komplexe marktbezogene Vorgänge bewertet werden müssen. Damit die Innovation erfolgreich wird, muß nicht nur ein vermarktungsfähiges Wissen vorhanden sein, sondern auch eine Reihe von externen und internen Voraussetzungen erfüllt sein. Da die Bewertung von Ideen dadurch gekennzeichnet ist, daß nur sehr wenige und unsichere Daten vorliegen, empfehlen Geschka/Laudel41 bei der Auswahl aus 40 Vgl. Stroetmann, K. A./Steinle, W., Kleine und mittlere Unternehmen als Adressaten staatlicher Forschungs- und Innovationsförderungspolitik. In: Bruder, W. (Hrsg.): Forschungs- und Technologiepolitik in der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 1986, S. 308; Schmeisser, W.: Systematische Erfindungsförderung als Unternehmensaufgabe. Wege zur Steigerung der Kreativität und zu erfolgreichen Innovationen, Berlin 1986; Schmeisser, W.: Kreativität praktische Umsetzung: Voraussetzung für Innovation und Erfolg. In: Gablers Magazin ( 1988 ) Heft 6, S. 25–27. 41 Vgl. Geschka, H./Laudel, G., Die Konzeptionsphase von Innovationsprojekten. In: Gemünden, H. G./Pleschak, F. (Hrsg.): Innovationsmanagement und Wettbewerbsfähigkeit, Wiesbaden 1992, S. 55–72.

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mehreren Ideen in Auswahlstufen vorzugehen. Die erste Auswahlstufe erfolgt auf der Grundlage von K. O.-Kriterien, die unbedingt erfüllt sein müssen, in der zweiten Auswahlstufe, werden mit Hilfe einer einfachen Nutzwertanalyse die erfolgversprechendsten Ideen ausgewählt. In der dritten Stufe wird mit einer verfeinerten Nutzwertanalyse die günstigste Lösung ausgewählt. Diese Auswahl stellt die Grundlage für die Projektplanung dar. Zur Bewertung von Ideen existieren in der Literatur verschiedene Modelle zur Nutzwertanalyse.42 Pleschak/Sabisch43 empfehlen, folgende Kriterien zu verwenden: • • • • • •

Marktattraktivität, zu erwartender Umsatz, Produktüberlegenheit, Technologische Attraktivität, Neuheitsgrad der Innovation, Entwicklungsaufwand, Entwicklungsdauer.

Nimmt man die Bewertung der Innovationsidee anhand der ökonomischen Bewertung des Zusatznutzens vor, kann die Bewertung somit anhand der Verknüpfung Idee–Markt erfolgen. Die Bewertung der innovativen Gründungsidee ist nach Laub44 daher vor allem problembehaftet, wenn der Nutzenzuwachs des Produkts nicht erkennbar ist oder wenn der Nutzenzuwachs der Idee zwar objektiv nachzuweisen ist, die Reaktion der Marktteilnehmer darauf aber unbekannt ist. So bestehen z. B. folgende Möglichkeiten: 1. Der Nutzenzuwachs ist vorhanden, kann aber von Dritten nicht in seiner Tragweite erkennbar sein, 2. der Nutzenzuwachs entspricht bei Markteinführung nicht der Bedürfnisstruktur der Anwender, 3. der Nutzenzuwachs ist geringer als die zusätzlichen Aufwendungen für den Anwender. Erschwerend kommt hinzu, daß sich das Risiko und die Datensicherheit bei innovativen Unternehmensgründungen (z. B. Spitzentechnologie) i. d. R. gegenläufig entwickeln. Je „neuer“ die Gründungsidee ist, desto risikoreicher ist ihre Umset-

42

Vgl. z. B. Brockhoff, K., Forschung und Entwicklung- Planung und Kontrolle, München/Wien 1994, S. 250 ff; Eggert-Kipfstuhl, K./Kirchhoff, G., Bewertung von Produktvorschlägen mit Hilfe einer auf empirischen Kenntnissen beruhenden Software namens PRUV. In: Zahn, E. (Hrsg.): Technologiemanagement, Stuttgart 1994,S. 427–437. 43 Vgl. Pleschak, F./Sabisch, H., Innovationsmanagement, Stuttgart 1996, S. 184. 44 Vgl. Laub, U. D., Innovationsbewertung. Ein Bewertungskonzept für innovative Unternehmensgründungen. In: Laub, U. D./Schneider, D. (Hrsg.): Innovation und Unternehmertum. Perspektiven, Erfahrungen, Ergebnisse, Wiesbaden 1991, S. 30–38.

3 Rating bzw. Bonitätsprüfung als Innovationserfolgsrechnung

61

Abb. 3.10 Ausgewählte Kriterien zur Bewertung der Gründungsidee [Quelle: Laub, U. D., Innovationsbewertung, 1991, S. 31]

Abb. 3.11 Bedeutung und Schwierigkeit verschiedener Kriterien zur Ideenbewertung [Quelle: Laub, U. D., Innovationsbewertung, 1991, S. 39]

zung, umso größer ist aber auch ihr Erfolgspotential im Erfolgsfall.45 Danach werden die in Abb. 3.10 genannten Kriterien zur Bewertung der Gründungsidee herangezogen. Welche Bedeutung die einzelnen Bewertungskriterien haben und welcher Schwierigkeitsgrad mit der Bewertung verbunden sind, zeigt die Abb. 3.11. 45

Vgl. Unterkofler, Erfolgfaktoren innovativer Unternehmensgründungen: ein gestaltungsorientierter Lösungsansatz betriebswirtschaftlicher Gründungsprobleme, Frankfurt am Main 1989, S. 121 ff.

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Dabei fällt auf, daß beim Vergleich von Bedeutung und Schwierigkeit der untersuchten Kriterien insgesamt alle Kriterien eine hohe Bedeutung für den Bewertungsprozeß haben und zugleich offensichtlich enorme Schwierigkeiten bei der Informationsbeschaffung bestehen. Daraus folgt, daß die vorhandenen instrumentellen Ansätze wie Kosten-Nutzen-Analyse, Branchen- und Konkurrenzanalyse wenig nutzen, wenn die notwendigen Informationen nicht vorliegen. Engpaßfaktor bei der Bewertung ist somit der zeitliche Aufwand der Informationsbeschaffung. Auffallend bei der Bedeutung der Kriterien ist, daß den Problemlösungspotentialen und den alternativen Problemlösungen die erste Präferenz eingeräumt wird. Andererseits bestehen aber insbesondere bei der Erfassung alternativer Problemlösungen und der Bestimmung der Wachstumsschwellen Probleme. Daraus leitet Laub ab, daß sich die Bewertung innovativer Problemlösungspoteniale ohne vergleichbare Erfahrungswerte aus ähnlichen Produktbereichen nicht darstellen läßt. Vorab durchgeführte Marktanalysen können nur Aussagen über das mögliche, nicht aber über das tatsächliche Kaufverhalten der Abnehmer treffen, was widerum den Ungewißheitsfaktor dieser Analysen verdeutlicht. Für eine fundierte Bewertung sind somit insbesondere die Erfahrungen der Bewerter und die Qualität der Recherchen von Bedeutung.46 Grundsätzlich muß betont werden, daß die Bewertung der Gründungsidee stets aus zwei Sichtweisen erfolgen muß. Zum einen aus der Sicht des Anbieters, wobei überprüft werden muß, ob die Idee wirtschaftlich erfolgreich und rentabel ist, zum anderen aus der Sicht des Abnehmers, wo die Akzeptanz der angebotenen Leistung beurteilt werden muß.47

3.4.6 Zur Beurteilung der Markt- und Wettbewerbssituation In der deutschsprachigen Gründungsliteratur48 fällt nach Baaken49 auf, daß dem Problembereich Markt nur eine äußerst geringe Bedetung zugemessen wird. Die amerikanische Gründungsliteratur hingegen betrachet das Gründungsprodukt als Bestandteil einer Produkt-Markt-Kombination. Dabei werden vier für das Produkt relevante Systemelemente aus der Produktumwelt abgegrenzt: Unternehmung, Konkurrenz, Absatz- und Beschaffungsmarkt. 46

Vgl. Laub, U. D., Innovationsbewertung. Ein Bewertungskonzept für innovative Unternehmensgründungen. In: Laub, U. D./Schneider, D. (Hrsg.): Innovation und Unternehmertum. Perspektiven, Erfahrungen, Ergebnisse, Wiesbaden 1991, S. 39–40. 47 Vgl. Unterkofler, Erfolgfaktoren innovativer Unternehmensgründungen: ein gestaltungsorientierter Lösungsansatz betriebswirtschaftlicher Gründungsprobleme, Frankfurt am Main u. a., 1989, S. 124. 48 Vgl. z. B. Szyperski, N./Nathusius, K., Probleme der Unternehmensgründung: eine betriebswirtschaftliche Analyse unternehmerischer Startbedingungen, Stuttgart 1977. 49 Vgl. Baaken, T., Bewertung technologieorientierte Unternehmensgründungen. Kriterien zur Bewertung von Gründerpersönlichkeit, Technologie und Markt für Banken und Venture-CapitalGesellschaften sowie für die staatliche Wirtschafts- und Technologieförderung, Berlin 1989, S. 204–206.

3 Rating bzw. Bonitätsprüfung als Innovationserfolgsrechnung

63

Abb. 3.12 Erschwerende Faktoren bei der Marktanalyse für TOU [Quelle: Baaken, T., Bewertung TOU, 1989, S. 213]

Die Beurteilung der Erfolgswahrscheinlichkeit einer Gründung erfordert danach eine Marktanalyse, die insbesondere bei innovativen Gründungsunternehmen auf Schwierigkeiten stößt. Schwerpunkt der Marktanalyse ist nach Baaken50 der Absatzmarkt. Obwohl innovative Produkte konkurrenzlos sind, dürfen Konkurrenzanalyse und Wettbewerbsentwicklungen nicht außer acht gelassen werden, da sich das neue Produkt gegen traditionelle Verfahren durchsetzen muß und zudem das frühzeitige Erkennen von ähnlichen Entwicklungstendenzen bei anderen Anbietern vor Imitationsgefahren und Substitutionsprodukten. Eine realistische Einschätzung der Wettbewerbsstärke und damit der Erfolgsaussichten wird erst durch den Vergleich des innovativen Produktes und seinen Potentialen mit dem Produkt des Konkurrenzunternehmens möglich. Dabei sind die folgenden strategischen Erfolgsfaktoren zur Markterfahrung und Marktkenntnis bei den Gründern empirisch ermittelt worden: • • • • •

Durchführung einer Marktanalyse, Verständnis für die Bedürfnisse der Kunden, Kenntnisse über das Käuferverhalten, Überblick über die Wettbewerbslage, Kenntnisse über den potentiellen Markt.51

Diese Erfolgsfaktoren stellen die Verbindung zu den Kriterienbereichen Marktattraktivität und Wettbewerbsstärke52 her. Mit Durchführung der Marktanalyse erhält 50

Vgl. Baaken, T., Bewertung technologieorientierte Unternehmensgründungen. Kriterien zur Bewertung von Gründerpersönlichkeit, Technologie und Markt für Banken und Venture-CapitalGesellschaften sowie für die staatliche Wirtschafts- und Technologieförderung, Berlin 1989, S. 213. 51 Vgl. Baaken, T., Bewertung technologieorientierte Unternehmensgründungen. Kriterien zur Bewertung von Gründerpersönlichkeit, Technologie und Markt für Banken und Venture-CapitalGesellschaften sowie für die staatliche Wirtschafts- und Technologieförderung, Berlin 1989, S. 245. 52 Zum Stellenwert von Produktinnovationen für den Erfolg des Unternehmens vgl. Huxold, S., Marketingforschung und startegische Planung von Produktinnovationen: ein Früherklärungsansatz, Berlin 1990.

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der Gründer Angaben zum Marktwachstum, zum Absatzrisiko, zur Marktgröße, zur Beschaffungsmarktattraktivität. Durch die Marktanalyse werden Marktkenntnisse gewonnen, die die Voraussetzung für eine erfolgreiche Einführungsstrategie53 und die Erreichung hoher Marktanteile bilden. Abschwächend muß dazu aber bemerkt werden, daß eine zuverlässige Beurteilung der Marktakzeptanz erst erfolgen kann, wenn die geplanten Produkte auch tatsächlich vorliegen.54 Einen weiteren wesentlichen Faktor der Wettbewerbsstärke stellt das innovative Produkt dar, das in seiner Stärke durch den Preis, die Qualität und weitere Wettbewerbsvorteile bestimmt wird. Die Markt- und Brancheneinschätzung aus Sicht des Unternehmensgründers findet sich im Unternehmenskonzept. Die Kreditinstitute nehmen aus der übergeordneten Perspektive eine Bewertung anhand von Branchenvergleichsdaten vor. Instrumente sind hier Branchendienste, und Kontakte zu bestehenden Unternehmen, wobei einige Banken über ständig aktualisierte Branchenstudien verfügen.55

3.4.7 Zur Beurteilung der Gründungsorganisation Bisher wurde der Bewertung der organisatorischen Gestaltung der Ideenumsetzung nach Laub56 zuwenig Beachtung geschenkt, da erst die erfolgreiche Einbindung der Ressourcen aus Beschaffungs-, Absatz-, Finanz- und Arbeitsmärkten die erfolgreiche Umsetzung der innovativen Gründungsidee gewährleistet. Die Abb. 3.13 erlaubt einen Überblick über Kriterien zur Bewertung der Gründungsorganisation, die nach Laub57 einen Großteil der Merkmalsausprägungen zur Organisationsbewertung repräsentieren, die dem aktuellen Stand der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion entsprechen. Picot/Laub/Scheider58 haben zur Klärung des Zusammenhangs zwischen Gründungsorganisation und Gründungserfolg empirische Untersuchungen durchgeführt. 53

Ausführlich zu Marketingkonzepten JTU vgl. Baier, W./Pleschak, F., Marketing und Finanzierung junger Technologieunternehmen, Wiesbaden 1996, S. 47–97. 54 Vgl. Unterkofler, Erfolgfaktoren innovativer Unternehmensgründungen: ein gestaltungsorientierter Lösungsansatz betriebswirtschaftlicher Gründungsprobleme, Frankfurt am Main u. a. 1989, S. 125. 55 Vgl. Staudt, E./Hafkesbrink, J./Lewandowitz, T., Kompetenz und Kreditwürdigkeit. Bestandsaufnahme der Kreditwürdigkeitsprüfung in Theorie und Praxis bei Existenzgründern und innovativen Klein- und Mittelbetrieben. In: Berichte aus der angewandten Innovationsforschung, hrsg. von Staudt, E., Bochum 1996, S. 32. 56 Vgl. Laub, U. D., Innovationsbewertung. Ein Bewertungskonzept für innovative Unternehmensgründungen. In: Laub, U. D./Schneider, D. (Hrsg.): Innovation und Unternehmertum. Perspektiven, Erfahrungen, Ergebnisse, Wiesbaden 1991, S. 42. 57 Vgl. Laub, U. D., Innovationsbewertung. Ein Bewertungskonzept für innovative Unternehmensgründungen. In: Laub, U. D./Schneider, D. (Hrsg.): Innovation und Unternehmertum. Perspektiven, Erfahrungen, Ergebnisse, Wiesbaden 1991, S. 32. 58 Vgl. Picot, A./Laub, U. D./Schneider, D., Innovative Unternehmensgründungen: eine ökonomisch-empirische Analyse, Berlin u. a. 1989, S. 49–50.

3 Rating bzw. Bonitätsprüfung als Innovationserfolgsrechnung

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Abb. 3.13 Ausgewählte Kriterien zur Bewertung der Gründungsorganisation [Quelle: Laub, U. D., Innovationsbewertung, 1991, S. 32]

Danach kann die Art und Weise, wie die Abwicklung der Ideenumsetzung organisiert wird, den Gründungserfolg erheblich beeinflussen. Sowohl die vertragliche Einbindung der Ressourcen und der Abnehmer als auch die Organisation der Absatzseite beeinflussen die Kostenstruktur des Gründers und den Nutzen des Anwenders. Damit wird die Art der Ressourceneinbindung nach Picot/Laub/Schneider59 zum bedeutenden Faktor, der über Erfolg oder Mißerfolg einer innovativen Unternehmensgründung bestimmt. Der Gründer steht daher bei der Verwirklichung seiner innovativen Idee vor einem Organisationsproblem. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die von dem Unternehmen intern gefertigten Teilleistungen und die internen Produktionsprozesse den Charakter der Innovation entscheidend mitbestimmen. Da das Wissen über die intern erbrachten Teilleistungen oft nur in dem innovativen Unternehmen selbst vorliegt, die Teilleistungen sehr komplex sind und außerdem auch ein hohes Interesse an der Geheimhaltung innovationsrelevanter Informationen besteht,60 fertigen erfolgreiche innovative Gründungsunternehmen Leistungen mit hohem innovativen Know-How selbst. Ebenso werden von diesen Unternehmen bei Leistungen mit abnehmender Know-How-Spezifität marktnähere Einbindungsformen (Fremdfertigung) gewählt.61 Die beschaffungs- und absatzmarktorientierte Ressourceneinbindungsanalyse ist dabei in ihrer Bedeutung bzw. Schwierigkeit wie in Abb. 3.14 dargestellt zu beurteilen. Dabei ist zu erkennen, daß das Bewertungsinteresse überwiegend der Organisation der Absatzmarktbeziehungen gilt. Die Beschaffungsmarktseite hingegen wird in 59 Vgl. Picot, A./Laub, U. D./Schneider, D., Innovative Unternehmensgründungen: eine ökonomisch-empirische Analyse, Berlin u. a. 1989, S. 186–187. 60 Vgl. Picot, A./Laub, U. D./Schneider, D., Innovative Unternehmensgründungen: eine ökonomisch-empirische Analyse, Berlin u. a. 1989, S. 191. 61 Vgl. Laub, U. D., Innovationsbewertung. Ein Bewertungskonzept für innovative Unternehmensgründungen. In: Laub, U. D./Schneider, D. (Hrsg.): Innovation und Unternehmertum. Perspektiven, Erfahrungen, Ergebnisse, Wiesbaden 1991, S. 43 und Schmeisser, W./Krimphove, D. (Hrsg.): Vom Gründungsmanagement zum Neuen Markt. Strategien für technologieorientierte kleine und mittlere Unternehmen. Wiesbaden 2001.

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Abb. 3.14 Bedeutung und Schwierigkeit von Kriterien zur Organisationsbewertung [Quelle: Laub, U. D., Innovationsbewertung, 1991, S. 44]

ihrer Bedeutung vergleichsweise gering eingestuft, was nach Laub62 darauf zurückzuführen ist, daß in der Gründungsphase die Anzahl externer Beschaffungsmarktbeziehungen meist noch sehr eingeschränkt ist. Die Position „Sonstiges“ umfaßt die marktorientierte Produktanalyse, künftige Personaleinbindungsstrategien und die innerbetriebliche Ablauforganisation. Der hohe Mittelwert dieser Position verdeutlicht die Bedeutung der genannten Punkte. Im Vergleich zur Gründungsidee und zur Gründungsperson werden die Schwierigkeiten bei der Bewertung der Gründungsorganisation deutlich geringer eingestuft. Zurückzuführen ist dies auf die guten Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung, der Stabilität der beschafften Informationen sowie der Existenz verwendbarer Vergleichsdaten und Erfahrungswerte.

3.5 Fazit Obwohl es für die Kreditinstitute insbesondere aufgrund der steigenden Nachfrage nach Innovationsfinanzierungen sinnvoll wäre, über ein standardisiertes Bewertungsverfahren zu verfügen, existieren heute bisher nur interne Bewertungsleitfäden mit Checklistencharakter. Vor allem fehlen quantitative Bewertungsverfahren zur einfachen Ermittlung von Gegenwarts- oder Zukunftswerten innovativer Gründun62

Vgl. Ebenda.

3 Rating bzw. Bonitätsprüfung als Innovationserfolgsrechnung

67

gen. Begründet werden kann dieses Defizit mit der mangelnden Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Bewertungsinstitutionen und der unzureichenden Beschäftigung der empirischen Forschung mit diesem Gebiet. Hier sind als mögliche Ansprechpartner für Kreditinsitute insbesondere Venture-Capital-Gesellschaften zu nennen, die im Vergleich zu Kreditinstituten über eine hohe Bewertungserfahrung in Bezug auf innovative Gründungen verfügen. Daraus ergibt sich, daß sich die Bewertung von innovativen Unternehmensgründungen bisher nur auf die individuell vorhandenen Bewertungserfahrungen der Bankangestellten stützt und sich somit hohe Unsicherheiten aus diesem Geschäft ergeben. Als zentrale Erfolgsfaktoren bei der innovativen Unternehmensgründung wurden die Gründerperson, die Gründungsidee und die Gründungsorganisation identifiziert. Hierbei spielen insbesondere die zu erwartenden Marktpotentiale, die unternehmerischen Fähigkeiten des Gründers und die ökonomisch effiziente Gestaltung der Gründungsorganisation eine bedeutende Rolle. Mit der Identifikation der wesentlichen qualitativen Erfolgsfaktoren ist eine sinnvolle Grundlage zur Beurteilung von innovativen Gründern geschaffen worden. Mit der Entwicklung von Bewertungsverfahren könnte in Zukunft die Beurteilung innovativer Gründungen erleichtert werden und zugleich auch ein Kontrollinstrument zur Plausibilitätsprüfung externer Bewertungen entwickelt werden.

Kapitel 4

Innovationserfolgsrechnungen bei der Bewertung pharmazeutischer FuE-Projekte Wilhelm Schmeisser

4.1 Grundlegende Aspekte In den Führungskreisen wird die pharmazeutische Industrie als „Hochrisikobranche“ bezeichnet, da der Entwicklungsprozess eines Medikamentes sehr lang dauert und der Erfolg schwer abschätzbar ist.1 Beispiele aus der Praxis belegen dies. So wurde 2001 beim Pharmaunternehmen Bayer das eigene Frühwarnsystem im Zusammenhang mit dem Medikament „Lipobay“ ignoriert. Nach dem Rückzug von „Lipobay“, des mit 100 Todesfällen in Verbindung gebrachten Cholesterinsenkers, verlor der Konzern an einem einzigen Tag EUR 5,6 Milliarden an Marktwert und wurde bislang in mehr als 14.000 Fällen verklagt.2 Dem hohen Risiko von Forschungs- und Entwicklungsprojekten stehen gleichzeitig große Chancen gegenüber. Im Fall der erfolgreichen Entwicklung und Vermarktung von Arzneimitteln können sich große Erfolgspotenziale ergeben. Das amerikanische Unternehmen Amgen setzte innerhalb von wenigen Jahren, mit nur zwei Medikamenten – „Epogen“ und „Neupogen“ –, mehr als EUR 3,5 Milliarden um.3 Demnach kann das Risiko als Gefahr einer Fehlentscheidung definiert werden, aufgrund dessen ein angestrebtes Ziel nicht erreicht wird. Ein pharmazeutisches Projekt birgt viele solcher Entscheidungspunkte. Auch bei der Entscheidung für oder gegen ein FuE-Projekt ist es unerlässlich, Risiken im Vorfeld zu ermitteln und in der Bewertung zu berücksichtigen. Es liegt daher nahe, zur Handhabung von Projekten Entscheidungsmodelle einzusetzen und sie als Instrumente zur Vermeidung von Gefahren, die den Unternehmenswert beeinflussen könnten, zu verwenden. Die Gesamtanalyse eines Unternehmensbereiches wie Forschung und Entwicklung setzt eine konsistente Betrachtung der Einzelprojekte voraus. Gleichzeitig bedarf die individuelle Betrachtung zunächst einer Bewertung des FuE-Projektes, zum einen, um dessen Stellenwert im Unternehmen herauszufinden, und zum anderen, um spezifische Risiken zu erkennen und angemessen beobachten zu können. 1

Vgl. Fischer, M. (2006), S. 1. Vgl. Geschäftsbericht Bayer AG (2004), S. 118, s. a. Bein, H.-W. (2002), http://www.cbgnetwork.org/952.html, Stand: 11.12.2006. 3 Vgl. Rudolf, M./Witt, P. (2002), S. 155. 2

W. Schmeisser, H. Mohnkopf, M. Hartmann, G. Metze (Hrsg.), Innovationserfolgsrechnung DOI: 10.1007/978-3-540-78249-0, © Springer 2008

69

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Es werden dafür betriebswirtschaftliche Modelle zur Beurteilung von Handlungsalternativen und deren Erfolge sowie die damit verbundenen Unsicherheiten bzw. die daraus resultierenden Risiken analysiert und bewertet.

4.2 Grundlagen der pharmazeutischen Industrie Die Arzneimittelforschung und -entwicklung hat in Deutschland eine langjährige Tradition. „Unternehmen wie Schering, Bayer, Boehringer Ingelheim, Merck, [. . . ] gehören zu den weltweit ältesten pharmazeutischen Unternehmen und leisten seit mehr als 100 Jahren einen gewichtigen Beitrag für eine wirksame und effiziente Gesundheitsversorgung.“4 Viele bis heute nicht therapierbare Krankheiten, eine steigende Lebenserwartung und ein stetig steigendes Gesundheitsbewusstsein sowie neue Forschungs- und Entwicklungs-Methoden sorgen für eine anhaltende Forschungsdynamik in der pharmazeutischen Industrie.5

4.2.1 Terminologische Abgrenzung: Pharmazie Pharmazie ist die Naturwissenschaft, die sich mit der Beschaffenheit, Wirkung, Prüfung und Herstellung von Arzneimitteln befasst und dabei Aspekte aus anderen Naturwissenschaften, vor allem aus der Chemie und Biologie vereint.6 Arzneimittel sind pflanzliche, tierische oder synthetisierte Stoffe, die zur Diagnostik oder als Therapeutika bestimmt sind. Arzneimittel können verschreibungspflichtig oder rezeptfrei sein, zu ihnen gehören Medikamente, Impfstoffe und Diagnostika.7

4.2.2 Klassifizierung der Pharmaindustrie Im Wesentlichen wird in der Pharmaindustrie zwischen den Anbietern innovativer Originalprodukte und den Generikaanbietern8 unterschieden.9 Diese Anbieter unterliegen verschiedenen und spezifischen Markt- und Wettbewerbsbedingungen, 4

BCG (2001), S. 1. Vgl. BPI (2005a), S. 23. 6 Umfassend dazu http://www.gesundheit.de/roche/, Stand: 11.11.2006. 7 Vgl. http://www.gesundheit.de/roche/, (Stand: 11.11.2006). In der Literatur wird der Begriff „Arzneimittel“ oft mit dem Begriff „Medikament“ synonym behandelt. 8 Generika sind Arzneimittel, die nach Ablauf des Patentschutzes des Originalpräparates mit gleichem Wirkstoff und gleicher Konzentration zu einem deutlich niedrigeren Preis auf den Markt kommen können. 9 Der Pharmamarkt unterscheidet verschreibungspflichtige von apothekenpflichtigen, verschreibungsfreien und freiverkäuflichen Arzneimitteln (Over the Counter-Produkte) und Arzneimittel, die im Krankenhaus eingesetzt werden (vgl. BPI (2001), S. 11–12.). 5

4 Innovationserfolgsrechnungen bei der Bewertung pharmazeutischer FuE-Projekte

71

die von dem Unternehmen entsprechend seiner Marktposition und RessourcenAusstattung eine Geschäftsstrategie abverlangt.10 Ein Anbieter innovativer Originalprodukte wird als forschendes Pharmaunternehmen bezeichnet, dessen Strategie auf die Entwicklung und Vermarktung von Arzneimitteln ausgerichtet ist. Generikaunternehmen sind Pharmaunternehmen, die auf die Produktion von Generika spezialisiert sind und eine Kostenführerschaftsstrategie verfolgen. Mit ihrem Geschäftsmodell sparen sie sich die Kosten und den Zeitaufwand für die Forschung und Entwicklung von Medikamenten. Ein Pharmaunternehmen gilt als „voll integriert“, wenn es die gesamte Wertschöpfungskette von der Wirkstofffindung, Forschung und Entwicklung über die Produktion bis hin zur Vermarktung übernimmt. Viele Unternehmen spezialisieren sich auf einen Teil dieser Wertschöpfungskette. Häufig sind es medikamentenentwickelnde Biotechnologieunternehmen,11 die in den ersten beiden Aufgabengebieten Kernkompetenzen besitzen.12 Sie verkaufen Wissen und Erkenntnisse, indem sie potenzielle, marktfähige Substanzen entwickeln.13 Ihr Unternehmenswert hängt deshalb stark von Patenten, Partnerschaften und/oder Humankapital ab.14 Stehen die pharmazeutischen und biotechnologischen Unternehmen in direktem Wettbewerb zueinander, besteht für Pharmaunternehmen der strategische Anreiz, Biotechnologieunternehmen zu übernehmen, um die eigene Wertschöpfungskette zu ergänzen. Neben dieser vertikalen Integration besteht auch die Möglichkeit einer Kooperation. Solche Kooperationen finden in der Praxis häufig statt, insbesondere dann, wenn die Medikamentenentwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Je nach Vertragsart erhält das Biotechnologieunternehmen einen Prozentsatz an den Umsatzerlösen des fertigen Medikamentes (Royalties), eine Einmalzahlung für die Entwicklungsleistung (Meilensteinzahlungen) oder eine Kombination aus beiden.15 Während sich Pharmaunternehmen ihre FuE aus den Umsätzen ihrer erfolgreichen Produkte finanzieren, weisen medikamentenentwickelnde Biotechnologieunternehmen anfänglich keine Gewinne aus.16 Das Beratungsunternehmen Deloitte17 nimmt eine Klassifizierung vor, die im Wesentlichen drei Geschäftsmodelle unterscheidet:

10

Vgl. Hoffmann, W. et al. (2003), S. 13. In der Biotechnologiebranche wird zwischen drei Geschäftsmodellen unterschieden: Dienstleister (Entwicklung und Vermarktung von Technologien), Zuliefer und Produktentwickler (Medikamentenentwickler). 12 Vgl. Rudolf, M./Witt, P. (2002), S. 154 ff. 13 Vgl. Scheibehenne, et al. (2003), S. 668 ff. 14 Vgl. Kaufmann, L./Ridder, Ch. (2003), S. 448. 15 Vgl. Rudolf, M./Witt, P. (2002), S. 155. 16 Vgl. Kaufmann, L./Ridder, Ch.(2003), S. 448. 17 Deloitte ist eine Prüfungs- und Beratungsgesellschaft, welche Studien in der biotechnologischen und pharmazeutischen Branche anhand von ca. 200 führenden Unternehmen durchgeführt hat. 11

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Abb. 4.1 „Voll integrierte“ Wertschöpfungskette von Pharmaunternehmen [Quelle: In Anlehnung an Arthur D. Little (1997), S. 71.]

• Zur Biotechnologiebranche (auch Biopharma) zählen Unternehmen, die biotechnologische Verfahren verwenden, um therapeutische Produkte mit „Small Molecules“18 oder „biologischen Plattformen“ entwickeln. • Zur Big Biopharma-Branche zählen Unternehmen, die schon über mehrere Jahre profitabel sind und Produkteinnahmen von USD 500 Millionen übersteigen. • Big Pharma sind pharmazeutische Unternehmen, die aus der chemischen Industrie stammen. Mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nehmen sie • mehrere Milliarden USD ein.19 Diese Klassifizierung scheint zwar auf den ersten Blick stark vereinfacht zu sein, im Ergebnis bildet sie jedoch eine praktikable Handhabung.

4.2.3 Finanzierung Zur Finanzierung der Entwicklung und Zulassung neuer Wirkstoffe wird ein hohes Investitionskapital benötigt.20 Die Investitionen großer Pharmaunternehmen unterscheiden sich signifikant von denen kleiner Biotechnologieunternehmen. Pharmaunternehmen können Investitionen mit einem langen Zeithorizont finanzieren, bspw. risikoreichere Investitionen mit späten Rückzahlungszeiten vornehmen.21 Unter anderem finanzieren sie mit den Erlösen aus dem Verkauf der Arzneimittel von heute den langwierigen und teuren Prozess der Medikamentenentwicklung für ihre zukünftigen Arzneien. Die hohen Preise für innovative Medikamente müssen nach Ansicht der Branche verlangt werden, um den Investoren hohe Renditen zu gewähren, die das Risiko belohnt, in Pharmaaktien zu investieren. Gleichzeitig stellt ein Gewinn einen Anreiz für die Entwicklung und Innovation neuer Arzneimitteln dar.22

18 19 20 21 22

„Small Molecules“ sind Niedermolekulare synthetische Moleküle. Vgl. Deloitte (2005), S. 5. Vgl. Scheibehenne, et al. (2003), S. 668 ff. Vgl. Bussey, P. et al. (2005), S. 194. Vgl. o. Verf. (2006), S. 11–13.

4 Innovationserfolgsrechnungen bei der Bewertung pharmazeutischer FuE-Projekte

73

Ein Biotechnologieunternehmen (Biopharma) kann sich dagegen keine langfristigen oder risikoreichen Investitionen leisten. Um eine selbstständige Entdeckung und Entwicklung von Arzneimitteln zu finanzieren, kann es entweder ein Produkt lizenzieren, um Meilensteinzahlungen bzw. Royalties zu erhalten oder Finanzierungsalternativen finden.23 Üblicherweise finanzieren sich Biotechnologieunternehmen daher durch besondere Finanzierungsformen24 wie die Private Equity-Finanzierung, die eine Form der Beteiligungsfinanzierung ist. Sie stellt zeitlich befristetes Eigenkapital von Privatpersonen oder institutionellen Investoren bereit.25 Die Finanzierung erfolgt überwiegend mit Hilfe von Venture Capital-Gebern (Risikokapitalgebern). Sie können dem Unternehmen nicht nur einen hohen Zufluss an liquiden Mitteln gewähren, sondern auch ein Netzwerk mit Know-how zur Verfügung stellen.26

4.3 Analyse pharmazeutischer FuE-Projekte Eine Besonderheit der Geschäftstätigkeit von pharmazeutischen Unternehmen ist die Forschung und Entwicklung von Arzneien. Dies benötigt viel Zeit und Knowhow. Zwischen der ersten Synthese bis zum fertigen Arzneimittel liegen ca. 800 einzelne Arbeitsschritte, die in einem geregelten Entwicklungsprozess erfolgen. Der Entwicklungsprozess eines Medikaments dauert insgesamt ca. 10–15 Jahre, kostet durchschnittlich USD 800 Millionen und wird mit einer sehr geringen Erfolgsquote (1:6.000)27 angegeben.28 Um die Risiken von FuE-Projekten adäquater berücksichtigen zu können, soll zunächst ein Verständnis für typische Merkmale pharmazeutischer FuE-Projekte erzeugt und danach ihr idealtypischer Verlauf betrachtet werden.

4.3.1 Terminologische Grundlagen zu Forschung und Entwicklung Die Forschung und Entwicklung von Arzneien verfolgt das Ziel, neue Produkte oder Prozesse zu entwickeln, die in Form von Projekten durchgeführt werden. In der Literatur werden Forschung und Entwicklung als eigenständige Sachverhalte angesehen, die sich in der Praxis wie folgt unterteilen: 23

Vgl. Bussey, P. et al. (2005), S. 194. U. a. Private Equity-, Mezzanine-Finanzierung und Förderprogramme, vor allem Letztere spielen in den USA eine große Rolle. 25 Vgl. Ehrmann, H. (2005), S. 222 f. 26 Vgl. Scheibehenne, et al. (2003), S. 668 ff. 27 Die Erfolgsquote besagt, dass von 6000 erforschten Substanzen nur eine Substanz zur erfolgreichen Zulassung gelangt. Über die Erfolgsquoten herrschen ganz unterschiedliche Angaben, je nach dem von welchem Stadium der Entwicklung/Forschung ausgegangen wird. 28 Vgl. BPI (2005a), S. 17. 24

74

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• Grundlagenforschung, die naturwissenschaftliche Erscheinungen und Zusammenhänge aufdeckt und diese zu erklären versucht, ohne eine mittelbare Anwendung der Erkenntnisse anzustreben,29 • Angewandte Forschung, die konkrete Problemstellungen hinsichtlich Material, Verfahren oder Produkt löst und eine wirtschaftliche Anwendung anstrebt,30 • Entwicklung, welche die vorliegenden Lösungen der angewandten Forschung den wirtschaftlichen Erfordernissen anpasst.31 Die Forschung ist stark an der Strategie des Unternehmens ausgerichtet. Da die Strategie oft neu definiert wird, stellt ihre Umsetzung in die Forschung eine Herausforderung für das Management dar. Ein zu frühes oder zu spätes Beenden des Forschungsprojektes kann weit reichende Konsequenzen für das Unternehmen haben.32 FuE-Projekte sind im weiten Sinne alle Vorhaben eines Pharmaunternehmens, von der Wirkstofffindungsphase über die Entwicklung bis hin zur Vermarktung eines Medikamentes.33 Unter einem pharmazeutischen FuE-Projekt wird der Werdegang einer neuen Substanz von ihrer Entdeckung über ihre Synthetisierung zu einem Arzneimittel bis hin zur Anwendung am Menschen verstanden.

4.3.2 Entwicklungsprozess eines Medikamentes Der Entwicklungsprozess eines Medikamentes gliedert sich in mehrere Phasen. Er beginnt mit einer Forschungsphase (Wirkstofffindungsphase), in der die Naturwissenschaftler nach potenziellen neuen Wirkstoffen suchen. In der folgenden Präklinik wird die Wirkung der neuen Substanz identifiziert. Anschließend folgt die Testphase der klinischen Forschung mit Phase I, II und III am Menschen. Diese Forschungsund Entwicklungsphasen enden erfolgreich mit einer Zulassung auf dem Markt.34

4.3.2.1 Forschungsphase Am Anfang der Entwicklung eines Arzneimittels steht die Suche nach einer potenziellen Substanz, welche durchschnittlich zwei bis vier Jahre dauert. Um ein Arzneimittel zu finden, suchen Biologen, Chemiker und Pharmazeuten nach Stoffwechselvorgängen oder nach Molekülstrukturen, die eine entscheidende Rolle in einer Krankheit spielen.35 Mit Hilfe von Testsystemen, so genannten Screenings, kann 29 30 31 32 33 34 35

Vgl. Pfeiffer, W./Staudt, E. (1974), Sp.1523. Vgl. Pfeiffer, W./Staudt, E. (1974), Sp.1522. Vgl. Schätzle, G. (1965), S. 36, zitiert nach Schmeisser, W. et al. (2006), S. 63. Vgl. Weule, H. (2002), S. 201. Vgl. Völker, R. (2001), S. 232. Vgl. Gorbauch, R. de la Haye (2002), S. 165 ff. Vgl. PhRMA (2006), S. 4.

4 Innovationserfolgsrechnungen bei der Bewertung pharmazeutischer FuE-Projekte

75

Abb. 4.2 Entwicklungsprozess für Medikamente [Quelle: In Anlehnung an Kaufmann, L./Ridder, Ch. (2003), S. 448.]

eine große Zahl verschiedener Molekülstrukturen auf ihre Eignung getestet werden. Aussichtsreiche Substanzen, so genannte leads, werden verfeinert und variiert, um weitere Tests zu durchlaufen.36 Methoden aus dem „klassischen“ Projektmanagement lassen sich in dieser Phase kaum anwenden, da sich Inhalte, Ziele und Kosten im Verlauf des Projektes sehr stark verändern. Der Forschungsprozess ist durch häufige Strategiewechsel und zufälligen Erkenntnissen gekennzeichnet. Weule charakterisiert die Projektplanung zwar einfach, dennoch treffend: „Je ,unschärfer‘ das erwartete Projektergebnis ist, desto weniger ist eine detaillierte Planung möglich.“37 Eine zu straffe Steuerung und Kontrolle würden dem Projekt die Kreativität nehmen und somit zufällige bzw. unkonventionelle Lösungen kaum zulassen. Allerdings besteht ohne Steuerung das Risiko, dass am Markt vorbei geforscht wird und die Produkte nicht umgesetzt werden könnten.38 Bei einer zielorientierten, vom

36 37 38

Vgl. Gorbauch, R. de la Haye (2002), S. 165 ff. Weule, H. (2002), S. 204. Vgl. Weule, H. (2002), S. 204 f.

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Projektmanagement gestützten Forschung geht zwar ein erhebliches Potenzial an Ideen verloren, jedoch orientiert sie sich an den Erfordernissen des Marktes. Am Ende dieser Phase erstellen die Forscher einen Wirkstoffkandidaten, welcher mit Schlüsseleigenschaften wie dem therapeutischen Einsatzgebiet, dem Wirkungsprofil (mit der Beschreibung der Wirksamkeit und Nebenwirkungen) sowie dem Anwendungsprofil beschrieben wird.

4.3.2.2 Präklinische Phase Im Rahmen der präklinischen Phase wird der neue Wirkstoff hinsichtlich seiner pharmakologischen39 Wirksamkeit und toxikologischen40 Eigenschaften „in-vitro“ (im Reagenzglas) und „in-vivo“ (an Tieren) getestet.41 Innerhalb der pharmakologischen Wirksamkeit gewinnt man Erkenntnisse über die Aufnahme, Verteilung, Verstoffwechslung und Ausscheidung (ADME-Studien)42 der Substanz. Die toxikologische Untersuchung liefert Erkenntnisse über unerwünschte Nebenwirkungen in den Dosisbereichen oder bei längerem Gebrauch. Ziel ist es, einen Dosisbereich zu finden, der keine bzw. keine gravierenden toxikologischen Effekte zeigt. Entscheidend ist die Nutzen-Risiko-Bewertung, bspw. haben Bluthochdruckmedikamente andere Anforderungen als Krebsmedikamente.43 Um die Qualität dieser Untersuchung zu gewährleisten, fordern die Zulassungsbehörden die Einhaltung international gültiger Regelungen wie die „Good Laboratory Practice“ (GLP), und festgelegte Richtlinien über die Versuchstierarten, die Anzahl der Tiere und die Versuchsdauer.44 In der Praxis wird zu diesem Zeitpunkt der Wirkstoff patentiert, es beginnt eine auf 20 Jahre begrenzte Patentlaufzeit. Bei der Entwicklung von Medikamenten für die Behandlung seltener Krankheiten kann Marktexklusivität um bis zu 7 Jahre in den USA und 10 Jahre in der EU ab der Zulassung durch einen Orphan DrugStatus45 geschützt werden. Die Wirtschaftlichkeit eines Arzneimittelproduktes steht 39

Die Pharmakologie beschäftigt sich mit den Wechselwirkungen zwischen Arzneimittelstoffen und dem Organismus. 40 Toxikologie ist die Lehre von den Giftstoffen, Vergiftungen und deren Behandlung. 41 Vgl. Kaufmann, L./Ridder, Ch. (2003), S. 449. 42 ADME ist die Abkürzung aus dem Englischen für: Absorption (Aufnahme), Distribution (Verteilung), Metabolising (Verstoffwechslung), Elimination (Ausscheidung). 43 Nutzen-Risiko-Bewertungen von Arzneimitteln erfolgen während der klinischen Prüfung und nach der Zulassung am Markt. 44 Vgl. Gorbauch, R. de la Haye (2002), S. 165 ff. 45 Orphan Drug-Status bedeutet, es werden keine weiteren Zulassungen für ähnliche Arzneimittel für dasselbe therapeutische Anwendungsgebiet angenommen. Ähnliche Arzneimittel bedeutet: ähnliche Molekularstruktur, selber Wirkungsmechanismus und gleiches therapeutisches Anwendungsgebiet. Bei der Entscheidung über den Orphan Drug-Status zählen in der EU folgende Kriterien: Es darf keine bereits zufrieden stellende Therapie in der EU bestehen, bzw. es muss der Nachweis erbracht werden, dass das neue Arzneimittel den betroffenen Patienten einen erheblichen Nutzen bringt. Zur gleichen Zeit dürfen nur weniger als 5 von 10.000 EU Bürgern von der Krankheit betroffen sein.

4 Innovationserfolgsrechnungen bei der Bewertung pharmazeutischer FuE-Projekte

77

in direktem Bezug zu der Marktgröße, welche bei seltenen Krankheiten gering ist. Unter regulären Marktbedingungen mit kleinen Marktvolumina wäre eine Amortisierung der FuE-Kosten nicht möglich. Um den Pharmaunternehmen einen Anreiz zu geben, die Entwicklung solcher Medikamente durchzuführen, wird ein Orphan Drug-Status vergeben. Vorteilhaft sind neben der geschützten Marktexklusivität, die Unterstützung im Zulassungsverfahren, die Bereitstellung von Fördermitteln und die Möglichkeit von Steuervergünstigungen.46 Unterstützend und koordinierend wirkt das Projektmanagement in der präklinischen Phase, um geeignete Molekülstrukturen47 herauszufiltern. Die Erfahrung zeigt, dass nicht einmal jedes zehnte Projekt der präklinischen Phase zum Endverbraucher gelangt.48 Dies liegt nicht nur an den medizinischen Abbruchkriterien, sondern auch an den zunehmenden Anforderungen an die Sicherheit, Verträglichkeit und Wirksamkeit der Arznei in den folgenden klinischen Tests.

4.3.2.3 Klinische Phase Der Entwicklungsprozess in der klinischen Phase eines Arzneimittels gleicht eher einem „typischen“ Projektablauf als deren Erforschung. Jede Substanz durchläuft ein Entwicklungsprogramm („Drug Development Plan“), um letztlich den Markt zu erreichen.49 Bevor die klinische Testphase starten kann, benötigt das Unternehmen eine Zulassung durch die zuständige Behörde (z. B. die europäische (European Agency for the Evaluation of Medicinal Products – EMEA) oder die amerikanische (Federal Drug Administration – FDA) Zulassungsbehörde) mittels „Investigational New Drug Application“ (IND) und ein positives Votum der Ethikkommissionen. Nach der Zulassung kann das Medikament an Menschen, innerhalb der klinischen Phase I an Gesunden50, der Phase II und III an Patienten, getestet werden. Abgerundet mit einer freiwilligen IV. Phase können Langzeitwirkungen oder seltene Nebenwirkungen näher untersucht werden.51 Vor Beginn der Studie überprüfen unabhängige Ethikkommissionen52 eine Nutzen-Risiko-Bewertung, die Patientenaufklärung sowie deren Versicherungsschutz. Während der Studie begleiten sie deren Verlauf. Ihr abschließendes Urteil (das sog. Votum) ermöglicht es den Pharmaunternehmen, die Studie bei den zuständigen nationalen Behörden53 einzureichen. Erst nach der Erteilung der entsprechen46

Vgl. BPI (2005b), S. 5 ff. So genannte New Molecular Entities (NMEs) oder auch New Chemical Entities (NCEs). 48 Vgl. Stewart, J. J. et al. (2003), S. 814. 49 Vgl. Völker, R. (2001), S. 233. 50 Außer bei manchen Therapien, z. B. der Krebstherapie, dort wird eine Ausnahme gemacht. 51 Vgl. Kaufmann, L./Ridder, Ch. (2003), S. 449. 52 Deutsche Ethikkommissionen sind öffentlich-rechtlich organisiert und dem Landesrecht des jeweiligen Bundeslandes unterstellt. Sie agieren zum Schutz der teilnehmenden Probanden. 53 Solche Studien können in Deutschland z. B. bei dem Bundesinstitut für Arzneimittel- und Medizinprodukte (BfArM) oder dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) eingereicht werden. 47

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den „Vorlagenummer“ darf die klinische Prüfung mit der Aufnahme der Patienten beginnen.54 Während der klinischen Prüfung muss das Pharmaunternehmen bereits sicherstellen, dass es das zu prüfende Medikament nach den neuesten Standards hergestellt hat. Die Leitlinien sind dazu in der „Guten Herstellungspraxis“ (Good Manufacturing Practice – GMP) festgehalten. Internationale Richtlinien mit Qualitätsanforderungen bilden das Regelwerk zur „Guten klinischen Praxis“ (Good Clinical Practice – GCP), welche bei der Durchführung und Aufzeichnung klinischer Prüfungen am Menschen eingehalten werden muss. Um eine erfolgreiche Zulassung zu erreichen, liegen für nahezu alle wichtigen Indikationen internationale und nationale Leitlinien (Guidelines) vor, die von unterschiedlichen Institutionen55 verfasst wurden. Die Einhaltung der Leitlinien wird in einem Entwicklungsplan des Arzneimittels dokumentiert. Zusammenfassend dokumentiert dieser die geplanten Studien, deren Inhalte und zeitliche Abfolge. Gleichzeitig ist er Teil des Zulassungsantrags der Zulassungsbehörden.56

4.3.2.4 Zulassungsverfahren Nach erfolgreichem Abschluss der klinischen Tests (67 % der Phase III Kandidaten) beantragt das Unternehmen die Zulassung, in den USA die „New Drug Application“ (NDA) bzw. in der EU die „Market Authorisation Application“ (MAA), bei den zuständigen Behörden.57 Sie prüfen die von den Unternehmen erstellten Dokumente zur pharmazeutischen Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Arzneimitteln. Für den US-amerikanischen Markt erfolgt die nationale Zulassung bei der „Food and Drug Administration“ (FDA). In der EU sind es drei verschiedene Zulassungsverfahren: Ein zentrales europaweites Verfahren wird von der europäischen Arzneimittelzulassungsbehörde, der „European Agency for the Evaluation of Medicinal Products“ (EMEA) in London durchgeführt. Das zweite Verfahren führt zur gegenseitigen Anerkennung, welche die Zulassung des jeweiligen Mitgliedsstaates anerkennt. Zuletzt gibt es ein rein nationales Zulassungsverfahren, bei dem die Zulassung nur in einem einzigen Mitgliedstaat der EU erteilt wird.58 Die strategische Ausrichtung des Unternehmens bestimmt, in welcher Behörde ein Antrag gestellt werden soll, jedoch entscheiden die Behörden, ob das Medikament für die beabsichtigte Anwendung in dem Land vermarktet werden darf.

54

Vgl. Gorbauch, R. de la Haye (2002), S. 167 ff. Dazu zählen Institutionen wie die europäischen und amerikanische Zulassungsbehörde, die „International Conference on Harmonization“ (ICH), das „Committee for Proprietary Medicinal Products“ (CPMP) oder die „World Health Organization“ (WHO). 56 Vgl. Gorbauch, R. de la Haye (2002), S. 167 ff. 57 Vgl. Kaufmann, L./Ridder, Ch. (2003), S. 449. 58 Vgl. BCG, (2001), S. 73. 55

4 Innovationserfolgsrechnungen bei der Bewertung pharmazeutischer FuE-Projekte

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Abb. 4.3 Klinische Phasen [Quelle: In Anlehnung an Gorbauch, R. de la Haye (2002), S. 167 ff.]

80

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4.3.3 Erarbeitung signifikanter Charakteristika pharmazeutischer Projekte Nachdem der Entwicklungsprozess erläutert wurde, werden nun charakteristische Eigenschaften eines pharmazeutischen Projektes herausgearbeitet. Neben projekttypischen Merkmalen wie Qualität, Kosten und Dauer, charakterisieren ein FuEProjekt die zeitliche und personelle Begrenzung die Einmalig- und Neuartigkeit in einem dynamischen Umfeld.59 Dem Entwurf des Prüfungsstandards Nr. 5 des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW ES 5 n. F.) zufolge bestimmt sich der Wert eines Vermögenswertes grundsätzlich nach dem zukünftigen finanziellen Nutzen.60 Darüber hinaus müssen nicht finanzielle Vermögenswerte – sogenannte immaterielle Vermögenswerte – berücksichtigt werden.

4.3.3.1 Finanzieller Nutzen Um den finanziellen Nutzen eines FuE-Projektes zu ermitteln, ist zunächst die Abschätzung der Größe des Marktes entscheidend. Die Marktgröße wird mit der Anzahl der Patienten der benötigten Tagesdosis bestimmt. Eine epidemiologische61 Bewertung der Indikation ermöglicht es, die erwartete Prävalenz (absolute Krankheitshäufigkeit) und Inzidenz (Anzahl der Neuerkrankungen) während des Zeitraumes abzuschätzen, in dem das zu entwickelnde Medikament erwartungsgemäß vermarktet werden kann. Die epidemiologischen Erwartungen werden im regionalen Rahmen entwickelt, um dann auf die größten Märkte wie USA, EU und Japan bezogen zu werden.62 Bei der Berechnung des Umsatzpotenzials muss berücksichtigt werden, dass je größer der Zielmarkt ist, desto mehr Einnahmen können bei erfolgreicher Zulassung erzielt werden. Um die Umsätze nachvollziehbar zu prognostizieren, wird idealerweise zuerst ein Zielproduktprofil des Wirkstoffkandidaten in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Forschung und Entwicklung erstellt. Dieses Profil definiert sich durch Eigenschaften wie therapeutischen Einsatz, Wirkungsprofil (mit der Beschreibung der Wirksamkeit und Nebenwirkungen) sowie Dareichungsform und Produktion.63 Separat müssen zu den prognostizierten Einnahmen gleichzeitig die Aufwendungen abgeschätzt werden. Deren Einschätzung erfolgt im Wesentlichen über die Kosten für klinische Studien und Gebühren für die Zulassung. Während der Entwicklung des Arzneimittels wird es Gelegenheiten geben, eine Alternativlösung in Betracht zu ziehen, die zu einem anderen Zielproduktprofil mit größerem kom-

59

Vgl. Brandt, S. M. (2002), S. 123. Vgl. IDW ES 5 n. F. (2006), Tz. 15. 61 Die Epidemiologie untersucht die Verbreitung und die Ursachen von gesundheitsbezogenen Zuständen und Ereignissen. 62 Vgl. Bussey, P. et al. (2005), S. 204. 63 Vgl. Rudolf, M./Witt, P. (2002), S. 155. 60

4 Innovationserfolgsrechnungen bei der Bewertung pharmazeutischer FuE-Projekte

81

merziellen Potenzial oder im schlechtesten Fall zu einem Abbruch führen könnte.64 Obwohl sich das entwickelte Zielprofil von dem tatsächlichen Profil des abschließenden Arzneimittels unterscheiden wird, ist eine Prognose über die zukünftigen Einnahmen sinnvoll. Zum einen, um den Stellenwert im Unternehmen herauszufinden und dabei unter anderen den Wert für Lizenzverträge zu ermitteln. Zum anderen schätzt diese Prognose das Konkurrenzumfeld und die derzeit noch nicht therapierbaren Krankheitsbilder innerhalb des Marktes ein.65 Da FuE-Projekte für eine oder mehrere Indikationen entwickelt werden, sollte der Stellenwert jeder Indikation in der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden.66 Festzuhalten ist, dass pharmazeutische FuE-Projekte viel Zeit und Produktionsfaktoren beanspruchen. Langfristig binden sie Ressourcen des Unternehmens, um ein angestrebtes Ziel zu erreichen, dessen Ausgang ungewiss ist. Die getätigten Ausgaben sind nicht mit späteren Rückflüssen in Form von Einnahmen abgesichert. Das Risiko für Fehlschläge ist über den gesamten Entwicklungsprozess enorm hoch und die Chance einer Markteinführung gering.67

4.3.3.2 Immaterieller Wert Die oben dargestellten prognostizierbaren Daten wie das Umsatzpotenzial spielen bei der Projektbewertung zwar eine signifikante Rolle, jedoch fehlt die Berücksichtigung von nicht finanziellen Vermögenswerten – den immateriellen Vermögenswerten68 . In Anlehnung an die h. M. der betriebswirtschaftlichen Literatur versteht das IDW unter einem immateriellen Vermögensgegenstand ein im Leistungsprozess eingesetztes wirtschaftliches Gut, dessen Substanz nicht physisch wahrnehmbar ist, z. B. Rechte, Beziehungen, Know-how oder Informationen.69 Bei der Betrachtung eines pharmazeutischen FuE-Projektes sind es zum einen Vermögenswerte, die sich auf patentierte Technologien, Wirkstoffe oder Rezeptormoleküle und Geschäftsgeheimnisse bezüglich Formeln oder Prozesse beziehen. Zum anderen sind es auf Rechten basierende immaterielle Vermögenswerte wie Lizenzen, Managementverträge, Wettbewerbsverbote oder Konkurrenzklauseln.70 Daher bietet es sich an, z. B. Lizenzverträge zur Bewertung von pharmazeutischen Projekten heranzuziehen.71 Bei der Betrachtung von Lizenzverträgen über FuE-Projekte zeigen Arnold et al. 64

Vgl. Bussey, P. et al. (2005), S. 205. Vgl. Bussey, P. et al. (2005), S. 205. Krebs-Therapien müssen einen großen Absatzmarkt bedienen, während Lifestyle Präparate wie Viagra eine schnelle Markteinführung, dafür aber eine kurze Vermarktungsphase haben. 66 Vgl. Bussey, P. et al. (2005), S. 204, s. a. Arnold, K. et al. (2002), S. 1086. 67 Vgl. Mansfield, E. (1968), S. 68 ff., zitiert nach Schmeisser, W. et al. (2006), S. 63. 68 Ausführlich diskutieren hierzu Schmeisser, W. et al. (2006), S. 293 ff. über die Definition und Klassifikation immaterieller Vermögenswerte im Rahmen der Intangibles. 69 Vgl. IDW ES 5 n. F. (2006), Tz.3, s. a. Schmeisser, W. et al. (2006), S. 293 ff. 70 Im Sinne des IDW ES 5 n. F. (2006), Tz. 14. 71 Vgl. Bussey, P. et al. (2005), S. 204, u. a. Arnold, K. et al. (2002), S. 1085. 65

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mit den Ergebnissen ihrer Studie,72 dass vier weitere signifikante Faktoren den Projektwert wesentlich beeinflussen: der Lizenzpartner, der Innovationsgrad bzw. der Entwicklungsstand des Medikaments, die vereinbarten Meilensteinzahlungen und die Art der Vereinbarung.73 Aufgrund der hohen Entwicklungskosten74 gehen viele Biotechnologieunternehmen eine Kooperation mit einem Pharmaunternehmen zur Finanzierung ein. Nach jeder erfolgreich absolvierten Phase steigt der Wert eines Lizenzvertrages um 22 %.75 Je weiter das Medikament in seinem Entwicklungsprozess ist, desto eher sind die Lizenzpartner bereit, mehr Geld zu zahlen. Der Lizenzpartner selbst beeinflusst den Wert des Produktes insofern, dass mehr Kapital zur Verfügung steht, aber auch eine größere Reputation vorhanden ist. Das Unternehmen profitiert von der Reputation des Pharmaunternehmens, da durch sie Venture Capital-Geber, Investoren oder zukünftige Kunden auf ihr Produkt aufmerksam gemacht werden. Große Pharmaunternehmen können aufgrund größerer Marketingmöglichkeiten einen doppelt so hohen Produktwert erreichen. Sie selbst sind gezwungen, Lizenzen einzugehen, um ihre Produktpipeline zu erneuern. Arnold et al. formulieren dazu auch folgende These: Pharmazeutische Unternehmen seien nicht nur gewillt, innovative Produkte zu erwerben, um sie zu vermarkten. Auch würden sie innovative Produkte kaufen, ohne sie zu vermarkten, um die Konkurrenz zu hindern, Zugang zu ihnen zu bekommen.76 Der Wert eines FuE-Projektes steigt signifikant, wenn das Produkt einen hohen Innovationsgrad besitzt. Arnold et al. behaupten, der Vertragswert einer Lizenz sei doppelt so hoch, wenn ein Produkt eine echte Neuentwicklung darstellt anstatt nur eine Weiterentwicklung.77 Paradoxerweise wird jedoch in der Industrie ein hoher Innovationsgrad als eher nachteilig angesehen, da die Erfolgswahrscheinlichkeit gering und die Entwicklung enorm risikoreich ist.78 Der Erfolg des Projektes hängt auch wesentlich von der fachlichen Kompetenz des Projektmanagements bzw. der Forschungsleitung ab. Zum einen sind es die Erfahrungen der Wissenschaftler, einen Produktkandidaten erfolgreich durch einen Entwicklungsprozess (Phase I bis III Studien) zu bringen, zum anderen ist es das Know-how der Entscheidungsträger. Oft müssen sie Entscheidungen hinauszögern, bis weitere Erkenntnisse über das Potenzial des Medikaments und seine Erfolgs-

72

Die Studie von Arnold et al. untersuchte im Jahr 2002 mehr als 100 biotechnologische Geschäfte, welche zwischen 1992 und 2001 abgeschlossen wurden, auf ihren Wert. 73 Vgl. Arnold, K. et al. (2002), S. 1085. 74 Die durchschnittlichen Kosten für Phase I-Studien betragen USD 2 Millionen, für Phase IIStudien USD 10 Millionen. Hinzu kommen erhebliche Kosten für Phase III-Studien, so dass für den gesamten Entwicklungsprozess summiert ca. USD 800 Millionen zustande kommen (vgl. Handen, J. S. (2005), S. 6). 75 Vgl. Arnold, K. et al. (2002), S. 1087. 76 Vgl. Arnold, K. et al. (2002), S. 1086. 77 Vgl. Arnold, K. et al. (2002), S. 1087. 78 Dem ist hinzuzufügen, dass die Grenzen zwischen „tatsächlicher“ und „ausgelobter“ Innovation aufgrund eines marktorientierten Wettbewerbs zunehmend verschwimmen (vgl. Frerk, V. et al. (1996), zitiert nach Arthur D. Little (1997), S. 77).

4 Innovationserfolgsrechnungen bei der Bewertung pharmazeutischer FuE-Projekte

83

wahrscheinlichkeit erlangt werden.79 Auch die Entscheidung, Alternativen wahrzunehmen zählt dazu. Dem ist hinzuzufügen, dass ihre diesbezüglichen Entscheidungen nicht nur von ihren Erfahrungen, sondern auch von ihrer Risikobereitschaft abhängen.80 Darüber hinaus müssen sie aktiv die Entwicklung der Märkte verfolgen und einschätzen können, inwiefern eine Umsetzung im Unternehmen möglich ist.81 Zuletzt wird der Wert eines FuE-Projektes durch ganz allgemeine Faktoren bestimmt; etwa der generellen Geschäftsstrategie, dem öffentlichen Vertrauen und der Meinung von Öffentlichkeit und Kapitalmärkten über die Biotechnologie bzw. Pharmazie. Neben dem kompetitiven Umfeld sind es die regulatorischen Anforderungen und die gesetzlichen sowie politischen Veränderungen, welche das Umfeld des Pharma-Marktes immer neu prägen.82

4.3.4 Zusammenfassung In der folgenden Abbildung (Abb. 4.4) werden die diskutierten Faktoren zusammengetragen, die den Wert eines FuE-Projektes wesentlich beeinflussen. Ebenfalls nicht unbeachtet dürfen der Zeitfaktor und die externen Faktoren bleiben. Schließlich ist das FuE-Projekt in einen straffen Zeitrahmen eingebunden, denn nur kurze Entwicklungszeiten garantieren einem Arzneimittel, dass es exklusiv auf

Abb. 4.4 FuE-Bewertung [Quelle: In Anlehnung an Bussey, P. et al. (2005), S. 197.] 79

Vgl. Arnold, K. et al. (2002), S. 1088. Vgl. Finke, R. (2005), S. 20. 81 Vgl. Weule, H. (2002), S. 202. 82 Politische Veränderungen in der Pharmaindustrie werden von der Börse schnell kritisch beurteilt. Bspw. fiel der Aktienindex S & P 500 Pharma in den USA um 4,7 Prozent innerhalb von drei Tagen nach Bekanntwerden des Wahlsiegs der pharmaabgeneigten Demokraten. Grund dafür sind die Reformpläne beim staatlichen Gesundheitsprogramm „Medicare“ und Lockerungen der Importregeln für billige ausländische Medikamente (vgl. Kuchenbuch, P./Kirchgaessner, S. (2006), http://www.ftd.de/unternehmen/industrie/134041.html, Stand: 22.11.2006). 80

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dem Markt ist (effektive Patentlaufzeit). Die Ungewissheit des möglichen Produktprofils, die Abschätzungen der Erfolgswahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Vermarktung und die Berücksichtigung immaterieller Werte stellt das Unternehmen vor eine große Herausforderung. Eine permanente Bewertung aller laufenden Projekte ermöglicht eine Einschätzung, welche Produkte entwickelt werden sollten, um den größten kommerziellen Erfolg zu erzielen. Um der überragenden Bedeutung von FuE-Projektbewertungen gerecht zu werden, wird dieses Thema im nächsten Abschnitt ausführlicher behandelt.

4.4 Bewertungsverfahren pharmazeutischer FuE-Projekte Nachdem im vorangegangenen Abschnitt der Prozessablauf und die typischen Merkmale eines pharmazeutischen FuE-Projektes näher erläutert wurden, werden nun Bewertungsverfahren vorgestellt. Dabei wird die Wertermittlung von FuE-Projekten und deren Ergebnisse nicht vordergründig für bilanzielle oder steuerliche Zwecke, sondern für Entscheidungsfindungen bei ihrem Erwerb oder ihrer Veräußerung relevant sein. Ziel ist es, eine Projekteinschätzung vorzunehmen, die wesentliche Merkmale pharmazeutischer Projekte und gleichzeitig den FuE-Prozess begleitende Risiken berücksichtigt.

4.4.1 Projektbewertung in der Forschung anhand der Portfolio-Technik Verhältnismäßig wenig pharmazeutische Unternehmen werten ihre Projekte in der Forschungsphase mit finanziellen Bewertungsanalysen aus. Der Grund liegt darin, dass Forschungsprojekte aufgrund ihrer individuellen Komponenten weder glaubwürdig, noch zuverlässig zu bewerten sind. Die Bewertung eines Forschungsprojektes beschränkt sich demnach nicht auf eine finanzielle Einschätzung, sondern konzentriert sich auf die Einschätzung ihrer Werttreiber.83 Die Werttreiber84 in einem Forschungsprojekt setzen sich aus mehreren Faktoren immaterieller Werte zusammen. Zum einen sind es technologiebasierte Werte, zum anderen auf Rechten basierende Vermögenswerte wie Lizenzverträge oder Patente. Auch die Kooperationspartner, der Innovationsgrad des Medikamentes und die Qualifikation der Mitarbeiter bzw. deren Know-how zählen zu solchen Werttreibern.85 Für die Entscheidung, welches FuE-Projekt das Unternehmen entwickeln will und auf welchen Absatzmärkten es zukünftig tätig ist, benötigt es ein geeignetes

83 84 85

Vgl. Bussey, P. et al. (2005), S. 211 f. Werttreiber sind alle Faktoren, die den Unternehmenswert bzw. Projektwert erhöhen. Dazu ausführlich Abschnitt 4.3.

4 Innovationserfolgsrechnungen bei der Bewertung pharmazeutischer FuE-Projekte

85

Entscheidungsinstrument.86 Herkömmliche Verfahren sind qualitative Verfahren, welche mehrere Ziele und Bewertungskriterien berücksichtigen.87 Zu den rein qualitativen Verfahren zählen Check- und Prüflisten, Projektprofile, Portfolio-Analysen und Produktlebenszyklusanalysen. Check- und Prüflisten werden verwendet, um eine schnelle Vorauswahl für eine Projektentscheidung zu treffen.88 Für eine differenziertere und fundierte Wertaussage steht die Portfolioanalyse. Sie ist die bekannteste Analyse und wird in der Praxis oft eingesetzt. Das Instrument der Portfolio-Technik dient der Verknüpfung der Umwelt mit der Unternehmensstrategie. Eine Reihe von Modellen sind dazu entwickelt worden, die zum einen nicht einheitlich bezeichnet werden (Urheber- oder Objektbezogen) und zum anderen sich in den Variablen ihrer Achsen zur Beschreibung der Investitionsfelder unterscheiden.89 Nach den Grundlagen werden beispielhaft drei Ansätze vorgestellt: der Projektportfolioansatz von Loch et al., von Arthur D. Little und das Marktportfolio.

4.4.1.1 Grundlegendes zur Portfolioanalyse Die Portfolio-Analyse stammt ursprünglich aus der finanzwirtschaftlichen Theorie und diente zur Bestimmung einer optimalen Zusammensetzung eines WertpapierPortfolios. Im Wesentlichen bewertet dieses Portfolio zwei Kriterien, und zwar die zukünftig erwartete Kapitalrenditen von Wertpapieren und die Varianz der Standardabweichung als Maßstab für das Risiko der jeweiligen Wertpapiere.90 Das Konzept wurde weiterentwickelt, um unterschiedliche Faktoren in Betracht zu ziehen, bspw. ob das Projekt der Unternehmensstrategie entsprechend wie die Konkurrenz positioniert ist und wie hoch die zu erwartenden finanziellen Einnahmen jeder Investition sind.91 Mit der Portfolio-Analyse können Informationen aus dem Unternehmen, von den Wettbewerbern, den Kunden und der Umwelt analysiert, verdichtet und diskussionsfähig dargestellt werden. Als Denkraster ermöglicht sie, die Ergebnisse von Einzelanalysen übersichtlich zusammenzuführen, um Auswahlentscheidungen methodisch zu unterstützen. Aus diesem Grund wird die Portfolio-Analyse häufig zur Generierung von Strategien und zur Allokation92 knapper finanzieller Mittel eingesetzt.93 Der Portfolio-Ansatz bietet sich auch an, um die gesamte FuE-Tätigkeit im Unternehmen zu analysieren, zu bewerten und zu organisieren. Möhrle empfiehlt die Bewertung der gesamten FuE-Projekte in Form eines FuE-Programm-Portfolios.94 86 87 88 89 90 91 92 93 94

Ähnlich argumentiert: Falter, W./Michel, U. (2000), S. 473 ff. aus der chemischen Industrie. Vgl. Specht, G. et al. (2002), S. 216. Vgl. Brandt, S. M. (2002), S. 137. Vgl. Möhrle, M. G. (1999), S. 10. Vgl. Rufo, M. et al. (2006), S. 4. Vgl. Bussey, P. et al. (2005), S. 195. Allokation ist die Zuordnung knapper Ressourcen zu alternativen Verwendungszwecken. Vgl. Rufo, M. et al. (2006), S. 11. Vgl. Möhrle, M. G. (1999), S. 79–82.

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Unter der Betrachtung von konkreten FuE-Projekten berücksichtigt sein Portfolio die Kriterien Technologiedruck und Marktsog. Der Technologiedruck spiegelt die technologische Attraktivität eines Projektes wider, z. B. die Art der genutzten Technologie, deren Einsatzspektrum oder den technischen Standard. Die zweite Dimension stellt den Marktsog dar, in dem Kriterien der erwarteten Ertrags-, Markt- und Wettbewerbslage berücksichtigt werden.95 Der Wert pharmazeutischer Projekte ist jedoch weniger von der Technologie als vielmehr von vorhandenen Forschungsergebnissen, den Marktbedingungen, existierenden und zukünftigen Therapiemöglichkeiten sowie ihren Risiken abhängig.96 Im Folgenden werden deshalb Portfolios näher betrachtet, die derartige Merkmale eher berücksichtigen.

4.4.1.2 FuE-Projektportfolio von Loch et al. Um Forschungsprojekte qualitativ mit einem Portfolio einzuschätzen, verwenden Loch et al. die Kriterien „Medical Need“97 und Produktinnovation sowie potenzielle Marktgröße.98 Die Einschätzung des „Medical Need“ basiert auf der Schwere der zu behandelnden Krankheit und auf der Wirksamkeit der vorhandenen Behandlungen. Sie wird aus einem Fragebogen abgeleitet. Die Einschätzung der Produktinnovation erfolgt hingegen über den analogen Vergleich des Produktprofils und dem therapeutischen Konzept mit bereits existierenden, erfolgreichen Therapien.99 Die potenzielle Marktgröße leitet sich aus einer epidemiologischen Bewertung ab. Eine solche Bewertung ermöglicht es einer Indikation, die erwartete Prävalenz und Inzidenz während des Zeitraumes abzuschätzen, in dem das zu entwickelnde Medikament erwartungsgemäß vermarktet werden kann. Die epidemiologischen Erwartungen werden im regionalen Rahmen entwickelt, um dann auf die größten Märkte wie USA, EU und Japan übertragen zu werden.100 Kritisch muss jedoch konstatiert werden, dass bisher keine Statistiken gefunden wurden, die beweisen, dass innovative Produkte auch profitabler sind. Eher zeigt sich in der Praxis, dass viele nicht innovative Produkte zu den Blockbustern gehören. So konnte Bayer mit „Aspirin direkt“ aufgrund einer neuen galenischen Form – der Kautablette – bei dem lang erprobten Wirkstoff Acetylsalicylsäure (ASS) seine Produktlinie erfolgreich erweitern.101 Bei der Betrachtung des Lebenszyklus eines Arzneimittels gewinnen die Phasen nach Ablauf des Patentschutzes zunehmend an 95 Vgl. Möhrle, M. G. (1999), S. 82–84. Ähnlich schätzt das Technologieportfolio von Pfeifer et al. und das „Darmstädter“-Portfolio die Technologieentwicklung ein (vgl. Specht, G. et al. (2002), S. 95). 96 Vgl. Bussey, P. et al. (2005), S. 198 ähnlich argumentiert Völker, R. (2001), S. 236. 97 Genauer: „unmet medical need“ nach den derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnissen unzureichend therapierbares Krankheitsbild. 98 Vgl. Loch, C. et al. (1999), S. 3. 99 Vgl. Loch, C. et al. (1999), S. 4. 100 Vgl. Bussey, P. et al. (2005), S. 204. 101 Vgl. Frerk, V. et al. (1996), zitiert nach Arthur D. Little (1997), S. 77.

4 Innovationserfolgsrechnungen bei der Bewertung pharmazeutischer FuE-Projekte

87

Abb. 4.5 FuE-Projektportfolio von Loch et al. [Quelle: In Anlehnung an Loch, C. et al. (1999), S. 4.]

Bedeutung – im Bezug zu dem Generikamarkt und dem Over the Counter-Markt102 (OTC-Markt). Im Ergebnis bedeutet dies für die pharmazeutische Industrie, dass nicht mehr nur die Suche nach neuen Wirkstoffen und Wirkmechanismen (in diesem Sinne die Produktinnovation), sondern die Innovationsqualität (Produktideen und Patientenbedürfnisse) und das Innovationstempo (die Geschwindigkeit der Entwicklung bis zur Marktreife) zu den Erfolgsparametern gehören werden.103 Oder wie bei „Aspirin direkt“ über das Relaunch eines alten, aber erfolgreichen Produktes mit kreativer Variation wie sie im Sinne eines Morphologischen Kastens bereits bei Zwicky104 angedacht worden ist.

4.4.1.3 FuE-Projektportfolio von Arthur D. Little Der Bewertungsansatz von der Unternehmensberatungsgesellschaft Arthur D. Little beurteilt qualitativ die Chancen und Risiken sowie Wachstum und Stabilität eines Projektes, indem es das Portfolio mit dem strategischen Gesamtkonzept des Unternehmens abzustimmen versucht. Dieser Bewertungsansatz wird eingesetzt, um mehrere Projekte im Rahmen eines Benchmarking105 mit anderen zu vergleichen. Anhand von zwei Bewertungsstufen werden Chancen und Risiken beurteilt. In der ersten Bewertungsstufe werden die Projekte nach den zwei Dimensionen Risiko und Attraktivität bewertet und verglichen. Die Risikodimension soll technische und ökonomische Unsicherheiten sowie eventuelle Schadenspotenziale abschätzen. Zur Abschätzung werden der FuE-Aufwand, der Zeitbedarf bis zum Projektabschluss 102

OTC-Produkte sind freiverkäufliche Pharmaka zur Selbstmedikation. Vgl. Arthur D. Little (1997), S. 76. 104 Vgl. Zwicky, F (1971), S. 88 f. 105 Ist eine Analyse, bei der in einer Rangfolge der Beste ermittelt wird – in Bezug auf Prozesse, Produkte, Dienstleistungen etc. 103

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sowie mögliche Investitionen für die Herstellung und die Markteinführung betrachtet. Die zweite Dimension – die Attraktivität von FuE-Projekten – wird anhand des erreichbaren Marktes, der Wettbewerbsposition, Wettbewerbsintensität, des Wachstumspotenzials, der Übereinstimmung des Projektes mit der Unternehmensstrategie oder des erreichbaren Innovationsvorsprungs beurteilt.106 Zeigt die Beurteilung des FuE-Projekts ein geringes Risiko mit einer hohen Attraktivität, sollte es aus dem Projektportfolio ausgewählt werden.107 Mit der zweiten Bewertungsstufe werden kritische Aktivitäten eines Prozessschrittes bzw. Projektprioritäten bestimmt, um ihnen das nötige Gewicht zu geben.108 Bei der Beurteilung des Entwicklungsprozesses eines Medikamentes können die wichtigsten Prozessschritte identifiziert und dabei Problempunkte109 aufgedeckt werden.110 Eine Analyse der strategischen Wirkung und des Aufwands entscheidet über die Priorität eines Projektes, wobei ein FuE-Projekt mit hoher strategischer Wirkung bei geringem Aufwand eine hohe Priorität erhalten würde.111 Ausgehend von dieser These würde es sich für ein angehendes Pharmaunternehmen nicht lohnen in einen Nischenmarkt zu investieren. Daher musste der Gesetzgeber Anreize schaffen, um die Forschung und Entwicklung in solch einem Markt attraktiv werden zu lassen, bspw. indem der Umfang klinischer Studien geringer ist. Dadurch wird es auch einem kleinen Pharmaunternehmen ermöglicht, sich mit relativ geringem Aufwand auf dem Markt zu etablieren. In dem Portfolio kann gleichzeitig eine Budgethöhe, die proportional zum jeweiligen jährlichen Projektbudget ist, anhand von Kreisdurchmessern dargestellt werden. Das Portfolio erstellen die Mitarbeiter der betroffenen funktionalen Bereiche wie FuE, Produktion und Marketing/Vertrieb, wobei die finanziellen Ressourcen berücksichtigt werden.112

4.4.1.4 Marktportfolio Zuletzt wird das Marktportfolio betrachtet, denn hier wird der Wert eines FuEProjektes maßgeblich durch den Markt und dessen Wettbewerber bestimmt. Aus diesem Grund sollen die Marktbedingungen mit dessen Hilfe analysiert werden. Ähnlich wie bei dem Ansatz von Arthur D. Little steht auch im Marktportfolio eine Bewertung der FuE-Projekte unter Berücksichtigung der Unternehmensziele und Unternehmensressourcen im Vordergrund. 106

Ähnlich wie bei dem Kriterium „Produktinnovation“ von Loch et al., müsste hier eine Diskussion über die Definition von Innovationen erfolgen. 107 Vgl. Specht, G. et al. (2002), S. 221 f. 108 Vgl. Specht, G. et al. (2002), S. 221 f., s. a. Weule, H. (2002), S. 282 f. 109 Kritische Aktivitäten werden nach den Kriterien „sub-standard“, „acceptable“, „advanced“ und „world-class“ eingestuft, wobei den vier Bewertungsstufen eine detaillierte Beschreibung der Ausprägungen zugrunde liegt. 110 Vgl. Weule, H. (2002), S. 282 f. 111 Vgl. Specht, G. et al. (2002), S. 221 f., s. a. Weule, H. (2002), S. 282 f. 112 Vgl. Specht, G. et al. (2002), S. 221 f.

4 Innovationserfolgsrechnungen bei der Bewertung pharmazeutischer FuE-Projekte

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Abb. 4.6 FuE-Projektportfolio von Arthur D. Little [Quelle: In Anlehnung an Specht et al. (2002), S. 221.]

Das Marktportfolio stellt die strategische Lage des FuE-Projektes dar. In einer zweidimensionalen Matrix wird die Lage nach der Ausprägung der Dimensionen Marktattraktivität und Wettbewerbsvorteil innerhalb von vier Feldern zugeordnet. Ein Basis-Portfolio ist das von der Unternehmensberatung entwickelte und nach ihr benannte, Boston-Consulting-Group (BCG)-Portfolio, mit seinen zwei Dimensionen Marktwachstum und relativer Marktanteil. Dem Portfolio liegt die Annahme zugrunde, dass das Marktrisiko umso geringer ist, je höher der relative Marktanteil ist.113 Brandt überträgt diese Idee auf ein FuE-Projekt, indem er die Variablen Marktattraktivität und relativer Wettbewerbsvorteil betrachtet.114 Mit der ersten Dimension der Matrix – der Marktattraktivität – werden die Gewinn- und Wachstumsperspektiven des Marktes ermittelt. Im Wesentlichen helfen dabei branchenspezifische Kriterien wie das Marktpotenzial, die Marktgröße und das Marktwachstum oder die Marktqualität (welche bspw. mit Preisspielraum, Patentlaufzeit oder Markteintrittsbarrieren bewertet werden). Ein nicht zu vernachlässigendes Kriterium ist die Umweltsituation, die im Bereich der Pharmaunternehmen insbesondere durch die Abhängigkeit von der Gesetzgebung oder von der Einstellung der Öffentlichkeit bestimmt wird. Die zweite Dimension der Matrix – der relative Wettbewerbsvorteil – wird mit Kriterien wie die relative Marktposition (Marktanteil, Größe und Finanzkraft des Unternehmens), das relative Produktionspotenzial (Kostenvorteile wegen moderner Produktionsbedingungen, Lizenzbeziehungen, Standortvorteile), das relative FuE-Potenzial (Stand der Grundlagen- und angewandten Forschung, Innovationspotenzial) oder die relative Qualifikation der Mitarbeiter und Führungskräfte (Qualität des Führungssystems, Professionalität) beurteilt.115

113 114 115

Vgl. Rufo, M. et al. (2006), S. 7. Vgl. Brandt, S. M. (2002), S. 138. Vgl. Brandt, S. M. (2002), S. 138.

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Abb. 4.7 Marktportfolio [Quelle: In Anlehnung an Brandt, S. M. (2002), S. 138, s. a. Möhrle, M. G. (1999), S. 87.]

Unter Berücksichtigung der oben genannten Kriterien lassen sich die Projekte beiden Dimensionen in der Matrix zuordnen. Die Matrix unterscheidet vier Quadranten: „Poor Dogs“, „Cash Cows“, „Stars“ und „Question Marks“. Ein großes Pharmaunternehmen finanziert zukünftige Produkte mit bereits eingeführten Produkten. „Question Marks“ sind Produkte, die ein hohes Marktwachstum aufweisen, bei denen das Unternehmen aber noch keine maßgebliche Wettbewerbsposition erreicht hat. „Stars“ sind Produkte, die sich durch hohes Marktwachstum und dominanten relativen Wettbewerbsvorteil auszeichnen. Ein „Star“ benötigt zur Erhaltung seiner Marktposition in der Regel einen hohen Finanzmitteleinsatz, um mindestens mit dem Marktwachstum mitwachsen zu können. „Cash Cows“ sind Produkte mit niedrigen mengenmäßigem Marktwachstum und dominanten relativem Wettbewerbsvorteil. Sie sind die Hauptfinanzquelle des Unternehmens und finanzieren neue Produktentwicklungen. „Poor Dogs“ sind Produkte mit niedrigen Marktwachstum und niedrigen relativem Wettbewerbsvorteil. Sie können in der Regel nur unter hohem Finanzmitteleinsatz beibehalten werden. Für jeden Quadranten leitet die Matrix eine Handlungsempfehlung ab, der einer Normstrategie116 zugrunde liegt. Dem Projekt kann zusätzlich durch die Größe des Kreises ein Projektvolumen117 zugeordnet werden.118 Das Marktportfolio verknüpft eine Marktanalyse (Umwelt- und Wettbewerbsbedingungen) mit einer Unternehmensanalyse (relative Wettbewerbs116

Die Normstrategien lauten: „Question Marks“ – Strategie ausbauen oder aussteigen. „Stars“ – Strategie Marktanteil halten oder ausbauen. „Cash Cows“ – Strategie: Marktanteil halten, ohne wesentliche Investitionen zu tätigen. „Poor Dogs“ – Strategie: Relaunch, Verkauf oder Aufgabe. 117 Projektvolumina werden mit dem Gesamt- und dem Abschlussvolumen bestimmt. Unter dem Gesamtvolumen werden die Projektkosten erfasst und unter dem Abschlussvolumen die Kosten des Projektes zwischen dem Erhebungszeitraum und dem Projektabschluss. 118 Vgl. Specht, G. et al. (2002), S. 221 f.

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vorteile im Vergleich zum stärksten Konkurrenten). Obwohl mit dieser Analyse keine unmittelbaren monetären Werte erlangt werden, ermöglicht ihre qualitative Einschätzung, eine Aussage über das Markt- und Erfolgspotenzial zu treffen.119

4.4.1.5 Betrachtung der Portfolioanalyse an einem Vertreter der immateriellen Vermögenswerte – dem Patent Die absatzwirtschaftlich orientierten Ansätze der Portfoliotheorie erlauben eine Bewertung der Gesamtheit der im Unternehmen bearbeiteten FuE-Projekte. Als Vertreter eines typischen Merkmals für ein Forschungsprojekt soll hier das Patent betrachtet werden. Patente dienen dem Schutz des geistigen Eigentums. Eigene Patente schützen das Unternehmen vor Wettbewerbern, wohingegen fremde Patente den Weg zum Markt versperren.120 Solange ein Patentschutz besteht, ist eine schlichte Imitation angesichts der hohen Schadensersatzansprüche für die Konkurrenten in der Regel keine Option.121 Entscheidend für den Erfolg eines FuEProduktes sind sein Patentumfeld und die Bewertung des Patentes. Huebner schlägt zur Bewertung von Patenten eine „Patent-Due-Diligence“122 vor. Der erste Teil dieser Bewertung, die so genannte Scope-of-Protection-Analyse, befasst sich mit den Stärken und Schwächen des eigenen Patentportfolios. Sie beginnt damit, ein möglichst realistisches Bild vom eigenen Entwicklungsstand zu ermitteln, um den Zeitvorsprung zur Konkurrenz aufzuzeigen. Des Weiteren konzentriert sich die Analyse auf den Inhalt der Patente und deren Breite und Stärke bezüglich ihrer Schutzansprüche. Maßstab ist der Vorteil, den die Technologie123 dem Produkt verleiht. Häufig finden die Wettbewerber eine Alternative, die durch einen strategischen Patenschutz verhindert werden könnte. Letztlich zeigt die Analyse wie einzigartig das Projekt ist und welche Hindernisse die Wettbewerber zu überwinden haben bzw. wie lange diese brauchen werden, um ein vergleichbares Produkt auf den Markt zu bringen.124 Im zweiten Teil der Bewertung wird die Gefahr, durch fremde Schutzrechte blockiert zu werden, mit einer Freedom-to-Operate-Analyse abgeschätzt. Gleichzeitig zeigt sie die Chance auf, die ein unterentwickeltes Patentumfeld mit sich bringt. Je nach Art der Technologie oder des patentierten Wirkstoffes schätzt die Freedom-to-Operate-Analyse ein, wie groß die Gefahr ist, dass das Patentumfeld den Marktzugang versperrt. Um das Risiko zu senken und die Chancen zu nutzen, zeigt diese Analyse, welche Strategie das Unternehmen verfolgen 119

Vgl. Brandt, S. M. (2002), S. 140 f. Vgl. Bussey, P. et al. (2005), S. 197. 121 Vgl. Huebner, S. (2005), S. 73 ff. 122 Due Dilligence ist die Bezeichnung für eine detaillierte Prüfung und Bewertung eines Unternehmens, in diesem Zusammenhang eines Patents. 123 Die Analyse unterscheidet komplexe von diskreten Technologien. Komplexe Technologien nutzen andere Patente, diskrete sind dagegen eigenständig verwertbar. Hübner bezieht sich hierbei auf Technologien als „Verwendungspatente“. Arzneimittel sind jedoch im Wesentlichen durch „Stoffpatente“ geschützt, welche einen absoluten Vermarktungsschutz gewähren. 124 Vgl. Huebner, S. (2005), S. 73 ff. 120

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sollte. Geeignete Strategien reichen vom aggressiven Patentieren über das Umgehen von Technologien von Wettbewerbern bis hin zur Nutzung von Lizenzen.125 Hierzu ist festzuhalten, dass die Portfolio-Analyse sich besonders für den Vergleich von Patenten eignet. Huebner weist zu Recht darauf hin, dass ein „. . . junges Technologieunternehmen, das über ein starkes Patentportfolio verfügt und in einem günstigen Patentumfeld operiert, [. . . ] wichtige Weichen für seinen Erfolg gestellt“126 hat.

4.4.2 Projektbewertung im Entwicklungsprozess Nachdem sich die vorangegangenen Teilabschnitte mit der Bewertung der Werttreiber von Forschungsprojekten auseinandersetzten, werden nun Bewertungsansätze betrachtet, die ein Projekt finanziell einschätzen. Um FuE-Projekte finanziell evaluieren zu können, werden sie in der Praxis erst ab einer gewissen Entwicklungsstufe bewertet. Dies ist erst dann gegeben, wenn Daten vorliegen, die das pharmakologische Wirkprofil belegen.127 Der Wert eines pharmazeutischen Projektes hängt im Wesentlichen von seinen Entwicklungskosten und der Wahrscheinlichkeit des Entwicklungserfolges (insbesondere vom Zeitpunkt zur Markteinführung) ab. In den Entwicklungskosten werden alle Kosten betrachtet, die mit der Entwicklung von der Präklinik über Phase I und Phase II bis hin zur Phase III eines Arzneimittels verbunden sind. Die Wahrscheinlichkeit des Entwicklungserfolges wird nach jeder Entwicklungsstufe beurteilt. Gleichzeitig bildet sie die Wahrscheinlichkeit ab, wann die Entwicklung eines Arzneimittels eher abgebrochen werden sollte. Um die Erfolgswahrscheinlichkeit zu beurteilen, werden alle möglichen Risiken betrachtet, und zwar, die neben den medizinischen Risiken auftreten könnten. Ziel ist es, eine Projekteinschätzung vorzunehmen, die das Potenzial des Absatzmarktes sowie die Anforderungen der Ärzte und Patienten innerhalb des Indikationsbereiches berücksichtigt.128

4.4.2.1 Bewertung mittels Kennzahlen Um zu bewerten, ob der Entwicklungsprozess effizient ist, war, sein wird oder nicht, erfolgt eine Bewertung mittels Kennzahlen.129 So können die Entwicklungszeiten bis hin zur Markteinführung mit der Break-Even-Time-Methode beurteilt werden. „Die Break-Even-Time ist als Zeitspanne definiert, in der sich Forschungs- und

125 126 127 128 129

Vgl. Huebner, S. (2005), S. 73 ff. Huebner, S. (2005), S. 76. Vgl. Völker, R (2001), S. 239. Vgl. Bussey, P. et al. (2005), S. 204. Vgl. Specht, G. et al. (2002), S. 216, ähnlich argumentiert auch Weule, H. (2002), S. 281.

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Entwicklungsinvestitionen amortisieren.“130 Die Bewertung berücksichtigt, ob eine Markteinführung zu spät erfolgte und ob das Produkt erfolgreich war.131 Eine weitere Kennzahl ist der „R&D-Effectiveness-Index“, der eine Erfolgsgröße für die unternehmensweite Effektivität von Produktentwicklungen darstellt. Grundlage des Indexes ist das Verhältnis132 zwischen dem Umsatzanteil von Neuprodukten und dem Anteil an FuE-Aufwendungen am Umsatz (Angaben in Prozent). Ist der Index größer 1, ist der Rückfluss aus den neuen Produkten größer als die benötigten FuE-Aufwendungen.133 Für Pharmaunternehmen mit einem großen FuE-Portfolio können diese Kennzahlen interessant sein, denn sie liefern nachvollziehbare Ergebnisse für Produkte, die bereits auf dem Markt etabliert sind. Bei angehenden Pharmaunternehmen befindet sich das Projekt jedoch noch vor der Markteinführung. Die Bewertung verlangt deshalb prognostizierte Erfolgsgrößen und kann nicht aus direkten Erfolgsgrößen abgeleitet werden. Unter einer finanziellen Zielsetzung werden im Folgenden zukunftsbezogene Ansätze für die Bewertung von FuE-Projekten betrachtet. Für eine zukunftsorientierte Bewertung von FuE-Projekten liegt es nahe, den Projektwert zunächst mit Hilfe des Discounted-Cash-Flow-Verfahrens (DCF-Verfahren) zu ermitteln.134 Ein in der Entwicklung befindliches Medikament kann ab der klinischen Phase mit zukünftigen (marginalen) Cash-Flows abgeschätzt werden, wobei das Risiko, die Kosten respektive die Auszahlungen der Entwicklungsphasen, deren Zeit und Erfolgswahrscheinlichkeit einbezogen werden müssen. Neben dieser traditionellen Methode zur Bewertung von Projekten werden in der Literatur drei weitere Methoden empfohlen: die Wertbeurteilung mit vergleichbaren Projekten,135 das Entscheidungsbaum-Modell und das Optionspreismodell.136 Da sich der DCFAnsatz und das Entscheidungsbaum-Modell in der Praxis durchgesetzt haben, werden sie zuerst erläutert.

4.4.2.2 Discounted Cash-Flow-Ansatz In Anlehnung an die Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW ES 1 n. F.) erfolgt die Bewertung von FuEProdukten mit der DCF-Methode.137

130

Vgl. Weule, H. (2002), S. 280. Vgl. Weule, H. (2002), S. 282. 132 Die Berechnung lautet wie folgt: Umsatzerlös aus Neuprodukten × Rendite [Rentabilität + FuE-Aufwand] im Verhältnis zu den eingesetzten FuE-Mitteln. 133 Vgl. Weule, H. (2002), S. 282 f. 134 Vgl. Wolf, K. (2006), S. 363. 135 So genannte „comparable deals“, die anhand erzielter Veräußerungs-/Lizenzgewinne verglichen werden. 136 Vgl. Arnold, K. et al. (2002), S. 1085. 137 DCF ist: “Based on the knowledge that a dollar today is worth less than a dollar tomorrow.” (Arnold, K. et al. (2002), S. 1086). 131

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Der DCF-Ansatz gehört zu den Methoden wertorientierter Investitionsanalysen, der sog. Kapitalwertmethode.138 In der Methode wird der Kapitalwert (Barwert) einer bevorstehenden Investition durch Diskontierung der Zahlungsreihe auf den jetzigen Zeitpunkt beurteilt.139 Um den Kapitalwert zu ermitteln, werden zunächst finanzielle Überschüsse (Cash-Flows) über den Entwicklungsprozess prognostiziert. Der Cash-Flow ist eine absolute Kennzahl der Innenfinanzierung, die Auskunft über die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel für Investitionen, Ausschüttungszahlungen oder Schuldentilgung gibt. Grundlage sind die Umsatzüberschüsse, die sich aus der Differenz zwischen den einnahmewirksamen Erträgen/Leistungen und den ausgabewirksamen Aufwendungen/Kosten ergeben.140 Zunächst müssen die projektbezogenen Cash-Flows herausgefiltert werden, von denen zusätzliche Investitionen in Sachanlagen, die durch das Projekt verursacht wurden, abgezogen werden müssen. Bei FuE-Projekten werden die Cash-Herstellkosten z. B. aus den Kosten für klinische Studien und aus den Marketingkosten abgeleitet.141 Aufgrund der langen Entwicklungszeiten ergeben sich für FuE-Projekte typischerweise anfangs negative Cash-Flows. Um die Zahlungen unterschiedlicher Zeitpunkte vergleichen zu können, werden die Cash-Flows mit Hilfe von Diskontsätzen auf den aktuellen Zeitwert abgezinst (Barwert). Der Diskontierungsfaktor berücksichtigt die Investitionsrisiken, um das erwartete Ertragsniveau zu repräsentieren (vgl. Nenner der Formel 4.1). Je höher der

UW =

n

E[CFt ]

∑ (1 + rG)t

t=1

UW = Unternehmenswert (hier: Wert des FuE-Projektes) E[CFt ] = Erwartungswert zum Zeitpunkt t rG = Diskontierungsfaktor t = Zeitpunkt Formel 4.1 DCF-Ansatz [Quelle: In Anlehnung an Wöhe, G. (2002), S. 660.] 138 Die Kapitalwertmethode unterscheidet vier verschiedene Ansätze. Sollen Zahlungen an Eigenkapitalgeber bewertet werden, wird die Nettomethode (Equity-Methode) mit einem Eigenkapitalkostensatz verwendet. Zur Bewertung von Zahlungsreihen, die Eigen- und Fremdkapitalgebern zustehen, wird je nach Steuerberücksichtigung die Total Cash-Flow-Methode (TCF-Methode) oder die Weighted Average Cost of Capital-Methode (WACC) angewendet. Der adäquate Kapitalkostensatz ist hierbei der Gesamtkapitalkostensatz. Die vierte Methode ist der Adjusted Present ValueAnsatz, der den sog. „Base-Case“ NPV ermittelt. Alle Varianten ermitteln den Wert eines Projektes durch die Diskontierung von Cash- Flows. Unterschiede existieren in der Abgrenzung der zu diskontierenden Cash-Flows, der zu verwendenden Kalkulationszinsfüße und der Berücksichtigung von Änderungen der Kapitalstruktur im Zeitablauf (vgl. IDW ES 1 n. F. (2004), Tz. 135). 139 Vgl. Perridon, L./Steiner, M. (2003), S. 61. 140 Vgl. Schmeisser, W. (2006), S. 100 f. 141 Vgl. Völker, R. (2001), S. 239.

4 Innovationserfolgsrechnungen bei der Bewertung pharmazeutischer FuE-Projekte

rG = rE

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FK EK + rF (1 − s) GK GK

rG = durchschnittliche Kapitalkosten (WACC) rE = Kosten des Eigenkapitals rF = Kosten des Fremdkapitals

EK/GK = Eigenkapitalquote FK/GK = Fremdkapitalquote s = Steuersatz

Formel 4.2 Ermittlung der Kapitalkosten mit dem WACC-Modell [Quelle: In Anlehnung an Wöhe, G. (2002), S. 659.]

Diskontierungsfaktor ist, desto geringer ist die Einschätzung des Ertragsniveaus. Abgeleitet wird der Faktor aus den durchschnittlichen Kapitalkosten, welche mit dem Weighted Average Cost of Capital (WACC)-Modell berechnet werden (vgl. Formel 4.2).142 Das Modell bezieht sich auf eine Kapitalstruktur, die davon ausgeht, dass das Fremdkapital gegenüber dem Eigenkapital begünstigt ist (Fremdkapitalzinsen sind gewöhnlich steuerlich abzugsfähig). Demnach stehen im WACC-Modell Fremdund Eigenkapitalkosten/ bzw. deren Zinsen je im Verhältnis zum Marktwert des Gesamtkapitals. Die Fremdkapitalkosten werden anhand der durchschnittlich laufenden Zinskosten des Unternehmens bestimmt. Deren Bestimmung orientieren sich an den bestehenden Kreditverträgen. Die Höhe der steuerlichen Begünstigung wird mit dem Steuersatz s berücksichtigt.143 Da Biotechnologieunternehmen überwiegend eigenkapitalfinanziert sind, fallen vernachlässigbar geringe Fremdkapitalkosten an. Die Ermittlung der Eigenkapitalkosten erfolgt i. d. R. mit dem „Capital Asset Pricing Model“ (CAPM) (vgl. Formel 4.3). Dieses klassische Modell der Kapitalmarkttheorie geht von einem vollständigen und vollkommenen Kapitalmarkt aus, auf dem die risikoscheuen Investoren homogene Risiken und Renditen aller am Markt gehandelten Wertpapiere erwarten. Nach diesem Modell werden die Eigenkapitalkosten aus einem risikolosen Zinssatz und einer Risikoprämie berechnet. Die Risikoprämie setzt sich aus einer Marktrisikoprämie und einem unternehmensspezifischen Beta-Faktor144 zusammen. Der Betafaktor spiegelt das systematische Risiko einer Investition wider.145 Er berechnet sich aus der Kovarianz zwischen den Aktienrenditen des zu bewertenden oder vergleichbarer Unternehmen und der Rendite eines Aktienindex, dividiert durch die Varianz des Aktienindex.146 142

Vgl. Arnold, K. et al. (2002), S. 1085. Vgl. Achleitner, A.-K./Thommen, J.-P. (2006), S. 649. 144 Der Beta-Faktor beschreibt die Schwankung der Rendite des Unternehmens im Vergleich zur Rendite des Marktportfolios (z. B. Dax). Eine risikolose Kapitalanlage hat ein Beta = 0. 145 Vgl. Perridon, L./Steiner, M. (2003), S. 119. 146 Vgl. IDW ES 1 n. F. (2004), Tz. 132. In der Biotechnologiebranche wird ein β -Faktor von 1,5 angenommen, welcher auf dem Verhältnis NASDAQ Biotech Index zum S&P 500 Pharma Index basiert. 143

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rE = rB + β (μ − rB ) rE = Kosten des Eigenkapitals β (μ − rB ) = Risikoprämie rB = risikoloser Basiszins (μ − rB ) = allgemeines Marktrisiko β = Beta-Faktor Formel 4.3 Berechnung der Eigenkapitalkosten nach dem CAPM [Quelle: In Anlehnung an Wöhe, G. (2002), S. 659.]

Die Diskontsätze werden aus den Fremd- und Eigenkapitalkosten von kodierten Unternehmen hergeleitet. Erfahrungsgemäß beträgt der Diskontierungsfaktor bei Biotechnologieunternehmen 20 %.147 Nachdem der Barwert der erwarteten Cash-Flows berechnet wurde, werden die Investitionsauszahlungen abgezogen. Im Ergebnis ergibt dies den Kapitalwert der Investitionsalternative. Ein positiver Kapitalwert zeigt einen Vermögenszuwachs zum Zeitpunkt t0 an, nämlich die Kapitalwiedergewinnung, die angestrebte Mindestverzinsung und einen Zusatzgewinn. Dies bedeutet, dass die Investition durchgeführt werden sollte.148 Festzuhalten bleibt, dass mit Hilfe des DCF-Ansatzes ein risikoadjustierter Erwartungswert durch Diskontierung der Cash-Flows marktnah ermittelt werden kann. Wird der DCF-Ansatz für FuE-Projekte angewandt, die sich in der frühen Entwicklungsphase befinden, sind die Cash-Flow-Prognosen jedoch mit großer Unsicherheit verbunden.149 Mit dem Diskontierungsfaktor werden zwar Investitionsrisiken, aber keine spezifischen FuE-Risiken berücksichtigt.150 Darüber hinaus wird der Diskontierungssatz im Rahmen der DCF-Methode mit Hilfe des CAPM bestimmt, der nicht nur einen vollkommenen Kapitalmarkt voraussetzt, sondern auch eine Börsennotierung. Diese ist jedoch selten gegeben, bedenkt man den Anteil börsennotierter Unternehmen von lediglich 6 % in der Biotechnologiebranche.151 Aus den oben genannten Gründen empfehlen daher nicht nur Stewart et al., sondern auch Kaufmann und Ridder, für FuE-Produkte die DCF-Bewertung nicht anzuwenden, da ihr verlässliche Berechnungsgrundlagen fehlen.152 Um den besonderen 147

Vgl. Stewart, J. J. et al. et al. (2001), S. 813, u. a. Loderer, C. et al. (2001), S. 250. Vgl. Bode, G. (2005), S. 27. Liegt eine Budgetbeschränkung vor, können die Investitionsalternativen mit einer Kapitalwertrate verglichen werden. Die Kapitalwertrate wird mit der Division des Kapitalwertes durch die Anfangsauszahlung bestimmt. 149 Vgl. Bussey, P. et al. (2005), S. 194. 150 Vgl. Stewart, J. J. et al. (2003), S. 817. 151 Vgl. Ernst & Young (2002), S. 10, zitiert nach Kaufmann, L./Ridder, Ch. (2003), S. 448. 152 Vgl. Stewart, J. J. et al. (2001), S. 813, ähnlich argumentieren Kaufmann, L./Ridder, Ch. (2003), S. 448. 148

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Anforderungen eines Pharma-Projektes besser gerecht zu werden, werden nun Bewertungsverfahren näher betrachtet, die die Erfolgswahrscheinlichkeit und die hohen Fehlschlagrisiken im kostenintensiven Entwicklungsprozess berücksichtigen.

4.4.2.3 Entscheidungsbaum-Modell Um ein FuE-Projekt akkurat zu bewerten, muss ein Investor nicht nur die Einnahmen und Ausgaben, sondern auch die Entwicklungszeit bis zur Marktreife und deren Risiken berücksichtigen. Der Wert eines FuE-Projektes wird im Wesentlichen in seinem Entwicklungsstand widergespiegelt. Der Entwicklungsstand zeigt, ob sich das Produkt in der präklinischen, klinischen Phase oder in der Zulassung befindet.153 Stewart et al. empfehlen FuE-Projekte mit der Entscheidungsbaum-Methode zu bewerten, da sie die Erfolgswahrscheinlichkeit im Entwicklungsprozess berücksichtigt. Aufgrund der Beschaffenheit des Medikamenten-Entwicklungsprozesses endet jede Phase des Prozesses mit einer Entscheidung über einen Abbruch oder eine Fortführung des Projektes.154 Abgebildet wird diese Entscheidung mit einer Wahrscheinlichkeit des Entwicklungserfolges. Die Einschätzung der verschiedenen Wahrscheinlichkeiten einer erfolgreichen Entwicklung ist vermutlich die größte Herausforderung in der Bewertung. Obwohl ein Arzneimittel möglicherweise zu einer großen Erfolgstherapie führen könnte, kann die Wahrscheinlichkeit der erfolgreichen Entwicklung so gering sein, dass sich die Investition nicht lohnt. Demgegenüber kann eine FuE-Investition einen größeren Wert als erwartet aufzeigen, wenn sie bspw. in einer Nischenindikation entwickelt wird, die eine verhältnismäßig hohe Erfolgswahrscheinlichkeit hat.155 Im Entscheidungsbaum-Modell wird die Erfolgswahrscheinlichkeit entsprechend jeder einzelnen Entwicklungsstufe aufgestellt. Die Wahrscheinlichkeit, die nächste Entwicklungsstufe zu erreichen, wird in der folgenden Abbildung (Abb. 4.8) mit pi bezeichnet. Dagegen steht 1 − pi dafür, die Medikamentenentwicklung abzubrechen.156 Um das Entscheidungsbaum-Modell herzuleiten, gehen Stewart et al. sowie Kaufmann und Ridder von einem risikobereinigten Erwartungswert aus.157 Dazu wird der aus heutiger Sicht anfallende Cash-Flow einer Periode in zwei Stufen berechnet. Zunächst wird der Erwartungswert E(CFt ) berechnet, allerdings nur, wenn das in der Entwicklung befindliche Produkt am Beginn der Periode t steht. Daher wird die Formel in einem weiteren Schritt (2) noch um eine Gewichtung mit der Wahrscheinlichkeit für das Erreichen der zugehörigen Periode (pt,k ) in Abhängigkeit vom aktuellen Entw icklungsstand erweitert. Die Erreichungswahrscheinlichkeit pi,k wird in Abb. 4.8 exemplarisch für die Discovery-Phase dargestellt. Für 153

Vgl. Völker, R (2001), S. 239. Vgl. Stewart, J. J. et al. (2001), S. 813, ähnlich argumentieren Kaufmann, L./Ridder, Ch. (2003), S. 448. 155 Vgl. Bussey, P. et al. (2005), S. 213. 156 Vgl. Kaufmann, L./Ridder, Ch. (2003), S. 450. 157 Vgl. Stewart, J. J. et al. (2003), S. 817, s. a. Kaufmann, L./Ridder, Ch. (2003), S. 450. 154

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Abb. 4.8 Entscheidungsbaum-Modell für eine Medikamentenentwicklung [Quelle: In Anlehnung an Kaufmann, L./Ridder, Ch. (2003), S. 450.]

pt,k gilt, dass p1,4 = p1 × p2 xp3 .158 Die Erfolgswahrscheinlichkeiten beruhen auf Erfahrungswerten, die von den jeweiligen Indikationen und therapeutischen Zielen abhängen. Als Faustregel gilt eine p < 0,15 für Phase II-Projekte und 0,3 < p < 0,5 für Phase III-Projekte.159

Berücksichtigung von Risiken im Entscheidungsbaum-Modell Die Wahrscheinlichkeit des Entwicklungserfolges ist der Schlüssel für den Wert einer Arznei während ihrer Entwicklung. Die Bestimmung der Erfolgswahrschein158 159

Vgl. Kaufmann, L./Ridder, Ch. (2003), S. 450. Vgl. Völker, R (2001), S. 239.

4 Innovationserfolgsrechnungen bei der Bewertung pharmazeutischer FuE-Projekte

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Erwartungswert des Cash-Flows innerhalb einer Periode t, als gewichteter Durchschnitt aller Cash-Flows: (1) E(CF t ) =

n

∑ qt, jCFt, j

j=1

Allgemein gilt für ein Produkt, welches sich in der Phase k befindet, dass folgender Cash-Flow der Phase t erwartet werden kann: n

(2) E(CF t ) = pt,k ∑ qt, jCFt, j j=1

E(CFt ) = Erwartungswert des Cash-Flows innerhalb einer Periode t CFt, j = Cash-Flow der Periode t qt, j = Wahrscheinlichkeit, mit der ein bestimmter Cash-Flow der jeweiligen Periode t anfällt pt,k = Erfolgswahrscheinlichkeit n = Anzahl möglicher Perioden-Cash-Flows Formel 4.4 Berechnung der Perioden-Cash-Flows [Quelle: In Anlehnung an Kaufmann, L./ Ridder, Ch. (2003), S. 448.]

lichkeit für eine Entwicklung erfordert das Verstehen der wesentlichen Risiken in jedem Stadium der Entwicklung. Um die Risiken in den unterschiedlichen Phasen der Entwicklung abzubilden, sind die potenziellen Einnahmen und die Wahrscheinlichkeit des Eintretens für jedes Risiko in jeder Entwicklungsstufe zu analysieren. Aufgrund der unterschiedlichen Risikofaktoren während einer Entwicklungsphase kann die Erfolgswahrscheinlichkeit auf zwei Wegen abgeschätzt werden. Zum einen kann sie auf einer ganzheitlichen Sichtweise aller Risiken geschehen, wobei das Produkt der Wahrscheinlichkeiten für einzelne Risiken ermittelt wird. Zum anderen ist eine Risikoorientierung möglich, bei der die Zunahme oder die Abnahme der Risiken beobachtet wird. Das Ergebnis bildet eine quantifizierte Erfolgswahrscheinlichkeit für jede Entwicklungsphase, welche nicht nur die Wahrscheinlichkeit, den Markt erfolgreich zu erreichen, sondern auch den Abbruch an den unterschiedlichen Phasen der Entwicklung widerspiegelt (vgl. Formel 4.4).160 Wirksamkeit, Sicherheit, Pharmakodynamik161, Pharmakokinetik162, Darreichung, Anlieferung und Kosten stellen die wesentlichen Risikofaktoren dar, welche die Erfolgswahrscheinlichkeit beeinflussen. Obwohl es unwahrscheinlich ist, dass jedes Risiko abgebildet wird, sollte zunächst versucht werden, alle spezifischen einzelnen Risikofaktoren zu kennzeichnen. Einige Risiken wie z. B. die Karzinogeni160

Vgl. Bussey, P. et al. (2005), S. 207. Lehre von der Wirkung einer Arznei auf den Organismus bzw. von den Reaktionen der Arznei mit entsprechenden Rezeptoren u. deren Wirkungsqualitäten 162 Lehre von der Wirkung des Organismus auf das Arzneimittel; von den Vorgängen wie Resorption, Verteilung, Proteinbindung u. Ausscheidung, die den zeitlichen Ablauf der Arzneimittelkonzentration bestimmen 161

100

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(3) rNPV = ∑

t=0

R0CFn+1 CFt R0 + (1 + r)t Rt (r − g)(1 + r)n

rNPV = risikoadjustierter Net Present Value CFt = Cash-Flow in der Periode t R0 = die aktuelle Wahrscheinlichkeit, den Entwicklungsprozess erfolgreich abzuschließen und damit Umsätze zu erzielen, Rt = ist die in Periode t vorliegende Wahrscheinlichkeit, das Produkt bis zur Marktreife zu bringen (pt,8 mit t > 1) R0 / Rt = die heute vorliegende Wahrscheinlichkeit, die in Periode t anfallenden Cash-Flows zu generieren, d. h. die Periode t bzw. diesen Entwicklungsstand zu erreichen (entspricht p1,k ) r = Diskontierungsfaktor n = ist die letzte Periode, für die Kosten und Erlöse genau geplant werden g = Wachstumsrate Formel 4.5 Risk-adjusted Net Present Value (rNPV) [Quelle: In Anlehnung an Kaufmann, L./ Ridder, Ch. (2003), S. 448.]

tät163 , können zu einem Abbruch eines FuE-Projektes führen. Wohingegen andere Risikofaktoren wie die in-vivo-Wirksamkeit, zwar das Zielprofil beeinflussen, jedoch nicht zwangsweise zu einem Abbruch der Entwicklung führen müssen.164 Ein entscheidungsbaumbasierter Ansatz, welcher die Erfolgswahrscheinlichkeit berücksichtigt, ist der „Risk-adjusted Net Present Value-Ansatz“ (rNPV). In Anlehnung an den Ansatz von Stewart et al. berechnen Kaufmann und Ridder den rNPV165 unter der Berücksichtigung der Kosten, Risiken und Zeit, um einen realitätsnahen Wert für ein FuE-Projekt zu erhalten.166 Um die künftigen finanziellen Überschüsse mit Entscheidungsalternativen zu messen, werden die Cash-Flows ähnlich wie im DCF-Ansatz mit einem geeigneten Zinssatz auf einen Stichtag abgezinst. Angenommen wird ein Diskontierungsfaktor, der für Biotechnologiefirmen erwartet wird. Die periodenspezifischen Cash-Flows werden mit den zugehörigen Erfolgs- bzw. Eintrittswahrscheinlichkeiten gewichtet, wobei die FuE-Risiken mit berücksichtigt werden. Im Restwert der rNPV-Berechnung werden die Cash-Flows aller weiteren Perioden erfasst, die mit einer konstanten Wachstumsrate (g) wachsen.167 Die Verwendung des rNPV kann zu einem angemessenen Wert für ein FuEProjekt führen (vgl. Formel 4.5). Dieser nachvollziehbare Bewertungsansatz kann das Unternehmen unterstützen, schon in den frühen Stadien der Forschung einen Investor (Finanzierung) zu finden.168 163 164 165 166 167 168

Krebserzeugend. Vgl. Bussey, P. et al. (2005), S. 214. Originalformel im Anhang III. Vgl. Vgl. Stewart, J. J. et al. (2001), S. 816, s. a. Kaufmann, L./Ridder, Ch. (2003), S. 452. Vgl. Vgl. Stewart, J. J. et al. (2003), S. 817, s. a. Kaufmann, L./Ridder, Ch. (2003), S. 452. Vgl. Stewart, J. J. et al. (2003), S. 817.

4 Innovationserfolgsrechnungen bei der Bewertung pharmazeutischer FuE-Projekte

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Kritisiert wird der rNPV an mehreren Punkten. Zum einen gehen Stewart et al. nicht auf die verschiedenen Cash-Flows im Produktlebenszyklus eines FuE-Projektes ein, welche die Ableitung eines spezifischen Erwartungswertes erfordern würde. Zum anderen verwenden sie durchschnittlich gewichtete und nicht unternehmensspezifische Erfolgswahrscheinlichkeiten. Darüber hinaus könnte eine Anpassung der Cash-Flows mit einer Erfolgswahrscheinlichkeit auch bei einem „traditionellen“ DCF-Verfahren erfolgen. Folglich würde laut Kaufmann und Ridder der NPV-Ansatz bei einem forschungsintensiven Unternehmen nicht zu einem genaueren Wert führen als ein korrekt angewendetes DCF-Verfahren.169 Um den spezifischen Merkmalen eines angehenden Pharmaunternehmens gerecht zu werden, könnte eine Erweiterung des rNPV-Ansatz hilfreich sein. Die Autoren Kellogg und Charnes entwickelten dazu den Expected Net Present ValueAnsatz (eNPV),170 welcher zwischen zwei verschiedenen Cash-Flows und Diskontierungsfaktoren unterscheidet. Die Forschungs- und Entwicklungsphase wird mit einem „Discovery-Cash-Flow“ von der eigentlichen Marktphase mit einem „Commercialisation-Cash-Flow“ unterschieden. Der „Discovery-Cash-Flow“ steht für die Cash-Flows des Entwicklungsprozesses, die mit einem Diskontierungsfaktor abgezinst werden. Ist das Medikament noch im Entwicklungsprozess, muss dieser Erwartungswert zusätzlich mit der zugehörigen Eintrittswahrscheinlichkeit gewichtet werden. Für die Cash-Flows, welche nach Vermarktung des Medikaments anfallen, steht der „Commercialisation-Cash-Flow“. Dieser wird mit einem Zinssatz diskontiert, der größer ist als der Diskontierungssatz für den Discovery Cash-Flow.171 Außerdem wird er mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit und zusätzlich mit einem Qualitätsfaktor172 gewichtet.173 Das grundlegende Problem bei der Anwendung des traditionellen NPV-Ansatzes (wie auch des rNPV und eNPV) liegt in der Verwendung durchschnittlicher Erfolgsbzw. Eintrittswahrscheinlichkeiten.174 Die Wahrscheinlichkeit, ein Produkt bis zur Marktreife zu bringen, ist mit einem finanzstarken Kooperationspartner viel höher und sollte deshalb berücksichtigt werden.175 Eine Anpassung der Erfolgswahrscheinlichkeit im Entwicklungsprozess sollte daher unbedingt vorgenommen werden.

