Handbuch der Berufsbildung, 2. Auflage
 3531151622, 9783531151625 [PDF]

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Zitiervorschau

Rolf Arnold · Antonius Lipsmeier (Hrsg.) Handbuch der Berufsbildung

Rolf Arnold Antonius Lipsmeier (Hrsg.)

Handbuch der Berufsbildung 2., überarbeitete und aktualisierte Auflage

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

1. Auflage 1995 2., überarbeitete und aktualisierte Auflage Dezember 2006 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Stefanie Laux Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Satz: ITS Text und Satz, Anne Fuchs, Bamberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Mepel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN-10 3-531-15162-2 ISBN-13 978-3-531-15162-5

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltsverzeichnis

9

1. Didaktisches Handeln in der Berufsbildung Rolf Arnold / Dieter Münk Berufspädagogische Kategorien didaktischen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

Helmut Heid Werte und Normen in der Berufsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

Reinhard Czycholl / Hermann G. Ebner Handlungsorientierung in der Berufsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

Felix Rauner Gestaltung von Arbeit und Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

2. Adressatenorientierung in der Berufsbildung Lothar Lappe Jugend in der Berufsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

Klaus Harney Erwachsene in der Berufsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

Rudolf Tippelt Beruf und Lebenslauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

Christiane Schiersmann Geschlecht und Nationalität als soziale Determinanten beruflicher Qualifizierungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

112

3. Kompetenzen und Qualifikationen in der Berufsbildung Walter Georg / Ulrike Sattel Berufliche Bildung, Arbeitsmarkt und Beschäftigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

125

Martin Baethge / Volker Baethge-Kinsky Ökonomie, Technik, Organisation: Zur Entwicklung von Qualifikationsstruktur und qualitativem Arbeitsvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

153

Günter Pätzold Vermittlung von Fachkompetenz in der Berufsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

174

6

Inhaltsverzeichnis

Rolf Dubs Entwicklung von Schlüsselqualifikationen in der Berufsschule . . . . . . . . . . . . . . .

191

Harald Geißler Integration von Personal- und Organisationsentwicklung in die berufliche Weiterbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

204

4. Lehr- und Lerninhalte der Berufsbildung Lothar Reetz / Wolfgang Seyd Curriculare Strukturen beruflicher Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

227

Ute Clement Curricula für die berufliche Bildung – Fächersystematik oder Situationsorientierung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

260

Jürgen Zabeck Didaktik kaufmännisch-verwaltender Berufsausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

269

Antonius Lipsmeier Didaktik gewerblich-technischer Berufsausbildung (Technikdidaktik) . . . . . . . . .

281

Karin Rebmann Berufliche Umweltbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

299

5. Vermittlungs- und Aneignungsprozesse in der Berufsbildung Ekkehart Frieling Lernen und Arbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

315

Bernhard Bonz Methoden in der schulischen Berufsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

328

Kurt R. Müller Lernen in der Weiterbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

342

Rolf Arnold Neue Methoden betrieblicher Bildungsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

355

Ingrid Lisop Lehren in schulischen Vermittlungsprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

370

Reinhard Bader Lehrer in schulischen Vermittlungsprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

384

Wolfgang Wittwer Die Aus- und Weiterbildner in außerschulischen Lernprozessen . . . . . . . . . . . . .

401

Wolfgang Lempert Berufliche Sozialisation und berufliches Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

413

Andreas Schelten Berufsmotorisches Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

421

Inhaltsverzeichnis

Dieter Euler / Sabine Seufert / Karl Wilbers eLearning in der Berufsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

432

6. Rahmenbedingungen der Berufsbildung Adolf Kell Organisation, Recht und Finanzierung der Berufsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

453

Joachim Münch Berufsbildungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

485

Wolf-Dietrich Greinert Geschichte der Berufsausbildung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

499

Walter Georg Berufsbildung in Entwicklungsländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

509

Rolf Dobischat / Karl Düsseldorf / Joachim Dikau Rechtliche und organisatorische Bedingungen der beruflichen Weiterbildung . . . .

531

Dieter Münk Berufliche Aus- und Weiterbildung in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

547

Philipp Gonon Qualität und Qualitätssicherung in der Berufsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

561

7. Forschung zur Berufsbildung Klaus Beck Theorieansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

577

Frank Achtenhagen Lehr-Lern-Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

586

Peter F.E. Sloane Berufsbildungsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

610

Peter Kupka Arbeitsmarkt- und Berufsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

Vorwort Die vorliegende 2., überarbeitete und aktualisierte Auflage des Handbuchs der Berufsbildung stellt den Versuch dar, das derzeit verfügbare wissenschaftliche Wissen zu den Fragestellungen und den Problembereichen der Berufsbildung in konzentrierter Form zu präsentieren. Ausgangspunkt ist eine Strukturierung der beruflichen Bildung, die ihren Ausgangspunkt von dem didaktischen Handeln nimmt. Wie in dem einleitenden Beitrag ausführlich dargelegt und begründet wird, lassen sich aus der Perspektive einer handlungsorientierten Didaktik die berufspädagogischen Kategorien ableiten, die für die Gestaltung, Konzipierung und Realisierung beruflicher Bildung von grundlegender Bedeutung sind. Ausgehend von diesen Kategorien wurde auch die inhaltliche Grobstruktur des Handbuches konzipiert. Während in einem ersten Kapitel neben der erwähnten Bestimmung der berufspädagogischen Kategorien didaktischen Handelns auch auf die Werte und Normen in der Berufsbildung sowie auf die Handlungsorientierung und die Gestaltung von Arbeit und Technik eingegangen wird, ist das zweite Kapitel dem Thema „Adressatenorientierung in der Berufsbildung“ gewidmet. Dabei geht es nicht nur um die Jugendlichen, die Erwachsenen und die sog. Randgruppen in der Berufsbildung, vielmehr werden auch in einer grundlegenden Form die Zusammenhänge zwischen Lebenslauf und Beruf sowie die sozialen und individuellen Determinanten beruflicher Qualifizierungsprozesse thematisiert. Ein drittes Kapitel beschäftigt sich mit den „Kompetenzen und Qualifikationen in der Berufsbildung“. Die Aspekte, die dabei zur Sprache kommen, sind der Arbeitsmarkt, das Beschäftigungssystem sowie die technisch-ökonomischen arbeitsorganisatorischen Wandlungen einerseits sowie die Vermittlung von Fachkompetenz, die Entwicklung von Schlüsselqualifikationen und die Integration von Personal- und Organisationsentwicklungen in der beruflichen Weiterbildung andererseits. Das vierte Kapitel ist auf die „Lehr- und Lerninhalte der Berufsbildung“ bezogen. In ihnen werden die curricularen Strukturen der beruflichen Bildung, die Didaktik der kaufmännisch-verwaltenden sowie der gewerblich-technischen Berufsausbildung, die allgemeinbildenden Inhalte in der beruflichen Bildung und das Thema Umweltlernen in der Berufsbildung behandelt. Das fünfte Kapitel analysiert die „Vermittlungs- und Aneignungsprozesse in der Berufsbildung“, wobei auch die Methoden, das Lehrerhandeln sowie der Medienaspekt zur Sprache kommen. Die Vermittlungs- und Aneignungsprozesse werden allerdings auch in einer grundlegenden Weise im Kontext von Lernen und Arbeiten, in der Weiterbildung oder generell im Kontext beruflicher Sozialisation dargestellt. Das sechste Kapitel stellt die „Rahmenbedingungen der Berufsbildung“ dar, wobei neben dem organisatorischen, rechtlichen Bedingungsrahmen die Berufsbildungspolitik, die Geschichte der Berufsbildung sowie internationale Rahmenbedingungen zum Thema gemacht werden. Das siebte Kapitel umfasst Beiträge zum Thema „Forschung zur Berufsbildung“. Neben der Darstellung von grundlegenden Theorieansätzen werden bestimmte Forschungsstränge, wie z. B. die LehrLernforschung, die Berufsbildungsforschung, die Arbeitsmarktforschung und die Qualifikationsforschung näher beleuchtet. Unser Dank gilt an dieser Stelle allen Kolleginnen und Kollegen, die sich zur Überarbeitung ihrer Beiträge bereit gefunden haben. Bei einigen wenigen Beiträgen wurden die Au-

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Vorwort

toren gewechselt oder ergänzt, einige Beiträge sind neu aufgenommen worden (Clement: Curricula beruflicher Bildung; Gonon: Qualitätssicherung in der Berufsbildung). Gleichzeitig gilt unser ganz besonderer Dank Frau Dipl.-Päd. Jutta Henkel, Technische Universität Kaiserslautern, ohne deren engagierten Einsatz bei der redaktionellen Betreuung das Handbuch in der vorliegenden Form nicht hätte entstehen können. Prof. Dr. Rolf Arnold Technische Universität Kaiserslautern

Prof. Dr. Antonius Lipsmeier Universität Karlsruhe (T. H.)

1. Didaktisches Handeln in der Berufsbildung

Berufspädagogische Kategorien didaktischen Handelns Berufspädagogische Rolf Rolf Arnold Arnold/ /Dieter Dieter Kategorien Münk Münk didaktischen Handelns

Wenn in diesem einleitenden Beitrag der Begriff des „didaktischen Handelns“ und nicht der der „Didaktik“ Verwendung findet, so geschieht dies mit dem konzeptionellen Anspruch, eine Darstellung der Grundstrukturen der Berufsbildung sowie die Auffächerung ihrer theoretischen und praktischen Aspekte, wie sie in dem vorliegenden Handbuch in Angriff genommen werden, vom Gesichtspunkt einer handlungsorientierten Berufspädagogik her entwickeln zu wollen. Damit ist eine Perspektive grundgelegt, in welcher die Berufsbildung als eine prinzipiell gestaltbare Konstellation von Faktoren und Bedingungen angesehen wird, die zwar ihre gesellschaftlich-historische Vorprägung erfahren, das didaktische Handeln selbst jedoch allenfalls zu prägen, aber nicht zu determinieren vermögen. Neben der Situationsspezifität und der Unterdeterminiertheit beruflicher Bildung gerät bei einer solchen Fokussierung auch ihre Prozesshaftigkeit und Subjekthaftigkeit stärker in den Blick, d. h. dem Subjekt wird als „Ursprung seiner Handlungen“ (Holzkamp 1993, S. 117) ein größerer Entscheidungs- und Gestaltungsraum „zugemutet“ bzw. besser: „zugetraut“, und gleichzeitig wird davon ausgegangen, dass es letztlich die didaktisch Handelnden – und damit auch die Lehrenden und Lernenden – sind, die die Berufsbildung konstituieren, gestalten und entwickeln.

1. „Didaktisches Handeln“ als Leitbegriff einer handlungsorientierten Berufspädagogik Der Begriff des didaktischen Handelns, der bereits seit Mitte der 70er Jahre in der Pädagogik und insbesondere in der Curriculumtheorie verwandt wird (u. a. Flechsig/Haller 1975; Corte u. a. 1975), stellt einerseits eine Einengung und andererseits eine Erweiterung des traditionellen didaktischen Blickwinkels dar. Als einengend kann zunächst empfunden werden, dass – wenn von „Handeln“ die Rede ist – nur das konkret-unterrichtliche bzw. das auf Ausbildung bezogene Tun aller am Lehr-Lern-Prozess Beteiligten stärker in den Blick gerückt wird, während die über- und vorgeordneten Ebenen, wie die bildungspolitischen, curricularen und institutionellen Rahmenbedingungen (vgl. Flechsig/Haller 1975, S. 10ff.) weniger im Zentrum der Überlegungen zu stehen scheinen. Im Sinne eines weiten Handlungsbegriffs können diese Handlungs-Ebenen allerdings gleichwohl mitgemeint sein (vgl. Flechsig 1989), obgleich nicht zu übersehen ist, dass zahlreiche der sich aus ihnen ergebenden Problemstellungen mittlerweile bereits im Kontext der aus Didaktik und Bildungstheorie „ausgelagerten“ Spezialdisziplinen, wie z. B. Schultheorie, Bildungsplanung, Bildungsökonomie oder Theorien der Bildungspolitik (vgl. u. a. v. Friedeburg 1989; Hilbert u. a. 1990), bearbeitet werden.

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Rolf Arnold / Dieter Münk

Bei der geisteswissenschaftlichen Bildungstheorie war dies bekanntlich noch ganz anders: Diese ging aus von den Kulturgütern, die im historischen Prozess tradiert und im „Kampf der gesellschaftlichen Mächte“ (E. Weniger) als Bildungsgüter legitimiert und in einem Bildungskanon kodifiziert wurden. Didaktik wurde geradezu verstanden als „Theorie der Bildungsinhalte und des Lehrplans“ (Weniger 1965). Die „didaktische Analyse“ als die systematische „Befragung“ von überlieferten Inhalten nach ihrem „Bildungsgehalt“, die sich bis in unsere Tage hinein als Ritual in den Studienseminaren erhalten hat, entwickelte W. Klafki in den 60er Jahren zum Herzstück jeglicher Didaktik (vgl. Klafki 1969). Und auch der für Berufsbildung so bedeutsam gewordene Ansatz der didaktischen Reduktion, den Gustav Grüner in die Diskussion eingebracht hatte (Grüner 1967), war letztlich Ausdruck einer „inhaltsorientierten“ Didaktik: Bei beiden stand (noch) die Frage nach den Inhalten, nach ihrer Lebens- und Bildungsbedeutsamkeit (Klafki) einerseits und ihrer Fasslichkeit (Grüner) im Vordergrund, nicht die nach dem BildungsProzess selbst, in welchem sich der Lernende handelnd mit Inhalten auseinandersetzt und sich dabei gleichzeitig mehr als nur inhaltliches Wissen anzueignen vermag. Interessanterweise basierte die durch die geisteswissenschaftliche Pädagogik geprägte inhaltsorientierte Didaktik jedoch auf einem Selbstmissverständnis, d. h. auf einer verkürzten Rezeption ihrer eigenen Wurzeln. Denn auch die hier anzumahnende Bezugnahme auf das Handeln der an einem Lehr-Lern-Prozess Beteiligten kann selbst aus der hermeneutisch-pragmatischen Orientierung der geisteswissenschaftlichen Pädagogik hergeleitet werden. Denn für diese war es charakteristisch, den „Ausgangspunkt bei der Erziehungswirklichkeit“ selbst zu nehmen und ihre didaktischen Begriffe „in Fühlung mit der Praxis“ zu bestimmen (Blankertz 1975, S. 31). Als Erweiterung des traditionellen, bildungstheoretisch geprägten Didaktik-Verständnisses kann empfunden werden, dass bei einer handlungsorientierten Sicht der Dinge „Didaktik“ nicht mehr nur als „Theorie der Bildungsinhalte und des Lehrplans“ (E. Weniger), sondern auch als „Lehre“, d. h. „als ein Ganzes von Auffassungen und Anweisungen für das praktische Handeln in der Schulsituation“ (de Corte u. a. 1975, S. 16) verstanden werden soll. Und in dieser handlungsorientierenden Ausrichtung kann die eigentliche Besonderheit des Begriffes des „didaktischen Handelns“ (gegenüber dem der Didaktik bzw. dem der didaktischen Theorie) gesehen werden, „didaktisches Handeln“ stellt sich geradezu als Leitbegriff einer handlungsorientierten Didaktik dar. Diese teilweise bzw. bei einigen Autoren bis ins Rezeptologische hineinreichende Ausweitung des didaktischen Nachdenkens auf die Frage nach den unterrichtlichen Realisierungsbedingungen (vgl. Grell/Grell 1979; Morawietz 1984) ist in der Didaktik allerdings keinesfalls neu, wenn sie auch erst in den 80er Jahren zu pragmatischen und ersten – erziehungswissenschaftlich verantwortbaren – rezeptologisch „nutzbaren“ Ausarbeitungen geführt hat (u. a. Meyer 1988). Wenn auch die pragmatische Handlungsorientierung der Didaktik somit nicht als „neu“ bezeichnet werden kann, so ist doch festzustellen, dass die explizite Privilegierung dieses Gesichtspunktes, die seit der Verlagerung der didaktischen Inhalts- und Begründungsfragen in die Curriculumtheorie bzw. -forschung (vgl. Achtenhagen/Meyer 1975; Frey 1975) bzw. deren Bearbeitung im Rahmen einer „curricularen Didaktik“ (Möller 1991) festgestellt werden kann, in gewisser Weise „originell“ bzw „neuartig“ ist. Gleichwohl findet man das pragmatische Motiv einer Handlungsorientierung didaktischen Forschens und Nachdenkens auch bereits historisch früher, z. B. in der „Großen Didaktik“, die Comenius vor über dreihundert Jahren vorlegte, und in der er die didaktische Absicht proklamierte, „(...) die Unterrichtsweise aufzuspüren und zu erkunden, bei welcher die Lehrer weniger zu lehren brauchen, die Schüler dennoch mehr lernen; in den Schulen weniger Lärm, Überdruss und unnütze

Berufspädagogische Kategorien didaktischen Handelns

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Mühe herrsche, dafür mehr Freiheit, Vergnügen und wahrhafter Fortschritt (...)“ (Comenius 1970, S. 9). Didaktik ist somit in einer konstruktiven Absicht auf das didaktische Handeln bezogen. Sie darf sich dabei aber nicht mit der Analyse und Dokumentation bzw. der „Widerspiegelung“ von dem, was „ist“, zufrieden geben; sie muss vielmehr auch kritisch nach Verbesserungsmöglichkeiten suchen. In diesem Sinne ist Didaktik keinesfalls wertfrei und als Theorie über die optimale Gestaltung von Lehr-Lernprozessen für letztlich beliebige Zwecke oder Lernziele „In-Dienst-zu-nehmen“. Als „kritisch-konstruktive Didaktik“ ist sie vielmehr selbst an zentrale und unhintergehbare Werte und Postulate der abendländischen Aufklärung rück gebunden: Sie „(...) muss daher einerseits die Erscheinungsweisen von und die Gründe für Hemmnisse, die dem Leben und Lernen im Sinne der Entwicklung von Selbstbestimmungs-, Mitbestimmungs- und Solidaritätsfähigkeit entgegenstehen, untersuchen und andererseits Möglichkeiten, solche Lehr- und Lernprozesse zu verwirklichen, ermitteln, entwerfen und erproben“ (Klafki 1991, S. 90). Bezogen auf die berufliche Bildung bedeutet dies, dass Berufsbildung mehr und auch anderes umfassen muss als eine bloß fachliche Qualifizierung. Für eine kritisch-konstruktive Didaktik beruflichen Lernens ist vielmehr die Frage grundlegend, wie berufliche Lehr-Lernprozesse so arrangiert, strukturiert und gestaltet werden können, dass sich neben der jeweils geforderten „beruflichen Tüchtigkeit“ auch eine „berufliche Mündigkeit“ bei den Lernenden entwickeln kann, durch die der beruflich tätige Mensch später nicht nur in der Lage ist, vorgegebenen Leistungsansprüchen gerecht zu werden, sondern gleichzeitig auch über Kompetenzen verfügt, um diese Ansprüche begründet hinterfragen, sich an der Definition bzw. Vereinbarung solcher Leistungsansprüche und an der Gestaltung der Anwendung von Technik beteiligen zu können (vgl. Rauner/Heidegger 1989). Hierfür müssen Orientierung- und Reflexionswissen einerseits sowie umfassende formale Kompetenzen andererseits entwickelt werden, die den einzelnen auch befähigen, verinnerlichte Zwänge zu erkennen und aufzulösen, gesellschaftliche Strukturen, Ziele und Prozesse in ihrer Interessenbedingtheit und in ihren Auswirkungen auf die eigene berufliche Situation reflektieren zu können, den eigenen Verhaltensspielraum zu erweitern und „Gegebenheiten, die einer solchen Entfaltung entgegenstehen, als veränderbar begreifbar zu machen und den Menschen zu befähigen, rational zu denken und zu handeln“ (Lipsmeier 1982a, S. 233). Eine solche berufliche Mündigkeit kann entstehen, wenn Kritikkompetenz vermittelt und Berufsbildung selbst als möglicher Weg zur Persönlichkeitsentwicklung ernstgenommen und „Qualifizierung als Persönlichkeitsbildung“ (Bojanowski u. a. 1991) gestaltet wird. Für eine kritisch-konstruktive Didaktik beruflicher Bildung folgenreich ist dabei seit einiger Zeit, dass „das neue Modernitätsverständnis betrieblicher Rationalität“ (Harney 1992) Persönlichkeitsentwicklung und Bildung nicht mehr nur ablehnt und als den betrieblichen Rationalitäts- und Optimierungsstrategien gegenläufige Anliegen „bekämpft“. Feststellbar ist vielmehr, wenn auch erst in Ansätzen und noch keineswegs „auf breiter Front“, eine Annäherung des ökonomisch Möglichen an das pädagogisch Nötige. Auf diese „konvergenten Entwicklungen“ (Arnold 1991, S. 12), die durch den Einzug von Begriffen, wie „Schlüsselqualifikation“ und „erweiterte Qualifizierung“, in die Praxis der beruflichen Aus- und Weiterbildung sichtbar wurden, muss sich auch eine zeitgemäße Didaktik beruflicher Bildung einstellen. In diesem Sinne knüpft z. B. Reetz mit seiner Theorie der Schlüsselqualifikation an die Persönlichkeitstheorie von H. Roth an, dem es darum ging, „Sachkompetenz und intellektuelle Mündigkeit“, „Sozialkompetenz und soziale Mündig-

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keit“ sowie „Selbstkompetenz und moralische Mündigkeit“ als Bildung zu vermitteln, wobei diese Persönlichkeitstheorie seines Erachtens deutlich zeigt, „(...) dass die im Konzept der Schlüsselqualifikationen thematisierten Dimensionen und Systeme der Persönlichkeit in einem interdependenten Zusammenhang stehen“ (Reetz 1990, S. 22). Die Vermittlung einer so verstandenen Schlüsselqualifizierung stellt sich demnach als eine neue Bezeichnung für das dar, was früher als „Bildung“ bzw. genauer: als Persönlichkeitsbildung konzipiert worden war. Das Konzept der Schlüsselqualifizierung kann dem didaktischen Handeln somit neue Perspektiven eröffnen. Seine Umsetzung kann den traditionellen Gegensatz zwischen Allgemeinbildung und Berufsbildung zumindest didaktisch aufweichen, wenn gleichwohl auf bildungspolitischer Ebene dann immer noch genug zu tun bleibt. Unübersehbar ist, dass sich die Informatisierung und die Technologisierung von Produktion und Dienstleistung als eine „widersprüchliche Entwicklung“ (Schmidt 1989, S. 233) vollziehen, mit paradoxen Auswirkungen auf die Qualifikationsanforderungen an die Beschäftigten: Die Qualifikationen der (zukünftigen) Beschäftigten sollen angepasst werden an Situationen, die offen sind und für deren Gestaltung es gerade keine „passenden“ Lösungen gibt. Diese offenen Situationen erfordern – auch wenn die beteiligten Betriebe es häufig in letzter Konsequenz noch nicht wahrhaben wollen – in zunehmendem Maße eine Qualifizierung durch Bildung, d. h. „die Anforderungen der Arbeitswelt (schlagen) in Anforderungen an die freie Entwicklung der Persönlichkeit (um) (...), Berufsausbildung (muss), gerade weil sie sich an den Anforderungen der Arbeitswelt orientiert“ – und hierin liegt das Paradoxon der Schlüsselqualifikationen – „mehr und mehr allgemeine Persönlichkeitsbildung werden!“ (Brater u. a. 1988, S. 43). Diesem Anspruch versucht die berufliche Bildung durch die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen im Rahmen eines handlungsorientierten Lernens (vgl. Pätzold 1992) Rechnung zu tragen. Vor diesem Hintergrund sollen nun zentrale berufspädagogische Kategorien bezüglich ihres potentiellen Beitrags für didaktisches Handeln ausgeleuchtet werden.

2. Berufspädagogische Kategorien Als berufspädagogische Kategorien werden im Folgenden die Gesichts- und Bezugspunkte bezeichnet, die bei einer auf den Bereich der Berufsbildung bezogenen Konzeptualisierung der Bereiche und Ebenen didaktischen Handelns Berücksichtigung finden müssen. Es handelt sich bei diesen Kategorien um grundlegende Positionen sowie Themen und Ergebnisse der berufspädagogischen Diskussion, die von grundlegender Bedeutung dafür sind, wie in unserer Gesellschaft didaktisches Handeln in der Berufsbildung theoretisch entworfen, gedeutet und erklärt sowie praktisch gestaltet wird. Solche grundlegenden Kategorien sind der Bildungsbegriff, der Begriff der Arbeit, der Betrieb (als sozialer Ort der Arbeit), der Beruf, die Qualifikation, die Ganzheitlichkeit und die Verantwortung.

2.1. Bildung Der Bildungbegriff war in seiner neuhumanistischen Prägung für die Berufsbildung historisch gesehen mit einer bildungstheoretischen und bildungspolitischen Abwertung verbunden, deren Auswirkungen bis in unsere Zeit hinein das Ansehen der berufsbildenden Ein-

Berufspädagogische Kategorien didaktischen Handelns

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richtungen und den gesellschaftlichen Stellenwert der in ihnen erwerbbaren Abschlüssen als „zweitrangig“ prägt. Auch der heute feststellbare Bedeutungsverlust der dualen Berufsausbildung infolge eines geänderten Nachfrageverhaltens vieler Jugendlicher, die – in realistischer Abwägung ihrer Bildungs- und Aufstiegschancen – weiterführende Bildungsgänge einer Ausbildung im dualen System vorziehen, ist u. a. eine Langzeitfolge dieses unterschiedlichen Prestiges von Berufsbildung einerseits und Allgemeinbildung andererseits. Berufsbildungshistorisch liegt die Bedeutung der sogenannten „klassischen Berufsbildungstheorien“ darin, dass sie darum bemüht waren, diese unterschiedliche Wertigkeit von Allgemeinbildung und Berufsbildung bildungstheoretisch in Frage zu stellen und die Bildungswirkungen der Berufsbildung aufzuweisen. Für diesen Versuch steht der Reformpädagoge Georg Kerschensteiner (1854–1932) mit seiner klassischen „Pfortenthese“: „Die Berufsbildung steht an der Pforte zur Menschenbildung“ (Kerschensteiner 1954, S. 48). Die mit dieser Formel markierte Frontstellung gegen den übermächtigen und sozialhistorisch sowie sozialpsychologisch mit der gesellschaftlichen Situation des Bürgertums ganz ursächlich verbundenen Begriff der Allgemeinbildung als Grundlage sittlicher Menschenwerdung wurde in den nachfolgenden Jahrzehnten insbesondere von Eduard Spranger (1882–1963), Aloys Fischer (1880–1937) und Theodor Litt (1880–1962) ausgebaut und differenziert und markierte bis weit nach 1945 das Selbstverständnis von Berufsschule und beruflicher Bildung. Während Sprangers Akzentuierung der „Berufsbildungstheorie eher in der neuhumanistischen Begründung der Berufsschule lag, bemühten sich Fischer – in der Rezeption zu Unrecht weniger wirkungsvoll – und nach 1945 auch Theodor Litt um eine realistischere Sicht der Bedingungen (moderner industrieller) Erwerbsarbeit (vgl. zusammenfassend: Röhrs 1967; Müllges 1967; Arnold 1994; Stratmann 1999; Lange/Harney/Rahn/Stachowski 2001. Allerdings waren diese Bausteine der erst nach 1945 so genannten „Berufsbildungstheorie“ Modifikationen, Spezifikationen und Differenzierungen des von Kerschensteiner intendierten Grundansatzes und reproduzierten dadurch auch deren zentrale Schwäche, die u. a. darin gesehen werden kann, dass Kerschensteiner primär gesellschaftliche, soziale und ökonomische Probleme der Gesellschaft „mit Hilfe der Grammatik sozial-konservativer Ordnungsvorstellungen“ (Stratmann 1988, S. 579) lösen wollte. Neben diesem „ideologischen Sündenfall“ waren die klassischen Berufsbildungstheorien noch durch zwei weitere Ideologien geprägt: Zum einen transportierten sie die Vorstellung einer handwerklich geprägten Berufs- und Arbeitswelt, die durch die real bereits vorherrschenden Industrialisierungs- und Proletarisierungstendenzen nachdrücklich dementiert wurde (vgl. Litt 1947), zum anderen waren die Versuche zur Aufwertung der Berufsbildung selbst unbewusst dem Ideal und der Maßstabsfunktion des Allgemeinbildungsideals verpflichtet: Es sollte nachgewiesen werden, dass auch die Berufsbildung den Erwartungen, die an eine Allgemeinbildung gerichtet werden, entsprechen kann; die ausschließliche Gültigkeit dieses Maßstabes sowie die gesellschaftlich vorherrschenden materialen Allgemeinbildungskonzeptionen wurden selbst nicht infrage gestellt. In neuerer Zeit finden sich – vor dem Hintergrund der sich rasant wandelnden Qualifikationsanforderungen im Zusammenhang mit der Einführung neuer Technologien und neuer Formen der Arbeitsorganisation – immer häufiger auch Vorstellungen, die einerseits seit Ende der 60er Jahre die Gleichwertigkeit von Berufs- und Allgemeinbildung berufsbildungspolitisch postulieren und durch Strategien stärkerer Durchlässigkeit des Bildungssystems zu realisieren suchen (vgl. Harney/Zymek 1994; Bruchhäuser 2000; Backes-Haase 2001). Andererseits wird auch von den arbeitsweltlichen Bedingungen her eine Konver-

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genz von Allgemeinbildung und Berufsbildung sowie die Erosion nur-fachlicher Berufsbildung konstatiert (vgl. u. a. Arnold 1994). In diesem Sinne haben bereits 1988 Michael Brater u. a. Befunde industriesoziologischer Forschungen zu der starken These verdichtet, dass „heute an vielen Stellen die Anforderungen der Arbeitswelt umschlagen in Anforderungen an die freie Entwicklung der Persönlichkeit (...)“ und dass „(...) Berufsausbildung, gerade weil sie sich an den Anforderungen der Arbeitswelt orientiert, mehr und mehr allgemeine Persönlichkeitsbildung werden muß. (...) Berufsbildung wird zu demjenigen Ort, an dem wesentliche Inhalte der alten «Allgemeinbildungsidee» verwirklicht werden können“ (Brater u. a. 1988, S. 44f.). Letztens schließlich ist jenseits des Wandels arbeitsweltlicher Bedingungen auch der produktionstechnische sowie der qualifikatorische Wandel zu sehen, der zunehmend eine moderne Interpretation des Bildungs- und Berufsbildungsbegriffes im Kontext der Debatten um lebenslanges Lernen erfordert und das Begriffspaar Bildung und Berufsbildung in den umfassenderen Kontext der Entwicklung zu wissensbasierten Gesellschaften stellt (vgl. etwa Laur-Ernst 2001).

2.2. Arbeit Die Arbeit im Sinne einer zweckmäßigen und bewussten Tätigkeit zur Lösung materieller wie geistiger Existenzanforderungen der Menschen ist eine anthropologische Grundkonstante (vgl. Conze 1972). Als gesellschaftliches Phänomen und damit als gesellschaftlich vermittelter Typ sozialen Handelns und zentraler Faktor der Vergesellschaftung ist die Arbeit vor allem eine soziologische Kategorie, obgleich es in der berufspädagogischen Diskussion stets auch Bemühungen um die Entwicklung eines pädagogischen Begriffs von Arbeit gegeben hat (z. B. bei Kerschensteiner). Und auch die Ansätze einer „arbeitsorientierten“ Berufs- oder Erwachsenenbildung (u. a. Faulstich 1981; Lisop/Huisinga 1984) basieren auf einem berufspädagogisch akzentuierten Begriff von Arbeit. Schon die so genannte „Arbeitsschule“ der Industriepädagogik des 18. Jahrhunderts, eine vom Merkantilismus und Kameralismus des absolutistischen Staates hervorgebrachte Erziehung zur und in der Arbeit, hatte die zentrale pädagogische Funktion der Arbeit erkannt und in gewissem Sinne die späteren Konzeptionen zur Arbeits- und Produktionsschule vorweggenommen (Kerschensteiner, Blonskij u. a.). Von diesen Konzeptionen führen historische Bezugslinien ebenso zu dem amerikanischen Sozialphilosophen John Dewey (1859–1952) (didaktisches Prinzip des „learning by doing“ im Kontext des Theorie-Praxis-Bezugs) wie zur kontinentalen und insbesondere zur deutschen Reform- und Arbeitspädagogik (vgl. vor allem die industrielle „Produktionsschule“ sozialistischer bzw. marxistischer Prägung bei Anna Siemsen [1882–1951], Paul Oestreich [1878–1959] und Pavel Petrovic Blonskij [1884– 1941]). Die Erkenntnis der Bedeutung der Arbeit als zentrale „Funktion der Berufserziehung“ (Schlieper 1963, S. 152 und 167) belegt nicht nur die gerade in dieser Hinsicht grundsätzliche Frontstellung gegen neuhumanistisches Gedankengut, sondern – mit Bezug auf Kerschensteiners Definition des Arbeitszweckes als „Vollendung eines Werkes“ (Kerschensteiner 1931, S. 451f.) – auch deren erzieherische und bildnerische Wirkung. Die berufspädagogische Aktualität des Themas Arbeit ist unbestritten (vgl. Lipsmeier 1982b, 1989b). Zwar wird in der sozialwissenschaftlichen Zeitdiagnostik seit einigen Jahren darüber nachgedacht, ob nicht sogar ein „Ende der Arbeitsgesellschaft“ bevorstehe, aber eine derart radikale These muss ganz offenbar nach wie vor mit einem Fragezeichen versehen werden, will sie wissenschaftlich ernst genommen werden (Matthes 1983; Dah-

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rendorf 1983), zumal insbesondere die identitätsstiftende Bedeutung der Arbeit in der durch Individualisierungsprozesse gekennzeichneten (post)modernen Gesellschaft in vielen Bereichen eher zu- als abzunehmen scheint: Auch im Zuge zunehmender Individualisierungstendenzen der modernen Gesellschaft erweist sich Arbeit nach wie vor als wichtiger Identitätsbaustein des modernen Menschen (Arnold 1986), der allerdings einer doppelten Bedrohung ausgesetzt ist: Auf der einen Seite verwehrt die anhaltende Massenarbeitslosigkeit den Menschen den Zugang zu Arbeitschancen (vgl. Pätzold/Wahle 2000, S. 532ff.), andererseits verändert sich der Charakter der (noch) vorhandenen Erwerbsarbeit dramatisch (vgl. Dettling 2000), was sich in zunehmender „Fluidität der Arbeitsverhältnisse“ (Kocka/Offe 2000, S. 11) auswirkt: Das Ende lebenslanger Arbeit in einem Beruf, die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses, die durch den Globalisierungsprozess beschleunigte Flexibilisierung und Fragmentierung von Arbeitsverläufen bewirken ein hohes Maß individueller Unsicherheiten, welche nicht nur arbeitsmarkt-, beschäftigungs- und sozialpolitischen (vgl. Heinze/Streeck 2000), sondern auch erheblichen berufspädagogischen Handlungsbedarf erfordern.

2.3. Betrieb Der soziale Ort, an dem Arbeit in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft am häufigsten ausgeübt wird, ist der Betrieb im Sinne einer „hochorganisierte(n), straff koordinierte(n) technisch-wirtschaftlich-soziale(n) Leistungseinheit“ (Fürstenberg 1964, S. 178). Die jeweils konkrete Ausformung der Arbeit, der Arbeitsmittel und der Arbeitsmethoden determiniert in erheblichem Umfang das gesellschaftliche Wesen, die Zweckbestimmung und die Organisationsform von Arbeit und Beruf sowie das didaktische Handeln in der betrieblichen Ausbildung, der Berufsschule und der beruflichen Weiterbildung. Im Betrieb finden jedoch nicht alleine ökonomische Prozesse des Leistungsaustausches statt, sondern darüber hinaus auch eine Reihe von Prozessen der sozialen Interaktion und Kooperation. Nicht zuletzt ist auch die Aus- und Weiterbildung als spezifischer Interaktionstyp am „Lernort Betrieb“ eine dezidiert berufspädagogische Variante sozialen Handelns. Die Aus- und Weiterbildungsaktivitäten eines Betriebes repräsentieren Investitionsgüter, und zahlreiche Anforderungen, mit denen sich die Betriebe heute konfrontiert sehen, erfordern eine Pädagogisierung der betrieblichen Lernprozesse, mit der Folge, dass sich „(...) in den letzten Jahren in vielen Betrieben die Führungsstile und Kooperationsformen in einer mitarbeiterorientierten Weise gewandelt (haben), die einer ganzen Reihe von pädagogischen Zielen sowie gesellschaftlichen Werten entgegenkommt“ (Arnold 1990, S. 24). Schließlich – und dies ist das sozusagen disziplinspezifische Erkenntnisinteresse der Berufspädagogik – wird dem Betrieb im Rahmen des dualen Systems und trotz des oben erwähnten ökonomischen Zielkonfliktes nicht allein die Berufsausbildung, sondern auch die Aufgabe übertragen, „als Stätte der Berufserziehung“ (Schlieper 1963, S. 228) zu fungieren, weshalb den Betrieben von eher konservativen Theoretikern sogar gesetzlich fixierte „primäre Erziehungsrechte und Erziehungspflichten“ übertragen worden sind (Abraham 1978, S. 14), hinter denen der Anspruch einer öffentlichen Verantwortung in der Berufsbildung insgesamt verblasste. Darüber hinaus sollte nicht vergessen werden, dass die Kategorie „Arbeit“, vor allem in ihrer betrieblichen Verfasstheit, oft auch als Anpassungsinstrument an gesellschaftliche

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Zustände, etwa über die Funktionalisierung von Arbeitstugenden, gedient hat und sie teilweise auch für gesellschaftliche Stabilisierungsprozesse missbraucht worden ist, etwa in der NS-Zeit. Die moderne Arbeits- und Betriebspädagogik reicht über die Perspektive hinaus, die den Betriebs als Zweckorganisation und ökonomischen Leistungszusammenhang interpretiert; vielmehr integriert die berufpädagogische Sichtweise technische, (arbeits-)organisatorische und qualifikatorische Entwicklungspotenziale der Menschen im betrieblichen Zusammenhang und fokussiert insofern die „Qualifikations- und Bildungsfrage“ im Hinblick auf die betriebliche Arbeit (Tilch 1999, S. 141; vgl. ebenso Tilch 1998).

2.4. Beruf Die herausragende Bedeutung des Berufes für die Berufspädagogik wird bereits in deren Bezeichnung deutlich signalisiert: Die beruflich verfasste Arbeit in der modernen Industriegesellschaft ist der Dreh- und Angelpunkt der Disziplin (vgl. Conze 1972). Zum Verständnis der aktuellen sozialwissenschaftlichen Diskussion um die kontroverse These der Auflösung der beruflich verfassten Arbeitsgesellschaft (vgl. die Ausführungen zum Arbeitsbegriff weiter oben) sei die Entwicklungslinie zumindest angedeutet: Sie führt von einem ganz überwiegend subjektiv und ethisch geprägten Berufsbegriff des Calvinismus, der Aufklärung und des klassischen Idealismus („vocatio“) zu einem industriegesellschaftstypischen „objektiven“ Berufsbegriff, der sich unter den Bedingungen fortwährender Spezialisierung und Arbeitsteilung von den ursprünglichen Berufskonnotationen „Eignung und Neigung“ weit entfernt hat, wie etwa auch aus der klassischen Definition Max Webers deutlich zu ersehen ist: „Beruf soll jene Spezifizierung, Spezialisierung und Kombination von Leistungen einer Person heißen, welche für sie die Grundlage einer kontinuierlichen Versorgungs- oder Erwerbschance ist“ (Weber 1922, S. 80). Vor diesem Hintergrund konnte Scharmann bereits Mitte der 50er Jahre konstatieren, dass „die Entwicklung der modernen Wirtschaftsverfassung ... immer mehr zu einer Auflösung des traditionellen Berufsgedankens ... und der ihm gemäßen Arbeitsformen“ tendiere (Scharmann 1956, S. 3). Dieser von Scharmann bereits frühzeitig formulierte Befund wird bis heute – in Verbindung mit der seit 1970 einsetzenden wissenschaftlichen Debatte um die oft problematischen Übergänge zwischen Arbeit (als Tätigkeit ohne spezielle Ausbildung), Beruf (als Arbeit, die eine spezialisierte Berufsausbildung voraussetzt) und Profession (als Systematisierung und Verwissenschaftlichung des Berufswissens; Hartmann 1972) und im Gefolge der technologischen Entwicklungen und der Rationalisierungsanstrengungen insbesondere in der industriellen Produktion (vgl. Kern/Schumann 1984) –, in der neueren sozialwissenschaftlichen sowie in der – von dieser inspirierten – berufspädagogischen Diskussion unter den Begriffen „Entberuflichung“ und „Neue Beruflichkeit“ äußerst kontrovers verhandelt. Cum grano salis können die Argumentationslinien in sozialstrukturanalytische und in berufssoziologische Erklärungsmuster im engeren Sinne differenziert werden: Wird die These der Entberuflichung vor dem Hintergrund einer sozialstrukturellen Analyse untersucht, so stehen hier vor allem die Auflösungs- und Individualisierungsprozesse der Moderne und deren Auswirkungen auf die beruflich verfasste Arbeit im Vordergrund. Becks „Risikogesellschaft“ (1986) mit der ebendort formulierten „Individualisierungsthese“ sowie seinen Hinweisen auf die „Freisetzung“ und „Enttraditionalisierung industriegesellschaftlicher Lebensformen“ (ebd., S. 113) hat wie kaum eine andere Sozialstruktur-

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analyse der achtziger Jahre die sozialwissenschaftliche Diskussion beeinflusst. Bezogen auf die Beruflichkeit wird aus diesem Freisetzungs-, Enttraditionalisierungs- sowie aus dem daraus resultierenden Individualisierungsbefund auch der Verlust „der ehemaligen Sicherheiten und Schutzfunktionen“, welche der Beruf dem Individuum eröffnete, abgeleitet, obgleich es ebenfalls zahlreiche Hinweise auf eine fortdauernde oder sogar wachsende Bedeutung von Arbeit und Beruf für die Identität und die Lebensplanung des Individuums gibt. Von Seiten der Berufspädagogik, welcher das Verschwinden des Berufs aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit sozusagen gewaltsam die disziplinäre Existenz- und Legitimationsgrundlage nähme, werden die von Beck analysierten Tendenzen – zumindest bezogen auf den gesellschaftlichen Status Quo des Berufes – offenbar behutsamer im Rahmen einer „Modernisierung der Berufsbildung und ihrer Theorie“ (Kutscha 1992) diskutiert. Entberuflichung wird dabei nicht als eine realisierbare Alternative zur vorherrschenden Berufskultur angesehen, obgleich neuere berufspädagogische Konzepte, wie z. B. der Ansatz der Ganzheitlichkeit (vgl. Lipsmeier 1989a sowie weiter unten) und die Debatte über die Unternehmenskultur (vgl. Georg/Arnold 1993) gleichwohl als Anzeichen eines Wandels gewertet werden können, für den Kutscha die Bezeichnung „neue Beruflichkeit“ in die Diskussion einbringt. Seine These von der «Verberuflichung» im Sinne einer „Anpassung der Berufe an die veränderten Anforderungen des Beschäftigungssystems“ (Kutscha 1992, S. 539) stützt und bestreitet die Individualisierungsthese zugleich: Sie stützt die Freisetzungshypothese Becks insofern, als es auch für Kutscha vornehmlich die Aufgabe des Individuums bleibt, im Sinne strategischen (und das heißt auch: prospektiven) Handelns beispielsweise durch Nutzung des Angebotes der beruflichen Weiterbildung „den Aufbau neuer Beruflichkeit in der individuellen Erwerbsbiographie“ (Kutscha 1992, S. 543) zu forcieren. Sie bestreitet aber – zumindest im Hinblick auf die Frage der beruflichen Verfasstheit der Arbeitswelt – die Entberuflichung als gleichsam unabwendbare Konsequenz des gesamtgesellschaftlichen Prozesses der Enttraditionalisierung, der Freisetzung und – daraus folgend – der Individualisierung: Den risikobehafteten Folgen der Individualisierung in einer ständig und zunehmend mit größerer Geschwindigkeit sich wandelnden Gesellschaft kann der Mensch – gleichsam auf eigene Gefahr und Verantwortung – nur durch strategisches Lernen sowie insbesondere durch die gezielte Nutzung der Chancen des vorhandenen Potentials beruflicher Qualifizierungsangebote zu entgehen versuchen (vgl. Harney 1990). Insgesamt betrachtet hat die Frage der Bedeutung beruflich verfasster Arbeit weder in der neueren soziologischen Debatte über die „Berufsgesellschaft in der Krise“ (vgl. etwa: Baethge/Baethge-Kinsky 1998; Fürstenberg 2000), noch in der berufspädagogischen Diskussion an kontroverser Dynamik verloren (vgl. Rahn 2000). Nach wie vor und trotz der zweifelsfrei wachsenden Bedeutung von Schlüsselqualifikationen und Kompetenzen (vgl. hierzu weiter unten) sehen viele Soziologen und Berufspädagogen den Beruf „als konstituierende Elemente menschlicher Existenz“ (Pätzold/Wahle 2000, S. 524). So scheint – trotz der großen Vielfalt kritischer Stimmen nicht nur aus der Soziologie und der Berufspädagogik (vgl. Mayer 2000 und Geißler/Geramanis 2001) – die These des Wandels der Beruflichkeit zunehmend an Plausibilität zu gewinnen (zur Begründung einer dezidiert berufspädagogischen Perspektive vgl.: Kurtz 2000). Die Begründungsansätze für diesen Prozess des Wandels der Beruflichkeit (Gonon 2001) bzw. auch der „Transformation“ (Fürstenberg 2000) sind vielfältig. Insbesondere aus berufspädagogischer Sicht allerdings hat die Beruflichkeit jedoch eher an Bedeutung gewonnen, wenn

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diese mit Gonon konzeptionell von den Bedingungen der Arbeitswelt entkoppelt und als pädagogisches Konzept gefasst wird, dessen „Sogwirkung“ darauf beruht, „dass es betriebliche Aus- und Weiterbildungsbedürfnisse und schulische, an Wissenschaften, Fachwissen und Technik ausgerichtete Leistungsanforderungen zusammenführt und in einen Ordnungsrahmen einfügt“ (Gonon 2001, S. 412).

2.5. Qualifikation, Schlüsselqualifikation und Kompetenz In der berufspädagogischen Diskussion der zurückliegenden Jahre wurden „Bildung und Qualifikation“ nicht synonym verwendet. Man hielt vielmehr bewusst an einer Abgrenzung fest und betonte den strukturellen Gegensatz zwischen Bildung einerseits und Qualifikation andererseits, wobei bis zum heutigen Tage immer wieder die tatsächliche oder vermeintliche Eingrenzung von Selbstständigkeit und Selbsttätigkeit in einem auf „Qualifikation“, d. h. auf Arbeitsmarkt und Beruf gerichteten Lernen kritisiert wird. So wirft Jochen Kade 1983 die Frage „Bildung oder Qualifikation?“ auf und begründet aus einer Analyse der „Gesellschaftlichkeit beruflichen Lernens“ seine Oder-Perspektive wie folgt: Während Qualifikation „menschliche Entwicklung in das Prokrustesbett abstrakter Zweck-MittelRationalität“ presst (Kade 1983, S. 866), ist Bildung „ein notwendiges Moment nicht entfremdeter individueller Subjektivität, der Kraft und Fähigkeit, gesellschaftlich abgesteckte Lebens- und Arbeitsmöglichkeiten sich anzueignen und neue für sich und die anderen zu entdecken und zu gestalten“ (ebd., S. 867). Qualifikation wird hier also als Nicht- oder gar Antibildung konzeptualisiert, wobei deutlich wird, dass der pragmatische Qualifikationsbegriff die Tendenzen einer Abwendung der Erziehungswissenschaft von den Bereichen eines beruflichen oder berufsorientierten Lernens eher verstärkt als abgebaut hat. Die Individualisierung der Lebenslagen bedeutet zwangsläufig auch eine Individualisierung des mit dem Erwerb von Qualifikationen verbundenen Risikos. Mertens sprach bereits 1984 im Zusammenhang mit dem Phänomen, dass der Erwerb eines hohen Qualifikationsniveaus im Sinne einer „Eintrittskarte“ in das Beschäftigungssystem einerseits immer entscheidender werde, dass der Erwerb einer hohen formalen Qualifikation jedoch andererseits immer weniger diesen Eintritt garantieren könne, treffend von einem „Qualifikationsparadox“ (Mertens 1984). Und zumindest dies ist tatsächlich einigermaßen sicher: Auch wenn „der Begriff des Berufs ... in dynamischen Gesellschaften nicht mehr den Inhalt oder die Anforderungen einer Position im Erwerbsleben“ (Mertens 1974, S. 38) widerspiegeln sollte, so ist zumindest der sozusagen substitutive Erwerb von Qualifikationen (hier verstanden als: Fertigkeiten bzw. „menschliche Fähigkeiten, die im Hinblick auf die technologischen Erfordernisse gegebener Arbeitsprozesse entwickelt worden sind“; Dahrendorf 1956, S. 549), insbesondere von so genannten „Schlüsselqualifikationen“, für die zukünftige Arbeitsqualifikation bedeutsamer denn je, da sie nicht unmittelbar auf gegebene Arbeitsplätze ausgerichtet sind. Obwohl dieses Mertens’sche Konzept der Schlüsselqualifikation nicht als eine gleichsam revolutionäre Neuerung in der bildungs- und berufsausbildungspolitischen Diskussion angesehen werden kann – erinnert sei hier etwa an die frühe Dahrendorf’sche Unterscheidung von funktionalen und extrafunktionalen Fertigkeiten (Dahrendorf 1956) sowie an die mit der Differenzierung zwischen prozessabhängigen und prozessunabhängigen Qualifikationen auf den gleichen Sachverhalt zielende Studie Kern/Schumanns (1984) – wurde der Ansatz in der Folge zu einem der zentralen begrifflichen und konzeptionellen Kern-

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und Angelpunkte sowohl der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung als auch der Berufspädagogik und hier besonders der Didaktik. Das Konzept der Schlüsselqualifikation wurde dies nicht allein wegen seines dynamischen Bedeutungsgehaltes, sondern auch aufgrund der umfassenden Verwendbarkeit des Begriffes der Qualifikation in seinem universalistischen Grundgedanken. Qualifizierung wird im Sinne der „Vermittlung der Fähigkeit von Problembewältigung“ sowie im Hinblick auf die Ermöglichung „eine(r) Existenz in der modernen Gesellschaft“ (Mertens 1974, S. 37) also eine denkbar universalistische, sozusagen gesellschaftspolitische Größe, die in ihrem Anspruch weit über das bis dahin in der berufspädagogischen Diskussion verankerte Denken hinausgeht: „Auch berufliche Bildung am Arbeitsplatz vermittelt gesellschaftliche Verhaltenseffekte, ebenso wie gesellschaftspolitische und andere Bildungsinhalte auch die berufliche Qualifikation beeinflussen“ (Mertens 1974, S. 37). Eine in dieser Weise verstandene Berufspädagogik erhebt auch Anspruch auf die Vermittlung (berufs-)pädagogischer Gestaltungspotenziale für die außerbetrieblich und damit außerhalb des Produktionsprozesses stattfindenden Interaktionsformen: Es geht also auch in der Berufsausbildung um die Vermittlung von Bildung (im Sinne umfassender Orientierungshilfen sowie der Vermittlung von Handlungs- und Sozialkompetenz) ebenso wie um die individuelle Erziehung und die gesellschaftliche (und nicht mehr ausschließlich: die berufliche) Sozialisation (vgl. zur beruflichen Sozialisation insbesondere: Heid/Lempert 1982), in deren Prozess zentrale gesellschaftspolitische Eckdaten unseres Wertesystems (Humanisierung, Demokratisierung und Partizipation) vermittelt werden sollen. Und auch bildungstheoretisch ist dieser Ansatz in gewisser Weise eine neue Variante von «Allgemeinbildung», insofern zwar auf die berufliche Bildung (konkret gesprochen: die Ausbildung beruflicher Fähigkeiten und Fertigkeiten im Sinne einer unmittelbar am Arbeitsplatz anwendbaren Spezialbildung) keineswegs verzichtet wird, aber darüber hinaus weitere Fähigkeiten, Orientierungs- und Sozialkompetenzen vermittelt werden sollen, die über die spezifischen Arbeitsplatzbedingungen hinaus und sogar in der sozialen Lebenswelt ganz allgemein von Bedeutung sind. Aus ganz ähnlichen Gründen, die in den 70er Jahren für die Karriere des Konzepts der Schlüsselqualifikation – sozusagen als konzeptioneller Gegenentwurf zur traditionellen, rein berufsfachlichen Ausbildung – sorgte, erwächst in der berufspädagogischen Debatte quasi als konsequente Fortführung der Diskussion um die Tragfähigkeit des Berufskonzeptes (s.o.) und insbesondere um die Schlüsselqualifikationen in der beruflichen Bildung die Auseinandersetzung um den Kompetenzbegriff (vgl. etwa Clement/Arnold 2002), die übrigens auch mit sehr ähnlichen Argumenten geführt wird wie seinerzeit bei der Entdeckung der Schlüsselqualifikationen: Während diese nämlich das klassische Qualifizierungsprofil der Berufsaus- und Fachbildung in die unspezifischere, polyvalent produzierbare und verwertbare Qualifikation ausweitete, ist der Kompetenzbegriff neben Anderem auch als Ausweitung des Qualifikationsansatzes interpretierbar. Damals wie heute nämlich geht es um die berufpädagogische Grundsatzfrage, welche Qualifikationen für die Erreichung des Ziels „berufliche Handlungskompetenz“ erforderlich sind und mit welchen Mitteln bzw. Methoden diese zu erzielen sind. Die Karriere des Kompetenzkonzeptes basiert vermutlich auf der Unzulänglichkeit seiner Präzedenten. Denn diese (einschließlich des Kinzepts der Schlüsselqualifikationen) interpretieren berufliches Lernen als „sachverhaltszentriert(es)“ (Arnold 1997) Qualifikationslernen, welches Problemlösungsstrategien für konkrete situative Anforderungen und Arbeitsaufgaben so-

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wie für unmittelbar tätigkeitsbezogene Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten vermitteln soll. Der Kompetenzbegriff – schon vom Deutschen Bildungsrat anno 1970 und auch in der anschließenden wissenschaftlichen und bildungspolitischen Diskussion in seiner gleichsam berufspädagogischen Spielart der „Handlungskompetenz“ als Zielkategorie beruflicher Bildung verwendet – umfasst zugleich mehr und weniger als berufliche Fähigkeiten und Fertigkeiten, insofern er diese integriert, ohne sich jedoch damit zu begnügen. „Kompetenz“ bezeichnet zunächst ganz allgemein die „Fähigkeit einer Person, Anforderungen in bestimmten Bereichen zu entsprechen“ (Schaub/Zenke 2000: 326) und rekurriert insofern auf das (berufliche) Handlungsvermögen einer Person in sozialen Handlungsbezügen und -kontexten. Insoweit ist der aus der Erwachsenenpädagogik (vgl. hierzu: Vonken 2001) abgeleitete „Kompetenzbegriff subjektorientiert“ und prinzipiell ganzheitlich ausgerichtet, weil er „nicht nur inhaltliches bzw. fachliches Wissen und Können, sondern auch außerfachliche bzw. überfachliche Fähigkeiten“ umfasst (Arnold 2001) und dabei auch das nicht formelle und non-formale Lernen mit einschließt (vgl. BMB+F 2001). Kompetenz beschreibt also im Gegensatz zur subjektunabhängigen Qualifikation jenes subjektive Handlungspotential, das in nicht direkt bildungsbezogenen und organisierten Lernprozessen erworben wird. Daher stehen die Begriffe Beruf/Qualifikation und Kompetenz in einem engen Zusammenhang, sie verweisen indes auf jeweils verschiedene Aspekte des subjektiven Handlungspotentials und ergänzen einander. Der Aufbau subjektiven Handlungspotenzials im Kontext der beruflichen Bildung zielt dabei auf den Aufbau beruflicher Handlungskompetenz, die Reetz (1999, S. 245) als „das reife und entwickelte Potential beruflicher Fähigkeiten“ definiert, „das es dem Individuum erlaubt, den in konkreten beruflichen Situationen gestellten Leistungsanforderungen entsprechend zu handeln“.

2.6. Ganzheitlichkeit Das übrigens keinesfalls neue (vgl. Kipp 1992) Postulat der „Ganzheitlichkeit“ (vgl. Lipsmeier 1989a) in der Berufsausbildung zielt im Ansatz auf die Zurückdrängung des eindimensionalen Lernens zu Gunsten der Berücksichtigung komplexerer und umfassenderer Inhalte und Lernansätze (vgl. Herkner 2001; vgl. grundlegend: Ott 1995 und 2001). Dieses weit in die Wissenschaftsgeschichte zurückreichende Konzept hat jedoch auch eine spezifische (berufs-)pädagogische Tradition (vgl. Stier 2003): Denn nichts anderes als eben dieser Grundgedanke der Ganzheitlichkeit menschlichen Handelns – und damit auch des Zusammenhangs von Arbeiten und Lernen – war eines der wesentlichen Konstitutionsprinzipien zentraler berufspädagogischer Ansätze. In der Tradition der Berufspädagogik verankerte Bezüge zu ganzheitlichen Denkansätzen können vor allem auf der Ebene der Bildungstheorie (1), der Lernpsychologie (2) und der Produktionstechnologie (3) ausgemacht werden. 1. Bildungstheoretisch wurde dabei vor allem „der Neuhumanismus zu einem Kulminationspunkt der Legitimation von Ganzheitlichkeit“ (Lipsmeier 1989a, S. 139), in dessen Gefolge die berufspädagogischen Gründungsväter (Georg Kerschensteiner [1854– 1932], Eduard Spranger [1882–1937] und Aloys Fischer [1880–1937]) mit dem Ziel der Überbrückung der „Kluft zwischen Arbeit und Bildung“ (vgl. Fischer 1924/26) nun auch ihrerseits die Bildung des ganzen Menschen forderten.

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2. Auch die zweite, auf den Lernprozess bezogene Ebene der lernpsychologischen Betrachtung der Kategorie der Ganzheitlichkeit soll zumindest in ihren Konturen angedeutet werden: Dazu zählt die Entwicklungs- und Kognitionstheorie von Piaget (Piaget 1976), Vesters Forderung nach „vernetztem Denken“ als ganzheitlicher Lernform (Vester 1987), die auf der humanistischen Psychologie Kurt Lewins basierende humanistische Pädagogik nach Carl Rogers und Arthur Combs sowie – nicht zuletzt – das auf der materialistischen Tätigkeitspsychologie (Leontjew, Rubinstein) fußende „Konzept des handlungsorientierten Lernens“ im Sinne der Handlungsstrukturtheorie bzw. der Handlungsregulationstheorie nach Volpert (1983). Gerade vor dem Hintergrund der spezifischen „Verfasstheit beruflichen Lernens“ und der „Strukturiertheit beruflicher Lernorganisation im dualen System“ (Lipsmeier 1989a, S. 143), aber auch angesichts der weiter oben dargestellten, gleichsam von ihren institutionellen Rändern her ausfransenden Wirklichkeit der Berufs- und Arbeitswelt liegt die zentrale fachlichtheoretische wie auch die berufsausbildungspraktische Relevanz der Kategorie «Ganzheitlichkeit» klar auf der Hand. 3. Dieser Befund wurde in ähnlicher Form auch für die produktionstechnische Seite in der bereits mehrfach erwähnten Studie von Kern und Schumann bestätigt: Auch deren industriesoziologische Untersuchung konstatierte für die Phase der „Neoindustrialisierung“ einerseits, dass die „Technisierung lebendiger Arbeit nicht per se das wirtschaftliche Optimum“ erbringe und dass andererseits „im ganzheitlichen Aufgabenzuschnitt ... keine Gefahren für die Produktivität, sondern Chancen“ zu sehen seien (Kern/Schumann 1984, S. 19; vgl. ganz ähnlich: Fricke/Krahn/Peter 1985). Wenig erstaunlich ist es daher, dass dieser umfassende produktionstechnische Wandlungsprozess bereits seinen berufsbildungspolitischen Niederschlag auf allen Ebenen gefunden hat (Neuordnung der Metallberufe mit den Zielen „selbstständiges Planen, Durchführen und Kontrollieren“; KMK-Rahmenlehrplan mit dem Ziel der Entwicklung von Urteilsvermögen und Handlungsfähigkeit in beruflichen und außerberuflichen Bereichen laut Beschluss der KMK vom 7.1.1987; Forderung nach einem „ganzheitlich gebildete(n) Mitarbeiter“ durch die Arbeitgeberseite [DIHT/Gesamtmetall/ZVEI 1986]). Dementsprechend finden sich solche integrativ-ganzheitliche Ausbildungsstrategien im Sinne „integrativer Lehr- und Lernverfahren“ sowie der „Erweiterung des Lernspielraums und Eigeninitiative der Auszubildenden“ (BMBW 1981, 1982 und 1986) auf ganz unterschiedlichen Handlungsfeldern der beruflichen Aus- und Weiterbildung. Beispielhaft seien für die betriebliche Berufsausbildung die Leittextmethode, die Qualitätszirkel und die Lernstatt genannt sowie an die Neuordnung der Metall- und Elektroberufe in den ausgehenden 80er Jahren erinnert, bei deren Entwicklung die Forderung nach ganzheitlicher Orientierung ebenfalls zentrale Bedeutung besaß („selbstständig planen, durchführen und kontrollieren“). Auch in der schulischen Berufsbildung findet sich dieses Ziel der ganzheitlichen Orientierung in der Diskussion ganz unterschiedlicher Problemfelder an zentraler Stelle wieder: So etwa im Zusammenhang mit der Forderung nach Handlungsorientierung (vgl. Pätzold 1992), im Kontext der Lernfelddiskussion, ferner der Lernortkooperation und weiterhin im Zuge der Forderung nach einer arbeitsprozessorientierten Berufsbildung in Schule und Betrieb. Im Hinblick auf die didaktisch-methodische und curriculare Aufgabe, die aus dem Postulat der ganzheitlichen Bildung erwächst, haben mit der berufspädagogischen Modulierung der Ropohl’schen Systemtheorie (vgl. etwa: Ropohl 1979) insbesondere im Hinblick auf eine systemtheoretisch orientierte Technikwissenschaft bereits wissenschaftstheoretisch

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abgeleitete (Systemtheorie der Technik) integrative und systemtechnisch (nicht: rein sozialtechnokratisch) konstruierte Modelle und Konzepte (Unterscheidung durch die System-Trias „Sach-, Handlungs- und Zielsystem“) Eingang in die didaktische Diskussion gefunden (vgl. Pukas 1988; Lipsmeier 1989a sowie den Beitrag von Lipsmeier im vorliegenden Handbuch).

2.7. Verantwortung als berufspädagogische Kategorie Ein solches ganzheitlich definiertes Selbstverständnis der Berufspädagogik in der didaktischen und curricularen Strukturierung würde auch – in einer zunehmend komplexeren, globalisierten und vernetzten Welt (vgl. Castells 2004) – dem zentralen (berufs-)pädagogischen Ansatz der gesellschaftlichen und der individuellen Verantwortung Rechnung tragen. Gerade der umfassende Anspruch einer ganzheitlich orientierten und konzipierten Berufspädagogik setzt die Disziplin in den Stand, nicht allein Antworten auf den technologischen Systemwandel zu finden, sondern – in einem weit umfassenderen Sinne – auch denjenigen Herausforderungen gut gewappnet zu begegnen, die sich aus dem sozialen und sozialstrukturellen Wandel der Gesellschaft sowie aus den kommunikativen, ökonomischen und politischen Aufgabenstellungen ergeben, mit denen die moderne Gesellschaft zunehmend unausweichlicher konfrontiert ist. Dieser berufspädagogische Anspruch erzieherischer und (damit zugleich) gesellschaftspolitischer Intervention und pädagogischer Prävention wird in der Fachliteratur seit etwa Mitte der achtziger Jahre – initiiert von der auf Piaget (Piaget 1973) fußenden kognitionspsychologischen Theorie Lawrence Kohlbergs (Kohlberg 1984) und legitimiert mit der sozialwissenschaftlichen Ethik-Debatte (vgl. Luhmann 1978) sowie der Theorie des Wertewandels (vgl. Klages/Kmieciak 1984) – unter dem Begriff der Moral als zentraler Dimension sozialen Handelns diskutiert (vgl. den Forschungs- und Literaturbericht von Lempert 1993). In Anlehnung an Luhmann definiert Lempert Moral als „soziale Regulation, Koordination und Bewertung von Handlungen anhand von Normen, die zwar im konkreten Einzelfall nicht immer eingehalten, gleichwohl aber prinzipiell als richtig angesehen werden“ (Lempert 1993, S. 9). Aus dieser soziologischen Definition leitet Lempert die berufspädagogische Kategorie der „moralischen Erziehung“ ab, deren sozusagen lernzielorientierte Operationalisierung in den Begriff der „moralischen Kompetenz“ als „Fähigkeit, ..., für Konflikte Lösungen zu finden, auf die sich alle Betroffenen einigen können“, einmündet (Lempert 1988, S. 12; für die fachdisziplinäre Historie der Diskussion um Moral als Kategorie der Berufspädagogik vgl. Lempert 2001). Allerdings muss in diesem Zusammenhang auch daran erinnert werden, dass in der berufspädagogisch traditionsreichen Kategorie der Arbeitstugenden durchaus Elemente vorhanden sind, die konkretes Ausbildungsgeschehen nicht nur befruchtet, sondern auch belastet haben und die im Berufsbildungsgesetz von 1969 in der nebulösen Zielformel der Charakterbildung (§ 6,1 Satz 5) eingefangen worden und bis heute enthalten sind. Ansätze zur Förderung moralischer Kompetenz in der betrieblichen Aus- und Weiterbildung wurden bereits 1992 beispielsweise bei Mercedes Benz auf den Weg gebracht (vgl. Treiber 1994) und bis heute verstärkt und differenziert, wobei hier eine deutliche Akzentuierung auf den umweltpolitischen Aspekt zu verzeichnen ist (vgl. etwa: Drees/Pätzold 2002; Faber 2002). Neben dieser auf die individuelle Handlungskompetenz im betriebli-

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chen Kontext zielende Kategorie eines verantwortungsbewussten moralischen Handelns eröffnet sich für die Berufspädagogik auch auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene ein anspruchsvolles Betätigungsfeld. Dies zeigt sich auf kaum einem anderen Gebiet so deutlich wie auf jenem der ökologischen Verantwortung (vgl. bereits früh: Franzke 1985, neuerlich: Bonz/Nickolaus/Schanz 2002 sowie einführend: Bonz/Schanz 2002). Im Angesicht des Risikopotentials gerade der Hochtechnologien ist, wie Beck unter der Überschrift „Ökologie als moralischer Jungbrunnen“ konstatiert, „die Erfindung von Institutionen, die eine ökologische Erneuerung der Moderne ermöglichen und Technik konsensfähig machen, ..., längst zu einer Schlüsselfrage der gesellschaftlichen, politischen, der wirtschaftlichen, technologischen (und, wie die Verfasser im Lichte des Postulates der Ganzheitlichkeit ergänzen möchten, auch der berufspädagogischen und der berufsausbildungspolitischen) Entwicklung geworden“ (Beck 1993, S. 25). In der neueren Diskussion erhält die Kategorie der Verantwortung und der Moral sowie insbesondere der damit verwobene ökologische Aspekt in der Berufspädagogik (vgl. Beck 2002) eine weit umfassendere Rahmung, indem das Postulat der „Nachhaltigkeit“, das in seiner Wirkung weit über umweltpolitische Fragestellungen hinausgeht, als zentrales Prinzip in die berufspädagogische Theorie und Praxis ebenso wie in die betriebliche und (berufs-)schulische Realität integriert wird (vgl. im Überblick: BMB+F 2003 sowie Fingerle 2002).

3. Didaktisches Handeln und die Bereiche beruflicher Bildung Wird das didaktische Handeln, wie hier vorgestellt, als Leitbegriff einer handlungsorientierten Berufspädagogik konzeptualisiert, so kann man nicht umhin, die einzelnen Ebenen und Kontexte dieses Handelns ebenfalls einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Damit wird eine bereichsspezifische Konkretisierung anvisiert, die die vorstehend hervorgehobenen „berufspädagogischen Kategorien“ praxis-, handlungs- und gestaltungsorientiert „wendet“ und Berufsbildung damit von einem begrifflichen und kategorialen Rahmen her entfaltet, der auf einer die pädagogische, didaktische und berufsbildungspolitische Praxis fokussierenden Theoriebildung basiert. Mit dieser Erweiterung der kategorialen Betrachtung um die Aspekte einer Praxis beruflicher Bildung sind die Konzeption und Gliederung des vorliegenden Handbuches beschrieben. Diese geht davon aus, dass das didaktische Handeln in der beruflichen Bildung, insofern es darum bemüht ist, die Ansprüche, Bedingungen und Möglichkeiten des skizzierten kategorialen Rahmens („berufspädagogische Kategorien“) zu realisieren, in einem Bezugsrahmen steht, der sechs Felder berührt (vgl. hierzu Abbildung 1 auf der folgenden Seite): 1. Die Qualifikationsanforderungen, in denen die wirtschaftliche, technische und arbeitsorganisatorische Entwicklung ihren Niederschlag findet, 2. die Ebene des Fachwissens und die gesamte fachdidaktische Diskussion mit ihren Bezügen zu den Ausbildungsordnungen der Betriebe, den Fächern sowie Lehrplänen der berufsbildenden Schulen usw., 3. die Adressaten der Berufsbildung, neben Jugendlichen und Erwachsenen auch Problemgruppen, wie z. B. Rehabilitanden oder ausländische Jugendliche,

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Abbildung 1: Didaktisches Handeln als Leitbegriff einer handlungsorientierten Berufsbildung Qualifikationsanforderungen – Arbeitsmarkt – Organisationsentwicklung – wirtschaftliche Entwicklung – Arbeitsorganisation (neue Produktionsmethoden) – etc.

i

n ld u

g–

B e r uf – B e t r ie b – Ar b

Didaktisches Handeln

a Qu

(Leitbegriff einer handlungsorientierten Berufsbildung)

lifi ka tion

– Ga nzheitlichkeit –

e

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Bildungspolitik – Gesellschaft – Institutionen – Lehrplan/Curriculum – Finanzen – Europa – etc.

– Jugendliche – Erwachsene – Rehabilitanten – etc.

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B

– Wirtschaft – Technik – Allgemeinbildende Fächer – etc.

Adressaten

un g

Fachwissen und Didaktik

Vermittlung

Forschung – Arbeitsmarktund Berufsforschung – Curriculumforschung – etc.

– Methoden – Medien – CAL – Lehrer – Ausbilder – etc.

4. der gesamte Bereich der Bildungspolitik, der von der Analyse des gesellschaftlichen Rahmens über die institutionelle Struktur beruflicher Bildung bis hin zu ihren organisatorischen, administrativen, finanziellen und internationalen Aspekten reicht, 5. die Berufsbildungsforschung mit ihren Bezügen zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung einerseits und zur curricularen Forschung andererseits (z. B. Ausbildungsordnungsforschung) und 6. schließlich die Ebene der unmittelbaren Vermittlung beruflicher Bildung. Diese Ebene umfasst die Methoden und Medien beruflicher Bildung ebenso, wie die Unterrichtsforschung im engeren Sinne und die Fragen nach dem Lehrpersonal in der Berufsbildung.

Berufspädagogische Kategorien didaktischen Handelns

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Werte und Normen in der Berufsbildung Helmut Heid

Helmutund Werte und Heid Normen Normen in finden der Berufsbildung nicht nur im Kontext allgemeiner und beruflicher Bildung, sondern auch in der beruflichen Praxis zunehmende Beachtung. Das Wort „Wert“ wird in unterschiedlichen Zusammenhängen volks- und betriebswirtschaftlichen Handelns geradezu inflationär verwendet. Kennzeichnend dafür sind vielfältige Aktivitäten zur Begründung und Verwirklichung dessen, was als „Unternehmenskultur“ und „Unternehmensethik“ (vgl. u. a. Holleis 1987; Rebstock 1988; Osterloh 1989) seit etwa zwanzig Jahren mit wechselndem Engagement diskutiert wird (vgl. Corsten/Lempert 1992, S. 66ff.). Auf diesem bemerkenswerten „Umweg“ finden Begriffe und Intentionen dieser Debatte neuerdings sogar Eingang in Abhandlungen über Aufgaben so genannter allgemeinbildender Schulen (z. B. bei Lohrer 1994, S. 176); hier ist von der „Unternehmenskultur einer Schule“ und von „corporate identity“ die Rede. Gesteigertes Interesse an Werten und Normen spielt vor allem in Erörterungen zur Entwicklung und Realisierung von Konzepten betrieblicher Personal- und Organisationsentwicklung eine Rolle. Das damit Gemeinte und Geforderte steht u. a. in der Tradition dessen, was als „Humanisierung der Arbeit“ bzw. „der Arbeitswelt“ in den gesellschaftspolitischen Sprachgebrauch eingegangen ist (vgl. u. a. Matthöfer 1977; Preiss 1977). Als jüngeres Beispiel für Bestrebungen dieser Art ist das „Anthropozentrische Produktionssystem“ (Lehner/Widmaier 1992, S. 56ff.) zu nennen. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Einrichtung von eigenen Lehrstühlen für Wirtschaftsethik in Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten (z. B. in den Hochschulen St. Gallen, Eichstätt, München oder Marburg), wenngleich wirtschaftsethische Fragen in der katholischen und evangelischen Soziallehre eine sehr bemerkenswerte Tradition besitzen (vgl. z. B. die Sozialenzykliken Rerum novarum vom 15.05.1891 und Quadragesimo anno vom 15.05.1931; zu nennen wären auch die Protagonisten O. v. NellBreuning; G. Gundlach; F. Karrenberg; A. Rich; zur gegenwärtigen Diskussion vgl. u. a. Rebstock 1988; Steinmann/Löhr 1989; Ulrich/Thielemann 1992). Die Bezeichnungen „Wert“ und „Norm“ werden in so vielfältigen Zusammenhängen verwendet, dass es schwer fällt, darin einheitliche oder gar allgemeinverbindliche Bestimmungen dieser Begriffe zu identifizieren. Im Interesse wünschenswerter Verständigung ist es deshalb erforderlich, zunächst die Klärung der Frage ins Auge zu fassen: Was „sind“ Werte und Normen?

1. Was „sind“ Werte und Normen? „Werte“ und „Normen“ sind zunächst einmal Worte. Sätze, in denen die Worte „Wert“ und „Norm“ verwendet werden, können unterscheidbare Strukturen besitzen bzw. Funktionen erfüllen. Sie können das mit „Werten“ und „Normen“ Bezeichnete bzw. Gemeinte und Bezweckte (also auch Wertungen bzw. wertende Stellungnahmen) zum Gegenstand

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nicht-wertender Aussagen (Behauptungen, Beschreibungen, Erklärungen) haben. Wertungen und Normen können aber auch Inhalt selbst wertender oder vorschreibender Sätze sein, also wertende Stellungnahmen oder Gebote versus Verbote ausdrücken (vgl. Albert 1961, S. 639; Zecha 1984, S. 5ff.). Im vorliegenden Text sollen keine Wertungen ausgedrückt und keine Vorschriften erlassen werden. Es geht vielmehr um einen Versuch, das mit der Verwendung dieser Wörter Gemeinte und Bezweckte zu analysieren. Die Unbekümmertheit des Sprachgebrauchs erweckt den Eindruck, die Begriffe „Wert“ und „Norm“ seien so „selbstverständlich“ und eindeutig, dass sie keiner Definition bedürften. Ein Blick in die Verwendungskontexte zeigt jedoch, dass es auf diese Frage zu allen Zeiten verschiedene Antworten gegeben hat. Sie enthalten (definitorische) Entscheidungen sowie darin zur Geltung kommende Auffassungen, Überzeugungen und Interessen, die sich einer allgemein anerkannten, als wahr oder falsch beurteilbaren Sondierung entziehen. Nun ist es im Rahmen dieser Abhandlung, die sich an werttheoretischen Erörterungen der analytischen Philosophie orientiert, nicht möglich, konkurrierende Versuche zur Beantwortung dieser Frage so ausführlich zu referieren und zu diskutieren, wie sie es der Sache nach erfordern. Wo immer es geboten erscheint, soll jedoch auf alternative Auffassungen und Funktionsbestimmungen wenigstens hingewiesen werden. Über Werte und Normen wird – nicht nur im Kontext eines metaethischen Naturalismus (vgl. u. a. Stegmüller 1960, S. 489ff. und Zecha 1984, S. 9ff.), sondern auch ganz allgemein – so geredet, als ob es sich um Gegenstände fragloser Wahrnehmung handelte. Jedoch was könnte oder müsste jemand beobachten, um das Gute oder das Gesollte, die Schönheit oder die Wahrheit, die Gerechtigkeit oder auch den Fleiß und die Pünktlichkeit festzustellen? Was hätte jemand zu tun, den man aufforderte, das Gute oder das Gesollte zu verwirklichen? Wer zu wissen glaubt, was ganz konkret festzustellen oder zu tun ist, wenn an „das Gute“ oder an „das Gesollte“ appelliert wird, der muss (in faktisch meist divergenten Sozialisationsprozessen) gelernt haben (vgl. Herrmann 1982, S. 36f.) oder durch regulative (nicht notwendig reflektierte) Bedingungen seines Denkens und Handelns „erfahren“, worin „das Gute“ oder „das Gesollte“ konkret-inhaltlich besteht (vgl. Heid 1993, S. 49ff.). Regulative Bedingungen zur Gewährleistung erwünschten Denkens und Handelns können beispielsweise in einer bestimmten Unternehmensethik oder -kultur, in einer konkreten Arbeitsorganisation, in einer Arbeitsplatz- oder Arbeitsaufgaben-„Beschreibung“ institutionalisiert sein. Die Habitualisierung oder Institutionalisierung dessen, was entscheidungsabhängig als gut oder gesollt gilt, begünstigt den Eindruck, das mit Werten und Normen jeweils Gemeinte und Bezweckte sei eindeutig und unstrittig, es bedürfe keiner weiteren Erörterung. Eine genauere Analyse zeigt zunächst, dass Wertbegriffe verschiedene Arten des Wertvollseins kennzeichnen. Die Charakterisierung als wertvoll oder wertwidrig ist das, was Wertvollem gemeinsam ist (Kraft 1951, S. 13). „Was die Werte voneinander unterscheidet ... besteht ... in einem sachlichen Gehalt. Aber dieser ist etwas durchaus Neutrales, ... Wertbegriffe allgemeinster Art, wie gut, schlecht, ausgezeichnet, wertvoll, und der Begriff ,Wert‘ überhaupt, enthalten nichts anderes als diesen Wertcharakter allein ohne allen sachlichen Gehalt“ (ebd., S. 17). Damit Werte und Normen verhaltensbedeutsam sein können, benötigen sie außer der wertenden Komponente einen Sachgehalt bzw. eine sachliche Komponente, in der der bewertete oder geforderte Sachverhalt (i. w. S.) beschrieben wird. Wenn gelegentlich der Eindruck entsteht, die als vergleichsweise „konkret“ geltenden Werte – als die beispielsweise die Pünktlichkeit oder der Fleiß angesehen werden – seien sehr wohl als solche „feststellbar“, dann wird übersehen, dass es sich dabei um die Kenn-

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zeichnung erwünschten Handelns, also jener beobachtbaren sozialen Tatsachen handelt, zu denen stets und notwendig unter Bezugnahme auf ein Bewertungskriterium wertend Stellung genommen wurde bzw. wird. „Man muss Werte und Wertträger (Wertvolles) streng auseinanderhalten. Was wertvoll ist, hat Wert, ist aber kein Wert, sondern ein Wertträger, ein Gut. Ein Wertträger ist dasjenige, dem Wert zugeschrieben wird“ (Kraft 1951, S. 10). Das Wort „gut“ wird hier im weitesten Sinn, auch für menschliche Handlungen oder Personen verwandt. Hier zeigt sich – wie erwähnt –, dass nur solche Wertbegriffe orientierungs- und handlungsbedeutsam sind, die im Sinne Krafts (1951, S. 12ff.) außer einer den Wertsinn konstituierenden wertenden auch eine sachliche Komponente besitzen. Andererseits müssen die sachliche und die wertende m. a. W. die feststellende und die wertende Komponente verhaltensbedeutsamer Wertungen auseinander gehalten werden (zur Begründung vgl. u. a. Hare 1952/1972, S. 144ff.), und zwar nicht zuletzt deshalb, weil (aus methodologischen Gründen) die wertende Komponente wertender Stellungnahmen nicht als beobachtbares Merkmal des bewerteten Sachverhalts interpretiert werden kann und weil Wertungen auch nicht aus Feststellungen abgeleitet werden können. Sämtliche Gegenstände unserer Wahrnehmung – darunter auch beobachtbares menschliches Verhalten – haben eine Fülle von Merkmalen, deretwegen wir sie schätzen. Unter diesen Merkmalen befindet sich jedoch nicht ein einziges, von dem sich sagen ließe, „das ist der Wert“ dieses Gegenstandes oder Handelns. Wer beispielsweise gebeten würde, die Schönheit eines Gemäldes zu „zeigen“, der würde auf eine ganze Reihe beobachtbarer Merkmale hinweisen können; er geriete jedoch in größte Verlegenheit, wenn er das vermeintliche „Merkmal“ der Schönheit im buchstäblichen Sinne „zeigen“ sollte. So wenig wie „die Schönheit“ an sich existiert, so wenig lässt sie sich in einem als schön bewerteten Gegenstand wirklich „zeigen“. Die Schönheit, die wegen ihrer vermeintlichen „Anschaulichkeit“ beispielhaft herausgegriffen wurde, und alle anderen Wertungen „existieren“ nicht außerhalb wertender Stellungnahmen zu beobachtbaren Sachverhalten im weitesten Sinne. Werte sind also keine beobachtbaren Objekte, „an sich“ existierende Wesenheiten oder auch nur Merkmale bewerteter Sachverhalte, sondern Resultate von Stellungnahmen wertender Subjekte zu feststellbaren Objekten. Die Absurdität inhaltsleerer Wertungen lässt sich an einem Dialog veranschaulichen, den Hare (1952/1972, S. 165f.) in einem anderen Begründungszusammenhang verwendet: A: Ritas Auto ist ein gutes Auto. B: Warum nennst Du es „gut“? A: Weil es gut ist. B: Aber es muss doch einen Grund dafür geben, dass Du es als „gut“ bezeichnest; es muss eine Eigenschaft haben, um deretwillen Du es „gut“ nennst. B: Nein; die Eigenschaft, um deretwillen ich es „gut“ nenne, ist nur seine Güte und sonst nichts. A: Meinst Du vielleicht seine Form, seine Sicherheit, seine Straßenlage ... wenn Du es „gut“ nennst? B: Alles was Du nennst, hat nichts damit zu tun; die einzige Eigenschaft, die mich veranlasst, dieses Auto „gut“ zu nennen, ist seine Güte! So weit der Dialog. Aber das „Gute“ als solches lässt sich nicht beobachten. Die Tatsache, dass man sich über wertende Stellungnahmen zu Sachverhalten einigen und dass man Bewertungen von Sachverhalten zum Gegenstand kritischer Diskurse machen kann, mag ein weiterer Grund für das Missverständnis sein, bei Werten handle es sich um extrapersonal gegebene, beobachtbare Sachverhalte. Je nach Zweckbestimmung der Verwendung von Wertbegriffen kann es sinnvoll sein, zwischen subjektiven bzw. individuellen und objektiven bzw. intersubjektiven Werten zu unterscheiden (vgl. Kutschera 1973, S. 85f.), jedoch handelt es sich stets um Werte, die aus Wertungen resultieren, über die einzelne oder wenige versus viele (oder „alle“) Personen (durch unterschiedliche Verfahren) eine Verständigung herbeiführen können.

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Der Vorgang der Bewertung eines Sachverhaltes durch ein wertendes Subjekt kann allerdings sehr wohl beobachtet werden, so dass man sagen kann, Wertungen sind beobachtbare Handlungen. „Werte im eigentlichen Sinn sind“ demgegenüber „allgemeine, begriffliche Gehalte ... Wertungen sind einzelne konkrete Erlebnisse in der Zeit, sind empirische Tatsachen. Die Werte sind etwas, das in den vielfachen Wertungen als dasselbe aufzuweisen ist. ... Werte sind ,ideelle Bedeutungseinheiten‘ – eben als Begriffsgehalte. Diese stellen sich in den Wertbegriffen dar“ (Kraft 1951, S. 11). Da man nur über konkrete, beobachtbare Wertungen etwas über die Geltung abstrakter, nicht beobachtbarer Werte oder auch Bewertungskriterien bzw. -prinzipien erfahren kann, sind sämtliche Aktivitäten zur empirischen Erforschung von „Werten“ oder auch von „Wertorientierungen“, von „Werthaltungen“ oder von „Wertewandel“ darauf angewiesen, interessierende „Probanden“, d. h. wertende Subjekte zu veranlassen, zu jeweils interessierenden Sachverhalten oder Handlungen in beobachtbarer Weise wertend Stellung zu nehmen. Auffassungen dieser Art sind seit Platon strittig. Es gibt Philosophen, die Werten ein extrapersonal existierendes „ideales Sein“ zubilligen, und die davon ausgehen, dass der Mensch „eigene“ Organe der Wertwahrnehmung – z. B. des Wertfühlens oder der Werteinfühlung – besitze (vgl. u. a. Scheler 1913; Hartmann 1926 und kritisch Brecht 1961, bes. S. 342ff.). Jedoch bisher gibt es kein Verfahren, sich objektiver Werte oder idealer Wertwesenheiten intersubjektiv überprüfbar zu vergewissern. Das ist ein wesentlicher Grund dafür, dieser Auffassung nicht zu folgen (vgl. u. a. Stegmüller 1960, S. 129ff., S. 275ff., S. 489ff.; Kutschera 1981). Während Wertungen als (wertende) Stellungnahmen zu Sachverhalten angesehen werden (können), gelten Normen (im ethischen Sinne) als Sollens-Regeln, Forderungen oder Vorschriften, die in verschiedener (sprachlicher) Form (vgl. u. a. Kutschera 1973, S. 11ff.; Prim/Tilmann 1975, S. 114ff.), aber letztlich niemals ohne (konkrete) Autoren und Adressaten „existieren“ (können). Normen wie Wertungen sind „nicht an eine bestimmte grammatische Satzart gebunden“ (Albert 1961, S. 639). „Oft wird der Forderungscharakter einer Norm, die mitunter auch die Form einer Aussage haben kann, aus dem Kontext oder durch die Betonung des Sprechers ... deutlich“ (Zecha 1984, S. 9). Über den Unterschied und Zusammenhang zwischen Wert und Norm gibt es in der Literatur verschiedene Auffassungen (vgl. z. B. Kutschera 1973, S. 115ff.; Herrmann 1982, S. 46ff.; Zecha 1984, S. 9). Normen – so eine von vielen verschiedenen Auffassungen bzw. Entscheidungen – „stellen ... Verbindungen zwischen den Werten und realen Problembereichen her und regeln ... deren Anwendung in der Praxis“ (Rebstock 1988, S. 125).

2. Funktion von Werten und Normen Werte und Normen dienen in ihren wesentlichen, d. h. in ihren wertenden bzw. präskriptiven Komponenten nicht oder nur sekundär der Information, sondern der Handlungsregulierung im weitesten Sinn (Hare 1952/1972, S. 152f., S. 162ff.; Albert 1961, S. 639). Die allen Werten letztlich zugrunde liegenden Wertungen sind Stellungnahmen zu Sachverhalten. Positive Stellungnahmen bezwecken (i. d. R.) die Legitimierung erwünschter Sachverhalte. Sie richten sich auf Entscheidungsvoraussetzungen und Handlungsbegründungen der Adressaten solcher Stellungnahmen. Normen beinhalten Handlungsaufforderungen; sie richten sich (direkter) auf das Wollen und auf den Entscheidungsvollzug ihrer Adressaten.

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Hare (1952/1972, S. 164ff.) hat herausgearbeitet, dass Aussagen, die Wertungen ausdrücken – also Werturteile – „ihrem Wesen nach versteckt universell“ sind. Damit ist gemeint, „dass sie sich auf einen Maßstab beziehen, der sich auf andere ähnliche Fälle anwenden lässt, und dass sie Ausdruck des Anerkennens dieses Maßstabs sind. Wenn ich jemanden für ein bestimmtes Verhalten tadle, fasse ich die Möglichkeit ins Auge, dass er“ sich wieder einmal ähnlich verhalten könnte, „sonst wäre es sinnlos, ihn zu tadeln“. Damit ist das erziehungsbedeutsame Problem der „Dauerhaftigkeit“ des Effekts einer Handlungsregulierung angesprochen. Um ein punktuell bestimmtes Handeln zu veranlassen, wird in der Regel der singuläre Imperativ verwendet, z. B.: „Tu’ dieses!“ oder „Unterlasse jenes!“. Die Verwendung des singulären Imperativs bringt und hält den Adressaten dieses Imperativs in Abhängigkeit von seinem Autor. Wer jedoch einen Sachverhalt bewertet oder ein Verhalten fordert, der bezweckt und bewirkt mehr, und zwar zum einen die Anerkennung (der Geltung) des normativen Prinzips (beispielsweise des höchst differenzierungsbedürftigen Prinzips der Nützlichkeit), das der Wertung oder Forderung zugrunde liegt, und zum andern die Bereitschaft des Adressaten der Wertung oder Forderung, in eigenen wertenden Stellungnahmen dieses Prinzip – mit „kalkulierbarer“ Regelmäßigkeit – zur Geltung zu bringen sowie in eigenem Handeln zu befolgen. Diese relativ überdauernde Bereitschaft zur Anerkennung und Befolgung eines bestimmten Prinzips, Sachverhalte mit abschätzbarer Wahrscheinlichkeit entsprechend zu bewerten, kann auch als „Werthaltung“ oder „Wertorientierung“ bezeichnet werden. Herrmann (1982) spricht in diesem Zusammenhang von „Wertungsdispositionen“, von „interindividuell variierenden Neigungen zu Wertungen“ (S. 31) oder auch von der „interindividuell variierenden Auftretenswahrscheinlichkeit ... individueller Wertungen“ (S. 35). In Diskursen zur Ermöglichung selbstverantwortlichen Wertens und zur Entwicklung einer eigenen und überdauernden Werthaltung – seien sie nun zu berufserzieherischen Zwecken „organisiert“ oder auch nicht – gewinnt der im Kontext von „Wert“-Debatten häufig vernachlässigte Sachgehalt bzw. die sachliche Komponente von Werten und Normen und damit eine entsprechende Sachkompetenz herausragende Bedeutung (vgl. Heid 1993, S. 60ff.). Denn die Ermöglichung selbstverantwortlichen Wertens setzt die Klärung der zu bewertenden Sachverhalte in allen für die Bewertung bedeutsamen Begründungs- bzw. Funktionszusammenhängen voraus. Ohne diese Sachklärung ist eine Wertung buchstäblich gegenstandlos und verhaltensbelanglos.

3. Werte und Normen in der beruflichen Bildung Im Kontext (berufs-)pädagogisch bedeutsamen Handelns sind stark vernachlässigte Differenzierungen zwischen verschiedenen Autoren und verschiedenen Adressaten normativer Handlungsregulierung von bisher unterschätzter Bedeutung: Die Wertungs- und Handlungsbereitschaft, zu der Adressaten pädagogischen Handelns (Lernende, Auszubildende) durch Lehrende veranlasst werden sollen, unterscheiden sich von jener, zu der Lehrende oder Ausbilder von dafür jeweils zuständigen Instanzen (Kammern, Ministerien oder auch Institutionen der Qualifizierung und Professionalisierung) veranlasst werden sollen. Es handelt sich dabei um verschiedene Ebenen. Bei der Auswahl bzw. Bestimmung von Zielen, die für pädagogisches wie für jedes menschliche Handeln konstitutiv sind, spielen Werte und Normen als Auswahl- und Bestimmungskriterien eine zentrale Rolle. Bei der Funktionspräzisierung dieser Werte, Nor-

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men und Ziele sind die skizzierten Differenzierungen zu berücksichtigen. Zunächst müssen die Ziele von (professionellen) Berufsbildungsforschern (z. B. die Konsolidierung zutreffender Aussagen über die Praxis beruflichen Lehrens und Lernens) von Zielen berufspädagogischer Praktiker, also Lehrern oder Ausbildern (z. B. erfolgreiches Lehren bzw. die Gewährleistung von Bedingungen erfolgreichen Lernens) und diese wiederum von Zielen Auszubildender (z. B. fachliche und soziale Kompetenz zur Beurteilung und Erfüllung beruflicher Arbeitsaufgaben) deutlich unterschieden werden. In der berufspädagogischen Praxis, an die wohl vor allem gedacht wird, wenn Werte und Normen in der Berufsbildung zur Diskussion stehen, sind die Wertungen und Normen Lehrender einerseits und Lernender andererseits allerdings nicht nur zu unterscheiden, sondern auch aufeinander zu beziehen. Lehrende haben u. a. die institutionalisierte Aufgabe, jeweils vorgefundene Wertorientierungen und Normen Lernender nach Maßgabe geltender Lehrziel-Vorstellungen zu modifizieren, wobei man über Inhalte und Modalitäten dieser Modifizierung keine naiven „Machbarkeitsvorstellungen“ entwickeln darf. Aus der Sicht Lehrender und jeweils geltender Lehrziele sind die vorgefundenen Wertorientierungen und Normen Lernender nicht Maximen, sondern Bedingungen pädagogischen Handelns. Es wäre leichtfertig, zu übersehen, dass es sich aus der Sicht Lernender in umgekehrtem Verhältnis prinzipiell ebenso verhält: aus ihrer Sicht sind die Wertungen und Normen Lehrender zunächst einmal nur Bedingungen der Realisierung ihrer eigenen Überzeugungen und Interessen. Diese herkömmlich vernachlässigte Sicht erscheint deshalb bedeutsam, weil die Würdigung dieses Tatbestandes, nämlich dass Ziele und Handlungen Lehrender aus der Sicht Lernender Bedingungen – und (noch) nicht Maximen – selbsttätigen Lernens sind, geeignet erscheint, die erwähnte „Machbarkeitsphantasie“ zu überwinden. Lernen müssen und können Lernende nur selbst. Auch der genialste Lehrer ist außerstande, selbsttätiges Lernen der Adressaten seiner Arbeit zu suspendieren. Lehren kann nichts anderes sein als die Realisierung der Bedingungen erfolgreichen Lernens. Und in diesem Lernen spielen die Überzeugungen und Normen Lernender eine zentrale Rolle. Diese Wertüberzeugungen und Interessen lassen sich nicht direkt und unvermittelt modifizieren oder gar erzeugen; sie sind nur in ihren Voraussetzungen wie Begründungen und insofern nur indirekt und diskursiv „zugänglich“ (skeptisch dazu Edelstein 1986, S. 340ff.). Wertungen, Normen und Ziele Lehrender können also Wertungen, Entscheidungen und Ziele Lernender weder determinieren noch erübrigen. Wenn es manchmal so scheint, als ob eine Person stellvertretend für eine andere urteilt oder entscheidet, dann wird dabei übersehen, dass dieser Vorgang zumindest zur Voraussetzung hat, dass die scheinbar „abhängige“ Person sich (in welcher Form auch) entschieden hat oder entscheidet, das Urteil der anderen zu akzeptieren oder deren Vorschrift zu erfüllen (vgl. auch Stegmüller 1960, S. 507f.). Selbst der Zwang ist in der Einwilligung zum Erzwungenen erst vollendet. Damit ist ein zentrales Problem jeglicher Erziehung angesprochen: Zu-Erziehende sollen i. d. R. zu etwas veranlasst werden, wozu sie ohne Erziehung nicht (ohne weiteres) bereit wären, sonst müssten sie nicht (dazu) erzogen werden (vgl. u. a. Durkheim 1895/1961, S. 108f.). Eng damit zusammen hängt die Frage, auf wessen Ziele, Werte und Normen es dabei ankommt. Auch dort, wo es um die erzieherische Ermöglichung selbstverantwortlichen Wertens, Entscheidens und Handelns geht (vgl. u. a. Oser/Althoff 1992, S. 119ff., S. 419ff.), spielen faktisch zunächst und vor allem die Ziele und d. h. auch: die Werte und Normen derer eine ausschlaggebende Rolle, die für die Setzung von Zielen erzieherischen Handelns als zuständig gelten und anerkannt sind. Das sind in der pädagogischen Praxis

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zum einen – unmittelbarer – die professionellen Erzieher (Ausbilder und Lehrer) und zum anderen – mittelbarer und einflussreicher – die „Auftraggeber“ der Erzieher (Organe des Staates und „der Wirtschaft“ bzw. die Betriebe). Nun wissen alle für Erziehung und Ausbildung Zuständigen, dass Zu-Erziehende bzw. Auszubildende selbst denkende, wollende und handelnde Wesen sind. Spätestens mit der „Entdeckung“ und Diskussion sogenannten „Wertewandels“ oder gar „Werteverfalls“ (vgl. u. a. Inglehart 1989; Klages/Kmieciak 1984; Noelle-Neumann 1978; Reuband 1985; Bolte 1993) scheinen nun auch jene Instanzen, die für die Bestimmung der Ziele berufspädagogischer Praxis primär zuständig sind, darüber nachzudenken, wie sowohl in der Ausbildung als auch in der betrieblichen Organisations- und Personalentwicklung der Tatsache „entsprochen“ werden kann oder soll, dass in die berufliche Ausbildung Eintretende eigene, „neue“ Wertorientierungen mitbringen (vgl. u. a. Tropitzsch 1990, S. 11f.; Morawski 1991, S. 6ff.; Hüchtermann/Lenske 1991; Perlitz 1992, S. 11f.; Tropitzsch 1993, S. 34f.). Das kann nicht in der – zu differenzierenden – Absicht geschehen, Ausbildung und Personalentwicklung den vorfindlichen Wertorientierungen Auszubildender und Beschäftigter zu unterwerfen. Aber selbst dort, wo es nicht darum geht, die Entwicklung moralischer Urteilskraft zu ermöglichen, sondern die Bereitschaft Aus- und Weiterzubildender zu befördern, sich für die jeweiligen Unternehmenszwecke zu engagieren (vgl. Wollert 1985), ist das mit Erfolgsaussicht nur möglich, wenn die darauf ausgerichtete Praxis an den vorfindbaren Wertüberzeugungen Lernender anknüpft. Wie schon angedeutet, ist davon auszugehen, dass nicht nur Adressaten erziehungswissenschaftlicher Qualifizierung (hier vor allem Lehrer an beruflichen Schulen und betriebliche Ausbilder), sondern auch die Adressaten beruflicher Aus- und Weiterbildung, also Auszubildende, sowohl hinsichtlich der inhaltlichen Orientierung als auch hinsichtlich des Niveaus der moralischen Urteilskompetenz im Sinne Kohlbergs (u. a. Kohlberg 1987; Oser/ Althof 1992, bes. S. 41ff., S. 188ff.) jeweils eine bestimmte Werthaltung oder Wertorientierung besitzen. Während in erziehungswissenschaftlichen und psychologischen Erörterungen moralische Erziehung gegenwärtig Fragen nach den Bedingungen und Möglichkeiten der Steigerung moralischer Urteilskompetenz beruflich Lernender (aber auch Lehrender) im Vordergrund stehen, richtet sich die Aufmerksamkeit soziologisch und wirtschaftswissenschaftlich orientierter Auseinandersetzung mit Werten und Normen stärker auf die „Inhalte“ und deren „Wandel“ (vgl. Rebstock 1988). In den daran anknüpfenden berufspädagogischen Überlegungen und Aktivitäten kommt es – soweit überhaupt – nicht nur darauf an, die Entwicklung einer möglichst hohen Stufe postkonventioneller, autonomer oder prinzipiengeleiteter moralischer Urteilskompetenz zu ermöglichen (vgl. u. a. Kohlberg 1987, S. 27ff.), sondern in der Praxis kommt es auch und häufig vor allem darauf an, jene „Tugenden“ oder Werthaltungen zu fordern und zu fördern, die – wie es in jüngster Zeit häufig heißt: – die „Zukunftssicherung des Standortes Deutschland“ gewährleisten. In einer Broschüre mit diesem Titel wird unter der Überschrift „An bewährte Werte anknüpfen“ die Leistungsbereitschaft besonders herausgestellt (S. 45f., S. 81; vgl. auch Tropitzsch 1993, S. 35, S. 44). In üblicher Eilfertigkeit nutzen auch Allgemeinpädagogen „die Hochsaison“ der Wertediskussion und empfehlen beispielsweise „Mut“, Gehorsam zu fordern, Disziplin und Leistung zu verlangen, sowie die Bereitschaft zum Verzicht „als Wert an sich“ zu sehen und zu verwirklichen (Lohrer 1994, S. 175, vgl. auch: Die Ausbildung ... 1984). Aber wie bereits ausgeführt – kann es diese „Werte an sich“ gar nicht geben. Ihre Verhaltensbedeutsamkeit und übrigens auch ihre Beurteilbarkeit ist auf den jeweiligen In-

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halt beispielsweise des Gehorsams oder der Leistung bezogen und angewiesen (vgl. z. B. Heid 1992). Insbesondere in Debatten um den Wandel sogenannter Qualifikationsanforderungen stehen Inhalte der Wertorientierung Aus- und Weiterzubildender im Zentrum der Aufmerksamkeit. Neben sogenannten formalen Qualifikationen (vgl. u. a. Lehner/Widmaier 1992, S. 103ff.; Institut der deutschen Wirtschaft, S. 8f.) nehmen heute Tugenden als Elemente einer wünschenswerten Qualifikation einen größeren Umfang und einen höheren Stellenwert im Kanon wünschenswerter Qualifikationselemente ein, als das lange Zeit der Fall war. Aus- und Weiterbildung – so der Tenor – können sich nicht nur mit Erkenntnisgewinn und Erweiterung von Fähigkeiten und Fertigkeiten begnügen, sondern müssen „auch Handlungsnormen und Werthaltungen vermitteln. Handlungswille, Lebensoptimismus, Zukunftsbejahung und Fortschrittshoffnung müssen – allen Risiken und Problemen zum Trotz – wieder gefunden werden“ (Institut der deutschen Wirtschaft 1990, S. 6; vgl. auch Stössel 1986, S. 42ff.). Das unübersehbare Interesse „der Wirtschaft“ an bestimmten Werthaltungen und (abstrakten) Handlungsbereitschaften Auszubildender und Weiterzubildender ist – wie Bildung überhaupt – kein Selbstzweck, sondern „Mittel zum Zweck“ (Dunkel 1984, S. 28; vgl. auch Ouchi 1980). Dahinter steht das Interesse, die Produktivität des Faktors Arbeit zu steigern (so u. a. Wollert 1985, S. 101f.) und der konkurrenzwirtschaftliche „Zwang“, (dadurch) die Kostenstruktur zu verbessern sowie die nationale wie die internationale Konkurrenzfähigkeit der Produktion (i. w. S.) zu steigern. „Bei Bildungsinvestitionen“ – und dabei „geht (es) nicht nur um kognitive Inhalte (und) um ein bestimmtes Können“ (Meyer-Dohm 1990, S. 7) – „ist ständig über Kostensenkungen und Produktivitätssteigerungen nachzudenken“ (ebd., S. 8). Diese Feststellungen, die oft voreilig und undifferenziert kritisiert werden, sind – gemessen an Zielen, die sich in der Tradition pädagogischen Denkens und Handelns herausgebildet haben – allerdings insofern problematisch, als berufliche Bildung, „die nicht in produktive Tätigkeit umgesetzt werden kann“, als „Fehlinvestition“ bewertet und auch suspendiert wird (ebd. S. 7, vgl. auch Posth 1989, S. 21). Die darin angelegte Unterscheidung zwischen erwünschten und entbehrlichen bzw. unerwünschten, beispielsweise „kopflastigen“ (Tropitzsch 1993, S. 39) Qualifikationselementen erstreckt sich sowohl auf das Wissen über bewertbare Sachverhalte und damit auf die sachliche Komponente von Werten und Normen, als auch auf die Prinzipien bzw. Kriterien zur Bewertung von Sachverhalten und auf entsprechende Wertorientierungen. Bestimmungen des Quantums und des Inhalts jeweils erwünschten Wissens, und damit des Gegenstands wertender Stellungnahmen bzw. des Sachgehalts in Unternehmungen geltend gemachter Werte werden im Wesentlichen durch die betrieblichen – insbesondere arbeitsorganisatorischen – Bedingungen und Kriterien der Verwendung dieses Wissens definiert (vgl. u. a. Posth 1989; Meyer-Dohm 1990). Gegenwärtig ist kaum noch von „Überqualifikation“, wohl aber von „Fehlinvestitionen“ in die „Humanressource“ Qualifikation (Posth 1989; Meyer-Dohm 1990; Institut der deutschen Wirtschaft 1990, S. 5) die Rede. Der Zusammenhang des expliziten Interesses an einer (investitions-) strategischen Bemessung erwünschten und amortisierbaren Wissens mit Interessen an betriebswirtschaftlich erwünschten Werthaltungen wird in der Regel nicht ausdrücklich diskutiert, kann aber nach dem bisher Ausgeführten nicht übersehen werden. Personal- und qualifikationspolitische Aussagen über die zunehmende Bedeutung moralischer Komponenten erwünschter Qualifikationen kommen allerdings eigens hinzu. Dabei überwiegen – sofern die Werte in herrschenden Debatten von ihrem Inhalt „gereinigt“ bzw. getrennt werden –

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Abstrakta, wie Leistungsbereitschaft, Verantwortungsbewusstsein, Anpassungs-, Kritik-, Kooperationsfähigkeit und andere häufig als „Schlüsselqualifikationen“ apostrophierte „Tugenden“. Das „Erlernen“ abstrakter Werte – wie immer es zu organisieren versucht werden mag – korrespondiert mit Lernprozessen, die folgende Effekte begünstigen: erstens eine (habitualisierte) Bereitschaft, sich den Sanktionen zu unterwerfen, in denen zumindest implizit die unentbehrliche Inhaltsbestimmung des jeweils Gesollten erfolgt. Solche Sanktionen sind in den Bedingungen und Kriterien der Qualifikationsver- und -bewertung, insbesondere in der „Organisationskultur“ sowie in der Arbeitsorganisation einzelner Unternehmen institutionalisiert. Zweitens begünstigt die „Verinnerlichung“ abstrakter Werte das Erlernen einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber der Qualität der konkreten Zwecke, Inhalte und Konsequenzen einer Realisierung des jeweils Gesollten. Die Adressaten moralischer Berufserziehung sind dabei keineswegs passiv. Sie lernen, dass die Zuständigkeit für die Entscheidung darüber, für welche Zwecke und Inhalte beruflicher bzw. betrieblicher Arbeit sie sich zu engagieren haben, bei denjenigen liegt, die ein in der Organisationsentwicklung institutionalisiertes Recht haben, darüber zu verfügen und den Erfolg dieses Engagements zu bewerten. In Leitsätzen zur betrieblichen „Führungskultur“ hat „die volle Identifikation mit dem Unternehmen“ den höchsten Rang (Grundsätze ... 1985; vgl. Hüchtermann/ Lenske 1991), und zwar unabhängig von den konkreten Zielen, den Bedingungen, den Inhalten und den Effekten der jeweiligen Produktion. Auf der Grundlage und in Übereinstimmung mit dieser Identifikation sind Kreativität und Kritik, die als wichtige Komponenten einer zeitgemäßen Wertorientierung immer wieder genannt werden, erwünscht. Forderung und Förderung der Verantwortungsbereitschaft bzw. der Selbstverantwortung jedes einzelnen – und damit ist eine der zentralen „Schlüsselqualifikationen“ angesprochen – bezwecken und unter anderem und vor allem die Transformation fremdbestimmten Sollens in selbstbestimmtes Wollen; sie „machen“ den Adressaten derartiger Aktivitäten für ihren arbeitsorganistorisch definierten Beitrag zur Optimierung des Unternehmenserfolgs zuständig und haftbar (Tropitzsch 1993, S. 44). Die naheliegende Frage nach den Bedingungen, Konsequenzen und vor allem nach den Kriterien der Vereinbarkeit versus Unvereinbarkeit von Wertüberzeugungen und Zielen einzelner Beschäftigter einerseits und jener Unternehmungen andererseits, in denen die Realisierungsbedingungen der Wertüberzeugungen Beschäftigter institutionalisiert sind bzw. definiert werden, spielt im Kontext betrieblicher Organisations- und Personalentwicklung – wenn überhaupt – allenfalls unter „vermittlungsmethodischen“ Gesichtspunkten eine Rolle. Ein an Aufklärung orientiertes berufspädagogisches Denken und Handeln hätte aber genau diese Frage in den Mittelpunkt seiner Bemühungen zu stellen.

Literatur Albert, H., 1961: Allgemeine Wertproblematik. In: Beckerath, E. v., u. a. (Hrsg.): Handwörterbuch der Sozialwissenschaften (Bd. 11). Stuttgart/Tübingen/Göttingen, S. 637–642. Die Ausbildung ist auch eine Sache der Einstellung, 1984. In: schule & wir, 2, S. 2–5. Bolte, K. M., 1993: Wertewandel, Lebensführung, Arbeitswelt. Eichstätt. Brecht, A., 1961: Politische Theorie. Tübingen. Corsten, M./Lempert, W., 1992: Moralische Dimensionen der Arbeitssphäre. Materialien aus der Bildungsforschung (Nr. 42). Hrsgg. vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin. Durkheim, E., 1961: Die Regeln der soziologischen Methode (1895). Neuwied/Berlin.

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Werte und Normen in der Berufsbildung

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Handlungsorientierung in der Berufsbildung Reinhard Czycholl / Hermann G. Ebner

Handlungsorientierung Reinhard Handlungsorientierung Czycholl / Hermann zählt in der insbesondere Berufsbildung G. Ebner seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts in der Literatur zur Didaktik beruflicher Bildung sowohl in wissenschaftlichen als auch in auf Praxisberatung ausgerichteten Texten zu den herausragenden Begriffen. In zahlreichen Beiträgen haben sich Autorinnen und Autoren bemüht, Handlungsorientierung zu definieren, zu begründen, warum handlungsorientierter Unterricht vorteilhaft sei, zu beschreiben, welche Merkmale einen handlungsorientierten Unterricht auszeichnen und durch welche Lernumgebungen die Eigenschaften eines handlungsorientierten Unterrichts angemessen modelliert werden. Obwohl das Konzept der Handlungsorientierung weder von der wissenschaftlichen noch von der Praxisseite ein klares positives Votum erhielt, sind darauf bezogene Ideen, Empfehlungen und Maßnahmen in der Rhetorik der Kultusadministration, in den Ordnungsmitteln der beruflichen Bildung und in der Fachliteratur inzwischen etabliert (Czycholl 2001; Dörig 2003). Nachdem sich die Kontroversen im Bereich der beruflichen Bildung in den letzten Jahren verlagert haben und sich vor allem am Lernfeld-Konzept entzünden, nimmt das Thema Handlungsorientierung keine der vorderen Positionen in den Debatten mehr ein – eine solche Beruhigung ist nicht der schlechteste Zeitpunkt, um eine Art von Zwischenbilanz zu versuchen. Wir werden dabei in drei Schritten vorgehen: > Zunächst soll eine nähere Bestimmung dessen erfolgen, wofür innerhalb der Didaktik die Bezeichnung handlungsorientiert steht und welches die aktuellen Modernisierungshintergründe sind. > Im zweiten Abschnitt werden historische und gegenwärtige Realisationsformen von Handlungsorientierung behandelt. > Im letzten Teil geht es um Hinweise aus Studien zur Evaluation handlungsorientierter Ausbildungskonzepte.

1. Ausgangspunkte und Begründungen Im Zusammenhang mit Handlungsorientierung sind im Bereich der Didaktik beruflicher Bildungsprozesse zwei – nicht trennscharfe – Argumentationsstränge zu sehen: Zum einen wird der Begriff dort verwendet, wo es um die Begründungen von Lernzielen bzw. Strukturierungsgesichtspunkten für Lernziel-Ensembles geht (curriculare Dimension). Zum andern gehört die Bezeichnung zum festen Inventar von Aussagen zur Kennzeichnung unterrichtsmethodischer Arrangements (methodische Dimension). Die hohe Publizität dessen, was unter der Bezeichnung handlungsorientierte Ansätze gebündelt werden kann, gründet insgesamt in den an sie geknüpften Erwartungen, eine angemessenere Vorbereitung der Jugendlichen auf die bereits veränderten und auf die zukünftigen (Arbeits-)Anforderungen leisten zu können.

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1.1. Die curriculare Dimension Die dominierende Argumentationsfigur ist dabei folgende: Die unter dem Einfluss einer zunehmenden Globalisierung sich immer schneller vollziehenden soziotechnischen und sozioökonomischen Wandlungsprozesse im Beschäftigungssystem führten zu der Notwendigkeit, die traditionelle tayloristisch-fordistische Rationalisierungslogik zugunsten neuer Konzepte einer ganzheitlich-integrativen und systemischen sowie neuerdings geschäftsprozessorientierten Rationalisierung in der Produktion und den Dienstleistungsbereichen zurückzudrängen. Die EDV-basierten Controlling- und Produktionsplanungssysteme ermöglichten eine indirekte Rahmensteuerung der betrieblichen Arbeit, deren subjektive Gestaltungsspielräume dadurch zunehmen. Die offene, prozessorientierte, auf ständigen Wandel ausgerichtete Betriebsorganisation führe zu einer tendenziellen Entgrenzung traditioneller betrieblicher Arbeitsprofile, der auf der Subjektseite Problemlösefähigkeit und metakognitive Fähigkeiten sowie die Fähigkeit bzw. Bereitschaft zur Qualifikationsselbstdiagnose und Weiterqualifizierung gegenüber stehen müssen (Baethge-Kinsky/Kupka 2001). Erforderlich sei somit ein neuer Mitarbeitertypus, der Flexibilität im Sinne einer individuellen Anpassungsfähigkeit an sich schnell verändernde Qualifikationsanforderungen besitzt und der über die Fähigkeit zur Selbstorganisation sowie zur sozialkommunikativen Gestaltung seiner Arbeit verfügt. Die Arbeitsvollzüge würden weiter abstraktifiziert, so dass sich in der produktionsbezogenen betrieblichen Facharbeit die Bedeutung des sinnlich vermittelten Erfahrungswissens vom fachbezogenen Produkt- zum kommunikativ orientierten Prozesswissen verschiebe, ergänzt um ein nicht mehr durch Erfahrung erlernbares theoretisch-analytisches Fachwissen (Baethge/Baethge-Kinsky 1995). Solche Einschätzungen spiegeln sich seit der Neuordnung der industriellen Elektro- und Metallberufe im Jahre 1987 im gewerblich-technischen und der Büroberufe im Jahre 1991 im kaufmännisch-verwaltenden Bereich in einem neuen Leitbild für die berufliche Ausbildung im Dualen System. Es findet unter dem Begriff berufliche Handlungskompetenz Eingang in die Rahmenlehrpläne der Berufsschule (KMK 2000, S. 9) und wird im reformierten Berufsbildungsgesetz unter der Bezeichnung berufliche Handlungsfähigkeit zum Leitziel der betrieblichen Ausbildung (BBiG 2005, §§ 1, 13, 14, 38, 45). In ihrem Bemühen, sich an dem Konzept einer „auf die Veränderungen in der Qualifikationsanforderung ausgerichtete(n) Pädagogik“ (KMK 2000, S. 4) zu orientieren, hat die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK) im Hinblick auf die Gestaltung der Rahmenlehrpläne die curricularen Konsequenzen gezogen und für den berufsbezogenen Unterricht in der Berufsschule die Gliederung nach Fächern durch eine nach Lernfeldern ersetzt, wobei Letztere an „Tätigkeitsfeldern des Berufs zu entwickeln sind und den spezifischen Bildungsauftrag der Berufsschule einschließen“ (KMK 2000, ebd.).

1.2. Die methodische Dimension In den betrieblichen Ausbildungsordnungen wird im Sinne der Umsetzung des Prinzips der vollständigen Handlung die methodische Empfehlung gegeben, die jeweiligen Fertigkeiten und Kenntnisse so zu vermitteln, dass der Auszubildende zur Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit befähigt wird, die insbesondere selbständiges Planen, Durch-

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führen und Kontrollieren einschließt. Mit Blick auf die unterrichtliche Umsetzung der veränderten curricularen Vorgaben hält die KMK „Methoden, welche die Handlungskompetenz unmittelbar fördern (für) besonders geeignet und (diese) sollten deshalb in der Unterrichtsgestaltung angemessen berücksichtigt werden“ (KMK 2000, S. 7). Eine solche Aufforderung ist nicht zuletzt als administrative Form der Rezeption der seit Jahrzehnten anhaltenden Diskussion um Handlungsorientierung zu sehen. Handlungsorientierung als Konzept zur methodischen Gestaltung von Lernumgebungen ist inzwischen als normative Sprachfigur in den (Rahmen-) Lehrplänen, Ausbildungsordnungen und sonstigen Materialien präsent. So findet sich das voran stehende Zitat in den neuen Rahmenlehrplänen und ebenso wird dort in dem Abschnitt Didaktische Grundsätze (vgl. z. B. den in 2002 erlassenen Rahmenlehrplan für den Ausbildungsberuf Industriekaufmann/Industriekauffrau) die folgende Interpretation vorgenommen: „Handlungsorientierter Unterricht ist ein didaktisches Konzept, das fach- und handlungssystematische Strukturen miteinander verschränkt. Es lässt sich durch unterschiedliche Unterrichtsmethoden verwirklichen.“ Dieser augenscheinliche Disseminationserfolg wird allerdings weiterhin begleitet von einem im Wesentlichen alltagssprachlichen Verständnis von Handlungsorientierung, wodurch vermutlich simplifizierende Verkürzungen – wie die auf bestimmte Methoden – begünstigt werden. Dort, wo Handlungsorientierung aus dem Kontext psychologischer Handlungstheorien entwickelt wird und zentrale Positionen dieser Theorienfamilie maßgeblich das Rahmenkonzept zur Generierung von Lernumgebungen bestimmen, geht es um die begründbare Beziehung von Merkmalen der Lernumgebung, der Lernhandlung und des aufzubauenden Wissens und Könnens. Es ist gerade diese Verknüpfung von äußerer und innerer (psychischer) Struktur, die diese theoretischen Annahmen zu einem hilfreichen Konzept für die Entwicklung von Lernumgebungen werden lassen. Zugleich bezeichnet dies auch die Schnittstelle zu einer Reihe von neueren Designkonzepten (Ebner 2000). Jonassen und Rohrer-Murphy (1999) – Protagonisten konstruktivistischer Lernumgebungen – sind der Auffassung, „that a powerful framework for analyzing needs, tasks, and outcomes for designing CLEs (Constructivist Learning Environments; C./E.) is provided by activity theory. It is a useful framework because the assumptions of activity theory are very consonant with those of constructivism, situated learning, distributed cognition, case-based reasoning, social cognition, and every day cognition that underlie CLEs.“ Ohne an dieser Stelle die jeweiligen Prämissen und Folgerungen oder die mögliche Theoriebasis weiter zu vertiefen (vgl hierzu Czycholl/Ebner 1989), lässt sich als erstes Zwischenergebnis festhalten, dass sich in der Didaktik der beruflichen Bildung Handlungsorientierung gegenwärtig als regulative berufspädagogische Modernisierungskategorie etabliert hat, die auf die mit den systemisch-ganzheitlichen Konzepten der betrieblichen Arbeitsorganisation verbundenen Qualifizierungsfragen mit systemisch-ganzheitlichen Ausbildungskonzepten in Berufsschule und Ausbildungsbetrieb zu antworten sucht. Als prototypische Ausprägung eines handlungsorientierten Unterrichts gilt das auf authentischen oder realitätsnahen Problemkonstellationen basierte Lernen. Im Folgenden wird gezeigt, dass es sich dabei um spezifische Fortschreibungen einer traditionsreichen Idee handelt.

Handlungsorientierung in der Berufsbildung

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2. Historische und gegenwärtige Realisationsformen von Handlungsorientierung in der Berufsbildungspraxis Vom Mittelalter bis zur Neuzeit plädieren Kaufleute immer wieder für eine kaufmännische Ausbildung an einer „Art von erdichteter Handlung“ (Martini 1775; vgl. Pott 1977, S. 145). Vital Roux (1760–1846), seinerzeitiger Vorsitzender der Bank von Frankreich, beschreibt in Einzelheiten (ebd., S. 192ff.), wie die angesehensten Kaufleute der Stadt Gent die Aufsicht und Leitung der kaufmännischen Ausbildung im Rahmen einer solchen erdichteten Handlung durchführten. Anschließend entwickelt er das Modell eines kompletten Ausbildungsganges für eine solche, heute würden wir sagen, „Lernfirma“ oder „Übungsfirma“. Die römische Architektenakademie „Accademia di San Luca“ führt ab dem Jahre 1596 die Simulation von Architektenwettbewerben als berufsdidaktisches Verbindungsglied zwischen wissenschaftsorientiertem Lernen und seiner berufspraktischen Anwendung ein. Die zu erstellenden Entwürfe, „progetti“ genannt, müssen bis zu einem festgelegten Termin einer Jury vorgelegt werden (vgl. dazu Knoll 1993, S. 58f.). Sie werden allerdings nicht realisiert. Die Studierenden sollen durch die Projektarbeit lernen, „mit den Anforderungen des Berufs vertraut zu werden. Zugleich sollen sie lernen, die ihnen aus Vorlesung und Werkstatt bekannten Regeln der Komposition und Konstruktion selbständig und schöpferisch anzuwenden“ (ebd., S. 58). Dieses Projektkonzept wird im Jahre 1671 von der Pariser „Académie Royale d’Architecture“ übernommen (Knoll 1991), führt zu einer ausgesprochenen Projektzentrierung des Studiums („Projets“) ab 1763, verbreitet sich in Frankreich Ende des 18. Jahrhunderts auch an den neu gegründeten Hochschulen für Technik und Wissenschaft im Rahmen der Ingenieurausbildung und wird an der 1799 nach französischem Vorbild eingerichteten Bauakademie in Berlin realisiert, ebenso an den in der Folge gegründeten Hochschulen in Karlsruhe, Hannover, Prag sowie in Österreich und der Schweiz (ebd., S. 20ff.). Mitte des 19. Jahrhunderts gelangt der Gedanke des Lernens am Projekt in die USA, eingeführt vom Gründer des „Massachusetts Institute of Technology“, William B. Rogers, der die Projektarbeit nach europäischem Vorbild als Teil der wissenschaftlich orientierten Ausbildung interpretiert. Die 1867 als Staatsuniversität gegründete „Illinois Industrial University“ versteht sich als Universität des Volkes im Sinne der unteren sozialen Gesellschaftsschichten. Sie führt ein Projektkonzept mit produktiver Handwerksarbeit ein. Die Studierenden verbringen täglich zwei Stunden in universitätseigenen Werkstätten mit Feilen, Drehen und Bohren, um danach ihre Maschinenentwürfe oder Teile davon selbständig zu planen und herzustellen. Die Planungsentwürfe werden also praktisch umgesetzt. Die aus der Projektarbeit hervorgehenden Produkte werden verkauft, der Erlös fließt der Universität und den Studenten zu. Diese sozialpolitisch motivierte Projektidee wird gleichzeitig als eine bestimmte Form der Erziehung zur Demokratie betrachtet (ebd., S. 36). Weil der Zeitanteil der handwerklichen Arbeit auf Kosten der wissenschaftlichen Ausbildung geht, lagert Calvin M. Woodward, Leiter des Polytechnischen Instituts an der „Washington University“ in St. Louis, die handwerkliche Ausbildung aus. Er verlegt sie vor mit Gründung der ersten „Manual Training School“ im Jahre 1879. Im Lehrplan seiner High School werden die Fächer Latein und Griechisch durch das Fach „Manual Training“ ersetzt. Nach einer Art Grundlehrgang in der Schreinerei, Drechslerei, Schmiede, Gießerei

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und Maschinenwerkstatt der Schule können die Schüler selbständig Projekte entwickeln und durchführen (ebd., S. 59f.). Das Konzept des „Manual Training“ verbreitet sich auch an den amerikanischen Elementarschulen. Hier entzündet sich eine Kritik an dessen auf die Erfordernisse des Studiums und des Berufslebens ausgerichteten Begründungswurzeln, mit seiner Überbetonung des berufstechnischen Könnens. Die von John Dewey mit angeführte Reformbewegung fordert stattdessen ein Unterrichtskonzept, das von der „Psychologie des Kindes“ ausgehend zur „Logik des Faches“ hinführen soll (ebd., S. 60). Der Pädagoge Charles R. Richards überträgt Deweys Philosophie und Erziehungslehre auf den Projektansatz, löst die Projektarbeit aus ihrer Bindung an die technisch-praktische Ausbildung und entwickelt ein „Konzept des ganzheitlichen Lernens“ (vgl. ebd.). Durch ihn entdecken die amerikanischen Schulpädagogen den Projektansatz, der zunehmend mit der Bezeichnung „Projektmethode“ versehen wird (ebd., S. 55). Schließlich findet diese Projektmethode auch Eingang in die amerikanischen beruflichen Schulen, die ihren Schülern bis dahin ausschließlich theoretisches Wissen vermittelten und den fehlenden Bezug zwischen Theorie und Praxis beklagten (ebd., S. 59). Als William Heard Kilpatrick im Jahre 1918 seinen Aufsatz „Die Projekt-Methode“ schreibt, hat Theorie und Praxis der Projektarbeit schon einen festen Platz an vielen amerikanischen Hochschulen und Schulen. Gegen die schulische Zergliederung des Wissens in isolierte Fächer und die rezeptiven Lernformen richtet sich ab der Jahrhundertwende die Kritik der Reformpädagogischen Bewegung. Projektähnliche Arbeitsformen in der Schule können als ein Merkmal dieser Bewegung angesehen werden. Die unterrichtsmethodisch orientierte Gruppe um Gaudig formuliert ihr Konzept der „Selbsttätigkeit“, „Eigentätigkeit“ bzw. „Freitätigkeit“. Otto plädiert für „Gesamtunterricht“. Haase und Reichwein stellen „Unterrichtsvorhaben“ in den Mittelpunkt. Kerschensteiner versucht seine Idee der Arbeitsschule an allen Schulen zu verwirklichen. Die Gruppe der „Entschiedenen Schulreformer“ (vgl. dazu auch Ebner/Czycholl 1990, S. 266f.) geht unter berufspädagogischem Aspekt am weitesten: sie will die Berufsausbildung in Produktionsschulen durchführen. In kritischer Distanz zu Kerschensteiner, dessen Arbeitsschulkonzept in der „Wirtschaftsepoche des zünftlerischen Handwerks“ wurzele und in „künstlichen Werkstätten handwerkliche Arbeitsmethoden“ konserviere, während man „mitten im hochkapitalistischen Maschinenzeitalter“ angelangt sei (vgl. Essig 1921, S. 15), soll die Ausbildung durch „gesellschaftlich nützliche, produktive Arbeit die schöpferischen Kräfte im Jugendlichen, Initiative, Gestaltenkönnen und Formenwollen, wecken ...“ (S. 12), generell zu realer Produktionstätigkeit und reflektierender Auseinandersetzung mit dieser anleiten. Nach dem Vereinnahmen bzw. Zerschlagen der reformpädagogischen Initiativen während der nationalsozialistischen Zeit erfolgt der bildungspolitische und pädagogische Neuaufbau nach 1945 in Westdeutschland auf restaurative Weise. Die von der Reformpädagogik heftig kritisierten Organisationsformen schulischen Unterrichts bestimmen wieder die Unterrichtspraxis. Die Schulreform zwischen den 60er und 70er Jahren verfestigt die Theoretisierung des gesamten Schulwesens (Lersch 1988) dort, wo sie das Prinzip des produktorientierten Wissenschaftsbezuges überdehnt. Die Renaissance des Projektgedankens für den Bereich des schulischen Unterrichts ab den 70er Jahren kann auch als Reaktion auf das Scheitern der davorliegenden Schulreformbestrebungen interpretiert werden.

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In der betrieblichen Ausbildung werden nach 1945 betriebliche Grundlehrgänge des Nationalsozialismus, wie zum Beispiel „Eisen erzieht“, fortgeführt (vgl. Seubert 1993). Daneben entwickeln sich weitere Formen systematischen Einzelfertigkeitentrainings in Lehrgangsform. Das Berufsbildungsgesetz von 1969 ist noch am Leitbild des auf repetitive Teilarbeit spezialisierten, mit ausführender Arbeit nach Anweisung beschäftigten Facharbeiters orientiert. Der Auszubildende soll im Ausbildungsbetrieb Weisungen befolgen und ihm aufgetragene Verrichtungen ausführen (§ 9 BBiG). Die programmierten Abschlussprüfungen sind für diese „Philosophie“ fremdbestimmter Ausführungsarbeit durchaus funktional und stehen in eklatantem Widerspruch zu komplexeren Zielen von beruflicher Handlungsfähigkeit und entsprechenden handlungsorientierten Ausbildungsformen. Für die Berufsbildung im Dualen System entsteht ein besonderer Reformimpuls durch die vom Deutschen Bildungsrat im Strukturplan für das Bildungswesen im Jahre 1970 aufgestellte Forderung nach breiter beruflicher Grundbildung als erstem Jahr der Berufsausbildung. Die von Bund und Ländern als Mittel einer gemeinsamen Bildungsplanung im Sinne des Art. 91 b GG eingeführten Modellversuche erweisen sich als Innovationsinstrumente für die innere Reform schulischer (Schulversuche) und betrieblicher (Wirtschaftsversuche) Berufsbildung. Vor allem mit dem im Ausbildungs- und Schuljahr 1971/ 72 initiierten Modellversuch zum Berufsgrundbildungsjahr Metall in kooperativer Form beginnt eine Welle der Reform innerbetrieblicher und berufsschulischer Bildungsarbeit. Insbesondere industrielle Großbetriebe fördern das Lernen durch und in Projekten. Das Projekt „Dampfmaschine“ im Werk Gaggenau der Mercedes-Benz AG wird geradezu zur Legende. Seine Grundmerkmale sind (vgl. Fischer 1990):

> Die fachpraktischen Inhalte des ersten Ausbildungsjahres für alle industriellen Metallbe-

> > > >

rufe eignen sich die Auszubildenden im Laufe der Herstellung einer Dampfmaschine an. An die Stelle des lehrgangsmäßigen Einübens von Einzelfertigkeiten an Übungsstücken (demotivierender „Edelschrott“) werden berufsnotwendige Grundfertigkeiten und -kenntnisse in ihrer zielgerichteten Anwendung auf die Herstellung eines Produkts erfahren und erlernt. Das Lernen ist in Gruppen von vier bis sechs Auszubildenden organisiert. Die Unterweisung durch die Ausbilder wird durch den Informationsträger „Leittexte“ ersetzt. Die Auszubildenden sollen im Team ihre Lernprozesse mithilfe dieser Leittexte selbst organisieren (Selbstlernen). Die Auszubildenden sind in ihrem Arbeits- und Lernfortschritt vom Ausbilder über weite Strecken unabhängig, können ihn aber als Berater in Anspruch nehmen.

Die Zahnradfabrik Friedrichshafen weitet die projektorientierte Ausbildung auf die Fachstufe aus und verknüpft sie zugleich mit der kaufmännischen Ausbildung. Eine von den kaufmännischen Auszubildenden betriebene Übungsfirma bemüht sich um den Verkauf der im Rahmen der Fachstufenausbildung von den Auszubildenden des gewerblich-technischen Bereichs hergestellten Erzeugnisse. Aus dieser Projekteinbindung der betrieblichen Übungsfirma resultiert in der Folgezeit der von acht süddeutschen Betrieben getragene „Modellversuch Juniorenfirma“, der zu einer Bejahung der Ausgangsfrage führt, ob sich „projektorientierte Organisationsformen auch in der kaufmännischen Berufsausbildung“ (Fix 1989, S. 29) umsetzen lassen. An den erwähnten BGJ-Projekten sind in je unterschiedlicher Konstellation auch Berufsschulen beteiligt. Über Modellversuche speziell für berufsbildende Schulen werden

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Formen eines integrativen Unterrichts gesucht, sei es als Insellösungen im Lehrplan, sei es mit dem Anspruch eines curricularen Gesamtkonzepts. Als didaktische Hauptformen werden im kaufmännischen Unterricht Lernbüros (Münsteraner Projekt: Halfpap 1986; Paderborner Projekt: Kaiser 1987), Planspiele (Göttinger Projekt: Achtenhagen et al. 1992) oder Fallstudien (Hamburger Projekt: Reetz et al. 1987) entwickelt. Für den gewerblichtechnischen Unterricht werden fächerübergreifende Unterrichtsformen, wie z. B. sog. Lernträger, Lernaufgaben, Projekte sowie technische Experimente (LSW 1992) und sog. Didaktische Jahrgangsstufenprofile (Michelsen/Hansmann 1993) erprobt. In Bayern werden als Ergebnis eines an 26 Berufsschulen der Berufsfelder Wirtschaft und Verwaltung, Chemie, Metalltechnik und Elektrotechnik gelaufenen Modellversuchs (Schelten/Glöggler 1992; Heimerer/Schelten/Schießl 1996) „Empfehlungen zur Einführung eines fächerübergreifenden und handlungsorientierten Unterrichts in der Berufsschule“ (Heimerer/Schelten 1996) formuliert. Im Vollzug der Umsetzung der KMK-Handreichungen (2000) werden seit 1996 lernfeldorientierte Rahmenlehrpläne entwickelt und von den Bundesländern adaptiert, welche davon ausgehen, dass die in Lernfeldern didaktisch aufbereiteten beruflichen Tätigkeitsfelder bzw. Geschäftsprozesse in den Berufsschulen durch ein pragmatisch definiertes Konzept eines handlungsorientierten Unterrichts (vgl. KMK 2000, S. 10, 12) so vermittelt und angeeignet werden, dass bei den Berufsschülern berufliche Handlungskompetenz aufgebaut wird. Dieses im Wesentlichen alltagssprachliche Verständnis von Handlungsorientierung (vgl. Abschnitt 1) wird hinsichtlich seiner Dissemination seit der ab 1998 erfolgten Neuordnung der Modellversuchsförderung durch Vorhaben unterstützt, die im weiten Sinne auf eine Qualitätsverbesserung der beruflichen Bildung in Ausbildungsbetrieb und Berufsschule zielen und dabei auch Versuche umfassen, welche praktische Exempla für die unterrichtliche Implementation von Lernfeldern entwickeln, wie z. B. NELE und SELUBA (Bader/Sloane 2000).

3. Bewährungsprüfung Handlungsorientierung kann – so lassen sich die voranstehenden Ausführungen zusammenfassen – als kategoriale Bündelung für ein relativ weites Feld von Bemühungen um didaktische Innovation in der beruflichen Bildung aufgefasst werden. Aus unterrichtswissenschaftlicher und ebenso aus ausbildungspraktischer Perspektive stellt sich die Frage, ob bzw. inwieweit die vielseitigen Zielsetzungen, mit denen handlungsorientierte didaktische Konzepte bestückt sind, erreicht bzw. eingelöst werden. Der Beantwortung dieser Kontrollfrage wird zwar weit weniger Aufmerksamkeit und Arbeitseinsatz gewidmet als der publizistischen Aufbereitung von Postulaten und Gestaltungsempfehlungen, dennoch finden sich einige wenige evaluative Studien, wenn auch unterschiedlichen Anspruchs und unterschiedlicher Ausrichtung. Ein Teil dieser Arbeiten ist als interne Prüfung im Zuge der Erprobung neuer Lernumgebungen (z. B. Modellversuche, Schulversuche) entstanden, andere weisen ein der Sekundäranalyse ähnliches Design auf, und die dritte Kategorie umfasst Studien, in denen einschlägige Maßnahmen von externer Seite evaluiert werden. Die erstere Kategorie ist am dichtesten besetzt. In einigen der Vorhaben, die darauf ausgerichtet waren, als handlungsorientiert gekennzeichnete unterrichtliche Arrangements – dabei handelt es sich vor allem um Variationen realitätsnaher Simulationen kaufmänni-

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scher Arbeitsvorgänge – zu entwickeln und zu implementieren, wurde versucht, Wirkungen bzw. die Wirksamkeit dieser Maßnahmen zu ermitteln. Die vorliegenden Dokumentationen der betreffenden Erhebungen lassen erkennen, dass das Interesse der Autoren weit überwiegend darauf konzentriert war, die Akzeptanz und die Praktikabilität der – den handlungsorientierten Lernumgebungen subsumierten – Lernbüros zu belegen. Zwar wird von einigen Verfassern darauf hingewiesen, dass für eine aussagekräftige Evaluation die Modellannahmen, die tatsächlichen unterrichtlichen Prozesse und die Lernleistungen auf einander zu beziehen seien, die Umsetzung solcher Konzeptionen bleibt jedoch die Ausnahme. In der Mehrzahl der Fälle werden bei Lernenden und Lehrpersonen Einschätzungen erhoben, die keine spezifische Verbindung zu den speziellen Lernprozessen in einem handlungsorientiert konzeptualisierten Unterricht aufweisen. Die Prüfung der Wirksamkeit dieser Lernumgebungen im Sinne der Ermittlung des Grades, zu dem die intendierten Lernziele erreicht werden konnten, findet i. d. R. nicht statt. Diese Überprüfung ist im Rahmen der lernfeldzentrierten Modellversuche erst recht nicht möglich, weil „ein Konzept implementiert werden soll, was weder konzeptionell verbindlich definiert noch ausreichend einheitlich rezipiert wird“ (Kremer/Sloane 2000, S. 170). Das Design dieser Erhebungen eröffnet somit kaum eine Chance, auf der Basis der Daten – theorie- oder gestaltungsbezogen – weiterführende Aussagen generieren zu können. Zu den Studien, in denen (auch) Lernleistungen ermittelt wurden, gehören Arbeiten, die am Seminar für Wirtschaftspädagogik der Universität Göttingen entstanden sind (Achtenhagen et al. 1992; Preiss 1992) Unter den Bezeichnungen „Mehrdimensionale Lehr-Lern-Arrangements“ oder „Komplexe Lehr-Lern-Arrangements“ werden am Konzept des handlungsorientierten Lernens orientierte Lernumgebungen konzipiert und erprobt. Diese konzeptionelle Leitidee wird in der Form operationalisiert, dass betriebliche Prozesse simuliert, Lernsituationen für Gruppen organisiert und die Aufgaben am Computer ausgeführt werden. Anhand der bei diesen Erprobungen ermittelten Befunde lässt sich – nach Achtenhagen (1993) – die Wirksamkeit der entwickelten Lernumgebung – insbesondere bezogen auf die inhaltlichen Lernergebnisse – demonstrieren. Zur zweiten Kategorie von Studien gehören jene, deren Autoren sich die Aufgabe stellen, in Bezug auf eine Fragestellung einschlägige Untersuchungsbefunde zu identifizieren, deren theoretische Voraussetzungen und deren Design kritisch zu würdigen und durch das Zusammenfügen der Einzelbefunde, Aussagen hinsichtlich der Bewährung von Theorien oder gestalteter Praxis machen zu können. Aufgrund der wenig entfalteten Forschungsaktivität im Bereich der handlungsorientierten unterrichtlichen Konzepte sind auch in dieser Kategorie einschlägige Arbeiten kaum vorhanden. Darüber hinaus verfügt die für diese Kategorie kennzeichnende Arbeitsweise weder in der Technik- noch in der Wirtschaftspädagogik über eine entwickelte Tradition. Beiträgen – wie dem in 2000 publizierten Aufsatz von Reinhold Nickolaus – kommt daher für die Einschätzung des Stands der Forschungsund Entwicklungsarbeiten und zur Identifizierung des etwaigen Forschungsbedarfs eine bedeutsame Funktion zu. Der Verfasser geht der Frage nach, „inwieweit die in der berufspädagogischen Theorie und Praxis feststellbare Tendenz, handlungsorientierte Vermittlungs- und Erarbeitungsformen zu präferieren, auf einer gesicherten (empirischen) Basis beruht“ (Nickolaus 2000, S. 190). Da offen bleibt, was in diesem Kontext unter handlungsorientierten Vermittlungs- und Erarbeitungsformen verstanden wird, nach welchen Kriterien die zu berücksichtigenden Studien ausgewählt und nach welchen Standards sie beurteilt werden sollen, um Anhaltspunkte für den Umgang mit ihren Befunden zu haben, sind dem Beitrag nur bedingt Antworten auf die gestellte Frage zu entnehmen.

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Dieser wenig befriedigende Ausgang des Unterfangens spiegelt jedoch tatsächlich den Stand der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten und so ist dem Verfasser u. E. auch zuzustimmen, wenn er in seinem Fazit feststellt: „Die in Gang gesetzten Reformvorhaben bedürfen dringend einer wissenschaftlich ausgerichteten Evaluationsforschung“ (Nickolaus 2000, S. 204). Im Rahmen des BLK-Modellversuchsprogramms „Neue Lernkonzepte in der dualen Berufsausbildung“ haben sich Günter Pätzold et al. (2003) u. a. die Aufgabe gestellt, zu ermitteln, inwieweit die Konzepte handlungsorientierten Unterrichts „angenommen und nachhaltig sowie breitenwirksam die Unterrichtspraxis an beruflichen Schulen – wie auch die Praxis der betrieblichen Ausbildung – bestimmt und verändert haben“. Diese Erhebung und die Studie von Michael Barre (2004), in der der Autor eine handlungspsychologisch fundierte Analyse des Lernbürounterrichts unternimmt, rechnen wir der dritten Kategorie (externe Evaluierung) zu. Bei ihrer schriftlichen Befragung von Lernenden und Lehrpersonen an Berufsschulen haben Pätzold et al. zur Ermittlung der Einsatzhäufigkeit von Lehrmethoden im berufsbezogenen Unterricht zwischen „Frontalunterricht“ und „handlungsorientierte Methoden“ unterschieden. Letztere wurden für das Berufsfeld Wirtschaft und Verwaltung differenziert in Projektunterricht, Erkundung, Lernen mit dem Computer, Fallstudie, Planspiel und Rollenspiel. In ihrem Ergebnisüberblick halten Pätzold et al. (2003, S. 243) fest, dass zwar eine Variation der eingesetzten Methoden erkennbar sei, dass aber dennoch gelte: „Die eher handlungs- und schülerorientierten Lehr-Lern-Arrangements nehmen in ihrer Häufigkeit eine ergänzende Funktion zum Frontalunterricht ein“. Darüber hinaus besäßen die Lehrpersonen „zum Teil nur geringe Kenntnisse dieser Methoden“. Obwohl diese Erhebung hinsichtlich der Konzeptualisierung der Konstrukte, der Operationalisierung der Dimensionen, des Designs und in Bezug auf die Auswertung und Dokumentation einige Problemstellen aufweist, können die Ergebnisse dennoch vorläufig als Indizien genommen werden für eine bislang wenig erfolgreiche Implementierung des Konzepts Handlungsorientierung in der Praxis der beruflichen Bildung. Mit seiner ebenfalls zur Kategorie externer Evaluierungen gehörenden Studie legt Michael Barre (2004) eine Arbeit zur Evaluierung des Lernbüros – einer von der weit überwiegenden Mehrzahl der Fachvertreter als handlungsorientiert gekennzeichneten Lernumgebung – vor. Diese Evaluation „schließt sowohl handlungstheoretisch konzipierte Analysen der Arbeitsanweisungen und Analysen der Lernhandlungen im Unterricht als auch die Feststellung und Bewertung der Lernergebnisse ein“ (Barre 2004, S. 3). Die im Rahmen seines theoretisch und konzeptionell anspruchsvollen Programms erarbeiteten Ergebnisse führt Barre (2004, S. 260) in folgendem Fazit zusammen:

> Lernbüros, die in der Weise konzipiert sind, die dem Typ entsprechen, an dem die Untersuchungen durchgeführt wurden, weisen die mit Lernbüros konzeptuell verbundenen Lernsituationen (entscheidungsorientiertes, kooperatives, unternehmerisch-reflexives Handeln) weder planungsseitig noch in der Realisierung auf; > bei dem untersuchten Lernbürounterricht sind Lernhandlungen, die höheren Regulationsebenen zuzuordnen wären, weder Gegenstand des Konzepts, noch werden sie in der Durchführung initiiert. Bei den Lernleistungen zeigen sich zwar Steigerungen im Bereich der kaufmännischen Routinen, Hinweise auf den Erwerb von über diese Routinen hinausreichenden Fähigkeiten finden sich nicht.

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4. Zusammenfassung Der Rückblick auf die seit ca. den 1980er Jahren verstärkt erkennbare – und im Anschluss an frühere, mehr oder weniger affine Konzepte – neue Befassung mit Handlungsorientierung lässt sich u. E. in folgenden Punkten zusammenfassen: (a) Handlungsorientierung ist inzwischen als Bezeichnung im Kontext der beruflichen Bildung etabliert. Allerdings konnte bislang noch keine allgemein geltende oder zumindest dominierende definitorische Konvention erzielt werden. Somit bedarf es immer wieder von neuem der Präzisierung dessen, wofür Handlungsorientierung stehen soll. (b) In den neuen bzw. aktualisierten Ordnungsmitteln für die berufliche Bildung wird die unterrichtliche Realisation des Lernfeldkonzepts mit handlungsorientiertem Unterricht verknüpft und postuliert, dass dieser geeignet sei, fach- und handlungssystematische Strukturen miteinander zu verschränken. Zugleich wird die auf bestimmte Methoden fixierte Interpretation aufgegeben, eine Orientierung anhand von Prinzipien oder Standards wird nicht angeboten. (c) Die Erfassung von Wirkungen und die Prüfung der Wirksamkeit handlungsorientierten Unterrichts gehören weiterhin zu den vordringlichen Forschungsaufgaben. Die bisher vorliegenden Studien erfüllen nur in wenigen Fällen die theoretischen und forschungstechnischen Voraussetzungen, um zuverlässige Ergebnisse generieren zu können. Darin, diesen Forschungsbedarf zu decken, sehen wir eine der Herausforderungen der Technik- und Wirtschaftspädagogik.

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Gestaltung von Arbeit und Technik Felix Rauner

Die Befähigung Felix Gestaltung Raunervon zur Arbeit (Mit-)Gestaltung und Technik von Arbeit und Technik hat als eine Leitidee für die berufliche Bildung seit ihrer Begründung Mitte der 1980er Jahre (Rauner 1986, 1987, 1988) eine rasche Verbreitung gefunden. So hebt die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Zukünftige Bildungspolitik – Bildung 2000“ in ihrem Abschlussbericht mehrfach den „Perspektivwechsel“ weg von einer zu engen Anpassungsorientierung und hin zu einer aktiven Mitgestaltung der zukünftigen Gesellschaft ... und der Arbeitswelt als eine zentrale bildungspolitische Orientierung hervor (S. 5, 20, 28). Sie nimmt damit die wesentlichsten Momente des beim Expertenhearing zum „Strukturwandel von Arbeit und Beruf und sein Verhältnis zu Bildung und Ausbildung unter besonderer Berücksichtigung des Flexibilitätsaspektes“ (15.2.1989) von Heidegger vorgetragenen „Gestaltungsansatzes“ auf (vgl. Zwischenbericht, Kap. III. 2.1.3) und führt dazu aus: „Wenn die Humanität der zukünftigen Gesellschaft entscheidend davon abhängt, ob es gelingt, Teilungen und Zerstückelungen aufzuhalten, ... dann muss Bildung zu allererst den Gestaltungswillen entwickeln helfen ... und muss Gestaltungsfähigkeit ... anstreben“. „Gestaltungskompetenz“ wird dabei ausdrücklich auch für die technische Bildung gefordert (S. 30). Die von der Kommission formulierte Empfehlung 1/88 (S. 72f.) zur Verankerung eines entsprechenden Bildungsauftrages im Berufsbildungsgesetz ist nicht nur konsequent, sondern fordert angesichts der hier immer wieder vorgebrachten verfassungsrechtlichen Einwände Bund und Länder auf, diese für die Qualität beruflicher Bildung nachteilige Gesetzeslücke zu schließen. In der Rahmenvereinbarung der KMK zur Berufsschule (KMK 1991) sowie in den Handreichungen zur Erarbeitung von Rahmenlehrplänen wird das neue Leitbild für die Berufsbildung: Die Befähigung „Zur Mitgestaltung der Arbeitswelt und Gesellschaft in sozialer und ökologischer Verantwortung“ hervorgehoben (KMK 2000, S. 8). Bevor einige der wesentlichen Momente des Konzepts der Gestaltung von Arbeit und Technik in seiner Bedeutung für das didaktische Handeln in der Berufsbildung dargestellt werden, soll in einem ersten Schritt untersucht werden, ob es sich hier nicht nur um eine „neue“, sondern auch um eine von der Tradition der Berufsbildung, wie sie sich bis Ende der 1970er Jahre v. a. in den Berufsbildern und Ausbildungsordnungen niederschlägt, grundlegend verschiedene Berufsbildungskonzeption handelt, der das Attribut „Perspektivwechsel“ zugestanden werden kann.

1. Handeln versus Gestalten Die breite Rezeption psychologischer Handlungs-, Tätigkeits- und Kognitionstheorien in den 1970er Jahren durch die Arbeits- und Erziehungswissenschaften trug wesentlich zu den vielfältigen berufspädagogischen Versuchen bei, berufliche Bildungsprozesse unter

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dem Aspekt der Handlungsorientierung zu interpretieren und zu gestalten.1 Durch die vom Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung (BBF) Anfang der 1970er Jahre initiierten Großprojekte in den Berufsfeldern Metall- und Elektrotechnik zum experimentierenden Lernen (vgl. Rauner u. a. 1975) und die Renaissance des projektorientierten Lernens (vgl. Wiemann 1976) wird die Hinwendung zum handlungsorientierten Lernen deutlich begünstigt. Mit der Neuordnung der Metall- und Elektroberufe Ende der 1980er Jahre erfährt das handlungsorientierte Lernen eine Aufwertung, wie es wohl bisher kein anderes methodisch-didaktisches Konzept erfahren hat: Das handlungsorientierte Lernen wird zu einer quasi-offiziellen Methode für die berufliche Bildung. So heißt es z. B. im nordrheinwestfälischen Lehrplan für die Berufsschule (1991): „Das Unterrichtsprinzip der Handlungsorientierung gilt für alle Fächer der Lehrpläne“ (S. 8). In den KMK-Rahmenplänen für die neugeordneten Elektro- und Metallberufe wird als Leitidee die „berufliche Handlungsfähigkeit“ hervorgehoben. Drei wesentliche Ziele werden mit dem didaktisch-methodischen Konzept des handlungsorientierten Lernens und der beruflichen Handlungskompetenz verfolgt:

> Die Effektivität beruflicher Lernprozesse lässt sich durch die Methode des Handlungslernens bzw. des handlungsorientierten Lernens deutlich erhöhen. Die erhöhte Eigenständigkeit der Lernenden steigert die Lernmotivation und den Lernerfolg. > Die ganzheitliche Arbeitshandlung, wie sie – unter dem Druck des Qualitätswettbewerbes – durch die Rücknahme arbeitsteiliger industrieller Prozesse und als Leitidee in den neugeordneten Metall- und Elektroberufen verankert ist, legt eine Reintegration des vielfältig in Fächer, Lernschritte und Feinlernziele geteilten Unterrichtes und die Einführung „ganzheitlicher“ Unterrichtsmethoden nahe. Die Projektmethode und das handlungsorientierte Lernen erfahren dadurch eine deutliche Aufwertung (vgl. Ott 1993). > Einige Autoren setzen sich aus pädagogischer Perspektive kritisch mit dem reduktionistischen Handlungsbegriff auseinander, wie er in den psychologischen Handlungstheorien durchgängig Verwendung findet. Erst ein Handlungsbegriff, der sich auf das Wechselverhältnis von Subjektivität und Gesellschaftlichkeit bezieht, erlaubt es, psychologische Handlungstheorien erziehungswissenschaftlich fruchtbar zu machen. Dieses dritte Moment weist jedoch über die Enge handlungstheoretisch angeleiteter Didaktiken hinaus und bietet Anknüpfungspunkte zu ihrer Überwindung (vgl. Brater 1984; Weisenbach 1988). Berufliche Handlungskompetenz, wie sie aus einer handlungsorientierten Berufsbildung erwächst, erweist sich als eine Leitidee, die mit dem im Berufsbildungsgesetz formulierten Zweck der Berufsausbildung durchaus korrespondiert. Die Berufsausbildung dient, so legt es § 25, Abs. 1 des BBIG fest, als „Grundlage für eine geordnete und einheitliche Berufsausbildung sowie zu ihrer Anpassung an die technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfordernisse und deren Entwicklung“. Berufliche Bildung ist danach Anpassungsqualifizierung. Das Konzept des handlungsorientierten Lernens und der Handlungskompetenz ändern daran solange nichts, solange das Handlungslernen als didaktisch-methodisches Instrumentarium aufgefasst wird, mit dessen Hilfe berufliche Bildung in der Tradition der Anpassungsqualifizierung lediglich effektiver gestaltet werden kann. Laur-Ernst 1 Eine erste umfassende Untersuchung zur Relevanz psychologischer Handlungstheorien für die Entwicklung beruflicher Handlungsfähigkeit legte Ute Laur-Ernst mit ihrer Dissertation 1983 vor (Laur-Ernst 1984).

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hebt daher zu Recht die Offenheit des Konzepts der beruflichen Handlungsfähigkeit hervor und kommt zu dem Schluss: „Im negativen Extrem könnte der Besitz beruflicher Handlungsfähigkeit zugleich weitreichende Inkompetenz bedeuten“ (Laur-Ernst 1984, S. 109). Der psychologische Handlungsbegriff betont die psychische Struktur des Handelns und abstrahiert sowohl von den Inhalten als auch vom gesellschaftlichen Charakter der menschlichen Handlung. Hierin liegt sicher eine Ursache für die breite Anwendung der Handlungsregulationstheorie in der arbeitswissenschaftlichen Forschung. Aus bildungstheoretischer Sicht macht dies jedoch seine entscheidende Schwäche aus. Die Vermittlung beruflicher Handlungskompetenz lässt sich problemlos als Anpassungsqualifizierung organisieren. Mit „Handlungsstruktur“ und „Handlungsregulation“ werden die psychischen Strukturen von Handlungsprozessen hervorgehoben – mehr nicht. Handeln nach Anweisungen, vorgegebenen Spezifikationen, detaillierten Plänen und Handlungsanweisungen waren und sind eher typische Handlungsformen, wie sie in der berufsförmig organisierten (industriellen) Facharbeit bis in die jüngste Zeit eine weite Verbreitung gefunden haben.2 Den Versuchen, das handlungsorientierte Lernen und die berufliche Handlungskompetenz per Definition zu einem pädagogisch-didaktischen Konzept umzudeuten, sind daher enge Grenzen gesetzt. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Arbeiten von Michael Brater, der das Konzept des Lernhandelns pädagogisch entfaltet hat. Braters Kritik an der Einengung des Handlungsbegriffs auf die Dimension des zweck-rationalen Handelns und seine theoretischen und praktischen Versuche, das kreative und situative Handeln in der beruflichen Bildung stärker zu verankern (Brater 1984), haben deutliche Bezüge zu den Untersuchungen von Polanyi (1966) über Tacit Knowledge und Tacit Skills sowie zur Diskussion unter Informatikern über das Verhältnis menschlicher und künstlicher Intelligenz (vgl. dazu Dreyfus/Dreyfus 1986; Ehn 1988; Winograd/Flores 1986). Anders als berufliche Handlungskompetenz verweist „Gestaltungskompetenz“ auf die schöpferische Qualität des selbstverantworteten Tuns sowie auf die Inhaltlichkeit der Gestaltungsspielräume. Die berufspädagogische Leitidee der Befähigung zur (Mit-)Gestaltung von Arbeit und Technik steht im Widerspruch zu einem durch Technik, Genauigkeitsplanung und hocharbeitsteilige hierarchische Formen der Arbeitsorganisation determinierten Arbeitsprozess. Wenn sich zeigen lässt, dass die gesellschaftliche Wirklichkeit sehr viel weniger durch Technologie und Kapitalverwertung determiniert ist, als es der technische und ökonomische Determinismus unterstellen, dann bietet das Konzept der Gestaltung von Arbeit und Technik für das didaktische Handeln in der Berufsbildung einen Weg aus der Befangenheit in der deterministischen Tradition beruflicher Anpassungsqualifizierung. Eine bildungstheoretische Fundierung hat dazu Gerald Heidegger vorgelegt (Heidegger 1997, S. 19–45).

2. Technologischer Determinismus versus Gestaltung von Arbeit und Technik „Technological change seems to have its own logic which we may perhaps protest about or even try to block, but which we appear to be unable to alter fundamentally.“ Dieses All2 Vgl. z. B. die Ausbildungsordnung für die industriellen Elektroberufe von 1972 (ZVEI 1973).

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tagsverständnis des technischen Wandels, wonach Technik als letzte Ursache jeglicher gesellschaftlicher Bewegung erscheint, bezeichnen MacKenzie und Waycman als „The single most influencial theory of the relationship between technology and society“ (1984, S. 4). Wie wirkt sich nun diese in Wissenschaft und Praxis verbreitete Vorstellung, wonach der technische Fortschritt, quasi eigenen Sachgesetzen folgend, die unabhängige und der gesellschaftliche Wandel die abhängige Variable ist,3 auf das didaktische Handeln in der Berufsbildung aus? Einen für das didaktische Handeln in der Berufsbildung folgenreichen Niederschlag hat der technologisch-ökonomische Determinismus in der Qualifikationsforschung gefunden. Die Qualifikationsforschung diente in den 1970er Jahren der Ermittlung von Grundlagenwissen u. a. für die Weiterentwicklung und Begründung der Ausbildungsordnungsforschung und die Neuordnung von Ausbildungsordnungen. Fragestellungen, Methoden und Ergebnisse der Ausbildungsordnungsforschung sind, so lässt sich zeigen, tief verwurzelt in einem technik-deterministischen Verständnis, wonach die Technikentwicklung mit ihren Auswirkungen auf die Arbeitsstrukturen und -inhalte zu veränderten Qualifikationsanforderungen führt (vgl. Hegelheimer u. a. 1975). Die breite Rezeption der De-Skilling-These Bravermans (1974) sowie die in der Folge auch in Deutschland populäre These fortschreitender Dequalifizierung, zumindest der Polarisierung der Qualifikationsanforderungen in den industriellen Produktionsprozessen,4 bewog den BMBW 1978, das Batelle-Institut mit einer Untersuchung zu den „Auswirkungen einer breiten Einführung von Mikroprozessoren auf die Bildungs- und Berufsqualifizierungspolitik“ zu beauftragen. Zentrales Untersuchungsziel war der „Versuch der Ermittlung möglicher und/oder notwendiger Anpassungsmaßnahmen der Bildungs- und Berufsqualifizierungspolitik einschließlich Weiterbzw. Anpassungsfortbildung“ (Gizycki/Weiler 1980). Nach Vorliegen des Berichtes teilte der damalige Bundesminister Schmude erleichtert mit: „Die sogenannte Dequalifizierungsthese wird durch die Untersuchung (des Batelle-Instituts) ebenso wenig bestätigt wie die Polarisierungsthese. D. h. die Erwartung ist unzutreffend, dass im Zuge der Rationalisierung durch den Einsatz von Mikroelektronik bei einer größer werdenden Arbeitnehmerschaft nurmehr geringe Qualifikationen gebraucht werden“. Zu erwarten sei dagegen eher ein „allgemeiner Trend zur Höherqualifizierung“ (BMBW 1980). Diese These wurde ebenfalls von der Berliner Projektgruppe „Automation und Qualifikation vertreten. Diese Projektgruppe begründet ihre These zunächst weniger anhand eigener empirischer Untersuchungen, sondern unter Bezugnahme auf die Marx’sche Theorie des historischen Prozesses: “Es zeichnet sich ab, dass die Arbeitskraft zunehmend höher qualifiziert sein muss. Das Ende der Verkümmerung der Arbeitstätigkeit zu einer Detailfunktion ist in Sichtweite gerückt (Haug u. a. 1979, S. 24). An anderer Stelle stellen die Autoren fest: „Die Automation ist ... die Produktionsweise des Sozialismus“ (Haug/Ohm/Waldhubel 1977). Die Vehemenz, mit der die Diskussion um die Entwicklung des Niveaus der Qualifikationsanforderungen in der Folge der fortschreitenden Modernisierung der industriellen Produktion bis Mitte der 1980er Jahre geführt wurde, ist Ausdruck der Vorstellungen, 3 Vgl. v. a. Ogburn/Nimhoff (1964), aber auch Freeman/Clark/Soete (1982) sowie Cooper/Clark (1982). 4 Die einschlägigen Untersuchungen am SOFI (Göttingen) gehen von der Grundannahme aus, „dass das der Produktionsprozess zentral Kapitalverwertungsprozess ist bzw. das Verwertungsinteresse des Kapitals der Motor der ökonomischen, technischen und arbeitsorganisatorischen Entwicklung ist“. Es geht demnach um den Nachweis, „dass das Verwertungsinteresse des Kapitals nicht nur die technisch-organisatorischen Entwicklungen im Reproduktionsprozess beherrscht, sondern dadurch auch Rahmenbedingungen anderer Teilbereiche (z. B. für den Bereich des Bildungswesens) gesetzt werden (Mickler/Mohr/Kadritzke 1979, S. 140).

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dass der technische Wandel (technologischer Determinismus) oder der Kapitalverwertungsprozess (ökonomischer Determinismus) das Qualifikationsniveau determinieren. Für die Gestaltbarkeit von Technik und Arbeit und eine gestaltungsorientierte Berufsbildung lässt die so konzipierte Qualifikationsforschung wenig oder keinen Raum. Der rascher werdende technische Wandel forderte die Arbeitsmarktforschung ebenso wie die Berufsbildungsforschung heraus, neue Formen der Modernisierung und Anpassung der Berufsbilder und Ausbildungsordnungen zu entwickeln. Drei Ansätze lassen sich bei dem Versuch unterscheiden, das unterstellte Time Lag zwischen der vermeintlich vorauseilenden Technikentwicklung und der hinterherhinkenden inhaltlichen Modernisierung der Berufsbildung zu verringern. Wobei in allen Fällen von einem quasi naturgegebenen zeitlichen Abstand zwischen Technikentwicklung und beruflicher Bildung ausgegangen wird, dessen Abstand durch wirkungsvolle Anpassungsleistungen seitens der Berufsbildung allenfalls verringert werden könne. 1. Eine höhere Adaptivität beruflicher Bildung kann durch ihre Flexibilisierung (Mertens/Kaiser 1978) und Modularisierung erreicht werden. Für die Curriculumentwicklung werden demzufolge Baukastensysteme empfohlen. 2. Die Identifizierung und Vermittlung von „Schlüsselqualifikationen“ befreit die Berufsbildungspraxis, die Berufspädagogik sowie die Berufsbildungsforschung weitgehend von der Suche nach dem je aktuellen Arbeitsprozesswissen und den darauf bezogenen Lehrinhalten sowie damit auch vom Anpassungsdruck, der auf dem Berufsbildungssystem lastet (Mertens 1974). 3. Auf die Antizipation der zukünftigen Entwicklungslinien von Technik und Arbeit stützt sich eine „antizipative“ Berufsbildungskonzeption (vgl. Bunk 1982). Auf diesem Wege gelingt scheinbar die Überwindung des Anpassungsansatzes. Auch hier handelt es sich um einen deterministischen Ansatz, da der Versuch unternommen wird, technische Entwicklungslinien zu antizipieren und zu prognostizieren, um Berufsbildung frühzeitig an den prognostizierten Trend anpassen zu können. Eine gewisse Abkehr von dieser Tradition stellen das bildungsökonomische Konzept der relativen Autonomie des Bildungswesens (Bourdieu/Passeron 1971) sowie der berufspädagogisch begründete Vorschlag Lipsmeiers (1988) zu einem autonomen Curriculum für die Berufsschule dar. Die Rückbesinnung auf den Bildungsauftrag der Berufsschule entschärft das Anpassungsproblem zunächst, da Bildung nicht an bestimmte Inhalte gebunden ist. Dass noch am ehesten über den Bildungsbegriff ein Ausweg aus der durch die Qualifikationsforschung eingeengten Qualifikationsdiskussion gefunden werden kann, liegt auf der Hand. Die Frage nach den Zielen und Inhalten beruflicher Bildung ist damit jedoch noch nicht beantwortet. Während das didaktische Handeln in der Berufsbildungspraxis in den 1980er Jahren noch durchgängig geprägt ist durch ein deterministisches Technikverständnis und einen entsprechenden Qualifikationsbegriff, wie ihn die Qualifikations-, Berufsbildungs- und Arbeitsmarktforschung empirisch und konzeptionell untermauert haben, erwachsen aus der technisch-kritischen Diskussion der 1970er Jahre zahlreiche technik-historische und soziologische Untersuchungen, in denen die Technikentwicklung als eine Folge vielfältiger gesellschaftlicher Prägungen (Kuby 1981) und Verzweigungssituationen (Rosenbrock 1984) rekonstruiert wird. Die Arbeiten von Hellige (1984) sind hier ebenso wegweisend. Die Bedeutung des „technisch-wissenschaftlichen Problemlösungshorizontes“ (Hellige 1984) von Ingenieuren auf die Technikgenese in unterschiedlichen Industriekulturen

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(Rauner/Ruth 1991) hat wesentlichen Einfluss auf die technik-soziologische Forschung zu den gesellschaftlichen und subjektiven Leitbildern in ihrer Bedeutung für die Technikgestaltung. Mit dem Hinweis auf den zunehmenden Bedarf an „Gestaltungswissen“ für eine soziale Modernisierungspolitik schlagen 1984 eine Reihe von Sozialwissenschaftlern in einem Memorandum die Verstärkung der Technikgenese-Forschung vor: „Erst eine systematische Erweiterung der Wirkungsforschung um den bisher weit weniger gut untersuchten Prozess der Erzeugung und Durchsetzung technischer Innovationen, d. h. um die Entwicklungs- und Anwendungsdimension der Technik, wird die sozialwissenschaftliche Technikforschung in den Stand setzen, den Anforderungen aus der gesellschaftlichen Praxis verantwortungsvoll zu genügen“ (Memorandum 1984). Technikentwicklung wird dabei als ein sozialer Prozess verstanden. Mit diesem spektakulären Schritt vollzieht die sozialwissenschaftliche Technikforschung einen deutlichen Perspektivwechsel, bei dem die bis Anfang der 1980er Jahre vorherrschende Technik-Forschung deutlich korrigiert wurde. Bis dahin wurde Technik allzu häufig lediglich als eine Illustration für eine analytische Rekonstruktion der Strategie zur Sicherung der Kapitalverwertungsmöglichkeiten bei veränderten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen betrachtet (vgl. etwa Ullrich 1979, S. 49f.). Die technik-kritischen Diskussionen der 1970er Jahre sowie v. a. die Arbeiten des Historikers David Noble (1979) fanden ihren Niederschlag auch in ingenieurwissenschaftlichen Projekten zur alternativen Technikgestaltung. Die Arbeiten der englischen Ingenieurwissenschaftler Howard Rosenbrock und Mike Cooley haben in Deutschland nicht nur die wissenschaftliche Diskussion, sondern v. a. auch einen Umdenkungsprozess bei den Gewerkschaften hin zu einer gestaltungsorientierten Beschäftigung mit Technik und Arbeit (Cooley/Friberg/Sjöberg 1978; Rosenbrock 1979, 1984) stark beeinflusst. Die bis dahin deutlich auf Prävention ausgerichteten Forschungs- und Entwicklungsprogramme zur Humanisierung des Arbeitslebens in Schweden und Deutschland wurden Mitte der 1980er Jahre in den Bundesländern Bremen und NRW sowie später auch auf Bundesebene durch Forschungs- und Entwicklungsprogramme zur Gestaltung von Arbeit und Technik abgelöst bzw. zu solchen weiterentwickelt. Die Sachverständigenkommission Arbeit und Technik, die 1984 mit der Entwicklung eines „Arbeit und Technik“-Forschungsund Entwicklungsprogrammes für das Land Bremen beauftragt wurde, stellte schon zu Beginn ihrer Tätigkeit „Gestaltung“ als ihren Schlüsselbegriff heraus: „Gestalten ist hier ein kritischer Begriff, der an dem Unbehagen ansetzt, dass es unausgeschöpfte Spielräume zur sozialen Gestaltung von Arbeit und Technik gibt. Darüber hinaus zielt Gestaltung auf die Kunstfertigkeit, das Gegebene in eine neue gewünschte Form bringen zu können. Es wird die Chance gesehen, Bedürfnisse und Interessen der Vielen, die herkömmlich von der Gestaltung von Arbeit und Technik ausgeschlossen sind, stärker zu berücksichtigen“ (Sachverständigenkommission 1986, S. 13). Mit dem europäischen ESPRIT-Projekt „Human-Centred-CIM-Systems“ wurde erstmals im Bereich der „großen“ Forschung die Attraktivität des Gestaltungsansatzes über die Ingenieur- und Arbeitswissenschaften sowie über die Berufspädagogik hinaus durch die Industrie auf geradezu spektakuläre Weise aufgegriffen (Corbett/Rasmussen/Rauner 1991 sowie Rosenbrock 2004).5 Seither steht „Skill Based Design“ (Salzmann 1992) für den Versuch, Technik für die Mensch-Maschine-Interaktion an die besonderen Fähigkeiten 5 Am ESPRIT-Projekt 1199 „Human Centred CIM-Systems“ waren neben Forschungsinstituten der Technischen Universität Manchester (UMIST), der Technischen Universität Kopenhagen, dem Dänischen Technologischen Institut (DTI) und der Universität Bremen (ITB und BIBA) u. a. die Unternehmen Rolls Royce, BICC und Krupp Atlas Elektronik beteiligt.

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des Menschen anzupassen. In weniger als zehn Jahren – seit Mitte der 1980er Jahre – ist damit dem Taylorismus und der Anpassungsqualifizierung eine beachtliche Alternative erwachsen, die nicht nur durch gewerkschaftliche Gegenmacht, sondern v. a. durch den internationalen Qualitätswettbewerb und den damit einhergehenden Rationalisierungsdruck befördert – nicht determiniert – wurde (vgl. Dybowski u. a. 1993). Damit geht ein Bedeutungszuwachs partizipativer betrieblicher Organisationsentwicklung einher. Durch die zunehmende Plastizität moderner Technologien wird diese Entwicklung gestützt. Die offenen Systemarchitekturen (OSA) für die rechnergestützte integrierte Produktion und Dienstleistung, wie sie etwa von IBM entwickelt wurde, unterstellt einen neuen Mitarbeitertypus: „Das zentrale Grundübel für eine integrierte Organisationsentwicklung ist das Festhalten am Taylorismus. Wenn flache Organisationsstrukturen, kooperatives Management, Arbeiten im Team und autonome Entscheidungen wesentliche Momente zukünftiger Arbeitsorganisation sind, muss dies sowohl gelehrt, aber eben auch trainiert werden. Hier muss die Berufsbildung völlig neue Wege gehen. In dem klassischen Verständnis von beruflicher Bildung sind solche Leitideen nicht angelegt. Das Grundmuster von mündigen, eigenverantwortlichen und sozial handelnden Bürgern muss zur Leitidee jeglicher Bildung werden und muss darüber hinaus ebenso im gesellschaftlichen wie im betrieblichen Leben verankert werden“ (Ganguin 1993, S. 33). In gewisser Weise paradox ist nun, dass für die Entwicklung und Normierung offener Systemarchitekturen für die computerintegrierte Produktion und Dienstleistung als ein wesentliches Entwicklungskriterium zwar die partizipative betriebliche Organisationsentwicklung unterstellt wird, dass jedoch gleichzeitig das Entwicklungsergebnis: die offene Systemarchitektur, auch gegensätzliche Applikationen – etwa in der Tradition des Taylorismus – erlaubt. Aus der Sicht der Volkswagen AG fordern daher Lacher und Haase „berufliche Qualifizierung und Berufsbildung als eine relativ eigenständige Größe im Wechselverhältnis von Technikentwicklung, Wandel der Tätigkeit und berufsbezogenen Fähigkeiten zu sehen, um die .... Anforderungen an betriebliche Organisations- und Personalentwicklungsprozesse nicht der Beliebigkeit zu überlassen und darüber das Missverständnis von der deterministischen Abhängigkeit qualifikatorischer Kompetenzen von der Technikentwicklung beizubehalten“ (Haase/Lacher 1993, S. 108). Durch eine Reihe von HdA- bzw. „Arbeit und Technik“-Projekten zur Einführung von Fertigungs- und Logistikinseln (Felten/Guilleaume) sowie durch einschlägige Studien des Arbeitskreises wirtschaftliche Fertigung (AWF) wurde das Umdenken in der industriellen Praxis vorbereitet. Aber erst die umfangreiche Rezeption der MIT-Studie zur schlanken Produktion in der Automobilindustrie (Womack/Jones/Roos 1990) haben zu einer breiten Akzeptanz des Konzepts der „Gestaltung von Arbeit und Technik“ geführt. Es lässt sich nicht genau rekonstruieren, ob die wesentlichen Impulse für das Konzept der Gestaltung von Arbeit und Technik aus dem Wissenschaftssystem oder aus anderen Bereichen gesellschaftlicher Praxis entstammen. Mit dem Buchtitel „Gestalten – eine neue gesellschaftliche Praxis“ (Rauner 1988) sollte daher auch auf den weit über den Wissenschaftsbereich hinausreichenden Paradigmenwechsel in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Arbeit, Technik und Bildung aufmerksam gemacht werden. Brödners populär gewordenen alternativen Szenarien zum technozentrischen und anthropozentrischen Entwicklungspfad der zukünftigen Fabrik (Brödner 1985) gaben den Anstoß, an Stelle des der deterministischen Tradition entstammenden Prognoseansatzes die zukünftige Entwicklung von Arbeit und Technik in der Form möglicher Szenarien zu entwerfen. Die in einem ITB-Projekt entwickelten integrierten Szenarien „Berufsbilder 2000“ stellen den Ver-

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such dar, die Szenarienmethode auch für eine gestaltungsorientierte Berufsbildungsplanung nutzbar zu machen (vgl. Heidegger u. a. 1991; Grollmann/Kruse/Rauner 2001). Eine andere Form nicht-deterministischer Arbeit und Technik-Gestaltung hat sich im Bereich des Software-Engineering herausgebildet. Die partizipative Software-Entwicklung ist Ausdruck einer auf den Zusammenhang von Arbeit und Technik zielenden Gestaltungsmethodik, mit der es gelingt, die Arbeitserfahrung, das berufliche Know-how der potenziellen Software-Nutzer, in den Entwicklungsprozess einzubeziehen. Die Software-Produkte werden in diesem Zusammenhang daher auch eher als Arbeitssysteme verstanden (vgl. Floyd 1994; Pasmore 2001; Garibaldo/Rasmussen 2004; Rasmussen 2004).

3. Abstrakte versus konkrete Technik als Gegenstand fachkundlicher Berufsbildung Während die Ausbildungsordnungsforschung in der Tendenz versucht, Berufsbilder dem Wandel der Facharbeit anzupassen und dabei die größer werdenden Spielräume bei der Gestaltung und Organisation der Arbeit eher unterschätzt oder gar übersehen hat, leiten die beruflichen Fachdidaktiken die Lehrinhalte beruflicher Fachbildung in der Berufsschule hauptsächlich aus den korrespondierenden Fachwissenschaften ab. In der gewerblichtechnischen Berufsbildung folgt die „Fachtheorie“ mehr oder weniger der Systematik und den Inhalten der einschlägigen Wissenschaftsdisziplinen, insbesondere deren „Grundlagen“. Technik erscheint in der gewerblich-technischen Grundbildung als angewandte Naturwissenschaft. Technik wird damit fachkundlich auf abstrakte Technik, auf die innere Logik des Technischen reduziert und bleibt so in ihrem Wesen als unauflösbare Einheit des technisch Möglichen und gesellschaftlich Notwendigen/sozial Wünschbaren unbegriffen. Fachtheorie bezieht sich in der Berufsschule auf Fachwissenschaft nicht auf Facharbeit. Die Gestaltbarkeit der Technik gerät dabei aus dem Blickfeld oder wird allenfalls auf die Dimension des Konstruierens und damit auf die entsprechenden mathematisch-naturwissenschaftlichen und technologischen Wirkungszusammenhänge reduziert. Die Geometrie des Zerspanungsvorganges, die Schaltlogik von elektrischen Beleuchtungsanlagen und Antrieben oder das eine oder andere physikalische Modell des Halbleiter-Leitungsmechanismus füllen ebenso die Fachvorlesungen für Ingenieure wie die davon abgeleiteten Schulbücher für die Berufsbildung. Für das didaktische Handeln in der Berufsschule ist Technik damit auf ihren Mittelaspekt reduziert. Diese doppelte Abstraktion der Fachtheorie erstens vom Arbeitsprozess und zweitens vom Gebrauchswert der Technik, findet ihren gegenständlichen Ausdruck in den Laborausstattungen der Berufsschulen. Der konkrete Verstärker erscheint im Experimentalunterricht, wie er mit den gängigen Experimentiereinrichtungen durchzuführen ist, als Verstärkergrundschaltung. Die experimentelle Erkenntnistätigkeit richtet sich auf das Verstehen des Verstärkerprinzips. Die vom BBF/ BIBB bundesweit eingeführte Konzeption der „Technologischen Experimente“ für das Berufsfeld Metalltechnik entspricht ebenso diesem reduktionistischen Technikverständnis. Die tabellarische Übersicht bei Gerwin (1985, S. 76) zeigt dies deutlich. Im „Lernbereich Fertigungstechnik“ werden z. B. die folgenden „technologischen Experimente“ durchgeführt:

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– – – – – –

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„Winkel an der Werkzeugschneide, Keilwinkel Spanen: Freiwinkel und Spanwinkel ... Kraftwirkung einer Schraube ... Temperatur der Werkzeugschneide“

Während der Experimentalunterricht der Berufsschule von der konkreten Technik abstrahiert, beziehen sich die Experimentalübungen für die betriebliche Ausbildung auf abstrakte Arbeit, ganz in Übereinstimmung mit der Tradition des vom deutschen Ausschuss für technisches Schulwesen (DATSCH) entwickelten Lehrgangskonzeptes. Berufliche Handlungsfähigkeit zielt auch hier auf die Fähigkeit, z. B. Grundfertigkeiten in der Metallverarbeitung mit größter Sorgfalt bei vorgegebenen detaillierten Anweisungen zu erlernen. Wobei immer wieder auf die erzieherische Wirkung dieser Lernformen hingewiesen wurde. Durch das Konzept des Experimentalunterrichts (vgl. auch Stein 1965) wurde die Auseinandersetzung mit der Technik im Fachunterricht zunächst auf das Experimentieren im Bereich der Techno-Logik begrenzt.6 Technik erscheint so nur als die Anwendung von Naturgesetzen und technischen Grundprinzipien. Damit gerät Technik als gesellschaftlicher und historischer Sachverhalt aus dem Blickfeld. Technik und Gesellschaft können nur noch äußerlich aufeinander bezogen werden. Daraus resultiert schließlich auch die These der ethischen Neutralität technischer Mittel. Auch die neuesten Lehrpläne, die in der Folge der neu geordneten Metall- und Elektroberufe entwickelt wurden, entsprechen diesem reduktionistischen Konzept. Technikgestaltung und Technikbeherrschung kann somit nur noch auf die subjektivistische moralisierende Frage reduziert werden, „wie man böse Menschen daran hindern kann, gute Technik zu missbrauchen“ (Hastedt 1991, S. 68). Wird die Technik dagegen auch als konkrete Technik – und damit als unauflösbarer Zusammenhang des technisch Möglichen und des sozial Wünschbaren (vgl. Abbildung 1) – Gegenstand beruflicher Bildung, dann stellt sich zwangsläufig die Gestaltungsfrage (vgl. Sorge 1989). Konkrete Technik ist immer mehr oder weniger (un-)zweckmäßige Technik. Dies zu beurteilen, setzt Bewertungsmaßstäbe voraus. Die Berufspädagogik ist hier auf die Diskussion über eine Ethik der Technik verwiesen (Hastedt 1991). Unter einer Ethik der Technik versteht Hastedt den „Versuch einer reflektierten und umfassenden Technikgestaltung. Die Ethik der Technik untersucht, in welcher Welt mit welchen Technologien wir leben wollen“. Hier knüpft er einerseits am Konzept der diskursiven Ethik von Habermas (1983) sowie andererseits an Rawls’ (1975) „Theorie der Gerechtigkeit“ an. Obwohl Hastedt seine Ethik der Technik auf die Ebene gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse verlagert, beinhaltet sie grundlegende Vorstellungen darüber, wie angesichts der „Neuen Technologien“ die Aufgabe der Technikgestaltung auch als ein ethisches Problem in der Didaktik beruflicher Bildung behandelt werden kann (Rosenbrock 2004).

6 Zu einem erweiterten Konzept von Experimentalunterricht vgl. Eicker (1983).

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Abbildung 1: Technik als Zweck-Mittel-Zusammenhang Technik als Einheit des technisch Möglichen sozial Wünschbaren Mittel – (Zusammenhang) – Zweck Natur-/ Ingenieurw. Theorie / Wissen

ökonomische, soziale subjekt. InteressenOrientierung

erfahrungsorientiertes technisches Wissen

kulturelle Orientierungen Technik Kriterien Produkte Prozesse

wissenschaftl.-techn. Werkzeuge

Gebrauchswertantizipation

technische Standards

gesetzliche Regelungen

technische

Normen Orientierungen

soziale

4. Gestaltungsorientierte Berufsbildung Eine Auseinandersetzung mit dem Problemfeld Arbeit und Technik, in der Absicht, die problematisch gewordenen Entwicklungen im Bereich der Technik in ihren Ursachen und Auswirkungen aufzudecken und darüber hinaus v. a. gestaltend auf die Entwicklung von Technik und Arbeit durch neue Formen der Beteiligung und der Bildung der vielfältig Betroffenen einzuwirken, setzt eine Integration der Betroffenenperspektiven voraus. Der Einzelne ist nicht nur in seiner Arbeitnehmerexistenz, sondern ebenso als Staatsbürger, Konsument, Familienmitglied usw. von der Technikentwicklung und -anwendung betroffen. Diese Betroffenenperspektiven führen v. a. auch zum Aufdecken von Widersprüchen und Konflikten, die oft die einzelnen Individuen in ihren Interessen und ihrem Bewusstsein spalten. Im Kampf um den eigenen Arbeitsplatz kann es subjektiv sinnvoll werden, eine Technikentwicklung zu unterstützen und zu befürworten, die aus der Perspektive des Konsumenten oder der des Staatsbürgers nicht als wünschenswert erscheint. Insofern wird durch die Integration der Betroffenenperspektiven der häufig anzutreffenden Einengung dieses Problemfeldes auf die Arbeitsmarktfrage und damit auf eine enge ökonomische Perspektive entgegengewirkt. Mithilfe einer Matrix lassen sich die Felder der Technikgestaltung im Zusammenhang darstellen (vgl. Abbildung 2). Die auf die sozialen Orte der Technikgestaltung verteilte Macht, die dort verfügbaren Qualifikationen, die jeweiligen Interessen und Verantwortlichkeiten so wie die mit dieser Verteilung (auf die sozialen Orte) einhergehenden Abhängigkeiten prägen den Technikentwicklungsprozess. Für jeden „Ort“ ist zu fragen, welche Rolle die berufliche Bildung hier spielen könnte. Bisherige Technikgestaltungskonzepte sind häufig auf den einen oder

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Abbildung 2: Felder der Technikgestaltung – Betroffenenperspektiven Soziale Orte der Technikgestaltung Gesellschaftliche Grundstruktur Staat Politische Interessengruppen Wissenschaft Forschung Gemeinden soziale Kleingruppen Betriebe

Nuklear

Metall

Elektro

Konkrete Individuen

Techniksektoren

Technik und Lebenswelt

Technik und Natur

Technik und Kultur

Bereiche der Technik und ihrer Anwendungen

anderen sozialen Ort eingegrenzt und vernachlässigen damit den unauflöslichen Zusammenhang zwischen den sozialen Orten der Technikgestaltung, der insbesondere für Bildungsprozesse bedeutsam ist. So führt eine ausschließliche Hervorhebung des sozialen Ortes Betrieb bzw. die Facharbeiterperspektive zu einer starken Verengung eines gestaltungsorientierten Unterrichtes. Die Praxis der berufsförmig organisierten Facharbeit zeigt, dass die Möglichkeiten zur Mitgestaltung von Arbeit und Technik – v. a. der Technik – in vielen Fällen gering ist. Im Bereich der sekundären Facharbeit (Reparatur, Instandhaltung), wie er insbesondere für Facharbeiter des Berufsfeldes Elektrotechnik typisch ist, ist Technik – anders als Arbeit – höchst selten Gegenstand der (Mit-)Gestaltung. Betrachtet man gar den Bereich der technologischen Basisinnovationen wie die Gentechnologie, die Entwicklung der Lasertechnik oder der Nukleartechnik, so wird endgültig deutlich, dass die berufsförmig organisierte Facharbeit für die Entwicklung technologischer Basisinnovationen selten eine Rolle spielt. Umso mehr ist der Einzelne hier als Staatsbürger, Wähler, Mitglied einer politischen Partei oder einer sozialen Bewegung gefordert, am Prozess der

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gesellschaftlichen Verantwortung bei der Gestaltung von Technik und Arbeit mitzuwirken.7 Eine gestaltungsorientierte Berufsbildung ist im Lernort Betrieb sehr viel stärker in die betriebliche Organisationsentwicklung integriert als die traditionelle, weitgehend aus dem betrieblichen Geschehen herausgelöste Ausbildung. Dies erhöht zunächst deutlich die Chancen für eine gestaltungsorientierte Ausbildung schon deshalb, weil eine partizipative Organisationsentwicklung explizit die Leitidee der (Mit-)Gestaltung beinhaltet. Gleichzeitig grenzt die betriebliche Organisationsentwicklung die Gestaltungsfelder, die das didaktisches Konzept einer gestaltungsorientierten Berufsbildung einschließt, deutlich ein auf den sozialen Ort des Betriebes. Hier liegen jedoch gleichzeitig neue Chancen für eine duale und kooperative Berufsausbildung, da bei einer Rückverlagerung betrieblicher Bildung in den Arbeitsprozess und der Verknüpfung mit der betrieblichen Organisationsentwicklung die spezifischen Lernchancen an den verschiedenen Lernorten wieder deutlicher betont werden können. Stehen in der betrieblichen Ausbildung die spezifischen Inhalte und Formen der betrieblichen Arbeit und Organisationsentwicklung im Vordergrund, so kommt es in der Berufsschule darauf an, an die je betriebsspezifischen Inhalte und Formen der Arbeit und der Organisationsentwicklung anzuknüpfen, um sie jedoch unter den experimentellen Bedingungen des Lernortes Schule zu bewerten und zu transzendieren (Dewey 1916). Kruse (1986) hat in diesem Zusammenhang und mit der Absicht, einen Beitrag zu einer gestaltungsorientierten Berufsbildung zu leisten, den Begriff des „Arbeitsprozesswissens“ eingeführt und davor gewarnt, die Entwicklung neuer betrieblicher Berufsbildungskonzepte auf eine „methodisch-didaktische“ Ausbildungsreform einzuschränken, der es in erster Linie um abstrakte Fähigkeiten wie Selbstständigkeit und Arbeitsplanungsfähigkeit gehe. Eine Verstärkung des „beruflich-betrieblichen Erfahrungswissens“, wie es mit dem Konzept des Lernens am Arbeitsplatz versucht wird, kann auch zu einer relativ starken „Erfahrungsbornierung“ bei den Jugendlichen führen, wenn die Ausbildung nicht mit den Brennpunkten betrieblicher Veränderungen von Arbeit und Technik in Berührung kommt bzw. nicht an den Veränderungsprozessen beteiligt wird. Auch moderne Ausbildungskonzepte wie das „dezentrale Lernen“ oder das „Lerninselkonzept“ können danach ebenfalls unter Kruses Rubrik der „Reproduktion des Abgesicherten“ fallen, wenn sie die Beteiligung an betrieblichen Veränderungen einschränken. Beteiligung an Veränderungsprozessen ist für Kruse die entscheidende Voraussetzung für das Aufbrechen der Erfahrungsbornierung. Richtet man etwa Lerninseln in der Automobilindustrie in Verknüpfung mit dem Bereich der Nacharbeit ein, um diese qualifizierte Facharbeit für die Berufsbildung zu nutzen, dann stellt dies eine Verengung von Berufsbildung auf eine instrumentelle Qualifizierung dar. Der Bereich der Nacharbeit umfasst sicher fachlich anspruchsvolle Arbeitsplätze, und sie lassen sich auch in der Form der Gruppenarbeit organisieren. Dies spricht zunächst für das Lerninselkonzept mit dem fachlichen Schwerpunkt der Nacharbeit. Andererseits vollzieht sich hier insofern eine „Reproduktion des Abgesicherten“, als ein betrieblicher Brennpunkt, hier die Nacharbeit, dessen Existenz aus den Qualitätsmängeln der Produktion resultiert und den es überflüssig zu machen gilt, nicht als betrieblicher Veränderungs- und Gestaltungsprozess erfahren wird. Nacharbeit wird methodisch-didaktisch für das Lerninselkonzept instrumentalisiert. Kruse kommt in seinen Überlegungen zum Arbeitsprozess7 Vgl. hierzu die Ausführungen von Heidegger (1992) zur Dialektik von Gestaltung und Kritik als regulative Idee für eine integrierte Bildung.

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wissen zu dem Schluss: „In einem systematischen Aufeinanderbezug der Veränderung von Ausbildung und den Veränderungsprozessen von Arbeit und Technik müssten die Jugendlichen in vielfältiger Weise an den Brennpunkten von ,Arbeit und Technik‘-Gestaltung beteiligt werden. Die ,Arbeit und Technik‘-Gestaltung müsste selbst zu einer Folie, zu einem Bezugssystem der Ausbildung, werden“ (Kruse 1986). Stehen in der betrieblichen Ausbildung die spezifischen Inhalte und Formen der betrieblichen Organisationsentwicklung im Vordergrund, so kommt es darauf an, Schulen die Möglichkeit zu geben, sich zugleich kritisch und konstruktiv im Spannungsverhältnis von Historizität und Perspektivität mit der Gestaltbarkeit und der Gestaltung von Arbeit und Technik auseinander zusetzen. In diesem Sinne eröffnen die in Anlehnung an Kuby (1981) formulierten zwei Fragen,

> Warum ist (diese) Arbeit und (diese) Technik so und nicht anders? > Geht es auch anders? für das didaktische Handeln in der beruflichen Bildung neue Spielräume für eine gestaltungsorientierte Berufsbildung. Eine Konkretisierung der Leitidee der Gestaltung von Arbeit und Technik für einen gestaltungsorientierte Berufsbildung liegt mittlerweile in Form zahlreicher Forschungs- und Entwicklungsergebnisse vor (Howe u. a. 2002; Kleiner u. a. 2002; Reinhold u. a. 2003; Bremer/Jagla 2000; Heidegger/Adolph/Laske 1997).

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2. Adressatenorientierung in der Berufsbildung

Jugend in der Berufsbildung Lothar Lappe

Lothar Jugend 1. Einleitung Lappe in der Berufsbildung In der im Jahre 1995 erschienenen Ausgabe des Handbuchs der Berufsbildung wurde hervorgehoben, dass sich die Ausbildungssituation der Jugendlichen stark verändern werde, dass die Betriebe ihre Rekrutierung über die Erstausbildung einschränken werden, und dass die bisherige Praxis der faktischen Übernahmegarantie aufgeweicht werde, mit der Folge, dass die Arbeitslosenquote auch gut ausgebildeter Jugendlicher steigen und die Ausbildungsquoten zurückgehen werden. Am Ende des Beitrags „Jugend in der Berufsbildung“ wurden folgende Fragen formuliert:

> Können die Jugendlichen auf der Basis der neugeordneten Berufsbildungsgänge den

>

>

> >

von den neuen Technologien und Betriebsumstrukturierungen ausgehenden Qualifikationsanforderungen gerecht werden? Oder anders gefragt: Orientieren sich die Betriebe angesichts der durchgängigen IT-Basierung sämtlicher Arbeitsprozesse nicht doch vermehrt auf Absolventen höher angesiedelter Bildungs- bzw. Berufsbildungsgänge, die auch zahlenmäßig zugenommen haben? Welche Probleme haben krisenanfällige, benachteiligte jugendliche Arbeitskräftegruppen damit, wenn bei ihnen aufgrund schichtspezifischer Sozialisationsdefizite und gravierender Strukturdefizite der Schulorganisation die Basiskompetenzen nicht frühzeitig angelegt wurden? Kommt es nun zu der lange angekündigten Substitutionskonkurrenz zwischen Hochschulabsolventen und Absolventen einer berufsfachlichen Ausbildung im dualen System unter der Bedingung zunehmend knapper werdender Ausbildungs- und Erstarbeitsplätze in den westdeutschen Basisindustrien (von Ostdeutschland ganz zu schweigen)? In welche Richtung werden sich die Übergänge von der Schule ins Erwerbsleben unter der Bedingung zunehmender Jugendarbeitslosigkeit, nicht nur in Ostdeutschland, sondern auch im bisher stabilen Westdeutschland, verändern? Was passiert mit dem hohen Sockel Jugendlicher ohne Berufsausbildung angesichts des schrumpfenden Angebots von Einfacharbeitsplätzen für Un- und Angelernte und angesichts verfestigter Arbeitsmarktbarrieren zu den qualifizierten Ausbildungs- und Beschäftigungsbereichen?

Im folgenden Beitrag möchte ich versuchen, auf diese Fragen eine Antwort zu geben und den Schwerpunkt meiner Ausführungen auf den Mangel an Ausbildungsplätzen an der ersten Schwelle sowie die fehlenden Anschlussarbeitsplätze an der zweiten Schwelle zu legen. Schließlich möchte ich die Probleme diskutieren, die sich aus den gestiegenen Handlungsanforderungen sowohl der Ausbildungs- und der Arbeitsplätze als auch des Prozesses der Berufsfindung selbst ergeben.

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Lothar Lappe

Zunächst möchte ich jedoch einen Blick auf die aktuellen Zahlen der Jugendarbeitslosigkeit werfen. (Die Arbeitslosenquoten sind verschiedenen Jahrgängen der Amtlichen Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit entnommen.)

2. Jugendarbeitslosigkeit nach Altersgruppen und Regionen In der Arbeitsmarktstatistik wird die Jugendarbeitslosigkeit üblicherweise durch zwei Gruppen beschrieben, die der Jugendlichen unter 20 Jahren und derjenigen von 20 bis unter 25 Jahren. Die Arbeitslosenquote der Jugendlichen unter 20 Jahren ist ein aussagekräftiger Indikator, weil er zum einen Ausbildungslosigkeit in einem Alter anzeigt, in dem sich Jugendliche normalerweise in irgendeinem Ausbildungsverhältnis befinden sollten und weil sich hier andererseits zukünftige Entwicklungen andeuten. Insgesamt bereiteten Ungleichgewichte auf dem Ausbildungsstellenmarkt den unter 20-Jährigen bis ca. 1999 Schwierigkeiten. Ihre Arbeitslosigkeit erhöhte sich von 1991 (4,5%) bis Februar 1998 auf 9,4%, in diesem Zeitraum verdoppelte sich die Arbeitslosenquote für diese Altersgruppe, um sich in den Jahren danach wieder zu entspannen. Im November 2004 lag die Quote wieder bei 4,4%, was nicht zuletzt darauf zurückzuführen war, dass sich die Jugendlichen nicht umstandslos bei den Arbeitsämtern meldeten, sondern angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Situation die vielen schulischen und nichtschulischen Überbrückungsmaßnahmen frequentierten, die von staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen angeboten wurden. Dieser Rückgang der Arbeitslosenquoten für die unter 20-Jährigen ist umso erstaunlicher, als im selben Zeitraum von 1999 bis 2004 die Anzahl der neuen Ausbildungsverträge von 631.015 auf 572.980 zurückging und sich die Angebots-Nachfrage-Relation von 99,1 auf 95,0 verschlechterte (Berufsbildungsbericht 2005, S. 7). Bei den Jugendlichen in der Altersgruppe der 20- bis unter 25-Jährigen stellt sich die Situation allerdings anders dar. Hier spiegeln sich die fehlenden Anschlussarbeitsplätze nach einer beruflichen Ausbildung oder Ersatzausbildung in weit höheren Arbeitslosenquoten wider. Ich betrachte die beiden Altersgruppen im folgenden Abschnitt für West und Ostdeutschland getrennt. Im westlichen Bundesgebiet lag die Arbeitslosenquote für Jugendliche unter 20 Jahren im November 2004 bei 3,6. Die höchsten Arbeitslosenquoten bei den Jugendlichen unter 20 Jahren finden wir in den Regionen Berlin (10,1), Saarland (5,6) und Schleswig-Holstein (4,8) während sie in Baden-Württemberg (2,4), Bremen und Niedersachsen (jeweils 2,8%) niedriger lagen. Die Situation bei den 20- bis unter 25-Jährigen sieht wesentlich schlechter aus; hier sind die Arbeitslosenquoten dreimal so hoch. Die Gesamtquote lag im Januar 1998 wie im November 2004 im westlichen Bundesgebiet bei 12,5%. Die höchste Arbeitslosenquote wies Gesamtberlin mit 19,2% auf, gefolgt von Schleswig-Holstein (13,6), Bremen (13,1) und Niedersachsen (12,2). In den beiden letztgenannten Ländern ist die Diskrepanz zwischen den Arbeitslosenquoten der 20-Jährigen und der 20- bis unter 25-Jährigen besonders auffällig, da hier besonders große Anstrengungen im schulischen und außerschulischen Bereich, den Jugendlichen eine Ersatz-/Übergangsausbildung anzubieten, dem Fehlen von Anschlussarbeitsplätzen in Industrie und Dienstleistung gegenüberstehen. Die niedrigsten

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Quoten bei dieser Altergruppe finden wir in den Ländern Baden-Württemberg (8,1) und Bayern (8,9). Im Bundesgebiet Ost lag die Arbeitslosenquote im Januar 1998 und im September 2004 mit 9.9% für die unter 20-Jährigen höher als im Bundesgebiet West; sie ging im November 2004 auf 7,4 zurück. In keinem östlichen Bundesland sind die Quoten so hoch wie in Gesamtberlin (10,1). Die höchsten Arbeitslosenquoten für die „Ost-Jugendlichen“ unter 20 Jahren finden wir im November 2004 in Mecklenburg-Vorpommern (7,4) und Sachsen-Anhalt (7,4). Diese relativ niedrigen Arbeitslosenquoten für die Jugendlichen unter 20 Jahren sind darauf zurückzuführen, dass sich viele der Jugendlichen dieser Altersgruppe noch in Ausbildung, vor allem in außerbetrieblichen Einrichtungen und Fördermaßnahmen befinden (Grünert 2000, S. 147–197). Dass dies so ist, zeigt die sehr hohe Arbeitslosenquote (20,8% im November 2004) und ihr Anstieg seit Oktober 1996 (14,4%) für die Jugendlichen von 20 bis unter 25 Jahren im Bundesgebiet Ost, die in zunehmendem Maße nach der außerbetrieblichen Ausbildung keine Anschlussarbeitsplätze finden. Ketzmerick/Terpe (2000) stellen eine Blockierung der Generationenablösung im ostdeutschen Beschäftigungssystem fest, die zu einer Abschottung der Betriebsbelegschaften gegenüber Auszubildenden und jüngeren Arbeitskräften (Behr 2000) und zu „jugendentwöhnten“ Unternehmen in Ostdeutschland geführt habe (Behr 2004). Die Arbeitlosenquote der 20- bis unter 25-Jährigen liegt also in den ostdeutschen Bundesgebieten immer noch weit über den Quoten derjenigen des westlichen Bundesgebietes. In den ostdeutschen Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern (Oktober 1996: 16,4%; November 2004: 25,8%) und Sachsen-Anhalt (1996: 16,8%; November 2004: 22,3%) finden wir die höchsten Arbeitslosenquoten. Die niedrigsten Arbeitslosenquoten für diese Altersgruppe wiesen die Länder Sachsen (Oktober 1996: 12,5%; November 2004: 19,6%) und Thüringen (1996: 13,8%; 2004: 18,2%) auf (Quelle: Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit, verschiedene Jahrgänge).

3. Jugendliche ohne Berufsausbildung und der schrumpfende Arbeitsmarkt für Un- und Angelernte Die früher von einer positiven Angebots-Nachfragerelation gestützte, relativ problemlose Berufs-"Wahl" an der ersten Schwelle ist durch die Gegenläufigkeit der demographischen Entwicklung – bis heute hat der Anteil der 14- bis 18-jährigen Personen an der Gesamtbevölkerung zugenommen – und der Reduzierung der Ausbildungskapazitäten zu einem restriktiven Prozess der Berufs"findung" (Lappe/Raab 1997; Kleffner u. a. 1996) geworden, der neben den entsprechenden kognitiven Leistungsvoraussetzungen immer häufiger auch spezifische Persönlichkeitsmerkmale erforderlich macht. Ein immer größer werdender Teil der Jugendlichen (Hauptschüler) ist bereits hier zum Scheitern verurteilt. Ältere und neuere Untersuchungen (Raab 1996; Lutz u. a. 2000/2004) zeigen, dass sich vor allem die ungelernten Jugendlichen auf dem Weg in die berufliche und soziale Marginalität befinden (dauerhafte Ausgrenzung von Erwerbstätigkeit und mangelnde gesellschaftliche Integration), weil es ihnen an Voraussetzungen und Möglichkeiten fehlt, durch Erwerbsarbeit ihren Lebensunterhalt zu sichern und ein eigenständiges Leben zu führen.

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Lothar Lappe

Nicht zuletzt liegt dies daran, dass ihnen ihre Referenzarbeitsplätze, die niedrigqualifizierten Arbeitsbereiche wegbrechen. Projektionen der Struktur der Arbeitsplätze nach Qualifikationsebenen bis in das Jahr 2010 hinein (Tessaring 1994) prognostizierten, dass der Anteil der Arbeitsplätze, für die ein beruflicher Abschluss im dualen System oder der Berufsfachschule erforderlich ist, mit ca. 60% fast gleich bliebe. Der Anteil der Hochschulabsolventen würde von ca. 11% im Jahr 1987 auf etwa 18 Prozent im Jahr 2010 zunehmen. Komplementär zu dieser Entwicklung wurde für den gleichen Zeitraum ein drastischer Rückgang der einfachen Tätigkeiten, für die keine Berufsausbildung notwendig ist, von 23% auf vielleicht nur noch 13% prognostiziert. Dies ist eingetreten. Im Gefolge der sogenannten Globalisierung von produktiven und Dienstleistungsarbeiten hat die Übernahme von Unternehmen mit anschließendem „Outsourcen“ von Unternehmensteilen, die Segmentierung der Zulieferindustrien, die Auslagerung von reinen Montagebetrieben mit standardisierter Produktion und hohen Stückzahlen sowie die Auslagerung von Massensachbearbeitung (z. B. in den Banken und Versicherungen) zu einem Abbau von einfachen Arbeitsprozessen (Un- und Angelerntenarbeitsplätze) geführt. Da diese aber z. T. die Referenzarbeitsplätze für die Jugendlichen ohne Berufsausbildung darstellten und darstellen, ist deren Arbeitslosigkeit stark angestiegen. Ökonomen und Arbeitsmarktforscher sprachen schon vor zehn Jahren von einer zunehmenden Lücke von bis zu 3,2 Mio. Einfacharbeitsplätzen (Tessaring 1996). „Personen mit niedriger oder ohne berufliche Qualifikation“ seinen daher „in Zukunft fast ohne Chance auf stabile Beschäftigung“ (Friedich-Ebert-Stiftung 1997). Dieses Faktum ist nun zehn Jahre später implizit in der politischen Debatte um die Niedriglohnbereiche enthalten. Da es sich hier zu großen Teilen um die Einsatzbereiche der Jugendlichen ohne Berufsausbildung handelt, ist die gegenwärtige Zahl von Jugendlichen ohne Berufsausbildung bedrohlich hoch. Zwei ältere Studien zu diesem Problembereich zeigten bereits zum damaligen Erhebungszeitpunkt, dass in der alten Bundesrepublik ca 500.000 und in der gesamten Bundesrepublik 800.000 Jugendliche im Alter von 20 bis unter 24 Jahren über keinen Abschluss in einem anerkannten Ausbildungsberuf verfügten (Bundesminister für Bildung und Wissenschaft 1991; Davids 1993). In den alten Bundesländern mussten und müssen auch heute mindestens 14% der Jugendlichen im Alter von 20 bis unter 24 Jahren zur Gruppe der Ungelernten gerechnet werden; in den neuen Bundesländern waren 9% der Altersgruppe ohne anerkannten Berufsabschluss. Der Anteil der Ungelernten an dieser Altersgruppe war in den neuen Bundesländern deshalb noch niedriger als in den alten, weil das in der DDR verfassungsmäßig verankerte Recht und die Pflicht auf Ausbildung und Arbeit noch positiv nachwirkte (Davids 1993). In einer Studie, die das EMNID-Institut im Auftrag des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft (1991) durchführte, wurden die drei Gruppen der Ausbildungsverzichter, der erfolglosen Ausbildungsplatzbewerber und der ersatzlosen Abbrecher unterschieden, deren Gründe und Motive unterschiedlich waren. Hinsichtlich der Sozialstruktur der Jugendlichen ohne Berufsausbildung ließ sich feststellen, dass sich Ausbildungslosigkeit zwischen jungen Männern und Frauen gleichverteilte. Deutliche Unterschiede bestanden allerdings zwischen Ausländern und Deutschen, wobei der Ausländeranteil an der Wohnbevölkerung der neuen Bundesländer marginal war (und noch ist); in den alten Bundesländern betrug er an der Altersgruppe der 20- bis 24-Jährigen 10%. Von

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diesen 10% ausländischen Jugendlichen blieben 39% ohne Berufsabschluss gegenüber 12% bei den Deutschen. Junge Ausländer haben aufgrund sprachlicher Defizite schlechtere Chancen auf dem Ausbildungsstellenmarkt, sie verzichten aber auch häufig aus finanziellen Gründen auf eine Ausbildung. Ein noch düsteres Bild zeigt sich bei der Betrachtung der schulischen Bildungsabschlüsse. Sonderschüler und Jugendliche ohne Hauptschulabschluss sind überproportional an Ausbildungslosigkeit beteiligt. Gemäß einer Nachfolgeuntersuchung, die das EMNID-Institut unter der Leitung des BIBB im Auftrag des BMBF durchgeführt hat, „sind im Juni/Juli 1998 11,6% der 20- bis 29-Jährigen (rund 1,25 Millionen) ohne Berufsausbildung beblieben“ und sie befanden sich zum Befragungszeitpunkt auch in keiner Ausbildung/Schule. Obwohl nicht nur – wie 1990 – die 20- bis 24-jährigen Jugendlichen befragt wurden, sondern das Alter auf 29 erhöht wurde, stellte Kloas (1999, S. 27) fest, dass sich der Anteil und damit das Problem der Jugendlichen ohne Ausbildung nicht reduziert habe. Erwartungsgemäß stellen die Jugendlichen ohne Berufsausbildung die Mehrheit unter den arbeitslosen Jugendlichen. Ein Fazit aus den wenigen vorliegenden Studien besteht darin, dass Ausbildungslosigkeit nicht nur auf „lernbeeinträchtigte“ oder „sozial benachteiligte“ Jugendliche beschränkt ist; sie hat ihre Ursachen in komplizierten Lebenslagen zur Zeit des Übergangs von der Schule in den Beruf. In dieser wichtigen Phase fehlt es immer noch an Beratung, Betreuung und Unterstützung für Jugendliche, die mit der gleichzeitigen Lösung einer Vielzahl von Problemen (z. B. Konflikte mit Ausbildern oder aufgrund von sozialen/familiären Problemen) überfordert sind. Es ist zu Hoffen, dass hier bei aller Kritik im Rahmen von „Hartz IV“ Abhilfe geschaffen wird. In der Diskussion um die praktisch orientierten Berufe stellte Kloas (1999, S. 24f.) fest, dass sich in dieser großen Gruppe der jungen Menschen ohne Berufsausbildung viele befinden, an deren Leistungsfähigkeit kaum Zweifel angebracht sind. „Nicht alle sind leistungsschwach und nicht alle Leistungsschwächeren weisen Lernprobleme im Theoriebereich auf bzw. sind praktisch begabt ... Abbrecherinnen scheitern sogar häufiger an Problemen mit der praktischen Ausbildung als an Theorieproblemen.“ Ich möchte diesen wichtigen Aspekt kurz mit der Diskussion um die sogenannten „Einfacharbeitsplätze“ in Beziehung setzen. Dem Abbau von restriktiven Arbeitsplätzen in industriellen und handwerklichen Bereichen steht die Zunahme der unqualifizierten personenbezogenen Dienstleistungen gegenüber. Nicht nur die industrielle Massenfertigung und das Massengeschäft in Verwaltungsbereichen sondern zunehmend auch weite Teile des Einzelhandels sowie des Gaststättengewerbes (speziell Fast-Food Restaurants) sind nach tayloristischen Prinzipien organisiert, die Ritzer (1997) mit dem anschaulichen Etikett der „McDonaldisierung“ belegt hat. Die Partialisierung der Tätigkeiten auch in Arbeitsbereichen, in denen die Beschäftigten mit Kunden interagieren müssen, ist hier weiter fortgeschritten als Taylor es sich jemals erträumt hat. Da viele der industriellen Einfacharbeitsplätze unwiederbringlich verloren sind, erhoffen sich Politiker und Wissenschaftler ausgerechnet von den einfachen Dienstleistungstätigkeiten einen Ausweg aus der gegenwärtigen Arbeitsmarktmisere. Würde man die Strategie der Erschließung solcher Einfacharbeitsplätze verfolgen, so hieße das, dass immer mehr Jugendliche schon zu Beginn ihres Arbeitslebens mit sehr ge-

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ringen Anforderungsstrukturen und deregulierten Arbeitsverhältnissen – pervertierten Formen von Kapovaz (kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit) – konfrontiert wären. Vom Arbeitsinhalt und den Arbeitsbedingungen her besitzen diese Tätigkeiten nur einen sehr niedrigen kognitiven Anregungsgehalt und ein geringes Motivierungspotential. Die Frage ist, wie sich die Partialisierung der Arbeitsaufgaben, der Entzug von Verantwortung, das mangelnde Lernpotential der Tätigkeiten, die geringe soziale Transparenz der Arbeitsbereiche, der hohe Routinisierungsgrad und die sehr kurzen Arbeitszyklen auf die Persönlichkeitsentwicklung Jugendlicher unter den jetzigen Bedingungen auswirken. Es ist leicht einzusehen, dass berufliche Entwicklungschancen in solchen restriktiven Bereichen nicht existieren.

4. Jugendliche Nichterwerbspersonen – ein relativ neues Problem Neben der hohen Jugendarbeitslosigkeit sind wir mit einem weiteren relativ neuen Problem konfrontiert, das bisher wenig Beachtung gefunden hat und auf das Engelbrech/ Reinberg (1998) hingewiesen haben. In einer Untersuchung der „Beschäftigungschancen von Jugendlichen in der alternden westdeutschen Gesellschaft“ stellen sie fest, dass der Rückgang der Erwerbsbeteiligung Jugendlicher „nur zu etwa zwei Dritteln mit einem Anstieg der Ausbildungsbeteiligung erklärt werden kann. Das restliche Drittel führte einerseits zu einer Erhöhung der Jugendarbeitslosigkeit, andererseits aber auch – und dies ist qualitativ neu – zu einem spürbaren Anstieg des Anteils jugendlicher Nichterwerbspersonen“ (Engelbrech/Reinberg 1998, S. 3f.), – solcher Jugendlicher also, die sich nicht in allgemeiner oder beruflicher Ausbildung befinden, nicht erwerbstätig und auch nicht arbeitslos gemeldet sind. Die Autoren zeigen, dass der Anteil jugendlicher Nichterwerbspersonen selbst in Zeiten angespannter Arbeitsmarktlage bis Ende der 80er Jahre kontinuierlich gesunken sei. „Dieser langfristige Trend kippte erst mit Beginn der 90er Jahre. Im Jahr 1995 lag der Anteil jugendlicher Nichterwerbspersonen mit 7,5% über dem Anteil arbeitsloser Jugendlicher an der gleichaltigen Bevölkerung (4,6%). Die absoluten Werte zeigen ein ähnliches Bild. Im Jahr 1995 zählten mit 547.000 – wie bereits 1991 – mehr Jugendliche zum Kreis der Nichterwerbspersonen als offiziell arbeitslos gemeldet waren (332.000). Dies bedeutet aber auch, dass die Beobachtung der registrierten Jugendarbeitslosigkeit nur noch den kleineren Teil einer wachsenden Ausgrenzung bzw. eines zunehmenden Rückzugs Jugendlicher vom Ausbildungs- und Arbeitsmarkt widerspiegelt“ (Engelbrech/Reinberg, ebd.). Da diese Jugendlichen statistisch weder über Bildungs- noch über Arbeitsverwaltungs- oder Jugendhilfeinstitutionen sondern nur über den Mikrozensus erfasst wurden, konnten sie über institutionelle Kanäle als Adressaten für Förderungsprogramme kaum angesprochen werden. Dies scheint sich allerdings zu ändern, seitdem die Jugendlichen im Rahmen von „Hartz IV“-Maßnahmen aus ihrer Anonymität geholt werden – allerdings mit erheblichen finanziellen Folgen für die öffentlichen Haushalte.

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5. Zunehmende Probleme an der Schnittstelle zwischen Berufsausbildung und Arbeitsmarkt Ich hatte ja bereits angedeutet, dass die neuen Formen der Restrukturierung der Wirtschaft aufgrund ihrer Tendenz zu Konzentration und Ausgliederung zu hoher Arbeitslosigkeit und einem spürbaren Abbau der Ausbildungskapazitäten auch in den Kernbereichen der Industrie führen. Immer häufiger werden ganze Azubi-Jahrgänge von den Unternehmen nicht mehr übernommen – auch im Gefolge von „merger and acquisition“ und der anschliessenden Zerschlagung der erworbenen Unternehmensteile. Diese Tendenzen erfassen zunehmend auch die jüngeren, gut qualifizierten Arbeitskräfte und Berufsanfänger aller Ausbildungsebenen. Damit stellt auch eine vollständige Berufsausbildung keine hinreichende Bedingung mehr für einen Übergang von der Ausbildung in die Beschäftigung dar. Nach einer alten Schätzung des BMBF hatte sich der Anteil der erfolgreichen Ausbildungsabsolventen, die sich unmittelbar nach Beendigung der Lehre beim Arbeitsamt arbeitslos meldeten, von 1996 bis 1997 um zweieinhalb Prozentpunkte auf 27% erhöht. 54% der Absolventen der Berufsausbildung in Westdeutschland und 49% in Ostdeutschland wurden von den Ausbildungsbetrieben übernommen, mit sinkender Tendenz (Berufsbildungsbericht 1999). Differenzierter waren die Ergebnisse einer Untersuchung des Bundesinstituts für Berufsbildung, bei der von November 1995 bis Januar 1996 850 ostdeutsche Fachkräfte nach ihren Erfahrungen im ersten Jahr nach Ausbildungsabschluss befragt worden sind (Tuschke u. a. 1996). Lediglich 43% der Absolventen gaben an, unbefristet und als Fachkraft übernommen worden zu sein, 37% erhielten keinerlei Übernahmeangebot, 17% konnten einen befristeten Arbeitsvertrag abschließen und 3% wurde eine Angelerntentätigkeit angeboten. Auffällig sind dabei Differenzierungen nach Art der Ausbildung: So wurden Absolventen einer überbetrieblichen Ausbildung zu 69% arbeitslos und nur 22% konnten im erlernten Beruf eine Anstellung finden. Die relativ günstigen Beschäftigungschancen für die betrieblich ausgebildeten Fachkräfte deuteten darauf hin, dass die Betriebe ihre Auszubildenden größtenteils bedarfsorientiert eingestellt haben; das stellen auch Grünert/Wiekert (2004, S. 258f.) in einer neueren Untersuchung fest. Hier dürfte nun genau auch die Hauptursache für die Übergangsschwierigkeiten von Absolventen der überbetrieblichen Ausbildung liegen. Der Mangel an betrieblichen Arbeitsplätzen und entsprechend fehlenden Ausbildungskapazitäten waren ja gerade der Grund, außerbetriebliche Ausbildungsplätze einzurichten, das bedeutet aber: Qualifizierung über den konkreten Bedarf hinaus. Auch der Umstand, dass insbesondere junge Frauen an der zweiten Schwelle zunächst in die Arbeitslosigkeit münden, ist weitgehend daraus zu erklären, dass sie überproportional überbetrieblich bzw. in Berufen mit besonders geringen Beschäftigungschancen ausgebildet werden (Berg/Lappe/Ringer/Bläsche 1998, S. 48 und 55ff.; Kottmann 2004, S. 189ff.). Mittlerweile lassen sich die Übernahmequoten anhand der Daten des IAB-Betriebspanels nach Betriebsgrößenklassen und Branchen genauer ermitteln. Danach haben sich die Übernahmequoten nach erfolgreichem Ausbildungsabschluss in den alten Ländern von 2002 auf 2003 leicht von 57 auf 56,7 und in den neuen Ländern stärker von 44,1 auf 38,7% verringert. (Berufsbildungsbericht 2005, S. 198ff.) Die Übernahmequoten in den alten Ländern sind in größeren Betrieben höher (69,4%) als in den Kleinbetrieben

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(49,3%) Die höchsten Übernahmequoten finden wir in der Branche für Investitions- und Gebrauchsgüter und im Versicherungsgewerbe, die niedrigsten im Gaststättengewerbe und in der Land- und Forstwirtschaft.

6. Anspruchvolle Tätigkeitsfelder; veränderte qualifikatorische und persönlichkeitsspezifische Voraussetzungen bei den Jugendlichen Neben dem Mangel an Ausbildungsplätzen an der ersten Schwelle sowie dem Fehlen an Anschlussarbeitsplätzen an der zweiten Schwelle ergeben sich weitere Probleme aus den gestiegenen Handlungsanforderungen sowohl der Ausbildungs- und der Arbeitsplätze als auch des Prozesses der Berufsfindung selbst. Es ist unbestritten, dass die gegenwärtige arbeitsorganisatorisch-technologische Umstrukturierung der Wirtschaft mit den dominanten Merkmalen einer Rücknahme traditionaler Arbeitsteilung, der Integration verschiedener Arbeitsfunktionen, der Abflachung von Hierarchien und dem zunehmenden Gewicht der Informations- und Kommunikationstechnologien in allen Produktions- und Arbeitsbereichen zu höheren Qualifikationsanforderungen für die neu in das Erwerbsleben eintretenden Jugendlichen führt. Diese Entwicklung verlangt von den Jugendlichen in Zukunft die Bewältigung komplexer und anspruchvoller Arbeitsanforderungen bei hoher Beanspruchungsresistenz, intellektuelle Flexibilität bei parallel laufenden Doppelqualifikationen, wie wir sie beispielsweise in großen Unternehmen bei gleichzeitigem Erwerb von Betriebspraxis (Lehrausbildung) und Fachhochschul- oder Hochschulstudium (Ingenieurausbildung) finden. Sie eröffnet den leistungsstarken Jugendlichen enorme Lern- und Entwicklungschancen von denen die benachteiligten Jugendlichen aber zunehmend ausgeschlossen bleiben.. Diesem zentralen Entwicklungsstrang unserer Erwerbsgesellschaft widmen sich zahlreiche Forschungsarbeiten (Bläsche 2006; Bläsche/Lappe/Gensior 2004; Bott/Hall/Schade 2000; Baukrowitz/Boes/Eckhardt 1994). Ich möchte mich hier auf die Informations- und Kommunikationstechnologien und insbesondere die Softwareindustrie als Querschnittstechnologien konzentrieren, deren Anforderungsstrukturen im letzten Jahrzehnt zu Querschnittsqualifikationen für fast alle Arbeitsbereiche und -prozesse geworden sind. Seit Beginn der neunziger Jahre sind zwei wichtige Entwicklungen festzustellen: (1) Angesichts der wachsenden Bedeutung von IuK-Technologien in allen gesellschaftlichen Bereichen, ist die Nachfrage nach IT-Fachkräften dramatisch gestiegen und (2) gleichzeitig haben sich seitdem neue Qualifikationsprofile der Computer- und Softwarespezialisten herausgebildet. Bläsche/Lappe/Gensior (2004) haben gezeigt, dass die inhaltliche und organisatorische Komplexität der Arbeitsaufgaben in zentralen Bereichen der IT-Industrie (E-CommerceAnbieter, betriebliche Software, Multimedia-Produktion) zunimmt. Damit verbunden sind steigende Qualifikationsanforderungen, neben umfangreichem Fach- und Sachwissen werden soziale Kompetenzen immer wichtiger. Vor allem in den kundennahen Arbeitsund Tätigkeitsbereichen wie Beratung, Vertrieb, Customizing und Entwicklung sowie technische Kundenbetreuung finden wir ein durchweg hohes Anforderungsniveau. Die Veränderungsdynamik in diesen Bereichen erfordert darüber hinaus Flexibilität, Lernbereitschaft und die Kompetenz zum Lernen in der Arbeit.

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Ein zentraler Befund der Untersuchung von Bläsche/Lappe/Gensior (2004) lautet, dass Lernen und Arbeiten und Arbeiten und Lernen nicht mehr voneinander zu trennen sind. Man „lernt“ in wechselnden Teams, an wechselnden Orten und in verschiedenen Projekten. Diese Lernprozesse finden in den wechselnden Arbeitssettings selbstorganisiert statt und basieren auf der Lernbereitschaft und dem Entwickeln neuer Lernkulturen. Die untersuchten Arbeitsprozesse haben sich zu einem Innovationsraum für neue Lernprozesse entwickelt, sie sind zugleich Voraussetzung und Folge einer sich dynamisch entwickelnden Arbeitsorganisation. Gleichzeitig haben wir es zu tun mit einer stärkeren Orientierung der technischen Fachkompetenzen auf offene Informationsnetzwerke (Network Engineering) und damit verbundene Industriestandards sowie auf Qualitätskriterien (Benutzerfreundlichkeit, Zuverlässigkeit, Skalierbarkeit). Es sind Fähigkeiten erforderlich, sich Wissen aus verschiedenen Bereichen anzueignen, es umzusetzen, beispielsweise unter Bezug auf verschiedene, heterogene Datenquellen (Knowledge Management, Contentware, Engineering). Die Arbeitsprozesse selbst bilden Anforderungen aus, die nur über Transformationsleistungen zu bewältigen sind. Projektförmige Arbeit wiederum erfordert das Beherrschen verschiedener Arbeitsmethoden, wie Beobachtung, Interview, Entwurf von Strategien und Szenarien sowie Prozessanalysen und Modellierungen; weiterhin aber auch den sicheren Umgang mit Software und Web-Entwicklungsmethoden sowie die Kombination, Transformation und Integration von Kenntnissen, Erfahrungen und Methoden verschiedener Problemräume. Sprachliche Kompetenz und Verbalisierungsfähigkeit, bspw. um eine gesamte Prozesskette verworten zu können, sind in unverzichtbar geworden. Darüber hinaus werden künftig vermehrt (auch beim IT-Dienstleistungsexport) Fremdsprachenkenntnisse, interkulturelle Kompetenzen sowie Mobilitätsbereitschaft erforderlich sein. Um das Lernen in der Arbeit zu ermöglichen, ist es erforderlich, die Arbeit selbst als einen offenen Problemraum zu gestalten, der die erforderliche Lern- und Handlungsbereitschaft immer wieder neu herausbildet. Sowohl für die Absolventen des tertiären Bildungsbereichs als auch für die aus einer beruflichen Erstausbildung gilt, dass Fach- und Sach- bzw. Branchenkenntnisse überhaupt erst die Basis bilden, um den „Innovationsraum Arbeit“ weitergestalten zu können. Nicht nur die Qualifikationsvoraussetzungen sondern auch die persönlichkeitsspezifischen Voraussetzungen (soziale Kompetenz, Motivation, kommunikative Fähigkeiten, reife Formen des moralischen Urteils) für die qualifizierten Ausbildungen werden steigen. Nur sozialisatorisch gut vorbereitete Jugendliche, die es gelernt haben, kulturelles und soziales Kapital zu nutzen, werden die skizzierten qualifizierten Arbeitsplätze besetzen und die entsprechenden Ausbildungsgänge absolvieren können (Heinz/Lappe 1998).

7. Schluss Zusammenfassend möchte ich Folgendes feststellen:

> Erstens verzeichnen wir einen hohen Sockel an Jugendlichen ohne Berufsausbildung, die zunehmend in Arbeitslosigkeit münden, da die Referenzarbeitsplätze für diese gering qualifizierten Arbeitskräfte (Einfacharbeitsplätze) wegrationalisiert werden. Es muss abgewartet werden, ob die verschiedenen staatlichen und kommunalen Programme zur

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Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit zumindest im Vorbereich des Arbeitsmarktes Abhilfe schaffen. > Zweitens registrieren wir ein relativ neues Phänomen: den Anstieg jugendlicher Nichterwerbspersonen, die sich weder in allgemeiner oder beruflicher Ausbildung befinden noch erwerbstätig oder arbeitslos gemeldet sind. > Drittens führen gerade die neuen Formen der Restrukturierung der Wirtschaft aufgrund ihrer Tendenz zu Konzentration und Ausgliederung von Produktionsteilen zu hoher Arbeitslosigkeit und einem spürbaren Abbau der Ausbildungskapazitäten auch in den Kernbereichen der Industrie. Die Betriebe haben ihre Rekrutierung über die Erstausbildung massiv eingeschränkt und sind von der bisherigen Praxis der faktischen Übernahmegarantie abgegangen, so dass die Arbeitslosenquote auch gut ausgebildeter Jugendlicher in den letzten Jahren gestiegen ist. > Viertens wird die Ausbildungs- und Arbeitssituation für eine schrumpfende Mehrheit immer qualifizierter und differenzierter; die modernisierten und höherqualifizierten Bereiche, insbesondere die IT-basierten Arbeitsbereiche unserer Erwerbsgesellschaft verlangen von den neu in das Erwerbsleben eintretenden Jugendlichen neue und höhere Qualifikations- und Persönlichkeitsvoraussetzungen. Diesen gestiegenen Anforderungen in den qualifizierten Ausbildungs- und Arbeitsbereichen werden die benachteiligten Jugendlichen immer weniger gerecht.

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Erwachsene in der Berufsbildung Klaus Harney

Auf den Klaus Erwachsene Harney ersten in Blick der Berufsbildung scheint nicht nur das schlichte Vorhandensein, sondern auch die zunehmende Bedeutung von Erwachsenen in der beruflichen Bildung eine Selbstverständlichkeit zu sein. Unterzieht man jedoch diese scheinbare Trivialität einer näheren sozialgeschichtlichen wie auch sozialwissenschaftlichen Betrachtung, dann löst sie sich als Trivialität nicht nur auf, dann wird auch deutlich, wie sehr die Berufs- und Weiterbildungsforschung den Erwachsenen, den sie betrachtet, selber konstruiert, und wie sehr auch die Handlungsräume der beruflichen Weiterbildung selbst immer wieder den für sie typischen Erwachsenen produzieren. Aus der Sicht der modernen Weiterbildungsforschung ergibt sich die Beteiligung Erwachsener an der beruflichen Bildung genau umgekehrt zur alltäglichen Sicht: Nämlich als Resultat der Art und Weise, wie sich die berufliche Bildung an der sozialen Konstitution des Erwachsenenlebens beteiligt. Um diese Umkehrung der alltäglichen Sicht nachzuvollziehen, ist es erforderlich, den Wandel des theoretischen Blicks auf den Erwachsenen anzusprechen, so wie er die Institutionalisierung der Erwachsenenbildung in diesem Jahrhundert begleitet hat: Dieser Wandel hat sich in der fortschreitenden Pluralisierung und Versozialwissenschaftlichung einer zunächst durchaus alltagsnahen, den Traditionen der humanistischen Psychologie, der Entwicklungspsychologie wie auch der Reform- und Kulturpädagogik entstammenden Deutung niedergeschlagen, in welcher der Erwachsene als aus Kindheit und Jugend hervorgegangene „fertige“ bzw. „reife“ Substanz konstruiert wurde. Die Pluralisierung und Relativierung des Substanzkonzepts zugunsten von Perspektiven, in denen der Erwachsene als Produkt und Element von Kommunikationsprozessen, von Entwicklungsaufgaben im Lebenslauf, von Karrieren und milieubedingten Festlegungen interpretiert wird (vgl. Hurrelmann 1989, S. 138ff.), ist besonders für die berufliche Bildung wichtig: Denn dort hat die Beteiligung Erwachsener deshalb an Bedeutung gewonnen, weil die berufliche Bildung ihre Einschränkung auf den Jugendzyklus verlassen und sich in das Erwerbsleben hinein entgrenzt hat: Zwischen 1979 und 1991 stieg die Teilnahmequote an beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen bei den erwerbstätigen Männern von 17% auf 29%, bei den Frauen von 12% auf 24% (Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft 1993, S. 174). Kohortenanalysen zeigen, dass diese Entwicklung nicht auf einmal einsetzt (was man annehmen könnte, wenn man sich ausschließlich am technologischen Wandel oder am Anstieg der Arbeitslosigkeit orientieren würde), sondern einem langfristigen, intergenerativ wirksamen Trend folgt: Die ansteigende Weiterbildungsbeteiligung wird besonders bei den nach dem Zweiten Weltkrieg geborenen Erwerbstätigen sichtbar (Becker 1993, S. 70). Insofern kann man durchaus vom Machtgewinn der Berufsbildung und ihrer verschiedenen Kontexte über die Definition und Lagebestimmung nicht nur des Jugend-, sondern auch des Erwachsenenlebens sprechen. Dieser Machtgewinn hat das vom fertigen Erwachsenen ausgehende traditionelle Substanzkonzept zugunsten von Konzepten zurückgedrängt, welche die Plastizität und Selbstentwicklungsfähigkeit erwachsener Menschen herausstellen.

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1. Der Erwachsene als Substanz: Seine von der Person her gedachte Konstitution Das traditionelle Substanzkonzept des Erwachsenen in der Psychologie entstammt Reifungs- und Stufenlehren des 19. Jahrhunderts, die von der damaligen Medizin wie auch vom Darwinismus einerseits und von der aufkommenden Kinderpsychologie (die das Interesse an Lebensstadien generell stimuliert hat) andererseits geprägt wurden. Verbreitet war der Topos von der endlichen Lebenskraft, die zunächst mit dem Alter wächst, sich dann verausgabt und damit eine natürliche Lebenskurve begründet (vgl. Kondratowitz 1989). In der Zwischenkriegszeit mündete die so vorgeprägte psychologische Konstitution des Erwachsenen sowohl im deutschsprachigen Raum wie auch international in eine an Stufenkonzepten orientierte entwicklungspsychologische Themen- und Forschungskontinuität ein, deren Dominanz erst durch den Eintritt der Sozialwissenschaften in die Entwicklungspsychologie abgelöst wurde.

1.1. Entwicklungspsychologie Im Zentrum jener Kontinuität standen im deutschsprachigen Raum die Forschungen der Wiener Entwicklungspsychologie um Ch. und K. Bühler, die im Erwachsenen einerseits das Produkt einer in Reifungsprozessen angelegten Vollendung und Bestimmung sah, dem Erwachsenen damit andererseits aber auch den Status einer nicht mehr steigerbaren Bestimmtheit seiner selbst gab. Das Altern wird aus dieser Sicht zum Prozess der Verausgabung, in dem die Kräfte und Fähigkeiten nicht mehr im Sinne eines linearen Wachstums, sondern zunehmend nur noch reflexiv und ästhetisierend („Weisheit“) zu überbieten sind. Mindestens ebenso prominent wie das Bühlersche Reifungskonzept wurde seine von Erikson (der genauso wie Ch. Bühler zunächst in Wien arbeitete, dann aber in den dreißiger Jahren in die USA auswandern musste) entwickelte psychoanalytische Version, die den Erwachsenen ebenfalls am Ende eines Spezifikations- und Bestimmungsprozesses sieht. Bei Ch. Bühler beginnt die Entwicklung mit dem für die frühe Kindheit typischen Zustand der Unbestimmtheit, bei Erikson mit dem des Urvertrauens (Faltermaier u. a. 1992); in beiden Fällen wird – wenn auch mit theoretisch sehr verschiedenen Mitteln – der Erwachsene sowohl als Produkt wie auch als Produzent seiner Substantialität verstanden: Die Interaktion zwischen Selbst und Umwelt führt vom Zustand der Unbestimmtheit und Plastizität in den der Bestimmtheit und Strukturierung (Reinert 1982; Abels 1993). Gleiches gilt für das kognitivistische, an der Vorstellung der vollendeten Struktur orientierte Konzept von Piaget wie auch für die daran wiederum gebundene Unterscheidung moralischer Bewusstseinsstufen von Kohlberg: Im postkonventionellen Moralbewusstsein treffen die Fähigkeiten zum Perspektivenwechsel, zum abstrakt formalen Denken und zur Perfektion moralischer Urteilsfähigkeit zusammen (Kohlberg 1974; Piaget/Inhelder 1977). Die Stadien stehen ihrerseits im hierarchischen Verhältnis zueinander: Stufen wie die der Fähigkeit zu formalen Denkoperationen oder zu postkonventionellen moralischen Urteilen sind als Zuwachs an Selbst-Bestimmbarkeit bzw. Autonomie gegenüber Regeln, Konventionen, Einfluss, Herkunft etc., also insgesamt: der Macht des Gesellschaftlichen gegenüber konzipiert. Darin besteht der Unterschied zum sozialwissenschaftlichen Blick auf den Erwachsenen, der im deutschsprachigen Raum seit Mitte der sechziger Jahre an Be-

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deutung gewann und die psychologische Tradition der Stufenlehren schließlich überlagern konnte: Sozialwissenschaftlich geht es genau umgekehrt um Wandel und Ausmaß gesellschaftlicher Macht gegenüber der Macht bzw. Unwägbarkeit des Persönlichen und Biographischen. Bei Piaget richtet sich die Eigentätigkeit des Heranwachsenden auf das eigene kognitive Selbst als sozusagen „sperrige“ Substanz, die bestimmten, nicht überspringbaren Entwicklungsstadien gehorcht, in denen die Strukturbildung der Substanz unterschiedliche Niveaus annimmt. Deshalb ist im Reifungsmodell Piagets der Erwachsene vom Heranwachsenden deutlich getrennt. Aber schon die aus dem „strukturalistischen Lager“ der Piaget-Schüler stammende Kritik hat deutlich gemacht, dass die Verkoppelung von Strukturbildung und Reifung deshalb problematisch ist, weil weder das Piagetsche Stufenkonzept noch die Piaget vorausgehenden Stufenkonzepte zwischen ausschließlich lern- und ausschließlich reifungsinduzierten Entwicklungsprozessen systematisch unterscheiden können: Was internen Steigerungen einer sich selbst anregenden „Software“ (= Lernen durch vorheriges Lernen) und endogenen Steigerungen der „Hardware“ (= biologische Zeit) zuzurechnen ist, bleibt dunkel (Aebli 1981, S. 352). Insofern enthält auch der moderne kognitionspsychologische Strukturalismus Leerstellen für den Einbau sozialwissenschaftlichen Wissens. Umso mehr gilt dies ebenso für die Unterscheidung moralischer Niveaus: Solche Niveaus sind in ihrer Zeitdimensionierung keineswegs auf das Heranwachsen und sein Ende beschränkt. Die Entwicklungsprozesse sind in hohem Maße fluide. Es kann zu Sprüngen, zu bereichsspezifisch unterschiedlichem Moralbewusstsein innerhalb einer Person und natürlich auch zu Entwicklungen kommen, die weit in das Erwachsenenalter hineinreichen. Gerade die Arbeiten von Lempert, die an Kohlberg anschließen und die beruflichen Voraussetzungen des Moralbewusstseins in den Mittelpunkt stellen, haben den zwischen Person und Umwelt, zwischen Innen und Außen liegenden Schnittstellencharakter moralischer Entwicklungsprozesse aufzeigen können. Es sind vor allem die im Arbeitshandeln begründeten Dispositionschancen und zur Reflexivität anregenden Divergenzen, auf die sich die für die Ausprägung des Moralbewusstseins notwendige Anregungsumwelt stützt (Corsten/Lempert 1992). Lempert konnte zeigen, dass dabei im günstigen Fall dem jüngeren Erwachsenenalter die Funktion der Integration und Weiterentwicklung des Moralbewusstseins auf höherem Niveau zukommt, also gerade die berufliche Sozialisation nach Lehre und Adoleszenz für die Persönlichkeitsentwicklung mindestens ebenso entscheidend ist wie die Familien- und Schulzeit (Lempert 1990).