169

Vgl. Kaufmann, L./Ridder, Ch. (2003), S. 448 ff. Auch Bussey et al. empfehlen die Berechnung eines eNPV für pharmazeutische Projekte. In diesem Ansatz stellt der eNPV einen gegenwärtigen Durchschnittswert der Arznei über die unterschiedlichen möglichen Ergebnisse dar (vgl. Bussey, P. et al. (2005), S. 208). 171 Für die Einschätzung des Diskontierungsfaktors stützen sich Kellogg/Charnes auf Studien von Myers/Howe, A Life-Cycle Financial Model of Pharmaceutical R&D, Program on the Pharmaceutical Industry, 1997, zitiert nach Kaufmann, L./Ridder, Ch. (2003), S. 453. 172 In der Beschreibung des eNPV-Ansatzes von Kellogg/Charnes (2000) wird jedoch nicht näher erläutert, wie der Qualitätsfaktor berechnet werden soll. 173 Vgl. Kellogg/Charnes (2000) zitiert nach Kaufmann, L./Ridder, Ch. (2003), S. 452–453. 174 Vgl. Kaufmann, L./Ridder, Ch. (2003), S. 453. 175 Vgl. Arnold, K. et al. (2002), S. 1088 170

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Berücksichtigung immaterieller Werte Um nicht nur die Fehlschlagwahrscheinlichkeit bei pharmazeutischen FuE-Projekten, sondern auch qualitative Informationen hinsichtlich ihres Einflusses auf die Bewertung einzubeziehen, entwickelten Kaufmann und Ridder einen Individual Riskadjusted Net Present Value-Ansatz. Dieser Ansatz ermöglicht es, den immateriellen Ressourcen des Unternehmens – wie Humankapital, Kooperationen und Patente – gerecht zu werden, da sie wesentlich über den Erfolg bei pharmazeutischen Projekten entscheiden. Darüber hinaus erweitert er den rNPV-Ansatz um eine Unterscheidung der Entwicklungsphasen und der eigentlichen Marktphasen.176 Im Vergleich zum rNPV-Ansatz wurden zwei Erweiterungen vorgenommen. Zum einen wurde der Betrachtungszeitraum in Phase A, B und C aufgeteilt. Phase A umfasst den gesamten Entwicklungszeitraum. In dieser Phase fallen nur Auszahlungen177 an. Phase B entspricht dem Zeitraum zwischen Fertigstellung des Produkts und Ende des Patentschutzes. Allerdings wird nicht der gesamte Zeitraum des Patentschutzes von 20 Jahren angesetzt, da der medikamentöse Wirkstoff schon in der präklinischen Entwicklungsphase patentiert wird und somit der effektive178 Patentschutz nur noch auf 11–12 Jahre anzusetzen ist. Für diese Phase B werden die CashFlows explizit genannt. Der dritte Bestandteil – als Phase C bezeichnet – beinhaltet alle übrigen Zahlungsströme nach Ablauf des Patenschutzes. Die Cash-Flows werden in dieser Phase nicht detailliert geplant, sondern es wird ein konstanter CashFlow bzw. ein sich mit konstanter Rate verändernder Cash-Flow verwendet.179 Die zweite Erweiterung liegt in der Anpassung der Erfolgswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit vom Vorliegen spezifischer Werttreiber. Sie soll dem starken Einfluss immaterieller Ressourcen auf die Erfolgswahrscheinlichkeit im Entwicklungsprozess gerecht werden. Kooperationen oder Beziehungen zu Forschungsnetzwerken werden je nach Ausprägung in der Bewertung berücksichtigt. Anstatt die Höhe der Cash-Flows anzupassen, sollen die Erfolgswahrscheinlichkeiten im Entwicklungsprozess adjustiert werden.180 Zwar berücksichtigt dieser Ansatz die einzelnen Phasen des Medikaments, jedoch sind auch hier die Prognosen für die Cash-Flows insbesondere in der zweiten Phase mit großen Unsicherheiten verbunden. Dieses Problem verschärft sich in der dritten Phase, wenn der Patentschutz fällt und Konkurrenten Nachahmerprodukte (Generika) anbieten.

176

Vgl. Kaufmann, L./Ridder, Ch. (2003), S. 448 ff. Von Einzahlungen vor Fertigstellung des Produktes aus möglichen Lizenzverträgen wird in dieser Phase bewusst abgesehen. 178 Als effektiver Patentschutz wird der Patentschutz nach Markteinführung des Medikaments bezeichnet. 179 Vgl. Kaufmann, L./Ridder, Ch. (2003), S. 453. 180 Vgl. Kaufmann, L./Ridder, Ch. (2003), S. 454. 177

4 Innovationserfolgsrechnungen bei der Bewertung pharmazeutischer FuE-Projekte E[CFt ]R0,Adj t t=0 (1 + r) Rt,Adj n

(4) IRA − NPV = ∑ Phase A

m



t=n+1

Phase B

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E[CFt ]R0,Adj E[CFm+1 ]R0,Adj + (1 + r)t (r − g)(1 + r)m Phase C

t = Stufe des Entwicklungsprozesses E[CFt ] = Erwartungswert des Cash-Flows innerhalb einer Periode t R0,Adj = die aktuelle Wahrscheinlichkeit, den Entwicklungsprozess erfolgreich abzuschließen und damit Umsätze zu erzielen Rt,Adj = ist die in Periode t vorliegende Wahrscheinlichkeit, das Produkt bis zur Marktreife zu bringen E[CFm+1 ] = erwartete Cash-Flows (zusammengefasst für den Restwert, nicht detailliert für jede Periode) r = Diskontierungsfaktor n = ist die letzte Periode, für die Kosten/Auszahlungen und Erlöse/Einzahlungen genau geplant werden g = Wachstumsrate Formel 4.6 Individual Risk-adjusted Net Present Value [Quelle: In Anlehnung an Kaufmann, L./Ridder, Ch. (2003), S. 453.]

Abschließende Beurteilung des Entscheidungsbaum-Modells Mit Hilfe der Entscheidungsbaummethode werden mögliche Umweltzustände und optimale Entscheidungen modelliert. Nach Aufstellung des Entscheidungsbaumes kann retrograd der optimale Entscheidungsweg zurückverfolgt werden. Ähnlich wie das DCF-Verfahren berechnet sich der Kapitalwert in der Entscheidungsbaumanalyse anhand von Basisannahmen. Der Vorteil ist neben der Strukturierung des Entscheidungsproblems die Abbildung unterschiedlicher Szenarien. Gleichzeitig werden quantitative Erfolgsgrößen (Kapitalwerte) dargestellt und die Folgeentscheidungen abgebildet. Dabei wird die Abhängigkeit der Erstentscheidung und die im Zeitablauf zu treffenden Folgeentscheidungen verdeutlicht. Allerdings bleibt die Ermittlung der Eintrittswahrscheinlichkeit ein kritischer Faktor, da oft auf Durchschnittswerte oder Schätzwerte zurückgegriffen wird. So werden bei der Anwendung aller NPV-Ansätze außer bei dem IRA-NPV-Ansatz durchschnittliche Erfolgswahrscheinlichkeiten verwendet.181 Diese Schwäche vermeidet der IRA-NPV-Ansatz, wodurch eine projektspezifische Bewertung vorgenommen werden kann (vgl. Formel 4.6). Ein FuE-Projekt abzubrechen, ist oft kein aktiver Prozess wie es die Autoren Stewart et al. und Kaufmann/Ridder darstellen. Oft entscheiden die Merkmale des Medikamentes mit seinen Risiken und Nebenwirkungen, ob der Prozess abgebrochen werden muss. Die Praxis zeigt, dass auch bei niedriger Erfolgswahrscheinlichkeit aufgrund eines guten Bauchgefühls das FuE-Projekt nicht abgebrochen wird – viele Blockbuster wären sonst nicht entwickelt worden. 181

Vgl. Kaufmann, L./Ridder, Ch.(2003), S. 448 ff.

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Ein weiteres Problem liegt in der Ermittlung der Kapitalkosten. Prinzipiell müsste für jeden Entscheidungspunkt ein anderer Diskontierungssatz gewählt werden, denn die Entscheidung „Abbruch“ besitzt ein anderes Risiko als die Ausgangsinvestition. Folglich würde ein Liquidationsverlust das Projektrisiko erhöhen, wodurch sich der Kapitalkostensatz erhöhen müsste.182 Aus Vereinfachungsgründen wird in der Praxis über die Laufzeit ein konstanter Zinssatz angenommen, der das durchschnittliche Risiko widerspiegelt.

4.4.2.4 Realoptionen Die Schwächen des Entscheidungsbaum-Modells im Hinblick auf die Erfassung der zustandsabhängigen Diskontierungssätze könnten mit der Anwendung der Optionspreistheorie vermieden werden. Mit einer Investition verbundene Handlungsmöglichkeiten beziehen sich auf die Option, eine Investition aufzuschieben, abzubrechen oder zu erweitern. Letztlich sollte die Möglichkeit bestehen, auf veränderte Umweltbedingungen entsprechend zu reagieren. „Je mehr Handlungsspielräume offen gehalten werden, umso vorteilhafter stellt sich ceteris paribus ein zu beurteilendes Investitionsobjekt dar.“183 Aufgrund der Parallelen zu den Handlungsspielräumen aus der Finanzwirtschaft werden sie als Realoptionen bezeichnet und unter Anwendung eines analogen Bewertungsmodells bewertet. Dieses Modell wird Optionspreismodell genannt. Es unterstellt einen vollkommenen und vollständigen Kapitalmarkt, auf dem das Zahlungsprofil einer Option durch eine geeignete Mischung aus Basispapier und risikolosem Wertpapier dupliziert (Duplikationsportfolio) werden kann. Unter der Voraussetzung, dass identische Güter den gleichen Marktpreis besitzen (Arbitragefreiheit), könnte der Wert der Option durch beobachtete Kurse anderer Wertpapiere (dem Wert des Duplikationsportfolios entsprechend) hergeleitet werden. Über den Marktpreis des Basispapiers fließen die Präferenzen der Anleger ein. Bei ungünstiger Marktlage würde der Entscheidungsträger von einer Investition absehen. Durch den Ausschluss des Verlustrisikos wird ein geringerer Risikozuschlag benötigt als bei unbedingter Durchführung. Um die Investitionschance korrekt zu bewerten, werden perioden- und zustandsabhängige risikoadäquate Diskontierungssätze verwendet.184 Ähnlich wie im Entscheidungsbaum-Modell wird der Projektablauf nicht starr, sondern in Abhängigkeit der später eintretenden Umweltzustände betrachtet. Über den ursprünglichen „Drug Development Plan“ hinausgehend, ergeben sich bei der Arzneientwicklung oft zusätzliche Möglichkeiten, die gesondert berücksichtigt werden könnten. So kann die Entwicklung eines neuen Medikamentes an ein neues Herstellungsverfahren gekoppelt sein, welches auf spätere Projekte anwendbar ist.185 Diese Handlungsspielräume würden auch Parallelen zu den oben genannten Optio182 183 184 185

Vgl. Perridon, L./Steiner, M. (2003), S. 136. Perridon, L./Steiner, M. (2003), S. 134. Vgl. Perridon, L./Steiner, M. (2003), S. 134. Vgl. Völker, R. (2001), S. 243.

4 Innovationserfolgsrechnungen bei der Bewertung pharmazeutischer FuE-Projekte

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nen aufweisen und könnten im Optionspreismodell Berücksichtigung finden. Allerdings würde es den Rahmen dieses Beitrags sprengen, auf das Optionspreismodell näher einzugehen. Daher wird auf die Fachliteratur verwiesen, die sich detailliert mit dem Thema der Bewertung von FuE-Projekten mittels Realoptionen beschäftigt.186

4.4.2.5 Bewertung immaterieller Vermögenswerte nach IDW ES 5 Der folgende Abschnitt beschäftigt sich mit der finanziellen Bewertung immaterieller Vermögenswerte. Hierzu verabschiedete jüngst (am 25.08.2006) der Fachausschuss für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft des IDW einen Entwurf für den IDW Prüfungsstandard „Grundsätze zur Bewertung immaterieller Vermögenswerte“ (IDW ES 5), der auf seine Anwendbarkeit untersucht werden soll. Der Bewertungsstandard IDW ES 5 kann bei Erwerb oder Veräußerung immaterieller Vermögenswerte herangezogen werden. Für deren finanzielle Bewertung schlägt das IDW vor, marktpreisorientiert, kostenorientiert oder kapitalwertorientiert vorzugehen.187

Marktpreisorientierte Methode Das marktpreisorientierte Verfahren wendet zur Bewertung entweder den Marktpreis auf einem aktiven Markt oder die Analogiemethode an. Der Marktpreis wird gebildet, wenn genügend vergleichbare Vermögenswerte beobachtet werden können.188 Preise für vergleichbare pharmazeutische FuE-Projekte zu ermitteln, ist nur bei vorhandenen Vergleichsobjekten möglich. Zudem ist fraglich, ob das Medikament erfolgreich sein wird und daher eine Vermarktung erfolgen kann.

Kostenorientierte Methode Die zweite vorgeschlagene – die kostenorientierte – Methode bezieht ihre Daten aus der Vergangenheit. Der finanzielle Wert leitet sich aus den historischen Entwicklungskosten (Reproduktionskostenmethode) oder den Kosten für die Entwicklung eines Nutzenäquivalents (Wiederbeschaffungsmethode) ab.189 Auch diese Bewertungsmethode ist für ein Projekt in der Forschungsphase ungeeignet, da in dieser Phase hohe Investitionen unbedingt notwendig sind. Möglicherweise könnte sie zur Plausibilitätsprüfung oder zur Ableitung von Preisuntergrenzen von FuE-Projekten in einer späteren Lebenszyklusphase angewandt werden. 186

Zur FuE-Bewertung mit dem Optionspreismodell ausführlich Amram, M./Kulatilaka, N. (1999), S. 163 ff. 187 Vgl. IDW ES 5 (2006), Tz. 17. 188 Vgl. IDW ES 5 (2006), Tz. 18. 189 Vgl. IDW ES 5 (2006), Tz. 47.

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Kapitalwertorientierte Methode Im dritten – kapitalwertorientierten – Verfahren wird angenommen, dass der immaterielle Vermögenswert künftig Erfolgsbeiträge erwirtschaften wird. Der Wert des Vermögenswertes berechnet sich aus der Summe von abgezinsten Cash-Flows (Barwerte) der künftig erzielbaren Cash-Flows zum Bewertungsstichtag.190 Um eine isolierte Bewertung der spezifischen Cash-Flows vorzunehmen, stehen weitere vier Methoden zur Verfügung: die Mehrgewinn- und Residualwertmethode, die Methode der unmittelbaren Cash-Flow-Prognose oder die Methode der Lizenzpreisanalogie.191 Mehrgewinnmethode Im Rahmen der Mehrgewinnmethode werden die prognostizierten Cash-Flows mit einem fiktiven Objekt verglichen. Dabei wird unterstellt, dass das fiktive Objekt diesen immateriellen Vermögenswert nicht besitzt. Die Differenz zwischen den Objekten zeigt den zusätzlichen Cash-Flow, der auf den Bewertungsstichtag diskontiert wird.192 Residualwertmethode In der Residualwertmethode werden fiktive Auszahlungen für den immateriellen Vermögenswert als fiktive Nutzungsentgelte berücksichtigt. Dabei unterstellt sie, dass der immaterielle Vermögenswert von einem Dritten fiktiv gemietet oder geleast wird.193 Lizenzpreisanalogie Eine Bewertung der immateriellen Vermögenswert über eine Analogie der Lizenzpreise vorzunehmen, kann nur unter der Voraussetzung erfolgen, dass vergleichbare immaterielle Vermögenswerte zwischen sachverständigen, vertragswilligen und unabhängigen Geschäftspartnern lizenziert werden. Sie verwendet die Cash-Flows, welche durch Lizenzentgelte entstehen würden. Anhand eines Vergleichs des Eigentums dieses Vermögenswertes gegenüber der Alternative der Lizenzierung eines nutzenäquivalenten Vergleichsobjektes wird ein Preis ermittelt. Fiktive Lizenzzahlungen werden berechnet, die zu entrichten wären, wenn sich der betreffende Vermögenswert im Eigentum eines Dritten befände. Die Lizenzzahlungen werden mit Hilfe einer Lizenzpreisrate errechnet, welche aus den Lizenzraten für vergleichbare Vermögenswerte abgeleitet wird. Die Lizenzrate wird mit den geplanten Umsatzerlösen, die dem zu bewertenden immateriellen Vermögenswert zuzuordnen sind, multipliziert.194 Cash-Flow-Prognose Die Methode der unmittelbaren Cash-Flow-Prognose wird in der Praxis für FuE-Projekte verwendet, die sich in der Entwicklungsphase befinden (vgl. hierzu Abschnitt 4.4.2.2, in dem eine intensive Auseinandersetzung mit der Cash-Flow-Prognose schon erfolgte).

190 191 192 193 194

Vgl. IDW ES 5 (2006), Tz. 21 ff. Vgl. IDW ES 5 (2006), Tz. 27 ff. Vgl. IDW ES 5 (2006), Tz. 32–35. Vgl. IDW ES 5 (2006), Tz. 36–39. Vgl. IDW ES 5 (2006), Tz. 30 f.

4 Innovationserfolgsrechnungen bei der Bewertung pharmazeutischer FuE-Projekte

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Schlussfolgerung zu den Methoden des Bewertungsstandards Der IDW ES 5 stellt den Grundsatz der Einzelbewertung auf. Dieser ist jedoch nicht anwendbar, wenn mehrere immaterielle Vermögenswerte eine zu bewertende Einheit bilden oder die Einzelbewertung wirtschaftlich nicht sinnvoll ist. Die Methoden sind zukunftsorientiert und umfassen mehr als eine Planungsperiode. Die Mehrgewinn- und die Residualwertmethode und auch die Lizenzpreisanalogie beziehen sich auf einen Vergleich. In der forschenden Pharmabranche existieren jedoch nur selten Analogien oder Vergleichsobjekte bei pharmazeutischen Patenten, so dass sich die Anwendung nur auf wenige Beispiele beschränkt. Möglicherweise wären diese Methoden auf dem Markt der Generika-Anbieter interessant, da dort vergleichbare Arzneimittel am Markt vorhanden sind.

4.4.3 Bewertung von Biotechnologieunternehmen durch Venture Capital-Geber Biotechnologieunternehmen und angehende pharmazeutische Unternehmen werden oft mit Eigenkapital finanziert. Da in der Regel die Kapitalgeber Venture CapitalGesellschaften sind, werden ihre Beurteilungskriterien, die sie bei der Prüfung von Investitionsalternativen heranziehen, im Folgenden näher betrachtet. Während große Pharmaunternehmen ihre FuE-Projekte mit den laufenden Umsätzen finanzieren können, müssen Biotechnologieunternehmen bzw. angehende Pharmaunternehmen Finanzierungsalternativen zu Bankkrediten finden. Zum einen führen sie Lizenzierungen durch, um Meilensteinzahlungen bzw. Royalties zu erhalten.195 Zum anderen erhalten sie Fördergelder der Regierung.196 Viel höher ist jedoch der Anteil anderer Finanzierungsformen der Beteiligungsfinanzierungen wie die Private Equity-Finanzierung. Dafür wird zeitlich befristetes Eigenkapital von Privatpersonen oder institutionellen Investoren bereitgestellt. Darunter fällt das Venture Capital, welches die häufigste Form der Finanzierung von Biotechnologieunternehmen bzw. Biopharma ist.197 Für VC-Geber ist eine Beteiligung an solch einem Unternehmen aus verschiedenen Gründen lukrativ. Grund hierfür ist die Entwicklungsprozedur des Produktes, die es den VC-Gebern ermöglicht, verhältnismäßig leicht den Prozess zu verfolgen, da sie stark untergliedert und durch Teilziele gekennzeichnet ist. Die Zwischenziele erlauben dem VC-Geber, die Beteiligung im weiteren Entwicklungszyklus zu veräußern oder weitere Financiers für die nächsten Phasen zu finden. Des Weiteren wird das Insolvenzrisiko von Biotechnologieunternehmen eher niedrig198 eingeschätzt, 195

Vgl. Bussey, P. et al. (2005), S. 194. Vgl. BMBF (2005), S. 71. 197 Vgl. Ehrmann, H. (2005), S. 222 f. 198 Hierzu müsste die Auffassung von Scheibehenne genauer untersucht und die Ursachen für Insolvenzen in der Biotechnologiebranche betrachtet werden. 196

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da im Insolvenzfall die produzierten Substanzen und Technologien einen Wert darstellen, der bei Insolvenz erhalten bleibt und dazu beiträgt, dass vor der Insolvenz eine Übernahme durch Wettbewerber wahrscheinlicher ist.199 Um Risiken abzuschätzen und Kapital zu erhalten, wird der Unternehmenswert eines Pharmaunternehmens anhand seiner FuE-Projekte berechnet. Die Bewertung umfasst Breite und Tiefe des Entwicklungsprogramms, welche anhand der Anzahl der Medikamente im Entwicklungsprozess und deren Indikationen bestimmt werden. Je näher das Projekt am Markt ist, desto eher wird es für den Unternehmenswert relevant.200 Die Bewertung des FuE-Projektes durch die Investoren erfolgt anhand mehrerer Kriterien. Die höchste Bedeutung hat das Alleinstellungsmerkmal des Produkts. Unter der Voraussetzung, dass die FuE-Projekte einen Mehrwert für den Kunden generieren, ist das Alleinstellungsmerkmal der Grund für überdurchschnittliches Wachstum und Renditen. Von großer Bedeutung sind auch Geschäftsideen, Patente, Wettbewerber und weltweites Marktpotenzial sowie die Reputation der Lizenzpartner.201 Weitere besondere Bedeutung für die Investoren haben die Kriterien Marktnähe und Zeitpunkt bis zur Liquidierung. Demzufolge sind nicht nur die Lizenzpartner, sondern auch die Investoren bereit, mehr Geld zu zahlen, je weiter das Medikament in seinem Entwicklungsprozess ist.202 In Abhängigkeit von der Investitionsphase lassen sich graduelle Unterschiede in der Gewichtung der Kriterien feststellen. Die Bedeutung von Kriterien, die das Potenzial eines Unternehmens beschreiben – wie Alleinstellungsmerkmal, Geschäftsidee und weltweites Marktpotenzial – nehmen mit zunehmender Existenz des Unternehmens ab. Die Bedeutung der quantitativen Faktoren wie Patentlaufzeit und Produktanzahl nimmt hingegen zu.203 Jedoch folgt die Entscheidung für eine Investition nicht nur anhand der Bewertung des Projektes, sondern auch anhand des Potenzials des Managements. Die Managementkriterien204 sind in die zwei Kategoriedimensionen Persönlichkeitskriterien und Lebenslaufkriterien unterteilt. Beide Kriterien werden hoch gewichtet, wodurch gezeigt wird, dass das Know-how in der Biotechnologiebranche wesentlich zu der Investitionsentscheidung für das Unternehmen beiträgt. Die Besonderheiten im Venture Capital-Geschäft zwischen Management und Investor liegen in 199

Vgl. Scheibehenne, et al. (2003), S. 668 ff. Vgl. Rudolf, M./Witt, P. (2002), S. 155. 201 Vgl. Scheibehenne, et al. (2003), S. 668 ff., ähnlich argumentiert Arnold, K. et al. (2002), S. 1086 – hohe Reputation durch große Pharmaunternehmen als Lizenzpartner. 202 Vgl. Arnold, K. et al. (2002), S. 1086, s. a. Scheibehenne, et al. (2003), S. 668 ff. 203 Vgl. Scheibehenne, et al. (2003), S. 668 ff. 204 Bei der Bewertung des Managements stellen die Investoren die Kriterien wissenschaftliche Qualifikation und geschlossenes sowie souverän auftretendes Management in den Vordergrund. Die wissenschaftliche Qualifikation lässt sich dem Lebenslauf entnehmen, die persönliche Qualifikation ergibt sich aus der persönlichen Auseinandersetzung mit dem Management. Weniger wichtig für die Investoren scheinen Kriterien wie das Alter, die Risikobereitschaft oder die Internationalität zu sein. 200

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zwei weiteren Kriterien, dem „Bauchgefühl“ und der Überzeugungskraft des Unternehmensmanagements. Dabei ist dem Investor die Motivation und Bereitschaft des Managements für den Projekterfolg wichtig.205 Zuletzt nennen Scheibehenne et al. die gesellschaftspolitischen, wissenschaftlichen und legislativen Entwicklungen im Investitionsland, da hiervon das langfristige Wachstumspotenzial der Unternehmung abhängt.206 Der Erfolg eines Pharmaunternehmens hängt demnach von den Regelungen der Zulassungsbehörden und vor allem der Gesetzgeber ab.207

4.4.4 Zusammenfassung Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass viele Methoden zur Bewertung von FuE-Projekten existieren. Die anfänglich vorgestellten auf Kennzahlen basierenden Analysen geben jedoch nur einen beschränkten Einblick für die Einschätzung des Wertes eines in der Forschung und Entwicklung befindlichen Projektes. Da es häufig die zukünftig zu erwarteten Einnahmen sind, die den Wert eines FuE-Projektes ausmachen, wird i. d. R. die Investitionsrechenmethode eingesetzt. Sie eignet sich, sobald eine sachliche und zeitliche Zurechenbarkeit gegeben ist sowie Höhe und Zeitpunkt der Zahlungen abschätzbar sind.208 Jedoch ist die Beziehung zwischen Mitteleinsatz und finanziellem Rückfluss schwer prognostizierbar. Da FuE-Projekte einen risikoreichen Lebenszyklus aufzeigen, ist es ein sinnvoller Ansatz, ein mehrstufiges Wachstumsmodell wie das Entscheidungsbaum-Modell anzuwenden, welches unterschiedliche Wachstumsstadien und Risikostrukturen berücksichtigt. Auch diesem Modell sind Grenzen gesetzt, denn oft sind es Durchschnittswerte auf die es bei der Erfolgswahrscheinlichkeit oder den Diskontierungssätzen zurückgreift. Dem wäre noch hinzuzufügen, dass eine Berücksichtigung der immateriellen Werte bei der Bewertung nicht fehlen sollte. Schon ein kleiner Vorteil gegenüber den Konkurrenten (bspw. in der Anwendung) kann ausreichen, mit einem Arzneimittel einen bedeutenden Marktanteil zu erreichen und folglich beträchtliche Einnahmen zu verwirklichen. Die Unterteilung der Wahrscheinlichkeiten in kleinere Bereiche ermöglicht es, bessere Antworten auf die zum Teil schwierigen Schätzfragen zu geben.209 Kritisch zu hinterfragen wäre jedoch, ob damit nicht nur eine höhere Anzahl von Parametern 205

Vgl. Scheibehenne, et al. (2003), S. 668 ff. Vgl. Scheibehenne, et al. (2003), S. 679. 207 Ergebnisse einer schriftlichen Befragung von Industrieunternehmen und FuE-Einrichtungen (70 Pharmaunternehmen und 43 FuE-Einrichtungen bewerteten die Marktattraktivität und Rahmenbedingungen von Deutschland) zeigen, dass die gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen in Deutschland schlechter als die allgemeinen Rahmenbedingungen bewertet werden (vgl. Nusser, M. /Tischendorf, A. (2005), S. 23). 208 Vgl. Specht, G. et al. (2002), S. 216. 209 Vgl. Bussey, P. et al. (2005), S. 208. 206

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berücksichtigt wird, sondern auch eine höhere Genauigkeit erzielt werden kann. Die verwendeten Daten müssen mit größter Sorgfalt ermittelt werden, um Fehlerquellen zu minimieren. Traditionsgemäß werden die Forschungs-Projekte anfänglich im Rahmen eines Portfolio-Ansatzes betrachtet, die das allgemeine Potenzial eines FuE-Projektes beschreibt. Die Portfolioanalysen ermöglichen durch eine Normierung der einzelnen Projekte einen einfachen und übersichtlichen Projektvergleich. Um die Implementierung der Unternehmensstrategie zu stützen, werden die besten Investitionen im Portfolio gekennzeichnet.210 Mit dem Portfolio-Ansatz als Analyseinstrument kann mehr Transparenz geschaffen werden. Die Handhabung ist sehr einfach und vermittelt schnell einen ganzheitlichen Eindruck. Einen Kompromiss zwischen der Eindeutigkeit quantitativer Verfahren und der Situationsorientierung qualitativer Bewertungsverfahren zu finden, kann durch die Kombination beider Methoden erfolgen, indem die qualitativen Marktinformationen ein quantitatives Entscheidungsbaum-Modell ergänzen. Wichtig für die Bewertung von Projekten ist ein strukturierter Prozess, in dem alle betrachteten Projekte konsistent mit einer Methode bewertet werden. Risikobeurteilungen, bei denen die Wahrscheinlichkeiten des Abbruchs konstituiert werden, Entwicklungspläne und kommerzielle Einschätzungen müssen dabei in die Bewertung einbezogen werden. Mit der konsistenten Anwendung von Bewertungsverfahren können subjektive Beurteilungen über Projekte und das damit verbundene Risiko des Abbruchs, Unterbrechens oder Nicht-Realisierens von werthaltigen Projektideen bzw. Projekten ausgeschlossen werden.211 Mit Repräsentativszenarien kann das weite Feld der möglichen Ergebnisse auf unterschiedlichen Entwicklungsniveaus festgehalten werden. Auch wenn eine exakte finanzielle Bewertung nicht möglich ist, ist es wichtig, Hinweise hinsichtlich des Wertes der Investition zu erhalten. Oft reicht eine Abschätzung durch eine quantitative Annäherung aus, da mit ihrer Einschätzung ein Vergleich mit anderen Investitionen möglich ist. Empfohlen wird die Anwendung einer Methode, um Vergleichbarkeit herzustellen und somit rationale Investitions- und Budgetentscheidungen treffen zu können.

4.5 Zusammenfassung und Ausblick Die gesetzlichen Neuerungen haben zum Ziel, die Unternehmensleitung auf mögliche Risiken zu sensibilisieren und Chancen offensiv, rechenbar und kontrolliert wahrzunehmen. Die gesetzlichen Regelungen und Vorschriften gewähren den Unternehmen einen großen Handlungsspielraum.212 Seitens der Wirtschaftswissenschaft und der Wirt210 211 212

Vgl. Bussey, P. et al. (2005), S. 195 f. Vgl. Specht, G. et al. (2002), S. 215. Vgl. Diederichs, M./Reichmann, T.(2003), S. 232.

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111

Abb. 4.9 Grundlegende Anforderungen an ein ganzheitliches Risikomanagement [Quelle: In Anlehnung an Diederichs, M. (2004), S. 57. ]

schaftsprüfer erfordert dies erhebliche Anstrengungen, um geschlossene, betriebswirtschaftliche Konzepte und einheitliche sowie verbindliche Regelungen für Innovationserfolgsrechnungen zu schaffen. Letztlich fordern alle rechtlichen Vorschriften und betriebswirtschaftlichen Empfehlungen ein Risikomanagement als ein nachvollziehbares System für jedes Unternehmen. Alle Unternehmensaktivitäten sollen umfassend und unter einer entsprechenden Risikokultur in einen Risikoprozess eingebettet werden. Ein aktives Risikobewusstsein kann die Funktionsfähigkeit und Kontinuität eines Risikomanagements sichern.

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W. Schmeisser

Anhang I: Ergänzung zum Risikomanagementprozess

Abb. 4.10 Controlling-Instrumente zur Gewinnung risikorelevanter Erkenntnisse [Quelle: In Anlehnung an Bert, U. (2005), S. 9.]

4 Innovationserfolgsrechnungen bei der Bewertung pharmazeutischer FuE-Projekte

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Anhang II: Prozess einer FDA/EMEA Zulassung

Abb. 4.11 Prozess einer FDA/EMEA Zulassung [Quelle: In Anlehnung an http://www.emea.europa.eu/pdfs/general/direct/pr/FDAEMEA.pdf]

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W. Schmeisser

Anhang III: Entscheidungsbaum-Modell nach Stewart et al. Stewart et al. gehen von einem „risk-adjusted Value“ (rV) aus. In ihrem Modell wird die risikobehaftete Entwicklung berücksichtigt, indem die Einnahmen (pay off) mit einer Wahrscheinlichkeit multipliziert werden, die den erfolgreichen Abschluss des Entwicklungsprozesses und die Generierung von Umsätzen widerspiegelt. Davon werden die Kosten (associated costs) subtrahiert, die gleichzeitig mit der Wahrscheinlichkeit multipliziert werden, welche die erfolgreiche Beendigung des Entwicklungsprozesses berücksichtigt.213

n

(1) rV = PR0 − ∑ Ci R0 /Ri i=0

rV = risk-adjusted Value P = pay off R0 = current risk Ci = associated costs R0 /Ri = the likelihood of having to pay each cost Formel 4.7 Risk-adjusted Value [Quelle: Vgl. Stewart, J. J. et al. (2001), S. 815.]

Der risikobereinigte NPV (rNPV) wird dementsprechend wie folgt berechnet:

n

(2) rNPV = NPV PR0 − ∑ NPV Ci R0 /Ri i=0

rNPV = is the NPV of the risk adjusted payoff minus the sum of the NPV of the risk-adjusted costs NPV PR0 = the NPV of the risk adjusted payoff R0 = current risk NPV Ci R0 /Ri = sum of NPV of the risk-adjusted costs Formel 4.8 Risk-adjusted Net Present Value [Quelle: Vgl. Stewart, J. J. et al. (2001), S. 816.]

213

Vgl. Stewart, J. J. et al. (2003), S. 817.

Teil II

Innovationserfolgsrechnung als Patentbewertung und Bilanzierungsproblem

Kapitel 5

Grundlagen der Bewertung immaterieller Vermögenswerte am Beispiel der Bewertung patentgeschützter Technologien1 Ulrich Moser, Heinz Goddar

5.1 Einleitung Die Bewertung immaterieller Vermögenswerte spielt in der Bewertungspraxis eine immer größere Rolle. Eine der wesentlichen Ursachen hierfür waren grundlegende Änderungen bei wichtigen Rechnungslegungsstandards, vor allem bei jenen zur Behandlung von Business Combinations (insbesondere IFRS 3) sowie zur Wertminderung von Vermögenswerten (insbesondere IAS 36).2 Immaterielle Vermögenswerte lassen sich in verschiedene Kategorien einteilen.3 Dabei kommt – neben anderen Vermögenswerten, wie z. B. Marken4 und Kundenbeziehungen5 – vor allem auch patentgeschützten Technologien eine besondere Bedeutung zu. Im Folgenden werden sowohl die theoretischen Grundlagen der Bewertung von Patenten als auch deren Umsetzung im konkreten Bewertungsfall dargelegt: Zunächst wird – unabhängig von der Bewertung von Patenten – auf wesentliche Grundlagen der Bewertung, soweit sie für die Zwecke dieser Untersuchung relevant sind, kurz eingegangen (5.2). Hieran anschließend erfolgt eine Analyse von Patenten – genauer: patentgeschützter Technologien – aus dem Blickwinkel der Bewertung (5.3). Sodann werden die für die Bewertung von Patenten relevanten Ausprägungen

1

Erstveröffentlichung in der FINANZ BETRIEB, Nr. 10 u. 11/2007. Siehe statt vieler Heyd/ Lutz-Ingold, Immaterielle Vermögenswerte und Goodwill nach IFRS. Bewertung, Bilanzierung und Berichterstattung, München, 2007; Hüttche/Moser, Immaterielle Vermögenswerte, in: Freidank/Peemöller, Corporate Governance und interne Revision, Köln 2007, sowie zu Business Combinations z. B. Zelger, Purchase Price Allocation nach IFRS und USGAAP, in: Ballwieser/Beyer/Zelger (Hrsg.), Unternehmenskauf nach IFRS und US-GAAP, Stuttgart, 2005, S. 141 ff. 3 Siehe z. B. IFRS 3 Illustratives Examples A–E, SFAS 141 A. 14. 4 Zur Bewertung von Marken jüngst Hommel/Buhleier/Pauly, Bewertung von Marken in der Rechnungslegung – eine kritische Analyse von IDW ES 5, in: BB 2007 S. 371 ff. 5 Hierzu z. B. Lüdenbach/Prisaczyk, Bilanzierung von Kundenbeziehungen in der Abgrenzung zu Marken und Goodwill, in: KoR 2004 S. 204–214. 2

W. Schmeisser, H. Mohnkopf, M. Hartmann, G. Metze (Hrsg.), Innovationserfolgsrechnung DOI: 10.1007/978-3-540-78249-0, © Springer 2008

121

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U. Moser, H. Goddar

des Income Approach dargestellt (5.4) und deren praktische Anwendung anhand eines Fallbeispiels erläutert (5.5). Die Ausführungen beschränken sich allerdings nicht von vornherein auf die Betrachtung der Bewertung von Patenten für Zwecke der Rechnungslegung.6 Dieser Fall zeichnet sich lediglich dadurch aus, dass das Bewertungsmodell durch spezifische, durch die Rechnungslegungsstandards bzw. deren Auslegung vorgegebene Annahmen geprägt ist. Hierauf wird im Folgenden nur am Rande eingegangen.

5.2 Grundlagen der Bewertung 5.2.1 Überblick Voraussetzung einer jeden Bewertung ist – neben einem grundlegenden Verständnis der anzuwendenden Bewertungsmethodik – die eindeutige Abgrenzung des Gegenstands der Bewertung sowie die Kenntnis des Anlasses der Bewertung. Im Folgenden werden die hiermit in Zusammenhang stehenden Aspekte insoweit dargestellt, als dies für die Bewertung von Patenten erforderlich ist (5.2.2–5.2.4).

5.2.2 Grundlegende Bewertungskonzepte 5.2.2.1 Ausgangsüberlegung Der Wert eines Objektes, z. B. eines Patentes oder aber auch eines ganzen Unternehmens, leitet sich aus dem Nutzen ab, den dieses für dessen Eigentümer stiftet.7 Zur Messung dieses Nutzens kann grundsätzlich auf drei Kategorien zurückgegriffen werden: • Einkommen, das das zu bewertende Objekt in Zukunft voraussichtlich generieren wird • verfügbare Marktpreise für das betreffende oder vergleichbare Objekte • Kosten zur Erlangung eines vergleichbaren Objekts.8 6

Zur Bewertung immaterieller Vermögenswerte in diesem Kontext siehe z. B. IDW Stellungnahme zur Rechnungslegung: Bewertung bei der Abbildung von Unternehmenserwerben und bei Werthaltigkeitsprüfungen nach IFRS (IDW RS HFA 16), in: FN 2005 S. 721–738; Jäger/Himmel, Die Fair Value-Bewertung immaterieller Vermögenswerte vor dem Hintergrund der Umsetzung internationaler Bewertungsstandards, in: BFuP 2004 S. 417 ff.; Beyer, Fair Value-Bewertung von Vermögenswerten und Schulden, in: Ballwieser/Beyer/Zelger, Unternehmenskauf nach IFRS und USGAAP, Stuttgart, 2005, S. 141 ff.; Leibfried/Fassnacht, Unternehmenserwerb und Kaufpreisallokation, in: KoR 2007 S. 48–57; Siegrist/Stucker, Die Bewertung von immateriellen Vermögenswerten in der Praxis. Ein Erfahrungsbericht, in: IRZ 2007 S. 239–245. 7 Siehe statt vieler z. B. Born, Unternehmensanalyse und Unternehmensbewertung, 2. Aufl., Stuttgart 2003, S. 21; Smith/Parr, Valuation of Intellectual Property and Intangible Assets, 3. Aufl., New York u. a. 2000, S. 152, 163; WP Handbuch 2002, Band 2. S. 1 f. 8 Siehe z. B. Smith/Parr, a. a. O. (Fn 7), S. 164 ff.

5 Grundlagen der Bewertung immaterieller Vermögenswerte

123

Dementsprechend wird zwischen drei grundlegenden Bewertungsansätzen9 unterschieden (Abb. 5.1):10 • Income Approach (auch „kapitalwertorientierte oder erfolgsorientierte Verfahren“ genannt) • Market Approach (auch als „marktpreisorientierte oder marktorientierte Verfahren“ bezeichnet) • Cost Approach (auch „kostenorientierte Verfahren“ genannt).

Abb. 5.1 Grundlegende Bewertungskonzepte 9

Der Real Options Aproach wird im Rahmen dieses Beitrags nicht in die Betrachtung einbezogen. Vgl. zu diesem Ansatz z. B. Copeland/Antikarov, Real Options. A Practitioner‘s Guide, New York 2001; Mum, Real Options Analysis, Hoboken/New Jersey 2002; Ernst/Moser, in: Ernst/Häcker/Moser/Auge-Dickhut (Hrsg.), Praxis der Unternehmensbewertung und Akquisitionsfinanzierung. Zur Anwendung des Ansatzes bei der Bewertung von Patenten bzw. von Technologien siehe insbesondere Khoury, Valuing Intangibles? Consider the Technology Factor Method, in: les Nouvelles 2001 S. 87–90; Kidder/Mody, Are Patents Really Options, in: les Nouvelles 2003 S. 190–192; Kossovsky/Arrow, TRRU Metrics: Measuring the Value and Risk of Intangible Assets, in: les Nouvelles 2002 S. 139–142; Pries/Astebro/Obeidi, Economic Analysis of R & D Projects: Real Options vs. NPV Valuation Revisited, in: les Nouvelles 2003 S. 184–186; Razgaitis, Valuation and Pricing of Technology-Based Intellectual Property, Hoboken/New Jersey 1999, S. 223 ff. 10 Siehe z. B. bei Born, a. a. O. (Fn. 7), S. 22 ff.; Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung, Wien 1997, S. 10f;, Smith/Parr, a. a. O. (Fn. 7), 163 f. sowie Seppelfricke, Handbuch Aktien- und Unternehmensbewertung, Stuttgart 2003, S. 15–17, der allerdings unzutreffend den Liquidationswert den kostenorientierten und nicht den erfolgsorientierten Verfahren zuordnet; IDW RS HFA 16 (Fn. 6) Tz. 18 ff. ; Entwurf IDW Standard: Grundsätze der Bewertung immaterieller Vermögenswerte (IDW ES 5), in: WPg 2006 S. 1306 ff., Tz. 15 ff. Im Zusammenhang mit der Patentbewertung vgl. auch Goddar, Die wirtschaftliche Bewertung gewerblicher Schutzrechte beim Erwerb technologieorientierter Unternehmen, in: Mitteilungen der deutschen Patentanwälte 1995 S. 357–366. Khoury/Lukeman, Valuation Of BioPharm Intellectual Property: Focus On Research Tools And Platform Technology, in: les Nouvelles 2002 S. 50, sowie neuerdings Drews, Patent Valuation Techniques, in: les Nouvelles 2007 S. 365 ff.

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U. Moser, H. Goddar

In der Bewertungspraxis, vor allem bei der Bewertung von Intellectual Assets, haben diese Ansätze unterschiedliche Ausgestaltungen erfahren. Dabei sind die „Hybrid Approaches“ besonders hervorzuheben, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie Elemente von zwei der grundlegenden Bewertungsansätze, insbesondere des Market und des Income Approach, verbinden.11 Darüber hinaus finden sich im Schrifttum eine Reihe von Beiträgen, die den Anspruch erheben, neben den drei grundlegenden Konzepten weitere Bewertungsverfahren entwickelt zu haben.12 Die Analyse dieser Ansätze zeigt jedoch, dass diese nur Ausgestaltungen der Grundkonzepte, insbesondere des Income Approach, sind und dementsprechend keine eigenständige Bedeutung haben.13 Im Folgenden werden die drei grundlegenden Bewertungsansätze kurz erläutert.

5.2.2.2 Income Approach Der Income Approach setzt, wie bereits ausgeführt, am Einkommen an, das in Zukunft voraussichtlich aus dem Bewertungsobjekt zu erwarten ist. Beispielsweise resultiert dieses bei einem auslizenzierten Patent aus den zukünftigen Lizenzzahlungen an dessen Eigentümer, bei einem Unternehmen aus den zukünftigen Ausschüttungen an die Anteilseigner bzw. den Zahlungen an alle Kapitalgeber. Ansatzpunkt des Bewertungsansatzes ist also die Fähigkeit des Bewertungsobjektes, künftig Einkommen zu erwirtschaften.14 „Einkommen“ im Sinne des Income Approach sind dabei auch Einsparungen fiktiver Lizenzgebührenzahlungen, die der Patentinhaber an einen Dritten in dem Fall zahlen müßte, daß nicht der Patentinhaber, sondern ein Dritter Inhaber des in Rede stehenden, vom tatsächlichen Patentinhaber wirtschaftlich genutzten Patentes wäre. Zur Ableitung des Wertes wird beim Income Approach das aus dem Bewertungsobjekt zu erwartende zukünftige Einkommen mit dem Einkommen verglichen, das aus einer alternativen Anlagemöglichkeit zukünftig voraussichtlich erzielbar ist.15 Der Wert des Bewertungsobjekts entspricht dann dem Betrag, der zur Erlangung der Alternativanlage zu investieren ist. Dieser Alternativenvergleich wird durch Diskontierung des zukünftigen Einkommensstromes des Bewertungsobjektes vollzogen. Dabei verkörpert der Diskontierungszinssatz die alternative Anlagemöglichkeit. Demgemäß ergibt sich der Wert des Bewertungsobjektes als Barwert (Present Value) der zu erwartenden zukünftigen Einkommenszahlungen. 11 Vgl. z. B. bei Khoury/Daniele/Germeraad, Selection and Application of Intellectual Property Valuation Methods in Portfolio Management and Value Extraction, in: les Nouvelles 2001 S. 81. 12 So etwa Anson/Martin, Accurate IP valuation in multiple environments, in: Intellectual Asset Management, Februar/March 2004 S. 7–10; Poredda/Wildschütz, Patent Valuation – A Controlled Market Share Approach, in: les Nouvelles 2004 S. 77–85. 13 So auch Smith/Parr, a. a. O. (Fn. 7) S. 163 f., Khoury/Daniele/Germeraad (Fn. 11), 79. 14 Vgl. Smith/Parr, a. a. O. (Fn. 7), S. 164 ff.; IDW RS HFA 16 (Fn. 6), Tz. 24–34. 15 Vgl. z. B. Gebhardt/Danske, Kapitalmarktorientierte Bestimmung von risikofreien Zinssätzen für die Unternehmensbewertung, in: WPg 2005 S. 649 ff. (650).

5 Grundlagen der Bewertung immaterieller Vermögenswerte

125

Dem Income Approach sind als Bewertungsmethoden die Discounted Cash Flow-Verfahren sowie die Ertragswertmethode zuzuordnen.16

5.2.2.3 Market Approach Der Market Approach17, der nach IFRS 3 bei der Bewertung immaterieller Vermögenswerte vorrangig anzuwenden ist,18 geht davon aus, dass zur Bewertung eines Objekts auf die Nutzeneinschätzung der Marktteilnehmer abzustellen ist. Dem Ansatz liegt der Gedanke zugrunde, dass sich auf kompetitiven Märkten – bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen – grundsätzlich für die dort gehandelten Objekte Marktpreise einstellen.19 Wird das Bewertungsobjekt selbst auf einem aktiven Markt20 gehandelt, ist auf dessen Marktpreis abzustellen. Ist dies nicht der Fall, sind vergleichbare Objekte heranzuziehen, deren Marktpreise auf das Bewertungsobjekt zu übertragen sind (Analogiemethode).21 Bei Anwendung der Analogiemethode ist zunächst ein Multiplikator als Relation zwischen dem Marktpreis des Vergleichsobjektes und einer Bezugsgröße abzuleiten. Zur Ermittlung des Wertes des Bewertungsobjektes ist dieser Multiplikator sodann auf die betreffende Bezugsgröße beim Bewertungsobjekt anzuwenden. Beispielsweise kann im Falle der Bewertung eines Patentes der bekannte Marktpreis eines vergleichbaren Patentes auf den aktuellen Jahresumsatz (Bezugsgröße) des durch das Vergleichspatent geschützten Produktes bezogen werden. Die Anwendung des so ermittelten Multiplikators auf den aktuellen Jahresumsatz des durch das zu bewertende Patent geschützten Produktes führt zum gesuchten Patentwert. Die Anwendung des Market Approach in dem Falle, dass das Bewertungsobjekt nicht auf einem aktiven Markt gehandelt wird, setzt voraus, dass ein mit dem Bewertungsobjekt vergleichbares Objekt, dessen Marktpreis bekannt ist, verfügbar ist. Wird ein Vergleichsobjekt nicht auf einem aktiven Markt gehandelt, sind zur Ableitung von Marktpreisen Vergleichstransaktionen heranzuziehen. Lassen sich entsprechende Transaktionen identifizieren, bedarf es einer genauen Analyse insbesondere von deren detaillierten Konditionen sowie den Bedingungen von deren 16

Zu diesen Ansätzen siehe statt vieler Praxis der Unternehmensbewertung und Akquisitionsfinanzierung (Fn. 9). 17 Zum Market Approach siehe statt vieler Moser/Auge-Dickhut, Unternehmensbewertung: Marktpreisabschätzungen mit Vergleichsverfahren, in: FB 2003 S. 10 ff.; dieselben, Unternehmensbewertung: Zusammenhang zwischen Vergleichs- und DCF-Verfahren, in: FB 2003 S. 213 ff.; Krolle/Schmitt/Schwetzler (Hrsg.), Multiplikatorverfahren in der Unternehmensbewertung, Stuttgart, 2005. 18 Vgl. IFRS 3.B 16, IDW RS HFA 16 (Fn. 6), Tz 19. 19 Vgl. hierzu z. B. Smith/Parr, a. a. O. (Fn. 7), S. 170–173; Reilly/Schweighs, Valuing Intangible Assets, New York u. a. 1998, S. 101 f. 20 Zu den engen Voraussetzungen eines aktiven Marktes: z. B. IAS 38.8, Smith/Parr, a. a. O. (Fn. 7), S. 170–173. 21 Vgl. auch IDW HFA RS 16 (Fn. 6), Tz. 22.

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Zustandekommen (z. B. zwischenzeitliche Veränderungen der Marktgegebenheiten, Einflüsse käuferspezifischer Motive).22 Angesichts dieser Anwendungsvoraussetzungen ist unmittelbar erkennbar, dass der Anwendungsbereich des Market Approach zur Bewertung von Intellectual Assets, insbesondere von Patenten, sehr begrenzt ist.23

5.2.2.4 Cost Approach Der Wert des Bewertungsobjektes bestimmt sich beim Cost Approach24 durch den Betrag, der erforderlich ist, um ein Objekt zu erlangen, das dem Eigentümer erlaubt, den Nutzen zu ziehen, den ihm das zu bewertende Objekt vermittelt. Es handelt sich somit um den Betrag, den der Eigentümer aufwenden muss, um das zu bewertende Objekt durch ein entsprechendes zu substituieren. Das dem Ansatz zugrunde liegende Prinzip ist dasjenige der Substitution.25 Aus dem Prinzip der Substitution folgt, dass der Cost Approach eine Wertobergrenze determiniert: Ein rational handelnder Investor bezahlt für ein Objekt – auch wenn dessen mittels Income Approach ermittelter Wert höher ist – maximal den Betrag, den er zur Erlangung eines anderen Objektes, das ihm den entsprechenden Nutzen erlaubt, aufwenden muss. Den Cost Approach gibt es in verschiedenen Ausgestaltungen: Die eine grundlegende Form geht von der identischen Reproduktion des zu bewertenden Objekts – einem „exakten Duplikat“26 – aus; dies ist der Reproduktionskostenwert (reproduction cost). Die andere zentrale Variante stellt auf die Beschaffung bzw. Herstellung eines Objekts mit äquivalentem Nutzen ab; dies ist der Wiederbeschaffungskostenwert (replacement cost).27 Beim Wiederbeschaffungskostenwert finden im Gegensatz zum Reproduktionskostenwert Bestandteile, die das zu bewertende Objekt zwar aufweist, zum Bewertungszeitpunkt jedoch keinen Nutzen stiften, keine Berücksichtigung. Entsprechendes gilt für technologische Weiterentwicklungen, die nur im Wiederbeschaffungskostenwert einen Niederschlag finden. Dementsprechend kann sich das 22

Vgl. ebenda. So schon Khoury (Fn. 9) S. 88, Khoury/Daniele/Germeraad (Fn. 11) S. 77–86, Woodward, in: Wild (Hrsg.), Building and enforcing intellectual property value. An international guide for the boardroom 2003, London 2002, S. 49 f.; ebenso Mackenstedt/Fladung/Himmel, Ausgewählte Aspekte bei der Bestimmung beizulegender Zeitwerte nach IFRS 3 – Anmerkungen zu IDW RS HFA 16, in: WPg 2006 S. 1038. 24 Ausführlich zum Cost Approach siehe Smith/Parr, a. a. O. (Fn. 7); insbes. S. 197 ff., Reilly/Schweighs, a. a. O. (Fn. 19), insbes. S. 118 ff. 25 Vgl. hierzu und zum Folgenden z. B. Reilly/Schweighs, a. a. O. (Fn. 19), S. 96 f.; Smith/Parr, a. a. O. (Fn. 7), S. 164. 26 IDW RS HFA 16 (Fn. 6), Tz 39. 27 Den historischen Kosten, die bei Anschaffung bzw. Herstellung des zu bewertenden Objektes angefallen sind, kommt beim Cost Approach keine eigenständige Bedeutung zu. 23

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der Ableitung des Wiederbeschaffungskostenwertes zugrunde liegende Objekt auch deutlich vom zu bewertenden Objekt unterscheiden. Bei der Ableitung des Wertes nach dem Cost Approach sind erforderlichenfalls zudem physische Abnutzung sowie technische und wirtschaftliche Veralterung zu berücksichtigen. Der Anwendungsbereich des Cost Approach ist allerdings eingeschränkt, da aus dem Anfall von Kosten für die Herstellung eines Objekts nicht zwingend auf einen hieraus resultierenden zukünftigen Nutzen geschlossen werden kann. Beispielsweise ist an die Entwicklung neuer Technologien zu denken, in die riesige Beträge fliesen können, deren Nutzen jedoch im konkreten Fall sehr gering sein kann.28 Zur Anwendung kommt der Cost Approach vor allem dann, wenn er – wie bereits ausgeführt – die Wertobergrenze bildet. In Deutschland sind dem Cost Approach die Substanzwertverfahren zugeordnet.29

5.2.2.5 Zusammenhang zwischen Income, Market und Cost Approach Income und Cost Approach gehen von dem Betrag aus, der zur Erlangung eines Objekts, das den gleichen Nutzen stiftet, erforderlich ist. Beim Income Approach ist die Messung dieses Nutzens durch das mit dem Bewertungsobjekt verbundene Einkommen spezifiziert. Der Bezug zum Market Approach ist dann gegeben, wenn bei der Bestimmung der „Kosten“ auf Marktpreise zurück gegriffen wird.

5.2.3 Bewertungsobjekt Beim Bewertungsobjekt kann es sich um einzelne Objekte, z. B. Maschinen, Patente oder Marken, jedoch auch um Gesamtheiten, z. B. Patentportfolien oder ganze Unternehmen, handeln (Abb. 5.2). Im vorliegenden Beitrag ist das Bewertungsobjekt durch die Themenstellung bereits vorgegeben. Insoweit bedarf es keiner weiteren Betrachtung anderer Bewertungsobjekte.30 Die Abgrenzung des Bewertungsobjektes ist jedoch deswegen von grundlegender Bedeutung, weil dadurch wesentliche Parameter des Bewertungsansatzes bestimmt werden:31 Beim Income Approach wird das zukünftige Einkommen, das in 28

Vgl. z. B. Khoury/Daniele/Germeraad (Fn. 11) S. 80; Khoury (Fn. 9) S. 88; Woodward (Fn. 23) S. 50. 29 Vgl. z. B. Born, a. a. O. (Fn. 7), S. 139 ff., Seppelfricke, a. a. O. (Fn. 10), S. 167 ff. 30 Zu den verschiedenen Arten geistigen Eigentums siehe Goddar (Fn. 10) S. 357–360. 31 Ähnlich auch Smith/Parr, a. a. O. (Fn. 7), S. 155, sowie – bezogen auf den Fall der Unternehmensbewertung – IDW Standard: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1), FN 2005, S. 690–718, Tz. 18 ff.

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Abb. 5.2 Bewertungsobjekt

das Diskontierungsmodell eingeht, bestimmt. Der Market Approach setzt zumindest ein mit dem zu bewertenden Objekt vergleichbares Objekt voraus, weswegen das Bewertungsobjekt für die Auswahl des Vergleichsobjektes entscheidend ist. Beim Cost Approach schließlich ist das nach zubauenden bzw. wiederzubeschaffenden Objekt am Bewertungsobjekt auszurichten. In die Bewertung – vor allem bei einzelnen Objekten – sind auch mögliche Beziehungen des Bewertungsobjektes zu anderen Objekten einzubeziehen. Insbesondere ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass das Bewertungsobjekt Bestandteil einer übergeordneten Einheit sein kann, also z. B. ein Patent einem Patentportfolio und letzteres einem Unternehmen zuzuordnen ist. Dies zeigt sich beispielsweise beim Income Approach ganz deutlich: Alle in Abb. 5.2 aufgeführten Objekte wirken zusammen, um den Einkommensstrom des Unternehmens oder Unternehmensbereichs zu erzielen. D. h. ein einzelnes Objekt ist regelmäßig nicht in der Lage, ohne die Unterstützung anderer Objekte einen Einkommensstrom zu generieren. Schützt – in einem einfachen Beispiel – ein Patent wesentliche Komponenten eines Produktes, so erfordert die Einkommenserzielung insbesondere Herstellung und Vertrieb des Produktes, also zumeist Produktionseinrichtungen, mehr oder weniger erfahrene Mitarbeiter, Working Capital, eine entsprechende Vertriebsmannschaft usw. Zur Bewertung des einzelnen Objektes, also im Beispiel des Patentes, ist dessen Beitrag zum Gesamteinkommensstrom zu isolieren, d. h. herauszuschneiden.32

32

Siehe hierzu z. B. Smith/Parr, a. a. O. (Fn. 7), S. 55 ff., 333 ff.; Kidder/Mody (Fn. 9), S. 190, sowie grundlegend Sullivan/Edvinsson, A Model for Managing Intellectual Capital, in: Parr/Sullivan (Hrsg.), Technology Licensing. Corporate Strategies for Maximizing Value, New York, 1996, S. 249 ff.

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5.2.4 Anlass der Bewertung 5.2.4.1 Transaktionsbezogene Bewertungen Bewertungen von Patenten stehen häufig im Zusammenhang mit Transaktionen. Gegenstand derartiger Transaktionen können ganze Unternehmen, einzelne Vermögenswerte (also auch Patente), aber auch verschiedenste Zusammenstellungen mehrerer Vermögenswerts (beispielsweise Patent- oder Markenportfolios) sein. Darüber hinaus erfolgen Patentbewertungen im Zusammenhang mit Finanzierungstransaktionen, etwa bei der Bestimmung des Beleihungswertes eines Patentes (Abb. 5.3). Transaktionen können – abhängig vom Transaktionsgegenstand und der zugrunde liegenden Intention – in verschiedenen Ausgestaltungen durchgeführt werden: Beispielsweise in Form eines Kaufs bzw. Verkaufs des Transaktionsgegenstandes, des Eingehens strategischer Partnerschaften oder der Ein- bzw. Auslizenzierung von Intellectual Assets. Finanzierungstransaktionen umfassen die verschiedenen Formen der Eigen- und Fremdkapitalaufnahme. Die Bewertung kann bei Unternehmens- und Intellectual Asset-Transaktionen auf die Ermittlung von Preisober- bzw. Preisuntergrenzen des Käufers bzw. Verkäufers (Grenzpreise) zur Vorbereitung der Kaufpreisverhandlungen abzielen. Im Falle von Unternehmenstransaktionen kommt zudem auch der Aufteilung des Kaufpreises auf die einzelnen erworbenen Vermögenswerte für Zwecke der Rechnungslegung – Purchase Price Allocation insbesondere nach IFRS 3 oder SFAS 141, jedoch auch nach § 301 HGB sowie DRS 12 – eine erhebliche Bedeutung zu. Intellectual Asset-Transaktionen werden oftmals auch mittels gesellschaftsrechtlicher Gestaltungen, etwa in Form von Sacheinlagen, durchgeführt. In derartigen Fällen erfordern verschiedene gesellschaftsrechtliche Vorschriften (z. B. §§ 33,

Abb. 5.3 Anlass der Bewertung

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183 AktG) die Beurteilung der Werthaltigkeit des Transaktionsgegenstandes. Im Zusammenhang mit steuerrechtlichen Umstrukturierungen stehende Intellectual AssetTransaktionen müssen üblicherweise zu at arm’s length Bedingungen erfolgen. Die Beurteilung dieser Anforderung baut wiederum auf dem Wert des Transaktionsgegenstandes auf. Ein Beispiel für Finanzierungstransaktionen ist die Besicherung von Kreditfinanzierungen durch Patente oder Marken. In derartigen Fällen ist der bereits oben angesprochene Beleihungswert zu ermitteln.

5.2.4.2 Portfolio Management Die dargestellten Bewertungsanlässe stehen in einem mehr oder weniger engen Zusammenhang zur Strategie des Unternehmens:33 Die strategische Planung eines Unternehmens bestimmt die Zusammensetzung von dessen Geschäftsfeld-Portfolio, die Entwicklung der einzelnen strategischen Geschäftsfelder sowie die Entwicklung und Nutzung der Potenziale zur Umsetzung der Strategien. Auf diese Weise leitet sich beispielsweise die Technologie-Strategie eines Unternehmens aus der Unternehmensstrategie ab.34 Diese kann, z. B. im Hinblick auf eine bestimmte, erforderliche Technologie, signalisieren, dass die Technologie nicht im Unternehmen entwickelt, sondern extern beschafft werden soll – etwa durch Übernahme eines anderen Unternehmens, den Erwerb der Technologie, z. B. eines Patentportfolios, oder das Eingehen einer strategischen Partnerschaft, also mittels einer Transaktionen. Strategische Planung in diesem Sinne stellt sich als komplexes Portfolio Management dar, das das Geschäftsfeld-Portfolio, aber auch die Portfolios der Vermögenswerte des Unternehmens, also z. B. das Patent-Portfolio, umfasst. Folgt das Unternehmen dem Leitbild der Unternehmenswertsteigerung, baut auch das Portfolio Management auf Wertüberlegungen auf. In diesen Fällen ist die Patentbewertung das adäquate Werkzeug zum Management des Patent-Portfolios. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Fälle hinzuweisen, in denen Patentbewertungen zu Kommunikationszwecken durchgeführt werden. Zum einen geht es um die Darstellung der Wertgenerierung innerhalb des Unternehmens, etwa des Forschungs- und Entwicklungsbereichs an die Geschäftsleitung oder der Geschäftsleitung an ein Aufsichtsorgan. Zum anderen geht es jedoch auch um die Kommunikation der Wertschaffung an Adressaten außerhalb des Unternehmens, vor allem an den Kapitalmarkt.35

33

Siehe zum Folgenden auch Bea/Haas, Strategisches Management, 2. Aufl., Stuttgart 1997, S. 154 ff. 34 Zum Zusammenhang zwischen Unternehmens-, Forschungs- und Entwicklungs- sowie Patentstrategie siehe Wijk, Measuring the Effectiveness of a Company’s Patent Assets, in: les Nouvelles 2001, S. 25–33. Grundsätzliche Überlegungen hierzu finden sich bei Germeraad/Harrison/Lucas, IP Tactics In Support Of The Business Strategy, in: les Nouvelles 2003, S. 120–127. 35 In diesem Zusammenhang ist auf das Value Reporting zu verweisen. Siehe hierzu z. B. bei Wolf, Value Reporting – Grundlagen und praktische Umsetzung, in: UM 2004, S. 420 ff.

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5.2.4.3 Bedeutung des Bewertungsanlasses Die Bedeutung des Bewertungsanlasses für das Ergebnis der Bewertung lässt sich anhand einfacher Beispiele verdeutlichen: Die Ermittlung der Preisobergrenze (Grenzpreis) eines potenziellen Erwerbers für anstehende Kaufpreisverhandlungen unter Berücksichtigung von dessen subjektiver Einschätzung der zugrunde liegenden Sachverhalte kann zu Werten führen, die vom beizulegenden Zeitwert, der im Falle einer Business Combination unter Zugrundelegung der Vorgaben von IFRS 3 und IAS 38 zu ermitteln ist, abweichen. Wird dieses Bewertungsobjekt im Wege einer Sachkapitalerhöhung in eine Kapitalgesellschaft nach deutschen Vorschriften eingebracht, ist im Rahmen der Ermittlung der Werthaltigkeit das Schuldendeckungspotenzial zu ermitteln. Der so berechnete Wert kann wiederum vom Grenzpreis und vom Fair Value im dargestellten Sinne abweichen. Ein Kreditinstitut, das über die Vergabe eines Kredits entscheidet, benötigt hierfür den Beleihungswert des Sicherungsobjekts. Dieser zielt auf den Fall, dass der Kreditnehmer nicht mehr in der Lage ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen, und deswegen das Sicherungsobjekt zu verwerten ist. Der Zerschlagungswert des Bewertungsobjektes kann – insbesondere in Abhängigkeit der im Verwertungszeitpunkt gegebenen Marktverhältnisse – erheblich vom Fortführungswert (going concern) abweichen.

5.3 Patente als Bewertungsobjekte 5.3.1 Überblick Eine Bewertung von Patenten erfordert die Untersuchung der grundlegenden Zusammenhänge, die dafür ausschlaggebend sind, dass Patente Wert generieren (5.3.2). Dabei zeigt sich, dass eine Abgrenzung zwischen dem Schutzrecht einerseits und der zugrunde liegenden Technologie andererseits vorzunehmen ist (5.3.3). Weiterhin ist zu klären, wie bei der Einbindung von Patenten in Portfolios zu verfahren ist (5.3.4).

5.3.2 Einflussfaktoren des Patentwertes 5.3.2.1 Wertgenerierung durch Patente Die bewertungsrelevanten Charakteristika eines Patentes sind in Abb. 5.4 zusammengefasst.

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Abb. 5.4 Einflussfaktoren des Patentwertes

Nach § 1 Abs. 1 PatG setzt die Erteilung eines Patents u. a. eine Erfindung, also die Lösung eines technischen Problems, voraus. Die Lösung kann insbesondere in einem Produkt bzw. einer Komponente eines Produkts oder in einem Verfahren, das bei der Herstellung von Produkten Anwendung findet, zum Ausdruck kommen.36 Sie weist einen technischen Bezug37 auf, der vor allem in den Fällen besonders deutlich wird, in denen sie eine Technologie38 oder einen Teil einer Technologie verkörpert. Zur Vereinfachung der Überlegungen wird im Folgenden davon ausgegangen, dass es sich bei der Lösung um eine Technologie handelt. Die Verwertung einer Technologie kann insbesondere über die Produkte erfolgen, in die sie eingeht bzw. die auf deren Grundlage hergestellt werden. Der Erfolg der Verwertung wird im Wesentlichen durch die Marktattraktivität, insbesondere das Marktpotenzial (Marktvolumen und Marktwachstum) und die Branchenstruktur39, sowie der Positionierung der Produkte im Vergleich zu denen der Wettbewerber bestimmt. Die Technologie kann die Positionierung der Produkte auf verschiedene Weise beeinflussen: Sie kann etwa deren Anwender in die Lage versetzen, sein Produkt von den Produkten der Wettbewerber zu differenzieren und dadurch im Vergleich zu 36

Aus Gründen der Vereinfachung der Formulierungen bleiben Verwendungen und Geschäftsprozesse außer Betracht. Die Ausführungen gelten selbstverständlich auch für derartige Ansprüche. 37 Siehe hierzu auch die weiteren Erteilungsvoraussetzungen der Neuheit und der Erfindungshöhe (§§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1, 4 PatG) und deren Bezugnahme auf den Stand der Technik. 38 Zur Definition des Ausdrucks „Technologie“ siehe z. B. Boer, The Valuation of Technology, Business and Financial Issues in R & D, New York 1999, S. 4 ff.: „Technology is the application of knowledge to useful objectives. It is usually built on previous technology by adding new technology input or new scientific knowledge“. 39 Hierzu z. B. Bea/Haas, a. a. O. (Fn. 33) S. 79 ff.

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seinen Konkurrenten höhere Preise bei den Abnehmern durchzusetzen. Die Vorteile einer Technologie können beispielsweise allerdings auch darin bestehen, dass deren Anwendung zu einer Senkung der Herstellungskosten führt, die dem Technologieanwender erlaubt, über Preissenkungen seinen Absatz zu Lasten der Wettbewerber zu erhöhen. Damit ist der Zusammenhang zwischen Technologien und den Wettbewerbsstrategien von Unternehmen40 ersichtlich: Der Nutzen einer Technologie resultiert grundsätzlich aus den Wettbewerbsvorteilen, die sie deren Anwender verschafft. Ein Wettbewerbsvorteil, der aus einer Technologie resultiert, ist jedoch insbesondere dann nicht mehr gegeben, wenn die Nutzung der Technologie auch Wettbewerbern möglich ist. Dies ist grundsätzlich dann der Fall, wenn deren Geheimhaltung nicht möglich ist, etwa weil ein Verständnis der Technologie im Wege der Produktanalyse erlangt werden kann. Hier greift sodann die Schutzwirkung des Patents: Gem. § 9 PatG ist es ein Verbietungsrecht, das Dritten untersagt, die patentierte Erfindung zu nutzen. Eine weitere Voraussetzung zur Verwertung einer Technologie ist – wie bereits unter 5.2.3 ausgeführt – das Zusammenwirken mit anderen Vermögenswerten.

5.3.2.2 Werttreiber von Patenten a) Rechtliche Absicherung Nutzungsformen von Patenten Die rechtliche Absicherung ermöglicht bzw. begünstigt verschiedene Nutzungsformen von Technologien. Zunächst kommt die Verwertung über die Produkte in Betracht, in die die zugrunde liegende Technologie eingeht bzw. die auf dieser Grundlage hergestellt werden. Die Vergütungsrichtlinien für Arbeitnehmererfindungen sprechen von „betrieblich genutzten Erfindungen“.41 Den bisherigen Überlegungen liegt diese Vorstellung zugrunde. Diese Form der Nutzung kann auch durch einen oder mehrere Dritte erfolgen, insbesondere in der Weise, dass den Dritten eine Lizenz an der geschützten Technologie eingeräumt wird.42 Patente können deren Eigentümer jedoch auch dann einen Vorteil erbringen, wenn sie nicht in der vorstehend beschriebenen Weise in die Leistungserstellung und 40

Siehe zu den Wettbewerbsstrategien beispielsweise bei Bea/Haas, a. a. O. (Fn. 33) S. 167 ff. Richtlinien für die Vergütung von Arbeitnehmererfindungen im privaten Dienst vom 20. Juli 1959, Beilage zum BAnz. Nr. 156 vom 18. August 1959, einschließlich der Änderungen durch die Richtlinie vom 1. September 1983, BAnz. Nr. 169, Rn. 3 ff.. Der Zusammenhang zwischen der die Grundlage für die Berechnung von Erfindungsvergütungen bildenden Erfindungswertberechnung nach dem Arbeitnehmererfindergesetz und dem für Fragen der Patentbewertung maßgeblichen „Patentwert“ wurde bereits 1995 von Goddar (Fn. 10) S. 361–364, herausgearbeitet. 42 Vgl. ebenda Rn. 14 ff. 41

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-verwertung eines Unternehmens eingehen. Ein Unternehmen stellt beispielsweise Produkte auf der Grundlage einer patentgeschützten Technologie her. Außerdem besitzt es Patente, die eine andere Technologie schützen, die alternativ der Herstellung der Produkte zugrunde gelegt werden könnte, vom Unternehmen hierfür jedoch nicht eingesetzt wird. Durch diese Patente ist das Unternehmen in der Lage, potenzielle Wettbewerber von Herstellung und Vertrieb derartiger Produkte auszuschließen, und sichert dadurch den eigenen Absatz (Umsatz) ab. „Patente, die nur deshalb angemeldet und aufrechterhalten werden, um zu verhindern, dass ein Wettbewerber die Erfindung verwertet und dadurch die eigene laufende oder bevorstehende Erzeugung beeinträchtigt“ bezeichnen die Vergütungsrichtlinien für Arbeitnehmererfindungen als Sperrpatente.43 Im Zusammenhang mit patentgeschützten Technologien, die vor der Kommerzialisierung stehen, sind „Vorratspatente“ angesprochen. Die Vergütungsrichtlinien für Arbeitnehmererfindungen44 verstehen hierunter „Patente für Erfindungen, die im Zeitpunkt der Erteilung des Patents nicht verwertet werden oder noch nicht verwertbar sind, mit deren späterer Verwertung oder Verwertbarkeit aber zu rechnen ist“. Beziehen sich diese lediglich auf die Verbesserung bestehender Patente, so werden diese als „Ausbaupatente“ bezeichnet.45

Rechtliche Einflussfaktoren Die rechtliche Absicherung umfasst insbesondere die folgenden, bewertungsrelevanten Parameter: • Rechtsstand (Existenz/Aufrechterhaltung der Patentanmeldung bzw. des erteilten Patentes) • Status (Stand der Patentanmeldung im Anmeldeverfahren; erteiltes Patent Gegenstand eines Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahrens, einschließlich Verfahrensstatus?) • Validität (Rechtsbeständigkeit des Patentes im Vergleich zum Stand der Technik) • Umfang des Schutzbereichs • Abhängigkeit der Patentausübung von Drittschutzrechten (Freedom-to-operate?) • Territorialer Geltungsbereich • Alter des Patents (verbleibende Laufzeit) • Prozeßbefangenheit (Gegenstand von aktiven oder passiven Verletzungsprozessen? Status derselben?) • Patentgegenständliche Verträge mit Dritten (aktive/passive Lizenzverträge? Duldungsverträge? Nichtangriffsverträge?)

43 44 45

Vgl. ebenda Rn 18. Vgl. ebenda Rn 21. Vgl. ebenda Rn 21.

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b) Technologie Nutzen von Technologien Geschützte Technologien können – wie soeben ausgeführt – einem Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, wenn sie eine Differenzierung der Produkte gegenüber den Konkurrenzprodukten erlauben bzw. zu Kostenvorteilen gegenüber den Wettbewerbern führen. Hieraus kann eine mehr oder weniger weit reichende Alleinstellung des Technologienanwenders gegenüber seinen Wettbewerbern (Exklusivität) resultieren. Geschützten Technologien kommt jedoch nicht nur in den genannten Fällen Bedeutung zu, in denen sie unmittelbar zu Wettbewerbsvorteilen führen. Der Patentschutz kann auch notwendig sein, um die Handlungsfreiheit des Unternehmens sicher zu stellen bzw. Schutz gegen die Monopolstellung Dritter zu geben (Freedomto-operate). Eigene Patente stellen eine wichtige – manchmal die einzig akzeptierte! – „Währung“ dar, durch deren Cross-Lizenzierung für Lizenzen an Patenten Dritter gezahlt werden kann, die bei der Nutzung eigener Technologien benutzt werden.

Technologiebezogene Einflussfaktoren Die Bedeutung einer Technologie für ein Unternehmen wird nicht nur durch deren Nutzen, also ob sie deren Anwender Exklusivität oder lediglich Freedom-to-operate gewährt, bestimmt. Unter 5.2.4 wurde bereits ausgeführt, dass die TechnologieStrategie eines Unternehmens aus der Unternehmensstrategie abzuleiten ist. Dies kann beispielsweise – anknüpfend an den Kernkompetenzen eines Unternehmens – die Festlegung von Kerntechnologifelder nach sich ziehen. Technologien, die Kerntechnologiefeldern zuzuordnen sind, kommt dann grundsätzlich eine andere Bedeutung als bloßen „Randtechnologien“ zu. Der strategische Bezug einer Technologie stellt dementsprechend einen grundlegenden Werttreiber dar. Weitere wichtige Charakteristika von Technologien sind deren Innovationsgrad, der zugrunde liegende Technologielebenszyklus bzw. Innovationszyklus sowie deren Entwicklungsstand. Der zuletzt genannte Aspekt betrifft u. a. die Frage, ob die Technologie sich bereits in der Vermarktungsphase befindet oder noch davor steht.46 Hieraus resultieren eine Reihe sehr spezifischer Fragestellung für die Bewertung von Patenten, die den Rahmen dieses Beitrags übersteigen. Im hier gegebenen Zusammenhang ist lediglich zu beachten, dass der Technologielebenszyklus (Innovationszyklus) einer Technologie eine absolute Begrenzung für deren Nutzungsmöglichkeiten darstellt. Endet dieser vor Ablauf der verbleibenden rechtlichen Patentlaufzeit, so bestimmt er die Nutzungsdauer der patentgeschützten Technologie, d. h. der längeren rechtlichen Patentlaufzeit kommt dann keine Bedeutung zu. 46 Letztere werden auch als Early-Stage-Technologien bezeichnet, vgl. z. B. Smith/Parr, a. a. O. (Fn. 7), S. 495 ff.

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c) Produkt bzw. Verfahren Die Bedeutung eines Produkts für ein Unternehmen und damit auch von dessen Komponenten bzw. von Verfahren, auf deren Grundlage diese hergestellt werden, wird – ebenso wie diejenige von Technologien – durch die Unternehmensstrategie bestimmt (strategischer Bezug der Produkte). Hierbei ist auf die Produkt-MarktStrategie des Unternehmens abzustellen, „die von den Fragen ausgeht, was angeboten werden soll (Produkt) und wem angeboten werden soll (Markt)“.47 Weitere wichtige Einflussfaktoren des Patentwerts sind der • Produktlebenszyklus sowie der • Anteil des Patents am Produkt bzw. einer Komponente des Produkts. Empirische Untersuchungen zeigen, dass der Umsatz von Produkten zumeist einem typischen Verlauf, dem Produktlebenszyklus, folgt.48 Dieser wird durch Einführungs-, Wachstums-, Reife- und Degenerationsphase beschrieben. Die Bedeutung dieses Konzepts resultiert vor allem aus der Erkenntnis, dass Produkte eine beschränkte Lebensdauer haben. Demgemäß kann der Produktlebenszyklus – ähnlich wie der Technologielebenszyklus – die Nutzungsdauer der patentgeschützten Technologie begrenzen. Grundsätzlich ist dies dann der Fall, wenn die Lebensdauer des Produktes vor Ablauf der verbleibenden rechtlichen Patentlaufzeit endet. Im Unterschied zum Technologielebenszyklus ist hierbei allerdings zu berücksichtigen, dass möglicherweise eine weitere Verwertung der patentgeschützten Technologie über Nachfolgeprodukte oder andere Produkte in Betracht kommt. Bei Produktpatenten kann die zugrunde liegende Technologie das Produkt vollständig oder auch nur teilweise umfassen. In anderen Fällen bezieht sich die Technologie auf eine Komponente des Produkts, die wiederum einen Teil des Produkts betrifft, oder lediglich auf einen Teil von Letzterer. Die Bedeutung des Anteils eines Patents am Produkt bzw. einer Produktkomponente zeigt sich beispielsweise bei Lizenzvereinbarungen besonders deutlich. Hierbei wird er oftmals als Grundlage für die Festlegung der Bemessungsgrundlage der Lizenzzahlungen herangezogen.

d) Bestimmung der Nutzungsdauer eines Patentes Die bisherigen Überlegungen haben aufgezeigt, dass die Nutzungsdauer eines Patents von der verbleibenden rechtlichen Patentlaufzeit, dem Technologielebenszyklus (Innovationszyklus) und den Produktlebenszyklen aller auf Basis bzw. mittels der Technologie hergestellter Produkte abhängig ist. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß die verbleibende durchschnittliche Aufrechterhaltungsdauer von Patenten ein guter Maßstab für die Bestimmung der voraussichtlichen Restnutzungsdauer eines Patentes im Zeitpunkt der Patentbewertung sein kann.49 Nach 47 48 49

Bea/Hass 155. Vgl. zum Konzept des Produktlebenszyklus z. B. Bea/Haas, a. a. O. (Fn 33), S. 112 ff. Vgl. zu diesem Problemkreis wiederum Goddar (Fn. 10).

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den vom Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) regelmäßig zu Beginn eines Jahres veröffentlichten Statistiken beträgt die durchschnittliche Aufrechterhaltungsdauer deutscher Patente derzeit ca. 14 Jahre.

5.3.3 Abgrenzung von Patent und zugrunde liegender Technologie Patente zeichnen sich – wie unter 5.3.2 herausgearbeitet – insbesondere durch die diesen zugrunde liegende Technologie und die durch sie vermittelte rechtliche Schutzwirkung aus. Hieraus ergeben sich grundsätzlich zwei verschiedene Betrachtungsweisen, die der Bewertung zugrunde gelegt werden können. In einer Reihe von Beiträgen im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, dass der Wert eines Patents aus der Ergebnisdifferenz zwischen dem Fall der Existenz und dem der Nichtexistenz des Patenzschutzes resultiert.50 Diese Auffassung, die allerdings nicht begründet wird, zielt somit auf den Wert der rechtlichen Schutzwirkung eines Patents ab. Andere Beiträge51 , die allerdings ebenfalls keine Begründung ihrer Auffassung geben, knüpfen bei der Patentbewertung – ebenso wie etwa im Fall der Bewertung von Betriebsgeheimnissen – an der Technologie an, betrachten also diese als das Bewertungsobjekt. Dementsprechend setzen sie an dem der Technologie zu zurechnenden Einkommen an. Zur Klärung der Frage, welchem Ansatz zu folgen ist, ist auf den Bewertungsanlass abzustellen. Ganz überwiegend zielen die verschiedenen Bewertungsanlässe auf die Ermittlung von – möglicherweise auch nur hypothetischen – Transaktionspreisen i. S. v. Preisober- bzw. Preisuntergrenze (Grenzpreise) von Erwerber bzw. Veräußerer:52 Beispielsweise bewirkt die Veräußerung einer patentgeschützten Technologie, dass der Veräußerer die betreffenden Produkte in Zukunft nicht mehr herstellen und vertreiben darf. D. h. er gibt dadurch den mit Herstellung und Vertrieb der Produkte verbundenen zukünftigen Einkommensstrom auf.53 Hierdurch verschlechtert das Unternehmen die eigene Vermögensposition nur dann nicht – es tritt also keine Unternehmenswertreduktion ein –, wenn der erzielte Verkaufspreis für den Verlust dieses Einkommensstroms mindestens einen Ausgleich bietet (Preisuntergrenze des Veräußerers).

50

So z. B. Pitkethly, The Valuation of Patents, A review of patent valuation methods with consideration of option based methods and the potential for further research, Oxford 1997, S. 2; Poredda/Wildschütz (Fn. 12) S. 77. 51 Siehe beispielsweise Reilly/Schweighs, a. a. O. (Fn. 19), S. 434 ff.; Smith/Parr, a. a. O. (Fn. 7), S. 215 ff. 52 Vgl. 5.2.4.1. 53 Bei der Bestimmung dieses Einkommensstroms sind selbstverständlich auch die Folgewirkungen für andere Vermögenswerte, die zur Verwertung der Technologie erforderlich sind („complementary business assets“), zu berücksichtigen.

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Abb. 5.5 Wert der patentgeschützten Technologie

Für die Bestimmung der Preisobergrenze des Erwerbers lassen sich entsprechende Überlegungen selbstverständlich anstellen. Zur Ermittlung der Preisuntergrenze bzw. Preisobergrenze (Grenzpreis) für die Veräußerung bzw. den Erwerb der zur Frage stehenden Patente ist somit auf die zugrunde liegende, patentgeschützte Technologie und nicht auf die rechtliche Schutzwirkung abzustellen. Der Wert der rechtlichen Schutzwirkung von Patenten ergibt sich als Differenz zwischen dem Wert der patentgeschützten und der nicht geschützten Technologie. Dieser Wert ist etwa dann relevant, wenn eine Entscheidung darüber zu treffen ist, ob die Patentierung einer Technologie erfolgen oder diese als Betriebsgeheimnis behandelt werden soll. Damit ist der Zusammenhang zwischen beiden Betrachtungsweisen offensichtlich (Abb. 5.5): Der Wert der patentgeschützten Technologie ergibt sich aus dem Wert der ungeschützten Technologie zuzüglich des Werts der rechtlichen Absicherung. Demnach führen beide Ansätze dann zum gleichen Ergebnis, wenn entweder der Technologie oder der rechtlichen Absicherung kein eigenständiger Wert zukommt, d. h. deren Wert null beträgt.

5.3.4 Einbindung von Patenten in Patentportfolios Die Ausführungen unter 5.3.2 und 5.3.3 machten bereits deutlich, dass selbst einfache Technologien regelmäßig nicht durch ein einzelnes Patent, sondern durch ein – wenn auch kleines – Patentportfolio geschützt sind (Abb. 5.6). Die Vergütungsricht-

5 Grundlagen der Bewertung immaterieller Vermögenswerte

139

Abb. 5.6 Bewertung einer geschützten Technologie

linien für Arbeitnehmererfindungen bezeichnen in Rn. 19 derartige Portfolios als „Schutzrechtskomplexe“.54 Beispielsweise erzielt ein Unternehmen durch Herstellung und Vertrieb von Produkten auf der Grundlage ihrer Technologie, die durch ein Basispatent sowie weitere, Verbesserungen und Features betreffende Patente geschützt ist, Umsatzerlöse und Einkommen. Das erreichte Niveau der Umsätze und des Einkommens kann jedoch auch von Sperrpatenten abhängig sein: „Complementary Protection“-Patente55 verhindern bzw. begrenzen, dass Wettbewerber mit Konkurrenzprodukten Umsätze und Ergebnisse zu Lasten des Unternehmens realisieren können. Allerdings gibt es auch Fälle, in denen ein einziges Patent eine Technologie bzw. ein Produkt absichert. Dies ist etwa in der pharmazeutischen Industrie bei Medikamenten zu beobachten. Demgemäß ist im Zusammenhang mit der Abgrenzung des Bewertungsobjektes zumeist auch die Frage zu klären, ob das einzelne Patent, ein Teil- oder das gesamte Portfolio zu bewerten ist. Zur Klärung dieser Frage ist wiederum der Anlass der Bewertung heranzuziehen.

54 Zur Bewertung umfangreicher Patentportfolios siehe insbesondere Brückner, VPP-Rundbrief 2005 S. 149 ff. 55 Sullivan/Daniele, in: Parr/Sullivan (Fn. 32), S. 35; vgl. auch 5.3.2.2 a aa.

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5.4 Bewertung patentgeschützter Technologien auf der Grundlage des Income Approach 5.4.1 Überblick Der Income Approach setzt – wie bereits ausgeführt – zur Bewertung an dem Einkommen an, das das Bewertungsobjekt in Zukunft voraussichtlich generieren wird. Handelt es sich beim Bewertungsobjekt um ein einzelnes Objekt, etwa um eine patentgeschützte Technologie, ist zu beachten, dass der zukünftige Einkommensstrom zumeist nur durch dessen Zusammenwirken mit anderen Vermögenswerten, z. B. Produktionseinrichtungen, Working Capital und einem Mitarbeiterstamm, erzielbar ist. Dementsprechend ist zur Bewertung eines derartigen Vermögenswertes regelmäßig dessen Beitrag zum Gesamteinkommen aller beteiligten Vermögenswerte zu bestimmen. Im Folgenden wird zunächst der Beitrag des zu bewertenden Vermögenswertes, hier also der patentgeschützten Technologie, zum zukünftigen Gesamteinkommen aller beteiligten Vermögenswerte analysiert (5.4.2). Auf dieser Grundlage wird sodann ein Überblick über die verschiedenen Bewertungsansätze gegeben, wobei deren zentrale Annahmen herausgearbeitet werden (5.4.3). Zur Ermittlung des Werts des Bewertungsobjekts ist der so bestimmte zukünftige Einkommensstrom des Bewertungsobjekts mit einer alternativen Anlagemöglichkeit zu vergleichen, die ihren Ausdruck im Diskontierungszinssatz findet. Die Grundlagen zu dessen Bestimmung werden anschließend aufgezeigt (5.4.4). Die Ableitung des Werts wird auch durch die Besteuerung beeinflusst, worauf abschließend eingegangen wird (5.4.5).

5.4.2 Analyse des Einkommensbeitrags patentgeschützter Technologien Die Untersuchung des Beitrags einer patentgeschützten Technologie auf das Einkommen des Unternehmens oder Unternehmensbereichs,56 dem diese zuzurechnen ist, setzt zunächst eine genaue Abgrenzung der Einkommensermittlung voraus. Hierzu bietet es sich an, auf den Free Cash Flow57 zurückzugreifen.58 Unter 5.3.2.1 wurde bereits ausgeführt, dass der Nutzen von Technologien für deren Anwender insbesondere daraus resultiert, dass sie diesen Wettbewerbsvorteile – in Form von Differenzierungsvorteilen oder Kostenvorteilen – verschaffen. Dementsprechend wird im Folgenden der Einfluss von mit patentgeschützten Technologien 56 Zur Vereinfachung der Formulierungen wird im Folgenden lediglich von Unternehmensbereichen gesprochen. Die Ausführungen gelten jedoch uneingeschränkt auch für ganze Unternehmen. 57 Zu dessen Definition siehe statt vieler Praxis der Unternehmensbewertung und Akquisitionsfinanzierung (Fn. 9). 58 Ebenso Smith/Parr, a. a. O. (Fn. 7), S. 356 f., die allerdings vom „debt free net income“ sprechen.

5 Grundlagen der Bewertung immaterieller Vermögenswerte

141

verbundenen Differenzierungs- und Kostenvorteilen auf die Komponenten des Free Cash Flow – exemplarisch – aufgezeigt (Abb. 5.7). Eine patentgeschützte Technologie kann eine Erhöhung der Umsatzerlöse des betrachteten Unternehmensbereichs bewirken, wenn sie c. p. die Durchsetzung höherer Absatzpreise erlaubt und/oder höhere Absatzmengen nach sich zieht: Höhere Absatzpreise können die Folge von Differenzierungsvorteilen sein. Beispielsweise lassen sich Preisprämien im Pharmabereich bei einem Vergleich der Preise von patentgeschützten Medikamenten mit jenen von Generika identifizieren. Gleiches gilt oftmals auch bei Produkten, die – von den Verwendern geschätzte – Funktionen aufweisen, die die Produkte der Wettbewerber nicht haben; dies ist z. B. bei Kameras zu beobachten. Eine Steigerung der Absatzmenge kann etwa dadurch zu realisieren sein, dass ein Produkt, das Differenzierungsvorteile aufweist, zum Preis der Wettbewerberprodukte angeboten wird. Auch technologieinduzierte Vorteile bei den Cost of Sales können Mengensteigerungen zur Folge haben, beispielsweise wenn diese durch Preissenkungen an die Abnehmer weitergegeben werden. Bei unveränderter Stückmarge führt dies zu einer proportionalen Erhöhung des Gross Profit. Derartige Kostenvorteile sind oftmals mit Verfahrenspatenten, die zu Material- und/oder Personaleinsparungen führen, verbunden. Erhöhungen des Free Cash Flow aufgrund patentgeschützter Technologien können außerdem aus Verminderungen der Selling General & Administrative Expenses (SG&A), des erforderlichen Working Capitals sowie der zu tätigenden Investitionen (CapEx) resultieren. Reduktionen der Selling General & Administrative Expenses sowie des Working Capitals werden häufig durch verbesserte Geschäftsprozesse realisiert, die über Business Process-Patente geschützt sein können. Wertsteigende Effekte bei den Investitionen beschränken sich nicht auf eine Reduktion von deren

Abb. 5.7 Analyse der Cash-flows

142

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Umfang, sie können auch aus deren Verlagerung in spätere Geschäftsjahre resultieren. Diese Einflüsse patentgeschützter Technologien auf den Free Cash Flow des betrachteten Unternehmensbereichs können jedoch mit weiteren Wirkungen auf die Komponenten des Free Cash Flow verbunden sein: Beispielsweise führen zusätzliche Funktionen eines Produkts regelmäßig zu einer Erhöhung der Cost of Sales, die sich zudem über die Erhöhung der Herstellungskosten auch im Working Capital59 niederschlagen können. Möglicherweise erfordert die Herstellung des Produkts mit dieser zusätzlichen Funktion sogar weitere Investitionen. Weiterhin können differenzierungsbedingte Preisprämien etwa auch die Marketing-Ausgaben und damit die Selling Gerneral & Administrative Expenses berühren, wobei sowohl deren Erhöhung als auch deren Verminderung vorstellbar ist. Erhöhungen der Absatzmenge – um ein weiteres Beispiel zu nennen – sind selbstverständlich mit den durch die Herstellung der zusätzlichen Menge verursachten Cost of Sales verbunden. Regelmäßig werden Mehrmengen auch zu zusätzlichen Lager- und Debitorenbeständen mit der Folge einer Erhöhung des Working Capital führen. In Bezug auf die vorhandenen Kapazitäten ist sowohl an die Realisierung von Economies of Scale, als auch an die Notwendigkeit der Tätigung weiterer Investitionen zu denken.

5.4.3 Bewertungsansätze für patentgeschützte Technologien auf der Grundlage des Income Approach 5.4.3.1 Incremental Income Analysis Die Incremental Income Analysis60 setzt an der unter 5.4.2 dargestellten Analyse des Einflusses des Bewertungsobjekts, hier also der patentgeschätzten Technologie, auf den zukünftigen Free Cash Flow61 des betreffenden Unternehmensbereichs an. Der Wert des Bewertungsobjekts ergibt sich – unter Berücksichtigung von Steuern – als Barwert der auf diese Weise isolierten Erhöhungen der zukünftigen Free Cash Flow. Da der Ansatzpunkt dieser Vorgehensweise die unmittelbar dem Bewertungs-

59

Eine Erhöhung des Working Capital kann außerdem Folge höheren Debitorenbeständen sein, die mit differenzierungsbedingt höheren Preisen verbunden sein können. 60 So z. B. Reilly/Schweihs, a. a. O. (Fn. 19), S. 159 ff. Die Terminologie ist im Schrifttum nicht einheitlich. Z. T. wird auch von Incremental Cash Flow Method (Mehrgewinnmethode) oder Incremental Revenue Analysis gesprochen, vgl. z. B. IDW RS HFA 16 (Fn. 6) Tz. 59–62; IDW ES 5 (Fn. 10) Tz. 32–35. 61 Entscheidend ist, dass das Einkommen i. S. d. des Free Cash Flow verstanden wird. Nicht eindeutig AICPA, Practice Aid Series: Assets Acquired in a Business Combination to Be Used in Research and Development Activities: A Focus on Software, electronic Devices, and Pharmaceutical Industries, 2001, 2.1.10.

5 Grundlagen der Bewertung immaterieller Vermögenswerte

143

objekt zurechenbaren Free Cash Flow-Veränderungen sind, wird der Ansatz auch als „direct technique“ bezeichnet.62 Ein typischer Anwendungsfall dieses Bewertungsansatzes sind Technologien, die identifizierbare Kosteneinsparungen nach sich ziehen (Cost Savings Approach63). Dabei ist – wie soeben ausgeführt (5.4.2) – insbesondere an Verfahrenspatente zu denken, die zur Reduktion der Material- und/oder Personalkosten führen. Aufgrund des Erfordernisses der Isolierung des dem Bewertungsobjekt zurechenbaren Incremental Income ist der Anwendungsbereich dieses Ansatzes allerdings begrenzt. In einigen Fällen, etwa bei Produkten, die aufgrund einer besonderen Funktion zu einem höheren Preis als die Produkte der Wettbewerber verkauft werden können, ist die Preisprämie möglicherweise auch durch andere Vermögenswerte des betreffenden Unternehmensbereichs beeinflusst, z. B. durch eine Marke. Darüber hinausgehend ist es in vielen Fällen überhaupt nicht möglich, Aussagen über die Beeinflussung von Absatzpreisen und/oder -mengen durch die zu bewertende Technologie zu machen. Der Grund für den eingeschränkten Anwendungsbereichs liegt in der zentralen Anwendungsvoraussetzung des Ansatzes: Das „incremental income“ lässt sich nur dadurch isolieren, dass die Free Cash Flow-Komponenten und deren Bestimmungsgrößen, so wie sie sich unter Berücksichtigung der zu bewertenden patentgeschützten Technologie ergeben, mit denjenigen verglichen werden, die sich ohne Nutzung der betreffenden Technologie ergeben würden. D. h. es bedarf eines Vergleichsobjekts, das die Situation widerspiegelt, die gegeben wäre, wenn der betrachtete Unternehmensbereich c. p. nicht über die zu bewertende Technologie verfügen würde. Es ist offensichtlich, dass dieses Vergleichsobjekt nur in Ausnahmefällen verfügbar ist. Als Folge des begrenzten Anwendungsbereichs des Incremental Income Approach ist zur Bewertung patentgeschützter Technologien zumeist auf Bewertungsansätze zurückzugreifen, die den so genannten „indirect techniques“ zuzurechnen sind.64 Ein Überblick über derartige Ansätze wird in den folgenden beiden Abschnitten gegeben (5.4.3.2) und (5.4.3.3).

5.4.3.2 Residual Value Approach Der Residual Value Approach65 ermittelt den Wert des zu bewertenden Vermögenswertes dadurch, dass vom Gesamtwert des betreffenden Unternehmensbereichs die Werte aller übrigen, ihm zuzurechnenden Vermögenswerte abgezogen werden. Demnach erfordert dessen Anwendung sowohl die Ermittlung des Gesamtwerts des Unternehmensbereichs, als auch die Bewertung der übrigen, ihm zugehörigen Ver62

So insbesondere Smith/Parr, a. a. O. (Fn. 7), S. 215 ff. Vgl. z. B. AICPA (Fn. 61), 2.2.10; Woodward (Fn. 23) S. 49; Smith/Parr, a. a. O. (Fn. 7), S. 218. 64 Hierzu Smith/Parr, a. a. O. (Fn. 7), S. 222 ff. 65 Vgl. z. B. Khoury/Daniele/Germaid (Fn. 11) S. 82 ff.; IDW RS HFA 16 (Fn. 6) Tz. 47, 53 ff.; IDW ES 5 (Fn. 10) Tz. 36–39, sprechen von Residualwertmethode. Ausführlich zu diesem Ansatz auch Mackenstedt/Fladung/Himmel (Fn. 23) S. 1042–1046 63

144

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mögenswerte (Abb. 5.8). Dementsprechend weisen Mackenstedt/Fladung/Himmel66, darauf hin, dass „die Residualwertmethode eine Bündelung der Bewertungsprobleme aller anderer Verfahren dar(stellt)“. Technisch wird zumeist so verfahren, dass vom Einkommensstrom des betrachteten Unternehmensbereichs die Einkommensbeiträge aller Vermögenswerte mit Ausnahme des Bewertungsobjekts abgezogen werden. Die verbleibenden „Excess Earnings“ werden als dem Bewertungsobjekt zurechenbar betrachtet. Dessen Wert ergibt sich sodann – unter Berücksichtigung von Steuern – als deren Barwert. Aus diesem Grund wird diese Vorgehensweise auch als Excess Earnings oder auch Multi Period Excess Earnings Method bezeichnet (Abb. 5.8). 67 Der Ansatz geht von der Grundüberlegung aus, dass der betrachtete Unternehmensbereich über die zu bewertende Technologie verfügt und diese auch anwendet. Allerdings muss er nicht über die anderen, an der Einkommenserzielung beteiligten Vermögenswerte verfügen. Diese können also anderweitig beschafft werden, z. B. im Wege des Leasing. Die zentralen Anwendungsvoraussetzungen dieses Vorgehens sind Folgende: • Es muss begründbar sein, dem Bewertungsobjekt die „Excess Earnings“ zuzurechnen. Hiervon wird zumeist in den Fällen ausgegangen, in denen es sich beim Bewertungsobjekt um den zentralen Vermögenswert des betreffenden Unternehmensbereichs handelt.68

Abb. 5.8 Ansätze zur Bestimmung des Residualwertes

66 67 68

(Fn. 23) S. 1042. So z. B. AICPA (Fn. 61), 2.1.10 und 16. So IDW RS HFA 16 (Fn. 6) Tz. 58 sowie IDW ES 5 (Fn. 10) Tz. 39.

5 Grundlagen der Bewertung immaterieller Vermögenswerte

145

• Alle anderen Vermögenswerte müssen identifizierbar und bewertbar sein. Dementsprechend muss insbesondere deren Beitrag zum Gesamteinkommen des Unternehmensbereichs bestimmbar sein. Die detaillierte Diskussion insbesondere der ersten Anwendungsvoraussetzung geht über den Rahmen dieses Beitrags hinaus. Es soll lediglich darauf hingewiesen werden, dass mit dem Residual Value-Ansatz tendenziell die Gefahr der Überbewertung des Bewertungsobjekts verbunden ist:69 Zum einen werden mögliche PortfolioEffekte, die aus dem Zusammenwirken aller Vermögenswerte zur Erzielung des Einkommens des Unternehmensbereichs resultieren, in vollem Umfang dem hiernach bewerteten Vermögenswert zugeschlagen. D. h. dem Wert des Bewertungsobjekts wird eine wesentliche Goodwill-Komponente zugewiesen.70 Zum anderen gibt es auch Fälle, in denen nicht alle Vermögenswerte des Unternehmensbereichs identifiziert und bewertet werden können. Deren Wert schlägt sich dann ebenfalls in dem des Bewertungsobjekts nieder.

5.4.3.3 Royalty Analysis a) Relief-from-Royalty-Methode Eine weitere „indirect technique“ zur Bestimmung des Werts von patentgeschützten Technologien ist der Relief-from-royalty-Ansatz.71 Diesem liegt der Gedanke zugrunde, dass ein Unternehmen, das Eigentümer des zu bewertenden Vermögenswerts, hier also der Technologie,72 ist, diesen nicht von einem Dritten einlizensieren muss. Im Falle der Einlizenzierung hätte es Lizenzzahlungen an den Dritten zu leisten, die jedoch – aufgrund der Eigentümerposition – nicht anfallen (von denen das Unternehmen somit „befreit“ ist). Die in diesem Sinne ersparten Zahlungen werden dem Bewertungsobjekt als Einkommen zugerechnet; dessen Wert wird dementsprechend als deren Barwert – unter Berücksichtigung von Steuern – abgeleitet.73 Die Ermittlung der im dargestellten Sinne ersparten Lizenzzahlungen setzt die Bestimmung von Lizenzsätzen voraus. Hierfür wird auf Lizenzverträge für mit dem Bewertungsobjekt vergleichbare Vermögenswerte zurückgegriffen. Die Ableitung der Bemessungsgrundlagen erfolgt zumeist auf der Grundlage der Planungsrechnung des betreffenden Unternehmensbereichs, wobei die Konditionen der Vergleichstransaktionen zu berücksichtigen sind.

69

A. A. wohl Castedello/Klingbeil/Schröder, IDW RS HFA 16: Bewertungen bei der Abbildung von Unternehmenserwerben und bei Werthaltigkeitsprüfungen nach IFRS, in: WPg 2006, S. 1033. 70 Zur Zurechnung dieses Portfolio-Effekts zum Goodwill siehe z. B. bei Reilly/Schweihs, a. a. O. (Fn. 29), S. 381 f.; Smith/Parr, a. a. O. (Fn. 7), S. 24–27. 71 Vgl. Smith/Parr, a. a. O. (Fn. 7), S. 215 ff. 72 Der Ansatz findet insbesondere auch bei der Bewertung von Marken Anwendung. 73 Siehe z. B.Anson/Suchy, Intellectual Property Valuation. A Primer For identifying and Determing Value, Chicago 2005, S. 35 f.

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Der Ansatz geht von der Grundannahme und dem damit verbundenen Vergleichsobjekt aus, dass der Unternehmensbereich c. p. die zu bewertende Technologie nutzt, jedoch nicht deren Eigentümer ist. Aus diesem Grunde muss die Technologie anderweitig – im Wege einer Einlizenzierung – beschafft werden. Damit sind auch die zentralen Anwendungsvoraussetzungen dieses Ansatzes ersichtlich: • Grundvoraussetzung einr Ableitung von Lizenzsätzen aus Markttransaktionen ist das Erfordernis, dass mit dem Bewertungsobjekt vergleichbare Vermögenswerte überhaupt Gegenstand von Lizenzverträgen sind. • Zur Beurteilung der Vergleichbarkeit möglicher Markttransaktionen, zur Bestimmung der Lizenzsätze sowie zur Festlegung der Bemessungsgrundlagen bedarf es zusätzlich der Kenntnis der detaillierten Vertragsinhalte, insbesondere der Konditionen, der Transaktionen. Ist die als erste genannte Voraussetzung gegeben, ist der Anwendungsbereich der Relief-from-Royalty-Methode zumeist relativ breit. Für die Identifikation von Vergleichstransaktionen sowie zur Bestimmung der Vertragsinhalte kommt – neben Rechtssprechung und Literatur74 – Datenbankanbietern75 eine immer größere Bedeutung zu. Beim Relief-from-Royalty-Ansatz handelt es sich konzeptionell um einen Income Approach. Aufgrund des Bezugs zu Markttransaktionen ist er jedoch auch vom Market Approach geprägt. Dementsprechend wird der Relief-from-RoyaltyAnsatz auch als hybrider Ansatz bezeichnet,76 z. T. sogar dem Market Approach zugerechnet.77 In diesem Zusammenhang ist auch der Fall der Auslizenzierung aus Sicht des Lizenzgebers zu betrachten. Er erzielt ein dem Vermögenswert zuzuordnendes Lizenzeinkommen (Royalty Income). Weicht dieses von dem ab, das sich unter Heranziehung von Marktkonditionen für vergleichbare Transaktionen ergeben würde, ist zu untersuchen, ob neben diesem Vermögenswert ein vorteilhafter oder nachteiliger Vertrag gegeben ist.78

74

Siehe hierzu z. B. Hellebrand/Kaube, Leitsätze für technische Erfindungen, 2. Aufl., Köln u. a. 2001; IPRA, Inc., Royalty Rates for Technology, 3. Aufl.; dieselb., Royalty Rates for Pharmaceuticals & Biotechnology, 5. Aufl.; Groß, z. B. Aktuelle Lizenzgebühren in Patentlizenz-, Know-howund Computerprogrammlizenz-Verträgen: 1996/19997, BB 1998 S. 1321–1323. 75 Z. B. Royalty Source (www.royaltysource.com). 76 So z. B. Khoury/Daniele/Germeraad (Fn. 11), S. 81; Anson/Suchy, a. a. O. (Fn 73 73), S. 35. 77 Vgl. z. B. Reilly/Schweihs, a. a. O. (Fn. 19), S. 441 f. 78 So auch Smith/Parr, a. a. O. (Fn. 7), S. 339.

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147

b) Profit Split-Analyse In einer Reihe von Branchen finden „Praktikerregeln“79 Anwendung, die auf die Aufteilung des Einkommens eines betrachteten Unternehmensbereichs zwischen Lizenznehmer und Lizenzgeber abzielen (Profit Split). Insbesondere ist die „25 %Regel“80 zu nennen, die besagt, dass 25 % des Einkommens dem Eigentümer der Intellectual Property, also dem Lizenzgeber, und 75 % dem Produzenten, also dem Lizenznehmer, zukommen sollen. Zur Begründung wird auf die Risikoverteilung zwischen beiden Parteien verwiesen, wonach dem produzierenden Unternehmen aufgrund des Investitionsrisikos der größere Einkommensanteil zukommen soll. Die 25 %-Regel findet beispielsweise in Bereichen des Maschinenbaus Anwendung. Bemerkenswert ist, dass in Branchen, in denen die 25 %-Regel grundsätzlich Beachtung findet, regelmäßig festzustellen ist, dass auch in Lizenzverträgen vereinbarte Lizenzsätze, insbesondere auch Umsatzlizenzen, durch diese Regel geprägt sind.81 Demgemäß bietet sich die Profit Split-Analyse zur unmittelbaren Ableitung von Lizenzzahlungen, die in die Relief-from-Royalty-Analyse einfließen, an. Bedeutsamer ist jedoch deren Heranziehung zur Plausibilisierung von Bewertungsparametern und -ergebnissen, beispielsweise von Lizenzsätzen, die entsprechend der unter 5.4.3.3.1 dargestellten Vorgehensweise bestimmt werden.82

5.4.4 Diskontierungszinssatz 5.4.4.1 Überblick Zur Ermittlung des Werts des Bewertungsobjekts ist sodann der diesem zugeordnete zukünftige Einkommensstrom mit einer alternativen Anlagemöglichkeit zu vergleichen. Technisch erfolgt dieser Vergleich im Wege der Diskontierung. Dementsprechend ist eine mit dem Bewertungsobjekt vergleichbare Alternativanlage festzulegen. Dabei ist insbesondere darauf abzustellen, dass sich deren Laufzeit und Risiko entsprechen, d. h. die Alternativanlage laufzeit- und risikoäquivalent zum Bewertungsobjekt ist. Der Diskontierungszinssatz, der diese Voraussetzung erfüllt, wird im Folgenden als vermögenswertspezifische Verzinsung bezeichnet.

79

Kritisch zu „Praktikerregeln“ Smith/Parr, a. a. O. (Fn. 7), S. 366–368, die ausführen: „Rules of thumb cannot dismissed summarily, but their use must be viewed with caution ...“ 80 Ausführlich zu dieser Regel Goldscheider/Jarosz/Mulhern, Use of the 25 Per Cent Rule in Valuing IP, in: les Nouvelles 2002, S. 123 ff.; kritisch Smith/Parr, a. a. O. (Fn. 7), S. 366–368. 81 Smith/Parr, a. a. O. (Fn. 7), S. 366, sprechen in diesem Zusammenhang von „self-fulfilling prophecies“. 82 In dem zuletzt genannten Aspekt sehen wohl auch Smith/Parr, a. a. O. (Fn. 7), S. 368, deren wesentlichen Anwendungsbereich.

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Bei Ableitung der vermögenswertspezifischen Verzinsung kann von den Kapitalkosten des Unternehmens ausgegangen werden.83 Deren Laufzeit ist allerdings unter Berücksichtigung der Nutzungsdauer des Bewertungsobjekts (Laufzeitäquivalenz) festzulegen (5.4.4.2). Außerdem sind sie entsprechend dem vermögenswertspezifischen Risikos des Bewertungsobjekts (Risikoäquivalenz) anzupassen (5.4.4.3). Abschließend soll kurz auf die Praktikabilität dieser Vorgehensweise eingegangen werden (5.4.4.4).84

5.4.4.2 Ermittlung der laufzeitäquivalenten Kapitalkosten Die gewichteten Kapitalkosten eines Unternehmens (Weighted Average Cost of Capital oder kurz WACC)85 setzen sich aus den Kosten der Eigenkapitalgeber (rE ) und denen der Fremdkapitalgeber (rF ) zusammen, die entsprechend ihrem Anteil am Gesamtunternehmenswert gewichtet werden (Abb. 5.9). Der Gesamtunternehmenswert ergibt sich dabei als Summe aus dem Marktwert des Eigenkapitals (E) und dem Marktwert des Fremdkapitals (D). Bei den Fremdkapitalkosten ist zudem deren steuerliche Abzugsfähigkeit als Betriebsausgabe mittels des Tax Shields (1 − t) zu berücksichtigen. Zur Bestimmung der Eigenkapitalkosten wird zumeist auf das Capital Asset Pricing Model (CAPM) zurückgegriffen.86 Danach setzten sich die Eigenkapitalkosten aus dem risikofreien Zinssatz (r f ) und einer Risikoprämie zusammen. Dabei ist der risikofreie Zinssatz laufzeitäquivalent, d. h. entsprechend der Nutzungsdauer des Bewertungsobjekts, aus der aktuellen Zinsstrukturkurve abzuleiten.87 Die Risikoprämie ergibt sich aus der Multiplikation der Marktrisikoprämie (rM − r f ) mit

83

Eine Zusammenstellung derzeit bestehender Probleme bei der Ermittlung der Kapitalkosten bei Unternehmensbewertungen aus deutscher Sicht findet sich bei Dörschell/Franken/Schulte, in: Bewertungspraktiker 3/2006, S. 2–7. 84 Zur Bestimmung des Diskontierungssatzes bei der Bewertung immaterieller Vermögenswerte siehe auch IDW RS HFA 16 (Fn. 6) Tz. 30 ff., 35 ff.; IDW ES 5 (Fn. 10) Tz. 40–43. 85 Vgl. statt vieler Bäzner/Timmreck, Die DCF-Methode im Überblick, in: Richter/Timmreck (Hrsg.), Unternehmensbewertung – Moderne Instrumente und Lösungsansätze, Stuttgart, 2004, S. 12–17. Ausführlich hierzu auch Schmusch/Laas, Werthaltigkeitsprüfung nach IAS 36 in der Interpretation von IDW RS HFA 16, in: WPg 2006, S. 1054–1059. 86 Zu diesem Modell sowie dessen Anwendungsmöglichkeiten und -problemen im Rahmen der Unternehmensbewertung siehe z. B. Franke/Hax, Finanzwirtschaft des Unternehmens und Kapitalmarkt, 4. Aufl., Berlin u. a. 1999, S. 342–348, Timmreck, Bestimmung der Eigenkapitalkosten, in: Richter/Timmreck, (Fn. 85), S. 61–67; ein knapper Überblick findet sich auch bei Peemöller, Der Betafaktor als unternehmensindividuelle Risikovariable, in: UM 2005 S. 157–160; derselbe, Das Capital Asset Pricing Model, in: UM 2005 S. 222–224. 87 Hierzu Gebhardt/Daske (Fn. 15) S. 649–655, sowie Kniest, Quasi-risikolose Zinssätze in der Unternehmensbewertung, in: Bewertungspraktiker 2005 S. 9–12.

5 Grundlagen der Bewertung immaterieller Vermögenswerte

149

Abb. 5.9 Bestimmung der Kapitalkosten eines Unternehmens

dem β -Faktor (Abb. 5.9).88 Bei der Ermittlung der Fremdkapitalkosten ist in entsprechender Weise die Laufzeit- und Risikoäquivalenz zu berücksichtigen.89 Die dargestellten Parameter der Kapitalkosten können aus Sicht des Unternehmens, bei dem das Bewertungsobjekt zusammen mit anderen Vermögenswerten zur Erzielung von dessen Gesamteinkommen beiträgt, ermittelt werden. Sie können jedoch auch von diesem losgelöst unter Heranziehung von Vergleichsunternehmen (Peer Group) bestimmt werden.90 Letzteres bedeutet beispielsweise, dass für die Gewichtung der Eigenkapital- und Fremdkapitalkosten nicht der Anteil des Marktwerts des Eigenkapitals bzw. des Fremdkapitals am Gesamtunternehmenswert des betreffenden Unternehmens herangezogen, sondern auf die Kapitalstruktur der Peer Group abgestellt wird. Für die Anwendung des zweiten Ansatzes spricht, dass ein einzelner Vermögenswert als Bewertungsobjekt zumeist nur im Zusammenwirken mit anderen Vermögenswerten einen Einkommensstrom generieren kann und dementsprechend dessen Wert Teil des Werts der das Einkommen erzielenden Einheit ist. Die Bewertungen der einzelnen Vermögenswerte können damit als Partialkalküle betrachtet werden. Die anzuwendende Vorgehensweise bei der Bestimmung der Parameter der Kapitalkosten sollte jedoch entsprechend den im konkreten Fall gegeben Verhältnissen, insbesondere unter Berücksichtigung des Bewertungsanlasses, festgelegt werden. 88 Der β -Faktor eines Wertpapiers i ist definiert als die Kovarianz zwischen der Renditeerwartung dieses Wertpapiers und der des Marktportfolios dividiert durch die Varianz der Rendite des Marktportfolios. Siehe hierzu und zu dessen Ermittlung bereits die in Fn. 86 angeführte Fundstellen. 89 Zur Bestimmung der Fremdkapitalkosten siehe z. B. Breitenbücher/Ernst, Der Einfluss von Basel II auf die Unternehmensbewertung, in: Richter/Timmreck (Fn 8585), S. 77–97; Behr/Güttler, Kapitalkosten, Basel II und interne Ratings, in: UM 2004 S. 7–12. 90 So ist bei der Ermittlung des beizulegenden Zeitwerts (Fair Value) vorzugehen. Vgl. etwa IDW RS HFA 16 (Fn. 6) Tz. 35; Mackenstedt/Fladung/Himmel (Fn. 23) S. 1046.

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U. Moser, H. Goddar

5.4.4.3 Berücksichtigung des vermögenswertspezifischen Risikos Das Risiko von Vermögenswerten kann durch die Volatilität der diesen zuzurechnenden Einkommensströme gemessen werden.91 In einem Unternehmen oder Unternehmensbereich, der bzw. das als Portfolio von Vermögenswerten zu betrachten ist, wirken diese zur Erzielung von dessen Gesamteinkommensstroms zusammen. Jeder dieser Vermögenswerte ist nun dadurch gekennzeichnet, dass der ihm zugeordnete Beitrag zum Gesamteinkommensstrom seine individuelle Volatilität und damit sein individuelles, also vermögenswertspezifisches Risiko92 aufweisen kann.93 Beispielsweise kann die Entwicklung einer neuen Technologie eine bestehende gänzlich obsolet machen, wohingegen der bisherige Maschinenpark weiter genutzt werden kann, etwa für die Fertigung der auf der neuen Technologie beruhenden Produkte. In diesem Fall weist der der Technologie zugeordnete Beitrag zum Gesamteinkommensstrom c. p. eine höhere Volatilität und damit ein höheres vermögenswertspezifisches Risiko als der Maschinenpark auf. Grundgedanke der Bestimmung der vermögenswertspezifischen Anpassungsbeträge ist die Überlegung, dass die vom Portfolio aller Vermögenswerte generierte Verzinsung jener Verzinsung entsprechen soll, die von allen Kapitalgebern des Unternehmens gefordert wird. D. h. die gewichtete Verzinsung aller Vermögenswerte soll gleich den gewichteten Kapitalkosten sein (Abb. 5.10).94 Abbildung 5.11 enthält ein sehr vereinfachtes Beispiel zur Erläuterung dieses Zusammenhangs: Der betrachtete Unternehmensbereich nutzt eine Technologie, Sachanlagen, Working Capital sowie weitere, nicht spezifizierte Vermögenswerte, die ihren Niederschlag im Goodwill finden. Die Nutzungsdauer aller genannten Vermö-

Abb. 5.10 Bestimmung der vermögenswertspezifischen Verzinsung 91 Siehe hierzu bereits bei Moser/Schieszl, Unternehmenswertanalysen auf der Basis von Simulationsrechnungen am Beispiel eines Biotech-Unternehmens, in: FB 2001 S. 530–541. 92 Vgl. auch IDW RS HFA 16 (Fn. 6) Tz. 33. 93 Grundlegend hierzu Smith/Parr, a. a. O. (Fn. 7), S. 227–236, 356–362, 558–562. 94 Siehe ebenda.