1.2. Reform- und Kulturpädagogik Das reformpädagogische Bild vom Erwachsenen, das vor allem in der Zeit der Weimarer Republik die (durch den Aufbau der Arbeitsverwaltung und der Volkshochschulen auch im Bereich der beruflichen Bildung einsetzende) öffentliche Institutionalisierung der Erwachsenenbildung begleitete, stand am Anfang einer eigenen, die moderne Erwachsenenpädagogik konstituierenden Tradition des Wissens. Bis auf den heutigen Tag sind die Spuren dieser Tradition erkennbar: Denn die Erwachsenenpädagogik lebt bis heute von dem Kontrast, den Schule und Lehrerhandeln ihr angeblich bieten. Für die Reformpädagogik markierte die Beziehung zwischen Bestimmtheit und Selbstbestimmbarkeit eine deutliche Zäsur des Erwachsenenstatus gegenüber demjenigen des

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Schülers oder auch des Jugendlichen. Allerdings erhielt diese Zäsur einen anderen Akzent als das in den psychologisch ausgerichteten Phasenlehren der Fall war: Fragen der Stufung und Reifung wurden von der Differenz zwischen schulischem und nicht-schulischem Lernen her verstanden. Der Erwachsene sollte nicht mehr erzogen, sondern in seiner Bestimmtheit anerkannt werden. Diese Bestimmtheit galt als begrenzt: Sie war an den jeweiligen „Lebenskreis“ bzw. „Stand“ gebunden. Im Unterschied zur Ungebundenheit des Schülers (der deshalb erzogen werden muss) galt der Erwachsene als Ausdrucksform der Gleichzeitigkeit von Bindung und Begrenzung. An die Stelle des Erziehungs- trat deshalb ein Kultivierungsanspruch, der aus der Begegnung zwischen den Lebenskreisen hervorgehen und Bildung in der Gegenseitigkeit der Grenzüberschreitung ermöglichen sollte (vgl. Langewiesche 1989). Aus der kulturpädagogischen Sicht E. Sprangers war der Status des Erwachsenen mit dem der kulturellen Bestimmtheit und Namensgebung verbunden. Der Weg zur echten Kultur war nur der fertigen, aus der Unsicherheit und Abgelöstheit des Jugendzyklus hervorgegangenen Persönlichkeit möglich, die zu sicherem Urteil und emotionaler Ausgeglichenheit gefunden hat (vgl. Spranger 1966).

1.3. Die moderne Perspektive auf den Erwachsenen Verallgemeinernd kann man sagen, dass das pädagogische und psychologische Wissen der Zwischenkriegszeit ein deutliches Zäsurbewusstsein des Erwachsenenlebens gepflegt hat: Der Erwachsene als fertige Substanz („Reife“) war das Entwicklungsideal, aus dem sich Kriterien der Zeitkritik, der Diagnostik sowie der Krisen- und Defizitzuschreibung ableiten ließen. Die Erwachsenenbildung der Nachkriegszeit hat an diese Art des pädagogischen Phasenbewusstseins angeschlossen: Sie sah die Differenz zwischen Erwachsenenbildung und Schule in den Prinzipien der Teilnehmer-, Adressaten- und Subjektorientierung aufgehoben und verband diese Kritik mit einer grundlegenden Skepsis gegenüber der Schule und ihrem Erziehungsanspruch. Die Erwachsenenbildung wurde tendenziell zur Instanz des Ausgleichs schulisch erzeugter Lernbarrieren stilisiert und fand darin die Fortsetzung des reformpädagogischen Phasenbewusstseins. Allgemein hat der Erwachsene in der Perspektive der Phasenlehren und des Phasenbewusstseins einen teleologischen Prozess hinter sich, in dessen Deutung immer auch die meist unterschwellig mitentschiedene Konkurrenz zweier basaler Annahmen über die allgemeine Voraussetzungshaftigkeit von Entwicklungsprozessen eingeht: (Ähnlich wie in der Begabungsforschung auch) die Konkurrenz zwischen den Annahmen einer genetisch vorgeprägten Entwicklungsdynamik einerseits und derjenigen einer auf Aneignungslogiken beruhenden Phasenhaftigkeit von Steigerungsprozessen andererseits. Beide Annahmen haben durchaus zu empirischen Resultaten geführt: Empirisch weit erfolgreicher als die Annahme einer biologischen Determination der Entwicklungs- und Lernfähigkeit von Erwachsenen ist die einer von Umwelt-, Karriere- und Milieufaktoren ausgehenden Selbstfestlegung, die im günstigen Fall Steigerungsprozesse ermöglicht, die vom biologischen Alter unabhängig sind. Die Bedeutung des Faktors „Alter“ als Variable für Verlust bzw. Abbau wird in der neueren Intelligenzforschung auf den Bereich der sogenannten „fluiden Intelligenz“ (die sich auf die Fähigkeit bezieht, Denkregeln und Muster an semantisch leeren Inhalten zu erkennen) eingeschränkt, während die an den Erwerb von Kulturinhalten

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gebundene „kristalline Intelligenz“ mit zunehmendem Alter ohne weiteres anwachsen kann (Baltes/Dittmann-Kohli 1982; Skowronek 1979). Der Erfolg der unbiologischen Sicht auf den Erwachsenen hat verschiedene Dimensionen der Zeit an die Stelle des Organismus treten lassen: Die Vorstellung vom endogenen Reifungsprozess tritt zurück zugunsten von Festlegungen, die aufgrund begrenzter sozialer wie auch biographischer Ressourcen (an Zeit, Orientierungsvermögen, Geld etc.) die Funktion der Bestimmung übernehmen. Dadurch ist Entwicklung auch kein einheitlicher Prozess mehr, sondern gliedert sich in eine Vielzahl von Kontexten und Dimensionen auf (Gloger-Tippelt 1986). Über diese von der älteren amerikanischen Rollen- und Systemtheorie (vgl. Brim/Wheeler 1974), der modernen Kultursoziologie (Bourdieu 1982), über die neuere historische Bildungs- bis hin zur Lebenslaufforschung (Seitter 1993; Kohli 1985) präferierte Sichtweise ist es zur weitgehenden Pluralisierung des Substanzkonzepts vom Erwachsenen gekommen: In kognitivistischen oder identitätstheoretischen Konstruktionsleistungen macht es durchaus noch Sinn; in der Lebenslaufforschung, in der Sozialund Bildungsgeschichte, in der Rollen- und Systemtheorie, in der Jugend- und Kultursoziologie oder auch in der vergleichenden Bildungsforschung rückt dagegen die Kontingenz und „Substanzlosigkeit“ der kommunikativen Formen und kulturellen Alltagspraktiken in den Vordergrund, die den Erwachsenen immer wieder anders – nämlich kontext- und milieuabhängig – konstruieren (vgl. Wittpoth 1994).

2. Erwachsene und Nicht-Erwachsene Diese Art der Konstruktion kann man an der basalen Differenz zwischen Erwachsenen und Schülern in Kommunikationsprozessen deutlich machen. Während die Reformpädagogik davon ausging, dass der Erwachsene reif ist, ist die Differenz zum Jugendlichen, Zögling, Schüler oder Kind für die Sozialwissenschaften eine immer wieder zu erbringende, an die Herstellung sozialer Kontexte gebundene Konstruktionsleistung: Während die Konstruktion der Teilnehmerschaft, wie sie z. B. Lehrer an Schüler herantragen, vom unfertigen Selbst ausgehen darf (und zwar je jünger sie sind, umso unfertiger), das sich der Verfertigung u. a. durch Eltern und Lehrer unterwirft, sind Teilnehmerkonzepte in der Erwachsenenbildung an die Unterstellung des fertigen Selbst gebunden. Die Kommunikation in der Schule informiert den Schüler ständig darüber, dass sie ihm ein unfertiges und erziehungsbedürftiges Selbst unterstellt. An derartigen Unterstellungen darf sich sogar der Hausmeister beteiligen. Demgegenüber muss sich die Unterrichtskommunikation in der Erwachsenenbildung normalerweise an der Vermeidung solcher Unterstellungen orientieren (vgl. Harney/Markowitz 1987). Erwachsene können nicht wie Schüler darauf vertrauen, dass man die Schwächen und Mängel, die sie zeigen, als Episoden deutet, die sich wieder geben bzw. zum Prozess des Erwachsenwerdens dazugehören (= Temporalisierung). Abstrakt formuliert: Erwachsene haben keine Erziehungszeit, die man für die Temporalisierung von Zurechnungen beanspruchen könnte. Für die Temporalisierung von Schwierigkeiten steht ihnen zum einen lediglich die an Kurs- und Seminardauern ablesbare, gesellschaftlich eingeräumte „Normalzeit“ zu; zum andern ist das Spektrum der Schwierigkeiten, das sich überhaupt temporalisieren lässt, sehr viel enger gezogen als bei Schülern. Meist wird nicht temporalisiert, sondern personalisiert. Erwachsene müssen damit rechnen, dass man ihnen ihre Schwächen, ihr Versagen usw. als persönlichen (z. B. biographisch bedingten) Defekt zuschreibt. Ge-

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nau deshalb – weil eben die Schutzzonen nicht mehr da sind – sorgen sozusagen im Gegenzug bzw. im sozialen Tausch Höflichkeitsschwellen dafür, dass Schwächen eher schweigend gesichtet als direkt benannt werden. Allerdings kann man für die berufliche Bildung Erwachsener feststellen, dass solche Schutzzonen umso eher fallen, je rangniedriger der Kontext einzustufen ist, in dem die Beteiligung stattfindet: Langzeitarbeitslose Arbeiter kann man sehr viel expressiver und „schulähnlicher“ auf Defizite ansprechen und sozusagen zu Kindern werden lassen als das beim Aufwand an selbst-schützender Etikette denkbar ist, mit der sich Führungskräfte umgeben. So können sich Kontexte der Arbeitslosenschulung z. B. sozial genau dadurch auszeichnen, dass in ihnen die erzieherische, bewachende Sprache dominiert, die Teilnehmer dadurch zu Kindern werden und diese Art der Konstitution ein ambienteprägendes Mischungsverhältnis zum Zuspätkommen und Wegbleiben oder auch zu ständig dösender Teilnahmslosigkeit von Teilnehmern, zu morgendlichem Alkoholdunst, zum Duzton der Dozenten, zu schmuddeligen Unterrichtsräumen etc. eingeht (vgl. Harney 1991). Aus der sozialwissenschaftlichen Perspektive der Kontextkonstitution sind weder Erwachsene normalerweise erwachsen noch Kinder normalerweise Kinder – so wie das aus der an intrapersonalen Entwicklungsmustern interessierten Perspektive der Stufenkonzepte in den Blick kommt. Vielmehr sind Erwachsene und Kinder gesellschaftlich betrachtet gar keine Personen, sondern Typiken der an Gelegenheiten, Institutionen, Krisen und Entwicklungsaufgaben im Lebenslauf etc. gebundenen Kommunikation. Die Differenz Erwachsener/Kind steuert die Kommunikation in spezifischen Kontexten, indem sie eine bestimmte Art der Vernunft voraussetzt. Diese Vernunft postuliert, dass Erwachsene Kindern etwas zu sagen haben – obwohl sie sich eigentlich fremd sind (vgl. Meyer-Drawe/ Waldenfels 1988). Inwieweit jene Differenz auch die Entwicklung von Personen steuert, ist das Thema einer modernisierten Entwicklungspsychologie, die damit begonnen hat, sich den Sozialwissenschaften zu öffnen und nach den Kontexten zu fragen, in denen sich Personen bewegen, und über deren Verarbeitung sie zum Produzenten und Beobachter ihrer eigenen Entwicklung werden (vgl. Oerter/Montada 1987). Auf diese Weise gehen zwei in den sechziger Jahren noch deutlich getrennte Perspektiven ineinander über: die einer persönlichen Aneignungs- und Fortschrittslogik, die die Brücke zu Verstehen, Sozialität und Kommunikation nicht herstellen konnte; und die einer gesellschaftlichen Konstruktionslogik, die ihrerseits die Brücke zur Persönlichkeit, zum „Innenleben“ und zur interindividuellen Differenz nicht herstellen konnte. Verschränkt man beide Perspektiven, dann erweist sich auch die Selbstproduktion der persönlichen Entwicklung als sozialer Vorgang, in dem die Benennungen, Normen, Rollen, Mythen, Milieus etc., die die Gesellschaft bereitstellt, und mit denen sie den Handlungs- und Entwicklungsraum von Personen notwendigerweise begrenzt, auch im „Innenleben“ der Menschen permanent umgeschlagen und in eine jeweils individuelle Form der Verfestigung („Charakter“, „Intelligenz“) und Prozesshaftigkeit („Entwicklung“, „Wachstum“) hineingepresst werden. Auf diese Weise kommt es auch auf der Seite der Gesellschaft zu Begrenzungen: Aus ihrer Sicht ist es die Person, die den Handlungs- und Entwicklungsraum von Institutionen, Normen, Regeln etc. ständig begrenzt. Die schon zur Institution geronnene Formel vom lebenslangen Lernen zeigt an, dass die Typik des fertigen Erwachsenen heute nicht mehr als Normalität, sondern als Krise erlebt wird. Der moderne Erwachsene gerade in der beruflichen Bildung soll sich permanent verflüssigen und auf die Überschreitung seiner Grenzen abstellen. Andererseits kann auch eine modernisierte Entwicklungspsychologie nach wie vor zeigen, dass es solche

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Grenzen gibt: Dass nämlich mit zunehmendem Alter zwar kein Verfallsprozess allgemeiner Art einsetzt, aber die erzielbaren Steigerungen und Gewinne an Breite verlieren, spezifischer werden und mit Verlusten erkauft werden müssen (vgl. Baltes/Baltes 1989). Das steht im Spannungsverhältnis zu einer neuen Art der Normalität, die Grenzen nicht mehr zu akzeptieren scheint. Diese neue Normalität weist auf die Geschichtlichkeit hin, die dem Erwachsenenleben als einer sozialen Konstruktion zukommt.

3. Die sozialgeschichtliche Konstitution des Erwachsenen Sozial- und bildungsgeschichtlich ist gut nachgewiesen, wie sehr die soziale Definition des Erwachsenenalters von der säkularen Ausdehnung der Lebenszeit, von Wirtschafts-, von Hungerkrisen und Kriegen (in denen die unproduktiven Alten zur Last werden), vor allem aber auch vom Ausbau des Bildungssystems abhing, das einen wachsenden Anteil kollektiver Lebenszeit zur Zeit der Vorbereitung erklärt und damit zur sozialen Definition des Erwachsenen als Zeit des „eigentlichen“ Lebens entscheidend beigetragen hat. Die Feudalgesellschaft kannte zwar das Altern, weil es zu ihm eine über Erbschaft, Tod und Krankheit vermittelte Beziehung unterhielt, eine aus verallgemeinernden Institutionalisierungsprozessen (Rentenalter, Schulpflicht, Ausbildung usf.) hervorgehende soziale Definition und soziale Mehrdeutigkeit von Lebenszyklen war dagegen unbekannt: Der Erwachsene kam als Derivat des Alterns und seiner an Stand und Vermögen gebundenen Begleiterscheinungen in den Blick (vgl. Borscheid 1987). Insofern wurde er traditionellerweise auf einer einzigen – zwischen Geburt und Tod, Aufbau und Verfall angesiedelten – Dimension gedeutet. Weitergehende Differenzierungen, wie sie dann für die industriegesellschaftlichen Lebensformen typisch wurden, waren der vorindustriellen Gesellschaft fremd. Für die angesprochenen sozialwissenschaftlichen Forschungsschwerpunkte geht der moderne Status des Erwachsenen aber überhaupt erst aus solchen Differenzierungen hervor: Die Entwicklung der Erwachsenenbildung ist dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht beim Erwachsenen ihren Anfang nimmt, sondern in den vielfältigen Formen der Volksbildung des 18. und 19. Jahrhunderts auf lokale und milieuspezifische Problemlagen bezogen war (Birker 1973). Die berufliche Bildung Erwachsener fand nicht als Bildung Erwachsener statt, sondern als Strategie der Problemlösung und als Ausdrucksform kleinräumiger Öffentlichkeiten: Im Zentrum standen Fragen der Alphabetisierung, der Bekämpfung des Aberglaubens, des Zeichnens für Bauhandwerker, der Mechanik für Maschinenbauer oder auch der Kultivierung des Lesens etc. – je nach örtlichen Ressourcen und öffentlich cirkulierenden Themen. Zeichen-, Gewerbe- und Fortbildungsschulen wurden von Erwachsenen und Jugendlichen gleichermaßen besucht: Denn es ging nicht um die Beschulung eines bestimmten Lebenszyklus, sondern um die Reproduktionsprobleme des Gewerbes, der Landwirtschaft, der neu entstehenden Industriezentren usf. Erst die Entstehung des Bildungssystems im 19. und frühen 20. Jahrhundert hat die Funktionen der Alphabetisierung, der Berufsbildung und des Hochschulzugangs in die Form der Schulkarriere gebracht und damit die allgemeine Beschulung bestimmter Lebenszyklen in den Vordergrund gerückt (vgl. Dräger 1984). Die Entstehung der Volkshochschulen, das Aufkommen beruflicher Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen in den Notzeiten der Weimarer Republik, ihre Funktionalisierung für rüstungsindustrielle Belange in den dreißiger Jahren, generell: die Separierung kultureller – den Volkshochschulen, den Kultureinrichtungen der Arbeiterbewegung, den Kirchen etc. überlassener – Sphären der Erwachsenenbildung von solchen

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der beruflichen Bildung in Betrieben und in Schulungsmaßnahmen der Arbeitsverwaltung im engeren Sinne (Langewiesche 1989) hatten einen entscheidenden, nämlich formbildenden Bezugspunkt gemeinsam: Sie mussten den im Bildungssystem institutionalisierten Schüler als Sozialfigur voraussetzen und konnten den Erwachsenen nur noch als Figur jenseits des Schülers konstituieren (vgl. Seitter 1990). Genauso wie die Entstehung des Schülers ist die Freisetzung des Erwachsenen ein Ergebnis von Trennungen (Brim 1974): Mit dem Aufkommen der Industriegesellschaft ist es die Trennung von Beziehungs- und Lebenssphären, die den Lebenslauf jenseits der Kindheit bestimmt. Milieu und Stand waren demgegenüber auf (vergleichsweise) ungetrennte Formen der Lebensführung angewiesen. Ihr Ersatz durch die „Freisetzung“ des Erwachsenenlebens war ein Ergebnis der institutionellen Modernisierungsprozesse des 19. Jahrhunderts, durch die der Erwachsene für eine offene Vielfalt gesellschaftlicher Zugriffe, Typisierungen und nicht zuletzt auch theoretischer Perspektiven zugänglich wurde.

4. Die berufliche Bildung Erwachsener im „System“ der Weiterbildung Seit Mitte der siebziger Jahre hat sich die berufliche Bildung zu einer der dominierenden Zugriffsformen auf die Vergesellschaftung des Erwachsenenlebens entwickelt. Dabei kommt die Dominanz weniger aufgrund der tatsächlichen quantitativen Beteiligung Erwachsener zustande. Es sind nicht die Erwachsenen, die auf die berufliche Bildung zugreifen, sondern es ist die institutionelle Definitionsmacht der beruflichen Bildung, ihr Vorbildcharakter für Normalität, der auf das Erwachsenenleben zugreift und es konstruiert. Diese Macht äußert sich neben der Tatsache, dass sie für Teilnehmer sorgt, auch darin, dass sie Nicht-Teilnehmer produziert. Außerdem äußert sie sich darin, dass sie Teilnehmer in untereinander hierarchisierten Kontexten des Weiterbildungsspektrums unterbringt (vgl. Friebel 1993). Es sind dann die spezifischen Kontexte der Teilnahme und die unspezifischen Kontexte der Nicht-Teilnahme, die den auf sie passenden Erwachsenen jeweils konstituieren. Anders als in der kulturellen oder politischen Erwachsenenbildung ist die freiwillige Nicht-Teilnahme Erwachsener an der beruflichen Bildung nicht möglich. (Selbst wenn Betriebe die Teilnahme freistellen, äußert sich genau darin die Unmöglichkeit der freiwilligen Entscheidung.) Die Nicht-Teilnahme ist vielmehr immer schon in die vom Privaten zum Öffentlichen laufende Hierarchie des Weiterbildungsspektrums eingebaut. Sie bildet ihre untere Ebene. Erwachsene – und zwar in besonderer Weise Frauen – sind dieser Hierarchie sehr viel stärker ausgeliefert als Schüler. Während sich Schüler im Schulsystem einer hierarchisch sequenziellen Anordnung von Karrierestufen gegenübersehen, deren Verknüpfung durch Noten, Zeugnisse etc. das System ihnen – den Schülern – überlassen muss (genauer: es muss sich so darstellen), funktioniert die berufliche Bildung Erwachsener genau andersherum. Dort ist die sequenzielle Verknüpfung der Segmente durch die Teilnehmer nicht möglich. Vielmehr ist der Raum der Erreichbarkeit von Abschlüssen, Qualifikationen usf. unmittelbar an die Segmente gebunden, in denen die Bildung erfolgt. Die Segmente eröffnen keine Laufbahn, die man von unten her beginnen kann, sondern sind Bestandteil schon gegebener sozialer Lebenslagen (als Arbeitsloser in der Umschulung, als Facharbeiter in der Meisterfortbildung, als Abteilungsleiter im Führungskräftetraining etc.), über die sie

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zugänglich sind, und die sie dadurch mit definieren. Insofern schließt die berufliche Bildung Erwachsener immer auch an sozialisatorisch bereits erworbene arbeitsbezogene Selbstbilder und Habitusformen an (vgl. Arnold 1986). Sie ist anders als die berufliche Bildung von Jugendlichen in dieser Hinsicht sehr viel voraussetzungshafter. Die Hierarchie, die Weiterbildungskontexte in der Art und Weise zeigen, in der sie den Erwachsenen als Kind, als Leistungselite, als Gesinnungsgenossen, als Geselligkeitsmagneten etc. definieren, stellt den Zusammenhang zwischen Lebenslagenanschluss, Habitus und Kontextkonstitution her: Dieser Zusammenhang wird im Stil und im Ambiente sichtbar, in denen die Kontexte der Weiterbildung den für sie typischen Teilnehmer symbolisch aufbauen. Auffälligkeit, Sichtbarkeit und erwachsenenspezifische Anerkennung bilden den institutionellen wie auch milieuspezifischen Rahmen, in dem sich die Weiterbildung nicht nur organisatorisch, sondern auch szenisch darstellt. Die Szene ist der Ort der interaktiven Brechung des Erwartungs- und Handlungsraums, den die Weiterbildung als Institution, als milieuspezifische Öffentlichkeit und als Organisation jeweils ausbildet. Interaktionspraktiken der Weiterbildung stehen vor der Anforderung, szenische Deutungen zu entwerfen, die die Vermittlung zwischen der Sachthematik des Lernens und der Sozialthematik des Erwachsenenstatus übernehmen können (Nolda 1996, 1998). Je weiter unten die soziale Stellung der Teilnehmer wie auch der sie betreuenden Organisation angesiedelt ist, umso eher werden Erfolge dem Leistungsvermögen der Organisation, Misserfolge aber dem defizienten Erwachsenenstatus der TeilnehmerInnen zugeschrieben (Wheeler 1974, S. 93f.). Die berufliche Bildung Erwachsener wird einerseits als ein Bereich der öffentlichen Verantwortung und Zugänglichkeit ausgewiesen. Das Berufsbildungsgesetz (das Fortbildungsordnungen regelt) wie auch das SGB III (Wittpoth 2003, S. 119) (das die Teilnahme an der beruflichen Bildung finanziert), die den Bereich rechtlich konstituieren, stellen zunächst einmal auf Rechtsansprüche und für jedermann geltende Beteiligungsmöglichkeiten ab. Andererseits kann man beim AfG einen anhaltenden Prozess der Leistungseinschränkung und der mittlerweile fast völligen Zielgruppenfestlegung auf Arbeitslose oder unmittelbar von Arbeitslosigkeit bedrohte Erwerbsgruppen feststellen (vgl. Lipsmeier 1991). Diese Entwicklung kommt dem Trend zur privaten Regulation der Weiterbildung entgegen: Im Unterschied zum Schulsystem fungiert der öffentliche Sektor eher als Nachsorgeinstanz und Reparaturbetrieb, während Zusammenhänge zwischen Weiterbildung und Karriere im privaten Sektor – und zwar durch die Anbieter – hergestellt werden (vgl. Harney 1990). Einerseits kann man also sagen, dass die berufliche Bildung Erwachsener – verstanden als Norm und neue Normalität – den Status des fertigen Erwachsenen dementiert und insofern das uns bildungs- und sozialgeschichtlich überlieferte Phasenmodell zur Debatte stellt. Andererseits muss man aber auch sagen, dass sie dieses Dementi in spezifischer Weise wieder zurücknimmt, in dem sie nämlich an bereits eingetretene Lebenslagen anschließt und für ihre Korrektur nur sehr begrenzt Zeit lässt (Harney/Ebbert 1999). Der aus der traditionellen Phasenforschung stammende Blick auf Intelligenz und Lernen kann nämlich auch heute noch zeigen, dass Erwachsene mit zunehmendem Alter für Umstiege und diskontinuierliche Neuanfänge überproportional mehr Zeit brauchen (vgl. Faltermaier u. a. 1992). Auf dieses Faktum aber reagiert die berufliche Bildung Erwachsener, indem sie ihrer Klientel in der Regel eine sehr viel knappere Lernzeit einräumt als sie Jugendlichen für das Durchlaufen ihrer Erstausbildung offensteht. Beschleunigung ist die soziale Funktion, die der Beteiligung beruflichen Lernens am Erwachsenenleben zukommt. Wer demgegen-

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über zu alt wird oder sogar stirbt, muss sich die Gründe dafür selber zuschreiben. Fertig im Sinne der alten Phasen- und Stufenorientierung wird er/sie jedenfalls nicht mehr.

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Beruf und Lebenslauf Rudolf Tippelt

Individuelle Rudolf Beruf und Tippelt Lebenslauf Lebensläufe werden in hohem Maße durch institutionelle Vorgaben beeinflusst. Die Berufs- und Ausbildungswahl, die Erwerbsbiographien, der Arbeitsplatzwechsel, die Status- und Einkommensverläufe, aber auch Phasen der Familienentwicklung und generell die Persönlichkeitsentwicklung sind immer auch stark abhängig vom sozialen Wandel. Sofern die gesellschaftliche Entwicklung Brüche zeitigt, hinterlassen diese Brüche Spuren auf der Ebene individueller Lebensgeschichten. Der Lebensverlaufsforschung der letzten 20 Jahre ist es gelungen, durch systematisch-empirische Forschung und Theoriebildung individuelle Lebensläufe aus gesellschaftlichen Strukturen und deren Veränderungen partiell zu rekonstruieren. Lebensverläufe, also Bildungs- und Ausbildungswege, Erwerbsund Berufskarrieren etc. sind von einer Vielzahl von Einflüssen abhängig: ökonomisch und politisch bestimmte Strukturen, kulturelle Wertvorstellungen und -prägungen, gesetzliche Altersnormen, institutionalisierte Übergänge, normativ-kritische Lebensereignisse, individuelle Entscheidungen, Sozialisationsprozesse im frühen Lebensalter und institutionelle, oft schulische oder betriebliche Selektionsmechanismen (vgl. Mayer 1990, S. 8).

1. Lebensverlaufs- und Biographieforschung Bei der Beantwortung pädagogisch relevanter Fragen müssen heute Disziplin- und Theoriegrenzen überschritten werden. Die soziologisch orientierte quantitative Lebensverlaufsforschung, die das Handeln von sozial definierten Gruppen und Akteuren unter angebbaren, sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen beschreibt (Mayer 1990), die Entwicklungspsychologie der Lebensspanne, die Entwicklungsaufgaben, Entwicklungskrisen, kritische Lebensereignisse, kulturelle Altersnormen, Übergänge im Lebenslauf und Lebens-, Berufs- und Familienzyklen thematisiert (Gloger-Tippelt 1986, S. 73f.; Brandtstädter 1990, S. 322ff.), sowie die interdisziplinäre, am Einzelfall orientierte interpretative Biographieforschung (Alheit 1993; Kade/Seitter, 1996; Kaltschmid 1999; Kade 1999) sind wichtige Quellen, um einerseits typische Lebens- und Berufsverläufe in modernen Gesellschaften abzubilden und andererseits die Besonderheit von einzelnen Fällen, die zwangsläufig in Differenz zur durchschnittlichen Entwicklung stehen, zu rekonstruieren. Hebt die Lebenslaufperspektive hervor, dass Karriereverläufe Prozesse sind, die nach institutionalisierten Strukturmustern ablaufen, beispielsweise, dass das Beschäftigungssystem hierarchisch gestaffelte berufliche Positionen anbietet, oder dass die Abschlüsse im Bildungssystem in besonderem Maße für die Einmündung in das Beschäftigungssystem relevant sind, so hebt die Biographieforschung durch die Rekonstruktion der individuellen Entwicklung die Differenz zum durchschnittlichen gesellschaftlichen Lebensverlaufsmuster hervor. Im pädagogischen Kontext sind Lebensverlaufsforschung und individuelle Biographieanalyse unverzichtbare Quellen zur Sensibilisierung für pädagogische Aufgaben.

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Bei den weiteren Ausführungen zu den Phasen der Berufsvorbereitung und -einmündung, der Phase der Berufsarbeit und der Phase des beruflichen Rückzugs sowie bei der Problembeschreibung weiblicher Berufsverläufe ist von folgenden heuristischen Thesen auszugehen (vgl. Mayer 1990, S. 10f.):

> Ein beruflicher Lebenslauf ist durch die Vorgaben gesellschaftlicher Institutionen und

> >

>

>

>

>

gesellschaftlicher Schnittstellen prädisponiert; zwar prägen individuelle Motive und Intentionen stark die beruflichen Biographien, aber berufliche Lebensläufe müssen sich gleichzeitig an den gegebenen berufsstrukturellen und ausbildungsbezogenen Rahmenbedingungen orientieren. Im Kontext der beruflichen Phasen der Vorbereitung und Einmündung, der Berufsarbeit und des Rückzugs müssen heute die reproduktiven Komplementärrollen der Familien- und Hausarbeit berücksichtigt werden. Im beruflichen Lebenslauf beeinflussen die frühen Bedingungen, Entscheidungen, Ressourcen und Erfahrungen die späteren Lebensereignisse, Zielsetzungen und Erwartungen im Erwachsenenalter zunehmend, aber sie determinieren sie nicht. Der berufliche Lebenslauf ist außerdem von den Entwicklungen in anderen Lebensbereichen (z. B. der Bildung, der Familie, der Freizeit, der Wohnung) abhängig. Der berufliche Lebenslauf ist durch sensible Phasen charakterisiert. Für das Timing der sensiblen Phasen, dem Übergang vom Bildungs- in das Beschäftigungssystem, den Karrieren in Arbeitsbereichen und dem Ausstieg aus dem Beschäftigungssystem sind typische Altersnormen relevant. Die Außerachtlassung von Altersnormen bei der individuellen Berufs- und Lebenslaufplanung kann zu nicht intendierten Konsequenzen für jeweils spätere Entscheidungen führen. Berufliche Lebensläufe können nicht unabhängig von der Situation bestimmter Bildungsabsolventenkohorten bzw. Übergangskohorten gesehen werden, weil damit Konkurrenz- und Auslesemechanismen innerhalb einer Kohorte und zwischen den Kohorten einhergehen. Dies tangiert auch das Problem der Arbeitslosigkeit. Die Flexibilitäts- und Mobilitätsforschung macht deutlich, dass heute von einer starken Dynamik und einer hohen Flexibilität auch im beruflichen Bereich ausgegangen werden kann. Die Vorstellung von der lebenslangen Zugehörigkeit zu Arbeitsplätzen, zu Berufsgruppen oder auch zu sozialen Schichten und Milieus (die mit dem Beruf eng verbunden sind) muss aufgegeben werden. Die berufspädagogische Diskussion von Schlüsselqualifikationen ist eine notwendige Reaktion auf die gewachsene Mobilität im Beschäftigungssystem (vgl. Bunk u. a. 1991; Bunk 1994; Weinert 1998). Für die Pädagogik ist besonders relevant, dass die Lebenslaufperspektive den verengenden Blick auf einen Lebensabschnitt (z. B. Kindheit, Jugend) sprengt.

2. Phase der Vorbereitung und Einmündung: Berufsverlauf und Auswirkungen der Bildungsexpansion Der berufliche Übergang ist u. a. durch das formale Bildungsniveau der jeweiligen Übergangskohorten bestimmt. In Deutschland war das durchschnittliche formale Bildungsniveau der nachwachsenden Generation noch nie so hoch wie heute und noch nie verbrachten Kinder und Jugendliche so viel Zeit in der Schule wie in den 90er Jahren (vgl. Arbeitsgruppe Bildungsbericht 1994, S. 17ff.; Tippelt 1990). Dies hat nicht nur Folgen

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für das Qualifikationsniveau in unserer Gesellschaft, sondern hat erhebliche Auswirkung auf die Statuspassage „Jugend“, auf neue Wertorientierungen und Lebensstile in den sozialen Milieus (vgl. Baumert 1991). Über die Platzierung in der Sozial- und Berufsstruktur einer Leistungsgesellschaft entscheidet wesentlich die individuell erbrachte und ökonomisch verwertbare Leistung und nicht – wie typischerweise in der vorindustriellen Gesellschaft – die soziale Herkunft. Die Steuerung des Ausleseprozesses obliegt nur noch bedingt der Familie, vielmehr selektieren vor allem Instanzen, die eigens zum Training der individuellen Leistungsfähigkeit der Gesellschaftsmitglieder eingerichtet wurden – die Bildungsund Ausbildungsinstitutionen (Hurrelmann 1990, S. 138). Dabei gehört es zu den wichtigsten Veränderungen in unserer Gesellschaft, dass Mädchen an diesem Prozess heute voll teilhaben, weil sich ihre Lebenspläne gegenüber den älteren Generationen wandelten und beispielsweise die Erwerbsquote von Frauen stark anstieg. Ausgangspunkt für die beruflichen Weichenstellungen sind die Entscheidungen im Schulwesen und die schulischen Leistungen des einzelnen. Erfolg und Versagen in der Schullaufbahn werden von Eltern als entscheidende Vorbedingungen zumindest für die Sicherung des sozialen Status der Herkunftsfamilie, häufig auch für Prozesse des erwünschten sozialen und beruflichen Aufstiegs gewertet. Aus der Sicht von Eltern ist in den letzten zwei Jahrzehnten die lebensgeschichtliche Bedeutsamkeit der Schulzeit stark angestiegen. In diesem Prozess projizieren Eltern in ihre Kinder allzu oft berufliche Karrierevorstellungen und Lebensplanungen hinein, die – häufig im Interesse der Kinder gemeint – sich aber gegen die Kinder verkehren können (vgl. Hurrelmann 1990, S. 140f.). Der Druck der Eltern basiert auf der realistischen Wahrnehmung folgender Ausgangslage: Eine gute Schulausbildung mit einem hochwertigen Abschluss wird heute als eine notwendige Voraussetzung für den Zugang zu attraktiven Berufslaufbahnen gesehen, ist aber keinesfalls eine Garantie dafür. Niemand in unserem Bildungswesen hat heute, trotz eines guten Abschlusszeugnisses, die Gewissheit, jene Laufbahn einzuschlagen, die ursprünglich angestrebt wurde. Als Konsequenz streben viele Eltern immer höhere Qualifikationen und immer höhere Bildungsabschlüsse für die eigenen Kinder an (Rolff u. a. 1992, S. 14). Eltern wissen nämlich, dass das eigene Kind, soll es die berufliche Position der Eltern halten oder diese sogar überbieten, einen formal höheren Schulabschluss anstreben muss, als sie es selbst in der Elterngeneration erreicht haben. Die Bildungsexpansion spielt sich allerdings nicht nur in den Vorstellungen der Eltern ab, sondern hat sich in den letzten 40 Jahren real vollzogen: Besuchten im Schuljahr 1952/ 53 im Bundesgebiet noch 79% aller Schüler im 7. Jahrgang Hauptschulen, waren es 2002/ 03 nur etwa 23%. Der Besuch an der Realschule expandierte von 6% auf 27%, jener am Gymnasium von 13% auf ca. 30% und die integrierten Gesamtschulen besuchen ca. 9% (vgl. BMBF 2003; Holtappels 2002, S. 294). Demnach hat die Hauptschule erheblich an Zuspruch verloren. Das Gymnasium wiederum ist in vielen Bundesländern bereits der stärkste Schulzweig geworden. Voraussichtlich wird im nächsten Jahrzehnt im ganzen Bundesgebiet die Rolle des Abiturs eher weiter zunehmen. Aber auch in den letzten Jahren hatten wir noch immer 9% aller Schüler ohne Abschluss und lediglich 9% mit Fachhochschulreife und 28% mit Hochschulreife. Im internationalen Vergleich ist die Hochschulzugangsquote – trotz Bildungsexpansion – in Deutschland relativ niedrig (vgl. OECD 2003). Es haben sich also drastische Verschiebungen der Abschlussqualifikationen in Deutschland in nur zwei Generationen vollzogen: Wurden früher weiterführende Schulen nur von einer Minderheit besucht, strebt heute die überwiegende Mehrzahl der Jugendlichen –

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und wie die Zahlen belegen, auch mit Erfolg – nach einem mittleren oder höheren schulischen Bildungsniveau. Und die Mädchen haben seit geraumer Zeit mit den Jungen gleichgezogen. Glatte Schullaufbahnen führen aber nicht immer zu den gewünschten Ergebnissen: Wer heute von schulischen Zertifikaten und Bildungstiteln beruflich das erwartet, was für zurückliegende Generationen völlig selbstverständlich war, wird beim Übergang in den Beruf erhebliche Desillusionierungen spüren. Berufliche und soziale Statuserwartungen sind nicht mehr berechenbar (Bourdieu 1982; Tippelt 1993, S. 82). Dennoch haben die höher Qualifizierten des Bildungssystems gegenüber den formal weniger Qualifizierten bessere Berufschancen, weil sie in der Lage sind, immer dann, wenn ihre angestammten Berufspositionen aufgefüllt sind, die jeweils nächst niedrigere Qualifikations- und Bildungsgruppe aus deren angestammten Positionen zu verdrängen. Diese These soll durch einige Beispiele verdeutlicht werden: Der berufliche Lebenslauf von Hochschulabsolventen war in der Vergangenheit insbesondere durch personenbezogene Dienstleistungen (Erziehung, Bildung, Gesundheit, Rechtspflege, Forschung) bestimmt, und sie nahmen in leitender Stellung planende und administrative Funktionen wahr (Ingenieure, Naturwissenschaftler, Management, Verwaltung). Empirische Studien (vgl. Blossfeld 1985) zeigen nun, dass bei einem Qualifikationsüberhang das Beschäftigungssystem in seiner hierarchischen Struktur von oben nach unten mit jeweils höher Qualifizierten aufgefüllt wird. Positiv für die Hochschulabsolventen macht sich bemerkbar, dass der Dienstleistungsbereich unserer Gesellschaft in den letzten 20 Jahren erheblich gegenüber dem industriellen und dem agrarischen Sektor an Bedeutung gewonnen hat (vgl. Tippelt 1990, S. 105f.). Anspruchsvolle Dienstleistungstätigkeiten werden aber wesentlich von Hochschulabsolventen ausgefüllt. Die Bildungsexpansion ist für die beruflichen Lebensläufe von Hochschulabsolventen bislang weniger negativ verlaufen als viele das erwartet haben, weil vor allem sie vom Ausbau des Wohlfahrtsstaates und vom qualifikatorischen Nachholbedarf in Industrie, Handel und Verwaltung profitierten (Imhäuser/Rolff 1992, S. 91). In den 70er Jahren nahmen Hochschulabsolventen meist noch ausbildungsadäquate Stellen ein und wurden dort platziert, wo bereits traditionell Akademiker tätig waren oder wo neue Akademikerstellen geschaffen wurden. Allerdings setzte Anfang der 80er Jahre eine rapide Stellenknappheit für Akademiker ein. Die disproportionale Entwicklung zwischen stark wachsenden Akademikerzahlen (keineswegs nur in geistes-, wirtschafts- oder sozial wissenschaftlichen Bereichen, sondern auch in naturwissenschaftlichen und technischen Bereichen) bei gleichzeitiger Verknappung der Stellenangebote im akademischen Sektor hat sich bis heute verschärft und zwingt viele Akademiker zur Konkurrenz mit Fachhochschulabsolventen oder auch in die Erwerbslosigkeit, die nicht selten mit Umschulung endet. Die Fachhochschulabsolventen, die statistisch in den 70er Jahren sprunghaft anstiegen, nehmen verstärkt Leitungs- und Planungspositionen ein, die ehemals dem mittleren Führungspersonal und den aufsteigenden Angestellten ohne Studium vorbehalten waren. Umgekehrt geraten die Fachhochschulabsolventen im ingenieurwissenschaftlichen Bereich durch konkurrierende Akademiker der Universität unter Druck, die wegen Stellenengpässen im oberen Management und im Forschungsbereich auf neuartige Positionen ausweichen. Aber auch flexible Positionen, die vormals von Erwerbstätigen ohne Hochschulabschluss ausgefüllt wurden, auch auf der Ebene der Facharbeiter, werden neuerdings in manchen Firmen durch Fachhochschulabsolventen nach einer kurzen betrieblichen Weiterbildung und Einführung besetzt. Hier zeichnen sich völlig neue berufliche Karrieren ab.

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Abiturienten haben seit den 70er Jahren häufiger versucht, ohne abgeschlossenes Fachstudium eine Beschäftigung aufzunehmen. Etwa ein Viertel der Abiturienten eines Jahrgangs haben keine Studierabsicht, viele von ihnen streben in das duale Berufsbildungssystem. Ein Fünftel aller Auszubildenden (bei steigender Tendenz) hat das Abitur. Dort verdrängen sie Haupt- und Realschulabsolventen von qualifizierten Ausbildungsstellen und Berufspositionen – insbesondere in den kaufmännischen Berufen (z. B. Bank- und Industriekaufleute) – und konkurrieren ihrerseits mit den zunehmenden Fachhochschulabsolventen in planenden Funktionsbereichen um prestigereichere Positionen. Jedoch gehen Abiturienten, die das duale Berufsausbildungssystem durchlaufen haben, anschließend meist doch noch zur Hochschule. Daher verfügen seit den 90er Jahren immer mehr Stellenbewerber über eine derartige Doppelqualifizierung (vgl. BMBF 1993, S. 60f.; BMBF 2003). Die Realschüler verzeichnen sowohl bei den qualifizierten manuellen Berufen als auch bei qualifizierten Dienstleistungsberufen, aber auch bei einfachen Dienstleistungs-, Agrarund manuellen Berufen hohe Steigerungsraten, während ihr relativer Anteil bei den Managerberufen und bei den qualifizierten kaufmännischen Verwaltungsberufen sich in den letzten Jahren nicht erhöht, teilweise auch zurückgeht. Auch bei den Realschülern zeigt sich gegenüber den Hauptschulabsolventen, dass sie sich – formal höher qualifiziert – bei der Berufseinmündung in einer besseren Wettbewerbsposition befinden, sie aber nach der Bildungsexpansion auch Berufe ergreifen, die früher mit einem einfacheren formalen Bildungsabschluss zugänglich waren. Hauptschulabsolventen mit Berufsausbildung sind gegenüber den 60er Jahren dort seltener vertreten, wo andere, formal höhere Bildungsgruppen ihnen Berufschancen abnahmen. Es sind dies besonders einige qualifizierte manuelle (z. B. in der Elektrotechnik) und die qualifizierten Dienstleistungs- und Verwaltungsberufe. Im Gefolge der Bildungsexpansion ist eine sukzessive Umschichtung der Hauptschulabsolventen zu bestimmten Berufen festzuhalten. Dennoch haben in den zehn am stärksten besetzten Ausbildungsberufen, wie z. B. Verkäufer/-innen und Einzelhandelskaufleute, Friseur/-innen, Installationsberufe, Kfz-Mechaniker, Maler und Lackierer, Industriemechaniker und Arzthelfer/-innen zwischen 30% und 68% der Auszubildenden einen Hauptschulabschluss. Hauptschüler haben nach wie vor gute Chancen, in handwerklichen Berufen eine stabile Existenz zu finden (vgl. BMBW 1993, S. 56f.; BMBF 2003). Personen ohne Berufsausbildung und Schul- und Ausbildungsabbrecher haben in diesem Verdrängungswettbewerb zweifelsohne nicht nur die geringsten beruflichen Optionen, sondern auch das weitaus größte Risiko arbeits- und langfristig erwerbslos zu werden. Während in den letzten Jahrzehnten die Gruppe der Schüler/-innen ohne Abschluss rückläufig war, ist gegenwärtig der Abbruch der Berufsausbildung – ähnlich dem Studienabbruch – ein immer ernsteres Problem (vgl. BMBW 1993, S. 73; BMBF 2003a; Cortina u. a. 2003). Einschlägige Prognosen sagen künftig einen Trend zu höher qualifizierten Tätigkeiten im Beschäftigungssystem voraus (Buttler/Tessaring 1993, S. 468; Prognos 1989, 2003). Die Bedeutung mittelqualifizierter Tätigkeiten wird demnach bis zum Jahr 2010 leicht abnehmen und der Umfang der einfachen Tätigkeiten (für die keine Ausbildung erforderlich ist) drastisch weiter absinken. Für den Berufseinstieg von Höherqualifizierten bläst also aus dem Beschäftigungssystem durchaus Rückenwind, eine arbeitslose „Akademikerschwemme“ ist nicht zu erwarten. Vermutlich wird die duale Ausbildung ihre Attraktivität behaupten, wenn es gelingt, eine transparente und individuelle Optionen eröffnende Lauf-

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bahngestaltung für im dualen System Ausgebildete zu realisieren. Nur wenn keine Karriere-Sackgassen und eine hohe Durchlässigkeit bestehen, werden Eltern und Jugendliche eine duale Ausbildung tatsächlich einem Hochschulstudium vorziehen. Es ist heute immer schwieriger geworden, genaue Aussagen über die Berufe der Zukunft und die beste Vorbereitung darauf zu machen. Das Zusammenwachsen von Lebens- und Wirtschaftsräumen, kürzere Kommunikationswege, technischer Wandel und Wissensexplosion, medientechnologische Entwicklungen, Grenzen des Wachstums und ökologisches Problembewusstsein, demographische Entwicklungen, um nur einige Veränderungen zu nennen, wirken sich immer auch auf den Arbeitsmarkt, die Berufsbilder und auf die Lernund Studienwege aus. Gleichzeitig muss bewusst sein, dass eine Erstausbildung künftig noch mehr als heute durch immer wiederkehrende Weiterbildungsphasen ergänzt wird (vgl. Arnold 1992; Kuwan 1992; BMBF 2001, 2002).

3. Phase der Berufsarbeit: Berufsverlauf und Arbeitsmarktprozesse Die Übergänge vom Bildungs- in das Beschäftigungssystem zeigen, dass mit institutionell geprägten Ablaufstrukturen (z. B. durch die Ausbildungsdauer an Schulen, Universitäten oder in den Betrieben der Wirtschaft) bestimmte Phasen und Übergänge mit jeweils eigenständigem Charakter verbunden sind (vgl. Kohli 1985). Die Berufschancen und die Berufswege von Individuen sind in hohem Maße das Ergebnis von kumulativen Prozessen, so dass die in den früheren Lebensphasen gemachten Bildungs- und Berufserfahrungen sehr prägend für die weitere Entwicklung des Berufsverlaufs sind. Allerdings würde die Fixierung der berufsbezogenen Lebenslaufforschung auf die Phase des Übergangs vom Bildungs- in das Beschäftigungssystem zu einer verkürzten Sichtweise des gesamten Lebenslaufs führen. Die berufsbezogene Lebenslaufforschung muss neben den Einmündungsprozessen und der Phase des Berufseinstiegs Mobilitätsprozesse, Karriereprozesse im Wandel von Arbeitsmarktstrukturen, kohortenspezifische Erfahrungen beruflicher Karrieren und den Zusammenhang von Karriere und Arbeitssegmentation berücksichtigen. Empirische Ergebnisse zeigen, dass der Berufsverlauf von Individuen in hohem Maße durch die berufliche Erstplatzierung vorgezeichnet ist (Blossfeld 1990). Gleichzeitig wird sichtbar, dass sich Geburtskohorten je nach Struktur des Arbeitsmarktes hinsichtlich ihrer beruflichen Erstplatzierung erheblich voneinander unterscheiden. Eine Behinderung, die eine Kohorte beim Eintritt in das Beschäftigungssystem erleidet, kann zwar teilweise – beispielsweise durch Weiterbildungsmaßnahmen – ausgeglichen werden, dennoch werden vorteilhafte Bedingungen bei der beruflichen Erstplatzierung von Geburtskohorten eine dauerhafte Begünstigung der beruflichen Entwicklung darstellen können. Insbesondere bei Frauen zeigt sich, dass Benachteiligungen beim Einstieg dauerhafte Probleme bei Karriere und Aufstiegsentwicklung nach sich ziehen, denn bei Frauen verstärkt sich eine Benachteiligung beim Übertritt vom Bildungs- in das Beschäftigungssystem im späteren Berufsverlauf noch erheblich. Es kommt also auch in diesem Sinne zu kumulativen Effekten (Blossfeld 1989). Im internationalen Vergleich ergibt sich, dass insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland die Erstplatzierung aufgrund des wenig durchlässigen Bildungssystems von besonders großer Bedeutung für den späteren beruflichen Lebenslauf ist (Hamilton/Hur-

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relmann 1993, S. 194f.). In Deutschland sind darüber hinaus die Ausbildungsabschlüsse des Berufs- und Bildungssystems relativ stark an der Organisationsstruktur der Betriebe orientiert, zumindest stärker, als dies in anderen westlichen Industrienationen ohne duales System der Fall ist (Lutz 1976). Dies hat in Deutschland u. a. zur Konsequenz, dass die Berufsmobilität gegenüber anderen westlichen Industrienationen schwächer ausgeprägt ist, und dass die durchschnittliche Verweildauer auf einem Arbeitsplatz wesentlich größer ist (vgl. Blossfeld 1990, S. 131). Selbstverständlich sind für den individuellen Berufsverlauf die Fähigkeiten und Fertigkeiten, d. h. also die individuellen Ressourcen von Bedeutung. Zwar sind die Mobilität und die Berufschance wesentlich durch die Schaffung von freien Stellen abhängig, aber besonders in Konkurrenz um diese freien Stellen ist das wichtigste Kriterium nach wie vor die formale Qualifikation einer Person. Allerdings ergeben sich berufliche Aufstiege im Lebenslauf aus einer „Interaktion zwischen dem strukturell bestimmten Auftreten von Vakanzen und der Fähigkeit bestimmter Individuen, aufgrund ihrer Qualifikation aus diesen freien Stellen einen Nutzen zu ziehen“ (Blossfeld 1990, S. 132). Für den beruflichen Lebenslauf von herausragender Bedeutung ist der Wandel der Arbeitsmarktstruktur und der Wandel von Qualifikationsanforderungen in Beschäftigungssystemen. Allerdings sind die Thesen hierzu äußerst kontrovers: Die Entwicklung beruflicher Dequalifizierung (Bright 1958), der Qualifikationspolarisierung (Kern/Schumann 1970, 1984), der Andersqualifikation (Janossy 1966) stehen neben prognostizierten Trends zur beruflichen Höherqualifizierung. Folgt man einschlägigen Prognosen (vgl. Tippelt/van Cleve 1995) und Trends, so ist nicht nur mit einer weiteren Stärkung des tertiären Sektors, sondern langfristig auch mit einer Zunahme qualifizierter Positionen im Beschäftigungssystem sowohl auf dem Facharbeiterniveau als auch auf dem Akademikerniveau zu rechnen (vgl. Statistisches Bundesamt 2002, S. 55ff. und 85ff.). Für den beruflichen Lebenslauf von Personen bedeutet dies, dass Modernisierungsprozesse unter diesen Annahmen zu einer Verringerung von Arbeitern und zu einer Zunahme von Angestellten und Beamten führen wird. Kommt es zu dieser prognostizierten Veränderung der Berufsstruktur, so ergeben sich künftig bessere Aufstiegschancen. Gegenteilig zu diesem Trend entwickeln sich die Langzeitarbeitslosigkeit und die nicht standardisierten Beschäftigungsformen wie Gelegenheitsarbeit, Teilzeitarbeit, Nebenerwerbsarbeit, Heimarbeit. Nicht alle Beschäftigungsbereiche in fortgeschrittenen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften verbessern sich qualitativ. Die Strukturen des Arbeitsmarktes zeichnen auch berufliche Abstiege und reduzierte Karrieremöglichkeiten für einen Großteil der Bevölkerung vor (vgl. Peters 1991). Sogenannte Normarbeitsverhältnisse lösen sich zudem in flexibilisierte und häufig prekäre Beschäftigungen auf (Rützel 1998; Achatz/Tippelt 2001). Von herausragender Bedeutung für die Karrieremöglichkeiten im beruflichen Lebenslauf ist neben der Veränderung der Berufsstruktur das Ausmaß des Eintritts junger und das Ausscheiden alter Arbeitskräfte – die Austauschmobilität. Beruflicher Aufstieg ist neben der Austauschmobilität auch von der strukturellen Mobilität abhängig. Beispielsweise hat sich die in den zurückliegenden Jahrzehnten gefundene staatliche Expansion eindeutig positiv auf die Berufschancen jener Geburtskohorten ausgewirkt, die in den 60er und 70er Jahren in den Beschäftigungsbereich eintraten. Umgekehrt hat die staatliche Politik der restriktiven Personaleinstellung ab den 80er Jahren dazu geführt, dass die jungen und qualifizierten Berufsanfänger geringere Beschäftigungschancen hatten, und dass sie einer hohen Konkurrenz und Selektion ausgesetzt waren.

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Einen weiteren Einfluss auf berufliche Verläufe hat die Arbeitsmarktsegmentation. Es wurde deutlich, dass bei der Personalauswahl einerseits auf schulische und berufliche Bildungszertifikate der Arbeitskräfte zurückgegriffen wird, dass andererseits aber auch bei der Allokation von Arbeitskräften innerhalb der betriebsspezifischen Arbeitsmärkte administrative Auswahlprozesse wirksam sind, die weniger vom formalen Bildungsniveau der Arbeitskräfte abhängen, sondern sich auf die Betriebserfahrung und die tatsächlichen Verhaltensweisen der beschäftigten Arbeitnehmer stützen. Diejenigen Arbeitskräfte, die nicht in das primäre Segment aufgenommen werden, sondern im sekundären Segment verbleiben, haben nicht nur eine niedrigere Bildung, sondern auch schlechtere Arbeitsbedingungen, was wiederum eine Neigung zu Fluktuation und Absentismus begünstigt. Deren beruflicher Lebenslauf ist daher immer stärker auf Positionen des sekundären Bereichs beschränkt, weil die anfängliche Benachteiligung zu einer Kumulation von Negativerfahrungen führt, die sich über den gesamten Lebenslauf hinweg fortsetzen kann. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Wandel des Arbeitsmarktes und des Beschäftigungssystems nicht zu einer Aufhebung sozialer Ungleichheit der beruflichen Lebensläufe führte, sondern dass sich Karrieremechanismen spezifizierten. Mit dem empirisch beobachtbaren Upgrading der Qualifikationsanforderungen ist allerdings zu erwarten, dass die soziale Mobilität während des Arbeitslebens weiter begünstigt wird, dass Aufstiegsprozesse für größere Bevölkerungsgruppen möglich werden. Andererseits wurde ebenfalls empirisch festgestellt, dass soziale Milieus und soziale Klassen zur Abschottung neigen. „Diejenigen, die an der Spitze des Klassensystems stehen und die Ressourcen kontrollieren, versuchen ihre privilegierte Position beizubehalten und, wenn möglich, an ihre Kinder weiterzugeben“ (Blossfeld 1990, S. 139; vgl. auch Lüders 1997; Barz/Tippelt 2004). Es gibt empirische Evidenz dafür, dass die Mobilität der Mitglieder von privilegierten sozialen Milieus und Klassen erheblich niedriger ist als die Mobilität der weniger Privilegierten. Mobile Berufsverläufe wiederum sind im Kontext biographischer Forschung und des Lebenslaufparadigmas mit verschiedenen anderen Lebensbereichen in Verbindung zu sehen. Mit einem mobilen Berufsverlauf ändert sich auch die Familiengeschichte, die Wohngeschichte, die Fertilität von sozialen Gruppen, die Partnerwahl und diverse soziale Orientierungen. Es wäre sehr wichtig zu wissen, wie sich Berufsverläufe, also beispielsweise Aufstiegsprozesse, Abstiegsprozesse, horizontale Mobilität auf diese anderen Lebensbereiche genau auswirken. Integrierte dynamische Analysen der Interaktionsbeziehungen verschiedener solcher Lebensbereiche wären daher sowohl aus soziologischer als auch aus pädagogischer Sicht von großem Interesse.

4. Phase des Rückzugs: Berufserfahrung und Übergang in den Ruhestand Heute ist der Übertritt in den Ruhestand zweifelsohne für Männer und Frauen ein wichtiges Lebensereignis. In allen industrialisierten Ländern gehen Männer tendenziell immer früher in den Ruhestand, während das berufliche Austrittsalter von Frauen relativ gleich geblieben ist. Die Dauer der Arbeitsmarktpartizipation von Frauen nahm in mehreren europäischen Ländern von Kohorte zu Kohorte zu, die von Männern nahm ab. Angesichts der demographischen Entwicklung stehen wir allerdings vermutlich am Beginn einer erneuten Verlängerung der berufsaktiven Phase im Lebenslauf (vgl. Kruse/Maier 2002,

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S. 529ff.). Einige Länder wollen die Doppelrolle von Frauen in Familie und Beruf dadurch belohnen, dass sie das gesetzliche Rentenalter von Frauen niedriger als das Rentenalter von Männern festlegen. Aufgrund der bestehenden durchschnittlichen Altersdifferenz von Ehepaaren (im Durchschnitt sind Frauen ungefähr drei Jahre jünger als ihre Ehemänner) bedeutet diese Differenz außerdem, dass Ehepartner häufig gemeinsam in die Rente übergehen und daher gemeinsam die Veränderung nach dem Berufsaustritt bewältigen. Der Zeitpunkt der Beendigung des Arbeits- und Berufslebens hängt bei Männern stark von ihrer Erwerbsbiographie ab, während bei Frauen der Austrittszeitpunkt durch die Interaktion von beruflichem Kontext und Haushaltsbereich bestimmt ist. Wegen der Zunahme der Zahl von Ehepaaren, die beide berufstätig sind, stellt sich heute häufiger die Frage nach einem synchronen Übertritt. In Studien zum Übergang in den Ruhestand werden daher individualisierte Betrachtungen von männlichen und weiblichen Lebensläufen seltener, stattdessen wird seit geraumer Zeit der gemeinsame Familienlebensverlauf von Männern und Frauen analysiert (vgl. Allmendinger 1990). Die wesentlichsten Einflussgrößen für die Wahl des Ruhestandzeitpunktes von Männern und Frauen sind die Gesundheit, das Lebensalter und die finanzielle sowie vor allem die berufliche Situation der Partner. Untersuchungen zeigten auch, dass Männer mit berufstätigen Ehefrauen später als Männer ohne berufstätige Ehefrauen in Rente gehen (vgl. Allmendinger 1990, S. 275). Es fällt auf, dass überwiegend Männer vor dem institutionalisierten Rentenalter den Beruf verlassen, während Frauen häufiger sogar später als vorgesehen in Rente gehen. Der Austrittszeitpunkt von Frauen wird stark durch die Berufstätigkeit des Ehemannes beeinflusst. Hierzu hat Allmendinger eine genauere Analyse vorgelegt. Sie unterscheidet drei typische Familiengruppen: 1. Ehepaare, bei denen die Ehefrau zuerst aus dem Beruf ausscheidet, sind durch hohe Rollendifferenzierung geprägt. Die Ehefrau hat eine starke Familienorientierung, der Ehemann dagegen eine starke Erwerbsorientierung. 2. Haushalte, in denen beide Ehepaare gemeinsam in Rente gehen, zeigen eine hohe Ähnlichkeit der beiden Familienmitglieder. Die Berufstätigkeit der Frau ist häufig durch die gemeinsame Arbeit mit dem Ehemann in einem Familienbetrieb abgesichert. Ungleichheiten zwischen Ehepartnern über den Familienlebenslauf entwickeln sich nicht und sind im Alter wenig ausgeprägt. 3. Haushalte, in denen die Frauen länger arbeiten als ihre Ehemänner, sind zunächst durch den großen Altersunterschied der Partner geprägt. Die Ehefrauen sind im Schnitt 7,5 Jahre jünger als ihre Männer (Allmendinger 1990, S. 299). Die individuellen Lebensläufe der Ehepartner sind in Bezug auf die Berufstätigkeit daher zeitlich verschoben. Häufig sind Frauen in solchen Partnerkonstellationen signifikant jünger, wenn die Kinder unabhängig werden (durchschnittlich 44 Jahre), so dass für sie eine lange Phase der Berufstätigkeit möglich wird. Der Beitrag der Ehefrau zum Familieneinkommen ist relativ hoch, so dass durch den Beitrag der Ehefrau zum Haushaltseinkommen die Konsummöglichkeiten der Familie deutlich erhöht werden. In allen Fällen ist der Übergang vom Beruf in den Ruhestand für die beteiligten Ehepartner eine herausfordernde Entwicklungsaufgabe oder ein kritisches Lebensereignis. Geht man davon aus, dass Entwicklungspotentiale über den gesamten Lebenslauf bestehen, Entwicklung also keineswegs mit einem bestimmten Lebensabschnitt abgeschlossen ist (kompetenztheoretische Perspektive), ist das Finden einer neuen Rolle nach dem Ausscheiden aus dem Beruf eine besondere Herausforderung für die Individuen. Nichts ist nach dem

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Ausscheiden aus dem Beruf wie bisher. Jeder Tag muss neu gestaltet werden, denn es verändert sich die gewohnte Zeitstruktur. Strukturen, die über Jahrzehnte gültig waren, teilweise durch den beruflichen Alltag stark geprägt waren, fallen weg. Altern ist also mit einem radikalen Rollenwechsel verbunden, und das Ausscheiden aus dem Beruf ist auch für den jeweiligen Partner und Familienangehörigen ein Lebensereignis, das den Alltag verändert. Insbesondere die Partnerschaft ist nach dem Ausscheiden aus dem Beruf vor neue Herausforderungen gestellt und tritt in eine neue Phase. Die Generation der heute Älteren (der 60- bis 80-Jährigen) und derjenigen, die derzeit in den Ruhestand oder den Vorruhestand treten, ist u. a. dadurch gekennzeichnet, dass diese Generationen ihre Kindheit noch in Kriegs- und vor allem in Nachkriegszeiten verbrachten. Beruf und Arbeit wurden für sie zu bestimmenden Momenten des Aufwachsens und des Lebens insgesamt. Diese Generationen konnten oft nur wenig Zeit aufbringen, über einen Lebensabschnitt nachzudenken, in dem der zentrale Bereich Beruf und Arbeit oder auch die Fürsorge für die Kinder an Bedeutung verliert. Weiterbildungsmaßnahmen können bei solchen Veränderungen sehr hilfreich sein. Die Bereitschaft, an Weiterbildung teilzunehmen, ist wiederum stark von den früheren Bildungserfahrungen, aber auch den Lernerfahrungen im Beruf abhängig. Personen, die in zurückliegenden Lebensjahrzehnten beruflich und außerberuflich mit Weiterbildungseinrichtungen nicht in Berührung kamen (häufig durch ihren beruflichen Status bedingt), entwickeln große Schwellenängste und stehen auch im Alter nach dem Ausscheiden aus dem Beruf den Möglichkeiten der Weiterbildung skeptisch gegenüber (Brüning/Kuwan 2002). Eine gute Altersprophylaxe besteht darin, bereits in früheren Jahren durch herausfordernde berufliche Arbeitszusammenhänge eigene Bildungsinteressen kontinuierlich wach zu halten (Landesinstitut 1991, S. 61ff.).

5. Weiblicher Berufsverlauf: Unterschiede von Frauen und Männern Frauen und Männer haben heute hinsichtlich ihrer formalen Vorbereitung auf das spätere Berufsleben gleiche Startchancen, nicht jedoch hinsichtlich der Art der Ausbildung (Böllert 1993). Ausgeprägte Geschlechtsunterschiede in der Gesamtdauer schulischer Ausbildung, wie sie noch in den 50er und 60er Jahren typisch waren, sind so gut wie verschwunden. Aber es realisierten bis vor kurzem weniger Mädchen als Jungen ihre Hochschulzugangsberechtigung, der Anteil der Studienverzichter war bei Frauen höher als bei Männern (vgl. BMBW 1993a, S. 132). Dies beginnt sich erst langsam anzugleichen. Auch gibt es nach wie vor große Geschlechtsdifferenzen bei der Art der beruflichen Ausbildung und des Hochschulstudiums: Zwar ist der Anteil der Frauen in frauenuntypischen Studienrichtungen gestiegen, aber nach wie vor dominieren Männer in volkswirtschaftlichen Studienrichtungen, in den Ingenieurwissenschaften, in den Naturwissenschaften. Die Wahl der akademischen Studienfächer ist auch in der Bundesrepublik Deutschland nach wie vor hochgradig geschlechtsspezifisch. Dasselbe gilt für die berufliche Bildung. Nach wie vor ist es ein zentrales Problem bei der Berufswahl von Mädchen, besonders in den alten Bundesländern, dass sie sich sehr stark auf wenige Berufe konzentrieren. Die Mehrzahl (75%) konzentriert sich auf 20 Berufe, überwiegend im Dienstleistungsbereich (BMBW 1993, S. 8;

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BMBF 2003a). Diese Konzentration ist bei Männern zwar auch gegeben, aber sie ist schwächer ausgeprägt. In den neuen Bundesländern sieht das Bild seit 1990 anders aus: Dort befand sich Anfang der 90er Jahren über die Hälfte aller weiblichen Auszubildenden in zehn Berufen, die weitgehend dem traditionellen Berufsspektrum für Frauen zugehören. Zudem unterschieden sich die Berufsvorlieben stark: „Es gab keinen Ausbildungsberuf, der sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern zu den zehn beliebtesten Berufen gehörte“ (BMFJ 1992, S. 26). Zwar ist für die Mehrheit der jungen Frauen die Ausbildung in einem qualifizierten Beruf selbstverständlich und es werden auch immer häufiger Berufe gewünscht, die nicht frauentypisch sind; aber trotz dieser Tendenz sind es erst 10% aller weiblichen Auszubildenden, die in männlich dominierten Berufen ausgebildet werden (d. h. Ausbildungsberufe, in denen 1977 der Frauenanteil unter 20% lag). Mehrere Modellprojekte, in denen traditionelle Männerberufe für Frauen geöffnet wurden (z. B. Kraftfahrzeugmechanikerin oder Schlosserin), zeigten, dass Informationsvermittlung alleine nicht ausreicht. Vielmehr ist es notwendig, Informationen und Orientierungshilfen mit Motivierung zu verbinden, um so den Prozess der Berufsintegration zu unterstützen und langfristig eine Erweiterung des weiblichen Berufsspektrums zu erreichen. Überlagert ist dieser Prozess der Berufseinmündung allerdings seit Jahren von massiven Problemen der Arbeitslosigkeit. Die Erwerbsbeteiligungsquoten und die Gesamtdauer der Erwerbsbeteiligung von Frauen werden jener von Männern in den letzten Jahren ähnlicher. Aber Frauen verrichten häufiger Teilzeitarbeit, unterbrechen ihre Erwerbstätigkeit für eine längere Familienphase und üben auch häufiger Gelegenheitsjobs aus. Nach wie vor sind es überwiegend die Frauen, die die Koordination von Erwerbsarbeit und Familienarbeit im Kontext ihres Lebenslaufs leisten müssen, was sich notwendigerweise auf den geschlechtsspezifischen Berufsverlauf auswirken muss. Dennoch bedeutet eine Eheschließung heute nicht mehr den selbstverständlichen Rückzug aus dem Arbeitsmarkt. Die Geburt von Kindern führt zwar überwiegend zu Arbeitsmarktunterbrechungen der Frauen, diese sind aber im Vergleich zu früheren Generationen kürzer. Familienaufgaben tangieren eindeutig die Frauen mehr als die Männer, im Vergleich zu früheren Generationen jedoch weniger stark. Auch Mütter von sehr kleinen Kindern bleiben häufiger berufstätig, insbesondere in Ländern, in denen keine Arbeitsplatzsicherheit garantiert werden kann. Umgekehrt führen Gesetze zur Arbeitsplatzerhaltung und Arbeitsplatzsicherheit von Frauen in mehreren Ländern dazu, die Erwerbstätigkeit für eine Familienphase vorübergehend zu unterbrechen. Die Sozialpolitik kann sich also durchaus auf den individuellen Lebenslauf auswirken. Obwohl es große internationale Unterschiede in der Erwerbsbeteiligungsquote gibt und auch die Erwerbsdauer sehr verschieden ist, zeigt sich in vielen europäischen Ländern eine wachsende Arbeitsmarktbeteiligung der Frauen. Häufig ist es auch so, dass in Berufen mit einem hohen Frauenanteil, etwa in Büroberufen oder im Verkauf, berufliche Karrieren und die Verbesserung der beruflichen Stellung im Verlauf des Erwerbslebens nur schwer zu erreichen sind. Ähnliche Benachteiligungen zeigen die Lohn- und Gehaltsentwicklungen im Berufsverlauf. Wegen der beruflichen Zuordnung zu bestimmten Frauenberufen und den zahlreichen Erwerbsunterbrechungen haben Frauen nicht nur eine geringere Lohnentwicklung, sondern auch eine erhebliche Differenz in den später zu erwartenden Renten. In diesem Kontext kann zusammenfassend festgehalten werden, dass Frauen und Männer ihr berufliches Leben zwar immer häufiger mit ähnlichen formalen Qualifikationen beginnen, dass dann allerdings starke Diskrepanzen bei Geld und Prestige bestehen und dass im Verlauf der beruflichen Entwicklung die

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Ungleichheit von Männern und Frauen eher wächst (Sorensen 1990, S. 314). Ohne Zweifel ist der berufliche Lebenslauf der Frau heute noch stärker auf den des Partners ausgerichtet als umgekehrt. Zwar zeigen Einstellungs- und Wertestudien, dass Partnerschaftskonzepte sich langsam verändern (Allerbeck/Hoag 1985; Sinus 1983, S. 62; Hofer u. a. 1992; Statistisches Bundesamt 2002, S. 533f.), doch ist sehr unsicher, ob diese Werte und Einstellungen auch in reale Lebensplanungen umgesetzt werden. Es ist zwar eine gewisse Konvergenz männlicher und weiblicher Vorstellungen vom Lebenslauf in Schule und Beruf in der jüngeren Vergangenheit erreicht worden, dennoch werden sozialpolitische Anreize (z. B. Erziehungsurlaub) von Männern bislang nicht sehr stark angenommen. Trotzdem ist es eher unwahrscheinlich, dass sich Männer wie Frauen zukünftig mehrheitlich eindeutig für den „weiblichen“, familienzentrierten Berufs- und Lebensverlauf entscheiden. Genauso ist es eher unwahrscheinlich, dass ein „männlicher“, erwerbs- und arbeitszentrierter Lebens- und Berufsverlauf mehrheitlich gewählt wird. Manches spricht dafür, dass heranwachsende Generationen künftig Familie und Erwerbstätigkeit für Frauen und Männer als wichtige Komponenten betrachten und sich einem solchen Lebens- und Berufsverlaufsmuster auch tatsächlich annähern. Die größere Unabhängigkeit von Frauen durch Berufstätigkeit wird manchmal als ein Faktor betrachtet, der die Stabilität von Ehen abnehmen lässt. In der Bundesrepublik Deutschland endet ca. jede dritte Ehe mit der Scheidung, in den USA ist es schätzungsweise jede zweite. Nach der Scheidung werden Kinder häufig den Müttern zugesprochen und es zeigt sich, dass die Wiederverheiratungsquote von Frauen zwar hoch, aber doch niedriger als von Männern ist (vgl. Hofer u. a. 1992, S. 266ff.). Solche Entwicklungen der Familie haben für den beruflichen Lebenslauf Konsequenzen, denn Partner können nicht immer ganz sicher davon ausgehen, dass ihre Ehe ewig währt, d. h. bei den gegebenen Bedingungen nach einer Scheidung müssen Frauen heute häufiger damit rechnen, sich nicht wieder zu verheiraten, sondern beruflich zu arbeiten und gleichzeitig für Kinder zu sorgen (vgl. Sander 1989, S. 69ff.). Die besonderen Probleme von Alleinerziehenden (überwiegend Frauen), die Aufgaben der Familien- und Erwerbsarbeit zu kombinieren, liegen auf der Hand, und es ist gerechtfertigt, nach einer Scheidung von einer wachsenden Ungleichheit zwischen Männern und Frauen zu sprechen (vgl. Sorensen 1990, S. 315).

6. Sozialer Wandel und beruflicher Lebenslauf Die große Aufmerksamkeit für die Lebenslaufperspektive, für den Wandel der Lebensführung, von Lebensformen und Lebensverläufen im beruflichen Bereich, aber auch in anderen Lebensbereichen (Familie, Wohnen, Freizeit, kulturelle Orientierungen etc.) resultiert aus der theoretischen Debatte über den sozialen Wandel in modernen Gesellschaften:

> Erstens hat die Entschichtung der Klassengesellschaft die Kategorie Klasse und Schicht als subjektiv bewusste Sozialkategorie zurücktreten lassen und stattdessen Kategorien der Milieuzugehörigkeit und der Lebensphasen hervorgehoben (vgl. Hradil 2001; Barz/ Tippelt 2004). Überlegungen über besondere Gruppen und Kohorten in besonderen beruflichen Lagen sowie Überlegungen zu bestimmten beruflichen Entwicklungsphasen treten an die Stelle der Debatten über den Zusammenhang von Klasse und Berufsfindung (Hradil 1992, S. 16f.; Mooser 1984; Müller 1992; Tippelt u. a. 2003).

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> Zweitens lockert sich im Prozess der Entstrukturierung der Zusammenhang von beruflichen Phasen und Normalbiographien. Um die Berufsbiographie herum organisiert sich ein zunehmend diffuser werdender Lebenslauf (Kohli 1985). Berufliche Biographien und Biographien überhaupt werden individueller, komplizierter, dadurch aber eigensinniger und bunter (vgl. Alheit 1993; Alheit/Dausin 2002). Eine problemlose Abfolge von beruflichen Phasen wird seltener, in die berufliche Aktivitätsphase schieben sich Weiterbildungsprozesse, die die aktive Erwerbsarbeit überlagern. > Drittens bewirkt der Prozess der zunehmenden Deinstitutionalisierung des Lebensverlaufs, dass beispielsweise lebenslange Beschäftigungen in einem normalen Arbeitsverhältnis seltener werden, dass Unterbrechungen und Verkürzungen des Erwerbslebens durch Arbeitslosigkeit häufiger auftreten, oder dass bestimmte Berechtigungen des Bildungssystems nicht mehr eindeutig zu beruflichen Positionen führen (vgl. Alheit/Tippelt 1994). Die genannten Prozesse bewirken die Auflösung einer genormten Normalbiographie und befördern die Diskussion um die zunehmende Individualisierung des Lebenslaufs (vgl. Beck 1986). Auch bei den soziokulturellen Einstellungen seien Tendenzen festzustellen, die einer Deinstitutionalisierung des Lebenslaufs weiter Vorschub leisten. So seien ein Nachlassen von Ordnungs-, Pflicht-, Arbeits-, Leistungs- und Akzeptanzwerten zugunsten von postmaterialistischen Werten der Selbstentfaltung und teilweise auch der hedonistischen Werte des Erlebens und Genießens festzustellen (vgl. Inglehart 1989). Eine Diversifizierung der Berufs- und Arbeitswerte kann aber wiederum eine Pluralisierung von beruflichen Lebensläufen verstärken. Die Theorie des Wandels von Lebensläufen passt gut zur Diskussion über die Pluralisierung von Lebensstilen, die Differenzierung von sozialen Milieus und einer wachsenden Individualisierung in modernen Gesellschaften (vgl. Zerger 2000; Tippelt u. a. 2003). Mit Recht wurde allerdings darauf hingewiesen (vgl. Mayer 1990), dass diese globale Trendbeschreibung des Wandels von Lebensverlaufsmustern zu allgemein ist, dass sie zum Verständnis von Berufsverläufen und beruflichen Biographien nicht ausreicht. Es bedarf Theorien mittlerer Reichweite und detaillierter, komplexer Einzelanalysen, um den Zusammenhang von Beruf und Lebenslauf genau zu beschreiben.

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Geschlecht und Nationalität als soziale Determinanten beruflicher Qualifizierungsprozesse Christiane Schiersmann

Der folgende Christiane Geschlecht Schiersmann und Beitrag Nationalität: setzt sichsoziale mit sozialen Determinanten Implikationen beruflicher der Beteiligung Qualifizierung an beruflicher Aus- und Weiterbildung auseinander. Dies geschieht exemplarisch anhand der beiden Kategorien Geschlecht und Nationalität. Dabei fokussiere ich im Hinblick auf die soziale Kategorie „Geschlecht“ die Situation der Frauen, da sich die Berufsbildung bislang weitgehend am „Normalfall“ männlicher Auszubildender orientiert hat. Da sich die Situation der beiden Adressatengruppen Frauen und Ausländer/-innen in mancher Hinsicht – trotz bestehender Vergleichbarkeiten – in Bezug auf die berufliche Bildung unterscheidet und zumindest zum Teil unterschiedliche Ursachen für eine Diskriminierung im Bildungssystem auszumachen sind, setze ich mich nacheinander mit der Situation dieser Gruppen in der Berufsbildung auseinander. Abschließend skizziere ich einige zielgruppenspezifische Handlungsanforderungen. Die Ausgangsüberlegung, die am Beispiel der beiden Adressatengruppen illustriert werden soll, ist die Tatsache, dass einerseits soziale Kategorien die Chancen zur Beteiligung an einer Berufsausbildung nachhaltig prägen und andererseits die Aus- und Weiterbildung die Spezifik der Lebenssituationen dieser Gruppe berücksichtigen muss.

1. Frauen in der beruflichen Aus- und Weiterbildung Den Hintergrund der folgenden Ausführungen bildet die Tatsache, dass sich die Lebenssituation von Frauen in den letzten ca. zwanzig Jahren nachhaltig verändert hat. Frauen räumen heute den beiden Lebensbereichen „Beruf“ und „Familie“ einen gleich zentralen Stellenwert ein und planen – trotz möglicher Unterbrechungen aufgrund von Familienaufgaben – eine im Prinzip auf Kontinuität angelegte Erwerbsbiographie. Diese veränderte Lebenssituation hat u. a. zu gestiegenen Ansprüchen an die berufliche Aus- und Weiterbildung geführt. Bekanntlich haben die Mädchen in Bezug auf die Abschlüsse im allgemeinbildenden Schulwesen die männlichen Jugendlichen bereits überholt. Auch der Anteil der weiblichen Jugendlichen an den betrieblich Ausgebildeten ist deutlich gestiegen, und zwar von 35,4% im Jahr 1975 auf 43,1% im Jahr 1989, allerdings seitdem wieder leicht zurückgegangen auf 41% in 2001 (vgl. Bundesminister für Bildung und Forschung 2003a, S. 105). Trotz dieser insgesamt positiven Entwicklungstendenz ist festzuhalten, dass junge Frauen – bezogen auf ihren Anteil am jeweiligen Altersjahrgang – in der dualen Ausbildung nach wie vor unterrepräsentiert sind. Wichtiger ist demgegenüber jedoch der qualitative Aspekt: An der

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traditionellen Konzentration von Frauen auf wenige Ausbildungsgänge hat sich in den letzten Jahren nicht viel verändert: 2001 befanden sich 38,1% aller weiblichen Auszubildenden in den sechs am stärksten besetzten Ausbildungsberufen Bürokauffrau, Kauffrau im Einzelhandel, Friseurin, Zahnmedizinische Fachangestellte, Industriekauffrau (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2003a S. 107). Auf die zehn am stärksten von weiblichen Jugendlichen besetzten Ausbildungsberufe konzentrierten sich 54% aller weiblichen Auszubildenden (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2003a, S. 105). Dass die Frauen in verstärktem Maße hohe Ansprüche an ihre Ausbildung stellen, kann daran abgelesen werden, dass in Zeiten eines sich entspannenden Ausbildungsstellenmarktes in den der Anteil von Frauen, die den Beruf der Verkäuferin oder Friseurin gewählt haben, deutlich zurückgegangen ist. So wurden beispielsweise 1990 ca. 21.500 Friseurinnen weniger ausgebildet als 1980, was einem Rückgang von 10,4% aller weiblichen Auszubildenden auf 7,3% entspricht. Die Zahl der Auszubildenden zur Verkäuferin reduzierte sich im gleichen Zeitraum um ca. 55.000, was einem Rückgang von 11,5% auf 3,2% entspricht. Dagegen waren deutliche Zunahmen bei dem anspruchsvolleren Ausbildungsgang zur Kauffrau im Einzelhandel zu beobachten, und zwar von 4,1% auf 7% aller Auszubildenden (vgl. Bundesminister für Bildung und Wissenschaft 1992b, S. 77). Der Unterschied zum Ausbildungsprofil der männlichen Jugendlichen bleibt dennoch auch heute offensichtlich: Die fünf am häufigsten von männlichen Jugendlichen gewählten Ausbildungsberufe waren 2001 die des Kraftfahrzeugmechanikers, Maler und Lackierer, des Elektroinstallateurs, Kaufmann im Einzelhandel, Tischler. Auf diese Berufe konzentrierten sich insgesamt 35% aller Neuabschlüsse (vgl. Bundesminister für Bildung und Forschung 2003, AS. 105, 107). Unter den ersten fünf von jungen Frauen bzw. Männern am häufigsten gewählten Ausbildungsberufen befindet sich als einziger der des Kaufmanns/der Kauffrau im Einzelhandel. Es ist nicht zu übersehen, dass die vorrangig von männlichen Jugendlichen besetzten Ausbildungsberufe aus dem gewerblich-technischen Bereich stammen, die der Mädchen dagegen aus dem Dienstleistungsbereich. Die geschlechtsspezifische Segregation des Ausbildungssektors ist vor allem deswegen problematisch, weil die sog. „typischen Frauenberufe“ in der Regel eine Kombination mehrerer Benachteiligungsfaktoren beinhalten. In vielen dieser Ausbildungsgänge, beispielsweise dem zur Verkäuferin oder Friseurin, sind die Ausbildungsinhalte recht begrenzt. Zudem müssen viele der typischen Frauenberufe als „Sackgassenberuf“ charakterisiert werden, d. h. es gibt kaum interessante Weiterbildungs- und Aufstiegsperspektiven. Schließlich handelt es sich um extrem schlecht entlohnte Tätigkeiten, die physischen und psychischen Belastungen sind demgegenüber zum Teil extrem hoch, und die Arbeitszeiten sind in vielen Fällen (z. B. Verkäuferin, Friseurin, Krankenschwester) gerade besonders schlecht mit Familienaufgaben vereinbar. Folglich stellt sich die Frage immer wieder neu, wie die hohe Konzentration der Frauen auf diese Ausbildungsberufe zu erklären ist. Eine in sich geschlossene Theorie der Berufsentscheidungsprozesse junger Frauen liegt bislang nicht vor. Ebenso gibt es nur sehr wenige, in der Regel berufs- bzw. berufsfeldspezifisch begrenzte empirische Untersuchungen über die Kriterien und Einflüsse, die den Berufsentscheidungsprozess junger Frauen steuern. Dennoch lassen sich einige Erklärungsmuster benennen. Während das allgemeinbildende Schulwesen in der Bundesrepublik überwiegend staatlich organisiert ist, zeichnet sich die betriebliche Ausbildung durch ihre private Organisationsstruktur aus. Die Betriebe entscheiden selbständig darüber, ob und in welchem Um-

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fang sie ausbilden. Dies impliziert auch die Entscheidung, Ausbildungsplätze mit weiblichen oder männlichen Bewerbern zu besetzen. Ein erheblicher Teil der Ausbildungsstellen wird von den Unternehmen geschlechtsspezifisch ausgeschrieben. Diese Praxis trägt wesentlich dazu bei, dass den Mädchen faktisch von vornherein ein wesentlich eingeschränkteres Ausbildungsplatzangebot zur Verfügung steht als den Jungen. Zwar sind die Arbeitsämter inzwischen gehalten, Ausbildungsplätze geschlechtsneutral anzubieten. Jedoch dürften diese Bemühungen schnell an Grenzen stoßen, wenn Arbeitgeber auf einer Besetzung der Ausbildungsstellen mit Jungen oder Mädchen beharren. Nach wie vor wird häufig – sowohl in der wissenschaftlichen als auch in der bildungspolitischen Diskussion – die Auffassung vertreten, junge Frauen hielten mit ihrer Berufswahl an Geschlechtsrollenklischees bzw. Modetrends fest. Untersuchungen des Verlaufs von Berufsentscheidungsprozessen (vgl. Heinz u. a. 1985) belegen jedoch, dass jüngere Schülerinnen in ihren Berufswünschen durchaus nicht so stark auf frauentypische Berufe festgelegt sind, wie es ihre spätere Ausbildungseinmündung vermuten lässt, sondern dass sie sich zunächst für ein deutlich breiteres Berufsspektrum interessieren. Bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die definitive Entscheidung für eine bestimmte Berufsausbildung getroffen werden muss, haben sich die Wünsche der jungen Frauen auffällig an das ihnen offenstehende Ausbildungsplatzangebot angepasst. Dies bedeutet, dass sie sich an der gesellschaftlichen Wirklichkeit mit ihrer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und der geschlechtsstereotypen Zuordnung von Berufsrollen orientieren. Andere Untersuchungen bestätigen eine geschlechtsspezifisch geprägte Diskrepanz zwischen dem Wunschberuf und dem Ausbildungsberuf. Einer Erhebung von Westhoff (1990) zufolge stimmten Wunschberuf und erlernter Beruf nur bei 46% der befragten Frauen überein, aber bei 66% der Männer. Ein weiteres Strukturmerkmal der Berufsbildung von Frauen ist in der Tatsache zu sehen, dass der schulischen Berufsausbildung ein viel größerer Stellenwert zukommt als bei Männern. Der Anteil der Frauen An den Berufsfachschulen betrug 2002 71% (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2004, S. 113). Die vollzeitschulischen Ausbildungsgänge vermitteln nicht immer eine vollqualifizierende Ausbildung. Dies gilt insbesondere für kaufmännische und hauswirtschaftliche Bildungsgänge. Zudem wird keine Ausbildungsvergütung gezahlt, zum Teil sogar Schulgeld erhoben. Die spätere Beschäftigung wird schlecht vergütet und weist geringe Aufstiegsperspektiven auf. Die Verwertbarkeit schulischer Berufsbildungsgänge hängt zudem stark von der Akzeptanz seitens der Arbeitsplatzanbieter ab. Von letzteren wird mit Ausnahme des Gesundheitswesens u. a. immer wieder die fehlende betriebliche Praxis der Absolvent/-inn/en schulischer Berufsbildungsgänge beklagt. Probleme des Übergangs in den Beruf treten besonders dann auf, wenn ein vergleichbarer betrieblicher Ausbildungsgang besteht. Dies gilt beispielsweise für den relativ neu eingeführten Fachschulausbildungsgang der Wirtschaftsassistentin mit dem Schwerpunkt Sekretariat und Korrespondenz sowie Fremdsprache und Korrespondenz. Gute Verwertungschancen bieten demgegenüber die Ausbildungsgänge zur Wirtschaftsassistentin mit dem Schwerpunkt Informatik, zur Datentechnischen Assistentin bzw. zur Technischen Assistentin Informatik (vgl. Frackmann 1990), da hier kein entsprechender betrieblicher Ausbildungsgang existiert und der hohe Bedarf für diese Berufsbilder bislang nur über Weiterbildungs- bzw. Umschulungsangebote gedeckt werden konnte. In diesen Berufsfeldern ist jedoch der Anteil von Frauen verschwindend gering. Es kann daher zusammenfassend von einer Doppelfunktion der vollzeitschulischen Berufsbildungsgänge für junge Frauen gesprochen werden: Sie übernehmen zum großen Teil

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berufsvorbereitende bzw. teilqualifizierende Aufgaben – insbesondere in Zeiten eines sehr angespannten Ausbildungsplatzangebotes – und bereiten gleichzeitig – wie schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts – durch die Konzentration auf hauswirtschaftliche und sozialpflegerische Inhalte auf die Übernahme als typisch weiblich etikettierter Aufgaben im Reproduktionsbereich und damit tendenziell auf eine eher vorübergehende Phase der Erwerbstätigkeit vor. Vollzeitschulische Berufsbildungsgänge tragen damit zur Verfestigung der geschlechtsspezifischen Segmentierung des Ausbildungsmarktes und der gesellschaftlichen Arbeitsteilung bei. Angesichts der skizzierten Situation von Frauen im Berufsbildungssystem wurden in den 70er Jahren vielfältige Modellversuche und -programme zur Erschließung gewerblichtechnischer Berufe für Frauen initiiert. Sie haben gezeigt, dass bei geeigneten Informations- und Aktivierungsmaßnahmen sehr wohl eine größere Zahl von Mädchen für eine Ausbildung in diesem Bereich zu interessieren ist. Modellversuchsteilnehmerinnen absolvierten die Ausbildung ohne nennenswerte Schwierigkeiten und bereuten ihre Berufsentscheidung auch drei bis fünf Jahre nach der Prüfung mehrheitlich nicht. Auch die Betriebe haben durchweg gute Erfahrungen mit der Ausbildung der jungen Frauen gemacht (vgl. zu den Modellversuchsergebnissen: Alt 1988, 1990). Zwar ist der Anteil von Frauen in gewerblich-technischen Berufsbildungsgängen im dualen System, in denen 1977 weniger als 20% weibliche Auszubildende waren, insgesamt durchaus bemerkenswert gestiegen von 2,5% auf 8,9% in 1991 (vgl. Bundesminister für Bildung und Wissenschaft 1993a, S. 56). Diese Steigerungsraten sind aber wesentlich auf Zuwächse in solchen Berufen zurückzuführen, in denen der Anteil junger Frauen schon am Ende der 70er Jahre vergleichsweise hoch lag, auf handwerkliche Berufe, die keine sehr günstigen Berufsperspektiven eröffnen, bzw. in solchen Berufen, die im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen, Einkommen und Aufstiegsmöglichkeiten weniger günstig einzustufen sind. In den meisten Kernberufen aus dem Elektro- und Metallbereich liegt der Anteil junger Frauen noch immer deutlich unter 5% (vgl. Chaberny 1992, S. 3.100). Damit hat sich eine erneute geschlechtsspezifische Segregation innerhalb der männerdominierten Berufe herausgebildet. Etwa die Hälfte aller weiblichen Auszubildenden in diesem Bereich war 1990 in nur sieben Berufen zu finden (Köchin, Konditorin, Tischlerin bzw. Holzmechanikerin und Dienstleistungsfachkraft im Postbetrieb). Die Berufseinmündung und der weitere Berufsverlauf offenbaren zudem nach wie vor erhebliche Schwierigkeiten, die mit ausschlaggebend dafür sein dürften, dass der mit den Modellversuchen intendierte Schneeballeffekt nicht in dem erhofften Umfang eingetreten ist. Nach wie vor vorhandene Vorurteile auf seiten der Betriebe erschweren einen problemlosen Übergang von der Ausbildung in den Beruf. Außerdem beeinträchtigen geschlechtsspezifische Arbeitseinsatzstrategien der Betriebe, aufgrund deren Frauen nur bestimmte, in der Regel weniger attraktive Arbeitsplätze zugewiesen werden, die Herausbildung einer stabilen Berufsidentität. Auch die Vereinbarkeit von Familienaufgaben und Erwerbstätigkeit ist in diesem Bereich nach wie vor besonders schwierig, u. a. weil die Betriebe angesichts der bislang überwiegend männlichen Beschäftigten über keine Erfahrungen mit Teilzeitarbeit verfügen. Wie die neueste Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (vgl. Engelbrech/Kraft 1992) noch einmal belegt hat, halten die Betriebe angesichts des raschen technologischen Wandels bestenfalls eine zweijährige familienbedingte Berufsunterbrechung für akzeptabel. Diese Ergebnisse zeigen, dass sich eine grundlegende Verbesserung der Ausbildungssituation von Mädchen nicht automatisch mit einer bloß quantitativen Ausweitung ihrer

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Beteiligung an gewerblich-technischen Ausbildungsberufen ergibt. Aus diesen Gründen können junge Frauen nicht generell zur Wahl dieser Berufsbereiche ermuntert werden. Zum einen müssen sehr differenziert die Qualität der Ausbildungsberufe, die zu erwartenden Arbeitseinsatzbedingungen sowie die Zukunftschancen der einzelnen Ausbildungsberufe beachtet werden, zum anderen kann die Integration von Frauen in den gewerblichtechnischen Bereich auch unter quantitativen Gesichtspunkten die Ausbildungs- und Beschäftigungsprobleme junger Frauen nicht lösen, zumal die Anzahl der im Produktionsbereich Beschäftigten sowohl absolut als auch relativ aufgrund des Einsatzes neuer Technologien sowie aufgrund des sektoralen Strukturwandels zugunsten des Dienstleistungsbereichs weiter sinken wird. Dies impliziert, dass die Mehrzahl der Frauen auch in Zukunft Berufe aus dem Dienstleistungsbereich wählen und die Ausbildung und Beschäftigung in sog. „typischen Frauenberufen“ große Bedeutung behalten wird. Um die Berufsbildungsperspektiven der Frauen zu verbessern, ist daher für viele traditionell von Frauen gewählte Ausbildungsgänge eine Neubewertung bzw. eine Neuschneidung der Ausbildungsprofile erforderlich. Auch in der ehemaligen DDR wurden Frauen überproportional häufig in wenigen Berufen ausgebildet. An der Spitze der Ausbildungsberufe von Frauen standen die der Fachverkäuferin, Facharbeiterin der Schreibtechnik, Wirtschaftskauffrau. Zwar wurde dort noch dezidierter als in den alten Bundesländern die Ausbildung von Frauen in technischen Berufen proklamiert und durch staatliche Lenkung gesteuert, aber zum einen war das Ausbildungsangebot für Mädchen in technischen Berufen in den letzten Jahren rückläufig, zum anderen konzentrierten sie sich auch hier auf wenige Berufe, z. B. im Bereich der Textilund Bekleidungsindustrie. Unterrepräsentiert waren Frauen dagegen in Berufen mit flexibel verwertbaren Qualifikationen wie Elektronik-Facharbeiterin, Facharbeiterin für Nachrichtentechnik und Werkzeugmaschinen (vgl. Lüpke 1992). Gegenwärtig ist ein starker Trend von Frauen in Richtung von Ausbildungen im Dienstleistungsbereich zu beobachten. Die in der beruflichen Erstausbildung zu konstatierende strukturelle Diskriminierung von Frauen setzt sich in der beruflichen Weiterbildung, die einen immer zentraleren Stellenwert für eine erfolgreiche Berufsbiographie gewinnt, fort. Unter quantitativen Gesichtspunkten haben Frauen zwar auch in diesem Bereich deutlich aufgeholt: Laut dem Berichtssystem Weiterbildung (vgl. Kuwan 1993) nahmen 1991 29% der erwerbstätigen Männer gegenüber 24% der erwerbstätigen Frauen an beruflicher Weiterbildung teil. Das es sich hier um eine Sonderauswertung des Berichtssystems Weiterbildung unter geschlechtsspezifischen Aspekten handelte, liegen neuere Zahlen nicht vor. Einen erheblichen Einfluss auf die geschlechtsspezifische Diskrepanz hat die hohe Zahl der teilzeitbeschäftigten Frauen, von denen sich 1991 nur 18% an beruflicher Weiterbildung beteiligten. Vergleicht man voll erwerbstätige Männer und Frauen, so reduziert sich der Unterschied auf einen Prozentpunkt (29% zu 28%). Eine qualitative Analyse verdeutlicht jedoch nach wie vor bestehende geschlechtsspezifische Unterschiede: So nutzten 1991 31% der Männer, aber nur 20% der Frauen berufliche Weiterbildung für einen beruflichen Aufstieg, d. h. Frauen nutzen Weiterbildung häufiger zur Aktualisierung und Anpassung ihrer Kenntnisse. Im Jahr 2000 betrug der Anteil von Frauen an der beruflichen Weiterbildung 37% (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2003b, S. 134). Betrachtet man den Teilbereich der von der Bundesagentur für Arbeit auf der Basis des Sozialgesetzbuches III (SGB III) geförderten Weiterbildungsmaßnahmen, so zeigt sich in diesem Teilsegment über die letzten Jahrzehnte hinweg eine erfreuliche Zunahme des An-

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teils von Frauen Zwar ist der Anteil der Frauen an AFG-geförderten Maßnahmen in den alten Bundesländern deutlich gestiegen, und zwar von 21% im Jahr 1970 auf 49% im Jahr 2000 (vgl. zu diesen und den folgenden Daten: Bundesanstalt für Arbeit 1993; Bundesministerium für Bildung und Forschung 2003b, S. 143). Die Beteiligung von Frauen entspricht damit inzwischen ihrem Anteil an den Erwerbstätigen, liegt allerdings nach wie vor unter ihrem Anteil an den Arbeitslosen. In der betrieblichen Weiterbildung stellt sich die Situation derzeit uneinheitlich dar: Die Ergebnisse des IAB Betriebspanels ergeben für das Jahr 1999 eine höhere Beteiligung der Frauen (27%) als der Männer (20%). Insbesondere im Dienstleistungssektor liegen die Weiterbildungsquoten über denen der Männer (vgl. Leber 2002, S. 180f.). Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem IAB-Betriebspanel um eine Betriebsbefragung und nicht eine Individualbefragung handelt. Andere Untersuchungen lassen nach wie vor auf eine geringere Beteiligung von Frauen an betrieblicher Weiterbildung schließen. In der ehemaligen DDR wurde die ursprünglich breit angelegte, nach Plan organisierte Weiterbildung gerade für Frauen in den achtziger Jahren deutlich zurückgefahren. 1987 waren nur noch 30% der Weiterbildungsteilnehmer/-innen Frauen. Im Hinblick auf die Herkunfts- wie die Zielberufe liegen bei der Weiterbildung von Frauen in den neuen Bundesländern Dienstleistungsberufe (u. a. Büroberufe, kaufmännische Berufe und Gesundheitsdienstberufe) an der Spitze. „Abgebende Berufe“ sind u. a. die der Ingenieurin, Textilverarbeiterin, technischen Sonderfachkraft sowie geistes- und naturwissenschaftliche Berufe. „Aufnehmende Berufe“ sind sozialpflegerische Berufe, die Berufsgruppe Unternehmer/ Wirtschaftsprüfer, Dienstleistungskaufleute, Gästebetreuer und Berufe aus dem Gartenbau (vgl. Lüpke 1992, S. 3.096). Damit vollzieht sich auch in diesem Bereich eine Stabilisierung tradierter geschlechtsspezifischer Segmentationslinien.

2. Ausländer in der beruflichen Aus- und Weiterbildung Obwohl weithin unbestritten ist, dass eine Berufsausbildung zu den wichtigsten Faktoren für die berufliche und soziale Eingliederung junger Ausländer/-innen zählt, ist auch diese Gruppe mit vielfältigen Problemen im Hinblick auf den Zugang zur Berufsbildung konfrontiert, die noch einmal nach Geschlecht und jeweiliger Nationalität kumulieren. Die Anzahl der ausländischen Auszubildenden in den westlichen Bundesländern hat sich zwischen 1984 und 1991 von 49.000 auf 109.000 mehr als verdoppelt. Damit beträgt ihr Anteil an der Gesamtzahl der Auszubildenden 7,6%, während ihr Anteil an der Wohnbevölkerung 14% ausmacht (vgl. Bundesminister für Bildung und Wissenschaft 1993a, S. 70). Der Anteil der ausländischen Auszubildenden im gesamten Bundesgebiet betrug 2002 6,5% und hat damit gegenüber den Vorjahren kontinuierlich abgenommen (von 9,4% im Jahr 1993) (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2004, S. 79f.). Die meisten ausländischen Jugendlichen werden in gewerblich-technischen Berufen ausgebildet, die allerdings generell von einem deutlichen Rückgang betroffen sind. Zudem konzentrieren sich die ausländischen Auszubildenden auf wenige Berufe. Die zehn am häufigsten gewählten Berufe umfassten 2002 bereits 43% aller ausländischen Auszubildenden. Die männlichen Jugendlichen fanden am häufigsten einen Ausbildungsplatz alsKraftfahrzeugmechaniker, oder Maler/Lackierer,m die weiblichen Auszubildenden als Friseurin, Arzthelferin oder Zahnmedizinische Fachangestellte (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2004, S. 79f.). Der Anteil der weiblichen Auszubildenden an den ausländi-

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schen ist von 35,7% im Jahr 1993 auf 43,5% gestiegen. Dies ist als positive Entwicklung zu interpretieren, wobei allerdings die den jungen ausländischen Frauen zur Verfügung stehenden Ausbildungsberufe unter qualitativen Gesichtspunkten weiterhin als sehr problematisch einzuschätzen sind. Ähnlich wie für die Adressatengruppe Frauen spielen auch für ausländische Jugendliche schulische Bildungsgänge eine besondere Rolle. Der Ausländeranteil an den beruflichen Schulen betrug 1990 8%. Der Anteil der Ausländer/-innen an diesen Schulen ist in den letzten Jahren gestiegen. Beim Berufsvorbereitungsjahr und beim Berufsgrundbildungsjahr, die keine vollwertige Ausbildung vermitteln, beträgt der Ausländeranteil 20% (vgl. Bundesminister für Bildung und Wissenschaft 1992a, S. 117). Als Erklärung für die Unterrepräsentanz ausländischer Jugendlicher in der Berufsbildung werden unterschiedliche Gründe angeführt: Sicher spielt das durchschnittlich geringere Allgemeinbildungsniveau eine Rolle, das diese Gruppe insbesondere in den Jahren eines angespannten Ausbildungsstellenmarktes in der Konkurrenz mit deutschen Jugendlichen den kürzeren ziehen lässt. Ein weiterer Grund für die Schwierigkeiten ausländischer Jugendlicher liegt im Einstellungsverhalten der Betriebe, die u. a. auf Hintergrundsmerkmale und soziale Orientierungen wie Aussehen, Integrationsbereitschaft achten (vgl. König 1991). Je abgeschlossener Jugendliche ausländischer Herkunft aufwachsen, desto eher besteht die Gefahr, dass sie nicht über als ausbildungsrelevant erachtete Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen, die nicht in der Schule vermittelt werden. Zu berücksichtigen ist auch, dass insbesondere Großbetriebe die Ausbildung als Investition betrachten, die sich später auszahlen soll. Dies lässt diejenigen Jugendlichen ins Hintertreffen geraten, die nicht eindeutig signalisieren, dass sie ihre spätere Lebensperspektive in der Bundesrepublik sehen, wenngleich dies noch eine sehr kleine Gruppe ist. Insbesondere besteht offenbar nach wie vor eine Zurückhaltung seitens der Betriebe, ausländische Mädchen auszubilden. In Kleinbetrieben können tatsächliche oder vermeintliche Vorbehalte der Kund/-inn/en gegenüber Ausländer/-inne/n zu einer negativen Haltung der Betriebe führen. Hinzu kommen Bedenken, dass die Jugendlichen die theoretischen Anforderungen der Ausbildung aufgrund unzureichender Sprachkenntnisse nicht bewältigen könnten. Auch subjektive Momente des Berufswahlverhaltens der Jugendlichen führen eher zu einer Engführung der in Betracht kommenden Ausbildungsgänge (vgl. Boos-Nünning 1993). So spielt häufig der Wunsch eine Rolle, sich selbständig zu machen oder den Betrieb der Eltern zu übernehmen. In diesem Kontext rücken kaufmännische Berufe in den Vordergrund. Zum Teil sind die Berufsvorstellungen der ausländischen Jugendlichen auch an einer potentiellen Rückkehr in ihr Herkunftsland orientiert. Unter diesem Gesichtspunkt entscheiden sie sich für Berufe, die auch dort ausgeübt werden können und ihnen den Zugang zu einer sozial anerkannten Position ermöglichen. Für andere Jugendliche wiederum spielt der Wunsch eine zentrale Rolle, möglichst schnell Geld zu verdienen. In vielen Fällen steuert nicht die fachliche Eignung der Jugendlichen die Berufsentscheidung maßgeblich, sondern finanzielle Belastungen der Eltern oder der Erwerb von Kompetenzen, die für ein vorhandenes oder geplantes Geschäft oder eine Werkstatt benötigt werden. Besonders stark durch familiäre Wert- und Normvorstellungen der Eltern eingeengt ist die Berufsentscheidung ausländischer Mädchen. Als gefährdend angesehene Lebensbedingungen werden rigider vermieden als dies in den jeweiligen Heimatländern der Fall war. Dennoch ist bei den Mädchen der Wunsch ausgeprägt, eine berufliche Ausbildung zu absolvieren und auf einem höheren Niveau als ihre Mütter erwerbstätig werden zu können.

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Um die Ausbildungssituation ausländischer Jugendlicher zu verbessern, sind zu Beginn der achtziger Jahre eine Reihe von Modellversuchen im Rahmen eines umfassenden, vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft geförderten Modellversuchprogramms „Zur Förderung der Ausbildung ausländischer Jugendlicher in anerkannten Ausbildungsberufen“ durchgeführt worden. Die Ergebnisse dieser Modellversuche haben u. a. wesentlich zur Etablierung einer dauerhaften, im AFG verankerten Förderstruktur beigetragen. Es verwundert angesichts des bisher Gesagten nicht, dass sich die Bildungsbenachteiligung von Ausländer/-inne/n in der Weiterbildung fortsetzt. Während 30% aller Deutschen sich im Jahr 2000 an beruflicher Weiterbildung beteiligt hatten, galt dies lediglich für 12% der Ausländer (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2003b, S. 148). Weiterhin betrug im Jahr 2000 der Anteil der Ausländer in den von der Bundesagentur für Arbeit geförderten Maßnahmen ca. 9%. Über die letzten Jahre ist damit ein Trend in Richtung einer Erhöhung des Ausländeranteils zu konstatieren. Dennoch liegt ihr Anteil damit noch weit unter ihrem Anteil an den Arbeitslosen (19%) (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2003b, S. 150). Auch für diesen Personenkreis sind Modellversuche durchgeführt worden, die bestätigt haben, dass intensive und teilnehmergerechte Fördermaßnahmen zu einer Reduzierung der Abbruchquoten und zu beachtlichen Prüfungserfolgen führen können und die Teilnehmer/-innen anschließend zufriedenstellende Arbeitsplätze finden (vgl. Kühn 1990). Zu den didaktischen Besonderheiten dieser Umschulungsprojekte zählten die Verbindung von sprachlichem und (fach-)theoretischem Unterricht sowie Werkstattunterricht, Team-Teaching und Projektarbeit sowie eine intensive sozialpädagogische Begleitung.

3. Handlungsperspektiven Um die Berufsperspektiven von Frauen und Ausländer/-inne/n zukünftig weiter zu verbessern, sind gezielte Anstrengungen aller an der Aus- und Weiterbildung Beteiligten erforderlich. Generell ist für diese Adressatengruppe festzuhalten, dass die bisherigen Probleme nicht in erster Linie aus deren mangelnder Ausbildungsbereitschaft resultieren, sondern zum einen durch die soziale Lebenskonstellation und zum anderen auch durch das Verhalten der Betriebe bedingt sind. Alle Untersuchungen weisen übereinstimmend einer umfassenden Information und gezielten Beratung eine bedeutende Rolle zu (vgl. Thiel 1988), zumal die Betroffenen nur zu einem Teil die Beratungsangebote des Arbeitsamtes in Anspruch nehmen. Das unmittelbare Lebensumfeld der Jugendlichen (Eltern, Verwandte, Freunde) üben noch immer einen starken Einfluss auf den Berufsentscheidungsprozeß aus. Aus diesem Grund bemühen sich beispielsweise Arbeitsamtsbezirke mit hohem Ausländeranteil gezielt um eine Zusammenarbeit mit Ausländerinitiativen, Ausländervereinigungen, Gewerkschaften, Organisationen der Wirtschaft etc. In diesem Kontext versucht beispielsweise die Beratungsstelle zur Qualifizierung ausländischer Nachwuchskräfte in Köln, Betriebe, die Auszubildende suchen, und ausländische Jugendliche, die häufig für eine Ausbildung qualifiziert sind, aber sie nicht aufnehmen, zusammenzubringen (vgl. Bundesminister für Bildung und Wissenschaft 1993b). Für junge Frauen sind schulische Einheiten zur geschlechtsspezifischen Berufswahl entwickelt und umfangreiche Aufklärungskampagnen durchgeführt worden (vgl. Lemmermöhle-Thüsing 1989).

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Auch in Zukunft muss die Zielperspektive der Erweiterung des diesen Adressatengruppen faktisch offenstehenden Berufsspektrums aufrechterhalten werden. Die Modellversuche zur Erschließung gewerblich-technischer Berufe für Frauen, zur Ausbildung von ausländischen Jugendlichen in anerkannten Ausbildungsberufen sowie zur Umschulung Erwachsener haben eindrucksvoll belegt, dass die Voraussetzungen dafür auf Seiten der Adressaten durchaus vorhanden sind. Die Sensibilisierung der unmittelbar an der Ausbildung beteiligten Personen, d. h. insbesondere von Personalleitern und Ausbilder/-inne/n für die spezifische Situation dieser Adressatengruppen und eine darauf bezogene Fortbildung stellen zentrale Bedingungen für eine erfolgreiche Berufsausbildung dieser Gruppen dar. In den Modellversuchen ist dieser Punkt in den meisten Fällen einbezogen worden (vgl. Schulz 1988), es kommt jetzt darauf an, die gewonnenen Erfahrungen auch in „Normalbedingungen“ umzusetzen. Für ausländische Jugendliche ist das Instrumentarium der ausbildungsbegleitenden Hilfen und gezielter fachtheoretischer und sprachlicher Förderung bei Lernproblemen abzusichern und gezielt weiterzuentwickeln. Besonderer Aufmerksamkeit und gezielter Unterstützung bedarf der Übergang von der Ausbildung in die Erwerbstätigkeit, weil sich hier auf der einen Seite das enge Ausbildungsspektrum noch einmal negativ auswirkt und auf der anderen Seite positive Erfahrungen mit der Beschäftigung im erlernten Beruf wesentlich zur Stärkung der Ausbildungsmotivation der nachrückenden Jahrgänge beitragen.

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Geschlecht und Nationalität: soziale Determinanten beruflicher Qualifizierung

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Kühn, G., 1993: Aspekte einer beruflichen Weiterbildung von Ausländern durch Weiterbildung. In: DerichsKunstmann, K./Schiersmann, C./Tippelt, R. (Hrsg.): Die Fremde – Das Fremde – Der Fremde. Dokumentation der Jahrestagung 1992 der Kommission Erwachsenenbildung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft. Frankfurt a. M., S. 83–88. Kuwan, H., 1993: Berufliche Weiterbildung von Frauen in Deutschland. Sonderauswertung des Berichtssystems Weiterbildung 1991 (Bildung – Wissenschaft – Aktuell 15). Bonn. Lemmermöhle-Thüsing, D., 1989: Berufsorientierung und Berufswahlvorbereitung von Mädchen. In: päd.extra & Demokratische Erziehung, 9, S. 5–11. Lüpke, K. von, 1992: Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ausbildung und Weiterbildung. In: ibv, 51, S. 3.095–3.097. Schulz, W., 1988: Bedarfs- und adressatengerechte Weiterbildung von Ausbildern – Erfahrungen aus Modellversuchen zur Ausbildung von benachteiligten Ausländern. In: Wirtschaft und Berufs-Erziehung, 40, S. 230– 236. Thiel, J., 1988: Berufsstartprobleme junger Ausländer – Wege zur Angleichung ihrer Qualifizierungschancen. In: Wirtschaft und Berufs-Erziehung, 40, S. 38–44. Westhoff, G., 1990: Die Ausbildungsbeteiligung von jungen Frauen im dualen System. In: Frackmann, M.: (Hrsg.): Ein Schritt vorwärts ... Frauen in Ausbildung und Beruf. Hamburg, S. 203–209.

3. Kompetenzen und Qualifikationen in der Berufsbildung

Berufliche Bildung, Arbeitsmarkt und Beschäftigung Walter Georg / Ulrike Sattel

Bildung,Georg Walter Berufliche Arbeitsmarkt Bildung, / Ulrike Arbeitsmarkt und Sattel Beschäftigung und Beschäftigung sind in jeder Gesellschaft auf eine jeweils besondere Weise miteinander verbunden (Kap. 1). In Deutschland wird dieser Zusammenhang im Wesentlichen über die ausbildungs- und erwerbsstrukturierende Funktion des Berufs hergestellt. Einerseits wird dem Beruf als formalisiertem Qualifikations- und Arbeitskraftmuster eine zentrale Bedeutung für die Integration der Bildungsabsolventen in das Beschäftigungssystem und für die Austauschprozesse auf dem Arbeitsmarkt zugeschrieben, andererseits wird die berufliche Organisation von Ausbildung und Arbeit mit Verweis auf die relativ starre, strukturelle Verkoppelung von Bildungswegen und Berufstätigkeiten für Abstimmungsprobleme zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem verantwortlich gemacht (Kap. 2). Die Segmentation des deutschen Arbeitsmarkts ist eng mit dem Prinzip der Beruflichkeit verknüpft. Das Segmentationskonzept verweist auf die betrieblichen Strategien zur Rekrutierung und Nutzung von Arbeitskraft, die eine Aufspaltung des Arbeitsmarkts in voneinander abgeschottete Teilarbeitsmärkte hervorrufen. Als ein zentrales Kriterium für die Herausbildung von Arbeitsmarktsegmentation gilt die Qualifikation, die sowohl die Struktur der Arbeitsplätze wie auch die der Arbeitskräfte bestimmt. Da die Segmentationstheorie also im Kern eine Qualifikationstheorie ist, lässt sich mit ihr am ehesten der Zusammenhang von Qualifizierungsprozessen und beruflicher Platzierung erschließen (Kap. 3). Dieser über den Beruf hergestellte Zusammenhang setzt eine stabile Konsistenz individueller Übergangsentscheidungen einerseits und der Muster betrieblicher Personalrekrutierung und -entwicklung andererseits voraus. Mit der zunehmenden Ausdifferenzierung von Bildungs- und Erwerbsverläufen und einer zunehmenden Vielfalt der Arbeitsund Beschäftigungsformen scheinen die linearen Beziehungen zwischen Bildungsabschluss, Erwerbseintritt und Erwerbskarriere an Evidenz zu verlieren (Kap.4). Die Hinweise auf eine Labilisierung der Übergänge, auf veränderte Arbeitsformen und auf eine Auflösung standardisierter Lebenslaufmodelle stellen das tradierte Beruflichkeitsmuster von Ausbildung und Arbeit zunehmend in Frage. Damit gerät auch das Berufsbildungssystem unter Erosions- und Modernisierungsdruck (Kap. 5).