5 Grundlagen der Bewertung immaterieller Vermögenswerte

151

Abb. 5.11 Vereinfachtes Beispiel zur Bestimmung der vermögenswertspezifischen Verzinsung

genswerte soll identisch sein und 10 Jahre betragen. Die gewichteten Kapitalkosten wurden unter Zugrundelegung einer Laufzeit von 10 Jahren in Höhe von rund 6,08 % ermittelt. Die vermögenswertspezifischen Anpassungen der laufzeitäquivalenten Kapitalkosten (Risikozu-/-abschläge) wurden iterativ so festgelegt, dass folgende Bedingungen erfüllt sind:95 • Die vermögenswertspezifische Verzinsung, die sich als Summe der Risikozu-/ -abschläge und der laufzeitäquivalenten Kapitalkosten ergeben, bringen das unterschiedliche Risiko der einzelnen Vermögenswerte in Relation zueinander zum Ausdruck. Im Beispiel bedeutet dies, dass das Risiko des Goodwills größer ist als das der Technologie, letzteres größer als das der Sachanlagen; das Working Capital weist das geringste Risiko auf. • Die Summe der gewichteten vermögenswertspezifischen Verzinsungen der einzelnen Vermögenswerte (gewichtete durchschnittliche Verzinsung aller Vermögenswerte) ist gleich den gewichteten Kapitalkosten.

5.4.4.4 Praktikabilität der Bestimmung der vermögenswertspezifischen Verzinsung Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass die Bestimmung der vermögenswertspezifischen Verzinsung sowohl eine Bewertung des gesamten Unternehmensbereichs, dessen Einkommensstrom unter Mitwirkung des Bewertungsobjekts generiert wird, als auch aller diesem zuzurechnenden Vermögenswerte erfordert. In den Fällen, in denen sowieso alle diese Bewertungen vorzunehmen sind – beispielsweise

95

Auf die Darstellung der Bestimmung des risikospezifischen Zinssatzes und deren Problematik wird im Rahmen des Fallbeispiels (5.5.5.3d) eingegangen.

152

U. Moser, H. Goddar

bei Durchführung einer Kaufpreisaufteilung nach IFRS 3 – führt diese Vorgehensweise regelmäßig zu keinem zusätzlichen Aufwand. In anderen Fällen, in denen – im Extremfall – lediglich ein einzelner Vermögenswert, etwa ein Patent, zu bewerten ist, erfordert die Ableitung der vermögenswertspezifischen Verzinsung jedoch zusätzlich die Bewertung des gesamten Unternehmensbereichs, dem das Bewertungsobjekt zuzurechnen ist, sowie die Bewertung aller anderen, diesem zugehörigen Vermögenswerte. Damit wird die Bewertung eines einzelnen Vermögenswertes zumeist einen verhältnismäßig hohen Aufwand nach sich ziehen. In derartigen Fällen ist in Erwägung zu ziehen, ob eine pauschale Schätzung des vermögenswertspezifischen Risikozuschlags auf die laufzeitäquivalenten Kapitalkosten ausreichend ist.96

5.4.5 Berücksichtigung der Besteuerung bei der Bewertung immaterieller Vermögenswerte 5.4.5.1 Steuerrelevante Fragestellungen Bei der Bewertung immaterieller Vermögenswerte nach dem Income Approach können steuerliche Wirkungen in zweifacher Weise von Bedeutung sein: • Einbeziehung der Besteuerung ins Bewertungskalkül • Berücksichtigung des steuerbedingten Abschreibungsvorteils (Tax Amortization Benefit).

5.4.5.2 Einbeziehung der Besteuerung ins Bewertungskalkül Bei Anwendung des Income Approach zur Bewertung von Vermögenswerten sind – in gleicher Weise wie bei der Unternehmensbewertung97 – Ertragsteuern zu berücksichtigen. Dementsprechend sind die dem Bewertungsobjekt zugeordneten Einkommensströme um Ertragsteuern zu kürzen. Beim Incremental Income- und beim Residual Value-Ansatz ist dies unmittelbar ersichtlich. Beim Relie-from-RoyaltyAnsatz resultiert die Steuerberücksichtigung daraus, dass die ersparten Lizenzzahlungen steuerlich abzugsfähige Betriebsausgaben, die die Ertragsteuerzahlungen des Lizenznehmers reduzieren, sind. Deswegen entlastet der Wegfall der Lizenzzahlungen nur in Höhe ihres Betrags nach Abzug der Ertragsteuern. Das Erfordernis der Berücksichtigung von Ertragsteuern beim Diskontierungszinssatz hängt davon ab, ob es sich bei diesem um eine Vor- oder Nachsteuergröße handelt.

96 Für den Fall der Kaufpreisaufteilung nach IFRS 3 sprechen sich Mackenstedt/Fladung/Himmel (Fn. 23) S. 1046, dafür aus, dass „vereinfachend auch der Laufzeitäquivalenz mit einem pauschalen Zu- bzw. Abschlag auf den WACC ... Rechnung getragen werden (kann)“. 97 Vgl. z. B. Moser FB 1999 S. 117 ff.

5 Grundlagen der Bewertung immaterieller Vermögenswerte

153

In die Ermittlung der Ertragsteuern brauchen lediglich die Unternehmenssteuern einbezogen zu werden.98 Eine Berücksichtigung der persönlichen Ertragsteuern der Anteilseigner99 erübrigt sich dann, wenn dem oben bereits dargelegten Gedanken (5.4.4.2), die Bewertungen einzelner Vermögenswerte als Partialkalküle zu betrachten, gefolgt wird. In diesem Fall können die persönlichen Ertragsteuern der Anteilseigner erforderlichenfalls auf Unternehmensebene bei Ableitung des Unternehmenswerts ihren Niederschlag finden.

5.4.5.3 Abschreibungsbedingter Steuervorteil (Tax Amortization Benefit) Beim gesonderten Erwerb eines immateriellen Vermögenswertes, etwa eines Patentes, ist der Erwerber nach den Steuergesetzen der meisten Länder berechtigt, die Anschaffungskosten im Wege der Abschreibung mit steuerlicher Wirkung auf dessen Nutzungsdauer zu verteilen (z. B. §§ 5 Abs. 2, 6 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Hieraus resultiert eine Verminderung der jährlichen Steuerbelastung, die sich durch Anwendung des Steuersatzes des Erwerbers auf den jährlichen Abschreibungsbetrag ergibt.100 Der abschreibungsbedingte Steuervorteil (Tax Amortization Benefit oder kurz TAB) ergibt sich dann als Summe der Barwerte dieser jährlichen Steuervorteile. Aus Sicht des Erwerbers ist der Grenzpreis101 der Betrag, den dieser für den Erwerb eines Vermögenswertes höchstens bezahlen darf, ohne eine Verschlechterung seiner Vermögensposition im Vergleich zur Unterlassung des Erwerbs zu erfahren (Preisobergrenze). Dementsprechend ist der abschreibungsbedingte Steuervorteil bei der Ermittlung des Grenzpreises des Erwerbers immer dann zu berücksichtigen, wenn die Voraussetzungen für dessen Realisierung vorliegen. Bei der Berechnung des abschreibungsbedingten Steuervorteils tritt demnach ein Zirkularitätsproblem auf (Abb. 5.12): Einerseits schließt der Grenzpreis den abschreibungsbedingten Steuervorteil ein, andererseits stellt er zugleich die Bemessungsgrundlage für dessen Berechnung dar. In Abb. 5.13 ist die Auflösung dieses Zirkularitätsproblems dargestellt. Mit der Anwendung des abschreibungsbedingten Steuervorteils, insbesondere dessen Berücksichtigung bei der Ableitung des beizulegenden Zeitwerts, sind eine Reihe von (ungeklärten) Fragen verbunden, deren Diskussion im Rahmen dieses Beitrags nicht möglich ist.102

98

So auch IDW RS HFA 16 (Fn. 6), Tz. 29, 36; IDW ES 5 (Fn. 10), 44 f. Siehe hierzu z. B. bei Moser (Fn. 97) S. 117 ff. 100 Dabei wird vereinfachend unterstellt, dass der Erwerber in jedem Jahr vor Berücksichtigung dieser Abschreibung mindestens einen Gewinn in Höhe dieses Betrags erzielt und über keine steuerlich relevanten Verlustvorträge verfügt. Diese Annahme kann auch bei Anwendung des bereits angeführten Gedankens des Partialkalküls (5.4.4.2) zugrunde gelegt werden. 101 Vgl. bereits 5.2.4.1. 102 Siehe hierzu z. B. bei Kasperzak/Nestler DB 2007 S. 473–478. 99

154

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Abb. 5.12 Zirkularitätsproblem bei der Ermittlung des abschreibungsbedingten Steuervorteils (bei unterstellter linearer Abschreibung)

Abb. 5.13 Berechnung des Tax Amortisation Benefit

5.5 Fallbeispiel 5.5.1 Überblick Im Folgenden wird anhand eines einfachen Zahlenbeispiels die Anwendung der dargestellten Ausprägungen des Income Approach bei der Bewertung patentgeschützter Technologien in den Grundzügen erläutert. Hierzu werden den Ausführungen verschiedene Annahmen über Anwendungsbereich und Bedeutung des Bewertungsobjekts sowie die Verfügbarkeit von vergleichbaren Technologien zugrun-

5 Grundlagen der Bewertung immaterieller Vermögenswerte

155

de gelegt (5.5.3–5.5.5). Abschließend werden die dabei erzielten Ergebnisse verglichen (5.5.6). Zuvor werden die Ausgangsdaten des Fallbeispiels zusammengefasst (5.5.2).

5.5.2 Ausgangsdaten Die Beispiel GmbH ist Eigentümerin einer patentgeschützten Technologie. Diese wird in der Geschäftseinheit Speziallösungen (SL) von der Gesellschaft selbst genutzt. Im Rahmen eines umfangreichen Umstrukturierungsprojektes ist eine Bewertung der Technologie zum 01. Januar 2007 erforderlich. Das Produktionsprogramm der Geschäftseinheit SL besteht lediglich aus einem Produkttyp, der in verschiedenen Varianten hergestellt wird. Die zu bewertende patentgeschützte Technologie ist für Herstellung bzw. für Herstellung und Vertrieb des kompletten Produktprogramms des Geschäftseinheit SL relevant. Aufgrund der Erfahrungen der Vergangenheit geht die Leitung der Geschäftseinheit SL von einer verbleibenden Lebensdauer der Technologie von 8 Jahren aus. Grundlage des Schutzes der Technologie sind mehrere erteilte Patente mit verbleibenden Laufzeiten von 10 bis 12 Jahren.103 Nach derzeitiger Einschätzung ist der daraus resultierende Schutz der Technologie als hoch zu beurteilen. Das gesamte Produktprogramm der Geschäftseinheit SL kann durch Einsatz der Patente wirksam gegen jedwede Nachahmung durch Wettbewerber geschützt werden. In die Untersuchung wurden insbesondere die Rechtsbeständigkeit, der Schutzumfang sowie der territoriale Geltungsbereich einbezogen. Tabelle 5.1 enthält die Planergebnisrechnung der Geschäftseinheit SL. Sachanlagevermöge und Working Capital der Geschäftseinheit wurden zum Bewertungsstichtag neu bewertet. Deren beizulegende Zeitwerte betragen TEUR 100 bzw. TEUR 75. Der Steuersatz der Geschäftseinheit liegt bei 40 %. Die gewichteten Kapitalkosten der Geschäftseinheit SL wurden in Höhe von 7,08 % bestimmt (Tabelle 5.2). Zur Vereinfachung der Untersuchung wird auf die Anwendung der Midyear Convention verzichtet.104 Die Ergebnisse, die sich bei deren Anwendung ergeben, lassen sich dadurch berechnen, dass die im Folgenden abgeleiteten Werte um ein halbes Jahr mit dem jeweils angewandten Diskontierungszinssatz aufgezinst werden.

103

Damit lässt sich Nutzungsdauer des Bewertungsobjekts bestimmen: Da die Laufzeiten der Patente die Lebensdauer der Technologie übersteigen, bestimmt letztere die Nutzungsdauer. Diese beträgt somit 8 Jahre. 104 Siehe hierzu z. B. bei Reilly/Schweihs, a. a. O. (Fn. 19), S. 188.

156

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Tabelle 5.1 Planergebnisrechnung der Geschäftseinheit SL Mio. EUR

2007

2008

2009

Sales Cost of Sales

360 –241

389 –259

404 –270

Gross Profit SG&A

119 –61

130 –67

134 –68

58 –23

63 –25

66 –26

35

38

39

EBIT Tax

40 %

NOPLAT

Tabelle 5.2 Ermittlung der gewichteten Kapitalkosten der Geschäftseinheit SL Weighting Cost of Equity Risk free rate (laufzeitäquivalent) Risk Premium Market Risk Premium β -Factor Cost of Debt Cost of Debt pre Tax (laufzeit- und risikoäquivalent) Tax 40 %

9,40 %

60 %

5,64 %

3,60 %

40 %

1,44 %

4,00 % 5,40 % 4,50 % 1,2 6,00 % 2,40 %

Weighted Average Cost of Capital

7,08 %

5.5.3 Incremental Income Analysis 5.5.3.1 Auswahl der anzuwendenden Bewertungsmethode Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass es sich bei der zu bewertenden patentgeschützten Technologie um ein Verfahren handelt, das bei der Herstellung der Produkte der Geschäftseinheit SL zu einem geringeren Materialverbrauch je hergestellter Einheit führt. Aufgrund der Positionierung der Produkte der Geschäftseinheit im Vergleich zu denen der Wettbewerber sieht die Gesellschaft keine Veranlassung, die dadurch erzielten Kostenvorteile durch Preissenkungen an die Kunden weiter zu geben. Sie geht auch davon aus, dass sich an dieser vorteilhaften Situation in den verbleibenden Jahren der Nutzung dieser Technologie nichts ändern wird. Unter diesen – engen – Voraussetzungen übt die zu bewertende Technologie keinen Einfluss auf das Mengen- und Preisgerüst der Geschäftseinheit SL aus. D. h. Anzahl und Preis der hergestellten und verkauften Produkte im Fall der Nutzung der Technologie durch die Geschäftseinheit unterscheiden sich nicht von jenen, die ohne Nutzung der Technologie zu realisieren wären. Demgemäß unterscheiden sich

5 Grundlagen der Bewertung immaterieller Vermögenswerte

157

diese beiden Konstellationen nur durch die Höhe der Materialkosten sowie die Marge je hergestellter Einheit. Damit sind die Voraussetzungen zur Isolierung des Beitrags der zu bewertenden Technologie zum zukünftigen Einkommen der betrachteten Geschäftseinheit, also des Incremental Income, erfüllt: Die zukünftigen jährlichen Kosteneinsparungen ergeben sich aus der Materialkosteneinsparung pro Stück und der Anzahl der in den einzelnen Jahren der verbleibenden Nutzungsdauer der Technologie hergestellten Produkte. Auf dieser Grundlage lässt sich der Wert der patentgeschützten Technologie nach der Incremenatl Income Analysis ermitteln. Er ergibt sich als Barwert der mit ihr verbundenen, zukünftigen Kosteneinsparungen, wobei die steuerlichen Wirkungen zu berücksichtigen sind. Zur Ableitung des Werts des Bewertungsobjekts (5.5.3.5) sind die ihr zuzuordnenden jährlichen Kosteneinsparungen für deren verbleibende Nutzungsdauer (5.5.3.2), die vermögenswertspezifische Verzinsung (5.5.3.3) sowie – sofern die Anwendungsvoraussetzungen hierfür gegeben sind – der Tax Amortization Benefit (5.5.3.4) zu bestimmen. Zur Vereinfachung der Untersuchung wird im Folgenden davon ausgegangen, dass zur Realisierung der Kosteneinsparungen keine zusätzlichen Investitionen zu tätigen sind. Außerdem wird angenommen, dass die Berücksichtigung von Einflüssen auf das Working Capital aufgrund untergeordneter Bedeutung unterbleiben kann.

5.5.3.2 Ermittlung der zukünftigen Kosteneinsparungen Die Analyse des Einflusses der zu bewertenden Technologie auf den Materialverbrauch der verschiedenen Modelle des Produktionsprogramms der betrachteten Geschäftseinheit zeigte, dass die Materialeinsparung je hergestellter Einheit in Abhängigkeit vom Modell steht. Bei der Ermittlung der Materialkosteneinsparungen ist zudem zu berücksichtigen, dass bei den verschiedenen Modellen unterschiedliche Materialqualitäten mit entsprechend differierenden Bezugspreisen Verwendung finden. Dementsprechend werden die jährlichen Kosteneinsparungen nicht nur durch die Anzahl der in diesem Zeitraum hergestellten Erzeugnisse und die dabei erzielbaren Materialverbrauchseinsparungen je Einheit, sondern auch durch den Produktmix bestimmt. Zur Vereinfachung der Vorgehensweise bei der Anwendung der Incremental Income Analysis hat die Beispiel GmbH für jedes Jahr des Planungszeitraums die aus den Materialkosteneinsparungen resultierende Margenverbesserung – bezogen auf die Umsatzerlöse – ermittelt. Für die Zeit nach dem Planungshorizont bis zum Ende der Nutzungsdauer der Technologie geht die Leitung der Geschäftseinheit SL davon aus, dass der Produktmix des letzten Planjahrs für den gesamten Zeitraum repräsentativ sein soll. Die Margenverbesserungen sind in Tabelle 5.3 zusammengestellt. Die Ableitung der jährlichen Materialkosteneinsparungen erfordert schließlich die Prognose der Umsatzerlöse bis zum Ende der Nutzungsdauer des Bewertungsobjekts. Aufgrund des Technologielebenszyklus sowie des Entwicklungsstands des relevanten Marktes geht die Gesellschaft davon aus, dass die Umsatzerlöse des

158

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Tabelle 5.3 Umsatzprognose und Margenverbesserungen der patentgeschützten Technologie proj. 2007

proj. 2008

proj. 2009

2010

2011

2012

2013

Umsatzerlöse Wachstumsrate

360 20,0 %

389 8,0 %

404 4,0 %

412 2,0 %

421 2,0 %

429 2,0 %

438 365 2,0 % –20,0 %

Margenverbesserung in Prozent der Umsatzerlöse

3,5 3,8 4,1 4,2 4,3 4,4 4,5 0,98 % 0,99 % 1,02 % 1,02 % 1,02 % 1,02 % 1,02 %

Mio. EUR

2014

3,7 1,02 %

letzten Planjahrs mit der erwarteten Marktwachstumsrate in Höhe von 2 % fortzuschreiben sind. Am Ende der Nutzungsdauer der Technologie ist – aufbauend auf der bisherigen Erfahrung – deren Substitution durch die Nachfolgetechnologie zu berücksichtigen. Die so abgeleitete Umsatzprognose sowie die korrespondierenden Kosteneinsparungen sind in Tabelle 5.3 dargestellt.

5.5.3.3 Bestimmung der vermögenswertspezifischen Verzinsung Ausgangspunkt zur Ableitung der vermögenswertspezifischen Verzinsung sind die laufzeitäquivalenten gewichteten Kapitalkosten der Geschäftseinheit SL. Diese sind entsprechend dem vermögenswertspezifischen Risiko anzupassen. Hierbei ist grundsätzlich der unter 5.4.4.3 erläuterten Vorgehensweise zu folgen.105 In den Fällen, in denen eine Identifikation und Bewertung aller Vermögenswerte der betrachteten Geschäftseinheit – etwa aufgrund des damit verbundenen Aufwands – nicht erfolgen kann, verbleibt nur die Möglichkeit einer pauschalen Abschätzung des vermögenswertspezifischen Risikos. Aus diesem Grund wird bei der Bewertung der patentgeschützten Verfahrenstechnologie von einem geschätzten Zuschlag für das vermögenswertspezifische Risiko in Höhe von 2 % auf die laufzeitäquivalenten gewichteten Kapitalkosten (7,08 %) ausgegangen. Damit beträgt die vermögenswertspezifische Verzinsung für das Bewertungsobjekt 9,08 %.

5.5.3.4 Berechnung des Tax Amortization Benefits Die geplanten Umstrukturierungen bei der Beispiel GmbH führen zu einer Übertragung des Bewertungsobjekts mit steuerlicher Wirkung. Dementsprechend zieht der zu ermittelnde Wert der patentgeschützten Technologie steuerliche Abschreibungen nach sich. Die Voraussetzungen für den Ansatz des Tax Amortization Benefits sind somit gegeben. Der Tax Amortization Benefit kann durch Anwendung des Step Up-Faktors aus Abb. 5.13 berechnet werden. Dessen Anwendung auf den Barwert des dem Bewer105

Dieser Ansatz wird unter 5.5.5.3d erläutert.

5 Grundlagen der Bewertung immaterieller Vermögenswerte

159

Tabelle 5.4 Berechnung des Tax Amortization Benefit Depreciation Method

linear

Tax amortization period

8

Cost of Capital

9,08 %

Year

Month

Present value factor

Amortization factor

Present value amortization factor

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

12 24 36 48 60 72 84 96 108 120 132 144 156 168 180

0,9168 0,8404 0,7705 0,7063 0,6476 0,5936 0,5442 0,4989 0,4574 0,4193 0,3844 0,3524 0,3231 0,2962 0,2715

0,1250 0,1250 0,1250 0,1250 0,1250 0,1250 0,1250 0,1250 0,0000 0,0000 0,0000 0,0000 0,0000 0,0000 0,0000

0,1146 0,1051 0,0963 0,0883 0,0809 0,0742 0,0680 0,0624 0,0000 0,0000 0,0000 0,0000 0,0000 0,0000 0,0000

Total sum of present value amortization factors Total corporate tax rate Total tax savings percentage

0,6898 40,0 % 0,2759

Converted into a step up (1/1-total tax savings %)

1,3811

tungsobjekt zuzurechnenden Einkommens führt zum Wert einschließlich Tax Amortization Benefit. Dementsprechend ist zur gesonderten Ermittlung des Tax Amortization Benefit der Barwert des Einkommens vom Gesamtwert abzuziehen. Die Ableitung des Step Up-Faktors aus Abb. 5.13 für die zu bewertende patentgeschützte Technologie der Geschäftseinheit SL ist in Tabelle 5.4 dargestellt.

5.5.3.5 Ableitung des Werts der patentgeschützten Technologie Der Wert der patentgeschützten Technologie ergibt sich durch Diskontierung der jährlichen Kosteneinsparungen aus der Anwendung der Verfahrenstechnologie. Da diese Margenverbesserungen grundsätzlich der Ertragsbesteuerung bei der Beispiel GmbH unterliegen, sind die zusätzlichen Steuerbelastungen in Abzug zu bringen. Entsprechend den Ausführungen unter 5.5.3.4 ist der Tax Amortization Benefit

160

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Tabelle 5.5 Bewertung der patentgeschützten Technologie mit der Incremental Income-Methode Mio. EUR Sales Incremental Income Tax 40 %

proj. 2007

proj. 2008

proj. 2009

2010

2011

2012

2013

2014

360 3,5 –1,4

389 3,8 –1,5

404 4,1 –1,6

412 4,2 –1,7

421 4,3 –1,7

429 4,4 –1,8

438 4,5 –1,8

365 3,7 –1,5

Royalty Savings 2,1 2,3 2,5 2,5 2,6 2,6 2,7 2,2 after Tax Discount Factor 0,9168 0,8404 0,7705 0,7063 0,6476 0,5936 0,5442 0,4989 Present Value 1,9 1,9 1,9 1,8 1,7 1,6 1,5 1,1 Net Present Value 13,4 TAB 1,3811 5,1 Fair Value

18,5

dem Barwert der zukünftigen Kosteneinsparungen zuzuschlagen. Die Ermittlung des Werts der patentgeschützten Technologie ist Tabelle 5.5 zu entnehmen. Er beträgt Mio. EUR 18,5.

5.5.4 Relief-from-Royalty-Methode 5.5.4.1 Auswahl der anzuwendenden Bewertungsmethode Die folgenden Ausführungen gehen von der Annahme aus, dass Technologien, die mit der zu bewertenden grundsätzlich vergleichbar sind, typischerweise Gegenstand von Lizenztransaktionen sind. Damit ist die Grundvoraussetzung für die Anwendung der Relief-from-Royalty-Methode erfüllt. Der Wert der zu bewertenden, patentgeschützten Technologie kann somit – unter Berücksichtigung der steuerlichen Wirkungen – als Barwert der (fiktiven) Lizenzzahlungen, die das Unternehmen aufgrund der Eigentumsposition am Bewertungsobjekt einspart, bestimmt werden. Die Ableitung des Werts (5.5.4.3) erfordert zunächst die Bestimmung der ersparten, zukünftigen Lizenzzahlungen. Hierzu kann auf Vergleichstransaktionen (5.5.4.2a) zurückgegriffen oder ein Profit Split-Faktor (5.5.4.2b) angewendet werden. Die Ermittlung der vermögenswertspezifischen Verzinsung sowie des Step Up-Faktors für die Berechnung des Tax Amortization Benefit wurden bereits unter 5.5.3.3 und 5.5.3.4 dargestellt. Auf diese Ausführungen wird an dieser Stelle verwiesen.

5 Grundlagen der Bewertung immaterieller Vermögenswerte

161

5.5.4.2 Ableitung der ersparten Lizenzzahlungen a) Ableitung der Lizenzzahlungen aus Vergleichstransaktionen Lizenzzahlungen werden regelmäßig durch Anwendung eines Lizenzsatzes auf eine Bemessungsgrundlage, z. B. die auf der Grundlage der lizenzierten Technologie erzielten Umsatzerlöse, festgelegt. Daneben werden oftmals weitere Zahlungskomponenten vereinbart, beispielsweise Upfront und Milestone Payments oder Mindestlizenzvereinbarungen. Zur Bestimmung der ersparten zukünftigen Lizenzzahlungen sind im ersten Schritt Lizenztransaktionen zu identifizieren, denen Technologien zugrunde liegen, die mit dem Bewertungsobjekt vergleichbar sind. Sodann sind die in den Vergleichstransaktionen vereinbarten Lizenzbedingungen auf die beim Bewertungsobjekt – für die Jahre der verbleibenden Nutzungsdauer – gegebenen Verhältnisse anzuwenden. Eine Recherche in Lizenztransaktions-Datenbanken zeigte, dass eine Lizenzierung von patentgeschützten Technologien, die mit dem Bewertungsobjekt vergleichbar sind, typischerweise auf der Grundlage folgender Vereinbarungen geschlossen werden: Bemessungsgrundlage der Lizenzzahlungen sind die Umsatzerlöse, wobei sich die in den Vergleichstransaktionen verwendete Umsatzdefinition mit der Umsatzabgrenzung deckt, die der Planungsrechnung der Geschäftseinheit SL der Beispiel GmbH zugrunde liegt. Der Lizenzsatz liegt ganz überwiegend bei ungefähr 4 %. Weiteren lizenzzahlungsrelevanten Vereinbarungen kommt keine Bedeutung zu. Zur Ableitung der zukünftig ersparten Lizenzzahlungen ist somit ein Lizenzsatz von 4 % auf die bis zum Ende der Nutzungsdauer der zu bewertenden Technologie prognostizierten Umsatzerlöse anzuwenden. Die Umsatzplanung für die auf der Grundlage des Bewertungsobjekts hergestellten und vertriebenen Produkte der Geschäftseinheit SL wurde bereits im Rahmen der Incremental Income Analysis (5.5.3.2) erarbeitet (Tabelle 5.3). Die so abgeleiteten Lizenzzahlungseinsparungen sind in Tabelle 5.6 dargestellt.

b) Ermittlung der Lizenzzahlungen mittels Profit Split Lizenzzahlungen werden oftmals durch Anwendung von branchenspezifischen Praktikerregeln, wie z. B. der 25 %-Regel, bestimmt. Dabei wird das Einkommen, zu dessen Erzielung die zu bewertende patentgeschützte Technologie beiträgt, der jeweiligen Regel folgend auf Lizenzgeber und Lizenznehmer aufgeteilt. Vor Ableitung der zukünftig ersparten Lizenzzahlungen ist zu klären, ob im konkreten Fall eine derartige Praktikerregel überhaupt anwendbar ist. Deren Anwendung erfordert sodann die Festlegung, wie das zu verteilende Einkommen zu ermitteln ist (Einkommensdefinition), sowie dessen Prognose bis zum erwarteten Ende der Nutzungsdauer des Bewertungsobjekts. Eine Analyse der Lizenzierungspraxis zeigte, dass die Anwendung der 25 %Regel zur Bestimmung des Lizenzsatzes der zu bewertenden patentgeschützten

162

U. Moser, H. Goddar

Tabelle 5.6 Bewertung der patentgeschützten Technologie mit der Relief-from-Royalty-Methode Mio. EUR Sales Lizenzzahlungen Umsatzbasiert Mindestlizenz

4%

Maximum Upfront Payments Anrechnung Royalty Savings Tax

40 %

Royalty Savings after Tax Discount Factor Present Value Net Present Value TAB 1,3811 Fair Value

proj. 2007

proj. 2008

proj. 2009

LC 2010

LC 2011

LC 2012

LC 2013

LC 2014

360

389

404

412

421

429

438

365

14,4

15,6

16,2

16,5

16,8

17,2

17,5

14,6

14,4 0,0 0,0

15,6 0,0 0,0

16,2 0,0 0,0

16,5 0,0 0,0

16,8 0,0 0,0

17,2 0,0 0,0

17,5 0,0 0,0

14,6 0,0 0,0

14,4 –5,8

15,6 –6,2

16,2 –6,5

16,5 –6,6

16,8 –6,7

17,2 –6,9

17,5 –7,0

14,6 –5,8

8,6

9,3

9,7

9,9

10,1

10,3

10,5

8,8

0,9168 0,8404 0,7705 0,7063 0,6476 0,5936 0,5442 0,4989 7,9 7,8 7,5 7,0 6,5 6,1 5,7 4,4 53,0 20,2 73,2

Technologie branchenüblich ist. Ganz überwiegend wird dabei von den Earnings before Interest and Tax (EBIT) als Einkommensgröße ausgegangen. Zur Prognose der EBIT der Geschäftseinheit SL wurden zunächst die Gewinnund Verlustrechnungen sowie die dazugehörigen Bilanzen der letzten drei Geschäftsjahre sowie die Planergebnisrechnungen und Planbilanzen detailliert untersucht. Dabei wurde festgestellt, dass für den Planungszeitraum die EBIT der Planungsrechnungen der Geschäftseinheit ohne Modifikation übernommen werden können. Weiterhin zeigte sich, dass die EBIT-Marge des letzten Jahres des Planungszeitraums für die sich anschließenden Jahre der verbleibenden Nutzungsdauer des Bewertungsobjektes repräsentativ ist. Durch deren Anwendung auf die bereits bei der Incremental Income Analysis abgeleitete Umsatzplanung (5.5.3.2) ergeben sich die EBIT bis zum Ende der Nutzungsdauer. Die ersparten zukünftigen Lizenzzahlungen betragen somit 25 % der so bestimmten EBIT (Tabelle 5.7).

5.5.4.3 Ableitung des Werts der patentgeschützten Technologie Der Wert der patentgeschützten Technologie ergibt sich durch Diskontierung der unter 5.5.4.2a bzw. 5.5.4.2b abgeleiteten zukünftigen Lizenzzahlungen, die aufgrund der Eigentumsposition der Geschäftseinheit SL am Bewertungsobjekt eingespart werden. Da von der Beispiel GmbH zu leistende Lizenzzahlungen bei der Ertragsbesteuerung grundsätzlich als Betriebsausgaben abzugsfähig wären, tritt eine Entlastungswirkung lediglich in Höhe des Betrags nach Abzug von Ertragsteuern ein.

5 Grundlagen der Bewertung immaterieller Vermögenswerte

163

Tabelle 5.7 Bewertung der patentgeschützten Technologie mit der Profit Split-Methode Mio. EUR

proj. 2007

proj. 2008

proj. 2009

Sales Cost of Sales

360 –241

389 –259

404 –270

Gross Profit SG&A

119 –61

130 –67

134 –68

57,6 14,4 –5,8

63,2 15,8 –6,3

65,6 16,4 –6,6

EBIT Profit Split Tax

25 % 40 %

Net Cash Flow Discount Factor Present Value Net Present Value TAB 1,381063 Fair Value

2010

2011

2012

2013

2014

412

421

429

438

365

66,9 16,7 –6,7

68,2 17,1 –6,8

69,6 17,4 –7,0

71,0 17,7 –7,1

59,1 14,8 –5,9

8,6 9,5 9,8 10,0 10,2 10,4 10,6 8,9 0,9168 0,8404 0,7705 0,7063 0,6476 0,5936 0,5442 0,4989 7,9 8,0 7,6 7,1 6,6 6,2 5,8 4,4 53,6 20,4 74,0

Entsprechend den Ausführungen unter 5.5.3.4 ist zudem der Tax Amortization Benefit dem Barwert der zukünftigen Kosteneinsparungen zuzuschlagen. Die Ermittlung des Werts der patentgeschützten Technologie ist Tabelle 5.6 bzw. Tabelle 5.7 zu entnehmen. Im Falle der Ableitung der Royalty Rate aus Lizenztransaktionen ergibt sich ein Wert in Höhe von Mio. EUR 73,2, bei Anwendung des Profit Split von Mio. EUR 74,0. Das Auftreten einer (wesentlichen) Differenz zwischen dem auf der Grundlage von Lizenztransaktionen abgeleiteten und dem mittels Profit Split bestimmten Wert sollte in Fällen, in denen die Anwendung eines Profit Split branchenüblich ist, zum Anlass einer Überprüfung der Wertermittlungen genommen werden. Dies gilt insbesondere für die Ableitung des Lizenzsatzes aus Vergleichstransaktionen sowie für die relevante Umsatz- und Ergebnisdefinitionen. Tritt im übrigen, wie ausweislich der Tabellen 5.6 und 5.7 im hier behandelten Fallbeispiel, jedoch keine (wesentliche) Differenz zwischen dem auf der Grundlage von Lizenztransaktionen abgeleiteten und dem mittels des Profit Split bestimmten Wert auf, so bedeutet dies nichts anderes, als dass der gemäß 5.5.4.2a im Markt beobachtete Lizenzsatz von 4 % tatsächlich der 25 %-Regel entspricht. Wenn dies der Fall ist, ergeben sich geradezu definitionsgemäß bei der Berechnung der ersparten Lizenzzahlungen unter Zugrundelegung eines beobachteten Lizenzsatzes bei Vergleichstransaktionen (wie in 5.5.4.2a) einerseits und der Ermittlung der Lizenzzahlungen mittels Profit Split andererseits (wie in 5.5.4.2b) identische Werte. Ferner sei angemerkt, dass der sich aus 5.5.4.2a ergebende Wert dem der Berechnung von Arbeitnehmererfindervergütungen in Form von Pauschalzahlungen

164

U. Moser, H. Goddar

nach den Vergütungsrichtlinien für Arbeitnehmererfindungen, nämlich bei Anwendung der Lizenzanalogie, in der Regel ermittelten pauschalen Erfindungswert entspricht.106

5.5.5 Residual Value Approach 5.5.5.1 Auswahl der anzuwendenden Bewertungsmethode Den Ausführungen des letzten Teils des Beispiels liegt die Annahme zugrunde, dass die zu bewertende patentgeschützte Technologie den zentralen Vermögenswert der Geschäftseinheit SL darstellt. Allen anderen Vermögenswerten der Geschäftseinheit soll lediglich unterstützende Bedeutung zukommen.107 Dementsprechend bietet sich die Anwendung des Residual Value Approach an. Der Residualwert kann entweder unmittelbar als Differenz aus dem Wert der Geschäftseinheit und den Werten aller unterstützenden Vermögenswerte (5.5.5.2) oder als Barwert der „Excess Earnings“ (5.5.5.3) abgeleitet werden. Da beide Vorgehensweisen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können, bedarf es schließlich einer Analyse und Interpretation der hierfür maßgeblichen Ursachen (5.5.5.4). Zur Vereinfachung der Darstellungen wird bei den folgenden Untersuchungen unterstellt, dass die Geschäftseinheit SL lediglich drei Vermögenswerte benötigt: Neben der zu bewertenden Technologie sind dies das Working Capital sowie das Sachanlagevermögen.108

5.5.5.2 Unmittelbare Ableitung des Residualwerts a) Vorgehen Angesichts der vereinfachenden Annahmen des Beispiels bereitet die unmittelbare Ableitung des Residualwerts keine Schwierigkeiten: Im ersten Schritt ist der Wert der Geschäftseinheit SL zu bestimmen (5.5.5.2b). Sodann sind alle anderen Vermögenswerte, die zusammen mit dem Bewertungsobjekt an der Erzielung des Einkommens der jeweiligen Geschäftseinheit beteiligt sind, zu identifizieren und zu bewerten. Da diese Vermögenswerte und deren Werte bereits bekannt sind, ist dieser Schritt für das Fallbeispiel nicht erforderlich. Schließlich sind die Werte dieser unterstützenden Vermögenswerte, hier also die beizulegenden Zeitwerte des Sach-

106

Siehe hierzu Goddar (Fn. 10). Zur Vereinfachung der Ausführungen werden diese Vermögenswerte im Folgenden als „unterstützende Vermögenswerte“ bezeichnet. 108 Es wird also davon abgesehen, dass neben anderen immateriellen Vermögenswerten zumeist ein Mitarbeiterstamm erforderlich ist (vgl. bereits 2.3). 107

5 Grundlagen der Bewertung immaterieller Vermögenswerte

165

anlagevermögens und des Working Capital, vom Wert der Geschäftseinheit SL abzuziehen (5.5.5.2c).

b) Ermittlung des Werts der Geschäftseinheit SL Der Wert der Geschäftseinheit, der den Ausgangspunkt zur Bestimmung des Residualwerts darstellt, muss die Werte aller zugehörigen Vermögenswerte umfassen. Dementsprechend ist dieser als Gesamtunternehmenswert (Entity-Wert) und nicht als Wert des Eigenkapitals (Equity-Wert), der sich durch Abzug des Werts des Fremdkapitals vom Entity-Wert ergibt, zu verstehen (Abb. 5.2). Da die Discounted Cash Flow-Methode in der Ausprägung des WACC-Ansatzes unmittelbar auf die Ermittlung des Entity-Wertes abzielt, bietet es sich an, diesen Ansatz zur Bestimmung des Werts der Geschäftseinheit SL heranzuziehen.109 Beim WACC-Ansatz ist der Free Cash Flow des Bewertungsobjekts mit den laufzeit- und risikoäquivalenten gewichteten Kapitalkosten zu diskontieren. Dementsprechend ist der Free Cash Flow der Geschäftseinheit SL für den Zeitraum der Nutzungsdauer der zu bewertenden Technologie zu prognostizieren und mit dessen gewichteten Kapitalkosten zu diskontieren. Der Free Cash Flow ergibt sich, indem vom EBIT Ertragsteuern, Veränderungen des Working Capital sowie Nettoinvestitionen, d. h. Investitionen abzüglich Abschreibungen, abgezogen werden. Das EBIT der Geschäftseinheit SL für die verbleibende Nutzungsdauer des Bewertungsobjektes wurde bereits im Zusammenhang mit der Anwendung des Profit Split-Ansatzes abgeleitet (5.5.4.2b). Die Ertragsteuern sind beim WACC-Ansatz auf der Grundlage des EBIT zu bestimmen, also durch Anwendung des Ertragsteuersatzes der Geschäftseinheit – laut Sachverhalt beträgt dieser 40 % – auf diese Größe. Die Veränderungen des Working Capital und die Nettoinvestitionen, die sich hier als Desinvestitionen darstellen, wurden vom Management der Geschäftseinheit bis zum Ende der Nutzungsdauer der zu bewertenden Technologie gesondert geplant. Die Ableitung der Free Cash Flow der Geschäftseinheit SL ist in Tabelle 5.8 zusammengefasst. Die laufzeit- und risikoäquivalenten gewichteten Kapitalkosten der Geschäftseinheit SL wurden bereits im Rahmen der Darstellung der Ausgangsdaten des Beispiels (5.5.2) in Höhe von 7,08 % berechnet. Unter Zugrundelegung dieser Daten ergibt sich für die Geschäftseinheit SL ein Entity-Wert in Höhe von Mio. EUR 335,95 (Tabelle 5.8).

109

Siehe zu den Discounted Cash Flow-Methoden bereits die in Fn. 16 genannte Fundstelle.

166

U. Moser, H. Goddar

Tabelle 5.8 Ermittlung des Entity-Werts der Geschäftseinheit SL Mio. EUR

proj. 2007

proj. 2008

proj. 2009

Sales Cost of Sales

360 –241

389 –259

404 –270

Gross Profit SG&A

119 –61

130 –67

134 –68

EBIT Tax

40 %

NOPLAT Changes WC Nettoinvestitionen Net Cash Flow Discount Factor Present Value Net Present Value

2010

2011

2012

2013

2014

412

421

429

438

365

57,6 63,2 65,6 66,9 68,2 69,6 71,0 59,1 –23,0 –25,3 –26,2 –26,7 –27,3 –27,8 –28,4 –23,7 34,6 –15,0 11,0

37,9 –5,3 1,0

39,3 –1,8 13,0

40,1 –1,9 1,0

40,9 –2,0 15,0

41,7 –2,0 15,0

42,6 35,5 –2,1 105,0 15,0 29,0

30,6 33,7 50,5 39,2 53,9 54,7 55,5 169,5 7,08 % 0,9339 0,8721 0,8145 0,7606 0,7103 0,6634 0,6195 0,5785 28,5 29,4 41,2 29,8 38,3 36,3 34,4 98,1 335,95

c) Bestimmung des Residualwerts Der Wert der zu bewertenden patentgeschützten Technologie ergibt sich – wie bereits ausgeführt – durch Abzug des Werts des Sachanlagevermögens (Mio. EUR 100) und des Werts des Working Capitals (Mio. EUR 75) von dem soeben ermittelten Wert der Geschäftseinheit (Mio. EUR 335,95). Ohne Berücksichtigung des Tax Amortization Benefits beträgt er Mio. EUR 160,95. Wird der Tax Amortization Benefit entsprechend dem unter 5.5.3.4 dargestellten Vorgehen unter Zugrundelegung der gewichteten Kapitalkosten der Geschäftseinheit SL als Diskontierungszinssatz ermittelt,110 ergibt sich für das Bewertungsobjekt ein Wert in Höhe von Mio. EUR 229,16. Bei Ermittlung des Werts der Geschäftseinheit SL (5.5.5.2b) wurde bei der Berechnung der Ertragsteuern die Abschreibung des Bewertungsobjekts nicht berücksichtigt. Zur Überprüfung des soeben abgeleiteten Werts der patentgeschützten Technologie einschließlich Tax Amortization Benefit wird deswegen in Tabelle 5.9 der Wert der Geschäftseinheit unter Einbeziehung von deren Abschreibung ermittelt. Dabei wird von einer linearen Abschreibung auf die verbleibende Nutzungsdauer des Vermögenswerts ausgegangen. Nach Abzug des Werts des Sachanlagevermögens und des Werts des Working Capital von dem soeben ermittelten Wert der Geschäftseinheit ergibt sich – erwartungsgemäß – wiederum der Wert des Bewertungsobjekts einschließlich Tax Amortization Benefit in Höhe von Mio. EUR 229,16.

110

In diesem Fall ergibt sich ein Step Up-Faktor von 1,4238.

5 Grundlagen der Bewertung immaterieller Vermögenswerte

167

Tabelle 5.9 Ermittlung des Entity-Werts der Geschäftseinheit SL unter Berücksichtigung der Abschreibung des Bewertungsobjekts Mio. EUR

proj. 2007

proj. 2008

proj. 2009

Sales Cost of Sales

360 –241

389 –259

404 –270

Gross Profit SG&A

119 –61

130 –67

134 –68

58 –29

63 –29

EBIT after Depr. Patent Tax 40 %

29 –12

NOPLAT Changes WC Depr. Patent Nettoinvestitionen

17 –15 29 11,0

EBIT Depr. Patent

229,16 8

Net Cash Flow Discount Factor 7,08 % Present Value Net Present Value Fair Value Working Capital Fair Value Fixed Assets Fair Value

2010

2011

2012

2013

2014

412

421

429

438

365

66 –29

67 –29

68 –29

70 –29

71 –29

59 –29

35 –14

37 –15

38 –15

40 –16

41 –16

42 –17

30 –12

21 –5 29 1,0

22 –2 29 13,0

23 –2 29 1,0

24 –2 29 15,0

25 –2 29 15,0

25 –2 29 15,0

18 105 29 29,0

42,0 45,1 62,0 50,6 65,4 66,2 67,0 181,0 0,9339 0,8721 0,8145 0,7606 0,7103 0,6634 0,6195 0,5785 39,2 39,4 50,5 38,5 46,5 43,9 41,5 104,7 404,16 –75,00 –100,00 229,16

5.5.5.3 Ableitung des Residualwerts als Barwert der „Excess Earnings“ a) Vorgehen Die Ableitung des Residualwerts mittels des Excess Earnings-Ansatzes geht von der Bestimmung der Einkommensbeiträge der unterstützenden Vermögenswerte aus (5.5.5.3b). Zur Ermittlung der dem Bewertungsobjekt zuzurechnenden Excess Earnings sind diese vom Einkommen der Geschäftseinheit abzuziehen (5.5.5.3c) Der Wert des Bewertungsobjektes ergibt sich sodann durch Diskontierung der Excess Earnings mit dessen vermögenswertspezifischer Verzinsung (5.5.5.3d). Mit der Anwendung des Excess Earnings-Ansatzes ist eine Reihe kontrovers diskutierter Fragestellungen verbunden. Dementsprechend wird im Folgenden die Vorgehensweise lediglich im Überblick dargestellt. Einzelheiten werden in einem gesonderten Beitrag aufgezeigt.

168

U. Moser, H. Goddar

b) Ermittlung der Einkommensbeiträge der unterstützenden Vermögenswerte Die Einkommensbeiträge der unterstützenden Vermögenswerte, die auch als „contributory asset charges“111 bezeichnet werden, setzen sich aus zwei Komponenten zusammen: dem • Rückfluss des investierten Kapitals (return of invested capital) und der • Verzinsung des investierten Kapitals (return on invested capital).112 Zur Ermittlung des investierten Kapitals eines unterstützenden Vermögenswerts wird dieser im Bewertungszeitpunkt mit dem beizulegenden Zeitwert bewertet. In den Folgeperioden vermindert sich das investierte Kapital durch den Werteverzehr des Vermögenswerts, der z. B. beim Sachanlagevermögen durch die Abschreibungen gemessen werden kann; es erhöht sich durch erforderlichenfalls zu tätigende Investitionen. Der jährliche Rückfluss des investierten Kapitals eines Vermögenswerts ergibt sich als Saldo dieser Veränderungen. Die Verzinsung des investierten Kapitals eines unterstützenden Vermögenswerts wird durch dessen Höhe zu Periodenbeginn und der vermögenswertspezifischen Verzinsung bestimmt. Letztere ist – gemäß 5.4.4 – unter Berücksichtigung der Nutzungsdauer und des vermögenswertspezifischen Risikos des betreffenden Vermögenswertes festzulegen. Die Ableitung des Rückflusses und der Verzinsung des investierten Kapitals des Sachanlagevermögens der Geschäftseinheit SL ist in Tabelle 5.10 zusammengefasst. Diese baut auf den bereits unter 5.5.5.2b angesprochenen detaillierten Planung der Entwicklung des Anlagenbestands für die verbleibende Nutzungsdauer des Be-

Tabelle 5.10 Bewertung des Sachanlagevermögens Jahr Verzinsung des 7,00 % investierten Kapitals*) Abschreibungen Veräußerung zu Restbuchwert Investitionen Rückfluss des investierten Kapitals Cash Flow Barwertfaktor Barwert Investiertes Kapital

2007

2008

2009

2010

2011

2012

2013

2014

7,0

6,2

6,2

5,3

5,2

4,1

3,1

2,0

11,0

11,0

13,0

13,0

15,0

15,0

15,0

13,0 16,0

15,0

15,0

15,0

29,0

–10,0 11,0

1,0

112

13,0

1,0

18,0 7,2 19,2 6,3 20,2 19,1 18,1 31,0 7,00 % 0,9346 0,8734 0,8163 0,7629 0,7130 0,6663 0,6227 0,5820 100,0 16,8 6,3 15,6 4,8 14,4 12,7 11,3 18,1 100,0

89,0

88,0

*) nach Unternehmensteuern 111

–12,0

Vgl. z. B. AICPA (Fn. 61), 5.3.54 ff. Vgl. Reilly/Schweihs, a. a. O. (Fn. 19), S. 176 ff.

75,0

74,0

59,0

44,0

29,0

0,0

5 Grundlagen der Bewertung immaterieller Vermögenswerte

169

wertungsobjekts auf. In entsprechender Weise wurden Rückfluss und Verzinsung des investierten Kapitals für das Working Capital bestimmt (Tabelle 5.11). Die Einkommensbeiträge der unterstützenden Vermögenswerte können in der dargestellten Weise als periodenspezifische Rückflüsse und Verzinsungen des investierten Kapitals der unterstützenden Vermögenswerte ermittelt werden. Es kann allerdings auch die Annahme zugrunde gelegt werden, dass die unterstützenden Vermögenswerte nicht im Eigentum der Geschäftseinheit stehen, sondern auf der Grundlage eines Leasingverhältnisse genutzt werden. Die Einkommensbeiträge stellen sich dann als fiktive Leasingzahlungen dar, die als Annuität der periodenspezifischen Beträge zu berechnen sind.

c) Ableitung der Excess Earnings Unter 5.5.5.2b wurde bereits ausgeführt, dass das Einkommen der Geschäftseinheit als Free Cash Flow zu verstehen ist. Dementsprechend sind zur Ableitung der Excess Earnings von dieser Größe die unter 5.5.5.3b abgeleiteten Einkommensbeiträge der unterstützenden Vermögenswerte abzuziehen. Die Ableitung der Excess Earnings vereinfacht sich jedoch aufgrund der folgenden Überlegungen: Der Free Cash Flow ergibt sich durch Abzug der Veränderungen des Working Capital sowie der Nettoinvestitionen (Investitionen abzüglich Abschreibungen) ins Sachanlagevermögen, also der Veränderungen des Sachanlagevermögens, vom Net Operating Profit Less Adjusted Tax (NOPLAT) (5.5.5.2b). Da sich – entsprechend den Ausführungen unter 5.5.5.3b – der Rückfluss des ins Working Capital bzw. Sachanlagevermögen investierten Kapitals als Veränderung dieser Vermögenswerte ergibt, führt der Abzug des Rückflusses des ins Working Capital

Tabelle 5.11 Bewertung des Working Capitals Jahr

2007

2008

2009

2010

2011

2012

2013

2014

Verzinsung des 3,00 % 2,3 investierten Kapitals *) Veräußerung zu Restbuchwert Auf-/Abbau des Working –15,0 Capital

2,7

2,9

2,9

3,0

3,0

3,1

3,2

Rückfluss des investierten Kapitals Cash Flow Barwertfaktor Barwert

–15,0

87,5 –5,3

–1,8

–1,9

–2,0

–2,0 –2,06 17,51

–5,3

–1,8

–1,9

–2,0

–2,0

–2,1 105,0

–12,8 –2,6 1,1 1,0 1,0 1,0 1,0 108,2 3,00 % 0,9709 0,9426 0,9151 0,8885 0,8626 0,8375 0,8131 0,7894 75,0 –12,4 –2,4 1,0 0,9 0,9 0,8 0,8 85,4

Investiertes Kapital *) nach Unternehmensteuern

75,0

90,0

95,3

97,0

99,0 101,0 103,0 105,0

0,0

170

U. Moser, H. Goddar

und ins Sachanlagevermögen investierten Kapitals vom Free Cash Flow wiederum zum NOPLAT. Dementsprechend lassen sich die Excess Earnings ausgehend vom NOPLAT durch Abzug der Verzinsung des ins Working Capital und ins Sachanlagevermögen investierten Kapitals bestimmen. In diesem Fall ist bei der Ermittlung der Verzinsung des investierten Kapitals zu beachten, dass diese nach Abzug von Unternehmensteuern zu berechnen ist. Wird demgegenüber von einer Vorsteuergröße ausgegangen, ist diese entweder um Unternehmensteuern zu kürzen oder vom EBIT anstelle des NOPLAT abzuziehen. Für die zu bewertende patentgeschützte Technologie der Geschäftseinheit SL ist diese Vorgehensweise in Tabelle 5.12 dargestellt. In der Praxis werden die Einkommensbeiträge der unterstützenden Vermögenswerte oftmals – der unter 5.5.5.3b bereits angesprochenen Vorgehensweise folgend – mittels fiktiver Leasingraten abgebildet. Zur Vermeidung einer doppelten Erfassung von Einkommensbeiträgen, insbesondere des Wertverzehrs der unterstützenden Vermögenswerte, wird als Ausgangsgröße, von der die Leasingraten abzuziehen sind, typischerweise das EBITDA (Earnings before Interest Tax Depreciation and Amortization) gewählt.113 Da sich das EBIT durch Abzug der Abschreibungen (Depreciation und Amortization) vom EBITDA ergibt, sind die fiktiven Leasingraten – den vorstehenden Überlegungen folgend – als finanzmathematische Annuität aus der Verzinsung des investierten Kapitals sowie des in den Abschreibungen erfassten Wertverzehrs zu

Tabelle 5.12 Bewertung der patentgeschützten Technologie mit der Excess Earnings-Methode Mio. EUR

proj. 2007

Sales Cost of Sales

360 388,8 404,35 412,44 420,69 429,102 437,68 364,736 –241 –259 –270

Gross Profit SG&A

proj. 2008

proj. 2009

2010

2011

2012

2013

2014

119 –61

130 –67

134 –68

58 –23

63 –25

66 –26

67 –27

68 –27

70 –28

71 –28

59 –24

NOPLAT 35 Verzinsung des investierten Kapitals Working Capital –2,3 Sachanlagevermögen –7,0

38

39

40

41

42

43

35

–2,7 –6,2

–2,9 –6,2

–2,9 –5,3

–3,0 –5,2

–3,0 –4,1

–3,1 –3,1

–3,2 –2,0

EBIT Tax

Net Cash Flow Discount Factor Present Value Net Present Value TAB Fair Value

113

40 %

25 29 30 32 33 35 36 30 8,37 % 0,9228 0,8515 0,7857 0,7250 0,6690 0,6174 0,5697 0,5257 23 25 24 23 22 21 21 16 174,98 1,3954 69,18 244,15

Vgl. auch Mackenstedt/Fladung/Himmel (Fn. 23) S. 1042.

5 Grundlagen der Bewertung immaterieller Vermögenswerte

171

bestimmen. D. h. in die Berechnung der Leasingraten ist beim Working Capital zumeist nur die Verzinsung des investierten Kapitals einzubeziehen; beim Sachanlagevermögen sind daneben auch die Abschreibungen zu berücksichtigen. Außerdem ist zu beachten, dass die Leasingraten vor Abzug von Unternehmensteuern zu bemessen sind. Die fiktiven Leasingraten können demgegenüber auch aus den beizulegenden Zeitwerten der betreffenden Vermögenswerte abgeleitet werden. Sie sind dann allerdings vom Free Cash Flow abzuziehen. Die Leasingraten für die patentgeschützte Technologie der Geschäftseinheit SL ergeben sich aus Tabelle 5.13.

d) Bestimmung der vermögenswertspezifischen Verzinsung Die vermögenswertspezifische Verzinsung ist laufzeit- und risikoäquivalent zu bestimmen. Der erste Aspekt erfordert, dass die vermögenswertspezifische Verzinsung unter Berücksichtigung der Nutzungsdauer des Bewertungsobjektes festgelegt wird. Dem zweiten Aspekt wird in der Praxis zumeist dadurch Rechnung getragen, dass ein vermögenswertspezifischer Risikozu-/abschlag114 entsprechend dem unter 5.4.4.3 erläuterten Vorgehen abgeleitet wird. Ausgangspunkt der Ermittlung des vermögenswertspezifischen Risikozuschlags ist die Überlegung, dass die gewichtete vermögenswertspezifische Verzinsung über alle Vermögenswerte gleich den gewichteten Kapitalkosten (WACC) sein soll (Abb. 5.10). Dabei ist der gewichtete vermögenswertspezifische Verzinsung aus den vermögenswertspezifischen Verzinsungen aller Vermögenswerte zu bestimmen, die zur Einkommenserzielung der betreffenden Geschäftseinheit beitragen, also des Bewertungsobjekts und der unterstützenden Vermögenswerte. Die Gewichtung er-

Tabelle 5.13 Ableitung der Leasingraten Jahr Sachanlagevermögen Verzinsung und Abschreibung vor Steuern Barwert 117,43 Annuität vor Steuern Working Capital Verzinsung des investierten Kapitals vor Steuern Barwert 25,46 Annuität vor Steuern

2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

22,7 21,4 23,3 21,8 23,6 21,9 20,1 16,4 20,7 17,8 17,7 15,1 15,0 12,7 10,6 7,9 –21,7 –21,7 –21,7 –21,7 –21,7 –21,7 –21,7 –21,7

3,8 4,5 4,8 4,9 4,9 5,0 5,1 5,3 3,4 3,7 3,6 3,4 3,1 2,9 2,7 2,5 –4,7 –4,7 –4,7 –4,7 –4,7 –4,7 –4,7 –4,7

114 Zur Vereinfachung der weiteren Ausführungen wird im Folgenden lediglich von Risikozuschlägen gesprochen. Die Ausführungen gelten selbstverständlich auch für die Fälle, in denen ein Risikoabschlag vorzunehmen ist.

172

U. Moser, H. Goddar

Tabelle 5.14 Ableitung des vermögenswertspezifischer Risikozuschlag Fair Value

Rate of Return

Kontrolle

Sachanlagevermögen Working Capital Patent

100,00 75,00 244,15

7,00 % 3,00 % 8,37 %

1,67 % 0,54 % 4,88 %

insgesamt

419,15

7,08 %

folgt mit dem anteiligen beizulegenden Zeitwert jedes einbezogenen Vermögenswertes. Bei dieser Vorgehensweise tritt allerdings die Schwierigkeit auf, dass der vermögenswertspezifische Risikozuschlag auf die laufzeitäquivalenten Kapitalkosten für das Bewertungsobjekts nicht bekannt ist. Deswegen ist dieser – und damit auch die vermögenswertspezifische Verzinsung – zunächst vorläufig festzulegen. Die unter 5.5.5.3c ermittelten Excess Earnings werden sodann mit diesem (vorläufigen) Zinssatz entsprechend dem Bewertungsmodell der Tabelle 5.12 diskontiert. Unter Einbeziehung des Tax Amortization Benefits ergibt sich ein vorläufiger beizulegender Zeitwert für die zu bewertende patentgeschützte Technologie. Auf dieser Grundlage wird – unter Berücksichtigung der bereits bekannten beizulegenden Zeitwerte und vermögenswertspezifischen Verzinsungen für das Working Capital und das Sachanlagevermögen – die gewichtete vermögenswertspezifische Verzindung über aller Vermögenswerte der Geschäftseinheit SL errechnet (Tabelle 5.14). Weicht diese gewichtete vermögenswertspezifische Verzinsung von den gewichteten Kapitalkosten ab, ist das vermögenswertspezifische Risiko des Bewertungsobjekts so lange anzupassen, bis diese Beziehung erfüllt ist. Das Ergebnis dieses Vorgehens ist in Tabellen 5.12 und 5.14 zusammengefasst. Danach ergibt sich für die zu bewertende patentgeschützte Technologie eine vermögenswertspezifische Verzinsung in Höhe von 8,37 % und ein zugehöriger beizulegender Zeitwert (einschließlich Tax Amortization Benefit) von Mio. EUR 244,15. Tabelle 5.15 zeigt auf, dass die Anwendung des Leasing-Modells zum selben Ergebnis führt.

5.5.5.4 Vergleich der beiden Vorgehensweisen zur Ableitung des Residualwerts Unter 5.5.5.3 wurde soeben ein Residualwert (einschließlich Tax Amortization Benefit) in Höhe von Mio. EUR 244,15 bei einer vermögenswertspezifischen Verzinsung von 8,37 % ermittelt. Demgegenüber führte die unmittelbare Ableitung des Residualwerts unter 5.5.5.2 zu einem Wert von Mio. EUR 229,16. Die korrespondierende vermögenswertspezifische Verzinsung beträgt 9,56 %. Sie wurde iterativ mit dem Excess Earnings-Modell bestimmt. Tabelle 5.16 stellt das Ergebnis der Ableitung der vermögenswertspezifischen Verzinsung bei Zugrundelegung periodenspezifischer Einkommensbeiträge der unterstützenden Vermögenswerte dar, Tabel-

5 Grundlagen der Bewertung immaterieller Vermögenswerte

173

Tabelle 5.15 Excess Earnings-Ansatz auf der Grundlage des Leasing-Modells Mio. EUR

proj. 2007

proj. 2008

proj. 2009

Sales Cost of Sales

360 –241

389 –259

404 –270

Gross Profit SG&A

119 –61

130 –67

134 –68

58

63

11

11

Operating Profit Abschreibung

2010

2011

2012

2013

2014

412

421

429

438

365

66

67

68

70

71

59

13

13

15

15

15

13

EBITDA Lease Payment Fixed Assets Lease Payment Working Capital

69 74 79 80 83 85 86 72 –21,6 –21,6 –21,6 –21,6 –21,6 –21,6 –21,6 –21,6 –4,7

–4,7

EBIT Tax

42,3 47,9 52,2 53,5 56,9 58,2 59,6 –16,9 –19,1 –20,9 –21,4 –22,7 –23,3 –23,8

46 –18

Net Cash Flow Discount Factor Present Value Net Present Value TAB Fair Value

40 %

–4,7

–4,7

–4,7

–4,7

–4,7

–4,7

25,4 28,7 31,3 32,1 34,1 34,9 35,8 27 8,3700 % 0,9228 0,8515 0,7857 0,7250 0,6690 0,6174 0,5697 0,5257 23,4 24,5 24,6 23,3 22,8 21,6 20,4 14,4 174,98 60,65 114,33 1,395364 69,18 23,11 244,15 83,76

le 5.17 für deren Abbildung über Leasingraten.115 Die damit berechnete gewichtete vermögenswertspezifische Verzinsung über alle Vermögenswerte der Geschäftseinheit SL beträgt 7,71 % und weicht offensichtlich von den gewichteten Kapitalkosten (7,08 %) ab (Tabelle 5.18). Damit stellt sich die Frage, woraus diese Differenz in Höhe von Mio. EUR 14,99116 – das sind ca. 6,5 % bezogen auf den unter 5.5.5.2 abgeleiteten Wert – resultiert und welchem der beiden Ansätze letztlich zu folgen ist. Bei der unter 5.5.5.3 dargestellten Ableitung der vermögenswertspezifischen Verzinsung wird der Anteil der beizulegenden Zeitwerte aller Vermögenswerte am Gesamtwert der Geschäftseinheit über die Nutzungsdauer des Bewertungsobjektes unverändert fortgeschrieben. Dieser Vorgehensweise liegt also eine statische Betrachtung zugrunde. Eine Ermittlung des investierten Kapitals der einzelnen Ver115 Der Tax Amortization Benefit wurde unter Zugrundelegung dieser vermögenswertspezifischen Verzinsung ermittelt. Werden der Berechnung des Tax Amortization Benefit demgegenüber die gewichteten Kapitalkosten zugrunde gelegt, ergibt sich ein Wert vor Tax Amortization Benefit in Höhe von Mio. EUR 160,95 – dieser ist gleich dem unmittelbar abgeleiteten Residualwert vor Tax Amortization Benefit – bei einer vermögenswertspezifischen Verzinsung von 10,54 %. 116 Genau um diesen Betrag übersteigt die Summe der beizulegenden Zeitwerte aller Vermögenswerte gem. Tabelle 5.14 den Gesamtwert der Geschäftseinheit gem. Tabelle 5.9.

174

U. Moser, H. Goddar

Tabelle 5.16 Bestimmung des vermögenswertspezifishen Zinssatzes der unmittelbaren Ableitung des Residualwertes Mio. EUR

proj. 2007

proj. 2008

proj. 2009

Sales Cost of Sales

360 –241

389 –259

404 –270

Gross Profit SG&A

119 –61

130 –67

134 –68

58 –23

63 –25

35 –9,3

38 –8,9

Operating Profit Tax Net Operating Profit Charges

40 %

2010

2011

2012

2013

2014

412

421

429

438

365

66 –26

67 –27

68 –27

70 –28

71 –28

59 –24

39 –9,0

40 –8,2

41 –8,1

42 –7,2

43 –6,2

35 –5,2

Net Cash Flow 25,3 29,0 30,3 32,0 32,8 34,6 36,4 30,3 Discount Factor 9,5613 % 0,9127 0,8331 0,7604 0,6940 0,6335 0,5782 0,5277 0,4817 Present Value 23,1 24,1 23,1 22,2 20,8 20,0 19,2 14,6 Net Present Value 167,0 TAB 1,3719 62,12 Fair Value

229,16

Tabelle 5.17 Bestimmung des vermögenswertspezifischen Zinssatzes im Leasing-Modell Mio. EUR

proj. 2007

proj. 2008

proj. 2009

Sales Cost of Sales

360 –241

389 –259

404 –270

Gross Profit SG&A

119 –61

130 –67

134 –68

58 11

63 11

66 13

Operating Profit Abschreibung EBITDA Lease Payment Fixed Assets Lease Payment Working Capital EBIT Tax

2010

2011

2012

2013

2014

412

421

429

438

365

67 13

68 15

70 15

71 15

59 13

69 74 79 80 83 85 86 72 –21,7 –21,7 –21,7 –21,7 –21,7 –21,7 –21,7 –21,7 –4,7

–4,7

–4,7

–4,7

–4,7

–4,7

–4,7

–4,7

42,2 47,8 52,2 53,5 56,8 58,2 59,6 40 % –16,9 –19,1 –20,9 –21,4 –22,7 –23,3 –23,8

46 –18

Net Cash Flow 25,3 28,7 31,3 32,1 34,1 34,9 35,8 27 Discount Factor 9,5613 % 0,9127 0,8331 0,7604 0,6940 0,6335 0,5782 0,5277 0,4817 Present Value 23,1 23,9 23,8 22,3 21,6 20,2 18,9 13,2 Net Present Value 167,04 TAB 1,371856 62,12 Fair Value

229,16

5 Grundlagen der Bewertung immaterieller Vermögenswerte

175

Tabelle 5.18 Berechnung des gewichteten vermögenswertsapezifischen Zinssatzes Fair Value

Rate of Return

Kontrolle

Sachanlagevermögen Working Capital Patent

100,00 75,00 229,16

7,00 % 3,00 % 9,56 %

1,73 % 0,56 % 5,42 %

insgesamt

404,16

7,71 %

mögenswerte über diesen Zeitraum – auf deren Darstellung wird im Rahmen diese Beitrags verzichtet – zeigt jedoch, dass diese Voraussetzung nicht erfüllt ist. Das anteilige investierte Kapital, also die Kapitalbindung, der einzelnen Vermögenswerte verändert sich von Jahr zu Jahr. Dementsprechend ist der Ermittlung der vermögenswertspezifischen Verzinsung eine dynamische Sichtweise zugrunde zu legen, d. h. die Ableitung der vermögenswertspezifischen Verzinsung ist auf der Grundlage der in jeder Periode der Nutzungsdauer des Bewertungsobjekts gegebenen anteiligen beizulegenden Zeitwerte aller beteiligten Vermögenswerte vorzunehmen. Diese Vorgehensweise führt in jeder Periode zu der vermögenswertspezifischen Verzinsung von 9,56 %. Dabei ist in jeder Periode die Bedingung, dass die gewichtete vermögenswertspezifische Verzinsung gleich den gewichteten Kapitalkosten ist, eingehalten. Festzuhalten ist damit, dass sowohl die unmittelbare Ableitung des Residualwertes des Bewertungsobjekt als auch dessen Bestimmung mittels der Excess EarningsMethode grundsätzlich zum gleichen Ergebnis führen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Einkommensbeiträge der unterstützenden Vermögenswerte periodenspezifisch oder in Form fiktiver Leasingraten berücksichtigt werden. Voraussetzung ist allerdings, dass der Anwendung der Excess Earnings-Methode eine dynamische Ermittlung der vermögenswertspezifischen Verzinsung zugrunde gelegt wird. Eine Heranziehung der statischen Betrachtungsweise kann allenfalls als eine mehr oder weniger grobe Annäherung betrachtet werden.

5.5.6 Zusammenfassung der Ergebnisse des Fallbeispiels Tabelle 5.19 stellt die Werte, die sich für die zu bewertende patentgeschützte Technologie bei Anwendung der unterschiedlichen Ausprägungen des Income Approach ergeben, zusammen. Da jeder der dargestellten Bewertungsansätze seine spezifischen Anwendungsvoraussetzungen aufweist, sind diese Ergebnisse nicht oder nur sehr begrenzt miteinander vergleichbar. Allerdings wird deutlich, welchen Einfluss die Wahl des Bewertungsansatzes auf das Bewertungsergebnis ausüben kann. Dementsprechend ist hierbei vor allem darauf zu achten, dass den Grundannahmen der herangezogenen Methode in dem der Bewertung zugrunde liegenden Sachverhalt entsprochen wird.

176

U. Moser, H. Goddar

Tabelle 5.19 Zusammenstellung der Ergebnisse Bewertungsansatz

beizulegender Zeitwert ohne TAB mit TAB

Incremental Income

13,37

18,46

Relief-from-Royalty Transaktionsbasiert Profit Split

52,97 53,59

73,15 74,01

160,95 174,98

229,16 244,15

Residual Value dynamisch statisch

5.6 Zusammenfassung Im vorliegenden Beitrag wurden zunächst die Grundlagen der Bewertung immaterieller Vermögenswerte dargestellt. Dabei wurden die grundlegenden Bewertungskonzepte – Income, Market und Cost Approach –, das Erfordernis der Abgrenzung des Bewertungsobjekts sowie mögliche Anlässe der Bewertung immaterieller Vermögenswerte kurz skizziert. Sodann wurden Patente als Bewertungsobjekte untersucht. Es zeigte sich, dass der entscheidende wertbestimmende Faktor der mit einem Patent verbundene Wettbewerbsvorteil ist. Im Einzelnen wird der Wert eines Patents durch dessen rechtliche Absicherung, die zugrunde liegende Technologie sowie die Produkte, die die Grundlage von deren Verwertung bilden, beeinflusst. Dabei wurde herausgearbeitet, dass der Wert eines Patents – in Abhängigkeit vom Bewertungsanlass – zumeist als Wert der patentgeschützten Technologie, der sich aus dem Wert der ungeschützten Technologie und dem Wert der rechtlichen Schutzwirkung zusammensetzt, zu verstehen ist. Außerdem ist bei der Abgrenzung des Bewertungsobjekts zu beachten, dass eine Technologie oftmals nicht durch ein einzelnes Patent, sondern durch ein Patentportfolio geschützt ist. Auf diesen Überlegungen aufbauend wurde im nächsten Schritt die Bewertung patentgeschützter Technologien mittels des Income Approach erläutert. Ausgangspunkt war die Untersuchung des Beitrags einer patentgeschützten Technologie zum Gesamteinkommen aller beteiligten Vermögenswerte. Auf dieser Grundlage wurden die verschiedenen Ausgestaltungen des Income Approach bei der Bewertung immaterieller Vermögenswerte betrachtet. Dabei wurden u. a. die folgenden wesentlichen Aspekte herausgearbeitet: • Die Incremental Income Analysis weist einen begrenzten Anwendungsbereich auf, da deren grundlegende Anforderung einer Isolierung des einem Bewertungsobjekt zuzuordnenden Incremental Income oftmals nicht gegeben ist. • Der Anwendungsbereich der Relief-from-Royalty-Methode ist demgegenüber deutlich breiter. Sie ist anwendbar, wenn mit dem Bewertungsobjekt vergleichba-

5 Grundlagen der Bewertung immaterieller Vermögenswerte

177

re Vermögenswerte Gegenstand von Lizenzierungen sind und die zur Ableitung der ersparten Lizenzzahlungen erforderlichen Daten verfügbar sind. • Eine Anwendung des Residual Value-Methode setzt voraus, dass es sich beim Bewertungsobjekt um den für die Einkommensgenerierung zentralen Vermögenswert handelt. Außerdem ist erforderlich, dass alle unterstützenden Vermögenswerte identifiziert und bewertet werden können. Problematisch ist bei diesem Ansatz, dass alle aus dem Zusammenwirken der beteiligten Vermögenswerte resultierenden Portfolioeffekte dem Bewertungsobjekt zugrechnet werden. Gegenstand des letzten Teils des Beitrags war ein Fallbeispiel zur Veranschaulichung der praktischen Anwendung der genannten Ausprägungen des Income Approach. Hierbei zeigte sich u. a., dass bei der Residual Value-Methode in Form des Excess Earnings-Ansatz der Ermittlung der Einkommensbeiträge der unterstützenden Vermögenswerte sowie der Bestimmung der vermögenswertspezifischen Verzinsung des Bewertungsobjekts eine besondere Bedeutung zukommt. Wichtige, in diesem Zusammenhang auftretende Fragestellungen wurden herausgearbeitet. Deren detaillierte Untersuchung ist jedoch einem gesonderten Beitrag vorbehalten.

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Kapitel 6

Bilanzierung von F&E-Aktivitäten nach IFRS Ulrich Moser

6.1 Grundlagen Die IFRS/IAS1 enthalten keine speziellen Regelungen für die bilanzielle Behandlung von F&E-Aktivitäten. Vielmehr sind auf diese die Regelungen zur Bilanzierung immaterieller Vermögenswerte anzuwenden. Die Bilanzierung immaterieller Vermögenswerte wird insbesondere2 in folgenden Standards behandelt: • IAS 38 Immaterielle Vermögenswerte • IFRS 3 Unternehmenszusammenschlüsse • IAS 36 Wertminderung von Vermögenswerten. Bei deren bilanzieller Abbildung ist – allgemeinen Bilanzierungsgrundsätzen folgend3 – zwischen dem • Ansatz des Vermögenswertes (Abschnitt 6.3) und dessen • Bewertung (Abschnitt 6.4) zu unterscheiden. Beim Ansatz geht es darum, ob ein Posten in der Bilanz als Vermögenswert aktiviert bzw. als Eigenkapital bzw. Schuld passiviert werden muss bzw. darf oder 1

Die folgenden Ausführungen berücksichtigen die Behandlung von Patenten nach HGB und US GAAP nicht; siehe zu diesem Bereich z. B. bei Esser/Hackenberger, Bilanzierung immaterieller Vermögenswerte des Anlagevermögens nach IFRS und US-GAAP, in: KoR 2004, 402–414. Zum Referentenentwurf eines Bilanzrechsmodernisierungsgesetzes siehe Hüttche, Bilanzierung selbst erstellter immaterieller Vermögensgegenstände des Anlagevermögens im Liche des BilMoG, in: StuB 2008, 163 ff. 2 Siehe zu weiteren Standards, die die Bilanzierung immaterieller Vermögenswerte in speziellen Fällen regeln IAS 38.2–7 sowie Heyd/Lutz-Ingold, Immaterielle Vermögenswerte und Goodwill nach IFRS, München 2005, 29–30 3 Zu Einzelheiten siehe beispielsweise Ruhnke, Rechnungslegung nach IFRS und HGB, Stuttgart 2005, 260 ff., Hüttche, Inernationale Rechnungslegung, 3. Aufl. München, 2006, 11 ff., Kirsch, Einführung in die internationale Rechnungslegung nach IAS/IFRS, Herne/Berlin 2003, 30 ff. W. Schmeisser, H. Mohnkopf, M. Hartmann, G. Metze (Hrsg.), Innovationserfolgsrechnung DOI: 10.1007/978-3-540-78249-0, © Springer 2008

181

182

U. Moser

als Aufwand bzw. Ertrag in der GuV zu erfassen ist. Hierüber ist unabhängig von der Zuweisung eines Wertes zu dem Posten zu entscheiden. Diese erfolgt in einem gesonderten Schritt, der Bewertung. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf einen Überblick über die bilanzielle Behandlung von F&E-Aktivitäten. Zu Einzelheiten der Bilanzierung immaterieller Vermögenswerte ist auf das umfangreiche Schrifttum4 zu verweisen. Im Folgenden werden zunächst die grundlegenden Möglichkeiten der bilanziellen Behandlung von F&E-Aktivitäten anhand eines einfachen Beispiels dargestellt (Abschnitt 6.2).

6.2 Einführendes Beispiel Die FE GmbH hat im laufenden Geschäftsjahr im Bereich F&E Aufwendungen in Höhe von EUR 8,7 Mio. getätigt. Diese setzten sich insbesondere aus Personalkosten, Fremdleistungen (z. B. Honorare an externe Forschungseinrichtungen sowie an externe Patentanwälte) und diversen Sachkosten (z. B. Verbrauchsmaterialien, Abschreibung der Laboreinrichtungen) zusammen. Sie sind auf die Entwicklung einer neuen Technologie gerichtet, die die Grundlage einer völlig neuen Produktgeneration sein soll. Die Markteinführung dieser Produkte wird voraussichtlich im nächsten Geschäftsjahr erfolgen. Die erwartete Lebensdauer der Technologie wird auf 5 Jahre geschätzt. Vorläufige Bilanz und GuV der FE GmbH sind in Abb. 6.1 dargestellt.

Abb. 6.1 FE GmbH – Vorläufige Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung

4

Vgl. z. B. Heyd/Lutz-Ingold (Fn 2), Esser/Hackenberger (Fn 1).

6 Bilanzierung von F&E-Aktivitäten nach IFRS

183

Bislang sind die F&E-Aufwendungen in vollem Umfang in der GUV in der Position mit entsprechender Bezeichnung ausgewiesen. Aus der Bilanz ist nicht ersichtlich, dass die FE GmbH über die genannte Technologie verfügt, die voraussichtlich eine wesentliche Grundlage des Geschäftserfolgs der nächsten 5 Jahre sein wird. In Abb. 6.2 sind Bilanz und GuV der Gesellschaft unter Zugrundelegung der Annahme aufgestellt, dass der F&E-Aufwand des laufenden Geschäftsjahres in Höhe von 40 % die Voraussetzungen für den Ansatz eines immateriellen Vermögenswertes in der Bilanz erfüllt. Deswegen wird in der Bilanz die Technologie in Höhe von EUR 3,5 Mio. ausgewiesen. Gleichzeitig reduziert sich der in der GuV ausgewiesene F&E-Aufwand um diese EUR 3,5 Mio., was wiederum eine Erhöhung des Ergebnis vor Steuern der FE GmbH in gleicher Höhe nach sich zieht. Unter Berücksichtigung der Ertragsteuern ergibt sich ein Jahresüberschuss von EUR 2,2 Mio. Konsequenz der Aktivierung der Technologie in der Bilanz des Unternehmens ist, dass diese – aufgrund von deren begrenzter Lebensdauer – in den nächsten 5 Jahren abzuschreiben ist. Bei Anwendung der linearen Abschreibung führt dies in den kommenden 5 Jahren zu einem zusätzlichen Aufwand von EUR 0,7 Mio. und damit zu einer Verminderung des Jahresergebnisses (nach Ertragsteuern) in Höhe von jährlich EUR 0,5 Mio. Die Ergebnisentwicklung der FE GmbH des laufenden Geschäftsjahrs und der folgenden 5 Jahre ist in Abb. 6.3 unter vereinfachenden Annahmen zusammengestellt: Es wird davon ausgegangen, dass lediglich im laufenden Geschäftsjahr, nicht jedoch den nachfolgenden 5 F&E-Aufwendungen anfallen. Das Ergebnis vor Abzug der F&E-Ausgaben sowie vor Abzug der ggf. vorzunehmenden Abschreibungen der aktivierten Technologie des Geschäftsjahres und der 5 nachfolgenden soll jährlich EUR 8,7 Mio. betragen.

Abb. 6.2 FE GmbH – Aktivierung von F & E-Aufwendungen

184

U. Moser

Abb. 6.3 FE GmbH – Ergebnisentwicklung

Im Fall, dass eine Aktivierung der Technologie unterbleibt, weist die Gesellschaft im laufenden Geschäftsjahr ein endgültiges Ergebnis in Höhe von EUR 0 aus, in den sich anschließenden Jahren dagegen in Höhe von EUR 8,7 Mio. Unter Berücksichtigung der Aktivierung der Technologie in Höhe von EUR 3,5 Mio. ergibt sich für das laufende Geschäftsjahr ein Jahresüberschuss in Höhe von EUR 2,5 Mio. Die Jahresüberschüsse der nachfolgenden Jahre werden durch die jährlichen Abschreibungen von EUR 0,7 Mio. beeinflusst und betragen danach jeweils EUR 5,2 Mio. Zu beachten ist, dass die Summe der Ergebnisse des laufenden Geschäftsjahres und der sich anschließenden 5 durch die unterschiedliche bilanzielle Behandlung der F&EAufwendungen nicht beeinflusst wird. Sie beträgt in beiden Fällen EUR 43,7 Mio. vor und EUR 28,4 Mio. nach Ertragsteuern.

6.3 Ansatz 6.3.1 Überblick Immaterielle Vermögenswerte sind dann, aber auch nur dann, wenn die Voraussetzungen für deren Ansatz erfüllt sind, aktivierungspflichtig (IAS 38.1). Diese Voraussetzungen werden in IAS 38.18 ausgeführt: Das Unternehmen muss nachweisen, dass der betreffende Posten • der Definition eines immateriellen Vermögenswertes entspricht und • die Ansatzkriterien erfüllt.

6 Bilanzierung von F&E-Aktivitäten nach IFRS

185

Darüber hinaus enthalten IAS 38 und IFRS 3 Regelungen, die sich mit der Anwendung der Kriterien für den Ansatz in bestimmten Fällen befassen. Hierzu unterscheiden diese zwischen der Eigenerstellung („selbst geschaffene“) und dem Erwerb von immateriellen Vermögenswerten. Im Erwerbsfalle wird außerdem zwischen dem Fall des gesonderten Erwerbs und dem im Rahmen eines Unternehmenszusammenschluss differenziert (Abb. 6.4).5 Schließlich enthält IAS 38 für bestimmte immaterielle Vermögenswerte Ansatzverbote (Abb. 6.5). Im Folgenden werden zunächst die Definitions- und Ansatzkriterien für alle immateriellen Vermögenswerte betrachtet (6.3.2). Sodann wird auf die selbst erstellten

Abb. 6.4 Bilanzierung immaterieller Vermögenswerte nach IFRS/IAS

Abb. 6.5 Ansatz immaterieller Vermögenswerte – Überblick (IAS 38.18) 5 IAS 38.44–47 beziehen außerdem den Erwerb durch Zuwendungen der öffentlichen Hand sowie den Tausch von Vermögenswerten ein. Diese beiden Fälle werden im Rahmen der folgenden Ausführungen nicht berücksichtigt.

186

U. Moser

Vermögenswerte, den Fall des gesonderten Erwerbs und schließlich den des Unternehmenszusammenschlusses eingegangen (6.3.3.1–6.3.3.3). Abschließend werden die Ansatzverbote kurz angesprochen (6.3.4).

6.3.2 Definitions- und Ansatzkriterien für alle immateriellen Vermögenswerte Der Ansatz eines immateriellen Vermögenswertes setzt nach IAS 38.18 – wie soeben ausgeführt – voraus, dass der Posten der Definition eines immateriellen Vermögenswertes entspricht und die Ansatzkriterien gemäß IAS 38.21 erfüllt. Der Ausdruck „immaterieller Vermögenswert“ ist in IAS 38.8 definiert als „ein identifizierbarer, nicht monetären Vermögenswert ohne physische Substanz.“ Aufgrund der Bezugnahme auf Vermögenswerte ist auch die Definition dieses Ausdrucks, die ebenfalls in IAS 38.8 enthalten ist, heranzuziehen: Es handelt sich um „eine Ressource: • die aufgrund von Ereignissen der Vergangenheit von einem Unternehmen beherrscht wird; und • von der erwartet wird, dass dem Unternehmen durch sie künftiger wirtschaftlicher Nutzen zufließt.“ Damit setzt das Vorliegen eines immateriellen Vermögenswertes – neben der Substanzlosigkeit und des nicht monetären Charakters – die Identifizierbarkeit, die Beherrschung sowie den erwarteten künftigen wirtschaftlichen Nutzen voraus (Abb. 6.6).

Abb. 6.6 Definitionen

6 Bilanzierung von F&E-Aktivitäten nach IFRS

187

Die Ansatzkriterien, die neben dem Vorliegen eines immateriellen Vermögenswertes als Voraussetzung für dessen Aktivierung nach IAS 38.21 erfüllt sein müssen, zielen darauf ab, dass • „es . . . wahrscheinlich (ist), dass dem Unternehmen der erwartete künftige wirtschaftliche Nutzen zufließen wird; und • die Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Vermögenswertes verlässlich bewertet werden können.“ Somit setzt der Ansatz eines immateriellen Vermögenswertes das Vorliegen folgender Kriterien voraus: • • • • • • •

Identifizierbarkeit nicht monetärer Charakter Substanzlosigkeit Beherrschbarkeit Künftiger wirtschaftlicher Nutzen Wahrscheinlichkeit des erwarteten künftigen wirtschaftlichen Nutzenzuflusses verlässliche Bewertbarkeit.

Die Identifizierbarkeit zielt darauf ab, dass ein immaterieller Vermögenswert vom Geschäfts- oder Firmenwert unterscheidbar sein muss. Sie ist nach IAS 38.12 in zwei Fällen gegeben: • Der Vermögenswert ist „separierbar“ – „er kann vom Unternehmen getrennt und somit verkauft, übertragen, lizenziert, vermietet oder getauscht werden.“ Dabei ist es ausreichend, wenn dies zusammen mit einem Vertrag, einem Vermögenswert oder einer Schuld möglich ist (Separability-Kriterium). • Der Vermögenswert entsteht „aus vertraglichen oder anderen gesetzlichen Rechten“. Es kommt dabei nicht darauf an, ob diese Rechte übertragbar sind bzw. vom Unternehmen oder von anderen Rechten oder Pflichten getrennt werden können (Contractual-Legal-Kriterium). Z. B. bei Patenten als Rechten wirft somit die Identifizierbarkeit keine besonderen Probleme auf. Das Kriterium nicht monetärer Charakter wird nur indirekt bestimmt, indem IAS 38.8 den Ausdruck „monetäre Vermögenswerte“ definiert. Hierbei handelt es sich um „im Bestand befindliche Geldmittel und Vermögenswerte, für die das Unternehmen einen festen oder bestimmbaren Geldbetrag erhält“.6 Beispielsweise bei der bilanziellen Abbildung von Patenten ist dieses Kriterium unerheblich. Die Frage der Substanzlosigkeit stellt sich bei den immateriellen Vermögenswerten, die in oder auf einer physischen Substanz enthalten sind. Ein typisches Beispiel hierfür ist Computer Software auf einer Compact Disk. Zur Beurteilung, ob ein materieller Vermögenswert, auf den IAS 16 anzuwenden ist, oder ein immaterieller

6

Vgl. hierzu sowie zu weiteren Einzelheiten Heyd/Lutz-Ingold (Fn 2), 35.

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Vermögenswert, der nach IAS 38 zu behandeln ist, vorliegt, ist nach IAS 38.4 darauf abzustellen, welches Element – nach eigenem Ermessen des Unternehmens – wesentlicher ist.7 Im Falle von z. B. Patenten ist dieses Kriterium grundsätzlich nicht von Bedeutung. Allerdings kann bei Forschungs- und Entwicklungsprojekten durchaus eine Verkörperung auftreten, etwa in Form eines Prototypen (IAS 38.5). Die Beherrschbarkeit eines immateriellen Vermögenswertes ist dann gegeben, wenn ein „Unternehmen die Macht hat, sich den künftigen wirtschaftlichen Nutzen . . . zu verschaffen, und es den Zugriff Dritter auf diesen Nutzen beschränken kann“ (IAS 38.13). Im Falle juristisch durchsetzbarer Ansprüche wirft diese Voraussetzung keine Probleme auf. Die Beherrschbarkeit kann allerdings auch ohne eine juristische Durchsetzbarkeit gegeben sein. Bedeutsam ist diese Voraussetzung insbesondere bei der Beurteilung der Ansatzfähigkeit des Mitarbeiterstammes (assembled workforce) eines Unternehmens sowie anderer im Zusammenhang mit dem Humankapital stehender Werte8 oder eines Kundenstammes, der nicht auf vertraglichen Beziehungen basiert (IAS 38.15 f.).9 Dieses Kriterium ist etwa bei Patenten aufgrund der damit verbundenen Rechtsposition unproblematisch. Zum künftigen wirtschaftlichen Nutzen eines immateriellen Vermögenswertes führt IAS 38.17 aus, dass dieser umfassen kann: „Erlöse aus dem Verkauf von Produkten oder der Erbringung von Dienstleistungen, Kosteneinsparungen oder andere Vorteile, die sich für das Unternehmen aus der Eigenverwertung des Vermögenswertes ergeben“.10 Der Beurteilung der Wahrscheinlichkeit des erwarteten künftigen wirtschaftlichen Nutzenzuflusses11 müssen „vernünftige und begründete Annahmen“ zugrunde liegen, die auf der „bestmöglichen Einschätzung des Managements“ beruhen (IAS 38.22). Externe Nachweise sind dabei bedeutsamer als interne (IAS 38.23). Die Einschätzung dieses Kriteriums wird regelmäßig bei Patenten, deren Technologien bereits in Produkte eingehen bzw. für deren Herstellung genutzt werden, keine Probleme bereiten. Demgegenüber kommt dieses Kriterium regelmäßig eine größere Bedeutung bei Early Stage-Technologien zu. Die Beurteilung des Kriteriums der verlässlichen Bewertbarkeit hängt vor allem auch davon ab, ob der immaterielle Vermögenswert gesondert oder im Rahmen eines Unternehmenszusammenschlusses erworben oder selbst geschaffen wurde. Hierauf wird im Folgenden (6.3.3) eingegangen. Die dargestellten Definitions- und Ansatzkriterien werden in Abb. 6.7 nochmals zusammengefasst.

7

Zur Vertiefung dieses Problemkreises siehe insbesondere Heyd/Lutz-Ingold (Fn 2), 1–7 Siehe hierzu z. B. auch bei Heyd/Lutz-Ingold (Fn 2), 48 f., Esser/Hackenberger (Fn 1), 402 ff., 404 f. 9 Siehe hierzu z. B. auch bei Heyd/Lutz-Ingold (Fn 2), 48 f. 10 Siehe hierzu auch IASB Framework 1989, F. 53 ff. 11 Zur Redundanz dieses Kriteriums vgl. Heyd/Lutz-Ingold (Fn 2), 28. 8

6 Bilanzierung von F&E-Aktivitäten nach IFRS

189

Abb. 6.7 Ansatz immaterieller Vermögenswerte – Definitions- und Ansatzkriterien

6.3.3 Spezifizierung der Ansatzkriterien in bestimmten Fällen 6.3.3.1 Selbst geschaffene immaterielle Vermögenswerte Ausgangsüberlegungen Im Falle selbst geschaffener immaterieller Vermögenswerte sieht IAS 38.51 bei der Prüfung des Vorliegens der Ansatzkriterien von IAS 38.21 Probleme bei • der Beurteilung, ob und wann ein identifizierbarer Vermögenswert, der einen künftigen wirtschaftlichen Nutzen nach sich zieht, gegeben ist, sowie • der verlässlichen Bestimmung der Herstellungskosten. Dies wird bei Betrachtung selbst geschaffener Marken oder des Aufbaus eines Kundenstamms ganz besonders deutlich. Es können immense Beträge hierfür aufgewendet werden, ohne dass der Erfolg der Maßnahmen gewährleistet ist bzw. eine Zuordnung der Maßnahmen zum erzielten Erfolg möglich ist. Ähnlich kann es sich selbstverständlich auch bei der Entwicklung von Technologien verhalten. Zur Operationalisierung der Einschätzung des Vorliegens der Ansatzkriterien unterteilt IAS 38.52 den Erstellungsprozess von Vermögenswerten in eine • Forschungsphase und eine • Entwicklungsphase und gibt für diese besondere Regelungen bzw. Kriterien vor. Die Definitionen der Ausdrücke „Forschung“ und „Entwicklung“ nach IAS 38.8 sind in Abb. 6.8 zusammengefasst. Die Beispiele, die IAS 38.56 für Forschungs-

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Abb. 6.8 Beurteilung der Ansatzkriterien bei selbst geschaffenen immateriellen Vermögenswerten

aktivitäten und IAS 38.59 für Entwicklungsaktivitäten nennen, werden in Abb. 6.9 dargestellt. Der IAS 38 zugrunde liegende Erstellungsprozess ist – durch die Bezugnahme auf Forschung und Entwicklung – insbesondere auf die Entwicklung von Technologien ausgelegt. Da dieses Modell nicht unbedingt auf die Generierung aller anderer Katergorien von immateriellen Vermögenswerten passt, sind die Begriffe „Forschungsphase“ und „Entwicklungsphase“ nach IAS 38.52 in einem umfassenderen Sinne zu verstehen und ggf. auf andere Arten immaterieller Vermögenswerte zu

Abb. 6.9 Beispiele für Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten

6 Bilanzierung von F&E-Aktivitäten nach IFRS

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übertragen.12 Da im hier gegebenen Rahmen die Frage des Ansatzes selbst geschaffener F&E-Aktivitäten zu untersuchen ist, beschränken sich die folgenden Ausführungen auf die Betrachtung der Technologieentwicklung.

Behandlung von Aufwendungen der Forschungs- und der Entwicklungsphase In der Forschungsphase eines Projektes ist der Ansatz eines immateriellen Vermögenswertes nicht zulässig (IAS 38.54). IAS 38.55 stellt heraus, dass der Nachweis der Existenz eines immateriellen Vermögenswertes mit voraussichtlichem künftigen wirtschaftlichen Nutzen in dieser Phase nicht gelingen wird. Die Forschungsausgaben sind dementsprechend als Periodenaufwand zu behandeln. In der Entwicklungsphase eines Projektes ist dagegen der Ansatz eines immateriellen Vermögenswertes vorgeschrieben, wenn das Unternehmen den Nachweis der Erfüllung aller 6, in Abb. 6.10 aufgezählten weiteren Kriterien führen kann (IAS 38.57). Andernfalls sind die Entwicklungsausgaben als Periodenaufwand zu behandeln. Die Kriterien (1)–(5) konkretisieren das Ansatzkriterien „Wahrscheinlichkeit des erwarteten künftigen Nutzenzuflusses“, wohingegen das Kriterium (6) das Ansatzkriterium der „zuverlässigen Bewertbarkeit“ lediglich auf die Entwicklungsphase materieller Vermögenswerte überträgt.13 Erläuterungen zu den Kriterien (1)–(5) sind in Abb. 6.11 zusammengefasst. Insgesamt ist festzuhalten, dass die dargestellten Kriterien dem Bilanzierenden erhebliche Interpretations- und Ermessensspielräume einräumen. Heyd/Lutz-

Abb. 6.10 Ansatzkriterien für selbst geschaffene Vermögenswerte

12 13

Vgl. hierzu Heyd/Lutz-Ingold (Fn 2), 40. Heyd/Lutz-Ingold (Fn 2), 41, sehen hierin eine „vermeidbare Redundanz“.

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Abb. 6.11 Nachweise in Entwicklungsphase (IAS 38.57)

Ingold14 weisen deswegen darauf hin, dass „aus dem Aktivierungsgebot für selbst geschaffene immaterielle Vermögenswerte de facto ein Aktivierungswahlrecht“ wird. Bei der Beurteilung des Ansatzes selbst erstellter Patente ist zu berücksichtigen, dass Ergebnis von F&E-Aktivitäten Technologien sind, die patentgeschützt sein können, jedoch nicht müssen. Dementsprechend bietet es sich an, die vorstehenden Kriterien für F&E-Aktivitäten zu beurteilen, unabhängig davon, ob diese patentiert sind oder nicht. Eine gesonderte Betrachtung von Patenten ist somit nicht geboten.

Vorgehen in der Praxis Bei forschungsintensiven Unternehmen kann der Aktivierung von Entwicklungsaufwand eine erhebliche Bedeutung zukommen.15 Damit kann ein entsprechender Verwaltungsaufwand verbunden sein. Um diesen in Grenzen zu halten, ist es besonders wichtig, dass der Zeitpunkt, ab dem die Entwicklungsaufwendungen zu aktivieren und somit gesondert zu erfassen sind, ohne besondere Untersuchung des jeweiligen Einzelfall, also mehr oder weniger automatisiert, identifiziert wird.

14

Fn 2, 46. Zur Bilanzierung von F- & E-Aktivitäten in verschiedenen Branchen siehe Leibfried/Pfanzelt, Praxis der Bilanzierung von Forschungs- und Entwicklungskosten gemäß IAS/IFRS, in: KoR 2004, 491–497.

15

6 Bilanzierung von F&E-Aktivitäten nach IFRS

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Abb. 6.12 Festlegung der technischen Realisierbarkeit

Der Zeitpunkt des erstmaligen Ansatzes von Entwicklungsaufwendungen wird – wie soeben ausgeführt – typischerweise durch den Nachweis der technischen Realisierbarkeit der Fertigstellung des immateriellen Vermögenswertes festgelegt. Zur Führung dieses Nachweises bietet es sich an, am F&E-Prozess anzusetzen. Er ist oftmals durch verschiedene Phasen gekennzeichnet, deren erfolgreiche Durchführung durch Milestones signalisiert wird. Somit ist darauf abzustellen, ob der geforderte Nachweis der technischen Realisierbarkeit an bestehende Milestones geknüpft werden kann. Ist dies nicht möglich, ist zu untersuchen, ob die Prozesse einschließlich des Milestone-Modells entsprechend angepasst werden können (Abb. 6.12).

6.3.3.2 Gesonderte Anschaffung immaterieller Vermögenswerte IAS 38 geht davon aus, dass im Falle der gesonderten Anschaffung eines immateriellen Vermögenswertes (Abb. 6.13) das Ansatzkriterium der Wahrscheinlichkeit des erwarteten künftigen wirtschaftlichen Nutzenzuflusses stets erfüllt ist (IAS 38.25), jenes der verlässlichen Bewertbarkeit für gewöhnlich (IAS 38.26). Zur Begründung des ersten Ansatzkriteriums verweist die Regelung darauf, dass der beim Erwerb gezahlte Preis „normalerweise die Erwartungen über die Wahrscheinlichkeit wider(spiegelt), dass der voraussichtliche künftige Nutzen . . . zufließen wird.“ Das zweite Kriterium resultiert aus dem Vorliegen von Anschaffungskosten. Bei F&E-Aktivitäten ergeben sich keine Besonderheiten.

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Abb. 6.13 Gesonderte Anschaffung eines immateriellen Vermögenswertes

6.3.3.3 Erwerb immaterieller Vermögenswerte im Rahmen von Unternehmenszusammenschlüssen Behandlung von Unternehmenszusammenschlüssen nach IFRS 3 IFRS 3 definiert in Anhang A einen Unternehmenszusammenschluss16 als „die Zusammenführung von getrennten Unternehmen oder Geschäftsbetrieben zu einem berichtenden Unternehmen.“ Typische Beispiele für Unternehmenszusammenschlüsse sind • der Erwerb der Mehrheit der Stimmrechtsanteile (Share Deal), • der Erwerb der Vermögenswerte und die Übernahme der Schulden (Asset Deal) oder • die Einbringung mehrerer Unternehmen in eine neu zu gründende Gesellschaft. Der Anwendungsbereich von IFRS 317 umfasst jedoch nicht alle Unternehmenszusammenschlüsse. Beispielsweise sind die Regelungen auf die Zusammenführung separater Unternehmen zur Gründung eines Joint Ventures nicht anwendbar (IFRS 3.3a). Die bilanzielle Abbildung von Unternehmenszusammenschlüssen nach IFRS 3 erfolgt auf der Grundlage der Erwerbsmethode (Purchase-Methode). Der Unternehmenszusammenschluss wird dabei aus dem Blickwinkel des Erwerbers betrachtet: 16

Ausführlich zu Unternehmenszusammenschlüssen und deren Behandlung nach IFRS 3 z. B. Heyd/Lutz-Ingold (Fn 2), 131 ff., Küting/Wirth,Bilanzierung von Unternehmenszusammenschlüssen nach IFRS 3, in: KoR 2004, 167–177, Brücks/Wiederhold, IFRS Business Combinations, in: KoR 2004, 177–185, Zelger, Purchase Price Allocation nach IFRS und US-GAAP, in: Ballwieser/Beyer/Zelge (Hrsg.), Unternehmenskauf nach IFRS und US GAAP, Stuttgart 2005, 141 ff. 17 Siehe hierzu IFRS 3.2–13.

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Dieser „erwirbt Nettovermögen und setzt die erworbenen Vermögenswerte sowie die übernommenen Schulden und Eventualschulden an.“ (IFRS 3.15) Dabei werden alle identifizierbaren Vermögenswerte, Schulden und Eventualschulden des erworbenen Unternehmens, die die Ansatzkriterien erfüllen, angesetzt (IFRS 3.36), unabhängig davon, ob sie beim erworbenen Unternehmen vor dem Unternehmenszusammenschluss angesetzt waren. (IAS 38.34) Diese Vermögenswerte, Schulden und Eventualschulden werden mit ihrem beizulegenden Zeitwert (Fair Value) im Erwerbszeitpunkt18 bewertet. Damit wird die Schlussbilanz des erworbenen Unternehmens in eine Neubewertungsbilanz (Fair Value Status) überführt.19 Ein Geschäfts- oder Firmenwert ergibt sich dann, wenn die Anschaffungskosten, die das erwerbende Unternehmen für die Übernahme entrichtet hat20 , das Nettovermögen21 aus der Neubewertungsbilanz des erworbenen Unternehmens übersteigen. Der Geschäfts- oder Firmenwert ist mit seinen Anschaffungskosten, die sich in Höhe der vorstehenden Differenz ergeben, anzusetzen (IFRS 3.51). Übersteigt demgegenüber das (anteilige) Nettovermögen die Anschaffungskosten des Unternehmenszusammenschlusses, ist zunächst die Ermittlung dieser Größen erneut zu beurteilen. Eine danach noch verbleibende Differenz ist erfolgswirksam zu behandeln (IFRS 3.56). Beispiel Die Beispiel GmbH hat zum 1. Juli x1 (Erwerbsstichtag) alle Anteile der Verpackungslösung GmbH übernommen. Die Anschaffungskosten iSv IFRS 3.24– 35 betragen EUR 55 Mio. Die Verpackungslösung GmbH hat zum 30. Juni x1 einen Zwischenabschluss unter Anwendung der bisherigen Bilanzierungs- und Bewertungsgrundsätze, also auf Basis von Buchwerten, aufgestellt. Die Bilanz ist in Abb. 6.14 dargestellt. Das Sachanlagevermögen wurde zum 1. Juli x1 neu bewertet. Es ergab sich ein beizulegender Zeitwert von EUR 60 Mio. Eine Neubewertung des Working Capital war ebenso wenig erforderlich wie die des Fremdkapitals. Die Buchwerte entsprechen den beizulegenden Zeitwerten. Die Analyse des Unternehmens führte zur Identifikation von zwei Klassen immaterieller Vermögenswerte: Technologien und Trademarks. Deren beizulegende Zeitwerte wurden in Höhe von EUR 10 Mio. bzw. 5 Mio. ermittelt. Auf dieser Grundlage ergibt sich die Neubewertungsbilanz der Verpackungslösung GmbH zum Erwerbsstichtag, die ebenfalls in Abb. 6.14 dargestellt ist. Der Goodwill aus diesem Unternehmenszusammenschluss wird dadurch abgeleitet, dass von den Anschaffungskosten in Höhe von EUR 55 Mio. das Nettovermögen der Neubewertungsbilanz abgezogen wird. Letzteres ergibt sich durch Abzug des 18

Nach IFRS 3, Anhang A, ist dies „der Zeitpunkt, an dem das erwerbende Unternehmen tatsächlich die Beherrschung über das erworbene Unternehmen erhält.“ 19 Vgl. Heyd/Lutz-Ingold (Fn 2), 139. 20 Einzelheiten zur Ermittlung der Anschaffungskosten eines Unternehmenszusammenschlusses ergeben sich aus IFRS 3.24–35. 21 Übernimmt das erwerbende Unternehmen das erworbene Unternehmen nicht vollständig, sondern lediglich einen Anteil, ist auf das anteilige Nettovermögen abzustellen.

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Abb. 6.14 Übernahme der Verpackungslösung GmbH durch die Beispiel GmbH

beizulegenden Zeitwerts des Fremdkapitals (EUR 54 Mio.) von der Summe der beizulegenden Zeitwerte aller Vermögenswerte (EUR 102 Mio.) und beträgt EUR 48 Mio. Damit ergibt sich ein Goodwill in Höhe von EUR 7 Mio. Die Neubewertungsbilanz der Verpackungslösung GmbH zum Erwerbsstichtag unter Einbeziehung des Goodwill ist ebenfalls Abb. 6.14 zu entnehmen. Das Vorgehen bei der Kaufpreisaufteilung (Purchase Price Allocation) nach IFRS 3 ist in Abb. 6.15 zusammengefasst.

Abb. 6.15 Bilanzielle Darstellung eines Unternehmenszusammenschluss

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Abb. 6.16 Erwerb im Rahmen eines Unternehmenszusammenschlusses

Ansatzkriterien für immaterielle Vermögenswerte bei Unternehmenszusammenschlüssen Die Ansatzkriterien von IAS 38.21 erfahren im Fall von Unternehmenszusammenschlüssen eine besondere Behandlung (Abb. 6.16): • Die Wahrscheinlichkeit des erwarteten künftigen wirtschaftlichen Nutzenzuflusses (IAS 38.21a) wird „stets als erfüllt angesehen“ (IAS 38.33) • Bzgl. der verlässlichen Bewertbarkeit der Anschaffungs- oder Herstellungskosten (IAS 38.21b) geht IAS 38.35 davon aus, dass der beizulegende Zeitwert immaterieller Vermögenswerte „normalerweise verlässlich genug bewertet werden (kann)“; bei immateriellen Vermögenswertes mit begrenzter Nutzungsdauer wird die verlässliche Bewertbarkeit sogar widerlegbar vermutet.22 Zur Begründung der Erfüllung des ersten Ansatzkriteriums führt IAS 38.33 aus, dass der beizulegende Zeitwert eines immateriellen Vermögenswertes im Falle des Unternehmenszusammenschlusses „die Markterwartungen über die Wahrscheinlichkeit (widerspiegelt), dass der künftige wirtschaftliche Nutzen . . . zufließen wird“. Die Relativierung des zweiten Ansatzkriteriums wird in IAS 38.35 damit begründet, dass die Unsicherheit, die in verschiedenen, zur Ermittlung des beizulegenden Zeitwertes herangezogenen Szenarien zum Ausdruck kommt, „eher in die Bewertung des beizulegenden Zeitwertes des Vermögenswertes ein(geht), als dass aus diesem Grund der beizulegende Zeitwert nicht verlässlich bestimmt werden kann“.

22

Weitere Einzelheiten hierzu finden sich in IAS 38.36–38.

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Dementsprechend ist nach IFRS 3.37c23 ein immaterieller Vermögenswerte nur dann separat anzusetzen, wenn er • der Definition eines immateriellen Vermögenswertes von IAS 38 entspricht – IFRS 3.46 führt diese sowie die Kriterien zur Beurteilung der Identifizierbarkeit nochmals auf – und • der beizulegende Zeitwert verlässlich bewertet werden kann, was – wie soeben erläutert – nach IAS 38.35 normalerweise gegeben ist. Festzuhalten ist somit, dass im Falle von Unternehmenszusammenschlüssen beim Ansatz immaterieller Vermögenswerte neben den Definitionsmerkmalen eines Vermögenswertes, insbesondere desjenigen der Beherrschung, lediglich das Kriterium der Identifizierbarkeit zu prüfen ist. Bei der Beurteilung der Ansatzkriterien für im Rahmen von Unternehmenszusammenschlüssen erworbenen Patenten sind grundsätzlich keine besonderen Schwierigkeiten zu erwarten. In-Process Research and Development Projects (IP R & D) Die vorstehend aufgezeigten Voraussetzungen für den Ansatz immaterielle Vermögenswerte sind auch auf im Rahmen eines Unternehmenszusammenschlusses erworbene „aktive Forschungs-und Entwicklungsprojekte“ (in-process research and development projects) anzuwenden.24 Dies gilt unabhängig von deren Behandlung beim erworben Unternehmen vor dem Unternehmenszusammenschluss. Zur Beurteilung von deren Ansatzpflicht ist somit wiederum auf die Definitionsmerkmale immaterieller Vermögenswerte und die verlässliche Bewertbarkeit des beizulegenden Zeitwertes abzustellen. Fallen nach dem Erwerb eines Forschungs- und Entwicklungsprojektes beim erwerbenden Unternehmen für dieses Projekt Forschungs- und Entwicklungsausgaben an, sind diese nach den Grundsätzen des Ansatzes selbst geschaffener immaterieller Vermögenswerte zu behandeln (6.3.3.1).25

6.3.4 Ansatzverbote für immaterielle Vermögenswerte Ansatzverbote für immaterielle Vermögenswerte resultieren aus der Anwendung der Ansatzkriterien von IAS 38. Insoweit ist auf die Ausführungen unter 6.3.1 und 6.3.2 23

Siehe auch IFRS 3.45. Vgl. IFRS 3.45 und IAS 38.34. Zur Behandlung von IP R & D siehe vor allem Lüdenbach/Prusaczyk, Bilanzierung von „In-Process Research and Development“ beim Unternehmenserwerb nach IFRS und US-GAAP, in: KoR 2004, 415–422, AICPA, Practice Aid Series: Assets Acquired in a Business Combination to Be Used in Research and Development Activities: A Focus on Software, Electronic Devices, and Pharmaceutical Industries, 2001, sowie Heyd/Lutz-Ingold, (Fn 2), 53. 25 IAS 38.42 f. Bei gesondert erworbenen Forschungs- und Entwicklungsprojekten ist in gleicher Weise zu verfahren. 24

6 Bilanzierung von F&E-Aktivitäten nach IFRS

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zu verweisen. Ergänzend enthält IAS 38 eine Reihe von uneingeschränkten Ansatzverboten.26 Hierzu zählen insbesondere: • selbst geschaffener Geschäfts- oder Firmenwert (IAS 38.48–50) • selbst geschaffene Markennamen, Drucktitel, Verlagsrechte, Kundenlisten sowie ihrem Wesen nach ähnliche Sachverhalte (IAS 38.64 f.) einschließlich nachträglicher Ausgaben für derartige Sachverhalte (IAS 38.20) • Gründungs- und Anlaufkosten (IAS 38.69 (a)) • Ausgaben für Aus- und Weiterbildungsaktivitäten (IAS 38.69 (b)) • Ausgaben für Werbekampagnen und Maßnahmen der Verkaufsförderung (IAS 38.69 (c)) • Ausgaben für Verlegung oder Umorganisation des Unternehmens oder von Unternehmensteilen (IAS 38.69 (d)).

6.4 Bewertung immaterieller Vermögenswerte 6.4.1 Überblick Bei der Bewertung von Vermögenswerten und Schulden ist zu unterscheiden zwischen der Bewertung im Zeitpunkt des erstmaligen Ansatz des Postens, also bei dessen Zugang (Zugangs- oder Erstbewertung; 6.4.2), und derjenigen in nachfolgenden Geschäftsjahren (Folgebewertung; 6.4.3).27

6.4.2 Zugangsbewertung 6.4.2.1 Grundsatz IAS 38.24 führt den allgemeinen Grundsatz aus, dass „ein immaterieller Vermögenswert .. bei dessen Zugang mit seinen Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu bewerten“ ist. Diese sind in IAS 38.8 definiert als „der zum Erwerb oder zur Herstellung eines Vermögenswertes entrichtete Betrag an Zahlungsmitteln oder Zahlungsmitteläquivalenten bzw. der beizulegende Zeitwert einer anderen Entgeltform zum Zeitpunkt des Erwerbs bzw. der Herstellung . . . “.

26 27

Vgl. Heyd/Lutz-Ingold (Fn 2), 46. Vgl. zu dieser Unterscheidung auch IAS 38.18–71 einerseits und IAS 38.72–111 andererseits.

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6.4.2.2 Selbst geschaffene immaterielle Vermögenswerte Selbst geschaffene immaterielle Vermögenswerte sind mit ihren Herstellungskosten zu bewerten. IAS 38.65 nimmt zu deren Abgrenzung auf den Zugangszeitpunkt, also den Zeitpunkt, ab dem die unter 6.3.3.1 dargestellten Ansatzkriterien erfüllt sind, Bezug (Abb. 6.17): Die Herstellungskosten entsprechen der Summe der ab diesem Zeitpunkt anfallenden Kosten. Vor diesem Zeitpunkt als Aufwand erfasste Kosten dürfen nach Zugang des immateriellen Vermögenswertes nicht nachaktiviert werden (Nachaktivierungsverbot gemäß IAS 38.71). Die Herstellungskosten immaterieller Vermögenswerte umfassen nach IAS 38.66 „alle direkt zurechenbaren Kosten, die zur Schaffung, Herstellung und Vorbereitung des Vermögenswertes erforderlich sind, damit er für den vom Management beabsichtigten Gebrauch betriebsbereit ist.“ IAS 38.66 führt die einzelnen Komponenten der Herstellungskosten auf, IAS 38.67 Sachverhalte, die keine Kostenbestandteile bilden (Abb. 6.18). Die aufgeführten Komponenten beinhalten allerdings nicht nur „direkt zurechenbare Kosten“, also Einzelkosten, sondern auch produktionsbezogene Gemeinkosten.28

6.4.2.3 Gesonderte Anschaffung immaterieller Vermögenswerte Gesondert angeschaffte immaterielle Vermögenswerte sind mit ihren Anschaffungskosten (Abb. 6.19) zu bewerten. Diese setzen sich aus dem Kaufpreis und den Anschaffungsnebenkosten (z. B. Einfuhrzölle, nicht erstattungsfähige Umsatzsteuern) zusammen und werden um Anschaffungspreisminderungen (z. B. Rabatte, Bo-

Abb. 6.17 Erstbewertung selbst erstellter immaterieller Vermögenswerte 28

Vgl. Heyd/Lutz-Ingold (Fn 2), 63 f.

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201

Abb. 6.18 Herstellungskosten selbst geschaffener immaterieller Vermögenswerte

Abb. 6.19 Anschaffungskosten gesondert erworbener immateriellen Vermögenswertes

ni, Skonti) gekürzt (IAS 38.27). Die Einbeziehung von Zinsen, die aus der Inanspruchnahme eines Zahlungsziels resultieren, folgt den Grundsätzen von IAS 23 (IAS 38.32). Zu den Anschaffungsnebenkosten gehören vor allem auch die „direkt zurechenbaren Kosten für die Vorbereitung des Vermögenswertes auf seine beabsichtigte Nutzung“. Beispiele hierfür nennt IAS 38.28: • Aufwendungen für Leistungen an Arbeitnehmer • Honorare • Kosten für Testläufe.

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Der Anschaffungsvorgang ist nach Erreichen des betriebsbereiten, vom Management gewünschten Zustands abgeschlossen. Danach anfallende Kosten dürfen dementsprechend nicht in die Anschaffungskosten einbezogen werden (IAS 38.30). Nicht zu den Anschaffungskosten zählen beispielsweise die Kosten für die Einführung eines neuen Produktes, Verwaltungs- und andere Gemeinkosten oder Anlaufverluste (IAS 38.29 f.).

6.4.2.4 Unternehmenszusammenschlüsse Immaterielle Vermögenswerte sind – wie bereits ausgeführt (6.4.1) – bei ihrem Zugang mit ihren Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten zu bewerten (IAS 38.24). Ein Unternehmenszusammenschluss ist jedoch dadurch gekennzeichnet, dass für diesen selbst, nicht jedoch für die einzelnen übernommenen Vermögenswerte, Schulden und Eventualschulden Anschaffungskosten29 vorliegen. IFRS 3.36 bestimmt deswegen, dass diese Posten – also auch immaterielle Vermögenswerte –, soweit sie entsprechend den Ausführungen unter 6.3.3.3 anzusetzen sind, mit ihrem beizulegenden Zeitwert zu bewerten sind.30 IAS 38.33 führt weiter aus, dass die Anschaffungskosten von immateriellen Vermögenswerten dem beizulegenden Zeitwert entsprechen. Der Ausdruck „beizulegender Zeitwert“ wird in Anhang A zu IFRS 3 definiert als „der Betrag, zu dem zwischen sachverständigen, vertragswilligen und voneinander unabhängigen Geschäftspartnern unter marktüblichen Bedingungen ein Vermögenswert getauscht oder eine Schuld beglichen werden könnte.“ Bei dessen Bestimmung ist die Perspektive eines hypothetischen, nicht die des tatsächlichen Erwerbers zugrunde zu legen: Die „Verwendungsabsicht des konkreten Erwerbers . . . (tritt) zugunsten der Einschätzung der hypothetischen Erwerber zurück.“31 Der beizulegende Zeitwert reflektiert „den Kenntnisstand und die Erwartungen der Marktteilnehmer“.32 Anhang B16 zu IFRS 3 geht auf die Messgrößen ein, die als beizulegender Zeitwert zu behandeln sind. Bei immateriellen Vermögenswerten (IFRS 3 Anhang B16 g) ist zunächst auf einen aktiven Markt33 zurückzugreifen, wobei IAS 38.78 selbst davon ausgeht, dass ein solcher normalerweise für immaterielle Vermögenswerte nicht existent ist. Nach IAS 38.39 ist auf den aktuellen Angebotspreis abzustellen bzw. – wenn diese nicht verfügbar sind – ist vom Preis der letzten vergleichbaren

29 Zur Ermittlung der Anschaffungskosten eines Unternehmenszusammenschlusses vgl. IFRS 3.24–35. 30 Siehe auch Heyd/Lutz-Ingold, 54, die hervorheben, dass keine Einzelanschaffungskosten verfügbar sind. 31 IDW Stellungnahme zur Rechnungslegung (IDW RS HFA 16), in: FN 2005, 721–738, Tz. 7. 32 Ebenda. 33 Ein aktiver Markt ist nach IAS 38.8 gegeben, wenn die gehandelten Produkte homogen sind, vertragswillige Käufer und Verkäufer idR jederzeit gefunden werden können und die Preise der Öffentlichkeit verfügbar sind.

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Transaktion auszugehen, sofern sich zwischenzeitlich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht geändert haben. Ist ein aktiver Markt nicht gegeben, ist von dem „Betrag . . . , den das erwerbende Unternehmen auf der Grundlage der besten zur Verfügung stehenden Informationen bei Transaktionen zu marktüblichen Bedingungen zwischen sachverständigen, vertragswilligen und unabhängigen Geschäftspartnern gezahlt hätte“ auszugehen (IFRS 3 Anhang B16 g), wobei „jüngste Geschäftsvorfälle . . . , bei denen ähnliche Vermögenswerte betroffen waren“, zu berücksichtigen sind (IAS 38.40). IAS 38.41 nimmt schließlich Bezug auf Multiplikatoren, Relief-from-Royalty-Methode und die Diskontierung zukünftiger Netto-Cashflows.34

6.4.3 Folgebewertung 6.4.3.1 Überblick IAS 38.72 sieht für die Folgebewertung grundsätzlich zwei mögliche Bilanzierungsund Bewertungsmethoden vor (6.4.3.2): das • Anschaffungskostenmodell und das • Neubewertungsmodell. Bei Anwendung beider Modelle sind erforderlichenfalls Abschreibungen (6.4.3.3) und Wertberichtigungsaufwendungen (6.4.3.4) zu berücksichtigen. Dadurch ergibt sich der Buchwert des Vermögenswertes, der nach IAS 38.8 definiert ist als „der Betrag mit dem ein Vermögenswert in der Bilanz nach Abzug aller auf ihn entfallenden kumulierten Abschreibungen und kumulierten Wertberichtigungsaufwendungen angesetzt wird“. Abbildung 6.20 gibt einen Überblick über die Vorgehensweise bei der Folgebewertung.

6.4.3.2 Anschaffungskosten- und Neubewertungsmodell Nach dem Anschaffungskostenmodell (Cost Model) ist ein immaterieller Vermögenswert mit seinen Anschaffungskosten vermindert um kumulierte Abschreibungen und kumulierte Wertminderungsaufwendungen zu bewerten (IAS 38.74). Das Neubewertungsmodell (Revaluation Model) geht von der Fortführung des Vermögenswertes mit dem Neubewertungsbetrags aus. Dieser ergibt sich aus dem beizulegenden Zeitwert zum Zeitpunkt der Neubewertung abzüglich kumulierter Abschrei34 Zu Einzelheiten der Bewertung immaterieller Vermögenswerte – auch bei Unternehmenszusammenschlüssen – siehe Kapitel 5, Grundlagen der Bewertung immaterieller Vermögenswerte, sowie insbesondere Moser/Goddar, Grundlagen der Bewertung immaterieller Vermögenswerte am Beispiel der Bewertung patentgeschützter Technologien, in: FB 2007, 594–609, sowie IDW RS HFA 16 (Fn 31), Tz. 19–60).

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Abb. 6.20 Folgebewertung bei immateriellen Vermögenswerten

bungen und kumulierter Wertminderungsaufwendungen, wobei der beizulegende Zeitwert unter Bezugnahme auf einen aktiven Markt zu bestimmen (IAS 38.75). Angesichts der Voraussetzungen, die für das Vorliegen eines aktiven Markt erfüllt sein müssen,35 resultieren für die Anwendung des Neubewertungsmodells erhebliche Einschränkungen. Hiervon geht auch IAS 38.78 aus: „Normalerweise existiert ein . . . aktiver Markt für einen immateriellen Vermögenswert nicht“, wobei als Beispiele hierfür u. a. Patente, Markennamen und Warenzeichen36 aufgeführt werden.37 Eine Anwendung der Neubewertungsmethode setzt weiter voraus, dass diese grundsätzlich auch bei allen anderen Vermögenswerten, die „hinsichtlich ihrer Art und ihrem Verwendungszweck innerhalb des Unternehmens ähnlich sind“, zum Zuge kommt. IAS 38.73 bezeichnet eine derartige Zusammenfassung von Vermögenswerten auch als Gruppe immaterieller Vermögenswerte.38 Bei der Erstbewertung, die – wie oben ausgeführt (6.4.2) – zu Anschaffungsoder Herstellungskosten zu erfolgen hat, ist das Neubewertungsmodell unzulässig (IAS 38.76 (b)). Im Falle selbst geschaffener immaterieller Vermögenswerte ist deswegen zu beachten, dass bei der Erstbewertung die Herstellungskosten durch das Vorliegen der Ansatzkriterien grundsätzlich nach oben begrenzt sind (6.4.2.1), bei der Folgebewertung jedoch „das Neubewertungsmodell auf den gesamten Vermö35

Zur Definition des Ausdrucks „aktiver Markt“ nach IAS 38.8 siehe bereits unter Fn 33. Bei der deutschen Übersetzung von IAS 38 (revised 2004) wurde offensichtlich neben terminologischen Unschärfen noch nicht realisiert, dass der Ausdruck „Warenzeichen“ im MarkenG durch den Ausdruck „Marken“ ersetzt wurde. 37 IAS 38.78 nennt allerdings auch Beispiel für Fälle, in denen ein aktiver Markt gegeben sein kann: übertragbare Taxilizenzen, Fischereilizenzen, Produktionsquoten. 38 Beispiele für separate Gruppen finden sich in IAS 38.119, etwa „Computersoftware“ oder „Urheberrechte, Patente und sonstige gewerbliche Schutzrechte, Nutzungs- und Betriebskonzessionen“. 36

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genswert angewendet werden (kann)“ (IAS 38.77). Heyd/Lutz-Ingold39 weisen darauf hin, dass hierin eine Durchbrechung des Nachaktivierungsverbots von IAS 38.71 zu sehen ist: Sofort als Aufwand erfasste Ausgaben werden nachträglich im Rahmen der Neubewertung aktiviert. Neubewertungen sind regelmäßig vorzunehmen, wobei keine Verpflichtung für eine jährliche Durchführung besteht. Vielmehr ist darauf abzustellen, dass „der Buchwert des Vermögenswertes nicht wesentlich von seinem beizulegenden Zeitwert abweicht“ (IAS 38.75 sowie IAS 38.79). Weitere Einzelfragen der Anwendung des Neubewertungsmodells – etwa das Vorgehen bei Wegfall eines aktiven Marktes, die erfolgsneutrale bzw. erfolgswirksame Behandlung von Erhöhungen bzw. Verringerungen des Buchwertes infolge der Neubewertung40 sowie die Behandlung der Neubewertungsrücklage – werden in IAS 38.81–87 ausgeführt.

6.4.3.3 Planmäßige Abschreibungen Begrenzte und unbestimmbare Nutzungsdauer IAS 38 unterscheidet bei der Folgebewertung immaterieller Vermögenswerte danach, ob diese eine begrenzte („finite“) oder eine unbestimmbare („indefinite“)41 Nutzungsdauer aufweisen. Im Falle der begrenzten Nutzungsdauer ist der Vermögenswert (planmäßig) abzuschreiben, im anderen dagegen nicht (IAS 38.89). Dementsprechend ist nach IAS 38.88 zu untersuchen, welcher der beiden Fälle gegeben ist. Von einer unbestimmbaren Nutzungsdauer ist dann auszugehen, „wenn es aufgrund der Analyse aller relevanten Faktoren keine vorhersehbare Begrenzung der Periode gibt, in der der Vermögenswert voraussichtlich Netto-Cash Flows für das Unternehmen erzeugen wird“ (IAS 38.88). IAS 38.91 hebt hervor, dass sich dieser Ausdruck von dem Ausdruck „endlos“ (infinite) unterscheidet. IAS 38.90 führt verschiedene Faktoren an, die bei der Bestimmung der Nutzungsdauer zu beachten sind. Ein weiterer bedeutsamer Einflussfaktor bei der Ermittlung der Nutzungsdauer sind die zukünftigen Erhaltungsausgaben. Diese sind in der Höhe zu bemessen, die zur Erhaltung des Vermögenswertes auf dem Niveau der Ertragskraft, das im Zeitpunkt der Schätzung der Nutzungsdauer gegeben ist, erforderlich ist. Insbesondere darf nicht durch eine Erhöhung der Erhaltungsausgaben über dieses Maß hinaus auf eine unbestimmbare Nutzungsdauer geschlossen werden (IAS 38.91). Die Nutzungsdauern von immateriellen Vermögenswerten, die aus vertraglichen oder gesetzlichen Rechten resultieren, können durch wirtschaftliche und rechtliche Faktoren bestimmt sein. Erstere bestimmen den Zeitraum des künftigen wirtschaft39 40 41

Fn 2, 78 f. Siehe hierzu auch das Beispiel bei Heyd/Lutz-Ingold (Fn 2), 81 f. Die deutsche Übersetzung von IAS 38.88 ff. verwendet den Ausdruck „unbegrenzt“.

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lichen Nutzenzuflusses, letztere denjenigen, über den der Zugriff auf den künftigen Nutzen beherrscht wird. Die Nutzungsdauer dieser immateriellen Vermögenswerte wird dementsprechend durch die rechtliche Grundlage begrenzt (IAS 38.94 f.). Die Möglichkeit zur Verlängerung des Rechts darf bei der Bestimmung der Nutzungsdauer berücksichtigt werden, wenn das Unternehmen nachweisen kann, dass eine Verlängerung ohne erhebliche Kosten möglich ist (IAS 38.94). Bei der Führung dieses Nachweises kann u. a. auf Erfahrungen, auf Hinweise, dass die erforderlichen Voraussetzungen zur Rechtsverlängerung erfüllt werden, sowie den Umstand, dass die Verlängerungskosten im Vergleich zum künftigen wirtschaftlichen Nutzenzufluss unwesentlich sind, zurückgegriffen werden. Im Falle der Abhängigkeit der Verlängerung von Zustimmungen Dritter bedarf es auch dafür Hinweise, dass die Dritten zustimmen werden (IAS 38.96). Bei der Bestimmung der Nutzungsdauer von Patenten ist deren rechtliche Begrenzung auf 20 Jahre zu berücksichtigen. Eine Verlängerung der rechtlichen Laufzeit kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, beispielsweise bei Einräumung des „Orphan Drug-Status“.

Immaterielle Vermögenswerte mit begrenzter Nutzungsdauer Immaterielle Vermögenswerte mit begrenzter Nutzungsdauer sind – wie unter 6.4.3.3 bereits ausgeführt – abzuschreiben. Das bedeutet, dass das Abschreibungsvolumen „planmäßig über seine Nutzungsdauer zu verteilen“ ist (IAS 38.97).42 Dies geschieht auf der Grundlage einer Abschreibungsmethode. Das Abschreibungsvolumen ist in IAS 38.8 definiert als „Differenz zwischen Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Vermögenswertes oder eines Ersatzbetrags und dem Restwert“. Die Bestimmung des Abschreibungsbetrags erfolgt demnach auf der Grundlage folgender Komponenten: • • • •

Anschaffungs- oder Herstellungskosten bzw. Neubewertungsbetrag Nutzungsdauer Abschreibungsmethode Restwert.

Da die ersten beiden Komponenten bereits ausführlich erörtert wurden (u. a. 6.4.2), beschränken sich die folgenden Ausführungen auf die Betrachtung der beiden verbleibenden. Die Wahl der Abschreibungsmethode hat sich an „dem erwarteten Verbrauch des zukünftigen wirtschaftlichen Nutzens des Vermögenswertes durch das Unternehmen“ zu orientieren (IAS 38.97) und ist von Periode zu Periode grundsätzlich stetig anzuwenden (IAS 38.98). Nach IAS 38.98 kommen insbesondere die linerare und die degressive sowie die leistungsabhängige Abschreibung in Betracht, wobei die 42 IAS 38.8 definiert in entsprechender Weise Abschreibung (Amortisation) als die „systematische Verteilung des gesamten Abschreibungsvolumens eines immateriellen Vermögenswertes über dessen Nutzungsdauer“.

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lineare Methode immer dann zur Anwendung kommt, wenn der Abschreibungsverlauf nicht verlässlich bestimmt werden kann (IAS 38.97). Weiterhin geht IAS 38.98 auch davon aus, dass sich eine Abschreibungsmethode, die zu einem geringeren kumulierten Abschreibungsbetrag als die lineare Methode führt, selten begründen lässt. Ein Restwert, der größer als Null ist, darf nur ausnahmsweise Berücksichtigung finden. Dies ist der Fall (IAS 38.100), • wenn sich eine dritte Partei zum Erwerb des Vermögenswertes am Ende seiner Nutzungsdauer verpflichtet hat, oder • wenn der Restwert unter Bezugnahme auf einen aktiven Markt (IAS 38.8) bestimmt werden kann und das Bestehen des aktiven Markts am Ende der Nutzungsdauer wahrscheinlich ist.43 Mindestens zum Ende jedes Geschäftsjahres sind die Abschreibungsperiode, die Abschreibungsmethode sowie der Restwert zu überprüfen (IAS 38.102 und 38.104). Erforderlichenfalls sind entsprechende Anpassungen vorzunehmen. Bei immateriellen Vermögenswerten mit begrenzter Nutzungsdauer ist – bei vorliegen entsprechender Anhaltspunkte – zudem nach IAS 36 zu beurteilen, ob sie in ihrem Wert gemindert sind (IAS 38.111).44

Immaterielle Vermögenswerte mit unbestimmbarer Nutzungsdauer Wie bereits ausgeführt, dürfen immaterielle Vermögenswerte mit unbestimmbarer Nutzungsdauer nicht (planmäßig) abgeschrieben werden (IAS 38.107). Sie sind vielmehr jährlich bzw. im Falle des Vorliegens entsprechender Anhaltspunkte auf Wertminderung zu überprüfen (IAS 38.108).45 Die Qualifizierung der Nutzungsdauer eines immateriellen Vermögenswertes als „unbestimmbar“ ist in jeder Berichtsperiode zu überprüfen (IAS 38.109). Im Falle einer Umklassifizierung in immaterielle Vermögenswerte mit begrenzter Nutzungsdauer ist außerdem ein Wertminderungs-Test durchzuführen (IAS 38.110).

6.4.3.4 Wertminderungsaufwendungen Überblick Bei der Folgebewertung immaterieller Vermögenswerte sind – wie bereits ausgeführt – Wertminderungsaufwendungen zu berücksichtigenden (Abb. 6.21). Die dabei relevanten Vorschriften finden sich nicht in IAS 38 und IFRS 3, sondern in IAS 36. 43 44 45

Zur Bestimmung des Restwertes vgl. IAS 38.102. Zu Einzelheiten der Überprüfung auf Wertminderungen siehe unter 6.4.3.4. Zu Einzelheiten der Überprüfung auf Wertminderungen siehe unter 6.4.3.4

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Abb. 6.21 Wertminderungsaufwendungen im Überblick

Der Anwendungsbereich der Regelungen ist nicht auf die Behandlung von Wertminderungen bei immateriellen Vermögenswerten (IAS 38.111) begrenzt. IAS 36 findet vielmehr grundsätzlich auf alle Vermögenswerte Anwendung, wobei allerdings wichtige Bereiche durch IAS 36.2 ausgenommen werden. Danach richtet sich die Bilanzierung von Wertminderungen beispielsweise bei Vorräten (IAS 2), bei Vermögenswerten, die aus Fertigungsaufträgen resultieren (IAS 11), sowie bei latenten Steueransprüchen (IAS 12) nicht nach IAS 36. Der Anwendungsbereich der Vorschriften umfasst jedoch beispielsweise Sachanlagen (IAS 16). Auch auf Geschäfts- oder Firmenwerte, die nicht planmäßig abgeschrieben werden dürfen, ist IAS 36 anzuwenden (IFRS 3.55). Ein Vermögenswert ist nach IAS 36 wertgemindert, wenn sein erzielbarer Betrag geringer als sein Buchwert ist. Unter dieser Voraussetzung ist der Buchwert des Vermögenswertes außerplanmäßig abzuschreiben, d. h. auf seinen erzielbaren Betrag zu verringern (IAS 36.1, 8, 59). In den Fällen, in denen sich der erzielbare Betrag für einen einzelnen Vermögenswert nicht schätzen läßt, ist nach IAS 36.66 zur Bestimmung des Wertminderungsaufwands auf Gruppen von Vermögenswerten, die sogenannten zahlungsmittelgenerierenden Einheiten, abzustellen. Diese Vorgehensweise findet auch bei Wertminderungen des Geschäfts- oder Firmenwertes Anwendung (IAS 36.7(b)). IAS 36 regelt außerdem, inwieweit in den Fällen, in denen ein in früheren Perioden erfasster Wertminderungsaufwand nicht bzw. nicht mehr in vollem Umfang besteht, eine Wertaufholung vorzunehmen ist. Im Folgenden wird zunächst auf die Behandlung der Wertminderungen bei einzelnen Vermögenswerten eingegangen. Sodann wird das Vorgehen bei zahlungsmittelgenerierende Einheiten betrachtet. Abschließend werden die Voraussetzungen der Vornahme von Wertaufholungen dargestellt. Vorab werden die Identifikation des

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Vorliegens einer Wertminderung sowie die Ermittlung des erzielbaren Betrags umrissen.

Identifikation von Vermögenswerten mit Wertminderungspotenzial Grundsätzlich ist an jedem Bilanzstichtag einzuschätzen, ob ein Anhaltspunkt für die Wertminderung eines Vermögenswertes gegeben ist (Abb. 6.22). Liegt ein solcher vor, ist die Werthaltigkeit des Vermögenswertes zu überprüfen (IAS 36.9). In besonderen Fällen ist – unabhängig vom Vorliegen derartiger Anhaltspunkte – jährlich eine Werthaltigkeitsprüfung vorzunehmen (IAS 36.10). Dies gilt für • immaterielle Vermögenswerte mit unbestimmbarer Nutzungsdauer, für • noch nicht nutzungsbereite immaterielle Vermögenswerte (IAS 36.11) sowie für • bei einem Unternehmenszusammenschluss erworbene Geschäfts- oder Firmenwerte. Diese Grundsätze finden nicht nur bei einzelnen Vermögenswerten Anwendung. Sie gelten in gleicher Weise für zahlungsmittelgenerierende Einheiten mit und ohne zugeordnetem Geschäfts- oder Firmenwert (IAS 36.7, 36.88 – 90).46 Anhaltspunkte, deren Vorliegen für eine Wertminderung spricht, werden in IAS 36.12 beispielhaft, d. h. nicht abschließend (IAS 36.13), aufgezählt. Dabei ordnet die Regelung diese externen und internen Informationsquellen zu (Abb. 6.23). Darüber hinaus ist zu beachten, dass diese Anhaltspunkte – unabhängig von der

Abb. 6.22 Identifikation von Vermögenswerten mit Wertminderungspotenzial

46

Vgl. auch Graumann, Die Durchführung des Wertminderungstests auf zahlungsmittelgenerierende Einheiten nach IAS 36, in: UM 2004, 370 ff., 373.

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Abb. 6.23 Anhaltspunkte für Wertminderung

Erfassung einer Wertminderung – als Indiz zur Überprüfung von Restnutzungsdauer, Abschreibungs-/Amortisationsmethode sowie Restwert bei abnutzbaren Vermögenswerten zu betrachten sind (IAS 36.17). Weitere Anhaltspunkte für Wertminderungen bei immateriellen Vermögenswerten ergeben sich aus IAS 38: • Im Falle der Anwendung des Neubewertungsmodells bei der Folgebewertung (6.4.3.2) ist die „Tatsache, dass ein aktiver Markt nicht länger für einen neu bewerteten immateriellen Vermögenswert besteht“ ein derartiges Indiz (IAS 38.83) • Gleiches gilt für die „Neubewertung der Nutzungsdauer eines immateriellen Vermögenswertes als begrenzt und nicht mehr als unbegrenzt“ (IAS 38.110).47 Bei Überprüfung der Werthaltigkeit ist der Grundsatz der Wesentlichkeit anzuwenden (IAS 36.15 f.). Danach ist der erzielbare Betrag insbesondere dann nicht neu zu ermitteln, wenn bei früheren Berechnungen der erzielbare Betrag erheblich über dem Buchwert lag und zwischenzeitliche Ereignisse nicht zu einer Beseitigung dieser Differenz geführt haben. Diese Kriterien werden für immaterielle Vermögenswerte mit unbestimmbarer Nutzungsdauer, deren Wertminderung nur zusammen mit einer zahlungsmittelgenerierenden Einheit überprüft werden kann, sowie für den Geschäfts oder Firmenwert in IAS 36.24 bzw. 36.99 weiter spezifiziert.48

47

Vgl. 6.4.3.3 Heyd/Lutz-Ingold (Fn 2), 94 f., gehen davon aus, dass die Voraussetzungen dieser Ausnahmetatbestände in der Praxis nur selten erfüllt sein werden.

48

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Ermittlung des erzielbaren Betrages Grundlagen Ein Vermögenswert bzw. eine zahlungsmittelgenerierende Einheit ist – wie bereits ausgeführt – wertgemindert, wenn dessen (deren) Buchwert den erzielbaren Betrag übersteigt. Demgemäß ist in den Fällen, in denen das Vorliegen einer Wertminderung zu überprüfen ist, der erzielbare Betrag des Vermögenswertes bzw. der zahlungsmittelgenerierenden Einheit zu ermitteln. Der erzielbare Betrag eines Vermögenswertes oder einer zahlungsmittelgenerierenden Einheit (Abb. 6.24) ist in IAS 36.6 definiert als „der höhere der beiden Beträge aus beizulegendem Zeitwert abzüglich Verkaufskosten und Nutzungswert“(IAS 36.18, 36.74).49 Nach IAS 36.19 ist es nicht immer erforderlich, sowohl den beizulegenden Zeitwert abzüglich Verkaufskosten als auch den Nutzungswert zu ermitteln. Hiervon ist auszugehen, wenn bereits einer der beiden Werte über dem Buchwert liegt. In anderen Fällen entspricht der Nutzungswert dem erzielbaren Betrag und zwar dann, wenn es nicht möglich ist, den beizulegenden Zeitwert abzüglich Verkaufskosten zu bestimmen (IAS 36.20). Der beizulegende Zeitwert abzüglich Verkaufskosten kann schließlich als erzielbarer Betrag angesehen werden, wenn kein Grund dafür ersichtlich ist, dass der Nutzungswert wesentlich höher ist als dieser (IAS 36.21). Die Anforderungen an die Ermittlung des erzielbaren Betrags, die in IAS 36.19– 36.57 dargelegt sind, sind sowohl auf einzelne Vermögenswerte als auch

Abb. 6.24 Ermittlung des erzielbaren Betrags eines Vermögenswertes oder einer ZGE

49

Zu der damit verbundenen Unterstellung rationalen Handelns siehe Heyd/Lutz-Ingold (Fn 2), 90.

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zahlungsmittelgenerierende Einheiten anzuwenden (IAS 36.18 sowie IAS 36.7a und IAS 36.74). Beizulegender Zeitwert abzüglich Verkaufskosten Beim beizulegenden Zeitwert abzüglich der Verkaufskosten handelt es sich um den „Betrag, der durch den Verkauf eines Vermögenswertes oder einer zahlungsmittelgenerierenden Einheit in einer Transaktion zu Marktbedingungen zwischen sachverständigen, vertragswilligen Parteien nach Abzug der Veräußerungskosten erzielt werden könnte“ (IAS 36.6). IAS 36.25 geht davon aus, dass der beizulegende Zeitwert abzüglich der Verkaufskosten am Besten durch einen „in einem bindenden Verkaufsvertrag zwischen unabhängigen Geschäftspartnern festgelegten Preis“ – unter Berücksichtigung der Veräußerungskosten – ausgedrückt wird. Liegt ein derartiger Vertrag nicht vor, ist auf einen Marktpreis (abzüglich Veräußerungskosten) auf einem aktiven Markt abzustellen, wobei für gewöhnlich der aktuelle Angebotspreis geeignet ist. Ist auch letzterer nicht verfügbar, kommt der Preis der letzten Transaktion als Ausgangspunkt für die Wertermittlung unter der Voraussetzung in Betracht, dass zwischenzeitlich keine bedeutsamen Veränderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse aufgetreten sind (IAS 36.26). Schließlich verweist IAS 36.27 auf die „besten verfügbaren Informationen, um den Betrag widerzuspiegeln, den ein Unternehmen an dem Bilanzstichtag aus dem Verkauf des Vermögenswertes zu Marktbedingungen zwischen sachverständigen, vertragswilligen und voneinander unabhängigen Geschäftspartnern nach dem Abzug der Veräußerungskosten erzielen könnte.“ Hierbei sind auch die Ergebnisse vergleichbarer aktuelle Transaktionen einzubeziehen. Bei den Veräußerungskosten handelt es sich um „zusätzliche Kosten, die dem Verkauf eines Vermögenswertes oder einer zahlungsmittelgenerierenden Einheit direkt zugeordnet werden können, mit Ausnahme der Finanzierungskosten und des Ertragsteueraufwands“ (IAS 36.6). IAS 36.28 nennt folgende Beispiele: Gerichtsund Anwaltskosten, Börsenumsatzsteuern und ähnliche Transaktionskosten, Aufwendungen für die Beseitigung des Vermögenswertes sowie direkt zurechenbare zusätzliche Aufwendungen, um den Vermögenswert in den entsprechenden Zustand für den Verkauf zu versetzen. Nutzungswert Der Nutzungswert ist in IAS 36.6 definiert als „der Barwert der künftigen Cashflows, der voraussichtlich aus einem Vermögenswert oder einer zahlungsmittelgenerierenden Einheit abgeleitet werden kann“. Bei dessen Ermittlung ist nach IAS 36.31 in zwei Schritten vorzugehen: • Schätzung der zukünftigen Cash Flows des Vermögenswertes bzw. der zahlungsmittelgenerierenden Einheit • Diskontierung dieser Cash Flows mit einem angemessenen Abzinsungssatz.

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IAS 36.30 nennt folgende Elemente, die in der Nutzungswertberechnung abgebildet werden müssen:50 • Schätzung der erwarteten künftigen Cash Flows des Vermögenswertes bzw. der zahlungsmittelgenerierenden Einheit • Erwartungen bezüglich der Veränderung der Höhe oder der zeitlichen Struktur zukünftigen Cash Flows • aktueller marktbezogener risikoloser Zinssatz • Preis für die Übernahme des mit dem Vermögenswert bzw. der zahlungsmittelgenerierenden Einheit verbundenen Risikos • weitere Faktoren, wofür IAS 36.30(e) als Beispiel „die Illiquidität, die Marktteilnehmer bei der Preisgestaltung der künftigen Cashflows, die das Unternehmen durch den Vermögenswert zu erzielen hofft, widerspiegeln würden“ anführt. IAS 36.33–57 sowie Anhang A zu IAS 36 gehen detailliert auf die Ermittlung des Nutzungswertes ein.

Behandlung von Wertminderungen bei einzelnen Vermögenswerten Die Behandlung des Wertminderungsaufwands – darunter ist „der Betrag, um den der Buchwert eines Vermögenswertes . . . seinen erzielbaren Betrag übersteigt“, zu verstehen (IAS 36.6)51 – richtet sich danach, ob die Folgebilanzierung dem Anschaffungskosten- oder dem Neubewertungsmodell (6.4.3.2) folgt. Im erst genannten Fall ist der Aufwand sofort in vollem Umfang erfolgswirksam zu behandeln, im zweiten dagegen nur insoweit, als er nicht gegen die Neubewertungsrücklage verrechnet werden kann. IAS 36 gibt keine Grundlage für den Ansatz einer Schuld in den Fällen, in denen der Wertminderungsaufwand den Buchwert des Vermögenswertes übersteigt. Allerdings kann dies aus anderen IAS folgen (IAS 36.62). Anpassungen ergeben sich schließlich beim Abschreibungs-/Amortisationsaufwand des betreffenden Vermögenswertes in künftigen Perioden (IAS 36.63) sowie gegebenenfalls bei den latenten Steuern nach IAS 12 (IAS 36.64).

Behandlung von Wertminderungen auf Ebene der zahlungsmittelgenerierenden Einheiten Abgrenzung der zahlungsmittelgenerierenden Einheiten Nach IAS 36.66 ist – wie bereits ausgeführt – der erzielbare Betrag der zahlungsmittelgenerierenden Einheit zu bestimmen, wenn dies für den einzelnen Vermögenswert nicht möglich ist. Letzeres ist der Fall, wenn 50 51

Ähnlich auch Anhang A1 zu IAS 36. Vgl. auch IAS 38.8.

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• „der Nutzungswert des Vermögenswertes nicht nah an seinem beizulegenden Zeitwert abzüglich der Verkaufskosten geschätzt werden kann . . . und • der Vermögenswert keine Mittelzuflüsse erzeugt, die weitestgehend unabhängig von anderen Vermögenswerten sind“ (IAS 36.67). Diese Bedingungen sind insbesondere bei folgenden Sachverhalten gegeben: Typischerweise erzeugen Vermögenswerte nur im Zusammenwirken mit anderen Vermögenswerten Cash Flows.52 Lässt sich der Beitrag eines bestimmten Vermögenswertes zu diesem gemeinsamen Cash Flow aller beteiligten Vermögenswerte nicht isolieren, kann dessen Nutzungswert nicht bestimmt werden. Der Vermögenswert kann jedoch einerseits für die Generierung des gemeinsamen Cash Flows von besonderer Bedeutung sein, andererseits lediglich zu einem sehr geringen Schrottwert veräußerbar sein. Unter diesen Voraussetzungen ist nicht auszuschließen bzw. zu vermuten, dass der beizulegende Zeitwert abzüglich der Verkaufskosten den Nutzungswert des Vermögenswertes nicht reflektiert. Liegt er – aufgrund des geringen Schrottwerts – zudem unter dem Buchwert, indiziert er eine Wertminderung, obwohl die gesamte Einheit in vollem Umfang werthaltig sein kann. Diese Gruppe von Vermögenswerte, der ein Cash Flow zuzuordnen ist, bildet eine zahlungsmittelgenerierende Einheit (Abb. 6.25), wenn sie „die kleinste identifizierbare Gruppe von Vermögenswerten (ist), die Mittelzuflüsse erzeugen, die weitestgehend unabhängig von den Mittelzuflüssen anderer Vermögenswerte oder anderer Gruppen von Vermögenswerten sind“ (IAS 36.6, 68). Eine zahlungsmittelgenerierende Einheit ist demnach gekennzeichnet durch • die Komplementarität der einzelnen Vermögenswerte bezüglich der Cash FlowGenerierung und • die Unabhängigkeit der Cash Flows von anderen Vermögenswerten oder anderen Gruppen von Vermögenswerten.53 Bei der Abgrenzung der zahlungsmittelgenerierenden Einheiten sind nach IAS 36.69 verschiedene Faktoren heranzuziehen. U. a. ist auf die Steuerung der Unternehmensaktivitäten durch das Management sowie auf das Treffen von Entscheidungen über Fortführung oder Einstellung von Unternehmenstätigkeiten abzustellen. Beispielsweise kann es sich um Produktlinien, Geschäftsfelder, einzelne Standorte, Bezirke oder regionale Gebiete handeln.54 Weitere Einzelheiten, etwa das Vorgehen bei vertikaler Integration, werden in IAS 36.70 f. ausgeführt. Die Abgrenzung der zahlungsmittelgenerierenden Einheiten hat im Zeitablauf stetig zu erfolgen (IAS 36.72). Bestimmung des Buchwerts von zahlungsmittelgenerierenden Einheiten Der Wertminderungsaufwand einer zahlungsmittelgenerierenden Einheit ergibt sich durch Vergleich von ihrem erzielbaren Betrag mit ihrem Buchwert. Die Ermittlung 52 53 54

Siehe hierzu z. B. Moser/Goddar (Fn 34), insbes. 597 f. Vgl. Heyd/Lutz-Ingold (Fn 2), 102. Ähnlich auch IAS 36.130 (d).

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Abb. 6.25 Abgrenzung von zahlungsmittelgenerierenden Einheiten

des erzielbaren Betrags einer zahlungsmittelgenerierenden Einheit wurde bereits dargestellt, die Bestimmung des Buchwerts wird insbesondere in IAS 36.75–79 näher erläutert. Nach IAS 36.75 ist der Buchwert von zahlungsmittelgenerierenden Einheiten in Übereinstimmung mit der Ermittlung des erzielbaren Betrags zu bestimmen. Dabei sind folgende Vermögenswerte zu berücksichtigen: • der zahlungsmittelgenerierenden Einheit direkt zurechenbare Vermögenswerte (IAS 36.76(a)) sowie • der zahlungsmittelgenerierenden Einheit auf einer vernünftigen und stetigen Basis – z. B. mittels Schlüsselgrößen – zurechenbare Vermögenswerte (IAS 36.76(a)). Mit dem zuletzt genannten Aspekt sind gemeinschaftliche Vermögenswerte angesprochen. IAS 36.6 definiert diese als „Vermögenswerte, außer dem Geschäfts- oder Firmenwert, die zu den künftigen Cashflows sowohl der zu prüfenden zahlungsmittelgenerierenden Einheit als auch anderer zahlungsmittelgenerierenden Einheiten beitragen.“ Demensprechend sind diese dadurch gekennzeichnet, dass sie keine von anderen Vermögenswerten oder Gruppen von Vermögenswerten unabhängige Cash Flows generieren und dass sie nicht vollständig einer zahlungsmittelgenerierenden Einheit zugerechnet werden können. Beispiele hierfür sind Gebäude der Hauptverwaltung oder von Geschäftsbereichen, EDV-Ausrüstung oder Forschungszentren (IAS 36.100).55 In den Fällen, in denen ein gemeinschaftlicher Vermögenswert einer zahlungsmittelgenerierenden Einheit nicht auf einer vernünftigen und stetigen Basis zugeordnet werden kann (IAS 36.77), ist wie folgt zu verfahren (IAS 36.102): 55

Zur Überprüfung gemeinschaftlicher Vermögenswerte auf Wertminderung siehe IAS 36.101.

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• die Einheit wird ohne Berücksichtigung des gemeinschaftlichen Vermögenswertes auf Werthaltigkeit geprüft • die Werthaltigkeit ist auf Ebene der kleinsten Gruppe von zahlungsmittelgenerierenden Einheiten, der ein Teil des gemeinschaftlichen Vermögenswertes auf vernünftiger und stetiger Basis zugeordnet werden kann, zu überprüfen. Ähnlich verhält es sich auch mit dem bei einem Unternehmenszusammenschluss erworbenen Geschäfts- oder Firmenwert (IAS 36.77). Er generiert keine von anderen Vermögenswerten oder Gruppen von Vermögenswerten unabhängige Cash Flows; er trägt vielmehr regelmäßig zu den Mittelzuflüssen mehrerer zahlungsmittelgenerierenden Einheiten bei (IAS 36.81). Dementsprechend ist der Geschäftsoder Firmenwert den zahlungsmittelgenerierenden Einheiten bzw. Gruppen von zahlungsmittelgenerierenden Einheiten zuzuordnen, „die aus den Synergien des Zusammenschlusses Nutzen ziehen sollen . . . , unabhängig davon ob andere Vermögenswerte oder Schulden des erwerbenden Unternehmens diesen Einheiten oder Gruppen von Einheiten bereits zugewiesen worden sind“ (IAS 36.80). Dabei ist auf die niedrigste Ebene innerhalb des Unternehmens abzustellen, auf der die Überwachung des Geschäfts- oder Firmenwertes für interne Managementzwecke erfolgt. Diese Einheit bzw. Gruppe von Einheiten darf ein Segment iSv IAS 14 nicht überschreiten (IAS 36.80).56 Schulden und Rückstellungen dürfen grundsätzlich nicht in den Buchwert der zahlungsmittelgenerierenden Einheit einbezogen werden. Ausnahmsweise sind diese dann beachtlich, wenn ohne deren Berücksichtigung der erzielbare Betrag der zahlungsmittelgenerierenden Einheit nicht ermittelt werden kann (IAS 36.76(b)). IAS 36.78 führt in diesem Zusammenhang Rekultivierungsverpflichtungen bei Bergwerken als Beispiel an. Vereinfachungen aus praktischen Gründe sieht IAS 36.79 vor. Verteilung des Wertminderungsaufwandes Der Wertminderungsaufwand für eine zahlungsmittelgenerierende Einheit bzw. die kleinste Gruppe von zahlungsmittelgenerierenden Einheiten, der ein gemeinschaftlicher Vermögenswert oder ein Geschäfts- oder Firmenwert zugeordnet wurde (Abb. 6.26), vermindert zunächst den zugeordneten Geschäfts- oder Firmenwert. Ein danach verbleibender Wertminderungsaufwand ist anteilig von den anderen Vermögenswerten der Einheit bzw. der Gruppe von Einheiten abzusetzten (IAS 36.104). Allerdings darf der Buchwert eines Vermögenswertes nicht unter den höchsten der folgenden Werte abgeschrieben werden: • beizulegender Zeitwert abzüglich der Verkaufskosten (sofern bestimmbar), • Nutzungswert (sofern bestimmbar), • null. 56

Weitere Einzelheiten, insbesondere zur Zuordnung von Geschäfts- oder Firmenwerten zu zahlungsmittelgenerierenden Einheiten oder zur Behandlung von Minderheitsanteilen, sind in IAS 36.80–99 geregelt. Siehe hierzu auch Heyd/Lutz-Ingold (Fn 2), 172–176, Hachmeister, Impairment-Test nach IFRS und US-GAAP, in: Ballwieser/Beyer/Zelger (Fn 16), 191 ff., 202–207.

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Abb. 6.26 Verteilung des Wertminderungsaufwandes bei ZGE

Ein aufgrund dieser Begrenzung nicht verteilter Wertminderungsaufwand ist anteilig bei den anderen Vermögenswerten der Einheit bzw. Gruppe von Einheiten zu berücksichtigen (IAS 36.105). IAS 36 gibt – entsprechend der Behandlung von Wertminderungen bei einzelnen Vermögenswerten – keine Grundlage für den Ansatz einer Schuld für einen nach Anwendung der vorstehenden Regelungen noch verbleibenden Wertminderungsaufwands. Allerdings kann dies aus anderen IAS resultieren (IAS 36.108). Nach IAS 36.107 unterbleibt schließlich die Erfassung einer Wertminderung bei einem Vermögenswert, dessen erzielbarer Betrag sich nicht bestimmen läßt, wenn die verbundene zahlungsmittelgenerierende Einheit nicht wertgemindert ist.

Zeitpunkt der Prüfung auf Wertminderung Die jährliche Überprüfung auf Wertminderung bei immateriellen Vermögenswerten mit einer unbestimmbaren Nutzungsdauer, bei noch nicht nutzungsbereiten immateriellen Vermögenswerten (IAS 36.10(a)) sowie bei zahlungsmittelgenerierenden Einheiten mit zugeordnetem Geschäfts- oder Firmenwert (IAS 36.96) kann jederzeit während der Berichtsperiode – allerdings stetig – vorgenommen werden. Außerdem kann die Überprüfung für verschiedene derartige Vermögenswerte sowie für zahlungsmittelgenerierende Einheiten zu verschiedenen Zeitpunkten erfolgen. Wird die Überprüfung der Werthaltigkeit • für Vermögenswerte, die zu einer zahlungsmittelgenerierenden Einheit mit Geschäfts- oder Firmenwert gehören, zur gleichen Zeit wie diejenige für diese Einheit bzw. • für zahlungsmittelgenerierende Einheiten, die zu einer Gruppe zahlungsmittelgenerierender Einheiten mit Geschäfts- oder Firmenwert gehören, zur gleichen Zeit wie diejenige für diese Gruppe

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durchgeführt, sind zunächst die betreffenden Vermögenswerte bzw. die einzelnen Einheiten und anschließend erst die übergeordneten Einheiten zu prüfen (IAS 36.97).

6.4.3.5 Wertaufholung Ein Wertminderungsaufwand, der in einer früheren Berichtsperiode für einen Vermögenswert erfasst wurde, ist nach IAS 36.114 grundsätzlich aufzuheben und sein Buchwert auf den erzielbaren Betrag zu erhöhen,57 „wenn sich seit der Erfassung des letzten Wertminderungsaufwands eine Änderung in den Schätzungen ergeben hat, die bei der Bestimmung des erzielbaren Betrags herangezogen wurden“ (Abb. 6.27). Dies gilt nicht für einen Geschäfts- oder Firmenwert. In diesem Fall ist eine Wertaufholung unzulässig (IAS 36.124). Zur Feststellung, ob ein Erfordernis zur Wertaufholung bei einem Vermögenswert besteht, ist an jedem Berichtsstichtag zu prüfen, ob Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass ein Wertminderungsaufwand weggefallen sein könnte bzw. sich vermindert haben könnte (IAS 36.110). Derartige Anhaltspunkte, die mindestens zu prüfen sind, führt IAS 36.111 auf. Diese entsprechen weitgehend jenen, die nach IAS 36.12 für das Vorliegen einer Wertminderung sprechen (IAS 36.112).58

Abb. 6.27 Wertaufholung

57

Dabei ist zu beachten, dass nach IAS 36.117 der Buchwert nach Wertaufholung „nicht den Buchwert übersteigen (darf), der bestimmt worden wäre (abzüglich der Amortisationen oder Abschreibungen), wenn in früheren Jahren kein Wertminderungsaufwand erfasst worden wäre“. 58 Ist ein solcher Anhaltspunkt gegeben, ist darin nach IAS 36.113 – unabhängig von der Vornahme einer Wertaufholung – ein Hinweis zur Überprüfung von Restnutzungsdauer, Abschreibungs-/ Amortisationsmethode sowie Restwert zu sehen.

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Weitere Einzelheiten zur Behandlung von Wertaufholungen bei einzelnen Vermögenswerten sowie bei zahlungsmittelgenerierenden Einheiten werden in IAS 34.109–125 ausgeführt.

6.5 Anhangangaben Im Anhang sind eine Reihe von Angaben zu immateriellen Vermögenswerten zu machen. Diese ergeben sich vornehmlich aus IAS 38.118–128. Angaben zu Unternehmenszusammenschlüssen resultieren aus IFRS 3.66–77, zu Wertminderungen und Wertaufholungen aus IAS 36.126–137. Auf die Wiedergabe dieser Angabepflichten wird im hier gegebenen Rahmen verzichtet.

Literaturverzeichnis AICPA, Practice Aid Series: Assets Acquired in a Business Combination to Be Used in Research and Development Activities: A Focus on Software, Electronic Devices, and Pharmaceutical Industries, 2001. Brücks/Wiederhold, IFRS Business Combinations, in: KoR 2004, 177ff. Esser/Hackenberger, Bilanzierung immaterieller Vermögenswerte des Anlagevermögens nach IFRS und US-GAAP, in: KoR 2004, 402ff. Graumann, Die Durchführung des Wertminderungstests auf zahlungsmittelgenerierende Einheiten nach IAS 36, in: UM 2004, 370ff. Hachmeister, Impairment-Test nach IFRS und US-GAAP, in: Ballwieser/Beyer/Zelger (Hrsg.), Unternehmenskauf nach IFRS und US GAAP, Stuttgart 2005, 191ff. Hüttche, Internationale Rechnungslegung, München 2006. Hüttche, Bilanzierung selbst erstellter immaterieller Vermögensgegenstände des Anlagevermögens im Lichte des BilMoG, in: StuB 2008, 163ff. Hüttche/Moser, Immaterielle Vermögenswerte, in: Freidank/Peemöller, Corporate Governance und Interne Revision, Berlin 2008, 365ff. Heyd/Lutz-Ingold, Immaterielle Vermögenswerte und Goodwill nach IFRS, München 2005. IDW Stellungnahme zur Rechnungslegung (IDW RS HFA 16), in: FN 2005, 721ff. Kirsch, Einführung in die internationale Rechnungslegung nach IAS/IFRS, Herne/Berlin 2003. Küting/Wirth, Bilanzierung von Unternehmenszusammenschlüssen nach IFRS 3, in: KoR, 167ff. Leibfried/Pfanzelt, Praxis der Bilanzierung von Forschungs- und Entwicklungskosten gemäß IAS/IFRS, in: KoR 491ff. Lüdenbach/Prusaczyk, Bilanzierung von „In-Process Research and Development“ beim Unternehmenserwerb nach IFRS und US-GAAP, in: KoR 415ff. Moser/Goddar, Grundlagen der Bewertung immaterieller Vermögenswerte am Beispiel der Bewertung patentgeschützter Technologien, in: FB 2007, 594ff., 655ff. Ruhnke, Rechnungslegung nach IFRS und HGB, Stuttgart 2005. Zelger, Purchase Price Allocation nach IFRS und US-GAAP, in: Ballwieser/Beyer/Zelger (Hrsg.), Unternehmenskauf nach IFRS und US GAAP, Stuttgart 2005, 141ff.

Teil III

Intellectual Property (IP) Management/Patentmanagement

Kapitel 7

Strategisches IP Management zum Schutz von Innovationen Hermann Mohnkopf

7.1 Einführung in das Innovationsmanagement 7.1.1 Innovationsstandort Deutschland Deutschland muss über mehr Wertschöpfung zukünftig wieder zu höherem Wachstum und steigender Beschäftigung gelangen. Die Hightech-Strategie der Bundesregierung ist das Signal für eine neue Innovationspolitik in Deutschland. Zentraler Punkt dieser Strategie soll die Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft sein. Für 17 Zukunftsfelder werden Einzelstrategien entwickelt. Die Strategie soll die Forschungsförderung und Rahmenbedingungen wie Regulierung, Normung und Schutz des geistigen Eigentums zu einer strategischen Innovationspolitik aus einem Guss bündeln. Wettbewerbsvorteile und damit Wachstumschancen lassen sich nur durch neue Ideen, Produkte und Systemlösungen gewinnen. Damit werden Arbeitsplätze geschaffen und der Lebensstandard der Gesellschaft und der Folgegenerationen gesichert. In Deutschland möchte man Leitmärkte entstehen lassen; sie mögen Investoren genauso anziehen wie Forscher, damit neue Produkte, Verfahren und Dienstleistungen entstehen, die weltweit verkauft werden können. Neue Forschungsergebnisse sollen schnell und einfach in Produkte umgesetzt werden, die staatsgetriebene Technologieförderung ist passé, sie wird in eine leistungsorientierte Forschungslandschaft, in der sich gute Ideen durchsetzen, umgewandelt. Die Bundesregierung verbessert die Rahmenbedingungen für Erfinder, Forscher und innovative Unternehmen in Deutschland, der größten Volkswirtschaft Europas. Dies hat Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Europäischen Patentforum 2007 in München insbesondere zur Bedeutung von Patenten für Innovations- und Zukunftsfähigkeit Europas hervorgehoben. „Innovationsförderung und Patentschutz sind zwei zentrale Herausforderungen für die Zukunft des Kontinents“, sagte Merkel. Sie ergänzte, dass, der Schutz von Innovationen mit über die Bereitschaft, in Forschung und Entwicklung zu investieren, entscheide. Gerade Europa als Export-

W. Schmeisser, H. Mohnkopf, M. Hartmann, G. Metze (Hrsg.), Innovationserfolgsrechnung DOI: 10.1007/978-3-540-78249-0, © Springer 2008

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region für hochwertige Technologiegüter ist in besonderem Maße auf effizient funktionierende Systeme zum Schutz geistigen Eigentums angewiesen. Um Innovationen rechnerisch von der Idee bis zur Umsetzung in ein Produkt zu begleiten, braucht das Management ein regulatorisches Umfeld. Dazu zählen der effiziente Schutz und die Nutzung der Rechte am geistigen Eigentum, wie Patente, Handelsmarken, Urheberrechte und Geschmacksmuster. Durch den Patentschutz erhält ein Unternehmen die notwendige Zeit, Investitionen in Forschung und Entwicklung, aus der die patentierte Erfindung hervorging, auf dem Markt wieder einzubringen. Ohne angemessenen zeitlichen, gebietsorientierten und monopolartigen Schutz des geistigen Eigentums besteht keine ausreichende Motivation für Investitionen in innovative Produkte. Bei der Festlegung der Unternehmensstrategie spielen viele Faktoren eine Rolle, wie etwa die Lebensdauer des Produktes, die Basis für Forschung und Entwicklung im eigenen Unternehmen, die Bedürfnisse ihrer Kunden und die Unterstützung ihrer Lieferanten, die potentielle Verwertung in eigenen Produkten oder als Lizenzvergabe, sowie der Wettbewerb im jeweiligen Wirtschaftszweig. Deutschland gehört bei den Anwendungstechnologien wie Automobil-, Umweltund Maschinenbau nach wie vor zu den größten Innovatoren und Patentanmeldern weltweit. Deutsche Hersteller sind zum Beispiel auf allen zentralen Gebieten des Automobilbaus, wie Antrieb, Steuerung, Fahrzeugstabilisierung, Materialien und Sicherheit führend. Auch in der Aerospace-Technologie betrug das Wachstum der Patentanmeldungen in den Jahren 2000 bis 2004 sieben Prozent. In den weiteren Ausführungen wird ein Anwendungsbeispiel aus der AerospaceTechnologie zu Grunde gelegt. Dieses Beispiel zeigt, die schnelle innovative Reaktion auf ein Problem, dass durch eine kurze Reaktionszeit von der Problemanalyse, über die Idee, zur Umsetzung und schließlich zum Produkt führte. An dem Projekt waren neben den Kundenanforderungen und Zeitvorgaben, Konstrukteure, Materialspezialisten, neue Fertigungstechnologien, Zulieferer und Mechaniker für die zeitnahe Einführung in das Produkt beteiligt. Wie eine Innovation in seiner Prozessfolge entwickelt wird, wie man den Wert der Innovation anhand von Prozessphasen ermittelt und die Wertsteigerung in der Wertschöpfungskette nachweist kann anhand der Innovationsprozesserfolgsrechnung mit Hilfe des Berliner Balanced Scorecard (BBS) Ansatzes durch Übersetzung von Zielsetzungen, den strategischen Initiativen, in Messgrößen und Vorgaben dargestellt werden (vgl. die Beiträge von Schmeisser et al. in Kapitel 14).

7.1.2 Terminologische Grundlagen 7.1.2.1 Geistiges Eigentum (Intellectual Property, IP) Unter dem Begriff „Geistiges Eigentum“ sind nach Hilgers (2003, Seite 1) die Schutzrechte zu verstehen, die durch das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte sowie den gewerblichen Rechtsschutz geschützt werden. Das heißt geisti-

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ges Eigentum ist als eine Art Sammelbegriff für Patente, Gebrauchsmuster, Geschmacksmuster und Urheberrechte zu verstehen. Der Begriff stammt aus dem gewerblichen Rechtsschutz sowie jüngst einer neuen gebräuchlichen Bezeichnung, dem Immaterialgüterrecht. Dieses Recht charakterisiert ein so genanntes Exklusivrecht an immateriellen Gütern wie Ideen, Konzepten, technische Erfindungen, Werken und Informationen. Dabei wird, außer dem Inhaber des Rechtes, die Verwendung, Nachahmung oder die unerlaubte Nutzung an dem immateriellen Gut untersagt. Der Schutz des geistigen Eigentums ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Förderung von Innovationen, kreatives Schaffen, Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und für das Wachstum und die Beschäftigung einer ganzen Volkswirtschaft mittels des technischen Fortschritts.

7.1.2.2 Innovationsmanagement Das Innovationsmanagement übernimmt und steuert die Schlüsselphasen von der Idee bis zur Einführung des Produkts, verbunden mit dem Patentlebenszyklus, im Unternehmen. Schlüsselphase 1 ist die Ideenfindung, die Stand-der-TechnikAnalyse und die Aufschlüsselung der Nachteile der derzeitigen technischen Lösung, also der Beginn einer potentiellen Innovation. Schlüsselphase 2 betrifft den Schutz der Innovation zur Problemlösungsbeschreibung und der Anmeldung des Schutzrechtes. Schlüsselphase 3 ist die Durchsetzung des Patents bis zur Verteidigung des Schutzrechtes und die Aufrechterhaltung. Schlüsselphase 4 ist die Umsetzung, Einführung und Anwendung der Innovation und des erteilten Patents.

7.1.2.3 Gewerblicher Rechtsschutz Hier wird auf Hilgers Definition für den Gewerblichen Rechtsschutz zurückgegriffen: „Der Gewerbliche Rechtsschutz umfasst diejenigen Regelungen, die dem Schutz des geistigen Schaffens auf gewerblichem Gebiet dienen. Hierzu zählen etwa das Patent-, Muster-, Marken- und Wettbewerbsrecht. Das Patentrecht gewährt ein ausschließliches Verwertungsrecht für Erfindungen. Durch das Geschmacksmusterrecht werden ausschließlich Rechte begründet, Muster und Modelle mit ästhetischem Wert nachzubilden. Das Markenrecht berechtigt den Inhaber, ein Produkt oder eine Dienstleistung erstmals in den Verkehr zu bringen und die Marke als Schutz vor Konkurrenten zu nutzen. Das Wettbewerbsrecht schließlich, will unlautere Wettbewerbspraktiken unterbinden“.

7.1.2.4 Patentwesen, Patentmanagement und Innovationsmanagement Eine Abgrenzung der Begriffe Patentwesen und Patentmanagement ist relativ schwierig, da diese in der Literatur häufig zusammen genutzt werden.

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„Das Patentwesen befasst sich mit der rechtlichen Sicherung, der wirtschaftlichen Verwertung von technischen Erkenntnissen. Technische Erkenntnisse sind: Erfindungen, neue technische Mittel und Wege sowie Verfahren zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse“. (Huch, 1997, S. 2) Dabei definiert Huch wirtschaftliche Verwertung als den Einsatz von wirtschaftlichen Mitteln (Kapital und Arbeit) in einem Unternehmen mit dem Ziel, durch die Anwendung der technischen Erkenntnisse die eingesetzten Mittel zurück zu gewinnen und darüber hinaus einen Gewinn zu erzielen.“ Die rechtliche Sicherung begründet Huch mit der Schaffung einer Vorzugsstellung und dies solange, bis die eingesetzten Mittel wieder zurück gewonnen sind. Das Patentmanagement hingegen versucht mit gewonnenen Patentinformationen Einfluss auf das Technologiemanagement zu nehmen. Ernst definiert das Patentmanagement wie folgt: „Das Patentmanagement unterstützt das Technologiemanagement in seiner zentralen Aufgabe, den Prozess der internen sowie der externen Technologiegewinnung, -speicherung und -verwertung im Hinblick auf die bestmögliche Erfüllung der Unternehmensziele zu planen und zu steuern.“1 Auch Harhoff ordnet das Patentmanagement den technologischen Wissensgebieten zu und findet seine Einordnung im Innovationsmanagement wieder. Innovationsmanagement kann nach Harhoff als Versuch definiert werden, Innovationsprozesse im Unternehmen systematisch so zu gestalten und zu beeinflussen, dass dem Unternehmen eine optimale Rendite aus der Schaffung und Vermarktung von neuen Produkten, Dienstleistungen und Prozessen zufließt. Schutzrechte wie Patente, Gebrauchsmuster und das Urheberrecht stellen in diesem Zusammenhang Instrumente des Innovationsmanagements dar. Dabei bestimmt das Patentmanagement eines Unternehmens Strategien, Prozesse und Strukturen, die den Wert des intellektuellen Eigentums eines Unternehmens optimieren sollen.2

7.1.2.5 Invention, Innovation und Diffusion3 Unter Invention wird in der Forschung überwiegend die „Erfindung bzw. Entdeckung neuer Problemlösungspotenziale“ verstanden4, die „. . . gedankliche Vorwegnahme einer möglichen Problemlösung.“5 Neben dem Merkmal der (objektiven) Neuheit wird zum Teil als weiteres Merkmal eine gewisse „voraussichtliche Nützlichkeit“ gefordert.6 Innovation beinhaltet dann das faktische Handeln, mit dem die das Neue repräsentierende Idee realisiert, d. h. als marktfähiges Produkt in den Markt eingeführt wird. Eine solche Unterscheidung liegt der Analyse von Innovationsprozessen zugrunde. 1 2 3 4 5 6

Vgl. Ernst 2002, S. 3. Vgl. Harhoff 2005, S. 177. Schmeisser/Kantner/Geburtig/Schindler, 2006, S. 11–12. Vgl. Pfeiffer/Staudt 1975, Spalte 1943. Zitiert nach Fischer 1982, S. 30. Vgl. Mansfield. S. 50 ff.

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Demgegenüber präferiert Fischer eine mehr finale Interpretation der Begriffe Invention und Innovation. Invention umfasst das Ausdenken wie die Schaffung bzw. Herstellung des Neuen als materielles oder immaterielles Produkt, während unter Innovation ein übergeordneter Prozess verstanden wird, der auf die Einführung und den Wandel dieses neuen Produkts gerichtet ist.7 Invention und Innovation beinhalten beide einen Denk- und Handlungsaspekt, diese sind jedoch auf verschiedene Intentionen ausgerichtet. Während in der ersten Interpretation Invention und Innovation in einem Verhältnis der Gleichordnung zueinander stehen bzw. im Prozessablauf die Invention der Innovation eindeutig vorausgeht, liegt der zweiten Interpretation ein Unterordnungsverhältnis zugrunde, das Interdependenzen und Rückkopplungen zwischen Invention und Innovation zulässt.8 Eindeutiger scheint die Abgrenzung von Innovation und Diffusion zu sein: der Diffusionsprozess, den Mansfield im wesentlichen als „Lernprozess“ charakterisiert,9 setzt zeitlich dann ein, wenn das neue „Produkt“, die Innovation, zum ersten Mal auf den Markt gebracht worden ist. In der Diffusionsforschung werden statistisch oft die ersten 2,5 % der Anwender von Neuerungen im Diffusionsprozess als Innovatoren, die Nachfolgenden als Imitatoren bezeichnet.10 Eine solche Unterteilung ist aus der Sicht der Unternehmung jedoch wenig sinnvoll, da es nicht auf die objektive Neuigkeit von Innovationen ankommt, sondern auf die subjektive Neuerung für das jeweilige Unternehmen.

7.1.2.6 Arbeitnehmererfinderrecht Das Arbeitnehmererfinderrecht ist ein Recht, das nur national in Deutschland gilt. Diesem Gesetz unterliegen die Erfindungen und technischen Verbesserungsvorschläge von Arbeitnehmern im privaten und im öffentlichen Dienst, von Beamten und Soldaten.

7.1.2.7 Diensterfindungen Diensterfindungen sind Erfindungen, die während der Dauer des Arbeitsverhältnisses oder kurz danach gemacht wurden, und die entweder aus der dem Arbeitnehmer im Betrieb obliegenden Tätigkeit oder durch Anregung aus dem Tätigkeitsfeld des Betriebes entstanden sind, d. h. alle Erfindungen, die im weiteren Sinne deren Tätigkeitsfeld betreffen. 7

Fischer 1982, S. 30 ff.; vgl. Scherer 1984. Fischer 1982, S. 36; vgl. Grefermann/Sprenger 1977, S. 23. 9 Mansfield 1968, S. 132. 10 Vgl. Pfeiffer/Staudt 1975; Kiefer 1967. Nach Mansfield hängt die Diffusionsrate von Innovationen von den folgenden 4 Faktoren ab: a) dem Ausmaß des ökonomischen Vorteils der Innovation über ältere Methoden und Produkte, b) dem Unsicherheitsgrad bei der erstmaligen Anwendung der Innovation, c) dem Aufwand, der für eine erstmalige Erprobung der Innovation erforderlich ist, d) dem Ausmaß der Unsicherheitsreduktion; Mansfield 1968, S. 133 ff. 8

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7.1.2.8 Eigenschutzrechte Eigenschutzrechte sind gewerblich technische Schutzrechte, d. h. Patente oder Gebrauchsmuster, deren Inhaber der Betrieb ist.

7.1.2.9 Fremdschutzrechte Fremdschutzrechte sind Rechte, deren Inhaber Dritte, insbesondere Wettbewerber sind.

7.1.3 Problemstellung und Zielsetzung des strategischen Innovationsmanagement Der technische Fortschritt tritt zunehmend als wichtigster Faktor für wirtschaftliches Wachstum im Unternehmen in den Vordergrund. Hierbei spielt die Innovationstätigkeit, also vorwiegend die technischen Ideen über den Patent- und Markenschutz bis hin zur Einführung in die Produktion, eine herausragende Rolle. Daher hat das IP Management, das sich des Gewerblichen Rechtsschutzes bedient, inzwischen einen hohen Stellenwert im Unternehmen eingenommen. Für diesen Teil des Unternehmensmanagements ist die strategische Vorgehensweise im täglichen Geschäft heute gängige Praxis, die den Unternehmen nicht nur hohe Kosten einsparen soll. Die notwendigen Abläufe dafür, die im Unternehmen zu beachten sind, betreffen aber nicht nur naturwissenschaftlich-technische Prozesse in der Produktion, sondern ziehen auch organisatorische Veränderungen, aber auch im Wesentlichen soziale Prozesse nach sich. Die technischen Entwicklungen mit ihren positiven und negativen Folgen rufen eine Veränderung der Einstellung der Mitarbeiter zur technologischen Entwicklung hervor, die auf die effektive Durchsetzung von Innovationen zurückwirken. Mitarbeiterideen, als Angebot von Problemlösungen und neues Know-how aufgrund der technologischen Veränderungen und neue Produktionsmethoden sind für die Unternehmen sowohl zum Überleben und Wachsen sowie als Wettbewerbsvorteil von hohem Stellenwert. Sie geben den Unternehmen in Zeiten von hohem Konkurrenzdruck im Rahmen der Globalisierung Sicherheit in Planung, Kundenzufriedenheit, Produktstabilität und innerbetrieblichem Zusammenwirken. Produkte werden immer kurzlebiger und schneller denn je aus den Regalen genommen. Wer hier mithalten will, braucht ein schlagkräftiges Ideenmanagement im Unternehmen. Insbesondere eine schnelle Reaktion auf die Kundenbedürfnisse und gezielte Problemlösungsvorschläge am Produkt, besonders im Einsatz und der Anwendung werden kurze Reaktionszeiten und zeitnahe Einführungsbedingungen gefordert. Allerdings können alle diese Parameter nur durchgesetzt werden, wenn gut funktionierende Prozesse und Abläufe dies unterstützen. Auch die Organisationsstruktur spielt hierbei eine Rolle. Abbildung 7.1 zeigt ein Beispiel aus der Praxis.

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Abb. 7.1 Beispiel einer Organisationsstruktur

Das strategische Vorgehen bei einem schlagkräftigen Innovationsmanagement kann man sich heute nicht mehr wegdenken, wenn die Kundenbedürfnisse schnell und gezielt umgesetzt werden, ist das herausragende Merkmal sowohl bei der Neukonstruktion als auch bei technischen Veränderungen und Modifikationen von Bauteilen und ganzheitlichen Systemen von der Patentseite abzusichern. Es muss das Ziel eines Industrieunternehmens sein, auch in konjunkturell schwächeren Zeiten und unter schärfer werdenden Wettbewerbsbedingungen den Anteil an erfolgreichen Neuprodukten im Portfolio zu steigern. Das strategische Innovationsmanagement fordert im Unternehmen in kürzester Zeit neue Ideen zu generieren, diese auf ihre Umsetzbarkeit zu prüfen und marktreife, den Kundenanforderungen gerecht werdende Produkte, zu entwickeln. Hierzu werden zum einen die richtigen Werkzeuge und Methoden benötigt, die zielgerichtet und wirksam für die Vorhaben eingesetzt werden können. Zum anderen sind die Innovationsmanager gefragt, in einem Team von der Vorentwicklung zu einem neuen Produkt über die Weiterentwicklung und den erforderlichen Tests bis zur Serienreife alle Mitarbeiter zum „Kreativsein“ zu motivieren, sie für neue Ideen zu begeistern und Konflikte im Team zu lösen. Auch Unternehmensanalysen in der FuE sind ein wichtiger Meilenstein innerhalb des Produktinnovationszyklus, sie erfordern zunächst eine individuelle Betrachtung der Projekte und speziell der FuE Projekte. Zum einen soll die Analyse den Stellenwert des Projektes in der Unternehmensstrategie herausstellen und zum anderen müssen spezifische Risiken aufgedeckt und angemessen, von allen Fachbereichen getragen werden, um rechtzeitig zu reagieren.

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Abb. 7.2 Beispiel von der Idee bis hin zur Produkteinführung

Dafür wurden betriebswirtschaftliche Modelle, Berechnungsmethoden und Bewertungen zur Beurteilung von Handlungsmöglichkeiten festgelegt, um daraus resultierende Erfolgskriterien für weitere Anwendungen im Konzern zur Verfügung zu stellen.

7.1.4 Ablauforganisation und strategische IP Organisation In einem multinational agierenden Unternehmen ist es neben der lieferantenbezogenen internen Projektorganisation auch von großer Wichtigkeit die Linienstruktur für die Bereiche Forschung und Entwicklung, Geschäftsbereichsentwicklung, Finanzcontrolling, Vertragswesen, Vertrieb, Aftermarket, Recht und IP Management innovationsorientiert zu regeln. Wie im nächsten Kapitel dargestellt, steht das IP im Mittelpunkt jeglicher Aktivität im Unternehmen. Ob Vorentwicklung, Neukonstruktion, Produktentwicklung, Fertigung, Geschäftsentwicklung oder Finanzcontrolling alle haben eine Aufgabe bezüglich Kostenmanagement und Budgetierung. Darüber hinaus sind die Lieferantenbeziehungen sowie die externe Zusammenarbeit über die Abteilungen Einkauf, Recht und IP in Bezug auf die Sicherung des geistigen Eigentums mit in den IP Prozess des Unternehmens eingebunden. Linien- und Projektorganisationen können unterschiedlich strukturiert werden, müssen aber immer das vorher erwähnte zur Basis haben und ebenso aus den Vorgaben des Unternehmens, der Unternehmenskultur und dem Businessmodell, resultieren und sich am Innovationszyklus der Produkte orientieren. Im Unternehmen sind die Intellectual Property Manager (IPM) durch ihren Einsatz in den Geschäftsbereichen auch immer auf eine enge Zusammenarbeit über eine Koordinationsfunktion angewiesen.

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Abb. 7.3 Einflussgrößen auf die Firmenschutzrechtsstrategie

Durch Liaisonmeetings oder ständige Patentbesprechungen sowie Aus- und Weiterbildung der IP Repräsentanten in den Disziplinen und ihrer Abstimmung der Innovationen mit den Bereichen Produktentwicklung, Fertigung und Technologiemanagement soll sichergestellt werden, dass alle Aspekte zum Schützen der neuen Technologie berücksichtigt sind.

7.2 Ganzheitlicher Innovationsprozess als Unternehmensstrategie 7.2.1 Unternehmensstrategie als strategischer Wettbewerbsvorteil Im Mittelpunkt einer funktionierenden Unternehmensstrategie steht die Geschäftsbereichsstrategie, die eine Technologiestrategie über die gesamten Technologiefelder sowie die jeweilige Produktstrategie beinhalten. Abbildung 7.4 zeigt den Einfluss auf die Patentstrategie im Unternehmen. Alle diese Aspekte, die Einfluss auf die Patentstrategie des Unternehmens haben sind Grundlage aller Innovationen im Unternehmen und müssen neben der Festschreibung des Know-hows und den Betriebsgeheimnissen geschützt werden. Marken und Copyright ergänzen die Aufgaben im IP. Aus der Unternehmensstrategie folgt für das IP der Produktinnovationszyklus, der sich aus neun wichtigen Merkmalen zusammensetzt, Abb. 7.5. Durch eine frühzeitige Einbindung aller Beteiligten im FuE-Prozess, d. h. Konstrukteure, Materialspezialisten, Fertigungsingenieure, Einkauf und Lieferanten wird im jeweiligen Projekt die Grundlage aller Innovationen gelegt. Hier werden für das neue Produkt oder die Modifikationen strategische interne und externe Schwerpunk-

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Abb. 7.4 Einfluss der Unternehmensstrategie auf die Patentstrategie

Abb. 7.5 Merkmale des Produktinnovationszyklus

te festgelegt und von allen Projektverantwortlichen begleitet. Die Betreuung zu den IP relevanten Themen, wie Patentschutz, Markenschutz, Urheberrecht etc. erfolgt in festgelegten Meilensteinen im Projektplan beziehungsweise durch terminlich fixierte Überprüfungen und Patentchecks. Die IPM beraten die Konstruktions- und Fertigungsingenieure, halten neue patentfähige Ideen fest, erstellen gezielt Patentrecherchen und legen wiederkehrende Recherchen zu gemeinsam festgelegten Themenbereichen im zeitlich fixierten Rhythmus fest. Sie verfolgen Aktionen zum IP, planen und erstellen Anmeldetexte, die sie aufgrund der Erfindungsmeldung und dem direkten Gespräch mit den Projektingenieuren absichern. In 7.3.7 wird ein System zur Organisation der Schutzrechtsüber-

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wachung im Unternehmen vorgestellt und auf die Aufgaben der betroffenen FuEMitarbeiter und IPM eingegangen. Schutzrechtsinformation und Schutzrechtsüberwachung ist ebenso ein wichtiger Informationsfaktor, wie die Absicherung des geistigen Eigentums und die Information in der unternehmensinternen Prozesskette zur Verfügung zu stellen (Mohnkopf 2007, S. 37ff.). Im weiteren Verlauf der Innovation, von der Idee bis zur Serieneinführung, wird es immer wieder erforderlich, spezifische Risiken durch Problemanalysen aufzudecken, zu vermeiden oder zu minimieren. Die Absicherung der schutzfähigen Ergebnisse wird den gesamten Innovationsprozess begleiten, da nicht nur bei der Konstruktion sondern auch im Test, der Materialforschung und der Fertigung immer wieder Patentüberprüfungen, d. h. Ist-Stand im Vergleich zu den neuen Vorrichtungen und Verfahren erfolgen müssen. Insbesondere halten die IPM mit den Verantwortlichen aus FuE, dem Technologietransfermanagement und den Lizenzspezialisten engen Kontakt, um die Unternehmensvorschriften zur Technologieakquisition und dem Technologiemarketing einzuhalten. Durch Analyse der Schutzrechte, von der Erstanmeldung bis zum erteilten Patent bezogen auf die Nutzung im eigenen Produkt, über die Sperrwirkung gegenüber Wettbewerbern bis hin zur Lizenzvergabe, wird eine ständige Entscheidungsgrundlage für das Entscheidungsgremium zur Behandlung von Schutzrechten intern und extern zur weiteren Vorgehensweise ausgearbeitet. Eine Durchsetzung der Unternehmensschutzrechte, deren Verteidigung und Aufrechterhaltung ist ureigene Aufgabe der IPM in enger Abstimmung mit den Fachbereichen. Auch hier ist die Einbindung der Projektteilnehmer, oder bei Schutzrechten außerhalb eines bestimmten Projektes die Erfinder und die Erfahrung der Fachabteilungsleitung, von großem Nutzen für die Be- und Verwertungsinitiativen. Natürlich ist eine weitere Voraussetzung, um Innovationen im Unternehmen zum Erfolg zu bringen, die Analyse der Kundenanforderungen, der ständige Kontakt zu den Technischen Repräsentanten bei dem Kunden sowie die Schnittstellenanalyse Kunde/Hersteller in der Anwendung der Produkte. Die Beobachtung des Marktsegmentes in dem das Unternehmen tätig ist, Literatur- und Patentrecherchen über den Wettbewerb, Gespräche mit den eigenen Kollegen und Erfindern der diversen Fachbereiche sind genau so notwendig wie Festlegung der Projekt- und Prozessstrategien, der Unternehmensziele und deren Umsetzung zu definieren und zu überwachen. Die aus der Unternehmens- und Technologiestrategie abgeleiteten Patentstrategien sind eine Vorgabe für alle Prozessbeteiligten und tragen dazu bei sowohl das Vorgehen zur Geschäftspolitik als auch das Vorgehen zur Sicherung des geistigen Eigentums, nämlich Patentportfoliomanagement, Umfeldanalyse, Datenfluss und Anmeldeparameter festzulegen. Eine saubere und verlässliche Datenbasis ist für die Ableitung von Patentzielen und einer nachfolgenden Patentstrategie im gesamten FuE-Prozess unumgänglich. Einer projektorientierten Patentarbeit geht die Konkretisierung des strategischen Handlungsbedarfes zum jeweiligen Kerntechnologiefeld voraus, um die Projektfindungsphase in einem möglichst kurzen Zeitin-

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Abb. 7.6 Zusammenhänge zwischen Ziele, Strategie und deren Umsetzung

tervall abzuschließen. Hier ist die Klärung der Patentsituation im eigenen Unternehmen, die Einbringung der vorhandenen Schutzrechte und das Erstellen eines themenbezogenen Strategieplanes eine wichtige Voraussetzung zum Projektbeginn, wobei IP immer Teil des Projekts ist, denn hier wird die Anpassung des Patentstrategiepapiers des Unternehmens fallweise erforderlich. Eine Schulung der Projektmitarbeiter durch IPM bezogen auf Schutzrechte, Schutzrechtsrecherchen, Schutzrechtsüberwachung und Schutzrechtsverletzungskriterien ist wichtiger Bestandteil des Projektzieles. Die Abb. 7.7, 7.8 und 7.9 zeigen die Portfoliopflege in den einzelnen Phasen der Projektdurchführung. Die Portfoliopflege in dem Projektablauf sowie die Auswertungs- und Maßnahmenparameter bei Projektabschluss sind im Zusammenspiel der Disziplinen von der Marktanforderung über die Fachbereiche des Unternehmens bis hin zur Schutzrechtspflege und dem Technologiemarketing wichtige Meilensteine. Der Schutzumfang eines Patentes in Relation zum Projekt und den Projektphasen, der Entwicklungsvorphase, der Produktentwicklung, der Fertigung, der Produktverbesserung sowie der Kostensenkung wird im wesentlichen durch die Entwicklungsergebnisse bestimmt. Die Projektdefinitionsphase, Entwicklungsphase und Integrations- bzw. Implementierungsphase für das Produkt bestimmen einen erfolgreichen Projektablauf. Folgende Einflussgrößen sind für die Entwicklung der Unternehmensschutzrechtsstrategie von besonderer Bedeutung: • • • • • • •

Unternehmensstruktur und Unternehmensvorgaben Kunden und Lieferanten Wettbewerber Marketingvorgaben Gesetze und Verordnungen Normen Stand der Technik

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Abb. 7.7 Phasen zur projektintegrierten strategischen Patentarbeit

Abb. 7.8 Portfoliopflege bei den Phasen Projektfindung und Projektbeginn

• • • • • • • • •

Drittschutzrechte eigenes Schutzrechtsportfolio Lizenzen Kooperationen mit Partnern und Wettbewerbern bei FuE Lebenszyklen von Produkten und Technologien Fertigungstiefe Wertschöpfungskette im Unternehmen Produktportfolio des Unternehmens Technologie- und Materialverfügbarkeiten

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Abb. 7.9 Portfoliopflege bei den Phasen Projektdurchführung und Projektabschluss

7.2.2 Forschungs- und Technologieprojektorganisation Der Technologieakquisitionsprozess in einem international agierenden Technologiekonzern ist in seinem Ablauf und der engen Zusammenarbeit der einzelnen Disziplinen durch stringente Organisation geprägt. Der Zweck des Prozesses kann nur sein, die Bereitstellung von Technologien für die im Masterplan festgelegten Produktplanungen zu gewährleisten. Als Ergebnis dieses Prozesses stehen dem Unternehmen neu gewonnene Technologien zur Verfügung, die zukünftig in neuen Projekten Anwendung finden oder in bereits existierende Produkte eingeflossen sind. Die prozessführende Organisationseinheit gibt den Prozessbeteiligten Anleitungen wie beantragt, geplant, koordiniert und durchgeführt wird. Informationen und Dienstleistungen, intern und extern, werden für die Projektleiter zusammengefasst, aufbereitet und ihnen angeboten. Es müssen Schnittstellen mit anderen Bereichen definiert werden, um einen reibungslosen Ablauf innerhalb des Projektes sicherzustellen. Dies kann standardmäßig durch Organisations- und Verfahrensanweisungen erfolgen. Diese beinhalten unter anderem Forschung und Technologiebeschaffung, Technologieauswahl, Prozess der Methodensoftware, Beschaffung von Fertigungstechnologien und Geheimhaltung, IP Absicherung und Sicherheit nach innen und außen. Die prozessführende Organisationseinheit ist federführend für die Integration, Umsetzung und Betreuung von Strategien und Programmen zur Akquisition von Technologien. Hieraus ergeben sich Detailaufgaben wie Definition und Abstimmung der Technologieakquisi-

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tionsstrategie und des Technologieprogramms für die jeweilige Produktdefinition sowie das Eigentumsrecht an abgestimmten Prozessen zur Bewertung, Implementierung und Leitung des Technologieprogramms. Die Planung und Verfolgung des jährlichen Budgets und des entsprechenden Planbudgets über mehrere Jahre gehört ebenfalls zu den projektorientierten Detailaufgaben und Meilensteinen. Des Weiteren werden an dieser Stelle IP relevante Aktivitäten nötig, nämlich den Austausch von Technologieprogrammen und geistigen Eigentumsrechten innerhalb des Konzerns zu kontrollieren und zu verfolgen. Die Kontrolle dieser Aktivitäten mit Partnern außerhalb des Unternehmens erfolgt über eine Koordinierungsstelle in Absprache mit IP und der Rechtsabteilung, insbesondere dem Vertragswesen. Auch die Sicherstellung von geeigneten vertraglichen Regelungen für Gemeinschaftsprojekte mit Partnern und Regelungen zum Schutz des geistigen Eigentums, bereits vorhandene IP Rechte und die Regelung bei gemeinsam erarbeiteten IP Rechten müssen im Vorfeld geregelt werden, insbesondere bei Vorliegen nationaler Vorschriften und Exportkontrollregelungen. Der Projektleiter wird sowohl technisch wie administrative Abwicklungen im Blick haben und dabei insbesondere die Termine für geförderte Projekte, für die verschiedene Berichts- und Abrechnungspflichten festgelegt sind, überwachen und einhalten. Die Technologieverantwortlichen als Unterstützer des Projektleiters nehmen in ihren Verantwortungsbereichen die Kontrolle des Budgets, die Vertretung der fachlichen Belange im Entwicklungsteam für Teile und Baugruppen wahr, wirken mit bei der Analyse von Wettbewerberaktivitäten, koordinieren Aktionen und sind für die fachliche Bewertung von Ideen und Erfindungen Ansprechpartner für die IPM im Konzern. Auch das Finanzcontrolling ist wichtiger Partner des Projektes, es unterstützt das Projektteam bei der Finanzvorausschauplanung, der internen und externen Abrechnung während der Projektlaufzeit und der Kostenverfolgung. Das Finanzcontrolling stellt Kostensätze für die Antragsvorkalkulation bereit, gibt Bedarfe im Rahmen des Projektbudgets frei und modifiziert und aktualisiert die Gesamtvorkalkulation unter Berücksichtigung des phasenverschobenen Zahlungsflusses. Auch der Einkaufsmanager ist im Projekt nicht wegzudenken. Er unterstützt hinsichtlich der Auswahl der zukünftigen Zulieferer und wirkt bei der Zulieferstrategie im Technologieakquisitionsprozess mit. Die unternehmensweite Einkaufsstrategie ist dabei die Grundlage und wird vom Einkaufsmanager stets innerhalb des Projektes durchgesetzt bzw. Abweichungen global vorher abgestimmt. Der IPM als Mitglied im Projekt berät den Projektleiter sowohl vor Beginn des Projektes als auch stetig in allen Fragen des IP Managements, insbesondere hinsichtlich Schutzrechtsstrategie zu Anmeldung, Durchsetzung und Aufrechterhaltung. Patente gewähren einen Schutz für neue Produkte und Verfahren und bieten dem Unternehmen aufgrund des Monopolrechtes einen Wettbewerbsvorsprung. Patente nutzen aber nicht nur dem Betrieb sondern auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als Erfinder. Schutzrechte stellen wichtige Dokumente dar, aus denen sich der Stand der Technik ablesen lässt. Sie geben auch Informationen darüber an welchen Fachgebieten und Themen der Wettbewerb forscht beziehungsweise entwickelt. Durch gezielte Patentrecherche bekommen die Mitarbeiter und Ingenieure wichtige Informationen, die Ihnen oftmals Doppelarbeit ersparen oder den Stand der

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Technik anzeigen. Für die erfinderischen Leistungen zahlen in Deutschland die Arbeitgeber aufgrund des Arbeitnehmererfindergesetzes bei Anwendung des übertragenen Schutzrechtes in der Produktion an die Arbeitnehmererfinder eine Vergütung. Insgesamt lohnt es sich also nicht nur für die Projektarbeit einen guten Überblick über das Patentwesen zu haben und dessen Möglichkeiten gezielt zur Verbesserung der globalen Wettbewerbsfähigkeit und der Entwicklung von technischen Verbesserungen einzusetzen. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass es durchaus Sinn macht eine separate Verfahrensanweisung für das Innovationsmanagement im Unternehmen zu erstellen und den Ablauf von der erfinderischen Idee bis zum erteilten Patent und der Serieneinführung des Produktes anhand eines Flussdiagramms deutlich zu machen. In der Projektvorauswahl werden alle vorgeschlagenen Projekte zur Einschätzung des Neuigkeitsgrades mit dem festgestellten Stand der Technik verglichen und der Bezug zu der Unternehmensstrategie und den Produkten hergestellt. Eine Priorisierung der Projektvorschläge wird vorgenommen und Vorschläge für Fördervorhaben identifiziert. Der Projektleiter wird bereits vor der Projektbeschreibung der ausgewählten Projekte eine Patentrecherche beauftragen und den IPM zur Auswertung der Ergebnisse und Erstellen der Projektbeteiligung hinzuziehen. Danach wird in einem Technologieselektionsprozess eine geeignete Technologie für die Projektaufgabe ausgewählt, indem die Produktstrategie des Unternehmens, seiner Unternehmensgruppen und die zukünftigen Technologieziele spezifiziert werden. Die Beschaffungsstrategien finden ebenfalls Eingang in den Prozess, wobei die erforderlichen Fähigkeiten der regionalen Geschäftseinheiten der Technologieanbieter Berücksichtigung finden müssen. Die priorisierten Projekte werden bezüglich des Nutzens für das zukünftige Geschäft pro Einheit bewertet und bezüglich Finanzinvestition, Fördermöglichkeit durch externe Programme und Eigenfinanzierung überprüft. Hierzu werden zukünftig Kriterien der Innovationsprozesserfolgsrechnung zu Hilfe genommen, die u. a. in Kapitel 12 näher beschrieben werden.

7.2.3 Nationale und internationale Forschungs- und Technologietrends Investieren in Forschung und Technologie ist ein Schlüsselelement der ökonomischen Politik im Unternehmen. Hiermit werden Innovationen erzeugt, die von ihrer Entstehung bis hin zur Produkteinführung ein stetiges Wachstum im globalen Wettbewerb nach sich ziehen. Jede Analyse von internationalen Trends in der Forschung ist durch den Einfluss der am amerikanischen Markt investierten Forschungsgelder geprägt. Schon zwischen 1998 und 2000 wurden in den Vereinigten Staaten von Amerika mehr als 200 Milliarden US Dollar jährlich investiert; das war mehr als Großbritannien, Frankreich und Deutschland zusammen.

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Aber nicht nur die Investition in Forschung und Technologie sondern auch die Anzahl der daraus resultierenden Schutzrechte war und ist in diesem Zusammenhang beachtlich. Es sind drei verschiedene Trends im globalen Zusammenspiel zu erkennen: 1. Es werden immer mehr globale Zusammenarbeitsvereinbarungen mit externen Partnern geschlossen und es wird größerer Wert auf Lizenzierung und die Zusammenarbeit in Projekten von ausländischen Regierungen gelegt. 2. Strenger Fokus des Unternehmensmanagements zur Erreichung der Unternehmensziele, insbesondere bei Forschung und Entwicklung ist zu beobachten. „Management by Objectives“ ist fester Bestandteil der Unternehmensstrategie geworden. 3. Forschungsvorhaben werden spezifischer auf die Unternehmensstrategie und die Geschäftsergebnisse ausgerichtet, wobei die veränderten Bedingungen für die Fördergeber und die Reduzierung der Fördergelder eine zunehmende Rolle spielen Daher wird es um so wichtiger Modelle zur Bewertung von FuE-Projekten zu entwickeln und diese direkt zum Entscheidungsprozess heranzuziehen. Als Beispiel hierzu soll die weltweite Zusammenarbeit, zwischen Industrie und Wissenschaft, in der Triebwerksentwicklung der Rolls-Royce Gruppe genannt werden.

7.2.4 Innovationsbeispiel vom Problem bis zur Produktreife Moderne zivile Triebwerke unterliegen immer stärker den Forderungen nach Effizienz, Umweltverträglichkeit und kostengünstiger Fertigung. Diese Zielstellung verlangt den Einsatz moderner Werkstoffe und Technologien. Faserverbundwerkstoffe weisen durch ihre hohe spezifische Festigkeit und die maßgeschneiderte Fertigung ein großes Potential für Anwendungen im Triebwerksbau auf. Am Beispiel eines Bauteils aus Faserverbundwerkstoffen für ein Flugzeugtriebwerk werden neue konstruktive Lösungsansätze unter Einbeziehung moderner Fertigungsverfahren in einer relativ kurzen Zeit durch eine gezielte Projektorganisation aufgezeigt. Das Zusammenspiel der Abteilungen Forschung und Entwicklung, Technologiemanagement und der Lieferanten wurde in diesem Projekt sehr kosteneffektiv umgesetzt, insbesondere unter den Bedingungen und Vorgaben der Sicherheitsbehörden und der Kunden. In einer Problemanalyse zur Feststellung der Nachteile des derzeitigen Bauteils und zur Festlegung der Entwicklungsziele zur Änderung des Bauteils wurden zuerst alle Informationen festgehalten und eine Analyse der Ist-Konfiguration durchgeführt. Die kleine Projektgruppe bestehend aus zwei Entwicklungsingenieuren, Design- und Materialspezialisten, sowie einem Vertreter aus dem Einkauf und dem Vertrieb, der die Kundenanforderungen zusammenfasste, wurde durch einen IPM ergänzt, der die Grundlage für eine Literatur- und Patentrecherche zusammen mit den Projektmitgliedern aufstellte.

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Der Anstoß zur Änderung des Bauteils, das sich im Triebwerkeinlauf befindet und die Aufgabe hat, die eintretende Luft in den Verdichter zu führen, wurde im Rahmen eines Kosteneinsparungsprogramms gegeben. Darüber hinaus hat der Materialspezialist vorgeschlagen, die Herstellung möglichst aus einem Bauteil und mit einem technologisch automatisierbaren Prozess der sogenannten „filament winding“-Methode, einem Wickelverfahren für Bauteile aus Faserverbundwerkstoffen, durchzuführen. Das bedeutet die sogenannte Prepreg-Methode, bei der manuelle Klebungen auf einer bestimmten Stelle vorgenommen werden müssen, nicht anzuwenden, also Fehlergrößen zu eliminieren und Qualitätsschwankungen möglichst gering zu halten oder auszumerzen. Es gilt Kosten durch vorzeitigen Ausfall des Bauteils, d. h. nicht innerhalb des geplanten Lebensdauerzyklus zu bleiben, zu reduzieren. Auch die Problematik des Eintretens von Fremdkörpern, wie Hagel, Steinschlag und Eis, dem sogenannten „Foreign Object Damage“ sollte genauso besondere Berücksichtigung finden, wie eine Reduzierung der Bauteile durch funktionsintegrative Bauweise. Des Weiteren wurde in der Projektgruppe geprüft, wie zukünftige Kundenanforderungen zu diesem Bauteil aussehen und diese in einer Projektanforderung definiert. An erster Stelle stehen immer Wartungsfreundlichkeit und Lebensdauerkosten wie bessere Handhabbarkeit und Kosteneinsparungen. Aber auch bessere Oberflächenformgebung des Bauteils, Gewichtsreduzierung, Qualitätsverbesserung und Reduzierung von Schall- und Schadstoffemissionen standen auf der Liste der Entwicklungsziele. Darüber hinaus sollte mit erhöhter Steifigkeit eine bessere Rotordynamik und durch eine optimierte aerodynamische Außenkontur die Anströmung verbessert werden. Für die Herstellung des Bauteils ist ebenfalls, wie schon erwähnt, ein automatisierbarer Herstellungsprozess zur Minimierung von Qualitätsschwankungen für die vorgegebene Zielerreichung von hoher Wichtigkeit. In Bezug darauf werden mit dem gewählten automatisierten Herstellungsprozess die Kosten des Bauteils erheblich reduziert, trotz höherer Werkstoffkosten. Hinsichtlich der Designänderung wird eine Anforderungsanalyse aller Fachbereiche erstellt. Dies geschieht mit Hilfe des standardisierten TRIZ-Prozess zur erfinderischen Problemlösung, der einen einzigartigen, wissensbasierten Ansatz zur Lösung innovativer Aufgaben darstellt. Es wird für die Definition der Idealität auf die Hauptfunktion des Produktes zurückgegriffen. Zobel stellt in seinem Buch „Der systematische Weg zur Problemlösung“ nicht nur TRIZ-Werkzeuge sondern auch methodische Ergänzungen und praktische Beispiele vor. (Expert-Verlag 2007). Um das Idealitätsprinzip darzustellen, nehmen wir das Beispiel einer Computertastatur, deren Hauptfunktion die Informationsübertragung vom Anwender an den Computer ist. Die Anforderung an das ideale System ist: • die Nachteile des Originalsystems sind eliminiert, • die positiven Eigenschaften des Originalsystems sind beibehalten worden,

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• das System wird nicht komplizierter, • keine zusätzlichen Nachteile wurden eingeführt und • das ideale System erfüllt die Funktion ohne vorhanden zu sein (Platz, Mechanik, Wartung . . . ). Basierend auf diesen Anforderungen überträgt eine ideale Computertastatur die Informationen des Benutzers an den Computer ohne überhaupt vorhanden zu sein. Diese extreme Darstellung konzentriert die Produktentwicklung auf die Hauptfunktionen des Systems und dient als Modell. Je näher ein Produkt diesem Modell kommt, desto besser. Das Idealitätsprinzip lässt sich am besten als Formel darstellen: Idealität =

∑ der nützlichen Funktionen ∑ der Kosten + ∑ der schädlichen Funktionen

Je größer der Quotient wird, desto höher ist der Grad der Idealität des Produktes. TRIZ basiert auf der Idee, dass viele grundlegende technische Aufgabenstellungen schon einmal gelöst wurden sind. Im Gegensatz zu konventionellen Lösungswegen, wo teilweise mit Kompromissen gearbeitet wird, sucht TRIZ den Widerspruch und versucht diesen zu lösen. TRIZ basiert auf der Analyse von vergleichbaren technischen Problemen und bietet einen systematischen Ansatz zur Entwicklung neuer, innovativer Produkte. Nach der Anforderungsanalyse kommt das Ausarbeiten der Konzeptvorschläge im Projekt; hier werden nach Vorliegen der Literatur- und Patentrecherche weitere Projektbesprechungen angesetzt, um die Auswertung im Team zu erledigen. Die Feststellung des Stands der Technik innerhalb und außerhalb des Unternehmens sowie extern zur Überprüfung der Patentsituation ergab, dass unterschiedliche Ansätze zur Technologieakquisition vorlagen. Hierbei handelte es sich um hybride Composite-Metall-Lösungen genauso wie um eine Blechvariante für den Einlaufkonus. Allerdings sollen zur neuen Lösung die schon beschriebenen Voraussetzungen erfüllt und die Kundenanforderungen berücksichtigt werden. Diese Vorgaben, Adaption des „Composite Bauteils“ an die Baugruppe, automatisierter Prozess durch Wickelverfahren, Fertigungsvereinfachung auch bei den Lieferanten – design to make – und Bauteil aus einem Stück sollen zuerst in einer Diplomarbeit zusammengefasst und später im Projekt gegebenenfalls mit externen Herstellern im einzelnen diskutiert werden. Darüber hinaus ist es wichtig weitere Projektrestriktionen, wie Senkung der Fertigungskosten, Verbesserung der aerodynamischen Verhältnisse und Gewichtsreduzierung am gesamten Bauteil zu definieren. Ebenfalls werden die mechanischen Belastungskriterien, wie Vogelschlag, Hagel, Eis und Temperatureinflüsse und Temperaturschwankungen erarbeitet und eine Technikfolgenabschätzung aufgestellt. Auch die Fertigungspotenziale, wie Reduzierung der Arbeitsschritte in der Herstellung, Fabrikationsmethode, Wickeltechnologie und Harzinjektionen anstatt Kle-

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ben, automatisierbare Vorformherstellung und Anwendung neuartiger textiler Verfahren sind in der Vorbetrachtung innerhalb des Projektes berücksichtigt. Dies alles wird durch Festlegung sogenannter „Review-Gates“, d. h. Überwachungs- und Kontrolleinrichtungen im Projektverlauf erreicht. Hier wird insbesondere die Konstruktion, die Herstellung, Herstellungsroute, die Modellierung und der Kosten- und Zeitplan überprüft. Auch eine Risikoanalyse, bei der die Kategorisierung der noch nicht eliminierten Risiken vorgenommen und als wiederkehrende Überwachung erfasst wird, ist Gegenstand der Überprüfungsmeilensteine. Im gesamten Ablauf sind ebenfalls Interviews mit den Konstrukteuren und Fertigungsingenieuren eingebaut, bei denen die IPM den Stand der Technik in dem neuen Design und dem neuen Verfahren vergleichen und gegebenenfalls neues schutzfähiges Know-how zum Patent anmelden, um so die Innovationen für das Unternehmen zu schützen, einen Wettbewerbsvorteil sichern und eine Monopolstellung zu erreichen. Die folgende Zusammenfassung und die Zeichnung wird als Beispiel aus der Patentanmeldung zitiert: „Bei einem aus einem Faserverbundwerkstoff bestehenden Einlaufkonus für ein Gasturbinentriebwerk sind das Konusteil, das Befestigungsteil und das Verkleidungsteil einstückig aus einer Mehrzahl sich kreuzender und gegenseitig überdeckender, ein Flechtwerk bildender Wickellagen gefertigt. Die Wickellagen bestehen aus parallel verlaufenden, im Wechsel aneinander grenzenden Glasfasersträngen und Kohlefasersträngen gleicher Stärke. Der einstückig ausgebildete Einlaufkonus kann auf einfache Weise gefertigt und montiert werden und zeichnet sich durch Elastizität, Steifigkeit und Schlagfestigkeit aus.“

Abb. 7.10 Einlaufkonus aus einem Faserverbundwerkstoff, dem „Composite Bauteil“

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Ebenfalls sind, da es sich um Luftfahrtteile handelt, besondere Nachweise zu führen und eine luftfahrtbehördliche Zulassung vorzunehmen. Hierzu werden Festigkeitsnachweisrechnungen, Lebensdauernachweise, Vibrations- und Dynamiküberprüfungen, Einwirkungsmodellierungen wie rechnerische Simulation eines Vogelschlages benötigt, die gegebenenfalls im gesamten Überwachungsprozess mit einzelnen Abnahmepunkten festgehalten sind. Neben der unternehmensinternen Freigabe des neuen Designs und der Vorstellung bei den Kunden bezogen auf Wartungs-, Reparaturfreundlichkeit und Einführungsplänen werden noch weitere Tests zur Schnittstelle Triebwerk/Flugzeugzelle notwendig bevor eine Einführungsplanung erfolgen kann. Hierzu vorgeschaltet sind selbstverständlich schon Prototypenbau und Bauteiltests wie Materialuntersuchungen und Zulassungsprozesse im Unternehmen und bei Lieferanten. Auch die Konstruktion von Werkzeugen, Sonderwerkzeugen und Transporthilfsmitteln sowie deren Herstellung darf im Projektprozess nicht unbeachtet bleiben, denn dies kann im weiteren Verlauf zu unvorhersehbaren Zeitverzögerungen im Projekt führen. Im Anschluss an die Entscheidung durch den Kunden, der schon frühzeitig in den Entwicklungs- und Herstellungsprozess eingebunden wurde, kann eine Einführungsplanung erstellt werden. Dem voran gehen bereits bei den Lieferanten und im Unternehmen die Spezialprozesse und die Zulassungsprozesse, die durch eine eigene Prozessspezifikation festgehalten werden. Danach folgen Montagetests und Serienbeginn bis hin zu den Abnahme- und Qualitätstests vor der Auslieferung an den Kunden. Die Beschreibung dieses Beispiels im dargestellten Prozess folgte der Vorgehensweise nach der zuvor ausgeführten Forschungs- und Technologieprojektorganisation im Unternehmen. Hier sind unternehmensinterne Fachabteilungen, Kunden und Lieferanten sowie externe Partner und Hochschulen als Entwicklungspartner mit eingebunden. Das beschriebene Projekt wurde von der Problemanalyse über die Projektphase bis hin zur Einführung beim Kunden sowie die Qualitäts- und Einsatzkontrolle in weniger als zwei Jahren durchgeführt. Das Beispiel dient dazu praxisorientierte Hilfestellung und Prozessschritte aufzuzeigen, um zu erkennen, welche Maßnahmen in der Findungsphase, der Projektphase, der Durchführungsphase und der Produkteinführungsphase erforderlich waren. Auch die Zusammenarbeit mit der externen Organisation und der Wissenschaft sind beispielhaft dargestellt. Wichtige Meilensteine der Partnerschaft mit Hochschulen werden in Abschn. 7.4 aufgezeigt. In den Schaubildern 7.11a und 7.11b sind das Ausgangsdesign und das neue Design des Einlaufkonus dargestellt.

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Abb. 7.11a Ursprünglicher, aus mehreren Bauteilen aufgebauter, Einlaufkonus

Abb. 7.11b Neuer, einteiliger, Einlaufkonus

7.3 Wertschöpfungskette Die IP Wertschöpfungskette ist definiert durch die Problemanalyse über die Idee und das Patent bis zur Einführung in das Produkt.

7.3.1 Ideenmanagement Die Sicherung und Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit im Unternehmen erfordert die aktive Beteiligung der Mitarbeiter am Innovationsmanagement. Hierzu gibt es verschiedene Institutionen in einem international agierenden Unternehmen, die die individuelle Mitarbeit der Belegschaftsmitglieder herausfordern

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und deren geistiges Eigentum nach Vorgaben bearbeiten und für das Unternehmen sichern. Hier werden die Ideen nutzbar gemacht und angemessene Umsetzung für den Ideengeber sichergestellt. Im betrieblichen Vorschlagswesen stehen insbesondere Kostenreduzierung, Qualitätsverbesserung, Effizienzsteigerung und erhöhte Arbeitssicherheitsmaßnahmen im Vordergrund. Der Ideenpool oder auch Ideenspeicher genannt, soll die Förderung des Zusammengehörigkeitsgefühls der Mitarbeiter, das Ausschöpfen von bisher ungenutzten Mitarbeiter-Potentials und der Erhöhung der Arbeitszufriedenheit und –motivation sowie das Qualitätsbewusstsein zum Ziel haben. Das Patentwesen, die Einreichung von Erfindungsmeldungen als dritte Säule im Ideenmanagement gibt den Mitarbeitern eine Arbeitserleichterung in ihrem Fachgebiet, erhöht die Kompetenz, motiviert zu weiteren patentfähigen Ideen und gibt Aussicht auf Vergütung bei Anwendungen der Schutzrechte in der Produktion. Ein typisches Beispiel eines Workflows aus der Praxis zeigt Abb. 7.12.

7.3.2 Patentschutz als strategisches Tool für Investitionen, Innovationen, Patentüberwachung, Patentbewertung und Patentverwertung 7.3.2.1 Bedeutung des Patentwesens und Infrastruktur Aus volkswirtschaftlicher Sicht werden Patente vom Staat erteilt um Erfinder, Urheber, u. a. dazu zu bringen, diese Erkenntnisse preiszugeben, damit die Allgemeinheit daraus einen Nutzen ziehen kann. Für diese Offenbarung von Erfindungen stellt das Patent ein zeitlich begrenztes Schutzrecht für den Erfinder in Aussicht, in dem der Erfinder genannt wird und ein Ausschließlichkeitsrecht besitzt. Das heißt er kann die Verwendung seiner Idee untersagen, vermarkten oder Lizenzen für die Nutzung vergeben und Einnahmen erzielen. Dadurch wird der Erfindergeist angespornt, der für die Industrie und den technischen Fortschritt nutzbringend ist. Die Aussicht auf den Erwerb eines Schutzrechtes sowie die Bekanntmachung als Erfinder in der Öffentlichkeit sollen den Erfinder zu immer mehr und besseren Leistungen treiben. Diese erweitern die technischen Kenntnisse der Allgemeinheit, durch die Veröffentlichung der Erfindung und fördern so den allgemeinen Nutzen durch den ständigen Fortschritt auf dem Gebiet der Technik. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht leistet das Patentwesen bzw. Patentmanagement einen zunehmend wichtigen Beitrag zum Unternehmenserhalt. Dazu wird versucht, die Eigenschaften und Funktionen (Angriffs-, Absicherungs-, Motivierungs-, Reputations-, Finanz- und Informationsfunktion) von Patenten strategisch zu nutzen. Einen positiven Einfluss haben Patente im Wettbewerb und bei Firmengründungen. Gerade kleine und junge Unternehmen erhalten die Möglichkeit, durch eigene Patente in bestehende Märkte einzudringen und sich gegenüber größeren Unterneh-

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Abb. 7.12 Flussdiagramm von einer Idee bis zur Vergütung

men zu behaupten. Für viele Unternehmen gerade für technologieorientierte Firmen stellen Patente sogar den größten, gesicherten Anteil des Unternehmenswertes dar.11 Auf der anderen Seite sind große Konzerne wie etwa Texas Instruments oder IBM, welche ein sehr aggressives Patentmanagement betreiben, sogar in der Lage Lizenzgebühren von mehreren Milliarden US-$ in wenigen Jahren einzunehmen.12 11 12

Vgl. Gassmann (2006), S. 23. Vgl. Ernst (2002a), S. 96.

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Tabelle 7.1 Erfolgswirkung von Patentschutz13 Autoren

Beispiel

Wesentliche Befunde

Austin (1993; 1995)

20 Unternehmen der Biotechnologiebranche (USA)

Positiver Einfluss von Patenterteilungen auf den Marktwert; stärkerer Einfluss von Schlüsselpatenten

Lerner (1994)

535 Finanzierungsrunden von 173 VC (venture capital)finanzierten Biotechnologieunternehmen

Patente mit technologischen breiten Patentanspruch erhöhen die Bewertung der Unternehmen

Ernst (1996)

50 Unternehmen des Maschinenbaus in Deutschland

Unternehmen mit einer aktiven, systematischen Patentstrategie sind signifikant erfolgreicher als Unternehmen mit inaktivem, unsystematischen Patentierverhalten

Deng/Lev/Narin 388 Unternehmen (1999) (Pharma, Chemie, Elektronik)

Positiver Einfluss häufig zitierter Patente auf den Marktwert

Hall/Jaffe/ Trajtenberg (1999)

4000 Unternehmen des produzierenden Gewerbes (USA)

Positiver Einfluss häufig zitierter Patente auf den Marktwert

Ernst (2001)

50 Unternehmen des Maschinenbaus

Patentanmeldungen führen zu signifikanten Umsatzsteigerungen mit einer Verzögerung von 2–3 Jahren. Der Effekt nimmt für qualitativ höherwertige Patente zu

Shane (2001)

1397 erteilte Patente des Massachusetts Institute of technology (USA)

Die Existenz qualitativ hochwertiger Patente (breiter technologischer Anspruch, hohe Zitierhäufigkeit) erhöht die Kommerzialisierungswahrscheinlichkeit (in Form von Unternehmensgründungen oder Lizenzverträgen)

Um die Wirkung des Patentmanagements auf den Unternehmenserfolg zu untersuchen wurden in der Vergangenheit einige Studien, die aus der folgenden Übersicht hervorgehen, angefertigt. Die positiven ökonomischen Effekte von Patenten auf den Unternehmenserfolg wurden dabei bestätigt, hierbei ist aber der Zeitverzug zwischen Patentanmeldung und Auswirkung zu beachten. Außerdem spielt die Qualität der Patente und Patentportfolien eine entscheidende Rolle für den Erfolg. Die zunehmende Bedeutung des Patentwesens, spiegelt sich auch in den weltweit steigenden Patentanmeldezahlen wider. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Wissensverbreitung durch Patente, d. h. Patentdokumente werden intensiv genutzt, um an technische Informationen zu gelangen. Rund 80 % des weltweit verfügbaren technischen Wissens ist nur in Patentschriften publiziert. 13

Vgl. Ernst (2002a), S. 98.

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Auch jeder einzelne Arbeitnehmer hat einen Nutzen von seinen Schutzrechten, denn er wird bei Anwendung seiner Erfindungen im Unternehmen entsprechend vergütet. Rund 1,25 Millionen Patentanmeldungen werden jährlich in den Patentämtern der Welt getätigt. Weltweit sind derzeit mehr als vier Millionen Patente in Kraft und jedes Jahr werden mehr als eine Million Patentschriften veröffentlicht.14 84 % der Patente stammen aus den Patentämtern des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ), dem Japanischen Patentamt (JPO) und dem Patent- und Markenamt der USA (USPTO).15 Seit über 20 Jahren arbeiten die Patentämter der USA, Japan und das Europäische Patentamt zusammen und versuchen, zum Teil auch erfolgreich, gegenseitige Abstimmungen und Harmonisierungen im Patentschutz herbeizuführen, um Maßstäbe für alle Länder der Welt zu setzen.

7.3.2.2 Anmelde- und Erteilungsverfahren für Patente Unternehmen haben in Europa mehrere Möglichkeiten eine Patentanmeldung durchzuführen. Ein Patentschutz kann durch eine nationale Anmeldung der Erfindung im jeweiligen Land, im Rahmen der Beantragung eines europäischen Patentes oder einer weltweit anerkannten PCT-Anmeldung erlangt werden. In Deutschland ist das Patenterteilungsverfahren in den §§ 34 bis §§ 64 PatG geregelt und beginnt mit der Anmeldung eines Patentes. Eine rechtswirksame Anmeldung liegt nur vor, wenn eine Erfindung offenbart wird, wenn ein Patenterteilungsantrag gestellt wird und der Anmelder erkennbar ist. Nach einer rechtskräftigen Anmeldung erhält der Anmelder eine Empfangsbestätigung vom Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA). Daraus ergeben sich ein amtliches Aktenzeichen und ein amtlicher Anmeldetag. Zu diesem Zeitpunkt werden außerdem Gebühren für die Anmeldung fällig. Nach der Einreichung der Patentanmeldung erfolgt durch das DPMA eine Offensichtlichkeitsprüfung. Hier wird die Anmeldung auf offensichtliche Mängel hin überprüft, das sind etwa Formeinhaltung und Einheitlichkeit. Handelt es sich dem Wesen nach um eine Erfindung, besteht gewerbliche Anwendbarkeit, handelt es sich um ein Staatsgeheimnis, existiert ein Ausschließungsgrund (Öffentliche Ordnung, gute Sitten, etc.) u. a. Die Erfinder sind innerhalb von 15 Monaten zu benennen und 18 Monate nach dem Anmeldetag erfolgt die Veröffentlichung der Anmeldung als Offenlegungsschrift. Ab diesem Zeitpunkt erwirbt der Anmelder gegenüber den Benutzern seiner Erfindung einen Anspruch auf Entschädigung.16 Auf freier Entscheidung kann jetzt nach § 43 PatG ein Rechercheantrag beim DPMA gestellt werden. Dieser beinhaltet die Ermittlung aller öffentlichen Schriften durch das DPMA, welche für die Beurteilung der Patentfähigkeit der angemeldeten Erfindung bei einer Patentprüfung in Betracht zu ziehen sind. Dieser 14 15 16

Jahresbericht Europäisches Patentamt (2006). Vgl. Schramm (2005a), S. 7. Vgl. §33 PatG.

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Rechercheantrag kann auch von Dritten beantragt werden. Das Ergebnis der Recherche wird dem Antragsteller innerhalb des Prioritätsjahres17 zugestellt.18 Das Prüfungsverfahren endet mit der Patenterteilung oder mit der Zurückweisung der Patentanmeldung. Bei einer Zurückweisung muss laut § 47 PatG das DPMA dies begründen. Wird das Patent erteilt, dann kommt es zur Veröffentlichung der Patentschrift. Danach haben Dritte, insbesondere Wettbewerber, drei Monate lang die Möglichkeit, gegen die Patenterteilung Einspruch einzulegen. In rund 7 % aller erteilten deutschen Patente wurde im Jahr 2000 Einspruch eingelegt. Eine weitere Besonderheit im Erteilungsprozess ist die so genannte Prioritätsregel die Schramm in seiner Vorlesungsreihe Patentwesen wie folgt definiert: „. . . das derjenige, der in einem Verbandsland eine Erstanmeldung tätigt, während eines Jahres ab Erstanmeldung ein Prioritätsrecht genießt. Das Prioritätsrecht ermöglicht, dass Nachanmeldungen im Ausland innerhalb dieser Jahresfrist (Prioritätsjahr) so behandelt werden, als wären sie zum Prioritätsdatum (Datum der Erstanmeldung) eingereicht worden . . . “.19 Einzelne nationale Patenterteilungsverfahren unterscheiden sicht trotz vieler Harmonisierungsbemühungen noch sehr stark voneinander. Nationale Patente haben bislang nur für das jeweilige Land Gültigkeit. Die Realisierung eines EU-weiten Gemeinschaftspatents mit Gültigkeit für alle EU-Staaten blieb trotz mehrmaliger Versuche aus. Ein dennoch großer Schritt wurde in der Vereinfachung der Anmeldephase unternommen. Die wichtigsten Übereinkommen sind hier das EPÜ (Europäisches Patentübereinkommen) und die PCT (Patent Cooperation Treaty)-Anmeldung, neben Abkommen wie GPÜ (Gemeinschaftspatentübereinkommen), EAPÜ (Eurasisches Patentübereinkommen), OAPI (African Intellectual Property Organization), u. a. Für die europäische Patentanmeldung gilt auf Basis des EPÜ, dass mit einer einzigen Anmeldung vor dem EPA, die in Deutsch, Englisch oder Französisch verfasst ist, Patentschutz in allen Mitgliedsstaaten20 der europäisches Patentorganisation erreicht wird. Kommt es zur Patenterteilung, dann zerfällt das Patent in viele nationale Patente und wesentliche Rechte gehen an die Vertragsstaaten über.21

7.3.2.3 Patentstrategien, Funktionen und Erfolgsfaktoren für die Umsetzung Patente erfüllen unterschiedliche Funktionen. Aus der geschichtlichen Entwicklung heraus, bestand die Hauptfunktion von Patenten meist darin, den Wettbewerber von der Nutzung der Erfindung oder sogar von einem bestimmten Markt auszuschlie17

Bezeichnet das erste Jahr ab der Anmeldung. Vgl. Schlagwein (2005) S. 86. 19 Vgl. Schramm (2005a), S. 56. 20 Österreich, Belgien, Bulgarien, Zypern, Tschechische Republik, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Ungarn, Irland, Italien, Lichtenstein, Luxemburg, Monaco, Niederlande, Portugal, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Schweden, Schweiz, Türkei, Großbritannien, Lettland, Litauen und Polen. 21 Vgl. Schramm (2005c), S. 78. 18

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ßen. Allerdings schaffen Patente selten die Grundlage für eine Monopolsituation, da Wettbewerbern häufig auch technische Alternativen offen stehen, um Produkte anzubieten.22 Die Patentstrategie beeinflusst die Wettbewerbsposition positiv. Ziel einer Patentstrategie ist die Ausrichtung des eigenen Schutzrechtsbestandes auf die Erfolgsfaktoren des Geschäftes.23 Sie ist Bestandteil der Unternehmensstrategie. Eine Patentstrategie wird mit Hilfe von Patentfunktionen durchgesetzt. Die Hauptfunktion besteht wie bereits erwähnt darin, ausschließliche Rechte an einer Erfindung zu erhalten. Daraus abzuleiten sind Angriffsfunktion, Absicherungsfunktion, Motivierungsfunktion, Reputationsfunktion und Finanzfunktion24 für Patente. Setzt das Unternehmen Patente aktiv gegen Wettbewerber ein, so sind sie der Angriffsfunktion zuzuordnen. Hiermit kann der Ausschluss von Wettbewerbern von der Nutzung einer bestimmten Erfindung realisiert werden. Der Patentinhaber kann den patentierten Gegenstand selbst nutzen, um so eine Rendite für getätigte Investitionen zu erwirtschaften. Allerdings kann die Wirkung des Patentschutzes auch darin bestehen, dass der Patentinhaber durch das Patent eine Technologie schützt, die ein Substitut für die benutzte Technologie darstellt. Dieses Ersatzpatent würde hier nicht aktiv genutzt werden, sondern lediglich dem Schutze des erstgenannten Patentes dienen.25 Ein weiteres Vorgehen ist die Lizenzierung zum Zweck des Erzielens von Lizenzeinnahmen. Patentinhaber lizensieren Schutzrechte an andere Marktteilnehmer. Zum Einsatz kommen hier exklusive und nicht exklusive Lizenzen, welche sich in ihren Vermarktungsrechten unterscheiden. Lizenzierung bietet sich insbesondere immer dann an, wenn der Patentinhaber hohen Markterschließungskosten ausgesetzt ist. Patente werden aktiv eingesetzt um Marktanteile zu erhalten oder sogar PatentStandardverknüpfungen durchzusetzen, welche die internationale Standardisierung eigener Patentlösungen (z. B. VHS-Standard für Videorecorder der Firma JVC)26 zur Folge haben. Unter der Absicherungsfunktion wird verstanden, dass Unternehmen ein Patentnetz aufbauen, welches eigene Basispatente vor Umgehungspatenten schützt und künftige Anwendungsgebiete sichert. Ein weiterer Effekt solcher Patentnetze ist, dass Wettbewerbern die sogenannte „technologische Bewegungsfreiheit“ genommen wird. Ein Patentnetz kann auch auf der Gegenseite durch mehrere Unternehmen gleichzeitig aufgebaut werden. Diese „Patentpools“ ermöglichen die gemeinsame Nutzung von Patenten und vermeiden Patentstreitigkeiten. Die Finanzierungsfunktion beinhaltet zum einen die möglichen finanziellen Einnahmen durch eine aktive Lizenzpolitik und zum anderen stellen Patente gerade für junge Unternehmen auch ein wichtiges Hilfsmittel dar, um Finanzierungsmittel zu 22 23 24 25 26

Ebenda, S. 182. Vgl. Mohnkopf (2006) S. 6. Vgl. Schramm (2005b), S. 144. Vgl. Harhoff (2005), S. 183. Vgl. Schramm (2005b), S. 145.