1. Einleitung: Zum Verhältnis von Bildungs- und Beschäftigungssystem Die zentrale Bestimmungsgröße für die individuellen Zugangschancen zum Arbeitsmarkt und zu den vertikal und horizontal gegliederten Positionen des Beschäftigungssystems ist der Bildungserfolg – neben und in Kombination mit anderen Merkmalen wie Geschlecht, sozialer Herkunft, Alter, Gesundheit, Wohnort oder ethnischer Zugehörigkeit. Ungleich-

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heiten auf dem Arbeitsmarkt werden also im Wesentlichen mit Unterschieden in den individuellen Bildungslaufbahnen und -abschlüssen legitimiert. Dieser meritokratische Zusammenhang zwischen Bildung und Beschäftigung ist ein Kennzeichen aller modernen Gesellschaften, aber die Wirkungsweise dieses Zusammenhangs unterscheidet sich von Land zu Land erheblich. Bildungs- und Erwerbsverläufe sind abhängig vom jeweiligen nationalen kulturellen und institutionellen Kontext, also von den Strukturen nationaler Bildungssysteme und Arbeitsmärkte und den damit verbundenen Institutionen, Regeln und Normen. Die besonderen nationalen Ausprägungen von Bildungs- und Berufsbildungssystemen sind ebenso wie die Konstellationen von Arbeitsmarkt und Beschäftigung immer auch Ausdruck eines gesamtgesellschaftlichen Zusammenhangs. Dieser „gesellschaftliche Effekt“ (effet sociétal) besagt, dass jede Gesellschaft durch eine charakteristische Ausprägung von Bildungsorganisation, Arbeitsmarktstrukturen und betrieblichen Beschäftigungsformen gekennzeichnet ist und dass zwischen diesen Dimensionen stabile Wechselwirkungen bestehen. Jede Ausprägung in der einen Dimension steht in einem signifikanten Zusammenhang mit typischen Ausprägungen in den anderen Dimensionen, und jede Veränderung in der einen bewirkt Veränderungen auch in den übrigen Dimensionen (vgl. dazu Maurice 1991; Lutz 1991; Drexel 1993; Sorge 1995). Das historisch gewachsene nationalspezifische Institutionengefüge entscheidet mit darüber, welche gesellschaftlichen Funktionen und Aufgaben dem Staat, privaten Organisationen oder Individuen zugeschrieben werden. Generell gilt, dass das Ausmaß an Koordination zwischen Bildungssystem und den wirtschaftlichen Akteuren wesentlich über die Allokationsleistung des Bildungssystems entscheidet, auch wenn die Institutionalisierungsformen sehr unterschiedlich sind (OECD 2000). Die Organisationsstrukturen von Bildung und Berufsbildung, die Übergangsmuster zwischen Schule, Berufsausbildung und Beschäftigung, das Ausmaß der Formalisierung, Standardisierung und Spezialisierung von Ausbildungs- und Arbeitsorganisation sind immer auch an Normen und Regeln gebunden, die allgemeine gesellschaftliche Anerkennung finden. Sie sind das Ergebnis kollektiver und individueller Werthaltungen und Präferenzen und setzen ihrerseits die Kompatibilität mit den Interessen der beteiligten Akteure und Akteursgruppen voraus. Das gilt gleichermaßen für die Betriebe als Nutzer spezifisch qualifizierter Arbeitskraft, für die Erwerbspersonen als Anbieter von Arbeitskraft wie auch für den Staat als Anbieter und Regulierungsinstanz von Bildungs- und Ausbildungsleistungen. Betriebe sind auf Informationen über das Leistungs- und Kompetenzprofil der auf dem Arbeitsmarkt rekrutierbaren Arbeitskräfte angewiesen. Je eindeutiger die Ausbildungsabschlüsse die Verwertungsmöglichkeiten einer Arbeitskraft anzeigen, umso mehr steigt die Bereitschaft und die Notwendigkeit, die Beschäftigungs- und Entlohnungsbedingungen, die Arbeitsorganisation und internen Karrierestrukturen mit den auf dem Arbeitsmarkt angebotenen Profilen der Bildungsabschlüsse abzustimmen. Je enger der Zusammenhang zwischen Bildungsgängen und Erwerbskarrieren, umso mehr sind auch die Jugendlichen auf zuverlässige Informationen über die mit den jeweiligen Abschlüssen verbundenen Beschäftigungsperspektiven angewiesen. Das staatliche Interesse richtet sich vor allem auf die Stabilität der gesamtwirtschaftlichen Beschäftigung und die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit zwischenbetrieblichen Arbeitsmarktaustausches. Die strukturierenden Wirkungen des Bildungssystems auf Arbeitsmarkt und Beschäftigung stehen in engem Zusammenhang mit der Standardisierung und Stratifizierung nationaler Bildungssysteme (Allmendinger 1989; Shavit/Müller 2000; Descy/Tessaring 2002). Standardisierung bezieht sich auf den Grad, in dem die Curricula, Prüfungen und Zertifi-

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kate der jeweiligen Bildungsgänge landesweit einheitlichen Standards entsprechen. Stratifizierung kennzeichnet zum einen den Grad der formellen hierarchischen und horizontalen Differenzierung von Bildungssystemen in verschiedene Bildungsgänge und zum anderen den Grad der Trennung von allgemeiner und beruflicher Bildung sowie die Zugangsselektion zu den beruflichen Ausbildungsgängen. Während der Grad der Standardisierung in der Mehrheit der europäischen Bildungssysteme ein hohes Niveau erreicht hat, bestehen im Grad der Stratifizierung vor allem im Sekundarbereich wesentliche Unterschiede (Descy/Tessaring 2002, S. 396ff.). Das gilt insbesondere im Hinblick auf den Grad der „Beruflichkeit“ als wesentlicher Dimension zur Unterscheidung nationaler institutioneller Kontexte. Für das deutsche Bildungs- und Berufsausbildungssystem lässt sich gleichermaßen ein im internationalen Vergleich hoher Grad an Stratifizierung und Standardisierung ausmachen (Shavit/Müller 2000). Die vertikale und horizontale Gliederung eines jeden Bildungssystems ist mit charakteristischen Aufnahme- und Abgangsregelungen verbunden, die für eine Verteilung der Schüler auf unterschiedliche Bildungslaufbahnen sorgen. Die Auswahl zwischen alternativen Bildungsgängen erfolgt nicht nur nach individuellen Präferenzen, Fähigkeiten und Nutzenerwartungen; vielmehr werden Bildungsentscheidungen mitbestimmt und begrenzt durch die Angebote, die das jeweilige Bildungssystem bereithält (Allmendinger 1989). Insofern sind die Strukturen des Bildungssystems mit seinen Zugangs-, Selektions- und Übergangsmechanismen für die Planung und Realisierung individueller Bildungs- und Erwerbsverläufe von zentraler Bedeutung. Die Verteilungsstellen im Bildungssystem verursachen jeweils besondere Übergangsprobleme bereits innerhalb des Bildungssystems, etwa bei den Übergängen vom Primarbereich in die differenzierten Formen des Sekundarbereichs und vom Sekundarbereich in den Hochschulbereich oder die berufliche Ausbildung. Die an den einzelnen Schwellen entstehenden Übergangsprobleme stehen nicht unabhängig nebeneinander, vielmehr setzen sich die Probleme an den jeweils vorgelagerten Übergängen in die nachgelagerten Übergänge fort. Und auch umgekehrt wirken Probleme an den jeweils nachgelagerten Übergängen auf die vorgelagerten zurück. Gleiches gilt für die Chancen und Risiken beim Erwerbseintritt. Sie werden maßgeblich bestimmt von der zurückgelegten Bildungskarriere, so wie umgekehrt die Zutrittsbedingungen zum Arbeitsmarkt das Übergangsverhalten innerhalb des Bildungssystems beeinflussen. Die Struktur der Bildungsgänge und -abschlüsse definiert die vertikale und horizontale Gliederung der Arbeitsmarktzugänge und Erwerbsverläufe. Insofern ist das Bildungssystem selbst ein wesentliches Konstruktionselement des Arbeitsmarkts. In engem Zusammenhang mit der Stratifizierung des allgemeinen Bildungssystems steht die Frage der Organisationsform fachlicher Qualifizierung. Länder mit einem separaten formalisierten Berufsausbildungssystem (insbesondere Deutschland, Österreich, Schweiz) unterscheiden sich hinsichtlich der Strukturen des Übergangs, der Arbeitsmarktrelevanz von Bildungsabschlüssen und der betrieblichen Rekrutierungsstrategien wesentlich von solchen Ländern, in deren Bildungssystemen Berufsausbildung nur eine marginale Rolle spielt und in denen die arbeitsbezogene Qualifizierung weitgehend der einzelbetrieblichen Anlernung und Weiterbildung überlassen bleibt (Müller/Gangl 2003; Gangl 2003; Scherer/Kogan 2004). Die Dominanz des dualen Systems der Berufsausbildung innerhalb des deutschen Gesamtbildungssystems und die im internationalen Vergleich relativ geringe Quote an Hochschulabsolventen lassen sich ohne Verweis auf die Gliederungsstrukturen des vorgelagerten Schulsystems kaum erklären: Die Selektion und Zuweisung der Schüler nach Beendigung der Primarstufe auf die verschiedenen Schulformen des Sekundarbereichs I

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bedeutet eine Art Vorsortierung für den späteren Übergang in akademische und nicht-akademische Berufslaufbahnen. Im Zusammenhang mit den Strukturen des Bildungssystems sind es die korrespondierenden Formen und Funktionsweisen des Arbeitsmarktes, die den Zugang der Bildungsabsolventen zu den betrieblichen Arbeitsplätzen steuern. Bei der Suche nach geeigneten Kandidaten für die Besetzung der Arbeitsplätze orientieren sich die Arbeitgeber am Informationsgehalt der Zertifikate des Bildungssystems. In Ländern mit einem eigenständigen betriebs- und branchenübergreifenden Berufsausbildungssystem (z. B. in Deutschland) werden die Zugangs-, Selektions- und Allokationsprozesse auf dem Arbeitsmarkt wesentlich über die beruflich strukturierten und standardisierten Zertifikate geregelt. Dagegen lassen die institutionellen Beziehungen zwischen Bildung und Beschäftigung in Ländern ohne ein Berufsbildungssystem unterhalb der Hochschulebene eine eindeutige Zuordnung von Bildungsabschluss und Arbeitsplatz nicht zu. Vielmehr dienen hier die Abschlusszertifikate des allgemeinen Schul- und Hochschulsystems als „biografische Signale“, die den Grad der generellen Lernfähigkeit und Aufstiegsorientierung der Absolventen anzeigen. Eine hohe Karriererelevanz des allgemeinen Bildungsabschlusses ist üblicherweise verbunden mit einem höheren Maß an Bildungsexpansion, einer geringeren Standardisierung betrieblicher Arbeitsplätze und einer Dominanz interner Arbeitsmärkte (zum Beispiel Japan, vgl. Georg 1993). In Deutschland bestimmt der Beruf als Gliederungsprinzip gleichermaßen die Strukturen des Bildungssystems und des Beschäftigungssystems. Die Steuerung der Arbeitsmarktzugänge, der betrieblichen Einsatzbedingungen und der Statusansprüche der Bildungsabsolventen erfolgt über die berufsbezogenen Zertifikate der Ausbildungsgänge des dualen Berufsausbildungssystems und des Hochschulsystems. Insofern unterscheiden sich Facharbeiterberufe und Akademikerberufe („Professionen“) im Hinblick auf ihre erwerbs- und karrierestrukturierende Funktion zwar graduell, aber nicht prinzipiell. Berufe und die darauf bezogenen Ausbildungs- und Studienordnungen definieren den Rahmen der Fähigkeiten und Orientierungen, um in einem Fachgebiet als „beruflich qualifiziert“ zu gelten. Der Beruf als Institution strukturiert über die Ausbildung und den Erwerbseintritt hinaus auch die betriebliche Arbeitsorganisation und die Austauschprozesse auf den Arbeitsmärkten. Die mit dem Ausbildungsabschluss erworbene berufliche Qualifikation bestimmt die Übergangsoptionen des Berufsinhabers ebenso wie den Handlungsrahmen betrieblicher Rekrutierungs- und Personalpolitik. Jenseits der Korrespondenz und Kohärenz der institutionellen Strukturen von Bildungssystem und Arbeitsmarkt wird der Tauschwert von Bildungsabschlüssen auf dem Arbeitsmarkt mit beeinflusst von der demografischen und ökonomischen Entwicklung, den in Verbindung damit wechselnden Arbeitsmarktbedingungen und den Veränderungen des Bildungsverhaltens.

2. Beruflichkeit und Flexibilität 2.1. Beruf als Organisationsmuster von Ausbildung und Arbeit In Deutschland wird die Organisation industrieller Ausbildung und Arbeit geprägt durch einen spezifisch deutschen Arbeitskräftetypus, den Facharbeiter. Im Unterschied zu anderen Industrieländern, in denen berufliche Qualifikationen in staatlichen Schulen oder „on the job“ im Produktionsprozess selbst vermittelt werden, erhält der Facharbeiter seine

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Qualifikation und sein Berufsverständnis im Laufe einer staatlich normierten, aber weitgehend betrieblich organisierten mehrjährigen Berufsausbildung im Rahmen des dualen Systems von Betrieb und Berufsschule. Der Facharbeiter stellt ein berufliches Muster von Ausbildung und Arbeit dar, das entscheidend die Rekrutierungs- und Beschäftigungspolitik der deutschen Industriebetriebe prägt und gleichermaßen Bezugspunkt staatlicher und gewerkschaftlicher Sozial- und Arbeitspolitik ist. Auf dem Arbeitsmarkt signalisiert das Zertifikat des Facharbeiters dem Betrieb, über welches technische Können und über welche sozialen Verhaltensweisen die Arbeitskraft verfügt. Facharbeiterzertifikate sind das zentrale Steuerungsinstrument auf den berufsfachlich strukturierten Arbeitsmärkten. Die Verberuflichung von Arbeit und Ausbildung mit der Herausbildung und Konsolidierung des dualen Systems war eng an den Prozess der Industrialisierung gebunden. Sie kanalisierte die damit einhergehenden Auflösungs- und Neugestaltungsprozesse von Qualifikationen, versah sie mit Statuskennzeichen und fixierte Berufsabschlüsse allmählich als betriebliche Handlungsprämissen. Die Übernahme der Berufsidee in die schrittweise institutionalisierte und systematisierte industrielle Qualifizierung war die entscheidende Voraussetzung für die Herausbildung eines besonderen Berufsbewusstseins des Facharbeiters mit eigenen tätigkeitsbezogenen Qualitäts-, Kooperations- und Aufstiegsansprüchen. Industrielle Lohnarbeit war nicht mehr nur Mittel der Reproduktion, sondern in ihrer beruflichen Form bot Facharbeit Möglichkeiten zur Identifizierung mit Arbeitsaufgaben und zur Realisierung subjektiver Interessen. Seinen eigentlich modernen Charakter erhielt das deutsche System der Berufsausbildung mit der Universalisierung über den ursprünglichen Geltungsbereich des Handwerks hinaus, also seiner Ausdehnung auf alle übrigen Segmente der Wirtschaft und Verwaltung (Industrie, Handel, Dienstleistungen), mit seiner Verrechtlichung seit 1969 und der darin verankerten korporativen Struktur. Die Verallgemeinerung des Berufs zum Medium für die Konstitution von Ausbildungsstrukturen war die historische Voraussetzung für die Ausdifferenzierung eines vom Schulsystem und vom einzelnen Betrieb (relativ) unabhängigen, selbstbezüglichen Berufsbildungssystems (Harney/Storz 1994). Diese relative Selbstständigkeit hält das Berufsbildungssystem zumindest bis zu einem gewissen Grad frei von den meritokratischen Effekten des hierarchisch gegliederten allgemeinen Bildungssystems einerseits und von den unmittelbaren Verwertungs- und Rentabilitätsansprüchen des einzelnen Betriebes andererseits. Mit beiden Teilbereichen steht das Berufsbildungssystem in einem dauernden Spannungsverhältnis. Das Berufskonzept sorgt für eine Distanzierung der Berufsausbildung gegenüber solchen Vereinnahmungsansprüchen und eröffnet die Möglichkeit für deren Ausbalancierung. Beruflichkeit der Arbeitsorganisation macht den Aufgabenzuschnitt von der einzelnen Person unabhängig, trägt zur Versachlichung der innerbetrieblichen Sozialbeziehungen bei und verschafft dem Berufsinhaber eine relative Autonomie gegenüber dem einzelnen Betrieb. Sie sichert – je nach Arbeitsmarktlage – die Einsetzbarkeit der beruflichen Qualifikation auch bei Betriebswechsel oder bei innerbetrieblichen technisch-arbeitsorganisatorischen Umstellungen. Berufe schaffen über ihre staatliche Reglementierung und Anerkennung ein normatives Fundament, auf das sich Anbieter und Abnehmer als Orientierungsrahmen bei Vertragsabschlüssen beziehen und bei Verstößen berufen können. Berufe übernehmen damit für beide Seiten eine wesentliche Schutzfunktion. Der Zugriff des Unternehmens auf die Person des Arbeitenden bleibt beschränkt auf den Rahmen der arbeitsund tarifvertraglich geregelten Arbeitsbedingungen und der vom einzelnen Beruf definierten Zumutbarkeitsgrenzen. Berufe bilden den Rahmen für das Ausmaß an Akzeptanz betrieblicher Herrschaftsstrukturen, Entscheidungsprinzipien und Arbeitsbelastungen. Inso-

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fern definiert der Beruf nicht nur das Arbeitsvermögen, sondern auch das Reproduktionsvermögen der Arbeitskräfte, jene Qualifikationsmomente also, die einen übermäßigen Verschleiß und eine ausschließlich betriebsspezifische Vernutzung von Arbeitskraft verhindern. Zugleich verbindet sich mit dem Qualifikations- und Arbeitskrafttypus „Facharbeiter“ ein für den Betrieb bekanntes und deshalb kalkulierbares Handlungs- und Verhaltenspotential, das sich nicht allein auf die erwarteten technischen Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten bezieht, sondern vor allem auch die sozialen Elemente der Facharbeiterqualifikation (z. B. Qualitätsbewusstsein, Selbstständigkeit, aktives Problemlösungsverhalten) einschließt. Facharbeiterkompetenzen enthalten also latent überschüssige Qualifikationsmomente, die über die unmittelbaren Anforderungen am einzelnen Arbeitsplatz und in der jeweiligen konkreten Arbeitssituation hinausgehen. Mit dieser Perspektive alternativen Arbeitseinsatzes sichert sich der Betrieb einen weitgehenden personalpolitischen Handlungsspielraum. Somit liefert der Beruf ein „implizites Instrument der Organisationsentwicklung“ (Drexel 1995, S. 55), das den Betrieb auch im Zuge technischer und organisatorischer Veränderungen von der Notwendigkeit jeweils neuer expliziter Strategien zur Personalentwicklung befreit. Als standardisierte Wissensformen stellen Berufe gesellschaftliche Konventionen dar, die Erwartungen über die Zukunft und über das Verhalten anderer harmonisieren und stabilisieren. Insofern ist ihre Funktion derjenigen von technischen Standards vergleichbar. Die mit der Standardisierung geschaffene Homogenität und Stabilität wechselseitiger Erwartungen reduziert die individuellen, betrieblichen und gesellschaftlichen Informations-, Reproduktions- und Koordinierungskosten. Dieser institutionenökonomische Aspekt von Beruflichkeit verweist auf die wirtschaftlichen Risiken und Folgekosten, die mit der Strategie einer ausschließlichen Marktregulierung des Erwerbsgeschehens verbunden sind. In Prozessen institutionalisierter, öffentlich kontrollierter Berufsausbildung werden Wertvorstellungen und Teilnahmeregeln für die Interaktion und Kommunikation in der betrieblichen Arbeit gelernt und Erfahrungen gemacht, die den Subjekten Identitäts- und Mitgliedschaftsentwürfe vermitteln. Die Verfassung des deutschen Berufsbildungssystems sorgt dafür, dass sich diese Entwürfe im Spannungsfeld von Berufszentrismus und Betriebszentrismus eher am Beruf als am Betrieb orientieren (Heinz 1995) und dass die inhaltliche Identifikation mit der berufsbezogenen Tätigkeit nicht automatisch und nicht ungebrochen die Identifikation mit dem Unternehmen bedeutet. Die Bündelung persönlicher Fähigkeiten und Orientierungen zu standardisierten Mustern von Handlungs- und Verhaltenspotentialen einerseits und die Bündelung von Arbeitsinhalten und -aufgaben zu standardisierten Mustern von Arbeit andererseits liefern die Grundlage für die Vermarktbarkeit spezifischer Arbeitsfähigkeiten. An die Bezeichnung des jeweiligen Berufes knüpfen die Betriebe bestimmte Erwartungen an das Arbeitsvermögen der gesuchten Arbeitskraft, an deren betriebliche Einsetzbarkeit und an die mit diesem Einsatz verbundenen Lohn- und Gehaltskosten. Auf der anderen Seite verbinden die Berufsinhaber mit ihrem Beruf bestimmte Erwartungen und Ansprüche an Einkommen, Arbeitsbedingungen, Kooperations- und Partizipationsmöglichkeiten, Abhängigkeiten und Freiheitsräume, an Beschäftigungsstabilität und Karrierechancen (Beck/Brater/Daheim 1980). Diese von beiden Arbeitsmarktseiten mit dem jeweiligen Beruf verbundenen, relativ gleichartigen und relativ dauerhaften Erwartungen sichern die Vereinbarkeit der Bedingungen, unter denen Qualifikationen bereitgestellt und verwertet werden. Der Beruf liefert eine überbetriebliche, universelle „Codierung“ von Qualifikationen, erlaubt also eine

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Verständigung über Kompetenzen und sozialen Status – unabhängig von den jeweiligen betriebsspezifischen Anforderungen (Harney 1990). Mit dem Nachweis von Berufsbildungszertifikaten verfügen die Berufsinhaber über ein „institutionalisiertes Kulturkapital“ (Bourdieu), das – im Gegensatz zu betriebsspezifischen Qualifizierungsmustern – nicht unter permanentem Beweisdruck steht. Noch immer ist der Beruf eng mit der Vorstellung einer mehr oder weniger standardisierten Erwerbsbiografie verknüpft, die über lange Zeit das Selbstverständnis des größten Teils der deutschen Arbeitskräfte prägte. Auf der individuellen Ebene liefert der Beruf den strukturellen und symbolischen Bezugspunkt für gesellschaftlich anerkannte und normierte Abfolgen von Arbeitstätigkeiten, die aufeinander bezogen sind. Berufe ermöglichen eine stufenweise Entfaltung von Lebensplänen und werden damit zu einem entscheidenden Strukturierungselement des gesamten Lebenslaufs. Sie sind gleichermaßen Grundlage der persönlichen wie auch der sozialen Identität. Auch wenn die Gültigkeit einer „Normalbiografie“ mit der linearen Abfolge von Schulbildung, Berufsausbildung und dauerhafter Berufstätigkeit zu erodieren beginnt, so bildet das Berufskonzept doch nach wie vor die Folie, auf die sich Erwerbsbiografien beziehen. Die Notwendigkeit, die Entwicklung von Qualifikationen so zu organisieren, dass sie auf dem Arbeitsmarkt verkauft werden können, verweist den Einzelnen auf die je nach Beruf mehr oder weniger genormten Ausbildungsgänge. Ausbildungsordnungen fixieren das Niveau und den Kanon der Ausbildungsinhalte und die übrigen Ausbildungsbedingungen, sie legen aber zugleich auch die Einordnung der Ausbildungsabsolventen in das Lohn- und Gehaltsgefüge und damit die Position des Berufsinhabers in der betrieblichen Hierarchie fest. Damit sind natürlich immer auch bestimmte Einschränkungen verbunden. Die Entscheidung für einen Ausbildungsgang schließt die Wahl anderer Bildungsgänge und damit den Zutritt zu einer Vielzahl von Berufstätigkeiten aus, verengt also das in Betracht kommende Tätigkeitsspektrum. Und auch umgekehrt ist die betriebliche Nutzung und Verwertung von Arbeitskraft an die berufliche Form gebunden, d. h. die Überlegungen zur innerbetrieblichen Personalplanung und Arbeitsorganisation gehen immer von bereits vorhandenen, nach Berufsmustern geformten Qualifikationen aus. Die damit verbundenen strukturellen Diskrepanzen zwischen Ausbildung und Beschäftigung und die vielfältigen Rigiditäten einer an engen Berufsbildern orientierten Organisation von Ausbildung und Arbeit haben vor allem die Arbeitsmarktforschung schon früh veranlasst, nach Flexibilitätsspielräumen zwischen Ausbildungsgängen und beruflichen Einsatzfeldern zu suchen, um solche Elastizitäten bildungspolitisch und für den Ausgleich von Arbeitsmarktungleichgewichten nutzbar zu machen. Flexibilität ist die Umschreibung zahlreicher individueller und institutioneller Anpassungsprozesse. Diese können zurückgehen auf flexible Strukturen der institutionell und informell vermittelten Qualifikationen (Mobilität) und/oder auf flexible Strukturen des Arbeitsplatzangebots (Substitutionalität). Mit beruflicher Mobilität wird die Möglichkeit von Absolventen eines bestimmten Ausbildungsganges oder von Angehörigen einer bestimmten Berufsgruppe gekennzeichnet, verschiedenartige Arbeitsplätze zu besetzen. Mobilität ist also ein personenbezogenes Merkmal. Substitutionalität ist die der Mobilität komplementäre Eigenschaft von Arbeitsplätzen, mit unterschiedlich ausgebildeten Arbeitskräften besetzbar zu sein. Substitutionalität ist also ein technisch-organisatorisches Merkmal. Rigiditäten gibt es auf beiden Seiten des Arbeitsmarktes, wobei die Beziehung gilt: Je rigider die Arbeitsplatzstrukturen, umso höher sind die an die Arbeitskräfte gestellten Mobilitätsanforderungen. Und umgekehrt: Je rigider die auf dem Arbeitsmarkt angebotenen Qualifikationen, umso wichtiger wird die

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Bereitschaft der Betriebe, sich in ihren technisch-organisatorischen Überlegungen – flexibel – auf diese Qualifikationen einzustellen. Die Ergebnisse der Flexibilitätsforschung verweisen darauf, dass sich hinter derselben Berufsbezeichnung durchaus unterschiedliche Tätigkeiten verbergen können, dass Arbeitsplätze von Personen mit unterschiedlicher Ausbildung besetzt werden können, dass Inhalte des Ausbildungsganges und der ausgeübten Tätigkeit auch bei gleicher Nomenklatur auseinander fallen können. Insgesamt verweisen die Ergebnisse auf ein erhebliches Ausmaß potenzieller und latenter Mobilitäts- und Substitutionsspielräume zwischen Ausbildungsgängen und Arbeitsplätzen (zur Übersicht vgl. Mertens/Kaiser 1978; Kaiser 1988).

3. Arbeitsmarktsegmentation und ihre Konsequenzen für Berufsausbildung und Beschäftigung Arbeitslosigkeit, Beschäftigungskrise, „Arbeitsmarktproblemgruppen“ einerseits, Arbeitskräftemangel (z. B. Facharbeitermangel), offene Stellen, unbesetzbare Arbeitsplätze andererseits, das sind Widersprüche und Ungleichgewichte auf dem Arbeitsmarkt, die es gemäß den Grundannahmen der klassischen und neoklassischen Arbeitsmarkttheorie eigentlich gar nicht geben dürfte, jedenfalls nicht als dauerhafte Erscheinungen. Denn die neoklassische Arbeitsmarkttheorie geht vom Modell des Arbeitsmarktgleichgewichts aus, das sich bei Störungen durch den ausgleichenden Angebot-Nachfrage-Mechanismus und den Lohn als Regulator immer wieder quasi selbsttätig einpendelt.

3.1. Theoriekonzept der Arbeitsmarktsegmentation Das Konzept der Arbeitsmarktsegmentation geht dagegen gerade von den Unregelmäßigkeiten, Ungleichheiten und Diskrepanzen des Arbeitsmarkts aus und setzt der neoklassischen Theorie des Arbeitsmarktgleichgewichts jene der Arbeitsmarktungleichgewichte und der Existenz dauerhafter Ungleichheit von Arbeitsmarktchancen und Beschäftigungsbedingungen entgegen. Der Ansatz wurde inzwischen vielfach überarbeitet und differenziert und hat in einer Reihe empirischer Untersuchungen seine Erklärungskraft bewiesen (vgl. z. B. Blossfeld/Mayer 1988; Köhler/Preisendörfer 1988; Becker 1990; Szydlik 1990; Baden/Kober/Schmid 1996). Die zentralen Kategorien für die Begründung und Eigenart der Arbeitsmarktspaltung bilden im Segmentationskonzept die Qualifikationsstruktur der Arbeitskräfte und Arbeitsplätze sowie die Art der Bindung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Auf der Grundlage empirischer Arbeitsmarktstudien in den USA sowie in der Bundesrepublik lassen sich zwei Grundtypen von segmentierten Arbeitsmärkten unterscheiden: der zweigeteilte, duale Arbeitsmarkt als das eine Modell und der dreigeteilte (triale) Arbeitsmarkt als das andere. Dabei handelt es sich um einen idealtypischen Zuschnitt; in der Realität gibt es zwischen den Teilarbeitsmärkten oder Segmenten natürlich Überschneidungen, Überlappungen und lose Verbindungen, also „Unschärfen“ in der Trennung und keine vollständige gegenseitige Isolation. Der zweigeteilte, duale Arbeitsmarkt (Dual Labor Market Theory) ist durch eine vertikale Segmentationsstruktur gekennzeichnet. Einem primären Arbeitsmarktsektor mit relativ stabilen, gut bezahlten Beschäftigungsverhältnissen steht ein sekundärer Sektor mit unsi-

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cheren, schlecht entlohnten Arbeitsverhältnissen gegenüber (Doeringer/Piore 1971). Im Primärsektor, der aus geregelten, zutrittsbeschränkten und daher als intern bezeichneten Teilarbeitsmärkten besteht, herrschen qualifikationsgerechte Arbeitsbedingungen und günstige Aufstiegsmöglichkeiten für gut ausgebildete Arbeitskräfte. Der Primärsektor wird hauptsächlich aus Arbeitsplätzen in ökonomisch starken, technisch fortgeschrittenen, krisenfesten Großunternehmen gebildet. Dagegen umfasst der Sekundärsektor die Arbeitsplätze in mittleren und kleineren Betrieben des wirtschaftlichen Randbereichs, die stark konjunkturabhängig, technologisch rückständiger und wenig standardisiert arbeiten. Zum sekundären, externen Sektor zählen auch die Randbelegschaften der Großbetriebe. Primärer und sekundärer Sektor sind relativ stark gegeneinander abgeschottet, die Mobilität zwischen ihnen ist erheblich eingeschränkt. Eine solche Arbeitsmarktstruktur findet sich besonders ausgeprägt in den USA und in Japan. Unter Rückgriff auf die amerikanischen Segmentationsansätze und eigene empirische Untersuchungen entwarfen Lutz und Sengenberger (1974) ein Segmentationskonzept für den Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik: den dreigeteilten Arbeitsmarkt. Ihre zentrale theoretische Annahme beinhaltet, dass die primäre Ursache von Arbeitsmarktsegmentation im betrieblichen Interesse an der kontinuierlichen Nutzung von spezifisch qualifizierter Arbeitskraft liegt. Dieser betriebsstrategische Ansatz geht davon aus, dass die Personalpolitik der Betriebe eine zentrale Ursache für die Arbeitsmarktsegmentation bildet – im Zusammenwirken mit anderen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen. Die Dominanz der einzelbetrieblichen Beschäftigungsstrategien im Arbeitsmarktgeschehen ist verantwortlich für die Dreiteilung des Arbeitsmarkts in ein betriebsinternes, ein (berufs-)fachliches und in ein unstrukturiertes Segment (vgl. Sengenberger 1978, 1987).

3.2. Unstrukturierter Teilarbeitsmarkt Das unstrukturierte Segment, auch als offener oder externer oder Jedermann-Teilarbeitsmarkt bezeichnet, stellt eine Art Restkategorie dar, weil es all jene Arbeitskräfte umfasst, die zu den beiden anderen Teilmärkten keinen Zugang gefunden haben. Hier werden lediglich unspezifische Qualifikationen gesucht und angeboten, d. h. Arbeitskräfte mit generellen Mindestfähigkeiten wie einem gewissen Maß an körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit und -bereitschaft. Diese Arbeitskräfte sind sofort einsatzfähig und produktiv, da sie auf Arbeitsplätzen mit geringen Qualifikationsanforderungen (Un-/Angelerntenarbeitsplätze) in ganz verschiedenen Betrieben, Branchen, Sektoren beschäftigt werden. Es gibt daher auf diesem Teilarbeitsmarkt keine qualifikationsbedingten Mobilitätseinschränkungen. Da für die un- und angelernten Arbeitskräfte kaum Qualifizierungsmöglichkeiten in der Arbeit oder Aufstiegschancen bestehen, ist der Arbeitsplatzwechsel praktisch ohne Verlust von (z. B. betriebsspezifischen) Qualifikationen und ohne Lohneinbußen möglich. Diese instabilen Beschäftigungsverhältnisse führen auf Arbeitskraftseite zu geringer Betriebsbindung und häufigem Arbeitsplatzwechsel. Auf dem unstrukturierten Teilarbeitsmarkt befinden sich als Beschäftigtengruppen hauptsächlich ausländische Arbeitnehmer, Frauen sowie freigesetzte Arbeitskräfte ohne Zertifikat (Berufsausbildung) aus strukturschwachen Wirtschaftsbereichen. Sie werden vorrangig in der Serien- oder Massenproduktion mittelgroßer Industriebetriebe (z. B. Zuliefer- und Absatzbetriebe von Großunternehmen) eingesetzt, aber auch auf den untersten Positionen in Großbetrieben sowie insbesondere in der Einzelproduktion von Kleinbetrieben mit

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wechselnder Auftragslage (vgl. Biehler/Brandes 1981, S. 259; Brandes/Weise 1980, S. 66; Szydlik 1990). Mittlerweile gelangen in dieses Arbeitsmarktsegment jedoch zunehmend auch Arbeitskräfte mit abgeschlossener Berufsausbildung in zukunftslosen (veralteten oder überfüllten) Berufen. Da die Mehrheit der Frauenarbeitsverhältnisse in diesem extrem ungünstigen Teilarbeitsmarkt angesiedelt ist, wirkt hier offenbar zusätzlich ein Mechanismus geschlechtsspezifischer Arbeitsmarktsegmentation, der den „Jedermann“- zum „Jedefrau“-Teilarbeitsmarkt werden lässt (vgl. unten 3.5 und den Überblick bei Sattel 1989). Mit seinen instabilen, gering qualifizierten, niedrig entlohnten Beschäftigungsverhältnissen entspricht der unstrukturierte Teilarbeitsmarkt dem sekundären Arbeitsmarktsektor der dualen Arbeitsmarkttheorie.

3.3. Berufsfachlicher Teilarbeitsmarkt Berufliche und branchenspezifische (aber nicht betriebsspezifische) Qualifikationen werden über den (berufs-)fachlichen Teilarbeitsmarkt vermittelt.1 Zutrittsvoraussetzung bildet ein Qualifikationsnachweis (Arbeitsmarktzertifikat), z. B. in Form eines Facharbeiter- oder Gesellenbriefes oder eines Hochschuldiploms. Erworben wird dieses Zertifikat durch die Absolvierung eines normierten Ausbildungsganges. Die Struktur der Arbeitsplätze und die Qualifikationsanforderungen der Betriebe korrespondieren mit den Berufsbildern und sind im Idealfall deckungsgleich (vgl. Sengenberger 1987, S. 126). Diese berufliche Prägung der betrieblichen Arbeitsorganisation schließt Arbeitskräfte ohne entsprechend zertifizierte Qualifikation aus und macht damit den berufsfachlichen Teilarbeitsmarkt zu einem geschlossenen Segment. Sengenberger (1987, S. 141) nennt dies institutionelle Schließung, die eine „fachzentrierte“ Arbeitsmarktsegmentation hervorruft. Die Besetzung der Arbeitsplätze im berufsfachlichen Segment erfolgt zum einen über den (staatlich geregelten) innerbetrieblichen Ausbildungsweg (des dualen Systems) mit anschließender Übernahme (z. B. als Facharbeiter) und zum anderen über zwischenbetrieblichen Arbeitsplatzwechsel. Aufgrund der Standardisierung sowohl der Fachqualifikationen auf der Arbeitsangebotsseite als auch der Anforderungen auf der Arbeitsplatzseite gibt es keine Hindernisse wie Qualifikationsverlust oder aufwendige Einarbeitungszeiten, so dass die zwischenbetriebliche, horizontale Mobilität innerhalb der Branche bei gleich bleibender beruflicher Tätigkeit relativ hoch ist. Beruflicher Aufstieg (vertikale Mobilität) durch Qualifizierung sowie Eintritt in den betriebsinternen Teilarbeitsmarkt (besonders durch Übernahme im Anschluss an innerbetriebliche Ausbildung) sind möglich, aber nicht garantiert. Das Beschäftigungsniveau auf dem fachlichen Teilarbeitsmarkt erweist sich somit als stabil, die Beschäftigungsverhältnisse sind eher instabil; denn die Einstufung z. B. als Facharbeiter gewährleistet im Allgemeinen eine bestimmte tariflich abgesicherte Lohnhöhe, die nicht unter-, wohl aber überschritten werden kann. Die Fluktuation der Arbeitskräfte ist daher relativ hoch (vgl. Szydlik 1990, S. 151). Es kommt hier – wie schon auf dem Jedermannsmarkt – die Anreizwirkung des Lohnes und damit seine Allokationsfunktion durchaus zur Geltung.

1 Dieses Segment besteht eigentlich aus so vielen Teilmärkten, wie es Berufe gibt; da die Charakterisierung und Funktion aller beruflichen Teilarbeitsmärkte nach den gleichen Prinzipien verläuft, können sie als Gesamtsegment betrachtet werden.

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Bindung besteht auf dem fachlichen Teilarbeitsmarkt in Bezug auf den Beruf als standardisiertem Qualifikationsprofil für standardisierte Arbeitsplatzanforderungen, aber nicht zwischen Betrieb und Arbeitnehmer. Diese Berufsbindung statt Betriebsbindung gewährt dem Arbeitnehmer die Möglichkeit des Betriebswechsels ohne Qualifikationsverlust, dem Arbeitgeber die sofortige Einsetzbarkeit und volle Produktivität dieser Arbeitskräfte auf einschlägigen Arbeitsplätzen. Wesentliche Veränderungen im qualifikatorischen Profil von Arbeitskräften und Arbeitsplätzen (z. B. durch technische Neuerungen) setzen aber die Änderung der überbetrieblichen Ausbildungsnormen und anderer institutioneller Regelungen (Tarifverträge) voraus. Die Arbeitsplätze des berufsfachlichen Teilarbeitsmarkts finden sich konzentriert in Unternehmen mit Einzelfertigung, vor allem Handwerksbetrieben. Den typischen Arbeitnehmer stellt der männliche Inländer, der häufig älter als 35 Jahre ist (vgl. Biehler/Brandes 1981, S. 259), aber auch jüngere Arbeitskräfte mit abgeschlossener Berufsausbildung, die durch Betriebswechsel noch nach einer langfristig befriedigenden Position suchen. Zur Erklärung der Entstehungsbedingungen und Funktionsweise des fachlichen Teilarbeitsmarkts muss einerseits zwischen den Ausbildungsmarktvorgängen und den eigentlichen Arbeitsmarktprozessen unterschieden werden und andererseits zwischen den Besonderheiten im industriell-großbetrieblichen und dem handwerklich-kleinbetrieblichen Bereich. Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt wird hauptsächlich durch das betriebliche Angebot an Ausbildungsplätzen bestimmt. Die Betriebe machen das Angebot an Ausbildungsplätzen von einzelbetrieblichen Rentabilitätserwägungen hinsichtlich Nachwuchsbedarf, Ausbildungskosten, zu erwartender Erträge abhängig. Aufgrund dieser individuellen, einzelbetrieblichen Kalkulation von Art und Zahl der Ausbildungsplätze kommt es zu Arbeitsmarktungleichgewichten wie Facharbeiterüberschuss oder Facharbeitermangel, Jugendarbeitslosigkeit und unterschiedlicher Qualität der Ausbildung. Im industriell-großbetrieblichen Bereich ist die Ausbildung vornehmlich an der Deckung des betrieblichen Eigenbedarfs orientiert, weil die jeweilige Produktionstechnologie häufig doch eine Spezialisierung verlangt, die schon während der Ausbildung (mit-)vermittelt wird, ebenso wie andere den Betriebszielen nützliche soziale Qualifikationen (Einpassung in die betriebliche Organisation und Hierarchie, Identifikation mit dem Betrieb, Entwicklung betriebsbezogener Aufstiegsperspektiven und daraus erwachsende Leistungsmotivation etc.). In gewissem Umfang bilden die Großbetriebe aber auch unter ihrem eigenen Bedarf aus, soweit sie nämlich relativ problemlos entsprechend qualifizierte Fachkräfte vom außerbetrieblichen Arbeitsmarkt rekrutieren können. Dabei handelt es sich zum Teil um Arbeitskräfte, die im handwerklich-kleinbetrieblichen Bereich ausgebildet wurden. Die hier vermittelten Berufsqualifikationen sind in der Regel weniger spezialisiert, bestehen eher aus breiten beruflichen Kenntnissen und persönlichen Kompetenzen wie Geschicklichkeit, Fleiß, Kreativität, Verantwortungsbewusstsein und Selbstständigkeit im Umgang mit der technischen Ausstattung. Die Lehrlingsbeschäftigung dient im Handwerk auch zur Aufrechterhaltung der Produktion, indem die Auszubildenden kontinuierlich die notwendigen Zuarbeiten und Hilfsdienste erbringen. Da sich so die Kosten der Ausbildung rasch amortisieren, wird im handwerklich-kleinbetrieblichen Bereich meist unabhängig vom Eigenbedarf an Nachwuchskräften und deutlich über diesen hinaus ausgebildet. Das berufsfachliche Arbeitsmarktsegment ist in Deutschland von großem Gewicht für den Gesamtarbeitsmarkt, da die überwiegende Mehrheit aller Arbeitskräfte über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt, der fachliche Arbeitsmarkt ein bedeutendes Beschäftigungsreservoir darstellt und auch den Zutritt in den betriebsinternen Teilarbeitsmarkt

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eröffnet. Umso gravierender sind die Folgen für jene Personengruppen, die keinen Zutritt erlangen, weil sie kein Ausbildungszertifikat vorzuweisen haben. Der Zugang zum Ausbildungsstellenmarkt und die beim Übergang von der Schule in die Berufsausbildung stattfindenden Selektionsprozesse bestimmen daher wesentlich den Verlauf des Erwerbslebens.

3.4. Betriebsinterner Teilarbeitsmarkt und betriebszentrierte Arbeitsmarktsegmentation Die Entstehung betriebsinterner Arbeitsmärkte lässt sich im Rahmen des Segmentationskonzepts als Prozess betriebszentrierter Arbeitsmarktsegmentation erklären: Um Stabilität und Anpassungsflexibilität zu erreichen, müssen Unternehmen danach streben, von den Schwankungen auf den Absatz-, Kapital-, Zuliefer- und Arbeitsmärkten möglichst wenig beeinträchtigt zu werden. Zur Sicherung der betrieblichen Autonomie gegenüber dem Arbeitsmarkt dient den Unternehmen insbesondere die betriebsspezifische Qualifizierung, um durch betriebsgerichtete Spezialisierung des Arbeitsvermögens zwischenbetriebliche Mobilität zu erschweren, die Konkurrenz mit anderen Arbeitsnachfragern zu vermeiden, Ausbildungsinvestitionen nicht zu verlieren, die arbeitsorganisatorischen und motivationalen Vorteile erhöhter Betriebsbindung nutzen zu können usw. Außerdem macht die komplexe und komplizierte, häufig störanfällige Produktionstechnologie die betriebsspezifische Qualifizierung sinnvoll und notwendig. Da solche Arbeitskräfte nicht einfach ersetzbar sind und ihre Qualifizierung Kosten verursacht, werden sie auch bei Konjunkturschwankungen und wirtschaftlicher Rezession vom Betrieb gehalten. Diese Bevorzugung der qualifizierten Arbeitskräfte führt zu einer Differenzierung der Beschäftigten in geschützte Stamm- und benachteiligte Randbelegschaften. Den Prozess der Abschirmung (eines Teils) der Beschäftigten eines Betriebs gegen äußere Konkurrenz, der eine Schließung des internen Arbeitsmarkts bewirkt, bezeichnen Lutz (1987, S. 12) und Sengenberger (1987, S. 151) als „betriebszentrierte“ Arbeitsmarktsegmentation. Die auf dem jeweiligen betriebsinternen Teilarbeitsmarkt gehandelten Qualifikationen sind ganz spezifisch, auf einen Arbeitgeber bezogen und nur dort verwertbar, oft sogar nur dort vollständig erwerbbar (man denke z. B. an Post-, Bahn-, Polizei-, Militär-, Lehrerberufe oder den „hauseigenen“ Industriemeister in Großbetrieben). Wesentlich unter Verwertungsgesichtspunkten ist, dass der Betrieb bzgl. der jeweiligen betriebsspezifischen Qualifikationen quasi ein Monopol auf ihren Erwerb und ihre Anwendung hat. Nur der bereits im Betrieb Beschäftigte kann seine Arbeitskraft entsprechend spezialisieren und sie auch anbieten. Die Zugangsvoraussetzung bzw. Zutrittsbeschränkung des betrieblichen Teilarbeitsmarkts heißt: Betriebszugehörigkeit. Es besteht eine hohe wechselseitige Bindung zwischen dem jeweiligen Betrieb und Arbeitnehmer. Die Besetzung von Arbeitsplätzen des betrieblichen Segments erfolgt ganz überwiegend betriebsintern. Nur ein geringer Teil von Arbeitskraftanbietern findet Zugang zu einem solchen Arbeitsplatz vom berufsfachlichen Teilarbeitsmarkt aus. In der Regel werden diese Arbeitsplätze durch internen Aufstieg erreicht, wobei der Eintritt in den Betrieb meist auf der unteren Ebene der Arbeitsplatzhierarchie (ports of entry) erfolgt. Mobilität verläuft also innerhalb der Unternehmung und vorrangig vertikal von unten nach oben. Die zwischenbetriebliche Mobilität ist qualifikations- und gratifikationsbedingt erheblich reduziert, die Beschäftigungsstabilität aus denselben Gründen hoch. Die mobilitätsanreizende Wirkung zwischenbetrieblichen Lohngefälles kommt im betrieblichen Segment nicht zur

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Geltung, weil ein Betriebswechsel die betriebsspezifischen Qualifikationen teilweise entwertet, weil die betrieblichen Effektivlöhne aufgrund vielfältiger Prämiensysteme u. ä. oft über dem Tariflohn liegen, weil die betrieblichen Sozialleistungen über die gesetzlichen Verpflichtungen hinausgehen und sehr umfassend gestaltet sein können. Schon daran wird deutlich, dass der betriebliche Teilarbeitsmarkt ausschließlich auf Großunternehmen konzentriert ist. Qualifiziert, männlich, inländisch, Alter zwischen 30 und maximal 60 Jahren (vgl. Biehler/Brandes 1981, S. 258f.), leistungswillig und aufstiegsorientiert mit hoher Betriebsbindung und -loyalität, repräsentieren die Beschäftigten des betrieblichen Segments sozusagen den „Idealtypus“ eines Arbeitnehmers aus Arbeitgebersicht. Die gewohnheitsrechtlich oder kollektivvertraglich, z. T. auch gesetzlich geregelten Beschäftigungs- und Aufstiegsmuster sowie die darauf bezogenen sozialen Normen, Kommunikationsweisen und Erwartungshaltungen schaffen einen hohen Institutionalisierungsgrad dieser Teilarbeitsmarktstruktur, der beide Arbeitsmarktparteien an die formalen und informellen Regeln bindet und die starke Geschlossenheit des betrieblichen Segments mitbegründet. Dies hat den dauerhaften Ausschluss und die Benachteiligung anderer Arbeitnehmergruppen (des unstrukturierten und des berufsfachlichen Teilarbeitsmarkts) zur Folge. Mit der Verbreitung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien haben sich die Teilarbeitsmärkte weiter ausdifferenziert (Baden/Kober/Schmid 1996; Baden/ Schmid 1998); prinzipiell aber bleiben die Grundstrukturen der Arbeitsmarktsegmentation erhalten. Die Wirkungen technologischer Innovationen konnten von den bestehenden Teilarbeitsmärkten – je nach organisatorischem Kontext – überwiegend flexibel „verarbeitet“ werden, allerdings zeigen sich deutliche Veränderungen im internen Teilarbeitsmarkt: Der Zugang erfolgt nicht mehr ausschließlich über die unteren Eingangspositionen (ports of entry), sondern je nach Hierarchieebene auch über externe Rekrutierung (z. B. „Markt für Manager“). Ebenso wenig lässt sich bei Entlassungen (ports of exit) eine Konzentration auf bestimmte Personengruppen nachweisen. Aber bei Rationalisierungsmaßnahmen und Personalabbau sind die unteren Lohn- und Gehaltsgruppen nach wie vor am stärksten betroffen, was auf eine quantitative Schrumpfung des Bereichs des betriebsinternen Teilarbeitsmarkts durch den Einsatz neuer Technologien hinweist. Der Anteil der mittleren Lohn- und Gehaltsgruppen (Facharbeit, qualifizierte Sachbearbeitung) am betriebsinternen Segment nimmt dagegen dank Qualifizierungs-, Arbeitsvariations- und Umsetzungsmaßnahmen im Gefolge der Technologiediffusion tendenziell zu. Für die Abschottung gegenüber dem externen Arbeitsmarkt ist jedoch die Höhe der vom Betrieb getätigten Qualifizierungsaufwendungen weniger bedeutsam als angenommen, d. h. die betriebsspezifische Qualifikation bildet ein Kriterium für den internen Aufstieg, schützt aber nicht vor Entlassung. Von wachsender Bedeutung für alle Lohn- und Gehaltsgruppen sind die sozialen Qualifikationen (soft skills); Teamfähigkeit, hohe Motivation und Loyalität werden von den Betrieben mit Beschäftigungssicherheit und Aufstiegsangeboten honoriert.

3.5. Geschlechtsspezifische Segmentation und Segregation Die von struktureller Diskriminierung besonders stark und dauerhaft betroffene Arbeitskräftegruppe ist die der Frauen. Frauen sehen sich auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt mit Strukturen geschlechtsspezifischer Arbeitsmarktsegmentation konfrontiert, also

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mit Strukturen, die für sie hinderlich, für Männer dagegen förderlich sind (vgl. dazu ausführlich Gottschall 2000, S. 193ff.). Die Wirkung geschlechtsspezifischer Arbeitsmarktsegmentation verweist Frauen hauptsächlich auf den unsicheren Sekundärarbeitsmarkt und erschwert ihnen maßgeblich den Zutritt zu den qualifizierten Arbeitsplätzen der beiden primären Teilarbeitsmärkte. Die strukturelle Benachteiligung wirkt außerdem auch innerhalb aller Teilarbeitsmärkte als geschlechtsspezifische Segregation – und zwar als horizontale und vertikale Arbeitsmarktteilung. Die horizontale Segregation bezieht sich auf die geschlechtsspezifische Aufteilung der Berufe in Männer- und Frauenberufe; der Begriff der vertikalen Segregation bezeichnet die unterschiedlichen Aufstiegschancen von Frauen und Männern auf der betrieblichen Karriereleiter. Qua Geschlecht werden den Frauen Berufstätigkeiten zugeordnet, die durch niedrige(re)n Verdienst bei oft verhältnismäßig langen Qualifizierungszeiten, durch geringe Aufstiegsmöglichkeiten, hohes Arbeitsplatzrisiko und mangelnde Zukunftsperspektiven gekennzeichnet sind. Frauen wird eine vorrangige Familien- oder zumindest Doppelorientierung auf Familie und Beruf unterstellt, die mit Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit, Teilzeitarbeit, häufigeren Fehlzeiten wegen Familienpflichten, verminderter beruflicher Leistungsfähigkeit wegen Doppelbelastung, geringerer Mobilität (bzgl. Geschäftsreisen, kürzerem oder längerem Arbeitsortswechsel, Auslandstätigkeiten) einhergeht. Daher gelten Frauen den Betrieben als nur begrenzt nutzbare Arbeitskräfte, die von betrieblicher Förderung und Weiterbildung, von der Übernahme verantwortungsvoller Positionen und auch bereits von einem Großteil der betrieblichen Ausbildungsplätze weitgehend ausgeschlossen bleiben. Diesen Ausschließungsprozess aufgrund eines vermuteten geschlechtsspezifischen Gruppenverhaltens nennt man statistische Diskriminierung. Den Hintergrund solcher Zuweisungs- und Ausschließungsprozesse bilden nicht nur ökonomisch begründete, betriebliche Strategien, sondern auch gesellschaftlich akzeptierte und beständig aktivierte Muster der Vergeschlechtlichung von Berufen, mit denen Frauenarbeit abgewertet und gleichzeitig spezifisch ausgebeutet wird durch unentgeltliche Nutzung des sog. „kulturellen Kapitals“ von Frauen (vgl. Gottschall 2000, S. 209f.; Arnold 2003). Schon durch die Bezeichnung eines Berufs werden geschlechtstypische Tätigkeiten und Eigenschaften aufgerufen und perpetuiert, unabhängig von den tatsächlichen Berufsinhalten. Die geschlechtsspezifische Segmentation und Segregation des Arbeitsmarkts spiegelt sich in der dreigeteilten geschlechtsspezifischen Strukturierung des Berufsbildungssystems wider. In das erste Segment der dualen Berufsausbildung (in Betrieb und Berufsschule) gelangen vorwiegend männliche Jugendliche, während im dritten Segment der berufsbildenden Vollzeitschulen überwiegend Mädchen in Frauenberufen ausgebildet werden; das zweite Segment der Berufsvorbereitungsmaßnahmen ohne Berufsabschluss ist geschlechtsspezifisch gespalten, jedoch stärker männlich besetzt, da Mädchen häufig in die weiterführende allgemeine Schulbildung ausweichen (Krüger 1991, zit. nach Nissen u. a. 2003, S. 126f.). Beim Übergang in die Berufstätigkeit befinden sich männliche Jugendliche dadurch bereits im betriebsinternen oder berufsfachlichen Teilarbeitsmarkt, während junge Frauen sich diesen Zugang erst durch längere und kostenintensivere Qualifizierung erkämpfen müssen, wenn sie nicht im externen, offenen Jedermanns-/Jedefrau-Arbeitsmarkt landen oder verbleiben wollen. Die Stabilität geschlechtstypischer, traditioneller Zuordnungen von Frauen- und Männerberufen zeigt sich erneut in den IT-Berufen, wo Frauen vorrangig in den kaufmännisch orientierten und Männer eher in den technisch orientierten Zweigen zu finden sind.

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Trotz dieser Barrieren und Hindernisse, die sowohl durch die betriebliche Personalentwicklungs- und Einstellungspraxis, die betriebliche Arbeitsorganisation, die Arbeitsvermittlungsinstanzen wie auch letztlich durch die Berufswahl und Berufsausbildung der Frauen aufrechterhalten werden, dringen Frauen zunehmend in die Bereiche qualifizierter Angestelltentätigkeiten des berufsfachlichen Segments vor, ohne jedoch ihre Benachteiligungen, die jetzt auf höherem Qualifikationsniveau stattfinden, wesentlich mindern zu können.

4. Arbeitsmarktübergänge und Übergangsarbeitsmärkte Der Übergang zwischen Bildung und Beschäftigung gilt als eine der wichtigsten Statuspassagen im Lebensverlauf; er entscheidet nicht nur über die Startchancen beim Erwerbseintritt, sondern hat auch wesentliche Bedeutung für den weiteren Verlauf der Erwerbsbiografie und für die Chancen in anderen Lebensbereichen. Beim Übergang vom allgemeinen Schulsystem in das Beschäftigungssystem haben die Schulabsolventen in Deutschland idealtypisch zwei „Schwellen“ zu überwinden. Die erste Schwelle markiert den Übergang von der allgemeinbildenden Schule in eine Berufsausbildung, die zweite Schwelle den Übergang in eine Erwerbstätigkeit. An der ersten Schwelle bestimmen die Statusdifferenzen zwischen Ausbildungsberufen rückwirkend die Rekrutierung der Auszubildenden aus den Absolventen der verschiedenen Stufen und Bildungsgänge des allgemeinen Bildungssystems. Innerhalb der Gesamtheit der Ausbildungsberufe gibt es eine vielfach differenzierte informelle Hierarchie, die sowohl die Rekrutierung nach schulischen, sozialen und geschlechtsspezifischen Kriterien bestimmt als auch die Übergänge an der zweiten Schwelle. Diese Pfadabhängigkeit der Schul- und Ausbildungsverläufe gilt auch für die weitere Erwerbsbiografie. So wie die im Bildungs- und Ausbildungssystem erworbenen Abschlusszertifikate für die berufliche Erstplatzierung im Arbeitsmarkt von ausschlaggebender Bedeutung sind (Müller 2001), strukturiert der Erwerbseintritt seinerseits den Verlauf und die Reichweite der folgenden Berufskarriere (Sengenberger 1987; Blossfeld/Mayer 1988; Szydlik 1990; Neubäumer 1991; Konietzka 1999). Das gilt gleichermaßen für die berufsfachliche Zugehörigkeit wie auch für die vertikale Positionierung nach beruflichem Status. Die erfolgreiche Bewältigung der zweiten Schwelle und der Verbleib im erlernten Beruf korrelieren positiv mit der Wahrscheinlichkeit einer qualifizierten Tätigkeit (Konietzka 1999). Und auch Probleme beim Erwerbseintritt scheinen im späteren Erwerbsverlauf bestehen zu bleiben (Klotz u. a. 2000; Konietzka/Seibert 2001). Damit wird deutlich, dass schon der Zugang zum Ausbildungsstellenmarkt den späteren Berufsverlauf entscheidend vorstrukturiert und die Selektionswirkung der betrieblichen Personalrekrutierung bereits bei der Berufsausbildung beginnt (vgl. Windolf/Hohn 1984, S. 108). Die berufliche Strukturierung von Bildung und Beschäftigung bedeutet also immer auch ein gewisses Maß an Standardisierung von Erwerbsverläufen. Allerdings reicht der schulische oder berufliche Ausbildungsabschluss als Indikator nicht (mehr) aus, um die ungleichen Chancen von Erwerbspersonen beim Zugang zu Arbeitsplätzen im berufsfachlichen und betriebsinternen Segment zu erklären. Zusätzlich wirken bei der betrieblichen Personalselektion Mechanismen der statistischen Diskriminierung, die bestimmte Arbeitskräfte(gruppen) vom Zugang zu qualifizierten Arbeitsplätzen ausschließen, weil von ihnen nicht veränderbare Merkmale (wie z. B. ausländisch, weiblich, alt, behindert, langzeitarbeitslos u. a.) negativ definiert werden. Umgekehrt gibt es soziale Merk-

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male, die als positive Auswahlkriterien zur Bevorzugung ihrer Träger führen, wie z. B. die Eigenschaft, „Miki“ (Mitarbeiterkind) oder „Kuki“ (Kundenkind) zu sein oder sonst wie (verwandt, befreundet, bekannt) zum informellen Netzwerk und damit zum erweiterten internen Arbeitsmarkt eines Betriebes zu gehören (vgl. Windolf/Hohn 1984). Beide Mechanismen bewirken die soziale Schließung (im Unterschied zur institutionellen) der betriebsinternen und berufsfachlichen Teilarbeitsmärkte, da die negativ stigmatisierten Arbeitskräfte trotz des Nachweises der erforderlichen Ausbildungsabschlüsse oder schulischen Qualifikationen benachteiligt werden. Seit langem lassen sich quantitative und strukturelle Verschiebungen beobachten, die zum einen mit der Veränderung ökonomischer Rahmendaten und entsprechenden betrieblichen Reaktionen, zum anderen mit demografischen Schwankungen und einem veränderten Bildungsverhalten der Jugendlichen in Zusammenhang stehen. Obwohl grundsätzlich alle Ausbildungsberufe den Absolventen aller Schulen nach der Vollzeitschulpflicht offen stehen und es keine unterschiedlichen rechtlichen Zugangsvoraussetzungen gibt, ergeben sich deutliche Konzentrationen bei der Zuordnung von schulischen Abschlüssen und Einmündungen in Ausbildungsberufe und -bereiche. Solche Differenzierungen sind weniger das Resultat notwendiger Vorbildungserfordernisse als vielmehr das Ergebnis von Präferenzen und Marktkonstellationen. Arbeitsmarktlage, betriebliches Rekrutierungsverhalten und Bildungsverhalten der Jugendlichen beeinflussen sich gegenseitig. Die Erhöhung der formalen Zugangsvoraussetzungen für eine betriebliche Ausbildung in Verbindung mit einer vertikalen Rangordnung der Berufe bedeutet jedoch nicht, dass alle Jugendlichen einen je nach schulischer Vorbildung höher- oder geringerwertigen Ausbildungsplatz erhalten. In den einfachen gewerblich-technischen und kaufmännischen Berufen werden die Ausbildungsplätze oft nicht mehr oder nur noch unter Einbeziehung sozialpädagogischer Maßnahmen besetzt, wenn dafür nur noch Jugendliche mit sehr geringer schulischer Vorbildung Interesse zeigen. Solchen Jugendlichen steht dann die „Maßnahmenkarriere“ in der breiten Palette berufsvorbereitender, ausbildungsbegleitender und -ergänzender Angebote von Arbeitsverwaltung, Kommunen, Verbänden u. a. zur Verfügung. Diese Hilfsdienste des dualen Systems, einst als politisches Instrumentarium zur Bewältigung einer als vorübergehend eingeschätzten Krisenperiode des Ausbildungsmarktes entstanden, haben sich längst zu einem quantitativ bedeutsamen Teilbereich des Gesamtsystems beruflicher Bildung entwickelt. Zwar waren die sozialstaatlichen Maßnahmen bewusst uneigenständig auf das bestehende Ausbildungs- und Übergangssystem bezogen; dennoch zeigen die Warteschleifen- und Maßnahmenkarrieren der betroffenen Jugendlichen die ständige Gefahr, dass sich dieses Maßnahmenwesen verselbständigt und vom dualen Berufsausbildungs- wie auch vom regulären Beschäftigungssystem abkoppelt (vgl. Raab 1992). Die zunehmenden Probleme beim Zugang zum dualen System, also an der ersten Schwelle des Übergangs, manifestieren sich in der nachlassenden Ausbildungsbereitschaft der Betriebe, im Anstieg der Übergänge in schulische Einrichtungen wie Berufsvorbereitungsjahr, Berufsgrundschuljahr und Berufsfachschule, in der Verschiebung des Berufsstarts auf ein späteres Lebensalter, in der Zunahme von Ausbildungsabbrüchen und Ausbildungswechseln vor dem ersten Beschäftigungsverhältnis. An der zweiten Schwelle sind es die sinkenden Übernahmequoten der Ausbildungsbetriebe, die Verlängerung der Suchund Wartephasen zwischen Ausbildungsabschluss und erstem regulären Beschäftigungsverhältnis, die Aufnahme einer weiteren beruflichen Ausbildung und der Eintritt in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, in Teilzeit- oder befristete Beschäftigungen, die das traditio-

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nelle Konzept des Übergangs und damit auch das Konzept der Normalbiografie erodieren lassen. Berufsverlaufsuntersuchungen zeigen seit langem, dass die Lücke zwischen Ausbildungs- und Beschäftigungsstruktur den Jugendlichen je nach konjunktureller Lage ein erhebliches Maß an individueller Mobilitätsbereitschaft abverlangt (vgl. Tessaring 1993; Parmentier 2001; Alex 2002; Hecker 2002;). Von der Gefahr, vom Ausbildungsbetrieb nicht in ein Beschäftigungsverhältnis übernommen zu werden, zunächst arbeitslos zu werden oder eine ausbildungsinadäquate Beschäftigung suchen zu müssen, sind Hauptschulabsolventen stärker betroffen als Realschulabsolventen und diese stärker als Abiturienten. Besonders verschlechtert haben sich die Arbeitsmarktperspektiven von Migrantenkindern (Granato 2003) und Jugendlichen ohne Schul- bzw. Ausbildungsabschluss (Solga/Trappe 2000; Solga 2002). Die Aufgliederung der Schwellen in eine größere Zahl von Teilübergängen steht also in engem Zusammenhang mit individuell-biografischen Merkmalen der Jugendlichen. Einerseits wächst der Anteil von Jugendlichen, die eine ausbildungsvorbereitende Bildungsmaßnahme nicht erfolgreich abschließen, andererseits versuchen zunehmend mehr Jugendliche, den Zugang in den Arbeitsmarkt durch Mehrfachqualifikationen (z. B. Berufsausbildung und Hochschulstudium) abzusichern. In den Diskussionen um die Krisen des Bildungssystems und die Probleme des Berufszugangs, um veränderte betriebliche Rekrutierungsstrategien und Qualifizierungsformen mehren sich die Hinweise, dass die lineare Beziehung von Bildungs- und Erwerbsverläufen an Evidenz verliert. Angesichts wechselnder Konjunktur- und Marktlagen sind die Verwertungsmöglichkeiten von Bildungsabschlüssen an den Übergangsschwellen in das Erwerbssystem weniger kalkulierbar. Umwege, Neuanfänge, längere Suchzeiten und Warteschleifen verlängern die Phase zwischen Bildungsabschluss und Erwerbseintritt, heben den punktuellen Charakter des Übergangs auf und machen ihn seinerseits zu einer Phase. Es wird zunehmend schwieriger, den eigentlichen Endpunkt des Übergangs zu definieren, der sich traditionell als Statuswechsel von einer Vollzeitausbildung in eine stabile Beschäftigungsposition verstand. Die Übergangsprozesse verlängern sich, werden unüberschaubarer und revisionsanfälliger. Die Tendenzen zur Aufsplitterung der Berufsausbildung stehen in enger Verbindung mit einem Trend zur Dualisierung des Arbeitsmarkts. Die Beschäftigungsstrategien der Betriebe nutzen die formalen Bildungsabschlüsse als Selektionskriterium bei der Personalauswahl, entwerten sie aber zugleich, indem die Zertifikate als unabdingbare Mindestvoraussetzung gelten, die erst in Verbindung mit innerbetrieblicher Qualifizierung zur Dauerbeschäftigung führen. Als Folgewirkung beinhalten die Muster betrieblicher Personalpolitik eine Tendenz zur Dualisierung von Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsstruktur in die relativ geschlossenen, betriebsinternen Märkte mit qualifikatorisch und hierarchisch hochwertigen, gut entlohnten Dauerarbeitsverhältnissen für leistungsfähige Stammarbeitskräfte und in den offenen, unstrukturierten Jedermann-/Jedefrau-Arbeitsmarkt mit ausbildungsinadäquaten, gering(er) qualifizierten, niedrig entlohnten, konjunkturabhängigen und unsicheren Beschäftigungen für benachteiligte Randbelegschaften. Im Konkurrenzkampf um den Zugang zu den sicheren, primären Arbeitsverhältnissen „gewinnen“ die Bewerber mit höheren allgemeinen Bildungsabschlüssen. Die Absolventen beruflicher Ausbildungsgänge werden zunehmend auf sekundäre Arbeitsplätze verwiesen mit der Gefahr, dass auf Dauer berufliche Ausbildungsabschlüsse zur unselbständigen Zusatzqualifikation verkommen. Der „Überschussproduktion“ an Fachkräften in Klein- und Mittelbetrieben stehen die hohen Anforderungen an Berufsausbildung, betriebsspezifische Qualifikation und Persönlichkeitsmerkmale im industriellen Großbetrieb gegenüber, die zu einer starken Einen-

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gung der Mobilität zwischen berufsfachlichem und betriebsinternem Teilarbeitsmarkt führen. Der Austausch des betriebsinternen Segments mit dem äußeren Arbeitsmarkt erfolgt überwiegend auf den untersten Stufen der Qualifikationshierarchie, da aufgrund der hohen internen Anpassungsflexibilität und der betriebseigenen Aus- und Weiterbildung die anspruchsvolleren Arbeitsplätze innerbetrieblich besetzt werden können. Dieses Prinzip gelangt umso strikter zur Anwendung, je weniger die erforderlichen Qualifikationen auf dem berufsfachlichen Teilarbeitsmarkt bereitstehen. Mit dieser Gefahr einer Erosion des berufsfachlichen Teilarbeitsmarkts zugunsten der geschlossenen, betriebsinternen Segmente und des offenen Jedermann-Marktes geht eine Verstärkung von Diskriminierung und Verfestigung von Arbeitslosigkeit einher. Denn die Eintrittschancen für Nichtbeschäftigte und Randbeschäftigte verschlechtern sich nicht nur, sondern die Beschränkungen potenzieren sich sogar, da diese Personengruppen erst gar nicht die Gelegenheit erhalten, die geforderten Fähigkeiten zu erwerben, und die Distanz zwischen ihnen und den sich weiterqualifizierenden und sich bewährenden Beschäftigten zunehmend wächst. Dieser Ausleseprozess und seine Verstärkung durch zusätzliche soziale und geschlechtsspezifische Diskriminierung führt zur Herausbildung eines „harten Kerns“ von Langzeitarbeitslosen und zur Marginalisierung ganzer Arbeitskräftegruppen. Dabei handelt es sich um einen komplexen Prozess sich gegenseitig verstärkender Bedingungen und zirkulärer Verursachung: Die Benachteiligung von Arbeitskräften bei der betrieblichen Personalrekrutierung und innerbetrieblichen Beschäftigungspolitik setzt sich fort im Verhalten von Arbeitsagenturen, die zur Verbesserung ihres Vermittlungserfolgs die Arbeitssuchenden ebenfalls nach betrieblichen Kriterien auswählen. Schließlich neigt auch die betriebliche Interessenvertretung dazu, die Arbeitsplätze von qualifizierten und bewährten Arbeitnehmern mit langer Betriebszugehörigkeit zunächst zu schützen, bevor Neueinstellungen stattfinden oder langjährige Fachkräfte entlassen werden. Die an den Ausbau beruflicher Weiterbildung geknüpften Erwartungen, dass sich mit diesem Instrument die sozialen Ungleichheiten beim Zugang zu Arbeitsplätzen und Berufskarrieren zumindest partiell kompensieren lassen, halten empirischer Prüfung nicht stand. Eine „zweite Chance“ zur Korrektur früherer Bildungs- und Berufsentscheidungen vermittelt Weiterbildung nur selten. Im Verhältnis zu den bereits erworbenen Status- und Karrieremerkmalen verhält sich Weiterbildung eher kumulativ als kompensatorisch (Düll/ Bellmann 1999). Die Zugangs-, Erfolgs- und Verwertungschancen sind vor allem Ausdruck der bereits zurückgelegten Bildungs- und Berufskarriere: Die Weiterbildungsbeteiligung steigt signifikant mit der Höhe der Qualifikations- und Statusebene; je niedriger der Bildungsabschluss, umso geringer die Weiterbildungsteilnahme. Die Abschottung betrieblicher Weiterbildung gegenüber Betriebsexternen lässt die Segmente öffentlicher Weiterbildung als eine Art Reparaturinstanz für Arbeitsmarktkrisen zurück. Die im Rahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik von der Bundesagentur für Arbeit geförderten Weiterbildungsmaßnahmen wenden sich vorwiegend an Bevölkerungsgruppen, deren Qualifikationen im Hinblick auf ihre Vermarktung als mangelhaft gelten. Damit werden vor allem Arbeitslose, Migranten, Frauen, ältere Arbeitnehmer und Jugendliche ohne oder mit „falscher“ Berufsausbildung als „Problemgruppen“ etikettiert. In vielen Fällen erfahren die Teilnehmer an solchen öffentlich subventionierten Qualifizierungsmaßnahmen, dass sich auch nach der Teilnahme ihre Beschäftigungschancen nicht nachhaltig verbessern. Insofern können Weiterbildungsmaßnahmen auch zur Kumulation sozialer Benachteiligungen beitragen, indem sie schwer vermittelbare Personengruppen typisieren und deren Marginalisierung auf dem Arbeitsmarkt fördern (Dobischat/Seifert/Ahlene 2003). In ihrer gegenwärtigen Struk-

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tur trägt berufliche Weiterbildung eher dazu bei, die Segmentation von Teilarbeitsmärkten zu verstärken und die ungleiche Verteilung von Arbeits- und Beschäftigungschancen zu verstetigen („Weiterbildungsspirale“). Die Verbesserung der Qualifikationen allein reicht offenbar nicht aus, um die Eingliederung Arbeitsloser in den Arbeitsmarkt zu stützen. Der mehrfache Statuswechsel zwischen Bildungs- und Erwerbsphasen und zwischen unterschiedlichen Erwerbsformen ist schon lange nicht mehr auf die Zeit nach der Erstausbildung beschränkt. Insofern bildet das traditionelle Zwei-Schwellen-Modell die Übergangsprobleme zwischen Bildung und Arbeitsmarkt nur sehr unvollständig ab. Weitere Schwellen entstehen etwa bei der Unterbrechung der Erwerbsarbeit zum Zweck der Weiterbildung, bei der Rückkehr von Frauen nach einer Familienphase oder bei der Reintegration von Erwerbspersonen nach längerer Arbeitslosigkeit in den Arbeitsmarkt. Ineffiziente Arbeitmarktstrukturen erhöhen das Risiko von Langzeitarbeitslosigkeit und des dauerhaften Verbleibs in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Die bisherigen arbeitsmarktbezogenen Deregulierungsstrategien beziehen sich primär auf die Flexibilisierung der Beschäftigungsformen, der Arbeitszeiten, der Entgelte und des Arbeitsrechts (z. B. Kündigungsschutz) und bedeuten insgesamt eine deutliche Erhöhung der individuellen Arbeitsmarktrisiken. Die notwendiger gewordene Bewältigung kritischer Übergänge ist mit einem steigenden Risiko der sozialen Ausschließung verbunden. Während die Ansätze zu einer Deregulierung der Arbeit die Gefahr einer Rückkehr in Arbeitslosigkeit tendenziell vergrößern, richtet sich das Konzept der Übergangsarbeitsmärkte auf eine Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Beschäftigungssystem und sozialem Sicherungssystem unter Berücksichtung der arbeitsmarkt-, familien- und bildungspolitischen Interessen (Schmid 2002). Einerseits wird nach Möglichkeiten einer Flexibilisierung des Arbeitsmarktes gesucht, andererseits geht es um die Aufrechterhaltung sozialer Sicherheit und Chancengleichheit. Für diese Strategie einer Kombination von „Flexibility“ und „Security“ hat sich in der OECD und der EU das Schlagwort „Flexicurity“ etabliert (Keller/Seifert 2000, 2002). Die Institutionalisierung von Übergangsarbeitsmärkten sieht die soziale Absicherung zwischen verschiedenen Erwerbsformen und zwischen Phasen der Erwerbsarbeit und Erwerbslosigkeit vor. Das bezieht sich nicht nur auf die finanzielle Absicherung individueller Arbeitsmarktrisiken, sondern auch auf die Stärkung der individuellen Handlungspotenziale unter unsicheren Bedingungen. Damit liefert das Konzept ein verändertes Modell der Arbeitsmarktpolitik, das einen erweiterten Arbeitsbegriff beinhaltet: Nicht nur Erwerbsarbeit, sondern auch die Übergangsphasen zwischen verschiedenen produktiven Tätigkeitsformen (Weiterbildung, Familienarbeit, ehrenamtliche Tätigkeiten u. a.) und die Kombination von entlohnter Beschäftigung mit anderen gesellschaftlich nützlichen Aktivitäten sollen durch Einkommen (über Transferzahlungen) abgesichert werden. Ein solches Konzept wendet sich nicht nur an Arbeitslose und Berufsrückkehrer/innen, sondern im Sinne präventiver Arbeitsmarktpolitik insbesondere auch an die Beschäftigten, deren Optionen auf alternative Tätigkeiten unter Reduktion der damit verbundenen Risiken erweitert werden. Es geht darum, Übergänge in Abhängigkeit von wechselnden Lebenslagen und Bedürfnissen in einer Weise möglich zu machen, dass die Beschäftigungsfähigkeit aufrechterhalten bzw. verbessert werden und die soziale Sicherheit gewährleistet bleibt. Ausgangspunkt der Argumentation ist die Erkenntnis, dass Vollbeschäftigung im Sinne einer dauerhaften Vollzeiterwerbsarbeit mit dem Leitbild des Mannes als Ernährer und der Frau als unbezahlte Arbeitskraft der Familie keine realistische Perspektive mehr ist. Das Ziel einer im Sinne der Übergangsarbeitsmärkte neu definierten Arbeitsmarktpolitik liegt

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also nicht in der ohnehin nicht einlösbaren Rücknahme der zugenommenen Unsicherheit der Arbeitsverhältnisse, sondern in der Schaffung flexibler und sozial gesicherter Übergänge zwischen verschiedenen Tätigkeitsformen, um damit einen Beitrag zu mehr Beschäftigung zu leisten. Grundlage ist die Annahme, dass das Beschäftigungsniveau steigt und damit die Arbeitslosigkeit sinkt, wenn das Optionsspektrum konkret wählbarer Beschäftigungsverhältnisse und Tätigkeitsformen erweitert wird. Die Weiterentwicklung der bisherigen arbeitsmarktpolitischen Instrumente im Sinne der Übergangsarbeitsmärkte zielt darauf, individuelle Weiterbildungsansprüche rechtlich abzusichern, Weiterbildungsformen zu etablieren, die möglichst Erwerbsarbeit und Bildung kombinieren, Mischfinanzierungssysteme unter Beteiligung der Akteure (Teilnehmer, Unternehmen, Staat) einzurichten, Qualitätsstandards und Absicherungszertifikate einzuführen und die Etablierung überbetrieblicher Verbünde und regionaler Netzwerke zu fördern. Damit könnten Übergangsarbeitsmärkte dazu beitragen, die Selektivität der Weiterbildungsteilnahme und der Rückkehrwahrscheinlichkeit in den Arbeitsmarkt nach Alter, Geschlecht und Bildungsgrad zu verringern und die Kumulation der Arbeitslosigkeitsrisiken aufzuweichen.

5. Entgrenzungen der Arbeit und Perspektiven der beruflichen Bildung Galt der berufliche Zuschnitt von Qualifikationen in Deutschland lange Zeit als Standortvorteil, weil er einen ganzheitlichen Aufgabenzuschnitt und die Integration praktischer Arbeitserfahrung mit theoretischem Wissen erlaubte, so gerät das Berufsmodell inzwischen zunehmend in die Defensive. Die Debatten um die Zukunft des dualen Systems beziehen sich nicht mehr nur auf die quantitativen und qualitativen Diskrepanzen zwischen Ausbildung und Beschäftigung und auf interne Anpassungsprobleme des Ausbildungssystems, sondern auf „den eigentlichen, den ,harten‘ Kern des Dualen Systems: nämlich auf die Standardisierung von Arbeitskraft im Medium des Berufs“ (Kutscha 1997, S. 140). Mit Verweisen auf die Internationalisierungs- und Globalisierungstendenzen, auf die Notwendigkeit von Marktliberalisierung und Deregulierung und auf die Entgrenzung der traditionellen Arbeitsformen werden der Arbeitskrafttypus des Facharbeiters und die Organisationsform des deutschen Berufsbildungssystems grundsätzlich in Frage gestellt (vgl. vor allem Geißler 1991). Das mit dem offensichtlichen, behaupteten oder auch postulierten Verfall von Modellen sozialer Ordnung verbundene Angebot an neuen Lösungsmustern reicht von der Flexibilisierung und Modernisierung der vorhandenen Systemstrukturen im Rahmen einer Reetablierung „moderner Beruflichkeit“ (Kutscha 1992; Rauner 1998) bis hin zu deren vollständiger Auflösung. Bereits den in den 1970er Jahren diskutierten Konzepten zur Flexibilisierung von Qualifikationen diente der Beruf als Erklärungsmuster für die Einschränkung der betrieblichen Arbeitskräftenutzung (vgl. z. B. Beck/Bolte/Brater 1976, S. 502). Die traditionelle, immer wieder neu begründete Argumentation verweist darauf, dass die Berufsschneidungen des Bildungs- und des Beschäftigungssystems den beschleunigten Veränderungen der Arbeitsanforderungen und den Flexibilitätsansprüchen der Betriebe nicht mehr genügen. Schrittweise Anpassungen – etwa durch die Überarbeitung und Neufassung von Ausbildungsordnungen – würden dem tatsächlichen Strukturwandel und der Variabilität von Produktionsprozessen nicht mehr gerecht. Danach verliert das Modell des industriellen Facharbei-

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ters und damit auch das duale Berufsbildungssystem seine Tauglichkeit als Modernisierungskonzept (Geißler 1991). Berufe erscheinen nur mehr als Störgröße in einer Arbeitswelt, deren Kennzeichen Fluidität und Flexibilität sind. Da sich die Veränderungen der Arbeitsanforderungen immer weniger antizipieren lassen, plädieren die Kritiker des Berufs für das Konzept einer offenen, berufsunspezifischen Fähigkeitsentwicklung, für einen „Paradigmenwechsel“ zugunsten eines „subjektorientierten“ Lernens, das den einzelnen Lernenden befähigt, aktiv an Veränderungen teilzunehmen (vgl. Brater u. a. 1988). Die kontroverse Diskussion der Frage, ob für die Einlösung dieses Postulats das Berufskonzept eine nicht mehr hinreichende oder eine sogar notwendige Voraussetzung darstellt, hat sich in einer inzwischen kaum noch überschaubaren Flut von Beiträgen niedergeschlagen. Die wichtigsten Impulse zu dieser Debatte gingen von den sozialwissenschaftlichen Diskursen zur Klärung der Entwicklungstrends der Arbeitstätigkeiten und der daraus abgeleiteten Qualifikationsanforderungen aus. Deren erste Phase war bestimmt von der Kritik an der tayloristisch-fordistischen Organisation der Industriearbeit und den destruktiven Wirkungen restriktiver Arbeitsbedingungen. Die Kontroverse um die Effekte technischer Innovationen auf die langfristige Qualifikationsentwicklung – Dequalifizierung versus Höherqualifizierung – mündete zunächst in die These von der „Polarisierung“ des Qualifikationsniveaus (Kern/Schumann 1970). Die Polarisierungsthese, die in ihrem Kern eine Dequalifizierung der überwiegenden Mehrheit der Beschäftigen in der Industriearbeit als logische Folge ökonomischer Rationalität prognostizierte, bestimmte über ein Jahrzehnt die „herrschende Meinung“ der Arbeits- und Industriesoziologie. Sie wurde abgelöst durch die Thesen von der Reprofessionalisierung der Industriearbeit im Kontext „neuer Produktionskonzepte“ (Kern/Schumann 1984) – verbunden mit der Entstehung neuer Qualifikationstypen im Dienstleistungsbereich (Baethge/Oberbeck 1986). Die veränderten Produktionskonzepte versprachen die Abkehr der betrieblichen Arbeitsteilung vom Taylorismus zugunsten der Reetablierung einer breiter gefassten Facharbeit und die Vereinbarkeit von Rationalisierung und Humanisierung. Die Debatten der 1990er Jahre um eine Entbürokratisierung der Arbeitsorganisation in Form der Entberuflichung von Ausbildung und Arbeit standen vorwiegend im Zeichen einer am japanischen Modell der „schlanken Produktion“ orientierten Managementstrategie (vgl. Womack/Jones/Roos 1991). Mit Verweis auf die hohe Flexibilität des Arbeitseinsatzes und die Selbstregulation der Arbeitsabläufe durch teilautonome Gruppen galt der japanische – berufslose – Organisationstypus dem westlichen als überlegen (vgl. z. B. Jürgens/Naschold 1994; Kern/Sabel 1994; Littek/Heisig 1996). Als Hauptursache für Anpassungsprobleme der Qualifikationsentwicklung an die Erfordernisse der betrieblichen Organisationsentwicklung in Deutschland wurden die „starren vertikalen und horizontalen Demarkationen zwischen den beruflich gefaßten Tätigkeiten“ (Kern/Sabel 1994, S. 606) verantwortlich gemacht. Nach dieser Argumentation stehen überbetrieblich standardisierte Regelungen von Ausbildung und Arbeit den betrieblichen Flexibilitäts- und Integrationsansprüchen und einer Entwicklung unternehmensspezifischer Strategieentwürfe im Weg (zur Kritik vgl. Georg 1996). Mit der zeitgleich einsetzenden und anhaltenden Krise des japanischen Produktionsmodells hat diese Nutzung des Auslands als Argument schon bald an Überzeugungskraft eingebüßt. Die seit längerem beobachtbare Umgestaltung der industriebetrieblichen Arbeitsorganisation, die den traditionellen Zuschnitt der Arbeitsaufgaben entlang der Zuständigkeiten von Fachabteilungen und Berufen durch die Orientierung der Arbeitsorganisation an den Prozessen des Produktionsablaufs ersetzt, stellt erneut die Zukunft der Facharbeit in Frage. Für den Facharbeiter verbindet sich mit der prozessorientierten Organisation eine Erweite-

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rung der technikbezogenen Zuständigkeiten, vor allem aber eine intensivere Einbindung in die Kommunikation mit Kunden und in verschiedenste Kooperationsbezüge über die bisherigen Fach- und Statusgrenzen hinaus (Baethge/Baethge-Kinsky 1998; Schumann 2003). Ob sich damit die Voraussetzungen für eine „neue Beruflichkeit“ verbessern oder ob die veränderten Anforderungen einen andersartigen Qualifikationstyp als den Facharbeiter erfordern, scheint noch nicht entschieden. Während z. B. Olsen (2001) und Schumann (2003) in den erweiterten Spielräumen für den Arbeitseinsatz Chancen für eine Aufwertung und Professionalisierung der Facharbeit sehen, interpretieren Baethge und Baethge-Kinsky (1998, S. 470) die Entwicklung als Erosion der Berufsorientierung betrieblicher Arbeitsorganisation und damit auch die sukzessive Auflösung des Berufs als individuelles Orientierungskonzept. Die „spezifische Verbindung von (Berufs-)Fachlichkeit, sozialer Integration im Betrieb und gesellschaftlichem Status, die das traditionelle deutsche Berufskonzept ausgezeichnet hat, löst sich immer mehr auf und unterminiert damit das Berufskonzept in seiner Gültigkeit“ (Baethge 2004, S. 345). Die jüngsten sozialwissenschaftlichen Diagnosen stehen vor allem im Zeichen des viel zitierten Übergangs zu einer „Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft“ und dem Einsatz neuer Kommunikations- und Informationstechnologien. Dabei kommt es zu zeitlichen, räumlichen und fachlichen Entgrenzungen der bisherigen Arbeits- und Betriebsverhältnisse, die sich in einem Rückgang des „Normalarbeitsverhältnisses“ zugunsten von Teilzeitarbeit, zeitlich befristeten Arbeitsverträgen und neuartigen unkonventionellen Formen der Beschäftigung und der Selbstständigkeit niederschlagen. Die betriebliche Suche nach Strategien zur Steigerung der Produktivität, Flexibilität und Innovationsfähigkeit führt zu häufigeren und kurzfristigeren Umstellungen der Betriebs- und Arbeitsorganisation und zu einer Verringerung der qualifizierten Stammbelegschaften (und damit auch zu einem Bedeutungsverlust interner Arbeitsmärkte). Die betriebliche Rationalisierung trägt dazu bei, dass sich Arbeit „immer stärker auf situative, flexible, innovative Aufgaben, kurzum: auf das Problem der Bewältigung von Unsicherheit konzentriert“ (Deutschmann 2001, S. 62). Zugleich sind die Unternehmen angesichts sinkender organisatorischer und technischer Kontrollmöglichkeiten und steigender Variabilität der Arbeitsaufgaben auf die aktive und loyale Mitwirkung und die Selbstverpflichtung der Arbeitenden angewiesen. Aus diesem Grund wird ein Teil der unternehmerischen Verantwortung und Risiken auf die Arbeitnehmer verlagert. Der veränderten Logik betrieblicher Arbeitskraftnutzung entspricht auf Arbeitnehmerseite der von Voß und Pongratz beschriebene Typus des „Arbeitskraftunternehmers“, dem die Strukturierung und Überwachung der jeweiligen Arbeitstätigkeit weitgehend selbst überlassen bleiben (Voß/Pongratz 1998; Pongratz/Voß 2003). Als kennzeichnend für den neuen Arbeitskrafttypus gelten der Abbau von Fremdkontrolle zugunsten einer stärkeren Betonung der Selbstkontrolle, verbunden mit erweitertem Handlungsspielraum und größerer Eigenverantwortung, eine Steigerung der Selbstökonomisierung, verbunden mit der Effizienz- und Marktorientierung der eigenen Arbeitskraft, und schließlich die Selbstrationalisierung der gesamten alltäglichen und biografischen Lebensführung. Voß (2001) beschreibt diesen Übergang als Wechsel vom „Fachberuf“ zum „Individualberuf“. Während sich der Fachberuf durch seine fachliche Spezialisierung, korporatistische Institutionalisierung und symbolische Generalisierung auszeichnet, ist der Individualberuf durch die reflexive individuelle Gestaltung, Kultivierung und Stilisierung gekennzeichnet (vgl. auch Kreutzer 2001). Dabei handelt es sich also nicht mehr um eine gesellschaftlich definierte, sondern um eine primär personale Form von Beruflichkeit. Damit verbunden sind Quali-

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fikationserfordernisse, die mit den traditionellen berufsfachlichen Standards und Grenzziehungen nicht mehr kompatibel sind. Gefragt sind „hoch komplexe, möglichst entwicklungsoffene und vielfältig einsetzbare Qualifikationspotentiale“ (Voß 2001, S. 299). Fachliche Spezialfähigkeiten verlieren nach dieser Analyse zugunsten individuell geformter fachübergreifender Kompetenzen und allgemeiner Persönlichkeitsmerkmale an Bedeutung. Dem Prozess der Veränderung der Inhalte und Formen der Arbeit entspricht auf der Seite des Individuums die Entwicklung und Durchsetzung subjektiver Ansprüche und Bedürfnisse gegenüber der Arbeit (Schönberger/Springer 2003). Subjektivierung meint die Möglichkeit und Notwendigkeit, die eigene Person auf den internen und externen Arbeitsmärkten immer wieder neu zu vermarkten, sich konstruktiv mit den Arbeitsaufgaben auseinanderzusetzen, Handlungsalternativen zu erkennen und auszuwählen und Verantwortung für Entscheidungen zu übernehmen. Mit der Verlagerung der Leistungssteuerung auf die Beschäftigten werden deren subjektive Potenziale und Ressourcen, also die Person als Ganzes, der ökonomisch-betrieblichen Nutzung unterworfen. Einerseits ist damit eine Erweiterung der Freiräume für die Arbeitenden verbunden; andererseits wird die Nutzung dieser Freiräume zum Zwang, um den gestiegenen und komplexeren Arbeitsanforderungen zu genügen. Zur Kennzeichnung dieser Ambivalenz von Selbstausbeutung und Selbstverwirklichung sprechen Voß und Pongratz von der „fremdorganisierten Selbstorganisation“. Entgrenzung meint auch die Herauslösung aus den traditionellen institutionellen und normativen Regulierungen und die Aufhebung der Grenzen im Verhältnis von betrieblicher Arbeitswelt und außerbetrieblicher Lebenswelt. Zum einen gewinnen lebensweltliche und subjektive Elemente in der Arbeitssphäre an Bedeutung, zum anderen wächst der Druck, die über die berufsfachlichen Kompetenzen hinaus verfügbaren individuellen Potenziale und die private Lebensführung an den Erfordernissen der Arbeit auszurichten (Kratzer 2003). Mit der Ausweitung von Handlungsspielräumen gehen neue Belastungen einher. Diese Entwicklung lässt sich nicht nur als Ergebnis der betrieblichen Suche nach neuen Rationalisierungsmöglichkeiten deuten, sondern auch als Ausdruck übergreifender gesellschaftlicher Veränderungen (wie z. B. Bildungsexpansion, Wertewandel, Pluralisierung der Lebensformen, steigende Erwerbsbeteiligung der Frauen, anhaltende Beschäftigungskrisen). Die „normative Subjektivierung von Arbeit“ (Baethge 1991) gilt insbesondere für weite Bereiche der Dienstleistungs- und Wissensarbeit und steht in Zusammenhang mit einem veränderten Bildungsverhalten, das sich in verlängerten Bildungszeiten und höheren Bildungsabschlüssen der Arbeitenden ausdrückt. Seit Mitte der 1970er Jahre hält der Trend zum Übergang in weiterführende Bildungsgänge unvermindert an. Der Anteil der Bewerber um ein Hochschulstudium wird nach Schätzungen in wenigen Jahren auf 40 Prozent eines Geburtsjahrganges steigen. Damit würde sich allmählich auch in Deutschland die „bildungsmeritokratische Logik“ (Lutz 1991) durchsetzen, die besagt, dass sich die Zuweisung von Positionen und sozialem Status zunehmend an den Zertifikaten des allgemeinen Bildungssystems und immer weniger am Nachweis inhaltlich begründeter Fachkompetenzen orientiert – mit dem Effekt, dass berufliche Ausbildungsgänge unterhalb der Hochschulebene im Konkurrenzkampf um höhere Bildungsabschlüsse unterlegen sind und auf Dauer marginalisiert werden. Der Nachweis eines höheren Bildungsabschlusses wird wichtiger und wertloser zugleich. Dieses von Mertens (1984) als „Qualifikationsparadox“ bezeichnete Phänomen forciert die Expansion der Teilnahme am Wettbewerb um weiterführende Bildungsabschlüsse. Die Massenflucht in Gymnasium und Hochschule wird dann zur Vermeidungsstrategie mit dem Ziel, den stigmatisierenden Effekten niederer Bildungsabschlüsse zu entgehen.

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Insgesamt also scheinen die Veränderungen des Bildungsverhaltens und des Bildungssystems ebenso wie die Entwicklungen des Arbeitsmarkts und der Arbeitsformen eine Erosion der beruflich standardisierten Form von Erwerbsverläufen nahe zu legen. Damit würde das (ja immer auf eine gewisse Kontinuität angelegte) Berufskonzept als Sinnbezug von Ausbildungsgängen seine Legitimität verlieren. Tatsächlich aber sind die der Erosionsthese zugrunde liegenden Beobachtungen bisher von eher geringer empirischer Relevanz. Die beschriebenen Entgrenzungen der Arbeit lassen sich bisher nur für wenige Branchen (z. B. Medien- oder IT-Bereich), Arbeitsbereiche (z. B. Softwareentwicklung und Beratung) und Arbeitskräftegruppen (z. B. Künstler, Publizisten) nachweisen (Schmid 2002, S. 200ff.; Pongratz/Voß 2003). Und auch die Bildungsexpansion hat bisher kaum zu einem Bedeutungsverlust des Berufsbildungssystems beigetragen. Im Gegenteil: Der Abschluss einer Berufsausbildung im dualen System ist die wichtigste Form des Beschäftigungseinstiegs geblieben. Die Bildungsexpansion hat also keine Substitution der Berufsbildungsabschlüsse durch formal höherwertige Schulabschlüsse in Gang gesetzt, vielmehr hat das Berufsausbildungssystem die höheren Abschlüsse zu erheblichen Anteilen absorbiert. Die interne Hierarchie des Ausbildungsspektrums sorgt noch immer dafür, dass den gestiegenen Erwartungen der Schulabsolventen zumindest partiell durch hinreichend attraktive Karriereperspektiven Rechnung getragen wird. Trotz der Veränderungen ist die Lebenslauf strukturierende Wirkung von Bildungszertifikaten erhalten geblieben. Ihre Bedeutung hat angesichts des Wettbewerbs um knapper werdende Arbeitsplätze eher zugenommen (Müller 2001). Eine Erosion des strukturellen Zusammenhangs zwischen Ausbildung und Beschäftigung lässt sich auch im Generationenvergleich nicht nachweisen: „Von einem zunehmenden Trend zur Entberuflichung von Erwerbsmustern im Sinne von ,zertifizierten Berufsverlaufsstrukturen‘ kann daher keine Rede sein. Trotz aller Veränderungen in den Ausbildungs- und Berufsstrukturen, technologischen Veränderungen und gewandelten Arbeitsanforderungen sind offenkundig die berufsspezifischen Qualifikationen von Arbeitnehmern über die Kohorten hinweg nicht entwertet worden“ (Konietzka 1999, S. 396f.). Die Ergebnisse bestätigen, dass die berufliche Erstausbildung sowohl im Hinblick auf den Übergang in eine Vollerwerbstätigkeit wie auch für den weiteren Erwerbsverlauf noch immer von zentraler Bedeutung ist. Selbst in Fällen diskontinuierlicher Erwerbsverläufe bleibt die Ausbildung die formale, inhaltliche und soziale Grundlage für berufliche Neuorientierungen (Witzel/Mowitz-Lambert/Heinz 2001). Die in der Diskussion suggerierten Entwicklungsbrüche und Alternativen verstellen den Blick auf die Pfadabhängigkeit gesellschaftlicher Entwicklung, die sich in der Kontinuität von alter und „neuer Beruflichkeit“ (Kutscha 1992) spiegelt. Die strukturelle Stabilität des Beruflichkeitsprinzips verweist auf das Erfordernis der Kompatibilität neuer Problemlösungen mit den gewachsenen Kontextbedingungen. Das Festhalten an Traditionsbeständen vermittelt dem Beobachter den Eindruck von Strukturkonservatismus und defizitärer Modernisierung. Die Aufforderungen zu einer „Entberuflichung“ unterschlagen jedoch die dem Beruflichkeitsprinzip inhärenten Flexibilitäten und die Funktionalität einer beruflich strukturierten Erstausbildung für Arbeitsmarkt, Arbeitsorganisation und individuelle Bildungs- und Erwerbskarriere. Gerade angesichts eines tief greifenden volkswirtschaftlichen Strukturwandels sind Betriebe auf eine Modernisierungsstrategie angewiesen, die einerseits den Rückgriff auf die betriebsintern verfügbaren Qualifikationen erlaubt, andererseits aber auch den Austausch über den externen Arbeitsmarkt. Eine solche Strategie setzt funktionsfähige berufsfachliche Arbeitsmärkte und ein Ausbildungssystem mit überbe-

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trieblich definierten Kompetenzprofilen voraus. Daraus lässt sich die bildungspolitische Forderung ableiten, „das traditionelle deutsche System der berufspraktischen Ausbildung von Industriefacharbeitern und der darauf aufbauenden Weiterbildung für den Großteil des technischen Personals zu erhalten, zu stärken, weiter auszubauen und zu entwickeln“ (Lutz 1996, S. 94). Das gilt auch und insbesondere vor dem Hintergrund einer zunehmenden Individualisierung von Arbeitsmarktrisiken. Wenn die Zuordnung von Ausbildungsabschlüssen und Berufstätigkeiten unschärfer wird, die berufliche Erstausbildung immer seltener die Vorbereitung auf einen Lebensberuf leistet und Erwerbstätigkeitsphasen häufiger durch Arbeitslosigkeit unterbrochen werden, dann vergrößert sich die Notwendigkeit, die Vermarktbarkeit der eigenen Arbeitskraft durch den Nachweis gesellschaftlich definierter und zertifizierter Aus- und Weiterbildungsabschlüsse sicherzustellen. Unter den Bedingungen zunehmender biografischer Unsicherheit wird es umso wichtiger, Qualifizierungsprozesse so anzulegen, dass sie den konstruktiven Umgang mit Unsicherheiten und Unbestimmtheiten und deren Verarbeitung ermöglichen. Dem Erfordernis der Selbstvermarktung lässt sich durch individuelle Strategien der Akkumulierung von Fähigkeiten kaum begegnen, wenn die so entwickelten Kompetenz- und Erfahrungsprofile von außen nur noch diffus erkennbar sind und ihre Signalfunktion auf den Arbeitsmärkten verlieren. Auch die individuelle Formung von Arbeitskraft („Individualberuf“) bleibt zur Sicherung ihrer Vermarktungsfähigkeit auf gesellschaftlich organisierte Qualifizierungsprozesse und überbetrieblich einsetzbare Kompetenzmuster und Zertifikate angewiesen.

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Ökonomie, Technik, Organisation: Zur Entwicklung von Qualifikationsstruktur und Qualifikationsprofilen von Fachkräften Martin Baethge / Volker Baethge-Kinsky

Martin Zur 1. Thematische Entwicklung Baethge / von Volker Qualifikationsstruktur Bezugspunkte Baethge-Kinsky inund derQualifikationsprofilen Sozialwissenschaftlichen Qualifikationsdebatte Die Beziehung von Technik, Ökonomie, Organisation und Qualifikation ist weder eindimensional noch ein für allemal in einem über Zeiten und Räume hinweg stabilen Muster festgelegt, das eindeutige kausale Abhängigkeiten zwischen den Kategorien zu bestimmen gestattete. Weder determinieren ökonomische Interessen Organisationsformen der Arbeit hinreichend noch sind die Qualifikationen der Beschäftigten etwa schlicht als Resultat von Technik und Arbeitsorganisation zu begreifen. Die relative Offenheit der Beziehung der Kategorien zueinander mag zum einen erklären können, dass es bisher keine generelle Theorie über ihren Zusammenhang gibt, dieser vielmehr in vielfältiger Weise und mit unterschiedlichen theoretischen Annahmen und Erkenntnisinteressen in den Sozialwissenschaften erörtert worden ist; es zum anderen aber gleichwohl in den letzten Jahrzehnten oft Versuche gegeben hat, mehr Klarheit in das Beziehungsgeflecht von Ökonomie, Technik, Organisation und Qualifikation zu bringen, da die Annahme, dass es überhaupt keine angebbaren Kausalzusammenhänge gäbe, ebenfalls nicht sehr plausibel – geschweige denn befriedigend – ist. In den unterschiedlichen wissenschaftlichen Versuchen lässt sich eine Doppelperspektive identifizieren, die in den letzten Jahrzehnten in der Debatte eine herausragende Rolle gespielt hat und um die herum sich die zentralen Themen und Ansätze der wissenschaftlichen Diskussion bis heute gruppieren lassen:

> Die eine, entwicklungstheoretisch gefasste Perspektive zielt auf Genese, Ursachen und Antriebskräfte von Qualifikationsstrukturveränderungen auf gesamtgesellschaftlicher (Makro-)Ebene. Sie wurde lange Zeit unter der Frage abgehandelt: Werden Qualifikationsstrukturen eher durch ökonomische und technische Prozesse determiniert oder nimmt die Qualität des Arbeitskraftangebots, wie es durch Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen geschaffen wird, wesentlichen Einfluss auf diese Entwicklung? Die Nachzeichnung der sozialwissenschaftlichen, insbesondere der bildungs-, arbeits- und industriesoziologischen Debatte wird zeigen, dass hier vor allem auf Strukturdaten der Berufsklassifikation Bezug genommen wurde, die anfängliche prognostische Unbefangenheit gegenüber berufsstatistischer oder ökonomischer Extrapolation aber gewichen ist und zu komplexeren, interpretativen Formen der Erörterung von Entwicklungsperspektiven führt. > Die andere, eher strukturbezogene Perspektive zielt auf die qualitative Richtung, welche die Qualifikationsstruktur im Zuge des ökonomisch-technischen und sozialen Wandels

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nimmt. Sie wurde lange unter der Frage erörtert, ob es eher zu einer Anhebung der Durchschnittsqualifikation, zur Höherqualifizierung, oder zu ihrer Absenkung, zur Dequalifizierung, käme. Im Verlauf der Debatte wurde die vertikale Dimension (höhere – niedrigere Qualifikation) zunehmend ergänzt und aufgefüllt mit Fragen nach dem Wandel von inhaltlichen Profilen abgeforderter Qualifikationen und einer angemessenen Definition von Qualifikation: Bleibt der Qualifikationsbegriff – mit dem doppelten Blick auf Gemeinsamkeiten unterschiedlicher betrieblicher Anforderungsprofile wie auch auf die Dynamik betrieblicher Rationalisierungsprozesse – eng funktions- bzw. arbeitsplatzbezogen oder wird er darüber hinaus auf ein Konzept von Handlungskompetenz1 bezogen, welches die individuelle Gestaltungs-, Organisations- und Teilhabemöglichkeiten in Bezug auf den beruflichen Kontext insgesamt (im betrieblichen Umfeld und auf dem Arbeitsmarkt: selbstinitiierte Weiterqualifizierung und Mitgestaltung von Arbeitsbedingungen) im Blick hat?2 Es wird sich zeigen, dass diese Fragen in der Vergangenheit durchaus unterschiedlich beantwortet worden sind und eine einfache und eindeutige Antwort auch heute schwierig ist.

2. Die sozialwissenschaftliche Debatte über Ursachen, Triebkräfte und Trends der Qualifikationsentwicklung: Ansätze und theoretische Perspektiven Mehr als 30 Jahre sozialwissenschaftlicher Qualifikationsdebatte3 liegen hinter uns. Die Heftigkeit der Kontroversen dieser als interdisziplinäres Projekt ablaufenden Debatte erklärt sich vor allem aus dem Gegenstand und seiner politischen Bedeutung. Begreift man die Qualifikationsstruktur als die in sich differenzierte, vertikal geschichtete Gesamtheit aller arbeitsbezogenen individuellen Handlungsvermögen, welche der Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung der materiellen gesellschaftlichen Reproduktionsprozesse dienen, dann wird schnell deutlich, dass es bei diesem Gegenstand um mehr geht als um vorausschauende Personalentwicklung der Unternehmen oder um Steuerungsinformationen zur Abstimmung von Bildungswesen und Beschäftigungssystem. Analysen und Interpretationen von Qualifikationsentwicklung enthalten wegen des engen Zusammenhangs, der zwischen dem Bereich der Arbeit und der Gesellschaftsstruktur besteht, letztlich mit ihren Aussagen zur Zukunft der Arbeit auch Hinweise auf die Berufsstruktur und die wesentlich von ihr her bestimmte Sozialstruktur der Gesellschaft. So bleibt diese Debatte bis heute von vielfältigen und gewichtigen Legitimationsinteressen befrachtet: Ob die ökonomische und technische Entwicklung zur Vernichtung von Qualifikationen oder zu deren Ausweitung und Verbesserung führt, daran scheint nicht unwesentlich die Akzeptanz des technischen Fortschritts und des ihn steuernden Wirtschaftssystems zu hängen. Ob bis dato relativ exklusive Qualifikationen eine größere Verbreitung erfahren oder Seltenheitswert be1 Wie dieses als „Konzept beruflicher Handlungskompetenz“ im Zusammenhang der Neuordnung der industriellen Ausbildungsberufe als allgemeines Ausbildungsziel formuliert ist. 2 Vgl. dazu Voß/Pongratz (1998) und die sich daran anschließende Debatte in der Arbeits– und Industriesoziologie. 3 Zur Geschichte der Qualifikationsdebatte und zu zentralen bildungsökonomischen, beschäftigungstheoretischen und industriesoziologischen Positionen vgl. Baethge u. a. (1974), Baethge/Oberbeck (1984), Baethge/ Teichler (1984), Edding (1984), Beck (1980), Lutz (1979), Roth/Friedrich (1975) sowie Scherer (1969).

Zur Entwicklung von Qualifikationsstruktur und Qualifikationsprofilen

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halten, scheint für den Marktwert und in der Regel auch für den gesellschaftlichen Status des Inhabers solcher Qualifikationen von ausschlaggebender Bedeutung zu sein. Bis in die 70er Jahre hinein blieb die Diskussion über die Entwicklung der Qualifikationsstruktur mehr von theoretischen Annahmen über Gesetzmäßigkeiten ökonomischtechnischer Entwicklung bestimmt, als dass sie sich auf empirische Forschung, die diese Annahmen geprüft hätte, stützen konnte. Auch wenn diese Positionen nicht umstandslos Einzeldisziplinen oder theoretischen Schulen zuzuordnen waren, blieben gleichwohl in der Vergangenheit Affinitäten unverkennbar: Neoklassische Ökonomen beispielsweise neigten eher der These der Höherqualifizierung zu,4 da – stark vereinfacht – für sie die Arbeitsteilung sich entlang stärkerer Spezialisierung und höherer Effizienz vollzieht, der technische Wandel die Produktivität steigere, Kosten vermindere und Märkte ausdehne, was eine größere Breite in den Qualifikationsanforderungen und eine höhere Durchschnittsqualifikation infolge gestiegener Anforderungen an berufliche und geographische Mobilität zur Folge hätte. Frühe Humankapitaltheoretiker leiteten die Tendenz zur Höherqualifizierung aus der positiven Korrelation zwischen Bildungsinvestitionen und individuellen Einkommenszuwächsen bzw. wirtschaftlichen Wachstumsraten her.5 Umgekehrt neigte etwa ein Großteil der auf Marx rekurrierenden politischen Ökonomen eher der These zu, dass langfristig eine Absenkung der Durchschnittsqualifikation zu erwarten sei („Dequalifizierungsthese“). Auf der einen Seite wurde diese These aus der werttheoretischen Bestimmung von Bildungsausgaben als unproduktiven Kosten begründet, die einen permanenten Zwang zur Beschränkung der Bildungskosten nach sich zögen, der sich über die bereits von Marx konstatierte generelle Tendenz zur Reduktion von komplizierter auf einfache Arbeit in betriebliche Arbeitsorganisation und in Qualifikationsanforderungen umsetze.6 Auf der anderen Seite steht in dieser Theorie-Tradition neben dem werttheoretischen das herrschaftssoziologische Argument, nach dem die Verfügungsgewalt des Kapitals am besten über eine entqualifizierende Reduzierung des menschlichen Arbeitsvermögens auf die Verrichtung einfacher Handlungssequenzen und einer konsequenten Trennung von anweisender und ausführender sowie geistiger und manueller Arbeit, sicherzustellen sei.7 Entsprechend der politischen und sozialen Bedeutung des Gegenstands, den unterschiedlichen theoretischen Ausgangspositionen und einer sukzessiven empirischen Klärung ist nicht zu erwarten, dass es zu einer einheitlichen d. h. von allen an der Diskussion Beteiligten getragenen Deutung von Ursachen, Triebkräften und Trends der Entwicklung der Qualifikationsstruktur kommt. Jedoch kann die empirische Forschung zur Differenzierung und Klärung der Problemstellungen und zur Präzisierung von Hypothesen über Zusammenhänge der Qualifikationsstruktur mit ökonomisch-technischen und sozialen Trends beitragen; dieser Klärungsprozess wird im Weiteren nachgezeichnet.

4 Dies hat Spenner (1987) an der amerikanischen Diskussion demonstriert. 5 Vgl. hierzu Becker (1964), Hüfner (1970), Edding/Hüfner (1975). 6 Vergleiche hierzu vor allem die relativ frühen Beiträge in Altvater/Huisken (1971) sowie Tohidipur (1974), auch Braverman (1974). 7 Der Taylorismus, der diese Maximen betrieblicher Rationalisierung aufweist, galt dementsprechend als nahtlose, praktische Umsetzung von Verwertungs- und Herrschaftsinteressen in konkrete Produktionsorganisation. Vgl. hierzu Braverman (1974), Bowles/Gintis (1978), Roth/Kanzow (1970).

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2.1. Die frühe Qualifikationsdebatte (60er Jahre) Ohne expliziten Bezug auf werttheoretische und herrschaftssoziologische Begründungen bezog schon die auf empirische Forschung gestützte Bildungs-, Arbeits- und Industriesoziologie der frühen 60er Jahre in der Frage der Triebkräfte wie auch der Entwicklungsrichtung der Qualifikationsstruktur eindeutige Position: Nach den Studien von Lutz und Willener verschwanden im industriellen Rationalisierungsprozess sukzessive die Facharbeitertätigkeiten aus der Produktion. In der Produktion durch qualifiziert Angelernte ersetzt, blieben Facharbeiter auf Tätigkeiten in den komplementär zur Mechanisierung, aber nicht im gleichen Masse wachsenden indirekten Bereichen (Instandhaltung, Betriebsmittelbau, Entwicklung) verwiesen bzw. auf rationalisierungsresistente Bereiche der Einzel- und Kleinserienfertigung. In dieser Prognose wurden Rationalisierung und fortschreitende Technisierung als einheitlicher und gleichlaufender Prozess gedacht, die forcierte betriebliche Arbeitsteilung als Ausdruck einer der technisch-ökonomischen Entwicklung inhärenten Zwangsläufigkeit begriffen (Lutz/Willener 1960; Lutz u. a. 1964). Wenn in der Folgezeit die prognostizierte Entwicklung der Qualifikationsstruktur dezidiert mit werttheoretischen Argumenten untermauert wurde, so änderte dies weder etwas an der Sicht der Triebkräfte, noch etwas am Prognoseresultat: Ökonomie und fortschreitende Technisierung sowie Forcierung der Arbeitsteilung und Dequalifizierung – dies waren die theoretisch wie empirisch entschlüsselten Vermittlungsschritte zwischen Ursachen, Triebkräften und Trends der Entwicklung der Qualifikationsstruktur in der Studie „Industriearbeit und Arbeiterbewusstsein“ (Kern/Schumann 1970). Dass dem Prozess forcierter Technisierung und Arbeitsteilung ein historisch bestimmtes (und somit veränderbares) Prinzip der Verwertung (Massenproduktion) und der Produktionsorganisation (Taylorismus) unterlegt sein könnte, trat dabei in den Hintergrund. Die aus dieser Empirie abgeleitete Perspektive zur Entwicklung der Qualifikationsstruktur radikalisierte die Dequalifizierungsthese im Sinne einer ausgreifenden „Polarisierung“: Stark wachsenden Anteilen von „Angelerntenarbeit“ in der Produktion stand ein nur geringer Anstieg qualifizierter Arbeit in den indirekten Bereichen gegenüber (Kern/Schumann 1970). Bis in die 70er Jahre hinein galt die Qualifikationsstruktur innerhalb einer allgemeinen Theorie zur ökonomischtechnischen Entwicklung in kapitalistischen Gesellschaften weitgehend als quasi „naturgesetzliches“ Resultat der durch die jeweilige Stufe der Technisierung bzw. Mechanisierung bestimmten Organisationsformen der direkten Produktionsarbeit und der Arbeitsteilung zwischen direkten und indirekten Funktionen. Man hat diesem Analyseansatz häufig eine zu starke Technikfixierung vorgeworfen (Gottschalch 1978; Malsch/Seltz 1987). Den Hintergrund für diese Art „Technikdeterminismus“ bildet die intensive politische und wissenschaftliche Diskussion über die Automation in den 60er Jahren (vgl. Blauner 1964; Mallet 1972; Friedrichs 1965). Diese bezog sich damals fast ausschließlich auf die Produktionsarbeit, auf die hin die ganze Qualifikationsdebatte geführt und von der her eine Generalisierung des Taylorismus als grundsätzliches Organisationskonzept der Arbeit im Kapitalismus und dementsprechend der „Dequalifizierungsthese“ auf andere Bereiche vorgenommen wurde.8 8 Vgl. Braverman (1974). Die durch ihn entfachte Debatte über den „Taylorismus“ als grundsätzliches Rationalisierungsprinzip kapitalistischer Verwertung ist sicherlich in Deutschland noch nicht zur Gänze ausgestanden. Ihre Rezeption im Kontext der Anwendung der neuen IuK-Technologien hat dazu geführt, auf diese den Taylorismus – nunmehr angewandt auf geistige Arbeit – als kritisches Interpretationsmuster zu beziehen. Vgl. Brandt u. a. (1978), Briefs (1984), Volpert (1984).

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2.2. Der Wandel in den 80er Jahren Das tayloristische Interpretationsschema der Qualifikationsentwicklung wurde mit dem fortschreitendem Strukturwandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft zunehmend fragwürdig. Ökonomische Veränderungen in weiten Bereichen des Produktionsund Dienstleistungssektors, neuartige technisch-organisatorische Lösungen der Rationalisierungsproblematik und ein Wandel in der Nutzung von Arbeitskraft stellten das Modell der „tayloristisch organisierten Massenproduktion“ als kohärentes industriesoziologisches Erklärungsmuster für die weitere ökonomisch-technische Entwicklung wie auch für die der Qualifikationsstruktur in Frage. Dies wurde in neuen Formen der industriellen Produktion (vgl. Kern/Schumann 1984) sichtbar und galt noch mehr für die Dienstleistungsbereiche. Zum einen hatte der Taylorismus in den Dienstleistungsfeldern als Arbeitsorganisationskonzept nicht die Durchschlagskraft entfalten können wie in großen Teilen der industriellen (Massen)Produktion; viele Dienstleistungstätigkeiten lassen sich nicht so weit fragmentieren wie Produktionsarbeit, obwohl es immer wieder versucht wurde – und versucht wird. Zum anderen veränderte sich nicht zuletzt aufgrund der Besonderheiten von Dienstleistungsorganisation und der Verfügbarkeit über neue elektronische Informations- und Kommunikationstechnik das Verständnis und Konzept von Rationalisierung in den Betrieben: weg von punktueller (zumeist technischer) Rationalisierung hin zu komplexen „systemischen“ Rationalisierungsprozessen, über die überhaupt erst das organisatorische Optimierungspotenzial der neuen Technologien angemessen genutzt werden konnte (vgl. Baethge/Oberbeck 1986), und zwar sowohl im Dienstleistungssektor als auch in der Industrie. Ob man veränderte ökonomische Voraussetzungen als „Zerfall der tayloristischen Syndromatik“ (Bechtle/Lutz 1989) etikettierte oder aber den spürbaren Wandel in Rationalisierungskonzepten und -praxen in die Formel „Neue Produktionskonzepte“ (Kern/Schumann 1984) bzw. – für den Dienstleistungsbereich – „Systemische Rationalisierung“ (Baethge/Oberbeck 1986) goss: Die industriesoziologische Betrachtung stellte fortan zunehmend – trotz fortschreitender Technisierung und bei aller Starrheit und bürokratischen Verkrustung betrieblicher Arbeitsteilungsstrukturen – in Rechnung, dass Ökonomie, Technik, Organisation und Arbeit in einem komplexen Wechselverhältnis stehen: Weder ist die Frage, was die eigentlichen Ursachen und Triebkräfte, noch die, was die Resultate sind, im Sinne eines eindeutigen Ableitungsverhältnisses beantwortbar. Selbst wo der Primat der Ökonomie nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird, gewinnt zunehmend die Einsicht an Gewicht, dass betriebliche Rationalisierung – Technikeinsatz und Arbeitsorganisation gleichermaßen – als Ausdruck (arbeits)politischer Gestaltungsabsichten wie Aushandlungsprozesse begriffen werden müssen, in denen das Angebot qualifizierter Arbeitskraft wie auch Beschäftigteninteressen an Qualifikationsentfaltung selbst zu Orientierungsgrößen für weitere ökonomische Strategien und Rationalisierungskonzepte werden.9 Als Konsequenz dieser Auflösung einer bislang eher linear gedachten Kette von Ursachen, Triebkräften und Resultaten sind einfache Voraussagen zur Entwicklung der Qualifikationsstruktur nicht mehr möglich. Es bedarf verstärkt rekursiver Formen der Interpre9 Prononciert haben Kern (1989) und Wittke (1989) dies als Bestandteil eines veränderten „Produktionsmodells“, welches Abstand nimmt von der Massenproduktion und Abschied vom „tayloristischem“ Rationalisierungsparadigma, herausgearbeitet. Positiv wird damit die schon früher von Lutz (1979) defensiv formulierte Position, nach der verfügbare Arbeitskraftpotentiale Arbeitsteilung und Technikanwendung prägen und limitieren, bestätigt.

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tation (vgl. Baethge/Oberbeck 1986, S. 405ff.). Den hier im weiteren vorgestellten Interpretationen der Qualifikationsentwicklung liegen unter anderem drei groß angelegte, Mitte der 80er bzw. Anfang der 90er Jahre durchgeführte empirische Studien des SOFI in der Industrie10 und im Dienstleistungssektor11 sowie weitere Folgeprojekte12, in denen wir die Ergebnisse der Großstudien überprüft haben, zugrunde. Nach diesen Studien interpretieren wir die heute mithilfe der neuen Technologien, vor allem der Computertechnologie, durchgeführten Rationalisierungsprozesse als Tendenz zu einem Paradigmenwechsel in der Arbeitsorganisation für zentrale Felder der Arbeit. Zunächst fassten Kern und Schumann (1984) mit Blick auf eine zunehmende Globalisierung des Wettbewerbs unter Gesichtspunkten von Kosten und Qualität, später Schumann u. a. (1994) wegen der zusätzlich wachsenden Bedeutung beschleunigter Innovationsprozesse in der Formel „Neue Produktionskonzepte“ die veränderte Rationalisierungsperspektive im Produktionsbereich zusammen: Die Management-Konzepte suchen Produktivitätssteigerung nicht mehr in der technischen Autonomisierung des Produktionsprozesses und der restriktiven Gestaltung der Arbeitsorganisation. In den Vordergrund rückt vielmehr ein dezidiert veränderter Blick auf Arbeitskraft, sowohl in automatisierten, als auch in nicht-technisierten Bereichen. Dieses Konzept erkennt Qualifikation und fachliche Souveränität auch der Arbeiter als entscheidende Produktivkraft an, die es zu fördern, zu nutzen und gezielt zu stärken gilt (vgl. Kern/Schumann 1984, S. 320ff.). Im Endeffekt zielt es auf eine ganzheitlich-integrative Betrachtung und Entwicklung von Technik und Organisation. Bei aller noch bestehenden Ungleichzeitigkeit in dem skizzierten Umbruch von Rationalisierungskonzepten gibt es zumindest für die hier betrachteten Branchen Belege, dass die ganzheitliche Nutzung menschlicher Arbeitskraft bis heute praktiziert wird und im Anwendungszusammenhang rechnergestützter Technologien Facharbeit konturiert (Schumann u. a. 1994). Auch im Dienstleistungssektor verknüpft sich ein verschärfter nationaler und internationaler Konkurrenzkampf um die Aufteilung bestehender und die Erschließung neuer Märkte seit der zweiten Hälfte der 70er Jahre mit einem neuem Stadium der Rationalisierung. Lag in den 60er und 70er Jahren das Schwergewicht der Büro-Rationalisierung auf „punktueller Rationalisierung“13, so verbindet sich die Computertechnologie seitdem mit einem Rationalisierungszugriff auf die zentralen kaufmännischen und verwaltenden Fachabteilungen, wie er lange Zeit nicht vorstellbar war. Indem sie die schnellere Verfügbarkeit, Verarbeitung und Kommunizierung von Informationen, die datentechnische Vernetzung unterschiedlicher betrieblicher und überbetrieblicher Funktionsprozesse sicherstellt, lässt sie höhere Transparenz über Märkte und interne Abläufe gewinnen und eine verbes10 In der Industrie waren die Chemische Industrie, der Werkzeugmaschinenbau und die Autmobilindustrie einbezogen. Vgl. Kern/Schumann (1984), Schumann u. a. (1994). 11 Die Dienstleistungsstudie erstreckte sich auf Banken/Sparkassen, Versicherungen, Groß- und Einzelhandel, Industrieverwaltungen und Kommunalverwaltungen. Vgl. Baethge/Oberbeck (1986). 12 Im Bereich der Industrie waren dies Projekte in der Elektro- und Halbleiterindustrie und zu Facharbeitereinsatz und –ausbildung (vgl. Wittke 1996; Baethge/Baethge-Kinsky 1998), im Bereich der Dienstleistungen Studien in den Finanzdienstleistungen und im Einzelhandel (vgl. Baethge/Oberbeck 1992; D’Alessio/Oberbeck 1998; Baethge/D’Alessio/Oberbeck 1999). 13 Dies bedeutete im Wesentlichen die Effektivierung ökonomisch und organisatorisch vorab definierter Dienstleistungen und Dienstleistungsprozesse etwa durch die Technisierung bislang manuell ausgeführter, einzelner Funktionen wie die der Textverarbeitung, der Kontenführung und Buchhaltung. In den entsprechden Bereichen entstand fragmentierte, wenig qualifizierte und oft hoch belastende Büroarbeit; der lange Zeit in diesen Dienstleistungssektoren moderate Taylorismus schien sich breit durchzusetzen (vgl. Bravermans [1974] Interpretation dieses Prozesses).

Zur Entwicklung von Qualifikationsstruktur und Qualifikationsprofilen

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serte strategische Steuerung gewährleisten. Diesen Typ von Rationalisierungszugriff, der die Zukunft der Dienstleistungsbereiche bestimmen wird und den wir „systemische Rationalisierung“14 genannt haben, zielt auf Systemoptimierung durch Erhöhung von externer (Markt-) und interner (Ablauf- )Transparenz im Rahmen reversibler Geschäftspolitiken, elastischer Gestaltbarkeit und flexibler Nutzung der Technologie und des verfügbaren Arbeitskräftepotentials, stellt nicht mehr in erster Linie auf Effizienzsteigerung am Arbeitsplatz ab. Nur soweit diese sich mit den Zielen der Systemoptimierung verträgt, ist sie interessant. Die Besonderheit der Computertechnologie als in ihrer Auslegung tendenziell reversible Organisationstechnik lässt im Rahmen veränderter „Systembetrachtung“ (Geschäftspolitik, Arbeitskraftpotential, Arbeitsorganisation) zwar auch weiterhin Technikoptionen zu, die nicht auf die ganzheitliche Nutzung qualifizierter Arbeitskraft abzielen. Doch wird den Dienstleistungsunternehmen die möglichst fugenlose Ausleuchtung der Kundenbedürfnisse und eine Politik der Verbesserung der Dienstleistungsqualität durch bessere Beratung, bedürfnisgerechtere Angebote und unkompliziertere Abwicklung von Vorgängen als Erfolgsrezept im Konkurrenzkampf nahegelegt. Dies begünstigt Technikkonzepte, die der Unterstützung qualifizierter Kundenbetreuung und -beratung dienen (Baethge/Oberbeck 1986).

2.3. Die weitere Entwicklung: von einer fordistischen zu einer postfordistischen Arbeitsorganisation und Qualifikationsstruktur Seit Anfang der 90er Jahre kommt es weniger zu grundlegend neuen Entwicklungen in der Organisation betrieblicher Arbeit als zur Ausdifferenzierung und Modifizierung der in den 80er Jahren bereits beobachtbaren Arbeitsformen, die nicht selten auch mit einer Rücknahme des erreichten Stands von Komplexität und Integration von Aufgabenzuschnitten und mit Ansätzen der Retaylorisierung von Arbeitsorganisation verbunden war (vgl. Kern/ Schumann 1996). Ob der in den 80er Jahren behauptete Paradigmenwechsel tatsächlich die Tiefe und Breite der Durchsetzung neuer Formen der Arbeitsorganisation erreicht hatte, welche die Kategorie „Paradigmenwechsel“ nahe legt, wurde wieder fragwürdig. Die großen Verheißungen der Wissensgesellschafts-Rhetorik, dass die künftige Qualifikationsstruktur von einem neuen Typ von Wissensarbeiter bestimmt sein würde, wurde von der Realität der Arbeitsverhältnisse in weiten Teilen von ausführender Produktions- und Dienstleistungsarbeit nicht bestätigt. Es herrscht aktuell Unschlüssigkeit darüber, wohin sich die Qualifikationsstruktur entwickeln wird. Vielfalt und Widersprüchlichkeit der empirischen Befunde sind kaum empirisch aufzulösen. Dazu bedarf es eines theoretischen Rahmens, der die Heterogenität empirischer Befunde in einer Entwicklungsperspektive interpretierbar macht. In der Arbeit an einem solchen theoretischen Rahmen lag der Fortschritt der industriesoziologischen Debatten der 90er Jahre (vgl. Deutschmann 2002). Wir gehen zunächst auf einige empirische Sachverhalte, dann auf den theoretischen Rahmen ein. Unsere jüngeren Untersuchungen in Industrie und Dienstleistungen (Baethge/BaethgeKinsky/Kupka 1999; Baethge/Wilkens 2001) zeigen zweierlei: Zum einen geht dieser Entwicklungsprozess organisations- und geschäftspolitischer Strategien in den Unternehmen sehr viel langsamer vonstatten als ursprünglich angenommen. Zum anderen verbindet er 14 Vgl. zum Begriff der systemischen Rationalisierung Baethge/Oberbeck (1986, S. 20ff.).

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sich mit Strategien einer prozessorientierten Reorganisation der Unternehmen, durch die bürokratische Prozeduren und hierarchische Positionen abgebaut und aufgelöst, die betrieblich erbrachten Leistungen auf den ökonomischen Prüfstand gestellt, Kompetenzfelder neu geordnet, neue Kooperationslinien entwickelt und intensiviert werden und die bestehenden organisatorischen und personellen Zweck-Mittel-Relationen überprüft sowie flexibel und kostenbewusst neu austariert werden (Baethge/Baethge-Kinsky 1998, 2003). Wesentliche Merkmale dieser prozessorientierten Reorganisation sind flexibles Out- und Insourcing, Dezentralisierung, Aufgabenintegration und querfunktionale Kooperation, die sich ansatzweise in einer Reihe von Unternehmen vollziehen. Zugleich aber sind überall ein verstärktes Kostenbewusstsein und verfeinerte Controllingstrategien zu beobachten, die als kritische Sonde auch gegenüber neuen Arbeitsorganisationsformen fungieren. Auch die Einführung von Gruppenarbeit, der in den 90er Jahren sowohl in den Betrieben als auch in der Arbeitssoziologie erhebliche Aufmerksamkeit als ein arbeitspolitischer Ansatz gezollt wurde, mit dem sich hohe Erwartungen auf mehr Selbstständigkeit, Vielfalt in den Arbeitsverrichtungen (Empowerment) und Qualifikation verbunden haben (vgl. Kuhlmann u. a. 2004), erfüllt die hochgesteckten Hoffnungen allenfalls in Ansätzen. Das inhaltliche Spektrum für selbstorganisierte Aufgaben bleibt selbst bei avancierten Gruppenarbeitsformen begrenzt (Gerst 2004). Bei wissensintensiven Branchen wie z. B. der Chemischen Industrie dominieren in der ausführenden Arbeit Gruppenarbeitsformen, die nur geringe individuelle Entfaltungschancen bieten (Briken 2004). Die partielle Gegenläufigkeit der empirischen Evidenzen aus den letzten beiden Jahrzehnten zu betrieblicher Arbeitsorganisation und Qualifikationsstruktur lässt sich empirisch nicht befriedigend aufklären – beispielsweise als eine immer wirksame Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, wie sie uns etwa aus dem Übergang von handwerklicher zu industrieller Produktion geläufig ist. Zum einen sind Gleichzeitigkeiten von Ungleichzeitigem selbst weiter daraufhin erklärungsbedürftig, wieso sie möglich sind und welche Bedeutung sie für zukünftige Entwicklungen haben. Zum anderen haben wir es hier nicht mit strukturell unterschiedlichen Arbeitsformen wie beim Übergang von Handwerk zu Industrie zu tun. Die Gegenläufigkeiten liegen nicht – wie man annehmen könnte – zwischen Produktions- und Dienstleistungssektor, sondern sind in den jeweiligen Sektoren zu beobachten. Erklärbar werden sie, wenn man sie in einem weiteren zeitlichen Rahmen als dem Betrachtungszeitraum einer empirischen Untersuchung interpretiert und als Ausdruck einer offenen Entwicklung begreift, in der bei aller Offenheit und Kontingenz in arbeitsorganisatorischen und -politischen Entscheidungen im Einzelnen gleichwohl neue und zukunftsweisende Arbeitsformen entstehen, die etwas mit veränderten Umweltbedingungen für ökonomisches Handeln zu tun haben. In den arbeitssoziologischen Debatten des letzten Jahrzehnts ist mit der These des Wandels kapitalistischer Wirtschaft vom Fordismus zum Postfordismus ein solcher Rahmen erörtert worden (vgl. Aglietta 2000; Boyer/Suillard 2002). An ihm wollen wir uns orientieren, wobei im Gedächtnis zu behalten ist, dass er eine Heuristik für die Deutung von Entwicklungen abgibt, die ihrerseits immer wieder zu prüfen ist. Die Kategorie Fordismus steht als Epochebezeichnung für jene lange Phase industrieller Wohlstandsproduktion, die sich in den meisten frühindustrialisierten Ländern des Westens in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg beobachten lässt und die – verkürzt gesprochen – auf der Verbindung von Massenproduktion und Massenkonsum beruhte, hohe Produktivitäts- und Einkommenszuwächse für die breite Masse mit sich brachte und eine

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spezifische Form der Betriebs- und Arbeitsorganisation auf Basis tayloristischer Prinzipien etablierte und stabilisierte. Als Postfordismus wird die – etwa seit den 80er Jahren datierbare – Zeit bezeichnet, in der die das fordistische Regulationsmuster tragenden Marktund Gesellschaftskonstellationen sich aufzulösen begannen und nach neuen Formen der Organisation des Zusammenhangs von Arbeit, Ökonomie und gesellschaftlicher Integration gesucht werden musste, ohne dass sich heute bereits der Postfordismus als ein eigenständiges System dieses Zusammenhangs von ähnlicher Konsistenz, wie sie für den Fordismus galt, definieren ließe (vgl. Baethge/Bartelheimer 2004). Übersicht 1 zeigt gleichsam idealtypisch die beiden Modelle von Betriebs- und Arbeitsorganisation auf dem Hintergrund veränderter Marktkonstellationen. Übersicht 1: Wandel von fordistischer zu postfordistischer Betriebs- und Arbeitsorganisation OrganisationsDimension Markt

Regulationsform fordistisch/tayloristisch

• relativ stabile Produktmärkte

• relativ bewegliche (volatile) Produktund Dienstleistungsmärkte

• langsames Innovationstempo

• hohe und beschleunigte Innovationsdynamik

Unternehmens-/ • Einzelnes (Groß)Unternehmen mit stabilem, vertikal hochintegriertem BetriebsLeistungsprofil organisation

Arbeitsorganisation

Kooperation

post-fordistisch/-tayloristisch

• Massenkonsum (standardisierte Mas- • Diversifizierte und stärker individualisenprodukte) sierte (Qualitäts-)Produkte/ Dienstleistungen

• Konzentration auf Kernkompetenzen – in verteilten Produktionsverbünden bzw. Netzwerken

• Zentralisierte Entscheidungs- und Steuerungsstruktur

• Dezentralisierte Verantwortlichkeiten (im Rahmen zentralisierter Zielvorgaben)

• Funktionsdifferenzierung strikt departmentalisiert (Fachabteilungsprinzip)

• Multi-funktionale Unternehmenseinheiten mit Eigenverantwortlichkeit

• hochgradige, starre Arbeitsteilung

• flexibl spezialisierte Funktionsintegration

• funktions-/berufsorientierte Aufgabendifferenzierung

• Kunden- resp. prozessorientierte Aufgabendifferenzierung

• vertikal, nach formalisierten Kompe- • querfunktionale Kooperation tenzen (Prinzip Dienstweg) (ggf. über Ebenen hinweg)

3. Neue Qualifikationsprofile von Facharbeiterund Fachangestelltentätigkeiten Bis zu diesem Punkt haben wir uns mit den Annahmen der Qualifikationsforschung zum Zusammenhang von Ökonomie, Technik und Arbeitsorganisation mit der Qualifikationsstruktur unter dem Aspekt auseinandergesetzt, ob die Richtung der Entwicklung eher auf eine Anhebung oder Absenkung der Qualifikation hinauslaufe. Mit diesem Richtungsbe-

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zug sind noch keine Aussagen darüber gewonnen, wie sich die Anforderungsprofile der Fachkräfte inhaltlich entwickeln und auf welche Facharbeiter- und Angestelltenprofile Berufsausbildung in Zukunft vorbereiten soll. Unter bildungspolitischen und berufspädagogischen Fragen ist diese zweite Perspektive aber von höherer Bedeutung als die Strukturperspektive. Fragt man nicht nach der Entwicklung der Qualifikationsstruktur, sondern fokussiert auf den inhaltlichen Wandel fachlich qualifizierter Tätigkeiten, die in der Regel eine Ausbildung im dualen Berufsbildungssystem voraussetzen, so ist der Blick auf die Ergebnisse der bildungs-, arbeits- und industriesoziologischen Forschung besonders ertragreich: Speziell die arbeits- und industriesoziologische Forschung begreift den Wandel von Qualifikationsstrukturen als Veränderung von Anforderungsprofilen und Berufszuschnitten, die durch betrieblichen Personaleinsatz und durch Arbeitsorganisation hervorgebracht werden. Sie folgt damit einem anderen analytischen Konzept als jene arbeitsmarktökonomischen Qualifikationsanalysen, die ihre Veränderungsaussagen und Projektionen für Qualifikationsbedarf an berufs- und beschäftigungsstatistische Kategorien und Merkmale binden, mit denen die einzelnen Beschäftigten klassifiziert werden – wie Beruf, Ausbildungsstand u. a.15 Deren Schwäche liegt darin, dass sie wenig über interne inhaltliche Wandlungsprozesse aussagen können, die einzelne Berufskategorien im Zeitverlauf erfahren, welche für Bildungs- und Weiterbildungsplanung und den Aufbau von Curricula aber entscheidend sind. Facharbeiter ist und bleibt in ihnen Facharbeiter, Fachangestellter ist und bleibt Fachangestellter, unabhängig vom Arbeitseinsatz und dem Zuschnitt des Qualifikationsprofils. Hier setzt die arbeitssoziologische Qualifikationsanalyse mit der Untersuchung ein, wie sich Anforderungsprofile von unterschiedlichen Arbeiter- und Angestelltenkategorien verändern. Zwar ist von Anforderungsanalysen her nicht eindeutig auf den Bedarf an qualitativem Arbeitskräftepotential zu schließen, da es zur Befriedigung von Anforderungen fast immer personelle Alternativen gibt und der Zusammenhang zwischen Anforderungs- und Kompetenzprofil eine gewisse Dehnbarkeit aufweist, sie ermöglichen aber Hinweise auf den Bedarf.

3.1. Qualifikationsanforderungen im Wandel von fordistisch-tayloristischer zu postfordistischer/-tayloristischer Betriebs- und Arbeitsorganisation Der Wandel von einer fordistischen zu einer postfordistischen Betriebs- und Arbeitsorganisation zieht weitreichende Veränderungen in den alltäglichen beruflichen Handlungskonstellationen von Fachkräften nach sich. Wir haben die in Übersicht 1 aufgeführten Merkmale in der Weise gebündelt, dass die fordistische Arbeitsorganisation „funktionsund berufsorientiert“, die postfordistische hingegen „prozessorientiert“ ausgelegt ist (vgl. Baethge/Baethge-Kinsky 1998). Der Unterschied zwischen den beiden Organisationsprinzipien liegt darin, dass im ersten Fall der Aufgabenzuschnitt eine enge und relativ dauerhafte Zuordnung beruflicher Qualifikationen zu bestimmten Funktionen vorsieht, im 15 Vgl. als Beispiel dieser Analyse- und Prognosetradition Rothkirch/Weidig (1986). Zwar gibt es auch ernst zu nehmende Versuche, Charakteristika betrieblicher Tätigkeit aufzunehmen, wie sie etwa über den Mikrozensus erfragt werden (vgl. Stooß/Troll 1988), doch auch hier bleibt die Aussagekraft über den qualitativen Wandel von Tätigkeiten begrenzt.

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zweiten Fall die erfolgreiche und zügige Bewältigung eines komplexen Prozesses, z. B. die Abwicklung eines Kundenauftrags oder die Entwicklung eines neuen Produkts, die Leitlinie für die Aufgabenaufteilung und Kooperationsformen abgibt. Dadurch werden die beruflichen Handlungskonstellationen stark dynamisiert und flexibel. Wo früher ein begrenztes Bündel konkreter Verrichtungen mit relativ hoher Kontinuität die Arbeitssituation einer Fachkraft prägte, löst sich bei prozessorientierter Arbeitsorganisation dieser enge Funktionsbezug wie auch die Kontinuität in breitere, offene und häufiger wechselnde Aufgabenstellungen auf, deren Bewältigung in der Regel mit vielfältigen Kooperationen und eigenständiger Organisationsfähigkeit für die Durchführung verknüpft ist. Dieser Wandel der Arbeitsorganisation ist als inhaltlicher räumliche und zeitliche Entgrenzung beruflicher Handlungskonstellationen beschrieben worden ( Baethge/Baethge-Kinsky 1998; Kratzer 2003). Es bedarf keiner langen Begründung dafür, dass sich mit einem solchen Wandel beruflicher Handlungskonstellationen auch grundlegende Veränderungen der Qualifikationsanforderungen und beruflichen Tätigkeitsprofile ergeben. In Übersicht 2 versuchen wir, den Wandel der Qualifikations- und Wissensvoraussetzungen im Übergang von einer „funktions- und berufsorientierten“ (fordistischen) zu einer „prozessorientierten“ (postfordistischen) Arbeitsorganisation in zentralen Dimensionen zu skizzieren. Die Gegenüberstellungen in Übersicht 2 markieren keinen strikten Bruch, sondern eher sehr weitreichende Gewichtsverschiebungen und Erweiterungen in den unterschiedlichen Dimensionen der Qualifikationsprofile von Fachkräften in einem sehr langen historischen Horizont (von den 60er Jahren bis in die Gegenwart hinein). Gleichwohl wird an ihnen einsichtig, wie grundlegend der Wandel im Qualifikationsprofil von Arbeitern und Angestellten16 in den letzten Jahrzehnten ist. In den 60er Jahren orientierte sich die Qualifikationsforschung gemäß den betrieblichen Prinzipien technokratisch-arbeitsteiliger Gestaltung der Produktionsorganisation an einem funktions- bzw. arbeitsplatzbezogenen Qualifikationsbegriff. Zugrunde lag ihm ein beruflicher Handlungsrahmen von hoher inhaltlicher Kontinuität, der seine Stabilität durch die Zuordnung von Fachqualifikationen zu bestimmten Funktionen im Produktionsprozess gewann. Die qualifikatorische Basis waren im Wesentlichen erfahrungsgestützte Spezialistenqualifikationen. Die berufliche Mobilität und Flexibilität blieb begrenzt. Die Qualifikationsdebatte verband sich in dieser Zeit vor allem mit der Frage einer Entwertung der Facharbeiterqualifikation durch den „technischen Fortschritt“. Diese Entwertung schien sich in einem Qualifikationsprofil niederzuschlagen, in welchem handwerkliche durch technische Qualifikationen ersetzt wurden. Wurde qualifizierte direkte Arbeit (in automatisierten Produktionsprozessen) noch für möglich gehalten, dann schimmerte im Zuschnitt der Arbeit nirgendwo mehr die spezifischen, durch Grundlagenkenntnisse sowie Stoff- und Prozesserfahrung geprägten Qualifikationen des bis dato dominierenden handwerklichen Facharbeiters durch (Lutz/Willener 1960; Lutz u. a. 1964). Gleiches galt für indirekte Facharbeit: Des „Handwerkers“ große manuelle Geschicklichkeit, sein breites Wissen um Werkstoffe, deren Bearbeitungsverhalten und Eigenschaften schien ersetzt durch Spezialistenwissen um technisch-funktionale 16 Es bleiben selbstverständlich Differenzen zwischen Facharbeitern und Fachangestellten bestehen. Auf dem hier zugrunde liegenden Abstraktionsniveau der Darstellung überwiegt aber die Ähnlichkeit der Entwicklungstendenzen. Wenn die Darstellung insgesamt etwas „facharbeiterlastig“ erscheint, ist dies mit darauf zurückzuführen, dass insbesondere die frühe industriesoziologische Qualifikationsforschung am Facharbeiter orientiert war.

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Übersicht 2: Qualifikationsentwicklung im Übergang von einer funktions- und berufsorientierten zu einer prozessorientierten Arbeitsorganisation nach zentralen Dimensionen OrganisationsDimensionen

Organisationsform der Arbeit funktions- und berufsorientierte Organisation (fordistisch)

prozessorientierte Organisation (postfordistisch)

Definitionsbezug in festem beruflichem Rahmen mit hoher inhaltlicher Kontinuität

beruflicher Rahmen wird aufgelockert; Zunahme inhaltlicher Heterogenität

Wissensart/ Dominanz

implizites Wissen (auf Basis von Fachqualifikation)

explizites Wissen (mit neuem Typus impliziten Wissens)

Typus von Erfahrung

Kanon erprobter Handlungsvollzüge zusätzlich neue Erfahrungsdimensio(Basis: Technisches Material- und nen im sozialkommunikativen, OrganiVerfahrenswissen) sations- und Marktbereich (Basis: Kundenwünsche, wiederkehrende Probleme in Abläufen, Sichtweisen von Kollegen)

Fachliche Differenzierung

Konzentrierte fachlich-funktionale Kerne (Spezialistenqualifikation)

Bedeutung von Reflexions- und Wissensqualifikationen

Begrenzt (Aneignung theoretischer Ausgeprägt (AbstraktionsqualifikatioGrundlagen, Erwerb von Selbststän- nen, motivationale Qualifikationen, sozialkommunikative Fähigkeiten) digkeit in der Arbeitsdurchführung und von sozialer Sensibilität)

Berufliche Mobilität

tendenziell begrenzt Gestaltung relativ stabiler Arbeitsund Beschäftigungssituation Fundament: Berufswissen

Integration fachlicher Kerne in ein breites Spektrum technischer, kaufmännischer, sozialer und kultureller Qualifikationen

tendenziell hoch Umgang mit Unsicherheit in der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktsituation Fundament: Ständige Lernfähigkeit und Lernbereitschaft

Inhalte. Technisierung galt als Ausdruck der Verwissenschaftlichung des Produktionsprozesses, durch die die im unmittelbaren Umgang mit Material und Prozessen erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten minimiert und zugleich tendenziell entwertet werden. Wenn die Studie von Kern/Schumann (1970) mithilfe von Arbeitsplatzanalysen den empirischen Nachweis führte, dass auch bei Automationsarbeit stoffliche und prozessliche Qualifikationen im unmittelbaren Produktionsprozess erhalten bleiben, so war damit zwar die Befürchtung der vollständigen Entwertung widerlegt. Andererseits machte sie weder Hoffnung auf einen Automationsfacharbeiter noch auf einen neuen einheitlichen Facharbeitertypus, dessen Qualifikation noch etwas mit der Körperlichkeit und Sinnlichkeit des „Handwerkers“ zu tun hatte.17 Betrachtet wurden in der Forschung primär technisch bedingte Veränderungen inhaltlicher (fachlicher) Qualifikationsbestandteile (Fähigkeiten, Fertigkeiten). Auch die eingeführte Unterscheidung prozessgebundener und prozessunabhängiger Qualifikationen 17 Diese Ergebnisse mussten als vorweggenommene Absage an die Projektionen dienen, die in den in der ersten Hälfte der 70er Jahre in Deutschland publizierten Studien von Mallet (1972) und Touraine (1975) vorgenommen wurden und nach denen mit der Automation ein einheitlicher Typus, der stärker theoretisch unterfütterte „Arbeiter-Techniker“ zu erwarten war. Dieser wies jedoch nirgendwo die Körperlichkeit und Sinnlichkeit des Qualifikationserwerbs auf, die man hierzulande mit dem „Facharbeiter“ in Verbindung bringt.

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(Kern/Schumann 1970) löste sich nicht vollständig von dieser Perspektive, die die Qualifikation vor allem als Ausdruck betrieblicher Zurichtung des Arbeitsvermögens und als Resultante eines fortlaufenden Prozesses begriff. Die vorgenommene Unterscheidung diente zunächst einmal dem Verweis auf Komponenten, die bei einem durch Technisierung eingeleiteten Arbeitsplatzwechsel potentiell transferierbar wären.18 In den 80er Jahren veränderte sich das Bild in der Qualifikationsforschung. Kern und Schumann entdeckten als „Kronzeugen“ einer Rationalisierungspolitik, die auf das im Subjekt verankerte Arbeitsvermögen abstellte, in automatisierten Produktionsprozessen einen Arbeitstypus, der sich in Hinsicht auf das Tätigkeits- und Qualifikationsprofil deutlich von allen bisher bekannten abhob: Er leistete nicht mehr direkt produktbezogene „Herstellungsarbeit“, sondern indirekte, planende, steuernde und kontrollierende Arbeit der Systembetreuung, deren wichtigste Aufgabe darin bestand, die Funktionsfähigkeit und den kontinuierlichen Ablauf maschineller Systeme sicherzustellen und damit den Nutzungsgrad der Maschinen zu optimieren (Kern/Schumann 1984). Er kann als Facharbeiter neuer Prägung gelten, der in einer späteren Studie (Voskamp/ Wittke 1991) unter Bezug auf seinen Tätigkeitskern als „Problemlöser“ bezeichnet wurde und den man in unterschiedlichen Arbeitszusammenhängen findet: In der in-house-Produktion ebenso wie in der Außenmontage oder dem Kundendienst, er ist heute beim Werkzeugmaschinenbauer mit Einzelfertigung ebenso anzutreffen wie bei den Großserienherstellern und Massenproduzenten der Automobil-, Stahl- und Elektroindustrie (Baethge/Baethge-Kinsky 1998). Dieser Problemlöser bedarf einer beträchtlichen theoretischen Kompetenz, die sich nicht mehr allein durch learning by doing erwerben lässt, guter Produkt- und intimer Kenntnisse von technischen Prozessen, betrieblichen Abläufen und Kundenbedürfnissen, die aus dem alltäglichen Arbeitsumfeld (erfahrungsbasiert) entstehen. Je nach dem arbeitsorganisatorischen Konzept (Reichweite der Integration von indirekten technischen Funktionen der Qualitätssicherung, Instandhaltung und Programmierung und Kundenservice) ist damit das Bild einer industriellen Fachkraft gezeichnet, in deren Qualifikationsprofil neben einer teilweisen Verbreiterung der fachlichen Kenntnisse, der Verschränkung vor allem erhöhter theoretischer und analytischer Fähigkeiten mit einem gerütteten Maß an Erfahrungswissen, auch kommunikative Kompetenzen einen höheren Stellenwert bekommen (vgl. Übersicht 2). In Abgrenzung von bisherigen Arbeitsund Qualifikationstypen lässt sich das neue Qualifikationsprofil wie folgt beschreiben:

> Diese neue Produktionsfachkraft ist nicht – wie lange angenommen – der „Nur-Theoretiker“, also der Techniker oder Ingenieur. Vor allem Alltagserfahrungen, aber auch handwerkliches Geschick bleiben Voraussetzung für schnelles und sicheres Eingreifen. Als „Experte der Praxis“ vermittelt dieser Typus gleichsam zwischen Kundenwünschen, ingenieurswissenschaftlichem Entwurf und dem realen Verhalten komplexer Produktionsanlagen.19

18 Zu den prozessunabhängigen Qualifikationen wurden mit technischer Intelligenz, technischer Sensibilität und Perzeption (Fähigkeit der Wahrnehmung von Veränderungen in einem komplexen Signalsystem) zwar schon Qualifikationsbestandteile gezählt, die als erfahrungsbasiert und damit „subjekthaft“ gelten konnten. Sie galten aber als nicht-intendierte Resultate eines technikorientierten Rationalisierungszugriffs, ebenso wie „Flexibilität“ und „Verantwortung“ (Kern/Schumann 1970). 19 Vgl. Kern/Schumann (1984). Diese Besonderheit der Qualifikation, deren Erwerb und Anwendung sich eines sinnlich vermittelten Zugangs zum Produktionsprozess bedient, ist unter dem Begriff „subjektivierendes Arbeitshandeln“ in weiteren Studien (vgl. Böhle/Milkau 1988; Böhle/Rose 1992) belegt worden.

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> Die Unterschiede zum „traditionellen Handwerker“ – wie er als Facharbeiter auch in diesen Industrien noch existiert – sind beträchtlich. In die Funktions- und Ablauflogiken komplexer technischer und organisatorischer Systeme eingebunden, verliert sein Arbeitshandeln durch den manifesten „Reaktionszwang“ in gewissem Umfang an Autonomie. Dennoch verfügt er aufgrund der „Unschärfe“ seiner Arbeitsaufgaben über beträchtliche zeitliche und sachliche Dispositionsspielräume. Seine fachlichen Qualifikationen sind breiter, sein Qualifikationsniveau ist häufig höher einzuschätzen, da er sich nicht auf dem einmal erworbenen Wissen ausruhen kann, sondern zum permanenten Um- und Weiterlernen gezwungen ist.20 > Traditionelle Angelernte, die ohne formale Ausbildung, allein auf der Basis langjähriger Erfahrung mit dieser Position betraut werden, decken die theoretischen Produkt-, Prozess- und Anlagenkenntnisse, die die Kombination primärer und sekundärer Funktionen in fortgeschrittenen Organisationskonzepten erfordert, nicht mehr ab. Sind schon diese nicht mehr einfach im Arbeitsprozess selbst erwerbbar, so gilt dies noch mehr für die erforderlichen sozial-kommunikativen Kompetenzen: Die stetige Kooperation mit Technikern, Ingenieuren und Kunden erfordert die Fähigkeit zur Versprachlichung jener intuitiven Selbstgewissheiten, die dem Problemlöser aus dem Umgang mit Produkten, Verfahren und Anlagentechnik erwachsen und sein „Expertenwissen“ darstellen. Schaubild 1 veranschaulicht, wie man sich die Umgewichtung der einzelnen Qualifikationsdimensionen zwischen traditionellem und neuem Facharbeitertypus vorstellen kann. Schaubild 1: Anforderungsprofile im Vergleich: traditioneller Facharbeiter und neuer Facharbeiter („Problemlöser“) der prozessorientierten Arbeitsorganisation handwerkliches Geschick 5 4 technische Fachkenntnisse

berufliches Erfahrungswissen

3 2 1 0

Analyse- und Abstraktionsvermögen (Reflexionsqualifikationen)

betriebliches Erfahrungswissen (organisatorische Kenntnisse)

sozial-kommunikative Fähigkeiten

Problemlöser

20 Vgl. Baethge/Baethge-Kinsky (1998).

Verständnis für ökonomische und kulturelle Zusammenhänge

traditioneller Facharbeiter

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Auch im Dienstleistungsbereich finden sich heute Konzepte von Techniknutzung und Arbeitsorganisation, die auf die Entfaltung der von den Arbeitskräften im jeweiligen Dienstleistungsprozess erworbenen theoretischen und erfahrungsgesättigten Qualifikationen abstellen. Vor allem in den kunden- und marktnahen Bereichen der mittleren und großen Unternehmen des Dienstleistungsbereichs, dort, wo die Dienstleistung in erster Linie in der Beratung und Betreuung von Kunden besteht oder sich als Akquise von oder Verhandlung mit Kunden und Lieferanten äußert, wird über Technikunterstützung (Zugriff auf alle wesentlichen Marktinformationen) und Integration von Arbeitsprozessen bzw. -vollzügen kompetentes und schnelles marktnahes Agieren der Kundenberater und Sachbearbeiter sicherzustellen versucht21 und entstehen neue Handlungsstrukturen: Der Arbeitsprozess wird infolge der Computerisierung von Routineanteilen auf entscheidungs- und beratungsrelevante Aspekte verdichtet, die die inhaltliche Komplexität steigen lässt bzw. eine Konzentration auf fachlich anspruchsvolle Kerne der Sachbearbeiterfunktion bewirkt (Baethge/Oberbeck 1986; Beuschel 1987; Fricke/Schuchardt 1987; Baethge 2001). Weitere Seiten sind Veränderungen von Zeitorganisation und Kooperation/Kommunikation. Eine zentrale Wirkung des Computereinsatzes liegt – über die Verdichtung der Arbeitsprozesse vermittelt – in der Erhöhung des Tempos in der Bearbeitung komplexer Sachverhalte und im Treffen von Entscheidungen (Czech/Weiß 1985). Des Weiteren erfolgt eine Verdichtung systemvermittelter Kommunikation und Kooperation, die höhere Kompetenzen zu systemischen Denken erfordert. Schließlich führt die Veränderung des Arbeitsmittels nicht nur überall zu einer Erhöhung der Transparenz und Kontrolle des individuellen Arbeitshandelns; die computerisierte Informationsübermittlung und -verarbeitung verkürzt komplexe Sachverhalte auf Codes, deren schnelle Decodierung nicht per se den früher per Aktenlage umfassend vermittelten Informationskontext erzeugt. Vertrauen auf die dargebotene Informationsfülle und die Fähigkeiten des Computers lässt möglicherweise die Intensität nicht computerisierter Informationsbeschaffung und deren intellektueller Verarbeitung reduzieren (Baethge/Oberbeck 1986). Von stärkerer Relevanz für das Qualifikationsprofil der Angestellten als die IuK-Technologien (freilich nicht unabhängig von ihnen) erweisen sich die Anforderungen, die von der in den 90er Jahren konsequenter als früher durchgesetzten Kundenorientierung in vielen Dienstleistungsbereichen ausgehen. Die Gestaltung von kommunikativen Situationen, die den Kern vieler Dienstleistungen ausmacht, erfordert die Kombination unterschiedlich dimensionierter Qualifikationen, die nur begrenzt in organisierten Lernprozessen, zu einem erheblichen Teil aber als implizites Wissen in praktischer Erfahrung erworben werden: Neben Fachqualifikationen kommunikative Kompetenz und kommunikative Sensibilität (vgl. Baethge 2001, S. 85ff.).

> Um die Handlungsstruktur typischer personenbezogener und/oder beratungsintensiver Dienstleistungstätigkeiten zu bewältigen, bedarf es eines vielfältigen und hochdifferenzierten Qualifikationsprofils, das sich wie folgt präzisieren lässt: > Als fachliche Fähigkeit bildet das Vermögen zur schnellen Informationsverarbeitung und Daten-Selektion eine Basis-Qualifikation. Für das Herausfinden und die Bewertung vorgangs- bzw. situationsrelevanter Daten sind gute Fachkenntnisse ebenso uner21 Wir unterschlagen an dieser Stelle nicht nur die diesen Bereich indirekt tangierende Nutzungsform „Management- und Personalinformationssystem“ (auf der höheren Hierarchieebene). Auch die Nutzungsform der Automatisierung ganzer Vorgänge oder größerer Sequenzen bzw. der Computersteuerung mit dem Resultat aktueller Dequalifizierung nehmen wir erst an späterer Stelle auf.

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lässlich wie ausgeprägte analytische Fähigkeiten zur Interpretation der Informationen, um mit ihnen strategisch umgehen zu können, und gründliche Kenntnisse über die eigene Organisation und ihre Marktbezüge. > Verstärkte Kundenorientierung als Marktstrategie und der Bedeutungszuwachs interner Kooperation erhöhen das Gewicht kommunikativer Kompetenz: Interaktionssituationen müssen sensibel erfasst und interpretiert, flexibel muss auf veränderte Ansprüche reagiert werden; sicheres und zugleich präzises Sprachverhalten ist gefragt (Baethge 2001, S. 86f.). > Der Umgang mit dem Computer setzt weniger technische Kompetenz als ein gutes Fundament berufsfachlichen Wissens, intellektuelle Wachheit und Kritikvermögen voraus. Blindes Vertrauen auf die Verlässlichkeit und Richtigkeit der Computerdaten – so sehr dieses auch durch die Überlegenheit des Computers gegenüber menschlicher Gedächtnisleistung nahegelegt werden mag – produziert leicht Fehlleistungen. Nur wer den Computer als Hilfsmittel für selbständige Urteilsbildung und Suchstrategien nutzt, wendet ihn richtig und erfolgreich an. > Schließlich wird dort, wo Aufgabenspektren sich verbreitern und/oder Handlungs- und Entscheidungsspielräume ausgeweitet werden, die Fähigkeit zur selbständigen Organisierung der eigenen Arbeit wichtiger. Dies gilt umso mehr, je mehr die direkte personale Kontrolle der Arbeit durch das EDV-System ersetzt und indirekt wird. Mit Problemlösung (in Produktion und Service der Industrie) wie auch computerunterstützter Sachbearbeitung (im Dienstleistungsbereich) haben sich in den vergangenen Jahrzehnten Arbeitsprofile neu herausgebildet, welche die jeweils subjektiv gemachten Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem Produktionsprozess oder mit Kundenbedürfnissen und Marktprozessen gerade wegen der Verknüpfung mit neuen Technologien betonen: Technisierung und Informatisierung fungieren hier nunmehr nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung des durch Erfahrung bestimmten Arbeitsvermögens. Dementsprechend werden in diesen Arbeitsprofilen traditionelle Qualifikationsbestandteile nicht weitgehend entwertet, sondern bleiben vielfach erhalten, werden neu akzentuiert und erweitert. Die Besonderheit des Qualifikationsprofils liegt darin, dass es alte und neue Qualifikationskomponenten integriert und das Gewicht fachlicher, analytischer und sozial-kommunikativer Kompetenzen, erhöht. Wir haben es sowohl im Produktions- als auch im Dienstleistungssektor mit einem Typ von Arbeit zu tun, der auf ein betriebliches Konzept von Techniknutzung und Arbeitsorganisation zurückgeht, in dem subjektgebundene, unmittelbare Erfahrung eher auf- als abgewertet wird. Die Integration von Theorie (explizites Wissen) und Praxis (implizites Wissen, Erfahrung) ist hier in das Subjekt hineinverlagert, die Abwägung und Vermittlung dieser unterschiedlichen Zugangsweisen zur Realität wird nicht durch einen rigiden Organisationskontext bestimmt. An die Stelle technisch-organisatorisch determinierter Arbeitsvollzüge treten sichtbar „Selbstorganisation“, „Selbstverantwortung“ und „sozial-kommunikatives Handeln“ als Bestandteil der Arbeitsprofile: Aktive Aneignung und Anwendung von Wissen und Erfahrung in betrieblichen Weiterbildungs- und Arbeitsprozessen, die Legitimierung von Arbeitshandlungen wie auch deren Korrektur nach Gesprächen mit Vorgesetzten und Kollegen, der kritische Abgleich eigener Arbeitsziele mit betrieblich zugedachten, dies alles muss unter Rückgriff auf entsprechende Kompetenz- und Verhaltenspotentiale geleistet werden. Die durch das arbeitende Subjekt zu vollziehende Integration von organisatorischen und kommunikativen Verhaltenspotentialen mit neuen theoretischen Wissensbeständen und

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eigener Erfahrung induziert ein neues betriebliches Qualifikationskonzept, das sich nicht mehr an statischen Funktionsprofilen orientiert, sondern auf dynamische Momente des Handlungsvermögens abhebt. Gefragt ist die aktive, durchaus „eigensinnige“ Gestaltung betrieblicher Prozesse durch die Arbeitskräfte selbst. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Gruppenarbeit und des „Problemlösers“, der nun nicht mehr als „Objekt“ der Rationalisierung gilt: Die zugewiesene „Grund-Aufgabe“ der „Rationalisierung in Eigenregie“ schließt die expansive Definition eigener Teil-Aufgaben und -Funktionen ein, die vorher in anderen Bereichen oder auf anderen Arbeitsplätzen angesiedelt waren.

4. Perspektiven qualifizierter Arbeit Der Typus „qualifizierter Arbeit“ auf der mittleren Ebene, wie er im Facharbeiter und im Fachangestellten seinen Ausdruck fand und auf der dualen Berufsausbildung basierte, bildete ein Jahrhundert lang das Rückrat der deutschen Wirtschaft und galt als wichtiger Faktor für ihren Erfolg. Ob er diese zentrale Bedeutung in einer wissensbasierten Ökonomie behält, erscheint heute zweifelhaft. Schon der quantitative Rückgang der Zahl industriellen Facharbeiter, der allein in den alten Bundesländern in den 90er Jahren ein Drittel betrug (von 2,52 auf 1,70 Mio. Beschäftigte – Statistisches Bundesamt 2002), spricht eine deutliche Sprache. Innerhalb der Beschäftigungsstruktur insgesamt scheint das relative Gewicht des traditionellen deutschen Fachkräftetyps in Produktion und Dienstleistungen gegenüber höherqualifizierten Berufsgruppen abzunehmen und sich zumindest in den Dienstleistungsbereichen im betrieblichen Arbeitskrafteinsatz die Grenze zwischen „dual“ und auf Fachhochschulen wie Universitäten ausgebildeten Fachkräften zunehmend zu verwischen. Dennoch bleiben in beiden Sektoren die Fachkräfte auf der traditionell mittleren Ebene auch in der absehbaren Zukunft das mit Abstand größte Segment in der Beschäftigtenstruktur, und man kann davon ausgehen, dass Unternehmen, die das Qualifikationspotenzial dieses Segments optimal entwickeln und nutzen, im globalen Wettbewerb am ehesten überlebensfähig sind.22 Dies allein schon verleiht der Auseinandersetzung mit den Qualifikationsprofilen dieser Beschäftigtengruppe seine Bedeutung für die Gestaltung von Aus- und Weiterbildungsprozessen. Zugleich darf man davon ausgehen, dass die neuen Qualifikationsprofile im Prinzip, wenn auch mit jeweils anderem Gewicht und anderen Akzenten, auch nach unten und nach oben auf die Gruppe der geringer und der höher qualifizierten Arbeitskräfte ausstrahlen. Unter den Bedingungen einer geschäftsprozessorientierten Betriebs- und Arbeitsorganisation laufen tendenziell alle Arbeitsprofile aus dem stabilen Raum-, Zeit- und Funktionsbezug, der in der Vergangenheit die Vorstellung eines festen Arbeitsplatzes oder Funktionszuschnitts genährt hatte. Die Folge davon: für die Qualifikationsprofile mehr 22 Zwar nehmen nach den Projektionen von IAB und Prognos zwischen 1995 und 2010 Tätigkeiten mit hohen Anforderungen zu (Anteil 1995: 35%; 2010: 40%) – zu Lasten von Tätigkeiten mit einfachen (Anteil 1995: 19%; 2010: 16%) als auch mittleren Anforderungen (Anteil 1995: 46%; 2010: 44%). Gleichwohl bleibt die beschäftigungsstrukturelle Bedeutung dualer Ausbildung ungemindert: Auch im Jahre 2010 werden – wie 15 Jahre zuvor – etwa 60% der Erwerbstätigen eine Lehre als höchsten beruflichen Ausbildungsabschluss aufweisen (vgl. Dostal/Reinberg 1999, S. 3). Die Differenz zwischen der Tätigkeitsprognose nach Anforderungsniveau und nach Ausbildungsabschluss bestätigt unsere Annahme von einer wachsenden Grauzone bei Tätigkeiten mit mittleren und höheren Anforderungen, die sowohl mit Absolventen mit dualem als auch mit Hochschulabschluss besetzt werden können.

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oder weniger aller Beschäftigtengruppen gewinnen die fachübergreifenden Kompetenzen der Kommunikationsfähigkeit, der Informations-, Orientierungs- und Selbstorganisationsfähigkeit ebenso an Bedeutung wie metakognitive und reflexive Kompetenzen der Erkennung und Schließung von Wissenslücken bei schnellen Veränderungen der Umweltbedingungen. Diese Gewichtsverlagerungen bedeuten bis zu einem gewissen Grade eine Entspezialisierung der klassischen Berufsprofile, ohne aber deren fachlichen Kern aufzuheben. Was wir bisher nur aus der Perspektive betrieblicher Arbeit erörtert haben, spitzt sich noch einmal mit Blick auf die berufliche Mobilität auf dem Arbeitsmarkt zu. Wo die Unsicherheit der Märkte und das Tempo technischen und strukturellen Wandels steigen, wird den Arbeitskräften ein höheres Maß an Mobilitätsfähigkeit im Sinne des selbstständigen Mitvollzugs von und der Anpassung an ökonomischen und gesellschaftlichen Wandel abverlangt. Gerade unter dem Aspekt beruflicher Mobilität sind die funktionsübergreifenden Komplementärkompetenzen zur Berufsfachlichkeit für die Aus- und Weiterbildung nicht hoch genug einzuschätzen. Berufliche Mobilität basiert heute mehr denn je auf der Fähigkeit zu lebenslangem Lernen, die ihrerseits im Wesentlichen eine Funktion der genannten fachübergreifenden Kompetenzen ist. Aus unserer jüngsten Untersuchung wissen wir, wie sehr diese Kompetenzen zum einen in Bildung und Berufsbildung angelegt sind, wie sehr auf der anderen Seite ihre Erneuerung und Weiterentwicklung von den Lernerfahrungen abhängig ist, die Beschäftigte in ihrer alltäglichen Arbeit machen können (vgl. Baethge/Baethge-Kinsky 2004). Insofern gewinnt eine lernförderliche Arbeitsorganisation in den Betrieben einen noch höheren Stellenwert als in der Vergangenheit (vgl. BaethgeKinsky u. a. 2006; Schumann u. a. 2006). Bleibt zum Abschluss die Frage nach dem gesellschaftlichen Charakter und dem gesellschaftlichen Schicksal des neuen Typs qualifizierter Arbeit. In der fordistischen Phase der Industriegesellschaft war die Position der traditionellen Fachkräfte mit einer gewissen gesellschaftlichen Exklusivität verbunden. Die Beruflichkeit ihrer Arbeit grenzte sie im Betrieb gegenüber dem großen Heer der Un- und Angelernten ab und verlieh ihnen zugleich einen anerkannten gesellschaftlichen Status und eine eigene soziale Identität („Facharbeiterstolz“). In der aktuellen (postfordistischen) Phase beginnt sich die gesellschaftliche Exklusivität in allen drei Dimensionen aufzulösen: betrieblich, weil der Anteil unqualifizierter Arbeit ab- und derjenige hochqualifizierter Tätigkeiten zunimmt, so dass sich die „Mitte“ trotz Anhebung und Verbreiterung ihres Qualifikationsprofils belegschaftsstrukturell nach unten verschiebt; nach außen ist die Beruflichkeit ihrer Tätigkeiten schwerer sichtbar zu machen und gewinnen Bildungsabschlüsse für den gesellschaftlichen Status an Bedeutung; bezogen auf die soziale Identität verliert Beruflichkeit an Prägekraft, wenn es zum einen zu einer partiellen Entspezialisierung der Berufsausbildung kommt und zum anderen berufliche Qualifikationen schneller veralten und auch unsicherer wird, ob man überhaupt noch eine berufsadäquate Tätigkeit findet. Diese Veränderungen des gesellschaftlichen Charakters des Typus qualifizierter Arbeit lassen auch sein weiteres gesellschaftliches Schicksal als ungewiss erscheinen. Die zunehmende Globalisierung von Arbeit und Arbeitsmärkten stellt ihn in eine Konkurrenz, in welcher Beruflichkeit immer weniger als ein beschäftigungssicherndes Alleinstellungsmerkmal fungiert. Selbst im nationalstaatlichen Rahmen werden andere Arbeitskrafttypen heute als neue Leitbilder gehandelt – etwa der Wissensarbeiter oder „Symbolanalytiker“ (Reich 1993) oder der hochgradig individualisierte und flexible „Arbeitskraftunternehmer“ (Voß/Pogratz 1998). Ob sich die Fachkraft auf der mittleren Ebene gegenüber Qualifikationstypen, für welche die Leitbilder stehen, behaupten kann und ob sie Elemente aus

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ihnen in das eigene Profil integrieren kann, erscheint heute ungewiss und ist sowohl von Reformen des Ausbildungssystems als auch von den betrieblichen Strategien zum Arbeitskräfteeinsatz und zur Arbeitsorganisation abhängig.

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3. Kompetenzen und Qualifikationen in der Berufsbildung

Vermittlung von Fachkompetenz in der Berufsbildung Günter Pätzold

Günter Vermittlung 1. Problembereich Pätzold von Fachkompetenz in der Berufsbildung Die Bestimmung dessen, was „Vermittlung von Fachkompetenz in der Berufsbildung“ sein könnte, hängt zunächst davon ab, was unter Fachkompetenz verstanden wird und ob Berufsbildung in schulisch organisiertem Rahmen oder arbeitsplatzgebunden stattfindet. Berufsbildung vollzieht sich immer unter Bedingungen, die die Aktivitäten der Lernenden und die Vermittlungsmodi der Lehrenden beeinflussen. In einem Training on-the-job sind die Lernbedingungen andere als in einer Lehrwerkstatt oder in einem Unterrichtsraum der Berufsschule. Vermittlungsmethoden erhalten eine spezifische Ausprägung, wenn Lernen auf künftig zu bewältigende Situationen ausgerichtet ist und sie die Aktivität des Lernenden favorisieren mit dem Ziel, den Aufbau, die Erweiterung oder die Modifizierung von Handlungsschemata durch ein selbstständiges Handeln in Lern- oder Arbeitssituationen zu fördern. Hinweise für einen sinnvollen Einsatz von Vermittlungsmethoden lassen sich zudem nur auf der Grundlage der Einsicht geben, dass nicht alle didaktisch-methodischen Arrangements ein und dasselbe Ziel in gleicher Weise zu erreichen helfen und ebenso nicht alle Ziele durch ein und dieselbe Methode erreichbar werden. Vielmehr wird eine bestimmte pädagogische Absicht nur unter Zuhilfenahme spezifischer didaktisch-methodischer Vermittlungsformen realisierbar. Vermittlungsbemühungen der Lehrenden sind immer in Bezug auf den Lernenden zu diskutieren, auf dessen im Verlauf seiner Biographie entwickelten Einstellungen zum Lernen, wozu auch seine Beziehungen zum Lehrer, seine Lernbereitschaft und -aktivität sowie seine angeeigneten Lerntechniken gehören. Das Thema impliziert somit den Komplex an Fragen, wer was warum wie mit welchen Materialien an welchem Ort in welcher Zeit mit welcher Intention lernt. Zielorientierung, Planmäßigkeit, Systematik, Erfolgsorientierung sind konstitutive Aspekte einer Vermittlung unter pädagogischer Perspektive. Sie ist durch institutionelle Bedingungen der Berufsbildung, durch unterschiedliche Erwartungen, durch Ordnungsmittel, durch didaktisch-methodische Kompetenzen des Lehr- und Ausbildungspersonals sowie unterschiedliche Möglichkeiten und Interessen der Lernenden in ein vernetztes Gefüge von zu berücksichtigenden Faktoren gestellt (vgl. Terhart 1989). Vermittlungsbemühungen sind also derart zu arrangieren, dass sowohl das daraus resultierende Gesamtkonzept als auch dessen Teile in einen begründbaren Zusammenhang mit den Lernzielen, Lerninhalten und der sozialen Organisation des Lehrens und Lernens gebracht werden können. Die Eignung einer didaktisch-methodischen Konzeption lässt sich also nicht allgemein und pauschal bestimmen. Methoden und Medien können immer nur bezogen auf ein bestimmtes Lernziel, auf die Teilnehmervoraussetzungen und eine konkrete Lehr- und Lernsituation als geeignet eingeordnet werden.

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2. Handeln in komplexen Systemzusammenhängen und Fachkompetenz Das System der Berufsbildung ist in seiner Ausprägung und seiner Entwicklung auf ein „situations-, wissenschafts- und persönlichkeitsorientierte(s) Referenzsystem“ (Achtenhagen u. a. 1992, S. 3) bezogen, das unter dem Einfluss der neuen Informations- und Kommunikationstechniken sowie des wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Wandels erheblichen Veränderungen unterliegt. Prognosen über technologische und gesellschaftliche Entwicklungen sind mit Unwägbarkeiten verbunden, und Innovationsprozesse sind nicht bis in konkrete Einzelheiten hinein planbar. Bereits aus neuen Techniken resultierende Gestaltungsoptionen erschweren Aussagen über künftige Arbeitsanforderungen. Fachkräfte im gewerblich-technischen und kaufmännisch-verwaltenden Bereich werden weiterhin auch klar definierte, vorgegebene und überschaubare Aufgaben kompetent zu erfüllen und dabei die Auswirkungen ihres „Tuns in größeren Systemzusammenhängen zu berücksichtigen“ (Achtenhagen u. a. 1992, S. 5) haben, was auch Flexibilität und die Bewältigung abgegrenzter Probleme mit heuristischen Methoden erfordern wird. Für die auf solche Berufsarbeit bezogene Fachkompetenz wird die Entwicklung zu eigenem fachgerechten Urteil und zu einem verantwortlichen, an Normen und Vorschriften des beruflich organisierten Arbeitens ausgerichteten Handeln zentral – verstanden als zielgerichtete, bewusste, zwischen Alternativen entscheidende, Mittel auswählende, Nebenwirkungen abschätzende, kritisch-reflektierende Tätigkeit. Dieses berufliche Können, das zeigen Ergebnisse der Problemlöse- und Transferforschungen, ergibt sich keinesfalls automatisch aus erworbenem Wissen, vielmehr ist „gerade die Anwendung von Wissen im Rahmen praktischer Problemstellungen selbst eine komplexe Fähigkeit ..., die entsprechender Ausbildung bedarf“ (Achtenhagen/Tramm 1993, S. 165). Zugleich wird das System der Berufsbildung sich insgesamt in seinen berufsbildungsplanerischen Entscheidungen und didaktisch-methodischen Notwendigkeiten stärker als bisher auf heute noch nicht prognostizierbare künftige Anforderungen einstellen müssen, auch wenn oder weil anscheinend Konsens darüber besteht, dass „nicht weitere Aufgabenteilung, sondern ganzheitliche Aufgabenbearbeitung auf der Basis integrierter Kommunikationssysteme die ... Tätigkeit der Zukunft prägen wird“ (ebd., S. 164). Nicht mehr nur Führungskräfte, sondern auch Facharbeiter und Sachbearbeiter werden sich auf die Bearbeitung komplexer werdender Vorgänge bzw. strukturierter Situationen einstellen müssen, die zudem in einem komplexen Gefüge vernetzt sind, das sich permanent wandelt. Die Fähigkeit, überschaubare Tätigkeiten nach einem vorgegebenen Plan als Antwort auf objektiv-gesellschaftliche Anforderungen regelgerecht, verlässlich, effizient und effektiv durchzuführen, wird nicht mehr das alleinige Merkmal eines umfassend ausgebildeten Mitarbeiters bleiben. Entscheidend wird zugleich seine Kompetenz, als Potential subjektiv-individueller Problembewältigung mit Ungewissem, mit komplexen, offenen Situationen selbstständig und kreativ umzugehen, wobei Kriterien des erfolgreichen Handelns vom handelnden Subjekt selbst mitdefiniert werden können bzw. müssen. Will berufliche Bildung Menschen hinreichend darauf vorbereiten, sich in komplexer, dynamischer und normativ ambivalenter werdenden wirtschaftlichen, technischen und sozialen Systemzusammenhängen zu orientieren und hierin kompetent, d. h. selbstständig, fach- und sachgerecht, methodisch geleitet, kreativ und mit Bezug auf verschiedene Normen und Vorschriften verantwortlich entscheiden und handeln zu können, dann sind anspruchsvolle Lernangebote

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zu entwickeln, die es ihnen ermöglichen, „Erfahrungen im Umgang mit relativ komplexen ... Systemen und vor allem mit den Auswirkungen ihres Handelns in solchen Systemzusammenhängen zu machen“ (Tramm 1991, S. 251). Die Komplexität technischer, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhänge muss problemorientiert und sachgerecht analysiert, ganzheitlich begriffen und in individueller und gesellschaftlicher Verantwortung bewertet werden. Dies erfordert und fördert logisches, analytisches, aber auch abstrahierendes, integrierendes, vernetztes, system- und handlungsbezogenes Denken in komplexen Kontexten, das Erkennen von System- und Prozesszusammenhängen, systemisches Verständnis von Organisationsinterdependenzen, Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit, Selbstständigkeit, soziale und methodische Kompetenz, Gestaltungsfähigkeit und Innovationskraft. Ziel einer modernen beruflichen Bildung ist insofern die Entwicklung einer umfassenden Handlungskompetenz. Dementsprechend soll der Mensch über ein Handlungsrepertoire verfügen, das ihn befähigt, die zunehmende Komplexität und Unbestimmtheit seiner gesellschaftlichen Umwelt zu begreifen und durch kompetentes und verantwortliches Handeln zu gestalten. Anders als beim Qualifikationsbegriff, der die zur Ausübung einer konkreten Tätigkeit unmittelbar erforderlichen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse beschreibt, wird von Kompetenz gesprochen, wenn vorhandene Fähigkeiten und Fertigkeiten genutzt werden, auf vorhandenes Wissen zurückgegriffen bzw. neues erworben werden kann, zentrale Zusammenhänge im domänenspezifischen Bereich verstanden werden, angemessene Handlungsentscheidungen getroffen werden, bei der Durchführung der Handlungen auf verfügbare Fertigkeiten und Fähigkeiten zurückgegriffen wird, dieses mit einem Gewinnen von Erfahrungen verbunden ist und aufgrund entsprechender handlungsbegleitender Kognitionen genügend Motivation zu angemessenem Handeln gegeben ist (vgl. Klieme u. a. 2003, S. 74f.; Jung 2005). Pragmatisch kann Handlungskompetenz in Bereiche unterteilt werden, beispielsweise in Fachkompetenz, Methodenkompetenz, Sozialkompetenz und Personalkompetenz. Die Fachkompetenz beinhaltet ein Verfügen über fachliche Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse. Methodenkompetenz meint situations- und fächerübergreifende, flexibel einsetzbare kognitive Fähigkeiten auch zur Aneignung neuer Kenntnisse und Fähigkeiten. Sozialkompetenz umfasst Fähigkeiten, z. B. in Teams unterschiedlicher sozialer Struktur kommunikativ und kooperativ zusammenzuarbeiten. Personalkompetenz impliziert Dispositionen eines Menschen, die eigene Persönlichkeit sowie das eigene Wissen, das Können und die Fähigkeiten immer wieder zu reflektieren, zu hinterfragen und ggf. zu verändern. Die Aufteilung in vier Kompetenzbereiche ist insofern künstlich, als bei der Bewältigung einer konkreten Aufgabe die einzelnen Kompetenzbereiche sich wechselseitig bedingen und in unterschiedlicher Intensität beansprucht und miteinander verflochten werden (vgl. Pätzold 2006).

3. Entwicklung handlungsleitender Strukturen und Aspekte der Elementarisierung Eine auf Orientierungs-, Erkenntnis- und Handlungsfähigkeit in komplexen Systemen zielende Berufsbildung ist nicht mehr allein mit Lehr- und Lernsituationen vereinbar, in denen möglichst effektiv in gegebenem Zeitrahmen „bewährte“ berufliche Fertigkeiten begründet werden oder eine Fülle an Detailwissen vermittelt wird, das zudem nach Wissen-

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schaftsgebieten bzw. Schulfächern getrennt von beruflichen Handlungsvollzügen wie auch vom Erkenntnisweg zur Erlangung des Wissens losgelöst ist. Es gilt vielmehr, die Lernenden „beim Auf- und Ausbau orientierungs- und handlungsleitender kognitiver Strukturen zu unterstützen. Diese internen Wissenssysteme dienen als Strukturierungshilfen ..., als Hilfen zur Einordnung singulärer Phänomene in übergeordnete Zusammenhänge sowie als dynamische Modelle. Mit deren Hilfe können Handlungen gedanklich entworfen und ihr Verlauf antizipiert, die Ausführung der Handlungen reguliert und deren Erfolg schließlich wahrgenommen und beurteilt werden. Kognitive Strukturen erlauben so einen theoriegeleiteten Zugriff auf die Realität; zugleich entwickeln sie sich im theoriegeleiteten und theorieüberprüfenden Zugriff zu immer elaborierteren Strukturen. Entscheidend ist, dass die Qualität der kognitiven Strukturen gleichermaßen bestimmt wird durch das Netz ihrer inhaltlichen Elemente und Beziehungen sowie durch die Fähigkeit, mit diesen Elementen zu operieren. Hierin erweist sich die Verschränkung von Denken und Wissen ...“ (Achtenhagen u. a. 1992, S. 6; Hervorhebungen im Original). In diesem Zusammenhang ist die Frage nach „mehr Tiefe und weniger Breite in der Bildung“ (Dubs 1993, S. 227) bedeutsam. Eine Vertiefung in einzelnen Fächern im Interesse der Stoffentlastung vermag den Ansprüchen des ganzheitlichen Denkens in keiner Weise zu genügen. „Ganzheitliches, vernetztes Denken setzt ein breites, gut strukturiertes Wissen in möglichst allen Wissenschaftsbereichen voraus ... Fehlt ein breites Grundlagenwissen, so ist ganzheitliches und vernetztes Denken unmöglich. Deshalb muß den Lernenden ein breites, gut strukturiertes Begriffs- und Verfahrenswissen vermittelt werden“ (ebd., S. 228f.). Für die Herausbildung von Fachkompetenz wird also die Bedeutung relevanter Handlungssituationen und einzelner Wissensarten betont. Ein zentraler Fokus liegt beispielsweise auf deklarativem, prozeduralem, strategischem und metakognitivem Wissen (vgl. Pätzold/Lang 1999, S. 40ff.; Pätzold 2002, S. 25). Die Wissensarten sind aber nicht „per se“ relevant für die Entwicklung von Fachkompetenz, vielmehr wird die These vertreten, dass sie nur dann dazu beitragen, „wenn die Wissensarten inhaltlich konkret bestimmt sind, wobei den Fakten, den empirischen Sachverhalten, eine zentrale Rolle zukommt; wenn die Wissensarten curricular zusammen geführt werden und wenn sie integriert im Können erworben und gefestigt werden“ (Klauser 2000b, S. 112). Dabei darf das berufliche Lehren und Lernen nicht auf einer abstrakten Handlungsebene stehen bleiben, sondern über die konkrete Ebene eine Vollständigkeit der Handlungen anstreben. Die Herausbildung einer Fachkompetenz erfolgt über entsprechende Lernhandlungen, sei es zur Transformation vom Abstrakten zum Konkreten, zur Rekonstruktion des Abstrakten aus dem Konkreten oder zur bloßen Reproduktion des Konkreten. Es sind relevante „Gegenstände“ der Wissenschaften bzw. der Welt (konkret: Berufspraxis), in der wir leben, auszuwählen und in eine für die Lernenden bedeutsame, bildungswirksame und zugleich fassliche und strukturierte Form zu bringen. Die Frage, ob dabei die Fachwissenschaft und die Berufspraxis als zwei voneinander unabhängige Systeme zu betrachten sind, ist nicht sehr bedeutsam, denn es ist hinreichend nachgewiesen, dass die Berufspraxis zunehmend durch Wissenschaftstransfer beeinflusst wird (vgl. Klauser 2003, S. 40). Wichtiger ist, dass ein Sachverhalt erst durch eine pädagogische Intention zum Thema eines Lernprozesses wird. Meist geschieht eine Bearbeitung der „Gegenstände“ in schulisch organisierten Lernsituationen in der Weise, dass sie abgebildet und im Rahmen einer bestimmten Perspektive zu Modellen umgestaltet werden, an denen dann gelernt wird. Zur Erleichterung dieser Lernprozesse werden die Modelle den Lernenden entweder auf der symbolischen, auf der anschaulichen oder auf der handlungsbezogenen Ebene prä-

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sentiert. Wenn auch in der Berufsbildung die Präsentationen eher handlungsbezogen sind, bleiben für den Lehrer Probleme der didaktischen Elementarisierung, der Vereinfachung bzw. der Reduktion. Der „Gegenstand“ ist „lernergerecht“ aufzubereiten, wobei dann auch die komplexe Frage zu beantworten ist, was Begriffs- und Verfahrenswissen und was überflüssiges Faktenwissen ist. Die Unterscheidung von Wesentlichem und Unwesentlichem als eine Abstraktionsleistung des Lehrers fordert fundierte Kenntnisse der Sache wie des Lernenden vor dem Horizont pädagogischer Intentionen. Motivationen sind zu schaffen und die Lernenden sind zu interessieren. Elementarisierung meint, die komplexe Wirklichkeit auf anschauliche modellhafte Vorstellungen zu bringen, Sachverhalte klar, einfach und verständlich zu formulieren, den Lernenden anzuleiten, in dem Besonderen das Allgemeine zu erkennen. Deshalb muss bei der Transformation eines komplexen Sachverhalts in seine Elemente der „Sinn des Ganzen keimhaft erhalten“ (Glöckel 1990a, S. 45) bleiben. Als Möglichkeiten der Elementarisierung werden gesehen: Beschränkung auf den einfachen Fall, Vergröberung durch Weglassen von Elementen, vorläufige Beschränkung auf eine Ebene des Sachverhalts, Rückführung auf eine andere Repräsentationsebene, Darstellung am konkreten Fall, Strukturierung und Schematisierung, Darstellung am Modell als „anschauliche Schematisierung“, modellhaftes Handeln, Rückführung in die Ursprungssituation, „originale Begegnung“, sprachliche Einfachheit (ebd., S. 45f.). Elementarisierung muss auf jeden Fall „so einfach wie möglich, so komplex wie nötig“ (ebd., S. 48, Hervorhebungen im Original) erfolgen; sie „soll nie ein späteres Umlernen, sondern immer nur ein Hinzulernen, Differenzieren und Ergänzen grundsätzlich richtiger Kenntnisse und Einsichten, den bruchlosen Übergang auf höhere Stufen des Verständnisses nötig machen und ermöglichen“ (ebd.). Didaktische Reduktion stößt dann an ihre Grenzen, wenn sie das Verständnis erschwert oder verhindert, wenn sie bestimmte Aspekte einer Sache zu sehr hervorhebt und andere übermäßig vernachlässigt, wenn sie nur begrenzte Hilfe für die Anwendung gibt. Elementarisierung kann dann sogar dem Interesse schaden. „Didaktische Vereinfachungen, die das Lernen erleichtern sollen, dürfen Sinn- und Zusammenhangsstrukturen nicht zerstören. Diese These wendet sich gegen das Dogma, daß das Lernen so weit elementarisiert werden müsse, bis seine einzelnen Schritte unproblematisch für den Schüler seien. Sie wendet sich gegen die verbreitete Überzeugung, daß sinnvolle Lernergebnisse erzielt werden können als Summe von Lernschritten, deren jeder einzelne für den Schüler zunächst weitgehend zusammenhangs- und damit sinnlos bleibt“ (Achtenhagen/Tramm 1993, S. 178; Hervorhebungen im Original). Auch dürfen Formen der Präsentation den Gegenstand nicht verfälschen. Das, was nur didaktische Vereinfachung sein sollte, darf nicht zur Wahrheit werden. Didaktische Reduktion bedarf auch deshalb selbst wieder der Ergänzung. In „gegenläufiger Denkbewegung“ muss versucht werden, die für Lernzwecke vereinfachte Sache wieder in der ganzen Wahrheit bzw. Komplexität sichtbar zu machen: „Wo der einfache Fall behandelt wurde, muß die Ausweitung auf schwierige Fälle erfolgen. Wo Elemente weggelassen wurden, sind diese wieder einzufügen. Wo schematisiert wurde, müssen die Strukturen mit lebendigen Details gefüllt werden. Wo am konkreten Fall gelehrt wurde, muß verallgemeinert werden. Wo die Sprache bewußt einfach gehalten war, muß in die anspruchsvollere Sprache überführt werden usw.“ (Glöckel 1990a, S. 48). Eine solche „didaktische Restitution“ (Glöckel) kann Teil derselben Unterrichtseinheit sein, sie kann in der Zusammenschau mehrerer Einheiten erfolgen oder sich erst in begründeter Weise auf einer späteren Jahrgangsstufe ergeben.

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4. Lehrgänge und konzeptionelle Organisation Die Vermittlung eines strukturierten Wissens, das Modell für das Verstehen ähnlicher Sachverhalte ist, kann auch lehrgangsmäßig, also mit einer bestimmten Systematik erfolgen, z. B. rein fachwissenschaftlich. Als Lehrgangstypen bieten sich dann der synthetischlineare oder der sachlogisch-systematische Lehrgang an (vgl. die Übersicht und Glöckel 1990a, S. 183ff.). In solch linearen Lehrgängen werden vor allem deutlich abgegrenzte Inhalte, Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt, klar gesteckte Ziele sollen erreicht werden, was voraussetzt, dass der entsprechende Bereich strukturiert beschreibbar ist. Jedoch ist auf ein Dilemma zu verweisen: „Vermittelt man zu lange disziplinenorientierten Unterricht mit gutem Begriffs- und Verfahrenswissen, so besteht leicht die Gefahr, daß der Unterricht mangels genügender Aktualität und ganzheitlicher Betrachtung rasch langweilig wird. Weicht man auf ausschließlich themenzentrierten Unterricht aus, so stellt man immer wieder deutliche Mängel im Wissen und Können der Lernenden fest, so daß doch laufend wieder wissensorientierte Phasen eingebaut werden müssen“ (Dubs 1993, S. 232). Insofern wird die Frage entscheidend, wie sich Unterrichtseinheiten zu größeren Einheiten zusammenschließen, in welcher Reihenfolge die Lernsituationen aufeinander folgen sollen, welche konzeptionelle Organisation also grundlegend ist. Den lerneraktivierenden Unterrichtsformen und den konzentrischen bzw. ganzheitlich-thematischen Lehrgängen, bei denen eine Aufgabe, ein Problem, eine Frage oder der Entwicklungsgang eines „Gegenstandes“ im Mittelpunkt stehen, sind zur Vermittlung notwendigen strukturierten Wissens oder notwendiger Fertigkeiten lineare Lehrgänge vor- oder nachzustellen bzw. zu integrieren. In der folgenden Übersicht sind aus der Vielfalt möglicher Lehrgänge einige Lehrgangstypen zusammengestellt und nach ihren unterschiedlichen Aufbauprinzipien und ihrer jeweiligen pädagogischen Beurteilung synoptisch dargestellt. Nur allzu oft geht es bei Lehrgängen ohne „bildende“ Absichten schlicht um möglichst schnelle Wissens- und Fähigkeitsvermittlung. Es dominiert meist eine vermittlungstechnische, außengesteuerte Methodisierung der Lehr- und Lernprozesse, die gekennzeichnet sind durch fachsystematische, zeitlich enge Orientierungen, fixierte Lernpensen und die Dominanz des Lehrenden. Lernen ist auf kontrollierbare Aufgabenbereiche, die aufgrund einer Analyse von Anwendungssituationen festgestellt wurden, eingegrenzt, die nicht auf den „ganzen Menschen“, sondern auf Ausschnitte seines manuellen oder intellektuellen Fähigkeitsprofils zielen im Sinne von „Lernschnellwegen“. Situations- und Handlungsorientierung spielen eine untergeordnete Rolle. In der Praxis finden sich oft Mischformen und Modifikationen der idealtypisch dargestellten Lehrgangsarten. Eine besonders günstige Verbindung mehrerer Prinzipien findet sich im exemplarischen Verfahren Martin Wagenscheins. Prinzipien seines Lehrens sind: „gründliche Vertiefung in geeignete Themen, Einstieg als unmittelbare Begegnung mit dem problemhaltigen Sachverhalt, ausführliche Entfaltung des Problems, langes Verweilen bei den Phänomenen in engster Sachbegegnung, wenn immer möglich genetischer Nachvollzug des Erkenntnisweges, selbständiges Suchen der Lösung unter geduldiger sokratischer Führung“ (zit. nach Glöckel 1990b, S. 259).

Beurteilung

Prinzip

Sachlogisch-systematischer Lehrgang Konzentrisch erweiternder/ spiraliger Lehrgang

Vorzüge

Vorzüge

Nachteile

• Einzelelemente werden in ihrer Funktion • Mit dem allein aus der Sache gewonnenen als Elemente eines Ganzen den Lernen- Aufbauprinzip wird keine „Rücksicht auf den Lernenden“ genommen den nicht einsichtig • Der Lernende bleibt am „Gängelband“ des • Lücken im Fundament machen sich in späteren Lernprozessen negativ bemerkbar Lehrers • Lernende bleiben passiv, Sinnerlebnisse • Individuelle Unterschiede im Tempo des Lernfortschritts treten hervor werden kaum ermöglicht • Sachfremde Mittel müssen der Lernmotivation nachhelfen

Nachteile

• Ziel liegt für Lernende im Ungewissen • Gefahr der Uferlosigkeit • Vieles wird angefangen, das Meiste bleibt unfertig stehen • Sachlogischer Aufbau wird in Gegenstandsgebiete zerrissen • Einordnung in subjektiven Bedeutsamkeitshorizont; objektive Ordnungskriterien der Sachgebiete werden nicht gelernt.

Nachteile

• Aufbau ist durchsichtig, konsequent, ziel- • Vermittlung wichtiger Grundbegriffe und • Vom Lernenden her gedacht orientiert Zusammenhänge • Kommt dem Lernen im Leben nahe • Einfach zu handhaben • Hilfe zur Strukturierung der Wirklichkeit, • Knüpft Neues an Bekanntes an zur Einordnung der zu lernenden Einzelheiten

Vorzüge

• Gewinnung der Elemente des zu lernen- • Vermittlung eines klar abgegrenzten Ge- • Mehrmaliger Durchgang durch die Gegenden Gesamtsachverhalts mittels logischer samtrahmens in systematisch-plan- standsbereiche Analyse mäßigem Aufbau mit einer gewissen Of- • Ergänzung und Vertiefung bei Wiederkehr • Vermittlung in systematischer, lückenloser fenheit in der Auswahl der Einzelsachver- des gleichen Sachverhalts auf höherem halte Abfolge Verständnisniveau • Orientierung an der Fassungskraft des Lernenden

Synthetisch-linearer Lehrgang

Übersicht: Lehrgangstypen

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Beurteilung

Prinzip

Ganzheitlich thematischer Lehrgang

Vorzüge Vorzüge

Vorzüge

• Nachvollzug des Entwicklungsganges im Lehrgangsauf- • Gewinnung von Einsichten, Fragestelbau lungen und Begründungsweisen aus Vertiefung in problemhaltige Themen Realgenetisch: Problemgenetisch: aus einem Fach oder der Lebenswirkdem tatsächlichen Werden dem Werdegang folgend, lichkeit des Gegenstandes folgend den die menschliche Erkenntnis des Gegenstands genommen hat

Genetischer Lehrgang

Nachteile

Nachteile

Nachteile

• Grundbegriffe sind Ergebnisse der • Werdegang einer Sache ist • Aktualitätsbezug kann ver- • Erforderlich ist weiterhin das Vermitteln eines breiten, gut strukturierten Analyse dessen, der die Sache be- oft sehr lang und nicht im- loren gehen herrscht; werden sie dem Lernenden mer geradlinig • Der Lernende wird künstlich Begriffs- und Verfahrenswissens. Denn: Mit diesem Lehrgang erhält fertig vorgegeben, wird sein Denken • Gefahr der stofflichen Über- naiv gemacht man kein System, in dem die Einzelkanalisiert frachtung heiten ihren Platz finden, keine Orien• Ohne Erkenntnisprozesse ist ein vortierung über das Gesamtgebiet. Zur schnelles Antworten mit wenigen ferti„exemplarischen“ Vertiefung gehört gen Fundamentalsätzen auf kompledie „orientierende“ Überschau, zur xe Themen zu erwarten Übung am Fall die Systematik der Vorlesung oder des Lehrbuchs

Nachteile

• Basiskonzepte können für den, der sie • Indem es das Spätere aus • Stand heutiger Erkenntnis- • Durch „Themen“, die ein „komplexes begriffen hat, „Schlüssel“ für das Ver- dem Früheren, das Jetzige se wird begreifbar, weil sie Ganzes“ darstellen und zu ihrer ständnis der Welt und die Ordnung ih- aus seinem Werden verste- als Lösung früherer Proble- gründlichen Bearbeitung die Vielfalt hen lehrt, eignet es sich für me verständlich gemacht facheigener Kategorien und Arbeitsrer Erscheinungen sein weisen erfordern, lassen sich die Veralles, was Geschichte hat werden • Übereinstimmung zwischen wobenheit der Bedingungsfaktoren subjektiven Theorien der erkennen und das fachgerechte DenLernenden und Theorien ken und Arbeiten lernen früherer Epochen • Versucht, sowohl der Sache als auch dem Lernenden gerecht zu werden

Vorzüge

• Frühzeitige Vermittlung grundlegender Kategorien (fundamentaler Begriffe bzw. Konzepte), die aus der Analyse der „Struktur“ des Faches gewonnen sind und ihre aufschließende Funktion bei der Behandlung von Sachverhalten zunehmender Komplexität erweisen

Lehrgang fachlicher Grundkategorien (Basiskonzepte)

Übersicht: Lehrgangstypen

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5. Klassische darbietende Vermittlungsformen Im Zusammenhang mit der lehrgangsorientierten Ausbildung ist daran zu erinnern, dass der Mensch berufliche Fachkompetenz auch außerhalb organisierter Lernprozesse erwirbt. Überall dort, wo Menschen miteinander leben und arbeiten, lernt der Mensch durch Zuhören, Ausprobieren, Übernehmen, Einprägen, Nachmachen. Vermitteln heißt hier vorzumachen, aber zugleich vorzutragen und vorzuführen. Auch in Unterrichtsprozessen kann es von den Lernvoraussetzungen der Auszubildenden und von der Spezifik des Lernstoffes oder der Form der Handlungsgrundmuster her sinnvoll sein, darbietende Vermittlungsformen zu favorisieren, also einen Lerninhalt in relativ geschlossener Form den Lernenden vorzustellen oder ein Verhaltensmuster durch eigenständiges oder angeleitetes Lernen am Modell aneignen zu lassen. Vom Lernenden werden Konzentration und geistige Aufmerksamkeit erwartet. Die Darbietungen werden von den Auszubildenden nur dann aufgenommen, wenn diese durch Zuhören und Mitdenken weiterführende geistige Aktivität entwickeln (vgl. Pätzold 1996, S. 133ff.). Zunächst sind diese Vermittlungsformen durch Aktivität des Lehrens und eine rezeptive Haltung der Lernenden gekennzeichnet. Sie eröffnen die Möglichkeit zur rationellen Stoffvermittlung, implizieren aber zugleich Gefahren autoritärer Verhaltensmuster des Lehrens und ein restriktives Verständnis von menschlichem Lernen.

5.1. Das Vormachen In den Bereichen, in denen vorrangig Lernziele psychomotorischer Art angestrebt werden, Fertigkeiten, Arbeitstechniken, komplexe und komplizierte Verfahren, aber auch wissenschaftliche Denk- und Arbeitsweisen zu vermitteln sind, kommt dem Vormachen große Bedeutung zu. Durch Beobachten und Nachahmen werden aber auch soziales Verhalten, Sprachkompetenz und weitergehende kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten erlernt. Vormachen ist ein wirksames Mittel zur Aktivierung und Aufforderung zum Nachmachen. Jedoch ist gleichzeitig darauf zu achten, dass durch das Vormachen selbstständiges Lernen nicht behindert wird, wie es z. B. beim kritiklosen Übernehmen von Verhaltensmustern geschieht. Der Lernende soll zunächst in der Lage sein, ein bestimmtes „Können“, eine Tätigkeit, eine Handlung nachzuvollziehen. Dieser Vorgang kann nur in engem Zusammenhang mit Erkenntnisprozessen mittels affektiver Unterstützung geschehen. Der Lehrer erklärt beim Vormachen, was, wie und warum er die Handlung so und nicht anders ausführt, so dass der Lernende sich mit dem Vorgemachten beim Zuschauen identifiziert und dieses innerlich mitvollzieht. Ein rein mechanistisches Einüben von Bewegungsabläufen ist nicht sinnvoll, da auch Bewegungen kognitiv reguliert sind. Wird Handlungskompetenz als ein „Regel- und Elementesystem zur Erzeugung realisierbarer Pläne“ (Volpert 1979, S. 27, zit. nach Heeg/Münch 1993, S. 196) definiert, zielt sie also auf die Entwicklung der Fähigkeit des Menschen, „eine Vielzahl von Handlungen erfolgreich planen und durchführen“ zu können, „die sie in dieser Form niemals vorher verrichtet haben“, dann gilt es, nicht einzelne Handlungsketten, „sondern Elemente und Regeln zur Erzeugung von Handlung“ vorzumachen. Es müssen Regeln und Problemlösestrategien vermittelt werden, die es den Lernenden ermöglichen, „Tätigkeiten und Bewegungen selbständig kognitiv zu entwickeln bzw. zu regulieren“ (Heeg/Münch 1993, S. 196).

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Das Vormachen ist gründlich vorzubereiten, und zwar mit Blick auf die Beziehungsdimension des Lernens, auf den Inhalt, auf organisatorische Fragen und auf die sprachliche Gestaltung. Das vorgemachte „Können“ übernimmt in der beispielgebenden Darstellung wichtige Orientierungs- und Steuerungsfunktionen für den Lernenden. Für seinen Lernprozess ist die gedanklich mitvollziehende Beobachtung der jeweiligen Demonstration entscheidend, denn er soll anschließend selbstständig ausführen und durch wiederholtes Tun, praxisorientierte Übungen „automatisieren“, was er vorher innerlich und einfühlend mit vollzogen hat. Aebli (1983, S. 74ff.) weist darauf hin, wie wichtig das „innere Wiederholen“, welches das Vormachen begleitet, wird, wenn es darauf ankommt, Arbeitsabläufe zu erlernen. Er stellt fünf Regeln auf:

> „Weise durch knappe Kommentare auf das Wesentliche hin! > Zerlege komplexe Abläufe in Teile und benenne sie! > Laß’ den Schüler die Abfolge der Stichworte für die einzelnen Abschnitte auswendig lernen!

> Fordere ihn zur vorstellungsmäßigen Wiederholung des Gesehenen auf! > Fordere ihn auf, sich selbst vorzusprechen, was er bei der Ausführung eines komplexen Ablaufs tun muß!“ Aus diesen Grundgegebenheiten sind Methoden des Vor- und Nachmachens entwickelt worden, wobei davon ausgegangen wird, dass das Vormachen dann effektiv sein kann, wenn zunächst die komplette Handlung vorgemacht wird, so dass die Lernenden einen Gesamteindruck von ihr erhalten. Im Anschluss daran werden Teilhandlungen nacheinander demonstriert und erklärt. Die Fähigkeit zu selbstständigem Lernen und Arbeiten wird häufig gerade bei Jugendlichen erst dadurch entwickelt, dass sie durch das Vormachen zugleich allmählich mit Lernmethoden vertraut werden. Dies fördert der Lehrer, indem er an ausgewählten Beispielen der Lerngruppe vormacht, wie man an eine bestimmte Aufgabe herangeht, wie man mit bestimmten Materialien arbeitet, wie man Informationen sichert, Zusammenhänge erschließt, Exzerpte anfertigt usw. Ein unsachgemäßes Probieren wird dadurch weitgehend vermieden.

5.2. Das Vorzeigen und Vorführen Beim Vorzeigen und Vorführen werden Sachen, Gegenstände, Prozesse, Vorgänge gezeigt bzw. vorgeführt, um eventuellen Lernschwierigkeiten vorzubeugen, die durch einen Mangel an Anschaulichkeit hervorgerufen werden könnten. Sprachliche Erklärungen reichen allein nicht aus, zusätzliche Informationsquellen sind notwendig. Alle zur Verfügung stehenden Medien können dazu eingesetzt werden. Gegenstände und ruhende Erscheinungen bzw. Vorgänge und Prozesse sollten dann vorgezeigt bzw. vorgeführt werden, wenn sie durch einen hohen Abstraktionsgrad, durch eine komplexe und nach außen nicht sehr leicht zu erkennende Struktur gekennzeichnet sind und nicht im unmittelbaren Erfahrungsbereich der jeweiligen Adressaten liegen. Vorzeigen und Vorführen erfordern eine intensive Beobachtungsleistung. Unter Beobachten werden das Erfassen und die geistige Assimilation von Gegenständen und Vorgängen verstanden. Damit die vorgeführten Erscheinungen und Vorgänge in das Denken und Handeln des Lernenden einbezogen werden, muss seine Aufmerksamkeit angeregt werden. Dies geschieht am besten, indem der Lehrer die unterschiedlichen Sinne der Auszubilden-

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den (vor allem Sehen, Hören) anspricht (z. B. durch audiovisuelle Medien), Lernbedürfnisse und Aktivitäten der Lerngruppe nutzt, an Bekanntem anknüpft und es mit dem neuen Lehrstoff „vernetzt“, Erfahrungen und Erlebnisse der Auszubildenden aktiviert. Erklärungen sollten stets zielorientiert sein und sich auf das Wesentliche konzentrieren. In der Phase der Beobachtung fällt dem Lehrer die Aufgabe zu, mithilfe von Erklärungen dafür zu sorgen, dass die Wahrnehmung der Adressaten auf das Erfassen des Gegenstandes oder des Vorgangs gelenkt wird, die Lernenden das Beobachten ordnen und Sinnbezüge herstellen, die Stufen der Verinnerlichung – Wirklichkeit/Modell/Bild/sprachliche Vorstellung – adressatengemäß angewendet werden, während des Beobachtens (Anschauens) für die Auszubildenden eine Möglichkeit der aktiven Auseinandersetzung besteht und die beobachteten Gegenstände und Prozesse von den Lernenden verbalisiert werden.

5.3. Das Vortragen Der Vortrag gestattet es, Lerninhalte in einwandfreier und geschlossener Form – mit den notwendigen Akzentsetzungen – darzustellen. Mithilfe des Mediums „Sprache“ werden Begriffe, Informationen, Vorstellungen, Einstellungen, Bedeutungen vermittelt. Affektive Tönungen und subjektive Einschätzungen schwingen mit. Bei der Einführung neuer Begriffe, bei der Darstellung und Begründung einzelner Arbeitszusammenhänge oder beim Ableiten von Gesetzmäßigkeiten sind Phasen der erläuternden Erklärungen als eine Form des Vortragens bisweilen unabdingbar. Der Vortrag ist sinnvoll bei Themen, die sich als eine fortlaufende Gedankenkette aufbauen lassen, in denen es um aufeinander beziehbare Sachverhalte, um Theorien oder um zusammenfassende Darstellungen geht. Während des Vortragens muss der Auszubildende dem Gedankengang folgen, den „roten Faden“ erkennen können. Durch besondere Hinweise, durch Betonungen, durch den Einsatz von Medien oder durch Wiederholungen desselben Gedankens in unterschiedlichen Formulierungen kann Wesentliches hervorgehoben werden. Teilzusammenfassungen unterstreichen wichtige Aussagen. Auch während des Vortragens sollte individuell auf die Auszubildenden eingegangen werden, z. B. durch Mimik, Gestik oder eine Zwischenfrage, durch persönliches Ansprechen des einen oder anderen, durch Einsatz unterschiedlicher Medien. Entscheidend für einen guten Vortrag ist seine Struktur, also die Art seines Aufbaus. Sie zeigt sich im Sprachgebrauch und im Aufbau der Argumentationskette. Es kommt darauf an, die im Vorfeld des Vortrags gesammelten Ideen, Strukturen und Bilder so zu formen, dass eine dramaturgisch anspruchsvolle, geschickt aufgebaute, dem Ziel des Vortrags dienende Argumentationslinie entsteht. Die Aktivität der Auszubildenden hängt einerseits davon ab, inwieweit es dem Lehrer gelingt, die mit jedem Vortrag verbundene einseitige Beanspruchung zu minimieren. Andererseits kommt es darauf an, die Handlungen und Wahrnehmungen in der Vorstellung der Auszubildenden aufleben zu lassen. „Aus der ursprünglichen Handlung wird damit die Handlungsvorstellung und aus der Wahrnehmung das innere Bild, wobei diese Vorstellungsbilder (images mentales) nicht nur visuelle, den Gesichtssinn, sondern auch auditive, den Gehörs- und andere Sinne betreffende Elemente umfassen“ (Aebli 1983, S. 37). Werden die Bedeutungen auf ihren Kern, ein Geflecht wesentlicher Beziehungen reduziert, also „auf den Begriff gebracht“, dann entstehen möglicherweise Probleme beim Zuhörer. Verfügen sie auch über die abstrakten Begriffe, die der Vortragende verwendet? „Man muß sich diesen Vorgang recht deutlich vergegenwärtigen, denn es ist leicht, ihn durch ein oberflächliches Bild zu verfälschen. Allzu leicht verfällt

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man nämlich der Illusion, daß es möglich sei, Ideen, Vorstellungen und Begriffe einem anderen zu geben, sie ihm als solche zu übermitteln. Demgegenüber sollte man nie vergessen, daß es letzten Endes immer nur Schallwellen sind, welche man zum Ohr des Hörers senden kann, und daß dieser jede einzelne Vorstellung und jeden Begriff, jedes Gefühl und jedes Werterlebnis aus dem Grunde seiner eigenen Seele hervorrufen muß. Wo zum übermittelten Zeichen im Vorstellungsrepertoire des Hörenden nicht das Gegenstück vorhanden ist, wo dieser das entsprechende Gefühl und das entsprechende Werterlebnis nicht aktivieren kann, findet keine Kommunikation statt. Die Resonanz bleibt aus; es werden keine Bedeutungserlebnisse wachgerufen“ (Aebli 1983, S. 42). Die richtige Kombination mit anderen Handlungsmustern wird entscheidend. An vorher festgelegten Stellen sollte der Vortrag deshalb durch geeignete Medien ergänzt und durch stärker schüleraktivierende Methoden erweitert werden. Insbesondere der Dialog erhält in diesem Zusammenhang große Bedeutung. Im Dialog kann durch Fragen Nichtverstandenes aufgedeckt und geklärt werden. Ohne eine solche Ergänzung bleiben Ziele wie Selbstständigkeit, Kreativität, Kooperationsfähigkeit, sprachliche und gedankliche Wendigkeit weitgehend ausgeblendet, und unterschiedliche Lernvoraussetzungen der Adressaten können ebenfalls nur unzureichend berücksichtigt werden. Derjenige trägt erfolgreich vor, der sich auf den Sprachgebrauch der Adressaten und deren Erfahrungshintergrund einstellt, neue Begriffe erklärt und gegebenenfalls an der Tafel bzw. Whiteboard entwickelt, ein kompliziertes Vokabular vermeidet und sich auf das Wesentliche beschränkt, während des Vortragens (Augen-)Kontakt mit den Adressaten (der Lerngruppe) sucht und hält, das freie Vortragen bevorzugt, seinen Vortrag übersichtlich sowie zielorientiert und folgerichtig gliedert und die Informationsübermittlung der Aufnahmefähigkeit der Adressaten anpasst, nicht überhastet spricht, sinnvolle Sprechpausen einlegt und das Sprechtempo dem Bedeutungsgehalt der vorzutragenden Informationen anpasst, das Thema souverän beherrscht, es engagiert, praxisnah und bisweilen auch provozierend präsentiert.

6. Handlungsorientierte Lernarrangements Die Forderung nach handlungsorientiertem Lernen nimmt auf, dass Denken, Wissen und Können sich aus theoriegeleitetem praktischen Handeln entwickeln. „Lernen besteht wesentlich im Herstellen von Sinnbezügen und im Aufbau von sinnvollen Handlungen und Handlungsstrategien. Sinn liegt darin, daß von Beginn an jeder Schritt als Mittel zum Zweck, als Beitrag zur Erreichung eines angestrebten Zieles erkannt werden kann. Ein solches Lernen setzt von Anfang an das Operieren mit komplexen, aber durchaus nicht komplizierten Ganzheiten voraus; denn nur auf diese Ganzheiten bezogen läßt sich der Sinn der einzelnen Teile oder Schritte erkennen. Und es setzt voraus, daß der Lernende selbst die Chance erhält, sich mit Problemen und anspruchsvollen Aufgaben auseinanderzusetzen, daß er selbst Lösungen entwickeln und erproben kann. Hierfür aber sind grundsätzlich individuelle Handlungsspielräume zumindest in Teilbereichen erforderlich“ (Achtenhagen/Tramm 1993, S. 178; Hervorhebungen im Original). Ein solches Lernen ist nicht mit einem Unterricht vereinbar, bei dem Ergebnisse von Handlungen ausschließlich deduziert oder gar nur mitgeteilt werden. Methoden des Lehrens sind nicht als isolierte, an reduzierten, abgebildeten Modellen ausgerichtete Vermittlungstechniken zu begreifen, die dem Lernenden kaum Handlungsräume offen lassen, sondern sind eher als Arrangements zu

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denken und zu entwerfen, die stärker die Repräsentationsformen der Situation und des Exemplums favorisieren. Didaktisch-methodische Entscheidungen zu treffen, bedeutet, die Lernumgebung als Ganzes zu gestalten. Entsprechende Arrangements haben die Funktion, auf Seiten der Lernenden jene Form der Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand zu initiieren, von der begründet erwartet werden kann, dass durch sie die angestrebten Lernziele verschiedener Lernbereiche und auf höheren Taxonomiestufen möglichst vollständig erreicht werden (vgl. Pätzold 1992/1996). Was die Gestaltung handlungsorientierter Lehr-Lern-Prozesse (vgl. Dörig 2003) betrifft, so werden aktivierende Methoden wie der Projekt- und Gruppenunterricht, aber auch moderne Unterrichtsformen wie das E-Learning favorisiert. Selbst gesteuertes Lernen soll betont werden (vgl. Euler/Pätzold 2004; Lang/Pätzold 2002). Dabei soll E-Learning als eine Erweiterung bestehender Lehrmethoden verstanden werden, wodurch neue Möglichkeiten der Veranschaulichung von sowie der aktivierenden Auseinandersetzung des Lernenden mit Lerninhalten entstehen. Dies setzt voraus, dass genügend fachspezifisches Wissen und grundlegende Fertigkeiten beim Lernenden verfügbar sind. Das Handeln des Lernenden wird in den Mittelpunkt des Lernprozesses gestellt; praktisches Tun und Denken werden integriert. Darauf bezogene Kooperationsformen und eine Organisation der Lehrfunktionen müssten deshalb darauf zielen, die Lernenden aktiv einzubeziehen und den Prozess des gemeinsamen Handelns zu unterstützen. Lehrer hätten Vorschläge zu unterbreiten, Planungshilfen zu geben und bei Schwierigkeiten zu helfen, stets im Sinne eines Initiierens von Lernprozessen. Mit zunehmender Selbstständigkeit können die Lernenden über berufliche Handlungszusammenhänge reflektieren und zum eigenen Urteil kommen sowie zu eigenständigem, kompetentem und verantwortlichem Handeln gelangen (vgl. Dubs 1993, S. 233). Darüber hinaus erlaubt E-Learning durch die raum- und zeitunabhängige Bereitstellung von Lerninhalten eine Individualisierung des Lernprozesses (z. B. Ziel-/Inhaltsauswahl, Lerngeschwindigkeit, Lernorganisation) und kann so zur Förderung von Selbstlernkompetenz beitragen (vgl. Euler 2004, S. 11). Des Weiteren ist zu bedenken, dass Handeln weder ausschließlich eine Sache der Rationalität noch eine Angelegenheit des Affektes allein ist. „Motivation, Emotion, Kompetenzgefühl und Stimmungen, Denken, Problemlösen und Entscheiden wirken beim Zustandekommen einer Handlung zusammen“ (Dörner/Kaminski 1987, S. 113–115; zit. nach Heeg/Münch 1993, S. 199). Insofern entwickelt sich Fachkompetenz in Lernprozessen, die zu der kognitiven Dimension auch die affektiven und psychomotorischen Dimensionen aufnehmen. Lehr- und Lernprozesse sind so zu organisieren, dass sich Denken, Wissen und Können aus praktischen, problemhaltigen Handlungssituationen ergeben, ohne das didaktische Prinzip der Wissenschaftsorientierung auszublenden. Das Lernen von planvollem rationalem, die Folgen des eigenen Tuns bedenkendem Handeln bleibt ohne Orientierung der Lernprozesse an den Erkenntnissen und Erkenntnisgewinnungsprozessen der Wissenschaften unvollständig. Das didaktische Leitprinzip der Handlungsorientierung ergänzt also das nicht zu vernachlässigende Prinzip der Wissenschaftsorientierung, verstanden als „Erkenntnisfunktionen des menschlichen Geistes auf ihrem jeweils höchsten Niveau ..., das immerfort reflektierte, über die eigenen Voraussetzungen, Wege und Grenzen nachsinnende, die eigene Verantwortung bedenkende, sich selbst in Frage stellende, unablässige Ringen um Wahrheit ...“. Wenn Wissenschaft „Hingabe an die Sache, Absehen von eigenen Zwecken und Bedürfnissen bedeutet, dann darf der Geist des Unterrichts, jedenfalls soweit er auf Erkenntnis zielt, kein anderer als ein wissenschaftlicher sein“ (Glöckel

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1990a, S. 38; Hervorhebung im Original). Ein solcher Lehr-/Lernprozess kann nicht als bloßer Abbildungsprozess verstanden werden, sondern als aktiver Prozess des Lernenden, als eine spezifische Form menschlichen Handelns, als Auseinandersetzung mit Sachverhalten und selbstentwickelten Fragestellungen, als selbstorganisierter Umgang mit Lernaufgaben bzw. -materialien, als Versuchen und Experimentieren, um Beziehungen bzw. Strukturen zu finden, Regeln zu begreifen oder auch um Fragen zu formulieren. Dies erfordert Veränderungen in der Gestaltung der Lehr- und Lernprozesse und für die Aufgabenwahrnehmung der Lehrpersonen. Mit der Handlungsorientierung ist eine Akzentverschiebung hin zum Können intendiert und möglich. Es muss didaktisch-methodisch umgesetzt werden. Es bedarf einer Strategie zur Steuerung der Könnensprozesse (vgl. Klauser 2000b, S. 117ff.). Zur Umsetzung solcher Steuerungsprozesse können die Instruktionsansätze Problem-Based-Learning, Cognitive Apprenticeship und Anchored Instruction gesehen werden (vgl. Klauser 2000a; Lang 2004, S. 163ff.; Reinmann-Rothmeier/Mandl 2001, S. 617ff.). Das Ziel des Cognitive-Apprenticeship-Ansatzes ist die Vermittlung von anwendungsrelevantem Handlungswissen. Das Grundprinzip, charakteristische Elemente der traditionellen Handwerkslehre auf kognitive Lehr-Lernprozesse zu übertragen, besteht darin, den Lernenden nach anfänglich starker Unterstützung durch den Lehrenden schrittweise zu mehr Selbstständigkeit und Eigenverantwortung zu führen. Während der Lehrende sein Handeln und Vorgehen zunächst transparent macht und verbalisiert, werden im Laufe des Lernprozesses mit zunehmendem Können die Hilfestellungen ausgeblendet (vgl. Pätzold/ Lang 1999, S. 118f.; Lang/Pätzold 2002, S. 60f.). Wie beim Cognitve Apprenticeship ist auch das Problem-Based-Learning untrennbar mit Hilfestellung und Unterstützung der Problemlöse- und Lernprozesse der Lernenden durch Experten (i. d. R. Lehrende) verbunden. Problem-Based-Learning richtet sich allerdings auf die Verknüpfung der Entwicklung einer elaborierten Wissensbasis bei Lernenden mit dem Erwerb oder dem Herausbilden von allgemeinen und fachspezifischen Lerntechniken und Problemlösestrategien (vgl. Klauser 1998). Der Anchored-Instruction-Ansatz arbeitet mit dem „Einsatz narrativer ,Anker‘ [...], die Interesse wecken, die Identifizierung und Definition von Problemen ermöglichen sowie die Aufmerksamkeit der Lernenden auf das Wahrnehmen und Verstehen dieser Probleme lenken sollen“ (Lang 2004, S. 168). Die Präsentation einer möglichst authentischen Geschichte (z. B. per Video) als Ausgangspunkt eines Lernprozesses soll alle für die Lösung eines Problems notwendigen Informationen bereits enthalten, so dass die Lernenden eine am Ende der Geschichte skizzierte komplexe Problemstellung eigenständig lösen können. Im Rahmen dieser Aufgabenerfüllung haben auch traditionelle Methoden ihren Platz, wenn auch unter veränderter Perspektive beispielsweise im Sinne der Verbindung von fachlichen und fächerübergreifenden Bildungsinhalten. Auch der Frontalunterricht ist sinnvoll und unverzichtbar, wenn er in Unterrichtsformen integriert ist, die Eigentätigkeit, Selbststeuerung und Kooperation der Lernenden fördern, im Rahmen dieser Interpretation als wichtige Phase eigenständige didaktische Funktionen hat und professionell gestaltet wird (vgl. Gudjons 2003). Interessant in diesem Zusammenhang ist der Einblick in das unterrichtsmethodische Geschehen des berufsbezogenen Unterrichts. Als zentrales Ergebnis zur Einsatzhäufigkeit verschiedener Lehr-Lernmethoden lässt sich aus einer Studie (Pätzold u. a. 2003) feststellen, dass zwar vielfältige Methoden zum Einsatz kommen, allerdings in einem extrem ungleichgewichtigen Häufigkeitsverhältnis. Der Frontalunterricht dominiert deutlich das unterrichtsmethodische Geschehen, während eher handlungs-

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orientierte Lehr-Lern-Methoden nur ergänzend oder sogar überhaupt nicht eingesetzt werden. Der Frontalunterricht eignet sich vor allem dafür, die Stofffülle des Lehrplans zu bewältigen, Begriffswissen aufzubauen und Zusammenhangswissen zu erarbeiten. Der Frontalunterricht leistet hingegen kaum einen Beitrag zur situationsgerechten Anwendung des Wissens, zur Förderung der Problemlösefähigkeit und zur Entwicklung der Selbstständigkeit der Schülerinnen und Schüler. Hierfür eignen sich vielmehr die handlungsorientierten Methoden. Insofern sollte der Lehrende immer mehrere Lehrmethoden präsent haben, die er mühelos situationsorientiert einsetzen kann. Es gilt, didaktisch-methodische Akzente aufzunehmen, nicht als normierende Vorgabe für eine pädagogische Tätigkeit nach dem ZweckMittel-Schema, sondern als Methode des Aneignens und Erkennens, die von den Lernenden selbsttätig und selbstständig praktiziert werden kann. Darauf bezogene Lehr- und Lernprozesse müssten vermehrt Gegenstände in den Formen der Situationen und des Exemplums repräsentieren. Das Exemplum ist jedoch nur dann didaktisch sinnvoll, wenn es aufschließende Wirkungen für ein ganzes Stoffgebiet besitzt. Diese Art der Konstitution von Lernarrangements öffnet dem Lernenden dann breiten Raum für die Entfaltung aktiven und initiativen Handelns, wenn das „Provozieren von problemorientiertem Lernen“, das „Arrangieren von entdeckendem Lernen“, das „Konstruieren von situativem Lernen“ oder das „Modellieren von simulativem Lernen“ (Bönsch 1991, S. 721) miteinander kombiniert werden, ohne auf modellhafte Repräsentation – wenn sie nur nicht den gesamten Prozess dominieren – zu verzichten. Damit zu verbinden wäre, dass bestimmte Modelle über offene Arbeitsformen angeeignet werden können, etwa dadurch, dass Aspekte eines Gegenstandes relativ selbstständig in Gruppenform erarbeitet werden. Dazu gehören vor allem das Projektlernen, die Fallstudie, Leittexte, das Planspiel, das Rollenspiel, die Erkundung, das Experiment und das Praktikum (vgl. Pätzold/Lang 1999). Sie sollen u. a. die Lernenden zu selbstständiger Arbeit ermutigen, deren Ergebnisse dann wieder in das Gesamt des Lehr- und Lernprozesses eingebracht werden, was auch heißt, sie mit linearen Lehrgängen zu kombinieren. Solche tendenziell-selbstorganisierten Lernprozesse werden durch den Lehrer im Sinne von Formulierungs-, Informations-, Planungs-, Entscheidungs-, Durchführungs- und Bewertungshilfen bei den Stufen der Problemerhellung, der Meinungsbildung, des Planens, des Konstruierens, des Experimentierens, aber auch des Schließens, des Abstrahierens und der Ergebnissicherung unterstützt werden müssen, was mehr Vorbereitung vom Lehrer verlangt. Die wesentlichen Leistungen werden im Vorfeld während der umfangreichen Planung erbracht. Er muss planen und sich bei der Umsetzung zurücknehmen.

7. Schlussbetrachtung Auf der Basis der vorangegangenen Überlegungen ist zu betonen, dass guter, die Fachkompetenz der Lernenden fördernder Unterricht nicht bereits durch eine vorher geplante und vom Lehrer geführte Abfolge von Unterrichtsphasen, sondern hauptsächlich durch strukturierte Unterrichtssituationen und die Aktivität der Lernenden zu erreichen ist, durch ihre eingebrachten Fragen, Vermutungen, Ideen, Lösungen. Fremd- und Außensteuerung sollen zugunsten selbst gesteuerter Lernprozesse mit Blick auf die Variabilität didaktischmethodischer Bemühungen weitgehend weichen. Ein solcher Unterricht setzt kognitive Strukturierung von Lebenswirklichkeit als Prozess des intelligenten, eigenständigen Fra-

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gens, Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen und des Handelns, Einfühlungsvermögen, aber auch die Bereitschaft und Fähigkeit zur verständigungsfördernden Gesprächsführung aller Beteiligten voraus. Er lässt Umwege zu, erfordert das intuitive Erfassen „fruchtbarer Momente“ (Copei) und eine stärkere Selbstkontrolle durch die Lernenden. Dies ruft den Lehrer in die Verantwortung, didaktisch-methodische Vermittlungsgrundsätze in spezifischer Weise zu akzentuieren.

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Entwicklung von Schlüsselqualifikationen in der Berufsschule Rolf Dubs

Rolf 1. Entwicklung Veränderte Dubs von Schlüsselqualifikationen Anforderungen an in der den Berufsschule Berufsschul-Unterricht Über Jahrzehnte hat sich das duale Berufsbildungssystem mit seiner berufsbegleitenden Berufsschule bewährt. In den letzten Jahren haben sich aber die Verhältnisse im Umfeld der Berufsbildung dermaßen verändert, dass die Ausgestaltung des Systems und vor allem der Unterricht an der Berufsschule grundsätzlich zu überdenken sind. Im Vordergrund stehen insbesondere drei Veränderungen: (1) Die Anforderungen an die Auszubildenden steigen fortwährend an, und dies nicht nur im eigenen Berufsfeld, sondern es ist damit zu rechnen, dass in Zukunft jedermann während seiner Lebensarbeitszeit seinen Beruf einbis zweimal wechseln muss, was an Fähigkeiten wie selbständiges Lernen, Flexibilität usw. völlig neue Anforderungen stellt. (2) Im Betrieb sehen die Auszubildenden immer ausgeprägter nur noch Teilbereiche aus den Aktivitäten. Im Gegensatz zu früher fehlt es an Möglichkeiten einer funktionalen Bildung, die den Einblick in das Ganzheitliche des unternehmerischen Geschehens gewissermaßen beiläufig gibt; deshalb wird das Ganzheitliche in der Berufsbildung zur wesentlichen Aufgabe der Berufsschule. (3) Die Wünsche des modernen Menschen nach mehr Autonomie lassen sich mit einer traditionellen, engen und spezialisierten beruflichen Bildung nicht verwirklichen. Zusammen mit den aus Gründen der Arbeitszufriedenheit zukunftsträchtigeren Mischarbeitsplätzen setzen diese Autonomiebedürfnisse ganzheitlich denkende und handelnde Persönlichkeiten voraus, die über ein Wissen und Können verfügen müssen, das sie zur Bewältigung laufend neuer und unerwarteter Situationen befähigt.

2. Schwachstellen im Unterricht an Berufsschulen Angesichts dieser veränderten Anforderungen im Umfeld vermögen die folgenden Merkmale in weiten Bereichen des Berufsschulunterrichtes nicht mehr zu genügen: (1) Die Lehrpläne orientieren sich noch zu stark an oft traditionellen beruflichen Fertigkeiten. (2) Sie beinhalten zudem auch zu viel additives Faktenwissen, das sich an herkömmlichen Berufsvorstellungen orientiert und ohne sinnvolles kognitives Konzept aneinandergereiht wird. (3) Die fast ausschließlich vorherrschende Zerfächerung der Stundentafel sowie das Lektionenmuster der Stundenpläne führen letztlich zu einer Atomisierung der Lehrinhalte, die – verstärkt durch das Bestreben nach Vollständigkeit und infolge knapper Unterrichtszeiten – zu einem stark passiven Lernen verleiten. Formale Fähigkeiten, die ein aktives Lernen bedingen, werden stark vernachlässigt. (4) Schließlich ist der Berufsschulunterricht vielerorts von nicht mehr durchwegs zeitgemäßen pädagogischen Prinzipien geleitet, bei-

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spielsweise von der überholten Vorstellung, man müsse immer vom Einfachen zum Komplexen aufbauen, oder es dürften im Interesse der intellektuellen Sicherheit für Jugendliche nur Probleme bearbeitet werden, die richtige oder falsche Lösungen ergeben.

3. Ursachen der ungenügenden Veränderungen Diese Schwachstellen des beruflichen Unterrichtes werden seit anfangs der achtziger Jahre mit großer Regelmäßigkeit von vielen Wissenschaftlern aufgezählt. Warum aber bereitet eine grundlegende Erneuerung so viel Mühe? Aus meiner Sicht sind es vier Ursachen: 1. Zwar werden neue Unterrichtsansätze, die diese Mängel zu überwinden vermöchten, entwickelt. So lange sie aber nur theoretische Konstrukte bleiben und nicht in der Lehrerbildung selbst konsequent angewendet werden, lassen sie sich in der Praxis nicht durchsetzen. Neuerungen für die Schule müssen in der Lehrerbildung konkret vorgelebt werden. 2. Weil Lehrplan- und Stundenplanorganisation an Berufsschulen relativ starr sind, fehlen oft die organisatorischen Voraussetzungen für neue didaktische und methodische Ansätze (in einem zerfächerten Wirtschaftskunde-Unterricht beispielsweise von 40 Wochen mit einer wöchentlichen Lektion lässt sich ein sinnvoller Projektunterricht kaum verwirklichen). 3. Besonders verhängnisvoll auf Neuerungen in der Berufsbildung wirkt sich das Prüfungswesen aus. Solange letztlich die Prüfungen den Unterricht prägen und diese selbst in der schlechtesten Form durchgeführt werden (z. B. ausschließlich MehrfachwahlAufgaben mit einem Schwergewicht auf wenig sinnvollem Abfragen von Faktenwissen, vgl. z. B. Metzger/Waibel 1993), wird sich am Unterricht nichts verändern. Prüfungen böten eine einmalige Gelegenheit, den Unterricht umzuorientieren, sofern sie auf neue Anforderungen der Berufsbildung ausgerichtet würden. 4. Mitverantwortlich für die ungenügenden Veränderungen ist aber auch die Wissenschaft selbst. Sie entwirft laufend neue Ansätze (Schlüsselqualifikationen, handlungsorientiertes Lernen, komplexe Lehr-Lern-Arrangements, Projektunterricht usw.), mit denen die aufgezählten Schwachstellen überwunden werden sollen. Sie versäumt es aber oft, genügend klare und vor allem der modernen Lehr-Lernforschung entsprechende begriffliche Abgrenzungen vorzunehmen. Als Folge davon entsteht unter den Lehrkräften nicht nur eine unheilvolle Verwirrung (wie dies gegenwärtig mit Schlüsselqualifikationen und handlungsorientiertem Lernen der Fall ist), sondern es entwickeln sich auch „modische“ Fehlkonzepte, die immer wieder zu extremen Gegenbewegungen führen und zur allgemeinen Verunsicherung beitragen. In vielen Fällen beschränken sich die wissenschaftlichen Auseinandersetzungen auf theoretische Abhandlungen. Veränderungen anhand neuer Ansätze erfordern aber für den Alltagsunterricht brauchbare Anwendungsbeispiele. Zwar steigt die Zahl der Wissenschaftler, die Unterrichtsbeispiele vorlegen. Leider sind sie aber oft nicht unter alltäglichen Situationen getestet (z. B. nur in einer Versuchsschule mit unüblichen Freiheiten, mit einer bestimmten Gruppe von Schülerinnen und Schülern, unter unrealistischen Zeitverhältnissen), so dass sie im Schulalltag häufig nicht eingesetzt werden können. Weiter wird gerne übersehen, dass die Verbesserung des Unterrichtes mit neuen Ansätzen viel Weiterbildung für die Lehrkräfte bedingt, denn sie setzen bedeutend mehr praktische Erfahrung, Wis-

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sen und Können voraus als traditioneller Unterricht. Und schließlich benötigen neue Ansätze viel mehr Vorbereitungszeit für die Lehrkräfte als herkömmlicher Unterricht, eine Begrenzung für jede Neuerung im Unterricht, gar wenn geglaubt wird, sie könnte in Ausschließlichkeit und innert kürzester Zeit eingeführt werden.

4. Postulate Aufgrund der breiten Kritik wurden in den letzten zwei Jahrzehnten unendlich viele Vorschläge zur Verbesserung der Berufsbildung gemacht. Sie lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Konzentration auf Grundsätzliches und Bleibendes: Die schulische und die betriebliche Berufsbildung sind so zu konzipieren, dass nur noch solches Wissen und solche Fertigkeiten und Fähigkeiten vermittelt werden, die einen großen Transfer für neue berufliche Anforderungen erbringen. Dadurch wird der Unterricht von vielen Einzelheiten und einem zu engen Alltags- und Aktualitätsbezug entlastet. 2. Orientierung an komplexen, lebens- und berufsnahen, ganzheitlich zu betrachtenden Problembereichen: Nicht vereinfachte (reduktionistische) Modelle, sondern die Realität (unstrukturierte Probleme) sind im Unterricht zu bearbeiten, denn verstehen lässt sich etwas nur, wenn es im komplexen Gesamtzusammenhang erfasst ist, dann Einzelheiten im Gesamtzusammenhang betrachtet und vertieft und schließlich wieder in den Gesamtzusammenhang gebracht werden (das Ganze ist mehr als seine Teile). 3. Verlagerung des Lernens auf die Person: Der Schwerpunkt der Bildung ist von der Situation auf die Person mit ihrer Persönlichkeit zu verlagern. Dies bedingt, dass bei den Lernenden Bereitschaften geschaffen werden, die sich auf alle menschlichen Lern-, Handlungs-, Gestaltungs- und Entfaltungsprozesse auswirken, damit sie gewillt sind, individuelle Erfahrungen zu gewinnen und nicht nur vermittelte Lerninhalte aufzunehmen. Entscheidend ist die aktive Auseinandersetzung mit Problemen und Inhalten, die alle Lernenden für sich verständlich machen müssen, und die sie in ihren bestehenden Wissens- und Könnensschatz einbauen müssen. 4. Lernen als aktiver Prozess: Ein solches Lernen ist nicht nur eine oberflächliche Aktivität (Aktionismus), sondern es geht um einen aktiven Prozess, indem das Lernen aus neuen, eigenen Erfahrungen das individuell vorhandene Wissen und Können als Ganzes (in seiner Struktur) verändert und personalisiert, d. h. auf das eigene Verstehen ausrichtet. 5. Lernen in Gruppen: Bei diesen Lernprozessen kommt dem kollektiven Lernen in Gruppen große Bedeutung zu. Dies nicht nur um die Teamarbeit, die im Berufsleben immer wichtiger wird, zu stärken, sondern vor allem um die Lernenden zu befähigen, individuelle Interpretationen von komplexen Lernsituationen, eigene Annahmen und Ideen zu Problemlösungen aus der Diskussion in Gruppen zu verbessern und in verstandene, eigene Strukturen zu bringen. Diese fünf Anforderungen entsprechen dem handlungsorientierten Lernen, bei welchem die Lernenden durch eigene Lernaktivitäten an komplexen Lernsituationen praktisches Handeln und Denken in einem Dreischritt vereinen: Handeln (aktiver, gestaltender Umgang mit der konkreten und abstrakten Umwelt) – Denken (ordnendes Tun) – Handeln (Anwendung in neuen Situationen).