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erwerben. Dabei können Patente bei Fremdkapitalfinanzierung unter Umständen als Besicherung für Kredite eingesetzt werden.27 Durch die Reputationsfunktion kann das Patentvolumen Ausdruck für eine technische Überlegenheit außerhalb sowie einer positiven Forschungs- und Entwicklungsatmosphäre im Unternehmen sein. Es kann weiterhin zu Marketingzwecken eingesetzt werden, stärkt die Kreditwürdigkeit des Unternehmens, und erhöht das Firmenansehen bei einer gelungenen Patent-Marken-Kombination.28 Unternehmen können motivierend wirken, wenn sie bei Patentanmeldungen dem Erfinder einen Statusvorteil innerhalb des Unternehmens bieten. Mitarbeiter identifizieren sich so stärker mit den Unternehmenszielen. Patentanmeldungen und Ideen aus Qualitätszirkeln oder dem betrieblichen Vorschlagswesen werden im Unternehmen geschätzt, das wiederum vitalisiert den Betrieb. Die Möglichkeiten mit Patenten Einfluss auf den Unternehmenserfolg zu nehmen ist groß, Abb. 7.13. Hierbei darf aber nicht der Kostenfaktor außer Acht gelassen werden. Der monetäre oder strategische Nutzen der entstehen kann, muss mit den anfallenden Kosten verglichen werden. Auch ist zu klären, ob nicht eine Strategie der Geheimhaltung29 effektiver wäre. Ferner ist zu beachten, dass der Erfolg einer Patentanmeldung immer unsicher ist und der Prozess einer Patentanmeldung zeitintensiv und teuer sein kann. So beträgt der Zeitraum zwischen Anmeldung und Erteilung eines Patentes unter Umständen vier bis fünf Jahre. Schaut man auf die Wertverteilung von Patenten so wird deutlich, dass in verschiedenen Patentportfolios über 80 % des Gesamtwertes des Portfolios durch die

Abb. 7.13 Strategische Bedeutung der Patentarbeit

27

Vgl. Harhoff (2005), S. 184. Vgl. Schramm (2005b), S. 147. 29 Beispielhaft wäre hier die Firma Coca Cola zu nennen, von der die Rezeptur für das Colagetränk bis heute nicht bekannt ist und bewusst geheim gehalten wird. 28

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wertvollsten 10 % der Patente erreicht wird und demzufolge der größte Teil der Patente eigentlich wertlos ist (Studie von Harhoff und Scherer).30 Grundsätzlich kann auf Patentschutz verzichtet werden, wenn: • die technische oder marktliche Entwicklung schneller verläuft als der Patentierungsprozess bei den Ämtern, • das Patent leicht umgangen werden kann, • ein Nachweis einer Patentverletzung aus technischen Gründen sehr schwer fällt und • eine Patentverletzung zwar erkannt wird, die nachfolgende Durchsetzung des Patentrechts aber besonders hohe Kosten verursachen würde.31 Diese und andere Gründe können dafür sorgen, dass der Patentschutz unter Umständen nur Kosten aber keinen Nutzen hervorbringt. Die richtige Wahl des Schutzmechanismus für Forschungsergebnisse ist eine entscheidende Aufgabe mit strategischem Charakter für das Patentmanagement. Ernst (2002) definiert einige fundamentale Aspekte die im Hinblick auf die Patentstrategie zu berücksichtigen sind. Hier stehen folgende Fragen im Vordergrund: • Sind alternative Schutzrechte insbesondere der Geheimhaltung gegenüber einer Patentanmeldung vorzuziehen? • Welches ist der richtige Zeitpunkt der Patentanmeldung? Eine frühzeitige Patentanmeldung im Verlaufe des Entwicklungsprojektes sichert die Priorität für internationale Nachanmeldungen. In vielen Branchen in denen Wettbewerber oft zeitgleich an identischen Entwicklungen arbeiten, kann der Zeitpunkt der Erstanmeldung oft entscheidend sein. Die Breite des Anspruches einer Patentanmeldung ist entscheidend. Insbesondere in frühen Phasen können breite, konzeptionelle Erfindungen angemeldet werden, da der Blick noch nicht auf enge Anwendungen fokussiert ist. Ein zunächst breiter Anspruch kann im Verlauf des Patentierprozesses eingeschränkt werden. Bei der Anzahl der Länder, in denen Patente angemeldet werden sind finanzieller Aufwand und wirtschaftlicher Nutzen in Relation zu setzen. Ein besonderes Augenmerk ist auf die Anmeldung von Sperrpatente zu setzen, da diese dem Schutz von Basispatenten dienen. Vor und im Verlauf einzelner Entwicklungsprojekte ist die Patentsituation zu analysieren, um Verletzungen von Patenten Dritter zu vermeiden. Nach der Patenterteilung hat eine kontinuierliche Beobachtung und Verfolgung von Verletzungen eigener Patentrechte zu erfolgen. Die Lizenzierungsmöglichkeiten sind systematisch zu identifizieren und zu bewerten. Die Stärke der eigenen Patentposition ist an wichtige Adressatenkreise im Unternehmen (Kunden, Aktionäre, Investoren, etc.) zu kommunizieren.32 Nach Ernst ist es für die erfolgreiche Umsetzung von Patentstrategien wichtig, dass die Unternehmensstrategie mit der Patentstrategie abgestimmt ist, d. h. es sind 30 31 32

Vgl. Harhoff (2005), S. 186. Vgl. Harhoff (2005), S. 186. Vgl. Ernst (2003), S. 26.

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konkurrierende Ziele auszuschließen und die Patentstrategien so zu wählen, dass sie bei der Umsetzung von unternehmensstrategischen Prozessen unterstützend wirken. Um die Patentstrategie erfolgreich umzusetzen, wird diese ein integrierter Bestandteil der Geschäftsfeld-, der Geschäftsbereich-, der Technologie- und der Produktstrategie. Es ist weiter ganz entscheidend, dass das Patentwesen durch das Top-Management unterstützt wird und für einen angemessenen Stellenwert des Patentwesens im Unternehmen sorgt. Neben den gesetzlichen Vorschriften des Arbeitnehmererfindergesetzes sind weitere Anreize zu schaffen um die Patentkultur im Unternehmen zu fördern. Dabei sollte zunächst eine Steigerung der Patentanmeldungen angestrebt und zu einem späteren Zeitpunkt auf die Qualität von Patentanmeldungen geachtet werden. Schnittstellenprobleme sind zwischen der Patentabteilung und Neuentwicklungsteams zu vermeiden oder zu überwinden. Dies kann dadurch erreicht werden, dass die Projektteams einzelne feste Ansprechpartner in der Patentabteilung haben oder Patentmanager bei Projekten feste Mitglieder des Projektteams sind. Weiter sind patentbezogene Kriterien in der Meilensteinplanung des Produktentwicklungsprozesses zu verankern. Dies stellt sicher, dass die notwendigen patentrelevanten Informationen vorliegen und bei Entscheidungen berücksichtigt werden (siehe auch 7.2.2).

7.3.3 Patentmanagement und Patentinformation Nachfolgend werden das Patentmanagement und die dazugehörigen Aufgaben beschrieben. Dazu wird eine Einordnung im Technologiemanagement vorgenommen (Tabelle 7.2). Die untere Abbildung mit den Aufgaben des Patentmanagements macht die Bedeutung und die Tragweite von Patentinformationen deutlich. Anschließend wird die Größe Patentinformation erläutert und es wird aufgezeigt wie diese ausgewertet werden kann.

7.3.3.1 Einordnung Patentmanagement im Technologiemanagement Technologiemanagement beschäftigt sich mit der Planung, Steuerung und Kontrolle von allen technologischen Aktivitäten in einem Unternehmen. Dazu gehören etwa die Technologiefrüherkennung, Technologieentwicklung, Technologieplanung und die Technologiebewertung. Ernst definiert das Technologiemanagement wie folgt: „Das Technologiemanagement umfasst die interne und externe Gewinnung, Speicherung und Verwertung technologischen Wissens durch Unternehmen.“33 Die Notwendigkeit des Technologiemanagements im Unternehmen beschreibt Gerpott: „Das Management von Neuerungen, also die systematische betriebswirtschaftliche Planung, Organisation, (Durch-)Führung und Kontrolle sämtlicher Ak33

Ernst (2002), S. 3.

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tivitäten in einem Unternehmen, die primär auf die Generierung und Nutzung technologischer Innovationen gerichtet sind, ist ein bedeutendes und komplexes Aufgabenfeld, dessen Bewältigung Unternehmen in der Praxis schwer fällt.“34 Hier greift das Patentmanagement und wirkt unterstützend bei den Aufgaben, die im Technologiemanagement zu bewältigen sind. Ernst definiert das Patentmanagement als unterstützendes Element im Technologiemanagement, das die Technologiegewinnung, -speicherung und -verwertung plant und steuert. „Dies wird dadurch erreicht, dass die Auswertung von Patentinformationen die Qualität von Entscheidungen im Technologiemanagement verbessert und eine starke Patentposition den finanziellen Rückfluss aus der internen und externen Technologieverwertung erhöht.“35

7.3.3.2 Aufgaben und Wirkung des Patentmanagements Bei der Technologiegewinnung werden durch die Auswertung technischer, rechtlicher und strategischer Patentinformationen unter anderem Wettbewerbsanalysen und Technologiebewertungen erstellt. Weiterhin ist das Technologiemanagement für die externe Technologiebeschaffung zuständig. Und somit auch für die Auswahl und Bewertung möglicher Alternativen.36 Wesentliche Gründe für die externe Technologiebeschaffung sind etwa die technologische Überlegenheit an externer Stelle, zum Ausgleich von Zeitnachteilen sowie unzureichender Ressourcen im Unternehmen.37 Hier bietet die Analyse von Patentdaten eine effiziente Identifikation und Bewertung potentieller Quellen externer Technologiebeschaffung. Durch eine zielgerechte Patentrecherche werden diejenigen Unternehmen oder Erfinder identifiziert, die Patente in den in Frage kommenden Technologiefeldern angemeldet haben. Die Bestimmung der Patentqualität ermöglicht anschließend eine differenzierte Bewertung der einzelnen Patentpositionen. Später können Überschneidungen und Ergänzungen mit Partnern im Patentportfolio sichtbar und die externe Technologiebeschaffung somit sehr gut gesteuert werden. Für die Technologiespeicherung lassen sich mit Patenten beispielsweise besondere Träger von technologischem Wissen, so genannte Schlüsselerfinder, ermitteln, die aufgrund ihrer Technologiekompetenz langfristig ans Unternehmen gebunden werden sollten.38 Patente unterstützen durch ihre Schutzfunktion sowohl die interne als auch die externe Verwertung technologischen Wissens. Zum einen sichert eine starke Patentposition Wettbewerbsvorsprünge und zum anderen bieten Patente die Möglichkeit, technologisches Wissen extern zu verkaufen. Hier schließt sich der Kreis im vorgestellten Konzept des Patentmanagements, da die „Kreuz-Lizenzierung“ die exter34 35 36 37 38

Gerpott (1999), S. 1. Ernst (2002), S. 3. Vgl. Gerpott (1999), S. 61 und S. 103. Vgl. Ernst (2003), S. 30. Vgl. Ernst (2002a), S. 99.

7 Strategisches IP Management zum Schutz von Innovationen

255

ne Wissensverwertung und -gewinnung miteinander verbindet.40 In der Tabelle 7.2 sind die einzelnen Aufgaben des strategischen Patentmanagement zusammengefasst dargestellt. Die bisherigen Ausführungen machen deutlich, dass das Patentmanagement mit seinen Aufgaben Einfluss auf den Unternehmenserfolg nimmt. Dies wird auf mittelbarem oder unmittelbarem Weg geschehen. Dabei steht das Patentportfolio im Zentrum des Bezugsrahmens und wird durch die Anzahl und die Qualität der Patentanmeldungen bestimmt41. Abbildung 7.14 verdeutlicht die Wirkung des Patentmanagements: Der Zusammenhang zwischen Patentmanagement, Patentportfolio und Unternehmenserfolg wird durch zahlreiche Kontingenzfaktoren beeinflusst. Unternehmensspezifische Aspekte sind etwa die Unternehmens- oder Technologiestrategie, die Höhe der Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen oder die Größe und das Alter des Unternehmens. Ferner sind branchenspezifische Einflüsse z. B. die Wettbewerbsintensität, die Bedeutung technologisch bedingter Wettbewerbsvorteile sowie die Technologiedynamik zu berücksichtigen. Weiterhin sind systemspezifische Faktoren wie länderspezifische Aspekte, kulturelle Einflüsse und rechtliche Rahmenbedingungen zu beachten.

Tabelle 7.2 Aufgaben des strategischen Patentmanagements39 Technologiegewinnung Patentfunktion Intern

Extern

Informationsfunktion

40 41

Schutzfunktion

Feld I

Feld III

Feld IV

Unterstützung des FuE-Managements (techn. Wettbewerbsanalyse, Technologiebewertung, Portfolioanalysen, etc.)

Technologieorientierte Informationssysteme und FuEPersonalmanagement

Absicherung der eigenen Technologie und Produktportfolios

Feld II

Kreuz – Lizenzierung

Feld V

Identifikation und Bewertung externer Quellen der Technologiegewinnung

39

Technologiespeicherung Technologieverwertung

Ebenda. Vgl. Ernst (2002a), S. 99. Ebenda, S. 98.

Optimale Verwertung technologischen Wissens (z. B. durch Patentverkauf, Lizenzvergabe)

256

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Abb. 7.14 Wirkung des Patentmanagements

7.3.3.3 Patentinformation und Analyse Aktivitäten im Technologiemanagement setzen die Gewinnung und Bewertung von Informationen über technologische Entwicklungen im Wettbewerbsumfeld voraus.42 Hier stellen Patente durch ihre Eigenschaften ein sehr interessantes Informationsmittel dar. Patente sind nach ihrer Offenlegung für jedermann frei zugänglich und deren Zuordnung zu Produkten, Technologiefeldern oder Erfindern machen zahlreiche Analysen möglich. Da nur 10 % bis 30 % der Erfindungen in anderen Quellen als in Patentschriften beschrieben werden, ist die Patentinformation für die Kenntnis des Weltstandes der Technik und seiner wirtschaftlichen Verwertungsbedingungen unersetzlich.43 Die Patentinformation gibt Aufklärung über die wirtschaftliche und technische Entwicklung in unterschiedlichen Geschäftsbereichen sowie über die Forschungsund Entwicklungspolitik im eigenen und auch von konkurrierenden Unternehmen. Es ist möglich Rückschlüsse über die Effizienz der eigenen Forschung und Entwicklung in Erfahrung zu bringen und zusätzlich wertvolle Anregungen für neue Entwicklungsstrategien zu bekommen. Jedes innovative Unternehmen insbesondere Forschungs- und Entwicklungsabteilungen müssen den Stand der Technik kennen, um so unnötige Investitionen in Doppelentwicklungen zu vermeiden. Zudem sollen durch die Sammlung und Auswertung von Patentinformationen entgegenstehende Schutzrechte ermittelt und somit Schutzrechtsverletzungen vermieden werden. Patente sind nicht nur Indikatoren für die Forschungs- und Entwicklungsleistung einzelner Unternehmen sondern auch ein Indikator für Markt- und Technologietrends. Hier ist es die Aufgabe der Patentinformation unter Anwendung geeigneter Mittel, Methoden und Organisationsformen Informationen aus Patentdokumenten zu erfassen, bereitzustellen und zu bewerten, um weitere Patentrecherchen und Patent-

42 43

Vgl. Brockhoff (1999), S. 23. Vgl. Schramm (2004), S. 138.

7 Strategisches IP Management zum Schutz von Innovationen

257

analysen zu ermöglichen. Der Aufbau und die Nutzung von Schutzrechtsinformationssystemen ermöglichen die Realisierung dieser Aufgabe.44 Patentanalysen werden auf der Basis von Patentinformationen erarbeitet, deren Grundlage umfangreiche Patentrecherchen sind. Die Quellen für Patentinformationen sind zunächst öffentliche Patentdatenbanken. Im zweiten Schritt stellen aber auch innerbetriebliche Schutzrechtsinformationssysteme eine Quelle für Patentinformationen dar. Das Ziel von Patentanalysen ist es an Kerninformationen zu gelangen, um so bestimmte technologische Fragestellungen wie: • • • • • • • • • • • •

Wer ist ein relevanter Wettbewerber? Wie stark ist die gesamte Technologieposition im Vergleich zum Wettbewerb? Auf welche Technologien konzentriert sich der Wettbewerb? Verändert sich die Ausrichtung der Technologiestrategie der Wettbewerber über die Zeit? Wie kann das Entstehen relevanter Technologien rechtzeitig erkannt werden? Wie kann das Weiterentwicklungspotential von Technologien abgeschätzt werden? Auf welche Entwicklungsprojekte soll sich konzentriert werden? Wie kann redundante Forschung und Entwicklung vermieden werden? Werden fremde oder eigene Schutzrechte verletzt? Wo ist externes Know-how zu finden, welches für das Unternehmen von Relevanz ist? Wie werden geeignete Kooperationspartner gefunden? Gibt es führende Personen auf bestimmte Technologiefelder?45

zu beantworten. Wichtige Patentkennzahlen, die als Indikator für die Ermittlung von Informationen genutzt werden, sind in Tabelle 7.3 aufgeführt. Die Aussagekraft solcher Indikatoren ermöglicht es strategische Fragestellungen, wie sie oben genannt wurden, zu beantworten. Zu beachten ist aber die Zeitabhängigkeit und die Austauschbarkeit dieser Indikatoren. Das heißt, es sind Veränderungen z. B. auf dem Gebiet der Datenbanktechnologien oder des Patentrechts zu berücksichtigen, die sich auf die Indikatoren auswirken. So hat z. B. das Bewertungskriterium Patentfamiliengröße46 in den letzten Jahren an Sensibilität eingebüßt. Die Ursache liegt in der erfolgreichen Durchsetzung des europäischen und internationalen Patentanmeldeverfahrens, die die Hemmschwelle für Auslandsanmeldungen verringert haben. Dadurch erhöht sich die Patentfamiliengröße zum Teil unabhängig von der Bedeutung der Erfindung. Durch die Austauschbarkeit von Indikatoren sind Einbußen an Sensibilität von Bewertungskriterien auszugleichen. Weil es eine lineare Abhängigkeit zwischen Zitierhäufigkeit und Patentfamiliengröße gibt, werden z. B. diese beiden Indikatoren

44 45 46

Vgl. Schramm (2005a), S. 6 Vgl. Ernst (2002), S. 7. Ist ein Indikator für die Patentqualität.

258

H. Mohnkopf

Tabelle 7.3 Übersicht über ausgewählte Patentkennzahlen47 Kennzahl

Definition

Aussage

Patentaktivität

Patentanmeldungen (PA) des Ausmaß der Patent- bzw. Unternehmens (i) im FuE-Aktivität im TF; InteresTechnologiefeld (TF) se des Unternehmens i am TF

Technologieanteil (auf Basis von Patentanmeldungen)

PA aller Wettbewerber im TF Technologische Wettbewerbsposition (Quantitativ)

Technologiebedeutung

Anzahl der gesamten PA des Unternehmens i

Bedeutung des Technologiefeldes für das Unternehmen (FuE-Schwerpunkt)

Kooperationshäufigkeit

Anzahl der mit Partnern zusammen angemeldeten Patente im TF

Ausmaß des Zugangs zu externen Wissen (plus Identifikation der Partner)

Erteilungsquote (Q1)

Erteilte Patente des Unternehmens i im TF

Technologische Qualität der Patentanmeldungen

Internationale Reichweite (Q2)

Größe der Patentfamilie und Ökonomische Qualität der Anteil von Patentanmeldungen Triade-Patente an den PAIF

Zitierquote (Q3)

Durchschnittliche Zitations- Ökonomische Qualität der häufigkeit der PAIF Patentanmeldungen

Patentqualität (PQ)

Summe aus den einzelnen Durchschnittliche GesamtKennzahlen der qualität aller PA des Patentqualität (Q1–Q3) Unternehmens im TF

Patentleistung (PL)

Produkt aus der Patentquali- Technologische Stärke des tät (PQiF ) und Unternehmens im TF Patentaktivität (PAIF )

Technologieanteil (auf Basis PL aller Wettbewerber im TF Technologische der Patentleistung) Wettbewerbsposition (qualitativ) Relative Patentposition

PL/Maximale Patentleistung Abstand zum technologisch eines Unternehmens im TF führenden Unternehmen im Technologiefeld F

ausgetauscht um so an Kerninformationen zu gelangen. Die wesentliche Abhängigkeit dieser beiden Indikatoren besteht darin, dass bedeutende Lösungen sowohl über die Zitierhäufigkeit als auch über die Patentfamiliengröße ermittelt werden.48

47 48

Ebenda, S. 9. Vgl. Schramm (2005b), S. 18–23.

7 Strategisches IP Management zum Schutz von Innovationen

259

Die Patentanalyse stellt folgende Grundvorrausetzungen an die Dokumentenbasis: • Frühzeitigkeit und Vollständigkeit, d. h. die Patentämter garantieren in der Regel eine Veröffentlichung der Patentschrift nach 18 Monaten und alle Erfindungen werden zentral durch nationale und internationale Patentämter erfasst und als vollständige, durchnummerierte Schriftensammlung bereitgestellt. • Detailliertheit und Standardisierung der bibliografischen Angaben, d. h. es müssen zumindest Basisdaten wie Firmenname, Patentfamiliengröße, Bestimmungsund Herkunftsländer, Jahresangaben, IPC, etc. und eine Vereinheitlichung der Patentdokumente bezüglich Gliederung, Codierung, Klassifizierung, etc. erkennbar sein. Das Titelblatt von Patentschriften verdeutlicht dies. • Inhaltserschließung mittels verbreiteter Dokumentationssprachen, d. h. beispielsweise die IPC-Klassen ermöglichen eine sprachenunabhängige Klassifizierung der Erfindungen auf dem Gesamtgebiet der Technik.49 In der Praxis existieren eine Vielzahl von verschiedenen Literatur-, Zitier- und Patentdatenbanken, die diesen Ansprüchen unterschiedlich gerecht werden. Bei der Auswahl der brauchbarsten Datenbank spielen Erfahrungswerte eine entscheidende Rolle. Es ist eine Aufgabe des Patentmanagements im Bereich der Technologiegewinnung das Forschungs- und Entwicklungsmanagement zu unterstützen. Eine wesentliche Aufgabe in diesem Bereich besteht ebenfalls darin, festzulegen welche internen Entwicklungsvorhaben mit welcher Intensität durchzuführen sind.50 Hierzu sind Informationen über die zukünftige Wettbewerbsrelevanz der zur Auswahl stehenden Technologien und über die eigene Position im Vergleich zum Wettbewerb in diesem Technologiefeld notwendig. Eine Analyse von Patentaktivitäten in den Technologiefeldern kann Auskunft über mögliche Entwicklungstendenzen geben, siehe Abb. 7.15. Zur Identifikation attraktiver Technologiefelder werden z. B. Wachstumsraten von Patentanmeldungen bestimmt. Es wird allgemein davon ausgegangen, dass Technologiefelder mit hohen Wachstumsraten bezüglich Patentanmeldungen besonders attraktiv sind. Eine geringe Attraktivität weisen im Beispiel die Technologiefelder 2 und 4 auf. Die höchste Attraktivität, eventuell ein Indikator für möglicherweise neue Anwendungen, sind in den Technologiefeldern 5 und 6 zu erkennen. Auf diese Bereiche könnte auch die eigene Forschung und Entwicklung intensiver ausgerichtet werden. Die Grundlage für viele Analysen, ist zunächst die Ermittlung dominierender Unternehmen im Allgemeinen oder auf bestimmten Technologiegebieten. Eine mögliche Identifikation dieser Unternehmen könnte durch die Ermittlung von Patentanmeldungen erfolgen. Abbildung 7.16 zeigt Unternehmen mit ihrem Patentanmeldeverhalten in unterschiedlichen Zeitperioden. Es wird ersichtlich, dass Firma 1 die meisten Patentanmeldungen getätigt hat, wobei aber zu beachten ist, dass das in den Jahren zwischen 49 50

Ebenda, S. 13. Vgl. Brockhoff (1999), S. 94.

260

H. Mohnkopf

Abb. 7.15 Patentanmeldung in Technologiefeldern

Abb. 7.16 Unternehmen mit der stärksten Patentanmeldetätigkeit

1973–1983 geschehen ist. Die seit 1995 aktivsten Unternehmen sind die Firmen 2 und 3; denen gilt es, besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Eine weitere wichtige Kennzahl ist die Patentqualität, die notwendig ist um die Stärke eines Unternehmens in einem bestimmten Technologiefeld zu ermitteln. Nach Ernst besteht diese Kennzahl aus drei Indikatoren: • Erteilungsquote: Erteilte Patente eines Unternehmens in einem bestimmten Technologiefeld in Relation zum Mittelwert des Anteils an Erteilungen im gesamten Technologiefeld.

7 Strategisches IP Management zum Schutz von Innovationen

261

• Internationale Breite: Anzahl der Patente die zu einer Patentfamilie gehören, in Relation zur durchschnittlichen Zahl der Patente je Patentfamilie des jeweiligen Unternehmens. • Zitierquote: Zahl der Zitierungen eines Patents in Relation zum Alter des Patents.51 Diese Indikatoren können zu gleichen Teilen aufsummiert werden und ergeben anschließend die Patentqualität wie in Abb. 7.17 dargestellt. Eine Betrachtung kann hier wahlweise auf mehrere Technologiefelder oder auf bestimmte Technologiegebiete erfolgen. Um die tatsächliche Technologiestärke oder Patentstärke eines Unternehmens zu ermitteln, muss das Produkt aus Patentanmeldung und Patentqualität gebildet werden. Folgende Aussagen sind jetzt möglich: Zum einen wird klar, dass die Firma 2 aufgrund der guten Patentqualität auf diesem Technologiegebiet Innovationsführer ist, obwohl sie nicht so viele Erfindungen zur Anmeldung gebracht hat wie Firma 1. Die Firma 4 besitzt keine gute Patentqualität und verschlechtert sich im Vergleich zu den anderen Firmen auf den letzten Platz. Häufig erfolgt die Visualisierung solcher Analyseergebnisse mittels einfacher oder komplexer Patentportfolios, wie prinzipiell in den Abb. 7.19 und 7.20 gezeigt. Solche Patentportfolios haben den Vorteil, dass sie nicht von subjektiven Einschätzungen abhängig sind und dadurch leichter die notwendigen Informationen über

Abb. 7.17 Patentqualität der Unternehmen mit meisten Patentanmeldungen

51 52

Vgl. Ernst (2002), S. 11. Vgl. Gerpott (1999), S. 154; Brockhoff (1999), S. 115.

262

Abb. 7.18 Ermittlung der Patentstärke

Abb. 7.19 Grundelemente einer Portfoliodarstellung52

H. Mohnkopf

7 Strategisches IP Management zum Schutz von Innovationen

263

Abb. 7.20 Beispiel-Patentportfolio für ein Unternehmen54

die Wettbewerber beschafft werden können.53 Hintergrund solcher Patentportfolios sind die Normstrategien, die aus solchen Portfolios abgeleitet werden können. Wie einleitend beschrieben ist ein weiteres Beispiel die Ermittlung von Schlüsselerfinder. Durch die Nennung des Erfinders auf den Patentschriften sind die hinter den Erfindungen steckenden Personen leicht erkennbar und analysierbar. So können diese ausfindig gemacht und gegebenenfalls abgeworben werden um externes technologisches Wissen zu erschließen. 55 Auf der anderen Seite können besondere betriebliche Maßnahmen ergriffen werden um die Schlüsselerfinder im Unternehmen zu halten. Auch hier kann eine Darstellung, wie in Abb. 7.21 gezeigt, im Erfinderportfolio erfolgen. Wie in den vorangegangenen Abschnitten deutlich wurde, stützen sich die Patentanalysen häufig auf die Verarbeitung von Rechercheergebnisse n aus Patentdatenbanken. Ein weiteres Medium zur Patentanalyse sind Zitierungen zu bestimmten Patenten. Wie bereits deutlich wurde, ist die Zitierhäufigkeit eines Patents auch ein Qualitätsindex und wird zur Bestimmung der Patentqualität genutzt, denn zitieren

53 54 55

Vgl. Ernst (2003), S. 30. Vgl. Ernst (2002), S. 20. Vgl. Ernst (2003), S. 31.

264

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Abb. 7.21 Erfinderportfolio56

bedeutet bewerten.57 Um Zitierungen ausfindig zu machen, existieren verschiedene Zitierdatenbanken, wie z. B. SCI (Science Citation Index) oder DPCI (Derwent Patent Citation Index) beide Indices stammen von ISI (Institut for Scientific Information) und sind in Tabelle 7.4 dargestellt. Patentschriften zitieren andere Patentschriften häufig während des Prüfverfahrens zur Erteilung eines Patentes beim Amt. Hierbei untersucht der Prüfer verschiedene Patente, die der Erteilung entgegenstehen und zitiert diese bzw. nimmt diese in seinen Prüfungsbericht auf. Patentschriften zitieren andere Patentschriften auch in den Zusammenfassungen um etwa den Stand der Technik zu würdigen. Die Ermittlung von technisch und zugleich wissenschaftlich bedeutsamen Erfindungen, Erfindern und Anmeldern wird durch die Verknüpfung von verschiedenen Datenbanken wie im Beispiel mit SCI und DPCI erreicht. Denn von besonderer Bedeutung sind jene Erfindungen, die in wissenschaftlichen Zeitschriften sowie häufig

Tabelle 7.4 Patentzitierungsarten und ihre mögliche Bedeutung58 Patentzitierung Patentschrift

Fachartikel

Zitiert

57 58

Technisch grundlegende oder mangelhafte Erfindung

Zitiert

Fachartikel

Wissenschaftlich fundierte Erfindung

Zitiert

Patentschrift

Wissenschaftlich fundierte Erfindung

Zitiert

56

Patentschrift

Mögliche Bedeutung

Fachartikel

Vgl. Ernst (2002), S. 32. Vgl. Schramm (2005b), S. 74. Ebenda, S. 75.

Erfassung der Patentzitierung in:

DPCI Patentdatenbank mit Zitierungen

SCI Literaturdatenbank mit Zitierungen

7 Strategisches IP Management zum Schutz von Innovationen

265

in Patentschriften zitiert werden. Bei Zitierungen muss unbedingt beachtet werden, dass nicht alle dokumentierwürdigen Zitierungen erfasst werden und nicht alle Zitierungen dokumentierwürdig sind.59 All diese Beispiele geben nur einen Überblick über die Auswertungsmöglichkeiten von Patentinformationen. Mit der Gewinnung von weiteren Kerninformationen und einer geschickten Kombination sind weit aus mehr Analysen möglich.

7.3.4 Grundlagen des Gesetzes über Arbeitnehmererfindungen Bei einer Erfindung eines Arbeitnehmers kann es sich um eine Diensterfindung oder um eine freie Erfindung handeln. Jede Erfindung muss dem Arbeitgeber, in den meisten Fällen vertreten durch die Patentabteilung beziehungsweise den IPM, gemeldet werden. Es besteht Geheimhaltungspflicht für alle Beteiligte. Die Rechte an einer Diensterfindung gehen mit Ausnahme des Erfinderpersönlichkeitsrechtes durch unbeschränkte Inanspruchnahme auf den Arbeitgeber über. Bei einer beschränkten Inanspruchnahme hat der Erfinder das Recht, eine eigene Patentanmeldung einzureichen, jedoch ohne hiermit dem Arbeitgeber eine Benutzung der Diensterfindung untersagen zu können. Die Rechte an einer freien Erfindung, entweder durch Freigabe durch den Arbeitgeber oder durch eine nicht in Anspruch genommene freigewordene Erfindung verbleiben beim Erfinder. Dem Erfinder steht für eine in Anspruch genommene Diensterfindung eine Vergütung zu, deren Ermittlung im Gesetz geregelt ist. Zusätzlich zum Erfinder ist der Fachvorgesetzte für die Meldung einer möglicherweise patentfähigen technischen Neuerung aus seinem Teambereich verantwortlich. Derartige Neuerungen liegen stets vor, wenn vom bekannten Stand der Technik abgewichen wird. Durch Patentrecherchen können hinderliche Fremdschutzrechte frühzeitig aufgefunden und wenn nötig durch Umkonstruktion und weitere gezielte Maßnahmen diese umgangen werden. Auch seitens des betrieblichen Vorschlagswesen und dem Ideenmanagement im Unternehmen ist je nach Einzelfall eine Überprüfung der eingereichten Vorschläge hinsichtlich Patentfähigkeit vorzunehmen. Der IPM ist idealer weise Mitglied der Werkskommission für das Vorschlagswesen und kann gegebenenfalls schon frühzeitig eine Aussage über die Schutzwürdigkeit der Vorschläge treffen. Erfindungen müssen schriftlich gemeldet werden und sind in der Regel, durch Verfahrensanweisung festgelegt, bei der Patentabteilung als unterzeichnete Papierkopie einzureichen, wonach dem Erfinder der Eingang bestätigt wird. Die zuständige Stelle überprüft die Erfindungsmeldung auf Vollständigkeit und entscheidet anhand der grundsätzlichen Bedeutung der Erfindung in Abstimmung mit dem betroffenen Fachbereich über die Art der Inanspruchnahme, welche spätestens bis zum Ablauf von vier Monaten nach Eingang der ordnungsgemäßen Erfindungsmeldung dem Erfinder gegenüber schriftlich ausgesprochen werden muss. 59

Vgl. Schramm (2005b), S. 75.

266

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Bei voraussichtlicher Patentfähigkeit wird eine Patentanmeldung ausgearbeitet und beim jeweiligen, der Unternehmenspatentstrategie folgenden, Patentamt eingereicht. Bei mangelnder Patentfähigkeit wird beim Erfinder das Einverständnis zur Nichtanmeldung eingeholt. Dies gilt zumindest in Deutschland und ist länderspezifisch verschieden geregelt. Sobald eine Diensterfindung in Anspruch genommen wurde, hat der Erfinder Anspruch auf angemessene Vergütung. Deren Höhe ergibt sich insbesondere aus dem wirtschaftlichen Nutzen der Erfindung, sodass in der Regel eine Vergütung erst fällig wird, wenn eine Benutzung erfolgt oder wenn ein nicht benutztes Schutzrecht bereits mehrere Jahre besteht. Dies ist allerdings von der Unternehmensregelung abhängig. Sind mehrere Erfinder am Entstehen einer Erfindung beteiligt, steht jedem Erfinder nur ein, seinem Miterfinderanteil entsprechender Anteil an der jeweils fälligen Vergütung, zu. Bei einer Benutzung der Erfindung wird gemäß Gesetz die Vergütung bevorzugt anhand des mit dem geschützten Gegenstand erzielten Umsatzes ermittelt.

7.3.5 Technologietransfer und Technologiemarketing Ab einer gewissen Größe des Patentvorrates wird überlegt, wie das Patentportfolio verwertet werden kann. Dafür sollte es zuerst geordnet werden, um einen besseren Überblick zu bekommen. Dies geschieht mit Hilfe einer Ideenliste, bei der möglichst viele unterschiedliche Patentfamilien erfasst werden. Die Familien werden zum Beispiel nach allgemeinen Merkmalen (Titel, Patentnummer oder Technologiebewertung etc.), Einsatzgebiete (Methode, Materialien, Konzepte etc) usw. definiert. Sobald die Patente den entsprechenden Patentfamilien zugeordnet wurden muss man selektieren, welche Patentfamilien weiter, im Hinblick auf Vorgaben für die Vermarktung, analysiert werden sollen. Anschließend werden die Patentfamilien hinsichtlich ihrer Eignung zur Vermarktung überprüft, was die Anzahl der verwertbaren Patentfamilien nochmals reduziert. Der verbleibende Rest wird klassifiziert, zum Beispiel nach Juwel, Kerntechnologie, Nicht-Kern-Technologie, Erschließungstechnologien etc. Mit dieser Einteilung ist es möglich verschiedene Strategien, also das zielgerichtete Vorgehen, zu definieren, die auf die einzelnen Patente der jeweiligen Klassen zugreifen und diese defensiv, offensiv und/oder strategisch zu nutzen, wie Abb. 7.22 beispielhaft dargestellt ist. Ergebnisse der Portfolioanalyse ist eine Klassifizierung der Patente und eine Einschätzung über deren Markt- und Technologieattraktivität. Nach der Portfolioanalyse wird die Verwertbarkeit der Patente eingeschätzt. Dafür muss man das Verwertungspotential und den, sich daraus ergebenden, Patentwert herleiten. In das Verwertungspotential fließen folgende Punkte ein: • die Beschreibung der Lösung (Funktion, zentraler Gedanke, technologischer Vorteil)

7 Strategisches IP Management zum Schutz von Innovationen

267

Abb. 7.22 Arten von Strategien und die benötigte Einordnungsstruktur der Patente

• die Technologieeinschätzung der Lösung nach Innovationsgrad, Wettbewerbsvorteile und Übertragbarkeit • aus der Technologieeinschätzung werden die Wettbewerbsvorteile und der daraus hervorgehende Marktanteil (Grundlagen sind Markteinschätzung hinsichtlich Branchenstruktur und Produktlebenszyklus) bestimmt • Einschätzung der rechtlichen Absicherung bzgl. Schutzumfang, Rechtsstand der Schutzrechte und deren territorialer Geltungsbereich. Der Patentwert wird aus dem Verwertungspotential abgeleitet, nachdem das Marktpotential des Patents hinsichtlich Marktvolumen und -wachstum ermittelt ist. Verwertungspotential und Patentwert werden bei der Ausarbeitung der Unternehmensstrategie einbezogen und finden ebenfalls bei den Vermarktungsalternativen wie: • • • •

Integration in das aktuelle Tagesgeschäft, Verkauf, Bildung von Joint-Ventures, strategischen Allianzen oder Ausgründungen, zum Beispiel in Form eines Spin Offs

Berücksichtigung. Weiterhin werden potentielle Partner identifiziert und Technologien priorisiert. An diesem Punkt der Analyse kann das Unternehmen bereits entscheiden wie es weiter vorgehen will. Das bedeutet, dass entschieden werden muss, welchen Entwicklungsstand die Technologie aufweist und ob sie zum Geschäftbereich des Unternehmens gehört. Als Entscheidungshilfe dient eine Entscheidungsmatrix, wie in Abb. 7.23 dargestellt. Im Anschluss an die Einschätzung der Verwertbarkeit wird eine Technologie und Marktanalyse durchgeführt, welche potentielle Anwendungen und deren Marktpo-

268

H. Mohnkopf

Abb. 7.23 Entscheidungsmatrix, wie mit einer Technologie umgegangen werden soll

tentiale untersucht, wodurch es möglich ist die Anwendungen nach verschiedenen Prioritäten zu ordnen. Nachdem das Patentportfolio analysiert und marktwirtschaftlich interessante Anwendungen ausgewählt sind, kann ein Konzept der Vermarktung erarbeitet werden. Dafür wird zunächst die Frage geklärt, an welchen Partner die Anwendung vermarktet werden soll und wonach potentielle Kandidaten evaluiert werden müssen, falls die Partnerwahl noch nicht vorgenommen wurde. Hierfür werden Produkte und Technologien der zur Verfügung stehenden Partner mit den eigenen Produkten und Technologien abgeglichen, woraus sich potentielle Partner ergeben. Nach einer anschließenden näheren Analyse und finanziellen Bewertung der potentiellen Partner, kann eine Priorität durchgeführt werden, die bei der Partnerwahl hilfreich ist. Um eine erfolgreiche Vermarktung durchführen zu können, wird ein entsprechendes Konzept ausgearbeitet und umgesetzt. Innerhalb dieser Phase vor der Vermarktung werden: • Unterlagen erstellt, • die Kontaktaufnahme zu den Partner geplant und • die Verhandlungen vorbereitet. Die zu erstellenden Unterlagen umfassen Marketingmaterialien und eine ausführliche Dokumentation des Patents. Die Dokumentation erläutert die patentierte Technologie durch deren technische Erklärung und nennt spezifische Anwendungsbeschreibungen. Damit hat der zukünftige Partner eine klare Vorstellung von dem

7 Strategisches IP Management zum Schutz von Innovationen

269

Patent und dessen Einsatzmöglichkeiten. Mit den Marketingmaterialien wird das Unternehmen und die Technologie auf dem Markt in Form von Broschüren und Präsentationen vorgestellt. Sie beinhalten die Vorstellung des Unternehmens und nennt Ansprechpartner. Weiterhin wird die Technologie kurz erklärt und mögliche Anwendungen beschrieben. Nachdem alle Vorbereitungen abgeschlossen sind, wird an den potentiellen Partner herangetreten und der Know-how-Transfer eingeleitet. Dafür ist ein Kontaktmanagement von Vorteil, welches die Ansprechpartner beider Seiten identifiziert und die Vorgehensweise der Kontaktaufnahme koordiniert. Ist die Kontaktaufnahme gelungen und die Partner identifizieren sich mit den Vorstellungen des anderen, kommt es zu Vertragsverhandlungen und anschließend zur Vertragsgestaltung. Einen Überblick über das Vorgehen zur Verwertung einer Technologie zeigt Abb. 7.24.

7.3.6 Grundlagen des Gewerblichen Rechtsschutz Es werden zunächst Begriffe definiert und ausgewählte Schutzrechte dargestellt. Mit besonderem Augenmerk auf das wichtigste Schutzrecht, dem Patent, wird anschließend das Anmelde- und Erteilungsverfahren vorgestellt, da dieses Einfluss auf Patentstrategien nimmt. Als Grundlage für die Auswertung von Schutzrechtsinformationen zu Patentanalysen werden abschließend Patentstrategien und Grenzen dieser aufgezeigt. Schutzrechte sind im Zusammenhang der jeweiligen nationalen Gesetze definiert und voneinander abgegrenzt. Die wichtigsten Schutzrechte in Deutschland umfassen Patente, Gebrauchsmuster, Marken, Geschmacksmuster und das Urheberrecht. Schutzrechte werden miteinander kombiniert, um so das geistige Eigentum eines Unternehmens bestmöglich zu schützen. Bestimmte computerbasierte Erfindungen (Hardware) werden durch Patente geschützt, gleichzeitig ist die Software selbst in der Regel vom Urheberrecht abgesichert. Besonders große Bedeutungen kommen der Kopplung von Marken- und Patentrechten zu, da der Patentschutz zeitlich nur auf 20 Jahre beschränkt ist, aber der Markenschutz beliebig oft verlängert werden kann. Dadurch versuchen Unternehmen, durch Investitionen in Marken während der Laufzeit der Patente ein besonderes Erkennungsmerkmal aus Kundensicht aufzubauen.60 Laut § 1 Abs.1 Patentgesetz (PatG) in Deutschland werden Patente für Erfindungen erteilt, die neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind. Eine Erfindung ist neu, wenn sie zum Zeitpunkt der Anmeldung noch nirgendwo in der Welt der Öffentlichkeit zugänglich war. Unter erfinderischer Tätigkeit wird verstanden, wenn ein Tun über das Wissen eines Durchschnittsfachmanns, dem der Stand der Technik bekannt ist, hinausgeht. Gewerblich anwendbar ist eine Erfindung, wenn sie auf irgendeinem gewerblichen Gebiet hergestellt oder

60

Vgl. Harhoff (2005), S. 178.

270

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Abb. 7.24 Überblick über das Vorgehen zur Verwertung einer Technologie

benutzt werden kann.61 In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass freie Berufe wie Ärzte, Anwälte, Schriftsteller, Künstler, kein Gewerbe ausüben.62 So können z. B. Maschinen und Geräte, Nahrungs-, Genuss- und Arzneimittel sowie chemische Stoffe patentiert werden. Nicht patentierbar sind z. B. Geschäftsmethoden, medizinische Verfahren, Erfindungen auf dem Gebiet der Kunst oder Literatur, Spielregeln 61 62

Vgl. Mohnkopf (2006), S. 4 ff. Vgl. Schlagwein (2005), S. 12.

7 Strategisches IP Management zum Schutz von Innovationen

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oder Gebrauchsanweisungen sowie Erfindungen die gegen die öffentliche Ordnung und die guten Sitten verstoßen. Rechte aus einem Patent entstehen durch die Erteilung des Patentes durch eine Patentbehörde wie das Deutsches Patent- und Markenamt (DPMA) oder das Europäisches Patentamt (EPA). Die maximale Laufzeit eines Patents beträgt 20 Jahre ab dem Tag der Patentanmeldung.63 Innerhalb dieser Frist, ist es Dritten ohne Zustimmung des Patentinhabers untersagt, ein Erzeugnis, dass Gegenstand des Patentes ist, herzustellen, anzubieten oder in den Verkehr zu bringen.64 Dieser Sachverhalt wird laut § 9 PatG, als ausschließliches Benutzungsrecht bezeichnet. 18 Monate nach dem Patentanmeldetag, auch Prioritätstag genannt, wird die Anmeldung durch das Patentamt in Form einer so genannten Offenlegungsschrift veröffentlicht. Dies hat den Hintergrund den Wettbewerb über kommende Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten und diesem zu ermöglichen eigene Entwicklungen voranzutreiben und Doppelentwicklungen zu vermeiden. Zugleich ist der Patentanmelder ab dem Zeitpunkt der Einreichung der Erfindung geschützt. Somit besitzt dieser Prozess wie bereits zuvor erwähnt, wirtschaftlich stimulierenden Charakter. Gebrauchsmuster schützen genau wie Patente technische Erfindungen. Hier werden dagegen geringere Anforderungen an die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit gestellt. Es stehen z. B. bekannte Vorbenutzungen oder nicht schriftliche Erläuterungen der Erfindung, einem Gebrauchsmuster nicht entgegen. Statt einer erfinderischen Tätigkeit bei Patenten, genügt hier ein erfinderischer Schritt.65 Die Laufzeit eines Gebrauchsmusters beträgt vorerst drei Jahre. Danach kann es um nochmals drei Jahre und anschließend zweimalig um jeweils zwei Jahre verlängert werden. Dies geschieht immer durch die Zahlung der dann fälligen Jahresgebühren.66 Nach § 1 Geschmacksmustergesetz (GeschmMG) ist ein Muster die Erscheinungsform eines ganzen Erzeugnisses oder eines Teils davon, die sich besonders durch die Merkmale der Linien, Konturen, Farben, Gestalt, Oberflächenstruktur oder Werkstoffe des Erzeugnisses selbst ergibt. Ein Geschmacksmuster muss geeignet sein, den ästhetischen Formensinn des Menschen anzuregen. Das heißt mit einem Geschmacksmuster wird die Formgebung (das Design) geschützt, aber nicht die technische Gestaltung. Auch hier muss ein schutzfähiges Muster eine Eigenart haben und neu sein. Die Laufzeit beträgt zunächst fünf Jahre und kann insgesamt viermal durch Zahlung einer Gebühr um jeweils fünf Jahre verlängert werden.67 Marken dienen in erster Linie als Kennzeichnung zur Unterscheidung von Waren und Dienstleistungen eines Unternehmens gegenüber anderen. Grundsätzlich geht es bei einer Marke um Worte und Bilder und die Kombination aus diesen. Im Gegensatz zu Gebrauchs- und Geschmacksmustern sowie zu Patenten braucht die Marke bei der Anmeldung nicht neu zu sein.68 Bei ähnlicher oder gleicher Kenn63 64 65 66 67 68

§16 Abs. 1 PatG. §9 PatG. §1 GebrMG. Vgl. Schlagwein (2005) S. 13. Vgl. Schlagwein (2005), S. 14. Vgl. §3 MarkenG (Markengesetz).

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zeichnung, muss mit Rechtsstreit gerechnet werden, indem in der Regel gegen eine jüngere Marke vorgegangen wird. Die Laufzeit einer deutschen Marke beläuft sich auf zehn Jahre und kann beliebig oft gegen Zahlung einer Gebühr um jeweils zehn Jahre verlängert werden. Laut Urheberrechtsgesetz (UrhG) fallen Werke der Literatur, Wissenschaft und Kunst, wie Schriften, Filme, Darstellungen, Computerprogramme oder Datenbanken in den Schutzbereich hinein.69 Das Urheberrecht schützt die geistige Schöpfung des Urhebers und dient der Sicherung des Werkes. Dieses Recht entsteht durch die Entstehung des Werkes und erlischt 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers.70

7.3.7 Innovative Ansätze zu Patentinformation und Patentüberwachung Die Herausforderungen im heutigen Informationszeitalter liegen unter anderem darin, dass wirtschaftlicher und betrieblicher Erfolg eines Unternehmens immer mehr vom richtigen Umgang mit Informationen abhängt. Der Zugang zu Informationen ist einerseits leichter, breiter und billiger geworden, dagegen ist auf der anderen Seite die Menge der zur Verfügung stehenden Daten so groß, dass die Auswahl, Bewertung und Verwendung von Informationen in Entscheidungen des beruflichen Alltags immer mehr Aufwand und Zeit erfordert. Der Einsatz von modernen softwaregestützten Informationssystemen erleichtert heutzutage die Umsetzung von Unternehmensstrategien maßgeblich, ganz besonders in Bereichen wie der Forschung und Entwicklung (FuE). In diesem Zusammenhang tritt der Erfolgsfaktor Patentinformation in den Vordergrund, da die gesamte technische Information nirgends vollständiger und besser dokumentiert ist als in der Patentliteratur.71 Die Auseinandersetzung mit Informationen aus Schutzrechten insbesondere aus Patentschriften gibt Aufschluss über wirtschaftliche und technische Entwicklungen im jeweiligen Technologiegebiet sowie über die FuE-Leistungen konkurrierender Unternehmen. Zudem lassen sich Rückschlüsse auf die Effizienz der eigenen FuEPolitik ziehen und ermöglichen außerdem wertvolle Anregungen für neue eigene Entwicklungen und Strategien (Mohnkopf 2007, VDM Verlag). Innovative Unternehmen verschaffen sich stets Informationen über globale Entwicklungen, um immer auf dem neuesten Stand der Technik zu sein. Dadurch wird vermieden, dass unter hohem Kostenaufwand „das Rad neu erfunden“ wird. Durch Mehrfachentwicklungen verlieren Unternehmen viel Geld und Zeit, was durch eine im Vorfeld angefertigte Recherche in und nach Patenten vermieden werden kann. Gewonnene Erkenntnisse aus Patentinformationen erlauben dem Unternehmen sich auf einfache und kostengünstige Weise über weltweite Entwicklungen am Markt zu informieren und so auf die Aktivitäten der Wettbewerber zu reagieren. Zudem sind Patentinformationen ein wichtiger Faktor um Konflikte mit anderen Patentin69 70 71

Vgl. §§1,2,4 UrhG. Vgl. §64 UrhG. Vgl. Einsporn (1999), S. 5.

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habern zu vermeiden. Wird ein fremdes Patent verletzt, wird vom Patentinhaber Schadensersatz gefordert und im schlimmsten Fall drohen sogar strafrechtliche Folgen. Im Zeitalter der Informationsgesellschaft besteht das Hauptproblem der Schutzrechtsüberwachung und die damit verbundene Gewinnung von Patentinformationen nicht mehr darin an Informationen zu kommen, sondern zu entscheiden, welches die richtigen Informationen sind, sie zu analysieren und mit bestehendem Wissen zu neuem Wissen zu verknüpfen und dafür zu sorgen, dass dieses tatsächlich genutzt wird. Die Gewinnung, Aufbereitung und Auswertung von Patentinformationen erfordert heutzutage eine softwareunterstützte Lösung damit die Menge der zur Verfügung stehenden Informationen entsprechend gefiltert werden können. Nimmt man Patentbibliografien, Patentschriften, etc. hinzu, so stellt allein das Europäische Patentamt (EPA) zirka 50 Millionen Patentdokumente zur Einsicht zur Verfügung.72 Solche Mengen sind allein durch individuelle Recherche und Interpretation nicht mehr zu bewältigen. In diesem Zusammenhang wird der Einsatz von so genannten betriebsinternen Schutzrechtsinformationssystemen immer beliebter und notwendiger. Solche Systeme dienen der Gewinnung, Aufbereitung und Verwertung von relevanten Schutzrechten zur Schutzrechtsüberwachung. In der bisherigen Literatur wird viel über Patente und deren Verwertung und Bewertung geschrieben. Leider werden die Aspekte einer organisatorischen Positionierung und Gestaltung von Schutzrechtsinformationssystemen und der damit verbundene Prozess einer Schutzrechtsüberwachung nicht ausreichend betrachtet. Die Zielsetzung jedoch ist, dass Erfolgspotenzial von Patentinformationen aufzuzeigen und Gestaltungsempfehlungen für eine erfolgreiche Schutzrechtsüberwachung zu geben. Dabei werden vor allem folgende Aspekte untersucht: • • • •

die Patentinformation als eine strategische Informationsressource, die Grundstruktur eines Schutzrechtsinformationssystems, die Elemente und der Gesamtprozess einer Schutzrechtsüberwachung, in der Literatur beschriebene Organisationsformen und Patentinformationen für die Schutzrechtsüberwachung, • die Gestaltungsmöglichkeiten einer Schutzrechtsüberwachung im Unternehmen und • die Auswahl eines geeigneten Schutzrechtsinformationssystems im Unternehmen.

7.3.8 Schutzrechtsüberwachung Im vorliegenden Kapitel wird der Prozess der Schutzrechtsüberwachung dargestellt und Gestaltungsempfehlungen für eine erfolgreiche Schutzrechtsüberwachung gegeben. 72

Jahresbericht Europäisches Patentamt (2006).

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Der Begriff Schutzrechtsüberwachung wird als Sammelbegriff für alle Aktivitäten der Sammlung, Aufbereitung und Nutzung von Schutzrechtsinformationen insbesondere Patentinformationen verstanden.

7.3.8.1 Prozess und Elemente der Schutzrechtsüberwachung Im Folgenden wird herausgearbeitet, welches die Elemente der Schutzrechtsüberwachung sind. Dabei werden insbesondere die Aspekte Überwachungsbereiche, Organisation, Prozess und Methoden betrachtet. • Vorgaben: Was sind die Ziele der Überwachung? Welche Überwachungsbereiche können oder sollten eine Schutzrechtsüberwachung abdecken? • Gestaltungsgrundsätze: Wer führt die Überwachung durch? Wie sieht der Überwachungsprozess aus? • Methoden: Welche Methoden stehen zur Schutzrechtsüberwachung und der Kommunikation der Ergebnisse zur Verfügung? Neben den allgemeinen Zielen der Schutzrechtsüberwachung, d. h. Doppelentwicklungen und Verletzung von Fremdpatenten zu vermeiden sowie entstehende Chancen und Risiken rechtzeitig zu erkennen, werden in der Literatur eine Vielzahl von Nutzungsmöglichkeiten aufgeführt. Je nach Ziel der Schutzrechtsüberwachung sind verschiedene Überwachungsbereiche relevant. So kann ein Überwachungsbereich unter anderem an nahezu allen bibliografischen Daten einer Patentschrift festgemacht werden. Das heißt es können z. B. IPC-Klassen, Anmeldernamen, Stichworte, etc. und eine Kombination aus diesen überwacht werden. Inwieweit die Interpretation und die Analyse gestaltet werden, ist unter anderem abhängig von der Entscheidung, wieviel Aufmerksamkeit welchem Überwachungsgebiet gewidmet wird. Die Entscheidung hängt auch von den zur Verfügung stehenden Ressourcen und von der Grundstrategie des Unternehmens ab. Zudem ist es wichtig, dass die Schutzrechtsüberwachung mit ökonomischen, sozialen und politischen Entwicklungen in Wechselwirkung steht. So können sich politische Entscheidungen enorm auf technologische Entwicklungen auswirken. Beispielhaft wären hier etwa Normungsarbeiten oder Standardisierungen von technologischen Entwicklungen, die durchaus auch überlegende Technologien vollständig verdrängen können. Deshalb sollte die Schutzrechtsüberwachung nicht nur Schutzrechte im engeren Sinne, sondern auch weitere Einflussbereiche berücksichtigen. Es darf aber nicht dazu führen, dass einfach beliebige Daten und Informationen über einen Bereich gesammelt werden. Ohne sinnvolle Fokussierung wären die Ergebnisse einer Schutzrechtsüberwachung unübersichtlich und blieben im schlimmsten Fall ohne Auswirkungen. Entsprechend der vielfältigen Überwachungsbereiche und Möglichkeiten der Nutzung von Patentinformationen, sind verschiedene Formen der Organisation denkbar.

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• Zentrale Einheit: Auf Konzernebene wird die Patentüberwachung durch eine zentrale Patentabteilung oder durch eine zentrale Forschungsabteilung durchgeführt. Hier stehen langfristige und strategische Themen im Vordergrund, z. B. Technologiestudien, Ausrichtung der Gesamtüberwachungsstrategie, Pflichtüberwachungsbereiche, etc. • Dezentrale Gruppen: Die Schutzrechtsüberwachung wird durch Entwicklungszentren der operativen Einheit des Unternehmens, den Produktbereichen oder der Business-Units, betrieben. Hier steht meist die Überwachung der Konkurrenten, und das Erkennen neuer Märkte und Kunden sowie die technologische Entwicklung in einem Horizont von ein bis drei Jahren im Vordergrund. • Kombinierte Aktivitäten: Die Schutzrechtsüberwachungsaufgabe kann von einer zentralen Gruppe geführt werden (z. B. Patentabteilung), Schlüsselpersonen in anderen Abteilungen dienen als Informationsquellen oder Informationssammler. Solche Netzwerke werden auch themenbezogen, für einzelne Kerntechnologiebereiche oder Forschungsprojekte oder zeitlich befristet bei besonderem Bedarf, eingerichtet. • Externe Netzwerke: Die internen Überwachungsaktivitäten werden durch den Aufbau externer Netzwerke ergänzt. Möglich ist hier der Aufbau eines Expertennetzwerkes, die Zusammenarbeit mit externen Recherchedienstleistern und Kammern sowie Kooperationen mit Universitäten, etc. • Unregelmäßige Strukturen: Es existieren keine formalen Strukturen zur Schutzrechtsüberwachung. Von jedem Mitarbeiter des Unternehmens wird erwartet, dass er im Rahmen seiner normalen Arbeit relevante Informationen zu Schutzrechten sammelt und diese dann an die verantwortliche Person weiterleitet, verarbeitet oder ablegt. Die aufgeführten Organisationsformen unterscheiden sich bezüglich der Schutzrechtsüberwachung in folgenden Eigenschaften: • Bestehende Kompetenz der Beobachter im beobachteten Technologiefeld (Technologiekompetenz), hier handelt es sich in der Regel um Mitarbeiter aus Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, die das entsprechende Know-how auf bestimmten technologischen Gebieten mitbringen • Formales Know-how über das Vorgehen zur Informationsbeschaffung und -aufbereitung (Methodenkompetenz).73 Hier handelt es sich in der Regel um Mitarbeiter aus Patentabteilungen oder professionellen, externen Rechercheuren. Diese bringen spezielle Kenntnisse zur Formulierung von Suchanfragen, Aufbau von IPC-Klassen, Datenbankkenntnisse, etc. mit. Beide Kompetenzen sind für eine erfolgreiche Schutzrechtsüberwachung notwendig. Fehlt z. B. die Technologiekompetenz, so kann es passieren, dass eine Patentabteilung nur Informationen bringt, die in der Forschung und Entwicklung schon längst bekannt sind. Ohne Methodenkompetenz, d. h. ohne Kenntnisse über Suchalgorithmen, Datenbanken, IPC-Klassen, etc. ist eine Patentdatenbankrecherche kaum durchzuführen. 73

Vgl. Kobe (2001), S. 325.

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Der Aufteilung der Überwachungsaufgaben auf verschiedene organisatorische Einheiten kommt für die Erreichung der Lösung eine besondere Bedeutung zu. Die Gliederung des Gesamtprozess einer Schutzrechtsüberwachung zeigt Abb. 7.25. Die Auswahl des Recherchemediums ist abhängig von der Erfolgswahrscheinlichkeit des Findens von Patenten sowie durch die Recherche verursachten Kosten. Viele Datenbanken sind kommerzieller Natur und ihre Nutzung ziehen erhebliche Kosten nach sich. Darüber hinaus existieren die kostenlos nutzbaren Angebote im Internet. Grundsätzliche Unterscheidungsmerkmale der Datenbanken sind der Spezialisierungsgrad und die Funktionalität. Zur Auswahl der richtigen Datenbank ist deshalb die Festlegung des Untersuchungsbereiches notwendig. Der Erfolg einer Recherche wird wesentlich durch das Beherrschen verschiedener Zugriffsarten auf abgelegte Fach- und Patentinformationen bestimmt.75 Darunter sind u. a. bestimmte Suchsyntax und Stichwörter gemeint. Diese werden aus den Untersuchungsbereichen hergeleitet und während der Recherche präzisiert oder ausgeweitet. Die Durchführung der Recherche gestaltet sich in Abhängigkeit von der Patentsituation in einem Technologiegebiet unterschiedlich aufwendig. Ermittelte Schutzrechte werden hinsichtlich ihrer Bedeutung bezüglich der Rechercheaufgabe gruppiert. Sind die Patente identifiziert worden, können diese bezüglich ihrer Bedeutung klassifiziert werden. Diese Klassifikation ist ein subjektiv geprägter Prozess, der in die Unternehmenslandschaft und -kultur passen sollte. Jedoch existieren objektive Beurteilungskriterien, die eine Klassifikation unterstützen. Dazu zählen z. B. die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Technologiefeld oder identifizierten Erfinder einer Technologie sowie deren technologische oder wirtschaftliche Stärke.76 Die anschließende Relevanzbewertung ist wieder ein subjektiver Prozess, da die Bedeutung für Technologien und Entwicklungen nur geschätzt werden kann. Die Klassifikation ist ein notwendiger Prozessschritt, aufgrund der Tatsache, dass bei der

Abb. 7.25 Prozess der Schutzrechtsüberwachung74

74 75 76

Vgl. Faix (1998), S. 159 ff. Vgl. Suhr (2000), S. 396. Vgl. Ernst (2001), S. 216

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Tabelle 7.5 Schutzrechtsüberwachungsformen Definition Überwachungsbereich

Prozessbeteiligte

Lenkung, Führung Beispiel und Verantwortung des Prozesses

Unbewusste Überwachung

Durch Interessen oder Aufgabenbereich des Mitarbeiter definiert

Beliebige Mitarbeiter, im Rahmen anderer Aufgaben

Systematisches Sammeln von Informationen zur unbewussten Überwachung, keine Verantwortungen

Elektroingenieur recherchiert im Bereich Steuerungstechnik und stößt zufällig auf interessante In formationen zu anderen Bereichen

Bewusste Überwachung

Aktive Suche nach relevanten Schutzrechten zu einem Thema und/oder Aufgabe

Mitarbeiter im Rahmen ihrer Aufgaben, Patentabteilung, FuE-Abteilung

Wiederholte, regelmäßige Überwachung, Verantwortung liegt beim Mitarbeiter der hinter der Überwachung steht

Designer ist zur Konstruktion eines Bauteils beauftragt und soll dabei entgegenstehende Konstruktionen berücksichtigen

Pflichtüberwachung

Definierter Bereich, evtl. festgelegt durch Leitungsbefugte oder Richtlinien, regelmäßige Überarbeitung, strategischer Hintergrund

Die mit der Überwachung beauftragenden Parteien, z. B. Patent- oder FuE-Abteilung

Festgelegt was überwacht und an wen was kommuniziert wird, ständige Kontrolle der Überwachung, Verantwortung liegt bei den beauftragten Parteien

Patentabteilung wird beauftragt die Wettbewerber XY zu beobachten u. deren Verhalten bezüglich Neuentwicklungen zu analysieren

Projektbezogene Überwachung/ Technologiestudien

i. d. R. durch Projektauftrag festgelegt oder im Rahmen von FuE-Leistungen

Projektteam oder FuEVerantwortliche mit entsprechendem fachlichen Know-how zum Themengebiet

Projektleitung, Zum EntwickEigenverantwortung lungsprojekt XY des Beauftragten wird parallel eine Überwachung eines Technologiegebietes generiert, mit festem Start und Endzeitpunkt

Recherche Patente mit unterschiedlichen Relevanzen erfasst werden. Abschließend kann eine unterschiedlich intensive Patentanalyse der Schriften erfolgen. Methoden zur Beschaffung von Patenten und Patentinformationen zur Schutzrechtsüberwachung gibt es zahlreiche. So kann eine Überwachung z. B. manuell gesteuert, über öffentliche Datenbanken oder über ein betriebsinternes Schutzrechtsinformationssystem erfolgen sowie ein externer Dienstleister zur Überwachung beauftragt werden. Die Entscheidung ist größtenteils abhängig vom Überwachungs-

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umfang, die damit verbundenen Ressourcen und Fähigkeiten die Überwachung zu steuern. Die Möglichkeit, die Schutzrechtsüberwachung über ein betriebsinternes Schutzrechtsinformationssystem zu realisieren, soll hier näher betrachtet werden. Der Begriff Schutzrechtsinformationssystem ist in der derzeitigen Forschungsliteratur nicht eindeutig definiert, so werden kostenfreie öffentliche Datenbanken, innerbetriebliche Datenbanken, Patentüberwachungssysteme, Patentverwaltungssysteme, Datenbanken mit oder ohne Auswertungs- und Visualisierungsmöglichkeiten, u. a. als Schutzrechtsinformationssysteme bezeichnet. In den folgenden Ausführungen soll der Begriff Schutzrechtsinformationssystem, als innerbetriebliches Informationsportal für Gewerbliche Schutzrechte verstanden werden. Zur Realisierung eines solchen Systems gibt es zahlreiche Softwarelösungen am Markt. Der Prozessablauf in einem softwaregestützten System lässt sich zum größten Teil automatisieren. Dazu muss der Überwachungsbereich und die Suchanfrage im System hinterlegt werden. In definierten Abständen recherchiert das Schutzrechtsinformationssystem anschließend automatisch. In der Regel besitzt das System Schnittstellen zu öffentlich verfügbaren Datenbanken. Die gefundenen Dokumente werden ähnlich wie in einem E-Mail-Programm den Benutzern des Systems zugestellt oder können in der Regel in dem bereits bestehenden E-Mail-Programm integriert werden. Grundsätzlich können hier per Mausklick Bibliografien, Patentfamilie, Zeichnungen, Titelseite, etc. angesehen und erste Relevanzprüfungen vorgenommen werden. Anschließend werden die Ergebnisse intern über das System weitergeleitet. So werden die Informationen entsprechenden Benutzern zur Verfügung gestellt. Dieser Schritt kann in den meisten Systemen auch automatisch erfolgen, indem bestimmte Restriktionen definiert und Suchprofile entsprechend eingegrenzt werden. Im Ablagebereich der Systeme wird ein Klassifikationsschema angelegt, welches nach bestimmten Themenbereichen gegliedert werden kann. Dieser Ablagebereich ist frei gestaltbar und macht die Ablage sehr flexibel. Es können Themenbereiche z. B. nach Technologien, Entwicklungsprojekten oder nach Wettbewerbern im System gepflegt werden. An jedem Schutzrecht können von den einzelnen Nutzern beliebig viele Kommentare hinzugefügt werden. Mit vordefinierten Kommentartypen ist eine gezielte Entscheidungsempfehlung der Benutzer hinsichtlich weiterer Schritte möglich. Zudem wird so sichergestellt, dass das Ergebnis gesichtet und bewertet wurde. Durch viele verschiedene Benutzerprofile kann mit dem System eine Arbeitsteilung erfolgen, die bei der Menge von Patentinformationen anzustreben ist.

7.3.8.2 Rollen in der Schutzrechtsüberwachung Es ist sinnvoll, dass ein Prozessmanager, der vorzugsweise aus der Patentabteilung oder aus einer Entwicklungsabteilung stammt, eingesetzt wird. Dieser sollte durchgängig für die Sammlung und Weiterverfolgung von Überwachungsaufträgen und Weiterverfolgung von schutzrechtsverwandten Themen zuständig sein. Für den Prozess der Schutzrechtsüberwachung soll ein Prozessmanager mit folgenden Aufgaben betraut werden:

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• • • • • •

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Koordination der Pflichtüberwachung Sammlungen der unbewussten Schutzrechtsüberwachung Stimulierung von bewussten Überwachungen Zusammenführung von Markt- und Schutzrechtsüberwachungen Betreuung und Teilnahme an Forschungs- und Entwicklungsprojekten Betreuung und Pflege des betriebsinternen Schutzrechtsinformationssystems.

Hier handelt es sich in der Regel um Personen aus Forschung und Entwicklung oder aus anderen Bereichen, die im Zuge ihrer Tätigkeiten bestimmte Fragestellungen (siehe Abschn. 7.3.3.3) aufwerfen. Aufgrund ihrer Aussagen und Arbeiten, werden Such- und Überwachungsaufträge erstellt. Das sind Mitarbeiter, die aus eigenem Antrieb handeln oder im Rahmen ihrer Aufgaben und Projektarbeit explizit dazu aufgefordert werden. Entsprechend den Ausführungen zu den verschiedenen Organisationsformen der Schutzrechtsüberwachung bewegt sich das Kompetenzprofil der Schutzrechtsüberwacher. Hier liegt das Spannungsfeld zwischen der Methodenkompetenz, aufgrund derer sich Recherchen effizient und zielorientiert durchführen lassen und der Technologiekompetenz, die notwendig ist um Patentinformationen zu interpretieren und zu bewerten. Die idealste Lösung zur Schutzrechtsüberwachung ist eine Kombination aus beiden Typen von Kompetenzen.

7.3.8.3 FuE-Organisation Die FuE-Organisation einer Firma X ist geprägt durch eine zentrale Grundlagenentwicklung und durch Entwicklungsabteilungen in den Produktlinien. Die Grundlagenentwicklung ist in der Technologie- und Vorentwicklung tätig. Es werden neue Technologien aufgegriffen, Voruntersuchungen gemacht und Expertenwissen aufgebaut um anschließend diese Technologien weiter in die Entwicklungsabteilungen der Produktlinien zu übertragen. Die Technologiestrategie des Unternehmens wird maßgeblich von der Grundlagenentwicklung geprägt. Das Unternehmen beteiligt sich außerdem an Gemeinschaftsforschungsprojekten außerhalb des Konzerns. Neue Technologien sollen konsequent eingesetzt werden. Daher gilt für das Unternehmen durch die Schutzrechtsüberwachung, Chancen und Risiken abzuschätzen sowie das Wissen weiterer führender Technologielieferanten zu nutzen. Die Entwicklung neuer Produktgenerationen wird vor allem durch die Grundlagenentwicklung vorangetrieben. Innerhalb der Grundlagenentwicklung ist die Abteilung „Schutzrechte“ für den Prozess der Schutzrechtsüberwachung zuständig. Oberstes Ziel der Abteilung ist es, die Handlungsfähigkeit in der Forschung und Entwicklung abzusichern. Eine Patentstrategie wurde dahingehend festgelegt, dass man verstärkt versucht, qualitativ hochwertige Schutzrechte für das Unternehmen zu erzeugen. Die Abteilung ist für alle Fragestellungen aus dem Gewerblichen Rechtsschutz kompetent. So werden hier das Patentportfolio des Unternehmens verwaltet, Schutzrechtsanmeldungen vorgenommen und gemeinsam mit den FuE-Verantwortlichen Patent- und Technologiestrategien entwickelt.

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Zu den wesentlichen Aufgaben im Einzelnen gehören: • Beratung von Erfindern und Fachabteilungen in allen Fragen, die Schutzrechte betreffen, • Annahme von Erfindungsmeldungen, • Erfindungsanmeldungen beim Patentamt in Zusammenarbeit mit Patentanwälten, • Überwachung von eigenen und fremden Schutzrechten in Bezug auf Schutzrechtsverletzungen, • Durchführung von Recherchearbeiten z. B. „Stand der Technik Recherchen“, • Berechnung der Erfindervergütung gemäß des Arbeitnehmererfindergesetzes, • Lieferung von Informationen für die Entwicklungsabteilungen in den Linien, dem Marketing oder der Technologieentwicklung über z. B. technische Neuerungen, Vorgehen der Wettbewerber, Statistiken über Schutzrechte.

7.3.8.4 Hintergründe für die Einführung eines Schutzrechtsinformationssystems an einem Beispiel Die steigende Zahl an Erfindungsmeldungen innerhalb des Unternehmens und in deren Wettbewerbsumfeld sowie die schnellen Entwicklungen auf verschiedenen Technologiefeldern, erfordern zunehmend ein effizienteres und effektiveres Patentmanagement. Dazu gehören etwa eine zielorientierte Patentabteilung mit klaren Aufgaben, zweckmäßigen Arbeitsprozessen und geeigneten Abläufen und Methoden zur Patentüberwachung, -bewertung und -verwaltung. So wurde festgestellt, dass die Abteilung Entwicklungspotenziale im Patentmanagement besitzt und diese freisetzen muss. Insbesondere ist hier das Problemfeld der Schutzrechtsüberwachung angesprochen. Im Unternehmen, insbesondere in den FuE-Abteilungen, besteht Unklarheit, wie mit gewonnenen Patentinformationen umgegangen wird. Die Patentanalyse wird meistens unsystematisch von Einzelpersonen übernommen, bei denen Informationsbedarf besteht. Außerdem ist unklar, wie genau innerorganisatorische Informationsflüsse und Verantwortlichkeiten verlaufen. Entsprechend findet auch der Einsatz von Patentanalysesoftware bzw. -informationssystemen im Unternehmen kaum Anwendung. Es fehlt ein geschlossener Prozess für den Umgang mit Patentinformationen interner und externer Art und den daraus abgeleiteten Konsequenzen in Form von Bewertung für die eigenen Produktstrategien. Zur Aufnahme der Ist-Situation im Unternehmen ist eine Befragung der Mitarbeiter aus den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen sinnvoll, da diese laut Konzernrichtlinie in Bezug auf die Patentüberwachung für die einzelnen Aufgabenbereiche verantwortlich und Nutzer des Schutzrechtsinformationssystems sind. Vorliegende Prozessdokumentationen und Konzernrichtlinien werden gesichtet und auf ihre Relevanz zur Schutzrechtsüberwachung hin überprüft. Die Ergebnisse sind zu strukturieren und mit der Literatur zu vergleichen sowie einer anschliessenden Bewertung zuzuführen. Wesentliche Fragen können beispielsweise sein:

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• Kennen Sie das bisherige Schutzrechtsinformationssystem (Datenbank im Intranet)? Wenn nein, warum nicht? • Warum überwachen Sie fremde und eigene Schutzrechte? • Wie und nach welchen Informationen halten Sie Ausschau? • Wie oft nutzen Sie die Datenbank im Intranet? • Benutzen Sie zur Recherche öffentliche Datenbanken? • Wie gestalten Sie Ihre Suche? • Haben Sie Kenntnisse über professionelle Suchalgorithmen77? • Wie verwerten Sie Ihre Suchergebnisse? • Wie speichern Sie Ihre Ergebnisse? • Nehmen Sie am Patentumlauf78 teil? • Wer ist in ihrer Abteilung verantwortlich für das Thema Schutzrechte? • Gefällt Ihnen die bisherige Lösung? Was kann besser gemacht werden? • Ist Ihnen die Konzernrichtlinie (Gewerbliche Schutzrechte im Konzern) bekannt? • Wie kann die Patentabteilung Ihre Arbeit erleichtern? • Haben Sie bestimmte Erwartungen oder Wünsche, die Sie an das neue Schutzrechtsinformationssystem stellen? Den Mitarbeitern stehen grundsätzlich zwei Möglichkeiten zur Schutzrechtsrecherche zur Verfügung. Zum einen die Recherche in der betriebsinternen Patentdatenbank welche im Intranet veröffentlicht ist und zum anderen die Online-Recherche in den öffentlichen Datenbanken der Patentämter. Ferner werden auch Fachzeitschriften berücksichtigt, welche in den Produktlinien und Abteilungen ausliegen. Zudem werden spezifische Rechercheaufträge an die Patentabteilung in Auftrag gegeben. Die Patentdatenbank im Firmen-Intranet besteht aus fremden und eigenen Schutzrechten und hat einen Bestand von rund 17500 Datensätzen. Jeden Monat kommen zirka 50 neue Datensätze hinzu. Inhaltlich sind neben den vollständigen Patentschriften auch Informationen zum Anmelder, Kurzinformation zum Patent, Jahr der Anmeldung, angemeldete Länder und das interne Aktenzeichen ersichtlich. Durch die Vergabe von Schlagwörtern wird der Datenbestand klassifiziert. Die Schlagwörter sind verschiedenen Technologiefeldern zugeordnet. Die Datensätze werden Klassifizierungen wie z. B.: Antrieb, Steuerung, Ergonomie etc. zugeordnet. Die Einordnung erstreckt sich auf mehr als fünfzig Klassifizierungen. Nach Bedarf werden neue Klassifizierungen hinzugefügt oder gelöscht. Die Datenbank ermöglicht keine familienorientierte Suche. Es handelt sich nicht um eine relationale Datenbank. Volltextsuche, komplexe Suchanfragen und Auswertungen sind nicht möglich. Die Datenbank ermöglicht eine einfache Suchfunktion nach Anmelder, Schlagwörtern und Veröffentlichungsnummern. Gepflegt und ständig aktualisiert wird die Datenbank ausschließlich durch die Patentabteilung. Es wird grundsätzlich in vier Überwachungsarten unterschieden:

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In den öffentlichen Datenbanken können bestimmte Suchalgorithmen definiert werden, die die Suche quantitativ und qualitativ verbessern. Jedoch sind hierzu spezielle Kenntnisse notwendig. 78 Damit ist der interne Patentumlauf zur Patentüberwachung in Elektronischer- sowie in Papierform gemeint

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Unbewusste Überwachung Die unbewusste Überwachung findet vor allem im Rahmen der täglichen Arbeit statt. Während der Befragung hat sich gezeigt, dass das eine gängige Methode im Unternehmen ist. Im Prinzip kann jeder Mitarbeiter selbst wählen, wie und wann er die Recherche betreibt. Für diese Überwachungsform gibt es noch keine optimale Lösung Bewertungen der Mitarbeiter durch ein System unterstützend einzubeziehen. Zur Weitergabe von Überwachungsergebnissen wird vorrangig die persönliche Kommunikation oder das E-Mail-Programm genutzt. Bewusste Überwachung Die bewusste Überwachung entsteht in der Regel im Zusammenhang mit der täglichen Arbeit. Hier wird eine aktive Suche nach bestimmten Schutzrechten betrieben. Anstoß dafür sind Fragestellungen aus der Forschung und Entwicklung oder aus der Patentabteilung. Wenn der Umfang dies erfordert, werden im Unternehmen hierzu Suchanfragen bei einem externen Dienstleister in Auftrag gegeben. Außerdem werden manuelle Recherchen durchgeführt. Pflichtüberwachung Pflichtüberwachungsbereiche sind auf bestimmte Wettbewerber, Technologiegebiete und IPC-Klassen festgelegt. Die Pflichtüberwachungsbereiche sind bei einem externern Dienstleister hinterlegt. Die Fachleute aus den Produktlinien überwachen neue Entwicklungen in ihren entsprechenden Fachgebieten. Die Mitarbeiter aus den Produktlinien haben die Pflicht, sich über neuste Entwicklungen in ihrem Bereich zu informieren. Die Pflichtüberwachung ist indirekt durch Konzernrichtlinien festgeschrieben und wird mit Hilfe der Patentabteilung durchgesetzt. Projektbezogene Überwachung Eine projektbezogene Überwachung gibt es bislang nicht, d. h. die Schutzrechtsüberwachung im Bezug auf etwaige Entwicklungsprojekte wird bislang mit der Pflichtüberwachung abgedeckt. Gegebenenfalls werden Rechercheaufträge an die Patentabteilung weitergegeben. Die Schutzrechtsüberwachung wird zu einem bestimmten Zeitpunkt im Entwicklungsprozess berücksichtigt, es besteht aber keine Kontinuität über die Länge eines Projektes. Von der Grundlagenentwicklung werden von Zeit zu Zeit Technologiestudien bearbeitet. Die Schutzrechtsüberwachung, insbesondere die Bewertung der Ergebnisse, übernehmen die Ingenieure aus den einzelnen Produktlinien. Sie sind in erster Linie die Experten für die Überwachung ihrer Technologiegebiete. Unterstützung wird dabei von der zentralen Stelle „Schutzrechte“ angeboten. Die Mitarbeiter der Abteilung verfügen über eine technische Ausbildung, die sie befähigt, sich schnell in neue Gebiete einzuarbeiten und Patentinformationen zu beurteilen. Zusätzlich wird die Recherche von externen Patentanwälten oder Recherchediensten unterstützt. In Abb. 7.26 ist der Soll-Prozess für eine Schutzrechtsüberwachung dargestellt. Mit Hilfe eines softwaregestützten Schutzrechtsinformationssystem ist die Umsetzung des Soll-Prozesses zu realisieren. Die Abkürzungen in der Abbildung sollen wie folgt definiert sein: Ü.-Träger als Überwachungsträger, der P.-Verantwortliche als Patentverantwortlicher, der S.-Überwacher als Schutzrechtsüberwacher und der P.-Manager als Prozessmanager.

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Abb. 7.26 Soll-Prozess Schutzrechtsüberwachung

Das vorgeschlagene Konzept sieht vor, die Schutzrechtsüberwachung in jeder Entwicklungsabteilung organisatorisch zu verankern. Hierzu bietet ein softwaregestütztes Schutzrechtsinformationssystem Hilfestellung. Die gesamte Überwachung des Prozesses erfolgt in der Patentabteilung bzw. wird durch den eingesetzten Prozessmanager geführt. Für eine zweckmäßige organisatorische Integration der Schutzrechtsüberwachung sind immer die Hintergründe für eine Überwachung zu kennen. So ist es nützlich Schutzrechtsüberwachungen bezüglich neuer Technolo-

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gien und Technologiestudien eher in zentrale Forschungs- und Entwicklungsabteilungen z. B. der Vor- und Grundlagenentwicklung zu integrieren. Bei strategischen Fragestellungen oder allgemeinen Wettbewerbsbeobachtungen ist eine Integration in die Patentabteilung oder in strategische Abteilungen wie dem strategischen Marketing ratsam. Stehen zum Beispiel konstruktive Probleme, Entwicklungsprojekte oder Produktverbesserungen an, so ist eine Integration der Überwachung in die Produktlinien zielführender. Zudem sind verschiedene Rollen im Überwachungsprozess zu definieren und zu benennen. Die Einführung eines Prozessmanagers für die Schutzrechtsinformation und Schutzrechtsüberwachung bringt wie beschrieben viele Vorteile im Laufe des Entwicklungsprozesses. Die Patentabteilung hat in Bezug auf die Schutzrechtsüberwachung die Steuerung und Überwachung des Prozesses zu übernehmen und sollte somit vorzugsweise den Prozessmanager stellen. Außerdem sollte sichergestellt sein, dass dieser immer Mitglied von integrierten Entwicklungsteams ist und dabei anhaltend die Schutzrechtsüberwachung im Fokus hat. Notwendig ist die Bestimmung eines Patentverantwortlichen in jeder Produktlinie und in jedem Entwicklungsprojekt und darüber hinaus in Bereichen wo es umfassende Technologiekompetenzen wie etwa in der Grundlagenentwicklung oder in Designabteilungen gibt. Der Patentverantwortliche ist Ansprechpartner für den Schutzrechtsüberwacher und übernimmt die Analyse und Koordination des Informationsstandes. Zudem werden mit dem Patentverantwortlichen die Überwachungsaufträge abgestimmt und stets auf Aktualität überprüft. Der Schutzrechtsüberwacher kann zugleich der Patentverantwortliche, der Prozessmanager oder der Überwachungsträger sowie ein beliebiger Mitarbeiter aus der Patentabteilung oder aus FuE-Abteilungen sein. Zu beachten ist dabei, dass die Sammlung und Bewertung von Patentinformationen gegebenenfalls getrennt und nur den Mitarbeitern zugesprochen werden, welche die notwendigen Kompetenzen besitzen.

7.4 Zusammenarbeit zwischen Industrie und Wissenschaft Innovationspotentiale und das Know-how in den deutschen Hochschulen ist oft für die wirtschaftliche Anwendung von großer Bedeutung und soll nicht nur für Forschung und Lehre genutzt werden, sondern auch geschützt und vermarktet werden. Insbesondere in der Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen und der Wirtschaft werden in nationalen und internationalen Projekten einzeln oder gemeinschaftlich Ideen zu Innovationen umgesetzt und schließlich auch verstärkt in Produkten angewendet. Lange Zeit war die Drittmittelforschung in Deutschland von der gesetzlichen Situation geprägt, dass die Rechte an Erfindungen von Hochschullehrern diesen selber zustanden und nicht der sie beschäftigenden Hochschule. Das Hochschullehrerprivileg führte dazu, dass Unternehmen Auftragsforschung und Forschungskooperationen – neben immer notwendigen Verträgen mit den Hochschulen, wenn Hoch-

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schulmittel eingesetzt werden sollten – auch in direkten vertraglichen Beziehungen zwischen ihnen und den jeweiligen Hochschullehrern regelten. In alter Regel ließen sich Unternehmen auch von diesem Recht an ihren Erfindungen in bestimmtem Umfang einräumen. Zum 7. Februar 2002 änderte der Gesetzgeber den insofern einschlägigen § 42 ArbEG und unterstellte auch Hochschullehrer den sonstigen Regeln des Arbeitnehmererfindungsgesetzes mit der Folge, dass die Hochschule bei einer entsprechenden Meldung nach dem Arbeitnehmererfindungsgesetz die Erfindungen in Anspruch nehmen kann. Um der besonderen Situation von Hochschullehrern, die in ihrer Freiheit von Forschung und Lehre (Art. 5 Abs. 3 GG) nicht eingeschränkt werden können, gerecht zu werden, führte der Gesetzgeber darüber hinaus die negative Publikationsfreiheit in § 42 Nr. 2 ArbnEG ein. Hierbei handelt es sich um das Recht des Hochschullehrers, eine von ihm gemachte Erfindung gegebenenfalls auch nicht zu veröffentlichen. Darüber hinaus sah der Gesetzgeber besondere Vergütungsregelungen für Hochschullehrer im Verhältnis zur Hochschule vor (§ 42 Nr. 4 ArbnEG). Aus dieser neuen gesetzlichen Situation heraus entstand ein Bedürfnis in der Praxis, handhabbare und standardisierte Vertragsbausteine für einzelne Aspekte derartiger Drittmittelforschungsverträge zu entwickeln. Hierzu fanden sich im Juni 2002 in Berlin unter Vermittlung eines erfahrenen Moderators auf Initiative der ipal GmbH Vertreter der Berliner Hochschulen, der ipal GmbH sowie von Unternehmen aus ganz Deutschland zusammen. Ergebnis der Verhandlungen waren zwei unverbindliche Vorschläge für Vertragsbausteine; einer, der den Bereich der Forschungskooperationen betrifft, einer der den Bereich der Auftragsforschung betrifft. Darüber hinaus entwickelte der Arbeitskreis Abgrenzungsindizien zwischen den beiden Vertragsbausteintypen. Nachdem in der Folgezeit verschiedene andere vergleichbare Entwürfe in Deutschland diskutiert wurden, beriet sich der damalige Arbeitskreis im Frühjahr 2007 erneut und kam für eine Überarbeitung der beiden Vertragsbausteintypen zusammen, nicht zuletzt, um die Erfahrungen in der Anwendung dieser beiden Vertragsbausteintypen in den vergangenen Jahren zu erörtern und gegebenenfalls in entsprechenden Änderungen einfließen zu lassen. Nur zufällig fiel diese Überarbeitung mit einer weiteren Arbeitsgruppe zusammen, die sich desselben Themas annahm, es allerdings in einem größeren Zusammenhang diskutierte, nämlich der Unterarbeitsgruppe FuE-Musterverträge im Rat für Innovationen beim Bundeskanzleramt. In einer Fibel79 sind die beiden Vertragsbausteintypen gegenübergestellt und es wird erläutert – notwendigerweise in komprimierter Form –, welchen Sinn und Zweck die jeweiligen Regelungen haben und – soweit dies möglich ist –, warum der Arbeitskreis eine entsprechende Regelung wählte. Die Fibel hat weder zum Ziel, eine vollständige Kommentierung im Sinne einer juristischen Erläuterung, der jeweiligen Regelungen zu geben, noch ist sie als verbindliche Äußerung der am Arbeitskreis beteiligten Institutionen und Unternehmen zu verstehen. Die Fibel will allerdings (jenseits dieser Erläuterungen) auch und gerade für kleine und mittlere 79

Ausarbeitung der Arbeitsgruppe „Berliner Vertrag“.

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H. Mohnkopf

Unternehmen die naturgemäß komplexen Vertragsbausteine verständlicher machen und Hinweise auf notwendigerweise zu regelnde weitere Punkte in entsprechenden Drittmittelforschungsverträgen geben. Sowohl die Fibel und die dazugehörigen Vertragsbausteine wie auch die Mustervereinbarungen für FuE Kooperationen als Leitfaden zur Anwendung in der Praxis können im Internet unter www.ipal.de und www.bmwi.de heruntergeladen werden. Die englische Version ist unter www.mohnkopf.eu zu finden.

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7 Strategisches IP Management zum Schutz von Innovationen

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Teil IV

Qualitative Vorüberlegungen zur Innovationserfolgsrechnung im Rahmen eines Strategischen Technologiemanagements

Kapitel 8

Technologie-Kostenanalyse Matthias Hartmann

8.1 Einführung in die Technologie-Kostenanalyse Das Markterfordernis, die technisch besten Produkte zu möglichst niedrigen Preisen anzubieten, zwingt zu einer Integration von Technologiemanagement und Kostenmanagement. Technologien sind als Innovationspotentiale zu begreifen und haben starken Einfluß auf das Kostenniveau und die Kostenstruktur von Produkten und Prozessen. Durch eine von der Ressource Technologie ausgehenden Bewertung von Produkten und Verfahren kann eine sinnvolle Ergänzung der marktorientierten Vorgehensweise des Target Costing in das langfristige Kostenmanagement miteinbezogen werden. Analog zur Ableitung der Zielkosten aus dem Kundennutzen im Konzept des Target Costing werden bei der Technologiekostenanalyse die Kosten der einzelnen Technologien aus deren Attraktivitätswerten ansetzend am zukunftsbezogenen Leistungspotential dieser Technologie abgeleitet. Durch die Technologiekostenanalyse sollen zukünftige Produkte und Verfahren sowohl hinsichtlich ihrer technologischen Leistungsfähigkeit als auch der jeweiligen Wirkungen auf Kostenniveau und Kostenstruktur beeinflußt werden.

8.2 Integration von Technologie- und Kostenmanagement Der erfolgreiche Übergang auf neue, bisher nicht genutzte Technologien führt zu einer radikalen Veränderung von Kostenniveau und Kostenstruktur bei Produkten und Prozessen. Jack Welch prägte in diesem Zusammenhang den Grundsatz, daß der Markt mittlerweile nur noch technologische Top-Produkte zu niedrigsten Kosten akzeptiert.1 Ein Widerspruch, so scheint es. Andererseits zeigt sich hier der enorme Bedarf einer Integration von Technologiemanagement und Kostenmanagement. 1

Vgl. Tichy/Sherman (1993), S. 242.

W. Schmeisser, H. Mohnkopf, M. Hartmann, G. Metze (Hrsg.), Innovationserfolgsrechnung DOI: 10.1007/978-3-540-78249-0, © Springer 2008

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M. Hartmann

Von was sprechen wir? Technologiemanagement betrifft die Planung, Durchführung und Kontrolle der Entwicklung und Anwendung von neuen Technologien bzw. von Technologieänderungen zur Schaffung wettbewerbs- bzw. erfolgskritischer Potentiale. Aufgabe des Kostenmanagements ist es, die die Kosten ursächlich determinierenden Faktoren aktiv zu beeinflussen.2 Technologieinduzierte Kostenwirkungen müssen frühzeitig aufgezeigt werden, um bereits in den frühen Phase der Entwicklung von Produkten und Verfahren das Kostenniveau und die Kostenstrukturen erfolgsorientiert festzulegen. Dabei geht es nicht so sehr um exakte monetäre Kennzahlen, sondern vielmehr um erste Anhalte für Kostenrelationen zur Bewertung technologischer Alternativen. In diesem Sinne wollen wir mit Hilfe der Technologiekostenanalyse (TKA) zeigen, wie die Kosten von Technologien im Verhältnis zu ihren zukunftsbezogenen Leistungspotentialen bewertet werden können. Ziel der Technologiekostenanalyse ist es, Relationen zwischen Technologiewerten und Kostenwerten herzustellen, um letztlich das Kostenniveau und die Kostenstruktur eines Produktes oder Prozesses beeinflussen zu können. Anhand eines Praxisbeispiels aus der Chipkartenindustrie veranschaulichen wir die Vorgehensweise und mögliche Handlungsempfehlungen.

8.3 Kostendynamik innovativer Technologien Bevor wir auf die Technologiekostenanalyse eingehen, skizzieren wir den Zusammenhang von Technologie- und Kostenmanagement in drei Schritten: Technologien stellen erstens Innovationspotentiale dar, die zweitens erhebliche Kostenwirkungen haben können. Um diese Kostenwirkungen drittens bewerten zu können, müssen Technologien selbst bewertbar sein.

8.3.1 Technologien als Innovationspotentiale Das aktuelle Managementverhalten zeigt, daß nach einer Phase intensiven Downsizings nun (wieder) verstärkt innovationsorientierte Wachstumsstrategien zur Diskussion stehen. Eine wichtige Voraussetzung für Wachstum ist das Erkennen, Schaffen und Ausbeuten der Nutzenpotentiale betrieblicher Ressourcen und Ressourcenkombinationen zur künftigen Erfolgssteigerung.3 Eine für den Wettbewerb hochrelevante Teilmenge der betrieblichen Ressourcen bilden dabei die Technologien als in Produkten und Verfahren inkorporierte Lösungsprinzipien. So betonen z. B. Hamel/Prahalad, daß Technologien und Dienstleistungen die wesentlichen Ressourcen von Unternehmen sind.4 2 3 4

Vgl. Männel (1995), S. 27 f. Vgl. Pampel (1996), S. 321. Vgl. Hamel/Prahalad (1994), S. 224 ff. und 291 f.

8 Technologie-Kostenanalyse

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Technologien sind in diesem Sinne als Innovationspotentiale zu begreifen, denen auf der Marktseite zunächst nicht immer ein Bedarf gegenüberstehen muß. Ein Bedarf drückt sich dabei in der Anwendung einer neuen Technologie in Produkten oder Prozessen aus. „Neu“ kann sich dabei auf erstmalig entwickelte Technologien beziehen oder auch branchenfremde Technologien betreffen, die erstmals in einer neuen Branche angewendet werden. Innovation kommt demnach erst zustande, wenn dem Innovationspotential „Technologie“ ein konkreter Innovationsbedarf „Produkt“ oder „Prozeß“ gegenübersteht und beides zur Deckung kommt.5 Aufgrund dieses wettbewerbskritischen Innovationsmechanismus ist es notwendig, die derzeit vorherrschenden marktorientierten Sichtweisen der Kunden- und Prozeßorientierung durch eine ressourcenorientierte bzw. hier technologieorientierte Sichtweise zu ergänzen. Für das Kostenmanagement bedeutet dies, die Produkt-, Prozeß- und Ressourcenseite simultan und gleichrangig zu betrachten.6 Einerseits übersetzen Konzeptionen wie das Target Costing Kundenbedarfe und Preisvorstellungen aus dem Markt heraus in zulässige Kostenniveaus und daraus resultierende Kostenstrukturen. Auf der anderen Seite sollten auch Technologiepotentiale in Kostenstrukturen übersetzbar sein, um letztlich durch eine Deckung von Kundenbedarf und Technologiepotential zu optimalen Kosten Innovationen entstehen zu lassen. Die Notwendigkeit der potentialseitigen Ergänzung marktorientierter Konzepte für das Kostenmanagement neuer Technologien ergibt sich zum einen aus dem Innovationsmechanismus, d. h. der Deckung von Bedarf und Potential. Zum anderen daraus, daß das Target Costing an aktuellen Bedarfen bzw. aktuellen Kundenvorstellungen ansetzt. Für neue, erst im Entwicklungsstadium befindliche Technologien können die aus dem Target Costing abgeleiteten Produkt- und Kostenvorgaben zu falschen Entwicklungsvorgaben führen. Auch Bedarfe und Kundenvorstellungen können sich im Zeitablauf ändern. Zu einem späteren Zeitpunkt der Serienreife neuer Technologien können daher schon ganz andere Bedarfsstrukturen am Markt vorhanden sein. Diese zukünftigen Bedarfe sind vielfach vorab nicht zu erfassen. Das Ansetzen an aktuellen Bedarfen, wie beim Target Costing üblich, greift für die Bewertung erst langfristig wirksamer Nutzeneffekte von neuen Technologien zu kurz.

8.3.2 Kostenwirkungen von Technologien Die Beobachtung der Kostenentwicklung innovativer Technologien zeigt im Zeitablauf vielfach eine extreme Kostendynamik. Neue Technologien beeinflussen meist radikal die Kostenstrukturen bestehender Produkte und Prozesse. Die im Rückblick faszinierend nachzuverfolgenden Kostenverläufe von Technologien wie zum Beispiel bei Anwendungsfeldern der Chip- und Halbleitertechnologie gelten auch weiterhin für die Zukunft. Die Grenzen dieser Entwicklung werden nur durch

5 6

Vgl. Pfeiffer (1980), S. 422. Vgl. Pampel (1996), S. 322.

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physikalisch-technische Grenzen definiert.7 Und auch diese Grenzen lassen sich vielfach überwinden durch völlig neuartige Lösungsprinzipien.8 So wurden seinerzeit mechanische Steuerungen durch elektronische Steuerungen substituiert. In Zukunft könnte der Biochip die Halbleiterchiptechnologie in manchen Bereichen ersetzen. Neue Technologien können demnach als Innovationspotentiale begriffen werden, deren Nutzen aber erkannt werden muß. Ein Denken in gewohnten Kostenrelationen behindert daher die strategische Orientierung, wenn die Denkstrukturen an aktuell gültige Kostenstrukturen gebunden bleiben. Mit Hilfe des S-Kurvensowie des Erfahrungskurvenkonzeptes kann das Einwirken von Technologien auf Kostenniveau und Kostenstrukturen plastisch dargestellt werden.9 „Die S-Kurve ist eine graphische Darstellung des Verhältnisses zwischen dem Aufwand für die Verbesserung eines Produktes oder Prozesses und den Ergebnissen, die man durch diese Investition erzielt. Sie heißt S-Kurve, weil die Ergebnisse in der graphischen Darstellung gewöhnlich eine S-förmige Linie annehmen, die von links unten nach rechts oben verläuft (...)“10 „Die Kernaussage des Erfahrungskurvenkonzepts ist, daß mit jeder Verdoppelung der kumulierten Menge eines Produktes die inflationsbereinigten Wertschöpfungskosten eines Stückes potentiell um 20 bis 30 % zurückgehen; die kumulierte Produktionsmenge wird somit gewissermaßen mit ,Erfahrung‘ gleichgesetzt (...)“.11 Das obere Bild zeigt die S-Kurven zweier Technologien, wobei die zweite S-Kurve langfristig eine höhere Leistungsfähigkeit der neuen Technologie annimmt. Eine Interpretation anhand der Erfahrungskurve zeigt beim Vergleich zweier Technologien, daß die leistungsfähigere Technologie prinzipiell eine steilere Erfahrungskurve aufweist. Dennoch ergeben sich zunächst im Technologieübergang deutliche Kostenvorteile der Technologie der ersten S-Kurve gegenüber den Kosten der Folgetechnologie. Dieser Unterschied wird als Kostenhöcker bezeichnet. Das Phänomen des Kostenhöckers ist dabei eine vorübergehende nachteilige Stückkostendifferenz, die jedoch bei konsequenter Entwicklung der leistungsfähigeren Technologie in einen prinzipiellen Stückkostenvorteil umschlägt. Ein Verbleiben auf der alten Erfahrungskurve bedeutet eine rein defensive Technologiestrategie, die zu einer angreifbaren Kostenposition und letztlich zu nicht mehr verkäuflichen Produkten führt. „For example Texas Instruments emphasized the learning curve and became the world’s lowest cost producer of obsolete microchips“ (Shank 1997, S. 48). Ein technologischer First bzw. Pionier nutzt die neue Erfahrungskurve unter Aufwendung vergleichsweise geringerer Kosten zu einer eindeutigen Marktdifferenzierung seiner Produkte. Erst ein strategisches Kostenmanagement der technologischen Ressourcen vermag die Kosteneffekte neuer Technologien richtig einzuschätzen, einzusteuern und auszubeuten.

7

Vgl. Wyk (1985), S. 216 ff. Vgl. Hartmann (1997), S. 175 ff. 9 Vgl. Abb. 8.1 und Hartmann (1997), S. 58. 10 Foster (1986), S. 27. 11 Pfeiffer et al. (1991), S. 36. 8

8 Technologie-Kostenanalyse

295

8.3.3 Bewertung von Technologien Abbildung 8.1 zeigt anhand der Interpretation der Erfahrungskurve deutlich, daß der Übergang auf eine neue Technologie eine Veränderung des Kostenniveaus darstellt. Langfristig wird das Kostenniveau der neuen Technologie niedriger liegen als das der alten Technologie. Die Unterschiede in den Kostenniveaus resultieren letztlich aus Unterschieden in den Kostenstrukturen der beiden Technologien. Ein

Abb. 8.1 Zusammenhang zwischen technologischer Leistungsfähigkeit und Stückkosten

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konsequentes Innovationskostenmanagement sollte dieses Phänomen in Wirtschaftlichkeitsrechnungen berücksichtigen. Der Vergleich eines Kostenniveaus bei gegebenen Technologien mit einem Kostenniveau, das aus den Kostenstrukturen neuer Technologien resultiert, offenbart vielfach eindrucksvolle Kostendifferenzen. Kosten werden dynamisch vor dem Hintergrund der permanent ablaufenden technischen Entwicklung interpretiert. Im Konzept des Innovationskostenmanagements kann die technische Entwicklung, die als ein dynamischer Pfad hin zu einer immer höheren Leistungsfähigkeit begriffen werden kann, mit Hilfe der Technologieattraktivität (TA) bewertet werden. Je leistungsfähiger eine Technologie gemessen an einer anderen ist, desto attraktiver ist diese für Anwendungen in Produkten und Prozessen. Technologieattraktivität ist dabei definiert als die Summe aller technisch-wirtschaftlichen Vorteile, die durch das Ausschöpfen der in einem Technologiegebiet steckenden strategischen Weiterentwicklungsmöglichkeiten gewonnen werden können.12 Die Weiterentwicklungsmöglichkeiten beziehen sich dabei auf potentielle Leistungssteigerungen einer Technologie und damit letztlich auf das dieser innewohnende Kostensenkungspotential. Grob orientiert sich die Bewertung der Technologieattraktivität an einer Einteilung in Schrittmacher-, Schlüssel- und Basistechnologien13.

Abb. 8.2 Definition von Schrittmacher-, Schlüssel- und Basistechnologien

12 13

Vgl. Pfeiffer et al. 1991, S. 85 ff. Vgl. Abb. 8.2 und Hartmann 1997, S. 170.

8 Technologie-Kostenanalyse

297

Einer Schrittmachertechnologie wird der Wert 3 (sehr attraktiv), einer Schlüsseltechnologie der Wert 2 (durchschnittlich attraktiv) und einer Basistechnologie der Wert 1 (weniger attraktiv) zugewiesen. Die darüber hinaus möglichen Werte 0 und 4 zeigen Extreme an. Es ergeben sich je nach Leistungsstufe einer Technologie die Werte 0, 1, 2, 3 oder 4. Die Einteilung in Schrittmacher-, Schlüssel- und Basistechnologien kann auch anhand der Abb. 8.1 veranschaulicht werden: Schrittmachertechnologien sind – vereinfacht gesagt – auf einer S-Kurve im ersten Drittel des Kurvenverlaufes positioniert (Phase 1). Eine Schlüsseltechnologie hat ihre Position im zweiten Drittel (Phase 2) und eine Basistechnologie im letzen Drittel der S-Kurve (Phase 3).

8.4 Technologiekostenanalyse (TKA) Das Verständnis der Wirkmechanismen der Kostendynamik innovativer Technologien zeigte wesentliche Zusammenhänge zwischen Technologiemanagement und Kostenmanagement. Mit Hilfe der Technologiekostenanalyse wollen wir nun einen Weg vorschlagen, wie die Notwendigkeit einer technologischen Produkt- oder Prozeßverbesserung erkannt und in Kostengrößen ausgedrückt werden kann. Zu diesem Zweck gehen wir erstens auf die Ziele der Technologiekostenanalyse (TKA), zweitens auf deren Ablauf, drittens auf deren Ergebnis, viertens auf Handlungsempfehlungen und schließlich auf eine Sonderauswertung ein.

8.4.1 Ziel der Technologiekostenanalyse (TKA) Die Technologiekostenanalyse untersucht die Kosten von Technologien im Verhältnis zu ihren zukunftsbezogenen Leistungspotentialen. Analog zur Ableitung der Zielkosten aus dem Kundennutzen im Konzept des Target Costing werden bei der Technologiekostenanalyse die Kosten der einzelnen Technologien aus deren Attraktivitätswerten abgeleitet. Man kann die Technologiekostenanalyse dabei als eine potentialseitige Ergänzung des Target Costing bezeichnen, da sie durch die kostenmäßige Bewertung zukunftsbezogener Leistungspotentiale über den zeitlichen Betrachtungshorizont des Target Costing weit hinausgeht. Dadurch gelingt es, dem Nutzen einer Technologie einen Kostenwert zuzuordnen, der zwar zunächst nur heuristischen Charakter hat, jedoch eine direkte Verbindung von Technologiewert und Kostenwert schafft. Zielder Technologiekostenanalyse ist es, Relationen zwischen Technologiewerten und Kostenwerten herzustellen, um das Kostenniveau und die Kostenstruktur eines Produktes oder Prozesses aus Technologie-Perspektive bewerten zu können. Durch daraus ableitbare Handlungsempfehlungen sollen letztlich Produkte bzw. Prozesse sowohl hinsichtlich ihrer technologischen Leistungsfähigkeit als auch der jeweiligen Wirkungen auf Kostenniveau und Kostenstruktur aktiv beeinflußt werden.

298

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8.4.2 Ablauf der Technologiekostenanalyse An einem Beispiel aus der Chipkartenindustrie (vgl. Abb. 8.3) soll der Ablauf der Technologiekostenanalyse praktisch demonstriert werden. Die behandelte Speicherchipkarte ist besser bekannt als Krankenversichertenkarte oder als Telefonkarte. Auf die technischen Details soll hier nicht näher eingegangen, sondern auf Lender/Hartmann (1997) verwiesen werden. Die angegebenen Kostenwerte der hier behandelten Speicherchipkarte sind als Anhaltswerte zu verstehen und stellen die über den jeweiligen Technologielebenszyklus auf Basis einer durchschnittlichen Kapazitätsauslastung ermittelten vollen Herstellkosten je Stück

Abb. 8.3 Ablauf der Technologiekostenanalyse am Beispiel einer Speicherchipkarte

8 Technologie-Kostenanalyse

299

dar. In diesen Lebenszykluskosten sind dabei die Vorleistungskosten, die laufenden Produktions- und Vermarktungskosten sowie die Nachleistungskosten enthalten.14 Die Technologiekostenanalyse geht davon aus, daß jedes Produkt bzw. jeder Prozeß aus einzelnen Technologiearten besteht. Die Technologieattraktivität (TA) eines Produktes bzw. eines Prozesses ergibt sich aus der Summe der einzelnen Attraktivitäten der Technologiearten. Die Zerlegung in Technologiearten erfolgt durch die Analyse der funktional-abstrakten Lösungsprinzipien, die in einem Produkt bzw. Prozeß inkorporiert sind. In unserem Beispiel besteht die Speicherchipkarte aus den vier Technologiearten. „Softwarecodierung sequentiell“ (TA = 2), „Anwendung der Drucktechnik“ (TA = 1), „Chip-Implantieren nach Heißklebetechnik“ (TA = 2) und „Chip- und Halbleitertechnologie“ (TA = 4) mit unterschiedlichen Attraktivitätswerten.15 Die Summe und damit die Technologieattraktivität einer Speicherchipkarte beträgt demnach 9. Anschließend werden die tatsächlichen Istkosten jeder Technologieart ermittelt. Bei unverändert wiederverwendeten Technologiearten bestehender Produkte bzw. Prozesse entsprechen die Ist-Technologiekosten den Herstellkosten. Sind vorhandene Technologiearten zu modifizieren muß man die Herstellkosten um die durch die Modifikation resultierenden Kosteneffekte (Kostensteigerungen oder -senkungen) korrigieren. Die Korrektur kann je nach Informationsstand auf Basis von Schätzungen, Grobkalkulationen oder genauen Kalkulationen erfolgen. Die Ist-Technologiekosten für vollig neuartige Technologiearten lassen sich zumeist nur durch Schätzungen oder Grobkalkulationen bestimmen. Die Summe der IstTechnologiekosten der einzelnen Technologiearten ergeben die Ist-Gesamttechnologiekosten. In dem Fall der hier analysierten Speicherchipkarte ergeben sich die Ist-Stückkosten einer Speicherchipkarte bei einer gegebenen durchschnittlichen Auslastung der Produktionskapazitäten aus den Stückkosten der vier Technologiearten „Softwarecodierung sequentiell“ (0,20 e), „Anwendung der Drucktechnik“ (0,18 e, „Chip-Implantieren nach Heißklebetechnik“ (0,15 e) und „Chip- und Halbleitertechnologie“ (0,46 e) und betragen 0,99 e. Nun werden die Soll-Technologiekosten gebildet, indem der komplette Kostenblock der Ist-Gesamttechnologiekosten einer Technologie im selben Verhältnis wie der Attraktivitätsblock einer Technologie unterteilt wird. Es ergeben sich die Sollkosten jeder Technologieart. Diese Soll-Technologiekosten sind dabei als korrespondierend zur Attraktivität der Technologieart zulässige Kosten der jeweiligen Technologieart zu interpretieren. Wenn 0,99 e Stückkosten einer Speicherchipkarte einem Technologieattraktivitätswert von 9 entspricht, dann hat die Technologie „Softwarecodierung sequentiell“ bei einem Technologieattraktivitätswert von 2 Zielstückkosten von gerundet 0,22 e. Diese Rechnung läßt sich auch für die Technologiearten „Anwendung der Drucktechnik“ (TA 1 = 0,11 e), „Chip-Implantieren nach Heißklebetechnik“ (TA 2 = 0,22 e) und „Chip- und Halbleitertechnologie“ (TA 4 = 0,44 e) durchführen.

14 15

Vgl. zum Lebenszykluskostenkonzept Männel (1997), S. 128 ff. und S. 157 f. Vgl. Hartmann (1997), S. 171 ff. und S. 210 ff.

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Es zeigt sich, daß die Ist-Stückkosten der Technologiearten „Softwarecodierung sequentiell“ und „Chip- und Halbleitertechnologie“ den jeweiligen Soll-Technologiestückkosten in etwa entsprechen. Die Ist-Stückkosten der Technologieart „ChipImplantieren nach Heißklebetechnik“ in Höhe von 0,15 e sind sogar niedriger als die Soll-Technologiekosten in Höhe von 0,22 e. Im Gegensatz dazu sind die IstStückkosten der Technologieart „Anwendung der Drucktechnik“ (0,18 e) überproportional höher als die Soll-Technologiekosten (0,11 e).

8.4.3 Ergebnisse der Technologiekostenanalyse Generell können bei den Ergebnissen einer Technologiekostenanalyse drei Fälle unterschieden werden: 1. Die Soll-Technologiekosten sind niedriger als die Ist-Technologiekosten: Der Grad der Beherrschung einer Technologie ist in Relation zur Leistungsfähigkeit der Technologie zu gering. 2. Die Soll-Technologiekosten entsprechen den Ist-Technologiekosten: Die Leistungsfähigkeit einer Technologie und die durch diese Technologie verursachten Kosten korrespondieren miteinander. Die Leistungsfähigkeit entspricht dem Grad der Beherrschung der Technologie. 3. Die Soll-Technologiekosten sind höher als die Ist-Technologiekosten: Dies bedeutet, daß das Unternehmen hinsichtlich der Erstellung bzw. Verwendung der Technologie größere Fortschritte im Vergleich zur Leistungsfähigkeit der Technologie gemacht hat.

8.4.4 Handlungsempfehlungen Aufgrund der Ergebnisse der Technologiekostenanalyse können vier verschiedene Handlungsempfehlungen formuliert werden: 1. Erhöhung der Anwendungsbreite einer Technologie: Wenn – wie im Falle von „Chip-Implantieren nach Heißklebetechnik“ – eine Technologie relativ zu anderen Technologien weniger Kosten verursacht, dann ist dies ein Hinweis, daß die Technologie im Verhältnis zur Technologieattraktivität günstig bereitgestellt werden kann. In diesem Fall sollte eine Erhöhung der Anwendungsbreite dieser Technologie angestrebt werden, um neue leistungsfähigere Produkte oder Prozesse kostengünstig herzustellen bzw. vorhandene aufzuwerten. Diese Vorgehensweise nennen wir die extensive Innovationsstrategie.

8 Technologie-Kostenanalyse

301

2. Kostenreduktion bei gegebenen Technologien: Wenn – wie im Falle von „Anwendung der Drucktechnik“ – eine Technologieart relativ zu anderen Technologien zuviel Kosten verursacht, dann sollten Maßnahmen zur Kostenreduktion eingeleitet werden. Für die Kostenseite heißt dies, die Kostenstruktur einer Technologieart nach Verbesserungsmöglichkeiten zu untersuchen. Diesen Fall nennen wir die marginale Innovationsstrategie, die im Falle der Technologieart von „Anwendung der Drucktechnik“ sicher keine großen Zukunftswirkungen haben wird, da die Kosten einer relativ unattraktiven und damit strategisch nicht so hoch zu bewertenden, zumeist aber sehr gut beherrschten Technologie nur noch mit hohem Aufwand gesenkt werden können. Für die „Chip- und Halbleitertechnologie“ macht die marginale Innovationsstrategie hingegen Sinn, da diese Technologie über einen hohen Technologieattraktivitätswert verfügt und sich der Stand des Unternehmens hinsichtlich der Beherrschung dieser Technologie im ersten Drittel der Erfahrungskurve befindet und somit noch ein enormes Rationalisierungspotential vermuten läßt. Durch gleichzeitige Kombination mit der extensiven Innovationsstrategie könnten die Technologiestückkosten aufgrund der daraus resultierenden Größendegressionseffekte noch weiter gesenkt werden. 3. Verbesserung der Technologieleistung: Die graduelle Innovationsstrategie optimiert die einzelnen Technologien, indem mögliche leistungsmäßige Verbesserungspotentiale untersucht werden. Beispielsweise kann durch die Miniaturisierung der „Chip- und Halbleitertechnologie“ (Reduzierung der Strukturbreite von der 0,8 μm auf 0,5 μm) die Stückausbeute und die Leistungfähigkeit der gewonnenen Halbleiterbausteine weiter erhöht werden. Gleichzeitig ergeben sich erhebliche kostensenkende Effekte. 4. Substitution einer Technologie: Die größte Wirkung auf die Kostenposition hat die prinzipielle Innovationsstrategie, die nicht nur die Wirkung einzelner Technologietreiber untersucht, sondern das gesamte Produkt technologisch auf ein neues Kostenniveau bringen will. Auf der technologischen Entwicklungslinie wird ein prinzipieller Effizienzsprung angestrebt. Aus der Kostenperspektive heißt dies, eine neue Erfahrungskurve zu begründen und somit eine prinzipiell andere Kostenstruktur zu erzeugen. Langfristig wird das Kostenniveau mit dieser Strategie am stärksten beeinflußt. Aus der Sicht des Innovationskostenmanagements ist daher die Strategie der prinzipiellen Innovation die weitreichendste. Die große Diskrepanz zwischen Soll- und Ist-Technologiekosten der Technologieart „Anwendung der Drucktechnik“ zeigt den Handlungsbedarf auf. Nachdem aufgrund der geringen Technologieattraktivität dieser Technologieart die oben genannten Handlungsempfehlungen nicht durchführbar sind, ist diese Technologieart prinzipiell zu hinterfragen. So zeigt sich zum Beispiel bei näherer Untersuchung der Technologieart „Anwendung der Drucktechnik“, daß es sich hier um eine analoge Drucktechnik handelt. Im Zuge weiterer Überlegungen ist nun die Frage zu stellen, inwieweit die analoge Drucktechnik durch eine digitale Drucktechnik substituiert werden könnte.

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8.4.5 Opportunitätsbetrachung des Nicht-Innovierens Zuletzt möchten wir noch auf eine Sonderauswertung der Technologiekostenanalyse eingehen: Eine notwendige Betrachtungsweise innovativer Technologien besteht im Einschätzen der Konsequenzen des Nicht-Innovierens. Anstelle der Frage „Was kostet eine Technologie?” sollte auch die Frage gestellt werden: „Was kostet mich eine potentiell relevante Technologie, wenn ich diese nicht habe?” Henry Ford stellte in diesem Sinne fest: „Wenn Sie eine Maschine benötigen und sie nicht kaufen, bezahlen Sie dafür, ohne sie zu besitzen“16. Diese Opportunitätsbetrachtung sollten insbesondere Unternehmen in Followerpositionen anstellen. Durch die Strategie, nur bewährte Technologien anzuwenden, beraubt sich ein Unternehmen letztlich der Chance zur Erlangung wettbewerbsentscheidender Kostenstrukturen. Die scheinbare Vermeidung von Risikokosten drängt ein Unternehmen nicht nur in eine Followerposition, sondern verursacht letztlich erheblich höhere Kosten. Dies kann bis hin zum Streichen des Produkts aus dem Programm führen, da die Kostendifferenz zwischen Wettbewerberprodukt und eigenem Produkt auf der alten Erfahrungskurve nicht mehr einholbar ist (vgl. Abb. 8.1). Der First ist auf der neubegründeten Erfahrungskurve durch konsequentes Vorantreiben der innovativen Technologie zu einer schwer zu schlagenden Kostenstruktur und damit zu einem überlegenen Kostenniveau gekommen. Erst durch die Begründung einer ganz neuen Erfahrungskurve wird diese Technologie wieder zur Disposition stehen. Eine Prüffrage für diese Opportunitätsbetrachtung lautet: „Welche Konsequenzen ergäben sich für die Kostenstruktur und Wettbewerbsposition, wenn alle Technologien eines Produktes hochattraktiv wären?“ Solange neue innovative Technologien nicht in Sicht sind und die alte Erfahrungskurve weiterhin gilt, kann eine zweite Opportunitätsbetrachtung im Sinne der Bestkostenrechnung17 angestellt werden: „Welche Konsequenzen ergäben sich für die Kostenstruktur und damit für die Wettbewerbsposition, wenn die Technologien eines Produktes alle zu optimalen Kosten bereitgestellt werden könnten?”