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Mitte der achtziger Jahre entdeckte die breite Öffentlichkeit, dass der 1974 von Mertens entworfene Ansatz der Schlüsselqualifikationen diesen fünf Postulaten Rechnung tragen könnte. Deshalb stand er unvermittelt im Zentrum berufspädagogischen Denkens. Da Mertens stärker aus der Sicht der Arbeitsmarktpolitik argumentierte und kein konkretes pädagogisches Konzept vorlegte, seine Ideen aber Antworten auf die Schwachstellen der beruflichen Bildung zu geben schienen, ist es nur verständlich, dass viele „präzisierende“ Konzepte zum Schlüsselqualifikationsbegriff entwickelt wurden (vgl. die sehr sorgfältige Analyse bei Dörig 1994). Allerdings entstanden auch unzulässige Vereinfachungen, die unter Lehrkräften zu immer größeren schlagwortartigen Verwirrungen führen. In den Vereinigten Staaten wird die Diskussion über Schlüsselqualifikationen in der Berufsbildung nicht geführt. Im Mittelpunkt stehen immer noch schwergewichtig behavioristische Konzepte (siehe Goldstein 1993). Dies ist zweifellos darauf zurückzuführen, dass die USA über kein eigenständiges Berufsbildungssystem verfügen und die betriebliche Berufsausbildung stark kurzfristig und auf unmittelbare Nützlichkeit ausgerichtet ist. Hingegen werden die obigen fünf Postulate für die Verbesserung der Schule in nahezu gleichlautender Form von der Bewegung des Konstruktivismus vertreten (vgl. Duffy/Jonassen 1992; Grennon Brooks/Brooks 1993), wobei – ähnlich wie bei den Schlüsselqualifikationen – das Meinungsspektrum immer größer wird. Die Vertreter der WIG-Richtung (within information given) lassen sich in etwa von den obigen fünf Postulaten leiten, während die Vertreter des BIG-Ansatzes (beyond information given) viel weiter gehen. Für sie gibt es kein objektives Wissen, das vermittelt werden kann, sondern die Lernenden müssen durch kollektives und selbstgesteuertes Lernen an für sie interessanten Gegenständen ihr ganzes Wissen und Können selbst konstruieren – ein Ansatz, dem ich für die Berufsbildung überhaupt keine Zukunft gebe, so dass nicht weiter darauf eingegangen wird.

5. Wichtige Schlüsselqualifikations-Konzepte Im Folgenden werden die aus meiner Sicht wichtigsten vier Schlüsselqualifikationskonzepte dargestellt und mit den obigen fünf Kriterien verglichen.

5.1. Das Schlüsselqualifikations-Konzept von D. Mertens (1974) Mertens ging in seinen Überlegungen von der Situation der jungen Generation auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft aus. Er bezweifelte, dass die bestehende Berufsbildung geeignet war, die Jugendlichen auf Beruf und Leben vorzubereiten. Deshalb bedeutete seine Idee der Schlüsselqualifikationen eine Erneuerung der gesamten Berufsbildung, indem er eine Entspezialisierung und eine höhere Abstraktheit der zu erwerbenden Kenntnisse und Fähigkeiten anstrebte, womit die angehenden Berufsleute besser auf den raschen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technischen Wandel vorbereitet werden sollten. Deshalb schlug er vor, die gesamte berufliche Bildung auf vier verschiedene Typen von Schlüsselqualifikationen auszurichten: Basisqualifikationen, Horizontalqualifikationen, Breitenelemente, Vintage-Faktoren. Basisqualifikationen sind Qualifikationen höherer Ordnung oder „gemeinsame Dritte“ von Einzelfähigkeiten wie logisches Denken, kritisches Denken, kreatives Vorgehen, kontextuelles Denken usw. Horizontalqualifikationen dienen einer möglichst effizienten Nutzung der Informationshorizonte, d. h. die Lernen-

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den sollen Zugriffswissen zu Informationen haben (Wissen, was Informationen sind, wo sie gesucht und wie sie rasch verstanden und verarbeitet werden können). Breitenelemente sind spezielle Kenntnisse und Fertigkeiten der beruflichen Tätigkeiten am Arbeitsplatz, die immer wieder in gleicher Weise mit anderen Qualifikationselementen gebraucht werden (z. B. Kenntnisse in der Messtechnik oder in der Maschinenwartung). Die Vintage-Faktoren schließlich dienen der Beseitigung von intergenerativen Bildungsdifferenzen, also solcher Wissens- und Könnensunterschiede, die zwischen verschiedenen Absolventengenerationen einer Ausbildung bestehen. Solche Leistungsdifferenzen zwischen Generationen lassen sich etwa durch Basiswissen über die Relativitätstheorie und Nuklearphysik, Grundwissen über fremde Kulturen, Verfassungsrecht usw. verringern. Diese vier Gruppen von Schlüsselqualifikationen, die inhaltlich umfassend und detailliert zu bestimmen sind, stellen den Kern einer künftigen Schulungszivilisation dar, die auf drei Hypothesen beruht, die zugleich auch Beurteilungs- und Erfolgskriterien für eine schlüsselqualifikationsorientierte Ausbildung abgeben (Mertens 1989; Blaschke 1987; Bunk 1991): 1. Im Beruf später geforderte Anpassungsleistungen erfolgen später umso leichter, je größer das individuelle Flexibilitätspotential ist, das auf einem hinreichenden Ausmaß an verfügbaren Schlüsselqualifikationen beruht. 2. Das Obsoleszenztempo (Veralten von Bildungsinhalten) korreliert positiv mit der Praxisnähe. Schlüsselqualifikationen vermindern das Obsoleszenztempo. 3. Je dynamischer und unvorhersehbarer die gesamte Wirtschafts- und Technologieentwicklung abläuft, desto bedeutsamer werden die Schlüsselqualifikationen.

5.2. Schlüsselqualifikationen und Persönlichkeit nach L. Reetz (1990, 1993) Reetz hat früh die Gefahren des Ansatzes von Mertens (Rückfall in die funktionale Bildungstheorie) erkannt und seinen Ansatz als Persönlichkeitstheorie entwickelt. In den Mittelpunkt stellt er die menschliche Handlungsfähigkeit, die sich in drei Dimensionen aufgliedern lässt: (1) sacheinsichtiges Verhalten und Handeln (Sachkompetenz und intellektuelle Mündigkeit), (2) sozialeinsichtiges Verhalten (Sozialkompetenz und soziale Mündigkeit), und (3) werteinsichtiges Verhalten (Selbstkompetenz und moralische Mündigkeit). Diesem zentralen Handlungssystem sind fünf Systeme menschlicher Kräfte und Fähigkeiten, nämlich das Antriebssystem, das Wertungssystem, das Orientierungssystem, das Steuerungssystem und das Lernsystem vorgelagert. In dieser Systematik lassen sich drei Fähigkeitsgruppen unterscheiden: (1) persönlich-charakterliche Grundfähigkeiten (Einstellungen, normative Orientierungen, charakterliche Eigenschaften, Aktivität, Initiative, Lernbereitschaft; zusammenfassend die „Ich-Kompetenz“); (2) leistungstätigkeits-aufgabengerichtete Fähigkeiten (z. B. Problemlösen, Entscheiden, Konzepte entwickeln; zusammenfassend „sachbezogene Methodenkompetenz“) sowie (3) sozial gerichtete Fähigkeiten (z. B. Kooperationsfähigkeit, Konfliktbewältigung, Verhandlungsfähigkeit; zusammenfassend „Sozialkompetenz“). Diese Fähigkeiten (Schlüsselqualifikationen) sind als allgemeine Lernziele mit konkreten inhaltlichen Lernzielen in Beziehung zu bringen. Sie setzen Schlüsselsituationen voraus, in denen handlungsorientiertes Lernen erfolgt, d. h. Lernprozesse anvisiert werden, bei denen sich Persönlichkeitsbildung und Erkenntnisbildung auf der Grundlage tätiger Auseinandersetzungen mit der Umwelt vollziehen. Dazu eignen sich

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insbesondere Problemlöseprozesse anhand von Konfliktsituationen, die im Sinne des entdeckenden Lernens bearbeitet werden, so dass sich die Begrifflichkeit (Strukturen) aus tatsächlichen oder simulierten Handlungen entwickelt.

5.3. Der Schlüsselqualifikations-Ansatz nach U. Laur-Ernst (1990, 1991) Laur-Ernst orientiert sich am Bildungsziel der beruflichen Handlungsfähigkeit. Gefragt ist die konkrete Bewältigung von berufstypischen Problemen und Situationen, für die stets ein Bündel von Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten integrativ angewendet werden muss. Deshalb bedarf es in der Berufsbildung entspezialisierter berufsübergreifender Qualifikationen. Sie unterscheidet dazu drei Kategorien: (1) Interdisziplinäres (zwischenberufliches) überlappendes Wissen (z. B. kaufmännisches Wissen für den Metalltechniker, grundlegende Kenntnisse zur Arbeitsorganisation); (2) methodisches, verfahrens- und „verhaltens“-technisches Können (z. B. Bedienung von PC, Arbeitsweisen) sowie (3) persönlichkeitsbezogene Fähigkeiten und Bereitschaften (z. B. Kreativität, Urteilsfähigkeit). Der Aufbau dieser berufsübergreifenden Qualifikationen darf weder zu einer Wiederbelebung einer inhaltsneutralen formalen Bildung noch zu einer Entberuflichung der Berufsbildung führen, sondern er muss an jenen Dingen und Situationen geschehen, welche für das berufliche Handeln konstitutiv sind. Methodisch sind jene Konzepte in den Mittelpunkt zu stellen, welche sich auf sozial- und kognitionspsychologische Handlungs- und Entwicklungstheorien gründen und die Persönlichkeit zum zentralen Anliegen haben (Projektunterricht, Erkundungen, Übungsfirmen usw.). Nur auf diese Weise gelingt es, die Sachlogik traditioneller Fächergliederungen zu überwinden und die berufsrelevante Realität zugrunde zu legen, die Entscheidungs- und Handlungsspielräume eröffnet und kooperative, aktiv-konstruierende Lernprozesse ermöglicht.

5.4. Das PETRA-Projekt der Siemens AG (Klein 1990) Im PETRA-Projekt steht eine transferorientierte Ausbildung im Vordergrund, bei der einmal Gelerntes auf veränderte oder neue Situationen angewendet oder bei neu zu Lernendem auf frühere Erfahrungen zurückgegriffen werden kann. Die Schlüsselqualifikationen bilden dazu die Voraussetzungen. Sie stellen wesentliche Merkmale der Einzelpersönlichkeit dar und sind Regulatoren für das menschliche Zusammenleben. Sie haben nicht nur im Arbeitsleben ihre Bedeutung, sondern sie prägen ganz allgemein auch das Zusammenleben in Familie und Gesellschaft. Individuell betonte Schlüsselqualifikationen beziehen sich auf die Einzelpersönlichkeit; mit ihrem sozialen Charakter sind sie Ausdruck der menschlichen Beziehungen. Als berufs- und fächerübergreifende Fähigkeiten ergänzen sie die beruflichen Qualifikationen. Diese Schlüsselqualifikationen werden im PETRA-Projekt in einer Taxonomie zusammengefasst, die horizontal nach fünf Dimensionen mit den entsprechenden Zielbereichen und vertikal nach vier aufeinander aufbauenden Lernstufen gegliedert ist. Die Dimensionen sind: (I) Organisation und Ausführung der Übungsaufgabe (mit den Zielbereichen Arbeitsplanung, Arbeitsausführung, Ergebniskontrolle); (II) Kommunikation und Kooperation (Verhalten in der Gruppe, Kontakt zu andern, Teamarbeit); (III) (Anwenden von Lerntechniken und geistigen Arbeitstechniken (Lernverhalten, Auswerten und Weitergeben von Informationen); (IV) Selbständigkeit und Verant-

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wortung (Eigen- und Mitverantwortung bei der Arbeit) und (V) Belastbarkeit (psychische und physische Beanspruchung). Diese fünf Dimensionen betreffen jeweils vier Lernstufen: Reproduktion, Reorganisation, Transfer und Problemlösen. Diese fünf Dimensionen und vier Lernstufen sind als Matrix dargestellt, in welcher umschrieben ist, was die Lernenden und die Ausbildner können bzw. tun müssen, wobei sich die Rolle des Ausbildners mit zunehmender Komplexität vom „Unterweiser“ zum „Lernberater“ verändert bzw. das eigenständige Lernen zum tragenden Faktor wird. Zu den einzelnen Feldern der Matrix (Schlüsselqualifikationen) sind ergänzend immer konkrete, auf die berufliche Tätigkeit ausgerichtete (fachliche) Lernziele festzulegen, die die Schlüsselqualifikationen mitberücksichtigen.

5.5. Gegenüberstellung und Vergleich mit den Postulaten Diese knappe Darstellung zeigt, dass diese vier Ansätze den fünf Anforderungen an eine moderne Berufsbildung Rechnung tragen wollen. Mertens Verdienst liegt darin, dass er den Anstoß zur Diskussion der Frage gegeben hat, wie die Berufsbildung auf das Grundsätzliche und Bleibende konzentriert werden kann. Seine Idee, sich auf zukunftsträchtige Schlüsselqualifikationen auszurichten, ist faszinierend. Seine Erkenntnisse bleiben aber beschränkt, weil sie sich mehr an der berufs- und beschäftigungsorientierten Verwertbarkeit und damit arbeitsmarktpolitischen Zielvorstellungen orientieren. Die Frage einer systematischen Entwicklung von zukunftsträchtigen Qualifikationen, deren Zusammenhang mit der inhaltlichen Seite sowie die Probleme des Transfers vernachlässigt er aber weitgehend. In dieser Hinsicht geht Reetz deutlich weiter, indem er mit dem Einbezug der Persönlichkeitstheorie die Verlagerung des Lernens auf die Person vornimmt (und damit konstruktivistische Elemente in das Schlüsselqualifikationskonzept hineinträgt) sowie das Lernen als aktiven Prozess definiert. Auch verweist er auf den Zusammenhang von Inhalten und Fähigkeiten, der eine Voraussetzung für einen wirksamen Transfer ist. Er überwindet auch die funktionalistische Ausprägung des Ansatzes von Mertens, indem er zeigt, wie mit dem einschlägigen Fachwissen eine berufliche Handlungskompetenz im Sinne einer Sach-, Sozial- und Selbstkompetenz aufgebaut werden kann. Leider hat aber Reetz das Inhaltsproblem noch zu wenig analysiert, so dass auch bei ihm die Transferfrage noch der Lösung harrt. Ähnliches gilt für den Ansatz von Laur-Ernst. Auch sie begnügt sich mit einer Kategorisierung von Schlüsselqualifikationen ohne genügende Klärung des Zusammenhanges von Wissen und Fähigkeiten. Insbesondere fehlen Hinweise zum Stellenwert des fachspezifischen Wissens und notwendiger Fertigkeiten als Voraussetzungen zur Entwicklung von Schlüsselqualifikationen. Das PETRA-Projekt dient wahrscheinlich der Praxis in der beruflichen Bildung am meisten, weil seine Taxonomie als Anleitung oder Checkliste für einen Unterricht im Sinne der fünf Postulate dienen kann. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass deren praktische Umsetzung sehr viel pädagogische Kreativität voraussetzt, andernfalls kommt es zu einer schematischen Abhandlung der verschiedenen Matrixfelder, was nicht der Sinn der anzustrebenden Ganzheitlichkeit ist. Meines Erachtens hat die „Schlüsselqualifikations-Bewegung“ für den Ausbildungsalltag noch nicht das erbracht, was sich viele Praktiker von ihr erhoffen. Dafür sind mehrere Ursachen verantwortlich: Erstens wird versucht, den komplexen Bildungsauftrag in ein „System“ hineinzuzwingen. Dies mag für ausgewählte Beispiele gehen; die ganze berufliche Bildung aber darauf auszurichten, überfordert ein einzelnes System. Wahrscheinlich kann

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der Bildungsauftrag nur in einer Vielfalt von Formen erreicht werden. Zweitens weckt der Schlüsselqualifikationsansatz viele Erwartungen zur Überwindung von Schwachstellen in der beruflichen Bildung. Bei genauerem Hinsehen kann er aber diese Erwartungen nicht einlösen, weil er die Inhaltsfrage nicht besser löst als traditionelle Curriculumansätze. Trotzdem übernehmen drittens Praktiker ohne Bezug zum Forschungsstand ihnen genehme Aspekte des Konzeptes und vertreten sie als letzte Wahrheit, was letztlich zu dessen Misserfolg führt. Deshalb sollen im Folgenden die offenen Fragen des Schlüsselqualifikations-Konzeptes angesprochen werden.

6. Offene Fragen des Schlüsselqualifikations-Konzeptes 6.1. Das Schlüsselqualifikations-Dilemma Der lernpsychologische Ausgangspunkt einer kritischen Betrachtung liegt im „Schlüsselqualifikations-Dilemma“ (Zabeck 1991), das aufzeigt, dass der Begriff Schlüsselqualifikation ein Problem erneut aufwirft, das die Pädagogik unter verschiedensten Titeln seit jeher beschäftigt hat:

> Je allgemeiner und unspezifischer die Schlüsselqualifikationen definiert werden, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Transfer misslingt.

> Je enger und situationsspezifischer die Schlüsselqualifikationen gefasst werden, desto weiter entfernen sie sich von der ihr zugesprochenen Form. Dieses Dilemma verweist auf den alten, inzwischen gelösten Streit zwischen materialer und funktionaler (formaler) Bildung. Dort, wo Schlüsselqualifikationen ohne Bezug auf Inhalte nur im Sinne von Fähigkeitskatalogen umschrieben werden, findet kein Transfer statt. Fähigkeitskataloge stellen nur dann keinen Rückfall in die überholte Theorie der funktionalen Bildung dar, wenn auch gesagt wird, mit welchen Inhalten diese Fähigkeiten einzuüben sind. Damit muss die Frage nach den „richtigen“ Inhalten auch im Zusammenhang mit den Schlüsselqualifikationen gelöst werden. Oder anders ausgedrückt: Das Schlüsselqualifikationskonzept löst das Problem der Stoffüberfülle aus sich allein nicht.

6.2. Die Inhaltsproblematik Schlüsselqualifikationen wollen antizipativ sein, d. h. auch für die Zukunft gültige Fähigkeiten und Inhalte umfassen. Während sich abzeichnet, dass antizipative Fähigkeiten empirisch bestimmbar sind (Reetz 1993), ist es unmöglich, die künftig relevanten Inhalte zu erfassen, denn diese lassen sich nicht mit derjenigen Genauigkeit erfassen, die für didaktische Entscheidungen nötig ist. Weil für ein transferwirksames Lernen Fähigkeiten und Inhalte miteinander zu verbinden sind (vgl. die ausführliche Argumentation und Belegführung bei Dörig 1994), bleibt die Inhaltsfrage auch bei Schlüsselqualifikationen zentral. Die Antwort auf die Frage nach den geeigneten Inhalten gibt die Kognitionspsychologie. Zu entwickeln (konstruieren) ist ein geordnetes deklaratives Wissen, das als Basis den Zugang zu weiterem Wissen eröffnet, das später selbständig zu erarbeiten ist (vergleiche ausführlicher Dubs 1989). Dieses Wissen wird auch Erschließungswissen genannt, das in gut

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organisierten und elaborierten Wissensstrukturen die Basis für die Erschließung von Informationshorizonten bildet. Dieses Erschließungswissen umfasst wesentlich mehr Substanz als die Mertens’schen Horizontalqualifikationen: Es ist nicht nur eine Technik zur Erschließung von Informationsquellen; es bildet die Basis für die Assimilation und Akkomodation neuer Inhalte. Zum Aufbau dieses Wissens trägt die Idee der Schlüsselqualifikationen nichts bei, sondern es ist Rückgriff auf die herkömmlichen Prinzipien der Stoffauswahl zu nehmen, wobei die kategoriale Bildung von Klafki (1963) – stärker empirisch ausgerichtet – wichtige Anstöße geben kann. Allerdings ist dabei ein weiteres Problem zu bedenken: Unter welchen Voraussetzungen sind umfassende Strukturen im Sinne eines Erschließungswissens als Orientierungswissen zu entwickeln, und wann genügt eine exemplarische Stoffauswahl? Immer dann, wenn es darum geht, Einsichten zu vermitteln (häufig im allgemeinbildenden Unterricht), genügt das exemplarische Prinzip (allerdings mit dem Nachteil beschränkter Transfermöglichkeiten). Sobald hingegen auf die Lebensbewältigung und Berufsfähigkeit vorzubereiten ist, kann auf die Entwicklung eines breiteren Orientierungswissens nicht verzichtet werden, weil Fähigkeiten erst etwas nützen, wenn dank einem guten Strukturwissen überhaupt Probleme und Zusammenhänge erkannt werden.

6.3. Die Unterrichtsmethoden Falsch sind die in der Praxis oft anzutreffenden Meinungen, die glauben, Schlüsselqualifikationen und berufliche Handlungskompetenz seien verwirklicht, wenn ausschließlich Methoden der Schülerselbsttätigkeit und des selbstgesteuerten Lernens eingesetzt werden, und die Lehrkräfte nur noch eine Moderatorrolle übernehmen. Diese Auffassung ist eine unzulängliche Verkürzung der Schlüsselqualifikations-Idee. Erstens verunmöglichen es die Zeitverhältnisse an Berufsschulen, ausschließlich selbstgesteuertes Lernen einzusetzen. Zweitens ist zu bezweifeln, ob ausschließlich selbstgesteuertes Lernen optimal effektiv ist. Selbst vertrete ich beispielsweise die Auffassung, dass kritisches Denken in einem angeleiteten Unterricht, in welchem die Lehrkraft als Modell dient, besser gelernt wird (Dubs 1992). Drittens reagieren nicht alle Lernenden gleichermaßen auf die Ausschließlichkeit von selbstgesteuertem Lernen. Viertens ist die Frage, ob der Erwerb von Fähigkeiten (z. B. Probleme lösen, Ideen suchen, Sachverhalte präsentieren) wirksamer unter geschickter Anleitung oder selbstgesteuert erfolgt, noch umstritten. Aufgrund eigener Arbeiten (Dubs 1990) neige ich zu einem Mittelweg. Im Anfängerunterricht erscheint mir der angeleitete Weg zur Aufnahme von solchem prozeduralen Wissen (oder Generierungswissen) wirksamer; wesentlich ist aber, dass es später im eigenständigen Lernen angewandt und vor allem weiterentwickelt wird. Entgegen einer verbreiteten Meinung schließen sich Anleitung und handlungsorientiertes Lernen nicht aus, weil nicht die Methode an sich, sondern die Aufbereitung der Thematik (Problemorientierung) sowie die Art der Auseinandersetzung (aktiver, gestaltender Umgang und ordnendes Tun) für den langfristigen Lernerfolg entscheidend sind.

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6.4. Synthese Schlüsselqualifikationen müssen etwas Ganzheitliches bleiben: Dies ist nur der Fall, wenn sie erstens auf einem gut ausgewählten deklarativen und prozeduralen Wissen aufbauen und eine Metafunktion übernehmen, d. h. Wissen zu haben genügt nicht, sondern man muss es auch anwenden können. Die Anwendungsfähigkeit erschließt sich für den einzelnen Menschen aus der beruflichen und gesellschaftlichen Realität. Dabei lässt sich die Fähigkeit, das Wissen anzuwenden und sich damit die Welt beherrschbar zu machen, nicht formalisieren und direkt, d. h. vom Anwendungskontext losgelöst, vermitteln. Den vollen Wert erhalten diese Wissensformen erst im gegenseitigen Zusammenwirken in einem spezifischen Kontext (Dörig 1994, S. 333f.). In diese Richtung gehend hat auch Witt (1990, S. 95) den Begriff der Schlüsselqualifikationen umschrieben: „Schlüsselqualifikationen sind keine Alternativen zum Faktenwissen, sondern Meta-Wissen für den Umgang mit Faktenwissen“. Zweitens beinhaltet die Idee der Schlüsselqualifikationen ein ganzheitliches Bildungsverständnis, welches die Lernenden in lebens- und berufsnahen Lernsituationen zur Ich-Kompetenz, sachbezogenen Methodenkompetenz und Sozialkompetenz führt (Reetz 1993). In diesem Sinn sind Schlüsselqualifikationen eher eine Denkhaltung als ein Konzept einer neuartigen Inhaltsbestimmung für berufsbildende Lerngegenstände, wie es Bunk (1990) treffend umschreibt: „Schlüsselqualifikationen sind im Grunde nichts anderes als die Wiederentdeckung einer ganzheitlichen Lern- und Arbeitsqualifikation, die durch das schulisch organisierte Teillernen und die betrieblich organisierte Arbeitsteilung verloren gegangen ist.“

7. Die unterrichtliche Verwirklichung von Schlüsselqualifikationen 7.1. Voraussetzungen Das im Folgenden dargestellte Unterrichtsbeispiel für Auszubildende in Druckereiberufen zum Themenkreis Umweltschutz beruht auf folgenden Voraussetzungen: (1) Schlüsselqualifikationen sind definiert als (a) Metawissen für den Umgang mit Fachwissen (Kombination von deklarativem und prozeduralem Wissen), (b) Förderung der Ich-Kompetenz, der sachbezogenen Methodenkompetenz und der Sozialkompetenz an einem ganzheitlichen, mehrdimensionalen und relevanten (zukunftsträchtigen, längerfristig bedeutsamen und weite Kreise betreffenden) Problem. (2) Der Aufbau des Unterrichts orientiert sich an folgendem Modell: 1. Schritt: Vorlage und Analyse einer komplexen Problemsituation mit dem Ziel der Förderung von Motivation und Problembewusstsein sowie der Fähigkeit des ganzheitlichen Wahrnehmens und der Problemanalyse. Das Problem kann als Fall, als Projekt, als Planspiel, als Situationsschilderung oder als Simulation vorgelegt werden. – Weil das Schlüsselqualifikationskonzept die Inhaltsfrage nicht löst, muss mit den herkömmlichen Verfahren der Curriculumforschung (Inhaltsauswahl) entschieden werden, welche Problembereiche in welcher Sequenzierung bearbeitet werden.

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2. Schritt: Entwicklung des deklarativen Wissens (allenfalls in Kombination mit prozeduralem Wissen) als Grundlage für die Problemdurchdringung und die Problemlösung. Dabei kommt dem Aufbau guter Wissensstrukturen als Voraussetzung für die spätere Erschließung von weiterem Wissen besondere Bedeutung zu. Dieser Unterricht kann in traditionellem Klassenunterricht, selbstgesteuertem Lernen (z. B. mit der Leittextmethode) oder sozialkonstruktivistisch in selbsttätigen Gruppen erfolgen. Der Entscheid hängt von den Zeitverhältnissen, den Voraussetzungen der Lernenden und/oder dem Bestreben nach Abwechslung im Unterricht ab. 3. Schritt: Detaillierte Bearbeitung des Problems, bei der das Lernen zu einem aktiv-konstruktivistischen Gestaltungsprozess wird, in welchem neben der Wissenskonstruktion und der Anwendung den persönlichkeitsverpflichtenden Wertfragen sowie charakterlichen Grundfähigkeiten wie Belastbarkeit (Ich-Kompetenz) und Sozialkompetenzen (z. B. Teamarbeit, Diskussionsfähigkeit) über sinnvolle Problemstellungen alle Beachtung geschenkt wird. Durch geeignete Gestaltung der Ausgangslage in der Problemstellung können solche vielgestaltigen Unterrichtsarrangements indirekt gesteuert werden. – Auch hier ist zu entscheiden, welche Kompetenzen konkret gefördert werden sollen. Die vielen Fähigkeitskataloge, die von der „Schlüsselqualifikations-Bewegung“ entwickelt wurden, mögen dazu Anregungen geben (wobei nochmals zu betonen ist, dass sie mit den Inhalten zu verbinden sind). Zudem ist an die Methodenvielfalt zu erinnern. Es zeichnet sich nämlich bereits ab, dass zu viel selbstgesteuertes Lernen mit der Zeit als ebenso langweilig empfunden wird wie ständiger Frontalunterricht. 4. Schritt: Generalisierung und Einbau in größere Zusammenhänge. Dieser Aufbau bedingt drei wesentliche Änderungen im dualen System. Erstens muss die Aufgabenteilung zwischen Berufsschule und Lehrbetrieb neu überdacht werden. Das bisherige Konzept (Schule: Theorie / Betrieb: Praxis) lässt sich nicht mehr aufrechterhalten, da sich in ganzheitlichen Lernansätzen Praxis und Theorie immer mehr vermischen. Zweitens müssen in der Berufsschule Blockzeiten (wenigstens 2 bis 3 Lektionen in einem Block) zur Verfügung stehen. Und drittens muss die Fächergliederung überdacht werden, wobei die Gliederung in disziplinenorientierte Fächer und Integrationsfächer erfolgsversprechend ist (Capaul 1991).

7.2. Beispiel Tabelle 1 zeigt eine mögliche unterrichtliche Anordnung der Thematik Umweltschutz mit einem Schwergewicht auf Schlüsselqualifikationen. Dieses Beispiel versucht zu zeigen, wie durch eine gute Unterrichtsanordnung das Lernen von der Situation auf die Person verlagert wird, die nicht mehr nur passiver Träger von normiertem Wissen ist, sondern die sich zum selbständig handelnden und urteilenden Menschen entwickelt, der dank seinem Wissen und Können sowie seiner Persönlichkeit ein hohes Maß an Selbstbestimmung erreicht.

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Tabelle 1: Unterrichtsbeispiel Lernziele Daten der Umweltbelastung interpretieren und die Umweltpolitik zweier Druckerei-Unternehmungen analysieren.

Lehrform Die Lehrkraft gibt eine Datensammlung sowie zwei Beispiele ab. Gruppen- und Klassendiskussion mit dem Ziel, eine Problemliste zu erstellen

Denkhaltung der Schlüsselqualifikationen • Situationen analysieren • potentielle Probleme erkennen • Diskussionsfähig werden • persönliche Betroffenheit erkennen

Ziele und Maßnahmen der Traditioneller Klassenunterricht • Deklaratives Wissen staatlichen und privaten Um- mithilfe des Lehrbuches. • Prozedurales Wissen weltpolitik auf ihre Realisierbar(kognitive Leistungsfähigkeit) keit und Wirksamkeit hin beurteilen. Eine Umweltpolitik für den eige- Gruppenarbeit in Dreiergrupnen Betrieb entwerfen pen (jeweils in einem Betrieb durchgeführt): Aufgrund der theoretischen Einführung entwickeln die Lernenden selbst eine Umweltpolitik. Dabei haben sie das Augenmerk auch auf ihr eigenes Verhalten zu richten. Der Lehrbetrieb unterstützt diese Arbeit.

• Fähigkeit, eine eigene Arbeit zu planen und auszuführen • Teamarbeit • Ich-Kompetenz: Persönliche Betroffenheit, Einsicht in die Notwendigkeit des eigenen umweltbewussten Verhaltens • Durchstehen einer belastenden Arbeitssituation

Die eigene Umweltpolitik in der Klassendiskussionen nach Prä- • Präsentationstechnik Klasse präsentieren und recht- sentation der eigenen Arbeiten. • Überzeugungskraft fertigen. • Kritikfähigkeit • Selbstkritik • Bewältigen von Kritik

Nachwort Mit diesem Beispiel sollte deutlich geworden sein, was mit Schlüsselqualifikationen gewollt ist. Sie sind nicht eine neue pädagogische Lehre, die die Lernprobleme mit einem neuen, einfachen Schematismus bewältigen will. Sie lösen auch die Inhaltsproblematik nicht, sondern sie fordern die Lehrkräfte zu einer Denkhaltung des ganzheitlichen Lehrens und Lernens heraus. Dies ist umso leichter zu verwirklichen, je schneller die Lehrbuchautoren und die Prüfungsverantwortlichen diese Herausforderung annehmen.

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Integration von Personal- und Organisationsentwicklung in der beruflichen Bildung Harald Geißler

Harald Geißler PersonalVorbemerkung und Organisationsentwicklung in der beruflichen Bildung Personalentwicklung (PE) und Organisationsentwicklung (OE) fokussieren in unterschiedlicher Weise auf den Einzelnen, auf die Gruppe, auf die Organisation und auf die Gesellschaft und begründen sich entsprechend subjekt- bzw. akteurstheoretisch, gruppentheoretisch, organisations- bzw. managementtheoretisch und/oder gesellschaftstheoretisch. Berufliche Bildung und die sie reflektierende Berufs- und Wirtschaftspädagogik lenken dabei ihren Fokus vor allem auf den Einzelnen und die Gesellschaft (und in Ansätzen auf die Gruppe), d. h. begründen sich vorrangig subjekt- und gesellschaftstheoretisch. Währenddessen blicken Personal- und Organisationsentwicklung in gegenläufiger und sich ergänzender Weise auf den Einzelnen und die Organisation und reflektieren sie mit Bezug auf akteurstheoretisch und organisations- bzw. managementtheoretisch akzentuierte Theoriebildungen. Hierbei hat die Gruppe eine vermittelnde Position, die unterschiedlich intensiv ausgestaltet ist. Stark vergröbert ergibt sich damit folgender Zusammenhang:

> Personalentwicklung: Einzelner ¡ Gruppe ¡ Organisation, > Organisationsentwicklung: Organisation ¡ Gruppe ¡ Einzelner Vom Standpunkt der Personal- und Organisationsentwicklung aus betrachtet weist die Berufs- und Wirtschaftspädagogik deshalb organisations- bzw. managementtheoretische Defizite auf. Blickt man hingegen von dort auf die Personal- und Organisationsentwicklung, muss man ihr subjekt- und gesellschaftstheoretische Defizite attestieren. In diesem Sinne können sich Personal- und Organisationsentwicklung auf der einen und Berufs- und Wirtschaftspädagogik (berufliche Bildung) auf der anderen Seite gegenseitig ergänzen, indem erstere die subjekt- und gesellschaftstheoretische und letztere die organisations- bzw. managementtheoretische Perspektive intensiviert. Zumindest im Ansatz soll das im Folgenden versucht werden. Schaut man mit einem solchen Interesse auf Organisationsentwicklung, wird erkennbar, dass sie mit ihrer Fokussierung auf eine zielgerichtete Veränderung der Organisation (d. h. Organisationsstruktur, -kultur, -strategie und in diesem Zusammenhang auch Personal) sich nicht nur organisations- bzw. managementtheoretisch, sondern zumindest in Ansätzen auch subjekt- und gesellschaftstheoretisch begründet. Der zentrale Ansatzpunkt hierfür sind die Aspekte der Partizipation (Becker/Langosch 1984; Pieper 1988) und Legitimität bzw. (Management-/Wirtschafts-)Ethik (siehe z. B. Steinmann/Löhr 1991). Diese im Einzelfall bzw. vor allem in der Praxis in der Regel defizitäre, grundsätzlich aber unver-

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zichtbare Mitberücksichtigung der subjekt- und gesellschaftstheoretischen Perspektive lässt sich auch in der Personalentwicklung finden. Sie ist ein Segment der Personalarbeit, auf die Organisationsentwicklung hinsichtlich der praktischen Umsetzung ihrer Ansprüche angewiesen ist. Auf einer übergeordneten Ebene geht es dabei um die Mitgestaltung der organisationalen Sozialordnung, d. h. Mitgestaltung (1) der Eigentumsverhältnisse (z. B. Vermögensbeteiligungen), (2) der Weisungs- und Entscheidungskompetenzen (z. B. Führungsrichtlinien), (3) der Wertschöpfungsverteilung (z. B. Lohn-/Gehaltssystem) und (4) der Arbeitsinhalte (z. B. Arbeitsorganisation). Auf dieser Grundlage hat Personalarbeit – auf einer untergeordneten Ebene – folgende Funktionen zu erfüllen: (1) quantitative und qualitative Personalbedarfsermittlung, (2) Personalbeschaffung/Personalmarketing, (3) Personalauswahl, (4) Personalentwicklung, (5) Vergütung und (6) Personalfreisetzung (vgl. Pullig 1999). Personalentwicklung als Element der Personalarbeit konstituiert sich dabei im Spannungsfeld zwischen Soll-Anforderungen und Ist-Qualifikationen. Diese Differenz definiert den Personalentwicklungsbedarf. Er ist für die Personalentwicklung von größter Bedeutung nicht nur deshalb, weil sich auf ihn argumentationslogisch alle Personalentwicklungsmaßnahmen on-the-job und off-the-job bzw. into-the-job und out-of-the-job beziehen und begründen müssen, sondern auch deshalb, weil es sich hierbei um eine höchst politische Größe handelt: Denn die Festlegung der gewünschten Soll-Anforderungen ist ein Politikum, weil in ihm gegensätzliche Interessen von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerschaft und auch unterschiedliche Vorstellungen innerhalb dieser beiden Interessenlager aufeinander stoßen (vgl. Felsch 1996, S. 29ff.). In diesem Konflikt blickt die Berufsbildung zum einen auf den Einzelnen und engagiert sich für die Entfaltung seiner Entwicklungsmöglichkeiten und zum anderen bzw. gleichermaßen auf die Gesellschaft und ihre humaneren Entwicklungsmöglichkeiten. Mit dieser Fokussierung korrigiert sie die gesellschafts- und subjekttheoretisch verkürzte Perspektive der Personalentwicklung, von der sie allerdings ihrerseits lernen kann, sich verstärkt auch organisations- bzw. managementtheoretisch zu begründen. Solange die Berufsbildung ganz in der Tradition des Neuhumanismus mit ihrem Antagonismus von Allgemein- und Berufsbildung stand, fiel es ihr schwer, Vermittlungsmöglichkeiten zwischen ökonomischem und (berufs- und wirtschafts-)pädagogischem Denken zu erkennen, was zur Folge hatte, dass sie sich strikt gegen Personalentwicklung abgrenzte (z. B. Voigt 1986). Infolge des gewandelten Modernitätsverständnisses (vgl. Arnold 1991; Harney 1992) wird diese Position heute jedoch zunehmend weniger vertreten und stattdessen – nicht zuletzt auch mit Blick auf entsprechende Positionen der Wirtschafts- und Unternehmensethik (siehe z. B. Steinmann/Löhr 1991) – nach Vermittlungsmöglichkeiten zwischen ökonomischem und (berufs- und wirtschafts-)pädagogischem (ethischem) Denken gesucht. In diesem Zusammenhang kommt der Theorie und Praxis der Organisationsentwicklung eine besondere Bedeutung zu, und zwar vor allem für die betriebliche Bildung – und im weiteren Sinne auch für die über den einzelnen Betrieb hinausgehende und sich auf das gesamtgesellschaftliche Bildungssystem beziehende allgemeine (Berufs-)Bildung. Denn wie im Folgenden zu sehen sein wird, richtet sich zumindest die „klassische“ Organisationsentwicklung systematisch an einer doppelten Zielsetzung aus, nämlich der Förderung von Produktivität und Menschlichkeit (vgl. Becker/Langosch 1984). Mit Bezug auf diese Gedanken soll im Folgenden auf die Theorie und Praxis der Organisationsentwicklung und ihre Bedeutung vor allem für die betriebliche Bildung abgehoben und nur in diesem Rahmen auf Personalentwicklung eingegangen werden. Thema-

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tisch ausgeklammert wird damit erstens der Diskurs über Personalentwicklung, die nicht unmittelbar in Organisationsentwicklung einbezogen ist, und zweitens die Diskussion über Organisationsentwicklung als Schulentwicklung bzw. Berufsbildungssystementwicklung (siehe z. B. Beucke-Galm/Fatzer; Rutrecht 1999).

1. Geschichtlicher Überblick und erste Gegenstandsbestimmung von Organisationsund Personalentwicklung Der Begriff der Organisationsentwicklung geht auf Richard Beckhard zurück, der ihn zusammen mit seinen Mitarbeitern vom M.I.T in den 50er Jahren prägte und dabei konzeptionell an die durch Kurt Lewin begründete Gruppendynamik, Handlungsforschung und Survey-Feedback-Methode anschloss. Offiziell etablieren konnte sich der Begriff jedoch erst ab 1969, und zwar durch den Start der von Richard Beckhard und Edgar Schein im Verlag Addison Wesley herausgegebenen Reihe: „Series on Organizational Development“ (vgl. Fatzer 1999, S. 136f.). Seitdem ist der Begriff der Organisationsentwicklung mit Prozessen verbunden, bei denen es um die Veränderungen der Organisation geht, die nicht ohne korrespondierende Entwicklungen auf Seiten der Organisationsmitglieder möglich sind. In diesem Sinne ist Organisationsentwicklung auf Personalentwicklung angewiesen. Eine solche Verbindung ist jedoch nicht zwingend. Denn Personalentwicklung ist auch ohne Organisationsentwicklung möglich – und Organisationen lassen sich auch ohne Personalentwicklung umgestalten. Dann jedoch kann nicht von Organisationsentwicklung gesprochen werden. Bei dem Versuch, eine schlüssige Definition für Organisationsentwicklung vorzulegen, stößt man auf nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Sie gründet in ihrer konzeptionellen Vielfalt und Unklarheit, die Karsten Trebisch in seinem Artikel „50 Definitionen der Organisationsentwicklung – und kein Ende. Oder: Würde Einigkeit stark machen?“ (Trebisch 2000) mit folgenden Worten umreißt: „Die Probleme einer Definition von OE liegen in der Neuheit, der vielfältigen Elternschaft und in der Popularität dieses interdisziplinären und sehr komplexen Konzepts“ (Trebisch 2000, S. 56). Trotz aller Unterschiede ist ihnen jedoch Folgendes gemeinsam:

> Oberstes Ziel von OE ist nicht Bildung bzw. Personalentwicklung, sondern eine gezielte Veränderung der Organisation. Organisationsentwicklung fokussiert damit primär auf die Organisation und organisations- bzw. managementtheoretische Begründungszusammenhänge (vgl. Götz 1997, S. 81). > Diese Veränderung der Organisation lässt sich jedoch nur mittels Personalentwicklung erreichen. Organisationsentwicklung wird deshalb systematisch auf das Lernen und die Entwicklung des Einzelnen und organisationaler Gruppen bezogen. > Bei alledem geht OE/PE normativ vor (Trebisch 2000, S. 56), indem ähnlich wie in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik die Entfaltung des Einzelnen und die Entwicklung einer humaneren Gesellschaft oberste Normen sind. Diese Gemeinsamkeiten können nicht über die Pluralität und den in vieler Hinsicht schillernden Charakter der Organisationsentwicklung hinwegtäuschen. Die Gründe hierfür liegen in ihrer Geschichte. Denn sie begründet sich nach Richter (1994) auf drei unter-

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schiedliche historische Wurzeln, nämlich auf eine existenzialistische, eine pragmatische und eine rationalistische Kompetente. Die erste dieser drei Komponenten ist aufs Engste mit der Gruppendynamik verbunden. Sie geht auf Forschungsarbeiten von Kurt Lewin und Jakob Moreno zur Gruppentherapie zurück und setzte sich nicht zuletzt aufgrund des Mangels von Psychiatern und Psychotherapeuten für Einzelgespräche 1946/47 (am Tavistock Institut of Human Relations in England) (Bion 1959/1971) und zeitgleich in den USA (vgl. Bradford/Gibb/Benne 1964) durch (vgl. Staehle 1999, S. 922). Diese Entwicklung führte 1947 zur Gründung der National Training Laboratories (NTL). Eines ihrer zentralen Ziele war, zur Demokratisierung der Gesellschaft beizutragen. Das hatte zur Folge, dass im Rahmen des Marshallplans dieser Ansatz in den deutschsprachigen Raum kam, wo erstmalig 1954 in Wien und dann 1963 am Schliersee in Bayern amerikanische NTLTrainer Sensitivity-Trainings (d. h. eine weiterentwickelte Form der Gruppendynamik) durchführten. Teilnehmer waren überwiegend Lehrer, deren Erziehungsstil von einem eher autoritären zu einem eher demokratischen verändert werden sollte (Staehle 1999, S. 925). Diese Erfahrungen mit Gruppendynamik verbanden sich bereits früh mit einer zweiten historischen Wurzel, die für Organisationsentwicklung grundlegend ist und mehr die pragmatische und rationalistische Komponente betont. Es ist die Aktionsforschung und hier besonders die Survey-Feedback-Methode. Auch sie geht auf Kurt Lewin zurück und meint ein Verfahren, das aus einer mehrfachen Sequenz folgender drei Schritte besteht: Mithilfe von Fragebögen werden zunächst organisationsumfassend die Einschätzungen der Organisationsmitglieder erfasst. Diese werden den Organisationsmitgliedern in aufbereiteter Form zurückgespiegelt. In Gruppengesprächen mit ihnen wird anschließend versucht, den Ursachen für vorliegende Probleme auf den Grund zu gehen. Auf dieser Basis werden dann in einem dritten Schritt gemeinsam Maßnahmen ihrer Behebung entwickelt und durchgeführt, was dann erneut zu einer entsprechenden Datenerhebung und -interpretation mit entsprechenden Verbesserungsmaßnahmen führen kann. Die Verbindung von Gruppendynamik und Aktionsforschung wurde erstmals Mitte der 50er Jahre in den USA bei Esso (Blake/Mouton 1964) erprobt und führte bis in die 80er Jahre mit den Arbeiten von Becker/Langosch (1984), Bennis (1969), Beckard/Harris (1987), Burke (1987), French/Bell (1973), Gebert (1974), Glasl/de la Houssaye (1975), Golembiewski/Eddy (1978) und Schein (1987) zur klassischen Organisationsentwicklung. Ihr euphorischer Aufschwung beruhte auf der Überzeugung, endlich einen pragmatischen Königsweg der Harmonisierung von Wirtschaftlichkeit und Menschlichkeit gefunden zu haben. Die sich mit dem Anspruch der wirtschaftlichen Effektivitätssteigerung verbindende ethische Selbstverpflichtung trat in den folgenden Jahren allerdings immer mehr in den Hintergrund. Auf diese Weise öffnete sich Organisationsentwicklung für sozialtechnologische Ansätze wie Change Management (Doppler/Lauterburg 1994), Lean Management (Glasl/Lievegoed 1993) oder systemisches Management (Häfele 1990; Baumgarten/Häfele/Schwarz/Sohm 1988). Wie Richter kritisiert (Richter 1994, S. 36), gelang dabei jedoch nicht, die konzeptionellen Grundlagen der Organisationsentwicklung neu zu überdenken und weiterzuentwickeln. Ähnlich äußert sich Rieckmann (1991, S. 129), der vor allem zwei Punkte kritisiert, nämlich das vorliegende Theoriedefizit und die Unterstellung einer Zielharmonie ökonomischer und personaler Interessen. Diese Schwachpunkte haben dazu beigetragen, dass die seit den späten 70er Jahren vorliegenden Arbeiten zum Organisationslernen von March/Olsen (1976), Duncan/Weiss

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(1979) und vor allem von Argyris/Schön (1978) zunehmend rezipiert wurden (siehe dazu die Darstellungen von Geißler 1994 und Wiegand 1996) und dass spätestens seit dem in den USA 1990 und in Deutschland 1996 erschienenen Bestseller „Die fünfte Disziplin“ von Senge der Begriff der Organisationsentwicklung weitgehend durch denjenigen des Organisationslernens ersetzt wurde. Auf diese Weise entstand in den 90er Jahren ein Boom an Literatur zum Organisationslernen. Er wurde (im deutschsprachigen Raum) von betriebswirtlich ausgerichteten Arbeiten von Baitsch (1993), Eberl (1996), Felsch (1996), Hennemann (1997), Probst/Büchel (1994), Reinhardt (1993), Sattelberger (1991), Wahren (1996), Wiegand (1996) und Wieselhuber & Partner (1997) dominiert. Gegenüber diesen betriebswirtschaftlich ausgerichtete Arbeiten sind die erziehungswissenschaftlichen Arbeiten von Arnold (2000), Arnold/Weber (1995), Dehnbostel/Erbe/Novak (1998) Geißler (1994, 1998) und Witthaus/Wittwer (1997) weniger pragmatisch ausgerichtet und orientieren sich mehr an der ethischen Selbstverpflichtung der klassischen Organisationsentwicklung. Trotz oder gerade wegen ihres Erfolgs geriet die Theorie und Praxis des Organisationslernens bald in eine ähnliche Lage wie seinerzeit die Organisationsentwicklung, und zwar infolge einer weitgehenden konzeptionellen Oberflächlichkeit und durch einen eklatanten Mangel an empirischen Studien. Diese Mängel führten Ende der 90er Jahre dazu, dass Wissensmanagement an die Stelle von Organisationslernen trat (siehe z. B. Pawlowsky 1994; Schüppel 1996). Sein Erfolg begründet sich einerseits auf die Faszination japanischer Innovationserfolge, die Nonaka/Takeuchi (1995) auf ein Wissensmanagement zurückführten, das die Bedeutung impliziten Wissens herausstreicht und Wege und Maßnahmen aufzeigt, wie es erschlossen und ökonomisch genutzt werden kann. Zum anderen nährte Wissensmanagement die Hoffnung, mithilfe von Informationstechnik die in den Organisationen vorherrschenden Kommunikationsprobleme lösen zu können (siehe z. B. Lehner 2000; Pawlowsky/Reinhardt 2002). Diese IT-Euphorie währte jedoch nicht lange, denn bereits schnell wurde in der Praxis deutlich, dass Wissensmanagement nicht auf Informationsmanagement reduziert werden darf und dass sich die „weichen“ Faktoren zwischenmenschlicher Kommunikation nicht durch Informationstechnologie ersetzen lassen. Diese Erkenntnis trägt zur Rehabilitation der Personen- und Lernzentrierung der Organisationsentwicklung und des Organisationslernens bei (siehe z. B. Choo/Bontis 2002; Krogh/Ichijo/Nonaka 2000) und öffnet Verbindungsmöglichkeiten zum Coaching als akzentuiert subjektbezogener Beratung (Geißler 2005, S. 94ff.; Höher 2006). Zusammenfassend wird deutlich, dass Organisationsentwicklung und ihre Weiterentwicklung in den Theorien des Organisationslernens und Wissensmanagements für die Berufs- und Wirtschaftspädagogik von Interesse sein muss, und zwar vor allem aufgrund ihres historischen Doppelanspruchs, sowohl zur wirtschaftlichen Effektivitätssteigerung wie auch zu mehr Menschlichkeit beizutragen. Im Gegensatz zur Betriebswirtschaftslehre ist sie damit sehr viel besser in der Lage, ökonomische, lernpsychologische und ethische Fragen miteinander zu verbinden und auf dieser Grundlage Organisationsentwicklung als einen Bildungsprozess bzw. – wie Bennis (1992, S. 16f.) betont – als eine Bildungsstrategie zu entfalten, die sie an folgenden Kriterien orientiert:.

> „Antizipation: d. h. Ausrichtung aller Bemühungen zur Lösung der Probleme an den Anforderungen der Zukunft (...),

> Partizipation, d. h. aktive Mitwirkung der Betroffenen an allen Problemen, die ihre betrieblich Arbeit betreffen (...)

Personal- und Organisationsentwicklung in der beruflichen Bildung

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> und Emanzipation, d. h. wachsende Mündigkeit der Beteiligten durch den gemeinsamen Lernprozess im Sinne von verantwortungsbewusster Selbst- und Mitbestimmung“ (Becker/Langosch 1995, S. 19). Um diese Ansprüche in der Praxis erfolgreich umsetzen zu können, ist es nach Auffassung von Becker/Langosch notwendig, „1. daß die Menschen eigene Schwierigkeiten als Herausforderung erleben und als gemeinsames Problem erkennen (gemeinsames Problembewußtsein) 2. daß die Menschen durch einen Außenstehenden angeregt und ermutigt werden, diese Probleme aufzugreifen und selbständig zu lösen (Mitwirkung eines Beraters) 3. daß die Probleme gemeinsam aufgegriffen werden und die Betroffenen an der Erarbeitung von Maßnahmen zur Problemlösung aktiv mitwirken (Beteiligung der Betroffenen) 4. daß sämtliche das Problem bedingende Faktoren, die sachlichen Ursachen ebenso wie die persönlichen und zwischenmenschlichen Hintergründe und Konflikte geklärt und bearbeitet werden (Klärung von Sach- und Beziehungsproblemen) 5. daß durch die intensive Auseinandersetzung mit den sachlichen und persönlichen Problemen kreative Fähigkeiten geweckt, neue Erkenntnisse gewonnen und andere Einstellungen und Verhaltensweisen entwickelt werden (erfahrungsorientiertes Lernen) 6. daß dies alles in einem gemeinsamen Prozeß geschieht, der von allen getragen, immer wieder neu reflektiert und kontinuierlich weitergeführt wird (prozeßorientiertes Vorgehen) 7. daß ausdrücklich alle Einflußkomponenten im Systemzusammenhang berücksichtigt und die als wirksam erkannten Kräfte in den Problemlösungsprozeß einbezogen werden (systemumfassendes Denken)“ (Becker/Langosch 1995, S. 23f.). Damit werden die Ansprüche und grundlegenden Merkmale, aber auch die Grenzen des „klassischen“ OE-Verständnisses, die – wie oben ausgeführt – zum Anlass für die Weiterentwicklung durch Organisationslernen und Wissensmanagement wurden, deutlich. Das heißt:

> OE stellt den Change Agent stark in den Mittelpunkt und entwickelt keine Vorstellungen, wie Organisationsmitglieder möglicherweise auch ohne die systematische Anleitung durch einen Change Agent lernen und sich entwickeln können. > OE wird als ein zeitlich begrenzter Prozess betrachtet (mit einem klar definierten Anfang und Ende). Das heißt, es wird nicht die Frage gestellt, ob Lernen vielleicht ein konstitutives Phänomen einer jeden Organisation ist und deshalb immer und überall vorliegt und nicht erst durch Organisationsentwicklung zeitlich und räumlich beschränkt „eingeführt“ und „durchgeführt“ werden muss. Vor dem Hintergrund dieses geschichtlichen Überblicks soll im Folgenden die Erkenntnis, dass es für die berufliche und insbesondere betriebliche Bildung gute Gründe gibt, sich mit Organisations- und Personalentwicklung auseinander zu setzen, in zwei Schritten weitergehend entfaltet werden:,

> Zunächst soll versucht werden, mithilfe eines systematischen Strukturaufrisses einen Überblick über die wichtigsten Kategorien und Bedingungs- und Wirkfaktoren der betrieblichen Bildung bzw. PE/OE zu geben (Abschnitt 2).

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> Im Anschluss daran werden die drei grundlegenden Funktionen der beruflich-betrieblichen Bildung bzw. PE/OE vorgestellt, nämlich die Funktion der organisationalen Strategieumsetzung, der Strategiegestaltung und der Kulturgestaltung (Abschnitt 3).

2. Zur konzeptionellen Integration von PE/OE und beruflich-betrieblicher Bildung – ein Strukturaufriss Wie bereits angesprochen, gibt es in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik eine Tradition, die sich – ganz ähnlich wie die „klassische“ Organisationsentwicklung – dem Anspruch stellt, in Wirtschaft und Betrieb gleichberechtigt zwei Grundsatzkriterien zur Geltung zu bringen. Es ist auf der einen Seite die Effektivität wirtschaftlichen Erfolgs- und Gewinnstrebens und auf der anderen Seite die grundsätzliche und einzelfallbezogene Legitimitätsüberprüfung dieses ersten Grundsatzkriteriums durch ein zweites, nämlich durch dasjenige der Selbstbestimmung und Humanität. Arnold/Lipsmeier (1995) sprechen hier von der „Annäherung des ökonomisch Möglichen an das pädagogisch Nötige“ (ebd., S. 15). Mit Blick auf diese beiden Kriterien ist davon auszugehen, dass nur das erste, nicht jedoch das zweite als faktisch vorgegeben vorausgesetzt werden kann, d. h. dass Selbstbestimmung und Humanität nicht faktische, sondern kontrafaktische Ansprüche sind, die allererst systematisch entwickelt werden müssen, und zwar im Medium von Kritik, Selbstreflexion/Selbstbesinnung und Lernen. Orientiert sich beruflich-betriebliche Bildung (PE/OE) an jenen beiden Grundsatzkriterien, kommt der Bestimmung des Bildungsbedarfs bzw. des Personal- und Organisationsentwicklungsbedarfs eine zentrale Bedeutung zu. Er begründet sich mit Blick auf zwei Seiten, indem zum einen die vorliegende Arbeitsleistung (des einzelnen Organisationsmitglieds, aber auch von Gruppen, Organisationseinheiten und letztlich der gesamten Organisation) erfasst und mit Blick auf die sie bedingenden Kompetenzen der Organisationsmitglieder – d. h. mit Bezug auf das Zusammenspiel ihrer Fähigkeiten, Motivationen und Lernfähigkeit (Arnold 1997) – interpretiert wird. Dieser Ist-Zustand ist in Spannung zu setzen zu dem gewünschten Soll-Zustand. Er definiert sich durch die – wie auch immer begründeten – Ansprüche der Verbesserung der vorliegenden Arbeitsleistung. Dabei ist zu betonen, dass in beidem, d. h. in der Bestimmung dessen, was als Arbeitsleistung bewertet wird, wie auch in den Ansprüchen, in welcher Hinsicht und wie sie zu verbessern sei, die verschiedenen Interessen der am Arbeits- und Wertschöpfungsprozess Beteiligten aufeinander stoßen. Sie bedürfen der Vermittlung durch eine von allen Seiten anerkannte oder zumindest anerkennungswürdige Instanz. Hier kann bzw. sollte sich betriebliche Bildung bzw. PE/ OE engagieren und sich die Aufgabe zu Eigen machen, sich einerseits zu einer solchen Instanz zu entwickeln bzw. sie auszubauen und andererseits zur Umsetzung dessen, was vorgängig als berechtigter Anspruch identifiziert worden ist, beizutragen. Voraussetzung für eine erfolgreiche Vermittlung der in der betrieblichen Bildung (PE/ OE) aufeinander stoßenden Interessen ist die doppelte Erkenntnis, erstens dass das, was als Leistung bezeichnet wird, eine kontingente Qualitätszuschreibung ist, die ihrerseits selbst als eine – möglicherweise verbesserungsbedürftige – Leistung zu betrachten ist, und zweitens dass die Frage der Leistungsbewertung letztlich auf die Frage nach der Begründung bzw. Begründbarkeit oberster Bewertungskriterien hinausläuft. Bezüglich dieser Frage besteht kein einhelliger Konsens im Kreise der Betriebswirtschaftslehre, weil der Mehrheit derjeni-

Personal- und Organisationsentwicklung in der beruflichen Bildung

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gen, die Betriebswirtschaftslehre als eine wertneutrale Wissenschaft begründen und betreiben wollen, eine Minderheit gegenüber steht, die den Aspekt des Normativen für konstitutiv hält (siehe z. B. Bleicher 1992; Kirsch 1990) – und zwar grundsätzlich und nicht nur mit Bezug auf den speziellen Aspekt der Wirtschafts- und Unternehmensethik. Die Berufs- und Wirtschaftspädagogik nimmt deshalb nicht unbedingt eine Außenseiterposition ein, wenn sie – an der Seite der Organisationsentwicklung – neben das Grundsatzkriterium der Effektivität wirtschaftlichen Erfolgs- und Gewinnstrebens die Legitimitätsüberprüfung dieses Grundsatzkriteriums durch das konkurrierende Grundsatzkriterium der Selbstbestimmung und Humanität in den Mittelpunkt rückt und ein so ausgelegtes normatives (Personal-)Management (vgl. Bleicher 1992, S. 82ff.) zur Richtschnur eines begründungslogisch nachgeordneten strategischen und operativen (Personal-)Managements macht. Mit Bezug auf diese Gründe sollte betriebliche Bildung sich bei zwei Aufgabenkreisen engagieren, nämlich zum einen bei der Verbesserung der vorliegenden Arbeitsleistung und zum anderen bei der logisch vorgeordneten Aufgabe der Identifizierung berechtigter Leistungsansprüche. Mit Bezug auf den ersten dieser beiden Aufgabenkreise, der sich auf Effizienzsteigerung bezieht und hierfür operative und strategische Maßnahmen der Personalund Organisationsentwicklung in Anspruch nimmt, kann man von betrieblicher Bildung im engeren Sinne sprechen. Hiervon zu unterschieden ist das Aufgabenfeld der betrieblichen Bildung im weiteren Sinne, nämlich das normative, d. h. normenprüfende und -begründende PE/OE-Management. Eine so verstandene betriebliche Bildung im engeren und weiteren Sinne sollte dabei drei Zielgruppen im Auge haben, nämlich

> die Fachkräfte, > und die Führungskräfte und der Organisation und sich selbst, d. h. die Fach- und Führungskräfte der betrieblichen Bildung (PE/OE). Damit ergeben sich für die betriebliche Bildung im engeren und weiteren Sinne folgende sechs Aufgabenfelder: Tabelle 1: Aufgabenfelder der betrieblichen Bildung im engeren und weiteren Sinne Leistungsoptimierung (operatives und strategisches betriebliches Bildungsmanagement bzw. operatives und strategisches PE/OE-Management)

Legitimitätsüberprüfung (normatives betriebliches Bildungsmanagement bzw. normatives PE/OE-Management)

Bezugsfeld: Fachkräfte

Ermittlung von Möglichkeiten zur Ver- Überprüfung der Kriterien, die bei der besserung der Arbeitsleistung der Fach- Leistungserwartung und -bewertung der kräfte und Implementierung und Evalu- Fachkräfte zugrunde gelegt werden ierung entsprechender Maßnahmen

Bezugsfeld: Führungskräfte

Ermittlung von Möglichkeiten zur Ver- Überprüfung der Kriterien, die bei der besserung der Arbeitsleistung der Füh- Leistungserwartung und -bewertung der rungskräfte und Implementierung und Führungskräfte zugrunde gelegt werden Evaluierung entsprechender Maßnahmen

Bezugsfeld: Selbstreferenz

Ermittlung von Möglichkeiten zur Verbesserung der Arbeitsleistung der betrieblichen Bildung im weiteren Sinne und Implementierung und Evaluierung entsprechender Maßnahmen

Überprüfung der Kriterien, die die betriebliche Bildung im engeren und weiteren Sinne der eigenen Leistungserwartung und -bewertung zugrunde legt

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Harald Geißler

Bei der Bearbeitung dieser Aufgabenfelder kann die Personal- und Organisationsentwicklung arbeitsteilig vorgehen:

> Die Aufgaben der Personalentwicklung beziehen sich auf zwei Bereiche. Der erste fokussiert auf die Leistungsoptimierung der Fach- und Führungskräfte. Zu diesem Zweck sind geeignete Verfahren der Bildungsbedarfsermittlung, Maßnahmendurchführung und Erfolgsüberprüfung einzusetzen und zu optimieren. Der zweite Bereich bezieht sich darauf, konsensstiftende Verfahren zu planen, durchzuführen und zu evaluieren, mit deren Hilfe die Berechtigung von Leistungsansprüchen überprüft bzw. berechtigte Leistungsansprüche ermittelt werden können. > Die Aufgaben der Organisationsentwicklung sind entsprechend ähnlich angelegt. Sie fokussieren auf die organisationalen Rahmenbedingungen der Formulierung von Leistungserwartungen sowie der Leistungserbringung und -überprüfung. Auch hier lassen sich zwei Bereiche unterscheiden, und zwar ein engerer und ein weiterer. Ersterer besteht in Optimierungsaktivitäten, die sich auf die Ermittlung des Entwicklungsbedarfs und auf die Durchführung und anschließende Evaluation entsprechender Entwicklungsmaßnahmen beziehen. Flankierend hierzu sind konsensstiftende Verfahren zur Ermittlung berechtigter Ansprüche an die Entwicklung der organisationalen Rahmenbedingungen bzw. Organisation zu planen, durchzuführen und zu evaluieren. Tabelle 2: Aufgabenfelder der Personal- und Organisationsentwicklung Leistungsoptimierung

Legitimitätsüberprüfung

Personalentwicklung

Optimierung • der Ermittlung des operativen und strategischen Bildungsbedarfs • der Durchführung operativer und strategischer PE-Maßnahmen • formativer und summativer Erfolgsüberprüfung

Optimierung, Legitimation und Evaluation der • Planung, • Durchführung • und Überprüfung von konsensstiftenden Verfahren zur Ermittlung berechtigter Leistungsansprüche

Organisationsentwicklung

Optimierung der • Ermittlung des Entwicklungsbedarfs der organisationalen Rahmenbedingungen (Organisation) • Durchführung entspr. Entwicklungsmaßnahmen • Erfolgsüberprüfung

Optimierung, Legitimation und Evaluation der • Planung, • Durchführung • und Überprüfung von konsensstiftenden Verfahren zur Ermittlung berechtigter Ansprüche an die Entwicklung der organisationalen Rahmenbedingungen (Organisation)

Sowohl für die Personalentwicklung wie auch für die Organisationsentwicklung sind dabei die vorliegenden Motivationen der Einzelnen (d. h. ihre motivationalen Handlungs- und Entwicklungstreiber) von zentraler Bedeutung. Sie bestimmen im Zusammenspiel mit den Qualifikationen und der Lernfähigkeit des Einzelnen seine individuellen Kompetenzen (vgl. Arnold 1997) und sind der Ausgangs- und Bezugspunkt für alle Aktivitäten, die sich einerseits auf das Grundsatzkriterium der Effektivität wirtschaftlichen Erfolgs- und Gewinnstrebens und andererseits seiner Legitimitätsüberprüfung mit Blick auf das konkurrierende Grundsatzkriterium der Selbstbestimmung und Humanität beziehen. Die motivationalen

Personal- und Organisationsentwicklung in der beruflichen Bildung

213

Handlungs- und Entwicklungstreiber des Einzelnen sind die Kräfte, die der Erstellung von Arbeitsleistungen und der Entwicklung der ihr zugrunde liegenden Fähigkeiten Energie, Richtung und Maß geben. Sie müssen deshalb in allen Überlegungen, die im Rahmen der Planung, Durchführung und Evaluierung von Bildungs- bzw. Personalentwicklungsmaßnahmen angestellt werden, einen zentralen Platz einnehmen. Aber auch für die Organisationsentwicklung sind die motivationalen Handlungs- und Entwicklungstreiber von entscheidender Bedeutung. Denn sie liefern die Energie, wenn es um die Entwicklung einer handlungsleitenden Organisationsvision geht. Dabei sind – immer mit Blick auf die beiden oben ausgeführten Grundsatzkriterien – vier Aspekte zu berücksichtigen, nämlich die Organisationsstrategie, -struktur und -kultur sowie die sachlichen/personalen Ressourcen. Eine so begründete kontrafaktische Organisationsvision tritt konkurrierend neben die faktisch herrschende Organisationspraxis und ermöglicht zusammen mit ihr eine begründete Erfassung und Bewertung der vorliegenden Arbeitsleistung und Ermittlung des vorliegenden Bildungsbedarfs bzw. Personal- und Organisationsentwicklungsbedarfs. Dieser strukturelle Aufriss der Personal- und Organisationsentwicklung soll im Folgenden in drei Schichten abgetragen werden, indem drei grundlegende Funktionen der betrieblichen Bildung unterschieden werden, nämlich diejenige der Strategieumsetzung, diejenige der Strategiegestaltung und diejenige der Kulturgestaltung.

3. Die drei grundlegenden Funktionen der betrieblichen Bildung bzw. PE/OE: Strategieumsetzung, Strategiegestaltung und Kulturgestaltung Genauso wie auch bei anderen Managementfeldern lassen sich auch beim (betrieblichen) Bildungs- bzw. PE/OE-Management drei grundlegende Funktionen unterscheiden, nämlich das operative (strategieumsetzende), das strategische (strategiegestaltende) und das normative (kulturgestaltende) PE/OE-Management (vgl. Bleicher 1992). Entsprechend kann man von einer operativen, strategischen und normativen bzw. strategieumsetzenden, strategiegestaltenden und kulturgestaltenden Funktion betrieblicher Bildung (PE/OE) sprechen. Jede dieser drei Funktionen präferiert ein bestimmtes Paradigma (vgl. Geißler 2000):

> Für die operative bzw. strategieumsetzende Funktion ist das Paradigma der linearen Kausalität bzw. Zweckrationalität angemessen. Es beruht auf einem Handeln, das sich allein auf linear-kausales Denken, d. h. weder auf systemisches, noch auf moralisch mitfühlendes bzw. ethisch sich reflektierendes Denken stützt. > Die strategische bzw. strategieumsetzende Funktion korrespondiert mit dem Paradigma der zirkulären Kausalität bzw. systemischen Funktionalität, die auf einem Handeln beruht, dem strategisch-systemisches, nicht aber zusätzlich auch moralisch mitfühlendes bzw. ethisch sich reflektierendes Denken zugrunde liegt. > Die normative bzw. kulturgestaltende Funktion schließlich lässt sich am besten auf der Grundlage des Paradigmas hermeneutischer Selbstreferenzialität bzw. systemischer Wertrationalität entfalten. Sie gründet sich auf ein Handeln, das sich auf ein selbstreflexives, moralisch mitfühlendes bzw. ethisch reflektierendes Denken begründet.

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Harald Geißler

Mit Blick auf die betriebliche Bildung (PE/OE) lassen sich diese drei Paradigmen zum einen subjekt- bzw. akteurstheoretisch mit Blick auf den Einzelnen (siehe. z. B. Arnold 2000, S. 133) und zum anderen organisations- bzw. managementtheoretisch mit Bezug auf soziale Systeme, also Gruppen und das Organisationsganze auslegen (siehe. z. B. Argyris/Schön 1978). Subjekt- bzw. akteurstheoretisch betrachtet lassen sich die drei Ebenen

> des operativ-reaktiven Zielerreichungslernens, > des strategisch-proaktiven Ressourcenerschließungslernens > und des normativ-persönlichkeitsbildenden Identitätslernens unterscheiden. Organisations- bzw. managementtheoretisch entsprechen diese drei Ebene den organisationalen Lernformen des

> single-loop learning, > double-loop learning > und deutero learning (Argyris/Schön 1978) bzw. loop reflecting learning (Petersen 2003) unterscheiden. Setzt man diese drei Paradigmen zum berufs- und wirtschaftspädagogischen Diskurs in Beziehung wird erkennbar, dass

> operativ-reaktives Zielerreichungslernen bzw. single-loop learning sich vorwiegend auf fachliches Wissen und Können bezieht,

> während strategisch-proaktives Ressourcenerschließungslernen bzw. double-loop learning die Schlüsselqualifikationen der Methoden- und Sozialkompetenz in den Mittelpunkt stellt > und normativ-persönlichkeitsbildendes Identitätslernen bzw. deutero learning den Blick auf die existenzielle bzw. spirituelle Dimension der Selbstklärung bzw. Selbsterkenntnis richtet und deshalb die emotionale Kompetenz bzw. Selbstkompetenz (vgl. Arnold 2001; Reetz 1990) in den Vordergrund rückt.

3.1. Strategieumsetzende betriebliche Bildung bzw. PE/OE Das heute zumindest in der Praxis immer noch vorherrschende Paradigma der Unternehmensplanung und -führung beruht auf den Vorannahmen der linearen Kausalität und Zweckrationalität bzw. Kybernetik erster Ordnung. Denn es wird davon ausgegangen, 1. dass es eine objektive Wirklichkeit gibt und diese zumindest annäherungsweise erkannt werden kann, 2. dass die Phänomene und Prozesse der Wirklichkeit durch Ursachen bedingt werden, die man identifizieren kann, 3. wobei diese Erkenntnis anschließend genutzt werden kann, um Mittel und Maßnahmen zu finden bzw. zu entwickeln, um die Wirklichkeit intentional zu gestalten und so bestimmte Ziele zu erreichen, 4. und dass Abweichungen der Zielerreichung im Sinne des ersten Schritts objektiv erfasst, anschließend dem zweiten Schritt folgend die Ursachen hierfür analysiert werden können und schließlich gemäß dem dritten Schritt Maßnahmen gefunden und entwickelt werden können.

Personal- und Organisationsentwicklung in der beruflichen Bildung

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Im Diskurs über Organisationslernen wird dieser Modus der Personal- und Organisationsentwicklung als single-loop learning (Argyris/Schön 1978) bezeichnet. Ihm entspricht eine berufs- und funktionsbezogene betriebliche Bildung (vgl. Baethge/Schiersmann 1998), die sich auf die zweckrationale Vermittlung fest umschriebenen fachlichen Wissens und Könnens fokussiert. Letzteres muss so ausgewählt sein, dass es der Erreichung der ins Auge gefassten Unternehmensziele optimal dient. Eine Beteiligung der Lernenden ist dabei nicht vorgesehen, denn sie werden als eine Humanressource betrachtet, deren Sinn es ist, zweckdienlich eingesetzt und gestaltet zu werden. Entsprechend liegt die Verantwortung für alles, was mit der betrieblichen Bildung zu tun hat, in den Händen derjenigen, die ihr ihre Vorgaben machen – und das ist letztlich das Topmanagement. Diejenigen, die die betriebliche Bildung operativ managen, können deshalb nur für das Grundsatzkriterium der Effektivität wirtschaftlichen Erfolgs- und Gewinnsstrebens Verantwortung übernehmen und müssen die Legitimitätsüberprüfung ihrer Effektivitätsbemühungen an diejenigen delegieren, die in der Organisation letztlich Verantwortung haben. Voraussetzung dafür, das erste Grundsatzkriterium erfüllen zu können, ist, dass den für betriebliche Bildung bzw. PE/OE Verantwortlichen Ziele vorgegeben werden, die so eindeutig sind, dass sie für keinerlei Interpretationen Spielräume geben. Das wiederum setzt seinerseits voraus, dass diejenigen, die in der und für die Organisation letztlich Verantwortung haben, nicht nur aufgrund ihrer Fähigkeiten, sondern vor allem aufgrund der objektiven Merkmale des Organisationsumfeldes in der Lage sind, diese objektiv zu erfassen und ihre zukünftige Entwicklung sicher zu prognostizieren. Dieser Ansatz entspricht dem Managementparadigma des market-based approach (vgl. Hennemann 1998, S. 52ff.; Pawlowsky/Bäumer 1996, S. 42; Staudt 1995a, S. 183). Es stützt sich auf eine Argumentationskette, die aus fünf aufeinander folgenden Schritten besteht:

> Der erste und grundlegendste Schritt besteht darin, die zukünftigen Marktbedarfe und organisationalen Umfeldbedingungen sicher zu kalkulieren.

> Der zweite Schritt ist, entsprechend günstige Produkte bzw. Dienstleistungen zu definieren, mit denen die Organisation sich gut entwickeln kann.

> In einem dritten Schritt sind die technischen Bedingungen zu bestimmen und herzustellen, die notwendig sind, um jene Produkte bzw. Dienstleistungen günstig produzieren zu können. > Auf dieser Grundlage sind im vierten Schritt – im Rahmen von Organisationsentwicklung – die organisatorischen Bedingungen zu bestimmen und herzustellen, die für die im dritten Schritt identifizierte technische Entwicklung notwendig bzw. günstig sind. > Der fünfte und letzte Schritt besteht schließlich darin, mithilfe von beruflicher Bildung bzw. Personalentwicklung diejenigen Qualifikationen und Einstellungen herzustellen, die notwendig sind, damit das Personal mit der im dritten Schritt ins Auge gefassten Technik und angesichts der im vierten Schritt bestimmten Arbeitsorganisation eine optimale Arbeitsleistung erbringen kann. Wenn in solchen Ableitungszusammenhängen gedacht und gehandelt werden soll, ist eine Organisationsform zu empfehlen, die sich durch eine hochgradige Segmentierung und Hierarchisierung auszeichnet. Beziehungsweise umgekehrt: Wenn eine hochgradige organisationale Segmentierung und Hierarchisierung vorliegt, bietet sich das Paradigma der linearen Kausalität bzw. Zweckrationalität und der market-based approach an. Hochgradige organisationale Segmentierung und Hierarchisierung bedeutet für die betriebliche Bildung

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erstens die strikte Trennung von beruflich-betrieblicher Ausbildung und Weiterbildung/ Personalentwicklung und zweitens Unterordnung von Aus- und Weiterbildung unter eine Personalarbeit, die die Anweisungen des Linien- und Topmanagements zu exekutieren hat. Auf diese Weise wird zwischen Arbeiten und Lernen strikt unterschieden: Denn für Ersteres sind die Vorgesetzten der Linie zuständig und für Letzteres die betriebliche Bildung bzw. Personalentwicklung. Um Kompetenzstreitigkeiten zu vermeiden, konzentriert sich Personalentwicklung deshalb in der Regel auf Maßnahmen off-the-job. Für den Umgang mit dem Einzelnen bedeutet das, dass nur diejenigen Qualifikationen und Motivationen interessieren bzw. nur dasjenige Personal interessiert, das Qualifikationen und Motivationen aufweist, die zur Zeit oder mit Blick auf die prognostizierte Zukunft produktiv verwertbar sind. Personal mit anderen Qualifikationen und Motivationen ist nicht nur unnütz, sondern auch störend und muss deshalb auf entsprechend geeignete Arbeitsplätze verlagert bzw. entwickelt oder freigesetzt werden. Denn Personal mit Qualifikationen und Motivationen, die nicht einigermaßen genau den Anforderungen des betreffenden Arbeitsplatzes entsprechen, werden als Gefahrenquelle für Spannungen und Konflikte betrachtet. Ähnliches gilt auch für die Lernfähigkeit. Sie wird zweckrational für Qualifizierungsprozesse genutzt, mit deren Hilfe diejenigen Qualifikationen „produziert“ werden, die für die gegenwärtige bzw. geplante Arbeit benötigt werden. Das pädagogische bzw. didaktische Paradigma eines solchen Lernens ist das operativ-reaktive Zielerreichungslernen. Es verlangt vom Personalentwickler bzw. Weiterbildner, ohne Beteiligung der Betroffenen Lernziele zu fixieren, die der Entwicklung derjenigen Qualifikationen zweckrational dienen, die für die Produktion der gewünschten Produkte bzw. Dienstleistungen benötigt werden. Diese Lernziele werden detailliert geplant und – wiederum zweckrational – mit geeigneten Vermittlungsmethoden unterlegt. Die Lernenden erscheinen dabei nur als Personal und nicht als Persönlichkeiten und werden, um die Komplexität der Qualifizierungsmaßnahmen überschaubar zu halten, virtuell zu einem Einzelsubjekt zusammengeführt. Denn gruppendynamische und organisationsdynamische Aspekte können wegen ihrer Komplexität und der dadurch bedingten reduzierten Steuerbarkeit der Qualifizierungsprozesse in diesem Paradigma nicht berücksichtigt werden. Das Paradigma der linearen Kausalität bzw. Zweckrationalität tut sich deshalb mit Teamentwicklung und Organisationsentwicklung schwer. Seine Stärke ist die sozialtechnologische Qualifizierung von Einzelnen mit Bezug auf klar vorgegebene Ziele (siehe z. B. Dedering/ Feig 1993; Faix/Buchwald/Wetzler 1991) sowie die sozialtechnologische Durchführung von Reorganisationsmaßnahmen.

3.2. Strategiegestaltende betriebliche Bildung bzw. PE/OE Wie Baethge/Schiersmann (1998) in einem Gutachten des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen materialreich darlegen, erweist sich aufgrund der fortschreitenden Globalisierung der Produkt- und Arbeitsmärkte seit Ende der 80er Jahre das zweckrationale Paradigma als zunehmend dysfunktional. Es wird deshalb seitdem Schritt für Schritt abgelöst durch das Paradigma der systemischen Funktionalität (siehe z. B. Backhausen/Thommen 2003, S. 29ff.). Für die PE/OE bzw. betriebliche Bildung bedeutet das den Wechsel von einer strategieumsetzenden bzw. funktions-/berufsorientierten zu einer strategiegestaltenden bzw. prozessorientierten Arbeits-/Betriebsorganisation und betrieblichen Bildung.

Personal- und Organisationsentwicklung in der beruflichen Bildung

217

Tabelle 3: Wandel der betrieblichen Bildung von der strategieumsetzenden (berufsund funktionsbezogenen) zur strategiegestaltenden (prozessorientierten) betrieblichen Bildung

Dimensionen

Strategieumsetzende bzw. berufs- und funktionsbezogene beruflich-betriebliche Bildung

Strategiegestaltende bzw. prozessorientierte beruflich-betriebliche Bildung

OE-Funktion

Single-loop learning

Double-loop learning, Wissensmanagement

Lernarrangements

Interne und externe Kurse und Semi- Arbeitsbezogenes bzw. arbeitsintenare griertes Lernen, selbstorganisiertes Lernen, Einbezug neuer Medien

Lernziele und -inhalte

Operativ-reaktives Zielerreichungs- Strategisch-proaktives RessourcenMethodenlernen, Vermittlung fachlichen Wis- erschließungslernen, und Sozialkompetenz sens und Könnens

Zielgruppen

Individueller Nachfrager

Neben individuellen Nachfragern innerbetriebliche Teams bzw. Projektgruppen sowie die gesamte Organisation

Qualitätssicherung Inhaltsbezogene Qualitätskonzepte, Prozessbezogene Qualitätskonzepangebotsorientierte Planung te, nachfrageorientierte Planung, Inund -entwicklung tensivierung der Bedarfsermittlung, Transfersicherung Zentrale Weiterbildungsabteilung oder Weiterbildungsbeauftragte

Dezentralisierung und Verlagerung auf Fachabteilungen und Führungskräfte, Einrichtung von Cost-Centern oder Auslagerung als Profit-Center, Neue Kooperationsformen mit externen Anbietern

Rolle/Funktion des Trainer bzw. Dozent, Organisator Weiterbildners

Moderator, Coach, individueller und unternehmensbezogener Berater und Prozessgestalter

Betriebliche Organisation der Weiterbildung

Einbau in betriebliche Gesamtstrategien (Weiterbildungscontrolling und -finanzierung)

Ohne systematisches Controlling, Fi- Detailliertes Kosten- und Effizienznanzierung über Gemeinkosten controlling, Verlagerung der Kosten auf Fachabteilungen bzw. individuelle Nachfrager

Quelle: in Anlehnung an Baethge/Schiersmann (1998, S. 30).

Während die strategieumsetzende betriebliche Bildung sich auf den market-based approach stützte, geht das Paradigma der systemischen Funktionalität und der strategiegestaltenden prozessorientierten betrieblichen Bildung von einem „resource-based approach“ (vgl. Hennemann 1997, S. 55ff.) bzw. von einer Potenzialorientierung der Personal- und Organisationsentwicklung (Staudt 1995a, S. 189ff.) aus. Die wichtigsten Argumente für diesen Wandel sind zum einen die Schwäche des market-based approach, sichere Zukunftskalkulationen erstellen zu können, und zum anderen die gesteigerte arbeitsorganisatorische Flexibilität der informationsgesteuerten Technik mit ihrer Fähigkeit, alternative arbeitsorganisatorische Strukturen anzubieten (vgl. Staudt 1995b). Auf diese Weise wird die starre Schrittfolge des market-based approach (Markt ¡ Technik/Organisation ¡ Qualifikation) gelockert, was zur Aufwertung von betrieblicher Bildung bzw. PE/OE führt und ihr die Möglichkeit bietet, nicht nur strategieumsetzend, sondern auch – der Tradi-

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tion der Organisationsentwicklung folgend – strategiegestaltend aufzutreten. Damit nun treten folgende Fragen in den Vordergrund:

> „Welche genutzten und ungenutzten Qualifikationen liegen bei dem vorliegenden Personal vor?

> Welche Anlagen, Interessen, Bedürfnisse zur Erreichung welcher Fähigkeiten existieren bei den Mitarbeitern?

> Welche organisatorischen Konfigurationen und Abläufe sind mit den vorhandenen Potentialen sinnvoll zu gestalten?

> Welche Produktionsverfahren sind qualifikatorisch möglich, effektiv und effizient? Und in letzter Konsequenz:

> Welche Güter und Dienstleistungen sind von dem Betrieb mit den gegebenen und – mittels Personalentwicklung und Veränderung von Organisationsstrukturen – entwickelbaren Potentialen überhaupt erstellbar?“ (Staudt 1995a, S. 190). Das bedeutet nicht, dass die Schrittfolge des market-based approach (Markt ¡ Technik/ Organisation ¡ Qualifikationen) völlig obsolet wird, denn auch im resource-based approach muss vom Markt her gedacht werden, ebenso wie der market-based approach in der Praxis immer auf eine bestimmte Flexibilisierungsreserve des Personalfaktors setzt, ohne sie allerdings systematisch zu pflegen und zu entwickeln. Das heißt: Das sozialtechnologische Paradigma der Zweckrationalität und des market-based approach wird durch dasjenige der systemischen Funktionalität und den resource-based approach bzw. der Potenzialorientierung nicht grundlegend ersetzt, sondern ergänzt (Staudt 1995a, S. 190). In diesem Sinne spricht Staudt (1995a, S. 190) von einer Integration der Personal- und Organisationsentwicklung in die strategische Unternehmensführung. Voraussetzung für eine solche Integration ist jedoch die Öffnung für die systematische In-Frage-Stellung der obersten Organisationsziele, d. h. für „double-loop learning“. Betriebliche Bildung (PE/OE) wird damit vom Auftragsempfänger zu einem Mitgestalter der Organisationsstrategie. Für Pawlowsky/Bäumer sind diese Überlegungen ein Grund, betriebliche Bildung mit Wissensmanagement zu verbinden. Denn für sie ist offensichtlich, „dass Unternehmen ein brachliegendes Informationsverarbeitungs- und Problemlösungspotenzial sowie über nicht genutzte Fähigkeiten, Kenntnisse und Ideen verfügen, die es gilt, in Unternehmen aufzuspüren, zu entfalten und sinnvoll zu nutzen“ (Pawlowsky/Bäumer 1996, S. 47f.). Das Lernen und die vorliegenden Personalressourcen sollten deshalb möglichst frühzeitig in die Strategieentwicklung der Organisation integriert werden, und angesichts der Unmöglichkeit, sichere Zukunftsprognosen zu erstellen und von ihnen organisationale Entscheidungen ableiten zu können, sollten die vorliegenden Fähigkeiten der Organisationsmitglieder und vor allem ihre Lernfähigkeit, neue Fähigkeiten zu entwickeln, als organisationale Ressourcen von höchstem Wert anerkannt und systematisch gepflegt und entwickelt werden (vgl. Hennemann 1997; Staudt 1995b). Mit der Integration des Paradigmas der Zweckrationalität in dasjenige der systemischen Funktionalität wird das Prinzip organisationaler Segmentation und Hierarchisierung obsolet. Denn es gewinnt die Erkenntnis an Bedeutung, dass dezentralisierte Organisationen flexibler sind, dass Personal- und Organisationsentwicklungsfunktionen im Wesentlichen von den Fachabteilungen getragen werden müssen und dass der Personalfunktion ein sicherer Platz in der Unternehmensleitung gebührt (vgl. Staudt 1995a, S. 187 und 193f.). Auf dieser Grundlage gehören Arbeiten und Lernen/Weiterbildung eng zusammen (vgl. Harney 1998, S. 46ff.; Peters 1996; Severing 1994), was bedeutet, dass diejenigen, die für

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das Arbeiten und Lernen der Organisationsmitglieder verantwortlich sind, möglichst eng kooperieren sollten. Die Führungskräfte der Linie werden auf diese Weise zu den engsten und wichtigsten Kooperationspartnern derjenigen, die für berufliche Bildung bzw. PE/OE verantwortlich sind (siehe z. B. Gaugler 1987) und damit zu den entscheidenden Promotoren für Organisationslernen (Geißler 2000). Damit geht einher, Lernen nicht mehr im Wesentlichen nur mit Bezug auf formales Lernen in Personalentwicklungsmaßnahmen off-the-job zu diskutieren, sondern auch als informelles Lernen im Prozess der Arbeit (vgl. Wittwer/Kirchhof 2003) zu verstehen und entsprechend das dort gewonnene implizite Wissen (tacit knowledge), das sich im Können des Arbeitsvollzugs zeigt und in der Regel nicht explizit in Worte gefasst werden kann, gegenüber dem expliziten Wissen aufzuwerten. Damit schließt die Diskussion um betriebliche Bildung an den im ersten Abschnitt erwähnten Diskurs über Wissensmanagement an, und in diesem Zusammenhang wird Personalentwicklung zunehmend auch eine Aufgabe der Führungskräfte und fordert sie auf, sich als Coach zu qualifizieren (vgl. Brinkmann 1994). Vor diesem Hintergrund wird erkennbar, dass betriebliche Bildung bzw. PE/OE auf der Grundlage des Paradigmas systemischer Funktionalität bzw. im Rahmen des resourcebased approach sich auf ein Lernen konzentriert, das man als strategisch-proaktives Ressourcenerschließungslernen bezeichnen kann und sich dabei nicht nur auf den Einzelnen beschränkt, sondern ihn systemisch wahrnimmt, d. h. ihn – nicht nur im Rahmen von Teamentwicklung und Organisationsentwicklung – in seinen verschiedenen sozialen Zusammenhängen sieht und anspricht. In diesem Kontext kann es sinnvoll sein, auch auf operativ-reaktives Zielerreichungslernen zurückzugreifen, und zwar in Phasen und Situationen, wenn klar definierte Lern- und Entwicklungsziele vorgegeben sind und eine Beteiligung der Betroffenen dysfunktional erscheint. Oberstes Kriterium bei alledem ist die Effektivität wirtschaftlichen Erfolgs- und Gewinnstrebens. Im Gegensatz zum Paradigma der Zweckrationalität wird dabei größter Wert auf die Beachtung systemischer Zusammenhänge und win-win-Beziehungen gelegt (Backhausen/Thommen 2003; Geißler/Sattelberger 2003). Fraglich ist jedoch, ob die Bindung an bzw. Selbstverpflichtung auf win-win-Beziehungen grundsätzlich ausreicht, um auch dem zweiten Grundsatzkriterium Rechnung zu tragen, nämlich der Legitimitätsüberprüfung des auf Effektivität zielenden wirtschaftlichen Erfolgs- und Gewinnstrebens durch systematische Bezugnahme auf das Grundsatzkriterium der Selbstbestimmung und Humanität. Es ist deshalb zu bezweifeln, ob auf der Grundlage dieses Paradigmas eine Persönlichkeitsentwicklung denkbar und praktizierbar ist, der es nicht nur um die strategische Erschließung von Ressourcen geht, sondern – im Rahmen von normativem Identitätslernen – auch der ethischen Frage nachgeht, an welchen übergeordneten Zielen und Kriterien sich diese Erschließung orientieren sollte.

3.3. Kulturgestaltende betriebliche Bildung bzw. PE/OE Auf die zuletzt gestellten Fragen verspricht das Paradigma der hermeneutischen Selbstreferenzialität bzw. systemischen Wertrationalität (Geißler 2000, S. 24ff.) eine Antwort zu geben. Im Gegensatz zum Paradigma der zirkulären Kausalität bzw. systemischen Funktionalität spiegelt es (noch) nicht die heute vorliegende bzw. sich entfaltende Praxis der betrieblichen Bildung (PE/OE), sondern markiert mehr die Ansprüche einer wünschenswerten humaneren Zukunft. Denn sie wendet sich einem Problem zu, das auf der Grundlage

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systemischer Funktionalität unlösbar ist, nämlich die systematische Erzeugung und Pflege von Vertrauen und Verantwortung (vgl. Geißler 2003). Der Grund hierfür ist, dass Vertrauen und Verantwortung Moral bzw. Ethik voraussetzen, dieses aber im Paradigma systemischer Funktionalität nicht thematisierbar ist (siehe z. B. Luhmann 1990, S. 7f.). Mit dieser Anmerkung wird an den Diskurs angeschlossen, der in den 70er Jahren zwischen Jürgen Habermas (1991) als Vertreter der sogenannten kritischen Theorie und dem Soziologen und Systemtheoretiker Niklas Luhmann geführt wurde und in dem ersterer nicht nur gegen Luhmann, sondern gegen die gesamte Systemtheorie den Vorwurf erhob, sie sei einseitig funktionalistisch und lasse keinen Raum für die Kategorie des Subjekts und die Dimension ethischer bzw. moralischer Verantwortung. Dieser Vorwurf galt auch der damaligen systemischen Psychologie und Psychotherapie, die im Umfeld von Paul Watzlawick in den späten 60er Jahren in den USA (Palo Alto) und in den späten 70er Jahren mit der sogenannten Mailänder Schule entstand und von dem Grundsatz ausging, nicht mehr auf den Einzelnen und seine Problemgeschichte zu blicken, sondern einzig und allein auf die Reproduktion und Veränderung der Kommunikationsregeln, die ihn mit den anderen verbindet. Diese Position konnte in ihrer Radikalität allerdings nicht lange durchgehalten werden. Vor allem Fritz B. Simon (1988) und Jürgen Kriz (1990) ist zu verdanken, die zuvor exkommunizierten intrapsychischen Prozesse des Einzelnen in die systemische Psychologie wieder integriert zu haben. Gleichwohl konnte dadurch der Vorwurf von Habermas nur teilweise entkräftet werden. Denn der neueren systemischen Psychologie und Psychotherapie ist die Reintegration des Subjekts nur partiell gelungen, indem sie sich für die intrapsychischen Prozesse des Einzelnen interessiert. Ausgeblendet bleibt dabei allerdings die ethische Dimension und Verantwortung des Subjekts. Dieses Defizit will das Paradigma der systemischen Wertrationalität überwinden, indem es Erkenntnisgewinnung nicht nur als ein kognitives, sondern zusätzlich auch als ein emotional-moralisches Unternehmen betrachtet. Der Grund hierfür ist in der Erkenntnistheorie des radikalen Konstruktivismus und seiner grundlegenden Entscheidung angelegt, sich als eine Theorie der Beobachtung bzw. des Beobachters auszulegen, was zur Folge hat, dass jede Beobachtung sich selbst beobachten muss und jede Beobachtung von dem Standpunkt des Beobachters abhängt. Die Qualität der Erkenntnis der Wirklichkeit hängt deshalb davon ab, wie sorgfältig sich der Beobachter dieser Wirklichkeit bei seiner Beobachtung selbst beobachtet. M. a. W.: Selbsterkenntnis ist die Voraussetzung für die Erkenntnis von Fehlern und Verzerrungen der Wirklichkeitserkenntnis. In diesem Zusammenhang tritt das Problem der Selbsttäuschung bzw. Selbstverblendung (vgl. Geißler 2003) auf. Sie wird einerseits verursacht durch Übertragungen, d. h. durch die unerkannte Nutzung von Deutungen, die in der Vergangenheit in anderen Situationen entwickelt worden sind und dort durchaus realitätsangemessen gewesen sein mögen, und andererseits durch Projektionen, die dadurch entstehen, dass das Subjekt sich emotional unangenehmer Selbsterkenntnis nicht stellen mag und diese Merkmale des eigenen Selbst anderen zuschreibt. Das aber ist ein moralisches Problem. Denn das, was man anderen – fälschlicherweise – zuschreibt, sind häufig negative Eigenschaften, die mit negativen bzw. destruktiven eigenen Emotionen verbunden sind (vgl. Goleman 2003). Auf diese Weise tut man anderen Unrecht bzw. fügt ihnen – unnötig – Schaden zu. Zu dieser Fremdschädigung kommt eine korrespondierende Selbstschädigung hinzu, denn dadurch, dass man sich – aus Angst vor eigenen unangenehmen Emotionen – davor bewahrt, bestimmte negative Züge des eigenen Selbst zu erkennen, fügt man sich auch selbst – unnötig – Schaden zu. Dieses Problem ist nicht nur für Projektionen typisch, sondern eine Gefahr jeder

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Erkenntnis und Selbsterkenntnis. Das Kernstück des Paradigmas der systemischen Wertrationalität, durch das sie sich von demjenigen der systemischen Funktionalität unterscheidet, ist deshalb die moralische Aufforderung, Mut zu entwickeln und die Ängste zu überwinden, die zu Selbstverblendungen führen bzw. führen könnten (vgl. Geißler 2003). In diesem Sinne geht das Paradigma der systemischen Wertrationalität über das strategischproaktive Ressourcenerschließungslernen hinaus und lenkt den Blick auf das normativ-persönlichkeitsbildende Identitätslernen und schließt damit einerseits an die moralischen Ansprüche und Selbstverpflichtungen der „klassischen“ Organisationsentwicklung und andererseits an die Traditionslinien der Berufs- und Wirtschaftspädagogik an, die den Begriff einer normativ ausgelegten Bildung zu ihrem zentralen Bezugspunkt machen (vgl. Arnold/ Lipsmeier 1995, S. 16f.; Blankertz 1969). Im Mittelpunkt einer so verstandenen systemisch wertrationalen betrieblichen Bildung (PE/OE) müsste die Entwicklung der Selbstkompetenz bzw. Selbsterkenntnis stehen, d. h. die Überwindung von Selbsttäuschungen und Selbstverblendungen durch existenzielle Selbstbesinnung vor allem auf die zugrunde liegenden eigenen motivationalen Handlungs- und Entwicklungstreiber (vgl. Geißler 2000, 2003, 2004; Goleman 2003). Dieser Anspruch korrespondiert mit der Forderung nach emotionaler Kompetenzentwicklung (Arnold 2001) und einem so fundierten Dialog/Diskurs (vgl. Geißler/Sattelberger 2003, S. 138ff.; Habermas 1991; Oser/Althof 1992; Senge 1991). Als besonders fruchtbar könnte sich dabei der interkulturelle Dialog mit bisher fremden Ethikvorstellungen, wie zum Beispiel mit dem tibetischen Buddhismus (siehe z. B. Seine Heiligkeit der XIV. Dalai Lama 2002) herausstellen. Auf einer so veränderten Grundlage ist nicht zuletzt auch Führung neu zu überdenken, und zwar mit Bezug auf das Konzept der „stellvertretenden Führung“ (Arnold 2000, S. 17ff.) bzw. „dienenden Führung“ (Reinhardt 2003). Es ist ein Konzept, dass sich an den beiden Grundsatzkriterien der Effektivität und Legitimitätsüberprüfung orientiert und eine Selbstführung voraussetzt, die auf ungeschminkter Selbsterkenntnis beruht. In diesem Sinne ist zu fordern, dass sich nicht nur Fach- und Führungskräfte, sondern auch Personal- und Organisationsentwickler mit ihren neurotischen Anteilen auseinander setzen sollten. Arnold (2000, S. 22; 2005) denkt hier vor allem an die weit verbreiteten Machbarkeits – und Dominanz- bzw. Allzuständigkeitsansprüche, während Kets de Vries und Danny Miller (1985) auf die paranoiden, zwanghaften, dramatisch, depressiven und schizoiden Persönlichkeitsanteile vor allem der Unternehmensleitung blicken und entsprechend paranoide, zwanghafte, dramatische, depressive und schizoide Organisationskulturen rekonstruieren. Diesen Gefahren kann durch Supervision (Fatzer/Rappe-Giesecke/ Looss 1999; Fatzer 2005) entgegengetreten werden. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass stellvertretende Führung nicht mit Nicht-Führung verwechselt werden darf. Sie folgt vielmehr zum einen dem Subsidiaritätsprinzip, „nur in den Bereichen tätig zu werden, in denen die Eigenkräfte der Teams nicht ausreichen“ (Arnold 2000, S. 19); – und zum anderen tritt sie der Gefahr der „Kompetenzsaturierung“ (ebd., S. 32) durch die Konfrontation mit ungenutzten Verbesserungsmöglichkeiten entgegen. Eine sich so verstehende betriebliche Bildung im weiteren Sinne hat durch Prozessberatung (Schein 1999) zur Weiterentwicklung der Organisationskultur (siehe Schein 1986) und Förderung „stellvertretender Führung“ beizutragen. Auf diese Weise vermag sie der Strategieentwicklung eine sinnhafte Grundlage zu geben, die sich nicht nur am Kriterium der Effektivitätssteigerung orientiert, sondern dieses auch hinsichtlich seiner Legitimität hinterfragt. Systemisch wertrationale betriebliche Bildung müsste dementsprechend vor allem auf die normativ-persönlichkeitsbildende Identitätsentwicklung des Einzelnen, von

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Gruppen/Teams und der gesamten Organisation (d. h. auf die Entwicklung ihrer Organisationskultur) blicken und sich auf dieser Grundlage je nach Situation um entsprechende Beiträge zum strategisch-proaktiven Ressourcenerschließungslernen oder operativ-reaktiven Zielerreichungslernen bemühen. Mit Bezug auf den Diskurs über Organisationsentwicklung, Organisationslernen und Wissensmanagement bedeutet das: Systemisch wertrationale betriebliche Bildung bzw. PE/ OE sollte auf kulturgestaltendes deutero learning bzw. loop-reflecting learning (Petersen 2003) als Rahmensetzung für strategieerschließendes double loop-learning zielen, das seinerseits den Rahmen setzt für anpassungsorientiertes single-loop learning (vgl. Argyris/ Schön 1978, 1999). In diesem Sinne geht es um die Entwicklung und Vermittlung der drei Ebenen der organisationalen Wissensbasis, nämlich um das Management des vorliegenden expliziten Wissens (vgl. Probst/Raub/Romhardt 1997), um die Erschließung des impliziten Wissens hinsichtlich des Umgangs mit Inhalten und Aufgaben (Nonaka/Takeuchi 1995) und um die Selbstaufklärung des impliziten Wissens der Organisationssubjekte hinsichtlich ihres Umgangs mit sich selbst und mit anderen.

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4. Lehr- und Lerninhalte der Berufsbildung

Curriculare Strukturen beruflicher Bildung Lothar Reetz / Wolfgang Seyd

Lothar Curriculare 1. Begriffliche ReetzStrukturen / Wolfgang Abgrenzung beruflicher Seyd Bildung und Problemstellung Der vorliegende Beitrag befasst sich mit den strukturellen Merkmalen von Curricula in der beruflichen Bildung. Dabei werden diese strukturellen Merkmale vor allem unter dem Gesichtspunkt der Veränderungstendenzen erörtert, die sich in den letzten Jahrzehnten ergaben und die gegenwärtig fortwirken. Der in Anspruch genommene Curriculumbegriff betrifft schwerpunktmäßig Inhalte und Ziele beruflicher Bildung, umfasst aber auch Aspekte der Organisation/Planung, Realisation und Evaluation von Lehr-/Lernprozessen in Betrieb und Schule. Er umgreift damit sowohl Makro- als auch Mikroebene curricularer Planung, Durchführung, Kontrolle und Reflexion. Der Begriff der „curricularen Strukturen“ wird hier verstanden als Aufbau, Anordnung und innere Beziehung von Curriculumelementen gemäß bestimmten curricularen Gestaltungsprinzipien (vgl. Hameyer 1983). Curricula für die berufliche Bildung zeigen sich in konkreter Form auf der Ebene der Planung und Steuerung als Ordnungsmittel (Berufsbild, Ausbildungsrahmenplan, Ausbildungsplan, Rahmenlehrplan und Lehrplan) einschließlich didaktischer Hinweise zur Lernprozessgestaltung sowie als Prüfungsanforderungen. Auf den Ebenen der Realisation und Kontrolle manifestieren sich Curricula als Dokumente, Berichte usw. über betriebliche und schulische Prozesse beruflichen Lernens und Lehrens, über die Verwendung von Schulbüchern, den Einsatz von Medien, über Prüfungsmodalitäten und -ergebnisse sowohl in regulären Berufsbildungsprozessen als auch in Modellversuchen. Gegenstand der vorliegenden Abhandlung sind vorrangig die strukturellen Merkmale von Curricula auf der Ebene der Planung und Steuerung von Berufsbildungsprozessen durch die Ordnungsmittel der Ausbildungsordnungen und berufsschulischen Rahmenlehrpläne (Makroebene). Gleichwohl ist auch die Ebene der Realisation und Kontrolle verstärkt in die Betrachtung einzubeziehen, seitdem Lerninhalte und Lernprozesse gemäß KMK-Beschluss aus dem Jahre 1996 nach Lernfeldern strukturiert werden. Mit der Lernfeldorientierung ist eine stärkere Beteiligung der Lehrenden an der curricularen Gestaltung verbunden (vgl. Kremer/Sloane 2001, S. 99). Diese betrifft sowohl die Auswahl als auch die Strukturierung und Präzisierung von Inhalten. Während bis in die 90er Jahre hinein die Hauptaufgabe der Lehrenden in der Initiierung von Lehr-Lern-Prozessen vor dem Hintergrund differenzierter lernzielbetonter Rahmen- und Fachlehrpläne bestand, erfordern die strukturellen Eigenheiten des Lernfeldkonzeptes, dass die Lehrenden nunmehr auch Strukturierungsaufgaben übernehmen, die früher bereits auf der Ebene der Lehrpläne entschieden wurden. Betrachtet man nämlich die betrieblichen Ausbildungsrahmenpläne und die berufsschulischen Rahmenlehrpläne, so enthielten diese Ordnungsmittel bis in die jüngste Vergangenheit in der Regel jeweils einen Katalog von Lernzielen, deren Erreichen für den Erwerb

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bestimmter beruflicher Qualifikationen für erforderlich gehalten wurde. Auf der theoretischen Grundlage, die mit der Lernzieldiskussion in den 70er Jahren geschaffen worden war, gaben die Lernzielkataloge bis Mitte der 90er Jahre Auskunft darüber, welche Lerninhalte (Themen) mit welchem Intensitätsgrad des Wissens und Könnens vom Auszubildenden bewältigt werden sollten, um die aus der Perspektive der künftigen Arbeitsplatzanforderungen erforderlichen beruflichen Fähigkeiten zu erlangen (vgl. Sievers 1984, S. 69). Seitdem die Lernzielprogrammatik Anfang der 70er Jahre in die Entwicklung beruflicher Curricula Eingang gefunden hatte, erhielten Lernzielkataloge ihre formale Struktur durch Konzepte der vertikalen Gliederung nach Abstraktionsgraden (Möller 1971), nach Operationalisierung (Mager 1972) und nach Taxonomisierung und Dimensionierung (Bloom 1973). Da Lernziele als Verbindung (formaler) Verhaltenskomponente und (materialer) Inhaltskomponente definiert sind, war die formale Lernzielstruktur immer auch auf eine inhaltliche Komponente bezogen. Diese ließ sich als thematische Inhaltsstruktur bezeichnen (vgl. Posch/Schneider/Mann 1977, S. 9f.). Sie konnte von unterschiedlicher Beschaffenheit sein, je nachdem, ob eine Themenstruktur z. B. unmittelbar aus einer wissenschaftlichen Systematik bezogen wurde (vgl. Reetz 1984, S. 174), ob sie z. B. psychologisch ermittelten Formen des Wissens und seines Erwerbs nachgebildet wurde (vgl. Spada 1983) oder ob sie von Situationen und Abläufen praktischen Handelns z. B. an betrieblichen Arbeitsplätzen bestimmt wird (vgl. Achtenhagen/Schneider 1993, S. 86ff.). Bereits vor mehr als 20 Jahren konnte ermittelt und dargelegt werden, dass „Curriculare Strukturen beruflicher Bildung“ durch die gleichen Prinzipien geprägt sind, die schon bei der Auswahl und der Legitimation von Lernzielen und -inhalten als maßgebend erkannt worden waren (Reetz/Seyd 1983; 1995, vgl. Lipsmeier 2000), nämlich durch

> das Wissenschaftsprinzip mit der Strukturierung aufgrund von Wissenschaften und ihren Strukturen,

> das Situationsprinzip mit der Strukturierung aufgrund von objektiven und subjektiven Situationsbedingungen und Handlungsfeldern,

> das Persönlichkeitsprinzip mit der Strukturierung aufgrund von Bildungsbedürfnissen, Leitideen und Kompetenzen der Persönlichkeit (vgl. Hameyer 1983, S. 75; Reetz/Seyd 1983, 1995; Reetz 1984, 1996, 2003). Solange wir dabei das Curriculum als ganzes oder in größeren Abschnitten betrachten, sprechen wir – wie bereits angedeutet – von makrostruktureller Betrachtung. Geht es um einzelne Lehr-Lern-Situationen in der Ebene von Unterweisung und Unterricht, so sprechen wir von mikrostruktureller Betrachtung. Ein weiterer wichtiger Aspekt curricularer Strukturierung ergibt sich, wenn man die – bisher unterstellte – zeitpunktbezogene Betrachtung durch die zeitablaufbezogene Betrachtung ergänzt: Auch hier kann man sich bei der Gestaltung der zeitlichen Anordnung der Curriculumelemente entweder an Wissenschaftssystematiken, an situations- und handlungsbezogenen Abfolgen oder mehr an den Lernbedürfnissen des Individuums orientieren. Wiederum lassen sich auch hier Makro- von Mikrosequenzierungen unterscheiden. Es handelt sich um zwei ineinandergreifende Typen der Sequenzbildung. Werden ganze Zielkomplexe, Fächer, Kurse, Abfolgen von Lehrgängen usw. thematisiert, so ist von Makrosequenzierung zu sprechen. Die mikrostrukturelle Ebene der Sequenzierung betrifft den Ablauf innerhalb kleinerer Sequenzen wie Unterrichts- oder Unterweisungseinheiten (vgl. Eigenmann 1975, S. 224; Sievers 1984, S. 17).

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In der maktostrukturellen Ebene machen sich gegenwärtig – im Kontext internationaler Vergleiche von beruflicher Aus- und besonders Weiterbildung – verstärkt Tendenzen einer Modularisierung geltend (Kloas 1997). Unter dem Aspekt der Curriculumentwicklung geht es dabei um Zerlegung des Curriculums in unterschiedliche, in sich mehr oder weniger abgeschlosssene Lehr-Lern-einheiten. Dabei entsteht besonders in der Ausbildung das Problem, das Prinzip der Ganzheitlichkeit und Beruflichkeit durch die Segmentierung und Flexibilisierung nicht zu verletzen und kontinuierliche berufliche Sozialisationsprozesse zu bewahren (vgl. Deißinger 2001; Gonon 2001; Münk 1999; Rottmann 2003). Wir behalten die Flexibilisierungserfordernisse der beruflichen Bildung im Blick, konzentrieren uns aber auf die curricularen Strukturen (ganzheitlicher) Berufsausbildung, wie sie im dualen System organisiert ist. Dessen Bedeutung zeigt sich u. a. darin, dass dieser Weg nach wie vor für die Absolventen der Haupt- und Realschulen den „Königsweg“ in das Arbeitsleben darstellt (Baethge 2003, S. 525). Der Blick ist sowohl auf die betrieblichen als auch auf die berufsschulischen Curricula gerichtet. Mit dem Beschluss der KMK und ihren „Handreichungen“ vom 9.5.1996 sind nun alle schulischen Rahmenlehrpläne lernfeldorientiert zu gestalten, während alle Ausbildungsrahmenpläne sich nach dem Ordnungsprinzip der „Arbeitsfelder“ richten sollen. Nimmt man beispielsweise die Neuordnung für die Elektroberufe aus dem Jahre 2003 zum Maßstab, so werden parallel in der Ausbildungsordnung 12 Arbeitsfelder für den betrieblichen Teil der Ausbildung und im Rahmenlehrplan 13 Lernfelder für den berufsschulischen Unterricht ausgewiesen (Borch/Weissmann 2003; Bachmann u. a. 2003). Mit Blick darauf, dass Lernfelder „an beruflichen Aufgabenstellungen und Handlungsabläufen orientiert sind“, verstärkt sich die Vermutung, dass damit das Situationsprinzip mit seiner Orientierung an Handlungsfeldern eine dominierende Funktion bei der curricularen Strukturierung erhält.

> Wir werden dieser Vermutung prüfend nachgehen (erste Hypothese), wenn wir in Kapi>

> >

>

tel 3 die drei Strukturierungsprinzipien und ihre Wirksamkeit in chronologisch-historischer Perspektive zu klären versuchen. Darüber hinaus wird als zweite Hypothese im 4. Kapitel prüfend zu erörtern sein, inwieweit und mit welcher Gewichtung die Strukturierungs- und Konzeptionierungs-Prinzipien generell weiterhin zentrales Thema der Curriculumdiskussion in der beruflichen Aus- und Weiterbildung sind. In diesem Zusammenhang ist dem häufig geäußerten Verdacht nachzugehen (dritte Hypothese), dass das Situationsprinzip in seiner funktionalistischen Variante für die gegenwärtige Curriculumentwicklung in der Berufsbildung prägend sei. Als 4. Hypothese wird uns die Vermutung beschäftigen, dass die bisherige Unterscheidung von curricularer Makro- und Mikro-Struktur nicht mehr weiterhin als zu trennende unterschiedliche Funktionsbereiche der Curriculumentwicklung und -realisation aufzufassen sind. Schließlich wäre als 5. Hypothese prüfend zu erörtern, ob Gestaltungschancen von Lehrenden und Ausbildenden durch die Einflüsse des zentralen Prüfungssystems in Frage gestellt sind.

Zuvor sollen jedoch in Kapitel 2 als Basis für die weitere Argumentation die Institutionen und Lernorte der beruflichen Bildung unter dem Aspekt ihrer curricularen Strukturen analysierend skizziert werden.