8.5 Anwendungsnutzen der Technologiekostenanalyse Mit der Technologiekostenanalyse steht dem Management ein Instrument zur Verfügung, das die Entwicklung und Anwendung technologischer Innovationen von Anfang an auch von der Kostenseite her begleiten kann. Sie ist damit eine Ergänzung bestehender Konzepte, wie der entwicklungs- und konstruktionsbegleitenden Kalkulation, der Projektkostenrechnung und des Target Costing. Kombiniert mit dem Target Costing entsteht sogar die Möglichkeit, neben der Marktorientierung auch die Ressourcenorientierung in das strategische Kostenmanagement miteinzubrin-

16 17

Schmitz/Pelzer (1995), S. B9. Vgl. Vormbaum, H. (1966), S. 44 f.

8 Technologie-Kostenanalyse

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gen. Damit kann eine Unternehmung die für eine Innovation notwendige Bedingung – Übereinstimmung von Bedarf und Potential – methodisch begleiten. Die radikale Veränderung des Kostenniveaus und der Kostenstruktur bei einem Übergang auf eine neue Technologie kann mit der Technologiekostenanalyse frühzeitig eingeschätzt werden. Daneben ergeben sich Handlungsempfehlungen zur wirkungsvollen Entwicklung von Technikstrategien bei gleichzeitiger Beachtung von Kostenwirkungen. Die aus dem Technologiemanagement stammende Größe Technologieattraktivität wird dazu verwendet, um Soll-Kosten einer Technologie abzuleiten, die ihren zukünftigen Leistungspotentialen entsprechen. Damit besteht ein aus dem technologischen Potential abgeleiteter Maßstab, um die Kosten von Produkten und Prozessen zu beurteilen. Ausgehend davon kann nun die Substitution, die breitere Nutzung oder die konsequente Leistungssteigerung bzw. Kostensenkung einer Technologie angestrebt werden.

Literaturverzeichnis Foster, R. N. (1986): Innovation. Die technologische Offensive, Wiesbaden 1986. Hamel, G.; Prahalad, C. K. (1994): Competing for the Future, Boston, Mass. 1994. Hartmann, M. (1997): Technologie-Bilanzierung. Instrument einer zukunftsorientierten Unternehmensbeurteilung, Göttingen 1997. Lender, F.; Hartmann, M. (1997): Chipkartenunternehmen im Umbruch, in: Card-Forum 3/1997. Männel, W. (1997): Entwicklungsperspektiven der Kostenrechnung, 3., erweiterte Auflage, Lauf an der Pegnitz 1997. Männel, W. (1995): Ziele und Aufgabenfelder des Kostenmanagements, in: Reichmann, T. (Hrsg.): Handbuch Kosten- und Erfolgs-Controlling, München 1995, S. 25–45. Pampel, J. R. (1996): Ressourcenorientierung für das Kostenmanagement, in: Kostenrechnungspraxis, 40. Jg. (1996), Heft 6, S. 321–330. Pfeiffer, W. (1980): Innovationsmanagement als Know-How-Management, in: Hahn, D. (Hrsg.), Führungsprobleme industrieller Unternehmungen. Friedrich Thomée zum 60. Geburtstag, Berlin, New York 1980. Pfeiffer, W.; Metze, G.; Schneider, W.; Amler, R. (1991): Technologie-Portfolio zum Management strategischer Zukunftsgeschäftsfelder, 6. Auflage, Göttingen 1991. Schmitz, W.; Pelzer, W. (1995): Die Potentiale neuer Technologien frühzeitig erkennen und nutzen, in: Handelsblatt v. 16.8.1995, S. B9. Shank, J. K. (1997): Cost Driver Analysis: One Key to Effective Cost Management, in: Franz, K.-P.; Kajüter, P. (Hrsg.): Kostenmanagement: Wettbewerbsvorteile durch systematische Kostensteuerung, Stuttgart 1997, S. 45–57. Tichy, N. M.; Sherman, S. (1993): Control your destiny or someone else will, New York 1993. Vormbaum, H. (1966): Kalkulationsarten und Kalkulationsverfahren, Stuttgart 1966. Wyk, R. J. v. (1985): The Notion of Technological Limits. An aid to technological forecasting, in: Futures June 1985, S. 214–223.

Kapitel 9

Technologie-Bilanzierung Matthias Hartmann

9.1 Einführung in die Technologie-Bilanzierung Konventionelle Gutachten einer Unternehmensbeurteilung stützen sich sehr stark auf Kennzahlen des Rechnungswesens und letztlich auf eine Extrapolation von Daten vergangenheitsorientierter Bilanzanalysen oder auf eine Schätzung zukünftiger Erträge (Ertragswertverfahren) bzw. Cash-Flows (Discounted Cash-Flow Verfahren). Es fehlen dagegen fundierte Aussagen über das technologische Potential, das zentral für die Beurteilung der Nachhaltigkeit von Umsatz- und Rentabilitätsentwicklungen in der Zukunft ist. Diese Lücke kann durch eine zur konventionellen Beurteilung komplementäre Technologie-Beurteilung geschlossen werden. Durch die Einführung einer technologischen Perspektive zusätzlich zur finanziellen Perspektive läßt sich ein zweidimensionales Technologie-Finanz-Portfolio mit den Dimensionen Technologie- und Finanz-Attraktivität bilden, das wesentliche Unterscheidungen bei einer Unternehmensbeurteilung zulässt. Die Beurteilung der technologischen Attraktivität eines Unternehmens erfolgt durch eine zur Handelsbilanz komplementäre Technologiebilanz, in der das technologische Potential eines Unternehmens abgebildet und bewertet wird. Es entsteht ein zukunftsorientierter, hoch aggregierter Gesamtüberblick zur technologischen Lage. Wie die Handelsbilanz ist die Technologiebilanz auch als System von sachlogisch strukturierten Kennzahlen aufzufassen, die Aktiv- und Passivposten miteinander rechentechnisch verknüpft. Sie wird nach bestimmten Grundsätzen erstellt und bietet ebenfalls eine Reihe von Bilanzanalysemöglichkeiten. Am Beispiel eines Unternehmens aus der Chipkartenbranche wird der Prozess einer technologischen Unternehmensbeurteilung veranschaulicht. Abschließend werden technologische und finanzielle Beurteilung zu einer Gesamtbeurteilung zusammengefaßt.

W. Schmeisser, H. Mohnkopf, M. Hartmann, G. Metze (Hrsg.), Innovationserfolgsrechnung DOI: 10.1007/978-3-540-78249-0, © Springer 2008

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M. Hartmann

9.2 Notwendigkeit technologischer Unternehmensbeurteilung 9.2.1 Problemstellung: Bewertungsdefizite finanzorientierter Kennzahlen Bewertungsgutachten von Due Diligence-Teams, Banken, Revisoren, Rating-Agenturen und letztlich auch der Unternehmen selbst stützen sich wesentlich auf Kennzahlen des Rechnungswesens und letztlich auf eine Extrapolation von Daten vergangenheitsorientierter Bilanzanalysen oder auf eine Schätzung zukünftiger Erträge (Ertragswertverfahren) bzw. Cash-Flows (Discounted Cash-Flow Verfahren).1 Zwar können solche finanzorientierte Kennzahlensysteme in Märkten mit langsamen technologischen Änderungen vielfach noch rechtzeitig (Warn-) Signale geben. In Märkten mit schnellem technologischen Wandel und zugleich einem überlagernden hohen Volumenwachstum sind Finanzkennzahlen zumindest als sehr problematisch einzustufen. Durch die starken Wachstumsraten in technologieintensiven Branchen verändern sich häufig die konventionellen kaufmännischen Kennzahlen zum Besseren, und die Volumenzunahme des Marktes läßt den radikalen technologischen Wandel weniger wettbewerbsentscheidend erscheinen. Bleibt man allerdings bei diesen rein monetären Kennzahlen, werden die notwendigen Technologieveränderungen, die ein Unternehmen aktiv steuern muß, häufig nicht rechtzeitig erkannt.2 Es fehlen letztlich fundierte Aussagen über das technologische Potential, das in hochdynamischen Branchen geradezu zentral für die Beurteilung der Nachhaltigkeit von Umsatz-, Cash Flow- und Rentabilitätsentwicklungen in der Zukunft ist.3

9.2.2 Ziel: Strukturierte Erfassung und Bewertung von Technologien

Eine Unternehmensbeurteilung sollte daher auch das technologische Potential erfassen können, d. h. in der Lage sein, Technologien einerseits zu erfassen und zu listen, und andererseits auch zu bewerten. Dabei erscheint gerade für TechnologieEntscheidungen des Managements eine wie die Handelsbilanz ebenso etablierte und strukturierte Bilanzkonzeption durchaus sinnvoll, um das technologische Geschäft im Sinne einer zeitpunktbezogenen Bestandsrechnung abbilden und bewerten 1

Vgl. Klein/Jonas (1998) sowie Drukarczyk (1996, insb. S. 87 ff.). „Die Kennzahlen, die jene alten Rechnungssysteme auswerfen, sind häufig nicht hilfreich, wenn in neue Technologien und Märkte investiert werden muß, um auf den Weltmärkten bestehen zu können.“ Eccles (1991, S. 15). 3 Vgl. zu typischen Fragen einer strategischen Unternehmenspositionierung in Technologiemärkten Gaynor (1996, insb. Chapter 33.12 ff.). 2

9 Technologie-Bilanzierung

307

zu können. Bislang haben Instrumente zur Technologiebewertung im übertragenen Sinne vielfach den Charakter von Sonderrechnungen. In den vergangenen Jahren wurde diesbezüglich eine Reihe von strategischen Instrumenten zur Technologiebewertung entwickelt wie zum Beispiel das Technologie-Portfolio (Pfeiffer et al., 1991), das Technologie-Markt-Portfolio (Specht/Beckmann, 1996, S. 95–101) und der Technologie-Kalender (Wildemann, 1993, S. 564–604 sowie Eversheim et al., 1996).4 Solchen Instrumenten ist jedoch gemein, daß eine Inventur der verfügbaren und eingesetzten Technologien primär nicht angestrebt wird. Aus einer solchen Technologie-Inventur kann dann – in Analogie zur Handelsbilanz – eine Bilanz der Technologien, eine Technologiebilanz (Hartmann, 1997), generiert werden.

9.2.3 Unternehmensbeurteilung an einem Praxisbeispiel aus der Chipkartenindustrie

In den folgenden Abschnitten zeigt der Verfasser am Beispiel eines Unternehmens aus der Chipkartenindustrie, wie eine technologische Unternehmensbeurteilung komplementär zu einer finanzorientierten Beurteilung erfolgen kann. Dieses Beispiel wurde gewählt, da die Chipkartenindustrie den oben genannten Rahmenbedingungen eines enormen technologischen Wandels bei gleichzeitig hohem Volumenwachstum entspricht.5 Auch in Deutschland ist ein rasantes Wachstum zu verzeichnen, da Chipkarten mit der abgeschlossenen Einführung der Krankenversichertenkarte in jedem Haushalt Einzug gehalten haben. Die zur Zeit erfolgende Integration der Geldkarte (electronic purse) in die Euroscheckkarte wird das Bild erneut grundlegend ändern. Allein die Mengen beim Projekt Krankenversichertenkarten mit ca. 80 Mio. Chipkarten oder dem Projekt Geldkarte mit ca. 35 Mio. Chipkarten werden eine höhere Anwendungsbreite und damit einen höheren Bekanntheitsgrad nach sich ziehen. In Kürze wird damit nahezu jeder Haushalt in Besitz einer oder mehrerer Chipkarten sein. Neben diesen gravierenden marktlichen Veränderungen kommt es gleichzeitig zu einem enormen technologischen Wandel. Insbesondere durch die oben angesprochenen Beispiele wird ein Technologiesprung von Memory-Bausteinen (Speicherchipkarten wie Telefonkarten, Krankenversichertenkarte) hin zu großen MikroProzessorbausteinen (Prozessorchipkarte wie Geldkarte, electronic cash/electronic purse; Multifunktionale Prozessorkarten etc.) erforderlich. Ebenso steigen die Anforderungen von der Anwenderseite an Chipkartenhersteller: Letztendlich soll jede Chipkarte von der Funktionalität her ein Unikat werden.

4 5

Vgl. zu weiteren Instrumenten Pfeiffer/ Weiß (1995). Vgl. ausführlich zur Entwicklung von Technologie und Markt der Chipkarten Lender (1997).

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9.3 Technologie-Beurteilung komplementär zur Finanz-Bewertung Bevor auf den konkreten Ablauf einer technologischen Unternehmensbeurteilung eingegangen wird, soll in diesem Abschnitt 9.3.1 die Zweckmäßigkeit einer Technologiebeurteilung, 9.3.2 die Meßbarkeit von Technologien und 9.3.3 die Technologiebilanz als Instrument einer technologischen Unternehmensbeurteilung abgehandelt werden.

9.3.1 Perspektivenerweiterung durch das Technologie-Finanz-Portfolio Eine technologische Unternehmensbeurteilung kann nur komplementär zu einer finanzorientierte Unternehmensbeurteilung gesehen werden. Beide bedingen sich und stehen in Abhängigkeit zueinander. Mit Hilfe eines sogenannten TechnologieFinanz-Portfolios (vgl. Abb. 9.1) kann die gegenseitige Abhängigkeit von Technologie- und Finanzperspektive verdeutlicht werden. Eine erste Aussage dieses Portfolios ist, daß bei Einnahme einer rein finanzorientierte Perspektive nur eine Einstufung des Unternehmens auf der horizontalen Achse (Finanz-Attraktivität) vorgenommen werden kann. Nur durch eine zusätzliche Betrachtung von Technologiekennzahlen kann eine Unterscheidung in Zukunftsunternehmen und Krisenunternehmen bzw. von kerngesunden und substanzverzehrenden Unternehmen erfolgen. Die Bilanzkennzahlen eines jungen zukunftsorien-

Abb. 9.1 Technologie-Finanz-Portfolio

9 Technologie-Bilanzierung

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tierten Technologie-Unternehmens können den Zahlen eines Krisen-Unternehmens ähneln. Die Eigenkapitalausstattung mag in beiden Fällen gering sein. Die Nachfrage nach den Produkten ist im Fall des jungen Technologie-Unternehmens noch nicht und im Fall des Krisen-Unternehmens nicht mehr zu erkennen. Wird die Technologieperspektive mit einbezogen, so zeigen sich allerdings völlig unterschiedliche Zukunftsperspektiven. Das junge Technologie-Unternehmen kann durch die Umsetzung technologischer Innovationen neue Marktsegmente erschließen. Das KrisenUnternehmen steht im Extremfall nur noch vor dem endgültigen Abreißen der Nachfrage nach seinen veralteten Produkten. Das Potential für Neuentwicklungen ist nicht (mehr) vorhanden. Ebenso können sich die Zahlen eines kerngesunden Unternehmens und eines substanzverzehrenden Unternehmens ähneln. Die Bilanzen beider Unternehmen sind grundsätzlich in Ordnung. Bei einer zusätzlichen Betrachtung der Technologie-Attraktivität sind jedoch gänzlich unterschiedliche Zukunftsperspektiven zu erkennen, denn: „Das technologisch gefährdete Unternehmen zeigt seine Schwindsucht hingegen nur in einem längerfristigen Zeitvergleich und – wenn das möglich ist – in einem Betriebsvergleich mit technologisch oder marktmäßig vergleichbaren Unternehmen. (...) Dieser Krisentyp ist bilanzanalytisch sehr viel schwieriger zu identifizieren.“6 Die zweite Aussage des Technologie-Finanz-Portfolios ist, daß analog zum ersten Fall bei der Einnahme einer rein technologieorientierten Perspektive ohne das Hinzuziehen von Finanzkennzahlen nur eine Einstufung des Unternehmens auf der vertikalen Achse (Technologie-Attraktivität) möglich ist. Die Unterscheidung von zukunftsorientierten und kerngesunden Unternehmen ist rein aus der Beurteilung der Technologie-Attraktivität nur schwer möglich. In beiden Fällen beeindrucken die technischen Zukunftsperspektiven. Erst durch die Analyse von Bilanzkennzahlen zeigt sich die gefährlich magere finanzielle Basis des Zukunftsunternehmens.7 Durch die ergänzende technologische Perspektive wird auch eine Unterscheidung zwischen substanzverzehrenden und Krisenunternehmen erleichtert.

9.3.2 Meßbarkeit der Technologie-Attraktivität eines Unternehmens Will man nun das als Beispiel angeführte Chipkartenunternehmen im obigen Technologie-Finanz-Portfolio einordnen, muß neben der Frage der Finanz-Attraktivität die Frage nach der Technologie-Attraktivität des Unternehmens beantwortet werden. Technologie-Attraktivität ist dabei auf Unternehmensebene definiert als die Summe aller technisch-wirtschaftlichen Vorteile, die sich aus dem Weiterentwicklungspotential eines Technologieunternehmens ergeben.8 6

Hauschildt (1988, S. 14); (Ohne Hervorhebung im Original). Vgl. zur Problematik einer Bewertung junger Technologieunternehmen Peemöller/Seeberger/ Keller (1997). 8 Vgl. Pfeiffer/Weiß (1995, insb. S. 672 ff.). 7

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Die Beurteilung der Gesamtheit des technologischen Potentials eines Unternehmens bedingt einerseits, alle Technologien eines Unternehmens zu erfassen und zu listen, und andererseits deren Weiterentwicklungspotential zu bewerten. In dieser Vorgehensweise zeigt sich eine interessante Parallele zur konventionellen Bilanztheorie, die nach Lehmann (1955) einteilbar ist in eine formelle und eine materielle Bilanztheorie.9 Formelle Bilanztheorie beschäftigt sich mit der Strukturierung der Bilanzinhalte, und materielle Bilanztheorie beschäftigt sich mit der Bewertung der Bilanzinhalte. Wenn nun Bilanzinhalt als die Gesamtheit aller Technologien10 verstanden wird, so können für eine Unternehmensbeurteilung die Prinzipien der konventionellen Bilanztheorie übertragen werden auf eine sogenannte Technologiebilanz. Formell stellt sich die Frage nach der Struktur einer Technologiebilanz, und materiell stellt sich die Frage nach deren Bewertung. Inhalt einer Technologiebilanz sind die Technologien eines Unternehmens, die analog zur konventionellen Handelsbilanz mittels einer Inventur erfaßt, strukturiert bilanziert sowie bewertet werden.11 Als Ergebnis entsteht ein zukunftsorientierter, hochaggregierter Gesamtüberblick zur technologischen Lage eines Unternehmens.

9.3.3 Technologiebilanz zur Beurteilung technologischer Unternehmensattraktivität Der Grundaufbau einer Technologiebilanz12 ist analog zu dem der Handelsbilanz (vgl. Abb. 9.2). Die Aktivseite einer Technologiebilanz zeigt die Verwendung von Technologien, während die Passivseite über deren Herkunft Aufschlüsse gibt. Die Technologien auf der Passivseite werden als Ressourcen verstanden, aus deren Kombination die Produkte oder Prozesse auf der Aktivseite entstehen. Der Zusammenhang von Aktiv- und Passivseite besteht darin, daß die auf der Aktivseite bilanzierten Produkte und Prozesse auf der Passivseite als funktional-abstrakte Lösungsprinzipien dargestellt sind.13 Die Anwendung der bekannten Bilanzarchitektur auf technologische Fragestellungen ermöglicht eine strukturierte Abbildung der technologischen Lage eines Unternehmens in einem vertrauten Ordnungssystem. Während sich die Handelsbilanz auf der Aktivseite nach § 266 HGB in Anlageund Umlaufvermögen gliedert, stehen bei der Technologiebilanz hier die technologischen Prozesse und Produkte. Unter dem Begriff Prozesse werden Fertigungs- und 9

Vgl. Lehmann (1955, S. 538). Technologie ist im Sinne dieses Beitrags eine Explikation von Know-how für funktionalabstrakte Lösungsprinzipien. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zum strukturellen Know-how über technische Systeme, das durch Auflösung von Stücklisten bzw. Komponentenanalyse identifiziert werden kann. Vgl. auch Binder/Kantowsky (1996, S. 87 ff.). 11 Vgl. Hartmann (1997, S. 24–29 sowie in Analogie für die Technologiebilanz S. 155). 12 Vgl. zum strukturellen Aufbau einer Technologiebilanz Hartmann (1997, S. 155 ff.). 13 „Eine funktional-abstrakte Kennzeichnung geht von einer abstrakten Beschreibung der durch eine Problemlösung zu erfüllenden Aufgabe aus.“ Lender (1991, S. 15 Fn. 12). 10

9 Technologie-Bilanzierung

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Abb. 9.2 Analogie von Handelsbilanz und Technologiebilanz14

Verfahrenstechnologien verstanden. Es besteht also eine Analogie zwischen beiden Bilanzen, da die Maschinen, die die Prozeßtechnologien enthalten, sowohl in der Handels- als auch in der Technologiebilanz auf der Aktivseite unter Punkt A. bilanziert werden. Die Produkte werden entweder als Fertigfabrikate oder in der Technologiebilanz als Produkttechnologien jeweils unter Punkt B. dargestellt. Die Aktivseite der Technologiebilanz ist auf der zweiten Gliederungsebene nach den verschiedenen Technologie-Lebenszyklusphasen gegliedert. Je nachdem, in welchem Stadium sich eine Technologie befindet, wird sie in die Beobachtungsphase, die Entstehungsphase, die Marktphase oder die Entsorgungsphase eingebucht. Das Denken in einem solchen integrierten Technologie-Lebenszyklus ist Voraussetzung jeglicher strategischer Technologiebeurteilung. Der Erkenntniswert dieser Betrachtungsweise liegt in der Berücksichtigung der prinzipiellen Entwicklungsdynamik von Technologien. Denn obwohl der Marktzyklus den aktuellen Erfolg erfaßt, ist er nichts weiter als eine Momentaufnahme.15 Entscheidend für den zukünftigen Erfolg ist aber die Einschätzung des prinzipiellen Richtungsverlaufs neuer Technologien, die sich im Beobachtungs- und dem Entstehungszyklus befinden. Ebenso will die Entsorgung alter Technologien bzw. der Technologieübergang von einer alten auf eine neue Technologie vorbereitet sein. Die Passivseite der Handelsbilanz ist in Eigen- und Fremdkapital, die Technologiebilanz in Eigen- und Fremdtechnologien eingeteilt. Die Passivseite zeigt mithin die Herkunft der Technologien, je nachdem, ob es sich um Eigen- oder Fremdentwicklungen handelt. Das Wissen bzw. das Know-how bezüglich einer Tech-

14

In der Handelsbilanz ist der Jahresüberschuß/-fehlbetrag nicht dem Eigenkapital zugeordnet, um die Analogie zwischen Handels- und Technologiebilanz zu verdeutlichen. 15 Vgl. zur Gefährlichkeit eines Denkens in Markzyklen sowie den Grundlagen eines Denkens in Integrierten Lebenszyklen Pfeiffer et al. (1991, S. 22 ff.).

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nologie kann also in Analogie zur Handelsbilanz als Kapital eines Unternehmens bezeichnet werden. Die Passivseite ist auf der zweiten Gliederungsebene nach der Verfügbarkeit des Wissens über eine Technologie untergliedert. Dabei gibt es vier grundsätzliche Wissens-Komponenten: Gesetzeswissen, Beobachtungswissen, Fertigkeitswissen und Systemprinzip-Wissen. Gesetzeswissen spiegelt den einer Technologie zugrundeliegenden theoretisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnisstand wider. Beobachtungswissen bedeutet Kenntnisse über Ursache-Wirkungsbeziehungen einer Technologie zu haben, jedoch nicht über die zugrundeliegenden Theorien. Fertigkeitswissen bedeutet letztlich technisches Können im Sinne der Bedienfähigkeit von z. B. Maschinen. Vermag ein Unternehmen die drei vorgenannten WissensKomponenten kombiniert und lösungsbezogen einzusetzen, so verfügt das Unternehmen über Systemprinzip-Wissen.16 Die formelle Strukturierung der Passivseite ermöglicht letztlich ein indirektes Messen von Wissen bzw. Know-how. Die Schwierigkeiten einer materiellen Beurteilung werden damit umgangen. Gleichzeitig wird das Wissenskapital für eine Gesamtbeurteilung operabel aufbereitet. Die konzeptionelle Unterscheidung von Lehmann (1955) in eine formelle und eine materielle Bilanztheorie läßt sich mithin auch für die Technologiebilanz fruchtbar anwenden.

9.4 Erstellung einer Technologie-Bilanz Eine Technologie-Bilanz entsteht – analog zur Handelsbilanz – aus 1. einer Inventur verfügbarer und eingesetzter Technologien. Im 2. Schritt erfolgt die Bewertung, um abschließend 3. den Technologieüberschuß/-fehlbetrag zu errechnen (vgl. Abb. 9.3).

9.4.1 Inventur Ausgangspunkt einer Technologiebilanz ist wie bei der Handelsbilanz die Inventur. Eine Technologie-Inventur durchzuführen, heißt alle in einem Unternehmen verfügbaren und eingesetzten Technologien strukturiert zu erfassen. Als Methode bietet sich hier eine Technologische Analyse nach Pfeiffer/Metze (1989) an. Hierbei werden die technologischen Strukturen konkreter Güter, d. h. von Prozessen, Produkten und Komponenten, untersucht. „In der Regel sind diese Güter eine Kombination verschiedener Einzeltechnologien. Dies bedeutet umgekehrt auch, daß sich unter16

Pfeiffer (1980, S. 433) definiert Systemprinzip-Wissen wie folgt: „In der Praxis spricht man auch je nach Reifegrad von Konstruktion, Konstruktionsidee, konstruktivem Prinzip oder Erfindungsprinzip sowie von Rezepturen. In der Regel schafft erst die Konzipierung des Systemprinzips die Voraussetung, daß ganz bestimmte Informationen aus einer Vielzahl von theoretisch und praktisch in Frage kommenden herausgehoben, d. h. in ihrer spezifischen Lösungsrelevanz erkannt werden.“ Vgl. zu den anderen Wissenskomponenten ebenda, S. 426 ff.

9 Technologie-Bilanzierung

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Abb. 9.3 Ablauf der Technologie-Bilanzierung

schiedliche Güter auf solche ihnen immanente gleiche Einzeltechnologien zurückführen lassen, wobei unter Einzeltechnologien nicht mehr weiter untergliederbare Funktionsteile, die aber voneinander charakteristisch abgrenzbar sind, verstanden werden sollen. Mit anderen Worten heißt dies zum einen, daß die unterschiedlichsten Güter gemeinsame technologische Wurzeln haben können, und zum anderen, daß eine bestimmte verfügbare Technologie in unterschiedlichen Anwendungsfeldern eingesetzt werden kann.“17 Das als Beispiel verwendete Chipkartenunternehmen verfügt unter anderem über das folgende Gut, nämlich die Prozeßtechnologie „Interaktive Codierung der Chips“, die eine entscheidende Rolle für die zukünftigen Marktvolumina von Chipkarten haben wird.18 Um diesen komplexen Prozeß „Interaktive Codierung der Chips“ auf der Aktivseite der Technologiebilanz als technologisches Gut abbilden und später auch bewerten zu können, wird nach den in diesem Prozeß inkorporierten einzelnen Technologiearten gefragt. Diese Technologiearten sind auf der Passivseite der Technologiebilanz aufzuführen. Als die wesentlichen Technologiearten wären hier zu nennen: 1. 2. 3. 4. 5.

17

„Chip- und Halbleitertechnologie“ „Softwaretechnologie für Betriebssysteme“ „Anwendung der Kryptotechnologie“ „Verschlüsselungsalgorythmen“ „Pflichtenheft für Maschinen zur interaktiven Softwarecodierung“

Vgl. Pfeiffer/Metze (1989, Sp. 2004); insbesondere auch Betz (1996). Von der technischen Funktionalität her sei angemerkt, daß die Codierung der Chipkarte nicht wie bei den bisher häufig geläufigen Speicherchipkarten nur eine reine Informationsspeicherung ist. Es handelt sich vielmehr um einen interaktiven Prozeß mit gegenseitigem Informationsaustausch zwischen dem Chip auf der Chipkarte und der externen Programmiereinheit, wobei zusätzlich noch individuell in verschiedene Unterprogramme bei der Codierung verzweigt werden muß. Vgl. Lender/Hartmann (1997, S. 43).

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6. „Personalisierungsmaschinen für Chipcodierung“ 7. „Softwarecodierung interaktiv“ Mit Hilfe einer solchen Technologieanalyse wird ersichtlich, daß sieben Technologien notwendig sind, um den auf der Aktivseite bilanzierten Prozeß „Interaktive Codierung der Chips“ funktionsfähig zu gestalten.19 Von diesen sieben auf der Passivseite bilanzierten Technologiearten sind bei näherer Analyse drei Technologiearten sogenannte Eigentechnologien: „Pflichtenheft für Maschinen zur interaktiven Softwarecodierung“, „Softwarecodierung interaktiv“ und „Anwendung der Kryptotechnologie“. Zum Prozeß „Interaktive Codierung der Chips“ sind weiterhin die vier Fremdtechnologien „Verschlüsselungsalgorythmen“, „Chip- und Halbleitertechnologie“, „Softwaretechnologie für Betriebssysteme“ und „Personalisierungsmaschinen für Chipcodierung“ notwendig. In diesem für den Prozeß „Interaktive Codierung der Chips“ hier beispielhaft vorgetragenen Vorgehen werden letztlich alle im Unternehmen vorhandenen Prozesse und Produkte auf ihre inkorporierten Technologiearten hin analysiert und in die Bilanz eingestellt.

9.4.2 Bewertung Nach der strukturierten Listung der im Unternehmen vorhandenen Produkte und Prozesse auf der Aktivseite sowie der inkorporierten Technologiearten (Fremdoder Eigentechnologien) auf der Passivseite erfolgt die technologische Bewertung der Bilanzpositionen. Zur Bewertung der Bilanzpositionen wird der am Lehrstuhl für Industriebetriebslehre, Prof. Dr. Werner Pfeiffer, Universität ErlangenNürnberg, konzipierte Indikator Technologieattraktivität herangezogen, der weiter oben schon erwähnt wurde. Technologieattraktivität ist definiert als die Summe aller technisch-wirtschaftlichen Vorteile, die sich aus dem Weiterentwicklungspotential einer Technologie bzw. – auf aggregierter Systemebene – eines Technologieunternehmens ergeben.20 Das Weiterentwicklungspotential bezieht sich dabei auf noch erzielbare Leistungssteigerungen einer Technologie sowie das Ausschöpfen des verbliebenen Kostensenkungspotentials.21 Die Bewertung der Technologieattraktivität orientiert sich an einer Einteilung in Schrittmacher-, Schlüssel- und Basistechnologien.22 Eine Schrittmachertechnologie zeichnet sich durch ein frühes Entwicklungsstadium aus, in dem ein großes Wettbewerbspotential mit gravierenden Auswirkungen auf die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit erkennbar wird. 19

Vgl. ausführlich Lender/Hartmann (1997). Vgl. Pfeiffer/Weiß (1995, insb. S. 672 ff.). Vgl. Grupp (1997, und insb. S. 396 f.) zu den Problemen der Messung und Erklärung des technischen Fortschritts. Vgl. ebenso Pfeiffer (1971) zur Allgemeinen Theorie der technischen Entwicklung. 21 Vgl. zur Kostendynamik innovativer Technologien Hartmann/Mild/Sasse (1997). 22 Neben dieser komparativen Meßstruktur können auch andere Indikatorstrukturen verwendet werden. Vgl. dazu ausführlich Pfeiffer/Weiß (1995) sowie Hartmann (1997, S. 164 ff.). 20

9 Technologie-Bilanzierung

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Die betreffende Technologie wird nur von einem First bzw. sehr wenigen Wettbewerbern beherrscht. Eine Schlüsseltechnologie hat einen deutlich erkennbaren Einfluß auf die Wettbewerbsfähigkeit, wird allerdings noch von wenigen Wettbewerbern beherrscht, aber bereits deutlich öfter in Produkten und Prozessen angewendet. Eine Basistechnologie hat nur noch eine geringe Ertrags- und Kostenhebelwirkung, wird von nahezu allen Wettbewerbern beherrscht, ist in den meisten Produkten und Prozessen integriert, ihr potentielles Anwendungsspektrum ist nahezu ausgeschöpft. In der Konzeption der Technologiebilanz wird einer Schrittmachertechnologie der Wert 3 (sehr attraktiv), einer Schlüsseltechnologie der Wert 2 (durchschnittlich attraktiv) und einer Basistechnologie der Wert 1 (weniger attraktiv) zugewiesen. Die darüberhinaus möglichen Werte 0 und 4 zeigen Extreme an (vgl. Abb. 9.4). Jede einzelne für unser obiges Beispiel herausgearbeitete Technologieart auf der Passivseite ist nun von Technologieexperten mit Werten zwischen 0 und 4 zu versehen. Da bei der Auswahl eines Beispiels aus einem Chipkartenunternehmen das Augenmerk speziell auf einen neuen und hochkomplexen Prozeß auf der Aktivseite gelegt wurde, wird es auch nicht verwundern, daß die hierin inkorporierten Technologiearten auf der Passivseite relativ hohe Bewertungszahlen erhalten. Der in der abgebildeten Technologiebilanz für ein Chipkartenunternehmen auf der Technologie-Verwendungsseite bilanzierte Prozeß „Interaktive Codierung der Chips“ (A. II.) besteht beispielsweise aus sieben auf der Passivseite bilanzierten Technologiearten, die je nach ihrer Attraktivität mit 0, 1, 2, 3 oder 4 bewertet sein

Abb. 9.4 Technologie-Attraktivitäts-Bewertung mit Schrittmacher-, Schlüssel- und Basistechnologie

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können. Die Summe dieser sieben Technologiearten ergibt den Wert 24 für den Prozeß „Interaktive Codierung der Chips“ (vgl. Abb. 9.5).23 Nach diesem Schema werden alle Produkte und Prozesse auf ihre inkorporierten Technologiearten untersucht.

9.4.3 Ermittlung des Technologieüberschusses/-fehlbetrags Sind alle Technologien, Produkte und Prozesse systematisch erfaßt und bewertet, ergibt sich eine Technologiebilanz (vgl. Abb. 9.6). Der Technologieüberschuß mit einem Wert von 98 zeigt an, daß das Unternehmen seine Technologien effizient in einer Vielzahl von Produkten und Prozessen anwendet. Ein Fehlbetrag würde bedeuten, daß zwar viele Technologien verfügbar sind (Passivseite), allerdings im Verhältnis dazu zu wenige dieser Technologien in Produkte und Prozesse umgesetzt worden sind (Aktivseite). Das Unternehmen hätte sich technologisch ineffizient verhalten, was sich zukünftig in niedrigen Umsätzen aufgrund fehlender bzw. veralteter Produkte bei zu hohen FuE-Aufwendungen äußern könnte.24

Abb. 9.5 Inventur und Bewertung der Positionen einer Technologie-Bilanz

23

Die hier gegebene verdeckte Gewichtung kann jederzeit durch (erklärungsbedürftige) Gewichtungsfaktoren der einzelnen Technologien ersetzt werden. Vgl. Hartmann (1997, S. 188 und S. 193). 24 Zu einer ähnlichen Kennzahl Technologischer Gewinn, die sich allerdings nicht aus einer Bilanz herleitet vgl. Iansiti/West (1997, S. 53).

9 Technologie-Bilanzierung

Abb. 9.6 Technologie-Bilanz für ein Chipkartenunternehmen

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9.5 Kennzahlenanalyse einer Technologiebilanz Anhand der vollständigen erstellten Technologiebilanz läßt sich nun eine Kennzahlenanalyse vornehmen. Im Anschluß an die 1. statische und 2. dynamische Kennzahlenanalyse erfolgt ein 3. technologisches Rating des Gesamtunternehmens.

9.5.1 Statische Kennzahlenanalyse Eine einzelne Technologiebilanz als zeitpunktbezogene Bestandsrechnung erlaubt bereits die Beantwortung einer Vielzahl von Fragen durch eine statische Kennzahlenanalyse. Im folgenden seien einige ausgewählte Fragen behandelt, die im Rahmen einer technologischen Unternehmensbeurteilung die Regel sind. Folgende Abbildung zeigt, wie die Antworten mittels Kennzahlenbildung aus einer Technologiebilanz abgeleitet werden können (vgl. Abb. 9.7). (1) Eine erste Frage lautet: Besitzt ein Unternehmen attraktive Technologien, mit denen langfristig das Ergebnis gesichert werden kann? Zur Beantwortung dieser Frage wird die Technologie-Attraktivität (TA) der auf der Passivseite bilanzierten Technologien analysiert. Es zeigt sich folgendes Bild: • Fünf Technologien sind mit einer TA = 4, • acht Technologien sind mit einer TA = 3, • zehn Technologien sind mit einer TA = 2,

Abb. 9.7 Technologie-Bilanz mit abgeleiteten Kennzahlen

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• acht Technologien sind mit einer TA = 1 und • vier T echnologien sind mit einer TA = 0 bewertet. Damit sind 13 hoch-, 10 mittel und 12 niedrigwertige Technologien in der Bilanz zu verzeichnen. In Kenntnis der Branchensituation zeigt sich eine Tendenz zu anspruchvollen Technologien bei vergleichsweiser hoher Anzahl eingesetzter Technologien. Das Unternehmen arbeitet somit aktiv an einer Reihe von Zukunftstechnologien. (2) Eine zweite Frage lautet: Wie erfolgreich kann ein Unternehmen sein Knowhow in marktfähige Produkte und Prozesse umsetzen? Eine Antwort kann die Kennzahl Technologische Rentabilität liefern, die Aktiv- und Passivseite miteinander in Relation stellt. Die technologische Rentabilität ergibt sich durch die Addition von Prozeß- und Produktwerten (Technologie-Verwendungsseite Positionen A. und B.) und dem Teilen dieser Summe durch die alle Technologiewerte der Passivseite (Technologie-Herkunftsseite Positionen A. und B.) und ist ein Maß für die ökonomische Anwendung von Technologien in Produkten und Prozessen. Es ergibt sich (70 + 100) : 72 ≈ 2, 4; der Faktor 2,4 zeigt die Fähigkeit zur Umsetzung von Technologien. Damit kann eine relativ gute Anwendung der eingesetzten Technologien in Produkten und Prozessen konstatiert werden. Das Unternehmen arbeitet mithin anwendungsorientiert. (3) Eine dritte Frage lautet: Arbeitet die Forschung und Entwicklung an Produkten, die den zukünftigen Markterfolg sichern helfen? Zur Beantwortung dieser Frage ist die Kennzahl Produkt-Vorsteuerungsgrad nützlich. Der Produktvorsteuerungsgrad gibt das Verhältnis von Technologieattraktivität der Produkte in der Beobachtungs- und Entstehungsphase (Technologie-Verwendungsseite Position B.I.+B.II.) zur Technologieattraktivität der Produkte in der Marktphase (Technologie-Verwendungsseite Position B.III.) an und ist ein Maß für die FuE-Arbeitsintensität an neuen Produktgenerationen. Die Kennzahl Produktvorsteuerungsgrad mit einem Wert von 1,53 (58:38) zeigt, daß das Chipkartenunternehmen mehr Produkte mit insgesamt hoher Technologieattraktivität in der Beobachtung bzw. in der Entstehung als in der Marktphase hat. Das Unternehmen bereitet sich also mit hochwertigen Technologien auf zukünftige Kartengenerationen vor. Dieser Umstand läßt eine positive Einschätzung der zukünftigen Marktposition zu, die in Konsequenz wiederum von entscheidender Wirkung auf die Unternehmensrentabilität der Zukunft ist. Sollte sich in einem Unternehmen an dieser Stelle ein weitaus niedrigerer Wert ergeben, so ist das ein Anzeichen dafür, daß auf der Ebene der Entstehung neuer Technologien zu wenig gearbeitet wird. Es wäre dann ein Alarmsignal dafür, daß wieder verstärkt in Neuentwicklungen investiert werden muß, da die vorhandenen Produkte veraltete Technologien beinhalten und verstärkt der Substitutionsgefahr durch innovative Produkte der Konkurrenz ausgesetzt sind. (4) Eine vierte Frage lautet: Verfügt ein Unternehmen über das zur Herstellung der Produkte notwendige Prozeß-Know-how? Eine Hilfe zur Beantwortung dieser Frage kann die Kennzahl Technologische Elastizität sein. Die Technologische Elas-

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tizität gibt das Verhältnis von Technologieattraktivität der Produkte (TechnologieVerwendungsseite Position B.) in Relation zur Technologieattraktivität der Prozesse (Technologie-Verwendungsseite Position A.) an und ist ein Maß für das Verhältnis von Produkttechnologien zu Prozeßtechnologien. Die Technologische Elastizität mit einem Wert von 1,43 (100:70) zeigt zunächst, daß die Produkte höhere Attraktivitätswerte als die Prozesse haben. Das Chipkartenunternehmen hat also einen technologischen Schwerpunkt bei den Produkten. Dieses Produkt-/Prozeßungleichgewicht ist ein weitverbreitetes Phänomen in vielen westlichen Industrieunternehmen und hat in vielen Fällen zu einer Kostenunterlegenheit in den Fertigungsprozessen trotz hochinnovativer Produkttechnologien geführt. Die gleiche Gefahr ist damit für das Chipkartenunternehmen zu diagnostizieren. (5) Eine fünfte Frage lautet: Bei wieviel Technologien ist ein Unternehmen an externe Know-how-Lieferanten gebunden? Die Kennzahl der Technologischen Verschuldungsquote gibt hierfür die Relation von Fremdtechnologien (TechnologieHerkunftsseite Position B.) zu Eigentechnologien (Technologie-Herkunftsseite Position A.) an und ist ein Maß für die Abhängigkeit eines Unternehmens von fremden Know-how. Die Technologische Verschuldungsquote von 1,06 (37:35) zeigt, daß das Chipkartenunternehmen die Hälfte der eingesetzten Technologien bezieht/kauft. Ob der Eigentechnologieanteil eventuell zu hoch bzw. zu niedrig ist, müßte im Rahmen weiterer Analysen geklärt werden. Es stellt sich z. B. die Frage, ob die eigene technologische Kompetenz ausreicht, um die Umsatzträger der Zukunft zu entwickeln. Ganz generell geht es hier auch um die Frage, welche technologische Kernkompetenz ein Unternehmen besitzt. Zusätzlich zu den hier diskutierten fünf Fragen gibt es noch eine Vielzahl weiterer interessanter Fragen. Wesentlich ist, daß die Struktur der Technologiebilanz in Analogie zur konventionellen Bilanzanalyse eine Vielzahl von Fragen beantworten kann, wenn erst einmal eine Inventur und Bewertung der in einem Unternehmen vorhandenen Technologien vorgenommen wurde. Gleichzeitig stellt die Technologiebilanz allein von ihrer Struktur her eine Vielzahl von Fragen, die den Fragesteller auf unkonventionelle Überlegungen bringen können.

9.5.2 Dynamische Kennzahlenanalyse Ergänzend zur statischen Kennzahlenanalyse einer Technologiebilanz kann eine dynamische Analyse durch Vergleich mehrerer Technologiebilanzen aus verschiedenen Perioden vorgenommen werden. Da im Rahmen dieses Beitrags auf die Darstellung weiterer Technologiebilanzen verzichtet wurde, soll zumindest eine Auswahl von Technologiekennzahlen mit dynamischem Charakter vorgestellt werden. Mit Hilfe der Kennzahl Technologische Verzugsrate kann aus Plan- und IstTechnologiebilanz ermittelt werden, ob Produkte, die eigentlich schon am Markt

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eingeführt sein sollten, noch nicht über das Entwicklungsstadium hinausgekommen sind. Zur Ermittlung dieser Kennzahl werden die neuen Produkte in der Marktphase zu den Produkten in Relation gesetzt, die noch in der Entstehungsphase sind, aber laut Plan schon im Markt sein sollten. Mit dieser Kennzahl soll die Gefahr einer zu langsamen Umsetzung von Technologien in marktfähige Produkte erkannt werden. Die Kennzahl Technologische Versagerrate soll Aufschluß darüber geben, inwieweit Produkte, die schon in der Entwicklung waren, nicht weiter vorangebracht wurden. Die Kennzahl wird aus den Produkten in der Entstehungsphase einer früheren Technologiebilanz, die in der aktuellen Technologiebilanz nicht mehr bilanziert werden, ermittelt. Diese Kennzahl ist ein Hinweis auf eventuelle versandete FuEProjekte. Es ist die Frage zu stellen, warum einzelne Projekte nicht weiterverfolgt wurden. Werden bei der Erarbeitung einer Plan-Technologiebilanz auch Technologien erfaßt, die ein Unternehmen eigentlich benötigen würde, um langfristig in den vorhandenen Geschäftsfeldern erfolgreich zu sein, so kann für das Unternehmen der Grad der technologischen Lücke ermittelt werden. Ist die technologische Lücke beträchtlich, so besteht die Gefahr, daß ein Unternehmen in seinen angestammten Märkten bald nicht mehr vertreten sein wird. Durch den Vergleich von Technologiebilanzen von Unternehmen einer Branche kann mittels Technologischen Benchmarks ermittelt werden, wie die Technologiesituation im Vergleich zur Konkurrenz einzuschätzen ist. Ein letztes Beispiel soll die Kennzahl Veränderungsrate der Technologien sein, mit deren Hilfe der technologische Fortschritt eines Chipkartenunternehmens gemessen werden kann. Die Kennzahl ergibt sich aus den erstmalig bilanzierten Technologien geteilt durch die nicht mehr bilanzierten Technologien.

9.5.3 Technologisches Rating und Gesamtbeurteilung Im Anschluß an die statische und dynamische Kennzahlenanalyse der Technologiebilanz erfolgt eine synthetische Gesamtbeurteilung des Unternehmens anhand eines technologischen Ratings. Ebenso wie sich konventionelle Rating-Verfahren auf die Auswertung von Kennzahlen der Handelsbilanzanalyse stützen,25 ist ein technologisches Rating auf der Basis der Technologiebilanzanalyse möglich. Ziel ist die Ermittlung eines technologischen Gesamtwertes, um das Unternehmen im eingangs gezeigten Technologie-Finanz-Portfolio positionieren zu können. Letztlich dient ein technologisches Rating wiederum der Ergänzung eines finanziellen Ratings, um frühzeitig neue Entwicklungen in die Gesamtbeurteilung einfließen lassen zu können.26 Das Ergebnis der finanziellen Bewertung des Beispielunternehmen stellte sich wie folgt dar: Das beurteilte Unternehmen war in einen Konzern eingebunden und 25

Vgl. u. a. Baetge/Sieringhaus (1996) sowie kritisch Hirsch (1996). Vgl. auch die Diskussionen um die Schwierigkeiten der Erfassung neuer Geschäftsentwicklungen in finanzorientierten Rating-Systemen u. a. bei Balzer/Ehren (1998). 26

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bestand zum Zeitpunkt der Beurteilung erst seit einigen Jahren. Die von der Konzernzentrale zur Verfügung gestellten Finanzmittel hatten den Mindestbedarf an liquiden Mitteln zwar gedeckt, für einen schwungvollen Aufbau reichte der Cash Flow jedoch nicht aus. Von der Konzernzentrale wurden die für den Aufschwung notwendigen Investionen nicht genehmigt, da die Extrapolation der Absatzentwicklung auf der Basis von Vergangenheitsdaten eine sprunghafte Umsatzausweitung nicht wahrscheinlich erschienen ließ. Das finanzielle Bild zeigte mithin ein Unternehmen mit mäßiger Kapitalausstattung und wenig freien Mitteln. Die Finanzattraktivität wurde daher auf einer Skala von A (hohe Attraktivität) bis E (niedrige Attraktivität) als weniger gut mit D beurteilt. Die Beurteilung der Technologie-Attraktivität für das Technologie-Finanz-Portfolio ergab sich unter Berücksichtigung der vorangegangenen Ergebnisse aus einem Vergleich der Unternehmen aus der Chipkartenbranche. Für das in diesem Beitrag behandelte Chipkartenunternehmen resultierte ein Rating von B. Nachdem sowohl die finanzielle als auch die technologische Attraktivität bestimmt war, konnte das Chipkartenunternehmen wie folgt im Technologie-FinanzPortfolio positioniert werden (vgl. Abb. 9.8).

Abb. 9.8 Positionierung eines Chipkartenunternehmens im Technologie-Finanz-Portfolio

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9.6 Unternehmensbeurteilung bedarf der Technologieund der Finanz-Perspektive Gegenstand dieses Beitrages war es zu zeigen, wie eine technologische Unternehmensbeurteilung komplementär zu einer finanziellen Bewertung theoretisch und praktisch durchgeführt werden kann. Das Technologie-Finanz-Portfolio sollte dabei die Notwendigkeit einer Komplementarität von Technologie- und Finanz-Perspektive unterstreichen. Anschließend wurde gezeigt, wie mit Hilfe einer Technologiebilanz die technologische Perspektive operationalisiert werden kann. Es entsteht ein zukunftsorientierter, hoch aggregierter Gesamtüberblick zur technologischen Lage. Wie die Handelsbilanz ist die Technologiebilanz auch als System von sachlogisch strukturierten Kennzahlen aufzufassen, die Aktiv- und Passivposten miteinander rechentechnisch verknüpft. Sie wird nach bestimmten Grundsätzen erstellt und bietet ebenfalls eine Reihe von Bilanzanalysemöglichkeiten. Neben der reinen Analyse kann die Technologiebilanz zusätzlich auch Ausgangspunkt von Handlungsempfehlungen sein, um Kennzahlenrelationen in einer gewünschten Art und Weise zu verändern. Eine Technologiebilanz erhält dann in Anlehnung an Schmalenbachs Aussage zur konventionellen Bilanz die Funktion, den „Betrieb seine (technologische) Fahrtrichtung erkennen zu lassen und ihm so als Kompass zu dienen“27.

9.7 Zusammenfassung Konventionelle Gutachten einer Unternehmensbewertung stützen sich sehr stark auf Kennzahlen des Rechnungswesens und letztlich auf eine Extrapolation von Daten vergangenheitsorientierter Bilanzanalysen oder auf eine Schätzung zukünftiger Erträge (Ertragswertverfahren) bzw. Cash-Flows (Discounted Cash-Flow Verfahren). Es fehlen dagegen fundierte Aussagen über das technologische Potential, das in einer so hochdynamischen Branche wie zum Beispiel der Chipkartenindustrie nachgerade zentral für die Beurteilung der Nachhaltigkeit von Umsatz- und Rentabilitätsentwicklungen in der Zukunft ist. Diese Bewertungslücke muß durch eine zur konventionellen Beurteilung komplementäre Technologie-Beurteilung ergänzt werden. Dazu bietet sich als ein Lösungsansatz die Konzeption der Technologiebilanz an.

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Schmalenbach (1962, S. 6).

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Kapitel 10

Technologie-Portfolio als Methodik der Inventions- und Innovationsbewertung – Prolegomena zu Metriken für Inventionen und Innovationen Gerhard Metze

10.1 Zur Grundidee des Technologie-Portfolios im Zusammenhang mit Innovationen Kern eines integrierten strategischen Innovations-Managements ist die richtige Auswahl des Innovations-Objekts: 80 % des Erfolgs einer Innovation beruhen auf der richtigen Auswahl des Innovations-Objekts, 20 % hängen von der richtigen Abwicklung mittels des Projekt-Managements ab.1 Hierzu wurde mit Ende der 1970er Jahre das Technologie-Portfolio entwickelt, dass die Schwächen rein monetärer2 oder rein marktbezogener Beurteilungen von Innovationen respektive FuE-Projekten z. B. mittels des Markt-Portfolios3 zu überwinden hoffte. 1

Metze, G., (1986) Experience in the Application of the Technology Portfolio for Controlling R&D. In: Hübner, H. (Ed.), The Art and Science of Innovation Management. Amsterdam 1986, S. 337–344, hier S. 337 ff. 2 Bereits in den 1950er Jahren war klar, daß mit den Methoden der Investitionsrechnung für die Beurteilung von Inventionen und Projekt-Ideen nur eine Scheingenauigkeit erzeugt wird, die mit der Realität nicht allzu viel zu tun hat. Aus diesem Grunde wurden zur Integration monetär nicht quantifizierbarer, aber entscheidungsrelevanter Faktoren sogenannte Scoring-Verfahren (Anfang der 1970er Jahren in Deutschland als Nutzwertanalyse bezeichnet) vorgeschlagen, die die Entscheidung unterstützen sollen. Die Ausgestaltung dieser Entscheidungshilfen geriet aufgrund mangelndem Verständnis von Innovationen dabei zunächst eher innovationsfeindlich. So wurden Vorschläge für Produktinnovationen dann negativ bewertet, wenn die Gefahr einer Kannibalisierung vorhandener Produkte drohte. Umgesetzt auf die Praxis hieß das in einem Unternehmen das Verbot der Entwicklung von Keramik-Teilen, weil dies die bestehende Produktpalette von Hartmetallprodukten gefährden könnte. Siehe Pfeiffer, W. et al. (1991), Technologie-Portfolio zum Management strategischer Zukunftsgeschäftsfelder. 1. Auflage Göttingen 1982, 6. durchgesehene Auflage Göttingen 1991, hier S. 77. 3 Die strategische Komponente wurde seit den 1970er Jahren vor allem durch das bekannte MarktPortfolio eingebracht. Hier geht es darum, daß Produktgruppen in ihrem Gesamtzusammenhang bezüglich ihrer Stellung im Markt positioniert werden, d. h. es handelt sich normalerweise um am W. Schmeisser, H. Mohnkopf, M. Hartmann, G. Metze (Hrsg.), Innovationserfolgsrechnung DOI: 10.1007/978-3-540-78249-0, © Springer 2008

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Abb. 10.1 Markt-Portfolio

Aus der Sicht des Innovationsmanagements ist zunächst nur die Dimension des Marktwachstums relevant: Neue Produkte sollten nur in Wachstumsfeldern gestartet werden, also im Sektor, der als „Fragezeichen“ bezeichnet wird. Unter strategischem Aspekt müssen Marketing und FuE die Frage beantworten, ob das „Fragezeichen“ eine Chance hat, sich zum „Star“ zu entwickeln, oder wieder aufgegeben werden muss. Dies ist eine notwendige Ergänzung zum Business Plan, aber nicht hinreichend. Mit dem Markt-Portfolio können zwar Aussagen über die Richtigkeit einer Markt-Strategie gemacht werden. Aber es fehlt die wichtige Aussage über die technische Basis der geplanten Innovation und ihrer Stärke. Dies ist die Aufgabe des Technologie-Portfolios. Im Technologie-Portfolio wird die TechnologieAttraktivität einer Produktidee bezüglich seines „technischen Zukunftspotenzials“ („Y-Achse“) der relativen Technologie-Position („X-Achse“) bzw. der „Ressourcenstärke“ als „X-Achse“ gegenübergestellt. Wenn als X-Achse die Relative Technologie-Position verwendet wird, dann kann als „Z-Achse“ der Kreisdurchmesser als Indikator für das FuE-Budget genommen werden.

Markt eingeführte Produkte. Prinzipiell sind natürlich auch die Abbildungen von Zielsetzungen bezüglich neuer Produkte möglich, die sich noch im Entwicklungsstadium befinden. Das Markt-Portfolio, z. B. gemäß der Boston Consulting Group, erfasst das Marktwachstum („Y-Achse“) sowie den relativen Marktanteil („X-Achse“) des im Markt eingeführten Produktes. Die Kreisgröße gibt den relativen Umsatz der jeweils abgebildeten Produktgruppe an („Z-Achse“). Vgl. Pfeiffer, W., et al (1991), a. a. O., S. 64 ff.

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Abb. 10.2 TechnologiePortfolio

Die Entwicklung des Technologie-Portfolios4 war notwendig geworden, da • sowohl die bislang verwendeten Methoden und Instrumente der strategischen Planung wie das Markt-Portfolio, • als auch die Methoden und Instrumente der Bewertung von Inventionen, ProjektIdeen, FuE-Projekten z. B. ROI- Berechungen, Business Pläne, Scoring- bzw. Nutzwertanalysen den technologischen Bezug nur sehr unzureichend einbeziehen konnten. Die Positionierung der Technologien im Portfolio gibt auf folgende Fragen Antwort: • Welches sind die richtigen strategischen Innovationen für unser Geschäft? Hierzu wird die Technologie-Attraktivität bzw. die technisch-wirtschaftliche Bedeutung der Innovation ermittelt. • Wie stehen wir mit dieser Innovation im Verhältnis zum Wettbewerber? Hierzu ist die Technologie-Position gegenüber dem stärksten Wettbewerber anzugeben (x-Achse). • Sind die Ressourcen (z. B. Knowhow, Finanzmittel) ausreichend, um diese Innovation zu entwickeln und zu beherrschen?5 Ähnlich dem Markt-Portfolio können auch im Technologie-Portfolio „Normstrategien“ zugeordnet werden: Ausbauen und Halten in den Vorsprungsbereichen mit relativ hoher Technologie-Attraktivität, Aufgeben und Desinvestieren in Bereichen mit niedriger Attraktivität und Rückstandsposition. Dazwischen gilt es – wie überall in diesen Fällen – im Einzelfall zu entscheiden und zu selektieren.

4 Vgl. Pfeiffer, W., et al. (1991), a. a. O., S. 79 ff. Zu weiteren Instrumenten der Steuerung von Innovationen vgl. Pfeiffer, W., Metze, G. (1989 a), FuE und Innovationsplanung, in: Szyperski, N. (Hrsg.), Handwörterbuch der Planung. Stuttgart 1989, Sp. 554–566, hier Sp. 556 ff. 5 Vgl. Metze, G. (1985) Perspektiven zukünftigen Innovationsmanagements – Schwerpunkte und Aufgaben des nächsten Jahrzehnts. Congena Texte, Heft 2/3 1985, S. 59–63, hier S. 61.

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Trotz häufiger Zitate in Dissertationen, Zweitaufgüssen in Abhandlungen des Innovations-Managements hat sich die Diffusion des Technologie-Portfolios – damals selbst eine Denkinnovation – in Grenzen gehalten. So haben noch in den 1980er Jahren Vorstände von größten Elektronik-Konzernen die Beurteilung des technischen Potentials von Innovationen abgelehnt, die rein wirtschaftliche Marktund Kostenbetrachtung durch den Business Plan schien ausreichend. Mittelständler verweisen auf den ihrer Meinung nach zu hohen Aufwand, den die Erstellung des Technologie-Portfolios ihrer Meinung nach erfordere. Das Technologie-Portfolio in seiner Anwendung ist – wenn überhaupt – hauptsächlich in größeren High TechUnternehmen, und hier wieder schwerpunktmäßig in zentralen FuE-Abteilungen zu finden. Die eher aus dem akademischen Bereich stammenden Ergänzungen und Variationen des Technologie-Portfolios gehen vor allem in Richtung einer Kombination mit dem Markt-Portfolio, die in einer weiteren Verdichtung zu einem MarktTechnologie-Portfolio mündet. Bei einem Teil dieser Weiterentwicklungen ging der Bezug zur praktischen Anwendbarkeit, beim anderen Teil die theoretische Basis verloren, die durchaus einer Erweiterung bedarf. Wir bedienen uns hier deshalb zweier Perspektiven in Kombination, die eine differenzierte Ausgestaltung des Technologie-Portfolio-Ansatzes erlauben und – zumindest teilweise – die unterschiedlichen Entwicklungen von Technologien zuordnen können. Eine Perspektive zur besseren Differenzierung bildet das Modell des Lebenszyklus, hier ist insbesondere die Unterscheidung des Entwicklungszyklus vom Marktzyklus relevant. Die andere Perspektive ist die einer Objekt-Hierarchie, beginnend mit den Technologien eines Einzel-Projekts, auf der nächsten Ebene eine Verdichtung der Einzel-Projekte mittels der wichtigsten Technologien aller Einzel-Projekte im Rahmen einer Organisationseinheit, z. B. einer Abteilung oder Hauptabteilung. Die dritte Ebene bezieht sich auf eine strategische Geschäftseinheit oder auf das gesamte Unternehmen im Sinne einer Art „Technologie-Inventur“ über alle bedeutsamen Technologien. Unter dieser Perspektive können nicht nur die Inventionen und Innovationen, also die FuE-Objekte beurteilt werden. Es wird darüber hinaus eine Aussage über die Situation der technischen Kompetenzen des Unternehmens gemacht, und über die Qualität des Innovations-Managements. Entsprechend dieser Unterscheidung zwischen dem Entwicklungszyklus vom Marktzyklus ergibt sich auch eine andere Struktur des Technologie-Portfolios bezüglich der verwendeten Kriterien.6 Im Marktzyklus werden am Markt eingeführte Produkte bezüglich ihrer technischen Basis bewertet, es ist also eine Bewertung der technischen Stärke bzw. Schwäche der Produkte. Zu dieser technisch ausgerichteten Bewertung findet parallel eine Markt-Portfolio-Betrachtung statt. Insofern ist eine Integration der wirtschaftlichen Dimension im Technologie-Portfolio nicht nur überflüssig, sondern wäre sogar eher als nicht transparente Doppel-Bewertung äußerst kritisch. 6 Vgl. zu den Aufgaben von FuE während des Marktzyklus z. B. Metze, G. (2000 b), Entwicklungsprozeß. In: Pepels, W. (Hrsg.), Marketing-Schnittstellen. Köln, Wien, Aarau 2000, S. 109–121, hier S. 118.

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Abb. 10.3 Differenzierung der Anwendung des Technologie-Portfolios

Demgegenüber ist im Entstehungs-Zyklus eine exakte Marktbetrachtung bei innovativen High Tech- Produkten gar nicht möglich. Bevor jedoch die Logik der Kriterien und ihrer Verdichtung dargestellt werden, muss man noch die verschiedenen Anwendungsfelder charakterisieren.

10.2 Anwendungen des Technologie-Portfolios Das Anwendungsfeld des Technologie-Portfolios ist vielfältig7: 1. Für ein einzelnes Innovationsprojekt dient es einmal zur Auswahl von alternativen Technologien für eine definierte Funktion, zum anderen zur Identifizierung der kritischen Technologie des Projekts. 7

Vgl. Metze, G., (1986), S. 339.

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2. Auf der Planungsebene einer Abteilung mit vielen Projekten wird es zur Ressourcensteuerung eingesetzt. 3. Für einen Geschäfts-Bereich oder ein Gesamtunternehmen geht es um die langfristige Ausrichtung der FuE-Schwerpunkte, um Aspekte der Konzentration und Kooperation. 4. Auf der Ebene der Geschäftsfeldplanung geht es um die Verbindung zwischen den FuE-Programmen einer Unternehmung und den Marktstrategien. Ad 1) Bei der Planung und Verfolgung eines einzelnen Innovationsprojekts geht es hauptsächlich um die Frage, welche der Technologien den Engpass des Projektes darstellt. Denn diese akute Flaschenhals-Technologie beeinträchtigt die Leistung des Gesamtvorhabens eines Unternehmens sowie deren Realisierungs-Chance. Diese Technologie muß nicht unbedingt die Technologie für eine Hauptfunktion sein. Oft genug sind es Probleme der Interfaces oder Fertigungstechnik, die dann zeitweilig verstärkt bearbeitet werden müssen. Bei unserem Beispiel der Bewertung einer Röntgen-Sofortbildkamera zeigt sich ein unausgewogenes Projekt: Die wichtigste weil attraktivste Technologie hat einerseits eine Rückstands-Position zum aktuellen technischen Stand, andererseits ist sie die mit Ressourcen am schwächsten ausgestattete Technologie, also eine klassische Fehlsteuerung. Ad 2) Auf der Ebene einer FuE-Abteilung mit einigen Projekten soll die Ressourcenzuteilung nicht wie früher mit der Gießkanne, sondern nach Prioritäten vorgenommen werden. Dabei ist auch die Frage des Abbruchs von Projekten zu diskutieren. Dies gilt nicht nur für Projekte mit niedriger Attraktivität, ob noch eine Berechtigung zu ihrer Fortführung besteht. Auch bei Projekten mit großer Attraktivität und beträchtlichem Rückstand muß dieser Punkt geklärt werden. Entsprechend ist hier die Chance, mit vernünftigem Ressourceneinsatz in überschaubarer Zeit zum Gleichstand mit den Wettbwerbern zu kommen.

Abb. 10.4 Technologie-Portfolio auf der Ebene einzelner Projekte

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Das Problem der Integration vieler Einzelprojekte auf einer höheren Ebene, z. B. Abteilungsebene besteht in der Methodik der Verdichtung. Da es nicht möglich ist, alle Einzeltechnologien aller einzelnen Projekte in einem Portfolio darzustellen, muss für jedes Projekt eine repräsentative Verdichtungsmöglichkeit für die Lage aller Einzeltechnologien gefunden werden. Dabei gibt es zwei prinzipiell unterschiedliche Ansätze: • zum einen eine Verdichtung nach dem Schwerpunkt-Prinzip, d. h. der das Projekt repräsentierende Punkt wird als einfaches oder gewichtetes Mittel aus den Werten aller Einzeltechnologien gewonnen, oder • zum anderen eine Verdichtung nach dem Engpaß-Prinzip, d. h. die das Weiterentwicklungs-Potenzial limitierende Technologie, in der Regel also die Technologie, die eine hohe Technologie-Attraktivität aufweist bei gleichzeitiger Rückstands-Position, bestimmt den repräsentierenden Punkt für die Verdichtung. Die Folgen sind nicht nur „bildlich“ unterschiedlich. Eine Verdichtung nach dem Schwerpunkt-Prinzip führt bei der Gesamtdarstellung zu einem „Kugelhaufen“ um die Mitte des Portfolios, d. h. es besteht keine Trennschärfe mehr für die Ressourcen-Steuerung. Demgegenüber führt die Verdichtung nach dem EngpaßPrinzip sehr schnell und deutlich zu einer harten Priorisierung. Das Ergebnis dieser Verdichtung zeigt nicht nur die einzelnen Positionen der Einzelprojekte einer FuE-Abteilung, sondern die gesamte Lage und damit ihre Leistungsfähigkeit bzw. Kompetenz. In diesem Fall ist die Frage evident: macht es Sinn, das Projekt der RöntgenSofortbildkamera noch weiter zu verfolgen, oder sollte lieber eine Lizenzvereinbarung mit einem Wettbewerber getroffen werden, und die frei werdenden Mittel in eine weitere Stärkung der gut positionierten Projekte der Herzsonde und der Füllstoff-Optimierung verwendet werden. Ein weiteres Problem der Verdichtung von Einzelprojekten zu einer Gesamtschau besteht auch in der Darstellung des Zusammenhangs dieses Einzelprojekts zur Haupttechnologie, die vielleicht in einer anderen FuE-Abteilung entwickelt und gepflegt wird. Dies sei an dem folgenden Beispiel verdeutlicht:

Abb. 10.5 Verdichtung eines einzelnen Projekts auf die Abteilungs-Ebene

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Abb. 10.6 Gesamtschau der Projekte einer FuE-Abteilung

So kann die Einzelentwicklung „Füllnidz“ für ein Koaxialkabel eine hohe Attrativität besitzen, weil sie dessen Leistung steigern kann. Hier geht es um einen Füllstoff für den Mantel von Kupfer-Nachrichtenkabeln, um das Dielektrikum, und damit die Übertragungseigenschaften zu optimieren. „Füllnidz“ ist ein Acronym für die Entwicklung eines Füllstoffs mit niedriger Dielektrizitäts-Konstante für Koaxialkabel. Diese Entwicklung stellt also eine ganz wesentliche Verbesserung des Leistungsparameters dar, sie kann also durchaus als neue technologische S-Kurve gegenüber der bisher eingesetzten Technologie bzw. Material namens Petrolat angesehen werden. Damit führt es automatisch zu einer guten Positionierung bezüglich der Technologie-Attraktivität. In dem angeführten Beispiel hatte die EntwicklungsAbteilung auch noch einen zeitlichen Vorsprung vor den Wettbewerbern, die dieses Thema überhaupt nicht aufgegriffen hatten.

Abb. 10.7 Erste Bewertung des Einzelprojekts „Füllnidz“ [Metze, G. (2000a), Marketing sowie Forschung und Entwicklung. In: Pepels, W. (Hrsg.), Marketing-Schnittstellen. Köln, Wien, Aarau 2000, S. 89 bis 108, hier S. 103]

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Zur gleichen Zeit war jedoch absehbar, daß die bereits entwickelten Lichtwellenleiter-Übertragungskabel in der nächsten Zeit die Kupfer-Nachrichtenkabel ablösen würden. Bezogen auf die Substitution des Hauptthemas Koaxialkabel durch Lichtwellenleiter, reduziert sich die Wertigkeit des Einzelthemas ganz erheblich, da bei Lichtwellenleitern die Problemstellung der Optimierung des Dielektrikums entfällt. Insofern ergibt sich bei der Verbindung des Einzelprojekts, das eine Nebentechnologie entwickelt, mit der niedrigen Wertigkeit der Haupttechnologie „Koaxialkabel“ auch eine drastische Reduktion der Technologie-Attraktivität von „Füllnidz“. Konsequenz der Bewertung war der sofortige Stopp dieses Projekts. Ad 3) Auf der Ebene eines Geschäfts-Bereichs oder ein Gesamtunternehmens geht es um die langfristige Ausrichtung der FuE-Schwerpunkte, um Aspekte der Konzentration und Kooperation. Hierzu wird – als bottom up-Planung – die Lage einzelner FuE-Projekte und FuE-Abteilungen zu Clustern verdichtet, die die Gesamtheit repräsentieren. Die Abbildung der Ist-Situation im Rahmen einer „Technologie-Inventur“ mittels Attraktivität, relativer Technologie-Position und Ressourceneinsatz ist Voraussetzung zur Zielbestimmung und Ableitung notwendiger Strategien. Auf dieser Ebene erfolgt auch die organisatorische Beurteilung einer FuE-Abteilung. Hier wird geprüft, ob die Ressourcen richtig eingesetzt wurden. Das folgende Bild der vergangenen Situation eines bekannten Maschinenbau-Unternehmens kann dies verdeutlichen. Damals war die Verteilung der Ressourcen geprägt von einer Bevorzugung reifer Technologien, bei denen das Unternehmen eine VorsprungsPosition hatte. Auf der anderen Seite wurden hochattraktive Technologien mit viel zu geringen Ressourcen bedacht, obwohl hier eine Rückstands-Position vorlag. Das Gesamtbild ist eigentlich eine Bankrott-Erklärung des FuE- bzw. InnovationsManagements dieses Unternehmens, was dann auch zu einem Verlust der Eigenständigkeit geführt hat. Ähnliche Verteilungen der Ressourcen konnten auch in anderen Branchen, z. B. bei Großunternehmen der Elektrotechnik gefunden werden. In diesem speziellen

Abb. 10.8 Zweite Bewertung des Einzelprojekts „Füllnidz“. [Quelle: Metze, G. (2000a), S. 103]

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G. Metze

Abb. 10.9 TechnologieInventur eines Unternehmens mit fehlgesteuerter FuE

Fall wurden die Konsequenzen einer fehlgesteuerten Technologie-Politik erst ab einem Zeitraum von rund fünf Jahren nach der Erstellung der Technologiebewertung, nämlich mit dem Zeitpunkt des Markteintritts der aus den Technologien resultierenden Produkte sichtbar.8 Eine andere Problemat ik einer Fehlsteuerung wurde bei der Technologie-Inventur eines mittleren High-Tech-Unternehmens sichtbar. Die Forschungs- und Entwicklungs-Situation war gekennzeichnet durch viele kleine Einzelprojekte. Gemessen an den Wettbewerbern musste festgestellt werden, dass diese Projekte mit unterkritischer Masse gegenüber dem Ressourceneinsatz der Wettbebewerber betrieben wurden.

Abb. 10.10 Zersplitterung der Ressourcen in viele kleine Einzelprojekte mit unterkritischer Masse

8

Metze, G. (1998), Rückbesinnung auf Pfeiffers frühe(re) Werke als Verpflichtung für die künftige Theorieentwicklung – aufgezeigt am „Fist-Follower-Prinzip“ und am „Lean Management“. In: Weiß, E., Dirsch, H. (Hrsg.), Innovative Unternehmensführung. Festgabe zum 65. Geburtstag von Professor Dr. Werner Pfeiffer. Nürnberg 1998, S. 39–56, hier S. 46.

10 Technologie-Portfolio als Methodik

335

In diesem Fall ist eine Konzentration der Ressourcen erforderlich, auf der Basis einer Projekt-Selektion. Ebenfalls auf dieser Ebene ist der externe know-how-Transfer zu diskutieren. Hier geht es darum, ob bei wichtigen Projekten mit Rückstandsposition die eigene Kraft ausreicht, oder ob Lizenzen genommen werden müssen. Es sollte geklärt werden, ob eine Vorsprung-Position bei einem für das Unternehmen weniger wichtigen Thema dieses know how an Branchen, für die es wichtiger ist, durch eigene Lizenzvergabe vermarktet werden kann.9 Ad 4) Ebene der Geschäftsfeld-Planung In einem technologiegetriebenen Geschäft ist es notwendig, das traditionelle Marketing-Denken um eine „Techno-Logik“ zu ergänzen. Das ist die wichtige Verbindung zwischen den Markt-Strategien und dem FuE-Programm, wie das folgende vereinfachte Beispiel zeigt. Die ausschließliche Anwendung des bekannten Markt-Portfolios führte – in diesem Beispiel – zu folgenden spezifischen Strategien: • Produkt A verlor an Marktanteil. Um diesen Marktanteilsverlust aufzuhalten, müssen die Anstrengungen der Vertriebsabteilung intensiviert werden. • Die schwache Position von Produkt B wurde als hoffnungslos angesehen. Es sollte deshalb eingestellt werden. • Produkt C lag mit einem winzigen Marktanteil in einem Bereich höchster Wachstumsraten. Um den Marktanteil zu vergrößern, sollten ebenfalls die Vertriebsanstregnungen weiter verbessert werden. Dem Markt-Portfolio wurde dann in diesem Unternehmen erstmals das Technologie-Portfolio gegenübergestellt:

Abb. 10.11 Marktportfolio eines Maschinen-/Fahrzeugbau-Unternehmens mit abgeleiteten Strategien

9

Vgl. Metze, G., (1986), S. 340 ff.

336

G. Metze

Abb. 10.12 Technologie-Portfolio eines Maschinen-/Fahrzeugbau-Unternehmens

Die Bewertung der spezifischen Haupttechnologie jedes der Produkte in einem Technologie-Portfolio führte jedoch zu anderen Empfehlungen: • Unsere bisher gute Marktposition von Produkt A lag in einer Technologieführerschaft mit Technologie A (1) begründet. Nun hatte jedoch einer der Wettbewerber eine neue alternative Technologie A (2) mit einer größeren Leistungsfähigkeit eingeführt, die wir selbst nicht beherrschen. (Deshalb wird die Technologie A (2), die im Unternehmen noch nicht entwickelt wurde, auf die RückstandsBegrenzungs-Linie gesetzt). Aus diesem Technologie-Rückstand erklärt sich der Marktanteilsverlust, dem nur mit einem Neueinstieg in die Entwicklung von Technologie A (2) zu begegnen war. • Die schwache Markt-Position von Produkt B steht im Widerspruch zur relativ guten Technologie-Position seiner Haupttechnologie. Um bei diesem beratungsintensiven Produkt die vorhandenen technologischen Vorteile dem Kunden zu verdeutlichen, musste die Qualifikation im Vertrieb angehoben werden. • Das hoffnungsvolle Produkt C hatte eine ausgesprochen schwache TechnologiePosition bei seiner Haupttechnologie im Software-Bereich. Ohne Lösung des Software-Problem war an eine Verbesserung der Markt-Position nicht zu denken. Schlussfolgerung muss sein, dass bei technologie-orientierten Unternehmen einer strategische Planung des Marketing in jedem Fall eine Technologie-Bewertung gegenüber gestellt werden muss. Nur dann kann die Erfolgsaussicht von ProduktMarkt-Konzepten, die Gestaltung des Marketing-Mix und letztlich die Steuerung der FuE-Prioritäten sicher gestellt werden.

10.3 Technologie-Liste Bevor eine entsprechende Positionierung der Technologien in der Matrix erfolgt, muß unterschieden werden zwischen:

10 Technologie-Portfolio als Methodik

337

• den Produkt- und Prozeß-Konzepten, mit denen aus den Technologien das Produkt bzw. der Prozeß geschaffen wird, und • den Technologien selbst, die die Grundbausteine von Produkten und Prozessen darstellen. Dabei ist die Frage einer angemessenen Tiefe bei der Aufgliederung von Technologien – als Voraussetzung ihrer Bewertung – besonders wichtig.10 Der Begriff Technologie wird sehr verschieden verwendet. Ein Entwickler wird unter Technologie z. B. ein spezielles Aufdampf-Verfahren verstehen, während der Geschäftsverantwortliche seines Bereichs verschiedene technische Herstellverfahren für dünne Schichten unter einem Begriff als gemeinsame Technologie versteht und zusammenfasst. Das Problem besteht darin, dass es keine einheitliche „Technik-Sprache“ gibt.11 Meist führt die Technologie-Segmentierung in der Praxis zu anwendungs-orientierten Technologie-Definitionen, die keinerlei Informationen über die gleichartigen oder verschiedenen technologischen „Wurzeln“ geben, wie Bauernschmid in diesem Buch herausarbeitet. 12 Eine Technologiebewertung für den EntstehungsZyklus muss jedoch an den technologischen Wurzeln ansetzen. 13 Die Technologie-Segmentierung, d. h. das Aufteilen der technologischen Basis eines Produkts, einer Produktfamilie, oder eines Geschäftsfeldes in Einzeltechnologien endet bei dem technologischen know how bzw. der Kompetenz, das aus der Sicht des untersuchenden Bereichs die Grundlage für die Gestaltung von Produkten und Prozessen abgibt.

10.4 Kriterien der Technologie-Bewertung 10.4.1 Kriterium Technologie-Attraktivität („Y-Achse“) Die Technologie-Bewertung im Technologie-Portfolio erfolgt nach den drei Dimensionen: • Technologie-Attraktivität bzw. technisch-wirtschaftliche Bedeutung, • Relative Technologie-Position bzw. Ressourcenstärke, • FuE-Budget. Zur Positionierung von Technologien in der Matrix sind diese Dimensionen durch genauere Sub-Kriterien zu konkretisieren. Um einerseits eine gemeinsame Grund10

Pfeiffer, W., Metze, G. (1989b), Technologische Analyse, in: Szyperski, N. (Hrsg.), Handwörterbuch der Planung. Stuttgart 1989, S. 2002–2015. 11 Pfeiffer, W., et al., (1991), S. 80 ff. 12 Siehe Bauernschmid, P., (2008) Ressourcen-Bewertung von Innovationsprojekten zwischen „lean“ und „slack“ in diesem Buch. 13 Metze, G., (1986), S. 343.

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G. Metze

lage der Diskussion sicherzustellen, sollen bei jeder Bewertung die hier vorgeschlagenen Kriterien in gleicher Weise verwendet werden. Um andererseits die im Einzelfall notwendige Anpassung durchzuführen, können fallspezifische Sub-(Sub-)-Kriterien als Hilfe zur Quantifizierung dieser festgeschriebenen Kriterien herangezogen werden. Die Technologie-Attraktivität ist wiederum ein Index aus verschiedenen Subkriterien, die mittels der Nutzwertanalyse, oder einem „K.O.-Kriterien“-Bewertungsverfahren gebildet werden kann. Wesentliche Größen der Technologie-Attraktivität sind: • das Weiterentwicklungspotential einer Technologie, das auf dem bekannten „S-Kurven-Modell“ von Technologien beruht, • die Umsatz- und/oder Kostenhebelwirkung der Technologie, zuweilen auch • der Chancen-/Risiken/-Situation.14 Ausgangspunkt für die Ermittlung des „Weiterentwicklungs-Potenzials“ ist die Vorstellung, jede Technologie durchlaufe mit der Zeit eine typisch geformte Leistungskurve (S-Kurven-förmig), in deren Verlauf die physikalisch gegebene Leistungsgrenze mehr oder weniger gut erreicht werde, und nicht überschritten werden kann. Das Kriterium „Weiterentwicklungspotential“ kann am bekannten Beispiel der Übertragungstechnik beim Übergang vom Kupferkabel auf die Glasfaser verdeutlicht werden. Innovationskritisch ist im Bild der Zeitpunkt t(o), bei dem die neue Technologie absolut gesehen noch schlechtere Leistungswerte aufweist. Wird dies als Bewertungskriterium herangezogen, dann wird damit die Innovation abgewürgt oder langsam ausgehungert. Es sei an den mittlerweile historischen Fall erinnert, dass 1974 die Experten der Uhrenindustrie (meist aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz ) die Vorherrschaft der Mechanik-Uhr in der mittleren und unteren Preisklasse auf ihrem Weltkongress für Chronometrie prognostiziert haben. Die Elektronikuhr – damals zu Preisen um 1000.-DM – schien dem oberen Preissegment vorbehalten. Zum Entscheidungsmerkmal über einen Innovationsvorschlag darf deshalb nie der aktuelle Leistungswert herangezogen werden, sondern sein Weiterentwicklungspotential. Von besonderem Wert für die künftige Stellung des Unternehmens am Markt ist die rasche Nutzung neuer, noch entwicklungsfähiger Technologien. Daher wird die Bedeutung einer Technologie umso höher eingestuft, je größer das Weiterentwicklungs-Potenzial ist. Diese Idealdarstellung des Weiterentwicklungs-Potenzials in der S-Kurve birgt jedoch auch einige Probleme in sich. Zur exakten Ermittlung muß nämlich auf die Leistungs-Parameter der jeweiligen Technologie zurückgegriffen werden, bei Diagnosesysteme der Medizintechnik z. B. Auflösungsfähigkeit, Verträglichkeit für den Patienten etc. Aber so wie jedes Produkt aus unterschiedlichen Technologien besteht, weist auch jede Technologie unterschiedliche Leistungs-Parameter mit unterschiedlichen Entwicklungsgrenzen auf. 14

Metze, G., (1986), S. 342.

10 Technologie-Portfolio als Methodik

339

Abb. 10.13 Technologie-S-Kurve

Das zweite Kriterium, die Umsatz- oder Kostenhebelwirkung stellt eine notwendige Ergänzung des ersten dar. Da aus der FuE-Abteilung ohne große Probleme eine Menge an Produktideen mit hohem technischen Weiterentwicklungspotential aufgetan werden können, ist es gerade aus der Sicht des Marketings wichtig, ob für diese Ideen überhaupt ein genügend großes Potential an Anwendungen zu finden ist, und sich dadurch in einem Anheben des Umsatzes niederschlagen kann. 15 Für Innovationen auf dem Gebiet der intern angewendeten Fertigungs- und Prozesstechnik, die sich in einer Kostenreduzierung niederschlagen müssten, gilt dies für die Fertigung. Damit kann erkannt werden, ob die FuE-Aktivitäten richtig, oder falsch z. B. in die Innovation einer „Neben“-Komponente eines Geräts gesetzt werden. Die Nebenkomponente kann – für sich betrachtet – durchaus ein hohes Weiterentwicklungspotential aufweist. Wie oben am Beispiel „Füllnidz“ aufgezeigt, ist dieses Weiterentwicklungspotenzial wirkungslos, da die dazugehörige Haupttechnologie abgelöst wurde, und für die Nachfolgetechnologie die „Füllnidz“-Innovation technologisch nutzlos war. Die Hebelwirkung auf der Kostenseite kann vom Prinzip her gut ermittelt werden. Auf der Umsatzseite stellen sich schwierigere Probleme: Umsätze hängen auch von nicht-technischen Erfolgsfaktoren wie Vertriebssystem, Finanzierung etc. ab, deren einzelne Anteile am Gesamterfolg sachlogisch nicht eindeutig voneinander abgegrenzt werden können. Es wird deshalb ein An15

Metze, G. (2000a), hier S. 99 ff.

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haltspunkt für die Quantifizierung der Umsatzseite benötigt. Hierfür ist als Indikator der durch die Technologie am Produkt realisierte oder zu realisierende Leistungsvorteil geeignet. Für die Umsatz- wie die Kostenhebelwirkung einer Technologie gilt, dass sie mit wachsender Breite ihres Einsatzes in verschiedene Produkte erhöht wird. Bei der Bewertung muß deshalb auch ihre Mehrfachverwendbarkeit berücksichtigt werden. Die Einbeziehung der Hebelwirkung von Technologien auf den Geschäftserfolg ist deshalb bei einer Technologiebewertung während des Entstehungs-Zyklus unabdingbar. Sie ist nicht anzuwenden während der Marktphase, da hier diese Dimension bereits im Markt-Portfolio erfasst und dargestellt wird. Insofern sind die Technologie-Portfolien des Entstehungs-Zyklus nicht 1:1 mit den TechnologiePortfolien des Markt-Zyklus vergleichbar. Zur Beurteilung der Risiken- und Chancen-Situation gehören u. a. Fragen nach: • den technologischen Alternativen und ihrer Verfügbarkeit, • der Dynamik technischer Trends, und • der Patent-Situation, etc. Die Wirkung der Alternativen-Situation auf den Projekterfolg hängt von den speziellen Umständen des Vorhabens ab. Vorhandene Alternativen können das Risiko z. B. durch eine zu frühe und falsche Festlegung erhöhen. Umgekehrt jedoch kann gerade bei ehrgeizigen Produktzielen das Vorhandensein alternativer technologischer Möglichkeiten das Entwicklungsrisiko niedrig halten, da die Abhängigkeit des Produkterfolgs allein von einer einzigen Technologie nicht mehr besteht. Wenn die Funktion einer bewerteten Technologie jedoch durch keine anders geartete Technologie erfüllt werden kann, ist die Technologie unentbehrlich. Dies gilt unabhängig vom Reifegrad der betreffenden Technologie. Bei der Betrachtung der Dynamik technischer Trends geht es um die Problematik der Ablösung vorhandener Technologien durch Innovationen. Informationen hierüber müssen einerseits sorgfältig aus dem Umfeld gefiltert werden. Andererseits gründen sie auf der eigenen FuE-Grundlagenarbeit und bedürfen der laufenden Überprüfung. Für kritische Technologien und für eine fundierte Wahl zwischen alternativen Technologien muß dafür der notwendige Aufwand an Vorfeldarbeit geleistet werden. Bei drohender Substitution zeigen reife Technologien oft einen neuen „Auftrieb“, d. h. unerwartete Leistungsreserven werden mobilisiert. Dieser Umstand kann aber zu der falschen Annahme verleiten, die Technologie sei noch nicht in der Auslaufphase. Ein damit zusammenhängender Fehler ist die Unterschätzung des Entwicklungspotenzials und der Dynamik junger Technologien. Die Patent-Situation kann sich entscheidend auf die künftige Verfügbarkeit einer Technologie auswirken. Es geht um die Fragen, ob wesentliche Entwicklungsrichtungen durch fremde Schutzrechte verbaut sind, oder ob sich eigene Vorstöße durch eine aktive Patentpolitik absichern lässt. Diese und ähnliche Fragen sollten beantwortet werden, bevor die Risiko-Situation endgültig bewertet wird.

10 Technologie-Portfolio als Methodik

341

Zusätzlich läge es hier nahe, analog zur Berücksichtigung einer technischen Risiko-Situation auch eine wirtschaftliche Risiko-Situation einzubeziehen, die beeinflusst wird von • dem Marktwachstum, und der • relativen Wettbewerbsstärke eines bzw. mehrerer Geschäftsfelder, denen die Technologie zugeordnet werden kann. Die Beantwortung dieser Fragen ist aber nicht Aufgabe des Entwicklers, sondern der Geschäftsplanung bzw. Geschäftsentwicklung und des Bereichs-Verantwortlichen.

10.4.2 Kriterium „Relative Technologie-Position“ („X-Achse“) Abweichend von der Erstveröffentlichung zum Technologie-Portfolio nimmt der damalige Mitverfasser von der Ressourcen-Stärke als Dimension der „X-Achse“ des Portfolios abgerückt. Weniger wegen einer nicht ganz unproblematischen Ermittlung, vor allem wegen des wettbewerbsbezugs. Sondern auch wegen der Deutlichkeit der Darstellung. Schon bald wurde deshalb die Relative TechnologiePosition – analog zum Relativen Marktanteil – bevorzugt.16 Sie repräsentiert die Zeit-Dimension im Verhältnis konkurrierender Unternehmen bei der Entwicklung von Innovationen. Da die Lebenszyklen unterschiedlicher Technologien sehr unterschiedlich sind, z. B. in der Mikroelektronik zwischen 1,5 und 3 Jahren, in der Entwicklung von Elektromotoren eher 4 bis 7 Jahre, ist es besser, den absoluten Zeitwert von Vorsprung oder Rückstand auf die Zeitdauer des erwarteten Lebenszyklus dieser Technologie zu beziehen.

Abb. 10.14 Ermittlung der relativen Technologie-Position

16

Metze, G., (1986), S. 343.

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10.4.3 Kriterium „FuE-Budget“ („Z-Achse“) Wie oben erwähnt, kommt das vormalige Kriterium der Ressourcen-Stärke im FuE-Budget zum Ausdruck. Dargestellt wird diese „Z-Achse“ durch den KreisDurchmesser am jeweiligen, durch die X- und Y- Achsenwert bestimmten Punkt. Damit scheint zunächst der Bezug zu dem wichtigen Kriterium des know hows, der technologischen Kompetenz zu fehlen. Dieser Eindruck ist nicht richtig, denn das Gesamtbild der Darstellung der Technologien eines Unternehmens nach Technologie-Attraktivität und Relativer Technologie-Position lässt genau die Lücken und Schwachpunkte in der Kompetenz erkennen, wie man unschwer in Abb. 10.9 erkennen kann.

10.5 Verknüpfung der Kriterien Üblicherweise werden Kriterien mittels der Nutzwertanalyse verdichtet, hier an unserem Beispiel die Subkriterien der Technologie-Attraktivität zu einem Gesamtwert. Das Prinzip der Nutzwertanalyse selbst bzw. von Scoring-Methoden muss hier nicht weiter erklärt werden, denn diese Methoden sind hinreichend in der Literatur beschrieben und werden praktisch tagtäglich in der industriellen Praxis eingesetzt. Dies heißt jedoch nicht, dass diese Methodik richtig eingesetzt wird. Bei der Nutzwertanalyse muss man sich vergegenwärtigen, dass hier Wert- und Sachur-

Abb. 10.15 Verknüpfung von Sub-Kriterien zur Technologie-Attraktivität mittels der Nutzwertanalyse

10 Technologie-Portfolio als Methodik

343

teile miteinander verknüpft werden.17 Die erforderliche Gewichtung der Subkriterien Weiterentw icklungs-Potenzial, Ökonomische Hebelwirkung und Chancen-/ Risiken-Situation zueinander ist in jedem Falle eine Wertung, auch wenn sie „transsubjektiv“ konstruiert wird.18 Demgegenüber können die Ausprägungen der Erfüllungsfaktoren der jeweiligen alternativen Technologien, die zur Beurteilung anstehen, praktisch durch neutrale Expertengutachten relativ sachlich ermittelt werden. Hier geht es um die Frage, wie erfüllt eine bestimmte Technologie dieses Attribut, nicht dagegen, wie wichtig dieses Attribut ist. Das Problem der Nutzwertanalyse und verwandter Methoden ist nicht allein die Gefahr einer interessensgeleiteten Manipulation bei der Gewichtung der verwendeten Kriterien, sondern generell eine Tendenz zur Mittelwertbildung. So ist diese Methode nur wenig geeignet, Technologien, die ähnliche Wirkungen aufweisen, .voneinander zu unterscheiden. Liegen jedoch große Unterschiede vor, so sind diese meist so evident, dass mit der Bewertung eher ein Ritual vollzogen wird, aber keine neue Information über die Vorzugswürdigkeit einer Alternative erreicht wird. Eine bessere Methodik wäre in diesem Fall die Anwendung eines BewertungsFilters, eventuell mit Einbezug von KO-Kriterien je Ebene der Filterung.

10.6 Richtungen der Weiterentwicklung des Technologie-Portfolios zur Verbesserung der Metriken Die Weiterentwicklung des Technologie-Portfolios soll hier in zwei Richtungen zur Verbesserung der Metriken für die Beurteilung von Inventionen und Innovationen skizziert werden: • zum einen die theoretische Basis betreffend eine fundiertere Präzisierung des wichtigsten Kriteriums, der Technologie-Attraktivität, und • zum anderen weitere Verdichtungs- und Auswertungsmöglichkeiten den Ressourceneinsatz betreffend. Wie oben ausgeführt, gründet die Technologie-Attraktivität hauptsächlich auf den Subkriterien „Weiterentwicklungspotenzial“, repräsentiert durch das Modell der technologischen S-Kurve, und der ökonomischen Hebelwirkung. Nun gibt es genügend Beispiele, dass trotz eines hohen WeiterentwicklungsPotenzials und einer eigentlich logisch klaren hohen ökonomischen Hebelwirkung eine Invention trotzdem nicht zur Innovation gebracht werden konnte, oder zumindest nicht in der Zeit, wie es geplant wurde. Die wirtschaftlichen Folgen sind für das involvierte Unternehmen dann meist fatal. 17 Zur generellen Problematik siehe Metze, G. (1980), Grundlagen einer allgemeinen Theorie und Methodik der Technologiebewertung unter den Bedingungen pluralistischer Interessenlagen. Göttingen 1980, S. 285 ff. 18 Siehe Metze, G., (1980), S. 88 ff.

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Ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste Grund liegt in der Wirkung der neuen Technologie auf die Kunden. Je radikaler die angebotene Innovation wirkt, desto mehr erfordert sie eine Anpassung oder Umstellung der technischen Struktur beim Kunden. Dies führt nicht nur zu ungeplanten höheren Kosten für den zusätzlichen Entwicklungsaufwand bezüglich einer Integration der Innovation in die ProduktStruktur des Kunden. Es kann auch – und hier liegen oft die größeren Widerstände – zu einer kompletten Entwertung eines Großteils der technischen Einrichtungen beim Kunden führen. Da diese meist noch nicht abgeschrieben sind, bzw. die Abschreibungen noch nicht verdient wurden, besteht seitens dieser Kunden zunächst noch kein erhöhtes Interesse an einer Adaption der Innovation. Ein aktuelles Beispiel ist die Invention eines holographischen Farbdisplays für Computer und Fernsehgeräte durch einen mittelständischen High Tech-Betrieb. Eine Kooperation mit den Herstellern der jetzigen Flachbildschirme kann als sinnlos erachtet werden, da mit einem Schlag deren Milliarden-schwere Investitionen wertlos würden. Insofern muss in einem erweiterten Ansatz die Technologie-Attraktivität als wesentlicher Beurteilungsfaktor für die Auswahl von Inventionen und Innovationen durch die Wirkung der Innovation auf die Technik-Struktur beim Kunden ergänzt werden. Dies ist relativ gut zu quantifizieren, als der Anteil des entwerteten Anlagevermögens in Relation zum Gesamtanlagevermögen gut dargestellt werden kann. Mit dieser Meßgröße könnte auch zum ersten Mal eine ökonomisch relevante Unterscheidung zwischen inkrementalen und radikalen Innovationen geleistet werden. Der andere Aspekt der Weiterentwicklung des Technologie-Portfolios betrifft – wie oben erwähnt – die Verdichtung der vielen Detail-Informationen nach „oben“. Die Situation in vielen Unternehmen ist ja dadurch gekennzeichnet, dass im Überfluß eines Informationsangebots ein spürbarer Mangel an brauchbaren Informationen herrscht. Zu einer möglichen Lösung knüpfen wir an der Darstellung in Abb. 10.9: „Technologie-Inventur eines Unternehmens mit fehlgesteuerter FuE“ an. Die Position der FuE-Aktivitäten und der damit gebundenen Ressourcen weist auf ein völliges Versagen des FuE-Managements hin. Zur Ermittlung einer Kennzahl, die den Ressourceneinsatz in sehr verdichteter Weise darstellt, wird zunächst eine „Norm“-Gewichtung der Verteilung der Ressourcen vorgenommen, die sich sowohl an der Technologie-Attraktivität („Y-Achse“) als auch an der Relativen Technologie-Position („X-Achse“) orientiert. Sie geht von der Grundüberlegung aus, dass vor allem zukunftsfähige Technologien in ihrer Entwicklung zu unterstützen sind, und dass bei Rückstandspositionen abgewogen werden sollte, ob überhaupt eine Chance besteht, den Wettbewerbern noch Paroli zu bieten. Dieser „Norm“-Gewichtung der Ressourcen-Verteilung wird die tatsächliche Verteilung der Ressourcen in einer FuE- Abteilung gegenübergestellt, so wie sie in Abb. 10.9 dargestellt ist. Aus der Multiplikation von „Norm“-Gewichtung und tatsächlicher Ressourcenverteilung wird durch Multiplikation der Werte in den gleichen Feldern jeder Matrix ein einzelner Ressourcen-Wirkungs-Index erzeugt, der zu einem gesamten Ressourcen-Wirkungs-Index aufsummiert wird.

10 Technologie-Portfolio als Methodik

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Abb. 10.16 Ermittlung der Ressourcen-Effektivität

Das Verhältnis des aufsummierten Ressourcen-Wirkungs-Index zum tatsächlichen FuE-Ressourceneinsatz charakterisiert als Kennzahl die Effektivität der eingesetzten Ressourcen. Es muss hier betont werden, dass die eingesetzten Werte beispielhaft zu verstehen sind. Für eine Anwendung sind sie branchenspezifisch zu generieren, wobei auf die problematische Definition von Branchen hier ausdrücklich verwiesen wird. Ein erster – und hier einsetzbarer – Weg ist die Vorgehensweise, wie sie Bauernschmid in diesem Buch skizziert.19 In einer weiteren Verdichtung können dann diese Indikatoren in den Rahmen einer Balanced Scorecard gestellt werden. Neben der üblichen Trennung von Indikatoren für die finanzielle Perspektive, die Kunden-Perspektive, die Prozeß-Perspektive und die Lern-/Innovations-Perspektive sind wir der Meinung, dass abgeklärt werden müsste, inwieweit eine andere Art der Trennung, nämlich zwischen Effektivitäts-Perspektive, wie sie hier angerissen wurde, und einer EffizienzPerspektive (bezüglich der Prozesse, Zeiten, Kosten) mehr Informationsgehalt bringt. Das bleibt weiteren theoretischen Überlegungen und praktischen Überprüfungen vorgehalten.

Literaturverzeichnis Bauernschmid, P. (2008) Ressourcen-Bewertung von Innovationsprojekten zwischen „lean“ und „slack“. In: diesem Buch 19

Bauernschmid, P. (2008).

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G. Metze

Metze, G. (1980), Grundlagen einer allgemeinen Theorie und Methodik der Technologiebewertung unter den Bedingungen pluralistischer Interessenlagen. Göttingen 1980 Metze, G. (1985) Perspektiven zukünftigen Innovationsmanagements – Schwerpunkte und Aufgaben des nächsten Jahrzehnts. Congena Texte, Heft 2/3 1985, S. 59–63 Metze, G. (1986) Experience in the Application of the Technology Portfolio for Controlling R&D. In: Hübner, H. (Ed.),The Art and Science of Innovation Management. Amsterdam 1986, S. 337–344, hier S. 337 ff Metze, G. (1998), Rückbesinnung auf Pfeiffers frühe(re) Werke als Verpflichtung für die künftige Theorieentwicklung – aufgezeigt am „Fist-Follower-Prinzip“ und am „Lean Management“. In: Weiß, E., Dirsch, H. (Hrsg.), Innovative Unternehmensführung. Festgabe zum 65. Geburtstag von Professor Dr. Werner Pfeiffer. Nürnber 1998 Metze, G. (2000a), Marketing sowie Forschung und Entwicklung. In: Pepels, W. (Hrsg.), Marketing-Schnittstellen. Köln, Wien, Aarau 2000, S. 89–108 Metze, G. (2000- b), Entwicklungsprozeß. In: Pepels, W. (Hrsg.), Marketing-Schnittstellen. Köln, Wien, Aarau 2000, S. 109–121 Pfeiffer, W./Metze, G./Schneider, W./Amler, R. (zitiert als Pfeiffer, W., et al.) (1991), TechnologiePortfolio zum Management strategischer Zukunftsgeschäftsfelder. 1. Auflage Göttingen 1982, 6. durchgesehene Auflage Göttingen 1991 Pfeiffer, W./Metze, G. (1989 a), FuE und Innovationsplanung, in: Szyperski, N. (Hrsg.), Handwörterbuch der Planung. Stuttgart 1989, Sp. 554–566, hier Sp. 556 ff. Pfeiffer, W./Metze, G. (1989 b), Technologische Analyse, in: Szyperski, N. (Hrsg.), Handwörterbuch der Planung. Stuttgart 1989, Sp. 2002–2015

Kapitel 11

Ressourcen-Bewertung von Innovationsprojekten zwischen „lean“ und „slack“ Peter Bauernschmid

11.1 Forschung und Entwicklung (FuE), Innovation und slack Die Betrachtung der Ressourcen für FuE-Aktivitäten im allgemeinen, als auch im Rahmen der strategischen FuE Planung mittels des Technologie-Portfolios im besonderen ist ein zentraler Punkt des Innovations-Managements. Es bleibt aber nach wie vor unklar, wie viele an Ressourcen für eine bestimmte Innovation, für eine bestimmte FuE-Abteilung, oder ganz allgemein, für FuEAktivitäten als adäquat zu betrachten sind. Diese Problemstellung beinhaltet zwei Aspekte, nämlich • Die Bestimmung des Ausmaßes der Ressourcen für die Entwicklung bestimmter Innovationen bzw. Technologien, und • ob den Mitarbeitern eine freie Verfügungsgewalt über einen zu bestimmenden Teil der Ressourcen für eigeninitiierte FuE-Aktivitäten gegeben werden soll. Beide Punkte sind verknüpft in der Diskussion um Lean R&D. Lean R&D setzt überall daran an, wo „muda“, Verschwendung an Ressourcen gegeben ist. Diese Verschwendung kann verschiedene Ursachen haben, von rein egoistischen Bereicherungsmotiven bis hin zur Unachtsamkeit oder nicht rationell durchgeführter Planung und Realisierung von Projekten und Prozessen. Auch wenn bei den verschiedenen Varianten des lean management eine Beteiligung der Mitarbeiter betont wird, so handelt es sich doch um einen top down gelenkten, eher zentralistischen Ansatz, der eigenständige Handlungen der Mitarbeiter lediglich im Rahmen von KVP, Kaizen, Verbesserungsvorschlagswesen zugesteht.1 Demgegenüber steht der wesentlich ältere Gedanke, dass für Innovationen „slack“-Ressourcen notwendig sind, also gerade das Gegenteil von „lean“. Cyert 1 Metze, G., 1998, Rückbesinnung auf Pfeiffers frühe(re) Werke als Verpflichtung für die künftige Theorieentwicklung – aufgezeigt am “First-Follower-Prinzip” und am “Lean Management”. In: Weiß, E., Dirsch, H.(Hrsg.), Innovative Unternehmensführung. Festgabe zum 65. Geburtstag von Prof. Dr. Werner Pfeiffer, Forschungs- und Beratungsgruppe für innovative Unternehmensführung, Nürnberg, S. 39–56, hier S. 52 ff.

W. Schmeisser, H. Mohnkopf, M. Hartmann, G. Metze (Hrsg.), Innovationserfolgsrechnung DOI: 10.1007/978-3-540-78249-0, © Springer 2008

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P. Bauernschmid

und March sind die bekannten Protagonisten für den Einsatz von „slack“. Sie gehen von dem Standpunkt aus, dass Organisationen mit slack im Sinne eines RessourcenÜberschusses diesen für die Generierung von Innovationen verwenden, was bei Ressourcen-Knappheit so nicht zu leisten wäre.2 Wichtig dabei ist, dass der Einsatz von „slack“-Ressourcen – in gewissen Grenzen – von den handelnden Ingenieuren und Wissenschaftlern nach deren freiem Ermessen unabhängig von der offiziellen Zielsetzung und vom Management eingesetzt wird.3 Diese zwei gegensätzllichen Positionen beziehen sich nicht nur auf die Ressourcen-Allokation, sondern sie beinhaltet auch die Gegenposition bezüglich der Entstehung strategisch relevanter Handlungen im Unternehmen. Burgelman unterscheidet hier „induced behavior“, also eher vom Kunden angeregte Aktion gegen dem „autonomous behavior“, was von der Mitgliedern der Organisation, bei technisch orientierten Unternehmen, von den FuE-Mitarbeitern kommt. Hinzu kommt noch ein anderer wichtiger Aspekt. Induced behavior wird eher mit incrementalen Innovationen verbunden, es geht durch den strategischen Filter des Management. Es ist also eine Top-down-Filterung. Demgegenüber entstehen autonome und strategisch relevante Handlungen unten an der Basis im FuE-Labor. „Autonomous behavior“ entsteht also „bottom up“. Dadurch werden strategische Chancen für radikale Innovationen eröffnet, die externe Bedrohungen des Unternehmens reduzieren können.4 Im Gegensatz zur dieser Position aus der Schule der „Behavioral Theory of the Firm“ bezeichnen die Vertreter der „Agency Theory“ „slack“ als eine RessourcenVerschwendung.5 Dieser Konflikt zwischen „slack“ als positive Voraussetzung für Innovationen und „slack“ als negative Verschwendung von Ressourcen scheint durch den Ansatz von Nohria and Gulati gelöst, die einen inversen U-förmingen Verlauf für den Zusammenhang zwischen slack und Unternehmensergebnis postulieren: Zu wenig slack ist negativ, zu viel slack auch. Es gibt nur einen Punkt, oder eine Zone, innerhalb der „slack“ positiv wirkt.6 Deshalb ist die richtige Bemessung der Res2

Cyert, R. M., March, J. G. 1963. A Behavioral Theory of the Firm. Prentice-Hall, New York, p. 279. 3 David E. Dimick, Victor V. Murray 1978, Correlates of Substantive Policy Decisions in Organizations: The Case of Human Resource Management. Academy of Management Journal, Vol. 21, No. 4 (Dec., 1978), pp. 611–623, here p. 616. 4 Slack allows an organization “to adapt successfully to internal pressures for adjustment or to external pressures for change in policy, as well as to initiate changes in strategy with respect to external environment” Bourgeois, L. J. 1981. On the measurement of slack. Acad. Management Rev. 6(1) 29–39, p. 30. 5 Jensen, M. C., 1986. Agency costs of free cash flow, corporate finance, and takeovers. American Economic Review, 76: 323–329; Leibenstein, H., 1969. Organisational or frictional equiplibria, X-efficiency, and the rate of innovation. Quarterly Journal of Economics, 83: 600–623. 6 Nohria, N. & Gulati, R. 1996. Is slack good or bad for innovation? Academy of Management Journal, 39: 1245–1264. Geiger, S. W., & Cashen, L. H. 2002. A Multidimensional Examination of Slack and its Impact on Innovation. Journal of Managerial Issues, XIV(I): 68–84. Ozcan, S., Examining Slack – Innovation Relationship: Longitudinal Evidence from the US Farm Equipment

11 Ressourcen-Bewertung von Innovationsprojekten

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sourcen eine wesentliche Voraussetzung für die Generierung von Innovationen in Organisatonen.7 Es wird bei Nohria and Gulati nicht explizit betont, dass die effektive Verwendung von slack eine gewisse Eigenständigkeit der Mitarbeiter voraussetzt. Aber es wird zumindest deutlich, dass es sowohl ein „zuwenig“ als auch ein „zuviel“ an FuE – Ressourcen geben kann. Betrachten wir die FuE-Intensität von Firmen einer Branche, dann müsste zu sehen sein, welche der Firmen weniger, und welche mehr an FuE – Ressourcen einsetzen, als im Durchschnitt der Branche üblich ist. Nun lässt sich in der Elektronik-Branche zwischen ausgewählten Firmen tatsächlich eine große Bandbreite der FuE-Intensität feststellen. Wir können hier nicht exakt die Innovationskraft dieser Firmen messen. Aber wir gehen von folgendem Umkehrschluß aus: • die Elektronik-Industrie ist eine innovative Branche • Unternehmen, die in dieser Branche überleben wollen, müssen innovativ sein, sonst werden sie aus dieser Branche ausscheiden, • Firmen, die in der Elektronik-Branche längere Zeit ( > 5 Jahre ) im Markt sichtbar sind, müssen demnach ein Minimum an Innovationen erbracht haben. • Insofern sind die hier aufgeführten Unternehmen „innovativ“. Wenn also alle hier aufgeführten Unternehmen der Elektronik-Branche innovativ sind, dann müssten nach der oben genannten Logik Firmen wie Dell, Apple

Abb. 11.1 Ableitung des „optimalen slack“ für die Generierung von Innovationen

Industry (1996–2000). Paper to be presented at the DRUID Tenth Anniversary Summer Conference 2005 on Dynamics of Industry and Innovation: Organizations, Networks and Systems. Copenhagen, Denmark, June 27–29, 2005, p. 5. 7 Greve, H. R. (2003) A Behavioral Theory of R&D Expenditures and Innovations: Evidence from Shipbuilding. Working paper of the Norwegian School of Management BI, Department of Strategy: http://home.bi.no/a0210001/BehavInnovAMJ.pdf; Forthcoming in the Academy of Management Journal February 2003.

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P. Bauernschmid

Abb. 11.2 Überblick über die FuE-Intensität von ausgewählten Unternehmen der Elektronik-Branche Quelle: Lake, D. (2001), Pc R&D Is A-Ok – Industry Trend or Event. In: Industry Standard, The, May 21, 2001. http://findarticles.com/p/articles /mi_m0HWW/is_20_4/ai_75098482

ausgesprochen „lean“ sein, dagegen Firmen wie 3Com oder Texas Instruments eher über zuviel an slack verfügen. Palm und Sun Microsystems liegen am nächsten zum Durchschnitt. Aber haben Palm und Sun Microsystems wirklich den idealen Punkt an slack erreicht?

11.2 Definition und Entstehungs-Zusammenhang von slack Slack-Ressourcen werden im Rahmen dieser Arbeit als diejenigen verfügbaren Ressourcen definiert, die das notwendige Ressourcen-Minimum, was zur Erzeugung einer definierten Leistung notwendig ist, übersteigen,89 und sie werden für andere Zwecke eingesetzt als die offiziellen Ziele des Unternehmens zulassen.10 Wichtig ist, dass der Einsatz von slack-Ressourcen von den involvierten Mitarbeitern frei bestimmt wird.11 Slack wird – je nach den verschiedenen Implikationen und unterschiedlichen Perspektiven12 – entsprechend der Identifizierbarkeit und Rückgewinnungsmöglichkeit in drei Arten unterteilt: 8

This definition is close to that of Nohria and Gulati’s (1996), with the important distinction that slack involves resources currently within the firm, but also those that are potentially available to the firm (i. e., debt), thus capturing that are not only the multidimensional aspect of organizational slack. Geiger, S. W., L. H. Cashen. (2002), p. 55 or 54 9 Greve, H. R. (2003), p. 9. 10 “. . . .various ways in which resources and energy that may have been devoted to pursuing organizational goals have been channeled into other things” Levinthal, D. A., J. G. March, J. G., 1981. A model of adaptive organizational search. J. Econom. Behaviour and Organ. 2(4) 307–333, p. 309. 11 Dimick, D. E., V. Murray, V. V., (1978) Correlates of Substantive Policy Decisions in Organizations: The Case of Human Resource Management. Academy of Management Journal, Vol. 21, No. 4 (Dec., 1978), pp. 611–623, p. 616. 12 Ozcan 2005 p. 6.

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• Nicht absorbierter, verfügbarer slack, • Absorbierter, nicht leicht rückführbarer slack, und • Potenzieller slack, d. h. die Möglichkeit, slack in der Zukunft zu generieren.13 Ohne hier die exakte Diskussion führen zu wollen, grenzen wir potenziellen und nicht absorbierten slack für die Betrachtung der Budgetierung von FuE-Projekten bzw. -Aktivitäten hier aus und konzentrieren uns auf die Entstehung und Verwendung des absorbierten slack. Die Entstehung von slack ist an die Bemessung des offiziellen Budgets gekoppelt. Das offizielle Budget für eine (FuE-) Abteilung oder ein Projekt ist • Entweder niedriger als erforderlich. Die zugeordneten Ressourcen sind nicht ausreichend mit der Wirkung einer unvollständigen Realisierung des Projekts, verbunden mit vielen Lücken Fehlerquellen und Fehlern. • Oder es ist genau richtig bemessen, d. h. die zugeordneten Ressourcen entsprechen genau den Erfordernissen durch die Aufgaben des Projekts, • Oder es ist „oversized”, also übergroße Budgets. Es stehen mehr Ressourcen zur Verfügung als durch die Aufgaben des Projekts notwendig sind. Eine Überversorgung mit Ressourcen kann natürlich im Sinne einer Quer-Subventionierung für andere Projekte genutzt werden, die unterversorgt sind. Diese Unterstützung kann gegenüber dem Management der höheren Führungsebenen versteckt werden oder auch nicht. Bezogen auf das einzelne Projekte ist es ein typischer Fall von absorbiertem slack. Da man aber aus der Perspektive des Unternehmens keine „übersteigerten Kosten ausmachen kann, ist es – gemäß einer sehr engen Definition – kein slack. Wir definieren absorbierten slack als Überschuß-Ressourcen, resultierend aus einem mit Ressourcen überversorgtem Projekt- bzw. Abteilungs-Budget. Daraus können dann die angestellten Ingenieure und Wissenschaftler den Freiraum für FuEAktivitäten nutzen, die jenseits der offziellen Ziel- und Zwecksetzungen des Unternehmens liegen. Aber sogar im Fall eines genau richtig bemessenen Projekt- oder AbteilungsBudgets kann es vorkommen, dass die Mitarbeiter eigen-initiierte Aktivitäten jenseits der offiziellen Aufgaben im Rahmen von „U-Boot“-Projekten durchführen. In diesem Fall ist das nur möglich, wenn das Tagesgeschäft vernachlässigt wird, wodurch eigentlich richtig bemessene Projekte mit Ressourcen dann „unterversorgt“ werden.

11.3 Verwendung von slack Der besondere Zusammenhang zwischen „slack“ und der Generierung von Innovationen ist nicht die Quelle von slack, sondern der Verwendungszusammenhang. 13 Bourgeois, L. J., J. V. Singh. 1983. Organizational slack and political behavior within top management groups. Acad. Management Proceedings. 43, 43–49.

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Hierbei geht es hauptsächlich, ob die Verwendung der slack-Ressourcen dem Management verborgen ist und bleibt, oder ob das Management – in unterschiedlichem Ausmaß – involviert ist oder wird. Die folgende Abbidlung gibt eine Übersicht über die verschiedenen Verwendungen von slack. Wir unterscheiden dabei die folgenden Arten für die Verwendung von slack: • Vor dem Management verborgener slack, d. h. dieser slack wird auch vom Management nicht wahrgenommen.14 Augdorfer hat diese Art von slack, deren Verwendung als bootlegging oder als U-Bootprojekte bezeichnet und ausführlich analysiert.15 • Vom Management wahrgenommener slack16 , aber – ebenfalls durch das Management verborgen, dabei entweder · ignoriert oder toleriert,17 oder · gar mit einem verborgenem Engagement des Managements in dieser slackVerwendung. – Wieder in die offizielle Ressourcenallocation einbezogen und damit in offizielle Ressourcen umgewandelt, um · Als offiziell gewährte slack-Ressourcen zur freien Verwendung in FuE, oder · Als Teil eines regulären Budgets ohne jegliche Freiheitsgrade für die Ingenieure und Wissenschaftler verfügbar zu sein. Prinzipiell kann slack für die verschiedensten Tätigkeiten im Unternehmen genutzt oder eingesetzt werden. Wir konzentrieren uns hier auf den Einsatz von slack in FuE. Dabei nehmen wir die „top down“-Position des gewährten slack ein, d. h. wir gehen hier von der Position aus, dass • slack bis hinauf zum Top-Management transparent gemacht werden sollte, und • slack den involvierten FuE-Mitarbeitern wirklich zur freien Verfügung im Rahmen des Geschäftszwecks gestellt werden sollte. Das Problem einer Steuerung autonomer strategischer Handlungen an der Basis ist also einerseits das Problem der Bemessung der Höhe von slack, und andererseits die Gewährung von Freiheitsgraden für eigene Handlungen, die zunächst nicht vollständig mit dem Unternehmenszweck verbunden sein müssen. 14

The formulation about slack as informally activities by appropriating time for tasks or projects that are unknown to higher levels of management indicates that lower levels of management know about these activities or even are involved. Not in all, but in some cases bootlegging is hidden to upper and higher management. See Burgelman, R. A. 1991. Intraorganizational ecology of strategy making and organizationaladaptation: Theory and field research. Organization Science, 2: 239–262., Greve, H. R. (2003), p. 8, and see Augsdorfer, P. (1996), ‘Forbidden Fruit: an analysis of bootlegging, uncertainty, and learning in corporate R&D’, DPhil dissertation, Science Policy Research Unit: University of Sussex. 15 Augsdorfer ,P.,(1996) pp. 71. 16 To the perception of slack as a prerequisite to the allocation of slack see Greve, H. R. (2003), p. 8. 17 Augsdorfer, P. (1996), pp. 71.

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Abb. 11.3 Verwendungs-Zusammenhang von absorbiertem slack

11.4 Einflußgrößen von slack Um slack erfolgreich in Innovationen transformieren zu können, postulieren wir innerhalb von zwei Klassen, den interorganisatorischen und den extraorganisatorischen Einflußgrößen, folgende wichtige Faktoren: Intraorganisatorische Einflußgrößen: • • • •

Das kreative Individuum, Der Mix kreativer Individuen von verschiedenen Disziplinen, Eine behutsame Steuerung des Einsatzes von slack in FuE, und Das Gewähren von Slack in FuE.