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2. Zur Manifestation curricularer Strukturen in normativen Regelungen und in Institutionen beruflicher Bildung Curriculare Strukturen beruflicher Bildung finden ihren Niederschlag in Manifestationen normativer und institutioneller Art. Übersicht 1 zeigt, welche Ebenen „curricularer Strukturen“ im Gesamtfeld beruflicher Bildung ausgemacht werden können. Berufliche Erstausbildung und Umschulung werden auf der Makroebene didaktischer Planung über Curricula zu steuern gesucht, die zentral von Ausschüssen des Bundesinstituts für Berufsbildung entwickelt werden:

> die für den betrieblichen Teil der Ausbildung maßgebliche Ausbildungsordnung mit ihren Kernstücken Berufsbild und Ausbildungsrahmenplan und

> der für den berufsschulischen Part bestimmende Rahmenlehrplan, der inzwischen von den meisten Bundesländern ohne Änderungen als verbindlicher Zielkatalog für den Berufsschulunterricht übernommen wird. Seit 1997 ist der berufsbezogene Teil in Lernfelder gegliedert; mindestens vier Stunden allgemeinbildender Unterricht sind gemäß KMK-Beschluss weiterhin vorgesehen. Auf der Mikroebene didaktischer Planung finden sich Unterweisungs- und Unterrichtsentwürfe; eine Zwischenebene bilden Fachlehrpläne der Kultusbehörden. Die curricularen Vorgaben für den betrieblichen Teil der Ausbildung liegen gemäß § 4 und § 5 BBiG und § 25 HwO im Entscheidungsbereich des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit oder eines sonst zuständigen Fachministers (für Gesundheitsberufe bspw. die Bundesministerin für Gesundheit), der/die sie im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Bildung und Forschung „verordnet“. Diese Rechtsordnungen stellen für den Ausbildungsbetrieb und die Wirtschaftskammern als für die Abschlussprüfungen zuständige Stellen unmittelbar geltendes Recht dar, indem sie die Mindestnormen der Ausbildung und die Maximalnormen der Prüfung setzen. Die curricularen Vorgaben für den berufsschulischen Teil der Ausbildung liegen im Kompetenzbereich der Länder, hier auf die Ebene der Ständigen Konferenz der Kultusminister und -senatoren der Länder der Bundesrepublik Deutschland (KMK) gehoben. Die KMK kann zwar wegen der Kulturhoheit der Länder keine zentralen Vorgaben für den Berufsschulunterricht beschließen; sie kann aber Empfehlungen verabschieden, die einstimmig beschlossen werden und deshalb für die Kultusbehörden in der 16 Bundesländern eine relativ starke Bindungswirkung besitzen. Die Vereinheitlichung findet allerdings dort ihre Grenze, wo regionale wirtschaftliche Besonderheiten bei der Umsetzung der Rahmenlehrpläne beachtet werden müssen. Auf der Makroebene curricularer Planung hat sich in den Jahren seit Inkrafttreten des Berufsbildungsgesetzes im Jahre 1969 ein stark systematisiertes Verfahren der Entwicklung curricularer Vorgaben herauskristallisiert, in das vor allem die Sozialpartner ihr spezifisches Know how, aber auch ihre Gruppeninteressen einbringen (vgl. Hardenacke 1992, S. 51; vgl. auch die Kontroverse zwischen Wiemann 2001 und Pütz 2001 über die Einflussnahme der Tarifparteien auf die Neuordnungen). Verantwortlich für die pragmatische und wissenschaftliche Fundierung der Neuordnungsarbeit ist das Bundesinstitut für Berufsbildung in Bonn. Mittlerweile ist die Zahl staatlich anerkannter Ausbildungsberufe auf ca. 350 reduziert worden; für die meisten dieser Berufe liegen neue Ausbildungsordnungen und Rahmenlehrpläne vor. Für einen großen Teil waren diese curricularen Vorgaben in

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Übersicht 1: Ebenen der Manifestation curricularer Strukturen beruflicher Bildung im dualen System* Duales System Betrieb

Berufsschule

Betriebliche Weiterbildung

Außerbetriebliche Weiterbildung

Institutionelle Ebene

Ausbildungsbetrieb Berufsschule, ggf. mit Ausbildungsplan mit Lehrplankonkretisierung

Ordnungsmittel

Ausbildungsrahmen- Rahmenlehrplan plan

Gesetzliche Grundlagen/ normative Ebene

BBiG § 25

Entwicklungsebene

Berufsbildung + Rahmenlehrplan Ausbildungsrahmenplan

Eigenkonzept/ AusbildungsrahmenWirtschaftskammern und Rahmenlehrplan

Normative Ebene

Fachlich zuständiger KMK BuMin + BMBF

Geschäftsführung

= Duales System

Aufsichtsebene

Zuständige Stelle/ Wirtschaftskammer (mit Prüfungsordnung)

Schul-/ Kultusbehörde mit Fachlehrplänen

Vorstand/ Aufsichtsrat

Bundesanstalt für Arbeit

Lernortebene

Ausbildungsplatz: Unterweisungsentwurf

Unterricht: Stundenentwurf

Kurs: Konzept

Lehrgang: Stundenentwurf

Schulgesetze der Länder

Weiterbildungsabtei- halbstaatliche und lung mit Konzepten private Träger mit und Programmen Konzepten

BBiG/SGB IX, HwO/SGB IX

BBiG/SGB IX, HwO/SGB IX

* Ohne Sonderformen beruflicher Bildung, ohne vorberufliche Bildung, ohne Sonderregelungen für Menschen mit einer Behinderung. Mischformen bei den Lernorten und Kooperationsmodelle sind hier nicht erfasst. BBiG – Berufsbildungsgesetz; HwO – Handwerkordnung; BiBB – Bundesinstitut für Berufsbildung; SGB – Sozialgesetzbuch; BMBF – Bundesminister für Bildung und Forschung.

den Jahren seit 1969 bereits revidiert und reformiert worden (zur Genesis und Kritik des Neuordnungsverfahrens vgl. Stratmann 1975). Jedenfalls kann man davon ausgehen, dass sich das Verfahren der Neuordnung von Ausbildungsberufen in den 30 Jahren seit seiner Implementation als durchsetzungsfähiger Beitrag zu berufspädagogischen Innovationen (Handlungsorientierung, Lernfeldorientierung, Modularisierung) erwiesen hat (Kuklinski 2001). Trotz mannigfacher berufspädagogischer Kritik hat sich das Berufsprinzip als struktureller Ordnungsrahmen erhalten, wobei die Zuordnung zu Berufsfeldern im Zuge der Neuordnung verwandter Berufe (z. B. im Kfz-Handwerk) auch gelegentlich zu Neuschneidungen geführt hat. Eine weitere wesentliche konzeptionelle Entwicklung findet in sogenannten Hybrid-Berufen ihren Niederschlag: So wurden 1994 der Mechatroniker (als Synthese aus Mechaniker und Elektroniker) und 2003 der Kfz-Mechaniker (mit identischer Quelle) neu geschaffen (Bertram 2003), dies als Reaktion auf die sich im Maschinenbau und in der Fahrzeugbranche niederschlagenden technischen Entwicklungen. Nach wie vor findet man allerdings zwei Kategorien von Berufen: Monoberufe, die sich nur auf einen speziellen Ausbildungsberuf richten, und Verbundberufe, bei denen eine Reihe von Berufen eine gemeinsame Grundlage („Sockel-“ oder „Kernqualifikationen“) hat. Ein Teil der Ausbildungsbetriebe, insbesondere Mittel- und Großbetriebe, hat auf der Grundlage der Ausbildungsrahmenpläne differenziertere Ausbildungspläne oder Lernpläne als curriculare Vorgaben für die Ausbilder in den einzelnen Abteilungen entwickelt. Neben den Curricula für die berufsbezogenen Fächer bestehen Lehrpläne für die allgemeinbildenden Fächer, erarbeitet von Lehrplankommissionen, die von den Kultusbehörden eingesetzt

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worden sind. Die Verantwortung für die inhaltliche Gestaltung der einzelnen Unterrichtsstunde liegt nach wie vor bei den Lehrkräften, die für sich anhand von Rahmenlehrplan und Lehrplan zusätzliche eigene Vorgaben entwickeln können, insbesondere im Hinblick auf die individuellen Voraussetzungen der Lernenden, ihren Kenntnisstand, ihre Vorerfahrungen, Neigungen, Interessen und intellektuellen Fähigkeiten (Dubs 1996). Die auf der Makroebene bundesweiter, zentralisierter Ordnungspolitik vorgegebenen curricularen Strukturen kehren nur teilweise auf der Mikroebene wieder; für die allgemeinbildenden Fächer in den Berufsschulen liegen ohnehin keine länderübergreifenden Curricula vor. Die Ausbildungsbetriebe müssen die universellen Pläne mit ihren organisatorischen und personellen Möglichkeiten abgleichen. Teilweise ergänzen sie die Ausbildung am Arbeitsplatz durch betriebliche Seminare und Kurse, teilweise werden sie von überbetrieblichen Bildungsstätten unterstützt, die Innungen oder Wirtschaftskammern eingerichtet haben. Noch differenzierter liegen die Dinge in den Bereichen der außerschulischen, vorberuflichen Bildung Jugendlicher und der beruflichen Weiterbildung Erwachsener. Sie sind in der Bundesrepublik Deutschland zum großen Teil sogenannten freien Trägern überlassen; staatliche Angebote, z. B. in Berufsfachschulen und Fachschulen, haben lediglich ergänzende Funktion. Allerdings sind starke Bemühungen erkennbar, Berufsschulen zu regionalen Kompetenzzentren weiter zu entwickeln, die entweder selbst Weiterbildungsangebote unterbreiten oder auch Angebote anderer Weiterbildungsträger koordinieren. Der Tertiäre Bereich mit Fachhochschulen und Universitäten wird im Gegensatz zur Gepflogenheit vergleichbarer Industrieländer mit durchaus höheren Studentenzahlen (Mayer 2003, S. 588) bislang nicht dem Berufsbildungsbereich zugerechnet. Weiterbildung wird gemäß Berufsbildungsgesetz in Fortbildung (auf der Grundlage einer abgeschlossenen beruflichen Erstausbildung) und Umschulung gegliedert, letztere noch einmal in Umschulung im engeren Sinne (aus arbeitsmarktstrukturellen Gründen) und berufliche Rehabilitation (aus gesundheitlichen Gründen einzelner Betroffener) unterteilt. Für Umschulungsmaßnahmen gelten dieselben curricularen Grundlagen wie für die berufliche Erstausbildung. Berufliche Rehabilitation hebt allerdings in einem weitaus größeren Ausmaß als berufliche Erstausbildung auf (einen Teil der inzwischen mehr als 1.000) Sonderberufe ab, die gemäß § 65 BBiG oder § 42b HwO ausnahmsweise für behinderte Menschen (von den zuständigen Stellen) in Form von Sonderregelungen konzipiert werden können. Aus institutionellem Blickwinkel stellt die betriebliche Weiterbildung den größten Bereich der Erwachsenenbildung dar (Faulstich 2003, S. 631). In ihm finden sich von der Erstausbildung und Umschulung weitgehend disparate curriculare Strukturen: Die Betriebe sind frei in der Ziel- und Themenwahl, in der Methodik und Medienwahl ohnehin, zudem sind sie an zeitliche Vorgaben nicht gebunden und verfügen oft über hocheffiziente räumliche und apparative Ausstattungen sowie angemessene Gruppengrößen. Betriebliche Weiterbildung in der Bundesrepublik Deutschland (abgesehen von der meist fachlich orientierten Anpassungsfortbildung) hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Führungskräfteschulung entwickelt. Handlungsorientierung und Kompetenzförderung sind, lange bevor diese in der beruflichen Erstausbildung zu zentralen Themen didaktischer Diskussion wurden, in Seminaren und Lehrgängen angestrebt worden (Wittwer 1981; Seyd 1997), auch unter dem Anspruch erwachsenengerechten Lernens. Dieser Bildungsbereich bot hinreichend Erfahrungsraum für innovative Lehr/Lernstrategien auf der Grundlage eigenverantwortlicher, allerdings auf die Betriebsziele ausgerichteter curricularer Strukturen.

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3. Die Strukturierungsprinzipien und ihre Wirksamkeit in historischer Perspektive Bevor wir die oben genannten Hypothesen über die Strukturierungsprinzipien der Wissenschafts-, Situations- und Persönlichkeitsorientierung und ihre Ausprägungen in der Lernfeld-Praxis und -Theorie der Gegenwart näher prüfend betrachten, soll dargelegt werden, wie die Strukturierungsprinzipien ihre Wirksamkeit in den letzten Jahrzehnten entfalteten.

3.1. Kritische Analyse der Curriculumstrukturen beruflicher Bildung unter dem Aspekt der Wissenschaftsorientierung Auskünfte über Curriculumstrukturen beruflicher Bildung lassen sich am ehesten gewinnen, wenn man die jeweils zugrunde liegenden Curriculumansätze und ihre strukturbildenden Prinzipien betrachtet. So lassen sich in der Berufsausbildung bis in die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinein in kaufmännisch-verwaltenden wie in hauswirtschaftlichen und gewerblichtechnischen Berufen bei Auswahl und Anordnung der Ziele und Inhalte Muster der Wissenschafts- und Disziplinorientierung erkennen. Dabei wirkte das Postulat der Wissenschaftsorientierung des Deutschen Bildungsrates (1970) auf das tradierte Didaktikverständnis der gewerblichen Berufspädagogik und der (kaufmännischen) Wirtschaftpädagogik zunächst unterschiedlich: In der berufspädagogischen Didaktik wurden die vorwiegend aus der Berufspraxis abgeleiteten Inhalte zunehmend aus relevanten Wissenschaften generiert (Bruchhäuser 2001, S. 326f.), ehe sich das didaktische Verständnis im Zuge der Diskussion um die Handlungsorientierung von dieser Art der Wissenschaftsorientierung wie von dem der sog. Frankfurter Methodik löste (Reier 1995, S. 186). In der wirtschaftspädagogischen Didaktik zeigt sich eine zum Teil gegenläufige, im Ergebnis gleichwohl konvergente Tendenz (Bruchhäuser 2001). Hier wurde dem Wissenschaftspostulat kritisch begegnet mit dem Hinweis auf die Transferdefizite eines „verelementarisierten“ Wissenschaftsbezuges, der einer kulturpädagogischen Tradition der Berufsbildung folgte (Reetz 1970a, 1970b, 1976; Zabeck 1984). Das heißt, die curricularen Manifestationen in Lehrplänen und Lehrbüchern, in Medien und Prüfungsaufgaben (vgl. Krumm 1973; Reetz/Witt 1974) waren sowohl in ihrer Lernzielstruktur, ihren thematischen Strukturen als auch in der Sequenzierung geprägt durch ihre Orientierung an den jeweiligen Bezugswissenschaften. Lehrplanuntersuchungen zeigten, dass die thematischen Strukturen (= Inhaltskomponente der Lernziele) von der sogenannten Sachlogik der Disziplin bestimmt waren (vgl. Dedering 1976). Vergleiche von Lehrplänen mit einschlägigen wissenschaftlichen Lehrbüchern (Reetz 1984; Sievers 1984, S. 83f.; Gerdsmeier 1979) ließen erkennen, dass sich die Wissenschaftssystematik in Form von Abstraktions- und Komplexionshierarchien geltend machte. Knotenpunkte der Strukturierung bildeten dabei die strukturbildenden Begriffe, die sich zwar etabliert hatten und oft als Sachgesetzlichkeiten aufgefasst wurden, deren „Werkzeugcharakter“, Situationsbezug und Veränderbarkeit aber verloren gegangen waren. Struktur-

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bildende Begriffe in den Wirtschaftswissenschaften als dominante Bezugswissenschaften wirtschaftsberuflicher Curricula sind z. B. die sogenannten Produktionsfaktoren Kapital, Arbeit und Boden; ihnen wurden in Lehrplänen jeweils konkretisierend die zugehörigen Theorieteile subsumiert. Auch die so generierte Abstraktionshierarchie verstärkte den Eindruck der Sachgesetzlichkeit. In der Betriebswirtschaftslehre werden neben den Produktionsfaktoren die betrieblichen Funktionen, nämlich Beschaffung – Lagerung – Produktion – Absatz – Finanzierung – Verwaltung usw. als strukturbildende Oberbegriffe verwendet. Da diesen Funktionen meist in der Betriebsrealität vorzufindende Tätigkeitsbereiche (Abteilungen) entsprechen, enthielten die daraus entwickelten Hierarchien neben der Subsumtion von thematisch zusammengehörenden Begriffen auch Themenabfolgen, die sich am Handeln in Situationen orientierten (vgl. Sievers 1984, S. 82). Damit war zugleich die Tendenz zu systematischer Vollständigkeit verbunden; Vollständigkeit kann aber im Rahmen vorgegebener knapper Ausbildungs- und Unterrichtszeiten nur erreicht werden, wenn zeitintensivere Lernformen auf anspruchsvolleren Reflexionsebenen zugunsten ökonomischer Vermittlungsformen rezeptiver Lehr-Lernprozesse unterbleiben. Ähnliche Tendenzen machten sich geltend, wenn man die Planung der zeitlichen Abfolge der Themen (Sequenzierung) betrachtet: „Die tatsächlichen Reihenfolgen in den untersuchten wirtschaftsberuflichen Lehrplänen sind bestimmt durch die Orientierung an fachwissenschaftlichen Strukturen, die durch die Berücksichtigung entweder von lernpsychologischen Aspekten oder von handlungsorientierten Überlegungen relativiert werden“ (Sievers 1984, S. 82, 105). Die Sequenzierung folgte auf der Makroebene in der Regel dem „Epochenprinzip“, also der Reihung von Themenbereichen, die in sich relativ geschlossen sind. Auf der mikrosequenziellen Ebene des Unterrichts zeigte sich die Tendenz der Wissenschaftsorientierung in der Strukturierung der Lehr-/Lernprozesse nach den Grundideen der Anschauungspädagogik, was auf eine Veranschaulichung der zur Wissenschaftssystematik gehörenden Begriffe hinausläuft (vgl. Reetz 1984). Dies wiederum ist weder sonderlich lernergiebig noch steuert es Wesentliches zur Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz bei. Auch im Bereich der gewerblich-technischen Curricula zeigten empirische Untersuchungen Tendenzen zur „Dominanz spezialisierter Fächerlehre“ und zu „Konditionierungen des Wissenserwerbs in Richtung vorgegebener Spezialdisziplinen“ (Nölker 1975, S. 115f.). Noch Ende der 80er Jahre kritisierten z. B. Pahl/Vermehr (1988, S. 436) den einseitigen Objektbezug im (metall-)beruflichen Lernen, bei dem sich Technik disziplinorientiert auf der Makroebene „vorwiegend in einem fachsystematischen Lehrgang“ finde und auf der Mikroebene „durch das fragend-entwickelnde Unterrichtsgespräch“ vermittelt werde. Die wissenschaftsorientierte Strukturbildung wurde ergänzt durch die Anwendung der Lernzielprogrammatik. Sie hatte große Resonanz in der Berufsbildung gefunden. Besonders in der schulischen, aber auch in der betrieblichen Praxis der Berufsausbildung war die behavioristisch fundierte Lernzielprogrammatik schon in den 70er Jahren auf zumeist zweckrational begründete technische und ökonomische Inhalte gestoßen. Die zieladäquate Umformulierung wissenschaftsorientierter Inhalte hatte auf der makrostrukturellen Ebene der Lehr- und Ausbildungspläne zwar zu größerer Klarheit über die vertikale Gliederung der Curricula gemäß den von Christine Möller dargelegten Abstraktionsstufen geführt. Andererseits ließ jedoch gerade diese vertikale Stufung transparent werden, dass die Ansprüche der „höheren“, d. h. komplexeren und abstrakteren Lernziele auf den unteren Stufen oft nicht hinreichend eingelöst werden konnten (vgl. Reetz 1989, S. 25).

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Formulierungen auf den unteren Lernzielebenen beschrieben fast ausschließlich reproduktive Verhaltensweisen, die sich auf das Fachwissen beziehen (beschreiben, erkennen, aufzeigen, erläutern). Nimmt man die beiden Aspekte der Lernzielformulierung – Inhaltsund Verhaltensaspekt – in den Blick, so entsprach die Reduktion auf der Verhaltensebene einer Komplexion auf der Inhaltsebene. In den Lehrplänen nahmen die „Lernziele zweiter Ordnung“ (als Verhalten gegenüber Lehrern) den breitesten Raum ein. Ein Zusammenhang mit den höheren allgemeinen „Lernzielen erster Ordnung“ (Qualifikation als Verhalten gegenüber beruflicher Praxis) erschien eher zufällig als geplant und war angesichts der Stofffülle und entsprechender Prüfungsmodalitäten wohl nur schwer zu realisieren (vgl. Reetz 1984, S. 146f.). Dementsprechend wurde in der mikrostrukturellen Ebene des Unterrichts und der Unterweisung anhand einschlägiger Dokumente (veröffentlichte Unterrichtsentwürfe, Lehrpläne usw.) oder an empirischen Erhebungen (Holzmann 1978, Manstetten 1978, Czycholl 1978, Reetz/Witt 1984) deutlich, dass die makrostrukturellen Vorgaben die Art der Vermittlung und die Interaktionen in beruflichen Lehr-Lernprozessen prägten: Einseitige Wissenschaftsorientierung hatte rigide didaktische Reduktion im Gefolge, die zusammen mit der Lernzielkleinarbeitung zur Inhaltszerstückelung, zu methodischen Einseitigkeiten (Frontalunterricht, Vier-Stufen-Methode) und zu kommunikativen Beschränkungen mit reproduktivem Lernen führte (vgl. Reetz/Seyd 1983, S. 177), die – wie eine neuere Untersuchung bestätigt – bis heute anhält (Pätzold u. a. 2003). Damit die fachwissenschaftliche Fülle von Begriffswissen überhaupt vermittelt werden konnte, dominierte eindeutig ein niedriges lerntheoretisches Anspruchsniveau bei Formen rezeptiven Lernens: Da in der behavioristischen Tradition Lernziele als (möglichst messbares) Verhalten formuliert und der Erfolgskontrolle zugänglich sein sollten, führte ein derartiges Verständnis von Zielen intentionalen Lernens zu einseitiger Betonung isolierter, aus ihrem (Handlungs-)Zusammenhang gelöster Produkte von Lernprozessen, während die Lernwege und das eigentliche Lernen selbst vernachlässigt und dem jeweiligen methodischen Geschick des Lehrers überantwortet wurden. Curricula dieser Art tendieren zur Geschlossenheit. Sie zeitigen zweckrationale Unterrichtsmodelle, die auch in der technikdidaktischen Diskussion und Curriculumentwicklung auf Kritik stießen (Rauner/Wenzel 1974, S. 890f.). Verstärkt wurde die genannte Entwicklung durch eine technokratische Prüfungspraxis, die den Tendenzen der Zentralisierung von Zwischen- und Abschlussprüfung mit dem Einsatz programmierter Aufgaben folgte (Lennartz 1978, 1984; Schmidt 1998, 2000). Ein anderes Bild von wissenschaftsorientierter Strukturierung ergibt sich bei Betrachtung des Kollegstufenmodells Nordrhein-Westfalen. Dieser prominenteste Versuch curricularer Erneuerung beruflicher Bildung wirkt noch heute fort und gewinnt neue Aktualität im Kontext von Verbesserungsvorschlägen zur Verbindung von Allgemein- und Berufsbildung im dualen System (Adler/Dybowski/Schmidt 1993, S. 5f.). Wie bereits vor Jahren im „Strukturplan für das Bildungswesen“ (Deutscher Bildungsrat 1970) wird hier das Wissenschaftlichkeitspostulat eigens zum didaktischen Prinzip erhoben (Blankertz 1972). Dem Vorwurf des Szientismus begegnete dieser Ansatz damit, dass Wissenschaftsorientierung in einen bildungstheoretischen Begründungszusammenhang gestellt wurde, demzufolge neben dem Prinzip der Wissenschaftsorientierung ergänzend das Prinzip der Kritik hervorgehoben wurde, die beide die moderne Form der schon bei Wilhelm von Humboldt emanzipatorisch gedachten „Bildung“ repräsentieren sollten (vgl. Kollegschule NW; Blankertz 1972; Wulf 2001, S. 31f.).

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Die Verbindung der Prinzipien von Wissenschaft und Kritik im Prozess curricularer Gestaltung und Anwendung wurde mit dem Instrument der „didaktischen Strukturgitter“ herbeizuführen gesucht (Kollegschule NW 1972, S. 166ff. und 184). Diese bieten besonders in den Fassungen ab 1976 einen neuen Ansatz zur thematischen Strukturierung beruflicher Curricula, bevorzugt demonstriert am wirtschaftswissenschaftlichen Curriculum (vgl. Kutscha 1976, S. 128; Kell/Kutscha 1978; Sievers 1984, S. 166f.). Gegenüber bloßer Abbildung (wirtschafts-)wissenschaftlicher Systematik werden die Inhalte durch Zusammenfassung in die „Transaktionsmedien“ „Ware“, „Geld“ und „Information“ und durch deren matritzielle Inbeziehungsetzung zu den drei Formen kognitiver Kompetenzen bildungstheoretisch und fachdidaktisch neu arrangiert, indem die wissenschaftliche Struktur aus ihren wissenschafts-immanenten Bezügen gelöst und für Bildungsprozesse aufgeschlossen wird. Zugleich werden Kriterien für die makrostrukturelle Sequenzierung dargelegt und der didaktischen Struktur unterlegt: Vermittlung von Orientierungsfähigkeit – Vertiefung gemäß zweckrationalem Handeln – Reflexion der volkswirtschaftlichen und politischen Dimension. In der mikrostrukturellen Konkretisierung dieses Ansatzes wird dann das Problem der didaktischen Sequenzen ausdrücklich thematisiert als Bereitstellung und zeitliche Anordnung von Lernerfahrungen (Kutscha/Looss/Sadowski 1979, S. 84f.). Ihren Niederschlag fanden diese Strukturierungsvorschläge z. B. in neueren Materialien zur Lehrplangestaltung in Bildungsgängen der Kollegschule (vgl. z. B. Cromme/Hildebrandt/Thoma 1988). Die Betonung des Bildungsbegriffs in der frühen, des Kompetenzbegriffs in der späteren Phase des Modellversuchs signalisiert die Relativierung des Wissenschaftsprinzips durch das Persönlichkeitsprinzip. Eine andere Relativierung und Weiterentwicklung erfuhr der wissenschaftskritische Curriculumansatz der Kollegschule NW in der Technikdidaktik. Am Beispiel der Maschinenbautechnik zeigte Schilling die Revisionsbedürftigkeit der didaktisch-curricularen Strukturierung in diesem Ausbildungsbereich, der in Deutschland über mehr als ein Jahrzehnt von der sog. Frankfurter Methodik beeinflusst worden war (Schilling 1983, S. 583; vgl. dazu auch Pukas 1989; Reetz 1991, S. 276ff.). Die hierauf gegründeten didaktischen Strukturierungskonzepte gingen von einem Berufsverständnis aus, für das vornehmlich „objektive“ naturwissenschaftlich-technische Gesetzmäßigkeiten von Bedeutung sind. Dem setzte Schilling einen differenziert ausgearbeiteten didaktisch-curricularen Strukturierungsansatz entgegen (Schilling 1981), der in seiner Makrostruktur systemtechnisch und „konstruktionswissenschaftlich“ als Phasenfolge konzipiert ist, in der sowohl die Ablaufstruktur eines Handlungssystems als auch die „Genetik“ eines beliebigen Maschinensystems eingefangen ist. Mikrostrukturell war den einzelnen Haupthandlungsfolgen (Kategorien) jeweils für die weiter detaillierende Auslegung eine Mikro-Handlungsstruktur des Unterrichts zugeordnet (Schilling 1983, S. 584f.; vgl. auch Schilling/Bader 1978). Während der ursprüngliche Kollegschulansatz gemäß Blankertz die Situationslegitimation durch das Wissenschaftsprinzip als These von der Verwissenschaftlichung aller Lebensbereiche behandelt hatte, kamen hier situations- und persönlichkeitsorientierte Faktoren („Handlungskompetenz“) bei der Auswahl und Vorstrukturierung des beruflichen Curriculums zum Zuge (Schilling 1981, S. 82). In einer neueren Untersuchung pflegedidaktischer Konzepte nutzt Greb den Strukturgitteransatz zur curricularen Strukturierung und setzt dabei die Felder der Matrix wirksam zur kritischen Analyse von Widersprüchen bestehender Positionen ein (Greb 2003).

Curriculare Strukturen beruflicher Bildung

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3.2. Curriculare Strukturen beruflicher Bildung unter dem Aspekt der Situationsorientierung Die Verbindung von (Berufs-)Situation und (Ausbildungs-)Qualifikation hatte schon immer das Denken in der Berufsbildung bestimmt. Somit fand der von S. B. Robinsohn (1967) geprägte Situationsansatz Anfang der 70er Jahre eine breite Resonanz in der curriculumtheoretischen Diskussion zur Berufsbildung. Befunde der Qualifikationsforschung hatten deutlich werden lassen, dass manche Profile von Erwerbsberufen sich schneller änderten, als dies in einer auf sie gerichteten Ausbildung nachvollzogen werden konnte (Mertens 1974; Stratmann 1975). Das curriculare Revisionsinteresse richtete sich folglich schwerpunktmäßig auf die Überprüfung von Praxisvalidität bisheriger Lern- und Ausbildungsziele und -inhalte (vgl. Reetz/Witt 1974; Krumm 1973). Es ging vor allem darum, die aktuelle Relevanz der Berufsbildungsziele und -prozesse im Hinblick auf die tatsächlichen beruflichen Qualifikationen zu erweisen (vgl. Seyd 1983). Einerseits resultierten daraus funktionalistische Konzepte enger Anbindung an die z. B. per Expertenbefragung ermittelten Qualifikationsanforderungen des Beschäftigungssystems. Soweit man dabei zur Strukturierung ein behavioristisches Lernzielkonzept (Mager/ Beach 1973) in Anspruch nahm, wurden die thematischen Vollzüge wiederum auf beobachtbare Verhaltenskomponenten reduziert, so dass komplexe Handlungsfähigkeiten aufgrund dieses eingeschränkten Praxisbegriffs aus dem Blick gerieten. Andererseits wurden aus der Kritik an funktionalistischer Anpassung heraus in jenen Jahren die Lern- und Sozialinteressen der Lernenden stärker thematisiert (vgl. Reetz/Seyd 1983, S. 175). In der Technikdidaktik wurden dem Wissenschaftsprinzip regulierend das Prinzip der „Berufs- und Lebenssituation“ und das persönlichkeitsbezogene Prinzip der „Bildungspotentiale“ an die Seite gestellt (Nölker 1979, S. 46f.) und zu einem Konzept der Planung und Strukturierung beruflicher Curricula schlechthin ausdifferenziert (Nölker/Schönfeld 1979). Ähnliche Tendenzen waren im Bereich wirtschaftsdidaktischer Innovationen erkennbar. So wurde z. B. neben den situativen Anforderungen die Bedingungslage der Lernenden als Grundlage einer zweistufigen Curriculumentwicklung im St. Gallener Modell akzentuiert (Dubs u. a. 1974, 1977; Dubs 1976). Während diese auf Erstellung von Lehrplänen zielte, versuchte die Hamburger Gruppe zur Entwicklung wirtschaftsberuflicher Curricula den situationsorientierten und gleichwohl normkritischen Ansatz mithilfe von Fallstudiensequenzen bis in den Unterricht zu transformieren (Reetz u. a. 1978). Diese Tendenzen standen im Kontext zahlreicher anderer Versuche, dem Situationsprinzip in einer neuen Variante im Konzept des handlungsorientierten Lernens Geltung zu verschaffen. Lernprozesse gelten als handlungsorientiert, wenn der Unterricht bzw. die betriebliche Unterweisung so organisiert sind, dass sie dem Lernenden überlegtes und systematisches Handeln erlauben. Leitbild ist die – seit 1987 auch in den Ausbildungsordnungen verankerte – „berufliche Handlungskompetenz“, die sich konkretisiert in der Verhaltensanforderung „selbstständig planen, ausführen und kontrollieren“. Handeln als zielgerichtetes Tun hat zur Voraussetzung, dass der Lernprozess sinnvolle Ziele in Form von Aufgaben und Problemen enthält, von denen her der Lernende seine Aktivitäten zunehmend selbstständig organisieren kann. Das Konzept basiert auf der kognitionstheoretischen Erkenntnis, dass Denken und praktisches Handeln eng aufeinander bezogen sind, weil sie die gleiche Struktur besitzen.

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Denn das Denken, die Begriffe, gehen genetisch betrachtet aus dem Handeln und der Wahrnehmung hervor und können hernach wiederum Handeln strukturieren: „Begriffe sind Abkömmlinge und Werkzeuge des Handelns“ (Aebli 1981, S. 97). Daraus resultiert ein integratives Lernkonzept mit dem Rhythmus Handeln – Lernen (Reflexion und Abstraktion) – Handeln. Es unterscheidet sich von dem dualistischen Konzept des Vorratslernens (mit dem langphasigen Rhythmus Wissenserwerb – Anwendung) vor allem dadurch, dass dem Handeln nicht erst beim Anwenden, sondern bereits beim Erwerb von Wissen große Bedeutung zukommt (vgl. Tramm 1992). Wichtig ist dabei auch die hierarchische Struktur des Handelns. Sie verlangt, Lernende an höheren Formen der Handlungsregulierung (Hacker 1973; Volpert 1974) in der Weise teilhaben zu lassen, dass sie z. B. auch an weiterreichenden Planungen, an der Steuerung, der Durchführung und an der Kontrolle mitwirken und ihr berufliches Handeln an der Gesamtaufgabe orientieren können. Für berufliche Curricula ergibt sich daraus die Forderung einer handlungsorientierten Strukturierung in folgender Weise: 1. Erfahrungsbezogene Handlungsorientierung („Konkretion“), beispielsweise anhand von Arbeitsaufträgen, 2. Analyse und Reflexion („Abstraktion“) der immanenten Sachgesetzlichkeiten, 3. handlungsbezogene Anwendung und Auswertung („Rekonkretisierung“) mit dem Ziel, Problemlösungs- und Auftragsbearbeitungsstrukturen auf subjektiv neue, gleichartige Anforderungen zu übertragen. Dieser Ansatz zeitigte Innovationen curricularer Strukturen in betrieblichen wie in schulischen Qualifizierungsprozessen.

Innovationen curricularer Strukturen in berufsschulischen Qualifizierungsprozessen So zeigen sich seit Beginn der 80er Jahre in den Berufsschulen beachtliche Tendenzen in Richtung handlungsorientierten Lernens und Lehrens. Exemplarisch für berufsschulische Innovationen seien in diesem Zusammenhang genannt:

> die Übungsfirma und das Lernbüro (Kaiser 1987; Benteler 1988; Söltenfuß 1983; Half> > > >

>

pap 1987; Kaiser/Weitz 1990; Achtenhagen/Tramm 1992; Achtenhagen/Schneider 1993); das Werkstattlabor (Halfpap/Marwede 1992); Fallstudien (Kaiser 1972, 1978; Reetz u. a. 1978; Reetz/Beiler/Seyd 1986); Planspiele (z. B. Getsch 1990 für Industriekaufleute; Achtenhagen/Tramm 1992 für die kaufmännische Ausbildung); Projekte (z. B. Wilbert/Brink 1988 zum Bauhandwerk; Breyde/Reetz 1992 zum Einzelhandel; Jantzen/Steiner 1993 zum „Projektlernen an Beruflichen Schulen in Hamburg“; Baron/Meyer 1987 zur Metallausbildung, Pahl/Schulz 1989 zu diversen Projekten und Fallstudien in den neugeordneten Metallberufen; Hahne 1993 zur Tischlerausbildung); Leittexte (Höpfner u. a. 1992; Bürotechnologien: Koch/Schneider 1985; Industriekaufleute-Ausbildung: Selka 1992).

Curriculare Strukturen beruflicher Bildung

239

Wenn auch diese Innovationen zunächst vorwiegend den mikrostrukturellen Bereich des Unterrichts betrafen, so machten einschlägige Modellversuche doch deutlich, dass bestimmte, besonders wirkungsvolle Formen handlungsorientierten Lernens Veränderungen der Lernorganisation zur Folge haben, die auch die Makrostruktur (z. B. Integration von Fächern) und die gesamte Schulorganisation betreffen (Breyde 1995; Gadow 1994, Gadow/Grigat 2003; Pahl/Ruppel 1993). Makrostrukturelle Änderungen zeigten sich auch bereits in den Ordnungsmitteln sog. neugeordneter Berufe, z. B. bei der Integration von Fächern zu „Lerngebieten“ (Pahl/Vermehr 1989).

Innovationen curricularer Strukturen in betrieblichen Qualifizierungsprozessen Auch in betrieblichen Qualifizierungsprozessen gewannen handlungsorientierte Formen des Lehrens und Lernens an Bedeutung. Dabei lassen sich in der betrieblichen Aus- und Weiterbildung zwei Strategien unterscheiden: 1. Anreicherung des Arbeitsplatzes mit Lernmöglichkeiten; 2. Anreicherung des Lernplatzes mit Arbeitsmöglichkeiten. Im ersten Falle der Anreicherung des Arbeitsplatzes wird eine Lernorganisation angestrebt, in der die betrieblichen Arbeitplätze als Lernplätze erschlossen werden (Brater/Büchele 1986; Herz/Brater/Voss 1990; Franke/Kleinschmitt 1987). Entsprechenden Modellversuchen zufolge fördert die Bewältigung realer Arbeitsaufgaben am Arbeitsplatz durch selbstständige Problemlöser im Betriebsalltag beim Umgang mit Störungen, Sonderfällen, Reklamationen usw. den Erwerb von Erfahrungswissen, den Lerntransfer, das Verantwortungsbewusstsein, die Selbstständigkeit und Sozialkompetenz der Mitarbeiter. Die aufgaben- und arbeitsplatzbezogene Ausbildung wird nach folgenden Grundsätzen gestaltet:

> Die Arbeitsplätze werden systematisch als Lernplätze erschlossen, z. B. durch Einsatz von arbeitsplatzbezogenen Leittexten. Damit korrespondiert eine didaktische Grobstruktur, in der zunächst eine mehrjährige Grundstufe durchlaufen wird (mit gemeinsamen Kernqualifikationen bei fachrichtungsdifferenzierten Berufen – vergleichbar sind die Sockelqualifikationen in den Büroberufen). Anschließend folgt eine berufs- und fachrichtungsspezifische Fachbildungsstufe (Borch/Weissmann 2003, S. 10). > Das Lernverhalten des Auszubildenden wird im Sinne des selbstgesteuerten, kooperativen Lernens gefördert. Seit 1987 ist in jeder neuen Ausbildungsordnung die Anforderung des selbstständigen Planens, Durchführens und Kontrollierens enthalten. Dem Ausbilder wird durch den Zusatz „unter Berücksichtigung des betrieblichen Gesamtzusammenhangs“ eine kontextuelle Einbettung der Ausbildungsinhalte abverlangt (Borch 2003, S. 8). > Die Rolle des Ausbilders wandelt sich von der des alleinigen Vermittlers zu der eines Lernhelfers, Begleiters, Beraters, Organisators und Moderators (Arnold 1990, S. 118; Brater/Büchele 1986; Höpfner/Meerten 1992; Reetz 2002). Insgesamt erfährt der Arbeitsplatz als Lernort eine Renaissance (Dehnbostel 1993), auch in der Kombination mit außerbetrieblichen Lernorten (Zimmermann 2002) oder in der Ausprägung didaktischer Netzwerke mit anderen regionalen Berufsbildungseinrichtungen, darunter auch Berufsschulen (Dehnbostel/Uhe 2002; Wilbers 2003). In den Betrieben ge-

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winnen dezentrale Konzepte der Berufsbildung, besonders auch im gewerblich-technischen Bereich, eine besondere Bedeutung, z. B. in der Form von Lerninseln. Dabei handelt sich um mit Lernausstattungen angereicherte Arbeitsplätze in der Produktion, an denen Auszubildende verschiedener Berufe selbstständig und im Team Arbeitsaufträge durchführen. Das Programm folgt Tendenzen der Organisationsentwicklung größerer Betriebe, in deren Konsequenz eine Verlagerung von Verantwortung und Planungskompetenz nach „unten“, in den unmittelbaren Arbeitsprozess, liegt (Dehnbostel 1993, S. 6, 9; Reetz 1993a). Auch im Handwerk liegen die Innovationsschwerpunkte offenbar im auftragsorientierten Lernen am Arbeitsplatz (Stratenwerth 1991; Bertram 2003). Die Strategie der Arbeitsanreicherung von Lernplätzen zeigt sich z. B. in den Lehrwerkstätten der gewerblich-technischen Ausbildung in der Industrie. Hier machen sich Tendenzen geltend zur Umgestaltung lehrgangsmäßiger arbeitsteiliger Lernorganisation zugunsten ganzheitlicher handlungsorientierter Lernformen z. B. in Projekten und durch Erteilung produktionsrelevanter Arbeitsaufträge (vgl. Boretty u. a. 1988, S. 47ff.; Friede 1988). Eine besondere Rolle wird dabei der Leittextmethode zugeschrieben (Höpfner/ Meerten 1992; Höpfner u. a. 1992), wenngleich gerade hierbei die Unterschiede zwischen Programmatik und Realität deutlich werden können (Mintken 1990). Auch im Handwerk gewinnt das Projektlernen mit konkreten Arbeitsergebnissen an Bedeutung, besonders im Hinblick auf überbetriebliche Lehrwerkstätten und Kooperationen zwischen Betrieb und Schule (Hahne 1993). Im kaufmännischen Bereich betrieblicher Berufsausbildung repräsentieren vor allem die Juniorfirmen handlungsorientierte Formen des Projektlernens (Just 1991). Daneben haben simulative Lernformen eine besondere Funktion bei der Stiftung von Transparenz und Ganzheitlichkeit (Fix 1988; Reetz 1989; Lipsmeier 1989). Insgesamt ergeben sich Veränderungen der curricularen Strukturen von Lehr-Lernprozessen vor allem daraus, dass Inhalte verstärkt aus Arbeitsprozessen heraus handelnd erworben werden. Dabei kann Erfahrungswissen aktiviert und explizit gemacht werden, so dass organisationales Lernen ermöglicht wird, das zunehmend ein entsprechendes Wissensmanagement durch die Ausbilder erfordert. Diese Entwicklung geht konform mit modernen betrieblichen Organisations- und Personalentwicklungsstrategien, die unter den Begriffen „lean production“ und „lean management“ eine Aufwertung und Anreicherung von Qualifikationen mit sich bringen und in deren Folge ganzheitliche Bearbeitungsprozesse deutlich in den Vordergrund rücken. Dies wiederum verlangt eine verstärkte Partizipation der Lernenden bei der Gestaltung der Lernsituationen. Allerdings verbleiben diese Veränderungen curricularer Strukturen aufgrund der Situations- und Handlungsorientierung zunächst nur auf der Mikroebene der betrieblichen Ausbildung. Dies gilt verstärkt für den berufsschulischen Teil der Ausbildung, wo in der Themenstruktur wie in der Sequenzierung vorerst nur die Mikroebene des Unterrichts zum Zuge kommt, während auf der Makroebene – von Ausnahmen abgesehen (Seyd 1987; Reetz/Beiler/Seyd 1987) – weiterhin das Wissenschaftsprinzip vorherrschend bleibt.

Curriculare Strukturen beruflicher Bildung

241

3.3. Kritik curricularer Strukturen beruflicher Bildung unter dem Aspekt des Persönlichkeitsprinzips Argumente gemäß dem Persönlichkeitsprinzip tauchen in der curricularen Diskussion zumeist dann verstärkt auf, wenn es darum geht,

> die Rechte und Bedürfnisse des heranwachsenden Individuums gegen Zumutungen der Erwachsenen und der Gesellschaft zu schützen,

> bestimmte Persönlichkeitsmerkmale als Erziehungsziele, „Bildungsideale“ oder Akzente in der Persönlichkeitsentwicklung zu betonen oder zu berücksichtigen,

> motivationale und intellektuelle Vorraussetzungen der Lernenden zu identifizieren, um didaktische Entscheidungen adressatengerecht zuzuschneiden (Seyd 1976). Rousseaus Grundgedanke vom Eigenwert des Kindseins hat in der Geschichte der Pädagogik vielfältig seinen Niederschlag gefunden. Besonders die Reformpädagogik zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahm Rousseaus Thesen auf in ihre – auch kulturkritisch gemeinte – Programmatik einer „Pädagogik vom Kinde aus“ (vgl. Blättner 1958, S. 223ff.). In der Curriculumdiskussion der 70er Jahre erscheinen wiederum ähnliche Gedanken in der Programmatik „offener Curricula“, die sich gegen die Zielverplanung des Individuums und seine Behandlung als Objekt von Bildungsplanung richtet. Weiterhin gewannen subjektive Situationsbedingungen, die sich dem Persönlichkeitsprinzip subsumieren lassen, an Bedeutung, als in den 70er Jahren zunehmend Befunde der Berufsbildungs- und Sozialisationsforschung in die curricularen Gestaltungsüberlegungen einbezogen wurden. Besonders die Theorien und Befunde zur Humanisierung der Arbeit (Feuerstein 1978, 1980, 1983; Dürr 1973, 1975), zur beruflichen Autonomie (Lempert 1971) wie allgemein zum Verhältnis von Arbeiten und Lernen können als sozialisationsund persönlichkeitsorientierte Ausdifferenzierung des Situations- bzw. Qualifikationsbegriffs in Anspruch genommen werden (Lempert 1973, S. 109ff.; vgl. Reetz/Seyd 1983, S. 175). Die Berücksichtigung dieser Variante des Persönlichkeitsprinzips bedeutet über die Ablehnung einer rigiden Lernzielorientierung hinaus, dass die Lerninhalte in Repräsentationsformen und in curricularen Sequenzen (z. B. Geschehensabläufe vor Begriffssystem) vermittelt werden, die den Lernbedürfnissen der Schüler, dem Entwicklungsstand ihrer kognitiven und allgemeinen psychischen Struktur sowie ihrer bisherigen Sozialisation angemessen sind. Insbesondere tendierten wissenschaftskritische Ansätze beruflicher Curricula im Kollegstufenmodell NW – wie schon angedeutet – dazu, Wissenschaftsorientierung zu relativieren durch persönlichkeitsorientierte Akzentsetzungen im Zielsystem kognitiver Kompetenzen, wie z. B. Orientierungsfähigkeit, Entscheidungsfähigkeit, Kritikfähigkeit (vgl. Sievers 1984, S. 164ff.). Einen besonders deutlichen Niederschlag fand diese Tendenz im Curriculum des Schwerpunktes „Erziehung und Soziales“ der Kollegschule NW (Heursen u. a. 1978; Gruschka u. a. 1981). Anstelle bloßer Disziplinorientierung wurde hier versucht, die Entwicklung von Fähigkeiten zu strukturieren, also eine kompetenzorientierte Sequenzierung vorzunehmen. Damit zeigte sich eine Möglichkeit, die fachwissenschaftlich-gegenstandsbezogene Anordnung aufzuheben zugunsten einer verstärkt handlungs- und lernpsychologisch orientierten Sequenzierung (Sievers 1984, S. 200). Die zweite – darüber hinausgehende – Variante des Persönlichkeitsprinzips kommt dann zum Zuge, wenn bestimmte Persönlichkeitsmerkmale als Erziehungsziele betont werden,

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die früher z. B. als Bildungsideale bezeichnet wurden und heute vorwiegend im Sinne von Kompetenzen verstanden werden. Dass es sich hierbei nicht allein um normativ gesetzte Orientierungen handelt, zeigen z. B. lern- und transfertheoretische Forschungen. Diese lassen die Annahme zu, dass Ausprägungen persönlicher Fähigkeiten und Kompetenzen zwar hauptsächlich bereichsspezifisch erworben werden, dass sie aber – unter bestimmten curricularen und lernbezogenen Voraussetzungen – durchaus bereichsübergreifend – also allgemein – wirksam werden (Bergius 1969; Montada 1972; Reetz 1999). Damit ergibt sich eine lern- und transfertheoretische Legitimation für solche curricularen Ansätze, die bestimmte Persönlichkeitsaspekte in Form besonders ausgeprägter Kompetenzen als „Metafähigkeit“ betonen, wie z. B.

> > > >

Entscheidungsfähigkeit, Mündigkeit, Problemlösefähigkeit, Kreativität,

die im Hinblick auf die Persönlichkeitsentwicklung – aber auch unter dem Aspekt gesellschaftlicher Bedeutsamkeit – für wünschenswert angesehen werden. So wird im Zusammenhang mit der curriculumtheoretischen Rezeption des Problemlöse- und Kreativitätskonzeptes bereits gegen Ende der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts gefordert, die Lehrstoffe, -materialien und -methoden in umgrenzten Fachgebieten sollten so revidiert werden, dass nicht nur bloße Anwendnung, sondern der Prozess der Erkenntnisgewinnung stärker zur Geltung kommt. Zum anderen aber sollte über die fachspezifische Orientierung hinaus allgemein die Fähigkeit, Probleme zu lösen angestebt werden in der Absicht, dass diese Meta-Fähigkeit sich in speziellen fachgebundenen Leistungen auswirkt (Skowronek 1969, S. 164). Der Gedanke der Meta-Fähigkeit erscheint auch im Bereich der vorberuflichen Bildung zur Arbeits- und Wirtschaftslehre im Ansatz von F. J. Kaiser als Lernzielkonstrukt der Entscheidungsfähigkeit und wurde dort mit einem Unterrichtskonzept des Lernens in und durch Konflikt- und Entscheidungssituationen anhand didaktischer Fallstudien verbunden (Kaiser 1976, 1983). Damit wurde dem Gedanken der Meta-Fähigkeit in der wirtschaftsberuflichen Curriculum-Entwicklung der Weg bereitet, der dann unter dem Terminus der Schlüsselqualifikationen in den 80er und 90er Jahren wesentliches Merkmal der curricularen Diskussion um die Ziele in der beruflichen Bildung geworden ist (vgl. auch Witt 1990; Arnold 1996). Schlüsselqualifikationen gehören inzwischen zur öffentlichen Semantik und haben als Zielformel vielfältig Eingang gefunden in Ordnungsmittel und Lehrpläne zur beruflichen und zur allgemeinen Bildung. Im Unterschied zu situations- und fachbezogenen Qualifikationen sind Schlüsselqualifikationen eher situationsübergreifend und persönlichkeitsbezogen definiert. Dabei wird der Kern der Schlüsselqualifikation kompetenztheoretisch gesehen als persönliche bereichsübergreifende Fähigkeit, konkrete Handlungen (als Tun, Sprechen, Denken) jeweils neu und situationsgerecht zu generieren. Schlüsselqualifikationen finden deshalb ihren Ausdruck in fachübergreifenden und personenbezogenen Beschreibungen von Kompetenzen zur Sicherung von (beruflicher) Handlungsfähigkeit.

Curriculare Strukturen beruflicher Bildung

243

In einem persönlichkeitsorientierten Konzept der Schlüsselqualifikationen (Reetz 1990, 1999) kann z. B. auf Grundlage der „Pädagogischen Anthropologie“ Heinrich Roths (1966, 1971) unterschieden werden in:

> Selbstkompetenz als zusammenfassendes Konstrukt für persönlich-charakterliche Grundfähigkeiten (z. B.: Einstellungen/Haltungen, Wertorientierungen: Ausdauer, Initiative, Lern- und Leistungsbereitschaft, moralische Urteilsfähigkeit) > Sach-/Methodenkompetenz als zusammenfassendes Konstrukt für allgemeine kognitive Leistungsfähigkeit (z. B.: Problemlösungsfähigkeit, vernetztes Denken, strategisches Denken) > Sozialkompetenz als zusammenfassendes Konstrukt für kommunikative Fähigkeiten (z. B.: Kooperationsfähigkeit, Konfliktregelungsfähigkeit, Moderationsfähigkeit, Verhandlungsfähigkeit). Schlüsselqualifikationen sind keine kurzfristig erreichbaren Lernziele. Es sind mit fachlicher Kompetenz verknüpfte auf Handeln gerichtete Kompetenzen, die eher den Charakter von Entwicklungszielen aufweisen und deren Förderung einer curricularen Struktur und einer Lernorganisation bedarf, die Spielraum lässt für aktive Lernformen, situative Verankerung der Lerninhalte (Flammer 1988; Havighurst 1948; Kaiser/Kaminski 1994; Reetz 1996, 1999). Die Konzipierung von Schlüsselqualifikationen respektive -kompetenzen als Elemente der Persönlichkeitsentwicklung legt einen Entwicklungsbegriff nahe, der in analoger Beziehung zum „Lebenslangen Lernen“ gesehen wird (Reetz/Tramm 2000). Ähnlich wird in der neueren bildungstheoretischen Diskussion (Koch/Marotzki/Schäfer 1997) wieder der prozessuale Charakter von Bildung hervorgehoben und im Rahmen einer bildungstheoretisch-prozessualen Lerntheorie skizziert (Bauer 1997; Reetz 1999). Bildung, Kompetenz und Schlüsselqualifikationen signalisieren Akzentuierungen des Persönlichkeitsprinzips. Dieses Prinzip wird bei der curricularen Strukturierung im Zusammenhang von Situations- und Wissenschaftsprinzip regulierend wirksam. Dabei sind es letztlich die normativen Vorstellungen über die Persönlichkeit des Lernenden, seine Bedürfnisse und Entwicklungsmöglichkeiten, die der Anwendung des Situations- wie des Wissenschaftsprinzips als regulierenden Bestandteilen der curricularen Gestaltung z. B. als Prinzipien von „Ganzheitlichkeit“ und „Handlungsorientierung“ Sinn und Richtung geben (vgl. Seyd u. a. 2000; Seyd/Brand 2002). Die Frage, inwieweit dieser Anspruch in der gegenwärtigen Theorie und Praxis zur Gestaltung curricularer Strukturen eingelöst wird, soll im folgenden Abschnitt behandelt werden.

4. Curriculare Strukturen beruflicher Bildung unter dem Einfluss des Lernfeld-Konzeptes 4.1. Das Lernfeld-Konzept Die gegenwärtige Gestaltung der curricularen Strukturen beruflicher Bildung wird geprägt durch das sog. Lernfeld-Konzept. Mit ihm und seiner verordneten Einführung durch KMK-Beschlüsse sowie deren Verdeutlichung in entsprechenden „Handreichungen“

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(1996; 1999) wurde eine berufs- und wirtschaftspädagogische Diskussion ausgelöst, in deren Verlauf sich erst die Konturen dieses Konzeptes herausbildeten, das die gewohnten curricularen Strukturen der Berufsbildung teilweise erheblich verändert. Was sich – wie oben in Abschnitt 3 dargelegt – schon seit längerem auf der curricularen Mikroebene des Unterrichts und der Unterweisung als Handlungsorientierung Geltung verschafft hatte, hat hier offenbar sein Pendant auf der Makroebene der Lernorganisation und Lehrplanung als Handlungsfeldorientierung gefunden. Lernfelder sind demgemäß „durch Zielformulierung, Inhalte und Zeitrichtwerte beschriebene thematische Einheiten, die an beruflichen Aufgabenstellungen und Handlungsabläufen orientiert sind“ (Handreichungen 1999, S. 14). Lehrplanersteller und -nutzer erhalten des Weiteren die normative Vorgabe: „Soweit das Ausbildungsberufsbild in Ausbildungsordnungen die Tätigkeitsfelder der ausgebildeten Fachkraft nach den betrieblichen Arbeits- und Geschäftsprozessen wiedergibt, kann es die Grundlage für die Struktur der Lernfelder in Rahmenlehrplänen sein.“ Damit bestimmen i. d. R. die Arbeits- und Geschäftsprozesse die curriculare Struktur der Lernfelder. Demgegenüber wird den bisherigen Fächern mit den dahinter stehenden Bezugswissenschaften eine allenfalls subsidiäre Funktion zugewiesen: „In besonderen Fällen können innerhalb von Lernfeldern thematische Einheiten unter fachwissenschaftlichen Gesichtspunkten vorgesehen werden“; andererseits sei es bei handlungsorientiertem Unterricht aber „unverzichtbar“, „die jeweiligen Arbeits- und Geschäftsprozesse in den Erklärungszusammenhang zugehöriger Fachwissenschaften zu stellen“ (ebd.). Die Zitate signalisieren die neue Programmatik der curricularen Gestaltung: Vorrang des Situationsprinzips in Form von Tätigkeitsfeldern vor dem Wissenschaftsprinzip bzw. dem mit ihm verbundenen Prinzip einer nach Fachsystematiken organisierten Inhaltsstruktur. Die Behandlung des Persönlichkeitsprinzips findet in zweierlei Hinsicht Berücksichtigung: Zum einen wird es präambelhaft vorangestellt im Zusammenhang mit dem „Bildungsauftrag der Berufsschule“, der auf die Entwicklung von Handlungskompetenz gerichtet ist, die sich konkretisiert in den Dimensionen Fach-, Personal-, Sozial- und Methodenund Lernkompetenz (1999, S. 8f.). (Diese Terminologie verdeutlicht einmal mehr, dass die Begriffe des Schlüsselqualifikations-Konzeptes in der oben skizzierten Form Bestandteil der offiziellen öffentlichen Semantik geworden sind.) Zum anderen enthalten die einzelnen Lernfelder jeweils Zielbestimmungen als vom Individuum zu erwerbende Kompetenzen, denen ein Katalog von Inhalten angehängt wird. Die präambelhafte Voranstellung der Dimensionen von Handlungskompetenz zeigt, dass das Persönlichkeitsprinzip in der Frage der curricularen Strukturierung hier eine eher normative Funktion erlangt hat. Dem entspricht die Auffassung, dass das Persönlichkeitsprinzip im Unterschied zu den beiden anderen Relevanz- und Gestaltungsprinzien letztlich weniger einen empirischen Begründungszusammenhang liefert, aus dem heraus Bildungsinhalte identifiziert werden können, als vielmehr einen pägagogisch-normativen Rechtfertigungszusammenhang zur Klärung von Autonomie und Individualität der Schüler gegenüber gesellschaftlichen Anforderungen (Tramm 2003, S. 11). Die Formulierungen der Kompetenzen bzw. Lernziele innerhalb der Lernfelder weisen dagegen auf Tätigkeitsbeschreibungen hin.

Curriculare Strukturen beruflicher Bildung

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Beispiel: Verordnung über die Berufsausbildung Versicherungskaufmann/Versicherungskauffrau v. 22. Juli 2002 nebst Rahmenlehrplan Rahmenlehrplan Teil V: Lernfelder Übersicht über die Lernfelder für den Ausbildungsberuf Versicherungskaufmann/Versicherungskauffrau Lernfelder Nr.

Zeitrichtwerte 1. Jahr

1 Die Berufsausbildung selbstverantwortlich mitgestalten

40

2 Grundzüge des Versicherungsmarktes darstellen

60

3 Verträge anbahnen 4 Verträge der Hausratversicherung bearbeiten 5 Verträge der Wohngebäudeversicherung bearbeiten

2. Jahr

3. Jahr

60 100 60

6 Eine Versicherungsagentur gründen

80

7 Verträge der Lebens- und Unfallversicherung bearbeiten

80

8 Privatkunden über Finanzprodukte beraten

60

9 Verträge der privaten Krankenversicherung bearbeiten

60

10 In einer Versicherungsagentur arbeiten

120

11 Verträge der Haftpflicht- und Rechtsschutzversicherung 11 bearbeiten

80

12 Verträge der Kraftfahrversicherung bearbeiten

80

Summe (insgesamt 880 Stunden)

320

320

280

Lernfeld 3: Verträge anbahnen 1. Ausbildungsjahr Zeitrichtwert: 100 Stunden

Zielformulierung Die Schülerinnen und Schüler beraten Kunden am Beispiel der Hausratversicherung über die Rechte beim Abschluss von Versicherungsverträgen und über Versicherungsbeginne. Sie analysieren bei unterschiedlichen Vertragskonstellationen Rechte und Pflichten der Kunden und zeigen die Folgen bei Verletzung der gesetzlichen und vertraglichen Regelungen auf. Dazu wenden sie Gesetzestexte und Kommentare an. Sie entwickeln Strategien der Gesprächsführung, berücksichtigen die Interessen der Kunden und des Versicherers und arbeiten mit Antragsformularen. Zur selbstständigen Informationsbeschaffung setzen sie zielgerichtet Informations- und Kommunikationssysteme ein und präsentieren ihre Ergebnisse.

Inhalte Rechts- und Geschäftsfähigkeit Willenserklärung Annahmefristen Informationspflicht des Versicherers, Widerruf, Widerspruch Einlösungsklauseln, vorläufige Deckungszusage Prämienzahlung Vorvertragliche Anzeigepflicht Datenschutz Gesprächsleitfaden

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Das Beispiel „Teil V Lernfelder“ zeigt zunächst, dass dem Situationsprinzip in besonderer Weise entsprochen wird, indem das von der KMK betonte Konstrukt der „Arbeits- und Geschäftsprozessorientierung“ hier – mit Betonung der Arbeitsprozesse – als grundlegendes Strukturierungsmodell verwendet wird. Nähere Untersuchungen wären erforderlich, um zu bestätigen, dass hier zu eng auf das Prozesswissen des Versicherungskaufmanns zugegriffen wird, so dass Bereiche mit mittel- und langfristigen betrieblichen Wirkungen wie z. B. Personalwirtschaft, betriebliche Informatik und Organisation zu kurz kommen bzw. außerhalb der Optik der Lernfelder bleiben. Das Beispiel „Lernfeld 3“ zeigt zudem ein weiteres generelles Gestaltungsproblem, nämlich das eher theorielose Nebeneinander von Kompetenzen in Form von Tätigkeitsbeschreibungen und separatem Inhaltskatalog (vgl. dazu die Beispiele Bankkaufmann/Bankkauffrau und Zimmerer/Zimmerin bei Tramm 2003). Vor diesem – hier nur exemplarisch-punktuell skizzierten – Hintergrund ist die Kritik am Lernfeldkonzept zu sehen.

4.2. Zur Kritik der Überbetonung des Situationsprinzips und der Vernachlässigung des Wissenschaftsprinzips Grundsätzliche Erwägungen zum Situationsprinzip in der Wirtschaftsdidaktik haben bereits seit langem auf die Tendenz der „funktionalistischen Verengung“ von Curricula hingewiesen, wenn Auswahl und Strukturierung der Curricula sich einseitig an einem Situationsbegriff orientieren, der weitgehend auf aktuelle Arbeitsanforderungen reduziert wird (Reetz 1984, S. 100). Eine solche Tendenz wird auch den Autoren der „Handreichungen“ zum Lernfeldkonzept zugeschrieben (Reinisch 1999, S. 101). Auch führe die bloße Orientierung der Lernfelder an Handlungsfeldern zu einer „neuen Form von Utilitarismus und damit ... zu einer funktionalen Verengung des Unterrichtes“ (Dubs 2000, S. 21; ähnlich Czycholl/Reinisch 1996; Pätzold 1999, S. 141f.). Die KMK-Handreichungen suggerierten aber mit dem Begriff der „Tätigkeitsfelder“ vordergründig eine Deckungsgleichheit mit betrieblichen Anwendungsfeldern. Wenn jedoch der auch in den „Handreichungen“ (1999, S. 14) betonte „Bildungsauftrag der Berufsschule“ erfüllt werden solle, seien eine „Verengung auf betriebliche Anwendungsfelder und die funktionale Bewältigung dieser Felder“ nicht ausreichend (Kremer/Sloane 2000; S. 171; Dörig 2004, S. 354f.). Im Zusammenhang mit der Kritik an einer Ausrichtung des Lernfeld-Konzepts an einem utilitaristisch verengten Praxisverständnis wird dann vermehrt auf die Vernachlässigung des Wissenschaftsprinzips verwiesen (Elbe/Galetzka 1999, S. 70; Huisinga 1999, S. 63). Letztlich zeigt sich diese in der Abschaffung einer Wissensorganisation nach Fächern zugunsten von Lernfeldern. Fächer aber seien „Ordnungsschemata für die sozial geregelte Aneignung von Wissen“ und ihr Verzicht beruhe auf einem falschen Verständnis von situationsorientierter Curriculumentwicklung (Reinisch 1999, S. 111). Ferner: In der kaufmännischen Berufsbildung sei im Lernfeldkonzept eine deutliche Verschlechterung gegenüber bisherigen Lehrplänen zu sehen. Es werde Abbau und Verflachung theoretisch orientierter Reflexion nahegelegt und insgesamt den kaufmännischen Schulen ein „Weg in die Theorielosigkeit“ vorgezeichnet. Dabei richtet sich dieser Vorwurf nicht generell gegen das Situationsprinzip, sondern dagegen, dass offenbar begonnen wurde, „das Situationsprinzip

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monotheistisch zu überhöhen“ (Gerdsmeier 1999, S. 276f.; vgl. auch Huisinga 1999, S. 65, 79). Ganz grundsätzlich jedoch wird – aus Sicht kaufmännischer Berufe – die mit dem Lernfeldkonzept verbundene Absicht kritisiert, betriebliche Praxis- bzw. deren Handlungsfelder zum normativen Ausgangspunkt schulischer Berufsbildung zu machen und darauf zu vertrauen, dass „über die Handlungsfeld- bzw. Lernfeldorientierung auf curricularer Ebene bereits die Situationsorientierung für die Gestaltung von Lehr-Lern-Arrangements ,mitgeliefert‘ wird“ (Dörig 2004, S. 494f.). Insofern werde die Leitidee, dass Handlungskompetenzen auf Situationen zu münzen seien, „auf der falschen Ebene“, eben auf der curricuren (Makro-)Ebene vorgenommen. Demgegenüber seien – und das wird ausführlich begründet – Handlungskompetenzen erst auf der (Mikro-)Ebene der Gestaltung von Lehr-LernArrangements auszuformulieren, während für die (Makro-)Ebene das nach Fächern gegliederte „traditionelle Curriculummodell“ Geltung beanspruchen könne (Dörig 2004, S. 494f.).

4.3. Balance zwischen Wissenschafts- und Situationsorientierung Kritiker aber auch Befürworter des Lernfeldkonzeptes weisen darauf hin, dass die dominante Rolle des Situationsprinzips das bisherige Selbstverständnis des Dualen Systems der Berufsausbildung tangiert. Die Berufsschule gerate durch die Handlungsfeldbezogenheit in den Sog der Betriebe und verliere den Status eines gleichwertigen Partners. Ein derartiges „Über- oder Unter-Ordnungsverhältnis zwischen Beschäftigungs- und Bildungssystem“ sei theoretisch nicht zu rechtfertigen und bildungspolitisch auch nicht erwünscht (Dörig 2004, S. 404f.; Heid 1977). Mithin dürfe der curriculare wie bildungpolitische Paradigmenwechsel von der Wissenschaftsorientierung (KMK 1970) zur Situations- und Handlungsorientierung (KMK 1996; 1999) nicht dazu führen, dass das in Fächern organisierte Wissen nur einen „Randplatz“ zugewiesen bekomme (Rössler 2000). Das „Inhaltliche, das Fachliche, das Systematische ...“ werde damit zur „Zweitrangigkeit degradiert“ (Lipsmeier 1998, S. 487). Der oft zitierte Hinweis auf die Entstehung „trägen Wissens“ sei kein Argument gegen fachsystematisches Wissen schlechthin, sondern beruhe vornehmlich auf verkürzter didaktischer Reduktion und unzulänglicher „exemplarisch-situativer Transformation“.auf der nachfolgenden (Mikro-)Ebene der Generierung von Lehr-lern-Arrangements (Reetz 1998). Demgegenüber sei der mit Lernfeldern beabsichtigte Erwerb situationsunabhängigen Wissens über die Induktion aus Handlungsfeldern nicht ohne weiteres zu leisten (Bruchhäuser 2000, S. 334f). Angesichts derartiger Probleme behält die Frage nach der Bedeutung und dem Zusammenhang von Situationsprinzip (im Sinne von Handlungssystematik) und Wissenschaftsprinzip (im Sinne von Fachsystematik) weiterhin besondere Aktualität. Pätzold (2000, S. 83) plädiert in diesem Zusammenhang für eine „Verknüpfung von Handlungs- und Fachsystematik“ und verweist dabei auf Baumert (1997), der auf Basis seiner Forschungen feststellt: „Eine Balance zwischen enggeführtem, systematischem Lernen in definierten Wissensdomänen und situationsbezogenem Lernen im praktischen Umgang mit lebensweltlichen Problemen zu finden, ist konstitutiv für die Schule“ (zit. nach Terhart 1999, Hervorhebung L.R./W.S.; vgl. dazu auch Baumert 1996).

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Um eine derartige Balance der Prinzipien herzustellen, lassen sich zwei unterschiedliche Strategien nutzen (Bruchhäuser 2000, S. 338), nämlich

> die Strategie des pluralistischen Nebeneinanders oder > die Strategie der weitgehenden curricularen Integration. Eine begründete Option für die pluralistische Variante ergibt sich nach Bruchhäuser aus der Auffassung, dass es sich hier – gemäß erkenntnistheoretischer Befunde (Welsch 1995) um zwei paradigmatisch gebundene und deshalb unvereinbare Optionen handele. Damit werde die Differenz von Wissen und Handeln als modus vivendi aber auch als permanente didaktische Herausforderung begriffen und dem Lernenden erfahrbar gemacht. In der Linie dieser Argumentation, wenn auch eher pragmatisch, plädiert z. B. der Verband der Lehrer an Wirtschaftsschulen (VLW) für eine „Verknüpfung von Handlungsund Fachsystematik“ (Hansis/Lohre/Manfras o. J.), um die „Vorzüge“ beider Systematiken zusammenzuführen (z. B. „Fach- und Handlungssystematik begründen zusammen Stoffauswahl“). Diese Art der Herstellung einer „Balance“ wird besonders in Versuchen zur praktischen Umsetzung des Lernfeldkonzeptes bereits offenkundig bei der Frage, ob die für einen Berufsbildungsgang formulierten Lernfelder auch alle relevanten Themen und Aspekte abdecken (vgl. z. B. Müller 2001; Petersen 2000). Das Problem steht im Zusammenhang mit der grundsätzlicheren Frage, ob die damit ausgewählten Inhalte den Grundsätzen einer Exemplarik relevanter Inhalte entsprechen, die wiederum den Horizont enger Situiertheit überschreitet (vgl. Huisinga/Lisop 1999; Lipsmeier 2000). In der Ebene der praktischen Curriculumentwicklung bzw. -umsetzung trat das Problem z. B. auf im Zusammenhang mit dem Europa-Modellprojekt „Bürokaufmann/Bürokauffrau in der beruflichen Rehabilitation“ (Hofmeister/Reetz/Wicher 2002). Hier zeigte sich, dass die über ein Lernfirmenmodell generierten Handlungs- bzw. Lernfelder nicht ausreichten, um das zu dieser Berufsausbildung gehörige Curriculum zu repräsentieren. Derartige Themenbereiche bezogen sich auf Ziele und Inhalte, die nicht ohne weiteres unmittelbar aus den Handlungssituationen zu erschließen waren. Sie betrafen eher die weiteren Rahmenbedingungen des beruflichen, sozialen und unternehmerischen Handelns im Betrieb und im Markt, also z. B. unternehmensstrategische, volkswirtschaftliche und wirtschaftspolitische Inhalte. Derartige „Restgrößen“ wurden anhand der Fachsystematik als Orientierungswissen exemplarisch reduziert und mit der Lernbüroarbeit verknüpft (Reetz/Hofmeister 2002, S. 103ff.). Wollte man auch sie einem handlungs(feld)orientierten Lernen zugänglich machen und damit dem Ziel der „Vermittlung von handlungs- und wissenschaftsorientiertem Lernen in einem integrierten Prozess“ (Lipsmeier 1998) näher kommen, so wären zwei Voraussetzungen zu schaffen:

> Erstens: Die handlungsorientierte Einbindung von z. B. volkswirtschaftlichen und managementbezogenen Themen in das betriebswirtschaftlich-soziale Handeln des Lernenden macht (auf der Mikroebene) neue Lernarrangements erforderlich, die den Lernenden über die operative Ebene des Handelns hinaus mit den höheren Regulations-Ebenen des betriebswirtschaftlichen Handelns vertraut machen und ihm so den Zugang zu den betriebs- und volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Handelns eröffnen. > Zweitens: Auf der Makroebene (Lernfelder) ließen sich die genannten Inhalte leichter in ein lernfeldstrukturiertes Curriculum integrieren, wenn die Theorie des Wirtschaftens und der Organisation, die dem Curriculum als Wissensbasis dient, – ökonomisch-so-

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zialen Entwicklungen in der Realität folgend – bereits in stärkerem Maße den Prozesscharakter und die organisatorischen Abläufe thematisierten. In einer solchen Strategie der curricularen Integration gewinnt das in den KMK-Handreichungen herausgestellte Konstrukt der „Arbeits- und Prozessorientierung“ eine zentrale Funktion. Diese betrifft in der kaufmännischen Berufsausbildung bzw. wirtschaftspädagogischen Didaktik schwerpunktmäßig die „Geschäftsprozessorientierung“ und in der gewerblich-technischen Ausbildung die „Arbeitsprozessorientierung“ (Borch/Weissmann 2003). Die Geschäftsprozessorientierung erhält ihre Relevanz zunehmend aus der Tatsache, dass dieses Prinzip auch in der ökonomischen Realität gegenüber tayloristisch-funktionalen Strukturprinzipien an Geltung gewinnt (Gaitanides u. a. 1994; Hammer/Champy 1994; Lumpe/Wagner 1997; Reetz 1997). Es bedeutet für den Handelnden auf der operativen Ebene, dass er nicht mehr nur nach formalisierten bürokratischen Regeln stereotyp agiert, sondern flexibel im Rahmen und in Kenntnis des betrieblichen Ziel- und Strategiesystems am Markt bzw. im Hinblick auf den Markt operieren soll. Von diesen Voraussetzungen her begründet Tramm seinen „Situation“ und „Wissenschaft“ integrierenden Lernfeldansatz, in dem die Prozessorientierung kaufmännischer Curricula unter der Leitidee qualifizierter Fallbearbeitung und wissensbasierter Kompetenzen sich nicht auf die operative Ebene beschränkt. Vielmehr besteht das entscheidende Merkmal dieser Geschäftsprozessorientierung darin, dass die operativen Tätigkeiten eingebettet sind in den flexibel mitzubedenkenden Gesamtzusammenhang betrieblicher Zielorientierungen und Strategieentscheidungen einschließlich der dabei tangierten volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen (Tramm 2003, S. 20f.). Ein charakteristisches Beispiel für die Umsetzung dieser Maximen in der berufsschulischen Curriculumentwicklung für den Beruf Industriekaufmann/Industriekauffrau findet sich in dem Bericht der Göttinger Lehrergruppe zur Binnengestaltung des Lernfeldes 9 „Das Unternehmen im gesamt- und weltwirtschaftlichen Zusammenhang einordnen“ (Lotz/Nolte/Rischmüller/Ständer 2003). Offenbar wird diese Art der Integration von Situations- und Wissenschaftsprinzip begünstigt durch die Tatsache, dass die kaufmännische Berufsbildung auf eine Bezugswissenschaft zurückgreifen kann, deren kategoriales System und empirische Aktualität eine transferierbare Wissensbasis für die vielen Varianten kaufmännischer Berufe bietet. Im Bereich der gewerblichen Berufe verlangt deren Vielfalt demgegenüber die Berücksichtigung von Bezugswissenschaften, die hinsichtlich ihrer Objekte wie ihrer Relevanz recht unterschiedlich sind. Auch hier wird – angeregt durch den Lernfeldansatz – versucht, die Polarität von Fachsystematik und Handlungssystematik zu überwinden mithilfe einer curricularen Gestaltung über Arbeitsprozesse (auf der Makroebene) und ihnen zugrunde liegende berufliche Lern- und Arbeitsaufgaben (im Übergang auf die Mikroebene). Dabei ist von dem Befund auszugehen, dass es z. B. vielen Facharbeitern und Auszubildenden Schwierigkeiten bereitet, einen Bezug zwischen Fachtheorie und praktischem Handeln herzustellen (Feller 1995). Einer der Wege, wie praktisches und theoretisches Wissen dabei ein produktives Verhältnis eingehen können (Fischer 2003, S. 13) , besteht in dem Bremer Konzept der Gestaltung von Arbeitsprozessen bzw. Arbeitsprozesswissen im betrieblichen Handlungssystem, deren Struktur und Sequenzierung sich am Entwicklungsgedanken (Engeström 1987) und dem Experten-Novizen-Paradigma (vgl. auch Klauser 2000,) orientiert (Fischer 2003; Rauner 1995, 2002). Gleichwohl führt die Vernachlässi-

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gung der für Arbeitsprozesse relevanten Fachsystematik des Lernfeldansatzes offenbar bei den Auszubildenden zu Problemen, wenn es darum geht, in der Berufsschule Vielfalt und Komplexität der betrieblichen Wirklichkeit verstehen zu lernen.

4.4. Lernfeldkonzept und Lehrerrolle Mit der Einführung des Lernfeldkonzeptes in den Berufsschulen sind den Lehrenden neue Funktionen zugewachsen. Und zwar sowohl auf der mikrocurricularen Ebene der Unterrichtsgestaltung als auch darüber hinaus auf der „Mesoebene“ der Schulorganisation wie auch der der Auswahl und Anordung von Zielen und Inhalten, also der curricularen Makroebene. Auf der Makroebene ist die Überführung von Handlungsfeldern in Lernfelder wesentlicher Bestandteil der Curriculumentwicklung. Dabei sind zum Teil Funktionen der Inhaltsauswahl und der curricularen Präzisierung, die bisher außerhalb der Schulen vorgenommen wurden, von den Lehrenden auszuführen. Damit erhalten die Lehrenden curriculare Aufgaben, deren Konsequenzen die Schulorganisation tangieren und verändern (Kremer/ Sloane 2001, S. 103). Auf der Mikroebene ist die Umsetzung von Lehrplanvorgaben mit der Aufgabe der Transformation der Handlungs- und Lernfelder in Lernsituationen bzw. in entsprechende Lehr-Lern-Arrangements verbunden (Bader 2000; Kremer/Sloane 2001, S. 103). Das schließt zwingend eine Revision auf curricularer und schulorganisatorischer Ebene ein, in der die Lehrenden auf allen drei Ebenen wichtige Gestaltungs- und Entscheidungsfunktionen übertragen bekommen, die sie nur im Team zureichend erfüllen können. Der damit erweiterte curriculare Gestaltungsspielraum stellt erhöhte Anforderungen an die (fach-)didaktische und curriculare Kompetenz der Lehrenden. Ihre Wahrnehmeung bedeutet erhöhten Einsatz und pädagogisches Engagement. Auf der anderen Seite werden diese Gestaltungsmöglichkeiten konterkariert durch die Tatsache, dass sich das herrschende Prüfungssystem als heimlicher Lehrplan geltend macht (Gadow/Grigat 2003). Vielfach bestehen in den Schulen erhebliche Unsicherheiten bei der Umsetzung der KMK-Lernfeld-Richtlinien in Lernsequenzen und in unterrichtliche Prozesse sowie bei der Abstimmung dieser Prozesse mit den erwarteten Kompetenzen und deren Überprüfung in Abschlussprüfungen der Kammern. Um diese Unsicherheiten zu beheben, erlangen Stoffkataloge der zentralen Prüfungsaufgaben-Ersteller eine normierende Funktion für das Curriculum (Rischmüller 2004). Der Gefahr der damit verbundenen Zementierung herkömmlicher Curricula kann erst begegnet werden, wenn Prüfungsrecht und Prüfungsmodalitäten mit den Innovationsabsichten des Lernfeldkonzeptes in Einklang gebracht werden.

5. Zusammenfassende Schlussbemerkung Anfang der 1970er Jahre entsprach es dem seinerzeit bedeutsamste bildungspolitischen Postulat der Chancengleichheit, die Gleichwertigkeit von Berufs- und Allgemeinbildung über die Wissenschaftsorientierung der beruflichen Lerninhalte herzustellen (Deutscher Bildungsrat 1970). Der berechtigte Anspruch, in beruflichen Lehr- und Lernprozessen dem Wissenschaftsprinzip in didaktisch sinnvoller Weise zu folgen, wurde jedoch in der

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Praxis vielfach nicht erfüllt. Vielmehr folgte man hier vorwiegend einem didaktischen Konzept, das die Wissenschaftsorientierung durch didaktische Begriffs-Reduktion mit punktueller Veranschaulichung einzulösen suchte, wobei das Konzept eines „Lernens auf Vorrat“ maßgebend war und sich mit einer behavioristischen Lernzielprogrammatik verband. Im Gegenzug gewannen didaktische Argumente an Bedeutung, die auf die Vernachlässigung der situativen Basis induktiven beruflichen Lernens verwiesen. Diese Vernachlässigung war Ursache für die Entstehung „trägen Wissens“ wie auch für die Mängel der Motivation und des Wissenstransfers sowie für Defizite des Handlungswissens bei den Lernenden. Nachdem diese Argumente mit Fortentwicklung und Verbreitung der kognitiven Psychologie und der Handlungstheorie ihre lerntheoretische Fundierung erhalten hatten, übernahm ein auf Handlungskompetenz gerichtetes handlungsorientiertes Lernen die didaktische Leitfunktion in der deutschen Berufsbildung. Damit war die Voraussetzung dafür geschaffen, dass das Situationsprinzip und in Ansätzen auch das Persönlichkeitsprinzip als curriculare Auswahl- und Gestaltungsprinzipien eine dominierende Funktion bei der curricularen Gestaltung zunächst auf der Mikroebene und seit den KMK-Entscheidungen von 1996 auch auf der Makroebene erhielten. Der von uns zu dieser Problematik dargelegte berufs- und wirtschaftpädagogische Diskurs bestätigt die hierzu eingangs formulierte „erste Hypothese“. Zuvor hatte allerdings die Novellierung der Ausbildungsordnungen und Rahmenlehrpläne in den Metall- und Elektroberufen im Jahre 1987 dieser Entwicklung den Boden bereitet. Gleichwohl enthält der Diskurs auch von Anfang an kontroverse Auffassungen zur curricularen Berücksichtigung des Wissenschaftprinzips und des Situationsprinzips (Reetz 1976). Im Kapitel 4 konnte im Zusammenhang mit dem Lernfeldkonzept verdeutlicht werden, dass der Streit um die Gewichtung dieser Auswahl- und Strukturierungsprinzipien wie auch des Persönlichkeitsprinzips ein zentrales Thema der Curriculumdiskussion in der beruflichen Bildung darstellt. Damit bestätigt sich die „zweite Hypothese“. Die Vermutung, dass dabei das Situationsprinzip in seiner funktionalistischen Variante für die Praxis der gegenwärtigen Berufsbildung prägend sei, – so unsere „dritte Hypothese“- kann allein aus der Diskussion weder bestätigt noch widerlegt werden. Dagegen spräche, wie dargelegt wurde, dass durchaus auch höhere Stufen der Handlungsregulation und entsprechendes kategoriales Verstehen beruflicher, ökonomischer und politischer Zusammenhänge als Bestandteile von Handlungskompetenz erreichbar sind. Die Analyse des Lernfeldkonzeptes hat gezeigt, dass dieses Konzept in der Tat dazu führen kann, die bisherige Trennung von curricularer Mikro- und Makro-Struktur teilweise aufzuheben („vierte Hypothese“). Dies gilt jedoch nur, sofern den beteiligten Lehrkräften und Berufsschulen die mit dem Lernfeldkonzept gewährte Autonomie belassen wird. Diese ist allerdings gefährdet, wenn zentral erstellte Stoffkataloge mit Taxonomien sowie entsprechende PrüfungsaufgabenTypen an Stelle der Lernfelder die curriculare Leitfunktion übernehmen („fünfte Hypothese“). Dies bahnt sich an, wenn „Programmierte Aufgaben“ im Gewand von Situationsaufgaben als das „Instrument zur Erfassung ,beruflicher Handlungskompetenz‘ ausgegeben werden“ (Blum/Hensgen/Kloft/Maichle 2003; vgl. Reetz 2005). Abschließend wird dafür plädiert, künftig die drei curricularen Gestaltungsprinzipien in ausgewogenem Verhältnis zur Geltung zu bringen, da sich gezeigt hat, dass mit der Überbetonung einer Dimension (z. B. des Situationsprinzips) eine unmittelbare Vernachlässigung der jeweils anderen einhergeht.

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Curriculare Strukturen beruflicher Bildung

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Curricula für die berufliche Bildung – Fächersystematik oder Situationsorientierung? Ute Clement

Ute Curricula Curricula 1. Clement für die berufliche und dieBildung Ordnung des Wissens Bis auf wenige Ausnahmen findet schulischer Unterricht, wie die meisten von uns ihn kennen, in Form von Schulfächern statt. Nicht nur das in der Schule übermittelte Wissen ist in Fächern geordnet, sondern auch Zuständigkeiten der Lehrkräfte, Schulbücher und Stundenpläne, Fachräume sowie – in weiterem Sinne gesellschaftlicher Wissensorganisation – Bibliotheken, Datenbanken oder Forschungsprogramme. Dieser umfassenden Ordnung gesellschaftlicher Wissensbestände in Fächern steht andererseits eine jahrhundertlange Tradition der Kritik an eben dieser Form der Wissensorganisation entgegen: Die zergliederte Repräsentation von Wissen bilde Realität nur unvollständig ab, da letztere eben nicht in Fächer aufgeteilt sei. Der Thematisierung bestimmter Wissensbereiche entspreche eine Dethematisierung anderer, die nicht unterrichtet, ja nicht einmal erforscht würden, weil sie in Grenzbereichen der Disziplinen angesiedelt seien. Und schließlich befördere die fächerorientierte Wissensvermittlung eine schematisierte und wirklichkeitsfremde Form des Unterrichts, bei dem Bezüge zur Erfahrungswelt der Lernenden kaum herstellbar seien, so dass deren Motivation ebenso Schaden nehme wie ihre Fähigkeit, das Gelernte in der Realität anzuwenden. Mit immer wieder aufflammendem Nachdruck werden daher Ansätze fächerübergreifenden Unterrichts in allgemein- wie in berufsbildenden Schulen vertreten. Die inhaltliche Organisation des Lehrens in Fächern wird hier durch die Konfrontation mit Fallbeispielen, komplexen Handlungssituationen oder Problemstellungen, kurz mit Lebens- und Handlungssituationen abgelöst. Die Vertreter des fächerübergreifenden Unterrichts argumentieren, das Lernen in zeitlich und inhaltlich nicht segmentierter Form komme den Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler in besonderer Weise entgegen, da Bezüge zwischen schulischen Inhalten und lebensweltlichen Erfahrungen leichter hergestellt werden könnten. Methodisch biete der fächerübergreifende Unterricht mehr Ansatzpunkte für handlungsorientiertes, aktives Lernen als dies unter den Bedingungen des in Einzelstunden getakteten Unterrichts möglich sei. Die Lehrerzentrierung könne schrittweise zurückgenommen werden und Schülerinnen und Schüler, die im rein kognitiv-sprachlich orientierten Unterricht weniger erfolgreich seien, erhielten hier eine zusätzliche Chance. Und schließlich entspreche der interdisziplinäre, expertengemischte Unterricht der Struktur vieler Handlungsprobleme in der modernen Welt, so dass hier Vorgehensweisen (z. B. problemlösendes Denken) geübt werden könnten, die im Erwachsenenleben von hoher Relevanz seien. Interdisziplinäre Umgangsweisen mit Problemen seien die Voraussetzung dafür, den komplexen Handlungsanforderungen unserer Zeit adäquat begegnen zu können (vgl. Hutter 1999, S. 9f.; Lange 1997, S. 155f.).

Curricula für die berufliche Bildung

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Im Resümee lassen sich auch für den berufsschulischen Unterricht zwei grundsätzliche Prinzipien curricularer Gestaltung unterscheiden, die nicht nur für die Definition von Lehr-/Lerninhalten in Lehrplänen, sondern auch für die Organisation von Schule und Unterricht sowie die methodische Gestaltung des Lehr-/Lernprozesses Relevanz besitzen: die Fächersystematik und die Situationsorientierung.

2. Schulfächer als Organisationsprinzip berufsschulischer Bildung Fächersystematisch geprägte Curriculumkonstruktion meint – so soll hier vorläufig festgehalten werden – ein curriculares Prinzip, bei dem sich Lehrplanautoren und Lehrkräfte an einer innerhalb der Berufsgruppe konsensfähigen Vorstellung davon orientieren, welche Inhalte einer bestimmten Fachdisziplin für eine Zielgruppe Relevanz besitzen.

> Die Auswahl der Lehrinhalte orientiert sich an Wissenselementen, die a) Bestandteil des Kanons eines bestimmten Schulfachs sind, b) konsensual als relevant für eine bestimmte Berufsgruppe eingestuft werden und c) die in Abstraktions- und Schwierigkeitsgrad als angemessen für die betreffende Schülerklientel bzw. den zu erreichenden Abschluss empfunden werden. > Die Unterrichtsorganisation (Raumverteilung, Stundenpläne etc.) und die Notengebung folgen dem Fächerprinzip. Und auch die Qualifikation, Lehrbefähigung und Deputatsverteilung der Lehrkräfte ist an der Vorstellung akademisch verankerter Fachdisziplinen ausgerichtet. > Schließlich folgt auch die Sequenzierung und Vermittlung der Lehr-/Lerninhalte der Fächersystematik, wenn die Inhalte nach in der Regel abstrakten, lernpsychologisch begründeten Prinzipien (vom Einfachen zum Schwierigen, vom Einzelnen zum Komplexen, vom Spezifischen zum Allgemeinen o. ä.) angeordnet werden. Schulfächer lassen sich dabei als relativ stabile Konstrukte der Wissensorganisation verstehen, die sich mithilfe von drei Bezugspunkten konstituieren.

> Schulfächer definieren sich inhaltlich über besondere Gegenstandsbereiche, Zugangsweisen, Verfahren, Begrifflichkeiten und Methoden ihrer Arbeit. Wie auch akademische Disziplinen je unterschiedliche, untereinander häufig kaum mehr kompatible Formen von Welterschließung entwickelt haben, so erhellen auch Schulfächer nur bestimmte Teilausschnitte der Realität und vermitteln unter Zuhilfenahme spezifischer Methoden auch nur besondere Zugangsweisen zum Umgang mit dieser. > Zugleich bilden Fächer jedoch auch institutionelle Gebilde. Analog zu wissenschaftlichen Disziplinen, bei denen (wie Lenoir 1992 nachweist) strukturelle und interessengebundene Einflüsse eine maßgebliche Rolle spielten, konstituieren sich auch Schulfächer über formale und institutionelle Faktoren. Schon die universitäre, disziplinorientierte Lehrerausbildung der Sekundarstufe II und das mit dieser Ausbildung verbundene Selbstverständnis der Lehrenden reproduzieren den Fortbestand und die Entwicklung des Schulfaches selbst. Als weitere Strukturmerkmale eines Schulfachs können fachbezogene Lehrbücher, Unterrichtstexte und -materialien gelten, die fachspezifische Wissensbestände tradieren und ausdifferenzieren, auf diesem Wege aber zugleich Standards bezüglich erwartbaren Wissens innerhalb eines Faches transportieren.

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> Und schließlich zählt auch das Vorhandensein einer fachspezifischen Metadiskussion (z. B. im Rahmen einer eigenen Fachdidaktik mit entsprechendem universitären Überbau, in entsprechenden Publikationsorganen und Fachzeitschriften, in Fachgremien und -kommissionen bis hin zu einer gemeinsamen Interessensvertretung) zu den wichtigen Konstitutionsfaktoren eines Schulfachs. Nun wird bei genauerer Betrachtung deutlich, dass die Mehrzahl dieser als konstitutiv angenommenen Determinanten für die Schulfächer an beruflichen Schulen gar nicht zutreffen. Lässt man die allgemeinbildenden Fächer an beruflichen Schulen einmal außer Acht, deren Systemreferenz tendenziell im allgemeinbildenden Schulwesen zu verorten ist, dann fällt auf, dass die theoretischen Fächer der Berufsschule inhaltlich unscharfe, häufig bewusst und künstlich gesetzte Grenzen zu ihren Nachbarfächern aufweisen und dass ihnen weder eine spezifische akademische Bezugsdisziplin, noch eine besondere Lehrerausbildung und auch keine Fachdidaktik zugeordnet ist.1 Die relative Labilität der Fächerkonstruktion an beruflichen Schulen und die Durchlässigkeit der Fachgrenzen spiegelt sich seit jeher auch in mehr oder minder unterschwelligen Abstimmungsproblemen des Schulalltags wider. Der fächerübergreifende Einsatz von Gewerbelehrerinnen und Gewerbelehrern ist in diesem Zusammenhang ebenso zu nennen wie die inhaltlichen Abgrenzungsprobleme zwischen einzelnen Fächern. Die Trennungslinie zwischen fachpraktischem und fachtheoretischem Unterricht ist nur schwer zu ziehen und auch zwischen allgemeinbildenden (etwa naturwissenschaftlichen) und fachtheoretischen Unterrichtsstunden gestaltet sich die Grenzziehung mitunter schwierig (vgl. Grüner 1981, S. 73). Neben den historisch-institutionellen Gründen ist die Labilität der berufsschulischen Fächerkonstrukte auch inhaltlich bedingt: Anders als an allgemeinbildenden Schulen, an denen das Argument, ein bestimmter Bildungsinhalt „gehöre nun einmal dazu“ an Überzeugungskraft erst in den letzten Jahrzehnten eingebüßt hat, existiert in der beruflichen Bildung ein solcher Grundbestand an unabdingbaren Kenntnissen eher nicht. Ein Lehrinhalt erhält seine Legitimation – jedenfalls in den technischen Fächern – im Wesentlichen dadurch, dass er für das spätere Berufsleben Relevanz besitzt. In Abhängigkeit vom technischen Wandel müssen im Laufe der Zeit mehr Inhalte revidiert werden, als dies bei der allgemeinen Bildung der Fall ist. Nur wenige Themenbereiche (wie etwa die Werkstoffkunde) können universell und langfristig als unverzichtbar gelten. Warum die Berufsschule Unterricht überhaupt in Form von Fächern ordnet, erklärte Blättner schon 1947 vor allem mit drei historischen Strukturbedingungen schulischer Berufsbildung:

> Tradition: Die Form bzw. die Gestalt der Schule suggeriere das Vorkommen von Fächern. Eine Schule ohne Fächer sei nicht vorstellbar und da die beruflichen Schulen um ihre Position im Bildungswesen lange kämpfen mussten, seien sie um eine Fächeraufteilung der Inhalte aktiv bemüht gewesen.

1 Schon der Terminus „Fach“ besitzt im beruflichen Bildungswesen ein verwirrend breites Bedeutungsspektrum. Unterschieden werden hier „Schulfächer“ wie Technisches Zeichnen oder Technische Mathematik, deren Charakteristika weiter unten noch ausführlich erläutert werden, Studienfächer, die Lehramtstudierende an der Universität belegen und studieren, sowie die berufliche Fachrichtung, die in Komposita wie „Fachwissen“ oder „fachliche Kompetenz“ auf die berufliche Handlungskompetenz einer Person verweist (zu dieser Bedeutung vgl. auch Meyer 2003).

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> Selbstverständnis der Lehrer: Die ersten Lehrer an Berufsschulen waren Volksschullehrer, die sich von ihrer Ausbildung und ihrem Selbstverständnis her an Fächern orientierten. > Fehlen einer pädagogischen Theorie: Selbst denjenigen Praktikern, die später den berufsschulischen Unterricht übernommen haben, sei es nicht möglich gewesen, von Unterrichtsfächern zu abstrahieren, da ihnen eine Theorie fehlte, „um das von ihnen allen dunkel Gefühlte fordern, begründen und gestalten zu können“ (Blättner 1947, S. 71). So lässt sich also die grundsätzliche Tatsache der Fächerstruktur beruflicher Schulbildung vor allem historisch erklären. Paradoxerweise trifft dies aber auch für die Tatsache der relativen Labilität dieser Fächerstruktur zu: In der Zeit, in der sich die „höheren“ Formen der allgemeinen Schulbildung verwaltungstechnisch, curricular und institutionell von der akademischen Bildung trennten und sich Schulfächer als eigenständige, selbstreflexive Institutionen aus den akademischen Disziplinen herauslösten, orientierte sich die Stundentafel der Fortbildungsschule noch in hohem Maße an derjenigen der Volksschule. An dem Prozess der Ausdifferenzierung und Trennung der Schulfächer von den Disziplinen zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren die berufsschultypischen Fächer noch gar nicht beteiligt. Die Notwendigkeit aus der gemeinsamen Herkunft heraus formale und inhaltliche Systemdifferenzen zwischen hochschulischen und schulischen Fächern aktiv zu konstruieren, ergab sich für sie daher nicht.2 Die Anfang des 20. Jahrhunderts dominante, durch die Berufsbildungstheorie im Sinne Kerschensteiners gestützte Schwerpunktsetzung berufsbildender Curricula bei der Berufsund Staatsbürgerkunde einerseits und der Fachkunde andererseits stellte einen Bezug zu akademischen Disziplinen allenfalls implizit her. Die Staatsbürgerkunde mit ihrer konservativ-restaurativen politischen Intention hatte ohnehin vor allem die moralische und standesbezogene Charakterformung der angehenden Handwerker zum Ziel und verfolgte dementsprechend auch keine weitergehenden akademischen Ambitionen. Die Fachkunde dagegen nahm schon aus schulorganisatorischen Gründen sehr lange keinen direkten Bezug auf spezifische Ingenieurdisziplinen. Die Absicht der „Berufsschulmänner“ im frühen 20. Jahrhundert und bis in die sechziger Jahre hinein lag vielmehr darin, die Eigenständigkeit der Berufsschule durch den Bezug auf den späteren Tätigkeitsbereich herzustellen.

3. Situationsorientierung als curriculares Prinzip Situationsorientierte Curricula nehmen auf Geschäfts- und Arbeitsprozesse Bezug, mit denen die Absolventinnen und Absolventen des Ausbildungsganges in ihrer beruflichen Praxis voraussichtlich konfrontiert sein werden und wählen diese zum Relevanz- und Ordnungsprinzip des Lehrplans.

2 Ein gewisser Zwang zur curricularen Differenzierung entstand mit dem Aufkommen der Polytechnischen Schulen und Technischen Hochschulen dagegen im Bereich der Fachschulen. Wie Lipsmeier (1971, S. 94ff.) überzeugend ausführt, war die Verquickung zwischen handwerklicher Ausbildung und höherer technischer Bildung seit Mitte des 19. Jahrhunderts stark von der neuhumanistisch begründeten Abwehrhaltung gegenüber den Ingenieurwissenschaften geprägt, die sich in der Folge stärker an den Praxisproblemen der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung als „am Bild der reinen Wissenschaft“ (Lipsmeier 1971, S. 109) orientierten.

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> Die Qualifizierungsinhalte werden aus Analysen des zukünftigen Tätigkeitsbereiches abgeleitet und nach handlungslogischen Gesichtspunkten geordnet. Auswahlkriterium für einen Lehr-/Lerninhalt ist die unterstellte Nützlichkeit des Gelernten für das zukünftige (berufliche) Handeln innerhalb eines vorgängig definierten Qualifikationsprofils. > Situationsorientierte Lehrpläne sind nicht nach Schulfächern, sondern nach Handlungssituationen gegliedert. Durch diese Loslösung von der gefächerten Struktur des Unterrichts werden auch modularisierte Formen der Ausbildung denkbar, bei denen einzelne Handlungssituationen isoliert voneinander behandelt und ihre kompetente Bearbeitung zertifiziert werden. Die Lehrkräfte beziehen die Legitimation für ihr Tun nicht mehr ausschließlich aus ihrer akademischen Ausbildung in einer bestimmten Fachdisziplin, so dass hier potenziell auch nicht akademisch und nicht pädagogisch ausgebildete Lehrkräfte einsatzfähig werden. Die Zertifizierung der erworbenen Qualifikation verändert sich mit der Einführung situationsorientierter Curricula und bestätigt nicht mehr Lernleistungen in bestimmten Schulfächern, sondern die Tatsache, dass der Proband oder die Probandin zur Durchführung einer bestimmten Handlung in der Lage ist. Und schließlich hat der Paradigmenwechsel von der Fächersystematik zur Situationsorientierung Konsequenzen für die innere Gestaltung der Schule von der Organisation interner Arbeitsabläufe bis in die Architektur der Schulen hinein. > Im Lehr-/Lernprozess selbst steht der kompetente Vollzug der jeweils in Frage stehenden Handlung im Brennpunkt des Geschehens. Statt den Anspruch zu erheben, Wissen systematisch und schrittweise zu vermitteln, wird die Auseinandersetzung mit berufstypischen, komplex angelegten Situationen gefordert. Erfahrungswissen, personale und soziale Kompetenzen werden als ebenso bedeutsam erachtet wie der Erwerb fachlicher Kenntnisse und Fertigkeiten. Daraus ergeben sich methodische Überlegungen, die handlungsorientierte, schüleraktive Lernformen zwar nicht erzwingen, aber doch nahe legen. Im Gegensatz zur fächersystematischen Auswahl von Lehrinhalten, die sich weitgehend intuitiver Vorgehensweisen bedient,3 scheint die Auswahl von Lehrinhalten entlang beruflich relevanten Situationen mindestens auf den ersten Blick von größerer methodischer Systematik geprägt zu sein. Der Rekurs auf einschlägige tätigkeitsanalytische Verfahren der Arbeitspsychologie lässt vermuten, dass hier ein höheres Maß an empirisch gesicherter Objektivität waltet. Nun lässt sich in Bezug auf Curriculumkonstruktion auf der Grundlage von Tätigkeitsanalysen ebenfalls ein allgemeiner Trend fort von quantitativ-deskriptiven Methoden und hin zu eher qualitativ angelegten Befragungen feststellen. In den sechziger und siebziger Jahren hatte man sich vielfach darum bemüht, Bedarfserhebungen an Arbeitsplätzen möglichst detailliert und mit hoher empirischer Präzision durchzuführen. Doch diese Verfahren erweisen sich – im größeren Maßstab praktiziert – als aufwändig und damit kostspielig, gleichzeitig aber mittel- und langfristig wenig valide. Auch stellte man fest, dass sich Arbeitsprozesse wie auch die zu ihrem Vollzug notwendigen Kompetenzen einer externen Beobachtung und Beschreibung mindestens teilweise 3 Innovationen haben bei der Entwicklung fächersystematischer Curricula einen weithin ergänzenden und modifizierenden Charakter. Vor allem in den siebziger Jahren wurden zwar verschiedentlich Ansätze entwickelt, die der Auswahl von Lehrinhalten eine höhere gesellschaftliche Legitimität verschaffen und systematischere Zugriffswege auf Lehrgegenstände etablieren wollten, diese Versuche müssen jedoch inzwischen als weithin gescheitert gelten (Clement 2003, S. 87ff.)

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entziehen. Sie verändern sich zu rasch, sind zu komplex angelegt und enthalten Bestandteile, die sich – wie etwa flexible Anpassung an wechselnde Situationen oder soziale Sensibilität – durch externe Beobachtung kaum erfassen lassen. Darüber hinaus sind Tätigkeitsanalysen als Basis für curriculare Entscheidungen in Deutschland mit einer weiteren Schwierigkeit behaftet. Wir besitzen (trotz vielfältiger Veränderungen der Arbeitsorganisation der letzten Jahrzehnte) nach wie vor ein Verständnis qualifizierter Arbeit, das sich nicht auf die Erfüllung vorgegebener Verhaltensanforderungen beschränkt. Der berufliche Charakter der Qualifikationen des Dualen Systems konstituiert sich nicht nur in den für die Ausführung typischer Arbeitsanforderungen notwendigen praktischen Kenntnisse und Fertigkeiten. Dem Selbstverständnis der beruflichen Tätigen entspricht vielmehr ein breit angelegtes Fachwissen über berufstypische Frage- und Problemstellungen, um einen flexiblen Personaleinsatz unter sich häufig ändernden Arbeitsbedingungen zu ermöglichen. Aus dieser Perspektive wird die jeweils aktuelle Anforderung eher als zufällig betrachtet, während die eigene Qualifikation sich subjektiv auf ein sehr viel umfassenderes Feld bezieht (Fischer 2000, S. 128). Viele Berufstätige betrachten es als ihre Aufgabe, diesen Wissensüberhang über Weiterbildung, das Studium von Fachzeitschriften oder ähnlichem aufrecht zu erhalten und womöglich auszubauen. Tätigkeitsanalysen scheinen also nur bedingt dazu geeignet zu sein, curriculare Konstruktionen inhaltlich zu fundieren. Auch aus diesem Grund haben sich bei uns standardisierte Verfahren zur Identifizierung von Lehrinhalten in den letzten zwanzig Jahren kaum mehr flächendeckend durchsetzen können. Lediglich für die betriebliche Ausbildung greift das Bundesinstitut für Berufsbildung dann und wann noch auf tätigkeitsanalytische Verfahren zurück, die in den siebziger Jahren entwickelt worden waren. Die Kritik an der mangelhaften Flexibilität dieser aufwändigen Instrumente, an ihrer Gegenwartsgebundenheit und dem hohen zeitlichen wie finanziellen Aufwand wirkt hier offenbar noch nach. Eine weitergehende curriculare Diskussion, die auch internationale Beiträge aufgreift, hat sich im Kontext der Forderung nach situationsorientierten Curricula vor allem am Bremer Institut für Bildung und Technik ergeben. Die dort beheimateten Autorinnen und Autoren bemühen sich darum, offene Verfahren zur Inhaltsauswahl mit dem Anspruch komplexer Beruflichkeit von Ausbildung so zu verquicken, dass mithilfe situationsorientierter Ausbildung sowohl unmittelbar verwertbare Handlungskompetenz als auch profundes Zusammenhangswissen gezielt ausgebildet werden kann. Ob ein solcher Spagat sich langfristig als tragfähig und praktikabel erweist und ob quantitativ und qualitativ gesehen für alle Berufsbereiche hinreichende Forschungsressourcen dazu zur Verfügung stehen, scheint mir nicht selbstverständlich zu sein.

4. Zu den Zukunftschancen situationsorienter Lernfeld-Curricula Mit der Einführung des Lernfeldkonzeptes an beruflichen Schulen wird die Hoffnung verknüpft, das von vielen Diskutanten inzwischen als obsolet empfundene Fächerprinzip könne im Bereich der beruflichen Erstausbildung überwunden werden. So ließe sich die Aufsplitterung ganzheitlicher, d. h. in seinen einzelnen Aspekten interdependent aufeinander bezogener Themen- und Handlungskomplexe in Unterrichtsfächer durch eine handlungslogische Ausbildungsstruktur mit einem hohen Maß an innerer Kohärenz und Praxis-

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bezug ersetzen. Komplexe Zusammenhänge seien mit ihrer Hilfe auf kognitiver wie auch auf sozialer oder motorischer Ebene leichter zueinander in Bezug zu setzen. Die Auszubildenden würden in die Situation versetzt, bestehende Zusammenhänge ganzheitlich zu erfahren. Nicht zuletzt werde der Inhalt schulischen Lernens durch die kontinuierliche Rückbindung an Praxis relevanter und damit bedeutsamer für die Lernenden. Für Schulfächer dagegen seien in der beruflichen Erstausbildung sinnvolle Bezugsdisziplinen ohnehin nicht auszumachen. Daher müsse vielmehr das Wissen von Facharbeiterinnen und Facharbeitern in seiner besonderen Gestalt und Struktur selbst anerkannt und zum Bezugspunkt beruflicher Erstausbildung gemacht werden. Vergleichbare Argumente wurden im Laufe der Geschichte des beruflichen Schulwesen schon häufiger vorgetragen und politisch zeitweise stark unterstützt. Bislang konnte sich die Fächersystematik regelmäßig als das dominante, allen Anfechtungen gegenüber letztlich durchsetzungsfähigere Muster beweisen. Wenn man nun zu einer realistischen Einschätzung darüber kommen möchte, ob sich mit der Einführung der Lernfelder dieses Mal eine Abkehr vom Fächerprinzip nachhaltig durchsetzen lassen wird, so gilt es, die Bedingungen und Konsequenzen ihrer Realisierung genauer zu beleuchten. Außer den inhaltlichen sind dabei auch die institutionellen und unterrichtsorganisatorischen Randbedingungen mit einzubeziehen. Aus inhaltlicher Sicht verschwimmen bei genauerer Betrachtung die Unterschiede zwischen beiden Prinzipien der Curriculumkonstruktion sowohl in Bezug auf deren inhaltliche Bezugspunkte als auch die ihnen inhärente inhaltliche Breite und selbst die mit ihnen je verbundenen Konstruktionsmethoden. Fächerorientiert oder nicht – die Didaktik der beruflichen Bildung hat seit der Umwandlung der Fortbildungsschulen in Berufsschulen stets solche Inhalte zum Thema schulischer Lehrpläne gemacht, die sich zu den Anforderungen der Arbeitswelt in Bezug setzen ließen. Und situationsorientiert oder nicht – die Notwendigkeit, vom Einzelfall in angemessener Weise zu abstrahieren, um auf diese Weise transferfähiges Zusammenhangswissen zu erzeugen, wurde nie in Frage gestellt.4 Die Differenz zwischen beiden Verfahren liegt (mit Bezug auf die Ausbildungsinhalte) in der unterschiedlichen Auffassung von der Anordnung und dem mentalen Aufbau von Wissen: Im gefächerten Unterricht repräsentieren Situationen nachgeordnete, fachsystematisch zu begründende Zusammenhänge. Sie stehen als konkrete Anwendung für eine abstrakte Norm oder eine Regel. Situationsorientierte Ausbildung hingegen ordnet fachsystematisches Wissen der Beherrschung definierter Anforderungssituationen insofern unter, als dieses Wissen nur Relevanz für eine bestimmte Situation besitzt, nicht aber für sich selbst steht. Die Bewältigung einer bestimmten Anforderungssituation bildet hier den eigentlichen Fluchtpunkt curricularer Auswahlentscheidungen. Die Unterschiede zwischen Situations- und Fächerorientierung scheinen nicht ausschließlich und nicht einmal hauptsächlich inhaltlicher oder curriculummethodischer Natur zu sein. Sie betreffen vielmehr vor allem die Anordnung des Wissens sowie die Ordnung seiner Vermittlung, mithin didaktisch-methodische Aspekte. 4 Dass Wissenschafts- und Situationsbezug bei der Konstruktion von Curricula keineswegs in Widerspruch zueinander stehen müssen, belegt schon die Tatsache, dass selbst die Debatte um Wissenschaftsorientierung der Lehrpläne aller Bildungsgänge in den siebziger und achtziger Jahren keineswegs einer bildungstheoretischen Ableitung oder einer autonomen didaktischen Setzung entsprang (vgl. Hentke 1986, S. 109), sondern vielmehr unmittelbar auf der Curriculumdiskussion in Anschluss an Robinsohn aufbaute. Situationsorientierte Curriculumkonstruktion schien in dieser Zeit geradezu der Garant für wissenschaftlich legitimiertes Vorgehen, aber eben auch für wissenschaftsgebundene Lehrplaninhalte zu sein.

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Folgerichtig entstehen aus dem Lernfeldkonzept die meisten Probleme gar nicht auf inhaltlicher Ebene, sondern vielmehr auf schul- und unterrichtsorganisatorischer. Die durch den Lernfeldunterricht notwendig werdenden Veränderungen betreffen sowohl den Einsatz und die Kooperationsformen der Lehrkräfte als auch die zeitliche Struktur des Unterrichts, die Verteilung von Räumen oder die Anschaffung von Lehrmaterialien. Ein weiteres gewichtiges Problem besteht in der inhaltlichen und organisatorischen Ausgestaltung der Prüfungen. Offensichtlich kollidieren in all diesen Punkten herkömmliche, tradierte und systemisch gebundene Organisationsprinzipien von Schule mit denen eines alternativen Konzeptes von beruflichem Lernen. Die (relative) Unbeweglichkeit der Schulen in diesen Punkten einseitig der mangelnden Flexibilität und dem fehlenden Engagement der Lehrkräfte anzulasten, wäre m. E. der falsche Weg. Stattdessen erweisen sich Implementationskonzepte als hilfreich, welche die Umsetzung curricularer Neuerungen als eigenständige Phase des Reformprozesses konzeptualisieren und auftretende Konflikte zum Anlass nehmen, entweder die Modalitäten der Praxis oder aber die Maßgaben des Konzeptes zu revidieren (vgl. Clement 2002). Erst durch die explizite Thematisierung auftretender Schwierigkeiten werden Widersprüche erkennbar und damit auch potenziell lösbar. Eine Missachtung der Konflikte als untergeordnete, lediglich „technische“ Probleme kann – im Sinne der normativen Kraft der geltenden Praxis – leicht zum Scheitern des Reformprojektes führen. Insgesamt muss daher zum Ende – und dies entbehrt nicht einer gewissen Ironie – konstatiert werden, dass die Diskussion um Fächersystematik versus Situationsorientierung im Bereich der beruflichen Schulen etwas Aufgesetztes hat: Im steten Versuch, sich eine unabhängige, aber gesicherte Position im Bildungssystem zu erobern, hat sich die Berufsschule in didaktische Debatten verwickeln lassen, die ihren Spezifika letztlich nicht gerecht wird. Dies soll nun keineswegs bedeuten, dass die Frage nach der Ordnung des im berufsschulischen Unterricht vermittelten Wissens eine beliebige wäre. Tatsächlich findet in ihr sowohl die systemische Einbindung der Berufsschule in die schulische bzw. betriebliche Sphäre als auch methodische und schulorganisatorische Orientierungen ihren Ausdruck. Zu diskutieren sind allerdings weniger Fragen der inhaltlichen Bezugnahme auf akademische Fächer versus „die Arbeitswelt“, noch Fragen des methodischen Vorgehens bei der Curriculumkonstruktion, sondern vielmehr bildungspolitische und unterrichtsorganisatorische Aspekte. Eine tatsächliche inhaltliche Autonomie der beruflichen Schulen wäre unter Umständen erst dadurch herstellbar, dass sie sich schulformbezogen und unter Berücksichtigung lehr-/lernpraktischer und schulorganisatorischer Gegebenheiten auf eigene, kreative und intelligente Ansätze zur curricularen Gestaltung besinnen würden, die jenseits des Konfliktes Wissenschafts- versus Situationsorientierung liegen – ein Konflikt, der ohnehin der ihre nie gewesen ist.

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Didaktik kaufmännisch-verwaltender Berufsausbildung Jürgen Zabeck

Die Qualifizierung Jürgen Didaktik Zabeck kaufmännisch-verwaltender für berufliche Anforderungen Berufsausbildung im kaufmännisch-verwaltenden Berufsfeld ist als Aufgabenstellung und als Geschehen hochkomplex. Sie wird in diesem Handbuch unter unterschiedlichen Aspekten thematisiert und findet darüber hinaus implizit dort Berücksichtigung, wo es um die Identifikation allgemeiner Charakteristika der Berufsausbildung geht. Der Zugang zum Problem „kaufmännisch-verwaltende Berufsausbildung“ würde mit der Curriculum-Idee übereinstimmen, wäre er darauf angelegt, alle Partialbefunde mit Blick auf ein spezifisches pädagogisch legitimiertes Ziel zu integrieren. Mit der curricularen Wendung der Didaktik, wie sie Ende der sechziger Jahre einsetzte (Robinsohn 1967), verbindet sich nämlich die Vorstellung, organisierte Lehr-Lern-Prozesse seien mit Blick auf zu bewältigende Lebenssituationen in einem ganzheitlichen Kontext zu reflektieren und zu gestalten (Dt. Bildungsrat 1970, S. 58ff.). Letztlich sei es erforderlich, alle für die Zielerreichung relevanten Antezedensbedingungen in eine systematische Ordnung einzubringen. Der den Anforderungscharakter künftiger Lebenssituationen antizipierende Curriculum-Ansatz brach mit dem herkömmlichen Muster didaktischen Denkens. Dieses Muster, das sich als „tradierende Didaktik“ (Zabeck 1973, S. 18ff.) bezeichnen lässt, hatte sich an der Aufgabe orientiert, Kulturinhalte in den Prozess des Generationenwechsels einzuspeisen. Jetzt vollzog sich unter dem Vorzeichen „Curriculum-Revision“ eine didaktische „Entthronung“ der Lehr- und Lerninhalte. Während traditionell mit der Auswahl der Lehr- und Lerninhalte das beruflich relevante Wissen definiert worden war, das – zumindest der Tendenz nach – zugleich als Inbegriff beruflichen Könnens galt, wurde das Inhaltliche nun – neben den Lehr-Lern-Verfahren – zu einem nachgeordneten Mittel. Zur didaktischen Legitimation der Lehr-Lern-Inhalte genügte nicht mehr der Nachweis ihrer systematischen Zugehörigkeit zum Stoffgebiet „kaufmännisch-verwaltendes“ Wissen, vielmehr bedurfte es der Feststellung, sie seien geeignet, die Ausbildung von Handlungskompetenz für praktische Situationen kaufmännischer Berufsarbeit zu fördern. Heute wissen wir um die Ambivalenz der als „Curriculum-Revision“ bezeichneten didaktischen Reformbemühungen:

> Einerseits gelang es, den Blick für Fragwürdigkeiten des etablierten Unterrichts zu schärfen und insbesondere Verkrustungen aufzubrechen, die in einem tradierten Kanon festgeschrieben waren. Der dabei praktizierte Rekurs auf die pädagogische Zielfrage verdient als grundsätzlich positiv hervorgehoben zu werden. > Andererseits zeigte sich jedoch eine merkwürdige Affinität der Curriculum-Idee zum Konzept einer technologischen, d. h. von Machbarkeitsvorstellungen getragenen Lernzielpädagogik (Möller/Möller 1966; Mager 1972; Bloom 1972). Die Lernziele wurden in diesem Zusammenhang – allein kognitive Kompetenzen berücksichtigend – auf der

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Verhaltensebene operationalisiert und damit – vor dem Hintergrund der Persönlichkeitsidee gesehen – reduktionistisch gefasst. In letzter Konsequenz war das curriculumtechnologische Konzept darauf angelegt, den Menschen innerhalb einer von Herrschaft und Organisation bestimmten äußeren Ordnung zum „Funktionieren“ zu bringen. Es ist an der Zeit, sich auf die spezifische Bedeutung des Inhaltlichen für das Gelingen von Berufsbildung neu zu besinnen. Inhalte sind zwar nicht ohne weiteres in komplexe berufliche Leistungssituationen hinein transferierbar. Kaufmännisches Wissen impliziert nicht schon das Können des praktischen Kaufmanns (Zimmermann 1996, S. 46ff.). Soweit wir es mit einem „deklarativen Wissen“ um Fakten und Zusammenhänge zu tun haben, erweist es sich in Handlungssituationen oft genug als „träge“ (Renkl 1996). Aber auch das „prozedurale Wissen“ um das Erzielen von Handlungseffekten vermag nur unter bestimmten Voraussetzungen den Erfolg beruflichen Agierens unmittelbar positiv zu beeinflussen. Andererseits bindet Wissen den einzelnen aber auch nicht an vorgeprägte Handlungsmuster. In diesem Sinne macht Wissen für selbstverantwortetes Handeln frei. Das gilt insbesondere dann, wenn es in Verbindung mit der Entfaltung inhaltlicher Interessen vermittelt oder erworben wurde. Gestützt auf „wissende Teilhabe“ und „emotionale Beteiligung“ – beide sind im Begriff „Interesse“ impliziert (Schiefele 1981, S. 192ff.) – vermag sich die Bereitschaft zu entwickeln, einem bestimmten Wirklichkeitsbereich mit den sich in ihm stellenden Aufgaben gerecht zu werden. „Skill“ und „will“ müssen zusammentreffen (Zimmermann 1996, S. 48)! Das Plädoyer für die Wiederaufwertung der Inhaltsfrage im didaktischen Denken zielt nicht auf bloße Restitution. Wer dem Zurück hinter das „Zeitalter des Curriculum“ (Zabeck 1976, S. 213ff.) das Wort redete, würde verkennen, dass im Zeichen der naiven Inhaltsbezogenheit, wie sie von der tradierenden Didaktik gepflegt wurde, die kaufmännische Berufserziehung in eine Sackgasse manövriert worden ist. Diesen Befund gilt es zunächst historisch zu belegen. Im Anschluss daran soll die Einbindung von Lehr- und Lerninhalten in die Reformdiskussion der 1970er und 1980er Jahre aufgewiesen werden. Dabei wird sich zeigen, dass es weder der Lernzielpädagogik noch der ihr nachfolgenden handlungstheoretisch fundierten Didaktik gelungen ist, das Qualifizierungsproblem im kaufmännisch-verwaltenden Sektor im „Alleingang“ zu lösen. Der Verdacht, dies könne auf eine nur halbherzige Befolgung des Prinzips der Handlungsorientierung zurückzuführen sein, scheint sich nicht zu bestätigen. Vielmehr zeichnet sich seit Ende der 1990er Jahre ab, dass für das Gelingen beruflicher Integration allein ein pluralistisches Konzept didaktischer Prinzipien (Bruchhäuser 2001) optimale Voraussetzungen bietet. Von hierher ist bezüglich der seit 1996 von der KMK betriebene Verpflichtung der Berufsschulen auf ein strikt anwendungsbezogenes „Lernfeldkonzept“ Skepsis angebracht. Denn das Lernfeldkonzept bewegt sich im engen Bannkreis eines didaktischen Denkmusters, das berufliches Handeln als ein bloßes „Anwenden“ dessen fasst, was sich in einem praxisnah gestalteten Unterricht vermitteln lässt. Die berufliche Realität jedoch ist komplexer. Sie verlangt u. a. auf Wissen gegründete Erklärungs- und Verstehensleistungen in offenen Situationen, eine aus der Partizipation an der Lebenswelt erwachsene „Könnerschaft“, die in ihrem Kern nicht Funktion eines vorgängig vermittelten Regelwissens ist (Neuweg 1999), sowie das (hier als „Performanz“ bezeichnete) produktive Einbringen der sich selbst inszenierenden ganzen Person in inner- und außerbetriebliche Leistungsbeziehungen. Die Ausbildungsträger Schule und Betrieb stehen vor der Aufgabe, sich jeweils derjenigen Dimensionen kaufmännisch-verwaltender Leistungsprofile bevorzugt anzunehmen, für die sie die vergleichsweise besten didaktischen Voraussetzungen haben. Z. B. besteht die Kernkompetenz der

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Berufsschule nicht in der Vermittlung eines praktischen Könnens, sondern in der Mitteilung geordneter beruflicher Informationen, der Tradierung repräsentativer kultureller Inhalte, der Einführung in einen Verstehenshorizont und der Anleitung zur – insbesondere auf ökonomische und ethische Normen bezogenen – kritischen Reflexion beruflicher Prozesse.