Extraorganisatorische Einflußgrößen: • die technologische S-Kurve • die Position des Unternehmens in der technologischen Wertschöpfungskette. Über die innerorganisatorischen Faktoren und ihren Zusammenhang zu slack sind gute empirische Untersuchungen vorhanden, die hier nicht weiter ausgeführt werden müssen.18 Aus unserer Sicht kommt vielleicht der Aspekt der „behutsamen Steuerung des slack-Einsatzes in FuE“ zu kurz. Dies soll aber andernorts näher dargestellt werden. Im Rahmen dieser Publikationen konzentrieren wir uns auf die externen Einflußgrößen der Verwendung von slack im Zusammenhang mit der Generierung von Innovationen.

18

Siehe z. B. Augsdorfer, P., (1996) S. 71 ff.

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11.4.1 Zur Stellung in der Technologie-S-Kurve als Determinante des FuE-Budgets Um den unterschiedlich sinnvollen Einsatz von slack zu bestimmen, nehmen wir zuerst auf die bekannte Technologie-S-Kurve Bezug, die sowohl die Entwicklung von Produkten und Prozessen, aber auch von Technologien und know how charakterisiert.19 Produkte, Technologie, und damit die sie repräsentierenden Industrien und Branchen können durch ihre Postion in dieser Kurve, die auch als technischer Lebenszyklus bezeichnet wird, beschrieben werden.20 Die Technologie-S-Kurve repräsentiert die Akkumulation der abhängigen Variablen, die durch einen Leistungs-Indikator der Technologie dargestellt wird. Mit Zunahme der unabhängigen Variable, meist FuE-Einsatz , geht die abhängige Variable asymptotisch gegen einen Grenzwert. Die technologische S-Kurve umfasst die aufeinander folgenden Phasen der • Gundlagen- FuE bzw. Ideenfindung, • der Erstellung von Funktionsmustern, feasibility studies, proof of concepts, • der Überführung in anwendbare bzw. einssetzbare Produkte und Prozesse mit einer wachsenden Steigerung des entsprechenden Leistungs-Parameters der Technologie,

Abb. 11.4 Die technologische S-Kurve bzw. der Reifegrad einer Technologie 19

Die S-Kurve wird meist auf Henderson zurückgeführt. Sie wurde aber bereits vorher z. B. von Jantsch etc. diskutiert. Jantsch, E., (1967) Technological Forecasting in Perspective. Paris OECD pp. 151; Robert U. Ayres (1969), Technological Forecasting and Long-Range Planning, McGraw Hill, New York (1969). 20 Albach, H., Audretsch, D. B., Fleischer, M., Greb, R., Höfs, E., Röller, L.-H. Schulz, I. (1996), Innovation in the European Chemical Industry, Discussion Paper FS IV 96–26, Wissenschaftszentrum Berlin, 1996, p. 4.

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• der Reife, charakterisiert durch eine Reduktion der Leistungs-Steigerung der Technologie, und • der Sättigung als Annäherung an den Grenzwert der Leistungsfähigkeit einer bestimmten Technologie.21 Wenn der physikalische Grenzwert der Technologie nahezu erreicht ist, führen weitere FuE-Aktivitäten nur noch in marginalen Verbesserungen. Um jenseits dieses Grenzwertes gehen zu können, muss eine neue technologische Lösung gefunden werden, die die bisherige Technologie leistungsmäßig überholen kann.22 Verbinden wir den Verlauf der S-Kurve mit einer optimalen FuE-Intensität, dann postulieren wir für die Bemessung der FuE-Ressourcen wie folgt: • Während der Gundlagen- FuE bzw. der Ideenfindung am Anfang der S-Kurve soll geringer slack gewährt werden, um die Entstehung einer Ideen-Vielfalt zu unterstützen. Dadurch wird das Risiko reduziert, sich zu bald auf nur einen Weg festzulegen. Hier werden auch noch am wenigsten Ressourcen für FuE eingesetzt. • Wenn dann die Entscheidung über einen bestimmten technologischen Weg getroffen wird, dann werden alle Ressourcen auf die Erstellung von Funktionsmustern, feasiblity studies und/oder „proof of concepts“ konzentriert. Eine Suche nach weiteren Alternativen verbietet sich eher, insofern sollte in dieser Phase kein slack gewährt oder toleriert werden. • In der Mitte der S-Kurve während der Überführung in anwendbare bzw. einssetzbare Produkte und Prozesse kann wieder mehr slack gewährt werden, um vom Unternehmen aus die Weiterentwicklung der gegebenen Technologie auf unterschiedlichen Wegen zu entwickeln. • Am Ende der S-Kurve in der Reife- und der Sättigungsphase sollten die FuEAktivitäten für diese Technologie auf jeden Fall reduziert werden. Parallel dazu sind aber slack-Ressourcen für die Findung und Generierung neuer Technologien dringend erforderlich. Dieser Abschnitt ist besonders kritisch für die Unternehmen. Gerade die mit der „alten“ Technologie erfolgreichen Unternehmen bleiben dieser zu lange verhaftet und verpassen den Einstieg in neue Technologien. Ein Musterbeispiel der jüngeren Vergangenheit ist Polaroid, aber auch Kodak mit der sehr aufwändigen Entwicklung des Advanced Photo System (APS), basierend auf der reifen Technologie photo-chemischer Prozesse, das durch die digitale Photographie, z. B. durch die Firma Sony etc. zum Flop wurde. Diese Postulate werden im Sinne einer Simulation oder „ersten Näherung“ untenstehend quantifiziert. Sie sind natürlich in nachfolgenden wissenschaftlichen Analysen 21

Twiss B. C. (1995), Managing technological innovation, Pitman, Publishing, 4 Edt., U. K.; Shehabuddeen, N. TMH., Probert D. R., Excavating the Technology Landscape: Deploying Technology Intelligence to Detect Early Warning Signals. International Engineering Management Conference 2004; 0-7803-8519-5/04/2004 IEEE; p. 332–336. 22 Singh, S., Singh Chhatwal, S., Yahyabhoy, t., M., Heng, Y.,c.,(2002) DYNAMICS OF INNOVATION IN E-BANKING. Paper presented at ECIS 2002, June 6–8, Gdañsk, Poland, p. 1527–1537, p. 1529; Foster, R., “Innovation: The Attacker’s Advantage”, Summit Books, New York, 1986.

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Abb. 11.5 Die prinzipielle Zuordnung von slack gemäß dem technologischen Reifegrad

zu untermauern, oder zu verwerfen. Für diese Ableitungen greifen wir zunächst auf Informationen über die FuE-Intensität verschiedener Branchen zurück. In der Regel finden wir in den verschiedensten Branchen ein Konglomerat von Technologien. Aber in vielen Fällen lassen sich einige wenige Kern-Technologien identifizieren, die im Zentrum der Produkte und Prozesse stehen, in der Automobilbranche gehören Sicherheit Technologien des Antriebs dazu. Da c. p. mit zunehmendem technologischen Reifegrad die FuE-Intensität abnimmt, kann man umgekehrt von der FuE-Intensität auf den technologischen Reifegrad schließen. Entsprechend wäre dann die Gewährung von slack zuzuordnen. Ausgehend von einem slack-Maximalwert von ca. 15 %23 werden hier 10 % slack-Anteil an der FuE-Intensität als durchschnittlicher Basis-Bezugswert angenommen. Über eine „erste Simulation“ werden nachfolgend „passende“ slack-Anteile am FuE-Budget je nach der Phase der Haupttechnologie gemäß der technologischen S-Kurve abgeleitet.

11.4.2 Zur Stellung im technologischen Wertschöpfungs-Netz als Determinante des FuE-Budgets Die Charakterisierung von Technologien durch die S-Kurve erklärt Unterschiede in der FuE-Intensität zwischen unterschiedlichen Technologie-Arten, die die Kern23

Siehe auch die Ergebnisse der Untersuchung von Augsdorfer, P. (1996), a. a. O. Ergebnisse unveröffentlichter Analysen von Prof. Dr. Gerhard Metze, Institut für Innovationsund Risiko-Management. http://www.baytech-netzwerk.de/institut-fuer-innovationsund-risikomanagement-einleitung.html.

24

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Abb. 11.6 Zuordnung verschiedener technisch-geprägter Branchen gemäß dem Reifegrad der Kerntechnologie

Abb. 11.7 Die Ableitung der Höhe von slack gemäß dem technologischen Reifegrad der Kerntechnologie einer Branche24

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Technologie bestimmter Branchen darstellen. Diese Unterschiede sind leicht sichtbar zwischen Branchen mit sehr unterschiedlicher Kern-Technologie, wie z. B. der Stahl-Industrie, der Automobil-Branche, der Elektronik-Industrie. Aber mit der S-Kurve alleine können deutliche Unterschiede innerhalb einer Branche nicht erklärt werden (siehe auch Bild 2)25 . Dies liegt daran, dass die Bezeichnung der verschiedenen Branchen anwendungsorientiert ist, und keine Informationen über technologische Homogenitäten bzw. Heterogenitäten in einer Branche, d. h. über die zugrunde liegenden technischen Strukturen und Wurzeln gibt. Als schlechtes Musterbeispiel dieser anwendungsorientierten Klassifikation im Zusammenhang mit Innovationen ist die Forschungsarbeit von Greve26 der Innovationen in der Schiffbau-Industrie im Zusammenhang mit slack untersucht hat. Greve selbst führt aus, dass ein Vergleich der Bedingungen der Generierung von Innovationen nur möglich ist, wenn eine vergleichbare Basis der zu untersuchenden Objekte besteht. Deshalb greift er auf den – nach seiner Meinung – ziemlich geschlossenen ökonomischen Sektor zurück, eben die Schiffbau-Industrie. Er verifiziert dabei seinen theoretischen Rahmen an hand von 11 großen japanischen Schiffbau-Firmen und untersucht dabei deren Innovationen über 26 Jahre.27 Wenn man die einbezogenen Firmen näher anschaut, dann wird offensichtlich, dass diese Firmen nicht so ähnlich zueinander sind, als es Greve selber als Voraussetzung für eine brauchbare Analyse definiert.28 Dies kommt aus einer rein anwendungs-orientierten definition der Firmen und ihrer Geschäfte: Die Anwendungen der Produkte und Technologien dieser Firmen gehen zwar alle überwiegenden in den Schiffbau ein. Aber ihre technologischen Firmen sind absolut unterschiedlich, z. B.: • • • • • •

Schweiß Roboter, Schiff-Antenne, Anti-rolling Steuerung, Diesel-Motor Steuerung, Mehrzweck Schiffs-Simulator, spezieller Propellerschaft etc.29

Die Technologien, die FuE-Aufgaben und -Aktivitäten sind ähnlicher zwischen einem Schweiß-Roboter für den Schiffbau und einem Schweiß-Roboter für die Automobil-Industrie, als zwischen einem Schweißroboter für den Schiffbau und einer Diesel-Motor-Steuerung. 25 Lake, D. (2001), Pc R&D Is A-Ok-Industry Trend or Event. In: Industry Standard, The, May 21, 2001. http://findarticles.com/p/articles/mi_m0HWW/is_20_4/ai_75098482, und siehe www.destatis.de/.../Internet/DE/Presse/pk/2005/Biotechnologie/Publikation__Biotechnologie,property=file.pdf. 26 Greve, H. R. (2003), a. a. O. 27 Greve, H. R. (2003) pp. 13. 28 “. . . require that the organizations be involved in similar forms of business. . . ”, Greve, H. R. (2003) p. 18. 29 Greve, H. R. (2003) p. 39.

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Für Innovationen im Bereich von Technologien ist deshalb ein Vergleich nur auf der Basis technischer Ähnlichkeiten, aber nicht auf der Basis der Applikation der Technologie sinnvoll: z. B. • eine Gruppe von Antennen-Unternehmen, unabhängig von der Applikation, sei es für Schiffe oder für Polizei-Stationen, • eine Gruppe von Roboter-Unternehmen, unabhängig ob für den Automobilbau, oder für den Schiffbau, • eine Gruppe von Unternehmen, die Dieselmotorsteuerungen herstellen, sei es für Schiffsdiesel, oder für Schiffsdiesel, oder für stationäre Dieselmotore, die elektrischen Strom erzeugen. Deshalb kann – aus unserer Perspektive – die Schiffbau-Industrie nicht als ein geschlossenes industrielles Ökosystem bezeichnet werden, in dem die FuE-Intensität und Innovationsergebnisse der Unternehmen miteinander verglichen werden können. Der andere Ansatz, das technologische Herz von Organisationen mittels der Patente zu klassifizieren, scheitert praktisch am selben Problem. Das Problem liegt in den Lücken der verwendeten Patent-Klassifikationen, die eine Mischng aus funktionalen und technologischen Deskriptoren sind, eingebettet in eine hierarchische Stufenstruktur.30 So werden bspw. pharmazeutische Wirkstoffe unter Sektion A (täglicher Lebensbedarf) in der Technologieklasse 61 (Gesundheit) registriert, obwohl ebenfalls eine starke Affinität des technologischen Wissens zur Sektion C (Chemie) gegeben ist.31 Ein weiterer Ansatz, der als Analogie zur Nahrungsmittel-Kette angesehen werden kann, ist die Darstellung der Wertschöpfungs-Kette. Eine Organisation mit ihrem Stoffwechsel ist in eine spezifische WertschöpfungsKette zwischen Lieferanten und Kunden eingebettet. Diese Wertschöpfungs-Kette – gemäß Porter – beinhaltet in abstrakter Weise: • Die Liefernaten der Lieferanten einer Organisation • Die Lieferanten der Organisation • Die Hersteller, quasi in der Mitte der Wertschöpfungs-Kette, (Original Equipment Manufacturer, OEM) • Die direkten Kunden bzw. Nutzer, und • Die Kunden der Kunden bzw. die privaten Endkunden.32

30

Stephan, M., (2005) Vertikale Spezialisierung und technologischer Kompetenzabbau? Eine empirische Analyse der Auswirkung der Reduzierung der Wertschöpfungstiefe auf das Technologieportfolio von Unternehmen. Beitrag im Rahmen der Fachtagung der Kommission Technologie- und Innovationsmanagement. 7. Fachtagung der Kommission für Technologie- und Innovationsmanagement (TIM) im Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e. V., Universität Erfurt, 27.–29. November, Erfurt 2005 p. 15. 31 Stephan, M., (2005) p. 15. 32 Porter, M.(1985) Competitive Advantage: Creating and Sustaining Superior Performance. New York: The Free Press, 1985.

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Diese Art der Darstellung der Wertschöpfungs-Kette basiert auf dem ProzeßGedanken. Sie findet auf dem „meso-level“ statt, d. h. sie verbindet die betrachtete Organisation mit den jeweiligen Input-Lieferanten und den Output-Abnehmern, den Kunden.33,34,35,36,37,38 Die Generierung von Innovationen wird nicht nur durch eine enge Wechselwirkung zwischen Hersteller und Kunde beeinflusst. Sondern es besteht eine mindestens genau so große Wechselwirkung zwischen dem Hersteller und den Lieferanten. Deshalb werden innovierende Unternehmen immer mehr abhängig von den Wechselwirkungen zu komplementärem know how, und damit zu komplementären Unternehmen jenseits der eigenen Unternehmens-Grenzen.39 Der Innovationsprozeß mag an einer Stelle der Wertschöpfungs-Kette entstehen. Aber er wird beeinflusst von, und erstreckt sich über die gesamte Wertschöpfungs-Kette.40 Das Porter’sche Modell der Wertschöpfungs-Kette ist für unsere Zwecke jedoch noch zu abstrakt, als dass es die innovations-relevanten Elemente der technischen Struktur von Produkten und Systemen abbilden könnte. Insbesondere fehlt der Aspekt einer Technologie-Hierarchie. Auf den ersten Blick entspricht diese Hierarchie der technischen Struktur eines Produktes, ähnlich einer Stückliste. Aber hier ist dies der Kern eines Modells, das den materiellen Zusammenhang vom Anfang her, also von der Aufbereitung der Rohstoffe, über die verschiedenen Herstellungs-Prozesse bis hin zur Herstellung komplexer Produkte und Systeme beinhaltet. Es ist also eher ein Netzwerk denn eine Kette. Innerhalb dieses Netzwerks findet ein Austausch zwischen Material, Energie und Informationen statt, der von einem hierarchisch gesehen unterem Niveau aus geht, 33

“CS involve a high degree of precision and customization in design and production.”, “Consequently, users involve themselves intimately in the innovation process.”, Miller et al. (1995), pp. 364–365. 34 “. . . supply large user firms rather than mass market consumers.”, “. . . persistent bilateral oligopoly.”, “. . . needs of large sophisticated business users. . . ”, Miller et al. (1995), pp. 364–365 35 “Users are heavily involved in complex products because they are dependent upon them for their business growth, profitability and survival.”, Miller, R., Hobday, M., Leroux-Demers, T., Olleros X. (1995): Innovation in Complex Systems Industries: the Case of Flight Simulation, in: Oxford University Press, Industrial and Corporate Change, Brighton 1995, pp. 363–400, p. 371 36 “Consequently, the buyers’ involvement in R&D, design and production methods will often take place throughout the product’s development and not just at the early stages, as in the conventional model. Users may be responsible for important post production innovations involving maintenance, upgrading, performance modifications and information feedback for future production and re-innovation (Rothwell and Gardiner, 1989). Unlike mass market buyers, CS user organizations learn and internalize (verinnerlichen) much of the systems technology in order to be effective in their own business.”, Miller et al. (1995), p. 372. 37 “That the users have an important stake in the innovation process.”, Miller et al. (1995), p. 372. 38 “intensity of user involvement”, “uncertainty/change in unser requirements”, “intensity of other supplier involvement and intensity of regulatory Involvement.”, Hobday (1998), p. 10. 39 Roelandt, T. J. A., Gerbrands, P. W. L., van Bergeijk, P. A. G., (2002): Markets and innovativeness: Does structure influence innovation performance? Research Memorandum 9902, Erasmus University Rotterdam,https://ep.eur.nl/bitstream/1765/844/1/rm9902.pdf, p. 18. 40 Roelandt, T. J. A., et al. (2002), p. 19.

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und am „oberen“ Ende in den Konsum durch den Endkunden mündet, ähnlich der Nahrungsmittel-Kette in einem natürlichen Ökosystem. Mit diesem Ansatz kann das Eindringen von Kombinationen neuartiger Technologien in Anwendungsfelder mecha-tronic (1970s), opti-tronic (1980s), und die bio-technische Industie, oder multi-media (1990s) 41 besser erklärt werden als mit einer Klassifikation nach Branchen-Begriffen. Bei der Herstellung technischer Güter beginnt das Wertschöpfungs-Netz mit • • • • •

Der Aufbereitung des Rohmaterials zu Halbzeug, Der Herstellung von Bauelementen und Bauteilen, sowie Software-Elementen, Subfunktionen, incorporiert in Hardware-Komponenten und Software-Module, Produkte und Geräte als Kombination von Hard- und Software, und Systeme als Kombination von Produkten und Geräten, meist durch zusätzliche Software und integrierende Hardware-Systeme realisiert.42

Einige Beispiele von Unternehmen aus der gleichen Branche zeigen, dass es sehr wichtige Unterschiede in der Lokation im Wertschöpfungs-Netz zwischen den Firmen gibt. Die unterschiedlichen Lokationen im Wertschöpfungs-Netz haben direkte Auswirkungen auf die Ausgestaltung der jeweiligen inneren Struktur der Unternehmen, und ihres ganz spezifischen „Stoffwechsels“ mit ihrer Umwelt. In der folgenden Abbildung sehen wir die Unterschiede von völlig verschiedenen Geschäftskonzepten am Beispiel der Hersteller von Personal Computern.

Abb. 11.8 Unterschiedliche Lokation von Unternehmen in der Wertschöpfungs-Kette der PCHerstellung 44

41

Roelandt, T. J. A., et al. (2002), p. 19. Pfeiffer, W., Metze, G., Schneider, W., Amler, R. (zitiert als Pfeiffer, W., et al.) (1991), Technologie-Portfolio zum Management strategischer Zukunftsgeschäftsfelder. 1. Auflage Göttingen 1982, 6. durchgesehene Auflage Göttingen 1991, hier s. 82.

42

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Mit diesem Ansatz können die Innovations-Aktivitäten von Unternehmen präzise zugeordnet werden, und zwar sowohl die vertikale als auch die horizontale Dimension in der Hierarchie des Wertschöpfungs-Netzes betreffend. Christensen und Rosenbloom (1995) prägten hierfür den Begriff des „value-network“.45 Stephan betont das die Position eines Unternehmens in dem technischen Wertschöpfungs-Netz auch das technische Wissen charakterisiert,46 oder umgekehrt, das Potenzial des technischen Wissens charakterisiert die Position des Unternehmens im technischen Wertschöpfungs-Netz in einem ökonomischen Sektor. In jedem Fall wird die Position eines Unternehmens im Wertschöpfungs-Netz durch das technische Wissen bestimmt, das in Produkte und Prozesse für diese Produkte, abstrakt gesehen, in Problemlösungen für die Umwelt der Organisation, transformiert werden. Zusätzlich zu dieser „Kern-Position“ hat ein Unternehmen natürlich noch mehr Möglichkeiten, sein Geschäftskonzept zu bestimmen. Dies ist wiederum im Rahmen des Modells des Wertschöpfungs-Netzes abzubilden. Denn gerade in der „nächsten Nachbarschaft“ auf horizontaler Ebene können z. B. komplementäre Technologien in Frage kommen. In vertikaler Ebene nach unten in der Hierarchie sind vor allem dann Ausweitungen des know hows auf Technologien nötig, wenn die Gefahr einer Abhängigkeit von nur einem Lieferanten besteht. Dies alles ist Teil einer bewussten Festlegung des Geschäftszweckes oder Geschäftskonzepts einer Organisation.47 Wenn wir auf der Basis dieses Modells die unterschiedlichen Unternehmen in der Elektronik-Branche zuordnen und vergleichen, dann sieht man deutlich ihre Unterschiede in der Lokalisation ihres Schwerpunkts bzw. in der Abdeckung eines Teils der Wertschöpfungs-Kette mit plausiblen Auswirkungen auf die FuEIntensität. Wir können hier schlußfolgernd folgende Tendenz konstatieren: • Bei einer Konzentration auf die unteren Stufen des Wertschöpfungs-Netzes ist eine höhere FuE-Intensität gegeben als auf den höheren Stufen, und • Die Abdeckung von mehr als einer Stufe in der Wertschöpfungs-Kette erhöht die FuE-Intensität ebenfalls.

44 Ergebnisse unveröffentlichter Analysen von Prof. Dr. Gerhard Metze, Institut für Innovationsund Risiko-Management. http://www.baytech-netzwerk.de/institut-fuer-innovationsund-risikomanagement-einleitung.html. 45 Christensen, C. M., Rosenbloom, R. S., 1995. Explaining the attackers advantage: technological paradigms, organizational dynamics, and the value network. Research Policy 24, 233–257 And see Murmann, J. P.,Frenken, K., (2002) Toward a Systematic Framework for Research on Dominant Designs, Technological Innovations, and Industrial Change. Papers on Econonmics and Evolution from Max Planck Institute of Economics, Evolutionary Economics Group; Working paper 12 2002, p. 27. 46 Stephan, M., (2005) p. 29. 47 Roelandt, T. J. A., et al. (2002), p. 19 Enright, Michael J. (1995), Regional Clusters and Economic Development: A Research Agenda, Paper prepared for the Conference on Regional Clusters and Business Networks, November 18–20, Fredericton, Canada.

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Abb. 11.9 Lokation von Unternehmen im technologischen Wertschöpfungs-Netz und FuEIntensität

Aus dieser Erkenntnis postulieren wir folgende Zusammenhänge, die durch weitere empirische Untersuchungen noch zu verifizieren sind, und die die Abhängigkeit von slack von der Lokalisation der Position eines Unternehmens im WertschöpfungsNetz, und die Abdeckung der verschiedenen Ebenen des Wertschöpfungs-Netzes betreffen: • Wenn sich die Lokation im technologischen Wertschöpfungs-Netz auf die BasisEbenen bezieht, also z. B. Materialien und Bauelemente bzw. Bauteile, dann wird mehr slack eingesetzt, der die Innovationsleistung erhöht, und umgekehrt. • Wenn sich die Abdeckung des Unternehmens im technologischen Wertschöpfungs-Netz auf das obere Ende bezieht, also auf Produkte, Geräte und Systeme, dann sollte nicht zuviel an slack gewährt werden. Sonst wird damit die Leistung des Systems aufgrund einer tendenziellen Ressourcenverschwendung beeingrächtigt, und umgekehrt. • Wenn sich die Abdeckung des Unternehmens im technologischen Wertschöpfungs-Netz auf den mittleren Teil bezieht, also auf Produkt-Architekturen und Prozeß-SOPs auf der Ebene von Komponenten, Sub-Funktionen etc. dann wird der gezielte Einsatz von slack die innovative Leistung der Organisation noch erhöhen bzw. umgekehrt. Wir können uns vorstellen, dass sich unsere Annahmen – im Sinne einer Simulation – wie folgt konkretisieren können (s. Abb. 11.9). Wir können demnach bei der Bemessung des FuE-Budgets, und damit bei der Gewährung von slack von einer eindeutigen Schwerpunkt-Setzung auf den unteren Ebenen des technologischen Wertschöpfungs-Netzes ausgehen.

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Abb. 11.10 FuE-Intensität und slack gemäß der Ebenen im Technologie-Wertschöpfungs-Netz

11.5 Kombination der technologischen S-Kurve und des technologischen Wertschöpfungs-Netzes als Determinanten von FuE-Budget und slack Der nächste Schritt ist die Ableitung der Bemessung von slack in Abhängigkeit von einer Kombination der technologischen S-Kurven- Betrachtung und der Einbeziehung des technologischen Wertschöpfungs-Netzes. Wir transformieren die aus dem Zusammenhang mit dem technologischen Wertschöpfungs-Netz abgeleiteten Werte der FuE-Intensität als Intensitäts-Relation. Als Bezugswert wird dabei die mittlere Ebene der Module mit dem Wert 1,0 gewählt. Daraus ergeben sich für die Element-Ebene der Intensitäts-Faktor 2,0, für die System-Ebene der Intensitäts-Faktor 0,5. Aus dem Modell der technologischen S-Kurve bzw. dem technologischen Reifegrad können wir – je nach Phase – die Werte 2 %, 5 %, 8 %, 12 % und > 25 % für die FuE-Intensität ableiten. Daraus ergibt sich die folgende differenzierte Basis-Matrix für die Zuordnung von FuE-Intensität (s. Abb. 11.11). Dieses Ergebnis der FuE-Intensität kann im Sinne einer weiteren simulationsartigen Hochrechnung umgewandelt werden in Referenz-Werte, unter welchen Bedingungen wie viel slack gewährt werden soll. Damit werden auf wesentlich differenziertere Weise konkrete Aussagen über die Gewährung bzw. die Höhe von slack gewonnen als die bisherigen Untersuchungen. Diese Zahlen sind logische Ableitungen aufgrund der oben getroffenen ModellAnnahmen. Die Basis der Annahmen ist zwar durchaus empirisch fundiert, nicht jedoch die daraus gezogenen Schlussfolgerungen. Sie sind – wie ausgeführt – eher als Simulation im Sinne einer ersten differenzierten Näherung an das Problem, der Gewährung von slack, zu sehen. Die hier generierten Werte können zunächst als Referenzwerte gesehen werden, auf die ein spezifisches Unternehmen seine externe Position hinsichtlich technologischem Reifegrad der Kerntechnologie und hinsichtlich seiner Stellung im technologischen Wertschöpfungsnetz beziehen kann. In einem nächsten Schritt, der hier nur genannt werden soll, müssen auch die intraorganisatorischen Einflußgrößen als Voraussetzung für den Innovationserfolg in die Betrachtung einbezogen werden.

11 Ressourcen-Bewertung von Innovationsprojekten

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Abb. 11.11 Ableitung der FuE-Intensität als Funktion aus Reifegrad bzw. technologischer S-Kurve, und dem technologischen Wertschöpfungs-Netz

Abb. 11.12 Ableitung der geeigneten Höhe von slack abgeleitet aus der FuE-Intensität als Funktion aus Reifegrad bzw. technologischer S-Kurve, und dem technologischen Wertschöpfungs-Netz

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Eine hervorragende Position bezüglich der extraorganisatorischen Einflußgrößen nützt wenig, wenn keine kreativen Individuen im Unternehmen vorhanden sind. Dies ist eine Grundvoraussetzung. Untersuchungen haben die Relevanz der Interdisziplinarität bewiesen. Es sollten also kreative Ingenieure und Wissenschaftler aus möglichst verschiedenen Fachgebieten zusammen gebracht werden. Von der Top-down-Position her darf der Einsatz von slack nicht ohne Steuerung durch das Management erfolgen. Hier kommt es im wesentlichen darauf an, ob sich das Management auf die Definition der Aktionsfelder beschränkt, den involvierten Mitarbeitern an der Basis aber die entsprechenden Freiheitsgrade einräumt. Und es reicht nicht aus, formell einen Teil des offiziellen Budgets als slack auszuweisen und engagierten Mitarbeitern zuzuordnen. Da vor allem bei hochinnovativen Produkten und Prozessen auch nach deren Markteinführung bzw. Anwendung noch erhebliche Nachentwicklungen notwendig sind, muss auch ein entsprechender Zeitraum für slack-Aktivitäten zur Verfügung gestellt werden. Dies stellt – trotz aller guter Absichten und Beteuerungen durch das Top-Management – die größte Hürde vor allem dann da, wenn das Unternehmen eine anwachsende gute Auftragslage hat.

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11 Ressourcen-Bewertung von Innovationsprojekten

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Teil V

Target Costing und Prozesskostenrechnung als Innovationserfolgsrechnungen des Technologiemanagements und des Innovationsmarketings

Kapitel 12

Conjointbasierte Messung von Nutzenbeiträgen von Produktfunktionen und Generierung von Zielpreisen (Target Pricing)1 Fee Steinhoff, Volker Trommsdorff

12.1 Einleitung Eine wesentliche Funktion der Innovationserfolgsrechnung besteht in der Ermittlung des Erfolges: Es sollen Ausgaben und Einnahmensowie der Saldo als Innovationsergebnis erfasst werden (Hauschildt 1994, S. 1018). Um als Unternehmen wettbewerbsfähig zu sein, muss schon in ganz frühen Phasen des Innovationsprozesses die Ausgabensteuerung eingreifen, damit man den Zielkunden ein anforderungsgerechtes Produkt zu einem akzeptablen Preis anbieten kann. Gestiegenes Preisbewusstsein in vielen Märkten bewirkt, dass bei der Produktentwicklung die Frage: „Was wird das Produkt kosten?“, also eine an der Objektivität von Technik und Wirtschaft orientierte Frage, durch die Frage ersetzt wird: „Was darf das Produkt kosten?“ eine an der Subjektivität der Zielkundenvorstellungen orientierte Frage. Diese Frage muss früh gestellt werden: Ein Großteil der Produktkosten (manche Schätzungen behaupten 70–80 %) werden in frühen Phasen der Wertschöpfungskette (Forschung und Entwicklung – F&E – sowie Konstruktion, also in den Kernphasen des Innovationsprozesses) festgelegt, so dass zur Kostensenkung in der Produktionsphase nur wenig Spielraum verbleibt (Serfling/Schultze 1996, S. 29). Target Costingwidmet sich durch die Gegenüberstellung von Target Prices, Target Margins und Target Costs der Frage „Was darf das Produkt kosten?“. Die Conjointanalyse liefert dazu wesentliche Input-Daten. Dazu gehören Preisbereitschaften potenzieller Kunden im Markt sowie Nutzenbeiträge von Produktfunktionen. Mit der Conjointanalyse kann man die Beiträge einzelner Produktfeatures zum subjektiven Gesamtnutzen des Produktes quantitativ abschätzen. Der vorliegende Beitrag stellt zunächst die Methode Target Costing im Überblick dar (Abschnitt 12.2). Anschließend wird die Conjointanalyse zur Generierung von Target Prices und Nutzenbeiträgen von Produktfunktionen fokussiert (Abschnitt 12.3). Dazu wird eine Ein1 Für eine ausführliche Darstellung sei auf das praxisorientierte Lehrbuch Trommsdorff/Steinhoff (2007) „Innovationsmarketing“, Verlag Franz Vahlen GmbH München, verwiesen.

W. Schmeisser, H. Mohnkopf, M. Hartmann, G. Metze (Hrsg.), Innovationserfolgsrechnung DOI: 10.1007/978-3-540-78249-0, © Springer 2008

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führung zur Conjoint Analyse gegeben (12.3.1), die relevanten Prozessschritte der Conjointanalyse aufgezeigt (12.3.2) und ein Anwendungsbeispiel gegeben (12.3.3). Der Beitrag endet mit einer Zusammenfassung (12.4).

12.2 Target Costing im Überblick Target Costing wurde in Japan entwickelt und wird dort seit den 1970er Jahren erfolgreich eingesetzt. Toyota nahm hier eine Führungsrolle ein, indem 1965 das später als Target Costing bekannt gewordene Konzept „genka kikaku“ entwickelt wurde (Horváth et al. 1993, S. 3). Man bediente sich allerdings altbekannter Prinzipien. So hatte Volkswagen schon in den dreißiger Jahren bei der Entwicklung des Käfers den Verkaufspreis von Anfang an kundenorientiert auf maximal 990 Reichsmark festgelegt (Bullinger et al. 1997, S. 1). Neu bei Target Costing war die systematische und ganzheitliche Herangehensweise. In Deutschland war Audi einer der ersten Anwender von Target Costing im Innovationsprozess. Anlass für die Einführung war die Verschärfung des Wettbewerbs in der Automobilindustrie in den 1980er Jahren und damit der Zwang, Dauer und Kosten der Entwicklungsprozesse zu verkürzen (Heßen/Wesseler 1994, S. 150 f.). Target Costing verbindet die konsequente Ausrichtung der Gestaltung von Produktfunktionen an den Bedürfnissen des Marktes mit der Notwendigkeit der Senkung der Produktkosten in den frühen Phasen der Wertekette, also den Innovationsphasen. Ziele des Target Costing sind (1) strategisch marktorientierte F&E, (2) dynamisches Kostenmanagement von Beginn des Innovationsprozesses an und (3) Motivation zum Total Quality Management durch Orientierung an Marktbedürfnissen anstelle abstrakter Zielvorgaben. Wichtigstes Charakteristikum des Target Costing ist die Kundenorientierung als Ausgangspunkt der Preisfindung. Nicht die technologischen Möglichkeiten, sondern der maximal von den Zielkunden in Abhängigkeit von bestimmten Produktfunktionen akzeptierte Preis soll die Produktentwicklung steuern. Dabei soll von kostenwirksamen Technologie- und Verfahrensstandards des innovierenden Unternehmens zunächst abgesehen werden, um Freiheitsgrade der Kostensteuerung zu gewinnen. Ressourcen sollen nur gemäß den Kundenanforderungen eingesetzt, Kosten nur dort verursacht werden, wo ihr Einsatz Kundennutzen bringt (Seidenschwarz 1993, S. 80 f.). Target Costing verbindet die technische Seite der Produktentwicklung mit der betriebswirtschaftlich-quantitativen Seite der Kennziffernsteuerung. Target Costing dokumentiert während des Entwicklungsprozesses die Konsequenzen der Umsetzung technischer Produktanforderungen auf Absatz- und Kostenziele. Da die Produktenwicklung an den Kundenanforderungen ausgerichtet ist, wird eine vom Markt nicht gewünschte, zu starke Technologieorientierung (“overengineering”) vermieden (Horváth et al. 1993, S. 7). Folgende Prozessschritte unterliegen dem Target Costing Prinzip (vgl. u. a. Horváth et al. 1993, S. 11 ff., Listl 1998, S. 101 ff.):

12 Conjointbasierte Messung von Nutzenbeiträgen

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1. Festlegung der Gesamtzielkosten (Target Costs) Target Costing beginnt mit der Beschaffung von Marktdaten: Informationen über die Preisbereitschaft und die Anforderungen der Zielkunden an die Innovation („market into company“-Ansatz). Zur Erhebung dieser Daten eignet sich besonders die Conjointanalyse, bei der präferierte Preisstrukturen von Zielkunden in Abhängigkeit von Ausprägungen relevanter Produkteigenschaften erhoben werden (siehe folgender Abschnitt). Die Abb. 12.1 visualisiert das Grundprinzip der Zielkostenfestlegung und verdeutlicht den Zusammenhang zur Conjointanalyse. Die mit Hilfe der Conjointanalyse ermittelbare Preisbereitschaft der Kunden für ein Produktkonzept bildet den Target Price und setzt sich aus der Target Margin (gewünschter Gewinn) und den Target Costs zusammen. Die Target Costs sind die Gesamtzielkosten der Innovation, in der Regel ein Kompromiss zwischen den aufgrund von (Conjointbasierten) Kundenanforderungen und Wettbewerbsbedingungen höchstens zulässigen Kosten (Allowable Costs) und den bei Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Technologieund Verfahrensstandards erreichbaren Plankosten (Drifting Costs). Das sind zum jeweiligen Zeitpunkt gerade realisierbare, in der Regel zu hohe, Herstellkosten. Sie dienen der Ermittlung des Kostensenkungsbedarfs. Die Festlegung der Target Costs ist in der Regel ein iterativer Prozess des „Kostenknetens“ (Serfling/Schultze 1996, S. 30; Seidenschwarz 1993, S. 116 ff.). 2. Aufspaltung der Gesamtzielkosten auf Produktkomponenten und -teile (Zielkostenspaltung) Wenn realisierbare Target Costs festgelegt sind, werden die Zielkosten der Produktkomponenten und -teile bestimmt. Grundsätzlich werden dabei zwei Methoden unterschieden, die Komponenten- und die Funktionsmethode. Die Komponentenmethode verteilt die Zielkosten unter Bezugnahme auf Referenzpro-

Abb. 12.1 Das Grundprinzip der Zielkostenfestlegung [Quelle: in Anlehnung an Horváth et al. 1993, S. 12]

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dukte direkt auf die Komponenten und Teile des neuen Produkts. Sie ist wegen der nötigen Referenzmaßstäbe nur für Produktmodifikationen geeignet (Horváth et al. 1993, S. 13). Bei der Funktionsmethode bilden die Nutzenbeiträge der Produktfunktionen aus Sicht der Kunden (ermittelt mit Conjointanalysen) den Ausgangspunkt der Zielkostenspaltung. Die Zielkosten des Gesamtprodukts werden zuerst auf die kundenrelevanten Produktfunktionen gemäß deren Nutzenwerte aufgespaltet. In den Folgeschritten werden die Zielkosten mit Hilfe einer Komponenten/Funktionenmatrix auf die zur Erfüllung der Produktfunktionen notwendigen Produktkomponenten und -teile heruntergebrochen. Die Zielkosten einer Komponente werden also anhand des Beitrags festgelegt, den diese zur Erfüllung der vom Kunden gewünschten Funktionen leistet. Insgesamt soll somit die Ausrichtung an den Kundenbedürfnissen auf allen Produktebenen sichergestellt werden (Coenenberg et al. 1997, S. 385 f.). 3. Zielkostenumsetzung Die Zielkostenumsetzung folgt dem Ziel einer konsequenten Ausrichtung der Produktkonzeption und -entwicklung an den Target Costs. Unter anderem durch Kostenforechecking können, basierend auf der aktuellen IstPlanung, die zu erwartenden Herstell- und Lebenszykluskosten des Produktes bzw. der Produktkomponenten geschätzt werden. Anschließend werden die Zielkosten den aktuellen (geschätzten) Kosten in einem sogenannten Zielkostenkontrolldiagramm gegenübergestellt (Serfling/Schultze 1996, S. 37, Listl 1998, S. 103). Eine iterative Überprüfung und Anpassung des Zielkostenkontrolldiagramms unterstützt die kundenorientierte Suche und Nutzung von Kostensenkungspotenzialen. Das heißt, mit jeder Maßnahme wird proaktiv versucht, die Weichen möglichst frühzeitig auf Zielkostenerreichung zu stellen (Listl 1998, S. 103 f.). Flankierende Ansätze zur durchgängigen Kostenreduktion sind z. B. Kaizen Costing (Kostensenkung durch kontinuierliche Verbesserung), frühzeitige Integration von Zulieferern und systematisches Zeitmanagement (Stops 1996, S. 627 f.). Target Costing ist ein wertvoller Ansatz für marktorientiertes Kostenmanagement in der Produktentwicklung (Specht et al. 2002, S. 179). Die Chancen von Target Costing liegen in höherer Marktakzeptanz der Innovation durch konsequente Orientierung der Kosten bzw. Preisgestaltung an den Kundenbedürfnissen. Die F&E-Kosten werden durch Ausschöpfung von Kostensenkungspotenzialen reduziert. Die resultierende Kooperation der Abteilungen Marketing, F&E und Produktion führt zur verbesserten Innovationskultur. Risiken können aus einem nicht ausreichend strategisch evaluierten, zunehmenden Outsourcing von Teilleistungen entstehen, nur weil sie so billiger zu haben sind. Darüber hinaus erfordert der Einsatz des Target Costing ein hohes Maß an Koordination aller an der Produktentwicklung beteiligten Bereiche und somit neben effizientem Schnittstellenmanagement auch konsequentes Marketing nach Innen, um eventuell auftretenden Akzeptanzwiderständen zu begegnen (Laker 1993, S. 63 f.; Serfling/Schultze 1996, S. 31 f.).

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12.3 Generierung von Target Prices und Nutzenbeiträgen von Produktfunktionen durch Conjointanalysen 12.3.1 Einführung zur Conjointanalyse Mit der Conjointanalyse kann man die additiven Beiträge einzelner Produkteigenschaften zum subjektiven Gesamtwert (Nutzen, Einstellung, Zahlungsbereitschaft) von Produkten abschätzen. Dazu werden Befragten im quasi experimentellen Untersuchungsdesign hypothetisch durch nur ihre wesentlichen Merkmalsausprägungen beschriebene Produkte vorgegeben. Die Befragten müssen (in der Grundversion der Conjointanalyse) lediglich ordinale Präferenzurteile unter Paaren oder Triaden der vorgelegten Produktbeschreibungen bilden. Das Verfahren behandelt diese ordinalen Präferenzangaben als abhängige Variable eines Experiments, während die Merkmalsausprägungen (Produkteigenschaften) als unabhängige Variable aufgefasst werden, von denen also die Präferenzwerte abhängen. Diese ordinalen Präferenzurteile werden als Inputdaten mit einer Art nichtmetrischer Varianzanalyse danach untersucht, welche Nutzenbeiträge der Merkmalsausprägungen (und damit welche Merkmalswichtigkeiten) zu diesen Urteilen geführt haben müssen. Weil eine befragte Person viele solche Präferenzangaben über immer anders kombinierte fiktive Produkte abgibt und daher die Inputdaten entsprechend redundant sind, können aus den ordinalen Inputdaten metrische Nutzenwerte der Produktkonzepte und metrische additive Teilnutzenwerte für die einzelnen Merkmalsausprägungen geschätzt werden. Optimierungskriterium für die Schätzung der hinter den empirischen Rangordnungen stehenden Nutzenwerte ist die Übereinstimmung der generierten Gesamtnutzen-Ränge mit den empirischen Input-Rangwerten (vgl. Teichert 2000, S. 471 f.; Backhaus et al. 2006, S. 550 ff.). Die Conjointanalyse arbeitet „dekomponierend“: Aus Gesamturteilen wird auf dahinter stehende Teilnutzenwerte geschlossen – im Gegensatz zu „komponierenden“ Methoden der Nutzen- bzw. Einstellungsmessung, wo Befragte einzelne Produkt-Merkmalsausprägungen bewerten, die dann zu Gesamtwerten aggregiert werden. Im dekompositionellen Conjoint-Ansatz geben die Befragten Präferenzurteile über ganzheitliche Produktkonzepte (Stimuli) ab. Auf Basis der Gesamturteile über die Stimuli schätzt ein Conjoint-Algorithmus die Beiträge der einzelnen Merkmalsausprägungen zum Gesamtnutzen. Dabei wird unterstellt, dass sich der Gesamtnutzen additiv aus den einzelnen Teilnutzenwerten (Nutzenwert pro Merkmalsausprägung) zusammensetzt (Backhaus et al. 2003, S. 551). Dieses Vorgehen entspricht der Realität des Marktgeschehens: Zielkunden nehmen Produkte als Ganzes wahr und beurteilen sie ganzheitlich. Man wägt verschiedene Produkte ab und entscheidet sich für die Alternative mit dem höchsten Gesamtnutzen (Stadler 1993, S. 32). Entwickelt wurde die Conjointanalyse Anfang der 1960er Jahre als Verfahren der mathematischen Psychologie. Auf Marketingfragestellungen wurde das Verfahren etwa zehn Jahre später erstmalig von Green und Rao (1971) übertragen. En-

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Abb. 12.2 Anwendungsfelder der Conjointanalyse [Quelle: In Anlehnung an Teichert 2000, Wittink et al. 1994]

de der 1980er Jahre hat das Verfahren den Durchbruch in der deutschsprachigen Marktforschungspraxis erfahren. Mittlerweile gehört die Conjointanalyse zu den am häufigsten eingesetzten Marktforschungsmethoden in der Praxis (Voeth 1999, S. 155 ff.). Meistens wird die Con-jointanalyse für die Bestimmung optimaler Produkteigenschaften im Rahmen der Neuproduktplanung und/oder zur Preisfestlegung eingesetzt (Hartmann/Sattler 2002, S. 4). Folgende Abbildung fasst exemplarische Anwendungsgebiete und Fragestellungen der Conjointanalyse im Überblick zusammen.

12.3.2 Prozessschritte der Conjointanalyse Nachfolgend werden Ablauf und Methodik der klassischen Conjointanalyse in ihren Grundzügen dargestellt (vgl. im folgenden Backhaus et al. 2006, S. 557 ff.): 1. Festlegung der Merkmale und Merkmalsausprägungen Zu Beginn einer Conjointanalyse müssen die Merkmale und deren Ausprägungen zur Beschreibung unterschiedlicher Produktkonzepte festgelegt werden. Ein Vorteil der Conjointanalyse ist, dass die Merkmale minimalen Skalierungsanforderungen genügen müssen, Nominalskalenniveau ist ausreichend. Abbildung 12.3 zeigt exemplarisch Merkmale und Ausprägungen unterschiedlicher Produktkategorien. Die Festlegung der Merkmale und Ausprägungen ist der alles Weitere entscheidende Schritt einer Conjointanalyse. Als Informationsquellen eignen sich Brainstormings, Expertengespräche, Literaturanalysen und qualitative Kundeninterviews (Büschken 1994, S. 75). Dafür sind Markt- und Methodenkenntnisse sowie eine in-

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Abb. 12.3 Exemplarische Eigenschaften und Ausprägungen der Conjointanalyse [Quelle: Eigene Darstellung basierend auf Strebinger et al. 2000; Hensel-Börner/Sattler 2000, Ernst/Sattler 2000 und Voeth/Hahn 1998]

tensive Zusammenarbeit zwischen Marktforscher und Produktmanager wichtig (Auty 1995, S. 197 f.). Folgende Kriterien sollten bei der Auswahl der ins Design zu integrierenden Merkmale und Ausprägungen erfüllt sein: • Relevanz der Merkmale: Es sollten nur Merkmale berücksichtigt werden, die mutmaßlich einen hohen Einfluss auf die Kaufentscheidung haben. • Beeinflussbarkeit der Merkmale durch den Hersteller: Die Merkmale müssen im Rahmen der Produktgestaltung variiert werden können und technisch realisierbar sein. • Unabhängigkeit der Merkmale: Der Nutzen einer Merkmalsausprägung sollte nicht von anderen Merkmalen abhängen (keine Merkmalsinteraktion). • Kompensatorische Beziehung der Merkmale: Das Modell der Conjointanalyse unterstellt, dass weniger günstige Ausprägungen eines Merkmals durch günstige Ausprägungen eines anderen kompensiert werden können. • Keine Verwendung von Ausschlusskriterien: Merkmalsausprägungen dürfen keine K.O.-Kriterien in dem Sinne darstellen, dass sie subjektiv unbedingt gegeben sein müssen. • Begrenzte Anzahl von Merkmalen und Ausprägungen: Je nach Variante der Conjointanalyse gibt es unterschiedliche Machbarkeitsgrenzen, besonders bezüglich der Zumutbarkeit bei der Befragung. Der letzte Punkt ist zu vertiefen: Da die Erhebung für eine Conjointanalyse eigentlich die Form eines Experimentes hat, sind kritische Grenzen für Befragungen und

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Schätzungen zu beachten. Je höher die Zahl der Merkmale, desto mehr Stimuli müssen von den Befragten bewertet werden. Bei einer zu hohen Stimulizahl könnten die Belastbarkeitsgrenzen der Probanden überschritten werden, die Konsistenz der Daten verschlechtert und damit auch die Gültigkeit der Ergebnisse. Diese Grenzen hängen von Dispositionen der Befragten ab. Wäh-rend Tscheulin und Blaimont (1993, S. 845) empirisch einen signifikanten Einfluss von Bildungsniveau und beruflicher Orientierung feststellen können, bestätigt sich dieser generelle Effekt bei einem Experiment von Sattler et al. (2001, S. 784 f.) nicht. Unabhängig davon sollte die Grenze bei der klassischen Conjointanalyse jedoch i. d. R. bei weniger als 7 Merkmalen mit durchschnittlich weniger als drei Ausprägungen liegen (Hartmann/Sattler 2002; Teichert 2000). Die Variante der Adaptiven Conjointanalyse (vgl. auch weiter unten), bei der die Datenanalyse simultan mit der computergestützten Erhebung erfolgt und mit jedem einzelnen Antwortinput des Befragten fortschreitet, erhöht die Obergrenze an Merkmalen und Ausprägungen, weil hier nicht sämtliche vorsehbaren Stimuli beurteilt werden müssen, sondern nur so viele, bis die laufende Analyse stabile Ergebnisse zeigt. 2. Erhebungsdesign Für das Erhebungsdesign müssen die Stimuli (zu bewertende Kombinationen von Merkmalsausprägungen) definiert werden. Die wichtigsten Formen der Datenerhebung stellen die Voll-Profil- und die Trade-Off-Methode dar. Bei der Voll-Profil-Methode bestehen die Stimuli aus den Kombinationen jeweils der Ausprägung eines Merkmals mit allen Ausprägungen aller anderen zu untersuchenden Merkmale. Bei nur drei Merkmalen mit jeweils drei möglichen Ausprägungen ergibt das 33 = 27 unterschiedliche Stimuli. Diese Zahl steigt exponentiell mit der Zahl der Merkmale und der Ausprägungen je Merkmal. Bei der Trade-OffMethode werden zur Bildung eines Stimuli die Ausprägungen von jeweils nur zwei Merkmalen miteinander kombiniert, während die anderen Merkmale bei der fiktiven Produktbeschreibung nicht in Erscheinung treten. Das ergibt bei höheren Merkmalszahlen drastische Reduzierungen des Erhebungsdesigns, aber zu Lasten der Realitätsnähe ganzheitlicher Produktbeurteilungen. In der praktischen Anwendung hat sich die Voll-Profil-Methode aufgrund ihres höheren Realitätsbezuges gegenüber der Trade-Off-Methode durchgesetzt. In der Regel wird aus forschungsökonomischen Gründen aus der Menge theoretisch möglicher Stimuli (vollständiges Design) jedoch eine Teilmenge (reduziertes Design) ausgewählt (vgl. dazu Backhaus et al. 2006, S. 559 ff.). 3. Bewertung der Stimuli Die generierten Stimuli können den Befragten als verbale Beschreibung (gesprochen, gedruckt oder am Bildschirm dargestellt), als visuelle bzw. multimediale Darstellung oder als physisches Produkt (Prototyp) zur Bewertung vorgelegt werden. Grundsätzlich sollte der Realitätsbezug der Darstellung möglichst hoch sein. Der Forschungsstand zur Wirkung verschiedener Präsentationsmodi auf die Prognosevalidität der Conjointanalyse ist noch etwas kontrovers (siehe im Überblick Strebinger et al. 2000, S. 56 f.; Ernst/Sattler 2000, S. 162 ff.). Ernst und Sattler (2000, S. 170) können bei einem empirischen Test keine nennenswerten Unterschiede nach der Verwendung multimedialer (Text, Bilder und Töne) und rein textbasierter Stimuli feststellen. Bei bestimmten Produktgruppen (z. B. de-

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signorientierten oder sehr erklärungsbedürftigen Produkten) empfehlen sie multimediale Stimuli. Dahan und Srinivasan (2000, S. 106 f.) berichten auf der Basis eines Experiments mit Fahrradpumpen, dass sich die Ergebnisse von virtuellen versus realen Prototypen kaum unterscheiden, was für die schnellere und kostengünstigere Alternative virtueller Prototypen spricht. Bei klassischen Conjointanalysen sind ordinale Stimulusbewertungen der Dateninput. Die Befragten rangordnen die Stimuli nach empfundenem Nutzen, sei es über Paarvergleiche, Triadenvergleiche oder Ratingskalen. Eine andere Variante der Conjointanalyse erhebt statt Präferenzen fiktive Kaufentscheidungen, wobei die Befragten bei jedem Vergleich von Stimuli auch angeben können, keines der Produkte kaufen zu wollen. Diese Choice Based Conjointanalyse (CBC) führt im Allgemeinen zu gültigeren, das tatsächliche Verhalten besser prognostizierenden, Ergebnissen. 4. Schätzung der Nutzenwerte Aus den erhobenen Rangdaten werden die Teilnutzenwerte der einzelnen Merkmalsausprägungen empirisch geschätzt. Als Rechenverfahren kommen metrische (z. B. ANOVA, OLS) bzw. nicht-metrische (z. B. LINMAP, MONANOVA) Schätzverfahren zum Einsatz (siehe im Detail Backhaus et al. 2006, S. 565 ff.). Als Ergebnis erhält man die Teilnutzenwerte für jeden Befragten und jede Merkmalsausprägung. Diese Teilnutzenwerte drücken Beiträge zum Gesamtnutzen aus, die der Befragte bei seinen Trade-Offs den Merkmalsausprägungen unbewusst, jedenfalls unausgesprochen, zugeordnet hat. Ein Vorteil ist, dass auch für nicht erhobene Ausprägungen Nutzenwerte interpoliert werden können (Teichert 2000, S. 507). 5. Aggregation der Nutzenwerte Ziel der Ergebnisaggregation ist die Verdichtung individueller Schätzergebnisse zu einem allgemein gültigen Ergebnis oder zu wenigen, aussagefähigen Mustern. Aggregieren kann man die individuellen Angaben vor einer gemeinsamen Conjointanalyse (Aggregation der Rohdaten, bei ordinalen Messwerten durch Medianwerte) oder nach jeder individuell durchgeführten Analyse (Aggregation der metrischen Nutzenwerte durch arithmetische Mittel). Die Aggregation nach individuellen Analysen hat den Vorteil einer gut interpretierbaren nutzenbasierten Marktsegmentierung („benefit segmentation“, Green/Krieger 1991, S. 20 f.). Voraussetzung für jede Aggregation ist eine jeweils relativ homogene Datenbasis. Ist sie nicht gegeben, so verbietet sich die Aggregation der Rohdaten und empfiehlt sich eine vorhergehende Clusteranalyse der Rohdaten mit dem Ergebnis mehrerer relativ homogener Befragtensegmente, für die getrennte Conjointanalysen zu rechnen sind. Man unterscheidet in diesem Zusammenhang A-priori- und A-posterioriSegmentierungen. Bei A-priori-Segmentierung werden die Befragten vorab anhand von Variablen, die mutmaßlich Einfluss auf die Präferenzstrukturen haben (z. B. Alter, Geschlecht) klassifiziert. Bei der A-posteriori-Segmentierung werden Individuen mit ähnlicher Präferenzfunktion (Teilnutzenwerten) geclustert. Anschließend lassen sich zielgruppenspezifische, aggregierte Gesamtnutzenwerte für alle Stimuli und relative Wichtigkeiten für alle Merkmale ermitteln (Schubert 1995, Sp. 384 f.). Teilnutzenwerte können zur Simulation von Marktreaktionen (Marktsimulationen) verwendet werden. Das Entscheidungsverhalten der Befragten zwischen ver-

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schiedenen (anhand der in der Conjointanalyse verwendeten Merkmalsausprägungen beschriebenen) Produkten wird simuliert. Man unterstellt dabei, dass der Befragte rational entscheidet und die Alternative mit dem für ihn höchsten Gesamtnutzen auswählt (first-choice-rule). Aggregiert man die Ergebnisse über alle Befragten, so erhält man geschätzte Marktanteile für unterschiedliche Produktkonzepte. Das ermöglicht die Bestimmung von Preis-Absatz-Funktionen und eine marktpotenzialbasierte Optimierung von Neuprodukten. Die zusätzliche Berücksichtigung von Kosten für Merkmalsausprägungen erlaubt die Identifikation gewinn-optimaler Produktkonzepte („Conjoint+Cost-Ansatz“, vgl. Bauer et al. 1994, S. 82 ff.). Die Simulationsergebnisse unterliegen jedoch Annahmen und besitzen nur Gültigkeit bezüglich der jeweils erhobenen Angebotsstruktur, die das Konkurrenzumfeld darstellt (Büschken 1994, S. 81 f.). Hildebrandt (1994, S. 25 f.) macht darauf aufmerksam, dass bei hochgradigen Innovationen mit Hilfe der traditionellen Conjointanalyse zwar Erkenntnisse zur Produktgestaltung ableitbar sind, Marktpotenzialabschätzungen aufgrund der fehlenden Produkterfahrung der Befragten jedoch sehr unsicher sind. Büschken (1994, S. 85) geht sogar davon aus, dass bei hochgradigen Innovationen mangels stabiler Präferenzen der Conjointanalyse eine wesentliche Grundlage entzogen ist. Backhaus und Stadie (1998, S. 184) verweisen zur Akzeptanzabschätzung bei hochgradigen Innovationen auf die Limit-Conjointanalyse, eine der nächstehend beschriebenen Varianten der Conjointanalyse. 6. Varianten der klassischen Conjointanalyse Neben dem bisher dargestellten traditionellen Verfahren der Conjointanalyse sind moderne Verfahren entwickelt worden. Die wichtigsten sind die Choice-based-Conjointanalyse (auch DiscreteChoice-Analyse genannt), die Hybrid-Conjointanalyse und die Adaptive-Conjointanalyse (zu einem umfassenden Überblick alternativer Untersuchungsansätze siehe Backhaus et al. 2006, S. 602 ff.). Wesensmerkmal der Choice Based Conjointanalyse (CBC) ist, dass Präferenzen als realitätsnähere Auswahlentscheidungen erhoben werden („Welches der beschriebenen Produktkonzepte würden Sie auswählen? Konzept 1, Konzept 2, Keines der beiden“). Dabei ist es also auch möglich, keinen der Stimuli zu akzeptieren – ein wesentlicher Realitätsvorteil gegenüber klassischen Verfahren. Die CBC eignet sich besonders gut für die Simulation von Marktreaktionen (Backhaus et al. 2006, S. 604 f.; Weiber/Rosendahl 1997, S. 114). Etwa zwei Drittel der CBC-Anwendungen werden in der Praxis zum Pricing eingesetzt (Hartmann/Sattler 2002, S. 3 f.). Hybridmodelle (u. a. auch die Adaptive-Conjointanalyse ACA) kombinieren den dekompositionellen Ansatz der klassischen Conjointanalyse mit einem kompositionellen Ansatz. Dabei werden im kompositionellen Teil direkte Bewertungen der Wichtigkeit einzelner Produkteigenschaften sowie der Präferenz für die Ausprägungen der Merkmale erfragt. Im dekompositionellen Teil bewerten die Befragten Produktprofile. Teilnutzenwerte der Merkmalsausprägungen werden den kompositionellen Daten angepasst (Green/Srinivasan 1990, S. 11; Teichert 2000, S. 501). Exemplarisch fasst Abb. 12.4 die Ablaufschritte der ACA zusammen. Adaptiv bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die individuellen Antworten des Pro-

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banden bei den nachfolgenden Fragen berücksichtigt werden, wodurch für jeden Befragten ein individuelles Erhebungsdesign erstellt wird. Vorteile der ACA sind die computergestützte bzw. Online-Erhebung (vgl. Dahan/Hauser 2002, S. 336 ff.; Dahan/Srinivasan 2000, S. 99 ff.), die Verfügbarkeit entsprechender Software (Sawtooth), und besonders, dass ACA im Vergleich zur klassischen Conjointanalyse eine höheren Anzahl von Merkmalen (max. 30) und Merkmalsausprägungen (max. 9) ermöglicht (Hartmann/Sattler 2002, S. 7; Schubert 1995, Sp. 380). Dennoch gilt: Je höher die Anzahl an Merkmalen und Ausprägungen, desto stärker ist die Gefahr von Ermüdungseffekten seitens der Befragten (Teichert 2000, S. 502). In der Praxis haben sich die modernen Varianten wie CBC und ACA besonders durchgesetzt (Hartmann/Sattler 2002, S. 4; Wittink et al. 1994, S. 51 f.; siehe Backhaus et al. 2006, S. 607; für eine vergleichende Bewertung unterschiedlicher Ansätze). Neben den angesprochenen modernen Verfahren sind weitere Verfahrensinnovationen bzw. Conjointmodifikationen entwickelt worden (u. a. Customized Computerized Conjointanalyse (Hensel-Börner/Sattler 2000), Limit Conjointanalyse (Voeth/ Hahn 1998), MaiK-Conjointanalyse (Köcher 1997). Eine auf multimedialen Stimuli basierende Limit Conjoin-tanalyse empfehlen Backhaus und Stadie (1998, S. 186) bspw. zur Akzeptanzabschätzung bei hochgradigen Innovationen. Vergleiche zwischen diversen Varianten kommen nicht zu eindeutigen Ergebnissen (Teichert 2000; Weiber/Rosendahl 1997, S. 111).

Abb. 12.4 Ablauf der Adaptiven Conjointanalyse (ACA) [Quelle: In Anlehnung an Backhaus et al. 2006, S. 606]

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12.3.3 Anwendungsbeispiel Um die Marktpotenziale für eine angestrebte Produktausweitung zu erkunden und potenzielle Zielsegmente hinsichtlich ihrer unterschiedlichen Konsumentenanforderungen zu beschreiben, führte ein deutscher Hersteller von Motorgetriebenen Segelflugzeugen eine Primäranalyse durch (vgl. ausführlich Trommsdorff/Steinhoff 2007, S. 384 ff.). Hierbei wurden sie von der Technischen Universität Berlin und der Unternehmensberatung trommsdorff + drüner, innovation + marketing consultants unterstützt. Im Rahmen der Untersuchung wurden die drei interessierenden Zielgruppen der Motorsegelflieger, der Segelflieger und der Motorflieger online-basiert mittels eines ACA-Ansatzes zu ihren Präferenzen befragt. Auf Grundlage einer sekundäranalytischen Recherche, Gesprächen mit firmeninternen und -externen Fachleuten sowie Anwendern wurden sechs definierende Produktfunktionen von Segelfliegern bestimmt (Crashsicherheit, Gleitzahl, Preis, Flügelkonstruktion, Design und Marke) und deren jeweilige Ausprägungen (z. B. Gleitzahl: 41, 42, 43, 44 bzw. 45; Flügelkonstruktion: 2-teilig bzw. 3-teilig) festgelegt. Auf Grundlage der Ergebnisse aus der Primäranalyse konnten Idealkonzepte für die drei untersuchten Zielgruppen abgeleitet, mit den zielgruppenstrategischen Überlegungen harmonisiert und als Entwicklungsempfehlungen formuliert werden. Durch die Berücksichtigung der Preiskomponente im Rahmen der Analyse konnten alle Produktfunktionen mit Preisbereitschaften hinterlegt werden: Beispielsweise betrug die Zahlungsbereitschaft für die Erhöhung der Gleitzahl auf 45 in der Zielgruppe der Segelflieger 19.400 e. Diese Informationen wurden neben Input in Target Costing Prozesse auch für Realisierungsentscheidungen herangezogen. Vereinfacht gefragt: Sind die aus einer Modifikation entstehenden Kosten größer oder kleiner als die Preisbereitschaft in den Zielgruppen?

12.4 Zusammenfassung Die Innovationserfolgsrechnung zielt auf die Ermittlung von mit Innovationen assoziierte Ausgaben und Einnahmen sowie das resultierende Innovationsergebnis. Das sogenannte Target Costing ermöglicht eine frühzeitige, marktorientierte Beeinflussung der Ausgaben. Target Costing Prozesse erfordern wiederum Inputdaten, insbesondere Preisbereitschaften potenzieller Kunden und konkrete Beiträge von Produktfunktionen zum Gesamtnutzen. Diese Daten lassen sich am Besten conjointanalytisch ermitteln. Die Conjointanalyse wurde Anfang der 1960er Jahren als Verfahren der mathematischen Psychologie entwickelt, ca. zehn Jahre später auf Marketingfragestellungen übertragen und gehört mittlerweile zu den am häufigsten eingesetzten Methoden der Innovationsmarktforschung. Conjoint zielt auf eine quantitative Abschätzung der Beiträge einzelner Produkteigenschaften zum subjektiven Gesamtwert (Nutzen, Einstellung, Zahlungsbereitschaft) von Produkten. Dazu werden Befragten im quasi experimentellen Untersuchungsdesign hypothetisch durch nur ihre wesentlichen

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Funktionen beschriebene Produkte vorgegeben. Auf der Basis von Gesamturteilen über die Stimuli (ordinale Präferenzurteile unter Paaren oder Triaden von Produktbeschreibungen) schätzt ein Conjoint-Algorithmus die Beiträge der einzelnen Produktfunktionen zum Gesamtnutzen. Mit anderen Worten: Es lässt sich beziffern, inwieweit die Summe der Produktfunktionen einer Innovation ein für Kunden wichtiges Nutzenmerkmal darstellt. Die Conjointanalyse ist eine für Target Costing Prozesse sehr wertvolle und in der Praxis anerkannte Methodik. Die Kosten für Softwareprodukte und Personalschulungen bzw. die Beauftragung eines externen Marktforschungsinstitutes werden schnell aufgewogen von dem resultierenden Informationsgewinn. Im Vordergrund von Target Costing Prozessen steht die Ermittlung von Preisbereitschaften und der Beiträge der verschiedenen Produktfunktionen zum Gesamtnutzen. Genaue Kenntnis der Leistungsfähigkeit und der Grenzen des Verfahrens sind aber Voraussetzung. Es bedarf eines gewissen Involvement der Befragten, sonst entsteht leicht ein „Schlampigkeitseffekt“: Wenn das Involvement gering ist, dann leidet die Vorhersagevalidität der Conjointanalyse, u. a. weil sich die Befragten dann weniger mit den Stimuli beschäftigen, als mit Möglichkeiten, die Erhebung möglichst effizient zu absolvieren (Strebinger et al. 2000, S. 67). Daher eignet sich das Verfahren besonders für Produkte, die einem dem Ablauf der Erhebung ähnlichen Kaufentscheidungsprozess (intensive Bewertung relevanter Alternativen) unterliegen. Das gilt besonders für komplexere Produkte, weniger für Produkte, die durch habitualisiertes bzw. impulsives Kaufverhalten geprägt sind (Büschken 1994, S. 88; Teichert 2000, S. 507).

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12 Conjointbasierte Messung von Nutzenbeiträgen

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Kapitel 13

Zur Integration des Target Costing und der Prozesskostenrechnung in den Berliner Balanced Scorecard Ansatz bei Entwicklungs- und Konstruktionsvorhaben in der Automobil- und Maschinenbauindustrie Wilhelm Schmeisser, Sebastian Bertram

Die Erweiterung des Berliner Balanced Scorecard Ansatzes um den Target Costing Ansatz und die Prozesskostenrechnung ist das Ziel des Beitrages. Mit Hilfe dieser beiden Instrumente werden konkrete Maßnahmen im Entwicklungs- und Konstruktionsbereich eines Automobilherstellers entwickelt, die einer besseren Steuerung eines Innovationsprojektes erlauben. Dies wird anhand der Kunden- und Finanzperspektive konkretisiert und die Verknüpfung der beiden Perspektiven an eines praktischem Beispiels dargestellt.

13.1 Weiterentwicklung der Berliner Balanced Scorecard mittels Target Costing Die Balanced Scorecard ist ein strategisches Management Tool das durch die Instrument Prozesskostenrechnung und Target Costing optimal ergänzt wird. Angesichts der begrenzten Entwicklungskapazitäten stehen Unternehmen vor dem Problem, wie sie mit Hilfe von betrieblichen Unternehmensrechnungen den Entwicklungsund Konstruktionsprozess ihres Innovationsvorhabens technisch und ökonomisch optimal steuern können. Die Antwort auf diese Frage ergibt sich aus der Problemsituation, in der sich das Unternehmen befindet. Zeigt eine Analyse, dass hohe fixe Gemeinkosten und ineffiziente Prozesse das Hauptproblem sind, sollte man mit der Prozesskostenrechnung beginnen. Befindet sich das Unternehmen in einem schwierigen Marktumfeld, bezüglich der Konkurrenzpreise, sollte es sich auf das Target Costing fokussieren und wenn das Unternehmen seine Strategie neu überdenkt und seine Organisation auf diese ausrichten will sollte es sich auf die Balanced Scorecard konzentrieren.1 Jedes der drei genannten Instrumente ist ein sehr effizientes Controllinginstrument, das richtig angewandt, zu einer Verbesserung der Kostenposition des Innovationsvorhabens eines Unternehmens führt.

1

Vgl. Horvath, P., Kompass für das Rechnungswesen, 2001, S. 52.

W. Schmeisser, H. Mohnkopf, M. Hartmann, G. Metze (Hrsg.), Innovationserfolgsrechnung DOI: 10.1007/978-3-540-78249-0, © Springer 2008

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W. Schmeisser, S. Bertram

Das folgende Kapitel setzt sich mit der Integration des Target Costings in den Berliner Balanced Scorecard Ansatz von Schmeisser auseinander. Abbildung 13.1 gibt einen Ausblick über die Verknüpfung. Durch die Kombination der Instrumente wird ein strafferes und ein Ziel führendes Kostenmanagement zum Innovationsvorhaben beitragen.

13.1.1 Implementierung des Target Costing in die Kundenperspektive der Berliner Balanced Scorecard Die Balanced Scorecard ist ein Managementsystem, das unter dem Einsatz von monetären und nicht monetären Kennzahlen, ein umfassendes Kontroll- und Steuerungssystem für die strategische und operative Unternehmensführung bildet.2 Aufgrund des stetig zunehmenden Wettbewerbs- und Kostendruck ersetzen immer mehr Unternehmen ihre produktorientierten Strategien durch kundenorientierte Strategien. Vor diesem Hintergrund gelangen Quantifizierungen der Kundenbeziehungen im Rahmen der Berliner Balanced Scorecard, als Implementierungsinstrument von Strategien und als Ergänzung zu den klassischen Produkterfolgsrechnungen, zunehmend an Bedeutung.3 Mit Hilfe der retrograden top-down Kalkulation ermittelt das Target Costing aus den Daten der Marktforschung die vom Markt akzeptierte Preisobergrenze, den Tar-

Abb. 13.1 Verknüpfung Berliner Balanced Scorecard mit den Instrumenten Target Costing und Prozesskostenrechnung 2 3

Vgl. Schmeisser, W. u. a., BBSC Einführung, 2006, S. 90. Vgl. Schmeisser, W. u. a., BBSC Einführung, 2006, S. 77.

13 Zur Integration

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get Price, für ein neues Produkt abzüglich des geplanten Gewinns (Target Margin) werden die maximalen erlaubten Kosten (Allowable Costs) ermittelt. Die direkte Einbeziehung der Kunden-, Konkurrenz- und Marktdaten hat eine konsequente Marktorientierung der Kosten für das Produkt zur Folge. Der Marktpreis und die Gewinnziele des Unternehmens legen somit die maximalen Kosten für ein Produkt fest. Da die vom Markt erlaubten Kosten in den seltensten Fällen erreicht werden, entsteht in der Regel eine Ziellücke zwischen den Allowable – und den Drifting Costs, die es zu schließen gilt. Abhängig von den Zielen der Berliner Balanced Scorecard, die für die Kundenperspektive definiert wurden, liegt es nun in den Händen der Geschäftsleitung einen Wert zu bestimmen. Dieser Wert sollte realistisch, d. h. auf Marktforschungsergebnissen beruhen und zeitgemäß, d. h. für den angestrebten Zeitraum des Entwicklungs-, Konstruktions- und Produktionsprozesses sein. Die weitere Betrachtung konzentriert sich auf das wichtigste Einsatzgebiet des Target Costings, die Neuproduktentwicklung. Denn nur eine gezielte Planung und Steuerung von Produktkostenentscheidungen in den frühen Phasen der Produktentwicklung sichert Unternehmen den größtmöglichen Nutzen und somit entscheidende Wettbewerbsvorteile. Denn in der Konstruktionsphase fallen erst 10 Prozent der Kosten an, aber es werden bereits 80 Prozent der Kosten festgeschrieben (vgl. Abb. 13.2). Die Beeinflussung von Grundsatzentscheidungen in diesem Zeitraum bringt dem Unternehmen das wirkungsvollste Ergebnis bei der Optimierung der Produkt- und Prozesskosten.4 So unterstützt das Target Costing die Berliner Balanced Scorecard hinsichtlich einer ausgegebenen Unternehmensstrategie, z. B. der Kostenführerschaft in einem bestimmten Technologiebereich bei gleichen Qualitätsniveau wie die Konkurrenz. Das Ziel der Verknüpfung des Target Costings mit der Balanced Scorecard ist es, Rationalisierungsnotwendigkeiten frühzeitig zu lokalisieren und zu beheben. Durch die permanente Markt- und Kundenorientierung bestimmen die Kunden und Wettbewerber den am Markt erzielbaren Preis. Mittels der Implementierung des Target Costing in die Kundenperspektive der Balanced Scorecard wird eine kontinuierliche Strategie gewährleistet, deren Fokus die Kundenorientierung ist. Im Folgenden wird anhand eines fiktiven Beispiels gezeigt, dass es möglich ist, das Target Costing in den Berliner Balanced Scorecard Ansatz zu integrieren.

13.1.2 Veranschaulichung der Implementierung am praktischen Beispiel der imaginären Automobil AG 13.1.2.1 Marktgegebenheiten der Automobil AG Die vierte Fahrzeugbaureihe des Sportwagenherstellers Porsche, der Porsche Panamera, soll ab 2009 neben dem 911 Carrera, dem Boxster/ Cayman und dem Ca4

Vgl. Horvath, P./Niemand, S./Wolbold,M, State of the Art, 1993, S. 5.

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Abb. 13.2 Kostendeterminierung und Kostenanfall [Quelle: Horvath, Strategieorientiertes Kostenmanagement in der Produktentwicklung, www.sfb374.uni-stuttgart.de/forforum2002_vortraege/ 3_sfb_270202_horvath.pdf]

yenne vom Band laufen. Es handelt sich hierbei um ein Sportcoupé der Premiumklasse. Bei der In- und Exterieur Gestaltung der Fahrzeuge können die Kunden neben den Fahrzeugteilen der Serienfertigung auch auf Teile der Porsche eigenen Individualisierungsabteilung zurückgreifen. Zuständig dafür ist die Abteilung Vertrieb Kundenzentrum Individualisierung (VKI) als eigenes Profit Center des Porsche Konzerns. Der Aufgabenbereich der Abteilung VKI umfasst die Entwicklung, Planung und Vertrieb, sowie das Supply Chain Management/Disposition für die Geschäftsbereiche Tequipment & Exclusive. Aus dem Gedanken, den Kunden ein attraktives Individualisierungs- und Zubehörprogramm für die Nachrüstung ihrer Fahrzeuge anzubieten, entstand 1994 das Porsche Tequipment Programm. Durch dieses Angebot unterstreicht Porsche die Kompetenz als Anbieter von Erlebnisprodukten mit den Kerndimensionen Design, Individualität, Innovation und Sportlichkeit. Sowohl den Kunden, als auch den Porsche Zentren wird die Möglichkeit gegeben, durch die Tequipment Produkte, Gebrauchtfahrzeuge optisch und funktionell aufzuwerten. Selbes gilt für den Geschäftsbereich Exclusive, wobei die Individualisierung hier ab Werk geschieht, also vor der Auslieferung des Neufahrzeuges. Pünktlich zum Verkaufsstart des Porsche Panamera will die Abteilung VKI ein Alurad, das „Panamera Sport Rad“, zur Fahrzeugveredelung anbieten. Produktmerkmale „Panamera Sport Rad“ • Produkttyp: • Felgengröße:

Aluleichtbaurad Vorderachse 8,5 × 20 Zoll Hinterachse 11,5 × 20 Zoll

13 Zur Integration

391

• Adapterspurplatten bieten die Möglichkeit, die Felgen auch auf die aktuellen Sportwagenmodelle 911 Carrera und Boxster/Cayman verbauen zu können. • GT-silbermetallic lackierte Felgenstern • eine Mehrschichtlackierung gewährleistet hierbei höchste Qualität der Oberfläche. • glanzpoliertes Felgenhorn • Radnarbenabdeckung mit farbigem Porschewappen Produkteigenschaften „Panamera Sport Rad“ • Die im Vergleich zum Basisrad vergrößerte Radaufstandsfläche verleiht dem Fahrzeug einen sportlicheren Auftritt und eine verbesserte Traktion. • Eine mehrteilige Vielspeichen-Bauweise soll das Bekenntnis zum Motorsport unterstreichen. • Durch die Verwendung im Motorsport werden höchste Anforderungen an die Felgen bezüglich Stabilität, Haltbarkeit und Verarbeitung gestellt. • Die Verbaubarkeit der Felgen auf sämtliche Porsche Sportwagen ermöglicht, aufgrund höherer Abnahmemengen, günstigere Preiskonditionen seitens des Lieferanten. Die Produktentwicklung erfolgt in enger Zusammenarbeit der Abteilung VKI mit dem Produzenten des Rades. Die Wirtschaftlichkeitsrechnung für das „Panamera Sport Rad“ wird mit einem Planungshorizont von drei Jahren erstellt. Der vom Porschekonzern kalkulierte Fahrzeugabsatz für den Panamera liegt im ersten Jahr bei 20.000 Exemplaren. Die Abteilung VKI prognostiziert eine Ausstattungsquote der Panamera Fahrzeuge von 7,5 Prozent (1.500 Radsätze). Für die Baureihen 911 Carrera und Boxster/Cayman kalkuliert VKI insgesamt 1.450 Radsätze pro Jahr. Der prognostizierte Absatz innerhalb des Planungshorizontes beträgt somit 8.850 Radsätze (vgl. Abb. 13.3).

Abb. 13.3 Absatzprognose „Panamera Sport Rad“ [Quelle: Eigene imaginäre Zahlendarstellung (hat mit der Realität nichts zu tun)]

392

W. Schmeisser, S. Bertram

13.1.2.2 Zielkostenfestlegung Die Zielkosten werden in diesem Beispiel durch die Subtraktionsmethode „Market into Company“ ermittelt. Die Auswertung der eigens dafür erstellten Marktforschungsstudie ergab einen Target Price von 3.500 Euro netto je Radsatz. Der Target Price bildet die vom Markt bestimmte Preisobergrenze. Abzüglich des geplanten Gewinns in Höhe von 30 Prozent ergeben sich daraus folgende Zielkosten. Verkaufspreis (netto) – Zielgewinn (30 %) Zielkosten

3.500 Euro 1.050 Euro 2.450 Euro

Die ermittelten Zielkosten sind die maximalen Kosten, die der Radsatz mit gegebener Qualitätsausprägung unter Beachtung von Marktanforderungen und Konkurrenzprodukten kosten darf.5 Aus den vorhandenen Daten der Kostenrechnung und nach Verhandlungen mit dem Zulieferer der Räder liegen die geschätzten Kosten bei 2.600 Euro je Radsatz. Ausgangspunkt für die Ermittlung der Drifting Costs war der aktuell in den Unternehmen vorhandenen Technologiestand. Betrachtet man die maximal erlaubten Kosten und die Drifting Costs so wird sichtbar, dass die Drifting Costs über den erlaubten Kosten liegen. In der Praxis bildet diese Situation den Normalfall. Gründe dafür sind, das Produkt entspricht nicht den Erfordernissen der Kunden oder es weist Eigenschaften auf, die der Kunde nicht honoriert. Es kommt zum so genannten Overengineering. Das Target Costing erkennt den zu realisierenden Kostensenkungsbedarf.6 Aufgabe der Geschäftsleitung ist es, festzulegen in wieweit man diese Zielkostenlücke schließen will und mit welchen Maßnamen dieses Ziel zu erreichen ist. Da der prozentuale Anteil der Kostenlücke nicht hoch ist und die Abteilung VKI in einem schwierigen Marktfeld agiert, in dem der Konkurrenz- und Kostendruck durch freie Porschetuner sehr groß ist, entscheidet die Geschäftsleitung, dass die Zielkostenlücke in Höhe von 150 Euro komplett geschlossen wird. Die Kostenobergrenze liegt somit bei 2.450 Euro. Diese gilt es durch geeignete Maßnahmen zu erreichen (vgl. Abb. 13.4). Die Target Costs stellen die gesamten Zielherstellkosten für das Produkt dar, sie enthalten unter anderem auch die allgemeinen Verwaltungs-, Entwicklungs- und Vertriebsgemeinkosten. Eine Steuerung dieser allgemeinen Gemeinkosten lässt sich mittels des Target Costings nur sehr schwer realisieren.7 Die Berechnung der Gemeinkostensätze erfolgte im Beispiel vorerst durch die im Unternehmen typischen Zuschlagssätze. Die Steuerung und Beeinflussung der Gemeinkosten wird im Abschnitt 13.2 mittels der Prozesskostenrechnung näher beleuchtet.

5 6 7

Vgl. Horvath, P./Niemand, S./Wolbold,M, State of the Art, 1993, S. 5. Vgl. Serfling, K./ Schultze, R., Target Costing, 1997, S. 67. Vgl. Joos-Sachse, T., Controlling, 2006, S. 303.

13 Zur Integration

393

Abb. 13.4 Ableitung der Target Costs [Quelle: Eigene imaginäre Zahlendarstellung]

13.1.2.3 Zielkostenspaltung Die ermittelten Zielkosten beziehen sich auf den kompletten Radsatz. Für ein wirkungsvolles Kostenmanagement sind die Gesamtproduktkosten jedoch zu pauschal und undifferenziert.8 Um die Zielkosten optimal beeinflussen zu können, müssen die Gesamtproduktkosten auf die einzelnen Baugruppen/-teile umgelegt und verteilt werden. Die Kostenspaltung erfolgt im Beispiel durch die Funktionsmethode, hierbei gewährleistet die Berücksichtigung der Kundensicht einen direkten Marktbezug. Mittels einer marktorientierten Funktionsanalyse werden die vom Kunden gewünschten Produktfunktionen ermittelt. Die Basis für das Umlegen und Verteilen der Gesamtzielkosten auf Baugruppen-, Komponentenebene bilden die, in der Funktionsanalyse ermittelten, Kundenwertschätzungen der einzelnen Funktionen. Die Zielkostenspaltung erfolgt in zwei Schritten:

Aufteilung der Zielkosten auf die Produktfunktionen Aus den Marktforschungsdaten werden für das „Panamera Sport Rad“ folgende ausschlaggebende Produktfunktionen ermittelt: Design, Haltbarkeit/Stabilität, Gewicht, Transportfähigkeit, Montage, Pflege und die Korrosionsbeständigkeit. Die 8

Vgl. Joos-Sachse, T., Controlling, 2006, S. 303.

394

W. Schmeisser, S. Bertram

Kundenbefragungen brachten bei der Gewichtung der Produktfunktionen folgendes Ergebnis: Design Haltbarkeit/Stabilität Gewicht Transportfähigkeit Montage Korrosionsbeständigkeit Pflege Summe

45 % 25 % 7% 3% 7% 10 % 3% 100 %

Ausgehend von den festgelegten Zielkosten ergeben sich für die einzelnen Produktfunktionen folgende Kosten: Design Haltbarkeit/Stabilität Gewicht Transportfähigkeit Montage Korrosionsbeständigkeit Pflege

1.102,50 Euro 612,50 Euro 171,50 Euro 73,50 Euro 171,50 Euro 245,00 Euro 73,50 Euro

Summe

2.450,00 Euro

Verteilung der Funktionszielkosten auf Produktkomponenten Das „Panamera Sport Rad“ besteht aus folgenden Produktkomponenten: K1 K2 K3 K4 K5

Felgenhorn Felgenstern Felgenbett Zentrierung Radnarbenabdeckung

Die gewichteten Produktfunktionen aus dem vorangegangenen Schritt werden nun mittels Funktionskostenmatrix den sie realisierenden Produktkomponenten gegenübergestellt. Die Aufgabe des Target Costing ist es, festzustellen in welchen Umfang die Komponenten die Funktion beeinflussen. Den Anteil der einzelnen Produktkomponenten zur Erfüllung der gewünschten Kundenfunktionen zeigt folgende Übersicht (vgl. Tabelle 13.1). Den prozentualen Anteil der Zielkosten der einzelnen Komponenten erhält man durch eine Kombination der Funktionsgewichtungen mit dem Anteil der Komponente an der Funktionserfüllung (vgl. Tabelle 13.2).

13 Zur Integration

395

Tabelle 13.1 Anteil der Produktkomponenten an den Kundenfunktionen [Quelle: Eigene imaginäre Zahlendarstellung] Funktionen (in %) Komponenten Felgenhorn Felgenstern Felgenbett Zentrierung Radnarbenabdeckung Summe

Design (45 %)

Haltbarkeit/ Gewicht Stabilität (7 %) (25 %)

Transport- Montage fähigkeit (7 %) (3 %)

25 51 10 6 8

20 30 30 15 5

25 28 40 5 2

30 30 30 8 2

100

100

100

100

Korrosions- Pflege beständigkeit (3 %) (10 %)

17,5 20 20 37,5 5 100

35 30 25 5 5

25 40 25 5 5

100

100

Tabelle 13.2 Ermittlung der prozentualen Zielkostenanteile der Komponenten [Quelle: Eigene imaginäre Zahlendarstellung] Funktionen (in %)

Nutzenanteil der Komponenten (%)

Komponenten

Design Haltbar- Gewicht Trans- Monkeit/ port- tage Stabilität fähigkeit

Felgenhorn Felgenstern Felgenbett Zentrierung Radnarbenabdeckung

11,25 22,95 4,50 2,70 3,60

5,00 7,50 7,50 3,75 1,25

1,75 1,96 2,80 0,35 0,14

0,90 0,90 0,90 0,24 0,06

1,23 1,40 1,40 2,63 0,35

3,50 3,00 2,50 0,50 0,50

0,75 1,20 0,75 0,15 0,15

24,38 38,91 20,35 10,32 6,05

Nutzenanteil 45,00 der Funktion

25,00

7,00

3,00

7,00

10,00

3,00

100,00

KorroPflege sionsbeständigkeit

Die Komponentenzielkosten erhält man im letzten Schritt durch Multiplikation des Nutzenanteils der Komponente mit den Gesamtkosten des Produktes (vgl. Tabelle 13.3). Theoretisch könnten diese Komponenten weiter bis auf die Teileebene verteilt werden.

13.1.2.4 Zielkostenerreichung Ableitung des Zielkostenindex Der Zielkostenindex zeigt ob der Ressourceneinsatz für eine Komponente auch der ihr entgegengebrachten Kundengewichtung entspricht. Demzufolge werden Funk-

396

W. Schmeisser, S. Bertram

Tabelle 13.3 Ermittlung der absoluten Zielkostenanteile der Komponenten [Quelle: Eigene imaginäre Zahlendarstellung] Funktionen (in e) Komponenten

Felgenhorn Felgenstern Felgenbett Zentrierung Radnarbenabdeckung

Design

275,63 562,28 110,25 66,15 88,20

Haltbar- Gewicht Trans- Monkeit/ port- tage Stabilität fähigkeit 122,50 183,75 183,75 91,88 30,63

42,88 48,02 68,60 8,58 3,43

Nutzenanteil 1.102,50 612,50 der Funktion

171,50

22,05 22,05 22,05 5,88 1,47

KorroPflege sionsbeständigkeit

30,01 34,30 34,30 64,31 8,58

Nutzenanteil der Komponenten

85,75 73,50 61,25 12,25 12,25

18,38 29,40 18,38 3,68 3,68

597,19 953,30 498,58 252,72 148,23

73,50 171,50 245,00

73,50

2.450,00

tionen mit höherer Kundenwertschätzung auch höhere Zielkosten zugestanden.9 Der Zielkostenindex errechnet sich wie folgt: Zielkostenindex =

Nutzenanteil Komponente Kostenanteil Komonente

Der Kostenanteil der Komponenten wird aus den Herstellkosten, den Drifting Costs, abgeleitet. Diese wird im Beispiel aus den vorhandenen Daten der Kostenrechnung und nach Absprache mit dem Zulieferer ermittelt. Zu Beginn eines Target Costing Projektes können aber auch vereinfacht Komponentenkosten vergleichbarer, bereits bestehender Produkte verwendet werden.10 Anschließend ist der prozentuale Anteil der Komponenten an den Gesamtkosten zu ermitteln. Für das imginäre Beispiel ergeben sich folgende Daten: Komponente Felgenhorn Felgenstern Felgenbett Zentrierung Radnarbenabdeckung Gesamtkosten

Drifting Costs

Kostenanteil

400,00e 950,00e 500,00e 300,00e 450,00e

15,38 % 36,54 % 19,23 % 11,54 % 17,31 %

2.600,00e

100,00 %

Aus den ermittelten Kosten- und Nutzenbeiträgen kann anschließend der Zielkostenindex ermittelt werden. Für das Beispiel ergeben sich somit folgende Ziel-

9

Vgl. Coenenberg, A. G., Kostenrechnung, 2003, S. 453. Vgl. Coenenberg, A. G., Kostenrechnung, 2003, S. 451.

10

13 Zur Integration

397

kostenindizes: Komponente

Nutzenanteil in %

Kostenanteil in %

Zielkostenindex

Felgenhorn Felgenstern Felgenbett Zentrierung Radnarbenabdeckung

24,38 38,9 20,35 10,32 6,05

15,38 36,54 19,23 11,54 17,31

1,59 1,06 1,06 0,89 0,35

Der optimale Zielkostenindex liegt bei 1, in diesem Punkt entspricht das Kostenverhältnis einer Komponente genau seinem Nutzenverhältnis. Der Zielkostenindex von 1 wird im Beispiel allerdings nur von den Komponenten 2 (Felgenstern) und 3 (Felgenbett) annähernd erreicht. Bei den anderen drei Komponenten besteht Handlungsbedarf. Die Komponenten 4 (Zentrierung) und 5 (Radnarbenabdeckung) sind mit einem Zielkostenindex < 1, im Vergleich zu ihrem Nutzen, zu teuer. Die Komponente 1 (Felgenhorn) ist mit einem Zielkostenindex > 1, gemessen an seinem Nutzen, zu einfach gestaltet. Der Mitteleinsatz muss hier erhöht werden um ein optimales Kosten-Nutzen-Verhältnis zu erreichen.

Zielkostenkontrolldiagramm Graphisch lässt sich der Sachverhalt durch ein Zielkostenkontrolldiagramm abbilden (vgl. Abb. 13.5). Da der Zielkostenindex von 1 in der Realität nicht immer realisierbar ist, wurde durch die Geschäftsleitung ein Toleranzbereich definiert (Zielkostenzone) in der sich die einzelnen Komponenten befinden müssen. Diese Zielkostenzone ist abhängig vom Parameter q. Mit steigender Bedeutung der Komponente wird der Toleranzbereich immer geringer, wobei hingegen Komponenten mit geringerer Wertschätzung eine größere Bandbreite in der Zielkostenzone zukommt.11 Auf der Abszisse wurde der Nutzenanteil der Komponenten (in Prozent) und auf der Ordinate die dazugehörenden Kostenanteile (in Prozent) abgetragen. Der Idealbereich des Zielkostenindexes 1 wird durch die Winkelhalbierende abgebildet. Betrachtet man das Diagramm so wird sichtbar, dass sich die Komponenten 5 und 1 außerhalb der Zielkostenzone befinden. Bei diesen Komponenten gilt es jetzt herauszufinden, ob Kostensenkungspotentiale vorhanden sind (Komponente 5) die man realisieren kann oder inwieweit eine Aufwertung (Komponente 1) möglich ist.

11

Vgl. Coenenberg, A. G., Kostenrechnung, 2003, S. 454.

398

W. Schmeisser, S. Bertram

Abb. 13.5 Zielkostenkontrolldiagramm [Quelle: in Anlehnung an Coenenberg, A. G., Kostenrechnung, 2003, S. 454.]

Ermittlung des Kostenreduktionsbedarfes Der Kostenreduktionsbedarf ergibt sich aus der Differenz von Drifting Costs und den erlaubten Kosten. Im Beispiel beträgt der Reduktionsbedarf 2.600 − 2.450 = 150 Euro beziehungsweise 106, 12 − 100 = 6, 12 Prozent. Die maximal erlaubten Kosten werden also momentan um 6,12 Prozent überschritten und müssen pro Radsatz um genau diesen Betrag reduziert werden.12 Tabelle 13.4 zeigt den genauen Kostenreduktionsbedarf je Komponente auf. Ausgehend davon, dass die erlaubten Gesamtkosten 2.450 Euro betragen, wurden die bereits ermittelten Nutzenanteile der Komponenten mit den erlaubten Gesamtkosten multipliziert. Ermittelt wird dadurch der nutzenkonforme Kostenanteil für jede einzelne Komponente, vgl. Spalte (4). Durch die anschließende Verminderung der nutzenkonformen Kostenanteile um die jeweiligen Drifting Costs ergiebt sich der Kostenreduktionsbedarf für jede Komponente, siehe Spalte (6). Die graphischen Ergebnisse des Zielkostendiagramms wird in diesem Schritt rechnerisch bestätigt. Der Kostenreduktionsbedarf beträgt bei Komponente 4 = 47,16 Euro, bei Komponente 5 = 301,78 Euro. Ganz anders sieht es dabei hingegen bei der Komponente 1 aus, hier muss es zu einer Aufwertung kommen und 12

Vgl. Coenenberg, A. G., Kostenrechnung, 2003, S. 460.

13 Zur Integration

399

Tabelle 13.4 Ermittlung des Kostenreduktionsbedarfs [Quelle: in Anlehnung an Coenenberg, A. G., Kostenrechnung, 2003, S. 456] (1) Nutzenanteil

Komponenten Felgenhorn Felgenstern Felgenbett Zentrierung Radnarbenabdeckung Summe

in %

(2) Kostenanteil auf Basis DC in %

(3) DCKostenanteil in e

(4) Nutzenkonformer Kostenanteil auf Basis AC in e

(5) DC-Kostenanteil auf Basis AC

(6) Kostenreduktionsbedarf

in %

in e

24,38 38,90 20,35 10,32 6,05

15,38 36,54 19,23 11,54 17,31

400,00 950,00 500,00 300,00 450,00

597,31 953,05 498,58 252,84 148,23

16,33 38,78 20,41 12,24 18,37

197,31 3,05 –1,43 –47,16 –301,78

100,00

100,00

2.600,00

2.450,00

106,12

–150,00

zwar in Höhe von 197,31 Euro. Der Kostenreduktionsbedarf bei den Komponente 2 und 3 ist nur marginal und kann daher vernachlässigt werden.

Zielkostenrealisierung Nach der Verabschiedung der Zielkosten und der Freigabe des Projektes folgt nun die Umsetzungsphase, in deren Verlauf die Zielkosten durch konkrete technische und werkstoffliche Maßnamen erreicht werden müssen. Zu Beginn der Zielkostenrealisierung steht die Ermittlung konkreter Ansatzpunkte für die Kostensenkungsmaßnahmen. In den Fokus der Betrachtungen rücken dabei natürlich die Komponenten die ein ungünstiges Kosten-/Nutzenverhältnis aufweisen.13 Im vorliegenden Fall sind das die Komponenten Felgenhorn, Zentrierung und Radnarbenabdeckung. Um eine optimale Kostenabstimmung vorzunehmen entschließt sich die Abteilung VKI den Produzenten der Felgen in den Prozess der Produktentwicklung mit einzubeziehen, um aus Lern- und Erfahrungseffekten des anderen zu profitieren und Kostensenkungspotentiale gemeinsam realisieren zu können. Da man den hohen Anforderungen der Porsche Kunden gerecht werden will, entschließt man sich dafür die physischen Eigenschaften, wie zum Beispiel Volumen oder Gewicht, der Felge nicht zu verändern um eventuelle Qualitätseinbußen zu vermeiden. Um Kostensenkungspotentiale bei der Radnarbenabdeckung realisieren zu können, wird statt einer Spezialanfertigung eigens für das „Panamera Sport Rad“ auf Gleichteile14 bereits bestehender Felgen zurückgegriffen. Durch die Senkung der Entwicklungs-, Produktions- und Lagerhaltungskosten kann dadurch ein Kostensenkungspotential 13

Vgl. Gaiser, B./Kieninger, M., Target Costing, 1993, S. 67. Bauteile die schon in Vorgängerversionen des Modells oder auch in anderen Modellen verwendet werden.

14

400

W. Schmeisser, S. Bertram

von 300 Euro pro Radsatz realisiert werden Für die Komponente Radnarbenabdeckung fallen demzufolge nur noch Kosten in Höhe von 150 Euro an. Der neue Kostenanteil entspricht jetzt in etwa dem Nutzenanteil den die Komponente dem Kunden stiftet. Um bei der Komponente Felgenhorn das ungünstige Nutzen-/Kostenverhältnis zu beseitigen entschließt sich die Abteilung VKI dafür, das Felgenhorn hochwertiger zu gestalten. Die bisherigen Produktionsplanungen werden geändert. Das Glanzpolieren des Felgenhornes wird durch ein sehr aufwendiges Verfahren, das Hochglanzdrehen des Felgenhorns, ersetzt. Man erhofft sich durch die hochwertigere Gestaltung der Komponente den entsprechenden Kundennutzen erfüllen zu können. Durch dieses Verfahren steigen die Kosten für das Felgenhorn um 200 Euro auf 600 Euro. Auch hier entspricht der neue Kostenanteil in etwa dem Nutzenanteil den die Komponente dem Kunden stiftet. Durch die oben genannten Veränderungen werden die Gesamtkosten je Radsatz um 100 Euro reduziert. Die Drifting Costs sinken dadurch von 2.600 Euro auf 2.500 Euro, sie liegen damit aber immer noch cirka 50 Euro über den maximal erlaubten Kosten (vgl. Tabelle 13.5). Den Versuch die noch offene Kostenlücke zu schließen, widmet sich die Prozesskostenrechnung im nächsten Kapitel. Da für die Abteilung VKI ein weiteres Outsourcing von Funktionen nicht in Frage kommt und der Fremdbezug der Komponenten ausgereizt ist, erwägt man Maßnamen zur Senkung des Gemeinkostenniveaus in den indirekten Bereichen in Betracht zu ziehen. Dies soll durch die Verwendung der Prozesskostenrechnung rea-

Abb. 13.6 Auswirkungen der Target Costing Maßnahmen auf die Drifting Costs [Quelle: Eigene imaginäre Zahlendarstellung]

13 Zur Integration

401

Tabelle 13.5 Drifting Costs Veränderung durch vorgenommene Kostenanpassungen [Quelle: in Anlehnung an Coenenberg, A. G., Kostenrechnung, 2003, S. 456] (1) (2) Nutzen- DCanteil Kostenanteil (alt)

Komponenten Felgenhorn Felgenstern Felgenbett Zentrierung Radnarbenabdeckung Summe

in % 24,38 38,90 20,35 10,32 6,05 100,00

in e 400,00 950,00 500,00 300,00 450,00

(3) Kostenanteil auf Basis DC (alt)

(4) DCAnpassung

(5) DCKostenanteil (neu)

(6) Kostenanteil auf Basis DC (neu)

in %

in e

in e

in %

15,38 36,54 19,23 11,54 17,31

2.600,00 100,00

+200,00 – – – –300,00

600,00 950,00 500,00 300,00 150,00

(7) Nutzenkonformer Kostenanteil auf Basis AC in e

(8) Kostenreduktionsbedarf (neu) in e

24,00 38,00 20,00 12,00 6,00

597,31 –2,69 953,05 3,05 498,58 –1,43 252,84 –47,16 148,23 –1,78

–100,00 2.500,00 100,00

2.450,00 –50,00

lisiert werden. Das Ziel ist es, die Gemeinkosten der an den Prozessen beteiligten indirekten Bereiche aufzuzeigen. Eventuelle Vereinfachungen oder der Entfall von Arbeitsgängen15, sollen die restliche Kostenlücke schließen. Die Verknüpfung des Target Costing mit den Prozesskosten wird im nächsten Kapitel beschrieben.

13.1.3 Verknüpfung der Kunden- mit der Finanzperspektive 13.1.3.1 Deckungsbeitragsrechnung als Erfolgsrechnung in der Kundenperspektive der Berliner Balance Scorecard Die Deckungsbeitragsrechnung, als kurzfristige Erfolgsrechnung in der Kundenperspektive, ermöglicht die Planung und Analyse der einzelnen Produkte und ermöglicht somit eine Kontrolle der Strategieperformance. Die Deckungsbeitragsrechnung schlüsselt die Kosten in fixe und variable Kosten auf. Der Deckungsbeitrag ist die Differenz zwischen den Erlösen und den variablen Kosten des Produktes, und zeigt in welchem Umfang das Produkt dazu beiträgt die fixen Kosten zu decken.16 Durch die Ermittlung der Deckungsbeiträge stehen dem Unternehmen wichtige Ausgangsinformationen für eine betriebswirtschaftliche Analyse zur Verfügung. Der Deckungsbeitrag kann auf die Gesamtmenge eines Produktes bezogen werden (DB), aber auch pro Stück angegeben werden (db).17 15 16 17

Zum Beispiel Prüfvorgänge etc. Vgl. Schmeisser, W. u. a., BBSC Einführung, 2006, S. 46. Vgl. Gabler Wirtschaftslexikon, 2004, S. 658 f.

402

W. Schmeisser, S. Bertram

Abb. 13.7 Einstufige Deckungsbeitragsrechnung für das „Panamera Sport Rad“ [Quelle: Eigene imaginäre Zahlendarstellung]

Ausgehend von einem Planabsatz von 8.850 Stück, einem Target Price von 3.500 Euro und Drifting Costs in Höhe von 2.500 Euro pro Radsatz ergeben sich für die Planungsperiode folgende Werte (vgl. Abb. 13.7): Der Stückdeckungsbeitrag errechnet sich dann wie folgt: DB = 15.045.000e db =

DB Absatzmenge

db =

15.045.000e 8.850

db = 1.700, 00e Das Ziel der Abteilung VKI ist es, den Deckungsbeitrag zu maximieren um über die Deckung der fixen Kosten hinaus einen möglichst hohen Gewinn erzielen zu können. Mit einem positiven Stückdeckungsbeitrag, in Höhe von 1.700 Euro, trägt jeder verkaufte „Panamera Sport Radsatz“ dazu bei die Fixkosten zu decken.

13.1.3.2 Verknüpfung der Kunden- und Finanzperspektive mittels Break-Even-Point-Analyse Der Gewinn, der als zusätzlicher Fixkostenanteil definiert wird, verschiebt den Break-Even-Punkt in der Abb. 13.8 nach oben. Da der Gewinn ein Bestandteil der RoI-Komponente Umsatzrentabilität ist, kommt es zu einer direkten Verknüpfung

13 Zur Integration

403

Abb. 13.8 Break-Even-Point Bestimmung [Quelle: Schmeisser, W u. a., BBSC Einführung, 2006, S. 45]

der Kunden- mit der Finanzperspektive.18 Die Verknüpfung der Deckungsbeitragsrechnung und des Return on Investment soll anhand der BEP-Analyse aufgezeigt werden. Die BEP-Analyse ermöglicht die Steuerung und Überwachung des Unternehmens und deren Produkte. Sie zeigt auf, wie sich Änderungen der Fixkosten, der Höhe der variablen Kosten, der Absatzmenge und des Absatzpreis auf den Gewinn auswirken und dadurch den RoI direkt beeinflussen. Ferner lässt sich mit Hilfe der BEP-A die Menge ermitteln, die mindestens notwendig ist um kostendeckend zu arbeiten, der BEP oder auch die Gewinnschwelle (vgl. Abb. 13.8).19 Ausgehend von folgender Gleichung,20 G = x ∗ (p − kv) − K f lässt sich die Gewinnschwelle für das „Panamera Sport Rad“ ohne weiteres ermitteln. Die Break-Even-Absatzmenge (x) wird durch die Fixkosten (K f ), den Stückerlös (p) und den variablen Stückkosten (kv) definiert, wobei der Ausdruck (p − kv) den Stückdeckungsbeitrag (db) darstellt. Der Break-Even-Umsatz ergibt sich aus dem Produkt des Stückerlöses p und der Absatzmenge x. Da die Gewinnschwelle dadurch gekennzeichnet ist, dass an ihr weder Gewinn noch Verlust realisiert wird, ist der Gewinn (G) an dieser Stelle gleich null. In die 18 19 20

Vgl. Schmeisser, W. u. a., BBSC Einführung, 2006, S. 48. Vgl. Schmeisser, W. u. a., BBSC Einführung, 2006, S. 50. Vgl. Schmeisser, W. u. a., BBSC Einführung, 2006, S. 50.

404

W. Schmeisser, S. Bertram

Ausgangsformel übernommen ergibt sich folgendes: G = x ∗ (p − kv) − K f 0 = x ∗ db − K f x=

Kf db

x=

6.195.000e 1.700, 00U

x = 3644,12 Für die prognostizierte Absatzmenge von 8.850 Radsätzen, einem Target Price von 3.500 Euro und Drifting Costs in Höhe von 2.500 Euro liegt die Gewinnschwelle bei 3.645 Radsätzen. Die Fixkosten sind an diesem Punkt komplett durch die Deckungsbeiträge gedeckt und jeder Radsatz der darüber hinaus verkauft wird, trägt direkt zur Steigerung des Unternehmensgewinns bei.

13.1.3.3 Zielrentabilitätserreichung mittels Zielmengenanpassung Da die Kosten pro Radsatz immer noch 50 Euro über den Zielkosten liegen, weicht die Umsatzrentabilität (Ru) im Beispiel von den ursprünglich veranschlagten 30 Prozent ab. Welche Ausbringungsmenge notwendig ist um die vorgegebene Zielrendite trotzdem zu erreichen, wird wie folgt berechnet: x=

Kf db − Ru ∗ p

Ausgehend davon, dass wir eine Umsatzrentabilität von 30 Prozent realisieren wollen ergibt sich für das Beispiel folgende kritische Ausbringungsmenge21: x=

Kf db − Ru ∗ p

x=

6.195.000e 1.700e − 0, 3 ∗ 3.500e

x = 9530,77 Das heißt, dass bei einer Ausbringungsmenge von 9.531 Radsätzen die ursprüngliche Zielrentabilität von 30 Prozent erreicht wird. Demzufolge müssen, wenn die Target Costs um 50 Euro überschritten werden, 681 (9.531 − 8.850) Radsätze mehr verkauft werden um die festgelegte Zielrentabilität zu erreichen. Eine Steigerung der Ausbringungsmenge trägt somit direkt zur Steigerung der Umatzrentabilität bei. 21

Vgl. Schmeisser, W. u. a., BBSC Einführung, 2006, S. 50.

13 Zur Integration

405

Abb. 13.9 Veränderung im Deckungsbeitrag und Betriebsergebnis durch die Anpassung der Ausbringungsmenge

Wie sich der Deckungsbeitrag und das Betriebsergebnis durch die veränderte Ausbringungsmenge verändern, wird in der folgenden Abb. 13.9 verdeutlicht.

13.2 Weiterentwicklung der Berliner Balanced Scorecard mittels Prozesskostenrechnung Die Implementierung der Prozesskostenrechnung in die Berliner Balanced Scorecard ermöglicht es, durch die Kombination von operativen und strategischen Instrumenten, ein wirkungsvolles und performanceorientiertes Kostenmanagement für Innovationsvorhaben zu entwickeln. Mit Hilfe der Kostenrechnung ist es möglich, Kosten betrieblicher Abläufe abzubilden um diese anschließend verursachungsgerecht auf die entsprechenden Kostenträger zu verteilen. Diese Informationen ermöglichen eine Gemeinkostenplanung und -steuerung und führen im Resultat zu einer innerbetrieblichen Prozessoptimierung und zu Kostensenkungen bzw. Gewinnsteigerungen.22 Beispielsweise führt eine Senkung der Durchlaufzeiten23, bei gleich bleibender Leistungsqualität, zwangsläufig zu einer Steigerung der Kundenzufriedenheit, was bedingt durch die wachsende Kundenbindung zu Umsatzsteigerungen führen kann. Um konsequent Kostensenkungspotentiale realisieren zu können ist die Integration der Prozesskostenrechnung unverzichtbar, da die in der Praxis häufig angewandten Teilkostenrechnungen die Gemeinkosten nicht berücksichtigen, wenngleich auch in den Gemeinkosten wesentliche Kostentreiber versteckt seien können. Die Konsequenz der Nichtbeachtung der Gemeinkosten ist die Vernachlässigung der strategischen Aspekte des Kostenmanagements, was wiederum falsche Steuerungs22 23

Vgl. Kipker, I./Veil, M., Kostenmanagement, 2002, S. 11 f. Zum Beispiel für die Auftragsabwicklungszeit von Kundenordern.

406

W. Schmeisser, S. Bertram

impulse zur Folge haben kann. Die Integration der Prozesskostenrechnung bietet neben der Kosten- und Prozesstransparenz auch Ansatzpunkte für interne Produktivitätsvergleiche für ein permanentes Benchmarking von Kosten-, Zeit- und Qualitätswerten. Durch gezieltes Prozesskostenmanagement erlangt die Geschäftsleitung einen Überblick von Kostentreiber des Unternehmens und der Möglichkeit zur Kostensenkung. Die Balanced Scorecard ist hierbei ein komplementärer Ansatz, der die Kundenseite, die Sicht der Finanz- und Qualitätsebene und die Mitarbeiterperspektive optimal miteinander verbindet.24 Die Prozesskostenrechnung erkennt die Kostentreiber und Möglichkeiten zur Kostensenkung, ohne dabei die Leistungsfähigkeit aus den Augen zu verlieren. Die Berliner Balanced Scorecard deckt hingegen die Werttreiber der Unternehmensstrategie auf. Sie fordert damit ein Managementsystem möglicherweise auf die gesamte Unternehmensprozessorganisation anders auszurichten. Durch die Kombination beider Instrumente lassen sich Synergiepotentiale realisieren. Die Ziele der Prozesskostenrechnung können dabei ohne weiteres in die einzelnen Berliner Balanced Scorecard Perspektiven übernommen werden. Des Weiteren bildet die Prozesskostenrechnung die Kennzahlenbasis der Berliner Balanced Scorecard und unterstützt durch wichtige Informationen die Phase der Strategieformulierung.25 Daher ist eine prozesskostenorientierte Balanced Scorecard unverzichtbar für ein effektives performanceorientiertes Kostenmanagement.

13.2.1 Zusammenhang zwischen Prozesskostenrechnung und Target Costing Mittels Target Costing lassen sich Produkte auf Grundlage der Marktanforderungen so gestalten, dass sie über den gesamten Produktlebenszyklus betrachtet, einen bestimmten Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten. Das Ziel dabei ist beispielsweise eine möglichst niedrige Break-Even-Time26 (BET) zu schaffen, um dadurch schnellstmöglich Gewinn zu generieren. Die Senkung der BET ist oftmals auch ein Ziel, das sich in der BSC wieder findet.27 Das Target Costing ermittelt die Zielkosten für ein neues Produkt, darin sind die Kosten der beteiligten Gemeinkostenbereiche enthalten. Sie müssen hinterfragt und gesteuert werden. Eine aussagekräftige Durchführung des Target Costing kann also nur gewährleistet werden wenn die ressourcenmäßige Inanspruchnahme der Funktionsbereiche (Prozesskosten) bekannt ist. Nur auf diesem Wege kann sichergestellt werden, dass zielorientiert gemeinkostenschlanke Produkte entwickelt werden.28 24

Vgl. Kipker, I./Veil, M., Kostenmanagement, 2002, S. 12 f. Vgl. Kipker, I./Veil, M., Kostenmanagement, 2002, S. 13 f. 26 Zeit bis zu dem Zeitpunkt, an dem die fixen Kosten gedeckt sind und ab dem jeder Verkauf Gewinn erzielt. 27 Vgl. Jeker Frei, C./Bachmann, M, Prozesskostenmanagement, 2001, S. 51. 28 Vgl. Jeker Frei, C./Bachmann, M, Prozesskostenmanagement, 2001, S. 51. 25

13 Zur Integration

407

Bei der Verknüpfung mit der Balanced Scorecard wird durch das Zusammenwirken von Target Costing und Prozesskostenrechnung ein optimales Werkzeug zur Prozessoptimierung bereitgestellt. Die Prozesskostenrechnung liefert alle notwendigen Kosteninformationen, um den immer stärker steigenden Gemeinkostenanteil in den Unternehmen kontrollieren und gegebenenfalls entgegenwirken zu können. Man kann die Prozesskostenrechnung somit als Basis für marktorientierte Zielkosten der Produktkalkulation des Target Costing betrachten. Beim Target Costing handelt es sich um kein neues Kostenrechnungsverfahren des Rechnungswesens, vielmehr um eine entwicklungs- und konstruktionsbegleitende, marktorientierte Zielkostenplanungsmethodik. Die Betrachtung erfolgt auf der Produktebene. Die Prozesskostenrechnung ist hingegen ein Kostenrechnungsverfahren das speziell im Gemeinkostenbereich Anwendung findet. Die Kosten der Gemeinkostenbereiche werden den abteilungsübergreifenden Geschäftsprozessen zugeordnet, um als Konsequenz daraus Transparenz in Gemeinkostenblock zu bekommen.29 Das ermöglicht den Unternehmen, ihre Gemeinkostenbudgets über Prozessmengen und Prozesskosten zu planen und zu steuern, um so das immer größer werdende Gemeinkostenproblem in den Griff zu bekommen. Es handelt sich bei der Gemein-

Abb. 13.10 Zusammenhang zwischen Target Costing und Prozesskostenrechnung [Quelle: Mayer, R., Target Costing und Prozesskostenrechnung, 1993, S. 79]

29

Vgl. Mayer, R., Target Costing und Prozesskostenrechnung, 1993, S. 77.

408

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kostenrechnung also um einen Managementansatz zur Beherrschung der Gemeinkosten, deren Ziel es ist, Transparenz in den Gemeinkostenblock zu bringen, die internen Prozesse zu optimieren und mittels permanentem Gemeinkostenmanagement eine gezielte Kostenbeeinflussung in den Gemeinkostenbereichen zu erzielen.30 Der Zusammenhang zwischen der Prozesskostenrechnung und dem Target Costing liegt darin, dass die Erfahrungswerte über verursachte Kosten aus der Prozesskostenrechnung, zum Beispiel welche Kosten eine neu aufgelegte Teilenummer verursacht oder was ein Beschaffungsvorgang kostet, im Target Costing verwendet werden können. Dadurch können die Auswirkungen von konstruktionstechnischen oder fertigungsablauforganisatorischen Alternativen auf die Gemeinkosten aufgezeigt werden. Es lässt sich damit ausdrücken, wie viele Neuteile beziehungsweise Produktvarianten eines neu zu planenden Produktes man sich überhaupt leisten kann, wenn die Gesamtkosten Y (inklusive Gemeinkosten) nicht überschritten werden dürfen.31

13.2.2 Verwendung der Prozesskosten im Target Costing am praktischen Beispiel der Automobil AG 13.2.2.1 Ermittlung der Hauptprozesse, der Cost Driver und der dazugehörigen Prozesskosten Das Beispiel des „Panamera Sport Rad“ aus dem letzten Kapitel wird wieder aufgegriffen. Um die Hauptprozesse definieren und bewerten zu können, müssen sämtliche Teilprozesse der beteiligten Kostenstellen zusammengefasst werden. Das Projektteam erarbeitete eine vollständige Liste der Hauptprozesse für die beteiligten Bereiche. Die Untersuchung der Abteilung VKI führte unter Anwendung der in Abschnitt 13.1 aufgezeigten Arbeitsschritte zu den Ergebnissen der Tabelle 13.6. Aufgezeigt sind hier alle wesentlichen Hauptprozesse, deren Cost Driver, die Häufigkeit der Prozesskostenführung (Cost Driver Menge), die Summe der Hauptprozesskosten und den entsprechenden Prozesskostensatz der bei einmaliger Durchführung anfällt.32 Die Summe der Kosten aller Hauptprozesse entspricht dem Kostenstellenbudgets des Untersuchungsbereiches. Anders als bei der Kostenstellenrechnung, zeigt die Prozesskostenrechnung auf, welche Kosten für abteilungsübergreifende Aktivitäten anfallen. Im Hauptprozess Nr. 8 aus Tabelle 13.6 „Materialbeschaffung über Einzelbeschaffung“, sind alle Teilprozesse von der Disposition, den Einkaufsaktivitäten, der Warenannahme, der Wareneingangsprüfung, der Qualitätsprüfung, der Einlagerung, der Verbuchung bis hin

30 31 32

Vgl. Mayer, R., Target Costing und Prozesskostenrechnung, 1993, S. 80. Vgl. Mayer, R., Target Costing und Prozesskostenrechnung, 1993, S. 77. Vgl. Mayer, R., Target Costing und Prozesskostenrechnung, 1993, S. 78.

13 Zur Integration

409

Tabelle 13.6 Hauptprozesse der Abteilung VKI [Quelle: in Anlehnung an Mayer, R., Target Costing und Prozesskostenrechnung, 1993, S. 81] HP-Nr.

Hauptprozesse

Cost Driver

1.

Neuteile einführen

Anzahl Neuteile

2.

Teile verwalten

Anzahl aktueller Teilenummern

3.

Neuprodukte einführen

Anzahl Neuprodukte

4.

Varianten betreuen

Anzahl Varianten

5.

Produktänderungen durchführen

6.

Cost Driver Menge

KostenProzessvolumen in kostensatz e in e

400

2.000.000

5.000

4.500

2.500.000

556

20

500.000

25.000

1.000

2.000.000

2.000

Anzahl Änderungen

50

1.500.000

30.000

Lieferanten betreuen

Anzahl Lieferanten

90

450.000

5.000

7.

Materialbeschaffung über Rahmenverträge

Anzahl Bestellungen

8.000

1.200.000

150

8.

Materialbeschaffung über Einzelbeschaffung

Anzahl Bestellungen

1.500

450.000

300

9.

Gemeinkostenmaterial beschaffen

Anzahl Bestellungen

1.000

100.000

100

10.

Kundenauftragskommissionierung

Anzahl Auftragspositionen

20.000

300.000

15

11.

Auftragsabwicklung

Anzahl Aufträge

5.000

1.500.000

300

12.

Marktbetreuung

Anzahl Märkte

17

510.000

30.000

13.

Kundenbetreuung

Anzahl Kunden

4.500

1.800.000

400

Summe Kostenvolumen des Untersuchungsbereichs

14.810.000

zur Bezahlung enthalten.33 In diesen Hauptprozess fließen also cirka 10 Teilprozesse aus mehreren Kostenstellen ein. Exemplarisch werden die Teilprozesse der Kostenstelle Einkauf in der folgenden Tabelle 13.7 auf die beteiligten Hauptprozesse verteilt.

33

Vgl. Mayer, R., Target Costing und Prozesskostenrechnung, 1993, S. 80.

410

W. Schmeisser, S. Bertram

Tabelle 13.7 Kostenbeispiel der Kostenstelle Einkauf [Quelle: in Anlehnung an Mayer, R., Target Costing und Prozesskostenrechnung, 1993, S. 85] Kostenstelle Einkauf TPNr.

Teilprozess

Kapazität zugeordnete in MJ Kosten in e

1.

Rahmenvertag abschließen

0,9

63.000

90

700

HP 7

2.

Bestellung über Rahmenverträge

2,0

168.000

8.000

21

HP 7

3.

Bestellung über Einzelbestellungen

1,5

105.000

1.500

70

HP 8

4.

Bestellung Gemein- 0,8 kostenmaterial

42.000

1.000

42

HP 9

5.

Kontakte zu Lieferanten pflegen

90.000

90

1.000

HP 6

Summe Kostenstellenkosten

1,2

Prozess- Prozesszugeordnet menge kostensatz auf HPin e Nr.

468.000

13.2.2.2 Prozesskosten im Target Costing Das Target Costing bezieht sich immer auf eine Produkteinheit, Prozesse fallen hingegen kaum mengenproportional an. Die Abhängigkeitsbeziehungen von Prozessen lassen sich in drei Kategorien einteilen, Vorleistungsprozesse, Betreuungsprozesse und Abwicklungsprozesse.34 Vorleistungsprozesse sind Prozesse, die in der Produktentwicklung anfallen. Sie beinhalten administrativ-planerische Tätigkeiten die nicht über die Projekt-/Auftragsnummern verrechnet werden können. Im Beispiel handelt es sich dabei um zwei Hauptprozesse: HP 1 „Neuteile einführen“ und HP 3 „Neuprodukte einführen“. Beide Prozesse beinhalten sämtliche administrativen Tätigkeiten, die Vorraussetzung für die Produktion oder Beschaffung von Teilen sind oder die notwendig sind, um es verkaufsfertig zu machen. Vorleistungsprozesse werden im Target Costing wie Forschungs- und Entwicklungskosten behandelt. Um den Stückkostenbetrag zu erhalten werden sie auf die geplante Gesamtstückzahl verrechnet.35 Betreuungsprozesse beinhalten Tätigkeiten, die durch die Existenz eines Produktes, eines Lieferanten oder eines Kunden anfallen, ohne das ein Produkt verkauft, ein Bauteil beschafft oder der Kunde beliefert wird. Im Beispiel handelt es sich dabei um die Prozesse „Teile verwalten“, „Varianten betreuen“, „Lieferanten betreuen“ und um die „Markt- und Kundenbetreuung“.36 Die Aufwendungen beziehen sich 34 35 36

Vgl. Mayer, R., Target Costing und Prozesskostenrechnung, 1993, S. 84. Vgl. Mayer, R., Target Costing und Prozesskostenrechnung, 1993, S. 84. Vgl. Mayer, R., Target Costing und Prozesskostenrechnung, 1993, S. 86.

13 Zur Integration

411

Tabelle 13.8 Verrechnungsformeln der Gemeinkostenprozesse ins Target Costing [Quelle: in Anlehnung an Mayer, R., Target Costing und Prozesskostenrechnung, 1993, S. 89] Kategorie

Beispiel

Neuteile Vorleistungseinführen prozesse

Betreuungsprozesse

Verrechnungsformel Prozess× kostensatz

:

erwartete Gesamtstückzahl

:

erwartete Gesamtstückzahl

Neuprodukte einführen

Prozesskostensatz

Teile verwalten

Prozess× kostensatz

Anzahl Neuteile

:

erwartete Jahresmenge

Varianten betreuen

Prozess× kostensatz

Anzahl Varianten

:

erwartete Jahresmenge

Lieferanten betreuen

Prozess× kostensatz

Anzahl zusätzlicher : Lieferanten

erwartete Jahresmenge

Marktbetreuung

Prozess× kostensatz

Anzahl notwendiger : Märkte

erwartete Jahresmenge

Kundenbetreuung

Prozess× kostensatz

Anzahl notwendiger : Neukunden

erwartete Jahresmenge

Material beschaffen

Prozess× kostensatz

Anzahl Teile

:

durchschnittliche Beschaffungslosgröße

durchschnittliche : Anzahl Auftragspositionen

durchschnittliche Kundenauftragsgröße

:

durchschnittl. Kundenauftragsgröße

Anzahl erwarteter : Änderungen im Produktlebenszyklus

erwartete Gesamtstückzahl

Kundenauftrags- Prozess× Abwicklungs- kommiskostensatz prozesse sionierung

Produktänderungsprozesse

Anzahl Neuteile

Auftragsabwicklung

Prozesskostensatz

Produktänderungen durchführen

Prozess× kostensatz

bei diesen Prozessen immer auf ein Jahr und werden daher auf die geplante durchschnittliche Jahresstückzahl berechnet. Abwicklungsprozesse beinhalten alle logistischen und administrativen Aktivitäten, um Material und Teile anzuschaffen, Produkte produzieren und Kundenaufträge abwickeln zu können. Im Beispiel handelt es sich um die Prozesse „Material beschaffen“, „Kundenauftragskomissionierung“ und die „Auftragsabwicklung“. In diesem Fall beziehen sich die Prozesse immer auf die Durchführung eines Auftrages. Im Rahmen des Target Costing erfolgt hier die Division durch die geplanten Losgrößen. Eine besondere Bedeutung kommt dem Sonderfall der Produktänderung zu, da die Produktänderungskosten bis zu 25 Prozent des gesamten Gemeinkostenvolu-

412

W. Schmeisser, S. Bertram

mens ausmachen können. Produktänderungen lassen sich jedoch nicht in die drei genannten Unterkategorien einteilen. Sie haben die Charakteristik eines Abwicklungsprozesses, beziehen sich jedoch nicht auf einen Auftrag sondern auf die geplante Gesamtstückzahl. Produktänderungen werden also wie Vorleistungsprozesse verrechnet. Die Frage die man hier stellen muss ist die, wie viel Änderungskosten dürfen im gesamten Produktlebenszyklus anfallen, wenn die Produktkosten nur einen bestimmten Betrag zulassen?37

13.2.2.3 Gemeinkosten im Target Costing Unterschieden werden die zu bewertenden Komponenten nach Fremdbezug, Eigenfertigung oder Gesamtprodukt. Wobei das Gesamtprodukt mehr ist als die Summe der Komponentenkosten, da auf der Gesamtproduktebene die Gemeinkosten der Produktmontage, der Produkteinführungs- und Betreuungskosten und die Vertriebsgemeinkosten zugeordnet werden. Im Beispiel kommt es nicht zur Verwendung von eigen gefertigten Komponenten, es werden also nur Fremdbezugskomponenten und das Gesamtprodukt betrachtet.

Fremdbezugskomponenten Die Lieferung der neu entwickelten Komponente Felge und das Gleichteil Radnarbenabdeckung erfolgt über einen Zulieferer mit dem das Unternehmen Porsche schon langjährige Geschäftsbeziehungen pflegt. Die Lieferung der Zentrierung hingegen erfolgt über einen neuen Lieferanten. Für die Berechnung der Prozesskosten sind folgende Prozesse relevant: HP2 „Teile verwalten“, HP7 „Materialbeschaffung über Rahmenverträge“ und teilweise HP1 „Neuteile einführen“. Neben der Gesamt- und Jahresstückzahl sind für die Kalkulation auch die Informationen über die minimalen Abnahmelosgrößen seitens der Lieferanten wichtig. Die relevanten Gemeinkosten der jeweiligen Komponenten ergeben sich dann aus den Formeln der Tabelle 13.8 (vgl. Abb. 13.11).

Gesamtproduktebene Für die Berechnung der Prozesskosten sind folgende Prozesse relevant: HP3 „Neuprodukte einführen“, HP4 „Varianten betreuen“, HP5 „Produktänderungen durchführen“, HP11 „Auftragsabwicklung“, HP12 „Marktbetreuung“ und der HP6 „Lieferanten betreuen“. Wichtig für die Kalkulation sind, neben den Informationen über Gesamt- und Jahresstückzahl, auch Informationen über die geplanten Anzahl von Varianten, Produktänderungen und die Höhe der durchschnittlichen Kundenauf37

Vgl. Mayer, R., Target Costing und Prozesskostenrechnung, 1993, S. 86.

13 Zur Integration

413

Abb. 13.11 Prozesskostenkalkulation der Fremdbezugskomponenten [Quelle: in Anlehnung an Mayer, R., Target Costing und Prozesskostenrechnung, 1993, S. 91]

tragsgröße. Aufgrund der Verbaubarkeit auf sämtlichen Porsche Sportwagen werden sechs Varianten produziert. Man geht davon aus, dass im Produktlebenszyklus vier Produktänderungen vorgenommen werden und die durchschnittliche Kundenauftragsgröße bei drei Radsätzen liegt. Die relevanten Gemeinkosten ergeben sich dann aus den Formeln der Tabelle 13.8 (vgl. Abb. 13.12). Die Prozesskosten für einen kompletten Radsatz betragen somit 305,72 Euro (295,03 + 6,75 + 2,25 + 1,69). Im Folgenden wird versucht, diese Gemeinkosten zu optimieren um als Konsequenz die Zielkostenlücke schließen zu können.

414

W. Schmeisser, S. Bertram

Abb. 13.12 Prozesskostenkalkulation auf Gesamtproduktebene [Quelle: in Anlehnung an Mayer, R., Target Costing und Prozesskostenrechnung, 1993, S. 91]

13.2.2.4 Schlussfolgerungen aus der Gemeinkostenanalyse Aus den Einzelergebnissen der Gemeinkostenanalyse lassen sich folgende Schlussfolgerungen hervorheben:38 • Die Kosten der Auftragsabwicklung steigen rasant bei abnehmender Auftragslosgröße. Der entscheidende Hebel ist dabei die Durchsetzung größerer Auftragslose. • Die Kosten der Materialbeschaffung steigen auch mit sinkender Auftragslosgröße. Hier ist zu prüfen, ob bei größeren Bestellungen diese Kosten durch die anfallenden Lagerkosten überkompensiert werden können. • Die Festlegung und Durchsetzung einer höheren Kundenauftragslosgröße muss ein dringendes Ziel sein, zu dessen Erreichung geeignete Schritte eingeleitet werden müssen. • Großes Optimierungspotential ist auch bei dem größten Kostentreiber, der Marktbetreuung, vorhanden. Auch hier müssen langfristig geeignete Schritte eingeleitet werden um diese Kosten zu senken. • Es ist zu prüfen, ob ein Optimierungspotential bei den Änderungen am Produkt realisiert werden kann.

38

Vgl. Kempf, K./Kieninger, M., Kostensenkung durch Prozessoptimierung, 1998, S. 281.

13 Zur Integration

415

Abb. 13.13 Zu realisierende Kostenlücke mittels Prozesskostenrechnung

13.2.2.5 Realisierung der Zielkosten des Target Costing mittels Prozesskosten Der Kostenreduktionsbedarf, der durch das Target Costing nicht realisiert werden konnte liegt bei 50 Euro pro Radsatz. Ausgehend von den Stückgemeinkosten der Komponenten und des Gesamtproduktes hat die Geschäftsleitung mehrere Maßnamen festgelegt, um die Zielkosten zu realisieren. Man konzentrierte sich hierbei in erster Linie auf Optimierungsmaßnamen die relativ schnell umsetzbar sind. Die Vertriebsstruktur der Abteilung VKI ist in Abb. 13.14 dargestellt. Da der Endkunde nicht direkt beliefert wird, ist man zu dem Entschluss gekommen die minimale Kundenauftragsgröße auf sechs Radsätze festzulegen um den Kostentreiber, zu kleiner Aufträge, entgegenzuwirken. Eine Erhöhung der durchschnittlichen Auftragsgröße auf sechs senkt die Gemeinkosten der Auftragsabwicklung von 100 Euro auf 50 Euro, dadurch konnte ein Ersparnis in Höhe von 50 Euro je georderten Radsatz realisiert werden (vgl. Abb. 13.15), somit konnte die Zielkostenlücke komplett geschlossen werden. Nach dem Erreichen der geplanten Zielkosten muss sich im Unternehmen ein permanentes Verbesserungsbestreben bei den Prozessen anschließen.39 Einige der Maßnahmen die langfristig in den Maßnahmenkatalog aufgenommen wurden, sind die Optimierung des größten Kostentreibers, der Marktbetreuung und die Prüfung einer Senkung von Produktänderungen. Wobei sich die Anzahl der Produktände-

Abb. 13.14 Vertriebsstrukturen der Abteilung VKI [Quelle: Eigene Darstellung] 39

Vgl. Jakobi, H.-F., Optimierung indirekter Funktionen, 2003, S. 469.

416

W. Schmeisser, S. Bertram

Abb. 13.15 Optimierte Prozesskostenkalkulation auf Gesamtproduktebene [Quelle: in Anlehnung an Mayer, R., Target Costing und Prozesskostenrechnung, 1993, S. 91.]

rungen, während des Produktlebenszykus, in der Vergangenheit schwer kalkulieren ließ. Gründe für Produktänderungen sind zum Beispiel die Veränderung gesetzlicher, insbesondere umweltschonenden oder produkthaftungsrechtlicher Vorschriften in einzelnen Ländern oder auch eine Anpassung an die Modellpflege40 eines Fahrzeugtyps.

13.2.3 Verknüpfung der Prozesskostenrechnung mit der Berliner Balanced Scorecard 13.2.3.1 Deckungsbeitragsrechnung als Erfolgsrechnung in der Kundenperspektive Mit Hilfe der Deckungsbeitragsrechnung ist es möglicht die Auswirkungen der gewählten Maßnahmen in Verbindung mit der Prozesskostenrechnung zu kontrollieren. Dafür müssen die Kosteneinsparungen jedoch in fixe und variable Kosten aufgeschlüsselt werden. Die daraus resultierenden Informationen liefern dem Unternehmen wichtige Ausgangsinformationen für eine betriebswirtschaftliche Analyse. 40

Die Modellpflege in der Automobilbranche bezeichnet eine optische und technische Überarbeitung eines Fahrzeugmodells.

13 Zur Integration

417

Abb. 13.16 Veränderung im Deckungsbeitrag und Betriebsergebnis durch die Prozesskostenrechnung

Durch die Beeinflussung des Cost Drivers des Hauptprozesses 11, „Auftragsabwicklung“, wurde ein Kostenersparnis in Höhe von 50 Euro je Radsatz realisiert. Die Gemeinkosten in diesem Prozess beziehen sich auf die kompletten Kosten für die Abwicklung eines Vertriebsauftages von der Auftragsannahme, der Produktkomplettierung, der Verpackung bis zum Versand. Eine Kostenanalyse dieses Hauptprozesses zeigte, dass der Anteil der fixen Kosten bei 70 Prozent liegt. Somit werden pro verkauften Radsatz 35 Euro Fixkosten und 15 Euro variable Kosten eingespart. Ausgehend von der geplanten Absatzmenge (8.850 Radsätze) ergibt sich folgende Veränderung bei Deckungsbeitrag und Betriebsergebnis (vgl. Abb. 13.16). Der Deckungsbeitrag steigt durch die Reduktion der variablen Kosten um 132.750 Euro (15 Euro × 8.850), was ein Anstieg auf 49 Prozent der Nettoerlöse entspricht. Der Stückdeckungsbeitrag (db) liegt jetzt bei 1.715 Euro. Durch die gleichzeitige Fixkostenreduzierung um 309.750 Euro (35 Euro × 8.850) wird das Betriebsergebnis um 442.500 Euro gesteigert. Das entspricht, ausgehend von den Nettoerlösen, der ursprünglich geplanten Zielrendite von 30 Prozent.

13.2.3.2 Verknüpfung der Kunden- und Finanzperspektive mittels Break-Even-Point-Analyse Die Verknüpfung der Kunden und Finanzperspektive wird auch hier anhand der BEP-Aanalyse aufgezeigt. Die BEP-Analyse stellt dar, wie sich die Veränderungen der Fixkosten und der variablen Kosten auf den Break-Even-Point (BEP) auswirken. Ausgehend von den Kostenanpassungen durch die Prozesskostenrechnung wird nun die neue Break Even Menge ermittelt, die mindestens notwendig ist um kostendeckend zu arbeiten.

418

W. Schmeisser, S. Bertram

Ausgehend von folgender Gleichung41, G = x ∗ (p − kv) − K f 0 = x ∗ db − K f x=

Kf db

x=

5.885.250U 1.715, 00U

x = 3.431, 63 ergibt sich für die prognostizierte Absatzmenge von 8.850 Radsätzen, einem Target Price von 3.500 Euro und dem Target Price von 2.450 Euro eine neue Gewinnschwelle von 3.432 Radsätzen. Das entspricht einer Herabsetzung des BEP um 213 Radsätze (3.645 − 3.432). Die Fixkosten sind an diesem Punkt komplett durch die Deckungsbeiträge gedeckt, jeder Radsatz der darüber hinaus verkauft wird, trägt direkt zur Steigerung des Unternehmensgewinns bei.

13.2.3.3 Auswirkungen der Umsatzprognose Die Umsatzprognose ist für die Aussagefähigkeit des Target Costing von sehr großer Bedeutung. Das Target Costing als statisches Konzept impliziert, dass hinsichtlich einmal festgelegter Gesamt-Zielkosten sich nachträglich keine Veränderungen mehr ergeben. Die höheren Target Costs zur Produkteinführung, im Vergleich zu den durchschnittlichen Target Costs, werden in diesem Fall durch die später niedrigeren Target Costs ausgeglichen, zum Beispiel über den dynamischen Erfolg von Erfahrungskurveneffekten.42 Die Umsatzprognose bezieht bei ihren Betrachtungen zwei Größen ins Kalkül ein, den Marktpreis und die Stückzahl. Weichen die Ist Werte von den prognostizierten Werten ab, wie es in der Praxis oft der Fall ist, kommt es zu Fehlsteuerungen. Das Ausmaß der Fehlsteuerung einer falsch prognostizierten Stückzahl, bei richtiger Marktpreisprognose, veranschaulicht das Beispiel in Abb. 13.17. Der Preis für den Radsatz und der prozentuale Deckungsbeitrag bleiben in diesem Beispiel gleich. Die Abweichungen der Absatzmenge führen jedoch zu wertmäßigen Veränderungen des Deckungsbeitrages, dass durch den konstanten Fixkostenblock zu erklären ist, und es führt zu einer Veränderung des Betriebsergebnisses. Die Auswirkungen einer falschen Marktpreisprognose (Target Pricing), bei richtiger Stückzahlprognose, verdeutlicht das Beispiel in Abb. 13.18. Die Absatzmenge ist in diesem Beispiel konstant, die variablen Kosten bleiben also unverändert. Umsatzveränderungen aufgrund veränderter Marktpreise schla41 42

Vgl. Schmeisser, W. u. a., BBSC Einführung, 2006, S. 50. Vgl. Coenenberg, A. G., Kostenrechnung, 2003, S. 461.

13 Zur Integration

419

Abb. 13.17 Auswirkungen veränderter Stückzahlprognosen bei konstantem Target Price

Abb. 13.18 Auswirkungen eines veränderten Target Price bei konstanter Stückzahl

gen sich dadurch unmittelbar auf den wertmäßigen und prozentualen Deckungsbeitrag und als Konsequenz auf das Betriebsergebnis nieder. Wie die Differenz der Deckungsbeiträge beziehungsweise der Betriebsergebnisse zeigt, wird das Zielkostenmanagement durch die im Entwicklungsbeginn erstellte Umsatzprognose determiniert. Problematisch gestaltet sich eine spätere Anpassung der Umsatzprognose, wenn die Entwicklungs- und Konstruktionsarbeiten auf Grundlage des ursprünglichen veranschlagten Target Price schon begonnen haben.43 In beiden Beispielen wird sichtbar, wie groß die Abweichungen der geplanten Zielrendite, durch Veränderungen der Absatzmenge beziehungsweise des Absatzpreises, ausfallen können. Eine aussagekräftige Umsatzprognose des Innovationsmarketings ist daher für das Target Costing von sehr großer Bedeutung.

43

Vgl. Coenenberg, A. G., Kostenrechnung, 2003, S. 461.

420

W. Schmeisser, S. Bertram

13.3 Fazit Die Berliner Balanced Scorecard schafft durch die Integration strategischer Maßnahmen den zentralen kostenrechnerischen und organisatorischen Rahmen für die gesamten Innovationsmanagementprozesse eines Unternehmens. Sie beinhaltet finanzielle Kennzahlen vergangener Leistungen und zukünftige Leistungstreiber. Der bedeutendste Punkt der Berliner Balanced Scorecard ist die Kommunikation der Strategie an das Innovationsteam. Die gewählte Unternehmensstrategie wird anhand der verschiedenen Perspektiven, kompromisslos in greifbare Leistungsziele und Maßnahmen übersetzt, dadurch ist der langfristige Unternehmenserfolg gesichert. Die Berliner Balanced Scorecard legt die Endziele (Soll-Ziele) der Unternehmensstrategie fest und zeigen ob die vorgenommenen Veränderungen (Ist-Zahlen) die erhofften Ergebnisse erbracht haben. Mit Hilfe der Balanced Scorecard wird die Lücke, die in vielen Unternehmen vorherrscht, der Mangel an systematischen Prozessen zur Durchführung und Rückkopplung der Unternehmensstrategie44bei Innovationsprojekten, geschlossen. Mit dem Target Costing wurde ein Instrument in der Berliner Balanced Scorecard Ansatz implementiert, dass die strategische Ausrichtung der Unternehmensstrategie an die Marktanforderungen noch weiter verstärkt. Denn nur eine kostenorientierte Umsetzung der Kundenwünsche, in den frühesten Phasen der Produktgestaltung, sichert Unternehmen langfristig innovative Erfolgspotential und deren wirtschaftlichen Erfolg. Das daraus resultierende effektive Kostenmanagement ist wichtig für die Erreichung von wettbewerbsfähigen Produktkosten. Es ist jedoch nicht immer möglich alle Kundenwünsche zu berücksichtigen, da die Kunden ihre eigenen Bedürfnisse oftmals nicht konkretisieren bzw. artikulieren können. An diesem Punkt ist es sinnvoller, wenn Unternehmen ihre Erfahrungswerte vergangener Projekte berücksichtigen und ihre Entwicklungen nicht ausschließlich auf marktbezogene Kundeninformationen stützen. Damit wird gewährleistet, dass nicht nur auf das Marktgeschehen reagiert wird, sondern proaktiv innovative Produkte entwickelt werden. Trotzdem sollte eine ständige Marktorientierung nicht vernachlässigt werden, da sonst die Gefahr besteht, am Markt vorbei zu entwickeln. Ein wesentlicher Vorteil den die Implementierung des Target Costing bringt, ist die Verbindung von technischer und betriebswirtschaftlicher Planung mit dem Ziel einer Kosten- und technischen Qualitätsoptimierung. Der immer größer werdende Anteil der indirekten Kosten in den Unternehmen macht eine Kombination von Target Costing und der Prozesskostenrechnung unentbehrlich. Ziel der Implementierung der Prozesskostenrechnung war eine marktorientierte Planung und Steuerung der indirekten Unternehmensbereiche sicherzustellen. Entstehungsgeschichtlich gibt es keinen Zusammenhang zwischen den beiden Instrumenten, der Grundgedanke der Prozesskostenrechnung liegt darin, die Gemeinkosten langfristig zu beeinflussen. Sind die Gemeinkostenblöcke erst einmal festgelegt, gestaltet sich deren Beeinflussung relativ schwierig. Das Ziel ist daher, schon in der Produktentwicklung die Einflussfaktoren der Gemeinkosten aufzeigen, 44

Vgl. Kaplan, R. S./Norton, D. P., Balanced Scorecard, 1997, S. 19.

13 Zur Integration

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um diese beeinflussen zu können. Der Beitrag hat gezeigt, dass nicht mehr Gemeinkosten in Anspruch genommen werden können, als durch das Target Costing festgelegt wird. Durch die Integration der Gemeinkostenrechnung in den Berliner Balanced Scorecard Ansatz erhält man Informationen über die Gemeinkosten in den indirekten Prozessen und deckt Ansätze zur Kostenbeeinflussung auf. Da die Gemeinkosten zum größten Teil fix sind, ziehen Änderungen der Fixkostenverursacher nicht zwingend eine Kostensenkung nach sich. In diesem Fall muss sichergestellt werden, dass die freien Kapazitäten zum Beispiel für das Unternehmenswachstum genutzt oder abgebaut werden. Durch die Integration einer prozessorientierten Kalkulation erhält man transparente Abhängigkeiten zwischen Kosten und Kostentreibern in den Gemeinkostenbereichen. Dies allein reicht aber nicht aus, um die erkannten Probleme zu lösen. Das Hauptproblem liegt darin, mit Hilfe der gewonnenen Informationen geeignete technische Maßnamen zu finden und die richtigen Entscheidungen zu treffen, um letztlich eine Prozessoptimierung realisieren zu können. Die erweiterte Berliner Balanced Scorecard kann jedoch nur erfolgreich umgesetzt werden, wenn alle Beteiligten den Grundgedanken des Target Costing und der Prozesskostenrechnung verinnerlicht haben. Die Instrumente müssen Teil der Führungsphilosophie im Unternehmen werden, denn nur die Akzeptanz der Mitarbeiter gewährleistet die erfolgreiche Umsetzung der Unternehmensstrategie. Es muss zu einem Umdenken der technischen Mitarbeiter und Ingenieure kommen. Mittels eines veränderten Kostenbewusstseins sollten Kosteneinsparungspotentiale realisiert werden. Um das zu erreichen, ist eine kontinuierliche Überzeugungsarbeit seitens des Controllings gefordert. Ein wesentlicher Vorteil der Integration der Prozesskostenrechnung liegt in der Erstellung einer verursachungsgerechten Kalkulation der beanspruchten Unternehmensbereiche. Durch das Wegfallen der pauschalen Zuschlagssätze steigt das Verantwortungsgefühl der Mitarbeiter für die dort entstandenen Kosten.

Literaturverzeichnis Buggert, W./Wielpütz, A. [Target Costing, 1995]: Target Costing: Grundlagen und Umsetzung des Zielkostenmanagements, München und Wien: Hanser Verlag, 1995. Coenenberg, A. G. [Kostenrechnung, 2003]: Kostenrechnung und Kostenanalyse, 5. überarbeitete und erweiterte Auflage, Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag, 2003. Gabler Wirtschaftslexikon, 16. Vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage, Wiesbaden, Gabler Verlag, 2004. Gaiser, B./Kieninger, M. [Target Costing, 1993]: Fahrplan für die Einführung des Target Costing, in: Horvath, P. (Hrsg.), Target Costing: martorientierte Zielkosten in der deutschen Praxis, Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag, 1993, S. 53–74. Horvath, P. [Erneuerung des Controlling, 2003]: Erneuerung des Controlling, in: Bullinger, H.-J./ Warnecke, H. J./Westkämper, E. (Hrsg.), Neue Organisationsformen in Unternehmen: Ein Handbuch für das moderne Management, 2. neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Berlin, Heidelberg, New York: Springer Verlag, 2003, S. 1115–1129.

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W. Schmeisser, S. Bertram

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13 Zur Integration

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Teil VI

Zur Berechnung von Technologiestrategien und deren Umsetzung als methodisches Gesamtkonzept von Innovationsrechnungen in Form des Berliner Balanced Scorecard Ansatzes

Kapitel 14

Innovationsmarketingerfolgsrechnungen im Rahmen des Berliner Balanced Scorecard Ansatzes aus der Sicht einer finanzorientierten Kundenwertanalyse Wilhelm Schmeisser, Lydia Clausen, Falko Schindler

14.1 Einleitung Der vorliegende Beitrag thematisiert den kombinierten Einsatz unterschiedlicher controllingorientierter strategischer und operativer Steuerungsinstrumente in einem ganzheitlichen Innovationsmanagementansatz, der eine Erhöhung und Verwertung von Entwicklungs- und Konstruktionsergebnissen sicher stellen soll. Im Folgenden wird eine Kombination von potenziellem Kundenwert, Shareholder Value und Berliner-Balanced-Scorecard unter Einbindung des FuE-Bereiches vorgestellt. Der besondere Fokus liegt im Bereich Forschung und Entwicklung. Bisher wurde dieser Problematik in der Literatur kaum Beachtung geschenkt, obwohl gerade dem Controlling eine diesbezügliche Koordinationsfunktion zugesprochen wird.1 Das Controlling kann unterstützende Koordinationsaufgaben jedoch nur effektiv für die technologischen Ingenieuraufgaben erfüllen, wenn es gelingt, sämtliche Steuerungsinstrumente im Unternehmen effizient aufeinander abzustimmen. Die vorliegende Studie entwirft eine methodische Vorgehensweise eines derartigen Steuerungsmodells. Die gestiegenen Kapitalmarktanforderungen und der zunehmende Wettbewerbsdruck zwingen die Unternehmen nicht nur zu einer konsequenten Kundenorientierung, sondern auch zu einer kostenbewussten, wertorientierten Unternehmenssteuerung im technologischen Bereich. Das Wertschöpfungsmanagement rückt seit Jahren damit zunehmend in den Mittelpunkt der strategischen Unternehmenssteuerung und deren technologischen Innovationspolitik. Eine wertschöpfungsorientierte Innovations- und Wachstumspolitik wird auf diese Weise ein fester Bestandteil einer wertorientierten Unternehmensführung. Das Wertmanagement verbindet das strategische Management mit der Wertsteigerungs1

In der Praxis werden verschiedene Instrumente der Unternehmenssteuerung vielfach kombiniert. Aufgrund bestehender Interdependenzen stellt sich damit die Frage nach einer optimalen Abstimmung einzelner Instrumente untereinander. „Da bereits die isolierte Analyse keineswegs trivial ist, mündet die Untersuchung des kombinierten Einsatzes in theoretisch komplexen Problemstellungen“. Hofmann, C., u. a. (2004), S. 564.

W. Schmeisser, H. Mohnkopf, M. Hartmann, G. Metze (Hrsg.), Innovationserfolgsrechnung DOI: 10.1007/978-3-540-78249-0, © Springer 2008

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428

W. Schmeisser, L. Clausen, F. Schindler

analyse und verknüpft die Lehren der Strategie2 mit denen der Wertorientierung. Die Leistungsfähigkeit von Unternehmen, Geschäftsbereichen oder strategischen Alternativen wird im Wertmanagement auf Basis abgezinster zukünftiger freier Cashflows durch die Wertsteigerungsanalyse bewertet.3 Maßstab der Wertschaffung sind die Kapitalkosten. Es erfolgt eine Orientierung an der zukünftigen szenarioartigen Entwicklung und damit an den Gewinnerwartungen. Wertmanagementkonzepte verfolgen das Ziel, sämtliche Führungs- und Steuerungsprinzipien sowie die Gesamtportfoliostruktur des Unternehmens auf eine langfristige Wertgenerierung i. S. d. Kapitalmarktanforderungen auszurichten.4 Um Erfolg erzielen zu können, sind die Bewertungsverfahren und Instrumente der Wertsteigerung in das gesamte Steuerungssystem des Unternehmens einzubeziehen.5 Eine Anbindung des Wertmanagements an das strategische Management, und insbesondere eine Überführung des Wertmanagements bis in den operativen Bereich, bereitet in der Praxis jedoch immer noch erhebliche Schwierigkeiten.6 Dies ist dadurch begründet, dass die Instrumente zur Umsetzung der Wertsteigerung entweder ungenügend eingesetzt werden oder gänzlich fehlen. In der Regel werden zwar wertorientierte Strategien nebst entsprechenden Initiativen formuliert, eine Operationalisierung bleibt jedoch häufig aus. Den technischen und kaufmännischen Führungskräften und einzelnen Mitarbeitern auf den jeweiligen Unternehmensebenen fehlt damit die Möglichkeit, über Ursache- und Wirkungsbeziehungen den eigenen Wertbeitrag abzuleiten oder Zielabweichungsanalysen durchzuführen. Wertmanagement wird häufig mit einem Recheninstrument zur Unternehmensbewertung gleichgesetzt, anstatt mit einer gezielten Managementaufgabe. Entscheidend für den Erfolg der Wertorientierung ist jedoch die Integration in ein durchgängiges, wertorientiertes Führungssystem und damit die Durchgängigkeit von den Ziel- und Messgrößen des Wertmanagements bis hin zu den operativen Steuerungsgrößen. Die traditionellen Systeme basieren meist allein auf finanziellen Kennzahlen und sind in der Regel vergangenheitsorientiert. Sie liefern in erster Linie Zustandsbeschreibungen und zeigen erst verzögert kritische Entwicklungen an. Dadurch lassen sich nur schwer zukunftsrelevante Steuerungsinformationen ableiten. Des Weiteren werden keine Aussagen über die Ursachen von Unternehmensentwicklungen gemacht. Herkömmliche Systeme integrieren oftmals nur unzureichend Kennzahlen und Leistungsindikatoren, die sich mit den relevanten techni2

Vgl. Strutz, E. (1993), S. 109 f. Im Gegensatz zu anderen Steuerungsmodellen fokussiert das Wertmanagement die Strategie auf das eigentliche unternehmerische Oberziel der Wertsteigerung; vgl. Koller, T. (1994), S. 87. 3 Für die Wertsteigerungsanalyse sind verschiedene finanzmathematische Bewertungs- und Rechenverfahren entwickelt worden. Zu nennen sind der Discounted Cashflow-, der Economic Value Added und der Cash Value-Added-Ansatz; vgl. Rappaport, A. (1998), S. 33 ff. 4 Vgl. Moser J.-P. (2001), S. 69 f. 5 Dies belegt eine Studie von Horváth & Partners; vgl. Horváth & Partners (2003a). 6 Eine ausführliche Diskussion dieser Problemstellung findet sich bei Günther, der in diesem Zusammenhang von einer Implementierungslücke des Shareholder Value-Managements spricht; vgl. Günther (1997), S. 2; vgl. hierzu auch Moser J.-P. (2001), S. 70 ff.

14 Innovationsmarketingerfolgsrechnungen

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schen Kunden- und Marktsegmenten beschäftigen. Innovations-, Wachstums- und Entwicklungspotenziale auf der Mitarbeiterebene oder des FuE-Bereiches finden häufig gar keine Berücksichtigung. An dieser Stelle knüpft die Berliner Balanced Scorecard als Steuerungs- und Führungsinstrument an und bietet ein ganzheitliches Konzept zur Berücksichtigung der relevanten Unternehmensdaten. Das ursprünglich von Kaplan und Norton entwickelte System der Balanced Scorecard ist ein Instrumentarium zur Umsetzung der Unternehmensstrategie in Ziele, Steuerungsgrößen und Maßnahmen. Somit wird eine Verbindung zwischen der operativen und strategischen Planung hergestellt. Die Balance der einzelnen Unternehmensbereiche, „Perspektiven“, erzielen Kaplan und Norton durch das Zusammenspiel qualitativer als auch quantitativer Messgrößen. Jedoch fehlte bisher die rechnerische Verknüpfung der einzelnen Perspektiven. Hier knüpft der Berliner-Balanced-Scorecard-Ansatz an und stellt dar, dass mit den bekannten Modellen des internen und externen Rechnungswesens die Perspektiven rechen- und verknüpfbar sowie dynamisierbar sind.7

14.2 Kundenwertmanagement als Instrument zur Bewertung von Kundenbeziehungen Für erfolgreiche Unternehmen ist es nahezu selbstverständlich, die Unternehmensführung markt- bzw. kundenorientiert auszurichten.8 Studien haben gezeigt, dass es fünf- bis zehnmal teurer ist, neue Kunden zu gewinnen als bestehende an das Unternehmen zu binden. Aus diesem Grunde rücken Kundenmanagement und Kundenbindung mehr und mehr in den Mittelpunkt der Unternehmensstrategien. Kundenbindung muss jedoch differenziert betrieben werden, da andernfalls Unternehmen wertvolle Ressourcen in Kunden investieren, die in erster Linie Kosten verursachen. Daher sollten Kunden und Kundensegmente primär nach ihrer Profitabilität betrachtet werden. Sowohl das Ausschöpfen bisher ungenutzter Kundenpotentiale, als auch die Kostensenkung im Bereich unprofitabler Kundenbeziehungen sind wichtige Aspekte im Kundenwertmanagement. Die quantitative Bewertung von Kundenbeziehungen ist dazu eine wesentliche Voraussetzung. Kundenwertbestimmung geht von der Annahme aus, dass nicht alle Kunden gleichartig im Hinblick auf ihr Verhalten (z. B. ihre Bestellfrequenz und Bestellvolumen), ihre Bedürfnisse (wie ihr Leistungs- und Betreuungsbedarf) und ihre Profitabilität sind. Eine Kundenbewertung auf kundenindividueller Ebene, die Analyse der kundenindividuellen Kundenwerte und die daraus resultierende Bildung von Kundensegmenten dienen der Festlegung strategischer Marketing- und Vertriebsziele sowie der Budgetverteilung auf die ermittelten Kunden bzw. Kundengruppen. Die Ermittlung von Kundenwerten helfen, Ressourcen und Budgets auf solche Kunden zu konzentrieren, die einen positiven Erfolgsbeitrag für das Unternehmen generieren. Kundenwerte stellen die Grundlage für ein wertorientiertes Kundenma7 8

Vgl. Schmeisser, W./Tiedt, A./Schindler, F., 2004, S. 99. Vgl. Weber/Lissautzki, 2004, S. 7.

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nagement dar. Die Entwicklung des Kundenstammes mit Fokus auf den Kundenwert mündet in einem Kundenwertmanagement. Der Kundenwert übernimmt die Funktion, den Erfolg des Kundenmanagements zu messen. Kundenwerte beschreiben die Attraktivität eines Kunden zum gegenwärtigen Zeitpunkt. In erster Linie ermittelt man, mit welchen Kunden wie viel Umsatz erwirtschaftet wurde und welche Kosten und Aufwendungen durch den Kunden verursacht wurden. Zusätzlich berücksichtigt man, welche weichen Faktoren, wie das Empfehlungs- oder das Informationsverhalten, den Kundenwert beeinflussen. In einem weiter gefassten Verständnis wird bei der Ermittlung des Kundenwerts auch der zukünftig erwartete Erfolgsbeitrag bei Innovationsprojekten und -vorhaben einbezogen.

14.2.1 Kundenwertanalyse und Kundenwertmanagement Wertorientiertes Kundenmanagement umfasst abhängig von deren Wertbeitrag die Managementaufgaben Planung, Steuerung und Kontrolle im Hinblick auf Selektion, Aufbau, Gestaltung und Erhaltung bzw. Beendigung der Geschäftsbeziehungen zu bestimmten Kunden bzw. Kundengruppen. Bei der praktischen Umsetzung lassen sich die Aufgaben in Bereiche des analytischen, des strategischen und des operativen Kundenwertmanagements einteilen.9 Das Bestreben des wertorientierten Kundenmanagements besteht in der Wertsteigerung der gesamten Kundenbasis, indem ausgewählte Bestandskunden gebunden werden, Neukunden gezielt auswählt und die Wertigkeit bestehender Kunden gesteigert wird.10 Fehler im Kundenwertmanagement finden sich demzufolge in den Bereichen Kundenakquisition, Kundenbindung und Kundenwertgenerierung.11 Eine Kundenwertentwicklung ist grundsätzlich von der Marken- und Anbieterpräferenz, der Zufriedenheit und den wahrgenommenen Wechselkosten auf Seiten des Kunden bestimmt. Des Weiteren ist sie von der Art der Nachfrage in einem Markt beeinflusst, d. h. von Bedarfszyklen oder dem Bedarf an zusätzlichen bzw. komplementären Gütern.12 Zur monetären Kundenwertsteigerung, bieten sich drei Instrumente an: Cross-Selling, Up-Selling und Steigerung des Share-of-Wallet. Den Einsatz dieser Instrumente darf man nicht kategorisch auf die fokussierte Kundengruppe beschränken. Entwicklungsfähigen und weniger wertvollen Kunden bei Innovationen sollte man die Nutzung höherwertiger Angebote generell nicht aufgrund der Zugehörigkeit zu einer schlechteren Kundenkategorie verwehren. Aufbauend auf den Ergebnissen der Kundenwertanalyse erarbeitet man eine Strategie für die wertorientierte Bearbeitung ausgewählter Kunden bzw. Kundengruppen. Die Bewertung und Klassifikation von Kunden nach ihrer Wertigkeit ermöglicht es, nicht alle Kunden einheitlich zu behandeln. Dies setzt voraus, dass man 9

Vgl. Bruhn et al, 2006, S. 29 ff. Vgl. Büschken et al, 2006, S. 10. 11 Vgl. Helm/Günter, 2006, S. 24 ff. 12 Vgl. Büschken et al, 2006, S. 23 f. 10

14 Innovationsmarketingerfolgsrechnungen

431

Kundenwerte und Kundenbindungseigenschaften kennt. In der Regel ist die Vorgehensweise bei der Erstellung der Kundenwertstrategie zweistufig. Man nutzt die Ergebnisse der Kundenklassifizierung, indem man bestimmte Kunden bzw. Kundengruppen für die weitere Bearbeitung auswählt. Nach Festlegung der Strategie ist das Innovationsmarketing-Budget aufzuteilen. Marketing-Mittel sollten insbesondere für die zielgerichtete Bearbeitung der fokussierten Kunden bzw. Kundengruppen aufgewendet werden. Dabei sind die Maßnahmen und die finanziellen Mittel insbesondere für Kunden mit hohen tatsächlichen oder erwarteten Erfolgsbeiträgen abzustimmen. Eine kundengruppenspezifische Bearbeitung ist grundsätzlich auf allen Ebenen der Marktbearbeitung möglich. Hinsichtlich der anfallenden Kosten lassen sich kundengruppenspezifische Kommunikations- oder Preispolitik vergleichsweise kostengünstig realisieren. Aufwändiger wird die Entwicklung und Positionierung segmentspezifischer Marken. Soll ein zusätzlicher Vertriebskanal für jedes Segment etabliert und/oder für jedes Segment eine spezifische Produktvariante entwickelt werden, sind für die segmentspezifische Ansprache vergleichsweise hohe Kosten zu planen.13 Für die Steigerung der Kundenbindung kommen ausgewählte Instrumente der Kommunikations-, Preis-, Leistungs- und Vertriebspolitik in Betracht. Cornelsen zeigt mögliche Ansatzpunkte für Marketing- und Vertriebsinstrumente zur Steigerung des Kundenwertes.14 Eine systematisch durchgeführte Kundenbewertung erlaubt es, von Vertriebsmitarbeitern subjektiv oder aus dem Bauch heraus getroffene Entscheidungen bei der Kundenbearbeitung zu objektivieren und somit eine einseitige und ggf. wirtschaftlich unbegründete Bevorzugung von Kunden zu vermeiden. Weiterhin lassen sich viel versprechende, bislang unbeachtete Kundenbeziehungen aufzeigen und in den Mittelpunkt zukünftiger Vertriebsaktivitäten rücken. Anhand der ermittelten Kundenwerte lässt sich die Kundenentwicklung gezielter planen, z. B. im Hinblick auf Cross- und Up-Selling-Aktivitäten. Kundenwerte geben Anhaltspunkte, welche Schwerpunkte bei der Kundenakquisition zu setzen sind. Die Art und Frequenz von Kundenbesuchen und die Gewährung von Kaufanreizen wie Rabatte, Boni oder sonstige Incentives lassen sich objektiver steuern. Kundenwerte erleichtern somit die Prioritätensetzung im Vertrieb. Trotz ihres geringen Wertbeitrages zum Unternehmenserfolg ist auch der Umgang mit weniger profitablen Kunden professionell zu gestalten. Ein weniger wertvoll gruppierter Kunde kann ein zukünftig wertvoller Kunde bei einem Innovationsvorhaben sein. Es ist daher sein Entwicklungs- und ggf. sein strategisches Potenzial zu überprüfen. Austrittstrategien sind so zu gestalten, dass ein weniger wertvoller Kunde sich nicht als offensichtlich wertloser Kunde schlecht behandelt fühlt und negative word-of-mouth-Kommunikation betreibt. Das kann ein Unternehmen weit mehr schädigen, als es der Wegfall des Umsatzes durch den Kunden zunächst vermuten lässt.15 13 14 15

Vgl. Homburg et al., 2006, S. 39. Vgl. Cornelsen, 2000, S. 288. Vgl. Weber/Lissautzki, 2004, S. 42 f.

432

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14.2.2 Bestimmungsfaktoren des Kundenwerts Der Wert eines Kunden für ein Unternehmen bemisst sich nicht allein an dem bereits realisierten oder erwarteten Umsatz- bzw. Erfolgsbeitrag. Neben dem monetären Kundenwert, der aus Faktoren wie Umsatz, Deckungsbeitrag, zukünftigem Cashflows oder Customer Lifetime Value besteht, existieren weitere immaterielle teilweise monetarisierbare Wertkomponenten wie der Informationswert, der strategische Wert sowie der Customer-Lifetime-Potenzialwert.16 Tomczak und Rudolf-Sipötz untergliedern die Bestimmungsfaktoren des Kundenwerts einerseits in Faktoren, die das Marktpotenzial des Kunden ausmachen und andererseits in Faktoren, die sein Ressourcenpotenzial charakterisieren.17 Das Marktpotenzial drückt realisierte und zukünftig erwartete Verkaufserfolge einer Kundenbeziehung bei Innovationen aus. Das Marktpotenzial umfasst alle monetären bzw. monetarisierbaren Größen wie das Ertrags-, Entwicklungs-, Cross-Buying und Loyalitätspotenzial. Dem Ressourcenpotenzial eines Kunden sind alle Eigenschaften zugeordnet, die einen indirekten Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten. Indirekte Erfolgsbeiträge ergeben sich aus dem Verständnis des Kunden als Unternehmensressource. Die Ressourcenpotenziale bestehen aus dem Referenz-, Informations-, Kooperations- und Synergiepotenzial des Kunden.

14.2.3 Methoden zur Kundenwertmessung Für die Kundenwertermittlung werden in der Literatur unterschiedliche Verfahren vorgeschlagen. Es kommen qualitative und quantitative Verfahren in Betracht. Monetäre Kundenbewertungsverfahren beurteilen den Kundenwert anhand von Umsätzen, erwarteten Umsätzen, realisierten und/oder erwarteten Kundendeckungsbeiträgen. Nicht-monetäre Modelle berücksichtigen Größen wie das Referenzpotenzial und/oder -verhalten, das Informationspotenzial und/oder -verhalten, das Kooperationspotenzial oder das Synergiepotenzial. Einen ausführlichen Überblick über die gängigsten Methoden und ihre Kritik findet man beispielsweise bei Günter und Helm.18 Das Erfolgspotenzial eines einzelnen Kunden lässt sich anhand der Kundenprofitabilität bestimmen. Hierzu eignet sich in besonderer Weise die kundenbezogene Deckungsbeitragsrechnung und die Customer Lifetime Berechnung. Der Kundendeckungsbeitrag berechnet sich nach folgendem Schema (Abb. 14.1). Auf die differenzierte Ermittlung des Kundendeckungsbeitrages wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit detailliert eingegangen.

16 17 18

Vgl. Winkelmann, 2005, S. 285 ff. und Cornelsen 2000, S. 30 f. sowie 199 ff. Vgl. Tomczak/Rudolf-Sipötz, 2003, S. 132 ff. Vgl. Günter/Helm, 2006, S. 15 ff.

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Abb. 14.1 Berechnungsschema des Kundendeckungsbeitrags [Quelle: In Anlehnung an Helm/ Günter (2006, S. 21)]

Die so genannte RFM- oder auch RFMR-Methode (Recency-Frequency-Monetary-Ratio-Methode) ist der Urtypus der für die Kundenbewertung eingesetzten Scoring-Modelle. Mit diesem Modell wird die Kundenwertigkeit eines einzelnen Kunden anhand seines vergangenen Bestellverhaltens gemessen. Je kürzer der zeitliche Abstand zur letzten Transaktion (Recency), je häufiger der Kunde in der vergangenen Periode Waren bezogen hat (Frequency) und je höher der durch den Kunden ausgelöste Umsatz waren (Monetary Ratio), desto wahrscheinlicher ist eine Transaktion in der Zukunft, desto höher ist sein aktueller sowie zukünftiger Erfolgsbeitrag und desto höher fällt sein RFMR-Wert aus. Wie bei Scoring-Verfahren üblich werden diese Dimensionen bepunktet, gewichtet und in einer einzelnen Kennzahl verdichtet. Die Erweiterung des Modells über diese Grundkriterien hinaus ist möglich.19 Ein Beispiel für ein Berechungsschema des RFMR-Wertes zeigt Cornelsen.20 Je höher der RFMR-Wert ausfällt, desto höher ist die wahrscheinliche zukünftige Attraktivität des Kunden. Die RFMR-Methode wurde in den 1930er Jahren in den USA zur Bewertung von Kunden im Versandhandelsgeschäft entwickelt.21 In empirischen Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass Kunden desto stärker auf ein Mailing reagieren: • je kürzer ihre letzte Bestellung zurücklag, • je häufiger sie Waren geordert haben und • je höher der mit ihnen generierte Umsatz war.22 19 20 21 22

Vgl. Bruhn, 2004, S. 420. Vgl. Cornelsen, 2000, S. 150. Vgl. Homburg et al., 2006, S. 186. Vgl. Cornelsen, 2000, S. 150.

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Für Direktmarketing- und Versandhandelsbranchen ist ein Einfluss dieser Kunden auf die langfristige Kundenprofitabilität nachgewiesen.23 Kritisch wird angemerkt, dass die Höhe der Werte von der Art und der Gewichtung der hinterlegten Kriterien abhängt.24

14.2.4 Kundensegmentierung auf Grundlage von Kundenwerten Die Kundensegmentierung erlaubt die Entscheidung über die Intensität der zukünftigen Gestaltung der Kundenbeziehung. Im Investitionsgütergeschäft kann aufgrund der vergleichsweise überschaubaren Kundenanzahl oftmals bereits auf Einzelkundenbasis über die Wertigkeit der zukünftigen Geschäftsbeziehung entschieden werden. Übersteigt die Kundenzahl eine im Einzelfall festzulegende kritische Größe, ist die strategische Bestimmung über die zukünftige Gestaltung der Geschäftsbeziehung mittels Kundensegmenten sinnvoll.25 Die Bildung von Segmenten in Business-to-Business-Märkten dient dazu, die Grundlage für unterschiedliche Intensitätsstufen in der Kundenbearbeitung zu legen.26 Die Bildung von Segmenten erfolgt grundsätzlich systematisch und über einen längeren Zeitablauf konstant nach den gleichen Kriterien, um eine Vergleichbarkeit im Zeitablauf zu gewährleisten. Da grundsätzlich eine Segmentierung anhand diverser Kriterien vorgenommen werden kann, ist individuell zu entscheiden, welche Segmentierung für ein Unternehmen passend ist. Die Segmentierungskriterien swerden so ausgewählt, dass sie messbar sind und mit den Aspekten des Kaufverhaltens und den Besonderheiten des Geschäftsmodells in Beziehung stehen. Die Segmente selbst sind direkt adressierbar. Weiterhin dürfen die gebildeten Segmente weder zu groß noch zu klein sein. Sind die Segmente zu groß, besteht die Gefahr des Segment-of-One-Marketing. Sind die Segmente zu klein, übersteigen die Kosten für die Segmentierung und die Kosten für segmentspezifischen Marketing- und Vertriebsmaßnahmen schnell den Nutzen, d. h. die Segmentgröße muss wirtschaftlich sein. Idealerweise spiegelt sich in der Vertriebsstruktur die Segmentierungsstruktur wider. Die ABC-Analyse dient dazu, die Kunden gemäß ihres Umsatzes oder Erfolgsbeitrages in eine Rangreihe zu bringen und somit Kunden zu priorisieren. Die Bildung von Segmenten in Form von A, B oder C-Kunden richtet sich nach dem kumulierten Umsatz bzw. Erfolgsbeitrag. Die Einteilung der Klassen ist grundsätzlich frei wählbar. Häufig wird die Klassifikation so angelegt, dass alle mit A klassifizierten Kunden insgesamt 80 % zum Umsatz bzw. Erfolgsbeitrag des Unternehmens beitragen, alle B-Kunden zu weiteren 15 % und alle C Kunden zusammen nur einen Beitrag von 5 % liefern. Vergleicht man die Positionswerte der Kunden in der ABC23 24 25 26

Vgl. Weber/Lissautzki, 2004, S. 14. Zur Kritik s. Cornelsen, 2000, S. 151 f. Vgl. Weber/Lissautzki, 2004, S. 31. Vgl. Narayandas, 2005, S. 40.

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Analyse nach Umsatz mit den Positionswerten nach Deckungsbeitrag ergeben sich häufig Unterschiede. Umsatzstarke Kunden müssen nicht zugleich profitstarke Kunden sein, da umsatzstarken Kunden vielfach höhere monetäre Zugeständnisse gemacht werden als umsatzschwächeren Kunden. Die ABC-Analyse ist zugleich ein Kontrollinstrument für die Veränderung der Kundenstruktur im Zeitablauf. Es lässt sich ablesen, ob der Anteil der A und B Kunden auf Kosten der C-Kunden gesteigert werden kann.27 Portfoliomodelle erlauben eine Kundenpriorisierung. Anhand von Portfolio-Modellen gruppiert man Kunden in Kategorien. Kundenportfolios bilden die Grundlage für Normstrategien der Kundenbearbeitung, deren praktische Anwendung im Einzelfall allerdings kritisch hinterfragt werden sollte.28 Positiv ist bei den PortfolioModellen, dass die Darstellung der Kunden und ihrer Wertigkeit sehr gefällig ist. Als Nachteile sind zu nennen, dass die Kriterien nur sehr aufwändig zu ermitteln sind, ab einer gewissen Kundenanzahl das Portfolio unübersichtlich wird und die Modelle keine direkte Aussage über die Profitabilität des Kunden ermöglichen.29 Eines von mehreren in der Literatur diskutierten Modellen für die Klassifikation von Kunden ist das Pyramidenmodell.30 Nach dem Pyramidenmodell lässt sich der Kundenstamm eines Anbieters in insgesamt vier Schichten aufteilen (Abb. 14.2). Die Kunden werden anhand ihrer Profitabilität den Schichten Platin, Gold, Eisen oder Blei zugeordnet.

Abb. 14.2 Die Kundenpyramide [Quelle: Helm/Günter 2006, S. 17.]

27 28 29 30

Vgl. Helm/Günter, 2006, S. 15. Vgl. Helm/Günter, 2006, S. 20. Vgl. Homburg et al., 2006, S. 200. Vgl. Helm/Günter, 2006, S. 16 f.

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An der Spitze der Pyramide befindet sich dabei die kleinste und profitabelste Kundengruppe, die so genannten Platinkunden. Diese Gruppe besteht hauptsächlich aus „Heavy-Usern“, die als in hohem Maße gebundene Kunden eingestuft werden können. Platinkunden zeichnen sich durch ein großes Interesse an Produktinnovationen aus, verhalten sich wenig preissensibel und sind mit den Leistungen des Anbieters außerordentlich zufrieden. Die Mehrzahl der Kunden ordnet man der so genannten Eisengruppe zu. Eisenkunden fragen jeweils nur geringe Mengen nach und gelten als wenig gebunden. Aus Anbietersicht sind sie wenig profitabel. Die aus Anbietersicht problematischsten Kunden stellen die Bleikunden dar. Bei Bleikunden übersteigen die Kosten der Kundenbearbeitung die Erlöse. In einigen Fällen sprechen z. B. Referenzgründe oder ein zukünftig stärker erwartetes Umsatzvolumen dafür, die Kundenbeziehung, ggf. vorläufig, aufrechtzuerhalten.

14.3 Zum Berliner-Balanced-Scorecard-Ansatz als Grundlage einer wertorientierten Performance Messung unter besonderer Berücksichtigung eines Shareholder Value-orientierten Lösungsalgorithmus Nachdem die Verknüpfung und Dynamisierung der vier Balanced Scorecard Perspektiven durch den Berliner-Balanced-Scorecard-Ansatz nachgewiesen wurde31, ist es notwendig für jede Perspektive ein geschlossenes Kennzahlensystem zu entwickeln, um wertgenerierende und/oder wertvernichtende Faktoren identifizieren zu können und gegebenenfalls zu beseitigen. Die Identifikation relevanter Wertfaktoren ermöglicht eine konsequente, zielgerichtete Planung und Kontrolle sowie eine holistisch wertorientierte Unternehmensführung. Im Besonderen im Hinblick auf die Rolle der Intangible Assets (z. B. Kunden- und Mitarbeiterpotenziale sowie der Bereich der Forschung und Entwicklung) als wichtige Wert- und Wachstumsgenerierer, bietet der BerlinerBalanced-Scorecard-Ansatz32 eine zukunftsgerichtete, ganzheitliche Bewertungsund Steuerungsmöglichkeit. Speziell bei der internen Steuerung sowie der externen Unternehmensbewertung können geschlossene Kennzahlensysteme für jede Balanced-Scorecard-Perspektive helfen den realen Wert eines Unternehmens zu ermitteln.

31 32

Vgl. Schmeisser, W./Tiedt, A./Schindler, F. (2004), S. 99 ff. Vgl. Schmeisser, W./Tiedt, A./Schindler, F., (2004), S. 99, S. 112–114.

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14.3.1 Quantifizierung der Kundenperspektive Unternehmen gehen mehr und mehr dazu über, produkt- durch kundenorientierte Strategien zu ersetzen bzw. zu ergänzen. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Quantifizierung der Kundenbeziehungen ergänzend zu den klassischen Produkterfolgsrechnungen zunehmend an Bedeutung.33 Mit Hilfe der Kundendeckungsbeitragsrechnung können dem Kostenträger „Kunde“ sowohl Einzelkosten als auch mit Hilfe der Prozesskostenrechnung bislang meist nur prozentual geschlüsselte Gemeinkosten (z. B. Vertrieb, Marketing und Auftragsabwicklung), durch die Verwendung von zusätzlichen Bezugsgrößen, zielgerichteter zugeordnet werden. Auf diese Weise ist es möglich die Profitabilität der Kunden zu beurteilen. Die Kenntnis der Profitabilität einzelner Kunden bietet sowohl Ansatzpunkte für Kostensenkungsmaßnahmen als auch die Möglichkeit ein besseres Kunden- und Ertragsmanagement zu betreiben, um so letztlich die Profitabilität des gesamten Unternehmens zu steigern.34 Ein Kundendeckungsbeitrag wird vom Produktdeckungsbeitrag abgeleitet, der letztlich in einen Kunden-Cashflow überführt wird. Im Weiteren wird auf die investitionsrechnerische Ermittlung eines Kundenwertes eingegangen sowie dessen Rolle bei der Steigerung des Unternehmenswertes und/oder Marktwertes im Rahmen eines Innovationsvorhabens.

14.3.1.1 Vom Produkt- zum Kundendeckungsbeitrag Auf die produktbezogene Kalkulation wird das Management eines Unternehmens nicht verzichten können, da die zu planenden, zu steuernden und zu kontrollierenden Prozesse zuerst am innovativen Produkt bzw. der neu zu erbringenden Dienstleistung festgemacht werden. Für betriebsinterne Vorgänge sind die Produktkosten vorrangig relevant, solange keine kundenindividuellen Auftragswünsche zu berücksichtigen sind, die den betreffenden Produkten direkt zugerechnet werden können. Die folgende Abbildung gibt einen groben schematischen Überblick zum Ablauf der Ermittlung eines Kundendeckungsbeitrages, indem zunächst die produktbezogene Kalkulation durchgeführt wird und darauf aufbauend die Besonderheiten der kundenbezogenen Kalkulation herausgestellt werden.35 Die hier aufgeführten „Kunden-Gemeinkosten“ werden im weiteren Verlauf dieser Arbeit mittels Prozesskostenrechnung differenzierter aufgeschlüsselt und somit verursachungsgerechter zugeordnet. Auf diese Weise ist es möglich die Aussagefähigkeit des Kundendeckungsbeitrages wesentlich zu erhöhen.

33 34 35 36

Vgl. Fischer, T. M./von der Decken, Tim (o. A.), S. 1. Vgl. Fischer, T. M./von der Decken, Tim (o. A.), S. 1. Vgl. Schirmeister, R./Kreuz, C. in Günter, B./Helm, S. (Hrsg.), Kundenwert, (2003), S. 337. Vgl. Schirmeister, R./Kreuz, C. in Günter, B./Helm, S. (Hrsg.), Kundenwert, (2003), S. 338.

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Abb. 14.3 Produkt- versus Kundenkalkulation (Periodenrechnung)36

14.3.1.2 Zur Prozesskostenrechnung Die Prozesskostenrechnung stellt einen Ansatz dar, mit dessen Hilfe die Kosten der indirekten Unternehmensbereiche besser geplant und gesteuert bzw. auf die Produkte oder Leistungen verteilt werden können. Die in den Kostenstellen des Unternehmens abgewickelten Aufgaben werden in prozessbezogene Aktivitäten zerlegt. Diesen Aktivitäten werden die Kosten in Abhängigkeit von so genannten Kostentreibern (Cost Drivers) zugeordnet und daraus Prozesskostensätze ermittelt.37 Prozesskostensatz =

Prozesskosten = Kosten je Prozessgröße Prozessmenge

Beispiel:38 Prozess „Material beschaffen und lagern“ Prozesskosten Prozessgröße Prozessmenge

= = =

7.605.000 e Auslagerungsprozess 650.000 e

Setzt man diese Daten in obige Formel ein ergibt sich: Prozesskostensatz =

7.605.000 = 11,70 je Auslagerungsprozess 650.000

Die Prozesskostenrechnung spiegelt die Inanspruchnahme der betrieblichen Ressourcen wider und bietet so die Möglichkeit „. . . eine verursachungsgerechtere Kostenzuordnung als die Zuschlagskalkulation, bei der die Gemeinkosten nur in Abhängigkeit von der Höhe einer wertmäßigen Zuschlagsbasis über proportionale Prozentzuschläge verrechnet werden.“39 Das zentrale Problem bei der Ermittlung 37

Vgl. Coenenberg, A. G. (1999), S. 225 ff. und Michel, R./Torspecken, H.-D./Jandt, J. (2004), S. 266 ff. 38 Vgl. Coenenberg, A. G. (1999), S. 230. 39 Coenenberg, A. G. (1999), S. 231.

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prozessbezogener Kostendaten besteht darin, dass die hier betrachteten Prozesse in der Regel abteilungs- und damit kostenstellenübergreifend ablaufen. Die herkömmliche, nach Kostenstellen gegliederte Kostenrechnung kann diese Daten daher nicht direkt erheben. Die prozessbezogene Verrechnung erfolgt meist in zwei Stufen. Die übergeordnete Betrachtungsebene bilden die Hauptprozesse. Darunter versteht man in der Prozesskostenrechnung eine Kette homogener Aktivitäten, die demselben Kosteneinflussfaktor unterliegen und für die Prozesskosten ermittelt werden. Die Hauptprozesse sind in der Regel abteilungsübergreifende Aktivitäten.40 Die untergeordnete Ebene wird von Aktivitäten gebildet, die in einer Kostenstelle ausgeführt werden und evtl. eigene Kostentreiber haben. In den einzelnen Kostenstellen erfolgt zunächst eine Tätigkeitsanalyse, in der die einzelnen Aktivitäten analysiert und ihre Kosten ermittelt werden. Dabei werden die angefallenen Kosten in leistungsmengeninduzierte (lmi) und leistungsmengenneutrale (lmn) Kosten unterschieden. Leistungsmengeninduzierte Kosten sind bezüglich der betrachteten Kostentreiber variabel, leistungsmengenneutrale Kosten sind bezüglich der Kostentreiber fixe Kosten. Über Schlüsselgrößen werden anschließend die leistungsmengenneutralen Kosten den leistungsmengeninduzierten Kosten zugerechnet.41 Zur Schlüsselung dieser Kosten wird folgender Umlagesatz verwendet:42 Umlagesatz =

Prozesskosten (lmn) × 100 = X% Prozesskosten (lmi)

Anschließend werden die so ermittelten Kosten der einzelnen Aktivitäten zu den Kosten der Hauptprozesse verdichtet. Dabei wird in der Regel unterstellt, dass zwischen dem Kostentreiber des Hauptprozesses und den Kostentreibern der einzelnen Aktivitäten konstante, proportionale Beziehungen bestehen. Bildet die Anzahl der Durchführungen den Kostentreiber, so bedeutet dies, dass für jede Durchführung des Hauptprozesses stets die gleiche Anzahl von Durchführungen der einzelnen Aktivitäten erforderlich ist.43 Die von der Prozesskostenrechnung ermittelten Kosten der einzelnen Aktivitäten können im Rahmen des Prozessdesigns benutzt werden, um unterschiedliche Gestaltungsvarianten für die (Haupt-) Prozesse kostenmäßig zu bewerten. Die Daten der Prozesskostenrechnung können aber auch benutzt werden, um die Effizienz laufender Prozesse zu überwachen. Dazu werden die angefallenen Kosten auf die Anzahl von Einheiten des Kostentreibers verteilt, die der Kapazität des jeweiligen Bereiches entsprechen. Ist die tatsächliche Auslastung kleiner als die Kapazität, so wird damit nur ein Teil der Kosten den tatsächlichen Aktivitäten des Bereiches zugerechnet. Die verbleibenden Kosten stellen Kosten der bereitgestellten, aber nicht genutzten Kapazität dar. Da es meist leichter ist, Kapazitäten auf- als ab40

Vgl. Coenenberg, A. G. (1999), S. 225 ff. und Michel, R./Torspecken, H.-D./Jandt, J. (2004), S. 266 ff. 41 Vgl. Coenenberg, A. G. (1999), S. 232 und Michel, R./Torspecken, H.-D./Jandt, J. (2004), S. 273 f. 42 Vgl. Coenenberg, A. G. (1999), S. 232. 43 Vgl. Michel, R./Torspecken, H.-D./Jandt, J. (2004), S. 272 ff.

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zubauen, sollte ein hoher Anteil an Kosten für ungenutzte Kapazitäten ein Anlass sein, darüber nachzudenken, wie die freien Kapazitäten produktiv genutzt werden könnten. In einem zweiten Ansatz werden die gesamten Kosten auf die tatsächliche Anzahl von Durchführungen des Prozesses (bzw. den tatsächlichen Wert des Kostentreibers) verteilt.44 Da die Kosten eine Inputgröße und die Prozessmenge eine Outputgröße darstellen, kann der so ermittelte Kostensatz (bzw. genauer dessen Kehrwert) auch als Maß für die Produktivität des Prozesses angesehen werden und lässt sich mit folgender Formel berechnen.45 Prozesskostensatz =

Input 1 Prozesskosten = = Prozessmenge Output Produktivität

14.3.1.3 Strategische Informationsvorteile der Effekte der Prozesskostenrechnung Bei der Prozesskostenrechnung sind folgende Effekte46 zu beobachten: • Allokationseffekt, • Komplexitätseffekt und • Degressionseffekt. Der Allokationseffekt beschreibt die genaue Zurechnung der Gemeinkosten indirekter Leistungsbereiche nach Maßgabe der Inanspruchnahme der betrieblichen Ressourcen auf die Erzeugniseinheiten/Dienstleistungseinheiten. Der Komplexitätseffekt umschreibt die Berücksichtigung der Vielschichtigkeit des Produktionsprozesses und des Variantenreichtums einzelner Erzeugnisse als Einflussgrößen im Rahmen der Kalkulation. Der Degressionseffekt der Prozesskostenrechnung zeigt im Gegensatz zu den traditionellen Verfahren der Zuschlags- und Bezugsgrößenkalkulation, dass die fixen Gemeinkosten pro Einheit mit steigender Stückzahl sinken.

14.3.2 Zur Zielkostenrechnung “. . . target costing can be defined as a cost management tool for reducing the overall cost of a product over its entire life cycle. . . ”47 Durch den enormen technischen Fortschritt der letzten Jahre sind Unternehmen einer erheblichen Reihe von komplexen Einflüssen ausgesetzt. Diese ergeben sich 44

Vgl. Michel, R./Torspecken, H.-D./Jandt, J. (2004), S. 288 ff. Vgl. Coenenberg, A. G. (1999), S. 225 ff. und Michel, R./Torspecken, H.-D./Jandt, J. (2004), S. 266 ff. 46 Vgl. Coenenberg, A. G. (1999), S. 235–238. 47 Sakurai, M., (1989), Target Costing and how to use it, S. 39. 45

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aus den teilweise gesättigten Märkten und führen zu einer differenzierten Kundennachfrage. Durch den zunehmenden Einsatz von modernsten Produktionsmethoden und Fertigungstechnologien ist ein Unternehmen heute in der Lage, seine Produktpalette entsprechend zu erweitern oder zu verändern. Eine Standardisierung von Produkten nimmt immer weiter ab. Spezielle Kundenwünsche sowie die fortschreitende Technologisierung erfordern hohe Flexibilität und Anpassungen im Produktionsprozess. Unternehmen aller Branchen sind gefordert sich auf diese neuen Rahmenbedingungen einzustellen und ihre strategische Planung dementsprechend auszurichten.48 Zur Einschätzung der zukünftig anfallenden Kosten bieten die Zielkostenplanung und Zielkostenkontrolle die geeigneten Instrumente.49

14.3.2.1 Aspekte der Zielkostenrechnung Das Zielkostenmanagement unterscheidet sich von der operativen Kosten- und Erfolgsplanung durch • die Marktorientierung, • den Einsatzbereich Produktentwicklung durch montagegerechte Konstruktion und • die Lebenszyklusbetrachtung. Zielkosten haben die Aufgabe, nicht nur die Kosten der Technologie eines Unternehmens sondern insbesondere Kostenfaktoren der Kundenwünsche darzustellen, da sich auch das interne Rechnungswesen an Kundenwünschen zu orientieren hat.50 Zur Ermittlung marktorientierter Werte für die Zielkostenrechnung werden Kundenbefragungen durchgeführt. Auf diese Weise werden die Ansprüche und Erwartungen an das Produkt durch Kunde und Produktionsprozess kostenrechnerisch berücksichtigt.

14.3.2.2 Kostenbeeinflussung während des Produktlebenszyklus Gerade in der Produktentwicklungsphase ist es aus Sicht des Kostenmanagements wichtig und sinnvoll, die Kosten der Produkte zu beeinflussen. Bei fortschreitender Dauer der Produktentwicklung besteht kaum noch eine Möglichkeit, die Kosten entscheidend zu minimieren, da bereits im Vorfeld festgelegt wird, wie viel Material verbraucht und welches Fertigungsverfahren zum Einsatz kommt. Die Kostenbestandteile eines Produktes sind ab diesem Zeitpunkt kaum noch beeinflussbar.51 48 49 50 51

Vgl. Brühl, R., (2004), Controlling, S. 196. Vgl. Franz, K.-P., (1992), Moderne Methoden der Kostenbeeinflussung, S. 1493. Vgl. Brühl, R., (2004), Controlling, S. 196. Vgl. Brühl, R., Controlling, 2004, S. 197.

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Abb. 14.4 Kostenbeeinflussung im Produktlebenszyklus52

Zielkosten berücksichtigen die Veränderung von Technologien, Plankosten dagegen stützen sich auf die vorhandenen Technologien und Verfahren.

14.3.2.3 Phasen des Lebenszyklus und der Kostenrechnung Zielkosten werden in der Produktentwicklung angewandt, Plankosten finden in der laufenden Produktion ihre Anwendung. Sinn und Zweck der Zielkostenplanung ist es, Informationen in der beginnenden Phase der Produktentstehung zu sammeln, um die Informationsdefizite der Kostenrechnung in der Entwicklungs- und Konstruktionsphase der Produktplanung zu beseitigen. Die vorgelagerten Abläufe der Produktentwicklung sind hier entscheidend und nicht der laufende Produktionsvorgang. Die Zielkostenplanung findet daher Anwendung im Entstehungszyklus eines Produktes. Sie ist daher ein unverzichtbares Hilfsund Planungsmittel bei Entscheidungen über die langfristige Preisgestaltung von Produkten. Die Produkte, die Prozess- und Produktqualität sind daher die Objekte der Zielkostenplanung und Zielkostenkontrolle für den gesamten Lebenszyklus.53 Ein Produkt hat in der Regel einen mehrjährigen Lebenszyklus, aus diesem Grunde handelt es sich auch um eine mehrperiodige Planung, die einen dynamischen Charakter aufweist. Die speziellen Eigenschaften und Merkmale der Zielkostenplanung und Zielkostenkontrolle sollen die Unterschiede zur operativen Kosten- und Erfolgsplanung zeigen, da in der Theorie und Praxis häufig ein statisches Zielkostenmanagementmodell zur Anwendung kommt.

52 53

Vgl. Brühl, R., Controlling, 2004, S. 197. Vgl. Sakurai, M., Target Costing and how to use it, 1989, S. 41.

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14.3.2.4 Zur Ermittlung der Zielkosten Eine wichtige Aufgabe des Zielkostenmanagements (Target Costing) ist die marktbzw. kundenorientierte Bestimmung von monetären Vorgaben für die Entwicklung von Produkten.54 Abbildung 14.5 beinhaltet die wichtigsten Gründe deutscher Unternehmen, warum ein Zielkostenmanagement eingeführt wurde. Hierbei zeigt sich, dass vor allem die Markt- und Kundenorientierung darauf einen großen Einfluss nimmt. Strategische Planungssysteme beinhalten die Produktplanung, Produkt-Markt Kombinationen. Die daraus entstehende Anpassung von strategischen Zielen und Ressourcen sind dagegen Teile von Geschäftsfeldstrategien.56 Daraus erfolgt eine Abstimmung zwischen den eigenen Ressourcen bzw. Fähigkeiten und den Möglichkeiten der Produkt-Markt Kombinationen. Im Mittelpunkt eines strategischen Kostenmanagements steht damit eine formalzielorientierte Bewertung der strategischen Aktivitäten. Produkt-Markt Kombinationen beziehen sich immer auf eine homogene Produktgruppe bzw. auf eine Produktgesamtheit. Das Zielkostenmanagement hat innerhalb dieser Produktgesamtheits-Strategie die Aufgabe, Informationen über eine bestimmte Produkteinheit zu liefern.

Abb. 14.5 Zwecke des Zielkostenmanagements bei Einführung55

54 55 56

Vgl. Becker, W., Kostensteuerung, 1993, S. 279–287. Vgl. Arnaout, A., Anwendungsstand des Target Costing, 2001, S. 289–299. Vgl. Brühl, R., Controlling, 2004, S. 199.

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14.3.2.5 Zur Marktorientierung in der Zielkostenrechnung Um sinnvolle und genaue Informationen über eine Produkteinheit zu erhalten, sind Angaben über die erforderlichen Aktivitäten erforderlich. Werden z. B. Target-Preis und Zielkosten als Vorgabegrößen verwendet, so muss der Prozess der Zielkostenermittlung aufgrund der genauen Analyse der separaten Lebenszyklusphasen erfolgen.57 Die spezielle Marktorientierung in der Zielkostenrechnung findet Anwendung bei der Bestimmung der Zielkosten des jeweiligen Produktes. Ausgangspunkt sind die gesamten Zielkosten einer Produkteinheit, die auf Basis einer entsprechenden Strategie der Marktforschung und der Höhe des gewünschten Gewinns festgelegt werden. Die Differenz zwischen Marktpreis und Zielgewinn ergeben die so genannten Allowable Costs.58 Diese stellen die vom Markt als Höchstgrenze erlaubten Kosten dar. An dieser Stelle kann in einem Unternehmen ein Vergleich zwischen den errechneten Plankosten und den Ausgangszielkosten erfolgen. Die auf diesem Wege ermittelten Zielkosten pro Produkteinheit dienen als Richtwert für die nachfolgende Ermittlung der einzelnen Zielkostenkomponenten. Nach der Ermittlung der gesamten Zielkosten für ein Produkt sind diese Kosten grundsätzlich aufzuteilen, da sonst keine sinnvolle Zuordnung besteht. Die marktorientierte Bestimmung von Zielkosten basiert immer auf Kundenwünschen, die sich auf Funktionen und Eigenschaften des Produktes beziehen. Gegenüber dieser kundenbezogenen Analyse steht die traditionelle technologisch orientierte Betrachtung. Der Vergleich der Produktbewertung durch den Kunden auf der einen Seite und der Kostenvergleich auf der anderen Seite zeigt oft deutliche Unstimmigkeiten zwischen den tatsächlichen Kundenbedürfnissen und den Vorstellungen und Einschätzungen der Techniker, Produktentwickler und Konstrukteure im Unternehmen. Der Planungsprozess zur Ermittlung der Zielkosten hat als Ausgangsgrößen den Marktpreis und eine Gewinnvorstellung des Unternehmens, die beide ein Resultat einer taktischen und strategischen Planung sind. Marktpreisinformationen erhält das Unternehmen mit Hilfe von verschiedenen Instrumenten der Marktforschung. Mit dem Conjoint-Measurement sind z. B. Kunden aufgefordert, den Produktnutzen und verschiedene Preise zu beurteilen.59

14.3.2.6 Zur Skimming- und Penetrations-Preisstrategie Aus diesen gesammelten Informationen entsteht in der strategischen Planung eine Preisstrategie, die sich auf den gesamten Lebenszyklus eines Produktes bezieht. Die bekanntesten und häufigst verwendeten Preisstrategien sind die Skimming-Strategie und die Penetrations-Strategie.60 57 58 59 60

Vgl. Brühl, R., Controlling, 2004, S. 199. Vgl. Sakurai, M., Target Costing and how to use it, 1989, S. 43. Vgl. Backhaus, K., Erichson, B., Multivariate Analysemethoden, 2003. Vgl. Brühl, R., Controlling, 2004, S. 200.

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Die Skimming-Strategie verlangt zuerst einen hohen Preis, um diesen dann schrittweise zu senken. Diese Strategie strebt kurzfristig Gewinne an. Die Penetrations-Strategie beginnt in den ersten Perioden mit einem sehr niedrigen Preis mit dem Ziel Marktanteile zu erobern und durch die Skaleneffekte und den Erfahrungskurveneffekt langfristig Gewinne zu erzielen. Aufgrund marktbezogener Veränderungen besteht das Problem, dass sich ein Preis im Laufe des Produktlebenszyklus ändern kann. Eine definitive Preisfestlegung ist somit nicht möglich. Welcher Preis ist jetzt als Zielpreis anzusetzen? Als mögliche Lösung kommt der Eintrittspreis in Betracht, der sich aus der Preisstrategie ergibt, der niedrigste Preis oder aber ein Durchschnittspreis.61 Grundsätzlich gilt, bei der Skimming-Strategie den Eintrittspreis nicht zu verwenden, da dieser zwecks vorgesehener Preissenkungen nicht sinnvoll ist. Ähnliches kann bei der Penetrations-Strategie auftreten, da der Preis als strategischer Hebel verwendet werden soll, um Marktanteile zu gewinnen und Erfahrungskurveneffekte potentiell zu realisieren. Der Kosten- und Erfolgsrechnung liegt ein statisches Modell zugrunde, damit ist eine Abbildung der Preisdynamik nur mit recht groben Schätzungen und Annahmen möglich. In einem einfachen statischen Modell sind für den Zielpreis Durchschnittswerte zu berechnen. Die nächste wichtige Information ist die Höhe des geplanten Gewinns des Produktes, der Zielgewinn. Dabei ist zu beachten, dass es sich um Stückgewinne handelt.

14.3.2.7 Zur Ermittlung des Stückgewinns Als Bestimmungsgrundlage kommt die Kennzahl Unternehmensrentabilität zur Anwendung.62 Diese Kennzahl ist dem Einsatz von Kapitalrentabilitäten vorzuziehen, da diese wegen der Ermittlung der Kapitalbindung als zu schwierig gelten.63 Die Umsatzrentabilität ist der Ausgangspunkt der Zielkostenbestimmung, die das Verhältnis von Erfolg zu Umsatz, das im Unternehmen angestrebt ist, aufzeigt. Der Vorteil der Umsatzrentabilität liegt darin, dass bei Kenntnis des Preises pro Produkt, der gleichzeitig den Umsatz des Produktes darstellt, sehr schnell der Stückgewinn zu berechnen ist. Der Einsatz von Kapitalrentabilitäten für mehrperiodige Rechnungen findet in der Praxis kaum statt, wegen der recht aufwändigen und schwierigen Ermittlung der Kapitalbindung. Kennzahlen wie die Kapitalrentabilität sind daher nur als ein einperiodiger Maßstab zu verwenden. Die Kapitalrentabilität findet Betrachtung als die maßgebliche Zielsetzung. Sie hat aber einen großen Nachteil: Wie soll das gebundene Kapital je Produkt ermittelt werden? Nur dann lässt sich über den Kapitalumschlag die Kapitalrentabilität mit

61 62 63

Vgl. Brühl, R., Controlling, 2004, S. 200. Vgl. Sakurai, M., Target Costing and How to use it, 1989, S. 43. Vgl. Franz, K.-P., Target Costing, 1993, S. 124–130.

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der Umsatzrentabilität verknüpfen.64 Rk

G G U = RU ∗ UHK = ∗ [%] K U K

Gilt auch die Kapitalrentabilität als oberste Zielsetzung für die Zielkostenrechnung, so ist bei Vorgabe der Umsatzrentabilität eine konstante Umschlagshäufigkeit des Kapitals einzuhalten. Je weiter die konstante Umschlagshäufigkeit des Kapitals sinkt, bei konstanter Umsatzrentabilität, desto schneller zieht dies eine sinkende Kapitalrentabilität nach sich. Verbindet man den Zielpreis und den Zielgewinn miteinander, so erhält man die Zielkosten für das Gesamtprodukt: Kz = pz − gz

14.3.2.8 Allowable Costs Zielkosten (Allowable Costs) bilden die vom Markt erlaubten Kosten und sind eine Kostenobergrenze je Produkteinheit. Diese Obergrenze ist einzuhalten, unter der Voraussetzung, dass der Zielpreis die Renditevorstellung des Unternehmens erfüllt.65 In der Regel sind den Allowable Costs die Plan- bzw. Standardkosten (Drifting Costs) gegenübergestellt. Diese Kosten beziehen sich auf den aktuellen Stand der Technik. Sie basieren auf den Aufwendungen, die aufgrund der vorhandenen Technologie und ihren Einsatzmöglichkeiten innerhalb des Unternehmens entstehen können, aber die Entwicklungs- und Konstruktionskosten im Innovationsvorhaben nicht ins Kalkül zieht. Um einen Mittelweg zu finden, setzen die Zielkosten zwischen den Allowable Cost und den Drifting Costs an, da die vom Absatzmarkt vorgegebenen bzw. erlaubten Kosten als zu gering und nicht erreichbar gelten. Diese Methode und Vorgehensweise erscheint jedoch wenig sinnvoll, wenn man davon ausgeht, dass die Marktpreise auf einem gewissen Niveau sind und keiner Veränderung unterliegen. Die Gewinn- und Renditeerwartungen eines Unternehmens sind somit nicht zu erreichen. In den nachfolgenden Phasen der Aufteilung der Zielkosten, findet die Formel für die Zielkosten für das Gesamtprodukt eine weitere Anwendung, da eine Planung der optimalen Kosten für die neuen Produkte erforderlich ist. Erst in einem weiteren Schritt ist es sinnvoll, diesen Zielwert mit dem technologischen Wissen und den technischen Möglichkeiten im Unternehmen abzugleichen, um Kostensenkungen und Kosteneinsparungen zu ermöglichen.

64 65

Vgl. Brühl, R., Controlling, 2004, S. 201. Vgl. Brühl, R., Controlling, 2004, S. 201.

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14.3.2.9 Zielkostenspaltung Um die Zielkosten auf das vorhandene Produkt aufzuteilen, sind von den Gesamtzielkosten Vorgaben für die einzelnen Komponenten des Produktes zu erstellen und zu ermitteln. Dieser Vorgang erfolgt schrittweise, da Techniker, Entwickler und Konstrukteure möglichst genaue Angaben für ihre jeweiligen Leistungsprozesse erhalten müssen. Nur dann ist es möglich, das Produkt mit maximalem Gewinn auf den Markt zu bringen. Für diesen Planungsprozess kommt folgendes Schema zur Anwendung:66 • Zerlegung des Produktes in seine Eigenschaften und Funktionen, um die vom Kunden gewünschten Vorgaben hervorzuheben. • Gewichtung aller Eigenschaften und Funktionen des Produktes durch die Kundeneinschätzung. • Entwicklung eines Vorprodukts bzw. Prototyps, der die Eigenschaften und Funktionen des Produktes erfüllt. • Ausgangsbasis für eine Kostenschätzung bilden die Produktkomponenten des Prototyps. Für jede Komponente entstehen separate Kostenanteile. • Die Gewichtung der Komponenten erfolgt durch einen Vergleich von Produktfunktionen, die das Produkt mit den einzelnen Produktkomponenten erfüllen muss. Eine Schätzung ist erforderlich, um festzustellen, mit welcher Gewichtung die einzelne Produktkomponente eine Funktion bewirkt. • Zielkosten sind mit Hilfe ihrer Wichtigkeit und Bedeutung hinsichtlich der einzelnen Produktkomponenten zu bestimmen. Eine Zielkostenspaltung führt zu einer stufenweisen Teilung der Kostenobergrenzen auf die verschiedenen Produktkomponenten. Als wichtigste Aufgabe gilt, die einzelnen Budgets marktorientiert aufzuteilen bzw. zu bestimmen, da die Zielkosten grundsätzlich für das Gesamtprodukt zu ermitteln sind.

14.3.3 Hierarchiestufen der Erlös- und Kostenpositionen In diesem Abschnitt werden die verschiedenen Hierarchiestufen dargestellt, auf denen die Kosten- und Erlöspositionen erfasst werden, z. B. Produkte, Aufträge, Kunden, Marktsegmente und Unternehmen. Auf jeder Stufe werden die relevanten Kosten erhoben, wobei diese hinsichtlich ihrer Abbaufähigkeit innerhalb des Betrachtungszeitraumes unterschieden werden sollten, um entscheidungsrelevante Kosteninformationen bereitzustellen.67 Folgende Abb. 14.6 verdeutlicht den Ablauf grafisch. Die Kosten der Produktebene liegen in den meisten Unternehmen (Deckungsbeitragsrechnung) vor und verursachen keinen zusätzlichen Aufwand. Die auftragsbezogenen Kosten werden vorrangig durch die Anzahl der bearbeiteten Aufträge, den 66 67

Vgl. Brühl, R., Controlling, 2004, S. 203. Vgl. Coenenberg, A. G. (1999), S. 51 ff. und Fischer, T. M./von der Decken, Tim (o. A.), S. 3.

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Abb. 14.6 Kostenhierarchie [Quelle: In Anlehnung an Fischer, T. M./von der Decken, Tim (o. A.), S. 3.]

Auftragswert, die Versandkosten und die Anzahl der auftragsnotwendigen Angebote bestimmt. Auf der Kundenebene fallen Kosten an, die durch kundenspezifische Produktanpassungen, kundenindividuelle Serviceleistungen, Rabattvereinbarungen sowie Lieferkonditionen determiniert sind. Des Weiteren entstehen Kosten für die Akquisition (z. B. Einführungsangebote, Werbegeschenke, Kundenbesuche), Kundenbetreuung (z. B. Datenpflege, Mahnwesen, Bonitätsprüfung, Kundendienst) und für die Aufrechterhaltung der Kundenbeziehung.68 Im Bereich der Marktsegmente entstehen Kosten, die sich zwar nicht dem einzelnen Kunden aber einem Marktsegment verursachungsgerecht zuordnen lassen, wie bspw. Werbekosten bestimmter Marktsegmente. Auf der obersten Stufe der Hierarchie werden Kosten erfasst, die bisher keiner Ebene verursachungsgerecht zugeordnet werden konnten. Hier handelt es sich vorrangig um Bereitschaftskosten, wie Kosten der Personal- und Controllingabteilung, der Unternehmensleitung sowie Miete bzw. Abschreibungen auf das Betriebsgebäude.69 68 69

Vgl. Fischer, T. M./von der Decken, Tim (o. A.), S. 3 f. Vgl. Fischer, T. M./von der Decken, Tim (o. A.), S. 4.

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14.3.3.1 Ermittlung differenzierter Kundendeckungsbeiträge mittels PKR Nachdem die relevanten Kosten der einzelnen Hierarchiestufen erfasst sind, kann der Kundendeckungsbeitrag für einen vorher definierten Zeitraum ermittelt werden. Zunächst werden die Umsatzerlöse, die mit einem Kunden im Betrachtungszeitraum erzielt werden, erfasst. Im Anschluss werden die Erlösschmälerungen (z. B. Rabatte, Skonto, Boni) abgezogen, um die Nettoerlöse zu erhalten. Im nächsten Schritt werden stufenweise die verschiedenen Kostenpositionen von den Nettoerlösen subtrahiert.70 Abbildung 14.7 erläutert die Vorgehensweise näher. Zur Ermittlung des Kundendeckungsbeitrages I werden zunächst die kundenspezifischen Einzelkosten der Bezugsgrößen Produkt (Standard-Herstellkosten sowie ggf. Kosten für kundenspezifische Produktanpassungen), Auftrag und Kunde von den Nettoerlösen des Kunden abgezogen. Hier werden sowohl die variablen als auch fixen (Einzel-)Kosten, die durch die Kundenbeziehung verursacht wurden, berücksichtigt.72 Um den Kundendeckungsbeitrag II zu ermitteln, werden vom Kundendeckungsbeitrag I die Prozesskosten der Hierarchieebenen Produkt, Auftrag und Kunde subtrahiert. Fischer schlägt vor, an dieser Stelle ebenfalls die „Kosten nicht benötigter Kapazitäten“ in Abzug zu bringen, die daraus resultieren, dass der Prozesskostensatz für die Bezugsobjekte mit der bei den gegebenen Ressourcen maximal möglichen Prozessmenge und nicht mit der budgetierten oder der tatsächlich durchgeführten Prozessmenge berechnet wird. Diese Kosten sollen jedoch nur in Ansatz gebracht werden, wenn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen „Kosten nicht benötigter Kapazität“ und Bezugsobjekt (Produkt, Kunde, Auftrag, Markt-

Abb. 14.7 Ermittlung des Kundendeckungsbeitrages71

70

Vgl. Fischer, T. M./von der Decken, Tim (o. A.), S. 5. Vgl. Schmeisser, W./Clausen, L., DStR 51–52/2005, S. 2198 ff. in Anlehnung an Fischer, T. M./ von der Decken, Tim (o. A.), S. 4. 72 Vgl. Fischer, T. M./von der Decken, Tim (o. A.), S. 5. 71

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segment) erkennbar ist. Als Kosten nicht benötigter Kapazität werden jene Kosten bezeichnet, die sich durch teilausgelastete Ressourcen ergeben und können mit folgender Formel berechnet werden:73 Kosten nicht benötigter Kapazität = Prozesskostensatz ∗ (maximal mögliche Prozessmenge − tatsächlich durchgeführte Prozessmenge)

14.3.3.2 Interpretation der Kundendeckungsbeiträge Da in den Kundendeckungsbeitrag I nur die Kostenpositionen einfließen, die sich als Einzelkosten erfassen lassen, zeigt dieser Deckungsbeitrag unmittelbar an, welcher Teil des Erfolges im Betrachtungszeitraum ohne die Kundenbeziehung nicht zustande gekommen wäre. Durch die fehlende Schlüsselung von Gemeinkosten reflektiert der Kundendeckungsbeitrag I die Kundenprofitabilität und bietet somit eine gute Entscheidungshilfe bei der Zusammensetzung eines rentablen Kundenstammes. Es sollte jedoch berücksichtigt werden, dass die Einzelkostenpositionen unter Umständen fixe (Einzel-) Kostenpositionen enthalten können (z. B. das Gehalt eines KeyAccount-Managers, der einen Großkunden betreut), die im Betrachtungszeitraum nicht abbaubar sind.74 Der Kundendeckungsbeitrag II ergibt sich nach Abzug der über die Prozesskostenrechnung dem Kunden zugerechneten Gemeinkosten. Ein Teil dieser Gemeinkosten, wie Gehälter im indirekten Bereich (Fakturierung, Mahnwesen, Kundendienst, Auftragsbearbeitung, etc.), ist selbst bei Auflösung der Geschäftsbeziehung zu einem Kunden nicht abbaufähig. „Somit ist der Kundendeckungsbeitrag II vor allem als Indikator für die kundenspezifische Beanspruchung von Unternehmensressourcen zu interpretieren.“75 Der Kundendeckungsbeitrag II lässt erkennen, welche Kunden bzw. Kundengruppen die Unternehmensressourcen stärker beanspruchen als dies durch das erzielte Umsatzvolumen gerechtfertigt ist. Damit kann der Kundendeckungsbeitrag II zur Unterstützung der strategischen Planung herangezogen werden, da mit seiner Hilfe Ansatzpunkte zur Profitabilitätssteigerung erkennbar werden.76 Die Profitabilität eines Kunden verändert sich über den gesamten Zyklus der Kundenbeziehung. Zu Beginn einer Geschäftsbeziehung, z. B. bedingt durch hohe Akquisitionskosten, können die Kosten die erzielten Umsätze übersteigen. In späteren Phasen der Geschäftsbeziehung kehrt sich dieses Verhältnis idealerweise

73 74 75 76

Vgl. Fischer, T. M./von der Decken, Tim (o. A.), S. 5. Vgl. Fischer, T. M./von der Decken, Tim (o. A.), S. 7 f. Fischer, T. M./ von der Decken, Tim (o. A.), S. 8. Vgl. Fischer, T. M./von der Decken, Tim (o. A.), S. 8 f.

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um und es werden in der Regel Gewinne erzielt.77 Wird bei der Interpretation der Kundendeckungsbeiträge nicht berücksichtigt in welcher Phase sich die Kundenbeziehung befindet, kann dies zu Fehlentscheidungen, wie der voreiligen Beendigung der Kundenbeziehung bei negativen Deckungsbeiträgen, führen. Bei der Interpretation der Kundendeckungsbeiträge ist zu beachten, ob die Daten mit historischen Erlös- und Kostenpositionen oder mit zukünftig geplanten ermittelt wurden. Vergangenheitsdaten lassen im Prinzip keine Extrapolation auf die zukünftige Kundenprofitabilität bei Innovationen zu, da sowohl das Nachfrageverhalten der einzelnen Kunden als auch ihre Beanspruchung der Unternehmensressourcen, das Wettbewerbsumfeld und das Produktionsprogramm des Unternehmens sich im Zeitablauf verändern können. „Insofern sollten bei der Interpretation von Kundendeckungsbeiträgen ergänzend Marktforschungsdaten und -analysen, wie das zukünftige Nachfrageverhalten, die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und die kundenspezifische Nachfrage nach neu auf den Markt kommenden Produkten, miteinbezogen werden.“78

14.3.4 Vom Kundendeckungsbeitrag zum Kunden-Cashflow Die Ermittlung des Kundendeckungsbeitrags basiert auf vergangenheitsorientierten Daten des Rechnungswesens, die jedoch nicht alle liquiditätsrelevanten Aspekte berücksichtigen. Von Interesse sind jedoch erfolgswirtschaftliche Aspekte, die in Kategorien wie Aufwand und Ertrag sowie Kosten und Leistungen erfasst werden. Daher bietet es sich an, die benötigten Plandaten aus den Erfolgsgrößen des internen Rechnungswesens abzuleiten, indem das Ermittlungsschema des Kundendeckungsbeitrags aufgegriffen wird und auf seine liquiditätswirksamen Komponenten konzentriert wird. Erlöse (korrigiert um die Erlösschmälerungen) sind ohnehin zahlungswirksam, bei Kosten gilt dies nicht uneingeschränkt. Daher müssen rein wertmäßige Kostenbestandteile, wie Abschreibungen, auf ihre originäre Zahlung (z. B. Anschaffungsausgabe) zurückgeführt werden. Für einen bestimmten Planungshorizont (z. B. Jahr, Monat) können so erhebliche Differenzen zwischen wertmäßigen und zahlungswirksamen Kosten entstehen.79 In der Abb. 14.8 wird die detaillierte Ermittlung des Kunden-Cashflows übersichtlich dargestellt und im Anschluss ausführlich beschrieben. Um den Kunden-Cashflow zu erhalten werden zunächst von den Nettoerlösen alle variablen und fixen Kosten subtrahiert sowie vorhandene zahlungsunwirksame Kosten, die bereits innerhalb der entsprechenden Kostenart abgezogen wurden, durch Addition eliminiert. Die enthalten fixen Kundeneinzelkosten beispielsweise Abschreibungen auf Sachanlagen, die, wenn sie in der entsprechenden Periode 77

Vgl. Andon, Paul/Baxter, Jane/Bradley, Graham in Günter, Bernd/Helm, Sabrina (Hrsg.), (2003), S. 301 ff.; Fischer, T. M./von der Decken, Tim (o. A.), S. 9 und Franz, Klaus-Peter in Günter, Bernd/Helm, Sabrina (Hrsg.), (2003), S. 445 ff. 78 Fischer, T. M./von der Decken, Tim (o. A.), S. 9. 79 Vgl. Schirmeister, R./Kreuz, C. in Günter, B./Helm, S. (Hrsg.), Kundenwert, (2003), S. 344 f.

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Abb. 14.8 Vom Kundendeckungsbeitrag zum Kunden-Cashflow [Quelle: Schmeisser, W./Clausen, L., DStR 51–52/2005, S. 2198 ff. in Anlehnung an Schirmeister, R./Kreuz, C. in Günter, B./Helm, S. (Hrsg.), Kundenwert, (2003), S. 345 und Fischer, T. M./von der Decken, Tim (o. A.), S. 4.]

keine Auszahlungen bewirken, mit der Zeile „zahlungsunwirksame Kundeneinzelkosten“ neutralisiert werden. Zahlungsunwirksame Kundengemeinkosten könnten bspw. kalkulatorische Eigenkapitalzinsen sein. Letztlich sind noch die investitionsbedingten Zahlungen abzuziehen, sofern die originäre Zahlung in den Zeitraum der interessierenden Geschäftsbeziehung fällt.80 Weiterhin wird bei der Ermittlung des Kunden-Cashflow darauf geachtet, dass kein zeitliches Auseinanderfallen von Einzahlungen und Erträgen vorliegt, wie bei Zielverkäufen oder Kundenanzahlungen. Bei Zielverkäufen ist der Einzahlungsüberschuss geringer als der Cashflow, liegen hingegen Anzahlungen von Kunden vor verhält es sich umgekehrt. Auch das Auseinanderfallen von Auszahlungen und Aufwand, wie bei Einkäufen auf Ziel, Anzahlungen an Lieferanten etc., sollte beachtet werden. Bei Anzahlungen an Lieferanten ist der Einnahmenüberschuss wiederum geringer als der Cashflow.81

80 81

Vgl. Schirmeister, R./Kreuz, C. in Günter, B./Helm, S. (Hrsg.), Kundenwert, (2003), S. 344 f. Vgl. Perridon, L./Steiner, M. (2003), S. 564 f.

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14.3.5 Investitionsrechnerische Zusammenfassung zum Kundenwert Die ermittelten periodenbezogenen Kunden-Cashflows bilden die Zahlungsreihe für die Investitionsrechnung. Um den Wert einer Kundenbeziehung zu ermitteln, wird auf ein Verfahren der dynamischen Investitionsrechnung, die Kapitalwertmethode, zurückgegriffen. Die Kapitalwertmethode ermittelt den Barwert, dabei werden die zukünftigen Kunden-Cashflows, bzw. die Differenz der zukünftigen Einund Auszahlungen, mit einem Kalkulationszinsfuß auf den jetzigen Zeitpunkt abgezinst.82 Diese Methode bietet sich vorrangig im Business-to-Business-Bereich an, d. h. wenn langfristige Geschäftsbeziehungen vorliegen und das Unternehmen die zukünftigen Ein- und Auszahlungen gut prognostizieren kann. Außerdem ist dieses Verfahren für annähernd sichere Werte geeignet, also die Geschäftsbeziehungen vertraglich fundiert sind, wie bei Versicherungsunternehmen oder Zeitungsverlagen.83 Die Formel zur Berechnung des Kundenwertes (KW) lässt sich wie folgt darstellen: KW = e0 −a0 +(e1−a1 )∗(1+i)−1 +(e2 −a2 )∗(1+i)−2 +. . .+(en −an )∗(1+i)−n Eine weitere Berechnungsmöglichkeit bietet die Verwendung des in Abb. 14.1 ermittelten „Pagatorischen Kundendeckungsbeitrages“ (PKDB): KW=−I0+PKDB0+PKDB1∗(1+i)−1+PKDB2 ∗(1+i)−2+. . .+PKDBn∗(1+i)−n mit: et : prognostizierte kundenspezifische Einzahlungen in der Periode t at : prognostizierte kundenspezifische Auszahlungen in der Periode t i: Kalkulationszinsfuß t: Periode (t = 0, 1, 2, . . . , n) n: Dauer der Geschäftsbeziehung Im Folgenden wird auf die Bestimmung des Kalkulationszinsfußes näher eingegangen.

14.3.6 Zur Ermittlung des Kalkulationszinsfußes Zur Berechnung des Kapitalwertes einer Geschäftsbeziehung sind die prognostizierten Cashflows mit einem geeigneten Kalkulationszinsfuß zu diskontieren. Da der Kundenwert einen Teil der Kapitalwerte eines Unternehmens darstellt, bietet es sich an, auf die Verfahren der Unternehmensbewertung sowie der Bewertung von Investitionsprojekten zurückzugreifen.84 Um die Anforderungen der Kapitalgeber 82 83 84

Vgl. Perridon, L./Steiner, M. (2003), S. 61. Vgl. Fischer, T. M./von der Decken, Tim (o. A.), S. 22. Vgl. Fischer, T. M./von der Decken, Tim (o. A.), S. 25.

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zu erfüllen, kann als Mindestverzinsung der Gesamtkapitalkostensatz (WACC) verwendet werden. Der Eigenkapitalkostensatz lässt sich auf Basis des Kapitalmarktmodells (CAPM)85 bestimmen, dessen Zielsetzung es ist, für jede Kapitalanlage eine risikoadjustierte Renditeforderung zu bestimmen.86 Die Eigenkapitalkosten setzen sich wie folgt zusammen: Eigenkapitalkosten = Risikofreier Zinssatz + Risikoprämie des Eigenkapitals Risikofreier Satz = „Realer“ Zinssatz + erwartete Inflationsrate Risikoprämie = Beta ∗ (Erwartete Marktrendite − risikofreier Zinssatz) Die Risikoprämie des Marktes repräsentiert die zusätzliche Vergütung, die Investoren fordern, um ins Unternehmen, anstatt in eine „sichere“ Anlage zu investieren.87 Zur Bestimmung des Fremdkapitalkostensatzes sollte auf den Durchschnitt aller Fremdkapitalkosten, die während des Planungszeitraumes durch Kundenbeziehungen verursacht sind, zurückgegriffen werden.

14.3.7 Einsatzmöglichkeiten des Kundenwertes und Interpretation der Ergebnisse Je nachdem, wie hoch die erwarteten Kunden-Cashflows sind, stellt der aggregierte Kundenwert einen erheblichen Teil des Unternehmenswertes dar.88 Sofern sich die Unternehmensleitung das Ziel der Unternehmenswertsteigerung gesetzt hat, bietet sich der Einsatz des prospektiven Kundenwertes als Maß zur Definition von Leistungszielen und zur Kontrolle der Zielerreichung an. Besonders im Marketingbereich kann der Einsatz des prospektiven Kundenwertes die strategischen Entscheidungen dahingehend unterstützen, dass die möglichen Auswirkungen auf ihre positive Beeinflussung des Kundenwertes hin geprüft werden um so die Unternehmensressourcen wertsteigernd einzusetzen. Analoge Einsatzmöglichkeiten bieten sich bei der Auswahl neuer Zielgruppen, dem Umgang mit bestehenden Kunden, der Entwicklung neuer Produkte sowie der Implementierung neuer Marketingstrategien. Durch den direkten Zusammenhang zwischen Unternehmens- und Kundenwert kann die Vorteilhaftigkeit strategischer Entscheidungen aus Sicht der Kapitalgeber bzw. Investoren unmittelbar überprüft werden.89 Sofern der Kundenwert mit Hilfe der Prozesskostenrechnung ermittelt wird, kann anhand der vorliegenden Daten eine Bewertung eines Kunden durch die von ihm 85

Zur Vertiefung siehe: Perridon, L./Steiner, M. (2003), S. 119 ff. Vgl. Perridon, L./Steiner, M. (2003), S. 119 ff. und Fischer, T. M./von der Decken, Tim (o. A.), S. 26. 87 Vgl. Rappaport, A. (1999), S. 46 f. 88 Vgl. Fischer, T. M./von der Decken, Tim (o. A.), S. 28. 89 Vgl. Fischer, T. M./von der Decken, Tim (o. A.), S. 28 f. 86

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verursachten Kosten erfolgen und so die Basis für die Optimierung des gesamten Kundenstammes geschaffen werden. Ferner sind Informationen für eine kontinuierliche Optimierung der Geschäftsprozesse ableitbar. Dies setzt allerdings voraus, dass alle relevanten Leistungen (auch die des Overhead-Bereichs, wie Vertrieb, Fertigungsplanung, Disposition, Einkauf, etc.) kunden- und prozessspezifisch erfasst, kostenrechnerisch bewertet und verrechnet werden.

14.3.8 Kennzahlenhierarchie der Kundenperspektive Die Kennzahlenhierarchie der Kundenperspektive zeigt die Ermittlung des Kundendeckungsbeitrages. Zuerst werden vom Umsatz eventuell angefallene Erlösschmälerungen abgezogen, dann subtrahiert man alle kundenspezifischen Einzelkosten sowie Gemeinkosten um den Kundendeckungsbeitrag zu erhalten. Um den KundenCashflow zu erhalten wird der Kundendeckungsbeitrag um mögliche kundenrelevante Investitionen gekürzt sowie um zahlungsunwirksame Kundenkosten erhöht. Der Kunden-Cashflow kann dann als Wertgröße eines Geschäftsfeldes in die Berechnung des Shareholder Value einfließen (vgl. Abb. 14.9).

14.4 Integration des FuE-Bereiches in das Modell der Berliner Balanced Scorecard Am Beispiel der Kunden- und Finanzperspektive sowie einer eigenständigen, zusätzlichen FuE-Perspektive der Berliner Balanced Scorecard wird im Folgenden exemplarisch dargestellt, wie eine Innovationserfolgsrechnung in das Gesamtmodell Berliner Balanced Scorecard integriert werden kann.

14.4.1 Differenzierung von FuE gemäß IAS 38.8 Der Prozess der unternehmensinternen Erstellung immaterieller Werte unterteilt sich in die Phasen Forschung und Entwicklung. Forschung definiert sich gemäß IAS 38.8 als eigenständige und planmäßige Suche nach neuen wissenschaftlichen oder technischen Erkenntnissen. Entwicklung integriert die Forschungsergebnisse oder andere Kenntnisse in die Planung und/oder Produktion für ein Produkt, beachtlich verbesserte Materialien, Systeme, Verfahren oder Dienstleistungen.90,91 IAS 38 erfasst sowohl technologische Innovationsprozesse als auch sämtliche Entwicklungs90 91

Vgl. Pellens, B./Fülbier, R. U./Gassen, J. (2004), S. 259 ff. Vgl. zu beiden Definitionen IAS 38.8.

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Abb. 14.9 Kennzahlenhierarchie der Kundenperspektive [Quelle: Schmeisser, W./Clausen, L., DStR 51–52/2005, S. 2198 ff.]

sowie Erstellungsprozesse immaterieller Werte. Theoretisch und praktisch sind die Entwicklungskosten den Forschungskosten nachgelagert. In der Praxis zeigt sich häufig eine gegenseitige Abhängigkeit, durch die eine klare Abgrenzung der Phasen und somit Erfassung der Daten erschwert wird.

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14.4.1.1 Voraussetzungen für den Ansatz von FuE-Aufwendungen Gemäß IAS besteht eine Ansatzpflicht für die innerhalb der Entwicklungsphase geschaffenen immateriellen Vermögenswerte, wenn folgende Bedingungen kumulativ erfüllt sind (IAS 38.57):92 • technische Machbarkeit (technical feasibility) zur Fertigstellung des Projekts in dem Sinne, dass es zur wirtschaftlichen Verwertung durch Eigennutzung oder Verkauf zur Verfügung steht • beabsichtigte Vollendung (intention to complete) des Projektes und Verwertung durch Verkauf oder Eigennutzung • Fähigkeit (ability) zur Eigennutzung oder zum Verkauf des immateriellen Vermögenswertes • Darlegung des künftigen ökonomischen Vorteils (benefit), wobei u. a. das Unternehmen den Nachweis des Vorliegens eines Marktes für den immateriellen Vermögenswert selbst oder die von diesem zu generierenden Produkte liefern muss bzw. – im Falle der Eigennutzung – dass der betreffende Vermögenswert nutzbringend ist (usefulness) • Verfügbarkeit (availability) der erforderlichen technischen, finanziellen und anderen Ressourcen zur Vollendung des Projekts – darzulegen bzw. nachzuweisen (demonstrate) durch einen business plan oder eine Finanzierungszusage (IAS 38.61) • Zuverlässige Bewertbarkeit/Ermittlung (measure) der Herstellungskosten. (IAS 38.62). Die Bewertung immaterieller Vermögenswerte hat bei deren Zugang prinzipiell mit ihren Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu erfolgen.93 Die Herstellungskosten umfassen dabei, in Anlehnung an die Regelungen für das Sachanlagevermögen, sämtliche Kosten, die der Schaffung, Herstellung oder Vorbereitung des Vermögenswerts für seinen vorgesehenen Gebrauch direkt zurechenbar sind.94 Eine Bilanzierung mit dem Fair Value im Zugangszeitpunkt ist lediglich bei einem Zugang im Rahmen eines Unternehmenserwerbs oder mit Hilfe öffentlicher Zuschüsse möglich.95 Zur Folgebewertung kann entweder die Methode der fortgeführten Anschaffungsbzw. Herstellungskosten oder die Neubewertungsmethode verwendet werden. Letztere ist jedoch nur dann zulässig, wenn ein aktiver Markt für die betreffenden Vermögenswerte vorliegt.96

92 93 94 95 96

Vgl. Pellens, B./Fülbier, R. U./Gassen, J. (2004), S. 260 f. Vgl. IAS 38.24. Vgl. IAS 38.66 f. Vgl. IAS 38.33 f./38.40. Vgl. IAS 38.75.

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Erfüllt ein immaterieller Gegenstand weder die Definition noch die Ansatzkriterien eines immateriellen Vermögenswerts, sind nach IAS 38 die Ausgaben für diesen Gegenstand zum Zeitpunkt ihres Anfalls als Aufwand zu erfassen.97 Da gemäß IAS 38.63 in der Forschungsphase der Nachweis über einen wahrscheinlichen künftigen Nutzen, der aus dem Projekt resultiert, nicht nachweisbar ist, liegt nach IAS 38.21 (a) kein anzusetzender Vermögensgegenstand vor.

14.4.1.2 Ansatzregeln für selbst erstellte FuE-Aufwendungen Ungeachtet der Unterscheidung zwischen Forschung und Entwicklung nach IAS 38.63 und dem Ansatzkriterium für die Entwicklungskosten gilt für folgende selbsterstellte Vermögenswerte (items) ein Ansatzverbot, obwohl sie gemäß der Definition von IAS 38.7 Immaterielle vermögenswerte darstellen: Marken, Warenzeichen, Druck- und Verlagsrechte, Kundenlisten, Kundenbeziehungen sowie ähnliche Vermögenswerte.98

14.4.2 Kennzahlenhierarchie der FuE-Perspektive der Berliner Balanced Scorecard Die Kennzahlenhierarchie der FuE-Perspektive zeigt auf, in welcher Weise die kostenrechnerische Einbindung in die Berliner Balanced Scorecard erfolgen kann. Ausgehend von den Umsätzen innovativer Produkte und/oder auch Dienstleistungen werden im ersten Schritt sowohl die spezifischen Einzel- und Gemeinkosten als auch die Erlösschmälerungen subtrahiert um den FuE-Deckungsbeitrag zu erhalten. Um den FuE-Cashflow zu ermitteln wird der FuE-Deckungsbeitrag um mögliche relevante Investitionen gekürzt sowie um zahlungsunwirksame FuE-Kosten erhöht. Investitionen umfassen in diesem Zusammenhang schwerpunktmäßig aktivierungsfähige Ausgaben in Lizenzen, Patente, Nutzungsrechte, Informationen, Know-how der Mitarbeiter sowie Forschung und Entwicklung. Der FuE-Cashflow kann dann als Wertgröße eines Geschäftsfeldes in die Berechnung des Shareholder Value einfließen (s. Abb. 14.10). Die Kennzahlenhierarchie der FuE-Perspektive zeigt auf, in welcher Weise die kostenrechnerische Einbindung in die Berliner Balanced Scorecard erfolgen kann. Ausgehend von den Umsätzen innovativer Produkte und/oder auch Dienstleistungen werden im ersten Schritt sowohl die spezifischen Einzel- und Gemeinkosten als auch die Erlösschmälerungen subtrahiert, um den FuE-Deckungsbeitrag zu erhalten. Um den FuE-Cashflow zu ermitteln wird der FuE-Deckungsbeitrag um mögliche relevante Investitionen gekürzt sowie um zahlungsunwirksame FuE-Kosten erhöht. Investitionen umfassen in diesem Zusammenhang schwerpunktmäßig aktivierungs97 98

Vgl. IAS 38.68. Vgl. Pellens, B./Fülbier, R. U./Gassen, J. (2004), S. 260.

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Abb. 14.10 Kennzahlenhierarchie der FuE-Perspektive

fähige Ausgaben in Lizenzen, Patente, Nutzungsrechte, Informationen, Know-how der Mitarbeiter sowie Forschung und Entwicklung. Der FuE-Cashflow kann dann als Wertgröße eines Geschäftsfeldes in die Berechnung des Shareholder Value einfließen.

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Abb. 14.11 Modell der direkten Anbindung

14.4.3 Modell zur direkten Einbindung des FuE-Bereiches Eine weitere Möglichkeit zur Einbindung der FuE-Beiträge in das ursprüngliche Modell der Berliner Balanced Scorecard bietet die direkte Anbindung an die Kundenperspektive in Form der Kundendeckungsbeiträge innovativer Produkte und/oder Dienstleistungen. Die Ermittlung der relevanten Werte verläuft analog der Berechnung der FuE- sowie Kunden-Deckungsbeiträge und stellt sich grafisch wie folgt dar (s. Abb. 14.11).

14.4.4 Einbindung des FuE-Bereiches in die Finanzperspektive der Berliner Balanced Scorecard Eine alternative Variante zur Erfassung der Erfolgsbeiträge aus Innovationen bietet die Einbindung in die Finanzperspektive der Berliner Balanced Scorecard.99 Ein wichtiges Instrument zur Steuerung der Geschäftsprozesse ist die Berliner Balanced Scorecard (BBSC). Die BBSC ist das Bindeglied zwischen dem wertorientierten Ziel der Unternehmenswertsteigerung, der Unternehmensstrategie und der operativen Umsetzung. Der in Abb. 14.12 dargestellte Treiberbaum der Finanzperspektive der Berliner Balanced Scorecard verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Shareholder Value, Berliner Balanced Scorecard, Kapitalflussrechnung und Working Capital sowie die 99

Vgl. Schmeisser, W./Clausen, L., DStR 21/2007, S. 917 ff. sowie 22/2007, S. 964 ff.

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Abb. 14.12