1. Die Inhaltsfrage in der Perspektive der tradierenden Didaktik 1.1. Kaufmännisch-verwaltende Berufsausbildung im Vorfeld der bezugswissenschaftlichen Ausrichtung didaktischen Denkens Die Aufgabe des Kaufmanns bestand ursprünglich in einer raum- und zeitüberbrückenden sowie quantitative und qualitative Differenzen zwischen Angebot und Nachfrage ausgleichenden Mittlerfunktion. Bereits in der griechisch-römischen Welt hatte sich ortsgebunden ein Großhandel etabliert, der für seine Transaktionen auf Schriftlichkeit angewiesen war (Kloft 1992; Jankuhn 1971, S. 32). Als sich in Deutschland im frühen Mittelalter Handel und Wandel belebten, geschah dies unter Umständen, die eine Anknüpfung an die Tradition der Schriftlichkeit ausschlossen. Es war üblich, dass der Kaufmann seine Ware begleitete und mit seinen Geschäftspartnern mündlich verhandelte. Das änderte sich, als nach Gründung der Städte für den Kaufmann die Möglichkeit bestand, sich niederzulassen und Fernhandel vom Platz aus zu betreiben. Wer sich gewerbsmäßig des Handels annahm, musste über einschlägige Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen. Die Aneignung geschah im Allgemeinen in Form des Modellernens. Auch als der Handlungslehrling längst eine soziale Institution war, blieb er im Betrieb des Krämers und des Kleinhändlers auf imitatio (Stratmann 1967, S. 11; Pott 1977, S. 97f.) angewiesen. Für die Qualifizierung des Nachwuchses im Groß- und insbesondere Fernhandel mussten schon relativ früh andere Wege eingeschlagen werden. Was sich herausbildete, war nicht nur darauf angelegt, die Voraussetzungen für eine funktionsgerechte Bewältigung von Schriftlichkeit und Rechenhaftigkeit des Wirtschaftslebens zu vermitteln. Es diente zugleich der Internalisierung einer spezifischen ständischen Identität (Bruchhäuser 1989, S. 92ff.). Im Einzelnen galt es, je nach Handelsregion in die Sprache der ausländischen Geschäftspartner einzuführen und die Kenntnis der an den Handelsorten stark variierenden Handelsusancen zu vermitteln. Hinzu traten ein warenkundliches Expertenwissen sowie die Beherrschung von Handels- und Rechentechniken. Die Qualifikationsziele wurden im Allgemeinen durch Variation des Lernumfeldes (funktional) und durch Unterweisung vor Ort (intentional) zu erreichen versucht. So dienten Auslandsaufenthalte vor allem dem Spracherwerb und der Aneignung ortsspezifischer handelsrechtlicher Kenntnisse. Warenkundliches Wissen floss manchem jungen Kaufmann während kurzzeitiger Mitarbeit in Handwerksbetrieben zu. Handels- und Rechentechniken – vor allem bezogen auf Kalkulation, Münzwesen und Buchführung – erwarb der junge Kaufmann im In- und Ausland dadurch, dass er Instruktionen und die mehr oder minder umfassende Möglichkeit zum Mittun erhielt (vgl. Kelbert 1956; Bruchhäuser 1989, S. 97ff., 193ff.). Auch die Praxis der anspruchsvollen kaufmännischen Berufsausbildung gründete sich vom Mittelalter bis in das 19. Jahrhundert hinein auf keine an den Erfordernissen kaufmännischer Berufsarbeit orientierte zweckrationale Planung, auf kein durchdachtes didak-

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tisches Konzept. Das gilt auch mit Blick auf den Schulbesuch derer, die zum Kaufmannsstande bestimmt waren. So erfolgte die Einführung in das Schreiben und Lesen zunächst an Dom- und Stiftsschulen unter Zugrundelegung religiöser Texte in lateinischer Sprache, und auch die Rats- und Stadtschulen, die seit dem 13. Jahrhundert eingerichtet wurden, bevorzugten diesen Gegenstand. Angesichts des von den Schulen rekrutierten Lehrpersonals – es bestand aus Adepten und Absolventen akademischer Studien – erscheint es unwahrscheinlich, dass ein auf kaufmännische Unterrichtsinhalte verweisender Fund am Ort einer Lübecker Ratsschule als exemplarisch angesehen werden kann (Warncke 1912; Reinisch 1991, S. 167ff.). Demgegenüber dürften sich die deutschsprachigen Schreib- und Rechenschulen, die sich seit dem 14. Jahrhundert entfalteten und im 16. Jahrhundert einen erheblichen Aufschwung nahmen, inhaltlich stärker an den künftigen Berufsbedürfnissen ihrer Klientel orientiert haben, wenn auch einschränkend vermutet werden darf, dass die hier hergestellten Bezüge zu kaufmännischen Gegenständen weniger didaktisch als methodisch motiviert waren (anders: Reinisch 1991, S. 391). Im Mittelpunkt des Unterrichts stand die Vermittlung elementarer Kulturtechniken, nicht jedoch eine auf konkrete inhaltsbezogene Berufstüchtigkeit ausgerichtete Qualifizierung des künftigen Kaufmanns. Die Aufnahme der Buchhaltung in den Lehrkanon von Schreib- und Rechenschulen des 16. und 17. Jahrhunderts bedeutet nur auf den ersten Blick, dass nun eine strikte Ausrichtung auf die Bedürfnisse der kaufmännischen Berufspraxis konstatiert werden muss. Zweifellos wird die Differenzierung dieser Schulen, wie sie vor allem in Verbindung mit der Berücksichtigung bzw. Nichtberücksichtigung des Buchhaltungsunterrichts einsetzte (Reinisch 1991, S. 389ff.) zur Folge gehabt haben, dass der kaufmännische Berufsstand jetzt an einigen Orten Ausbildungsinstitutionen vorfand, die ihm besonders nahestanden. Jedoch wurde hier der Buchhaltungsunterricht tendenziell unter einen Anspruch gestellt, der bezüglich „System“ und Detailliertheit weit über die praktischen Bedürfnisse hinausging. Das Fach Buchhaltung entwickelte also schon zu einem frühen Zeitpunkt unter Bezug auf das ihm zugrunde liegende System, das auch als „Wissenschaft“ angesprochen wurde, eine didaktische Eigendynamik in Abkoppelung von dem, was um der funktionalen Ausrichtung kaufmännischer Berufsausbildung willen erforderlich gewesen wäre (Reinisch 1991, S. 180ff.). Ähnliches zeigte sich auch in den Handelsschulen und Handelsakademien, die im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts ihre große Zeit hatten, als etwa 35 Institute an verschiedenen Standorten in Deutschland – wenn auch im Allgemeinen nur für kurze Zeit – existierten (Zieger 1906; Pott 2001, S. 217). Neben den modernen Handelssprachen umfasste der Kanon kaufmännischer Fächer im engeren Sinne die Handlungs- und Kontor-„Wissenschaft“, Handlungsgeschichte und Handlungsgeographie, Handlungsrecht mit besonderer Berücksichtigung des Wechselrechts, kaufmännisches Rechnen, Kalligraphie und Warenkunde. Sieht man von den Handlungstechniken ab, die ebensogut auf dem Kontor hätten vermittelt werden können, so tendierten die Fächer dazu, Lehrinhalte aufzunehmen, die die praktischen Bedürfnisse überstiegen. Das hängt vor allem damit zusammen, dass die Schulgründungen im Allgemeinen in der Perspektive der merkantilistischen Vorstellung standen, die ökonomische Leistungskraft des absolutistischen Staates ließe sich durch theoretische Qualifizierung steigern. Schon bei Büsch heißt es dagegen, der Kaufmann brauche die Theorie der Handlung in dem gewöhnlichen Gang seiner Geschäfte nicht, da er die Sache so nehmen könne, wie sie ist und es ihm nur Zeit verderben würde, wenn er jedesmal nach ihren Gründen fragen wollte (Büsch 1775, S. 300; Zabeck 2001, S. 15ff.).

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1.2. Die bezugswissenschaftliche Ausrichtung der Wirtschaftsdidaktik Die Geschichte des Buchhaltungsunterrichts und die der Handlungsakademien nimmt eine didaktische Wende vorweg, die in aller Breite erst im Zuge der Institutionalisierung der akademischen Handelslehrerbildung vollzogen wurde. Während bis tief in das 19. Jahrhundert hinein der Kaufmannsstand an der Tradierung eines unmittelbar handlungsrelevanten kaufmännischen Wissens interessiert war und hierbei von der deskriptiv-kompilatorisch verfahrenden handlungswissenschaftlichen Literatur unterstützt wurde (u. a. Savary 1675; Ludovici 1768; May 1770; Büsch 1792), richtete sich jetzt der Blick der Handelsschuldidaktik ganz unmittelbar auf die im Entstehen begriffene Handelsbetriebslehre, aus der sich später die Betriebswirtschaftslehre entwickelte (Schönpflug 1933; Golas 1971). Die Wurzeln der bezugswissenschaftlichen Ausrichtung der Wirtschaftsdidaktik liegen in der „Handelsschulbewegung“, die mit dem 1896 gegründeten „Deutschen Verband für das kaufmännische Unterrichtswesen“ (Goyke 1984) institutionalisiert worden war. Angestrebt wurde die systematische Qualifizierung des kaufmännischen Nachwuchses vor und nach Aufnahme der Lehre. Im Forderungskatalog von 1897 standen aber nicht nur die allgemeine Durchsetzung der kaufmännischen Fortbildungsschule und der Ausbau der mittleren und höheren Handelsvorschulen, in ihm nahm auch die Handelshochschule einen wichtigen Rang ein. Neben der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung und der mit ihr zu verbindenden wissenschaftlichen Qualifizierung des Kaufmannsstandes wurde der Handelshochschule die Aufgabe zugewiesen, die Lehrer für die der Hochschule nachgeordneten Stufen des kaufmännischen Bildungswesens heranzubilden. Hier sollte der Handelslehrer im Wesentlichen seinen „Beruf“ erlernen. Übereinstimmung herrschte über die von den Lehrkräften kaufmännischer Schulen zu übernehmende didaktische Funktion. Die Handelslehrer hätten künftig „Handelsschulwissenschaften“ zu unterrichten (Pleiß 1973, S. 63). Damit übertrug man das von der alten Gelehrtenschule stammende und vom Gymnasium des 19. Jahrhunderts übernommene didaktische Modell des wissenschaftsorientierten Unterrichts in die kaufmännische Schule. So wurde die anfangs stark von Handelstechniken geprägte Betriebswirtschaftslehre zur wichtigsten Vorgabe für den kaufmännischen Unterricht. Es galt, die wissenschaftlichen Gehalte – dem jeweiligen geistigen Fassungsvermögen der Schüler entsprechend – zu vereinfachen. Von hierher lässt sich die im Studium angelegte Berufsperspektive des Handelslehrers als die eines „didaktischen Redukteurs“ umschreiben. Der konkrete Anforderungscharakter beruflicher Leistungssituationen im kaufmännischen Berufsfeld wurde in diesen didaktischen Ansatz nicht mit einbezogen. Dass die künftige Aufgabe der Lehrer im Wesentlichen darin bestehen würde, jungen Menschen das Rüstzeug für eine menschlich befriedigende Eingliederung in komplexe betriebliche Leistungsstrukturen zu vermitteln, blieb ebenfalls unberücksichtigt. Wie selbstverständlich wurden Studienziel und spätere Unterrichtsaufgabe über einen Kanon von Disziplinen bzw. über wissenschaftliche Stoffgebiete definiert. Zwischen dem betriebswirtschaftskundlichen Unterricht der Handelsschulen und der Lehre an den Handelshochschulen bestand eine weitgehende Kongruenz (Golas 1971, S. 2). Bis in die sechziger Jahre hinein stand die bezugswissenschaftliche Ausrichtung der Wirtschaftsdidaktik nicht in Frage. Durch die kulturphilosophisch fundierte Berufsbildungstheorie in der ihr von Spranger gegebenen Ausprägung hatte sie eine scheinbar überzeugende Abstützung erfahren (Spranger 1918, 1923). Danach wurde angenommen, der

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in einer Phase grundlegender Bildung geförderte Mensch werde während seiner Pubertät seinen „inneren“ Beruf entdecken, der ihn zum gesellschaftlichen oder „äußeren“ Beruf hinleite. Wer sich in der kaufmännischen Berufsausbildung befinde, habe also bereits auf der Grundlage von Eignung und Neigung eine Affinität zu spezifischen wirtschaftsberuflichen Inhalten. Diese Inhalte seien vornehmlich auf den Begriff gebrachte kulturelle Objektivationen. Da die Erkenntnisse der sich auf den Lebensbereich Wirtschaft beziehenden wissenschaftlichen Disziplinen geradezu als Inbegriff einschlägiger kultureller Objektivationen angesehen werden könnten, stünde die kaufmännische Berufsausbildung vor der Aufgabe, sie in angemessener didaktischer Modifikation in die berufsqualifizierenden Lehr-Lern-Prozesse einzubringen. Der bezugswissenschaftlichen Didaktik kaufmännischer Berufsausbildung wurde von betrieblicher Seite kein Widerstand entgegengesetzt. Die Berufsordnungsarbeit orientierte sich allgemein an der Idee des Kaufmanns und nicht an den konkreten Anforderungsprofilen kaufmännischer Berufsarbeit. Grundlage der Berufsbilder war nach Aussage der Arbeitsstelle für betriebliche Berufsausbildung (ABB) ein imaginärer hypostasierter Kaufmannsbegriff, der sich mit einem breiten Inhalt füllen ließ, von dem man annahm, er werde die Entfaltung universeller Berufsfähigkeiten begünstigen und damit vielseitige Anwendungsmöglichkeiten zulassen (ABB 1957, S. 9f.; 1962, S. 22ff.). Unter Wahrung des sog. „Universalprinzips“ beschränkte sich die Ausdifferenzierung auf Wirtschaftszweige (Industrie, Handel, Banken usw.). Das hatte zur praktischen Folge, dass auch in der betrieblichen Ausbildung auf ein funktionsübergreifendes Allgemeines abgestellt wurde. Der Durchlauf durch die Abteilungen war generell nur darauf abgestellt, die bürotechnische Bewältigung kaufmännischer Funktionen zu erlernen, nicht jedoch die Entwicklung kaufmännischer Urteilskraft zu fördern und in bereichsspezifische Verantwortlichkeiten einzuführen. Vom kaufmännischen Unterricht wurde erwartet, dass er „ergänzend“ die Einsicht in Zusammenhänge erschließen würde und dass dabei der „Stand der Fachwissenschaften“ Berücksichtigung fände. Schon in den zwanziger Jahren zeigte sich jedoch, dass die Schule hierbei ihre Schwierigkeiten hatte: Sie sah sich mit mehreren für die kaufmännische Berufsarbeit relevanten Disziplinen konfrontiert, ohne über ein geeignetes didaktisches Regulativ zu verfügen. Bei der Zusammenfassung von Elementen der Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre und Jurisprudenz zu einem Schulfach kam es zu Unausgewogenheiten, die von der Kritik registriert (Golas 1971, S. 20ff.) und zum Ansatzpunkt von Reformforderungen gemacht wurden.

1.3. Zur Krise der tradierenden Didaktik Die Fortschreibung der kaufmännischen Unterrichtsinhalte in Parallelität zum Erkenntnisprogress ihrer Bezugswissenschaften wurde über Jahrzehnte hinweg als einzige didaktisch-methodische Umsetzungsaufgabe wahrgenommen. Mit der Expansion, der fortschreitenden inneren Differenzierung und der Steigerung des Theoretisierungsgrades der Wirtschaftswissenschaften verschärften sich die Probleme der Auswahl und der Vereinfachung mit Blick auf die unterschiedlichen Berufsperspektiven und die verschiedenen intellektuellen Leistungsniveaus der Schüler in den einzelnen Zweigen des kaufmännischen Schulwesens. Mit dem Konzept der „didaktischen Reduktion“ (Hauptmeier 1968), das zunächst auf Einzeldisziplinen zielte und später unter der Bezeichnung „komplexe didaktische Reduktion“ (Hauptmeier/Kell/Lipsmeier 1975) mehrere relevante Bezugswissenschaf-

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ten zugleich einzubeziehen versuchte, schien zwar das Problem der Anpassung wissenschaftlicher Aussagen an das geistige Fassungsvermögen von Schülern verfahrensmäßig gelöst zu sein, offen blieb jedoch nach wie vor die Frage, ob so gewonnenes Wissen berufliche Tüchtigkeit gewährleistet. Gegen Ende der sechziger Jahre vollzog sich in der didaktischen Diskussion der Berufsund Wirtschaftspädagogik eine deutliche realistische Wende (Zabeck 1968). Immer mehr Autoren richteten ihre Aufmerksamkeit auf die konkreten Schwierigkeiten, die ganz allgemein im Zusammenhang mit der Integration in die beruflichen Leistungsstrukturen aufzutreten pflegten. Dabei ergab sich, dass die kulturpädagogisch konzipierte Berufsbildungstheorie das Verhältnis des Menschen zur Berufswirklichkeit mit harmonisierender Tendenz verschleiert und verzeichnet hatte. Das Konzept der tradierenden Didaktik erwies sich in der kritischen Analyse als untauglich für die Vermittlung einer pädagogisch legitimierbaren Berufstüchtigkeit. Es wurden vor allem drei Argumente ins Feld geführt. (1) Eine Didaktik, die auf Elementarisierung von Wissenschaften setzt, unterstellt Transfereffekte, die in der Wirklichkeit nicht auftreten. – Auf den in den siebziger Jahren erreichten Stand der Transferforschung abhebend (vgl. Messner 1978), wurde bemängelt, dass keine strukturelle Entsprechung zwischen dem vorhanden sei, was Disziplinen unter ihrem spezifischen wissenschaftskonstituierenden Aspekt objektivieren, und dem, was komplexen beruflichen Anforderungssituationen eigen ist. Die auf Inhalte fixierte Lehrplangestaltung tendiere zur Entscheidung für ein abhakbares Detail- und Definitionswissen (Reetz 1984, S. 92f., 191ff.). Die Vermittlung eines Kasuistik und Systematik verbindenden exemplarischen Handlungswissens trete ganz zurück (ebd., S. 216f.), vielmehr sei ein „Vollständigkeitsfanatismus“ (Hobbensiefken 1968, S. 29) feststellbar. (2) Die tradierende Didaktik ist daran gescheitert, dass die Bezugswissenschaften kein Selektions- und Strukturierungskriterium enthalten und die Regelung ihrer Relation zueinander nicht zu leisten vermögen. – Wissenschaftliche Disziplinen sind nicht darauf angelegt, sich selbst zu relativieren. Um sie in ein geschlossenes didaktisches Konzept einzubringen, wäre es erforderlich gewesen, sie auf ihren möglichen Beitrag zur Entfaltung von Berufstüchtigkeit unter Zugrundelegung spezifischer Leistungsprofile hin zu befragen. Weil dies nicht geschehe, komme es zur Aufnahme empirisch nicht abgesicherter, unverbindlicher und zerfaserter Inhalte (Reetz/Witt 1974, S. 176). Dabei seien Wissensstoffe unterrepräsentiert, die sich auf gesamtwirtschaftliche und einzelwirtschaftliche Zusammenhänge beziehen bzw. für die Erschließung solcher Zusammenhänge geeignet erscheinen. Im Vordergrund stünden technologische und juristische Informationen (u. a. Krumm 1973, S. 80f.). (3) Die kulturtradierend verfahrende Didaktik übergeht die Befindlichkeit und die berufliche Interessenlage ihrer Adressaten. – Einerseits orientiere sich die Wissensvermittlung an dem, was für den selbständigen Kaufmann relevant sein könnte, andererseits verorte sie den Mitarbeiter jedoch in völliger Unselbständigkeit. Unter Verengung von Praxis auf bloße Anpassung an Leistungsvorgaben werde eine Schreib- und Ladentischperspektive vermittelt, die hinter den Notwendigkeiten einer pädagogisch legitimierbaren Berufsausbildung zurückbleibe (Reetz/Witt 1974, S. 31ff., S. 93ff.).

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2. Die Einbindung der Lehr-Lern-Inhalte in didaktische Reformansätze der 1970er und 1980er Jahre Die Einwendungen gegen das überkommene didaktische Konzept waren meist in Reformbemühungen eingebettet. Im Allgemeinen rekurrierte die ins Positive gewendete Kritik auf die eingangs skizzierte Curriculum-Idee. Dabei bildeten sich vor allem zwei Reformvarianten heraus: Die eher konservative stellte sich unter die Aufgabe, das bislang inhaltsbezogene Lehr-Lern-Geschehen einer Hierarchie von Richt-, Grob- und Feinzielen zuzuordnen; die eher progressive setzte auf Auflösung des traditionellen Unterrichts. An seine Stelle sollte ein Angebot zur Beteiligung an ganzheitlichen, didaktisch strukturierten Handlungsvollzügen treten.

2.1. Lehr-Lern-Inhalte im Kontext der Lernzielpädagogik Die Lernzielpädagogik der siebziger Jahre sah sich als integrierender Bestandteil der von Robinsohn eingeleiteten Curriculum-Revision. In der Berufs- und Wirtschaftspädagogik fand sie breite Zustimmung, was wohl darauf zurückgeführt werden kann, dass das vorgeschlagene didaktische Gestaltungsmuster unmittelbar auf die Verbesserung der Praxisrelevanz gerichtet zu sein schien und damit auf eine Komponente des didaktischen Zielspektrums, die als besonders defizitär empfunden wurde. Dass bei der Auswahl von Bildungsinhalten ihre Funktion in „spezifischen Verwendungssituationen“ zu berücksichtigen sei, schien für die Berufsausbildung von besonderer Bedeutung. Von Robinsohn waren jedoch zugleich zwei weitere Selektionskriterien ins Spiel gebracht worden, nämlich „die Bedeutung eines Gegenstandes im Gefüge der Wissenschaft“ und „die Leistung eines Gegenstandes für Weltverstehen“ (Robinsohn 1967, S. 47). Die daraus herrührende Unentschiedenheit und Inkonsequenz eröffnete den Didaktikern in der Folgezeit, unterschiedliche Konzepte unter Berufung auf die gleiche Autorität zu legitimieren: (1) Eine enge Beziehung zwischen Lernzielpädagogik und Wissenschaftsorientierung findet sich in Achtenhagens Plädoyer für eine „mittelfristige“ Curriculum-Reform. Robinsohn greife mit seinem „säkularen“, auf Lebenssituationen ausgerichteten Programm einer Gesamtrevision zu weit, was sich angesichts der Vielzahl ungelöster Fragen als nicht praktikabel erweise. Es sei auch künftig erforderlich, den Unterricht in Fächern unter Rückgriff auf Fachwissenschaften zu organisieren, jedoch müssten die Lehrpläne und die weiteren Gestaltungsvorgaben für den Unterricht präzisiert und auf Überprüfbarkeit hin angelegt werden. Die Operationalisierung der Lernziele müsse einhergehen mit der Erarbeitung von zuverlässigen Methoden für die Erfassung von Schülerleistungen und Entwicklung aufgaben- und adressatenadäquater Unterrichtsmethoden. Dieser Vorschlag konzentriert sich auf die Rationalisierung eines vorgefundenen Unterrichts, ohne dessen Inhaltskomponente grundsätzlich in Frage zu stellen (Achtenhagen/Meyer 1971, S. 197ff.). (2) Zur Disposition gestellt werden die tradierten Inhalte von denjenigen Autoren, die sich von der Curriculum-Revision die Lösung des Transferproblems erhoffen. Sie sehen ihre Aufgabe darin, berufliche Verwendungssituationen zu identifizieren und auf sie hin situationsadäquate Verhaltensziele zu formulieren. Im Hintergrund steht die Vorstellung, die didaktische Antizipation von Anwendungszusammenhängen im Un-

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terricht trage der Komplexität fachlicher Kompetenz Rechnung. Seit Beginn der siebziger Jahre machte eine in dieser Perspektive liegende Curriculum-Revision deutliche Fortschritte: In den Ausbildungsrahmenplänen und Rahmenlehrplänen sowie den ihnen subsumierten Vorgaben für die konkrete Lehre vor Ort fanden sich zunehmend taxonomierte Zielangaben. Allerdings lassen kritische Analysen erkennen, dass sich mit der in den Plänen vorgenommenen Zuordnung von Lerninhalten zu Lernzielen nur scheinbar eine didaktische Reform vollzogen hat: Im Allgemeinen erschöpft sich die Revision darin, eine am Operationalisierungsprinzip orientierte und auf Taxonomien rekurrierende Lernzielterminologie über traditionsgemäß für wichtig erachtete Inhalte zu stülpen (Zabeck 1982, S. 74ff.).

2.2. Die Inhalte in der handlungsorientierten Didaktik kaufmännischer Berufsausbildung Die handlungsorientierte Didaktik stellt sich die Aufgabe, Lehr-Lern-Situationen in Orientierung am Anforderungscharakter der Berufspraxis so zu modellieren, dass berufliche Handlungskompetenz vermittelt wird. Zu ihren wichtigsten Modellvarianten zählen das Lernbüro, die Fallstudie, das Projekt und das Planspiel. Die im jeweiligen Rahmen initiierten Handlungsabläufe können einerseits engmaschig vorgeplant sein, andererseits besteht aber auch die Möglichkeit, sie relativ offenzuhalten. Es hängt von der pädagogischen Absicht ab, ob den Lernenden ein Handlungs- oder gar Entscheidungsspielraum gewährt wird oder ob Fälle auf eine ganz bestimmte Lösung hin konzipiert sind bzw. rigide Rollenvorgaben gemacht werden. In der Berufs- und Wirtschaftspädagogik ist die Frage nach der Gewichtung der Inhaltskomponente und die nach ihrer Plazierung im Lehr-Lern-Prozess umstritten. Bezüglich der genannten Modellvarianten dürfte jedoch ein Konsens darüber bestehen, dass Wissensvermittlungsprozesse, die dem didaktisch ausgelösten Handeln vorgelagerten sind bzw. von ihm begleitet werden, umso ausgreifender sein müssen, je offener die Handlungssituationen gehalten werden. Die gleiche Relation gilt auch für den Grad der Komplexität der in den handlungsorientierten Unterricht einbezogenen beruflichen Aufgaben. Schon zum Zeitpunkt der Entwicklung des Konzepts der Handlungsorientierung findet sich der Vorschlag, die schulische Berufsausbildung durchgängig als Handlungsprozess zu organisieren (Söltenfuß 1983; zur Kritik: Czycholl 1988). Mit seinen „Handreichungen“ zum „Lernfeldkonzept“ ist das Sekretariat der KMK (1996/2000) auf diese Linie eingeschwenkt. Damit junge Menschen „zu selbständigem Planen, Durchführen und Beurteilen von Arbeitsaufgaben im Rahmen ihrer Berufstätigkeit befähigt“ werden, sei es angezeigt, den Unterricht in der Berufsschule an „thematischen Einheiten“ (= „Lernfelder“) festzumachen, „die an beruflichen Aufgabenstellungen und Handlungsabläufen orientiert sind“ und per Zielformulierung, Zeitrichtwerten und Inhaltsbeschreibungen ihre nähere Bestimmung erhalten. Zwar ergebe sich „aus der Gesamtheit aller Lernfelder ... der Beitrag der Berufsschule zur Berufsqualifikation“, was aber nicht ausschließe, in besonderen Fällen innerhalb von Lernfeldern thematische Einheiten vorzusehen, die unter „fachwissenschaftlichen Gesichtspunkten“ Erklärungszusammenhänge für die jeweiligen Arbeits- und Geschäftsprozesse enthalten. Die Frage, ob und wie das damit in den Raum gestellte Problem der Integration von Wissenschafts- und Handlungsorientierung zu lösen sei, bleibt unbeantwortet. Ungeklärt

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ist überdies, ob das vorgegebene Konzept, das – die Kernkompetenz der Berufsschule verkennend – die Vermittlung geordneten Wissens nur akzidentiell berücksichtigt und das Heil in einer Perfektionierung schulischer Praxissimulation sucht, nach dem Stand empirischer Erkenntnis überhaupt geeignet ist, das mit ihm verknüpfte Qualifikationsversprechen einzuhalten. Bereits lange zuvor hatten in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik gewichtige Autoren die eigenständige Bedeutung der fachwissenschaftlich fundierten Wissenskomponente betont und zugleich der Didaktik die Aufgabe gestellt, in berufspraktische Handlungsvollzüge einzuführen, allerdings ohne beide Vermittlungsansätze im strengen Sinne systematisch miteinander zu verbinden. So vereinigten Achtenhagen u. a. (1988, S. 8f.) Fachwissenschaft und Berufspraxis in nicht leicht nachvollziehbarer Weise zu einer „idealisierten thematischen Struktur“, während Reetz auf die Vernunft einer dialektischen Vermittlung setzte (Reetz 1985, S. 216f.; kritisch: Reinisch 1988, S. 97).

3. Didaktischer Pluralismus im Zeichen der Globalisierung der Märkte Im Zentrum einer jeden Didaktik steht die Frage, wie der Mensch per direkter oder indirekter Steuerung von Lehr-Lern-Prozessen fähig werde, innerhalb einer von Bedingtheiten geprägten Welt sein Leben unter Nutzung der ihm eigenen Potentiale in Freiheit zu führen. Von hierher befinden sich die im Kontext kaufmännisch-verwaltender Berufsausbildung miteinander konkurrierenden didaktischen Prinzipien unter dem gleichen Legitimationszwang. Zu bewähren haben sie sich – die aktuelle historische Situation zugrunde legend – in einer Berufswelt, die unter dem Vorzeichen der Globalisierung und als Folge des Siegeszugs der Informationstechnologie tiefgreifend strukturelle Veränderungen erfahren hat. Vorausgegangen war ein mit der Hochindustrialisierung und der Verbreitung der klassischen Bürotechnologie beginnender Zeitraum von gut einhundert Jahren, während dessen sich – entscheidend mitbestimmt von Kriegswirtschaft, Versorgungskrisen und sozialistischen bzw. wohlfahrtsstaatlichen Experimenten – die Ausrichtung der kaufmännischen Berufserziehung auf Verwaltung und Verteilung weitgehend durchsetzte. Die dauerhafte produktive Einbindung des kaufmännischen Angestellten in den im „Verkäufermarkt“ sicher positionierten Betrieb wurde zur didaktischen Vorgabe. Der unter dem Signum der Globalisierung eingetretene Paradigmenwechsel unterwirft nicht nur die kaufmännische Berufstätigkeit dem Marktprozess, sondern verlangt vom Berufstätigen selbst, dass er sich als „Lebens-Entrepreneur am Markt“ (Blum 1998, S. 47) versteht. Angesichts abgeflachter Hierarchien (lean management) und der Verlagerung von Entscheidungsprozessen an die betriebliche Peripherie verliert die auf standardisierte Prozesse bezogene Handlungskompetenz relativ an Bedeutung, während Fähigkeiten wichtig werden, die auf einem ausgefächerten kulturellen und beruflichen Wissen beruhen, das den Zugang zum Umgang mit neuen Problemstellungen und fremden Welten ermöglicht. Der einzelne muss sich in seiner Individualität als sachlich und moralisch urteilsfähige Instanz glaubwürdig ins Spiel bringen können, um die von ihm angestrebten beruflichen Effekte dauerhaft zu erreichen. Damit stellt sich der Didaktik kaufmännisch-verwaltender Berufsausbildung eine komplexe Aufgabe, die nach Bündelung verschiedener eigenständiger Ansätze verlangt, also nach dem von Bruchhäuser geforderten didaktischen Pluralismus.

Didaktik kaufmännisch-verwaltender Berufsausbildung

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Noch in der didaktischen Diskussion der 1990er Jahre war es darum gegangen, ein Konzept „aus einem Guss“ zu entwickeln, das den „Dualismus von Denken und Handeln“ (Achtenhagen u. a. 1988, S. 16) überwinde, ohne beide Komponenten – so Czycholl (1988) in eine hierarchische Ordnung zu bringen. Tramm (1994, S. 47) hatte gemeint, die Einlösung dieses Ziels werde dadurch möglich, dass der handlungsorientiert Lernende eine „neue Qualität der Wissenschaftsorientierung“ dadurch erreiche, dass er – um Erkenntnis ringend – hypothesengeleitet subjektiv neues Können und Wissen im Handlungszusammenhang schaffe. Der didaktische Pluralismus will demgegenüber Unterschiedliches nicht miteinander verschmelzen, sondern eingedenk des von Theodor Litt formulierten anthropologischen Befunds, der Mensch sei nicht das auf Harmonie angelegte, sondern das „in Gegensätzen verfangene und gerade an Gegensätzen wachsende Wesen“ (1955, S. 109), den einzelnen dahin führen, dass es ihm selbst gelingt, ein individuelles Leistungsprofil auszubilden, das unterschiedlichen Anforderungsdimensionen gerecht zu werden vermag. Die Ausbildungsträger Betrieb und Schule sind aufgefordert, ihre spezifische didaktische Kernkompetenz so ins Spiel zu bringen, dass es dem Auszubildenden – seinem Entwicklungsstand gemäß – gelingt, Wissensbestände, praktisches Können und kommunikative Fähigkeiten sinnvoll miteinander in Verbindung zu setzen.

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Didaktik gewerblich-technischer Berufsausbildung (Technikdidaktik) Antonius Lipsmeier

Antonius Didaktik 1. Vorbemerkungen: gewerblich-technischer Lipsmeier Von Berufsausbildung den Gewerben (Technikdidaktik) zu gewerblich-technischen Berufen und Berufsfeldern Das alte Wort „Gewerbe“ ist heute nur noch im Sinne von „berufsmäßige Beschäftigung um des Erwerbs willen“ (Duden Etymologie) gebräuchlich, eingeschränkt auf die gesamte nichtlandwirtschaftliche Güterproduktion (Handwerk, Industrie, Heimarbeit). Mit dem Einzug der Technik in viele Handwerke seit der Industrialisierung war eine erhebliche Dynamik in die Berufslandschaft eingezogen (Entstehen neuer und Abschaffung alter Berufe). Sowohl aus betrieblichen Gründen (Berufsabgrenzungen; Berechtigung zur Ausbildung von Lehrlingen auch in „verwandten Gewerben“ gemäß der Gewerbeordnung von 1869, § 129a) als auch aus schulischen Gründen für die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts vermehrt entstehenden gewerblichen Fortbildungsschulen zwecks der Beschulung der Lehrlinge in sinnvollen Klassengrößen war etwa seit 1890 die Bildung von Berufsgruppen erforderlich geworden. Dominante Kategorien für die Gruppenbildung waren das von den Berufen bearbeitete Material oder auch die vorherrschenden Arbeitsverfahren. In einem wichtigen Dokument, einem Verwaltungsbericht des preußischen Landesgewerbeamtes (Verwaltungsbericht 1908, S. 76f.), wurden drei Gruppen gebildet, „für die die Anforderungen im Zeichnen nahezu gleich oder wenigstens verwandt sind“:

> Gruppe I: Baugewerbe und verwandte Gewerbe; > Gruppe II: Metalltechnische und maschinentechnische Gewerbe; > Gruppe III: Verzierende Gewerbe (das Kunstgewerbe). Für die ersten beiden Gruppen ist das sogenannte „gebundene Zeichnen“ (gebunden an Lineal und Zirkel; das konstruktiv-technische Zeichnen mit seinem Merkmal der Dreidimensionalität) charakteristisch, während die dritte Gruppe durch das sogenannte „freie Zeichnen“ (Freihandzeichnen, Ornamentzeichnen, kunstgewerbliches Zeichnen) geprägt ist. Das Elektrogewerbe taucht als selbständige Kategorie noch nicht auf, obwohl Elektroberufe vereinzelt schon vorhanden waren und die Elektroindustrie mächtig aufblühte. Die unter Unterrichtsaspekten schon früh als optimal angesehene „Berufs- oder Fachklasse (Einberufsklasse)“ wurde in Kombination der Merkmale Material, dominante Form des Zeichnens und Arbeitsverfahrens gebildet (vgl. Mehner 1912, S. 35ff.): Schlosserklasse, Tischlerklasse etc. Die verwandten Berufe wurden wiederum aggregiert, um zu relativ homogenen Organisationsformen der Berufsschulen zu gelangen: Metallgewerbe, Baugewerbe etc. So hat sich etwa seit 1920 die „Gewerblich-technische Berufsschule“ (neben der gewerblich-hauswirtschaftlichen, der kaufmännischen und der landwirtschaftlichen Berufsschule) herausgebildet (z. B. gemäß den nordrhein-westfälischen „Lehrplänen für ge-

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werblich-technische Berufsschulen, Metallgewerbliche Berufe“, von 1965). Seit der Berufsgrundbildungsjahr-Anrechnungsverordnung für die gewerbliche Wirtschaft von 1972 mit der Bildung von Berufsfeldern wurde der gewerbliche Typ der Berufsschule nach den dort festgelegten Berufsfeldern gegliedert, also: Metalltechnik, Elektrotechnik, Bautechnik, Holztechnik etc. Durch Aufhebung der Berufsgrundbildungsjahr-Anrechnungsverordnung von 1972 im Kontext des neuen Berufsbildungsgesetzes vom 23.5.2005 ist das BerufsfeldKonzept (leider) obsolet geworden; die KMK verwendet inzwischen in diesem Zusammenhang den Begriff „Berufsgruppe“. Damit ist auch einer Berufsfelddidaktik (rechtlich) der Boden entzogen. Außer in den allgemeinen Fächern (wie z. B. Deutsch) gibt es in der gewerblichen Berufsschule im Unterschied etwa zur kaufmännischen keine curricularen oder didaktischen Gemeinsamkeiten zwischen diesen „gewerblich-technischen“ Berufsfeldern, nicht einmal im Fach „Technisches Zeichnen“, das über die berufsfeldbezogene Ausprägung hinaus zum Teil auch noch mit anderen fachbezogenen Elementen verzahnt ist, wie z. B. in dem Fach „Arbeitsplanung“ im baden-württembergischen Lehrplan von 1989. Eine allgemeine Technologie als diejenige Disziplin, die als curriculares Bindeglied zwischen den verschiedenen gewerblich-technischen Berufen in der Berufsausbildung fungieren würde, ist jedenfalls heutzutage im Unterschied zum 18. Jahrhundert (Beckmann 1806; Poppe 1807/11; Jacobsson 1781/84; vgl. Timm 1964) nicht mehr verfügbar; eine sich enzyklopädisch verstehende Technologie, schon früh beschrieben als diejenige „Wissenschaft, welche die mannigfaltigen Verarbeitungen der Naturalien, oder die Kenntniß der Handwerke lehret“ (Jacobsson 1781, S. 5; ähnlich Beck 1827), wäre auch für die Lehre an Universitäten und Technischen Hochschulen angesichts des nur über Spezialisierungen möglichen Wissenschafts- und Anwendungsbezuges anachronistisch. Gleichwohl wären sinnstiftende Gemeinsamkeiten (Prinzipien, Kategorien, Methoden etc.) für die Ausbildung von Ingenieuren und Gewerbelehrern nützlich. Diese Gemeinsamkeiten sind heute allenfalls auf abstrakter Ebene auffindbar (etwa in der Ethik der Technik, in der Systemtheorie der Technik, im Umweltbezug), was im hochschulischen Lehrbetrieb kaum vermittelt wird, oder in Grundlagenfächern (Mathematik, Physik, Mechanik). Auch die Berufsausbildung auf der Sekundarstufe II hat heutzutage eine allgemeine Technik oder Technologie nicht zu bieten; sie folgte in ihren auf Technik bezogenen Curricula bis in die neunziger Jahre hinein den hochschulischen Differenzierungs-Vorgaben, ebenfalls als Konsequenz eines arbeitsteilig und hochspezialisiert organisierten Berufslebens, bevor Ende der 90er Jahre – freilich nach einigen ganzheitlichen Experimenten und Realisierungsversuchen seit den 50er Jahren (z. B. in der Frankfurter Methodik) – eine neue curricular-didaktische Idee Einzug hielt, das Lernfeld. Einzig im Arbeitslehre-/Polytechnik-Unterricht der Primarstufe und der Sekundarstufe I finden sich sowohl Überlegungen als auch Konkretisierungen dessen, was man als allgemeine Technik verstehen könnte (vgl. z. B. Schweizer/Selzer 1995; Wiemann 1993; Ropohl 2003); und auch im Technik-Unterricht für die gymnasiale Oberstufe sind umfassende konzeptionelle Ansätze anzutreffen (vgl. Bader/Jenewein 2000; Bonz/Ott 2003). Die Ausführungen zur „Didaktik der gewerblich-technischen Berufsausbildung“ beziehen sich vornehmlich auf die Berufsausbildung in demjenigen Technikbereich, der von der Entstehung her durch eine dominante Werkstoffgruppe, die Metalle, und durch eine dominante Darstellungsform für die Fertigung von Produkten aus diesen Werkstoffen, die dreidimensionale Fertigungszeichnung, geprägt ist, nämlich die Berufsgruppe „Metalltechnik“; darunter werden hier alle industriellen und handwerklichen Metallberufe gemäß den

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Neuordnungen von 1987, 1989 und 2003/04 verstanden. Für den historisch viel älteren Gewerbezweig der Bauberufe gelten angesichts der Vielfalt der dort anzutreffenden Werkstoffe und Arbeitsverfahren teilweise andere oder differenzierende Aspekte, für die viel jüngere Elektrotechnik angesichts des dominanten Aspekts naturwissenschaftlicher Gesetzmäßigkeiten wiederum andere (zur Fachdidaktik E-Technik vgl.: Gronwald/Martin 1998; Pahl 2001; zur Fachdidaktik Bautechnik vgl.: Kuhlmeier/Uhe 1998; Pahl/Schütte 2000). Eine gemeinsame Klammer sind allerdings der Technikbegriff (siehe 4.), curriculare und didaktische Aspekte (siehe 5.) und didaktische Grundformen (siehe 6.). Konsequenterweise wird versucht, die didaktische Konzeptionen als Berufsfelddidaktiken anzulegen (vgl. Pahl 2001); die Kreierung von Berufsfeldwissenschaften mit dem doppelten Bezugspunkt von Fachwissenschaften und (wissenschaftlich aufbereitetem) Arbeitshandeln (von Facharbeitern) ist jedoch mehr Programm und Wunschdenken denn Realität (ebd.).

2. Technikdidaktik und Bezugswissenschaft – zur Genese der Wissenschaft vom Maschinenbau Die Geschichte der Maschinen ragt weit in die Geschichte der Menschheit zurück, zumal jahrtausendelang die Grenzen zwischen Werkzeug, Gerät, Instrument, Gerüst, Hilfsmittel, Apparat, Bauwerk und Maschine fließend waren (vgl. Timm 1964, S. 71ff.). So enthält beispielsweise das einzige überlieferte architekturtheoretische Handbuch der Antike „De architectura“ von Vitruv unter seinen zehn Büchern eines über Maschinenbau. In ihren wichtigen Bauteilen waren die Maschinen über Jahrhunderte aus Holz, selbst bei den Werkzeugmaschinen; lediglich die bei diesen Maschinen eingesetzten Werkzeuge, einzelne Maschinenelemente und Beschläge waren aus Eisen. Die „Erfindung“ der Dampfmaschine – eigentlich mehr ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess denn ein singuläres Ereignis (vgl. Matschoss 1908) – mit den großen bei ihr auftretenden Kräften erforderte sowohl den vermehrten Einsatz des Eisens bei dieser Maschine selbst als auch die Konstruktion neuartiger Maschinen zur Bearbeitung von Maschinenteilen, nämlich die Werkzeugmaschine; doch erst die großen Fortschritte in der Eisen- und Stahlherstellung im 18. Jahrhundert ermöglichten den Bau solcher Maschinen (vgl. Lipsmeier 1971, S. 51ff.). In diesem Kontext und in dieser Phase ist der Übergang vom organologischen zum mechanistischen Verständnis der Maschinen (vgl. Timm 1964, S. 43) bzw. „von den mechanischen Künsten zum wissenschaftlichen Maschinenbau“ (Buchheim/Sonnemann 1990, S. 180ff.) zu sehen: „Die Pioniere der Werkzeugmaschinerie und der Dampfmaschine verfügten neben bodenständiger Empirie bereits über den Bildungsgrad, der Ansätze rationaler Durchdringung des Maschinenbaus zuließ“ (ebd., S. 181). Während sich in England, das den europäischen Markt bis etwa 1850 uneingeschränkt beherrschte, das Verallgemeinerungsniveau der Maschinenwissenschaften noch in Grenzen hielt – es herrschte noch die „Methode der Verhältniszahlen“ (Übertragung gesicherter Erfahrungswerte auf andere Verhältnisse und Maßstäbe) vor (ebd., S. 182) –, entfaltete sich dieser Wissenschaftsbereich in Frankreich wesentlich abstrakter und theoretisch fundierter, stark beeinflusst durch die im Jahre 1794 gegründete „Ecole Polytechnique“. Hier spielten die Naturwissenschaften, die Mathematik, die Mechanik und die Darstellende Geometrie als „Sprache des Ingenieurs“ (Monge 1798/99) eine große Rolle. Die Darstellende Geometrie wurde zunächst die zentrale ingenieur-wissenschaftliche Disziplin, bald aber auch

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schon ergänzt um das Maschinenzeichnen (vgl. Lipsmeier 1971, S. 157ff.) und eine Lehre von den Maschinenelementen auf der Basis theoretisch abgesicherter Ordnungsprinzipien bis hin zu einer „Theorie der Maschinen“ (vgl. Buchheim/Sonnemann 1990, S. 190), etwa bei Poncelet. Und da die Industrialisierung in Deutschland erst in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts einsetzte, nahmen das Technische Zeichnen und besonders das Maschinenzeichnen noch um 1850 den zentralen Platz in den Maschinenbauwissenschaften ein, etwa bei dem berühmten F. Redtenbacher am Karlsruher Polytechnikum.

3. Lehrplangeschichte technischen Unterrichts Trotz großartiger technischer Leistungen im Altertum (z. B. Tempel, Pyramiden, Aquädukte) und im Mittelalter (z. B. Dome, Burgen, Brücken) kann von einer systematischen Ausbildung in den technischen Künsten und Handfertigkeiten keine Rede sein; das Wissen und die Erfahrungen wurden vor allem mündlich und zunehmend auch schriftlich in Lehrbüchern und Kompendien weitergegeben, und die Handfertigkeiten wurden durch Vor- und Nachmachen (Imitatio-Prinzip) übertragen bzw. erlernt. Erst die ab Mitte des 18. Jahrhunderts einsetzende Industrialisierung machte neue Inhalte und neue Formen des beruflichen Lernens erforderlich. An den etwa ab 1830 entstehenden gewerblich-technischen Schulen (Gewerbeschulen, Handwerkerzeichenschulen etc.) wurde das Technische Zeichnen, dreigestuft in elementares geometrisches Zeichnen, darstellende Geometrie (Projektionszeichnen) und Fachzeichnen (vgl. Rößler 1839), das zentrale Unterrichtsfach, was – bei vielen Wirrungen und Irrungen – etwa bis zu den preußischen Richtlinien von 1907 (vgl. Baumann 1908) so blieb (vgl. Lipsmeier 1971). Dann allmählich war auch eine nicht nur auf Hochschulen, sondern auch mittleren und niederen gewerblich-technischen Schulen lehr- und vermittelbare „Technologie“, teilweise noch Berufs-, Geschäfts- oder Gewerbekunde genannt (vgl. Grüner 1981) oder auch in Bürgerkunden oder Berufsschullesebüchern verpackt (vgl. Bachmeier 1934), verfügbar. Die sogenannte „Konzentrationsidee“ des ausgehenden 19. Jahrhunderts, nämlich den Beruf der Schüler zum didaktischen Mittelpunkt der Fortbildungsschule zu machen, führte erst allmählich zum Konzentrationsfach „Fachkunde“, dem Pache die Aufgabe zugewiesen hatte, „die Schüler mit der Technologie ihres besonderen Gewerbes bekanntzumachen, ihnen die Vorgänge in der Werkstatt wissenschaftlich zu begründen und sie im Geiste ihres Berufes zu vertiefen“ (Pache 1900, S. 93). Die wenigen Fachkundebücher dieser Zeit waren erste Versuche, die Fachwissenschaften didaktisch aufzubereiten. Ohne die Lehrplan-Entwicklung in der gewerblich-technischen Berufsausbildung seit der Jahrhundertwende nachzeichnen zu wollen (vgl. dazu Pukas 1988, bes. S. 255ff.), soll doch das Fächergefüge der Berufsschule an ihrem neueren didaktischen Ausgangspunkt, gekennzeichnet durch die preußischen Richtlinien von 1907/1911, aufgezeigt werden.

> > > >

Berufs- und Bürgerkunde (bestehend aus Fachkunde, Geschäfts- und Bürgerkunde); Rechnen (als Hilfsfach der Berufs- und Bürgerkunde und Buchführung); Zeichnen (nach dem Erlass von 1907) Werkstattunterricht (als Ergänzung der Berufskunde und des Zeichenunterrichts).

Die Details der weiteren Entwicklung über die Konkretisierungen des lehrplanmäßigen Berufs- und Praxisbezuges in der Weimarer Zeit (vgl. Pukas 1988, S. 256ff.) und über die

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vereinheitlichenden Strategien in den Reichslehrplänen seit 1939 (ebd., S. 272ff.) bis hin zu den Restaurierungsbemühungen vor allem in den 60er Jahren (vgl. Lipsmeier 1978, S. 30ff.) sollen hier vernachlässigt werden, allerdings nicht ohne auf eine wichtige Innovation aufmerksam zu machen, nämlich die „Frankfurter Methodik des werkkundlichen Berufsschulunterrichts“, die mit den Namen Botsch, Geißler und Wissing verbunden ist. Ihr didaktisch-methodisches Konzept kann wie folgt charakterisiert werden.

> Zweiteilung bzw. Stufung des Lehrplanes in Unterbau und Oberbau; > Zusammenfassung der mathematisch-naturwissenschafltich-technolotgisch fundierten Fächer der Unterstufe zur Werkkunde in der Oberstufe;

> Gliederung des Unterrichtsablaufs in drei Phasen; > Einsatz von Arbeits-, Übungs- und Aufgabenblättern.

Trotz dieses Impulses, der auch in den 60er Jahren noch starke Wirkungen zeigte, waren die Lehrpläne dieser Zeit ganz wesentlich durch die Merkmale der fachwissenschaftlichen Orientierung und der thematischen Zersplitterung in Lehrgänge und Fächer gekennzeichnet, von hehren Präambeln einmal abgesehen; dominante Bezugswissenschaft war die Fertigungstechnik, didaktische Orientierungslinie die Herstellung von Werkstücken, ausgehend von der „Werkstückkunde“ als zentralem Element der Fachkunde (nach Barth 1923, S. 147f.). Später, etwa in den 60er Jahren, verschob sich das Gewicht im Technikunterricht von den Werkstücken, Geräten, Maschinen und Apparaten hin zu den Fertigungsprozessen, ein Aspekt, der auch im Kontext der Lernfeldstrukturierung zentrale Bedeutung behalten wird (vgl. Bernard 2001, S. 114ff.). Die Kategorie „Ganzheitlichkeit“ taucht zwar erstmals im nordrheinwestfälischen Berufsschullehrplan von 1965 in Form des „Ganzstückes“, des betrieblichen Arbeitsauftrages oder des Kundenauftrages auf (Kultusminister 1965, S. XIX); diese Kategorien hatten jedoch noch keine den Lehrplan insgesamt prägende Funktion. Zusammenfassend kann für die Lehrpläne der gewerblich-technischen Berufsausbildung bis etwa Mitte der 70er Jahre festgestellt werden, „daß eine entscheidende Veränderung der fachlichen Ziele und Aufgaben in der Abfolge der Lehrpläne nicht stattgefunden hat“ (Schulz 1976, S. 273), von gewissen Modernisierungen der technischen Inhalte sicherlich abgesehen. Diese Feststellung gilt, trotz Unterschiede in dem Verfahren der Lehrplanherstellung, des Detaillierungsgrades, des Umfanges der didaktisch-methodischen Hilfen und des Freiheitsgrades der Lehrer im Umgang mit diesen Plänen, ceteris paribus für die Bundesländer und für die Ex-DDR (ebd., S. 340). Neue Impulse mit den entsprechenden curricularen Konsequenzen sind erst ab Mitte der 70er Jahre, verstärkt erst Ende er 80er Jahre, zu verzeichnen.

4. Die zentrale didaktische Kategorie: Der Technikbegriff der Technikdidaktik Das Wort „Technik“ wird vom griechischen „techne“ abgeleitet und bedeutet dort soviel wie Kunst, Handwerk, Gewerbe, Kunstfertigkeit, Kunstwerk, aber auch Theorie von Kunst und Wissenschaft. Im engeren Sinne ist Technik heute „schöpferisches Schaffen von Erzeugnissen, Vorrichtungen und Verfahren unter Benutzung der Stoffe und Kräfte der Natur und unter Berücksichtigung der Naturgesetze“ (Brockhaus 1973, S. 517). Seit Beginn des industriellen Zeitalters stehen angesichts der Ambivalenz von Technik – sie

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bringt Gutes und Böses für die Menschheit – ihre Erklärung und Deutung im Zusammenhang der menschlichen Zivilisation im Mittelpunkt sozialphilosophischer und soziologischer Überlegungen (vgl. Schäfers 1993, S. 167ff.; Lenk/Maring 1998; Rapp 2000). Skeptischen Positionen (Kultur-, Technik-, Fortschrittskritik etc.) standen auch immer euphorische, positivistische Einschätzungen (Technik als angewandte Naturwissenschaft, Fortschrittsglaube, Machbarkeitswahn) gegenüber. Dem Technikunterricht und damit der Technikdidaktik beruflicher Schulen lagen lange Zeit – bis in die 60er Jahre – positivistische oder gar irrationale Auffassungen von Technik zugrunde (vgl. Lipsmeier 1978, S. 30ff.); während im nordrheinwestfälischen Berufsschullehrplan von 1965 der Berufsschule aufgetragen war, „den ständigen Wandel in der Welt der Technik als Tatsache hinzunehmen“ und die Berufsschüler zum Verständnis „für Ursache und Wirkung neuer technischer Sachverhalte“ hinzuführen (Kultusminister 1965, S. V), wurde im niedersächsischen Lehrplan eine resignativ-irrationale Position bezogen: „Im dynamischen Spannungsfeld von Arbeit und Beruf erfährt der junge Werktätige, daß er sich in Gefahren und Widersprüchen bewähren muß, die sich der logischen Einsicht entziehen“ (Niedersächsischer Kultusminister 1967, S. 11). Wenn der Anspruch Beckmanns von 1777 an die Technologie für die Konzeptionierung technischen Unterrichts in einem demokratischen Rechtsstaat für mündige Bürger heutzutage aufrecht erhalten werden soll, dass sie nämlich „alle Arbeiten, ihre Folgen und ihre Gründe vollständig, ordentlich und deutlich erklärt“ (nach Timm 1964, S. 44), dann hat sie sich am Denkmodell einer humanen Technologie zu orientieren, für die Nölker wichtige Aspekte formuliert hat (Nölker 1980, S. 22):

> „Einpassung der Technologie in das soziale, ökonomische, ökologische und kulturelle > > > >

Profil von Gemeinden, Städten, Regionen und Abstimmung mit den Bedürfnissen von Entwicklungsländern; Ausrichtung auf die Bedürfnisse selbständig entscheidender und gegen Manipulation von außen sensibler sozialer Bezugsgruppen wie Gemeinden, Genossenschaften, Gewerkschaften, Kirchen, Initiativgruppen; Konterkarierung, Ächtung aller Technologien mit antihumanen, ökologisch gefährlichen Konsequenzen durch politische Aktionen, Aufklärungskampgagnen, wie z. B. durch Erklärung der Ungesetzlichkeit, Kaufboykott, Streiks und Verweigerung; Entwicklung einer Ethik der Techniker, ihrer Verpflichtung auf einen quasi-hippokratischen Eid; Entwicklung von Alterativmodellen der Arbeitsorganisation im Sinne einer Humanisierung der Arbeitsbedingungen und der alternativen Verteilung von Gewinn und Entscheidungsbefugnis in Betrieben“.

In diesen Positionierungen sind das in der Pädagogik und besonders in der Berufspädagogik lange verhandelte und niemals konsensual gelöste Problem von „Technik und Bildung“ (vgl. Förmer 1992, S. 15ff.; Fast/Seifert 1997) sowie der Technikbewertung (vgl. Gil 1999) aufgefangen. Neue Zielformeln für einen den oben formulierten Ansprüchen gerecht werdenden Technikunterricht sind der Technikbegriff der Systemtheorie mit seiner naturalen, humanen und sozialen Dimension sowie Gestaltbarkeit und Sozialverträglichkeit von Technik geworden (siehe dazu 6.6. und 6.7.). In den Lehrplänen, die im Zuge der Neuordnung der Metallberufe nach 1987 entstanden sind, war davon allerdings noch nichts Wesentliches anzutreffen; unter den allgemeinen Unterrichtszielen im Berufsfeld Metalltechnik war noch das klassische Technikverständnis dominant („Zusammenhänge

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zwischen technischen Sachverhalten und naturwissenschaftlichen Grundlagen beschreiben“; Bildungsplan für die Berufsschule, Baden-Württemberg, Bd. II Metalltechnik, 1989, S. 17), die anderen Ziele waren marginal und erfüllten auch bei weitem nicht die Ansprüche an einen Technikunterricht, wie von Nölker oder Bonz reklamiert. Diese Einchätzung gilt auch wohl für den gymnasialen Technik-Lehrplan (vgl. Bremer 1992). Erst mit der stringenten Bezugnahme auf Geschäfts- und Arbeitsprozesse in den lernfeldorientierten Lehrplänen seit Ende der 90er Jahre und in den Metallberufen seit 2004 kann von einer durchgreifenden Änderung gesprochen werden. So heißt es im Rahmenlehrplan (z. B. Konstruktionsmechaniker, KMK 25.3.2004) im Anschluss an die KMK-Rahmenvereinbarung vom 15.3.1991, dass die Berufsschule auch „zur Mitgestaltung der Arbeitswelt und Gesellschaft in sozialer und ökologischer Verantwortung befähigen“ soll, und deswegen ist die Vermittlung von Handlungskompetenz (mit „den Dimensionen Fachkompetenz, Personalkompetenz und Sozialkompetenz“) zentral. Und in der „Verordnung über die Berufsausbildung in den industriellen Metallberufen“ vom 1.8.2004 wird betont, dass die berufliche Handlungskompetenz „durch Qualifikationen zu erweitern und zu vertiefen (ist), die im jeweiligen Geschäftsprozess zur ganzheitlichen Durchführung komplexer Aufgaben befähigt“ (§ 3.4).

5. Curriculare und didaktische Aspekte der technischen Berufsausbildung Der Lehrplan der Berufsschule ist von Anfang an – seit der informellen Konstituierung des dualen Systems der Berufsausbildung um 1900 – in Abhängigkeit von den Vorgaben der betrieblichen Berufsausbildung (Berufsbilder, Ausbildungsordnungen) definiert worden, da die Betriebe schon seit der Gewerbeordnung von 1869/71 (§ 127), gefestigt dann durch das Berufsbildungsgesetz von 1969 (§ 6) und erneuert im neuen BBiG von 2005, für die ordnungsgemäße und vollständige Berufsausbildung verantwortlich sind und die Berufsschule immer nur ergänzende Funktion gehabt hat. Für diesen Sachverhalt habe ich den Begriff „Differenz-Curriculum“ geprägt (Lipsmeier 1991, S. 114f.): Die Berufsschule übernimmt (unter formalen Aspekten) lediglich denjenigen Teil der berufsbezogenen Ausbildung, den die Betriebe ihr übrig lassen, ergänzt um allgemeine Fächer, die den Bildungsauftrag dieser Schule abdecken sollen; tatsächlich trägt jedoch die Berufsschule heutzutage, konstituiert und abgesichert durch das Abstimmungsverfahren auf Bundesebene (vgl. Benner/Püttmann 1992), einen erheblichen Teil der berufsbezogenen Ausbildung. Wenn auch, bedingt durch diese Rahmenvorgaben, traditionell die inhaltlichen Spielräume sowohl der betrieblichen als auch der schulischen Berufsausbildung verhältnismäßig klein sind – sowohl der (bundeseinheitliche) Ausbildungsrahmenplan als auch der (länderspezifische) Rahmenlehrplan sind verbindlich – bleiben für deren Umsetzungen in Ausbildungsgeschehen Probleme bestehen, die keineswegs nur auf Verfahrensaspekte – das Methodische – beschränkt sind, sondern sehr stark auch die Inhaltlichkeit – das Curriculum und die Didaktik (i. e. S.) – betreffen. Diese Spielräume sind erst in den letzten Jahren durch Einräumung von Freiheitsgraden sowohl für die betriebliche Berufsausbildung (z. B. Wahl der Einsatzgebiete im Ausbildungsberufsbild) als auch für die Berufsschule (relativ offene Inhaltsvorgaben im Lernfeld-Konzept) größer geworden (vgl. Lipsmeier 2002, bes. S. 103ff.).

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5.1. Zielproblematik Der Technikunterricht der gewerblich-technischen Berufsausbildung, und hier wiederum besonders im Berufsfeld Metalltechnik, ist mit einem Grundproblem konfrontiert, das zwar insofern als klassisch zu bezeichnen ist, als es schon mit der Konstituierung der dualen Berufsausbildung prinzipiell gegeben war, das jedoch mit dem technologischen und arbeitsorganisatorischen Wandel seit Mitte der 80er Jahre (besonders in diesem Berufsfeld) eine neue Qualität bekommen hat; dieses Grundproblem ist die Zielproblematik. Das eigentlich seit der Lehrlingsempfehlung des Deutschen Bildungsrates von 1969 nahezu unumstrittene Doppelziel der Berufsausbildung, nämlich die Auszubildenden zu beruflicher Tüchtigkeit und zu beruflicher Mündigkeit zu führen (vgl. Lipsmeier 1978, S. 114ff.), hat seit der Neuordnung der industriellen (1987) und handwerklichen (1989) Metallberufe sowie bestätigt durch die Neuordnung von 2004 insofern eine Konkretisierung erfahren, als festgelegt worden ist, dass die Berufsausbildung zur „Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit“ befähigen soll, „die insbesondere selbständiges Planen, Durchführen und Kontrollieren sowie das Handeln im betrieblichen Gesamtzusammenhang einschließt“ (jeweils § 3 der entsprechenden Ausbildungsverordnungen; 1.8.2004). Diese Konkretisierung ist jedoch zugleich eine Einschränkung, bezogen auf das hier reklamierte Technikverständnis der Technikdidaktik (vgl. 4.), und diese Einschränkung wird auch nicht vollends aufgefangen durch die beiden neueren Zielkategorien von der Handlungskompetenz und den Schlüsselqualifikationen; demgegenüber beinhaltet die Kategorie Gestaltungskompetenz jedoch zusätzliches Potential (vgl. 6.6).

5.2. Didaktisch-methodische Arrangements Im Unterschied zur früheren Werkstückorientierung technischen Unterrichts (vgl. 3.) ist nicht nur durch die Prozessorientierung (Fertigungsprozess), sondern vor allem durch die Systemorientierung (Fertigungssysteme) und neuerdings durch die Geschäfts- und Arbeitsprozessorientierung eine Komplexitätserweiterung erfolgt, die didaktisch-methodische Arrangements erforderlich macht, die über die traditionellen Strategien der Komplexitätsauflösung in (zumeist fachsystematisch ausgelegte) Fächer und Lehrgänge (siehe unter 5.3.) und auch über die bekannte didaktische Reduktion, zumeist als Inhaltsreduktion verstanden (vgl. Hering 1959), weit hinausgehen. Folgende Strategien kommen in Frage:

> Strukturierung durch Kategorien, Theorien, Prinzipien, Leitfragen (hierauf wird in 6. näher eingegangen).

> Prinzip des Exemplarischen: Diese hier besonders für den naturwissenschaftlichen Unterricht erprobte Reduktionsstrategie findet im Technikunterricht der Berufsausbildung kaum Anwendung, da es schwer ist, Exempla zu finden, die für das Ganze (etwa für eine bestimmte Technologie) stehen. Das Lernfeld-Konzept begünstigt jedoch dieses Prinzip (Konzentrationsstrategie), ohne es zu konkretisieren. > Projektmethode (besonders in der industriellen betrieblichen Berufsausbildung, weniger angesichts der unterrichtsorganisatorischen Randbedingungen in der Berufsschule anzutreffen; vgl. Wiemann 2002). > Epochalmethode (Jena-Plan-Methode; Waldorf-Pädagogik): In der Berufsausbildung nach einigen Versuchen Ende der 50er Jahre (vgl. Lipsmeier 2004) und außer in einigen Waldorf-Schulen nicht anzutreffen.

Didaktik gewerblich-technischer Berufsausbildung (Technikdidaktik)

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5.3. Ordnungs- und Entmischungsstrategien Technische Komplexität und damit notwendigerweise auch technikdidaktische Komplexität sind traditionell nicht nur durch Reduktions- und Konzentrationsstrategien und durch didaktisch-methodische Arrangements, sondern auch durch Ordnungs- und Entmischungsstrategien unterrichtlich bzw. ausbildungsmäßig handhabbar gemacht worden. Die wichtigsten dieser Strategien sollen kurz vorgestellt werden, wobei die meisten als Entmischungsstrategien gekennzeichnet werden können: I

Fächerung/Ganzheitlichkeit: Komplexitäten und Ganzheitlichkeiten werden in (fachsystematisch aufgebaute) Fächer oder Lehrgänge zerlegt, wobei nicht geleugnet werden kann, dass eine solche Strukturierung sowohl aus der Sicht der Lehrer/Ausbilder, der Schüler/Lehrlinge und der Unterrichtsverwaltung positive Aspekte hat; bezogen auf technische Berufsausbildung sind jedoch angesichts der erwähnten Komplexitäten die Nachteile nicht unerheblich (vgl. Pahl/Ruppel 1993, S. 778ff.; Wiemann 1989, S. 179ff.), weswegen im Technikunterricht zunehmend ganzheitlich angelegtes Lernen (Lerngebiete, Projekte, Lernfelder) empfohlen und erprobt wird (vgl. 6.1.).

I

Theorie/Praxis: Das althergebrachte Theorie-Praxis-Problem der Berufsausbildung – Kenntnisse, Fertigkeiten und Verhaltensweisen prägen in ihrer intensiven Durchdringung die gewerblichen und insbesondere die gewerblich-technischen Berufe stärker als die anderen Berufsbereiche – hat insofern in den letzten beiden Jahrzehnten eine neue Qualität bekommen, als die Informations- und Kommunikationstechnologien das für die Metallberufe zentrale Gebiet der Fertigungstechnik so stark geprägt haben, dass die traditionellen Handfertigkeiten marginalisiert und die Grenzen zwischen Theorie und Praxis – zwei Aspekte, die durch organisatorische und curriculare Entmischung im dualen System aufgefangen waren (der Betrieb vermittelt das „Was und Wie“ und die Berufsschule das „Warum“) – mehr und mehr verwischt worden sind. Das hat nicht nur neue Formen der Lernortkooperation zur Folge, sondern erfordert über die Innovationen in den Vermittlungsverfahren (Methoden der beruflichen Ausbildung) hinaus auch starke Innovationen im Inhaltlichen.

I

Grundbildung/Fachbildung: Von Vorläufern des Grundbildungsprinzips, das sich auch in Stufenausbildungs-Modellen findet, einmal abgesehen (vgl. Lipsmeier 1978, S. 97ff. und S. 147ff.), ist spätestens seit dem Berufsbildungsgesetz von 1969 die Vermittlung einer „breit angelegte(n) berufliche(n) Grundbildung“ (§ 1.2) obligatorisch (im Gesetz von 2005 ist allerdings nur noch von Grundlagen im Kontext der Berufsausbildungsvorbereitung die Rede), und alle neu konzipierten Ausbildungsordnungen bzw. Lehrpläne berücksichtigen seit dieser Zeit auch dieses Prinzip der Vermittlung von „beruflicher Grund- und Fachbildung“ (Rahmenlehrpläne für die industriellen Metallberufe, KMK 25.3.2004), also von Kernqualifikationen und Fachqualifikationen, die integriert über die gesamte Ausbildungszeit zu vermitteln sind (Anlagen 1 bis 6 der Verordnung über die Berufsausbildung in den industriellen Metallberufen, 1.8.2004).

I

Allgemeines/Berufliches: Die Geschichte der Berufsausbildung ist spätestens seit Kerschensteiner mit dieser Thematik, die aber auch von Anfang an Strategie war, belastet. Es hat nur wenige Versuche der didaktischen Zusammenführung von Beruflichem und Allgemeinem in der gewerblich-technischen Berufsausbildung gegeben; in aller Regel wird aus didaktischen und unterrichtsorganisatorischen Gründen eine Entmischung un-

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ter diesem Aspekt bevorzugt, selbst noch (unverständlicherweise) in dem Lernfeld-Konzept. Der hier unterlegte Technikbegriff der Technikdidaktik (vgl. 3.) würde allerdings – zumindest phasen- oder themenweise – die Integration dieser beiden Aspekte erfordern. Die neuen Rahmenlehrpläne für die industriellen Metallberufe sehen allerdings auch vor, im allgemeinen und im berufsbezogenen Unterricht („soweit möglich“) auf „Kernprobleme unserer Zeit“ (wie Arbeit und Arbeitslosigkeit, Menschenrechte etc.) einzugehen. I

Lernen/Arbeiten: Nachdem jahrhundertelang die Berufsausbildung dadurch geprägt war, dass Lernen und Arbeiten sowohl inhaltlich als auch organisatorisch und personell integriert waren, vollzogen sich mit dem Eindringen von Theorien (z. B. Statik, Werkstoffkunde, Technisches Zeichnen, Mechanik) in die Berufsausübung und damit auch in die Berufsausbildung organisatorische Entmischungsprozesse (z. B. schon früh mit der mittelalterlichen Dombauhütte als der Lehrwerkstatt der Steinmetze beginnend), die dann in der Konstituierung des dualen Systems mit der allmählichen Etablierung der Fortbildungsschule mündeten. Mit dem didaktischen „Gleichlauf-Prinzip“ – der betrieblichen Vermittlung von Fertigkeiten entspricht inhaltlich und zeitlich parallel die berufsschulische Vermittlung von Kenntnissen/Theorien – wurde das duale System formal abgesichert; faktisch hat dieses Prinzip nie funktioniert. Neuerdings gibt es aus einer Fülle von Gründen (lernpsychologische, arbeitsorganisatorische, betriebswirtschaftliche) vor allem im gewerblich-technischen Bereich Bestrebungen, Lernen und Arbeiten curricular und didaktisch-methodisch wieder zusammenzuführen (vgl. Kell/Lipsmeier 1989; Hacker/ Skell 1993; Dehnbostel/Novak 2000; Arbeitsgemeinschaft 2001; Rohs 2002). Das beiden Lernorten gemeinsame Prinzip der Geschäftsprozess- und Arbeitsprozessorientierung soll im Rahmen der didaktisch-methodischen Leitidee „Handlungsorientierung“ diese Verschränkung absichern.

6. Technikdidaktische Grundkonzeptionen Die traditionelle Technikdidaktik, die nie als geschlossenes Konzept wirksam, sondern fragmentarisch und phasenweise mit unterschiedlichen Akzenten – freilich über Jahrzehnte – Ausbildungsrealität geworden ist, soll hier nicht mehr zusammenfassend referiert werden; die vorausgegangenen Kapitel enthalten viele Details. Die im Folgenden vorgestellten technikdidaktischen Grundkonzeptionen haben untereinander viele gemeinsame Aspekte, jedoch auch unterschiedliche Akzentsetzungen. Einen neuen Impuls in der curricularen und didaktischen Diskussion der Berufsausbildung gab der Deutsche Bildungsrat mit seiner Lehrlingsempfehlung von 1969. Dieses Gremium plädierte für eine Integration allgemeiner und fachlicher Lernziele soweit wie möglich und für eine Integration von theoretischer und praktischer Ausbildung (Deutscher Bildungsrat 1969, S. 20): – „Der während der Lehrzeit in Betrieb und Schule zu erteilende theoretische Unterricht hat den gesamten Zusammenhang der Ursachen und Wirkungen des beruflichen Handelns zu umfassen und zu ihrer kritischen Reflexion hinzuführen. Eine solche Vertiefung des Verständnisses für die eigene berufliche Tätigkeit und die Zusammenhänge und Veränderungen in der Berufs- und Arbeitswelt ist notwendig in der fachtheoreti-

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schen Unterweisung der Berufsschule und am Ausbildungsplatz im Betrieb sowie in den sprachlichen, natur- und gesellschaftswissenschaftlichen Fächern der Berufsschule.“ Diese Vorgabe wurde quasi zur gemeinsamen Orientierungslinie für die technikdidaktischen Grundkonzeptionen.

6.1. Integrativ-ganzheitliche Technikdidaktik Eine erste konkretere Ausformulierung erfuhr diese Zielvorgabe des Deutschen Bildungsrates in der integrativen Technikdidaktik: In der Berufsausbildung und besonders in der Berufsschule muss „die Vieldimensionalität technischer Probleme erhalten bleiben, indem versucht wird, die in der Technik vergegenständlichten Naturgesetze (natruwissenschaftlich-technische Dimension), die durch Technik gestalteten Verhältnisse in Betrieb, Gesellschaft und Familie (individuelle und historische Dimension) und die ökonomischen Entwicklungen (politisch-ökonomische Dimension) in einem umfassenden Zusammenhang darzustellen und zu erarbeiten“ (Rütters 1981, S. 128f.). Und weiter: „Integrative Technikdidaktik will nicht die fachliche Qualifizierung der Jugendlichen um eine ,kompensatorische‘, zu kritischer Reflexion befähigende Allgemeinbildung erweitern, sondern sie will den Auszubildenden eine Handlungskompetenz vermitteln, bei der die fachliche und allgemeine (politische) sowie die praktische und theoretische Dimension gleichermaßen integriert sind“ (ebd., S. 129). Seit der Betonung der Kategorie „Ganzheitlichkeit“ für berufliches Lernen (vgl. Lipsmeier 1989; Pahl 1989) wurden auch in der Technikdidaktik entsprechende Ansätze favorisiert (vgl. Nashan/Ott 1990, S. 33ff.; Pahl/Ruppel 1993, S. 78ff.; Ott 1995; Ott 2001; Ott 2003). Dabei können integrative technikdidaktische Ansätze für sich in Anspruch nehmen, „sich heute mit ihren Intentionen und zentralen Kategorien in vielen aktuellen technikdidaktischen Strömungen aufgehoben (zu) sehen“ (Schilling 2003, S. 53).

6.2. Wissenschaftsorientierte Technikdidaktik Das Prinzip der Wissenschaftsorientierung hat in der Curriculumkonstruktion und in der Didaktik aller Unterrichtsfächer der Sekundarstufe II, besonders des Gymnasiums, eine lange Tradition. Im Jahre 1970 verallgemeinerte der Deutsche Bildungsrat im Strukturplan dieses Prinzip, vor allem dann mit den „Empfehlungen zur Neuordnung der Sekundarstufe II“ (1974). Doch mit diesem Prinzip ist keinesfalls eine naive Abbilddidaktik (Unterricht als reduziertes Abbild von Wissenschaft) gemeint; vielmehr ist beispielsweise intendiert, „... die Konstruktion von Maschinen oder die Reichweite ... wissenschaftlicher Gesetze ... so zu behandeln, daß die mit ihren Ergebnissen zu Rate gezogenen Wissenschaften selber mit ihren Methoden und Voraussetzungen für den Unterricht thematisch werden“ (Deutscher Bildungsrat 1974, S. 53), also auch der kritischen Reflexion unterzogen werden. Denn die Dimension der Reflexivität verdeutlicht die Anforderung an wissenschaftsorientiertes Lernen, für eine „hinreichende Orientierung in der modernen Welt ... insbesondere ... ein kritisches Verständnis der Zusammenhänge“ zu vermitteln, „die das Leben des Menschen mitbestimmen“ (Deutscher Bildungsrat 1970, S. 31). Das didaktische Kriterium der Wissenschaftsorientiertheit (oder auch Wissenschaftspropädeutik)

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schließt, so verstanden, Handlungsorientierung ein (vgl. Schilling 2003, S. 41ff.), wird jedoch zum Problem, wenn es verabsolutiert wird und die Bedeutung des Grundlagenwissens vernachlässigt wird (vgl. Tenberg 1997, S. 224). Die curriculare Grundproblematik spiegelt sich in den beiden Prinzipien „Wissenschaftsorientierung“ (bzw. Fachsystematik) und „Situationsorientierung“ (vgl. Lipsmeier 2000, bes. S. 62ff.; Clement 2003, bes. S. 9ff.) wider. Gemäß den Rahmenlehrplänen der industriellen Metallberufe (KMK 25.3.2004) soll der handlungsorientierte Unterricht, dem KMK-Lernfeld-Konzept entsprechend, „fach- und handlungssystematische Strukturen miteinander“ verschränken; das „Wie“ bleibt hier jedoch weitgehend offen.

6.3. Strukturtheoretische Technikdidaktik Strukturtheoretische Didaktik, also auch die der Technik, hat zwei dominante Bezugssysteme, nämlich die Wissenschaften in ihren (systematischen) Strukturiertheiten und die Kognitionspsychologie (kognitive Strukturen des Denkens und Lernens: Ausubel, Bruner, Gagné, Bandura, Piaget). Ihr Anliegen besteht darin, die Lernenden „beim Auf- und Ausbau orientierungs- und handlungsleitender kognitiver Strukturen zu unterstützen. Diese internen Wissenssysteme dienen als Strukturierungshilfen ..., als Hilfen zur Einordnung singulärer Phänomene in übergeordnete Zusammenhänge sowie als dynamische Modelle. Mit deren Hilfe können Handlungen gedanklich entworfen und ihr Verlauf antizipiert, die Ausführungen der Handlungen reguliert und deren Erfolg schließlich wahrgenommen und beurteilt werden. Kognitive Strukturen erlauben so einen theoriegeleiteten Zugriff auf die Realität“ (Achtenhagen 1992, S. 6). Strukturtheoretische Analysen und Inhaltsaufbereitungen, schon früh (in den 60er Jahren) einsetzend mit algorithmischen Lösungsansätzen, haben in der DDR-Didaktik des gewerblich-technischen Unterrichts – im Unterschied zur Bundesrepublik – eine erhebliche Rolle gespielt (vgl. z. B. Bührdel/Reibetanz/ Tölle 1988, S. 66ff., S. 176ff. und S. 239ff.; Sonntag 1993; Hermann 1993); Bernard hält gar das „Erkennen inhaltlicher Strukturen, abgeleitet aus Sachstrukturen, (für) ... den Kern fachdidaktischer Arbeit“ (Bernard 1991, S. 164). Erst neuerdings wird diesem fachdidaktischen Ansatz wieder größere Aufmerksamkeit geschenkt (vgl. Eckert/Rützel 1994), etwa in der Didaktik der Naturwissenschaften und der allgemeinen Technik (vgl. Harreis 2000, S. 99ff.), in der Didaktik der kaufmännischen Berufsausbildung (vgl. Witt 1992), aber auch im gewerblich-technischen Bereich (vgl. Pahl/Ruppel 1993, S. 133ff., bes. S. 141ff.; Bernard/Ebert/Schröder 1995, S. 61ff.), vor allem auch angeregt durch Wissensgebiete, die hierfür besonders geeignet erscheinen (z. B. EDV; vgl. Kerres 1987), durch das computerunterstützte Lernen im Kontext von Hypertext (vgl. Lipsmeier 1993, S. 279ff.) und durch die allgemeine (lernpsychologische) Diskussion um Wissensstrukturierung (vgl. Schulz 1999), bes. im Kontext konstruktivistischer Ansätze (vg. Dubs 1995; Arnold/ Schüßler 2003).

6.4. Problemlösungsorientierte Technikdidaktik Problemlösungsstrategien spielen in der Lernpsychologie eine große Rolle (vgl. z. B. Edelmann 1986, S. 276ff.); sie können hier nicht dargestellt werden. Diese Strategien sind auch verschiedentlich in der Technikdidaktik aufgegriffen worden, am konsequentesten

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wohl von Schad, der das technische Problem und die Methoden zu seiner Lösung in den Mittelpunkt seiner Fachdidaktik stellt (Schad 1977). Aber auch in der neueren Fachdidaktik wird dieser Ansatz beachtet, so besonders bei Nashan/Ott (1990, S. 62ff.); hier werden analytisch-synthetische und genetische Vorgehensweisen unterschieden. Dieser Ansatz ist inzwischen weiter entwickelt worden (vgl. Ott/Pyzalla 2003a). Auch der sogenannte konstruktive Unterricht (vgl. Bonz 1989) gehört zur problemlösungsorientierten Technikdidaktik.

6.5. Experimentierendes Lernen Das Experiment hat im technologischen Unterricht – und natürlich im naturwissenschaftlichen Unterricht noch viel länger – seine didaktische Funktion und auch Tradition. Allerdings sollte bedacht werden, dass in der älteren Didaktik und vor allem Praxis des gewerblich-technischen Unterrichts das Experiment schon wegen der limitierten Labor- und Werkstatträume (die zudem zumeist reine Übungswerkstätten, dann und wann auch Demonstrationswerkstätten waren) keine tragende Rolle spielen konnte. Erstmals hat wohl Stein das technologische Experiment in den Mittelpunkt seiner Technikdidaktik gestellt (1958/1965). Später erklärte Rauner das experimentelle Lernen zu einer Grundform gewerblich-technischer Berufsbildung (1992). Aber auch in anderen fachdidaktischen Abhandlungen wird die Bedeutung dieses technikdidaktischen Ansatzes herausgestellt (vgl. z. B. Winter 1965; Nashan/Ott 1990, S. 89ff.; Bundesinstitut für Berufsbildung 1975; Acksteiner 2001; Ott/Pyzalla 2003b). Der Laborunterricht ist heutzutage fester Bestandteil des Technikunterrichts in der Berufsausbildung.

6.6. Technikgestaltung/Sozialverträglichkeit von Technik Diese beiden Zielkategorien für die Konzeptionierung von (industrieller) Arbeit werden häufig auch zusammengefasst. In Absetzung von traditionellen Konzepten der Industriearbeit (Taylorismus, Fordismus) sind mit diesem Programm im Wesentlichen arbeitsorganisatorische Innovationen (teilautonome Gruppen, Werkstattorientierte Programmierung, Gruppenarbeit, Inselfertigung etc.) gemeint; von daher ist diese Thematik auch vorrangig in der Industrie- und Betriebssoziologie anzutreffen (vgl. z. B. Fricke 1992). Wenn man sich jedoch, wie z. B. von Brödner prononciert vertreten, in Abwendung von traditionellen technizentrierten Produktionskonzepten zum Konzept der menschenzentrierten Produktion bekennt (vgl. Brödner 1991), dann gewinnen qualifikatorische und damit auch berufspädagogische Aspekte eine den industriesoziologischen vergleichbare Bedeutung. Für Rauner ist die Leitidee „Befähigung zur Gestaltung von Arbeit und Technik“ eine „Herausforderung für die Berufsbildungsforschung“ (Rauner 1988, S. 71). Es müsste jedoch bedacht werden, was von den Vertretern dieses Ansatzes noch nicht rezipiert worden ist, dass die ursprünglichen Hoffnungen auf partizipative Technikgestaltung und Steigerung von Verantwortlichkeiten auf der Facharbeiterebene durch die neuere „Aufkündigung der auf Partizipation beruhenden Modelle durch die Unternehmen“ (Pahl/Schütte 2003, S. 19) die Tragfähigkeit dieses technikdidaktischen Ansatzes relativieren könnte. Außerdem ist ein entsprechendes unterrichtlich umsetzbares schlüssiges TechnikdidaktikKonzept bislang erst in Ansätzen erkennbar, vor allem deswegen, weil auf betrieblicher Sei-

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te „die Akzeptanz eher verhalten oder sogar nicht vorhanden“ ist (Pahl 2003, S. 64). Dabei müsste auch für die Betriebe „Gestaltungskompetenz, die insbesondere die Fähigkeit zum Beherrschen und zum Mitgestalten von komplexen Arbeitsprozessen und der zugehörigen Technik umfasst“ (ebd.), eine wichtige Qualifikation darstellen (vgl. auch VDI-Richtlinie 3780; siehe Rapp 2000). Einige Konturen sind jedoch unter didaktischen Aspekten erkennbar (vgl. den Beitrag von Rauner in diesem Band), wenn auch die Erwartungen nicht allzu hoch geschraubt werden sollten (vgl. Pahl 2003, S. 65). Das Programm der sozialverträglichen Technikgestaltung bleibt eine Herausforderung für die Technikdidaktik; unter mannigfaltigen Aspekten trifft sich die Intention dieses Programms mit dem letzten hier vorzustellenden Technikdidaktik-Konzept, der systemtheoretischen Technikdidaktik.

6.7. Systemtheoretische Technikdidaktik Das zur Zeit wohl umfassendste und zugleich anspruchsvollste Technikdidaktik-Konzept ist das der systemtheoretischen Technikdidaktik, das auf der Systemtheorie von Ropohl basiert. Die Technik umfasst nach Ropohl „die gegenständlichen Artefakte, deren Entstehung und deren Verwendung ... Das Beziehungsgeflecht zwischen Entstehungs-, Sachund Verwendungszusammenhängen hat eine naturale, eine humane und eine soziale Dimension; Technik ereignet sich zwischen der Natur, dem Individuum und der Gesellschaft“ (Ropohl 1979, S. 43). Im Konzept einer „Systemtheorie der Technik“ zeigt Ropohl auf, welche Dimensionen und Erkenntnisperspektiven der Technik sich von einem solchen Ansatz her erschließen lassen (ebd., S. 32), nämlich naturale, humane und soziale Dimensionen. Auch für die Vertiefung des reflexiven Technikverständnisses unter berufspädagogischen Aspekten (vgl. 4.) stellt die Systemtheorie ein Denkmodell bereit, welches das Durchhalten einer komplexen Sichtweise bei der Befassung mit Lösungsmöglichkeiten für konkrete Aufgabenstellungen stützt. Gemeint sind die Unterscheidung und der Zusammenhang zwischen Sach-, Handlungs- und Zielsystem. Diese System-Trias, mit deren Hilfe die Systemtheorie der Komplexität jedweden technischen Prozesses analytisch entsprechen will, soll dafür sorgen, dass selbst dann, wenn reine Sachsysteme den Ausgangspunkt einer technischen Aufgabenstellung markieren, auch der Handlungs- und der Zielaspekt in den Blick genommen werden. Mit „Sachsystem“ ist primär auf die „naturale“, mit „Handlungssystem“ und „Zielsystem“ primär auf die „humane“ und die „soziale“ Dimension der Technik verwiesen, wobei dann diese Dimensionen von Fall zu Fall aus verschiedenen Erkenntnisperspektiven betrachtet werden können. Der Ropohlsche Technikbegriff (ebd., S. 32) zielt nun insofern in die unter pädagogischen Aspekten zu fordernde Richtung, als sie bei konsequenter Umsetzung im Grundsatz einen neuen Denkstil propagiert, der auch die Spezialisten befähigen soll, technische Einzelprobleme in einem breiten Kontext zu sehen; die Gefahr technokratischer Verkürzungen sollte allerdings nicht unterschätzt werden. Ausgangspunkt für die neue Denkrichtung ist ein komplexes, reflexives Technikverständnis (vgl. Schilling 1982), das den interdisziplinären Zugang zu den vielfältigen Interdependenzen zwischen Technik, Umwelt, Mensch und Gesellschaft eröffnen soll. Denn aus curricular-didaktischer Sicht des beruflichen Schulwesens bedarf es der Überwindung jener monotechnischen, einseitig an den jeweiligen ingenieurwissenschaftlichen Einzeldisziplinen orientierten Fachtheorie für technische Berufe. Es geht dabei um die Beseitigung von „Komplexitätsverlust durch Umgehung der

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überfachlichen und außerfachlichen Reflexion“, wie Nölker formuliert hat (Nölker 1973, S. 326). Auf der Basis dieser theoretischen Vorgaben gibt es inzwischen eine Fülle von fachdidaktischen Abhandlungen, Unterrichtsentwürfen und Schulbüchern, die versuchen, diesen Vorgaben gerecht zu werden (vgl. Pahl 2002; Bader/Bonz 2001, bes. S. 218ff.). An der Systemtheorie der Technik sind auch häufig die didaktischen Strukturgitter (vgl. Nölker 1973, S. 345; Pahl/Ruppel 1993, S. 100f.; Schilling 2003, S. 46ff.) orientiert.

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Berufliche Umweltbildung Karin Rebmann

KarinBegriff Berufliche 1. Rebmann Umweltbildung und Aufgabe beruflicher Umweltbildung Bis in die 1980er Jahre wurde Umwelterziehung als Übersetzung des englischen Begriffs „environmental education“ für umweltbezogene Bildungsanstrengungen verwendet und erst 1986 durch die Einführung des Begriffs „Umweltbildung“ auf einem Symposium des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft abgelöst. Auch wenn es seit Anfang der 1990er Jahre Bestrebungen gibt, von einer „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ zu sprechen, hat sich der Begriff „Umweltbildung“ etabliert. „Allgemeine“ Umweltbildung hatte lange Zeit entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung und Ausgestaltung beruflicher Umweltbildung. Dabei werden unter beruflicher Umweltbildung „einerseits die persönlichen Voraussetzungen für umweltverträgliches Berufshandeln verstanden und andererseits all die Bildungskonzeptionen, Ansätze und Maßnahmen, die auf die Förderung diesbezüglicher Voraussetzungen abstellen“ (Nitschke 1999, S. 255). Aufgabe beruflicher Umweltbildung ist es, berufliche Umweltkompetenz als Teil der umfassenden beruflichen Handlungsfähigkeit zu befördern. Berufliche Umweltkompetenz umfasst dabei berufsspezifisches wie berufsübergreifendes Umweltwissen, Umweltbewusstsein, Umwelteinstellungen sowie umweltbezogenes Handeln (vgl. auch Okun/Schulz 2000, S. 37). Berufliche Umweltkompetenz kann als Prozess, in dem sich Individuen mit den Umweltwirkungen beruflichen Handels angesichts sich ändernder beruflicher, betrieblicher, politischer und ökologischer Bedingungen auseinander setzen, beschrieben werden (vgl. Jungk/Mertineit 1999, S. 4). Sie zielt darauf ab,

> Verantwortung für die Erhaltung der Umwelt zu übernehmen und für den Schutz der Umwelt einzutreten,

> Umweltwissen anzuwenden und an andere weiterzugeben, > Fertigkeiten im praktischen Umgang mit umweltgefährlichen Stoffen und Produktionsprozessen zu erwerben,

> umweltgerechtes Handeln im Arbeitsleben – auch in Konfliktsituationen zu ermöglichen,

> Bereitschaft zu umweltbezogenen Verhaltensänderungen und zum Weiterlernen zu zeigen (vgl. BLK 1998, S. 50).

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Karin Rebmann

2. Geschichtlicher Abriss der Entwicklung der beruflichen Umweltbildung Erste Ansätze einer Umweltbildung lassen sich bereits vor 100 Jahren in der Natur- und Heimatschutzerziehung sowie in der Reformpädagogik ausmachen (vgl. Gräsel 2002, S. 676). Von Umweltbildung als einem eigenständigen Bereich lässt sich etwa seit den 1970er Jahren sprechen, von beruflicher Umweltbildung deutlich später. Nach Michelsen (2000a, S. 10) lassen sich folgende Entwicklungslinien einer (beruflichen) Umweltbildung nachzeichnen: die programmatische, die pragmatische und die reflexive Entwicklungsphase. Die programmatische Phase stellt zugleich die Aufbruchzeit der Umweltbildung dar. Die darauf folgende pragmatische Phase ist geprägt von konzeptionellen Anstrengungen. Die reflexive Phase schließlich ist Ausdruck der Konsolidierung von Umweltbildung (vgl. auch Giesel/Rode 2000, S. 176).

2.1. Die Aufbruchphase Die Aufbruchzeit der Umweltbildung liegt in der so genannten programmatischen Phase (Anfang 1970er bis Anfang 1980er Jahre). Diese ist vor allem geprägt von nationalen wie internationalen (umwelt-)politischen Erklärungen zur Umwelterziehung und wurde angestoßen durch den Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome. 1980 verabschiedete die KMK auf nationaler Ebene den Beschluss „Umwelt und Unterricht“, der die flächendeckende Einführung von Umwelterziehung in allgemein bildenden Schulen empfahl (vgl. Michelsen 2000a, S. 11). In der Folge wurden umweltschutzbezogene Lerninhalte vornehmlich naturwissenschaftlichen Fächern hinzugefügt; die Bereiche der Arbeitsumwelt und der Berufsbildung blieben von der Empfehlung noch weitgehend unberührt (vgl. Drees/Pätzold 1997, S. 28f.). Eine erste Theoriediskussion um schulische Umweltbildung erfolgte mit der frühen Umwelterziehung (vgl. z. B. Bolscho/Eulefeld/Seybold 1980; Eulefeld u. a. 1981). Umwelterziehung hatte sich zur Aufgabe gesetzt, das Umweltthema überhaupt in die allgemein bildenden Schulen einzuführen. Es sollte ein Denken und Handeln gefördert werden, das sich an biologischen und soziologischen Langzeitprozessen und an den Lebensbedingungen zukünftiger Generationen orientiert (vgl. Eulefeld u. a. 1981, S. 37). Kritisiert wurde an der frühen Umwelterziehung besonders die fehlende gesellschaftskritische Position sowie die „fragwürdige Verschiebung von politisch zu lösenden Problemen in den pädagogischen Bereich hinein“ (Becker 2001, S. 56). Konkret wurde diese Kritik in der Ausarbeitung von Gegenpositionen zum Konzept der Umwelterziehung: im Ökologischen Lernen und in der Ökopädagogik. Im Übrigen gab es auch in der DDR eine Umwelterziehung, die gleichwohl einen (noch) geringeren Stellenwert als in der BRD hatte (vgl. Becker 2001, S. 58).

Berufliche Umweltbildung

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2.2. Die konzeptionelle Phase Die 1980er Jahre sind vor allem durch konzeptionelle Überlegungen geprägt. Michelsen (2000a) bezeichnet diese Zeit daher auch als pragmatische Phase der Umweltbildung. Diese ist bestimmt von zahlreichen Modellversuchen, die auf eine praktische Umsetzung von Umweltbildung in die Praxisfelder Schule und Betrieb fokussierten und zahlreiche neue Lernansätze, Materialien und Umsetzungsstrategien nunmehr auch für berufliche Umweltbildung entstehen ließen. Zugleich fand eine recht differenzierte Theoriediskussion statt. Dies zeigt sich besonders an der Vielzahl von Konzepten und Ansätzen zur Umweltbildung, die in dieser Zeit entstanden, wie z. B. Ökologisches Lernen, Ökopädagogik, Kritisch-emanzipatorische Umwelterziehung, Ökologische Bildung, subjektbezogene Umwelterziehung, Ökologie-Lernen, Sozialpsychologisches Modell des Umweltlernens (vgl. dazu Becker 2001, S. 68; Mertineit 2002, S. 27). Dabei wird die berufliche Umwelterziehung vorzugsweise von diesen noch allgemein-didaktischen Konzepten gespeist, gewinnt aber eine erste Kontur (vgl. Fischer 1998). Diese Kontur zeigt sich vor allem an der Verankerung von umweltbezogenen Themen und Zielen in den Ordnungsmitteln der Berufsausbildung. So sind in allen Ausbildungsordnungen und Rahmenrichtlinien umweltbezogene Inhalte und Ziele jeweils berufsspezifisch aufgenommen worden. Folgende Standardlernziele sind beispielsweise in allen Ausbildungsordnungen anzuwenden (BMBF 1998, S. 78): „Zur Vermeidung betriebsbedingter Umweltbelastungen im beruflichen Einwirkungsbereich beitragen, insbesondere a) mögliche Umweltbelastungen durch den Ausbildungsbetrieb und seinen Beitrag zum Umweltschutz an Beispielen erklären; b) für den Ausbildungsbetrieb geltende Regelungen des Umweltschutzes anwenden; c) Möglichkeiten der wirtschaftlichen und umweltschonenden Energie- und Materialverwendung nutzen; d) Abfälle vermeiden; Stoffe und Materialien einer umweltschonenden Entsorgung zuführen.“ 1984 wird schließlich der erste Umweltberuf „Ver- und Entsorger/in“ verabschiedet. Aufgrund der immer komplexeren Arbeits- und Qualifikationsanforderungen an die Ver- und Entsorger/innen wird seit August 2002 in vier neuen umwelttechnischen Berufen ausgebildet: Fachkraft für Wasserversorgungstechnik, Fachkraft für Abwassertechnik, Fachkraft für Kreislauf- und Abfallwirtschaft sowie Fachkraft für Rohr-, Kanal- und Industrieservice. Damit wird Umweltschutz als wesentliches Element beruflicher Tätigkeit und Qualifikation behandelt. Allerdings erfolgt diese Integration in die Ordnungsmittel der Berufsausbildung meist nicht nach systematischen Gesichtspunkten. Lernziele und -inhalte zum betrieblichen Umweltschutz werden zumeist an die fachlichen Ziele und Inhalte in den entsprechenden Rahmenlehrplänen und Ausbildungsordnungen einfach angehängt. Damit fällt der Versuch der Integration von umweltbezogenen Inhalten und Zielen hinter dem Anspruch auf curriculare Systematik zurück. So spiegeln fachwissenschaftliche Systematiken von Umweltschutz durchaus breitere und differenziertere Aspekte des beruflichen und betrieblichen Umweltschutzes als bestehende Ordnungsmittel wider (vgl. auch Rebmann/ Tenfelde 1999, S. 53). Weiterhin fällt der Versuch der Integration von umweltbezogenen Inhalten und Zielen hinter die Qualifikationsanforderungen an zukünftige Arbeitnehmer/innen zurück.

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2.3. Die Konsolidierungsphase In den 1990er Jahren kann von einer Konsolidierung von Umweltbildung gesprochen werden. Michelsen (2000a) bezeichnet diese Phase auch als reflexive und zukunftsgerichtete Phase. Die berufliche Umweltbildung tritt nun aus dem Schatten der allgemeinen Umweltbildung heraus. Die Konsolidierung beruflicher Umweltbildung zeigt sich besonders an den Diskussionssträngen um eine kulturorientierte Umweltbildung sowie um Nachhaltigkeit und Umweltkommunikation.

2.3.1. Die kulturelle Wende in der Umweltbildung Mit der „kulturellen“ Wende in der Umweltbildung verbindet sich eine Verlagerung der Aufmerksamkeit von primär naturwissenschaftlich-technischer Sichtweise hin zu geistes-, sozial- und politikwissenschaftlichen Fragestellungen und Perspektiven (vgl. de Haan 1999, S. 257; Michelsen 2000a, S. 16). So war beispielsweise für die Konzeption von Lernangeboten zur Umweltbildung noch bis in die 1990er Jahre hinein ein kausales Wirkungsmodell charakteristisch: Umweltwissen beeinflusst Umwelteinstellungen und diese wiederum lösen erwünschtes Umwelthandeln und -verhalten aus. Die Tragfähigkeit dieser Sichtweise auf Umweltbildung wurde durch die Umweltbewusstseinsforschung dementiert (vgl. z. B. Becker 2001, S. 17; Gräsel 2002, S. 680; Kyburz-Graber u. a. 2001, S. 14; Lehmann 1999, S. 95). Durch empirische Befunde konnte nämlich gezeigt werden, dass Wissen und Bewusstsein vielleicht notwendige, jedoch möglicherweise keine hinreichenden Bedingungen für umweltbewusstes Verhalten und Handeln sind. Weitere Erklärungsansätze und Fragestellungen resultieren auch aus ökonomischen Ansätzen, wie dem Kosten-Nutzen-Ansatz von Diekmann und Preisendörfer (1992). Dieser differenziert in sog. Low-Cost- und High-Cost-Handlungsbereiche. Bei den Low-CostHandlungsbereichen kann es sich das Individuum praktisch erlauben, seinem Umweltbewusstsein zu folgen. Nicht hingegen bei den High-Cost-Handlungsstrategien, hier konkurriert umweltbewusstes Handeln mit anderen Handlungsalternativen. Weitere Erklärungsmuster finden sich in den soziologischen Ansätzen, wie insbesondere dem Lebensstilansatz (vgl. z. B. de Haan/Kuckartz 1996). Einige Vertreter der beruflichen Umweltbildung greifen in der Diskussion verstärkt auf den Bildungsbegriff als regulative Idee zurück (vgl. z. B. Nitschke u. a. 1995; Jungk/Mertineit 1999). Schließlich lassen sich Arbeiten ausmachen, die insbesondere die Kontext- und Rahmenbedingungen als bedeutsame Größe für Umweltverhalten erachten. Und ganz aktuell werden verstärkt konstruktivistische Ansätze diskutiert (siehe Beiträge im Sammelband von de Haan 2000). Hierzu gehört beispielsweise die sozio-ökologische Umweltbildung von Kyburz-Graber und Högger (2000). Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass erst durch die Wahrnehmung und Bewertung einzelner Individuen bzw. gesellschaftlicher Subsysteme Umweltprobleme erzeugt werden. Folglich gibt es eine Vielzahl an Wahrnehmungen, Bedeutungszuschreibungen etc., die gesellschaftliche und individuelle Vorstellungen von Umweltproblemen und Umweltbildung prägen. Konsens über Umweltprobleme kann es dann nur durch Kommunikation und Verständigung geben. Umweltbildung wird so als kommunikative Lernprozesse gestaltet, in denen die didaktischen Prinzipien: Erfahrungen-Machen, Partizipation und Problemorientierung Bedeutung erlangen.

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2.3.2. Die innere Wende von der Umweltbildung zur Nachhaltigkeit Eine weitere Entwicklungslinie in den 1990er Jahren zeigt an, dass das Thema „Umweltschutz“ in der öffentlichen Diskussion zunehmend in den Hintergrund getreten ist. Mit der Agenda 21, die auf der 2. Weltumweltkonferenz „Umwelt und Entwicklung“ in Rio de Janeiro 1992 verabschiedet wurde, konnte noch zu Beginn der 1990er Jahre eine Auseinandersetzung um eine nachhaltige oder zukunftsfähige Entwicklung unserer Gesellschaft angeschoben werden. Nachhaltigkeit wird darin als Leitbild verankert und bei der Beförderung der Nachhaltigkeit kommt der beruflichen Bildung eine wichtige Rolle zu (vgl. Kapitel 36 der Agenda 21). Das Leitbild basiert auf den Vorstellungen einer generationsübergreifenden Gerechtigkeit und einer globalen Verteilungsgerechtigkeit. Dabei gilt es neben ökonomischen, auch ökologische, sozio-kulturelle und globale Aspekte zu beachten. Auch wenn diese Dimensionen von Nachhaltigkeit bei der Bevölkerung insgesamt auf großes Interesse stoßen, so kennen nur etwa 28% der Bevölkerung überhaupt den Begriff der Nachhaltigkeit (vgl. Kuckartz/Grunenberg 2003). Auch die sich an die Agenda 21 anschließenden Projekte zur Verbreitung und Umsetzung des Nachhaltigkeitsthemas auf lokaler Ebene wurden und werden häufig von anderen ökonomisch und gesellschaftlich relevanten Themen wie Arbeitslosigkeit und innere Sicherheit überlagert (vgl. Michelsen 2000b, S. 59). Das abnehmende Interesse an Umweltschutz kann aber auch auf die bereits erzielten Erfolge im Umweltschutz zurückgeführt werden. Besonders zu erwähnen sind hier auch die Anstrengungen von Großunternehmen, Umweltmanagementsysteme zu installieren und ihre Umweltschutzaktivitäten in Umweltberichten vorzustellen. Aber auch das mittlerweile dichte Netzwerk von Regelungen des Ordnungsrechts wird als Erfolg im Umweltschutz gewertet (vgl. Möller 2000, S. 192). Gleichwohl bleibt Umweltschutz auf Platz 4 der politischen Agenda und damit im Aufmerksamkeitsbereich der Bevölkerung (vgl. Kuckartz/Grunenberg 2003). Auch wenn auf der internationalen Umweltkonferenz in Johannesburg 2002 Nachhaltigkeitsziele in keinem der relevanten Umweltbereiche verbindlich festgeschrieben wurden. 1998 hat die BLK einen Orientierungsrahmen für Bildung für eine nachhaltige Entwicklung verabschiedet, der als neue regulative Idee für die Gestaltung und Umsetzung von Umweltbildung in Praxisfelder gehandelt wird (vgl. Mertineit/Exner 2003, S. 18f.). Kuckartz (1999, S. 1) beschreibt diesen Wechsel zur Bildung für Nachhaltigkeit auch als inneren Shift von Umweltbildung. Bildung für eine nachhaltige Entwicklung rückt den Blick auf die Inhalte und die Konzeption von Umweltbildung, die nunmehr neben ökologischen auch ökonomische und soziale Aspekte berücksichtigen soll. Gleichwohl lässt sich festhalten, dass auch die Diskussion über nachhaltige Entwicklung die vermeintlichen Schwächen der (beruflichen) Umweltbildung nicht hat lösen können (vgl. auch Becker 2001, S. 12). Dies mag weniger am Stand der bisherigen beruflichen Umweltbildung liegen, als daran, dass es sich bei „Nachhaltigkeit“ zwar um ein anschlussfähiges Leitbild handelt, das jedoch zu allgemein, zu abstrakt, zu unscharf und zu mehrdeutig ist, um verbindliches Handeln aller gesellschaftlicher Gruppierungen anleiten zu können (vgl. de Haan 2000, S. 156; Mertineit/Nickolaus/Schnurpel 2001, S. 19f.). Und schließlich bestehen die Gefahren einer instrumentellen Orientierung und der Geschichtslosigkeit beim Übergang von Umweltbildung zur Bildung für eine nachhaltige Entwicklung (vgl. Becker 2001, S. 13, 44). Insofern sind verstärkt Anstrengungen zu unternehmen, das Leitbild der Nachhaltigkeit zu kommunizieren, in die Umweltbildungsdiskussion konstruktiv einzubinden und so handlungsleitend werden zu lassen.

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2.3.3. Die äußere Wende von der Umweltbildung zur Umweltkommunikation Die äußere Wende der Umweltbildung zeigt sich in der Wende von der Umweltbildung zur Umweltkommunikation (vgl. Kuckartz 1999, S. 1). Darin ist die Umweltbildung als ein Handlungsfeld der Umweltkommunikation unter anderen aufgehoben (vgl. Michelsen 2000b, S. 70f.). Bei der Beförderung von Umweltkommunikation geht es zunächst darum herauszufinden, wie Umweltthemen überhaupt zur Sprache kommen, wie diese Themen wahrgenommen werden können und wie Lösungsstrategien praktisch verhandelt werden. Aber auch die Entwicklung und Verbreitung von Qualifizierungsangeboten zum Umweltschutz sind Teil von Umweltkommunikation. Mit dieser Entwicklungslinie von der Umweltbildung zur Umweltkommunikation wird die Erkenntnis aufgenommen, dass Umweltprobleme und Umweltschutzaufgaben überhaupt erst dann wahrgenommen und erkannt werden, wenn sie in geeignete Formen der Kommunikation überführt werden können. Für den Bereich des betrieblichen Umweltschutzes bedeutet dies z. B., dass Umweltthemen dann in Unternehmen thematisiert werden, wenn sie auch in die ökonomische Sprache der Preise, der Kosten und des Nutzens von Umweltschutz überführt und konkret „vor Ort“ mit den Betroffenen verhandelt werden. Deshalb ist zu bedenken, dass Umweltkommunikation immer nur in bestimmten Themenfeldern gelingen kann (vgl. auch Kastrup u. a. 2003, S. 27). Umweltkommunikation kann als komplexer Prozess beschrieben werden, in dem Ideen und Informationen zu Umweltschutzaspekten und -problemen und mögliche Lösungen ausgetauscht werden (vgl. Brilling/Leal-Filho 1999, S. 266). Eine weit verbreitete Meinung besagt, dass sich z. B. Unternehmen im Allgemeinen scheuen, aktiv in Kommunikation über Umweltschutz einzutreten. Zumindest scheuen sie davor zurück, selbst initiativ zu werden, die Dialogform zu wählen und Umweltkommunikation mit Anspruchsgruppen offen zu gestalten. Zu verschieden sind die Vorstellungen von externen Anspruchsgruppen einerseits und von den Unternehmen andererseits. Kaum ist zu erkennen, worüber eigentlich kommuniziert und mit welchem Ziel der Dialog geführt werden soll. Unklar ist auch, welcher konkrete Nutzen aus einem Dialog gezogen werden kann. Diese sicherlich pointiert formulierten Beobachtungen scheinen die These Luhmanns zu bestätigen, wonach das Gelingen von Umweltkommunikation unwahrscheinlich ist: Umweltorganisationen, Anspruchsgruppen, Öffentlichkeit, Unternehmen und Schulen gehören verschiedenen gesellschaftlichen Systemen an. Sie operieren in verschiedenen Sprachen und Bedeutungs- bzw. Sinnsystemen. Die einzige Chance ist eine Verständigung auf gemeinsame Themenbereiche und die Herstellung von Information und Sinn im jeweiligen Bewusstsein des Anderen. Diese Chance kann allerdings durch Kommunikation genutzt werden, wenn dadurch Vorstellungen von Umweltschutz erzeugt werden, die von den beteiligten Unternehmen geteilt werden und in aufeinander bezogenen konsensuellen Handlungen auch tatsächlich hergestellt werden. Entscheidend für das Gelingen von Umweltkommunikation ist dann aber nicht das Wissen über „objektive Fakten“ der Umweltnutzung und Umweltbelastung. Entscheidend sind vielmehr die Selbst- und Fremdbilder, die Akteure von sich und den anderen als Umweltnutzer und Umweltschützer entwickelt haben (vgl. auch Mesterharm 1999, S. 2). Auch die Umweltpolitik übt einen bedeutenden Einfluss auf die Umweltkommunikation von Unternehmen aus. Zwar zeigen sich Unternehmen weder als UmweltschutzIgnoranten noch als widerständige Gegner von Umweltschutz-Ansprüchen und Umweltkommunikation. Jedoch differieren Auslöser und Anlass für Umweltkommunikation be-

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trächtlich. Manche Unternehmen bevorzugen einen reaktiven Umweltschutz. Sie reagieren auf externe Anforderungen. Deren Bedarf an Umweltkommunikation und Mitarbeiterqualifizierung ergibt sich deshalb allenfalls aus eben diesen Anforderungen: Information über gesetzliche Anforderungen an betrieblichen Umweltschutz und rechtliche Verpflichtungen zur Umweltinformation besonders gegenüber der Umweltbehörde. Diese linear verlaufende Information ohne erwartete Rückläufe sollte aber nicht mit Umweltkommunikation verwechselt werden! Andere Unternehmen wiederum gehen in ihrem Engagement für betrieblichen Umweltschutz deutlich über gesetzliche Anforderungen hinaus. Umweltschutz ist in Umweltpolitik und Umweltkommunikation des Unternehmens integriert. Umweltbeauftragte stehen als Berater/innen für Unternehmensleitung und Mitarbeiter/innen zur Verfügung. Sie stabilisieren eine kontinuierliche Umweltkommunikation nach innen wie auch nach außen zu externen Anspruchsgruppen. Damit Umweltkommunikation auch durch Qualifizierungsmaßnahmen befördert werden kann, muss Umweltbildung also zunächst als bedeutsamer Bestandteil im Konzept der Unternehmens-Umweltkommunikation und der Mitarbeiterqualifizierung von Unternehmen verortet werden.

2.3.4. Drei Konzepte von Umweltbildung Auch wenn Umweltbildung inhaltlich seit Mitte der 1990er Jahre durch das Konzept der Nachhaltigkeit beeinflusst wird und auch wenn Umweltkommunikation als Medium von Umweltbildung einen höheren Stellenwert einnimmt als bisher, muss dadurch der Begriff „Umweltbildung“ nicht in Frage gestellt werden (vgl. auch Becker 2001, S. 267ff.). Klarerweise war und ist Umweltbildung nämlich immer schon an Kommunikationsprozesse gebunden. Und der Nachhaltigkeitsbegriff stellt bisher eher einen Diskussions- und Handlungsrahmen dar, dem es noch an Präzision und Ausgestaltung mangelt und der zugleich die Gefahr birgt, dass der Umweltaspekt im Vergleich zu den beiden anderen Dimensionen von Nachhaltigkeit an Bedeutung verliert. Klar ist jedoch, dass Umweltbildung, Nachhaltigkeit und Umweltkommunikation in einem Bedeutungszusammenhang stehen. So lassen sich in ihrer Verschränkung bereits drei Konzepte von Umweltbildung ausmachen (vgl. dazu auch Rebmann/Tenfelde 2002, S. 4): Umweltbildung als Allgemeinbildung zielt ab auf eine Auseinandersetzung mit der (belebten und unbelebten) Natur und den Menschen, die Natur nutzen und Kultur produzieren (vgl. Michelsen 2000b, S. 71). Sie soll helfen, das Verhältnis von Mensch und natürlicher Umwelt zu verstehen, zukunftsfähige Lebensstile zu entwickeln, nachhaltige Wirtschafts- und Konsumformen zu entwerfen und Handlungsmöglichkeiten zum Schutz der natürlichen Umwelt vor Übernutzung zu erproben. Umweltbildung als Allgemeinbildung ist deshalb geprägt von physikalisch-technischen, ökologischen und naturwissenschaftlichen Sichtweisen auf das Verhältnis von Mensch und Natur. Ausgangspunkt der Umweltbildung als verallgemeinerte berufliche Bildung ist die Vorstellung von den Möglichkeiten einer Kompetenzentwicklung im Medium der beruflichen Bildung. In diesem Sinne wird z. B. in Richtlinien gefordert, dass auf die mit der Berufsausübung und privaten Lebensführung verbundenen Umweltbedrohungen und Unfallgefahren hinzuweisen ist und Möglichkeiten zu ihrer Vermeidung bzw. Verminderung aufzuzeigen sind. Dabei wird durchweg auch auf die Leitidee der Bildung durch Nachhaltig-

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keit zurückgegriffen, jedoch im Sinne eines additiven Konzepts von „Querschnittsthemen“. Solche Querschnittsthemen sind beispielsweise: Rahmenbedingungen des Lebens, Energie und Stoffströme, Technikfolgenabschätzung, Produktion, Transport und Medien, Lebensstile (vgl. Fischer 1999, S. 27). Verallgemeinerung beruflicher Bildung meint, dass technische und ökonomisch-ökologische Aspekte des Umweltschutzes über diese Querschnittsthemen vermittelt den klassischen Inhalten der Berufsausbildung hinzugefügt werden. Das Konzept der Umweltbildung als integraler Bestandteil beruflicher Aus- und Weiterbildung erhält seine thematische Ausrichtung durch diejenigen Bezugsdisziplinen, die für die jeweilige berufliche Fachrichtung konstitutiv ist. Diese sind z. B. die Gesundheitswissenschaften, die Haushalts- und Ernährungswissenschaft, die Ingenieurwissenschaften und in den kaufmännischen Berufen die Wirtschaftswissenschaften. Die Vermittlung umweltbezogener Inhalte erfolgt jeweils direkt mit Bezügen auf berufsfachliche Inhalte (vgl. Mertineit 2002, S. 19). Im Hinblick auf die Organisation der beruflichen Umweltbildung in diesem Konzept lassen sich integrierte berufliche Umweltbildung sowie eine eigenständige, umweltspezifische Berufsbildung differenzieren (vgl. Nitschke 1999, S. 256). Während die erste Variante Umweltthemen in existierende (Aus-)Bildungsgänge aufnimmt und überwiegt, ist die zweite Variante seltener: hierunter fallen spezifische umweltbezogene Ausbildungsberufe sowie umweltbezogene Weiterbildungsangebote.

3. Zur Umsetzung beruflicher Umweltbildung in Praxisfeldern Es gibt mittlerweile eine fast nicht mehr zu überschauende Anzahl an Publikationen, Konzepten und Materialien zur (beruflichen) Umweltbildung. Hinzu kommen gelungene Praxisbeispiele und Modellversuche, ordnungspolitische Vorgaben und innovative Vermittlungsmethoden. Empirische Studien belegen auch, dass berufliche Umweltbildung von allen Betroffenen weitestgehend akzeptiert wurde. Dennoch lässt sich noch immer von einem „Vollzugsdefizit“ sprechen (Adler 1999, S. 2). So deuten empirische Befunde an, dass Umweltbildung ihre Adressaten nur unzureichend erreicht: In der Weiterbildung erreicht sie ihre Adressaten hauptsächlich über berufliche Fort- und Weiterbildung oder über Volkshochschulangebote, deren Anzahl jedoch als gering angesehen wird (vgl. Weiss 1995). Das schulische wie betriebliche Ausbildungsangebot an Umweltbildung wird im Durchschnitt mit weniger als 1,3% des gesamten Unterrichts geschätzt (vgl. de Haan u. a. 1997). Es bleibt dennoch die Frage offen, wie sich Umweltbildung in der beruflichen Bildung genauer darstellt. Bleibt die Integration umweltbezogener Inhalte und Ziele in der Berufsbildungspraxis nicht nur in quantitativer, sondern auch in qualitativer Sicht hinter den Erwartungen zurück (vgl. Mertineit/Nickolaus/Schnurpel 2001, S. 8)?

3.1. Bilanz der Umweltbildung in der berufsschulischen Praxis Im Unterrichtsalltag an berufsbildenden Schulen stellt Umweltbildung meist ein Randthema dar, das überdies eher durch traditionelle Lehr-Lernformen vermittelt wird, selten schriftlich überprüft und nur in geringem Maße im privaten Bereich gelebt wird (vgl. Rebmann 2003; Voßkamp 2003, S. 78ff.). Dieses Ergebnis aktueller empirischer Untersu-

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chungen in Berufsschulen und berufsbildenden Vollzeitschulen entspricht bereits vorliegenden Studien (vgl. z. B. Nitschke u. a. 1995; Lehmann 1999). Dennoch überrascht die geringe Verbreitung, zumal Umweltthemen und -ziele in den Rahmenlehrplänen verbindlich vorgegeben sind. Die Schüler/innen messen gleichwohl umweltbezogenen Inhalten und Zielen große Bedeutung bei und würden vielfach gerne mehr ökologische Themen ansprechen – wenngleich ihr eigenes Umwelthandeln häufig über gelegentliche Abfalltrennung und Energieeinsparung nicht hinausgeht. Insgesamt zeichnet sich das Umweltbewusstsein der Schüler/ -innen durch ein doch befriedigendes Niveau an Umweltwissen, durch gute Umwelteinstellungen, jedoch weniger ausgeprägte Umwelthandlungen aus. Dies kann als eine Bestätigung dafür gesehen werden, dass der Stellenwert der Schule gegenüber anderen Sozialisationsfaktoren, wie Familie und Massenmedien, eher als gering einzuschätzen ist (vgl. Becker 2001, S. 17). Dies kann aber auch als eine Bestätigung der Low-Cost- und der HighCost-Aktivitäten sein (vgl. Voßkamp 2003, S. 73). Eine Möglichkeit, Umweltbildung verstärkt in die schulische Praxis zu integrieren, besteht einerseits darin, Lehrende fortzubilden. So hat es sich gezeigt, dass neben dem entsprechenden „Alltagshandeln“ auch die umweltbezogene Fortbildung die Bereitschaft der Lehrenden erhöht, umweltbezogene Inhalte in den Unterricht einzubringen. Andererseits sind in der Schule positive Verknüpfungen zum Beispiel mit Tendenzen der Schulreformentwicklung herzustellen; so kann über Schulprogramme, Schulprofile und Schulleitbilder auch eine Ökologisierung des Lernorts Schule betrieben werden (vgl. Becker 2001, S. 28; Voßkamp 2003, S. 40).

3.2. Bilanz der Umweltbildung in der betrieblichen Ausbildungspraxis Auch wenn die berufliche Umweltbildung als eine Aufgabe der Berufsausbildung weitgehend akzeptiert ist, scheint diese nicht ihren Niederschlag in der Berufsbildungspraxis der Betriebe zu fin